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German Pages 392 Year 2023
Zukunftsfähige Unternehmensführung in Forschung und Praxis
Georg Rainer
Lernpraktiken in der Unternehmensberatung Annäherung aus praxistheoretischer Perspektive
Zukunftsfähige Unternehmensführung in Forschung und Praxis Reihe herausgegeben von Stephan Kaiser, Neubiberg, Deutschland
Die Reihe „Zukunftsfähige Unternehmensführung in Forschung und Praxis“ beinhaltet ausgewählte Schriften, die sich mit Theorien, Konzepten und Instrumenten für fortschrittsfähige Organisationen beschäftigen. Das Themenspektrum wird dabei durch die drei Eckpunkte, Personal-Organisation-Strategie, aufgespannt. Das Fundament der Schriftenreihe bilden wissenschaftlich fundierte Dissertationsschriften mit Anspruch auf Praxisrelevanz. Angereichert wird die Reihe durch für wertvoll erachtete Sammelbände aus Wissenschaft und Praxis. Die Verfasser wollen sowohl die Wissenschaft als auch die Führungspraxis mit Interesse an zukunftsfähiger Unternehmensführung ansprechen. Herausgegeben von Prof. Dr. Stephan Kaiser Universität der Bundeswehr München
Georg Rainer
Lernpraktiken in der Unternehmensberatung Annäherung aus praxistheoretischer Perspektive Mit einem Geleitwort von Univ.-Prof.Dr.Stephan Kaiser
Georg Rainer Neubiberg, Deutschland Dissertation, Universität der Bundeswehr München, Neubiberg 2023 mit dem Titel: „Lernpraktiken in der Unternehmensberatung: Annäherung aus praxistheoretischer Perspektive“
ISSN 2570-0219 ISSN 2570-0227 (electronic) Zukunftsfähige Unternehmensführung in Forschung und Praxis ISBN 978-3-658-42988-1 ISBN 978-3-658-42989-8 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-42989-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Marija Kojic Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Das Papier dieses Produkts ist recyclebar.
Geleitwort
Geleitwort Unternehmensberatungen leben vom Wissensvorsprung gegenüber ihren Klienten. Dieser Wissensvorsprung lässt sich langfristig nur durch individuelle und organisationale Lernprozesse aufrechterhalten. Gleichzeitig wissen wir, dass sich gerade die besten Absolventen mit dem Versprechen zahlreicher Gelegenheiten zum intensiven Lernen in die Beratungswelt locken lassen. Später müssen diese sich dann in lernintensiven Leistungsturnieren auf dem Weg zur Partnerschaft durchsetzen, um nicht dem „Up-orOut“-Prinzip des Karrieresystems zum Opfer zu fallen. Kurzum, das Lernen spielt in Beratungen eine ganz herausragende Rolle, für das Individuum, die einzelne Beratungsorganisation, aber auch die gesamte Branche. Umso erstaunlicher ist es, dass sich
die
Forschung
bisher
wenig
mit
dem
Thema
des
Lernens
in
Unternehmensberatungen beschäftigt hat. Die Arbeit von Georg Rainer setzt an dieser Stelle an und nutzt in der Tradition des „Practice
Turn“
der
soziologisch
geprägten
Organisationsforschung
eine
praxistheoretische Perspektive auf das Lernen in Beratungen. Mit Hilfe dieser Perspektive möchte er das Lernen im arbeitsplatznahen Beratungsumfeld erforschen und die blinden Flecken einer rein individuell-kognitiv ausgerichteten Sichtweise auf Lernen sichtbar machen. Im Ergebnis gelingt es ihm, einen konzeptionellen Bezugsrahmen als provisorisches Erklärungsmodell für Lernpraktiken von Beratern zu entwickeln und zu illustrieren. Durch die praxistheoretische Brille zeigt sich, dass Lernpraktiken viel breiter, sozialer und kontextbezogener gedacht werden müssen als dies bisher der Fall war. Das Lernen Beratender zeigt sich als eine primär praktisch-soziale Errungenschaft, und die Lernpraktiken (Lernen im eigentlichen Sinn, aber auch das Sondieren und das Suchen) manifestieren sich in handlungs-, fakten- und personenbezogener Könnerschaft. Es ist der vorliegenden Arbeit sehr zu wünschen, dass sie von Entscheiderinnen und Entscheidern in der Praxis der Unternehmensberatung und von der Management- und Organisationsforschung aufgegriffen wird. Die Arbeit bereichert nicht nur die Forschung im Bereich des individuellen und organisationalen Lernens, sondern trägt auch zum Feld der Professional-Service-Firm-Forschung und zur kritischen Beratungsforschung bei. Georg Rainer liefert in seiner Arbeit wichtige Erkenntnisse, um das Lernen von Beratenden im Beratungskontext und in Interaktion mit Klienten besser zu verstehen und V
Geleitwort
darauf aufbauend Gestaltungsempfehlungen vorzuschlagen. Somit leisten die Arbeit und der Verfasser einen wichtigen Beitrag zur Forschung und Praxis zukunftsfähiger Unternehmensführung.
München, im Juni 2023
Univ.-Prof. Dr. Stephan Kaiser
VI
Vorwort
Vorwort In einem Interview mit McKinsey Quarterly verglich der Philosoph Peter Sloterdijk Lernen einmal mit Vorfreude auf sich selbst: „Diese Vorfreude auf den nächsten eigenen Zustand ist das, worauf es ankommt.“1 Es war diese Vorfreude, die mich mehr als 13 Jahre in der Unternehmensberatung hielt. Diese Zeit bestand aus schönen und weniger schönen Phasen, bot inspirierende und ernüchternde Momente. Ich kann mich an Zeiten intensiver Lernerfahrung erinnern und an Zeiten, die von großer Routine geprägt waren. Die Vorfreude darauf, sich in seiner professionellen Rolle weiterzuentwickeln, blieb jedoch und bildete den zentralen Beweggrund, der Unternehmensberatung treu zu bleiben. Boten die Beratungsprojekte in unterschiedlichen Unternehmens- und Branchenkontexten doch die Gelegenheit, mit und von zahlreichen Menschen bewusst und unbewusst zu lernen (was mir später klar wurde). Für eine systematische Reflexion der genutzten Lernpraktiken gab es im Beratungsalltag nur selten die Zeit und die Gelegenheiten. Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, dies nachzuholen und damit einen Beitrag zu leisten, das weitgehend vernachlässigte Phänomen alltäglichen Lernens in der Unternehmensberatung wissenschaftlich zu fundieren. Als berufsbegleitendes Vorhaben handelte es sich dabei um ein „Langläufer-Projekt“, das ohne eine Reihe geschätzter Personen in meinem Umfeld nicht hätte realisiert werden können. Allen, die zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen haben, möchte ich nachfolgend danken. Großer Dank gilt meinem Doktorvater, Prof. Dr. Stephan Kaiser. Er hat mich im Rahmen meiner Promotionszeit begleitet und war für meine Anliegen stets unkompliziert erreichbar. Sein wertschätzend-kritisches Hinterfragen meiner Forschungsstände im Rahmen der Doktorandenseminare und Sprechstundentermine waren für die kontinuierliche Fortentwicklung der Arbeit maßgeblich. Neben seinem fachlichen Rat stellte er mir den erforderlichen Zeitrahmen zur Verfügung, als der Aufwand für „HomeSchooling“ und „Home-Kindergardening“ während der Pandemiezeit den ursprünglichen Arbeitsplan ins Wanken brachte. Ebenso möchte ich mich bei Prof. Dr. Thomas Hartung für die konstruktive Zweitbetreuung meiner Arbeit bedanken. Am Lehrstuhl waren die inhaltliche Diskussion und der Austausch insbesondere mit Dr. Georg Loscher, Dr. Verena
1
Kahl 2004, S. 112.
VII
Vorwort
Bader und Bianca Littig eine echte Bereicherung. Für ihr methodisches Sparring sowie die wertvollen Literaturtipps möchte ich mich zudem bei Prof. Dr. Sailer und Dr. Josef Gammel bedanken. Praxistheoretische Forschung lebt von einem „Heranzoomen“2 an Praxis. Das Erkenntnisinteresse ist auf das gerichtet, was Menschen tagtäglich tun.3 Angesichts dessen kommt den zahlreichen Schilderungen aus der Beratungspraxis besondere Bedeutung zu, die zur Illustration der theoriegeleitet angestellten Überlegungen herangezogen werden konnten. Hier gebührt allen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern mein großer Dank für ihre Teilnahmebereitschaft, Zeit und Auskunftsbereitschaft ihr alltägliches Lernen im Rahmen ihrer Beratungstätigkeit betreffend. Nur aufgrund ihres Beitrags konnten die Kategorien des entwickelten konzeptionellen Bezugsrahmens als Kern der Arbeit überprüft und konkretisiert werden. Mein Dank gilt nicht zuletzt meiner Familie, hier ausdrücklich meiner Mutter Gabriele Rainer für das unermüdliche Prüfen des Typoskripts auf Plausibilität und Rechtschreibung in der Abschlussphase der Arbeit. Insbesondere danke ich meiner Frau Susanne. Wenngleich ihr Doktortitel ein beständiger Ansporn für die Fertigstellung dieser Arbeit war, ist es doch vor allem ihrem Organisationstalent bzw. ihrem „MikroManagement“ zu verdanken, dass es neben Familien- und unser beider Berufsleben Zeit und Räume für die Fertigstellung dieser Dissertation gab. Mein Dank und Respekt gebührt nicht zuletzt der Geduld meiner drei Töchter Lilli, Sophia und Anna mit mir und meinem Dissertationsprojekt. Deshalb widme ich dieses Buch meiner Familie.
München, im Juni 2023
2 3
Georg Rainer
Nicolini 2009b, S. 1391. Simpson 2009, S. 1329.
VIII
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis Geleitwort............................................................................................................................................V Vorwort .............................................................................................................................................VII Abbildungsverzeichnis ................................................................................................................... 9 Tabellenverzeichnis ...................................................................................................................... 11 Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................................ 13 1.
Einführung ............................................................................................................................... 14 1.1
Relevanz einer vertieften Auseinandersetzung mit Lernpraktiken
Beratender ..................................................................................................................................... 16 1.1.1 Sichtweise von Beratenden .................................................................................. 19 1.1.2 Sichtweise von Beratungsunternehmen ......................................................... 21 1.1.3 Sichtweise von Auftraggebern ............................................................................ 23 1.2
Forschungsdefizit:
Lernpraktiken
Beratender
als
vernachlässigtes
Phänomen ...................................................................................................................................... 24 1.2.1 Lernen in der alltäglichen Beratungspraxis ................................................... 24 1.2.2 Faktoren und Manifestation ................................................................................. 27
2.
1.3
Zielsetzung und Beitrag der Arbeit ......................................................................... 29
1.4
Vorgehen und Aufbau der Arbeit ............................................................................. 32
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der
Beratung ........................................................................................................................................... 36 2.1
Begriffsverständnis und Verortung im Forschungskontext ....................................... 36
2.1.1
Unternehmensberatung .............................................................................................. 37
2.1.1.1
Begriffsannäherung .................................................................................................. 38
2.1.1.2
Spezifische Merkmale .............................................................................................. 40
2.1.2
Individuelles Lernen ..................................................................................................... 43 1
Inhaltsverzeichnis
2.1.2.1
Begriffsannäherung .................................................................................................. 43
2.1.2.2
Denkschulen ................................................................................................................ 46
2.1.2.2.1 Behaviorismus ........................................................................................................ 47 2.1.2.2.2 Kognitivismus ......................................................................................................... 49 2.2
Spezifischer Lernkontext Beratender ................................................................................. 50
2.2.1
Tätigkeit und Anforderungen Beratender ........................................................... 52
2.2.2
Beratungsbranche ......................................................................................................... 55
2.2.2.1
Branchenentwicklung .............................................................................................. 55
2.2.2.2
Struktur ......................................................................................................................... 56
2.2.2.3
Implikationen Lernkontext .................................................................................... 57
2.2.3 2.2.3.1
Marktangebot .............................................................................................................. 59
2.2.3.2
Organisation ................................................................................................................ 60
2.2.3.3
Implikationen Lernkontext .................................................................................... 61
2.2.4
2.3
Beratungsunternehmen .............................................................................................. 59
Beratungsprojekt ........................................................................................................... 63
2.2.4.1
Merkmale ...................................................................................................................... 64
2.2.4.2
Organisation ................................................................................................................ 66
2.2.4.3
Implikationen Lernkontext .................................................................................... 70
Erklärungsansätze kognitiver Lerntheorie ....................................................................... 74
2.3.1 2.3.1.1
Beobachtungslernen nach Bandura ........................................................................ 75 Lernvorgang ................................................................................................................ 76
2.3.1.1.1 Aneignungsphase................................................................................................... 76 2.3.1.1.2 Ausführungsphase................................................................................................. 77 2.3.1.2
Erklärungsbeitrag...................................................................................................... 79
2.3.1.2.1 Faktoren .................................................................................................................... 79 2.3.1.2.2 Lernpraktiken ......................................................................................................... 82 2.3.1.2.3 Manifestation des Beobachtungslernens ..................................................... 84 2
Inhaltsverzeichnis
2.3.1.3 2.3.2
Bewertung .................................................................................................................... 85 Erfahrungslernen nach Kolb...................................................................................... 87
2.3.2.1
Lernvorgang ................................................................................................................ 87
2.3.2.1.1 Unmittelbare eigene Erfahrung ....................................................................... 88 2.3.2.1.2 Exkurs: Synthetische Erfahrung ...................................................................... 90 2.3.2.2
Erklärungsbeitrag...................................................................................................... 92
2.3.2.2.1 Faktoren .................................................................................................................... 92 2.3.2.2.2 Lernpraktiken ......................................................................................................... 96 2.3.2.2.3 Manifestation .......................................................................................................... 98 2.3.2.3 2.3.3
Bewertung .................................................................................................................... 99 Merkmale der traditionellen Perspektive ..........................................................103
2.3.3.1
Wissen als Ressource .............................................................................................104
2.3.3.1.1 Bedeutung ..............................................................................................................104 2.3.3.1.2 Dimensionen..........................................................................................................107 2.3.3.2
Lernen als Wissenserwerb...................................................................................111
2.3.3.2.1 Aufbau kognitiver Strukturen in „Unterrichtssituationen“ .................112 2.3.3.2.2 Prozess des Wissenstransfers ........................................................................116 2.3.4
Fazit: Defizite der traditionellen Perspektive auf Lernen als Anlass für die
ergänzende Einnahme einer praxistheoretischen Sichtweise .........................................117 2.3.4.1
Unzureichende Berücksichtigung des sozialen Kontexts ........................118
2.3.4.2
Vernachlässigung alltäglicher Handlungspraxis .........................................119
2.3.4.3
Unterkomplexes Verständnis von Wissen als Manifestation des Lernens .........................................................................................................................................122
3.
Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis .................................126 3.1
Konzept szientistischer Rationalität als Bezugspunkt ..................................127
3.1.1 Annahmen und Vorgehen ...................................................................................128 3.1.2 Kritik ............................................................................................................................131 3
Inhaltsverzeichnis
3.2
Alternatives Konzept praktischer Rationalität.................................................134
3.2.1 Annahmen .................................................................................................................135 3.2.2 Erfassung der Logik der Praxis .........................................................................138 4.
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines
konzeptionellen Bezugsrahmens ..........................................................................................141 4.1
Verortung im Forschungskontext.......................................................................................143
4.1.1
Ursprünge und Rezeption.........................................................................................143
4.1.2
Konzeptionelle Bezugsebenen ................................................................................147
4.2
4.1.2.1
Praxis ............................................................................................................................148
4.1.2.2
Praktiker .....................................................................................................................150
4.1.2.3
Praktiken.....................................................................................................................152
Merkmale und Konzeptualisierung....................................................................................154
4.2.1 4.2.1.1
Handlungs-, Zeit- und Kontextbezug................................................................156
4.2.1.2
Differenzierung nach Art der Tätigkeit ...........................................................160
4.2.1.3
Differenzierung nach Art gekonnt ausgeübter Praktiken ........................163
4.2.2
Lernen als Entwicklung neuer Könnerschaft ....................................................165
4.2.2.1
Merkmale ....................................................................................................................166
4.2.2.2
Lernpraktiken ...........................................................................................................170
4.2.3
4.3
Wissen als Könnerschaft ...........................................................................................154
Konzeptualisierung .....................................................................................................173
4.2.3.1
Beratungspraxis .......................................................................................................174
4.2.3.2
Verortung von Lernpraktiken.............................................................................176
Partizipation an Beratungspraxis .......................................................................................180
4.3.1
Zugang zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken.......................................183
4.3.1.1
Praxisgemeinschaft und -netzwerk ..................................................................184
4.3.1.2
Lernquellen ................................................................................................................189
4.3.1.2.1 Bewusste Beobachtung .....................................................................................189 4
Inhaltsverzeichnis
4.3.1.2.2 Unbewusstes Ausgesetzt-sein ........................................................................190 4.3.1.2.3 Soziale Beziehungen ...........................................................................................191 4.3.1.2.4 Zugang zu Diskursen ..........................................................................................192 4.3.1.2.5 Zugang zu Technologien und anderen Artefakten .................................193 4.3.1.3
Unterschätzter Zugang ..........................................................................................195
4.3.1.3.1 Langeweile in der Beratung.............................................................................196 4.3.1.3.2 Einfluss von Macht ..............................................................................................199 4.3.2
Gelegenheiten für gemeinsames Denken ...........................................................202
4.3.2.1
Merkmale problematischer Situationen .........................................................203
4.3.2.2
Vorgang gemeinsamen Denkens .......................................................................207
4.3.2.2.1 Exkurs: Polanyis Konzeption des Indwelling ...........................................207 4.3.2.2.2 Implikationen für Praxisgemeinschaften ...................................................209 4.3.3
4.4
4.3.3.1
Autonomie ..................................................................................................................213
4.3.3.2
Abwechslung .............................................................................................................215
4.3.3.3
Gemeinsam nutzbare Artefakte .........................................................................216
Auf dem Weg zu einem konzeptionellen Bezugsrahmen ..........................................217
4.4.1
Funktion ..........................................................................................................................218
4.4.2
Komponenten ................................................................................................................220
4.5
5.
Rahmenbedingungen für Lernen in epistemischen Gemeinschaften ......212
Fazit: Beitrag einer praxistheoretischen Sichtweise ...................................................223
4.5.1
Konkretisierung der Bedeutung des sozialen Kontexts ................................223
4.5.2
Konzeption von Lernen als Teil von Handlungspraxis..................................225
4.5.3
Erweiterung des traditionellen Wissensverständnisses ..............................227
Empirische Illustration des Bezugsrahmens .............................................................230 5.1
Forschungsdesign .....................................................................................................................231
5.1.1
Angaben zum Forschenden und zur Position im Feld ...................................232
5.1.2
Teilnehmerauswahl und Rahmenbedingungen ...............................................234 5
Inhaltsverzeichnis
5.1.3
5.2
Datenerhebung und -auswertung .........................................................................236
5.1.3.1
Material .......................................................................................................................237
5.1.3.2
Vorgehen .....................................................................................................................239
Ergebnisse....................................................................................................................................241
5.2.1 5.2.1.1
Lernpraktiken und Manifestation .........................................................................243 Lernen i.e.S. zur Entwicklung neuer handlungsbezogener Könnerschaft .........................................................................................................................................245
5.2.1.1.1 Gemeinsam denken.............................................................................................248 5.2.1.1.2 Ausprobieren.........................................................................................................250 5.2.1.1.3 Beobachten.............................................................................................................252 5.2.1.2
Sondieren zur Entwicklung neuer faktenbezogener Könnerschaft .....253
5.2.1.2.1 Gemeinsam entwickeln .....................................................................................255 5.2.1.2.2 Recherchieren .......................................................................................................257 5.2.1.2.3 Strukturieren .........................................................................................................259 5.2.1.3
Suchen zur Entwicklung neuer personenbezogener Könnerschaft .....260
5.2.1.3.1 Andere suchen ......................................................................................................263 5.2.1.3.2 Sich selbst suchen ................................................................................................264 5.2.2 5.2.2.1
Faktoren ..........................................................................................................................265 Partizipation an Beratungspraxis .....................................................................266
5.2.2.1.1 Zugang zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken ..............................267 5.2.2.1.2 Gelegenheiten für gemeinsames Denken ...................................................271 5.2.2.2
Rahmenbedingungen epistemischer Gemeinschaften ..............................275
5.2.2.2.1 Autonomie ..............................................................................................................276 5.2.2.2.2 Abwechslung .........................................................................................................277 5.2.2.2.3 Gemeinsam nutzbare Artefakte .....................................................................277 5.3
Theoretische Reflexion ...........................................................................................................278
5.3.1
Lernen Beratender als primär praktisch-soziale Errungenschaft ............280 6
Inhaltsverzeichnis
5.3.1.1
Ergebnisreflexion ....................................................................................................280
5.3.1.1.1 Praktische Aspekte..............................................................................................281 5.3.1.1.2 Soziale Aspekte .....................................................................................................282 5.3.1.2 5.3.2
Theoretischer Beitrag ............................................................................................285 Das Beratungsprojekt als potenzieller Lernkontext ......................................287
5.3.2.1
Ergebnisreflexion ....................................................................................................288
5.3.2.1.1 Spezifischer Lernkontext ..................................................................................288 5.3.2.1.2 Einschränkungen .................................................................................................290 5.3.2.2 5.3.3
Theoretischer Beitrag ............................................................................................292 Anreicherung des Bezugsrahmens .......................................................................294
5.3.3.1
Ergebnisreflexion ....................................................................................................294
5.3.3.1.1 Lernpraktiken und Manifestation .................................................................294 5.3.3.1.2 Faktoren ..................................................................................................................297 5.3.3.2 6.
Theoretischer Beitrag ............................................................................................298
Schlussbetrachtung.............................................................................................................300 6.1
Rekapitulation zentraler Ergebnisse ....................................................................301
6.1.1 Nutzen des vollzogenen Perspektivenschwenks .......................................301 6.1.2 Schlussfolgerungen
aus
der
empirischen
Illustration
des
Bezugsrahmens .....................................................................................................................306 6.2
Theoretischer Beitrag ................................................................................................309
6.2.1 Spezifizierung Lernkontext ................................................................................309 6.2.2 Thematisierung sozialer Praxis ........................................................................310 6.2.3 Bezugsrahmen
als
Anknüpfungspunkt
für
künftige
Forschungsbemühungen ...................................................................................................312 6.2.4 Exploration von Lernpraktiken ........................................................................313 6.3
Limitationen...................................................................................................................314
6.3.1 Analyseperspektive ...............................................................................................315 7
Inhaltsverzeichnis
6.3.2 Voreingenommenheit ...........................................................................................316 6.3.3 Studiendesign ..........................................................................................................317 6.4
Weiterer Forschungsbedarf .....................................................................................319
6.4.1 Lernpraktiken und Manifestation ....................................................................319 6.4.2 Faktoren .....................................................................................................................322 6.5
Ausblick: Praktische Implikationen mit Empfehlungen ...............................323
6.5.1 Implikationen für Beratende .............................................................................323 6.5.2 Implikationen für Beratungsunternehmen ..................................................325 6.5.3 Implikationen für Auftraggeber ........................................................................328 Anhang.............................................................................................................................................330 A1.
Problemstrukturierung in der Beratungspraxis ...............................................................330
A2.
Klingelanlage im Beraterhochhaus ........................................................................................330
A3.
Consolidated criteria for reporting qualitative studies (COREQ): 32-item checklist ..............................................................................................................................................................331
A4.
Interviewleitfaden.........................................................................................................................333
A5.
Ausprägungen neuer handlungsbezogener Könnerschaft ............................................336
A6.
Ausprägungen neuer faktenbezogener Könnerschaft ....................................................338
A7.
Ausprägungen neuer personenbezogener Könnerschaft ..............................................340
A8.
Lernbegünstigende Faktoren ...................................................................................................341
A9.
Lernhemmende Faktoren ..........................................................................................................343
Literaturverzeichnis ...................................................................................................................345
8
Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Gewählte Analyseperspektiven ................................................................................... 33 Abbildung 2: Charakterisierung von Professional Service Firms .............................................. 39 Abbildung 3: Entwicklung Branchenumsatz und Zusammensetzung nach Segment ........ 56 Abbildung 4: Marktsegmentierung........................................................................................................ 57 Abbildung 5: Typische Organisation eines Beratungsprojekts .................................................. 69 Abbildung 6: Prägung des Lernkontextes ........................................................................................... 73 Abbildung 7: Traditionelle Perspektive auf Lernen ........................................................................ 75 Abbildung 8: Aneignungsphase als Kern des Lernvorgangs nach Bandura .......................... 76 Abbildung 9: Banduras Diskussionsbeitrag ....................................................................................... 86 Abbildung 10: Erfahrungszyklus ............................................................................................................ 89 Abbildung 11: Ausschöpfung Lernpotenzial...................................................................................... 95 Abbildung 12: Kolbs Diskussionsbeitrag ..........................................................................................101 Abbildung 13: Wissensspirale ...............................................................................................................110 Abbildung 14: Grundformen des Lernens nach Ausubel ............................................................114 Abbildung 15: Prozess des Wissenstransfers..................................................................................117 Abbildung 16: Methodologie als Differenzierungsmerkmal ......................................................127 Abbildung 17: Intensitätsstufen der Verflechtung mit Praxis ..................................................138 Abbildung 18: Praxistheoretische Perspektive auf Lernen .......................................................142 Abbildung 19: Bezugsebenen praxeologischer Analyse ..............................................................148 Abbildung 20: Konzeption von Wissen ..............................................................................................160 Abbildung 21: Varianten und Merkmale von Könnerschaft ......................................................162 Abbildung 22: Praktiken als Ausdruck von Könnerschaft ..........................................................165 Abbildung 23: Lernpraktiken zur Entwicklung neuer Könnerschaft .....................................172 Abbildung 24: Konzeptualisierung von Beratungspraxis ...........................................................175 Abbildung 25: Konzeptualisierung von Beratungspraxis und Lernpraktiken ...................178 Abbildung 26: Partizipation an Gemeinschaften und Netzwerken der Praxis ...................189 Abbildung 27: Rahmen zur Analyse situierter Problemlösung ................................................204 Abbildung 28: Bezugsrahmen als provisorisches Erklärungsmodell ....................................221 Abbildung 29: Merkmale befragter Beratender im Rahmen der Interviewstudie ...........235 Abbildung 30: Gewähltes inhaltsanalytisches Vorgehen ............................................................240 9
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 31: Datenstruktur für Analyse und Interpretation .................................................243 Abbildung 32: Identifizierte Lernpraktiken und Manifestation ...............................................245 Abbildung 33: Faktoren des Lernens Beratender..........................................................................266 Abbildung 34: Zusammenfassende Schau auf gewählte Analyseperspektiven..................306
10
Tabellenverzeichnis
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Lernpraktiken und -aktivitäten des Lernens i.e.S. ....................................................247 Tabelle 2: Lernpraktiken und -aktivitäten des Sondierens........................................................255 Tabelle 3: Lernpraktiken und -aktivitäten des Suchens..............................................................262
11
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis BDU
Bundesverband Deutscher Unternehmensberater
CoP
Community of Practice
ERP
Enterprise Resource Planning
HRM
Human Resource Management
ITTD
Instruction to the Double
LA
Lernaktivität
Lernen i.e.S.
Lernen im engeren Sinn
LP
Lernpraktik
PMI
Project Management Institute
PMO
Projektmanagement Office bzw. -büro
PSF(s)
Professional Service Firm(s)
ÜF
Überforderung
UN
Unterforderung ***
Hinweis zur Zitation: Im dritten Hauptteil werden Aussagen befragter Unternehmensberater mit Teilnehmeridentifikationsnummer und Zeilenangabe aus dem Transkript zitiert (z. B. MUM036-307-311). *** Hinweis zur Sprache: Mit dem Ziel einer gendergerechten Sprache werden in der vorliegenden Arbeit weitgehend genderneutrale Ausdrücke verwendet. Wo dies nicht möglich ist, werden, aufgrund der besseren Lesbarkeit, durchgehend maskuline Formen verwendet. Die gewählte männliche Form bezieht sich immer gleichermaßen auf weibliche, männliche und diverse Personen. Auf die Verwendung von Asterisk („GenderStern“), Unterstrich („Gender-Gap“), Doppelpunkt oder anderen verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern, wird, der Empfehlung des Rats für deutsche Rechtschreibung vom 26.3.2021 folgend, verzichtet. 13
1. Einführung Lange Zeit galt Lernen im betrieblichen Kontext als „Cinderella of management theory and practice“4. Es wurde als ein eher mäßig spannendes Thema betrachtet, das nur geringe Beachtung fand.5 Das änderte sich, als dessen Relevanz für die Generierung von Unternehmensleistung und Wettbewerbsvorteilen erkennbar wurde.6 Angesichts zunehmend komplexer und von Unsicherheit geprägter Unternehmensumfelder stellt Lernen für Mitarbeitende heute eine zentrale Voraussetzung für die Erfüllung sich schnell verändernder Anforderungen7 und die Sicherung von Beschäftigungsfähigkeit8 dar. Lernen
wird
mit
einer
Verbesserung
von
Qualität
und
Konsistenz
von
Mitarbeiterbeiträgen zur Sicherstellung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Organisation in Verbindung gebracht.9 Des Weiteren wird betrieblichem Lernen ein positiver Einfluss auf Innovation und Wachstum von Organisationen zugeschrieben.10 Auch ein mittlerweile kaum noch zu überblickender Milliardenmarkt für Learning Software zur Unterstützung von Zusammenarbeit, mobilem Lernen und Aufbereitung von Lerninhalten kann als ein Indikator für die zunehmende Bedeutung von Lernen im betrieblichen Kontext gewertet werden.11 Die zunehmende Verbreitung von Wissensarbeit und die Verkürzung von Wissenszyklen gelten als Treiber dieser Entwicklung.12 Angesichts der unstrittigen Bedeutung13 des Lernens im Prozess der Arbeit überrascht es, dass eine entsprechende wissenschaftliche Auseinandersetzung im spezifischen Kontext
Contu/Willmott 2003, S. 283. Vgl. Contu/Willmott 2003, S. 283. 6 Vgl. Senge 2006, erstmalig 1990. 7 Vgl. Doyle/Young 2007. 8 Vgl. Hall 1996. 9 Vgl. Aguinis/Kraiger 2009, S. 453ff, 457f.; Eikebrokk/Olsen 2009. 10 Vgl. Döös et al. 2005; Kock 2007. 11 Vgl. Bersin 2019. Der langjährige Marktbeobachter Josh Bersin veröffentlichte in seinem Blog „Insights on Corporate Talent, Learning, and HR Technology“ die Schätzung, wonach etwa zwölf Prozent des 240Milliarden-Dollar-Marktes für Coporate Trainings für Tools ausgegeben werden. 12 Vgl. Jacobs/Park 2009, S. 135. 13 Vgl. Clarke 2005; Lohman 2005. 4 5
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Rainer, Lernpraktiken in der Unternehmensberatung, Zukunftsfähige Unternehmensführung in Forschung und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42989-8_1
14
Einführung
der Unternehmensberatung14 bislang weitgehend ausblieb, Lernpraktiken Beratender gar als vernachlässigtes Phänomen betrachtet werden können.15 Dies verwundert, da Beratende16 als Lieferanten geschäftsrelevanten Wissens fungieren, deren Aufgabe es ist, ihre Auftraggeber17 dabei zu unterstützen, in zunehmend komplexen Umfeldern erfolgreich zu agieren. Die Beziehung zwischen Klienten und Beratenden gilt als „Brücke“18 für den Transfer geschäftsrelevanten Wissens. Das Berufsbild des Unternehmensberaters wird, der Komplexität dieser Dienstleistung entsprechend und von der Wahrnehmung einzelner Beratenden abgesehen19, mit intellektuell fordernden Aufgabenstellungen assoziiert.20 Branchenvertreter, wie etwa der Gründer der gleichnamigen Beratung, Roland Berger, setzen das Beraterdasein mit einer „lifelong learning experience“21 gleich. Angesichts dessen drängt sich die Frage auf, wie Beratende in ihrer beruflichen Praxis lernen, die an sie gestellten Anforderungen im Rahmen zeitlich begrenzter Projekteinsätze für wechselnde Auftraggeber zu erfüllen. Entsprechende Erkenntnisse
sind
möglicherweise
auch
für
Mitarbeitende
außerhalb
von
Beratungsorganisationen von Relevanz. Die Unternehmensberatung stellt ja in der Regel nur eine Station in der Laufbahn vieler künftiger Leistungsträger in Wirtschaft und Verwaltung dar.22 Von den Resultaten eines erfolgreichen Lernprozesses in der Beratung sollten somit nicht nur die Beratungsunternehmen selbst, sondern auch weitere Organisationen und deren Mitarbeiter profitieren können.23 Wie Beratende jedoch das zur Erbringung ihrer Dienstleistung notwendige Wissen und Können erlangen und welche konkreten Lernpraktiken damit verbunden sind, wird sowohl in der heutigen
Nachfolgend bedeutungsgleich mit „Beratung“ und „Consulting“ verwendet. Vgl. Einführungskapitel (2): Forschungsdefizit: Lernpraktiken Beratender als vernachlässigtes Phänomen. 16 Nachfolgend bedeutungsgleich mit „Unternehmensberater“ und „Consultant“ verwendet. 17 Nachfolgend bedeutungsgleich mit, „Klient(en-) und Kunde(nunternehmen)“ als Empfänger von Beratungsleistungen verwendet. 18 Vgl. Handley et al. 2007, S. 182. 19 Vgl. Costas/Kärreman 2015 und Kapitel III.1.1.3.(1): Langeweile in der Beratung. 20 Vgl. Nippa/Schneiderbauer 2004, zitiert nach Paust 2012, S. 4. 21 In einem Interview mit Ralf Strehlau, Präsidenten des BDU, wird Roland Berger mit dem Satz zitiert: „Als Berater hatte ich über viele Jahrzehnte das Privileg, mit vielen großartigen Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik zu arbeiten und ich habe von jedem etwas gelernt. Das ist doch das Beste an unserem Beruf: Er ist eine ‚lifelong learning experience‘." (Strehlau 2017). 22 Vgl. Engwall/Kipping 2002, S. 6. 23 Vgl. Richter/Dickmann/Graubner 2008, S. 184f. 14 15
15
Einführung
Unternehmenspraxis als auch im wissenschaftlichen Diskurs nur unzureichend thematisiert. Die in der Unternehmenspraxis vorzufindende Diskrepanz zwischen Bedeutung und tatsächlicher Beschäftigung mit Lernpraktiken Beratender wird im nachfolgenden Abschnitt (1) aus drei Perspektiven beleuchtet. Es wird argumentiert, dass eine vertiefte Auseinandersetzung sowohl für Beratende, Beratungsunternehmen als auch deren Auftraggeber Relevanz besitzt. Ein entsprechender Blick auf den wissenschaftlichen Diskurs offenbart jedoch Defizite, deren Adressierung Motivation und thematischen Aufsatzpunkt der vorliegenden Arbeit bildet. In Abschnitt (2) wird das angedeutete Forschungsdefizit konkretisiert. Es ist demnach ein Mangel an konzeptionellen Anhaltspunkten für eine theoriegeleitete Diskussion festzustellen, wie Beratende in ihrer alltäglichen Beratungspraxis lernen, welche Faktoren darauf Einfluss nehmen und worin sich Lernen im Kontext der Beratung manifestiert. Abschnitt (3) erläutert die daraus abgeleitete Zielsetzung der Arbeit. Durch Nutzung einer praxistheoretischen24 Perspektive und Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens soll zur Schließung der identifizierten Forschungslücke beigetragen und der wissenschaftliche Diskurs zu arbeitsplatznahem Lernen bereichert werden. Das Einführungskapitel abrundend fasst Abschnitt (4) Vorgehen und Aufbau der Arbeit zusammen. Beides ist an einem Perspektivenschwenk von einer als traditionell bezeichneten kognitiven Sichtweise auf Lernen, hin zu einer praxistheoretischen Analyseperspektive ausgerichtet. 1.1 Relevanz einer vertieften Auseinandersetzung mit Lernpraktiken Beratender Unternehmen agieren heute in zunehmend unübersichtlichen und dynamischen Umfeldern in ökonomischer, sozialer und politischer Hinsicht.25 Dies kommt in rasanter technologischer Innovation und sich rasch verändernden Kundenbedarfen26 in einer sich schnell verändernden Welt27 zum Ausdruck. Das von Praktikern in Unternehmen gerne verwendete, dem militärischen Sprachgebrauch entlehnte Akronym „VUKA“ betont in diesem Zusammenhang Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität des
Nachfolgend bedeutungsgleich mit „praxeologisch“ verwendet. Analog werden „Praxistheorie“ mit „Praxeologie“ als Synonyme gebraucht. 25 Vgl. Sarkar 2016, S. 9. 26 Vgl. Sidhu/Gupta 2015. 27 Vgl. Dervitsiotis 2012. 24
16
Einführung
Wirtschaftsgeschehens.28 Auch kann von einer „offenen Zukunft im starken Sinn“ gesprochen werden, die dem Unternehmens-Management zu schaffen macht.29 Es fehlen mitunter schlicht die kognitiven und sprachlichen Kategorien, um die möglichen künftigen Umweltzustände beschreiben zu können.30 In einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt gewinnen immer intelligenter werdende Softwarelösungen rasch an Bedeutung, was von Bader als Mensch-Technik-Verflechtung charakterisiert wird.31 Wer hätte noch vor einigen Jahren geahnt, dass ein Konzern wie Volkswagen beschließt, als einer der größten Autohersteller der Welt die Cloud-Services des vormals noch als Buchhändler tätigen Amazon-Konzerns zur Produktivitätserhöhung seiner Werke zu nutzen?32 Als Reaktion auf solche einschneidenden Veränderung der Rahmenbedingungen ist der Versuch
vieler
Unternehmen
zu
werten,
die
eigene
Innovationskraft
und
Anpassungsfähigkeit zu steigern.33 Auf operativer Ebene ist zu beobachten, dass die Digitalisierung von Geschäftsmodellen zu einer Veränderung bislang bewährter Verhaltensweisen, operativer Arbeitsabläufe und neuer Formen der Zusammenarbeit führt.34 Hieraus resultiert der Bedarf, Geschäftsmodelle laufend anzupassen und zu transformieren.35 Dies zeigt nicht zuletzt auch die weltweite Pandemie: „Aus der Coronakrise ist eine normale Wirtschaftskrise geworden“36, wird BDU-Präsident Ralf Strehlau
im
Handelsblatt
zitiert
im
Hinblick
auf
den
Bedarf
an
Restrukturierungsberatung. Die Präsenz externer Beratender bei mittelgroßen und
Vgl. Giles 2018; Sarkar 2016. Im Rahmen der Beschäftigung mit Fragen des strategischen Managements stellt die Offenheit der Zukunft eine zentrale (vgl. Tsoukas/Shepherd 2004), jedoch hinsichtlich ihrer Ausprägung unterschiedlich getroffene Annahme dar. So wird zwischen Offenheit im schwachen Sinne und Offenheit im starken Sinne unterschieden. Während Erstere die Offenheit mit Unbestimmtheit assoziiert, betont Letztere die Unvorstellbarkeit von Zukunft (vgl. Kirsch 1997a, zit. nach Seidl/Werle 2011, S. 1). 30 Vgl. Kirsch/Seidl/van Aaken 2010, S. 1. 31 Vgl. Bader 2020. 32 Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 27.03.2019 von der Kooperation des Fahrzeugkonzerns und des IT-Unternehmens, im Rahmen derer 122 Werke und Läger des Autobauers über eine sogenannte „Industrie-Cloud" vernetzt werden. Damit sollte die Produktivität in der Fertigung binnen sechs Jahren um 30 Prozent gesteigert werden. VW hatte sich lange gegen eine solche Zusammenarbeit mit Amazon gewehrt. (Vgl. Hägler 2019; Hägler/Martin-Jung 2019) 33 Zur Bedeutung der Digitalisierung als Treiber veränderter Kundennachfrage nach Beratungsleistungen vgl. Kawohl/Waubke/Höselbarth 2017, S. 6. 34 Vgl. Murmann 2017, S. 5. 35 Vgl. Kotnour 2011, zitiert nach Kawohl/Waubke/Höselbarth 2017, S. 6. 36 Vgl. Fröndhoff 2020. 28 29
17
Einführung
großen Unternehmen wird bereits als alltägliche Routine erlebt.37 Schließlich gelte es neue Fähigkeiten zu entwickeln, da herkömmliche Aufgaben und Prozesse wegfielen und völlig neue hinzukämen. Hier sei die Unterstützung durch externe Berater gefragt. So die Einschätzung
von
Jonas
Lünendonk,
geschäftsführender
Gesellschafter
des
gleichnamigen Instituts, welches die Marktentwicklung im Beratungsumfeld in regelmäßigen Abständen evaluiert.38 Ein Blick in die Wirtschafts- und Tagespresse stützt diese Einschätzung. Etwa wenn, um bei Volkswagen zu bleiben, die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter dem Titel „Konzernchef Diess holt McKinsey zu Hilfe“ das Engagement externer Berater thematisiert, um die Organisation der SoftwareEntwicklung in den Griff zu bekommen.39 Diese freilich nur schlaglichtartig und ohne Anspruch auf Vollständigkeit vorgestellten Rahmenbedingungen unterstreichen den zunehmenden Bedarf an externer Beratung, der heute maßgeblich auf den durch Digitalisierungstendenzen
bedingten
Geschäftsmodelle zurückgeführt werden
Transformationsbedarf
bestehender
kann.40
Eine steigende Nachfrage nach externen Beratungsleistungen ist in Deutschland seit 2009 nach Überwindung der Wirtschaftskrise zu beobachten41 – vermeintlichen Image-Krisen und verbreiteten Vorbehalte in Belegschaften, Gesellschaft und Medien zum Trotz. 42 Mit zweistelligen Wachstumsraten und -prognosen zählte die deutsche Beratungsbranche im Jahr 2018 sogar zu den am stärksten wachsenden Wirtschaftszweigen in Deutschland.43 Einer Befragung des BDU von rund 8.000 Unternehmens- und Personalberatern in 2020 zum Geschäftsklima zufolge, „geht der Aufwärtstrend im Consulting weiter“44. Angesichts der sich aus den rasanten Veränderungen des Geschäftslebens ergebenden Opportunitäten für Beratungsunternehmen als wissensintensive Organisationen45
Vgl. Bronnenmayer/Wirtz/Göttel 2016, S. 706. Vgl. Lünendonk 2018, S. 3. 39 Vgl. Müssgens 2022. 40 Vgl. Murmann 2017, S. 4. 41 Vgl. Murmann 2017, S. 5 und Brückner-Bozetti 2015. Neben zunehmender Komplexität sowie Dynamik der Umwelt und der Wettbewerbssituation führt Brückner-Bozetti die zunehmende Nachfrage nach Beratungsleistung auf Managementmoden und auf Druck von Interessensgruppen im Umfeld des Unternehmens zurück (S. 44). 42 Vgl. Paust 2012, S. 5-9. 43 Vgl. Lünendonk 2018, S. 1. 44 Vgl. Strehlau 2020. 45 Vgl. Engwall/Kipping 2002, S. 6f. 37 38
18
Einführung
(„knowledge engines for business“46) liegt die Frage nahe, wie Beratende ihrerseits sich das notwendige Wissen und Können aneignen, um mit den komplexen Anforderungen ihrer Klienten nicht nur umgehen zu lernen, sondern diesbezüglich auch als kompetente Ansprechpartner wahrgenommen und beauftragt zu werden. Ist es angesichts der unterstellten VUKA-Charakteristika heutiger Unternehmenspraxis doch plausibel anzunehmen, dass es zunehmend seltener möglich sein wird, auf ehemals bewährte „Best Practices“
zurückzugreifen.
Insofern
überrascht
es,
dass
in
der
heutigen
Unternehmenspraxis nur wenig darüber reflektiert wird, welche Lernpraktiken in der Beratung Anwendung finden, welche lernbegünstigende bzw. -hemmende Faktoren existieren und mit welcher Manifestation dies einhergeht. Den möglichen Ursachen für diese Diskrepanz wird nachfolgend aus Sichtweise von Beratenden in Unterabschnitt (a), Beratungsunternehmen in Unterabschnitt (b) und ihren Auftraggebern in Unterabschnitt (c) nachgegangen, um hieraus dann die Relevanz einer vertieften Beschäftigung mit den Lernpraktiken in der Unternehmensberatung abzuleiten. 1.1.1
Sichtweise von Beratenden
Ein vertieftes Verständnis zu individuellen Lernpraktiken ist für Beratende aus unterschiedlichen Gründen von Bedeutung. Beratende agieren im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit in zunehmend unübersichtlichen und dynamischen Umfeldern des heutigen Wirtschaftsgeschehens, die die blaupausenartige Anwendung bewährter Konzepte und existierenden Wissens immer seltener zulassen. Unter der Annahme, dass Wissen sozial eingebettet und kontextabhängig ist, erfährt Lernen angesichts wechselnder Projekteinsätze eine besondere Bedeutung, da bestehendes Wissen immer wieder in einem neuen Kontext angewendet bzw. kundenspezifisch adaptiert werden muss.47 Hier stehen Beratende vor der Herausforderung, einerseits Lernpraktiken anzuwenden, um sich schnell in neue Aufgabenfelder einzuarbeiten.48 Andererseits müssen sie ihrer Rolle als Experten gerecht werden um die Erwartungen ihrer Auftraggeber nicht zu enttäuschen.49 Und das Anforderungsniveau an die Arbeitsqualität von Beratern steigt. Immer mehr Auftraggeber, die selbst eine Beraterlaufbahn absolviert
Lorsch/Tierney 2002, zit. nach Greenwood et al. 2005. Vgl. Van Maanen J./Schein 1977. 48 Vgl. Bourgoin/Harvey 2018, S. 1611. 49 Vgl. Vough et al. 2013. 46 47
19
Einführung
haben, fordern ihren Beratern widerum anspruchsvolle Leistungen ab.50 Man behält sich vor, Beratungsunternehmen, deren Leistungen nicht den Erwartungen entsprechen, aus den systematisch gepflegten Beraterpools zu entfernen.51 Gerade in einer Situation, in der Unternehmen mit Unsicherheit und Komplexität konfrontiert sind, ist anzunehmen, dass die Kompetenz von Beratern systematisch hinterfragt wird.52 Effektives Lernen ist des Weiteren sicherlich auch eine Voraussetzung dafür, in einem konkurrenzbetonten Umfeld mit einem selektiven Laufbahnmodell zu bestehen. Das auf den Anwalt Paul D. Cravath zurückzuführende und vom McKinsey Gründer Marvin Bower im
Beratungskontext
umgesetzte
„Up-or-out“
Prinzip53
hat
heute
in
vielen
Beratungsunternehmen im Grundsatz nach wie vor Bestand. Es räumt denjenigen Beratenden Beförderungschancen ein, die sich durch überdurchschnittliche Leistungen auszeichnen, während man sich von Beratern mit mäßigen oder unterdurchschnittlichen Leistungen trennt.54 Das Versprechen lautet: Wer es schafft, den hohen Anforderungen gerecht zu werden, kann innerhalb weniger Jahre aus dem Hörsaal in die Partnerschaft einer Beratung aufsteigen.55 Leistungsbeurteilungen finden mitunter mehrmals im Jahr statt. Rankings und Bewertungen haben in dem kompetitiven Umfeld große Bedeutung.56 Es gleicht einem regelrechten „Beförderungswettkampf“ (tournament model of promotion57), im Rahmen dessen mehrere Kandidaten gegeneinander antreten und die Firma verlassen, sofern sie nicht ausgewählt werden.58 Niedrige Einstufungen und ausbleibende Beförderungen stellen Signale dar, dass sich die betreffenden Mitarbeitenden zügig verbessern oder das Unternehmen verlassen mögen.
Vgl. Geffroy/Schulz 2015, S. 51ff. Vgl. Geffroy/Schulz 2015, S. 54. 52 Vgl. Murmann 2017, S. 14. 53 Vgl. Oller 2019. Das Prinzip „Up-or-out“ ist Teil eines Systems von Geschäftsführungsprinzipien, die Oller auf den Anwalt Paul D. Cravath zurückführt und von führenden Kanzleien und Beratungsunternehmen in den Vereinigten Staaten praktiziert werden. Nur Partner dürfen demnach unbefristet beschäftigt werden. Für Mitarbeitende ist dies nur möglich, solange sie als beförderungswürdig eingestuft werden. Andernfalls werden sie im Rahmen einer strikten Personalpolitik nach dem Motto „up or out" entlassen. 54 Vgl. Geffroy/Schulz 2015, S. 19. 55 Vgl. Fink 2016. 56 Vgl. Costas/Kärreman 2015, S. 68. 57 Connelly et al. 2014 und Ghosh/Waldman 2010, zit. nach Kaiser et al. 2015, S. 84. 58 Vgl. Galanter/Palay 1993, zit. nach Kaiser et al. 2015, S. 84. 50 51
20
Einführung
Angesichts der Wahrung der eigenen Expertenrolle und des internen Konkurrenzdrucks ist eine zögerliche Haltung Beratender nachvollziehbar, sich in ihrer Organisation oder gar mit Dritten über eigenes Lernen auszutauschen – könnte dies doch möglicherweise zu einem Wettbewerbsnachteil gereichen oder als eigenes Scheitern interpretiert werden. Oder, wie es das Magazin DER SPIEGEL mit ironischem Unterton formuliert: Es würde einfach dem Selbstverständnis führender Beraterfirmen zuwiderlaufen, „die sich schon immer als Einflüsterer der Mächtigen aller Couleur verstanden, als Strippenzieher im Hintergrund, die das Weltgeschehen beeinflussen. Keine Handwerker, sondern Vordenker.“59 Möglicherweise hält ein solcher Anspruch an die eigene Arbeit Beratende davon ab, über eigenes Lernen offen zu berichten, was im nachfolgenden Kapitel zum Forschungsdefizit den Mangel an empirischen Befunden in der Forschung erklären würde. 1.1.2
Sichtweise von Beratungsunternehmen
„Consulting [..] is a people business.“60 Für Beratungsunternehmen stellen Mitarbeiter den entscheidenden „Vermögenswert“ dar61. Deren Wissen und Können ist die Grundlage des Geschäftsmodells.62 Angesichts der Herausforderungen ihrer Auftraggeber, die es mit zunehmend dynamischen und komplexen Unternehmensumfeldern zu tun haben, ist die Beantwortung der Frage, wie dieses Wissen und Können zur Bearbeitung von Projektaufträgen entwickelt wird, erfolgskritisch.63 Antworten auf die Frage, wie Beratende miteinander und voneinander lernen, sind für Beratungsunternehmen angesichts
der
Consulting-typisch
hohen
Mitarbeiterfluktuation64
von
Wettbewerbsrelevanz, um Wissen in der eigenen Organisation zu halten bzw. neu zu entwickeln. Anorganisch erfolgt dies über den Zukauf von Unternehmen und Neugründungen. Mittels Gründung von „Digital Hubs“ und „Data Labs“ versuchen Becker et al. 2019, S. 18. Vgl. Richter/Dickmann/Graubner 2008, S. 184. Vgl. zur Beziehung zwischen Berater und Klient Kubr 2007, S. 61ff. 61 Vgl. Domsch/Hristozova 2006, S. 5. 62 Vgl. Engwall/Kipping 2002, S. 6. 63 Vgl. Kawohl/Waubke/Höselbarth 2017, S. 3. 64 Laut einer Befragung der Personalberatung Odgers Berndtson spielte mehr als die Hälfte (56 Prozent) der 2.500 befragten Beratenden ernsthaft mit dem Gedanken, zeitnah auszusteigen. Deren Zustimmung bezog sich auf folgende Aussage: „Im zurückliegenden Jahr habe ich mindestens ein Bewerbungsgespräch mit Ausrichtung auf eine Stabs- / Linien-Position außerhalb des Consultings geführt.“ (Vgl. Odgers-Berndtson 2017, S. 34.) 59 60
21
Einführung
Beratungsunternehmen etwa, die eigene Wertschöpfungskette um datengetriebene Marktforschung und digitalen Business Intelligence Produkten zu verlängern.65 Organisch wird zur Entwicklung neuen Wissens und Könnens bestehender Mitarbeitenden überwiegend auf klassische Ausbildungsformate zurückgegriffen66 und in überwiegend formal organisierte Lern- und Entwicklungsformate investiert.67 Eine intensive Auseinandersetzung mit Lernpraktiken ist in der Unternehmensberatung heute hingegen
nicht
zu
erkennen.
Eine
systematische
Beschäftigung
damit,
wie
Personalentwicklung auf Basis der Anforderungen alltäglichen Lernens wirksam werden kann, ist nicht erkennbar.68 Dies verwundert nicht nur aufgrund der Schwächen traditioneller Trainingsformate („expensive, cumbersome, time consuming, and disconnected from day-to-day work“69). Auch unter Beratenden gilt es als Selbstverständlichkeit, dass die Entwicklung der eigenen Fähigkeiten im Rahmen von Projekteinsätzen erfolgt.70 Fordernde Aufgabenstellungen für wechselnde Auftraggeber in fortwährend neu zusammengesetzten Teams können zu authentische Lernsituationen führen.71 Es bieten sich Gelegenheiten, früh Verantwortung zu übernehmen.72 Dies führt zur Vermutung, dass das Beratungsprojekt den Lernkontext Beratender maßgeblich prägt.73 Erkenntnisse darüber, wie in diesem Kontext Wissen und Können entwickelt wird, sollte für Beratungsunternehmen im Hinblick auf die Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit insofern hohe Relevanz besitzen. Eine ähnliche Diskrepanz zwischen offensichtlicher Bedeutung und tatsächlicher Beschäftigung mit Lernpraktiken Beratender findet sich auf der Seite der Auftraggeber von Beratungsdienstleistungen wieder.
Vgl. Lang 2019. Vgl. Contu/Willmott 2003, S. 283. 67 Vgl. exempl. Übersicht zu Formaten der Personalentwicklung im Beratungsunternehmen Booz Allen Hamilton, dargestellt bei Bernnat/Sonnenschein 2006, S. 88. 68 Vgl. Bednall/Sanders/Runhaar 2014, S. 45f. 69 Vgl. Bednall/Sanders/Runhaar 2014, S. 46 in Anlehnung an Hall 1996 und Wilson/Berne. 1999. 70 Vgl. Schwenker 2006, S. 119; Dickmann/Graubner/Richter 2006, S. 76. 71 Vgl. Bredl 2005, S. 69. 72 Vgl. Nippa/Schneiderbauer 2004, zit. nach Paust 2012, S. 4. 73 Vgl. Kapitel I.2.4: Beratungsprojekt. 65 66
22
Einführung
1.1.3
Sichtweise von Auftraggebern
Eine vertiefte Auseinandersetzung mit Lernpraktiken Beratender ist nicht zuletzt für deren Auftraggeber von Relevanz. Einer der wesentlichen Beweggründe für sie, Beratende zu beauftragen, stellt das Ansinnen dar, neue Ideen und geschäftsrelevantes Wissen zu erwerben und von externen Akteuren zu lernen.74 Kubr bezeichnet neben der Problemlösung, der Identifizierung von Chancen und der Umsetzung von Veränderung, die Förderung des Lernens als wichtigsten Zweck der Unternehmensberatung. Dies umfasst die Einbringung neuer Kompetenzen in die Organisation, indem Führungskräfte und ihre Mitarbeiter dabei unterstützt werden, aus eigenen Erfahrungen und denen von Beratenden zu lernen.75 Insofern sollte man annehmen, dass seitens des Auftraggebers Interesse daran besteht, Beratende in ihrer Ausübung von Lernpraktiken bestmöglich zu unterstützen, um letztlich selbst davon zu profitieren. Neben Versäumnissen im Hinblick auf
nachhaltigen
Know-how-Transfer76
wirkt
voranschreitenden Klientenprofessionalisierung
dem
jedoch
entgegen.77
der
Trend
einer
Angesichts branchenüblich
hoher Honorarsätze tritt das Interesse an Lernpraktiken in der Praxis schnell zugunsten von Berater-Controlling und -steuerung in den Hintergrund. Dies erfolgt dann etwa mittels der Einführung von Beraterdatenbanken, zentraler Koordinationsstellen und verschiedener
kostenoptimierender
Maßnahmen,
wie
die
Verhandlung
von
Rahmenverträgen.78 Damit wird auch deutlich, dass Klienten die Einnahme einer passiven Rolle in ihrer Zusammenarbeit mit Beratenden möglichst vermeiden möchten.79 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es sowohl aus Sicht von Beratenden, Beratungsunternehmen wie auch ihren Auftraggebern schlüssige Argumente dafür gibt, sich mit Lernpraktiken der alltäglichen Beratungspraxis auseinanderzusetzen. Für Beratende stellt Lernen eine Voraussetzung dafür dar, im erwähnten kompetitiven
Vgl. Handley et al. 2007, S. 182. Vgl. Kubr 2007., S. 16. 76 Aengenheyster/Zimmermann 2005 formulieren in diesem Zusammenhang etwas lautmalerisch sieben „Todsünden“ von Großunternehmen beim Einsatz von Management Consultants. So führen sie beispielsweise unter dem Aspekt „Neid“ an, dass ein Projizieren auf den Dienstleister ein beliebtes Mittel sei, „um von der eigenen Inkompetenz abzulenken (z. B. realistische Ziele zu setzen). […] D. h. im Erfolgsfalle ist es der eigene Erfolg, im Misserfolgsfalle das Versagen des Beraters.“ (S. 177) 77 Vgl. Paust 2012, S. 9f. 78 Vgl. Kolbeck/Mohe 2005, zit. nach Paust 2012, S. 10. 79 Vgl. Mohe/Birkner/Sieweke 2009, S. 85. 74 75
23
Einführung
Laufbahnsystem
zu
bestehen.
Beratungsunternehmen
liefert
Lernen
ihrer
Mitarbeitenden einen Beitrag zur Sicherung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit. Und für Kunden stellt effektives Lernen der von ihnen beauftragten Beratenden eine Voraussetzung
dafür
dar,
Unternehmensumfeldern
in
zunehmend
erfolgreich
zu
dynamischen
agieren.
Die
und
Diskrepanz
komplexen zwischen
offensichtlicher Bedeutung einerseits und der festgestellten, nur unzureichenden Auseinandersetzung in der Unternehmenspraxis andererseits, nimmt die vorliegende Arbeit zum Anlass, sich mit Lernpraktiken in der Unternehmensberatung aus wissenschaftlicher Perspektive zu befassen. Im nachfolgenden Abschnitt wird herausgearbeitet,
dass
Lernpraktiken
Beratender
auch in
der Literatur
als
vernachlässigtes Phänomen betrachtet werden können. 1.2 Forschungsdefizit: Lernpraktiken Beratender als vernachlässigtes Phänomen Nicht nur die Herausforderungen der Unternehmenspraxis stellen einen Beweggrund dar, die vertiefte Auseinandersetzung mit den Lernpraktiken Beratender als relevant zu erachten. Auch in der Literatur lässt sich, trotz einer Vielzahl an Forschungsaktivitäten und empirischen Befunden im Bereich arbeitsplatznahen Lernens, ein Forschungsdefizit den Kontext der Unternehmensberatung betreffend erkennen. Zum einen wurde bislang die theoriegeleitete Beschäftigung damit vernachlässigt, wie sich Lernen in der alltäglichen Beratungspraxis vollzieht
und welche Ausprägung entsprechende
Lernpraktiken annehmen. Zum anderen fehlen konzeptionelle Hinweise auf Faktoren, die auf die Reproduktion solcher Lernpraktiken lernbegünstigend bzw. -hemmend einwirken. Schließlich finden sich in der Literatur nur wenige Anhaltspunkte, worin sich die Reproduktion von Lernpraktiken in der Consulting-Praxis manifestiert. Diese ersten Andeutungen
zum
Forschungsdefizit
werden
nachfolgend
konkretisiert:
In
Unterabschnitt (a) im Hinblick auf das Lernen in der alltäglichen Beratungspraxis, in Unterabschnitt (b) im Hinblick auf Faktoren und Manifestation. 1.2.1
Lernen in der alltäglichen Beratungspraxis
Nähert man sich dem Phänomen Lernen aus wissenschaftlicher Perspektive, fällt zunächst die fast schon unüberschaubare Vielfalt an theoretischen Zugängen und
24
Einführung
Erklärungsansätzen auf.80 Reich und Hager vertreten die Ansicht, dass Lernen ausgiebig theoretisiert und in pädagogischen wie in nicht-pädagogischen Umfeldern zu erklären versucht wurde.81 Was im Zuge dessen jedoch zumeist als selbstverständlich vorausgesetzt und – möglicherweise gerade deshalb – bislang nur unzureichend berücksichtigt bzw. analysiert wurde, ist das Konstrukt der Praxis: „Practice itself, […], has remained significantly under-theorized in the education and workplace learning literature.“82 Ein Großteil der Literatur zum Thema Lernen nimmt das Konstrukt der „Praxis" als eine allzu selbstverständlich ungeprüfte Gegebenheit hin.83 Green kritisiert die oftmals unreflektierte Begriffsverwendung, wenn er den Praxisbegriff beschreibt als: „[…] constantly and sometimes even compulsively in use, without always meaning much at all. Rather, it seems to float across the surface of our conversations and our debates, never really thematized and indeed basically unproblematized, a ‘stop-word’ par excellence.”84 Colley und Kollegen weisen entsprechend auf die Notwendigkeit hin, gerade bei der Beschäftigung mit dem Phänomen Lernen den Aspekt der sozialen Praxis nicht zu vernachlässigen. Es gelte insbesondere den Kontext und die konkrete Situationen, in denen das Lernen stattfindet, in der Analyse zu berücksichtigen.85 Unter Bezugnahme auf entsprechende Bemühungen situativer Erklärungsansätze gibt Göhlich zu bedenken, dass der Lernprozess selbst nicht ausreichend theoretisch umrissen wird.86 Und im Hinblick auf den Kontext der Unternehmensberatung ist zu konstatieren, dass sich in der Literatur nur wenige Anhaltspunkte dazu finden, wie in der alltäglichen Arbeitspraxis gelernt wird bzw. welche Lernpraktiken dort Anwendung finden. Werr und Stjernberg vermissen einen Diskurs im Hinblick auf „detailed processes through which knowledge is created, spread, and supplied in management consulting.”87
Vgl. Wiegand 1996, der auf die Übersichten bei Hilgard/Bower 1983, Holzkamp 1993 und Gagné 1970 hinweist. (S. 341) 81 Vgl. Reich/Hager 2014, S. 419. 82 Reich/Hager 2014, S. 419. 83 Vgl. Reich/Hager 2014, S. 419. 84 Green 2009, S. 2. 85 Vgl. Colley/Hodkinson/Malcolm 2003 S. 9. 86 Vgl. Göhlich 2016, S. 16. 87 Vgl. Werr 2002, S. 92. 80
25
Einführung
Angesichts der erwähnten Bedeutung Beratender für die Wettbewerbsfähigkeit von Consulting-Unternehmen88 überrascht es, dass nur wenige empirische Befunde zu deren tagtäglichen Arbeitspraxis vorliegen. Appelbaum und Steed stellen fest: „Much of the theoretical framework described is derived from anecdotal evidence.“89 Dies betrifft nicht nur personalwirtschaftliche Aspekte90, sondern auch, wie von Beratenden gelernt werden kann.91 Engwall und Kipping stellen fest: „With a few exceptions […] there has been little empirical work on the emergence and role of consultants as ‘carriers’ of management knowledge.”92 Auch mit Blick auf die Literatur im Bereich „Workplace-Learning“93 tun sich im Consulting-Umfeld empirische Erkenntnislücken auf. Untersuchungen existieren zwar im Bereich gewinnorientierter Unternehmen94 als auch in gemeinnützig ausgerichteten Organisationen.95 Zahlreiche Berufsgruppen sind hier Gegenstand der Betrachtung:
Wirtschaftsprüfer96,
Ingenieure97,
Krankenhauspflegepersonal98,
Unternehmer99, Lehrer100, Mitarbeitende der Personalabteilung101 und Anwälte102. Die Berufsgruppe der Unternehmensberater ist jedoch nach wie vor unterrepräsentiert, was die Untersuchung alltäglichen Lernens in der beruflichen Praxis betrifft.103 Die unzureichende Beschäftigung mit arbeitsplatznahem Lernen im Beratungskontext mag möglicherweise auch darin begründet sein, dass personalwirtschaftliche Fragen für Beratungsunternehmen
von
besonderer
strategischer
Bedeutung
sind.
Als
Vgl. Einführungskapitel (1b): Sichtweise von Beratungsunternehmen. Appelbaum/Steed 2005, S. 69. 90 Vgl. Kaiser et al. 2015, S. 78. 91 Vgl. Einführungskapitel (1a): Sichtweise von Auftraggebern. 92 Engwall/Kipping 2002, S. 2. 93 Der aus dem angelsächsischen Trainingsverständnis stammende, bislang weitgehend uneinheitlich definierte Begriff kann in etwa mit „Lernen im Prozess der Arbeit“ übersetzt werden. Dehnbostel charakterisiert es als „selbstgesteuertes, prozessorientiertes und lebenslanges Lernen [.], das wesentlich zur Entwicklung von Kompetenzen und Beruflichkeit beiträgt und die betriebliche Personal- und Organisationsentwicklung fördert“. (Dehnbostel 2016) 94 Vgl. Coetzer/Perry 2008. 95 Vgl. Beattie 2006. 96 Vgl. Eraut et al. 2003; Hicks et al. 2007. 97 Vgl. Eraut et al. 2003. 98 Vgl Eraut et al. 2003; White et al. 2000. 99 Vgl. Doyle/Young 2007. 100 Vgl. Lohman 2000. 101 Vgl. Crouse/Doyle/Young 2011. 102 Vgl. Hara 2001. 103 Vgl. zu Ausnahmen exempl. die Arbeiten von Handley et al. 2007 oder Hydle/Breunig 2013. 88 89
26
Einführung
wissensintensive Organisationen basiert ihr Geschäftsmodell auf dem Wissen und Können ihrer Mitarbeitenden.104 Dies könnte in einer grundsätzlich um Verschwiegenheit und Diskretion bemühten Branche den Anlass bieten, den Zugang für die empirische Studiendurchführung zu erschweren.105 Dies stützen Beobachtungen von Mohe, dass sich die empirische Beratungsforschung eher auf die Klientenseite fokussiert.106 Ein weiterer Grund könnte in einer nur geringen Auskunftsbereitschaft Beratender selbst zu finden sein. So kritisiert Sam die Unzuverlässigkeit von Selbstauskünften im Rahmen von Interviews mit Unternehmensberatern.107 Paust zitiert in seiner Arbeit zu „versteckten Rollen von Unternehmensberatern“108 Priest und Kollegen, die Berater, die die Einführung von Systemen zum Customer-Relationship-Management begleitet hatten, zum Erfolg ihrer Tätigkeit befragten. Die Antworten ergaben, dass keiner dieser Berater selbst unzufriedene Kunden gehabt haben wollte, während man von gescheiterten Projekten anderer Berater durchaus gehört haben wollte und es bekannt ist, dass diese Art von Projekten nur selten mit hoher Kundenzufriedenheit einhergeht.109 Analog kann beim Thema Lernen vermutet werden, dass der eingangs erläuterte hohe Anspruch an die eigene Beratungstätigkeit und den Status als Experte davon abhält, offen über eigene Lernpraktiken zu berichten. Könnte dies doch mit eigenem Scheitern, Fehlern oder Wissenslücken assoziiert werden. 1.2.2
Faktoren und Manifestation
Neben der offenen Frage, wie in der täglichen Beratungspraxis gelernt wird, ist Forschungsbedarf auch im Hinblick auf darauf einwirkende lernbegünstigende bzw. hemmende Faktoren erkennbar. Der in dieser Arbeit verwendete Begriff des Faktors ist erklärungsbedürftig, da dieser, über den bildungssprachlichen „bestimmenden Faktor“110 hinaus,
in
unterschiedlichen
Wissenschaftsdisziplinen
wie
beispielsweise
der
Mathematik (Rechenausdruck zur Lösung eines Gleichungssystems) oder der Biologie
Vgl. Kapitel I.1.1: Unternehmensberatung; Kapitel I.2.3: Beratungsunternehmen. Vgl. Gillmann 2002, und Kieser 2001, S. 111, zit. nach Mohe 2004, S. 700. 106 Vgl. Mohe 2004, S. 700. 107 Vgl. Saam 2002, zit. nach Paust 2012, S. 29. 108 Vgl. Paust 2012. 109 Vgl. Pries/Stone 2004, S. 367. 110 Dudenredaktion o. D.a. 104 105
27
Einführung
(Faktor für die Vererbung) spezifische Verwendung findet.111 In den nachfolgenden Ausführungen erfolgt seine Verwendung in Anlehnung an die in der Psychologie gebrauchte Determinante i. S. einer Einfluss- bzw. Bestimmungsgröße, die das menschliche (Lern-) Verhalten beeinflusst.112 Untersucht man Lernen aus einer traditionellen Perspektive113 als Transferprozess bzw. Wissenserwerb114, beeinflussen Faktoren etwa die Beziehung zwischen Sender und Empfänger.115 Versteht man Lernen jedoch gemäß der praxistheoretischen Sichtweise als etwas, das sich in und mit alltäglicher Arbeitspraxis vollzieht und dem Tun der beteiligten Akteure innewohnt116, finden sich in der Literatur zu lernfördernden bzw. -hemmenden Faktoren im Hinblick auf den spezifischen Beratungskontext vergleichsweise wenige Hinweise. Ähnliches kann für Lernergebnisse bzw. die Manifestation des Lernens Beratender festgestellt werden. Der ebenfalls in der Psychologie gebräuchliche Begriff der Manifestation bezieht sich auf die Offenbar- bzw. Erkennbarwerdung von latenten Erkrankungen.117 Da das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit nicht auf latente psychische und physiologische Vorgänge des Lernens gerichtet ist, sondern auf deren Offenbar- bzw. Erkennbarwerden in der Praxis, erweist sich die Verwendung des Begriffs der Manifestation für beobachtbare Ergebnisse des Lernens als passend. Im Hinblick auf den Kontext der Unternehmensberatung existieren nur unzureichende Hinweise darauf, wozu die Anwendung alltäglich angewendeter Lernpraktiken führt. „[…] we know little about its outcomes.”118 Für den Consulting-Kontext ist die Einschätzung von Straka von 2004 noch aktuell: „Up to now we do not know much about the quantity and quality of learning outcomes in informal and non-formal settings.”119 Im Hinblick auf entsprechende
Vgl. Redaktion Wortbedeutung.info o. D. Vgl. Redaktion Lexikon der Psychologie o. D.a; Redaktion Lexikon der Psychologie o. D.b. 113 Vgl. Kapitel I.3.3: Merkmale der traditionellen Perspektive. 114 Vgl. Kapitel I.3.3.2: Lernen als Wissenserwerb. 115 Man denke an Motivation: Wie motiviert ist der Sender bzw. der Empfänger, Wissen weiterzugeben bzw. aufzunehmen? Man denke aber auch an Rahmenbedingungen: Welche müssen gegeben sein, damit ein Wissensaustausch überhaupt erfolgen kann? Hier existieren zahlreiche Arbeiten, die sich mit den Voraussetzungen für einen erfolgreichen Transfer von Wissen beschäftigen. Bonss 2014 nennt exempl. Riege 2007, Schewe/Nienaber 2011, Hoffmann 2009 und Stocker/Tochtermann 2010. (S. 194) 116 Vgl. Kapitel II.2.2.: Lernen als Entwicklung neuer Könnerschaft. 117 Redaktion Lexikon der Psychologie o. D.d. 118 Froehlich/Segers/van den Bossche 2014, S. 30. 119 Straka 2004, S. 14. 111 112
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Einführung
Feldforschung appelliert Ashcraft entsprechend, die Ergebnisse von Lernprozessen nicht außer Acht zu lassen.120 Aus dem identifizierten Forschungsdefizit im Hinblick auf alltägliche Praktiken, Faktoren und Manifestation des Lernens Beratender leitet sich Zielsetzung und Beitrag der Arbeit für die Forschung ab, worauf im nachfolgenden Abschnitt eingegangen wird. 1.3 Zielsetzung und Beitrag der Arbeit Angesichts der unbestrittenen Bedeutung des Lernens am Arbeitsplatz121 überrascht es, dass diesbezüglich gerade für den Kontext der Unternehmensberatung nur wenige wissenschaftliche Beiträge vorliegen. Zum einen, da Beratende als bedeutende Lieferanten neuen geschäftsrelevanten Wissens gelten.122 Zum anderen, da sich Beratenden im Zuge ihrer wechselnden Projekteinsätze zahlreiche Lernchancen bieten sollten.123 Worauf die Ausführungen zum Forschungsdefizit im vorherigen Abschnitt jedoch bereits hinweisen, fehlt eine Konzeptualisierung, mithilfe derer theoriegeleitet diskutiert werden kann, … -
… welche Lernpraktiken Beratende in ihrer beruflichen Praxis anwenden.
-
… welche Faktoren sich hierauf lernbegünstigend bzw. lernhemmend auswirken.
-
… worin sich Lernen im spezifischen Kontext der Unternehmensberatung manifestiert.
Zur Adressierung dieses Defizits verfolgt die Arbeit vier Ziele. Das erste Ziel betrifft die Untersuchung des Phänomens Lernen unter besonderer Berücksichtigung des spezifischen Kontextes, in dem sich das Lernen Beratender vollzieht. Zur Befassung mit dem vielschichtigen Phänomen Beratung eignen sich die bei Engwall und Kipping beschriebenen Bezugsebenen Beratungsbranche, -unternehmen und -projekt als analytischer Zugang.124 Indem mithilfe dieser Bezugsebenen überprüft wird, wodurch der Lernkontext Beratender in welcher Weise spezifisch geprägt wird und sich von anderen Professionen unterscheidet, soll ein Beitrag zu den in den Organisationswissenschaften
Vgl. Rennstam/Ashcraft 2013, S. 14. Vgl. Clarke 2005; Jacobs 2003; Lohman 2005. 122 Vgl. Handley et al. 2007, S. 182f. 123 Vgl. Geffroy/Schulz 2015, S. 40. 124 Vgl. Engwall/Kipping 2002, S. 2ff. 120 121
29
Einführung
zunehmend an Bedeutung gewinnenden kontextbezogenen Überlegungen125 geleistet werden. Die Konkretisierung des Lernkontextes Beratender bildet die Grundlage für die Verfolgung des zweiten Ziels der Arbeit. Dieses besteht darin, zur Adressierung des o. g. Forschungsdefizits nicht nur auf das, von Schatzki als „traditionell“ bezeichnete Lernverständnis Bezug zu nehmen. Demzufolge handelt es sich bei Lernen, verkürzt formuliert, um einen, durch das Individuum vollzogenen kognitiven Vorgang zum Wissenserwerb.126 Es geht vielmehr auch darum, Aspekte praktischen Tuns in einer berufsspezifisch geprägten sozialen Praxis in die Analyse miteinfließen zu lassen. Die Notwendigkeit dazu verdeutlichen „blinde Flecken“127 in der individuell-kognitiv ausgerichteten Sichtweise auf Lernen. Diese werden, stellvertretend für andere traditionelle Ansätze, anhand der Arbeiten Banduras zum Beobachtungslernen128 und Kolbs
zum
Erfahrungslernen129
herausgearbeitet.
Die
Einnahme
einer
praxistheoretischen Sichtweise ermöglicht es, Lernen als etwas sozial Verankertes und mit der alltäglichen Handlungspraxis Verwobenes zu konzipieren. Anstatt um Wissenserwerb geht es dann um die Entwicklung einer praktischen Errungenschaft, welche, im Sinne Polanyis130 als primär implizit angelegte Könnerschaft verstanden werden kann. Überlegungen von Sandberg und Tsoukas zur Methodologie „praktischer Rationalität“131 werden dazu genutzt, diesen Perspektivenschwenk theoretisch zu fundieren. Mit einer darauf basierenden konzeptionellen Verortung von Lernpraktiken Beratender in den auf Whittington, Seidl und van Aaken zurückführenden PraxisBezugsrahmen132, soll ein Beitrag zur praxistheoretisch ausgerichteten Lernforschung im arbeitsplatznahen Umfeld geleistet werden.
Vgl. Johns 2018. Vgl. Schatzki 2017. 127 Angelehnt an den, von Kirsch verwendeten, Begriff zur Postulierung einer Multi-Perspektiven-Sicht: „Eine Gesamtsicht ist nur möglich, wenn man die ‚blinden Flecken‘ des einen Kontextes dadurch kompensiert, dass man die Welt auch in einem anderen Kontext sieht, der dann aber wiederum andere ‚blinde Flecken‘ aufweist.“ (Kirsch 1997b, S. 301). 128 Vgl. Kapitel I.3.1: Beobachtungslernen nach Bandura. 129 Vgl. Kapitel I.3.2: Erfahrungslernen nach Kolb. 130 Vgl. Polanyi 1966. 131 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011. 132 Vgl. Seidl/van Aaken 2007; Whittington 2006. 125 126
30
Einführung
Die Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens stellt das dritte Ziel der Arbeit dar. Wie deutlich werden wird, kann Praxistheorie als „Oberbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Theoriebemühungen“133 verstanden werden. Diese werden in der Literatur allenfalls lose gekoppelt und unter Verwendung eines mitunter heterogen gebrauchten Begriffsinstrumentariums diskutiert. Dennoch sind Anknüpfungspunkte erkennbar, die im Rahmen dieser Arbeit dazu genutzt werden, klassische und jüngere praxistheoretische Konzepte zur Diskussion von Ausprägungsformen, Faktoren und Manifestation des Lernens Beratender in einen konzeptionellen Bezugsrahmen zu integrieren. Hierzu werden beispielsweise der situative Ansatz von Lave und Wenger mit der Beschreibung von Communities of Practice134 als Grundlage dafür genutzt, die Bedeutung
von
Rahmenbedingungen
Partizipationsmöglichkeiten sogenannter
epistemischer
an
Beratungspraxis
Gemeinschaften135
für
und die
Reproduktion von Lernpraktiken zur Entwicklung neuer Könnerschaft zu diskutieren. Vielversprechende jüngere Arbeiten, wie etwa die Untersuchung von Gelegenheiten für gemeinsames Denkens (Thinking together136) werden dazu herangezogen, Ansatzpunkte zur Förderung des Lernens Beratender abzuleiten. Der Bezugsrahmen soll im Sinne eines „provisorisches Erklärungsmodells“137 dazu beitragen, vorliegende und künftige Beiträge praxistheoretischer Arbeiten besser einordnen und miteinander in Beziehung setzen zu können, um so zu einem vertieften Verständnis arbeitsplatznahen Lernens im Kontext der Beratung zu gelangen. Das vierte Ziel der Arbeit fokussiert schließlich auf den erwähnten Bedarf nach empirischen Befunden zur tagtäglichen Arbeitspraxis Beratender. Hierzu wird der entwickelte Bezugsrahmen mithilfe einer Interviewstudie, an der Beratende unterschiedlicher Hierarchie, Beratungsausrichtung und Beratungsorganisationen teilnahmen, empirisch illustriert werden. Mit Illustration ist im Rahmen der vorwiegend konzeptionell angelegten Arbeit gemeint, die, in den Interviews u. a. mithilfe der o. g.
Vgl. Seidl/van Aaken 2007. Vgl. Lave/Wenger 1991. 135 Vgl. Ash/Roberts 2008. 136 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017. 137 Becker 1993, S. 119. 133 134
31
Einführung
Methodologie praktischer Rationalität138 gewonnenen, Aussagen von Beratenden dafür zu nutzen, die theoretischen Überlegungen anhand von Beispielen aus der Beratungspraxis zu verdeutlichen. Zudem werden die erhaltenen Aussagen zu Lernpraktiken inhaltsanalytisch mittels induktiver Kategorienbildung nach Mayring139 zur Konkretisierung von Ausprägungsformen genutzt. Damit soll zu einem vertieften Verständnis von Lernpraktiken Beratender in ihrer alltäglichen Handlungspraxis beigetragen werden in einer, im Hinblick auf personalrelevante Fragestellungen verschwiegenen140, und anhand allenfalls „anekdotischer Belege“141 erschlossenen Consulting-Branche. 1.4 Vorgehen und Aufbau der Arbeit Die Vielzahl theoretischer Zugänge, sich mit dem Phänomen Lernen zu beschäftigen142, bildet zunächst eine nicht triviale Herausforderung im Hinblick auf die Adressierung des identifizierten Forschungsdefizits. Auf der Suche nach Antworten in der Literatur, wie das Individuum in und durch die Arbeit lernt, wird der Mangel an Konsens deutlich, was unter dem Phänomen „Lernen“ grundsätzlich zu verstehen ist. Je nach ontologischer Perspektive handelt es sich bei Lernen um etwas, das in individueller, interpersoneller oder kontextueller Zusammensetzung erfolgt. Entsprechend rücken Aspekte wie kognitive Prozesse, Kommunikation oder Organisationsstrukturen in den Vordergrund der Betrachtung.143 Dieser Vielschichtigkeit Rechnung tragend und dem Hinweis von Thøgersen und Jørgensen, „that all perspectives hold some truth as human living is a complex matter“144 folgend, nähert sich diese Arbeit dem Phänomen Lernen aus den beiden, bereits erwähnten Analyseperspektiven an, die sich mit traditionell und praxistheoretisch bezeichnen lassen. Im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse der Arbeit
Vgl. Zwischenbetrachtung (2b) und Kapitel III.1.3: Die Nutzung der o. g. Methodologie praktischer Rationalität kam beispielsweise in den Interviews dadurch zum Ausdruck, dass mittels Critical Incident Analyse bewusst Störungen der Beratungspraxis thematisiert wurden. 139 Vgl. Mayring 2015. 140 Vgl. Werr 2002, S. 92. 141 Appelbaum/Steed 2005, S. 69. 142 Vgl. exempl. Hilgard/Bower 1983; Holzkamp 1993; Gagné 1970. 143 Vgl. Thøgersen/Jørgensen 2011, S. 86. 144 Thøgersen/Jørgensen 2011, S. 86. 138
32
Einführung
an alltäglichen Lernpraktiken Beratender wird die Wahl dieser beiden vermeintlich145 inkommensurablen Sichtweisen damit begründet, dass diese auf grundlegend unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Annahmen zu Handlungspraxis gründen bzw. abweichende Methodologien zur Erfassung von Handlungspraxis verwenden. Ohne freilich an dieser Stelle bereits auf weitere inhaltliche Details vertieft eingehen zu können, zeigt Abbildung 1 die Verwendung einer traditionellen und einer praxistheoretischen Perspektive zur Untersuchung von Lernen in der Unternehmensberatung in Anlehnung an die Scheinwerfermetapher von Kirsch146.
Erklärungsansätze aus …
… traditioneller Perspektive
Lernpraktiken in der Unternehmensberatung
Lernen als Wissenserwerb
… praxistheoretischer Perspektive
Annahmen zur Erfassung von Praxis
Lernen als Entwicklung neuer Könnerschaft
Zwischenbetrachtung
Erfassung von Praxis im Sinne von…
… szientistischer Rationalität
… praktischer Rationalität
Hauptteil 1
Hauptteil 2 und 3
Abbildung 1: Gewählte Analyseperspektiven147 Wie der Abbildung entnommen werden kann, orientiert sich der Aufbau der Arbeit an den gewählten Analyseperspektiven. Nach einer theoretischen Verortung der Begriffe Lernen und
Unternehmensberatung
sowie
einer
Charakterisierung
des
spezifischen
Lernkontextes Beratender steht im ersten Hauptteil die Beschäftigung mit traditionellen Erklärungsansätzen kognitiver Lerntheorie im Mittelpunkt. Die Konzepte des Beobachtungs- und Erfahrungslernens als Hinführung nutzend, werden Merkmale von Lernen im Sinne eines Vorgangs zum Wissenserwerb herausgearbeitet und auf den
Marshall vertritt die Auffassung, dass die Unvereinbarkeit der beiden Ansätze überbewertet wird und dass beide Perspektiven voneinander lernen können. (Marshall 2008, S. 413) 146 In Anlehnung an die Scheinwerfermetapher bei Kirsch 2001, S. 266 sowie die Zusammenfassung „Theoriepluralismus und der Kirsch’sche Scheinwerfer“ bei Paust 2012, S. 38ff. 147 Quelle: Eigene Darstellung. 145
33
Einführung
Beratungskontext übertragen. Aus den identifizierten Defiziten wird die Notwendigkeit der ergänzenden Nutzung einer praxistheoretischen Perspektive geschlussfolgert, die Lernen als Entwicklung neuer Könnerschaft konzipiert. Die methodologische Fundierung dieses Perspektivenschwenks ist Gegenstand der sich anschließenden Zwischenbetrachtung. Anhand einer kritischen Auseinandersetzung mit Annahmen
und
Vorgehen
szientistischer
Rationalität
wird
die
ergänzende
Berücksichtigung praktischer Rationalität als Methodologie zur Erfassung der „Logik der Praxis“ postuliert. Sie findet ihre Rezeption in der praxeologischen Forschungsbewegung wieder, deren skizzenhafte Charakterisierung die Beschäftigung mit Lernen aus praxistheoretischer Perspektive in den beiden folgenden Hauptteilen der Arbeit vorbereitet. Im zweiten Hauptteil steht der Beitrag der praxistheoretischen Analyseperspektive auf Lernen als Entwicklung neuer Könnerschaft im Sinne einer praktischen Errungenschaft im Mittelpunkt. Dies ermöglicht eine Konkretisierung und konzeptionelle Verortung von Lernpraktiken im Beratungskontext. Die Betrachtung wird erweitert, indem unter Bezugnahme auf praxistheoretische Forschungsbeiträge Faktoren und Manifestation herausgearbeitet und auf den Kontext des Lernens Beratender übertragen werden. Dies ermöglicht schließlich die Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens als Grundlage für die Diskussion von Ausprägungsformen alltäglichen Lernens Beratender, darauf einwirkender Faktoren und resultierender Manifestation. Die empirische Illustration des entwickelten praxistheoretischen Bezugsrahmens ist schließlich Schwerpunkt des dritten Hauptteils. Der entwickelte Bezugsrahmen wird mit den
Ergebnissen
einer
qualitativen
Interviewstudie,
an
der
16
Beratende
unterschiedlicher Beratungsorganisationen teilnahmen, empirisch illustriert. Dies dient dazu, die Belastbarkeit der, bislang theoriegeleitet angestellten, Überlegungen anhand von Ergebnissen einer qualitativen Interviewstudie zu überprüfen. Gewonnene Aussagen werden dazu genutzt, die Komponenten und unterstellten Wirkungszusammenhänge des Bezugsrahmens anhand von Beispielen zu plausibilisieren, ggf. zu erweitern und zu konkretisieren. Die Ergebnisse werden schließlich im Lichte praxistheoretischer Konzepte diskutiert und deren theoretischer Beitrag zur Adressierung des Forschungsdefizits herausgearbeitet. 34
Einführung
Mit einer Rekapitulation zentraler Ergebnisse der Arbeit beginnt die Schlussbetrachtung. Es wird nachgezeichnet, inwiefern die Einnahme einer praxistheoretischen Sichtweise zur Erreichung der gestellten Zielsetzung genutzt werden konnte und welche Schlussfolgerungen aus der Illustration des Bezugsrahmens gezogen werden konnten. Dem folgt schließlich eine zusammenfassende Darstellung des theoretischen Beitrags für die Lernforschung. Nach Hinweisen zu Limitationen der Forschungsarbeit runden die Ableitung von weiterem Forschungsbedarf und die ausblickhafte Erörterung praktischer Implikationen mit Handlungsempfehlungen für Beratende, das Management von Beratungsunternehmen sowie Auftraggeber von Beratungsleistungen die Arbeit ab.
35
2. Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung Was Sloterdijk so lapidar wie eingängig als „Vorfreude auf sich selbst“148 bezeichnete, wird in der Alltagssprache mit ganz unterschiedlichen Konstrukten in Verbindung gebracht: Das Phänomen des individuellen Lernens. Assoziiert wird dieses etwa mit den zu erlernenden Inhalten: Mit Wissen, das man in der Schule „erwirbt“, oder mit Fertigkeiten zur Ausübung einer Sportart. Lernen wird auch mit neuen Einstellungen oder Verhaltensweisen assoziiert, die sich ohne Vermittlung durch einen Lehrenden aufgrund von selbst vollzogenen Erfahrungen verändern. Umgangssprachlich heißt es dann: „Jemand hat aus einer bestimmten Situation etwas gelernt“.149 Die zu erlernenden Inhalte spielen auch in der Wissenschaft eine Rolle. Es bedarf jedoch weiterer Spezifizierungen, denen im Alltag nicht explizit nachgegangen wird.150 Das nachfolgende Kapitel I.1 gibt das der Arbeit zugrundeliegende Begriffsverständnis individuellen Lernens sowie dessen Verortung im Forschungskontext wieder. Da das Erkenntnisinteresse auf den Consulting-Kontext gerichtet ist, wird auch dieser, vielseitig verwendete Begriff der Unternehmensberatung präzisiert. In Kapitel I.2. wird anhand der Bezugsebenen
Beratungsbranche,
-unternehmen
und
-projekt
der
spezifische
Lernkontext Beratender präzisiert. Dem folgt in Kapitel I.3. die Vorstellung traditioneller Ansätze kognitiver Lerntheorie, die den Aspekt des Wissenserwerbs in den Mittelpunkt rücken. Die damit verbundenen Hinweise auf Ausprägungsformen, Faktoren und Manifestation werden auf den Kontext der Beratung übertragen.
2.1
Begriffsverständnis und Verortung im Forschungskontext
Die beiden Begriffe Unternehmensberatung und Lernen werden sowohl in der Unternehmenspraxis als auch in der wissenschaftlichen Literatur nicht immer einheitlich verwendet.
Nachfolgend
wird
deshalb
das
der
Arbeit
zugrunde
liegende
Kahl 2004, S. 110. Schermer 2014, S. 9. 150 Vgl. Schermer 2014, S. 10. 148 149
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Rainer, Lernpraktiken in der Unternehmensberatung, Zukunftsfähige Unternehmensführung in Forschung und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42989-8_2
36
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Begriffsverständnis für Unternehmensberatung (Kapitel I.1.1.) und individuelles Lernen (Kapitel I.1.2) geklärt sowie im Forschungskontext verortet.
2.1.1 Unternehmensberatung Das Entstehen des Berufsfelds der Unternehmensberatung kann auf die Gründung der ersten Firma von Arthur D. Little im Jahr 1886 in den USA zurückgeführt werden. Die Entwicklung der Profession war geprägt von der damals voranschreitenden Industrialisierung und des Taylorismus.151 Seit Beginn der breiten wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Unternehmensberatung in den 1960er Jahren muss nicht nur der Mangel eines konsistenten Theoriegerüsts konstatiert werden.152 Auch das Begriffsverständnis von Branche, Unternehmen und Profession stellt sich als diffus dar.153 Unternehmensberatung wird weder in der Unternehmenspraxis noch in der forschungsbezogenen Literatur einheitlich verwendet. Eine große Anzahl zum Teil synonym, zum Teil gegensätzlich verwendeter Begrifflichkeiten wie Beratung, Unternehmensberatung, Wirtschaftsberatung, Consulting oder Managementberatung tragen mehr zur Verwirrung als zur Vereinfachung des fachlichen Diskurses bei. 154 Das Fehlen allgemein gültiger Begriffsdefinitionen führt Hartel auf drei Gründe zurück: Erstens fehlen staatliche oder berufsständische Vorgaben für das Anforderungs- bzw. Tätigkeitsprofil. Zweitens umfassen Leistungen der Unternehmensberatung ein breites Spektrum. Drittens wird Unternehmensberatung erst seit kurzem als wissenschaftliche (Teil-)Disziplin innerhalb der Betriebswirtschaftslehre anerkannt.155 „Folglich kann jedermann seine Visitenkarte mit dem ‚Titel‘ Unternehmensberater schmücken.“156 Der Begriffs- und Bedeutungsvielfalt Rechnung tragend, werden Beratungsunternehmen im nachfolgenden Kapitel I.1.1.1 zunächst anhand der Kriterien Input, Organisation und Output als Professional Service Firms (PSFs) charakterisiert. Anschließend werden in
Vgl. Bredl/Fleischer 2016, S. 586. 1926 erfolgte die Gründung des wohl bekanntesten Beratungsunternehmens, McKinsey & Company durch James Oscar McKinsey in Chicago. 152 Vgl. Hristozova 2012, S. 13. Gross/Poor 2008 erkennen lediglich einen Entwicklungsprozess hin zu einer Profession: „Management consulting is of a younger vintage than either management practice or management theory. It is a high-pressure, high-level practice, but it is striving hard now to be viewed also as a profession.” (S. 59). 153 Vgl. Hristozova 2012, S. 13. 154 Vgl. Paust 2012, S. 49. 155 Vgl. Hartel 2009, S. 5f. 156 Hartel 2009, S. 5f. 151
37
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Kapitel I.1.1.2 unter Bezugnahme auf bestehende Definitionen spezifische Merkmale beleuchtet, anhand derer Beratungsunternehmen von anderen PSFs differenziert werden können.
2.1.1.1
Begriffsannäherung
Professional Service Firms sind Teil des tertiären Sektors, da sie immaterielle Dienstleistungen im Zuge direkter Interaktion mit ihren Auftraggebern erbringen.157 In der Literatur finden sich nur selten ausführliche Definitionen. So versteht Greenwood PSFs als Organisationen „whose primary assets are a highly educated (professional) workforce and whose outputs are intangible services encoded with complex knowledge.158 Kaiser und Kollegen erkennen im wissenschaftlichen Diskurs die Herausbildung
dreier
spezifischer
Merkmale
zur
Abgrenzung
von
anderen
Organisationstypen: Dabei handelt es sich um Wissensintensität der zu erbringenden Dienstleistung, einen hohen Professionalisierungsgrad der Mitarbeitenden und um „Professional Partnership“ als System der Führung und Steuerung.159 Eine solche konzeptionelle Abgrenzung bildet jedoch die Ausnahme. Stattdessen werden oftmals lediglich Beispiele bemüht, wie Anwaltskanzleien, Investmentbanken, Büros für Ingenieursdienstleistungen und eben auch Beratungsunternehmen.160 Nordenflycht weist angesichts der im Rahmen einer Literaturrecherche erhaltenen umfangreichen Liste unterschiedlichster PSF-Branchen auf die schwierige begriffliche Abgrenzung hin: „‚PSFs, such as law firms, accounting firms etc.‘ […] a wide range of industries that have been listed in recent studies as examples of professional services. It reveals clear consensus on the canonical examples—law and accounting firms—but little consensus on what the “etc.” refers to. Does it include ad agencies? Physician practices? Software firms? Why or why not?”161
Vgl. Paust 2012, S. 90. Vgl. Greenwood et al. 2005, S. 661. 159 Vgl. Kaiser et al. 2015, S. 79ff. 160 Vgl. hierzu die Übersicht zu PSF-Branchen bei Nordenflycht 2010, S. 156. 161 Nordenflycht 2010, S. 155. 157 158
38
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Ein
systematischer,
auf
zahlreiche
Autoren162
referenzierender
Charakterisierungsvorschlag findet sich bei Kühn. Demnach lassen sich PSFs anhand spezifischer Merkmale erkennen, die den drei Kriterien „Input“ (z. B. Mitarbeitende als wesentlicher Produktionsfaktor), „Organisation“ (z. B. geringe Kapitalintensität) und Output (z. B. wissensintensive Dienstleistung) zugeordnet werden können (Abbildung 2). Zu
PSFs
zählen
partnerschaftlichen
demnach oder
„nicht-öffentliche
Unternehmen,
partnerschaftsähnlichen
Strukturen
die
intern
organisiert
in sind
(Organisation) und durch ihre hochqualifizierten Mitarbeiter in steter Interaktion mit dem Mandanten (Input) komplexe, wissensintensive und auf den Mandanten angepasste Dienstleistungen erbringen (Output).“163
Mitarbeitende als wesentlicher Produktionsfaktor Input
Hohe Qualifikation der Mitarbeitenden, berufsträgerbezogene Ausbildung Starke Mandanteninteraktion Geringe Kapitalintensität des Unternehmens
Organisation
Partnerschafts(ähnliche) Strukturen, Kontrolle durch Partner, (teilweise) Partnerhaftung Nicht-öffentliche Unternehmen Wissensintensive, komplexe (primär immaterielle) Dienstleistungen
Output
Kundenspezifische Anpassungen der Dienstleistungen
Dienstleistungserbringung konform mit Professionsnormen
Abbildung 2: Charakterisierung von Professional Service Firms164 Im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit ist das von Nordenflycht genannte Charakteristikum der Wissensintensität zu nennen als „perhaps the most fundamental distinctive characteristic of PSFs”165. Es unterstreicht die Abhängigkeit der PSFs vom Expertenwissen von Fach- und Führungskräften für die Bereitstellung der Dienstleistung und die Lösung von Kundenproblemen,166 sowie für die eigene
Vgl. exempl. Kaiser/Ringlstetter 2011, Løwendahl/Revang/Fosstenløkken 2001; Nordenflycht 2010; Nordenflycht 2010. 163 Kühn 2016a, S. 21. 164 Quelle: Verändert übernommen aus Kühn 2016a, S. 20. 165 Nordenflycht 2010, S. 159. 166 Vgl. Kaiser et al. 2015, S. 79. 162
39
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Wettbewerbsfähigkeit.167 Dem könnte nun entgegnet werden, dass dies deshalb noch kein differenzierendes Kriterium ist, da auch andere Organisationstypen, wie bspw. Technologieunternehmen, von hoher Wissensintensität geprägt sind und als wissensintensive Organisationen beschrieben werden können. Was PSFs von diesen jedoch unterscheidet, ist der Umstand, dass das Wissen in PSFs noch stärker mit ihren Mitarbeitern verknüpft ist als mit entsprechenden Routinen, Prozessen und Artefakten wie zum Beispiel im Falle eines Ingenieursbüros.168 Angesichts der Erbringung einer nur wenig
standardisierbaren,
eigenwilligen
und
individuelles
Urteilsvermögen
erfordernden Beratungsleistung169 hat die Auseinandersetzung mit der Frage, wie das dafür notwendige Wissen und Können von Beratenden entwickelt wird, für Beratungsunternehmen als PSFs insofern große – wenn nicht strategische – Bedeutung.
2.1.1.2
Spezifische Merkmale
Im deutschsprachigen Raum kursieren zur Einordnung von Beratungsleistungen unterschiedliche Bezeichnungen wie Strategieberatung, Organisationsberatung, ITBeratung und Executive Search.170 In seiner fortlaufenden Marktbetrachtung nennt der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU) die Beratungsfelder Strategie, Organisation und Prozess, Human Resources und IT.171 Während solche Begriffszusätze den jeweiligen Gegenstand von Beratung halbwegs trennscharf beschreiben, ist der Begriff Beratung selbst weit interpretierbar und deshalb erklärungsbedürftig. Eine für die vorliegende Arbeit nutzbare Definition muss zum einen breit genug zu sein, um ein möglichst großes Spektrum von Herausforderungen und damit einhergehende Lernprozesse von Unternehmensberatern unterschiedlicher fachlicher Disziplinen zu ermöglichen. Zum zweiten sollte die Anschlussfähigkeit an den Mainstream der deutschsprachig
und
angelsächsisch
geprägten
wissenschaftlichen
Literatur
gewährleistet sein durch Rückgriff auf gängige und einflussreiche Definitionen.
Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 254. Vgl. Kaiser et al. 2015, S. 80. 169 Vgl. Costas/Kärreman 2015, S. 67. 170 Hristozova 2012 nennt exempl. Gloger 2006, Mohe 2006; Heuermann/Herrmann 2003 und Fink/Knoblach 2003. (S. 15.) 171 Vgl. Murmann 2017, S. 8. 167 168
40
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Eine solche Definition gelingt Paust in seiner Arbeit zu „versteckten Rollen externer Unternehmensberater“172. Er bezieht sich dabei zunächst auf die Auffassung von Nissen, der den Aspekt einer professionellen Dienstleistung in Abgrenzung von nicht berufsmäßigen Beratungsangeboten hervorhebt. Beratung kann demnach definiert werden als eine „professionelle Dienstleistung, die durch eine oder mehrere, im allgemeinen fachlich dazu befähigte und von den beratenen Klienten hierarchisch unabhängige Person(en) zeitlich befristet sowie meist gegen Entgelt erbracht wird und zum Ziel hat, betriebswirtschaftliche Probleme des beauftragenden Unternehmens interaktiv mit den Klienten zu definieren, zu strukturieren und zu analysieren, sowie Problemlösungen zu erarbeiten, und auf Wunsch ihre Umsetzung gemeinsam mit Vertretern des Klienten zu planen und im Unternehmen zu realisieren."173 Diese Definition exkludiert interne Unternehmensberater bzw. Inhouse-Consultants, da sie aufgrund ihrer organisatorischen und disziplinarischen Eingebundenheit in die Organisation des Auftraggebers nicht über die erforderliche Unabhängigkeit verfügen.174 Kubr weist auf das Risiko unzureichender Unabhängigkeit und Objektivität hin, wenn es in der organisationsinternen Beziehung zwischen Auftraggeber und Beratenden ungeklärte Rollen und wechselseitige Verantwortlichkeiten gibt. Etwa, wenn Beratende „are used for anything that comes into an executive’s mind, and if they feel pressured to please top-management or their direct client instead of giving an impartial view.175 Zur Gruppe der Unternehmensberater können entsprechend auch freiberufliche Individuen ohne Zugehörigkeit zu einer Beratungsgesellschaft hinzugezählt werden, da sie nicht als Mitglieder der Organisation ihrer Auftraggeber aufzufassen sind.176 Paust bezieht sich des Weiteren auf die Definition von Kubr, der Führungskräfte und Organisationen als Adressaten der Beratungsleistung benennt und in der Befähigung zum Lernen einen Beitrag sieht, die gesetzten Ziele zu erreichen: „Management consulting is an independent professional advisory service assisting managers and organizations to achieve organizational purposes and objectives by solving management and business
Vgl. Paust 2012, S. 49. Nissen 2007., S. 3. 174 Vgl. zur Externalität als Merkmal der Unternehmensberatung auch Sommerlatte 2000, S. 75ff. 175 Kubr 2007, S. 51. Auch Appelbaum/Steed 2005 verweisen im Rahmen der Begriffsklärung von Management Consulting auf die große Bedeutung von Objektivität und Unabhängigkeit (S. 69). 176 Vgl. Appelbaum/Steed 2005, S. 69. 172 173
41
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
problems, identifying and seizing new opportunities, enhancing learning and implementing changes.“177 Diese Bezugnahme auf die Lernbefähigung durch Beratende besitzt gerade im Lichte der eingangs178 beschriebenen komplexer werdenden Unternehmensumfelder und im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit Relevanz. Basierend auf den genannten Vorarbeiten definiert Paust: „Unternehmensberatung ist eine professionelle Dienstleistung, die durch einen unternehmensexternen und unabhängigen Berater erbracht wird. Üblicherweise gegen Entgelt werden projekthaft Leistungen für einzelne Manager und/oder Gruppen in Unternehmen erbracht. Die Leistungserbringung hat interaktiven Charakter, bezieht sich auf ein nicht-technisches Feld und beinhaltet die Vermittlung von Informationen und bzw. oder das Vorantreiben von Entwicklungsprozessen des Klienten bzw. die Lösung von Businessproblemen gemeinsam mit diesem. Dabei sind Beratungsanlässe und Ausgangssituationen klientenspezifisch und der Beratungsprozess gestaltet sich individuell unterschiedlich. Er kann, muss aber nicht, die Begleitung der Umsetzung konzipierter Veränderung beinhalten.“179 Begriffe wie Beratung, Unternehmensberatung und Management Consulting werden im Sinne dieser Definition als synonym verstanden180 und auch in der vorliegenden Arbeit so verwendet. Im Hinblick auf Beratungskategorie bzw. Beratungsdisziplin ergibt sich durch die Verwendung des Zusatzes „nicht-technisch“ und „Businessprobleme“ eine Abgrenzung von IT- und technisch orientierter Beratung.181 Dies spiegelt sich beispielsweise in einer nur eingeschränkten Standardisierbarkeit in der Strategieberatung wieder, während sich im IT-Umfeld im hohen Maße Möglichkeiten der Standardisierbarkeit ergeben.182
Kubr 2007, S. 10. Vgl. Einführung, Abschnitt (1): Relevanz einer vertieften Auseinandersetzung mit Lernpraktiken Beratender. 179 Paust 2012, S. 53. 180Vgl. Paust 2012, S. 53. 181 Vgl. exempl. die Gegenüberstellung von Strategie- und IT-Beratung bei Nissen/Kinne 2007, S. 21. 182 Vgl. Nissen/Kinne 2007, S. 21. Paust 2012 räumt ein, dass sich im Einzelfall auch Überschneidungen ergeben können (S. 52). Er folgt damit dem Verständnis von Wimmer/Kolbeck 2001, die Organisations-, Strategie- und Management Beratung als Unternehmensberatung im engeren Sinne, Wirtschaftsprüfung, Finanzberatung und IT-Beratung als Unternehmensberatung im weiteren Sinne begreifen. (S. 527) 177 178
42
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
2.1.2 Individuelles Lernen „Learning is [.] a very complex matter.“183 Es gibt keine allgemein anerkannte Definition.184 Im Hinblick auf die Vielzahl kontroverser Annahmen185, wie Lernprozesse ablaufen, erachten Wittmann und Edelmann „die Schwierigkeit [...] darin, in diese Vielfalt eine Ordnung zu bringen“186. Weitgehend unstrittig ist, dass es sich bei Lernprozessen um etwas handelt, das von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird, in unterschiedlichen Formen auftritt und auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden kann.187 So lassen sich Lernprozesse auf Ebene des Individuums, der Gruppe bis hin zur Organisation beobachten.188 Darüber hinaus wird in der Lernforschung erkennbar, dass sich der traditionelle Fokus auf Erwerb von Wissen heute um Aspekte des sozialen Kontexts, in dem Lernen stattfindet, erweitert.189 Da die vorliegende Arbeit auf Lernpraktiken Beratender fokussiert, steht die individuelle Lernebene im Mittelpunkt der Betrachtung. Mangels einheitlich gebrauchter Definition erfolgt im nachfolgenden Kapitel I.1.2.1 eine Begriffsannäherung unter Bezugnahme auf Erscheinungsformen individuellen Lernens. Zur Verortung im Forschungskontext werden dann in Kapitel I.1.2.2 überblickartig die beiden Sichtweisen der Denkschulen des Behaviorismus und des Kognitivismus als die bedeutendsten Strömungen der modernen Lernpsychologie vorgestellt.
2.1.2.1
Begriffsannäherung
Die Wortherkunft von Lernen lässt sich auf die gotische Bezeichnung für „ich weiß", oder genau übersetzt „ich habe nachgespürt“ (lais), sowie auf die indogermanische Bezeichnung für "gehen" (lis) zurückführen. Lernen wird demnach als Prozess aufgefasst, bei dem man einen Weg zurücklegt und dabei zu Wissen gelangt.190 Die alltägliche Verwendung des Begriffs, man denke etwa an den Erwerb von schulischem Wissen oder von Fertigkeiten zur Ausübung einer Sportart, weist den Aspekt der Veränderung
Illeris 2009a, S. 1. Vgl. Illeris 2009a, S. 1. 185 Vgl. exempl. die Vorstellung von 16 unterschiedlichen Erklärungsansätzen bei Illeris 2009b. 186 Wittmann/Edelmann 2012, S. 207. 187 Vgl. Hislop 2005, S. 142, zit. n. Nikolov 2007, S. 2. 188 Vgl. die Beschreibung des Verhältnisses der vier Lernebenen Individuum, Gruppe, Wissensgemeinschaft und Organisation bei Wiegand 1996, S. 336ff. 189 Vgl. Illeris 2009b, S. 1. 190 Vgl. Mielke 2001, S. 11, zitiert nach Stangl [werner stangl]s Arbeitsblätter o. D.. 183 184
43
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
gegenüber einem früheren Zustand als wesentliche Gemeinsamkeit auf. So definieren Hilgard und Bower, die Verfasser der „wohl einflussreichsten Bestandsaufnahme individualpsychologischer Lerntheorien“191 Lernen als „Veränderung im Verhalten oder im Verhaltenspotenzial eines Organismus hinsichtlich einer bestimmten Situation, die auf wiederholte Erfahrungen des Organismus in dieser Situation zurückgeht, vorausgesetzt, dass diese Verhaltensänderung nicht auf angeborene Reaktionstendenzen, Reifung, oder vorübergehende Zustände (wie etwa Müdigkeit, Trunkenheit, Triebzustände usw.) zurückgeführt werden kann.“192 Die auf das beobachtbare Verhalten(-spotenzial) fokussierte Definition des Lernens kann auf den Einfluss der bis etwa Mitte der 1960er Jahre dominierenden Forschungstradition des Behaviorismus zurückgeführt werden.193 Damit von Lernen gesprochen werden kann, muss demnach die Veränderung auf Erfahrung und/oder Übung des Individuums zurückzuführen und über einen längeren Zeitraum verfügbar sein. Von Lernen kann nicht gesprochen werden, wenn Veränderungen etwa auf Reifung, Medikamenteneinfluss, strukturelle Veränderungen des Gehirns oder Ermüdung zurückführbar sind.194 Und anders als im vorherrschenden Alltagsverständnis, das diese Veränderung meist positiv konnotiert, kann Lernen nicht nur zu einem Gewinn oder zu einer Verbesserung führen, sondern auch zu einem erlebten Verlust bzw. zu einer erlebten Verschlechterung. „So mag ein Autofahrer durch einen Unfall lernen, sich vor dem Fahren zu ängstigen, und in der Folge zu einem gewissen Grad seine routinierte Fahrweise verlieren. Sein verkrampftes Fahrverhalten hat er durch den Unfall gelernt.“195 Analog kann im beruflichen Kontext das Erlernen
unangemessener
Arbeitspraktiken
oder
die
Entwicklung
negativer
Einstellungen angeführt werden, die in der Arbeitspraxis angetroffen werden.196 So kann die fortwährende Teilnahme an einer Arbeitskultur das Verständnis und die
Wiegand 1996, S. 341. Hilgard/Bower 1983, S. 31. 193 Vgl. Kapitel I.1.2.2 (1): Behaviorismus. 194 Schermer 2014, S. 11 in Anlehnung an Hilgard/Bower 1983, S. 31: Bower und Hilgard führen in diesem Zusammenhang angeborenen Reaktionstendenzen, Reifung, oder vorübergehende Zustände wie etwa Müdigkeit, Trunkenheit, Triebzustände an. 195 Schermer 2014, S. 11. 196 Vgl. Billett 1995, S. 6. 191 192
44
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Herangehensweise von Individuen, um ihre Ziele zu erreichen, prägen: „The press of the culture or desire to conform may result in deleterious outcomes.“197 Den vom Behaviorismus „programmatisch ausgeklammerten“198 innerorganismischen Aspekt der Kognition greift die Forschungstradition des Kognitivismus199 auf. Bei der Betrachtung von Lernvorgängen steht die Veränderung kognitiver Strukturen im Mittelpunkt: „Cognitive conceptions of learning, however, focus on the acquisition of knowledge and knowledge structures rather than on behavior per se […].“200 Verhaltensänderung wird dabei als eine Folge des Lernprozesses gesehen und darf nicht mit diesem gleichgesetzt werden. Da der Lernvorgang selbst nicht beobachtet werden kann, ist die Veränderung im Verhalten die einzige Möglichkeit seines Nachweises.201 Überträgt man diese Sichtweise auf den Kontext der Arbeit, stellt Lernen einen Prozess dar, im Zuge dessen Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen von Mitarbeitenden erworben werden um die an sie gestellten Aufgaben und Rollenerwartungen bestmöglich zu erfüllen.202 Dies kann z. B. über die Teilnahme an Trainingsprogrammen oder im Zuge eigener Erfahrung erfolgen.203 Ein solches Lernen im Prozess der Arbeit (workplace learning204) gilt als eine der ältesten und am weitesten verbreiteten Form beruflicher Qualifizierung, in der der Lern- zugleich der Arbeitsort ist.205 Was entsprechende Lernformen betrifft, hat sich die Einteilung in formales und informelles Lernen etabliert. Erstere findet in Unternehmen häufig im Zuge von organisierten und institutionalisierten Formaten wie Schulungen statt.206 Informelles Lernen wird hingegen außerhalb bestehender „Klassenzimmerformate“207 von
Billett 1995, S. 6. Schermer 2014, S. 12. 199 Siehe Kapitel I.1.2.2 (2): Kognitivismus. 200 Shuell 1986, S. 413. 201 Auf neurobiologische Implikationen des Lernens kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit mit sozialwissenschaftlicher Ausrichtung nicht eingegangen werden. Vgl. hierzu den Überblick bei Wittmann/Edelmann 2012, S. 17ff. 202 Vgl. Hicks et al. 2007, S. 64. 203 Vgl. Jacobs/Park 2009, S. 134. 204 Der Begriff „Workplace Learning“ wird vielfältig verwendet ohne allgemein akzeptierte Definition. Dehnbostel 2016 erachtet für den deutschen Sprachraum das Konzept von Hartmann 2015 „Lernen im Prozess der Arbeit“ am treffendsten. 205 Vgl. Dehnbostel/Schröder 2017, S. 2. 206 Vgl. Marsick/Watkins 2001, S. 25f. Arthur/Bennett/Edens 2003. 207 Vgl. Crouse/Doyle/Young 2011, S. 40f. 197 198
45
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Lernenden208 selbst gesteuert und findet im Rahmen von Aktivitäten statt, wie „reflection on daily activities, knowledge sharing with colleagues, and innovative behavior“.209 Darüber hinaus hat sich auch der Begriff beiläufigen Lernens (incidental learning) etabliert, das sich zufällig und ohne bewusste Intention des Lernenden ergibt, beispielsweise im Zuge der Bearbeitung bestimmter anspruchsvoller Aufgaben.210 Diese ersten, freilich nur überblickartigen Ausführungen zum Begriff individuellen Lernens nutzen vermeintlich trennscharfe Kategorisierungen. Dies kaschiert jedoch die Abwesenheit eines geteilten Verständnisses, was unter dem „hypothetischen Konstrukt“211 Lernen konkret zu verstehen ist. So unterscheiden Wittmann und Edelmann in ihrem Überblick über die Lernpsychologie 212 mit „Reiz-Reaktionslernen“, „instrumentellem Lernen“, „Begriffsbildung und Wissenserwerb“ sowie „Handeln & Problemlösen“ weitere vier generische Lernformen. Sie geben zu bedenken, dass sich das Feld der Lernforschung als nach wie vor unübersichtlich darstellt und es nach 100 Jahren moderner Lernforschung immer noch keine Einigkeit darüber gibt, wie viele Unterkategorien von Lernprozessen man sinnvollerweise annehmen sollte.213 Diese nach wie vor bestehende Unübersichtlichkeit lässt es umso notwendiger erscheinen, die Positionen der wichtigsten Forschungsströmungen zum Thema individuellen Lernens, nachfolgend als Denkschulen bezeichnet, überblickartig vorzustellen.
2.1.2.2
Denkschulen
Die Fragen, wie sich Lernen beschreiben und implizite Lernprozesse verstehen lassen, beschäftigt Lernforschende von Anbeginn ihrer Tätigkeit.214 Zur Erklärung des Lernprozesses existiert eine Vielzahl an Modellen und Hypothesen, die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen und Denkschulen zugeordnet werden können.215 Etablierte Erklärungsansätze entstammen vorwiegend der psychologischen Forschung.
Die Bezeichnungen Lernende(r) und Lernsubjekt werden nachfolgend bedeutungsgleich verwendet. Bednall/Sanders/Runhaar 2014, S. 45. 210 Vgl. Crouse/Doyle/Young 2011, S. 41. 211 Schermer 2014, S. 13. 212 Wittmann/Edelmann 2012. 213 Vgl. Hilgard/Bower 1983; Lefrancois et al. 1986. 214 Engel 2016, S. 200. 215 Vgl. das ausführliche Standardwerk von Hilgard/Bower 1983 oder für eine kurze Zusammenfassung und einen Überblick über das Forschungsfeld Schermer 2014. 208 209
46
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Menschliches Lernen stellt hier eines der Hauptthemen dar.216 Nachfolgend werden deshalb der Behaviorismus (Kapitel I.1.2.2 (1)) und der Kognitivismus (Kapitel I.1.2.2 (2)) als die die Lernpsychologie maßgeblich prägenden Denkschulen vorgestellt. Der Konstruktivismus, der das Lernen als aktiven Konstruktionsprozess des Individuums betrachtet217, wird in der Regel zu den großen Lerntheorien gezählt, erfährt seine Bedeutung allerdings eher im schulpädagogischen Kontext218 und wird deshalb im Hinblick auf das Lernen im Kontext der Unternehmensberatung nicht weiter vertieft betrachtet. 2.1.2.2.1
Behaviorismus
Der Behaviorismus (von engl. behavior für Verhalten) gilt als die „einflussreichste und bis in die Gegenwart hineinreichende psychologische Richtung“219 und als eine der ältesten lerntheoretischen Strömungen. Als Geburtsstunde gilt der Aufsatz „Psychology as the behaviorist views it“ von J. B. Watson im Jahr 1913220. Er distanziert sich darin von der bis
dato
vorherrschenden,
auf
subjektiver
Introspektion
(Selbstbeobachtung)
basierenden Bewusstseinspsychologie und plädiert in Anlehnung an das Vorbild der Naturwissenschaften für die ausschließliche Betrachtung beobacht- und damit objektivierbaren Reiz-Reaktionsverbindungen als den grundlegenden Elementen des Verhaltens.221 Anstatt innerpsychischer Vorgänge wie Vorstellungen, Denken und Gefühle stehen damit äußerlich wahrnehmbare Aktivitäten des Organismus im Mittelpunkt des Forschungsinteresses.222 Im Hinblick auf Lernvorgänge ist das Reiz-Reaktions-Schema das grundlegende Paradigma des Behaviorismus: Verhaltensänderung wird als Reaktion auf äußere
Vgl. Kaiser 2001, S. 57. Vgl. Höhne 2017. 218 Konstruktivistische Ansätze fließen beispielsweise in Unterrichtsmethoden ein, die eine zunehmende Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler anstreben und Formen selbstgesteuerten Lernens unterstützen. Im Rahmen der individuellen Förderung von Schülerinnen und Schüler erweisen sich Feedback und Selbsteinschätzung bzw. Reflexion von Lernfortschritten als zielführend. Vogt und Hechenleitner weisen jedoch darauf hin, dass es Sachverhalte gibt, die sich durch Instruktion schneller und effektiver vermitteln lassen, so dass sich ein durchgehend konstruktivistisches Vorgehen im Unterricht verbietet. (Vgl. Vogt/Hechenleitner o. D., S. 8f.) 219 Schermer 2014, S. 19. 220 Vgl. Watson 1913. 221 Vgl. Schermer 20144, S. 19. 222 Vgl. Wittmann/Edelmann 2012, S. 245. 216 217
47
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Umweltreize betrachtet. Eine Veränderung der Reiz-Reaktions-Verbindung wird dann als Lernen
interpretiert,
Einflussfaktoren223 unterschieden
wenn
diese
zurückgeführt
werden225:
nicht werden
auf
Reifung
kann.224
oder
Zwei
andere
Prinzipien
äußere können
Das Kontiguitätsprinzip besagt, dass Lernen auf der
Verknüpfung einer angeborenen Reiz-Reaktionsverbindung mit einem neuen Reiz beruht. Dieses als klassische Konditionierung bekannte Phänomen geht vor allem auf die Arbeiten Pawlows226 zurück. Das Verstärkungsprinzip besagt hingegen, dass Lernen durch angenehme Endzustände verbessert werden kann und, dass unerwünschtes Verhalten durch Bestrafungen verhindert werden kann. Zu dieser Erkenntnis führten die Arbeiten zur instrumentellen Konditionierung von Thorndike227 sowie zu operanter Konditionierung von Skinner228. Zentraler Kritikpunkt an der Sichtweise behavioristischer Lerntheorie ist trotz einer zunehmenden programmatischen Öffnung229 die Fokussierung auf Lernprozesse, die nach außen hin durch sichtbares Verhalten eines weitgehend passiven Lernsubjekts ohne Berücksichtigung innerorganismischer Aspekte (wie z. B. kognitiver und motivationale Einflüsse) erkennbar werden. Schermer erkennt „deutliche Schwächen […], die vor allem durch die weitgehende Vernachlässigung innerorganismischer, speziell kognitiver Variablen hervorgerufen werden.“ 230 Lernvorgänge, die eine aktive Auseinandersetzung des Lernsubjekts mit komplexen Problemen verlangen, können aus der behavioristischen Position somit nur unzureichend analysiert werden.231 Es ist zudem fraglich, ob Erkenntnisse
behavioristischer
Ansätze,
die
weitgehend
auf
Tierversuche232
Vgl. Kapitel I.1.1.1: Begriffsannäherung. Vgl. Wiegand 1996, S. 342. 225 Vgl. Kaiser 2001, S. 57f. 226 Vgl. Pavlov/Baader/Pawlow 1972. 227 Vgl. Thorndike 1931. 228 Skinner/Ortmann 1973. 229 Vgl. Schermer 2014, S. 20: Ein konsequenter Ausschluss innerorganismischer Prozesse konnte nicht lange aufrechterhalten werden. So ist seit dem Neobehaviorismus, auf den in den 1930er Jahren die Einführung sogenannter intervenierender Variablen als hypothetische Größe (z. B. Vorstellungen) zurückgeht, eine programmatische Öffnung zu beobachten. In aktuellen behavioristischen Positionen wird der Verhaltensbegriff etwa um Aspekte des Erlebens ausgedehnt. 230 Schermer 2014, S. 101. 231 Vgl. Schermer 2014, S. 51f. 232 Beispielsweise gewann Pawlow seine Erkenntnisse vor allem im Zuge von Experimenten mit Hunden. Thorndike bevorzugte Katzen als Versuchsobjekte. Wiegand 1996 erachtet in dieser Hinsicht Skinner, als 223 224
48
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
zurückgeführt werden können, auf kognitiv höherwertiges233 Lernen des Menschen übertragen werden können.234 Wenngleich eine Erweiterung der behavioristischen Position über die ausschließliche Verhaltensfokussierung zu beobachten ist und Wiegand auf wichtige Impulse für andere Lerntheorien hinweist235, wird sich die vorliegende Arbeit Ansätzen mit konsequentem Bezug auf menschlich höherwertiges Lernen zuwenden. 2.1.2.2.2
Kognitivismus
Im Zuge der "kognitiven Wende“236 in den 1960er Jahren ist eine grundlegende Neukonzeptualisierung individuellen Lernens beobachtbar.237. Das behavioristisch geprägte Bild von Lernenden als passiv Reagierende wandelt sich zu aktiv verarbeitenden, interpretierenden und kombinierenden Individuen. Es geht bei kognitiven Lerntheorien nicht nur um die Frage, wie der Mensch auf Umweltreize reagiert, sondern auch, in welcher Weise der Mensch diese verarbeitet, wie er Wissen und Fähigkeiten aufbaut, wie neue Erfahrungen mit bestehendem Wissen integriert werden und wie bestehendes Wissen für Problemlösungen aktiviert wird.238 Der Begriff Kognition kann als Sammelbezeichnung für die geistige Aktivität von Menschen aufgefasst werden.239 Es sind jene Vorgänge, durch die ein Organismus Kenntnis von seiner Umwelt erlangt. Es wird angenommen, dass durch Kognitionen wie Wahrnehmung, Vorstellung, Denken, Urteilen Wissen erworben wird und entsprechende kognitive Strukturen (Wissensstrukturen) aufgebaut werden. Wissenserwerb ist damit ein zentraler Bestandteil der Kognitionspsychologie. Es findet häufig kein völliges
denjenigen Wissenschaftler unter den Behavioristen, der die Ergebnisse seiner Tierexperimente am weitestgehenden auf den Menschen zu übertragen versuchte. (Skinner/Ortmann 1973, 84ff.) (S. 344). 233 Vgl. Wiegand 1996, S. 341: Als einer der wenigen geteilten Selbstverständlichkeiten in der aktuellen Lernforschung gilt die Erkenntnis, dass der „homo sapiens“ gegenüber anderen Arten in besonderer Weise befähigt ist zu lernen und sich so seiner Umgebung anzupassen vermag (vgl. Seitelberger 1989, S. 30 zitiert nach Wiegand 1996, S. 341). 234 Vgl. Kaiser 2001, S. 57. 235 Vgl. Wiegand 1996 nennt in diesem Zusammenhang u. a. die Auffassung, wonach Lernen als Assoziationsvorgang zu verstehen ist und das Konzept der Generalisierung, welches sich auf die Ausführung der gleichen Reaktion auf einen prinzipiell unterscheidbaren Reiz bezieht. (S. 343). 236 Vgl. Wiegand 1996, S. 345. 237 Vgl. Wessells 1984, Holzkamp 1993, Gardner/Drolshagen 1989. 238 Vgl. Kaiser 2001, S. 58, Zur Einführung wesentlicher Aspekte Wiegand 1996, S. 346. 239 Vgl. Redaktion Lexikon der Psychologie o. D.c.
49
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Neulernen, sondern ein Umlernen bereits aufgebauter Strukturen statt.
240
Weiteres
wesentliches Charakteristikum kognitiver Lerntheorien ist darüber hinaus, neben der Berücksichtigung von Emotionen, die konzeptionelle Trennung des Lernprozesses von der Ausführung des Gelernten.241 Dies ist insofern bedeutsam, als dass „die Menschen nicht alles in die Tat umsetzen, was sie lernen"242. Verhaltensänderung wird als eine beobachtbare Folge des nicht beobachtbaren Lernprozesses gesehen.243 Als bedeutende Vertreter der kognitiven Denkschule gelten der kanadische Psychologe Albert Bandura und der amerikanische Pädagoge David Kolb: Erstgenannter steht für die „bislang
am
weitesten
entwickelte244
Konzeption
des
Beobachtungs-
und
Modelllernens“245. Zweitgenannter gilt als Mitbegründer des, gerade für den beruflichen Kontext bedeutsamen, Erfahrungslernens.246 Für Wiegand bilden die beiden Ansätze die „für die Organisationsforschung und die Thematik organisationalen Lernens wichtigsten kognitiven Lernkonzepte“247. Er weist darauf hin, dass Kolbs Konzept für viele angloamerikanische Autoren die Grundlage für ihre Konzeptualisierung individueller Lernprozesse in Organisationen darstellt.248 Banduras und Kolbs lerntheoretische Ansätze werden im weiteren Verlauf der Arbeit dazu herangezogen werden, den Erklärungsbeitrag kognitiver Lerntheorien im Hinblick auf Lernpraktiken in der Unternehmensberatung zu bewerten.249
2.2
Spezifischer Lernkontext Beratender
Ob und wie gelernt wird, hängt maßgeblich davon ab, in welchem Kontext es stattfindet. So zeigt beispielsweise die Gedächtnisforschung, dass bei „jedem Inhalt, der als solcher gelernt wird, auch mitgelernt wird, wer diesen Inhalt vermittelt (Quellengedächtnis) und
Wittmann/Edelmann 2012, S. 109f. Vgl. Wiegand 1996, S. 346. 242 Bandura/Verres/Kober 1979 zitiert nach Wiegand 1996, S. 346. 243 Vgl. Schermer 2014, S. 13. 244 Kaiser 2001, S. 59. 245Vgl. Bandura 1986. 246 Vgl. Kolb 1984; Kolb/Kolb 2005, S. 195: Zahlreiche Autoren, die dem Forschungsfeld des Experiential Learning zuzuordnen sind, nehmen Bezug auf Kolbs Arbeit. Allein bis 2005 konnten in der „Experiential Learning Theory Bibliography” 1.876 Einträge gefunden werden. 247 Wiegand 1996, S. 346. 248 Als Autoren nennt Wiegand 1996 beispielhaft Bushe/Shani 1991 und Dale 1998 (S. 364). 249 Vgl. Kapitel I.3: Erklärungsansätze kognitiver Lerntheorie. 240 241
50
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
wo und wann das Lernen (Orts- und Zeitgedächtnis) stattfindet.“250 Ganz allgemein kann Kontext als ein Zusammenhang verstanden werden, in dem etwas steht.251 Eine weiterführende Definition findet sich bei Johns, der, auf die Arbeiten von Cappelli und Sherer252 sowie Mowday und Sutton253 Bezug nehmend, die Bedeutung situativer und umweltbedingter Stimuli auf unterschiedliche Ebenen hervorhebt: „Context refers to situational or environmental stimuli that impinge upon focal actors and are often located at a different level of analysis from those actors.“254 Felin
und
Kollegen
geben
zu
bedenken,
dass
der
Kontextaspekt
in
organisationswissenschaftlichen Studien bislang nur unzureichende Berücksichtigung findet.255 O'Leary & Almond stellten in ihrer Analyse bekannter Management Journals fest, dass dort in bis zu etwa gut einem Drittel der Artikel auf eine Branchenreferenz verzichtet wurde.256 Dies stellt Johns zufolge eine Quelle für Unsicherheit bei der Interpretation von Studienergebnissen dar: „At a minimum, this means that we are unsure just how representative research findings are. At a maximum, it means that theories can be based on atypical cases.”257 Dennoch ist der Trend hin zu einer stärkeren Berücksichtigung von Kontext in den Organisationswissenschaften erkennbar.258 Johns zufolge resultiert dies auch aus enttäuschten Erwartungen im Hinblick auf Ergebnisse einer auf vorwiegend kognitive Aspekte fokussierenden Forschung zu Verhalten in und von Organisationen.259 Hinzu kommt die Kritik einer nur unzureichenden praktischen Anwendbarkeit zahlreicher Forschungsarbeiten in der Organisationspraxis.260 Dies führt
Roth 2003, S. 27. Vgl. Rehfeldt 2012, S. 29. 252 Vgl. Capelli/Sherer 1991. 253 Vgl. Mowday/Sutton 1993. 254 Johns 2018, S. 22. 255 Vgl. Felin/Foss/Ployhart 2015, S. 603: Sie beziehen sich hier auf Organizational Behavior als ein interdisziplinäres Forschungsfeld im Bereich der Organisationswissenschaften. 256 Vgl. O'Leary/Almond 2009. 257 Johns 2018, S. 22. 258 Vgl. Johns 2018, S. 22. 259 Vgl. Johns 2018, S. 23. 260 Vgl. exempl. Rynes/Bartunek/Daft 2001; dies wird in der Zwischenbetrachtung der vorliegenden Arbeit erneut aufgegriffen und vertieft werden, wenn Defizite einer szientistisch ausgerichteten Methodologie thematisiert werden. 250 251
51
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
zu einer zunehmenden Anerkennung der Beschäftigung mit kontextbestimmenden Bezugsebenen261 inner- und außerhalb untersuchter Organisationen.262 Mit der nachfolgenden Konkretisierung des spezifischen Kontextes, in dem sich das Lernen Beratender vollzieht, möchte die vorliegende Arbeit hierzu einen Beitrag leisten. Hierfür werden die drei von Engwall und Kipping263 gewählten Bezugsebenen der Beratungsbranche (Kapitel I.2.2), des Beratungsunternehmens (Kapitel I.2.3) und des Beratungsprojekts (Kapitel I.2.4) genutzt. Zuvor beschäftigt sich Kapitel I.2.1 mit der Tätigkeit Beratender und den damit verbundenen Anforderungen.
2.2.1 Tätigkeit und Anforderungen Beratender Beratende erbringen ihre Beratungsleistungen für externe Auftraggeber wie Unternehmen oder Behörden und agieren damit an der Schnittstelle zwischen ihrer eigenen Beratungsorganisation und dem Klienten.264 Eine allgemeingültige Beschreibung, was ein Unternehmensberater dabei tut, ist insofern nicht trivial, als dass das Berufsbild des Beratenden in den meisten Ländern265, darunter auch Deutschland, nicht geschützt ist.266 Jedermann, unabhängig von seiner Berufseignung, Qualifizierung und Erfahrung darf sich dort „Unternehmensberater“ nennen und selbstständig tätig werden. Auch wenn die Möglichkeit zur Zertifizierung267 gegeben ist, können sich Beratende nicht als Angehörige einer geregelten Profession268 im formalen Sinn, wie z. B. Anwälte oder
Vgl. Kozlowski/Klein 2000. Vgl. Johns 2018, S. 23. 263 Vgl. Engwall/Kipping 2002, S. 2ff. 264 Vgl. die von Donnelly 2011 beschriebene „Dreiecksbeziehung“ Beratender mit Beratungsunternehmen und Klienten (S. 62). 265 Eine der wenigen Ausnahmen bildet Österreich, wo Unternehmensberater der dortig gültigen Gewerbeordnung unterliegen. Zu den rechtlichen Grundlagen vgl. Verbandsschrift zum Berufsbild (Fachverband Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie 2016, S. 3.). 266 Vgl. Paust 2012, S. 7. 267 Wie z. B. die des „Certified Management Consultant“, die auch vom BDU vergeben werden darf (vgl. Reineke 2018). 268 Vgl. zu Merkmalen einer Profession Groß 2003, S. 96ff. 261 262
52
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Steuerberater, betrachten.269 Hierzu fehlt es u. a. an behördlicher Regulierung und an einer einheitlichen Ausbildungsregelung.270 Da eine formale, berufsständisch orientierte Begriffsabgrenzung schwierig ist, soll auf die o. g.271 Definition von Paust zurückgegriffen werden, der Unternehmensberater – in Abgrenzung zu Inhouse Consultants – als externe Professionals beschreibt.272 Unternehmensberater sind diesem Verständnis zufolge zeitlich befristet und im dienstoder werkvertraglichen Auftrag der Klientenorganisation tätig.273 Der Anglizismus „Professional“ basiert auf der Argumentation, dass – wenn Unternehmensberatung schon nicht als formale Profession betrachtet wird – sie doch als professionell betrachtet werden kann. Es wird hierbei auf Facetten des Professionalitätsbegriffs referenziert, wie z. B. die oben274 vorgenommene Zurechnung von Beratungsgesellschaften zur Gruppe der sogenannten Professional Service Firms.275 Hinweise auf die Anforderungen Beratender liefern die vielfältigen, an sie gerichteten Rollenerwartungen.276 Aus Sicht von Straub und Forchhammer geht dies darüber hinaus, Standardlösungen anzubieten, um etwa auf organisatorische Herausforderungen mit Rationalisierungsmaßnahmen zu antworten. Beratende sollen etwa die Rolle des Moderators bei komplexen Analysen übernehmen277 oder Organisationen durch Veränderungsphasen begleiten und hierfür Projekte initiieren.278 Clegg und Kollegen postulieren das Rollenbild von „Störern der organisatorischen Praxis“ mit dem Ziel, neue Handlungsspielräume zu eröffnen.279. Paust identifiziert indes versteckte Rollen wie z. B.
Vgl. Paust 2012, S. 88f. in Anlehnung an Frey 1992, S. 181 sowie Groß 2003: „Da sich jeder als ‚Unternehmensberater‘ bezeichnen kann und dazu keinerlei gesetzlich festgelegte Voraussetzungen erfüllen muss, existiert kein offizieller Qualitätsstandard und somit keine rechtlich geregelte Hilfestellung für die Auswahl eines geeigneten Beraters.“ (S. 95). 270 Vgl. Paust 2012, S. 89 in Anlehnung an Höner 2008, S. 408. 271 Vgl. Kapitel I.1.1.2: Spezifische Merkmale. 272 Vgl. Paust 2012, S. 84. 273 Vgl. Paust 2012, S. 67f. und S. 84. Vgl. in diesem Zusammenhang zu Charakteristika von professionellen externen Mitarbeitern Kaiser/Paust/Kampe 2007, 15ff. 274 Vgl. Kapitel I.1.1.1: Begriffsannäherung. 275 Vgl. Paust 2012, S. 89. 276 Vgl. hierzu den auf Basis einer Literaturanalyse erstellten Überblick von Beratungsfunktionen und den daraus abgeleiteten offiziellen Rollen von Unternehmensberatern bei Paust 2012, S. 76ff. oder die „Klingelanlage im Beraterhochhaus“ bei Neuberger 2002b (S. 136, siehe Anhang A2). 277 Vgl. Straub/Forchhammer 1995, S. 4. 278 Vgl. Grisold/Klammer/Kragulj 2020, S. 603. 279 Vgl. Clegg/Kornberger/Rhodes 2004, S. 36. 269
53
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
die des „Souffleurs“, „Sündenbocks“ oder des „Strohmanns“.280 Aus Sicht von Kubr begegnen Beratenden fünf generische Rollenerwartungen281: Beratende sollen demzufolge nicht nur zur Korrektur bestehender Mängel beitragen, sondern auch zum Erkennen unerwünschter und Herbeiführen erwünschter Situationen. Des Weiteren geht es um die Identifizierung und das Ergreifen von Geschäftsopportunitäten. Viertens sollen sie Veränderung umsetzen, „to survive and to be successful in an environment where continuous change is the only constant”.282 Als wichtigste und beständigste Funktion erachtet Kubr schließlich das Fördern des Lernens im Sinne der Unterstützung des Klienten dabei, sich selbst zu helfen. Die Befähigung steht im Mittelpunkt „to empower the client by bringing new competence into the organization and helping managers and staff to learn from their own and the consultant’s experience.”283 Bei Althaus finden sich Erwartungen an die Tätigkeit von Beratenden in Form von acht formulierten Funktionen wieder: Es geht dabei unter anderem darum, organisationalen Wandel zu initiieren, Fachwissen
einzubringen284
Entscheidungsfindungen
und
aufgrund
der
Externalität
zu
objektiveren
beizutragen.285
Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Rollenerwartungen kann mit Blick auf das Lernen Beratender angenommen werden, dass es neben der Aneignung von Fachwissen auch methodische und sozial-kommunikative Fähigkeiten zu entwickeln gilt.286 Bredl schlussfolgert, dass das Anforderungsprofil des Beratenden die Notwendigkeit mit sich bringt, „sich ständig neue Kompetenzen aneignen beziehungsweise bereits vorhandene ausbauen zu müssen“287. Die Frage, inwiefern der Kontext, in dem dieses Lernen stattfindet, von der Branche geprägt wird, greift das nachfolgende Kapitel auf.
Vgl. Paust 2012, S. 173ff. Vgl. Kubr 2007, S. 10ff. 282 Kubr 2007, S. 16. 283 Kubr 2007, S. 16. 284 Wissenstransfer gilt als eine bedeutende Funktion von Unternehmensberatung (vgl. Kraus/Mohe 2007, S. 268f. in Anlehnung an Pfriem 2002 und Kieser 1998). Genannt wird in diesem Zusammenhang „Fakten-, Erfahrungs-, oder Methodenwissen“ (Kraus/Mohe 2007, S. 268). Hierauf wird der Expertenstatus der Unternehmensberater gegenüber dem Kunden zurückgeführt (vgl. Paust 2012, S. 78). 285 Vgl. Althaus 1994, S. 32ff. 286 Vgl. Bredl/Fleischer 2016 S. 590. 287 Bredl/Fleischer 2016, S. 590. 280 281
54
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
2.2.2 Beratungsbranche Die Arbeit von Unternehmensberatern findet in einer wachstumsstarken und ziemlich unübersichtlichen Branche statt. Im Sinne klassischer Branchenanalyse288 kann sie als Gesamtheit der Beratungsunternehmen mit dem Kernprodukt „Management-Wissen“ aufgefasst werden.289 Anhand der Betrachtung ihrer Entwicklung in Kapitel I.2.2.1 und Struktur in Kapitel I.2.2.2 werden in Kapitel I.2.2.3 Implikationen für den Lernkontext Beratender abgeleitet.
2.2.2.1
Branchenentwicklung
Die Bedeutung und den zunehmenden Bedarf an Beratungsleistung verdeutlicht der Blick auf die Umsatzentwicklung der Branche. Das Marktvolumen bzw. die Gesamtheit der in Deutschland
mit
Beratungsleistungen
erwirtschafteten
Umsätze
wird
vom
Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU) für das Jahr 2020 auf 34,6 Milliarden Euro geschätzt. Subtrahiert man davon gemäß der oben vorgenommenen Definition290 die Umsätze mit IT-Beratungsleistungen, beläuft sich das deutsche Marktvolumen auf knapp 27 Mrd. EUR.291 In den 2010er Jahren verzeichnete der Markt ein konstantes Wachstum in Höhe von 7,3 Prozent (Abbildung 3). Ein moderater Rückgang der Branchenumsätze lässt sich pandemiebedingt im Jahr 2020 erkennen, der vor allem kleinere „Boutiquen“ und Solo-Selbstständige betraf.292 Die Corona-Krise bewirkt jedoch vermutlich nur eine kleine „Delle“ in der Umsatzentwicklung (minus 3,2 Prozent). In seinem im Handelsblatt erschienen Artikel mit der Schlagzeile „Neun Prozent Wachstum: Unternehmensberater wollen 2021 zurück zum Boom“ beschreibt Fröndhoff anhand des steil ansteigenden Branchengeschäftsklimaindexes die Hoffnung, das Vorkrisenniveau zeitnah wieder zu übertreffen.293 Als wesentlicher Wachstumstreiber gelten
immer
noch
die
Anpassung
von
Geschäftsmodellen,
Organisationsstrukturen an die Anforderungen der
Prozessen
und
Digitalisierung.294
Vgl. Scherer 1970; Porter 1980. Vgl. Engwall/Kipping 2002, S. 4. 290 Vgl. Kapitel I.1.1.2: Spezifische Merkmale. 291 Vgl. Murmann 2021, S. 10. 292 Vgl. Murmann 2021, S. 6. 293 Vgl. Fröndhoff 2021. 294 Vgl. Murmann 2017, S. 5. 288 289
55
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
- 3,2% [Mrd. EUR] Ø +7,3%
20,6
19,0
22,3
23,7
25,2
27,0
29,0
31,5
33,8
36,2
34,6
3,1 (8,9%)
HR-Beratung
IT-Beratung 7,8 (22,4%) 8,6 Strategie(25,0%) beratung
15,1 Organisations- & (43,7%) Prozessberatung 2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
2020
Abbildung 3: Entwicklung Branchenumsatz und Zusammensetzung nach Segment295
2.2.2.2
Struktur
In Deutschland gilt die Beratungsbranche mit rd. 25.000 Unternehmen und rd. 184.500 Beratern296 als „mannigfaltig und daher nahezu unüberschaubar“297. Im Vergleich zu den Top-3-Segmenten des deutschen Dienstleistungssektors mit jeweils mehr als 2,8 Millionen Erwerbstätigen handelt es sich um eine kleine Branche.298 Die Struktur in Europa und vor allem in Deutschland kann als fragmentiert bezeichnet werden. Es gibt einerseits einen kleinen Kern von großen, global agierende Branchengrößen wie McKinsey & Company oder der Boston Consulting Group mit einstelligen Milliardenumsätzen. Zum anderen existiert eine große Menge kleiner, überwiegend regional agierender Beratungsgesellschaften und Einzelberatende bzw. Spezialisten.299 Bei Statista schätzen sie, dass 2019 rund 30 Prozent des deutschen Beratungsmarktes von 200 Beratungsunternehmen mit einem jeweiligen Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen
Euro
bedient
wurden.
Demgegenüber
stehen
ca.
11.200
Beratungsunternehmen mit einem jeweiligen Jahresumsatz unter 250.000 Euro und einem Marktanteil von unter 8 Prozent.300 Law bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „Consulting industry is amazingly rich in its diversity and highly fragmented. Single-
Quelle: Eigene Darstellung; vgl. Murmann 2021, S. 6 und 10. Ohne internes Verwaltungspersonal (vgl. Murmann 2021, S. 6). 297 Vgl. Geffroy/Schulz 2015, S. 33. 298 Vgl. Redaktion Statista.com o. D.a. 299 Vgl. Hristozova 2012, S. 16, in Anlehnung an Gross/Poor 2008; Kipping 2002; Wright 2000. 300 Vgl. Redaktion Statista.com o. D.b. 295 296
56
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
person practices compete alongside the multi-national firms offering clients dozens of different services.“301 Angesichts der unübersichtlichen Branchenstruktur bietet die in Abbildung 4 dargestellte Segmentierungslogik von Wohlgemuth Orientierung. Anhand des Honorarumsatzes pro Berater und des durchschnittlichen Projektvolumens werden dort vier Segmente unterschieden. Demnach beraten „Boutiquen“ als kleine Organisationen bzw. Einzelpersonen und große Beratungsfirmen („Premium“) im hochpreisigen Segment ihre Klienten bei Fragestellungen von strategischer Bedeutung. Im Bereich niedrigerer Honorare agieren einerseits kleinere bzw. mittlere Beratungsfirmen („Basis“) in Projekten mit vergleichsweise geringem Volumen zu operativen Themenstellungen. Andererseits finden sich hier auch große Beratungsfirmen mit hoch standardisiertem Beratungsangebot in großvolumigen, zumeist IT-bezogenen Projekten („Systeme“).
Boutique
Premium
- Spitzen Einzelberater
- Primär große Beratungsfirmen
- Kleinere Beratungen
- Großunternehmen als Zielkunden
- Intensive Spezialität
- Internationale Mandate Ø Honorarumsatz pro Berater p. a. (TEUR)
< 285
Basis
Systeme
- Kleinere und mittlere Beratungen
- Primär große Beratungsfirmen - Hohe Standardisierung
- Start-ups/Einzelberater - Eher regionaler Aktionskreis
< 400
- Meist eng verknüpft mit Informationstechnologie
Ø Projektvolumen (TEUR)
Mehrheitlich Mandate von strategischer Bedeutung
Mehrheitlich Mandate mit Schwerpunkt auf operativen Themen
400
Abbildung 4: Marktsegmentierung302
2.2.2.3
Implikationen Lernkontext
Angesichts des hohen Fragmentierungsgrads mit einigen sehr großen und einem „long tail“ vieler kleiner Beratungsunternehmen ist anzunehmen, dass auch hinsichtlich des
Law 2009, S. 63. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Wohlgemut 2016, S. 21, zitiert nach Kawohl/Waubke/Höselbarth 2017, S. 13.
301 302
57
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
alltäglichen Lernens Beratender unterschiedliche Rahmenbedingungen existieren. Man denke etwa an unterschiedliche Formate für die Lernbegleitung in Abhängigkeit des zur Verfügung stehenden Budgets. Während große Beratungskonzerne über die finanziellen Ressourcen zur Investition in professionell organisierte Schulungsprogramme verfügen, ist anzunehmen, dass kleinere Organisationen tendenziell eher darauf angewiesen sind, dass Mitarbeitende mit langjähriger Erfahrung die Ausbildung von junioren Beratenden „on-the-job“ und „off-the-job“ übernehmen.303 Dieser Aspekt wird im nachfolgenden Abschnitt im Rahmen der Differenzierung unterschiedlicher organisationaler Archetypen erneut aufgegriffen werden. Die große Bedeutung von Management-Wissen als das die Branche konstituierende „Produkt“ einerseits und das starke Branchenwachstum andererseits geben zudem Anlass zur Vermutung, dass sich Beratende in einem fortwährendem Abwägungsprozess befinden, ob sie die ihnen zur Verfügung stehende Zeit in eigene Lernaktivitäten oder in die Akquise bzw. Bearbeitung eines oder gar mehrerer parallel laufender Projekte investieren. Angesichts dieser beiden exemplarisch herausgearbeiteten Implikationen
von
Branchenstruktur und -entwicklung auf das Lernen Beratender stellt sich die Frage, ob damit ein spezifischer Lernkontext konstituiert wird. Da Branchenmerkmale wie die Kombination eines hohen Fragmentierungsgrads mit hohen Wachstumsraten auch für andere wissensintensive Branchen denkbar ist, ist anzunehmen, dass die Bezugsebene der Branche den Lernkontext nur in geringem Umfang spezifisch prägt. So mag auch ein Softwareentwickler je nach Zugehörigkeit zu einem kleinen oder großen Unternehmen Zugang zu unterschiedlichen lernbegleitenden Formaten haben. Ebenso mag er sich gerade in Zeiten voller Auftragsbücher vor die schwierige Frage gestellt sehen, welcher Anteil der ihm zur Verfügung stehenden Zeit in eigene Lernaktivitäten investiert werden kann. Nachfolgend soll deshalb als zweite Bezugsebene das Beratungsunternehmen betrachtet und der Frage nachgegangen werden, ob dieses den Lernkontext Beratender stärker spezifisch prägt.
303
Vgl. Richter/Dickmann/Graubner 2008, S. 196.
58
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
2.2.3 Beratungsunternehmen Es existieren unterschiedliche Ausprägungsformen von Beratungsunternehmen, wie bereits im vorherigen Kapitel anhand der Marktsegmentierung zum Ausdruck kam. Für eine weitergehende Typologisierung von Beratungsunternehmen können, neben unscharfen Kriterien wie Fach- und Prozessorientierung304, das Beratungsangebot und die Konfiguration der internen Aufbauorganisation herangezogen werden. Anhand der Betrachtung des Marktangebots in Kapitel I.2.3.1 und Organisationsstruktur von Beratungsunternehmen in Kapitel I.2.3.2 werden in Kapitel I.2.3.3 Implikationen für den Lernkontext Beratender abgeleitet.
2.2.3.1
Marktangebot
Zum Markt hin richten Beratungsunternehmen ihr Angebot bzw. ihre Geschäftseinheiten („Practices“) in der Regel branchenbezogen oder funktional aus. Kubr nennt beispielsweise,
neben
anderen,
die
Funktionen
Strategisches
Management,
Informationstechnologie, Finanzwesen, Marketing und Personalwesen.305 Während große Beratungsunternehmen v. a. im Premium-Segment306 tendenziell ein breites Beratungsspektrum anbieten können, weisen kleinere Gesellschaften häufig einen höheren Spezialisierungsgrad auf.307 Der BDU unterscheidet für den Bereich Strategieberatung acht Spezialgebiete. Zu diesen zählen Sanierungsberatung, Corporate Finance, Business Development und Innovation. Für den Bereich Organisations- und Prozessberatung werden ebenfalls acht Spezialgebiete ausgewiesen. Zu diesen zählen Change-Management, Projektmanagement, Prozessoptimierung und Performance Management. HR-Strategie, Talent Management, und Management-Diagnostik werden als Spezialgebiete der HR-Beratung ausgewiesen.308 Paust gibt jedoch zu bedenken, dass derartige Kategorisierungsversuche „selten trennscharf sind, weil sich Bezeichnungen
Vgl. hierzu Paust 2012, der unter Bezugnahme auf Wimmer/Kolbeck 2001 mit Fachberatung und Prozessberatung zwei „basale Beratungsverständnisse“ unterscheidet (S. 56ff.). Während Berater der erstgenannten Ausrichtung versuchen, durch Einbringung spezifischen Fachwissens die Aufgabenstellungen ihrer Klienten zu bearbeiten, sehen Berater der zweitgenannten Ausrichtung ihren Beitrag in einer „Hilfe zur Selbsthilfe“ bzw. in prozessbegleitenden Maßnahmen zur Steigerung der Problemlösungsfähigkeit der Klientenorganisation. 305 Vgl. Kubr 2007, S. 261ff. 306 Vgl. Kapitel I.2.2.2: Struktur. 307 Vgl. Althaus 1994, S. 13. 308 Vgl. Murmann 2017, S. 8. 304
59
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
und Inhalte von Unternehmen zu Unternehmen unterscheiden.“309 Neben dem zum Markt hin ausgerichteten Beratungsangebot wird deshalb nachfolgend zusätzlich die interne Organisation eines Beratungsunternehmens als Merkmal betrachtet werden.
2.2.3.2
Organisation
Im Sinne der Institutionentheorie kann unter Archetyp310 ein bestimmtes Muster organisationaler Strukturen und Kontrollsysteme verstanden werden, die Ausdruck bestimmter Grundüberzeugungen, Ideen und Wertvorstellungen der Organisation sind. Es geht um vorherrschende Vorstellungen „of what an organization should be doing, of how it should be doing it and how it should be judged, combined with structures and processes that serve to implement and reinforce those ideas.”311 Im Falle von Beratungsunternehmen lässt sich in der Literatur die Diskussion zweier Archetypen312 erkennen: Ein Archetyp stellt die landläufig wohl am ehesten mit Unternehmensberatung assoziierte Partnerschaft dar.313 An ihr können sich obere Führungskräfte bzw. Beratende auf Partner-Level finanziell beteiligen.314 Den zweiten Archetyp repräsentieren Beratungskonzerne, die ihre Ursprünge in benachbarten Branchen wie z. B. der Wirtschaftsprüfung haben können und zusätzlich auch Angebote im Bereich des Management Consulting offerieren.315 Je
nach
Archetyp
lassen
sich
spezifische
Merkmale
erkennen,
die
die
Beziehungsgestaltung mit und die Berufspraxis von Beratenden betreffen. So wird in Partnerschaften in höherem Maße auf vermeintlich „softe“ Aspekte wie Bindungs- und Zugehörigkeitsgefühl der Mitarbeiter zur Organisation und der von ihr vertretenen Werte geachtet.316 Auf Partnerebene mag dies auch darin begründet sein, dass die dauerhafte Werthaltigkeit der eigenen Anteile am Unternehmen von der Leistung der „nachwachsenden Partner“ abhängt. Ein weiterer Unterschied zeigt sich darin, dass Aufgaben des Personalmanagements in Partnerschaften überwiegend noch von Paust 2012, S. 55. Vgl. zur Differenzierung unterschiedlicher Archetypen von PSFs Brock/Powell/Bobhinings 2007. 311 Greenwood/Hinings 1988, S. 295. 312 Vgl. Cooper et al. 1996. 313 Vgl. Greenwood/Hinings/Brown 1990. 314 Richter/Dickmann/Graubner 2008, S. 185. 315 Richter/Dickmann/Graubner 2008, S. 186. 316 Vgl. Richter/Dickmann/Graubner 2008, S. 184. 309 310
60
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Beratenden selbst übernommen werden und nicht, wie im Falle von Beratungskonzernen, von Spezialisten. Möglicherweise sind die genannten Unterschiede auch auf eine unterschiedliche
Unternehmensgröße
mit
entsprechend
höherem
Grad
der
Arbeitsteilung zurückführbar. Nichtsdestotrotz können sie als Indiz dafür gewertet werden, dass es mindestens zwei generische Grundüberzeugungen gibt – nicht nur wie das Beratungsgeschäft grundsätzlich in möglichst effektiver Weise organisiert und erbracht werden kann, sondern auch wie die Beziehungsgestaltung mit und die Qualifizierung von Beratenden erfolgen kann.
2.2.3.3
Implikationen Lernkontext
Im Hinblick auf das Angebot von Beratungsunternehmen wird deutlich, dass es sich von dem
vieler
anderer
Dienstleistungsanbieter
in
puncto
Komplexität
und
Qualifikationsdifferenz der Beteiligten unterscheidet. Man denke etwa an den hohen Spezialisierungsgrad von Sanierungsberatung.317 Hieraus resultiert für den Auftraggeber eine hohe Unsicherheit der Kaufentscheidung. Es existieren kaum objektive Kriterien, anhand derer geeignete Anbieter im Vorfeld oder sogar noch während der Zusammenarbeit sicher identifiziert werden könnten.318 Wenn überhaupt, kann die Leistung im Hinblick auf Ihre Qualität nach Abschluss des Auftrags bewertet werden.319 Die Arbeit Beratender wird von Engwall und Eriksson pointiert als „one of the most intangible types of work one can think of“320 beschrieben. Viele Klienten orientieren sich deshalb ersatzweise an Merkmalen wie Reputation, da davon ausgegangen wird, dass diese als Indiz für die Kompetenz des Dienstleisters verstanden werden kann. 321 Für Beratende erwächst daraus die Herausforderung, stets als erfahrene Experten auftreten zu müssen, die ihren Klienten Souveränität und Sicherheit im Tun vermitteln. Lernpraktiken wie kritische (Selbst-)beobachtung322 sowie das möglicherweise
Einen Überblick zu Grundlagen ordnungsgemäßer Restrukturierung und Sanierung (GoRS) gibt der Leitfaden des Fachverbandes Sanierungs- und Insolvenzberatung im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater BDU e.V. (BDU 2015). 318 Vgl. Paust 2012, S. 94; Kaiser/Paust 2004, S. 29f. 319 Vgl. Ringlstetter/Kaiser/Bürger 2004, S. 13. 320 Engwall/Eriksson 2005, S. 149. 321 Vgl. Paust 2012, S. 94 in Anlehnung an Engwall/Eriksson 2005, S. 149ff. 322 Siehe Kapitel I.3.1.2 (2): Lernpraktiken: Beobachtung und Einübung. 317
61
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
zeitaufwändige Sammeln bzw. Bearbeiten eigener Erfahrungen 323 sind deshalb immer unter dem Aspekt hinterfragenswert, ob deren Anwendung zu einem Verlust der eigenen Souveränität bzw. Reputation führen könnte. Zudem erscheint es auch angesichts branchenüblich hoher Honorarsätze aus Klientensicht nachvollziehbar, lieber möglichst schnell konkrete Handlungsempfehlungen zu bekommen als Nachfragen beantworten zu müssen, die dem Lernfortschritt von Beratenden dienen. Was die Organisation von Beratungsorganisationen betrifft, hat sicherlich der jeweilige Archetyp mit Einfluss darauf, wie das Lernen Beratender beschaffen ist. So werden in Partnerschaften Weiterbildungsmaßnahmen tendenziell häufiger noch unter Beteiligung von Führungskräften bis Partnerebene durchgeführt. In Beratungskonzernen erfolgt dies tendenziell
öfter
von
Senioritätsdistanz.324
externen
Trainern
oder
Beratenden
mit
geringerer
Somit kann angenommen werden, dass das Lernen in
Partnerschaften im Vergleich zu Beratungskonzernen in noch höherem Maße davon abhängt, inwiefern Beratende an Beratungspraxis partizipieren können, um dort Zugang zu interessanten Projekten und senioren Führungskräften zu erhalten, von denen sie lernen können. In Beratungskonzernen mag dies zumindest teilweise durch die Teilnahme an Trainings und formal organisierten Weiterbildungsformaten kompensiert werden können. Archetypen-übergreifend kann die Unternehmenskultur von Beratungsgesellschaften als kompetitiv charakterisiert werden, was sich zum Beispiel in leistungsorientierter Vergütung, internen Performance-Ranglisten und aufwändigen Beförderungsprozeduren widerspiegelt. Verweilt ein Beratender zu lange auf einer Laufbahnstufe, wächst der Druck sich zu verbessern oder über einen Ausstieg nachzudenken. Entsprechend ist eine hohe
Mitarbeiterfluktuation
Laufbahnstufen.325
zu
beobachten
–
vor
allem
auf
den
unteren
Diese hohe Leistungsorientierung kann eine Gradwanderung
zwischen Kooperation und Konkurrenz zur Folge haben. Zum einen sind Beratende auf eine gute Zusammenarbeit in ihren Teams angewiesen, um Kunden gerade bei komplexen Aufgabenstellungen gebündelte Kompetenz und benötigte Ressourcen bereitzustellen.
Siehe Kapitel I.3.2.2 (2) Lernpraktiken: Sammeln und Verarbeiten eigener Erfahrungen. Vgl. Richter/Dickmann/Graubner 2008, S. 184. 325 Vgl. Costas/Kärreman 2015, S. 68. 323 324
62
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Andererseits stehen dieselben Berater in Konkurrenz zueinander, z. B. in Bezug auf möglichst prestigeträchtige Projekte.326 Diese exemplarisch herausgearbeiteten Implikationen von Angebot und Organisation auf das
Lernen
Beratender
lassen
vermuten,
dass
die
Bezugsebene
des
Beratungsunternehmens den spezifischen Lernkontext Beratender stärker prägt als die Bezugsebene der Branche. Gleichwohl ist anzunehmen, dass ein ähnlicher Lernkontext auch in anderen PSFs mit vergleichbarem Angebot und ähnlichen organisatorischen Archetypen
–
man
denke
etwa
an
Wirtschaftsprüfungsunternehmen
oder
Anwaltskanzleien – existieren mag. Deshalb soll nachfolgend mit dem Beratungsprojekt die dritte Bezugsebene in die Betrachtung miteinbezogen werden und daraufhin überprüft werden, in welchem Maße sie den beratungsspezifischen Lernkontext prägt.
2.2.4 Beratungsprojekt Projekte
bilden
das
typische
Arbeitsumfeld
Beratender.327
Im
Zuge
der
Projektbearbeitung finden die alltäglichen Arbeitspraktiken Beratender statt zur Erbringung der Beratungsleistung, zur Interaktion mit dem Klienten und zur Realisierung des intendierten Kundennutzens.328 Das Beratungsprojekt bietet, angesichts wechselnder Aufgabenstellungen
für
verschiedene
Auftraggeber
in
fortwährend
neu
zusammengesetzten Teams, eine „authentische, komplexe und soziale Lernsituation“329. Auch wenn Analyse- und Lösungsansätze mitunter ähnlich ausgeprägt sein mögen, haben es Beratende innerhalb neu zusammengesetzter Teams immer wieder mit neuen Problemstellungen bei unterschiedlichen Auftraggebern zu tun.330 Anhand der Betrachtung allgemeiner Merkmale in Kapitel I.2.4.1 und der Organisation von Beratungsprojekten in Kapitel I.2.4.2 werden in Kapitel I.2.4.3 Implikationen für den Lernkontext Beratender abgeleitet.
Vgl. Engwall/Kipping 2002, S. 7. Vgl. Gschmeidler/Lindner 2001, S. 327. 328 Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 255 in Anlehnung an Lovelock 1983; Løwendahl 2009. 329 Bredl 2005, S. 69. 330 Vgl. Bredl 2005, S. 69. 326 327
63
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
2.2.4.1
Merkmale
Projektbasiertes Arbeiten ist mittlerweile zu einer üblichen Erscheinungsform in der Wirtschaft geworden331, die einen beträchtlichen Anteil der Arbeitszeit von Mitarbeitern einnimmt.332 Im Hinblick auf die Eigenschaften der zu bewältigenden Aufgabe kann ein Projekt allgemein als eine „relativ innovative und risikobehaftete Aufgabe von erheblicher Komplexität“ verstanden werden, „die aufgrund ihrer Schwierigkeit und Bedeutung meist ein gesondertes Projektmanagement erfordert.“333 Im Sinne von Burke und Morley kann ein Projekt als „a temporally bounded group of interdependent organizational actors, formed to complete a complex task“334 der Kategorie temporärer Organisationen zugeordnet werden, dessen Zweck sich aus einer mit Unsicherheit behafteten, komplexen und einzigartigen Aufgabe ergibt.335 Indem spezifische Arbeitsaufgaben als Projekte gerahmt werden, können sie aus dem konstanten Fluss der täglichen Arbeitsroutine herausgelöst und so zu besser handhabbaren Objekten gemacht werden, die von einem Projektmanagement beplant, gemonitort und nachgehalten werden können.336 Im Sinne eines technischen und rationalen Management-Verständnisses stehen dabei Planung und Kontrolle für die erfolgreiche Implementierung von besonderen Aufgaben im Mittelpunkt. Projekt-Manager und ihre Teams sind demnach angehalten, spezifische Ziele zu identifizieren, eine Reihe von Maßnahmen zu ihrer Erreichung zu planen und diese schließlich in geeigneter Art und Weise, bzw. unter Zuhilfenahme geeigneter „Tools“ und Methoden umzusetzen.337 Diese für Projekte typische Art der Aufgabenbearbeitung wird als anregende Erfahrung beschrieben, ganz im Kontrast zu bürokratischen Arbeitsformen.338 Projektarbeit gilt einerseits als eine moderne und erstrebenswerte
Vgl. exempl. Ekstedt/Lundin/Wirdenius 1999; Hobday 2000. Eine Kategorisierung wissenschaftlicher Denkschulen, die die Theoriebildung im Projektmanagement nachvollziehen lässt, findet sich bei Söderlund 2011. 332 Vgl. Lindgren/Packendorff/Sergi 2014, S. 1385 in Anlehnung an Grey/Garsten 2001; Lindgren/Packendorff 2006; Rowlands/Handy 2012. 333 Vgl. Voigt/Schewe o. D.. 334 Vgl. Burke/Morley 2016, S. 1237. 335 Vgl. Burke/Morley 2016, S. 1242ff. 336 Vgl. Rolfe 2011, demzufolge Projektmanagement eher „als eine existenzielle Reaktion auf eine organisatorische Krise aufgefasst werden sollte als die systematische Anwendung von Grundsätzen zur Erreichung vorher festgelegter Ziele.“ (S. 59). 337 Vgl. Lindgren/Packendorff/Sergi 2014, S. 1385f. 338 Eine Gegenüberstellung von Merkmalen bürokratischer Abläufe mit Projektarbeit findet sich bei Cimcil et al. 2009, S. 81. 331
64
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Form des Arbeitens339, deren Erfolg auf Leidenschaft und engagierter Teamarbeit basiert.340 Andererseits weisen Gschmeidler und Lindner darauf hin, dass die projekttypisch höhere Taktfrequenz des Arbeitens zwar „schneller zu den gewünschten Ergebnissen führt, aber auch eine nicht zu unterschätzende und vor allem anders gelagerte Belastung physischer und psychischer Natur für die beteiligten Personen führt“341. Das Project Management Institute (PMI342) als der weltweit größte Fachverband für Projektmanagement
zur
Entwicklung
globaler
Normen
und
Qualifizierungen
charakterisiert ein Projekt, im Hinblick auf die Einzigartigkeit und zeitliche Befristung der Aufgabe in Abgrenzung zu repetitiven Tätigkeiten, als „a temporary endeavor undertaken to produce a unique product, service, or result”.343 Angesichts der, in der Unternehmenspraxis mit dem Schlagwort VUKA344 assoziierten Zunahme von Anforderungen an Komplexitätsbewältigung und Reaktionsgeschwindigkeit von Unternehmen zur Aufrechterhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit kann von einer wachsenden Bedeutung des Projektgeschäfts ausgegangen werden.345 Vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen als Unternehmensberater beschreiben Gschmeidler und Lindner das Projektgeschäft als „das strukturierte Aufsetzen und erfolgreiche Abwickeln von klar definierten Arbeitsaufträgen mit einem festgesetzten Budget innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens.“346 Die Abgrenzung zu Linienaufgaben konkretisieren sie anhand von sieben idealtypischen Merkmalen347: -
Komplexität: Es gibt keine vorgegebenen bzw. vorhandenen Abläufe, Richtlinien und Vorschriften.
Vgl. Grabher 2002. Vgl. Lindgren/Packendorff/Sergi 2014, S. 1386 in Anlehnung an Colwell 2005. 341 Gschmeidler/Lindner 2001, S. 328. 342 https://www.pmi.org (Abrufdatum: 30.12.2019). 343 Project Management Institute 2008, S. 5, zit. nach Heagney 2012, S. 2. 344 Vgl. Einführungskapitel (1): Relevanz einer vertieften Auseinandersetzung mit Lernpraktiken Beratender. 345 Vgl. analog die Einschätzung zur zunehmenden Bedeutung temporärer Organisationen Burke/Morley 2016, S. 1251. 346 Gschmeidler/Lindner 2001, S. 327. 347 Vgl. Gschmeidler/Lindner 2001, S. 328. 339 340
65
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
-
Zielvereinbarung: Man bearbeitet operationalisierte Aufgabenstellungen, die zumeist aus strategischen Vorgaben ableiten sind.
-
Zeitliche Befristung: Anfang und Ende des Projekts sind festgelegt.
-
Begrenzte Ressourcen: Es existiert ein Planungsrahmen im Hinblick auf Kosten bzw. Mitarbeiterkapazitäten.
-
Neuartigkeit und Risiko bestehen in technischer, wirtschaftlicher und terminlicher Hinsicht.
-
Projektspezifische Organisation: Die Mitarbeiterzusammensetzung ist auf die Projektlaufzeit begrenzt.
-
Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Die Rekrutierung von Mitarbeitenden erfolgt abteilungs- bzw. ressort- bzw. unternehmensübergreifend.
2.2.4.2
Organisation
Der Ablauf von Beratungsprojekten kann formal anhand mehrerer idealtypischer Arbeitsphasen beschrieben werden. Bezogen auf die idealtypische Vorgehensweise der Projektarbeit von Beratern unterscheidet Hartl die Durchführung einer Ist-Analyse, die Ableitung einer geeigneten Sollkonzeption, deren Umsetzung bzw. UmsetzungsControlling sowie die Projektübergabe und den Abschluss.348 In der Projekt-ManagementLiteratur
nimmt
die
Unterscheidung
von
Phasen
gemäß
der
Logik
eines
Projektlebenszyklus eine prominente Stellung ein: „The project life cycle can be defined as a sequence of major phases through which the project evolves from beginning to end, a sequence in which each phase is separated by approval gates.“ 349 Alternativ findet sich in der praxisnahen Literatur der Fokus auf sogenannte Prozessgruppen, die sich jedoch auch den Phasen „initiating, planning, executing and closing“350 zuordnen lassen. Diese lassen sich, freilich idealtypisch, für den Beratungskontext in Anlehnung an Besner und Hobbs sowie Hydle und Breunig konkretisieren: -
Die Einleitungsphase beginnt nach Vertragsunterzeichnung mit dem Auftraggeber und umfasst die Auswahl eines Projektleiters und seines Projektteams. Des
Vgl. Hartel 2009, S. 16f. Besner/Hobbs 2006, S. 39. 350 Vgl. Besner/Hobbs 2006, S. 39 in Anlehnung PMBOK® Guide (Project Management Institute, 2004). 348 349
66
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Weiteren erfolgt die Abschätzung notwendiger zeitlicher Aufwände und spezifischer abzuliefernder Projektergebnisse.351 Dieser Phase kann auch die Festlegung der Projektstrukturorganisation zugeordnet werden mit definierten Teilprojekten
und
„Inthronisierung“
von
Projektentscheidungs-
und
Eskalationsgremien. Man denke hier an die Einrichtung eines Lenkungs- oder Steuerungsausschusses.352 -
In der Planungsphase wird innerhalb der Beratungsorganisation der Zeitplan festgelegt aus dem hervorgeht, welche Experten wann beteiligt werden sollen. Dieser Phase ist zudem die Budgetkontrolle zuzuordnen sowie die Planung des Berichtswesens bzw. „Reporting“ an den Auftraggeber und die damit verbundenen abzuliefernden Ergebnisse.353 Hieraus abzuleitende Hauptaufgaben, Tätigkeiten und Ergebnistypen stellen die wesentlichen Eckpfeiler der Planung dar. Diese gilt es sukzessive zu operationalisieren, d. h. in Arbeitspakete und Detailaufgaben herunterzubrechen.354
-
In der Ausführungsphase findet schließlich die durch das Projektteam erbrachte Beratungsleistung statt.355 Hierzu können Aktivitäten mit Bezug auf Analyse, Ableitung von Handlungsempfehlungen und die Unterstützung ihrer Umsetzung gezählt werden.356
-
Ergebnisse werden in der Kontrollphase nachgehalten und an den Kunden kommuniziert. Ziel ist eine wirksame Steuerung des Projektverlaufs durch eine fortlaufende Identifizierung von Projektrisiken, das frühzeitige Erkennen von Terminverzögerungen, das Erkennen von Qualitätsmängeln und ggf. das Aufdecken von Informationsdefiziten bei Projektbeteiligten.357
Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 259. Vgl. Gschmeidler/Lindner 2001, S. 332. 353 Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 264. 354 Vgl. Gschmeidler/Lindner 2001, S. 330. 355 Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 265. 356 Vgl. Hristozova 2012, S. 14, in Anlehnung an Biswas/Twitchell 2002; Kumar/Simon/Kimberley 2000. 357 Vgl. Gschmeidler/Lindner 2001, S. 337. 351 352
67
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
-
Im Rahmen der Abschlussphase werden schließlich Erfahrungen reflektiert („lessons learnt“), notwendige interne administrative Tätigkeiten durchgeführt und Kunden-Feedback eingeholt.358
Der schematisch beschriebene Phasenverlauf eines idealtypischen Projekts soll freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Projektpraxis zahlreiche „Stolperfallen“ bereithält. So kann Projektmanagement auch als der Umgang mit dem „Nicht-Wissen“, dem Unbekannten und den zahlreichen Risiken im Projektverlauf betrachtet werden.359 Vor dem Hintergrund von Komplexität und Einzigartigkeit ist die Forderung nach klar definierter Zeitspanne, Budgetrestriktionen und Zielen nachvollziehbar, in der Praxis häufig jedoch nicht immer umsetzbar.360 Bereits das vermeintlich am einfachsten zu definierende Merkmal, die zeitliche Befristung im Sinne eines klar festgelegten Projektstarts und -endes, unterliegt in der Praxis nicht selten einer Relativierung: Häufig kann beobachtet werden, dass wiederholte Veränderungen des Projektauftrages im Sinne eines „Moving Target“ während der Laufzeit zu permanenten Verschiebungen des Projektendes führen. „Das Projekt gewinnt dadurch sehr schnell den Charakter einer nicht mehr enden wollenden Aufgabe und verliert an projektspezifischer Dynamik und Arbeitsgeschwindigkeit.“361 Diesen Herausforderungen wird versucht mit einer entsprechend effektiven Projektsteuerung zu begegnen, die sich als zentraler Bestandteil der Projektorganisation wiederfindet. Beratungsprojekte werden in der Regel von zeitlich befristet zusammengestellten Projektteams mit ggf. wechselnder Besetzung bearbeitet.362 Im Rahmen dessen erfolgt die Interaktion zwischen den Mitarbeitenden des beauftragten Beratungsunternehmens und denen
des
beauftragenden
Klientenunternehmens.363
Abbildung
5
zeigt
die
Aufbauorganisation eines typischen Beratungsprojekts.
Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 264f. Vgl. Gschmeidler/Lindner 2001, S. 336. 360 Vgl. Heagney 2012, S. 2. 361 Gschmeidler/Lindner 2001, S. 328. 362 Vgl. Costas/Kärreman 2015, S. 68. 363 Vgl. Hristozova 2012, S. 14, in Anlehnung an Fink/Knoblach 2003. 358 359
68
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Projektlenkungsausschuss
• Informationen • Entscheidungsgrundlagen
• Eskalationsstufe • Strategische Vorgaben Projektleitung
• Fachliche/inhaltliche Ergebnisse • Entscheidungsgrundlagen
Teilprojekte
• Nennung der Verantwortlichen • Arbeitsaufträge • Koordination
Vertreter Beratungsunternehmen Vertreter Klientennternehmen
Abbildung 5: Typische Organisation eines Beratungsprojekts364 Anders als etwa in der Bauwirtschaft, in der eigens temporäre Organisationen von Subunternehmen zur Fertigstellung eines Bauprojekts gegründet werden365, bestehen Beratungsunternehmen auch nach Ende der Projektdurchführung fort. Im Falle größerer Projekte mit mehreren Teilprojekten und mehreren involvierten Fachbereichen erfolgt die Steuerung in der Regel über einen Projektlenkungsausschuss. Diesen besetzen Führungskräfte, auf deren Ebene das Projekt angesiedelt ist. Hierzu können Abteilungsleiter oder Mitglieder der Geschäftsführung zählen, die dann projektbezogene Entscheidungen treffen, als Eskalationsinstanz fungieren und strategische Vorgaben definieren. Die Projektleitung berichtet direkt an den Lenkungsausschuss und übernimmt die fachliche Steuerung der Teams. Im Falle der Einbindung Beratender sind üblicherweise alle drei genannten Arbeitsebenen dual, d. h. mit jeweils mind. einem Vertreter des beauftragenden Unternehmens und einem Beratenden besetzt.366 Dies bringt für Beratende sowohl eine steuernde Rolle im Projektlenkungsausschuss und in
Quelle: Verändert übernommen aus Gschmeidler/Lindner 2001, S. 333. Vgl. Gann/Salter 2000. 366 Vgl. Gschmeidler/Lindner 2001, S. 333. 364 365
69
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
der Projektleitung als auch eine fachlich unterstützende Rolle in den Teilprojekten mit sich.
2.2.4.3
Implikationen Lernkontext
Die Betrachtung von Merkmalen, Ablauf und Organisation von Beratungsprojekten vermittelt einen Eindruck, in welchem Kontext das alltägliche Lernen Beratender stattfindet. Lernen Beratender vollzieht sich in von Komplexität und hohem Interaktionsgrad geprägten Situationen im Zuge der Bearbeitung wechselnder Aufgabenstellungen für unterschiedliche Auftraggeber in einer zeitlich begrenzten Teamzusammensetzung. Es gilt Daten und Informationen zu generieren, Kontakte und Netzwerke zu knüpfen, sowie lösungsorientiert zu handeln. Engwall und Kipping weisen auf die enge Verzahnung mit der Management-Praxis als ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal
zur
Arbeitspraxis
anderer
wissensintensiver
Dienstleistungsunternehmen hin: „What distinguishes consulting from the other players is its close interaction with management practice. It could therefore be argued that consultancies actually derive most, if not all, of their knowledge from client firms.”367 Das Projekt kann deshalb als wesentliche Wissensquelle für Beratende betrachtet werden oder wie es Werr treffend formuliert: „Most knowledge in this industry is generated in ongoing client assignments.”368 Beispielhaft kann hier der zunehmende Digitalisierungsund Automatisierungstrend genannt werden, was zu einer Bedeutungszunahme von digitalen Kompetenzen Beratender führt.369 Es ist anzunehmen, dass diese weitgehend im laufenden Projekteinsatz zu entwickeln sind, da nur selten die Möglichkeit bestehen dürfte, auf existierende Erfahrungswerte seitens des Klienten oder Kollegen sowie auf formale Qualifizierungsformate zurückzugreifen. Auf letzteres weist der hohe Zustimmungsgrad von knapp 90 Prozent in einer Befragung des BDU unter 500 Beratungsunternehmen unterschiedlicher Größenklassen hin zur Aussage „Die Anforderungen bei digitalen Themen machen völlig neue Weiterbildungs- und Qualifizierungsprogramme für Unternehmensberater intern notwendig.“370
Kipping/Engwall 2002, S. 8. Vgl. Werr/Stjernberg 2003, S. 92. 369 Vgl. Kawohl/Waubke/Höselbarth 2017, S. 30. 370 Murmann 2017, S. 14. 367 368
70
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Der Lernkontext Beratender wird nicht nur durch die große Bedeutung aktuellen Wissens bestimmt, sondern auch durch die spezifische Art der Problemstellungen im Rahmen ihrer Projekteinsätze. Während etwa Anwälte oder Ingenieure im Rahmen ihrer Mandate in der Regel auf vorab erlernte Rechtsgrundsätze bzw. technische Normen Bezug nehmen können, stehen Beratende vor der Herausforderung, in ihren wechselnden Projekteinsätzen klientenspezifisches Wissen und Können stets wieder aufs Neue zu erlangen. Jeder Projektstart stellt einen Eintritt in ein neues Umfeld dar, der mit Unsicherheit verbunden ist. Das kundenspezifisch anzueignende bzw. zu entwickelnde Wissen ist sozial eingebettet und kontextabhängig, „that it may not be possible to simply transfer knowledge developed in a previous context and apply it to a new one”371. Es ist zudem damit zu rechnen, mit entsprechend unstrukturierten oder – von Ringlstetter und Kollegen treffend als „bösartig“ charakterisierten – Problemstellungen umgehen zu müssen, die sich nicht mit einfachen Heuristiken bearbeiten lassen: Diese unterscheidet die Tätigkeit Beratender etwa von der „von Gebäudereinigern, die relativ klar strukturierte Problemstellungen abarbeiten“372. Die zur Handhabung solcher Problemstellungen erforderlichen Lernvorgänge Beratender sollten gegenüber dem beauftragenden Klienten nur in minimalem Umfang erkennbar werden.373 Seniorität und Expertise zu Geschäftsmodell und Branche werden schließlich seitens des beauftragenden Klienten vorausgesetzt.374 Für Beratende bedeutet dies jedoch nicht nur, sich relevantes Wissen zügig anzueignen, sondern sowohl gegenüber konkurrierenden Beratern als auch dem Kunden selbst, einen Wissensvorsprung zu realisieren.375 Es gleicht dann einem Balanceakt, sich im Rahmen wechselnder Projekteinsätze schnell in neue Aufgaben einzuarbeiten und gleichzeitig genügend Wissen und Können zu demonstrieren, um als Experten wahrgenommen zu werden. Weiter macht auch die Betrachtung des Ablaufs und typischer „Stolperfallen“ von Beratungsprojekten deutlich, dass Beratende in ihrer täglichen Arbeitspraxis mit einem
Bourgoin/Harvey 2018, S. 1612 in Anlehnung an Van Maanen J./Schein 1977. Vgl. Ringlstetter/Kaiser/Bürger 2004, S. 13. 373 Vgl. Bourgoin/Harvey 2018 zur Herausforderung des Umgangs mit „learning–credibility tension“, der Diskrepanz zwischen den Lernbedürfnissen während des Eintritts in eine neue Organisation einerseits und der Sicherstellung, als Experte wahrgenommen zu werden, andererseits. 374 Vgl. Geffroy/Schulz 2015, S. 51. 375 Vgl. Übersicht zu kritischen Ressourcen von Professional Service Firms bei Ringlstetter/Kaiser/Bürger 2004, S. 12f. 371 372
71
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
breiten Anforderungsspektrum konfrontiert sind, das nicht nur die Lösung komplexer fachlicher Probleme, sondern auch ein gutes Beziehungsmanagement umfasst. Schließlich erfordert die Bearbeitung von Themen mit hoher Spezifität die Interaktion mit dem Klienten.376 Zudem wird der Erfolg Beratender ab einer gewissen Hierarchiestufe maßgeblich daran gemessen, inwieweit sie in der Lage sind, Klienten zu akquirieren, zu bedienen
und
zu
binden.377
Dies
wird
aufgrund
des
zunehmenden
Professionalisierungsgrads auf Klientenseite immer anspruchsvoller. Hierzu tragen auch ehemalige Berater bei, die „in die Linie“ wechseln und die Einrichtung von InhouseBeratungen bei. Für Beratende hat dies greifbare Konsequenzen, wie ein zunehmender Verhandlungs- und Preisdruck sowie höhere Hürden, weitere (unerfahrene) Berater mit zu „verkaufen“.378 Schließlich prägen auch spezielle Rahmenbedingungen von Beratungsprojekten das Lernen Beratender. Das betrifft nicht nur hohe Reisebereitschaft und den Willen zu langen Arbeitszeiten. Wiederkehrende und standardisierte Arbeitsabläufe sind im Projektalltag meist nicht vorhanden. Beratende haben daher Flexibilität, Eigenmotivation und Initiative sowie Selbstständigkeit unter Beweis zu stellen. Aufgrund des regelmäßig engen Zeitplanes sind der zeitliche Anspannungsgrad und somit die psychische wie auch physische Arbeitsbelastung als hoch einzuschätzen.379 Es ist somit gerade in der Beratung – vermutlich noch in größerem Umfang als in vielen anderen Professionen – davon auszugehen, dass Lernzeiten und auch die geographischen Lernorte stark variieren. Diese richten sich stark an den Anforderungen des jeweiligen Beratungsprojekts aus, das nicht nur die zentrale Schnittstelle für Zusammenarbeit und Wissensaustausch zwischen dem Beratenden und dem Klienten bildet. Es bietet auch eine Plattform, die Beratende dazu nutzen können, sich das erforderliche Wissen anzueignen und miteinander auszutauschen.380 Die genannten Implikationen, die sich aus den Merkmalen und der Organisation von Beratungsprojekten für den Lernkontext ableiten lassen, sind nur schwer auf andere
Vgl. Paust 2012, S. 94. Vgl. van Rooij/Merkebu 2015, S. 277, in Anlehnung an Broderick 2011. 378 Vgl. Kawohl/Waubke/Höselbarth 2017, S. 18. 379 Vgl. Gschmeidler/Lindner 2001, S. 329. 380 Vgl. Fu 2014, S. 736. 376 377
72
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Professionen übertragbar. Dies lässt erkennen, dass diese Merkmale den Lernkontext Beratender
in
besonderer
Weise
spezifisch
prägen.
Die
Bezugsebene
der
Beratungsbranche weist hingegen in puncto Entwicklung und Struktur noch große Ähnlichkeit mit anderen wissensintensiven Branchen auf. Auch die Bezugsebene Beratungsunternehmen weist im Hinblick auf Marktangebot und Organisation gewisse Ähnlichkeiten mit anderen Unternehmenstypen auf. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wird in Abbildung 6 in stark schematischer Art und Weise ein zunehmender Grad spezifischer Prägung des Lernkontextes Beratender abgebildet.
1
Beratungsbranche
2 Beratungsunternehmen
3 Spezifische Prägung
schwach
mittel
Beratungsprojekt
stark
Lernen Beratender
Abbildung 6: Prägung des Lernkontextes381 Deren Stärke spezifischer Prägung kann freilich nicht quantifiziert werden. Vielmehr soll damit die unterstellte große Bedeutung des Beratungsprojekts als die den Lernkontext Beratender maßgeblich prägende Bezugsebene illustriert werden. Merkmale und Aspekte der Organisation von Beratungsprojekten werden im weiteren Verlauf der Arbeit Berücksichtigung finden, wenn es darum geht, ein vertieftes Verständnis von vollzogenen Lernpraktiken in der alltäglichen Berufspraxis Beratender zu entwickeln. Möglicher Kritik an unzureichender Praxisrelevanz der konzeptionellen Überlegungen dieser Arbeit mangels Berücksichtigung von Kontext soll damit vorgebeugt werden. Die Frage, wie sich der Vorgang des Lernens konzipieren lässt, steht nachfolgend im Mittelpunkt der Betrachtung.
381
Quelle: Eigene Darstellung; vgl. Bezugsebenen bei Engwall/Kipping 2002, S. 3.
73
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
2.3
Erklärungsansätze kognitiver Lerntheorie
Kognitive Lerntheorien stellen Erklärungsansätze bereit, wie Individuen Wissen aufbauen, neue Erfahrungen in bestehendes Wissen integrieren und für Problemlösungen aktivieren.382 Angesichts der Vielfalt existierender Lerntheorien stellen diese „umfassend angelegten theoretischen Ansätze [.], die sich nicht jeweils an den äußersten Rändern der Forschungsparadigmen positioniert haben“383, einen geeigneten Ausgangspunkt dar, zur Beschäftigung mit der Frage, wie Beratende in ihrer alltäglichen Berufspraxis lernen. Informationsgewinnung und -verarbeitung durch das Individuum stehen dabei im Mittelpunkt.384 Oder wie Shuell zusammenfasst: „Kognitive Konzeptionen des Lernens zentrieren sich [.] auf den Erwerb von Wissen und Wissensstrukturen, anstatt auf das Verhalten an und für sich.“385 Sie können im Sinne Schatzkis386 einer traditionellen Perspektive auf Lernen zugeordnet werden, die auf das Individuum und dessen Wissenserwerb fokussiert. Abbildung 7 illustriert dies anhand der bereits aus dem Einführungskapitel bekannten Scheinwerfermetapher. Zu den bedeutendsten Ansätzen kognitiver Lerntheorie zählen die Konzepte des Beobachtungs- oder Modelllernens von Alfred Bandura und des unmittelbaren Erfahrungslernens von David Kolb.387 Beide Ansätze werden in den Kapiteln I.3.1 und I.3.2 in ihren Grundzügen vorgestellt, um daraus deren Erklärungsbeitrag im Hinblick auf das Lernen im spezifischen Kontext der Beratung abzuleiten. Darauf basierend, werden im sich anschließenden Kapitel I.3.3 allgemeine Merkmale der traditionellen Perspektive herausgearbeitet, die Wissen primär als Ressource und Lernen als den Erwerb dieser Ressource begreift. In Kapitel I.3.4 erfolgt schließlich eine kritische Bewertung des Beitrags von Erklärungsansätzen der traditionellen Perspektive im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit. Die identifizierten Defizite dienen schließlich als Anlass für die ergänzende Einnahme einer praxistheoretischen Analyseperspektive.
Vgl. Kaiser 2001, S. 58., Zur Einführung wesentlicher Aspekte Wiegand 1996, S. 346. Kaiser 2001, S. 58. 384 Eine anschauliche Beschreibung des Forschungsgegenstands findet sich bei Hussy 1984, S. 33. 385 Shuell 1986, S. 413. 386 Vgl. Schatzki 2017. 387 Vgl. Kapitel I.1.2.2. (2): Kognitivismus. 382 383
74
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Erklärungsansätze aus …
… traditioneller Perspektive
Lernpraktiken in der Unternehmensberatung
Lernen als Wissenserwerb: - Beobachtungs- und Modelllernen nach Bandura - Erfahrungslernen nach Kolb
Erfassung der Handlungspraxis im Sinne von…
… szientistischer Rationalität
Abbildung 7: Traditionelle Perspektive auf Lernen388
2.3.1 Beobachtungslernen nach Bandura Banduras
Ansatz
gilt
bis
heute
als
einer
der
wichtigsten
Beiträge
zum
Beobachtungslernen.389 Im Zentrum stehen Lernvorgänge, die auf der Beobachtung des Verhaltens von Vorbildern, sog. Modellen, beruhen.390 Der Mensch lernt demnach, indem er die Auswirkungen der Handlungen anderer Personen391 beobachtet und erkennbare Regeln des Handelns bzw. Erfahrungen des Modells übernimmt.392 Eigenen unmittelbaren Erfahrungen kommt dabei nicht der Stellenwert zu, den etwa Kolb in seinem später393 noch vorzustellenden Konzept des Erfahrungslernens postuliert. Im nachfolgenden Kapitel I.3.1.1 wird dies präzisiert, indem die von Bandura unterschiedenen Phasen des Lernvorgangs vorgestellt werden. In Kapitel I.3.1.2 werden daraus Implikationen abgeleitet im Hinblick auf die Ausprägung von Lernpraktiken, darauf einwirkende Faktoren und die Manifestation des Lernens. In Kapitel I.3.1.3 erfolgt
Quelle: Eigene Darstellung. Vgl. Wittmann/Edelmann 2012, S. 163. 390 Vgl. Schermer 2014, S. 103. Bandura formulierte seine Überlegungen zur Lerntheorie seit Erscheinen des, zusammen mit Walters (Bandura/Walters 1963) verfassten, Bandes „Social Learning and Personality Development“ mehrfach um und weitete diese zu einer allgemeinen sozial-kognitiven Theorie aus (Bandura 1986, Bandura 2012). Im vorliegenden Kontext wird auf den Aspekt des Modelllernens fokussiert. 391 Vgl. Schermer 2014, S. 104. Das Modell bzw. das Vorbild kann entweder real (als Person) oder auch symbolisch (als Text) repräsentiert sein. 392 Vgl. Kaiser 2001, S. 62. 393 Siehe Kapitel I.3.2.: Erfahrungslernen nach Kolb. 388 389
75
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
schließlich eine Bewertung im Hinblick auf das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit.
2.3.1.1
Lernvorgang
Der von Bandura beschriebene Vorgang des Beobachtungs- bzw. Modelllernens fokussiert auf die kognitiven Prozesse, die zwischen Verhaltensanregung durch eine andere Person (Modell) und potenzieller, d. h. bei vorliegender Motivation stattfindender, Verhaltensausführung liegen.394 Diese Aneignungsphase bildet Bandura zufolge den Kern des
Lernvorgangs
im
Zuge
Integrationsprozessen (Abbildung
Verhaltensanregung durch Modell
Lernvorgang des Beobachters
von
kognitiven
Aufnahme-,
Behaltens-
und
8).395
Aneignungsphase
Aufmerksamkeit
Ausführungsphase
Behalten
Motivation
Reproduktion
Abbildung 8: Aneignungsphase als Kern des Lernvorgangs nach Bandura396 2.3.1.1.1
Aneignungsphase
Auslöser für den Lernvorgang bildet die Verhaltensanregung durch ein Modell, auf welches
das
Lernsubjekt
aufmerksam
wird.
Für
eine
erhöhte
Aufmerksamkeitszuwendung können neben einem positiven Beziehungsverhältnis bestimmte Charakteristika, sowohl des Modells als auch des Beobachters, als maßgeblich betrachtet werden.397 Bandura zufolge werden vor allem diejenigen am Modell beobachtbaren Verhaltensweisen beibehalten, die sich aus Sicht des Beobachters als effektiv erweisen: „Man kann durch Beobachtung nicht viel lernen, wenn man nicht die
Vgl. Wittmann/Edelmann 2012, S. 165: Dies ist insofern bemerkenswert als dass Bandura in seinen frühen Arbeiten das Modelllernen behavioristisch als stellvertretende Verstärkung erklärte und im Zuge der kognitiven Wende einen Auffassungswandel vollzog. Er gilt heute als wichtigster Vertreter einer kognitiv orientierten Theorie des Modelllernens. 395 Vgl. für einen Überblick und anschauliche Beispiele Wittmann/Edelmann 2012, S. 165ff. 396 Quelle: Verändert übernommen aus Bandura 1986, S. 52. 397 Vgl. Wittmann/Edelmann 2012, S. 166. 394
76
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
relevanten
Aspekte
der
nachzuahmenden
Aktivitäten
beachtet
und
genau
wahrnimmt.“398 Der funktionale Wert des Modellverhaltens, wie etwa die Nützlichkeit bei der Findung bestimmter Problemlösungen, ist mitbestimmend, welche Aufmerksamkeit dem Modell zuteilwird. Diese kann durch eine hohe Attraktivität verstärkt werden, beispielsweise aufgrund von Prestige, Macht, Kompetenz oder empfundener Ähnlichkeit. Im Hinblick auf das beobachtende Individuum nennt Bandura Aspekte wie dessen kognitive Fähigkeiten, erworbene Wahrnehmungseinstellungen und Vorlieben als Faktoren, welchen Aspekten seiner Umwelt es bevorzugt Aufmerksamkeit widmet. Je reicher die individuellen Erfahrungen und je differenzierter die kognitiven Fähigkeiten des Beobachters sind, umso genauer und präziser verlaufen die Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsprozesse.399 Die durch das Lernsubjekt angestellten Beobachtungen werden schließlich kognitiv verarbeitet, indem sie in leicht erinnerbare Schemata umgeformt, klassifiziert und organisiert werden.400 Beobachtungen werden Bandura zufolge bildlich und sprachlich kodiert bzw. im Gedächtnis401 des Beobachters repräsentiert.402 Zur Beibehaltung eines Inhaltes im Gedächtnis bedarf es seiner Wiederholung (Nachbildung, Übung), sei es in kognitiver (vorstellungsmäßiger, gedanklicher) oder aktionaler Form. Neu kodierte Modellreaktionen werden immer zum bestehenden Wissen und Können des Beobachters in Beziehung gesetzt, also nicht isoliert abgespeichert, sondern in die kognitive Organisation eingebunden, d. h. sie werden vor dem Hintergrund der individuellen Lerngeschichte des Beobachters wirksam.403 2.3.1.1.2
Ausführungsphase
Für die Ausführung des beobachteten Modellverhaltens stellen Beobachtung und kognitive Repräsentation notwendige, jedoch nicht hinreichende Voraussetzungen dar. Einmal beobachtetes Modellverhalten kann u. U. erst nach längerer Zeit vom Beobachter Bandura 1986, S. 51. Vgl. Schermer 2014, S. 108. 400 Vgl. Bandura/Kober 1976, S. 28. 401 Vgl. Schermer 2014, S. 13f.: Anders als es in der behavioristischen Forschungstradition überwiegend der Fall ist, stellt das Gedächtnis bei Bandura eine notwendige Voraussetzung für Lernprozesse dar. Wie das Lernen stellt auch das Gedächtnis ein hypothetisches, weil der direkten Beobachtung unzugängliches Konstrukt dar, das aus seinen Effekten erschlossen werden muss. Mit Hilfe seines Gedächtnisses ist der Organismus in der Lage, sich Informationen durch Enkodierung (Verschlüsselung) einzuprägen, zu behalten und abzurufen. 402 Vgl. Wittmann/Edelmann 2012, S. 166. 403 Vgl. Schermer 2014, S. 109. 398 399
77
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
offen
gezeigt
werden.404
Der
entscheidende
Impuls
zur
Ausführung
eines
Modellverhaltens geht von der motivationalen Situation des Beobachters aus. Die Wahrscheinlichkeit der Ausführung eines modellierten Verhaltens steigt mit der Aussicht, dass dieses positive (erwartete405) Folgen nach sich zieht.406 „Ein Individuum mag zwar die Fähigkeit erwerben und behalten, ein modelliertes Verhalten auszuführen, wird das Erlernte aber nur schwerlich offen ausführen, wenn Sanktionen drohen oder die Umstände keinen Ansporn bieten.“407 Des Weiteren setzt es unter Umständen Übung voraus, damit die Imitation des Modellverhaltens gelingen kann. Schermer nennt zur Verdeutlichung das Beispiel des Turners am Reck: Um dessen Übungen nachzuahmen, sind über die reine Beobachtung hinaus die zusätzliche Entwicklung hierfür notwendiger motorischer Fertigkeiten notwendig, die erst durch Einüben und Feedback durch das Modell entstehen.408 Die Reproduktion kann sich schließlich in unterschiedlichen Effekten manifestieren. Beispielsweise kann es zur Aneignung neuer, d. h. noch nicht im Repertoire des Lernenden befindlichen kognitiver Fähigkeiten und Verhaltensmuster kommen. Darüber hinaus kann die Beobachtung eines Vorbilds zur Hemmung bzw. Enthemmung von bereits gelernten Verhaltensweisen führen, wobei insbesondere die beim Modell wirksamen Konsequenzen die Richtung des Einflusses bestimmen. Zudem ist eine sogenannte Stimulusintensivierung denkbar, worunter Bandura die Möglichkeit versteht, dass die Aufmerksamkeit
des
Beobachters
vom
Modell
auf
spezifische
Gegenstände
beziehungsweise Anhaltspunkte (Stimuli) gelenkt wird, welche vom Beobachter in Zukunft häufiger verwendet beziehungsweise beachtet werden.409
Vgl. Schermer 2014, S. 109. Vgl. Schermer 2014, S. 111: Verstärkung wird von Bandura unter einer kognitiven, antizipatorischen Perspektive definiert, als er bereits der Erwartung von Konsequenzen verhaltenssteuernde Funktion zuspricht. Seiner Ansicht nach beeinflussen weniger die tatsächlichen (objektiven) Umweltereignisse das Verhalten des Individuums als vielmehr die erwarteten Beziehungen zwischen ihnen und dem Handeln. 406 Vgl. Schermer 2014, S. 110. 407 Bandura/Kober 1976, S. 29. 408 Vgl. Schermer 2014, S. 110. 409 Vgl. Schermer 2014, S. 105f. 404 405
78
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
2.3.1.2
Erklärungsbeitrag
Die Übertragung dieser sicherlich nur skizzenartigen Ausführungen zum Vorgang des Modellernens nach Bandura auf den zuvor410 herausgearbeiteten spezifischen Lernkontext Beratender ermöglicht nun die Ableitung erster Hinweise auf Faktoren (Kapitel I.3.1.2 (1)), Ausprägungsformen (Kapitel I.3.1.2 (2)) und Manifestation (Kapitel I.3.1.2 (3)) des Lernens im Consulting. Im Sinne eines phänomenologischen Ansatzes stehen
beobachtbare
Aspekte
ohne
Berücksichtigung
menschenimmanenter Zustände wie Emotionen, innere Persönlichkeitseigenschaften412 2.3.1.2.1
latenter
Erregungszustände411
bzw. oder
im Mittelpunkt der Analyse.
Faktoren
Zur Auslösung von Lernvorgängen sind Banduras Konzept zufolge vor allem Individuen relevant413, die als attraktive Modelle die Aufmerksamkeit von Lernsubjekten hervorrufen und damit Lernvorgänge anstoßen. Als Lernmodell kommen damit grundsätzlich alle Personen im Umfeld Beratender in Betracht, die für sie von hohem funktionalem Wert sind bzw. eine hohe Modellattraktivität besitzen. Fällt der Blick auf das Beratungsprojekt als den lernbestimmenden Kontext Beratender414, kommen hierfür Führungskräfte wie Partner, Projektleitende sowie andere Teammitglieder in Betracht.415 Aufgrund ihrer exponierten Position, zugesprochener Kompetenz und Bedeutung für den
Vgl. Kapitel I.2: Spezifischer Lernkontext Beratender. Man geht davon aus, dass die Beachtung eines Modellreizes durch ein mittleres Erregungsniveau am besten gefördert wird, während sich zu hohe oder zu niedrige Erregungszustände negativ auswirken können. Im Falle zu niedriger Erregung kann das Interesse an der Umwelt reduziert sein. Ist das Erregungslevel zu stark, man denke an das Erleben von Angst, besteht die Gefahr, dass die Umwelt vom Individuum verzerrt wahrgenommen wird (Vgl. Schermer 2014, S. 108f.). 412 Im Falle des Modelllernens wird die Ausführung des gelernten Verhaltens etwa von der Einschätzung des Lernsubjekts beeinflusst, in welchem Umfang es glaubt, dieselben Fähigkeiten wie das Modell zu haben (vgl. Wiegand 1996, S. 360). 413 Der Erwerb oder die Veränderung von Verhaltensweisen kann nach Bandura nicht nur durch Beobachtung einer real existierenden Person erfolgen, sondern auch symbolisch (z. B. als Text) gegeben sein (vgl. Schermer 2014, S. 104). Beobachtungslernen kann sich in diesem Fall auf die Lektüre dokumentierter Verhaltensweisen („Best Practices“) reduzieren, z. B. im Zuge von Recherchetätigkeiten in Datenbanken und existierender Projektdokumentation (vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 264). Da Ablauf und Organisation von Beratungsprojekten jedoch das Mitwirken von real existierenden Personen erfordern (vgl. Kapitel I.2.4: Beratungsprojekt) und das Erkenntnisinteresse an Lernpraktiken in der Unternehmensberatung ausgerichtet ist, wird auf eine vertiefte Betrachtung symbolischer Modellrepräsentation (als Text) an dieser Stelle verzichtet. 414 Siehe Kapitel I.2.4.3: Implikationen Lernkontext. 415 Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 258. 410 411
79
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Projekterfolg416 vermögen es vermutlich insbesondere Führungskräfte, Aufmerksamkeit auszulösen als Voraussetzung für die Initiierung von Lernvorgängen. Ebenso ist denkbar, dass Führungskräfte und Mitarbeitende auf Auftraggeberseite diese Modellrolle einnehmen können. Folgt man Kubr, aus dessen Sicht die Förderung des Lernens im Sinne der Unterstützung des Klienten zur Selbsthilfe als die wichtigste und beständigste Funktion
der
Beratung
ist,
ist
jedoch
anzunehmen,
dass
Klientenorganisation in stärkerem Umfang von Beratenden lernen als
Mitglieder
der
umgekehrt. 417
Des Weiteren ist anzunehmen, dass Führungsverhalten und -stil maßgeblich dafür sind, ob die Führungskraft als „beobachtungswertes“ Modell anerkannt wird. Die Führungsforschung zeigt, dass es insbesondere Führungskräften mit transformationalem Führungsstil in besonderem Maße gelingt, unter schwierigen Umständen zu agieren und herausragende Leistungen bei ihren Mitarbeitern und Teams zu erzielen.418 Der Begriff der transformationalen Führung wurde von Burns419 eingeführt, welcher das Verhalten von Führungskräften umschreibt, die ihre Mitarbeiter dadurch motivieren, dass sie „attraktive Visionen vermitteln, überzeugend kommunizieren, wie Ziele gemeinsam erreicht werden können, selber als Vorbild wahrgenommen werden und die Entwicklung der Mitarbeiter unterstützen.“420 Es konnte nachgewiesen werden, dass Aspekte transformationaler
Führung
Führungseffektivität
darstellen.421
signifikante
und
reliable
Prädiktoren
für
Dies ist insofern bedeutsam für das Modelllernen, als
dass Bandura zufolge jene beobachteten Verhaltensweisen beibehalten werden, die sich aus Sicht des Lernsubjektes als effektiv erweisen.422 Auch Fröhlich und Kollegen unterstreichen die Bedeutung eines transformational ausgerichteten Führungsstils für das Lernen ihrer Mitarbeitenden: „Transformational leaders increase the likelihood of deep learning among their followers and thus increase learning outcome and potential performance.”423
Vgl. Geoghegan/Dulewicz 2008. Siehe Einführungskapitel (1a): Sichtweise von Auftraggebern. 418 Vgl. exempl. Felfe 2006; Michaelis/Nohe/Sonntag 2012; Michaelis/Stegmaier/Sonntag 2010. 419 Vgl. Burns 1978. 420 Vgl. Felfe 2006, S. 163, in Anlehnung an Bass 1985. 421 Vgl. Lowe/Kroeck/Sivasubramaniam 1996 . 422 Vgl. Kapitel I.3.1.1.(1): Aneignungsphase. 423 Froehlich/Segers/van den Bossche 2014, S. 49. 416 417
80
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Das Konzept transformationaler Führung wurde zunächst als Gegenpol zu dem der transaktionalen Führung gesetzt, welche sich in der Vorstellung eines rationalen Tauschkonzepts zwischen Führenden und Geführten wiederfindet.424 Dieser Ansatz lässt sich von der Direktive leiten, dass Vereinbarungen und Ziele sowie Belohnung für gute Leistungen beziehungsweise Bestrafung für schlechte Leistungen von Mitarbeitenden existieren.425 Transaktional agierende Führungskräfte honorieren die Leistung ihrer Mitarbeiter mit einer definierten Gegenleistung, wie zum Beispiel Entgelt, Lob, und Aufstieg.426 Auch dieser Führungsstil könnte gerade in der Beratung anschlussfähig sein, dessen Kultur und Selbstverständnis von hoher Leistungsorientierung geprägt ist.427 Ganz im Sinne von Bass, der argumentiert, dass beide Führungsstile als sich komplementierend betrachtet werden müssten und dass nur eine effektive Kombination beider Führungsstile erfolgreiche Führungskräfte schüfe.428 Da sich Banduras Konzept zufolge der Grad der Aufmerksamkeit auch aus dem funktionalen Wert im Sinne der erkannten Nützlichkeit bei der Findung bestimmter Problemlösungen bemisst, kommen neben Führungskräften auch Beratende ohne Führungsfunktion als potenzielle Modelle in Frage. Etwa wenn juniore Beratende mit nur wenig Praxiserfahrung von erfahreneren Kollegen lernen. Aber auch der umgekehrte Fall ist denkbar. Etwa wenn es juniore Beratende im Rahmen des Beratungsprojekts vermögen, die während ihrer universitären Ausbildung erlernten Kompetenzen für die Lösung komplexer Problemstellungen einzubringen. Neben der Führungskraft bzw. Mitberatenden kommt in Anlehnung an Banduras Überlegungen auch die Modellumgebung als bedeutsamer Faktor für die Auslösung von Lernvorgängen Beratender in Betracht. Im Hinblick auf die dem Lernsubjekt unterstellte Fähigkeit zur kreativen und abstrakten Modellierung429, ist davon auszugehen, dass das Kennenlernen
unterschiedlicher
Modellumgebungen
das
Entstehen
neuer
Verhaltensmuster wahrscheinlicher macht und so das Überkommen eingeschliffener Verhaltensmuster ermöglicht. Kaiser illustriert dies anhand von Job Rotation. Es könne
Vgl. Wegge, J./ von Rosenstiel, L. 2014. Vgl. Felfe 2006.. 426 Vgl. Neuberger 2002a. 427 Vgl. Kapitel I.2.3.3: Implikationen Lernkontext. 428 Vgl. Bass 1985. 429 Siehe Kapitel I.3.1: Beobachtungslernen nach Bandura. 424 425
81
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
sinnvoll
sein,
Mitarbeitenden
durch
vorübergehende
Versetzung
in
andere
Funktionsbereiche innerhalb des Unternehmens andersartige Modellumgebungen vor Augen zu führen.430 Übertragen auf den Kontext der Unternehmensberatung bedeutet dies, dass Beratende besonders vom Einsatz auf unterschiedlichen Projekten für unterschiedlichen Klientenunternehmen mit möglichst abwechslungsreichen Themen profitieren können. Banduras Ansatz gibt Grund zur Annahme, dass dabei die Höhe des individuellen Erfahrungsschatzes Beratender mitbestimmend dafür ist, wie genau und präzise deren Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsprozesse ablaufen.431 2.3.1.2.2
Lernpraktiken
Nachdem Modellmerkmale und -umgebung als plausible Faktoren für die Entstehung von Aufmerksamkeit und somit für das Auslösen von Lernvorgängen Beratender herausgearbeitet wurden, steht nachfolgend die Frage im Mittelpunkt, welche Hinweise Banduras Konzept auf die mögliche Ausprägung von Lernpraktiken liefert. Wie die Ausführungen zum Lernvorgang432 zeigten, wird hier der Beobachtung zentrale Bedeutung zugeschrieben. Gerade wenn eigene Erfahrung fehlt oder der Zugang zu ihr aufgrund unsicherer und veränderlicher Situationsfaktoren nicht möglich ist, ist das Lernsubjekt auf eigene Beobachtung angewiesen. Im Vergleich zum Lernen aus eigener Erfahrung erweist es sich dann als effizienter (und im Falle gefährlicher Situationen sicherer – man denke an einen Flugsimulator), wenn Fehler anderer Personen vermieden werden können.433 Das Lernsubjekt beachtet Vorbilder und ahmt ihr Verhalten nach, um dieselben gewünschten Folgen zu erzielen. Wiegand geht in seiner Interpretation von Banduras Konzept sogar so weit, dass er anmerkt, dass der größte Teil menschlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten nur durch Beobachtung gelernt werden kann.434
Vgl. Kaiser 2001, S. 63. Vgl. Schermer 2014, S. 108. 432 Vgl. Kapitel I.3.1.1: Lernvorgang. 433 Vgl. Wiegand 1996, S. 359. 434 Vgl. Wiegand 1996, S. 359. Wiegand bezieht sich auf Wood/Bandura 1989, die auf die Bedeutung von Beobachtungslernen für die Geschwindigkeit menschlicher Entwicklung hinweisen: „ If knowledge and skills could be acquired only through direct experience, the process of human development would be greatly retarded, not to mention exceedingly tedious, costly, and hazardous.” (S. 362). 430 431
82
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Im Vergleich zu behavioristisch ausgerichteten Lerntheorien435 traut Bandura dem lernenden Individuum eine aktivere Rolle zu. Es ist nicht mehr nur Spielball vorherrschender Umwelteinflüsse, sondern kann sich davon unabhängig machen und sein eigenes Verhalten eigenmächtig steuern. Damit wird auch das Potenzial unterstellt, sich von Einflüssen – man denke etwa an Belohnung und Bestrafung beobachteten Handelns – aus seinem sozialen Umfeld zu emanzipieren und sein Verhalten „in eigener Regie“436 zu steuern. Anlass hierfür bieten beispielsweise Störungen, „wenn automatisierte,
routinierte
Handlungsabläufe
unterbrochen
werden,
woraus
Selbstbeobachtung, Bewertungsprozesse und schließlich Selbstreaktion resultieren“437. Es ist anzunehmen, dass sich Beratenden im Rahmen ihrer Beratungsprojekte mit den dort vorherrschenden typischen Unwägbarkeiten438 zahlreiche solcher Anlässe bieten. Im Umkehrschluss ist anzunehmen, dass Projektroutine und fehlende Herausforderungen lernhemmend wirken können. Anders als es der Ausdruck suggerieren mag – kann Beobachtungslernen auch in der Übung zum Ausdruck kommen. Um den o. g. „Turner am Reck“439 imitieren zu können, ist Banduras Konzept zufolge, über die bloße Beobachtung hinaus, kontinuierliches Üben unter Berücksichtigung des Feedbacks des Modells erforderlich. Im Hinblick auf die Arbeitspraxis von Beratenden liegt die Vermutung nahe, dass die Praktik des Einübens insbesondere dann relevant wird, wenn es um das Erlernen handlungsorientierter Fertigkeiten geht wie etwa die Moderation von Workshops mit Führungskräften oder die Modellierung von Geschäftsplänen. Eine solche, von Bandura nicht explizit so genannte, „Könnerschaft“
wird
im
Rahmen
der
Nutzung
einer
praxistheoretischen
Analyseperspektive im zweiten Hauptteil in den Mittelpunkt der Überlegungen rücken.
Vgl. Kapitel I.1.2.2 (1): Behaviorismus. Vgl. Schermer 2014, S. 115f.: Während dies in der Persönlichkeitspsychologie i. S. v. „Willenskraft“ als relativ invariante Eigenschaft des Individuums verstanden wird und in der psychoanalytischen Theoriebildung als „Ich-Konzept“ diskutiert wird (vgl. Reinecker/Perrez 1978), handelt es sich bei Bandura um eine funktionale Analyse, deren Interesse sich auf kontrollierende Bedingungen der Selbstregulation richtet. 437 Kaiser 2001, S. 64. 438 Siehe Kapitel I.2.4: Beratungsprojekt. 439 Vgl. Kapitel I.3.1.1 (2): Ausführungsphase. 435 436
83
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
2.3.1.2.3
Manifestation des Beobachtungslernens
Für Bandura stellen Beobachtung und kognitive Repräsentation während der Aneignungsphase den Kern des Lernvorgangs dar.440 Ein umfangreicher Überblick zu dessen Manifestation gibt Wiegand.441 Im Hinblick auf den spezifischen Lernkontext Beratender sind hier insbesondere der Erwerb neuer kognitiver Fähigkeiten und Verhaltensmuster, Stimulusintensivierung und Problemlösungsfähigkeit zu nennen. Auf den Erwerb neuer kognitiver Fähigkeiten und Verhaltensmuster sind Beratende insofern angewiesen, als dass sie im Rahmen unterschiedlicher Rollen und Funktionen komplexe Aufgaben bearbeiten: Man denke etwa an die Moderation von Analyseprozesse, das Einbringen von Fachwissen in die Organisation des Auftraggebers und Unterstützung bei dessen eigenen Lernvorgängen.442 Dies erfolgt in einem kompetitiven Laufbahnsystem, das von ansteigenden Anforderungen geprägt ist und den zügigen Erwerb kognitiver Fähigkeiten und Verhaltensmuster voraussetzt.443 Beobachtungslernen kann des Weiteren dazu führen, dass die Aufmerksamkeit des Beobachters vom Modell auf spezifische Gegenstände beziehungsweise Anhaltspunkte gelenkt wird, welche vom Beobachter in Zukunft häufiger verwendet beziehungsweise beachtet werden (Stimulusintensivierung).444 Gerade angesichts der Komplexität und planerischen Unwägbarkeiten typischer Beratungsprojekte ist es für Beratende im Hinblick auf Projekterfolg bedeutsam, auf die „richtigen“ Aspekte zu achten. Neben der bereits erwähnten Fähigkeit zur Selbstregulation445 schreibt Bandura dem Lernsubjekt die Fähigkeit zur abstrakten Modellierung zu, womit er dessen Fähigkeit meint, Regeln oder Prinzipien, die dem Verhalten mehrerer Modelle zugrunde liegen, zu übernehmen und diese auf neue Anwendungszusammenhänge zu übertragen.446 Beobachtungslernen liefert dem Individuum damit die Voraussetzung für „das Erlernen
Vgl. Kapitel I.2.1.1: Lernvorgang. Ob das Gelernte schließlich vom Lernsubjekt während der Ausführungsphase im Zuge von Verhalten(-sänderungen) umgesetzt wird, hängt freilich auch von der motivationalen Situation des Beobachters ab. 441 Vgl. Wiegand 1996, S. 360f., in Anlehnung an Bandura 1986, S. 49ff. und 100ff. 442 Vgl. Kapitel I.2.1: Tätigkeit und Anforderungen Beratender. 443 Vgl. Einführungskapitel (1c): Sichtweise von Beratenden. 444 Vgl. hierzu auch Schermer 2014, wonach im Zuge der Stimulusintensivierung „das Modell die Aufmerksamkeit des Beobachters auf spezifische Gegenstände oder Anhaltspunkte (Stimuli) lenkt, welche vom Beobachter in Zukunft häufiger verwendet (Gegenstände) bzw. beachtet werden.“ (S. 106). 445 Vgl. Kapitel I.3.1.2 (2): Lernpraktiken: Beobachtung und Einübung. 446 Vgl. Kaiser 2001, S. 63. 440
84
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
von heuristischen Strategien zur Problemlösung“447 und für innovatives Verhalten („cognitive and behavioral tools for innovation“448 oder Problemlösungsfähigkeit). Es setzt „das Erkennen wesentlicher Merkmale einer sozialen Situation, die Abstraktion der Gemeinsamkeiten in Form einer Regel und die Anwendung der Regel in neuen situativen Feldern voraus.“449 Zudem erhält das lernende Individuum die Fähigkeit zur kreativen Modellierung, was es „zum Zusammenfügen von Einflüssen mehrerer Modelle zu neuen Kombinationen“450 befähigt.
2.3.1.3
Bewertung
„Eine Theorie, die in Abrede stellt, dass Gedanken Handlungen steuern können, wird sich schwer tun, komplexes menschliches Verhalten zu erklären.“451 Dieses von Bandura überlieferte Zitat fasst treffend den Beitrag der von ihm maßgeblich geprägten Theorie des Modelllernens zusammen. Während die Denkschule des Behaviorismus von der Beobachtung neuen oder veränderten Verhaltens auf die Existenz von Lernprozessen schließt,452 verweist Bandura darauf, dass ein Lernvorgang auch ohne eine beobachtbare Ausführung von Verhalten stattgefunden haben kann. Das beobachtete Verhalten des Modells ist in diesem Fall vom Lernsubjekt kognitiv abgespeichert worden, ohne selbst ausgeführt worden zu sein. Dies relativiert die von Konzepten des Erfahrungslernens proklamierte453 – und interessanterweise auch die von Praktikern gerne hervorgehobene – Notwendigkeit der übenden Auseinandersetzung im Sinne eines „learning by doing“.454 Kritiker werfen Bandura jedoch eine eklektische Theorieausrichtung vor. Man vermisst angesichts der Vielzahl thematisierter und experimentell untersuchter Parameter einen Gesamtbezugsrahmen. Zudem wird angeführt, dass Bandura die von ihm selbst als so bedeutsam erachteten kognitiven Phänomene, wie z. B. das Gedächtnis, nicht ausführlich thematisiert und ohne systematische kognitive Theorie diskutiert.455 Die Konzentration
Kaiser 2001, S. 63. Bandura 1986, S. 104. 449 Schermer 2014, S. 106. 450 Kaiser 2001, S. 63. 451 Bandura/Verres/Kober 1979, S. 21. 452 Vgl. Kapitel I.1.2.2 (1): Behaviorismus. 453 Vgl. Einführungskapitel (1b): Sichtweise von Beratungsunternehmen. 454 Vgl. Schermer 2014, S. 126. 455 Vgl. Schermer 2014, S. 127. 447 448
85
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
auf den Beobachtungsvorgang bringt es mit sich, dass Lernpraktiken in den Hintergrund treten, die nicht direkt auf Beobachtung zurückzuführen sind. So wird später noch deutlich werden, dass Beratende im Zuge gemeinsamer Zusammenarbeit und Problemreflexion im Sinne eines „Thinking Together“ miteinander und voneinander lernen können.456 Für das Ziel der vorliegenden Arbeit, ein vertieftes Verständnis von Lernpraktiken in der Unternehmensberatung zu gewinnen, bildet Banduras Arbeit aufgrund seines hohen Anwendungsbezugs dennoch eine wertvolle konzeptionelle Grundlage. Bower und Hilgard bezeichnen den Ansatz als „die beste Integration dessen, was die moderne Lerntheorie zur Lösung praktischer Probleme zu bieten hat“.457 Den Erklärungsbeitrag Ausprägungsformen
für und
einer
theoriegeleiteten
Manifestation
des
Diskussion Lernens
im
von
Faktoren,
Kontext
der
Unternehmensberatung fasst Abbildung 9 zusammen.
Faktoren
Lernpraktiken
Funktionaler Wert und Modellattraktivität von Führungskraft und Kollegen
Kognitive Repräsentation
Aufmerksamkeit
Beobachtung
Abwechslungsreiche Projektumgebung
Bei Bedarf Einübung
Manifestation
Stimulusintensivierung
Neue kognitive Fähigkeiten und Verh.-muster
Problemlösungsfähigkeit
Abbildung 9: Banduras Diskussionsbeitrag458
Vgl. Kapitel II.3.2.2: Vorgang gemeinsamen Denkens. Hilgard/Bower 1983, S. 298. 458 Quelle: Eigene Darstellung. 456 457
86
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Um den Blick zu weiten und Hinweise auf weitere Lernpraktiken zu gewinnen, wird nachfolgend mit Kolbs Erfahrungslernen ein weiterer prominenter Ansatz kognitiver Lerntheorie vorgestellt und auf seinen Erklärungsbeitrag hin untersucht.
2.3.2 Erfahrungslernen nach Kolb Während in Banduras Überlegungen zum individuellen Lernen die Beobachtung im Mittelpunkt steht, fokussiert Kolb auf die unmittelbare Selbsterfahrung des lernenden Individuums. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Menschen dazu in der Lage sind, im Zuge ihrer Reflexion (der Konsequenzen) eigenen Handelns zu lernen.459 Kolb gilt als einer der bekanntesten Vertreter460 der während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstandenen Theorie des Erfahrungslernens.461 Das nachfolgende Kapitel I.3.2.1. beschäftigt sich mit dem Lernvorgang, den Kolb als sogenannten Erfahrungszyklus konzipiert. In Kapitel I.3.2.2 werden Implikationen abgeleitet mit Hinblick auf die Ausprägung von Lernpraktiken, darauf einwirkende Faktoren und die Manifestation des Lernens. In Kapitel I.3.2.3 erfolgt schließlich eine Bewertung des theoretischen Erklärungsbeitrags von Kolb zur Frage, wie Beratende in ihrer alltäglichen Arbeitspraxis lernen.
2.3.2.1
Lernvorgang
Kolb beschreibt den Lernvorgang als einen sich wiederholenden Prozesszyklus, im Zuge dessen das Lernsubjekt unmittelbare eigene Erfahrungen sammelt und verarbeitet.462 Damit sind „natürliche“, d. h. unmittelbare eigene Erfahrungen am Ort der Handlung gemeint, die Gegenstand des nachfolgenden Abschnitts sind. Im Hinblick auf den Lernkontext Beratender gibt es Grund zur Annahme, dass darüber hinaus auch synthetische Erfahrungen Relevanz besitzen könnten. Diese werden deshalb in einem sich anschließenden Exkurs thematisiert.
Vgl. Kolb 1984. Vgl. Manolis et al. 2013, S. 45. 461 Vgl. Wiegand 1996, S. 364: Die Theorie des Erfahrungslernens basiert auf den Werken mehrerer Autoren wie John Dewey, Kurt Lewin, Jean Piaget, William James, Carl Jung, Paulo Freire, Carl Rogers. Sie alle räumten der Erfahrung eine zentrale Rolle für die menschliche Entwicklung ein. (vgl. Kolb/Kolb 2005, S. 194). Kolbs Ansatz stützt sich insbesondere auf die Überlegungen von Dewey 1938, die Entwicklungstheorie von Piaget 1985 und die Studien von Lewin 1975. 462 Vgl. Kolb 1984. 459 460
87
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
2.3.2.1.1
Unmittelbare eigene Erfahrung
Erklärungsansätze zum Erfahrungslernen haben die Annahme gemein, dass Lernen die praktische Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand durch das Lernsubjekt voraussetzt.463 Aufgrund der engen Verbundenheit mit der Handlung des Lernenden kommt es dem im alltäglichen Sprachgebrauch vorzufindenden „learning by doing“ nahe.464 Kolb konkretisiert dies anhand des in Abbildung 10 dargestellten Erfahrungszyklus, der notwendigerweise465 vier Phasen466 umfasst: In der ersten Phase („konkret erfahren“) vollzieht das Lernsubjekt unmittelbare eigene Erfahrungen, die in der zweiten Phase („reflektierend beobachten“) vom Individuum reflektiert werden. In der dritten Phase („abstrakt begreifen“) werden daraus ein Erklärungsansatz, eine Regel oder eine Theorie abgeleitet mit entsprechenden Hypothesen für künftiges Handeln. Das zu lösende Problem beziehungsweise der Lerninhalt wird nun vom Lernsubjekt abstrakt begriffen. Dieses Verständnis stellt die Basis für Handeln und Experimentieren in der vierten Phase („aktiv experimentieren“) dar. Hier testet das Lernsubjekt den entwickelten Erklärungsansatz bzw. die abgeleiteten Hypothesen auf deren praktische Tauglichkeit. Daraus sammelt das Lernsubjekt wiederum neue Erkenntnisse und Erfahrungen, was den Lernzyklus abschließt bzw. von vorne beginnen lässt.467
Ansätze zum Erfahrungslernen werden in der Literatur unter den zumeist synonym verwendeten Begriffen „Experienced-based Learning“, „Experiential Learning“ oder „Learning from Experience“ diskutiert. (vgl. Andersen/Boud/Cohen 2000). 464 Vgl. Kaiser 2001, S. 78. 465 Vgl. Kolb/Kolb 2005, S. 194. 466 Vgl. für eine ausführliche Erläuterung Wiegand 1996, S. 365f. 467 Vgl. Kaiser 2001, S. 78. 463
88
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Phase 1
Konkret erfahren
Akkomodierer/ Macher
Reflektierend beobachten
Erfahrungen verarbeiten
Phase 4
Konvergierer Entscheider
Erfahrungen sammeln
Aktiv experimentieren
Divergierer/ Entdecker
Phase 2
Assimilierer/ Denker
Abstrakt begreifen Phase 3
Abbildung 10: Erfahrungszyklus468 Kolb nimmt an, dass Lernsubjekte über unterschiedliche Präferenzen mit Bezug auf diese vier Lernphasen verfügen bzw. für ihren Lernvorgang unterschiedliche Einstiegspunkte wählen. Je nach bevorzugter Kombination aus Erfahrungssammlung („abstrakt“ oder „konkret“) und -verarbeitung („aktiv“ oder nach innen gerichtet bzw. „reflektierend“) ergeben sich vier469 idealtypische Lernstile, für die Kolb die Bezeichnungen „Divergierer“ (Entdecker),
„Assimilierer“
„Akkommodierer“ (Macher)
(Denker),
wählt.470
„Konvergierer“
(Entscheider)
und
Als Lernstil kann die Art und Weise verstanden
werden, „in which a learner responds to or interacts with stimuli in the learning context”471. Lernende mit einer Präferenz zu divergierendem Stil bevorzugen die konkrete Erfahrung und deren Verarbeitung durch reflektierende Beobachtung. Ihnen werden imaginative Fähigkeiten, Einnahme unterschiedlicher Perspektiven sowie
Quelle: Verändert übernommen aus Kolb 1984, S. 42; vgl. Manolis et al. 2013, S. 46. Vgl. Kolb/Kolb 2005, S. 197. Die vier, von Kolb identifizierten, Lernstile wurden von Abbey/Hunt/Weiser 1985, Hunt 1987, Hunt 1987 und Mainemelis/Boyatzis/Kolb 2002 um weitere Lernstile erweitert. 470 Vgl. ausführliche Charakterisierung bei Kolb/Kolb 2005, S. 196ff. Um zu betonen, dass es sich dabei nicht um eine unveränderliche Persönlichkeitseigenschaft (fixed trait) handelt, sondern um eine veränderliche Verhaltensweise (dynamic state), verwendet Kolb in seinem zur Erhebung der Lernstile verwendete Learning Style Inventory (LSI) verbalisierte Ausdrücke wie „akkomodierend“ und „divergierend“. 471 Loo 2002, S. 252, zitiert nach Manolis et al. 2013, S. 45. 468 469
89
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Interesse an Personen und sozialen Beziehungen unterstellt. Assimilierende Lernende bevorzugen hingegen reflektiertes Beobachten und abstrakte Begriffsbildung. Ihnen wird eine Stärke in der Konstruktion theoretischer Modelle und wenig Interesse an Anwendungsbezug unterstellt. Konvergierende Lernende lernen gut durch abstrakte Begriffsbildung und aktives Experimentieren. Ihnen wird eine Stärke in der Anwendung von Ideen, eine Tendenz zu hypothetisch-deduktivem Denken und ein Interesse an Dingen, weniger an Personen, unterstellt. Akkomodierend Lernende schließlich präferieren aktives Experimentieren und konkrete Erfahrungen. Ihnen wird eine Stärke im Tun und in der Ausführung von Plänen und Erprobung neuer Situationen sowie Risikoorientierung im Verhalten zugetraut.472 Es kann angenommen werden, dass Individuen die Aufnahme solcher Tätigkeiten präferieren, die mit ihrem eigenem Lernstil korrespondieren und somit ihre Trial-and-error-Handlungen und das Lernen verschmelzen.473 2.3.2.1.2
Exkurs: Synthetische Erfahrung
Trotz der hohen Bedeutung, die Kolb eigenen unmittelbaren Erfahrungen beimisst, kann angenommen werden, dass Beratende im Rahmen von Beratungsprojekten in ihrem Lernen aufgrund von Zeit- und Ergebnisdruck auch auf synthetische, also künstlich erschaffene, Erfahrungen angewiesen sind. Unter synthetischem Erfahrungslernen kann die „Planung von Lernerfahrungen“ verstanden werden, im Zuge derer wesentliche Aspekte der Lernsituation (bzw. der Lernumwelt) und andere Variablen festgelegt werden.474 Das Lernsubjekt ist nicht der Realität, sondern einem simulierten bzw. synthetisierten Abbild der Realität ausgesetzt. Man denke etwa an Hochschulabsolventen, die als angehende Beratende im Rahmen von Basistrainings in „geschütztem“ Umfeld ohne
Kundenbeteiligung
Methoden
Präsentationstechniken einüben
können.475
der
Workshopmoderation
und
Weiter erscheint es angesichts der
voranschreitenden Digitalisierung plausibel, dass sich Beratende simulierter „Planspiele“ und virtuell gestalteter Entwicklungsformate bedienten. So erachtete etwa die Deutsche Gesellschaft für Personalführung virtuelles Coaching als reifes Instrument mit großem
Vgl. Wiegand 1996, S. 367. Vgl. Kaiser 2001, S. 79. 474 Vgl. Hobermann/Mailick 1992, S. 133ff. 475 Vgl. Domsch/Hristozova 2006, S. 120. 472 473
90
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Zukunftspotenzial.476 Damit wird es technisch möglich, dass Beratende mithilfe von Datenbrillen in virtuellen Räumen bestimmte Interaktionen mit fiktiven Kunden einüben und über Apps auf ihrem Smartphone auf Algorithmen basierte Handlungsempfehlungen zu ihrem persönlichen Entwicklungsbedarf erhalten können. Während die Bedeutung unmittelbar eigener Erfahrung für den Lernvorgang von Menschen als weitgehend unstrittig gilt („Primat des Lernens durch unmittelbare eigene Erfahrungen“477),
ist
im
Falle
Betrachtungsweise
angebracht.478
synthetischer
Erfahrung
eine
differenzierte
Für die Nutzung synthetischer Lernerfahrungen
spricht der Effizienzaspekt sowie die Risikominimierung. Man denke beispielsweise an Consultants, die die Einführung einer neuen Software begleiten und hierzu Mitarbeiterschulungen halten. Ihnen ermöglicht die Simulation in der Testumgebung des Systems das Erlernen der Bedienung, ohne in der Produktivumgebung kostspieligen Schaden anzurichten. Des Weiteren kann synthetisches Lernen dem Lernsubjekt dabei helfen, im Falle von Überforderung bzw. einer „(für den Lernenden) unentwirrbaren Vielzahl von Variablen und Einflussfaktoren“479, die Anzahl der Variablen zu reduzieren, vorausgesetzt es gibt Außenstehende, die die relevanten Variablen kennen. Man denke etwa an Arbeitsrechtsschulungen mit fiktiven Fallbeispielen für Beratende, die in einem Restrukturierungsprojekt mit dem Betriebsrat interagieren. Synthetisches Lernen könnte auch dazu genutzt werden, dem Lernsubjekt im Fall fehlender Lernchancen im beruflichen Alltag, diese durch Simulation bereitzustellen.480 Gegen die Nutzung synthetischer Lernerfahrungen spricht indes die unzureichende Integration synthetisch erzeugter gewonnener Erfahrung in die kognitiven Strukturen des Lernenden481 und der Vorwurf der Handlungs- und Anwendungsferne.482 Es wird bezweifelt, dass stets ein wirksamer Transfer der im Rahmen synthetischer Lernvorgänge erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten auf die konkreten Anwendungsfälle der realen Arbeitspraxis erfolgen
Vgl. Armutat/Berninger-Schaefer/Borlinghaus 2005, S. 19. Vgl. Kaiser 2001, S. 78. 478 Vgl. Kaiser 2001, S. 91ff. und Wiegand 1996, S. 368ff. 479 Wiegand 1996, S. 368. 480 Vgl. Wiegand 1996 in Anlehnung an March/Sproull/Tamuz 2003. 481 Vgl. Wiegand 1996, S. 369. 482 Vgl. Kaiser 2001, S. 92. 476 477
91
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
kann. Ein Vorwurf, der Weiterbildungsformaten generell immer wieder gerne in mehr oder weniger provozierender Art und Weise gemacht wird.483
2.3.2.2
Erklärungsbeitrag
Die Übertragung dieser Ausführungen zum Vorgang unmittelbaren Erfahrungslernens nach Kolb auf den spezifischen Lernkontext Beratender ermöglicht nachfolgend die Ableitung von Hinweisen auf mögliche Faktoren, Ausprägungsformen und Manifestation des Lernens im Consulting. 2.3.2.2.1
Faktoren
Der von Kolb definierte und mittlerweile auch empirisch validierte484 Lernzyklus hilft dabei, den latenten Vorgang menschlichen Lernens auf konzeptioneller Ebene nachvollziehbar zu machen. Sowohl direktes wie auch synthetisches Erfahrungslernen kann als aktiver und vom Lernsubjekt mehr oder weniger bewusst gesteuerter Prozess verstanden werden, für den sich in Bezug auf Effektivität Faktoren ableiten lassen können.485 Es darf allerdings bezweifelt werden, ob sich das Individuum in seinem täglichen Lernen des Durchlaufens der jeweiligen Phase stets bewusst ist. Kaiser geht davon aus, dass „es sich beim Lernen aus unmittelbarer Erfahrung weitestgehend um ein simultanes und unbewusstes Lernen handelt“486. Es ist deshalb legitim, die Frage nach entsprechenden Faktoren am Kolbschen Lernvorgang als Ganzes und nicht an einer bestimmten Phase festzumachen. Angesichts der hohen Bedeutung unmittelbarer eigener Erfahrungen ist es naheliegend, den Blick zunächst auf die alltäglichen Arbeitsaufgaben und das damit verbundene Lernpotenzial zu richten.487 In der Arbeitspraxis kann dann von der Existenz eines hohen Lernpotenzials ausgegangen werden, wenn Arbeitsaufgaben vom Lernsubjekt möglichst vollständig bearbeitet werden können und eine Herausforderung bieten.488 Im Hinblick auf das Kriterium der Vollständigkeit ist im Rahmen der Bearbeitung komplexer Beratungsprojekte durch eines Vgl. exempl. Gris 2008, der sich in seiner Monographie „Die Weiterbildungslüge“ mit der Frage auseinandersetzt, „warum Seminare und Trainings Kapital vernichten und Karrieren knicken“. 484 Vgl. exempl. Abdulwahed/Nagy 2009; JilardiDamavandi et al. 2011; Massey/Kim/Mitchell 2011. 485 Vgl. Wiegand 1996, S. 369f. 486 Kaiser 2001, S. 79. 487 Vgl. Kaiser 2001, S. 82f. 488 Vgl. Kaiser 2001, S. 82. 483
92
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
oder mehrerer Teams nicht immer davon auszugehen, dass einzelne Berater ihre Aufgaben immer vollumfänglich selbst bearbeiten (können). In Anlehnung an den Kriterienkatalog von Ulich489 ist vielmehr anzunehmen, dass es deshalb auch darum geht, Beratenden eine möglichst eigenständige und partizipative Aufgabengestaltung zu ermöglichen mit der Möglichkeit, eigene in übergeordnete Ziele einbetten zu können.490 Während das Kriterium der Vollständigkeit auf unterschiedliche Branchen und Tätigkeitsbereiche übertragbar zu sein scheint, wird das Kriterium der Herausforderung besonders häufig und im positiven Sinne mit der Tätigkeit des Unternehmensberaters in Verbindung gebracht.491 Im beruflichen Kontext kann mit Herausforderung der Unterschied zwischen der jeweiligen Anforderung der Aufgabe und der eigenen Leistungsfähigkeit
in
Verbindung
gebracht
werden.492
Bewegen
sich
die
Herausforderungen der Arbeit in einem – sicherlich nicht exakt messbaren – Korridor zwischen Unter- und Überforderung, ist das Lernpotenzial einer Aufgabe maximal. Kaiser illustriert dies anhand der schematischen Darstellung eines Lernprozesses mit mehreren Episoden anhand einer Kurve, die das vom Lernsubjekt ausgeschöpfte Lernpotenzial und das daraus abgeleitete Niveau der Leistungsfähigkeit darstellt (Abbildung 11):493 Das erzielte Lernpotenzial je Episode markiert die gestrichelte Linie. In Episode 1 ist es maximal (Punkt L), da die Herausforderung das Lernsubjekt weder unter- (Fläche UN) noch überfordert (ÜF). Es ist davon auszugehen, dass sich die herausfordernde Eigenschaft einer Arbeitsaufgabe durch den damit einhergehenden Lernprozess im Zeitablauf „abnutzt“. Dies wird anhand der Darstellung von Episode 2 sichtbar (Punkt L‘). Kommt in Episode 3 hingegen eine Aufgabe mit aus Sicht des Lernsubjekts hohem Neuigkeitswert hinzu, die zu einer Überforderung des Lernsubjekts führt, kann das maximale Lernpotenzial ebenfalls nicht abgerufen werden (Punkt L‘‘). Gesamthaft ergibt sich damit über alle drei Episoden hinweg das Phänomen, dass das Lernsubjekt aufgrund zeitweiser
Unter-
bzw.
Überforderung
das
maximale
Niveau
der
eigenen
Leistungsfähigkeit (gepunktete Linie f) nicht erreichen kann. Dies wäre vom Lernsubjekt
Vgl. Ulich 1999, S. 125. Vgl. Kaiser 2001, S. 83 in Anlehnung an Ulich 1999. 491 Vgl. Hartenstein et al. 2011, S. 1. 492 Vgl. Robinson/Wick 1992, S. 64. 493 Vgl. Kaiser 2001, S. 85. 489 490
93
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
nur dann erzielbar gewesen, wenn es in allen drei Episoden optimal gefordert gewesen wäre. Angesichts des komplexen, innovativen und risikobehafteten Charakters von Beratungsprojekten494 liegt die Annahme nahe, dass das typische Arbeitsumfeld von Unternehmensberatern stets Aufgaben mit hohem Lernpotenzial bietet. Dies wird jedoch von Studien in Frage gestellt, die Unterforderung Beratender im Zuge der Bearbeitung monotoner Tätigkeiten beschreiben. Es ist dann von „Monkey Work“ die Rede, wenn vorwiegend unerfahrene Beratende mit monotonen Arbeiten beschäftigt werden.495 Auch ist denkbar, dass Beratende als „Experten“ innerhalb ihrer Beratungs-Practice auf mehreren Projekten derselben Art bzw. mit ähnlich gelagerten Themenstellungen eingesetzt werden. Dort können dann zunehmende Routine und damit einhergehende Unterforderung verhindern, dass das maximal mögliche Lernpotenzial ausgeschöpft wird. Zum gleichen Ergebnis kann Überforderung in der Projektarbeit führen, etwa wenn Beratende im Rahmen von Projekten Aufgaben bearbeiten müssen, die nicht ihrem Erfahrungs- bzw. Qualifikationsniveau entsprechen.
494 495
Siehe Kapitel I.2.4: Beratungsprojekt. Vgl. Costas/Kärreman 2015, S. 71.
94
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Niveau der Leistungsfähigkeit
f
Potenziell maximales Niveau nach drei Episoden
L‘‘
Tatsächlich erreichtes Niveau nach drei Episoden L‘
Lernpotenzial L
UN
ÜF Herausforderung Zeit
Episode 1
Episode 2
Episode 3
Abbildung 11: Ausschöpfung Lernpotenzial496 Neben Vollständigkeit von und Herausforderungen durch Arbeitsaufgaben stellt die Rückmeldung an das Lernsubjekt zur Effektivität seines Vorgehens einen weiteren plausiblen Faktor des Lernens dar.497 Hier kommt insbesondere dem Ausmaß und der Unmittelbarkeit der Rückkopplung Bedeutung zu.498 Darüber hinaus ist es wichtig, die Ausführung der Aufgaben hinsichtlich eines Ablauffeedbacks zu ergänzen, um eine permanente Handlungskorrektur zu gewährleisten. Im Rahmen seiner Aufgabe sollte das Lernsubjekt die Resultate eigener Arbeit kontrollieren bzw. Ergebnisse eigener Handlungen auf Übereinstimmung mit den gesetzten Zielen hin überprüfen können.499 Schließlich kann der Lernvorgang von Konflikt im Sinne der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Anschauungen und Meinungen profitieren: „Learning requires the resolution of conflicts between dialectically opposed modes of adaptation to the world. Conflict, differences, and disagreement are what drive the learning process.”500
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Kaiser 2001, S. 85. Vgl. Kolb/Kolb 2005, S. 194. 498 Vgl. Wiegand 1996, S. 369f. 499 Vgl. Kaiser 2001, S. 83. 500 Kolb/Kolb 2005, S. 194. 496 497
95
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Kolb illustriert seine Argumentation anhand von Untersuchungen mit Studenten im universitären Bereich. Man kann vermuten, dass dort die systematische Reflexion von Erfahrungen einen Bestandteil der Ausbildung darstellt. Nicht selbstverständlich ist dies im Hinblick auf die tägliche Arbeitspraxis Beratender, die angesichts zahlreicher Aktivitäten zur Erbringung ihrer Beratungsleistung mit zeitlichen Limitationen konfrontiert sind.501 Möglicherweise erscheint dann die Zeit für unmittelbare Rückkopplung und ausführliche Auseinandersetzung mit Konflikten „zu kostbar“. Vielleicht sollte sie jedoch gerade dafür investiert werden, um komplexe und „bösartige“502 Problemstellungen effektiv bearbeiten zu können. Was mögliche Faktoren im Hinblick auf synthetische Lernerfahrungen betrifft, ergibt sich ein ziemlich unübersichtliches Bild mit unterschiedlichen Kriterien. Kaiser nennt in diesem Zusammenhang unter Verweis auf Erkenntnisse der pädagogischen Psychologie grundsätzliche Gestaltungsprinzipien.503 Zu diesen gehören möglichst authentische Problemstellungen und Kompatibilität mit dem Erfahrungsschatz des Lernsubjekts. Wiegand nennt unter Rückgriff auf Gentrys Arbeiten504 die sicherlich auch aus heutiger Sicht noch als aktuell zu bezeichnenden Gestaltungsempfehlungen zum Lernen mittels (Computer-) Simulationen, das als synthetisches Erfahrungslernen „partizipativ, interaktiv und anwendungsbezogen“ sein sollte und „die Auseinandersetzung mit einer komplexen, unsicheren Umwelt ermöglichen.“505 2.3.2.2.2
Lernpraktiken
Nach Kolbs Auffassung ist das vollständige Durchlaufen bzw. kognitive „Durcharbeiten“ der vier Phasen für erfolgreiches Lernen notwendig.506 Wie weiter oben deutlich wurde, erstrecken sich die hierbei anzuwendenden Lernpraktiken im Wesentlichen auf das Sammeln und die Verarbeitung von Erfahrungen. Bemerkenswert für den vorliegenden Kontext sind Untersuchungsergebnisse, die auf einen empirischen Zusammenhang zwischen dem sich hieraus ergebenden Lernstil und der Zugehörigkeit zu bestimmten
Siehe Kapitel I.2.4: Beratungsprojekt. Vgl. Ringlstetter/Kaiser/Bürger 2004, S. 13. 503 Vgl. Kaiser 2001, S. 93. 504 Vgl. Gentry 1990. 505 Wiegand 1996, S. 369. 506 Vgl. Wiegand 1996, S. 366. 501 502
96
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Berufsgruppen bzw. organisatorischen Funktionsbereichen hinweisen.507 Während etwa Ingenieure mit konvergierendem, Mathematiker mit assimilierendem und Manager mit konvergierendem Lernstil in Verbindung gebracht werden, wird Beratenden eine Präferenz zum divergierendem Lernstil unterstellt.508 Angesichts der Charakterisierung Beratender als externe Professionals ohne feste berufsständische Zuordnung, von denen die Einnahme unterschiedlicher Rollen und Funktionen erwartet wird509, ist diese Professions-bezogene Zuordnung zu hinterfragen. Ist aufgrund der unterschiedlichen Facetten und Themenschwerpunkte von Beratung510 doch anzunehmen, dass Beratende in Abhängigkeit Ihrer Rolle, Funktion, Projekttyps oder gar situationsbezogen im Projektablauf unterschiedliche Lernstile pflegen. So bieten sich in Due Diligence Projekten zur Unternehmenswertermittlung mit analytischabstrakter Aufgabenstellung der assimilierende, in Kulturentwicklungsprojekten mit hohem
Interaktionsgrad,
der
divergierende
und
in
Reporting-intensiven
Restrukturierungsprojekten der akkommodierende Lernstil an. Auch kann angenommen werden, dass es sich im Hinblick auf Beratungsqualität empfiehlt, Teams mit Consultants unterschiedlicher
Lernpräferenzen
aufzustellen,
bestehend
aus
„Divergierern“,
„Assimilierern“, „Konvergierern“ und „Akkomodierern“: „In consulting it is a best practice to diversify learning styles among the consultants on a team. This improves the group dynamics, problem framing, analysis, and discussion, and ultimately it produces better results.”511 Vor diesem Hintergrund werden das Sammeln und das Verarbeiten eigener unmittelbarer Erfahrungen als Lernpraktiken aufgefasst, die im spezifischen Kontext der Beratung Anwendung finden (siehe die beiden Achsen im Kreisinneren von Abbildung 10). Je nach Anwendungspräferenz ergeben sich damit die beschriebenen vier Lernstile, die im Projektalltag Beratender Anwendung finden können.
Vgl. Kaiser 2001 mit Verweis auf Schirmer 1992 (S. 174) und Scholz 2000 (S. 482) zur Einordnung weiterer Berufsgruppen. 508 Vgl. Übersicht bei Wiegand 1996, S. 367. Erstellt in Anlehnung an und in Erweiterung von Kolb 1984 (S. 130), Schirmer 1992 (S. 172ff.) und Jeryis 1983 (S. 28). 509 Siehe Kapitel I.2.1: Tätigkeit und Anforderungen Beratender. 510 Vgl. Kapitel I.1.1: Unternehmensberatung. 511 Verlander 2012, S. 183; vgl. auch Kolb/Kolb 2005 zur Abgrenzung von der Vorstellung, dass das Lernsubjekt im Zuge eines passiven Lernvorgangs vorgefertigte, unumstößliche Ideen erwirbt: „[…] knowledge is created and recreated in the personal knowledge of the learner.” (S. 194) 507
97
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Die Ausprägung des Sammelns von Erfahrungen (senkrechte Achse) beschreibt, wie der Lernstoff vom Lernsubjekt am besten verstanden wird.512 So mag es Beratende geben, die grundsätzlich oder in bestimmten Situationen anhand von konkreten Aktivitäten, Beispielen oder Demonstrationen lernen. Andere wiederum präferieren das Sammeln von Erfahrungen zunächst anhand abstrakter Modelle und Schemata. Man denke etwa an einen Consultant, der die für ihn neue Aufgabe bekommt, eine Investitionsrechnung in Excel mit mehreren miteinander verknüpften Worksheets zu erstellen. Die Einführung durch den Projektleiter kann dann entweder konkret an einem bereits existierenden Excel-Dokument erfolgen. Alternativ kann das Briefing auch mittels eines Schaubildes am Flipchart erfolgen, das die einzelnen Elemente wie Berechnungsebenen, Eingabefelder bis hin zum zu verwendenden Farbcode abstrakt und schematisch wiedergibt. Die Ausprägung des Verarbeitens von Erfahrungen beschreibt hingegen, wie der Lernstoff vom Lernsubjekt am besten erfahren wird (waagrechte Achse im Kreisinneren). So mag der mit der Erstellung der Investitionsrechnung beauftragte Consultant entweder die praktische Umsetzung bzw. das unmittelbare aktive Experimentieren im Zuge der Erstellung des Excel-Dokuments bevorzugen oder alternativ die reflektierende Beobachtung des zuvor erhaltenen Briefings zur Ableitung von entsprechenden Schlussfolgerungen für die Bewältigung der gestellten Aufgabe. Wenn auch am Beispiel von IT-Schulungen und nicht im hier interessierenden Beratungskontext beschreiben Gerlach und Squarr ihre Beobachtung dazu folgendermaßen: „Die einen wollen sofort loslegen und das neue Wissen praktisch am System ausprobieren, während die anderen lieber so lange eine Systemvorführung beobachten, bis sie sicher sind auch alles verstanden zu haben.“513 2.3.2.2.3
Manifestation
Es ist nicht die Frage nach konkreten Ergebnissen bzw. nach dem Outcome des Lernvorgangs, die in Kolbs Arbeit im Mittelpunkt steht. Vielmehr steht der Lernprozess als solcher im Fokus des Forschungsinteresses: „Learning is best conceived as a process, not in terms of outcomes.”514 Es stellt den bedeutendsten Prozess menschlicher
Vgl. Gerlach/Squarr 2015, S. 15. Gerlach/Squarr 2015, S. 15. 514 Kolb/Kolb 2005, S. 194. 512 513
98
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Anpassung dar als Grundlage für viele andere Arten menschlicher Wissensgenerierung wie Forschung, Kreativität, Entscheiden und Problemlösen.515 Die Art und Weise, wie ein Mensch lernt, prägt den Verlauf seiner persönlichen Entwicklung.516 Nichtsdestotrotz wird deutlich, dass Kolb mit dem Lernvorgang vorrangig den Erwerb neuen Wissens verbindet. Indem das Lernsubjekt Erlebnisse sammelt und verarbeitet, generiert es Wissen: „Learning (is) the process whereby knowledge is created through the transformation of experience. Knowledge results from the combination of grasping and transforming
experience.”517
Im
Gegensatz
zur
Vorstellung
einer
bloßen
Wissensübertragung von einem Sender hin zu einem Empfänger, fasst Kolb Lernen als einen kontinuierlichen Prozess der Wissensbildung auf, im Rahmen dessen Wissen laufend erzeugt und rekonstruiert wird.518
2.3.2.3
Bewertung
Kolbs Lernzyklus fundiert den in der Alltagssprache gängigen Ausdruck des „Learning by doing“.519 Demnach erfordert effektives Lernen die
unmittelbare, praktische
Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand durch das Individuum. Transferprobleme vom Gelernten in die Praxis entfallen im Falle unmittelbarer Erfahrung.520 Woller erachtet den Beitrag von Kolbs Konzept in seiner „Ganzheitlichkeit, die unterschiedliche Zugangsweisen in einem Modell vereint, sowie in ihrer allgemeinen Anwendbarkeit.“521 Die Herausarbeitung unterschiedlicher Lernstile macht das Konzept attraktiv und flexibel in der Anwendung. Es beschreibt einen Lernprozess, der individuelle Präferenzen
Vgl. Wiegand 1996, S. 366 in Anlehnung an Kolb 1984, S. 31ff. Vgl. Kolb/Kolb 2005, S. 194. 517 Kolb 1984, S. 41, zitiert nach Kolb/Kolb 2005, S. 194. 518 Vgl. Kolb/Kolb 2005, S. 194. 519 Vgl. Knoll 2017, S. 127ff.: Knoll zufolge ist der Ausdruck des „Learning by doing“ nicht, wie häufig zitiert, auf John Dewey zurückzuführen, sondern entstammt der englischen Übersetzung der Nikomachischen Ethik von Aristoteles. Der Ausdruck basiert auf dessen Überlegungen über die Erziehung und insbesondere über die Ausbildung von Tugenden und Fertigkeiten. 520 Vgl. Kaiser 2001. Im Gegensatz zum Lernen durch unmittelbare Erfahrung erachtet Kaiser im Falle der Angewiesenheit auf synthetische Erfahrung eine Transferproblematik: „Neben [.] Argumenten, die insgesamt für synthetische Lernerfahrungen stehen, haben alle synthetisch geschaffenen Lernumgebungen jedoch ein gemeinsames Problem: Sie sind mehr oder weniger durch Handlungs- und Anwendungsferne gekennzeichnet. In Verbindung damit ist der Transfer des Gelernten stark gefährdet.“ (S. 92) 521 Woller 2006, S. 16. 515 516
99
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
berücksichtigt ohne auf fest vorgegebene Merkmale des Lernens zu beharren.522 Dies ermöglicht es, die persönliche Veränderungs- und Entwicklungsfähigkeit des Lernsubjekts zu thematisieren.523 Trotz unterschiedlicher Anpassungen des Instruments durch Kolb weisen Manolis et al. auf mehrere Unzulänglichkeiten des zugehörigen Learnings Style Inventory hin, „which limit its use, including low reliability, questionable validity, and low predictive powers. Furthermore, the instrument presupposes that individuals can only possess one learning style.”524 Sie weisen darauf hin, dass es bislang kein Instrument gibt, das Kolbs Lernstile erfolgreich und effizient misst.525 Im Hinblick auf das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit liefert Kolbs Konzept vor allem Hinweise auf Faktoren des Lernens Beratender: Eigenschaften der Arbeitsaufgabe, der Aspekt der Rückmeldung und der Anwendungsbezug im Falle synthetischer Lerninhalte entscheiden mit darüber, ob Lernvorgänge gefördert oder gehemmt werden. Wie Abbildung 12 zeigt, finden sich nur wenige Hinweise zur Ausprägung von Lernpraktiken und der Manifestation des Lernens. Smith bestätigt diese Einschätzung im Rahmen seiner Beschäftigung mit Kritikern von Kolbs Lernmodell wie Boud, Jarvis und Tennant.526 Als einen Hauptkritikpunkt an Kolbs Modell wird dort angeführt, dass es zu wenige Anhaltpunkte zur Praktik der Reflexion selbst liefert.527 Während rückblickender Reflexion ein hoher Stellenwert eingeräumt wird, geht dies auf Kosten
des
„Hier und
Jetzt“
und
der Berücksichtigung von
Kontext
und
Rahmenbedingungen. Eine solche Dekontextualisierung liefert nur einen begrenzten Ausschnitt bezüglich der zahlreichen Faktoren, die Lernen beeinflussen. Die Betonung individueller Erfahrung geht dann etwa zu Lasten sozialer Aspekte des Lernens.528 Holman und Kollegen stellen der kognitiven Ausrichtung von Kolbs Lernkonzeption die Auffassung gegenüber, dass individuelles Lernen einen Prozess darstellt, der untrennbar mit der sozialen und historischen Position des Lernenden verknüpft ist.529
Vgl. Manolis et al. 2013, S. 44, in Anlehnung an Fisher Turesky/Gallagher 2011. Vgl. Manolis et al. 2013, S. 44, in Anlehnung an Healey/Jenkins 2000. 524 Manolis et al. 2013, S. 45. 525 Vgl. Manolis et al. 2013, S. 44f. 526 Vgl. Smith 2001, 2010. 527 Boud/Keogh/Walker 1985, S. 13. 528 Kayes 2002, S. 141, in Anlehnung an Vince 1998, Holman/Pavlica/Thorpe 1997. 529 Vgl. Holman/Pavlica/Thorpe 1997. 522 523
100
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Faktoren Unmittelbare Erfahrung
Lernpraktiken
Manifestation
Erfahrungszyklus
Arbeitsaufgaben Vollständigkeit Herausforderung
Erfahrungen sammeln
Rückmeldung
Erfahrungen verarbeiten Neues Wissen
Synthetische Erfahrung Anwendungsbezug Lernhinhalt
Abbildung 12: Kolbs Diskussionsbeitrag530 Auch in Bezug auf Ergebnisse des Lernens hält sich Kolb in seinen Ausführungen bedeckt, möglicherweise bewusst, hält er Lernen doch für einen grundsätzlich ergebnisoffenen Prozess. Die Notwendigkeit, nicht vorherzubestimmen, zu welchen Lernergebnissen die individuellen Erlebnisse des Lernenden und die darauffolgende Reflexion zu führen hat, ist umstritten.531 Kolbs Ansatz steht damit im Widerspruch zur behavioristischen Vorstellung, die Lernen über die Erreichung bestimmter Ergebnisse oder die Speicherung einer größtmöglichen Menge von Fakten definiert, die dann nur noch einer bestimmten Stimulierung bedürfen, um abgerufen werden zu können. Erfahrungslernen hingegen geht davon aus, dass Ideen keine fixen und unverrückbaren Elemente des Denkens sind, sondern durch Erfahrung entstehen und immer wieder verändert werden. Darüber hinaus bleibt neues Wissen als Manifestation des Lernens weitgehend unbestimmt, ohne auf dessen unterschiedliche Facetten einzugehen (z. B. implizites vs. explizites Wissen). Es bleibt als Platzhalter für etwas, das durch einen vorwiegend kognitiven Lernvorgang produziert wurde.
530 531
Quelle: Eigene Darstellung. Vgl. Woller 2006, S. 30.
101
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die Übertragung sowohl Kolbs Konzept als auch Banduras Konzepts auf den spezifischen Lernkontext Beratender wertvolle Hinweise zu möglichen Ausprägungsformen von Lernpraktiken, den darauf einwirkenden lernbegünstigenden bzw. -hemmenden Faktoren sowie ihrer Manifestation liefert. Letztere stellt in beiden Ansätzen das Ergebnis eines strukturierten, in einzelne Schritte zerlegbaren
Lernvorgangs
Erklärungsansätzen532
dar.
Mit
anderen,
kognitiv
ausgerichteten
des Lernens verbindet die beiden Konzepte die Sichtweise, dass
Menschen vor allem dadurch lernen, dass sie Informationen aus ihrer Umwelt aufnehmen und verarbeiten. Kognitiv ausgerichtet deshalb, weil vorwiegend die an der Erkenntnisgewinnung beteiligten geistigen Prozesse mit mehreren aufeinanderfolgenden Phasen beschrieben werden.533 Es interessiert primär, auf welche Weise das Lernsubjekt Informationen aus der Umwelt gewinnt, wie diese Informationen im menschlichen Organismus repräsentiert und transformiert werden, wie sie gespeichert und zur Steuerung der Aufmerksamkeit und des Verhaltens herangezogen werden.534 Eine auf die Kognition des Individuums zentrierte Sichtweise, die mit Lernen den Erwerb und die Verarbeitung von Wissen assoziiert, wird von Schatzki als „traditionell” bezeichnet: „Learning has been frequently conceptualized as the acquisition of knowledge, […]. This traditional view is sometimes called ‘cognitivism’. A further feature of cognitivism is the idea that individual people are what learn: learning is the acquisition by individual people of propositional knowledge. […] This focus on the individual person has also historically been accompanied by the idea that mind—or, more recently, brain— is the locus of learning, the place where knowledge is accumulated.”535 Im Einklang dazu steht
die
Charakterisierung
von
Bonss,
die
kognitiv
ausgerichteten
Wissenschaftstraditionen ein „traditionelles“ Wissensverständnis attestiert.536 Dieses
Auch die Wissenspsychologie liefert Hinweise auf Prozesse individuellen Lernens im Sinne eines Wissenserwerbs, verstanden als „Erlernen neuer symbolischer Information, gekoppelt mit der Fähigkeit, diese Information in effektiver Weise anzuwenden“ (Mandl/Friedrich/Hron 1988, S. 123). Kaiser 2001 erachtet insbesondere im schematheoretischen Ansatz einen der vielversprechendsten Ansatzpunkte für das Verständnis individuellen Lernens. Auch hier werden Prozesse betrachtet, im Zuge derer Wissen vom Individuum erworben, in dessen Gehirn codiert, organisiert und gespeichert sowie anschließend abgerufen und der Anwendung bereitgestellt werden (S. 64). 533 Vgl. Schermer 2014, S. 20. 534 Vgl. Schermer 2014, S. 21, in Anlehnung an Hussy 1984, S. 33. 535 Schatzki 2017, S. 24. 536 Vgl. Bonss 2014, S. 176. 532
102
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
basiert auf der Vorstellung einer objektivier- und speicherbaren Ressource, die von Individuen erworben und „in deren Köpfen“ abgespeichert werden kann.537 Um Beitrag und Grenzen dieser Perspektive im Hinblick auf das Forschungsinteresse an Lernpraktiken in der Unternehmensberatung aufzuzeigen und bewerten zu können, wird nachfolgend eine vertiefte Betrachtung ihrer Merkmale vorgenommen.
2.3.3 Merkmale der traditionellen Perspektive Das Bild des Wissenserwerbs prägt die moderne Lernforschung maßgeblich. In ihrem 1948 erstveröffentlichten und bis heute viel zitiertem Werk „Theorien des Lernens“538 schreiben Hilgard und Bower: „Ein Organismus ‚besitzt‘ ein bestimmtes Stück Wissen; in einem früheren Zeitpunkt war das nicht der Fall.“539 Auch die das menschliche Lernen ergründende kognitive Psychologie hebt das Modell der Informationsverarbeitung als ein „für die psychologische Disziplin forschungsleitendes Paradigma“540 hervor. Lernen umfasst demnach kognitive bzw. an der Erkenntnisgewinnung beteiligte Prozesse in mehrere Phasen541, wie dies weiter oben bereits anhand der Ansätze von Bandura und Kolb deutlich wurde.542 Als Speicher für das Erlernte gilt das menschliche Gedächtnis. Die Aufnahme von Informationen erfolgt durch Aufbau und Erweiterung kognitiver Strukturen im Gehirn.543 Das Hauptaugenmerk liegt auf der Analyse struktureller innerorganismischer Aspekte.544 Aus Sicht von Bower kann Lerntheorie auch „experimentelle Epistemologie“ genannt werden, da Lernen und Wissen zueinander in derselben Beziehung zu stehen scheinen wie ein Prozess zu seinem Ergebnis, Erwerb zu Besitz oder das Malen zum Bild.“545 Dieser Beziehung zwischen Lernen und Wissen folgend, werden im nachfolgenden Kapitel I.3.3.1 zunächst Merkmale von Wissen aus traditioneller Sicht schlaglichtartig vorgestellt. Die Auffassung von Wissen als Ressource wird dabei deutlich, die gesichert, transferiert und expliziert werden kann. Lernen wird
Vgl. Wittmann/Edelmann 2012, S. 109ff.; Cook/Brown 1999, S. 383f.; Nicolini/Gherardi/Yanow 2003b, S. 6. 538 Hilgard/Bower 1983. 539 Hilgard/Bower 1983, S. 27. 540 Schermer 2014, S. 20. 541 Vgl. Schermer 2014, S. 20f. 542 Vgl. Kapitel II.3.1: Beobachtungslernen nach Bandura; Kapitel II.3.2: Erfahrungslernen nach Kolb. 543 Vgl. Kiesel/Koch 2012, S. 99. 544 Vgl. Schermer 2014, S. 13. 545 Hilgard/Bower 1983, S. 17 zweiter Absatz. 537
103
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
entsprechend im sich anschließenden Kapitel I.3.3.2 als Erwerb dieser Ressource beschrieben.
2.3.3.1
Wissen als Ressource
Trotz der in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen wie der Philosophie, den Sozialwissenschaften oder der Pädagogik stattfindenden Diskussion über das Wesen von Wissen, das als „breit, komplex und in Teilen unübersichtlich“546 mit zum Teil widersprüchlichen Definitionen547 beschrieben werden kann, erkennt Schatzki548 übergreifende Merkmale einer traditionellen Sichtweise. Wissen hat demnach propositionalen Charakter und repräsentiert sprachlich oder bildlich artikulierbare Fakten, die als objektiv gegeben bzw. unabhängig vom Individuum und situativen Gegebenheiten existierend betrachtet werden: „Propositional knowledge is the knowledge that the sky is blue, that Helena loves Lilly, that my elbow hurts, that e = mc2 […].“549 Als Speicherort bzw. als „locus of learning“550 fungiert das Gedächtnis551 bzw. im neurowissenschaftlichen Sinn das Gehirn552. 2.3.3.1.1
Bedeutung
Unabhängig
von
wissenschaftlichen
Definitionsansätzen
wird
Wissen
in
der
Unternehmenspraxis heute ein hoher Stellenwert eingeräumt und als „watchword of contemporary
organizations”553
gehandelt.
Dessen
Bedeutung
für
den
Unternehmenserfolg wird kaum noch in Zweifel gezogen.554 Angesichts des Trends zu einer Informationsgesellschaft argumentiert die überwiegende Mehrheit von Studien
Bonss 2014, S. 174. Løwendahl/Revang/Fosstenløkken 2001, S. 916ff. 548 Vgl. Schatzki 2017, S. 24. 549 Schatzki 2017, S. 24. 550 Schatzki 2017, S. 24. 551 Vgl. Schermer 2014, S. 13f. Das Gedächtnis wird als sog. hypothetisches, d.h. der direkten Beobachtung nicht zugängliches Konstrukt betrachtet. Mit dessen Hilfe ist das Individuum in der Lage, aufgenommene Eindrücke abzuspeichern und zu einem späteren Zeitpunkt wieder abzurufen. 552 Vgl. zur Einführung neurobiologischer Grundlagen von Lernen und Gedächtnis Wittmann/Edelmann 2012 , S. 17ff. 553 Orlikowski 2002, S. 250. 554 Vgl. Schreyögg/Geiger 2003a, S. 3. 546
547Vgl.
104
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
über Wissen in Organisationen, dass es sich dabei um einen maßgeblichen Faktor für ökonomisches Fortbestehen und Sicherung von Wettbewerbsvorteilen handelt.555 In der Betriebswirtschaftslehre, die sich traditionell mit der Frage nach dem adäquaten Umgang mit knappen Gütern beschäftigt556, ist insbesondere seit den 1990er Jahren die Diskussion von Wissen als eine knappe Ressource bzw. als „Commodity“557 zu beobachten. Gegenüber den klassischen Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und (Sach)kapital gewinnt Wissen zunehmend an Bedeutung und gilt als wichtigste Ressource zur Schaffung
von
Wettbewerbsvorteilen
in
Form
von
Innovation
und
Produktivitätssteigerungen558 in einer wissensintensiven Wirtschaftswelt.559 Die Beschäftigung mit der Wissensintensivität und dessen Bedeutung für Unternehmen bringt dies zum Ausdruck. 560 Ebenso der Versuch, Wissen zu klassifizieren und sich mit bestimmten Strategien, Routinen und Techniken zu beschäftigen, mithilfe derer Wissen entwickelt, kodifiziert, umgewandelt, übertragen und ausgetauscht werden kann.561 Es verwundert kaum, dass sich die Literatur zu einem solchen „Management von Wissen“ in großem Umfang auf Beispiele aus der Unternehmensberatungsbranche bezieht.562 Im Vergleich zu Unternehmen aus dem produzierenden Sektor sind Beratungsunternehmen mangels materieller Ressourcen in besonderem Maß von der immateriellen Ressource Wissen abhängig.563 Ihr wesentlicher Produktionsfaktor ist im Expertenwissen ihrer Mitarbeiter zu sehen564, das sich in Klienten-spezifischen Lösungen manifestiert.565 Im Hinblick auf den Geschäftserfolg kommt es darauf an, neue Ideen zu generieren, zu verkaufen und zu implementieren.566 Als relevant für den Wertschöpfungsbeitrag des einzelnen Wissensträgers in Professional Service Firms beschreiben Løwendahl und
Vgl. Kuhn/Jackson 2008, S. 454. Vgl. Kirsch 1998, S. 10ff. 557 Kuhn/Jackson 2008, S. 454. 558 Vgl. Drucker 1993, S. 19. 559 Vgl. Kaiser et al. 2015, S. 78f. 560 Vgl. exempl. Starbuck 1992, Spender/Grant 1996, Alvesson 1993. 561 Vgl. exempl. Nonaka/Mader/Takeuchi 1997, Teece 1998 und Hansen 1999. 562 Vgl. exempl. Empson 2001; Morris 2001. 563 Vgl. exempl. Morris 2001; Nordenflycht 2007 und Nordenflycht 2010. 564 Vgl. Starbuck 1992. 565 Vgl. Hitt et al. 2006. 566 Vgl. Fu 2014, S. 735. 555 556
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Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Kollegen informationsbasiertes, objektives und aufgabenbezogenes Wissen.567 Die fast schon dingliche Vorstellung von Wissen kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Rolle Beratender mit „Carrier”, also Transporter, für die Diffusion von Fachwissen und Innovationen assoziiert wird.568 Gerade für Beratungsunternehmen ist es deshalb von Interesse, wie die Ressource Wissen gesichert und transferiert werden kann. Die Ursprünge569 des Wissensmanagements sind auf die Frage nach Sicherung, Abrufbarkeit und Aktualisierung von Informationen zurückzuführen.570 Auch in jüngeren Arbeiten der PSF-Forschung ist der Transfergedanke zu finden: „Before organizing and using knowledge, a firm must build the capability to develop and accumulate it so as to enable employees to acquire, share and create new knowledge.”571 Dies kommt in der Zielsetzung zahlreicher Initiativen in Unternehmen zum Ausdruck, möglichst viele Informationen in Intranets, Datawarehouses und „Best-Practice“-Datenbanken“ als abrufbares Wissen abzuspeichern.572 Das vorhandene Wissen von Mitarbeitenden in einer solchen Weise zu „managen“ – der Ausdruck suggeriert Zielgerichtetheit und Verwaltbarkeit573 – nimmt gar Züge einer „Logistikaufgabe“ an.574 Zahlreiche Studien beschäftigen
sich
mit
Potential
und
Herausforderungen
von
IT-gestützten
Wissensmanagement-Systemen.575 In Beratungsunternehmen als wissensintensive Organisationen576 geht dies mit der Anstrengung einher, sich mit Potenzialen und Herausforderungen eines Managements der Ressource Wissen zu beschäftigen.577 Vielen
Vgl. Løwendahl/Revang/Fosstenløkken 2001, S. 916f. Darüber hinaus werden erfahrungsbasiertes, stillschweigendes und subjektives Wissen (know-how) und persönliches Wissen wie Talent, Begabungen, Kreativität und Intuition beschrieben. 568 Vgl. Engwall/Kipping 2002, S. 2. 569 Schreyögg und Geiger erkennen zwei Generationen von Wissensmanagement: Während die erste über die Einführung von Management-Informationssystemen auf die Sicherung und Abrufbarkeit von unternehmensrelevanten Informationen fokussiert zur Verbesserung der Entscheidungsqualität in Unternehmen, rückt die zweite Generation den sozialen Entstehungs- und Verwendungszusammenhang von Wissen in den Vordergrund (Schreyögg/Geiger 2003a, S. 4f.). 570 Vgl. Schreyögg/Geiger 2003a, S. 4. 571 Fu 2014, S. 733 572 Vgl. Vera/Crossan 2009, S. 125 573 Vgl. Dudenredaktion o. D.b. Das Verb „managen“ im Sinne von „leiten, verwalten“ tauchte bereits Ende des 19. Jahrhunderts im Deutschen auf. Es geht auf das italienische „maneggiare“ (= handhaben, gebrauchen, lenken) zurück. 574 Vgl. Thiel 2002, S. 30, zit. nach Bonss 2014, S. 177. 575 Vgl. exempl. Martiny 1998; Alavi/Leidner 2001. 576 Vgl. Starbuck 1992, S. 716. 577 Vgl. Dunford 2000; Werr/Stjernberg 2003. 567
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Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
der dort ins Leben gerufenen Knowledge-Management-Initiativen, mit Fokussierung auf Tools, Methodenhandbücher und Modelle, liegt die Vorstellung zugrunde, dass Wissen personen- und situationsunabhängig mittels schriftlicher oder gesprochener Sprache zugänglich gemacht werden kann.578 In neueren Ansätzen des Wissensmanagement wird häufig auf die Arbeit des Naturwissenschaftlers und Philosophen Michael Polanyi579 rekurriert, auf den die Unterscheidung
einer
expliziten580
und
einer
impliziten
bzw.
taciten581
Wissensdimension zurückzuführen ist.582 2.3.3.1.2
Dimensionen
Polanyi versteht unter explizitem Wissen dasjenige Wissen, das nicht an ein bestimmtes Individuum gebunden ist und in artikulierter, übertragbarer und archivierbarer Form vorliegt. Es ist reproduzierbar und umfasst Fakten, Regeln und dokumentierte Erfahrungen. Implizites Wissen hingegen basiert auf der Beobachtung, dass zahlreiche Aspekte des Verstehens und Könnens von Individuen nicht verbalisiert sind oder (nur unvollständig) verbalisiert werden können:583 „I shall reconsider human knowledge by starting from the fact that we can know more than we can tell."584 Im Unterschied zur expliziten liegt die implizite Wissensdimension dem Handeln des Individuums unbewusst zugrunde und ist an den Erfahrungsträger gebunden.585 Schreyögg und Geiger nennen folgende Merkmale: „Implizites Wissen ist nicht verbalisierbar, es entzieht sich strukturell dem sprachlichen Zugriff. Es ist auch nicht formalisierbar, d. h. einer kausalen Analyse nicht oder nur sehr begrenzt zugänglich. Weiterhin ist es unmittelbar erfahrungsgebunden, kann nur durch [..] Übung erworben werden, ist jedweder Handlung
Vgl. Werr/Stjernberg 2003, S. 884. Vgl. Polanyi 1966. 580 Nachfolgend werden die Adjektive „explizit“ und „explizierbar“ synonym verwendet. 581 Vgl. Bonss 2014, S. 178. In der deutschsprachigen Literatur werden beide Begriffe verwendet. 582 Vgl. Orlikowski 2002, S. 250 und Schreyögg/Geiger 2003a, S. 6. 583 Vgl. Schreyögg/Geiger 2003a, S. 11. In der Literatur finden sich zur Bezeichnung der beiden Wissensdimensionen mitunter andere Begrifflichkeiten, die jedoch dasselbe meinen. Wittmann und Edelmann etwa unterscheiden zwischen Sach- und Handlungswissen: „Die erste Art des Wissens, das Faktenwissen, wird auch als deklaratives Wissen bezeichnet. Es ist explizit, d. h. es ist uns bewusst und wir können es sprachlich ausdrücken. Die zweite Art wird auch als prozedurales Wissen bezeichnet. Es ist ein Wissen, wie man etwas tut. Es ist häufig implizit.“ (Wittmann/Edelmann 2012, S. 111). 584 Polanyi 1966, S. 4. 585 Vgl. Polanyi 1966, S. 20. 578 579
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Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
immanent und im Handlungskontext durch explizites Wissen nicht substituierbar.“586 Für Polanyi handelt es sich bei explizitem und implizitem Wissen um zwei verschiedene Dimensionen, die im individuellen Handeln zusammenwirken. Der stets vorhandenen impliziten Dimension wird ein Primat zugeordnet:587 Handlungen können zwar ohne explizites Wissen erfolgen, nicht jedoch umgekehrt. Um als Individuum handlungsfähig zu sein, bedarf es stets impliziten Wissens: „The skill of a driver cannot be replaced by a thorough schooling in the theory of the motorcar.“588 Rund 30 Jahre nach der Veröffentlichung von Polanyis Arbeit erlangten Nonaka und Taeuchi Popularität589 mit ihrem Versuch, implizites Wissen zu erschließen bzw. explizierbar zu machen. Ohne sich über ihr Verständnis bzgl. der Wesenseigenschaften impliziten
Wissens
„Wissensspirale“590
näher
auszulassen,
konstruierten
sie
anhand
einer
die Idee, wie neues Wissen in Organisationen durch die Konversion
von impliziten in explizites Wissen entstehen kann.591 Im Rahmen eines zirkulären Transferprozesses wird Wissen innerhalb einer Organisation spiralförmig von individuellem Wissen auf höhere Organisationsstufen, wie Personengruppen und ganze Unternehmen, gehoben (siehe Abbildung 13):592 -
Der Konversionsprozess beginnt mit der Phase der Sozialisierung, in der Individuen ihr implizites Wissen an andere Individuen durch Beobachtung, Imitation oder gemeinsame Übung und ohne Verwendung von Sprache weitergeben.593 Die unmittelbare Verankerung impliziten Wissens in der Handlung des Individuums bringt es mit sich, dass es nicht durch explikative Beschreibung, sondern durch Übungs- und Imitationsvorgänge erworben werden
Schreyögg/Geiger 2003a, S. 15. Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 392. 588 Polanyi 1966, S. 20. 589 Nonaka und Takeuchi gelten als Mitbegründer des modernen Wissensmanagements und prägten mit ihrem Buch "The Knowledge-Creating Company" (Vgl. Nonaka/Takeuchi 1995) den Diskurs gerade im betriebswirtschaftlichen Kontext maßgeblich (Vgl. Tsoukas 2003, S. 412, zit. n. Bonss 2014, S. 178). Ein Grund für das besondere Interesse an der Veröffentlichung war derzeit die Neugier westlicher Industrienationen zu verstehen, worauf der plötzliche wirtschaftliche Erfolg Japans beruhte. Nonaka und Takeuchi begründeten die ökonomische Überlegenheit japanischer Firmen mit deren Fähigkeit, implizites Wissen zu nutzen (Vgl. Nonaka/Mader/Takeuchi 1997 zitiert nach Bonss 2014, S. 178). 590 Sie gilt als eines der bekanntesten Modelle des Wissensmanagements (Frost o. D.). 591 Vgl. Nonaka/Takeuchi 1995, S. 56ff. 592 Vgl. Göhlich 2016, S. 15. 593 Vgl. Schreyögg/Geiger 2003a, S. 7, in Anlehnung an Krogh/Ichijō/Nonaka 2000, S. 83. 586 587
108
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
kann: „An art, which cannot be specified in detail cannot be transmittet by prescription, since no prescribtion for it exists. It can be passed on example from master to apprentice. This restricts the range of diffusion to that of personal contacts […].”594 Der Transfer, bzw. die Erschließung impliziten Wissens, ist demnach auf nicht-sprachliche Sozialisationsprozesse beschränkt. -
Ziel der sich anschließenden Externalisierungsphase ist es, das geteilte implizite Wissen explizierbar zu machen, z. B. durch die Bildung von Metaphern und Analogien.595
-
Es folgt die dritte Phase der Kombination, in der das gewonnene, nun explizierbare Wissen mit anderem individuellen expliziten Wissen verknüpft wird, beispielsweise indem spezifisches Wissen auf einen neuen Kontext bezogen angewendet wird.596
-
In der Phase der Internalisierung schließlich findet das neu gewonnene explizite Wissen Eingang in die Anwendung und Routinen des handelnden Individuums.
Am Ende der vier Phasen steht individuelles implizites Wissen von höherer Qualität als zu Beginn.597 Weitere Zyklen, mit den prinzipiell in dieser Reihenfolge ablaufenden Phasen, schließen sich an im Sinne eines spiralförmigen Entwicklungsprozesses. Das neue Wissen wird vom Individuum an die Gruppe und schließlich an die Organisation weitergegeben: „Ausgangspunkt der Spiralprozesse ist also das implizite Wissen eines Organisationsmitglieds, Endpunkt die kollektive Internalisierung.“598 In der Vorstellung von Nonaka und Takeuchi stellt dies den Prozess zur Generierung der erfolgs- und wettbewerbskritischen Ressource Wissen dar.
Polanyi 1958, S. 53. Vgl. Schreyögg/Geiger 2003a, S. 8, in Anlehnung an Nonaka 1994, S. 20f.; Schreyögg/Geiger 2003a fassen die Explizierung impliziten Wissens anhand eines zweistufigen Prozesses folgendermaßen zusammen: „Zunächst müssen durch freie Assoziation Metaphern gefunden werden, die einen ersten sprachlichen Zugang ermöglichen. Anschließend müssen Analogien zwischen den kreierten Metaphern und bereits bekanntem Wissen und Verfahren hergestellt werden, um eine Übersetzung in logischanalytisch explizite Wissensstrukturen zu ermöglichen.“ (S. 8) 596 Vgl. Schreyögg/Geiger 2003a, S. 8. 597 Vgl. Nonaka 2007, S. 166. 598 Schreyögg/Geiger 2003a, S. 9. 594 595
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Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
nach implizites Wissen
explizites Wissen
implizites Wissen
(a) Sozialisierung
(b) Externalisierung
explizites Wissen
(d) Internalisierung
(c) Kombination
von
Abbildung 13: Wissensspirale599 Obwohl es Nonaka und Takeuchi gelang, die Bedeutung impliziten Wissens einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, ist insbesondere der Transferprozess von implizitem in explizites Wissen Gegenstand von Kritik.600 Ohne an der Bedeutung der impliziten Komponenten von Wissen zu zweifeln, ist zu hinterfragen, ob die Konversion von implizitem in explizites Wissen der richtige Umgang damit ist.601 In Polanyis Betrachtungen steht das Individuum im Mittelpunkt. Dies bedeutet noch nicht, dass implizites Wissen auf Organisationen übertragbar ist. Deshalb fragen Schreyögg und Geiger: „Können Organisationen tatsächlich als Körper begriffen werden, der Wissen verinnerlicht, gibt es körperliches organisatorisches Wissen?“602 Zudem erscheint die Frage berechtigt, ob es das Konzept impliziten Wissens so ohne weiteres erlaubt, im Zuge der o. g. Konversion mit explizitem Wissen angereichert zu werden. Handelt es sich dabei doch, zumindest aus Sicht von Polanyi, um zwei unterschiedliche Konstrukte, die sich nicht einfach ineinander überführen lassen.603 Schreyögg und Geiger bringen Ihre Kritik auf den Punkt: „Nicht-Verbalisierbares kann eben auch nicht expliziert werden, alles
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schreyögg/Geiger 2003a (S. 7) und Nonaka/Takeuchi 1995 (S. 62 und 71). 600 Vgl. exempl. Tsoukas 2003, Ribeiro/Collins 2007, Gourlay 2006, Cook/Brown 1999. 601 Vgl. Schreyögg/Geiger 2003a, S. 9. 602 Schreyögg/Geiger 2003a, S. 15. 603 Vgl. Schreyögg/Geiger 2003a, S. 16, in Anlehnung an Polanyi 1966. 599
110
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
andere wäre widersinnig.“604 Und weiter: „Andernfalls handelte es sich bei dem impliziten Wissen ja lediglich um eine vorläufige Kategorie, um vorläufig unentdecktes Wissen, das seiner Explikation noch harrt.“605 Polanyi wird noch deutlicher, wenn er den Versuch der Explikation des Impliziten nicht nur für unmöglich, sondern auch für zerstörerisch bewertet: „I think I can show that the process of formalizing all knowledge to the exclusion of any tacit-knowing is self-defeating.“606 Er illustriert dies am Beispiel eines Pianisten, dem man die Aufgabe stellt, während des Klavierspiels auf die Bewegung seiner Hände zu achten, um diese bewusst zu steuern.607 Schreyögg und Geiger geben zu bedenken, dass die Idee einer Konversion gar irreführend und unmöglich ist.608 Unabhängig jedoch von der Wissensdimension, ob explizit oder implizit, wird der Charakter von Wissen als eine transferier- und sicherbaren Ressource erkennbar. Lernen wird aus traditioneller Perspektive entsprechend als Vorgang zum „Erwerb“ dieser Ressource aufgefasst.
2.3.3.2
Lernen als Wissenserwerb
Aus traditioneller Perspektive stellt Lernen einen Vorgang zum Wissenserwerb dar: „It does not matter, [.] whether propositional knowledge is discovered through personal investigation, transmitted via books or Internet, or handed along through interaction. All three processes instantiate the acquisition of knowledge and, thus, learning.”609 Der menschliche Verstand bzw. das Gehirn fungiert dabei als „locus of learning, the place where knowledge is accumulated”610. Konzeptionelle Grundlagen für ein solches Verständnis von Lernen liefert die Kognitionspsychologie, wonach Lernen als aktive Informationsverarbeitung verstanden werden kann, im Zuge derer das Individuum Informationen
aufnimmt,
intern
verarbeitet
und
abspeichert.611
Damit
Schreyögg/Geiger 2003a, S. 16. Schreyögg/Geiger 2003b, S. 14. 606 Polanyi 1966, S. 20. 607 Vgl. Polanyi 1966, S. 18. 608 Vgl . Schreyögg/Geiger 2003a, S. 16 mit Verweis auf Cook/Brown 1999, Brown/Duguid 2000 und Tsoukas 2003. 609 Schatzki 2017, S. 24. 610 Schatzki 2017, S. 24. 611 Der ökologische Ansatz nach Gibson entgegnet dem, dass kognitive Prozesse eine Reaktion des Individuums auf relevante Strukturen der Umwelt darstellen (situiert Kognition). Die Analyse der Strukturen der Umwelt wird als bedeutsamer erachtet als die Analyse der geistigen Leistung des Individuums. (Vgl. Gibson 1982). Wittmann und Edelmann vermuten, dass bei der Beschreibung der meisten kognitiven Prozesse beide Ansätze eine Rolle spielen und sich gegenseitig ergänzen (Wittmann/Edelmann 2012, S. 110). 604 605
111
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
zusammenhängende Prozesse können in eine Reihe von Einzelschritten zerlegt und analysiert werden. Dabei handelt es sich um „aktive, subjektive Strukturierungsprozesse. Kognitive Strukturen sind kein ‚Abbild‘ der Umwelt. Sie sind mentale (geistige) Konstruktionen.“612 Hinweise zu Ablauf und Ausprägung solcher Prozesse finden sich beispielsweise in der Unterrichtspsychologie. Einen Hinweis auf den hohen Stellenwert, den Unterrichtssituationen zur Vermittlung explizierbaren Wissens gerade im Consulting genießen, liefert der Blick auf die Ausgaben für Schulungen und Trainings im „Klassenzimmerformat“. Hier investierten dem BDU zufolge Beratungshäuser im Jahr 2019 durchschnittlich das Vierfache in Schulungen und Trainings im Vergleich zu Firmen der Gesamtwirtschaft.613 2.3.3.2.1
Aufbau kognitiver Strukturen in „Unterrichtssituationen“
In der Unterrichtspsychologie gelten die Arbeiten von Gagné zum Regellernen, von Ausubel zum rezeptiven Lernen, sowie von Bruner zum entdeckenden Lernen als drei „klassische“ Ansätze, die den Aufbau kognitiver Strukturen erklären. Gagné setzt Wissenserwerb mit dem Erlernen von Regeln gleich, die wiederum Begriffsketten bzw. Kombination von Begriffen darstellen. Man denke etwa an Merksätze („Durch einen Bruch wird dividiert, indem man…“) oder ganz generell an Aussagen, wie die Beschreibung beobachteter Gegenstände („Der Bleistift ist gelb“).614 Regellernen erfolgt meist durch sprachliche Unterweisung in Textform oder durch ein lehrendes Individuum, das das lernende Individuum in die Lage versetzen möchte, ein Verständnis für die Beziehung unterschiedlicher Begriffe zu erwerben, um es anschließend im Gedächtnis abzuspeichern und im Anwendungsfall abrufen zu können.615 Während Gagné seine Überlegungen vor allem der Wissensspeicherung widmet, unterscheidet Ausubel mehrere Kategorien bzw. Grundformen des Lernvorgangs. Vor dem Hintergrund des Forschungsinteresses dieser Arbeit an Lernpraktiken im Consulting wird Ausubels
Wittmann/Edelmann 2012, S. 110. Vgl. BDU 2021. 614 Vgl. Wittmann/Edelmann 2012, S. 121. 615 Zur Veranschaulichung findet sich bei Gagné 1969 das folgende Fallbeispiel: Bei diesem „stößt ein Student auf die Regel ‚Insekten machen eine Metamorphose durch‘. Es liegt auch in diesem Fall auf der Hand, dass der Erwachsene, wenn er diese Regel lernen soll, über den Begriff ‚Insekt‘ wohl unterschieden von anderen Klassen von Tieren verfügen und den Ereignisbegriff [=Erklärungsbegriff] ‚Metamorphose durchlaufen‘ gelernt haben muss, der von anderen Arten von Entwicklungsveränderungen zu unterscheiden ist.“ (S. 119, zit. nach Wittmann/Edelmann 2012, S. 122) 612 613
112
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Ansatz nachfolgend kurz vorgestellt und anschließend auf den spezifischen Lernkontext Beratender übertragen. Als Vertreter eines kognitiv ausgerichteten Erklärungsansatzes beschäftigt sich auch Ausubel mit dem Aufbau einer gegliederten kognitiven Struktur als Ergebnis des Lernvorgangs. Es geht um den „Erwerb einer klaren, stabilen und organisierten Wissensmenge“616 durch Ausübung von vier Grundformen des Lernens, die sich durch die Kombination der Ausprägungen zweier Dimensionen beschreiben lassen (Abbildung 14): -
Die erste Dimension gibt Auskunft darüber, wie seitens des Individuums617 gelernt wird: „Sinnvoll“ (S) versus „mechanisch“ (M). Wird sinnvoll gelernt, bedeutet dies nach Ausubel, dass das vermittelte Wissen inhaltlich, d.h. nicht wortwörtlich gelernt werden muss, sowie dass das erworbene Wissen eindeutig auf bisheriges Wissen bezogen werden kann. Beim mechanischen Lernen wird das Lernmaterial wortwörtlich bzw. auswendig gelernt, ohne dass ein inhaltliches Verständnis notwendig wäre. Allerdings kann dann der Lernstoff nicht mit bestehendem Vorwissen verknüpft bzw. assimiliert werden.618
-
Die zweite Dimension bezieht sich darauf, wie Wissen vom lehrenden Individuum vermittelt wird: „Rezeptiv“ (R) versus „entdeckend“ (E): Rezeptiv, wenn das lernende Individuum Wissen „in seiner fertigen Form“ übermittelt bekommt, um es sich einzuprägen für den späteren Abruf und die entsprechende Reproduktion. Entdeckend, wenn das lernende Individuum Wissen neu ordnen, Regeln ableiten und auftretende Probleme lösen muss. Anschließend kann das erworbene Wissen in bereits bestehende kognitive Strukturen eingegliedert werden.619
Vgl. Ausubel 1974, S. 139, zit. nach Wittmann/Edelmann 2012, S. 126. Vgl. Redaktion Artikel33.com o. D. 618 Vgl. Wittmann/Edelmann 2012, S. 121ff. und S. 127: Assimilation bezieht sich auf die Verknüpfung mit Vorkenntnisse des lernenden Individuums und wird bei Gagné, Ausubel und Bruner in unterschiedlicher Weise betont. Von Gagné werden klare Begrifflichkeiten als Voraussetzung des Regellernens hervorgehoben. Ausubel beschreibt die Interaktion von neuer Information mit bereits vorhandenem Wissen durch Herstellen sogenannter zufallsfreier (eindeutiger – Anm. d. Verf.) Beziehungen. Bruner schließlich weist auf die Notwendigkeit der Anwendung von Problemlösungsverfahren hin für die eigenständige Verarbeitung des Wissensstoffes. 619 Vgl. Ausubel/Novak/Hanesian 1981, S. 47, zit. nach Wittmann/Edelmann 2012, S. 125. 616 617
113
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Mechanisch (M)
Rezeptiv (R)
Wie wird gelernt?
Sinnvoll (S)
M-R: Dargebotene Informationen werden wortwörtlich gelernt und nicht mit Vorwissen assimiliert.
S-R: Dargebotene Informationen werden inhaltlich gelernt und mit Vorwissen assimiliert.
M-E: Ein vom Lernsubjekt entdeckter Sachverhalt wird wortwörtlich gelernt und nicht mit Vorwissen assimiliert.
S-E: Ein vom Lernsubjekt entdeckter Sachverhalt wird inhaltlich gelernt und mit Vorwissen assimiliert.
Wie wird Wissen vermittelt?
Entdeckend (E)
Abbildung 14: Grundformen des Lernens nach Ausubel620 Die Kombination der vier Ausprägungsformen definiert in Ausubels Konzept die vier Grundformen des Lernens. Diese lassen sich nun auf den spezifischen Kontext der Unternehmensberatung übertragen, indem auf „Unterrichtssituationen“ rekurriert wird. Hierfür kommen insbesondere Consulting-interne Schulungen und Trainings, wie sie typischerweise in Beratungskonzernen vorzufinden sind, in Betracht.621 -
In der Grundform M-R werden dargebotene Informationen wortwörtlich gelernt und nicht mit Vorwissen assimiliert. Man denke hier beispielsweise an ein Einführungstraining
für
angehende
Beratende
(„Boot-Camp“622),
das
beispielsweise der Vermittlung von Informationen zu Beratungsprodukten und internen Prozessen dient.623 -
In der Grundform S-R werden dargebotene Informationen inhaltlich gelernt und mit Vorwissen assimiliert. Als Beispiel hierfür kann eine ProjektmanagementSchulung
angeführt
werden,
im
Zuge
derer
Consultants
mit
erster
Quelle: Verändert übernommen aus Wittmann/Edelmann 2012, S. 125. Vgl. Richter/Dickmann/Graubner 2008, S. 196. 622 Vgl. Tichy 2001. 623 Dickmann/Graubner/Richter 2006 betonen neben der fachlichen Weiterbildung in Rahmen solcher Einführungsveranstaltungen den Aspekt der Netzwerkbildung: „In fact, the establishment of contact networks is often a primary, if tacit, objective of such training events.“ (S. 76) 620 621
114
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Beratungserfahrung hierauf aufbauende Lerninhalte wie Aspekte der Steuerung und Planung von Projekten erlernen.624 -
In der Grundform M-E wird ein vom Lernsubjekt entdeckter Sachverhalt wortwörtlich gelernt und nicht mit Vorwissen assimiliert. Im Beratungskontext trifft dies beispielsweise auf Trainings zu, die von den Teilnehmern zu bearbeitetende Fallstudien enthalten mit dem Ziel, Geschäftsdaten zu analysieren und hieraus Schlussfolgerungen für den Auftraggeber abzuleiten.625
-
In der Grundform S-E wird ein vom Lernsubjekt entdeckter Sachverhalt inhaltlich gelernt und mit Vorwissen assimiliert. Man denke hier etwa an eine Weiterbildungsmaßnahme mit interaktiven Gesprächssimulationen für erfahrene Beratende, die über die fachliche Bearbeitung von Projektaufträgen hinaus die Grundlagen von Akquisitions- und Kundenmanagementprozessen erlernen.626
Bruner627 weist schließlich auf die Vorteile der sinnvoll-entdeckenden Lernform hin. Seine „oft kreativen, aber manchmal auch etwas unsystematischen Ideen“628 stellen den dritten klassischen Ansatz zur Erklärung des Aufbaus kognitiver Strukturen dar. Bruner geht davon aus, dass das lernende Individuum nicht auf alle
denkbaren
Herausforderungen vorbereitet werden kann. Vielmehr sollte das lehrende Individuum „nach besten Kräften ein fundiertes Verständnis des Gegenstands vermitteln und es […] zu einem selbständigen und spontanen Denker [.] machen […].“629 Bruner betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung intuitiven Denkens: „Intuitives Denken beruht gewöhnlich auf einer Vertrautheit mit dem fraglichen Wissensbereich und mit seiner Struktur, und dies ermöglicht es dem Denkenden, herumzuspringen, Stufen auszulassen und Abkürzungen zu gehen. Er tut dies auf eine Art, die eine spätere, mehr analytische (…) Überprüfung seiner Schlussfolgerungen erforderlich macht.“630 Intuitives Denken charakterisiert Bruner als eher bildhaft und konkret, basierend auf einzelnen
Vgl. Schwenker 2006, S. 120. Vgl. Schwenker 2006, S. 120. 626 Vgl. Schwenker 2006, S. 120f. 627 Bruner 1966, Bruner 1973.. 628 Wittmann/Edelmann 2012, S. 126. 629 Bruner 1973, S. 16, zit. nach Wittmann/Edelmann 2012, S. 126. 630 Bruner 1973 S. 66., zit nach Wittmann/Edelmann 2012, S. 127. 624 625
115
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Erfahrungen und abzielend auf die Erfassung des Problems in seiner Gesamtheit. Es ermöglicht neuartige Lösungen und ist relativ einfallsartig und ggf. sprunghaft.631 Während
diese
drei
vorgestellten,
der
Unterrichtspsychologie
zuordenbaren
Erklärungsansätze auf den Aufbau kognitiver Strukturen fokussieren, nehmen Arbeiten im Bereich der Betriebswirtschaftslehre auf Modelle des Wissenstransfers Bezug, um das Phänomen Lernen zu konzeptualisieren. 2.3.3.2.2
Prozess des Wissenstransfers
Wie bislang mehrfach deutlich wurde, wird Wissen aus traditioneller Perspektive als Ressource konzipiert, die personen- und situationsunabhängig mittels schriftlicher oder gesprochener Sprache zugänglich gemacht werden kann. Das lernende Individuum wird zu einem Empfänger von Informationen.632 Die Vorstellung des Wissenstransfers lässt sich anhand des Prozesses der Informationsübertragung von einem Sender auf einen Empfänger veranschaulichen.633 Das Modell von Garavelli und Kollegen634 (siehe Abbildung 15) beschreibt diesen folgendermaßen: Zunächst kodifiziert ein Sender sein Wissen, das er transferieren möchte, beispielsweise durch Sprache, Bilder, Diagramme. Ergebnis der Kodifizierung ist ein Wissensobjekt, das an den Empfänger weitergegeben und von diesem, mit Hilfe seines kognitiven Systems, interpretiert wird. Man denke etwa an einen Beratenden (Sender), der nach Projektabschluss seine Erfahrungen in Form einer „Debriefing-Unterlage“ (Objekt) kodifiziert und auf einer elektronischen WissensPlattform (z. B. Intranet) elektronisch speichert, um Kollegen (Empfänger) die Bearbeitung thematisch ähnlich gelagerter Projekte zu erleichtern. Ob ein solcher Wissenstransfer funktioniert, hängt von entsprechenden Faktoren des Senders ab, z. B. der Motivation zur Weitergabe von Wissen, sowie von Faktoren des Empfängers, z. B. dessen kognitiven Fähigkeiten zur Aufnahme und Interpretation des gesendeten Wissensobjekts.635 Die Antwort auf die Frage, wie individuelle Lernvorgänge ablaufen, reduziert sich somit auf Aspekte des Wissensaufbaus, der Integration neuer
Vgl. Wittmann/Edelmann 2012, S. 127. Vgl. Peters 2008, S. 51. 633 Vgl. Bonss 2014, S. 188ff. 634 Vgl. Garavelli/Gorgoglione/Scozzi 2002, S. 272. 635 Vgl. Bonss 2014, S. 195ff. 631 632
116
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Wissensobjekte und Erfahrungen mit bestehendem Wissen sowie die Organisation im Gedächtnis zur potenziellen Reaktivierung für bestimmte Problemlösungsaktivitäten.636
Sender
Wissen an der Quelle
Empfänger Kognitives System
Kodifizierung
Interpretation Objekt
Kognitives System
Wissen beim Anwender
Abbildung 15: Prozess des Wissenstransfers637 Bonss bezweifelt, ob eine solche kognitivistische Sichtweise auf Lernen im Sinne eines „Computer information processing model“, wonach Lernen einem Prozess von Inputs gleicht, die im Kurzzeitgedächtnis verwaltet und für den langfristigen Abruf kodiert werden638, der Komplexität individuellen Lernens gerecht wird. Vielmehr sei ein genaueres Verständnis der zugrunde liegenden Handlungen und Prozesse notwendig.639 Neben diesem Kritikpunkt sind weitere Defizite der als traditionell bezeichneten Analyseperspektive auf Lernen erkennbar. Diese werden nachfolgend im Rahmen eines kritischen Fazits erörtert.
2.3.4 Fazit: Defizite der traditionellen Perspektive auf Lernen als Anlass für die ergänzende Einnahme einer praxistheoretischen Sichtweise In der wissenschaftlichen Literatur zum arbeitsplatznahen Lernen ist ein Mangel an Konzepten für eine theoriegeleitete Diskussion zu Ausprägungsformen, Faktoren und Manifestation von Lernpraktiken in der Berufspraxis Beratender erkennbar.640 Im diesem ersten Hauptteil wurden deshalb Beiträge kognitiv ausgerichteter Lerntheorie, die einer als traditionell bezeichneten Sichtweise zugeordnet wurden, auf den spezifischen Beratungskontext übertragen und Implikationen für das Lernen Beratender abgeleitet. Es wurde deutlich, dass Konzepte dieser Sichtweise auf einen, in Teilschritten zerlegbaren
Vgl. Wiegand 1996, S. 346. Quelle: Verändert übernommen aus Garavelli/Gorgoglione/Scozzi 2002, S. 272. 638 Vgl. Siemens 2005. 639 Vgl. Bonss 2014, S. 207. 640 Vgl. Einführungskapitel (2): Forschungsdefizit. 636 637
117
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Lernvorgang zentriert sind, der vom Lernsubjekt überwiegend kognitiv vollzogen wird. Dies lieferte einerseits wertvolle Hinweise im Hinblick auf das vorliegende Forschungsinteresse, wie die Ausführungen zu Banduras und Kolbs Erklärungsbeitrag zeigten.641 Jedoch wurden auch „blinde Flecken“ der traditionellen Sichtweise erkennbar, die den Blick darauf einschränken, wie in der alltäglichen Arbeitspraxis Beratender gelernt wird. Nachfolgend wird dies anhand einer unzureichenden Berücksichtigung von sozialem Kontext (Kapitel I.3.4.1), einer Vernachlässigung alltäglicher Handlungspraxis (Kapitel I.3.4.2) und eines unterkomplexen Wissensverständnis (Kapitel I.3.4.3) als Manifestation des Lernens konkretisiert. Diese Defizite werden zum Anlass genommen, im zweiten Hauptteil dann ergänzend eine praxistheoretische Sichtweise zu nutzen, deren theoretische Konzepte diese Defizite zu adressieren erlauben.
2.3.4.1
Unzureichende Berücksichtigung des sozialen Kontexts
Das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit ist auf die Untersuchung des Lernens unter besonderer Berücksichtigung des spezifischen Beratungskontextes gerichtet.642 Während dieser anhand der von Engwall und Kipping643 verwendeten Bezugsebenen „Beratungsbranche“, werden
konnte,644
„Beratungsunternehmen“
und
„Beratungsprojekt“
präzisiert
zeigten die bisherigen Ausführungen, dass kontextbezogene Aspekte
in Erklärungsansätzen traditionellen Prägung eine nur unzureichende Berücksichtigung finden. Mit alltäglicher Beratungspraxis verbundene zeitliche und soziomaterielle Aspekte sind weitgehend von der Betrachtung ausgeklammert. Lernen wird primär als distinkter, auf das Individuum zentrierter Vorgang zum Zweck des Aufbaus bzw. der Veränderung kognitiver Strukturen konzipiert. Darüber, wie Lernen in alltäglicher Beratungspraxis stattfindet, konnten bislang lediglich Vermutungen angestellt werden. Insbesondere die Vernachlässigung von Aspekten des sozialen Kontexts erweist sich als Defizit. Während sich Littlejohn und Kollegen645 zufolge zahlreiche Hinweise auf die Bedeutung der Interaktion des Lernsubjekts mit anderen Individuen für Lernen im
Vgl. Kapitel I.3.1: Beobachtungslernen nach Bandura und Kapitel I.3.2: Erfahrungslernen nach Kolb. Vgl. Einführungskapitel (3): Zielsetzung und Beitrag der Arbeit. 643 Vgl. Engwall/Kipping 2002, S. 3. 644 Vgl. Kapitel I.2: Spezifischer Lernkontext Beratender. 645 Vgl. Littlejohn et al. 2016, S. 208. 641 642
118
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
arbeitsplatznahen Umfeld finden lassen,646 ist zu vermuten, dass dies in besonderer Weise für die Arbeit Beratender zutrifft. Diese interagieren im Rahmen ihrer täglichen Projektarbeit in einem Beziehungsgeflecht647 mit anderen Individuen ihrer eigenen Beratungsorganisation
sowie
Führungskräften
und
Mitarbeitenden
des
sie
beauftragenden Unternehmens. Die Zusammenarbeit mit verschiedenen Auftraggebern in wechselnder Teamzusammensetzung führt zu einer „authentischen, komplexen und sozialen Lernsituation“648. Es ist deshalb anzunehmen, dass die Berücksichtigung des sozialen Kontextes gerade im Consulting von Bedeutung ist. Diese Annahme wird gestützt durch Beobachtungen von Eraut und Kollegen, wonach Lernen im arbeitsplatznahen Umfeld insbesondere auf Prozesse der Partizipation in Gruppenaktivitäten, der Zusammenarbeit mit anderen, auf Konsultationen – innerhalb oder außerhalb der Arbeitsgruppen – und der Arbeit mit Klienten zurückzuführen ist.649 Ebenso verdeutlicht dies Engeströms Konzeptualisierung der Art und Weise, wie Menschen lernen, Dinge zu tun, die sie noch nie zuvor getan haben. Lernen kommt demnach eher in einem kollektiven als einem individuellen Phänomen zum Ausdruck.650 Die Fokussierung auf den individuellen Lernvorgang auf Kosten der Berücksichtigung des sozialen Kontexts in kognitiv ausgerichteten Erklärungsansätzen651 ist deshalb als Defizit zu werten.
2.3.4.2
Vernachlässigung alltäglicher Handlungspraxis
Neben der gebührenden Berücksichtigung des spezifischen Kontextes, in dem sich das Lernen Beratender vollzieht, richtet sich das Erkenntnisinteresse der Arbeit auf Lernpraktiken. Die Nutzung der traditionellen, kognitiv orientierten Sichtweise bleibt mit Hinblick auf Aspekte praktischen Tuns in einer berufsspezifisch geprägten sozialen Praxis insofern abstrakt, als dass Lernen als weitgehend verallgemeinerbarer und distinkter Vorgang konzipiert wird. Man denke beispielsweise an den Kolbschen Erfahrungszyklus, der den Praktiken des Sammelns und Verarbeitens von Erfahrungen vier Phasen
Vgl. exempl. Eraut 2007; Collin 2008. Vgl. hierzu auch die Ausführungen im zweiten Hauptteil in Kapitel II.3.1: Zugang zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken. 648 Vgl. Bredl/Fleischer 2016, S. 590. 649 Vgl. Eraut 2007, S. 409f. 650 Vgl. Lave 2009, S. 204. 651 Vgl. Wiegand 1996, S. 371 in Anlehnung an Stuart 1986. 646 647
119
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
zuordnet.652 Überlegungen zur Frage, inwiefern Lernen „situativer Einzigartigkeit“653 in kultureller, räumlicher oder zeitlicher Hinsicht unterworfen sein kann, mit der es Lernsubjekte in ihrer täglichen (Arbeits-)praxis zu tun haben könnten, nehmen vergleichsweise wenig Raum ein. Der distinkte Charakter kommt dadurch zum Ausdruck, dass Lernen als ein, von der alltäglichen Handlungspraxis weitgehend losgelöstes Phänomen betrachtet wird, „not to be confused with the more general category of human activity“654. Dies könnte dazu führen, dass Aussagen zum Lernvorgang zwar auf aggregiert-abstrakter Ebene plausibel sein mögen, in der konkreten Situation jedoch möglicherweise aufgrund von Vereinfachung zu kurz greifen. Als Beispiel kann die weiter oben655 vorgestellte Wissenspirale von Nonaka und Taeuchi zur Erschließung impliziten Wissens angeführt werden. Das bewusste Durchlaufen von exakt vier Phasen führt zum Erwerb individuellen impliziten Wissens. Die Möglichkeit, dass sich Lernen auch im Zuge praktischen Tuns und unbewusst in der alltäglichen Handlungspraxis vollziehen kann, erfährt in dieser Konzeption eine nur unzureichende Berücksichtigung. Mit der Fokussierung auf kognitive Aspekte des Lernens rückt auch der Blick auf die Bedeutung von Handlungspraktiken der alltäglichen Berufspraxis in den Hintergrund.656 Kritiker einer solchen Sichtweise, wie Strati oder Lave, entwickeln angesichts einer zunehmenden
„Mentalisierung“657
des
Organisationsgeschehens
Überwindung einer Trennung von Lernen und anderen
Aktivitäten.658
Ansätze
zur
Oder wie es
Siemens formuliert: „These theories do not address learning that occurs outside of people.”659 Entsprechend finden sich in Arbeiten, die der traditionellen Perspektive zuzuordnen sind, nur wenige Hinweise zur Wechselwirkung zwischen Handlungs- und Lernpraktiken. Wünschenswert wären auch Hinweise zu konkreten Ausprägungsformen
Vgl. Kapitel I.3.2: Erfahrungslernen nach Kolb. Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 341. 654 Vgl. Lave 2009, S. 203. 655 Vgl. Kapitel I.3.3.1 (2): Dimensionen. 656 Vgl. Contu/Willmott 2003, S. 284. 657 Willems 2017, S. 2. 658 Vgl. exempl. Wenger 2009 mit besonderer Berücksichtigung der Bedeutung von sozialem Kontext für Lernen (S. 209ff.) oder Strati 2007 mit dem Konzept „Sensible Knowledge“, das die Sinneswahrnehmung in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt: „Sensible knowledge concerns what is perceived through the senses, judged through the senses, and produced and reproduced through the senses. It resides in the visual, the auditory, the olfactory, the gustatory, the touchable and in the sensitive-aesthetic judgement.” (S. 62) 659 Siemens 2005, S. 2. 652 653
120
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
von Lernpraktiken. Smith bringt dies zum Ausdruck im Rahmen seiner Beschäftigung mit Kritikern von Kolbs Lernmodell wie Boud, Jarvis und Tennant. Als einen Hauptkritikpunkt an Kolbs Modell wird dort angeführt, dass es zu wenige Anhaltpunkte zur Praktik der Reflexion selbst liefert.660 Ein weiterer Aspekt der Vernachlässigung von Handlungspraxis kommt in der Unterschätzung der Bedeutung zeitlicher Aspekte zum Ausdruck. Von Kritikern des traditionellen, kognitiv ausgerichteten Lernverständnis wird betont, dass sich Praxis im Zeitablauf entwickelt.661 Beratende haben es in ihrer Arbeitspraxis beispielsweise mit Projektaufträgen zu tun, die sich mit Digitalisierungstendenzen und einer damit verbundenen „offenen Zukunft im starken Sinn“ als Herausforderung des UnternehmensManagements befassen.662 Die Anforderungen einer solchen Arbeitspraxis verändern sich fortwährend. Lernen kommt dann auch darin zum Ausdruck, mit dem Fehlen sprachlicher Kategorien zur Beschreibung künftiger Umweltzustände adäquat umzugehen.663 Der hieraus resultierende Lernbedarf, gerade in wissensintensiven Branchen, wie die der Beratung, ist entsprechend kontinuierlichen Änderungen unterworfen.664 Es ist anzunehmen, dass es in der Beratung immer seltener ausreicht, bewährtes Fachwissen blaupausenartig anzuwenden. Im Zuge von Lernprozessen geht es darum, „neues Wissen zu schaffen, das vorher nicht vorhanden war"665, basierend auf der Mobilisierung von Vielfalt, Mehrdeutigkeit und Unsicherheit.666 Die traditionelle Sichtweise auf Lernen ignoriert jedoch weitgehend solche zeitliche Aspekte des Lernens, die mit Antizipation, Unsicherheit und Dringlichkeit zu tun haben und die Handlungspraxis beteiligter Individuen prägen.667 Hier steht vielmehr der planbare Wissenstransfer bzw. -erwerb im Mittelpunkt der Überlegungen, der sich weitgehend „off-the-job“, wie in Trainings oder formalen Bildungsprozessen, vollzieht.668 Angesichts der zeitbezogenen Unwägbarkeiten
Vgl. Smith 2001, 2010. Vgl. exempl. Sandberg/Tsoukas 2011 und Nicolini 2011, S. 610: „The knowing is in the time and the tempo of the practicing.“ 662 Vgl. Einführungskapitel (1): Relevanz einer vertieften Auseinandersetzung mit Lernpraktiken Beratender. 663 Vgl. Kirsch/Seidl/van Aaken 2010, S. 1. 664 Vgl. Littlejohn et al. 2016, S. 207f. 665 Vgl. Creplet et al. 2001, S. 1521. 666 Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 361. 667 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 342 und Nicolini 2009c, S. 123. 668 Vgl. Kapitel I.3.3.2: Lernen als Wissenserwerb. 660 661
121
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
von Handlungspraxis und zahlreicher Belege669, wonach berufliches Lernen in erster Linie in praxi erfolgt und eng mit den täglichen Arbeitsaufgaben verwoben ist, ist dies als Defizit zu werten.
2.3.4.3
Unterkomplexes Verständnis von Wissen als Manifestation des Lernens
Die traditionelle Analyseperspektive auf Lernen betont Aspekte des Erwerbs, der Verarbeitung und Speicherung von Wissen. Neben dem damit verbundenen Aufbau bzw. der Erweiterung kognitiver Strukturen werden Aspekte wie Wahrnehmung, Gedächtnis, Denken und Sprache thematisiert.670 Auch wenn der Charakter von Wissen als Manifestation des Lernens mitunter unspezifisch bleibt – man denke an Kolb, dessen Konzept des Lernzyklusses dem Sammeln und Verarbeiten von Erfahrungen mehr Aufmerksamkeit schenkte als dessen Manifestation – wird doch deutlich, dass es sich dabei überwiegend um neues Wissen handelt, das als objektiv gegeben bzw. als unabhängig von der Wahrnehmung des Individuums und situativen Gegebenheiten existierend betrachtet wird. Die damit häufig assoziierte Vorstellung einer erwerb- und transferierbaren Ressource mag sich gerade in PSFs als „Modelle für eine zunehmend wissensbasierte
Wirtschaft“671
als
anschlussfähig
erweisen.
So
hängt
in
Beratungsunternehmen der Erfolg des Geschäftsmodell doch maßgeblich davon ab, inwiefern deren Mitarbeitende eine immaterielle Dienstleistung in Form komplexen Wissens an ihre Auftraggeber erbringen können.672 Angesichts einer Consulting-typisch hohen Mitarbeiterfluktuation673 ist anzunehmen, dass vor allem die Frage nach einem möglichst effektiven Transfer von Wissen zwischen Beratenden hohe Relevanz besitzt. Das Scheitern IT-gestützter Initiativen des Wissensmanagements liefert jedoch Hinweise auf die Grenzen eines auf kodifizier- und explizierbare Aspekte fokussierten Wissensverständnisses. Auf die anfängliche Euphorie solcher systematischen Ansätze folgte „aufgrund der hohen Misserfolgsquoten dieser Programme, bald Ernüchterung.“674
Vgl. exempl. Collin 2004; Eraut 2004; Tynjälä 2008. Vgl. Schermer 2014, S. 21. 671 Nordenflycht 2010, S. 155. 672 Vgl. Greenwood et al. 2005, S. 661. 673 Vgl. Costas/Kärreman 2015, S. 68. 674 Bonss 2014, S. 177. 669 670
122
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Zu diesem Fazit kommt Bonss675 unter Bezugnahme auf Untersuchungen von Fried676 und von Rigby677 über unzufriedene Anwender und die seltene Nutzung solcher Systeme. Als Hauptgründe werden, neben der Vernachlässigung des sozialen bzw. organisatorischen Kontextes und den Grenzen menschlicher Informationsverarbeitung, die unzureichenden Annahmen bzgl. des zugrunde liegenden Wissensverständnis genannt.678 Die Vorstellung, Wissen wie eine Ressource zu „managen“, scheint der Komplexität des Phänomens offenbar nicht gerecht zu werden.679 Eine solche Sichtweise basiert auf der Vorstellung, dass sich Wissen in expliziter, kontextfreier und generalisierbarer Information in Datenbanken abspeichern, abrufen und verwerten lässt.680 Der Versuch erwies sich als wenig praktikabel, Wissen von seinen Trägern und Kontexten abzulösen, zu speichern und auf andere Nutzer zu übertragen.681 Hinzu kam, dass die hierfür entwickelten (meist technischen) Systeme nur unzureichend gepflegt wurden, was deren Attraktivität aus Anwendersicht nicht zuträglich war.682 Ein auf das Bild einer erwerb- und speicherbaren Ressource zentriertes Verständnis von Wissen greift hier offenbar zu kurz. Hier handelt es sich laut Bonns „um ein unterkomplexes Verständnis von Wissen, das in der Praxis zu zahlreichen Problemen […] geführt hat.“683 Theoretische Konzepte der betriebswirtschaftlichen und organisationstheoretischen Forschung, das Wissensverständnis mittels Konstruktion einer taciten bzw. impliziten Komponente zu erweitern, erweisen sich ebenfalls als wenig fruchtbar, Wissen als Manifestation des Lernens Beratender zu diskutieren. Die Beschäftigung mit einer stillschweigenden, nur begrenzt zugänglichen Wissenskomponente übt zwar Faszination in der Wissenschaft wie in der Unternehmenspraxis aus. Sie führte jedoch zu einer zu breiten, nur wenig tiefgründige Rezeption, wie Tsoukas und Vladimirou bemerken: „[…] lthough no self-respecting researchers have so far failed to acknowledge their debt to Polanyi for the distinction he drew between tacit and explicit knowledge, Polanyi’s work,
Vgl. Bonss 2014, S. 177. Vgl. Fried 2003, S. 26. 677 Vgl. Rigby 2001, S. 145. 678 Vgl. Schreyögg/Geiger 2003a, S. 4. 679 Vgl. Bonss 2014, S. 178. 680 Vgl. Schreyögg/Geiger 2003a, S. 4f. in Anlehnung an Wilkesmann/Rascher 2002. 681 Vgl. Wilkesmann/Rascher 2002, S. 350. 682 Vgl. Fried 2003, S. 203. 683 Vgl. Bonss 2014, S. 175. 675 676
123
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
for the most part, has not been really engaged with.”684 In einer Literaturanalyse von Beiträgen zum Thema impliziten Wissens identifizierten Busch und Kollegen eine Vielzahl unterschiedliche Definitionen.685 Rüdiger und Vanini kamen nach Durchführung ihrer Literaturanalyse ebenfalls zum Ergebnis, dass das Konstrukt implizites Wissens immer noch sehr unterschiedlich verstanden wird. Viele Autoren würden zwar auf das Grundlagenwerk von Polanyi (1966) Bezug nehmen. Sie stellten jedoch auch fest, dass die „Originalaufsätze des Philosophen offensichtlich unterschiedlich intensiv von den Verfassern studiert wurden."686 Bonss kommt zu dem Schluss, dass der Begriff impliziten bzw. taciten Wissens bis heute als Sammelbecken für eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte von Wissen dient. Dadurch entstehe letztendlich jedoch mehr Verwirrung als Klarheit über die Beschaffenheit von Wissen, weshalb „die Diskussion um implizites Wissen nur schwer als Grundlage für ein vertieftes Verständnis von Wissen genutzt wird“687. Einen weiteren Hinweis auf die Grenzen des traditionellen Wissensverständnisses stellt das Fehlen von Antworten auf die Frage dar, wie neues Wissen in der Beratungspraxis entsteht.688 Die Unterstellung einer Übertragbarkeit setzt immer auch eine gewisse Uniformität des Wissens voraus. Damit bleibt der Einfluss vielfältiger Aktivitäten und Umstände der Praxis auf ein solches Wissen im Zeitablauf unberücksichtigt. Dies würde bedeuten, „that humans engage first and foremost in the reproduction of given knowledge rather than in the production of knowledgeability as a flexible process of engagement with the world”689. Das auf die Weitergabe von bestehendem Wissen gerichtete Forschungsinteresse führt so zu einer Vernachlässigung der Frage, wie neues Wissen in der Praxis entsteht.690
Tsoukas/Vladimirou 2001, S. 975. Vgl. Übersicht bei Busch/Richards/Dampney 2001, S. 39f. 686 Rüdiger/Vanini 1998, S. 468. Rüdiger und Vanini erläutern: „Beispielsweise wird Polanyis Satz ‚. . . we can know more than we can tell‘ oft unsauber zitiert, indem das erste, nicht bedeutungslose Wort ‚can‘ unterschlagen wird. […] Oder Polanyis zentrale Anwendung des tacit knowledge-Gedankens auf Fragestellungen der wissenschaftlichen Forschung wird als kennzeichnendes Merkmal von tacit knowledge mißverstanden, oder offensichtlich gänzlich übersehen.“ (S. 477) 687 Bonss 2014, S. 180. 688 Vgl. Lave 2009, S. 204. 689 Lave 2009, S. 204. 690 Ähnlich argumentiert Engeström 1987, wonach dies eine zentrale Lücke zeitgenössischer Lerntheorie darstellt. 684 685
124
Traditionelle theoretische Zugänge zum Phänomen des Lernens in der Beratung
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Vorstellung von Wissen als Ressource zu kurz greift und der Komplexität von Wissen nicht gerecht zu werden scheint.691 Neben einer unzureichenden Berücksichtigung von sozialem Kontext und der Vernachlässigung von alltäglicher Handlungspraxis stellt dies ein weiteres Defizit der traditionellen Sichtweise dar, das die vertiefte Auseinandersetzung mit Lernpraktiken in der Unternehmensberatung einschränkt. Angesichts der genannten Defizite wird nachfolgend eine praxistheoretische Analyseperspektive zur Beschäftigung mit Lernpraktiken in der Unternehmensberatung eingenommen. Sie stellt eine alternative Lernkonzeption dar692, die in der organisationswissenschaftlichen Forschung693 wie im Bereich organisationalen Lernens694 Beachtung finden konnte. Sie verspricht im Vergleich zu kognitiven Ansätzen eine „nuanciertere und komplexere Art der Konzeptualisierung
Lernens
im
professionellen
Umfeld“695.
Zur
besseren
Nachvollziehbarkeit dieses Perspektivenschwenks dient die Beschäftigung mit damit verknüpften
wissenschaftstheoretischen
Grundlagen
in
der
nachfolgenden
Zwischenbetrachtung.
Vgl. Bonss 2014, S. 178. Vgl. Bonss 2014, S. 207. 693 Vgl. Überblick bei Feldman M./Orlikowski 2011, S. 1243f. 694 Vgl. Fahrenwald 2016 zur zunehmenden Bedeutung praxistheoretischer Ansätze im Bereich des organisationalen Lernens. 695 Reich/Hager 2014, S. 428. 691 692
125
3. Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis Als eine Ursache für die zunehmende Prominenz696 praxeologischer Ansätze gilt die Diskussion über den Erklärungsbeitrag bzw. die Praxisrelevanz von Theorien des sogenannten Mainstreams in den Sozialwissenschaften.697 Deren Kritiker führen an, dass viele
Beiträge
aus
den
Organisations-
und
Management-Wissenschaften
die
Unternehmenspraxis nicht adäquat erfassen und deshalb nur wenig relevant für die Lösung derer spezifischen Probleme sind.698 Verwiesen wird insbesondere auf die bei solchen wissenschaftlichen Arbeiten gewählte Methodologie, welche Aussagen formuliert „über
die
generelle
(wissenschaftlichem)
Logik
und
Wissen“699.
das
Vorgehen
bei
der
Generierung
von
Sandberg und Tsoukas fragen sich diesbezüglich
selbstkritisch: „Could it be that the […] assumptions we make about the phenomena we investigate ‘artificialize’700 our objects of study, ‘strip out most of what matters’701, and lead to sterile research outcomes […]?”702 Sie verleihen damit ihrem Zweifel an der Aussagekraft von Theorien Ausdruck, die einer Methodologie des Erklärens im Sinne sogenannter szientistischer Rationalität („scientific rationality“)703 folgen. Die mit dem Konzept szientistischer Rationalität verbundenen Annahmen und Kritikpunkte sind Gegenstand des nachfolgenden Abschnitts (1). Dem folgt in Abschnitt (2) die Vorstellung des von Sandberg und Tsoukas postulierten Gegenentwurfs praktischer
Vgl. Schäfer 2016, S. 9. Vgl. Lindblom/Cohen 1979. Lindblom und Cohen brachten bereits 1979 ihre Unzufriedenheit mit der Sozialforschung als Instrument zur Lösung sozialer Probleme zum Ausdruck. Die Fokussierung auf „wissenschaftliche“ Methoden verhindere demnach die Berücksichtigung alternativer Formen der Problemlösung. Das Lösen von Problemen werde mit dem Verstehen von Problemen verwechselt. 698 Vgl. exempl. Bennis/O'Toole 2005, Hambrick 2007 und Rynes/Giluk/Brown 2007. 699 Vgl. zur Unterscheidung von Methode und Methodologie Julmi 2020, S. 99ff.: Die Methodologie trifft Aussagen über die generelle Logik und das Vorgehen bei der Generierung von (wissenschaftlichem) Wissen. Sie beinhaltet ontologische und epistemologische Annahmen und impliziert ein generelles Forschungsdesign. Demgegenüber bezieht sich die Methode ausschließlich auf spezifische Strategien und Techniken bezüglich der Gewinnung, Analyse, Interpretation, Validität und Reliabilität von Daten bzw. Informationen. Die Methodologie ist somit breiter und abstrakter gefasst als die Methode. Sie unterstützt Forschende bei der Auswahl und Bewertung geeigneter Methoden und ist wissenschaftstheoretisch fundiert. 700 Bruner 1990, S. xiii, zit. nach Sandberg/Tsoukas 2011, S. 339. 701 Weick 2007a, S. 18, zit. nach Sandberg/Tsoukas 2011, S. 339. 702 Sandberg/Tsoukas 2011, S. 339. 703 So übersetzt bei Julmi 2020, S. 111. 696 697
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Rainer, Lernpraktiken in der Unternehmensberatung, Zukunftsfähige Unternehmensführung in Forschung und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42989-8_3
126
Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis
Rationalität.704 Die damit einhergehenden Annahmen zur Erfassung von Praxis bilden ein wesentliches Differenzierungsmerkmal der beiden, im Rahmen dieser Arbeit genutzten Analyseperspektiven: Während sich die traditionelle Sichtweise kognitiver Lerntheorie einer erklärenden Methodologie bedient, berufen sich praxistheoretische Ansätze auf eine verstehende Methodologie (Abbildung 16). Diese hält nicht zuletzt Empfehlungen an Forschende zur Überwindung des eingangs erwähnten „Theorie-Praxis-Gap“ bereit.
Erklärungsansätze aus …
Lernpraktiken in der Unternehmensberatung
… traditioneller Perspektive
… praxistheoretischer Perspektive
Annahmen zur Erfassung von Praxis Zwischenbetrachtung
Erfassung von Praxis im Sinne von…
… erklärender Methodologie gemäß szientistischer Rationalität
… verstehender Methodologie gemäß praktischer Rationalität
Hauptteil 1
Hauptteil 2 und 3
Abbildung 16: Methodologie als Differenzierungsmerkmal705 3.1 Konzept szientistischer Rationalität als Bezugspunkt Die Idee einer Differenzierung von erklärender und verstehender Methodologie kann auf Wilhelm Dilthey zurückgeführt werden706, der den (erklärenden) Naturwissenschaften das Pendant (verstehender) Geisteswissenschaften an die Seite stellte.707 Der
In der Literatur finden sich hierzu alternative Bezeichnungen, wie etwa bei Hitzler/Eberle 2017 (S. 118), die zwischen hermeneutischer Methodologie (des Verstehens) und szientistischer Methodologie (des Erklärens) unterscheiden. 705 Quelle: Eigene Darstellung. 706 Diltheys Aussage von 1894 „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir“ (Dilthey 1924, S. 144) interpretiert Julmi 2020 als „programmatischen Ausdruck dieser bis heute einflussreichen Grundlegung der Geisteswissenschaften“ in Abgrenzung zur Naturwissenschaft als eigenständige Wissenschaft. (S. 98) 707 Vgl. Julmi 2020, S. 98. Ontologisch kann zwischen einer realistischen bzw. objektivistischen und einer konstruktivistischen bzw. anti-realistischen, nominalistischen oder subjektivistischen Sichtweise unterschieden werden. Nach Auffassung des Realismus existiert das Erkenntnisgegenstand unabhängig vom erkennenden Subjekt. Demgegenüber wird der Erkenntnisgegenstand im Sinne einer konstruktivistischen Sichtweise erst durch das erkennende Subjekt (sozial) konstruiert. Julmi setzt das Erklären mit einer realistischen Sichtweise in Beziehung insofern, als „dass sich die Struktur der 704
127
Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis
erklärenden Form einer Methodologie liegen andere Annahmen über die ontologische708 Beschaffenheit des wissenschaftlichen Erkenntnisobjekts und über die Möglichkeiten der Erkenntnisgewinnung bzw. der Epistemologie zugrunde als der verstehenden Methodologie.709 Hieran machen Sandberg und Tsoukas ihre Kritik an der, nach ihrem Dafürhalten nur unzureichenden Erklärungskraft von Theorien des sogenannten „Mainstreams“ in den Sozialwissenschaften fest. Diese würden aufgrund ihrer von szientistischer Rationalität geprägten Annahmen die Logik der Praxis nur unzureichend erfassen.710 Um diese Kritik der „Praxisferne“ nachvollziehbar zu machen, werden nachfolgend Annahmen und Vorgehen (Abschnitt a) szientistischer Rationalität vorgestellt sowie anschließend kritisch hinterfragt (Abschnitt b). 3.1.1
Annahmen und Vorgehen
Das Konzept szientistischer Rationalität kann Sandberg und Tsoukas zufolge auf drei Kernannahmen zurückgeführt werden.711 Die erste rekurriert auf die in der griechischwestlichen Philosophietradition verankerte Sichtweise, dass das Sein als ein Sein der Dinge zu betrachten ist.712 Demnach besitzen „Dinge“ wie Bäume, Computer, Organisationen, Kultur, Führung vorgegebene Eigenschaften. Sie existieren unabhängig vom Beobachter, können jedoch vom menschlichen Verstand erfasst werden.713 Im Sinne dieser
von
Karl
Jaspers
als
Subjekt-Objekt-Spaltung
beschriebenen
erkenntnistheoretischen Grundstruktur steht das erkennende Individuum (Subjekt) dem Erkenntnisgegenstand (Objekt) gegenüber: „Das, was wir denken, von dem wir sprechen, ist stets ein anderes als wir, ist das, worauf wir, die Subjekte, als auf ein
Wirklichkeit situations- und subjektunabhängig über Ursache-Wirkungs-Beziehungen abbilden lässt. Demgegenüber folgt das Verstehen einer konstruktivistischen Sichtweise; diese geht davon aus, dass der Erkenntnisgegenstand durch den konkreten Sinnzusammenhang der agierenden Subjekte entsteht und von diesem nicht herausgelöst werden kann.“ (S. 98) 708 Ontologie ist die philosophische Disziplin, die sich mit der Einteilung des Seienden und den Grundstrukturen der Wirklichkeit befasst. Das Wort Ontologie bedeutet wörtlich „Lehre vom Seienden“ bzw. „Lehre des Seins“ (gebildet aus altgriechisch τὸ ὄν für „das Sein“ und λόγος für „Lehre“). Eine prägnante Kurzbeschreibung zum Erkenntnisinteresse findet sich bei LMU o. D.: „Die Ontologie beschäftigt sich mit allem, was es gibt, denn sie fragt erstens, was es heißt, dass es etwas gibt, und zweitens, welche Kategorien von Objekten existieren und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen.“ 709 Vgl. Julmi 2020, S. 98. 710 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 388. 711 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 340f. 712 Vgl. hierzu Platons (427–347 v. Chr.) berühmtes Höhlengleichnis (Plato/Apelt/Bormann 1989, S. 268ff.). 713 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 340.
128
Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis
gegenüberstehendes, die Objekte, gerichtet sind.“714 Im Zentrum steht damit der Dualismus zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Erkennendem und Erkanntem, Geist und Körper bzw. Geist und Materie.715 Das Wissen über diese Objekte existiert unabhängig von situativen Gegebenheiten. Mit wissenschaftlich begründetem Wissen charakterisiert Böhle Wissen, das „aus der Distanz zu praktischem Handeln und praktischer
Verwendung
gewonnen
wird
und
sich
auf
die
Identifikation
kontextunabhängiger sowie personenunabhängiger Gegebenheiten richtet“716. Dessen Erschließung wird als Ziel und Existenzberechtigung der Wissenschaft betrachtet.717 Die zweite Kernannahme szientistischer Rationalität besagt, dass Individuen grundsätzlich dazu in der Lage sind, sich dieses Wissen über die Realität zu erschließen. Lernvorgänge bzw. die Entwicklung neuen Wissens erfolgt somit in der grundlegenden Beziehung zwischen erkennendem Individuum bzw. Subjekt und erkannten Dingen bzw. Objekten.718 Bartky charakterisiert das Subjekt zwar als isoliert vom Objekt, jedoch dazu fähig, sich durch eigene intellektuelle Aktivitäten das Objekt anzueignen oder es gar zu beherrschen.719 Dass die Logik der zu untersuchenden Realität durch eine solche erkenntnistheoretische Subjekt-Objekt-Beziehung konstituiert wird, besagt die dritte Kernannahme szientistischer Rationalität. Die sich in dieser Realität bewegende Praktiker – man denke beispielhaft an Beratende, die einen neuen Projektauftrag bearbeiten – sieht sich täglich mit einer Welt von zunächst überwiegend neuen diskreten Objekten konfrontiert (z. B. Produktionsanlagen oder IT-Infrastruktur des Auftraggebers), deren vorgegebene Eigenschaften er durch kognitive Aktivität, beispielsweise in Form einer Status-Quo-Analyse in Form einer Folienpräsentation oder eines Arbeitspapiers zu strukturieren und repräsentieren versucht. Auf Basis dieser Repräsentationen agieren sie bzw. unternehmen Handlungen. Beispielsweise mit dem Ziel der Erarbeitung von Verbesserungsvorschlägen
oder
Implementierungsmaßnahmen.720
der
Durchführung
von
Im Sinne wissenschaftlicher Rationalität wird dies
Jaspers 1986, S. 25. Vgl. Nonaka/Mader/Takeuchi 1997, S. 32. 716 Böhle 2003, S. 147. 717 Vgl. Bonss 2014, S. 176. 718 Vgl. Wittmann/Edelmann 2012, S. 110; Nonaka/Mader/Takeuchi 1997, S. 32. 719 Vgl. Bartky 1979, S. 217. 720 Vgl. hierzu das von Chia und Holt angeführte Beispiel aus dem Bereich der universitären Managementausbildung. Dort wird Studierenden mitunter vermeintlich „verlässliches“ Wissen 714 715
129
Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis
umso besser erfolgen können, je besser dieses Wissen „outside the mind“721 repräsentiert wird. Dasselbe gilt für Vertretende der Wissenschaft, die im Rahmen ihrer Beschäftigung mit menschlichem Verhalten, innere psychische Zustände und Objekte vorfinden, die sie wissenschaftlich zu repräsentieren suchen, um bestimmte Regelmäßigkeiten zu ermitteln.722 Man denke etwa an multidimensionale Instrumente zur Erfassung von Führungskompetenzen
zur
Ableitung
individuell
angepasster
Entwicklungsmaßnahmen.723 Der Unterschied zwischen den genannten Beratenden und Forschenden ist aus szientistischer Perspektive, dass das Wissen Ersterer aufgrund ihrer Nähe zur Praxis bzw. ihre Eingebundenheit in neue Projekte als „biased, subjective, and judgmental and, thus, rather imprecise and nonrational“724 betrachtet wird. Im Gegensatz dazu wird das Wissen von Wissenschaftlern über die Organisationspraxis, das von Forschern mittels wissenschaftlicher Methodik entwickelt wird, typischerweise als weniger subjektiv und damit als genauer, präziser und rationaler erachtet.725 Es wird daher angenommen, dass die von Praktikern vollzogenen Praktiken konsequenter angewendet und verbessert werden können, wenn sie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren, die vor dem Hintergrund der erkenntnistheoretischen Trennung von Subjekt und Objekt entwickelt wurden.726 Somit entsteht Wissen, das aus der Distanz zu praktischem Handeln und praktischer Verwendung gewonnen wird und sich auf die Identifikation kontext- und personenunabhängiger Gegebenheiten bezieht.727 Szientistische Rationalität ist geprägt vom Streben moderner Wissenschaft nach Generierung möglichst objektiven und validen Wissens. Die Vorstellung, dass es ein gültiges Wissen gibt, kann maßgeblich auf die philosophische Position des Rationalismus
angeboten zur Umsetzung in ihrer beruflichen Praxis. Dass praktische Erfahrungen im Management oft nicht mit der von solchen Strukturen dargestellten Welt übereinzustimmen scheinen, wird dann eher als ein Problem der Genauigkeit des Modells oder eines Mangels an Erfahrungsdaten denn als ein Problem einer unangemessenen Erkenntnistheorie angesehen (Vgl. Chia/Holt 2008, S. 474). 721 Rorty 1989, S. 3, zit. nach Sandberg/Tsoukas 2011, S. 340. 722 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 340. 723 Vgl. exempl. das Complex Leadership Assessment (CLA) bei Michaelis/Vasilev/Rainer 2014. 724 Bruner 1990, S. 14, zit. nach Sandberg/Tsoukas 2011, S. 340. 725 Vgl. Robbins/Judge 2013 , S. 11ff. 726 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 340. 727 Vgl. Böhle 2003, S. 147.
130
Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis
zurückgeführt werden.728 Dieses Wissen kann durch logisches Denken und Vernunft durch das Individuum erschlossen werden.729 In seiner Reinform wird dieses Wissen durch den Verstand „erworben“ und ist im Verstand von Individuen im Sinne eines Wissensspeichers abgelegt.730 Vertreter der Wissenschaft bzw. Forschende verstehen sich als passiv Beobachtende, die in ihren Untersuchungen eine Realität beschreiben. Eine Realität, die aus voneinander abgrenzbaren Objekten mit definierbaren Eigenschaften besteht und aus einer Außenperspektive theoretisch dargestellt werden kann.731 Resultierende
Theorien
bilden
allgemeingültige
Ursache-Wirkungs-Beziehungen
innerhalb dieser Realität ab. Sie können als axiomatisch fundierte Aussagensysteme über die Struktur kausal-determinierter Ablaufgesetze, deren Kenntnis eine Prognose des zu erklärenden Phänomens erlaubt, verstanden werden.732 Der theoretische Erklärungsbzw. Prognosegehalt bemisst sich dann darin, inwiefern die Theorie mit empirisch vorgefundenen Sachverhalten übereinstimmt.733 Hierfür stehen eine Reihe quantitativer Methoden zur Erforschung des Erkenntnisgegenstands zur Verfügung (z. B. Regressionsanalyse, Strukturgleichungsmodelle).734 Dieser Herangehensweise bedienen sich etwa Erklärungsansätze der im ersten Hauptteil vorgestellten kognitiven Lerntheorie.735 3.1.2
Kritik
Das von Bourdieu als scholastisch charakterisierte szientistische Streben („scholastic point of view“
736),
möglichst objektives Wissen durch distanzierte Beobachtung
hervorzubringen, erfuhr zunehmend Kritik. Demnach ist es für die in den angewandten
Vgl. Plato/Apelt/Bormann 1989: Anhand seines Höhlengleichnisses gibt sich Platon (427–347 v. Chr.) als einer der ersten Verfechter dieser Auffassung zu erkennen. 729 Vgl. Schermer 2014, S. 16. Vgl. hierzu auch den Überblick zu „Knowledge in Economic and Management Theories“ bei Nonaka/Mader/Takeuchi 1997, S. 32ff. 730 Vgl. Cook/Brown 1999, S. 383f. 731 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 340. 732 Vgl. Julmi 2020, S. 99. 733 Vgl. Kirsch/Seidl/van Aaken 2007, S. 7ff. 734 Vgl. Julmi 2020, S. 100. 735 Vgl. exempl. Banduras „Bobo Doll Study“, einer Serie von Experimenten zur Erforschung des Modelllernens, um herauszufinden, wie Kinder durch Beobachtung Aggression lernen. Eine Zusammenfassung findet sich bei Wittmann/Edelmann 2012, S. 164. 736 Vgl. Bourdieu 1998, S. 127ff. 728
131
Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis
Sozialwissenschaften immer wieder festgestellte737 Kluft zwischen Theorie und Praxis mit verantwortlich.738 Nach dem Motto „Practice has a logic which is not that of the logician”739 lautet der Vorwurf, dass Forschende als unbeteiligte Beobachter davon abgehalten werden, Theorien zu entwickeln, die „die Logik der Praxis“ adäquat zu erfassen vermögen740 und lediglich als passive Beobachtende der zu untersuchenden Praxis fungieren.741 Sandberg und Tsoukas kritisieren dies anhand von drei Aspekten742: Der erste Aspekt bezieht sich – wie bereits als Defizit der traditionellen Perspektive auf Lernen angeführt – auf die Vernachlässigung des Kontextes, in dem das praktische Handeln von Individuen stattfindet. Gehen Forschende gemäß szientistischer Rationalität vor, besteht die Gefahr, den Kontext bzw. den ganzheitlichen Sinnzusammenhang („meaningful relational totality“), in den Menschen in ihrem alltäglichen Tun involviert sind, zugunsten der Konzentration auf einzelne Erkenntnisgegenstände bzw. Objekte außer Acht zu lassen. Berichte von Praktikern und ethnographische Studien über das Leben in Organisationen machen jedoch deutlich, dass Individuen in ganzheitlicher Weise mit der sie umgebenden alltäglichen Arbeitspraxis verbunden sind.743 Diese Verbundenheit mit der Praxis lässt eine sinnvolle Gesamtheit entstehen, die sich nicht – wie es das Konzept szientistischer Rationalität postuliert – als eine Menge abstrakter und diskreter Variablen beschreiben lässt.744 Vielmehr ist an einen vielschichtigen und komplexen Kontext zu denken, der sich aus Individuen, Dingen und Handlungen zusammensetzt. Orr illustriert dies anschaulich anhand seiner viel beachteten Beobachtungen von Servicetechnikern von Kopiergeräten. Deren Arbeit lässt sich durch einen Kontext beschreiben, der von ganz unterschiedlichen Aspekten bestimmt ist. So erfordert es die tägliche Arbeitspraxis nicht nur den Reparaturauftrag zu erledigen, sondern auch für Kundenzufriedenheit zu sorgen, den
Vgl. exempl. Argyris/Schön 1974; Lindblom/Cohen 1979; Shapiro/Decew 1995. Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 338. 739 Bourdieu 1990, S. 86. 740 Vgl. Bourdieu 1990. 741 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 342. 742 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 341 ff. 743 Vgl. exempl. Harper 1987; Orr 1996; Weeks 2006. 744 Vgl. Weick 2007b, S. 467. 737 738
132
Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis
eigenen Ruf in der Gemeinschaft der Techniker zu wahren, dem Kunden ein gutes Bild vom Unternehmen zu vermitteln und die Erfahrungen mit Kollegen zu teilen.745 Der zweite Kritikpunkt bezieht sich auf die unzureichende Anerkennung situativer Einzigartigkeit („situational uniqueness“), mit der es Individuen in ihrer täglichen (Arbeits-)praxis zu tun haben.746 Im Sinne szientistischer Rationalität entwickelte Theorien führen zu Aussagen, die zwar auf aggregiert-abstrakter Ebene wahr und plausibel sein mögen, in der konkreten Situation jedoch möglicherweise aufgrund von Vereinfachung zu kurz greifen. Szientistisch ausgerichtete Theoriebildung konstruiert insofern Homogenität für heterogenen Phänomene.747 Situative Dilemmata etwa, mit denen es handelnde Individuen in ihrer Praxis zu tun haben können, werden zugunsten der Entwicklung generischer propositionaler Aussagen vernachlässigt. Der dritte Kritikpunkt am Konzept szientistischer Rationalität betrifft die Unterschätzung zeitlicher Aspekte wie Unsicherheit und Dringlichkeit, die die Handlungspraxis beteiligter Individuen prägen.748 Der Fluss der Praxis, wie etwa ihr Tempo, „and above all its directionality, [which] is constitutive of its meaning”749, tritt in den Hintergrund.750 Der Ablauf von Tätigkeiten, ihre Geschwindigkeit, ihr Rhythmus, ihre Intensität und ihre Richtung sind für ihren Fluss elementar, werden von der Logik des Erklärens jedoch in vielen Fällen ausgeblendet.751 Ein Spiel zu spielen, eine Besprechung zu leiten, eine Klasse zu unterrichten oder einen Patienten zu pflegen - all das beinhaltet in unterschiedlichem Maße Antizipation, Unsicherheit und Dringlichkeit.752 Doch dieses Gefühl des zeitlichen Flusses – Zeit, wie sie von Praktikern erlebt wird – ist von sozialwissenschaftlicher Darstellung im Sinne szientistischer Rationalität ausgeschlossen.753 Sandberg und Tsoukas beobachten: „Suspense and uncertainty, however, are typically absent in the contingency models of explanation, still dominating theory development in the leading
Vgl. Orr 1996. Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 341. 747 Vgl. Starbuck 2006, S. 143. 748 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 342. 749 Bourdieu 1990, S. 81. 750 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 342. 751 Vgl. Julmi 2020, S. 111f. 752 Vgl. Nicolini 2009c, S. 123. 753 Vgl. Zaheer/Albert/Zaheer 1999. 745 746
133
Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis
journals of the field.”754 Entsprechend kritisiert auch Julmi die epistemologische Unterstellung, dass sich für die soziale Wirklichkeit Prognosen analog zu den Naturwissenschaften formulieren ließen.755 Es gilt als bekanntes Phänomen, dass Prognosen bei ihrer lebensweltlichen Nutzung zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden und sich auf diese Weise selbst aufheben können.756 Dies liegt daran, dass Menschen im Gegensatz zu naturwissenschaftlichen Gegenständen auf Vorhersagen reagieren und sich damit auch deren Handlungsprämissen ändern. Dies kann dazu führen, dass ein unterstelltes Verhalten erst durch die Unterstellung ausgelöst wird. Theorien stellen also mittels angestellter Prognosen mitunter die Realität erst her, die sie eigentlich untersuchen
möchten.
Im
Gegensatz
zu
den
Erkenntnisgegenständen
der
Naturwissenschaften ist das menschliche Handeln durch eine Vielzahl interdependenter, sich wandelnder und überdies kulturell geprägter Faktoren bestimmt, so dass sich für dieses keine raumzeitlich invariante Muster ausfindig machen lassen.757 Angesichts dieser Kritikpunkte postulieren Sandberg und Tsoukas in ihrem Aufsatz „Grasping the logic of practice - theorizing through practical rationality“758 die Verfolgung einer Methodologie des Verstehens im Sinne praktischer Rationalität, um die Praxisrelevanz sozialwissenschaftlicher Theorien zu erhöhen. Dies greifen praxeologisch orientierte Erklärungsansätze auf, um über die Adressierung der o. g. Kritikpunkte das „Theorie-Praxis-Gap“ zu überwinden.759 3.2 Alternatives Konzept praktischer Rationalität Die Methodologie des Verstehens im Sinne praktischer Rationalität wendet sich gegen die Annahme szientistischer Rationalität, wonach ein Dualismus bzw. eine Spaltung zwischen erkennendem Individuum (Subjekt) und Erkenntnisgegenstand (Objekt) vorliegt. Es wird
Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 342. Vgl. Julmi 2020, S. 112. 756 In der Psychologie ist das Phänomen der sich selbsterfüllenden Prophezeiung auch unter den Begriffen „Rosenthal-Effekt“ bekannt geworden. Rosenthal und Jacobson konnten in ihrem Experiment an einer Schule die Verbesserung von Schülern gegenüber ihren Mitschülern auf die experimentell manipulierten Erwartungen der Lehrer nachweisen. (Vgl. Rosenthal/Babad 1985). 757 Vgl. van Aaken/Kirsch/Seidl 2015, S. 57f. 758 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011. 759 Ein Überblick (chronology of practice-based studies) sowie eine ausführliche Beschreibung der Entwicklung der praxistheoretischen Ansätze findet sich bei Corradi/Gherardi/Verzelloni 2010, S. 269ff. Versuche, das Forschungsfeld der praxistheoretischen Ansätze zu systematisieren, finden sich bei Orlikowski 2010, S. 23ff. 754 755
134
Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis
vielmehr von einer, maßgeblich auf die Ontologie Heideggers zurückzuführende, Verflechtung des Individuums mit seiner Praxis ausgegangen.760 Diese und weitere, mit der Methodologie praktischer Rationalität verknüpften Annahmen werden im nachfolgenden Abschnitt (a) vorgestellt. Die entsprechenden Konsequenzen für eine adäquate Erfassung von Praxis thematisiert dann Abschnitt (b). Diese freilich nur skizzenhafte Vorstellung relevanter wissenschaftstheoretischen Grundlagen soll dabei helfen, den Beitrag einer praxistheoretischen Sicht auf Lernpraktiken in der Unternehmensberatung nachvollziehen und einordnen zu können. 3.2.1
Annahmen
Als Philosoph „who, perhaps more than any other, has sought to overcome its assumption (szientistischer Rationalität – Anm. d. Verf.) that the epistemological subject-object relation constitutes the most basic form of knowing”761, kann Heidegger betrachtet werden. In seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“762 wendet er sich gegen die Annahme szientistischer Prägung, wonach die epistemologische Subjekt-Objekt-Relation bzw. die Spaltung von Subjekt und Objekt die erkenntnistheoretische Grundstruktur darstellt. Seiner Ansicht nach ist die grundlegendste Form der Beziehung des Menschen zur Welt vielmehr in seiner Existenzweise – der des „In-der-Welt-Seins“ zu suchen:763 „Der Grundsinn der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt […] ist Spaltung. Das hat nur Sinn, wenn als Grundwirklichkeit das Ungespaltene angesetzt ist.“764 Mit der von ihm geschaffenen Wortneuschöpfung des „In-der-Welt-Seins“ beschreibt Heidegger die Annahme einer Verflechtung des Individuums mit seiner Welt als die grundlegendste Form des menschlichen Seins. Menschen sind demnach nie völlig getrennt von dem, was sie in gekonnter Weise tun, sondern mit der sie umgebenden Praxis verschränkt. So sind erfahrene Praktiker, wie Lehrende, Pflegende oder Führungskräfte mit der Praxis des Unterrichtens, der Krankenpflege oder mit dem Management eines Unternehmens verflochten.765 Anders als der, von Willems beschriebene, unerfahrene Fahranfänger, der
Vgl. Julmi 2020, S. 115. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 342. 762 Vgl. Heidegger 1927. 763 Vgl. Heidegger 1996, zuerst 1927, S. 49ff. 764 Heidegger 2004, S. 21. 765 Vgl. exempl. Dreyfus 1990; Sandberg/Dall'Alba 2009; Schatzki 2005. 760 761
135
Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis
in seiner ersten Fahrstunde das Auto, das Lenkrad, die Verkehrsschilder usw. noch als verschiedene Objekte wahrnimmt und der erst im Zuge fortschreitender Aneignung von Fahrfertigkeiten beginnt, eine Struktur bzw. eine Gesamtheit von zusammengehörenden Geräten zu erkennen.766 Als routinierter Verkehrsteilnehmer ist er schließlich derart in seine Fahrpraxis vertieft bzw. damit verflochten, dass er das Auto und das Verkehrsgeschehen um ihn herum als eine selbstverständlich erlebte (Fahr-)Praxis wahrnimmt.767 Eine weitere Implikation, die mit der Vorstellung einer Verflechtung des Individuums mit seiner Praxis einhergeht, betrifft die von wissenschaftlicher Rationalität „unterschlagene“ Zeitlichkeit der Praxis.768 Nicht nur in dem Sinne, dass sich Praxis im Zeitablauf entwickelt, sondern dass sie in der tatsächlichen Ausführung der Handlung durch Individuen antizipiert wird. Zum Beispiel antizipiert die Krankenschwester in Nicolinis Studie über die Praxis des Telemonitorings, ob es sich bei einem Anruf um einen Routineanruf oder einen möglichen Notfall handelt.769 Praktizieren heißt somit immer auch antizipieren:770 „We are always ahead of ourselves in the sense of our immediate anticipation of how our specific practice unfolds in time, be it teaching, repairing cars, treating a patient, or managing, because we bodily incorporate specific ways of being involved in the respective sociomaterial practice.“771 Die Verflechtung von Individuen mit der sie umgebenden Praxis kommt der Ontologie Heideggers zufolge in unterschiedlichen Intensitätsstufen zur Geltung, zwischen denen im Zeitablauf gewechselt werden kann, wie Abbildung 17 zeigt. Je nach Distanz zur Praxis kann ein Spektrum von Versenkung bis hin zur Trennung von Subjekt und Objekt unterschieden werden. Ein Individuum kann sich beispielsweise zunächst auf Stufe 1 „absorbierter Bewältigung (absorbed coping)"772 als dem primären Modus der Auseinandersetzung mit der Welt befinden. Absorbierte Bewältigung ist ein Modus des Engagements, bei dem die handelnden Individuen in die Praxis eintauchen, ohne sich
Vgl. Willems 2017, S. 5. Vgl. Yanow/Tsoukas 2009, S. 1350. 768 Vgl. Shotter 2006, S. 591. 769 Vgl. Nicolini 2009c, S. 123. 770 Vgl. Bourdieu 1990, S. 81; Shotter 2006, S. 591. 771 Sandberg/Tsoukas 2011, S. 344. 772 Vgl. Dreyfus 1990, S. 69. 766 767
136
Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis
ihrer Beteiligung an der Praxis überhaupt bewusst zu sein. Sie reagieren spontan auf die jeweilige Situation. Die Distanz zur Praxis ist gering. Von absorbierter Bewältigung kann dann gesprochen werden, wenn die Praxis ein vertrautes relationales Ganzes bildet, in das Individuen absorbiert werden. Heidegger zufolge fangen Individuen erst dann an, die soziomaterielle Praxis als etwas Getrenntes und Eigenständiges zu konzentrieren bzw. zu thematisieren, wenn sie aus ihrem relationalen Ganzen in das erkenntnistheoretische Subjekt-Objekt-Verhältnis „überwechseln".773 Auslöser für einen solchen Wechsel können Störungen sein, wovon es nach Heidegger774 zwei Hauptformen gibt: vorübergehende und dauerhafte.775 Wenn Individuen mit einer vorübergehenden Störung konfrontiert sind, wechseln sie aus ihrem primären Modus der absorbierten Bewältigung (Stufe 1) zum Modus involvierter thematischer Reflexion (Stufe 2). Obwohl sie immer noch in eine praktische Tätigkeit involviert sind, haben sie nun damit begonnen, sich auf ihr eigenes Tun zu konzentrieren. Die relationale Gesamtheit der sozio-materiellen Praxis wird durch diese vorübergehenden Störung ins Blickfeld gerückt. Im Falle einer dauerhaften Störung, d. h., wenn der Zusammenbruch so bedeutsam ist, dass die absorbierte Bewältigung vollständig unterbrochen wird, gehen Individuen von der involvierten thematischen Reflexion in ein Stadium der Loslösung (Stufe 3) über.776 Dies kann zu einer Überwältigung des Individuums führen oder aber auch zum Bestreben, mehr über die Eigenschaften der vorliegenden Situation herauszufinden. Das relationale Ganze tritt dann in den Hintergrund, die jeweilige Aktivität des Individuums und diskrete Einheiten bzw. Objekte in den Vordergrund.777
Vgl. Heidegger 1996, zuerst 1927, S. 74; Dreyfus 1990, S. 60ff. Vgl. Heidegger 1996, zuerst 1927, S. 74. 775 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 344. 776 Vgl. Dreyfus 1990, S. 72ff. 777 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 344. 773 774
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Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis
Distanz zur Praxis
Vorübergehende Störung
Dauerhafte Störung
Groß, i. S. v. Subjekt-ObjektTrennung
Loslösung Involvierte thematische Reflexion
Gering i. S. v. Versenkung
Absorbierte Bewältigung Stufe 1
Stufe 2
Stufe 3
Zeit
Abbildung 17: Intensitätsstufen der Verflechtung mit Praxis778 Um sich mit einem möglichst unverstellten Blick mit Praxis zu beschäftigen, so Tsoukas und Sandberg, ist die Einnahme des Zustands involvierter thematischer Reflexion (Stufe 2) erforderlich. Dieser Modus der Auseinandersetzung ermöglicht eine adäquate Erfassung der Logik der Praxis, indem das (forschende) Individuum sowohl in die Praxis eintauchen als auch in ausreichend distanzierter Art und Weise darüber reflektieren kann, wie sie vollzogen wird.779 3.2.2
Erfassung der Logik der Praxis
Anlass zur Beschäftigung mit praktischer Rationalität gab eingangs der Vorwurf, dass zahlreiche Beiträge aus den Organisations- und Management-Wissenschaften die Unternehmenspraxis nicht adäquat erfassten. Die Aussagekraft von Theorien hinterfragend, die einer Methodologie des Erklärens im Sinne sogenannter szientistischer Rationalität folgen, stellen Sandberg und Tsoukas praktische Rationalität als alternatives Konzept gegenüber. Um das „Theorie-Praxis-Gap“ zu überwinden und die Logik der Praxis adäquat zu erfassen, formulieren Sandberg und Tsoukas Empfehlungen für Forschende. So soll der Blick stärker auf Verflechtung anstatt auf Entitäten gerichtet werden.780 Dies
Quelle: Eigene Darstellung. Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, (S. 344ff.). Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 344. 780 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 346. 778 779
138
Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis
bedeutet, darauf zu achten, wie Praktiker in das sie alltäglich umgebende relationale Ganze eingebunden sind, innerhalb dessen sie ihre Aufgaben erfüllen. Es rücken dann nicht nur soziale Beziehungen in das Forschungsinteresse, sondern auch materielle Aspekte. Im Sinne eines „Heranzoomens“781 an die Praxis geht es dann nicht nur um Handlungen beobachteter Akteure, sondern auch um die Relevanz und den Gebrauch von Artefakten, Technologien, Räumen, Medien und Bildern, die sich im Sinne praktischer Rationalität analysieren lassen.782 Um die Logik der Praxis adäquat zu erfassen, bietet es sich zudem an, auf die o. g. Störungen zu fokussieren. Befragte werden in Interviewstudien dann etwa dazu eingeladen, Situationen zu beschreiben, in denen ihnen etwas misslang oder in ihrer beruflichen Praxis nicht mehr funktionierte. Ziel ist es, die Befragten dadurch in den Status theoretischer Loslösung zu versetzen, um mithilfe involvierter thematischer Reflexion Einblick in dessen Praxis zu erhalten.783 Schließlich wird angenommen, dass sich Praxis in dem Moment offenbart, in dem sie (vorübergehend) zusammenbricht und Dinge nicht wie erwartet funktionieren. Denkbar ist auch, dass Forschende aktiv einen vorübergehenden Zusammenbruch der von ihnen untersuchten Praxis selbst herbeiführen. Man denke an die Methode kontrafaktischen Denkens784, der SzenarioPlanung785, instruktiver Sprache786 („Stellen Sie sich vor, dass…, „Angenommen, dass…") und der auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit verwendeten Critical Incident Analyse787. Ein weiteres Beispiel stellen Argyris Techniken der Aktionsforschung dar.788
In Anlehnung an die Begriffswahl bei Nicolini 2009b: „[…] the study of practice and theorization of practice must start with zooming in on the real-time practicing as an organized set of doings and sayings carried out using a variety of tools and mediatory resources.” (S. 1400) 782 Vgl. Schäfer 2016, S. 13f.; Knorr-Cetina 2001; S. 175ff. 783 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 347. 784 Vgl. Sayer 2000. 785 Vgl. van der Heijden et al. 2003. 786 Vgl. Katz/Shotter 1996. 787 Vgl. Kapitel III.1.3: Datenerhebung und Auswertung. 788 Vgl. die prägnante Abgrenzung der Aktionsforschung gegenüber der traditionellen Forschung bei Frank et al. 1998 (S. 73ff.), u. a. in Anlehnung an Argyris/Putnam/Smith 1985: Während traditionell Forschende versuchen, als unbeteiligte Beobachtende ein Bild über die Realität zu gewinnen, nehmen Aktionsforschende bewusst Einfluss auf das Feld. Dieser kann in teilnehmender Beobachtung bis hin zum aktiven Eingriff in das Handeln von Beteiligten zum Ausdruck kommen. 781
139
Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis
Das Entstehen von Arbeiten, die auf einer solchen Erfassung von Praxis basieren und von Annahmen szientistischer Rationalität bzw. rationalistisch geprägter Ansätze789 abweichen, ist im internationalen Feld der Sozialtheorien seit den 1980er Jahren zu erkennen. Es entstand eine Analyseperspektive, welche sich in sogenannten Theorien sozialer Praktiken, Praxistheorien oder Versionen einer Praxeologie manifestiert.790 Diese
damit
vergleichsweise
junge
praxistheoretische
Theoriebewegung
trifft
gegenwärtig in einer Reihe von wissenschaftlichen Disziplinen auf große Resonanz.791 Von einer Theoriebewegung ist deshalb zu sprechen, da diese angesichts der Vielfalt ihrer Erklärungsansätze eher den Charakter eines „fruchtbaren Ideenpools“792 annimmt als von einem in sich abgeschlossenen und systematischen Programm. Der Beitrag einer solchen
Analyseperspektive
herangezogen,
die
wird
theoriegeleitete
im
nachfolgenden
Beschäftigung
mit
zweiten
Hauptteil
Lernpraktiken
in
dazu der
Unternehmensberatung zu vertiefen.
Vgl. Reckwitz 2003, S. 290. Vgl. Reckwitz 2003, S. 282. 791 Schäfer 2016, S. 9. 792 Reckwitz 2003, S. 289. 789 790
140
4. Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens Erklärungsansätze kognitiver Lerntheorie stellen Wissenserwerb durch das Individuum im Zuge eines in Teilschritte zerlegbaren Prozesses in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Im ersten Hauptteil wurde dies anhand des Ansatzes von Bandura herausgearbeitet, der Beobachtungsvorgängen besondere Beachtung schenkt. Die Betrachtung von Kolbs Ansatz ließ die Bedeutung des Sammelns und Verarbeitens unmittelbarer Erfahrungen erkennen. Diese, von Schatzki als traditionell bezeichnete Perspektive auf Lernen lieferte damit erste Anhaltspunkte, offenbarte jedoch auch „blinde Flecken“. Hierzu zählen eine unzureichende Berücksichtigung des spezifischen sozialen Kontexts, die Vernachlässigung alltäglicher Handlungspraxis sowie ein unterkomplexes Verständnis von Wissen. Zur Adressierung dieser Defizite wird nachfolgend eine praxistheoretische Analyseperspektive eingenommen, welche sich zur Erfassung von Praxis der Methodologie praktischer Rationalität bedient. Bei Lernen handelt es sich dann weniger um „eine Form des (theoretischen) Verstehens von Welt, sondern um eine Form des (praktischen) Seins in der Welt, die sich im gemeinsamen Tun vollzieht.“793 Abbildung 18 illustriert diesen Perspektivschwenk, der den Aspekt des Wissenserwerbs in den Hintergrund treten lässt zugunsten der Betonung der Erlangung einer, noch zu spezifizierenden794, neuen Könnerschaft in und durch die alltägliche Arbeitspraxis.
793 794
Fahrenwald 2016, S. 97. Vgl. Kapitel II.2.2: Lernen als Entwicklung neuer Könnerschaft.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Rainer, Lernpraktiken in der Unternehmensberatung, Zukunftsfähige Unternehmensführung in Forschung und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42989-8_4
141
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Erklärungsansätze aus …
… traditioneller Perspektive
Lernpraktiken in der Unternehmensberatung
Lernen als Wissenserwerb
… praxistheoretischer Perspektive
Annahmen zur Erfassung von Praxis
Lernen als Entwicklung neuer Könnerschaft
Zwischenbetrachtung Erfassung von Praxis im Sinne von…
… erklärender Methodologie gemäß szientistischer Rationalität
… verstehender Methodologie gemäß praktischer Rationalität
Hauptteil 1
Hauptteil 2 und 3
Abbildung 18: Praxistheoretische Perspektive auf Lernen795 In diesem zweiten Hauptteil der Arbeit wird der Ideenpool der praxistheoretischen Forschungsbewegung genutzt, um weitere Hinweise für eine theoriegeleitete Diskussion über Ausprägung, Faktoren und Manifestation von Lernpraktiken Beratender in ihrer alltäglichen Berufspraxis zu erhalten. Trotz, oder gerade wegen der vorzufindenden Vielfalt an häufig nur lose gekoppelten Erklärungsansätzen wird der Versuch unternommen, diese in einen konzeptionellen Bezugsrahmen zu überführen und im dritten Teil empirisch zu illustrieren. Die Ursprünge der praxeologischen Forschungsbewegung sind in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen erkennbar. Eine Familienähnlichkeit kann dennoch attestiert werden, wie im nachfolgenden Kapitel II.1 über die Verortung im Forschungskontext am Beispiel gemeinsam genutzter konzeptioneller Bezugsebenen deutlich wird. Trotz der Heterogenität lässt sich in Abgrenzung zur traditionellen Sichtweise auch ein alternatives Verständnis von Lernen erkennen, das, ganz im Sinne Polanyis796, auf die Entwicklung neuer Könnerschaft gerichtet ist. In Kapitel II.2. erfolgt eine Auseinandersetzung mit den Merkmalen eines solchen Lernverständnisses. Dies bildet die Grundlage für eine sich anschließende Konzeptualisierung individueller Lernpraktiken im Kontext der Beratung. Als wesentliche Voraussetzung für die
795 796
Quelle: Eigene Darstellung. Vgl. Kapitel I.3.3.1 (2): Explizite versus implizite Dimension.
142
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Reproduktion dieser Lernpraktiken wird in Kapitel II.3. die Partizipation an Beratungspraxis betont. Dem praxistheoretischen Verständnis zufolge ermöglicht diese Beratenden im beruflichen Alltag zu lernen, indem sie Zugang zu Praxisgemeinschaften bzw. -netzwerken gewinnen und Gelegenheiten für gemeinsames Denken erhalten. In Kapitel II.4. werden schließlich die theoriegeleitet angestellten Überlegungen in einen konzeptionellen Bezugsrahmen überführt und in Kapitel II.5 einer kritischen Bewertung unterzogen.
4.1
Verortung im Forschungskontext
Die Ansätze der praxistheoretischen Analyseperspektive können auf philosophische, soziologische und psychologische Argumentationslinien zurückgeführt werden.797 Das nachfolgende Kapitel II.1.1. zeichnet die Entwicklung vom sogenannten „Practice turn“ bis zu aktuellen Ansätzen schlaglichtartig nach, um auf die Vorstellung verwendeter konzeptioneller Bezugsebenen und das damit verbundene Begriffsinstrumentarium in Kapitel II.1.2 vorzubereiten.
4.1.1 Ursprünge und Rezeption Wesentliche Impulse für die Etablierung einer praxistheoretischen Analyseperspektive stammen
aus
der
Sozialphilosophie798,
wie
die
bereits
oben
vorgestellte
fundamentalontologische Konzeption Martin Heideggers799 oder Ludwig Wittgensteins Theorie der Sprachspiele, die die Verknüpfung von Sprache mit praktischen Tätigkeiten
Vgl. Fahrenwald 2016, S. 97. Eine Darstellung der philosophischen und soziologischen Wurzeln der Forschung zu Social Practice findet sich bei Gherardi 2006, S. 20ff. 798 Für einen Überblick zu weiteren Impulsgebern des praxistheoretischen Forschungsprogramms siehe Reckwitz 2003, S. 282f. 799 Vgl. Heidegger 1927 und Schäfer 2016, S. 10: Als weitere Quellen werden der marxistische Praxisbegriff (Lefebvre 1972; Hillebrandt 2014) und der US-amerikanische Pragmatismus (Bogusz 2009; Schäfer 2012) genannt. 797
143
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
und situativem Kontext hervorhebt.800 Im Zuge des zur Jahrtausendwende801 proklamierten „Practice Turn“802, der vor allem in der Soziologie803 rezipiert und weiterentwickelt wurde, gelten Pierre Bourdieu und Anthony Giddens als wichtige Gestalter der praxeologischen Forschungsbewegung. Sie waren es, die in den 1970er Jahren jeweils ihre ganz eigene Variante einer Praxistheorie formulierten: Während Bourdieus „Théorie de la pratique“ auf strukturelle Begriffe des Habitus, des sozialen Feldes, des praktischen Sinns und der Inkorporiertheit von Wissen fokussierte804, setzte Giddens stärker auf eine akteurstheoretische Akzentuierung mit Formulierung zentraler Konzepte wie des praktischen Bewusstseins und der sozialen Raum-Zeit-Bindung durch Praktiken.805 Auch wenn hier auf eine detaillierte Beschreibung dieser, die praxeologische Forschungsbewegung maßgeblich prägenden Konzepte verzichtet werden muss806, ist ihr
Vgl. Wittgenstein 1969. Sprachspiele im Sinne Wittgensteins meint sprachliche Äußerungen, deren Sinn innerhalb eines bestimmten Personenkreises verstanden wird. Dabei kann es sich um etwas Komplexes wie eine Fachsprache oder auch um etwas Triviales wie einen Witz handeln. Der prägende Impuls für die praxeologische Theoriebewegung ist darin zu sehen, dass die Erfassung der Bedeutung einer sprachlichen Äußerung vom situativen Kontext und den spezifischen Tätigkeiten menschlicher Praxis abhängt. Oder wie es Wittgenstein in seinem zweiten Hauptwerk, den Philosophischen Untersuchungen (PU) formuliert: „Ich werde auch das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist, das ‚Sprachspiel‘ nennen.“ (Wittgenstein 2001, PU § 7). 801 Vgl. Gherardi 2017, S. 345. Den Vollzug des „Practice Turn“ in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Lernen macht Gherardi u. a. an der Publikation eines Sonderhefts der Zeitschrift „Organization“ mit dem Titel „Practice-based Theorizing on Learning and Knowing in Organizations" (Gherardi 2000) sowie einer Sonderausgabe des Journal of Management Studies zum Thema „Organizational Learning: Debates Past, Present and Future“ fest (herausgegeben von Easterby-Smith/Crossan/Nicolini 2000). Eine Veranschaulichung der Implikationen des von Schatzki so genannten „Practice Turn“ ( Schatzki 2001) erfolgt durch den, von Reich und Hager (Reich/Hager 2014) erstellten, konzeptionellen Rahmen mit sechs identifizierten Theoriesträngen. Diese konsolidieren die Arbeit führender „Praxistheoretiker" wie beispielsweise Schatzki, Gherardi und Reckwitz. 802 International wurde der Practice Turn zur Jahrtausendwende von Schatzki und Kollegen (Schatzki/Knorr-Cetina/Savigny 2001) ausgerufen und kurze Zeit später von Andreas Reckwitz (Reckwitz 2003) für die deutschsprachige Sozialwissenschaft systematisiert. Die Verwendung der Bezeichnung „turn“ ist nicht unstrittig. So merkt Bongaerts kritisch an, dass man sich diese „für wirklich revolutionäre Umwälzungen des gesamten fachdisziplinären Kategorienapparates und der damit verbundenen Denkstile vorbehalten sollte. In diesem Sinne kann man von einem „Linguistic Turn“ sprechen, aber wohl kaum von einem Cultural oder Practice turn.“ Die Summierung von Merkmalen wie Körperlichkeit, Kontextuierung und Materialität seien „weder hinreichend noch tauglich ist für die Abgrenzung gegen klassische Theorieangebote und die Etablierung eines neuen Paradigmas oder Turns.“ (Bongaerts 2007, S. 247) 803 Beiträge finden sich Schäfer 2016 (S. 15) zufolge im Bereich der Arbeitssoziologie (Krämer 2014), Bildungssoziologie (Alkemeyer/Kalthoff/Rieger-Ladich 2015), Konsumsoziologie (Warde 2005), Kultursoziologie (Bennett et al. 2009) und Organisationssoziologie (Miettinen/SamraFredericks/Yanow 2009; Gherardi 2012; Nicolini 2012). 804 Vgl. Bourdieu 2015. 805 Vgl. Giddens 1997. 806 Siehe hierzu ausführlich Reckwitz 2003, S. 282ff. 800
144
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Streben danach hervorzuheben, die Grundannahmen des Rationalismus wie die strikte Trennung von Tätigkeiten und Verstand des Individuums oder dessen Unabhängigkeit von situativem Kontext bzw. sozialem Umfeld in Frage zu stellen. Heute
trifft
die
wissenschaftlichen
praxeologische Disziplinen
Theoriebewegung
auf
Interesse
und
in
ganz
erweist
unterschiedlichen sich
in
vielen
Forschungsbereichen als eine „äußerst fruchtbare Analyseperspektive“807. Schäfer nennt in
diesem
Zusammenhang
Geschichtswissenschaft,
der
die
Disziplinen
Politologie
der sowie
Kulturanthropologie, der
Medien-
der und
Kommunikationswissenschaft.808 In den Organisations- und Managementwissenschaften stellen praxeologisch ausgerichtete Arbeiten Annahmen eines einseitig ökonomischzweckrational ausgerichteten Handelns in Frage. Das Forschungsinteresse ist beispielsweise auf informelle Praktiken (z. B. in Netzwerken), Symbole, Mythen und Narrationen in Organisationen gerichtet, die den „offiziellen“ organisationalen Routinen oftmals zuwiderlaufen und auf diese Weise zu kreativen und nicht intendierten Transformations- bzw. Innovationsprozessen beitragen können.809 So wird der Blick auf Strategieentwicklung als analytischer und planvoll gestalteter Vorgang angereichert um die Betrachtung von im tagtäglichen Arbeitsgeschehen stattfindenden organisatorischen und gesellschaftlichen Praktiken.810 Dieser „Strategy-as-Practice“ Ansatz liefert damit einen Einblick, wie die alltägliche Praxis der Strategiearbeit beschaffen ist, welcher Methoden bzw. Praktiken man sich dabei bedient und schließlich welche Rolle die beteiligten Akteure bzw. Praktiker dabei spielen.811 Auch im Bereich des organisationalen Lernens erfahren Arbeiten812 Prominenz813, die einseitig rationalistische und kognitivistische hinterfragen und davon ausgehen, dass Wissen und Lernen in erster Linie soziale und kulturelle Phänomene sind.814 Der Practice Turn kann hier darin gesehen
Schäfer 2016, S. 9. Vgl. Schäfer 2016, S. 15f. 809 Vgl. Fahrenwald 2016, S. 100. 810 Vgl. Jarzabkowski/Balogun/Seidl 2007. 811 Vgl. Vaara/Whittington 2012. 812 Vgl. Gherardi 2001. 813 Gherardi 2017 konstatiert: „The turn to practice has been prominent in the community of Management Learning and still occupies an important place in the debate that approaches practice from the standpoint of learning and knowing.” (S. 345) 814 Vgl. Fahrenwald 2016, S. 97. 807 808
145
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
werden, Lernen nicht „lediglich als eine Form des (theoretischen) Verstehens von Welt, sondern als eine Form des (praktischen) Seins in der Welt, die sich im (gemeinsamen) Tun vollzieht“815 zu verstehen. Reckwitz, der durch seine „zentralen fundierenden Arbeiten“816 maßgeblich zur Etablierung der Praxistheorie in der deutschsprachigen Rezeption beitrug817, gibt zu bedenken, dass es eine bis in die Details konsensual geteilte „Praxistheorie“ nicht gibt, sondern eher ein Bündel von Theorien mit Familienähnlichkeit vorliegt.818 Schäfer bezeichnet sie als „eine heterogene, aber dennoch definierbare Theoriebewegung, deren Konturen sich allenfalls umreißen lassen819 und dennoch fließend sind“820 Es handelt sich dabei weniger um miteinander konkurrierende Theorien, sondern vielmehr um eine sozialtheoretische Perspektive, die die Autoren praxistheoretischer Ansätze teilen.821 Um der Abwesenheit einer in sich geschlossenen Praxistheorie Rechnung zu tragen, wird nachfolgend auf den Begriff „der Praxistheorie“ verzichtet. Anstatt dessen wird der Begriff der Praxeologie für die Bezeichnung der gemeinsamen geteilten Perspektive verwendet werden. Theorien, die diese Perspektive einnehmen, werden fortan als „praxeologische Erklärungsansätze“ bezeichnet. Dies orientiert sich an dem ähnlichen Ausdruck der „praxistheoretischen Ansätze“ nach Bongaerts822, ohne jedoch mit dem Adjektiv die vermeintliche Existenz einer Praxistheorie zu suggerieren. Zudem gibt der Ausdruck der praxeologischen Erklärungsansätze die Heterogenität und Unverbundenheit der meist nur lose in Zusammenhang stehenden Diskussionsstränge823 wieder, was auch Gherardi mit ihrem englischsprachigen Begriff der „Practice-based studies“ auszudrücken versucht. Die Anwendung des praxeologischen Analyseinstrumentariums erweist sich nicht nur aufgrund der oftmals nur lose im Zusammenhang stehenden Diskussionssträngen
Fahrenwald 2016, S. 97. Schäfer 2016, S. 14. 817 Vgl. Reckwitz 2012; Reckwitz 2003. 818 Vgl. Reckwitz 2003, S. 283; Rovio-Johansson 2018, S. 52. 819 Vgl. für einen Überblick über das Feld der Praxistheorien Schatzki 2001, Reckwitz 2003, Schäfer 2013 und Hillebrandt 2014. 820 Schäfer 2016, S. 9f. 821 Vgl. Reckwitz 2003, S. 284. 822 Vgl. Bongaerts 2007, S. 246. 823 Vgl. Reckwitz 2003, S. 282. 815 816
146
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
innerhalb der Forschungsgemeinschaft als anspruchsvoll, sondern schlicht auch wegen der uneinheitlichen Benutzung des „Basisvokabulars“. Das beginnt damit, dass der englische Begriff „practice“ im Deutschen sowohl mit einzelner Praktik, als auch mit Praxis übersetzt werden kann, was viel Raum für individuelle Interpretation ermöglicht.824 Auch inhaltlich herrscht keineswegs Einigkeit, was darunter genau zu verstehen ist: „Despite the widespread interest on practice there is limited agreement as to what practice is.“825 Die nachfolgenden Ausführungen nehmen dies zum Anlass, die Bedeutung zentraler Begriffe praxistheoretischer Forschung anhand der Unterscheidung von drei Bezugsebenen überblicksartig zu erläutern. Zur Veranschaulichung und um einen Bezug zum Beratungskontext herzustellen, werden mitunter Beispiele aus dem Bereich der Strategieentwicklung bzw. -implementierung genutzt.
4.1.2 Konzeptionelle Bezugsebenen Mit dem Begriff „Practice“ werden ganz unterschiedliche und mitunter nur wenig greifbare Bedeutungen assoziiert. Geiger und Koch verbinden damit etwa „historisch gewachsene, kollektive, wahrnehmbare und gelebte Handlungsmuster“826. Gherardi erkennt diesbezüglich eine „Bricolage materieller, mentaler, affektiver, und kultureller Ressourcen”827.
Angesichts
dieser
breiten
Auslegung
wird
nachfolgend
dem
Begriffsverständnis von Whittington gefolgt, der im Bereich des strategischen Managements als ein prominenter Vertreter der praxeologischen Analyseperspektive betrachtet werden kann.828 Der von ihm entwickelte Bezugsrahmen basiert auf einer eingängigen Unterscheidung der drei Ebenen Praxis („praxis“), Praktiken („practices“)
Vgl. den Versuch einer Abgrenzung von Praxis und Praktik bei Reckwitz 2002: „‘Practice’ (Praxis) in the singular represents merely an emphatic term to describe the whole of human action (in contrast to ‘theory’ and mere thinking). ‘Practices’ in the sense of the theory of social practices, however, is something else. A ‘practice’ (Praktik) is a routinized type of behaviour which consists of several elements, interconnected to one other: forms of bodily activities, forms of mental activities, ‘things’ and their use, a background knowledge in the form of understanding, know-how, states of emotion and motivational knowledge.” (S. 249) 825 Antonacopoulou 2008, S. 114. Eine Übersicht zum Begriffsverständnis findet sich bei Bonss 2014, S. 182. 826 Geiger/Koch 2008, S. 701. 827 Gherardi 2001, S. 137. 828 Richard Whittington, Professor für Strategisches Management an der Saïd Business School der Universität Oxford, ist Mitbegründer der Strategy Practice Interest Group (https://www.strategicmanagement.net/ig-strategy-practice/overview; Abrufdatum: 30.07.2022) und Autor zahlreicher Beiträge mit praxeologischer Perspektive auf Fragen des strategischen Managements (vgl. Whittington 2018). 824
147
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
und
Praktiker
(„practitioners“)829,
welche
auch
in
der
theoriegeleiteten
Beratungsforschung bereits Anwendung fand.830 In Anlehnung an Reckwitz831 leitet Whittington vom wenig präzisen Begriff „practice“ zum einen die „Praxis“ ab, die das menschliche Handeln selbst repräsentiert. Zum anderen geht daraus auch die „Praktik“ hervor, als etwas, das menschliches Handeln leitet. Praktiker (Practitioners) sind indes die handelnden Akteure, die Praktiken im Zeitablauf anwenden.832 Abbildung 19 gibt die drei Bezugsebenen praxeologischer Analyse schematisch wieder.
Praktiken … leiten menschliches Handeln.
… wenden Praktiken in ihrer Praxis an.
Praktiker t1
Praxis t2
… repräsentiert menschliches Handeln. Episoden im Zeitablauf
Abbildung 19: Bezugsebenen praxeologischer Analyse833
4.1.2.1
Praxis
Die Idee der „Praxis" wird in der Literatur zum Thema Lernen zumeist als selbstverständlich und als eine Art ungeprüfte Gegebenheit betrachtet (z. B. berufliche Praxis, Unterrichtspraxis, praxisnahes Lernen etc.), jedoch nur selten hinterfragt und nur unzureichend theoretisiert.834 Green betrachtet den Praxisbegriff treffend als „[…] term almost compulsively in use, without always meaning much at all […] it floats across the
Vgl. Whittington 2006, S. 619. Vgl. Seidl/van Aaken 2007, S. 177. 831 Vgl. Reckwitz 2002. 832 Vgl. Whittington 2006, S. 619. 833 Quelle: Verändert übernommen aus Whittington 2006, S. 621. 834 Vgl. Reich/Hager 2014, S. 419. 829 830
148
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
surface of our […] debates, never really thematized and problematized, a ‘stop-word’ par excellence”835. Auch in der vorliegenden Arbeit wurde der Begriff der Praxis bislang weitgehend unreflektiert verwendet, ohne auf das entsprechende Begriffsverständnis näher einzugehen. Dies gilt es nun nachzuholen. Das praxistheoretische Erkenntnisinteresse ist grundsätzlich auf all das gerichtet, was Menschen tagtäglich (in ihrer Arbeit836) tun.837 „For a start, practice theory emphasizes the importance of local, everyday activity, especially as it congeals into repeated practices.”838 Zu dessen Beschreibung dient der dem Altgriechischen entlehnte Begriff der „Praxis"839, was konkretes Handeln einzelner oder mehrerer Menschen840 in einer konkreten Situation meint.841 Es werden zahlreiche, miteinander verflochtene Praxen842 unterschieden: zum Beispiel die Praxis des Regierens, des Organisierens843, des Verhandelns844 oder die Beschäftigung mit Unternehmensstrategie (strategy-aspractice845). Letztgenannte Praxis umfasst all die verschiedenen Aktivitäten, die mit der bewussten Formulierung und Umsetzung von Strategie durch beteiligte Akteure verbunden sind.846
Vgl. Green 2009, S. 2. Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 253. 837 Vgl. exempl. Brown/Duguid 1991; Jarzabkowski 2005; Johnson/Melin/Whittington 2003; Orlikowski 2002, Schatzki/Knorr-Cetina/Savigny 2001. 838 Vgl. Whittington 2018, S. 344. 839 Seit Aristoteles ist Praxis (Altgriechisch πρᾶξις) ein Grundbegriff der Philosophie, der sich auf das Tätigsein des Menschen bzw. den Vollzug menschlichen Lebens bezieht. Darunter fallen alle Tätigkeitsformen, mit denen der Mensch „erkennend, handelnd und herstellend die Koexistenz mit anderen gestaltet, wie in seine Umwelt eingreift“. (Wildfeuer 2011, S. 1775) 840 Vgl. Seidl/van Aaken 2007, S. 178f.: Mit Praxis kann die Praxis eines Individuums wie die Praxis sozialer Phänomene gemeint sein. 841 Vgl. Reckwitz 2002, S. 249f. Etwas abstrakter bei Reuter/Hörning 2004: Die Praxis erweist sich auf diese Weise als ein „Scharnier zwischen dem Subjekt und den Strukturen“ (S. 13, zit. nach Fahrenwald 2016, S. 97). 842 Reckwitz 2003 konkretisiert: „Aus praxeologischer Perspektive geht es weniger um die emphatische Totalität einer ‚Praxis‘, sondern darum, dass sich die soziale Welt aus sehr konkret benennbaren, einzelnen, dabei miteinander verflochtenen Praktiken (im Plural) zusammensetzt: Praktiken des Regierens, Praktiken des Organisierens, Praktiken der Partnerschaft, Praktiken der Verhandlungen, Praktiken des Selbst etc.“ (S. 289) 843 Vgl. Fahrenwald 2016, S. 99. 844 Vgl. Reckwitz 2003, S. 290. 845 Vgl. Jarzabkowski 2004; Jarzabkowski/Balogun/Seidl 2007 Jarzabkowski/Balogun/Seidl 2007; Whittington 2006, S. 613: Traditionell hat die Strategiedisziplin Strategie als eine Eigenschaft von Organisationen behandelt: Eine Organisation hat eine Strategie. Zunehmend wird Strategie jedoch auch als Praxis gesehen: Strategie ist im Sinne eines „Strategizing“ etwas, was Menschen tun. 846 Vgl. Whittington 2006, S. 619. 835 836
149
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Im Sinne praktischer Rationalität kann Praxis als etwas betrachtet werden, das stets an Kontextualität gebunden ist und sich in konkreten Situationen vollzieht.847 Praxis setzt sich zusammen aus Routine und Nicht-Routine, aus formellen und informellen Aspekten, aus Handlungen von Akteuren mit organisationsinternem und -externem Bezug.848 So mag Praxis routinisierte Abläufe umfassen, sie kann jedoch auch jederzeit in der Konfrontation mit Ereignissen, Personen, Handlungen oder Objekten in Frage gestellt werden. Man denke beispielsweise an eine Strategie, deren Implementierung in einem Unternehmen erfolgreich ist, während sie in einem anderen, möglicherweise branchenfremden Unternehmen scheitert. Wie weiter oben im Zuge der Thematisierung von Störungen der Praxis skizziert849, kann dies dann dazu führen, dass die in die Umsetzung der Strategie eingebundenen Akteure vom Status absorbierter Bewältigung in den der involvierten thematischen Reflexion oder gar in den der Loslösung, im Sinne einer von Subjekt-Objekt-Trennung geprägten Wahrnehmung, wechseln. Die mit dem Statuswechsel einhergehende Reflexion über das Scheitern der entwickelten Strategie und das damit verbundene „Infragestellen“ kann dann zu Lernen mit der Konsequenz einer strategische Neuausrichtung führen. Ein weiteres Merkmal von Praxis stellt deren Gebundenheit an Zeit dar. Praxis wird praxeologischen Ansätzen zufolge stets aufs Neue (re-)produziert und ist mit offener Zukunft und Unberechenbarkeit konfrontiert.850 Aktivitäten der handelnden Akteure können im Zeitablauf dann bestimmten Praxisepisoden zugeordnet werden.851 Zu solchen Episoden können im Unternehmenskontext etwa Vorstandssitzungen, ManagementRetreats, Teambriefings, Präsentationen, und auch einfache Gespräche sowie Projekte mit oder ohne Unterstützung von Unternehmensberatern gezählt werden.852
4.1.2.2
Praktiker
Mit Praktiker werden die bislang als Akteure bezeichneten handelnden Individuen der jeweiligen Praxis bezeichnet. Diese stützen sich in bestimmten Situationen auf Praktiken,
Vgl. Zwischenbetrachtung (2): Alternatives Konzept praktischer Rationalität. Whittington 2006, S. 619 in Anlehnung an Johnson/Huff 1998; Regnér 2003. 849 Vgl. Zwischenbetrachtung (2a): Annahmen. 850 Vgl. Reckwitz 2003, 294ff. 851 Vgl. Whittington 2006, S. 619 in Anlehnung an Hendry/Seidl 2003. 852 Vgl. Whittington 2006, S. 619 in Anlehnung an Mezias/Grinyer/Guth 2001; Westley 1990. 847
848Vgl.
150
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
um zu handeln.853 Betrachtet man beispielsweise die Praxis der Strategieentwicklung, können hierzu all jene Akteure gezählt werden, die sich mit Entwicklung, Gestaltung und Ausführung von Strategien beschäftigen. Jarzabkowski und Kollegen charakterisieren sie als „active participants in the construction of activity that is consequential for the organization and its survival. They shape strategic activity through who they are, how they act and what practices they draw upon in that action.“854 Dabei kann es sich im Unternehmenskontext um Führungskräfte des Top-Managements, leitende Angestellte der mittleren Führungsebene oder externe Akteure wie Unternehmensberater, Investmentbanker und Unternehmensanwälte handeln.855 Sie sind es, die vor dem Hintergrund ihrer Individualität über bestehende Praktiken reflektieren und diese in der Anwendung auch intentional verändern können. Oder wie es Seidl und van Aaken formulieren: „Akteure beziehen sich also in einer konkreten Situation zwar auf Praktiken, interpretieren und wenden diese aber kontextspezifisch an.“856 In Abbildung 19 wird dies durch die die Fläche der Praxis durchziehenden Linien visualisiert, die zu bestimmten Zeitpunkten – in Abbildung beispielhaft mit t1 und t2 dargestellt – eine Verschiebung erfahren. Anders als die von szientistischer Rationalität geprägten Erklärungsansätze – man denke etwa an das Rational Choice Paradigma – betrachten praxeologische Erklärungsansätze Praktiker nicht nur als „discrete and calculating choosers“857, sondern als Menschen, deren Handeln sich auch auf bereits bewährte Praktiken und deren Wiederholung stützt. Dies schließt nicht aus, dass es einen gewissen Spielraum für Initiative und sogar Subversion gibt. Es wird eingeräumt, dass es für diejenigen Praktiker, die Zugang zu vielen Praktiken haben, auch die Möglichkeit gibt, durch Import und Synthese zu innovieren.858 Die Anwendung von nachfolgend noch zu konkretisierenden Praktiken verleiht ihnen Handlungsfähigkeit, indem sie diese kombinieren, koordinieren und an ihren Bedürfnissen ausrichten.859
Vgl. Jarzabkowski/Balogun/Seidl 2007, S. 10. Jarzabkowski/Balogun/Seidl 2007, S. 10. 855 Vgl. Whittington 2006, S. 619. 856 Vgl. Seidl/van Aaken 2007, S. 178 in Anlehnung an Whittington 2006. 857 Whittington 2018, S. 345. 858 Vgl. Whittington 2018, S. 345. 859 Vgl. Jarzabkowski/Balogun/Seidl 2007, S. 10. 853 854
151
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
4.1.2.3
Praktiken
Trotz ihrer Heterogenität und Unverbundenheit rücken alle praxeologischen Erklärungsansätze Praktiken als fundamentale theoretische Kategorie in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung.860 Der Begriff der Praktik wird zwar alltagssprachlich häufig gebraucht, etwa wenn von „unlauteren Praktiken“ die Rede ist oder Beratende sich zur Rechtfertigung auf „Best Practices“ berufen. Dies repräsentiert das praxeologische Begriffsverständnis jedoch nur unvollständig. Hinzu kommt, dass auch prominente Autoren in ihren Ausführungen mitunter abstrakte Beschreibungen wählen. Für Reckwitz etwa stellt die Praktik die kleinste Einheit des Sozialen dar.861 Als Bündel aus Gesagtem und Getanem stellt sie einen Zusammenhang miteinander verwobener Handlungen dar862. Laut Schatzki manifestiert sich eine Praktik in einem routinisierten „Nexus of doings and sayings“863. Konkreter wird Whittington, der Praktiken als Aktivitätsmuster (patterns of activity) bezeichnet, deren Anwendung durch Praktiker in ihrer jeweiligen Praxis im Zeitablauf wirken.864 Seidl und van Aaken betonen den überindividuellen Charakter von Praktiken und führen als Beispiel soziale und kulturelle Normen, geteilte Routinen und Arten des Denkens an.865 Diese „orientieren die einzelnen Handlungen der Akteure“866 in deren Handlungspraxis. Demnach finden die Handlungen der innerhalb einer bestimmten Praxis agierenden Praktiker nicht isoliert statt, sondern werden stets von überindividuellen Praktiken geleitet. Die jeweilige Praxis bzw. die Praxen leiten sich aus den vorhandenen Praktiken ab, die sie mit kognitiven und diskursiven Ressourcen versorgen, um ein Handeln in sozialen Kontexten zu ermöglichen.867 Das alltägliche Handeln (beruflicher Praxis) stellt insofern einen routinisierten Strom der Reproduktion von Praktiken dar.868 Im Kontext der Beratung kann es sich dabei etwa um die Anwendung von Szenarioplanung handeln, um das Management des beauftragenden Unternehmens für die Notwendigkeit zu sensibilisieren, sich auf den Eintritt
Schäfer 2016, S. 11. Vgl. Reckwitz 2003, S. 290. 862 Vgl. Reckwitz 2003, S. 282. 863 Schatzki 1996, S. 89. 864 Vgl. Whittington 2018, S. 344. 865 Vgl. Seidl/van Aaken 2007, S. 178f. 866 Seidl/van Aaken 2007, S. 178. 867 Vgl. Seidl/van Aaken 2007, S. 179. 868 Vgl. Reckwitz 2003, S. 294. 860 861
152
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
möglicherweise eintretender, geschäftsgefährdender Situationen vorzubereiten. Der Ursprung von Praktiken, wie etwa die Nutzung der BCG-Matrix zur Bewertung von Geschäftsbereichen bzw. Produktgruppen und sich daraus ergebender strategischer Handlungsoptionen, kann auf einzelne Beratungsunternehmen zurückgeführt werden. Andere Praktiken, wie etwa die Anwendung von Porters „Five Forces“869, haben hingegen akademischen Ursprung.870 Die Ausprägung solcher Praktiken ist freilich nicht unveränderlich, sondern wird in der alltäglichen Handlungspraxis von den beteiligten Praktikern im Zeitablauf situations- und kontextspezifisch reproduziert bzw. verändert.871 Oder wie es Whittington mit einer Analogie aus dem Jazz umschreibt: „Practices are always jammed, performed differently every time.”872 Im Hinblick auf die Situativität von Praktiken weist Reckwitz darauf hin, dass die Anwendung von Praktiken insofern Unberechenbarkeiten enthalten kann, als dass die Praktiker nicht über Antworten auf sämtliche mögliche Eigenschaften des Kontextes, in dem die Praktik vollzogen wird, verfügen. „Die Kontextualität, die Situativität des Vollzugs von Praktiken kann zwar unter vielen Umständen routinisiert bewältigt werden. Sie kann unter anderen Umständen aber auch mit Ereignissen, Personen, Handlungen, Objekten und Selbstreaktionen konfrontieren, für deren Behandlung die routinisierten Verstehensmuster, das methodische Wissen und die konventionalisierten Motive bzw. Emotions-Komplexe keine oder keine eindeutigen ‚Tools‘ an die Hand geben. Die Überraschungen des Kontextes können dazu führen, dass die Praktik misslingt oder zu misslingen droht, dass sie modifiziert oder gewechselt werden kann oder muss [...].“873 Man denke etwa an die Einführung einer neuen Technologie oder eine plötzliche Veränderung des Arbeitsumfelds durch äußere Rahmenbedingungen, für deren adäquate Bedienung bzw. dem Umgang damit noch keine bewährten Praktiken vorliegen. Es gilt dann, unter Einbeziehung bisher bekannter Wissens- und Praxiselemente, neue soziale Praktiken zu entwickeln. Als Voraussetzung für die kompetente Ausführung situativ angemessener Praktiken werden im weiteren Verlauf der Arbeit die Ausübung geeigneter Lernpraktiken angeführt. Lernen wird dann,
Vgl. Porter 1980. Vgl. Jarzabkowski 2003, S. 20. 871 Vgl. Seidl/van Aaken 2007, S. 178f. 872 Whittington 2018, S. 344. 873 Vgl. Reckwitz 2003, S. 294. 869 870
153
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
in Abgrenzung zu kognitiv geprägten Lerntheorien, als ein Phänomen verstanden, das in erster Linie in und mit der alltäglichen Handlungspraxis verwoben ist.
4.2
Merkmale und Konzeptualisierung
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts erkennt Schatzki wachsendes Interesse der Wissenschaft an menschlicher Lebenspraxis und, damit einhergehend, die Formierung eines alternativen Entwurfs zur traditionellen Perspektive auf Lernen.874 Prominente Autoren wie Heidegger vertreten die Ansicht, dass Praxis und praktisches Verständnis Vorrang vor Theorie und propositionalem875 Wissen haben sollen.876 Die auf das Individuum zentrierte, rationalistische und kognitivistische Auffassung von Lernen wird in Frage gestellt.877 Wissen ist demnach nicht als abstrakte Ressource zu verstehen, die es im Zuge eines strukturierten Lernvorgangs zu erwerben gilt, sondern vielmehr als eine, in kompetentem Tun bzw. in der gekonnten Ausübung von Praktiken erkennbare „Könnerschaft“, wie in Kapitel II.2.1 zum Ausdruck kommt. Lernen ist dann, wie anschließend in Kapitel II.2.2 herausgearbeitet wird, als Reproduktion von Lernpraktiken zur Entwicklung solcher Könnerschaft zu verstehen.
4.2.1 Wissen als Könnerschaft Um das praxistheoretische Wissensverständnis besser nachzuvollziehen, lohnt ein erneuter Blick878 auf Polanyis Konstrukt impliziten Wissens. Aus seiner Sicht umfasst es bestimmte, für den Handlungsvollzug notwendige körperliche Fähig- und Fertigkeiten des Individuums.879 Um den Aspekt des praktischen Tuns zu unterstreichen, verbalisierte Polanyi das englische Substantiv „Knowledge“ und verwendete stattdessen „Knowing“, was mit Könnerschaft880 oder, wie von Reckwitz vorgeschlagen, mit „Sich-auf-etwas-
Vgl. Schatzki 2017, S. 25f. Schatzki (2017) meint damit das Wissen, dass etwas bzw. eine bestimmte Proposition wahr ist: Propositional knowledge is the knowledge that the sky is blue, that Helena loves Lilly, that my elbow hurts, that e = mc2, and so on.” (S. 24) 876 Vgl. Schatzki 2017, S. 24. 877 Vgl. Fahrenwald 2016, S. 97. 878 Vgl. auch Kapitel I.3.3.1 (2): Explizite versus implizite Dimension. 879 Vgl. Schreyögg/Geiger 2003a, S. 14. 880 Vgl. Schreyögg/Geiger 2003a, S. 14f: „Die im Deutschen gebräuchliche Unterscheidung zwischen Wissen und Können scheint folglich relativ zutreffend die Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem Wissen widerzuspiegeln. Polanyi selbst weist darauf hin, dass das deutsche Wort ‚Wissen‘ 874 875
154
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Verstehen“881 übersetzt werden kann. Der Sprache unzugänglich und nur in Handlungen manifest, handelt es sich bei Könnerschaft nach Polanyi, wie im Fall des impliziten Wissens, um eine individuelle Kunstfertigkeit des Individuums: „The medical diagnostician’s skill is as much an art of doing, as it is an art of knowing.882 Könnerschaft ist in diesem Sinne spezifisch, nur schwer imitierbar und bedarf Geschicklichkeit und Übung.883 Mai weist darauf hin, dass ein solches Wissensverständnis nicht auf einer gegenständlichen, kritischen Distanzierung von der Welt beruht884 - wie es etwa das Konzept
szientistischer
Rationalität
postuliert.885
Es
betont
vielmehr
die
„vorgegenständliche, vertrauensvolle Einbezogenheit in und Teilnahme an der Welt“. Polanyi, so Mai weiter, nutzt „zur Verdeutlichung des Teilnahmecharakters des menschlichen Wissens die Möglichkeiten, die ihm die englische Sprache bietet. Denn statt von ‚tacit knowledge‘ spricht er vorzugsweise von ‚tacit knowing‘ und signalisiert damit bereits die grundlegende Teilnahmestruktur des menschlichen Wissens, in der der Wissende in einer Weise an seinem Gewussten dran ist, in einer Weise bei einer Sache ist, in der sich die scharfe Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt der Erkenntnis ehrlicherweise noch gar nicht treffen lässt“886. Oder, wie Geiger und Koch es umschreiben: „Individuelle Könnerschaft ist [.] etwas, auf das man sich, obwohl eigentlich nicht bekannt, dennoch im täglichen Handeln mit Erfolg verlassen kann.“887 Praxistheoretische Ansätze greifen das von Polanyi postulierte Primat impliziten Wissens888 auf und verwenden in der, überwiegend in englischer Sprache verfassten Literatur, „Knowing“ als zentralen Bezugspunkt für die Untersuchung von Wissen und Lernen. In ihrem Aufsatz „Knowing in Practice Enacting a Collective Capability in Distributed Organizing“ charakterisiert Orlikowski Könnerschaft als eine fortwährende soziale Errungenschaft „constituted and reconstituted as actors engage the world in
eher den theoretischen, expliziten Teil der Unterscheidung und ‚Können‘ eher den praktischen, impliziten Teil bezeichnet (Polanyi 1966, S. 7).“ 881 Reckwitz 2003, S. 289. 882 Polanyi 1958, S. 54. 883 Vgl. Schreyögg/Geiger 2003a, S. 14. 884 Vgl. Mai 2003, S. 144. 885 Vgl. Zwischenbetrachtung (1): Konzept szientistischer Rationalität als Bezugspunkt. 886 Mai 2003, S. 144. 887 Geiger/Koch 2008, S. 696. 888 Vgl. Kapitel I.3.3.1 (2): Dimensionen.
155
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
practice.”889 Ein solcher Blick auf Wissen relativiert die aus Sicht traditioneller Ansätze vorherrschende Dichotomie zwischen explizitem und implizitem Wissen, da sie sich als untrennbar miteinander verbunden erweisen.890 Wissen wird im praxeologischen Sinn vielmehr als etwas verstanden das Menschen tun, anstatt es zu besitzen.891 Als zentrales Merkmal dieser Sichtweise erachtet Willems den Versuch „to ground knowledge more firmly by arguing that knowing is as much constituted in actual, physical situations as it is in the mind.”892 In seinem Aufsatz „Practice as the site of knowing“ verortet Nicolini Könnerschaft „sowohl im Tun und Sagen als auch im Körper, den Artefakten, Gewohnheiten und Beschäftigungen, die das Leben der Organisationsmitglieder bevölkern“893. Zur Konkretisierung dessen empfiehlt sich ein Blick auf die Ausführungen von Bonns, die Könnerschaft anhand der drei Merkmale Handlungs-, Zeit und Kontextbezug zuordnet.894
4.2.1.1 Das
Handlungs-, Zeit- und Kontextbezug
Merkmal
des
Handlungsbezugs
ist
Ausdruck
des
Erkenntnisinteresse
praxistheoretischer Arbeiten an dem, „what people actually do“895. Im Gegensatz zum traditionellen Wissensverständnis stellt Könnerschaft keine statische Ressource896 dar, die im Verstand von Individuen oder in Datenbanken lokalisierbar ist bzw. gespeichert und übertragen werden kann, sondern vielmehr als etwas, das dem gemeinsamen897 Tun898 von Individuen innewohnt.899 Könnerschaft „ist ihrer Logik nach unmittelbar in
Orlikowski 2002, S. 249. Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 251. 891 Vgl. Rennstam/Ashcraft 2013, S. 5. 892 Willems 2017, S. 1. 893 Vgl. Nicolini 2011, S. 617. 894 Vgl. Bonss 2014, S. 183ff. 895 Simpson 2009, S. 1329. 896 Vgl. Kapitel I.3.3.1: Wissen als Ressource. 897 In Abgrenzung zum traditionellen, kognitiv ausgerichteten Wissensverständnis weist Gherardi 2001 auf die Bedeutung sozialer Beziehungen hin – wenig überraschend unter Bezugnahme auf die prominente Arbeit von Lave/Wenger 1991: „Knowledge resides in social relations, and knowing is part of becoming an insider in a community of practice.“ (S. 133) 898 Vgl. Schröer/Göhlich/Weber 2016 in Anlehnung an Nicolini/Gherardi/Yanow 2003a, 21ff.: Die praxeologische Sichtweise auf Lernen zeichnet sich aus durch die Präsenz von Verben (z. B. organizing, belonging, understanding, translating, knowing), die Vorherrschaft von sozialen Begrifflichkeiten (communities, activity systems, local cultures), den Bezug zu Materialien bzw. Artefakten und Kontext(en), die Situiertheit des Lernens sowie die strukturelle Offenheit für Innovation. 899 Vgl. Gherardi 2009a; Nicolini/Gherardi/Yanow 2003b.. 889 890
156
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
das Handeln von Personen eingewoben und lässt sich dementsprechend auch nicht davon ablösen.“900 Sie ist in spezifischer Form zur Ausübung einer bestimmten Handlung notwendig. Entsprechend kann von der erfolgreichen Anwendung einer Praktik auf das Vorhandensein von Könnerschaft geschlossen werden.901 Einige Autoren, wie Nicolini, der eher am äußeren Rand des praxeologischen Forschungsspektrums anzusiedeln ist, postulieren gar die Auflösung des ontologischen Unterschieds zwischen Könnerschaft und Handlung: „Knowing and practicing are ontologically equivalent.“902 Individuelle Könnerschaft kann Geiger und Koch zufolge als „unmittelbar in das Handeln von Personen eingewoben“ verstanden werden und ist etwas, auf das man sich, „obwohl eigentlich nicht bekannt, dennoch im täglichen Handeln mit Erfolg verlassen kann.“903 Aus dem Handlungsbezug ergibt sich Zeitbezug bzw. Emergenz als zweites Merkmal von Könnerschaft. Orlikowski weist darauf hin, dass diese nicht als etwas Statisches zu verstehen ist, sondern als etwas, das sich im Zeitablauf und sozialen Kontext jederzeit verändern kann: „(…) knowing cannot be understood as stable or enduring. Because it is enacted in the moment, its existence is virtual, its status provisional.”904 Treten die weiter oben905 vorübergehenden oder dauerhaften Störungen auf, so dass die bisherige Praktik nicht wie gewohnt ausgeführt werden kann, verändert sich damit auch wahrgenommene Könnerschaft.906 Das Konzept der „Productive Inquirey" nach Dewey verdeutlicht dieses emergente Wesensmerkmal: Ein während der Handlung plötzlich auftretendes Problem oder eine Fragestellung löst bewusst oder unbewusst einen Suchprozess aus. Im Zuge dessen kann durch die aktive Auseinandersetzung mit dem Problem neues Wissen entstehen.907 Bonss erachtet einen entscheidenden Beitrag praxistheoretischer Ansätze darin, dass sie darauf aufmerksam machen, dass Könnerschaft, „auch wenn sie sich in
Geiger/Koch 2008, S. 696. Vgl. Gherardi/Nicolini 2002b. 902 Nicolini 2011, S. 604. 903 Geiger/Koch 2008, S. 696. 904 Orlikowski 2002, S. 252f. Eine intensive Auseinandersetzung mit der Emergenz in praxistheoretischen Ansätzen findet sich bei Antonacopoulou 2008. 905 Vgl. Zwischenbetrachtung (2): Alternatives Konzept praktischer Rationalität. 906 Vgl. Orlikowski 2002, S. 253; Nicolini/Gherardi/Yanow 2003a, S. 23. 907 Vgl. Cook/Brown 1999, S. 388. 900 901
157
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
immer gleich ablaufenden Handlungen ausdrückt, gleichzeitig eine gewisse ‚Offenheit‘ und Wandlungsfähigkeit, d.h. einen emergenten Aspekt hat“908. Das dritte Merkmal von Könnerschaft stellt Kontextgebundenheit dar.909 Könnerschaft entsteht stets in spezifischen Kontexten und kann innerhalb dieser Kontexte verstanden werden.910 Im Gegensatz zum traditionellen Wissensideal ist Könnerschaft nicht objektiv (vor-)gegeben, sondern wird als situiert, d. h. an ganz unterschiedliche, wie kulturelle, räumliche oder zeitliche Situationen gebunden, charakterisiert. Damit wird von praxistheoretischen Arbeiten das Ziel verfolgt, die Kluft zwischen dem Verstand des Individuums und der Körperlichkeit seiner Aktivitäten zu überwinden, indem argumentiert wird, dass kognitive Dimensionen der Praxis in konkreten sozio-materiellen Situationen konstituiert sind.911 „Statt zu fragen, welches Wissen eine Gruppe von Personen, d.h. eine Addition von Individuen, ‚besitzt‘, lautet die Frage, welche Könnerschaft in einer bestimmten sozialen Praktik zum Ausdruck kommt (und erst darauf aufbauend kann man auf die Personen als Träger der Praktiken rückschließen).“912 Dies kann auch als Ausdruck der oben913 erläuterten Kritik914 an der, gemäß szientistischer Rationalität postulierten, epistemologischen Subjekt-Objekt-Relation gewertet werden.915 Gemäß dem Heideggerschen Konzept des In-der-Welt-Seins wird argumentiert, dass nicht Trennung, sondern vielmehr Verflechtung (entwinement) als die grundlegendste Form des menschlichen Seins zu verstehen ist. Man nimmt an, dass Individuen nie von dem ganz getrennt sind, worüber sie Erkenntnis erlangen und was sie tun. Sie sind mit der sie umgebenden spezifischen Praxis in sozialer wie in materieller Hinsicht verschränkt.
Bonss 2014, S. 187. Vgl. Corradi/Gherardi/Verzelloni 2010, S. 267. 910 Vgl. Gherardi 2008, S. 536. 911 Vgl. Willems 2017, S. 1 in Anlehnung an Orlikowski 2002 und Suchman 2009; vgl. zudem Corradi/Gherardi/Verzelloni 2010, S. 267 und Gherardi 2009c, S. 536. 912 Reckwitz 2003, S. 292. 913 Vgl. Zwischenbetrachtung (2): Alternatives Konzept praktischer Rationalität. 914 Der vom Rationalismus postulierte Dualismus von Geist und Körper sowie die Trennung von Materiellem und Immateriellen wird von praxistheoretischen Ansätzen in Frage gestellt. Vgl. exempl. Feldman M./Orlikowski 2011, S. 1242; Sandberg/Dall'Alba 2009, S. 1352; Miettinen 2006, S. 389; Reckwitz 2003, S. 296. 915 Vgl. Zwischenbetrachtung (2a): Annahmen. 908 909
158
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Mit
sozialer
Hinsicht
sind
die
sozialen
Strukturen
gemeint,
wie
eine
Unternehmensorganisation, in die Individuen „hineinsozialisiert“ werden und im Zuge dieser Sozialisation sie dann Könnerschaft entwickeln.916 Oder wie Gherardi schreibt: „[…] knowing is part of becoming an insider in a community of practice.”917 Praktiken sowie einzelne Handlungen werden in praxistheoretischen Ansätzen deshalb unter Berücksichtigung des sozialen Kontexts erforscht, in dem sie stattfinden. Der materielle Kontext wird in den praxistheoretischen Ansätzen vor allem unter zwei Aspekten diskutiert: der Speicherung von Könnerschaft im Körper oder in anderen materiellen Artefakten, sowie der Mediation von Praktiken durch Artefakte.918 Menschen, die eine Praktik erlernen, lernen dabei oft auch ihren „Körper auf bestimmte, regelmäßige und 'gekonnte' Weise zu bewegen. Daher verwundert es kaum, dass sich die empirische Praktikenforschung häufig auf handwerkliche Tätigkeiten konzentriert, beispielsweise auf die Herstellung von Flöten, auf das Dachdecken oder Kochen.919. Neben dem Körper können auch materielle Artefakte „Speicherorte" von Könnerschaft sein. Man denke etwa an die runde Form vieler Gullydeckel. Diese verhindert, dass der Deckel in das Loch fällt, da das Loch aufgrund seiner runden Form immer etwas kleiner ist als der Deckel. Bei viereckeigen Deckeln wäre es möglich, dass der Deckel über die Diagonale in das Loch fällt.920 Auch eine Mediation von Praktiken durch Artefakte ist möglich. Beispielsweise kann das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein eines Artefaktes beeinflussen, wie eine Handlung verläuft. In diesem Zusammenhang wird auch von „mediated action" gesprochen.921 Bevor im nachfolgenden Kapitel unterschiedliche Arten von Könnerschaft unterschieden werden,
werden
in
Abbildung
20
die
Merkmale
der
beiden
alternativen
Wissenskonzeptionen im Hinblick auf Form, Lokalisierung und Eigenschaften gegenübergestellt.
Vgl. Nicolini/Gherardi/Yanow 2003a, S. 22. Gherardi 2001, S. 133. 918 Vgl. exempl. Bongaerts 2007, S. 249; Cox 2012, S. 179; Feldman M./Orlikowski 2011, S. 1242. 919 Vgl. Nicolini/Gherardi/Yanow 2003a, S. 7. 920 Vgl. Bonss 2014, S. 184, in Anlehnung an Gherardi/Nicolini 2000, S. 336. Damit wurde nur eine Interpretation von „embodied" beschrieben. Innerhalb der Practice-Forschung herrscht Uneinigkeit darüber, was unter „Embodiment“ konkret zu verstehen ist (Schatzki 2001, S. 2). Vgl. zu einer alternativen Konzeptualisierung Antonacopoulou 2008, S. 117. 921 Vgl. Gherardi/Nicolini 2000, S. 331. 916 917
159
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Konzeption von Wissen
Traditionelle Sicht
Praxistheoretische Sicht
Form
Wissen als Ressource, überwiegend explizit
Wissen als Könnerschaft, überwiegend implizit
Lokalisierung
Kognition
Handlung
Eigenschaften
Statisch, kontextunabhängig
Emergent, kontextbezogen
Abbildung 20: Konzeption von Wissen922
4.2.1.2
Differenzierung nach Art der Tätigkeit
Zur Präzisierung von Könnerschaft im beruflichen Kontext erweist sich der von Ash und Roberts923 entwickelte Vorschlag924 einer Typologisierung (varietes of knowing in action925) als hilfreich. Könnerschaft kann demnach in Abhängigkeit von berufsbezogenen Tätigkeiten vier Ausprägungsformen annehmen: -
Erstens Aufgaben- bzw. Handwerksbasierte Könnerschaft, wie sie bspw. im Fall der von Lave und Wenger untersuchten Hebammen, Schneider und Metzger beschrieben ist.926
-
Zweitens professionelle Könnerschaft, wie sie bspw. im Fall der von Nicolini untersuchten Mitarbeitenden im Bereich der Telemedizin auftritt927
Quelle: Verändert übernommen aus Bonss 2014, S. 187. Vgl. Ash/Roberts 2008. 924 Ash/Roberts 2008 erheben mit Hinblick auf die von ihnen gebildeten Varianten keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Trennschärfe. Es könnten weitere Gruppierungen und Untergruppierungen identifiziert werden. „Our aim is not to offer a complete typology. Instead, it is to reveal how variety matters [...] The typology is a heuristic, not a comprehensive and clearly delineated classification.” (S. 358) 925 Vgl. Ash/Roberts 2008: Basierend auf einer Literaturanalyse mit mehr als 300 gesichteten Veröffentlichungen mit praxistheoretischem Bezug (S. 356ff.). 926 Vgl. Lave/Wenger 1991. 927 Vgl. Nicolini 2011. 922 923
160
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
-
Drittens auf virtuellen Aktivitäten basierende Könnerschaft, wie sie bei den von Hall und Graham untersuchten Teilnehmern von Online Communities beobachtet wurde.928
-
Viertens auf epistemischen bzw. hochkreativen Aktivitäten basierende Könnerschaft, wie sie bspw. im Fall von Softwareentwicklern und Unternehmensberatern erkennbar werden kann. 929
Zur Differenzierung der verschiedenen Arten von Könnerschaft verwenden Ash und Roberts u. a.930 die Kategorien „Nähe bzw. Art der Kommunikation“, „zeitliche Aspekte“ sowie „Art der sozialen Beziehung“. Die spezifischen Merkmale epistemischer Könnerschaft werden besonders deutlich anhand des Vergleichs mit handwerklicher bzw. aufgabenbezogener Könnerschaft, wie in Abbildung 21 zu erkennen ist. Im Handwerk vollzieht sich Könnerschaft primär im Zuge einer Zusammenarbeit „von Angesicht zu Angesicht“, etwa um notwendige Demonstrationen an herzustellenden Artefakten durchführen zu können. Obwohl dies grundsätzlich auch mithilfe einer Bauanleitung denkbar wäre, ist die bevorzugte Art der Vermittlung von Könnerschaft die verbale und körperliche Kommunikation. Ash und Roberts veranschaulichen dies anhand des Beispiels eines Flötenbauers: „[..] the quality of a flute results from the fine degrees of dimension and tolerance in how the components fit and function as a whole. Yet such dimensions and tolerance are not known explicitly by the flute makers, who prefer handeye judgements to those available through the use of measuring instruments such as calipers and feeler gauges.”931 Handwerkliche Könnerschaft als Hebamme, Schneider oder Flötenbauer wird in der Regel durch eine Lehrzeit erworben. Damit geht das Engagement des lernenden Individuums in einer engen Gemeinschaft einher, die im Laufe der Zeit Formen der Zugehörigkeit und zwischenmenschliches Vertrauen produziert. Die Entwicklung von Könnerschaft bzw. die gekonnte Ausübung von Praxis kann zur
Vgl. Hall/Graham 2004. Vgl. Kapitel II.3.3: Rahmenbedingungen für Lernen in epistemischen Gemeinschaften: Damit können Expertennetzwerke bezeichnet werden, die in ihren jeweiligen Wissensbereichen Autorität ausüben und darüber Einfluss auf Entscheidungen nehmen. 930 Weitere Merkmale wie Innovation und organisationale Dynamik werden hier nicht dargestellt, da sie mit Hinblick auf das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit keinen zusätzlichen Erklärungsbeitrag liefern. 931 Ash/Roberts 2008, S. 359. 928 929
161
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Entwicklung spezifischer Arbeitskulturen und Herausbildung beruflicher Identität, bspw. als Hebamme, Schneider oder Flötenbauer, führen.
Könnerschaft
Nähe/Art der Kommunikation
Zeitliche Aspekte
Art der sozialen Bindung
Handwerklich bzw. aufgabenbezogen
• Von Angesicht zu Angesicht • Bedeutung von Demonstrationen
• Langlebig und ausbildungsbezogen • Sich entwickelnde soziokulturelle, institutionelle Strukturen
• Zwischenmenschliches Vertrauen • Gegenseitigkeit durch Erfüllung gemeinsamer Aufgaben
• Räumliche und/oder relationale Nähe • Erleichterung von Kommunikation durch Kombination aus direktem und distanziertem Kontakt
• Kurzlebig, indem auf institutionelle Ressourcen aus verschiedenen epistemischen/ kreativen Bereichen zurückgegriffen wird
• Schwache soziale Bindungen • Vertrauen basiert auf Reputation und Expertise
Bspw. zu beobachten bei … • Hebammen und Schneidern (Lave/Wenger 1991)
• Servicetechnikern (Orr 1996) • Flötenbauern (Cook and Yanow 1993)
Epistemisch bzw. kreativ Bspw. zu beobachten bei … • Unternehmensberatern (Creplet et al. 2001) • Wissenschaftlern (Knorr Cetina, 1999) • Wertpapierhändlern (Beunza and Stark, 2004)
Abbildung 21: Varianten und Merkmale von Könnerschaft932 Demgegenüber vollzieht bzw. entwickelt sich Könnerschaft in epistemischen Gemeinschaften primär im Zuge einer Zusammenarbeit, die von schwachen sozialen Verbindungen geprägt ist. Es handelt sich um Koalitionen von Experten „brought together explicitly to experiment with new knowledge of a path-breaking nature. […] purposefully organized to unleash creative energy around specific exploratory projects.”933 Koalitionen deshalb, weil sich der Zusammenhalt in einem Engagement für zeitlich begrenzte Projekte zur Lösung bestimmter Probleme definiert. Im Vergleich zum Handwerk handelt es sich bei solchen Projekten um kurzlebige Unterfangen, indem, z. B. im Rahmen eines Beratungsprojekts, auf unterschiedliche institutionelle Ressourcen aus verschiedenen Bereichen der beauftragenden Unternehmen zurückgegriffen wird. Vertrauen bemisst sich an Reputation und wahrgenommener Expertise. Die Zusammenarbeit erfordert nicht immer Präsenz, sondern kann auch über Distanz erfolgen. Im weiteren Verlauf der
Quelle: Verändert übernommen aus Ash/Roberts 2008, S. 357. Ash und Robert unterscheiden neben den hier dargestellten zwei weitere Arten von Könnerschaft (professionelle und auf virtuellen Aktivitäten beruhende Könnerschaft). 933 Ash/Roberts 2008, S. 361. 932
162
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Arbeit934 wird die Charakterisierung Beratender als Mitglieder epistemischer Gemeinschaften erneut aufgegriffen, wenn es um die Frage geht, welche spezifischen Voraussetzungen in solchen Gemeinschaften gegeben sein sollten, um die Ausübung von Lernpraktiken zu fördern. Zunächst soll jedoch eine weitere Differenzierung nach der Manifestation von Könnerschaft vorgenommen werden, gemäß der Frage: Worin wird Könnerschaft von Individuen in deren Handlungspraxis eigentlich erkennbar?
4.2.1.3
Differenzierung nach Art gekonnt ausgeübter Praktiken
Ein Kernmerkmal des praxeologischen Wissensverständnisses ist Handlungsbezug.935 Es ist deshalb naheliegend nach den Praktiken zu fragen, in denen Könnerschaft handelnder Individuen zum Ausdruck kommt. Orlikowski führt in ihrer Untersuchung in einem Softwareunternehmen dessen Erfolg bei der Entwicklung komplexer Produkte nicht nur auf Technologie, Infrastruktur und Strategie zurück, sondern auch auf die Könnerschaft der Belegschaft. Diese kommt in fortlaufenden und situationsbedingten Fähigkeiten zu Ausdruck, die untrennbar mit den Praktiken verbunden sind, welche Könnerschaft im Laufe der Zeit immer wieder neu konstituieren.936 Ein ähnliches Verständnis teilen Geiger und Koch, wenn sie Könnerschaft als eine spezifische Expertise charakterisieren, „über die nur Experten verfügen und die gerade nicht durch einfaches Anlernen erwerbbar ist.“937 Sie kommen zu dem Schluss, dass Könnerschaft eine Quelle für nachhaltige Wettbewerbsvorteile von Unternehmen darstellt.938 Hydle und Breunig939 setzen, unter Bezugnahme auf Orlikowskis Verständnis von Könnerschaft940 und Arbeiten weiterer Autoren der praxistheoretischen Forschungsbewegung941, darauf auf. Sie identifizieren im Rahmen einer Untersuchung in einem Dienstleistungsunternehmen, das als International Professional Service Firm (ISPF) beschrieben wird942, drei Typologien von
Vgl. Kapitel II.3.3: Rahmenbedingungen für Lernen in epistemische Gemeinschaften. Vgl. Kapitel II.2.1.1: Handlungs-, Zeit- und Kontextbezug. 936 Vgl. Orlikowski 2002, S. 267. 937 Geiger/Koch 2008, S 697. 938 Vgl. Geiger/Koch 2008, S 697. 939 Vgl. Hydle/Breunig 2013. 940 Vgl. Orlikowski 2002. 941 Vgl. exempl. Gherardi/Nicolini/Strati 2007, Tsoukas 2009. 942 Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 252. 934 935
163
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Praktiken entlang unterschiedlicher Projektphasen943, deren gekonnte Ausübung sie mit handlungsbezogener
(Knowing-how),
faktenbezogener
(Knowing-what)
und
personenbezogener Könnerschaft (Knowing-who) assoziieren: -
Verfügen Praktiker über handlungsbezogene Könnerschaft, gelingen ihnen Praktiken des „Tuns“ zur Ausführung der Aufgaben ihres Arbeitsbereichs: „Practices of knowing-how are all about the experts doing and how they know how to perform the work.“944
Dies kommt beispielsweise im Rahmen der
Angebotslegung zum Ausdruck, wenn auf Basis von Erfahrungen der mit dem Projekt
einhergehende
Arbeitsumfang
prognostiziert
wird
oder
im
Kundengespräch Bedürfnisse erkannt werden können. -
Faktenbezogene Könnerschaft kommt in der gekonnten Ausübung von Praktiken des „Sortierens“ zum Ausdruck, die der Nutzung bzw. adäquaten Sortierung von verfügbaren Daten und Informationen dienen: „Knowing-what is about sorting experiences and knowledge and the experts use systems, processes, and other colleagues during the practices.”945 Man denke hier beispielsweise an die effektive Nutzung gespeicherter Informationen in Datenbanken oder an die Darstellung von Projektergebnissen im Rahmen der Abschlussdokumentation.
-
Zusätzlich zu dieser, bereits von Polanyi bekannten Manifestation946 von Könnerschaft, ergänzen Hydle und Breunig Praktiken des Netzwerkens, deren gekonnte Ausübung mit personenbezogener Könnerschaft assoziiert wird. Damit wird der Blick auf das handelnde Individuum gelenkt im Sinne von: „Who is performing the practice?“947 In der von Hydle und Breunig untersuchten Organisation umfasste dies Praktiken von Mitarbeitenden zur erfolgreichen
Hydle und Breunig unterscheiden Initiierung, Planung, Ausführung, Kontrolle und Abschluss (Hydle/Breunig 2013, S. 259). 944 Hydle/Breunig 2013, S. 265. 945 Hydle/Breunig 2013, S. 266. 946 Hydle und Breunig verwenden den Ausdruck „main patterns“ (Hydle/Breunig 2013, S. 266), was mit Grundmuster übersetzt werden kann. Mit Hinblick auf die Betonung des Handlungsbezugs wird nachfolgend jedoch Manifestation als Ergebnis reproduzierter Praktiken gewählt. 947 Hydle/Breunig 2013, S. 253. 943
164
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Nutzung informeller Netzwerke, um an gewünschte Informationen zu gelangen. „Practices of knowing-who are about knowing others.“948 Die drei Ausprägungen von Könnerschaft als Ausdruck der erfolgreichen Ausübung von Praktiken des „Tuns“, „Sortierens“ und „Netzwerkens“ fasst Abbildung 22 zusammen. Erwartungsgemäß wurden sie überwiegend bei erfahrenen Studienteilnehmern beobachtet. Aus Sicht wenig erfahrener Kollegen stellt sich sodann die Frage, wie Könnerschaft erlangt werden kann. Diese ist, dem praxistheoretischen Verständnis unmittelbar mit dem Handeln verwoben949 und über einen Wissenstransferprozess, wie ihn das traditionelle Verständnis konzipiert, nicht oder nur eingeschränkt übertragbar. Hier setzt die praxistheoretische Lernkonzeption an, die Gegenstand des nachfolgenden Kapitels sit
Tun
handlungsbezogen
Könnerschaft
personenbezogen
faktenbezogen
Abbildung 22: Praktiken als Ausdruck von Könnerschaft950
4.2.2 Lernen als Entwicklung neuer Könnerschaft Die Entwicklung handlungs-, fakten- und personenbezogener Könnerschaft steht im Mittelpunkt der praxistheoretischen Lernkonzeption. Das Interesse richtet sich auf Handlungen der beobachteten Praxis bzw. Praxen, praktisches Tun wird als „locus of
Hydle/Breunig 2013, S. 266. Vgl. Geiger/Koch 2008, S. 696. 950 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hydle/Breunig 2013, S. 267. 948 949
165
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
learning“951 aufgefasst. Die Verankerung in der praktischen Handlung bedeutet im Polanyi’schen Sinne, dass Könnerschaft mangels „Anleitung“ nur im Handlungskontext selbst erworben werden kann: „An art, which cannot be specified in detail cannot be transmitted by prescription, since no prescription for it exists.”952 Die Möglichkeit Könnerschaft als Manifestation des Lernens über Kognition zu erlangen, ist begrenzt: „[…] the extent to which one can learn practices by cognition alone is limited.“953 Um das praxistheoretische Lernverständnis weiter zu präzisieren, bietet sich der Blick auf den von Reich und Hager formulierten Merkmalskatalog954 an. Unter Bezugnahme auf Arbeiten prominenter, der praxeologischen Analyseperspektive zuordenbarer Autoren wie Schatzki955, Gherardi956, Reckwitz957, Green958 und Kemmis959, identifizieren sie sechs Merkmale.960
4.2.2.1
Merkmale
Als erstes Merkmal des praxeologischen Lernverständnisses führen Reich und Hager die enge Verflechtung von Lernen und Handeln an: „It falls in between habits and actions and occurs as we practice“.961 Analog der Heideggerschen Vorstellung von der Verflechtung als primärer Existenzweise962 ist das Individuum – abgesehen von dem Fall einer dauerhaften Störung der Praxis – nie völlig losgelöst von dem, worüber es Erkenntnis erlangen möchte und was es tut. Oder wie Sandberg and Dall’Alba feststellen: „When
Gherardi 2019, S. 8. Polanyi 1958., S. 53. 953 Willems 2017, S. 15. 954 Vgl. Reich/Hager 2014, S. 428. Vergleichbar, in enger Anlehnung an die Arbeiten von Gherardi 2006 und Gherardi/Nicolini 2002a beschreibt Hopwood 2014 „temporal, spatial, bodily and material dimensions“ (S. 349). 955 Vgl. Schatzki 2002, Schatzki 2006, Schatzki 2012; Schatzki 2001. 956 Vgl. Gherardi 2009b, Gherardi 2012. Die italienische Organisationssoziologin Silvia Gherardi wird von Fahrenwald 2016 als prominente Vertreterin eines praxistheoretisch fundierten organisationalen Lernbegriffs genannt (S. 101). 957 Vgl. Reckwitz 2002. 958 Vgl. Green 2009.. 959 Vgl. Kemmis 2005. 960 Vgl. Reich/Hager 2014, S. 427f. 961 Reich/Hager 2014, S. 428. 962 Vgl. Zwischenbetrachtung (2): Alternatives Konzept praktischer Rationalität. 951 952
166
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
practicing, we always find ourselves intertwined with others and things as we engage in our activities and projects.“963 Lernen vollzieht sich räumlich und zeitlich innerhalb sogenannter soziomaterieller Arrangements, was das zweite Merkmal darstellt. Solche Arrangements setzen sich aus anderen Individuen und unterschiedlichen Objekten zusammen, einem „set of interconnected material entities […] humans, artefacts, organisms and things of nature.“964 Dabei kann es sich etwa um eine Organisation oder eine lokale Kultur mit einem von den Beteiligten geteilten Wissensverständnis handeln, in die das lernende Individuum hineinsozialisiert wird.965 Der materielle Kontext richtet den Blick auch auf Artefakte, verstanden nicht nur als bloße Dinge, sondern als etwas Zweckbezogenes, etwas „something-in-order-to“, das Teil einer sinnvollen relationalen Gesamtheit ist. Nützliche Dinge machen immer ihre Zugehörigkeit zu anderen nützlichen Dingen aus.966 Diese Struktur gilt es vom Lernenden zu erfassen. Reckwitz weist auf „Überraschungen des Kontextes“ hin, die zu einem Misslingen bestimmter Handlungen bzw. Praktiken führen können. Dies ist dann etwa der Fall, wenn „das Aufkommen von neuen Artefakten, denen noch keine eingespielte Praktik entspricht und die, unter Einbeziehung 'alter' Wissens- und Praxiselemente, die Entwicklung partiell neuer sozialer Praktiken (etwa im Umgang mit dem Computer, dem Mobiltelefon etc.) herausfordern“967. Zudem wird der materielle Kontext im praxistheoretischen Diskurs unter dem Aspekt der Speicherung von Wissen im Körper diskutiert. Voraussetzungen für die gekonnte Ausführung von Handlungspraktiken werden nicht auf die Kognition beschränkt betrachtet. Wissen kann auch in Körpern und materiellen Dingen verankert sein. Eine solche
Verkörperung
stellt
das
dritte
Merkmal
des
praxistheoretischen
Sandberg/Dall'Alba 2009, S. 1351. Schatzki 2010, S. 129. 965 Nicolini/Gherardi/Yanow 2003a, S. 22. 966 In seiner Kommentierung des Werks von Heidegger 1927 erläutert Dreyfus 1990 diese Zugehörigkeit anschaulich: „Heidegger first notes that we do not usually encounter (use, talk about, deal with) ‘mere things’, but rather we use the things at hand to get something done. These things he calls ‘equipment’ (Zeug), in a broad enough sense to include whatever is useful: tools, materials, toys, clothing, dwellings, etc. […] The basic characteristic of equipment is that it is used for something. […] It is important to note, however, that Heidegger is not defining equipment merely in terms of its in-order-to. A chimp using a stick in order to reach a banana is not using equipment. Equipment always refers to other equipment.” (S. 62) 967 Reckwitz 2003, S. 294f. 963 964
167
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Lernverständnisses dar.968 Ingold verdeutlicht dies anhand des Gebrauchs eines Werkzeugs, das sowohl eine neue Leistung des ausführenden Individuums ist, als auch eine Reproduktion vergangener Praxis im Sinne eines „sich Erinnerns daran, wie man es benutzt".969 Das handelnde Individuum nutzt dabei all seine durch Erfahrung geschulten Sinnesorgane: „We see with eyes trained by our experience of watching what is going on around us, hear with ears turned by the sounds that matter to us, and touch with bodies that have become accustomed, by the lives we lead, to certain kinds of movements.”970 Relationalität als viertes Merkmal meint, dass sich praktisches Handeln und Lernen nie vollkommen isoliert, sondern in einem Netz unterschiedlichster Beziehungstypen vollziehen.971 Man denke beispielsweise an die Beziehung zwischen Individuen, wie einem Projektleiter und einem Consultant, die im Rahmen eines Projektes unterschiedliche Rollen innehaben und damit in unterschiedlicher Weise in die Projektpraxis involviert sind. Zudem sind Beziehungen zwischen Menschen und Objekten bzw. Technologie denkbar, etwa wenn sich die Räume, in denen Praktiken stattfinden, verändern oder umgestaltet werden.972. Eine solche Relationalität kommt in Begriffen wie Ökologie, Netzwerk, Choreographie und Orchestrierung zum Ausdruck. Praktiken werden in diesem Sinn von Akteuren in Raum und Zeit koproduziert: „Practices, in this sense, are always co-produced by a range of actors in space and time […].“973 Das fünfte Merkmal bezieht sich auf die historische und soziale Prägung von Handlungspraxis,
innerhalb
derer
sich
Lernen
vollzieht.974
Praxistheoretische
Erklärungsansätze betonen, dass Praktiken nicht isoliert existieren und sich entwickeln. Vielmehr ist ihre Ausprägung auf soziale Kräfte, wie bspw. Macht, in bestimmten Räumen und Zeiten zurückzuführen. Solche Praxisregime bestimmen die Art und Weise, wie Individuen arbeiten, handeln und lernen.
Vgl. Reich/Hager 2014, S. 428. Vgl. Ingold 2011, S. 57. 970 Ingold 2011, S. 95. 971 Vgl. Reich/Hager 2014, S. 424f. 972 Vgl. Reich/Hager 2014, S. 425. 973 Reich/Hager 2014, S. 425. 974 Vgl. begriffliche Differenzierung von Praktiken und Lernpraktiken in Kapitel II.2.3.2: Verortung von Lernpraktiken. 968 969
168
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Als sechstes Merkmal wird schließlich die emergente Natur von Handlungspraxis angeführt. Praktiken verändern und entwickeln sich im Laufe der Zeit in einer Weise, die im Voraus nicht vollständig spezifizierbar ist.975 Dies entspricht auch der Einschätzung Hagers, der von der Annahme emergenter Eigenschaften sozialer Strukturen auf den emergenten Charakter von Lernen schlussfolgert, was über das Lernverständnis traditioneller Prägung hinausgeht: „If social structures, such as human practices, can have emergent properties, what about the learning by practitioners that accompanies the transformation of such practices? It seems likely that such learning would also be significantly emergent. This takes us well beyond the scope of traditional theories of learning.”976 Beeinflusst von Ansätzen der Komplexitätstheorie wird Lernen als etwas betrachtet, das in einer zunehmenden Fähigkeit zu flexiblem, konstruktivem und innovativem Handeln erkennbar wird, um den Anforderungen einer sich fortlaufend verändernden Umwelt gerecht zu werden. Ein solches Lernen ist emergent, da es kontinuierlichen und nicht-linearen Interaktionen erwächst, mit Eigenschaften, die aus der Kenntnis vorhergehender Strukturen nicht vorhersehbar sind.977 Nach Vorstellung dieser sechs allgemeinen, das praxistheoretische Verständnis von Lernen bestimmenden Merkmale, ist angesichts des erkennbaren Handlungsbezugs und der Betonung von Praktiken die Frage naheliegend, welche Ausprägungsformen das Lernen selbst konkret annehmen kann. Hier bietet sich an, erneut an die Überlegungen von Hydle und Breunig anzuknüpfen. An die drei, im Vorgängerkapitel vorgestellten Praktikkategorien des „Tuns“, „Sortierens“ und „Netzwerkens“ anknüpfend, identifizieren sie in ihrer Untersuchung Praktikkategorien, die sie mit der Entwicklung neuer Könnerschaft (new knowing) in Verbindung bringen. Es werden Praktiken des Lernens im engeren Sinn (learning), Praktiken des Sondierens (probing) und Suchens (finding) unterschieden.978 Neue Könnerschaft als Manifestation der Reproduktion dieser Lernpraktiken wird analog in drei Kategorien unterteilt: „New knowing necessarily builds on existing knowing, as new knowing-how, new knowing-what, and new knowingwho.“979 Dies kann als Beitrag zur Präzisierung der in der praxistheoretischen Literatur
Vgl. Reich/Hager 2014, S. 426. Hager 2012, S. 30. 977 Vgl. Hager 2012, S. 30f. 978 Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 267. 979 Hydle/Breunig 2013, S. 253. 975 976
169
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
oft vagen Beschreibung gewertet werden, welche alltäglichen Praktiken mit Lernen zur Erlangung neuer Könnerschaft verbunden sind. Da diese Lernpraktiken im Kontext der projektbasierten Arbeit einer PSF beobachtet wurden und Beratungsunternehmen auch als PSF980 charakterisiert werden können, werden sie als konzeptionelle Grundlage für die weitere Annäherung an Lernpraktiken Beratender herangezogen.
4.2.2.2
Lernpraktiken
Praktiken des Lernens i.e.S. dienen dem Erwerb neuer Fähigkeiten und der Erlangung handlungsbezogener Könnerschaft981, die wiederum in Praktiken kompetenten Tuns bzw. eines kompetenten Handlungsvollzugs zum Ausdruck kommt.982 Mithilfe dieser Lernpraktiken werden die Fähigkeiten erlernt, die zur Ausübung der jeweiligen Tätigkeit erforderlich sind.”983 Es mag verwundern, dass Hydle und Breunig beim Versuch der Ausdifferenzierung von Lernpraktiken den allgemeinen Begriff Lernen (learning) verwenden. Gerade damit wollen sie jedoch zu einem erweiterten Lernverständnis beitragen mit dem Hinweis, dass neben „Lernen“ weitere Lernpraktiken existieren: „The commonly shared idea that knowledge creation is learning is thus extended. Creating knowing involves finding, learning, and probing and not only learning.”984 Um diese Differenzierung zu betonen, wird für diese Kategorie von Lernpraktiken nachfolgend als deutscher Begriff „Lernen im engeren Sinne“ verwendet werden. Praktiken des Sondierens985 dienen der Suche nach neuen Erkenntnissen, unter Verwendung der zur Verfügung stehenden Systeme und Prozesse, zur Erlangung neuer faktenbezogener Könnerschaft (new-knowing what), die wiederum in Praktiken zur Nutzung dieser Erkenntnisse zum Ausdruck kommt.986 Damit ist die Nutzung von nicht
Vgl. Kapitel I.1.1.1: Begriffsannäherung. Vgl. Kapitel II.2.1: Wissen als Könnerschaft. 982 Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 266. 983 Hydle/Breunig 2013, S. 266. 984 Hydle/Breunig 2013, S. 267. 985 Vgl. Dudenredaktion o. D.c: Sondieren bedeutet „etwas (vorsichtig) erkunden, erforschen, um sein eigenes Verhalten, Vorgehen der Situation anpassen zu können, die Möglichkeiten zur Durchführung eines bestimmten Vorhabens abschätzen zu können.“ Hydle/Breunig 2013 wählten diesen Begriff unter Rückgriff auf Arbeiten der Komplexitätstheorie mit Bezug auf Situationen, in denen Individuen mit unklaren Ursache-Wirkungszusammenhängen konfrontiert sind. In diesem Fall bedeutet sondieren, zunächst eine Aktivität zu initiieren und deren Auswirkungen und Reaktionen aus der Umwelt zu beobachten (S. 268). 986 Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 263. 980 981
170
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
an ein Subjekt gebundenen Wissens (disembodied knowledge) gemeint, das in artikulierter, transferierbarer und archivierbarer Form vorliegt. „Genauer handelt es sich um das Wissen, welches Fakten und Regeln, aber auch dokumentierte Erfahrungen umfasst und nach bestimmten Konstruktionsregeln reproduzierbar ist.987 Im Projektkontext umfasst dies etwa zum Projektstart die Recherche in Berichten und Systemen, um die für das Projekt notwendigen Kenntnisse zu erlangen.988 Die erfolgreiche Ausübung von Praktiken des Sondierens führt zu faktenbezogener Könnerschaft. Dies impliziert nicht die Erlangung handlungsbezogener Könnerschaft: „Regarding projects it is possible to find information, […] history is in the portal, but this does not give expertise about the subject competence on a technical level.”989 Praktiken des Suchens („finding: using others to find people who know“990) umfassen schließlich die Nutzung anderer Individuen, um geeignete Personen zu finden, die etwas wissen991, zur Erlangung von personenbezogener Könnerschaft. Diese zeigt sich in der gekonnten Nutzung informeller Netzwerke, um an gewünschte Informationen zu gelangen. Neben Individuen kann dies auch Artefakte umfassen, wie etwa Präsentationen oder Berichte, die Informationen zu geeigneten Ansprechpartnern für berufsbezogene Fragestellungen enthalten.992 Man denke an die Startphase eines Beratungsprojekts, wenn es für angehende Beratende ohne umfangreiche Vorkenntnisse darum geht, in Berichten oder über Kollegen Kontaktdaten von erfahrenen Ansprechpartnern zu ermitteln, die Ratschläge zum Projektvorgehen geben können. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Analyserahmen von Hydle und Breunig dabei hilft, das praxistheoretische Lernverständnis mittels Differenzierung unterschiedlicher Ausprägungsformen von Lernpraktiken und Könnerschaft im Sinne
Vgl. Schreyögg/Geiger 2003a, S. 11. In Anlehnung an Ryle 1949 wird explizites Wissen auch als „knowing what“ bezeichnet. 988 Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 262. 989 Hydle/Breunig 2013, S. 263. 990 Vgl. Redaktion Pons o. D.: Das englische Verb „to find“ kann im Deutschen mit „finden“ übersetzt werden. Hydle und Breunig (2013) verwenden den Ausdruck allerdings für Lernpraktiken in Zusammenhang mit „using others to find people“ (S. 262). Zur Beschreibung von Praktiken, die zum einem „Finden“ führen, wird deshalb nachfolgend der Ausdruck des „Suchens“ verwendet. Damit soll mehr der Prozess (suchen) als dessen Ergebnis (gefunden) betont werden, welches in personenbezogener Könnerschaft zum Ausdruck kommt. 991 Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 263. 992 Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 266. 987
171
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
einer praktischen Errungenschaft („practical accomplishment"993) zu konkretisieren. Die gekonnte Ausübung bzw. Reproduktion994 von Praktiken des Tuns, Sortierens und Netzwerkens in der alltäglichen Berufspraxis ist demnach Ausdruck von handlungs-, fakten- und personenbezogener Könnerschaft. Um diese zu entwickeln, werden Praktiken des Lernens i.e.S., Sondierens und Suchens angewendet bzw. reproduziert.995 Abbildung 23 ergänzt die bisherige Darstellung von Praktiken als Manifestation von Könnerschaft um Lernpraktiken des Lernens i.e.S., Sondierens und Suchens zur Erlangung neuer Könnerschaft. Zur Vertiefung dieser Überlegungen verfolgt das nachfolgende Kapitel II.2.3 das Ziel, einen Analyserahmen zu entwickeln, der es erlaubt, die genannten Lernpraktiken in den spezifischen Kontext Beratender zu überführen und in deren Beratungspraxis zu verorten.
Tun
Lernen i.e.S.
handlungsbezogen
Könnerschaft
personenbezogen
Neue Könnerschaft
faktenbezogen
Abbildung 23: Lernpraktiken zur Entwicklung neuer Könnerschaft996
Gherardi/Nicolini/Odella 1998, S. 274. Vgl. hierzu auch das nachfolgende Kapitel II.2.3 zur Verortung von Lernpraktiken: Praktiken können dem praxistheoretischen Verständnis nach durch die jeweiligen Praxen der Praktiker im Zeitablauf situations- und kontextspezifisch reproduziert bzw. verändert werden. 995 Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 266f.: Die Anforderungen des Projekts bestimmen, zu welchen Anteilen die Praktiken Anwendung finden. Praktiken werden als sequentiell miteinander verknüpft betrachtet: „[.] the practices of finding and networking are interrelated as they entail knowing other people, and they are sequential in the way that experts first have to find other people before they can network with them. […] Experts first have to learn before doing or learn by doing. [.] Practices of probing are related to sorting. Using the systems to sort experiences, probing is finding out what to do.” 996 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hydle/Breunig 2013, S. 267. 993 994
172
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
4.2.3 Konzeptualisierung Das als traditionell bezeichnete Lernverständnis fokussiert auf das Individuum, dessen Kognition und einen von der Praxis weitgehend isolierten Transferprozess von Wissen im Sinne einer Ressource. Zuspitzend formuliert Fahrenwald: „Lernen wird als ein ‚reales‘ Phänomen definiert, das an klar gekennzeichneten Orten stattfindet, das gemessen, verglichen und validiert werden kann.“997 Es ist auf Objektivität ausgerichtet und dient in erster Linie der Produktion von Wissen zur Problemlösung. Dem stellt die praxistheoretische Perspektive ein Verständnis von Lernen als ein, mit kollektiven und ganz vielfältigen alltäglichen Praktiken verwobenes, Phänomen gegenüber. Lernen wird als interaktiver, sozialer Prozess verstanden, der ergebnisoffen ist.998 Fahrenwald interpretiert die Auffassung Gherardis so, dass „durch die dekonstruktive Verschiebung des traditionellen Lernbegriffs von einem rationalen zu einem relationalen Lernen [.] der Wissenserwerb prinzipiell an individuelle, kulturelle oder organisationale Praktiken gekoppelt“999 wird. Lernen wird zu einem untrennbaren Bestandteil der menschlichen Lebenspraxis.1000 Gherardi beruft sich dabei auf den existenzphilosophischen Terminus des „Daseins“1001 von Heidegger, mit dem die, weiter oben1002 beschriebene Aufhebung des Dualismus zwischen Subjekt und Objekt einhergeht. Lernen findet demnach nicht nur im Falle von Störungen der Praxis statt, welche zu einer vorübergehenden Distanzierung von Praxis führen, sondern auch im alltäglichen „störungsfreien“ Verlauf von Praxis. Angesichts der Heterogenität der praxeologischen Theoriebewegung bietet es sich im Hinblick auf die konzeptionelle Verortung entsprechender Lernpraktiken an, einen Analyserahmen zu wählen, auf den sich ein Großteil derartiger Erklärungsansätze im Sinne eines „kleinsten gemeinsamen Nenners“ beziehen können. Hierzu eignen sich die bereits weiter oben1003 vorgestellten drei Bezugsebenen der Praxis, Praktiker und Praktiken an. Auf Basis dessen wird im nachfolgende Kapitel II.2.3.1 eine
Fahrenwald 2016, S. 102. Vgl. Fahrenwald 2016, S. 102 in Anlehnung an das von Gherardi 1999 postulierte Verständnis, wonach Lernen nicht nur eine kognitive Tätigkeit, sondern einen interaktiven, sozialen, prinzipiell ergebnisoffenen Prozess darstellt (‚learning in the face of mystery‘). 999 Fahrenwald 2016, S. 102. 1000 Vgl. Fahrenwald 2016, S. 102f. in Anlehnung an Heidegger 2006 und Gherardi/Strati 2012. 1001 Vgl. Heidegger 2006. 1002 Vgl. Zwischenbetrachtung (2): Alternatives Konzept praktischer Rationalität. 1003 Vgl. Kapitel II.1.2: Konzeptionelle Bezugsebenen. 997 998
173
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Konzeptualisierung von Beratungspraxis entworfen. Im Anschluss daran erfolgt in Kapitel II.2.3.2 eine Verortung der mit dieser Beratungspraxis verflochtenen Lernpraktiken.
4.2.3.1
Beratungspraxis
Dem praxeologischen Begriffsverständnis zufolge kann die Gesamtheit der mit Beratungstätigkeit verbundenen Handlungen als Beratungspraxis bezeichnet werden.1004 Da diese Tätigkeit in der Regel im Rahmen von Beratungsprojekten erfolgt, fällt darunter all das, „what is actually being carried out as people perform the projects.“1005 Hier erfolgt die Erbringung der Dienstleistung und die Interaktion mit dem Bezugnehmend
auf
die
weiter
oben
vorgenommene
Kunden.1006
Charakterisierung
von
Beratungsprojekten liegt die Annahme nahe, dass diese Tätigkeit vorwiegend im Zuge der Bearbeitung
komplexer,
zeitlich
limitierter
Aufgabenstellungen
Projektorganisation entlang mehrerer idealtypischer Arbeitsphasen
in
einer
erfolgt.1007
Zur Konzeptualisierung von Beratungspraxis wird nachfolgend erneut auf die von Whittington
verwendeten
Bezugsebenen
Praxis,
Praktiker
und
Praktiken
zurückgegriffen.1008 Diese nutzen auch Seidl und van Aaken im Rahmen ihrer Überlegungen,
wie
klientenexterne
Organisationspraktiken
finden.1009
Praktiken
Eingang
in
In Anlehnung an deren
das
Set
interner
Darstellung1010
wird
nachfolgend Beratungspraxis konzeptualisiert: Abbildung 24 zeigt beispielhaft ein Team, das aus drei Beratenden B1 bis B3 besteht, deren Beratungspraxis in einem Projekt, bestehend aus mehreren Projektepisoden E1 bis E5 stattfindet. Innerhalb dieser Projektphasen arbeiten die Beratenden entweder selbstständig oder gemeinsam, was durch die zusammen- oder auseinanderlaufenden Linien im unteren Parallelogramm symbolisiert wird. Im Hinblick auf Lernen ist die besondere Relevanz letzterer zu vermuten
als
Möglichkeit
gemeinsamer
Handlungsanalyse
und
gemeinsamer
Vgl. Kapitel II.1.2.1: Praxis. Hydle/Breunig 2013, S. 252. 1006 Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 253. 1007 Vgl. Kapitel I.2.4: Beratungsprojekt. 1008 Vgl. Kapitel II.1.2: Konzeptionelle Bezugsebenen. 1009 Vgl. Seidl/van Aaken 2007, S. 180ff. 1010 In Seidls und van Aakens Arbeit repräsentieren die durchgezogenen Linien auf der unteren Ebene den Klienten, die gestrichelten eingehenden Linien externe Berater. Da in der vorliegenden Arbeit das Lernen Beratender im Rahmen ihrer Beratungspraxis im Vordergrund steht, repräsentieren die durchgezogenen Linien auf der unteren Ebene Beratende, die gestrichelten eingehenden Linien Klienten. 1004 1005
174
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Problemreflexion.1011 Dies ist mit oder ohne Kundeninteraktion vorstellbar, was die in die untere Ebene ein- und auslaufende gestrichelte Linie wiedergibt. Beratungspraktik (P) Beratende (B) Projektepisode (E) Klient (K)
P4 P1
P2 P3
B1
B2 B3
E1
E2
E3
E4
E5
K1 K2 Zeit
Abbildung 24: Konzeptualisierung von Beratungspraxis1012 Charakteristisch für die oben1013 erläuterte praxeologische Sichtweise ist, dass all diese Aktivitäten nicht selbstständig und für sich isoliert stattfinden, sondern von Beratungspraktiken i. S. v. überindividuellen Aktivitätsmustern1014 geleitet werden. In Abbildung 24 wird dies wiedergegeben durch die pfeilförmigen Verbindungslinien zwischen den beiden Ebenen der Beratungspraxis und der Beratungspraktiken. So orientieren die Beratungspraktiken der oberen Ebene das Handeln der Beratenden auf der unteren Ebene entlang der Projektepisoden. Im Fall der dargestellten Beratungspraxis mag es beispielsweise die unübersichtliche Phase des Projektstarts (E1) erfordern, hypothesengetrieben zu arbeiten unter Anwendung des Pyramiden- bzw. Minto-Prinzips1015. Diese Praktik zur Problemstrukturierung (P1) hilft den Beratenden
Vgl. Kuhn/Jackson 2008, S. 461. Quelle: Verändert übernommen aus Whittington 2006, S. 621 und Seidl/van Aaken 2007, S. 180. 1013 Vgl. Kapitel II.1.2.3: Praktiken. 1014 Vgl. Seidl/van Aaken 2007, S. 178 und Whittington 2018, S. 344. 1015 Vgl. Redaktion McKinsey Alumni Center o. D. und Minto 1996: Das nach der ehemaligen Beraterin Barbara Minto auch als „Minto-Prinzip“ benannte Pyramidenprinzip unterstützt dabei, jedem Teammitglied verständlich zu machen, welchen Beitrag es zur Erreichung des Gesamtziels beisteuert. Es geht dabei nicht nur darum, wie man Kommunikation – im Kontext der Beratung zumeist in Präsentationsform – strukturiert, sondern vor allem darum, für komplexe Problemstellungen mittels hypothesengetriebener Vorgehensweise in angemessener Zeit Lösungsvorschläge zu entwickeln. Wird 1011 1012
175
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
(B1-3) dabei, mit vertretbarem Zeitaufwand erste Lösungsansätze zur Erreichung der Projektzielsetzung zu entwickeln. Die Anwendung dieser Praktik erfolgt routinisiert und führt zunächst zu einer unveränderten Anwendung im Projektverlauf – daran zu erkennen, dass die Linie P1 fortgezogen wird und in E2 ihre erneute Anwendung findet. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Beratenden dieselbe Methode zu Problemstrukturierung bereits in einem ihrer früheren Projekte kennenlernten und nun bereits über entsprechende Könnerschaft verfügen. Es ist jedoch auch denkbar, dass es im Rahmen der Reproduktion von Beratungspraktiken zu deren Veränderung, Fortentwicklung oder Verwerfung kommen kann. In Abbildung 24 wird dies nach E2 durch die sich verändernde Linienführung von P1 symbolisiert. Ursache hierfür könnte etwa sein, dass der Projektverlauf eine Anpassung der angewandten Methode zur Problemstrukturierung erforderlich macht. Zudem ist denkbar,
dass
neue
Praktiken
Anwendung
finden
und
das
Repertoire
an
Beratungspraktiken anreichern – etwa, weil das Beratungsteam mit einem Problem konfrontiert wird, welches es mit den vorhandenen Praktiken nicht bearbeiten kann (gestrichelte Linie P4).1016 Beide Fälle sind mit der Entstehung neuer Könnerschaft verbunden, was im praxeologischen Verständnis das Phänomen Lernen begründet.
4.2.3.2
Verortung von Lernpraktiken
Um der Frage nachzugehen, welche Ausprägungsformen Lernen konkret annimmt, schlägt Tsoukas vor, auf Praktiken zu fokussieren.1017 Sie stellen den praxistheoretischen Anknüpfungspunkt für die Beschäftigung mit Lernen dar.1018 Für den Kontext der Beratung erweisen sich das Lernens i.e.S., Sondieren und Suchen als geeignete Kategorien, wie bereits herausgearbeitet wurde.1019 Diese Kategorisierung liefert jedoch noch keine Hinweise darauf, wie der Lernvorgang in der Beratungspraxis konzeptionell zu verorten ist. Dem praxistheoretischen Verständnis von Lernen als ein in und mit der Handlungspraxis verflochtener Vorgang folgend, wird deshalb nun die, aus dem die Entwicklung eines entsprechenden Hypothesenbaums (siehe beispielhafte Darstellung im Anhang A1) innerhalb des Teams vollzogen, wird für das einzelne Teammitglied nachvollziehbar, welchen Beitrag dessen Einzelanalyse zur Veri- bzw. Falsifizierung von Annahmen zum Gesamtergebnis beiträgt. 1016 Vgl. Seidl/van Aaken 2007, S. 179f. 1017 Vgl. Tsoukas 2009. 1018 Vgl. exemplarisch Gherardi 2009b und Bonss 2014, S. 207f. 1019 Vgl. Kapitel II.2.2: Lernen als Entwicklung neuer Könnerschaft.
176
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
vorhergehenden Kapitel bekannte Konzeption von Beratungspraxis erweitert. Abbildung 25 illustriert dies graphisch anhand von drei Komponenten: -
Die Einführung des grauen Parallelogramms in der Mitte zwischen den Ebenen Beratungspraxis und -praktiken bringt die Verflechtung von Lernen und Handeln der dargestellten Beratenden (B1 bis B3) zum Ausdruck. Diese lernen in ihrer alltäglichen Beratungspraxis, indem sie Lernpraktiken anwenden, die die gekonnte Ausübung von Beratungspraktiken ermöglichen. Auch wenn das Parallelogramm in der Mitte rein optisch die Existenz einer eigenständigen „Lernpraxis“ suggerieren mag, ist nicht anzunehmen, dass Lernpraktiken eine eigene Praxis konstituieren. Der Praxisbegriff bezieht sich vielmehr auf eine bestimmte Handlungspraxis, wie in diesem Falle die der Beratung.1020
-
Lernpraktiken (LP1 bis LP3) werden im grauen Parallelogramm durch die gepunkteten Linien symbolisiert. Unter Rückgriff auf die Typologisierung von Hydle und Breunig werden Lernpraktiken des Lernens i.e.S., Sondierens und Suchens unterschieden.1021 Als überindividuelle Aktivitätsmuster1022 verstanden, ermöglichen sie die Ausübung neuer oder die veränderte Ausübung bestehender Beratungspraktiken im Zeitablauf. Ersteres ist durch eintretende gestrichelte Linien von P4 in die Ebene der Beratungspraktiken dargestellt. Zweiteres ist in einen
veränderten
Linienverlauf
von
P1
innerhalb
der
Ebenen
von
Beratungspraktiken zu erkennen. Analog gilt dies für Lernpraktiken, die sich im Zeitablauf verändern können (LP2) oder verworfen werden, was die austretende gestrichelte Linie von LP1 aus dem grauen Parallelogramm zeigt. -
Die weißen Punkte an der Schnittstelle des grauen Parallelogramms mit den pfeilförmigen Verbindungslinien zeigen, wann Lernpraktiken im Zeitablauf zur Anwendung kommen. Dies ist in den Episoden E2 bis E4 der Fall. Es wird auch deutlich, dass nicht in allen Episoden gleichermaßen gelernt werden kann, etwa wenn die Reproduktion von Lernpraktiken nicht möglich ist oder gar verhindert
Dies steht auch im Einklang mit Hager/Lee/Reich 2012, die sich fragen: „Is learning itself a practice? Probably not if we adopt a more exclusive understanding of practice. For example, the internal goods of learning probably reside with what is learnt, rather than with the act of learning itself.” (S. 31) 1021 Vgl. Hydle/Breunig 2013. 1022 Vgl. Seidl/van Aaken 2007, S. 178 und Whittington 2018, S. 344. 1020
177
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
wird (z.B. in E1). Dies ist beispielsweise dann vorstellbar, wenn gewisse Projektepisoden von einem hohen Grad an Routine bzw. Monotonie geprägt sind und involvierte Beratende bereits über die notwendige Könnerschaft verfügen, ohne dass die Ausübung von Lernpraktiken notwendig ist.1023 Beratungspraktik (P) Beratende (B) Projektepisode (E) Klient (K) Lernpraktik (LP)
P4 P1
P2 P3 Suchen
LP1
Sondieren
LP2
LP3
Lernen i. e. S. B1
B2 B3
E1
E2
E3
E4
E5
K1 K2 Zeit
Abbildung 25: Konzeptualisierung von Beratungspraxis und Lernpraktiken1024 Anhand der nunmehr erweiterten Konzeptualisierung werden weitere Implikationen eines praxistheoretischen Lernverständnisses erkennbar. Die Darstellung von Zeitstrahl und Projektepisoden mit den darin zusammenlaufenden Linien bringt zum Ausdruck, dass sich das Lernen in bestimmten Situationen im Zeitablauf und im Zuge sozialer Interaktion (z. B. zwischen Beratenden oder zwischen Beratenden und Klient) vollzieht. Freilich ist auch individuelles Lernen denkbar ohne Beteiligung anderer Individuen. Praxistheoretische Autoren weisen jedoch auf ein Primat sozial verankerten Lernens hin. Wie etwa Gherardi, die das Lernen weniger als ausschließlich kognitive, sondern vor allem als eine partizipative Aktivität begreift, die bewusst und unbewusst erfolgen kann.1025 Die Eingebundenheit in soziale Gemeinschaften unterstreicht schließlich auch der Ansatz situierten Lernens von Lave und Wenger1026, der im weiteren Verlauf der
Vgl. Costas/Kärreman 2015. Quelle: Eigene Darstellung (graue Fläche); übrige Darstellung verändert übernommen aus Whittington 2006, S. 621 und Seidl/van Aaken 2007, S. 180. 1025 Vgl. Gherardi 2000, S. 214f. 1026 Vgl. Lave/Wenger 1991. 1023 1024
178
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Arbeit im Rahmen der Behandlung von Faktoren des Lernens noch eine zentrale Rolle spielen wird.1027 Der relationale Aspekt des praxistheoretischen Verständnisses kommt neben der Betonung sozialer Beziehungen auch in der zweckbezogenen Nutzung von Artefakten zum Ausdruck, wie beispielsweise die in der Beratungspraxis vorzufindenden Dokumente, Laptops oder Kommunikationstechnologien. So können etwa im Laufe des Projektverlaufs gewonnene Ergebnisse oder Erfahrungen in materiellen Artefakten wie Beratungsleitfäden oder Präsentationen gespeichert werden.1028 Anhand der versetzt verlaufenden Linien wird die historische und soziale Prägung von Beratungspraxis illustriert, innerhalb derer sich Lernen vollzieht. Beratungs- und Lernpraktiken können sich im Zeitablauf verändern, neuen Eingang finden oder auch wieder verworfen werden. Die
erfolgreiche
Anwendung
von
Lernpraktiken
Beratender
kommt,
dieser
praxistheoretischen Konzeptualisierung zufolge, in der gekonnten Anwendung bzw. Reproduktion von Beratungspraktiken zum Ausdruck, die wiederum das Handeln der Beratenden in ihrer alltäglichen Praxis ermöglichen, indem sie sie mit kognitiven und diskursiven Ressourcen versorgen. Beispielsweise führt … -
… in Episode E2 die von den drei Beratenden (B1 bis B3) gemeinsam angewandte Lernpraktik LP3 des Lernens i.e.S. unter Mitwirkung des Klienten (K1, K2) zur veränderten Anwendung der Beratungspraktik P1.
-
… in Episode E3 die Anwendung von Lernpraktik LP2 des Sondierens zur neuen, bis dato nicht im Repertoire der Beratenden befindlichen Beratungspraktik P4.
-
… in Episode E4 die ohne Mitwirkung des Kunden vollzogene Lernpraktik LP2 des Sondierens zur veränderten Anwendung von Beratungspraktik P4 in Episode 5.
Die vorgenommene konzeptionelle Verortung von Lernpraktiken in der Beratungspraxis stellt gekonnt angewandte Beratungspraktiken als Manifestation von Lernen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Dies geht freilich auch, wie in jedem Modell zur Erklärung komplexer Phänomene, mit gewissen Unschärfen einher. Beispielsweise den Aspekt der Verkörperung betreffend:1029 Auch wenn die Tätigkeit Beratender als wissensintensiv bezeichnet werden kann und auf den ersten Blick nur schwer mit handwerklicher bzw.
Vgl. Kapitel II.3: Partizipation an Beratungspraxis. Vgl. Gherardi/Nicolini 2000, S. 336. 1029 Vgl. Reich/Hager 2014, S. 428. 1027 1028
179
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
aufgabenbezogener Könnerschaft - wie im Fall des von Cook und Yanow thematisierten Flötenbaus1030 - assoziiert werden mag, ist nicht auszuschließen, dass sich Lernen Beratender auch in körperlicher Geschicklichkeit manifestieren kann. Grund zu dieser Annahme liefert Willems anhand seiner Beobachtungen von Disponenten eines Eisenbahnkontrollzentrums, deren Aufgaben ebenfalls mit hoher Wissensintensität in Verbindung gebracht werden kann. Als Ausdruck des Lernens konnte an ihnen die Entwicklung zunehmender Geschicklichkeit beobachtet werden, Körper und Sinne mit praktischen Situationen und Störungen ihrer komplexen Arbeitsumgebung in Einklang zu bringen.1031 Der Körper selbst wird dann als ein Ort von Könnerschaft verstanden (site of knowing).1032 Mangels Hinweisen in der Literatur zur Beantwortung der Frage, welche Relevanz der Aspekte der Verkörperung im Beratungskontext besitzt, wird dem im dritten Hauptteil der Arbeit im Rahmen der Auswertung der empirischen Interviewstudie weiter nachgegangen werden. Zunächst jedoch steht nachfolgend die praxistheoretische Beschäftigung mit Faktoren im Mittelpunkt, die sich begünstigend bzw. hemmend auf die Anwendung von Lernpraktiken auswirken können.
4.3
Partizipation an Beratungspraxis
Auf der Suche nach Antworten auf die Frage, was Lernen im arbeitsplatznahen Umfeld fördert bzw. hemmt, stößt man in der Literatur auf recht umfangreiche Kataloge mit Nennung
unterschiedlichster
Faktoren.1033
Solche
Forschungsarbeiten
können
überwiegend der traditionellen Perspektive auf Lernen zugeordnet werden mit dem Erkenntnisinteresse an Faktoren, die einem funktionierenden Wissenstransferprozess zu- oder abträglich sind.1034 Lernbegünstigend gelten nach diesem Verständnis beispielsweise die Schaffung dezidierter Möglichkeiten zum Wissensaustausch oder der
Vgl. Cook/Yanow 1993. Vgl. Willems 2017. 1032 Vgl. Willems 2017, S. 14. 1033 Vgl. exempl. die auf einer Literaturanalyse basierende Übersicht von Crouse/Doyle/Young 2011 mit 36 lernbegünstigenden Faktoren (facilitators) in sechs Kategorien (S. 45f.) und 46 lernhemmenden Faktoren (barriers) in neun Kategorien (S. 43f.). 1034 Vgl. exempl. Bonss 2014, die in einer Literaturrecherche für den Kontext hochqualifizierter externer Mitarbeiter jeweils drei Einflussfaktoren des Senders und des Empfängers von Wissen nennt. Hierzu gehören Motivation zur Weitergabe bzw. Aufnahme von neuem Wissen, kommunikative Fähigkeiten und zeitliche Restriktionen (S. 195). 1030 1031
180
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Förderung der Motivation zur Weitergabe von Wissen.1035 Entsprechend liegt dem die Vorstellung von Lernen als distinkter, zweckorientierter Akquisitionsprozess zugrunde, „a process whereby people, as a function of completing their organizational tasks and roles, acquire knowledge, skills, and attitudes that enhance individual and organizational performance”1036. Wie im zweiten Hauptteil dieser Arbeit bislang mehrfach deutlich wurde, stellt dem die praxeologische Sicht ein Verständnis von Lernen als etwas mit dem alltäglichen Tun Verflochtenen gegenüber, das sich im „praktischen Engagement in ganz unterschiedlichen soziomateriellen Kontexten vollzieht“.1037 Auch im Hinblick auf lernbegünstigende bzw. -hemmende Faktoren messen praxeologische Arbeiten dem situativen Kontext große Bedeutung bei.1038 Insbesondere der Theorieansatz situierten Lernens „as an alternative to dominant, cognitive perspectives on learning“1039 liefert hierzu wertvolle Hinweise. Er betont den Aspekt der Partizipation an Praxis im Sinne eines sozialen Kontextes, als wesentliche Voraussetzung für Lernen („conceiving of learning in terms of participation“1040). Arbeiten situierten Lernens sind maßgeblich auf die Überlegungen von Lave und Wenger in den 1990er Jahren zurückzuführen.1041 Sie prägten den praxistheoretischen Diskurs nachhaltig1042 und erfuhren auch in der Unternehmenspraxis breite Akzeptanz.1043 Lave und Wenger zufolge stellen Partizipationsmöglichkeiten an einem sozialen Kontext die Voraussetzung für ein situiertes1044, d. h. in einen situationsspezifischen Kontext eingebundenes Lernen dar. Individuen entwickeln ihre Identitäten und Praktiken
Vgl. Bonss 2014, S. 221. Hicks et al. 2007, S. 62. 1037 Vgl. Brown/Duguid 1991; Handley et al. 2007; Lave/Wenger 1991. 1038 Vgl. Orlikowski 2002. 1039 Contu/Willmott 2003, S. 283. 1040 Lave/Wenger 1991, S. 49f. 1041 Lave/Wenger 1991 und Huzzard 2004: Die Theorie des situierten Lernens von Lave und Wenger war nicht der erste Ansatz, der betonte, dass Lernen kontextabhängig, sozial und in bestimmte Praktiken eingebettet ist. Dennoch wird allgemein anerkannt, dass ihre Arbeit über „Communities of Practice" maßgeblich dazu beigetragen hat, ein wachsendes Forschungsinteresse an einem solchen Ansatz zum Lernen am Arbeitsplatz zu wecken. (S. 351) 1042 Vgl. Bonss 2014, S. 208 und Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 392: Die Arbeiten von Lave und Wenger sowie andere frühe Beiträge zum CoP-Konzept (bspw. Brown/Duguid 1991; Orr 1996) ebneten den Weg für die aktuelle Popularität der Studien zu „Knowing in practice“ (Nicolini 2011; Orlikowski 2002; Rennstam/Ashcraft 2013). 1043 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 390 und Handley et al. 2007, S. 173f. 1044 Der Begriff der Situiertheit geht auf eine Wortneuschöpfung von Lucy Suchman zurück, die auf die Bedeutung des Kontexts für menschliche Kognition hinwies (Suchman 1987). 1035 1036
181
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
entsprechend der ihnen zur Verfügung stehenden Partizipationsmöglichkeiten. Mit Partizipation ist die Art und Weise gemeint, wie Individuen die sozialen Normen, Verhaltensweisen und Werte der Gemeinschaften, an denen sie teilhaben, verstehen und sich ihnen anschließen.1045 Der von kognitiven Ansätzen weitgehend dem Individuum zugeordnete Lernvorgang wird von Lave und Wenger zu einem Sozialisierungsprozess umgedeutet, der sich in der Teilnahme an sogenannten Praxisgemeinschaften (communities of practice, CoP)1046 vollzieht. Auch ein Verständnis davon, was die spezifischen Praktiken dieser Gemeinschaften ausmacht, gewinnen Individuen erst durch Partizipation.1047 Diese Praktiken können sich auf den Gebrauch von Sprache, Rollendefinitionen, Verhaltensskripte und andere explizite Artefakte beziehen; des Weiteren auch auf verschiedene implizite Werte, Annahmen und Verständnisse, die ihnen zugrunde liegen. Individuen imitieren diese Praktiken nicht unbedingt, sondern können sie – abhängig von anderen situierten Einflüssen – anpassen, transformieren oder ablehnen.1048 Angesichts der Fokussierung auf Aspekte situativer Kontexte und sozialer Beziehungen verwundert es, dass sich in praxeologisch orientierter Literatur nur wenige Angaben zu konkreten, lernbegünstigenden bzw. hemmenden Faktoren finden. Beispielsweise konnte Bonss auf Basis einer Literaturrecherche nur drei Rahmenbedingungen aus praxistheoretischer Perspektive identifizieren, die sich auf die Herstellung von räumlicher Nähe, der Förderung eines positiven Klimas, der Zusammenarbeit und der Integration externer Mitarbeiter in das Unternehmen beziehen. Mehr (sieben) Faktoren konnten für die traditionelle Perspektive identifiziert werden.1049 Hinzu kommt eine nur bedingte Vergleichbarkeit praxistheoretischer Studien aufgrund nicht immer identisch verwendeter Begrifflichkeiten. Kuhn und Jackson geben zu bedenken: „[…] the plethora of conceptual development makes comparison across studies difficult.”1050 Angesichts
Vgl. Handley et al. 2007, S. 177. Vgl. Kapitel II.3.1.1: Praxisgemeinschaft und -netzwerk. 1047 Vgl. Lave/Wenger 1991, S. 94ff. 1048 Vgl. Handley et al. 2007, S. 179. 1049 Vgl. Bonss 2014, S. 221: Zwar wird darauf hingewiesen, dass die Aufzählung nicht abschließend zu verstehen ist. Dennoch spiegelt das Verhältnis der Anzahl aufgeführter Rahmenbedingungen aus traditioneller und praxistheoretischer Sicht den Umfang der Beschäftigung mit Determinanten des Lernens durch die beiden Analyseperspektiven gut wieder. 1050 Vgl. exempl. Corman et al. 2002; Grandori/Kogut 2002; Patriotta 2004. 1045 1046
182
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
dessen wird nachfolgend auf drei praxistheoretische Konzepte eingegangen, die definitorisch gut abgrenzbar sind und sich insbesondere als für den Lernkontext Beratender relevant erweisen.1051 Von Partizipationsmöglichkeiten an Beratungspraxis als grundlegende Voraussetzung für das
Lernen
Beratender
ausgehend,
wird
in
Kapitel
II.3.1
der
Zugang
zu
Praxisgemeinschaften bzw. -netzwerken mit den damit assoziierten Lernquellen herausgearbeitet.
Im
Gegensatz
zu
Arbeiten,
die
Lernen
innerhalb
von
Praxisgemeinschaften betrachten – man denke etwa an die ethnographische Studie von Orr über die Arbeit von Wartungstechnikern1052 – wird hier der Fokus insbesondere auf die Existenz des Zugangs gerichtet, der im Kontext der Beratung als nicht selbstverständlich gegeben betrachtet wird. Dem schließt sich in Kapitel II.3.2 die Betrachtung des von Pyrko und Kollegen beschriebenen Konzepts gemeinsamen Denkens (thinking
together1053)
an.
Entsprechende
Gelegenheiten
in
der
alltäglichen
Beratungspraxis erweisen sich demnach lernbegünstigend. Es finden sich Hinweise darauf, dass im Rahmen dessen implizites Wissen zwischen Individuen geteilt werden kann – ein gerade für Beratungsunternehmen mit ihrer Abhängigkeit vom Wissen und Können
ihrer
Mitarbeitenden
sowie
der
im
Consulting
typisch
hohen
Mitarbeiterfluktuation erfolgskritischer Aspekt. Die Bezugnahme auf Besonderheiten im Consulting wird sodann vertieft, wenn in Kapitel II.3.3 Beratende als Angehörige sogenannter epistemischer Gemeinschaften (epistemic communities1054) charakterisiert werden. Hieraus lassen sich Rahmenbedingungen ableiten, die den begünstigenden bzw. hemmenden Einfluss der identifizierten Faktoren auf Lernen Beratender moderieren können.
4.3.1 Zugang zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken In einer von Dickmann und Kollegen durchgeführten Interview-Studie in 30 großen und mittelgroßen Beratungsunternehmen im deutschsprachigen Raum gaben alle Befragten
Die Annäherung an hieraus resultierende (beobachtbare) Determinanten erfolgt phänomenologisch. Es erfolgt keine Berücksichtigung psychologischer Mechanismen (vgl. Illeris 2009a, S. 15) oder ethnischkultureller Aspekte (vgl. Lui/Choy 2020). 1052 Vgl. Orr 1996. 1053 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017. 1054 Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 361f. 1051
183
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
an, dass der überwiegende Teil ihres Lernens „on the job" stattfindet.1055 Dies mag wenig überraschend sein, setzt jedoch etwas voraus, was im Consulting nicht immer als selbstverständlich gegeben betrachtet werden kann: Den Zugang zu abwechslungsreicher Beratungspraxis und interessanten Projekteinsätzen.1056 Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend zunächst die Bedeutung von Gemeinschaften und Netzwerke der Praxis für das Lernen Beratender herausgearbeitet und damit zusammenhängende Lernquellen betrachtet. Anschließend wird untersucht, was den Zugang hierzu ermöglichen oder auch verhindern kann.
4.3.1.1
Praxisgemeinschaft und -netzwerk
Für Lave und Wenger stellt Lernen einen integralen Bestandteil sozialer Praxis dar. 1057 Sie wenden sich damit gegen zwei bis dato populäre Annahmen v. a. kognitiver Erklärungsansätze, wonach Lernen ausschließlich dem Erwerb objektiven Wissens dienen und diese Wissensvermittlung idealerweise getrennt vom Ort der Anwendung des Gelernten (wie bspw. in Ausbildungs- und Trainingseinheiten) stattfinden sollte.1058 Ihrer Ansicht nach vollzieht sich Lernen vielmehr im Zuge eines Sozialisierungsprozesses in Praxisgemeinschaften mit anderen Individuen (Communities of Practice, CoP).1059 Diese Partizipation stellt auch eine grundlegende Voraussetzung im arbeitsplatznahen Kontext dar, um zu lernen „what constitutes the practices of the community”1060. Die CoP ist damit der primäre Kontext praxisbasierten Lernens, der die Konstitution lokaler Praktiken erlaubt, um die Anforderungen des Berufs kollektiv zu erfüllen.1061 Das gemeinsame Tun, der soziale Aspekt bzw. die Beziehungen zwischen den beteiligten Akteuren rücken damit in den Mittelpunkt der Betrachtung.1062 Die Praxisgemeinschaft kann betrachtet werden als ein „System von Beziehungen zwischen Menschen, Aktivitäten und der Welt, das sich
Vgl. Dickmann/Graubner/Richter 2006, S. 73. Vgl. Costas/Kärreman 2015. 1057 Vgl. Lave/Wenger 1991, S. 34. 1058 Vgl. Handley et al. 2007, S. 173f. 1059 Vgl. Lave/Wenger 1991, S. 89ff. und Göhlich 2016, S. 16. 1060 Lave/Wenger 1991, S. 95. 1061 Vgl. Rovio-Johansson 2018, S. 52. 1062 Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 354. 1055 1056
184
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
mit der Zeit und in Beziehung zu anderen tangierenden und überlappenden CoP entwickelt"1063. Angesichts dieser doch recht weit gefassten Definition, verwundert es nicht, dass sich diesbzgl. eine anhaltende Begriffsdiskussion beobachten lässt1064, die bis heute eine allgemein anerkannte Definition vermissen1065 und die das CoP-Konzept immer noch als „schwammig“1066 erscheinen lässt. Dennoch werden drei Strukturelemente deutlich1067: -
Erstens verfügt eine CoP über ein Wissens- bzw. Arbeitsgebiet, welches den geteilten Hintergrund für die Mitglieder darstellt und zur Ausbildung einer gemeinsamen Identität führt. Man denke etwa an die Profession Lehrender, Ärzte oder Beratender.
-
Zweitens ist der gemeinschaftliche Aspekt entscheidend für die Begründung einer CoP, der die Interaktion auf Basis von Respekt und Vertrauen betont: „Having the same title, for instance, is not enough. You can all be safety managers in different business units, but unless you interact, you do not form a community of practice.“1068 Resultierendes Gemeinschaftsbewusstsein ist die Voraussetzung für
Vgl. Lave/Wenger 1991, S. 98. Mit Hinblick auf die Tätigkeit Beratender, die sich überwiegend in wechselnden Projekteinsätzen mit begrenzter Laufzeit vollzieht, ist dieses breiter gefasste Begriffsverständnis sicherlich zutreffender als das von Wenger später formulierte und in der betriebswirtschaftlichen Diskussion geläufige, wonach CoPs auf regelmäßiger Interkation basieren, indem sie zu verstehen sind als „groups of people who share a concern or a passion for something they do and learn how to do it better as they interact regularly." (Wenger 2011, S. 1.). Und zugleich präziser als die Interpretation von Pyrko: „Put simply, CoPs refer to groups of people who genuinely care about the same real-life problems or hot topics, and who on that basis interact regularly to learn together and from each other. (Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 390.) 1065 Dies ist möglicherweise auch auf die im Konzept angelegte Unterschiedlichkeit mit Hinblick auf Ausprägung und Erscheinungsbild von CoPs zurückzuführen (vgl. Wenger/McDermott/Snyder 2002, S. 24 ff.). Sie sind so heterogen, wie die Situationen, die sie entstehen lassen und die Individuen, die an ihnen teilhaben. Manche CoPs sind klein und bestehen nur aus einigen Spezialisten. Andere hingegen bestehen aus Hunderten von Mitgliedern. 1066 Vgl. Romhardt 2002, S. 36. Ash und Roberts kritisieren die unpräzise Verwendung des Begriffs, der sich von der ursprünglichen Definition einer CoP als relativ stabile Gemeinschaft von Mitgliedern, die in unmittelbarer Nähe miteinander arbeiten und in denen die Identitätsbildung durch Partizipation und die Aushandlung von Bedeutung für das Lernen und die Wissensgenerierung zentral sind, entfernt hat (Ash/Roberts 2008, S. 355). 1067 Vgl. Wenger/McDermott/Snyder 2002, S. 27ff. 1068 Wenger/McDermott/Snyder 2002, S. 34f. 1063 1064
185
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
die Bereitschaft, Ideen zu teilen, schwierige Fragen zu stellen und aufmerksam zuzuhören.1069 -
Als drittes Merkmal kann schließlich spezifisches Wissen betrachtet werden, welches die Gemeinschaft entwickelt, teilt und aufrechterhält. Dabei kann es sich im Kontext der Beratung beispielsweise um Erlebnisberichte („War Stories“), Theorien, Tools, Artikel und Best- Practice- Studien handeln.
In Anbetracht der mitunter unreflektierten Verwendung des CoP-Begriffs „as a driver of learning and knowledge generation“1070 für unterschiedlichste Arbeitsumfelder, appellieren Ash und Roberts für eine differenziertere Verwendung,1071 ist doch anzunehmen, dass sich der Lernvorgang, je nach Profession, ganz unterschiedlich vollzieht. So erfolgt das Lernen in Praxisgemeinschaften im handwerklichen Umfeld vorwiegend über kinästhetische und ästhetische Sinne, etwa im Zuge der wiederholten Ausübung bestimmter Aufgaben unter enger Aufsicht von Kernmitgliedern der Gemeinschaft.1072 Das Wissen in Gemeinschaften von Experten, beispielsweise auf dem Gesundheitssektor, wird dagegen oft durch lange Ausbildungszeiten erworben, die darauf ausgerichtet sind, einen gegebenen Wissenskanon und die damit verbundene Praxis weitgehend durch die Anwendung intellektueller Fähigkeiten zu absorbieren.1073 Beratende schließlich können als Angehörige sogenannter epistemischer Gemeinschaften beschrieben werden, deren Arbeiten und Lernen eng um Projekte und problemorientierte Zusammenarbeit herum strukturiert sind.1074 Ihre Aufgaben können als komplex und vielfältig angesehen werden, deren Bearbeitung häufig nicht im Rahmen vorgegebenen Routinen erfolgen kann.1075 Ash und Robert beschreiben sie als „epistemic communities, purposefully organized to unleash creative energy around specific exploratory projects“1076. Ein Schlüsselmerkmal solcher Gemeinschaften wird in der Mobilisierung von Unterschiedlichkeit unter Bedingungen der Ungewissheit als Mittel zur Generierung
Vgl. Wenger/McDermott/Snyder 2002, S. 28. Ash/Roberts 2008, S. 365. 1071 Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 365. 1072 Vgl. exempl. Flötenbauer bei Cook/Yanow 1993. 1073 Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 359ff. 1074 Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 353f. 1075 Vgl. Costas/Kärreman 2015, S. 62. 1076 Ash/Roberts 2008, S. 361. 1069 1070
186
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
neuen interaktiven Wissens erachtet.1077 In Anlehnung an Kuhns und Jackson kann von Wissensentwicklung
zur
Bewältigung
von
Problemen
mit
nur
geringem
Determiniertheitsgrad gesprochen werden.1078 Im Vergleich zu Experten, die erworbenes Wissen auf neue Situationen anwenden, geht es bei Angehörigen epistemischen Gemeinschaften um Individuen, die im Rahmen ihrer Projekteinsätze1079 "neues Wissen schaffen, das vorher nicht vorhanden war"1080, basierend auf der Mobilisierung von Vielfalt, Mehrdeutigkeit und Unsicherheit.1081 Die Beschäftigung mit der Frage, welche Rahmenbedingungen für eine effektive Reproduktion entsprechender Lernpraktiken durch Angehörige epistemischer Gemeinschaft relevant sind, wird später weiter vertieft werden.1082 Mit sogenannten Praxisnetzwerken (networks of practice1083) entwerfen Brown und Duguid ein ähnliches Konzept, das die Verbundenheit von Akteuren mit ähnlichen Rollen im beruflichen Kontext beschreibt. Die Beziehungen zwischen den Mitgliedern eines solchen Netzes können im Vergleich zur CoP als weniger stark, aber dennoch als einflussreich betrachtet werden.1084 Ihr Entstehen kann auf den Bedarf von Individuen nach Interaktion und Wissensaustausch zurückgeführt werden, um ihre Arbeit zu verrichten. Es wird angenommen, dass deren Mitglieder dann besonders effektiv voneinander lernen können, wenn sie ähnliche Praktiken ausüben. Sie führen dies auf gemeinsame Wirklichkeitsinterpretationen, Denkschemata und Sprachgewohnheiten zurück, welche andernfalls erst mühsam aufgebaut werden müssen.1085 Davenport und Prusak konnten dies beispielsweise bei Herzchirurgen beobachten: „Sharing almost
Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 361. Vgl. Kuhn/Jackson 2008. 1079 Vgl. Kapitel I.2.3.: Beratungsprojekt. 1080 Vgl. Creplet et al. 2001, S. 1521. 1081 Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 361. Populär wurde das Konzept epistemischer Gemeinschaften durch die Arbeit von Haas 1992 im Bereich der Politologie, der darunter Netzwerke von Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen verstand „[…] with recognized expertise and competence in a particular domain and an authoritative claim to policy-relevant knowledge within that domain or issue-area“. (S. 3). Deren Mitglieder können Vertretende aus unterschiedlichen Berufsfeldern oder Disziplinen, wie den Natur- oder Sozialwissenschaften, sein, „who have a sufficiently strong claim to a body of knowledge that is valued by society“. (S. 16) 1082 Vgl. Kapitel II.3.3: Rahmenbedingungen für Lernen in epistemischen Gemeinschaften. 1083 Vgl. Brown/Duguid 2001. 1084 Vgl. Handley et al. 2007, S. 176. 1085 Vgl. Brown/Duguid 2001, S. 207. 1077 1078
187
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
identical training and experience, working in precisely the same specialized area, the surgeons and other professionals in the heart-surgery study could readily understand one anothers's words and actions.”1086 Im Hinblick auf Beratende ist in Anlehnung an die Arbeit von Handley und Kollegen über Partizipation in Berater-Klienten-Beziehungen anzunehmen, dass sich individuelles Lernen Beratender an der Schnittstelle multipler Gemeinschaften und Netzwerke vollziehen kann.1087 In Abbildung 26 wird dies anhand von drei übereinanderliegenden, nicht deckungsgleichen Ellipsen illustriert: -
Epistemische Gemeinschaft A repräsentiert eine „dominierende“, weil in engem Bezug zur Haupttätigkeit stehende epistemische Gemeinschaft „associated with the individual’s current place of work“1088. Hier ist an die Gemeinschaft Beratender zu denken, die für ihre Kunden Projektaufträge in einem bestimmten Fachgebiet (z. B. Change-Management) bearbeiten.
-
Diese Beratenden können zudem Mitglieder des Netzwerks B sein mit nur mittlerem Bezug zur täglichen Projektarbeit. Man denke etwa an ein Netzwerk Beratender mit Projektleitungsrolle, die sich in einem Fachverband wie das Project Management
Institute
(PMI)1089
zur
Entwicklung
von
Normen
und
Qualifizierungsstandards im Bereich des Projektmanagements treffen. -
Epistemische Gemeinschaft C stellt schließlich eine Gemeinschaft mit, im Vergleich zur Gemeinschaft A, geringen Bezug zur Projektarbeit dar, die aber dennoch die Entwicklung der Identität und der Praxis des Beratenden beeinflusst. In Anlehnung an Wengers Beispiel1090 ist im Consulting-Kontext etwa an einen Beratenden zu denken, der als Senior Projektleiter zwar noch in operative Projektarbeit eingebunden ist, jedoch zusätzlich als Mitglied des ManagementTeams
der
Beratungsorganisation
eine
Projektübergreifende
Funktion
wahrnimmt, z. B. Koordinator der Projekteinsatzplanung. Diese Doppelrolle
Davenport/Prusak 1998, S. 98, zitiert nach Bonss 2014, S. 217. Vgl. Handley et al. 2007, S. 176. 1088 Handley et al. 2007, S. 176. 1089 https://www.pmi.org (Abrufdatum: 30.12.2019). 1090 Vgl. Wenger 1998 mit dem Beispiel einer Sachbearbeiterin in einer Versicherung, die sowohl dem lokalen Management als auch ihrer eigenen operativen Einheit angehört (S. 105, zitiert nach Handley et al. 2007, S. 176). 1086 1087
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Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
erlaubt es dem Senior Projektleiter, die Grenzen zwischen den beiden epistemischen Gemeinschaften A (Beratende) und C (Management) zu überbrücken.
Epistemische Gemeinschaft C mit geringem Bezug zur täglichen Arbeit
Partizipation
Netzwerk B mit mittlerem Bezug zur täglichen Arbeit
Epistemische Gemeinschaft A mit engem Bezug zur täglichen Arbeit
Abbildung 26: Partizipation an Gemeinschaften und Netzwerken der Praxis1091
4.3.1.2
Lernquellen
Die Partizipation an Gemeinschaften und Netzwerken der Praxis ermöglicht den Zugang zu unterschiedlichen Lernquellen. Eine prägnante Übersicht findet sich bei Bonss.1092 In Anlehnung an Lave und Wenger, sowie darauf aufbauenden Überlegungen von Gherardi werden mit „bewusster Beobachtung“, „unbewusstem Ausgesetzt-sein“, „sozialen Beziehungen“, „Zugang zu Diskursen“ und „Zugang zu Technologien und anderen Artefakten“ fünf Lernquellen unterschieden. Auch wenn sich diese explizit auf Praxisgemeinschaften beziehen, ist aufgrund ähnlicher Eigenschaften davon auszugehen, dass diese Lernquellen auch in Netzwerken der Praxis vorzufinden sind, wenngleich ihr Einfluss auf Lernen aufgrund der weniger starken Beziehungen zwischen den Mitgliedern dort möglicherweise geringer ausfällt. 4.3.1.2.1
Bewusste Beobachtung
Erhalten Beratende Zugang zu Praxisgemeinschaften, ermöglicht ihnen das die bewusste Beobachtung der von Kollegen reproduzierten (Lern-)Praktiken. Beratende mit noch wenig Berufserfahrung gewinnen so, etwa im Rahmen ihrer ersten Projekteinsätze, einen Eindruck davon, wer in das Projekt involviert ist und wie diese Personen handeln. Sie
1091 1092
Quelle: Verändert übernommen aus Handley et al. 2007, S. 176. Vgl. Bonss 2014, S. 209ff.
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Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
können beobachten, wie sich erfahrenere Kollegen und Vorgesetzte verhalten, wie intern bzw. mit gemeinschaftsexternen Individuen kommuniziert wird, sowie was es braucht, um in der Ranghierarchie aufzusteigen.1093 Aus den Beobachtungen können Erkenntnisse resultieren, welche Anforderungen an die eigene Arbeit im Sinne der zu reproduzierenden Beratungspraktiken gestellt werden, um darauf aufbauend eigene Lernpraktiken entsprechend ausrichten zu können. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass bewusste Beobachtungen im Rahmen der ersten Projekteinsätze in der Gemeinschaft Beratender nicht nur handlungswirksam werden, sondern auch das Zugehörigkeitsgefühl bzw. die Entwicklung berufsbezogener Identität beeinflussen. Betonen doch Lave und Wenger, dass die Mitgliedschaft in CoPs auch mit Identitätsentwicklung einhergeht: Lernen durch Partizipation „involves the whole person“.1094 Oder wie Wenger feststellt: „Eine solche Teilnahme prägt nicht nur, was wir tun, sondern auch, wer wir sind und wie wir das, was wir tun, interpretieren."1095 4.3.1.2.2
Unbewusstes Ausgesetzt-sein
Neben bewussten Beobachtungen kann auch das unbewusste Ausgesetzt-sein einer Situation – oder wie es Gherardi nennt – das „automatic non-reflexive ‚seeing‘"1096 als weitere Quelle dafür betrachtet werden, zu lernen bzw. Könnerschaft zu entwickeln. Die Arbeit in einem gemeinsamen Projektbüro, die Interaktion während Kundenterminen oder die Gespräche abends im Hotel können beispielsweise dazu führen, dass die Sprache anderer Beratender gehört und „die Bräuche und Gewohnheiten einer Community unbewusst beiläufig aufgeschnappt“1097 werden. Die Bedeutung des persönlichen Miterlebens für Lernen konnte Willems im Rahmen einer ethnographischen Beobachtung von Fahrdienstleitern in einem Eisenbahnkontrollzentrum zeigen.1098 Praktischen Situationen ihrer Fahrdienstleiterpraxis ausgesetzt, wie beispielsweise Störungen im
Vgl. Lave/Wenger 1991, S. 94ff. Lave/Wenger 1991, S. 53. 1095 Wenger 2009, S. 211. 1096 Gherardi 2006, S. 77. 1097 Bonss 2014, S. 210. 1098 Vgl. Willems 2017: Die Wahl eines ethnographischen Forschungszugangs kann als der für die praxeologische Analyseperspektive typische Versuch interpretiert werden, die Logik der Praxis zu erfassen, indem er in die zu untersuchende (organisatorische) Welt eintaucht, um sowohl die bemerkenswerten als auch die alltäglichen Aktivitäten aufzudecken (S. 6ff.). Ähnlich ging Nicolini 2011 in seinen Studien im Bereich der Telemedizin vor. 1093 1094
190
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Fahrbetrieb, erlangten sie zunehmend Könnerschaft in ihrer Arbeitspraxis. Körperliches und sinnliches Erleben1099 solcher Situationen erachtet Willems als eine Voraussetzung dafür, „dass sich Könnerschaft und Lernen in Organisationen entfalten kann“.1100 Ein solches Erleben beinhaltet auch eine zeitliche Komponente insofern, als dass das Individuum im Begreifen bzw. in der Wahrnehmung dabei auf vergangene Erfahrungen, gegenwärtige Interaktionen und zukünftige Antizipationen zurückgreift.1101 Willems weist darauf hin, dass das Individuum hierbei nicht einfach abgespeicherte mentale Repräsentationen früherer Erfahrungen abruft. Indem es etwas wahrnimmt, was es schon einmal gesehen oder gespürt hat, erlebt es diese Vergangenheit körperlich nochmals in der Gegenwart („body experiences this past in the present“ 1102). Für die von Willems untersuchten Fahrdienstleiter zeigte sich dies darin, dass sie in der Lage waren, frühere Erfahrungen sinnvoll zu nutzen, um Entscheidungen im Hier und Jetzt ihrer alltäglichen Arbeitspraxis treffen zu können.1103 4.3.1.2.3
Soziale Beziehungen
Entsprechend der bereits weiter oben vorgestellten Merkmale von Soziomaterialität und Relationalität
des
praxistheoretischen
Lernverständnisses1104,
gelten
die
die
Praxisgemeinschaft konstituierenden sozialen Beziehungen zwischen den Mitgliedern als dritte bedeutsame Lernquelle. Neben Kontakten zu Personen innerhalb der Gemeinschaft ist auch an Kontakte zwischen Personen unterschiedlicher Gemeinschaften zu denken.1105 Im Hinblick auf die Entwicklung von Könnerschaft geht es um die Beziehungen zu Personen „close by, those who do the same or a similar job in the same workplace”1106.
Willems bezieht sich in seinen Ausführungen unter Bezugnahme auf Gherardi (Gherardi 2009c) auf sogenanntes sensibles Wissen (sensible knowledge). Die kognitivistische Interpretation des Lernens, bei der Wissen von einem Sender auf einen Empfänger übertragen wird, wird abgelehnt. Lernen wird vielmehr als etwas Körperliches verstanden. Der Körper ist das Medium, durch das Wissen über unsere Welt entsteht (Yakhlef 2010). Der geschickte Körper lernt nach und nach, wie er auf Situationen in der Welt reagieren kann. So „fühlen die Dachdecker von Strati 2007 mit ihren Füßen" und die Flötenbauer von Cook/Yanow 1993 beurteilen die Qualität von Flöten nach ihrem „Aussehen" oder „Gefühl". 1100 Willems 2017, S. 2. Der Begriff sinnlichen Wissens ist auf Strati zurückzuführen (Strati 2007), der die zunehmende „Mentalisierung" des Organisationslebens beklagt. 1101 Vgl. Cunliffe/Coupland 2012, S. 83. 1102 Willems 2017, S. 4. 1103 Vgl. Willems 2017, S. 4. 1104 Vgl. Kapitel II.2.2.: Lernen als Entwicklung neuer Könnerschaft. 1105 Vgl. Gherardi 2006, S. 91. 1106 Gherardi 2006, 90. 1099
191
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Eine wichtige Funktion haben Vorbilder inne1107, wie dies auch in dem von Bandura entwickelten Konzept des Beobachtungslernen1108 hervorgehoben wird. Dies können innerhalb der Praxisgemeinschaft zum Beispiel Vorgesetzte oder erfahrenere Kollegen sein.1109 Ergebnisse einer Studie von Dickmann und Kollegen, in der befragte Beratende erfahrenere Kollegen als Hauptquelle für Informationen und Coaching nannten, bestätigen dies.1110 Lernen erfolgt dann über Feedback von diesen erfahreneren Mitgliedern, die beispielsweise die Aufmerksamkeit unerfahrener Mitglieder auf bestimmte Aspekte einer Praktik oder Defizite lenken. Mitglieder der Gemeinschaft können so aus ihren eigenen Fehlern sowie aus Fehlern anderer lernen.1111 4.3.1.2.4
Zugang zu Diskursen
Die Partizipation an Gemeinschaften und Netzwerken der Praxis bietet mit dem Zugang zu Diskursen eine weitere bedeutsame Lernquelle. Lave und Wenger zeigen dies am Beispiel von Lehrlingen auf, die dadurch den in der CoP üblichen Sprachgebrauch erlernen und damit ein zunehmendes Verständnis für die geführten Konversationen entwickeln können. Hierfür entscheidend ist, solche Diskurse nicht nur zu verfolgen, sondern sich auch aktiv daran zu beteiligen.1112 Für die von Orr beobachteten Servicetechniker1113 waren etwa die untereinander geteilten Geschichten über eigene Erfahrungen für die Ausführung der Arbeit bedeutsamer als formal abgestimmte Produkthandbücher oder Schulungen. Durch die gemeinsamen Erzählungen und Interpretationen solcher „War stories“ entstand ein geteiltes Wissensrepertoire, das dabei half, mit Unsicherheit und Komplexität der alltäglichen Arbeitsherausforderungen besser umzugehen. Dies spiegelt die praxeologische Sichtweise auf Wissen wieder, wonach dieses von handelnden Praktikern primär danach bewertet wird, ob es in einer bestimmten Situation ihrer Arbeitspraxis zur Problemlösung beiträgt – ohne darauf zu fokussieren, ob es objektiverweise als wahr begründet werden kann.1114
Vgl. Gherardi 2006, S. 89. Vgl. Kapitel I.3.1: Beobachtungslernen nach Bandura. 1109 Vgl. Lave/Wenger 1991, S. 95. 1110 Vgl. Dickmann/Graubner/Richter 2006, S. 73. 1111 Vgl. Gherardi 2006, S. 84ff. 1112 Vgl. Lave/Wenger 1991, S. 105ff. S. 85ff. 1113 Vgl. Orr 1996. 1114 Vgl. Kuhn/Jackson 2008, S. 456. 1107 1108
192
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Orrs Hinweise auf die Bedeutung narrativer Ressourcen für die Entwicklung praktischer Problemlösung werden von zahlreichen weiteren Studien gestützt.1115 Auch im Bereich des klassischen Wissensmanagements wird die Methode des „Storytelling“ mittlerweile systematisch genutzt. Es wird als nützliches Instrument angesehen, die Weitergabe von Wissen zu ermöglichen und zählt aus diesem Grund inzwischen zu einer gemeinhin akzeptierten Wissensmanagementmethode. Da die Erzählung von Geschichten eng mit eigenen Erfahrungen und implizitem Wissen verbunden ist, wird darin eine Möglichkeit gesehen, das nur schwer bzw. per definitionem nicht artikulierbare implizite Wissen zu kontrollieren und zu lenken.1116 Gerade die Individuen, die erst kürzlich Teil der CoP geworden sind, profitieren von Erzählungen dahingehend, dass sie Beziehungen zu anderen herstellen, Vertrauen aufbauen und auf diese Weise zum eigentlichen Erfahrungs- und Wissensaustausch gelangen können.1117 4.3.1.2.5
Zugang zu Technologien und anderen Artefakten
Als fünfte Lernquelle nennt Bonss den Zugang zu Technologien und anderen Artefakten, die in Praxisgemeinschaften verwendet werden. Vertreterinnen der praxistheoretischen Analyseperspektive, wie Orlikowski, weisen darauf hin, dass im Kontext der Arbeit reproduzierte Praktiken mit der physischen Welt und den Materialien der Geschäftstätigkeit verbunden sind, wie etwa mit Infrastruktur und Technologie.1118 Lernen vollzieht sich innerhalb soziomaterieller Arrangements, welche sich aus Individuen und Objekten zusammensetzen. Der materielle Kontext, in dem Handeln und Lernen stattfinden, setzt sich dieser Auffassung nach aus zweckbezogenen Artefakten zusammen. Gherardi weist etwa dem Experimentieren mit Artefakten Bedeutung zu, in die das Wissen von anderen Experten eingeflossen ist.1119 Man denke hier nicht nur an die Möglichkeit, in Unterlagen oder in einer Datenbank nach elektronisch gespeicherten Informationen zu recherchieren. Es geht im praxeologischen Verständnis vielmehr auch darum, die in diesen Artefakten gespeicherte Geschichte der Praxis nachzuvollziehen.1120
Vgl. exempl. Linde 2001; Zucchermaglio/Alby 2012; Zucchermaglio/Alby 2016. Vgl. Schreyögg/Koch 2005. 1117 Vgl. Brown et al. 2005, S. 25. 1118 Vgl. Orlikowski 2007. 1119 Vgl. Gherardi 2006, S. 91ff. 1120 Lave/Wenger 1991, S. 101. 1115 1116
193
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Im Beratungskontext wäre dies etwa dann der Fall, wenn ein neues Projektmitglied während der Einarbeitung anhand bestehender Projektunterlagen zu rekonstruieren versucht, wie sich bislang reproduzierte Beratungspraktiken im Zeitablauf ausgewirkt haben und zu welchen Ergebnissen dies führte. Auf den Zeitpunkt des Erscheinens von Lave und Wengers Arbeit Anfang der 1990er Jahren ist es zurückzuführen, dass der Zugang zu digitaler Technologie zur virtuellen Zusammenarbeit und Kommunikation über Distanz in einer Praxisgemeinschaft, wie sie beispielsweise in Social Collaboration Plattforms oder Wikis 1121 zum Ausdruck kommt, noch nicht explizit thematisiert werden konnte. Jedoch auch spätere, dem Ansatz situierten Lernens wertvolle Beiträge liefernde Arbeiten gehen von der Annahme aus, dass sich Interaktion in einer Praxisgemeinschaft überwiegend „face-to-face“ in einer gemeinsamen lokalen Umgebung vollzieht.1122 Breunig merkt kritisch an, dass dies als Voraussetzung von Lernen am Arbeitsplatz betrachtet wird: „[.] this research is underpinned by an assumption that interaction in the same location is a prerequisite for workplace learning.“1123 Angesichts des rasanten digitalen Wandels gilt es mittlerweile jedoch als unstrittig, dass Technologien, wie mobile Kommunikations- bzw. Social Collaboration-Plattformen, die Arbeits- und damit auch Lernumgebung maßgeblich verändern werden.1124 Breunig zeigt in seiner Untersuchung in einem projektbasierten Unternehmen, dass solche Technologie Möglichkeiten für eine virtuelle Zusammenarbeit bietet, die das Lernen am Arbeitsplatz, trotz des Fehlens einer persönlichen Interaktion zwischen den Ingenieuren, in diesem globalen projektbasierten Unternehmen ermöglicht.1125 Ein betrachtetes Wiki-System konnte zur direkten Suche nach projektbezogenem Wissen genutzt werden, bot aber auch die Möglichkeit der Identifizierung von Experten in der Organisation zum Erfahrungsaustausch. Von Teilnehmenden wurde dies als Möglichkeit zur Verbesserung individuellen Lernens betrachtet.1126
Vgl. zur Bedeutung des Einsatzes von Social Media Anwendungen für das arbeitsplatznahe Lernen Breunig 2016. 1122 Vgl. exempl. Lervik/Fahy/Easterby-Smith 2010; Sawchuk 2008; Eraut 2000. 1123 Breunig 2016, S. 254. 1124 Vgl. Walsh/Volini 2017, S. 2ff. 1125 Vgl. Breunig 2016, S. 251f. 1126 Vgl. Breunig 2016, S. 257. 1121
194
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Anhand der Ausführungen zu diesen fünf Lernquellen wird die Bedeutung von Partizipation für individuelles Lernen deutlich. Dies setzt freilich voraus, dass ein Zugang zu solchen Gemeinschaften und Netzwerken der Praxis besteht, was im Consulting allerdings nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann.
4.3.1.3
Unterschätzter Zugang
Vollwertiges Mitglied von Praxisgemeinschaften zu sein, setzt, Lave und Wenger zufolge, eine längere Sozialisations- und Lernphase voraus. Diese reicht von anfangs legitimer (i.S.v. anerkannter) peripherer Partizipation bis hin zu einer vollen, von den anderen Teilnehmenden akzeptierten Mitgliedschaft.1127 Als Ausdruck dieser vollen Mitgliedschaft kann Könnerschaft im Sinne der gekonnten Ausübung der für die jeweilige Praxis relevanten professionellen Handlungspraktiken betrachtet werden: „[…] the mastery of knowledge and skill requires newcomers to move toward full participation in the sociocultural practices of a community.”1128 Zur Fundierung ihrer Theorie beziehen sich Lave und Wenger auf empirische Befunde in der handwerklichen Berufsausbildung. Dort ist
häufig
ein
„Lehrlings-zu-Meister-Modell“
vorzufinden,
bei
dem
sich
die
Auszubildenden von peripheren zu vollen Formen der Beteiligung bewegen. Der Status „auszubildend“ verschafft den legitimen Zugang zur beruflichen Gemeinschaft.1129 Während ein solcher legitimer Zugang im Kontext der handwerklichen Berufsausbildung in der Regel einmalig mit Abschluss des Ausbildungsvertrags für eine Lehrzeit von mehreren Jahren erfolgt, stellt sich dies in epistemischen Gemeinschaften der Beratungspraxis anders dar. Arbeiten und Lernen ist dort eng um Projekte und problemorientierte Zusammenarbeit herum strukturiert.1130 Die „Lehrzeit“ setzt sich im Consulting i. d. R. aus mehreren Projekteinsätzen zusammen mit unterschiedlichen Laufzeiten und „Meistern“ in Person seniorer Beratender wie Projektleiter oder Partner.1131 Die zu bearbeitenden Aufgaben sind in der Regel komplex und nur in geringem Umfang vorstrukturierbar, weshalb nur selten eingeübten Routinen gefolgt
Vgl. Lave/Wenger 1991, S. 29. Lave/Wenger 1991, S. 29. 1129 Vgl. zu den unterschiedlichen Positionierungen bzw. Partizipationsgraden (peripheral, active, core group) die Ausführungen von Wenger/McDermott/Snyder 2002, S. 57. 1130 Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 353f. 1131 Vgl. Kapitel I.2.4: Beratungsprojekt. 1127 1128
195
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
werden kann.1132 Zudem ist die Unterbrechung des Zugangs zu epistemischen Gemeinschaften denkbar, wenn z. B. nach einem abgeschlossenen Projekt das Mandat nicht verlängert wird oder kein alternativer Projekteinsatz bei einem anderen Auftraggeber gefunden wird. Im Consulting Jargon ist dann von einer Zeit „on the Beach“ die Rede1133, ohne Zugang zu Beratungspraxis bzw. Projektarbeit als primären Lernkontext.1134 Nachfolgend werden zwei weitere Aspekte des unterschätzten Zugangs näher betrachtet. Anhand des beobachteten Phänomens der Langeweile im Consulting wird argumentiert, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Beratende Zugang zu Praxisgemeinschaften finden können, die ihnen Lernen bzw. die Entwicklung neuer Könnerschaft ermöglichen. Nach diesem fachlichen Aspekt wird im Anschluss daran der Blick auf die vorherrschenden
Machtverhältnisse
thematisiert,
die
den
Zugang
zu
Praxisgemeinschaften ermöglichen oder versperren können – ein von Arbeiten über situative Lerntheorie immer noch weitgehend vernachlässigter Aspekt.1135 4.3.1.3.1
Langeweile in der Beratung
Die Thematisierung von Langeweile im Kontext der Unternehmensberatung mag zunächst überraschen, wird moderne Wissensarbeit doch im allgemein überwiegend so verstanden, dass sie dem Individuum Raum für Kreativität, Problemlösung und damit für Selbstverwirklichung gibt.1136 Damit zusammenhängende Aufgaben gelten als komplex und vielfältig. Damit in Verbindung stehende Arbeitspraktiken werden selten mit Routine in Verbindung gebracht.1137 Insbesondere Projektarbeit gilt, im Kontrast zu bürokratischen Arbeitsformen, als abwechslungsreiche Erfahrung.1138 Langeweile mag
Vgl. Costas/Kärreman 2015, S. 62. Vgl. Redaktion Consulting Life o. D.. 1134 Vgl. Rovio-Johansson 2018, S. 52. 1135 Vgl. Lervik/Fahy/Easterby-Smith 2010, S. 3. 1136 Vgl. Blackler 1995; Newell et al. 2009; Starbuck 1992.. 1137 Vgl. Costas/Kärreman 2015, S. 62. 1138 Vgl. Costas/Kärreman 2015, S. 65: Forschungsarbeiten, die sich mit Arbeitsprozessen beschäftigen, liefern beispielsweise Hinweise darauf, dass ein hohes Maß an technokratischer Kontrolle, die sich aus der industriellen und bürokratischen Struktur ergeben, die Arbeit eintönig und langweilig machen kann (vgl. Burawoy 1979). Darüber hinaus gibt es Arbeiten, wie etwa die von Loukidou/Loan-Clarke/Daniels 2009, die das Phänomen der Langeweile („Bordedom in the workplace“) sowohl in industriellen wie im postindustriellen bzw. wissensbasierten Arbeitsumfeldern erkennen (S. 398). 1132 1133
196
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
vordergründig auch nicht zur Identität des Unternehmensberaters passen, wird dort mitunter sogar tabuisiert.1139 Aus Sicht Beratender genießt das Berufsbild nach wie vor hohe Attraktivität. Hartenstein und Kollegen als langjährige1140 Beobachter der Branche stellen fest, dass dies konjunkturellen Trends trotzt, was an regelmäßigen vorderen und vordersten Platzierungen renommierter Unternehmensberatungen in den Beliebtheitsrankings bei Hochschulabsolventen und Young Professionals festgemacht wird.1141 So waren im Arbeitgeberranking
2019
unter
den
Top-15-Arbeitgebern
im
Bereich
Wirtschaftswissenschaften sechs Beratungsunternehmen.1142 Neben objektivierbaren Kriterien1143, wie die im Consulting (noch1144) üblichen Statussymbole Dienstwagen und Vielfliegerkarte1145, übt möglicherweise auch das maßgeblich von McKinsey geprägte Image von Unternehmensberatung Anziehungskraft aus. Es ist die Firma, die seit den 1940er Jahren ihre Identität pflegt als „eine verschworene Gemeinschaft, die manche mit den U. S. Marines oder den Jesuiten vergleichen und die sich selbst „The Firm" nennt und ihre Angestellten „Mitglieder".1146 Da überrascht die Arbeit von Costas und Kärremann, die erlebte Langeweile von Mitarbeitenden zweier großer Beratungsorganisationen thematisiert: „What is puzzling about the experiences of boredom we explore […] is that they are reported in a context that is supposedly radically different from the industrial and bureaucratic set-up, namely that of knowledge work.”1147 Befragte Beratende gaben an, Routinearbeiten („dry, dull, monotonous“1148) verrichten zu müssen, die wenig Wissen oder Fachkenntnis erfordern. Als Beispiele wurden etwa das Verfassen von Interviewnotizen genannt oder das
Vgl. Costas/Kärreman 2015, S. 76. Vgl. Hartenstein et al. 2016. Ihr Praxisratgeber mit dem Titel „Der Weg in die Unternehmensberatung“ erschien in mehreren Auflagen und bereitet Absolventen auf Auswahlinterviews in Beratungsunternehmen vor. 1141 Vgl. Hartenstein et al. 2011, S. 1. 1142 Vgl. Redaktion arbeitgeber-ranking.de o. D.. Die Attraktivität von Arbeitgebern wird anhand von Faktoren festgemacht, wie Bekanntheit, Karriereperspektiven, Arbeitsumfeld und Gehalt. 1143 Vgl. Bernnat/Sonnenschein 2006, S. 87. 1144 Vgl. Schmidt-Carré 2018 zur nachlassenden Strahlkraft des Firmenwagens als Statussymbol. 1145 Vgl. Geffroy/Schulz 2015, S. 76. 1146 Becker et al. 2019, S. 18. 1147 Costas/Kärreman 2015, S. 62. 1148 Costas/Kärreman 2015, S. 74. 1139 1140
197
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Korrekturlesen von Dokumenten.1149 Beteuerungen und Versprechen an Bewerber in der Rekrutierungsphase, dass es in der Projektarbeit viel Abwechslung gäbe, wurden aus Sicht der Befragten mitunter nicht eingehalten. Vertreter des Managements gaben in der Untersuchung an, dass es von höherer Relevanz sei, Projekte überhaupt zu besetzen, als darauf zu achten, ob das Projekt von Beratenden als interessant empfunden wird: „One of the problems we have is that we say to people that there is lots of variety, lots of career opportunity. But the reality is that you are looking for a project, you are matching together a small number of people that are available to a small number of projects. At that point the business will not look at whether the individual finds the project interesting or not.”1150 Es ist offenbar nicht immer möglich, die intensive Lernerfahrung anzubieten, die Unternehmensberatung gerade für viele karriereorientierte Berufseinsteiger attraktiv erscheinen lässt.1151 Hinter dieser Diskrepanz zwischen dem von Beratungsorganisationen gepflegtem Image und den geschürten, überzogenen Erwartungen im Rekrutierungsprozess einerseits, und die dann tatsächlich in der Beratungspraxis zu erledigenden, nicht immer „glamourösen“ Aufgaben, vermuten Costas und Kärremann eine Ursache für das Entstehen erlebter Langeweile.1152 Dies passt zusammen mit dem Verständnis von Conrad, der argumentiert, dass die Konstruktion von Langeweile von den Erwartungen des Einzelnen im Bezug auf eine bestimmte Situation abhängt: „One of the fundamental attributes of boredom may be misaligned expectations. It is possible that we would not be bored if we did not expect more from situations. In our society we expect stimulation and connections from certain situations and events and may feel bored when social occasions fall short of our expectation.”1153 Dass die von Beratenden berichtete Langeweile ausschließlich auf eine Enttäuschung existierender Erwartungen zurückzuführen ist, darf indes bezweifelt werden. Die von Costas und Kärremann befragten Beratenden gaben beispielsweise auch an, zu lange auf Projekten eines bestimmten Typs eingesetzt zu werden, ohne die Möglichkeit neue
Vgl. Costas/Kärreman 2015, S. 71f. Costas/Kärreman 2015, S. 73. 1151 Vgl. Geffroy/Schulz 2015, S. 40. 1152 Costas/Kärreman 2015, S. 76. 1153 Conrad 1997, S. 474. 1149 1150
198
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Themenfelder und damit Lernmöglichkeiten erschließen zu können.1154 Aus Sicht der Beratungsorganisation kann eine solche Einsatzplanung ökonomisch attraktiv sein, da der Beratende ohne großen Einarbeitungsaufwand als Experte vermarktet und dem Auftraggeber in Rechnung gestellt werden kann. Beratenden bleibt damit jedoch der Zugang zu Gemeinschaften und Netzwerken der Praxis, die Lernmöglichkeiten bieten, verwehrt. Dies wird als weiteres Indiz dafür gewertet, die Existenz des Zugangs zu Gemeinschaften und Netzwerken nicht als selbstverständlich anzusehen. Ob Beratenden der Zugang zu solchen Gemeinschaften und Netzwerken der Praxis mit entsprechenden Entwicklungs- und Lernchancen gewährt wird, kann auch von bestehenden Machtverhältnissen abhängen, wie nachfolgend herausgearbeitet wird. 4.3.1.3.2
Einfluss von Macht
Als ein Merkmal des praxistheoretischen Verständnisses von Lernen wurde herausgearbeitet, dass dieses nicht isoliert stattfindet, sondern stets in einen sozialen Kontext eingebettet ist.1155 Situierter Lerntheorie zufolge entwickeln Individuen Könnerschaft in ihrer alltäglichen Handlungspraxis „in a historical and social context that gives structure and meaning to what we do".1156 Dies erlaubt, im Gegensatz zur traditionellen Perspektive, den Blick auf das Phänomen Macht zu richten, das den Zugang zu und die fortdauernde Mitgliedschaft in Gemeinschaften und Netzwerken der Praxis ermöglichen oder auch verwehren kann.1157 Contu und Willmott zufolge ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, eine Praxis zu erlernen, wenn Machtverhältnisse den Zugang behindern.1158 Das Phänomen Macht beschäftigt die Wissenschaft seit mehr als zwei Jahrtausenden.1159 Unter Macht kann sehr vereinfacht die Fähigkeit von Individuen verstanden werden, ihren Willen gegenüber anderen durchzusetzen.1160 In der Lernforschung scheint der Machtaspekt hingegen eine eher untergeordnete Rolle zu spielen.1161 Viele Forschende
Costas/Kärreman 2015, S. 73. Vgl. Kapitel II.2.2.1: Merkmale. 1156 Wenger 1998, S. 47. 1157 Vgl. Contu/Willmott 2003, S. 285. 1158 Vgl. Contu/Willmott 2003, S. 285. 1159 Vgl. Czarniawska-Joerges 1993, S. 45. 1160 Vgl. Huzzard 2004, S. 353, in Anlehnung an Buchanan/Badham 1999. 1161 Vgl. Contu/Willmott 2003, S. 283f. 1154 1155
199
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
stehen der Beschäftigung mit Lernen in der Organisationsforschung auch deshalb kritisch gegenüber, da sie damit in Verbindung stehende Aspekte ausblendet.1162 Der situative Ansatz von Lave und Wenger kann hier insofern als Ausnahme gewertet werden, als mit der Formulierung der „legitimen periphere Partizipation" zumindest angedeutet wird, dass der Zugang zu und die fortdauernde Mitgliedschaft in Praxisgemeinschaften begünstigt oder behindert werden kann:1163 „The social structure of this practice, its power relations and its conditions for legitimacy define possibilities for learning (i.e., for legitimate peripheral participation).“1164 Dem Aufruf der beiden, Machtverhältnisse stärker in die Analyse von Lernen einzubeziehen1165, wurde bislang jedoch nur unzureichend gefolgt.1166 Ein möglicher Grund ist in der zunehmenden Popularität des Konzepts der Praxisgemeinschaften und ihrer Adressierbarkeit bei einem breiten Management-Publikum zu vermuten.1167 So wird das Scheitern darin, ein vollwertiges Mitglied einer Praxisgemeinschaft zu werden, auf weitgehend unpolitische Aspekte, wie unzureichendes Training und Inkompetenz von Lehrenden zurückgeführt.1168 Darauf, dass Zugang aktiv verhindert werden kann, bzw. dass Bedingungen der Arbeit von Dritten festgelegt werden können, wird hingegen – weil möglicherweise politisch brisant – nur selten eingegangen.1169 Eine der wenigen Ausnahmenmit empirischem Bezug1170 bildet die Arbeit von Lervik und Kollegen, die die Bedeutung von Machtverhältnissen für den Zugang zu Gemeinschaften der Praxis herausarbeiten, indem sie auf dessen räumliche und zeitliche Implikationen für beteiligte Individuen hinweisen.1171 Dies zeigen sie beispielsweise anhand von zwei untersuchten Praxisgemeinschaften von Service- und Projektingenieuren auf. Erstere arbeitete
vorwiegend
an
Kundenstandorten
mit
räumlicher
Entfernung
zur
Unternehmenszentrale. Ihre Arbeit fokussierte auf im Betrieb befindliche und damit z. T. Vgl. Easterby-Smith/Snell/Gherardi 1998; Huzzard 2000. Vgl. Contu/Willmott 2003, S. 285. 1164 Lave/Wenger 1991, S. 98. 1165 Vgl. Lave/Wenger 1991, S. 42. 1166 Vgl. Contu/Willmott 2003, S. 286. 1167 Huzzard 2004, S. 352. 1168 Vgl. Brown/Duguid 1991, S. 50. 1169 Vgl. Contu/Willmott 2003, S. 288f. 1170 Die Arbeiten von Huzzard 2004 und Contu/Willmott 2003 beschäftigen sich überwiegend konzeptionell mit machtbezogenen Implikationen für situiertes Lernen. 1171 Vgl. Lervik/Fahy/Easterby-Smith 2010. 1162 1163
200
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
ältere Technologien. Die zweite hingegen beschäftigte sich in zentraler Lage am Unternehmensstandort mit der Entwicklung neuer, „moderner“ Technologie. Obwohl Interaktion zwischen den beiden Gemeinschaften als Mitarbeitenden desselben Unternehmens grundsätzlich möglich war, fand sie im Arbeitsalltag aufgrund der räumlichen
Anordnung
(zentral
vs.
peripher)
und
der
Beschäftigung
mit
unterschiedlichen Technologien (alt vs. neu) nicht oder nur kaum statt. Auch war eine implizite
Hierarchiebildung
mit
unterschiedlicher
Statuswahrnehmung
und
Aufmerksamkeit des Managements festzustellen. Der Zugang zur jeweils anderen Praxisgruppe und den damit verbundenen Lernquellen wurde dadurch schwieriger bzw. verhindert.1172 Auch innerhalb der Gruppe der Servicetechniker beeinflussen Machtstrukturen die Reproduktion von Lernpraktiken, da sie unter direkter Beobachtung von Schicht- und Produktionsleitern der Auftraggeberseite stattfand. Dies übte Druck aus, um angemessene Problemlösungspraktiken als „Experten" zu demonstrieren. Die Ausübung von Lernpraktiken während der Arbeit, die möglicherweise notwendig gewesen wären, jedoch den Eindruck einer experimentelleren und improvisatorischen Herangehensweise vermittelt hätten, wurde unterlassen.1173 Während der Beobachtung durch den Auftraggeber war der Zugang zu einer Praxisgemeinschaft, in der gelernt werden kann, somit versperrt. Im Fall epistemischer Gemeinschaften können ähnliche Phänomene von möglicherweise sogar höherer Intensität vermutet werden. Zwischen ihren Mitgliedern gibt es i. d. R. nur schwach ausgeprägte soziale Beziehungen. Es geht primär um ein Engagement für zeitlich begrenzte Projekte zur Lösung komplexer Probleme. Das Selbstverständnis der Teilnehmenden solcher Gemeinschaften speist sich in noch höherem Maß aus deren personengebundener Reputation und Expertise.1174 Auch wenn ihre Zusammenarbeit noch eher über Distanz darstellbar ist und nicht so stark von räumlichen Gegebenheiten abhängen mag, wie im Fall der Service Techniker, könnte es möglicherweise noch schwieriger sein, zwischen Praxisgruppen zu wechseln. Man denke etwa an Teilnehmende der o. g.1175 epistemischen Praxisgemeinschaft, die sich überwiegend an
Vgl. Lervik/Fahy/Easterby-Smith 2010, S. 12. Vgl. Lervik/Fahy/Easterby-Smith 2010, S. 18. 1174 Vgl. Kapitel II.3.1.1: Praxisgemeinschaft und Netzwerk. 1175 Vgl. epistemische Gemeinschaft A in Abbildung 26. 1172 1173
201
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
den Standorten des Auftraggebers mit der Umsetzung von Veränderungsprozessen beschäftigen. Es geht dann i.d.R. um Kommunikation mit, sowie Beteiligung und Qualifizierung von betroffenen Mitarbeitern und Führungskräften, zur Vorbereitung auf die sich verändernden Anforderungen.1176 Die hierfür notwendigen Beratungspraktiken mögen beispielsweise über systemische Berater- bzw. Coaching-Ausbildungen Eingang in das Repertoire beteiligter Beratender gefunden haben.1177 Für Teilnehmende anderer epistemischer Gemeinschaften, ohne entsprechende Könnerschaft in diesem Bereich, die z. B. nach einem abgeschlossenen Financial Due-Diligence-Projekt noch nicht mit einem Anschlussprojekt beauftragt wurden, mag es indes schwer sein, Zugang zu dieser „Change Practice“ zu finden. Umgekehrt mag es Change-Beratenden ebenso schwerfallen, Teilnehmende der epistemischen Gemeinschaft „Finance“ zu werden, die sich in der Zentrale des Beratungsunternehmens mit Due-Diligence Projekten befassen. Mangels persönlicher Kontakte mit den betreffenden Personen (die als Change Beratende bislang überwiegend beim Auftraggeber vor Ort arbeiteten) könnten in der Zentrale Vorbehalte existieren, etwa aufgrund des Klischees, dass sich Change Berater vorwiegend mit „weichen Themen“ und weniger mit Unternehmensfinanzen auskennen. Bislang wurde Partizipation an Beratungspraxis als Faktor des Lernens Beratender unter dem Aspekt des Zugangs zu Gemeinschaften und Netzwerken der Praxis und den damit verbundenen Lernquellen thematisiert. Ein zweiter Aspekt kann in sogenannten Gelegenheiten für gemeinsames Denken gesehen werden, deren Merkmale und Bedeutung für das Lernen Beratender nachfolgend im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.
4.3.2 Gelegenheiten für gemeinsames Denken Mit „gemeinsamem Denken“ (thinking together) bezeichnen Pyrko und Kollegen den Vorgang, im Zuge dessen Menschen in ihrer Arbeitspraxis intensiv miteinander und voneinander anhand konkreter Problemstellungen lernen.1178 Wie nachfolgend deutlich wird, erweist sich dies gerade für Beratende als relevant im Hinblick auf ihre Projekteinsätze, die mit Komplexität, dem Fehlen vorgegebener Abläufe, neuartiger
Vgl. Stolzenberg/Heberle. 2009. Vgl. Praktik P4 in Abbildung 24: Konzeptualisierung von Beratungspraxis. 1178 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 394. 1176 1177
202
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Themenstellungen und Unsicherheit in technischer, wirtschaftlicher und zeitlicher Hinsicht zu tun haben können.1179 Es wird vermutet, dass es für die Bewältigung der damit einhergehenden Herausforderungen nicht ausreicht, nur Zugang zu Gemeinschaften und Netzwerken der Praxis mit den damit verbundenen Lernquellen zu erhalten. Vielmehr braucht es darüber hinaus Gelegenheiten für gemeinsames Denken, die den Rahmen dafür schaffen, Lernpraktiken in sogenannten problematischen Situationen zu reproduzieren. Mit den Merkmalen solcher Situationen beschäftigt sich das nachfolgende Kapitel II.3.2.1. Ein geringer Determiniertheitsgrad, im Sinne des von Kuhn und Jackson1180
entwickelten
Analyserahmens,
steht
dabei
im
Mittelpunkt.
Das
darauffolgende Kapitel II.3.2.2 stellt das von Pyrko und Kollegen1181 für funktionierende Praxisgemeinschaften postulierte Konzept des gemeinsamen Denkens als Vorgehen zur adäquaten Bewältigung solcher Situationen vor.
4.3.2.1
Merkmale problematischer Situationen
Problematische Situationen stellen aus praxistheoretischer Sicht den Ausgangspunkt für soziales Handeln dar.1182 Brown und Duguid weisen darauf hin, dass Praktiker voneinander lernen können, indem sie sich gemeinsam mit ähnlich gelagerten Problemen der Praxis beschäftigen.1183 Was unter problematischen Situationen konkret gefasst werden kann, erweist sich aufgrund der weiten Interpretierbarkeit des Begriffs als erklärungsbedürftig. Zur Präzisierung eignet sich der von Kuhn und Jackson entwickelte und in Abbildung 27 dargestellte Analyserahmen. Unter einer problematischen Situation kann demnach ein Zustand verstanden werden, der sich durch einen Strom vergangener und projizierter Praktiken entwickelt hat. Die an diesem Zustand beteiligten Individuen bzw. Praktiker nehmen einen Handlungsbedarf wahr, um eine tatsächliche oder potenzielle Bedrohung für ihr laufendes Handeln abzuwehren.1184
Vgl. Kapitel I.2.4: Beratungsprojekt. Vgl. Kuhn/Jackson 2008. 1181 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017. 1182 Cronen/Chetro-Szivos 2001; Fisher 1982; Kuhn/Jackson 2008. 1183 Vgl. Brown/Duguid 2001; Brown/Duguid 2002. 1184 Vgl. Kuhn/Jackson 2008, S. 457. 1179 1180
203
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Hoch Bereitstellung von Wissen
Problematische Situation • Resultat eines Stroms vergangener und projizierter Praktiken
Determiniertheitsgrad je nach Ausprägung der Situationsmerkmale
• Wahrnehmung von Handlungsbedarf zur Abwehr tatsächlicher oder potenzieller Bedrohung für laufendes Handeln
• Identifikation • Legitimation
• Zuständigkeit Entwicklung von Wissen Gering
Abbildung 27: Rahmen zur Analyse situierter Problemlösung1185 Problematische Situationen können unterschiedliche Eigenschaften haben, „that make some situations appear open and unstructured and others straightforward and closed.“1186
Je
nach
deren
Determiniertheitsgrad
weisen
Situationen
drei
unterschiedliche Merkmalsausprägungen auf, mit Bezug auf Identifikation, Legitimation und Zuständigkeit.1187 -
Praktiker bewerten ihre eigene Identifikation und die von anderen Beteiligten mit der Situation, um deren wahrscheinliche Handlungen und Interpretationen vorherzusagen.1188
-
Legitimation bezieht sich auf das Handeln bzw. die Motivation der Akteure, die sich fragen, welche Erwartungen an sie seitens anderer Beteiligter gerichtet werden.
-
Das dritte Merkmal betrifft Zuständigkeit. Beteiligte Akteure achten auf Reaktionen von Personen, von denen Sie abhängig sind, um Orientierung und
Quelle: Verändert übernommen aus Kuhn/Jackson 2008, S. 460. Kuhn/Jackson 2008, S. 458. 1187Kuhn und Jackson beziehen sich dabei auf Lazega 1992, wonach Situationen durch interaktionale Handlungsansprüche definiert werden, die wiederum von Ressourcen im organisatorischen Kontext abhängen (Kuhn/Jackson 2008, S. 458). 1188 Vgl Alvesson 1993. 1185 1186
204
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Bestätigung zu erhalten. Dabei kann es sich beispielsweise um Kunden oder Kollegen handeln. Ihr Einfluss trägt dazu bei, die Situation zu definieren. Diesen drei Merkmalen zufolge handelt es sich bei problematischen Situationen nicht um etwas Gegebenes, „but as actively being constituted by the accounts’ underlying action.“1189 In ihrer alltäglichen Praxis bewerten Praktiker die Situationen, in denen sich ihr Handeln vollzieht, um über die Angemessenheit diskursiver Schritte zu entscheiden. Je unterschiedlicher diese Angemessenheit von den beteiligten Akteuren bewertet wird, desto geringer ist – so Kuhns und Jacksons Schlussfolgerung – der Determinierungsgrad der Situation: „[…] we propose that differences in appropriateness judgments correspond to varying levels of situational determinacy, the level of which is a function of the configuration of the three situation-framing resources.“1190 Hieraus ergibt sich folgende, freilich recht schematische Unterscheidung: -
Problematische Situationen mit hohem Determiniertheitsgrad werden von beteiligten Praktikern als routinemäßig und alltäglich bewertet. Die Frage nach notwendigem Handlungsbedarf erscheint vergleichsweise einfach. Die drei Situationsmerkmale Identifikationen, Legitimität und Zuständigkeit werden als unproblematisch
erachtet.
Interpretationsschemata
Man
geht
vorliegen.
etwa
davon
Handlungsbedarf
aus, und
dass die
geteilte damit
einhergehenden Anforderungen werden verstanden. Methoden und Prozesse helfen dabei, das Handeln zu strukturieren. Antworten auf die Situation erscheinen den Handelnden klar und deutlich.1191 Die beteiligten Individuen sind zuversichtlich, dass sie selbst und auch Andere über ausreichend Könnerschaft zu Handhabung solcher Situationen zu verfügen.1192 -
Problematische Situationen mit geringem Determiniertheitsgrad zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass sich die handelnden Praktiker bezüglich ihrer Identifikation mit der Situation uneinig sind. Handlungen und Interpretationen können nur schwer vorhergesagt werden, es fällt schwer, die Schritte anderer Beteiligter zu antizipieren. Sie bewerten die Bedeutung ihrer Aktivitäten
Kuhn/Jackson 2008, S. 458. Kuhn/Jackson 2008, S. 459. 1191 Vgl. Kuhn/Jackson 2008, S. 459. 1192 Vgl. Kuhn/Jackson 2008, S. 466. 1189 1190
205
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
uneinheitlich und sind sich unsicher, welche Ressourcen es für die Realisierung von Handlungsfähigkeit braucht. Interpretation von und Handlungsreaktionen auf eine problematische Situation sind angesichts dessen wenig offensichtlich und schwer prognostizierbar.1193 Anhand des Determiniertheitsgrads richten die Beteiligten ihre Aktivitäten zum Wissenserwerb (knowledge-accomplishing activities1194) für den Umgang mit der problematischen Situation aus. In Situationen mit hohem Determiniertheitsgrad verläuft die Problembewältigung durch Bereitstellung von Wissen in einer überwiegend gewohnten und strukturierten Weise: Man denke an einen Verkäufer im Einzelhandel, der auf häufig gestellte Kundenanfragen („wo finde ich bitte …?“) mit eingeübten Standardantworten reagiert bzw. in einem Computer-System die Information abruft. Die Übermittlung dieser Informationen wird von den beteiligten Personen als ausreichend empfunden, um die problematische Situation zu meistern und Handlungsfähigkeit zu erreichen. Im Falle von Situationen mit geringem Determiniertheitsgrad reicht dies hingegen nicht aus, und die Entwicklung von neuem Wissen zur Bewältigung der problematischen Situation wird erforderlich.1195 Mit derartigen Problemen sehen sich Beratende konfrontiert. Sie werden dann beauftragt, wenn es um die Bewältigung komplexer Probleme von Unternehmen geht, die sich in dynamischen und unübersichtlichen Umfeldern bewegen und die das Management vor vielschichtige Herausforderungen stellen. Praktiker sprechen dann häufig von Herausforderungen einer „VUKA-Welt“, geprägt durch Ambiguität.1196
Volatilität, Unsicherheit, Komplexität
und
Eine „Handlungsanleitung“ zum Umgang mit solchen Herausforderungen
existiert in der Regel nicht. Routinemäßige Aktivitäten zum Wissenserwerb, bei denen die Bereitstellung abstrakter Informationen ausreicht, greifen zur Bewältigung der hochgradig unbestimmten Probleme zu kurz. Interaktion zwischen den beteiligten Akteuren ist erforderlich (bspw. zwischen Beratenden oder zwischen Beratenden und Führungskräften des Auftraggebers), im Zuge derer es nicht ausreicht, bestehendes
Vgl. Kuhn/Jackson 2008, S. 459. Kuhn/Jackson 2008 verstehen darunter „episodes in which discursive moves apply and/or generate knowledge in an attempt to realize a capacity to act”. (S. 461) 1195 Vgl. Kuhn/Jackson 2008, S. 461f. 1196 Vgl. Einführungskapitel (1): Relevanz einer vertieften Auseinandersetzung mit den Lernpraktiken Beratender. 1193 1194
206
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Wissen einfach zu transferieren, sondern es neu zu entwickeln.1197 Gemeinsames Denken kann als eine solche Form von Wissensentwicklung verstanden werden: „As thinking together can be safely positioned as ‘knowledge development’ in Kuhn and Jackson’s framework, this way it can be usefully contrasted against less intensive forms of learning.“1198
4.3.2.2
Vorgang gemeinsamen Denkens
Mit dem Vorgang gemeinsamen Denkens als Form der Wissensentwicklung ist – anders als der Ausdruck suggerieren mag – weniger ein unverbindlicher Austausch zwischen Individuen gemeint. Es geht vielmehr darum, die Perspektive des mit einer problematischen
Situation
mit
geringem
Determiniertheitsgrad
konfrontierten
Handelnden nachzuvollziehen, um dann gemeinsam Wissen zum adäquaten Umgang damit anzuwenden.1199 „People engaged in thinking together guide one another through their understanding of the same problem.“1200 Dem Verständnis von Pryko und Kollegen nach ist es zudem möglich, nicht nur explizierbares, sondern auch tacites Wissen zu teilen bzw. gemeinsam zu entwickeln. Damit lässt es sich auf die Entwicklung von Könnerschaft übertragen. Diese Annahme erfolgt unter Rückgriff auf Polyanis Konzept des Indwelling, auf das im nachfolgenden Exkurs eingegangen wird. 4.3.2.2.1
Exkurs: Polanyis Konzeption des Indwelling
Mit „Indwelling“, das mit Verweilen (engl. to dwell in) übersetzt werden kann, bezeichnet Polanyi ein vertrauensvolles Sich-Einlassen auf die jeweiligen situativen Gegebenheiten zur Erschließung der Praxis.1201 Oder wie es Mai interpretiert: „Mit ‚indwelling‘ ist das ursprüngliche, verstehende Verhalten des Menschen zu den Dingen in der Welt gemeint, in dem der Mensch selbstverständlich lebt.“1202 Mit seinem Verständnis von Indwelling betont Polanyi, dass Wissen letztlich nicht auf einer gegenständlichen, kritischen Distanzierung von der Welt beruht, sondern auf einer vorgegenständlichen,
Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 395 in Anlehnung an Bechky 2003 und Krogh 2011. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 395. 1199 Vgl. Cross et al. 2001, S. 105. 1200 Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 394. 1201 Vgl. Polanyi 1958, S. 59, 195ff., Polanyi 1966, S. 16ff. 1202 Mai 2003, S. 143. 1197 1198
207
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
vertrauensvollen Einbezogenheit in und Teilnahme an der Welt.1203 Es wendet sich damit gegen die Vorstellung einer grundsätzlichen Subjekt-Objekt-Trennung, was der Annahme Heideggers von der Verflechtung des Individuums als primäre Existenzweise entspricht.1204 Ein solches Verweilen kann nicht nur als etwas Kognitives, sondern auch als etwas Körperliches begriffen werden. Es erfasst die Beziehung des Körpers des Individuums mit der Außenwelt und bezieht sich auf die oft zeitgleiche Entwicklung von sowohl physischem (z. B. Sport) als auch intellektuellem Wissen (z. B. Mathematik). 1205 Der Körper des Menschen, und damit sein Wissen, ist ein Instrument, mit dem er Objekten seiner Umgebung Bedeutungen zuschreibt: „It is by making an intelligent use of our body that we feel it to be our body, and not a thing outside."1206 Menschen verlassen sich also auf ihren Körper und Geist, während sie sich in einem bestimmten Moment gekonnt ihrer Aufgabe widmen: So wie erfahrene Chirurgen in ihrem medizinischen Wissen „verweilen“, um eine Operation mit chirurgischem Besteck durchzuführen, oder wie geübte Pianisten in ihrem musikalischen Wissen verweilen, um ein Konzert auf einem Klavier zu geben.1207 Im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit ist nun zu fragen, ob ein solches Indwelling als Ausdruck von Könnerschaft zwischen Personen geteilt werden kann: Ob es also beispielsweise im Zuge eines Projektabschlusses möglich ist, dass beteiligte Beratende nicht nur ihr explizierbares, in Artefakten gespeichertes Wissen (z. B. in Form eines Projektberichts) weitergeben können, sondern auch das im Laufe des Projektes entwickelte implizite Wissen. Aus Polanyis Arbeit können hierzu nur vage Angaben abgeleitet werden. Dass Indwelling teilbar ist, erachtet er jedoch grundsätzlich für möglich.1208 Pyrko und Kollegen nehmen hierauf Bezug und formulieren die Idee des geteilten Verweilens (shared indwelling): Könnerschaft ist demnach von einem
Vgl. Mai 2003, S. 144. Vgl. Zwischenbetrachtung (2): Alternatives Konzept praktischer Rationalität. 1205 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 393. 1206 Polanyi 1966, S. 16. 1207 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 393. 1208 Polanyi 1966 macht einige wenige Angaben, die sich auf Vertrauen beziehen: „In order to share this indwelling, the pupil must presume that a teaching which appears meaningless to start with has in fact a meaning which can be discovered by hitting on the same kind of indwelling as the teacher is practicing.” (S. 61) 1203 1204
208
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Individuum auf ein anderes übertragbar, wenn diese Wege finden, sich sinnvoll mit denselben Problemen zu beschäftigen. Sie können sich dann wechselseitig durch ihr Verständnis dieses Problems leiten lassen und auf diese Weise indirekt implizites Wissen „teilen".1209 Sie lernen miteinander und voneinander und werden auf diese Weise zu kompetenteren Praktikern.1210 Dies steht im Einklang mit der Interpretation von Polanyis Auffassung durch Schreyögg und Geiger: „Da es [das implizites Wissen – Anm. d. Verf.] sich einer kausalen Erklärung auf explizitem Wege verschließt, können nur unbewusste Versuchs- und Irrtumsprozesse zum Erwerb und Transfer beitragen.“1211 4.3.2.2.2 Bislang
Implikationen für Praxisgemeinschaften
wurde
herausgearbeitet,
dass
gemeinsames
Denken
als
Form
der
Wissensentwicklung in problematischen Situationen, die sich durch einen geringen Determiniertheitsgrad auszeichnen, verstanden werden kann. Unter Bezugnahme auf Polanyis Indwelling wurde geschlussfolgert, dass das Teilen bzw. die gemeinsame Entwicklung von Könnerschaft unter der Voraussetzung möglich ist, wenn Praktiker Wege finden, sich sinnvoll mit denselben Problemen zu beschäftigen. Für Pyrko und Kollegen stellt gemeinsames Denken schließlich auch die Voraussetzung für Lernprozesse in Praxisgemeinschaften und somit für deren Funktionieren dar.1212 „The collaborative learning process of ‚thinking together’, [..] is what essentially brings Communities of Practice to life and not the other way round.”1213 Demnach entscheidet die Existenz und Nutzung von Gelegenheiten für gemeinsames Denken darüber, ob eine CoP wirksam wird oder nur eine „formale Hülle“ darstellt. Erst gemeinsames Denken begründet eine Praxisgemeinschaft („defines both the core and the scope of a CoP“1214). Somit ist denkbar, dass Beratende in ihrer beruflichen Praxis zwar Mitglieder formal begründeter Praxisgemeinschaften
sind,
jedoch
nicht
über
einen
Zugang
zu
„echten“
Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 393: Pyrko und Kollegen verwenden den Begriff „tacit knowledge“. Da die vorliegende Arbeit eine praxistheoretische Perspektive einnimmt, die den taciten Aspekt von Wissen mit der Wahl des Begriffs „Knowing“ betont, wird der Ausdruck der Könnerschaft als Übersetzung von Knowing verwendet. 1210 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 390. 1211 Schreyögg/Geiger 2003a, S. 13. 1212 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 394. 1213 Pyrko/Dörfler/Eden 2017 2017, S. 389. 1214 Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 405. 1209
209
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Praxisgemeinschaften verfügen, in denen gemeinsames Denken und somit Lernen möglich ist. Zur Illustration dessen können die Ergebnisse einer Studie herangezogen werden, die die Wirksamkeit
von
Gesundheitswesens
zwei
Praxisgemeinschaften
untersuchte.1215
im
Bereich
des
schottischen
Die erste bestand aus Experten unterschiedlicher
Fachrichtungen, die sich auf die Behandlung von Demenzpatienten spezialisierten.1216 Diese sollten miteinander vernetzt werden, um Wissen auszutauschen und voneinander zu lernen. Die Formulierung eines Verhaltenskodex und die Einrichtung eines OnlineDiskussionsforums waren Ausdruck des Versuchs, eine CoP bewusst und planvoll einzurichten.1217 Es zeigte sich jedoch, dass diese, auf die bloße Bereitstellung von Wissen ausgerichtete Praxisgemeinschaft zu kurz griff. Das eingerichtete Diskussionsforum ermöglichte zwar, Informationen zu beziehen, es gab jedoch keine Gelegenheit für die Beteiligten, sich zu den für sie relevanten Problemen in ihrer alltäglichen Berufspraxis auszutauschen. Die Praxisgemeinschaft blieb eine formale Hülle, eine Reproduktion von Lernpraktiken fand nicht statt: „Without thinking together about the same problems there was not enough mutual engagement that could sustain a shared practice.”1218 Dies entspricht auch der Ansicht anderer Autoren, die Praxisgemeinschaften und Wissen als einen Prozess und nicht als eine Entität betrachten, welche sich planmäßig „einrichten" lässt.1219 Anders im Fall der zweiten Praxisgemeinschaft. Sie konnte sich ohne formale Gründung aus einem Team von fünf Experten entwickeln, die auf die Diagnose und Behandlung von Sepsis spezialisiert waren.1220 Ihr Ziel war es, Fähigkeiten im Umgang mit Sepsis, über die Grenzen der Intensivstation hinaus, auf andere Bereiche des Krankenhauses zu erweitern.
Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 395 ff. Vgl. National Health Service o. D.: In Großbritannien wird eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von Patienten mit Demenz von Allied Health Professionals (AHPs) übernommen. Hierzu zählen Spezialisten wie Osteopathen, Sprachtherapeuten, Kunsttherapeuten und Diätassistenten. 1217 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 397. Vgl. zur Kritik an Versuchen, eine CoP „künstlich“ einzurichten, Ash/Roberts 2008. 1218 Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 402. 1219 Vgl. exempl. Addicott/McGivern/Ferlie 2006; Corradi/Gherardi/Verzelloni 2010. 1220 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017: Bei der Gründung des sogenannten Outreach-Teams mit leitenden Krankenschwestern bestand der Bedarf, die Diagnose und Behandlung von Sepsis zu verbessern. Möglichst viele Ärzte sollten in die Lage versetzt werden, Symptome frühzeitig zu erkennen. Das Team war nicht nur für die schnelle Reaktion auf Sepsisfälle im Krankenhaus verantwortlich, sondern beispielsweise auch für Schulungsmaßnahmen in den Stationen (S. 400). 1215 1216
210
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Zu regelmäßig durchgeführten Aktionen gehörten z. B. die Demonstration des Umgangs mit Sepsis in der Praxis, die Betreuung von Assistenzärzten und Krankenschwestern, sowie interdisziplinare Fallbesprechungen und abteilungsübergreifende Hospitationen. Es schlossen sich nach und nach immer mehr Mitarbeitende aus dem ganzen Krankenhaus an, die sich mit dem Thema Sepsis als abteilungsübergreifendes Phänomen auseinandersetzen wollten. Sie zeigten aus eigenem Antrieb heraus Interesse an der gemeinsamen und für sie relevanten Problemstellung. Sie waren bereit, Zeit zu investieren, um in regelmäßig angebotenen Peer-Mentorings gemeinsam mit anderen Pflegenden und Ärzten an echten Sepsisfällen zu arbeiten und gemeinsam Könnerschaft im Bereich der Behandlung von Sepsis zu entwickeln. Dies führte zu beobachtbaren Verbesserungen in der Patientenbehandlung.1221 Mitglieder dieser aus der „Not geborenen“ CoP waren der Ansicht, dass die reine Vermittlung kodifizierten Wissens hierfür nicht ausgereicht hätte (etwa in Form von dokumentierten Leitlinien). Es brauchte vielmehr Gelegenheiten für gemeinsames Denken, um zu lernen und Könnerschaft entwickeln zu können. Das Beispiel der beiden genannten Praxisgemeinschaften zeigt, wie Gelegenheiten für gemeinsames Denken zur Reproduktion von Lernpraktiken führen und damit wirksame Praxisgemeinschaften konstituieren. Als Angehörige epistemischer Gemeinschaften haben
es
Beratende
mit
problematischen
Situationen
mit
nur
geringem
Determiniertheitsgrad zu tun. In diesen gilt es, mit unstrukturierten oder (im Vergleich zu Sepsis allenfalls nur im übertragenen Sinn) „bösartigen“ Problemstellungen umzugehen, die sich nicht mit einfachen Heuristiken bearbeiten lassen.1222 Bei der Bewertung der oben vorgestellten Situationsmerkmale Identifikation, Legitimation und Zuständigkeit ist angesichts dessen anzunehmen, dass die Angemessenheit diskursiver Schritte von den Beteiligten unterschiedlich bewertet wird. In solchen Fällen bietet Lernen im Sinne gemeinsamen Denkens die Möglichkeit, nicht nur kodifizierbares Wissen, sondern auch Könnerschaft zu teilen bzw. gemeinsam zu entwickeln. Dies stellt insbesondere im Consulting mit wissensintensivem Geschäftsmodell und hoher Mitarbeiterfluktuation eine Alternative zu Ansätzen formalen „Knowledge-Sharings“
1221 1222
Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 401ff. Vgl. Ringlstetter/Kaiser/Bürger 2004, S. 13.
211
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
dar.1223 Gelegenheiten, sich in Praxisgemeinschaften und -netzwerken zu relevanten Problemen der beruflichen Praxis gemeinsam auszutauschen, wird in der vorliegenden Arbeit deshalb – neben dem Zugang zu Gemeinschaften und Netzwerken der Praxis – als zweiter Faktor für die wirksame Reproduktion von Lernpraktiken Beratender betrachtet. Beide Faktoren werden in dem noch zu entwickelnden Bezugsrahmen Berücksichtigung finden (Kapitel III.2.), der im dritten Hauptteil der Arbeit mit Ergebnissen einer Interviewstudie illustriert werden wird. Im Zuge dessen wird auch Hinweisen darauf nachgegangen, welche Ausprägungsformen das gemeinsame Denken im Kontext der Beratung annehmen kann und worin es sich manifestiert. Zunächst jedoch werden im nachfolgenden Abschnitt Rahmenbedingungen vorgestellt, von denen anzunehmen ist, dass sie den vermuteten Einfluss der beiden Faktoren auf die Reproduktion von Lernpraktiken Beratender moderieren. Es handelt sich mit Autonomie, Abwechslung und gemeinsame Nutzung von Artefakten um Voraussetzungen, die eine produktive Arbeit in epistemischen Gemeinschaften erst ermöglichen.1224
4.3.3 Rahmenbedingungen für Lernen in epistemischen Gemeinschaften Wie bislang anhand von Studienbeispielen erläutert, findet das Konzept der Praxisgemeinschaften und -netzwerke breite Rezeption in Forschungsbemühungen, die sich mit Lernen im beruflichen Kontext beschäftigen. Um Kritik1225 einer unreflektierten Anwendung des Konzepts vorzubeugen und die spezifischen Merkmale der Beratungstätigkeit zu berücksichtigen, werden Beratende in der vorliegenden Arbeit als Angehörige epistemischer Gemeinschaften charakterisiert, deren Arbeiten und Lernen im Zuge von Projekten und problemorientierter Zusammenarbeit erfolgen.1226 In der Literatur finden sich Hinweise zu Rahmenbedingungen, die das Funktionieren solcher Gemeinschaften begünstigen. Da die Möglichkeit, miteinander und voneinander zu lernen, ein konstituierendes Merkmal von Praxisgemeinschaften darstellt1227 und da das Wirken epistemischer Gemeinschaften darauf abzielt, „neues Wissen zu schaffen, das
Vgl. Kapitel I.3.3: Merkmale der traditionellen Perspektive. Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 361. 1225 Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 353f. 1226 Vgl. Kapitel II.3.1.1: Praxisgemeinschaft und -netzwerk. 1227 Vgl. Kapitel II.3.2.2 (2): Implikationen für Praxisgemeinschaften. 1223 1224
212
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
vorher nicht vorhanden war"1228, ist anzunehmen, dass diese Rahmenbedingungen auch Relevanz für die Reproduktion von Lernpraktiken Beratender besitzen. Sie können mit Gewährleistung von „Autonomie“ (Kapitel II.3.3.1) und „Abwechslung“ (Kapitel II.3.3.2) sowie der Verfügbarkeit „gemeinsam nutzbarer Artefakte“ (Kapitel II.3.3.3) beschrieben werden. Verfügen Beratende über die Möglichkeit, selbstständig an abwechslungsreichen Themen zu arbeiten unter gemeinsamer Nutzung von Artefakten, übt dies vermutlich noch keinen direkten förderlichen bzw. hemmenden Einfluss auf die Reproduktion von Lernpraktiken aus. Hierfür ist es zunächst erforderlich, dass, wie bereits herausgearbeitet1229, Beratende über einen Zugang zu Beratungspraxis verfügen, um von Lernquellen und Gelegenheiten gemeinsamen Denkens profitieren zu können. Ist Partizipation an Beratungspraxis jedoch möglich, fällt deren lernbegünstigender Einfluss vermutlich stärker (schwächer) aus, wenn Beratende (nicht) über Autonomie, Abwechslung und gemeinsam nutzbare Artefakte verfügen.
4.3.3.1
Autonomie
In der Literatur sind Hinweise darauf zu erkennen, dass die Gewährleistung von Autonomie für Beratende eine bedeutsame Rahmenbedingung für die Reproduktion von Beratungs- und Lernpraktiken darstellt. Als Angehörige von PSFs, die eine wissensintensive Dienstleistung erbringen, können Beratende als Wissensarbeiter charakterisiert werden, die eine auf die spezifische Situation ihre Auftraggeber angepasste Dienstleistung erbringen.1230 Mit Wissensarbeit gehen Anforderungen einher wie Kreativität, Problemlösungsfähigkeiten und Umgang mit Aufgabenkomplexität.1231 Um diesen Anforderungen zu entsprechen, erwarten Wissensarbeiter, dass ihnen ein hohes Maß an Autonomie und Unabhängigkeit zugestanden wird und sie in relativ lockeren Teamstrukturen außerhalb der direkten Aufsicht des Managements arbeiten
Vgl. Creplet et al. 2001, S. 1521. Vgl. Kapitel II.3.1: Zugang zu Praxisgemeinschaften und Netzwerken. 1230 Vgl. Kühn 2016a, S. 21. 1231 Vgl. exempl. Løwendahl 2009; Newell et al. 2009. 1228 1229
213
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
können.1232 Dies kommt in einer „konsequenten Abneigung gegen Leitung, Überwachung und formale Organisationsprozesse“1233 zum Ausdruck. Neben ihrer Zugehörigkeit zu PSFs erkennen Ash und Roberts bei Beratenden typische Eigenschaften von Mitgliedern epistemischer Gemeinschaften. Im Vergleich zu Mitgliedern anderer Arten von CoPs (z.B. im handwerklichen Umfeld) legen Beratende Wert auf Autonomie und ihren Ruf als Experten („considerable autonomy and worth linked to their individual skills, experience and reputation“1234). Sie arbeiten als selbstbewusste und eigennutzenorientierte Koalitionäre zur Bearbeitung einer gemeinsamen Problemstellung. Es handelt sich dabei in der Regel um eine zeitlich begrenzte Zusammenarbeit „involving experts with substantial egos, high expectations, frequent turnover, rudimentary rules and procedures, tight deadlines, and considerable ambiguity and uncertainty.”1235 Dies passt zur Feststellung Costas und Kärremanns, wonach Beratungspraxis nur selten vorgegebenen Routinen folgt.1236 Für das Funktionieren epistemischer Gemeinschaften wird es als entscheidend erachtet, dass deren Vielfalt und Mehrdeutigkeit miteinander in Einklang gebracht wird, um wirksam agieren zu können. Nicht zuletzt gilt Autonomie unter Beratenden auch deshalb als erstrebenswert, da sie mit Spezialwissen, exklusiven Kundenbeziehungen und Anerkennung im Kollegenkreis assoziiert wird. Dies stärkt die Verhandlungsmacht Beratender gegenüber ihrem Arbeitgeber, da Autonomie den Wechsel zu einem konkurrierenden Beratungsunternehmen erleichtert.1237 Eine Antwort auf eine solche „cat herding challenge“1238 erachtet von Nordenflycht in der Einführung individualisierter und leistungsorientierter Vergütungssysteme.1239 In der Beratungspraxis stellt ein variabler Gehaltsanteil entsprechend ein gängiges Anreizinstrument dar.1240
Vgl. Costas/Kärreman 2015, S. 62 und 64. Nordenflycht 2010, S. 160 in Anlehnung an DeLong/Nanda 2003; Greenwood/Empson 2003; Lorsch/Tierney 2002. 1234 Ash/Roberts 2008, S. 361. 1235 Ash/Roberts 2008, S. 361. 1236 Vgl. Costas/Kärreman 2015, S. 62. 1237 Vgl. Nordenflycht 2010, S. 160, in Anlehnung an Teece 2003; ähnlich Costas/Kärreman 2015, S. 75. 1238 Løwendahl 2000, S. 68, zit. n. Nordenflycht 2010, S. 160f. 1239 Vgl. Nordenflycht 2010, S. 161. 1240 Vgl. Domsch/Hristozova 2006, S. 14. 1232 1233
214
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Die angeführten Hinweise lassen darauf schließen, dass die Gewährleistung von Autonomie als eine begünstigende Rahmenbedingung für die wirksame Reproduktion kollaborativer Praktiken in epistemischen Gemeinschaften betrachtet werden kann.1241 Da damit auch die Entwicklung neues Wissen einhergeht1242, ist anzunehmen, dass die Gewährleistung von Autonomie auch eine begünstigende Rahmenbedingung für die Reproduktion von Lernpraktiken darstellt.
4.3.3.2
Abwechslung
Neben der Gewährleistung von Autonomie als Rahmenbedingung für die Reproduktion von Lernpraktiken lassen sich in der Literatur auch Hinweise auf die Bedeutung von Abwechslung identifizieren. Newell et al. zufolge, „erwarten Wissensarbeiter typischerweise, dass sie interessante und abwechslungsreiche Aufgaben erhalten, anstatt einer vorgeschriebenen Routine zu folgen"1243
Grabher und Ibert erkennen bei
Mitgliedern epistemischer Gemeinschaften ein „learning by switching“, das durch den Wechsel zwischen Teams und Kunden zustande kommt, „driven by the canonical compulsion of freshness, mobility, and flexibility“1244 Costas und Kärremann konnten in ihrer Untersuchung beobachten, dass Beratungsunternehmen bereits bei der Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden mit hoher Lernambition gezielt Erwartungen an eine Tätigkeit schüren, die als „topaktuell, anspruchsvoll und interessant“ vermarktet und mit unterschiedlichen Projekten an wechselnden Orten in Verbindung gebracht wird.1245 Auch aus den o. g. Ausführungen zur Lernquelle unbewussten Ausgesetzt-seins1246 lässt sich ableiten, dass Abwechslung eine lernbegünstigende Rahmenbedingung darstellt. Je mehr
„um
Beratende
herum“
in
deren
Praxisgemeinschaft
wahrscheinlicher ist es, dass sie unbewusst Dinge
„aufschnappen“1247
passiert,
desto
und lernen. Diese
Hinweise werden zum Anlass genommen, Abwechslung als Rahmenbedingung für die Reproduktion von Lernpraktiken in der Beratungspraxis aufzufassen.
Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 361. Vgl. Creplet et al. 2001, S. 1521. 1243 Newell et al. 2009, S. 127, zit. nach Costas/Kärreman 2015, S. 64. 1244 Vgl. Grabher/Ibert 2006, S. 261. 1245 Costas/Kärreman 2015., S. 69f. 1246 Vgl. Kapitel II.3.1.2 (2): Unbewusstes Ausgesetzt-sein. 1247 Bonss 2014, S. 210. 1241 1242
215
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
4.3.3.3
Gemeinsam nutzbare Artefakte
Ein Merkmal des praxistheoretischen Verständnisses von Lernen ist die Vorstellung, dass dieses stets von Relationalität geprägt ist, nicht nur zwischen handelnden Individuen, sondern auch zwischen Individuen und Artefakten.1248 Man denke hier beispielsweise an Beratungsleitfäden oder Debriefing-Unterlagen, in denen Informationen zu Erfahrungen und Projektergebnissen abgespeichert sind. In der oben vorgestellten Wissensspirale von Nonaka und Takeuchi dienen Artefakte während der Externalisierungsphase auch dem Versuch, geteiltes implizites Wissen explizierbar zu machen, z. B. durch die Bildung von Metaphern und Analogien.1249 Im Rahmen von Vorgängen gemeinsamen Denkens1250, die in der von Pyrko und Kollegen untersuchten Praxisgemeinschaft zur Behandlung von Sepsis beobachtet wurden, spielte die Gestaltung von Objekten, die die interdisziplinäre Kommunikation über Sepsis unterstützten, eine wichtige Rolle. Es handelte sich z. B. um Kärtchen mit Schlüsseldefinitionen, Beschreibungen von Symptomen und erforderlichen Maßnahmen.1251 Solche Artefakte ermöglichen die Kodifizierung von Ideen und noch nicht exakt kodifizierbarer Überlegungen der Mitglieder epistemischer Gemeinschaften, was aus Sicht von Ash und Roberts, insbesondere im hektischen Projektgeschäft, hilfreich sein kann: „Most importantly, in project-based work with pressing deadlines, one important achievement of scribbles, drawings, formulae, data, briefings, and reports is to herd collaborators towards a common direction, as they come to internalize and share the objects.“1252 Das Angebot gemeinsam nutzbarer Artefakte wird angesichts dieser Hinweise als die dritte bedeutsame Rahmenbedingung verstanden, die das Funktionieren von und Lernen in epistemischen Gemeinschaften ermöglicht, als deren Angehörige Beratende aufgefasst werden können.1253 Um die Hinweise aus der Literatur zu Rahmenbedingungen für Lernen in epistemischen Gemeinschaften weiter diskutieren und im dritten Hauptteil der Arbeit auch empirisch illustrieren zu können, werden diese gemeinsam mit den Faktoren, die sich aus der Partizipation an Beratungspraxis ergeben, nachfolgend in einen Bezugsrahmen Vgl. Kapitel II.2.3.2. Reproduktion von Lernpraktiken. Vgl. Kapitel I.3.3.1.(2): Dimensionen. 1250 Vgl. Kapitel II.3.2.2: Vorgang gemeinsamen Denkens. 1251 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 400f. 1252 Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 362. 1253 Vgl. Kapitel II.3.1.1: Praxisgemeinschaft und -netzwerk. 1248 1249
216
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
überführt. Dieser integriert zudem die theoriegeleitet angestellten Überlegungen zu Lernpraktiken des Lernens i.e.S., des Sondierens und Suchens zur Erlangung fakten-, handlungs- und personenbezogener Könnerschaft.
4.4
Auf dem Weg zu einem konzeptionellen Bezugsrahmen
Die Nutzung der praxistheoretischen Analyseperspektive erbrachte bislang wertvolle Hinweise zu Faktoren des Lernens im Kontext der Beratung. Im Hinblick auf eine wirksame Reproduktion von Lernpraktiken wurde die Bedeutung des Zugangs zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken sowie Gelegenheiten für gemeinsames Denken deutlich. Es konnten zudem plausible Anhaltspunkte für die Annahme gefunden werden, dass dieser Einfluss verstärkt oder abgeschwächt werden kann, je nachdem, ob Rahmenbedingungen für das Funktionieren epistemischer Gemeinschaften vorliegen. Während die Voraussetzungen des Lernens von Autoren situativ ausgerichteter Lernansätzen recht ausführlich thematisiert werden, gibt Göhlich zu bedenken, dass der Lernprozess als solcher nicht ausreichend theoretisch umrissen wird.1254 Die Abgrenzung von kognitiv ausgerichteten Ansätzen der traditionellen Perspektive erfolgt zwar mit dem Hinweis, dass Lernen im Kontext der Arbeit als untrennbarer Bestandteil alltäglicher Praxis zu verstehen und zu untersuchen ist.1255 Um welche Lernpraktiken es sich dabei handelt, bleibt jedoch vage. Dies wird auch in den von der vorliegenden Arbeit thematisierten Konzepten erkennbar. Man denke etwa an das oben1256 vorgestellte Konzept der Partizipation, das Lave, Wenger und Gherardi anhand unterschiedlicher Lernquellen umfassend zu konkretisieren vermochten.1257 Auch die Bedeutung der, von Pyrko und Kollegenoben1258 ausführlich elaborierten, Gelegenheiten gemeinsamen Denkens geben weitere wertvolle Hinweise, unter welchen Voraussetzungen neue Könnerschaft entwickelt werden kann. Welche Lernpraktiken jedoch erst bei Vorliegen von Partizipation reproduziert werden können und zu welcher Manifestation dies führt, bleibt – zumindest was den spezifischen Kontext der Beratung betrifft – weitgehend
Vgl. Göhlich 2016, S. 16. Vgl. Handley et al. 2007, S. 174. 1256 Vgl. Kapitel II.3: Partizipation an Beratungspraxis. 1257 Vgl. Kapitel II.3.1.2: Lernquellen. 1258 Vgl. Kapitel II.3.2: Gelegenheiten für gemeinsames Denken. 1254 1255
217
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
unbestimmt: Etwa welche beobachtbare(n) Praktik(en) von Beratenden in ihrer alltäglichen Praxis im Zuge von „Thinking together“1259 reproduziert werden, wenn es darum geht, die Perspektive des mit einer problematischen Situation konfrontierten Handelnden nachzuvollziehen, um dann gemeinsam Wissen zum adäquaten Umgang damit anzuwenden. Um diesbezüglich theoretisch fundiert zu einer Konkretisierung beizutragen, werden nachfolgend die bislang vorgestellten Konzepte und angestellten Überlegungen zu Faktoren, Lernpraktiken und Manifestation in einen konzeptionellen Bezugsrahmen überführt und miteinander in Beziehung gesetzt. Damit wird nicht zuletzt der Kritik an einer zu lückenhaften konzeptionellen Rahmung praxistheoretischer Konzepte
(„absence
erklärungsbedürftigen,
of
a
weil
conceptual in
der
framework“1260)
Literatur
vielseitig
begegnet.
Um
verwendeten,
den
Begriff
Bezugsrahmen zu präzisieren, wird zunächst in gebotener Kürze auf dessen Funktion für die vorliegende Forschungsarbeit eingegangen.
4.4.1 Funktion Mit Bezeichnungen wie „theoretischer Bezugsrahmen“, „begrifflicher Bezugsrahmen“, „begrifflich-theoretischer Bezugsrahmen“, „framework“ und „conceptual framework“ finden sich in der Literatur eine Vielfalt von Termini, die mit dem Wort „Bezugsrahmen“ verknüpft sind.1261 Ein solcher stellt, bildlich ausgedrückt, eine Landkarte dar, die dem Leser Orientierung verschafft, indem die Landschaft reduziert dargestellt wird, um wichtigen Merkmale hervorzuheben.1262 Bezugsrahmen stellen ein Hilfsmittel der Forschung dar, „mit versuchsweisen Annahmen einen sinnvollen Anfang der Forschungsarbeit zu ermöglichen und die Ergebnisse der Forschung darzustellen. […] Mit der Hilfe von Bezugsrahmen werden die Forschungsfragestellung und das Problem abgegrenzt,
Rahmenbedingungen
benannt
und
vorliegende
Erkenntnisse
eingeordnet“1263. Bezugsrahmen können Forschenden dabei helfen, ihre Überlegungen zu schlecht strukturierten Problemen im Entdeckungszusammenhang zu ordnen und
Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017. Handley et al. 2007, S. 174. 1261 Vgl. Kirsch/Seidl/van Aaken 2007, S. 22. 1262 Vgl. Handley et al. 2007, S. 174 in Anlehnung an Star/Griesemer 1989. 1263 Becker 1993, S. 118. 1259 1260
218
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Phänomene der Praxis zu erklären.1264 Insofern stellt der Bezugsrahmen ein geeignetes Instrument dar, die in der vorliegenden Arbeit bislang entwickelten Annahmen zu Faktoren, Ausprägungsformen und Manifestation von Lernpraktiken Beratender begriffstheoretisch zu integrieren und diskutieren. Bezugsrahmen können unterschiedliche Reifegrade aufweisen. Ein hoher Reifegrad liegt im Sinne von Kirsch dann vor, „wenn die Theorie bereits einen hohen Detaillierungsgrad aufweist und schon eine Reihe von grundlegenden Hypothesen umfasst, von denen die Entwicklung des Modells, etwa im Zusammenhang mit der Realisierung eines empirischen Forschungsprojekts, ausgeht.“1265 Ein geringer Reifegrad kommt hingegen in einer „relativ skizzenhaften Konzeption“ zum Ausdruck, die im Zuge weiterer Überlegungen in Bezug auf konkrete Modelle zu konkretisieren ist.1266 Worauf die Kapitelüberschrift („auf dem Weg zu“) bereits hindeutet, handelt es sich in der vorliegenden Arbeit um einen konzeptionellen Bezugsrahmen mit noch geringem Reifegrad. Er dient der Untersuchung von Faktoren, Praktiken und Manifestation des vielschichtigen Phänomens Lernen in der alltäglichen Beratungspraxis. Dies erfolgt mitunter noch unter Zuhilfenahme einer „Entwurfssprache“, die sich Möglichkeiten weiterer Detaillierung und Konkretisierung offenhält.1267 Auf die Differenzierung von Becker1268 abstellend, kann dem nachfolgend vorgestellten Bezugsrahmen
entsprechend
auch
der
Charakter
eines
einfachen
„Forschungsrahmens“1269 zugesprochen werden. Angesichts der unterschiedlichen Funktionen1270, die Bezugsrahmen haben können, erfolgt der Hinweis, dass damit das Ziel verfolgt
wird,
einen
Beitrag
zu
liefern,
die
Vielfalt
praxistheoretischer
Forschungsbemühungen im Bereich arbeitsplatznahen Lernens zu systematisieren und vgl. Becker 1993, S. 118, in Anlehnung an Kirsch 1977, S. 241. Kirsch/Seidl/van Aaken 2007, S. 23. 1266 Vgl. Kirsch/Seidl/van Aaken 2007, S. 23. Kirsch und Kollegen schlagen vor, unter einem „theoretischen Bezugsrahmen“ einen „Theorieentwurf“ zu verstehen. Dieser wird anhand von Modellen i. S. v. Aussagensystemen zum Untersuchungsgegenstand konkretisiert. Als anschauliche Beispiele für einen Bezugsrahmen und ein Modell führt Kirsch die Untersuchung von Burmann/Meffert 2003, S. 159, zu „strategischer Flexibilität und Strategieveränderungen als Determinanten des Unternehmenswertes“ an (S. 24ff.). 1267 Kirsch/Seidl/van Aaken 2007, S. 23. 1268 Vgl. Becker 1993, S. 119. 1269 Vgl. Becker 1993, S. 124, für eine Übersicht mit Unterscheidung von Forschungs-, Erklärungs- und Entscheidungsrahmen. 1270 Vgl. Kirsch/Seidl/van Aaken 2007, S. 28ff. 1264 1265
219
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
deren Beiträge miteinander in Verbindung zu setzen. Er ist als eine Art „Erklärungsskizze“1271 zu verstehen, die zu einem Verständnis von Zusammenhängen führen soll. Im Sinne eines „provisorischen Erklärungsmodells“1272 werden Annahmen zu möglichen Zusammenhängen, im Hinblick auf Faktoren, Ausprägungsformen und Manifestation des Lernens Beratender visualisiert, sowie zentrale Begrifflichkeiten verortet. Aussagen können sich dann auch darauf beschränken, „dass zwischen bestimmten Komponenten alternative, funktionale Beziehungen angenommen werden, ohne dass Beziehungen inhaltlich eingehender präzisiert werden“1273.
4.4.2 Komponenten Faktoren, Lernpraktiken und Manifestation des Lernens im Kontext der Beratung bilden die drei Komponenten des Bezugsrahmens (Abbildung 28). Wie im vorangegangenen Abschnitt erläutert, kann dem Bezugsrahmen der Charakter eines provisorischen Erklärungsmodells attestiert werden. Er integriert die im Laufe des zweiten Hauptteils behandelten Konzepte und setzt sie miteinander in Beziehung. Die Pfeilverbindungen geben vermutete oder der Literatur entnommene Wirkzusammenhänge wieder. In Anlehnung an die in der Psychologie gebräuchliche Verwendung werden unter Faktoren als erste Komponente des Bezugsrahmens Bestimmungsgrößen verstanden, die die wirksame Reproduktion von Lernpraktiken Beratender beeinflussen.1274 Unter Bezugnahme auf theoretische Konzepte klassischer und jüngerer Arbeiten, die der praxistheoretischen Analyseperspektive zuordenbar sind, wurden diese im zweiten Hauptteil herausgearbeitet und auf den spezifischen Beratungskontext übertragen. Als direkt Einfluss nehmender Faktor wird Partizipation an Beratungspraxis angenommen, welche im Zugang zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken1275 sowie Gelegenheiten gemeinsamen Denkens1276 zum Ausdruck kommt. Es wird angenommen, dass deren Existenz bzw. Abwesenheit die Reproduktion von Lernpraktiken im Consulting fördert bzw. hemmt. Es wird weiter davon ausgegangen, dass die Stärke dieses Einflusses vom
Kirsch/Seidl/van Aaken 2007, S. 30. Becker 1993, S. 119; Kubicek 1977, S. 18f. 1273 Becker 1993, S. 119. 1274 Vgl. Redaktion Lexikon der Psychologie o. D.a; Redaktion Lexikon der Psychologie o. D.b. 1275 Vgl. Kapitel II.3.1: Zugang zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken. 1276 Vgl. Kapitel II.3.2: Gelegenheiten für gemeinsames Denken. 1271 1272
220
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Vorliegen sog. Rahmenbedingungen epistemischer Gemeinschaften moderiert wird. Hierzu zählen Autonomie, Abwechslung und gemeinsam nutzbare Artefakte.1277 Faktoren
Partizipation an Beratungspraxis
Lernpraktiken
Existenz fördert / Abwesenheit hemmt
Manifestation
Reproduktion von Lernpraktiken
Existenz verstärkt / Abwesenheit vermindert Zugang zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken
Ermöglicht Entwicklung
Rahmenbedingungen epistemischer Gemeinschaften
Gelegenheiten für gemeinsames Denkens
Lernen i.e.S.
Neue Könnerschaft handlungsbezogen
Autonomie
Sondieren
Neue Könnerschaft faktenbezogen
Abwechslung
Suchen
Neue Könnerschaft personenbezogen
Gemeinsam nutzbare Artefakte
Abbildung 28: Bezugsrahmen als provisorisches Erklärungsmodell1278 Lernpraktiken stellen die zweite Komponente des Bezugsrahmens dar. Als eine der wenigen geteilten Annahmen praxistheoretischer Erklärungsansätze kann das Verständnis von Lernen als integraler Bestandteil der alltäglichen Handlungspraxis angeführt werden. Es geht dabei um die Erlangung neuer Könnerschaft im Sinne eines „accomplishment of knowing in action and in practice“1279. Dem folgend, wird arbeitsplatznahes Beratungspraxis
Lernen isoliert
Beratender stattfindender,
nicht
als
Prozess
Lernpraktiken Beratender als überindividuelle
ein,
von
aufgefasst.
Aktivitätsmuster1280
deren
alltäglichen
Vielmehr
werden
verstanden. Mit der
alltäglichen Beratungspraxis verflochten, ermöglichen sie im Zeitablauf die Ausübung neuer und die veränderte Ausübung bzw. das Verwerfen bewährter Beratungspraktiken. Maßgeblich auf die Arbeit von Hydle und Breunig1281 rekurrierend, können Lernpraktiken des Lernens i.e.S., Sondierens und Suchens unterschieden1282 werden. Eine wirksame
Vgl. Kapitel II.3.3: Rahmenbedingungen für Lernen in epistemischen Gemeinschaften. Quelle: Eigene Darstellung. 1279 Vgl. Handley et al. 2007, S. 174. 1280 Vgl. Kapitel II.2.3.2: Reproduktion von Lernpraktiken. 1281 Vgl. Hydle/Breunig 2013. 1282 Vgl. Kapitel II.2.2: Lernen als Entwicklung neuer Könnerschaft. 1277 1278
221
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Reproduktion solcher Lernpraktiken ermöglicht es Beratenden, neue Könnerschaft als Manifestation ihres Lernens zu erlangen, die wiederum in einer gekonnten Ausübung von Beratungspraktiken erkennbar wird. Die Manifestation des Lernens stellt schließlich die dritte Komponente des Bezugsrahmens dar. Sie beschreibt die Offenbar- bzw. Erkennbarwerdung1283 wirksam reproduzierter Lernpraktiken Beratender. Dies kommt im dargestellten Bezugsrahmen anhand neuer Könnerschaft zum Ausdruck. Diese kann, im Polanyi’schen Sinne, mangels „Anleitung“ nur im Handlungskontext selbst erlangt werden. Je nach Lernpraktik kann zwischen handlungs-, fakten- und personenbezogener Könnerschaft unterschieden werden.1284 Eine wirksame Ausübung von Lernpraktiken des Lernens i.e.S. manifestiert sich
in
der
Erlangung
neuer
handlungsbezogener
Könnerschaft,
die
in
Beratungspraktiken kompetenten Tuns bzw. eines kompetenten Handlungsvollzugs zum Ausdruck kommt. Lernpraktiken des Sondierens dienen der Suche nach neuen Erkenntnissen, unter Verwendung der zur Verfügung stehenden Systeme und Prozesse zur Erlangung neuer faktenbezogener Könnerschaft, die in Beratungspraktiken zur Nutzung dieser Erkenntnisse zum Ausdruck kommt. Lernpraktiken des Suchens führen schließlich zur Erlangung personenbezogener Könnerschaft. Sie umfassen die Kontaktierung anderer Personen, um geeignete Menschen zu finden, die über relevantes Wissen verfügen. Personenbezogene Könnerschaft kommt entsprechend in der Nutzung informeller Netzwerke zum Ausdruck.1285 Zur Bestimmung der Tragfähigkeit dieses provisorischen Erklärungsmodells werden im dritten Hauptteil die Ergebnisse einer empirischen Interviewstudie herangezogen werden. Den zweiten Hauptteil rundet jedoch zunächst das nachstehende Fazit ab, inwiefern sich die Nutzung einer praxeologischen Sichtweise dazu bewährte, Hinweise zu gewinnen, um das das vielschichtige Phänomen des Lernens Beratender in ihrer alltäglichen Berufspraxis theoriegeleitet zu diskutieren.
Redaktion Lexikon der Psychologie o. D.d. Vgl. Kapitel II.2.2: Lernen als Entwicklung neuer Könnerschaft. 1285 Vgl. Kapitel II.2.3.2: Reproduktion von Lernpraktiken. 1283 1284
222
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
4.5
Fazit: Beitrag einer praxistheoretischen Sichtweise
Angesichts der im ersten Hauptteil erkannten „blinden Flecken“ einer kognitiv ausgerichteten, der Logik szientistischer Rationalität folgenden Perspektive, stand im zweiten Hauptteil die Nutzung einer praxistheoretischen Sichtweise auf Lernen in der Unternehmensberatung im Mittelpunkt. Wenngleich es hier erwartungsgemäß unterschiedliche,
mitunter
nur
definitorisch
lose
gekoppelte
Begrifflichkeiten
verwendende Erklärungsansätze in die Analyse miteinzubeziehen galt, wurde dennoch ein übergreifendes praxistheoretisches Verständnis von Lernen erkennbar. Hieraus ließen sich theoriegeleitet wertvolle Schlussfolgerungen zur Konzeptualisierung von Lernpraktiken, darauf einwirkende Faktoren, sowie deren Manifestation im spezifischen Kontext
der
Beratung
ziehen.
Der
Heterogenität
der
praxistheoretischen
Theoriebewegung Rechnung tragend, wurde der Versuch unternommen, einen Bezugsrahmen zu entwerfen, um den Forschungsgegenstand – als Basis für weiterführende Forschungsbemühungen – abzugrenzen und gewonnene Ergebnisse einzuordnen. So konnte im Hinblick auf das Lernen Beratender die Bedeutung des sozialen Kontexts konkretisiert (Kapitel II.5.1), Lernen als Teil von Handlungspraxis konzipiert (Kapitel II.5.2) sowie mit Könnerschaft das traditionelle Wissensverständnis erweitert und auf den Consulting-Kontext übertragen werden (Kapitel II.5.3).
4.5.1 Konkretisierung der Bedeutung des sozialen Kontexts Als ein Defizit der traditionellen Sichtweise auf Lernen wurde die Fokussierung auf einen distinkten Lernvorgang auf Kosten der Berücksichtigung des sozialen Kontexts in kognitiv ausgerichteten Erklärungsansätzen gewertet.1286 Angesichts dieses Schweigens betont die praxistheoretische Perspektive die Bedeutung von Strukturen und Kontexte, „in die Individuen hineinsozialisiert“1287 werden. Wissen i. S. v. eines „sich-auf-etwasVerstehen“1288 wird als etwas konzipiert, das sozialen Beziehungen innewohnt. Reckwitz geht sogar so weit, dass er den in der englischsprachigen Literatur verwendeten Begriff „social practice“ als tautologisch auffasst, da dem praxistheoretischem Verständnis
Vgl. Kapitel I.3.4.1: Unzureichende Berücksichtigung des sozialen Kontexts. Vgl. Bonss 2014, S. 184. 1288 Vgl. Reckwitz 2003, S. 289. 1286 1287
223
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
zufolge der Aspekt des Sozialen dem Begriff der Praktik immanent ist.1289 Dies kommt auch in der vorgenommenen konzeptionellen Verortung von Lernpraktiken zum Ausdruck, welche zeitlich aufeinanderfolgende Projektepisoden umfasst, in denen sich das
Lernen
Beratender
situationsspezifisch
und
innerhalb
soziomaterieller
Arrangements vollzieht. In der engen Verwobenheit von Lernen mit praktischem Tun unter Betonung sozialer Interaktion kommt eine Emanzipation von der traditionellen Fokussierung auf kognitive Aspekte des Lernens zum Ausdruck. Lernen wird nicht mehr nur als kognitive, sondern auch und vor allem als eine partizipative Aktivität begriffen, die mit alltäglicher Handlungspraxis verwoben, bewusst und unbewusst erfolgen kann. Angesichts der Betonung partizipativer Aspekte überrascht es nur wenig, dass die Teilnahme an einer sozialen Gemeinschaft als wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung von Könnerschaft als Manifestation des Lernens betrachtet wird.1290 Lernen i. S. v. Entwicklung neuer Könnerschaft ist dann ohne den Sozialisierungsprozess in Praxisgemeinschaften und -netzwerken nur schwer vorstellbar. Diese Partizipation ermöglicht erst den Zugang zu Lernquellen, die beispielsweise in einem unbewussten Ausgesetzt-sein, der Aufnahme sozialer Beziehungen und dem Zugang zu Diskursen zum Ausdruck kommt. Dass dies gerade in der Beratung nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, zeigen die angestellten Überlegungen zum Phänomen der Langeweile im Consulting und vorherrschenden Machtverhältnissen, die den Zugang zu Praxisgemeinschaften ermöglichen oder versperren können. Welche Besonderheiten die unterschiedlichen Praxisgemeinschaften und -netzwerke aufweisen, an denen Beratende partizipieren, wurde anhand des Konzepts epistemischer Gemeinschaften verdeutlicht. Die Arbeitspraxis der Angehörigen solcher Gemeinschaften ist von Komplexität und Entscheidungen unter Unsicherheit geprägt. Mit Hinweis auf die Gewährleistung von Autonomie, Abwechslung sowie gemeinsam nutzbare Artefakte liefert die praxistheoretische Sichtweise wertvolle Hinweise zu Rahmenbedingungen für das Arbeiten und Lernen in solchen Gemeinschaften. Dabei wird auch deutlich, dass der damit verbundene soziale Kontext im Vergleich zu anderen Arten von Praxisgemeinschaft von geringerer Intensität sozialer Bindungen geprägt ist. Vielmehr ist von einer
1289 1290
Vgl. Reckwitz 2003, S. 250. Vgl. Gherardi 2001, S. 133.
224
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
problemorientierten Zusammenarbeit selbstbewusster und eigennutzenorientierter Koalitionäre auszugehen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich das Lernen in der Unternehmensberatung isoliert und ohne soziale Interaktion vollzieht. Die große Bedeutung, die der Interaktion mit anderen Beratenden gerade angesichts der Abwesenheit von Routine und geteiltem Problemverständnis zukommt, unterstreicht das Konzept der Gelegenheiten für gemeinsames Denken. Diese bilden eine bedeutsame Voraussetzung für die Reproduktion von Lernpraktiken in problematischen Situationen, die aus praxistheoretischer Sicht als Ausgangspunkt für soziales Handeln betrachtet werden. Sie bieten den Anlass dazu, dass Beratende lernen, indem sie sich gemeinsam mit ähnlich gelagerten Problemen ihrer Beratungspraxis beschäftigen. Unter Rückgriff auf Polyanis Konzept des Indwelling erfolgt die Annahme, dass im Zuge „gemeinsamen Denkens“ nicht nur explizites, sondern auch tacites Wissen geteilt bzw. gemeinsam entwickelt werden kann. Die praxistheoretische Analyseperspektive trägt damit dazu bei, die Alltagsweisheit, dass „on the job“ gelernt wird, mit Verweis auf soziale Partizipation theoretisch zu fundieren.
4.5.2 Konzeption von Lernen als Teil von Handlungspraxis Neben einer unzureichenden Berücksichtigung des sozialen Kontextes wurde die Vernachlässigung von Handlungspraxis als ein weiteres Defizit der traditionellen Sichtweise auf Lernen angeführt. Deren Zentrierung auf einen verallgemeinerbaren Vorgang lässt die Bedeutung der alltäglichen Handlungspraxis in den Hintergrund treten. Dem stellt die praxistheoretische Sichtweise eine Konzeption von Lernen gegenüber, welches
sie
als
integralen
Bestandteil
eines
sozialen
und
fortlaufenden
Handlungssystems betrachtet, im Rahmen derer Individuen auf vielfältige und heterogene Weise miteinander in Beziehung stehen und situativ mit Herausforderungen der Praxis umgehen.1291 Auf dem wissenschaftstheoretischen Konzept praktischer Rationalität basierend, wird das lernende Individuum nicht als ein von seiner Handlungspraxis losgelöstes, sondern ein primär damit verflochtenes Lernsubjekt charakterisiert.
1291
Vgl. Lave 2009, S. 207.
225
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Im Hinblick auf Lernen im Consulting bilden Lernpraktiken Beratender die Voraussetzung für eine gekonnten Reproduktion von Beratungspraktiken, die als überindividuelle Aktivitätsmuster ihr Handeln in der alltäglichen Beratungspraxis ermöglichen. Dieses Handeln kann zeitraumbezogen unterschiedlichen Episoden zugeordnet werden und vollzieht sich in konkreten Situationen. Lernpraktiken des Lernens i.e.S., Sondierens und Suchens ermöglichen die Ausübung neuer, die veränderte Ausübung oder auch das Verwerfen von Beratungspraktiken im Zeitablauf. Der Beitrag der praxistheoretischen Sichtweise erweist sich somit als fruchtbar, das Lernen Beratender als untrennbaren Bestandteil von Handlungspraxis konzeptionell zu verorten.1292 Anstatt der Fokussierung auf kognitive Strukturen rückt sie gekonntes Handeln von Menschen in den Mittelpunkt der Überlegungen.1293 Das alltägliche Handeln Beratender in ihrer beruflichen (Projekt-) Praxis avanciert zum „locus of learning“1294. „Lernen i.e.S.“, „Sondieren“ und „Suchen“ zur Erlangung handlungs-, fakten- und personenbezogener Könnerschaft erwiesen sich als geeignete Begriffe, Lernpraktiken Beratender zu kategorisieren. Weitgehend offen blieb jedoch die Frage, welche Praktiken sich den drei Kategorien des Lernens i.e.S., Sondierens und Suchens im spezifischen Consulting-Kontext zuordnen lassen. Hydle und Breunig nennen zwar Zitate befragter Studienteilnehmer und einige wenige Beispiele wie: „Practices of new knowing-what entail searching reports and systems for what to do”1295, eine weiterführende Beschreibung von deren Ausprägung erfolgt jedoch nicht. Auch werden keine Aussagen darüber gemacht, wie von anderen Personen gelernt werden kann. Es ist zwar im Falle von Lernpraktiken des Suchens die Rede („Using others to find people who know“)1296, doch wie dann von diesen Personen gelernt werden kann, wird nicht thematisiert. Gerade das wäre jedoch interessant, da Wissen aus praxeologischer Perspektive ja nicht etwas
Vgl. ähnlich Fahrenwald 2016: „Auch das Lernen in und von Organisationen stellt demzufolge (dem praxistheoretisch fundierten organisationalen Lernbegriff – Anm. d. Verf.) keine vom restlichen Leben losgelöste Tätigkeit dar, sondern einen umfassenden und interaktiven Prozess der sozialen Praxis. Dabei zählt nicht nur das theoretische (Fakten-)Wissen allein, sondern in gleicher Weise auch das praktische Wissen, das sich auf Handlungen, Erfahrungen und auf die menschliche (Lebens-)Praxis bezieht.“ (S. 102f.) 1293 Vgl. Nicolini/Gherardi/Yanow 2003a, S. 22. 1294 Gherardi 2019, S. 8. 1295 Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 266. 1296 Hydle/Breunig 2013, S. 262. 1292
226
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
Transferierbares ist, das an andere Individuen einfach weitergegeben werden kann.1297 Zur Adressierung dieser Forschungslücke dient die empirische Illustration des konzeptionellen Bezugsrahmens im dritten Hauptteil.
4.5.3 Erweiterung des traditionellen Wissensverständnisses Als weiteres Defizit der traditionellen Perspektive wurde angeführt, dass diese auf ein unterkomplexes Verständnis von Wissen als Manifestation des Lernens Bezug nimmt.1298 Der Vorstellung einer, von Handlungspraxis losgelösten, primär explizier- und transferierbaren Ressource stellen praxistheoretische Ansätze die Konzeption einer, mit Handlungspraxis verwobenen, primär implizit verstandenen Könnerschaft im Sinne eines „Sich-auf-etwas-verstehens“1299 gegenüber. Im Consulting wird diese in der gekonnten Reproduktion von Beratungspraktiken erkennbar. Es geht dann nicht um die Frage, welches Wissen Beratende „besitzen“, sondern welche Art von Könnerschaft in einer bestimmten Beratungspraktik zum Einsatz kommt. Den Beratenden muss dies in ihrer beruflichen Praxis nicht immer bewusst sein. Könnerschaft kann als etwas aufgefasst werden, auf das sie sich auch unbewusst im täglichen Tun verlassen können. Das Konstrukt der Könnerschaft fußt damit auf einer Relativierung der Dichotomie von explizitem und implizitem Wissen, wie sie etwa in der Wissensspirale von Nonaka und Taeuchi zum Ausdruck kommt. Die dort postulierte Vorstellung einer Überführbarkeit von der einen in die anderer Wissensart greift dem praxistheoretischen Verständnis nach zu kurz, handelt es sich bei implizitem und explizitem Wissen doch lt. Polanyi um zwei unterschiedliche Konstrukte, die sich nicht einfach so ineinander überführen lassen. 1300 Im Konstrukt der Könnerschaft werden die beiden Wissenskomponenten entsprechend als untrennbar miteinander verbunden verstanden. Es handelt sich im praxeologischen Sinn um etwas, das Menschen tun, anstatt es zu besitzen.1301 Damit wird dem, in traditionellen Ansätzen mitunter unreflektierte Gebrauch der Begrifflichkeiten impliziten bzw. taciten Wissens begegnet, welcher als Ursache dafür betrachtet werden kann, dass
Vgl. Huzzard 2004, S. 351. Vgl. Kapitel I.3.4.3: Unterkomplexes Verständnis von Wissen als Manifestation des Lernens. 1299 Vgl. Reckwitz 2003, S. 289. 1300 Vgl. Polanyi 1966, S. 10. 1301 Vgl. Rennstam/Ashcraft 2013, S. 5. 1297 1298
227
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
„die Diskussion um implizites Wissen nur schwer als Grundlage für ein vertieftes Verständnis von Wissen genutzt wird“1302. Eine Erweiterung des traditionellen Wissensverständnisses ist zudem auch darin zu erkennen, dass mit Berücksichtigung von Handlungs-, Zeit- und Kontextbezug eine Konkretisierung von Könnerschaft erfolgt: -
Handlungsbezug kommt darin zum Ausdruck, dass Könnerschaft unmittelbar in das Handeln Beratender eingewoben ist und sich nicht einfach ablösen und auf andere Individuen und Artefakte transferieren lässt.
-
Könnerschaft ist als etwas zu verstehen, das sich im Zeitablauf jederzeit verändern kann.
-
Könnerschaft entsteht in spezifischen Kontexten und wird innerhalb dieser Kontexte verstanden. Es ist nicht objektiv (vor-)gegeben, sondern wird als situiert, d. h. an ganz unterschiedliche, wie kulturelle, räumliche oder zeitliche Situationen gebunden, charakterisiert.
Auch im Hinblick auf die Art der Tätigkeit unterschiedlicher Berufsgruppen liefern praxistheoretische Ansätze wertvolle Hinweise, Könnerschaft als Manifestation des Lernens zu konkretisieren. Dies erfolgt u. a. anhand der, für die jeweilige Profession spezifischen Art sozialer Beziehungen. Der Charakterisierung Beratender als Angehörige epistemischer Gemeinschaften entsprechend, kann Könnerschaft im Kontext der Beratung auch als „epistemisch“ beschrieben werden. Sie kommt primär im Zuge einer Zusammenarbeit zum Ausdruck, die von schwachen sozialen Bindungen geprägt ist und sich im Rahmen befristeter Projekte zur Lösung komplexer Probleme entwickelt. Das gegenseitige Vertrauen in solchen Gemeinschaften basiert auf Reputation, welche in der Regel auf einer nur schwer imitierbaren Beratungsexpertise gründet. Zudem kann Könnerschaft nach Art gekonnt ausgeübter Praktiken differenziert werden. Verfügen Beratende über handlungsbezogene Könnerschaft, gelingen ihnen Praktiken zur Ausführung der Aufgaben ihres Arbeitsbereichs. Faktenbezogene Könnerschaft kommt hingegen in der gekonnten Ausübung von Praktiken zum Ausdruck, die der Nutzung verfügbarer Daten und Informationen dienen. Praktiken des Netzwerkens, um über
1302
Bonss 2014, S. 180.
228
Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens
andere Personen an benötigte Informationen zu kommen, können schließlich mit personenbezogener Könnerschaft assoziiert werden. Nicht zuletzt kommt der Beitrag einer praxistheoretischen Sichtweise im Hinblick auf ein erweitertes Wissensverständnis auch darin zum Ausdruck, dass ein Erklärungsansatz geliefert wird, wie neue Könnerschaft in der Beratungspraxis entstehen kann. Die Beantwortung dieser Frage wird von traditionellen Ansätzen vernachlässigt, deren Wissensverständnis auf die Weitergabe von Wissen bzw. auf einen Wissenstransfer zentrierten. Antworten hierauf liefert eine Lernkonzeption, die das praktische Tun als „locus of learning“1303 zur Entwicklung neuer handlungs-, fakten- und personenbezogener Könnerschaft begreift. Der entwickelte Bezugsrahmen erlaubt es, die damit in Verbindung stehenden
Lernpraktiken,
darauf
einwirkende
Faktoren
und
Manifestation
theoriegeleitet zu diskutieren. Um die bislang angestellten Überlegungen weiter zu vertiefen und im Hinblick auf den Kontext der Beratung weiter zu konkretisieren, stehen im nun nachfolgenden dritten Hauptteil die Ergebnisse einer empirischen Illustration des Bezugsrahmens im Mittelpunkt.
1303
Gherardi 2019, S. 8.
229
5. Empirische Illustration des Bezugsrahmens Die Nutzung von Ansätzen einer praxistheoretischen Analyseperspektive erwies sich in dreierlei Hinsicht als fruchtbar, um die identifizierten Defizite der traditionellen Sichtweise auf Lernen in der Unternehmensberatung zu adressieren. So konnte im zweiten Hauptteil die Bedeutung des sozialen Kontexts konkretisiert, Lernen als Teil von Handlungspraxis konzipiert und das zugrunde liegende Verständnis von Wissen als Manifestation des Lernens erweitert werden.1304 Dies stellt einen Beitrag zur Schließung der identifizierten Forschungslücke dar, die in einer unzureichenden theoretischen Fundierung von Lernpraktiken in der Unternehmensberatung zum Ausdruck kommt. Im Zuge der Beschäftigung mit praxeologischen Erklärungsansätzen wurde deutlich, dass nicht von der Praxistheorie, sondern allenfalls von einem Bündel lose gekoppelter, ein uneinheitliches Begriffsspektrum nutzender Konzepte gesprochen werden kann. Hierauf ist die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit zurückzuführen, praxistheoretische Konzepte zur Diskussion von Ausprägungsformen, Faktoren und Manifestation des Lernens im Kontext der Beratung in einen konzeptionellen Bezugsrahmen zu integrieren. Dies wurde erreicht, indem klassische und jüngere Forschungsarbeiten praxistheoretischer Ausrichtung dazu herangezogen wurden, einen ersten Entwurf eines konzeptionellen Bezugsrahmens im Sinne eines „provisorisches Erklärungsmodells“ zu skizzieren. Damit soll ein Beitrag geleistet werden, vorliegende und künftige Beiträge praxistheoretischer Arbeiten einordnen und miteinander in Beziehung setzen zu können, um so zu einem vertieften Verständnis arbeitsplatznahen Lernens im Kontext der Beratung zu gelangen. Die empirische Illustration dieses Bezugsrahmens steht im Mittelpunkt dieses dritten Hauptteils. Sie dient dazu, die Belastbarkeit der bislang theoriegeleitet angestellten Überlegungen anhand von Ergebnissen einer qualitativen Interviewstudie zu überprüfen. An dieser nahmen Beratende unterschiedlicher Seniorität, Beratungsausrichtung und unternehmen teil. Das zugrunde liegende Forschungsdesign wird im nachfolgenden Kapitel III.1 vorgestellt. Die im Rahmen der Untersuchung gewonnenen Aussagen werden im sich anschließenden Kapitel III.2 dazu genutzt, die Komponenten und unterstellten Wirkungszusammenhänge des Bezugsrahmens anhand von Beispielen und, in
1304
Vgl. Kapitel II.5: Fazit: Beitrag einer praxistheoretischen Sichtweise.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Rainer, Lernpraktiken in der Unternehmensberatung, Zukunftsfähige Unternehmensführung in Forschung und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42989-8_5
230
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Rückkopplung mit den entsprechenden praxistheoretischen Konzepten, zu diskutieren. Die Interviewergebnisse sollen zudem dazu herangezogen werden, Ausprägungsformen von Lernpraktiken weiter zu differenzieren. Hierzu wurden Angaben befragter Beratender zu praktizierten Lernpraktiken inhaltsanalytisch ausgewertet. Dem schließt sich in Kapitel III.3 eine theoretische Reflexion gewonnener Ergebnisse an. Diese detaillieren das Verständnis von Lernen Beratender als primär praktisch-soziale Errungenschaft und definieren Beratungsprojekte als potenziellen Lernkontext. Zudem wird ein Fazit gezogen, inwiefern die Ergebnisse der Interviewstudie den theoriegeleitet entwickelten Bezugsrahmen anreichern und welcher theoretische Beitrag damit verbunden ist.
5.1
Forschungsdesign
Die Interviewstudie fand im Zeitraum von Oktober 2017 bis Februar 2018 statt. An ihr nahmen
Beratende
unterschiedlicher
Seniorität,
Beratungsausrichtung
und
Beratungsunternehmen teil. Ziel der Befragung war es, Angaben zu angewendeten Lernpraktiken, zu lernbegünstigenden bzw. -hemmenden Faktoren sowie zur beobachteten Manifestation des Lernens zu gewinnen. Trotz gewisser Nachteile1305 rechtfertigt das noch frühe Entwicklungsstadium des Bezugsrahmens die Entscheidung für ein qualitatives Vorgehen. Im Vergleich zu einem quantitativen Vorgehen bietet sich damit die Möglichkeit, im persönlichen Gespräch möglichst unvoreingenommen Details und Zusammenhängen zu erkunden.1306 Auch wenn keine allgemeingültige „Standardvorlage" für die Dokumentation qualitativer Methoden und deren Ergebnisse existiert, erwies sich das COREQ-Schema von Tong und Kollegen1307 als nützlicher Berichtsrahmen, um den an qualitative Forschung gestellten Anforderungen in puncto Transparenz und Vollständigkeit zu entsprechen.1308 Neben
Kawohl und Kollegen verweisen in diesem Zusammenhang beispielsweise auf die im Vergleich zu quantitativer Forschung geringere Fallzahl und auf den starken interpretativen Einfluss des Forschenden auf die Ergebnisse. (Kawohl/Waubke/Höselbarth 2017, S. 15). 1306 Vgl. Bonss 2014 (S. 140) in Anlehnung an Edmondson/Mcmanus 2007, S. 1162. Ebenso Pratt 2009: Qualitative Forschung liefert einen Beitrag „for understanding the world from the perspective of those studied (i.e., informants); and for examining and articulating processes.” (S. 856) 1307 Vgl. Anhang A3. 1308 Vgl. Pratt 2009, S. 856 und Tong/Sainsbury/Craig 2007: Obwohl teilweise Checklisten verfügbar sind, gibt es keinen konsolidierten Berichtsrahmen für jede Art von qualitativem Design (S. 249). Die COREQ1305
231
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Angaben zum Forschenden selbst (Kapitel III.1.1) enthält dieser Informationen zu Teilnehmerauswahl und Rahmenbedingungen (Kapitel III.1.2) sowie zur Datenerhebung und -auswertung (Kapitel III.1.3).
5.1.1 Angaben zum Forschenden und zur Position im Feld Qualitativ Forschende stehen aufgrund ihrer zumeist hohen Verbundenheit mit dem Forschungsprozess
und
den
Studienteilnehmenden
vor
der
Herausforderung,
persönliche Befangenheit zu minimieren.1309 Um die Glaubwürdigkeit der vorliegenden Ergebnisse zu erhöhen, werden deshalb nachfolgend Angaben zum beruflichen Hintergrund des Autors dieser Arbeit und dessen Position im Feld bzw. dessen Beziehung und das Ausmaß der Interaktion mit den Studienteilnehmern beschrieben. Dies soll die Beurteilung erleichtern, inwiefern Beobachtungen und Interpretationen des Forschenden beeinflusst worden sein könnten.1310 Der Autor ist diplomierter Kaufmann (Dipl.-Kfm.) und erlernte während seines Studiums das Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten. Dies erfolgte im Zuge der Erstellung von Seminar- und Abschlussarbeiten sowie der begleitenden Lektüre einführender Literatur zu Techniken wissenschaftlichen Arbeitens.1311 Mit der Erstellung der vorliegenden Forschungsarbeit wurde im Rahmen einer berufsbegleitenden Promotion im Jahr 2015 begonnen. Bis 2019 war der Autor in zwei Beratungsunternehmen tätig mit Schwerpunkt Strategie- und Organisationsentwicklung. Dies ermöglichte ihm einerseits die Reproduktion eigener Lernpraktiken im Beratungskontext sowie andererseits auch die Beobachtung von bzw. die Reflexion mit Kollegen in Bezug auf deren Lernpraktiken. Die unmittelbare Teilnahme an Beratungspraxis ermöglichte ihm zudem das Sammeln authentischer Eindrücke, wie Beratende lernen. Gelegenheiten hierfür boten die gemeinsame Projektarbeit, aber auch spontane Gesprächssituationen informeller Natur und im Rahmen von Firmenveranstaltungen. Im Laufe seiner fast 14-jährigen Tätigkeit als Berater entwickelte der Verfasser jedoch nicht nur ein vertieftes Verständnis für die
Checkliste ist das Ergebnis der Analyse von 76 Kriterien aus 22 Studien und hat zum Ziel „to promote explicit and comprehensive reporting of qualitative studies (interviews and focus groups).“ (S. 356) 1309 Vgl. Tong/Sainsbury/Craig 2007, S. 351. 1310 Vgl. Tong/Sainsbury/Craig 2007, S. 351 sowie ähnliche Argumentation bei Pratt 2009, S. 859; ein anschauliches Beispiel der Umsetzung mit Bezug zur Forschung im Kontext der Unternehmensberatung findet sich bei Paust 2012, S. 26ff. 1311 Vgl. Theisen 2002.
232
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Lernpraktiken von Kollegen und Vorgesetzten, sondern reproduzierte auch eigene Lernpraktiken, um den Anforderungen seiner Beratungspraxis zu entsprechen. Diese Erfahrungen prägte sicherlich auch die Argumentation und Thesenbildung der vorliegenden Arbeit sowie die Interpretation der nachfolgend beschriebenen Interviewergebnisse. Einerseits mag damit eine subjektive Wahrnehmung bzw. Verzerrung im Hinblick auf deren Interpretation verbunden sein. Andererseits kommt eine solche Eingebundenheit dem Postulat praxeologisch forschender Autoren einer möglichst direkten Teilnahme an der Praxis entgegen.1312 Ein ausreichend objektiver Blick auf den Gegenstand dieser Arbeit ist schließlich auch durch den Perspektivwechsel gewährleistet, den der Verfasser nach seiner Zeit als externer Berater seit 2020 mit dem Wechsel in die interne Rolle des Organisationsentwicklers in einem Konzern für technische
Prüfdienstleistungen
vollzog.
Maßgeblich
für
die
Gewährleistung
größtmöglicher Objektivität auf die Ergebnisse der Arbeit waren zudem die regelmäßige Teilnahme an Forschungskolloquien und Einzelgespräche mit dem Inhaber und Mitarbeitenden des die Forschungsarbeit betreuenden Lehrstuhls. Eine weitere, häufig unterschätze Angabe betrifft die Position des Forschenden im Feld.1313 Die Beziehung und das Ausmaß der Interaktion zwischen Forschenden und den Befragten der Studie können Einfluss nehmen auf die gegebenen Antworten und somit auch auf das Verständnis des Forschenden für die von ihm untersuchten Phänomene.1314 Die für die Interviews der vorliegenden Studie gewonnenen Teilnehmenden stammen aus dem persönlichen Bekanntenkreis und beruflichen Netzwerk des Autors. Zwei Teilnehmer
waren
zum
Zeitpunkt
der
Befragung
Mitglieder
derselben
Beratungsorganisation, in der auch der Autor tätig war. Es bestand jedoch kein direktes
Dies unterstreicht bspw. Nicolini 2011 in seiner Studie im Bereich der Telemedizin über die Bedeutung der Berufspraxis als Ort von Könnerschaft („practice as the site of knowing“) eindrucksvoll. Bei der dreijährigen Untersuchung handelte es sich um eine ethnographische Studie, im Rahmen derer Nicolini an der täglichen Arbeitspraxis und -routinen von Mitarbeitern im Bereich der Telemedizin teilnahm. Dies umfasste z. B. die Teilnahme an Besprechungen, Workshops und Schulungen (S. 606ff.). 1313 Vgl. Pratt 2009, S. 859. 1314 Vgl. Elder/Miller 1995 und Tong/Sainsbury/Craig 2007. Letztere führen ein Beispiel aus dem klinischen Umfeld an: Einerseits kann ein in die Patientenversorgung eingebundener Forscher ein tiefes Verständnis für die Probleme der Patienten haben. Andererseits könnte diese Einbindung zugleich eine offene Diskussion mit den Patienten als Studienteilnehmende verhindern, wenn diese glauben, dass ihre Antworten die Behandlung beeinflussen könnten (S. 351). 1312
233
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
disziplinarisches Abhängigkeitsverhältnis bzw. kein gemeinsames Projekt zum Zeitpunkt der Befragung.
5.1.2 Teilnehmerauswahl und Rahmenbedingungen Qualitative Forschung „beansprucht eine Generalisierung anhand typischer Fälle“, im Gegensatz zu quantitativer Forschung, die auf Repräsentativität einer Grundgesamtheit fußt.1315 Dementsprechend erfolgte die Teilnehmerauswahl der durchgeführten, nicht repräsentativen Studie anhand typischer Merkmale von Unternehmensberatern, die bereits weiter oben1316 in Anlehnung an die Definition von Paust1317 konkretisiert wurden. So waren alle Teilnehmer vor oder zum Zeitpunkt der Befragung als unternehmensexterne Unternehmensberater im überwiegend nicht-technischem Umfeld tätig. Ein Teilnehmer arbeitete in einer Wirtschaftsprüfungsorganisation und entsprach damit nur bedingt dem „typischen“ Unternehmensberater. Aus den Schilderungen seiner Tätigkeit und der Ausrichtung der von ihm geleiteten Projekte war jedoch ersichtlich, dass die Tätigkeit eher dem Consulting als der Wirtschaftsprüfung zugeordnet werden konnte. Deshalb wurde sein Beitrag in der Ergebnisauswertung mitberücksichtigt. Im Hinblick auf Beratungsunternehmen und -ausrichtung deckt das Teilnehmerfeld ein breites Spektrum ab. Die 16 Befragten waren vor oder zum Zeitpunkt der Befragung Angehörige elf unterschiedlich großer Beratungsunternehmen. Die Ausrichtung ihrer Tätigkeit erstreckte sich von eher operativer bis hin zu strategischer Beratung, wie die Übersicht zu Merkmalen des Teilnehmerfelds in Abbildung 29 zeigt. Was die vertretenen Hierarchiestufen anbelangt, konnten zum Zeitpunkt der Interviews vier Personen der Geschäftsführungs-
bzw.
Partnerebene,
sieben
der
Seniorprojekt-
bzw.
Projektleiterebene und fünf der Senior-Consultant bzw. Consultant-Ebene zugeordnet werden. Die Befragten waren zwischen 26 und 52 Jahre alt und verfügten mit einer angegebenen durchschnittlichen Beratungserfahrung von 9,6 Jahren über eine vergleichsweise hohe Seniorität.1318
Vgl. Akremi 2014, S. 273. Vgl. Kapitel I.1.1.2: Spezifische Merkmale. 1317 Vgl. Paust 2012, S. 53. 1318 Vgl. die Untersuchung von Richter/Dickmann/Graubner 2008, deren befragte Beratende über knapp sieben Jahre Beratungserfahrung verfügten. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass sich dieser Wert auf 1315 1316
234
< 1.000
100 – 1.000
NEM038
KRJ032
MUM063
HUE061
BAR006
SCB055
KOS052
BRR060
SCG059
wm Geschäftsf./ PartnerIn Senior-/ ProjektleiterIn
< 100
Unternehmensgröße (Mitarbeitende)
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
FOL019
BEM008
WEN063
GOM023
BAN054
Eher operativ/prozessorientiert
WER050 KRO053
Senior-/ Consultant NEM038 = Teilnehmer-Code
Eher strategisch/konzeptionell
Ausrichtung der Beratungstätigkeit
Abbildung 29: Merkmale befragter Beratender im Rahmen der Interviewstudie1319 Die Interviews erfolgten entweder telefonisch, per Skype oder persönlich im Büro, am Lehrstuhl oder Kundenstandort der befragten Unternehmensberater. Die Durchführung empirischer Sozialforschung über Telefon und Skype sind als nicht optimal einzustufen, da Elemente der sozialen Interaktion nicht voll ausgeschöpft werden können.1320 Dass dieses Setting den Teilnehmern dennoch angeboten wurde, hatte mit deren hoher Reisetätigkeit und dem Anliegen des Autors zu tun, die „Hürden“ der Teilnahme so gering wie möglich zu gestalten. Die Interviews fanden als Einzelgespräch ohne weitere Teilnehmende statt. Auf Anonymität, Freiwilligkeit und vertrauliche Behandlung der Daten wurde vorab hingewiesen. Auf Wunsch wurde eine Vertraulichkeitserklärung ausgestellt. Jeweils zu Beginn des Interviews wurden den Befragten zudem die der Studie zugrunde liegenden Forschungsfragen mündlich erläutert.
die Zugehörigkeit zu deren Beratungsorganisation zum Zeitpunkt der Befragung bezog: „[…] close to seven years of consulting experience in their firms on average.“ (S. 189). 1319 Quelle: Eigene Darstellung. 1320 Vgl. Bortz/Döring 2006, S. 242.
235
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
5.1.3 Datenerhebung und -auswertung Die Durchführung der Befragung erfolgte teilstrukturiert mittels Interviewleitfaden1321, einem in der empirischen Sozialforschung etablierten und bewährten Instrument.1322 Die Gestaltung des Interviewleitfadens orientierte sich an den, weiter oben1323 vorgestellten, methodischen Leitplanken praktischer Rationalität mit dem Ziel, die Logik der alltäglichen Praxis der Befragten möglichst adäquat zu erfassen. So wurde im Gespräch etwa darauf geachtet, nicht nur das Phänomen Lernen zu thematisieren, sondern auch den situativen Kontext, innerhalb dessen das Lernen stattfand. Dies erfolgte beispielsweise dadurch, dass die Befragten dazu eingeladen wurden, Erlebnisse während ihrer ersten Arbeitstage als Unternehmensberater zu reflektieren: „Welche Rolle spielte das Thema Lernen während Ihrer ersten Arbeitstage als Unternehmensberater? Welche Erlebnisse kommen Ihnen da spontan in den Sinn?“1324 Dies ermöglichte es, Hinweise auf das, die Befragten alltäglich umgebende, relationale Ganze zu gewinnen. Zudem wurden Ausführungen zu bestimmten Situationen Aufmerksamkeit gewidmet, bei denen die Befragten feststellten, dass sie etwas für sie Bedeutsames gelernt hatten.1325 Im Zuge eines solchen „Heranzoomens“
1326
an die Praxis wurden dann nicht nur soziale
Beziehungen thematisiert, sondern auch materielle Aspekte wie der Gebrauch von Artefakten.1327 Um die Logik der alltäglichen Beratungspraxis adäquat zu erfassen, wurden die Studienteilnehmer auch gezielt auf Störungen angesprochen. Von Interesse waren Situationen, in denen etwas nicht (mehr) funktionierte bzw. misslang: „Denken Sie jetzt bitte an eine ganz konkrete Situation im Rahmen Ihrer bisherigen Beratertätigkeit, bei der Sie feststellten, dass Lernen nicht möglich war bzw. eine Lernerfahrung sogar verhindert
Siehe Anhang A4. Vgl. Häder 2010, S. 187 und Bonss 2014, S. 144. Leitfadeninterviews bieten durch die vorgegebene Struktur den Vorteil der besseren Vergleichbar- und Auswertbarkeit des Interviewmaterials. Dennoch verfügt der Befragende über die Möglichkeit und „Spielraum“, von den Fragen abzuweichen, um auf den Befragten einzugehen und neue, relevante Themen zu diskutieren. (Vgl. Bortz/Döring 2006, S. 314). 1323 Vgl. Zwischenbetrachtung (2b): Erfassung der Logik der Praxis. 1324 Vgl. Anhang A4, Frage 2.2. 1325 Vgl. Anhang A4, Frage 3.1. 1326 In Anlehnung an Begriffswahl bei Nicolini 2009b. 1327 Vgl. Schäfer 2016, S. 13f.; Knorr-Cetina 2001; S. 175ff. 1321 1322
236
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
wurde. Was ist da passiert?“1328 Dem liegt die Heideggersche Annahme zugrunde, wonach Individuen erst im Zuge des Erlebens von Störungen damit beginnen, die sozio-materielle Praxis als etwas Getrenntes und Eigenständiges wahrzunehmen. Sie wechseln dann aus der
Verflechtung
mit
dem
sie
umgebenden
relationalen
Ganzen
in
das
erkenntnistheoretische Subjekt-Objekt-Verhältnis.1329 Neben der Thematisierung solcher „Critical Incidents“1330, die den Befragten zu einer vertieften Reflexion über ihre eigene Arbeitspraxis verhelfen sollten, erfolgte zudem die Aufforderung zur Durchführung eines „Instruction to the double“ (ITTD)1331. Sie gaben im Rahmen dessen imaginären Kollegen Ratschläge, um die gleichen Lernerfahrungen wie sie selbst in einer bestimmten Situation durchlaufen zu können: „Stellen Sie sich vor, ein Kollege stünde vor derselben Herausforderung: Welche Anleitung würden Sie ihm geben, um dieselbe Lernerfahrung wie Sie zu durchlaufen?“1332 Aufbau und Inhalt des Interviewleitfadens wurde vor dessen Einsatz mit dem Doktorvater des Verfassers dieser Arbeit abgestimmt. Anschließend erfolgte eine Pilottestung mit einem Bekannten des Verfassers, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu diesem Zeitpunkt an einem Lehrstuhl mit wirtschaftspsychologischer Ausrichtung tätig war. Resultierende Korrekturvorschläge wurden in den Leitfaden eingearbeitet. Um die Praktikabilität des Fragebogens zu testen, wurde dieser schließlich im Rahmen von Vorabinterviews im Bekanntenkreis des Verfassers getestet und die Formulierung der Fragestellung nochmals adaptiert.
5.1.3.1
Material
Die Datenerhebung erbrachte Interviewmaterial von zwölf Stunden Länge. Der geplanten Gesprächsdauer von 30 bis 45 Minuten je Teilnehmer wurde mit einer tatsächlichen durchschnittlichen Gesprächsdauer von 45 Minuten gut entsprochen. Mit Zustimmung der Befragten erfolgte bei allen Interviews eine Tonaufzeichnung mithilfe einer auf einem Smartphone installierten Recording App. Die aufgezeichneten Gespräche wurden
Vgl. Anhang A4, Frage 3.3. Vgl. Heidegger 1996, zuerst 1927, S. 74; Dreyfus 1990, S. 60ff. 1330 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 351 und Chell 2012, S. 47. 1331 In Anlehnung an das „Interview to the double” bei Nicolini 2009a und Nicolini 2009c, S. 126. 1332 Vgl. Anhang A4, Frage 3.2. 1328 1329
237
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
anschließend nach einfachen Regeln1333 von einem Transkriptionsbüro in einem Microsoft Word Dokument transkribiert. Insgesamt liegt transkribiertes Material im Umfang von 248 Seiten vor (Schriftart Arial, Größe 12 und 1,15-facher Zeilenabstand). Seitens der Befragten gab es nach den Interviews keine Anfragen, die erzeugten Transkripte zur anschließenden Kommentierung oder Korrekturprüfung zu erhalten. Die Codierung und systematische Auswertung des Materials erfolgten in Microsoft Excel. Zunehmend ähnliche bzw. sich wiederholende Angaben der Befragten zu Lernpraktiken, deren Faktoren und Manifestation wurden als Anhaltspunkt für eine Sättigung gewertet, weshalb die Studie nach 16 Interviews abgeschlossen wurde. Von dezidierten Maßnahmen zur Bestimmung der Datenqualität bzw. -sättigung, wie beispielsweise zusätzliche
Interviews
Beratungsorganisationen1334,
mit
HR
Professionals
der
involvierten
wurde aus forschungsökonomischen Gründen abgesehen.
Als Indikator dafür, dass die Anzahl der durchgeführten Interviews für eine gute Datengrundlage ausreichend war, wurde zum einen der abnehmenden Neuigkeitsgrad der Aussagen gewertet. Zum anderen wurde der Empfehlung von Robinson für qualitative Forschungsarbeiten gefolgt, der dazu rät, eine Fallzahl zu wählen, „that is sufficiently small for individual cases to have a locatable voice within the study, and for an intensive analysis of each case to be conducted.”1335 Die vorliegende Stichprobengröße von 16 Teilnehmern ermöglichte dies. Sie bot Raum für die Entwicklung fallübergreifender Verallgemeinerungen und ermöglicht es zugleich, dass Individuen innerhalb der Stichprobe eine definierte Identität erhielten, anstatt als anonymer Teil eines größeren Ganzen subsumiert zu werden.1336
Wiederholungen, Stottern, Einwürfe, Pausen und Verständnissignale wurden nicht transkribiert. Vgl. Richter/Dickmann/Graubner 2008, S. 189. 1335 Robinson 2013, S. 29. 1336 Vgl. Robinson 2013, S. 29. Die Festlegung auf eine bestimmte Anzahl ist nicht unumstritten. So stellt Pratt 2009 fest: „Es gibt keine ‚magische Anzahl‘ von Interviews oder Beobachtungen, die in einem qualitativen Forschungsprojekt durchgeführt werden sollten. Was ‚genug‘ ist, hängt davon ab, welche Frage ein Forscher zu beantworten versucht. Zur Veranschaulichung: Wenn ein Forscher die Entscheidungsfindung von Richtern des Obersten Gerichtshofs untersuchen wollte, wäre er oder sie auf eine sehr kleine Stichprobe beschränkt. Um jedoch zu untersuchen, wie drei Kohorten von Ärzten ihre Identitäten während der Dauer ihrer Facharztausbildung veränderten, mussten meine Kollegen und ich (Pratt/Rockmann/Kaufmann 2006) weit über 100 Interviews führen.“ (S. 856) 1333 1334
238
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
5.1.3.2
Vorgehen
Die Zielsetzung der Datenauswertung bestand darin, herauszuarbeiten, welche Ausprägungsformen von Lernpraktiken, darauf einwirkende Faktoren und damit verbundene Manifestation die Befragten in ihrer eigenen Arbeitspraxis beobachten konnten. Die Auswertung des in den Interviews gewonnenen Materials erfolgte mithilfe qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring.1337 Aufgrund des explorativen Charakters bzw. der Offenheit der Fragestellung wurde eine induktive Kategorienbildung als Analyseform gewählt,
deren
Analyseschritte
Abbildung
30
zeigt.
Im
Zuge
eines
Verallgemeinerungsprozesses wurden entsprechend Kategorien zunächst aus dem Material ohne Bezugnahme auf bestehende Theoriekonzepte abgeleitet.1338 Erst im Anschluss wurde überprüft, inwiefern diese mit den Komponenten1339 des entwickelten Bezugsrahmens1340 in Verbindung gebracht bzw. subsummiert werden konnten.1341 Nach erfolgter Festlegung der Zielstellung in Schritt A wurden im Folgeschritt B die Kategoriendefinition vorgenommen. Ihr zufolge sind in den Interviews Aussagen von Relevanz, die sich auf Ausprägungsformen des Lernens bezogen, das den Befragten die gekonnte Ausübung neuer, die veränderte Ausübung bzw. das Verwerfen von Beratungspraktiken ermöglichte.1342 Im Hinblick auf Faktoren wurde in der Erhebung auf die Schilderung von Aspekten geachtet, die dieses Lernen aus Sicht der Befragten lernfördernd bzw. -hemmend beeinflussten.1343 Ebenso wurden Aspekte, die von den Befragten als ein Offenbar- bzw. Erkennbarwerden von Resultaten des Lernens gewertet wurden, als Manifestation festgehalten.1344 Entsprechend dieser Kategoriendefinition wurden im Text 155 Fundstellen identifiziert und als Kodiereinheiten dokumentiert. Auch der Kontext, in dem das Lernen der Befragten stattfand bzw. nicht stattfinden konnte, war Gegenstand des Forschungsinteresses. Deshalb wurde jede Kodiereinheit
Vgl. Mayring 2015. Vgl. Mayring 2015, S. 85. 1339 Vgl. Kapitel II.4.2: Komponenten. 1340 Vgl. Kapitel II.4: Auf dem Weg zu einem konzeptionellen Bezugsrahmen. 1341 Vgl. Mayring 2015, S. 85. Im Gegensatz zum induktiven Vorgehen werden im Zuge eines deduktiven Vorgehens die Kategorien aus Voruntersuchungen oder bestehenden Theoriekonzepten in einem Operationalisierungsprozess auf das Material hin entwickelt. 1342 Vgl. Kapitel II.2.2: Lernen als Entwicklung neuer Könnerschaft. 1343 Vgl. Redaktion Lexikon der Psychologie o. D.a.. 1344 Vgl. Redaktion Lexikon der Psychologie o. D.d. 1337 1338
239
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
einer von 40 Kontexteinheiten zugeordnet. Diese beschreiben die jeweilige Situation, in denen das Lernen der Befragten erfolgen konnte bzw. verhindert wurde („Denken Sie jetzt bitte an eine ganz konkrete Situation, […], bei der Sie feststellten, dass Sie etwas für Sie Bedeutsames gelernt haben.“ bzw. „[…] bei der Sie feststellten, dass Lernen nicht möglich war […]?“1345). Je nachdem, ob gelernt oder nicht gelernt werden konnte, wurde eine positive und eine negative Richtung der Kontexteinheit unterschieden. Im Rahmen der Auswertung des Materials wurde ein mittleres Abstraktionsniveau der Kategorienbeschreibung angestrebt. Entsprechend wurden Aussagen im Material zu Ausprägungsformen von selbst angewandten Lernpraktiken, darauf einwirkenden Faktoren
und
resultierender
Manifestation
schlagwortartig-prägnant
ohne
Berücksichtigung idiosynkratischer Formulierungen schrittweise verdichtet. A
Ziel der Analyse definieren: Exploration von Ausprägung, Faktoren und Manifestation von Lernpraktiken im spezifischen Kontext der Unternehmensberatung.
B
Kategoriendefinition, Abstraktionsniveau und Analyseeinheiten (Kodier-, Kontexteinheit) festlegen.
C
Material durcharbeiten mit Kategorienformulierung, Subsumption bzw. neuer Kategorienbildung.
D
Kategorienkatalog überprüfen nach ~ 50% des Materials.
E
Abschließenden Materialdurchgang und Zuordnung von Ankerbeispielen durchführen.
F
Analyse und Interpretation vornehmen.
Abbildung 30: Gewähltes inhaltsanalytisches Vorgehen1346 Im Zuge der Materialdurcharbeitung in Schritt C wurde der Text identifizierter Kodiereinheiten gemäß Z1-Regel paraphrasiert, gemäß Z2-Regel generalisiert und schließlich gemäß Z3- und Z4-Regel Kategorien zugeordnet.1347 Wurde das
Vgl. Anhang A4: Interviewleitfaden, Frage 3.1 und 3.3. Quelle: Verändert übernommen aus Mayring 2015, S. 86. 1347 Vgl. Mayring 2015, S. 72: Z1: U. a. „streiche ausschmückende und sich wiederholende Wendungen. Übersetze auf einheitliche Sprachebene. Transformiere auf grammatikalische Kurzform.“ Z2: U. a. „generalisiere auf definierte Abstraktionsebene.“ Z3/4: U. a. „fasse Paraphrasen mit ähnlicher Aussage bzw. mit gleichem Gegenstand zusammen.“ 1345 1346
240
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Selektionskriterium im Material als erfüllt betrachtet, wurde möglichst nahe an der Textformulierung, entsprechend des definierten Abstraktionsniveaus, die Kategorie schlagwortartig als Begriff oder als Kurzsatz formuliert. Wurde das Selektionskriterium ein weiteres Mal erfüllt, wurde entschieden, ob die betreffende Textstelle unter die bereits gebildete Kategorie fällt bzw. subsumiert wird oder eine neue Kategorie gebildet werden musste. Nach Durcharbeitung etwa der Hälfte des Materials wurde der entwickelte Kategorienkatalog in Schritt D daraufhin überprüft, ob die gebildeten Kategorien noch der Zielsetzung
der
Abstraktionsniveau,
Analyse adäquat
nahekommen gewählt
und
wurden.
ob Nach
Selektionskriterien, einem
wie
abschließenden
Materialdurchgang und der Zuordnung von Zitaten bzw. Ankerbeispielen1348 zu jeder Kategorie in Schritt E, lag ein in Microsoft Excel dokumentiertes System1349 an Kategorien mit verbundenen Textpassagen aller 16 durchgeführten Interviews zur Interpretation und Analyse vor. Von einer parallelen Kodierung durch (einen) andere(n) Kodierer wurde aufgrund des hohen Aufwands bzw. aus forschungsökonomischen Aspekten abgesehen. Um ein Mindestmaß an Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten, wurde die Dokumentation der Kodierung durch eine weitere Person aus dem Bekanntenkreis des Autors stichprobenartig auf Plausibilität überprüft.1350
5.2
Ergebnisse
Aus praxeologischer Sicht kann der Lernvorgang als ein Phänomen verstanden werden, das im alltäglichen praktischen Engagement situativ in ganz unterschiedlichen soziomateriellen Kontexten stattfindet. Oder, wie es Gherardi ausdrückt: „[…] in everyday
Vgl. Mayring 2015, S. 97: Mayring verwendet den Begriff „Ankerbeispiele“ für angeführte Textstellen, die unter eine Kategorie fallen und als Beispiele für diese Kategorie gelten sollen. 1349 Das verwendete, mit Microsoft Excel erstellte Spreadsheet folgte folgendem Spaltenaufbau zur Bearbeitung der identifizierten Kodiereinheiten: Fallnummer bzw. Teilnehmer-Code, Zeitpunkt im Gespräch, Zeile im Transkript, Frage, Kontexteinheit, Richtung Kontexteinheit, Nummer Kodiereinheit, Paraphrase gemäß Z1-Regel, Generalisierung gemäß Z2-Regel, Kategorisierung gemäß Z3-/Z4-Regeln, Zuordnung Kategorie. 1350 Vgl. Pratt 2009, S. 859: Die Kodierung der Daten durch eine andere Person führt nicht notwendigerweise dazu, dass sie gültig sind. Im Fall der Kodierung von Archivdaten bzw. nicht selbst erhobenen Daten ist es eher angebracht, mehrere Kodierer einzusetzen und ein gewisses Maß an Interrater-Reliabilität zu gewährleisten. Im anderen Extremfall hingegen, z. B. einer ausgedehnten selbst durchgeführten Ethnographie macht es wenig Sinn, von jemand anderem zu erwarten, dass er diese Daten adäquat kodiert – wenn er oder sie nichts über den Kontext oder die beteiligten Personen weiß. 1348
241
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
practices, learning takes place in the flow of experience, with or without our awareness of it.“1351 Für die empirische Illustration des Bezugsrahmens waren entsprechend jene Fundstellen im Material von Interesse, die Situationen beschreiben, in denen die Befragten in ihrer Beratungspraxis nach eigenem Dafürhalten etwas für sie Bedeutsames lernten oder in denen Lernen nicht möglich war bzw. sogar verhindert wurde. Des Weiteren interessierte, wie die Befragten lernten bzw. welche Ausprägung die von ihnen angewandten Lernpraktiken hatten, was aus ihrer Sicht darauf Einfluss nahm und wozu Lernen schließlich führte. Die aus dem Material gewonnene Datenstruktur zur Interpretation und Analyse zeigt Abbildung 31: Insgesamt wurden von den 16 Studienteilnehmern 23 selbst erlebte Situationen (Kontexteinheit S1-23) aus ihrer Beratungspraxis geschildert, in denen insgesamt 63 Lernaktivitäten (Kodiereinheit LA) zur Anwendung kamen, die zu acht Lernpraktiken (LP1-8) zusammengefasst werden konnten.1352 Die acht Lernpraktiken wiederum konnten den, von Hydle und Breunig1353 entwickelten Kategorien des „Lernens i.e.S.“, „Sondierens“ und „Suchens“1354 zugeordnet werden. Deren Anwendung führte entsprechend zu handlungs-, fakten- und personenbezogener Könnerschaft, was aus 26 Fundstellen im Material zur beobachteten Manifestation (Kodiereinheit M1-26) hervorging. Über alle 23 Situationen hinweg konnten insgesamt 38 lernbegünstigende Aspekte (Kodiereinheit LBA1-38) identifiziert werden. In den Interviews wurden unter Berücksichtigung weiterer 17 Situationen (Kontexteinheit S25-41) 28 lernhemmende Aspekte (LHA1-28) erkannt, welche die Ausübung von Lernpraktiken verhinderten.
Gherardi 2000, S. 214. Vgl. Anhang A5-7. 1353 Vgl. Hydle/Breunig 2013, S. 267. 1354 Vgl. Kapitel III.2.1.3: Im Falle der Kategorie des „Suchens“ konnten sechs Lernaktivitäten identifiziert werden, die sich nur indirekt mit Erlangung personenbezogener Könnerschaft assoziieren ließen. Siehe ausführliche Beschreibung in Kapitel III.2.1.3: Suchen zur Entwicklung neuer personenbezogener Könnerschaft. 1351 1352
242
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Situation (Σ 23 Kontexteinheiten)
Lernpraktik bzw. -aktivität (Σ 8 bzw. 63 Kodiereinheiten)
Manifestation (Σ 26 Kodiereinheiten)
Lernbegünst. Aspekte (Σ 38 Kodiereinheiten)*
Legende Lernpraktiken zuordenbar zu Lernen i.e.S
LP1
Sondieren
LA
Suchen
M1-14
LP2
Manifestation zuordenbar zu neuer Könnerschaft
LP3
Handlungsbezogen
LP4 S1-23
Faktenbezogen
LBA1
LA
M15-21
LP5
Personenbezogen
… LBA38
LP6
* Unter Berücksichtigung weiterer 17 Situationen insges. 28 lernhemmende Aspekte identifiziert.
LP7
LHA1
LA
M22-26
S24-40
… LHA28
LP8
Abbildung 31: Datenstruktur für Analyse und Interpretation1355 Im Mittelpunkt der nachfolgenden beiden Kapitel steht die Analyse und Interpretation der einzelnen Komponenten dieser Datenstruktur im Lichte praxistheoretischer Literatur. Während Kapitel III.2.1 auf Lernpraktiken und Manifestation fokussiert, befasst sich Kapitel III.2.2 mit Faktoren, die aus Sicht der Befragten lernfördernden bzw. hemmenden Einfluss ausüben. Kapitel III.2.3. beschäftigt sich schließlich mit dem theoretischen Beitrag des konzeptionell entwickelten und empirisch illustrierten Bezugsrahmens im Hinblick auf das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit.
5.2.1 Lernpraktiken und Manifestation Als überindividuelle Aktivitätsmuster verstanden, ermöglicht die Anwendung und Reproduktion von Lernpraktiken Beratenden die gekonnte Ausübung neuer, die Anpassung
bestehender,
sowie
das
Verwerfen
nicht
benötigter
bzw.
nicht
funktionierender Beratungspraktiken.1356 Lernpraktiken können dabei individuell durch den Beratenden selbst vollzogen werden, gemeinsam mit anderen Beratenden oder unter Einbeziehung von externen Akteuren, wie bspw. Führungskräften auf Auftraggeberseite.
1355 1356
Quelle: Eigene Darstellung. Vgl. Kapitel II.2.3.2: Verortung von Lernpraktiken.
243
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Im Rahmen der Interviews schilderten die Befragten, im Zuge welcher Aktivitäten sie in selbst erlebten Situationen ihrer Beratungspraxis lernten.1357 Die befragten Beratenden berichteten von 14 Situationen in ihrer Beratungspraxis, in denen die Anwendung von insgesamt 30 Lernaktivitäten zu Ergebnissen führte, die mit der Erlangung neuer handlungsbezogener Könnerschaft beschrieben werden kann (siehe Übersicht in Anhang A5). Die genannten Lernaktivitäten können zu den Praktiken gemeinsam denken (GD), ausprobieren (A) und beobachten (B) zusammengefasst und der Kategorie des Lernens i.e.S. zugeordnet werden (Kapitel III.2.1.1). Im Rahmen der Schilderung von weiteren sieben Situationen wurden 27 Aktivitäten genannt zur Erlangung neuer faktenbezogener Könnerschaft (siehe Übersicht in Anhang A6), die sich zu den Praktiken gemeinsam entwickeln (GE), recherchieren (R) und strukturieren (S) zusammenfassen und der Kategorie des Sondierens zuordnen lassen (Kapitel III.2.1.2). Schließlich wurde von fünf Situationen berichtet, im Rahmen derer sechs Aktivitäten zur Erlangung neuer personenbezogener Könnerschaft angewendet wurden (siehe Übersicht in Anhang A7). Diese lassen sich mit den beiden Praktiken andere suchen (ANS) und sich selbst suchen (SIS) beschreiben und der Kategorie des Suchens zuordnen (Kapitel III.2.1.3). Abbildung 32 gibt die Zuordnung der insgesamt acht identifizierten Lernpraktiken (dunkel hinterlegt) zu den Kategorien des Lernens i.e.S., des Sondierens und Suchens wieder.
Aufgrund des Forschungsinteresses an Lernpraktiken, die in der alltäglichen Arbeitspraxis reproduziert werden, wurden Praktiken im Kontext besuchter Trainingsmaßnahmen mit dem primären Ziel der Wissensvermittlung nur indirekt berücksichtigt. Solche formell organisierten Lernformate wurden als lernfördernde Determinante berücksichtigt, wenn sie zur Reproduktion von Lernpraktiken in der Beratungspraxis der Befragten führten.
1357
244
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Faktoren
Lernpraktiken
Manifestation
(63 Lernaktivitäten) Partizipation an Beratungspraxis
Existenz fördert / Abwesenheit hemmt
Reproduktion von Lernpraktiken
Existenz verstärkt / Abwesenheit vermindert
Zugang zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken
Ermöglicht Entwicklung Lernen i.e.S.
Rahmenbedingungen epistemischer Gemeinschaften
Neue Könnerschaft handlungsbezogen
Gemeinsam denken (14)
Ausprobieren (10) Beobachten (6)
Gelegenheiten für gemeinsames Denkens
Autonomie
Neue Könnerschaft faktenbezogen
Sondieren Gemeinsam entwickeln (11) Abwechslung
Recherchieren (9) Strukturieren (7)
Gemeinsam nutzbare Artefakte
Suchen
Neue Könnerschaft personenbezogen
Andere suchen (3) Sich selbst suchen (3)
Abbildung 32: Identifizierte Lernpraktiken und Manifestation1358
5.2.1.1
Lernen
i.e.S.
zur
Entwicklung
neuer
handlungsbezogener
Könnerschaft In mehr als der Hälfte aller (14 von 23), während der Interviewstudie geschilderten Lernsituationen berichteten die Befragten von Lernaktivitäten, die mit Praktiken des Lernens i.e.S. zur Erlangung neuer handlungsbezogener Könnerschaft in Verbindung gebracht werden konnten. Die Befragten gaben insgesamt 30 Lernaktivitäten an, die ihnen in der Beratungspraxis zu kompetentem Tun bzw. zu kompetentem Handlungsvollzug mit Bezug auf Beratungspraktiken verhalf. Mittels induktiver Kategorienbildung wurden die Lernaktivitäten des Lernens i.e.S. zu den Lernpraktiken „gemeinsam denken“ (Abschnitt 1), „ausprobieren“ (Abschnitt 2) und „beobachten“ (Abschnitt 3) zusammengefasst. Tabelle 1 illustriert diese anhand beispielhaft zugeordneter Lernaktivitäten und Schlüsselzitaten.
1358
Quelle: Eigene Darstellung.
245
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Lernpraktik
Lernaktivität (bsph.)
Zitat (bsph.) und Manifestation
Gemeinsam denken
Im Team Eine Projektleiterin erinnert sich an eine Situation, in Situation der die Arbeit ihres Teams von Kundenseite massiv durchspielen kritisiert wurde, was zu großer Verunsicherung führte. Sie lernte in dieser Situation, die konfliktäre Situation zu entschärfen: „[…] haben wirklich die Situation nochmal durchgespielt und […] die einzelnen Spieler seziert, also einzeln hingestellt und gesagt: Was sind die Motivationen? Wer meidet hier gerade wen? Also wir haben uns alle möglichen Fragen gestellt, um irgendwie für uns herauszubekommen, was das Thema ist. Und das hat natürlich wahnsinnig geholfen.“ (MUM036-307-311) Im Team eigenes Vorgehen reflektieren
Ein Senior Projektleiter berichtet von einer Situation, in der Agieren in politischem Umfeld gefragt war und man sich im Team zunächst zu sehr auf inhaltliche Aspekte konzentrierte. Er lernte in dieser Situation, das Projektvorgehen noch enger mit Erwartungen des Auftraggebers abzustimmen. „Wir haben uns zusammengesetzt und überlegt, uns auch noch einmal selber reflektiert: Gibt es irgendetwas, was wir hätten besser machen können? Fachlich, inhaltlich, haben wir wenig gesehen. Haben gesagt, eigentlich haben wir da sehr, sehr viel Gutes erarbeitet. Aber eben auch dann gesagt: Vielleicht haben wir zu wenig diese Störfeuer berücksichtigt.“ (WER050-151-155)
Ausprobieren
Verhaltensweisen probieren
Ein Senior Projektleiter erinnert sich, als externer Berater eingekauft worden zu sein, um eine unbequeme Meinung zu vertreten. Er lernte in dieser Situation, Botschaften adressatenbezogen zu gestalten. „Jetzt habe ich etwas ausprobiert. Hat nicht so gut funktioniert. Probiere ich das Nächste. Und das eine hat gut funktioniert, dann verstärke ich das.“ (BAR006-227229)
Versuchen und Rückmeldungen anderer auswerten
Ein Consultant erinnert sich an ihren Berufseinstieg, als sie lernte, ihren persönlichen Schreibstil in E-Mails zu entwickeln. „Also ich denke mal, in erster Linie Trial & Error im Prinzip. Also ich habe erst etwas versucht. Dann wurde mir 246
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Rückmeldung gegeben, was falsch war oder ich habe mir die Rückmeldung dann aus den Emails rausgezogen, die versendet wurden. Und habe einfach geguckt, was hat sich geändert. Und ich habe versucht, möglichst viel davon in der nächsten E-Mail zu verwenden und umzusetzen.“ (WEN063-152-156) Beobachten
Führungskraft beobachten
Ein Consultant berichtet von seinem ersten Kundenworkshop, in dem die Agenda während des Termins „komplett über den Haufen geworfen“ (BAN05473-73) wurde. Er lernte in dieser Situation, eine vorbereitete Agenda während der Veranstaltung anzupassen. „Indem ich meine Führungskraft sehr aufmerksam beobachtet habe, die das - wie ich finde - ganz gut hinbekommen hat. Also ich habe auch da wieder mir angeschaut: Wie kläre ich solche Sachen, oder wie hat meine Führungskraft das in dem Fall abgeklärt?“ (BAN054-103-106)
Kollegen beobachten
Senior Consultant berichtet von einer Projektsituation während des Aufbaus eines MVNO1359, in dem er von einem Kollegen lernte, klare Botschaften zu überbringen und harte Terminfristen zu setzen. „Also ich habe da mit einem Kollegen auf dem Projekt gearbeitet. Und der hat beim Kunden immer wieder Druck gemacht, dass die die Verträge schneller abschließen als es der Fall war und mir kam das ein bisschen pushy vor, habe aber gelernt, dass […] wenn es sehr operativ wird, dass man die Deadlines starr vorgeben muss und dann auch wirklich aus seiner Komfortzone manchmal so ein bisschen rausgehen muss und den Kunden, ich will nicht sagen dazu drängen, aber sehr stark daran erinnern, dass eben das Gesamtprojekt davon abhängt, dass er seine Entscheidung trifft.“ (KRO053-117-124)
Tabelle 1: Lernpraktiken und -aktivitäten des Lernens i.e.S.
1359
Engl. Mobile Virtual Network Operator: Mobilfunkanbieter ohne eigenem Mobilfunknetz.
247
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
5.2.1.1.1
Gemeinsam denken
Knapp die Hälfte (14 von insgesamt 30) aller genannten Lernaktivitäten, die im Zuge der Materialauswertung mit Entwicklung neuer handlungsbezogener Könnerschaft in Verbindung gebracht werden konnten, lassen sich zu einer Lernpraktik zusammenfassen, die mit „gemeinsam denken“ beschrieben werden kann. Es handelt sich damit um die von den Befragten am häufigsten thematisierte Lernpraktik. Die entsprechenden Textstellen enthalten Aussagen, die auf den weiter oben1360 thematisierten Vorgang des „Thinking together“ von Pyrko und Kollegen schließen lassen.1361 Angesichts problematischer Situationen mit geringem Determiniertheitsgrad erwies es sich aus Sicht der Befragten als nutzbringend, gemeinsam mit Kollegen zu reflektieren und Wissen zur möglichen Problemhandhabung auszutauschen und in enger Interaktion fortzuentwickeln. Die Problematik wurde für die Beratenden zumeist an Kundenkritik bzw. an einer Verschlechterung des Verhältnisses zum Auftraggeber erkennbar. Entsprechend der Heideggerschen Vorstellung eines, mit seiner Praxis verflochtenen Individuums und der Konsequenzen von darin auftretenden Störungen1362 wurde dies von den Befragten als eine Störung ihrer Beratungspraxis erlebt, die die Arbeitsroutine unterbrach und zu einem bewussten Hinterfragen von möglichen Ursachen und des eigenen Tuns führte. Die Herausforderung bestand aus Sicht der Beratenden darin, dass es sich nicht um fachliche Kritik mit konkretem Bezug auf entwickelte Konzepte bzw. Inhalte der Beratung handelte. Vielmehr fühlte man sich einer pauschal empfundenen Ablehnung ausgesetzt und fand sich in der Rolle eines „Blitzableiters, Sündenbocks“1363 des Auftraggebers wieder. Man hätte die Abstimmung mit dem Auftraggeber bzw. dessen „Störfeuer“1364 vernachlässigt oder wäre schlicht über das eigentliche Ziel hinausgeschossen. Der Erinnerung eines befragten Projektleiters nach hat sich infolgedessen das „PMO1365 Team auf Kundenseite […] komplett abgekapselt, hat die Kommunikation mit uns gemieden.“1366 Auch die Vorstellung einer mit seinem Team entwickelten „Roadmap“ zur Umsetzung von
Vgl. Kapitel II.3.2.2: Vorgang gemeinsamen Denkens. Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017. 1362 Vgl. Zwischenbetrachtung (2b): Alternatives Konzept praktischer Rationalität. 1363 MUM036-291-291. 1364 WER050-155-155. 1365 Projektmanagement Office bzw. -büro. 1366 KRJ032-138-139. 1360 1361
248
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Verbesserungsvorschlägen erwies sich als vergeblich und er musste erkennen, dass „auf diese Roadmap auf Kundenseite überhaupt kein Wert gelegt wurde“1367. Wie auf solche Störungen der Beratungspraxis bzw. Projektroutine zu reagieren war, erschloss
sich
den
Beratenden
zunächst
nicht.
Es
fehlten
geteilte
Interpretationsschemata. Die Frage nach adäquatem Reagieren bzw. Handeln erschien weitgehend unklar.1368 In Situationen wie diesen erwies es sich als nützlich, sich im Kollegenkreis gegenseitig Fragen zu stellen oder Situationen im Team „durchzuspielen“ oder die Projektbeteiligten zu „sezieren“1369. Gemeinsam mit Kollegen, Führungskräften oder Coaches befasste man sich im Sinne eines geteilten Verweilens1370 mit einer konkreten Problemstellung der eigenen Beratungspraxis. Es handelte sich um den Versuch, ein gemeinsames Problemlösungsverständnis (fort-) zu entwickeln. Auf weitere Ausprägungsformen gemeinsamen Denkens weisen Aussagen im Material hin, die gemeinsame Reflexion von Erfahrungen, den Austausch mit Erfahrungsträgern und das gemeinsame Hinterfragen der eigenen Vorgehensweise thematisierten.1371 Neue handlungsbezogene Könnerschaft der Beratenden zeigte sich dann etwa in der gekonnten Ausübung kommunikativer Praktiken in ihrer Beratungspraxis. So lernten die befragten Beratenden konfliktäre Situationen zu entschärfen. Einem weiteren befragten Senior Projektleiter zufolge, manifestierte sich dessen Ausübung gemeinsamen Denkens darin, dass er lernte, sein Projektvorgehen noch enger mit Erwartungen des Auftraggebers abzustimmen. Im Rahmen einer „Instruction to the double“ (ITTD)1372 während des Interviews gab er einem fiktiven Kollegen deshalb detaillierte Empfehlungen, wie man sich in einer solchen Situation seiner Ansicht nach verhalten sollte: „Puh. … Also ich würde ihm raten, sich oft Feedback, also auch auf der Metaebene Feedback zum aktuellen Projektstand einzuholen, sowohl wenn ein Partner auf dem Projekt ist. Auch wenn alles scheinbar gut läuft, auch noch einmal vom Kunden aus zu reflektieren. […] Sind
KRJ032-210-211. Vgl. Kapitel II.3.2.1: Merkmale problematischer Situationen. 1369 MUM036-308-308: Sezieren i. S. v. beschäftigen mit der Frage: Was sind deren Motivationen? Wer meidet wen? 1370 Vgl. Kapitel II.3.2.2 (1): Exkurs: Polanyis Indwelling. 1371 Vgl. Anhang A5: Ausprägungen neuer handlungsbezogener Könnerschaft. 1372 Vgl. Interviewleitfaden in Anhang A4, Frage 3.2: „Stellen Sie sich vor, ein Kollege stünde vor derselben Herausforderung: Welche Anleitung würden Sie ihm geben, um dieselbe Lernerfahrung wie Sie zu durchlaufen?“ 1367 1368
249
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
alle mit an Bord? Das Thema immer wieder proaktiv zu diskutieren. […] Eher auch zu oft Leute, noch früher mit zu involvieren. Auch mal nochmal eine Statusinfo an den Geschäftsführer zu schicken. Also informieren, informieren, informieren. […] Und auch noch mehr informelle Meetings machen. Also Mittagessen, durch Gespräche rauszuhören, passt das alles? Ist das Projekt on track? Gibt es irgendwo gegenläufige Tendenzen zu anderen Projekten? Gibt es irgendwo Störräume im Projekt mit Risiken?“ 1373 5.2.1.1.2
Ausprobieren
Zehn von insgesamt 30 in den Interviews genannten Lernaktivitäten zur Erlangung neuer handlungsbezogener Könnerschaft ließen sich in der Auswertung mit „ausprobieren“ kategorisieren. Im Sinne von „Trial and error“ wurden eigene Verhaltensweisen probiert und mitunter anhand von Rückmeldungen ausgewertet. Die entsprechenden Textstellen enthalten Aussagen, die auf das weiter oben1374 vorgestellte „aktive Experimentieren“ als vierte Phase von Kolbs Lernzyklus1375 schließen lassen. Aus praxistheoretischer Perspektive kommt hingegen darin die Charakterisierung von Lernen als eine praktische Errungenschaft („practical accomplishment"1376) zum Ausdruck: Für juniore Beratende standen „handwerkliche“ Fertigkeiten im Vordergrund wie der gekonnte Umgang mit Bürosoftware. Dabei handelte es sich nicht immer nur um den geschickten Umgang mit den, insbesondere mit Beratung gerne assoziierten Programmen für Präsentations- und Tabellenkalkulationszwecke.1377 Es ging auch um ganz grundlegende Anwendungen. Eine befragte Beraterin probierte etwa während ihres Berufsstarts unterschiedliche Formulierungen in E-Mails aus, um anhand der kundenseitigen Reaktionen den eigenen Schreibstil anpassen und fortzuentwickeln zu können. Für seniore bzw. erfahrene Beratende standen hingegen Fertigkeiten im Vordergrund, die die Interaktion mit den Auftraggebern betrafen. Ein Senior Projektleiter erinnert sich an ein Projekt, für das er als externer Berater eingekauft wurde, um eine unbequeme Meinung zu vertreten. Ihm, dem zuvor noch eine „aggressive Außenwirkung“1378 attestiert wurde, gelang es mithilfe eines
WER050-238-251. Vgl. Kapitel I.3.2.1 (1): Unmittelbare eigene Erfahrung. 1375 Vgl. Kolb 1984, S. 42. 1376 Gherardi/Nicolini/Odella 1998, S. 274. 1377 Vgl. exempl. Student 2006. 1378 BAR006-330-330. 1373 1374
250
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Coaches, anhand von Ausprobieren in alltäglichen Situationen, seine Botschaften zunehmend adressatenbezogen zu gestalten. Eigenen Angaben zufolge sei er dadurch „nicht nur feinfühliger, sondern auch in seinen Botschaften klarer“1379 geworden. Den Schilderungen der Befragten nach handelt es sich beim Ausprobieren, im Gegensatz zur Lernpraktik gemeinsamen Denkens, um einen Vorgang, der zumeist ohne direkte Beteiligung anderer Beratenden erfolgte. So sprach sich ein Senior Consultant eine Kundenpräsentation im geschützten Umfeld selbst vor: „Also am Abend zuvor im Hotelzimmer habe ich dann versucht, punktuell genau dann da die Sachen zu sprechen, einfach mir selbst vorzusprechen, um dann da die Kunden oder das Auditorium bestmöglich auf die wesentlichen Punkte hinzuweisen.“1380 Neue handlungsbezogene Könnerschaft zeigte sich in diesem Fall darin, vor dem Kunden sicher zu präsentieren und sich erfolgreich als Experte gerieren zu können: „Und aufgrund der Vorbereitung habe ich so viel Sicherheit, dass ich dann genau das erzähle, was ich mir vorher überlegt habe.1381 Dies trug aus Sicht des befragten Senior Consultant dazu bei, „dass ich als Ansprechpartner der Teams entsprechend wahrgenommen worden bin, trotz meines jungen Alters. Das fand ich […] einen großen Lerneffekt, souverän in Themenstellungen reinzugehen, obwohl man keine Ahnung hat.“1382 Ausprobieren kam zudem in einem Vordenken und Vorleisten zum Ausdruck. So erinnerte sich ein befragter Projektleiter, der von Kollegen in Anlehnung an eine politisch versierte US-Sicherheitsberaterin den Namen „Condoleezza Rice“1383 erhielt, an die Vorbereitung von Kundengesprächen. Anhand des Durchdenkens möglicher Reaktionen der jeweiligen Gesprächspartner probierte er adäquates Verhalten aus. Dadurch brachte er sich bei, antizipativ zu denken und sich in der Gesprächssituation entsprechend zu verhalten. Es ging ihm darum, „im Kundenprojekt immer im Vorfeld zu überlegen, wie wird die Reaktion sein? Einfach schon mal zu denken: Was kann man vorbereiten? Also in
BAR006-252-253. GOM023-297-300. 1381 GOM023-303-304. 1382 GOM023-065-068. 1383 BRR060-150-150. 1379 1380
251
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Szenarien denken, ein ganz starkes Antizipieren. Und das, glaube ich, zeichnet mich heute aus [...]“1384. 5.2.1.1.3
Beobachten
Der Beobachtungsvorgang spielt nicht nur in Erklärungsansätzen traditioneller Prägung einen zentralen Aufsatzpunkt für lerntheoretische Überlegungen, wie dies bereits in der Vorstellung von Banduras Arbeit zum Modelllernen zum Ausdruck kam.1385 Auch praxistheoretisch argumentierende Autoren erachten in der Beobachtung eine wichtige Lernquelle.1386 In diesem Zusammenhang wurde vermutet, dass der bewusste Beobachtungsvorgang für Beratende mit noch wenig Berufserfahrung bedeutsam sein kann, wenn sie dadurch im Rahmen ihrer ersten Projekteinsätze einen Eindruck davon gewinnen können, wer in das Projekt involviert ist und wie diese Personen handeln. Es kann dann beobachtet werden, wie sich erfahrenere Kollegen und Vorgesetzte verhalten, wie zwischen Beratenden und dem Auftraggeber kommuniziert wird. Aus angestellten Beobachtungen von Kollegen können möglicherweise auch Erkenntnisse resultieren, welche Anforderungen an die eigene Arbeit gestellt werden. Auch im Interviewmaterial ließen
sich
sechs Textstellen
identifizieren,
die
Lernaktivitäten zur Erlangung neuer handlungsbezogener Könnerschaft beschrieben und sich in der Auswertung mit „beobachten“ kategorisieren ließen. Mit einer Ausnahme wurde diese von junioren Beratenden genannt, die beispielsweise im Rahmen des ersten Kundenworkshops das Verhalten ihrer Führungskraft beobachten. Ein Consultant berichtete im Interview, dass ihm als Berufsanfänger dort nur eine passive Teilnahme eingeräumt wurde. Als während der laufenden Veranstaltung deutlich wurde, dass sich führende Vertreter auf der Auftraggeberseite uneins waren bzgl. der Zielsetzung des Workshops, richtete der befragte Consultant seine Beobachtungen bewusst auf das Verhalten seiner Führungskraft. Die vorübergehende Störung sorgte dafür, dass die vorbereitete Agenda „komplett über den Haufen geworfen“1387 werden musste. Für den Consultant war es nun interessant zu beobachten, wie seine Führungskraft in dieser
BRR060-109-112. Vgl. Kapitel I.3.1: Beobachtungslernen nach Bandura. 1386 Vgl. Kapitel II.3.1.2 (1): Bewusste Beobachtung. 1387 BAN054-073-073. 1384 1385
252
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Situation agierte. Eigenen Angaben zufolge lernte er in dieser Situation für seine kommende Beratungspraxis, eine vorbereitete Agenda während der Veranstaltung anzupassen. Als Objekt der Beobachtung wurde nicht nur die Führungskraft genannt. So war es in einer weiteren geschilderten Situation auch der Kollege, der beobachtet wurde. Ein befragter
Berater
konnte
ihn
während
eines
Projekts
zum
Aufbau
eines
Mobilfunkunternehmens dabei beobachten, wie er dem Auftraggeber gegenüber deutlich kommunizierte und Terminfristen einforderte. Er gab an, dadurch gelernt zu haben, „dem Kunden klare Botschaften zu überbringen und harte Deadlines zu setzen“ 1388. Eine weitere Befragte erinnerte sich an ihren Berufseinstieg im Zuge dessen ihr die Beobachtung von Artefakten, wie die von anderen Personen verfassten E-Mails, dabei half, den eigenen Schreibstil fortzuentwickeln. Wenn es keine Anleitung gab, musste sie sich diese „halt aus den Emails, die dann weggeschickt wurden oder Emails, die ich dann von meinem Mentor bekommen habe, ableiten“1389.
5.2.1.2
Sondieren zur Entwicklung neuer faktenbezogener Könnerschaft
In sieben von 23, während der Interviewstudie geschilderten Lernsituationen berichteten die Befragten von Lernaktivitäten, die mit Praktiken des Sondierens und Erlangung neuer faktenbezogener Könnerschaft in Verbindung gebracht werden können. Die Befragten gaben an, dass ihnen die Anwendung dieser Lernaktivitäten zur gekonnten Nutzung von verfügbaren Daten und Informationen in ihrer Beratungspraxis verhalf. Mittels induktiver Kategorienbildung konnten die Lernaktivitäten des Sondierens zu den Lernpraktiken „gemeinsam entwickeln“ (Abschnitt 1), „recherchieren“ (Abschnitt 2) und „strukturieren“ (Abschnitt 3) zusammengefasst werden. Tabelle 2 illustriert diese Lernpraktiken anhand beispielhaft zugeordneter Lernaktivitäten und Schlüsselzitate.
1388 1389
KRO53-125-126. WEN063-158-160.
253
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Lernpraktik
Lernaktivität (bsph.)
Gemeinsam Iterativ im entwickeln Dialog mit Führungskraft und Kollegen entwickeln
Zitat (bsph.) und Manifestation
Ein Projektleiter erinnert sich an die Vorbereitungsphase eines Projektes, in der er lernte, Hypothesen zu einer Problemstellung als Grundlage für die Arbeitsplanung zu formulieren. „[…] die größte Lernhilfe ist es eben, wenn man es im Dialog entwickelt, also in einem Sparring, dass man sich Gedanken macht, in Vorleistung geht, […]in Schleifen lernt. Immer iterativ, aber eben halt nicht nur in seinem eigenen Kämmerlein und in seinem eigenen Saft, sondern eben mit dem Vorgesetzten oder mit Peers darauf schaut und diskutiert und anpasst.“ (BRR060-266-271)
Dem Kunden Ein Consultant berichtet von der Situation in einem erklären Restrukturierungsprojekt, in der er lernte, einen Produktansatz für Change-Management nachzuvollziehen. „Dann sicherlich auch das Ganze dem Kunden zu erklären, damit er das versteht, Fragen eingeht […]. Und ich glaube die ganze Mischung macht es, also wirklich die Diskussion, die Beschäftigung damit: Was heißt es wirklich im Kern? Wie kann ich das gut transportieren? Was ist wirklich wichtig? Und dann eben im Gespräch mit dem Kunden […] noch mal einen anderen Blickwinkel darauf zu bekommen […].“ (KOS052-205-211) Recherchieren
1390
Schlau wirkende Fragen stellen
Ein Projektleiter berichtet von seinem Start in einem Projekt zur Einführung eines ERP-Systems1390, in dem er sich Systemverständnis aneignete. „[…] gerade am Anfang ist es eigentlich immer der Versuch des Pokerface, den Kunden möglichst viel erzählen zu lassen, viele Fragen zu stellen. Aber eben Fragen, die möglichst schlau wirken […].“ (NEM038-163-165)
Software für Enterprise Resource Planning bzw. Ressourcenplanung eines Unternehmens.
254
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Strukturieren
Mit Fachleuten in der eigenen Organisation sprechen.
Senior Projektleiter erinnert sich an einen Projekteinsatz ohne Anleitung „im kalten Wasser“ (SCB055-192-192), in dem er Möglichkeiten der Währungssicherung ermitteln lernte.
Mitschriften in eine Struktur bringen
Geschäftsführer denkt zurück an die Vorbereitung auf eine Ergebnispräsentation, die er kurzfristig stellvertretend für seinen damaligen Vorgesetzten halten musste. Hier lernte er in „einer Nacht“ (FOL019-104105), ein Verständnis von Ergebnissen eines Projekts zu entwickeln, in das er bis dato nicht involviert war.
„Und in so einer großen Organisation, weltweit sind es über 100.000 Leute, gibt es natürlich Fachleute, die dieses Thema schon in x Verästelungen bearbeitet haben. […]. Und je öfter man dann mit denen spricht […], geht einem dann ein bisschen mehr ein Licht auf […]. (SCB055-389395)
„[…] als ich dagesessen bin und versucht habe meine ganzen Mitschriften, die ich da irgendwie gemacht hatte zu sortieren und für mich in eine Struktur zu bringen. [...] Da habe ich halt versucht, mich irgendwie zu strukturieren. Also ich glaube, ich hatte 350 Moderationsoder Karteikarten geschrieben.“ (FOL019-151-168) Aus Präzedenzfällen Muster ableiten
Partner über die Situation am Anfang eines Projekts zur Preisoptimierung für eine Fluggesellschaft, in der er mithilfe seines Teams lernte, aus Daten Optimierungspotenzial abzuleiten. „Unser Ansatz war folgender, dass wir auf der Basis […] von Präzedenzfällen uns mal ganz bewusst angeschaut haben: Wie verhalten sich Flugpreise von bestimmten ausgewählten Routen in unterschiedlichen Situationen? […] Um daraus erst einmal Bilder zu kreieren und aus diesen Bildern heraus Muster abzuleiten. [...] Und um auf der Basis dieser Muster letztendlich zu sehen: Okay, wie kann ich hier eine Verbesserung durchführen?“ (SCG059155-161)
Tabelle 2: Lernpraktiken und -aktivitäten des Sondierens 5.2.1.2.1
Gemeinsam entwickeln
Gut ein Drittel (10 von 27) der genannten Lernaktivitäten, die im Zuge der Materialauswertung
mit
Entwicklung
neuer
faktenbezogener
Könnerschaft
in
Verbindung gebracht werden konnten, lassen sich zu einer Lernpraktik zusammenfassen, 255
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
die sich mit „gemeinsam entwickeln“ beschreiben lässt. Ähnlich der Lernpraktik des gemeinsamen Denkens zur Erlangung neuer handlungsbezogener Könnerschaft basiert gemeinsames Entwickeln auf der Interaktion mit und der Rückmeldung von anderen Individuen. Im Unterschied zu gemeinsamem Denken geht es jedoch nicht um Reflexion zur Problemhandhabung. Es geht vielmehr um die Entwicklung von Strukturen, die dazu dienen, verfügbare Daten und Informationen aufzubereiten bzw. nutzbar zu machen. Gerade im Kontext von Beratungsprojekten gilt es hier die Aspekte zeitlicher Befristung und begrenzter Ressourcen im Hinblick auf Kosten und Mitarbeiterumfang zu berücksichtigen.1391 So berichtet ein Projektleiter davon, dass er während der Projektvorbereitung lernte, Hypothesen zu einer gegebenen Problemstellung als Grundlage für die Arbeitsplanung zu formulieren. Dies diente ihm dazu, die personellen Kapazitäten von Beratungsteams möglichst effizient einzusetzen. Ein häufiges Problem in der Beratung sei es schließlich, dass man „seine Teams quasi in viele Richtungen schickt, sie ganz viel arbeiten lässt und vieles davon einfach nicht relevant war, weil man es sich vorher noch nicht so genau überlegt hatte“1392. Dem vorzubeugen gelang ihm dadurch, indem er ein Artefakt in Form eines schriftlich festgehaltenen Hypothesenbaums1393 im Dialog mit Kollegen oder seiner Führungskraft entwickelte. Er betonte dabei das iterative Vorgehen, das darin bestand „nicht nur in seinem eigenen Kämmerlein und in seinem eigenen Saft“1394, sondern selbst entwickelte Inhalte immer wieder iterativ mit anderen Personen zu betrachten und zu diskutieren. Dies bedeutete: „Fassung 1 […] entwerfen, Hypothesen entwickeln. Anschauen: Ist es das jetzt? Liegen lassen und damit dann zum Kollegen oder Manager gehen und sagen: So, das wäre jetzt irgendwie die Art und Weise, wie ich da an das Problem herangehen würde.“1395 Aus seiner Sicht lernte er, indem er die Möglichkeit hatte, entwickelte Hypothesen „gemeinsam mit jemand durchgehen, was man sich gedacht hat. Da versteht es der Kollege, und logischerweise im Dialog entstehen zusätzliche Ideen. Also man tauscht aus, passt die Hypothese an […] und kommt dann auf einen neuen Stand. Ja, und dann, wenn man es mit den Analysen füllt, dann bestätigt oder nicht bestätigt wird, dann wird der Hypothesenbaum ja auch sukzessive wieder
Vgl. Gschmeidler/Lindner 2001, S. 328. BRR060-308-310. 1393 Vgl. Problemstrukturierung anhand eines beispielhaften Hypothesenbaums in Anhang A1. 1394 BRR060-269-269. 1395 BRR060-275-279. 1391 1392
256
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
angepasst“1396. Neu erlangte faktenbezogene Könnerschaft wurde in diesem Fall in der iterativen Entwicklung eines, „in eine Präsentation überführten Denkkonstrukts“1397 manifest. Gemeinsames Entwickeln fand jedoch nicht nur zwischen Beratenden statt. Im Sinne des, in der Definition von Paust von Unternehmensberatung zum Ausdruck kommenden interaktiven Charakters der Leistungserbringung1398, fand gemeinsames Entwickeln auch mit Vertretern der Auftraggeberseite statt. So erinnert sich ein Consultant an ein Restrukturierungsprojekt, das auch ein Mandat für eine Change-Management Begleitung beinhaltete. Für die beteiligten Beratenden war dies keineswegs Routine: „Beim ersten Projekt, das wir hatten, war das ja komplett alles neu. Da musste man jeden Termin komplett neu vorbereiten und überlegen, was wir da eigentlich machen.“1399 Hier lernte er den Ansatz auch
erst
dadurch
zu
verstehen,
indem
er
diesen
im
Rahmen
eines
Restrukturierungsprojekts dem Auftraggeber vorstellte. Dadurch, dass er den Ansatz erklärte, auf Fragen einging vermochte er „im Gespräch mit dem Kunden […] noch mal einen anderen Blickwinkel darauf zu bekommen“1400 und neue faktenbezogene Könnerschaft zu entwickeln. 5.2.1.2.2
Recherchieren
Ebenfalls zehn von 27 genannten Lernaktivitäten, die mit Entwicklung neuer faktenbezogener Könnerschaft in Verbindung gebracht werden können, lassen sich mit „recherchieren“ beschreiben. Dazu zählen zunächst individuelle Recherchevorgänge wie das Studieren einschlägiger Fachliteratur, lesen, „Wissensplattformen durchforsten“1401 oder „einfach mal drauf los googlen“1402 zur (Fort-)entwicklung des persönlichen Wissensstandes. Angesichts der hohen Wissensintensität, die Beratung auszeichnet1403, überrascht dies nur wenig. Mit der Mandatierung Beratender erwarten Auftraggeber
BRR060-275-285. BRR060-299-299. 1398 Paust 2012, S. 53. 1399 KOS052-038-040. 1400 KOS052-209-211. 1401 NEM038-143-143. 1402 NEM038-108-108. 1403 Vgl. Nordenflycht 2010, S. 159. 1396 1397
257
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
schließlich den Transfer neuer Ideen und geschäftsrelevanten Wissens im Sinne einer „important bridge for the potential transfer of business knowledge”1404. Mit „recherchieren“ assoziierten die Befragten neben individuellen auch kollektive Recherchevorgänge wie die Durchführung von Gesprächen mit Kundenvertretern, Fachexperten, Kollegen oder Führungskräften. Um möglichst schnell zu einem vertieften Systemverständnis bei der Einführung von ERP-Software zu gelangen und um „den Kunden möglichst viel erzählen zu lassen“1405, stellte etwa ein Projektleiter im Gespräch mit dem Auftraggeber Fragen, „die möglichst schlau wirken“1406. So schaffte er es nach eigenen Angaben, das System, welches für ihn eine „komplett neue Welt“1407 darstellte, in kurzer Zeit besser zu verstehen. Die Bedeutung von Recherche über die Interaktion mit anderen Individuen verdeutlicht auch die Schilderung eines Senior Projektleiters, der sich an einen Projekteinsatz ohne fachliche Anleitung „im kalten Wasser“1408 erinnerte, in dem Optionen der Währungssicherung ermittelte. Aus Sicht des Befragten erwies sich diese Vorgehensweise
insbesondere
in
zeitkritischen
Situationen
gegenüber
dem
Selbststudium als vorteilhaft: „Dann ist es auch ein bisschen situativ, ja. Also da gibt es Projekte, da hat man einfach nicht so viel Zeit. Da kann ich mich nicht einen Tag hinsetzen und […] studieren, sondern da muss ich möglichst schnell Quellen anzapfen, wo ich sagen kann: Okay, dem vertraue ich jetzt, weil der gut ist in dem Bereich.“1409 Im Rahmen seiner ITTD1410 gab ein Beratender während des Interviews einem fiktiven Kollegen die Empfehlung, Recherche in Eigenregie und in Interaktion mit Kollegen zu kombinieren: „Lasse dir als Erstes die Unterlagen, die es dazu [Projektinhalt, Anm. d. Verf.] gibt, von den Kollegen geben. Also das sind, das können irgendwelche funktionalen Beschreibungen
sein
oder
eben
irgendwelche
Process
Charts
oder
ähnliches,
Rollenbeschreibung und so weiter. […] Lese dir das durch, schaue dir das an, notiere dir Fragen. […]. Und dann […] setze dich mal konzentriert eine Stunde oder zwei mit deinem
Handley et al. 2007, S. 192. NEM038-164-164. 1406 NEM038-165-165. 1407 NEM038-039-040. 1408 SCB055-192-192. 1409 SCB055-408-412. 1410 Vgl. Interviewleitfaden in Anhang A4, Frage 3.2: „Stellen Sie sich vor, ein Kollege stünde vor derselben Herausforderung: Welche Anleitung würden Sie ihm geben, um dieselbe Lernerfahrung wie Sie zu durchlaufen?“ 1404 1405
258
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Projektleiter oder direkten Vorgesetzten zusammen oder vielleicht auch Mentor, der sich in dem Thema gut auskennt. Gehe die Fragen durch und lasse dir noch mal die spezifischen Hintergründe jetzt bei diesem Projekt erklären.“1411 5.2.1.2.3
Strukturieren
Zu den typischen Merkmalen von Beratungsprojekten zählen Komplexität, zeitliche Befristung und die Bearbeitung neuartiger Themenstellungen.1412 Dies kam auch im Material anhand der Schilderungen unterschiedlicher Situationen mehrfach zum Ausdruck. In diesen Situationen entwickelten die befragten Beratenden neue faktenbezogene Könnerschaft, indem sie Lernaktivitäten anwandten, die sich mit „strukturieren“ beschreiben lassen. So wurden Moderationskarten beschrieben, um Informationen zu sortieren und so Verständnis für Ergebnisse eines Projekts, an dem der befragte Beratende bis dato nicht beteiligt war, für eine Kundenpräsentation am nächsten Tag zu entwickeln. Ein Senior Projektleiter berichtete davon, dass es ihm half, Projektinhalte mithilfe von Leitfragen aus dem Studium zu strukturieren. In einem Projekt, von dem ein Beratender auf Partner-Level ausführlich berichtete, kam dem Strukturieren in inhaltlicher wie in methodischer Hinsicht Bedeutung zu: In kurzer Zeit sollten von ihm und seinem Team für eine Fluggesellschaft Vorschläge zur Anpassung des Preissystems mit dem Ziel der Ergebnisverbesserung entwickeln werden.1413 Ohne einschlägige Projekterfahrung und dem Wissen, dass „Airline Pricing alles andere als die trivialste Angelegenheit auf dieser Welt ist“1414, ermöglichte die strukturierte Betrachtung von „Präzedenzfällen“ (sic) die Erlangung neuer faktenbezogener Könnerschaft in Form identifizierter Verbesserungspotentiale. Man betrachtete hierfür etwa: „Wie verhalten sich Flugpreise von ausgewählten Routen in unterschiedlichen Situationen? Also: […] Was kosten da die Flüge von der Airline respektive von den Wettbewerbern über ausgewählte Strecken? Um daraus erst einmal Bilder zu kreieren und aus diesen Bildern heraus Muster abzuleiten. Das war die Lernmethodik: [… ] Welche Preise gehen wann wie und zu welchem Zeitpunkt und in welcher Situation nach oben oder nach unten?“ 1415 Mithilfe von Artefakten
NEM038-275-287. Vgl. Gschmeidler/Lindner 2001, S. 328. 1413 Vgl. Tabelle 2, M M-SCG059-71-74. 1414 SCG059-073-074. 1415 SCG059-156-164. 1411 1412
259
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
in Form dokumentierter Graphen erfolgte anschließend die optische Strukturierung bzw. Aufbereitung der Präzedenzfälle als Grundlage für die Erkennung von Mustern. Neben diesem inhaltlichen Strukturieren kam in diesem Projekt, angesichts zeitlicher und personeller Restriktionen, auch dem Strukturieren der Vorgehensweise Bedeutung zu. Diese sah die konsequente Definition und Durchführung von Teilschritten vor. So resümiert der befragte Beratende: „Ich lerne schrittweise und unterteile: Wie sieht mein Gesamtziel aus? Dann weiß ich, okay, das perfekte Ziel würde so sein. Aber ich kann aufgrund der Zeit und der endlichen Ressourcen nicht ein perfektes Ziel erreichen. Also muss ich Zwischenschritte gehen. Und diese Zwischenschritte muss man mental für sich definieren, um Lernerfolge erzielen zu können.“1416 Entscheidend an dieser Herangehensweise sei einen ersten „Entry Point“1417 (sic) zu finden, einen ersten Schritt, ein erstes Ergebnis auf Basis dessen Analyseergebnisse weiterentwickelt und verbessert werden könnten. Im Rahmen seiner ITTD1418 gab er einem fiktiven Kollegen die Empfehlung in Form eines „Kochrezepts“ (sic)1419 in vier Schritten: -
„Möglichst einfache Analysen und schnelle Analysen fahren. Schnell was auf Papier haben, um […] die grafische Aufbereitung diskutieren zu können.“
-
„Selbst, wenn […] beim ersten Mal nicht unbedingt was rauskommt, nicht sofort die Flinte ins Korn werfen.“
-
„Einfach noch einmal draufschauen, mit verschiedenen Blicken draufschauen, darüber diskutieren.“
-
„Wenn die erste Struktur identifiziert ist, darauf aufbauen und weiterentwickeln.“
5.2.1.3
Suchen zur Entwicklung neuer personenbezogener Könnerschaft
In nur fünf von 23 während der Interviewstudie geschilderten Lernsituationen gaben die Studienteilnehmer an, insgesamt sechs Lernaktivitäten ausgeübt zu haben, die sich mit der Entwicklung neuer personenbezogener Könnerschaft in Verbindung bringen ließen.
SCG059-393-398. SCG059-465-466. 1418 Vgl. Interviewleitfaden in Anhang A4, Frage 3.2: „Stellen Sie sich vor, ein Kollege stünde vor derselben Herausforderung: Welche Anleitung würden Sie ihm geben, um dieselbe Lernerfahrung wie Sie zu durchlaufen?“ 1419 SCG059, Z. 594-614. 1416 1417
260
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
In Relation zu den insgesamt 63 in der Erhebung genannten, selbst ausgeübten Lernaktivitäten stellt die Lernpraktik des Suchens damit eine eher selten (< 10 Prozent) genannte Lernpraktik dar. Dies überrascht insofern, als dass im Zuge der Schilderung der o. g. Lernpraktiken zur Erlangung neuer handlungs- und faktenbezogener Könnerschaft Kontaktpersonen bzw. Wissensträger eine wichtige Rolle spielten. Man denke etwa an die o. g. Lernpraktik des Recherchierens und die dort geschilderte Bedeutung von Gesprächen mit Fachexperten.1420 Es spielte aus Sicht der Befragten möglicherweise eine untergeordnete Rolle – oder man hielt es ggf. schlicht für nicht erwähnenswert, dass man hierfür erst bestehende Kontakte nutzte, um diese Personen ausfindig zu machen im Sinne der, von Hydle und Breunig formulierten Lernpraktik des Suchens („using others to find people who know“1421). Falls die Suche nach Personen bzw. Wissensträger thematisiert wurde, fand dies über digitale Plattformen statt. In personenbezogener Hinsicht wurde darüber hinaus geschildert, dass man auf der Suche nach sich selbst war bzw. mehr über sich selbst erfahren wollte, wenn man beispielsweise gemeinsam mit einem Coach ein Verständnis dafür entwickelte, wie man auf andere Individuen in der Beratungspraxis wirkt. Die Suche nach anderen Personen wurde anhand von drei Lernaktivitäten mit der Lernpraktik des „andere Suchens“ kategorisiert. Die Suche „nach sich selbst“, welches sicherlich eine recht gewagte, dennoch plausible Interpretation des Konzepts von Hydle und Breunig darstellt, wurde ebenfalls anhand von drei Lernaktivitäten mit „sich selbst suchen“ zusammengefasst. Verhalf die Ausübung und Reproduktion beider Lernpraktiken den Befragten doch zur Erlangung neuer personenbezogener Könnerschaft und damit zur gekonnten Ausübung ihrer alltäglichen Beratungspraxis. Tabelle 3 gibt die Lernpraktiken „andere suchen“ und „sich selbst suchen“ anhand beispielhafter Lernaktivitäten und Schlüsselzitaten wieder.
1420 1421
Vgl. Kapitel III.2.1.2 (2) Recherchieren. Hydle/Breunig 2013, S. 262.
261
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Lernpraktik
Lernaktivität (bsph.)
Zitat (bsph.) und Manifestation
Andere suchen
Wissensträg er auf digitaler Plattform identifizieren
Partner berichtet von einer Initiative innerhalb des Beratungsunternehmens, in der er lernte, die Kollaboration in der Organisation zu optimieren.
Kunden auf Karrierenetzwerken durchleuchten
Senior Consultant berichtet von seiner Recherche während des Aufbaus eines Mobilfunkunternehmens, in der Persönlichkeitsmerkmale von Klientenvertretern einschätzen lernte.
Sich nach einem Termin selbst reflektieren
Senior Consultant schildert die Situation nach einer Kundenpräsentation, in der er eigenes Verbesserungspotenzial in der Art seiner Kommunikation identifizierte.
Sich mit Eigen- und Fremdbild beschäftigen
Senior Projektleiter berichtet von seinem Coaching Prozess, im Zuge dessen er die unterschiedliche Wahrnehmung von Eigen- und Fremdbild in seiner Beratungspraxis nachzuvollziehen lernte.
Sich selbst suchen
„Wir haben unternehmensweit so etwas wie Facebook, wo die Leute wirklich viel reinschreiben und fragen, kann mir jemand helfen? Gibt es irgendwen, der Ahnung hat? Gibt es irgendwen, der schon mal etwas gemacht hat an der Stelle? Das funktioniert ausgesprochen gut. Weil es immer Rückmeldungen gibt. Und also die Wege zu den Knowhow-Trägern bahnen sich relativ gut mittlerweile.“(HUE061-287-293)
„Da hat mir […] LinkedIn geholfen. Also eigentlich immer alle Kunden, mit denen ich zusammengearbeitet habe, versuche ich, auf den Karrierenetzwerken zu durchleuchten […].“ (KRO053-264-266)
„Und wenn man aus dem Termin raus ist, zwei, drei Stunden danach, ein bisschen zur Ruhe gekommen ist, dann setzt eigentlich die wirkliche Selbstreflexion für mich ein […].“ (GOM023-410-412)
„Ich habe jetzt in letzter Zeit ein Coaching gemacht. Und da ist mir natürlich die Frage nach Eigen- und Fremdbild sehr eindrücklich gespiegelt worden.“ (BAR006-122-124) Tabelle 3: Lernpraktiken und -aktivitäten des Suchens 262
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
5.2.1.3.1
Andere suchen
Drei von sechs genannten Lernaktivitäten, die mit Entwicklung neuer personenbezogener Könnerschaft in Verbindung gebracht werden können, lassen sich mit „andere suchen“ beschreiben. Dies erfolgte den Schilderungen zufolge nicht über Personen, sondern, wie ein befragter Partner es beschrieb, mittels „so etwas wie Facebook“1422, also um eine digitale Plattform zur Suche von relevanten Erfahrungsträgern. Beratende, die auf der Suche nach Wissensträgern seien, würden so zuverlässig Feedback bekommen und die Wege zu den Know-how-Trägern würden sich so gut bahnen. Die Kollaboration wäre auf diese Weise, seiner Einschätzung zufolge, optimiert worden. Dies kann als Ausdruck einer sich zunehmend digitalisierten Arbeitswelt interpretiert werden. Gerade für den Kontext der Projektarbeit in wissensintensiven Organisationen wird dies von Studienergebnissen, wie etwa denen von Breunig bestätigt, die auf eine zunehmende Bedeutung des Einsatzes von Social Media-Anwendungen für das arbeitsplatznahe Lernen hinweisen.1423 Ebenfalls auf eine digitale Plattform setzte ein Senior Consultant, der auf einem öffentlich zugänglichen Karrierenetzwerk die Profile von Personen des Auftraggebers suchte, um anhand der Profildaten auf deren Persönlichkeitsmerkmale zu schließen. Dabei ging er beispielsweise der Fragen nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit nach: „Wie lange ist der (Vertreter auf Kundenseite, Anm. d. Verf.) schon zum Beispiel bei Firma X? Das ist glaube ich immer ein ganz guter Ansatzpunkt […]. Wenn einer vielleicht ein halbes Jahr dabei ist und auch die Stationen davor immer nur ein Jahr waren, dann ist das vielleicht auch einer, der nach dem halben Jahr später wieder springt, und hat dann kurzfristig orientierte Ziele. Während einer, der zehn Jahre im Unternehmen ist, der kennt das Unternehmen A besser und hat auch andere Motivationen als der Erstgenannte.“1424 Ergänzt wurde diese Einordnung,
indem
Persönlichkeitstypen1425
auf
Karten
formulierte
Merkmale
unterschiedlicher
nachgelesen und mit der Einschätzung der eigenen
Persönlichkeit abgeglichen wurden: „Also wir [die am Projekt beteiligten Beratenden, Anm. d. Verf.] hatten […] unsere Selbsteinschätzung dabei und wir hatten noch ein zweites
Vgl. Tabelle 3, P-HUE061-285-287. Vgl. Breunig 2016. 1424 KRO053-267-273. 1425 Die Aussagen des befragten Beraters lassen darauf schließen, dass es sich hierbei um einen der zahlreichen, mangels wissenschaftlicher Evidenz nicht immer unumstrittenen, dennoch populären Ansätze zur Typologisierung von Persönlichkeitstypen handelt. 1422 1423
263
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Kärtchen dabei mit den vier Dimensionen, blau, grün, gelb, rot, wo sozusagen drinsteht: Das ist jetzt jemand, der ist eher führungsorientiert bei Rot, eher extrovertiert - also Stichwörter für jeden Persönlichkeitstypen, um das immer wieder nachlesen zu können und da auch an der Stelle nichts zu verwechseln.“1426 Im Zuge dessen lernte der befragte Senior Consultant die Persönlichkeitsmerkmale des Kunden einzuschätzen, was seinen Angaben gemäß dazu führte, dass er sein eigenes Verhalten in der alltäglichen Interaktion erfolgreich anpassen konnte. 5.2.1.3.2
Sich selbst suchen
Wenn auch nur anhand von drei genannten Lernpraktiken im Material erkennbar, weisen die Aussagen befragter Beratender auf die Existenz einer Lernpraktik hin, die sich auf die Beschäftigung mit der eigenen Person beziehen. Mit dem Ziel der gekonnten Ausübung von Beratungspraktiken ging es hierbei darum, eigenes Handeln zu reflektieren oder mehr über sich selbst zu erfahren. Gerade die Beratungspraxis, die sich in der Regel durch wechselnde Themenstellungen, die Arbeit in befristet zusammengestellten Projektteams und Interaktion mit unterschiedlichen Stakeholdern auszeichnet1427, bietet hierfür zahlreiche Anlässe. Ein befragter Senior Consultant schilderte etwa, dass er die Zeit nach einer
Kundenpräsentation
zur
Selbstreflexion
nutzte
und
persönliches
Verbesserungspotenzial in der Art seiner Kommunikation identifizierte. Der Rückmeldung von Kollegen stand er skeptisch gegenüber: „Ich habe Kollegen, […], die sehen das immer so: Ach, es ist alles positiv gelaufen und hast du doch gut gemacht und Ähnliches. Ich hinterfrage mich persönlich immer selber: Geben sie mir das als ehrliches Feedback oder sagen es einfach so, damit sie selbst ein gutes Gefühl haben? […] Und ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich diese lobenden Worte nicht besonders wertschätze […].“1428 Ein Senior Projektleiter nutzte zur Selbstreflexion die Unterstützung eines Coaches und erlangte dadurch insofern neue personenbezogene Könnerschaft, als dass er ein vertieftes Verständnis zu Eigen- und Fremdbild entwickeln konnte. Von Bedeutung war dabei aus Sicht des Befragten, dass im Coaching-Prozess „tagtägliche Situationen, die man als
Vgl. KRO053-241-246. Vgl. Kapitel I.2.4.2: Organisation. 1428 GOM023-425-433. 1426 1427
264
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Berater immer wieder erlebt“1429 nicht nur aufgegriffen und reflektiert wurden. Das Lernen umfasste vielmehr auch, das Besprochene praktisch umsetzen zu können: „Und dann ist der spannende Punkt zu erkennen, wenn so eine Situation eintritt. Ein gewisser Punkt, wo es halt darauf ankommt, wo du dieses Wissen, was du dir angeeignet hast, umsetzen kannst.“1430 Die Auswertung des Materials erbrachte nicht nur Hinweise auf die Ausprägung und Manifestation von Lernpraktiken der alltäglichen Beratungspraxis. Für die empirische Illustration des Bezugsrahmens konnte anhand der, im Rahmen der Interviewstudie geschilderten Situationen, in denen die Befragten nach eigenem Dafürhalten etwas für sie Bedeutsames lernten oder in denen Lernen nicht möglich war bzw. verhindert wurde, auch zahlreiche Hinweise auf Faktoren des Lernens im Kontext der Beratung identifiziert werden. Die nachfolgenden Ausführungen geben wieder, welche Aspekte der Beratungspraxis aus Sicht der Befragten als lernfördernd bzw. -hemmend erlebt wurden.
5.2.2 Faktoren Im Material interessierten im Hinblick auf Faktoren alle jene Aussagen, die sich auf Aspekte bezogen, die sich aus Sicht der Befragten in den oben1431 genannten Lernsituationen begünstigend auf die Ausübung der dort geschilderten acht Lernpraktiken auswirkten. Insgesamt 38 solcher lernbegünstigenden Aspekte konnten identifiziert und kategorisiert werden (siehe Übersicht in Anhang A8). Des Weiteren wurden die Studienteilnehmer dazu eingeladen, von einem kritischen Ereignis bzw. eine Situation zu berichten, bei der sie im Rahmen ihrer Beratertätigkeit feststellten, dass Lernen nicht möglich war oder eine Lernerfahrung sogar verhindert wurde. 1432 Hierzu fanden sich insgesamt 28 lernhemmende Aspekte im Material, die ebenfalls kategorisiert wurden (siehe Übersicht in Anhang A9). Wie Abbildung 33 zu entnehmen ist, konnten alle 66 lernbegünstigenden (+) und hemmenden (-) Aspekte (dunkel hinterlegt) den, im Bezugsrahmen genannten Faktoren
BAR006-154-155. BAR006-158-160. 1431 Vgl. Kapitel III.2.1: Lernpraktiken und Manifestation. 1432 Vgl. Anhang A4: Interviewleitfaden, Frage 3.3. Hierbei muss es sich im Gegensatz zu Situationen, in denen selbst gelernt werden konnte, nicht um eigene Erfahrungen handeln. Den Befragten stand offen, auch von Erfahrungen Dritter, wie Kollegen oder Vorgesetzten, zu berichten. 1429 1430
265
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
„Zugang zu Praxisgemeinschaften“ und „Gelegenheiten gemeinsamen Denkens“ sowie den Rahmenbedingungen „Autonomie“, „Abwechslung“ und „gemeinsam nutzbare Artefakte“ zugeordnet werden. Hieraus ließen sich konkrete Hinweise ableiten, inwiefern Partizipation
an
Beratungspraxis
(Kapitel
III.2.2.1.)
und
Rahmenbedingungen
epistemischer Gemeinschaften (Kapitel III.3.2.2.) auf das Lernen Beratender Einfluss nehmen. Faktoren
Lernpraktiken
[38 lernbegünstigende (+) und 28 lernhemmende (-) Aspekte]
(63 Lernaktivitäten)
Partizipation an Beratungspraxis
Existenz fördert / Abwesenheit hemmt
Reproduktion von Lernpraktiken
Existenz verstärkt / Abwesenheit vermindert Zugang zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken [16 (+), 16 (-)]
Manifestation
Ermöglicht Entwicklung
Lernen i.e.S.
Rahmenbedingungen epistemischer Gemeinschaften
Neue Könnerschaft handlungsbezogen
Gemeinsam denken (14) Ausprobieren (10) Beobachten (6)
Autonomie [7 (+), 2 (-)]
Gelegenheiten für gemeinsames Denken [9 (+), 9 (-)]
Neue Könnerschaft faktenbezogen
Sondieren Gemeinsam entwickeln (11)
Abwechslung [3 (+)]
Recherchieren (9) Strukturieren (7) Neue Könnerschaft personenbezogen
Suchen
Gemeinsam nutzbare Artefakte [3 (+), 1 (-)]
Andere suchen (3)
Sich selbst suchen (3)
Abbildung 33: Faktoren des Lernens Beratender1433
5.2.2.1
Partizipation an Beratungspraxis
Praxeologische Arbeiten, und hier insbesondere der Theorieansatz situierten Lernens, betonen die Bedeutung von Partizipation an Praxis als wesentliche Voraussetzung für Lernen.1434 Auf dieser Prämisse basierend, wurden im zweiten Hauptteil der Zugang zu Praxisgemeinschaften Denkens1436
und
-netzwerken1435
sowie
Gelegenheiten
gemeinsamen
als Faktoren für das alltägliche Lernen in der Beratungspraxis
herausgearbeitet.
Quelle: Eigene Darstellung. Vgl. Kapitel II.3: Partizipation an Beratungspraxis. 1435 Kapitel II.3.1: Zugang zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken. 1436 Vgl. Kapitel II.3.2: Gelegenheiten für gemeinsames Denken. 1433 1434
266
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
5.2.2.1.1
Zugang zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken
Fast die Hälfte aller genannten lernbegünstigenden und -hemmenden Aspekte (32 von 66 Kodiereinheiten) konnten mit dem Zugang zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken in Verbindung gebracht werden. Die von den Studienteilnehmenden genannten, lernfördernden Aspekte können darauf zurückgeführt werden, dass ihnen ein Zugang zu solchen Gemeinschaften mit entsprechenden Lernquellen1437 zur Verfügung stand. Die erhaltenen Aussagen zu lernhemmenden Aspekten lassen darauf schließen, dass ein entsprechender Zugang fehlte bzw. die damit in Verbindung stehenden Lernquellen von den Befragten nur unzureichend erschlossen werden konnten. Die im zweiten Hauptteil getroffene Annahme, dass ein Zugang im Consulting-Kontext nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann1438, konnte anhand von fünf Aussagen befragter Beratender empirisch illustriert werden. So weist ein befragter Consultant auf das Risiko im Rahmen der Beratertätigkeit hin, auf Projekte eingesetzt zu werden, die ihm für Lernen ungeeignet erscheinen: „Wenn ich jetzt auf irgendeinem Großprojekt gewesen wäre, wo ich keinen Kundenkontakt habe, sondern wo ich nur irgendwo im War-Room (Projektbüro, Anm. d. Verf.) rumsitze vor meinem Rechner und da nur irgendwelche E-Mails beantworte oder irgendwelche Folien male und nur ein kleines Rädchen in einem großen Uhrwerk bin, dann wäre es mir wahrscheinlich schwieriger gefallen, die Erfahrungen zu sammeln und das Wissen auch aufzubauen.“1439 Auf die Bedeutung, möglichst früh Zugang zu einer Praxisgemeinschaft zu erhalten weist ein Beratender hin, der sich an seinen Berufseinstieg erinnert: „Also wichtig am Lernumfeld war natürlich auch, dass ich nicht für den Papierkorb gearbeitet habe, sondern wirklich im Projekt war, direkt beim Kunden von Anfang an.“1440 Im Material fanden sich auch Hinweise darauf, dass Beratenden der Zugang zu Praxisgemeinschaften, in denen sich Lernchancen boten, auch dadurch erschwert wurde, dass Routineaufgaben1441 übernommen werden mussten. Dies empfand ein Projektleiter als lernhemmend, der sich erinnert: „Also ich hatte mal eine Zeit, in der ich […] für einen gewissen Zeitraum immer das gleiche machen
Vgl. Kapitel II.3.1.2: Lernquellen. Vgl. Kapitel II.3.1.3: Unterschätzter Zugang. 1439 KOS052-234-240. 1440 WEN063-267-279. 1441 Vgl. Kapitel II.3.1.3.(1): Langeweile in der Beratung. 1437 1438
267
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
sollte. Ja, also eine sehr stupide, sehr stupide Arbeit: Immer wieder die gleichen Informationen letztendlich im System ermitteln […]. Das konnte ich, das ging mir leicht von der Hand. Aber ein Lernen wurde dadurch verhindert, dass ich kein On-the-Job-Learning machen konnte.“1442 Hinweise im Material, die als Bestätigung für die Vermutung gewertet werden hätten können, dass Machtverhältnisse den Zugang zu Gemeinschaften und -netzwerken der Praxis beeinflussen, finden sich indes nicht. Dies könnte einerseits daran liegen, dass die Befragten keine Angaben zu eigenen Erfahrungen machen wollten, die mit Unterlegenheit in einer Machtbeziehung, etwa zu einem Vorgesetzten, assoziiert werden können. Gegen diese Annahme spricht, dass es bei der Frage nach lernhemmenden Faktoren auch die Möglichkeit gab, sich bei der Beantwortung auf Dritte zu beziehen.1443 So wurde im Rahmen der Projektarbeit von einigen Situationen berichtet, in denen Machverhältnisse das Lernen Beratender erschwerte. Etwa wenn Feedback an Einzelpersonen vor Kollegen als Machdemonstration genutzt wurde („Manches Feedback kann man nicht vor der Gruppe geben“1444). Zudem könnte die Formulierung der Frage nach einem kritischen Ereignis, das Lernen ermöglichte („Denken Sie jetzt bitte an eine ganz konkrete Situation im Rahmen eines Ihrer Projekte…1445), dazu geführt haben, dass Antworten Befragter auf das Projekt selbst und nicht auf einen problematischen Zugang zum Projekt gerichtet waren. Im Hinblick auf die, von praxistheoretischen Arbeiten auch für andere Professionen identifizierte fünf Lernquellen1446 kann anhand der Anzahl genannter lernbegünstigender bzw. -hemmender Aspekte die Indikation abgeleitet werden, dass vor allem sozialen Beziehungen Bedeutung zukommt: -
Es überrascht zunächst wenig, dass im Zuge der Reproduktion der Lernpraktik des Beobachtens1447 Gelegenheiten zur bewussten Beobachtung als lernbegünstigend erlebt wurden. Im Material kam dies allerdings nur dreimal zum Ausdruck, etwa
NEM038-322-327. Vgl. Anhang A4, Frage 3.3. 1444 MUM036-522-523. 1445 Vgl. Anhang A4, Frage 3.1. 1446 Vgl. Kapitel II.3.1.2: Lernquellen. 1447 Vgl. Kapitel III.2.1.1 (3): Beobachten. 1442 1443
268
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
als ein Beratender zum Berufsstart noch keine aktive Rolle in einem KundenWorkshop übertragen bekam, sondern zunächst eine beobachtende: „Das fand ich für die Lernerfahrung ganz wertvoll, weil ich es ganz gut finde, erstmal beobachten zu können, da hat man erstmal einen doppelten Boden ein Stück weit.“1448 -
Auch die Bedeutung unbewussten Ausgesetzt-seins als Lernquelle wurde nur zweimal thematisiert. So erlebte eine Projektleiterin die Arbeit in einem kleinen Team als lernhemmend im Vergleich zu größeren Teams: „Es passiert halt mehr um einen herum und man nimmt auch indirekt auch viel mehr mit auf. Und ich glaube, das ist wirklich, wenn man mal auf die Beratung guckt, auch eines der großen Assets […].“1449
-
Der Zugang zu Diskursen wurde ebenfalls nur zweimal thematisiert. So empfand eine angehende Beraterin die fehlende Miteinbeziehung in Konversationen innerhalb des Projektteams als lernhemmend. Ein weiterer Berater wurde hingegen in seinem Lernen von Erzählungen über vermeintliche „Best Practices“ eines Kollegen inspiriert.
-
Der Zugang zu Technologie1450 fand seitens der befragten Beratenden im Hinblick auf lernfördernde bzw. -hemmende Aspekte keine explizite Erwähnung. Dies überrascht
angesichts
Arbeitswelt1451.
einer
zunehmend
digitalisierten
und
vernetzten
Aspekte mit Verweis auf Technologie, wie die Nutzung einer
elektronischen Plattform zur Suche von relevanten Erfahrungsträgern1452, wurden eher beiläufig erwähnt. Möglicherweise erfolgt die Nutzung von Tools, wie sozialen Kollaborationsplattformen oder Wikis1453 zur Unterstützung virtueller Zusammenarbeit
und
Kommunikation
über
Distanz,
mittlerweile
so
selbstverständlich, dass diese von den befragten Beratenden keine besondere Erwähnung fand. Die Betonung von Lernpraktiken, wie des gemeinsamen Denkens und Entwickelns, geben jedoch Grund zur Annahme, dass sich das Lernen im
BAN054-136-138. MUM036-454-456. 1450 Vgl. Kapitel II.3.1.2: Lernquellen. 1451 Vgl. exempl. Walsh/Volini 2017 und Bader 2020. 1452 Vgl. Kapitel III.3.1.3 (1): Andere suchen. 1453 Vgl. zur Bedeutung des Einsatzes von Social Media Anwendungen für das arbeitsplatznahe Lernen Breunig 2016. 1448 1449
269
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Consulting nach wie vor überwiegend durch persönliche Interaktion in Präsenz vollzieht.1454 Möglichkeiten zur Verbesserung individuellen Lernens durch digitale Tools, wie dies von Breunig bei Einführung eines Wiki-Systems für die Projektarbeit beobachtet wurde1455, konnten jedenfalls den Aussagen in den Interviews nicht entnommen werden. -
Die meisten aller, auf eine Lernquelle bezogenen lernfördernden oder hemmenden Aspekte (20 Kodiereinheiten), die mit dem Zugang zu Lernquellen in Verbindung gebracht werden können, unterstreichen die Bedeutung sozialer Beziehungen. Im Hinblick auf Lernen interessierten diesbezüglich nicht nur die Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Gemeinschaft, sondern auch die Beziehungen zwischen Individuen unterschiedlicher Gemeinschaften.1456 Wurde doch angenommen, dass sich das Lernen Beratender nicht innerhalb einer, sondern auch an der Schnittstelle multipler Gemeinschaften und Netzwerke vollziehen kann.1457 Dabei kann es sich im beruflichen Kontext beispielsweise um Personen handeln, die in ähnliche Tätigkeiten involviert sind1458 oder aufgrund ihrer Rolle und Erfahrung Vorbildfunktion innehaben1459. Diesbezüglich betonten die befragten Unternehmensberater neben dem allgemeinen sozialen Austausch (drei Kodiereinheiten) die Bedeutung von Feedback (12 Kodiereinheiten) von Führungskräften der eigenen Beratungsorganisation und von Personen auf Auftraggeberseite. Dieses wurde als lernbegünstigend erlebt, wenn es konstruktiv und konkret war: „Da habe ich einiges gelernt, weil ich habe das gespiegelt bekommen vom Mandanten, der mich drauf hingewiesen hat.“1460 Feedback wurde hingegen
als
lernhemmend
empfunden,
wenn
es
undifferenziert
(„niederschmetternd“1461, „herablassend“1462, „vage“1463) ausfiel oder gar ausblieb Vgl. exempl. Lervik/Fahy/Easterby-Smith 2010; Sawchuk 2008; Eraut 2000. Vgl. Breunig 2016. 1456 Vgl. Gherardi 2006, S. 91. 1457 Vgl. Handley et al. 2007, S. 176. Vgl. auch Abbildung 26 in Kapitel II.3.1.1: Praxisgemeinschaften und netzwerken. 1458 Vgl. Gherardi 2006, S. 90. 1459 Vgl. Gherardi 2006, S. 89; Lave/Wenger 1991, S. 95; Vgl. Dickmann/Graubner/Richter 2006, S. 73. 1460 BAR006-105-106. 1461 BAN054-261-261. 1462 MUM036-509-509. 1463 WER050-314-314. 1454 1455
270
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
(„Habe irgendwie mal ein oder zwei Jahre […] sehr wenig bis gar kein Feedback erhalten.“1464). Es wurde zudem die Bedeutung von Hinweisen erfahrender Mitglieder der Praxisgemeinschaft hervorgehoben (fünf Kodiereinheiten), welche vorwiegend im Hinblick auf ihr Ausbleiben von den Befragten als lernhemmend thematisiert wurden. Man vermisste etwa eine tragfähige Erwartungsklärung sowie Hinweise zur Relevanz von Beratungsinhalten: „Also, wenn mir jemand gesagt hätte, was für mich jetzt relevant wird […], dann hätte ich sicherlich meinen Fokus auf irgendetwas gelegt, aber so war das natürlich für mich schwierig mich auf irgendetwas zu konzentrieren.“1465 Wenngleich sich Anhaltspunkte dafür, dass der Zugang zu, insbesondere epistemischen Gemeinschaften von vorherrschenden Machtverhältnissen eingeschränkt oder erst ermöglicht werden könnte1466, nicht finden ließen, bietet die Interviewstudie doch Hinweise darauf, dass die Ausübung von Macht als lernhemmend erlebt wurde. Etwa wenn Führungskräfte die Projektakquisition auf Kosten der Betreuung laufender Projekte priorisierten, negatives Feedback in Anwesenheit von Kollegen als Machtdemonstration verteilten oder Skepsis gegenüber Lernaktivitäten während laufender Projekte offen zu erkennen gaben. Auch die, von Befragten als lernhemmend empfundene Präsenz ihrer Führungskraft kann als eine der von Lervik und Kollegen beschriebenen räumlichen Implikation bestehender Machtverhältnisse aufgefasst werden.1467 5.2.2.1.2
Gelegenheiten für gemeinsames Denken
Partizipation an Beratungspraxis ist aus Sicht der befragten Beratenden nicht nur insofern bedeutsam, als dass über den Zugang zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken Lernquellen erschlossen werden können. Mit Partizipation an Beratungspraxis sind für sie auch Gelegenheiten für gemeinsames Denken verbunden, um zu lernen.1468 Mit dem, von Pyrko und Kollegen beschriebenen, Konzept ist der Vorgang gemeint, im Zuge dessen Menschen in ihrer Arbeitspraxis miteinander und voneinander anhand konkreter
MUM036-416-417. WEN063-532-536. 1466 Vgl. Kapitel III.1.1.3 (2): Einfluss von Macht. 1467 Vgl. Lervik/Fahy/Easterby-Smith 2010. 1468 Vgl. Kapitel II.3.2: Gelegenheiten für gemeinsames Denken. 1464 1465
271
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Problemstellungen lernen.1469 Anhand zahlreicher Fundstellen im Material konnte gemeinsames Denken bereits als Lernpraktik des Lernens i.e.S. zur Entwicklung handlungsbezogener Könnerschaft illustriert werden.1470 Das Material aus der Interviewstudie gibt zudem Hinweise darauf, dass die Existenz bzw. das Fehlen entsprechender Gelegenheiten für gemeinsames Denken von den Befragten als lernbegünstigend
(neun
Kodiereinheiten) bzw.
lernhemmend
(ebenfalls
neun
Kodiereinheiten) erlebt wurde. Als lernbegünstigend wurde die Möglichkeit gewertet, sich mit Vorgesetzten und Teamkollegen zu einer konkreten Problemstellung austauschen, Fragen stellen und konstruktiv „ohne Nachwirkungen […] auf die Beziehungsebene“1471 unterschiedliche Perspektiven reflektieren zu können. So betont ein Beratender die Gelegenheit, den turbulenten Verlauf seines ersten Kundenworkshops mit seiner Führungskraft nachbesprechen zu können: „Und dadurch, dass ich die Gelegenheit hatte, das nachzubesprechen, was in diesem Workshop alles passiert ist, hat sich für mich im Nachhinein dann doch ein ganz guter Eindruck davon ergeben.“1472 Eine Projektleiterin wies auf die Bedeutung hin, die für sie die Gelegenheit hatte, problematische Situationen innerhalb des Projektteams reflektieren zu können: „Ich finde viele Leute schrecken immer davor zurück, das Projektteam […] einzubinden. Ich fand es immer wahnsinnig lehrreich. Und das hat mir mein Teamkollege auch bestätigt, dass wenn wir die [Teammitglieder, Anm. d. Verf.] bei solchen Überlegungen einbezogen haben, haben die automatisch viel, viel mehr Verständnis von dem Kunden, die Situationen und den Deliverables entwickelt.“1473 Dass
Beratungspraxis
und
Lernen
an
der
Schnittstelle
zwischen
multiplen
Gemeinschaften und -netzwerken der Praxis stattfinden, illustriert die Erfahrung eines Senior Projektleiters. Dieser erlebte den plötzlichen Abbruch der Kommunikation mit dem Kunden auf Arbeitsebene. Als lernbegünstigend erlebte er in dieser Situation Gelegenheiten, das Problem mit ganz unterschiedlichen Stakeholdern zu reflektieren: „Also ich glaube, begünstigt hat auf jeden Fall der Austausch im Team, also mit den Peers
Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 394. Vgl. Kapitel III.2.1.1 (1): Gemeinsam denken. 1471 WEN063-266-267. 1472 BAN054-116-119. 1473 MUM036-333-338. 1469 1470
272
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
und gleichzeitig wohl auch der Austausch mit den Vorgesetzten und auch der Austausch – sowohl mit dem Kunden als auch den neutralen externen Partnern. Das hat die Lernerfahrung begünstigt. […] da war halt einfach der Austausch mit einer möglichst großen Anzahl an Personen, die eine Sicht auf die Thematik haben, sehr sinnvoll.“1474 Im Sinne des Konzepts von Pyrko und Kollegen bringt ein solches gemeinsames Lernen das Funktionieren wirksamer Praxisgemeinschaft zum Ausdruck.1475 Die Existenz und Nutzung von Gelegenheiten für gemeinsames Denken unterscheidet sie von Praxisgemeinschaften, die nur als „formale Hülle“ fungieren.1476 Neben
der
Möglichkeit
zur
sozialen
Interaktion
mit
Mitgliedern
von
Praxisgemeinschaften wurde von Befragten auch auf die Bedeutung von räumlichen und zeitlichen Aspekten hingewiesen. So diente das Projektbüro als Ort, an den man sich zur Besprechung zurückziehen konnte „mit allen, also vom AC [Associate Consultant, Anm. d. Verf.] bis zum Partner“1477. Auch sei die Nutzung von Gelegenheiten gemeinsamen Denkens auch erst dadurch möglich geworden, dass man über entsprechend Zeit im Projekteinsatz verfügt hätte. Oder, wie es ein Studienteilnehmer formulierte: „Es war natürlich jetzt auch ein Projekt, das eben nicht […] unter dem Szenario läuft, die Zahlen laufen am Morgen ein und am Abend müsst ihr abstempeln, sondern da hatten wir schon bisschen mehr Luft.“1478 Zeitmangel wurde hingegen mehrfach als lernhemmender Faktor erlebt, der die Nutzung von Gelegenheiten gemeinsamen Denkens in der Beratungspraxis einschränkte oder gar verhinderte. Etwa wenn die Führungskraft ihre Aufmerksamkeit einseitig auf die Projektakquise richtete und Gelegenheiten für gemeinsames Denken vernachlässigte. Dies kann als Ausdruck des, weiter oben1479
thematisierten
Abwägungsprozesses gewertet werden, im Rahmen dessen Lern-, Verkaufs- und Steuerungsaktivitäten um ein knapp bemessenes Zeitbudget konkurrieren. Ein Berater erinnert sich an seinen Berufsstart, im Rahmen dessen er Lernimpulse seitens seiner Führungskraft vermisste. Sie hat „viele Sachen gut verkauft, ist in vier, fünf Projekten gleichzeitig rumgesprungen. Hat die gestafft [besetzt, Anm. d. Verf.] mit Leuten, die wie ich,
KRJ032, 236-242. Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 394. 1476 Vgl. Kapitel II.3.2.2 (2) Implikationen für Praxisgemeinschaften. 1477 MUM036-354-354. 1478 SCB055-517-520. 1479 Vgl. Kapitel I.2.2.3: Implikationen Lernkontext. 1474 1475
273
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
relativ neu sind. Und somit war die Zeit, die Ressource, um dieses Lernexperiment [gemeinsame Ergebnisreflexion, Anm. d. Verf.] hätten gut machen zu müssen, nicht da. Also aufgrund eines ziemlich starken Sales-Drucks sozusagen.“1480 Des Weiteren wurden in diesem Zusammenhang ökonomische Aspekte genannt, wie ein beratungstypisch kurzfristiger Fokus („Schnell, schnell. Mehr Projekte. Größere Projekte. Mehr verdienen.“1481), Ausrichtung der Arbeit an weiterberechenbaren Stunden sowie Dokumentation der eigenen Arbeit: „Wenn Folien im Akkord getippelt werden müssen, kann man das [Lernerfahrung, Anm. d. Verf.] nicht machen.“1482 Neben räumlichen und zeitlichen Aspekten fanden sich im Material auch Hinweise darauf, dass auch Mitglieder von Praxisgemeinschaften die Nutzung von Gelegenheiten gemeinsamen Denkens einschränken oder gar verhindern können. Etwa wenn eine Führungskraft Schuldzuweisungen an das Team aussprach, anstatt sich auf die Überlegungen
bzgl.
Schlussfolgerungen
für
Verbesserungsmöglichkeiten
zu
konzentrieren. So erinnert sich ein Berater an die Situation des Abschlusses eines vermeintlich erfolglosen Projekts, in dem er eine Teilprojektleitung übernahm: „Diese Führungskraft […] hat nur Blamegame gespielt. Sie hat uns, das Team […] zusammengerufen und uns gesagt: Ihr seid schuld, dass das jetzt hier so passiert ist.“1483 Dies hätte zur Folge gehabt, da sich die Teammitglieder infolgedessen auf Verteidigung des eigenen Tuns anstatt auf die Reflexion dessen konzentrierte, was man in Zukunft anders machen würde: […] haben minutiös mit E-Mailverkehr […] nachgewiesen, warum wir nicht schuld waren an dem Problem. […] Und so kann kein Lernen stattfinden. Weil es hat nie einer die Frage gestellt: Was würden wir beim nächsten Mal besser machen?“1484 Eine weitere Illustration aus der Beratungspraxis für einen verwehrten Zugang zu Gelegenheiten gemeinsamen Denkens liefert eine Beraterin, die im Rahmen der Projektkonzeption von „Meetings rausgehalten wurde“1485 und deren Kommentare zum Thema ignoriert wurden oder inhaltlich nicht näher darauf eingegangen wurde.
BEM008-293-297. BAR006-644-645. 1482 GOM023-843-844. 1483 BEM008-526-529. 1484 BEM008-531-536. 1485 WEN063-500-500. 1480 1481
274
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Nicht zuletzt wurde die Fokussierung auf technische Aspekte als Ursache für fehlende Gelegenheiten gemeinsamen Denkens genannt. Aus Sicht eines Senior Projektleiters reicht es nicht aus, im Rahmen des Projektabschlusses Unterlagen elektronisch abzuspeichern: „Wenn Du jetzt ein Debriefing machst, legst die Unterlagen auf Share Point ab: Die wird sich kein Mensch im Zweifelsfall angucken, weil er einfach den Bezug nicht dazu hat. Er weiß unter Umständen nicht, dass es da liegt und wer letzten Endes für das Projekt verantwortlich gewesen ist.“1486 Vielmehr sollten auch Strukturen vorgegeben sein, die es ermöglichen, mit Projektinvolvierten in den Austausch zu gehen, um an deren Lernerfahrungen teilhaben zu können.
5.2.2.2
Rahmenbedingungen epistemischer Gemeinschaften
Beratende lassen sich als Angehörige epistemischer Gemeinschaften charakterisieren. Darunter sind Koalitionen von Experten zu verstehen, welche nur durch schwache soziale Beziehungen zusammengehalten werden und deren alltägliches Arbeiten und Lernen im Zuge von Projekten und problemorientierter Zusammenarbeit erfolgen.1487 Ihnen wird in der Literatur u. a. ein großes Selbstbewusstsein und ein hoher Anspruch an ihre eigene Tätigkeit
als
Experten
nachgesagt.1488
Unter
Bedingungen
von
Entscheidungsunsicherheit, Komplexität und Abwesenheit von Routinen verfolgen sie das Ziel, neues geschäftsrelevantes Wissen für ihre Auftraggeber zu entwickeln. Angesichts dieser Charakterisierung
wurde
geschlussfolgert,
dass
Autonomie,
Abwechslung und gemeinsam nutzbare Artefakte als typische Rahmenbedingungen für das Funktionieren epistemischer Gemeinschaften auch für das Lernen Beratender Relevanz besitzen. Es wird vermutet, dass sie den lernbegünstigenden Einfluss von Partizipationsmöglichkeiten können.1489
an
Beratungspraxis
verstärken
bzw.
abschwächen
Im Material der Interviewstudie konnten insgesamt 16 Fundstellen
identifiziert werden, die darauf schließen lassen, dass die Ausübung von Lernpraktiken Beratender, die über einen Zugang zu Beratungspraxis verfügten, von diesen Rahmenbedingungen beeinflusst wurde.
KRJ032-429-433. Vgl. Kapitel II.3.1.1: Praxisgemeinschaft und -netzwerk. 1488 Ash/Roberts 2008, S. 361. 1489 Vgl. Kapitel II.3.3: Rahmenbedingungen für Lernen in epistemischen Gemeinschaften. 1486 1487
275
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
5.2.2.2.1
Autonomie
Mit neun Fundstellen im Material wurde Autonomie von allen genannten Rahmenbedingungen am häufigsten thematisiert. So gab beispielsweise ein Senior Consultant an, sich in seinem individuellen Lernprozess eingeschränkt gefühlt zu haben, als er von seiner Führungskraft „ein vorgescribbeltes Slide-Deck“1490 bekam, welches er lediglich abzutippen hatte ohne die Möglichkeit, selbst Vorschläge einbringen zu können. Als lernfördernd wurde von ihm hingegen die Übertragung von Verantwortung bzw. „den Glauben an mich, dass ich das hinbekomme“1491. Die Bedeutung eigenständigen Handelns für die Ausübung von Lernpraktiken brachte auch ein Befragter zum Ausdruck, der sich an seine Zeit als Berater erinnerte und es als wichtig empfand, „dass man halt nicht alles vorgesetzt bekommt […] - jetzt mach mal dies, mach mal jenes - sondern, dass man wirklich auch aktiv mitgestaltet hat“1492. Der Autonomieanspruch kam in den Interviews auch mit Hinweis auf Spezialwissen und damit verbundener monetärer Kompensation zum Ausdruck. So sah ein Projektleiter seine Lernmotivation darin, Erfolg zu haben und als jemand wahrgenommen zu werden, „der ein bestimmtes Thema beherrscht“1493. Die Möglichkeit erschien ihm attraktiv, „im Performance Prozess zu sagen: ich habe Wissen über ein bestimmtes Gebiet, dass so wertvoll ist, dass ihr [Management des Beratungsunternehmens, Anm. d. Verf.] mich dafür in besonderer Weise kompensieren müsst“1494. Die ambivalente Bedeutung des hohen Autonomieanspruchs Beratender für Lernen bringt ein befragter Partner zum Ausdruck, der die damit einhergehende Herausforderung im Hinblick auf das Funktionieren epistemischer Praxisgemeinschaften betont: „Natürlich sind Menschen, die in unseren Umfeldern arbeiten, alle ehrgeizig, wollen alle schnell weiterkommen, wollen alle erfolgreich sein […] und sind sehr kompetitiv unterwegs. Und natürlich gibt es da Situationen, wo Informationen nicht geteilt worden sind, wo Informationen auch nicht weitergegeben
GOM023-805-805. GOM023-099-099. 1492 KOS052-247-249. 1493 NEM038-211-212. 1494 NEM038-249-252. 1490 1491
276
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
worden sind, wo Dinge einfach nicht kommuniziert worden sind und wo man dann irgendwann mal gegen die Wand klatscht“1495. 5.2.2.2.2
Abwechslung
Neben der Gewährung von Autonomie wurde vermutet, dass Abwechslung eine weitere Rahmenbedingung für das
Lernen
Beratender
als
Angehörige epistemischer
Gemeinschaften darstellt.1496 Entsprechende Hinweise auf ein „Learning by Switching“ im Zuge des Wechsels zwischen unterschiedlichen Teams und Auftraggebern1497 fanden sich im Material zwar nicht. Abwechslung kam jedoch in drei Fundstellen zum Ausdruck, die die lernbegünstigende Bedeutung neuer, herausfordernder Aufgaben betonten. So erinnerte sich sich ein befragter Geschäftsführer an seine Zeit als Consultant, in der es wichtig für ihn war, eine „Challenge“ zu haben: „Das hat mir dann so wirklich nochmal einen Push gegeben, […] zu sagen, jetzt ziehe ich es durch.“1498 Ähnlich brachte es ein Beratender zum Ausdruck, der es als günstige Rahmenbedingung empfand, dass er auf sich selbst gestellt war: „Da habe ich am meisten gelernt, auf Projekten, wo das Blatt weiß war. […] Da hatte ich […] schweißige Hände, als ich zum Mandanten gegangen bin.“1499 Ein Projektleiter sah ebenfalls seinen Antrieb zu lernen in der Herausforderung der Aufgabe im Rahmen der Einführung von Software bei seinem Auftraggeber: „Nach wenigen Wochen sollst du irgendwie Trainingsmaterial entwickeln zu dem System und […] eineinhalb Monate später sollst du auch in der Lage sein zu schulen. Die Aussicht auf diese Aufgabe hat einfach da […] der Motivation den Kick gegeben.“1500 5.2.2.2.3
Gemeinsam nutzbare Artefakte
Gemäß der praxistheoretischen Vorstellung, dass Lernen nicht nur von Relationalität zwischen handelnden Individuen, sondern auch zwischen Individuen und Artefakten geprägt ist1501, fanden sich im Material auch einige Hinweise (vier Kodiereinheiten) auf die Bedeutung gemeinsam nutzbarer Artefakte als Rahmenbedingung für das Lernen
HUE061-384-390. Vgl. Kapitel II.3.3.2: Abwechslung. 1497 Vgl. Grabher/Ibert 2006, S. 261. 1498 FOL019-162-163. 1499 SCB055-198-204. 1500 NEM038-186-190. 1501 Vgl. Kapitel II.2.3.2. Reproduktion von Lernpraktiken. 1495 1496
277
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Beratender. Während technische Artefakte, wie Wissensdatenbanken oder Social Collaboration Plattformen, in der Schilderung von Lernsituationen allenfalls beiläufig Erwähnung fanden („so etwas wie Facebook“1502), fand der Aspekt des ProjektDebriefings explizit Erwähnung. Im Hinblick auf gemeinsam nutzbare Artefakte hob einer der Befragten die Bedeutung von Unterlagen zum Projekt-Debriefing hervor. Die Anfertigung dieser würde ihm dabei helfen „Wissen geordnet abzulegen und […] für das nächste Projekt oder für den nächsten Einsatz quasi wieder verwertbar zu machen. Und das ist für mich halt schon so ein wesentlicher Bestandteil des Lernens“1503. Einschränkend wies er jedoch darauf hin, dass die Erstellung solcher Unterlagen aus Zeitmangel, z. B. aufgrund des Starts eines neuen Projekts, meistens – wenn überhaupt – nur eingeschränkt erfolgen könne. Weitere Hinweise im Material auf die gemeinsame Nutzung von Artefakten bezogen sich auf Projektleitfäden und Objekte, die der Kodifizierung von Ideen zur gemeinsamen
Fortentwicklung
dienten.
So
half
die
gemeinsame
schriftliche
Formulierung von Hypothesenbäumen zur Entwicklung von Lösungsansätzen bei komplexen Problemstellungen, was zu neuer faktenbezogener Könnerschaft führte.1504 Ein weiteres Beispiel hierfür stellen Graphen dar, was einem Partner und seinem Team bei der Erkennung von Datenmustern behilflich war. Lernen […], das geht, ich sage mal, um Welten besser und strukturierter, wenn es erst einmal auf einer grafischen Ebene stattfindet.“1505 Beide Artefakte dienten dazu, die Lernpraktik des gemeinsamen Entwickelns reproduzieren zu können, um komplexe Aufgaben zu bewältigen.1506
5.3
Theoretische Reflexion
Auf den identifizierten Bedarf nach empirischen Befunden zu Lernpraktiken in der Beratungspraxis abstellend1507, verfolgte die vorliegende Arbeit das Ziel, den entwickelten Bezugsrahmen anhand der Aussagen von Beratenden empirisch zu illustrieren.1508 Im Hinblick auf das gewonnene Material selbst kann festgestellt werden,
Vgl. Tabelle 3, P-HUE061-285-287. KRJ032-371-373. 1504 Vgl. Tabelle 2, BRR060-229-271. 1505 SCG059-544-546. 1506 Vgl. Kapitel III.2.1.2 (1): Gemeinsam entwickeln. 1507 Vgl. Einführungskapitel (2): Forschungsdefizit. 1508 Vgl. Einführungskapitel (3): Zielsetzung und Beitrag der Arbeit. 1502 1503
278
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
dass damit ein breites Spektrum unterschiedlicher Facetten von Beratungspraxis abgedeckt wird. Zum einen stammen die Aussagen von Beratenden unterschiedlicher Beratungsorganisationen, Hierarchie, und fachlicher Ausrichtung.1509 Sie stehen stellvertretend für die Heterogenität der Branche1510 und geben die unterschiedlichen Anforderungen an die Tätigkeiten Beratender wieder.1511 Zum zweiten lassen sich die 40 erhobenen Situationen1512 allen typischen Phasen eines Beratungsprojekts zuordnen, wie Initiierungs-, Planungs-, Ausführungs- und Abschlussphase.1513 Die Studienergebnisse tragen dazu bei, die angestellten konzeptionellen Überlegungen zu Lernpraktiken Beratender zu konkretisieren. Es wird nachvollziehbar, welche Lernpraktiken die befragten Beratenden in ihrer täglichen Arbeitspraxis reproduzierten, welche Art von Könnerschaft dadurch neu entwickelt werden konnte und, nicht zuletzt, welche Faktoren hierauf begünstigenden bzw. hemmenden Einfluss ausübten. Es wurde beispielsweise aufgezeigt, wie Beratende neue Könnerschaft darin erlangten, Angebotsunterlagen zu entwickeln, Hypothesen zu einer Problemstellung als Grundlage für
ihre
Arbeitsplanung
zu
formulieren,
geschäftsmodellbezogenes
Optimierungspotenzial aus Daten zu identifizieren, das gewählte Projektvorgehen mit Erwartungen des Auftraggebers abzustimmen, konfliktäre Situationen während der Projektbearbeitung zu entschärfen und Ergebnispräsentationen ohne umfangreiches Vorwissen zu halten. Die Bedeutung des Zugangs zu Praxisgemeinschaften und Gelegenheiten für gemeinsames Denken sowie relevanter Rahmenbedingungen für das Funktionieren epistemischer Gemeinschaften für die Reproduktion von Lernpraktiken wurde anhand zahlreicher Beispiele herausgearbeitet. Der Vorstellung dieser Ergebnisse folgt nun deren theoretische Reflexion im Lichte des praxeologischen
Diskurses
zu
Fragen
arbeitsplatznahen
Lernens
und
die
Herausarbeitung des damit verbundenen Beitrags für die Forschung. Im nachfolgenden Kapitel III.3.1 wird der Standpunkt vertreten, dass das Lernen Beratender, trotz ihres Rufs als eigenbrötlerische („distaste for direction“1514) Angehörige zweckorientierter
Vgl. Kapitel III.1.2: Teilnehmerauswahl und Rahmenbedingungen. Vgl. Kapitel I.2.2: Beratungsbranche. 1511 Vgl. Kapitel I.2.1: Tätigkeit und Anforderungen Beratender. 1512 Vgl. Kapitel III.2: Ergebnisse; Abbildung 31: Datenstruktur für Analyse und Interpretation. 1513 Vgl. Kapitel I.2.4.2: Organisation. 1514 Nordenflycht 2010, S. 160. 1509 1510
279
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Koalitionen mit wissensintensiv-konzeptioneller Tätigkeitsausrichtung, als primär praktisch-soziale Errungenschaft zu begreifen ist. In Kapitel III.3.2 wird das Beratungsprojekt als potenzieller Lernkontext charakterisiert. Demnach bieten nicht alle Beratungsprojekte gleichermaßen Lernchancen für Beratende. In Kapitel III.3.3 wird schließlich resümiert, dass der entwickelte konzeptionelle Bezugsrahmen mithilfe der empirischen Studie inhaltlich angereichert werden konnte und nun als Grundlage für weiterführende, praxistheoretische Forschungsbemühungen genutzt werden kann.
5.3.1 Lernen Beratender als primär praktisch-soziale Errungenschaft Die Einnahme einer praxistheoretischen Analyseperspektive ermöglichte es, dem traditionellen Verständnis von Lernen als primär individuell-kognitiv angelegten Vorgang zum Wissenserwerb eine alternative Konzeption gegenüberzustellen, welche die Bedeutung von Handlungsbezug und sozialem Kontext betont.1515 Ihre konzeptionellen Grundlagen wurden in der vorliegenden Arbeit dazu genutzt, Lernen Beratender als Teil alltäglicher Handlungspraxis zu konzipieren und diskutieren.1516 Die im zweiten Hauptteil zunächst theoriegeleitet angestellten und dann im dritten Hauptteil empirisch illustrierten Überlegungen geben Grund zur Annahme, dass unter dem Phänomen des Lernens Beratender, trotz deren Charakterisierung als Angehörige epistemischer Gemeinschaften, die von vergleichsweise schwachen sozialen Bindungen gekennzeichnet sind1517, eine primär praktisch-soziale Errungenschaft verstanden werden kann.
5.3.1.1
Ergebnisreflexion
Die Charakterisierung von Lernen als primär praktisch-soziale Errungenschaft ist angelehnt an die von Gherardi und Kollegen gewählte Bezeichnung eines „practical accomplishment"1518, welche auf die Verwobenheit mit Handlungspraxis abstellt. Die zentrale Bedeutung praktischen Tuns für das Lernen im Kontext der Beratung ist insofern nicht selbstverständlich, als dass Beratende eine wissensintensive Dienstleistung für ihre
Vgl. hierzu auch Abbildung 34 mit einer zusammenfassenden Schau auf Merkmale der gewählten Untersuchungsperspektiven in der Schlussbetrachtung (1a): Nutzen des vollzogenen Perspektivenschwenks. 1516 Vgl. Kapitel II.5: Fazit. 1517 Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 356f. 1518 Gherardi/Nicolini/Odella 1998, S. 274. 1515
280
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Auftraggeber erbringen1519, die zunächst mit primär konzeptionell ausgerichteten Tätigkeiten in Verbindung gebracht wird („betriebswirtschaftliche Probleme definieren, strukturieren und analysieren“1520). Die Interviewstudie lieferte jedoch zahlreiche Anhaltspunkte zu praktischen Aspekten (Abschnitt 1) und sozialen Aspekten (Abschnitt 2) des Lernens Beratender, die eine begriffliche Erweiterung im Sinne einer „praktischsozialen Errungenschaft“ rechtfertigen. 5.3.1.1.1
Praktische Aspekte
Im Rahmen der Auswertung des Materials waren jene Situationen von besonderem Interesse, in denen die Befragten in ihrer alltäglichen Beratungspraxis nach ihrem Dafürhalten etwas Bedeutsames lernten oder dies aus gewissen Gründen nicht möglich war. Die Interviewergebnisse stützen die praxistheoretische Sichtweise, wonach es sich beim Lernen primär um ein, mit Beratungspraktiken und alltäglichem Handeln untrennbar verbundenes
Phänomen handelt, das
als Bestandteil alltäglicher
Beratungspraxis betrachtet wird.1521 Praktischem Tun als „locus of learning“1522 kommt zentrale Bedeutung zu. Dies illustriert beispielhaft die Schilderung eines Beratenden, der vor allem dadurch lernte, dass „[…] ich ganz schnell einfach in Workshop-Situationen geschmissen wurde, und das war ganz viel Ausprobieren und Machen. Ich glaube […], dass ich mit einem Einstieg ins normale Unternehmen gar nicht erst an diese Themen hätte ran gedurft“1523. Einer solchen Analyseperspektive folgend, konnte Lernen, welches Handley als „accomplishment of knowing in action and in practice“1524 charakterisiert, mittels Identifikation von acht Lernpraktiken für den Consulting-Kontext spezifiziert werden. Für die Beobachtung von Hydle und Breunig, wonach die Reproduktion von Lernpraktiken überwiegend eine Angelegenheit von „Anfängern“ bzw. junioren Mitarbeitenden ist1525, finden sich in der vorliegenden Untersuchung keine Anhaltspunkte. Es konnten sowohl von junioren Beratenden, wie z. B. erst in ihr
Vgl. Kühn 2016b, S. 20f. Nissen 2007, S. 3. 1521 Reich/Hager 2014, S. 428. 1522 Gherardi 2019, S. 8. 1523 BEM008-030-034. 1524 Vgl. Handley et al. 2007, S. 174. 1525 Hydle/Breunig 2013: „The practices of knowing were largely used by seniors, while the practices of new knowing were usually followed by juniors.” (S. 266) 1519 1520
281
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Berufsleben startenden Consultants, als auch von senioren Beratenden, wie z. B. Partnern, ausführliche Schilderungen zu selbst reproduzierten Lernpraktiken gewonnen werden, die im praktischen Tun zum Ausdruck kamen. Dies kam etwa anhand von Schilderungen befragter
Studienteilnehmer
zum
Ausdruck,
die
die
Erlangung
neuer
handlungsbezogener Könnerschaft über die Reproduktion der Lernpraktik des Ausprobierens thematisierten. Während für juniore Beratende hierbei Grundfertigkeiten im Vordergrund standen, wie der gekonnte Umgang mit Software oder das Verfassen adäquat formulierter E-Mails, kam das Ausprobieren seniorer Beratender in der Interaktion
mit
dem
Auftraggeber
im
Rahmen
der
Präsentations-
und
Botschaftsgestaltung zum Ausdruck. Auch die Reproduktion der übrigen Lernpraktiken vollzog sich weniger in der kognitiven Auseinandersetzung mit bestimmten Inhalten als vielmehr im praktischen Tun. Sogar die Lernpraktik gemeinsamen Denkens erforderte Kommunikation und Interaktion mit Kollegen. 5.3.1.1.2
Soziale Aspekte
Die Ergebnisse der Interviewstudie geben Hinweise darauf, dass es verkürzt wäre, bezeichnete man Lernen „nur“ als praktische Errungenschaft. Die meisten von den Befragten geschilderten Lernaktivitäten zur Erlangung handlungs- und faktenbezogener Könnerschaft konnten mit „gemeinsam denken“ (14 Kodiereinheiten) und „gemeinsam entwickeln“ (11 Kodiereinheiten) kategorisiert werden.1526 Im ersten Fall erwies es sich angesichts problematischer Situationen mit geringem Determiniertheitsgrad zur Erlangung handlungsbezogener Könnerschaft aus Sicht der Befragten als nutzbringend, gemeinsam mit Kollegen zu reflektieren, sich zur Problemhandhabung auszutauschen und mögliche Lösungsansätze in enger Interaktion fortzuentwickeln. Im zweiten Fall ging es um die gemeinsame Entwicklung von Strukturen, die dazu dienten, verfügbare Daten und Informationen aufzubereiten bzw. nutzbar zu machen, was sich dann in neuer faktenbezogener Könnerschaft manifestierte. In beiden Fällen kommt der, von praxistheoretischen Erklärungsansätzen betonte, relationale Charakter von Lernen zum Ausdruck. Demnach vollzieht sich Lernen nie vollkommen isoliert, sondern stets innerhalb
1526 1527
eines
sozialen
Beziehungsgeflechts.1527
Für
die
Reproduktion
von
Vgl. Kapitel III.2.1.1 (1): Gemeinsam denken und III.2.1.2 (1): Gemeinsam entwickeln. Vgl. Reich/Hager 2014, S. 424f.
282
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Lernpraktiken war nicht nur die soziale Interaktion mit Kollegen, sondern auch die mit Individuen der Auftraggeberseite bedeutsam. Etwa dann, wenn man im Zuge von Recherchen „den Kunden möglichst viel erzählen ließ“1528 und damit versuchte, eigene Lernbedarfe zu kaschieren, um das Bild des senioren und mit Expertise ausgestatteten Beraters aufrechtzuerhalten.1529 Die häufige Nennung der Lernpraktiken gemeinsamen Denkens und Entwickelns kann auch als Hinweis darauf gewertet werden, dass das, auf Polanyi1530 zurückführende geteilte Verweilen (shared indwelling) im Beratungskontext von Bedeutung ist. Könnerschaft lässt sich demnach teilen und gemeinsam fortentwickeln, wenn Beratende Wege finden, sich sinnvoll gemeinsam mit denselben Problemen zu beschäftigen.1531 Sie lernen miteinander und voneinander und werden auf diese Weise zu kompetenteren Praktikern.1532 Ein solcher, von Pyrko und Kollegen als „Thinking together“1533 bezeichnete Vorgang, erwies sich insbesondere dann als effektiv, wenn es darum ging, konfliktäre Situationen
zu entschärfen
oder
das Projektvorgehen
im Team
abzustimmen.1534 Die große Bedeutung sozialer Interaktion für das Lernen in der Beratung im Sinne gemeinsamen Denkens und Entwickelns erscheint auch deshalb plausibel, da eine kodifizierte „Handlungsanleitung“ für die Bearbeitung von Beratungsprojekten in der Regel nicht existiert. Auch wenn bewährte Analyse- und Lösungsansätze im Sinne von „best practice“ vorliegen mögen, werden „im Grunde genommen immer wieder neue Probleme
bei
verschiedenen
Klientenunternehmen
und
innerhalb
neu
zusammengesetzter Teams bearbeitet“1535 Zwar konnten im Material auch Lernpraktiken identifiziert werden, die – wie im Fall des Ausprobierens – ohne direkte Beteiligung anderer Beratenden erfolgten. Etwa, wenn im Hotelzimmer Präsentationen eingeübt wurden. Oder wenn über Nacht Mitschriften in eine Struktur gebracht wurden, um ein
NEM038-164-164. Vgl. Geffroy/Schulz 2015, S. 51 und die Arbeit von Bourgoin/Harvey 2018 zur Herausforderung von Lernen und der Wahrnehmung als Experte („learning-credibility-tension“). 1530 Vgl. Polanyi 1958, S. 59, 195ff., Polanyi 1966, S. 16ff. 1531 Vgl. Kapitel II.3.2.2 (1): Exkurs: Polanyis Konzeption des Indwelling. 1532 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 390. 1533 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017. 1534 Vgl. Kapitel III.2.1.1 (1): Gemeinsam denken. 1535 Bredl/Fleischer 2016, S. 590. 1528 1529
283
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
inhaltliches Verständnis für die am nächsten Tag zu haltende Ergebnispräsentation zu entwickeln. Dies bildete jedoch die Ausnahme. In den meisten Situationen fand die Reproduktion von Lernpraktiken unter Beteiligung anderer Individuen statt. Dies bringt das praxistheoretisch begründete Merkmal von Relationalität zum Ausdruck, wonach sich praktisches Handeln und Lernen nie vollkommen isoliert, sondern auch immer in einem Netz sozialer Beziehungen vollziehen.1536 Als weiteres Indiz dafür, dass es sich bei Lernen Beratender um eine soziale Errungenschaft handelt, kann die häufige Nennung sozialer Beziehungen als lernbeeinflussender Faktor gewertet werden. Die meisten (20) aller lernfördernden oder -hemmenden Aspekte, die in der Interviewstudie mit dem Zugang zu Lernquellen in Verbindung gebracht werden konnten, entfallen auf soziale Beziehungen.1537 Neben der Bedeutung von Austausch mit anderen, in die Beratungspraxis involvierten Praktikern, wurde hier insbesondere konkretes und konstruktives Feedback von Akteuren der eigenen Beratungsorganisation sowie der Auftraggeberseite als bedeutsam für eigenes Lernen hervorgehoben. Stellvertretend für zahlreiche weitere Äußerungen, die den sozialen Aspekt des Lernens in der Beratung unterstreichen, ist die Schilderung eines Projektleiters anzuführen. Als ausgebildeter Betriebswirt schätzte er die befruchtende Zusammenarbeit mit Beratenden mit mathematischer Ausbildung zur Fortentwicklung eigener Könnerschaft: „Ich dachte […]: Ich kann gut mit Excel umgehen. Ich habe aber relativ schnell gemerkt, da gibt es noch ein bisschen mehr, was man da machen kann. Jetzt haben wir seit zwei Jahren Mathematiker [im Projekt, Anm. d. Verf.] mit dabei. Da hat sich der Horizont nochmal brutal erweitert, was man noch so alles Schönes mit Excel machen kann.“1538 Die Betonung der Bedeutung relationaler bzw. sozialer Aspekte könnte als Widerspruch zu unterstellten Eigenschaften Beratender und epistemischer Gemeinschaften1539 ausgelegt werden. Demnach gelten Beratende als egozentrische („with substantial
Vgl. Reich/Hager 2014, S. 424f. Vgl. Kapitel III.2.2.1 (1): Zugang zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken. 1538 BAR006-576-582. 1539 Vgl. Kapitel II.3.3: Rahmenbedingungen für Lernen in epistemischen Gemeinschaften. 1536 1537
284
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
egos“1540), eigenbrötlerische („distaste for direction“1541) und autonomiebedürftige1542 Angehörige zweckorientierter Koalitionen mit schwachen sozialen Verbindungen.1543 Für ein funktionierendes Arbeiten und Lernen in solchen Gemeinschaften wurde deshalb vermutet, dass insbesondere Autonomie ihrer Angehörigen die lernbegünstigende Wirkung von Partizipation an Beratungspraxis verstärkt. Dies kam im Studienmaterial jedoch nur an einigen (9) Fundstellen zum Ausdruck. Aussagen der Befragten unterstrichen beispielsweise die Vermarktbarkeit eigenen Könnens als Lernanreiz. Beratenden wurde zudem ehrgeiziges und kompetitives Verhalten attestiert. Die überwiegende Anzahl von Nennungen betonten jedoch relational-kooperative Facetten des Lernens. Dies kam beispielsweise anhand von 20 Fundstellen im Material mit Bezug auf die Betonung sozialer Beziehungen als Lernquelle oder anhand von 25 Fundstellen mit Bezug auf die Lernpraktiken gemeinsamen Denkens und Entwickelns zum Ausdruck. Lernen fand überwiegend innerhalb von Projektteams und im Austausch mit Kollegen, Führungskräften, einem Coach oder Individuen auf Auftraggeberseite statt. Auch im Rahmen des Recherchierens war der Austausch mit letzteren relevant, um selbst zu lernen und den „Kunden möglichst viel erzählen zu lassen.“1544 Dies relativiert sicherlich die Ansicht Kubrs, der die Lernförderung und Befähigung des Klienten als zentrale Funktion von Beratung erachtet.1545 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es die angeführten praktischen und sozialen Aspekte
rechtfertigen,
das
Lernen
Beratender
als
primär
praktisch-soziale
Errungenschaft aufzufassen.
5.3.1.2
Theoretischer Beitrag
Die Einnahme einer praxistheoretischen Sichtweise erwies sich als geeignet, Lernen im spezifischen Kontext der Unternehmensberatung als ein sozial verankertes und mit alltäglicher Handlungspraxis verwobenes Phänomen zu diskutieren. Nicht zuletzt die empirischen Befunde liefern einen Beitrag zur Konkretisierung, was Praktiker im
Ash/Roberts 2008, S. 361. Nordenflycht 2010, S. 160. 1542 Vgl. Kapitel II.3.3.1: Autonomie. 1543 Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 356f. 1544 NEM038-164-164. 1545 Kubr 2007, S. 16. 1540 1541
285
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Consulting mit der vermeintlich lapidaren Feststellung meinen, dass die größte Entwicklung Beratender „on the job" erfolgt.1546 Die Ergebnisse befruchten den wissenschaftlichen Diskurs auf drei Forschungsfeldern: -
Die Aussagen der befragten Beratenden stützen die praxistheoretisch begründete Annahme, wonach die Reproduktion von Lernpraktiken zur Erlangung neuer Könnerschaft führt, die in einer gekonnten Ausübung von Beratungspraktiken zum Ausdruck kommt. Dabei wird deutlich, dass der Interaktion mit anderen Praktikern wie Kollegen, Führungskräften und Individuen auf Auftraggeberseite zentrale Bedeutung zukommt. Es konnten zudem Hinweise zu konkreten Ausprägungsformen und zur Manifestation eines noch abstrakt umrissenen Konstrukts wie das des gemeinsamen Denkens gewonnen werden, was den von Pyrko und Kollegen genannten Forschungsbedarf adressiert.
1547
Diese
Konkretisierung von Lernen als primär praktisch-soziale Errungenschaft kann als ein Beitrag zur praxistheoretisch fundierten Lernforschung im arbeitsplatznahen Umfeld und dem dort bislang vernachlässigten Diskurs, welche Implikationen mit einem
„practical
accomplishment"1548
im
spezifischen
Kontext
der
Unternehmensberatung verbunden sind, gewertet werden. -
Die Ergebnisse der Arbeit liefern detaillierte Hinweise darauf, im Zuge welcher Lernpraktiken Beratende in welchem Kontext welche Art neuer Könnerschaft erlangen. Da damit die Entwicklung bzw. die Anpassung des Repertoires von Beratungspraktiken erklärt wird, können die Ergebnisse als ein Beitrag zur Beratungsforschung gewertet werden.
-
Die Bedeutung von Autonomie, Abwechslung und gemeinsam nutzbarer Artefakte für die Reproduktion von Lernpraktiken wurden für den spezifischen Kontext der Unternehmensberatung herausgearbeitet und anhand von Beispielen illustriert. Dies liefert der CoP-Forschung Hinweise darauf, welche Rahmenbedingungen für das Lernen in epistemischen Gemeinschaften Relevanz besitzen. Zudem werden
Vgl. Schwenker 2006, S. 119. Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 406: „Future research might explore the knowledge creation role of thinking together, as well as the adoption of thinking together as a perspective for interpreting and comparing the nuances of the practices of different communities […].” 1548 Gherardi/Nicolini/Odella 1998, S. 274. 1546 1547
286
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Bemühungen zur Typologisierung berufsbezogener Könnerschaft unterstützt, Merkmale neuer Könnerschaft im Hinblick auf Handlungs-, Fakten- und Personenbezug zu präzisieren. Nicht zuletzt können die Ergebnisse auch in Forschungsarbeiten genutzt werden, die sich mit Lernen an der Schnittstelle multipler Praxisgemeinschaften und -netzwerken beschäftigen.1549
5.3.2 Das Beratungsprojekt als potenzieller Lernkontext Die empirische Illustration des Bezugsrahmens ermöglicht nicht nur, Lernen als Teil alltäglicher Handlungspraxis im Sinne einer praktisch-sozialen Errungenschaft zu diskutieren. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen auch, dass das Beratungsprojekt als ein potenzieller Lernkontext zu betrachten ist.
Als das typische Arbeitsumfeld
Beratender1550 kann das Beratungsprojekt einerseits die, von Bredl genannten authentischen, komplexen und sozialen Lernsituationen bieten.1551 Nachvollziehbar wurde dies im Ergebnisteil anhand von 23 Situationen, die fast ausschließlich im Projekteinsatz der Beratenden stattfanden. Den, im Consulting-Jargon gerne strapazierten Begriff der „Lernkurve“1552 gebrauchend, resümiert ein Studienteilnehmer: „Also ich arbeite jetzt seit über zehn Jahren in der Beratung. Es war nicht mein Berufsziel, als ich von der Uni weggegangen bin. [Dass ich so lange dabei geblieben bin – Anm. d. Verf.] hat mit genau dieser Lernkurve bzw. mit dem Lernaspekt zu tun. Also ich würde behaupten, in meiner täglichen Arbeit gibt es keine zwei Projekte, die in gleicher Form ablaufen. Es ist immer wieder was Neues.“1553 Andererseits ist es offenbar nicht zwangsläufig so, dass jedes Beratungsprojekt gleichermaßen Lernchancen bietet, was in den lernhemmenden Aspekten zum Ausdruck kam. Diese wurden als maßgeblich dafür betrachtet, dass in der alltäglichen Projektarbeit nicht gelernt werden konnte oder Lernen gar verhindert wurde. So stellte ein Studienteilnehmer fest, dass Beratungsprojekte mit Routine verbunden sein
Vgl. exemplarisch Handley et al. 2007, S. 176. Vgl. Gschmeidler/Lindner 2001, S. 327. 1551 Bredl 2005, S. 69. 1552 Das Konzept der Lernkurve geht auf das im Produktionsumfeld beobachtbare Phänomen zurück, dass sich mit zunehmender Wiederholung eines Produktionsprozesses weniger Ausschuss und schnellere Arbeitsabläufe einstellen, woraus sich ein günstigeres Input-Output-Verhältnis ergibt (Vgl. Steven 2018). Der Bezugnahme auf das Lernkurvenkonzept ist im vorliegenden Kontext insofern nicht ganz zutreffend, als dass ja angenommen wird, dass die Beratungstätigkeit nur selten von Routinetätigkeiten geprägt ist, worauf auch das oben angeführte Zitat des Senior Projektleiters hinweist (BAR006-023–028). 1553 BAR006-023–028. 1549 1550
287
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
können und ein Lernen kaum mehr stattfindet, weil „man halt so seine Routinen runterspult. Seien es Themen. Seien es Abläufe. Und das ist, finde ich, schon ein krasses Abflachen der Lernkurve.“1554 Überlegungen dazu, wie die beiden vermeintlich widersprüchlichen Aussagen einzuordnen sind, stehen im Mittelpunkt des nachfolgenden Kapitels, in dem eine Bewertung von Beratungsprojekten als potenziellen Lernkontext erfolgt.
5.3.2.1
Ergebnisreflexion
Die Schilderungen der Studienteilnehmer halfen nachzuvollziehen und ausführlich zu beschreiben, wie Beratende infolge der Reproduktion von Lernpraktiken neue handlungs-, fakten- und personenbezogene Könnerschaft erlangten. Dies wurde von als lernbegünstigend erlebten Aspekten unterstützt, welche sich im vorangegangenen Ergebnisteil mit dem Zugang zu Praxisgemeinschaften, Gelegenheiten gemeinsamen Denkens und Rahmenbedingungen epistemischer Gemeinschaften assoziieren ließen. Die gewonnenen Aussagen ließen erkennen, dass Beratungsprojekte – wie weiter oben1555 theoriegeleitet herausgearbeitet – einen spezifischen Lernkontext prägen, welcher Lernchancen, aber auch potenzielle Einschränkungen bereithält. 5.3.2.1.1
Spezifischer Lernkontext
Wenn die Studienteilnehmer über die Reproduktion von Lernpraktiken in ihrer alltäglichen Projektarbeit reflektierten, kam zum Ausdruck, dass diese in einem Kontext stattfand, welcher nicht immer, jedoch im Regelfall von hoher Komplexität der zu bearbeitenden Aufgaben, einem hohen Grad sozialer Interaktion und zeitlichen Restriktionen geprägt war. So fand Lernen, wie bereits im vorangegangenen Abschnitt zum Ausdruck kam, innerhalb eines komplexen sozialen Beziehungsnetzes statt, bestehend aus Kollegen, Projektpartnern und Individuen des Auftraggebers. Auch das Consulting-typische breite Anforderungsspektrum wurde thematisiert, das nicht nur die Lösung komplexer fachlicher Probleme, sondern auch ein gutes Beziehungsmanagement erforderte. Fachlich ausgerichtete Aufgaben bestanden etwa darin, innerhalb definierter Fristen Flugtarife zu analysieren oder neue Software einzuführen. Es galt
1554 1555
FOL019-368-370. Vgl. Kapitel I.2.4.3: Implikationen Lernkontext.
288
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
hypothesengetrieben
zu
planen
oder
das
Change-Management
für
einen
Restrukturierungsprozess zu konzipieren. Überfachlich musste man beispielsweise den eigenen
Kommunikationsstil
entwickeln
und
handhaben, wenn man sich etwa in der Rolle des
konfliktäre
„Blitzableiters“1556
Kundenbeziehungen wiederfand.
Es wurde herausgearbeitet, dass sich das Lernen Beratender auch anlässlich zahlreicher, aus der Projektpraxis bekannten „Stolperfallen“ vollzog, die den Umgang mit dem „NichtWissen“, dem Unbekannten und den Unwägbarkeiten im Projektverlauf erforderlich machten.1557 So mussten Projektaufträge bearbeitet werden, „wo das Blatt weiß war“1558 oder die Kundenkommunikation nachhaltig gestört war. Überraschungen des Kontextes1559, die zu einem Misslingen von Beratungspraktiken führten, wurden zum Anlass genommen, sie zu adaptieren oder zu verwerfen. Bei solchen Überraschungen handelte es sich beispielsweise um massive Kundenkritik oder eine plötzliche Verschlechterung der Beziehungsqualität mit dem Auftraggeber. Dies führte zur Initiierung von Prozessen der Problemreflexion mit Kollegen, um eine praktikable Problemhandhabung, beispielsweise im Sinne eines „Thinking Together“1560, gemeinsam fortzuentwickeln. Die Reproduktion von Lernpraktiken diente schließlich auch dazu, den Balanceakt zu vollziehen, sich in neue Projektthematiken einzuarbeiten und gleichzeitig genügend Wissen und Können zu demonstrieren, um die Wahrnehmung als Experte aufrecht zu erhalten. Ein befragter Projektleiter schilderte im Interview etwa, wie er die Lernpraktik des Recherchierens1561 reproduzierte um mit der, von Bourgoin und Harvey als „learning– credibility tension“1562 beschriebenen Herausforderung umzugehen: „[…] gerade am Anfang ist es eigentlich immer so der Versuch des Pokerface: Eben den Kunden möglichst viel erzählen zu lassen und viele Fragen zu stellen. Aber eben Fragen, die möglichst schlau wirken […].“1563
MUM036-291-291. Vgl. Gschmeidler/Lindner 2001, S. 336. 1558 SCB055-198-204. 1559 Vgl. Reckwitz 2003, S. 294. 1560 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017. 1561 Vgl. Kapitel II.2.1.2 (2): Recherchieren. 1562 Vgl. Bourgoin/Harvey 2018. 1563 NEM038-163-165. 1556 1557
289
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Die geschilderte Kombination von Komplexität, einem hohem Interaktionsgrad mit unterschiedlichen
Stakeholdern,
zeitlichen
Restriktionen
und
einem
breiten
Aufgabenspektrum mit spezifischen Rollenanforderungen stützen die weiter oben1564 beschriebene Vermutung, wonach die Merkmale des Beratungsprojekts den Lernkontext Beratender spezifisch prägen, welcher so in anderen Professionen nicht vorzufinden ist. Hierzu zählt auch die, von Engwall und Kipping genannte Verzahnung mit ManagementPraxis1565, die die Arbeitspraxis Beratender von derjenigen anderer wissensintensiver Dienstleistungsunternehmen unterscheidet. In der Studie kam dies mehrfach zum Ausdruck, etwa wenn von Lernsituationen berichtet wurde, die vor, während oder nach Vorstandssitzungen, Management-Präsentationen und Workshops mit Führungskräften stattfanden. Die zahlreichen und detailreichen Ausführungen der Befragten, in welcher Ausprägung das, in diesen spezifischen Kontext eingebettete Lernen stattfand, zu welcher Art von Könnerschaft es führte und was darauf begünstigend einwirkte, lässt den Schluss zu, dass das Beratungsprojekt als das typische Arbeitsumfeld Beratender viele Lernchancen bieten kann. Gleichsam finden sich im Material zahlreiche Fundstellen, die relativierend auf gewisse Einschränkungen hinweisen, die zur Charakterisierung des Beratungsprojekt als „potenzieller“ Lernkontext führen. 5.3.2.1.2
Einschränkungen
Mit dem Begriff des „potenziellen“ Lernkontextes ist in der vorliegenden Arbeit gemeint, dass die Bearbeitung von Projektaufträgen in der Beratung häufig, aber nicht zwangsläufig die
Möglichkeit
impliziert,
Lernpraktiken
zur
Erlangung neuer
Könnerschaft reproduzieren zu können. Projektarbeit bietet Beratenden lediglich die Aussicht darauf, lernen zu können. Hierauf deuten zahlreiche lernhemmende Aspekte hin, die im Material identifiziert und mit dem Partizipationsaspekt an Beratungspraxis assoziiert werden konnten.1566 Genannt wurde etwa das Risiko, als juniorer Beratender mit noch wenig Berufserfahrung auf Großprojekten als „ein kleines Rädchen in einem großen Uhrwerk“1567 mit beschränkten Aufgabenumfang eingesetzt zu werden. Zugleich wurde die Arbeit in kleinen Projektteams als lernhemmend erlebt, da diese die Chancen
Vgl. Kapitel I.2: Spezifischer Lernkontext Beratender. Engwall/Kipping 2002, S. 8. 1566 Vgl. Kapitel III.2: Ergebnisse 1567 KOS052-237-238. 1564 1565
290
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
eines unbewussten Ausgesetzt-seins schmälerte, während in größeren Teams „halt mehr um einen herum passiert und man auch indirekt auch viel mehr mit aufnimmt“1568. Des Weiteren wurde die Übernahme von Routinearbeiten als hemmend für ein „On-the-JobLearning“1569 erlebt. Der effektiven Ausübung von Lernpraktiken im Rahmen der Projektarbeit stand auch ein Feedback anderer Projektbeteiligter entgegen, das undifferenziert („niederschmetternd“1570, „herablassend“1571, „vage“1572) ausfiel oder gar gänzlich ausblieb. Entgegen der weiter oben1573 postulierten Zielvereinbarung zur Bearbeitung operationalisierter Aufgabenstellungen als Charakteristikum von Projekten kann es offenbar auch nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden, dass in der Beratungspraxis eine tragfähige Erwartungsklärung sowie das Offerieren von Hinweisen zur Relevanz von Beratungsinhalten stattfindet. Aus Sicht einer Beratenden führte dies dazu, „dass ich sicherlich meinen Fokus auf irgendetwas gelegt hätte. Aber so war das natürlich für mich schwierig, mich auf irgendetwas zu konzentrieren.“1574 Auf die Arbeit von Ash und Roberts1575 rekurrierend wurde vermutet, dass das Lernen Beratender als Angehörige epistemischer Gemeinschaften1576 auch davon abhängt, inwiefern geeignete Rahmenbedingungen im Hinblick auf Autonomie, Abwechslung und gemeinsam nutzbarer Artefakte vorliegen. 16 Fundstellen im Material1577 stützen diese Vermutung. Sie ließen damit assoziierbare lernbegünstigende Aspekte erkennen, wie auch Situationen nachvollziehen, in denen das Fehlen dieser Rahmenbedingungen als lernhemmend erlebt wurde. So wurde es der Ausübung von Lernpraktiken als abträglich empfunden, wenn die Autonomie in Frage gestellt wurde. Dies wurde bereits im Zuge vermeintlich
unbedeutsamer
Unterstützungsanfragen
unterstellt,
wenn
einem
Beratenden etwa von seiner Führungskraft „ein vorgescribbeltes Slide-Deck“1578 gegeben
MUM036-454-455. NEM038-327-327. 1570 BAN054-261-261. 1571 MUM036-509-509. 1572 WER050-314-314. 1573 Vgl. Kapitel I.2.4: Beratungsprojekt. 1574 WEN063-534-536. 1575 Vgl. Ash/Roberts 2008. 1576 Vgl. Kapitel II.3.1.1: Praxisgemeinschaft und -netzwerk und Kapitel II.3.3: Rahmenbedingungen für Lernen in epistemischen Gemeinschaften. 1577 Vgl. Kapitel III.2.2.2: Rahmenbedingungen epistemischer Gemeinschaften. 1578 GOM023-804-805. 1568 1569
291
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
wurde, welches er lediglich abzutippen hatte ohne die Möglichkeit, selbst Vorschläge einbringen zu können. Neben Hinweisen, die den Wunsch nach Abwechslung und die Bedeutung gemeinsam nutzbarer Artefakte zum Ausdruck brachten, bestätigten Fundstellen im Material auch die typische Charakterisierung Beratender als Angehörige epistemischer
Gemeinschaften
im
Hinblick
auf
Ehrgeiz,
Karriere-
und
Wettbewerbsorientierung. Wie anhand der identifizierten Lernpraktiken gemeinsamen Denkens und Entwickelns1579 jedoch bereits deutlich wurde, kann problemzentrierte Interaktion als bedeutsame Voraussetzung für effektives Lernen betrachtet werden. Aus Sicht eines Partners besteht somit eine nicht triviale Herausforderung darin, „die Balance zwischen, ich sage mal, Ehrgeiz und Wettbewerb auf der einen Seite hinkriegen, auf der anderen Seite aber auch Gemeinsamkeit und Kollaboration. Und das ist, glaube ich, kompliziert“1580 Auch angesichts dieser, von Nordenflycht als „cat herding challenge“1581 bezeichneten Managementaufgabe ist zu vermuten, dass Beratungsprojekte lediglich eine Chance zur Erlangung neuer Könnerschaft darstellen, die nicht immer genutzt werden kann. Insofern ist die Wahl des Begriffs eines „potenziellen“ Lernkontextes angebracht, welcher zwar die Lernchancen betont, jedoch zugleich mögliche Einschränkungen impliziert was die Reproduktion von Lernpraktiken zur Erlangung neuer Könnerschaft betrifft.
5.3.2.2 Die
sich
Theoretischer Beitrag aus
den
Studienergebnissen
ergebende
Charakterisierung
von
Beratungsprojekten als potenziellen Lernkontext befruchtet den wissenschaftlichen Diskurs auf drei Forschungsfeldern: -
Die Studienergebnisse liefern Hinweise darauf, dass die Merkmale von Beratungsprojekten einen spezifischen Lernkontext prägten1582, der Beratenden – über Wissenserwerb hinaus – die Chance zur Entwicklung neuer Könnerschaft bietet. Anhand zahlreicher Beispiele aus der Beratungspraxis wurde erkennbar, dass sich die Reproduktion von Lernpraktiken in einem Kontext vollzieht, der von
Vgl. Kapitel III.2.1.1 (1) Gemeinsam denken; Kapitel III.2.1.2 (1): Gemeinsam entwickeln. HUE061-382-384. 1581 Løwendahl 2000, S. 68, zit. n. Nordenflycht 2010, S. 160f. 1582 Vgl. Kapitel I.2.4: Beratungsprojekt. 1579 1580
292
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Komplexität, hohem Interaktionsgrad mit anderen Individuen und zeitlichen Restriktionen geprägt ist. Diese Konkretisierung des Lernkontextes Beratender stellt einen Beitrag zu den in den Organisationswissenschaften zunehmend an Bedeutung gewinnenden kontextbezogenen Forschungsarbeiten dar.1583 -
Die zahlreichen Belege aus der Beratungspraxis, wie gelernt wird bzw. welche Lernpraktiken Beratende reproduzieren und was die Ausübung derselben begünstigt, liefern einen Beitrag zur empirischen Lernforschung in Professional Service Firms. Die, in der PSF-Literatur zum arbeitsplatznahen Lernen vorzufindende, meist recht allgemein gehaltene Annahme, wonach sich Beratenden im Zuge ihrer wechselnden Projekteinsätze zahlreiche Lernchancen bieten, kann damit präzisiert und zugleich relativiert werden.1584 Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit tragen insofern zu einem vertieften Verständnis von Lernpraktiken Beratender in ihrer alltäglichen Handlungspraxis bei in einer, allenfalls anhand „anekdotischer Belege“1585 erschlossenen Consulting-Branche.
-
In der Beratungsforschung wird das Beratungsprojekt aufgrund der engen Interaktion mit dem Auftraggeber als zentrale Wissensquelle bewertet.1586 Die Einnahme der, in der vorliegenden Arbeit eingenommenen praxistheoretischen Sichtweise führt dazu, dem Wissensaspekt das Konstrukt der Könnerschaft gegenüberzustellen. Die Studienteilnehmenden wurden aufgefordert, von einer „ganz konkreten Situation im Rahme ihrer Projekte“ zu berichten, „bei der sie feststellten, dass sie etwas für sie Bedeutsames lernten“1587. Hier wurde deutlich, dass es sich dabei mehr als nur um einen kognitiven Vorgang zum Wissenserwerb handelte.1588 Ihr Lernen manifestierte sich vielmehr in gekonntem praktischem Tun in einer berufsspezifisch geprägten, sozialen Praxis. Die Arbeit liefert damit einen Beitrag für praxistheoretisch ausgerichtete Forschungsbemühungen zum Thema Lernen und „Knowing“ im Bereich der „practice-based studies“1589.
Vgl. Johns 2018. Vgl. Geffroy/Schulz 2015, S. 40. 1585 Appelbaum/Steed 2005, S. 69. 1586 Vgl. exempl. Werr/Stjernberg 2003, S. 92 und Engwall/Kipping 2002, S. 8. 1587 Vgl. Anhang A4: Interviewleitfaden, Frage 3.1. 1588 Vgl. Schatzki 2017. 1589 Vgl. exempl. Gherardi/Strati 2012; Hydle/Breunig 2013; Orlikowski 2002; Ash/Roberts 2008. 1583 1584
293
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
5.3.3 Anreicherung des Bezugsrahmens Die Kritik an einer lückenhaften konzeptionellen Rahmung praxistheoretischer Konzepte1590 zum Anlass nehmend, wurde in der vorliegenden Arbeit ein Bezugsrahmen zur Diskussion von Lernpraktiken, darauf einwirkender Faktoren und resultierender Manifestation des Lernens entwickelt.1591 Die nachfolgende Ergebnisreflexion zeigt, dass es im Zuge der empirischen Illustration gelang, diesen Bezugsrahmen anzureichern, indem dessen Komponenten plausibilisiert, ergänzt und anhand von Beispielen für den spezifischen Kontext der Unternehmensberatung konkretisiert werden konnten.
5.3.3.1
Ergebnisreflexion
Als „provisorisches Erklärungsmodell“1592 erwies sich der entwickelte Bezugsrahmen im zweiten Hauptteil der Arbeit als dienlich, praxistheoretische Konzepte klassischer und jüngerer Arbeiten zum Phänomen des Lernens in der Unternehmensberatung zu verorten und miteinander in Beziehung zu setzen. Die aus der Interviewstudie gewonnenen Ergebnisse führten zu einer weiteren Anreicherung im Hinblick auf Ausprägungsformen von Lernpraktiken und deren Manifestation (Abschnitt 1) sowie auf deren wirksame Reproduktion einwirkende Faktoren (Abschnitt 2). 5.3.3.1.1
Lernpraktiken und Manifestation
Eine grundsätzliche Plausibilisierung der, von Hydle und Breunig beschriebenen drei Praktikenkategorien des „Lernens i.e.S.“, „Sondierens“ und „Suchens“ zur Erlangung neuer handlungs-, fakten- und personenbezogener Könnerschaft1593 ergab sich für den spezifischen Kontext der Unternehmensberatung insofern, als dass alle identifizierten Lernpraktiken einer dieser Kategorien entsprechend zugeordnet werden konnten. Allenfalls zu der, von Hylde und Breunig beschriebenen Kategorie des „Suchens“ fanden sich im Material keine direkten Hinweise, die exakt i. S. eines „using others to find people who know“1594 hätten interpretiert werden können. Erfahrungsträger wurden vielmehr
Vgl. Handley et al. 2007 und Göhlich 2016, S. 16. Vgl. Kapitel II.4: Auf dem Weg zu einem konzeptionellen Bezugsrahmen. 1592 Becker 1993, S. 119; Kubicek 1977, S. 18f. 1593 Vgl. Hydle/Breunig 2013. 1594 Hydle/Breunig 2013, S. 262. 1590 1591
294
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
über digitale Plattformen gesucht („andere suchen“1595). Darüber hinaus wurde aus den gewonnenen Aussagen auf die Existenz einer Lernpraktik mit selbstreflektorischem Charakter geschlossen („sich selbst suchen“1596). Ihr wurden Lernaktivitäten zugeordnet, die dazu dienten, eigenes Handeln zu reflektieren und mehr über die eigene Person zu erfahren. Von einer Anreicherung des Bezugsrahmens kann auch insofern gesprochen werden, als dass die 63 ermittelten Lernaktivitäten mittels induktiver Kategorisierung zu acht Lernpraktiken verdichtet werden konnten: So reproduzierten die Befragten in ihrer alltäglichen Beratungspraxis zur Erlangung neuer handlungsbezogener Könnerschaft die drei Praktiken des gemeinsamen Denkens, Ausprobierens und Beobachtens. Zur Erlangung neuer faktenbezogener Könnerschaft dienten die drei Praktiken des gemeinsamen
Entwickelns,
Recherchierens
und
Strukturierens.
Zu
neuer
personenbezogener Könnerschaft führten die beiden Praktiken des „andere Suchens“ sowie des „sich selbst Suchens. Wie diese Lernpraktiken situativ in der Beratungspraxis der Studienteilnehmer Anwendung fanden, konnte anhand von 23 Situationen nachvollzogen werden.1597 Dies führte beispielsweise zu einer Konkretisierung, inwiefern, im Zuge der Reproduktion der Lernpraktiken gemeinsamen Denkens und Entwickelns, Beratende voneinander lernen und gemeinsam neue Könnerschaft entwickeln konnten. Mithilfe von 26 Fundstellen im Material konnte auch konkretisiert werden, was unter dem, von Polanyi als Alternative zu „Knowledge“ formulierten Konstrukt der Könnerschaft („Knowing“) als Manifestation des Lernens im spezifischen Kontext der Unternehmensberatung zu verstehen ist. In den Interviews wurden die Befragten dazu eingeladen, von Situationen zu berichten, in denen sie in ihrer Beratungspraxis etwas für sie Bedeutsames gelernt hatten und worin dies konkret zum Ausdruck kam. Es ging darum zu reflektieren, inwiefern ihnen die Reproduktion von Lernpraktiken die gekonnte Ausübung von Beratungspraktiken ermöglichte. Eine solche neue Könnerschaft wird im praxistheoretischen Diskurs als Errungenschaft interpretiert, „auf die man sich im
Vgl. Kapitel III.2.1.3 (1): Andere suchen. Vgl. Kapitel III.2.1.3 (2): Sich selbst suchen. 1597 Vgl. Übersicht in Anhang A5-7. 1595 1596
295
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
täglichen Handeln mit Erfolg verlassen kann.“1598 Die unterschiedlichen Ausprägungen handlungs-, fakten- und personenbezogener Könnerschaft1599 ließen erkennen, dass es sich dabei um eine Errungenschaft handelt, die als etwas unmittelbar in das Handeln der Beratenden Eingewobenes und davon nur schwer Ablösbares verstanden werden kann.1600 Im Sinne von Gherardi und Nicolini befähigte sie die Beratenden dazu, Beratungspraktiken zu reproduzieren.1601 Damit wird einer der grundlegenden Unterschiede zur traditionellen Sichtweise auf Lernen deutlich. Es geht es im praxistheoretischen Sinne nicht darum, welches Wissen Individuen erwerben, sondern vielmehr um die Frage, welche neue Könnerschaft im „Handeln im Rahmen von Praktiken zum Einsatz“1602 kommt. Das im Rahmen der Interviewstudie gewonnene und zur empirischen Illustration des Bezugsrahmens genutzte Material wurde schließlich auch daraufhin untersucht, inwiefern
darin
Lernverständnisses
Verkörperung nach
Reich
als
drittes
und
Merkmal
Hager1603
zum
des
praxistheoretischen
Ausdruck
kommt.1604
Voraussetzungen für die gekonnte Ausführung von Handlungspraktiken ist demnach eine in Körpern und materiellen Dingen gespeicherte Könnerschaft. Man denke etwa an den Gebrauch eines Werkzeugs, das sowohl eine neue Leistung des ausführenden Individuums ist als auch eine Reproduktion vergangener Praxis im Sinne eines „sich Erinnerns daran, wie man es benutzt".1605 Das handelnde Individuum nutzt dabei all seine durch Erfahrung geschulten Sinnesorgane. Willems überträgt diese Vorstellung auf den Bereich wissensintensiver Arbeit anhand seiner Beobachtungen von Disponenten eines Eisenbahnkontrollzentrums, die zunehmend geschickter darin wurden, ihre Körper und Sinne mit praktischen Situationen und Störungen ihrer komplexen Arbeitsumgebung in Einklang zu bringen.1606 In der vorliegenden Studie könnte der Aspekt einer solchermaßen verstandenen Verkörperung am ehesten mit Aussagen der befragten
Vgl. Geiger/Koch 2008, S. 696. Vgl. Übersicht in Anhang A5-7. 1600 Geiger/Koch 2008, S. 696. 1601 Vgl. Gherardi/Nicolini 2002b. 1602 Reckwitz 2003, S. 292. 1603 Vgl. Reich/Hager 2014, S. 428. 1604 Vgl. Kapitel II.2.2.1: Merkmale. 1605 Ingold 2011, S. 57. 1606 Vgl. Willems 2017. 1598 1599
296
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Beratenden zu neuer handlungsbezogenen Könnerschaft als Manifestation der Reproduktion von Lernpraktiken des Lernens i.e.S. in Verbindung gebracht werden. Beratende wurden beispielsweise zunehmend darin geschickter, Software zu nutzen, Botschaften adressatenbezogen zu formulieren, oder sich als Experte zu gerieren.1607 Hieraus jedoch die Schlussfolgerung zu ziehen, den Körper oder materielle Artefakte als einen Ort von Könnerschaft zu begreifen (site of knowing)1608, erscheint gewagt. Es muss vielmehr konstatiert werden, dass sich die Annahme, wonach sich das Lernen Beratender auch in körperlicher Geschicklichkeit manifestieren kann, anhand der empirischen Illustration weder bestätigen noch widerlegen lässt. 5.3.3.1.2
Faktoren
Eine Anreicherung des entwickelten Bezugsrahmens konnte nicht nur im Bereich der Lernpraktiken und deren Manifestation erzielt werden. Im Zuge der empirischen Illustration gelang es zudem, die theoriegeleitet entwickelten Lernfaktoren zu plausibilisieren und konkretisieren. Dem Verständnis von Lernen, als ein mit Handlungspraxis assoziierbarer Sozialisierungsprozess, folgend1609, stand hierbei die Partizipation an Beratungspraxis im Mittelpunkt. Dies richtete den Blick auf den Zugang zu Gemeinschaften und Netzwerken der Beratungspraxis. Deren zunächst theoretisch hergeleitete Bedeutung1610 konnte insofern plausibilisiert werden, als dass hiermit fast die Hälfte aller genannten lernbegünstigenden und -hemmenden Aspekte (32 von insges. 66 Kodiereinheiten) in Verbindung gebracht werden konnten. Die entsprechenden Lernquellen konnten im Zuge dessen für den Beratungskontext konkretisiert werden. Die große Bedeutung sozialer Beziehungen (20 Kodiereinheiten) kam hier anhand zahlreicher Aussagen zum Ausdruck. Auch die praxistheoretische Annahme, wonach sich Relationalität nicht nur zwischen handelnden Individuen untereinander vollziehen kann, sondern auch zwischen Individuen und Artefakten, fand sich im Interviewmaterial, als bspw.
auf
die
lernfördernde
Wirkung
von
gemeinsam
dokumentierten
Vgl. Anhang A5: Neue handlungsbezogene Könnerschaft. Vgl. Willems 2017, S. 14. 1609 Vgl. Nicolini/Gherardi/Yanow 2003a, S. 22. 1610 Vgl. Kapitel II.3.1: Zugang zu Praxisgemeinschaften und -netzwerken. 1607 1608
297
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
Hypothesenbäumen oder graphischen Darstellungen zur Auswertung von umfangreichen Datenbeständen hingewiesen wurde. Die formulierte Vermutung, dass Gelegenheiten für den, von Pyrko und Kollegen1611 beschriebenen Vorgang gemeinsamen Denkens1612, gerade in der Beratung von Bedeutung sind, konnte ebenfalls anhand zahlreicher Fundstellen im Material (18 Kodiereinheiten) belegt werden. Es kann nun nachvollzogen werden, inwiefern Beratende in ihrer alltäglichen Arbeitspraxis darauf angewiesen sind, miteinander und voneinander anhand konkreter Problemstellungen zu lernen. Insbesondere im Zusammenhang mit Störungen, die sich beispielsweise in Kundenkritik oder Fehlschlägen im praktischen Vorgehen zeigten, wiesen die Befragten auf die lernfördernde Wirkung von Gelegenheiten für gemeinsames Denken hin. Dies wiederum kann als Zugang zu wirksamen Praxisgemeinschaften gewertet werden, die nicht lediglich die weiter oben1613 thematisierte „formale Hülle“ darstellen. Wenngleich in geringerem Umfang, wurden in den durchgeführten Interviews auch Rahmenbedingungen für das Funktionieren epistemischer Gemeinschaften, als deren Angehörige Beratende charakterisiert werden können, thematisiert (16 Kodiereinheiten). Insbesondere mit welchen Implikationen ein hoher Autonomieanspruch Beratender in Bezug auf deren alltägliches Lernen verbunden ist, konnte herausgearbeitet und mit zahlreichen Beispielen illustriert werden.
5.3.3.2
Theoretischer Beitrag
Die Aussagen des in Anlehnung an praxistheoretische Erklärungsansätze entwickelten Bezugsrahmens konnten mithilfe der empirischen Illustration angereichert werden, indem dessen Aussagen zu Faktoren, Ausprägungsformen und Manifestation für den spezifischen Beratungskontext plausibilisiert, z. T. ergänzt und anhand von Beispielen aus der
Beratungspraxis
konkretisiert
wurden.
Den
Charakter
eines
einfachen
„Forschungsrahmens“1614 aufweisend, kann der angereicherte Bezugsrahmen nun als konzeptionelle Grundlage für künftige Forschungsbemühungen genutzt werden:
Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017. Vgl. Kapitel II.3.2: Gelegenheiten für gemeinsames Denken. 1613 Vgl. Kapitel II.3.2.2. (2): Implikationen für Praxisgemeinschaften. 1614 Vgl. Becker 1993, S. 124, für eine Übersicht mit Unterscheidung von Forschungs-, Erklärungs- und Entscheidungsrahmen. 1611 1612
298
Empirische Illustration des Bezugsrahmens
-
Als noch „provisorisches Erklärungsmodell“1615 bzw. „Erklärungsskizze“1616 kann der entwickelte Bezugsrahmen von Forschenden dazu genutzt werden, die vielfältigen
praxistheoretischen
arbeitsplatznahen
Umfeld
Beiträge
einzuordnen
zum und
Phänomen als
Lernen
Aufsatzpunkt
im
eigener
Überlegungen bzw. Forschungsarbeiten zu nutzen. -
Die identifizierten acht Lernpraktiken1617 im spezifischen Beratungskontext können als Aufsatzpunkt für weiterführende Untersuchungen im Bereich der praktikenbasierten Lernforschung (knowing-in-practice, new knowing, practice based learning) genutzt werden.
-
Nicht zuletzt liefert der angereicherte Bezugsrahmen der ProjektmanagementLiteratur Hinweise darauf, welche Lernpraktiken zur Erlangung neuer Könnerschaft bzw. zur gekonnten Reproduktion von Beratungspraktiken im Kontext der alltäglichen Projektpraxis Beratender reproduziert werden.
Nach erfolgter theoretischer Reflexion der gewonnenen Studienergebnisse im Hinblick auf
Lernen
Beratender
als
primär
praktisch-soziale
Errungenschaft,
auf
Beratungsprojekte als potenzieller Lernkontext und auf die Anreicherung des konzeptionellen Bezugsrahmens, wird der Blick im Rahmen der nachfolgenden Schlussbetrachtung auf die zentralen Ergebnisse der Forschungsarbeit ausgedehnt.
Becker 1993, S. 119. Kirsch/Seidl/van Aaken 2007, S. 30. 1617 Vgl. Kapitel III.3.1: Lernpraktiken und Manifestation. 1615 1616
299
6. Schlussbetrachtung Angesichts
der
Vielzahl
arbeitsplatznahen Auseinandersetzung
Lernens mit
wissenschaftlicher beschäftigen, Lernpraktiken
Beiträge, überrascht im
die
sich
die
spezifischen
mit
Fragen
vernachlässigte Kontext
der
Unternehmensberatung. Dies verwundert insofern, als dass Beratende ihre Auftraggeber dabei unterstützen sollen, in zunehmend komplexen, von Unsicherheit und immer kürzeren Innovationszyklen geprägten Unternehmensumfeldern erfolgreich zu agieren. Die Frage, wie Beratende selbst das zur Erbringung dieser Dienstleistung notwendige Können in ihrer alltäglichen Berufspraxis erlangen und welche konkreten Lernpraktiken dies erfordert, war deshalb der thematische Aufsatzpunkt für diese Forschungsarbeit. Sie liefert konzeptionelle wie empirische Anhaltspunkte für eine theoriegeleitete Diskussion, wie Beratende in ihrer alltäglichen Beratungspraxis lernen, welche Faktoren darauf Einfluss nehmen und worin sich Lernen im spezifischen Kontext der Beratung manifestiert. Gewonnen wurden diese Ergebnisse, indem vier Ziele verfolgt wurden. Diese bestanden darin, … -
… zunächst zu konkretisieren, was den spezifischen Lernkontext Beratender prägt und worin sich dieser von dem anderer Professionen unterscheidet.1618
-
… sodann eine praxistheoretische Analyseperspektive auf Lernen1619 zu nutzen, um Hinweise zu Ausprägungsformen, Faktoren und Manifestation des Lernens in der Beratung zu erhalten. Anlass dazu gab die Identifizierung „blinder Flecken“1620 einer traditionellen, individuell-kognitiv ausgerichteten Sichtweise und die zunehmende Kritik an der Praxis- bzw. Problemlösungsrelevanz von Theorien des sogenannten Mainstreams in den Sozialwissenschaften1621.
-
… die theoriegeleitet entwickelten Überlegungen in einen konzeptionellen Bezugsrahmen zu überführen, mithilfe dessen die oft nur lose gekoppelten praxistheoretischen Ansätze eingeordnet und miteinander in Beziehung gesetzt
Vgl. Kapitel I.2: Spezifischer Lernkontext Beratender. Vgl. Teil II: Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive zur Entwicklung eines praxistheoretischen Bezugsrahmens. 1620 Vgl. Kapitel I.3.4: Fazit: Defizite der traditionellen Perspektive auf Lernen als Anlass für die ergänzende Einnahme einer praxistheoretischen Sichtweise. 1621 Vgl. Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis. 1618 1619
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Rainer, Lernpraktiken in der Unternehmensberatung, Zukunftsfähige Unternehmensführung in Forschung und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42989-8_6
300
Schlussbetrachtung
werden können.1622 Damit war auch das Ansinnen verbunden, ein „provisorisches Erklärungsmodell“1623
zu
entwickeln,
das
künftigen
praxistheoretisch
ausgerichteten Forschungsbemühungen als konzeptioneller Anknüpfungspunkt dient, um das Verständnis von arbeitsplatznahem Lernen im Beratungskontext weiter zu vertiefen. -
… eine empirische Illustration1624 des entwickelten Bezugsrahmens vorzunehmen, um dessen Komponenten und unterstellte Wirkzusammenhänge anhand von Aussagen befragter Beratender zu plausibilisieren, erweitern und konkretisieren.
Eine Rekapitulation zentraler Ergebnisse, welche im Rahmen der Verfolgung dieser Forschungsziele gewonnen werden konnten, findet sich im nachfolgenden Abschnitt (1). Der damit verbundene theoretische Beitrag für den wissenschaftlichen Diskurs wird in Abschnitt (2) zusammengefasst. Es folgen Hinweise auf Limitationen der Arbeit in Abschnitt (3) und verbleibenden Forschungsbedarf in Abschnitt (4). Eine skizzenhafte Ableitung
praktischer
Implikationen
für
Beratende,
das
Management
von
Beratungsunternehmen und deren Auftraggebern runden in Abschnitt (5) die vorliegende Schlussbetrachtung ab. 6.1 Rekapitulation zentraler Ergebnisse Wesentliche Ergebnisse der primär konzeptionell angelegten Arbeit sind auf den vollzogenen Perspektivenschwenk von einer traditionellen Perspektive hin zu einer praxistheoretischen Analyseperspektive auf Lernen in der Unternehmensberatung zurückzuführen, wie im nachfolgenden Abschnitt (a) zusammengefasst wird. Darüber hinaus
erlaubt
die
empirische
Illustration
des
theoriegeleitet
entwickelten
Bezugsrahmens weitere Schlussfolgerungen hinsichtlich Lernverständnis und -kontext Beratender, welche in Abschnitt (b) zusammengefasst werden. 6.1.1
Nutzen des vollzogenen Perspektivenschwenks
Angesichts des unübersichtlichen und von zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen geprägten Forschungsfeldes zum Phänomen Lernen wurden im ersten Hauptteil mit
Vgl. Kapitel II.4: Auf dem Weg zu einem konzeptionellen Bezugsrahmen. Becker 1993, S. 119. 1624 Vgl. Teil III: Empirische Illustration des Bezugsrahmens. 1622 1623
301
Schlussbetrachtung
Banduras Konzept des Beobachtungslernen und Kolbs Lernzyklus bewusst zwei, einer traditionellen Analyseperspektive auf Lernen zuordenbare Konzepte auf ihren Erklärungsbeitrag hin untersucht. Die Auseinandersetzung mit diesen beiden „Klassikern“1625 der Lerntheorie half dabei, die konzeptionellen Eckpunkte einer individuell-kognitiven Sichtweise auf Lernen herauszuarbeiten und erste Hinweise abzuleiten, wie Beratende in ihrer alltäglichen Arbeitspraxis lernen, welche Faktoren darauf fördernd bzw. hemmend einwirken und worin sich Lernen in der Unternehmensberatung manifestieren kann. Zugleich wurde deutlich, dass eine solche traditionelle Perspektive die theoretische Auseinandersetzung in dreierlei Hinsicht einschränkt: -
Es ist eine unzureichende Berücksichtigung kontextbezogener Aspekte zu attestieren. Mit alltäglicher Beratungspraxis verbundene situative, zeitliche und soziomaterielle Aspekte werden von der Betrachtung weitgehend ausgeklammert. Insbesondere die Vernachlässigung des sozialen Kontexts erweist sind im Hinblick auf das Lernen Beratender als nachteilig, welche in Beratungsprojekten als ihrem primären Arbeitsumfeld tagtäglich in einem komplexen Beziehungsgeflecht mit Individuen der eigenen Beratungsorganisation, des Auftraggebers und mitunter auch weiterer Projektbeteiligter agieren.
-
Im Hinblick auf eine theoriegeleitete Diskussion des Lernens Beratender wurde die Vernachlässigung alltäglicher Handlungspraxis als weiteres Defizit der traditionellen
Sichtweise
gewertet.
Diese
bleibt
insofern
unzureichend
berücksichtigt, als dass Lernen als ein weitgehend verallgemeinerbarer und von alltäglichem Tun isolierbarer Vorgang konzipiert wird. Überlegungen zur Frage, inwiefern Lernen von „situativer Einzigartigkeit“1626 alltäglicher Handlungspraxis in materieller, räumlicher oder zeitlicher Hinsicht geprägt sein könnte, treten mit dem Verweis auf eine distinkte Konzeption bzw. einen, in definierten Teilschritten zerlegbaren kognitiven Lernvorgang, in den Hintergrund.
Für Wiegand 1996 bilden die beiden Ansätze von Bandura und Kolb die „für die Organisationsforschung und die Thematik organisationalen Lernens wichtigsten kognitiven Lernkonzepte“. (S. 346) 1626 Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 341. 1625
302
Schlussbetrachtung
-
Als drittes Defizit der traditionellen Sichtweise wurde ein unterkomplexes Verständnis von Wissen als Manifestation des Lernens erkennbar. Betonung finden Aspekte des Erwerbs, der Verarbeitung und der Speicherung von Wissen, verstanden als eine kodifizier- und transferierbare Ressource. Das Scheitern von, auch und vor allem in der Beratung anschlussfähigen Initiativen eines „Managements“ von Wissen markierten jedoch die Grenzen dieser Sichtweise, der zufolge sich Wissen abspeichern und zwischen Individuen übertragen lässt. Zudem lässt eine solche Sichtweise weitgehend offen, wie neues Wissen in der Beratungspraxis entsteht und inwiefern die vielfältigen Aktivitäten und situativ bedingten Unwägbarkeiten der Praxis hierauf Einfluss nehmen.
Die Einnahme einer praxistheoretischen Sichtweise im zweiten Hauptteil erwies sich als nützlich, diese blinden Flecken zu adressieren. Es wurde deutlich, dass praxistheoretische Erklärungsansätze eine alternative Lernkonzeption bereitstellen zur Vertiefung des Verständnisses, wie Beratende in ihrer alltäglichen Berufspraxis lernen: -
Anstatt das Hauptaugenmerk auf einen individuumszentrierten Lernvorgang zu richten, ermöglicht die praxistheoretische Perspektive eine Konkretisierung der Bedeutung des sozialen Kontextes. Sie erlaubt es, Lernen als situationsspezifische Reproduktion von Lernpraktiken innerhalb soziomaterieller Arrangements zu diskutieren. Der traditionellen Vorstellung von Lernen als ein sich primär intrapersonell-kognitiv vollziehender Vorgang wird die Vorstellung einer partizipativen Aktivität gegenübergestellt. Der Verweis auf die große Bedeutung gemeinsam reproduzierbarer Lernpraktiken und die „Hineinsozialisierung“ in Praxisgemeinschaften, als eine grundlegende Voraussetzung für das Lernen, bringt dies zum Ausdruck.
-
Auch der, von der traditionellen Sichtweise vernachlässigte Aspekt der Handlungspraxis wird in der praxistheoretischen Auseinandersetzung zum Gegenstand des Forschungsinteresses. Lernpraktiken Beratender werden als integraler Bestandteil eines fortlaufenden Handlungssystems konzipiert, im Rahmen dessen Individuen auf vielfältige Weise miteinander in Beziehung stehen und situativ mit Herausforderungen der Praxis umgehen.1627 Auf die
1627
Vgl. Lave 2009, S. 207.
303
Schlussbetrachtung
wissenschaftstheoretische Methodologie praktischer Rationalität rekurrierend, wird das lernende Individuum nicht von Handlungspraxis losgelöst, sondern primär1628 damit verflochten betrachtet. Als überindividuelle Aktivitätsmuster verstanden,
versetzen
Lernpraktiken
Beratende
dazu
in
die
Lage,
handlungsleitende Beratungspraktiken im Zeitablauf situationsspezifisch zu reproduzieren, um kompetente Teilnehmer ihrer Beratungspraxis zu werden. Im Falle von Störungen bzw. Unberechenbarkeiten der Beratungspraxis, ermöglichen Lernpraktiken Beratenden, ihre bestehenden Beratungspraktiken zu adaptieren oder neue in das Repertoire angewandter Beratungspraktiken aufzunehmen. In diesem Sinne avanciert das alltägliche Handeln Beratender in deren beruflicher Praxis zum „locus of learning“1629. -
Schließlich ermöglicht die Einnahme einer praxistheoretischen Sichtweise auch die Erweiterung des traditionellen Wissensverständnisses. Der Vorstellung einer, von Handlungspraxis losgelösten, primär explizier- und transferierbaren Ressource,
die
durch
praxistheoretische
Lernvorgänge
Ansätze
die
erworben
Konzeption
einer,
werden mit
kann,
stellen
Handlungspraxis
verwobenen, primär implizit verstandenen Könnerschaft im Sinne eines „Sich-aufetwas-verstehens“1630 gegenüber. Dies erlaubt es, die Manifestation von Lernen in der Erlangung neuer handlungs-, fakten- und personenbezogener Könnerschaft zu konkretisieren,
die
wiederum
in
der
gekonnten
Ausübung
von
Beratungspraktiken erkennbar wird. Trotz des erläuterten Nutzens, der sich aus der Einnahme der praxistheoretischen Analyseperspektive im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse für die vorliegende Arbeit ergibt, würde es der Komplexität des Phänomens Lernen nicht gerecht werden, gäbe man einer der beiden Sichtweisen den Vorzug. Auf unterschiedliche Wissenschaftstraditionen rekurrierend und sich an unterschiedlichen Methodologien zur Erfassung von Praxis orientierend1631, erweist sich vielmehr die Einschätzung von Bonss als zutreffend,
Vgl. Zwischenbetrachtung (2a) und Abbildung 17 zu Intensitätsstufen der Verflechtung mit Praxis: Eine vollständige „Entflechtung“ des Individuums wird nur für den Fall dauerhafter Störungen angenommen. 1629 Gherardi 2019, S. 8. 1630 Vgl. Reckwitz 2003, S. 289. 1631 Vgl. Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis. 1628
304
Schlussbetrachtung
Beiträge der traditionellen und praxistheoretischen Perspektive nicht als Widerspruch, sondern als sich ergänzende Sichtweisen aufzufassen.1632 Letztlich liefern beide Analyseperspektiven einen essentiellen Beitrag zur Entwicklung eines vertieften Verständnisses, wie im spezifischen Kontext der Unternehmensberatung gelernt werden kann. Eine zusammenfassende Schau auf wesentliche Merkmale der traditionellen und praxistheoretischen Perspektive enthält Abbildung 34. Während aus traditioneller Perspektive primär Hinweise auf das lernende Individuum und einen kognitiv verorteten Lernvorgang gewonnen werden konnten, half die praxistheoretische Perspektive dabei, ein vertieftes Verständnis zur Reproduktion von Lernpraktiken Beratender in deren alltäglichen Beratungspraxis unter Berücksichtigung sozialer Arrangements und situativ geprägter Handlungskontexte zu entwickeln. Als Manifestation des Lernens stand aus traditioneller Perspektive der Erwerb von Wissen im Sinne einer objektivier- und speicherbaren Ressource im Mittelpunkt der Betrachtung. Dem konnte aus praxistheoretischer Perspektive die Entwicklung einer primär implizit angelegten Könnerschaft gegenübergestellt werden. Die damit verbundene Erfassung von Handlungspraxis mithilfe der Methodologie praktischer Rationalität führte in der vorliegenden Arbeit nicht zuletzt auch dazu, den Vorwurf eines „Theorie-Praxis-Gap“ 1633 zu entkräften.
1632 1633
Vgl. Bonss 2014, S. 219, 244. Vgl. Zwischenbetrachtung (2): Alternatives Konzept praktischer Rationalität.
305
Schlussbetrachtung
Erklärungsansätze aus …
… traditioneller Perspektive
… von Beratungspraxis losgelöst
Lernsubjekt ist… Lernpraktiken in der Beratung
… praxistheoretischer Perspektive
… objektivier- und speicherbare Ressource
Wissen als …
Forschungsinteresse primär gerichtet auf … … kognitive Strukturen des Individuums
Erfassung der Handlungspraxis im Sinn von…
… szientistischer Rationalität
… mit Beratungspraxis verflochten … primär implizit angelegte Könnerschaft … situativer Kontext und soziale Beziehungen
… praktischer Rationalität
Abbildung 34: Zusammenfassende Schau auf gewählte Analyseperspektiven1634 6.1.2
Schlussfolgerungen aus der empirischen Illustration des Bezugsrahmens
Die Komponenten und unterstellten Wirkzusammenhänge des praxistheoriegeleitet entwickelten Bezugsrahmens zu Ausprägungsformen von Lernpraktiken, darauf einwirkende Faktoren und resultierende Manifestation konnten im dritten Hauptteil der Arbeit durch Aussagen von 16 Beratenden aus elf Beratungsorganisationen im Rahmen einer qualitativ angelegten Interviewstudie plausibilisiert, erweitert und konkretisiert werden. Mithilfe der aus dem gewonnenen Material von insgesamt 12 Stunden Länge abgeleiteten Lernpraktiken
Datenstruktur1635 in
charakterisiert1636,
der
konnten
Beratung
als
insbesondere primär
die
Reproduktion
praktisch-soziale
von
Errungenschaft
das Beratungsprojekt als potenzieller Lernkontext interpretiert1637
sowie Ausprägungsformen von Lernpraktiken für den spezifischen Kontext der Unternehmensberatung exploriert1638 werden: -
Zur Schlussfolgerung, das Lernen Beratender als primär praktisch-soziale Errungenschaft aufzufassen, führten Aussagen von Studienteilnehmern, die die Reproduktion von Lernpraktiken als einen, untrennbar mit ihrer Beratungspraxis
Quelle: Eigene Darstellung. Vgl. Kapitel III.2: Ergebnisse und Abbildung 31: Datenstruktur für Analyse und Interpretation. 1636 Vgl. Kapitel III.3.1: Lernen als primär praktisch-soziale Errungenschaft. 1637 Vgl. Kapitel III.3.2: Das Beratungsprojekt als potenzieller Lernkontext. 1638 Vgl. Kapitel III.3.3: Anreicherung des Bezugsrahmens. 1634 1635
306
Schlussbetrachtung
verbundenen Vorgang betonen. Dies stützt die vorgenommene konzeptionelle Verortung von Lernen und Handeln.1639 Lernpraktiken fungieren demnach als überindividuelle Aktivitätsmuster1640, welche die Ausübung neuer oder die veränderte Ausübung bestehender Beratungspraktiken im Zeitablauf erst ermöglichen, die wiederum in gekonntem Handeln in der Beratungspraxis wirksam werden. Die große Bedeutung der Interaktion in einem sozialen Beziehungsgeflecht mit anderen, an der Beratungspraxis beteiligten Individuen, unterstreichen Aussagen zu lernbegünstigen Faktoren. Die Reproduktion von Lernpraktiken kam dann im gemeinsamen Tun und Entwickeln zum Ausdruck. Dies erwies sich insbesondere dann als relevant, wenn die Routine alltäglicher Beratungspraxis durch unerwartete Störungen, wie etwa im Falle massiver Kundenkritik, unterbrochen wurde. Dies relativiert die Annahme, wonach es sich bei Lernen Beratender um ein Lernen egozentrischer Angehöriger mit großem Autonomiebedürfnis in zweckorientierten Koalitionen mit schwachen sozialen Beziehungen handelt.1641 -
Die empirische Illustration lieferte des Weiteren Hinweise darauf, dass das Beratungsprojekt als potenzieller Lernkontext fungiert. Die Reproduktion von Lernpraktiken fand im Regelfall in einem Kontext statt, der von hoher Komplexität der zu bearbeitenden Aufgaben, einem hohen Grad sozialer Interaktion und zeitlichen Restriktionen geprägt war. Hieraus und, nicht zuletzt, aus den „Überraschungen des Kontextes“1642 bzw. den Unwägbarkeiten im Projektverlauf konnten sich zahlreiche Lernchancen für Beratende ergeben. Die Reproduktion entsprechender Lernpraktiken zur gekonnten Ausübung von Beratungspraktiken erfolgt dann sicherlich nicht selten unter der Maßgabe, die Wahrnehmung als Experte angesichts einer „learning–credibility tension“1643 nicht zu beinträchtigen. Die Untersuchungsergebnisse verdeutlichen jedoch zugleich, dass Projektarbeit im Consulting nicht zwangsläufig die Möglichkeit implizieren musste, dass Lernpraktiken zur Erlangung neuer Könnerschaft reproduziert werden können.
Vgl. Kapitel II.3.2.3: Verortung von Lernpraktiken. Vgl. Seidl/van Aaken 2007, S. 178 und Whittington 2018, S. 344. 1641 Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 356f. 1642 Vgl. Reckwitz 2003, S. 294. 1643 Vgl. Bourgoin/Harvey 2018. 1639 1640
307
Schlussbetrachtung
Etwa dann, wenn auf Lernquellen der Beratungspraxis nicht zurückgegriffen werden konnte, Strukturen für kollegialen Austausch fehlten oder ökonomische Zwänge dem entgegenstanden. Ebenso verhinderten Routine und unzureichende Rückmeldung zur eigenen Arbeit sowie zur Relevanz von Beratungsinhalten die effektive Reproduktion von Lernpraktiken. In Einzelfällen wurde auch die Einschränkung des Autonomieanspruchs Beratender durch die Führungskraft als lernhemmend erlebt. Insofern ist die Wahl des Begriffs eines „potenziellen“ Lernkontextes angebracht, der zwar die Lernchancen betont, jedoch zugleich mögliche Einschränkungen impliziert, was die Reproduktion von Lernpraktiken zur Erlangung neuer Könnerschaft im Rahmen von Beratungsprojekten betrifft. -
Eine dritte Schlussfolgerung ergibt sich im Hinblick auf die Exploration von Lernpraktiken im spezifischen Kontext der Unternehmensberatung. Den bei Hydle und Breunig1644 genannten Kategorien des „Lernens i.e.S.“ und „Sondierens“ konnten mithilfe der empirischen Studie sechs Lernpraktiken zugeordnet werden. Diese ließen sich für erstgenannte Kategorie mit „gemeinsam denken“, „ausprobieren“ und „beobachten“ zur Erlangung neuer handlungsbezogener Könnerschaft beschreiben. Zweitgenannter Kategorie konnten die Lernpraktiken „gemeinsam entwickeln“, „recherchieren“ und „strukturieren“ zur Entwicklung neuer faktenbezogener Könnerschaft zugeordnet werden. Eine Neuinterpretation für den spezifischen Consulting-Kontext ergab sich im Hinblick auf die Kategorie des „Suchens“. Diesbezüglich konnten im Material keine direkten Hinweise gewonnen werden, die i. S. eines „using others to find people who know“1645 hätten interpretiert werden können. Die Aussagen der Studienteilnehmenden deuten vielmehr auf die Existenz einer Lernpraktik mit selbstreflektorischem Charakter („sich selbst suchen“1646) hin, der darin zum Ausdruck kam, dass eigenes Handeln reflektiert wurde, um mehr über die eigene Person zu erfahren. Die Analyse der 23 Situationen1647, im Rahmen derer von den Studienteilnehmern handlungs-, fakten und personenbezogene Könnerschaft entwickelt werden konnte, halfen
Vgl. Hydle/Breunig 2013. Hydle/Breunig 2013, S. 262. 1646 Vgl. Kapitel III.2.1.3 (2): Sich selbst suchen. 1647 Vgl. Übersicht in Anhang A5-A7. 1644 1645
308
Schlussbetrachtung
schließlich zu konkretisieren, wie die genannten Lernpraktiken in der alltäglichen Beratungspraxis Anwendung fanden. 6.2 Theoretischer Beitrag Die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit bestand darin, einen Forschungsbeitrag auf vier Feldern zu leisten. Die nachfolgenden Abschnitte fassen diesen zusammen und zeigen, inwiefern … -
… ein Beitrag zu den in den Organisationswissenschaften an Bedeutung gewinnenden
kontextbezogenen
Überlegungen
geleistet
werden
konnte
(Abschnitt a). -
… ein
Beitrag
zur praxistheoretisch ausgerichteten
Lernforschung im
arbeitsplatznahen Umfeld erbracht wurde (Abschnitt b). -
… der entwickelte Bezugsrahmen dazu geeignet ist, vorliegende und künftige Beiträge praxistheoretischer Arbeiten besser einordnen und miteinander in Beziehung setzen zu können, um zu einem vertieften praxistheoretischen Verständnis im Hinblick auf arbeitsplatznahes Lernen im Kontext der Beratung zu gelangen (Abschnitt c).
-
… die Exploration von Lernpraktiken zu einem vertieften Verständnis beiträgt, wie Beratende in ihrer beruflichen Handlungspraxis lernen (Abschnitt d).
6.2.1
Spezifizierung Lernkontext
Anhand der Betrachtung von Beratungsbranche, -unternehmen und -projekt als konzeptionelle Bezugsebenen1648 wurde die spezifische Prägung des Lernkontexts Beratender
theoriegeleitet
herausgearbeitet.1649
Neben
der
Verzahnung
mit
Management-Praxis1650 zeichnet diesen Lernkontext insbesondere die spezifische Art der Problemstellungen in der täglichen Projektarbeit aus. Es gilt mit unstrukturierten Problemstellungen umzugehen, die sich nur selten mit einfachen Heuristiken bearbeiten lassen. Wissen ist kundenspezifisch und sozial eingebettet, weshalb es zum Projektstart
Vgl. Engwall/Kipping 2002, S. 3. Zudem Abbildung 6 in Kapitel I.2.4.3: Implikationen Lernkontext. Vgl. Kapitel I.2.4: Beratungsprojekt. 1650 Kipping/Engwall 2002, S. 8. 1648 1649
309
Schlussbetrachtung
von „externen“ Beratenden stets aufs Neue erschlossen werden muss.1651 Auch die Ergebnisse der qualitativen Interviewstudie stützen die Annahme, dass die Projektarbeit im Consulting den Lernkontext maßgeblich prägt. Merkmale wie aufgabenbezogene Komplexität, hoher Interaktionsgrad mit unterschiedlichen Stakeholdern und zeitlichen Restriktionen kamen in den Aussagen befragter Beratender zum Ausdruck. Die vorgenommene Lernkontext1652
Charakterisierung
des
Beratungsprojekts
als
potenziellen
verdeutlicht unter Bezugnahme auf identifizierte lernhemmende
Faktoren, dass im Consulting auch von einer Abwesenheit der Möglichkeit, Lernpraktiken zu reproduzieren, ausgegangen werden muss. Diese Spezifizierung des Lernkontextes in der Beratung kann als Beitrag zu den zunehmend an Bedeutung gewinnenden, kontextbezogenen Forschungsarbeiten in Bereich der Organisationswissenschaften gewertet werden.1653 6.2.2
Thematisierung sozialer Praxis
Der Praxisaspekt wird in bestehenden Studien zum arbeitsplatznahen Lernen überraschenderweise immer noch unzureichend thematisiert, wie Reich und Hager feststellen.1654 Green bemängelt die mitunter unreflektierte Verwendung des Praxisbegriffs.1655 Und auch Colley und Kollegen mahnen, die soziale Praxis, innerhalb derer Lernen stattfindet, nicht zu vernachlässigen.1656 Die vorliegende Arbeit adressiert dieses Defizit, indem, anhand der Gegenüberstellung der beiden Methodologien praktischer und szientistischer Rationalität, zunächst der Frage nachgegangen wird, wie die „Logik von Praxis“ adäquat erfasst werden kann.1657 Für die Beschäftigung mit Lernen führt dies dazu, nicht nur auf kognitive Vorgänge des Individuums zu fokussieren, sondern den Blick auch auf Verflechtung zu richten. Während Ersteres vor allem mittels Einnahme
der
traditionellen
Perspektive
möglich
ist,
gelingt
Letzteres
aus
praxistheoretischer Perspektive. Diese rückt das Beratende alltäglich umgebende, relationale Ganze in den Mittelpunkt. Damit ist nicht nur der situationsspezifische
Vgl. Bourgoin/Harvey 2018, S. 1612 in Anlehnung an Van Maanen J./Schein 1977. Vgl. Kapitel III.3.2: Das Beratungsprojekt als potenzieller Lernkontext. 1653 Vgl. Johns 2018. 1654 Vgl. Reich/Hager 2014, S. 419. 1655 Vgl. Green 2009, S. 1f. 1656 Vgl. Colley/Hodkinson/Malcolm 2003, S. 64ff. 1657 Vgl. Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis. 1651 1652
310
Schlussbetrachtung
Kontext gemeint, innerhalb dessen deren Lernen in der alltäglichen Handlungspraxis stattfindet, sondern auch die in der alltäglichen Beratungspraxis existierenden sozialen Beziehungen, sowie der Gebrauch von Artefakten und Technologien. Mit der Verortung von Lernpraktiken in den, auf Whittington1658 zurückzuführenden und von Seidl mit van Aaken1659 (fort-) entwickelten Rahmen zur Analyse von Beratungspraxis1660, trägt die Arbeit zu einer konzeptionellen und begrifflichen Präzisierung bei, im Hinblick auf eine als
heterogen
und
praxistheoretischen
mitunter
semantisch
Analyseperspektive1661
unscharf
zu
charakterisierenden,
auf Lernen. Dies stellt einen Beitrag zur
praxistheoretisch ausgerichteten Lernforschung im arbeitsplatznahen Umfeld dar. Im Hinblick auf die Voraussetzungen für eine wirksame Reproduktion von Lernpraktiken weist die, maßgeblich auf Lave und Wenger1662 zurückzuführende, situative Lerntheorie dem Aspekt der Partizipation zentrale Bedeutung zu. Diese konnte anhand der, in den Interviews genannten Lernquellen1663 für den Consulting-spezifischen Lernkontext weiter herausgearbeitet werden. Als erkenntnisreich erwies sich auch die Übertragung des, auf erkenntnistheoretische Überlegungen Polanyis gründenden und von Pyrko et al. fortentwickelten Konzepts gemeinsamen Denkens (thinking together1664) auf den spezifischen Kontext der Unternehmensberatung. Dieses ermöglichte nicht nur die Entwicklung eines vertieften Verständnisses von den Voraussetzungen für Lernprozesse in und für das Funktionieren von Praxisgemeinschaften.1665 Hinweise auf die Bedeutung wechselseitiger, auf problematische Situationen mit geringem Determiniertheitsgrad bezogener Lernprozesse lassen auch nachvollziehen, warum die gerade in der Beratungspraxis anschlussfähigen, jedoch mitunter wenig erfolgreichen Initiativen eines formal ausgesetzten Wissensmanagements zu kurz greifen. Demnach kann die Vorstellung,
dass
beratungsrelevantes
Wissen
ausschließlich
mittels
Transfer
kodifizierbarer Informationen ge- und verteilt werden kann, als naiv betrachtet
Vgl. Whittington 2006. Vgl. Seidl/van Aaken 2007. 1660 Vgl. Kapitel II.2.3.2: Verortung von Lernpraktiken. 1661 Vgl. Schäfer 2016, S. 9ff. 1662 Vgl. Lave/Wenger 1991. 1663 Vgl. Kapitel II.3.1.2: Lernquellen. 1664 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017. 1665 Vgl. Kapitel II.3.2.2 (2): Implikationen für Praxisgemeinschaften. 1658 1659
311
Schlussbetrachtung
werden.1666 Vielmehr bedarf es zur Erlangung einer primär implizit angelegten Könnerschaft zusätzlicher Gelegenheiten für das Teilen und die Weiterentwicklung stillschweigenden Wissens. Die Konkretisierung der Bedeutung solcher Gelegenheiten für gemeinsames Denken1667 und damit assoziierbarer Lernpraktiken (gemeinsam denken, gemeinsam entwickeln1668) im spezifischen Kontext der Unternehmensberatung kann als ein Beitrag für situativ ausgerichtete Lerntheorie betrachtet werden. 6.2.3 Die
Bezugsrahmen als Anknüpfungspunkt für künftige Forschungsbemühungen
Überführung
klassischer
und
jüngerer
Konzepte
praxistheoretischer
Forschungsarbeiten, die in der Literatur bislang weitgehend unabhängig voneinander diskutiert wurden, in einen konzeptionellen Bezugsrahmen stellt einen weiteren Beitrag der vorliegenden Forschungsarbeit dar. Deren Übertragung auf den spezifischen Kontext der
Unternehmensberatung
ermöglicht
eine
differenzierte
Betrachtung
und
theoriegeleitete Diskussion von Ausprägungsformen von Lernpraktiken Beratender, darauf einwirkende Faktoren und Manifestation im Sinne handlungs-, fakten-, sowie personenbezogener Könnerschaft. Im Zuge der Entwicklung dieses Bezugsrahmens wurden Rahmenbedingungen für das Funktionieren von epistemischen Gemeinschaften beleuchtet und die Bedeutung von Autonomie, Abwechslung und gemeinsam nutzbarer Artefakte für das Lernen im spezifischen Kontext der Unternehmensberatung herausgearbeitet. Dies kann als Beitrag zur CoP-Forschung gewertet werden. Zudem werden Bemühungen zur Typologisierung berufsbezogener Könnerschaft unterstützt, indem die Merkmale neuer Könnerschaft in epistemischen Gemeinschaften im Hinblick auf Handlungs-, Fakten- und Personenbezug weiter präzisiert werden konnten. Nicht zuletzt können die Ergebnisse auch von Forschungsarbeiten genutzt werden, die sich mit Lernen
an
der
Schnittstelle
multipler Praxisgemeinschaften
und
-netzwerke
beschäftigen.1669
Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 406. Vgl. Kapitel II.3.2: Gelegenheiten für gemeinsames Denken. 1668 Vgl. Kapitel III.2.1.1 (1): Gemeinsam denken und Kapitel II.2.1.2 (1): Gemeinsam entwickeln. 1669 Vgl. exemplarisch Handley et al. 2007, S. 176. 1666 1667
312
Schlussbetrachtung
Als „provisorisches Erklärungsmodell“1670 bzw. „Erklärungsskizze“1671 kann der entwickelte Bezugsrahmen nun von Forschenden dazu genutzt werden, die vielfältigen praxistheoretischen Beiträge zum Phänomen Lernen im arbeitsplatznahen Umfeld einzuordnen und als Aufsatzpunkt eigener weiterführender Überlegungen zu verwenden. Nicht zuletzt liefert der empirisch angereicherte Bezugsrahmen der ProjektmanagementLiteratur Hinweise darauf, welche Lernpraktiken zur Erlangung neuer Könnerschaft in der alltäglichen Projektarbeit führen und welche Faktoren darauf Einfluss nehmen. 6.2.4
Exploration von Lernpraktiken
Die Schlussfolgerungen der empirischen Illustration des Bezugsrahmens liefern schließlich einen Beitrag für den Diskurs auf mehreren Feldern praxistheoretisch fundierter Beratungs- und Lernforschung: -
Die Identifikation von acht Lernpraktiken1672 im spezifischen Beratungskontext kann als Beitrag zur praktikenbasierten Lernforschung bzw. Forschung zu „knowing-in-practice“, „new knowing“ und „practice based learning“ gewertet werden. Da damit auch eine Veränderung des Repertoires an Beratungspraktiken im Zeitablauf erklärt wird, können die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit auch als Beitrag zur praxistheoretischen Beratungsforschung gewertet werden.
-
Die These, Lernen Beratender als primär praktisch-soziale Errungenschaft1673 aufzufassen, kann als Diskussionsbeitrag zur praxistheoretisch geleiteten Lernforschung im arbeitsplatznahen Umfeld verstanden werden. Dieser befruchtet den bislang weitgehend vernachlässigten Diskurs, welche Ausprägungsformen, welche darauf Einfluss nehmende Faktoren und welche Manifestation mit einem „practical
accomplishment"1674
im
spezifischen
Kontext
der
Unternehmensberatung verbunden sind.
Becker 1993, S. 119. Kirsch/Seidl/van Aaken 2007, S. 30. 1672 Vgl. Kapitel III.2.1: Lernpraktiken und Manifestation. 1673 Vgl. Kapitel III.3.1: Lernen Beratender als primär praktisch-soziale Errungenschaft. 1674 Gherardi/Nicolini/Odella 1998, S. 274. 1670 1671
313
Schlussbetrachtung
-
In der Beratungsforschung wird das Beratungsprojekt aufgrund der engen Interaktion mit dem Auftraggeber als zentrale Wissensquelle bewertet.1675 Die Einnahme der in der vorliegenden Arbeit eingenommenen praxistheoretischen Sichtweise führte dazu, den einseitigen Blick auf explizierbares Wissen zu weiten, indem für die Bedeutung einer primär implizit angelegten Könnerschaft sensibilisiert wird. Die Arbeit liefert damit einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit Lernen und „Knowing“ im Bereich der „practice-based studies“1676.
-
Die zahlreichen empirischen Belege, wie im Consulting zur gekonnten Erbringung einer wissensintensiven Dienstleistung gelernt wird und was die Ausübung von Lernpraktiken in diesem spezifischen Kontext begünstigt, liefern einen Beitrag zur empirischen Lernforschung in PSFs. Die in der PSF-Literatur zum arbeitsplatznahen Lernen vorzufindende, meist recht allgemein gehaltene Annahme, wonach sich Beratenden im Zuge ihrer wechselnden Projekteinsätze zahlreiche Lernchancen bieten1677, konnte präzisiert und, mit Hinweis auf den Charakter von Beratungsprojekten als potenziellen Lernkontext, relativiert werden.1678 Die Ergebnisse der Arbeit tragen damit zu einem vertieften Verständnis von der Reproduktion von Lernpraktiken, in einer, allenfalls anhand „anekdotischer Belege“1679 erschlossenen Consulting-Branche bei.
6.3 Limitationen Bei Verwendung und Interpretation der erzielten Ergebnisse werden freilich auch, wie bei jeder wissenschaftlichen Arbeit, Limitationen erkennbar. Angesichts der Breite und Heterogenität von Forschungsbemühungen zum Thema Lernen kann hierzu die Beschränkung auf zwei Analyseperspektiven genannt werden, worauf im nachfolgenden Abschnitt (a) näher eingegangen wird. Zudem thematisiert Abschnitt (b) eine mögliche Voreingenommenheit des Autors aufgrund seines biographischen Hintergrunds. Im
Vgl. exempl. Werr/Stjernberg 2003, S. 92 und Engwall/Kipping 2002, S. 8. Vgl. exempl. Gherardi/Strati 2012; Hydle/Breunig 2013; Orlikowski 2002; Ash/Roberts 2008. 1677 Vgl. Geffroy/Schulz 2015, S. 40. 1678 Vgl. Kapitel III.3.2: Das Beratungsprojekt als potenzieller Lernkontext. 1679 Appelbaum/Steed 2005, S. 69. 1675 1676
314
Schlussbetrachtung
Abschnitt (c) wird schließlich auf Einschränkungen hingewiesen, die mit dem gewählten Studiendesign verbunden sind. 6.3.1
Analyseperspektive
Im weiten Forschungsfeld zu Fragen des menschlichen Lernens birgt jede Festlegung auf bestimmte Analyseperspektiven das Risiko von Angreifbarkeit. So kann auch die, in der vorliegenden Arbeit vorgenommene Beschränkung auf die beiden wissenschaftlichen Diskurse der traditionellen und praxistheoretischen Sichtweise als Limitation ausgelegt werden. Die Beschäftigung damit, wie Beratende in ihrer alltäglichen Berufspraxis lernen, könnte beispielsweise auch aus Sicht der aufstrebenden Neurowissenschaften1680 oder einer
der
zahlreichen,
Konnektivismus1681
Nischen
besetzenden
Erklärungsansätze
wie
des
erfolgen. Dasselbe gilt für die Auswahl der Forschungsbeiträge der
beiden Autoren Kolb und Bandura, stellvertretend für Autoren kognitiv ausgerichteter Ansätze. Dem kann entgegnet werden, dass die vorgenommene Auswahl von Analyseperspektiven und Autoren in nachvollziehbarer Weise einen Kompromiss darstellt: Einerseits wurde versucht, ein möglichst breites Spektrum von Arbeiten zur Erklärung menschlicher Lernvorgänge im arbeitsplatznahen Umfeld in die Analyse miteinzubeziehen. Zum anderen sollten die, die jeweilige Forschungsrichtung maßgeblich prägenden Konzepte und Autoren gebührend Raum erhalten. Um den Beitrag und zugleich die „blinden Flecken“ traditioneller Zugänge zum Phänomen des Lernens deutlich machen zu können, erwies sich der Rückgriff auf „Klassiker“ der Lernforschung bzw. auf bewährte und umfassende Erklärungsansätze mit breiter Rezeption als erkenntnisreich. Um die Beiträge weiterer Vertreter dieser Sichtweise, wie etwa Gagné und Ausubel, nicht auszublenden, wurden diese ausblickartig zur Erläuterung von Teilaspekten herangezogen: Erwähnt seien hier die Ausführungen zum Aufbau kognitiver Strukturen in „Unterrichtssituationen“1682 oder zum Prozess des Wissenstransfers.1683 Zur Nutzung der praxistheoretischen Sichtweise auf Lernpraktiken Beratender wurde darauf geachtet, die theoretisch-konzeptionellen Grundlagen anhand von Arbeiten
Vgl. zu Grundlagen Wittmann/Edelmann 2012, S. 17ff. Vgl. Siemens 2005. 1682 Vgl. Kapitel I.3.3.2 (1): Aufbau kognitiver Strukturen in „Unterrichtssituationen“. 1683 Vgl. Kapitel I.3.3.2 (2): Prozess des Wissenstransfers. 1680 1681
315
Schlussbetrachtung
prominenter Autoren der praxistheoretischen Forschungs-Community nachzuzeichnen. Man denke an die Ausführungen von Sandberg und Tsoukas1684 zur methodologischen Erfassung von Praxis1685 oder die konzeptionelle Verortung von Lernpraktiken1686, die auf Überlegungen von Whittington1687, Seidl und van Aaken1688 basieren. Zur Entwicklung und Interpretation der empirischen Illustration des Bezugsrahmens wurde auf jüngere Forschungsarbeiten Bezug genommen. Erwähnt seien hier beispielsweise die Ausführungen zu Gelegenheiten gemeinsamen Denkens1689 von Pyrko et al.1690 und Rahmenbedingungen für das Lernen in epistemischen Gemeinschaften1691 von Ash und Roberts1692. 6.3.2
Voreingenommenheit
Eine weitere Limitation stellt sicherlich auch eine nicht gänzlich auszuschließende Voreingenommen- bzw. Befangenheit des Verfassers im Forschungsprozess aufgrund seines
biographischen
Hintergrunds
dar.
Die
mehrjährige
Tätigkeit
als
Unternehmensberater und die selbst gesammelten Erfahrungen mit der Reproduktion von Lernpraktiken im Kontext der Beratungstätigkeit könnte die Ergebnisinterpretation beeinflusst haben. Dem wurde zum einen dadurch begegnet, dass die Arbeit bewusst multiperspektivisch angelegt wurde. Dies betrifft nicht nur die gewählten theoretischen Zugänge, sondern auch die geführten Argumentationslinien aus Sicht von Beratenden, Beratungsunternehmen und ihren Auftraggebern.1693 Um die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse zu erhöhen, enthält die Arbeit gemäß COREQ-Schema1694 ausführliche Angaben zum beruflichen Hintergrund des Autors und dessen Position im Feld.1695 Dadurch soll die Beurteilung leichter fallen, inwiefern eine gewisse Voreingenommenheit Vgl. Sandberg/Tsoukas 2011, S. 351. Vgl. Zwischenbetrachtung: Konzepte zur Erfassung von Praxis. 1686 Vgl. Kapitel II.2.3.2: Verortung von Lernpraktiken. 1687 Vgl. Whittington 2006. 1688 Vgl. Seidl/van Aaken 2007. 1689 Vgl. Kapitel II.3.2: Gelegenheiten für gemeinsames Denken. 1690 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017. 1691 Vgl. Kapitel II.3.3: Rahmenbedingungen für Lernen in epistemischen Gemeinschaften. 1692 Vgl. Ash/Roberts 2008. 1693 Vgl. Einführungskapitel (1): Relevanz einer vertieften Auseinandersetzung mit Lernpraktiken Beratender. 1694 Vgl. Anhang A3: Consolidated criteria for reporting qualitative studies (COREQ): 32-item checklist. 1695 Vgl. Kapitel III.1.1: Angaben zum Forschenden und zur Position im Feld. 1684 1685
316
Schlussbetrachtung
die Beobachtungen und Interpretationen des Verfassers beeinflusst haben könnte. Auch die persönliche Bekanntschaft mit einigen Studienteilnehmern (z. B. aufgrund geteilter Projekthistorie)
könnte
als
verzerrend
gewertet
werden.
Das
bestehende
Vertrauensverhältnis führte jedoch, der Wahrnehmung des Verfassers nach, zu einer hohen
und
authentischen
Auskunftsbereitschaft.
Dies
kann
als
Beitrag
zur
Kompensierung eines häufig vorgebrachten Kritikpunkts gegenüber Forschungsarbeiten im
Beratungsumfeld
gewertet
werden,
wonach
Unternehmensberatern mitunter als unzuverlässig
Selbstauskünfte
gelten.1696
von
Gerade beim Thema
Lernen ist dies nicht von der Hand zu weisen, könnte der von Berufswegen eingeforderte Expertenanspruch Beratende doch davon abhalten, offen über Lernpraktiken zu berichten. 6.3.3
Studiendesign
Es liegt in der Natur des gewählten qualitativen Studiendesigns, dass diesbezüglich häufig vorgebrachte Einwände auch hier nicht ausgeblendet werden können. Mayring zählt zu diesen
mangelnde
Gütekriterien
wie
intersubjektive Objektivität
Nachvollziehbarkeit,
Verletzung
und
sowie
Reliabilität
klassischer
unzureichende
Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse.1697 Insbesondere die vorgenommene Zuordnung von Textmaterial zu inhaltsanalytischen Kategorien (z.B. im Falle der Lernpraktiken), bleibt ein, wenn auch durch Regeln kontrollierter Interpretationsvorgang. Den Vorbehalten gegenüber qualitativer Forschung wurde begegnet, indem … -
… die aus dem Material gewonnenen Ergebnisse quantitativ weiterverarbeitet wurden und Kategorienhäufigkeiten in der Interpretation mitberücksichtigt wurden (z.B. im Hinblick auf die Bedeutung der identifizierten Lernfaktoren).
-
… mit dem COREQ-Schema1698 ein anerkannter Berichtsrahmen für die Dokumentation qualitativer Methoden und deren Ergebnisse genutzt wurde, um den an qualitative Forschung gestellten Anforderungen in puncto Transparenz und Vollständigkeit bestmöglich zu entsprechen.1699
Vgl. Saam 2002, S. 64. Vgl. Mayring 2015, S. 8. 1698 Vgl. Anhang A3: Consolidated criteria for reporting qualitative studies (COREQ): 32-item checklist. 1699 Vgl. Pratt 2009, S. 856 und Tong/Sainsbury/Craig 2007, S. 356. 1696 1697
317
Schlussbetrachtung
-
… neben dem abnehmenden Neuigkeitsgrad der Aussagen in den Interviews auch die Hinweise von Robinson1700 zur Beurteilung der Stichprobengröße für qualitative Forschungsarbeiten herangezogen wurden. So ermöglichten die gewonnenen
Daten
aus
den
16
Interviews,
sowohl
fallübergreifende
Verallgemeinerungen zu entwickeln als auch den befragten Individuen eine Identität zu verleihen, anstatt sie als anonymen Teil eines größeren Ganzen zu subsumieren. Über die Durchführung von Interviews hinaus, hätte sicherlich eine ergänzende teilnehmende
Beobachtung
zum
Gewinn
weiterer
Erkenntnisse
geführt.
Forschungsökonomische Gründe sprachen jedoch dagegen, über einen längeren Zeitraum eine ethnographische Studie im Zuge direkter Teilnahme an Beratungspraxis durchzuführen. Dies hätte bspw. der Teilnahme an Teambesprechungen, Workshops und Terminen Beratender mit ihren Auftraggebern bedurft.1701 Ein solches „Shadowing“1702 wird etwa von Sandberg und Tsoukas empfohlen, um die Logik der Praxis adäquat zu erfassen, „namely, capturing the distinct and unreflexive ways […] in which people routinely act while entwined with others and tools“1703. Zudem hätte möglicherweise die Sichtung
von
Dokumenten,
wie
etwa
Kundenpräsentationen
und
Besprechungsprotokolle, weitere Erkenntnisse zu angewandten Lernpraktiken zu Tage gefördert. Durch die Thematisierung von kritischen Ereignissen und die Aufforderung zu einer „Instruction-to-the-double“1704 in den durchgeführten Interviews wurde versucht, diese Einschränkungen zu kompensieren. Eine weitere Limitation liegt schließlich in der Betrachtung von Lernpraktiken im Kontext der Projektarbeit begründet. Die Studienteilnehmer wurden aufgefordert, von konkreten Situationen „im Rahmen eines ihrer Projekte“ zu berichten, in denen sie feststellten, etwas für sie Bedeutsames gelernt zu haben.1705 Damit könnte der Blick auf solche Lernsituationen verstellt worden sein, die möglicherweise neben der Projektarbeit stattfanden. Man denke beispielsweise an die Übernahme von Aufgaben im Rahmen der
Vgl. Robinson 2013, S. 29. Vgl. exempl. Nicolini 2011, S. 606. 1702 Vgl. McDonald 2005. 1703 Sandberg/Tsoukas 2011, S. 351. 1704 Vgl. Kapitel III.1.3: Datenerhebung und -auswertung. 1705 Vgl. Anhang A4: Interviewleidfaden, Frage 3.1. 1700 1701
318
Schlussbetrachtung
Steuerung interner Management- oder Personalprozesse, wie der Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden. Dies ist insofern vertretbar, als dass das Forschungsinteresse auf die alltägliche Berufspraxis Beratender gerichtet war und die Projektarbeit als typisches Arbeitsumfeld verstanden werden kann.1706 6.4 Weiterer Forschungsbedarf Die Arbeit lässt mehrere Forschungsdesiderata erkennen, welche im nachfolgenden Abschnitt (a) mit der Untersuchung von Lernpraktiken und deren Manifestation in Verbindung gebracht werden können. Auch im Hinblick auf Faktoren des Lernens wird Bedarf nach weiterführenden Forschungsbemühungen deutlich, der in Abschnitt (b) aufgezeigt wird. 6.4.1
Lernpraktiken und Manifestation
Praxistheoretische
Erklärungsansätze
betonen
die
emergente
Natur
von
Handlungspraxis, wonach sich Praktiken im Zeitablauf verändern und fortentwickeln können. Dieser Aspekt der Zeitlichkeit wurde in der vorliegenden Arbeit zwar anhand der Konzeptualisierung von Lernpraktiken in der Beratungspraxis angedeutet1707, die Ergebnisse der empirischen Illustration basieren jedoch überwiegend auf Schilderungen von zeitpunktbezogenen Ereignissen, in denen gelernt bzw. nicht gelernt werden konnte. Auch in der praxistheoretischen Literatur sind ausführliche empirische Befunde zum emergenten Charakter von Lernpraktiken im Kontext der Unternehmensberatung rar. Hier besteht ein Forschungsdesideratum dahingehend, dass es mittels langfristiger Beobachtung nicht nur besser zu verstehen gilt, wie und wann sich die Ausprägungsformen von Lernpraktiken im Zeitverlauf verändern, sondern auch unter welchen Umständen bestehende Lernpraktiken verworfen werden bzw. neue Praktiken Eingang in das Repertoire von Beratenden finden. Im Hinblick auf Lernpraktiken besteht zudem Forschungsbedarf, der sich auf die Abhängigkeit der Ausprägungsform vom Erfahrungshintergrund von Beratenden richtet. In der Arbeit konnte gezeigt werden, dass Lernpraktiken nicht nur von „Juniors“ ohne umfangreiche Berufserfahrung, sondern von Beratenden aller Senioritätsstufen
1706 1707
Vgl. Gschmeidler/Lindner 2001, S. 327. Vgl. Kapitel II.2.3.2: Verortung von Lernpraktiken.
319
Schlussbetrachtung
reproduziert werden.1708 Es konnte jedoch keine Aussage dahingehend getroffen werden, ob bestimmte Lernpraktiken von Angehörigen eines bestimmten Erfahrungslevels besonders präferiert angewendet werden. So wäre denkbar, dass unerfahrene Beratende zur Entwicklung neuer Könnerschaft zunächst beobachten, während seniore Beratende unter Rückgriff auf gesammelte Erfahrungen eher im Zuge der Reproduktion von Praktiken gemeinsamen Denkens und Entwickelns lernen. Auch erscheint es plausibel, dass bestimmte Lernpraktiken, wie die des Recherchierens, ab einem gewissen Erfahrungslevel nicht mehr vollumfänglich angewendet werden können, da damit der Expertenstatus von Auftraggeberseite infrage gestellt werden könnte.1709 Worauf sich in der durchgeführten Interviewstudie ebenfalls keine eindeutigen Hinweise finden ließen, betrifft die Bedeutung von Verkörperung.1710 Diese wird von praxistheoretischen Autoren als ein wesentliches Merkmal von Lernen im Sinne der Entwicklung neuer Könnerschaft begriffen. Man denke etwa an Willems Untersuchung der
Arbeit
von
Disponenten
eines
Eisenbahnkontrollzentrums,
die,
seinen
Schlussfolgerungen zufolge, zunehmend geschickter darin wurden, ihren Körper und ihre Sinne mit praktischen Situationen und Störungen ihrer komplexen Arbeitsumgebung in Einklang zu bringen. Der Körper wird hier als ein Ort von Könnerschaft, als „site of knowing“1711 verstanden. Für die befragten Beratenden spielten in ihren Schilderungen körperliche Aspekte im Hinblick auf ihr Lernen jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Vermutlich betrifft das Merkmal der Verkörperung eher handwerkliche bzw. aufgabenbezogene Könnerschaft, wenn es um die gekonnte Nutzung von Werkzeugen oder Instrumenten jeglicher Art geht.1712 Es bleibt somit Gegenstand weiterführender Studien, die Bedeutung von Verkörperung für das Lernen in wissensintensiven Arbeitsumfeldern zu erkunden. Künftige praxistheoretisch fundierte Studien könnten sich auch mit der Frage befassen, inwiefern Ausprägungsformen von Lernpraktiken in Abhängigkeit unterschiedlicher, weiter oben1713 skizzenhaft thematisierter Archetypen von Beratungsorganisationen
Vgl. Kapitel III.3.1.1: Ergebnisreflexion. Vgl. Anhang A6: Lernaktivität „Den Kunden erzählen lassen und Fragen stellen, die schlau wirken“. 1710 Vgl. Kapitel II.2.2.1: Merkmale. 1711 Vgl. Willems 2017, S. 14. 1712 Vgl. Cook/Yanow 1993. 1713 Vgl. Kapitel I.2.3.2: Organisation. 1708 1709
320
Schlussbetrachtung
variieren. Als geeignete Antipoden kommen im Beratungskontext die inhabergeführte Partnerschaft (Professional Partnership) und der Beratungskonzern (Managed Professional Business) infrage, da sich diese in personalwirtschaftlicher Hinsicht grundlegend unterscheiden. Während in inhabergeführten Beratungsunternehmen personalbezogene Aufgaben noch überwiegend von Beratenden selbst übernommen werden, erfolgt dies in Beratungskonzernen in der Regel durch hierauf spezialisierte Personalabteilungen. Während in inhabergeführten Beratungsunternehmen tendenziell mehr auf das Zugehörigkeitsgefühl ihrer Beratenden geachtet wird, die durch ausgedehnte Sozialisierungsprozesse und das Bekenntnis zu gemeinsamen Werten miteinander verbunden sind, richten Beratungskonzerne ihre Aktivitäten auf Systeme zum Management von „Humanressourcen“ aus.1714 Neben diesen stellen Richter et al. Unterschiede bei personalwirtschaftlichen Praktiken im Bereich der Ausbildung fest. In Partnerschaften sind beispielsweise seniore Beratende, wie Partner und Projektmanager, noch stark in die Bereitstellung von Schulungen für juniore Beratende „on-the-job“ und „off-the-job“ eingebunden. In Beratungskonzernen werden hierfür öfter auch Beratende mit nur geringfügig größerem Erfahrungsschatz und professionelle Trainer (intern oder extern) eingebunden. Die Ausbildung ist dann in erster Linie auf die Vermittlung klar umrissener Fertigkeiten gerichtet, die es den Nachwuchskräften ermöglichen, vordefinierte „Arbeitspakete" auszuführen.1715 Es ist anzunehmen, dass sich dies auch darauf auswirkt, wie Beratende in ihrer beruflichen Praxis lernen. Im Hinblick auf die Ausprägungsform von Lernpraktiken ergibt sich somit Forschungsbedarf, was die Abhängigkeit vom Archetyp der Beratungsorganisation betrifft. Nicht zuletzt mögen für künftige Forschungsarbeiten auch Praktiken des „Verlernens“ von Interesse sein. Erste, bereits kontrovers diskutierte Ansätze zu „Organizational Unlearning“1716 gewinnen in der Organisations- und Managementforschung an Bedeutung. Es geht um die Frage, inwiefern Organisationen und Einzelpersonen absichtlich etabliertes Wissen verwerfen können, um neues Wissen zu integrieren.1717 In ersten Untersuchungen, wie beispielsweise in der von Grisold und Kollegen zur
Vgl. Richter/Dickmann/Graubner 2008, S. 184. Vgl. Richter/Dickmann/Graubner 2008, S. 196f. 1716 Vgl. zu Kritik von Begriff und empirischer Fundierung Howells/Scholderer 2016. 1717 Vgl. Tsang/Zahra 2008. 1714 1715
321
Schlussbetrachtung
beruflichen Praxis von Change Consultants, wird versucht, ein vertieftes Verständnis für die Nutzung und für die Ausprägungsformen des Konzepts zu entwickeln.1718 Weiterführende Forschungsbemühungen werden zeigen, ob, und falls ja, wie sich „Verlernpraktiken“ reproduzieren lassen. 6.4.2
Faktoren
Neben Lernpraktiken und ihrer Manifestation bieten auch lernbegünstigende und hemmende Faktoren Ansatzpunkte für weiterführende Studien. So wurde Führungsstil in der vorliegenden Arbeit nur indirekt thematisiert, wenn etwa auf soziale Beziehungen als Lernquelle abgestellt wurde. Aufgrund ihrer exponierten Position, zugesprochener Kompetenz und Bedeutung für den Projekterfolg1719 besteht Grund zur Annahme, dass der Führungsstil von Partnern und Projektleitern Einfluss nehmen kann auf die Lernvorgänge
Beratender.
Darauf
weisen
auch
Ergebnisse
arbeitsplatznaher
Lernforschung hin, wonach Führungskräfte den Lernansatz und die Lernergebnisse ihrer Mitarbeitenden beeinflussen können.1720 Angesichts dessen erscheint die Frage berechtigt, welcher Führungsstil begünstigend bzw. -hemmend auf die Reproduktion der identifizierten acht Lernpraktiken1721 Beratender einwirkt. Ein weiteres Forschungsdesideratum betrifft den, in situativer Lerntheorie immer noch unzureichend behandelten Aspekt von Macht. Dem Appell von Lave und Wenger, Machtverhältnisse im Zuge der Auseinandersetzung von Lernen miteinzubeziehen1722, wurde bislang nur unzureichend gefolgt.1723 Dies überrascht insofern, als dass gerade die situative
Lerntheorie
mit
Fokussierung
auf
Relationalität
bzw.
auf
soziale
Beziehungsgeflechte Ansatzpunkte liefert, die Bedeutung von Machtbeziehungen für das Lernen zu thematisieren („embeddedness of learning practices in power relations“1724). In der vorliegenden Arbeit wurde versucht, dieses Defizit zu adressieren, indem die Bedeutung von Macht für den Zugang zu Beratungsprojekten hinterfragt wurde.1725 Aus
Vgl. Grisold/Klammer/Kragulj 2020. Vgl. Geoghegan/Dulewicz 2008. 1720 Vgl. Froehlich/Segers/van den Bossche 2014. 1721 Vgl. Kapitel III.3.1: Lernpraktiken und Manifestation. 1722 Vgl. Lave/Wenger 1991, S. 42. 1723 Vgl. Contu/Willmott 2003, S. 286. 1724 Contu/Willmott 2003, S. 283. 1725 Vgl. Kapitel II.3.1.3 (2): Einfluss von Macht. 1718 1719
322
Schlussbetrachtung
den Studienergebnissen ließen sich jedoch nur vereinzelt Hinweise1726 auf die lernhemmende Wirkung von Macht erkennen. Hier erscheint eine weiterführende Betrachtung
angebracht.
Künftige
Arbeiten
könnten
beispielsweise
mittels
teilnehmender Beobachtung über einen längeren Zeitraum analysieren, inwiefern räumliche und zeitliche Aspekte von Macht Einfluss auf die Reproduktion von Lernpraktiken in der Unternehmensberatung nehmen.1727 6.5 Ausblick: Praktische Implikationen mit Empfehlungen Die in der Unternehmenspraxis vorzufindende Diskrepanz zwischen Bedeutung und tatsächlicher Auseinandersetzung mit der Frage, wie Beratende in ihrer alltäglichen Berufspraxis lernen, stellte eingangs1728 den Anlass für eine vertiefte Auseinandersetzung mit Ausprägungsformen, Faktoren und der Manifestation von Lernpraktiken in der Unternehmensberatung dar. Die Nutzung einer praxistheoretischen Analyseperspektive erlaubte es, damit in Zusammenhang stehenden Forschungsdefizite zu adressieren. Wie nachfolgend deutlich wird, ergeben sich hieraus auch praktische Implikationen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden diese nun ausblickhaft vorgestellt, erneut die Sichtweise von Beratenden in Abschnitt (a), Beratungsunternehmen in Abschnitt (b) und Auftraggebern in Abschnitt (c) aufgreifend. 6.5.1
Implikationen für Beratende
Die praxistheoretisch fundierten Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zu Lernpraktiken in der Unternehmensberatung vermitteln Beratenden Anregungen, wie in der alltäglichen Beratungspraxis eine primär implizit angelegte Könnerschaft bzw. ein „Sich-auf-etwasverstehen“1729 entwickelt werden kann, um den zunehmenden Anforderungen von Auftraggebern gerecht zu werden1730 und in einem konkurrenzbetonten Umfeld1731 zu bestehen. Die Reproduktion hierfür erforderlicher Lernpraktiken findet „outside the
Vgl. Kapitel III.2.2.1 (1): Zugang zu Praxisgemeinschaften und Netzwerken. Vgl. Lervik/Fahy/Easterby-Smith 2010. 1728 Vgl. Einführungskapitel (1): Relevanz einer vertieften Auseinandersetzung mit Lernpraktiken Beratender. 1729 Vgl. Reckwitz 2003, S. 289. 1730 Vgl. Geffroy/Schulz 2015, S. 51ff. ; Murmann 2017, S. 14. 1731 Vgl. exempl. Costas/Kärreman 2015, S. 68 und Geffroy/Schulz 2015, S. 19. 1726 1727
323
Schlussbetrachtung
classroom“1732 statt und kann als untrennbar mit Beratungspraktiken bzw. dem alltäglichen praktischen Tun Beratender verbunden betrachtet werden. Der Interaktion mit Vorgesetzten, Kollegen und auch Individuen auf Auftraggeberseite kommt eine zentrale Bedeutung zu. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Gelegenheiten für gemeinsames Denken und Entwickeln genutzt werden, um miteinander und voneinander anhand komplexer Problemstellungen zu lernen. Damit verbundene lernbegünstigende und -hemmende Aspekte1733 erlauben die Ableitung der nachfolgenden, freilich nur beispielhaft angeführten Handlungsempfehlungen: -
Projektleiter fungieren innerhalb der Projektorganisation in der Regel als kommunikative
Schnittstelle
Lenkungsgremien.1734
zwischen
den
Teilprojekten
und
den
Sie sollten diese Rolle nutzen, um auf einen regelmäßigen
Austausch unterschiedlicher Stakeholder hinzuwirken. In einem möglichst handlungsentlasteten Kontext jenseits einer formalen Reporting-Logik und unter Berücksichtigung unternehmenspolitischer Rahmenbedingungen können, bei Bedarf moderierte, Dialogformate die Gelegenheit bieten, gemeinsam voneinander und miteinander anhand konkreter Projektherausforderungen zu lernen. Das von Beteiligten häufig angeführte Argument fehlender Zeit kann durch die effiziente Nutzung digitaler, ortsunabhängiger Kommunikationswege zumindest z. T. entkräftet werden. -
Gelegenheiten für gemeinsames Denken, wie etwa die Nachbesprechung von Workshops mit der Führungskraft oder regelmäßige Fallbesprechungen zu einer bestimmten projektbezogenen Themenstellung innerhalb des Projektteams, sollten insbesondere auch juniore Beratende ohne langjährige Berufserfahrung einfordern und sich aktiv daran beteiligen. Den Nutzen eines solchen Diskurses illustriert das Zitat eines Senior Projektleiters: „Ich war bei einem Partner aufgehangen […], der ist ins Team gekommen. Da waren lauter junge Leute. Da hat der einfach Themen besprochen. Die meisten Kollegen sitzen da und guckten wie die Entgeisterten, was da jetzt los ist. Und mich hat das angeregt. Ich habe dann halt einfach mitdiskutiert, auch wenn ich vielleicht im ersten Moment blöde Argumente
Vgl. Crouse/Doyle/Young 2011, S. 40f. Vgl. Anhang A8: Lernbegünstigende Determinanten. 1734 Vgl. Kapitel I.2.4.2: Organisation. 1732 1733
324
Schlussbetrachtung
gebracht habe, aber das war interessant für mich. Und das war für den Partner auch gut, weil der kam dann auf einmal wieder und sagte: „Wow, so habe ich das Thema noch gar nicht gesehen. […]. Das ist immer wieder der Diskurs. Das ist, wo ich am meisten gelernt habe.1735 -
In ihrer täglichen Berufspraxis agieren Beratende als Angehörige epistemischer Gemeinschaften innerhalb zweckgebundener Koalitionen ohne starke soziale Bindungen.1736 Ihre Leistungen werden im Rahmen eines zumeist rigiden und wettbewerbsorientierten Laufbahnmodells evaluiert1737. Konkurrenzdenken kann die Folge sein und die gemeinsame, auf Kooperation angelegte Reproduktion von Lernpraktiken gemeinsamen Denkens und Entwickelns erschweren. Diese Lernpraktiken erwiesen sich in der Arbeit jedoch als bedeutsam zur Erlangung neuer Könnerschaft in handlungs- und faktenbezogener Hinsicht. Beratende sollten sich dieses Balanceakts bewusst sein und in ihrer Beratungspraxis, bspw. im Rahmen von Entwicklungsgesprächen mit einem Mentor innerhalb der Beratungsorganisation
oder
einem
externen
Coach,
situationsabhängig
hinterfragen, ob Kooperation oder Konkurrenzdenken der eigenen Entwicklung zuträglicher ist. 6.5.2
Implikationen für Beratungsunternehmen
Das Geschäftsmodell von Beratungsunternehmen basiert im Wesentlichen auf dem Wissen und Können ihrer Mitarbeitenden.1738 Dies langfristig zu bewahren gilt als erfolgskritisch und aufgrund der Consulting-typisch hohen Mitarbeiterfluktuation1739 als herausfordernd zugleich. So hat das „Up-or-out“ Prinzip1740 in der Laufbahnentwicklung nach wie vor Bestand. Viele Beratende wechseln auf die Auftraggeberseite. „Dadurch geht den Beratungen an diesem ‚Nadelöhr‘ viel Wissen verloren“, wie Bredl und Fleischer feststellen.1741 Maßnahmen, die dazu beitragen, dass Beratende während ihrer
SCB055-479-496. Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 361. 1737 Vgl. Kaiser et al. 2015, S. 84, zit. nach Connelly et al. 2014 und Ghosh/Waldman 2010. 1738 Vgl. Domsch/Hristozova 2006, S. 5. 1739 Vgl. Odgers-Berndtson 2017, S. 34. 1740 Vgl. Oller 2019. 1741 Bredl/Fleischer 2016, S. 590f. 1735 1736
325
Schlussbetrachtung
vergleichsweise kurzen Unternehmenszugehörigkeit in der alltäglichen Beratungspraxis voneinander und miteinander lernen, erweisen sich vor diesem Hintergrund als erfolgskritisch im Hinblick auf die Sicherung von Wissen und Können im Unternehmen. In puncto Lernen dominieren in Beratungsunternehmen jedoch noch häufig formal organisierte und mitunter praxisferne Lern- und Entwicklungsformate.1742 Damit verbundene Unzulänglichkeiten1743 scheinen ignoriert oder zumindest in Kauf genommen zu werden. Die Konfusion, die etwa mit einem überbordenden Spektrum angebotener Lerninhalte einhergehen kann, schildert ein befragter Senior Projektleiter wie folgt: „Unser Trainingskatalog: […] Völlig undurchschaubar. Und es kommt immer, immer mehr anstatt, dass man reduziert. [...] Dieser Dschungel ist furchtbar unübersichtlich. Und ich kann mir vorstellen, jeder Consultant, der jetzt reinkommt, der tut sich noch viel, viel schwerer als ich damals. Der wird in ein Raster reingezwängt und gleichzeitig sagt man, man will selbständige Berater. Also das ist für mich einfach negativ.“1744 Aus Sicht eines weiteren befragten Consultants greifen im schnelllebigen Beratungsgeschäft lange im Voraus geplante Schulungsmaßnahmen zu kurz: Diese kommen „ja immer mit Zeitverzug. Also man erkennt irgendwo ein Thema, wo man nicht so gut ist, geradezu anfangs oder wo man noch nicht das Vorwissen hat. […] Und dann gehen vielleicht Wochen oder sogar Monate ins Land, bis die Schulung dann auch kommt. Also dieser Zeitverzug ist […] ein Problem bei den Trainings.“1745 Es überrascht angesichts dieser Aussagen nur wenig, dass der BDU ein Umdenken in der Branche hinsichtlich Weiterbildung und Qualifizierung als „TopTrend“1746 anregt. Um auf praxisnahes Lernen zu fokussieren und eine zeitgerechte Unterstützung bei der Erlangung neuer Könnerschaft zu ermöglichen, empfiehlt es sich für das Management von Beratungsunternehmen, … -
…. das Lernen Beratender nicht ausschließlich als Frage institutionalisierter Weiterbildung zu verstehen. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit liefern vielmehr gute Gründe, das Beratungsprojekt als das typische Arbeitsumfeld
Vgl. exempl. Übersicht zu Formaten der Personalentwicklung im Beratungsunternehmen Booz Allen Hamilton, dargestellt bei Bernnat/Sonnenschein 2006, S. 88. 1743 Vgl. Bednall/Sanders/Runhaar 2014, S. 46 in Anlehnung an Hall 1996 und Wilson/Berne. 1999. 1744 BAR006-624-633. 1745 KRO053-076-081. 1746 Murmann 2017, S. 14. 1742
326
Schlussbetrachtung
Beratender1747 in den Mittelpunkt zu rücken. Darauf weisen die zahlreich geschilderten Situationen in Projekteinsätzen hin, in denen Beratende Lernpraktiken reproduzieren und so neue Könnerschaft entwickeln konnten. Die Charakterisierung als „potenzieller Lernkontext“ führt jedoch zugleich vor Augen, dass nicht im Rahmen eines jeden Beratungsprojekts gleichermaßen gelernt werden kann, Lernen dort gar verhindert wird.1748 Insofern sollte auf die Dämpfung
lernhemmender
Faktoren
wie
ausufernde
Routine
und
undifferenziertes Feedback im Projektalltag hingewirkt werden. -
… bereits in der Projekteinsatzplanung die Weichen dafür zu stellen, dass Lernpraktiken in der alltäglichen Beratungspraxis reproduziert werden können, beispielsweise dadurch, dass ein breiter Aufgabenumfang ermöglicht wird und im Sinne eines „unbewussten Ausgesetzseins“1749 in variierenden Teamgrößen gearbeitet werden kann. Während der Projektlaufzeit sollten Feedback- und Teambesprechungsformate als verpflichtend vorgegeben werden, welche den Zugang zu Diskursen als bedeutsame Lernquelle erleichtern.
-
… im Rahmen der Führungskräfteentwicklung für relevante Rahmenbedingungen des Lernens, wie Autonomie und Abwechslung, zu sensibilisieren, die auf die Reproduktion von Lernpraktiken und somit die Wettbewerbsfähigkeit des Beratungsunternehmens maßgeblich Einfluss nehmen können. Es sollte auch der Rahmen dafür geschaffen werden, dass Beratende, trotz ggf. bereits akquirierter Folgemandate ausreichend Zeit für die abschließende Projektdokumentation („Debriefing“)
erhalten.
Dies
umfasst
auch,
mit
Kollegen
erkannte
Verbesserungsansätze für künftige Projekte zu reflektieren. Es liegt hier im Entscheidungsbereich
des
Managements
von
Beratungsunternehmen,
resultierende zeitliche Aufwände als produktiv zu werten, obwohl sie dem Kunden nicht in Rechnung gestellt werden können. Für Beratende ergibt sich dadurch ein größerer Anreiz, Lernpraktiken auch nach Projektabschluss zu reproduzieren ohne die Verbuchung von Zeit „on the Beach“1750 fürchten zu müssen. Zudem wird
Vgl. Gschmeidler/Lindner 2001, S. 327. Vgl. Kapitel III.3.2: Das Beratungsprojekt als potenzieller Lernkontext. 1749 Vgl. Kapitel II.3.1.2 (2): Unbewusstes Ausgesetzt-sein. 1750 Vgl. Redaktion Consulting Life o. D. 1747 1748
327
Schlussbetrachtung
damit der Belegschaft signalisiert, dass Lernen als Investition in die eigene Wettbewerbsfähigkeit betrachtet und ernst genommen wird. 6.5.3
Implikationen für Auftraggeber
Der Erwerb geschäftsrelevanten Wissens und das Lernen von externen Akteuren wurden eingangs als wesentliche Beweggründe für die Mandatierung Beratender angeführt.1751 Daraus wurde geschlussfolgert, dass Auftraggeber selbst ein Interesse haben sollten, Beratende in ihrer Ausübung von Lernpraktiken bestmöglich zu unterstützen, um letztlich selbst davon profitieren zu können. Angesichts branchenüblich hoher Honorarsätze wirkt dem jedoch der in der Unternehmenspraxis zu beobachtende Trend eines Berater-Controllings entgegen, was als Ausdruck von Klientenprofessionalisierung gewertet
wird.1752
Der
Vorstellung
von
Auftraggebern,
dass
Wissen
von
Beratungsunternehmen eingekauft und in einer vordefinierten Projektzeit abgerufen werden kann, erweist sich jedoch insofern als Illusion, als dass es im „VUKA-Kontext“ – um im Praktikerjargon zu bleiben – immer seltener möglich ist, bewährtes Fachwissen blaupausenartig anzuwenden. Im Zuge von Lernprozessen geht es vielmehr darum, „neues Wissen zu schaffen, das vorher nicht vorhanden war"1753, basierend auf der Mobilisierung von Vielfalt, Mehrdeutigkeit und Unsicherheit.1754 Dies erfordert mitunter die Handhabung von „bösartigen“1755, weil unstrukturierten, Problemstellungen, die sich nur selten mit einfachen Heuristiken bearbeiten lassen. Um als Auftraggeber von der Mandatierung Beratender profitieren zu können, ist angesichts dessen davon auszugehen, dass sich diese das hierfür notwendige, projektspezifische Wissen und Können erst selbst erschließen müssen.1756 Die gewonnenen Studienergebnisse zeigen, dass die Reproduktion darauf ausgerichteter Lernpraktiken maßgeblich auf sozialer Interaktion basierten – sowohl mit Individuen der eigenen Organisation als auch mit
Vgl. Handley et al. 2007, S. 182 und Kubr 2007., S. 16. Vgl. Paust 2012, S. 9f. 1753 Vgl. Creplet et al. 2001, S. 1521. 1754 Vgl. Ash/Roberts 2008, S. 361. 1755 Ringlstetter/Kaiser/Bürger 2004, S. 13. 1756 Vgl. Bourgoin/Harvey 2018, S. 1612 in Anlehnung an Van Maanen J./Schein 1977. 1751 1752
328
Schlussbetrachtung
Individuen der Auftraggeberseite.1757 Dies führt zur Herausforderung, eine Balance zu finden zwischen Berater-Controlling und „Berater-Enabling“, was bedeuten kann, … -
… bereits im Angebotsprozess den Projektzeitrahmen so auszulegen, dass ausreichend Zeit für Einarbeitung zu Beginn und Ergebnisreflexion während des Beratungsprozess mit der Auftraggeberseite zur Verfügung steht.
-
…
die
Lernpraktik
des
Ausprobierens1758
zur
Erlangung
neuer
handlungsbezogener Könnerschaft zuzulassen, ohne den Nutzen mandatierter Beratender unter Verweis auf fehlende Expertise in Frage zu stellen. -
…
Gelegenheiten
für
„gemeinsames
Denken“1759
zu
schaffen.
Die
Studienergebnisse der Arbeit stützen die Vermutung, dass im Zuge gemeinsamen Denkens und Entwickelns Könnerschaft „geteilt“ werden kann, indem sich Projektbeteiligte wechselseitig durch ihr Verständnis für das Problem leiten lassen1760 und so gemeinsam zu
kompetenteren
Praktikern in
ihrer
Handlungspraxis werden können.1761 Hieraus resultierender zeitlicher und monetärer Zusatzaufwand kann als Investition in den Erwerb geschäftsrelevanten Wissens und das Lernen von externen Akteuren verargumentiert werden. Aufgrund der unbestrittenen Bedeutung arbeitsplatznahen Lernens1762 empfiehlt es sich Beratenden, dem Management von Beratungsunternehmen wie auch Auftraggebern, nicht
zuletzt
die
konsequente
Beschäftigung
mit
Lernpraktiken
selbst,
als
wiederkehrende Episode in ihre alltägliche Handlungspraxis zu integrieren. Die vorliegende Forschungsarbeit liefert hierfür zahlreiche Anknüpfungspunkte und gute Gründe, es als überholt zu bezeichnen, die Auseinandersetzung mit Lernpraktiken im Kontext der Unternehmensberatung als „Cinderella of management theory and practice“1763 zu begreifen.
Vgl. Kapitel III.3.1.1 (2): Soziale Aspekte. Vgl. Kapitel II.2.1.1 (2): Ausprobieren. 1759 Vgl. Kapitel II.3.2: Gelegenheiten für gemeinsames Denken. 1760 Vgl. Pyrko/Dörfler/Eden 2017, S. 393. 1761 Vgl. Kipping/Engwall 2002, S. 8. 1762 Vgl. Clarke 2005; Jacobs 2003; Lohman 2005. 1763 Contu/Willmott 2003, S. 283. 1757 1758
329
Anhang A1. Problemstrukturierung in der Beratungspraxis1764 Situation
Eine unstrittige Beschreibung der Ausgangssituation im stabilen Zustand.
Das, was die stabile Situation verändert und das Problem ausgelöst hat.
Herausforderung
Fragestellung
Aus der Herausforderung entstandene, lösungsorientierte Frage.
Hypothese
Empfehlung zur Lösung der Herausforderung bzw. Antwort auf Fragestellung.
Zusammenfassung
Beweis
Zusammenfassung Primäre Annahme 1
Primäre Annahme 2
Primäre Annahme 3 Beweis
Sekundäre Annahme 1
Sekundäre Annahme 2
Sekundäre Annahme 1
Tertiäre Annahme 1 oder Fakt 1
Sekundäre Annahme 2
Schlüsselannahmen, die die Hypothese beweisen, sollten „MECE“ (mutually exclusive and collectively exhaustive) sein. Jede Annahme wird durch eine zweite Ebene von Annahmen unterstützt, die die Aussage beweisen.
Tertiäre Annahme 2 oder Fakt 2
A2. Klingelanlage im Beraterhochhaus1765 Terminator (bezahlter) Jobkiller
Sprachrohr Vorstandssprecher
Aufklärer Selbstständiger
Grünschnabel Phrasendrescher
Besamer (in-folio-insemination)
Schlichter (Schieds-)Richter
Experte Sachverständiger
Arroganter Besserwisser, Yuppie
Designer Organigrammzeichner
Showman Bluffer
Sprachschöpfer Modeschöpfer
Superman Alleskönner
Sozialingenieur Reperateur
Animateur Inspirateur
Magier Mantiker
(Verpackungs-)Künstler Koran-Formulierer
Brandstifter Sprengmeister
Cross-Seller Bauchladenverkäufer
Guru Heiland, Retter
Wahl-Helfer Komplexitätsreduzierer
Sanierer Abrissunternehmer
Dealer, PlaceboVersschreiber
Katalysator Prozessbeschleuniger
Schwarzes Schaf (unter lauter weißen)
Enthüller, Detektiv (Org. Intelligence)
Müllbeseitiger Abräumer
Akzeptanzbeschaffer Mietling
Sensibilisierer Irritierter (Chaot?)
Coach, Trainer (Be-)Lehrer
Meinungsforscher Datenfreak
Architekt Bauleiter
Stillsteller int. Kritiker Legitimationsbeschaffer
Arzt Therapeut
Weismacher Scharlatan
Sündenbock Blitzableiter
Königsmacher Pate
Abzocker raffgierige Hyäne
Handaufleger Handanleger
Entwicklungshelfer Change Agent
Verhinderer Bremser
Eunuch Potenzspritzer
Röntgenauge Selektor
Spitzel Denunziant
Innovator Modernisierer
Rasputin Einflüsterer
Macher Berufsoptimist
Kommunikator Präsentator
Schmerzensgeldempf. Prügelknabe
Alibi-Beschaffer Gefälligkeitsgutachter
Moderator Gruppendynamiker
Komplize Koalitionär
Dogmatiker Pendant
Nein-Sager, Hofnarr Bestellter Kritiker
Beichtvater Entlaster
Sokratiker Hebamme
Ja-Sager Bespiegler
Aktivator Impulsgeber
Akquisiteur Bankangestellter
Wahr-sager Wahrsager
Makler (Geschäfte-)Vermittler
Schachfigur Nützling
Navigator Pfadfinder
Costcutter, GWAler EDV-Verkäufer
Quelle: Eigene Darstellung zur Illustration (beispielhaft, schematisch), verwendet in Beratungspraxis des Verfassers. Vgl. Kapitel III.1.1: Angaben zum Forschenden und zur Position im Feld.
1764
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Rainer, Lernpraktiken in der Unternehmensberatung, Zukunftsfähige Unternehmensführung in Forschung und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42989-8
330
Anhang
A3. Consolidated criteria for reporting qualitative studies (COREQ): 32-item checklist1766 No.
Item
Guide questions/description
Domain 1: Research team and reflexivity Personal Characteristics 1 2 3 4 5
Interviewer/ facilitator Credentials Occupation Gender Experience and training
Which author/s conducted the interview or focus group? What were the researcher’s credentials? E.g., PhD, MD What was their occupation at the time of the study? Was the researcher male or female? What experience or training did the researcher have?
Relationship with participants 6 7 8
Relationship established Participant knowledge of the interviewer Interviewer characteristics
Was a relationship established prior to study commencement? What did the participants know about the researcher? E.g., personal goals, reasons for doing the research What characteristics were reported about the interviewer/ facilitator? E.g., Bias, assumptions, reasons and interests in the research topic
Domain 2: Study design Theoretical framework 9
Methodological orientation and Theory
What methodological orientation was stated to underpin the study? e.g. grounded theory, discourse analysis, ethnography, phenomenology, content analysis
Participant selection 10
Sampling
11
Method of approach
12 13
Sample size Non-participation
How were participants selected? E.g., purposive, convenience, consecutive, snowball How were participants approached? E.g., face-to-face, telephone, mail, email How many participants were in the study? How many people refused to participate or dropped out? Reasons?
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Müller/Nagel/Zirkler 2006, S. 19; dort zitiert nach Neuberger 2002b, S. 136. 1766 Vgl. Tong/Sainsbury/Craig 2007. 1765
331
Anhang
Setting 14 15 16
Setting of data collection Presence of nonparticipants Description of sample
Where was the data collected? E.g., home, clinic, workplace Was anyone else present besides the participants and researchers? What are the important characteristics of the sample? E.g., demographic data, date
Data collection 17
Interview guide
18 19 20
Repeat interviews Audio/visual recording Field notes
21 22 23
Duration Data saturation Transcripts returned
Were questions, prompts, guides provided by the authors? Was it pilot tested? Were repeat interviews carried out? If yes, how many? Did the research use audio or visual recording to collect the data? Were field notes made during and/or after the interview or focus group? What was the duration of the interviews or focus group? Was data saturation discussed? Were transcripts returned to participants for comment and/or correction?
Domain 3: Analysis and findings Data analysis 24
26
Number of data coders Description of the coding tree Derivation of themes
27
Software
28
Participant checking
25
How many data coders coded the data? Did authors provide a description of the coding tree? Were themes identified in advance or derived from the data? What software, if applicable, was used to manage the data? Did participants provide feedback on the findings?
Reporting 29
Quotations presented
30
Data and findings consistent Clarity of major themes Clarity of minor themes
31 32
Were participant quotations presented to illustrate the themes / findings? Was each quotation identified? E.g., participant number Was there consistency between the data presented and the findings? Were major themes clearly presented in the findings? Is there a description of diverse cases or discussion of minor themes?
332
Anhang
A4. Interviewleitfaden
333
Anhang
334
Anhang
335
Anhang
A5. Ausprägungen neuer handlungsbezogener Könnerschaft In
14
Situationen
wurden
30
Aktivitäten
genannt
zur
Erlangung
neuer
handlungsbezogener Könnerschaft, die drei Praktiken des Lernens zugeordnet werden können: Gemeinsam denken (GD), ausprobieren (A) und beobachten (B). Nr. Situation 1767
1
2
3
4
Erster KundenWorkshop
Arbeit mit Office-Software zum Berufsstart E-MailKommunikatio n zum Berufsstart
Eingekauft, um unbequeme Meinung zu vertreten
Ausprägung neuer handlungsbezogener Könnerschaft
Praktik
Lernaktivität
Vorbereitete Agenda flexibel handhaben
GD
Mit Führungskraft nachbesprechen
B
Führungskraft beobachten
B
Jemandem zusehen
A
Versuchen umzusetzen
A
Ausprobieren
GD
Ansprechpartner befragen
GD
Situationen mit Coach üben
A
Verhaltensweisen probieren
GD
Gemeinsam Erfahrungen reflektieren
Outlook und Excel nutzen
E-Mails knapp formulieren
Botschaften adressatenbezogen gestalten
5
Erstes Fotoprotokoll
Fotoprotokolle mit Präsentationssoftware erstellen
GD
Sich mit Erfahrungsträgern austauschen
6
Vorbereitung Kundengespräch
Antizipativ denken und sich verhalten
A
Vordenken und vorleisten
1767
Nummer Kontexteinheit aus Kodierleitfaden.
336
Anhang
7
Leitung von Kundenteams
Sich als Experte gerieren
GD
Sparring mit seniorem Kollegen durchführen
A
Sich selbst vorsprechen
A
Üben und sich selbst Fragen stellen
8
Unternehmens- Sensibel in verkauf Personalabbauprozessen vorgehen
GD
Eigene Vorgehensweise hinterfragen
9
Zu viel Kosten gespart
GD
Zusammensetzen, um zu reflektieren
GD
Feedback reflektieren und mittels Roadmap strukturieren
Sich am Kundenbedürfnis orientieren
10
Aufbau eines MVNO1768
Klare Botschaften überbringen und harte Terminfristen setzen
B
Kollegen beobachten
11
Blitzableiter und Sündenbock des Kunden
Konfliktäre Situation entschärfen
GD
Im Team Situation durchspielen
A
Versuchen
GD
Klienten-Meeting mit Kollegen nachbesprechen
12
22
1768
E-MailKommunikation zum Berufsstart (2)
Unfreundliches Umfeld
Eigenen Schreibstil für E- B Mails entwickeln
Projektvorgehen mit Erwartungen des Auftraggebers abstimmen
E-Mails Anderer analysieren
GD
Mit Mentor arbeiten
A
Üben
A
Versuchen
GD
Im Team eigenes Vorgehen reflektieren
GD
Vom Kunden Feedback einholen
Engl. Mobile Virtual Network Operator: Mobilfunkanbieter ohne eigenes Mobilfunknetz.
337
Anhang
23
Vorstandssitzung
Ergebnispräsentation an den Fragen des Klienten ausrichten
B
Vom Projektpartner abschauen
A
Üben
B
Reaktionen anderer beobachten
A6. Ausprägungen neuer faktenbezogener Könnerschaft In sieben Situationen wurden 27 Aktivitäten genannt zur Erlangung neuer faktenbezogener Könnerschaft, die sich drei Praktiken des Lernens zuordnen ließen: Gemeinsam entwickeln (GE), recherchieren (R) und strukturieren (S). Nr. Situation 1769
13
14
1769
Restrukturierung
Projektvorbereitung
Ausprägung neuer faktenbezogener Könnerschaft
Praktik
Lernaktivität
Ansatz von ChangeManagement verstanden
GE
Gemeinsam diskutieren
GE
Gemeinsam konzeptionell ausarbeiten
GE
Im Projekt umsetzen
GE
Dem Kunden erklären
S
In eine strukturierte Darstellung bringen
R
Lesen
S
Aufzeichnen von Hypothesenbäumen
GE
Iterativ im Dialog mit Führungskraft und Kollegen entwickeln
Hypothesen zu einer Problemstellung als Grundlage für Arbeitsplanung formuliert
Nummer Kontexteinheit aus Kodierleitfaden.
338
Anhang
15
16
17
18
1770 1771
Preisoptimierung
Einführung ERP System1771
Vorbereitung Ergebnispräsentation
Projekteinsatz ohne Anleitung „im kalten Wasser“
Optimierungspotenzial für Airline Pricing identifiziert
Verständnis zur Funktionsweise erlangt
Verständnis von Ergebnissen demonstriert
Möglichkeiten der Währungssicherung ermittelt
S
Aus „Präzedenzfällen“1770 Muster ableiten
S
Zwischenschritte zum Ziel definieren
GE
Gemeinsam Mustererkennung durchführen
GE
Gemeinsam Ideen spinnen
R
Experteninterviews führen
GE
Aus Indikation einen Präzedenzfall generieren
R
Drauf los googlen
R
Den Kunden erzählen lassen und Fragen stellen, die schlau wirken
R
Unterlagen von Kollegen suchen
R
Briefing von Senior Berater mitschreiben
S
Mitschriften in eine Struktur bringen
S
Anhand von Leitfragen aus Studium strukturieren
R
Mit Fachleuten in der eigenen Organisation sprechen
R
Studieren einschlägiger Fachliteratur
GE
Mit Partner diskutieren
Vgl. Kapitel III.2.1.2 (3): Strukturieren. Software für Enterprise Resource Planning bzw. Ressourcenplanung eines Unternehmens.
339
Anhang
19
Kurzfristige Angebotserstellung "über Nacht"
Angebotsunterlage entwickelt
R
Sich mit Kollegen austauschen
R
Sich mit Partner austauschen
S
Angebotsgegenstand strukturieren
GE
Vorstellen und probieren
A7. Ausprägungen neuer personenbezogener Könnerschaft In fünf Situationen wurden sechs Aktivitäten genannt zur Erlangung neuer personenbezogener Könnerschaft, die zwei Praktiken des Lernens zugeordnet werden können: Andere suchen (ANS) und sich selbst suchen (SIS). Nr. Situation 1772
Ausprägung neuer personenbezogener Könnerschaft
Praktik
Lernaktivität
20
Rechnungserstellung
Wirkung der Gestaltung selbst verfasster Dokumente verstanden
SIS
Über sich selbst reflektieren
7
Leitung von Kundenteams
Persönliches Verbesserungspotenzial erkannt
SIS
Sich nach einem Termin selbst reflektieren
4
Eingekauft, um unbequeme Meinung zu vertreten
Vertieftes Verständnis zu Eigen- und Fremdbild entwickelt
SIS
Sich mit Eigen- und Fremdbild beschäftigen
21
Organisationsentwicklung
Kollaboration in der Organisation optimiert
ANS
Erfahrungsträger auf digitaler Plattform identifizieren
10
Aufbau eines MVNO
Persönlichkeitsmerkmale des Kunden einschätzen
ANS
Kunden auf Karrierenetzwerken durchleuchten
ANS
Kärtchen mit Eigenschaften von
1772
Nummer Kontexteinheit aus Kodierleitfaden.
340
Anhang
Persönlichkeitsmerkmalen nachlesen
A8. Lernbegünstigende Faktoren In 22 Situationen, in denen neue Könnerschaft entwickelt werden konnte (siehe Anhang A5-A7), nannten die Befragten 38, die Reproduktion von Lernpraktiken begünstigende Aspekte, die den Faktoren „Zugang zu Praxisgemeinschaften“ (ZP) und „Gelegenheiten gemeinsamen Denkens“ (GGD) sowie den Rahmenbedingungen „Autonomie“ (AU), „Abwechslung“ (AB) und „gemeinsam nutzbare Artefakte“ (GNA) zugeordnet werden können. Nr. Situation
Lernbegünstigender Aspekt
Faktor
Gelegenheit zur Nachbesprechung
GGD
Möglichkeit zur Beobachtung
ZP
1773
1
Erster KundenWorkshop mit unklarer Zielrichtung
2
Arbeit mit OfficeSoftware zum Berufsstart
Jemandem über die Schulter sehen können
ZP
3
E-Mailkommunikation zum Berufsstart
Rückmeldung von Führungskraft
ZP
Gelegenheit zum Gespräch mit Ansprechpartnern
GGD
4
Eingekauft, um Erhalt von Feedback unbequeme Meinung zu vertreten
ZP
5
Erstes Fotoprotokoll
Möglichkeit, Fragen zu stellen
GGD
6
Vorbereitung Kundengespräch
Potenzielle Nachfragen vom Kunden, von Projektleitern oder Partnern
AU
7
Leitung von Kundenteams
Fehlen gefühlter Hierarchie
AU
Bestätigung von seniorem Kollegen
AU
Leitfaden zur Projektbearbeitung
GNA
Hilfestellung von Projektmitarbeiter
ZP
1773
Nummer Kontexteinheit aus Kodierleitfaden.
341
Anhang
Übertragung von Verantwortung
AU
9
Zu viel Kosten gespart
Austausch mit einer Vielzahl von Stakeholdern (Peers, Vorgesetzte, Kunden, ext. Dritte)
GGD
10
Aufbau eines MVNO
Ratschlag von erfahrenem Kollegen
ZP
Möglichkeit zur Beobachtung der Führungskraft
ZP
Einbindung Projektteam in gemeinsame Überlegungen
GGD
Räumliche Nähe
GGD
Zeit für Reflexion
GGD
Einsatz auf Kundenprojekt
ZP
Direktes, ehrliches Feedback
ZP
Sachliche Diskussion ohne Folgen für Beziehungsebene
GGD
Kundenkontakt
ZP
Möglichkeit zur Mitgestaltung
AU
11
12
13
Blitzableiter und Sündenbock des Kunden
E-Mailkommunikation zum Berufsstart
Restrukturierung
14
Projektvorbereitung
Im Dialog entwickelter Hypothesenbaum
GNA
15
Preisoptimierung
Bestätigung durch erste Ergebnisse
AU
Graphische Darstellung von Datenpunkten
GNA
16
Einführung ERPSystem1774
Aussicht auf Wahrnehmung als Experte AU und damit verbundener monetärer Kompensation Aussicht auf herausfordernde Aufgaben
AB
Aussicht auf zeitkritische Aufgaben
AB
17
Vorbereitung Ergebnispräsentation
18
Projekteinsatz ohne An- Zeit für Diskussion im Team leitung „im kalten Wasser“
19
Angebotserstellung
1774
GGD
Zugang zu erfahrenen Fachleuten
ZP
Herausfordernde Projekte
AB
Software für Enterprise Resource Planning bzw. Ressourcenplanung eines Unternehmens.
342
Anhang
Arbeitsauftrag von Partner
ZP
20
Rechnungserstellung
Hinweis von Mandanten
ZP
21
Organisationsentwicklung
Kooperation im Team
ZP
Verhalten Führungskraft
ZP
Feedback von Partner
ZP
23
Vorstandssitzung
A9. Lernhemmende Faktoren In 17 Situationen wurden 28, die Reproduktion von Lernpraktiken hemmende Aspekte identifiziert, die den Faktoren „Zugang zu Praxisgemeinschaften“ (ZP) und „Gelegenheiten gemeinsamen Denkens“ (GGD) sowie den Rahmenbedingungen „Autonomie“ (AU), „Abwechslung“ (AB) und „gemeinsam nutzbare Artefakte“ (GNA) zugeordnet werden können. Nr. Situation
Lernhemmender Aspekt
Faktor
1775
24
Erstellung Angebotspräsentation
Undifferenzierte Kritik
ZP
25
Anfang Beratertätigkeit
Kurzfristiger Fokus auf größere Projekte und mehr Umsatz
GGD
26
Organisationsentwicklung (2)
Fehlender Informationsaustausch in kompetitivem Umfeld
AU
27
Projekt-Debriefing
Fehlende Unterlagen zum ProjektDebriefing
GNA
Fehlende Strukturen für kollegialen Austausch
GGD
28
Konkurrierende Abteilungen
Fehlender Austausch von Techniken und Herangehensweisen aufgrund von Konkurrenzdenken
GGD
29
Lernen während der Arbeitszeit
Vorgabe weiterberechenbarer Stunden
GGD
30
Bearbeitung Folgeprojekt
Stupide Arbeit
ZP
1775
Nummer Kontexteinheit aus Kodierleitfaden.
343
Anhang
31
Strategieprojekt
Fehlende Kommunikation der Erwartungshaltung durch Führungskraft
ZP
32
IT-Projekt
Zu Beginn mit zu wenig erfahrenen Personen gesprochen.
ZP
33
Konzeptentwicklung
Fehlende Reaktion auf eigene Beiträge
GGD
Fehlende Miteinbeziehung in inhaltliche Diskussionen
ZP
Fehlendes Aufzeigen der Relevanz von Inhalten
ZP
Zu wenig Informationen
ZP
Fehlende Auftrags- und Erwartungsklärung
ZP
Keine Zeit der Führungskraft aufgrund von Sales-Druck
GGD
Schuldzuweisung durch FK statt Blick auf Verbesserungsmöglichkeiten
GGD
Fehlen eines geschützten Raums und gemeinsamen strukturierten Nacharbeitens
GGD
Wenig neue Impulse in Routineeinsätzen
ZP
Wenig Austausch mit anderen
ZP
34
35
36
Entwicklung Vergütungssystem
Projektleitung ChangeManagement
Familiengründung
37
Kundenbeschwerde
Vages Feedback
ZP
38
Folienerstellung
Starre Vorgaben ohne Gestaltungsspielraum
AU
Fehlender zeitlicher Rahmen
GGD
39
Projekt ohne Peers
Wenig bis kein Feedback
ZP
Zu wenig passiert
ZP
Herablassendes Feedback ohne Hilfestellung
ZP
Machtdemonstration
ZP
Fehlender Lösungsvorschlag
ZP
40
Feedbackgespräch
344
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© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Rainer, Lernpraktiken in der Unternehmensberatung, Zukunftsfähige Unternehmensführung in Forschung und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42989-8
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