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German Pages [291] Year 2018
Hamann-Studien
Band 3
Herausgegeben von Eric Achermann, Johann Kreuzer und Johannes von Lüpke
Knut Martin Stünkel
Leibliche Kommunikation Studien zum Werk Johann Georg Hamanns
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung des KÐte Hamburger Kollegs „Dynamiken der Religionsgeschichte zwischen Asien und Europa“ am Centrum fþr Religionswissenschaftliche Studien (CERES) der Ruhr-UniversitÐt Bochum, gefçrdert durch das Bundesministerium fþr Bildung und Forschung. 2018, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2366-3561 ISBN 978-3-7370-0912-6
Für Oswald Bayer
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung: Der verzogene Sohn der Erde. Ort und Sprache – Konstellation und Kommunikation, Humor und Hochzeit . . . . . . . .
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I.
Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger . . . . . . . . . .
53
II.
Metaschematismus und formale Anzeige – Über ein biblisch-paulinisches Rüstzeug des Denkens bei Johann Georg Hamann und Martin Heidegger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
III. Semper repetendus baptismus – Name, Taufe und Heilszeit nach Luther, Hamann und Kripke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111
IV.
The Semiotics of Johann Georg Hamann . . . . . . . . . . . . . . .
137
V.
Ästhetische Geologie. Die Frage nach der Wahrheit bei Johann Georg Hamann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151
VI. Biblisches Formular und soziologische Wirklichkeit – Elemente einer Hamannschen Soziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Als Spermologe gegen Baubo – Hamanns Metakritik der philosophischen Reinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203
VIII. Krankheit als Katapher. Briefliche Nosologie bei Johann Georg Hamann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
233
IX.
Das „liebe Essen und Trinken“ – Kulinarik als theologische Praxis bei Johann Georg Hamann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
257
8
Inhalt
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Nachweis der Erstdrucke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort
Der vorliegende Band versammelt Studien zum Denken Johann Georg Hamanns, die ich seit 2004 angefertigt habe. Ein wesentlicher Auslöser für mein Interesse an diesem im Wortsinne merkwürdigen Autor waren die HamannSeminare meines philosophischen Lehrers Jürgen Frese vom Wintersemester 2001/2002 und Sommersemester 2002 in der Abteilung für Philosophie an der Universität Bielefeld. Mit der Hamann-Forschung kam ich durch einen im Rahmen dieses Seminars durchgeführten Besuch auf dem achten internationalen Hamann-Kolloquium ,Die Gegenwärtigkeit Johann Georg Hamanns‘ 2002 in Halle-Wittenberg in Kontakt. Die hier und auf den folgenden Kolloquien vorherrschende interdisziplinäre Atmosphäre ist mir in meiner Hamann-Beschäftigung wegweisend geworden. Den Mut, meine Ergebnisse zu publizieren verdanke ich ganz entscheidend der Ermutigung und der tatkräftigen Hilfe Oswald Bayers, dessen Schriften zu Hamann und Luther mir noch immer den Zugang zu diesen Autoren erschließen und in dessen Tradition der Lektüre die folgenden Studien stehen. Als Ausdruck meiner Dankbarkeit ist ihm das Buch gewidmet. Dem Käte-Hamburger-Kolleg (KHK) ,Dynamics in the History of Religions between Asia and Europe‘ im Rahmen des Centrums für religionswissenschaftliche Studien (CERES) an der Ruhr-Universität Bochum verdanke ich seit einigen Jahren die Gelegenheit, mich im Austausch mit Experten verschiedenster Fächer mit Fragen der Religionsphilosophie und des Religionskontaktes beschäftigen zu können. Da solche Themen auch für Hamann wichtig waren, konnte ich seine Gedanken oftmals in hoffentlich fruchtbarer Weise in die Diskussionen des Kollegs einbringen. Aus dem unmittelbaren KHK-Kontext stammen so die Teile IV, VII und IX des vorliegenden Bandes. Den Kollegen im KHK, allen voran Volkhard Krech, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Für ihre kritische Lektüre des Gesamttextes und ihre hilfreichen Anmerkungen und Kommentare danke ich sehr herzlich Heiko Christians (Potsdam), Johannes von Lüpke (Wuppertal), Lars Niehaus (Köln), Linda Simonis (Bochum) und Dieter Stünkel (Bünde). Für alle verbleibenden Fehler trage ich die
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Vorwort
Verantwortung. Den Herausgebern der Hamann-Studien Eric Achermann, Johann Kreuzer und Johannes von Lüpke danke ich für die Aufnahme des Buches in die Reihe. Im Vergleich zu den Erstveröffentlichungen wurden die hier neu abgedruckten Texte formal leicht überarbeitet. Die Einleitung sowie die Teile IV und IX erscheinen hier zum ersten Mal. Bochum im Sommer 2018
Knut Martin Stünkel
Einleitung: Der verzogene Sohn der Erde. Ort und Sprache – Konstellation und Kommunikation, Humor und Hochzeit
a)
Maulaffe und Erdenbürger Die Erde ist des Herrn und in diesem Sinn bin ich ein Weltbürger. Ich bin in keinem einzigen Fache zu Hause, weder zum Gelehrten noch zum Geschäftsmann bestimmt, weiß nirgends Bescheid – ein wahrer Maulaffe, dem große Gesellschaft und klösterliche Einsamkeit unerträglich sind – kann keine Zeile noch Brief in Versen nicht einmal in Prosa schreiben. Nichts bleibt mir übrig als mich der mütterl. Vorsehung in die Arme zu werfen. Sie hat mich verzogen, sie mag es verantworten und am besten wißen, wozu sie mir und durch mich meinen Kindern das Dasein gegeben und bestimmt. Ich weiß von allem nicht ein lebendiges Wort, wie es zugegangen vom Anfang an bis auf den heutigen Tag. Ein wahrer Traum –1
Als Johann Georg Hamann diese Zeilen am 10. Mai 1787 an seinen ,herzenslieben Jonathan‘ Friedrich Heinrich Jacobi schreibt, hat er gerade seinen Brotberuf mehr oder minder freiwillig aufgegeben und noch ein gutes Jahr, das von seiner Reise nach Münster und dem dortigen Aufenthalt ausgefüllt wurde, zu leben. Im Rückblick gewinnt die Stelle somit den Charakter einer Bilanz und einer abschließenden Selbstcharakterisierung, die vielleicht endgültiger (und resignierter) erscheint, als sie im Moment ihrer Niederschrift gemeint war. Dennoch erscheinen hier wichtige Lebensthemen Hamanns von ihm selbst rekapituliert. Dies geschieht zunächst in der Weise einer bezeichnenden Negation, die geradezu seinen Leser zum differenzierenden Widerspruch herausfordert. Zwar hat er die äußeren Kennzeichen von Gelehrsamkeit und Geschäftssinn, etwa manifestiert in Titeln, nicht erreicht. Mit ebensolchem Recht wie daß er in keinem Fach zuhause sei, könnte man aber behaupten, daß er in keinem Fach allein und im zünftigen Sinne zu Hause, sondern in recht vielen bewandert gewesen ist – was seine Aussage zu einem Statement gegen ein bloßes Fachspezialistentum macht.2 Trotz seines Dementi ist er als viellesender Poly1 ZH VII, 193. 2 Volker Hoffmann hat den Arbeitsstil Hamanns in ihrem Spannungsverhältnis von Arbeit (als Konzentration auf das Wesentliche) und Spiel (als Methodik) und ihrer Abneigung gegen das
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Einleitung
histor in einem besonderen Sinne ,gelehrt‘, wie er auch in seinen Übertragungen ökonomischen Reflexionen auf andere geistige Gebiete mit der Praxis und Theorie eines ,Geschäftsmanns‘ vertraut, wobei er dieser Praxis sogar zutraut, demnächst als Modell für eine neue Ethik dienen zu können.3 Sich selbst als einen nur staunend dabeistehenden Maulaffen zu bezeichnen, mag in dieser Wortwahl wenig schmeichelhaft scheinen, allerdings könnte man ebenso diesen Wesenszug Hamanns als eine außerordentliche rezeptive Fähigkeit beschreiben, die bereit ist, in ungewöhnlicher Offenheit für sämtliche Bereiche menschlicher Äußerung alles Mögliche zu registrieren, es aufzunehmen, zu bestaunen und sich in der Folge zu einer eigenen Antwort anregen zu lassen. In dieser Offenheit kann ein vorgängiges ,Bescheidwissen‘, welches den intellektuellen Prozeß in eine bestimmte Richtung lenkt, nur störend, ja sogar erstickend wirken. Zudem ist Hamann wie kaum ein anderer ein Theoretiker (und Praktiker) menschlicher Vergesellschaftung, und zwar gerade in seiner kommunikationsorientierten Schreibpraxis, aber auch im privaten Umgang. Seine Haupterkenntnis in diesem Bereich besteht gerade darin, daß die Extreme der Vergesellschaftung des Menschen, d. h. den Menschen in der großen Gesellschaft (etwa als Teil einer Weltgesellschaft oder Vertreter einer allgemeinen Menschheit) oder völlig isoliert (den Menschen an sich) betrachteten zu wollen, keine tragfähige Basis sowohl für die soziale Praxis als auch für eine soziologische Theorie sein können. Zuletzt mag Hamanns Verdikt gegen sich selbst als Dichter aufgrund seines weitgehenden Verzichts auf rein poetische Betätigung4 seine Berechtigung haben (sein Sohn allerdings hat sich vor allem auf diesem Gebiet hervorgetan). Jedoch erfreuten sich schon seine Briefe zu seinen Lebzeiten und mit Wissen Hamanns aufgrund ihres unverwechselbaren Stils besonderer Beliebtheit5 – was seine denunziatorische Selbstaussage wiederum zweifelhaft macht. Von besonderem Interesse ist der erste Satz der am Anfang zitierten Briefstelle. Wie kaum ein anderer drückt er Hamanns Selbstverständnis aus. Sein Weltbürgertum leitet Hamann nicht von einem Allgemeinbegriff der Menschheit oder einem emphatischen Konzept einer allgemeinverbindenden Welt, sondern von der biblischen Tatsache der fundamentalen Erdverbundenheit des MenSchulmäßig-Professionelle, das durchaus einhergehen kann mit einer systematischen Planmäßigkeit der Lektüre, eingehend dargestellt (vgl. Volker Hoffmann, Johann Georg Hamanns Philologie. Hamanns Philologie zwischen enzyklopädischer Mikrologie und Hermeneutik, Stuttgart u. a.: Kohlhammer 1972, 69–77). 3 Zur überragenden Bedeutung des Handels für Hamanns Denken siehe Eric Achermann, Zeichenhandel. Zum Verhältnis von Semiotik und Ökonomie bei Johann Georg Hamann, Kodikas/Code 25 (2002), 291–315, hier 302–307. 4 In den Kreuzzügen des Philologen versammelt Hamann allerdings auch einige Jugendliche Gelegenheitsgedichte (N II 225–231). 5 Siehe hierzu Manfred Beetz/ Johannes von Lüpke (Hg.), Hamanns Briefwechsel (Hamann Studien Band 1), Göttingen: V& R unipress 2016.
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schen ab, wobei die Erde wiederum Eigentum Gottes ist.6 Die Beschäftigung mit der Erde ist also für Hamann die Hauptaufgabe des Menschen, und zwar in sachlicher wie in methodischer Hinsicht; Erdbezogenheit ist der eigentlich menschliche Habitus. Johannes von Lüpke hat diese Haltung wie folgt auf den Punkt gebracht: „Am Tun und Lassen des Ackermanns zeigt Hamann Tun und Lassen des Christen, des Predigers und Theologen. Die ,Oeconomie rurale‘, die agricultura, ist die ,Mutter aller Künste u Wissenschaften‘, gerade dadurch, dass sie sich in besonderer Weise auf die Ökonomie Gottes, auf sein Vorsehungshandeln einstellt. Sie weist zum Tun: Der Acker ist zu bearbeiten und der Same auszustreuen. Sie, die Kunst des Ackerbaus, weist aber auch ein in die Haltung des Vertrauens.“7 Besonders eindrücklich und bezeichnend ist schließlich der Gedankenstrich am Ende von Hamanns brieflicher Selbstcharakteristik. Er stellt die zuvor getroffene Aussage gewissermaßen in einen unvollendeten Kontext und weist somit auf eine bestimmte Offenheit hin, die keine Abschließung beinhaltet, sondern der es vor allem daran gelegen ist, sich und dem möglichen Leser bestimmte Anschlußmöglichkeiten offenzuhalten.
b)
Konstellation und Kommunikation
Im Denken des Königsberger Badersohns, des ,verlorenen Sohns U[nserer].L[ieben].F[rau] Albertine‘8, des Packhofverwalters, Bibliomanen, Freundes und Kritikers Immanuel Kants, des Inspirators und schärfsten Kritikers des Sturm und Drang9, des unsystematischen lutherischen Kirchenvaters, irregu6 Zum Themenkomplex der Erde bei Hamann siehe den Abschnitt Ästhetische Geologie (151– 177) im vorliegenden Band. Zuerst nachdrücklich hingewiesen auf die Bedeutung dieses Themas für Hamann hat Walter Leibrecht, Gott und Mensch bei Johann Georg Hamann, Gütersloh: Bertelsmann 1958. 7 Johannes von Lüpke, ,Über Protestantismum, Catholicismum und Atheismum‘, Konfessionelle Vielfalt und Einheit in der Sicht Hamanns, in: Manfred Beetz/ Andre Rudolph (Hrsg.), Johann Georg Hamann. Religion und Gesellschaft, Berlin/ Boston: De Gruyter 2012, 173–195, hier 194. 8 Zu Hamanns Verhältnis zu der Königsberger Albertus-Universität und ihren akademischen Bewohners siehe Martin Seils, Johann Georg Hamann und die Königsberger Universität, in: Königsberg-Studien. Beiträge zu einem besonderen Kapitel der deutschen Geistesgeschichte des 18. und angehenden 19. Jahrhunderts, hrsg. von Joseph Kohnen, Frankfurt u. a.: Lang 1998, 15–35. 9 Schon Sven-Aage Jørgensen hat nachdrücklich auf die diametralen Unterschiede von Hamanns Denken und Schreiben zur Sturm und Drang-Bewegung hingewiesen, die mit den Begriffen des Poeta doctus in Hamanns Autorhandlungen und dem Streben nach dem ,Originalgenie‘ auf Seiten dieser Bewegung eindrücklich gekennzeichnet ist (vgl. Sven-Aage Jørgensen, Zu Hamanns Stil, in: Johann Georg Hamann, hrsg. von Reiner Wild, Darmstadt: WBG 1978, 372–390, hier 374). Albert Meier konstatiert die merkwürdige Diskrepanz zwi-
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Einleitung
lären Dogmatikers10, Stotterers, Fressers und Hypochonders, des ,Magus in Norden‘ Johann Georg Hamann (1730–1788) sind Ort und Sprache zentral. Dieser Focus macht ihn zu einem wichtigen Theoretiker geistiger Transferprozesse. Konstellation und Kommunikation strukturieren ein Denken, welches als Gegenentwurf zum verdeckten, aber nichtsdestoweniger wirksamen ,Catholizismo‘ der französischen und in deren Gefolge der Berliner Aufklärung und besonders der kritischen Philosophie Kants konzipiert ist. Die Vernunft in ihrer reinen Anwendung wird, so Hamanns Kritik, zu einem universalen Prinzip, welches jegliche Individualität vor ihren Gerichtshof zwingt und sich gleichschaltet. Dabei wird sie ,hypokritisch‘, denn sie übersieht im kritischen Geschäft ihren eigenen (macht-)politischen Anspruch. Mittels seiner ,Metakritik‘ macht Hamann auf die Traditionsgebundenheit, die Abhängigkeit vom Sinnlichen und die grundsätzliche Angewiesenheit auf die Sprache (,Vernunft ist Sprache‘) des aufgeklärten Denkens aufmerksam. Ebenso wird ihre kulturelle Bedingtheit wider den eigenen unbedingten Geltungsanspruch ins Feld geführt. Die entscheidende Ausgangsbasis für Hamanns Denken ist seine eigene historische und leibliche Situation. Diese Situation hat einen eindeutigen Focus. Seine geistige Schaffenszeit deckt sich ziemlich genau mit der Regierungszeit des berühmtesten und auch berüchtigtsten preußischen Königs, der schon zu Lebzeiten Friedrich der Große genannt wurde. Der König ist lebenslang Hamanns philosophischer Counterpart.11 Angezeigt wird Hamanns intellektuelle Position durch die aktuelle politische Konstellation. Gegen die politisch-philosophische Achse von Frankreich und Preußen, welche sich in der öffentlichen Kombination des ,aufgeklärten Absolutisten‘ Friedrich II.12 und des zeitgenössischen Star-Aufklärers Voltaire13 ma-
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schen Hamanns tatsächlichem Interesse für die Sturm und Drang-Bewegung und vorgeblichen sachlichen prästabilierten Harmonie zwischen zentralen Ideen Hamanns und der Sturm und Drang-Dichtung (vgl. Albert Meier, Verdruss und Vergnügen. Über Hamanns problematisches Interesse am Drama und Dramentheorie, in: Gajek, Die Gegenwärtigkeit Johann Georg Hamanns, 245–255, hier 253). Karl Barth, Kirchliche Dogmatik. Erster Band: Die Lehre vom Wort Gottes. Prolegomena zur kirchlichen Dogmatik, 2. Auflage München: Kaiser 1935, 294. Vgl. hierzu James C. O’Flaherty, Johann Georg Hamann. Einführung in sein Leben und Werk, Frankfurt u. a.: Lang 1989, 159–174 (= Kapitel 9 ,Hamann gegen Friedrich den Großen‘). Zu diesem Begriff vgl. Günter Birtsch, Der Idealtyp des aufgeklärten Herrschers. Friedrich der Große, Karl Friedrich von Baden und Joseph II. im Vergleich, Aufklärung 2 (1987), 9–48. Birtsch kommt zu dem Schluß, daß Friedrich diesen Titel am ehesten verdiene (vgl. ebd., 46). Er weist allerdings auch auf Kants implizite Kritik an dem Konzept hin, indem dieser gerade die nichtabsolutistischen Elemente in Friedrichs Herrschaftsausübung lobt (vgl. ebd., 12). Zum Thema Hamann und Voltaire, dem Autor, mit dem er sich wohl in einer Mischung aus Haß und heimlicher Bewunderung am kontinuierlichsten beschäftigt hat und mit dessen Werk er eine ungewöhnliche Vertrautheit pflegt, siehe Antoinette Fink-Langlois, Hamanns Auseinandersetzung mit Voltaire, in: Johann Georg Hamann und die Krise der Aufklärung. Acta des fünften Internationalen Hamann-Kolloquiums in Münster i.W. (1988), Frankfurt
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nifestiert, auch gegen das Bündnis von Staat und Philosophie gegen die Religion, optiert Hamann politisch, ökonomisch und philosophisch für einen Schulterschluß mit England und eine interessierte Offenheit gegenüber dem Osten und Rußland14 – und dies nicht trotz oder entgegen, sondern gerade wegen seiner religiösen bzw. biblischen Prägung.15 Auch plädiert er für die Rückkehr einer lutherischen Allianz von Religion und Staat gegen die hypokritische Philosophie. Hier ist es vor allem die empiristisch-sensualistisch bestimmte englische Aufklärung und in Besonderheit das Denken David Humes, welches als Korrektiv gegen die Frankophilie des herrschenden Diskurses wirken kann.16 In seinem Landesherren Friedrich sieht Hamann den Despotismus der Vernunft politisch personalisiert17 und durch Voltaire als Hohepriester pseudoreligiös überhöht. Der Einfluß der modernen Philosophie, vertreten durch Voltaire, auf den in Friedrich personifizierten Staat kann nach Hamann nur als biblische Verführung beschrieben werden, in der Voltaire als der philosophe serpent
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u. a.: Lang 1990, 63–98. Vgl. auch Hamanns Adaptionen Voltairescher Schreibstrategien, insbesondere seine Handhabung des ironischen Stils, der Persiflage und Parodie (siehe Elfriede Büchsel, Die parodierten Philosophen. Hamann zwischen Voltaire, Herder und Jean Paul, in: Gajek, Autor und Autorschaft, 197–211). Joseph Kohnen beschreibt die ,verhaltenen Sympathien‘, die in Ostpreußen allgemein Rußland entgegengebracht wurden (im Unterschied zu den Bewertungen der unmittelbaren Nachbarn), vgl. Joseph Kohnen, Ostpreußisch-russische Wechselbeziehungen in Königsberg zur Zeit Johann Georg Hamanns, in: Gajek, Autor und Autorschaft, 333–351, hier 336. Vgl. zu Hamanns Verhältnis zu den östlichen Kulturen des Orients bzw. Indiens oder Chinas James C. O’Flaherty, East and West in the Thought of Hamann, Germanic Review 43 (1968), 83–99. O’Flaherty kommt sogar zu folgendem Schluß: „Hamann, as we have seen, believed Eastern culture to be superior to Western because of its intuitive, affective, and theocentric character.“ (98) Vgl. hierzu insbesondere Bernhard Gajek (Hg.), Hamann und die englischsprachige Aufklärung. Acta des Siebten Internationalen Hamann-Kolloquiums zu Marburg/ Lahn 1996, Frankfurt u. a.: Lang 1996. Siehe auch die am Leitfaden Humes durchgeführte Gesamtdarstellung Hamanns von Thomas Brose, Johann Georg Hamann und David Hume. Metaphysikkritik und Glaube im Spannungsfeld der Aufklärung (2 Bände), Frankfurt: Lang 2006. Hamanns Weg zu Hume zeichnet Brose in seinem instruktiven neuesten Aufsatz nach (Thomas Brose, ,Ich war von Hume voll, wie ich die Sokr. Denkw. schrieb‘. Der frühe Hamann und die Genese seiner Beziehung zu D. Hume im erhellenden Spiegel seiner Briefe, in: Beetz/ von Lüpke, Hamanns Briefwechsel, 147–171). Auf die Bedeutung Francis Bacons („the other Empiricist favourite of his“) als ein „formative influence“ für Hamann hat SvenAage Jørgensen eindringlich hingewiesen (Sven-Aage Jørgensen, Hamann, Bacon, and Tradition, in: ders., Querdenker der Aufklärung. Studien zu Johann Georg Hamann, Göttingen: Wallstein 2013, 35–64, hier 39 und 41). Ein Beispiel für diesen Despotismus im geistigen Bereich ist etwa die diktatorische Führung der Berliner Akademie durch den vom König eingesetzten Maupertuis (vgl. Ursula Goldenbaum, Friedrich II. und die Berliner Aufklärung, in: Hofkultur und aufgeklärte Öffentlichkeit. Potsdam im 18. Jahrhundert im aufgeklärten Kontext, hrsg. von Günther Lottes und Iwan D’Aprile, Berlin: Akademie 2006, 123–141, hier 124).
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Einleitung
agiert.18 Daß Voltaire, der ,welsche Lügenprophet‘19, den König in einem biblischen Bild ,Salomon de Prusse‘ genannt hat, ist Hamann ein steter intellektueller Stein des Anstoßes gewesen, an dem er sich zeit seines Lebens abgearbeitet hat. Jedoch ist dieser Wortgebrauch auch entlarvend, da er ungewollt den religiösen Anspruch des Bündnisses von Staat und Philosophie deutlich macht. Gegen diese Zumutung einer sich religionskritisch gebenden Krypto- und Pseudoreligion richtet sich Hamanns Kritik, welche ihn zu einem metacriticus bona spei werden läßt. Gegen die großen Verallgemeinerungen des Denkens geht Hamann argumentativ stets von der spezifischen Konstellation aus, die von seiner ,Lokalität, Individualität und Personalität‘ wie auch der konkreten historischen intellektuellen Situation eines Gesprächsteilnehmers bestimmt wird. Das heißt aber, daß Hamanns in Kleinstformaten publizierte Verlautbarungen, entgegen aller vielbemerkten, entweder bewunderten oder kritisierten ,Dunkelheit‘ oder gar wissentlichen und willentlichen ,Unverständlichkeit‘20, vor allem als kommunikative Akte, die konkret auf eine bestimmte Gesprächskonstellation reagieren und zudem eine neue Konstellation sowohl erzeugen als auch bezeugen wollen, zu gelten haben. Dabei dient Hamann wiederum eine etwaige analoge historische, biblische oder literarische Konstellation zur Evozierung eines Verweisungskontexts, der zur Analyse, Erläuterung und Kritik bestimmter Positionen genutzt wird.21 Hamanns Schriften sind individuell und einzigartig, sie stehen jedoch in keinem Fall allein für sich selbst, sondern stets in einem kommunikativen Kontext. Heute wie damals zwingt Hamann so zum mitarbeitenden Engagement, wenn es zu einem Kommunikationsgeschehen zwischen ihm und dem Leser kommen soll. Diese Situation ist durch Konstellationen geprägt, die sich aus den sich hier überschneidenden Gesprächszusammenhängen ergibt.22 Hermeneutisch fordert der individuelle Autor den individuellen Leser. 18 Vgl. Fink-Langlois, Hamanns Auseinandersetzung mit Voltaire, 79 (siehe N II (Glose Philippique), 289, 30). 19 So Hamann an Jacobi vom 25. Februar 1783 (ZH VI, 283). 20 Siehe Eckhard Schumachers eingehende Analyse dieses Prinzips bei Hamann in: Eckhard Schumacher, Die Ironie der Unverständlichkeit. Johann Georg Hamann, Friedrich Schlegel, Jacques Derrida, Paul de Man, Frankfurt: Suhrkamp 2000, 87–156. 21 „It was one of his favourite literary devices to refer to an analogous situation in order to create a frame of reference, which he used with sublime irony, playing with similarities and dissimilarities, moving from Athens to Königsberg, from Berlin to Babel and from SansSouci to Sodom.“ (Jørgensen, Hamann, Bacon, and Tradition, 48). 22 Für die Sokratischen Denkwürdigkeiten hat Linda Simonis diese von Hamann in dieser Schrift geforderte explorative Hermeneutik in einer Weise beschreiben, die als solche auch für Hamanns Werke selbst gelten kann: „Der Interpret darf, mit anderen Worten, den Vorwurf des Willkürlichen und Manirierten, des Weit-Hergeholten und Abwegigen nicht scheuen. Er muß vielmehr ,willkürliche Verbindungen‘ herstellen und ,künstliche Erfahrungen‘ simulieren, um die rätselhaften Züge und verborgenen Eigenheiten seines Gegen-
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Entsprechend wird bei ihm die Kommunikation als grundlegende Praxis menschlicher Existenz ontologisch geadelt, und zwar durch das Prinzip der ,communicatio idiomatum‘, welches sowohl Grundprinzip der Schöpfung wie auch Garantieinstanz der Möglichkeit von Übersetzung von Sprachen, und so auch des Gesprächs zwischen Individuen aus verschiedenen kulturellen Traditionen ist. Weil nun Hamann ein strenger Gegner intellektueller Verallgemeinerung ist, geht es ihm weniger um den Vergleich und die Verständigung größerer Einheiten, etwa ganzer Kulturen, auf einer allgemeinen bzw. allgemeinverbindlichen Ebene, sondern um konstellative Kommunikation. Die von ihm geforderte Dialogizität des Denkens richtet sich nicht abstrakt auf das Fremde. Vielmehr geschieht sie zwischen einer konkret lokalisierbaren Person und der wiederum konkreten Person des oder der Fremden. Eine fremdes Denken etwa wird nicht als solches behandelt, sondern hat sich für ein Gespräch stets in einer bestimmten Person und Situation zu konkretisieren. Hamanns Denken und Schreiben ist so eine Serie konkreter Begegnungen von Individuen und Kampf gegen nicht im Konkreten und Individuellen geerdete Abstrakta. Medium der Begegnung ist für Hamann vor allem Textliches, also Bücher, Broschüren, Briefe und Rezensionen. Die grundsätzliche Textualität wird daran deutlich, daß Hamann in seinen Gesprächen oftmals auf vor allem biblische, aber auch antike Formulare zurückgreift, welche dem Dialogpartner die Möglichkeit zum übersetzenden Anschluß der eigenen Erfahrungen geben sollen.23 Diese Erkenntnis ist ein Element Hamannschen Nachdenkens, das auf andere Bereiche, etwa auf eine kontaktbasierte Kultur- oder Religionswissenschaft wissenschaftlich gewinnbringend übertragbar ist.24 Hamanns Schriften zeigen, daß es eben nicht ,die Kulturen‘ sind, die untereinander in kommunikativen Kontakt treten, sondern die jeweiligen Formulare konkreter Individuen, die in einer jeweiligen konstellativen Situation in wechselseitiger Übersetzung kommunizieren. Hamann ist einer der belesensten Menschen seiner Zeit mit weitgespannten Interessen und Sprachkenntnissen, von der Ökonomie über die Philologie zur Mystik, vom Französischen und Lettischen25 zum Arabischen. Der von ihm standes zu erhellen.“ (Linda Simonis, Die Kunst des Geheimen. Esoterische Kommunikation und ästhetische Darstellung im 18. Jahrhundert, Heidelberg: Winter 2002, 332). 23 Siehe in diesem Band den Abschnitt Biblisches Formular und soziologische Wirklichkeit (179–202). 24 Siehe hierzu Knut Martin Stünkel, Una sit religio. Religionsbegriffe und Begriffstopologien bei Cusanus, Llull und Maimonides, Würzburg: Königshausen& Neumann 2013, 282/283. 25 Ausdrücklich hingewiesen sei in diesem Kontext auf die rege aktuelle lettische Forschung zu Hamann unter der Ägide von Raivis Bicevskis (siehe den Band Raivis Bicevskis (sast.). Ziemelu mags. Johans Georgs Hamanis, Riga 2014, sowie Raivis Bicevskis, ,Seelenmanu-
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Einleitung
selbst erstellte Katalog seiner Bibliothek hat mit Recht Eingang in die Ausgabe seiner sämtlichen Schriften gefunden, da ihm Lektüre in hohem Maße selbst Werk ist, und zwar vor allem als unverzichtbare Basis des eigenen schriftstellerischen Schaffens.26 Die Lektüre findet in seinem sogenannten (aus einzelnen Lappen, d. h. Zitaten genähten) Cento-Stil Eingang in seine schriftstellerischen Arbeiten. Seine kurzen, anspielungsreichen und komplizierten Schriften können so auch gelesen werden als performative Intertextualität und Interkulturalität im Rahmen einer bewußten Autorhandlung. Diese Lesefixierung gilt auch für Hamanns Bewertung anderer Autoren. Jeder Autor ist für Hamann nicht Sprachrohr des Weitgeistes oder der reinen Vernunft, sondern zunächst und hauptsächlich ein Leser von Texten, die sein persönliches ,Geschlechtsregister‘ bilden. Eine erschöpfende Darstellung von Hamanns Denken ist im Rahmen dieses Bandes weder zu erreichen noch angestrebt.27 Er versammelt vielmehr Versuche aus verschiedenen Jahren und Kontexten, die manchmal auseinander entstanden sind, manchmal ein gemeinsames Thema behandeln oder näher erläutern. Dennoch erlaubt die Perspektive einen Blick auf das Denken Hamanns, der einen Leitfaden bereitstellt für die weitere Lektüre. Unter den Leitthemen der Konstellation und der Kommunikation könnte das spermologische Leben und Denken Johann Georg Hamanns hinsichtlich der Bedeutung seiner Ideen in möglicher Kritik und hinsichtlich weiterführender Gedanken dargestellt werden. Die Methoden des Humors und der Hochzeit sind dabei für Hamann unerläßliche Medien, die dem Transport seiner grundsätzlichen Botschaft dienen.
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Eine biographische Situation
Im Frühjahr des Jahres 1758 sitzt zu London ein nicht mehr ganz junger Mann, ein Ausländer aus der ostdeutschen Provinz, in seinem Zimmer und zieht schriftlich eine schonungslose Bilanz seines Lebens. Was er insbesondere in den Gedanken über meinen Lebenslauf niederschreibt, ist bedrückend. War schon sein bisheriges Leben keine rechte Erfolgsgeschichte, so erreichte es in der mission. Bemerkungen zur Hamann-Forschung in Riga, in: Beetz/ von Lüpke, Hamanns Briefwechsel, 347–358). 26 Dies wiederum scheint er mit seinem Gegner Friedrich gemeinsam zu haben, auch dieser hat, so man Birtsch folgt, dem Lesen eine grundlegende Bedeutung zugesprochen: „Philosophische Lektüre bedeutete für Friedrich wesentlich Schulung des Denkens, wie er denn überhaupt Lesen als Denkprozeß verstand.“ (Birtsch, Der Idealtyp des aufgeklärten Herrschers, 22). 27 Die beste Einführung in Hamanns Leben und Werk ist nach wie vor: Oswald Bayer, Zeitgenosse im Widerspruch. Johann Georg Hamann als radikaler Aufklärer, München 1988.
Eine biographische Situation
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britischen Hauptstadt einen nicht mehr zu unterbietenden Tiefpunkt. In Sachen Karriere sieht es düster aus. Er ist (Dauer-)Student ohne Abschluß und Hofmeister ohne Anerkennung. Mit einem Auftrag eines Rigaer Handelshauses ist er nach England gekommen, konnte ihn aber nicht erfüllen.28 Anstatt aber als gescheiterter Kaufmann nach Riga zu seinen dortigen Freunden zurückzukehren, bleibt er vor Ort, zunächst zu seinem Schaden. Denn hier kommt ein wesentlicher Zug seines Charakters zu voller Entfaltung: Ich Blinder wollte ein Wegweiser eines andern seyn, oder vielleicht ihn unterricht[en] zierlich zu sündig[en], Vernunft zur Bosheit zu drehen – Ich fraß umsonst, ich buhlte umsonst, ich rann umsonst, Völlerey v Nachdenken, Lesen und Büberey, Fleiß und üppiger Müßiggang wurden umsonst abgewechselt; ich schweifte in beyd[en] umsonst in beyd[en], aus.29
Ausschweifung als Abschweifung, nicht nur in leiblicher, sondern auch in geistiger Weise, ist das Hauptproblem des jungen Mannes, der jetzt seine materiellen und geistigen Ressourcen erschöpft sieht: Ich habe 150 Pf. Sterl.[ing] hier durchgebracht und kann v will nicht weiter gehen. Meine Schuld[en] in Liefland v Kurl.[and] belaufen sich also sämmtl. über 300 Pf.. Ich habe kein Geld mehr v meine Uhr mein[em] Wirth gegeb[en].30
In dieser desperaten Situation der Orientierungslosigkeit und der Verstrickung in Schuld bittet er Gott um einen Freund, der ihm helfen könne, sich selbst zu begreifen, einen Wegweiser also, der er selbst anderen nicht hatte sein können, und der ihm einen Hinweis zur Interpretation des eigenen Daseins geben könnte. Und tatsächlich findet er den Gesuchten, und zwar „in meinem Herzen, der sich in selbig[es] schliech, da ich die Leere v. d[as] Dunkle v d[ie] Wüste desselb[en] am meisten fühlte.“31 Verwüstet von Ab- bzw. Ausschweifung bietet sein Herz nun den rechten Boden für eine eigentliche fruchtbare Lektüre der Bibel, die er nun intensiv mit erhöhter Aufmerksamkeit, Ordnung und Hunger zu studieren beginnt. Und hierbei geschieht etwas Seltsames: Ich erkannte meine eigene Verbrech[en] in der Geschichte des jüdisch[en] Volks, ich laß mein[en] eig[enen] Lebenslauf, und dankte Gott für seine Langmuth mit diesem 28 Zur (in der Tat überfordernden) Natur dieser geheimnisumwitterten Reise siehe die Arbeiten von Rainer Fischer, ,Eine Stadt, gegen die mein Vorurteil nicht so stark als ihres ist…‘. Hamanns freundfeindschaftliche Beziehungen zu Riga, in: Beetz/Rudolph, Johann Georg Hamann. Religion und Gesellschaft, 152–172 und Ravis Bicevskis/ Aija Taimina, Johann Georg Hamanns kameralwissenschaftliche Studien und Johann Christoph Berens‘ Vision von Riga: ein utopisches Projekt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Forschungen zur baltischen Geschichte 8 (2013) 127–144. 29 Johann Georg Hamann, Londoner Schriften, hrsg. von Oswald Bayer und Bernd Weissenborn, München 1993, 339 (BW). 30 BW 341. 31 BW 342.
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seinem Volk, weil nichts als ein solches Beyspiel mich zu einer gl.[eichen]Hoffnung berechtig[en] konnte.32
Johann Georg Hamann erfährt ein biblisches Erweckungserlebnis, indem ihm gerade die zu seiner Zeit eher naserümpfend betrachteten Geschichten des Alten Testamentes zum freundlichen Wegweiser des eigenen Lebens werden. Wie Helgo Lindner ausführt, ist es hier „[g]erade das Ineinander von göttlicher Majestät und menschlicher Trivialität“33, das ihn im Wortsinne inspiriert, d. h. begeistert. In dieser Stimmung schreibt er mit seinen Biblischen Betrachtungen „vielleicht ein theologisches Hauptwerk des 18. Jahrhunderts“34, welches bis zu Nadlers Ausgabe nicht veröffentlicht wurde, allerdings in Abschriften und Auszügen in bestimmten Kreisen kursierte. Nach seinem Londoner Erlebnis ist er in der Lage, auch seine von ihm deutlich gesehenen und in extenso an verschiedensten passenden oder scheinbar unpassenden Stellen analysierten Schwächen und Gebrechen35 als ein Hinweis auf die Kondeszendenz zu sehen. Sein eigenes Leben in seinen Fehler und Unzulänglichkeiten kann er somit als eine Warnung vor menschlicher Selbstüberhebung und somit auch als ein Zeichen göttlicher Zusage deuten.36 Hamanns geistige Prägung durch seinen Aufenthalt in England kann, und zwar nicht nur wegen seiner Londoner Konversion, in ihrer Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie kommt einem Umsturz, einem Wechsel seiner bisherigen intellektuellen Bündnispartner gleich. So gewann er die ihn umwerfenden Einsichten, von denen er in den Biblischen Betrachtungen und in den Gedanken über meinen Lebenslauf berichtet, zumindest in einem nicht unwesentlichem Maße der Lektüre der englischen Bibel.37 Nach Gwen Griffith Dickson könnte man sogar die Meinung vertreten, „daß Hamanns Denken mehr den keltischen und angelsächsischen Denkern seiner Zeit als seinen kontinentalen Zeitgenossen gleicht.“38 Zurück in Königsberg betätigt sich Hamann in seinem Freundes- und Bekanntenkreis sowie durch Übersetzungen (insbeson32 BW 343. 33 Helgo Lindner, Lebenswende. London 1758, in: Hamann. Insel-Almanach auf das Jahr 1987, hrsg. von Oswald Bayer, Bernhard Gajek und Josef Simon, Frankfurt: Insel 1987, 39–52, hier 50. 34 Karlfried Gründer, Figur und Geschichte. Johann Georg Hamanns ,Biblische Betrachtungen‘ als Ansatz einer Geschichtsphilosophie, Freiburg/München: Alber 1958, 6. 35 Siehe den Abschnitt Krankheit als Katapher in diesem Band (233–255). 36 Siehe hierzu den Abschnitt Zusage in diesem Band (53–82). 37 Helgo Lindner plädiert sogar mit guten Gründen für einen eindeutigen Vorrang des englischen Textes vor der Lutherbibel, vgl. Helgo Lindner, Hamann als Leser der englischen Bibel. Beobachtungen zu den neuedierten Londoner Schriften, in: Gajek, Johann Georg Hamann und England, 17–39. 38 Gwen Griffith Dickson, Hamann und die englischsprachige Aufklärung, in: Gajek, Johann Georg Hamann und England, 71–82, hier 71.
Eine historische Konstellation
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dere Humes)39 als ein Vermittler bzw. Medium englischen Denkens. Für Herder etwa wurde Hamann zum „Brittischen Lehrer u. Deutschen Freunde“40, für Kant zum (Käufer des) Wecker(s) aus dem dogmatischen Schlummer.41 Umgekehrt hat ihm die vermittelnd-übersetzende Tätigkeit im Staatsapparat des frankophilen Königs – Hamann übersetzte vor allem deutsche Texte ins Französische – dieser Sprache mit der Zeit gründlich entwöhnt.42
d)
Eine historische Konstellation
Im Frühjahr des dritten Jahres des Dritten Schlesischen Krieges, im April 1758, trifft der preußische König am Rande der Sudeten die letzten Vorbereitungen für ein logistisch schwieriges und wie üblich gewagtes militärisches Unternehmen, welches seine letzte große strategische Offensive werden sollte. Nachdem das Jahr 1757 militärisch durch die sensationellen Siege bei Roßbach und Leuthen nach den Niederlagen von Kolin und Groß-Jägerndorf, in deren Folge er Anfang des Jahres Hamanns Heimatprovinz Ostpreußen verlor, noch einmal gerettet wurde, will Friedrich nun den Sieg durch einen Vorstoß nach Wien, der Hauptstadt seiner Hauptgegnerin Maria Theresia, nutzen. Hierzu ist die Belagerung der auf dem Weg liegenden Festung Olmütz in Mähren notwendig, die er in diesen Tagen vorbereitet. Trotz aller Erfolge ist die politische und militärische Lage weiterhin kritisch – und wird es nach dem erfolglosen Zug gegen die Festung, auf dem Friedrich einen wichtigen Versorgungszug einbüßt, auch bleiben. Die Krise ist dabei sinnfälliger Ausdruck vorgängiger politischer Entwicklungen. Das renversement des alliances in den Jahren vor Kriegsbeginn hat die, wie sie empfunden wurden, ,natürlichen‘ Bündnisverhältnisse Europas umgestürzt und die einstigen erbitterten Gegner, Frankreich und Österreich in einem Bündnis gegen den preußischen König, der sich der französischen Kultur und Sprache so ausschließlich verpflichtet weiß, vereint. Hierzu kommen das sich nach Westen orientierende Rußland, deren Zarin er wiederholt mutwillig beleidigt hat, die vormalige protestantische Großmacht Schweden und das Heilige Römische Reich. Der einzig ihm verbliebene mögliche Bundesgenosse von 39 Vgl. hierzu insbesondere Kai Hendrik Patri, Aus einer Menschensprache in eine Menschensprache. Zu Johann Georg Hamanns Hume-Übersetzungen, in: Gajek, Johann Georg Hamann und England, 319–365. 40 ZH II, 262 (Herder an Hamann August 1764). Zu Bedeutung Hamanns als ,Vermittler englischen Geistes‘ an Herder vgl. Michael Maurer, Aufklärung und Anglophilie in Deutschland, Göttingen/Zürich: Vandenhoeck& Ruprecht 1987, 333–337. 41 Vgl. Patri, Aus einer Menschensprache in eine Menschensprache, 335. 42 Vgl. Patri, Aus einer Menschensprache in eine Menschensprache, 364.
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machtpolitischem Gewicht ist Großbritannien, welches seinerseits vor allem Willens ist, die preußische Armee als ,Festlandsdegen‘ gegen das in Übersee (Amerika und Indien) mit ihm konkurrierende Frankreich einzusetzen. Friedrich entschließt sich im Sommer 1756, die kritische Situation durch einen Präventivangriff auf das Österreich zuneigende Sachsen zu lösen. Auf diese Weise wird der dritte Schlesische Krieg zu einem den ganzen Erdball umfassenden Konflikt, der die verschiedensten Kontinente und Kulturen, insbesondere in Indien und in Nordamerika, in Mitleidenschaft zieht. Verlauf und Ausgang des Krieges mit der Etablierung Preußens als Großmacht sind hinreichend bekannt. Für das Folgende wichtig ist aber die hier zum Ausdruck kommende politisch-philosophische Konstellation, welche in ihren Bündnisverhältnissen einen eigentümlichen Ausdruck findet. Im Grunde genommen kämpft Friedrich im Siebenjährigen Krieg gegen seine eigene geistige Neigung und kulturelle Selbstverortung (Frankreich)43 wie auch gegen die eigene herrscherliche Praxis (Österreich und Rußland). Er kämpft teilweise auch gegen die religiöse (Sachsen, Schweden) und ,nationale‘ Zugehörigkeit (Hl. Römisches Reich) der von ihm beherrschten Länder. Verbündet ist er hingegen in einem neuen, vielleicht zukunftweisenderen Bündnis mit der konstitutionellen Monarchie und der ,Händlernation‘ Großbritannien. Hamanns Zeit, so könnte man die paradoxe politische Situation des Königs verallgemeinern, scheint mit sich selbst in besonderer Weise im Unreinen zu sein – und auf der Basis der Erkenntnis dieser grundsätzlichen Unreinheit entwickelt Hamann philosophisch-theologisch eine neue Perspektive jenseits aller Bereinigungstendenzen.44 Der mehr oder minder bewußte Kampf der Aufklärung mit sich selbst in ihren Ansprüchen45 (man denke etwa auch an das keineswegs harmonische Binnenverhältnis des Salomon de Nord und seines Propheten, insbesondere an den desaströs endenden Besuch Voltaires in Berlin 1750–1753)46, 43 Umgekehrt ist das Verhältnis des offiziellen Frankreichs zum König durchaus nicht frei von Ambivalenzen. Französische Diplomaten etwa bescheinigen (noch vor dem Ausbruch des Krieges zwischen Preußen und Frankreich selbst) Friedrich zwar eine Neigung zu Frankreich, die er aber nach ihrer Meinung niemals zum Nachteil Preußens ausleben werde, und zudem einen wenig verläßlichen sprunghaften Charakter (vgl. Sven Externbrink, Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjährigen Krieg, Berlin: Akademie 2006, 154–171). 44 Siehe den Abschnitt Als Spermologe gegen Baubo in diesem Band (203–232). 45 Vgl. hierzu Wilhelm Schmidt-Biggemann, Souveränität und Recht bei Friedrich II. oder von der Schwierigkeit, in der Neuzeit ein Philosophenkönig zu sein, in: ders., Theodizee und Tatsachen. Das philosophische Profil der deutschen Aufklärung, Frankfurt: Suhrkamp 1988, 183–202. 46 Ursula Goldenbaum weist zudem darauf hin, daß innerhalb der französischen Aufklärung zwar Personen wie Voltaire, D’Alembert und Fontenelle, nicht aber politische radikalere Positionen wie die Diderots, Rousseaus, Du Marsais‘ oder D’Holbachs Gnade vor des Königs Augen fanden (Goldenbaum, Friedrich II. und die Berliner Aufklärung, 125).
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aufgezeigt an ihren herausragenden Vertretern, ist ein vornehmlicher Gegenstand von Hamanns Betrachtung.47 Natürlich ist Friedrich nicht in erster Linie ein Vertreter der Aufklärung. Vor allem ist der König mit der, wie Jørgensen treffend schreibt, „Zangengeburt einer Großmacht durch partielle, aber mit allen Hilfsmittel des Absolutismus betriebene Modernisierung“ beschäftigt.48 Diese primäre Okkupation hat mit der Zeit bestimmte Auswirkungen. Innerhalb der Aufklärungsbewegung kann Friedrichs Position in gewisser Weise als konservativ und einer früheren Generation verpflichtet bezeichnet werden. Die Berliner Aufklärung im eigenen Lande jedenfalls hat Friedrich aktiv nicht gefördert, ja „er hat sie nicht einmal als solche wahrgenommen.“49 Hamanns historische, philosophische wie politische Option wiederum richtet sich gegen das Frankreich Voltaires und das Preußen Friedrich des Großen und plädiert für ein Baltikum als geographische und geistige Brücke zwischen England und Rußland. Diese Topographie ist für sein eigenes Denken von entscheidender Bedeutung: „Die Entwicklung der Gedankenwelt Hamanns ist in dem nordeuropäischen topographischen Dreieck Königsberg-Riga-London anzusetzen.“50 In den zahlreichen Biographien des Königs ist der untergeordnete Beamte Hamann wenig überraschend nicht mehr als eine Randnotiz, wenn er denn überhaupt Erwähnung findet.51 Diese Erwähnung geschieht dann zumeist in 47 Siehe auch James O’Flaherty, The Quarrel of Reason with Itself, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 30 (1988), 285–304. 48 Sven-Aage Jørgensen, Unzeitige Modernisierung. Friedrich der Große und sein Zöllner Johann Georg Hamann, in: Jørgensen, Querdenker der Aufklärung, 192–204, hier 194. 49 Goldenbaum, Friedrich II. und die Berliner Aufklärung, 129. An anderer Stelle weist Goldenbaum auf wiederum Hamanns lebenslange und kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Berliner Aufklärung hin, und zwar von den Sokratischen Denkwürdigkeiten an (Ursula Goldenbaum, Lessing contra Cramer zum Verhältnis von Glauben und Vernunft. Die Grundsatzdebatte zwischen den Literaturbriefen und dem Nordischen Aufseher, in: dies., Appell an das Publikum. Die öffentliche Debatte in der deutschen Aufklärung 1687– 1796. Teil 2, Berlin: Akademie 2004, 653–728, hier 718). 50 Raivis Bicevskis/Aija Taimina, Johann Georg Hamanns kameralwissenschaftliche Studien und Johann Christoph Berens‘ Vision von Riga: ein utopisches Projekt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Forschungen zur baltischen Geschichte 8 (2013), 127–144. 51 Augstein hebt die Unkenntnis des Königs seinen geistig herausragenden Untertanen gegenüber ausdrücklich hervor, ebenso erinnert er an Hamanns von seinen Freunden verhinderten Versuch, die Ungnade des Königs durch einen ,Kreuzzug‘ gegen dessen Schrift über die deutsche Literatur auf sich zu ziehen, sowie an Hamanns Kritik an der frankophilen Personalpolitik des Königs im Bereich der Finanzen. (Rudolf Augstein, Preußens Friedrich und die Deutschen, Nördlingen: Greno 1986, 111, 124, 221, 267). Kunisch als der Autor der zur Zeit maßgebenden Biographie Friedrichs verzichtet auf eine Erwähnung Hamanns (Johannes Kunisch, Friedrich der Große. Der König und seine Zeit, München: Beck 2004). In der aktuellsten Biographie des Königs wird Hamann immerhin als Kritiker der Wirtschaftspolitik Friedrichs erwähnt, allerdings lediglich mit Verweis auf nicht mehr ganz
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seiner ihm zugeschriebenen Eigenschaft als entschiedener Widerpart der Aufklärungsbewegung, bzw. in seiner ihm ebenso zugeschriebenen Eigenschaft als ein Repräsentant oder Vordenker der von Friedrich kritisierten neuen deutschen Literatur.52 Was Hamann selbst angeht, so sind diese Zuschreibungen und pauschalierenden Einordnungen zumindest fragwürdig. Dennoch repräsentiert Hamann in vielerlei Hinsicht die wohl fundamentalste zeitgenössische Opposition gegen Person, Denken und Herrschaftsausübung Friedrichs.53 Ob Friedrich Hamann dann auch unbedingt wahrnehmen mußte, sei einmal dahingestellt. James O’Flaherty ist jedenfalls dieser Ansicht: „Von ungewöhnlicher Ironie ist dabei die Tatsache, daß Friedrich II. – im Militärischen mit einem überaus feinem Gespür für offene oder verdeckte Operationen seiner Gegner ausgestattet – von Hamanns vernichtenden Verbalattacken gegen ihn und seinen importierten Klüngel ,aufgeklärter‘ Philosophen gar nichts bemerkt zu haben scheint.“54 Dies ist jedoch, wie sein Vorleser Carl Theophilus Guichard (Quintus Icilius) an Hamann schreibt, angesichts der geistigen Ökonomie des Königs so verwunderlich nicht: „Le Salomon du Nord ne lit qui exige quelque contention de l’esprit et d’autres ne sentirons pas ce que vous dites.“55 Umgekehrt ist Friedrich für Hamann unübersehbar ; ein Gegner, der nicht nur in intellektueller Auseinandersetzung auf dem Papier dem Autor Hamann entgegentritt, sondern jemand, der ganz konkret und real über Wohl und Wehe der Person Johann Georg Hamann entscheidet und über ihn verfügt. Schlimmer noch, als Teil von Friedrichs wirtschafts- und steuerpolitischen Modernisierung, die er in der Funktion eines Secr8taire-Traducteur mit repräsentiert, muß sich Hamann nicht nur als Opfer, sondern zugleich auch als Täter (,Zöllner‘)
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taufrische Sekundärliteratur aus dem Jahre 1953 (vgl. Tim Blanning, Frederick the Great. King of Prussia, New York: Random House 2016, 463). Vgl. Ingrid Mittenzwei, Friedrich von Preußen. Eine Biographie, Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften 1980, 202. Theodor Schieder etwa nimmt Hamann zusammen mit Herder für die Schaffung der theoretischen Grundlagen des neuen Irrationalismus, welcher die dünne geistige Schicht der deutschen Aufklärung zu unterlaufen drohte, in Anspruch (Theodor Schieder, Friedrich der Große. Ein Königtum der Widersprüche, Frankfurt/Berlin: Ullstein 1986, 389). In seiner vierbändigen Biographie erwähnt Koser Hamann als einen Feind der Aufklärung ein einziges Mal und tituliert ihn hier in seiner Kritik am König und seiner Herrschaftspraxis als ,fanatisch‘: „Wie die erklärten Gegner der Berliner Aufklärung dachten, wissen wir aus den Briefen des ,Magus im [sic!] Norden‘, des Königsberger Akzisesekretärs Hamann. Dem war Berlin das verhaßte ,Babel‘; er schalt, daß alles ein Leisten, ein Schuh sein solle, Fabriken und Heerdienst, Literatur und Kritik, und von der brandenburgischen Herrschaft über Preußen meinte er : ,Es war dem Herzogtum keine solche Schande, von Polen abzuhangen, als es dem Königreich ein Unglück ist, abzuhangen von der Politik der Chaldäer im deutschen Reiche.‘“ (Reinhold Koser, Geschichte Friedrichs des Großen. Dritter Band, 4. und 5. Auflage Stuttgart/ Berlin: Cotta 1913, 521). O’Flaherty, Johann Georg Hamann, 159. ZH III, 62 (Guichard an Hamann vom 11. Oktober 1773).
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innerhalb der friderizianischen Herrschaftspraxis fühlen.56 Robert Sparling beschreibt diese spürbare Realpräsenz des intellektuellen Gegners treffend wie folgt: „Thus, Hamann’s perception that Enlightenment and absolutism were kin was not merely born of an abstract conceptual connection between the two, but of very immediate sentiment of vulnerability to royal whim and the dictates of royal reason. Indeed […], Hamann’s polemics against Frederick are based on not only intellectual and religious objections, but also on personal grievances. […] There is a degree to which any successful interpretation of Hamann must endeavour to find sympathy with his most important claim: we must not insist on the separation of objective, timeless argument and subjective, historically bounded experience. That is to say, we may not separate theory from biography.“57
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Die philosophische Konstellation
Im Gegensatz zu einer entsprechenden Erwartung an die Philosophie als einem rein sachproblemorientierten Unternehmen ist man aus zwingenden sachlichen Gründen gut beraten, die Charakteristik der Stellung Hamanns in der philosophischen Situation der Zeit mit biographischen Angaben zu beginnen. Ich bin den 27. August 1730 geboren und wurde 46 ein akademischer Bürger. Meine beiderseitige Eltern waren arme Fremdlinge, und haben mich durch ihr Beyspiel zur Dankbarkeit für den ihnen in Preussen zugeflossenen Seegen erzogen. Dies mein Vaterland ist mir mehr durch Drangsale als darinn genossene Herrlichkeit lieb, theuer und werth geworden. Mit eben so wenig Geschick als Glück habe ich einige Jahre in Liefland und Kurland adelicher Jugend zugebracht.58
Hamanns philosophische Position läßt sich geographisch aus den Orten seiner Herkunft und seines Wirkens beschreiben. Anders jedoch als der Ort selbst ist die herrschende Obrigkeit hier und anderswo in Hamanns Schriften negativ gekennzeichnet oder zumindest in ihrem wohltätigen Einfluß ironisiert. Geboren 1730 als Kind nichtpreußischer Eltern in Königsberg, verbrachte er die meiste Zeit seines Lebens mit Ausnahme einiger bedeutender Reisen, so der Bekehrungsreise nach London, der Stellensuche in Frankfurt, Berlin, Mitau und Warschau 1764–1767 und seiner letzten Reise nach Westdeutschland, im Baltikum und hier im seit 1721 de facto russischen Riga (formal erst 1795) und vor
56 Vgl. Jørgensen, Unzeitige Modernisierung, 201. 57 Sparling, Johann Georg Hamann and the Enlightenment Project, 160/161. 58 N III (Pro memoria), 333, 2–9.
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allem in seiner Geburtsstadt Königsberg, welches gleichsam als Vorgriff auf Späteres im Siebenjährigen Krieg vier Jahre lang von Rußland besetzt war.59 Auch Hamann ist Sproß des geistesgeschichtlich notorischen protestantischen Pfarrhauses, allerdings in durch ein gerüttelt Maß an Empirie vermittelter Weise, auf die er stolz war. Hamanns Vater, der Lausitzer Pfarrerssohn Johann Christoph (1697–1766), ist Bader und Wundarzt und dieser Beruf ist ihm ebenso Präfiguration seiner geistigen Existenz wie es für Sokrates der Beruf der Mutter war. Für eine Sammlung seiner Schriften erwägt er einen entsprechenden Titel, Saalbadereien oder metakritsche Wannchen, der sich als solcher dezidiert auf die Tätigkeit des Vaters bezieht: Seine Badwanne ist mit so heilig, als dem Sokrates seiner Mutter Hebammenstuhl, und ich nahm mit bisweilen die Freyheit zum Belag ein griechisches Epigramm anzuführen, das Vater Hagedorn übersetzt Der Bader und die H… baden/ Den schlechten Mann und besten Kerl/ Beständig nur in einer Wanne. Herder will den Titel Salbadereyen nicht gelten lassen, nun mögen sie metakritische Wannchen heißen – die Füße = medios terminos progressus unsers aufgeklärten Jahrhunderts zu waschen.60
Ebenso wie Sokrates von seiner Mutter die mäeutische Methode übernahm und von der körperlichen in die geistige Sphäre transferierte, so fühlt sich Hamann in seiner Autorschaft als Erbe und Benutzer der väterlichen Badewanne, die er insbesondere für die Autoren der bedeutendsten intellektuellen Strömung seiner Zeit reservierte. In den Augen Hamanns kommt die vorherrschende intellektuelle Strömung seiner Zeit aus Frankreich. Kultur zu Zeit der Zeitschrift ,Daphne‘ (1749–1750), welche der junge Hamann mit seinen Freunden Johann Christoph Berens, seinem späteren Rigaer Auftraggeber für die Reise nach London, mit Johann Friedrich Lauson, Johann Christoph Wolson, Matthias Friedrich Watson unter der Ägide von Johann Gotthelf Lindner herausgab, war gleichbedeutend mit Frankreich und seinen kulturellen Exportartikeln, welche insbesondere im sogenannten aufgeklärten Absolutismus und hier in extremer Weise bei Hamanns Landesvater Anklang fanden.61 Von der allgemeinen kulturellen Orientierung 59 Vgl. zum pragmatischem Umgang der Königsberger mit der russischen Besatzung Kohnen, Ostpreußisch-russische Wechselbeziehungen, 339–343. 60 ZH V, 331, 21–29. 61 Über die Herausgeber schreibt Kohnen: „Ihre allgemeine Reife aber belegen sie dadurch, daß sie trotz dieser Begeisterung für das führende Kulturmodell die Grenzen regionaler ostpreußischer Aufnahmefähigkeit erfaßt haben und vor unbedachtem gesellschaftlichen Imitationssnobismus warnen.“ Das führende Kulturmodell setzt sich hierbei zusammen aus dem „modernen Geist der Regierungszeit Ludwigs XIV.“ und dem Geist des „SiHcle des LumiHres“ (Joseph Kohnen, Nachwort zu: Daphne. Nachdruck der von Johann Georg Hamann, Johann Gotthelf Lindner u. a. herausgegebenen Königsberger Zeitschrift (1749–1750), Frankfurt u. a.: Lang 1991 ohne Seitenzahlen (1–19, hier 9)). In der Konstellation von 1749 scheint somit trotz aller Sensibilität in Fragen der Möglichkeit der Kommunikation fran-
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nach Frankreich schlossen sich die jugendlichen Macher der Zeitschrift nicht aus, beförderten deren Verbreitung sogar nach Kräften. Jedoch auch hier wurde „[m]ehr als in jeder anderen literarisch orientierten Zeitschrift […] der Akzent auf lokale Verhältnisse gelegt.“62 Auch in der von Hamann mitverantworteten ,Daphne‘ wurde das Hauptaugenmerk auf metakommunikative Aspekte, d. h. auf die Vorbereitung eines angemessenen Kommunikationsraumes gelegt.63 Für Hamann war zudem die Mitarbeit an dieser Zeitschrift, in der die Beiträger die Perspektive von Frauen und Mädchen annahmen, sachlich und lebensgeschichtlich von großer Bedeutung, hat sie ihn doch, wie Martin Seils betont, „in die intellektuelle Oberschicht des damals jungen Königsberg versetzt, und zwar bleibend und ohne daß seine späteren Berufs- und Lebensgeschicke dem etwas anhaben konnten.“64 Diese Sozialisierungen mit und mittels konkreter Individuen sind das eigentlich Entscheidende an Hamanns biographischer Entwicklung. Eine prägende, aber vor allem auch exemplarische Gestalt für den akademischen Bürger Hamann, wie auch für den späteren ,verlorenen Sohn‘ der Albertina ist Martin Knutzen (1713–1751), nicht zuletzt und sogar vor allem dadurch, daß er im Umkreis Knutzens wohl zuerst mit Immanuel Kant zusammengetroffen ist.65 Zwar ist man in der Literatur aufgrund fehlender Belege direkter Bezugnahme über den Grad der Beeinflussung Hamanns uneins66, es gibt allerdings Selbstaussagen Hamanns, die die Bedeutung des Lehrers für die kommunikative Konstellation, in der sich Hamann befindet, aufzeigt, und zwar in theoretischer Hinsicht wie auch in praktisch-sozialer, nämlich in der Verbindung mit Kant in der ,physicotheologischen Gesellschaft‘.
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zösischer Hochkultur und ostpreußischer Leserschaft das Problem lediglich die historisch bedingt begrenzte Aufnahmefähigkeit des Publikums zu sein. Kohnen, Nachwort, (8). Der metakommunikative Aspekt bleibt auch im Folgenden für Hamann, insbesondere in seiner Auseinandersetzung mit dem Öffentlichkeitspostulat der Aufklärung entscheidend. Während die aufklärenden Autoren die Öffentlichkeit als einen reinen Verkündigungsraum freihalten wollen, nutzt Hamann die Publizität zur metakommunikativen Reflexion: „Hamann benutzt also die Öffentlichkeit nicht einfach für seine Verkündigungsabsicht wie andere sie für ihr ,Evanglie du jour‘ [i. e. z. B. D’Holbach, Amn. KMS]. Er läßt sich wesentlich weiter auf das Medium der Publizität ein, indem er es so gebraucht, daß es zugleich in seinen kommunikativen Möglichkeiten und Grenzen durchschaubar wird. Dies geschieht in einer nochmaligen kritischen Inanspruchnahme des selbst schon der Kritik dienen wollenden Mediums der Publizität, ohne dessen monopolistischen Anspruch auf das, was als öffentlichkeitsfähig und kommunikabel zu gelten hat und was nicht, anzuerkennen.“ (WolfgangDieter Baur, Johann Georg Hamann als Publizist. Hamanns Beiträge zu den ,Königsbergschen Gelehrten und Politischen Zeitungen‘, in: Gajek/Meier, Johann Georg Hamann und die Krise der Aufklärung, 255–274, hier 269). Martin Seils, Hamann und die Königsberger Universität, 19. Vgl. Graubner, Physikotheologie und Kinderphysik, 124. Vgl. Gründer, Figur und Geschichte, 60.
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Ich bin ein Schüler des berühmt[en] Knutzen in all[en] Theil[en] der Philosophie, der Mathematic und Privatvorlesung[en] über die Algebra gewesen, wie auch ein Mitglied einer Physicotheologisch[en] Gesellschaft die unter ihm aufgerichtet wurde aber nicht zu stande kann.67
Knutzens weitere Bedeutung für Hamann ist vor allem exemplarischer Natur. Er vertrat eine moderierende Position „von beachtlicher Selbständigkeit“68 zwischen den bedeutenden geistigen Strömungen der Zeit, nämlich dem Philosophieren Christian Wolffs, dem Empirismus und auch dem Pietismus. Er ist somit ein Philosoph, der eine Ambivalenz der geistigen Situation seiner Zeit deutlich vor Augen führt. Hans Graubner bringt diese geistige Schizophrenie wie folgt auf den Punkt: „In der Person Martin Knutzens finden sich unausgeglichen zwei Grundtendenzen des Aufklärungszeitalters vereinigt: einmal die Unmittelbarkeitssehnsucht nach lebendiger Beziehung, ausgedrückt durch ein persönliches Gottesverhältnis, zum anderen das Sicherheitsbedürfnis gegen menschliche Macht übersteigende Ereignissen ausgedrückt durch einen fernen Gott, der seine einmal geschaffenen Naturgesetze nicht selbst durchbrechen kann.“69 Auch scheint die bekannte Formel ,Rede, daß ich dich sehe‘, wie Graubner an anderer Stelle ausführt, von Knutzen übernommen zu sein.70 Wie das Beispiel seines Lehrers zeigt, versteht es Hamann also, interne Widersprüche des Denkens der Aufklärung nicht nur aufzudecken, sondern selbst wiederum produktiv zur Entwicklung angemessenerer Beschreibungsformen menschlichen Daseins zu nutzen. Auf diese Weise wird aber das mit sich im Streite liegende Denken jedoch nicht schlicht negiert, sondern bleibt als solches ein wichtiges Element in Hamanns Gedankengang selbst. Sogar die mögliche Lösung des Problems des Zusammenspiels von Unvereinbarkeiten ist in ihrer eindringlichsten Version, der Frage des Verhältnisses von göttlicher und menschlicher Natur von Knutzen angesprochen: die Herunterlassung bzw. Kondeszendenz, die ein Kernbegriff Hamannschen Nachdenkens wird. Die ,paradoxe Spannung‘ ist hier zu einem Zeichen einer liebenden göttlichen Zuwendung geworden, die als solche den menschlichen Erkenntnismöglichkeiten zugänglich und vermittelbar (d. h. für Knutzen durch die Vernunft) ist.71 Nach Hamanns Kritik bedeutet Aufklärung jedoch, Sinnlichkeit gegen ver67 68 69 70
BW 321. Gründer, Figur und Geschichte, 56. Graubner, Physikotheologie und Kinderphysik, 119/120. Vgl. Hans Graubner, Hamanns Ästhetik des Erhabenen und die Wiederkehr des Erhabenen im 20. Jahrhundert, in: Gajek, Die Gegenwärtigkeit Johann Georg Hamanns, 215–231, hier 218. Gegen Knutzen als Vermittler der Formel Joachim Ringleben, ,Rede, daß ich dich sehe.‘ Betrachtungen zu Hamanns theologischem Sprachdenken, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 30 (1988), 211–224, hier 212. 71 Gründer, Figur und Geschichte, 58.
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nünftige Selbstermächtigung zu setzen. Hamann wird in diesem Sinne zu einem deutschen Hume bzw. vielleicht sogar einem deutschen Rousseau. Diese Aufklärung ist gegen herrschende Ideologien gerichtet und bedeutet die Konstituierung einer neuen bürgerlichen Moral. Diese Moral ist bei Hamann, vielleicht auch in Erinnerung an den Versuch seines Freundes Behrens, aus ihm einen Kaufmann zu machen, sicher aber aufgrund von umfangreicher volkswirtschaftlicher Lektüre, durchaus ,kapitalistisch‘ bestimmt. Sie ist der Wille, seine Schulden zu bezahlen.72 Sie bedeutet auch Engagement zugunsten konkreter überschaubarer Einheiten, wie etwa der Heimatstadt oder der Familie. Hamann hat sich folglich intensiv und ohne Rücksicht auf das eigene berufliche Fortkommen um den alten Vater und den kranken Bruder gekümmert: „Meine rechte Arbeit, die niemand sieht, ist der Beruf meines Vaters, ihn nicht in seinem Alter zu verlaßen – der Gottes Arm verkündigen möge Kindeskindern.“73 Moral geschieht nicht im Entwurf einer allgemeinen Ethik, sondern im womöglich unbeobachteten, d. h. nichtöffentlichen Konkreten. Wie Ildikj Pataky ausgeführt hat, widerspricht Hamann hier zugleich der Priorität der Öffentlichkeit, wie sie etwa in der Kantischen Theorie zum Ausdruck kommt „und betont das Vorrecht des Privaten im menschlichen Leben und in der Gesellschaft.“74 Insgesamt bedeutet Hamanns Ethik eine kommunitäre Überformung75 des Konkurrenzkapitalismus fern von einem allgemeinen Markt und zwar unter theologischer Ägide. Im Baltikum wirkte Hamann vor allem pädagogisch als Hofmeister. In der Pädagogik scheint, was schon seine Mitwelt anerkannte, seine besondere Begabung gelegen zu haben76, zumal sie aus eigener negativer Erfahrung hervorgegangen zu sein scheint.77 Ein Buch, das Hamann zu dieser Zeit plante (mit dem Titel ,Briefe eines Hofmeisters‘), sollte „die Welt über die Erziehung aufzuwecken“ imstande sein, und er hoffte, „diesen Entwurf so nützlich als lebhaft
72 Vgl. N IV, 236. Ausdruck findet dieser Wille in der Reputation der Einzelperson, sowie im öffentlichen Kredit einer Gemeinschaft (vgl. hierzu Christoph Meineke, ,Die Vortheile unserer Vereinigung‘. Hamanns Dangeuil-Beylage im Lichte der Debatte um den handeltreibenden Adel, in: Beetz/Rudolph, Johann Georg Hamann. Religion und Gesellschaft, 46–71, hier 66). 73 ZH II, S. 27. 74 Ildikj Pataky, Privatperson im öffentlichen Dienst, oder die Unterscheidung zwischen Privatem und Öffentlichem in Hamanns Leben und Schriften, in: Manfred Beetz/ Andre Rudolph (Hg.), Johann Georg Hamann. Religion und Gesellschaft, Berlin/Boston: De Gruyter 2012, 33–46, hier 33. 75 Vgl. Sparling, Johann Georg Hamann and the Enlightenment Project, 23: „Hamann’s linguistic turn has communitarian implications.“ 76 Vgl. Graubner, Physikotheologie und Kinderphysik, 125. 77 Vgl. Bernhard Gajek, Sprache beim jungen Hamann, München (Diss.) 1958, 35: „Hamann und sein Bruder werden streng und mitunter engstirnig erzogen.“
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auszuführen, weil er mir am Herzen liegt.“78 Über seine pädagogischen Prinzipien geben seine späteren Hirtenbriefe über das Schuldrama sowie das eigentümliche Projekt einer Kinderphysik Auskunft, welches ihn in enge Zusammenarbeit, aber auch und im Sinne der Entwicklung der eigenen Position entscheidend, in konstellative Konfrontation mit Kant brachte. Pädagogik bei Hamann erscheint hier als selbst- und die Schüler befreiende Kondeszendenz des Lehrers: Ohne Selbstverleugnung ist kein Werk des Genies möglich, und ohne Verleugnung der besten Anmerkungen, Regeln und Gesetze kein Schuldrama noch Urbild desselben. Kinder müssen wir werden, den Zweck der Poesie an Schülern zu erreichen. Nach dem Senfkorn ihrer Kräfte muß die Idee des Lieblings maior in effectu und zugleich minor seyn.79
Wahre Didaktik bedeutet nach Hamann nicht, die eventuell bittere Medizin der Wissenschaft seinen Schülern in Honig zu reichen. Vielmehr fordert sie einen tiefgreifenden Wandel des Lehrenden selbst im Sinne des kondeszendierenden göttlichen Vorbilds.80 Der Lehrende muß dabei durch die „Bereitschaft und Motivation, dem Gegenüber entgegenzukommen“, ausgezeichnet sein.81
f)
Lokalität
Folgt man den einschlägigen (und oftmals zitierten) Ausführungen Immanuel Kants aus seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, so befinden sich er selbst wie auch der Freund und Kritiker Hamann als Denker und Weltweise in einer geographisch privilegierten Position.82 Eine große Stadt, der Mittelpunkt eines Reiches, in welchem sich die Landescollegia der Regierung desselben befinden, die eine Universität (zur Kultur der Wissenschaften) und dabei noch die Lage zum Seehandel hat, welche durch Flüsse aus dem Inneren der Landes sowohl, als auch mit angrenzenden, entlegenen Ländern von verschiedenen Sprachen und Sitten, einen Verkehr begünstigt, – eine solche Stadt, wie etwa Königsberg am Pregelflusse, kann schon für sich einen schicklichen Platz zu Erweiterung
78 79 80 81
Hamann an Lindner vom Mai 1756 (ZH I, 198). N II, 363. Vgl. Graubner, Physikotheologie und Kinderphysik, 132. Christina Reuter, Autorschaft als Kondeszendenz. Johann Georg Hamanns erlesene Dialogizität, Berlin/New York: De Gruyter 2005, 24. 82 Das Verdienst, diese geistig priviligierte Position heutigen Lesern wiederholt und nachdrücklich vor Augen geführt zu haben, gebührt den vielfältigen Forschungen Joseph Kohnens zu Königsberg.
Lokalität
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sowohl der Menschenkenntnis als auch der Weltkenntnis genommen werden; wo diese, auch ohne zu reisen, erworben werden kann.83
Dem heutigen Ohr mag angesichts der Möglichkeiten der Globalisierung eine solche Apologie einer doch recht provinziell scheinenden Örtlichkeit merkwürdig erscheinen. Jedoch war Königsberg mit 50000 Einwohnern und 5000 Soldaten in Garnison um 1750 zu einer der größten Städte Deutschlands geworden, allerdings ohne ihr Potential mit dem größten Binnenhafen des Reiches als Verbindung nach Rußland recht ausnutzen bzw. seine kulturelle Inselsituation überwinden zu können.84 Joseph Kohnens Diktum „Königsberg hat die Welt eigentlich nie sonderlich interessiert!“85 behält somit nicht nur für die Zeit nach 1945 ihre (durchaus ungerechtfertigte) Gültigkeit. Ebenso kontrastiert Kants Aussage mit dem modernen Dogma vom Reisen als der gleichsam natürlichen Aktivität eines weltaufgeschlossenen und kulturell offenen und lernbegierigen Individuums. Derjenige ist der wahre Weltweise, der die Welt zu sich einlädt und hier, in den eigenen vier Wänden von ihr lernen kann, nicht jedoch der selbst endlos in ihr Herumreisende. In den Augen Kants ist Königsberg ein offener Ort, der als solcher Platz für die Begegnung bietet.86 Auch Hamann hat diese Eigenschaft seiner Heimatstadt durchaus zu schätzen gewußt, obwohl er selbst vergleichsweise viel auf Reisen gewesen ist. Ein nicht unbedeutender Faktor der spezifischen geistigen Entwicklung Königsbergs ist die beleidigte Vernachlässigung der Provinz durch den Souverän in Sanssouci angesichts der Ereignisse des Siebenjährigen Krieges, der es ermöglichte, neue Orientierungen, etwa nach England, aber auch nach Rußland 83 Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: ders., Werke in zehn Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Band 10, Darmstadt 1983, 400. 84 Vgl. Joseph Kohnen, Ostpreußisch-russische Wechselbeziehungen in Königsberg zu Zeiten Johann Georg Hamanns, 333f. 85 Joseph Kohnen, Nachwort zu: Baczko/Lauson/Lindner/Scheffner/Hippel/Hamann. Königsberger um Kant, hrsg. von Joseph Kohnen, Berlin: Nicolai 1993, 143–163, hier 143. 86 Auch für die jüdische Aufklärung ist Königsberg zur Zeit Kants und Hamanns von entscheidender Bedeutung gewesen, wie etwa das Beispiel Isaac Euchels, dessen produktivsten Jahre unter tätiger Förderung Kants in seine Königsberger Zeit fallen, zeigt (vgl. Andreas Kennecke, Isaac Euchel. Architekt der Haskala, Göttingen: Wallstein 2007, 42–121). Siehe auch Steffen Dietzsch, Kant, die Juden und das akademische Bürgerrecht in Königsberg, in: Joseph Kohnen (Hrsg.), Königsberg. Beiträge zu einem besonderen Kapitel der deutschen Gesitesgeschichte des 18. Jahrhunderts I, Frankfurt u. a.: Lang 1994, 111–125. Mit Hamann war Euchel aufgrund gegenseitiger Besuche vor allem als Vermittler Mendelssohnscher Schriften gut bekannt (vgl. ZH V, 402), Euchel unterrichtete außerdem Hamanns Sohn im Hebräischen (vgl. ZH IV, 336) Andere herausragende Gestalten wären etwa David Friedländer und Marcus Herz. Über die spezifische (und nur zeitweilige) Anziehungskraft der Albertina für künftige jüdische Intellektuelle in der von Kant und Hamann geprägten Stadt berichtet Andrea Ajzensztejn, Jüdische Studenten an der Königsberger Universität zur Zeit Kants, Nord-Ost Archiv 3 (1994), 357–374.
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hin, auszuprobieren.87 Schon der Kronprinz hatte sich höchst despektierlich anläßlich einer Inspektionsreise im Jahre 1739 über die Stadt und die Provinz geäußert („Ebenso gern wäre ich todt, als ich hier bliebe.“). Diese Abneigung scheint sich späterhin, wenn überhaupt, dann noch verstärkt zu haben.88 Es scheint, als habe es sich insbesondere der König nach 1763 bewußt und dezidiert versagt, an der Offenheit und Weltbürgerlichkeit Königsberg zu partizipieren und so Menschen- wie auch Weltkenntnis im Sinne Kants zu gewinnen. Doch ist es nicht das von Kant artikulierte Potential seiner Heimatstadt, eine ,Weltstadt‘ zu werden bzw. ,Weltbürger‘ hervorzubringen, das für Hamann an Königsberg entscheidend ist. Hamanns mögliche Kritik eines konstruierten Allgemeinbegriffs eines politisch korrekten Weltbürgers ist hart und seine Opposition durch den Einsatz seiner gesamten Persönlichkeit fundamental. Der ,schickliche‘ Ort am Pregelflusse ist bei ihm die konkrete Gegenposition zu einem irregeleiteten Philosophieren – das nicht zuletzt durch den großen Mitbürger Kant repräsentiert wird.89 Das am Pregel und Katzbach gelegene höchstbaufällige Kämmereygebäude der Altstädtschen Badstube, ist nach dem Verkaufe nunmehr in eine Öl- und Graupenniederlage, das Gärtchen und Luftbüdchen meiner Kindheit und Jugend in einen bequemen freyen Durchgang von der Holzbrücke nach dem Mönchenhofe, aus der Altstadt in die krumme Grube und Löbenicht, verwandelt worden. Ich weiß dem allgemeinen Geschwätze und schön aus der Ferne her, in die weite Welt hinein zielenden Zeigefinger eines politischen Mitlauters nichts bessers als die genaueste Lokalität, Individualität und Personalität entgegen zu setzen, mit einem – quod petis HIC est oder Hic niger est, HUNC.90
Wichtig für sein Philosophieren ist Hamanns Erweis der kontingenten Notwendigkeit der Konstellation, in der sich der Philosophierende als Gesprächspartner einer möglicherweise anderen geistigen und lokalen Herkunft befindet. Zwar ist die eigene Position historisch kontingent, aber, so macht Hamann klar, als solche eine notwendig zu vertretende und das heißt konkret zu verantwortende Position. In diesem Sinne ist Hamann nach einem treffenden Ausdruck 87 Vgl. hierzu Joseph Kohnen, Druckerei-, Verlags- und Zeitungswesen in Königsberg zur Zeit Kants und Hamanns. Das Unternehmen Johann Jakob Kanters, in: Kohnen, Könisberg I, 1– 19, hier 13. 88 Der Ausspruch Friedrichs findet sich neben weiteren ungehaltenen Ausfällen des Kronprinzen und späteren Königs (so dieser : das Land könne „besser Bären aufziehen als zu einem Schauplatz der Wissenschaft dienen.“) zitiert in Rudolf Malter, Königsberger Gesprächskultur im Zeitalter der Aufklärung: Kant und sein Kreis, Aufklärung 7 (1992), 7–24, hier 8. 89 Zu einer Gegenüberstellung der Positionen Kants und Hamanns Königsberg betreffend vgl. Oskar Negt/ Hans Werner Dannowski, Königsberg-Kaliningrad. Reise in die Stadt Kants und Hamanns, Göttingen: Steidl 1998, 147–167. 90 N III, 350, 36–40 und 352, 23–28.
Lokalität
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Jürgen Mantheys (und in einem gewissen Gegensatz zum Untertitel seines Buches) in seinem „Individualtrotz“ ein „Radikalbürger“ Königsbergs.91 Für diese verantwortete Position hat Hamann den Begriff der ,Lokalität‘ geprägt. Erst diese macht den Philosophierenden individuell und persönlich, das heißt aber in letzter Konsequenz auch verantwortlich für sein Aussagen. Diese Lokalität ist ein bewußt gepflegter Provinzialismus in der Einsicht, daß ein allgemein formuliertes Weltbürgertum etwa lediglich eine ihres eigenen kulturimperialen Anspruchs nicht bewußte philosophische Konstruktion bleibt. Erst auf der Basis dieser bewußten Positionierung ist ein eigentliches Gespräch – und auch ein tragfähiger Kosmopolitismus92 – für Hamann möglich. Im Sinne Hamanns ist also etwa Eurozentrismus dann und nur dann ein Verstoß gegen ein verantwortliches Denken, wenn in Verkennung des eigenen ,Geschlechtsregisters‘ an der Etablierung einer unhistorischen, allgemeingültigen Denkweise in abstrakten Begriffen gearbeitet wird. „Ist eure ganze Menschenvernunft etwas anders als Überlieferung und Tradition, und gehört denn viel dazu, das Geschlechtsregister eurer abgedroschenen kahlen und zweymal erstorbenen Meinungen bis auf die Wurzel des Stammbaums nachzuzweifeln?“93 Ein Kritiker, der die eigene Herkunft verleugnet, wird so zum hypocrite, zum Heuchler, wie Hamann in der Neuen Apologie des Buchstabens h deutlich macht: „Ihr Heuchler! Gebt ihr nicht selbst Zeugnis, daß ihr Kinder seyd eurer Väter, und brecht den Stab über sie und euch selbst! ––“94 Wird hingegen der eigene notwendige und nicht zu hintergehende Provinzialismus im Sinne der Bestimmung der eigenen Lokalität gebraucht, so ist er grundsätzliche Voraussetzung für ein verantwortliches und somit gelingendes Gespräch. Erst der eigene Provinzialismus läßt den anderen als solchen erkennen. Eine solcherart reflektierte Fixierung des einzelnen Menschen in seinen bestimmten Kulturkreis führt daher gerade nicht zu ,Chauvinismus und Kulturalismus‘, sondern zu einem verantwortlichen Denken.95 Überlieferung und Tradition sind radikal individuierend und entmythologisieren deshalb die neue Gottheit einer allgemeinen Menschenvernunft. Entscheidend ist nach Hamann in der Begegnung mit anderen stets der konkrete Kontakt von Personen und nicht der Abgleich von Positionen in ab91 Jürgen Manthey, Königsberg. Geschichte einer Weltbürgerrepublik, München: Hanser 2005, 184. Vgl. auch S. 193: „Er [Hamann, KMS] ist ganz von seiner städtischen Umgebung abhängig, von ihr geprägt, süchtig nach ihr. Er ist auf Kommunikation erpicht, auf sie angewiesen, nicht von ungefähr ist der Stadterotiker Sokrates sein Mann.“ 92 Vgl. Kohnen, Druckerei-, Verlags- und Zeitungswesen, 2. 93 N III (Neue Apologie des Buchstaben h), 107, 4–8. 94 N III (Neue Apologie des Buchstaben h), 107, 21–22. 95 Dies ist das grundsätzliche Mißverständnis einer bestimmten Art von interkulturellem Philosophieren vgl. Hamid Reza Yousefi/Ram Adhar Mall, Grundpostionen der interkulturellen Philosophie, Nordhausen: Bautz 2005, 22.
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strakter Allgemeinheit. Nicht hieraus, sondern aus der Kontaktdimension konkret verorteter Individuen entsteht die gemeinsame Gesprächsbasis.
g)
Bibliophile Kommunikation Seit seiner Mitarbeit an der Wochenzeitschrift ,Daphne‘ während seiner Studentenzeit Publizist, in der späteren Zeit (1764–1779) Schriftleiter und Verfasser zahlreicher Rezensionen für die ,Königsbergschen Gelehrten und Politischen Zeitungen‘, war Hamann aus der Wurzel seiner Existenz heraus auf Kommunikation bedacht. Die neu aufkommende Sensibilität, in der die Gebildeten seiner Zeit an den Kommunikationsprozessen, an freundschaftlichem Gespräch und Briefwechsel, am Verhältnis von Autor und Leser, nicht zuletzt am Rezensentenwesen teilnahmen, ist bei Hamann auf das äußerste gesteigert.96
Diese Einschätzung des verdienstvollen Hamannforschers Oswald Bayer kann als Leitmotiv für eine Annäherung an Hamanns Schriften gelten. Leben und Schriften Hamanns sind von multiplen Kommunikationsformen gekennzeichnet. Kommunikation ist so bei Hamann auf das engste mit Gedrucktem, mit Zeitschriften, Zeitungen und Büchern, verknüpft.97 In dieser Hinsicht hat wiederum sein Ort in seiner bestimmten Konstellation einiges zu bieten. So weist Joseph Kohnen auf „das für seine Zeit am Ort geradezu geniale Angebot des Buchladens von Johann Jakob Kanter“98 für die Entwicklung und Erhaltung der geistigen Hochzeit Königsbergs hin. Es erscheint von sinnfälliger Symbolkraft zu sein, wenn sowohl Kant, Johann August Starck als auch Hamann selbst einige Zeit unter seinem Dach auch gewohnt haben. Kanter, „die in kultureller Hinsicht interessanteste und zugleich schillerndste Gestalt des Königsberger Verlagswesens und Buchhandels“99, verdankt seine Etablierung als Buchhändler und Verleger einem Impuls von Osten, nämlich der russischen Besatzung, deren Privileg von 1760 von der preußischen Regierung durch ein Privileg zur Gründung und Herausgabe der ,Königsbergschen Gelehrten und Politischen Zeitungen‘ ergänzt wurde. In der Besatzungszeit sah er es als seine Aufgabe an, die kulturelle Bedeutung Königsbergs und die geistige Verbundenheit mit dem übrigen Deutschland zu erhalten, „ohne jedoch die Russen zu verprellen.“100 96 Oswald Bayer, Einführung, zu: Hamann. Insel Almanach auf das Jahr 1988, hrsg. von Oswald Bayer, Bernhard Gajek, Josef Simon, Frankfurt 1987, 15. 97 Zur konkreten Gestalt der Kommunikation zu Hamanns Lebzeiten vgl. Klaus Gerteis, Das Postkutschenzeitalter. Bedingungen der Kommunikation im 18. Jahrhundert, Aufklärung 4 (1989), 55–78. 98 Joseph Kohnen, Das Dreiecksverhältnis Lauson – Hamann – Hippel, in: Beetz/Rudolph, Religion und Gesellschaft, 139–151, hier 139. 99 Kohnen, Druckerei-, Verlags- und Zeitungswesen, 6. 100 Kohnen, Druckerei-, Verlags- und Zeitungswesen, 8.
Bibliophile Kommunikation
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Kanter gab während der Besatzungszeit, einige von Hamanns ,aggressivsten Streitschriften‘101 heraus. Sein Medium ist das konkrete Buch. Als ein zeittypischer ,Projektenmacher‘ erzeugte Kanter später sein Papier selbst102, etablierte eine Schriftgießerei, gründete Filialen in Elbing und Mitau und lieferte nach Riga; er scheiterte aber (wie Hamann selbst) mit einem Expansionsversuch nach Berlin. Aus der Mitauer Filiale entstand das verlegerisch bedeutendere Unternehmen Johann Friedrich Hartknochs. „Kanters eigentliche Wirkung“ jedoch, so schreibt Herbert Göpfert, „ – und das ist ein seltener Fall – ging von der Sortimentsbuchhandlung aus, über deren Modernität, Großzügigkeit, Lebendigkeit anschauliche Schilderungen vorliegen. Sie war gesellschaftlicher Treffpunkt, Diskussionsraum, Informationsstätte (über alle wichtigen Neuerscheinungen) für die Gelehrten, aber auch für Studenten.“103 Kommunikation, so macht der Fall Kanters deutlich, ist wesentlich von Büchern abhängig, und dies in einem ganz konkreten Sinne im Kontext einer konkreten öffentlichen Buchhandlung. Von hier bezieht Hamann seine reichhaltige geistige Nahrung. Josef Nadler kennzeichnet Kanters Bedeutung für Hamann entsprechend so: „Ohne die offene Tafel in Kanters Buchladen wäre er nie der Lukullus der europäischen Literatur alten und neuen Stils geworden.“104 Die Bedeutung von Büchern und des dazugehörigen Buch- oder Literaturbetriebes als Medium der Kommunikation für Hamann wird an mannigfachen Stellen in seinem Werk und seiner Vita deutlich. Angesichts von Hamanns Briefen zeigt Hamanns Katalog der Bibliothek Johann Gotthelf Lindners (1729– 1776) und seiner eigenen ein gemeinsames aus Büchern bestehendes Werk der beiden Freunde an, die „ihre Bücher durch zwei Jahrzehnte im engsten geistigen Austausch miteinander erworben haben und die vielfach auf Verabredung kauften.“105 Schon der Katalog selbst wird in der Literatur übereinstimmend als ein eigenständiges Werk Hamanns betrachtet, zumal Hamanns „Element […] von früh auf die Kataloge [waren]“106 : „Ein Gemisch von Verkaufskatalog, Dokument und Suchliste, mit Witzen und persönlichen Anspielungen durchsetzt, trägt der Katalog auf jedem Blatt die Züge von Hamanns Autorschaft.“107 Diese bibliophile bis bibliophage Kommunikationsfreudigkeit und auch -abhängigkeit kommt bei Hamann in vielerlei Weise zum Ausdruck, auch in der 101 102 103 104
Kohnen, Druckerei-, Verlags- und Zeitungswesen, 13. Vgl. ZH III, 113 (Hamann an Hartknoch vom 5. Oktober 1774). Heinz G. Göpfert, ,Johann Jakob Kanter‘, in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), 125f. Josef Nadler, Johann Georg Hamann 1730–1788. Der Zeuge des Corpus mysticum, Salzburg: Müller 1949, 300. 105 Nadler, Johann Georg Hamann 1730–1788, 266. 106 Nadler, Johann Georg Hamann 1730–1788, 259. 107 N.[ora] Imendörffer, J.G. Hamann und seine Bücherei, Königsberg/Berlin: Ost-Europa Verlag 1938, 70.
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eher despektierlich klingenden Charakteristik Hamanns durch seinen Freund Johann George Scheffner, die einen Einblick in Hamanns häusliches Umfeld gewährt: Sein Haus war ein chaotisches Magazin, in dem Kluges, Gutes, Gelehrtes und Religiöses durch einander und zum Gebrauch eines jeden, der hinkam, offen da lag. Beym Büchermahl des von Leipzig angekommenen Meßgutes aß er nicht, sondern fraß, laut seinem eigenen Ausdruck, und klagte dann bitterlich über Kopfindigestitionen.108
Im Chaos des Hamannschen Magazins werden die verschiedensten Wissensbereiche in ein fruchtbares Gespräch gebracht, immer angeheizt und ergänzt durch seinen manisch Bücher sammelnden und verschlingenden Autor, der jedoch die Brutstätte seiner Gedanken nicht hermetisch abschließt, sondern, wie Scheffner berichtet, jedem Besucher (womöglich zur Herstellung einer eigenen Mixtur) offenhält. Nadler nennt Hamann nicht zu Unrecht einen „Büchermakler“, den es als Nebenberufler „kein zweites Mal gegeben haben“ kann.109 Das Verschlingen der Bücher zeitigt die vielfältigsten Ergebnisse, häufig auch zu Lasten des rezipierenden Körpers.110 Alles in allem, so rechnet Nadler vor, habe Hamann zeit seines Lebens im Wortsinne 15.000 Buchtitel umgesetzt.111 Der Typus eines mit und mittels Büchern kommunizierenden Polyhistors mit einer entsprechend großen Sammlung scheint nicht unüblich und im Königsberg der damaligen Zeit durchaus soziabel und gesellschaftlich integrierbar gewesen zu sein. Man denke etwa an Lindner oder insbesondere an Hamanns ihm an Temperament und weltlicher Laufbahn gleichenden Freund Johann Friedrich Lauson (1727–1783). Zu einer ordentlichen geregelten Karriere unfähig, entwickelte sich Lauson in seinem unersättlichen Bücherhunger zum einem armen Privatgelehrten mit riesiger Bibliothek. Hamanns Nachruf auf seinen Freund112 ist zu einem nicht geringen Maße auch ein Selbstporträt, wenn 108 Johann George Scheffner, Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. 1. Theil Königsberg: Nicolovius 1821, 206. Mit Scheffner selbst war Hamann „in einer eine Freundschaft tragenden Weise wesensverwandt“, und zwar eben „in ihrem geradezu animalischen Literturenthusiasmus“ (Tim Hagemann ,Zur Strafe meiner bösen Laune‘. Hamann als Privatkritiker der zeitgenössischen Literatur für Johann George Scheffner, in: Beetz/ von Lüpke, Hamanns Briefwechsel, 261). 109 Nadler, Johann Georg Hamann 1730–1788, 259. 110 Siehe auch den Abschnitt Das liebe Essen und Trinken in diesem Band (257–274). 111 Nadler, Johann Georg Hamann, 260. 112 Die Beschreibung seines Todes, die Hamann in einem Brief vom 22. Oktober 1783 an Herder liefert, erinnert zudem an eigene Gebrechen und entsprechende Befürchtungen – und hat ein Hauptthema Hamannscher Korrespondenz zum Gegenstand, nämlich die Verdauung: „Den letzten Sept. begegnete ich noch meinem alten Freund Lauson unter den Speichern, da ich nach der Stadt lief und er nach seinem Bureau eilte. Ich wurde auf einmal gewahr, daß er übel aussah. Er klagte über Kolik u daß ihn Pomerantzentropfen nicht geholfen. Rhabarber, eine Abführung empfahl ich ihn. Poßen! morgen ist es beßer, sagte er mir – Ey Zeit haben zum Einnehmen! Ich schrie ihm noch nach: Ey wenn der Tod komt –
Bibliophile Kommunikation
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Hamann ironisch diejenigen Charakterzüge Lausons betont, die ihm selbst nicht fremd gewesen sind. So bezeichnet er ihn als „immer nüchternen und züchtigen Satyr“ mit „unbestechlicher Rechtschaffenheit“ in einem „exemplarischen“ Dienst- und Pflichteifer, der als „preußischer Diogenes in einer seltenen Einförmigkeit und ächt-antiken Apathie und Armut“ starb.113 Er entsagte, freywillig und förmlich, seiner zahlreichen Büchersammlung, für einen Raum dazu neben der hiesigen Magistratsbibliothek, und für einen Nutzgebrauch Zeit seines Lebens, dessen kurze Muße er vornehmlich anwandte, seine Bücher in Ordnung zu bringen, welche sämtlich mit dem Holzschnitt eines schwärmenden Bienenstocks inwendig gezeichnet sind […].114
Letzten Endes ist die von Hamann geübte Kommunikationspraxis in all ihren jeweiligen Ausdrucksformen ein Zeichen einer grundsätzlichen Kommunikation, die den Menschen mit seinem Gott verbindet, eine Fundamentalsemiotik.115 Diese Ausdrucksformen umfassen Inhalt und Gestalt seiner Schriften116 ; aber auch die persönliche Existenz Hamanns wird von ihm selbst als eine solche Ausdrucksform bzw. ein solches Zeichen dargestellt. Hamann kommuniziert seine metakritische Botschaft durch seine gesamte Existenz – in diesem Sinne macht er auch seine angegriffene Körperlichkeit zu einem philosophischen Argument.117
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den Morgen drauf war er nicht mehr im Bureau, ich besuchte ihn noch denselben Tag und die beyde Tage drauf. Den 4 huj. war er tod gefunden worden des Morgens um 6 Uhr auf seinem Nachtstuhl neben dem Bett, gestützt mit der Hand am Ofen.“ (ZH IV, 84). Vgl. sein frühes Porträt in der ,Daphne‘: „Denn, wenn ich die Wahrheit sagen soll, so hat sein Naturell etwas seltsames an sich, welches ihn aber gar nicht verunziert. Es regiert eine gewisse Regelmäßigkeit in seinen Handlungen, welche selbst bey ihm zuweilen den Anschein eines Eigensinns bekömmt, bey einem andern aber, der nicht eben dasselbe Gleichgewicht darinn besässe, ganz unerträglich seyn würde. Er wird durch diese Strenge, die er sich selbst auflegt, genau in seinen Geschäften, sich immer gleich in allem, was er thut, seinen Freunden nie beschwerlich, über sich selbst nie unwillig, kurz, wenn ich mich so ausdrücken kann, er wird ein mechanischer Philosoph.“ (Daphne. Nachdruck, 111/112). N IV (Nachruf auf Johann Friedrich Lauson), 451. Siehe The Semiotics of Johann Georg Hamann in diesem Band (137–150). Stefan Willer hat in seiner Analyse des Druckbildes der Hamannschen Schriften nachdrücklich auf diesen Punkt hingewiesen: „Das Ausmaß philologischer Figurierung bringt somit Hamanns relationales Sprachdenken auf den Punkt. In der Machart seiner Texte artikuliert sich die Vorstellung einer unabdingbaren Bezüglichkeit der Sprache, die er in einer seiner Repliken auf Herders Sprachursprungsschrift und ihre anthropo-zoologische Provokation […] als ,communicatio göttlicher und menschlicher idiomatum bezeichnet […]. In dieser Perspektive ist Hamanns Zitations- und Annotationspraxis nichts anderes als eine figura der Kommunikation des Menschen mit Gott.“ (Stefan Willer, ,Ein geschickter Gebrauch dieser massoretischen Zeichen‘. Philologische Schriftbildlichkeit am Beispiel Johann Georg Hamanns, in: Gernot Grube, Werner Kogge, Sybille Krämer (Hrsg.), Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine, München: Fink 2005, 357–373, hier 371). Siehe den Abschnitt Krankheit als Katapher in diesem Band (233–255).
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h)
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Toleranz
Toleranz ist angesichts von Hamanns Autorhandlungen in vielerlei Weise gefragt. Zunächst verlangt die Konfrontation mit seinen Schriften ein gewisses Maß an wohlwollender Leidensfähigkeit. Hamann selbst ruft an verschiedenen Stellen seines Werkes zu einer solchen Toleranz gegenüber demselben auf. Beispielsweise schreibt er nach einem ausführlichen Bericht über seine persönliche Befindlichkeit, der mit einem Lob des Baldriantees abschließt, an Moses Mendelssohn „Ich besorge nicht, liebster Freund, daß Ihnen dieser vertrauliche Ton eckel und beschwerlich seyn wird, in dem ich mich über meine kleine Angelegenheiten gegen Sie ausgeschüttet.“118 Und auch seine Schriften selbst verlangen einen vor allem gutwilligen Leser, der an ihnen eine praktische Übung der eigenen Duldungsfähigkeit erfährt. Aber auch inhaltlich hat Hamann für die aktuelle Diskussion einiges zu bieten. Seine möglichen Einwände gegen eine bestimmte Auffassung etwa von Interkulturalität lassen sich in seiner Auseinandersetzung mit seinem Landesherrn ablesen. Interkultureller Dialog ist zum Scheitern verurteilt, wenn er nicht eine bestimmte Verbindlichkeit nach sich zieht: Die vielgepriesene Toleranz119 des großen Friedrich (nach dem Schlagwort seiner vielzitierten Randbemerkung vom 22. Juni 1740: „Die Religionen müßen alle tolleriert werden und muß der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, daß keine der andern Abruch tuhe, den hier muß ein jeder nach seiner Fasson selich werden.“)120 ist eine unverbindliche Toleranz der Gleich-gültigkeit, die in dem anderen nicht das lokal, personal und individuell definierte Andere, sondern überall nur dasselbe sieht. Toleranz ist in der königlichen Randbemerkung nur im Umgang untereinander gefordert, nicht aber, wenn es gegen den ,Fiscal‘ selbst geht. Eine solche Gleichgültigkeit verpflichtet zu nichts, läßt aber alle Optionen für eine schärfere eigene Diktatur als vorgebliche Garantieinstanz der geforderten Toleranz.121 Hamann zufolge dient sie sogar dazu, unter der Hand eine strengere Geistesdiktatur als zuvor einzuführen: Die alte punische Kriegslist durch ein hölzernes Pferd der Toleranz die enge Pforte zu erweitern, um das letzte Palladium der menschlichen Natur zu holen, damit wir des Gewissens halber alle Kamele verschlucken, durch einen neuen Köhlerglauben an einen neuen Bund der Vernunft Alpen versetzen, und uns allen bleyernen Bullen von 118 Hamann an Mendelssohn vom 13. September 1770 (ZH III, 5, 9–11). 119 Nach Sparling ist dieses Image „more a result of successful public relations than of fact“ (Sparling, Johann Georg Hamann and the Enlightenment Project, 166). 120 Zitiert bei Gerd Heinrich, Friedrich II. von Preußen. Leistung und Leben eines großen Königs, Berlin: Duncker& Humblot 2009, 322. 121 Zu Friedrichs ,stark relativistisch durchsetztem Toleranzbewußtsein‘ vgl. Gerd Heinrich, Friedrich II von Preußen, 322–326.
Toleranz
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Gottes Gnade unterwerfen, welche die heiligen Augustini und Anselmi aus ihren Cellen und Bordellen als Orakel und Gemächte ihres unsterblichen Wurms und unauslöschlichen Feuers––122
In dem Versuch, eine Toleranz aus sich heraus ohne externe Verbindlichkeit zu begründen, erweist sich das Vernunftdenken der Aufklärung für Hamann als luziferisch123 und kryptoreligiös – und infolgedessen unverantwortlicher und niederdrückender als es eigentliche Religion jemals war. Entsprechend unterscheidet Hamann zwischen der modischen Toleranz der Vernunft und einer aus einer anderen Quelle als dem reinen Selbstdenken inspirierten Toleranz, welche sich durch Gelassenheit, Aufmerksamkeit und Geduld, also durch eine gewisse Leidensfähigkeit auszeichnet.124 An dieser Stelle nimmt Hamann eine radikale Umwertung der philosophischen Werte seines Zeitalters vor und ordnet die Toleranz gerade demjenigen Kontext zu, gegen den das Konzept in der zeitgenössischen Diskussion vorzugsweise angeführt wird: „Die Toleranz ist freylich die erhabenste christliche Tugend; desto mehr nimmt es mich aber Wunder, wie es unserm Jahrhundert eingefallen, sich in diese schönste Himmelstochter der drey paulinischen Gratien so sterblich zu verlieben.“125 Interkulturelles Philosophieren ist also nicht im vorbereiteten System der Begegnung unter der Ägide eines allgemeinen Gerechtigkeitsgebots, sondern vielmehr nur jeweils einseitig möglich in dem Sinne, daß jeder Gesprächspartner seine Lokalität verantwortlich handhabt.126 Zu der Lokalität gehört auch und sogar in erster Linie das eigene Bekenntnis.127 Aus der Betonung der Lokalität in Sinne eines lutherischen ,Hier stehe ich‘ erwächst Hamanns Hochschätzung der Individualität, welche, wie Johannes von Lüpke ausführt, eine 122 N III (Konxompax), 223, 3–11. 123 Vgl. zur luziferischen Anmaßung der Vernunft Ulrich Gaier, Gegenaufklärung im Namen des Logos: Hamann und Heidegger, in: Jochen Schmidt, Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart, Darmstadt: WBG 1989, 261–276, hier 272. 124 Vgl. von Lüpke, Über Protestantismum, Catholicismum und Atheismum, 188/189. 125 N III, 164 (Hierophantische Briefe). 126 Entsprechend faßt Josef Simon Hamanns radikale Aufklärungsarbeit in diesem Punkt zusammen: „So kann uns Hamann sagen, was die Aufklärung über die Aufklärung wäre. Sie bestünde in der Einsicht, daß alles auf das Gelingen einer noch zu findenden philosophischen Sprache ankommt. Sie ist niemals definitiv zu finden, sondern neu in jeder wirklich interindividuellen Situation. Ihr Finden kann nie zum Ende kommen, und so läßt sich die Aufklärung auch nur als nie zu beendender Prozeß verstehen. […] Sein Ziel besteht in der immer nur temporären Beantwortung der Fragen aus einem anderen, einer anderen ,Lage‘ entsprechenden Sprachverstehen.“ (Josef Simon, Der Mut zum Denken. Hamanns Stellung zur Aufklärung in seiner Zeit und heute, in: Gajek/Meier, Johann Georg Hamann und die Krise der Aufklärung, 13–29, hier 24/25). 127 „Hamann bases tolerance not on religious indifferentism, but on the most firm religious conviction.“ (W. M. Alexander, Johann Georg Hamann. Philosophy and Faith, The Hague: Nijhoff 1966, 120).
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Einleitung
theologische Begründung durch einen Gott, der als ein „Individuum das nach keinem Maasstab als den er selbst giebt“128 agiert und eben nicht nach der Maßgabe einer als allgemein vorausgesetzten Vernünftigkeit, erfährt. „Eben der so verstandene Gott unterscheidet sich von den Idolen der menschlichen Vernunft dadurch, dass er als Schöpfer jeden Menschen als Individuum ins Sein ruft und durch seine ,individuelle Vorsehung‘ im Seine erhält.“129 Für den Menschen als Kreatur ist somit seine jeweilige Individualität nicht hintergehbar. Dieser lokal definierten Individualität muß entsprechend auch in der Kommunikationssituation vor allem Rechnung getragen werden. Entscheidend ist auch für Hamann hierbei die Befolgung der Bennschen Maxime ,Erkenne die Lage‘ in der kommunikativen Konstellation. Aus einer auf Lokalität beruhenden Kommunikation erwächst nach Hamann zuallererst die Möglichkeit der Toleranz.
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Humor Die Bedürfnisse unseres Körpers spielen in den Höhenflügen unseres Geistes die Rolle des großen Ironikers (H.A.Moser)
Angesichts der vielbeschworenen ,Dunkelheit‘130 des ,Magus‘ Hamann, welche ein weihevolles Raunen als seine primäre Mitteilungsform erwarten läßt, kommt ein wichtiges, vielleicht sogar entscheidendes Element seines Denkens und Schreibens zu kurz. Zwar ist schon früh, so unter anderem von Kierkegaard, der Hamann als Humoristen par exellence bezeichnet hat131, auf diesen Punkt hingewiesen worden, doch erscheint dieser Aspekt seines Denkens und Schreibens doch eher unterbelichtet zu sein.132 Ein Aufsatz-Titel wie „Hamann als humoristischer Schriftsteller“, oder gar „Hamann als komischer Schriftsteller“ so schreibt Sven-Aage Jørgensen, mag noch immer „spontane Verblüffung“ auslösen.133 128 ZH VII, 460 (Hamann an J.G. Steudel vom 4. Mai 1788). 129 Von Lüpke, Über Protestantismum, Catholicismum und Atheismum, 193. 130 Zu Hamanns Selbststilisierung in Sachen ,Dunkelheit‘ vgl. Simonis, Die Kunst des Geheimnisses, 324f. 131 Vgl. Joachim Ringleben, Søren Kierkegaard als Hamann-Leser, in: Gajek, Die Gegenwärtigkeit Johann Georg Hamanns, 455–465, hier 459. 132 Immerhin widmet jüngst Lydia Amir Hamann ein kurzes ,Intermezzo‘ in ihrem Buch über die Hauptvertreter modernen philosophischen Humors, nämlich Shaftesbury und Kierkegaard (Lydia B. Amir, Humor and the Good Life in Modern Philosophy. Shaftesbury, Hamann, Kierkegaard, Albany : SUNY Press 2014, 89–99). 133 Vgl. Sven-Aage Jłrgensen, Hamann als humoristischer Schriftsteller, in: Jørgensen, Querdenker der Aufklärung, 205–219, hier 205.
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Hamanns lutherische Option im Sinne einer unbedingten und umfassenden Zeugenschaft in den eigenen Autorhandlungen macht ihn jedoch keinesfalls zum sauertöpfischen orthodoxen Asketen oder pathetischen Enthusiasten, sondern befähigt ihn im Gegenteil zu einem anarchischen, burlesken und vor allem subversiven Humor.134 Dieser Humor ist bei ihm auf verschiedenen Ebenen festzumachen, hat aber in allen Fällen eine bestimmte Richtung, nämlich nach unten. So erdet er beispielsweise rücksichtlos seine hochfliegenden Briefpartner und enthusiastischen Freunde, wie zum Beispiel Friedrich Heinrich Jacobi mit ausführlichen Berichten über seine Krankheit und seine mehr oder minder stockende Verdauung. Mit dem Rückbezug des hochfliegenden Geistes zur Erde ist die wesentliche theologische Motivation Hamannschen Humors angesprochen. Gleichzeitig hält er sich in seinen Schriften an die englische Tradition des learned wit im Sinne eines Lawrence Sterne, welche komödiantische Gelehrsamkeit in metaschematischer Weise durch Anhäufung von Zitaten und glossierenden gelehrten Anspielungen zu einer profunden philosophischen Kritik nutzt.135 Und nicht zuletzt die immer mögliche Verschiebung der Sprachebene, der nach Jørgensen für Hamann charakteristische „unvermittelte Umschlag“136, etwa von einer philosophischen Anmerkung auf eine schlichte Zote, wirkt in besonderer Weise komisch und demaskierend (man denke etwa an die Metakritik und ihre Charakteristik der sexuellen Fehlfunktionen der Kantischen Philosophie, die als Buhlschaft und Notzucht, Selbstbefriedigung und Zölibat gekennzeichnet sind).137 Hamann selbst hat auf den Effekt des umschlagenden (kataphorischen) Stils auf den Leser wie folgt hingewiesen:
134 Daß wie O’Flaherty behauptet, Hamanns Stilvorbild der Bibel in ,gründlicher Distanz‘ zu seiner Anwendung von oftmals skurrilem oder gar groben – beziehungsweise ordinärem – Humor stehe, scheint in dieser puritanischen Rigidität doch zweifelhaft zu sein (vgl. O’Flaherty, Johann Georg Hamann, 70). Vgl. dagegen Reuter, Autorschaft als Kondeszendenz, 169: „Demgegenüber finden sich in der kondeszendenten Sprache der Bibel – schamlose – Worte dafür, wie der Mensch – gut – geschaffen ist in seiner Geschlechtlichkeit, Körperlichkeit und Sinnlichkeit, in seiner Konkretheit und Kontingenz […]“. Jørgensen gibt zudem einige Beispiele von biblischer, auf den Kondeszendenzgedanken verweisender Komik, „die auch dem fleischgewordenen Gott ,komische‘ Züge verleiht“: so z. B. Hosea 5, 12: Jahve ist „für Ephraim wie eine Motte und für das Haus Juda wie eine Made“ (Jørgensen, Hamann als humoristischer Schriftsteller, 217). 135 Vgl. Griffith-Dickson, Hamann und die englische Aufklärung, 81. 136 Jørgensen, Zu Hamanns Stil, 382. 137 Vgl. hierzu Oswald Bayer, Vernunft ist Sprache. Hamanns Metakritik Kants, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, 362–373. Alexander stellt zwar mit einigem Recht die Ernsthaftigkeit des Themas heraus („Sex is a text case for the seriousness of philosophy.“), diese aber schließt die komische Wirkung eines entsprechenden Testes nicht aus; dieser wird sogar durch jene entscheidend verstärkt (vgl. W. M. Alexander, Philosophers Have Avoided Sex, Diogenes 18 (1970), 56–74, hier 60).
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Ich bin in diesem Stück kein Parteygänger noch Mückenseiger gebe aber dem Verf. der Maccabäer recht; welcher sagt: Allzeit Wein oder Waßer trinken ist nicht lustig, sondern zuweil. Wein und zuweilen Waßer trinken, das ist lustig für den Leser. Wenn Luthers Sprache auch bisweilen nach dem Kännlein riecht: so schreibt er doch nicht immer die Sprache eines Trunkenbolds – weder im Wein oder starken Getränk – noch in seinen Ideen und Empfindungen und ihrem gährenden Most.138
Auch und gerade in der Auseinandersetzung mit seinem Freund Herder findet diese komische Erdung in Form einer konsequenten ,Rekonkretisierung‘139 Anwendung. Elfriede Büchsel kennzeichnet dieses „Meisterwerk Hamannschen Humors“ wie folgt: „In der Parodie selbst werden archaisierend-feierliche biblische und anspruchsvolle wissenschaftliche Herdersche Wendungen kunstvoll miteinander verwürfelt. Die Spannung und der schnelle Wechsel zwischen den beiden sprachlich vergegenwärtigten Sichtweisen, in dem hohe Erwartung in unfruchtbare Antithesen aufgelöst wird, ist die Basis der komischen Wirkung. Hoher Stil prallt ernüchternd auf banale Satzschlüsse und bildet so die Bewegung ab, die ins Leere läuft.“140 Es ist diese spezielle Form des intellektuellen Code-Switching, welche eine komische Wirkung hervorruft, indem Hamanns Autorhandlungen den labilen Status hochgeistiger Behauptungen aufzeigen, die jederzeit in das, was die Verwender jener hehren Sprachform als Banalität bzw. Vulgarität bezeichnen würden, umschlagen kann, ja sogar, folgt man Hamann, umschlagen muß.141 Dabei ist zu bedenken, daß diese ,niedere‘ Ebene für Hamann jedoch die eigentlich wesentliche bedeutet; daß die ,Fallhöhe‘ nur in der Perspektive der von ihm Kritisierten besteht, daß sie vielmehr nach eigener Auffassung eine eigentliche Erhöhung des Menschen bedeutet. Humor im unvermittelten Wechsel von (als unvereinbar betrachteten) Ebenen bedeutet für Hamann entsprechend methodisch einen praktischen Nachvollzug des göttlichen Kondeszendenzgeschehens.142 Wenn Eric Blackall Hamann in durchaus
138 Hamann an Herder vom 20. Dezember 1774 (ZH III, 135). 139 Vgl. Thomas Studer, Rekonkretisierung als Schreibmotiv bei Hamann, in: Gajek, Autor und Autorschaft, 143–157. 140 Büchsel, Die parodierten Philosophen, 203. 141 Amirs Begriff hierfür ist ,Stillbruch‘ (sic!). Auch wenn dieser Begriff kein Verschreiber sein sollte, das grundsätzliche Element Hamannschen Humors ist dennoch gut getroffen: „Truth is always embodied for Hamann. The more elevated the concept, the more he seems delighted in juxtaposing it to what is lowly, eccentric, or even trivial.“ (Amir, Humor and the Good Life, 95). 142 Jørgensen formuliert die Funktion des Komischen bei Hamann entsprechend: „Es ist die andere Seite der Herunterlassung Gottes und prangert die anthropologische und theologische Beschränktheit des die Leiblichkeit ausgrenzenden verdrängenden, reduzierenden Prinzips an. […] Der Angriff wird nicht nur im Namen einer orthodox-lutherischen Christlichkeit geführt, sondern im Namen der durch diese Normen ausgegrenzten Sinnlichkeit, der Hamann einen groben, den Anstand und den guten Geschmack provozie-
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unironischer Intention in einem profunden Sinne als ,witzlos‘ beschreibt (d. h. der ,Kultur des Witzes‘ feind), und betont: „Hamanns Stil könnte einem dabei als gelehrtes Spiel erscheinen, wäre er nicht so außerordentlich ernst gemeint und von einer mystischen Sprachanschauung durchdrungen, die in der Menschwerdung den höchsten Akt jener fundamentalen Ironie Gottes sieht, die sich ebenso in der Alltäglichkeit der Sprache der Bibel, seines ,Wortes‘ enthüllt“143, so zieht er aus der zutreffenden Analyse nicht den Hamann angemessenen Schluß. Das gelehrte Spiel ist Hamann zwar außerordentlich ernst, aber gerade dieser Ernst fordert im Sinne des Kondeszendenzgedankens den Humor und die Komik und nicht die ,farblose Feierlichkeit‘, die Blackall Hamann unterstellt. Das literarische Vorbild eines entsprechenden Umschlags vom Hehren ins Irdische ist die Interaktion von Don Quixote und Sancho Pansa, nicht von ungefähr ein Lieblingsbild der Hamannschen Selbstcharakteristik144, und zwar sowie in ihrer im Wortsinne umwerfenden (umstürzenden) Komik, wie auch in ihrer theologischen Radikalität. Mit der Erdung des Hochfliegenden durch Sancho Pansa konnte sich Hamann sicher sein, daß der kondeszendierende Gott ihn versteht. Die Frequenz der Code-Verschiebungen in den Texten Hamanns ist dabei so hoch, daß zum einen der prekäre Status insbesondere des philosophischen Satzes (über-)deutlich wird, zum anderen aber auch auf die Qualität des sprachlichen Ausdrucks, als ,Shifter‘ zwischen verschiedenen geistigen Ebenen zu fungieren, nachdrücklich hingewiesen, und diese als ihre primäre Funktion eindrücklich herausgestellt wird. Dabei benutzt Hamann vor allem biblische Konkretionen, um eine auf Allgemeinbegriffen aufbauende philosophische Sprache auf ihre Abgehobenheit hinzuweisen, welche Gefahr läuft, wie Thales den Himmel beobachtend in den Brunnen zu fallen, und sich so dem entlarvenden Lachen der Thrakerin auszusetzen. In diesem Sinne adaptiert und radikalisiert auch Hamann, wie Thomas Brose und Christoph Deupmann herausgestellt haben, in seiner ,Probe der Spötterey‘ Shaftesburys test of ridicule, insbesondere, um den unhinterfragten Pathos und
renden Ausdruck geben konnte.“ (Jørgensen, Hamann als humoristischer Schriftsteller, 218). 143 Eric A. Blackall, Die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache 1700–1775, Stuttgart: Metzler 1966, 329. 144 Vgl. etwa Hamanns Herderrezension N II, 23. Siehe auch Elfriede Büchsel, Don Quixote im Reifrock. Zur Interpretation der Zweifel und Einfälle über eine vermischte Nachricht der allgemeinen deutschen Bibliothek von J.G. Hamann, Euphorion 60 (1966), 277–293. Büchsel führt den spezifisch Hamannschen Humor auf seine ,perspektivische Theologie‘ zurück, und zwar mit „[…] jenen unverwechselbaren Gebärden, mit denen er in dem Bizarren und Symbolischen seiner Autorhandlungen sich selbst präsentiert als der Don Quixote Gottes in seiner Zeit.“ (ebd., 293).
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Enthusiasmus seiner aufgeklärten Kollegen zu demaskieren.145 Diese Vorgehensweise Hamanns, die Anwendung der komischen Methode eines aufgeklärten Deisten, ist ein Beispiel für wiederum seine humorvolle Anwendung eines Metaschematismus: „Der investigativ-methodische Spott des Test of Ridicule aber, verstanden als ,sokratisches‘ Verfahren der ironischen Prüfung angemaßten Wahrheitsbesitzes, wird Hamann zur geschicktesten und wichtigsten Strategie, den prätentiösen Ernst einer selbstgewiß sich konstituierenden ,Aufgeklärtheit‘ zu parieren.“146 Gerade der von Hamann gepflegte Centostil erlaubt in besonderer Weise eine Handhabung des unvermittelten Umschlags mit einem im Wortsinne umwerfenden (nämlich vor allem für die von Hamann kritisch ins Visier genommene Position) komischen Effekt. Vielleicht ist Hamanns besondere Art von Humor am besten als karnevalesk zu umschreiben. Angetan mit einem zusammengeflickten Kostüm aus Anspielungen und Zitaten (welches womöglich noch in metaschematischer Absicht angelegt wurde), indem er gelehrt scheint (learned wit), sucht der ,Gottesnarr‘ Hamann die zu seiner Zeit politisch und intellektuell Mächtigen durch eine radikale Erdung zu unterminieren, ihnen die eigenen Hanswursterei vor Augen zu führen, so daß ein Umsturz einer Weltordnung ermöglicht wird.147 In diesem Sinne schreibt Hamann ,Antitexte‘ zum Text seiner Zeit.148 Dieser Umsturz ist vor allem der Umsturz eines Selbstbildes seiner 145 Vgl. Brose, Johann Georg Hamann und David Hume, 82/83. Vgl. Christoph Deupmann gen. Frohues, Komik und Methode. Zu Johann Georg Hamanns Shaftesbury-Rezeption, in: Gajek, Johann Georg Hamann und England, 205–228, hier 207f.. Deupmann beschreibt den Hamannschen Metaschematismus im Falle Shaftesburys wie folgt: „Daß die humoristische Kritikmethode Shaftesburys gezielt jede Art menschlich-fehlbaren Enthusiasmus – religiösen wie philosophischen, politischen, ja selbst poetischen, den eigenen und den anderer – auf die Probe des Spottes stellt, ermöglicht Hamann eine literarische Anverwandlung, in der die kritische Stoßrichtung, die sie bei Shaftesbury erhält, sich umkehrt.“ (ebd., 209) Kritischer über Hamanns Verhältnis zu Shaftesbury Horst Meyer, Hamann und Shaftesbury, in: Gajek, Johann Georg Hamann und England, 197–204. 146 Deupmann, Komik und Methode, 214. Vgl. Amir, Humor and the Good Life, 97. 147 In den Hierophantischen Briefen ist der Umsturz durch Ebenenverschiebung mittels eines biblischen Formulars im Hinblick auf seine komische Wirkung von Hamann eindringlich und zweifellos im Hinblick auf die konkrete politische und philosophische Situation der Zeit beschrieben: „Die Verwerfung des hebräischen Gesindels und die eben so wunderliche Erhaltung desselben, die tragische Verstockung eines weisen Pharaons und die komische Metamorphose eines Monarchen, dem, als einem Knecht des HERRN, auch die wilden Thiere auf der Erde hatten dienen müssen, in das Gleichnis eines Ochsen, der Gras ißt und der Ehrehold seiner eigenen geheimen Geschichte wird – sind eben so gut als der herrschende Theismus unsers erleuchteten und gesitteten Jahrhunderts Glieder und Theile des großen evangelischen Plans der Erbarmung über das ganze verführte menschliche Geschlecht, das nicht einmal seine einheimische Thorheit, geschweige eine Staatsweisheit höherer Ordnung zu erkennen fähig, aber lächerlich gnug ist, erstere zum Maasstabe und Probierstein der letzern zu machen. –“ (N III, 145/146). 148 Vgl. Hoffmann, Johann Georg Hamanns Philologie, 118/119.
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Gegner, so zum Beispiel, wenn er die Autoren der Aufklärung in ihrer intellektuellen Handlungsweise mit Religion, Papsttum, Katholizismus, oder gar Mystizismus in Verbindung bringt. Dies alles sind Konzepte, gegen die diese Autoren ausdrücklich und zuallererst überhaupt erst angetreten sind. Hamanns Subversion wirkt in diesem Sinne kataphorisch, die angesprochenen Autoren bleiben sprachlos und peinlich berührt vor dem eigenen Bild, welches man zunächst und vor allem anderen zugedacht hatte, zurück.149 Eine wahre Höllenfahrt der Selbsterkenntnis läßt den Betroffenen daher vor allem als lächerlich und komisch (vor sich selbst) erscheinen, so daß er sein falsches Selbstbild nicht am Pathos oder gar an der Diabolik seines Untergangs wieder aufrichten kann.150
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Hamanns Freude insbesondere an zotiger Komik hat nicht nur denunziatorische Gründe oder ist Ausdruck einer therapiefähigen psychischen Disposition. Ein sozial sanktionierter Freiraum der Zote ist der Kontext einer Hochzeit, und diese ist nicht von ungefähr ein, wenn nicht das entscheidende Thema von Hamanns Überlegungen überhaupt.151 Eine der wichtigsten methodologischen Einsichten Hamanns besteht darin, daß Hochzeiten auf allen denkbaren Feldern der unbedingte Vorrang vor Scheidungen einzuräumen sei. Nur sie können seiner Meinung nach Fruchtbarkeit garantieren, die zum Fortbestand des Lebens un149 Eric Achermann spricht in seiner Kennzeichnung von Hamanns stylus atrox als einer „panischen Schreibart“ von der „Drastik einer sinnlich körperlichen Sprechweise, die mitunter die Grenzen des Anstandes überspringt“ und sich so „nicht nur im Ton von einem delikaten Natürlichkeitsideal weit entfernt.“ (Eric Achermann, Verbriefte Freiheiten. Zu Epistolarität und Essay bei Hamann, in: Beetz/ von Lüpke, Hamanns Briefwechsel, 89). 150 Die Heroik einer der Höllenfahrt folgenden Revolution der Gesinnung, die nach Goldstein Kant dazu bewogen hat, den Hamannschen Ausdruck der ,Höllenfahrt der Selbsterkenntnis‘ in sein Denken zu integrieren, scheint an dieser Stelle angesichts des Lächerlichen der eigenen Position relativiert (vgl. Jürgen Goldstein, Die Höllenfahrt der Selbsterkenntnis und der Weg zur Vergötterung bei Hamann und Kant, Kant-Studien 101 (2010), 189–216, hier 206). Mit ebenso guten Gründen könnte man jedoch folgern, daß es, um sich dieser Art von Selbsterkenntnis als grundsätzlich lächerlich zu stellen, eines wahrscheinlich noch profunderen Heroismus bedarf, als sich etwa vom ,radikal Bösen‘ der eigenen Natur überzeugen zu müssen. 151 Auf einen gesellschaftlichen entsprechenden Zusammenhang bei Hamann weist Alexander hin. „Hamann translates the conception of human sex into a perspective of marriage. Marriage is our word for the demand of society (not excluding the divine Other) for responsibility in sexual relations. Hamann does not make marriage a mysterious innate attribute of human nature. Marriage is the social expression of responsibility in sexual relations.“ (W. M. Alexander, Sex in the Philosophy of Hamann, Journal of the American Academy of Religion 37 (1969), 331–340, hier 338).
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abdingbar ist.152 Mit dieser Ansicht ist Hamann nicht allein, beispielsweise spricht William James ähnlich über die Hochzeit im Kontext des gelingenden Philosophierens: New truth is always a go-between, a smoother-over of transitions. It marries old opinion to new fact so as ever to show a minimum of jolt, a maximum of continuity. […] Purely objective truth, truth in whose establishment the function of giving human satisfaction in marrying previous parts of experience with newer parts played no role whatever, is nowhere to be found. The reasons why we call things true is the reason why they are true, for ,to be true‘ means to perform this marriage-function.153 In diesen Kontext der Befriedigung durch Vermählung gehört Hamanns intensive Beschäftigung mit dem Phänomen menschlicher Sexualität, der er in sämtlichen, und daher auch in einigen überraschenden Bereichen wie z. B. auf dem Felde der Soteriologie, eine überragende Bedeutung einräumt.154 Sexualität ist für Hamann ein wichtiges Element der Hermeneutik155, allerdings nicht nur eine Beschreibungsfigur, deren metaphorisches Potential für die Auslegung genutzt wird, sondern auch eine unabdingbare Methode der theoretischen Praxis. In der Sexualität feiert nach Hamann die Hermeneutik ihre hohe Zeit. In der Engführung auf den Kontext der Hochzeit scheint der extensive Gebrauch sexueller Metaphern und Allusionen bei Hamann institutionell bzw. sakramental pazifiziert. Hamann entwickelt seine Hochzeitslehre wiederum auf dem Hintergrund einer kommunikativen Konstellation, in diesem Fall in seiner Eigenschaft als „Korrektor“156 der Schrift Theodor Gottlieb von Hippels Über die Ehe.157 Des
152 Gerhard Nebel scheint auf die von Hamann angestrebte Fruchtbarkeit hinzuweisen, wenn er metaphernfreudig Hamanns den Leser inspirierenden Schreibstil bestimmt: „Hamanns Prosa ist […] kein weites freies Gelände, keine lichte Grassteppe, sondern ein Urwald, den man nur als Rätsellöser und mit dem Haumesser der Entzifferung betreten kann, aber der Pfad, den man sich auf diese Weise schafft, endet fast immer in einem Fruchtgarten, in dem der pneumatische Durst gestillt wird.“ (Gerhard Nebel, Hamann, Stuttgart: Klett 1973, 12). 153 William James, Pragmatism, in: Pragmatism and other Writings, hrsg. von Giles Gunn, London et al.: Penguin 2000, 1–132, hier 33 (vgl. auch 92: „This marriage of fact and theory is endlessly fertile.“). 154 „Nun fallen mir die Pudenda als das einzige Band zwischen Schöpfung u Schöpfer ein.“ (ZH IV, 139, Hamann an Herder, 12. Dezember 1779). Vgl. zu Hamanns Geniekonzeption, die die Produktivität „in Analogie zum Akt der Begattung“ setzt: Achermann, Verbriefte Freiheiten, 88. 155 W. M. Alexander hat diesen Aspekt wie folgt beschrieben: „Hamann’s efforts at an understanding of sex are an attempt to understand the world of flesh and history, not escape or transcend it. Reality is not only symbolical. It is also literal. Hamann has no intention of moving beyond sexual existence of which he is a part; it is his goal to understand this existence.“ (W. M. Alexander, Gnosticism and Hamann’s Interpretations of Human Sexuality, in: Gajek, Johann Georg Hamann, 85–92, hier 85). 156 Kohnen, Das Dreiecksverhältnis Lauson – Hamann – Hippel, 147.
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weiteren ist der biographische Kontext nicht zu vernachlässigen, nämlich zum einen der fehlgeschlagene Plan einer Heirat mit Katharina Berens, sowie die unterbliebene offizielle Hochzeit mit der Mutter seiner Kinder, Anna Regina Schumacher, mit der er seit 1763 in einer ,Gewissensehe‘ zusammenlebt.158 Biographisch ist also die Frage der Hochzeit zentral. Doch sein eigenes Beispiel, so stellt Hamann klar, soll anderen nicht zum Exempel dienen, wie auch der Verzicht auf die Hochzeit aus Frömmigkeitsgründen seine Sache nicht ist: „[I]n Ansehung der Ehen bin ich ganz antipaulisch gesinnt, freue mich über jedes Paar, das Gott zusammenfügt, und bin weit entfernt zur Nachfolge meiner Ausnahme aufzumuntern.“159 Der entscheidende Antrieb seines Schreibens ist es gegen Dissoziation, Abtrennung und Vereinzelung integrierend und resozialisierend zu wirken. Hamanns Titel zur Kennzeichnung der Position, gegen die er angeht, sind Scheidekunst oder Purifikation. Es geht darum, Menschen einer Kommunikationsgemeinschaft zuzuführen und zwar auf allen Ebenen, stilistisch, philosophisch, theologisch und auch sozial, schließlich auch und gerade der Kommunikationsgemeinschaft zwischen Schöpfung und Schöpfer. In den Biblischen Betrachtungen beschreibt Hamann anläßlich von Matthäus 1, 18–25 die letztere Gemeinschaft entsprechend seiner Gamologie: Wir sind Gottes Verlobte – – Der Ehebruch der Sünde, die Buhlerey mit den Geistern der Finsterniß, scheidet uns von Gott, wie Joseph sich hier von Maria zu scheiden gedachte. – – Gott erkennt unsere Seele nicht eher für sein rechtmäßiges Weib wieder, bis der Erstgebohrene in uns seine Gestalt genommen, bis Jesus uns hervorgebracht und wir in dem heiligen Geist wiedergebohren sind.160
Diese Betonung der Bedeutung von Kommunikationsgemeinschaften hat jedoch nichts mit dem Versuch einer kommunikativen Vereinheitlichung zu tun, die die jeweiligen Individualitäten in einem allgemeinen Menschsein, wie es etwa die Philosophie seiner Zeit tun möchte, auflöst. Der Kampfbegriff gegen diese Absicht könnte etwa die,Ehekunst‘ sein.161 Sachlich scheint jedoch die Hochzeit der eigentliche Gegenbegriff zur Scheidung zu sein.162 Die Bevorzugung eines sol157 Vgl. zum Verhältnis beider Joseph Kohnen, Hippel und Hamann, in; Gajek, Johann Georg Hamann (Acta I), 22–38, hier insb. 26. 158 In seinem (scheiternden) Bemühen, Geistigkeit und Leiblichkeit zu versöhnen bzw. die Sexualität in das Leben (und die Ehe) zu intergrieren sieht Jørgensen Hamann im engen Schulterschluß mit seinem zeitgenössischen ,Antipoden‘ Christoph Martin Wieland im Kampf gegen eine allgemeine Krise des damaligen Ehekonzeptes (vgl. Sven-Aage Jørgensen, Der unverheiratete Held, Orbis Litterarum 42 (1987), 338–352, hier 340/41). 159 ZH V, 462 (Hamann an Jacobi, 22. Juni 1785). 160 BW 259. 161 Vgl. Bayer, Zeitgenosse im Widerspruch, 13. 162 Hamann hat „[u]ngeachtet aller meiner römischen Denkungsart über das Sakrament der heil. Ehe“ in bestimmten Fällen Scheidungen und die entsprechende „christl. u bürgerl.
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chen Konzepts läßt in jedem Fall darauf schließen, daß es ihm nicht an einem bloßen Zusammenführen in einer undifferenzierten Allgemeinheit, sondern an einer besonders fruchtbaren Art der Assoziation gelegen war163, in der konkrete Individualitäten ihre Zeugungsfähigkeit beweisen.164 Dies ist natürlich bezogen auf den konkreten Vorgang selbst, der anläßlich einer konkreten Kommunikationssituation unweigerlich zum Thema wird. Hierfür nutzt Hamann wiederum ein biblisches Formular.165 In diesem Sinne schreibt er seinem Verleger Hartknoch über sein ihm versprochenes Ehebüchlein, den späteren Versuch einer Sibylle über die Ehe: Es wird dem Essay on Woman des berühmten Wilkes nichts nachgeben; und der Text ist Gen. II. – und er schloß die Stätte zu mit Fleisch. Womit Ihnen eine gute Nacht wünsche, und das Wort dem jungen Ehepaar nicht umsonst gesagt haben will – zu einer guten Nacht und geseegneten Ruh zum Gratias.166
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Freyheit einer armen Frau“ nachdrücklich befürwortert (siehe seinen Brief an Herder von 12. Dezember 1779, ZV IV, 137). In seinem Berliner Notizbuch notiert Hamann sich bezeichnende Reflexionen aus den Remarques sur les avantages et les desavantages der la France et de la Gr. Bretagne (1754) über die Ehe, die gerade den Aspekt der Fruchtbarkeit (und des Witzes) betonen und diesen durch bestimmte Reflexionen steigern wollen: „Die Harmonie der Gesellschaft, die aus der Ehe entspringt, ist die vollkommenste; so wie wir derselben genüssen, ist dies System nicht das günstigste zur Bevölkerung. Die Größe und Unauflöslichkeit einer solchen Verbindung ist imstande, den natürlichen Witz zu schwächen bey Gemüthern, die zusehr nachdenken (esprits trop considerans). Es ist daher jetzt hauptsächlich nötig, loix excitatives ou meme Coactives zu geben.“ Vgl. auch „Das Elend so wohl als der Ueberfluss des Reichthums, die Schwelgerey und die Wichtigkeit der Städte sind der Fruchtbarkeit so wohl als der Anzahl der Ehen zuwieder.“ Der Autor schlägt zu Behebung dieser Mißstände eine steuerliche und rangbezogene Bevorzugung von Kinderreichen vor. (N V, 180) Zuvor hatte er den Anteil der reproduktionsunfähigen Geistlichkeit an der Gesamtbevölkerung Frankreichs moniert: „Le Clerg8 celibataire est comme un gouffre, dans laquel 14 de la Nation est continuellement aneanti sans etre jemais repar8.“ (N V, 166). O’Flaherty nennt diese Grundidee von Hamanns Überlegungen nicht zu Unrecht ,magisch‘ („the Magian mode of conceiving and expressing reality“), vgl. O’Flaherty, East and West in the Thought of Hamann, 87 bzw. 91. Der Versuch einer Sibylle über die Ehe wird von Hamann in einem Brief an Herder vom 20. Dezember 1774 selbst als ein „kleiner Commentar über einige Stellen des 2ten Cap. Genes.“ beschrieben (ZH III, 131). ZH III, 108. Am 30. November 1774 wiederholt Hamann eine entsprechende Aufforderung, die er mit dem Ausdruck der Hoffnung auf ein Erscheinen eines eigenen ,kleinen Embryonen‘, dem Versuch einer Sibylle über die Ehe selbst, verbindet: „Es scheint, als wenn der versuch über die Ehe wol noch mit diesem alten Jahre zu stande kommen möchte. Ich habe den Anfang in Ihrer Hochzeitwoche gemacht und bisher sehr wenig i. e. ins Reine aber desto mehr i. e. ins Klade daran geschrieben, daß ich nah der Mühe, die es mir gekostet und noch kosten wird einen so kleinen Embryon zu liefern, nicht anders als etwas eitel und zuverläßig von deßen Tugend und Krafft muthmaßen muß. Wünsche daher, daß Sie das Ihrige dabey thäten es so correct und niedlich als mögl. zu liefern.“ (ZH III, 125).
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Auch im eher geistigen Bereich will Hamann dieses Wort nicht umsonst gesagt haben.167 Es ist eben hier, wo die Vernunft ihren eigentlichen Platz findet. Hamanns Kritik richtet sich nicht in irrationaler Absicht gegen die Vernunft, sondern gegen die Verkennung ihres eigentlichen Ortes. Die Disloziation der Vernunft ist die eigentliche diabolische Aktion des „Gott- und Menschenfeindes“: Da unsere Vernunft vom Saamen des göttl. Wortes geschwängert werden sollte, daß ich so rede, und in der Vertraulichkeit, in der Unterwürfigkeit v Liebe wie Mann und Frau unter ein[em] Dach leben sollte, hat er nicht nur beständige Uneinigkeit[en] zu erwart[en] gesucht zwisch[en] beyd[en] und d[as] zu scheid[en] was Gott zusamm[en]gefügt hat hab[en] woll[en], sondern zu unsern Zeit[en] eine förml. Ehetrennung zwisch[en] beiden einzuführ[en] gesucht v der Vernunft durch Systeme, Träume pp zu kitzeln gesucht um die Fortpflanzung, Wahrheit v Tugend einzuschränk[en], v allmählich ohnmögl. zu mach[en], dad[urch] daß er d[en] Unterschied zwisch[en] Wahrheit v Lüg[en] vermischt.168
In diesem Sinne ist auch Hamanns eigentümliche, von Monika Schmitz-Emans aufgezeigte experimentelle Hermeneutik, welche mit Leerstellen, die der persönlichen Ausfüllung harren, operiert, zu verstehen. Das Formularische von Hamanns Schreibweise ist in methodischer Absicht mit dem Thema der Hochzeit verbunden. Erst in der Ermöglichung und faktischen Durchführung individueller Einschreibung, welche einen Text als mögliche Pluralität von Verbindungen konkret aktualisiert169, erweist sich die Fruchtbarkeit von Geschriebenen und eine Lektüre als produktiv170, bzw. verhalten sich Leser und Schriftsteller wie Braut und Bräutigam.171
167 Nach Hans Graubner „[…] weist Hamann darauf hin, daß aller ergiebigen geistigen Auseinandersetzung etwas wollüstig Begehrliches anhafte, das ihr etwas Zweideutiges, Unreines, Vorläufiges verleihe, aber unumgänglich ihre Bedingung sei.“ (Hans Graubner, ,Origines‘. Zur Deutung des Sündenfalls in Hamanns Kritik an Herder, in. Bückeburger Gespräche über Johann Gottfried Herder 1988. Älteste Urkunde des Menschengeschlechts, hrsg. von Brigitte Poschmann, Rinteln: Bösendahl 1989, 108–132, hier 121). 168 BW 112/113. 169 Monika Schmitz-Emans, Schrift und Abwesenheit. Historische Paradigmen zu einer Poetik der Entzifferung und des Schreibens, München: Fink 1995, 105. 170 Die „heutige Fruchtbarkeit der Schriftsteller“ (N II, 341) in ihrer von lehrhaften Regeln geprägten Poetik wird von Hamann in Leser und Kunstrichter teils drastisch aufs Korn genommen (vgl. N II, 344, 10–21) und in ihrer wesentlichen Unfruchtbarkeit dargestellt. Diese Unfruchtbarkeit entsteht „weil Regeln vestalische Jungfrauen sind“ (N II, 345). Seine Leser und Leser überhaupt spricht Hamann als ,Jungfern und Junggesellen‘ an, die jedoch ,Bräute‘ (und Bräutigame) (N II, 341) werden müssen, aus denen wiederum Schriftsteller entstehen. „Wundert euch also nicht, Jungfern und Junggesellen! über die glatte und fette Gestalt unserer schönen Geister, noch über die Luftröhre des Schwanenhalses, mit dem sie eigensinnige Regeln und willkührliche Beyspiele durch alle vier und zwanzig Töne des Abecees schattiren. Dies Übliche in den Kennzeichen beweist den Mangel der wesent-
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Schriftsteller und Leser sind zwo Hälften, deren Bedürfnisse sich aufeinander beziehen, und ein gemeinschaftliches Ziel ihrer Vereinigung haben, wo Fülle und Hülle, Blöße und Hunger vier Räder, und Rad im Rade ein einzig Rad sind, anzusehen wie der Augapfel eines Zeisignestes; denn das ästhetische Geheimniß der schönen Natur heist in Schäfererzählungen ein Stein der Weisen, in Zergliederungen Schaam, in der Erfahrung aber das liebe Kreuz; – – ein Noli me tangere für Kämmerlinge und Algebraisten.172
Entsprechend können auch Hamanns Autorhandlungen beschreiben werden. Sein verdichtetes und kompliziertes Schreiben produziert (in nuce) aus verschiedenstem Material zusammengesetzte Text-Kerne, welche in der jeweiligen Lektüre diverse Formulare ausfalten (explicatio), etwa biblische Geschichten, antike Erzählungen, (tages-)aktuelle Anspielungen oder philosophische Thesen. Diese Formulare dienen als formale Grundbestandteile der möglichen Kommunikation und werden durch Einschreibung jeweils aktiviert. Durch sie wird eine Struktur des Gesprächs, des textuellen Zusammenlebens eröffnet. An dieser Stelle erweist sich der Zusammenhang des Hamannschen Lobes der Hochzeit mit seiner Apologie der Erde, als deren verzogener Sohn er sich empfindet.173
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Hamann lesen
Im Vergleich zu den Schriften Hamanns ist Hegels Phänomenologie des Geistes „eine wahre Ferienlektüre“, und somit wohl kein rechtes ,Lehrbuch deutscher Prosa‘, wie der Untertitel des 1944 erschienen Buches des Autors dieser Zeile, Ludwig Reiners, lautet.174 Doch eine solche Aussage wirkt in den meisten Fällen eher auf die Neugier, als daß sie wirklich abschreckt. Im Hinblick auf Hamanns Letztes Blatt hat Volker Hoffmann die Ambivalenz
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lichsten und fruchtbarsten Grundsätze, von denen allein die Kenntniß und der Genuß, die Liebe und Fortpflanzung schöner Naturen abhängt.“ (N II, 345). „Das entscheidende ist also, daß der Sinn erst durch die Aktivität des Hörers oder Lesers aus dem Text hervorgeholt wird, daß der Sinn also vom Rezipienten ,geboren‘ wird. Das ist auch in der Hermeneutik des Sokratischen Hamann ein zentrales Thema.“ (Sven-Aage Jørgensen, Hamanns hermeneutische Grundsätze, in: Jørgensen, Querdenker der Aufklärung, 103–114, 106). N II, 347, 22–348,1. Hamann will so in der Tat mit seinen Schriften „die hermeneutische Helix in Bewegung versetzen“ wie Christina Reuter (Autorschaft als Kondeszendenz, 259) schreibt, allerdings ist es vor allem eine Doppelhelix, die in Bewegung versetzt wird, um durch eine Neukombination mit einer anderen fruchtbare Ergebnisse zu zeitigen. In Alexanders Worten: „Man’s sexuality is synonymous with his earthiness.“ (Alexander, Gnosticism and Hamann’s Interpretation of Human Sexuality, 86). Ludwig Reiners, Deutsche Stilkunst. Ein Lehrbuch deutscher Prosa, München: Beck 1944, 312.
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der Hamannschen Autorschaft für den Leser beschrieben. Was Hoffmann die Erstellung (bzw. Eröffnung) von unabsehbaren Assoziationsräumen nennt, ist das Angebot, welches Hamann seinem Leser zu machen imstande ist: „Die Knappheit der Formulierung steht die beinahe unabsehbare Assoziationsmöglichkeit des Lesers, zu der dieser durch Dunkelwörter, Mehrdeutigkeit und durch Wortspiele angeregt wird, gegenüber. Wort–, ja buchstabenbezogen wird hier ein Selbstporträt entworfen, das auf der anderen Seite jeder buchstäblichen Fixierung spottet.“175 Eine böswillige Vernebelungstaktik jedoch liegt hier nicht vor, vielmehr ein radikal leserzentriertes Schreiben. Wie Christina Reuter erläutert, kann sich bei Hamann der Leser sicher sein, daß sein Werk nicht ohne, oder vielmehr gerade im Hinblick auf den Leser entstanden ist. Zwar läuft Hamann aufgrund seiner grundsätzlichen „Rezipientenorientiertheit“, mit der er, so Reuter, provozierend und umwerbend dem Leser auf die Pelle rückt, immer Gefahr gerade dadurch, daß er das Pathos der Distanz beim Leser nicht akzeptiert, un-leserlich zu werden. Jedoch, mit einem bekannten Schlagwort gelingender Pädagogik: „[d]er Lesende wird dadurch stark gefordert und gefördert.“176 Es scheint somit nicht völlig fehlgeleitet zu sein, Hamanns Werk unter anderem als eine gigantische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Geisteswissenschaftler anzusehen; ein Werk, von dem man weiß, daß es trotz – oder gerade wegen – seiner in mehrfacher Hinsicht merkwürdigen Form gewirkt hat. Für diese ist die Kontaktaufnahme zu Hamann jedoch auch nicht ohne Risiken, denn diese müssen in mancherlei Hinsicht bereit sein, über ihren eigenen Schatten, oder besser : in diesen hinein zu springen.177 Eric Achermann bringt die mannigfachen Vorteile der Hamannschen Schreibe in ihrer ,ebenso oft wie mühelos konstatierten Dunkelheit‘ auf den Punkt: „Zu diesen gehört – nebst dem Vergnügen des Enträtselns und Entdeckens – die Beförderung der Einsicht, daß jede ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Text notwendig immer zuerst Kom175 Hoffmann, Johann Georg Hamanns Philologie, 226. 176 Reuter, Autorschaft als Kondeszendenz, 259. 177 Jørgensen hat in der Einführung zu seinem Kommentar zu Hamanns fünf Hirtenbriefen diese Gefahr näher gekennzeichnet: Zwar seien ,reinliche Scheidungen zwischen den Disziplinen der Gesiteswissenschaften sehr zu empfehlen‘, bei Hamann jedoch sollte man keine Angst davor haben, sich durch Überschreiten der disziplinären Grenzen schmutzig zu machen. Eine Möglichkeit der wissenschaftlichen Lektüre „besteht darin, seine Haut zu wagen, den betreffenden Autor zu sehen und zu behandeln, wie er nun einmal ist, und dann die von allen Seiten fälligen Prügel auf sich zu nehmen, weil man in Sachen gesprochen hat, von denen man billigerweise hätte schweigen sollen, denn nicht nur die Grenzen, sondern auch die strengen Methoden sind verletzt worden.“ (Sven-Aage Jørgensen, Einleitung zu: Johann Georg Hamann, Fünf Hirtenbriefe das Schuldrama betreffend. Einführung und Kommentar von Sven-Aage Jørgensen, København: Munksgaard 1962, 5–85, hier 5/6).
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Einleitung
mentierung heißt. Wohl kaum ein anderer Autor nämlich zeigt uns mit solcher Deutlichkeit auf, was ,Intertextualität‘ – in allen Facetten, die diesem Ausdruck nun mal zukommen – heißen kann: Zitat, Cento, Anspielung, Parodie, ja gar Plagiat und Fälschung stehen als typisch intertextuelle Strategien in ebenso typisch intertextuellen Diensten, wie es Hommage, Aneignung und Polemik sind.“178 Das Gewaltige resultiert dabei nicht aus der Unüberschaubarkeit der vorliegenden Textmenge, sondern aus der Konzentriertheit des Geschriebenen, welches in seinem Anspielungsreichtum entfaltet werden möchte. Als Nachkomme, zumal als Wissenschaftler, muß man diesem unerschöpflichen und dazu noch selbstreflexiven Gegenstand dankbar sein.179 Ein nicht zu unterschätzender Vorteil der Philologie Hamanns ist es, dass sie selbst ihre fruchtbare Relationierung mit dem jeweiligen Erfahrungs- und Lektürehorizont des Lesers einfordert, d. h. ihn zu philologischen Hochzeiten mit anderen Autoren einlädt. Diese Lizenz zum Vermählen ist ein Ausdruck der explorativen Vernunft, welche Hamann durch das Offenhalten von Anschlußmöglichkeiten hinsichtlich der Sinne, der Geschichte und der Sprache wider das fruchtlose In-sich-Kreisen ,reiner Vernunft, aber auch ,reiner Philologie‘, ermöglicht und auch verlangt. Hamanns eigener ,Bücherhunger‘ kann sich so auch auf den Leser übertragen und überraschende Ergebnisse zeitigen. Wenn Reden und Sprechen mit Hamann als dauernder Übersetzungsprozess angesehen werden kann, ist all das als auch wissenschaftlich verwerflich anzusehen, was diesen Prozeß, die ständige Neurelationierung und Produktion neuer Ergebnisse, stoppt oder zu stoppen versucht. In diesem Sinne pflegt Hamann letztlich auch einen Peirceschen Begriff von Wissenschaft: Upon this first, and in one sense this sole, rule of reason, that in order to learn you must desire to learn, and in so desiring not be satisfied with what you already incline to think, there follows one corollary which itself deserves to be inscribed upon every wall of the city of philosophy : Do not block the way of inquiry.180 178 Eric Achermann, Natur und Freiheit. Hamanns ,Metakritik‘ in naturrechtlicher Hinsicht, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 46 (2004), 72–100, hier 72. 179 Ein Erlebnis, wie es etwa Günter Wohlfart beschreibt, ist in Sachen einer akademischen Hamann-Lektüre daher sicher nicht zufällig: „Als der Verfasser im Wintersemester 1979/80 in Tübingen gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von Studenten in einem Hamann-Seminar gleichsam zur Einübung in die ,Metakritik‘ die Rezension der ,Kritik der reinen Vernunft‘ in geduldiger Kleinarbeit durchbuchstabierte, wähnte er, diesen Text weitgehend ,entschlüsselt‘ zu haben. Das gemeinsame Seminar mit Oswald Bayer im Sommersemester 1981 über den gleichen Gegenstand belehrte ihn eines Besseren.“ (Günter Wohlfart, Denken der Sprache. Sprache und Kunst bei Vico, Hamann, Humboldt und Hegel, Freiburg/München: Alber 1984, 121). 180 Charles S. Peirce, Collected Papers (8 volumes), Vol. I–VI, edited by Charles Hartshorn and Paul Weiss, Cambridge/Mass.: Harvard University Press, 1931–1935; Vol. VII+VIII, edited by Arthur W. Burks, Cambridge/Mass./London: Belknap 1958, here Collected Papers 1.35.
I.
Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger Faust: Wie? Die Sprache wär größer als der Mensch? Ritter: Sie ist’s. (Christian Dietrich Grabbe)
In der einschlägigen Literatur gibt es einen Konsens darüber, daß Hamanns Überlegungen zur Sprache insbesondere an bestimmten zeitgenössischen Sprachauffassungen philosophisch explizier- und aktualisierbar seien.1 Dieser Konsens leitet sich von einem Forschungsauftrag her, den Sven-Aage Jørgensen 1976 in seiner Hamann-Monographie im Hinblick auf die im Rahmen der Reihe ,Hamanns Hauptschriften erklärt‘ noch zu kommentierenden metakritischen Schriften formuliert hat: Von gleicher Wichtigkeit wäre ein Kommentar zu den Kant-Schriften. Die Diskussion der heutigen Linguistik und Sprachphilosophie hat es uns ermöglicht, die von Hamann anvisierten Probleme schärfer zu erfassen, und vielleicht könnten auch von der sprachphilosophisch orientierten Metakritik Hamanns neue Impulse ausgehen, die die anzustrebende Synthese zwischen Erkenntnistheorie und ideologiekritischer Sprachanalyse vorantreiben (vgl. etwa die Diskussion Karl-Otto Apels und Jürgen Habermas, Bruno Liebrucks und Josef Simons).2
Dieser nicht nur von Jørgensen dringend gewünschte Kommentar liegt nun, nach dreißigjähriger Vorarbeit des Autors, in Oswald Bayers ,Vernunft ist Sprache. Hamanns Metakritik Kants‘ endlich vor.3 Der Kommentar soll den Dialog zwischen heutiger Sprachphilosophie und Johann Georg Hamann in Gang setzen, denn zur schärferen Erfassung von Problemen beziehungsweise als Anlaß für neue Impulse ist die Auseinandersetzung mit Hamanns Positionen in der Tat wie kaum eine andere geeignet. So weist Bayer explizit und implizit an 1 Vgl. den Literaturbericht von Elfriede Büchsel, ,Weitgefächertes Interesse‘. Hamannliteratur 1896–1995, Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 71/ 2 (1997), 288–356. 2 Sven-Aage Jørgensen, Johann Georg Hamann, Stuttgart 1976, 101. Zum Vergleich Hamanns mit der sprachanalytischen Tradition vgl. die Aufsätze von Josef Simon, Hamann und die gegenwärtige Sprachphilosophie, in: Johann Georg Hamann. Acta des zweiten Internationalen Hamann-Colloquiums im Herder-Institut zu Marburg/Lahn 1980, hg. v. Bernhard Gajek, Marburg 1983 in Bezug auf Quine, und Helmut Hein, Hamann und Wittgenstein. Aufklärungskritik als Reflexion über Sprache, ebd., 21–56. 3 Oswald Bayer, Vernunft ist Sprache. Hamanns Metakritik Kants, Stuttgart- Bad Cannstatt 2002.
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Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger
einigen Stellen seines scharfsinnigen und materialreichen Buches auf die Verbindbarkeit Hamannscher Gedanken mit kommunikativen und analytischen Sprachtheorien hin4, legt gleichzeitig aber auch den Grundstein dafür, diese nur beschränkte Kommunikation Hamanns mit der Nachwelt auszuweiten und zu intensivieren. Es geht um das Denken eines durch das Wort gestifteten Kommunizierens, d. h. um die Vorgängigkeit der in einem Akt autoritativer Einsetzung durch das Wort ausgezeichneten Sprache gegenüber dem Sprechen.5 Gerade durch diesen Kommentar und durch die theologischen Schriften Bayers6 ist die Möglichkeit gegeben, Hamann über seine Vereinnahmung als Theoretiker des kommunikativen Sprechens hinaus in einen fruchtbaren Dialog mit einem anderen Autor treten zu lassen, der sich dem Phänomen Sprache von einer anderen Seite als die Matadoren dieser Auffassung her nähert: mit Martin Heidegger.7 Dieser Dialog leitet eine eigene Erfahrung mit der Sprache. Ebenso wird dadurch eine Traditionslinie gestiftet, die neue Möglichkeiten der philosophischen Sprachtheologie aufzeigt. In das sprachphilosophischen Leierspiel könnten so neue Töne eingeschmuggelt und der kommunikationstheoretischen Fragestellung eine sich auf den Sakramentscharakter der Sprache beziehende sprachtheologische Wende gegeben werden.8 Die Möglichkeit eines vollmächtigen Sprechens, die Möglichkeit des Predigens könnte so phänomenologisch besser erfaßt werden.9 Hamanns und Heideggers Konvergenzpunkt ist die grundsätzliche Widerständigkeit der Sprache vor aller ihrer Funktionalisierung im Sprechen und die Grundstruktur, in der Sprache und Sprechen in dieser Widerständigkeit zusammenspielen.10
4 Vgl. etwa Bayer, Vernunft ist Sprache, XIII, 82 bzw. 87 und XII, 267 u. a. 5 Vgl. Oswald Bayer, Zeitgenosse im Widerspruch. Johann Georg Hamann als radikaler Aufklärer, München/ Zürich 1988, 188. 6 Wichtig ist hier insbesondere: Oswald Bayer, Promissio. Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie, Darmstadt 1989. 7 Auch Jørgensen weist auf diese Möglichkeit der Verbindung hin: „Der deutsche Existenzialismus Heideggerscher Prägung beeinflußte entscheidend die bis heute beste Darstellung von Hamanns gesamter Philosophie: Erwin Metzkes ,J.G. Hamanns Stellung in der Philosophie des 18. Jahrhunderts‘ (1934). Zweifelsohne boten sowohl die dialektische Theologie als auch der Existenzialismus einen neuen positiven Zugang zur Gedankenwelt Hamanns.“ (Jørgensen, Hamann, 100). Wenn auch die Subsumption Heideggers unter den ,Existenzialismus‘ zweifelhaft ist, so bleibt doch der konstatierte Grundbestand bestehen – und zwar nicht nur in Vergangenheitsform. 8 Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 380. 9 Vgl. Bayer, Promissio, 196 im Hinblick auf den ,Gottesspruch des Priesters‘, auch 247 in Bezug auf die Möglichkeit der Predigt bzw. 273. Ebenso kann das Gebet innerhalb dieser Sprachkonzeption erfaßt werden (vgl. Bayer, Promissio, 319). 10 Auf die Widerständigkeit der jeweiligen Sprachen zueinander hat Bayer in seinem Kommentar nachdrücklich hingewiesen (Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 7). Diese Widerständigkeit muß auch im Verhältnis der Sprache gegenüber dem Sprechen unterstrichen werden.
Hamann bei Heidegger
I.
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Hamann bei Heidegger
Das Vorhandensein einer solchen Traditionslinie ist allerdings zunächst wenig offensichtlich. Johann Georg Hamann gehört zu den vergleichsweise wenig auffälligen Autoren bei Heidegger, nie ist er Gegenstand einer eigenen Vorlesung beziehungsweise einer eigenen Schrift gewesen. Dennoch ist er im Werk Heideggers virulent präsent, und dies nicht nur explizit.11 Explizit relevant ist Hamann für Heidegger insbesondere, wenn es um fundamentale methodische Fragen, respektive die Kennzeichnung der Schwierigkeit eines grundsätzlichen Philosophierens geht. Diese Grundsätze sind in ihrer lichtenden Funktion, die Seiendes in einer bestimmten Weise der Entdecktheit präsentiert, gleichzeitig selbst notwendig ,dunkel‘. In diesem Sinne steht Hamann für Heidegger in der Tradition der Aufklärung.12 In seiner Explikation des Satzes vom Grund heißt es: Wohin wir blicken mögen, die Erörterung des Satzes vom Grund gerät schon bei den ersten Schritten ins Dunkle. So gehört es sich auch. Denn wir möchten den Satz vom Grund verdeutlichen. Das Deutliche und Lichte braucht indes das Dunkle und den Schatten, sonst gäbe es nichts zu verdeutlichen. Goethe erwähnt einmal (Sprüche in Prosa, ed. R. Steiner S. 365) einen Satz von Joh. Georg Hamann, dem Freund Herders und Kants. Der Satz von Hamann lautet: ,Deutlichkeit ist eine gehörige Verteilung von Licht und Schatten.‘ Goethe fügt kurz und bündig hinzu: ,Hamann – Hört.‘13
Ebenso klingt hier die Bedeutung an, die Heidegger dem Hören als Gehorsam beziehungsweise Gehören zumißt.14 Philosophische Deutlichkeit resultiert aus einem angemessenen Hören eines gegebenen Zuspruchs. Zumeist taucht der Name Hamanns im Zusammenhang mit der Analyse anderer Autoren auf. Dies selbst ist schon ein Impuls, der die Arbeitsweise, die Autorhandlung Hamanns mit der Arbeitsweise Heideggers verbindet. Hamann 11 Hans Ruins Aussage über die Hamannkenntnis Heideggers scheint zumindest etwas voreilig zu sein: vgl. Hans Ruin, Ursprung im Exil. Heidegger und Benjamin über Sprache, Wahrheit und Übersetzung, in: Internationales Jahrbuch für Hermeneutik. Erster Band, hg. von Günter Figal, Tübingen 2002. 12 Martin Heidegger, Vom Wesen der Sprache. Die Metaphysik der Sprache und die Wesung des Wortes. Zu Herders Abhandlung ,Über den Ursprung der Sprache‘, hg. v. Ingrid Schüßler, Frankfurt 1999, 38. 13 Martin Heidegger, Der Satz vom Grund, Stuttgart 1997, 24. Arthur Henkel, Deutlichkeit. Marginalie zum einem Hamann Zitat Goethes, in: Literaturgeschichte als Profession. Festschrift für Dietrich Jöns, hrsg. von Helmut Laufhütte, Tübingen 1993, 203–207. 14 In diesem Sinne berichtet Petzet über Heidegger: „Heidegger, der wahrlich zu hören verstand, hatte erfahren müssen, wohin es führt, wenn an die Stelle des Hörens das ,Darüberreden‘ tritt. Er wußte genau, warum er gern das auf den Magus des Nordens geprägte Wort Goethes zitierte: ,Hamann – hört!‘“ (Heinrich Wiegand Petzet, Auf einen Stern zugehen. Begegnungen mit Martin Heidegger 1929 bis 1976, Frankfurt 1983, 29). Vgl. bei Hamann die entsprechende Stelle aus den ,Brocken‘ ( N I 298, 20f.).
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Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger
entwickelt seine Position fast ausschließlich in konkreter Auseinandersetzung mit Texten und Positionen anderer. Ebenso ist Heideggers Vorgehensweise zutiefst text- und positionsbezogen. Hamann ist Heidegger ein Gesprächspartner in der Auslegung von Grundtexten der Metaphysik. In der Schelling – Vorlesung erscheint ein Verweis auf Hamann interessanterweise in der Auseinandersetzung mit dem späten Denken Immanuel Kants. Hamann fungiert in Heideggers Darstellung als entscheidender Einfluß auf ,die letzten Systemgedanken Kants‘, die diesen mit dem beginnenden Denken des deutschen Idealismus in Verbindung bringen. Heidegger zitiert aus dem Band XXI der Akademieausgabe und kommentiert die Sätze Kants im Hinblick auf mögliche Bezüge und Einflüsse: ,System der Transzendental/Philosophie in drey Abschnitten [als Überschrift]. Gott, die Welt, universum und ich Selbst der Mensch als moralisches Wesen./ Gott, die Welt und der Weltbewohner, der Mensch in der Welt. Gott, die Welt, und was beyde in realem Verhältnis gegen einander denkt, das Subjekt als vernünftiges Weltwesen.‘ ,Der medius terminus (copula) im Urtheile ist hier das Urtheilende Subjekt (das denkende Weltwesen, der Mensch, in der Welt.) Subjekt, Prädikat, Copula.‘ (a. a. O., 27) Ein merkwürdiger Satz, den wir später bei Hegel wiederfinden. Die vermittelnde Einheit, die menschliche Vernunft, ist die Angel des Systems. Gott – das An-sich- und In-sich-stehende schlechthin, Welt – das Ausgesagte, im Wort Gewordene, Mensch – als die Copula. (All das erinnert an Hamann.)15
Heidegger scheint hier die These von dem großen Einfluß des verstorbenen Freundes Hamann auf das Spätwerk Kants zu vertreten, insbesondere im Hinblick auf die grundsätzliche Sprachlichkeit von Mensch und Welt. Der Bezug auf Hamann ist bei Heidegger grundsätzlich affirmativ, wenn es um methodische Fragen geht. In ihrem grundsätzlichen Ansatz stimmen beide überein. Ist Heidegger im Unterschied zu Husserl Phänomenologe mit klarem Bewußtsein von dem !k¶heia-Charakter der Phänomene beziehungsweise von der Bedeutung der geschichtlichen Geprägtheit von Begriffen und von diesen geleiteten Erfahrungen („Eines war für Husserl schlechthin nicht gegeben, nämlich der tiefe Sinn der Geschichte als Überlieferung (als das, was uns freigibt), in dem Sinne daß Platon da ist, daß Aristoteles da ist und zu uns spricht, uns gegenwärtig ist und uns gegenwärtig sein muß.“16), so heißt es bei Hamann: Gesetzt also auch, daß der Mensch wie ein leerer Schlauch auf die Welt käme. So macht doch eben dieser Mangel ihn zum Genuß der Natur durch Erfahrungen und zur Ge15 Martin Heidegger, Schelling: Vom Wesen der menschlichen Freiheit (1809), hg. v. Ingrid Schüßler, Frankfurt 1988, 69f. Vgl. Kant’s gesammelte Schriften, hg. v. der preußischen Akademie der Wissenschaften, Band XXI, Berlin und Leipzig 1936, 27. 16 Martin Heidegger, Vier Seminare, Frankfurt 1977, 35.
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meinschaft seines Geschlechts durch Ueberlieferungen desto fähiger. Unsere Vernunft wenigstens entspringt aus diesem zwiefachen Unterricht sinnlicher Offenbarungen und menschlicher Zeugnisse, welche sowol durch ähnliche Mittel, nämlich Merkmale, als nach ähnlichen Gesetzen mitgeteilt werden.17
Ebenso wird Hamann herangezogen, um seinen weiterführenden Einfluß bei von Heidegger interpretierten Autoren aufzuzeigen. Dies ist vor allem der Fall in Heideggers vielfacher Auseinandersetzung mit dem Denken Herders.18 Schon sehr früh, in der Vorlesung ,Phänomenologie und transzendentale Wertphilosophie‘ vom Sommersemester 1919, weist Heidegger auf den Einfluß Hamanns auf Herder bei dessen ,Durchbruch‘ zur Erhellung des historischen Bewußtseins hin. Stichworte hierbei sind die geschichtliche Wirklichkeit in ihrer mannigfachen irrationalen Fülle beziehungsweise der selbständige Eigenwert jeder Nation beziehungsweise jedes Zeitalters.19 Hamann erscheint so als Helfer Heideggers bei seiner Lösung von seinem Lehrer Husserl. Ebenso finden sich öfters prägnante Erwähnungen Hamanns in Heideggers Notizen zu seinem Oberseminar zu Herders Schrift über den Ursprung der Sprache. Hier wird etwa ein Zitat aus Hamanns ,Zwo Recensionen‘ („Der Ursprung der menschlichen Sprache und die Erfindung der Partium Orationis sind so weit voneinander unterschieden, als Vernunft, Logik und Barbara Celarent.“) als Motto dem Abschnitt XIV ,Von Herder zu Grimm‘ vorangestellt. Wiederum wird also ein weiterführender Einfluß Hamanns auf die Entwicklung des Denkens der Sprache angedeutet. Ebenso ist in den von den Teilnehmern des Seminars angefertigten Protokollen Hamann sowohl als entscheidender Einfluß auf Herder, wie auch, zusammen mit diesem, auf Humboldt bezeichnet.20 Auch findet Heidegger in dem Wort Hamanns ,Poesie ist die Muttersprache des menschlichen Geschlechts‘ aus der ,Aesthetica in nuce‘ Bestätigung für den eigenen Versuch, in ,Hölderlin und das Wesen der Dichtung‘21, das Wesen der Sprache aus dem Wesen der Dichtung zu verstehen. Dies wiederum ist im Sinne 17 N III (Philologische Einfälle und Zweifel), 39, 25–40, 2. Alle Hervorhebungen in Zitaten stammen hier und im Folgenden von den Autoren selbst. 18 Der etwaige indirekte Einfluß von Hamann über Herder auf Heidegger muß aus Raumgründen an dieser Stelle ausgespart bleiben. 19 Vgl. Martin Heidegger, Phänomenologie und transzendentale Wertphilosophie, in ders., Zur Bestimmung der Philosophie, hg. v. Bernd Heimbüchel, Frankfurt 1987, 133. 20 Vgl. Martin Heidegger, Vom Wesen der Sprache. Die Metaphysik der Sprache und die Wesung des Wortes. Zu Herders Abhandlung ,Über den Ursprung der Sprache‘, 38, 51 und insbesondere 101 (Hamannzitat), bzw. 154 (Protokoll). Zu einer Interpretation von Heideggers Aufzeichnungen zu seinem Herder-Seminar vgl. George Kovacs, Heidegger in Dialogue with Herder: Crossing the Language of Metaphysics toward Be-ing-historical Language, Heidegger-Studien 17 (2001), 45–63. 21 In: Martin Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, hg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt 1996 (33–48).
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Heideggers für eine Explikation der ,Grundsätze des Denkens‘ weiterführend, nämlich als die Anregung für den Versuch, einen ,Sprung tiefer (zu) denken‘, nämlich das Wesen der Dichtung aus dem ,Sagenhaften des Bereichs (zu denken), der erst das Denken und das Dichten ihrem je eigenen Wesen überreicht.‘22 Aussagen Hamanns werden also von Heidegger als Instrument zur Selbstinterpretation und als Anreiz für intensivere Forschungen genutzt. Gerade im Bereich der Sprache ist Hamanns Denken für Heideggers ein Sprungbrett für tiefergehende Überlegungen. In dem Vortrag ,Die Sprache‘ von 1950 erscheint Hamann an prägnantester Stelle. Heidegger zitiert Hamanns Brief vom ,10. August 1784‘ an Herder: Wenn ich so beredt wäre wie Demosthenes, so würde ich doch nicht mehr als ein einziges Wort dreymal wiederholen müssen: Vernunft ist Sprache, k|cor. An diesem Markknochen nage ich und werde mich zu Tode darüber nagen. Noch bleibt es immer finster über dieser Tiefe für mich; ich warte noch immer auf einen apokalyptischen Engel mit einem Schlüssel zu diesem Abgrund.23
Heideggers Frage zielt nun auf diesen ,Abgrund‘: Besteht er darin, daß die Vernunft in der Sprache gründet oder ist er die Sprache selbst; ein Sichentziehendes, wenn nach einer Begründung der Vernunft durch die Sprache gefragt wird. Heidegger selbst versucht in seinen Überlegungen, wie der Engel über dem Abgrund zu schweben, ihn nach-denkend auszuloten, hat jedoch nicht die Hoffnung, ihn aufzuschließen. Dies wäre eine Aufgabe für einen apokalyptischen Engel, oder in Heideggers Ausdrucksweise, einen Halbgott24, sprich denjenigen zukünftigen Denker, den Heidegger selbst nur denkend vorbereiten will. Die Sprache ist nicht herleitbar. Hamanns Lebenswort ,Vernunft ist Sprache‘ kann Heidegger schon in seinen Marburger Vorlesungen mit Aristoteles wie folgt übersetzen: „k|cor ist let\ für moe?m und diamoe?shai.“25 Der Abgrund der Sprache ist somit für beide kein kurzfristiges und leicht zu erledigendes Pro22 Martin Heidegger, Grundsätze des Denkens. Freiburger Vorträge 1957, in: ders., Bremer und Freiburger Vorträge, hg. v. Petra Jaeger, Frankfurt 1994, 172. 23 Martin Heidegger, Die Sprache, in: ders., Unterwegs zur Sprache, Stuttgart 1997, 13. Nach der Briefausgabe Hamanns ZH V 177, 16–21, ist der Brief am 8.8. verfaßt worden. 24 Zu der ’Engelssprache’ bei Hamann vgl. Xavier Tilliette, Hamann und die Engelssprache. Über eine Stelle der AESTHETICA IN NUCE, in: Johann Georg Hamann. Acta des Internationalen Hamann-Colloquiums in Lüneburg 1976. Mit einem Vorwort von Arthur Henkel hg. v. Bernhard Gajek, 66–76, besonders 75. Die Engelssprache ist keine eigentliche Gottessprache, aber dennoch eine höhere Form der Vermittlung dieser. Entsprechendes leistet bei Heidegger der Halbgott Hölderlin in der Dichtung und der Philosophie: „Die geschichtliche Bestimmung der Philosophie gipfelt in der Erkenntnis der Notwendigkeit, Hölderlins Wort das Gehör zu schaffen.“ (Martin Heidegger, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), hg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt 1989, 422). 25 Martin Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, hg. v. Mark Michalski, Frankfurt 2002, 278.
Hamann bei Heidegger
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blem. Beide philosophieren, versetzt in ewige ,Gränzstreitigkeiten‘ der Vernunft beziehungsweise des Denkens und er Sprache26, aus einer tiefen persönlichen Betroffenheit heraus, die sich in einem Pathos des Wartens – Hamann wartet noch immer auf den Engel, Heidegger auf den künftigen Denker – äußert. Dabei treffen sich Hamann und Heidegger in einer formalreligiösen Figur, die christliche Tugend der Geduld umschreibend. Der wesentliche Dichter respektive Denker im Sinne Heideggers kann ebensowenig vorherberechnet werden wie der Dieb am Ende der Tage, der bei Hamann mit dem Poeten am Anfang der Tage identisch ist.27 In einem wesentlichen Bereich ihres Denkens scheint es also wichtige Gemeinsamkeiten zwischen dem Magus in Norden und dem Zauberer von Meßkirch zu geben, insbesondere im Hinblick auf die Sprache. Ihre philosophischen Überlegungen resultieren aus einem philo-logischen Impuls.28 Die Sprache ist der Stern, auf den beide in ihrem Denken zugehen. In ihren Überlegungen zur Sprache nun haben Hamann und Heidegger einen 26 ZH V, 360, 3 (Brief an Johann George Scheffner vom 11.2. 1785). 27 Vgl. N II (Aesthetica in nuce), 206, 20f. vgl. Heideggers Aussage: „Daher muß das Denken fünfzig und hundert Mal das Selbe er-denken und auf die Stelle des Selben zu kommen versuchen, bis einmal ein Einfaches gelingt.“ (Martin Heidegger, Die Geschichte des Seyns, hg. v. Peter Trawny, Frankfurt 1998, 30). 28 Nicht nur für seine Vorlesung über die Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie schreibt Heidegger programmatisch: „Es wird hier keine Philosophie oder gar Philosophiegeschichte geboten. Wenn Philologie besagt: die Leidenschaft der Erkenntnis des Ausgesprochenen, dann ist, was wir treiben, Philologie.“ (Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie (s. o. Anm. 25), 4). Wenn Heidegger das Lesen von Philosophen wieder in Übung bringen will (vgl. ebd., 5), so teilt er diesen leidenschaftlichen philologischen Impuls mit dem großen Leser Hamann, dessen Leidenschaft des lesenden Mitgehens mit den Autoren sich so äußert: „…Cartes hat seine Vernunft, Leibnitz seine, Newton seine eigene verstanden, verstehen sie sich daher besser unter einander selbst. Wir müssen ihre Sprache lernen, um ihre Begriffe zu unterscheiden; wir müssen die Absichten ihrer Lehrgebäude, den Grund, den sie haben, das Ende worauf sie gehen und deren Ausgang, in dem sie aufhören, untersuchen, dies nicht nahe ihren Versprechungen und Vorurtheilen, die sie uns als Grundsätze, Erfahrungen und Schlüsse aufbürden.“ (N I (Biblische Betrachtungen), 30, 36– 31, 3). Ebenso ist Hamann und Heidegger jedoch auch die Angewohnheit der ,brutalen Lektüre‘ eigen (vgl. Eckhard Schumacher, Die Ironie der Unverständlichkeit. Johann Georg Hamann, Friedrich Schlegel, Jacques Derrida, Paul de Man, Frankfurt 2000, 110f.), siehe das zweite Vorwort Heideggers zu seinem Kantbuch (vgl. Martin Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, hg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt 1991, XVII. Überhaupt ist die Bedeutung des Lesens für Hamann nach seiner Londoner Konversion, wie Bayer sie pointiert beschreibt – „Der Leser vieler Bücher macht, zum Leser des einen Buches geworden, die Erfahrung, daß er im Lesen gelesen, daß er im Verstehen verstanden wird.“ (Bayer, Zeitgenosse, 25) – durchaus zu vergleichen mit der gewandelten Auffassung des Lesens bei Heidegger : „Das eigentliche Lesen ist die Sammlung auf das, was ohne unser Wissen einst schon unser Wesen in den Anspruch genommen hat, mögen wir ihm dabei entsprechen oder versagen.“ (Martin Heidegger, Was heißt Lesen?, in: ders., Aus der Erfahrung des Denkens 1910–1976, hg. v. Hermann Heidegger, Frankfurt 1983, 111).
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gemeinsamen prominenten Bezugsautor : Herder. Jeweils in Bezogenheit und Absetzung von dessen Sprachauffassung erproben beide ihr Sprachdenken. Ein Dialog beider erscheint nunmehr möglich. Dabei ist es durchaus legitim, zunächst nach einer möglichen Filiation zu fragen. Heideggers Überlegungen zur Sprache können in der Tradition der ,drei großen H‘ (Hamann – Herder – Humboldt) verortet werden.29 Für diese Traditionslinie ist Hamanns Kantkritik mit ihrer Betonung der konstitutiven sprachlichen Strukturiertheit von Welt und Vernunft gegen die Auffassung der Sprache als Instrument zur Bezeichnung von Sprachunabhängigem paradigmatisch. Weltkonstitutive Leistungen werden hier nicht apriorisch auf der Seite des transzendentalen Ich, sondern aposteriorisch und notwendig auf Seiten der jeweiligen Sprache gesehen. Das Wort ist die Zusage der Einheit von Welt.30 Der vorgängige Grund der Erschlossenheit von Welt ist für Hamann wie für Heidegger die Sprache. Bei Hamann ist die Welt Ausdruck der Sprache Gottes. In einem Brief schreibt Hamann: „Ohne Wort, keine Vernunft – keine Welt. Hier ist die Quelle der Schöpfung und Regierung.“31 Bei Heidegger heißt es: ,Kraft der Sprache und nur kraft ihrer waltet die Welt, ist Seiendes.‘32 Der Dialog anhand der Traditionslinie Herder-Humboldt ist möglich, stellt allerdings auch einen Umweg dar. Hamann und Heidegger verbindet das Konzept der Zusage direkter, die Struktur ihrer jeweiligen Auffassung nach dem Vorbild der Promissio ist kompatibel. Dieser zusprechende Aspekt von Sprache geht in der bisherigen Diskussion von Hamanns Sprachdenken verloren, kann aber im Vergleich mit dem Sprachdenken Heideggers wieder aktiviert werden.
29 Vgl. Cristina Lafont, Sprache und Welterschließung. Zur linguistischen Wende der Hermeneutik Heideggers, Frankfurt 1994, 14ff. Einen gemeinsamen Sohn, jedenfalls nach dessen eigenem Anspruch, haben Heidegger und Hamann in Gerhard Nebel. Über diesen schreibt Heidegger allerdings in einem Brief vom 19. 5. 1925 an Jaspers: „Nebel wollte nach Kiel ins Bergmannhaus. Ich wurde über ihn gefragt – konnte ihn aber nicht so empfehlen, daß er genommen wurde. Er ist gescheit, die Selbständigkeit gering – fleißig – aber unzuverlässig und unecht. Daß er – wo er dort fremd ist – mich in einem extremen Maße spielt, kann ich mir schon denken. Man muß ihm gehörig auf die Finger sehen.“ (Martin Heidegger /Karl Jaspers, Briefwechsel 1920–1963, hg. v. Walter Biemel und Hans Saner, München 1990, 51, vgl. auch ebd., 60). 30 Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 17. 31 Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 2.11. 1783 (ZH V, 95, 21–22). 32 Martin Heidegger, Logik als die Frage nach dem Wesen der Sprache, hg. v. Günter Seubold, Frankfurt 1998, 168. Vgl. auch Erwin Metzke, Johann Georg Hamanns Stellung in der Philosophie des 18. Jahrhunderts, Darmstadt 1967, 30f.
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Das Geschehen der Sprache
Die Konvergenzpunkte des Sprachdenkens von Hamann und Heidegger sollen im folgenden am Leitfaden der Charakteristik eines zentralen Textes Heideggers ausgearbeitet werden, indem an den betreffenden Stellen die entsprechenden Auffassungen Hamanns aufgezeigt werden und so die Entstehung eines Gesprächs vorbereitet wird. Diese Vorgehensweise scheint deshalb angemessen, da sowohl Hamann wie auch Heidegger im wesentlichen Dialogiker in Sachen Text sind, das heißt ihre jeweiligen Auffassungen zumeist anhand der Auseinandersetzung mit einem vorliegenden Text entwickeln.
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Der Abgrund: Sprache und Sprechen
Heidegger hat seine philosophierenden Bemühungen zur Sprache aus den Jahren 1950 bis 1959 in einem Sammelband mit dem Titel ,Unterwegs zur Sprache‘ zusammengefaßt. Der dreiteilige Vortrag ,Das Wesen der Sprache‘33 ist der Höhepunkt der phänomenologischen Beschäftigung Heideggers mit der Sprache. Sprachphänomenologischens Denken wird hier praktisch, denn die Vorträge „möchten uns vor eine Möglichkeit bringen, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen“.34 Eine Erfahrung zu machen, bedeutet aber eine pathetische Erfahrung zu machen, ein Erleiden. Die Aktivität des Denkens ist hier grundsätzlich verschoben. Die Erfahrung durchkreuzt das Planen. Nicht wir machen etwas, sondern etwas macht uns, genauer : zu etwas anderem. Dasjenige, mit dem wir eine Erfahrung machen, wirft uns in unserem bisherigen Sein um und verwandelt uns. Es trifft das souveräne neuzeitliche Subjekt an empfindlicher Stelle: Nicht wir sind in diesem Prozeß die Handelnden, sondern diejenigen, mit denen etwas geschieht. Die so verstandene Sprache als Erfahrung ist ein Geschehen. Bei Johann Georg Hamann erfordert solch ein Geschehen die mathemata pathemata als leidende Gelehrigkeit einen in Nachfolge Christi leidenden Gehorsam (des Kreuzes).35 Das Kreuz durchkreuzt menschliche Erwartung. Der 33 Martin Heidegger , Das Wesen der Sprache, in: ders., Unterwegs zur Sprache, 157–216. 34 Heidegger, Das Wesen der Sprache, 159. 35 Vgl. N III, (Zwey Scherflein) 234, 21–23. Bei Bayer heißt es: „Die philosophischen, politischen und theologischen Sprachregelungen, die sich durchgesetzt haben, sind nicht abstrakt zu negieren; sie sind weder nostalgisch noch zukunftssüchtig zu überfliegen. Sich auf sie einzulassen bedeutet andererseits aber keine bruchlose Aneignung und schmerzlose Reproduktion; es bedeutet das ,leidige Kreuz der Induktion aus der Erfahrung‘, die schmerzhafte Aufnahme und Verarbeitung alltäglichster und widerständigster Erfahrungen nicht zu fliehen. Darin geschieht ein ,Lernen‘, das ,eben so wenig [bloße] Erfindung als bloße Wiedererinnerung‘, weder reine Anamnesis noch reine Konstruktion ist. Solches Lernen
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Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger
Gehorsam impliziert das vorgängige Hören auf die Sprache in ihrer jeweiligen, auch der alltäglichen Ausformung. Dazu muß sich der Erfahrende jedoch in seiner Attitude gegenüber seinem Gegenstand wandeln. Diese Erfahrung hat also letztlich die Struktur einer religiösen Erfahrung. Die Möglichkeit einer verwandelnden Erfahrung mit der Sprache will nun Heidegger ,vorbereiten‘. Wir machen die Erfahrung mit der Sprache, indem wir uns ihrem ,Anspruch‘ fügen. Die Sprache also macht sich etwas, sie fügt etwas: uns nämlich. Durch die Erfahrung mit der Sprache steht das innerste ,Gefüge‘36 unseres Daseins auf dem Spiel. Dieser umwerfenden Erfahrung der Sprache steht allerdings zunächst Sprache im Wege, und zwar genauer die von uns gesprochene Sprache. Solange wir es sind, die Sprache in Gebrauch nehmen, kann diese Sprache selbst nicht eine Erfahrung in Heideggers Sinne sein und ebenso nicht für Hamann, und zwar schon gar nicht in der Gestalt einer allgemeinen philosophischen Sprache, dem Traum der Philosophen von Leibniz bis zum Wiener Kreis, in der jedes Risiko einer umwerfenden Erfahrung eliminiert ist.37 Sprache muß nicht Ziele des Sprechenden, sondern sich selbst ,zur Sprache‘ bringen. Dem aber steht eine besondere Schwierigkeit entgegen. Daß nämlich die Sprache sich nicht selbst zur Sprache bringt, ist für unsere Fähigkeit grundlegend, sie überhaupt in Gebrauch für unsere Zwecke nehmen zu können. Schöpferische Sprache und menschliches Sprechen sind getrennt, aber in bestimmter Weise aufeinander bezogen.38 Diese geschieht vielmehr in einem Hören auf die sprachlich-geschichtlich sich mitteilende Wahrheit, in dem man sich auf die Geschichte der Natur und der Menschen einläßt und dabei leidet. So ist ,in der Erfahrung‘ der springende Punkt ,das liebe Kreuz‘“ (Bayer, Vernunft ist Sprache, 8f.). Man kann hierbei sicher noch die philosophischen, politischen und theologischen Sprachregelungen, die zu erfahren sind, noch durch literarische bzw. dichterische Sprachregelungen ergänzen. In ihrer Analyse des ,Letzten Blattes‘ Hamanns weisen Bayer/ Knudsen im Hinblick auf die griechische Parechese pah^lata lah^lata auf die entsprechenden Bemerkungen des Heidegger-Schülers Gadamer hin (vgl. Oswald Bayer/ Christian Knudsen, Kreuz und Kritik. Johann Georg Hamanns Letztes Blatt. Text und Interpretation, Tübingen 1983, 101). Das Leiden, aus dem gelernt werden soll, betrifft nach Gadamer die Grenzen des Menschseins (vgl. Hans Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, in: ders., Gesammelte Werke 1. Hermeneutik I, Tübingen 1999, 362f.), wir können ergänzen, diejenigen Grenzen, die durch die Sprache gesetzt sind. In dieser Erfahrung der Endlichkeit ist Erfahrung überhaupt vollendet. 36 Vgl. Martin Heideger, Hölderlins Hymnen ,Germanien‘ und ,Der Rhein‘, hg. v. Susanne Ziegler, Frankfurt 1980, 67. „Die Sprache ist nichts, was der Mensch unter anderen Vermögen und Werkzeugen auch hat, sondern Jenes, was den Menschen hat, so oder so sein Dasein als solches von Grund aus fügt und bestimmt.“ 37 Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 7. 38 Bei Gajek heißt es: „Gott schuf die nichtmenschliche Welt, in dem er sich herabläßt und schöpferisch spricht. Gottes Herunterlassung wird von Hamann immer als ein schöpferisches Sprechen verstanden. Gott ,schafft, wenn er spricht‘ (I, 63, 17) und tut seine Schöpferkraft nie anders als ein Sprechender kund. Kraft seines Sprechens schafft Gott. Dem Menschen aber macht er jene Kraft, durch die alles geschaffen und ins leben gerufen wurde,
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Kluft muß phänomenologisch erfaßt und reflektiert werden.39 Daß sich die Sprache durch das Sprechen verweigert, macht uns zu Sprechenden.40 Dieses entspricht bei Hamann der Unbegreiflichkeit der unübersetzten Sprache Gottes.41 Zwar offenbart sich Gott als Sprechender, doch seine Sprache selbst bleibt dem Menschen unbegreiflich und muß übersetzt werden.42 Die Veraussetzung menschlichen Sprechens ist eine Proto-logie als ein Entzug des schöpferischen Logos, demgegenüber menschliches Sprechen eine Antwort als Ankunft des Wortes verstanden, ist. Die sich entziehende Sprache ist also das entscheidende sprachliche Problem. Heidegger stellt sich deshalb die Frage: Wo aber kommt Sprache selber als Sprache zu Wort? Seltsamerweise dort, wo wir für etwas, was uns angeht, uns an sich reißt, bedrängt oder befeuert, das rechte Wort nicht finden. Wir lassen dann, was wir meinen, im Ungesprochenen und machen dabei, ohne es recht zu bedenken, Augenblicke durch, in denen uns die Sprache selber mit ihrem Wesen fernher und flüchtig gestreift hat.43
Wo die Sprache ihre Dienstbarkeit versagt, zeigt sich deutlich, daß unser Selbstverständnis, die Konstitution unserer selbst als Subjekt des Handelns, vor allem sprachlich geprägt ist. Hamanns Schlagwort hierfür lautet: Vernunft ist Sprache. Diese grundsätzliche Vorgängigkeit der Sprache für das vernünftige Denken hatte Heidegger in seiner Aristotelesinterpretation mit „der k|cor ist let\ für das moe?m“ beschrieben. Den phänomenologischen Aufweis für diesen Umstand gewinnt Heidegger aus einem peinlichen Defizienzerlebnis des sprechenden Menschen: Es ist besonders schwer, einem Enthusiasmus oder einer tiefen Verzweiflung den rechten Ausdruck zu verleihen, gerade hier, wo wir uns in den Grundfesten erschüttert fühlen, läßt uns die dienstbare Sprache im Stich. Wir sind in solchen Momenten spürbar darauf angewiesen, daß uns das rechte, treffende Wort geschenkt wird. Hier kann das Wesen der Sprache für einen kurzen Augenblick erfahren werden: daß sie sich nämlich im wesentlichen als ,Wort‘ verweigert, um uns so als Nutzer der Sprache zu Sprechenden zu machen. Im Sinne Hamanns gesprochen: Die
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nämlich seinen Hauch, zur Lebensbedingung. Der Mensch spricht, weil Gott spricht und weil Gott dem Menschen an seinem Wesen als schöpferisch Sprechender teil gibt.“ (Bernhard Gajek, Sprache beim jungen Hamann, Bern 1967, 73). Nach Fritsch besteht die eigentümliche getrennte Beziehung von Gottessprache und Menschensprache in einem Analogischsein, vgl. Friedemann Fritsch, Communicatio Idiomatum. Zur Bedeutung einer christologischen Bestimmung für das Denken Johann Georg Hamanns, Berlin /New York 1999, 255. Vgl. N II (Aesthetica in nuce), 206, 32–207, 9. Vgl. Fritsch, Communicatio Idiomatum, 19. Vgl. Heidegger, Das Wesen der Sprache, 161. Vgl. N III (Ritter von Rosencreuz), 32, 23. Vgl. N II (Aesthetica in nuce) 198, 28ff. Heidegger, Das Wesen der Sprache, 161.
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Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger
Selbstentäußerung der Sprache zum Sprechen macht uns zu Sprechenden, ihre Kondeszendenz befähigt uns zur Kommunikation. Dies ist der Ur-sprung der Sprache hin zum Sprechen des Menschen. Der Grund des Sprechens ist ein Sichentziehender, ein Ab-grund, eben jener, den Heidegger in seiner Diskussion von Hamanns Grundsatz ,Vernunft ist Sprache‘ in ,Die Sprache‘ beschreibt. Nach Hamann gründet das Wesen des Menschen in der Herunterlassung, der Selbstentäußerung Gottes im schöpferischen Sprechen.44 Dies ist der Sinn der Antwort, die das menschliche Sprechen als von der Ankunft des (göttlichen) Wortes und dem Entzug der göttlichen Sprache abhängig kennzeichnet. Um nun in Heideggers Sinn eine Erfahrung mit der Sprache zu machen, muß folglich der Sprache Gelegenheit gegeben werden, das treffende und wandelnde Wort zu schenken.45 Nach Heidegger ist eine solche Aufmerksamkeit für die Sprache vor allem eine Tugend von Dichtung. Der Dichter ist dadurch ausgezeichnet, daß er eine Erfahrung mit der Sprache machen und gleichzeitig diese Erfahrung wiederum im Gedicht zur Sprache bringen kann. Das Gedicht ,Das Wort‘ von Stefan George (1919) ist in dieser Absicht aufschlußreich, insbesondere seine letzten Zeilen: „So lernt ich traurig den verzicht: / Kein ding sei wo das wort gebricht.“ Heidegger erläutert: Was auf den Doppelpunkt nach dem Wort ,Verzicht‘ folgt, nennt nicht das, worauf verzichtet werden muß, sondern nennt den Bereich, in den sich der Verzicht einlassen muß, nennt das Geheiß zum Sicheinlassen auf das jetzt erfahrene Verhältnis zwischen Wort und Ding. Worauf der Dichter verzichten lernte, ist die vormals von ihm gehegte Meinung über das Verhältnis von Ding und Wort. Der Verzicht betrifft das bis dahin
44 Vgl. N I (Biblische Betrachtungen), 63, 17. Zur Selbstentäußerung Gottes (j]mysir) vgl. N II (Aesthetica in nuce), 204: „Das Buch der Schöpfung enthält Exempel allgemeiner Begriffe, die GOTT der Kreatur durch die Kreatur ; die Bücher des Bundes enthalten Exempel geheimer Artikel, die GOTT durch Menschen dem Menschen hat offenbaren wollen. Die Einheit des Urhebers spiegelt sich bis in dem Dialecte seiner Werke; – in allem Ein Ton von unermäslicher Höhe und Tiefe! Ein Beweiß der herrlichsten Majestät und leersten Entäußerung! Ein Wunder von solcher unendlichen Ruhe, die GOTT dem Nichts gleich macht, daß man sein Daseyn als Gewissen leugnen oder ein Vieh seyn muß; aber zugleich von solcher unendlichen Kraft, die Alles in Allen erfüllt, daß man sich vor seiner innigsten Zuthätigkeit nicht zu retten weiß.“ Dieses bedrängende Zusammenspiel von Ferne (dem beständigen Entzug) und größtmöglicher Nähe findet ebenfalls seine Entsprechung bei Heidegger im Hinblick auf die Phänomenologie des Seins selbst, dessen ,Wirken‘ in ebendieser Weise beschreiben wird (Vgl. Martin Heidegger ; Besinnung, hg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt 1997, 98, 100, 130f. insbesondere aber 115). Aber auch die Sprache ist bei Heidegger durch dieses gründende Entziehen bei gleichzeitig bedrängender Nähe gekennzeichnet. 45 Vgl. Bayers Kennzeichnung der Übereinkunft des schenkenden Gottes und des empfangenden Menschen im Wort (Bayer, Promissio, 199).
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gepflegte dichterische Verhältnis zum Wort. Der Verzicht ist die Bereitschaft zu einem anderen Verhältnis.46
In dieser Fassung gelangt Georges Gedichtzeile zu hohen methodischen Ehren für eine Erfahrung mit der Sprache.47 Der Verzicht signalisiert eine Bereitschaft, auf etwas zu verzichten, was zuvor das Sein des Dichters als Dichter ausmachte: sein Verhältnis zu Ding und Wort. Mit dem Verzicht ist der Dichter bereit, sich von der Sprache als Sprache treffen und umwandeln zu lassen. Doch der Verzicht auf sein bisheriges Verständnis des Verhältnisses zu Ding und Wort läßt den Dichter nicht allein und hilflos zurück.48 Denn der Verzicht selbst ist ein sprachliches Phänomen, das als solches der Sprache Gelegenheit gibt, den Dichter zu einer Erfahrung mit ihr kommen zu lassen. Heidegger beschäftigt sich nun mit der pathetischen und revolutionierenden Erfahrung: In den sechs Strophen spricht die Erfahrung, die der Dichter mit der Sprache macht. Es schickt sich ihm etwas zu, trifft ihn und verwandelt sein Verhältnis zum Wort. …Erfahrung ist der Gang auf einem Weg. Er führt durch eine Landschaft. …Das Wort, die Sprache, gehört in den Bereich dieser geheimnisvollen Landschaft, wo das dichterische Sagen an den geschickhaften Quell der Sprache grenzt.49 46 Heidegger, Das Wesen der Sprache, 167f. 47 Für die Untersuchung des Wesens der Sprache ist eine andere Methode, ein anderes Aufdem-Weg-sein notwendig (meta-hodos) (vgl. Martin Heidegger, Der Satz vom Grund, 111). Heidegger kann das Unterwegssein wörtlich nehmen: Der Weg führt das Denken im Gegensatz zum wissenschaftlichen Vorstellen durch eine Gegend ,rechts und links‘ des Weges, die den Weg als Weg manifestiert. Für das wissenschaftliche Vorstellen ist alles Weg, ein Fluß ohne Ufer mit einer bestimmten Fließrichtung, die durch das wissenschaftliche Fragen angezeigt wird. Etwas anderes als Weg ist auf diesem Weg überhaupt nicht zu sehen. Der Weg in Heideggers Sinn hat die bestimmte Richtung nicht, für ihn ist die Umgebung wichtig, die er durchschneidet. Die ist eine eher vertikale Ansicht des Weges, die nicht zufällig mit biblischen Assoziationen spielt: „Wir denken gar nicht daran, dieses kurze, schmale und steile Stück Weg zu einer breiten Heerstraße für jedermann zu machen.“ (Martin Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit. Zu Platons Höhlengleichnis und Theätet, hg. v. Hermann Mörchen, Frankfurt 1988, 129). Weil der wissenschaftliche Weg unendlich breit ist, sind es viele, die darauf wandeln, während der von der Gegend abhängige Weg Heideggers nicht schmal genug sein kann, damit er möglichst wenig von der Landschaft verdeckt. Nur wenige können hierauf wandeln, eigentlich immer nur ein Einzelner. Und auf dem breiten Weg schreiten die Menschen Schulter an Schulter im Gleichschritt voran, während der einsame Geher Heideggers nicht zielgerichtet sich in der Gegend aufhält und sie auf sich wirken läßt. Auf dem Weg schaut sich das Denken um, während das wissenschaftliche Vorstellen den Blick fest auf das vermutete Ziel gerichtet hält . Nicht wir packen das Thema mittels einer bestimmten Methode an, sondern unser Thema geht uns an. In Hinsicht auf die Sprache ist alles Metahodos, diesmal jedoch im Wortsinne, als Nachfolge auf dem Weg und nicht als Überallsein des Weges. 48 Vgl. die Bestimmung des Glaubens als die Haltung des reinen Empfangens, jedoch des Empfangens der Gnade bei Bayer, Promissio, 207. 49 Heidegger, Das Wesen der Sprache, 170f.
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Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger
Diese Nähe zum ,geschickhaften Quell der Sprache‘ ist der Vorzug des Dichters, dessen ,bescheiden Teil‘ darin besteht, die ,Turbatverse der Natur wieder in Geschick zu bringen‘ und so eine Erfahrung zu stiften.50 Erfahrung hat mit ,fahren‘ zu tun. Das bedeutet: ein Unterwegssein beziehungsweise sich auf einem Weg zu befinden. Nun gibt es nicht nur den Weg, sondern dieser führt durch eine bestimmte Gegend, nämlich: „… die Gegend als das Gegnende der freigebenden Lichtung, in der das gelichtete zugleich mit dem Sichverbergenden in das Freie gelangt.“51 Bei Hamann heißt es entsprechend: „Der erste Ausbruch der Schöpfung, und der erste Eindruck ihres Geschichtschreibers; – die erste Erscheinung und der erste Genuß der Natur vereinigen sich in dem Worte: Es werde Licht! hiemit fängt sich die Empfindung von der Gegenwart der Dinge an.“52 Auch für Heidegger ist die Gelichtetheit der Dinge als Gegenwart der entscheidende erste Anfang der Philosophie.53 Diese befreiende Lichtung des Sichverbergenden und des Gelichteten zugleich ist eigentliche Aufklärung. Aus dieser ,geheimnisvollen Landschaft‘, die verdächtige Ähnlichkeit mit dem im Sichverbergen freigebenden Seyn überhaupt hat, stammt nun das Wort, für das sich der Dichter bereithält. Und dieses ,Bereithalten…für‘ ist durch die Vorsilbe ,er-‘ in Erfahrung angezeigt: Etwas geschieht mit demjenigen, der eine Erfahrung macht, ganz so wie im Er-eignis etwas er-eignet, zugeeignet wird. Dies ist gleichzeitig die Stelle, an der das Dichten eine Wandlung im Heidegger gemäßen Sinne des Wortes erfährt, und der Dichter so unterwegs er-fährt, welcher Schatz ihm mit dem Wort anvertraut ist. Dichtung ist immer auch mit dem Denken verbunden, und zwar im Sinne einer Nachbarschaft. In der gefährlichen Gegend, in der sich derjenige aufhält, der eine Erfahrung mit der Sprache macht, sei es ein Dichter oder ein Denker, kann auf die nachbarschaftliche Hilfe des anderen nicht 50 Vgl. N II (Aesthetica in nuce), 198, 28–199, 3. Dies ist jedoch weder bei Heidegger noch bei Hamann ein bescheiden Teil, sondern die Auszeichnung des Dichters als Poeten gegenüber dem Philosophen: „Der Dichter, der natürliche Prophet, kann aber die künftige Wiederherstellung der Harmonie ahnend gestalten, die ,Turbatverse in Geschick‘ bringen. Seine Sprache ist die eigentliche, die ,kyriologische‘, denn ihre Zeichen haben den unverkürzten, sinnlichen und gleichnishaften Charakter der göttlichen Offenbarung, von der sich die philosophische Sprache, die die Zeit für die exakteste hielt, am weitesten entfernt. Statt der Wirklichkeit näher zu kommen, entfernt sie sich von ihr.“ (Sven-Aage Jørgensen, Nachwort zu: Sokratische Denkwürdigkeiten. Aesthetica in nuce. Mit einem Kommentar herausgegeben von Sven-Aage Jørgensen, Stuttgart 1993, 183–184). 51 Heidegger, Das Wesen der Sprache, 197. 52 N II (Aesthetica in nuce), 197, 24–27. Dieses Gelichtete ist das Phänomen, wie Hamann mit dem Verweis auf Eph 5, 13 an dieser Stelle klarstellt. 53 Vgl. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, 214. „Denken wir es als das reine Lichten, dann bringt dieses nicht nur die Helle, sondern zugleich das Freie, worin alles, zumal das gegenwendige, ins Scheinen kommt. Lichten ist somit mehr als nur Erhellen, mehr auch als Freilegen. Lichten ist das sinnend-versammelnde Vorbringen ins Freie, das Gewähren von Anwesen.“ (Martin Heidegger, Aletheia (Heraklit, Fragment 16), in: ders., Vorträge und Aufsätze, Stuttgart 1994, 268.)
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verzichtet werden. Auslegung ist nach Hamann die Sache des Philosophen, die geschickte und geschickhafte Stiftung diejenige des Dichters. Beide, Dichten und Denken, brauchen einander, wo es ins Äußerste geht, je auf ihre Weise ihrer Nachbarschaft. In welcher Gegend die Nachbarschaft selbst ihren Bereich hat, werden Dichten und Denken zwar auf verschiedene Weise, jedoch so bestimmen, daß sie sich im selben Bereich finden.54
Dichten und Denken bewegen sich auf verschiedenen Wegen im selben Bereich und haben so die Möglichkeit, von Erfahrungen auf den jeweiligen Wegen zu profitieren. Dieser Profit ist nicht zu verstehen im Sinne einer Selbsterweiterung, sondern gründet in der Anerkennung des je eigenen Weges des Nachbarn.55 Das aber bedeutet: Es soll nicht die schmerzliche Erfahrung in dem Postulat einer allgemeinen Mitteilbarkeit harmonisiert werden, sondern sie bleibt ein Erleiden des Geschehens, das den Menschen jeweilig als Sprechenden fügt. Dieses Erleiden, dieses Kreuz56 kann mit Hamann als ,springender Punkt der Erfahrung‘ bezeichnet werden und weist hin auf die Notwendigkeit des Übersetzens: „Dieses Übersetzen ist nur möglich als Übersetzen zu dem, was aus diesen Worten spricht. Dieses Übersetzen gelingt nur in einem Sprung eines einzigen Blickes, der erblickt, was die Worte ( … ) sagen.“57 Die Nachbarschaft von Dichten und Denken im Sinne Heideggers findet sich wieder in Hamanns Theorie des Übersetzens. Reden ist übersetzen – aus einer Engelsprache in eine Menschensprache, das heißt Gedanken in Worte, – Sachen in Namen, – Bilder in Zeichen; die poetisch oder kyriologisch, historisch oder symbolisch – – und philosophisch oder charakteristisch seyn können. Diese Art der Übersetzung (verstehe Reden) kommt mehr als irgend eine andere, mit der verkehrten Seite von Tapeten überein.58
Poesie und Philosophie sind Weisen der Antwort auf das Angesprochenseins durch die ,Engelsprache‘ und weisen in ihrer jeweils bestimmten Art auf sie zurück. Diesem Gesetz der Nachahmung (als Nachfolge) ist der Poet so gut unterworfen wie der Philosoph.59 Ein Weg genügt als eine Erfahrung sich selbst. Aufgabe des Denkens ist nicht das Ankommen bei einem vorzeigbaren Ergebnis, sondern die Bearbeitung des Bereiches, in dem es sich bewegt. „Das Denken ist kein Mittel für das Erkennen. Das Denken zieht Furchen in den Acker des Seins.“60 Ein fruchtbarer Denker, der 54 55 56 57 58 59 60
Heidegger, Das Wesen der Sprache, 173. Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 6. Vgl. N II (Leser und Kunstrichter) 347, 28. Martin Heidegger, Was heißt Denken?, Tübingen 1997, 140–141. N II (Aesthetica in nuce), 199, 4–9. Vgl. N II (Sokratische Denkwürdigkeiten) 74, 8–9. Heidegger, Das Wesen der Sprache, 173. Heidegger formuliert seine Kennzeichnung des
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Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger
dies beherzigt, ist in eigentlicher Gottesebenbildlichkeit Herr des Ackers, aus dem er stammt und den er bearbeitet. Der Mensch ist also nicht nur ein lebendiger Acker sondern auch der Sohn des Ackers, und nicht nur Acker und Saame […] sondern auch der König des Feldes, guten Saamen und feindseeliges Unkraut auf seinem Acker zu bauen; denn was ist ein Acker ohne Saamen und ein Fürst ohne Land und Einkünfte? Diese Drey sind uns also Eins, nämlich Heou ceyqciom: so wie drey Larven an der Wand der natürliche Schatten eines einzigen Körpers sind, der ein doppeltes Lichthinter sich hat – – –61
Das Denken schafft die Möglichkeit für eine Verwandlung des Bereichs, in dem es sich bewegt, und es tut dies nicht, um etwas anderes damit zu erreichen. Aus den Furchen, die es in den Acker des Seins zieht, mag dann etwas wachsen62 ; doch ist die wissenschaftliche Ernte nicht mehr die Sache des Denkens. Das Denken bereitet jenseits eines eigenen Zwecks. Die Arbeitsanweisung für den Dichter wiederum ist die folgende: Er muß das Wort bewahren, das ihm eine Erfahrung mit der Sprache schenkte. Sprachlich Denkens bescheidener im ,Brief über den Humanismus‘: „Das Denken legt mit seinem Sagen unscheinbare Furchen in die Sprache. Sie sind noch unscheinbarer als die Furchen, die der Landmann langsamen Schrittes durch das Feld zieht.“ (Martin Heidegger, Über den Humanismus, Frankfurt 1991, 54. Das philosophierende Verhalten der Besinnung entspricht dem des Landmannes: „Das besinnliche Denken verlangt bisweilen eine höhere Anstrengung. Es erfordert eine längere Einübung. Es bedarf einer noch feineren Sorgfalt als jedes andere echte Handwerk. Es muß aber auch warten können wie der Landmann, ob die Saat aufgeht und zur Reife kommt.“ (Martin Heidegger, Gelassenheit, Pfullingen 1992, 13.) 61 N III (Philologische Einfälle und Zweifel), 40, 16–25. 62 Diesen Prozeß beschreibt Hamann wie folgt: „Jede individuelle Wahrheit wächst sich zur Grundfläche eines Plans, wunderbarer als jene Kuhhaut zum Gebieth eines Staates; und ein Plan, geraumer als das Heimsphär, erhält die Spitze eines Sehpunktes. – Kurz, die Vollkommenheit der Entwürfe, die Stärke ihrer Ausführung; – die Empfängnis und Geburt neuer Ideen und neuer Ausdrücke; – die Arbeit und Ruhe des Weisen, sein Trost und sein Eckel daran, liegen im fruchtbaren Schooße der Leidenschaften vor unseren Sinnen vergraben.“ (N II (Aesthetica in nuce), 209, 4–11.) Jede individuelle Wahrheit, die aus der denkerischen Bearbeitung des Bodens entsteht, zeitigt einen Standpunkt und damit einen bestimmte Sichtweite, resp. einen bestimmten Vorblick auf die Phänomene. Heidegger hat in seinem ,Natorpbericht‘ diesen phänomenologisch zu berücksichtigenden Umstand wie folgt beschrieben: „Jede Auslegung hat je nach Sachfeld und Erkenntnisanspruch 1.) ihren mehr oder minder ausdrücklich zugeeigneten und verfestigten Blickstand, 2.) eine hieraus motivierte Blickrichtung, in der sich bestimmt das ,als was‘, in dem der Interpretationsgegenstand vorgrifflich genommen und das ,woraufhin‘, auf das er ausgelegt werden soll, 3.) eine mit Blickstand und Blickrichtung ausgegrenzte Sichtweite, innerhalb deren der jeweilige Objektivitätsanspruch der Interpretation sich bewegt. Soweit als die Situation, in der und für die sich eine Auslegung zeitigt, nach den besagten Hinsichten erhellt wird, ist der mögliche Auslegungs- und Verstehensvollzug und die darin erwachsende Gegenstandsaneignung durchsichtig. Die jeweilige Hermeneutik der Situation hat deren Durchsichtigkeit auszubilden und sie als hermeneutische mit in den Ansatz der Interpretation zu bringen.“ (Martin Heidegger, Phänomenologische Interpretation zu Aristoteles. Anzeige der hermeneutischen Situation, hg. v. Hans-Ulrich Lessing, Dilthey-Jahrbuch 6 (1989), 237).
Das Geschehen der Sprache
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wird auf das Werkzeug der Sprache verzichtet. Im Verzicht auf die Vernutzung der Sprache soll ihr eigentliches Geschehen wieder aufgezeigt werden, ein Geschehen, das vorher verdeckt geblieben war. Dieses Geschehen ist das Zusammensprechen von Wort und Ding, das seine Analogie in der von Hamann seinen Überlegungen zugrunde gelegten lutherischen Abendmahlslehre, dem ,Sakrament der Sprache‘ findet. „Ihr zufolge reichen sich mit Brot und Wein Leib und Blut Jesu Christi dar – ,ohne Transsubstantiation‘ des Brotes und des Weines; das Brot bleibt Brot und der Wein bleibt Wein. Das Einsetzungswort umfängt und durchdringt das Element, ohne es als solches zu transsubstantiieren, zu transformieren; es spricht Brot und Leib Christi sowie Wein und Blut Christi zu einer Einheit – zur ,sakramentalen Einheit‘ zusammen. Beide, das Element und die Einsetzung, bilden zusammen eine joimym_a: das Sakrament; sie bilden es kraft des nicht apophantischen und konstatierenden, sondern konstituierenden Einsetzungswortes.“63 Bei Heidegger heißt es entsprechend: Der Dichter hat erfahren, daß erst das Wort ein Ding als das Ding, das es ist, erscheinen und also anwesen läßt. Das Wort sagt sich dem Dichter als das zu, was ein Ding in dessen Sein hält und erhält. Der Dichter macht die Erfahrung mit einem Walten, mit einer Würde des Wortes, wie sie weiter und höher nicht gedacht werden können. Das Wort ist aber zugleich jenes Gut, das dem Dichter als Dichter auf eine ungewöhnliche Weise zugetraut und anvertraut wird. Der Dichter erfährt den Dichterberuf im Sinne einer Berufung zum Wort als dem Born des Seins. Der Verzicht, den der Dichter lernt, ist von der Art eines erfüllten Entsagens, dem allein sich das lang Verborgene und eigentlich schon Zugesagte zuspricht.64
Dem Wort wird durch dem Verzicht des Dichters seine Eigenwürde als ,Born des Seins‘65 zurückgegeben. Sein und Sprache sind so auf das Engste miteinander verknüpft. Hamann schrieb entsprechend an Jacobi: „Was in Deiner Sprache das Seyn ist, möchte ich lieber das Wort nennen.“66 Formal wird durch diesen Akt der Dichter von einem Wortbenutzer zu einem Hüter des Wortes, der dessen seinsstiftende Kraft anerkennt und pflegt. Die spezifische Poiesis des Wortes wird poetisiert.67 Der Dichter verzichtet also nicht darauf, daß durch das Wort 63 Bayer, Vernunft ist Sprache, 32. 64 Heidegger, Das Wesen der Sprache, 168f. Zum entsprechenden Ruf, zur Berufung zum Glauben vgl. Bayer, Promissio, 209: „Hiernach gründet der Glaube in einem einladenden Ruf, der sich an die Ungewissen und Verzweifelten richtet mit der Zusage (,promissio‘) gewisser Hilfe. Er gewinnt dadurch die Festigkeit dieses Wortes, in dem er sich auf es stützt, erlangt Gewißheit, indem er sich die Bestimmtheit dieses einen Wortes ,anmaßt‘, und reinigt das Herz, indem er die Klarheit des Wortes empfängt.“ 65 Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 18. 66 ZH VII 175, 17f. (Brief an Jacobi vom 30.4. 1787). 67 Bei Josef Simon heißt es in Bezug auf Hamann: „[…] der freie, poetische Gebrauch der Sprache [ist] der Gebrauch, der ihrer göttlichen Einrichtung entspricht.“ (Simon, Hamann und die gegenwärtige Sprachphilosophie, 13).
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Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger
Welt gestiftet wird, er verzichtet nur darauf, daß er selbst es ist, der solches tut. Damit allerdings tut er nur seine Schuldigkeit gegenüber dem ihm Anvertrauten. Die Affinität des Dichters zum Poeten am Anfang der Tage wird hierdurch verständlich. Sein Entsagen ist somit schon mit dem Versprechen erfüllt, daß das Wort seine Aufgaben übernimmt. Mit der sprachlichen Verlautbarung seines Entsagens, erklärt sich der Dichter bereit für diese Wandlung seines Wesens, die ihn in exklusiver Weise, ,allein‘, zum Hörenden auf das Wort macht, einem Hörenden nämlich, dem etwas zugesprochen wird.68 Der Dichter ist erster Kandidat für diese Erfahrung, grundsätzlich gilt sie aber der Möglichkeit nach für alle. Im Entzug wird das Wort als seinsstiftende Kraft erst auffällig. Im Falle des Dichters ist die Situation gerade noch dadurch kompliziert, daß dieser den Entzug des Wortes selbst inszenieren muß, denn er hat mit seinen sprachlichen Mitteln auf seine Sprache zu verzichten, damit im geschenkten Wort die Sprache als Sprache zur Sprache kommen kann. Ent-sagen ist auch ein Sagen beziehungsweise Sprechen. Der Dichter macht sich von der Sprache frei, um das ihm Zugesagte zu hören, d. h. er ent-spricht der Zusage. Wenn wir bei der Sprache anfragen, nämlich nach ihrem Wesen, dann muß uns doch die Sprache selber schon zugesprochen sein. Wollen wir dem Wesen, nämlich der Sprache nachfragen, so muß uns auch, was Wesen heißt, schon zugesprochen sein. Anfrage und Nachfrage brauchen hier und überall im voraus den Zuspruch dessen, was sie fragend angehen, dem sie fragend nachgehen. Jeder Ansatz jeder Frage hält sich schon innerhalb der Zusage dessen auf, was in die Frage gestellt wurde.69
68 In seinem Aufsatz ,Logik und Ästhetik‘ beschreibt Günter Wohlfart die Aufgabe der Dichtung wie folgt: „Dichtung als Bestimmung und Verdichtung der Stille ist der Versuch, die gesprochenen menschlichen Worte in das ohne Worte durch die Natur redende göttliche Wort zusammen- bzw. zurückzunehmen. Als Fassungen des Schweigens, als Gefäße der Stille, sind die Worte der Dichtung Gefäße Gottes. Glückt der Gesang, sprechend aus lauter Stille, so geht in den Worten des Menschen das Licht des wortlosen Wortes Gottes auf.“ (Günter Wohlfart, Logik und Ästhetik, in: Insel-Almanach auf das Jahr 1988. Hamann, hg. v. Oswald Bayer, Bernhard Gajek, Josef Simon, Frankfurt 1987, 81). Die Verhaltensweise, die hier dem Dichter zugemutet wird, ist die genuin phänomenologische. Im Verzicht auf Eigenaktivität das bisherige Objekt seiner Beschäftigung selbst zu Wort kommen zu lassen, dieses ist die Intention der phänomenologischen Methode der formalen Anzeige. Kennzeichnend hierfür ist die Abwehr bisheriger Vorgehensweisen neben der Anweisung für eine andere, die insgesamt zu einer durchgreifenden Wandlung des Wesens dessen führt, der sich dieser Methode bedient. Und gerade die Beschäftigung mit der Sprache scheint nach Heidegger diese Vorgehensweise zu fördern, steht doch gerade hier das zuvor oftmals geforderte Hören auf das Andere im Mittelpunkt. Der Dichter wird in diesem Sinne zum Phänomenologen: sprechend (dichtend) muß er sich zum Hörenden wandeln, um den Zuspruch der Sprache vernehmen zu können. 69 Heidegger, Das Wesen der Sprache, 175.
Das Geschehen der Sprache
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Bei der Sprache als solcher jedoch versagt die Methode des Infragestellens; wie der Igel in der Fabel ist die Sprache immer schon da, wenn der Hase beziehungsweise die Frage einen Ansatz zu ihrer Untersuchung nehmen will. Aus der Sprache kann man nicht heraus. Dies ist auch eine grundsätzliche Erkenntnis Hamanns.70 Fragen sind sprachliche Gebilde und in ihrer Struktur von der Sprache abhängig. Wenn man sie stellt, so sieht man die Sprache schon am Werk, oder anders ausgedrückt: In der Frage ,west‘ schon die Sprache selbst: als Sprachhandlung gewissermaßen. Das Wesen der Sprache ist somit unter anderem die Frage nach dem Wesen der Sprache. Als Ziel ist die Sprache untauglich, weil man sie nicht erreichen kann. Die Selbstreinigung der Sprache ist folglich unmöglich.71
2)
Mediales Hören
Das Geschehen der Sprache ist das zusagende Zusammensprechen von Wort und Ding. Heidegger fragt weiter : Was erfahren wir, wenn wir dies genügend bedenken? Daß das Fragen nicht die eigentliche Gebärde des Denkens ist, sondern – das Hören der Zusage dessen, was in Frage kommen soll.72
Hören statt Fragen ist die angemessene Gebärde, der angemessene Gestus des Denkens gegenüber seinem Gegenstand. Dem Phänomen zu ent-sprechen bedeutet: zu hören.73 Der fragende Übergriff auf das zu Bedenkende lebt schon von diesem. Aus diesem Übergriff jedoch muß derjenige, der eine Erfahrung mit dem Denken machen will, aussteigen. Wer nicht hört, bleibt dumm. Für diese Verfassung, diese (Zuge-)Hörigkeit hat Heidegger einen bestimmten Begriff: Gehorsam. Dieser bezeichnet ein Verhalten, nämlich die ,horchende, erharrende Inständigkeit in der Lichtung.‘74 Er entspricht Hamanns leidendem Gehorsam des Kreuzes.75 Dieses Gehorchen (so Heidegger in seiner Herder70 Vgl. Simon, Hamann und die gegenwärtige Sprachphilosophie, 16: „Sprachliches Verhalten ist nach Hamann nicht hinreichend von einer vorgegebenen Sprachtheorie her zu erklären. Vielmehr liegt gelingendes sprachliches Verhalten aller Konstruktion von Sprachtheorien zugrunde, welche es auch sein mögen.“ Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 264f. 71 „So hängen wir fortwährend hinter dem zurück, was wir zuvor schon eingeholt haben müßten, um davon zu sprechen. Demnach bleiben wir, von der Sprache sprechend, in ein immerfort unzureichendes Sprechen verstrickt.“ (Heidegger, Das Wesen der Sprache, 179.) 72 Heidegger, Das Wesen der Sprache, 175. 73 Vgl. Heidegger, Die Sprache, 22f. In diesem Sinne ist das Denken von Heidegger im Anhang seines Vortrages ,Phänomenologie und Theologie‘ (in: ders., Wegmarken, hg. v. FriedrichWilhelm von Herrmann, Frankfurt 1996, 75) als ,Sichsagenlassen‘ bestimmt. 74 Heidegger, Vom Wesen der Sprache, 8. 75 Vgl. N III (Zwey Scherflein), 234, 22f.
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Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger
Interpretation) ist ein Sich-fügen einer subtilen Stimme, die dem Seyn selbst gehört. Das Hören dieser Stimme ist der tiefere Sinn der Vernehmung76 und somit der Vernunft. Als ein gehorchendes Still-sein zeigt das Hören das Wesen der Sprache an, nämlich das Seyn selbst. In diesem Sinne ist das Hören ,vernehmender‘ als das Sehen, denn es bezeichnet das Gehören, das Gehören in das ,Inzwischen und Inmitten der Lichtung‘77 des Seyns. Erst in dieser Gelichtetheit kann gesehen werden. Deshalb ist das bekannte ,Rede, daß ich dich sehe‘ Hamanns das Bekenntnis einer angemessenen Vorbereitung für das Geschehen der Sprache. Weil das Hören in diesem Sinne vernehmender ist, ist es der genuin phänomenologische Sinn und die Hauptforderung an ein phänomenologisches Verhalten, der Besinnung, ebenso wie der Glaube, so Hamann mit Paulus (Röm 10, 17), ,durchs Gehör‘ kommt.78 Als dieses sich der Sprache fügende Vernehmen ist die Besinnung ,eine Grundkraft des Menschseins‘.79 Durch ein solches Verhalten, das gehorchende Hören wird das Wesen der Sprache erst frag-würdig80, d. h. in der ihm gemäßen Weise ansprechbar. Bevor angemessen nach dem Wesen der Sprache gefragt werden kann, muß ihm erst Gehorsam erwiesen sein. Sprachlich zeigt sich Seyn, und um diesem An-spruch entsprechen zu können, muß sich der Mensch vom Wesen der Sprache her besinnend in das Da-sein wandeln lassen81. Ein solches Philosophieren hat keinen Gegenstand, sondern ,ist‘ des Seyns, ihm gehörig und somit angemessen. Diese Kommunikation von aktiver wie auch passiver Seinsform kann als ,Mitte‘ des menschlichen Daseins bezeichnet werden. Dieser Mitte entspricht die grammatische Form der griechischen Sprache, die ,zwischen‘ Aktiv und Passiv angeordnet ist. Diese Zwischenform, das Medium zwischen beiden Genera bezeichnet auch die gesteigerte innere und äußere Beteiligung an einem Vorgang. Durch das Medium ist sprachlich ausgedrückt, daß innerlich und äußerlich ,in Bereitschaft‘ versetzt worden ist. Das Mediale in Heideggers Sinne drückt ein bereitendes Verhalten aus, für das etwas anderes bestimmend ist. Es stellt eine phänomenologische Selbstüberwindung, eine wahre Konversion dar – als Konsequenz aus dem sanften Druck des bedachten Phänomens. Wie immer wir bei der Sprache nach ihrem Wesen anfragen, allem zuvor braucht es dessen, daß sich uns die Sprache selbst zusagt. In diesem Fall wird das Wesen der Sprache zur Zusage ihres Wesens, d. h. zur Sprache des Wesens.82 76 77 78 79 80 81 82
Vgl. Heidegger, Vom Wesen der Sprache, 109 und 137. AaO. 113. Vgl. N I (Brocken), 298, 21. Heidegger, Vom Wesen der Sprache, 133, vgl. auch 47. Vgl. aaO. 149. Vgl. aaO. 75. Heidegger, Das Wesen der Sprache, 176.
Das Geschehen der Sprache
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Die Art und Weise, wie die Sprache ,west‘, wie sie ,wirkt‘, soll gehört werden. Dasjenige, worauf das Hören hört, ist diese Zusage der Sprache. Wenn man den Titel des Vortrages so faßt, dann ist darauf verwiesen, daß hier nicht das Wesen der Sprache als ein Grund für Sprachlichkeit erfragt werden soll, sondern daß zunächst auf den Zuspruch der Sprache gehört werden muß.83 Ein mediales Hören ist sowohl für Heidegger als auch für Hamann sprachlich gefordert: Es ist ein Hören, welches nicht nur ein Aufnehmen ist, sondern es ist so beschaffen, daß durch den Hörer etwas, sprich: die Sprache geschieht. Die Zusage ist, wie im folgenden deutlich werden wird, Ant-wort als Ankunft des Wortes. Das Hören ist das Medium des Geschehens der Rede an die Kreatur durch die Kreatur.84
3)
Zusage – Promissio – Ant-wort
Heidegger kennzeichnet diese Rede als Grund des Denkens genauer. Wo das Denken in seine eigentliche Bestimmung findet, sammelt es sich auf das Hören der Zusage, die uns sagt, was es für das Denken zu denken gibt.85
Die eigentliche Bestimmung des Denkens betrifft das Hören. Die Be-Stimmung führt also zum Hören, denn das Hören ist ein Hören auf die Stimme, die sagt, ,was es zu denken gibt‘. Das zu Denkende wird gegeben und zwar subjektlos in dem ,es gibt‘, das Heidegger schon früh als Problem der Phänomenologie erkannt hat.86 Wer oder was gibt etwas? Die Antwort auf diese 83 Das wissenschaftliche Denken in seiner Jagd nach verwertbaren Ergebnissen ist gegenüber seinem Untersuchungsgegenstand durch eine bestimmte Gewalttätigkeit ausgezeichnet. Das hier von Heidegger geforderte Denken ist im Gegensatz zu dessen Herrschaftsanspruch sanft und zurückhaltend. Diese Gewalttätigkeit manifestiert sich in der Unterwerfung des Themas durch die wissenschaftliche Methode. Die Methode ist totalitär, insofern sie nichts außerhalb ihrer selbst duldet (vgl. Martin Heidegger, Besinnung, 18). Was nicht mittels wissenschaftlicher Methode erfaßt werden kann, findet nicht statt. „In den Wissenschaften wird das Thema nicht nur durch die Methode gestellt, sondern es wird zugleich in sie hereingestellt und bleibt ihr untergestellt. Das rasende Rennen, das heute die Wissenschaften fortreißt, sie wissen selber nicht wohin, kommt aus dem gesteigerten, mehr und mehr der Technik preisgegebenen Antrieb der Methode und deren Möglichkeiten. Bei der Methode liegt alle Gewalt des Wissens.“ (Heidegger, Das Wesen der Sprache, 178.) Dies findet bei Hamann seine Parallele im Hypokritizismus, vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 136 und besonders 141: „Wenn die Vernunft nur noch ,das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt‘ […], dann muß die Sprache der Natur und Geschichte letztlich verstummen; der Mensch kann aus ihr nichts mehr fundamental Neues – geschweige denn Gottes Anrede – vernehmen.“ 84 Vgl. N II (Aestehetica in nuce) 197, 28f. 85 Heidegger, Das Wesen der Sprache, 179. 86 Vgl. die Vorlesung Heideggers im Kriegsnotsemester 1919 (Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, hg. v. Bernd Heimbüchel, Frankfurt 1987, 63ff.
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Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger
Frage bleibt hier offen, ein Hinweis besteht jedoch im Modus, wie der Gegenstand des Denkens gegeben wird. Dies wird ,gegeben‘ im Modus der Zusage. Das zu Bedenkende wird uns also gesagt, d. h. sprachlich (auf),gegeben‘. Zu-sage ist daher nicht bloßes Sprechen, sondern im eminenten Sinne einzigartiges Sprachhandeln. Nach Hamann ist die Schöpfung das in einer promissio dem Menschen überantwortete Sein, eine sich ungeschuldet miteilende Wahrheit87: To be, or not to be? That is the question. – Seyn freilich das Ein und Alles jeden Dings. Aber das to om der alten Metaphysik hat sich leider! in ein Ideal der reinen Vernunft verwandelt, deßen Seyn und Nichtseyn von ihr nicht ausgemacht werden kann. Ursprüngliches Seyn ist Wahrheit; mitgetheiltes ist Gnade.88
In dieser Struktur der promissio oder der Zusage stimmen die gläubige Existenzform in Sinne Hamanns und Luthers und die philosophierende Existenzform im Sinne Heideggers überein. Jedes Anfragen bei der Sache des Denkens, jedes Nachfragen nach ihrem Wesen, wird schon von der Zusage dessen getragen, was in die Frage kommen soll. Darum ist das Hören der Zusage die eigentliche Gebärde des jetzt nötigen Denkens, nicht das Fragen. Weil jedoch das Hinhören ein Hinhören auf das entgegnende Wort ist, entfaltet sich das Hören auf die Zusage des zu-Denkenden stets in ein Fragen nach der Antwort.89
Das ,nach‘ in dieser Stelle ist primär zeitlich zu verstehen. Heidegger nimmt für sein Projekt einer Besinnung auf das Wesen der Sprache eine Umgewichtung der Frage-Antwort-Struktur vor. Zuerst kommt das Wort an (Ant-wort), wird gestimmt gehört und kann dann befragt werden. Die Zu-sage birgt ein Wort.90 Die Zusage des Zu-Denkenden ist also schon da, bevor sich das Denken an die Arbeit machen kann. Das Denken hört und befragt medial mittels des schon gegebenen entgegnenden Wortes, das es auf den Weg einer Er-fahrung mit der Sprache bringt. Dieses Zusammenspiel von Entsagen und Zusagen ist erst im Sinne einer grundsätzlichen Widerständigkeit der Sprache kommunikativ. Die communicatio idiomatum beruht auf der unterschiedenen, jedoch durch Entzug des einen (der Sprache) unscheidbar zusammengehörigen protologischen Inkommensurabiliät von Sprache und Sprechen.91 Das heißt aber : Kommunikation ist zwar ein wichtiger Aspekt der Sprachlichkeit, jedoch immer ein sekundärer Aspekt. 87 Bayer, Vernunft ist Sprache, 392, vgl. auch Bayer, Zeitgenosse, 191. 88 Brief an Jacobi vom 1. 12. 1784 (ZH V, 271, 25–29). Bayer notiert hierzu: „Im Wort hat Gott als Redender den Menschen samt allen Kreaturen als hörend und antwortend immer schon eingesetzt und damit jeden ,denkbaren Unterschied zwischen Existenz und Essenz‘ überholt“ (Bayer, Vernunft ist Sprache, 392f.). 89 Heidegger, Das Wesen der Sprache, 179f. 90 Vgl. Bayer, Promissio, 241. 91 Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 354f.
Das Geschehen der Sprache
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Vorgängig sind die Zusage und das Angesprochenwerden, wobei die Zusage selbstverständlich nicht als abhängig gedacht werden kann vom Angesprochensein des Menschen. Ein sich hieraus herleitendes vollmächtiges Sprechen aus der Ankunft des Wortes der Sprache, konkret etwa in den Einsetzungsworten des Sakraments oder der Predigt, vielleicht auch in den Worten der Dichtung, ist somit das primäre Sprachgeschehen vor aller Vermittlung von individuellen Vernünften oder gar einer allgemeinen philosophischen Sprache.92 Die Zusage trägt gläubige, dichterische und philosophierende Existenz. Der Verzicht ist ein Entsagen. In seinem Verzicht sagt der Dichter seinem vormaligen Verhältnis zum Wort ab. Nur dies? Nein, in der Absage ist ihn schon etwas zugesagt, ein Geheiß, dem er sich nicht mehr versagt.93
Denn genau dies ist die Bestimmung, die Heidegger in diesem Fall dem Denken gibt, es ist ,ein Sichsagenlassen und kein Fragen‘94. Und wie um diese Zumutung auf die Spitze zu treiben, weckt Heidegger bei seiner Zusammenfassung des bisher Erarbeiteten die Assoziation zur Magie, zu un-heimlichen (also ungewohnten) Beschwörungsformeln, wie sie einem Zauberer von Meßkirch wohl angemessen sind. Auch Hamann ist die Wiederherstellung von Magie ein Anliegen95, insbesondere der ,Magie des Wortes‘.96 Allerdings ist dies eine Beschwörung, die nicht in den Fehler Fausts verfällt, der sich vom Beschworenen sagen lassen muß: ,Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir.‘ Das Wesen der Sprache äußert sich demgegenüber in einem protologischen Spruch: Die Sprache muß auf ihre Weise sich selber – ihr Wesen uns zusprechen. Die Sprache west als dieser Zuspruch. Wir hören ihn ständig schon, aber wir denken nicht daran. Hörten wir nicht überall den Zuspruch der Sprache, dann könnten wir kein Wort der Sprache gebrauchen. Die Sprache west als dieser Zuspruch. Das Wesen der Sprache bekundet sich als Spruch, als die Sprache ihres Wesens. Aber wir können diese Urkunde weder recht hören noch gar ,lesen‘. Sie lautet: Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens.97
Das Wort ist der Wider-spruch der Sprache zum bloßen Sprechen. Es ist dies ein performativer Zuspruch: Erst die Rede (bei Heidegger : Sage) führt dazu, daß auf die Sprache aufmerksam gemacht wird. Dies ist der Sinn des Hamannschen ,Rede, daß ich dich sehe‘ in Bezug auf die Sprache. Die magischen Zauberformeln, beispielsweise ,Das Wesen der Sprache: die Sprache des Wesens‘ oder ,Die Sprache spricht‘ sind dabei als ,Anhalt‘ für eine dauernde Besinnung zu neh92 93 94 95 96 97
Vgl. Bayer, Zeitgenosse, 183. Heidegger, Das Wesen der Sprache, 168. AaO.180. Vgl. N II (Aesthetica in nuce), 211, 8. N III (Hierophantische Briefe. Fünfter Brief), 159, 1. Heidegger, Das Wesen der Sprache, 181.
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Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger
men.98 Sie sind magische Beschwörungen der Ur-kunde.99 Der Mensch ist das Medium dieses Geschehens, es ist seine Geschichte. Heidegger schreibt: Diese Kunde aber geschieht im Urgeschehnis der Sprache. In ihr geschieht die Ausgesetztheit in das Seiende, geschieht die Überantwortung an das Sein. Kraft der Sprache und nur kraft ihrer waltet die Welt – ist Seiendes. Die Sprache kommt nicht im abgekapselten Subjekt vor und wird dann als Verkehrsmittel unter Subjekten herumgereicht. Die Sprache ist weder etwas Subjektives noch etwas Objektives; sie fällt überhaupt nicht in den Bereich dieser grundlosen Unterscheidung. Die Sprache ist als je geschichtliche nichts anderes als das Geschehnis der an das Sein überantworteten Ausgesetztheit in das Seiende im Ganzen.100
Das Sein der Sprache ist dieses Geschehen. Das Sein der Sprache ist das Sprechen (Sagen). Sie stiftet sprechend (sagend) Sein, und ganz ent-sprechend ist auch das letzte Wort der Sprache die Dichtung, das wesentliche Sprechen. Dem Sein zu ent-sprechen bedeutet, aus sich selbst, und das heißt aus der metaphysischen Tradition des t¹ cm und seinen Verwandlungen herauszutreten. Sprache muß fragend in der Logik behandelt werden, damit sie ihrem Wesen (Sein) gemäß der Frage ent-sprechen kann, also eine Antwort geben kann. Konkret heißt das: „Die Antwort ist keine erwidernde Aussage [ … ] die Antwort ist vielmehr die Ent-sprechung [ … ], die dem Sein des Seienden entspricht.“101 Theo-logie muß demnach Ant-wort auf die Anrede des schöpferischen Wortes sein. Heidegger präzisiert diese Ent-sprechung im Hinblick auf die Philosophie wie folgt: Vikosov_a ist das eigens vollzogene Entsprechen, das spricht, insofern es auf den Zuspruch der Sprache achtet. Das Ent-sprechen hört auf die Stimme des Zuspruchs. Was sich als Stimme des Seins uns zuspricht, be-stimmt unser Entsprechen. ,Entsprechen‘ heißt dann: be-stimmt sein [ … ], nämlich vom Sein des Seienden her.102
Da-sein hat sich so als Philosophierendes sprachlich zur Anzeige des Seyns gewandelt. Die Antwort der Sprache bedeutet hierbei die An-kunft des stiftenden Wortes, des weltbildenden Wortes.103 Ebenso ent-sprechend ist auch der 98 Vgl. Martin Heidegger, Die Sprache im Gedicht, in: ders., Unterwegs zur Sprache, 81. 99 „… aller philosophische Widerspruch und das ganze historische Rätzel unserer Existenz, die undurchdringliche Nacht ihres Termini a quo und Termini ad quem sind durch die Urkunde des Fleisch gewordenen Worts aufgelöset.“ (N III (Zweifel und Einfälle), 192, 22–26). 100 Heidegger, Logik als die Frage nach dem Wesen der Sprache, 168. 101 Heidegger, Was ist das – die Philosophie, Pfullingen 1956, 32. 102 AaO. 35f. 103 „Jede Erscheinung der Natur war ein Wort, – das Zeichen, Sinnbild und Unterpfand einer neuen, geheimen, unaussprechlichen, aber desto innigeren Vereinigung, Mittheilung und Gemeinschaft göttlicher Energien und Ideen. Alles, was der Mensch am Anfange hörte, mit Augen sah, beschaute und seine Hände betasteten, war ein lebendiges Wort; denn Gott war das Wort. Mit diesem Worte im Mund und im Herzen war der Ursprung der Sprache so natürlich, so nahe und leicht, wie ein Kinderspiel; denn die menschliche Natur bleibt vom
Das Geschehen der Sprache
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Glaube als Neudefinition des Glaubenden in seiner Welt Geschöpf des mündlichen Wortes.104 Das Wort – nicht als Singular zu Wörtern, nicht ein einzelnes ,Wort‘, sondern Nennung, Zu-, Anspruch und vor dem und wesentlich Wort des Seyns – d. h.? Erschweigung des Austrags – (Ereignis) ursprüngliche Lichtung.105
Hamann kann auf dieses fragende ,Das heißt?‘ Heideggers bei gleicher Struktur der Zusage als Ankunft des Wortes eine Antwort geben: Das wesentliche Wort ist das ursprüngliche Sein als der Gottesname: Ein anderes Dor loi pou sty kenne und weiß ich nicht als Sein Wort, sein Schwur, und sein Ich bin – und werde seyn, worinn die ganze Herrlichkeit seines alten und neuen Namens besteht, den kein Geschöpf auszusprechen im stande ist […].106
Die Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Sprache ist also ein Spruch der Sprache selbst. Diese Fassung der Sprache als Spruch, als Ant-wort ist aufrüttelnd und wandelnd im Sinne Eugen Rosenstock-Huessys: respondeo etsi mutabor. Der Spruch ist eine Provokation107 und eine Hervorrufung im Sinne des ,es werde …‘. Hamanns Kernsatz: ,Vernunft ist Sprache‘ ist somit ein schöpfungstheologischer Satz.108 Das Fragen muß anhalten und diesen Spruch hören, der Rede Antwort stehen, beziehungsweise der Ant-wort ent-sprechen, ganz im Sinne des lutherischen ,Hier stehe ich …‘.109 Und dies ist ein vollmächtiges Sprechen, welches durch das ursprüngliche Wort ermächtigt ist. Das Bekennen entspricht der Zu-sage; die confessio antwortet der promissio.110 Der Spruch ist in diesem Sinne ein Nachhall der Schöpfungsrede.111 In seinem Vortrag ,Der Weg
104 105 106 107 108 109
110 111
Anfange bis zum Ende der Tage, eben so gleich dem Himmelreiche als einem Sauerteige, mit dessen Wenigkeit jedes Weib drey Scheffel Mehls zu durchgären im Stande ist. – Ich würde noch länger und breiter und tiefer matagrabolisiren, wenn ich nicht wüßte, daß viel Predigen itzt eben so sehr den Muth der Zuhörer ermüdet, als ehemals den Leib geistlicher Redner ; und begnüge mich also heute, durch eine Wallfarth im schwarzen Aschensack, das Element der Sprache – das A und O – das Wort – gefunden und genannt zu haben.––“ (N III (Ritter von Rosencreuz), 32, 21–32, 2). Vgl. Bayer, Promissio, 197. Vgl. auch 207: „Jedesmal, wenn eine Zusage Gottes ergeht, geschieht dasselbe, geschieht das Ganze, geschieht alles: das Heil.“ Heidegger, Vom Wesen der Sprache, 56. Brief an Jacobi vom 23. 1. 1785 (ZH V 333, 18–21). Vgl. Bayer, Promissio, 194. Das ,ad fidem provocare‘ ist der Ausdruck Luthers für diesen Umstand. Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 4 auch: ders., Zeitgenosse, 181. Elfriede Büchsel drückt diesen Umstand wie folgt aus: „In der Sprache und mit der Sprache lebt der Mensch sein verantwortliches Leben vor Gott.“ (Elfriede Büchsel, Einführung, in: Johann Georg Hamann, Über den Ursprung der Sprache [Johann Georg Hamanns Hauptschriften erklärt. Band 4, hg. v. Fritz Blanke und Karlfried Gründer], Gütersloh 1963, 43.) Bayer, Promissio, 251. Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 351.
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Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger
zur Sprache‘ liefert Heidegger ein weiteres Beispiel für einen solchen beschwörenden Spruch: Wir wagen hierbei etwas Seltsames und möchten es auf die folgende Weise umschreiben: Die Sprache als Sprache zur Sprache bringen. Dies klingt wie eine Formel. Sie soll uns zum Leitfaden auf dem Weg zur Sprache dienen. Die Formel gebraucht das Wort ,Sprache‘ dreimal, wobei es jedesmal anderes und gleichwohl dasselbe sagt. Dies ist Jenes, was das Auseinandergehaltene aus dem Einen, worin das Eigentümliche der Sprache beruht, zueinanderhält. Zunächst freilich deutet die Formel auf ein Geflecht von Beziehungen, darin wir selber schon einbezogen sind. Das Vorhaben eines Weges zur Sprache ist in ein Sprechen verflochten, das gerade die Sprache freistellen möchte, um sie als die Sprache vorzustellen und das Vorgestellte auszusprechen, was zugleich bezeugt, daß die Sprache selber uns in das Sprechen verflochten hat.112
Die Formeln beziehen den Untersuchenden in die Untersuchung mit ein, integrieren ihn in den Vollzug, das Geflecht des Philosophierens. Diese Integration ist dauerhaft; als Philosophierender muß man unablässig dem folgen, was die Wegformel anzeigt113, also auf die Sprache hören. Die Formel bekundet sprachlich die Bereitschaft zu hören und verweist dabei auf ein anderes, das Ereignis. Hören und Anzeige, beziehungsweise die ,Zeige‘ der Sprache sind eng gekoppelt.114 Entsprechend muß auch Hamann in seinem von Heidegger zitierten Brief an Herder das Wort ,dreymal wiederholen‘: ,Vernunft ist Sprache‘.115 Das angemessene Verhalten ist das Hören als die Gelassenheit des Sichsagenlassens.116 Da-sein ist sprachlich gefügt. Diese Fügung läßt sich auch in der promissio feststellen: „Gottes Wille bekundet sich nicht nur in seiner Zusage, sondern vefügt sich in sie. Er legt sich mit ihr und in ihr in ganz bestimmter Weise fest, vertraut sich aber so [ … ] ihrem Gebrauch an und liefert sich ihm aus, um uns mit solcher Entäußerung ins mündliche Wort, in der er dieses aber umgekehrt – gleichsam in einer communicatio idiomatum – gerade mit seiner ganzen Macht erfüllt, in die Gewißheit zu führen.“117 Heidegger führt den philosophierenden Weg von unserem Sprechen hin zum Sprechen der Sprache vor, die nun umgekehrt wieder das Dasein gestaltet. Die Gestaltung des Glaubens durch die promissio beschreibt Bayer entsprechend: „Hier ist in aller Schärfe zugleich gegen die eigene frühere Theologie zur Geltung gebracht, daß der Glaube primär keine existentielle Haltung und Einstellung […] ist, sondern allein aus der positiven, d. h. gewissen Grund setzenden Zusage kommt und in 112 113 114 115 116 117
Martin Heidegger, Der Weg zur Sprache, in: ders., Unterwegs zur Sprache, 242. Vgl. aaO. 243. Vgl. aaO. 254. ZH V 177, 18. Vgl. Heidegger, Der Weg zur Sprache, 255. Bayer, Promissio, 188.
Das Geschehen der Sprache
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ihr bleibt – so freilich in scharfer Negation all dessen, was nicht diese Zusage ist.“118
4)
Sprachliche Freiheit
Der Weg der Erfahrung der Sprache ist so ein großer Umkehrprozeß, eine philosophische Konversion als Revolution der philosophischen Orientierung hin zu einem neuen Orientiertsein.119 Er ist auch eine (formal) religiöse Konversion, die wie im Falle der Lebensgeschichte Johann Georg Hamanns zu einer neuen Freiheit des Denkens führt.120 Hamanns Konversion ist die Frucht einer wiederholenden Lektüre der Bibel, ebenso wie Heidegger die philosophische Konversion durch die wiederholende Lektüre der Grundtexte der Metaphysikgeschichte vorbereiten will. Die ,Grundtexte der Metaphysik‘ sind es, die von ihm immer wieder durchgearbeitet werden, um vielleicht dereinst den Sprung in den anderen Anfang zu schaffen. Bei Hamann besteht die sprachliche Freiheit im rpojq_meshai der menschlichen Antwort auf eine Herausforderung im Urteilen und im jeweiligen Deuten der Anrede.121 Auch bei Heidegger entsteht aus der Zusage eine sprachliche Freiheit. Die Besinnung auf die Sprache gilt ihm ,als entscheidender Weg zum Einsprung in das ganz andere, nämlich seynsgeschichtliche Denken‘.122 Dabei ist sie die Ausführung einer Anweisung ein ,Sich-ins-Freie-des-großen-KreisesStellen‘, einen ,gewiesenen Stand einnehmen‘, ein Schritt in die angewiesene Freiheit.123 Sprachliche Freiheit bedeutet so keine Beliebigkeit von Wahlmöglichkeiten.124 Freiheit ist vielmehr Ankunft des wandelnden Wortes. Freiheit ist eine mündige, also auf Sprache bezogene Kindschaft.125 Diese Freiheit kennzeichnet ein Aufmerken und zwar ein Aufmerken ,im Sinne der Vernunft‘.126 Dasjenige, was zu diesem Vernehmen anleitet, ist die Sprache. Sie fungiert somit in formaler Hinsicht als Zeichen oder als Anzeige. 118 Bayer, Promissio, 198. 119 Diese ,Revolution des Verhältnisses zur Sprache‘ hatte Heidegger schon in seiner Vorlesung von 1935 angekündigt (Martin Heidegger, Einführung in die Metaphysik, hg. v. Petra Jaeger, Frankfurt 1983, 57). 120 Vgl. N II (Gedanken über meinen Lebenslauf) 42, 38ff. 121 Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 12. 122 Heidegger, Vom Wesen der Sprache, 5. 123 AaO. 117. 124 Vgl. Hamanns Ausführungen über die gebundene Freiheit des Handels im Gegensatz zur Beliebigkeit in N IV (Beylage zu Dangueil), 231, 7ff. 125 Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 468. 126 Heidegger, Vom Wesen der Sprache, 117.
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Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger
Heidegger notiert kurz: „Sprache (formal): ,Zeichen‘, Anzeige.“127 Die Sprache also ist der Besinnung eine formale Anzeige128 mit einem bestimmten Richtungssinn, nämlich in die ,Zugehörigkeit in das Seyn, in das Ereignis als Austrag‘129. Dies ist ,der Vollzug der innersten Vernünftigkeit der Vernunft‘130 im seynsgeschichtlichen Sinn. Der Satz ,Vernunft ist Sprache‘ kann so als eschatologischer Satz bezeichnet werden, als ein solcher, der eine letzte Zugehörigkeit bespricht.131 Die sprachliche Verfaßtheit des Daseins zeigt die Zugehörigkeit in das Seyn, dasjenige, was das Wesen der Sprache ausmacht. Die Sprache ist dem Menschen der Draht zum Sein selbst. Derjenige sprachliche Punkt, dasjenige anfängliche Wort soll erreicht werden, an dem Seyn als ,Sage‘ ,west‘. Für die gläubige Existenz heißt das: „Im Wort trägt Gottes Schöpfermacht Welt und Geschichte, ist er aller Dinge mächtig; aus dieser Allmacht und in ihr empfängt der Mensch im Glauben ein klares und freies Gewissen.“132 Seyn und nichts anderes muß das Wesen der Sprache sein, damit es (das Seyn) wieder so etwas wie die Freiheit des phänomenologischen Philosophierens, d. h. die Redlichkeit gegenüber dem Phänomen geben kann. Das phänomenologische Verhalten in sprachlicher Hinsicht gegenüber der Sprache als Königsweg zum Seyn intensiviert sich in dem Maße wie theoretischmetaphysische Verhaltensweisen insbesondere hinsichtlich der verwandten Sprachformen133 abgebaut werden. Die Möglichkeit der Inversion der Wortstellung etwa sprengt die starren Sprachformen und deutet in dieser Freiheit die Freiheit der Gottessprache an.134 Im letzten Absatz der ,Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)‘ bekommt die Sprache eine entscheidende Funktion bei der 127 AaO. 45. 128 In meiner Dissertation (Knut Martin Stünkel, Formal anzeigendes Philosophieren. Heideggers Denken 1919–1976, Bielefeld 2002 [Diss.]) wird der Versuch unternommen, die formale Anzeige als durchgängiges phänomenologisches Werkzeug Heideggers für sein gesamtes Denken darzustellen. Auch bei Hamann gibt es ein entsprechendes Konzept: den Metaschematismus (Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 415). Für einen ausführlichen Vergleich beider Konzepte siehe das folgende Kapitel. 129 Martin Heidegger, Vom Wesen der Sprache, 55. 130 In seinem Kommentar zitiert Bayer diesen Ausdruck Heideggers für die philosophische Operation Kants aus ,Die Frage nach dem Ding‘ zweimal (Bayer, Vernunft ist Sprache, 69 u. 369). 131 Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 4. 132 Bayer, Promissio, 192. 133 „[…] misbraucht die Metaphysik alle Wortzeichen und Redefiguren unserer empirischen Erkenntnis zu lauter Hieroglyphen und Typen idealischer Verhältnisse, und verarbeitet durch diesen gelehrten Unfug die Biderkeit der Sprache in ein so sinnloses, läufiges, unstätes, unbestimmtes Etwas=x“ (Bayer, Vernunft ist Sprache, 296, auch: N III [Metakritik] 285, 28–33). 134 Vgl. N II (Vermischte Anmerkungen), 130, 19–131, 26. Wie Heidegger scheint auch Hamann der Meinung zu sein, daß etwa die deutsche Sprache dem Philosophieren angemessener sei als etwa die französische.
Abschließender Ausblick
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befreienden Verwandlung des Menschen in die offene Stelle für das Ereignis des Seyns zugewiesen. Sprache und Ereignis. Aufklang der Erde, Widerklang der Welt. Streit, die ursprüngliche Bergung der Zerklüftung, weil der innigste Riß. Die offene Stelle. Sprache, ob gesprochen oder geschwiegen, die erste und weiteste Vermenschung des Seienden. So scheint es. Aber sie gerade die ursprünglichste Entmenschung des Menschen als vorhandenes Lebewesen und ,Subjekt‘ und alles Bisherigen. Und damit Gründung des Da-seins und der Möglichkeit der Entmenschung des Seienden.135
Sprache ist nicht für die Philosophie oder die Grammatik gemacht. Sprache ist so gesehen möglicher Fluchtweg und Befreiung aus der selbstsicheren Metaphysik und der ihr botmäßigen Sprachformen, wenn die Bereitschaft besteht, auf das maß-setzende Wort zu hören.136 Aufgabe jeglichen Philosophierens ist es, dieses Hören vorzubereiten, Geburtshelferdienste im Sinne Hamanns und Sokrates’ zu leisten, d. h. nicht zu versuchen, im metaphysischen Sinne Lehrsätze zu erzeugen.137
III.
Abschließender Ausblick
Strukturell bewegt sich das Philosophieren Heideggers und das Denken Hamanns in enger Nachbarschaft, welches die Übersetzung des einen in das andere und umgekehrt möglich macht. Das vollmächtige zusagende Sprechen, die Promissio, das von beiden als Ursprung menschlichen Sprechens aufgewiesen wird, kann dabei als Basis für weiterführende Überlegungen der philosophischen Sprachtheologie genutzt werden. Eine solche Sprachtheologie würde es erlauben, religiöse Elemente in säkularen Sprachphilosophien aufzuspüren. Wie jedoch im Falle der Nachbarschaft von Dichten und Denken, so muß auch hier im Gespräch des Magus mit dem Zauberer auf die grundsätzliche Eigenständigkeit beider Positionen hingewiesen werden. Hamann kann in keiner Weise enttheologisiert werden: seine theologische Grundeinstellung ist weder ästhetisch noch sprachtheoretisch zu pazifizieren.138 Nun ist das Religiöse be135 Martin Heidegger, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), hg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt 1989, 510. 136 AaO. 510. 137 Vgl. N II (Wolken), 97, 19–21 (auch 38 f). 138 In der aktuellen Diskussion besteht weitgehend Einigkeit, daß Hamann insbesondere zu aktuellen ästhetischen Überlegungen Bedeutendes beizutragen hat. Zwar wird er hinsichtlich der theoretischen Aufbereitung der Ästhetik der Moderne nicht hinreichend wahrgenommen, jedoch sind seine Überlegungen zu Kernthemen dieser Diskussion (Stichworte sind: Erhabenes, Schweigen, Häßlichkeit, Gewalt, Heterologie etc.) kompatibel. Doch die demonstrierte Einigkeit in Sachen der Aktualisierbarkeit der Ästhetik Hamanns
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Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger
ziehungsweise das Theologische zwar nicht Widerpart von Heideggers Denken, dessen Philosophieren sich strukturell mittels religiöser Denkformen bewegt (insbesondere der der Konversion, welche in dem ,kehrigen‘ Philosophieren Heideggers permanent eine Rolle spielt, aber auch der Betonung des Hörens als Grundsinn der Phänomenologie), aber es ist die erfüllte Existenzweise des Glaubens, die ihn von Hamann als be-kehrtem Christen trennt. In seinem provokanten Vortrag vor der Marburger Theologenschaft spricht Heidegger die Ansicht aus, „daß der Glaube in seinem innersten Kern als eine spezifische Existenzmöglichkeit gegenüber der wesenhaft zu Philosophie gehörigen und faktisch höchst veränderlichen Existenzform der Todfeind bleibt. So schlechthin, daß die Philosophie gar nicht erst unternimmt, diesen Todfeind in irgendeiner Weise bekämpfen zu wollen.“139 Versöhnlich fügt Heidegger jedoch in einer Anmerkung hinzu: „Daß es sich hier um die grundsätzliche (existenziale) Gegenüberstellung zweier Existenzmöglichkeiten handelt, die ein je faktisches, existenzielles, gegenseitiges Ernstnehmen und Anerkennen nicht aus-, sondern einschließt, sollte nicht erst weitläufig diskutiert werden müssen.“140
in ein weitestgehend säkularisiertes Zeitalter ist zweifelhaft. Es ist die Frage, ob mit einer Forderung ,Zurück zu Hamann‘ gerade in genuin ästhetischer Hinsicht nicht der Bock zum Gärtner gemacht würde. Kann eine Hamannsche Ästhetik Ästhetik bleiben? Damals wie heute ist die Ästhetik das trojanische Pferd für Hamann, seine Grundideen unter die Leute zu bringen. Diese Grundideen sind nun theologisch, und dieser Aspekt ist auf keinen Fall von den ästhetikkonformen Überlegungen Hamanns zu trennen. Gerade die Eigenständigkeit der Ästhetik als menschliche Selbstermächtigung zu bestreiten, ist Hamanns ästhetisches (theologisches) Anliegen. Es gibt somit keine säkulare Form Hamannschen Denkens, das in reine Ästhetik zu überführen wäre. Wer Aspekte der Hamannschen Theorie übernimmt, kauft immer auch nolens volens die ganze Theologie mit – und so kann Ästhetik nicht Ästhetik bleiben. Eine naive Verwendung von Hamanns Positionen im Bereich der ästhetischen Diskussion ist in zweifacher Hinsicht gefährlich. Einerseits ist Hamann nicht ästhetisch (von Theologie) zu entschärfen, andererseits sollte man die Ästhetik nicht im Sinne Hamanns theologisch untergraben. Aus einer echten Diskussion könnte sich ergeben, inwieweit das moderne Projekt einer auf theologischen Formen basierenden Ästhetik, die aber gleichzeitig auf den Inhalt dieser Formen verzichtet, möglich, aktuell und weiterführend sein kann. 139 Martin Heidegger, Phänomenologie und Theologie, in: ders., Wegmarken, Frankfurt 1996, 66. 140 AaO. 66.
II.
Metaschematismus und formale Anzeige – Über ein biblisch-paulinisches Rüstzeug des Denkens bei Johann Georg Hamann und Martin Heidegger
Die heilige Schrift sollte unser Wörterbuch, unsere Sprachkunst seyn, worauf alle Begriffe und Reden der Christen sich gründeten und aus welchen sie bestünden und zusammen gesetzt würden.1
Hamanns konsequente Bibelbezogenheit ist unübersehbar und Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen2, Heideggers häufige Verwendung bibli1 BW 304, 8–10. 2 Die Bibel ist bei Hamann insbesondere in den Schriften der Londoner Zeit sogar so präsent, dass es andere Schwierigkeiten für die Interpretation gibt: „Denn die Unterscheidung zwischen dem, was Hamanns eigenen Formulierungskünsten entspringt, und dem, was er in Stil und Inhalt der Bibel entlehnt, bleibt selbst für den ausgewiesenen Bibelkenner ein großes Problem. So lassen sich die Vielzahl der Anspielungen, der verschiedenen Formen des Zitierens und die häufigen Um- und Abwandlungen biblischer Zitate kaum vollständig erfassen und etwa von Hamanns eigener Sprache abgrenzen, spricht er doch auch dann, wenn er selbst spricht, in der Sprache der Bibel.“ (Bernd Weissenborn, Auswahl und Verwendung der Bibelstellen in Johann Georg Hamanns Frühschriften, in: Johann Georg Hamann. Autor und Autorschaft. Acta des sechsten Internationalen Hamann-Kolloquiums im Herder-Institut zu Marburg/Lahn 1992, herausgegeben von Bernhard Gajek, Frankfurt/Berlin/ Bern/New York/ Paris/ Wien 1996, 25f.) Um die Erforschung der Rolle der Bibel für Hamanns Autorschaft hat sich vor allem Elfriede Büchsel verdient gemacht. Ihre Charakteristik der Sprache in ,Des Ritters Rosencreuz letzte Willensmeynung‘ kann auch für die anderen Schriften Hamanns gelten: „[…] Hamann spricht mit den geliehenen Worten der Bibel. Es ist der Orgelton der Schöpfungsgeschichte; der Klang der Psalmen, des Buches Hiob; Johannes, Petrus, Paulus mischen sich ein; all das klingt zusammen und schwingt begleitend im Fortgang der Textmelodie. Dabei erleben wir Hamanns hohe Kunst der Verdichtung.“ (Elfriede Büchsel, Biblisches Zeugnis und Sprachgestalt bei J.G. Hamann. Untersuchungen zur Struktur von Hamanns Schriften auf dem Hintergrund der Bibel, Gießen/ Basel 1988, 15) Wichtig ist nach Büchsel vor allem dies: „Hier ist nicht über die biblische Botschaft geredet, sondern dieser Text ist Neuvollzug eines Zeugnisses, das sich selbst ganz und gar von der Bibel her begründet.“ (aaO., 22) Dieses führt zu folgendem Resum8e: „Hamanns Verhältnis zur Bibel ist durch die Gebundenheit und die Freiheit des Zeugen bestimmt, er spricht ganz aus der Bibel heraus und führt in sie hinein, mit einer Unmittelbarkeit, die beim Leser jeden historischen Abstand verschwinden lassen kann.“ (aaO., 25, vgl. auch 115f.). Nach Oswald Bayer ist die Bibel Hamanns konkretes historisches Apriori (vgl. Oswald Bayer, Zeitgenosse im Widerspruch, 15 und 76, insbesondere 83ff.).
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Metaschematismus und formale Anzeige
scher Bilder und Denkfiguren in seinem Philosophieren hat keinen entsprechenden interpretatorischen Anklang gefunden. Man kann den Eindruck gewinnen, als würden diese Stellen als peinlicher Rest von frühkindlich geprägter Religiosität empfunden und deshalb mit dem Mantel pikierten Schweigens bedeckt. In Heideggers Gesamtkonzept sind die oftmals auftauchenden biblischen Stellen jedoch mehr als nur besonders eingängige Illustrationen. Sie gehören mit zur Inszenierung des Philosophierens. Sie haben ebenso einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Form des Philosophierens, wie Heidegger es vorschlägt und vormacht, überhaupt. Dieser Einfluß kann durch einen Vergleich mit den entsprechenden Denkfiguren bei Hamann wieder deutlich gemacht werden. Eine hiermit zusammenhängende Gemeinsamkeit beider ist der inszenierte performative Paulinismus ihrer jeweiligen Autorhandlungen.3 Elfriede Büchsel spricht von der ,paulinischen Mimesis‘ Hamanns.4 ,Die große Gebärde‘ des Propheten5, die Prophetie als Figur ist für beide gleichsam faszinierend.6 Die kerygmatische Attitüde in der gestische Phänomenologie bei Heidegger ist ebenso eine Frucht der produktiven Verarbeitung von Bibel, Religion und Theologie in seinem Denken. Der Inszenierungscharakter der Autorhandlung entstammt biblischen Vorgaben.7 Sie ist ein Repertoire dramatischer Konfigurationen für den Vollzug des Philosophierens. Ganz Entsprechendes gilt für Hamanns theologische Dramaturgie seiner Texte.8 Mit der Behandlung des Metaschematismus beziehungsweise der formalen Anzeige bewegt man sich in einem, wenn nicht dem Kernbereich des Denkens Johann Georg Hamanns wie auch Martin Heideggers. Beide Konzepte haben 3 „Hamann stellt sich in eine Dialogsituation: in den Dialog mit den aufgeklärten Zeitgenossen, die sich auf die Vernunft als gültigen, absoluten Maßstab berufen: positiv als Quelle wahrer Gesetzgebung, negativ in der kritischen Abrechnung mit Tradition und Sitte, Dogma, gewachsenem Recht usw. – mit Vorurteil schlechthin. Hamann versteht diese seine Situation analog zur Missionssituation, in der Paulus gesprochen hat.“ (Elfriede Büchsel, Paulinische Denkfiguren in Hamanns Aufklärungskritik. Hermeneutische Beobachtungen zu exemplarischen Texten und Problemstellungen, in: Johann Georg Hamann und die Krise der Aufklärung. Acta des fünften Internationalen Hamann-Kolloquiums in Münster i.W. (1988), herausgegeben von Bernhard Gajek und Albert Meier, Frankfurt/ Bern/New York/ Paris 1990, 406. 4 Büchsel, Paulinische Denkfiguren, 407 und 418. 5 Rudolf Unger, Hamann und die Aufklärung. Studien zur Vorgeschichte des romantischen Geistes im 18. Jahrhundert. 1. Band, Tübingen 1968, 511. 6 Bei Heidegger allerdings in Absetzung von der jüdisch-christlicher Tradition, vgl. Martin Heidegger, ,Andenken‘, in: ders., Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, 114. 7 Vgl. Hamanns Inszenierung des ,Ritters von Rosencreuz‘ als Predigt (vgl. Büchsel, Biblisches Zeugnis 14). Für Heidegger hat Daniel Dahlstrom auf den Inszenierungscharakter seines Philosophierens hingewiesen (Daniel Dahlstrom, Heidegger’s method: Philosophical concepts as formal indication, Review of Metaphysics 47 (1994), 782 und 790). 8 Vgl. Johannes von Lüpke, Zur theologischen Dramaturgie in Hamanns Autorschaft, in: Gajek, Autor und Autorschaft, 312 und 313.
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einen expliziten Paulusbezug. Paulus wird als präfigurierender Vorläufer in Anspruch genommen. Daß beide hier bedeutsame Übereinstimmungen haben, macht die enge Kommunikationsgemeinschaft beider Denker umso greifbarer und frappanter.9 Sowohl der Hamannsche Metaschematismus als auch die formale Anzeige Heideggers sind vergleichsweise frühe, aber dennoch durchgehende Elemente ihres Denkens. Der Metaschematismus ist ein entscheidender Teil von Hamanns Konversion in London und des Beginns seiner ,eigentlichen‘ Autorschaft, die formale Anzeige ist dasjenige, was spätestens seit der Rezension von Jaspers’ ,Psychologie der Weltanschauungen‘ im Jahre 191910 Heidegger die phänomenologische Emanzipation von der Phänomenologie seines Lehrers Husserl ermöglicht. Beide Konzepte sind Emanzipationsinstrumente gegen eine als überwunden angesehene Philosophie und können als Schlagworte für das eigene Projekt dienen. Sie sind ebenso Re-manzipationsinstrumente als Ausdruck der Hingabe an die Sache. Denn auch späterhin haben Metaschematismus und formale Anzeige wichtige Rollen zu spielen. Metaschematismus und Metakritik gehen bei Hamann Hand in Hand.11 Bei Heidegger ist die formale Anzeige für den späteren Begriff der Kehre von entscheidender Bedeutung.
I.
Hamanns Konzept des Metaschematismus
Der ursprünglich in der griechischen Philosophie allgemein für eine Verwandlung oder Umformung gebrauchte Ausdruck letaswglat_feim wird von Paulus zu einem formalen Handwerkszeug des Schreibens präzisiert, nämlich im Sinne einer literarstilistischen Umformung einer Aussage.12 Diese rhetorische Verwendung des Metaschematismus ist für Hamanns Schreiben vorbildlich. Mit dem Metaschematismus bewegt sich Hamann als Schreibender methodisch in der Nachfolge des Apostels. 9 Ein Bereich weitgehender Übereinstimmung im Hinblick auf das Denken der Sprache bei Hamann und Heidegger ist nachgewiesen in: Knut Martin Stünkel, Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger, NZSTh 46 (2004), 26–55. 10 Martin Heidegger, Anmerkungen zu Karl Jaspers ,Psychologie der Weltanschauungen‘, in: ders., Wegmarken, Frankfurt 1996. 11 Angesichts der von Bayer und Knudsen angeführten Elemente von Hamanns ,letztem Blatt‘ (Erwartung einer Wende, allgemeine Formulierung und bestimmt Gemeintes, Erschütterung des Perfektionsstrebens und Gewisswerden der Barmherzigkeit Gottes, konkreter Anlaß) kann auch bei diesem von einem Metaschematismus gesprochen werden. (Oswald Bayer und Christian Knudsen, Kreuz und Kritik, 29) Vgl. auch Weissenborn, Auswahl und Verwendung, 30 über die Beschriftung von Hamanns Grabstein. 12 Vgl. Elfriede Büchsel, Artikel ,Metaschematismus‘, in: Ritter/ Gründer (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 5, Darmstadt 1980, 1300.
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Metaschematismus und formale Anzeige
Eine Programmatik seines Gebrauches des Metaschematismus unter Heranziehung von 1. Kor 4, 6 gibt Hamann in der ,Nachschrift‘ zum ,Klaggedicht, in Gestalt eines Sendschreibens über die Kirchenmusik an ein geistreiches Frauenzimmer außer Landes‘ in den ,Kreuzzügen des Philologen‘: Young giebt in seinem Codicill an den in der Kunst sibyllinischer Mährchen berühmten Götzenschmied, Richardson, das Räthsel auf, die Alten also nachzuahmen, dass wir uns von ihrer Ähnlichkeit, je mehr je besser, entfernen. Der Briefsteller dieses Klaggedichts hat die Epitre # Uranie und das Sendschreiben eines Materialisten an Doris sich zu seinen Mustern in einer solchen umgekehrten Nachahmung gewählt. Wo der Schulweise Schlüsse spinnt, und der Hofsirach Einfälle näht, ist die Schreibart des Liebhabers Leidenschaft und Wendung. Unter allen seinen Redefiguren bedient er sich am glücklichsten, soviel ich weiß, derjenigen, welche in den vertraulichen Briefen eines Originalautors Metaschematismus genannt wird.13
Die Redefigur der umgekehrten Nachahmung in der Schreibart von Leidenschaft und Wendung ist der Metaschematismus. Es sollen durch dieses Verfahren nicht Schlüsse gesponnen und Einfälle genäht werden, sondern der persönliche Bezug des Autors in seinem Text in Leidenschaft, sowie seine hieraus erfolgende und auch dem Leser zugemutete Wendung stilistisch dargestellt werden. In der von Hamann angeführten biblischen Belegstelle 1. Kor 4,6 erläutert Paulus in einem menschlichen Urteil seine Geringschätzung menschlichen Urteils, spricht also mit den Worten seiner Gegner in einem konkreten, ihn selbst in Mitleidenschaft ziehenden Selbstbezug und fordert durch diese Wendung, den Rückbezug auf sich selbst, seine Gegner zu einer Umkehr auf. Dabei ist diese Figur nicht dem Gebrauch der in der Nachfolge Paulus sich bewegenden Autoren vorbehalten. Auch dessen vermutlichen Gegnern steht die Figur mit ihrer in umgekehrter Nachahmung liegenden Aufforderung zur Umkehr zur Verfügung. Worinn bestehen denn die Wirkungen des Theismus und seiner Legion – denn ihrer ist viel, die Witz, Scharfsinn, Geschmack und Gelehrsamkeit verschwenden, ihn plausibel, populair, ja gar orthodox zu machen, und in das schmeichelhafte Licht oder Engelgewand der Vernunft, der Rechtschaffenheit und der Andacht einzukleiden oder metazuschematisiren. –14
Allerdings weist Hamann hier darauf hin, dass die vernunftgläubigen Theisten Redefiguren gebrauchen, die dem leidenschaftlichen Kontext paulinischer Predigt entstammen, mithin in ihrer sprachlichen Praxis auf Formen zurückgreifen müssen, die sich nicht von ihrem unmittelbaren persönlichen Glaubensbezug 13 N II (Kreuzzüge) 150, 5–15. 14 N III (Hierophantische Briefe) 144, 11–16. Zu einer solchen Einkleidung vgl. 1. Kor. 9, 20ff. Die in Epheser 6, 13 ff beschriebene Rüstung des Glaubens kann also durchaus, in geeigneter Weise metaschematisiert, vom Gegner stammen.
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trennen lassen. Das heißt für ihre eigene Predigt wider das Christentum gebrauchen sie selbst die ,Kraft des Christentums‘, um ihr eigenes ,materielles Nichts‘ mit Leben zu erfüllen.15 Der Metaschematismus ist so das geeignete Instrument für Hamann, die von ihm erzählten Geschichten zu Konversionsgeschichten zu machen. An Herder schreibt er am 28. Januar 1776: Wissen Sie den Verfasser zum Bonsens: so melden Sie ihn, weil ich selbst daran zweifele, dass es Diderot ist und ich propter compendium ihn dazu metaschematisirt. Sie wissen dass diese unbekannte Figur eine meiner Lieblings Vortheile im Schreiben ist, besonders in demjenigen Stück, was ich Oeconomie des Plans nenne und in der Poesie die Fabel heißt.16
Die Fabel der Geschichte ist eine Umkehrung, der Plan etwas unterirdisch Wurzelndes: die versteckte Absicht, die als Konversionszumutung des metaschematisierenden Autor Hamann dem jeweils metaschematisierten Autor gegenüber zum Ruhme gereicht.17 Der Begriff ,Metaschematismus‘ ist in der Literatur intensiv bearbeitet worden. Nach Rudolf Unger18 ist die Figur des Metaschematismus für die ,innere Form‘ von Hamanns Autorschaft von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Sie hat ihre Wurzel zum einen in der Leidenschaftlichkeit ,des Sinnenmenschen Hamann nach Unmittelbarkeit und lebendiger Vergegenwärtigung‘, zum anderen aber auch in der kombinatorischen Phantasie des analogisierenden und kontrastierenden Ironikers. Der Metaschematismus ist ein Abbild der Sprachkunst der Heiligen Schrift und insbesondere eine Redefigur des Apostels Paulus, der den griechischen Begriff mit der eigentlichen Bedeutung ,Umbildung‘ im Sinne einer ,äußerlichen Verkleidung und inhaltlicher Umdeutung‘ gebraucht. Der Gedanke Ungers lässt sich weiterspinnen. Diese inhaltliche Umdeutung richtet sich vor allem auf den veränderten Bezug eines gegebenen Gedankengehaltes im Sinne einer Konkretion eines Allgemeinen beziehungsweise Objektiven ,auf die eigene Person des Sprechers‘, d. h. einen konkreten Vollzug. Der Metaschematismus des Apostels ist somit Ausdruck dessen, das Hamann in seinem Londoner Konversionserlebnis am eigenen Leibe erfahren hatte: das Konkretwerden eines vormals nur als allgemein, respektive objektiv Wahrgenommenen und dessen Inanspruchnahme der eigenen Person: „Ich erkannte meine eigenen Verbrech[en] in der Geschichte des jüdisch[en] Volks, ich laß mein[en] eig[enen] Lebenslauf, und dankte Gott für seine Langmuth mit diesem seinen Volk, weil nichts als ein solches Beyspiel mich zu einer gl.[eichen] 15 16 17 18
Vgl. N III (Hierophantische Briefe), 144, 9 und 8. ZH III, 215, 13–18. Vgl. N III (Zweifel und Einfälle) 187, 18–32. Unger, Hamann und die Aufklärung, 501f.
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Hoffnung berechtig[en] konnte.“19 Hamanns Konversionsprozeß, sein in London neu gewonnener Zugang zu den Dingen, ist in einem Metaschematismus biblisch präfiguriert. Der biblische Text wird zur Lebensschablone. Er bildet den Funktionsrahmen, den Horizont, beziehungsweise nach Unger das ,einheitliche Organisationsprinzip‘, das die Schriften Hamanns formal bestimmt. Die Bibel und einzelne Verse sind Hamann nach einem Begriff Jürgen Freses Formulare seiner Autorschaft.20 Ein Metaschematismus muß also vor allem eines bieten: die Möglichkeit der Einschreibung des Individuums anhand vorhandener Leerstellen in einem vorliegenden Textzusammenhang. Die Bedeutung biblischer Konzepte, Redeweisen und Denkfiguren für das konkrete Leben des Autors entspricht in metaschematischer Hinsicht dann dem, welches „in der Poesie die 19 BW 343. (vgl. N II (Gedanken) 40, 25–29). 20 Freses Theorie der Formulare ist zur Kennzeichnung der Hamannschen Intention insbesondere geeignet. Nach Frese kann „ […] das Formular […] beschrieben werden als bereits teilweise ausgefüllte, dadurch inhaltlich stark vorgeprägte Struktur mit bestimmten Leerstellen, in die individualisierende Charakteristika, Daten und Fakten eingetragen werden können. Ein Formular ist mehr als bloß strukturelle Festlegung möglicher Erfüllungen, aber weniger als inhaltliche Determination.“ (Jürgen Frese, Prozesse im Handlungsfeld, München 1985, S. 155) Für Hamann wird die biblische Geschichte in seinem Konversionserlebnis zu einem solchen gleichzeitig allgemeinen, bekannten und individuellen Formular der eigenen Lebensgeschichte. Dieses hat ein Bewusstsein der Anerkenntnis zur Folge, welches aus der Möglichkeit resultiert, das eigene Erleben in das betreffende Formular einzuschreiben: „Das Durchprüfen von Erinnerungselementen mit Formularen kann zu einem systematisierten Prozeß des Wiedererkennens entwickelt werden, und zwar so, dass das isolierte Element von Erleben beschreibbar wird als einsetzbar in das Formular.“ (Frese, aaO. 157). Das Erleben gewinnt so den Charakter von Vertrautheit. Ebendies geschieht bei dem sich in London anhand des biblischen Textes prüfenden Hamann: gerade der Vorwurf des Bruder- und Christusmordes trifft ihn anhand seines erinnerten bisherigen Lebenswandels. Das aufgezeichnete biblische Geschehen und das individuelle Erleben stehen nun nicht mehr unverbunden und letztlich unvermittelt nebeneinander (wie es bei einer Lesart des Textes als etwa moralisches Exempel der Fall wäre), sondern der Leser des Textes ist in diesen involviert und gleichsam selbst eingeschrieben: „Im Umgang mit dem Formular strukturiert und diszipliniert sich die Erfahrung geschichtlich so, dass zwischen allgemeiner Bestimmtheit und individueller Kontingenz eines Geschehens eine beide Seiten voll anerkennende und berücksichtigende Ebene sich stabilisiert:“ (Frese, aaO. 157). Auch die bedrückende Erkenntnis Hamanns seiner selbst im Formular als Brudermörder hat eine tröstliche Potenz als Offenbarung göttlichen ,Langmuths‘ und der ,Wohltat des Glaubens‘ (BW 344, 3). Besonders fruchtbar für die Erläuterung Hamannscher Gedanken ist dann die folgende These Freses: „Das fertig ausgefüllte, konsistente, sozial vertretbare, sinnvoll lesbare Formular bildet einen Text, in dem (grundsätzlich) Formular-Elemente und Ausfüllungen ununterscheidbar ineinander übergehen. Inhalt des Textes ist eine am Leitfaden des Formulars erzählte Geschichte.“ (Frese, aaO. 162). Das Formular ist bei Hamann die ,Fabel‘ der Geschichte, das unterirdisch Bestimmende. Es ist der geoffenbarten und offenbarenden Schrift entnommen, und dient dem Autor als Plan, dem gemäß er seine Lebensgeschichte beschreibt. Auch in diesem Sinne erweist sich Gott als Autor, und zwar als Autor der jeweiligen Individualgeschichte. Der Autor im Sinne Hamanns muß also, ebenso wie ein möglicher Leser, konjektural vorgehen, die Leerstellen mit dem Eigenen ergänzen, sich dem geoffenbarten Text einschreiben, beziehungsweise verschreiben.
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Fabel heißt“. Der Metaschematismus kann aber als formaler Kniff von seinem biblischen Ursprung gelöst werden, ohne aber diesen Ursprung ablegen zu können. Unger weist auf die metaschematisierende Funktion der Gestalt des Sokrates in den ,Sokratischen Denkwürdigkeiten‘ hin21, aber auch darauf, daß das Metaschematisieren, einmal als geeignete Methode ergriffen, auch zu einem verinnerlichten, unbewussten und habituellen Prozeß werden kann.22 Martin Seils hat diesen durch den Metaschematismus ausgedrückten Selbstbezug im Ausgang von Unger stärker herausgestellt: „Der Apostel gebraucht hier den griechischen Ausdruck im Sinne der verhüllenden Beziehung von der eigenen Person des Sprechers auf eine ursprünglich objektiv gedachte Ideenverbindung – und damit ist das ,Objektive‘ recht subjektiv und existenziell gemeint.“23 Der Metaschematismus drückt somit auch den Prozeß des Relevantwerdens eines ,objektiven‘ Formulars für die eigene Person des Sprechers aus. Er ist somit keine im schlechteren Sinne bloß rhetorische Figur, sondern beschreibt eine existenzielle Umgestaltung der Person des Sprechers: „Hamanns ,metaschematisierende‘ Stilform ist also aus seinem Streben nach einer Aussageweise entstanden, die die ,ästhetische‘ und ,philosophische‘ Gestalt des Werkes und Wortes oder seinen buchstäblichen Sinn nicht zum Selbstzweck macht, sondern Raum lässt für ein transparentes Durchscheinen existenzieller Bezüge auf das ,a c]cqaptai‘. Dem sprachlichen Metaschematisieren entspricht das gedankliche Diminuieren und umgekehrt.“24 Entsprechend dieser grundlegenden Bedeutung des Metaschematismus für Hamanns Autorschaft können weitere Texte Hamanns als Metaschematismen interpretiert werden. Nach Elfriede Büchsel ist der Metaschematismus eine auf Anwendung zielenden Figur des indirekten Sprechens, und so ist es nicht verwunderlich, daß diese Figur bei Hamann des Öfteren auftaucht.25 In ihrer Ausgabe von Hamanns Schriften zur Sprache identifiziert Elfriede Büchsel Hamanns Schrift ,Au Salomon de Prusse‘ als einen Metaschematismus im Sinne von 1. Kor 4,6 und 7 und diese Stelle als Grund für die Denkfigur, auf die sich Hamann beruft.26 Der Metaschematismus ist die exemplarische Übertragung des einen auf das andere und führt in diesem Fall durch das konkrete Beispiel des Zöllners Hamann selbst zu einer Vergegenwärtigung der mißlichen Lage eines Unger, Hamann und die Aufklärung, 502/503. Unger, Hamann und die Aufklärung, 506. Martin Seils, Theologische Aspekte zur gegenwärtigen Hamann-Deutung, Berlin 1957, 74. Seils, Theologische Aspekte, 75. An dieser Stelle scheint die Verbindung von Hamanns indirekter Mitteilung existenzieller Bezüge im Metaschematismus mit Kierkegaards Prinzip der ,indirekten Mitteilung‘ möglich (vgl. Bayer, Zeitgenosse, 189). 25 Vgl. Elfriede Büchsel, Biblisches Zeugnis und Sprachgestalt bei J.G. Hamann, 128. 26 Vgl. Johann Georg Hamann, Über den Ursprung der Sprache. Johann Georg Hamanns Hauptschriften erklärt. Band 4, erklärt von Elfriede Büchsel, Gütersloh 1963, 63f.
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Staatsbürgers unter dem aufgeklärten Regiment Friedrichs II. Dabei führt die metaschematisierende Vorgehensweise nicht zu einer Überhöhung des exemplarischen Individuums Hamann, sondern vielmehr zu einer Zurücknahme, einer Verkleinerung der Person gegenüber dem eigentlich wichtigen Vorgang der Herunterlassung und Anrede des Schöpfers an sein Geschöpf. Es ist dies das habituelle Zurücktreten des Philosophen vor seinen Sachen, welches nicht nur ein methodisches Werkzeug darstellt, sondern einen existenziellen Bezug ausdrückt. Das paulinische Zitat repräsentiert die Unterordnung unter die Sache, das heißt das biblische Wort. Das Exemplarische des Metaschematismus ist eigentlich ein Bescheidenheitstopos, denn dieses Eigentliche ist es, was der Metaschematismus hervorscheinen lassen soll. Der Metaschematismus dient so der Ideologiekritik am humanen Verständnis der Gottesebenbildlichkeit wie einer phänomenologischen Didaktik, die dem aufmerksamen Leser die Augen für die eigentlichen Vorgänge öffnen soll.27 Es ist natürlich kein Zufall, dass Hamann der Staatsmacht in Person des aufgeklärten Herrschers in der ,Maske‘ des Paulus gegenüber tritt.28 Paul Ernst erklärt die Redefigur des Metaschematismus bei Hamann durch Nutzung des ,Fingerzeigs‘ in Bengels ,Gnomon‘. In der Erklärung zu 1. Kor. 4,6 heißt es hier, dass Paulus die Korinther eher seine Meinung erraten ließe, als dass er es ,unverblümt hersage‘. Der Kniff der Paulinischen Redefigur liegt in ihrer Performanz: „Deßhalb schreibt er […] hauptsächlich in der ersten Person von sich und Apollo, zur Erinnerung für die Corinther, damit sie von den Gründen, warum Paulus und Apollo mäßiglich von sich hielten, auch ihrerseits sich möchten bewegen lassen […] nach solchem Muster von ihm selbst zu denken, wie er selbst von sich dachte.“29 Ernst spricht von einer Vorliebe Hamanns, dem Paulus gerade der Korintherbriefe gleich zu sein.30 Der Metaschematismus hat so in der Reinszenierung des apostolischen Sprechens appellativen Charakter, er ist eine Aufforderung zur Nachfolge. Selbst im scheinbar profanen Kontext findet diese Redefigur nun bei Hamann Anwendung: „In ,Gestalt eines Sendschreibens auf Ihrem Nachttisch‘, ,seiner Natur zuwider gemein gemacht‘, spricht Hamann Freundes-Vorwürfe jener Rigaer Wochen, sie in seinem Sinn völlig auf sich 27 „Das Bild einer angemaßten Gottgleichhheit wird so vom Kopf auf die Füße gestellt: Wer dem Messias, dem König der Juden gleichen will, wird sich herunterlassen müssen zu der Gestalt eines unglücklichen preußischen Untertanen, wird der Barmherzigkeit des himmlischen Vaters nachzueifern haben.“ (Elfriede Büchsel, Denkfiguren 410). 28 Vgl. die Erläuterungen zur ,Glose Philippique‘ von Christian und Ulrike Knudsen, in: Bernhard Gajek (Hrsg.), Johann Georg Hamann und Frankreich. Acta des dritten Internationalen Hamann-Colloquiums im Herder-Institut zu Marburg/ Lahn 1982, 134f. Vgl. auch Büchsel, Denkfiguren 409. 29 Paul Ernst, Hamann und Bengel. Ein Aufriß ihrer Werk- und Lebensbeziehungen als Abriß wesentlicher Hamann-Züge, Königsberg 1935, 83. 30 Ernst, Hamann und Bengel 84f. (Anmerkung 64).
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nehmend, wie aus eigenem Munde, möchte, dass die Freundin solche ,Beschuldigungen ungenannte Gegner‘, mit seinen Augen sieht, dass sie sich in die ,Nachfolge‘ gerufen fühlt.“31 Das Bedrohliche wird so dem Sprecher zum Besten gewendet – ganz entsprechend der Umwendung der Schwäche bei Paulus selbst. Der Nachfolger Paulus’ kehrt die Waffen seiner Gegner gegen sie selbst und inszeniert seine Texte somit zu einer paulinischen Predigt. Der leidenschaftliche Appell ist ein Ruf zur Nachfolge. Gerade gegenüber den Matadoren der Aufklärung ist Hamann der Metaschematismus ein willkommenes und probates Stilmittel. Hamann reinszeniert den Auftritt Paulus vor den Philosophen in Athen. So nimmt Hamann „den berühmten oder berüchtigten Diderot an, dem natürlich der Vater verehrenswürdig ist, so dass, ähnlich wie Pauli geistliche Söhne seine Anschauung übernehmen sollten, durch Nachahmung des väterlichen Denkens über die Streitsache die Sinnesänderung des Sohnes geschähe.“32 Es geht Hamann darum, seine Frontstellung klarzumachen und gleichzeitig Unbegriffenes bei seinen Gegnern so sinnfällig darzustellen, dass eine Umkehrung bei seinen Lesern bewirkt wird. Wenn man bedenkt, daß Hamann als seinen ersten Leser immer den von ihm behandelten Autor selbst vor Augen hatte, bedeutet die metaschematisierende Vorgehensweise in formaler Performanz eine inhaltliche Aufforderung zur Umkehr. Hamanns Texte sind dem Leser so konkrete Aufforderungen zur Aktivität.33 Für Hamanns Kantschriften hat Oswald Bayer auf den letzten Satz der Metakritik, der ,die ganze Metakritik in nuce darstellt‘34 als einen paulinischen Metaschematismus nachdrücklich hingewiesen. Der Metaschematismus wird so zur Hauptwaffe der Metakritik. Der Schlusssatz der Metakritik benutzt das Formular von 1.Kor. 4,6 für eine zusammenfassende Aussage über Hamanns Intention bei der Verfassung der Metakritik: „Solches habe ich gedeutet auf mich und Apollos um euretwillen dass ihr lernet an uns“ und bei Hamann: „Was die Transcendentalphilosophie matagrabolisiert habe ich gedeutet auf das Sakrament der Sprache […] um der schwachen Leser willen und überlasse es einem jeden […] zu entfalten die geballte Faust.“35 Das ,gedeutet‘ an dieser Stelle ist für Paulus wie auch in seiner Nachfolge für Hamann das leteswgl\tisa, das heißt ein Zeigen (Weisen), welches gleichzeitig eine Aufforderung darstellt. Hamann wappnet sich formal mit Paulus und stellt so die Umkehrung der Kantischen Kritik hin zum Sprachdenken auch formal dar. Dabei geht es ihm um eine Konkretisierung der allgemeinen Leerformeln der Kantischen Kritik, die er zuvor ,matagrabolisiert‘, das heißt ihre Leere schrei31 32 33 34 35
Ernst, Hamann und Bengel 84. Ernst, Hamann und Bengel 86. Vgl. Büchsel, Biblisches Zeugnis, 221. Bayer, Vernunft ist Sprache, 416. Bayer, Vernunft ist Sprache, 415.
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bend ausgelootet hat. Hamann nimmt so eine bedeutende Neuwertung des Status philosophischer Begriffe vor. Mit seinem ,Matagrabolisieren‘ hat Hamann die allgemeinen kritisch- philosophischen Begriffe als Leerformeln begriffen. Diese Leere gibt erst die Möglichkeit, die Begriffe durch die Person des Philosophierenden zu konkretisieren: er ,bekleidet‘ sich mit ihnen; und zwar jeweils, wie es Hamann dem Leser überlässt, das als leer von ihm Gekennzeichnete selbst konkret zu erfüllen. Das griechische sw/la gibt hier, als ,Kleidung‘ beziehungsweise ,Tracht‘ übersetzt, die Metaphorik vor. Entscheidend ist also nicht der Gehalt philosophischer Begrifflichkeit, sondern der Vollzug ihrer Konkretion, der sich als von der Sache geleitet ergibt. Eine entsprechende Auffassung vom Status philosophischer Begriffe lässt sich auch bei Martin Heidegger nachweisen. Die Umkehrung ist also nicht nur eine strukturelle Gleichsetzung, in dem Sinne, dass hier Kritik in Sprachphilosophie übersetzt werde, sondern bedeutet in der paulinischen Tradition eine Umkehr im Sinne der Metanoia, der paulinischen Konversion für den konkret metaschematisierten Gegner.36 Die Metakritik des Metacriticus bonae spei äußert sich im Metaschematismus, so wie die Kritik der kritischen Vernunft sich im (transzendentalen) Schema äußert. Das Kantische Gedritt von Kritik, Schema und Vernunft wird von Hamann mit einer Metakritik durch den Metaschematismus zu einer Metanoia hin übersteigert. Dies entspricht dem Wechsel von der Hypokrisis zum hypocrite revers8: „Der ,Hypokrit‘ bzw. die ,Hypokrisie‘ ist für Hamann, über sein ganzes Werk an vielen Stellen ausweisbar, die Manifestation eigenmächtiger und darin verblendeter Kritik, die über ihre Kriterien selbst keine Rechenschaft zu geben imstande ist und das eigene zum Gesetz erhobene Vorurteil zum einzigen und letzten Vehikel der Wahrheit macht.“37 Von dieser Einstellung ist eine Umkehr von Nöten. Der paulinische Metaschematismus wird Hamann in London ebenso zu einer Lebensschablone wie auch zu einem Prinzip seiner Autorschaft. Er bezeichnet den rückhaltlosen Einsatz der eigenen Person als Exempel, um den Leser die Hamann wichtigen Zusammenhänge sehen zu lassen und dessen eigene Aktivität vorzubereiten.38 36 „Hamann will seinen Adressaten überführen, ihn ändern, ihn zur metanoia, zur Umkehr, bringen, indem er sich des Mittels bedient, das dem Adressaten Bekannte, dessen eigenes Wort, so zu verfremden, dass dieses kritisch gegen den Autor zurückschlägt und er seinem eigenen Wort nicht entrinnen kann.“ (Bayer, Zeitgenosse 145). 37 Bayer/Knudsen, Kreuz und Kritik 121. 38 „Der Metakritiker wahrt durch Destruktion und Reinigung menschlicher Vorurteile, Gesetzlichkeit und Enthusiasmus den Raum für eine neue und gute Hoffnung.“ (Bayer/Knudsen Kreuz und Kritik 144) Eben dieses Vorgehen des Metakritikers, der Destruktion und dem Offenhalten einer Leerstelle, entspricht dem sachgebundenen Vorgehen des Phänomenologen bei Martin Heidegger. „Die Autorschaft Hamanns ist der Versuch, dies anzuerkennen,
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II.
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Die Bibel als Bezugstext ist in Heideggers Schriften und Vorlesungen an vielen Stellen präsent, sein Verhältnis zur Religion beziehungsweise zur Theologie ist jedoch im Wortsinne gespannt. Auf der einen Seite bekennt er sich emphatisch als christlicher Theologe, auf der anderen Seite hingegen fordert er rigoros methodischen Atheismus. Einerseits gilt die bekenntnishafte Selbsteinschätzung: […] ich lebe die inneren Verpflichtungen meiner Faktizität und so radikal wie ich sie verstehe. – Zu dieser meiner Faktizität gehört, – was ich kurz nenne – , daß ich ,christlicher Theologe‘ bin. Darin liegt bestimmte radikale Selbstbekümmerung, bestimmte radikale Wissenschaftlichkeit – in der Faktizität strenge Gegenständlichkeit; darin liegt das ,geistesgeschichtliche‘ historische Bewußtsein – und ich bin das im Lebenszusammenhang der Universität.39
Andererseits heißt es apodiktisch: „Philosophische Forschung ist und bleibt Atheismus […]“40. Die Spannung zwischen diesen beiden Polen, das Ausleben des christlichen Theologen im Atheismus des Forschens, verhindert eine Festlegung. Dadurch sprengt die Spannung nicht, sondern ist produktiv.41 Aus ihrer Produktivität ergibt sich das Heideggersche Philosophieren. Im phänomenologischen Reich Husserls sollte dessen Assistent Heidegger für das Gebiet der Religion zuständig sein.42 Hierfür schien der ehemalige Student der Theologie auch eigener Einschätzung nach besonders qualifiziert, denn für das phänomenologische Verstehen ist, so Heidegger, ein spezifischer Ansatz nötig. „Ein solcher Ansatz ist nicht für jeden Betrachter für jedes Phänomen möglich, er muß von einer Vertrautheit mit dem Phänomen getragen werden.“43
39
40 41 42 43
der Autorschaft Gottes Raum zu lassen und sie nicht als ,Dictator‘ ,der reinen Lehre der Vernunft‘ zu verstellen.“ (aaO., 149). Der Metakritiker macht sich zur formalen Anzeige Gottes. Ersetzt man hier die Autorschaft Gottes durch die Stimme der Stille bzw. die ,Sage des Seyns‘, so trifft dies die Intention Heideggers ziemlich präzise. So Heidegger in seinem Brief an Karl Löwith vom 19. 8. 1921 (Drei Briefe Martin Heideggers an Karl Löwith, herausgegeben von Hartmut Tietjen, in: Zur philosophischen Aktualität Heideggers. Band 2: Im Gespräch der Zeit, herausgegeben von Dietrich Papenfuß und Otto Pöggeler, Frankfurt 1990, 29). Martin Heidegger, Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffes, herausgegeben von Petra Jaeger, Frankfurt 1994, 109f. Vgl. im Falle Hamanns Bayer/Knudsen, Kreuz und Kritik, 129. Vgl. Hugo Ott, Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie, Frankfurt /New York 1992, 107. Martin Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, darin: 1. Einleitung in die Phänomenologie der Religion, hrsg. von Matthias Jung und Thomas Regehly, 2. Augustinus und der Neuplatonismus, hrsg. von Claudius Strube, 3. Die philosophischen Grundlagen der
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Das phänomenologische Getragensein durch diese Vertrautheit gewann aber nicht nur für die Religionsphänomenologie, sondern für das Heideggersche Philosophieren überhaupt Bedeutung. Ohne den in der konkreten phänomenologischen Auseinandersetzung mit der Religion des Urchristentums gewonnenen Ansatz können die späteren Texte nicht adäquat verstanden werden. Die Vorlesung ,Einleitung in die Phänomenologie der Religion‘ vom Wintersemester 1920/21 ist deshalb ein Schlüsseltext im Heideggerschen Oeuvre. Die Beeinflussung Heideggers durch religiöse Konzepte ist radikal. Angesichts dieses Grundbefundes gewinnen Heideggers Zitationen der Bibel neue Relevanz. Heidegger pflegt in seinen Schriften und Vorlesungen eine bewusste und nachdrückliche Verwendung von Biblizismen. In der Vorlesung des ,Kriegsnotsemesters‘ 1919 warnt ein Zitat von Genesis 2, 9 vor den Anfechtungen eingefahrener Denkgewohnheiten. Mit Hilfe dieses Zitats wird in metaschematischer Weise die Phänomenologie des Lebens gegen die neukantianische Erkenntnistheorie ausgespielt: Es war ein unruhevoller Gang von einer Mannigfaltigkeit von Problemen zur anderen, bis es zuletzt immer leerer wurde und alles auf die öde Frage nach einem Sachzusammenhang und seinem Erkennen überhaupt zusammen schrumpfte. Wir sind in die Kümmerlichkeit der Wüste gegangen und harren darauf, statt ewig Sachen zu erkennen, zuschauend zu verstehen und verstehend zu schauen. ,Und Gott der Herr ließ aufwachsen den Baum des Lebens mitten im Garten – und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.‘44
Eine entsprechende Stelle findet sich bei Johann Georg Hamann in einem Brief vom 14. 11. 1784 an Friedrich Heinrich Jacobi: „Durch den Baum der Erkenntnis wird uns der Baum des Lebens entzogen.“45 Die Wüste bezeichnet das Außerhalb allgemeinen philosophischen Umgangs mit den Sachen, welcher durch die falsche Wahl des Erkenntnisbaumes vor dem Lebensbaum gekennzeichnet ist. Für das Philosophieren ist dieser Baum der Baum des Todes. Derjenige, der in die Wüste gegangen ist, erfährt, dass nicht Erkennen, sondern vielmehr schauendes Verstehen, sprich das Projekt einer phänomenologischen Hermeneutik, von der Sache der Philosophie gefordert ist. mittelalterlichen Mystik, hrsg. von Claudius Strube, Frankfurt 1995, 82. Im Folgenden wird vor allem die ,Einleitung‘ zitiert. 44 Martin Heidegger, Die Idee der Philosophie und das Weltanschauungsproblem, in: ders., Zur Bestimmung der Philosophie, 65. 45 ZH V, 265, 3f. In den ,Biblischen Betrachtungen‘ beschreibt Hamann das Verhältnis von Wüste und Wissenschaft wie folgt: „Die Aussicht einer dürren Wüste, worinn ich mich von Wasser und Ähren verlassen sehe, ist mir jetzt näher als jemals. Die Wissenschaften und jene Freunde meiner Vernunft scheinen gleich Hiobs mehr meine Gedult auf die Probe zu stellen an statt mich zu trösten und die Wunden meiner Erfahrung blutend zu machen, als ihren Schmerz zu lindern.“ (BW 65). Zu Hamanns Baummetaphorik in Bezug auf die neuzeitliche Metaphysik vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache 343.
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Am wichtigsten ist Heidegger der appellative und performative Charakter biblischer Aussagen, etwa das ,Wer es fassen kann, der fasse es‘, mit dem er seine Ausführungen zur eigentlich forschenden Existenz in der Vorlesung von ,Kriegsnotsemester‘ 1919 versieht.46 Metaschematisch ist hier gesagt: das, was hernach folgt zu verstehen, dazu gehört Überwindung, ein bestimmtes Können, welches angesichts der erkenntnistheoretischen Durchseuchtheit der Zeit jedoch nicht jedermann einfach zugetraut und zugemutet werden darf. Heideggers biblisches Lieblingszitat und oftmals zitiertes Motto ist jedoch ,Wer Ohren hat zu hören, der höre‘ und entsprechende Abwandlungen. Dieser Satz verkündet eine philosophische beziehungsweise phänomenologische Grundeinstellung. Sie predigt das Verhalten, welches der Philosophierende seiner Sache, welche in den Grundtexten der abendländischen Metaphysik zu finden ist, gegenüber einzunehmen hat: Nach d}malir und 1m]qceia fragen, wie es in unserer Abhandlung geschehen soll, ist eigentliches Philosophieren. Wenn wir selbst somit Augen haben zu sehen und Ohren zu hören, wenn wir rechten Sinnes und wahrhaften Willens sind, dann erfahren wir durch die Auslegung der Abhandlung, falls sie uns gelingt, was Philosophieren ist. Wir machen eine Erfahrung mit dem Philosophieren und werden selbst darin vielleicht erfahrener.47
Sehen und Auge, insbesondere aber Hören und Ohr bezeichnen die phänomenologische Grundeinstellung nach Heidegger. Während Husserl die Phänomenologie auf das Sehen festlegt, spitzt Heidegger sie mit den Jahren immer nachdrücklicher auf das Hören zu. Das Dasein ist zunächst ganz Ohr dem Ruf des Gewissens, und dann der Stimme der Stille, dem Seyn nämlich. In einem solchen Hören kommt man phänomenologisch dem Grundgeschehen insbesondere der Neuzeit auf die Schliche. In seiner Parmenides-Vorlesung vom Wintersemester 1942/43 sagt Heidegger : Wer Ohren hat zu hören, d. h. die metaphysischen Gründe und Abgründe der Geschichte zu sehen und als metaphysische ernst zu nehmen, der konnte schon vor zwei Jahrzehnten das Wort Lenins hören: Der Bolschewismus ist Sowjetmacht + Elektrifizierung. Das will sagen: Der Bolschewismus ist der ,organische‘, d. h. der organisierte rechnerische (und als +) Zusammenschluß der unbedingten Macht der Partei mit der vollständigen Technisierung. Die bürgerliche Welt hat nicht gesehen und will es zum Teil heute noch nicht sehen, dass im ,Leninismus‘, wie Stalin die Metaphysik nennt, sich ein metaphysischer Vorsprung vollzogen hat, aus dem in gewisser Weise erst die metaphysische Leidenschaft des jetzigen Russentums für die Technik verständlich wird, aus der es die technische Welt zur Macht bringt.48 46 Martin Heidegger, Idee der Philosophie 5. 47 Martin Heidegger, Aristoteles, Metaphysik H 1–3. Von Wesen und Wirklichkeit der Kraft, herausgegeben von Heinrich Hüni, Frankfurt 1981, 10. 48 Martin Heidegger, Parmenides, herausgegeben von Manfred S. Frings, Frankfurt 1982, 127.
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Zu der appellativen, verhaltensanweisenden Implikation gesellt sich hier auch so etwas wie der Gestus eines Predigers in der Wüste49, der eben nicht gehört wird und so andere nicht zum angemessenen Hören inspirieren konnte. Die Biblizismen sind nicht zufällig oder willkürlich gewählt, sondern haben eine bestimmte methodische Aufgabe. Mehr noch, Heideggers phänomenologische Methode selbst ist in nicht geringem Anteil von insbesondere urchristlichen Denkweisen geprägt. Um diesen Zusammenhang nachzuweisen, muß ein Blick auf die Vorlesung Heideggers geworfen werden, in der diese Methode entwickelt wurde.
1.
Die formale Anzeige als phänomenologische Rüstung
Das produktive Amalgam von Religiösem und Philosophischem bildet den Hintergrund von Heideggers grundsätzlicher Methode des Philosophierens: Es ist dies die Methode der formalen Anzeige.50 Die ,Theorie der phänomenologischen Methode‘ ist Gegenstand einer ausführlichen Erörterung in seiner Vorlesung ,Einleitung in die Phänomenologie der Religion‘. Die formale Anzeige wird wie folgt eingeführt: Den methodischen Gebrauch eines Sinnes, der leitend wird für die phänomenologische Explikation, nennen wir die ,formale Anzeige‘. Was der formal anzeigende Sinn in sich trägt, daraufhin werden die Phänomene angesehen.51
Die formale Anzeige ist terminologisch eng verbunden mit dem ,Sinn‘, das heißt der Art und Weise, wie und woraufhin die Phänomene angesehen werden. Wichtig ist hierbei: der Sinn wird erst leitend, ist also keinesfalls als gebrauchsfertiges Werkzeug der Explikation vorhanden. Weder eine apriori fest49 Vgl. Hamann in einem Brief an den Baron Joseph von Witten vom 17. Oktober 1758 über die im biblischen Rahmen stehende Anwendung einer Geschichte auf sich selbst: „Um nichts umsonst zu hören und zu sehen, suche ich aus jeder Sache, die mir vorkommt, was zu lernen und einen Nutzen für mich daraus zu ziehen. Nachdem ich mich also lange genug gefragt hatte, wie ich diese kleine Fabel auf mich selbst anwenden möchte, gab ich mir endlich folgende Antwort: Du würdest nicht klüger als diese Bärin handeln, wenn Du die Rauhigkeit und Unförmigkeit deines Naturells zu verwandeln dich bemühen wolltest. Es würde mir niemals gelingen den mürrischen Ernst meiner Vernunft in den gaukelnden Witz eines Stutzers umzugießen. Laß diejenigen, die zu den Höfen großer Herren geboren sind, weiche und seidene Kleider tragen; derjenige, welcher zu einem Prediger in der Wüste berufen ist, muß sich in Kameelshaaren kleiden und von Heuschrecken und wildem Honig leben.“ (ZH 1, 266, 31–267, 7). Ein ,Prediger in der Wüsten‘ tritt später als Autor von ,Golgatha und Scheblimini‘ auf. 50 Für eine ausführliche Diskussion des Begriffes der formalen Anzeige bei Heidegger vgl. Knut Martin Stünkel, Formal anzeigendes Philosophieren. Heideggers Denken 1916–1976, Bielefeld (Diss.) 2002. 51 Heidegger, Einleitung, 55.
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gesetzte Methode noch ein apriori abgegrenzter Untersuchungsbereich darf der phänomenologischen Explikation vorgegeben sein. Von diesen verlockenden wissenschaftlichen Erwartungen muß sich die Phänomenologie trennen. Zur Erläuterung seines Konzeptes wählt Heidegger einen für sein Selbstverständnis wichtigen und methodisch aufschlußreichen Weg. Er ,bekleidet‘ sich mit dem ursprünglichen Impetus der Phänomenologie und wendet diese Rüstung gegen seinen philosophischen Lehrer an. Die formale Anzeige wird als Weiterbildung der Unterscheidung Husserls von ,Generalisierung‘ und ,Formalisierung‘ dargestellt. Das bedeutet im metaschematischen Sinne: mit der formalen Anzeige beansprucht Heidegger gleichzeitig das Erbe der Phänomenologie wie auch ihre entscheidende Weiterbildung, die sie überhaupt erst zu einer ,echten‘, ursprünglicheren Phänomenologie werden lässt, in der Rüstung seines Meisters für sich. Die Übernahme und Transformation gegenüber der Lehrergestalt findet nicht zufällig im Felde der Religion statt. Husserls Unterscheidung bezieht sich auf zwei Weisen der Verallgemeinerung. Die Generalisierung bedeutet eine ,gattungsmäßige Verallgemeinerung‘, ist gebunden ,an ein bestimmtes Sachgebiet‘. Demgegenüber ist die Formalisierung ,sachhaltig frei‘ also nicht aus dem Sachgebiet, sondern aus dem ,Sinn des Einstellungsbezugs selbst‘ motiviert: etwa, daß etwas überhaupt als ,Gegenstand‘ erfaßt wird, das heißt wie der ,Bezugssinn‘ zu ihm ist.52 Den Ursprung des Formalen im Bezugssinn ausgemacht zu haben, ist zwar ein anerkennenswertes Verdienst Husserls, doch zur echten phänomenologischen Methode der formalen Anzeige kann dieser nach Heidegger aber deshalb nicht vorstoßen, da er sich mit der ,Allgemeinheit‘ von Generalisierung und Formalisierung schon im ,einstellungsmäßig Theoretischen‘ bewegt.53 Die wichtigste Weiterentwicklung der phänomenologischen Methode durch den Begriff der formalen Anzeige ist die Abwehr dieser Einstellung. Heidegger trägt den Panzer ,echter‘ Phänomenologie gegen die bloß theoretische Phänomenologie seines Lehrers, denn er geht von der Feststellung aus, „[…] daß Philosophie nicht theoretische Wissenschaft ist […]“.54 Während der Phänomenologe sich philosophisch einkleidet, verharrt der Philosoph in schamloser Nacktheit, jedenfalls nach Hamanns Beschreibung des ,philosophischen Genies‘ in der ersten Fassung des ,fliegenden Briefes‘: „Das philosophische Genie äussert seine Macht dadurch, dass es, vermittelst der Abstraktion, das Gegenwärtige abwesend zu machen sich bemüht; 52 Heidegger, Einleitung, 58f. 53 Vgl. Hamann: „Daß Moses von der Natur nach aristotelisch[en], cartesisch[en], oder newtonisch[en] Begriffen hatte sich erklären sollen, würde eben so eine lächerliche Forderung sein, als dass Gott sich in der allgemein[en] philosophisch[en] Sprache hätte offenbaren soll[en], die der Stein der weisen in so manch[en] gelehrten Köpfen gewesen.“ (BW 70). 54 Heidegger, Einleitung 62.
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wirkliche Gegenstände zu nackten Begriffen und bloß denkbaren Merkmalen, zu reinen Erscheinungen und Phänomenen entkleidet.“55 Ein ,Phänomen‘ stellt nach Heidegger eine Sinnganzheit nach den drei Richtungen des Gehalts, des Bezugs und des Vollzugs dar. Der Sinn des Phänomens umfasst den Gehaltssinn (das zumeist als Gegenständliches gefaßte Was des Phänomens), den Bezugssinn (dem Wie des ,Habens‘ des Gegenstandes) und den Vollzugssinn (der Weise, in der der Bezug auf das Was des Gegenstandes stattfindet).56 Das Gedritt des Sinnes wird per formale Anzeige methodisch in Anschlag gebracht. Der theoretische Zugriff auf das Phänomen ist demgegenüber einseitig konzentriert auf dessen Gehaltssinn, so daß das Was des Phänomens als Objekt der Betrachtung gefasst wird. Dabei wird der Vollzugssinn dieser Bezugnahme vernachlässigt und das Phänomen aus seinem lebendigen Erfahrungszusammenhang herausgerissen. Der Phänomenologe muß demgegenüber in den Prozeß des Phänomens ,einsteigen‘, also sich mit seiner Uniform bekleiden, ohne sich dabei gehaltlich festzulegen.57 Dies leistet die formale Anzeige. Es bedarf einer nachhaltigen Vorbeugung gegen das philosophiehistorisch liebgewonnene Vorurteil von der Philosophie als theoretischer Wissenschaft. Formal anzeigendes Philosophieren ist keine Theorie, sondern ein Lebensvollzug58 – ebenso wie bei Hamann die Geschichte Israels als Metaschematismus, wie er in den ,Gedanken über meinen Lebenslauf‘ berichtet, zur Lebensweise geworden ist.59 An dieser Stelle ist die Übereinstimmung beider Konzepte festzustellen. Elemente einer formalen Anzeige sind Abwehr eines Vorgehens und Anweisung zu einem anderen; sie sind also Rüstung und Schlachtruf des Philosophierens.60 Wie der Metaschematismus ist die formale Anzeige als Rüstung eine 55 N III (Ein fliegender Brief. Erste Fassung), 382, 30 bis 384, 4. 56 Vgl. Heidegger, Einleitung 62. 57 Der Begriff der Uniform passt hierbei sehr wohl zu Heideggers Erläuterung: „…also Erlebnisse nicht gleichsam vor dem Blick paradieren, vorbei-marschieren lassen, womöglich noch als psychische Vorgänge, sondern selbst mitgehen, so ,gehen‘, wie es der zunächst verständliche Sinn […] selbst vorschreibt. Weder nur vorbeiziehen lassen noch auch lediglich hinterhersehen, reflektieren, zu deutsch: das Nachsehen haben, auch nicht drüber hinsehen – Mitgehen! Gehen ist mehr als Bewegen, Ortverändern; konkrete Veranschaulichung […]: in der Kompanie-Kolonne mitmarschieren in verschiedenen Situationen und eine Kompanie vorbeimarschieren sehen …“ (Martin Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie, herausgegeben von Hans-Helmuth Gander, Frankfurt 1992, 123/124). 58 Heidegger, Einleitung, 112. 59 Vgl. auch die Aufforderung zur Nachfolge Pauli bei Hamann: „Eine strategische Figur paulinischer Briefe liegt zugrunde: die vom Leser selbstständig zu ergreifende Aufforderung zur Nachfolge des Apostels, der seine Lebensweise in ihrem Gegensatz zu der seiner Kontrahenten darstellt.“ (Büchsel, Paulinische Denkfiguren 407f.). 60 Vgl. Martin Heidegger, Phänomenologische Interpretation zu Aristoteles. Einführung in die philosophische Forschung, herausgegeben von Walter Bröker und Käte Bröker-Oltmanns, Frankfurt 1985, 141. Siehe auch Stünkel, Formal anzeigendes Philosophieren, 76.
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in besonderer Weise passive, hinhörende Wappnung. Die vormalige Betrachtungsweise wird nicht verworfen, sondern bleibt als warnendes Exempel angezeigt. Der theoretische Bezug des Formalen geht also nicht verloren, vielmehr erscheint er in der phänomenologischen Explikation in gewandelter Form erneut.61 Er gewinnt eine neue Leichtigkeit: Das Formale ist etwas Bezugsmäßiges. Die Anzeige soll vorweg den Bezug des Phänomens anzeigen – in einem negativen Sinne allerdings, gleichsam zur Warnung! Ein Phänomen muß so vorgegeben sein, daß sein Bezugssinn in der Schwebe gehalten wird. Man muß sich davor hüten, anzunehmen, sein Bezugssinn sei ursprünglich der theoretische. Der Bezug und Vollzug des Phänomens wird nicht im Voraus bestimmt, er wird in der Schwebe gehalten. Daß [sic!] ist eine Stellungnahme, die der Wissenschaft auf das Äußerste entgegengesetzt ist. Es gibt keine Einfügung in ein Sachgebiet, sondern im Gegenteil: die formale Anzeige ist eine Abwehr, eine vorhergehende Sicherung, so daß der Vollzugscharakter noch frei bleibt.62
Die formale Anzeige ist das Paradox einer Sicherung vor der Sicherung durch die theoretische Einstellung: eine Meta-Sicherung der Wappnung vor einer hochgerüsteten Begrifflichkeit. Das Phänomen soll in seinem Vollzugssinn frei bleiben und nicht an den Boden eines Sachgebietes gekettet sein, denn sein Sinn soll in der phänomenologischen Explikation erst ,leitend werden‘. Die formale Anzeige bedeutet die Zumutung, in der Philosophie neu anzusetzen, und zwar in der Bewahrung der vormaligen theoretischen Einstellung, die jetzt aber in der ,Schwebe‘ gehalten wird. Der Philosoph als Phänomenologe befindet sich in einer neuen Situation, denn er muß Maßnahmen zur eigenen Verunsicherung treffen, um dem Phänomen gerecht zu werden. Diese Unsicherheit hat ,notwendigerweise‘ der Phänomenologe mit dem christlichen Leben gemeinsam. Für das christliche Leben gibt es keine Sicherheit; die ständige Unsicherheit ist auch das Charakteristische für die Grundbedeutendheiten des faktischen Lebens. Das Unsichere ist nicht zufällig, sondern notwendig. Diese Notwendigkeit ist keine logische oder naturnotwendige. Um hier klar zu sehen, muß man sich auf das eigene Leben und seinen Vollzug besinnen.63
Diese Erkenntnisse sind natürlich nicht ins Allgemeine gesprochen, sondern müssen auf den konkreten Philosophierenden und dessen phänomenologischen 61 Vgl. hier das metakritische Verfahren Hamanns: „Mit ihm wird etwas auf ,arge‘ Weise ,gut‘ gemacht. Traditionen werden nicht bestritten, vernichtet oder ausgestrichen; sie werden durchdrungen, gebrochen und verwandelt – und mit ihnen Leser und Autor.“ (Bayer/ Knudsen, Kreuz und Kritik 31). 62 Heidegger, Einleitung 63f. Bei Hamann gilt entsprechend: „Das Geschriebene und Gelesene rückt in einen neuen Horizont und bringt auf diese Weise den Leser aus seiner festen Position heraus in Bewegung.“ (Bayer /Knudsen, Kreuz und Kritik 31). 63 Heidegger, Einleitung 105.
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Ansatz, also auf Martin Heidegger selbst, Anwendung finden. Heidegger leistet eine solche Rekonkretisierung64, treu dem Motto Hamanns: „Ich weiß dem allgemeinen Geschwätze und schön aus der Ferne her, in die Welt hinein, zielenden Zeigefinger eines politischen Mitlauters nichts bessers als die genaueste Localität, Individualität und Personalität entgegen zu setzen…“65 Heidegger erzählt eine konkrete Bekehrungsgeschichte, in dem er das Phänomen des religiösen Erlebens untersucht, und zwar mit Mitteln, die eine solche Bekehrung einfordern. Diese Wendung macht Heideggers Vorlesung zu einem konkreten Metaschematismus gegenüber einer durch die Ansprüche einer wissenschaftlichen Philosophie sozialisierten Zuhörerschaft. Die folgende, wiederum nicht zufällig an Paulus Beispiel erzählte Bekehrungsgeschichte, ist somit ein klassischer Metaschematismus in Hamanns Sinne.
2.
Paulinische Bekehrungen
Heideggers konkrete Interpretationen biblischer Texte haben eine ganz bestimmte Aufgabe. Mit ihnen soll eine ,Anleitung zum phänomenologischen Verstehen‘ gegeben werden, indem ein ,ursprünglicher Weg des Zugangs‘ zum Phänomen, der urchristlichen Lebenserfahrung, gewonnen wird.66 Der Galaterbrief bietet ,einen historischen Bericht von Paulus selbst über die Geschichte seiner Bekehrung‘.67 Es gilt, die religiöse Grunderfahrung herauszustellen und als Phänomenologe in ihr ,verbleibend‘68, den Zusammenhang aller ursprünglichen Phänomene nach Vollzugs-, Gehalts-, und Bezugssinn zu verstehen. Heidegger legt besonderes Gewicht auf Galater 1,10 (,Predige ich denn jetzt Menschen oder Gott zuliebe? Oder suche ich Menschen gefällig zu sein? Wenn ich noch Menschen gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht.‘), denn diese Stelle besagt: „Voller Bruch mit der früheren Vergangenheit, mit jeder nichtchristlichen Auffassung des Lebens.“69 Ergänzt wird dies mit Philipper 3,13 (,Meine Brüder, ich schätze mich selbst noch nicht so ein, dass ich’s ergriffen habe. Eins aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist‘) und dem Kommentar :
64 Vgl. Thomas Studer, Rekonkretisierung als Schreibmotiv bei Hamann, in: Gajek (Hrsg.), Autor und Autorschaft 143–157. 65 N III (Fliegendes Blatt. Erste Fassung) 352, 23–26. 66 Heidegger, Einleitung 67. 67 Heidegger, Einleitung 68. 68 Heidegger, Einleitung 73. 69 Heidegger, Einleitung 69.
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Selbstgewißheit der Stellung in seinem eigenen Leben – Bruch in seiner Existenz – Ursprüngliches historisches Verständnis seines Selbst und seines Daseins. Von hier aus vollzieht sich seine Leistung als Apostel und als Mensch.70
Die Gebrochenheit der Existenz macht den Hauptzug der urchristlichen Lebenserfahrung aus: das Leben des Christen gliedert sich in ein Vorher und ein Nachher. Das Frühere ist als Verworfenes Teil dieser Lebenserfahrung. Der Bruch hat eine Erneuerung zur Folge. Von diesem Ursprünglichen her vollzieht sich all sein weiteres Leben, und zwar als Neu-gewordener. Dies ist dasjenige, welches auch der Phänomenologe in seinem Unternehmen zu erreichen sucht. In den Analysen der Thessalonikerbriefe wird der Vollzug dieser gebrochenen Lebenserfahrung näher charakterisiert. Paulus und die Thessaloniker haben dieselbe Grunderfahrung gemacht. Dies bedeutet: In der Ausdeutung des Christgewordenseins der Thessaloniker erfährt Paulus sich selbst als Christgewordener mit. Er erfährt ihr Gewordensein und ihr und sein Wissen von diesem Gewordensein.71 Dieses Wissen ist von ihrem Dasein nicht trennbar. Durch ihr Wissen haben die frühen Christen einen Bezug auf sich selbst. Heidegger kennzeichnet entsprechend das ,Verderben‘ der Christen darin, daß sie das eigene Selbst vergessen haben.72 Dieser Abfall verhindert, daß sich der Mensch ständig bereithält und in diesem Bereithalten verharrt.73 Der philosophische Abfall läßt Begrifflichkeit unbedacht übernehmen. Die phänomenologische Explikation jedoch muß den Bezug bewahren: Das Wissen über das eigene Gewordensein stellt der Explikation eine ganz besondere Aufgabe. Hieraus wird sich der Sinn einer Faktizität bestimmen, die von einem bestimmten Wissen begleitet ist. Wir reißen die Faktizität und das Wissen auseinander, aber sie ist ganz ursprünglich miterfahren. Gerade an diesem Problem läßt sich das Versagen der ,wissenschaftlichen Erlebnispsychologie‘ zeigen. Das Gewordensein ist nun nicht ein beliebiges Vorkommnis im Leben, sondern es wird ständig miterfahren, und zwar so, daß ihr jetziges Sein ihr Gewordensein ist. Ihr Gewordensein ist ihr jetziges Sein.74
Die zergliedernde Wissenschaft scheitert am Phänomenzusammenhang: das religiöse Erleben vollzieht sich so, daß es einen Bezug auf etwas, ein Wissen von etwas hat. Um dem Sinn dieses Phänomens auf die Spur zu kommen, ist es nötig, dass dieser Sinn in formaler Anzeige belassen wird. Der Phänomenzusammenhang muß vom Phänomenologen hingenommen werden und zwar in Umkehr von der zergliedernden wissenschaftlichen Einstellung. 70 71 72 73 74
Heidegger, Einleitung 73f. Vgl. Heidegger, Einleitung 94. Vgl. Heidegger, Einleitung 103. Vgl. Heidegger, Einleitung 113. Heidegger, Einleitung 94.
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Auch die Thessaloniker und mit ihnen Paulus müssen etwas annehmen, welches sie so zu einem Bruch mit der heidnischen Vergangenheit nötigt, daß sie diesen Bruch ständig weiter vor Augen haben. Das was angenommen wird, ist das Wie des Sich-Verhaltens. […] Es handelt sich um eine absolute Umwendung, näher um eine Hinwendung zu Gott und eine Wegwendung von den Götzenbildern. Die absolute Hinwendung innerhalb des Vollzugssinnes des faktischen Lebens ist in zwei Richtungen expliziert: douke}eim und !mal]meim, ein Wandeln vor Gott und ein Erharren.75
Das Gewordensein ist so näher als ständige Konversion, als Hinwendung zu Gott und Wegwendung von den Götzenbildern charakterisiert. In der Annahme dieses Gewordenseins stellt sich der Christ wirklich in die Not des Lebens hinein. Er erfährt nun die beunruhigende Dürftigkeit des Lebens als ständigen Rückbezug auf sich selbst; ohne die Möglichkeit, sich in wissenschaftlicher Einstellung aus diesem ständigen Konversionsvollzug herauszunehmen und die Götzenbilder von regionalen Sachgebieten, die aus den Fetzen des Phänomenzusammenhangs bestehen, zu betrachten.76 Phänomenologische Methode und untersuchter Gegenstand gehen ineinander über. Heideggers Methode der formalen Anzeige ist in Hinsicht auf deren formale Zusammenhänge entscheidend vom urchristlichen Erleben beeinflusst, denn in der phänomenologischen Explikation der paulinischen Briefe erfährt sich der Phänomenologe selbst mit. Er wird vom biblischen Text gelesen.77Die Faktizität des urchristlichen Erlebens ist Heideggers Metaschematismus. Der Konversionsvollzug ist die ständige Bereitschaft für den rechten Augenblick aus dem Wissen um das jeweilige Gewordensein. Diese Konversion in Permanenz ist Ursprung der theologischen Begrifflichkeit: Das Wissen um das eigene Gewordensein ist der Ansatz und Ursprung der Theologie. In der Explikation dieses Wissens und seiner begrifflichen Ausdrucksform ergibt sich der Sinn einer theologischen Begriffsbildung.78
Die Begriffe ,Theologie‘ und ,theologisch‘ lassen sich ohne weiteres durch die Begriffe ,Phänomenologie‘ und ,phänomenologisch‘ ersetzen. Entsprechend bezeichnet sich Heidegger selbst in seinem ,Bekenntnisbrief‘ an Karl Löwith vom 19. August 1921, also kurz nach der Vorlesung, als christlicher Theologe. 75 Heidegger, Einleitung 95. 76 Vgl. auch Martin Heidegger, Was ist Metaphysik, in: ders., Wegmarken, 122. 77 Ebenso erfährt Hamann, dass er bei der Lektüre der Bibel selbst gelesen und ausgelegt wird. Das lesende Ich hat plötzlich seinen Ort im Text, fabula de te narratur. Auch hier ist ein ,voller Bruch‘ des Selbstverständnisses (im Sinne von Heidegger und Paulus) des alten und des neuen Lesers.Vgl. Oswald Bayer und Bernd Weissenborn, Einführung, zu: Hamann, Londoner Schriften, 8f. 78 Heidegger, Einleitung 95.
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Daß er den Wortbestandteil -loge hervorgehoben hat, läßt sich nun erklären: seine Phänomenologie benutzt notwendigerweise Konzepte der christlichen Sprechens von Gott.79 Das Wissen um sich selbst, der Rückbezug auf sich selbst, die ständige Konversion im Sein des Menschen ist nicht nur der Ursprung der Theologie, sondern auch des Philosophierens und somit der Sinn seiner Begriffsbildung. Die Konversion, die die Phänomenologie Heideggers mit der formalen Anzeige vollzieht, stellt sie wieder hinein ins Leben und nötigt die Philosophie wieder in die Situation. An der Stelle, wo Heidegger die Philosophie wieder zur eigenen Aufgabe ruft, kommt nun in komprimierter Form ein biblischer Metaschematismus ins Spiel. Wie der Apostel Paulus kommt der Phänomenologe, respektive konkret Martin Heidegger, nicht um zu beruhigen und gefällig zu sein (nach Galater 1,10), sondern verunsichert aus der drängenden Not seines Berufes heraus.80 Phänomenologe und Apostel haben die gleiche Berufsauffassung. Es heißt im Stile eines apostolischen Bekenntnisses: Ich will diese Not der Philosophie, sich immer in Vorfragen zu drehen, so sehr steigern und so sehr wach erhalten, daß sie in der Tat zu einer Tugend wird.81
Heidegger bekleidet sich mit der paulinischen Rüstung. In Entsprechung zu seiner Aussage vom Beginn der Vorlesung heißt es später : „Paulus aber hilft ihnen [den wahrhaft Gläubigen, K.M.S.] nicht, sondern macht ihre Not nur noch größer (2. Thess 1,5: 3mdeicla t/r dija_ar jq_seyr)“82 Paulus Aufgabe als Apostel ist die Steigerung der höchsten Not. Das Steigern der Not ist die Verpflichtung des Phänomenologen, nicht in die bequemen Bahnen einer sich als wissenschaftlich verstehenden Philosophie einzulenken. In diesem kurzen konfessionellen Satz zu Beginn der Vorlesung nutzt Heidegger gleich vier Themen und Bilder des Paulus für die Charakteristik des Philosophierens: das willentliche Steigern der Not, die Umwertung des Zustandes der Schwäche zu einer gerade charakteristischen Tugend (1. Kor 1,27, 1. Kor 2,3, 1. Kor 9,22), denn „das Durchhalten der Schwachheit des Lebens wird entscheidend“83, die Forderung nach dem Wachsein und das Bedrängtwerden durch einen quälenden Prozeß84, für den Paulus eine eindringliche Metapher 79 Vgl. hierzu Stünkel, Zusage 46ff. 80 Vgl. Heidegger, Einleitung 109. Das Apostolat als Schlüsselbegriff des Urchristentums (vgl. Jürgen Becker, Paulus, Der Apostel der Völker, Tübingen 1998, 83) muß in seiner phänomenologischen Adaption natürlich entsprechende philosophische Rechte und Pflichten zeitigen. 81 Heidegger, Einleitung 5. 82 Heidegger, Einleitung 107. 83 Heidegger, Einleitung 100. 84 „Das Annehmen d]weshai ist ein Sich-hinein-Stellen in die Not. Diese Bedrängnis ist ein Grundcharakteristikum, sie ist eine absolute Bekümmerung im Horizont der paqous_a, der
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Metaschematismus und formale Anzeige
gefunden hat – den Pfahl im Fleische. Die vier Themen bilden einen Metaschematismus als ein Leitbild für die folgende Erörterung – wie auch für Heideggers gesamtes Philosophieren überhaupt.85 Die vier Themen lassen sich zu jeder Phase seines Denkens in den Texten Heideggers nachweisen. Die spezifische Bedrängnis des Phänomenologen hat er etwa in seinem Aufsatz ,Die Onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik‘ charakterisiert: „Die Sache des Denkens bedrängt das Denken in der Weise, daß sie das Denken erst zu seiner Sache und von dieser her zu ihm selbst bringt“.86 Die entsprechende Bedrängtheit durch die Sache gilt auch für Paulus. In der Vorlesung des Jahres 1923 kennzeichnet Heidegger das Verstehen als Wachhalten des Daseins für sich selbst.87 Das an die urchristliche Erfahrung anschließende Wachsein bedeutet ,lebendig in ursprünglicher Selbstauslegung zu sein‘.88 Es kommt an auf die ,wurzelhafte Wachheit seiner selbst‘.89 Dieses Wachhalten ist noch in der späteren Version des Da-seins als Wächter des Seins präsent, der nicht zuerst eine Schutzfunktion ausübt, sondern bemüht ist, sich wachzuhalten für den Zuspruch des Seyns.90 Eine ebensolche Forderung gilt für den Dichter : „Der Dichter muß wach bleiben, wenn nicht gar zu einem höheren Besinnen erst noch wachender werden.“91 Heideggers phänomenologisch-metaschematische Übersetzung von Paulus’ ,Pfahl im Fleische‘ (2. Kor 12, 7–10) ist das Drehen in Vorfragen, die Notwendigkeit, ständig Rückbezug auf sich selbst sein zu müssen. Gerade den Phänomenologen in Heideggers Sinne muß dieser Pfahl umtreiben. Das ,Drehen‘ ist ein erster Ausdruck desjenigen, was später als ,Über‘-Winden, als Strudel des philosophischen Fragens, bezeichnet wird. In Wandlung und Drehung, Konversion und Selbstbezug wird der Wirbel als die bohrende inhaltliche Leere der Methode92 erst erschaffen.93 Entsprechend funktioniert die ,Überwindung der Metaphysik‘ im gleichnamigen Aufsatz Heideggers94, das Überdrehen der
85 86 87 88 89 90 91 92
93 94
endzeitlichen Wiederkunft. Damit sind wir in die Selbstwelt des Paulus eingeführt.“ (Heidegger, Einleitung 97f.). Oswald Bayer sieht für Hamann Entsprechendes, vgl. Bayer, Zeitgenosse 118. Martin Heidegger, Identität und Differenz, Pfullingen 1957, 37. Martin Heidegger, Ontologie. Hermeneutik der Faktizität, herausgegeben von Käte BrökerOltmanns, Frankfurt 1988, 15. Heidegger, Ontologie 18. Heidegger, Ontologie 16. Martin Heidegger, Besinnung, 244. Martin Heidegger, ,Andenken‘, in: ders., Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, 118. Hamann drückt dies in seinem Brief an Herder vom 13. Januar 1773 wie folgt aus: „Lücken und Mängel – ist die höchste und tiefste Erkenntnis der menschl. Natur, durch die wir uns zu ihrem Ideale hinauf winden müssen – Einfälle und Zweifel, das summum bonum unserer Vernunft.“ (ZH 3, 34, 33–35). Martin Heidegger, Hölderlins Hymnen ,Germanien‘ und ,Der Rhein‘, 47. Martin Heidegger, Die Überwindung der Metaphysik, in: ders., Vorträge und Aufsätze, 75.
Elemente des Metaschematismus in Heideggers Konzept der formalen Anzeige
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,Winde‘95 bis diese, und mit ihr der Philosophierende, ,springt‘96 : „Die Überwindung besagt jene Windung, die in solches überführt, was nicht mehr Metaphysik ist: die Windung als Wesung des Seyns.“97 Gleichzeitig ist die Überwindung ein Verwinden und somit Aufbewahren einer Not oder Bekümmernis, „ähnlich dem, was geschieht, wenn im menschlichen Bereich ein Schmerz überwunden wird.“98 Das ,meta‘ des Metaschematismus kann somit gelesen werden als dieses ,Über‘, welches den philosophischen Gegner im Schematismus überbietet, das heißt ihm nicht ausweicht, sondern ihm in seiner eigenen Rüstung entgegenkommt und mit seinen eigenen Waffen schlägt. Metaschematisch wendet Heidegger in Übersteigerung der Metaphysik diese gegen sich selbst. Heidegger stilisiert sich durch den Gebrauch des Metaschematismus zum Paulus der Phänomenologie.99 In dem methodischen Abschnitt seiner religionsphänomenologischen Vorlesung hatte er beklagt, daß die theoretische Einstellung den Vollzugssinn verdecke und so den Phänomenzusammenhang nicht erfassen könne. Um dem Vollzug wieder zu seinem Recht zu verhelfen, bedarf es eines Apostels. Und den gibt es auch: Die Vollzugsphänomene müssen mit dem Sinn der Faktizität verklammert werden. Paulus erhebt den Vollzug ins Thema.100
Diese implizite Identifikation kann nicht überraschen, denn Heidegger kündigt schon zu Anfang seiner Paulusinterpretationen an, daß es ihm nicht um Theologie, sondern um das phänomenologische Verstehen selbst101, den Sinn der eigenen Faktizität als Philosophierender geht. Hier und dort wird der Vollzug zum Thema erhoben.
95 Martin Heidegger, Metaphysik und Nihilismus, hrsg. von Hans-Joachim Friedrich, Frankfurt 1999, 6 und 11. 96 Martin Heidegger, Der Satz vom Grund, Stuttgart 1997, 107 und 157. 97 Martin Heidegger, Metaphysik und Nihilismus 15. 98 Martin Heidegger, Bremer und Freiburger Vorträge, herausgegeben von Petra Jaeger, Frankfurt 1994, 69. 99 Dieser paulinische Gestus ist durchgängiges Element von Heideggers Philosophieren. Noch für ,Besinnung‘ kann Hübner große Gemeinsamkeiten zwischen Heidegger und Paulus herausstellen (vgl. Hans Hübner, Martin Heideggers Götter und der christliche Gott. Theologische Besinnung über Heideggers ’Besinnung’ (Band 66), Heidegger-Studien 15 (1999), 132ff u. 147f.). Vgl. auch Jaromir Brejdak, Philosophia Crucis. Heideggers Beschäftigung mit dem Apostel Paulus, Philosophisches Jahrbuch 105 (1998), 30. Gegen Brejdak ist jedoch grundsätzlich herauszustellen, daß sich Heidegger nicht am Christenmenschen als einem ontischen Vorbild für eine Anthropologie orientierte (vgl. aaO., 20/21), sondern die christliche Lebenserfahrung als ontologisch methodenwürdig auszeichnet. 100 Heidegger, Einleitung 121. 101 Heidegger, Einleitung 67.
106 3.
Metaschematismus und formale Anzeige
Philosophische Konversion zum Urchristentum
Das als Phänomenologie betrachtete Philosophieren ist in formaler Hinsicht mit der Weise des religiösen Erlebens identisch. Insbesondere in der sich als wissenschaftlich verstehenden Philosophie ist dies laut Heidegger ein gern ignoriertes Faktum, denn sie entsteht aus und mündet in etwas, was der Betrachtung nicht würdig erschien. Bisher waren die Philosophen bemüht, gerade die faktische Lebenserfahrung als selbstverständliche Nebensächlichkeit abzutun, obwohl doch aus ihr gerade das Philosophieren entspringt, und in einer allerdings ganz wesentlichen – Umkehr wieder in sie zurückspringt.102
Dieses Skandalon für die bisherige, sich wissenschaftlich gebärdende Philosophie hat Heidegger näher bestimmt. Das sj\mdakom toO stauqoO als ,eigentliches Grundstück des Christentums, demgegenüber es nur Glaube oder Unglaube gibt‘103, hat seine Entsprechung im Skandalon der Philosophie, „[…] die, gemessen an dem, was jeweils an menschlichen Machenschaften dazu sich bereitmacht, jederzeit ,skandalös‘ ist.“104 Auch im Bereich des Philosophierens findet eine Gegeneinandersetzung von Werk (Macht) und der Konversionsbestimmtheit des Philosophierenden statt. Zu Beginn der Vorlesung heißt es: Das Problem des Selbstverständnisses der Philosophie wurde immer zu leicht genommen. Faßt man dies Problem radikal, so findet man, daß die Philosophie der faktischen Lebenserfahrung entspringt. Und dann springt sie in der faktischen Lebenserfahrung in diese selbst zurück. Der Begriff der faktischen Lebenserfahrung ist fundamental.105
Das Philosophieren erscheint aus der faktischen Lebenserfahrung in derselben und kommt auch wieder zu dieser zurück. Nun ist das religiöse Erleben eine ausgezeichnete Form der faktischen Lebenserfahrung, ja mehr noch. In einem Anhang zur Vorlesung macht Heidegger ganz deutlich: „[…] christliche Religiösität ist in der faktischen Lebenserfahrung, ist sie eigentlich selbst.“106 Die Art 102 Heidegger, Einleitung 15. 103 Heidegger, Einleitung 71. 104 Martin Heidegger, Hegels Phänomenologie des Geistes, herausgegeben von Ingeborg Görland, Frankfurt 1980, 205. 105 Heidegger, Einleitung 8. 106 Heidegger, Einleitung 131. Vgl. N III (Neue Apologie) 106, 14–16: „Denn GOTT ist nicht ein GOTT der Todten, sondern der Lebendigen. Ihr aber seid lebendig tot und eure wahre Bestimmung ist, durch den Tod erst zum Leben hindurch zu dringen.“ Daß urchristliche Konzepte sehr geeignet sind, mit späteren Begriffen Heideggers in Verbindung gebracht zu werden, kann nun kaum noch eine Überraschung sein. Die christliche Religiosität ist nicht nur eine Möglichkeit eigentliche Lebenserfahrung, sondern dieses selbst, denn die christ-
Elemente des Metaschematismus in Heideggers Konzept der formalen Anzeige
107
und Weise der christlichen Religiosität bestimmt das Philosophieren in der faktischen Lebenserfahrung. Dies allerdings nur solange, wie es sich von der Versuchung Wissenschaft werden zu wollen, befreien kann.107 Die urchristliche Lebenserfahrung ist als Bezug auf das Gewordensein bestimmt worden. Das christliche Leben vollzieht sich also mit dem ständigen Blick auf sich selbst, das heißt als die ständige Umkehr. Und auch das Philosophieren ist durch diese Umkehr gekennzeichnet. Zur Konversion gehören immer zwei Seiten, vorher und nachher. Die Philosophie entstammt der faktischen Lebenserfahrung, diese ist das ,Vorher‘ im Konversionsprozeß: Der Ausgangspunkt des Weges zur Philosophie ist die faktische Lebenserfahrung. Aber es scheint, als ob die Philosophie aus der faktischen Lebenserfahrung wieder hinausführt. In der Tat führt jener Weg gewissermaßen nur vor die Philosophie, nicht bis zu ihr hin. Die Philosophie selbst ist nur durch eine Umwendung jenes Wegs zu erreichen; aber nicht durch eine einfache Umwendung, so daß das Erkennen dadurch lediglich auf andere Gegenstände gerichtet würde; sondern, radikaler, durch eine eigentliche Umwandlung.108
Philosophie ist so das Produkt radikaler Umwandlung, ohne daß das Philosophieren aus der faktischen Lebenserfahrung herausgehoben ist. Heidegger hat vorher festgestellt, daß das Philosophieren in der faktischen Lebenserfahrung wieder in diese selbst zurückspringt, das heißt also ihr Gewordensein in Form des ,Wissens‘ um dieses Gewordensein in ihren Vollzug wieder aufnimmt. Das Philosophieren ist die artikulierte Form des Wissens um dieses Gewordensein, somit eine artikulierte Form der christlichen Religiosität. Hieraus ergibt sich der Sinn der philosophischen Begriffsbildung. Genauso wie das religiöse Erleben ist
liche Religiosität lebt die Zeitlichkeit als solche (Heidegger, Einleitung 80). Daß selbst die spätere ,Zeitlichkeit‘ ihre Wurzeln und deutlichste Ausprägung in der christlichen Religiosität hat, sollte über die Bedeutung letzterer für Heideggers Philosophieren genug sagen. 107 Dies hat seine Entsprechung bei Hamann. Auch dieser wirft der Wissenschaft eine fatale Scheidung in der theoretischen Einstellung vor, die nur im religiösen Bezug überwunden wird: „Hamann […] sieht […] die erste falsche Weichenstellung der Philosophie und Wissenschaft Descartes’, in jener Scheidung von Wissenschaft und Lebenswelt – einem ,Kunstgriff‘, der ,schlau‘ sein mag, aber nicht weise und wahr ist. Wahr kann er sowenig sein, wie der Tod wahr ist. Hamann diagnostiziert bei Descartes keine ,Subjekt-Objekt-Spaltung‘, von der wir zu hören gewohnt sind, sondern die Abspaltung des menschlichen Selbst von jenem lebensweltlichen Zusammenhang, ohne den es – tot ist. Vom Selbst insbesondere die Religion mit ihren geschichtlichen, kontingenten ,Gesetzen und Sitten‘ zu abstrahieren, hieße, Gott abzusagen und zu sterben.“ (Oswald Bayer, Wahrheit oder Methode. Hamann und die neuzeitliche Wissenschaft, in: Johann Georg Hamann und die Krise der Aufklärung. Acta des fünften Internationalen Hamann-Kolloquiums in Münster i.W. (1988), hrsg. von Berhard Gajek und Albert Meier, Frankfurt/ Bern/ New York 1990, 162). 108 Heidegger, Einleitung 10.
108
Metaschematismus und formale Anzeige
das Philosophieren eine Konversion zu sich selbst im Wissen um das eigene Gewordensein. Diese Erkenntnis zeitigt auch bei Heidegger eine Neubewertung des Status philosophischer Begriffe. In der Vorlesung ,Grundbegriffe der Metaphysik‘ sind alle philosophischen Begriffe als formale Anzeigen bestimmt: „Alle philosophischen Begriffe sind formal anzeigend, und nur, wenn sie so genommen werden, geben sie die echte Möglichkeit des Begreifens.“109 Sie sind also kein sicherer Besitz, gehaltlich nicht festgelegt, sie müssen sich im Gegenteil im Sinne Hamanns ,matagrabolisieren‘, in ihrer formalen Leerheit schreibend ausloten lassen, wenn sie einem echten Erfassen der Phänomene dienlich sein sollen. Die Philosophie darf sich wie die Religiosität nie beruhigen, sondern muß sich als diese Umkehr dauernd neu vollziehen. Formal anzeigendes Philosophieren hat also einen höheren Grad an Reflexivität als jede andere Philosophie. Heideggers Philosophieren steht damit in Opposition zu heutigen Tendenzen, die selbst metaphysische Wurzeln haben und dies nicht erkennen110 – dies Fehlen einer Selbstreflexion ist ein Vorwurf Hamanns an die kritische Philosophie, die etwa in ihrem Kampf gegen philosophische und religiöse Mystik selbst zur Mystik wurde.111 Philosophie ist nur im Prozeß des Philosophierens, das heißt im ständigen Konversionsvollzug. Der größte Feind dieses Vollzugs ist dasjenige, woher die theoretische Einstellung ihren Ursprung nimmt – die faktische Lebenserfahrung mit ihrer Tendenz, sich in ihren Lebensvollzügen bequem einzurichten. Dies entspricht dem Vergessen des Gottesbezuges durch die zeitgenössische Wissenschaft bei Hamann. Diese Seinsvergessenheit des neuzeitlichen Menschen hat ihr paulinisches Pendant: „j|slor oxtor bedeutet bei Paulus (vgl. 1. Kor. u. Gal.) nicht nur und nicht primär den Zustand des ,Kosmischen‘, sondern den Zustand und die Lage des Menschen, die Art seiner Stellung zum Kosmos, seiner Schätzung der Güter. J|slor ist das Menschsein im Wie einer gottabgekehrten Gesinnung.“112 Bequem einrichten bedeutet dabei, ,indifferent‘ zu werden gegenüber dem eigenen Lebensvollzug.113 Dies geschieht, indem alles auf ,Bedeutsamkeiten‘, auf Gehalte von Begriffen bezogen wird.114 Das Verlangen, in diesem Sinne etwas zu verstehen, gehaltlich festgelegte Begriffe als Anhaltspunkte zu gewinnen, hat Heidegger mit dem Hinweis auf den Prozeßcharakter des Philosophierens abzuwehren versucht. Wie der Christ ist der Philosoph zu 109 Martin Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt 1983, 425. 110 Vgl. Martin Heidegger, Der Satz vom Grund 202. 111 Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache 49f. 112 Martin Heidegger, Vom Wesen des Grundes, in: ders., Wegmarken, 143. 113 Heidegger, Einleitung 12. 114 Heidegger, Einleitung 13.
Elemente des Metaschematismus in Heideggers Konzept der formalen Anzeige
109
keinem Zeitpunkt seiner Existenz in Sicherheit. Vielmehr ist die Not oder Bedrängnis Grundcharakteristikum von religiösem Erleben und Phänomenologie.115 Gott als Halt zu verstehen ist Gotteslästerung.116 Der Christ gewinnt in seinem Gott keinen ihn absichernden Halt, der das lebendige, notvolle Christsein zu einer Haltung gerinnen ließe. Genau dasselbe gilt für die Phänomenologie. Auch sie ist kein Fels, auf dem man ein System bauen und eine Schule gründen könnte: „Diese Tendenz, Halt zu suchen, ist ein grundsätzliches Mißverständnis der philosophischen Forschung. Wir müssen lernen, diesem Anspruch auf Halt gegenüber der Wissenschaft und erst recht gegenüber der philosophischen Forschung abzusagen.“117 Die Unsicherheit der christlichen Lebenserfahrung begründet die Unsicherheit philosophischer Begriffe. Die phänomenologische Philosophie ist als ständige Konversion das explizite Bekenntnis der faktischen christlichen Lebenserfahrung zu sich selbst. Der Profanisierung der Philosophie muß Einhalt geboten werden: Die Philosophie ist von der ,Säkularisierung‘ zur Wissenschaft, auch zur wissenschaftlichen Weltanschauungslehre zu befreien.118
Und diese Befreiung wird geleistet durch die phänomenologische Methode. Die formale Anzeige ist das methodische Bekenntnis zur Metanoia. Wer phänomenologisch das Leben gewinnen will, muß es als in festgelegten Begriffen explizierbar verlieren, also formal anzeigen. Konversion bedeutet dabei auch den möglichen Wechsel der Sprache hin zu einer Sprache in ungesicherter (jeweiliger) Begrifflichkeit. In Hamanns ,Biblischen Betrachtungen‘ heißt es: „Die Verwirrung der Sprache war ein Werk Gottes, um die Menschen zu zerstreuen; die Gabe derselben ein Werk des heiligen Geistes, um die Menschen zu vereinigen. Wir hören nicht nur unsere Zungen, sondern wir hören die 115 Heidegger, Einleitung 98. 116 Heidegger, Einleitung 122. 117 Martin Heidegger, Platon: Sophistes, herausgegeben von Ingeborg Schüßler, Frankfurt 1992, 256. Später nimmt Heidegger sogar den eigentlichen Glauben für das Denken als das rechte (fragende) Verhalten in der grundsätzlichen Unsicherheit in Anspruch: „Die Fragenden dieser Art sind die ursprünglich und eigentlich Glaubenden, d. h. diejenigen, die es mit der Wahrheit selbst, nicht nur mit dem Wahren von Grund auf ernst nehmen, die zur Entscheidung stellen, ob das Wesen der Wahrheit west und ob diese Wesung selbst uns, die Wissenden, Glaubenden, Handelnden, Schaffenden, kurz die Geschichtlichen trägt und führt. Dieses ursprüngliche Glauben hat freilich nichts von einem Hinnehmen dessen, was unmittelbar Halt bietet und den Mut überflüssig macht. Dieses Glauben ist vielmehr das Ausharren in der äußersten Entscheidung. Die allein kann noch einmal unsere Geschichte auf einen gegründeten Grund bringen. Denn dieses ursprüngliche Glauben ist auch kein eigensüchtiges Erraffen einer selbstgemachten Sicherheit, sofern es als Fragen sich gerade in die Wesung des Seins hinausstellt und die Notwendigkeit des Ab-gründigen erfährt.“ (Martin Heidegger, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), 369f.). 118 Heidegger, Einleitung 10.
110
Metaschematismus und formale Anzeige
wunderbaren Werke Gottes in demselben sprechen.“119 Die philosophischen Begriffe sind ebenso die verunsichernden Aussagen der Paulinischen Verkündigung. Sie versetzen in die Lage desjenigen, der sich gewahr werden muß, daß der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht.120 Dieser Biblizismus kann als Metaschematismus gelten für die Notwendigkeit, wach zu bleiben, Wächter des Seyn zu sein, wie Heidegger es in späterer Zeit fordert. Die hier gekennzeichnete Zeitlichkeit ist als notvolle Bedrängnis jedoch ebenso ein Zeichen der Berufung. Heidegger wandelt das Erbe der urchristlichen Religiosität in Phänomenologie um. Schon die Überschrift seiner Vorlesung deutet auf die enge Beziehung von religiöser Erfahrung und Philosophieren hin. Die Titel ,Phänomenologie der Religion‘ und ,Phänomenologie der paulinischen Verkündigung‘ bezeichnen nicht die Anwendung einer übergreifenden Bearbeitungsart auf einen speziellen Bereich, sondern verweisen auf eigentlich zusammengehörige Begriffe. Die paulinische Verkündigung oder die Religion sind nicht Objekt der Phänomenologie, sondern ihre Weisen. Von hier her stammt Heideggers kerygmatischer Gestus. Dieser ist eine appellative Umsetzung der unsicher gewordenen Begriffe vormaliger metaphysischer Wahrheit beziehungsweise eine Übersetzung der Zusage jener Wahrheit im Sinne Johann Georg Hamanns. Phänomenologie in Heideggers Sinne kann nur formalreligiös sein. Anders ausgedrückt: Atheismus der Forschung und religiöse Formen sind im Kleide der formalen Anzeige, welche Hamanns Metaschematismus entspricht, nicht unvereinbar. Der methodische Atheismus ist dabei die Warnung vor der Versuchung, das Formale durch theologische Begriffe auffüllen zu wollen. Philosophieren soll die Entscheidungssituation offen halten. Dies bezeichnet auch die Grenze der Übereinstimmung von Religion und Philosophieren. Die formalreligiöse Methode kann je vor die Schwelle des Glaubens führen, die Entscheidung ist dann nicht mehr Sache des Philosophierens. Deren Atheismus bezieht sich auf die konkreten Glaubensinhalte, die Ausfüllungen der Formen – und ist so eigentlicher Gottesdienst: „Mithin steigert sich hier die Grundstimmung der Trauer zu ihrer innersten Überlegenheit. Die Trauer wird zu einem Wissen darum, daß das wahrhafte Ernstmachen mit den entflohenen Göttern als Entflohenen in sich gerade ein Ausharren bei den Göttern, nämlich ihrer Göttlichkeit als einer nicht mehr erfüllten, ist.“121 In dieser Hinsicht passen bei Heidegger faktische Religiosität und methodischer Atheismus zusammen.
119 BW 281. 120 Vgl. Heidegger, Einleitung 112. 121 Heidegger, Hölderlins Hymnen, 97.
III.
Semper repetendus baptismus – Name, Taufe und Heilszeit nach Luther, Hamann und Kripke Non enim baptismus significatio ficta est. (Martin Luther)
Seit einiger Zeit scheint die Konjunktur der sprachanalytischen Richtung in der Philosophie abgeflaut zu sein, gleichzeitig aber ist das philosophische Interesse an der Sprache ungebrochen. Nicht zuletzt durch die Bemühungen philosophierender Theologen wie Oswald Bayer, Klaas Huizing oder Heinzpeter Hempelmann gewinnt im Nachdenken über die Sprache die sprachtheologische Option größeres Gewicht. Ausgehend von Überlegungen Hamanns und Herders kann die Bedeutung der göttlichen Sprache für das menschliche Sprechen wieder eingehender gewürdigt werden. Über diese Autoren ergibt sich auch der Bezug zu Luther. Hauptsätze der sprachlichen Überlegungen dieser Richtung sind die folgenden: Der Ursprung der Kommunikation ist asymmetrisch und basiert auf dem Verhältnis eines ersten Sprechers zum Hörer, Sprechen entwickelt sich aus der Herunterlassung des ersten Sprechers im Nennen und Benennen und der menschlichen Reinszenierung oder Übersetzung dieses Vorganges. Ein Blick auf die tatsächliche Praxis des Sprachgebrauchs zeigt die Unverzichtbarkeit theologischer Konzepte und Formen für die sprachwissenschaftliche Explikation. Aber nicht nur für die Ausarbeitung einer Sprachtheologie selbst können ihre Gedanken herangezogen werden, sondern auch zur Interpretation, Präzisierung und Weiterführung anderer scheinbar säkularisierter Sprachphilosophien. Die Überlegungen Saul Kripkes zur Sprache, insbesondere in seinem Buch ,Naming and Necessity‘1, spielen in ihrer Lehre von den Eigennamen nicht nur mit theologischen bzw. religiösen Konzepten, sondern gewinnen gerade von ihnen ihre eigentümliche philosophische Schlagkraft. Das Bild der Taufe ist nicht nur eine eingängige Illustration, sondern für seine Überlegungen bedeutungsvoller als bisher angenommen. Hamann ist ein nicht beachteter Bündnispartner und Vermittler der Theologie dieser Konzeption des Sprachgeschehens, die sich letztlich auf Überlegungen Luthers zurückführen lassen.2 Für Hamann wie für 1 Im Folgenden zitiert nach der Ausgabe Saul A. Kripke, Naming and Necessity, Oxford 1980. Kripkes ursprüngliche Vorträge datieren vom 20., 22. und 29. 1.1970. 2 Einschlägig für eine Beschäftigung mit Hamanns Konzeption der Sprache sind seine meta-
112
Semper repetendus baptismus
Kripke sind der alltägliche Sprachgebrauch, die Tradition und die Erfahrung Kernbestandteile der Ausarbeitung eines angemessenen Bildes des tatsächlichen Sprachgeschehens.3 Darüber hinaus bestehen signifikante Übereinstimmungen zwischen Hamann und Kripke nicht nur in den Inhalten, sondern auch in der äußeren Form der Darbietung ihrer Ideen.
I.
Theorie versus Bild
In ihrer philosophischen Hochschätzung des Bildes sind der theologisch-philologische Denker Johann Georg Hamann und der Logiker Saul Kripke einig. Kontrastiert mit einer Theorie philosophischer Natur, offenbaren Bilder ein realistischeres Potential, welches sich vor allem ein Philosophieren über die Sprache zunutze machen sollte. Denn, so Hamann in seiner Aesthetica in nuce, „In Bildern besteht der ganze Schatz menschlicher Erkenntnis und Glückseligkeit.“4 Und dieser Erkenntnis gegenüber schwindet das Verlangen, durch einen philosophischen Theoriebau innerhalb der wissenschaftlichen Zunft Ehre einlegen zu wollen: Giebt es Opermaschinen von Schriftstellern, Insecten, die klüger sind als die Weisen, die Systeme wie die Spinnen und Theorien wie die Vogelnester bauen, ämsige Bienenschwärme, die für den Geschmack des Publicums und desselben Aufklärung mit einer automatischen Industrie arbeiten, welche die Nachahmung menschlicher Vernunft und Kunst übertrifft: so habe ich nie gewünscht mit der Ehre solcher verklärten Ölgötzen überkleidet zu werden, oder nach ihren Lorbeeren, Kränzen und Hörnern gezielt für meinen kahlen Schädel.5
Auch Kripkes Ansichten über philosophische Theorie sind eindeutig. In seiner Charakteristik einer sprachphilosophischen Theorie heißt es: It is really a nice theory. The only defect I think it has is probably common to all philosophical theories. It’s wrong. You may suspect me of proposing another theory in its place, but I hope not, because I’m sure it’s wrong too if it is a theory.6
Eine philosophische Theorie hat also die für strenge Philosophen unangenehme Eigenschaft, qua Theorie falsch zu sein. Diese Einsicht muß natürlich für die Präsentation der eigenen Ideen Folgen haben. Kripke distanziert sich selbst ausdrücklich von dem Ansinnen, etwas wesenhaft Falsches seinen Zuhörern
3 4 5 6
kritischen Schriften wie sie im Kommentar Oswald Bayers mustergültig ediert und besprochen sind (Oswald Bayer, Vernunft ist Sprache. Hamanns Metakritik Kants, Stuttgart- Bad Cannstatt 2002). Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 395. N II (Aesthetica in Nuce) 197, 22–24. N IV (Ein fliegender Brief. Zweite Fassung) 401, 15–22. Kripke, Naming, 64.
Theorie versus Bild
113
darbieten zu wollen. Es gilt, aus der Theorieproduktionsindustrie auszubrechen. Seine Intention beschreibt er wie folgt: „[…] I may not have presented a theory, but I do think that I have presented a better picture than that is given by the description theorists.“7 Offenbar nimmt Kripke eine Differenzierung vor : und zwar zwischen der Theorie und dem Bild, welches sie insgesamt liefert und auch noch zwischen diesen und einem Dritten, von dem das Bild eben eine Abbildung ist. Welches ist nun dieses Dritte? Kripke fragt leitmotivisch für seine Ausführungen „What is the true picture of what’s going on?“8 Das wahre Bild dessen, ,what’s going on‘ beziehungsweise ,was sich abspielt‘, ist somit dasjenige, an dem man festmachen kann, ob eine Theorie brauchbar ist oder nicht. Dies, die Frage nach dem, was vorgeht, ist die eigentliche Frage der Philosophie. Der Begriff ,falsch‘ bezieht sich folglich auf das, was sich abspielt. Es ist hiermit offenbar nicht die innere Fehlerhaftigkeit einer Theorie gemeint, sondern dieses Urteil bezieht sich auf die Angemessenheit des Bildes, welches die Theorie von dem liefert, ,was sich abspielt‘.9 Theorien, so sagt Kripke, sind aber immer wesentlich in diesem Sinne falsch, sie liefern also ein unangemessenes Bild.
a)
Inhalt und Form
Aus dieser Erkenntnis zieht Kripke zunächst die formelle Konsequenz. Die inhaltliche These muß sich auch in der Form der Präsentation wiederspiegeln. Die ursprüngliche Form seiner Ausführungen war ein mündlicher Vortrag, den er „without a written text and in fact without notes“10 gehalten hatte. Die Ausführungen waren also im besten Sinne eine Rede über etwas. Dieser wesentlich rhetorische Text sollte in der originalen Form für die Buchausgabe beibehalten werden: „no attempt has been made to change the informal style of the original.“11 Diese Vorausbemerkung ist notwendig, denn der Gegenstand der Untersuchung, die Themenkomplexe ,Nennen‘, ,Notwendigkeit‘ und ihre spezifische Beziehung, lassen den Leser eher ein konzises Theoriegebäude erwarten als dasjenige, als was sich der Text dann entpuppt. In der Nichtdefinierbarkeit des Bildes liegt sein Erkenntnispotential, welches von der nicht vorhandenen begrifflichen Darstellbarkeit lebt. Das Potential der Anschließbarkeit des Bildes liegt in der Performanz, in der Art und Weise, wie das Bild den Zuhörern beziehungsweise Lesern vorgeführt wird. Die Form der Präsentation wird somit zum Indiz für das, was die Lehre von den starren De7 8 9 10 11
Kripke aaO., 97. Kripke aaO., 90. Vgl. Kripke aaO., 93/4. Kripke aaO., 22. Kripke aaO., 22.
114
Semper repetendus baptismus
signatoren (rigid designators) und der durch eine urspüngliche Taufe (initial baptism) initiierten Kommunikationskette (chain of communication) ihrer Verwendung nach überhaupt besagen will. Je nachdem wie die Rede von den starren Designatoren formell zu verstehen ist, werden sich theoretische Probleme in einem anderen Lichte zeigen. Viele dieser Probleme resultieren aus einem einfachen, aber aufgrund der Tradition der philosophischen Textverfertigung sehr verständlichen Mißverständnis der Kripkeschen Position. Kritiker lesen nämlich ,Naming and Necessity‘ so, als wäre der vorliegende Text eben ein Theoriegebäude, als ob er einen theoretischen Ansatz ausbreitet und begründen möchte.12 Über seine Rede sagt Kripke selbst folgendes aus: „Maybe if I tried to state mine with sufficient precision in the form of six or seven or eight theses one by one, they will all be false. That might even be so, but the difference is this […] What I am trying to present is a better picture […]“13. Kripkes Text stellt sich also selbst als eine bildliche Rhetorik des Sprechens dar und ist als Autorhandlung in Form einer Predigt ausgebaut. Die formale Bewusstheit hat Kripke mit Hamann gemeinsam. Kennzeichnend für Hamanns in jeglicher Hinsicht merkwürdigen und hochgradig rhetorischen, auf eine Wechselwirkung zwischen Hörer und Leser bedachten Stil ist insbesondere die Übereinstimmung von Inhalt und Form. Dies muß sich auch in den Überlegungen zu Namen und Wörter niederschlagen. Angesichts der inhaltlichen Übereinstimmungen mit Kripke ist es nicht überraschend, dass auch Hamann seinen sprachtheologischen Überlegungen in ,Des Ritters von Rosenkreuz letzte Willensmeynung‘ in Form einer Predigt präsentiert.14
b)
Theorie und Bild
Theorien haben in der philosophischen Diskussion die Eigenschaft, in Gestalt einer systematisch konzipierten Monographie daherzukommen. Da Kripke seinen Hörern keine Theorie präsentieren will, muß er sich hüten, seinen Überlegungen eine entsprechende Form zu geben. Und seine Grundfrage nach dem wahren Bild dessen, ,was sich abspielt‘, läßt vermuten, daß dieses Bild dasjenige sein wird, worauf seine Überlegungen hinzielen. Wegen der Priorität des Bildes vor der Theorie heißt es: „[…] I want to present a better picture without giving a set of necessary and sufficient conditions for reference.“15 Warum ist es nach Kripke nun der Fall, daß das Bild, das eine Theorie liefern 12 Dokumentiert ist diese map of misreading in dem Band ,Eigennamen. Dokumentation einer Kontroverse‘, herausgegeben von Ursula Wolf, Frankfurt 1993. 13 Kripke, Naming, 94. 14 N III (Rosenkreuz) 32, 33. 15 Kripke, Naming, 94.
Theorie versus Bild
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kann, nicht mit dem ,was sich abspielt‘ übereinstimmt, und was hat man sich unter diesem Ausdruck vorzustellen? Die zweite Frage läßt sich nach Beantwortung der ersten klären. Zunächst ist dasjenige von entscheidender Bedeutung, was Kripke als die Grundbedingung einer jeden Theorie darstellt: For any successful theory, the account must not be circular. The properties which are used in the vote must not themselves involve the notion in a way that is ultimately impossible to eliminate.16
Durch die Nichtzirkuläritätsbedingung von Theorien stehen nun die Theoretiker in der Pflicht: sie müssen gleichzeitig ein angemessenes Bild dessen, ,was sich abspielt‘, liefern, dürfen aber genauso nicht gegen die Bedingungen ihres Vorgehens als Theoretiker verstoßen. Bewährt sich diese Bedingung auch in der Erfahrung? Der Beginn der Grammatik ist, da ist sich Kripke mit Eugen RosenstockHuessy einig, der Name beziehungsweise das Nennen. Kripke macht hinsichtlich des alltäglichen Gebrauchs von Namen folgende Beobachtung: It’s really very puzzling. I think you know who Cicero is if you can answer that he is a famous Roman orator. Strangely enough, if you know that Einstein discovered the theory of relativity and nothing about that theory, you can both know who Einstein is, namely the discoverer of the theory of relativity, and who discovered the theory of relativity, namely Einstein, on the basis of that knowledge. This seems to be a blatant violation of some sort of noncircularity condition but that’s the way we talk. It therefore would seem that a picture which suggests this condition must be the wrong picture.17
Dies ist es also, was an Theorien, insbesondere in bezug auf Namen und ihre Referenz so störend ist, so daß es sich Kripke leisten kann, in diesem Bereich alle Theorien pauschal als falsch zu bezeichnen. Theorien haben nämlich eine Grundbedingung, die dem normalen Gebrauch von Namen in einer normalen Sprache zuwiderläuft. Die Erfahrung zeigt, dass der Versuch der Selbstermächtigung der Theorie, ihre Gültigkeit aus ihren eigenen Regeln zu schöpfen, dazu führt, dass sie mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat. Hamann beschreibt diesen Umstand bei Theorieproduzenten so: Die Verwirrung der Sprache, wodurch sie aber verführen und verführt werden, ist freylich eine sehr natürliche Zauberey avtomatischer Vernunft, des es wenig kostet, sich in einen Stern der ersten Größe zu verklären, besonders für Schälke von gleichartiger Blindheit.18
16 Kripke, Naming, 68. 17 Kripke, Naming, 83. Hervorhebung von mir. 18 N III (Ritter von Rosenkreuz) 31, 14–17.
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Während eine erklärungskräftige Theorie definitionsgemäß keinen Zirkel enthalten darf, referieren wir in der normalen Sprache trotz beziehungsweise sogar gerade mittels dieses für die Theorie unannehmbaren Teufelskreises.19 Wenn eine Theorie also ein Bild des Gebrauchs von Namen in der normalen Sprache zeichnet, welches nicht dem von Kripke gekennzeichneten Faktum der Zirkularität Rechnung tragen kann, so geht dieses Bild an einem guten Teil der sprachlichen Wirklichkeit vorbei, und die zugrundliegende Theorie ist dem, was abläuft, nicht angemessen.20 Sie kann gar nicht angemessen sein, weil Theorien mit der Grundbedingung der Nichtzirkularität und die normale Sprachverwendung mit ihrer Referenz aufgrund von Zirkularität miteinander inkompatibel sind. Das Dignitätsverhältnis von Theorie und Bild kehrt sich so bei Kripke um. Philosophie wird somit der Kampf gegen die Verhexung der Sprache durch die Theorie. Die Notwendigkeit, für ein bestimmtes Bild der sprachlichen Wirklichkeit eine es fundierende Theorie zu liefern, kann Kripke im Gegensatz zu Kennzeichnungstheoretikern nicht einsehen. Diese Notwendigkeit ist ein Köhlerglaube. Es ist, so zeigt die Betrachtung des Sprachgebrauchs, nicht der Fall, dass die Referenz eines Namens durch identifizierende Eigenschaften, über die nur der Referent verfügt, eindeutig bestimmt wird und diese Bestimmung in einer Kennzeichnungstheorie explizierbar ist. Kripkes Grundfrage zielt direkt auf das Bild dessen, ,was sich abspielt‘ im normalen alltäglichen Gebrauch von Sprache
19 Vgl. Kripke, Naming, 82: „If we say Einstein was the man who discovered the theory of relativity, that certainly picks out someone uniquely. One can be sure, as I said, that everyone here can make a compact and independent statement of this theory and so pick out Einstein uniquely ; but many people actually don’t know enough about this stuff, so when asked what the theory of relativity is, they will say : ,Einstein’s theory‘, and thus be led into the most straightforward sort of vicious circle.“ Wohlgemerkt, dieser Teufelkreis ist nur ein Problem, wenn die rigorosen Bedingungen für Theorien an den normalen Sprachgebrauch herangetragen werden. Vgl. Kripke aaO., 89/90. 20 Vgl. Josef Simon, Hamann und die gegenwärtige Sprachphilosophie, 16: „Hamann will nun auf eine rationale Theorie von der Sprache nicht aus einer obskuren Vorliebe für das Irrationale verzichten. Er sieht vielmehr, dass auch das sogenannte ,metasprachliche‘ Reden über Sprache eine Sprachhandlung ist, die als solche nicht davon abhängt, dass man sich wiederum über den richtigen Begriff von Sprache verständigt, sondern davon, dass diese Verständigung zwischen verschiedenen Individuen bei aller Verschiedenheit dennoch gelingt, weil das, was der eine anführt, auch dem anderen von dessen eigener individueller ,Lage‘ und Stimmung her ,etwas‘ bedeutet, ohne dass immer wieder nach einem Kriterium für diese überindividuelle Identität solcher ,Bedeutung‘ gefragt werden könnte. Dieses Gelingen selbst ist ,ohne Begriff‘ und deshalb, da es doch verbindet, im Kantischen Sinne nicht logisch, sondern ästhetisch. In ihm liegt aber das erste sprachliche Prinzip, wenn es erlaubt ist, sich paradox auszudrücken. Um es auf eine Formel zu bringen: Sprachliches Verhalten ist nach Hamann nicht hinreichend von einer vorgegebenen Sprachtheorie her zu erklären. Vielmehr liegt gelingendes sprachliches Verhalten aller Konstruktion von Sprachtheorien zugrunde, welche es auch sein mögen.“
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und Namen.21 Sein Interesse nicht theoretischer, sondern phänomenologischer Natur22 : Es soll nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein besseres Bild geliefert werden als dasjenige, was eine Theorie liefern kann. Welches Bild wird stattdessen geliefert? Namen sind nach Kripke unter Rückgriff auf eine ,natürliche Intuition‘23 ,rigid designators‘, starre Designatoren. Die Frage, warum Namen gerade starre Designatoren seien, ist angesichts dieser Intuition zunächst irrelevant und kann im Bild eben nicht beantwortet werden. Sie ist daher bei Kripke ausgeblendet. Den Grund dieser Auffassung liefert die Sakramentalität der Taufe, die in seiner Namenslehre implizit ist. Sie ist verantwortlich für die Starre der Designation und gibt der Namenslehre eine eschatologische Beziehung auf die (Heils-)zeit. Kripkes Namenslehre ist implizit der Bruch mit der ,taufvergessenen‘ Tradition und somit im Sinne Luthers. Kripke interessiert sich nur dafür, daß wir Namen eben so verwenden wie in der natürlichen Intuition vermutet. Diese Verwendung möchte er mit dem ,quasi-technischen‘ Ausdruck „starrer Designator“ abbilden. Dieser Ausdruck soll kein Baustein einer Theorie, sondern der Versuch einer Deskription des Sprachgebrauchs sein.24 Der Nutzen des Rekurses auf die natürliche Intuition besteht für Kripke in der Selbstverständlichkeit dieser Verwendung von Namen im natürlichen Sprachgebrauch, den er in seinem Bild abbilden möchte. Ha21 Vgl. Kripke, Naming, 90f. 22 Vgl. Kripke aaO., 93/94. Siehe auch folgende Zeilen Wittgensteins über den Umgang mit der Sprache aus seinen ,Philosophischen Untersuchungen‘: „Richtig war, dass unsere Betrachtungen nicht wissenschaftliche Betrachtungen sein durften. Die Erfahrung, dass sich das oder das denken lasse, entgegen unserem Vorurteil‘ – was immer das heißen mag – konnte uns nicht interessieren. (Die pneumatische Auffassung des Denkens.) Und wir dürfen keinerlei Theorie aufstellen. Es darf nichts Hypothetisches in unseren Betrachtungen sein. Alle Erklärung muß fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten. Und diese Beschreibung empfängt ihr Licht, d.i. ihren Zweck, von den philosophischen Problemen. Diese sind freilich keine empirischen, sondern sie werden durch eine Einsicht in das Arbeiten unserer Sprache gelöst, und zwar so, dass dieses erkannt wird: entgegen einemTrieb, es mißzuverstehen. Diese Probleme werden gelöst, nicht durch Beibringen neuer Erfahrung, sondern durch Zusammenstellung des längst Bekannten. Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.“ (Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914–1916. Philosophische Untersuchungen (Werkausgabe Band 1), Frankfurt 1984, 298f.). 23 Kripke, Naming 4, auch 5 „[…] that the natural intuition that names of ordinary language are rigid designators can in fact be upheld.“ 24 Ein entsprechendes Mißverständnis in bezug hierauf findet sich bei Stegmüller : „Die bislang geschilderten Überlegungen münden zwanglos in die folgende Theorie von Namen ein.“ Die Überlegungen Kripkes in bezug auf die Kennzeichnungstheorien von Namen haben jedoch gerade das Ergebnis, daß er aufgrund von den an ihnen paradigmatisch festgestellten Schwächen von Theorien eben keine Theorie, sondern eine Beschreibung des Gebrauchs liefern möchte. Zwanglos ist also gerade das Adjektiv, daß der Schlußfolgerung von Stegmüller in bezug auf die Position von Kripke nicht zukommt. Vgl. Wolfgang Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Band II, Stuttgart 1975, 231/232.
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mannsch gesprochen: den Circul menschlicher Vergötterung und göttlicher Inkarnation im Prozeß der Sprache erfasst die theoretisierende Sichtweise nicht. Daß Kripke statt einer theoretischen Argumentation ,nur‘ Beispiele zum Beleg seiner Ansicht beisteuert, ist somit kein Fehler oder ein Versäumnis, sondern nur folgerichtig aus seiner eigenen Zielsetzung. Ganz entsprechend hat Luther die Taufvergessenheit seiner Zeit weniger als theoretische, sondern vielmehr als homiletische Aufgabe empfunden.25 Die Starre der Designation führt zu einer strengen Identifizierung von Name und Individuum, welche die Trennung beider in der Frage, wovon die Verbindung Name -Individuum abhängig ist, als theoretisches Konstrukt erscheinen lässt.26 Die unbedingte Identität beider kennzeichnet Goethe in einem bekannten Beispiel eigener Erfahrung: „Herder hatte Goethe in einem Billett um die Übersendung einer Ausgabe von Ciceros Briefen gebeten und sich dabei einen Kalauer über den Namen des Adressaten erlaubt: ,Der von Göttern du stammst, von Goten oder vom Kote, / Goethe, sende sie mir.‘ Goethe fühlte sich verhöhnt: ,Es war freilich nicht fein, dass er sich mit meinem Namen diesen Spaß erlaubte: denn der Eigenname eines Menschen ist nicht etwa wie ein Mantel, der bloß um ihn her hängt und an dem man allenfalls noch zupfen und Zerren kann, sondern ein vollkommen passendes Kleid, ja wie die Haut selbst ihm über und Über angewachsen, an der man nicht schaben und schinden darf, ohne ihn selbst zu verletzen‘ (,Dichtung und Wahrheit‘, II/10).“27 Der Name ist menschliche Identität, die Auslöschung des Namens ist gleichbedeutend mit der Auslöschung der Person beziehungsweise des Individuums. Kripke möchte also eine Deskription der Verwendung von Namen als notwendige Identitäten im täglichen Gebrauch liefern.28 Diese Beschreibung hat 25 Vgl. Martin Ferckel, Gepredigte Taufe. Eine homiletische Untersuchung zur Taufpredigt bei Luther, Mainz 1968 (Diss.), 2. 26 Entsprechend wendet sich Luther in seiner Tauflehre gegen die Schwärmer, welche die Sakramente als bloße Zeichen verstehen wollen (vgl. Ferckel, aaO, 88). 27 Wolfgang Künne, Vom Sinn der Eigennamen. Sprachphilosophische Reflexionen, in: EvaMaria Alves (Hg.), Namenzauber. Erzählungen vom eigenen Namen, Frankfurt 1986, 64. Vgl. das Bekleidetsein durch die Taufe mit Christi Unschuld bei Luther (vgl. Ferckel, Gepredigte Taufe, 198). 28 Dies geschieht, so könnte man sagen, durchaus im Sinne Strawsons: „Es sind nicht Ausdrücke, die ,nennen‘ oder ,referieren‘; vielmehr kann man Ausdrücke gebrauchen, um dies zu tun. Etwas benennen oder auf etwas referieren ist ein Merkmal des Gebrauchs eines Ausdrucks, so wie ,von etwas handeln‘ und Wahrheit-oder Falschheit Merkmale des Gebrauchs von Sätzen sind.“ (Peter F. Strawson, Über Referenz, in: Wolf, Eigenamen, 102, vgl. auch 113.) Der Fehler Strawsons wiederum im Sinne Kripkes wäre, daß er seine wichtigen Bemerkungen im Kontext einer Theorie, und zwar einer Kennzeichnungs- bzw. Beschreibungstheorie von Namen und ihrer Referenz, macht, die für Gebrauchsbeschreibungen unangemessen sein muß. Man vergleiche eine hierzu analoge Aussage Kripkes (Kripke, Naming, 92) „Certainly Strawson had a good insight in the passage quoted; on the other hand, he certainly shows a difference at least in emphasis from the picture I advocate…The
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aber ebenso große Bedeutung für jegliche Theorie über Namen und ihre Referenz. Nicht nur, daß sie als besseres Bild der Wirklichkeit die grundsätzliche Unangemessenheit von Theorien in diesem Bereich nachzuweisen helfen kann, sie hat auch noch eine andere interessante Funktion. In der Diskussion über die Referenz von Namen spitzt sich die Diskussion auf das sogenannte Querwelteinproblem (problem of transworld identity)29 zu: der Frage, ob der Name in allen möglichen denkbaren ,Welten‘ dasselbe Individuum bezeichnet, das heißt auch in ,Welten‘, in denen einem Individuum bestimmte ,charakteristische‘ Eigenschaften beziehungsweise Kennzeichnungen fehlen. Am Beispiel der Theorie, daß die Referenz eines Namens durch bestimmte Eigenschaften festgelegt wird, stellt Kripke folgendes heraus: In these lectures, I will argue, intuitively, that proper names are rigid designators, for although the man (Nixon) might not have been the president, it is not the case that he might not have been Nixon (though he might not have been called ,Nixon‘). Those who have argued that to make sense of the notion of rigid designators, we must antecedently make sense of ,criteria of transworld identity‘ have precisely reversed the cart and the horse: it is because we can refer (rigidly) to Nixon, and stipulate that we are speaking of what might have happened to him (under certain circumstances) that ,transworld identifications‘ are unproblematic in such cases.30
Mit dieser Aussage rückt Kripke die Verhältnisse wieder zurecht: So sehr hatten sich Kennzeichnungstheoretiker auf das Sekundäre konzentriert, daß sie das in allen Fällen relevante Primäre anscheinend völlig vergessen haben. Das Nächste ist auch in der Referenztheorie das Fernste. Bei ihrem Namen werden die Individuen gerufen und nicht bei ihren Eigenschaften. Weil wir Namen wie starre Designatoren verwenden, sind theoretische Diskussionen über die Eigenschaften der Träger von Namen in stipulierten anderen Welten überhaupt erst möglich. Durch die Starrheit der Referenz von Namen ist überhaupt erst der Fixpunkt gewonnen, an welchem die Variationen von ihm zukommenden oder als zukommend gedachten Eigenschaften vorgenommen werden können. Theoretische Skepsis oder im Sinne Luthers gesprochen der Unglaube können die Gültigkeit der Taufe nicht in Frage stellen.31 Es ist natürlich möglich, eine mögliche Welt zu stipulieren, in der Aristoteles nicht der Lehrer von Alexander dem Großen gewesen ist. Aber dies ist nichtsdestoweniger nur eine Möglichkeit main text advocates the cluster-of-descriptions theory : Just because Strawson makes his remark in the context of a description theory, his view therefore differs from mine in one important respect.“ 29 Die schöne Übersetzung von ,transworld‘ als ,Querweltein‘ findet sich bei Stegmüller, Hauptströmungen, 226. 30 Kripke, Naming, 49. Hervorhebungen von Kripke. 31 Vgl. Wolfgang Schwab, Entwicklung und Gestalt der Sakramentaltheologie bei Martin Luther, Frankfurt/ Bern 1977, 349.
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von ihm, Aristoteles, deren Zuschreibung nur unter der Voraussetzung des Vorhandenseins eines diese Zuschreibung Empfangenden geschehen kann. Somit ist das Denkspiel der Querwelteinidentität erst möglich, wenn das Problem bereits gelöst ist. Ohne Identität ist das Zeichen nur ein unfruchtbares Zeichen, eine nota absentis rei. Das Problem der Querwelteinidentifikation setzt das problematisch zu Identifizierende schon als namentlich identifiziert voraus. Eine Theorie, die Eigenschaften und Kennzeichen als relevant für die Referenz eines Namens postuliert, ist somit unbrauchbar, da das Problem, ob Eigenschaften für die Referenz wichtig sind, erst auftaucht, wenn die Referenz von Namen überhaupt schon vorgängig geklärt ist.32 Kripkes Anspruch gegenüber dieser (Zeichen-)Theorie ist im Grundsatz lutherisch: es gilt ihr gegenüber wieder an die urspüngliche referenzfestlegende Taufe zu erinnern. Allein genommen ist das (Kenn-)Zeichen leer und somit auch theoretisch unergiebig, nur in Kombination mit einer vollmächtigen Zusage kann es etwas bedeuten, nämlich eine Eigenschaft des Getauften. Seine Benennungslehre kann somit in echt lutherischer Tradition als Wendung gegen die Taufvergessenheit in der Sprachphilosophie gelten. In ständiger Erinnerung an den Taufakt besitzt sie Predigtcharakter. Sie ist wie die Tauftheologie Luthers eine Wiederentdeckung der Taufe gegen die Praxis der theoretischen Auseinandersetzung über Eigennamen.33 Eine Kennzeichnungstheorie ist nach Kripke gleichzeitig unangemessen und inkonsistent. Zum einen wird sie der Zirkularität unserer Alltagssprache nicht gerecht, zum anderen setzt sie selber das schon als immer in einer bestimmten Weise namentlich identifiziert voraus, was sie gerade erst mühsam herausidentifizieren will. Man kann sagen, daß die Theorie auf diese Weise ihre eigene Grundbedingung der Nichtzirkularität verletzt. Kripke erläutert seine Aussage: Don’t ask: how can I identify this table in another possible world except by its properties? I have the table in my hands, I can point to it, and when I ask whether it might 32 Vgl. Kripke, Naming, 71ff. Bei Luther heißt es: „Ita clare vides, quam nihil sacramenta intellecta sunt sententionariis Theologis, quod, nec fidei nec promissionis ullam in sacramentis rationem habuerint, tantum in signo et usu signi herentes et ex fide in opus, ex verbo in signum nos rapientes, qua re (ut dixi) sacramenta non modo captivaverunt, sed penitus quod in eis fuit aboleverunt.“ (WA 6, 533, 24–28) „So siehst du klar, wie sehr jene theologischen Dogmatiker die Sakramente missverstanden haben, da sie bei den Sakramenten weder auf den Glauben noch auf die Verheißung irgendeine Rücksicht genommen haben. Sie hängen nur am Zeichen und am Gebrauch des Zeichens und reißen uns aus dem Glauben ins Werk, aus dem Verheißungswort ins Zeichen. Dadurch haben sie die Sakramente – wie ich gesagt habe – nicht nur gefangengenommen, sondern, soweit es bei ihnen lag, völlig vernichtet.“ (Martin Luther, Die reformatorischen Grundschriften. Band 3. Die Gefangenschaft der Kirche, neu übertragene und kommentierte Ausgabe von Horst Beintker, München 1983, 67). 33 Vgl. Schwab, Entwicklung und Gestalt, 360.
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have been in another room, I am talking, by definition, about it. I don‘t have to identify it after seeing it through a telescope. If I am talking about it, I am talking about it, in the same way as when I say that our hands might have been painted green, I have stipulated that I am talking about greeness. Some properties of an object might be essential to it, in that it could not have failed to have them. But these properties are not used to identify the object in another possible world, for such an identification is not needed. Nor need the essential properties of an object be the properties used to identify it in the actual world, if indeed it is identified in the actual world by means of properties […] So: the question of transworld identification makes some sense, in terms of asking about the identity of an object via questions about its component parts.34
Das Querwelteinproblem ist also nur innerhalb einer Theorie der Referenz von Namen durch Eigenschaften sinnvoll. Diese Theorie aber setzt die starre Designation von Namen voraus, als Fixpunkt für die Rede von anhängenden oder konstituierenden Eigenschaften und die Applikation von Eigenschaften auf etwas. Die Identifikation eines Objektes ist somit im Bereich der theoretischen Rede über dieses Objekt durch seinen Namen, seine Benennung schon gegeben. Das Querwelteinidentitätsproblem ist somit ein Scheinproblem, weil das Theoriegebäude, in dem es überhaupt erst entstehen könnte, schon die Identität von Namen über mögliche Welten hinweg voraussetzt. Kripkes Punkt hier ist: Der Gebrauch in der Alltagssprache als starrer Designator bedingt somit die Möglichkeit einer Theorie, die diesen zirkulären, starren Gebrauch, etwa durch das Querwelteinproblem in Frage stellt. Das Theoriespiel wird somit erst ermöglicht durch die Autorität des Sprachgebrauchs, der seine Souveränität gleichsam dadurch beweist, daß die in ihm vorkommende Verwendung von Namen trotz der eifrigen Bemühungen von Kennzeichnungstheoretikern, trotz aller Eliminationsversuche wie ein Phönix aus der Asche immer wieder aufersteht. Die Autorität des Sprachgebrauchs entstammt der Autorität der Benennung. Dem theoretischen Sprachspiel werden seine Begriffe und Fragestellungen durch den alltäglichen Sprachgebrauch vorgegeben, dessen Autorität sich wiederum auf ein einsetzendes Wort beziehungsweise ein taufendes, vollmächtiges Sprechen gründet. Kripkes Konzentration auf die Beschreibung der Verwendung von Namen im normalen Sprachgebrauch ist daher nur zu verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß ebendiese sowohl die Bedingung der Möglichkeit, als auch den Nachweis für die grundsätzliche Falschheit von Theorien, die Referenz von Namen betreffend, liefert. Das Bild, das er mit der Rede von den starren Designatoren skizziert, kann somit den Anspruch haben, sowohl grundlegender als auch angemessener zu sein als jede Theorie.
34 Kripke, Naming, 52/53. Hervorhebungen von Kripke.
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II.
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Aber, so wird man sich jetzt fragen, begeht Kripke nicht genau die gleiche Verfehlung, eine von vorneherein unangemessene Theorie über die Referenzfestlegung von Namen liefern zu wollen? In gewisser Weise, so bezichtigt sich Kripke selbst, ist dies wohl der Fall: I think I said the other time that philosophical theories are in danger of being false, and so I wasn’t going to present an alternative theory. Have I just done so? Well, in a way, but my characterization has been far less specific than a real set of necessary and sufficient conditions for reference would be […] rather than giving a set of necessary and sufficient conditions which will work for a term like reference, I want to present just a better picture than the picture presented by the received views.35
Wieder tritt in dieser Aussage Kripkes Zielsetzung auf: nicht die angeblich grundlegende Theorie, sondern das sich aus ihr ergebende Bild der Wirklichkeit ist entscheidend, und dies für die eigenen Untersuchungen wie auch für die ausgefeilten Thesen der Theoretiker. Diese Thesen mögen noch so subtil und konzise sein, als Theorie fallen sie unter das von Kripke aufgestellte Verdikt, Theorien überhaupt betreffend. In bezug auf die Kennzeichnungstheorien faßt Kripke diesen Punkt so: What I think the examples I’ve given show is not simply that there is some technical error here or some mistake there, but that the whole picture given by this theory of how reference is determined seems to be wrong from the fundamentals.36
Wenn Kripke nun mit seiner „chain of communication“37 auch eine Theorie der Referenzfestlegung zu liefern scheint, so sollte man doch bedenken, daß es nicht sein Anliegen ist, die Art und Weise, in der im normalen Sprachgebrauch Namen als starr referierend festgelegt sind, durch Angabe von notwendigen und hinreichenden Bedingungen für diese Festlegung, theoretisch zu untermauern und so eine stillschweigende theoretische Basis der Referenzfestlegung aufzudecken. Vielmehr geht es in dem Bild der Kommunikationskette nicht um eine Aufzeigung der technischen Grundmechanismen der Referenzfestlegung, sondern um den Versuch einer historischen Erklärung der Art und Weise, warum wir Namen wie starre Designatoren benutzen. Kripke stellt heraus „A certain passage of communication reaching ultimately to the man himself does reach the speaker“38. Hier nun findet sich eine erstaunliche Parallelität seiner Auffassungen mit
35 36 37 38
Kripke, Naming, 93. Kripke aaO., 93. Kripke aaO., 92. Kripke aaO., 91.
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denjenigen Johann Georg Hamanns. In seiner Metakritik Kants schreibt Hamann: Wörter, als unbestimmte Gegenstände empirischer Anschauungen, heißen nach dem Grundtext der reinen Vernunft, ästhetische Erscheinungen: folglich sind, nach der ewigen Leyer des antithetischen Parallelismus, Wörter, als unbestimmte Gegenstände empirischer Begriffe, kritische Erscheinungen, Gespenster, Nicht- oder Unwörter, und werden nur durch ihre Einsetzung und Bedeutung des Gebrauchs zu bestimmten Gegenständen für den Verstand. Diese Bedeutung und ihre Bestimmung entspringt, weltkundiger maaßen, aus der Verknüpfung eines zwar a priori willkührlichen und gleichgiltigen, a posteriori aber nothwendigen und unentbehrlichen Wortzeichens mit der Anschauung des Gegenstandes selbst und durch dieses widerholte Band wird dem Verstande eben der Begriff vermittelst des Wortzeichens als vermittelst der Anschauung selbst mitgetheilt, eingeprägt und einverleibt.39
Kripkes ,chain of communication‘ entspricht Hamanns ,wiederholtem Band‘. Der ursprünglich Benannte ist der Grund, an dem die Kette beziehungsweise das Band festmacht. Namen haben eine Überlieferungsgeschichte. Die Benennung innerhalb des Sprachgebrauchs ist ein ständig wiederholter Tauferinnerungsprozeß. Namensgebung ist deshalb durch und durch historisch und traditionsbezogen. Nach Hamann kann man diese Erkenntnis über Namen auch auf die begriffliche Sprache überhaupt übertragen. Die Auffassung von Namensgebung als Taufakt lässt sich auch in der Entstehung von Begriffen beobachten: Die Begriffe des Verstandes sind ihrem Ursprung nach sprachlich; sie entspringen in ihrer begrifflichen Präzision der immer wieder neu vollzogenen ,Einsetzung‘ des Wortes im Sprachgebrauch. So ist der Verstand durch das Wort an die Sinnlichkeit gebunden, nicht aber in einem materialistischen Sinne aus ihr hergeleitet. Was dem Verstand seine Begriffe mitteilt, ist der Sprachgebrauch inmitten eines Traditionsprozesses, der in der sinnlichen Vermittlung geistiger Inhalte besteht; in diesem Sinn gehört das sinnliche Wortzeichen ,dem Geist‘ seiner ,Einsetzung und Bedeutung‘ nach ,zum Verstand und [zu den] Begriffen‘.40
Dies zeigt deutlich: Die Verwendung des Begriffs Taufe durch Kripke in einem scheinbar säkularen Kontext der Namensgebung ist so harmlos nicht. Sie ist kein beliebiges Gleichnis, sondern Grund der Sprachfähigkeit und somit Denkfähigkeit überhaupt. Zwar kann man den sakramentalen Taufakt von der bloßen Namensgebung unterscheiden, doch gewinnt die Namensgebung ihre starre Gültigkeit und so ihre grundlegende Bedeutung für jedes Sprechen über die Sprache gerade durch die Sakramentalität des Aktes.41 Die Notwendigkeit der Verknüpfung ist aus dem ursprünglichen Taufakt hergeleitet, und diese hat ihre 39 Bayer, Vernunft ist Sprache, 374. 40 Bayer, Vernunft ist Sprache, 387. 41 Vgl. Bayer aaO., 376.
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Autorität, wie man mit Otto Weber sagen kann, durch die Stiftung des hier gegenwärtigen Herrn.42 Dabei muß das Verhältnis von Gottes Namen und dem Eigennamen des Getauften näher bestimmt werden. Es ist wichtig zu betonen, dass in der Taufe der Täufling im Namen und auf den Namen des dreieinen Gottes getauft wird und keineswegs auf seinen, des Täuflings, Eigennamen. Im Akt der Taufe redet der Taufende, indem der Täufling den Christennamen verliehen bekommt und so in das Christsein „eingesetzt“ wird, den Täufling mit dem Eigennamen an und verbindet auf diese Weise unauflöslich und irrevokabel den Namen Gottes und dessen Selbstmitteilung im Christennamen mit dem Eigennamen des Täuflings. Der Name Gottes und der Eigenname bleiben in der Verbindung unterschieden. Der Autoritätsakt, die diese unauflösliche Verbindung, die Notwendigkeit der Verknüpfung in der Taufe schafft, ist jedoch derselbe, der für die Starre der Designation verantwortlich sein muß. Indem sich Gott verbindlich gibt, kann sich der Täufling auf seinen Namen bleibend ansprechen lassen. Die Notwendigkeit bewährt sich a posteriori durch den alltäglichen Sprachgebrauch. Es ist dies eine Notwendigkeit des ,unentrinnbar Faktischen‘43, also dessen, ,what’s going on‘, was sich tatsächlich abspielt. Nach Luther ist die Taufe Gedenken, die als Zuspruch erfahren wird.44 Es findet innerhalb der Kette ein immer neuer Zuspruch in jeweiligen Taufakten statt. Kripke zufolge könnte man sagen, dass die theoretische Abwendung von diesem Einsetzungsakt zugunsten einer Kennzeichnungstheorie den Sündenfall der Sprachphilosophie darstellt. Die geschehene Taufe, das erste ,naming‘ bewahrt hierbei den Vorrang als vollmächtige, das heißt im Namen Gottes geschehene Benennung vor der jeweils geschehenden Taufe in der Kommunikationskette.45 42 Vgl. Ulrich Kühn, Sakramente, Gütersloh 1985, 167. 43 Bayer, Vernunft ist Sprache, 385. 44 Vgl. Oswald Bayer, Promissio. Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie, Darmstadt 1989, 256. Vgl. Luther : „Haec erat praedicatio sedulo inculcanda populo, assidue recantanda ista promissio, semper repetentus baptismus, iugiter excitanda fovendaque fides. Sicut enim semel super nos lata divina hac promissione usque ad mortem ali et roborari, perpetua memoria promissionis eiusdem im baptismus nobis factae.“ (WA 6, 528, 8–13) „Diese Predigt wäre dem Volk eifrig einzuprägen, diese Verheißung beharrlich vorzuhalten, die Taufe immer wieder in Erinnerung zu bringen, der Glaube stets zu erwecken und zu behüten gewesen. Denn wie die Wahrheit dieser Verheißung, wenn sie einmal über uns ergangen ist, bis zum Tode bleibt, so soll der Glaube an sie niemals aufhören, sondern bis zum Tode genährt und gestärkt werden durch die unablässige Erinnerung daran, dass uns diese Verheißung in der Taufe zuteil geworden ist.“ (Luther, Gefangenschaft, 59). 45 „Ex his perspicue discernere possumus, quid inter ministrum hominem et autorem deum intersit in baptisando. Homo enim baptisat et non baptisat: Baptisat, quia perficit opus, dum mergit baptisandum, Non baptisat, quia non fungitur in eo opere sua autoritate sed vice die. Unde oportet nos baptismum de manu hominis non aliter suscipere, quam si ipse Christus, immo ipse deus nos suis propriis manibus baptisaret.“ (WA 6, 530, 19–24) „Hieraus können wir klar erkennen, was für ein Unterschied zwischen dem Menschen als Helfer und Gott als
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In general our reference depends not just on what we think ourselves, but on the other people in the community, the history of how the name reaches one, and things like that. It is by following such a history that one gets to the reference.46
Dieser Bezug auf die jeweilige Gemeinschaft verleiht der Taufe eine letztlich ekklesiale Qualität.47 Die Taufe hat ebenso konstitutive Bedeutung für die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft wie auch für die Mitglieder der Heilsgemeinschaft. Der ekklesiale und der sprachliche Aspekt der Taufe erlaubt es, in unserem Zusammenhang von einem zutiefst ekklesiologischen Konzept bei Kripke zu sprechen. Die Taufe ist eine Einsetzung als sprachliche Verpflichtung im öffentlichen Raum.48 Sie ist ein Handeln der im Namen einer unhintergehbaren Autorität, sprich im Namen Jesu, versammelten Gemeinde.49 Der (Tauf-)Name ist theologisch und bei Kripke die Initiation in die durch das Wort gestiftete Gemeinschaft. Die Taufe hält historisch den Namen des Getauften im Gang der Ereignisse: dies ist dasjenige, was sich abspielt. Dies gilt in diesseitiger, rechtlich-weltlicher Hinsicht wie auch unter eschatologischen Gesichtspunkten. Der Name ist sowohl dasjenige, was das Leben des Benannten zwischen Geburt und Tod zusammenhält, als auch dasjenige, was Unsterblichkeit erfährt.50 Die Kommunikationskette setzt sich also aus dem zusammen, was Hamann näher als die ,genetischen Elemente göttlicher Archäologie‘51 bezeichnen würde.52
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51 52
Urheber beim Taufen besteht. Denn der Mensch tauft und tauft nicht: er tauft, weil er ein Werk vollbringt, indem er den Täufling untertaucht; er tauft nicht, weil er bei diesem Werk nicht aus eigener Vollmacht, sondern stellvertretend für Gott handelt. Daher dürfen wir die Taufe von Menschenhand nicht anders aufnehmen, als wenn Christus selbst, ja sogar Gott selbst uns mit eigenen Händen taufte.“ (Luther, Gefangenschaft, 62) Vgl. Ferckel, Gepredigte Taufe, 45. Kripke, Naming, 95. Vgl. Kühn, Sakramente, 234. Vgl. die Diskussion der rechtlichen Folgen der Taufe bei Kühn, Sakramente 246. Vgl. Kühn, Sakramente, 237. Eugen Rosenstock-Huessy hat diesen Umstand in seinen Überlegungen zum Namen wie folgt ausgedrückt: „Denn unsere Namen überdauern mehr als eine Generation. Dieser Name, den ich ihm gebe, muß nämlich nicht nur den Geist meiner eigenen Zeit etwas bedeuten und dem Zeitgeist der Lebenszeit dieses Kindes selber, sondern auch wiederum dem Geist der Zeit seiner Kinder.“ (Eugen Rosenstock-Huessy, Der Atem des Geistes, Moers 1990, 170). Lorenz Grönvik fasst diesen Umstand wie folgt: „Die Taufe gilt und umspannt das ganze irdische Leben des Menschen und zugleich das ewige Leben.“ (Lorenz Grönvik, Die Taufe in der Theologie Martin Luthers, Göttingen/ Zürich 1968, 229). Literarisch thematisiert ist diese Unsterblichkeit des Namens bei Arno Schmidt in seiner Erzählung ,Tina oder die Unsterblichkeit‘ (vgl. Arno Schmidt, Tina oder die Unsterblichkeit. Studienausgabe Band 1/ 2, Zürich 1992, 172). Vgl. N III (Prolegomena) 125, 26f. „In diesem Sinne ist die Taufe eine kommunikative Handlung der Gemeinde, die zur Einfügung des einzelnen in die Gemeinde der an Christus Glaubenden und unter seiner Herrschaft Lebenden führt.“ (Kühn, Sakramente, 239).
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Kripkes Gedankengang ist einer religiösen Auffassung kongruent. Es sollen keine notwendigen und hinreichenden Bedingungen der Referenzfestlegung als Verhältnisse zwischen dem Träger eines Namens und etwa seinen Eigenschaften gegeben werden, sondern es soll beschrieben werden, wie der so eigentümlich theoriefeindliche Gebrauch von Namen in einer Sprache entstanden sein muß. Da Kripke sein Hauptaugenmerk auf ein Bild der Wirklichkeit und nicht auf die es zu fundieren suchende Theorie legt, ist ihm an der Ausarbeitung der Theorie nicht gelegen, sondern vielmehr an einer korrekten, angemessenen Beschreibung dessen, ,was sich abspielt‘.53 Die Taufe ist nicht die notwendige Bedingung der Referenz, sie ist Identitätsstiftung selbst. Der Sprachgebrauch wird bestimmt durch einen historischen Prozeß, das heißt durch die jeweilige Reinszenierung eines zuvor in vollmächtiger Weise stattgehabten Ereignisses.
III.
Erfahrung der Sprache
Anders als viele Theoretiker meinen, ist laut Kripke nicht die Theorie, sondern das von ihr gelieferte Bild primär. Als Abbildung dessen, wie Namen im normalen Sprachgebrauch verwandt werden, ist das vormalige Ergebnis einer Theorie in bezug auf das Ziel einer Untersuchung über Namen und deren Referenz zum primären Faktor aufgestiegen. Dies bedeutet, daß wenn das Bild, welches sich aus einer Theorie ergibt, als angemessen beurteilt werden kann, es auf jeden Fall beizubehalten ist. Wenn der ihm zugrundeliegenden Theorie also Fehler in bezug auf Konsistenz und ähnliches nachgewiesen werden können, bedeutet das nicht, daß auch das gegebene Bild hiermit erledigt ist, sondern nur, 53 Stegmüllers Forderung an Kripke, die „Theorie der Kausalkette zu formulieren“ beruht genau auf dem Mißverständnis, die Theorie als wichtiger anzusehen als das Bild. Es ist für Kripke nicht nötig, die Theorie gleichsam in ,horizontaler Weise‘ mit einem Satz hinreichender und notwendiger Bedingungen zur Verallgemeinerung der Referenzfestlegung eines jeden Namens auszubauen, weil es sich lediglich um den Versuch handelt, den sich im Moment darbietenden Gebrauch ,vertikal‘ als historisch bedingt zu erklären. (Stegmüller, Hauptströmungen, 246). Gareth Evans scheint wenigstens bei seinen Untersuchungen der ,Theorie‘ Kripkes realisiert zu haben, daß Kripke eben keine solche Theorie präsentieren möchte: „Ich sollte sagen, daß Kripke absichtlich darauf verzichtet hat, seine Ideen als eine Theorie zu präsentieren. Ich werde sie zusammenfassen müssen, und ich werde einige nicht intendierte Richtungen der Verallgemeinerung vorschlagen; deshalb sollte Kripkes Aufsatz geprüft werden, ehe man ihm die Kausale Theorie, die ich erörtere, zuschreibt.“ (Gareth Evans, Die Kausale Theorie der Namen, in: Wolf, Eigennamen, 309, Hervorhebung von mir.) Man möchte sich wünschen, daß der von der Sekundärliteratur ausgehende Impuls, Kripkes Überlegungen theoretisch zu verallgemeinern, als Eigengewächs des jeweiligen Sekundärautors ebenso deutlich gemacht sein würde wie hier bei Evans. Dieser liefert im folgenden genau die Art von ,horizontaler Theorie‘ mit Bedingungen für die Referenzfestlegung von Namen, die Kripkes Quasitheorie gerade nicht sein will. (Vgl. Evans, aaO., 315.).
Erfahrung der Sprache
127
daß die bisher für Theorien überhaupt angenommenen Konsistenzregelungen bei der Anwendung auf die Praxis des Sprachgebrauchs zum Zwecke von dessen Beschreibung schlechthin unangemessen sind. Dies scheint jedenfalls Kripke mit der Aufzeigung der den obersten Grundsatz einer Theorie verletzenden Vorgehensweise des normalen Sprachgebrauchs andeuten zu wollen.54 Es bedeutet aber auch, daß es erlaubt sein kann, die Theorie von dem sich aus ihr ergebenden Bild insofern zu trennen, als daß nach einer Erklärung (die noch nicht vollgültigen Theoriestatus haben muß55), die das als angemessen beurteilte Bild unterstützen könnte, beliebig gefahndet werden kann, solange nur das als angemessen betrachtete Bild dabei entsteht. Nicht das Bild der Wirklichkeit erweist sich somit als austauschbar, sondern die als zugrundeliegend angenommene Theorie. Nicht der Begriff, sondern die Erfahrung ist primär. Was Kripke hier der Tradition derjenigen vorwirft, die sich mit Namen und ihrer Referenz befaßt haben, ist, daß sie einer falschen Präferenz aufgesessen sind, indem sie vor der Beschreibung dessen, was in der Wirklichkeit abläuft, der widerspruchsfreien Erklärung der Bedingungen für das Ablaufende in Form einer ausgefeilten Theorie, sprich einer Transzendenz, den Vorzug gegeben haben. Dieser Mechanismus des Unabhängigmachens von der Erfahrung entspricht Hamanns Vorwurf an Kant hinsichtlich des zweiten Purismus der Vernunft, denn dies: […] läuft auf nichts weniger als eine Unabhängigkeit von der Erfahrung und ihrer alltägl. Induction hinaus – Denn, nachdem die Vernunft über 2000 Jahre, man weiß nicht was? Jenseits der Erfahrung gesucht, verzagt sie nicht nur auf einmal an der progressiven Laufbahn ihrer Vorfahren, son[dern] verspricht auch mit eben so viel Trotz den ungedultigen Zeitverwandten, und zwar in kurzer Zeit, jenen allgemeinen und zum Katholicismo und Despotismo nothwendigen und unfehlbaren Stein der Weisen, dem die Religion ihre Heiligkeit und die Gesetzgebung ihre Majestät flugs unterworfen wird […].56
Der theoretische Despostismus findet seinen beredtsten Ausdruck in der Suche nach strenger Allgemeinheit und absoluter Notwendigkeit als sichersten Kennzeichen einer Erkenntnis a priori57, die auf die Erfahrung der Wirklichkeit keine Rücksicht mehr zu nehmen braucht. Die Theorie ist auf die Synonymität 54 Vgl. Kripke, Naming, 83. 55 Vgl. Kripke aaO., 93. 56 Bayer, Vernunft ist Sprache, 254. Von einem Katholizismus in Bezug auf die Taufe sagt Luther (WA 47, 643, 12–20): „Ego educatus in hoc errore, quod putavi frustra esse baptismum meum. So tieff hat der krebs in cor et ingewurzelt, ut non possit etc. Qui post baptismum peccavit, ei inutilis baptismus. Ista praedicatio per totum papatum et adhuc. Incipe novum baptismum, ito in monasterium. Pfu dich, quod das dreckwerck sol hoher setzen quam verbum Dei, Christi sanguinem et institutionem. […] Dederunt pueris Baptismus, sed adultis dixerunt nihl ess etc.“ 57 Vgl. Bayer aaO., 258.
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Semper repetendus baptismus
von Notwendigkeit und Apriorizität angewiesen. Nach Kripke aber zeigt sich gerade in der Betrachtung von Namen im alltäglichen Sprachgebrauch die Möglichkeit aposteriorischer Wahrheiten oder kontingenter Wahrheiten, die als solche der Erfahrung ihre Würde von der theoretischen Anmaßung zurückverleihen.58 Im Nachdenken über Namen gilt das Primat der Erfahrung. Dieser Bezug zur Wirklichkeit, die sinnliche Vermittlung referentieller Inhalte durch Namen, ist nur möglich in einer phänomenalen Erfassung, einer Deskription. Diese will Kripke vor allem leisten und erst in sehr nachgeordneter Position eine Theorie erarbeiten, die aber auch nicht als Aufweis von Bedingungen, sondern als Versuch einer historischen Erklärung des beschreibend Vorgefundenen verstanden werden will. Kripkes Position ist selbst Theoriekritik. Sprachanalyse bedeutet die Reinigung des Bildes der Sprache von theoretischer Begrifflichkeit zugunsten einer Rekontaminierung des Bildes mit der Erfahrung des Sprachgebrauches hinsichtlich seiner spezifischen Geschichtlichkeit. Je mehr Intuition des natürlichen Sprachgebrauchs erhalten wird, desto besser ist dies für die Deskription.59 Kripkes starrem Gebrauch von Namen im alltäglichen Sprechen entspricht Luthers These von dem bleibenden Gebrauch der Taufe im Glauben.60 Die beiden Prozesse haben Abbildfunktion: „Die Taufhandlung selbst hat die Funktion eines von Gott gesetzten Zeichens in dem Sinne, dass sie ,abbildet, was die Worte bedeuten‘ (6,531,29), aber eben nicht den Sinn eines ohne Glauben ,wirksamen Zeichens der Gnade‘.“61 Die Taufe dient als Bedeutungsabbildung für den Gebrauch.62 Ihre Verheißung ist in der Predigt immer neu festzuhalten.63 Kripke setzt mit seiner Betonung des Bildes vor der Theorie die Adäquanz des Bildes hinsichtlich der sprachlichen Wirklichkeit primär vor die Konsistenz der Theorie. In diesem Hinblick unternimmt er die Rückführung der wissenschaftlichen Rede auf die Sache selbst, über die in bestimmter Weise gehandelt, also theoretisch geredet wird; er führt zurück zum natürlichen Sprachgebrauch. Um mit Hamann zu sprechen: Vernunft ist Sprache. Die Erfahrung des Sprachgeschehens ist vor der Theorie. Diese Grunderkenntnis soll hinführen zu einem Standpunkt, der sich ,dem, was sich abspielt‘, potentiell als offen erweist: Beschreibung ist wichtiger als theoretische Erklärung.64 58 59 60 61 62 63 64
Vgl. Kripke, Naming, 38, auch 140. Vgl. Kripke aaO., 12. Vgl. Schwab, Entwicklung und Gestalt, 316. Kühn, Sakramente, 30. Vgl. Grönvik, Taufe, 125. Vgl. Ferckel, Gepredigte Taufe. Vgl. auch Kripke, Naming 3, hier wird die Rigidität als eine Möglichkeit bezeichnet, die in formalen Sprachen existiert. Übertragen hieße dies vielleicht, daß keine theoretisch bedingte Notwendigkeit besteht, dieses Konzept zu verwenden, sondern es sich ,nur‘ als das bis jetzt angemessenste erwiesen hatte. Siehe auch Kripke, Naming 10. Hier gibt Kripke zu, daß
Taufe und Zeit
IV.
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Taufe und Zeit
Eine Kritik an Kripke muß auf einer anderen Ebene stattfinden als sie in den rein sprachphilosophischen Arbeiten bisher gewählt wurde. Das Wort wird zum Maßstab des theoretischen Tuns. Bei Hamann und Luther ist dies begründet im Gehorsam gegenüber dem ewigen Wort. Dieser Gehorsam greift auch im Hören auf das, was geschieht (,what’s going on‘) bei Kripke. Jedoch ist er mit seinem Gebrauch sakramentaltheologischer Konzepte nicht radikal genug, obwohl dies sein eigener Gedankengang weiter fordern würde. Da er selbst das Bild der Wirklichkeit als primär betrachtet, sollte sich eine Auseinandersetzung mit ihm auf der Ebene dieses Bildes bewegen. Die grundlegende Frage nach den Kriterien, nach denen man (auch nach Kripke), die Angemessenheit eines Bildes zur Wirklichkeit beurteilen muß, ist hier von besonderem Interesse. Die Frage nach diesen Kriterien ist eng verbunden mit der Frage nach dem Boden und dem Standpunkt, von dem aus die Frage nach der Adäquanz eines Bildes zur Wirklichkeit angegangen wird. Welche Voraussetzungen argumentativer Natur hat Kripke explizit oder implizit gemacht, wenn er seine Lehre von den starren Designatoren als die der Wirklichkeit angemessenen Beschreibung postuliert? Die Hauptpunkte, an denen eine sinnvolle Beschäftigung mit ,Naming and Necessity‘ einsetzen kann, beziehen sich auf die Adäquanz und Konsequenz des von ihm gebrauchten Bildes. Trifft es zu, daß die Rede von starren Designatoren den normalen Sprachgebrauch angemessen abbildet? Genau hier sind gravierende Zweifel erlaubt. Und dies hat einen sehr einfachen Grund. Es stellt sich nämlich heraus, daß gerade dasjenige, worauf die Definition des Begriffes ,starrer Designator‘ gegründet ist, eine Redeweise ist, die im normalen Sprachgebrauch überhaupt nicht in Erscheinung tritt. Kripke führt diesen Begriff wie folgt ein: „Let’s use some terms quasi technically. Let’s call something a rigid designator if in every possible world it designates the same object, a nonrigid or accidental designator if that is not the case.“65Wenn Kripke die Rede von starren Designatoren definiert mit dem Ausdruck starr referierend ,durch alle möglichen Welten hindurch‘ (gleichgültig, wie diese Welten auch stipuliert sein mögen), so stellt er die Definition des Begriffes ,starrer Designator‘ in einen Zusammenhang, der von
Intentionen, die zur Unterstützung der Redeweise von der Rigidität auch die Möglichkeit offenlassen, sie gegen die Rigidität zu interpretieren. Dies zeigt, daß es ihm auf die theoretische Stützung des Bildes außerhalb bestimmter Adäquanzkriterien wenig ankommt. Bealers großangelegter Versuch, Kripke aus dieser Möglichkeit der gegenteiligen Interpretation einen Strick zu drehen, löst sich somit in Luft auf (George Bealer, Mental properties, Journal of Philosophy 91 (1994), 192ff.). 65 Kripke, Naming, 48.
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Semper repetendus baptismus
dem normalen Sprachgebrauch meilenweit entfernt ist. In seinem Buch ,Beyond Formalism‘ hat Jay Rosenberg auf diesen Punkt aufmerksam gemacht: Rather, what is perhaps clear enough in the corresponding formalisms tends simply to go unremarked in substantive philosophical discussions, and when Kripke turns to his explicit exploration of the way in which proper names in our natural language are related to their referents, triadic relations are nowhere in evidence at all. Nor is this especially surprising, for ,possible worlds‘ is a term of art which has no clear counterpart in everyday discourse. It is appropriate to inquire, then, whether there is not perhaps another strategy for understanding the notion of rigid designation.66
Die Rede von ,möglichen Welten‘ tritt nämlich nur in einem eng beschränkten Raum des Sprechens über eine Theorie auf und zwar in der bisherigen Reflexion über die Referenz von Namen. Im Rahmen des alltäglichen Sprachgebrauchs, so stellt Michael Devitt heraus, hat diese Definition keinerlei erklärenden Wert, da sie sich nur auf ein theoretisches Problem bezieht.67 Das Querwelteinproblem, auf das Kripke seine Definition des beschreibenden Ausdrucks ,starrer Designator‘ stützt, ist nur möglich in dem Zusammenhang des theoretischen Nachdenkens über die Referenz von Namen. Daß Kripke solcherart seine Auffassung im Sprachraum der Theorie ansiedelt, widerspricht seinem Anspruch, ein wahres Bild der Wirklichkeit liefern zu wollen. Eine andere Strategie ist also zum Verständnis der starren Designatoren notwendig. Diese Strategie hat Kripke selbst vorgeschlagen. Zwar kennt den Ausdruck ,rigid designator‘ nur ein Bruchteil der Sprachnutzer, wohl aber ist ein anderer Ausdruck ungleich geläufiger, nämlich der der Taufe. Namensträger sind nicht starr designiert, sondern getauft. Im Bezug auf Namen gilt ein rigider Sakramentspositivismus. Und gleichzeitig kann die Taufe als das Bild für die
66 Jay F. Rosenberg, Beyond Formalism. Naming and Necessity for Human Beings, Philadelphia, 1994, 44. Die von Rosenberg angeforderte alternative Definition des Ausdrucks ,rigide Designatoren‘ (statt seiner Füllung über das Konzept der möglichen Welten) ist für Kripkes Ziel, ein angemessenes Bild des natürlichen Sprachgebrauchs zu liefern, nur zu verständlich. Es wäre nur noch hinzuzufügen, daß dieser unglückliche Sprachgebrauch Kripkes die Kritik an ihm als Theoretiker erst möglich macht. Wenn Rosenberg das Konzept von ,Naming and Necessitiy‘ somit vermenschlichen, sprich vom Himmel der Theorie auf die Ebene des menschlichen Sprachgebrauchs verlagern will, so trifft sich seine Intention mit derjenigen Hamanns: „Weil es mir aber nicht gegeben ist, hierüber viel jat’enowgm zu sagen, so werde ich meine Betrachtungen jat’amhqypom anstellen.“ (Johann Georg Hamann, Kleeblatt Hellenistischer Briefe, hrsg. von Karlheinz Löhrer, Frankfurt/ Berlin/ Bern/ New York/ Paris/ Wien 1994, 43). Das religiöse Bild der Taufe ist menschlicher als das technische Kripkes. 67 Devitt schreibt. „The problem with it is that the notion of rigid designation is explained by the metaphor of ,possible worlds‘ This metaphor typically gives an illusion of explanatory power and understanding where none exists (…). We must remove this metaphor. When we do so, interest in rigid designation disappears.“ (Michael Devitt, Designation, New York 1981, 212f.).
Taufe und Zeit
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Übersetzung der Sachen in Namen gelten, von der Hamann redet.68 Die Wirklichkeit der Sprache ist der Bereich der Taufe, die Theorie der der starren Designation. Der theoretische Kontext, in der Kripkes Tauflehre unausdrücklich auftaucht, ist somit Symptom, eine unreflektierte Folge einer im Grund religiös motivierten Namensgebung. Es scheint, als habe Kripke nicht ein Bild der normalsprachlichen Wirklichkeit, sondern eher ein Bild der normalsprachlichen Wirklichkeit des theoretischen Sprechens im kommunikativ etablierten theoretischen Diskurs aufgezeigt. Dort, im theoretischen Sprechen, spricht man im Nachdenken über Referenz so, als ob Namen in der von Kripke beschriebenen Weise starre Designatoren wären, als ob sie nämlich durch alle möglichen Welten hindurch starr designierten. Dies, so hat Kripke gezeigt, ist die Grundvoraussetzung, auf der erst Kennzeichnungstheorien und das Querwelteinproblem erwachsen können. Jedoch setzt die von Kripke gegebene Definition für den Term, der dieses Problem lösen soll, selbst wieder ein Querwelteinproblem voraus, indem nämlich der Terminus ,mögliche Welten‘ hier auftritt.69 Auch für Kripke müßte also gelten: Die Annihilation des Querwelteinproblems setzt das Querwelteinproblem voraus, wie er herausgestellt hat, daß es sich ebenso umgekehrt verhält. In diesem Sinne, so könnte man weiter folgern, gibt Kripke keine Phänomenologie des normalsprachlichen Gebrauchs von Namen, sondern eine Phänomenologie des wissenschafts- oder theoriesprachlichen Gebrauchs von Namen. Jedoch fußt die theoretische Beherrschung der Welt auf der Fähigkeit zur Namensgebung, das heißt der Benennung. In diesem Sinne ist der Name als Herrschaftsinstrument notwendig. […] weil die Herrschaft des ersten Menschen über das Thierreich und des Philosophen über den Zusammenhang der Dinge sich durch Namen und die Willkühr selbige zu münzen offenbart.70
Die stillschweigende Voraussetzung, der Boden, von dem aus Kripke auf den normalsprachlichen Gebrauch von Namen hinblickt, ist somit die Sprache der Theorie über Namen und Referenz, die daran deutlich wird, daß er den Begriff des starren Designators mit einer Erklärung füllt, die auf der Voraussetzung fußt, 68 Vgl. N II (Aesthetica in Nuce) 199, 5. 69 Boshafte Menschen würden dieses Faktum jetzt so interpretieren, daß doch offensichtlich die Grundbedingung einer Theorie, nämlich nicht zirkulär zu sein, in diesem Fall wohl nicht Theorien bestimmen kann: sie scheint in jedem Fall zirkulär zu sein. Die Kennzeichnungstheorie setzt mit ihrem Versuch zur Lösung des Querwelteinproblems dieses schon als gelöst voraus (dies hat Kripke gezeigt) und die Auflösung des Querwelteinproblems durch den von Kripke eingeführten Terminus beruht eben auf dem Querwelteinproblem. Weiter gedacht: Eine Auflösung des Querwelteinproblems löst sich selbst auf. 70 N II (Chimärische Einfälle) 161, 7–10.
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Semper repetendus baptismus
daß ,mögliche Welten‘ als theoretische Entitäten existieren.71 Der Mensch maßt sich ein Zweitschöpfertum an. Von dieser Zweitschöpfung aber darf nichts abhängig sein, schon gar nicht ein Bild dessen, was sich in der Wirklichkeit abspielt. Ohne die Rede von ,möglichen Welten‘ bliebe der Ausdruck ,starrer Designator‘ leer.72 Die Taufe hingegen stellt den Menschen zurück in seine ihm zugesagte Kreatürlichkeit. Und da die Rede von ,möglichen Welten‘ in dem Sinne, wie Kripke sie gebraucht, nur in dem bestimmten Kontext des theoretischen Nachdenkens über Referenz stattfindet, bezieht sich das, was Kripke mit dem Ausdruck „true picture of what is going on“ bezeichnet, offenbar nicht auf die alltägliche Sprache, sondern auf die Sprache, wie sie im theoretischen Kontext, also einem abstrahierenden Kontext verwandt wird. Dies sieht Kripke selbst ganz ähnlich: In the actual development of our thought, judgements involving directly expressed modal locutions (,it might have been the case that‘) certainly come earlier. The notion of a ,possible world‘, though it has its roots in various ordinary ideas of ways the world might have been, comes at a much greater, and subsequent, level of abstraction.73
Wie Namen im alltäglichen Sprachgebrauch referieren, ist hiermit noch nicht klar, und ob die Referenz von Namen im normalen Sprachgebruch überhaupt ein Problem darstellt, ebenso wenig. Dies bedeutet, Kripke liefert zwar ein angemessnes Bild der sprachlichen Wirklichkeit des theoretischen Diskurses, aber so doch wohl nicht automatisch ein Bild der Normalsprache.74 Vielleicht ist durch den Vergleich von Kripkes Lehre mit den Autorhandlungen Hamanns eine andere Interpretation der Situation möglich. Kripkes Bild ist als Theorie zweifelhaft, und dessen ist er sich ohne Zweifel bewusst. Ist seine von ihm so bezeichnete Quasitheorie als Parodie einer Theorie im Sinne Hamanns zu begreifen, also als eine konkrete Inszenierung des Prozesses der 71 In diesem Sinne sind die Voraussetzungen des Kripkeschen Standpunktes, wie sie etwa Alan Sidelle als eine privilegierte Ontologie kennzeichnet, sekundär. Das Problem einer privilegierten Ontologie kann nur innerhalb eines Kontextes erwachsen, in dem Rigidität qua Rigidität überhaupt ein Problem darstellt, d. h. in dem von möglichen Welten die Rede ist. (Alan Sidelle, Alan, Rigidity, Ontology, and Semantic Structure, Journal of Philosophy (1994, S. 410–430.) 72 Vgl. hierzu Baruch Brody, „[…] it is unclear what rigid designation can mean over and above the description’s lying outside the scope of the modal operator.“ (Baruch Brody, Kripke on proper names, in: Contemporary perspectives in the philosophy of language, ed. by Peter A. French, Theodore E. Uehling jr. and Howard K. Wettstein, Minneapolis 1979, 79). 73 Kripke, Naming, 19. 74 Vgl. Kripke aaO., 3f. „In speaking of rigid designators, we are speaking of a possibility that certainly exists in a formal modal language. Logically, we as yet are committed to no thesis about the status of what we ordinarily call ,names‘ in natural language.“ Dies ist genau richtig: Von der bestehenden Möglichkeit läßt sich keine Verbindungslinie zum Gebrauch von Namen in der Umgangssprache ziehen.
Taufe und Zeit
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Theoriebildung in entlarvender Absicht?75 Die Form seines Textes, welche trotz ihres informellen Charakters jetzt immerhin schon über dreißig Jahre Bestand hatte, könnte dies wahrscheinlich machen. Kripke spielt das Spiel der Theoretiker vor, um bestimmte Grundprozesse abstrahierender Theoriebildung und deren Auswirkungen auf die Angemessenheit eines von der Theorie gelieferten Bildes deutlich zu machen. Festzuhalten ist jedoch: Die normalsprachliche Wirklichkeit ist nicht theoretisch, sondern sakramental geprägt, basierend auf dem Sakrament der Taufe. Lebendig ist das Bild der starren Designatoren nur im konkreten Taufverständnis. Von der babylonischen Gefangenschaft in der Theorie muß Kripkes Tauflehre befreit werden. Namen sind unsere Glaubensbekenntnisse, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht.76 Die Einsetzung des Namens ist in seiner Rigidität als sakramental zu bezeichnen. Genauer gesagt ist sie lutherisch. Die Taufe ist ein Werk Gottes. Die Taufe ist ein Satz heiligen Rechts, welche allein von Gottes Zusage konstituiert und somit der Name durch Machtspruch festgelegt ist.77 Den Missbrauch durch den theoretisierenden Menschen hebt die Taufe selbst jedoch nicht auf, ebenso wie die Taufe nicht abhängig ist vom Glauben des Empfängers.78 Das Wort beziehungsweise der Name ist nicht auf das Element, die eigenschaftlich beschreibbare Materie, sondern auf den Empfänger, den ein für alle Male Benannten, ausgerichtet. Der Taufvorgang ist ein zutiefst personalisiertes Geschehen, welcher in die (Sprach-) Gemeinschaft versetzt. Die ,Wirkung‘ der Taufe ist allein von der Gnade Gottes abhängig und geprägt; das hinter dem Taufvorgang stehende Wort ist nichts anderes als die Mitteilung göttlicher Energien79 und von diesen in ihrer Rigidität abhängig. Die Taufe ist so das durch das Wort wirksame Zeichen, der Name gründet auf dem sakramentalen Wort Gottes.80 Ohne diese Tauflehre fehlt den Ausführungen Kripkes das Fundament, das bei Hamann so beschrieben ist: Er spricht: so geschiehts! – ,und wie der Mensch alle Thiere nennen würde, sollten sie heissen“. – Nach diesem Vor- und Ebenbilde der Bestimmtheit sollte jedes Wort eines 75 Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 380. 76 Vgl. Rosenstock-Huessy, Atems 170. Vgl. die Ausführungen von Josef Simon hinsichtlich Hamanns Überlegungen zur Sprache: „Glaube ist das rezeptive Annehmen einer tradierten Sprache als einer wesentlichen Bedingung aller Orientierung in der Welt als tragender Gegensatz zum deduktiven Ableiten aus Prinzipien, die als diese besonderen Sätze wieder ,geglaubt‘ werden, wie ,unser eigen Dasein und die Existenz aller Dinge ausser uns‘.“ (Josef Simon, Einleitung, in: Johann Georg Hamann, Schriften zur Sprache, herausgegeben von Josef Simon, Frankfurt 1967, 80). 77 Vgl. Bayer, Promissio, 241. 78 Die Taufe hat ewigen Bestand, Fehl und Sünde heben die Taufe nicht auf (vgl. Ferckel, Gepredigte Taufe, 199). 79 Vgl. N III (Rosenkreuz) 32, 21–31. 80 Vgl. Schwab, Entwicklung und Gestalt, 320 beziehungsweise 324.
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Mannes die Sache selbst seyn und bleiben. Auf diese Ähnlichkeit des Gepräges und der Überschrift mit dem Muster unseres Geschlechts und dem Meister unserer Jugend – auf dieses Recht der Natur, sich des Worts, als des eigentlichen, edelsten und kräftigsten Mittels zur Offenabrung und Mittheilung unserer innigsten Willenserklärung zu bedienen, ist die Gültigkeit aller Verträge gegründet, und diese feste Burg der im Verborgenen liegenden Wahrheit ist aller welschen Praktik, Maschinerey, Schulfüchserey und Marktschreierey überlegen. Der Misbrauch der Sprache und ihres natürlichen Zeugnisses ist also der gröbste Meineyd, und macht den Übertreter dieses ersten Gesetzes der Vernunft und ihrer Gerechtigkeit zum ärgsten Menschenfeinde, Hochverräter und Widersacher deutscher Aufrichtigkeit und Redlichkeit, worauf unsere Würde und Glückseeligkeit beruht.81
Aufgrund dieser göttlichen Einsetzung besteht kein Unterschied zwischen der benannten Sache und dem in der Taufe gebrauchtem Wort und hat von ihr her ihr Bleibendes, ihre ,Starre‘ über alle theoretischen Versuche hinaus. Die Identität zwischen Name und Benannten ist insbesondere wirksam im Reich der Verträge, das heißt im öffentlichen und gemeinschaftlichen Raum einer Sprachgemeinschaft von Sprechenden. Sie ist die im lutherschen Sinne feste Burg der Möglichkeit des Sprechens, welche gegen die Maschinerie des theoretischen Systems und gegen die Schulfüchsereien seiner logischen Zwänge unbeeindruckt bestehen bleibt, solange die göttliche Zusage währt. Verrat an diesem ersten Gesetz der Vernunft ist Hochverrat an der Sprache, wie sie gebraucht wird. Dies ist in nichttheoretischer Sprache die Lehre Kripkes. Aufgrund dieses Eingesetztseins durch Gottes Wort kann Hamann in seiner Kantkritik über Wörter schreiben: Wörter haben also ein ästhetisches und logisches Vermögen. Als sichtliche und lautbare Gegenstände gehören sie mit ihren Elementen zur Sinnlichkeit und Anschauung, aber nach dem Geist ihrer Einsetzung und Bedeutung zum Verstand und Begriffen.82
Diese Benennung ist heilsgeschichtlich gewiß.83 Wir referieren mit Namen in einer solchen heilsgeschichtlich geprägten Gewissheit. Gott ist die ubiquitäre Garantieinstanz des Nennens84 und bestimmt die Zeit ihrer Gültigkeit. Die Starre des Designators ist charakterisiert durch die Zeitlichkeit als bleibende Zusage. Die lebenslange Bedeutung der Taufe, ihre bleibende Kraft, ist als ständiger und somit beständiger Prozeß bestimmt85, der als solcher den ständigen Zugang des Menschen zur Kraft der Taufe ermöglicht.86 Die Lutherische Bestimmung des (Wort-)Zeichens charakterisiert sich darin, 81 82 83 84 85 86
N III (Golgatha und Scheblimini) 301, 18–33. Bayer, Vernunft ist Sprache, 374. Vgl. Bayer, Promissio, 263. Vgl. Grönvik, Taufe, 28ff. Vgl. Schwab, Entwicklung und Gestalt, 59. Vgl. Grönvik, Taufe 110.
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daß es streng auf die Zusage bezogen und daß allein aus ihr sein Recht und seine Funktion im Sprachgebrauch erwiesen wird.87 Im Gebrauch, also im Geschehen findet durch die immer wiederholte Benennung die Bestätigung der Rechtmäßigkeit und Gültigkeit der Taufe statt.88 In der Nennung und Anrufung ereignet sich die Person als vom Sprecher anerkannte. Die Rechtfertigung der Benennung besteht in der Treue Gottes zum ergangenen Wort respektive Namen. Gott ist Garantie des Bleibens beziehungsweise der Starre des Namens: Jedes endliche Ding hat vor und hinter sich eine Ewigkeit, Gränzen des Orts und der Zeit, hingegen bey Gott ist dasjenige, was am Anfange geschah, gegenwärtig und das, was am Ende der Zeit und der Tage geschehen soll, gegenwärtig […] Was gewesen ist, ist gegenwärtig vor Gott, und was seyn soll, ist als vergangen vor ihm. Er ist nicht nur Herr des Zukünftigen, sondern auch des Vergangenen, indem dasjenige, was im Strom der Zeit fortgetrieben ist, auf seinen Ruff zurückkommt und von neuen erscheint.89
Die Referenztheorie der Sprache mündet somit notwendig ein in eine Sprachtheologie. Der starre Designator ist eine Frucht der Sakramentalität der Sprache. Die ,chain of communication‘ wird so zu einer ,Chain of Being‘. Hamann beschreibt diese Sakramentalität ganz im Sinne von Kripkes historischer Tauflehre wie folgt: Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel; antwortete und sprach der Täufer Johannes. Selbst diesen seinen Namen empfing er nicht erst bey einem Collisionsfalle der Beschneidung durch eine casuistische Entscheidung zwischen eiteln Wandel nach väterlicher Weise und Neuerungssucht; sondern schon vor der Empfängnis durch einen himmlischen Herold derselben. Nein, jede Analogie, sie sey ersonnen oder gefunden beruht auf einer demissa coelo, quae formam loquendi dedit.90
Die himmlische Taufe in der Vergangenheit hat eine weitergehende zeitliche Relevanz. Die Taufe umfasst als Heilsgeschehen die Zeit.91 Sie ist sowohl ein Faktum der Vergangenheit als Existenzbestimmung in Form einer Verheißung, als auch Gegenwart als beständiger Taufwiederholungsprozeß und ebenso Zukunft als Dauerhaftigkeit ihrer Gültigkeit.92 Im Bezug auf Kripkes Quasitheorie der Taufe lässt sich sagen: Der Name eröffnet die heilsgeschichtlich relevante Zeit als Zukunft und Vergangenheit und 87 Vgl. Bayer, Promissio, 265. 88 Man vergleiche die magische Hoffnung, durch die Benennung Macht über Unbegreifliches zu gewinnen (Faust, Hamlet, Rumpelstilzchen). (Hanne Kulessa, Magie der Namen: Aberglaube und Literatur, in: Alves, Namenzauber, 93) Die Benennung reinszeniert die Taufe als die zusprechende Macht Gottes. 89 N I (Biblische Betrachtungen) 170, 2–15. 90 N III (Ein fliegender Brief. Zweite Fassung), 377, 17–379, 6. 91 Vgl. Grönvik, Taufe, 133. 92 Vgl. Ferckel, Gepredigte Taufe, 207.
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damit auch die Möglichkeit möglicher Welten als Stipulation kontrafaktischer Situationen wie auch als Spekulationen. Der Begriff der möglichen Welt ist somit zeitlich zu übersetzen und an die konkrete Tauferfahrung zurückzubinden. Was ist also das wahre Bild von dem, was im alltäglichen Sprachgebrauch abläuft? Was stattfindet, ist das Wirken der göttlichen Einsetzung im Gebrauch von Namen. Hiervon liefern Luther, Hamann und Kripke in ihren jeweiligen Sprach- und Tauflehren angemessene und erstaunlich übereinstimmende Bilder. Für alle gilt: Im alltäglichen Sprachgebrauch hat der Name die eindeutige Priorität vor Begriffen: Wer denkt oder begreift, spricht damit noch lange nicht! Und erst wer nennt, handhabt Sprache verantwortlich. Namen versichern uns eben der Wirklichkeit des Unbegreiflichen: des Lebens. Dein Name ist ja dein noch ungelebter Teil, dank dessen ich dir deine noch unbegreifliche Zukunft einräume.93
93 Rosenstock-Huessy, Atem, 58.
IV.
The Semiotics of Johann Georg Hamann
In the following, I would like to present the work of Johann Georg Hamann (1730–1788) as to be related to Peircean semiotics in a (not surprisingly) threefold, though closely interrelated, way. First, I intend to show that his writings can be used as an object for semiotic analysis, second, I am going to present Hamann’s thinking a predecessor model of semiotics and finally, I like to stress that his thinking contains elements that might criticize some basic assumptions of Pierce’s semiotics. In general, one might, as Stefan Majetschak does, examine Hamann’s thinking as a philosophical ‘theory of signs’ avant la lettre.1 The reason why Hamann might be presented in this threefold manner roots in the fact that all of his philosophical writings deliberately start out from an explicitly (and sometimes notoriously) Christian and, to be more precise, Lutheran perspective and standpoint (what do I do – I lutherize, he wrote in one of his letters).2 In fact, contemporaries described him as Lutherus redivivus. Hamann situated himself in manifold (agonal) religious contact situations, opposing deistic and atheistic positions of the Enlightenment movement as well as ‘catholic’ tendencies in philosophy and theology and, last but not least, the official Lutheran orthodoxy and their Pietistic opponents. So he might, on the one hand, be considered as an example of religious object-language to which semiotic metalanguage can easily and fruitfully be applied. But then, these characteristics, on the other hand, can also be used in order to demonstrate Peircean shortcomings concerning the object-language/ meta-language relation.
1 Stefan Majetschak, Über den ‘Geschmack am Zeichen’. Zu Johann Georg Hamanns Begriff des Textes, des sprachlichen Zeichens und des Stils, Kodicas/Code 10 (1987), 135–151, here 135. 2 See his letter to Johann Gotthelf Lindner from March 21, 1759 (ZH I, 307).
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The Semiotics of Johann Georg Hamann
I. I would like to begin with an example of the application of semiotics to the individual as well as to the author Johann Georg Hamann. This is not some farfetched idea, because to his contemporaries Hamann’s mere existence was some special kind of sign. For example, his friend and pupil Friedrich Heinrich Jacobi wrote in a letter to Hamann: “You are a powerful sign for me. (Du bist mir ein gewaltiges Zeichen.)”3 Later on Isaiah Berlin held the opinion that Hamann was the first sign of rising German irrationalism.4 One of his favorite and most popular self-descriptions is Magus in Norden (magus in North) which is quite significant for the magus in biblical tradition is a lover and interpreter of signs (and, thus, following a star that indicates the birth of the Messiah). But there is some other viewpoint that renders a study of Hamann and his thinking by means of semiotics to be fruitful. Hamann (not only theologically) identifies himself to be the author of certain texts. This is by no means a trivial remark. One might say that his identification with authorship got as far as publishing all of his texts anonymously. The man is his style, as Hegel put it, or, in Hamann’s case: Man is texture (composed of individual, local, and personal elements). His writings, the texture, are the manifestations of his testimony of Christ. So his writings, all of them short, dense, and complicated, might be considered as striking examples of extremely condensed religious signs, combining all the features of iconicity, indexicality and symbol (though one has to bear Jonathan Z. Smith’s warning in mind about the romantic fixation of the researcher on condensed phenomena.)5 For it is not only the complicated content of the texts but also that what Hamann calls its ‘face’ (Antlitz) that matters. For some reasons (mostly because they are model forms, Formulare), he states that certain texts – mostly stories of the Bible – do read the readers and not the other way round: “The Story of Joseph is like those pictures which look at us no matter from which side you look at them. In that way we see the look of the Savior which shines out from his life.”6 All of Hamann’s writings are not mere texts, but highly reflected author’s actions (Autorhandlungen) which combine semiotics on different levels. Hamann’s writings are communicative in essence. Despite their forbidding appearance, none of them can be considered to be a self-content monologue. Rather, all of them are reactions or responses, for example to a letter, or as a review to a book, or, in the case of his first important publication, the Sokratische 3 Jacobi’s letter to Hamann is written on September 4th, 1786 (ZH VII, 1). 4 See Isaiah Berlin, The Magus of the North, London: Murray 1993. 5 See Jonathan Smith, Imagining religion. From Babylon to Jamestown, Chicago/ London: The University of Chicago Press 1982, 43. 6 BW 101.
I.
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Denkwürdigkeiten (Socratic Memorabilia), as a reaction to a dialogue with two of his friends, one of them being Immanuel Kant. Accordingly, one may call the texts symbolic as they are always referring to a network of other writings the text in question is an answer to. Hence, Hamann’s texts have no meaning but the one gained in communicative situations where they function as a contingent, local and personal statement of the individual author that is: Hamann himself. It is his conviction that only here, and not via eternal truths developed in monolithic volumes, the truth can show itself. But the network-character can also be attributed to him with regard to his writing technique, i. e. because of his extensive use of hidden quotations and allusions, mainly to the bible but also to classical authors and contemporary discussions of (for example) philosophy, philology, economical theory and theology. This practice indeed enlarges the scope of reference and meaning to virtually everything, but, as a consequence, it also makes the text very difficult to decipher (even Hamann himself admitted that he could not understand his own texts after some time because of their situational character). What is more important, however, is that the dense symbolic character of the texts is as such a sign for a basic ontological structure that is: the communicative order of Being, which is in need of translation. This displays the indexical character of the text concerning ontology, causing the so-called cento-Style of Hamann’s texts. These texts, following man’s institution (Einsetzung) as the giver of names, do claim for analogeous likeness to the divine poetic actions.7 Additionally, there is something like the iconic character of Hamann’s writings to be found in a certain strategy he uses to respond to other authors. This Pauline strategy (according to 1 Corinthians 4, 6 and 7) is called metaschematism (Metaschematismus).8 It depends on auctorial operations ostentatiously using similarity and likeness. Hamann explains this as dressing oneself with the armor of the opponent and, by doing so, exploring the bizarre consequences a certain viewpoint brings about.
7 Achermann denotes that as the ‘dramatic quality’ of man (Achermann, Zeichenhandel, 296/ 297). To Hamann, text production is one, but perhaps also the significant human action in relation to God. In general, as the human being is a signifying being, Rainer Piepmeier argues, he or she leaves his or her mark on reality and creates it analogeously to God’s divine creative action (See Rainer Piepmeier, Eschatologische Semiotik. Johann Georg Hamanns Aisthetik und Poietik, in: Heinz Paetzold (Hg.), Modell für eine semiotische Rekonstruktion der Geschichte der Ästhetik, Aachen: Rader 1986, 67–86, 72). 8 See on this notion my article Knut Martin Stünkel, Biblical Metaschematism as a Device for Religious Transfer. Paul’s Communicative Strategy in a Situation of Religious Contact. Entangled Religions 2 (2015), 1–34.
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II. One may expect that similarities between Hamann’s and Peirce’s thinking are easily to be found, for, as Josef Simon states, “‘Sign’ is one of Hamann’s main words.”9 The ‘taste for signs’ (Geschmack am Zeichen) is the very epitome of his existence (as Christian faith).10 Additionally, the strong reference to Immanuel Kant’s works (with Hamann being the first reader of the Critique of Pure Reason as well as being the one who bought the alarm-clock that woke Kant from his dogmatic slumber for he introduced Kant to David Hume’s philosophy) is a common playground for their prevailing philosophical endeavours. One may also add the opposition to a line of thought that is best represented by George Berkeley11 and the opposition to Descartes’ philosophical approach who claims that one may start to think from (pure) doubt alone without taking prevailing prejudices of the philosopher into account.12 Moreover, they both oppose the idea of purity as the starting point of thinking, but rather promote locality and communication instead: We must not begin by talking pure ideas – vagabond thoughts that tramp the public roads without any human habitation, – but must begin with men and their conversation.13 Most importantly, they both share an interest in the fertile process of human thinking expressed in Peirce’s scientific slogan: Do not block the way of inquiry14 as well as his general (logical) maxim Never say die which, according to Peirce, is an ethical principle of the most fundamental character.15 So, an agreement between the two of them might be reached with regard to the 9 Josef Simon, Einleitung, in: Johann Georg Hamann, Schriften zur Sprache, Einleitung und Anmerkungen von Josef Simon, Frankfurt: Suhrkamp 1967, 30. 10 See Oswald Bayer, ‘Geschmack am Zeichen’. Zweifel und Gewissheit im Briefgespräch zwischen Lavater und Hamann, Neue Zeitschrift fur Systematische Theologie und Religionsphilosophie 53 (2011), 1–15. 11 Compare Achermann, Hamanns Insistieren auf der sinnlichen Wirkkraft der Zeichen, 53–57. 12 “We cannot begin with complete doubt. We must begin with all the prejudices which we actually have when we enter upon the study of philosophy. These prejudices are not to be dispelled by maxim, for they are things which it does not occur to us can be questioned. Hence this initial skepticism will be are mere self-deception; and no one who follows the Cartesian method will ever be satisfied until he has formally recovered all those beliefs which in form he has given up. It is, therefore as useless a preliminary as going to the North Pole would be in order to get to Constantinople by coming down regularly upon a meridian. A person may, it is true, in the course of his studies, find reason to doubt what he began by believing; but in that case he doubts because he has a positive reason for it, and not on account of the Cartesian maxim. Let us not pretend to doubt in philosophy what we do not doubt in our hearts.” (Peirce, Collected Papers 5.265). 13 Peirce, Collected Papers 8.112. 14 Peirce, Collected Papers 1.135. 15 Charles Sanders Peirce, The Essential Peirce. Selected Philosophical Writings Vol. 2 (1893– 1913), Edited by the Peirce Edition Project, Bloomington and Indianapolis 1998, 188.
II.
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idea of signs being the ‘human form’16 of reality. To Hamann reality is a (given) reality of signs, i. e. human beings are not only confronted with signs, but are an integral part of the reality of signs.17 Perhaps the most load-taking relation might by established with regard to religion. Closely related to Hamann’s biblical and, thus, Lutheran philosophical approach is the importance of signs (Zeichen), images (Bilder) and symbols (Symbole) in his thinking. But it is not that easy to relate these three seemingly semiotic terms to Peirce’s “most fundamental [division of signs] into Icons, Indices, and Symbols”18, i. e. the triadic icon-index-symbol structure (though Hamann as well argues for a non-dyadic concept of signs)19 for reasons stated below.20 Nevertheless, these concepts possess, in fact, the same ontological significance as advocated in pragmatizism. Hamann and Peirce both share the ‘good taste for signs’ (Geschmack am Zeichen), but in the case of Hamann, the taste is identical with his Christian faith.21 It is one of Hamann’s most fundamental insights that every sensorial phenomenon has to be understood as a sign, and, to be more precise, as a word of the divine logos. Therefore, Hamann characterizes God as an author, as the poet of the world.22
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See Simon, Philosophie des Zeichens, 47. Compare Piepmeier, Eschatologische Semiotik, 67–86. Peirce, Collected Papers 2.275. Compare Piepmeier, Eschatologische Semiotik, 69. Achermann employs the Peircean trias in order to describe the relation of semiotics and the three epochs of biblical history that can be found in Hamann: “Sind die Zeichen im Reiche der Natur Indizes, so werden sie durch die Begabung der Freiheit des Menschen im Paradies zu Ikonen und schließlich durch seine Entfremdung von der Natur zu Symbolen.” (Achermann, Zeichenhandel, 302). 21 ZH IV, 6. Josef Simon discusses a possible connotation of the expression with regard to Hebrew. Here, the intended meaning of a sign can be called ‘taste’, thus establishing a immediate relation, a feeling for the meaning of sign without having to translate it into other signs (Josef Simon, Zeichen und Sprache bei Kant, Hamann und heute, in: Gajek, Die Gegenwärtigkeit Johann Georg Hamanns, 21–36, here 33). 22 Here, one cannot but recognize some resemblances to Berkeleys’ ideas about God being the author of nature. See George Berkeley, An Essay Towards a New Theory of Vision, in: Philosophical Works including the Works on Vision, edited by Michael R. Ayers, London: Everyman 1996, 61/62 (147): “Upon the whole I think we may fairly conclude that the proper objects of vision constitute an universal language of the Author of Nature, whereby we are instructed how to regulate our actions in order to attain those things that are necessary to the preservation and the well-being of our bodies, as also to avoid whatever may be hurtful and destructive of them. It is by their information that we are principally guided in all the transactions and concerns of life. And the matter wherein they signify and mark us unto the objects which are at a distance is the same with that of language and signs of human appointment, which do not suggest the things signified by any likeness or identity of nature, but only an habitual connexion that experience has made us to observe between them.”
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Every phenomenon of nature was a word, – the sign, symbol and pledge of a new, mysterious, inexpressible but all the more intimate union, participation and community of divine energies and ideas. Everything the human being heard from the beginning, saw with its eyes, looked upon and touched with its hands was a living word; for God was the word.23
According to Hamann, a sign can only be discursive in a very special sense, i. e. as being the present hint to God’s poetry, or rather, to his divine poetic action. This ontological basis (that can be verified in apprehension) has an epistemological consequence: All of God’s works are signs and expressions of his qualities, and, thus, it seems that all nature is an expression, an allegory of the spiritual world. All finite beings are only able to perceive the truth and the essence of things allegorically.24
One should not hope for dissolving the signs for that would adapt the human mind to God’s invisible essence. Facing (one might say : sensing) the world of words or the world of signs (which are identical with a creative language of signs), the supreme task for human beings is translation that is: the communicative use of signs. In Hamann’s words: Reden ist Übersetzen – speaking is translating. So, the human use of signs, i. e. language, is in itself a sign of divine language with its words and signs. Thus, semiotics finds an onto-theological grounding in the existence of those irreducible signs25 of divine communication of which human language itself is a sign. Therefore, the ideas concerning the function of language are revised: representation is derivative; symbolism, imagery and metaphor, in short: use of signs, has primacy. Creation itself is unity of phenomenal signs in process. Language is translation of the universe of creatural signs in which every sign is unique and unrepeatable (that is, according to an expression of Nicolas Cusanus’, ‘implurificable’: quod non est plurificabilis).26 As a consequence, there is no external position to this universe of signs. We exist and act semiotically – we are semiosis. Every actual entity serves as a sign for every other entity beyond the prevailing self-understanding of the given entity.27 This ontological fact finds its biblical expression in the concept of man being created as the image of God (imago dei – in the Aesthetica in nuce Hamann quotes Marcus Manilius: Exemplumque DEI quisque est in imagine parua).28 Accordingly, Hamann calls God the ‘Master of Signs in Midnight’s Thunder23 N III, 286, 1–10 (Translation Gwen Griffith Dickson). 24 BW 173. 25 See Johann Kreuzer, Irreduzible Zeichen. Über die Vorgeschichte von Hamanns Metakritik der reinen Vernunft in der mittelalterlichen Philosophie, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 46 (2004), 56–71, here 58. 26 Kreuzer, Irreduzible Zeichen, 69/70. 27 See Josef Simon, Philosophie des Zeichens, Berlin/ New York 1989, 160. 28 SD/AN 83.
II.
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clouds’ (Zeichenmeister in mitternächtlichen Donnerwolken).29 The iconic likeness or similarity of signs for Hamann, therefore, refers to the fact that man is the imago dei. Thus, we all are the concrete prevailing embodiment of signs by existence and action. The very possibility of understanding relies on the semiotic character of human beings30 as being created by the Master of Signs, and, therefore, as adressees of the reality of signs.31 According to Hamann, the concept of sign can only be understood as an interplay of diverse kinds of signs and is, accordingly, far from being unambiguous. This basic ambiguity can only be solved by means of translation due to one’s own conceptual horizon.32 The problem of translation leads us to Hamann’s concept of language. Here, signs play an extremely important role. In his review on Herder’s work on the origin of language, Hamann stresses this fact by quoting the “immortal” Leibniz: “One has to search the Kabbalah or semiotics (art of signs) [Zeichenkunst] not only in Hebrew’s secrets of language, but also in every language, though not in the literal interpretation but in correct reasoning and use of words.”33 Language according to Hamann is not only image nor sign, but rather the transition from representing to signifying. Here, imagery is not denounced.34 One might follow this line of thought to a radical conclusion. Human language is language of signs, but not only regarding its discursiveness, but on the very material level. To Hamann, the meaning of notions results from the connection of an a priori arbitrary and indifferent, but a posteriori necessary and essential Word-sign [Wortzeichen] with the idea [Anschauung] of the object itself, and by means of this repeated bond the notion itself is imprinted and incorporated in human reason by the Word-sign as communicated by the idea.35
Therefore ‘sounds and letters’ (Laute und Buchstaben) to Hamann are ‘the real aesthetical elements of Man’s knowledge and reason’, that is pure forms a pri-
29 N II, 258, 13. 30 “The only thought, then, which can possibly be cognized, is thought in signs. But thought which cannot be cognized does not exist. All thought, therefore, must necessarily be in signs.” (Peirce, Collected Papers 5.251). 31 Compare, Piepmeier, Eschatologische Semiotik, 69: “Das heißt, daß nicht nur die Wirklichkeit, die die Kreatur und den Menschen umgibt, Zeichen ist, sondern daß Kreatur und menschliches Dasein selbst Zeichen sind und als solche Adressanten der Zeichenwirklichkeit. Der Grund möglicher Korrespondenz, möglichen Verstehens liegt darin, daß die Zeichenwirklichkeit von jemandem wahrgenommen wird, der selbst von gleicher Struktur ist. Der Wahrnehmende ist selbst Zeichen, das er wahrnehmen kann.” 32 See Simon, Einleitung, 26. 33 HH IV, 158. 34 Simon, Einleitung, 31. 35 N III, 288, 16–30. Compare Bayer, Vernunft ist Sprache, 374.
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ori.36 The word-sign is both sensuality and concept. Because of this communicative structure of words, synthetic judgments a priori are possible and, thus, Kant’s major problem is solved because of the basic identification of reason and language.37 That is the ‘sacrament of language’ Hamann talks about in the final sentences of his Metacritique on the Purism of Reason.38 Here, the sacrament can be understood in a distinctively Lutheran way39 providing the communicative transubstantiation on the basis of the spoken word(-sign) with reference to a community (which is the given community of interpreters of the sign). The use of the word-sign, the relation of sign and thing is established by a repeated bond that is a chain of baptism within a given linguistic community (thus establishing rigid designators).40 Closely related to the concept of signs is Hamann’s concept of images (Bilder). To use a common definition: Images fulfill the function of the sensual representation of absent things, but not in the sense that these things ‘are not there’. These depictions rather transcend time and space, thus making them and everything else possible. The ontological sense of the created world is to be an image. Images play the most important role in epistemological insight of human beings: Senses and passions only talk and understand images. The whole treasure of human insight and bliss consists in images.41
The image (Bild) is nothing for itself but is, because of its model (Vorbild), always related to something else, that is the invisible reality of God. Thus, the image has a temporal index.42 As such, it is defined by space and time but it is also divine because it is God representing himself – as being invisible. Images, therefore, do not show anything, they do not operate by likeness or similarity (for they explicitly defy such likeness) but are preparing room for God’s (invisible) self-representation. Perhaps one may call them basically indexical, but images to Hamann, nevertheless, resemble the origin of the image that is God himself. As a consequence, the philosopher is not only a midwife but also a sculptor (Bildhauer), the profession of Socrates’ forgotten father that is someone who removes everything from the material he works on that does not fit into an image:
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N III, 286, 14–17. See Bayer, Vernunft ist Sprache, 384. Bayer, Vernunft ist Sprache, 413. See Bayer, Vernunft ist Sprache 421/422. See the Chapter Name, Taufe und Heilszeit in this volume. SD/AN 83. See Gründer, Figur und Geschichte, 149.
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145 On this hand Socrates imitates his father, a sculptor, who by taking and carving away what should not be there at the wood, hereby promotes the form of the image.43
All human insight is, therefore, allegorical. Accordingly, all of God’s writings, that is nature, history, and Scripture must be interpreted allegorically and, as a consequence, must be translated. The Scripture cannot speak to us otherwise than allegorically [in Gleichnissen], because all our insight is sensual, figurative and intellect and reason always transform the images of the outward things to allegories and signs of abstract, spiritual and higher concepts.44
It is important to notice that the term ‘allegorical’ is not a derivative mode of speaking in the sense of being ‘only’ an allegory or being ‘only’ metaphorical as opposed to ‘proper’ or‘real’ speaking. Quite the contrary, this distinction, as in Peirce, is a loose and confused manner of speaking which does not reflect upon its own basic operations.45 Creation is language, an (semiotic) address to the human being. His language is, therefore, essentially translation: Speaking is translating – from a Language of Angels to a Language of Humans that is thought to word, Thing to Name, image to sign, which may be poetical or kyriological, historical or hieroglyphical – and philosophical or characteristic in nature.46
To Hamann a symbol is the form of revelation not referring to (signifying) God but allowing and maintaining his presence. Christ (as the divine logos) is the ultimate symbol existing as a fundamental ambiguity between divine and human nature (that is: the process of uniting expressed in the notion of symbol as in the Greek sulb\kky – i. e. ‘to throw together, to mix’)47 and, thus, manifesting communication between the two natures (communicatio idiomatum). As in Peirce, the symbol (the ultimate symbol) delivers the final and decisive building-block for our special mode of communication. In this sense Hamann may be identified as a symbolist hailing from biblical allegory and heading towards the idea of God’s immanence in the world.48 The symbol is, as Erwin Metzke put it, ontologically an increase of being. The symbol indicates the power of transcending as the power of reality, combining reality and transcendence to 43 HH II, 108/109. 44 BW 219. 45 Compare Majetschak, Über den ‘Geschmack am Zeichen’, 139, who points out that Hamann lays great emphasis on the innovative potential of metaphorical speech that allows linguistic continuity and progress. 46 SD/AN 87/89. 47 With his notion of symbol Peirce claims to return to the original meaning of the Greek term as well, see Peirce, Collected Papers 2.297. 48 Martin Seils, Theologische Aspekte zur gegenwärtigen Hamann-Deutung, Berlin: Evangelische Verlagsanstalt 1957, 60.
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an unseparable unity.49 The symbol allows the perception of God (Wahrnehmung Gottes), but that is not perceiving him, but being perceived by him and, thus, being verified (wahr-genommenwerden) by him. This idea denotes the symbolic basis of all human insight: This communication of divine and human idiomatum is a fundamental law and the main key of all our insight and the whole economics [Haushaltung] visible.50
To Peirce, the basic notion of a sign is the triadic something (1) standing for another (2) because it is taken to do so (3): A sign, or representamen, is something which stands to somebody for something in some respect or capacity.51 Here, in Hamann’s concept of the symbol, it is someone (1) taking another (2) so he can stand (3).52 But before considering a possible Hamannian critique on Peirce let us stick to the similarities for a moment. From my point of view, the most important point where Hamann and Peirce are concurrent with each other is the necessary embodiment of signs. In religious matters, this kind of embodiment is crucial and, therefore, of special interest for Religious Studies. In case of the symbol Peirce states: For every symbol is a living thing, in every strict sense that is no mere figure of speech. The body of the symbol changes slowly, but its meaning inevitably grows, incorporates new elements and throws off old ones.53 The incorporating function of the symbol is furthermore developed in the following lines: A Symbol is a law, or regularity of the indefinite future. […] But a law necessarily governs, or ‘is embodied in’ individuals, and prescribes some of their qualities.54 At this point, Hamann radicalizes the Peircean idea. According to him, signs are physical and have to be realized as such to an extent that becomes annoying for proper philosophy. Hegel’s disgust of Hamann’s writings concerning this point is examplarily. As every body as well as everybody (Hamann’s favorite example and matter of study for this is Johann Georg Hamann55) is basically a sign of God being the author of the world, it follows that everything might 49 50 51 52
Metzke, J.G. Hamanns Stellung in der Philosophie des 18. Jahrhunderts, 34. N III, 27, 11–14. Peirce, Collected Papers, 2.228. Compare Bayer, ‘Geschmack am Zeichen’, 14. Bayer argues that, according to Hamann, Peirce overstresses the importance of the interpretant who has the Deutungshoheit in the semiotic process. See also Achermann on Hamann’s lacking interest in God as the final interpretant (Achermann, Hamanns Insistieren auf der sinnlichen Wirkkraft der Zeichen, 55). 53 Peirce, Collected Papers 2.222. See also 2.302: “Symbols grow […] A symbol, once in being, spreads among the peoples. In use and experience, its meaning grows.” 54 Peirce, Collected Papers 2.293. 55 Correspondingly, Hamann himself also is a (great) sign, at least in the opinion of Friedrich Heinrich Jacobi (ZH VII, 1).
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become a subject for philosophical discourse. Hamann stresses that everything without exception is to be taken into consideration, and that, above all, his personal illnesses and digestive problems, sexual intercourse as well as gluttony – as being embodied signs – are, in fact, worthier and better subjects of reflection than transcendental laws of pure reason. Accordingly, sin as a renunciation from God can only happen in the signless sphere of reasoning, but not in the physical world which is full of signs. Disembodied symbol systems, therefore, are not only false conceptions of religion but evil expressions of man’s superbia towards the Creator of all things. They rather establish a false religion of Immaculate Conception instead of criticizing or analyzing religion (as intended). To prevent this intellectual dead-end, sexuality is strongly stressed by Hamann to be the most significant embodied sign (if one may say so) for God’s creative activity (that is the main theme of Hamann’s Sibyl on Marriage). The natural difference of the sexes, ‘the pudenda of the divine and the human nature’ is, therefore, verum signaculum Creatoris.56 Symbolic meaning is not only embedded in corporeal activity as embodied practices but the very bodies themselves are symbols as their ontological essence.
III. One may say that Hamann’s radical theo-logical approach to semiotics (the world being sign of the divine logos) would be subject to Peirce’s verdict against naturalism that is, it propagates communication within matter and not on an abstract level of thinking. It is, therefore, mainly theology and Hamann himself seems to confirm this with reference to the status of philosophical reason: “Reason that confesses to be the daughter of senses and matter behold! That is our religion.”57 In order to oppose Berkeley’s immaterialism, Eric Achermann argues, Hamann in his Metacritique introduces a position that Peirce might consider as paradoxical, namely a “semiotic naturalism”.58 There are several topics on which Peirce and Hamann promote indeed different opinions. One significant difference between them refers to the critique of Kant’s thinking. As Helmut Pape notes, while Hamann critizises Kant’s formal philosophizing, Peirce critizises the opposite. He critizises Kant for philosophizing not formally enough, i. e. for having written a Critique of Pure Reason instead of a Logic of Pure Reason.59 Admittedly, Peirce critizises Kant’s separa56 57 58 59
HH V, 283. N II, 154, 6. Achermann, Hamanns Insistieren auf der sinnlichen Wirkkraft der Zeichen, 46. See Helmut Pape, Erfahrung und Wirklichkeit als Zeichenprozeß. Charles S. Peirces Entwurf einer Spekulativen Grammatik des Seins, Frankfurt: Suhrkamp 1989, 102.
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tion of intellect and the senses (as Hamann could have done), but he also recognizes analytical merit in this fault: This greatest fault was at the same time the greatest merit of his doctrine: it lay in his sharp discrimination of the intuitive and discursive process of the mind.60 Hamann, as being opposed to all separation tendencies in philosophy, would have denied this merit. In contrast to Peirce’s opinion, the constitution of a sign for Hamann does not depend on an object-relation which is interpreted thus completing the triadic structure of signs.61 If I may say so, the constitution of a sign for Hamann does not depend on an object-relation but on a superject-relation (to use the term superject from Alfred North Whitehead’s philosophy of organism62), the superject being the constituting reality of the world as such, that is God himself (by the way bridging the object-subject schism). For Hamann the relation of object and sign is a matter of a repeated, one might say permanent, baptism, the installment (Einsetzung) of the word (sign) in everyday’s use of language.63 Additionally, there is no sequence of sensation, experience and insight relating to the Peircean categories of firstness, secondness and thirdness. Hamann favours another order, making the framework of semiosis not a triadic, but a fourfold character. He additionally stresses the fundamental importance of passions in this process: Man’s joy makes the whole of creation merry and alive,– – sorrow in the heart kills the colors and makes the melodies blunt. The sharpness of our sensations depends upon our passions; upon that (the sharpness) the delight of senses and upon that the fire of imagination, the wealth and the fertility of thought.64
Hamann considers experience to be the sensation of incorporated signs. To him sounds and letters are icons whose embodiments allow firstness in the first place. The primary characteristic of a sign, according to Hamann, is its creative effect due to God’s creative action and not simply to make sense. God inscribes his creative power into the embodied signs.65 Perhaps the main critique on Peirce Hamann could develop runs parallel to Hamann’s metacritical re-lecture of David Hume, i. e. the very same idea he uses to counter Kant’s criticism. Familiar to us in Hume’s philosophy is the importance of images for thinking. In Hume’s major works we find the corre60 Peirce, Collected Papers 1.35. 61 Though some triadic structure of signifying can well be found in Hamann (compare Majetschak, Über den ‘Geschmack am Zeichen’, 146) that establishes an a posteriori necessary relation to an object. 62 See Alfred North Whitehead, Process and Reality, New York: Free Press 1979, 28/29. 63 Bayer, Vernunft ist Sprache, 386/387. 64 BW 244. 65 See Eric Achermann, Hamanns Insistieren auf der sinnlichen Wirkkraft der Zeichen, in: Gajek, Die Gegenwärtigkeit Johann Georg Hamanns, 37–57, here 55.
III.
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sponding statements: “The very image, which is present to the senses, is with us the real body […]”66 from the Treatise of Human Nature, and, in his Enquiries Concerning Human Understanding: “[…] [N]othing can ever be present to the mind but an image or perception.”67 Now, Hamann radicalizes the Humean idea by a linguistic turn.68 To him the senses are organs of speech and Hume’s images become a language of images, which is the starting point for a long history of translations (the so-called ‘speech to creature by creature’: Rede an die Kreatur durch die Kreatur). Starting from God being the author/poet of the World, the impressions as images must be considered as a language themselves, that is a language which needs translation. If, as Peirce suggests, every case of perception and thought is intrinsically semiotic, he leaves out the necessary step in between. For every case of perception and thought is semiotic because it must be considered as a linguistic expression. The sign-process (semiosis) is therefore twofold. “All thought is in signs”69 (Peirce) is too fast a conclusion, perhaps: ‘We think only in linguistic signs (or word-signs (Wortzeichen))’ would be better. The process of thinking, the epistemological problem, is, therefore, a process of communication by signs and translation. The internal realism, the shaping of the sign-process from within, is to Hamann a realism of language shaping the communication process which is our thinking as semiosis. Accordingly, the very concept of sign in Hamann’s thinking is characterized by another essential feature. For if everything is a sign, if we can only think in signs, the sign is not only indication, but, being a sign of God’s activity, also and even more importantly, something like a ‘giving’ or promising sign, a signum praebens, that is a pledge (Unterpfand) of God’s interest in the world.70 In his The Knight of the Rose-Cross’ Last Will and Testament on the Divine and Human Origin of Language Hamann describes the heavenly human condition before the Fall, i. e. the introduction of philosophical systems: Every phenomenon in nature was a word, – the sign, symbol and pledge of a new mysterious, inexpressible but all the more intimate union, participation and community of divine energies and ideas.71
66 David Hume, A Treatise of Human Nature, Oxford: Clarendon 1992, 205. 67 David Hume, Enquiries Concerning Human Understanding and Concerning the Principles of Morals, Oxford: Clarendon 1992, 152. 68 See Hans Graubner, Erkenntnisbilder oder Bildersprache. Hamann und Hume, in: Bayer, Johann Georg Hamann. ‘Der hellste Kopf seiner Zeit’, 135–155, here 148. 69 Charles S. Peirce, Collected Papers, 5.253. 70 See Elfriede Büchsel, Einführung, zu: HH IV, 42. 71 N III, 32.
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The Semiotics of Johann Georg Hamann
Thus, the sign (ambigiously) presents God’s presence in the worlds and his present to the world (signum praebens et exhibens).72 Hamann, as Oswald Bayer has shown, stresses the temporality of signs, for it does not only indicate or represent, but rather combines presence and (future) promise.73 Additonally, presence and promise are related to the beginning, i. e. God’s creative action in words. In Hamann’s formula from the Aesthetica in nuce: The Poet in the beginning of all days is the same as the thief at the end of all days. (“Der Poet am Anfange der Tage ist derselbe mit dem Dieb am Ende der Tage.”)74 To Hamann, the temporal reality of semiotics is, therefore, basically eschatological.75 On the one hand, this idea prevents the epistemological position that things are produced and then made object to the human mind. On the other hand (and this seems to me to be more important), this idea might show that the very concept of signs, of semiotics, is by no means a mere neutral scientific method, but in itself some kind of religious structure only working with some kind of promise. Language, thus, is not only a system of signs but the very media in which everyone lives a life responsible (verantwortlich) to God.76 Doing semiotics, therefore, according to Hamann, is, above all, a matter of responsibility.77
72 Compare Helmuth Schreiner, Die Menschwerdung Gottes in der Theologie Johann Georg Hamanns, Tübingen/ Stuttgart: Furche 1946, 54. 73 See Bayer, ‘Geschmack am Zeichen’, 11. The basic temporal structure, thus, corresponds to Sabine Marienberg’s characterisation of Hamann as a ‘thinker of the in-between’, who introduces a ‘pragmatisation’ of presentations: “[…] Hamann ist kein Denker der machtvollen poetischen Anfänge und ihres geschichtlichen Verlaufs, sondern ein Denker des ‘Inmitten’ und eher als um eine Systematisierung des Vergangenen geht es ihm um dessen Vergegenwärtigung in einer je aktuellen und sich auf die Materialität der Sprache einlassenden Darstellung. Die so mit der Darstellung zugleich vollzogene Pragmatisierung ist wiederum nur verständlich in Ansehung einer auf die Zukunft gerichteten Absicht, in der Vergangenheit und Gegenwart perspektivisch Gestalt gewinnen.” (Marienberg, Zeichenhandeln, 110). 74 SD/AN 113. 75 Compare Piepmeier, Eschatologische Semiotik, 78. 76 HH IV, 43. 77 To Hamann, in the human capacity to respond, God’s creation finds its final conclusion (see Achermann, Zeichenhandel, 300).
V.
Ästhetische Geologie. Die Frage nach der Wahrheit bei Johann Georg Hamann
I.
Antwort auf Pilatus
Das ,Tiefste der religiösen Wahrheit‘ könne man bei Johann Georg Hamann finden, so urteilt der Philosoph Georg Wilhelm Hegel.1 Die eigentliche Frage, so könnte man im Sinne Hegels sagen, die Frage des Pilatus nach der Wahrheit überhaupt, beantwortet er jedoch nicht. Dabei hat Hamann durchaus ein Interesse an der biblischen Gestalt. Der römische Landpfleger scheint bei Hamann im Allgemeinen eine recht gute Presse zu haben: Mir Ignoranten ist, nächst dem Prediger des alten Bundes, der weiseste Schriftsteller und dunkelste Prophet, der Executor des Neuen Testaments, Pontius Pilatus. Ihm war vox populi vox Dei, ohne sich an die Träume seiner Frau Gemahlin zu kehren. Sein güldenes: Quod scripsi, scripsi ist das Mysterium magnum meiner epigrammatischen Autorschaft: was ich geschrieben habe, das decke zu; was ich noch schreiben soll, regiere du!2
Zwischen dem dunkelsten Propheten und dem Magus in Norden besteht also eine enge Beziehung, und zwar gerade in einem Kernbereich von Hamanns Existenz: seiner Autorschaft. Dennoch gibt es einen unüberwindbaren Graben zwischen beiden. Die berühmte Frage des Pilatus nach Johannes 18, 38 ,Was ist Wahrheit?‘ kann Hamann aus phänomenologischen Gründen trotz dieser Gemeinsamkeit so nicht beantworten. Eine Darstellung des spezifischen Gebrauchs des Begriffes ,Wahrheit‘ durch Johann Georg Hamann sieht sich einer besonderen Schwierigkeit ausgesetzt. Dieser Gebrauch ist von einer besonderen Bewegtheit getragen. Denn der Begriff weist über sich hinaus anstatt in sich zu ruhen.3 Hamanns Begriff von Wahrheit 1 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Hamanns Schriften, in: ders., Berliner Schriften (Werke 11), hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt 1986, 321. 2 ZH IV 4, 16–21. 3 Diese Bewegtheit des Begriffs ist für Hamann der Hauptunterschied, der sein Denken vor dem ,vernünftigen‘ Begriffsgebrauch auszeichnet. In ,Golgatha und Scheblimini‘ schreibt Ha-
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Ästhetische Geologie
ist nicht vereinheitlicht, sondern eindeutig. Er deutet auf etwas hin und wehrt bestimmte Verständnismöglichkeiten ab. Von dem Begriff Wahrheit besondere Einheitlichkeit zu verlangen, so macht Hamann deutlich, ist ein nicht zu erfüllender und dazu noch fehlgeleiteter Wunschtraum philosophiegeschichtlicher Interpreten und philosophischer Systematiker. Schwierigkeiten macht insbesondere die Sprache. Da, wie Hamann schreibt, „unsere ganze Philosophie mehr aus Sprache als Vernunft besteht“4, ist die Kenntnis der Funktion philosophischer Begriffe für das angemessene phänomenorientierte Philosophieren unerläßlich. Hamanns Denken ist getragen von einer phänomenologischen Grundentscheidung hinsichtlich der Sprache des Denkens. Hamann rät gegenüber allen philosophischen und theologischen Großbegriffen zur Vorsicht. Seyn, Glaube, Vernunft sind lauter Verhältniße, die sich nicht absolut behandeln laßen, sind keine Dinge sondern reine Schulbegriffe, Zeichen zum Verstehn, nicht Bewundern, Hülfsmittel unsere Aufmerksamkeit zu erwecken, nicht zu feßeln, wie die Natur Offenbarung ist nicht ihrer selbst, sondern eines hoheren Gegenstandes, nicht ihrer Eitelkeit, sondern Seiner Herrlichkeit, die ohne erleuchtete und bewaffnete Augen nicht sichtbar ist, noch sichtbar gemacht werden kann, als unter neuen Bedingungen, Werkzeugen und Anstalten, Abstractionen und Constructionen, die eben so gut gegeben werden müßen und nicht aus der Luft geschöpft werden können als die alten Elemente.5
In nuce bietet Hamann an dieser Stelle die Phänomenologie des philosophischen Begriffs. Für ihn sind die Begriffe nicht die goldenen Kälber der Philosophie, die anbetend umtanzt werden. Sie sind Verhältnisse und nichts Absolutes. Sie sind nicht vom Himmel gefallen, sondern durch und durch irdische Machenschaften. Der philosophische Begriff ist ein Weiser, eine Anzeige. Er deutet auf etwas, auf höhere Gegenstände, hin und ist Zeichen zum Verstehen. Begriffe sind phänomenologische Werkzeuge, die sich je neuen Bedingungen konstruktiv anpassen, dabei aber ihrem Gegenstand angemessen bleiben müssen, also nicht aus der Luft geschöpft werden können. Wird ein einzelner Begriff dagegen absolut gesetzt und nicht lediglich operativ gebraucht, gehört auch der so verwandte allgemeine Wahrheitsbegriff in der philosophischen Diskussion nach Hamann sicher zu den pompösen Leerheiten.6 Dies bedeutet aber nicht, daß Begriffe wie mann: „Die Vernunft mit dem unveränderlichen Zusammenhange sich einander voraussetzender oder ausschließender Begriffe, steht stille, wie Sonne und Mond zu Gibeon und im Thal Ajalon.“ (N III, 303, 15–18). 4 ZH V, 272, 5–6. 5 An Jacobi, ZH VII, 173, 8–17. 6 Im gleichen Brief an Jacobi schreibt Hamann: „Ein allgemeines Wort ist ein leerer Schlauch, der alle Augenblick anders modificirt, und überspannt platzt und gar nicht mehr Luft in sich behalten kann; und lohnt es wol sich um ein tummes Saltz, und einen Balg zu zanken, der ohne Inhalt ist?“ ZH VII, 172, 33–36.
Antwort auf Pilatus
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etwa Sein, Glaube und Vernunft aus dem philosophischen Reden und Denken etwa durch sprachanalytische Methoden eliminiert werden sollen. Als menschliche Bilder haben sie durchaus eine wichtige Aufgabe. Vielmehr muß ihre sinnvolle Funktion phänomenologisch herausgestellt werden.7 Auch an dieser Stelle erweist er sich als passionierter Philologe, Freund des Wortes, der dem Wort zu seinem Recht verhilft. Der philosophische Begriff ist ein Weckruf, der sich an den Philosophierenden richtet. Er soll Aufmerksamkeit wecken und anderes anzeigen. Er ist Mittel zum Zweck und erfüllt eine methodische Funktion. Das Wort Wahrheit ist in Hamanns Denken nicht im akademischen, dafür aber im phänomenologischen Sinne streng begrifflich verwandt. Philosophische Begriffsbildung und Begriffsverwendung ist nicht graue Theorie, sondern Teil der praktischen Philosophie. Der philosophische Begriff ist phänomenologische Handlungsanweisung. Dies trifft insbesondere für den Wahrheitsbegriff zu: Wenn Bewegungsgründe keine Wahrheitsgründe mehr seyn dürfen, und Wahrheitsgründe zu Bewegungsgründen weiter nicht taugen; wenn das Wesen vom nothwendigen Verstande, und die Wirklichkeit vom zufälligen Willen abhängt, so hört alle göttliche und menschliche Einheit auf, in Gesinnungen und Handlungen.8
Das anzeigende Wort Wahrheit wird von Hamann häufig gebraucht. Doch dieser Gebrauch ist ambivalent. In polemischer Absicht gebraucht bezeichnet es das falsche Ziel eines fehlgeleiteten Erkenntnisinteresses. Denn die philosophischen Standarderläuterungen des Wortes greifen für die Erfassung des bezeichneten Phänomens nicht. Wahrheit kann für Hamann nicht als eine Übereinstimmung, etwa der Erscheinung mit einem Ding oder des Begriffes mit einem Gegenstand, verstanden werden. ,Wahrheit‘ ist weder ein Kohärenzbegriff (nach Kant die „Zusammenstimmung der Erkenntnisse vom Gegenstande mit sich selbst“9), noch eine Korrespondenz (wiederum nach Kant die „Übereinstimung der Erkentnis mit den Vorstellungen, die sich unmittelbar aufs obiect beziehen, also 7 Zu dieser sprachphänomenologischen Grundentscheidung Hamanns und ihren gravierenden Auswirkungen für die Person des Philosophierenden vgl. Oswald Bayer und Christian Knudsen, Kreuz und Kritik. Johann Georg Hamanns Letztes Blatt, Tübingen 1983, 114: „Die philosophischen, politischen und theologischen Sprachregelungen, die sich durchgesetzt haben, sind nicht abstrakt zu negieren; sie sind weder nostalgisch noch zukunftssüchtig zu überfliegen. Sich auf sie einzulassen, bedeutet andererseits aber keine bruchlose Aneignung und schmerzlose Reproduktion, sondern eine Erfahrung, in der man riskiert, in fremden Bestimmungen, Schickungen, Wendungen und sich sprachlich manifestierenden Ansprüchen und Forderungen zugrunde zu gehen; es bedeutet, ,das leidige Kreuz der Induktion‘, die schmerzhafte Aufnahme und Verarbeitung alltäglichster und widerständigster Erfahrungen nicht zu fliehen.“ 8 N III, 303, 8–12 (Golgatha und Scheblimini). 9 Kant’s Gesammelte Schriften, hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Band XXIV/1, Berlin 1966, 387.
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Ästhetische Geologie
in der Übereinstimung mit den anschauungen und warnehmungen“10). Nach Hamann ist gerade die Kantische Bestimmung der Wahrheit als Übereinstimmung unserer Erkenntnis mit den Objekten, die selbst wiederum durch Verstandesregeln als ,Quell aller Wahrheit‘ konstituiert werden11, ein Beispiel für die Selbstermächtigungstendenz der menschlichen Vernunft, die sich von allem anderen außer ihr selbst löst. Wahrheit ist auch nicht ein zu Entdeckendes oder eine Unverborgenheit. Schon gar nicht ist Wahrheit eine Fackel, die Dunkelheit der Welt zu erleuchten. Diese Bestimmungen der Wahrheit sind nach Hamann einseitig, komplexitätsreduzierend und abstrakt. Hamann distanziert sich von einem ausschließlichen Erkenntnisinteresse unter der Ägide der Wahrheit, wie es das emphatische Selbstverständnis vorgeblich vorurteilloser Freidenker aufweist. Auch in seiner philosophischen Kritik sieht Hamann den so in Gebrauch genommenen Wahrheitsbegriff als Anzeige, als Zeichen, Prozeß und Ausdruck eines Verhältnisses. In diesem Fall ist die Wahrheit ein Zeichen für ein verfehltes Wahrheitsstreben, welches letztlich ein Streben nach Reinheit ist und ein negatives Verhältnis zu all dem anzeigt, was diese Reinheit gefährden könnte – sowie eine profunde Selbstüberschätzung. In einem Brief an Johann August Eberhardt schreibt er : Der Diogenes in seiner Tonne, mit dem Sie mir viel Ehre anthun, wäre wol ziemlich mein Mann – aber kein anderes Interesse als das Interesse der Wahrheit zu kennen (Erschrecken Sie nicht für mein aufrichtiges Bekenntnis) von diesem hyperbolischen Interesse hab ich weder Begriff noch Gefühl. Mein Hoc erat in votis – ist ziemlich individuel und nichts weniger als abstract. Heraklitus führte seine Feyert. Gäste in die Küche und versicherte sie auch allda von der Gegenwart der Götter. Erlauben Sie mir, HöchstzuEhrender Herr Sie mit einer ähnlichen Freymütigkeit in meine häusliche Kleinigkeiten blicken zu laßen.12
Wahrheit als abstrakter Begriff ist Hamann uninteressant. Die Wahrheit der philosophischen Hyperboliker leidet an verschiedenen Defekten. Zum einen ist diese ,Wahrheit‘ überhaupt nicht begriffsfähig, also nicht in Worte zu fassen, da diese Worte ihre Reinheit kontaminieren würden. Sie ist somit sprachfeindlich. Zum anderen spricht sie nicht das Gefühl, den sinnlichen Teil des Menschenwesens an, da sie sich gerade hiervon in einen reinen Ideenhimmel abzusetzen sucht. Mit einem solchen Wahrheitsinteresse ist man nicht kommunikationsund sympathiefähig, da es nicht den ganzen Menschen anspricht. Bei Hamann ist demgegenüber das Wort ,Wahrheit‘ kein abstrakter Begriff, sondern etwas 10 Kant’s Gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Band XVI, Berlin und Leipzig 1924, 255. 11 Vgl. Immanuel Kant, Werke in zehn Bänden. Band 3 Kritik der reinen Vernunft. Erster Teil, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, 268 (A 237/ B 296). 12 ZH III, 7, 11–19.
Antwort auf Pilatus
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anderes. Es warnt vor einer Überschätzung seiner selbst, einem fehlgeleiteten Verhältnis zu den Dingen und gibt eine Anweisung für die weitere Fragerichtung. Eine Objektbestimmung der Wahrheit in einem Begriff, einer Definition im Sinne einer abgrenzenden Bestimmung ist also ein von vornherein verfehltes Projekt. Dies erweist sich besonders im Hinblick auf eine konkrete Situation, in dem der Begriff der Wahrheit diskutiert wird: Johannes 18, 37–38 a. Die Frage des Pilatus ,Was ist Wahrheit?‘ ist die Frage eines Akademikers und Reinheitsfanatikers13, ist die Frage dessen, der seine Hände in Unschuld wäscht, d. h. dessen, der das Streben nach Wahrheit reinigen möchte von dem Irdischen, der Kontingenz der Geschichte, den Verhexungen der Sprache und dem Schmutz der Erde, dem Sinnlichen, Geschichtlichen und Sprachlichen, dabei aber sein eigenes Herrscherhandeln als solches übersieht.14 Schon die Fragestellung verfehlt ihr Befragtes. Derjenige, der wie der Weltweise und Schriftgelehrte Pilatus15 akademisch fragt, hört nicht auf das Wort der Wahrheit, sondern versucht, ihren Begriff zu bestimmen und abzugrenzen, also zu definieren.16 Diese Definitionsbegierde hat Folgen für Gesinnung und Handlung. In einem Brief an Jacobi vom 15. Januar 1786 heißt es: „Mendelssohn hat mit Pilatusfrage angefangen um mit einem analogen Richterspruch aufzuhören.“17 Diese Art und Weise, mit dem philosophischen Begriff umzugehen, führt zu einer richterlichen Verhaltensweise, welche im Namen einer abstrakten und hypostasierten Wahrheit über
13 Vgl. Hamanns Brief an Kant vom April 1774, wo Hamann ,vollenden und schließen‘ möchte „mit dem Machtspruch des großen Kunstrichters und Krypto=Philologen P.P. der gewiß ein Liebhaber der Wahrheit und Unschuld war, wie aus seiner Quaestione Academica und typischen Händewaschen zu ersehen […]“ (ZH III, 90, 18–21). 14 „Im weiteren Zusammenhang der Autorschaft Hamanns sind beide [i. e. Kants Indifferentismus und Parallelismus, Anm. K.M.S.] mit der Gestalt des Pilatus zu parallelisieren, deren Hamannsche Interpretation in der Kombination von ,hypokritisch‘ und ,politisch‘ mitschwingt. Der ,hypokritisch-politische[]‘ Pilatus will sich zwar aus dem Prozeß Jesu heraushalten, überantwortet ihn aber gerade dadurch der jüdischen Justiz und damit dem Tode. Hypokritisch und politisch nennt Hamann auch sonst das Handeln dessen, der seine eigene Politizität nicht durchschaut, von sich ausschließen will und so in einem unaufgeklärten und unwahren Verhältnis zu seinem faktischen Herrschaftswillen steht.“ (Oswald Bayer, Vernunft ist Sprache, 136). 15 Vgl. N IV, 384, 18. 16 Grenzübertreter läßt dieser Pilatus verurteilen, wie Hamann mit Bezug auf Moses Mendelssohn schreibt: „ Der platonische Apologist desselben machte sich eben so wenig Gewissen einen alten kleinen Namen über das Portal und die beyden Thorflügeln seiner psilologischen psilosphischen Schutz- und Trutzschrift aufzuhängen und anzuschlagen, als der römischen Landpfleger Bedenken trug den allergrößten Übertreter der außerordentlichen Gesetzgebung, seinen rechtmäßigen und ehrenhaften Titel mit drey Zungen und Sprachen im Geiste der Wahrheit am mittelsten Pfahl allgemeiner öffentlicher Schädelstäte zur verlautbaren, zu bekräftigen und zu behaupten.“ (N III (Ein fliegender Brief), 393, 28–36). 17 ZH VI, 231, 4–5.
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Ästhetische Geologie
Gedanken und Texte Bluturteile fällt und diese einem schandbaren Tod öffentlich auszusetzen sucht. Philosophischen und theologischen Grundbegriffen (etwa Sein, Glaube oder Wahrheit usw.) einen definierbaren Gehalt abzufordern, ist immer ein fehlgeleitetes Bemühen, das der Besonderheit dieser Wortzeichen nicht gerecht wird. Grundworte sind keine definierbaren Begriffe. Hamann ist sich bei der Formulierung der Frage nach der Wahrheit dessen wohl bewußt.18 Die Wahrheit entzieht sich der definitorischen Jagd, bleibt aber dennoch wirksam: „Was ist Wahrheit? Ein Wind, der bläst, wo er will, dessen Sausen man hört, aber nicht weiß: Woher? Und wohin?“19 Alles Große steht vielleicht im Sturm, aber das Entscheidende kann man im sich entziehenden Säuseln des Windes vernehmen. Die Wahrheit ist in einem Hauch20, gleichzeitig lebendig, bewegt und beseelend und kein bloßes philosophisches Konzept. Hamann sieht für die Frage nach der Wahrheit den Primat des Hörens vor dem Streben nach Wissen, beziehungsweise Gewißheit. Wahrheit ist nicht die Gewißheit des Gewußten, sondern das Geschehen, in dem der Mensch sich etwas sagen läßt.21 Die Frage nach der Wahrheit muß daher die Frage dessen sein, der ihr einen Platz einräumt und nicht definieren bzw. bestimmen will. Wahrheit ist somit ein mediales Geschehen, in dem sich der fragende Mensch zu dem Ort für die Ankunft des Wortes macht. Doch diese Medialität ist schwer zu erfragen. In den ,Aesthetica in nuce‘ schreibt Hamann mit Bezug auf Pilatus: Ja, ihr feinen Kunstrichter! fragt immer was Wahrheit ist, und greift nach der Thür, weil ihr keine Antwort auf diese Frage abwarten könnt – Eure Hände sind immer gewaschen, es sey, daß ihr Brodt essen wollt, oder auch, wenn ihr Bluturtheile gefällt habt – Fragt ihr nicht auch: Wodurch ihr die Natur aus dem Wege geräumt?22
Natur und Sinnlichkeit haben sich die urteilenden Vernunftrichter von den Händen gewaschen. Zugunsten des Abstrakten wird über das Konkrete das Todesurteil gesprochen.23 Die Antwort auf die Frage nach der Wahrheit muß die 18 „Der Mißbrauch der Sprache und ihres natürlichen Zeugnisses ist also der gröbste Meineyd, und macht den Übertreter dieses ersten Gesetzes der Vernunft und ihrer Gerechtigkeit zum ärgsten Menschenfeinde, Hochverrräther und Widersacher deutschen Aufrichtigkeit und Redlichkeit, worauf unsere Würde und Glückseeligkeit beruht.“ (N III, 301, 28–33 (Golgatha und Scheblimini)). 19 N III 318, 3–4 (Golgatha und Scheblimini). 20 Vgl. Johannes von Lüpke, Die Wahrheit in einem Hauch oder von der Eitelkeit der Vernunft. ,Neue Apologie des Buchstabens h von ihm selbst‘, in: Hamann. Insel-Almanach des Jahres 1988, hrsg. von Oswald Bayer, Bernhard Gajek, Josef Simon, Frankfurt 1997. 21 „Alles unser Wissen ist Stückwerk und alle menschlichen Vernunftgründe bestehen entweder aus Glauben an Wahrheit und Zweifel an Unwahrheit oder aus Glauben an Unwahrheit und Zweifel an Wahrheit.“ (N III (Golgatha und Scheblimini), 317, 19–23. 22 SD/AN 113, 10–16. 23 Vgl. hiergegen Hamanns Ausruf: „O eine Muse wie das Feuer eines Goldschmieds, und wie
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Ankunft des mit Vollmacht gesprochenen Wortes sein, vor der sich aber der sich als Richter begreifende Vernunftmensch gerne ein Hintertürchen offen hält. Denn so eine Art von Antwort kann der richterliche Philosoph auf seinem Thron der Vernunft nicht abwarten. Die Pflicht zur Antwort und die Tugend der Geduld, des Abwartenkönnens sind Kennzeichen des rechtverstandenen Christentums. Das Wort ist dabei dem Begriff nicht entgegen-, sondern vorausgesetzt. Ihre Wortgegründetheit hat jedoch die begriffsorientierte Vernunft ausgeblendet. Erst das aufweckende Wort macht den Menschen vernünftig. Hamann schreibt daher in programmatischer Kürze: „Ohne Wort, keine Vernunft – keine Welt.“24 Hamanns Einspruch gegen die sich verselbständigende Sprache und den unangemessenen Begriffsgebrauch seiner philosophischen Zeitgenossen macht auf die Anrede aufmerksam und fordert eine Antwort. Dieses aus theologischen Quellen gespeiste Zeugnis macht ihn zu einem genuin philosophischen Kopf. Der Widerspruch Hamanns in seiner Phänomenologie des philosophischen Begriffs ist also ein Zuspruch, eine Ermutigung an die Zeit, sich über sich selbst klar zu werden. Sein Interesse ist es nicht, den Gegner zu überwinden, sondern mit ihm als für seine eigene Position konstitutiv zu arbeiten. Ein gemäßer Ansatz für die Klärung des Hamannschen Wortgebrauchs ist der Rekurs auf eine konkrete Situation bzw. eine konkrete Person als Diskussionspartner. Der korrekte Gebrauch des Wortes Wahrheit hängt von der Situation ab. Diese dialogische Gegenüberstellung entspricht der Methode Hamanns, die eigene Position anhand der Überbietung einer anderen Meinung deutlich zu machen. Seine Widersprüche sind Ausdruck seiner Vorliebe für zu vermählende Gegensätze.25 die Seife der Wäscher! – - Sie wird es wagen, den natürlichen Gebrauch der Sinne von dem unnatürlichen Gebrauch der Abstractionen zu läutern, wodurch unsere Begriffe von den Dingen eben so sehr verstümmelt werden, als der Name des Schöpfers unterdrückt und gelästert werde.“ SD/AN 115, 29–117, 5. 24 ZH V, 95, 21. 25 Vgl. Eckhard Schumacher, Die Ironie der Unverständlichkeit, 150. Unter der Ägide seines Vereinigungsinteresses steht auch Hamanns Lektürepraxis. Durch seinen nimmersatten Lesehunger und seine gediegenen Sprachkenntnisse war Hamann wie kaum ein anderer zu dieser ,Zeitgenossenschaft im Widerspruch‘ (O. Bayer) berechtigt. Seine extensive und internationale Aufklärungsrezeption macht es ihm möglich, Stärken und Schwächen lokaler Aufklärungsphilosophien zu erkennen und gegeneinander abzuwiegen und diese Geisteshaltung im Ganzen zu würdigen. Denn Ergebnisse aufklärenden Denkens werden dabei keinesfalls nur verworfen. Der wohlinformierte Leser optiert dabei geographisch für England und gegen Frankreich/Preußen, d. h. für die individuelle Wahrheit des gemeinen Menschenverstandes gegen die „gekrönte Wahrheit“ (N III, 41, 17 (Philologische Zweifel und Einfälle)). Die englische Aufklärung ist die Form, die am bodenständigsten bleibt und sich nicht überhebt. Ihre Hauptvertreter legen ihr ihr Hauptinteresse auf Lebensthemen Hamanns: Kritik einer bodenlos gewordenen Vernunft zugunsten des bodenständigen Menschenverstandes, Leidenschaft und Glaube (feeling und belief), Sprachkritik, insbesondere die Kritik an verallgemeinernden Abstraktionen und vor allem die Unentbehrlichkeit der
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Die von Hamann geführte Auseinandersetzung ist die zwischen Himmel und Erde. Hamann optiert für die Erde als grundlegenden Boden von Wahrheit. Er gibt sich als Geo-loge zu erkennen. Die Wahrheit als alleiniger Gegenstand des Respekts und Endziel des menschlichen Erkenntnisinteresses läßt die Matadoren der Aufklärung hingegen zu einer besonderen Art von ,Hinterweltlern‘ werden: Indem sie die Wahrheit absolut setzen, trennen sie sie von den Erscheinungen der Wirklichkeit und kreieren einen Ideenhimmel des reinen Geistes. Sie schaffen eigene Kosmologien, in denen Himmel und Erde streng voneinander geschieden sind. In einem Brief Hamanns heißt es demgegenüber : Die Wahrheit muß aus der Erde herausgegraben werden, und nicht aus der Luft geschöpft, aus Kunstwörtern – sondern aus irrdischen und unterirrdischen Gegenständen erst ans Licht gebracht werden durch sinnl. Gleichniße und Parabeln der höchten Ideen und transcendenten Ahnungen, die keine directi sondern blos reflexi radii seyn können […].26
Die Erde als Hort der Wahrheit muß bearbeitet werden. Denn der Anspruch, unter Anleitung der Vernunft voraussetzungslos und vorurteilsfrei die Wahrheit erschließen zu können, ist als Unabhängigkeitserklärung des menschlichen Geistes ein anmaßender Irrtum, der von der Sinnlichkeit, Geschichtlichkeit und Sprachlichkeit des Denkens absieht. Die Selbstkastration des reinen Rationalismus, die natürlich zu unfruchtbaren Ergebnissen führt, kennzeichnet Hamann in seiner Charakteristik Descartes’: Der Vater der neueren Philosophie war genötigt, alles, was er wußte, zu vergessen, zu verleugnen und zu verwerfen, und sah dies als einziges Mittel an, die Wahrheit zu finden. Diese Wahrheit war gleichwohl nichts als ein Gebäude neu aufgeputzter und für neu aufgenommener Irrtümer.27
Der in sich kreisende Denker entdeckt nur sich selbst und kann daher zu keinen fruchtbaren Ergebnissen kommen. Insbesondere verwerflich ist die Idee von der Zeitlosigkeit der Wahrheit.28 Eine solche Auffassung begreift die Wahrheit als Idol und nicht als (zeitlichen) Prozeß. Für Hamann ist die Wahrheit vielmehr mit Francis Bacon die Tochter der Zeit.29 Gerade das Zusammenspiel von Poesie, Philosophie und Geschichte bzw.
26 27 28 29
Existenz Gottes für die Erkenntnislehre und Ontologie. Vgl. Gwen Griffith Dickson, Hamann und die englische Aufklärung, in: Hamann und England: Hamann und die englischsprachige Aufklärung, Acta des Siebten Internationalen Hamann-Kolloquiums zu Marburg/Lahn 1996, hrsg. von Bernhard Gajek, Frankfurt 1999, S. 71/72. ZH VII, 159, 11–15. BW 284, 26–30. Vgl. hierzu Oswald Bayer, Wahrheit oder Methode? Hamann und die neuzeitliche Wissenschaft, in: Hamann und die Krise der Aufklärung, ebd., S. 169f. ZH VI, 162, 26. Weil die Wahrheit die Tochter der Zeit ist, müssen die Texte, die dem Wort der Wahrheit Raum geben wollen, selbst auch zeitlich sein. Hamanns Schriften sind zeitlich in
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von Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit macht das lebendige Geschehen von Wahrheit aus: Was wäre die genaueste, sorgfältigste Erkenntnis des Gegenwärtigen ohne eine göttliche Erneuerung des Vergangenen, ohne eine Ahnung des Künftigen? […] Was für ein Labyrinth würde das Gegenwärtige für den Geist der Beobachtung sein – ohne den Geist der Weissagung und seine Leitfäden der Vergangenheit und Zukunft […], um den Wetterhahn philosophischer Spekulation zu orientieren.30
Nur in der Fülle der Zeitlichkeit ist Wahrheit fruchtbar und bietet Orientierung.31 Dagegen wird die aufs Zeitlose gerichtete Philosophie zur Psilosophie. Der abstrakten Wahrheit als Idol setzt Hamann eine pragmatische, an den Dingen der Welt orientierte und somit orientierende Wahrheit entgegen. Hamanns Wahrheitsbegriff steht nicht für sich, sondern ist funktionaler Bestandteil des Bekenntnisses und des Zeugnisses Christi. Wahrheit bewahrt als Zeugnis. Ist es wahr, daß Gott Selbst, wie es in dem guten Bekenntnisse lautet, das er vor Pilatus ablegte; ist es wahr, sage ich, daß Gott Selbst, dazu ein Mensch wurde und dazu in die Welt kam, daß er die Wahrheit zeugen möchte: so brauchte es keine Allwissenheit vorher zu sehen, daß er nicht so gut wie ein Sokrates von der Welt kommen, sondern eines schmählicheren und grausameren Todes sterben würde, als der Vatermörder des allerchristlichsten Königs, Ludwich des Vielgeliebten, der ein Urenkel Ludwich des Grossen ist.32
Die Praxis des Wahrheitsbegriffs ist Pietät und Bewährung. Derjenige, der diesen Begriff gebraucht, zeigt sich als ein Ergriffener. Das lebendige Christentum, wie Hamann es versteht, kann nicht in einem starren System allgemeingültiger Vernunftwahrheit ,aufgehoben‘ werden. Es muß vielmehr bewahrt werden und bewährt sich in der Metakritik des mit allgemeinen Vernunftwahrheiten opeeinem besonderen Sinne. Sie sind Gelegenheitsschriften – jedoch nicht in einem abwertenden Sinne. Zum einen nutzen Sie die Gelegenheit zum Zeugnis in einem konkreten Gespräch. Sie entstehen gelegentlich, in der konkreten Situation, ohne langvorbereiteten Vorsatz. Zum anderen sind sie Gelegenheit in einem emphatischen Sinne der günstigen Gelegenheit, des rechten Augenblicks (kairos), in dem bei den jeweils konkreten Adressaten seiner Werke eine Umkehr herbeigeführt werden kann. Mit seinen Gelegenheitsschriften nutzt Hamann die Gelegenheit, seine schriftlichen Gesprächspartner in Briefen und Rezensionen über sich selbst aufzuklären. Es versteht sie besser, als diese sich selbst. Die Gesprächsbezogenheit Hamanns findet ihren Reflex in der Hamannforschung, insofern mit Vorliebe die Beziehung Hamanns zu anderen Autoren, deren Zeitgenosse er war, wie auch zu denen, deren Zeitgenosse er wurde, untersucht wird. Sein Denken ist nur aus Gesprächssituationen zu verstehen wie in neuen Gesprächssituationen produktiv – ebenso wie er im Dialog mit der Aufklärung zu seinen weiterführenden Ergebnissen kommt. 30 N III, 398 (Fliegender Brief), 10–25. 31 „Die ,ehebrecherische Psilosophie‘ betrügt um die Gegenwart und zielt auf das ganz Andere der reinen Form oder der reinen Zukunft.“ (Bayer, Vernunft, a. a. O., 58). 32 SD/AN 73, 14–24.
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rierenden Denkens. Es hat von diesem wiederum keine Gnade zu erwarten. Wahrheit nach Hamann ist Wahren, Bewahren und Bewährung zugleich. Sie erfüllt ihre Funktion im Hinweis auf das Zeugnis. Gott hat uns, so Hamann, „sein Wort als eine Urkunde der Wahrheit“33 gegeben, es ist verkündet, uns zugesagt.34 Die Wahrheit schöpft ihre Autorität aus der Ur-kunde, dem Wort. Wahrheit muß als ein komplexes Geschehen verschiedener Elemente, welches sich als Verborgenes bzw. Bezeichnetes ursprünglich kund tut und im Wort äußert, als Ur-kunde des Wortes verstanden werden. Wahrheit ist Hamann somit kein akademischer Begriff, sondern erschließendes Wort. Einen Begriff kann der Mensch ergreifen und als Werkzeug verwenden, vom Wort wird er ergriffen und zur Antwort genötigt. Wahrheit ist das Geschehen dieser Zusage.35 Die Urkunde des Wortes geschieht nicht im leeren Raum der Abstraktion, sondern als persönliche Ansprache an ein Individuum, das als solches durch Sprache, Erfahrung und Tradition konstituiert ist. Gegen das hypostasierte abstrakte Wahrheitsstreben stellt Hamann sein konkretes persönliches Bekenntnis. Sein ergreifendes Wort der Wahrheit erweist sich als Gedritt. Entsprechend heißt es in einem Brief an Herder : Ihr Thema über Sprache, Tradition und Erfahrung ist meine Lieblingsidee, mein Ey, worüber ich brüte – mein Ein und Alles – die Idee der Menschheit und ihrer Geschichte – das vorgesteckte Ziel und Kleinod unserer gemeinschaftl. Freundschaft und Autorschaft.36
Das auszubrütende Ei ,Sprache, Tradition und Erfahrung‘ ist im Hinblick auf den Wahrheitsbegriff als Gedritt ein dynamischer Prozeß aus drei zusammenspielenden und zusammengehörigen zeitlichen Elementen: sprachlicher Geologie, erfahrener Ästhetik und tradiertem Formular. Der Prozeß gründet ontologisch auf Sprache, nämlich einer Zusage, auf die der Mensch mit seiner gesamten Existenz dichterisch antwortet. In Wahrheit ist also „Poesie […] die Mutter des 33 BW 119, 30. 34 Vgl. hierzu Knut Martin Stünkel, Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger, NZSTh 46 (2004), 26–55. 35 „Er spricht: So geschiehts! – ,und wie der Mensch alle Thiere nennen würde, sollten sie heißen‘. – Nach diesem Vor- und Ebenbilde der Bestimmtheit sollte jedes Wort eines Mannes die Sache selbst seyn und bleiben. Auf diese Ähnlichkeit des Gepräges und der Überschrift mit dem Muster unseres Geschlechts, und dem Meister unserer Jugend – auf dieses Recht der Natur, sich des Worts, als des eigentlichsten, edelsten und kräftigsten Mittels zur Offenbarung und Mittheilung unserer innigsten Willenserklärung zu bedienen, ist die Gültigkeit aller Verträge gegründet, und diese feste Burg der im Verborgenen liegenden Wahrheit ist aller welschen Praktik, Maschienerey, Schulfüchserey und Marktschreyerey überlegen.“ (N III, 301, 18–28 (Golgatha und Scheblimini)). 36 ZH VI, 127, 21–25.
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menschlichen Geschlechts“37; der Mensch existiert in der untrennbaren Konjunktion von Dichtung und Wahrheit.
II.
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Worauf sind die Überlegungen zur Wahrheit bei Hamann gegründet, das heißt auf welchem Boden erwächst Hamanns Rede von Wahrheit? Es gibt keine philosophische Wahrheitstheorie bei Hamann, sondern lediglich eine Phänomenologie des Begriffs. Das durch Wahrheit Angezeigte muß selbst sprechen dürfen. Es geht Hamann um ein persönliches, leidenschaftliches Verhältnis zu dieser Ansprache. Er entwirft deshalb nicht Theorien, sondern erzählt die eigene Geschichte. Seine Hörer, Leser und Diskussionspartner sollen dahin gebracht werden, die Zusage der Wahrheit unverstellt von den eigenen Theorien zu hören. Wahrheit wird hier nicht als Erkenntnisfrage aufgefaßt, sondern als ein dramatischer Prozeß, auf den man sich einläßt, von dem man ergriffen und gewandelt wird. Zur Wahrheit kann man verführen, aber nicht argumentativ zwingend überzeugen. Überzeugung nämlich ist unfruchtbar. Hamanns Denken soll zum fruchtbaren Boden für seine Gesprächspartner werden. In diesem verführerischen Konzept der Wahrheit findet sich vor allem die Vermählung verschiedenster Konzepte im Sinne einer konkreten (fleischlichen) Ehekunst, die nur als solche wünschenswerte Kinder zeugt, respektive gute Früchte trägt. Gegen die reine Logik der Vernunft setzt Hamann seine theologische Geologie, die in der Beseelung der Erde durch den göttlichen Logos besteht. Diese Erde allein ist für den Menschen fruchtbar. Die menschliche Welt ist der Schauplatz der Kondeszendenz, wo sich die Helligkeit Christi in der Herunterlassung mit der menschlichen Dunkelheit vermischt hat, Gott Mensch und das Wort Fleisch geworden ist, der göttliche Logos die Erde be-trifft. Hamann schreibt: Wie hat sich Gott der Vater gedemüthigt, da er ein[en] Erdtenkloß nicht nur bildete, sondern auch durch seinen Othem beseelte. Wie hat sich Gott der Sohn gedemüthigt, er wurde ein Mensch, er wurde der geringste unter den Menschen […] Wie hat sich Gott der heil. Geist erniedrigt, da er ein Geschichtsschreiber der kleinsten, der verächtlichst[en], der nichts bedeutenden Begebenheit[en] auf der Erde geword[en] um d[em] Menschen in seiner eigenen Sprache, in seiner eigenen Geschichte, in seinen eigen[en] Wegen die Rathschlüsse, die Geheimnisse und die Wege der Gottheit zu offenbaren?38
Diese skandalöse, erniedrigende Vermischung ist Basis der Auffassung von Wahrheit als einem bewegten und fruchtbaren Prozeß der Erzeugung des einen 37 SD/AN 81, 17–18. 38 BW 151, 37–152, 7.
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aus dem anderen. Gott selbst wurde nach Hamann dazu ein Mensch, „daß er die Wahrheit zeugen möchte“39, also sie sowohl bezeugen als auch durch seine Kenosis erzeugen möchte. Diese irdische Ehekunst der Vermählung von Wort und Erde richtet sich vor allem gegen die Einseitigkeiten jeder reinen Lehre, insbesondere des reinen Geistes, respektive der reinen Vernunft, die sich zur Ausübung ihres Geschäfts purifizieren zu müssen glaubt. Die Purismen der reinen Vernunft insbesondere sind der Hauptgegenstand von Hamanns Metakritik Kants. In einem Brief an Immanuel Kant vom April 1774 kontrastiert Hamann den hieraus folgenden Wahrheitsbegriff mit der unreinen und konkreten Wahrheit: Überhaupt ist die Wahrheit von so abstracter und geistiger Natur, das[s] sie nicht anders als in abstracto, ihrem Element gefaßt werden kann. In concreto aber erscheint sie entweder als Wiederspruch oder ist jener berühmte Stein unserer Weisen, wodurch urplötzlich jedes unreife Mineral und selbst Stein und Holtz in wahres Gold verwandelt wird.40
Abstrakte Wahrheit kann nur durch abstrakte Spekulation gesucht werden. Die Vermählung des Widersprüchlichen (Wahrheit und konkreter Gegenstand) ist das wahre Gold, welches im Konkreten und Individuellen aufgespürt wird. Hamann betätigt sich im Gegensatz zur Keuschheit des reinen Denkers als Kuppler und Eheanbahner, das heißt als bewußt und explizit unreiner Denker. So beschreibt Goethe die ,herrliche Maxime‘ Hamanns: „Alles, was der Mensch zu leisten unternimmt, es werde nun durch Tat oder Wort oder sonst hervorgebracht, muß aus sämtlichen vereinigten Kräften entspringen, alles Vereinzelte ist verwerflich.“41 Nur die Vereinigung der Kräfte ist fruchtbar, die Vereinzelung ist steril. Hamann bewahrt sich die Fähigkeit zum nichtsystematischen, nichtvereinheitlichenden, stets an das Konkrete gebundenen und nicht ins ,bedeutend allgemeine‘ entschwebenden Denken, und somit zu einer geistigen Freiheit, die ihre Basis in der Bindung des Einzelnen an die jeweiligen historischen, sprachlichen und leiblichen Abhängigkeiten hat. Gegen die Kosmologie setzt Hamann seine Geologie. Doch ist diese Orts- und Zeitgebundenheit der Schriften Hamanns nicht ephemer, sondern, wie Goethe überrascht festgestellt hat, fruchtbar.42 Wahrheit und Fruchtbarkeit gehören nach Hamann untrennbar 39 SD/AN 73, 17–18. 40 ZH III, 88, 35–89, 2. 41 Johann Wolfgang von Goethe, Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Band 16 Dichtung und Wahrheit, hrsg. von Peter Sprengel, München 1985, 549. 42 „Um das Unmögliche zu leisten, greift er daher nach allen Elementen; die tiefsten geheimsten Anschauungen, wo sich Natur und Geist im Verborgenen begegnen, erleuchtende Verstandesblitze, die aus einem solchen Zusammentreffen hervorstrahlen, bedeutende Bilder, die in diesen Regionen schweben, andringende Sprüche der heiligen und Profanskribenten, und
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zusammen. Sie sind die Tugenden des ,Herrn des Ackers‘43. Das Konkrete in mannigfacher Verbindung erweist sich bei Hamann als fruchtbarer Mutterboden. Hamanns Ausdruck für dieses Gebundensein des Menschen an das Konkrete ist entsprechend die ,Erde‘. Die Wahrheit ist irdisch, nur als und auf der Erde existiert der Mensch in seiner Wahrheit.44 Allein auf diesem Boden kann und muß der Mensch wirklich bauen. Die Erde ist in Wahrheit die Heimstatt des Menschen. Hamanns Rede von der Erde im Zusammenhang mit dem Menschen hat daher keinerlei abwertenden Sinn. Die Erde ist meine Mutter ; dachte Junius Brutus. Er fiel, so lang er war, nieder sie zu umarmen, und wurde der Schutzgeist der römischen Freiheit. Diese fromme List nachzuahmen ist eine Pflicht, die den Söhnen des Stolzes, der sein eigen Geschlecht stürzt, lächerlich vorkommt.45
Die Methode für das wahrheitsorientierte Denken ist die Nachahmung des liebenden Bezugs zur Erde. Erst im Bekenntnis zur gründenden Erde wird der Mensch in Wahrheit frei. Als Hort konkreter Wahrheit steht die Erde in besonderer Verbindung zu Gott: Wie wehe muß es Gott gethan haben diese Erde diese Wohnung des M[enschen] in der Regierung und den Klauen des Verderbers zu seh[en], den M[enschen] über sein Leb[en] seufzen zu hören, das er ihm als Pfand eines höher[en] und besseren eingeblasen hatte.46
Die irdische Wahrheit ist ein Zeichen für das höhere und bessere Leben des Menschen. Die Wahrheit als Erde betrachtet steht zeichenhaft für eine Relation. Die Erde bezeichnet für Hamann das Verhältnis des Menschen zu Gott: denn als Erde angesprochen wird dem hörenden Mensch seine Relationalität als Verwiesenheit auf Gott auch vor Augen geführt: Aus dieser Bildung des Menschen, wie uns Moses selbige erzählt, erhalten wir Menschen einen Maasstab, nach dem wir unsere Natur beurtheilen. So künstlich der Bau unseres Leibes ist, so wunderbar derselbe gemacht ist, so übersieht hier Gott gleichsam an seine Weisheit darinn die Menschen zu erinnern, er findet es nöthiger sie an den Staub der Erde, den er zu diesem Meisterstück der körperl. Welt gemacht, zu verweisen.47
Der Verweis auf seine Erdgeschaffenheit wird dem Menschen sowohl zum Grund für eine angemessene Demut als auch zur Rechtfertigung seiner spezifischen
43 44 45 46 47
was sich sonst noch humoristisch hinzufügen mag, all dieses bildet die wunderbare Gesamtheit seines Stils, seiner Mitteilungen.“ (Goethe, Dichtung und Wahrheit, 549). Vgl. N III, 40, 16–21 (Philologische Zweifel und Einfälle). Walter Leibrecht, Gott und Mensch bei Johann Georg Hamann, Gütersloh 1958, 96. N II (Schriftsteller und Kunstrichter), 332, 13–17. BW 229, 32–36. BW 72, 27–33.
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Würde und Verpflichtung als ,Herr des Ackers‘. Der Mensch ist Geologe und Agronom. Geo-loge, da ihm der Nachvollzug der Beseelung der konkreten Erde durch das göttliche Wort auferlegt ist, Agronom, da er die beseelbare sprich zeichenhafte Erde gesetzgeberisch zu bearbeiten hat, also in dieser Arbeit zum Poeten seiner Welt wird. Die Erde fordert die menschliche Bearbeitung und wird so zum fruchtbaren Feld beziehungsweise Acker. In der Bearbeitung der Erde, der Wahrung ihrer Fruchtbarkeit erweist sich der Mensch seinerseits als würdiger Herr des Ackers.48 Denn die Wahrheit muß aus der Erde herausgegraben werden, also das Konkrete zeichenhaft bearbeitet werden. Nur auf der Basis seines grundsätzlichen Bezugs zur Erde kann er sich als fruchtbar erwiesen. Der Mensch ist also nicht nur ein lebendiger Acker, sondern auch der Sohn des Ackers, und nicht nur Acker und Saame […] sondern auch der König des Feldes, guten Saamen und feindseeliges Unkraut auf seinem Acker zu bauen; denn was ist ein Acker ohne Saamen und ein Fürst ohne Land und Einkünfte?49
Erde ist wahrhafte Verpflichtung und Bewährung. Das Denken des Menschen kann nur dann Anspruch auf Wahrheit besitzen, wenn es seiner Würde als König des Feldes Rechnung trägt, daß heißt ausgehend von der Geschaffenheit des Menschen ,aus einem Erdenkloß‘ auf jeden eigenmächtigen Versuch des Transzendierens seiner selbst verzichtet und sich an das konkrete Geschaffene, die Erde, hält, in der die Wahrheit des Schöpfers geborgen ist und aus der diese Wahrheit geborgen werden will.50 Die Systementwürfe der Philosophen sind demgegenüber blind für die Wahrheit des Wirklichen und konstruieren Wolkenkuckucksheime: Seitdem unsere Philosophen die Augen fest zuschließen, um keine Zerstreuungen auf Kosten der Natur lesen zu dürfen, und seitdem sie die Hände in den Schoß legen, einer schönen Haut zu gefallen, hat es Luftschlösser und Lehrgebäude vom Himmel geregnet. Wer Land oder Häuser Bauen, Schätze haben oder verbergen will, muß in den Schoß der Erde graben, die unser aller Mutter ist.51
Gegen die trügerische Wahrheit der begrifflichen Konstruktion verweist Hamann auf die Wahrheit der konkreten Dinge. Bei der Suche nach Wahrheit macht 48 Erde, die jungfräulich bleibt, ist der Würde des Menschen als Mensch unangemessen. Oswald Bayer kennzeichnet diese Würdigung der Erde bei Hamann in der Kontrastierung mit Kant: „Hamann kommt es bei diesem Vergleich darauf an zu zeigen, daß Kants ,Reinigkeit‘ […] gerade nicht der Boden für eine ,Metaphysik der Natur‘ […] ist, es fehlen ihm die Nährstoffe der Sinnlichkeit. So bleibt er unfruchtbar ; die zum ,Eigenthum und Besitz des Vernunftvermögens übrig bleibende‘ Ernte ist ,hundemager‘“ (Bayer, Vernunft, aaO., 110/ 111.). 49 N III, 40, 16–21 (Philologische Zweifel und Einfälle). 50 Vgl. Leibrecht, Gott und Mensch, 97. 51 N II, 365 (Fünf Hirtenbriefe), 2–9.
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sich der Fragende notwendig schmutzig – eine dem Puristen äußerst peinliche Vorstellung. Einen Kronzeugen für diese Auffassung hat Hamann in dem Sokrates, den er in den ,Sokratischen Denkwürdigkeiten‘ porträtiert, und dessen Philosophieren sich für jeden Ort und zu jedem Fall schickt, da der Markt, das Gastmahl, das Gefängnis und vor allem das Feld seine Schule gewesen sind: „[…] das erste das beste Quodlibet des menschlichen Ungangs diente ihm den Saamen der Wahrheit auszustreuen.“52 Und dieser Maxime entsprechend versucht Hamann das Feld zu bearbeiten, die Wahrheit aus der Erde ans Licht zu bringen, die ihm zunächst vorliegt: nämlich dem Erdenkloß, der er selbst ist, aus seiner eigenen Leiblichkeit. In dieser Erde kann das „Saamkorn einer fruchtbaren Wahrheit“53 aufgehen. Dabei ist die Individualität nicht der Wahrheit entgegengesetzt, sondern Individualität bewährt und bewahrt Wahrheit und umgekehrt. Die Wahrheit ist also einem Saamenkorn gleich, dem der Mensch einen Leib giebt wie er will; und dieser Leib der Wahrheit bekommt wiederum durch den Ausdruck ein Kleid nach eines jeden Geschmack, oder nach den Gesetzen der Mode.54
Wahrheit bewährt sich in der Individualität der vielen. Jedoch ist es eine einfache Beobachtung, daß sich viele der Einzelnen an ein ,Man‘ der Mode verlieren. Aber selbst diese verschenkte Individualität hat als Konkretes noch Bezug auf das Wahrheitsgeschehen, welcher dem abstrakten Wahrheitskonzept abgeht. Die Fruchtbarkeit einer solchen auf dem Individuellen und Konkreten basierenden Wahrheit beschreibt Hamann wie folgt: Jede individuelle Wahrheit wächst zur Grundfläche eines Plans, wunderbarer als jene Kuhhaut zum Gebieth eines Staats; und ein Plan, geraumer als das Hemisphär, erhält die Spitze eines Sehpuncts. – Kurz, die Vollkommenheit der Entwürfe, die Stärke ihrer Ausführung; – die Empfängnis und Geburth neuer Ideen und neuer Ausdrücke; – die Arbeit und Ruhe des Weisen, sein Trost und sein Ekel daran, liegen im fruchtbaren Schooße der Leidenschaften vor unsern Sinnen vergraben.55
Nur aus dem Individuellen kann das Neue erwachsen, welches zumeist eine neue Perspektivierung, ein neuer Weltentwurf und eine neue Sprache ist. Individualitäten zeugen.56 Den unmittelbarsten Eindruck von der Fruchtbarkeit von Wahrheit gewinnt der Mensch nicht durch begriffliche Spekulation reiner Ver52 53 54 55 56
SD/AN 63, 25–65, 1. SD/AN 29, 6–7. ZH I, 335, 22–25. SD/AN 123, 1–10. Dies trifft vor allem für Texte zu, insbesondere dann, wenn ,Er selbst ein Schriftsteller geworden‘ (SD/AN 25, 10), Gott als Autor zu verstehen ist. Die ,Unreinheit‘ wird Hamann nach dem Beispiel des ersten Poeten zur Leitlinie seiner Autorschaft. Der Flickteppich seiner Schriften als formale Konsequenz aus seiner Erdverbundenheit kann die bemerkenswertesten Verbindungen erzeugen.
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nunft, sondern in Leidenschaften und Sinnen, letztlich durch das Erlebnis des eigenen Körpers. Nicht in der philosophischen Verleugnung des Leibes liegt Wahrheit, sondern in seiner Empfindung, der Sinnlichkeit. Eine Verleugnung der Leiblichkeit ist gleichbedeutend mit einer Verleugnung des Schöpfers. Der Sinnesfeindschaft der rationalistischen Philosophie setzt Hamann die Betonung von Sinnlichkeit und Leiblichkeit des Menschen entgegen, und zwar bis in das Konkreteste hinein.57 Diese Aufklärung ist in ihrer Konkretheit zumeist anzüglich und peinlich. Dasjenige, was etwa Hegel peinlich berührt hat, daß nämlich Hamann so oft in seinen Briefen und Schriften von sich selbst und gar von seinen Krankheiten spricht, ist für Hamann die ständige Vergegenwärtigung der Leiblichkeit und somit ständige Rückerinnerung an die Erdbezogenheit des Menschen, in der allein Wahrheit verborgen ist. Das Loblied auf Sinne, Leidenschaften und auch die Geschlechtlichkeit sind Hamann somit Dienst an der Wahrheit. Zu diesem Dienst sieht Hamann die zünftigen Philosophen als ungenügend an. Seine Geologie richtet sich gegen den Alleinvertretungsanspruch der Vernunft in Sachen Wahrheit, nicht gegen das vernünftige Denken als solches. Allerdings ist dieses nicht allein, sondern nur zusammen mit der Sinnlichkeit der Wahrheit angemessen. „Die Philosophen haben von jeher der Wahrheit dadurch einen Scheidebrief gegeben, daß sie dasjenige geschieden was die Natur zusammengefügt hat …“58 Dagegen setzt er den Satz, der in einem Brief an Jacobi vom 23. 04. 1787 auftaucht: „Was Gott zusammengefügt hat kann keine Philosophie scheiden.“59 – auch nicht die kritische Philosophie Kants mit ihrer unbefugten Scheidung von Sinnlichkeit und Verstand. Hamanns Ehekunst als Vermählung des Widerstrebenden gegen die Scheidekunst des rationalistischen und kritischen Philosophierens ist somit ein Zeugnis des irdischen Geschehens der Wahrheit, welches dem erdgeschaffenen Menschen möglich und für sein Wesen notwendig ist.
57 Kurt Christ schreibt hierzu: „Sich den relativ großen Prozentsatz begreiflich zu machen, der in Hamanns Briefwechsel der detailgenauen Wiedergabe der Probleme bezüglich Nahrungsaufnahme und ihrer Verwertung gewidmet ist, erfordert schon vom heutigen Leser eine gewisse Desensibilisierung.“ Kurt Christ, Johann Georg Hamann (1730–1788). Eine Porträtskizze nach hypochondrischen Briefen, in: Renate Knoll (Hg.) Johann Georg Hamann. Quellen und Forschungen, Münster 1988, S. 248. 58 N III, 40, 3–5 (Philologische Einfälle und Zweifel). 59 ZH VII, 158.
Ästhetik
III.
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Ästhetik
Zwar wurde Hamanns Denken insbesondere in künstlerischer Hinsicht von den Hauptvertretern der ,Sturm und Drang‘-Periode in Sinne einer begründenden Ästhetik in Anspruch genommen, doch hat Hamanns Begriff von Ästhetik nur in sehr nachgeordneter Weise etwas mit Kunstphilosophie zu tun. Dies liegt an der engen Verbindung von Wahrheit und Ästhetik. Da Wahrheit im Wesentlichen eine Relation bezeichnet, ist sie vor allem Wahrnehmung. Hamann nutzt die Modewissenschaft seiner Zeit, die von Alexander Gottlieb Baumgarten etablierte Ästhetik, als trojanisches Pferd.60 Im aktuellen Diskurs der gebildeten Welt wird gezeigt, wie das Neueste der intellektuellen Diskussion sich als die älteste Urkunde erweist. Neue Ästhetik ist gleich älteste Ästhetik und somit auch das Neue schlechthin, das nicht veralten kann. Gerade die Eigenständigkeit der philosophischen Ästhetik als menschliche Selbstermächtigung zu bestreiten, ist dabei Hamanns ästhetisches Anliegen. Zwar begründet die Ästhetik, jedoch begründet sie keine Kunsttheorie, sondern eine ontologische Anthropologie. Bei seiner subversiven Ästhetik stützt sich Hamann vor allem auf englische Autoren, vor allem auf Hume, Burke und Berkeley. ,Wahrheit‘ beziehungsweise das Adjektiv ,wahr‘ erweisen sich hierbei als Schlüsselbegriffe. Denn besonders geeignet für die hamannsche Unterwanderung ist die Ästhetik des Erhabenen, denn diese ist zu fassen als die Aisthesis des einen Erhabenen überhaupt, sprich die sinnliche Wahr-nehmung Gottes. Diese Ästhetik des Erhabenen ist nun sowohl objektivisch wie subjektivisch zu verstehen. Es geht um das Wahrnehmen Gottes auf der Basis des Wahrgenommenwerdens von Gott. Wiederum zeigt sich die besondere Bewegtheit von Wahrheit. In diesem Prozeß erkennt man die Wirkung der Wahrheit in der Relationalität des Wahr-gebens und Wahr-nehmens. Ästhetik ist eine Erfahrungswissenschaft als eine erleidende Wissenschaft, die menschliche Begriffe beseelt: „Leidenschaft allein gibt Abstractionen sowohl als Hypothesen Hände, Füße, Flügel; – Bildern und Zeichen Geist, Leben und Zunge“.61 Ästhetik ist Wahrheitsgeschehen. Dieser ästhetische Prozeß ist sprachlich konstituiert. Das Wort ,Es werde Licht‘ der Genesis beschreibt nach Hamann eine sprachliche Mitteilung beziehungsweise einen Eindruck entsprechend der Rede David Humes von den ,impressions‘, das heißt einer „Empfindung von der Gegenwart der Dinge“62. Dieses 60 Vgl. hierzu: Hans Graubner, Hamanns Ästhetik des Erhabenen und die Wiederkehr des Erhabenen im 20. Jahrhundert, in: Bernhard Gajek (Hg.) Die Gegenwärtigkeit Johann Georg Hamanns. Acta des achten Internationalen Hamann-Kolloquiums an der Martin-LutherUniversität Halle Wittenberg 2002, Frankfurt 2005, 215–233. 61 SD/AN 121, 7–9. 62 SD/AN 83, 14. Vgl. Graubner, Ästhetik, 218.
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bei Licht zu Schauende ist nach dem Grundappell des Menschen, dem ,Rede, daß ich dich sehe‘63, als Wort zu lesen, welches ,an die Kreatur durch die Kreatur‘ gerichtet ist. Gott kann nicht von dem sinnlich Wahrnehmbaren abstrahiert werden. Das Erhabene der sinnlichen Wahrnehmung erweist sich so als Ansprache des Erhabenen. Hamann schreibt: „Jeder Eindruck der Natur in dem Menschen ist nicht nur ein Andenken, sondern ein Unterpfand der Grundwahrheit: Wer der HERR ist.“64 Wahrheit ist Anschauung Gottes und somit Ästhetik. Diese Ästhetik konstituiert die Anschaulichkeit der Wahrheit im Individuellen und Konkreten. ,Aesthetica in nuce‘ sind auch eine Lehre von der Wahrheit im Kleinen, Konkreten, einer beliebigen Erscheinung der Welt. Die Rede Gottes ist in ihrer Kondeszendenz Einheit des Gegensätzlichen, sowohl die Selbstentäußerung Gottes in der Schöpfung, das Schweigen Gottes, wie auch seine penetrante Zudringlichkeit, welcher der Mensch ausgesetzt ist und an der er seine Wahrnehmung zu orientieren hat. Die sinnlich empirische Wahrnehmung Gottes ist die wahre Ästhetik.65 Die Einheit des Urhebers spiegelt sich bis in dem Dialecte seiner Werke; – in allem Ein Ton von unermäslicher Höhe und Tiefe! Ein Beweiß der herrlichsten Majestät und leersten Entäußerung! Ein Wunder von solcher unendlichen Ruhe, die GOTT dem Nichts gleich macht, daß man sein Daseyn aus Gewissen leugnen oder ein Vieh seyn muß; aber zugleich von solcher unendlichen Kraft, die Alles in Allen erfüllt, daß man sich vor seiner innigsten Zudringlichkeit nicht zu retten weiß!–66
63 Vgl. SD/AN 87, 4 und N III, 237 (Zwey Scherflein), 20. 64 SD/AN 115, 22–25. 65 Gerade dieser Punkt der Ästhetik des Erhabenen als sinnlicher Erfahrung Gottes als des Anderen ist gegen Kant stark zu machen, dessen moralische Ableitung des Erhabenen in seiner Schrift über das Schöne und Erhabene laut Hamann nur den „Eigensinn des Geschmacks“ (N IV, 289, 18) und so eine Selbstvergottung des Menschen im Gegensatz zur ästhetischen, das heißt wahrnehmbaren und wahrnehmenden Herablassung Gottes verrät. Doch Hamanns Kritik an Kant geht noch weiter, denn dieser hat in seiner Bestimmung des Schönen und Erhabenen die fünf Sinne vollständig übergangen. Sein Gefühl der Schönheit ist unnatürlich rein intellektuell und verwandelt durch die Moralisierung des Schönen und Erhabenen das Wahrgenommene in eine menschliche Eigenmächtigkeit, eine Übermächtigung des Sinnlichen, in ein Götzenbild im Sinne von Röm 1,20–26. Demgegenüber wird laut Hamann das Erhabene und Schöne nur im Verlust bewahrt, nämlich indem der Mensch seine moralische Autonomie bei der Aisthesis des Erhabenen aufgibt. Ebenso defizitär ist das Schöne, welches Hamann auf die Sinnlichkeit, und zwar ganz konkret auf die Sexualität zurückführt: nur im Verlust der Unschuld erweist sich die Schönheit als fruchtbar. Gegen eine moralisierende beziehungsweise voreilig versöhnende Bewältigungsstrategie gegenüber dem Erhabenen besteht Hamann auf der überwältigenden und harmonisierungsresistenten Leere und Fülle des unsichtbaren Gottes als Protagonisten einer Ästhetik des Erhabenen (Vgl. Graubner, Ästhetik, 220ff.). 66 SD/AN 107, 9–19.
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Hamann überspitzt theologisch die ästhetischen Ideen Edmund Burkes, indem er die theo-logischen Grundlagen des Ursprunges des Schönen und Erhabenen aufweist. Das Erhabene, welches über die Geste des Betrachters hinaus bei Burke auf dem Gefühl der Erhaltung basiert, wird bei Hamann zum Gefühl der Selbsterhaltung durch den anredenden und verstehenden – nicht bloß betrachtenden – Gott.67 Hamanns Ästhetik ist vor allem Wahr-nehmungslehre, d. h. ein Nachdenken darüber, wie Wahrheit in angemessener Weise anzunehmen ist, wie als Mensch mit Wahrheit umgegangen werden muß und darf. Wahrheit ist etwas, was auf den Menschen zukommt, ihn anspricht. Daher muß er sich selbst zurücknehmen und sich zunächst einmal ansprechen lassen. Das Wahrnehmbare besteht nicht unabhängig, sondern ist abhängig vom göttlichen Zuspruch. Dieses Grundprinzip führt Hamann zu einer Umwertung der Ästhetik zu einer theologischen Fundamentalwissenschaft. Hamann befindet sich dabei mit der Ästhetik als Wahrnehmungslehre auf einer Linie mit den Ideen Berkeleys, insbesondere seinem berühmt-berüchtigten Prinzip esse est percipi, Sein ist Wahrgenommenwerden. Hier geschieht Wahrheit. Im Sinne Hamanns kann dieses Prinzip als ontologischer Satz ausformuliert werden: Im Wahrgenommenwerden durch Gott besteht die Existenz des Menschen, Gottes Wahrnehmen gründet den Menschen.68 Eine eigene Formel für diesen Umstand hat Hamann im ,Rede, daß ich dich sehe‘. Ästhetik ist Hamanns Waffe gegen eine sich verselbständigende, tyrannische Philosophie; diese kann „durch nichts als lah^lata pah^lata, leidende Gelehrigkeit, ästhetischen Gehorsam des Kreuzes entwaffnet“69 werden. Die Auffassungen Berkeleys hat Hamann dabei noch semiotisch-naturalistisch radikalisiert. Ergibt das Engagement Gottes bei Berkeley den Intensitätsgrad des Wirklichkeitseffekts von Vorstellungen, so besteht Hamann auf der Materialität bzw. der Sinnlichkeit der Zeichen, d. h. ihrer Wirklichkeit, indem ihm jede Erscheinung der Natur göttliches Wort nach dem biblischen ,Am Anfang war das Wort‘ ist.70 Entsprechend formuliert Hamann den Schlußsatz seiner ,Aesthetica in nuce‘: Laßt uns jetzt die Hauptsumme seiner neusten Ästhetick, welche die älteste ist, hören: Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre, denn die Zeit Seines Gerichts ist kommen, und betet an Den, der gemacht hat Himmel und Erden und Meer und die Wasserbrunnen.71
Vgl. Graubner, Ästhetik, 223. Vgl. Gen 16, 13f. N III, 234 (Zwey Scherflein), 21–23. Vgl. Eric Achermann, Hamanns Insistieren auf der sinnlichen Wirkkraft der Zeichen, in: Gajek, Gegenwärtigkeit, 47–49. 71 SD/AN 147, 20–25.
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IV.
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In dem Gespräch vom 18. 12. 1823, über das Kanzler von Müller berichtet, sagt Goethe über Hamann: „er habe immer biblische Sprüche und Stellen aus den Alten wie Masken vorgehalten, und sei dadurch vielen dunkel und mystisch erschienen.“72 Doch Hamann habe in seinen Schriften stilistisch und inhaltlich „wohl gewußt, was er wolle“. Es ist also nötig zu hören, was Hamann zu sagen hat und wie er dies zu sagen hat, d. h. sich auf seine bestimmte Art des Denkens und Schreibens gegen die eigenen Lesegewohnheiten einzulassen. Dazu ist eine vernehmende und nicht eine vereinnehmende Herangehensweise erforderlich. Zur Deutlichkeit gehört nun aber die Dunkelheit dazu. Daher ist Hamanns Verwendung insbesondere von biblischen Stellen nicht, wie es die vielen, von denen Goethe spricht, meinen, dazu geeignet, die Botschaft der Texte zu unklar zu machen, sondern die biblischen Masken sind Teil dieser Botschaft und tragen zur Aufklärung des Lesers über sich selbst in entscheidendem Maße bei. Hamanns biblische Maske (persona) bewährt den Leser als Person. Diese Individualisierungsstrategie ist wichtiger Teil der Hamannschen Autorhandlung. Hamanns Schriften sind geschrieben ,um der Leser willen‘. Oswald Bayers Satz: „So kommt denn auch zu Hamanns Metakritik der Kritik Kants der Leser nicht erst sekundär hinzu – als ob ihm nur der Nachvollzug des Vorgedachten bliebe. Er gehört zu ihr vielmehr von vornherein, ja, ist geradezu ihr Zweck.“73 kann durchaus verallgemeinert werden. Der Versuch, Bibelreferenzen und Hamanns eigenes Denken säuberlich zu scheiden, führt daher in die Irre. Hamann „spricht […] auch dann, wenn er selbst spricht, in der Sprache der Bibel.“74 Doch nimmt er das entliehene Bibelwort nicht für eigene Zwecke in Gebrauch, indem er es etwa als stimmige Illustration nutzt, sondern läßt sich selbst durch den Text in Gebrauch nehmen. Der Autor Hamann macht sich zum Medium der Schrift. Nicht der Text ist Medium der Botschaft, sondern der Autor Medium des Textes. Die Bibel formt seine Maske. Elfriede Büchsel hat Hamanns Medialität im Umgang mit dem Bibeltext so beschreiben: „Hamanns Verhältnis zur Bibel ist durch die Gebundenheit und die Freiheit des Zeugen bestimmt, er spricht ganz aus der Bibel heraus und führt in sie hinein, mit einer Unmittelbarkeit, die beim Leser jeden historischen Abstand verschwinden lassen kann.“75 Die eigene konkrete Person wird so zum Zeugnis für den Leser, da unmittelbar durch sie der Text spricht. Für sein Zeugnis braucht der Zeuge den Leser. 72 Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann ergänzt und herausgegeben von Wolfgang Herwig. Band III/1, München 1998, 641. 73 Bayer, Vernunft, 417. 74 BW 48. 75 Elfriede Büchsel, Biblisches Zeugnis und Sprachgestalt bei J.G. Hamann, 25.
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Die konkrete Ansprache Hamanns macht den Bibeltext dem Leser unmittelbar präsent und läßt keine Distanzierung zu. Der Leser wird somit der Bedeutung des Bibeltextes für sein eigenes Leben gewahr. Dieses Wahrheitsgeschehen wiederum ist Bestandteil von Hamanns eigener Lebensgeschichte. In der Nacht vom 31. März 1758 hat der in London gestrandete Hamann bei der Bibellektüre ein für sein ganzes Leben entscheidendes Durchbruchserlebnis: Ich fand die Einheit des göttl. Willens in der Erlösung Jesu Christi, daß alle Geschichte, alle Wunder, alle Gebote v Werke Gottes auf diesen Mittelpunct zusammen liefen, die Seele des Mensch[en] aus der Sclaverey, Knechtschaft, Blindheit, Thorheit v dem Tode der Sünden zum grösten Glück, zur höchsten Seeligkeit v zu einer Annehmung solcher Güter zu beweg[en], über der[en] Größe wir noch mehr als über uns.[ere] Unwürdigkeit oder die Möglichkeit uns derselb[en] würdig zu mach[en], erschrecken müssen, wenn sich uns selbige offenbaren. Ich erkannte meine eigenen Verbrech[en] in der Geschichte des jüdisch[en] Volks, ich laß mein[en] eig[enen] Lebenslauf, und dankte Gott für seine Langmuth mit diesem seinem Volk, weil nichts als ein solches Beyspiel mich zu einer gl.[eichen] Hoffnung berechtig[en] konnte. Vor all[en] andern fand ich in den Büchern Moses eine seltene Entdeckung, daß die Israelit[en], so ein ungeschlachtet Volk sie uns vorkommen, in einig[en] Fällen nichts als dasjenige von Gott ersucht[en], was Gott willens war für sie zu thun, daß sie eb[en] so lebhaft ihr[en] Ungehorsam als je ein reuender Sünder erkannt[en], v ihre Buße doch gleichwol eb[en] so geschwind vergaßen, in der Angst derselb[en] aber um nichts als ein[en] Erlöser, ein[en] Fürsprecher, ein[en] Mittler anriefen, ohne den sie unmögl. Gott weder recht fürcht[en] noch recht lieben konnten. Mit diesen Betrachtung[en], die mir sehr geheimnisvoll vorkamen, laß ich d[en] 31. März des Abends das V. Capitel des V. Buchs Moses, verfiel in tiefes Nachdenken, dachte an Abel, von dem Gott sagte: die Erde hat ihr[en] Mund aufgetan um d[as] Blut deines Bruders zu empfang[en] – Ich fühlte mein Herz klopfen, ich hörte eine Stimme in der Tiefe desselb[en] seufzen v jammern, als die Stimme des Bluts, als die Stimme eines erschlag[enen] Bruders, der sein Blut rächen wollte, wenn selbiges beyzeiten nicht hörte und fortführe meine Ohren geg[en] selbiges zu verstopfen, – daß eb[en] dies Kain unstätig v unflüchtig machte. Ich fühlte auf einmal mein Herz quillen, es ergoß sich in Thränen v ich konnte es nicht länger – ich konnte es nicht länger mein[em] Gott verheelen, daß ich der Brudermörder, der Brudermörder seines eingebor[enen] Sohnes war.76
Die entscheidenden Topoi von Hamanns unreinem Wahrheitskonzept – wie die Erde, das Fühlen und das Hören auf das Wort – kommen an dieser eng auf die Bibellektüre bezogenen Stelle, die Hamanns endgültiges Bekehrungserlebnis schildert, wie in einem Focus zusammen. Wahrheit ist ineins der Ort einer möglichen Bewährung, die Würde verleiht. Im unreinen Gegenstand, dem ,ungeschlachteten Volk Israel‘ zeigt sich gerade das göttliche Wahrheitsgesche76 BW 343, 6–39. Vgl. zu dieser ,entscheidenden Passage‘ von Hamanns ,Gedanken über meinen Lebenslauf‘ Helgo Lindner, Lebenswende. London 1758, in: Bayer/Gajek/Simon Insel-Almanach, 39–60.
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hen, das gerade als solches den konkreten und unwürdigen Menschen Johann Georg Hamann angeht. Das Nachdenken über diese Bibelstelle ist Hamann dabei nicht geistige Spielerei, sondern führt zu einem als solchen entscheidenden körperlichen Affekt. Die Auflösung des Geheimnisvollen erfolgt nicht in der intellektuellen Durchdringung und Analyse der Bibelstelle, sondern in der emotional-körperlichen Betroffenheit. Wahrheit hat praktische Auswirkungen. Leidenschaft wird zum Wahrheitszeugen. Sie zeigt die tiefe persönliche Betroffenheit durch das Wahrheitsgeschehen an, die nur als solche das Geschehen bewahrt. Hamann erfährt fühlbare (sinnliche) Wahrheit, die zum Hören zwingt. Und wieder hat die Erde ihren Ort im Wahrheitsgeschehen. Daß die Erde das Blut des eingeborenen Sohnes aufnimmt, ist ein Ausdruck der Kondeszendenz angesichts eines wesentlich schuldigen Menschen. Dabei spielt die mosaische Identifikation von Blut und Leben die entscheidende Rolle. Denn „[…] Hamann führt das Blut als Platzhalter für die Leiblichkeit ein“ um so „die Bedeutung der Sinnlichkeit für das menschliche Erkenntnisvermögen herauszustellen.“77 Hamann ist an Jesus Christus zum Mörder geworden, da er Hören, Blut und Erde mißachtet. Hamanns Deskription der Auswirkungen des Wahrheitsgeschehens ist präzise: da er die Bibel radikal im Sinne des lutherischen pro me zu lesen gelernt hat, kann ihn Wahrheit körperlich affizieren. Diese hör- und fühlbare Wahrheit bewirkt einen emotionalen Ausbruch und führt zu einer konkreten Antwort, welche auf einer unangenehmen Selbsterkenntnis beruht. Diese konsequente Bibelbezogenheit ist Ausdruck von Hamanns Verständnis von Wahrheit als eines bestimmten konkreten Geschehens einer (historischen) Geschichte. In diesem Sinne ist die Bibel nach einer Wendung Oswald Bayers ,Hamanns konkretes historisches Apriori‘.78 Der sich nicht auf seine Geschichte und Individualität besinnende Kain hingegen flieht vor sich selbst wie die nach Allgemeinem strebende Vernunft vor sich selbst flieht. Wie ist die Struktur dieses Apriori nach Hamann zu kennzeichnen? Was führt zum körperlichen Erlebnis der Wahrheit? Das Geschehen von Wahrheit hat Hamann in seiner Londoner Konversion per Bibellektüre am eigenen Leibe erfahren. Hier erlebt er die Bibel als ein Formular der eigenen Lebenswirklichkeit: fabula de te narratur. Formulare79 sind inhaltlich stark vorprägende Strukturen mit bestimmten Leerstellen, in die der Leser individualisierende Charakteristika eintragen kann. Für Hamann wird die biblische Geschichte in seinem Konversionserlebnis zu einem solchen gleichzeitig allgemeinen, be77 Rainer Fischer, Der Wahrheit ein Gesicht geben. Hamanns Streifzug gegen George Benson in den ,Kreuzzügen des Philologen‘, in: Gajek (Hg.), Johann Georg Hamann und England, 282. 78 Vgl. Oswald Bayer, Zeitgenosse im Widerspruch, 15 und 76, insbesondere 83ff. 79 Vgl. zur Theorie des Formulars Jürgen Frese, Prozesse im Handlungsfeld, 155–172.
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kannten und individuellen Formular der eigenen Lebensgeschichte. Dieses Erlebnis will er durch seine Bibelmasken dem Leser weitergeben. Diesen aus der Lektüre der Schriften Hamanns resultierenden Affekt beschreibt Goethe: „Jedesmal, wenn man sie aufschlägt, glaubt man etwas Neues zu finden, weil der einer jeden Stelle innewohnende Sinn uns auf eine vielfache Weise berührt und aufregt.“80 Das persönliche Erleben des Lesers ist in das Formular einsetzbar, so daß dieses zum Integral der eigenen Lebensgeschichte wird. Das biblische Formular läßt so Welt wahrnehmen und erschließt den Einzelnen der Welt, genauso wie es dem Einzelnen ästhetisch die Welt erschließt. Gott hat sich in der Schrift durch Formulare mitgeteilt. Die Erfahrung bewährt sich nunmehr am Formular. Der Leser des Textes ist in diesen involviert und gleichsam selbst eingeschrieben, so daß Gott als Autor und Ausleger der eigenen Biographie, der jeweiligen Individualgeschichte erfahren wird. Hamann als Autor muß also in Nachfolge dieser Autorhandlung Konjekturen ermöglichen, der Leser die Leerstellen mit Eigenem ergänzen, sich dem geoffenbarten Text einschreiben beziehungsweise verschreiben. Erst in diesen Verschreibungen wird der Leser anhand von Hamanns Bibelmasken zur Person. Dies ist das Geschehen der Wahrheit in Hamanns eigenem Lebenslauf. Die Schrift schreibt ihn und umgekehrt wird er in seiner Lektüre der Bibel von dieser gelesen. Wahrheit bewährt sich in der Autorhandlung, die dem Leser das eigene Erlebnis bewahrt und für ein entsprechendes Ereignis bereit macht. Wie für die Ästhetik, so konstituiert Hamann auch für die Bibellektüre eine bemerkenswerte Umwertung der Erkenntnis: Nicht der Leser liest die Schrift aus Erkenntnisinteresse, sondern er erfährt sich als von der Schrift in seiner jeweiligen Wahrheit erkannt und ausgelegt. Somit wird der Bibeltext zum Ort der Wahrheit. Durch ihn als Formular wird auch der jeweilige Gesprächspartner Hamanns bewährt.81 Diese Wahrheit beinhaltet eine Form der Bewahrung. Gott bewahrt im biblischen Formular das jeweilige Individuum und erzählt als Autor dessen wahre Lebensgeschichte. Hamanns Masken bieten dem Leser diese Formulare. So kann Hamann mit Sancho Pansa sagen: ,Gott versteht mich!‘ und diese tröstliche Grundwahrheit auch seinem Leser und Gesprächspartner mitteilen. Denn die Wahrheit des Individuums ist, daß Gott es als solches versteht. Die durch den biblischen Text vermittelte Selbsterkenntnis ist ein Wagnis. Die Anforderungen nötigen den konkreten Menschen zu einer Antwort, die ihn bewegt und wandelt. 80 Goethe, Dichtung und Wahrheit, 550. 81 Oswald Bayer und Bernd Weißenborn kennzeichnen diese Umkehr wie folgt: „Doch wird […] nicht der Text in das Ich, sondern das Ich samt seinem ganzen Selbst in den Text gezogen – in ihm hineingenommen, von ihm verstanden und ausgelegt. Das den Text und seine Sache zu erkennen suchende Ich erfährt sich plötzlich umgestellt: in den Text gestellt, von dem es erkannt ist. Es hat seinen Ort im Text; es holt ihn nicht erst durch eine Applikation zu sich.“ BW 7.
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Ästhetische Geologie
Durch den Gebrauch des Formulars wird diese Wahrheit bewährt und mit ihr die Erfahrung des Lesers. Eingeschrieben in, respektive wahr-genommen durch das biblische Formular, wird das Leben des Lesers selbst zu einem Zeugnis Christi und Teil an dem Wahrheitsgeschehen aus lebendiger Bewegtheit, das sich in Johannes 14, 6 geäußert hat: ,Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.‘82 Dabei bewährt gerade die mannigfache Individualität der vielen Leser das Wahrheitsgeschehen in der Schrift als einen individualitätsbegründenden Prozeß. Wahrheit bekommt hier ein konkretes Gesicht83 und wird von der Leere eines abstrakten Wahrheitsbegriffs geschieden. Selbsterkenntnis als Produkt einer gerichteten Ansprache an das je konkrete Individuum in seiner spezifischen Lebenssituation durch die Schrift setzt Hamann der aufklärerischen Selbsterkenntnis der Vernunft, die ein unfruchtbares In-sich-Kreisen ist, entgegen. Die Wahrheit der Vernunft hat zwar den Anspruch auf Allgemeingültigkeit, trifft und betrifft jedoch nicht den konkreten Menschen. Sie flieht wie Kain vor sich selbst. Sie bewegt sich im Ideenhimmel des reinen Geistes und läßt das Individuum allein zurück. Mehr noch, ihre Form als reine, abstrakte Allgemeinheit fordert die Selbstaufgabe des Einzelnen als individueller Wahrheit. Ihre Formel ,Allgemeinverbindlichkeit und Allgemeingültigkeit‘ verallgemeinert, während das biblische Formular in Wahrheit konkretisiert. Die Unabhängigkeitserklärung der Vernunft läßt den Menschen in einer selbstverschuldeten Abhängigkeit und stellt vor das Nichts. Kants berühmter ,Wahlspruch der Aufklärung‘ macht das Defizit des aufklärerischen Denkens besonders deutlich. Wenn es heißt: „Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“, dann wird bei Vergleich mit der Vorgehensweise von Autoren, die nur die Wahrheit als Richtschnur ihres Handelns nehmen und nur der Vernunft folgen, klar, daß sie eben nicht sich ihres eigenen Verstandes bedienen, sondern einer als allgemeingültig betrachteten, von jeglicher Individualität absehenden Vernunft. Von diesem Allgemeinen macht sich das Individuum bis zur Selbstaufgabe abhängig. Der Wahlspruch der Metakritik ist demnach das Wort Luthers, welches Hamann in einem Brief anführt, der seine Konversion vor seinen aufgeklärten Freunden rechtfertigt: „Hie bin ich–ich kann nicht anders. Gott helf mir Amen.“84 Dieser Wahlspruch drückt das Bewußtsein des eigenen Standpunkts sowie die Unmöglichkeit, von seiner Individualität abzusehen, und ebenso die Angewiesenheit auf Gott allein aus.
82 Vgl. die Ausführungen von E. Jansen Schoonhoven zu den ,Hierophantischen Briefen‘ (Hamanns Hauptschriften erklärt. Band 5 Mysterienschriften, hrsg. von Evert Jansen Schoonhoven und Martin Seils, Gütersloh 1962, 84f.). 83 Vgl. Fischer, Wahrheit, 293. 84 ZH I, 307, 33–34.
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V.
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Dichtung und Wahrheit
Diese sprachliche Struktur vom zusagenden Gott zum antwortenden Menschen ist ineins ontologisches Prinzip der Wahrnehmung. „Hörend und redend mit allem verbunden zu sein heißt: durch das Wort bestimmt sein.“85 Hamanns Schlagwort für diesen engen Zusammenhang von Sprache und Sein ist: „Ursprüngliches Seyn ist Wahrheit, mitgetheiltes ist Gnade.“86 Das heißt auch: Ontologie ist Soziologie, das Sein eine sich mitteilende Gemeinschaft. Die sprachliche Wahrheit Hamanns konstituiert sich als Prozeß: der Gehalt der Worte ist dem Vollzug der Sprechhandlung nachgeordnet. Dies ist eine sowohl soziologische, wie auch ontologische Wahrheit: Das unsichtbare Wesen unserer Seele offenbart sich durch Worte – wie die Schöpfung eine Rede ist, deren Schnur von einem Ende des Himmels biß zum anderen sich erstreckt. Der Geist Gottes allein hat so tiefsinnig und begreiflich uns das Wunder der sechs Tage erzählen können.87
Redend nimmt Gott wahr und erlaubt Wahrnehmung. Weil die Wirklichkeit eine Anrede ist, kann der Mensch überhaupt erst in der Lage sein, auf diese Anrede hin in dieser oder jener Weise zu antworten, etwa mit Dichtung, Wissenschaft oder Philosophie. Gott ist erster Poet und setzt so das Wahrheitsgeschehen in Gang: Dichtung schafft Wahrheit Raum. Im Sprechen sind Worte daher nicht bloß zu analysierende Begriffe, sondern immer schon zeichenhafte Handlung. Anrede und Zusage gehen der Bedeutung voraus. Das Sprechen, dessen Wahrheit formal von der Art und Weise der Kommunikation und nicht von der Bedeutung der Wörter abhängt, ist Handlung. Die „Liebe zur Wahrheit“ wird somit im Sprechen deutlich. Philosophieren ist Handlung in philosophischen Begriffen, ist Sprechen und Übersetzen, ist Poiesis, Machen und Herstellen. Von der jeweiligen – lokalen und persönlichen – Gesprächssituation hängt der Prozeß des Wahrheitsgeschehens ab. Doch für Hamann ist diese babylonische Sprachvielfalt nicht ein Hindernis, sondern gerade die Voraussetzung zwischenmenschlicher Verständigung. Das Miteinandersprechen beruht auf der Fähigkeit, Bilder, Formeln und zeichenhafte Handlungen angemessen auszulegen. Hierzu ist Pietät vor dem fremden Sprachspiel gefordert, der gute Wille zur Übersetzung. Konflikte der übersetzenden Sprachspiele aufgrund ihrer Jeweiligkeit sind dabei nicht nur jederzeit möglich, sondern auch als Bewährungen erwünscht, die von der individuellen Wahrheit des sprachlich agierenden Einzelnen Zeugnis ablegen. 85 Bayer, Vernunft, 4. 86 ZH 5, 271, 28–29. 87 ZH I, 393, 28–31.
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Die Notwendigkeit der wechselseitigen Übersetzung hat noch eine andere Konsequenz: das Wahrheitsgeschehen bei Hamann schließt notwenig auch den Irrtum mit ein, da das individuelle Sprechen niemals mit seinem Ursprung völlig übereinstimmen kann. Wahrheit und Irre gehören in der durch die Kondeszendenz geprägten Welt untrennbar zusammen. Vermutlich ist es kein Versehen Hamanns, wenn er schreibt, daß die Wahrheit aus ,irrdischen‘ und ,unterirrdischen‘ (mit doppeltem ,R‘) Gegenständen ans Licht gebracht werden muß.88 In einem Brief an Herder schreibt Hamann: „Lücken und Mängel – ist die höchste und tiefste Erkenntnis der menschl. Natur durch die wir uns zu ihrem Ideal hinauf winden müßen – Einfälle und Zweifel – das summum bonum unserer Vernunft.“89 Der irrende Stallmeister Sancho Pansa kann sich jedoch sicher sein: „Gott versteht mich.“ Für Hamann ist die Übersetzung eine Freigabe des Anderen unter Vorgabe der eigenen Begriffe, denn die je eigene Übersetzung erzeugt eine Vielzahl von Sprechenden – eine vielstimmige Wirklichkeit. Dichtung bringt folglich nicht nur die Vielfalt der Welterscheinungen ins Geschick90, sondern sorgt damit auch für die Möglichkeit der soziologischen Verbindung der einzelnen Poeten. Diese Vielstimmigkeit läßt sich nicht auf eine einzige Stimme, etwa die der reinen Vernunft, reduzieren. Wenn eine einzige Wahrheit gleich der Sonne herrscht; das ist Tag. Seht ihr statt dieser einzigen so viel, als Sand am Ufer des Meeres; – hiernächst ein klein Licht das jenes ganze Sonnenheer am Glanze übertrifft; das ist eine Nacht, in die sich Poeten und Diebe verlieben. – Der Poet am Anfange der Tage ist derselbe mit dem Dieb am Ende der Tage.91
Ein Holismus des Verstehens ist nach Hamann undenkbar und durch das vollständige Verstandenwerden zu ersetzen, auf welches Sancho Pansa baut.92 Dichtung als Ausdruck des Individuellen und Wahrheit sind daher nur scheinbare Gegensätze. Die Dichtung des Einzelnen sucht in zeichenhafter Handlung die Wahrheit im Konkreten und Individuellen und wird so zu einer Anzeige von Wahrheit und des Individuellen zugleich. „Die Einheit des Urhebers spiegelt sich bis in dem Dialecte seiner Werke […]“93 Die individuelle Dichtung
88 ZH VII 158. 89 ZH III, 34, 33–35. 90 „ … wir haben an der Natur nichts als Turbatverse und disiecti membra poetae zu unserm Gebrauch übrig. Diese zu sammeln ist des Gelehrten; sie auszulegen, des Philosophen; sie nachzuahmen – oder noch kühner! – sie in Geschick zu bringen, des Poeten bescheiden Theil.“ (SD/AN 87, 11–16). 91 SD/AN 113, 21–28. 92 Vgl. Eckard Schumacher, Ironie der Unverständlichkeit, 118. 93 SD/AN 107, 9–11.
Dichtung und Wahrheit
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bewährt und bewahrt das grundsätzliche Wahrgenommenwerden in Frage und Antwort. Goethes Aussage aus ,Dichtung und Wahrheit‘ scheint auf ebendiesen Umstand der zugesagten Wahrheit hinzudeuten, wenn er schreibt: „Indessen fühlte ich wohl, daß mir in Hamanns Schriften etwas zusagte, dem ich mich überließ, ohne zu wissen, woher es komme und wohin es führe.“94 Bei Hamann heißt es daher in Antwort auf Pilatus: „Was ist Wahrheit? Ein Wind, der bläst, wo er will, dessen Sausen man hört, aber nicht weiß: Woher? Und wohin?“ Es ist dieses individuelle Getragensein von der Zusage, welches Hamanns ontologische Grundaussage ausmacht und das durch seine Schriften beispielhaft vermittelt werden soll.
94 Goethe, Dichtung und Wahrheit, 441.
VI.
Biblisches Formular und soziologische Wirklichkeit – Elemente einer Hamannschen Soziologie Dem Andenken Jürgen Freses (1939–2007)
I.
Die Frage nach der Soziabilität Hamanns
Das 9. Internationale Hamann-Kolloquium findet unter dem Titel ,Johann Georg Hamann – Religion und Gesellschaft‘ statt. Es ist die Frage, wie die Konjunktion der abstrakten Begriffe ,Religion‘ und ,Gesellschaft‘ in Hinsicht auf das Wirken Hamanns zu verstehen ist. Einerseits ist wohl zu erwarten, daß gerade ein Johann Georg Hamann gewidmetes Kolloquium zum Stichwort ,Religion‘ relevante Ergebnisse zeitigt; der Begriff ,Gesellschaft‘ in dem Titel einer solchen Veranstaltung aber scheint sich andererseits in Ansehung der Art der Schriften Hamanns oberflächlich betrachtet eher auf das historische Phänomen des Magus in der Gesellschaft seiner Zeit beziehen zu können. Dabei kann es eine durchaus interessante Frage sein, was Hamann in seinem Denken für die Etablierung von Sozialität beizutragen hat. Daß ausgerechnet dem Schreiben Hamanns eine besondere gesellschaftliche Qualität innewohnt, ist ein zunächst befremdender Gedanke. Die Abschreckung, die von seinen äußerst kommentarbedürftigen Texten ausgeht, ist groß. Hamanns Schriften und eine Gesellschaft von Lesern respektive Menschen scheinen zunächst nicht zusammenzupassen. Ihr Autor hat diesem Eindruck Vorschub geleistet. Die vielkolportierte Dunkelheit seiner Texte, die lediglich an zwei oder keinen gerichtet und auch für das Verständnis ihres jeweiligen Adressaten geschrieben sind, schließen scheinbar alle anderen aus. Seine Arbeit ist für 99 Leser verloren; [durch] für diesen Verlust aber wird er durch den Gewinn des hundersten getröstet. Was für eine Blindheit gehört dazu 99 gegen 1 aufzuopfern; ganze Heerden, Schaaren und Völker in der Irre zu laßen, um mich gegen Indiuidua verdient zu machen. Da heißt es wohl recht: Sapere aude!1
Die textliche Kompliziertheit des Magus macht ihn sozial exklusiv. Daß die Schriften im Gegensatz hierzu für den Entwurf einer auf ihnen basierenden 1 So Hamann an Johann Gotthelf Lindner am 5. Mai 1761 (ZH II, S. 85, 19–23).
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Biblisches Formular und soziologische Wirklichkeit
Soziologie verwandt werden können, ja diese sogar fordern, muß daher eine überraschende Erkenntnis sein. Doch gibt es für den Soziologen ermutigende Anzeichen. So hat die Person Hamanns in ihrer sozialen Umgebung tiefe Spuren hinterlassen. Nicht nur ist das Haus Hamanns ein Hort der Geselligkeit und seine Korrespondenz in der Gelehrtenrepublik umfassend gewesen, auch die schwierigen Texte haben bis heute eine Gemeinde von Lesern gezeitigt, die die Gedanken des Magus durchaus als soziabel, und dies sowohl in wissenschaftlicher wie auch in religiöser, aber auch in persönlicher Hinsicht erfahren. Hamann war und ist ein anerkannter Gesprächspartner, seine Meinung war und ist von verschiedenen Seiten eruiert worden, ist bei Theologen, Philosophen, Literaturwissenschaftlern, Unternehmern, Wissenschaftstheoretikern und Künstlern gefragt. Die vielen verschiedenen Antworten auf dem letzten Hamann-Kongreß, der nach der ,Gegenwärtigkeit Johann Georg Hamanns‘ fragte, sind hierfür exemplarisch. Hamanns Position in der Gelehrtenrepublik damals und heute ist daher ein ermutigendes Anzeichen für das Unternehmen. Sein Denken und Schreiben scheint doch sozialverträglich und sozialfähig zu sein. Daß es zudem sogar sozialstiftende Züge aufweist, liegt an seiner besonderen Struktur, die im Folgenden aufzuzeigen ist. Die Vorteile von Geselligkeit und Gesellschaft hat der Soziologe Hamann in seinen Texten schon früh wiederholt betont, so in den ,Biblischen Betrachtungen‘: Je geselliger die Mensch[en] leben, desto mehr genüßen sie von dem Grund v Bod[en], an dem sie gemeinschaftlich arbeiten. Je genauer sie die Pflicht[en] der Gesellschaft untereinander erfüllen, desto leichter wird es ihnen ihre Bedürfnisse zu befriedig[en], desto mehr genüßen sie ihrer Stärke. Uneinigkeit macht Gesellschaft[en] schwach, verringert den Werth ihrer natürl. Vortheile, macht ein fruchtbares Land zur Wüste, arme Einwohner, Flüchtlinge, die nichts zu erwerb[en] such[en], damit sie nichts zu verlieren haben.2
Hamann ist bestrebt, diese Vorteile auch auf publizistischer Ebene nachzuweisen und anzumahnen. Das inhaltliche Ansinnen seiner Autorhandlungen ist es, gegen Dissoziation, Abtrennung und Vereinzelung – seine Stichworte hierfür sind Scheidekunst oder Purifikation – integrierend und resozialisierend zu wirken, die Menschen einer umfassenden Vergesellschaftung zuzuführen und zwar auf allen Ebenen, stilistisch, philosophisch, theologisch und auch sozial.3 2 BW. 80, 5–12. In BW 115, 3–5 spricht Hamann von den Vorteilen, die sich durch eine Zusammenkunft unterschiedlichster Menschen für alle bietet. 3 „Hamanns Kritik will nicht dieser Dissoziation dienen, sondern hat in der Nachfolge der göttlichen Herunterlassung intensivste Zuwendung zum anderen und seiner Welt zur Absicht, aber immer in der form kritischer Prüfung und Sichtung des scheinbar Selbstverständlichen.“ (Wolfgang-Dieter Baur, Die falschen Götzen macht zum Spott. Hamann als Publizist, in:
Die Verstrickung in die biblische Geschichte
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Das von ihm gebrauchte Stichwort für diese Absicht, die Ehekunst, läßt darauf schließen, daß es ihm nicht an einem bloßen Zusammenführen, sondern an einer besonders fruchtbaren Art der Assoziation gelegen war. Der Versuch zum Entwurf einer Hamannschen Soziologie soll daher gewagt werden. In dieser besonderen Art von Soziologie sind die vormals abstrakten Begriffe Religion und Gesellschaft in spezieller lebendiger Weise verbunden, aufeinander bezogen und stehen sogar in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis. Seine Soziologie hat Hamann gleich zu Beginn seiner Autorschaft ausgearbeitet, insbesondere in den ,Biblischen Betrachtungen‘ und den ,Gedanken über meinen Lebenslauf‘ sowie auch in der ,Beylage zu Dangeuil‘. In seinen späteren Schriften praktiziert Hamann soziologisch die hier entwickelten Gedanken. Ebenso legt er in lebenspraktischer Konsequenz seine eigene ,ungesellige oder wunderliche Lebensart‘4 ab. Die frühen ,Londoner Schriften‘ sind also weniger Selbstvergewisserungen im Stil pietistischer Tagebücher, sondern sie sind soziologische Grundtexte Hamanns. Denn auf den hier in der Londoner Einsamkeit bei intensiver Bibellektüre gewonnenen Erkenntnissen beruht die Möglichkeit einer Soziologie. Zwar waren diese Texte nicht für eine größere Öffentlichkeit gedacht und sind von Hamann nicht publiziert worden, doch werden gerade sie die Öffentlichkeit erzeugen, in die hinein Hamann späterhin spricht und schreibt. Diese Form von Soziologie knüpft an die Hamannsche Praxis, die biblischen Texte als Formulare zur Kennzeichnung und wichtiger zur Stiftung gesellschaftlicher Prozesse zu verwenden, an. Für Geselligkeit ist Bibellektüre unumgänglich.
II.
Die Verstrickung in die biblische Geschichte
Die spannende Leitfrage der Forschung ist: Was ist der Grund für Hamanns Schreiben? – und eine wichtige Erkenntnis ist es gewesen, daß diese Frage mit der Frage nach der Art und Weise von Hamanns Schreiben zusammenhängt. Die Frage wiederum nach dem Zusammenhang von Inhalt und Form, Stil und Gehalt hat viele Antworten gezeitigt. Das prominent durch den Phänomenologen Wilhelm Schapp geprägte Konzept der ontologischen Verstricktheit des Menschen in Geschichten ist von der Hamannforschung als erhellende Möglichkeit der Kennzeichnung von Hamanns Autorhandlungen festgestellt und insbesondere auf die Verstricktheit des Johann Georg Hamann. ,Der hellste Kopf seiner Zeit.‘, hrsg. von Oswald Bayer, Tübingen 1998, 87). 4 BW 326, 6–7.
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Biblisches Formular und soziologische Wirklichkeit
Menschen in biblische Geschichten präzisiert worden. Oswald Bayer hat in seinem Buch ,Zeitgenosse im Widerspruch‘ nachdrücklich auf diese Möglichkeit hingewiesen.5 Kronzeuge für die Möglichkeit einer solchen Beschreibung ist das Erweckungs- und Konversionserlebnis Hamanns in London anhand der Lektüre der biblischen Erzählung. Diese vermittelte Hamann die umwerfende Erfahrung des de te fabula narratur. Doch ist Hamanns Biblizismus nicht nur für Johann Georg Hamann allein von entscheidender Bedeutung, sondern auch für seine Mitmenschen. Der phänomenologisch-ontologische Ansatz erweist sich bei Hamann insbesondere in soziologischer Hinsicht als besonders fruchtbar. Menschliche Wirklichkeit ist wörtlich erfahren als Gewirktheit, als Verstrickung in bestimmte und bestimmende Erzählungen. Doch diese Erzählungen bestimmen nicht nur exklusiv ein Individuum allein, sondern verstricken auch andere. Selbstwelt und Mitwelt begegnen sich in Geschichten. Es gibt sogar Geschichten mit einem totalen Anspruch, welche die ganze Menschheitsgeschichte erzählen und so diese in einen übergreifenden Horizont stellen, außerhalb dessen nichts ist und der so alle Handlungen der Einzelnen leitet und bestimmt.6 Die biblische Geschichte ist eine solche Erzählung, die den Menschen mit einem solchen Anspruch konfrontiert. Sie ist die für den abendländischen Menschen prägende Großerzählung. Hamanns Erfahrung ist, daß diese seinen Mitmenschen buchstäblich nahegehende Geschichte häufig verdeckt ist und der Wiedererweckung bedarf7, dann aber den Menschen solcherart überwältigt, daß nur noch eine Anerkennung ihrer Wirkung möglich ist.8 Das Bekehrungserlebnis bleibt nicht unfruchtbar, der Überzeugte wird zum Zeugen. Denn diese Anerkennung der Ansprache nötigt zur Weitergabe, die umfassende Geschichte muß als meine eigene anerkannt und als umfassende, alles einschließende Geschichte weitererzählt werden. Der sich als in diese Geschichte verstrickt bzw. erzählt Erfahrene wird in doppelter Hinsicht zum Zeugen, in dem er seine Geschichte erzählt und so auch andere zu über- und als neue Menschen zu erzeugen genötigt ist. Die Art der Weitererzählung nun ist abhängig von den konkreten Geschichten, in die der Weitererzähler verstrickt ist. Johann Georg Hamann tut dies im Rahmen seiner 5 Oswald Bayer, Zeitgenosse im Widerspruch, 72–75. 6 Vgl. Wilhelm Schapp, Philosophie der Geschichten, Frankfurt 1981, 15–28. Siehe auch Wilhelm Schapp, In Geschichten verstrickt. Zum Sein von Mensch und Ding, Frankfurt 2004, 191– 206. 7 Dies ist am eigenen Leibe erfahren: „Ich vergaß die Quelle alles Guten, von der ich alles erwarten und mir versprech[en] konnte, was mir fehlte und mit dessen Beystand ich alles hätte überwind[en] können, was mit im Wege lag.“ (BW 322, 29–32) 8 Dies ist ihm in London passiert und nötigt Hamann zu einem Bekenntnis unter Tränen: „Ich fühlte auf einmal mein Herz quillen, es ergoß sich in Thränen v ich konnte es nicht länger – ich konnte es nicht länger meinem Gott verheelen, daß ich der Brudermörder, der Brudermörder seines eingebor[enen] Sohnes war.“ BW 343, 36–39.
Die biblische Erzählung als Formular
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umfassenden Bildung, seiner großen und vielfältigen Erfahrungen als ,Leser der vielen Bücher‘ (Bayer) im Zusammenhang mit deren Inhalten. Durch das Erzählen der umfassenden Geschichte im Kontext der Lektüren wird auch der Hörer und Leser Hamanns in diese Geschichte verstrickt und mit Ihrem Anspruch sowohl wie mit ihrem Aufklärungsangebot für die Ordnung der eigenen Lebensgesichte konfrontiert. Zuhören bzw. Lesen wird dem Gesprächspartner Hamanns zu einer Zumutung, eine Zumutung, die aufgrund des universalen Anspruchs der umfassenden Geschichte eine Konversionsnötigung enthält. Eine solche Geschichte ist nunmehr nicht allein eine Selbstvergewisserung des Individuums und strukturiert dessen Selbst- und Umwelt, sondern wirkt notwendig auch dessen Mitwelt, indem sie auf die Mitwelt Einfluß nimmt. Die Geschichte wirkt sozialisierend, sie stiftet eine ,positive Welt‘ (Schapp) exklusiven Anspruchs. Durch welche besondere Struktur gewinnt die biblische Geschichte die besondere Überzeugungskraft, die den Leser des biblischen Textes an diesen so bindet, daß er sich fortan als von diesem vor-geschrieben erlebt und dieses Erlebnis auch an seine Umgebung mitteilt, und zwar so, daß er dem Text eine ähnliche Wirkung auf seine menschliche Umwelt zutraut?
III.
Die biblische Erzählung als Formular
Hamanns Biblizismus ist unübersehbar, die Unterscheidung von Eigentext und Bibeltext in seinen Schriften sehr schwer.9 In soziologischer Hinsicht ist zu fragen, ob der Versuch einer solchen Unterscheidung überhaupt sinnvoll ist. Wie ist also Hamanns über-zeugende Bezugnahme auf die Bibel zu charakterisieren? Hamann erfährt sich als in die biblische Geschichte verstrickt. Die unter Heranziehung der Theorie Schapps vorgeschlagene Charakteristik der Autorhandlungen Hamanns bedarf jedoch einer ergänzenden Präzisierung. Geschichten strukturieren zwar ein Selbst, haben aber allein nicht die handlungsrelevante Prägekraft für das Verhalten in einer Mitwelt. Gesellschaftliche Prozesse werden nicht allein von Geschichten, sondern von Erzählungen spezifischer Art bestimmt, die als Entleerungen, Formalisierungen besonderer Geschichten diese Prozesse überhaupt erst ermöglichen. Meine grundlegende These ist: für Hamann sind biblische Texte nicht nur maßgebliche Referenzen zur Erläuterung persönlichen Erlebens, sondern er bietet weit darüber hinausgehend dem Leser und Hörer sprachliche und epistemische Formulare der Erkenntnis und der Gestaltung der eigenen Lebenssi9 Vgl. Bernd Weißenborn, Auswahl und Verwendung der Bibelstellen in Johann Georg Hamanns Frühschriften, Acta VI, 25–26.
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Biblisches Formular und soziologische Wirklichkeit
tuation und persönlichen Geschichte überhaupt an. Die biblischen Texte haben in dieser Form nicht nur Bezug zur Wirklichkeit, sondern sie strukturieren diesen Bezug, machen die Umwelt des Lesers aus. Dies zeigt vor allem seine ,Londoner Bekehrung‘ anhand der intensiven Bibellektüre und der folgenden Selbsterkenntnis, denn in dieser Bekehrung wurde die biblische Erzählung als Formular erlebt. Dieses Formale enthält zudem eine Verheißung. Wer die Reisekarte der Israels mit meinem Lebenslauf vergleich[en] will, wird seh[en] wie genau sie miteinander übereinkommen. Ich glaube, daß d[as] Ende meiner Wahlfahrt durch die Gnade Gottes in d[as] Land der Verheißung mich führen wird.10
Diese Bekehrung hat nicht nur Auswirkungen auf die Selbstwelt des Bekehrten, sondern auch und gerade auf seine Mitwelt. Gerade das biblische Formular zeitigt ein soziologisches Verhalten: ein Zeugnis mit missionarischer Absicht. In Präzisierung durch die Theorie der Formulare des Bielefelder Sozialphilosophen Jürgen Frese gewinnt die auf Schapp basierende Explikation des Denkens Hamanns als Verstricktheit des Menschen in Geschichten ihre besondere soziologische Relevanz. Die Formulartheorie ist daher zur Kennzeichnung der Hamannschen Zeugenschaft insbesondere geeignet. Nach Frese kann „[…] das Formular […] beschrieben werden als bereits teilweise ausgefüllte, dadurch inhaltlich stark vorgeprägte Struktur mit bestimmten Leerstellen, in die individualisierende Charakteristika, Daten und Fakten eingetragen werden können. Ein Formular ist mehr als bloß strukturelle Festlegung möglicher Erfüllungen, aber weniger als inhaltliche Determination.“11 Das Weniger an inhaltlicher Determination ist verantwortlich für die Möglichkeit der Einschreibung und so für den höheren Grad der (formalen) Verpflichtung, die von diesem Text ausgeht. Für Hamann wird die biblische Geschichte in seinem Konversionserlebnis zu einem solchen gleichzeitig allgemeinen, bekannten und individuellen Formular der eigenen Lebensgeschichte. Dieses Formular hat eine besonders überzeugende Qualität und führt zu einer verbindlichen Anerkennung, welche aus der Möglichkeit resultiert, das eigene Erleben in das betreffende Formular einzuschreiben. Wenn das Formular durch das Einsetzen des eigenen Namens anerkannt und mit der Unterschrift beglaubigt ist, wird es zur verbindlichen Verpflichtung. Das biblische Formular verbindet in mehrfacher Hinsicht, so zunächst erstens das eigene Erleben: „Das Durchprüfen von Erinnerungselementen mit Formularen kann zu einem systematisierten Prozeß des Wiedererkennens entwickelt werden, und zwar so, dass das isolierte Element von Erleben beschreibbar wird
10 BW 345, 17–20. 11 Jürgen Frese, Prozesse im Handlungsfeld, München 1985, 155.
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als einsetzbar in das Formular.“12 Erkennen ist somit wesentlich Anerkennen als Wiedererkennung, Anerkennung konstituiert Selbsterkenntnis. Das Formular ist die Bedingung der Möglichkeit des Schreibens der eigenen Lebensgeschichte, der Möglichkeit einer persönlichen Ontologie. Das Erleben gewinnt so den Charakter von Vertrautheit, denn es erweist sich als durch das Formular strukturiert. Ebendies geschieht bei dem sich in London anhand des biblischen Textes prüfenden Hamann: gerade der Vorwurf des Bruder- und Christusmordes trifft ihm anhand seines erinnerten bisherigen Lebenswandels. Die biblische Geschichte zeigt sich als gültige Formulierung der eigenen Geschichte. Ich fühlte mein Herz klopfen, ich hörte eine Stimme in der Tiefe desselb[en] seufzen v jammern, als die Stimme des Bluts, als die Stimme eines erschlag[enen] Bruders, der sein Blut rächen wollte, wenn selbiges beyzeiten nicht hörte und fortführe meine Ohren geg[en] selbiges zu verstopfen, – – daß eb[en] dies Kain unstätig v unflüchtig machte. Ich fühlte auf einmal mein Herz quillen, es ergoß sich in Thränen v ich konnte es nicht länger – ich konnte es nicht länger mein[em] Gott verheelen, daß ich der Brudermörder, der Brudermörder seines eingebor[enen] Sohnes war.13
Das Formular verbindet somit zweitens mit dem biblischen Geschehen: Das aufgezeichnete biblische Geschehen und das individuelle Erleben stehen nun nicht mehr unverbunden und letztlich unvermittelt nebeneinander (wie es bei einer Lesart des Textes als etwa moralisches Exempel der Fall wäre), sondern der Leser des Textes ist in diesen involviert, das bedeutet selbst eingeschrieben. Der Text affiziert und betrifft persönlich. Bei Hamann heißt es: Wir müssen der Stimme des heiligen Geistes im göttlichen Wort nicht als der Stimme der Nachtigall zuhören, um unsern Geschmack zu vergnügen, um das Vergnügen gerührt zu werden blos zu genüßen. Wir müssen zittern bey demselben; wir müssen es, als Ezechiel, unser Herz genüßen lassen, damit es uns stark, treu und unverdrossen in Ausübung unserer Pflichten und des göttlichen Berufs mache.14
Treue zu seinen Pflichten ist nur durch persönliches Betroffensein möglich. Sozialität verlangt Treue als Person.15 In dieser persönlichen Betroffenheit wird zwischen Allgemeinheit und Besonderheit eine sozialfähige Balance etabliert, das sichtbar Individuelle entsteht: „Im Umgang mit dem Formular strukturiert 12 13 14 15
Frese, aaO., 157. BW 343, 31–39. BW 239, 5–10. Vgl. die Bedeutung des guten Namens für das Funktionieren der Sozialität in der ,Beylange zu Dangueil‘: „Der gute Wille zu bezahlen ist eine Folge aus dem sittlichen Charakter des Schuldners, die dem Gläubiger für desselben Klugheit und Redlichkeit gut sagt. Dieser gute Wille giebt nicht nur die beste Sicherheit für dasjenige Geld, was man fremden Händen überläßt, sondern dient selbst zum Unterpfand für den Schaden ungewisser Unglücksfälle. Die Tugend eines Kaufmanns sollte sich also zu seinem guten Namen wie die Waare zur Münze verhalten.“ (N IV, 236, 6–11).
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und diszipliniert sich die Erfahrung geschichtlich so, dass zwischen allgemeiner Bestimmtheit und individueller Kontingenz eines Geschehens eine beide Seiten voll anerkennende und berücksichtigende Ebene sich stabilisiert.“16 Im Formular wird das eigene Leben zu einer kontingenten Notwendigkeit, Hamann hat sich „selbst darinn angegeben und entdeckt“17, hat erfahren, daß Gottes „seelig machendes Wort, das ich geprüft gefund[en] als d[as] einzige Licht nicht nur zu Gott zu kommen, sondern auch uns selbst zu kennen“18 ist. Auch die bedrückende Erkenntnis Hamanns seiner selbst im Formular als Brudermörder hat eine tröstliche Potenz als Offenbarung göttlichen ,Langmuths‘ und der ,Wohltat des Glaubens‘19, die ihm persönlich als Verheißung zuteil wird. Das Formular offenbart Vergangenheit wie Zukunft des Individuums und bestimmt so seine Gegenwart. Besonders fruchtbar für die Erläuterung Hamannscher Gedanken als einer Soziologie ist dann die folgende These Freses: „Das fertig ausgefüllte, konsistente, sozial vertretbare, sinnvoll lesbare Formular bildet einen Text, in dem (grundsätzlich) Formular-Elemente und Ausfüllungen ununterscheidbar ineinander übergehen. Inhalt des Textes ist eine am Leitfaden des Formulars erzählte Geschichte.“20 Das Formular ist bei Hamann die ,Fabel‘ der Geschichte, das unterirdisch Bestimmende und Verpflichtende.21 Es dient dem Autor als Plan, dem entsprechend er seine Lebensgeschichte beschreibt. Auf diese Weise „spielt uns Gott sein eig[enes] Muster in die Hände“22, das heißt das Formular des Planes, der in Hamanns Sinn als ,Fabel‘ jedes individuellen Lebens dient. Auch in diesem Sinne erweist sich Gott als Autor, und zwar als Autor der jeweiligen Individualgeschichte. Gott schreibt ein Leben (vor), ist also Biograph – Autobiographien gibt es daher nicht. Sie sind Geschichten mit Gott. Der Autor im Sinne Hamanns muß also, ebenso wie ein möglicher Leser, konjektural vorgehen, die Leerstellen mit dem Eigenen ergänzen, sich dem geoffenbarten Text einschreiben, beziehungsweise verschreiben. In den soziologisch grundlegenden ,Gedanken über meinen Lebenslauf‘ heißt es:
16 17 18 19 20 21
Frese, Prozesse, 157. BW 345, 8–9. BW 345 35–37. BW 344, 3. Frese, Prozesse, 162. „Wissen Sie den Verfasser zum Bonsens: so melden Sie ihn, weil ich selbst daran zweifele, dass es Diderot ist und ich propter compendium ihn dazu metaschematisirt. Sie wissen dass diese unbekannte Figur eine meiner Lieblings Vortheile im Schreiben ist, besonders in demjenigen Stück, was ich Oeconomie des Plans nenne und in der Poesie die Fabel heißt.“ ZH III, 215, 13–18. 22 BW 95, 25.
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[…] ja ich bekenne, daß dies Wort Gottes eben so große Wunder an der Seele eines frommen Christen, er mag einfältig oder gelehrt seyn, thut als diejenigen die in demselb[en] erzählt wird[en], daß also der Verstand dieses Buchs v der Glaube an den Innhalt desselben durch nichts anders zu erreichen ist als durch denselb[en] Geist, der die Verfasser desselb[en] getrieb[en]…23
Die Form trägt also denselben Geist wie der Inhalt, der heilige Geist hat „uns ein Buch für sein Wort ausgegeb[en]“24, liegt also ebenso in der (nach Hamann auch zweifelhaften) Form der Darstellung. Man kann fortan nicht mehr über die Bibel, sondern nur noch mit der Bibel sprechen. Hamann wird nicht deshalb jedes Buch zur Bibel25, weil er jedes Buch wie die Bibel verehrt, sondern weil jedes Buch nach seinem Plan, seiner Fabel, sprich seinem biblischen Formular, explizierbar ist. Wohlgemerkt nicht umgekehrt, als hätte jedes Buch den gleichen soziologischen Rang und Wahrheitsanspruch wie die Bibel. Hamanns Bekenntnis ist daher nicht dasjenige eines Bibliomanen, sondern dasjenige eines Bibellesers. Das Einschreiben des eigenen Erlebens in ein solches Formular bildet einen konsistenten und sozial lesbaren Text der eigenen Lebensgeschichte. Vielleicht find[en] wir aber in der ganz[en] Geschichte Hiobs eine Geschichte uns.[eres] eig[enen] Geschlechts und uns.[eres] eig[enen] Elends.26
Das Formular verbindet also drittens zur Mitwelt. Es sammelt und ermöglicht die Darstellung der eigenen Lebensgeschichte. Es macht also die eigene Geschichte für die Umgebung sicht- bzw. lesbar und bildet somit eine Grundlage gesellschaftlicher Kommunikation. Es stiftet einen Zusammenhang. Das ,Rede, daß ich dich sehe‘ gilt auch für die Sozialität, die Beziehung der Menschen untereinander. Das biblische Formular ist die Brille wechselseitiger Er- und Anerkenntnis. Gesellschaftliche Interaktion und insbesondere das schriftliche oder mündliche Gespräch spielt sich somit nicht allein zwischen Sprecher und Hörer ab, sondern benötigt zudem ein vermittelndes oder in Hamannscher Terminologie übersetzendes Drittes, welches vor allem anderen der biblische Text bzw. das biblische Formular ist. Das Formular macht das Individuum, das in es eingeschrieben ist, für andere sichtbar und die anderen in bestimmter Perspektivierung für den Einzelnen. Die drei Verbindlichkeiten erlauben es Hamann nun, in Bezug auf seine Umwelt offensiv zu werden und die Verbindlichkeit des Bibelformulars für die 23 BW 346, 7–16. 24 BW 346, 25–26. 25 Vgl. ZH I 309: „Ich bin nichts, und kann zur Noth Allerley sein. Bibellesen und Beten ist die Arbeit eines Christen, wie Romanen und der Putztisch eines Stutzers. Jedes Buch ist mir eine Bibel und jedes Geschäfte ein Gebeth.“ 26 BW 206, 29–31.
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Selbstwelt auch der Mitwelt zuzumuten. Dies geschieht in Form seiner Schriften. Für seine schriftlichen Auseinandersetzungen nutzt Hamann centonisch biblische Formulare zur Intensivierung und Perspektivierung seiner Aussagen, aber auch zur Selbstverdeutlichung der Position seines jeweiligen Kommunikationspartners. Das im Cento eingefaltete (complizierte) Bibelformular expliziert Autor und Leser. Aber die Intention geht darüber hinaus und erweist sich als missionarisch. Hamanns Texte, seine Briefe und Schriften benutzen die Themen des Gesprächspartners als trojanisches Pferd, in dem er sie biblisch formalisiert.27 Hamann reicht das Formular an seinen Gesprächspartner weiter mit der Aufforderung, sich als in diesem verbindlich eingeschrieben zu erkennen und die lebenspraktischen Konsequenzen aus dieser Erkenntnis zu ziehen. Die Form der Kommunikation in der Gesellschaft (Sozio-logie), der Logos der Sozialität selbst erweist sich also als vom Christentum und seinen Formen getragen und nötigt den Gesprächspartner zur Anerkennung. Hamann spricht „ganz aus der Bibel heraus und führt in sie hinein, mit einer Unmittelbarkeit, die beim Leser jeden historischen Abstand verschwinden lassen kann.“28 Hamanns Zeugenschaft der biblischen Geschichte ist Textmission. Für Hamann wirkt das biblische Formular sozialisierend zunächst auf der Ebene von Texten, Schriften, Rezensionen und Briefen. Seine Aufforderung ist es, das biblische Formular als Autor der eigenen, sei es aufklärerischen, religionskritischen oder schwärmerischen Texte zu erkennen und somit dessen Anspruch auf die Person des jeweiligen Textproduzenten anzuerkennen. Das Bibelzeugnis als Formular stiftet den Bund zwischen dem Zeugen und dem Angeredeten.29 Damit wird dieser biblische Textualismus Grundlage sowohl als Basis seiner Autorschaft Hamanns30 als auch bestimmend in seiner gesellschaftlichen Praxis. Hamanns Bibelformular kontextualisiert auf textlicher und auf mitweltlicher Ebene, die sich von Text gestiftet erkennt. Der biblische Text ist ihm der Soziotext überhaupt.
27 Kaum verwunderlich, dass Hamann seine eigene Taktik bei anderen zu erkennen vermag. Die Art und Weise dieses Vorgehens macht er Lindner in seinem Brief vom 27.4. 1759 zum Vorwurf: „Heist das neutral seyn, wenn ich geharnischte Männer unter dem Dach meiner Briefe einnehme, und mein Couvert zum hölzernen Pferde mache()…“ ZH I, 315, 19–21. 28 Elfriede Büchsel, Biblisches Zeugnis und Sprachgestalt bei J.G.Hamann, 25. 29 Für den Bereich Hamannscher Religionspublizistik schreibt Baur : „Religionspublizistik wird so auch in der Form der Mitteilung zur bezeugenden Nachahmung des kommunikationsstiftenden Handelns Gottes.“ (Wolfgang-Dieter Baur, Johann Georg Hamann als Publizist. Zum Verhältnis von Verkündigung und Offenheit, Berlin/ New York 1991, 308). 30 Ein Beispiel ist die biblische Figur des Metaschematismus in seinen Schriften, vgl. Knut Martin Stünkel, Metaschematismus und formale Anzeige. Über ein biblisch-paulinisches Rüstzeug des Denkens bei Johann Georg Hamann und Martin Heidegger, NZSTh 47 (2005), 259–287.
Die sozio-logische Kraft des Formulars
IV.
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Das Formular erst macht die Erzählung zu einer lebendigen sozio-logischen Operationseinheit. Es macht den Text soziologiefähig. Hamanns Schreiben in Veröffentlichungen und Briefen kann als das Projekt einer Sozio-logisierung der Menschen um ihn herum durch das biblische Formular gekennzeichnet werden. Es ist dies eine Verbindung seiner Kommunikationspartner mit und durch den biblischen Text, der somit für diese verbindlich wird bzw. werden soll. Die Verbindung, die hier gestiftet wird, geht über das Zwingende der Logik noch hinaus: In meinem mimischen Styl herrscht eine strengere Logic und eine geleimtere Verbindung als in den Begriffen lebhafter Köpfe.31
Die Sozio-logisierung ist als eine Wiedererinnerung, die dem anderen ermöglicht bzw. vor Augen geführt wird, gestaltet. Durch das Wort Gottes, welches als Formular in die je eigene Sprache übersetzt wird, wird der Mensch vergesellschaftet. Stifter des Bandes bzw. Bundes zwischen den Gesprächpartnern ist, so will Hamann deutlich machen, das Wort Gottes, dessen Sprache das menschliche Sprechen ermöglicht und lenkt.32 Das biblische Formular ist echter Soziotext. Der Nachweis des Soziotextes ist Hamanns religiöse Praxis und zugleich seine praktische Soziologie. Die Ausdrücke ,biblisches Formular‘ und ,soziologische Wirklichkeit‘ sind in dieser Hinsicht Synonyme. Das biblische Formular ist, wenn noch nicht eine soziale, so doch eine sozio-logische Wirklichkeit. Es hält die Gesellschaft zusammen. Soziologie ist nach ihren Wortbestandteilen die Rede von bzw. unter Bundesgenossen. Hamanns verbindliche Soziologie ist eine Sprache des Bundes: der von Gott mit dem glaubenden Menschen geschlossene Bund führt zum Bund zwischen diesem als Autor und dem Leser und zwar in Nachahmung göttlicher Autorhandlung. Hamanns eigenes Bekehrungserlebnis ist dafür sinnbildlich und geschieht entsprechend bei der Lektüre von 5. Mose Kap. V., in dem vom Bund Gottes ,jetzt und hier‘ mit der gesamten Gemeinde Israel am Horeb die Rede ist, also ausdrücklich nicht mit ausgewählten Einzelnen, sondern mit der ganzen Sozialität. Die Bedeutung gerade dieser Bibelstelle für die Bekehrung Hamanns, die in der Literatur gegenüber der Brudermordgeschichte Gen 4 oftmals in den Hintergrund tritt, kann gerade in soziologischer Hinsicht nicht genug betont werden. Der Bund manifestiert sich im Text der Gebote, die eine 31 ZH I, 378, 24–25. 32 Vgl. Knut Martin Stünkel, Zusage. Die Sprache bei Hamann und Heidegger, NZSTh 46 (2004), 26–55.
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Anweisung zur sozialen Praxis sind: „Und Mose rief ganz Israel zusammen und sprach zu ihnen: Höre, Israel, die Gebote und Rechte, die ich heute vor Euren Ohren rede, und lernet sie und bewahrt sie, daß ihr danach tut. Der HERR, unser Gott, hat einen Bund mit uns geschlossen am Horeb und hat nicht mit unseren Vätern diesen Bund geschlossen, sondern mit uns, die wir heute hier sind und alle leben. Er hat von Angesicht zu Angesicht mit euch aus dem Feuer aus dem Berge geredet. Ich stand zu derselben Zeit zwischen dem HERRN und euch, um euch des HERRN Wort zu verkündigen; denn ihr fürchtetet euch vor dem Feuer und gingt nicht auf den Berg. […] Das sind die Worte, die der HERR redete zu eurer ganzen Gemeinde auf dem Berge, aus dem Feuer und der Wolke und dem Dunkel mit großer Stimme, und tat nichts hinzu und schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln und gab sie mir.“ (5. Mose V 1–5, 22) Der Text bedarf des Zeugen, der durch sein Sprechen die sozialitätsstiftende Potenz des göttlichen Wortes vermittelt. Das Sprechen durch Feuer, Wolken und dem Dunkel erinnert sehr an die Selbstbeschreibung der Autorhandlungen Hamanns, der auf diese Weise der sozialitätsstiftenden Stimme des Herrn Raum gibt. Die Sprache der Bibel ist die Sprache des Bundes, die biblische Erzählung verbindet Autor und Leser. Worin erweist sich die soziologische, die verbindende Kraft des Formulars? Die biblische Erzählung erfüllt die Anforderungen eines Formulars in besonderer, dreifältiger Weise. Die Überzeugungskraft des biblischen Formulars gründet zuerst in einem durch Hamann initiierten Akt der Selbsterkenntnis, einem Aha-Effekt der Aufklärung über sich selbst, der dem jeweiligen Gesprächspartner zugemutet wird. Das biblische Formular inszeniert seinem Ausund Erfüller eine dramatische Selbstbegegnung. […] wie ein wahrer Christ d[as] Wort Gottes, je länger je mehr er es liest, von allen Büchern durch ein Wunderwerk unterschied[en] findt, den Geist des Wortes in sn. Herzen schmeltzen und wie ein[en] Thau des Himmels die Dürre desselben erfrischt fühlt, wie er es lebendig, kräftig, schärfer denn ein zweyschneidig Schwerdt, an sich prüft, das durchdringt biß zur Scheidung der Seele und des Geistes, der Gebeine v des Marks in denselb[en], das die Gedanken und Triebe des Herzens sichtet; und daß derjenige sein Antlitz in demselb[en] aufhebt und entdeckt in dess[en] Aug[en] alles offenbar, für dem alles bloß und nackt sin, daß es der Geist ist, der über die Tiefen der gantz[en] Schöpfung schwebt, mit dem wir zu thun haben, dessen Stimme wir in der heil. Schrift frag[en] und hören.33
Hamann knüpft an die sprachlichen Wendungen seines jeweiligen Gesprächspartners die biblischen Formulare an34 und hält dem Gegenüber so den Spiegel 33 BW 146, 5–17. 34 Bei Büchsel finden sich folgende Beispiele: „An Lavaters Wendung ,Zweifelswelten‘ z. B. knüpft Hamann: Himmel und Erde vergeht. Sein Wort währt. Oder, wenn Lavater sagt: ,Was Erfahrung hindert‘, so antwortet Hamann: ,Gesetzt daß diese Hindernisse wirklich Berge wären, so halte ich diese Berge für den rechten Ort des wundertätigen Glaubens.‘ (Br IV 5) Zu
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des biblischen Zeugnisses vor, welches dieser als sein eigenes Bild anerkennen muß. Der Kommunikationspartner soll in eine Situation gebracht werden, die derjenigen Hamanns in seiner Londoner Bekehrung entspricht. Der Leser ist vom Text erblickt und erkannt, er kann sich diesem Blick nicht entziehen. Hamann weist an mehreren Stellen in seinen ,Biblischen Betrachtungen‘ auf diese Eigenschaft des Bibeltextes hin: Die Geschichte Josephs ist wie diejenige Gemälde, die uns anzuseh[en], von welcher Seite man sie betrachtet, so erblicken wir Blicke des Erlösers, die aus sein Leben herfürstrahl[en].35
Diese Eigenschaft fordert eine Abkehr von gängigen Textwahrnehmungsautomatismen. Der Text ist nicht länger das Vehikel einer dahinterstehenden Botschaft. Zur Geschichte vom Urteil Salomons (1 Könige III,16) schreibt Hamann wiederum: Last uns nicht die Weisheit Salomons bewundern, sondern die weise Erbarmung Gottes durch die er uns aus der Gefahr des ewig[en] Todes gerettet hat. Diese Geschichte ist eine von denjenig[en], der[en] Aug[en] unfehlbar sind; wir wollen einige Stell[en], worauf sie seh[en] bemerken.36
Der Bibeltext transportiert nicht Weisheit für uns, sondern ist selbst Geschehen; das Medium ist nicht die Botschaft, sondern die entscheidende Tat. Der Bibeltext zieht den Leser in sein Geschehen hinein, erkennt ihn und verheißt ihm gleichzeitig. Wenn Leben und Denken des Lesers de facto schon auf biblischen Formen basieren, von biblischer Verheißung getragen werden und so sein gesamter geistiger Haushalt in dieser Weise strukturiert ist, liegt es nahe, das Unvermeidbare, weil je eigene als solches auch zu akzeptieren. Diese von Hamann gepflegte Sozio-logie macht deutlich, daß gemeinschaftsstiftende Worte und (Kon-)Texte resp. Sozio-logien gesellschaftliche Wirklichkeiten sind, die wirken und herrschen, bevor wir ihr Wirken durchschauen. Entsprechend ist seine Forderung: Last uns alle irrdische Geschichte, als bloße Träume, Gedank[en] v Einbildung[en] seyn; hingeg[en] alle Gedanken zur Ehre Gottes Worte, und alle gute Worte noch bessere Werke.37
Diese zur Praxis drängende Soziologie ist eine eigentlich transzendentale Wissenschaft, die die Möglichkeit der Erfahrung (und auch der soziologischen ,Durst‘ verweist er auf Ri 15,18, zu ,Bedürfnisse‘ auf Gen. 21,19 und zu ,Lüsternheit‘ auf 2. Samuel 23,15 (IV 7).“ (Büchsel, Biblisches Zeugnis, 121/122). 35 BW 101, 1–3. 36 BW 173, 13–15. 37 BW 177, 26–28.
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Analyse im normalwissenschaftlichen Verstande) überhaupt erst stiftet. Es gibt somit keine soziologische Forschung, sondern nur soziologische Selbsterkenntnis, die sozialisierend wirkt. Das auf dem Formular basierende Einfügen des Gesprächspartners in die biblische Tradition kommt einer neuen Identitätsstiftung gleich bzw. einem Akt der Taufe bzw. Wieder-taufe durch die von Hamann vermittelte Anrede Gottes. Die Wirklichkeit (der Kondeszendenz) ist beziehend und betreffend zugleich.38 Dies mag zwar einem sich kritisch verstehenden Zeitgenossen als wahre Höllenfahrt der Selbsterkenntnis vorkommen und wird Widerstände zu überwinden haben. Hamann kann aber gegen das Selbstbild des Kritikers, der gewohnt ist, sich als nüchterner Pragmatiker des Verstandes zu sehen, zeigen, daß sein eigenes sich religionsfrei dünkendes Denken in Wahrheit ein Wolkenkuckucksheim ist. Es sucht sich von seinen eigenen grundlegenden Strukturen zu trennen. Hamann selbst kehrt das kritische Verhältnis um: „Die heilige Schrift ist in diesem Stück das gröste Muster und der feinste Probestein aller Menschlichen Kritik.“39 Der sich selbst autark setzende Mensch ist der wahre Schwärmer. Die lebenspraktische sozialisierende Bedeutung des Formulars beruht zweitens auf seinen Leerstellen. Denn hier kann der Leser/ Hörer der Erzählung seinen eigenen Namen verbindlich eintragen und mit seiner Unterschrift und Datum beglaubigen und wirkmächtig machen. Das Einsetzen des Namens wirkt verbindlich und zwingt zur Anerkennung. Soziologie bedeutet Anerkennung von Verbindlichkeiten. Die Wichtigkeit dieser Verbindlichkeit wird von Hamann in negativer Weise erläutert. Besonders schlecht ergeht es Zeitgenossen, die das biblische Formular eitel im Munde führen, die es in satirischer Absicht gebrauchen, sich aber nicht seiner verbindlichen sozio-logischen Wirklichkeit bewußt sind. Beispiele hierfür sind ein Brief Lindners, in dem dieser Hamanns formularischen Stil kopiert hat und den Hamann wie folgt kommentiert: Je mehr ich Ihren Brief lese, desto mehr bewundere ich Ihren Witz, mit dem sie sich in meinen Schwung zu setzen wißen. Ich weiß, wie natürlich ihnen dies ist, und daß Sie bald besser allegorisieren würden wie ich. Gott hat mich zum bibelfesten Mann gemacht – Aus ihrem Munde sollen Sie gerichtet werden. Und Sie werden bibelvest um mich zu versuchen, und richten Sich Selbst, indem Sie mich anklagen.40 38 Vgl. Karlfried Gründer, Figur und Geschichte. Johann Georg Hamanns ,Biblische Betrachtungen‘ als Ansatz einer Geschichtsphilosophie, Freiburg/ München 1958, 85/86. 39 BW 291, 31–33. 40 ZH I, 340, 31–36. Eine entsprechende Stelle, hier ist die sprachliche Figur klüger als ihr Verwender, taucht im Brief an Lindner vom 21. 03. 1759 auf: „Lieber Herr Magister, wie heißt folgende Figur in der Rhetoric: Um nicht Hunger zu sterben, hatten Sie die Bibel nöthig, um sich zu überwinden herzukommen. Soll das nicht ein hysteron proteron von einer Methathesis seyn. Hat er nicht schreiben wollen: Um nicht Hungers zu sterben, hätte ich es nötig gehabt wieder zurückzukommen, um mich zu überwinden aber die Bibel. Dies hat er in Gedanken gehabt – das ist auch wahr. Was er in der Figur redet, aber noch wahrer, und ich
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Hamann weist nachdrücklich darauf hin, daß in Lindners Karikatur seines Stils das ihm Wesentliche, nämlich die namentliche Verpflichtung nicht möglich ist. Aber auch die Schrift ,Au Salomon de Prusse‘ weist auf die Verpflichtung hin, die dem aufklärerischen König mit dem Gebrauch dieses biblischen Formulars durch die Lobhudeleien Voltaires entsteht.41 V.M. est ce que les Sages du Siecle appellent un Etre Supreme de la Terre, et Vous avez Sire, fait eclater la superiorit8 de Votre Genie au dessus de tous les autres Rois par autant de merveilles que le DIEV des Juifs a rendu son nom glorieux au dessus de tous les Idoles des Nations. […] Parceque l’Eternel a aim8 son peuple, SALOMON a et8 etabli ROI sur tous les Prussiens!42
Der König läuft ,Gefahr‘ geschmäht zu werden wie sein formularisches Vorbild und in der eigenen Kondeszendenz diejenige des von den aufgeklärten Geistern geschmähten Gottes nachzuahmen: Votre Siecle, Sire! n’est qu’un jour d’angoisse et des reprehension et de blaspheme. Tous les Sarcasmes aussi innombrales qu’accredit8s contre la Providence du PERE, qui es aux Cieux, contre l’Evangile de son Fils et contre les Oeuvres diverses du S. Esprit ne sont que des souris, et des chansons en comparaison des pens8es et paroles, dont on noircit Votre Nom Auguste, la Sagesse de Votre Regne et les Oracles de Votre volont8 et de Votre Esprit.43
Hamann transponiert Voltaires Transposition der Bibel auf das biblische Formular und macht den Text so zu einem Dokument der Verheißung für den aufgeklärten König, der hier zu einem Segen für seine Untertanen wird. Es zeigt sich, daß das von Voltaire elogisch gebraucht Formular nicht nur im Sinne der aufklärerischen Ideale, sondern vielmehr im Sinne der biblischen Texte verpflichtet. Mais Sire! Vous n’avez point regard8 comme ursurpation la forme d’un Etre supreme, qui peut perdre les ames et les corps jusqu’au feu de la Gehenne et Vous vous 8tes aneanti jusqu’/ Vous faire vous-meme / la resemblance de ce Roi des Juifs, qui est le Roi des Rois et qui neanmoins a 8te mis au rang des malfaiteurs, des brigands et des pendards. Vous vous etes abaiss8 Vous meme et etant trouv8 en figure comme un laße es bey den Worten, so falsch des Autors Sinn gewesen sein mag, daß meinen Hunger nichts anderes als dieses Buch gestillt, daß ich es wie Johannes geschluckt, und die Süßigkeit und Bitterkeit deßelben geschmeckt habe – und daß ich mehr Überwindung zu meinem Entschluß nöthig gehabt, als ihm mein Lebenslauf sagt, ich ihm selbst jemals sagen kann und sagen werde.“ (ZH I, 304, 36 – S. 305, 10). 41 Nach Elfriede Büchsel ist Voltaires Rede vom ,Salomon du Nord‘ „schlechthin programmatische Äußerung“, die Hamann ob ihres Mißbrauchs des biblischen Formulars geradezu körperlich affiziert und herausgefordert hat: „[…] solche und ähnliche Verse und Äußerungen müssen tief in Hamann eingedrungen sein, manche wie Splitter, die im Organismus wandern und schließlich herauseitern.“ (Elfriede Büchsel, Einführung zu: HH IV, 59). 42 HH IV, 273–274. 43 HH IV, 275–276.
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malheureux Prussien, Vous parviendrez enfin / devenir notre PERE, qui saura bien donner / ses enfants des choses bonnes, comme notre Pere qui est aux Cieux44
Zwar hat der Erkennende generell eine ,Position zwischen Usurpation und Gehorsam‘45, so er seine Position jedoch durch Bibeltext zu illustrieren sucht, wird aus dieser Usurpation des göttlichen Wortes schnell ein Gehorsam angesichts des biblischen Formulars.46 Das biblische Formular hat eine Eigendynamik, die den Anwender einschließt und in Zukunft vereinnahmt bzw. verpflichtet. Es besteht eine gewisse Verlockung, die vom Formular ausgeht: die Leerstelle wirkt einladend, die Versuchung besteht, seinen Namen einzutragen. Es gibt die besondere Attraktivität biblischer Gestalten und Geschichten. Die Leerstelle provoziert, sie ruft an- und hervor. Das Formular ruft mittels Leerstelle als Stimme der Stille, ruft mich bei meinem Namen. Das Formular bildet einen Sog, der tief in den Brunnen der Vergangenheit hinein zum Urgeschehen hin anzieht. Der Text ist nicht hermetisch, sondern bietet Spielräume an, die konkret erprobt und ausgefüllt werden können. Im Gegensatz zur Beispielerzählung sind hier noch nicht alle Rollen vergeben, es besteht die Möglichkeit, ganz konkret mitzumischen, Teil des Geschehens und nicht bloßer Zuschauer zu sein. Es besteht Gelegenheit zum phänomenologischen Mitvollzug.47 Ich bin überzeugt, daß jede Seele eine Schaubühne so großer Wunder ist, als die Geschichte der Schöpfung und der ganzen heiligen Schrift in sich schlüst.48
Die Kunst spannenden und vereinnahmenden Erzählens besteht darin, den Leser in den Mittelpunkt des Geschehens zu versetzen und dort zu halten. Das Formular zeitigt kein passives Ergebnis, sondern führt zur Handlung, in der die neue Rolle übernommen wird.49 Biblische Soziologie ist Welttheater, da ihre Formulare des Erzählens die persona, die Masken des Lesers stiften. Das Spiel der Schaubühne ist jedoch eine ernste Angelegenheit. Denn die spielerische Versuchung geht einher mit einer Verpflichtung. Das ausgefüllte 44 HH IV, 278. 45 Büchsel, Einführung, HH IV, 57. 46 „Während vordergründig der König als ,Þtre suprHme de la terre‘ auf das ideale Bild des aufgeklärten Selbstherrschers angesprochen wird, dem es um wahre Aufklärung, Herrschaft der Vernunft, Tugend, Sparsamkeit usw. und um einen großen Namen geht, wird gleichzeitig hintergründig durch den fortdauernden Gebrauch biblischer Wendungen das Bild des ,Þtre suprHme de la terre‘ verwandelt in das Bild einer Gottes Königtum abbildenden Herrscherlichkeit.“ (Büchsel, Einführung, HH IV, 59–60). 47 Es entspricht somit Heideggers grundlegendem phänomenologischem Konzept der formalen Anzeige (vgl. Knut Martin Stünkel, Formal anzeigendes Philosophieren Heideggers Denken 1916–1976, Bielefeld (Diss.) 2002). 48 BW 403, 8–10. 49 In dieser Weise bietet die Bibel ein unermeßliches Repertoire dramatischer Konfigurationen (vgl. Johannes von Lüpke, Zur theologischen Dramaturgie in Hamanns Autorschaft, Acta VI, 313).
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Formular trägt als Überschrift meinen Namen und meinen Namen als Unterschrift. Es besteht nun keine Möglichkeit mehr vor der selbstauferlegten Verbindlichkeit sich ins ,bedeutend-allgemeine‘ zu entziehen, etwa indem die biblische Erzählung als bloß illustrierendes Beispiel eines Sachverhalts verstanden wird. Durch das Formular wird verhindert, den biblischen Text so zu begreifen, als sei hier etwas über ,den Menschen‘ im Allgemeinen ausgesagt. Zwar gibt sich Gott in einem fundamentalen Anthropomorphismus zu erkennen, der Mensch jedoch ist nicht durch eine Fundamentalanthropologie in seinem Wesen faßbar. Diese Aufgabe hat vielmehr die Soziologie, und zwar in spezielle Hamannscher Ausprägung als Sozio-logie zu erfüllen. Die anthropologischen Abstrakta philosophischer Theorie werden vielmehr übersetzt in konkrete Namen, die in ein biblisches Formular eingesetzt sind. Die übergreifende Erzählung wird so von einer überschwebenden Allgemeinheit zu einer anerkannten konkreten Verbindlichkeit. Formulare werden so Verpflichtungen, zwingen zur lebenspraktischen Konversion. Dieser Umstand hat im Fall des biblischen Formulars eine weitreichende soziologische Bedeutung: es besteht nunmehr keine Möglichkeit mehr, die formalreligiöse Struktur des eigenen Lebens als bloße Formalität zu behandeln. Diese Struktur eignet auch der philosophischen Lebensform. Wider die abstrakte Begrifflichkeit der Philosophie (etwa den Begriff der Gesellschaft) setzt Hamann die konkretisierende biblische Erzählung. Sogar die Wirkung philosophischer Konzepte ist durch das Formular zu erfassen. In seiner Rezension ,Kleiner Versuch über große Probleme‘ wendet Hamann ein biblisches Formular auf Grundthesen der Schrift des Radikalaufklärers Paul-Henri Thiry d’Holbach ,Le Bon Sens on id8es naturelles oppos8es aux id8es surnaturelles‘ an und erweist so dessen biblische Vorgeprägtheit. Alle Kinder kommen ohne den geringsten Begrif auf die Welt; unsere ersten Gotteslehrerinnen sind – Ihr Männer dieses Aeons! Seyd keine alten Weiber ; sondern werdet wie die Kinder. Durch diese Widergeburt der reinen Vernunft sind Gesetz und Propheten erfüllt.50
Im biblischen Formular von Mt 18,3 gelesen werden die natürlichen Atheisten d’Holbachs, die durch ihre geschichtenerzählenden Ammen unverdorbenen Kinder, unversehens Vorbilder des Glaubens51, die als solche bereit sind zum Empfang des göttlichen Worts. Das Denken der Aufklärung ist daher nicht nur religiös, sondern schon immer auch biblisch geprägt. Es operiert daher unter falschem Namen. Mittels des biblischen Formulars kann Hamann jedoch den
50 N IV 413, 19–22. 51 Vgl. Baur, Hamann als Publizist, 204.
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Biblisches Formular und soziologische Wirklichkeit
richtigen Namen aufzeigen und die Verbindlichkeit der unterschwellig herrschenden religiös-biblischen Struktur aufzeigen. Doch um die Art des philosophischen Aussatzes, der auf der Haut ausblüht und das ganze Fleisch bedeckt, für rein zu erklären, den im Bauch dieses großen Fisches lebenden Herolden orthodoxer Religion ans Licht zu bringen, und das ganze Rätzel des Wortspieles mit natürlichen und übernatürlichen Ideen aufzulösen, ist die einzige Anmerkung hinläglich, daß sich der starke geist sich des theologischen Kunstgriffes bedient die entgegengesetzten Naturen eines Minimi und Maximi mit Einem symbolischen Character zu bezeichnen.52
Und da auch die Vernunft nicht ohne Sprache auskommen kann, die Bibel jedoch diese Sprache prägt, ist die Biblizität der Vernunft selbst nicht völlig abwegig. Zum Nachweis hierzu benutzt Hamann ein paulinisches Formular : Unsere Vernunft ist also eben das, was Paulus das Gesetz nennt – und das Gebot der Vernunft ist heilig, gerecht und gut. Aber ist [es] sie uns gegeben – uns weise zu machen? eben so wenig als das Gesetz der Juden sie gerecht zu machen, sondern uns zu überführen von dem Gegentheil, wie unvernünftig unsere Vernunft ist, und daß unsere Irrthümer durch sie zunehmen sollen, wie die Sünde durch d[ie]as Gesetz zunahm. Man setze allenthalben wo Paulus vom Gesetz redt – das Gesetz unseres Jahrhunderts und die Losung unserer Klugen, und Schriftgelehrten – die Vernunft: so wird Paulus mit unseren Zeitverwandten reden; und seine Briefe werden nicht mehr einer Trompete ähnlich seyn, nach deßen Schall sich keiner zum Streit rüstet, weil sie unverständlich das Feldzeichen gibt.53
Durch das biblische Formular erweist sich die Aktualität der biblischen Botschaft für jede Zeit. Formularisch betreffen die biblischen Erzählungen auch die vorgeblich religionsferne Zeit und bilden ebenso deren Wörterbuch und Sprachkunst. Es ist also drittens die bestimmte Zeitlichkeit des biblischen Formulars, die es sozialfähig macht. Sozialität erfordert eine bestimmte Zeitlichkeit. Das Formular ist nicht nur eine Bestandsaufnahme eine bestimmten Moments eines jeweiligen Menschen, sondern ist als diese genaue Lokalität, Individualität und Personalität durch Zukünftigkeit gekennzeichnet: „Ich werde also als Person nicht nur je akut angesprochen, sondern auch gefragt, was ich über die aktuelle Situation hinaus tun kann und will. In diesem Sinne interessiert man sich für meine Vergangenheit und für ein Bild meiner Zukunft.“54 Auf den eingesetzten Namen wird man sich verlassen können. Entsprechend kann man sich – nach den Forderungen der ,Beylage zu Dangeuil‘ – heute auf das Wort des Kaufmanns 52 N IV, 415, 27–33. 53 ZH I 355, 36–356, 9. 54 Frese, Prozesse 181.
Die sozio-logische Kraft des Formulars
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verlassen, für seine Vergangenheit in Zukunft einzustehen.55 Das biblische Formular verpflichtet zu einer bestimmten Vergangenheit und Zukunft als die sich der betreffende Leser entwirft.56 Diese Zeitlichkeit etabliert die Verläßlichkeit bzw. Verbindlichkeit als Grundlage der Ethik des menschlichen Zusammenlebens überhaupt. Sozial kann der Mensch nur in biblisch geprägter Zeit sein. In den ,Biblischen Betrachtungen‘ heißt es: […] Gott hat d[as] alles sichtbar gemacht, was unsichtbar gescheh[en] sollte, v läst d[as] in geg[en]wärtig[en] Zeit[en] [geschehen], was in vergang[enen] in den entferntest[en]gescheh[en] ist v in den entferntest[en] der Zukunft gescheh[en] soll.57
Das Formular richtet den Leser aus. Die Bibel ist die Schrift der Zukunft, deren Formular den Einzelnen in diese Zukunft einschreibt. Die Bibelerzählung bleibt real und prophetisch. Entsprechend sind auch alle Handlungen eines sich auf die Erzählung beziehenden prophetisch.58 Zu Beginn seiner ,Betrachtungen über Newtons Abhandlung von den Weissagungen‘ schreibt Hamann: Jede biblische Geschichte ist eine Weissagung – – die durch alle Jahrhunderte – und in jeder Seele des Menschen erfüllt wird. Um die Allgegenwart und die Allwissenheit des Geistes Gottes zu glauben und zu fühlen, darf man nur die Bibel aufschlagen.59
Die biblische Geschichte betrifft alle Jahrhunderte und jeden Einzelnen ineins, also jedes Individuum konkret und nicht einen Menschen im Allgemeinen. Das Formular als Anrede, Wort Gottes zwingt zum verpflichtenden Entwurf, zur Verantwortung und individualisiert so als Person. Die Bibelerzählung wird formal zur Vor-schrift. Das Formular macht ansprechbar und zur Antwort bereit: Die ganze Bibel lehrt uns nichts mehr als unseren Gott mit eb[en] dem Gefühl zu antwort[en] und eb[en] die Antwort uns zu lehr[en] […]60
Die soziologische Kraft des Formulars besteht im Zusammenwirken von Selbstbegegnung, Namentlichkeit und Zeitlichkeit. Einmal vom biblischen Text 55 Vgl. N IV 235f., vgl. BW 239, 5–10. Wenn die Stimme des heiligen Geistes mich betroffen hat, bin sich ,stark, treu und unverdrossen in Ausübung meiner Pflichten‘. Eine (kaufmännische) Pflichtethik resultiert also aus der göttlichen Anrede. 56 Vgl. BW 231, 23–27: „Was gewesen ist, ist geg[en]wärtig vor Gott, und was seyn soll ist als vergang[en] vor ihm. Er ist nicht nur Herr des Zukünftig[en], sondern auch des Vergangen[en], indem dasjenige was im Strom der Zeit fortgetrieben ist, auf seinen Ruff zurückkommt und von neuen erscheint.“ 57 BW 150 39–151, 3. Vgl. auch BW 184, 36–39. 58 Vgl. BW 189, 27–32: „Aller unser Leben und Gottesdienst eines Christ[en], alle seine Handlung[en] sind prophetisch, sind Prophezyung[en] von dem himml. Dienst, den wir Gott vor sein[em] Thron mitt[en] unter sein[en] Engeln, und dem Lamm Gottes mitt[en] unter sn. Zeug[en] und Brüdern bring[en] woll[en] und soll[en].“ 59 BW 421, 3–6. 60 BW 166, 18–20.
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Biblisches Formular und soziologische Wirklichkeit
erkannt, erkennt sich der Leser selbst. Durch das Einsetzen des eigenen Namens in das Formular findet eine Re-individualisierung statt, in der die geschichtliche Erzählung als ein Übergreifendes die Individualität des Einzelnen nicht auslöscht, sondern gerade als solche zukünftig bewahrt. Das Formular ist eine hinreichend integrierende Allgemeinheit, welche durch ihre Verbindlichkeit für den Einzelnen die Verbindbarkeit der als eigen anerkannten Geschichte mit der der anderen garantiert. Das Formular ist somit ein Beispiel der von Hamann gepriesenen coincidentia oppositorum, ein Ineinander von Allgemeinem und Konkreten, welches den Eigencharakter beider bewahrt.61 Das Formular ist das ,lebendig Allgemeine‘62 kontextualisierter Sozialprozesse und entfaltet so seine soziologische Potenz.
V.
Hamanns formularischer Stil
Der Grund für Hamanns Schreiben ist Soziologisierung. Dieser Grund nimmt entscheidenden Einfluß auf den Stil seiner Schriften. Hamanns Schreiben ist aufgebaut durch Kerne des Erzählens, welche ein Formular ausfalten, etwa bekannte biblische Geschichten oder Gleichnisse. Diese ausgefalteten Kerne sind formale Grundbestandteile der Kommunikation und bilden die Struktur des Zusammenlebens. In der Terminologie von Wilhelm Schapp ist das Formular das Gesetz, nämlich eine Geschichte, die als Geschichte mitten zwischen den (Einzel-)Geschichten steht und daher auf viele Geschichten beziehbar ist. In dieser Adaptionsfähigkeit wird die Konkretheit bewahrt.63 Das Formular zeichnet somit eine Unabgeschlossenheit und Offenheit aus, seine Adaptionsfähigkeit eröffnet Spielräume. Diese Offenheit zur Adaption gibt jedem Einzelnen Gelegenheit, in Text seine eigene Sprache zu hören. In seiner Betrachtung über das Pfingstwunder schreibt Hamann: Jeder glaubte seine Mundsprache zu hören. In jeden entstanden eben die Ideen und Empfindungen, die durch den Eindruck bekannter Wörter gewohnt waren zu entstehen.64
Durch die Möglichkeit der Neuverbindung vervielfältigt das Formular seine Bedeutung. Formulare gehen aus Erzählungen von Einzelmenschen auf und wiederum in Erzählungen Einzelner ein. Das biblische Formular ist bleibender 61 Vgl. Gründers ,diathetische Ordnung‘, welche Gemeinsamkeit als betreffende und erschließende konkrete Allgemeinheit stiftet (Gründer, Figur und Geschichte, 91). 62 Frese, Prozesse, 156. 63 Schapp, In Geschichten verstrickt, 110. 64 BW 282, 16–18.
Hamanns formularischer Stil
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Ausdruck des Pfingstereignisses : das Wort Gottes ist „für alle Mensch[en] geschrieben v für alle Zeiten.“65 Das Formular zwingt zur Bewahrung des hier Niedergeschriebenen, es verschmilzt mit der eigenen Sprache des Autors, der Formulare anwendet und kombiniert. Diesen Prozeß beschreibt Hamann in seinem Brief vom 01. Juni 1759 an Lindner : Die Wahrheit ist also einem Saamenkorn gleich, dem der Mensch einen Leib gibt wie er will; und dieser Leib der Wahrheit bekommt wieder durch den Ausdruck ein Kleid nach eines jeden Geschmack, oder nach den Gesetzen der Mode. Es ließen sich unzähliche Fälle erdichten, die einen neuen Schwung der Schreibart bestimmen könnten. Ein kleiner Zusatz neuer Begriffe hat allemal die Sprache der Philosophie geändert; wie die Reitzbarkeit in medizinischen Büchern und Dissertationen zu circulieren anfieng. Eben so wird ein diplomatischer oder pragmatischer Schriftsteller, der gleichfalls gewißermaßen ad culmen autoritatis schreibt, sich an die Worte der Urkunden und Vollmachten halten, Mönchsschrift und Runische Buchstaben in ihrem Werth laßen, und nicht mit dem Donat, sondern mit seinem Kayser Schismam reden. Unter eben so einem Zwange befindet sich ein Autor, der in einer Sprache schreibt, die nicht mehr geredet wird, weil sie tod ist. Er wird seine Zeitverwandten als Verfälschern nicht trauen, den genium seiner Muttersprache oder der lebenden, die er gelernt hätte, verleugnen, und nichts als seine Bekanntschaft mit den Alten, seine Urtheil und sein Glück ihre Formeln anzubringen und zusammenzuleimen den Kennern zeigen können.66
Insbesondere der letzte Satz ist eine Selbstbeschreibung Hamannscher Autorhandlungen. Das vollmächtige Wort der Ur-kunde als Same der Wahrheit bestimmt den Stil des Autors, der Formulare individuell kompiliert, den Worten aber ihren Wert läßt. Dabei beansprucht das biblische Formular den Leser nicht nur als Erfüller eines Anspruchs, sondern verpflichtet ihn vielmehr auf seine sozialen Fertigkeiten. Die „alten Lumpen“ einer toten Sprache haben Hamann „aus der Gruben gerettet“67, und in dieser Eigenschaft bietet er sie seiner Mitwelt an, indem er sich stilistisch mit ihnen bekleidet. Der Bibeltext konstituiert nicht nur die Identität des Individuums, sondern auch seine Mitwelt. Das Formular potenziert die von ihm erzwungene Anerkennung zur Sozialität. Insbesondere Hamanns Briefwechsel ist in dieser Hinsicht eine Praxis der Soziologie. Die hier auftretenden Bibelreferenzen haben eine Bedeutung, die weit über die einer bloßen Illustration hinausgeht. Hamanns Absicht ist es, 65 BW 119, 26–27. 66 ZH I, 335, 22–336, 2. Jörgensen schreibt hierzu: „Tastend ausgedrückt finden wir in diesen Worten die Wurzeln des Hamannschen Stils. Die tote Sprache ist das Wort Gottes, die Bibel, deren Formeln Hamann in seinem Centostil ,zusammenleimt‘.“ (Sven-Aage Jörgensen, Nachwort, zu: Johann Georg Hamann, Sokratische Denkwürdigkeiten. Aesthetica in nuce, mit einem Kommentar herausgegeben von Sven Aage Jörgensen, Stuttgart 1993, 174). 67 ZH I, 341, 13–14.
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Bibelsplitter als konkret adaptionsfähige Kerngeschichten zu erweisen und so den Briefwechsel zu einem für den Briefpartner überwältigenden Drama zu gestalten, in dem dieser dazu geführt wird, seine Rolle zu akzeptieren und die Sprache des Bundes weiterzutragen. Die Briefe Hamanns sind im Wesentlichen seelsorgerische Briefe, die aus dem hier und jetzt der konkreten brieflichen Kommunikation in das biblische Formular hineinsprechen und leiten. Auf dem Ineinander von Allgemeinheit und Konkretion beruht die Möglichkeit der Kommunikation, bei der sich zwei Individuen auf einer gemeinsamen Basis begegnen. Nicht die individuelle Vernunft, sondern das jeweils individuierte Formular ist kommunikativ, weil es sich durch seine Adaptionsfähigkeit als kommunikabel, als weitererzählbar erweist. Das biblische Formular garantiert die Möglichkeit des verbindlichen und somit verbindenden Sprechens. Es wirkt sozio-logisch, indem es das Gespräch (-logie) von Verbundenen (socius – der Bundesgenosse) stiftet. Es ist eine Kommunikation, die auf der Zusage Gottes basiert. Bei Hamann heißt es: Wie wahr ist es, was Salomo sagt, Prov. 16.1., daß die Gedanken unseres Herzens und die Rede unseres Mundes Gottes Werk sind, daß wir den Grund unserer eigenen Handlungen, die Absicht unserer eigenen Wege und den Sinn unserer eigenen Worte nicht übersehen. Daß Gott mehr durch unsere Lippen öfters redet, als unsere Seele denkt.68
In den Formularen kommunizieren die göttliche und menschliche Sphäre mit handlungsrelevantem Ergebnis. Die Trennung von ,Eigentext‘ und Bibeltext bei Hamann ist daher soziologisch nicht sinnvoll. Von besonderer Bedeutung ist, daß das Gespräch auf Mündlichkeit basiert, der von sich aus schon eine gewisse Formelhaftigkeit eignet. Sprechen allgemein ist vor allem Zitieren, die Zitation schafft Gemeinschaft, gemeinsame Sprache. Zitate manifestieren zudem Abhängigkeit. Um einen Gedanken Johannes von Lüpkes aufzugreifen: es besteht hier ein doppelter Vorgang der Zitation: das Bibelzitat (Hamanns) zitiert den Leser des Formulars in sich hinein.69 Das eigene Sprechen besteht wesentlich in der Neukombination von (schon gesprochenen) Versatzstücken anderer, aus jeweiliger Kombination. Die Einheitlichkeit der Sprache führt so zu der Vielzahl der Sprechenden, ihrer Einzelsprachen und Einzelvernünfte. Das formelhafte Sprechen führt zur Gesellschaft. Authentisches menschliches Sprechen besteht nicht in neuen Worten oder Lauten – auch nicht in neuen Gedanken, sondern basiert auf der Sozialität der Sprache in ihren Formeln, der Möglichkeit der Neukombination vorhandener Stücke, welche für den Sprecher selbst und für andere, Hörer und Leser, überraschende Zusam68 BW 247, 4–8. 69 Von Lüpke, Zur theologischen Dramaturgie, 312.
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menhänge zutage fördert. Formelhaftes Sprechen ist daher fruchtbar, die Basis für Neues. Die Verwirrung der Sprache war ein Werk Gottes, um die Menschen zu zerstreuen; die Gabe derselben ein Werk des heiligen Geistes, um die Menschen zu vereinigen. Wir hören nicht nur unsere Zungen, sondern wir hören die wunderbaren Werke Gottes in demselben sprechen.70
Das Wort ,Soziologie‘ sei eine beständige Erinnerung daran, daß menschliches Zusammenleben auf sprachlich konstituierter Kommunikation beruht. Die Möglichkeit dieser Kommuniktion wird eröffnet durch die communicatio idiomatum von göttlicher zusagender Sprache und menschlichem antwortendem Sprechen. Ihr Ausdruck ist das biblische Formular. Soziologie ist Erzählung von Gemeinschaft, erzählendes Etablieren von Gemeinschaft angesichts biblischer Geschichte. Soziologie inszeniert und reinszeniert Geschichten. In seinen ,Biblischen Betrachtungen‘ weist Hamann in seinem Kommentar zu 1. Pet 4,11 auf diesen Umstand hin. An dieser Stelle ist die Zusammengehörigkeit von Sprechen und Verhalten in Gemeinschaft für den Christenmenschen besonders deutlich („wenn jemand redet, daß er’s rede als Gottes Wort, wenn jemand ein Amt hat, daß er’s tue aus dem Vermögen, das Gott darreicht.“). Hamann kommentiert diese Stelle wie folgt: Die heilige Schrift sollte unser Wörterbuch, unsere Sprachkunst seyn, worauf alle Begriffe und Reden der Christen sich gründeten und aus welchen sie bestünden und zusammen gesetzt würden.71
Daß das Sprechen von Christen sich aus biblischen Worten speist, ist angesichts auch des Hamannschen Bibelcentos – welche Rekombinationen von Erzählkernen zu Formularen darstellen – keine Überraschung. Mir scheint Hamann an dieser Stelle noch etwas mehr zu behaupten, als diese gewiß schon für sich äußerst merkwürdigen und bedenkenswerten Behauptungen aussagen. Denn die grammatischen Bezüge sind an dieser Stelle bewußt mehrdeutig: ,aus welchen sie bestünden und zusammengesetzt würden‘ bezieht sich einerseits natürlich auf die Begriffe und Reden der Christen, kann sich aber auch auf die Christen selbst beziehen, die aus dem Wörterbuch und der Sprachkunst der Heiligen Schrift bestehen und – als Christen in der Mehrzahl – zusammengesetzt sind. Die als einen Christenmenschen individualisierenden Worte und Sprache der heiligen Schrift sozialisieren ihn gleichzeitig in der Gemeinschaft mit anderen Christen. Auch diese Sozialität ist durch die Sprache der Bibel zusammen gesetzt – und genau dies leistet das biblische Formular. Der Leser der heiligen Schrift wird radikal kontextualisiert, nicht nur als 70 BW 281, 25–29. 71 BW 304, 8–10.
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Individuum findet er sich im biblischen Text, sondern auch als und für beziehungsweise in die Gemeinschaft von Christen ist er gestellt, welche auf den Text der biblischen Erzählung als zugesagtes Wort Gottes beruht. Der biblische logos setzt zusammen, verbindet und ist so sozio-logisch. Die Sozialität ist eine Stiftung der biblischen Sprachkunst. Das heißt der Gebrauch des biblischen Formulars ist menschliches Werk und Werk des göttlichen Geistes zugleich in der Stiftung eines gemeinsamen Grundes für zwischenmenschliche Kommunikation, die sich von stiftendem und zugesagtem Wort getragen weiß. Hamanns Soziologie ist formaler Textprozeß zwischen Gott als Autor und dem Bibelleser und dem Bibelzitierer als Autor und dessen Leser. Die soziologische Kraft des biblischen Formulars besteht in der Zumutung an den jeweilig Einzelnen, als Individuum und Person Stellung zu beziehen, einen bestimmten Standpunkt einzunehmen, an dem er für andere wahrnehmbar wird. Es ist hierfür wichtig, sich den philosophischen Allgemeinheiten mit seiner ganzen ,Lokalität, Individualität und Personalität‘72 entgegenzusetzen. Der Einzelne redet formularisch, um gesehen zu werden, und das biblische Formular verleiht die Stärke hierzu. Der Akt der Entgegensetzung ist eine Einsetzung, ein Einsetzen in das Formular und bedeutet ein Festlegen (pro-testare).73 Die eigene Geschichte wird in dieser einsetzenden Festlegung dialogbereit. Von der Verschiedenheit der Standpunkte bezieht die Gemeinschaft Kraft. Das biblische Formular ist die Erzählung von Menschen, die miteinander Frieden geschlossen, sich einer gemeinsamen Geschichte verschrieben haben. Es legt, von einer bestimmten Vergangenheit her gedeutet, auf eine bestimmte Zukunft fest. Soziotexte gewinnen Individuen eine gemeinsame Zeit. Gerade dies wirkt verbindlich und erlaubt Gemeinsamkeit.
72 Vgl. N III, 352, 23–26. 73 „Wenn er ja wißen will, was ich jetzt thue; so sagen Sie ihm, daß ich lutherisiere; es muß doch was getan seyn. Dieser ebentheuerl. Mönch sagte, zu Augspurg: hie bin ich–ich kann nicht anders. Gott helf mir Amen.“ (ZH I, 307, 31–34).
VII. Als Spermologe gegen Baubo – Hamanns Metakritik der philosophischen Reinheit
I.
Hamann und die Krise des philosophischen Reinheitskonzepts
,Reinheit‘ ist einer der religiösen Grundbegriffe und folglich Grundbegriff der Theologie wie auch der Religionswissenschaft. Die einschlägigen Lexika beider Disziplinen widmen dem Begriff breiten Raum. Dabei wird die Reinheit als ein grundsätzliches Differenzkonzept sowohl der Praxis wie auch als Gegenstand religiöser Lehre interpretiert. Die lehrhafte Unterscheidung von Reinheit und Unreinheit und die sie realisierenden Symbole und Rituale gehören zum Grundbestand jeder Religion. In Reinheitsvorstellungen artikuliert sich eine symbolisch geordnete Welt gelingenden religiösen Lebens. Die Sehnsucht nach Reinheit ist eng gekoppelt an die Sehnsucht nach Heil.1
Die enge Verbindung von Reinheit und Religion wird insbesondere dann deutlich, wenn Reinheit als ordnungsgemäße Manifestation eines gelingenden religiösen Lebens, als ein heilsamer bzw. heiliger Zustand menschlicher Existenz gedeutet und normativ gefordert wird. Eine Form von Reinheit macht den homo religiosus aus. Der große Erfolg des Konzeptes in den Religionen läßt sich auf die leichte wechselseitige Übertragbarkeit auf den körperlichen und den geistigen Bereich zurückführen. Reinheit scheint einer der religiösen Begriffe zu sein, der die geistige und die körperliche Sphäre anschaulich verbindet, respektive der sich also als Begriff religiöser Lehre auch verkörpern läßt. Reinheit dokumentiert einen hygienischen Zustand, welcher als vorbildlich empfunden wurde. Reinheit verbindet zudem körperliche und geistige Sphäre im Sinne einer Kommunikation. 1 Petra Bahr, Artikel ,Reinheit‘ in: Christoph Auffahrt, Jutta Bernard, Hubert Mohr (Hg.), Metzler Lexikon Religion. Gegenwart-Alltag-Medien, Band 3 Paganismus-Zombie, Stuttgart 2000, 150.
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Als Spermologe gegen Baubo
In der positiven Bezugnahme auf Reinheit gehen Philosophie und Religion lange Zeit konform. Beider Begriffe von Reinheit eignet ein hoher normativer Anspruch. Im philosophischen Bereich ist die Reinheit eine „über viele Jahrhunderte und in zahlreichen Kontexten fraglos verstandene und verwendete Metapher.“2 Die Geschichte des Begriffs Reinheit ist lange Zeit eine Erfolgsgeschichte mit den Höhepunkten der Katharsis-Vorstellung bei Aristoteles über die Reinheit des Herzens bei Augustinus bis zu den erkenntnistheoretischen Bestimmungen von Reinheit bei Spinoza und Leibniz. Eine Krise dieses erfolgreichen Konzept zeichnet sich erst in der (Meta-)Kritik des berühmtesten Buches, das den Begriff im Titel führt, Kants ,Kritik der reinen Vernunft‘, ab. Die Kritik des erfahrungsunabhängigen Innenraums des Denkens als reine, also mit nichts Fremdartigem vermischte Vernunft ist der Höhe- wie der Wendepunkt der philosophischen Karriere der Reinheit. Denn der erste Leser von Kants Werk war sein Königsberger Freund Johann Georg Hamann, der zuvor durch seine Vermittlung der Philosophie David Humes an Kant schon ein wichtiger Anreger des Werkes gewesen ist. Mit seinem Namen verbindet sich die Krise des Konzepts, welches seitdem im philosophischen Bereich trotz einiger Rehabilitationsversuche in der Phänomenologie (wo die Reinheitsvorstellung jedoch in anderer Weise expliziert wird), aber tiefgreifend kompromittiert durch die fatalen Reden von der ,Reinheit des Blutes‘ im Nationalsozialismus nie wieder seine alte unangefochtene und fraglos verstandene Stellung erreichen konnte.3 In die Krise gerät das Konzept Reinheit in der Philosophie nicht zu geringem Teil aus persönlichen Gründen. Die Auseinandersetzung mit Kant ist Hamann eine Herzensangelegenheit. Seit Kant versucht hatte, Hamann von seiner religiösen Bekehrung zur Aufklärung zurück zu bekehren4, war die intellektuelle Begegnung mit Kant für Hamann von einem existenziellen Ernst, der jedoch seine Hochschätzung für Kant als Denker und als Mensch nicht schmälern konnte. Hamann mußte seine Religiosität als gefährdet erleben, nämlich sowohl von der Philosophie als auch politisch und von anderen religiösen Strömungen. Philosophie, Politik und Religion erscheinen so vielfach untereinander verbunden. All dies bildet ein Amalgam persönlicher Bedrohungen gegen das Hamann entschieden anzugehen hatte. Die Kritik der philosophischen Reinheit 2 Dirk Mende, Artikel ,Reinheit‘ in: Ralf Konersmann (Hg.), Wörterbuch der philosophischen Metaphern, Darmstadt 2007, 293. 3 Entsprechend werden Rehabilitierungsversuche der Tugend der Reinheit auch als verdächtig empfunden vgl. Amy Mullin, Purity and Pollution: Resisting the Rehabilitation of a Virtue, Journal of the History of Ideas 57 (1996), 511. 4 Hamann schreibt am 27. Juli 1759 an Kant: „Ich muß beinahe über die Wahl eines Philosophen zu dem Endzweck eine Sinnesänderung in mir hervor zu bringen, lachen. Ich sehe die beste Demonstration, wie ein vernünftig Mädchen einen Liebesbrief, und eine Baumgartsche Erklärung wie eine witzige Fleurette an.“ (ZH I, 378, 31–34).
Hamann und die Krise des philosophischen Reinheitskonzepts
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bezieht sich somit nicht rein auf die Philosophie. Nichtsdestoweniger und vielleicht gerade deshalb fühlte sich Hamann in der Auseinandersetzung mit Kant über die Reinheit zu einem seiner dezidiert unphilosophischen ,Kreuzzügen eines Philologen‘ herausgefordert. Es ist von großer Bedeutung, daß gerade die Verwendung des Reinheitsbegriffes zu einem Anhaltspunkt der Kritik Hamanns an Kant und der kritischen sowie der rationalistischen Philosophie wurde. Denn die Verbindung von Reinheit und Denken führt den Philosophierenden laut Hamann „vom schmalen Wege der Reinigung auf die Heerstraße der Stärkung und Aufklärung“.5 Reinigung führt also zu Denkweisen der aufklärenden Philosophie, jedoch nicht in jedem Fall. Das Leitmedium der Reinheit ist zumeist das Wasser. Einer Reinigung mit Wasser steht der Badersohn Hamann schon aus familiären Gründen nicht nur ablehnend gegenüber, will er doch seine Schriften als ,Salbadereyen‘ bzw. methodisch die ,Badwanne der Metakritik‘6 allem und jedem angedeihen lassen – allerdings ohne Privilegien des Themas oder der Person. Nicht jeder seiner Freunde scheint aber mit einem solchen Titel für seine Schriften einverstanden gewesen zu sein: Seine [des Vaters, A.v.m.] Badwanne ist mir so heilig, als dem Sokrates seiner Mutter Hebammenstuhl, und ich nahm mit bisweilen die Freyheit zum Belag ein griechisches Epigramm anzuführen, das Vater Hagedorn übersetzt Der Bader und die H… baden/ Den schlechten Mann und besten Kerl/ Beständig nur in einer Wanne. Herder will den Titel Salbadereyen nicht gelten lassen, nun mögen sie metakritische Wannchen heißen – die Füße = medios terminos progressus unsers aufgeklärten Jahrhunderts zu waschen.7
Wie Sokrates von seiner Mutter die mäeutische Methode übernahm und von der körperlichen in die geistige Sphäre transferierte, so fühlt sich Hamann in seiner Autorschaft als Erbe und Benutzer der väterlichen Badewanne. Ob die philosophische Vernunft des aufgeklärten Jahrhunderts in Form ihrer Hauptvertreter mit dieser Art von nichtprivilegierter Waschung durch den metakritischen Bader einverstanden ist, ist sehr zu bezweifeln. Gerade durch die Demutsgeste 5 ZH VII, 434, 11–12. 6 N III, 351. Vgl. hierzu Rainer Wild, Metacriticus Bonae Spei. Johann Georg Hamanns ,Fliegender Brief‘, Frankfurt 1975, 109. 7 ZH V, 331, 21–29. Diese obszön wirkende Gleichmacherei im Wannchen des Metakritikers ist nach Eliade die Essenz der religiösen Bedeutung des Wassers: „In welchem religiösen Zusammenhang das Wasser auch auftritt, seine Funktion bleibt dieselbe: es desintegriert, hebt die Formen auf, ,wäscht die Sünden ab‘, es reinigt und regeneriert zugleich.“ Auch die Verbindung von Metakritik und Fruchtbarkeit findet sich hier : „Das Wasser ,tötet‘, indem es alle Formen auflöst und beseitigt. Gerade deshalb ist es reich an Keimen, schöpferisch.“ (Mircea Eliade, Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen, Frankfurt 1990, 115 und 118).
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Als Spermologe gegen Baubo
der Fußwaschung8 wird ihr herausgehobener Status fraglich, denn eigentlich ist diese anerbotene Fußwaschung eher eine gründliche Kopfwäsche. Somit scheint die Reinigung nicht in jedem Fall für Hamann verdächtig zu sein. Denn, so macht die zitierte Stelle deutlich, es besteht im philosophischen Bereich ein gravierender Unterschied zwischen der Anmaßung sich selbst kritisch rein waschen zu wollen und der metakritischen Kopfwäsche durch einen Anderen. Hamanns Infragestellung der bisher selbstverständlichen Verbindung von Reinheit und Philosophie hatte für den Begriff gravierende Auswirkungen. Seine Kritik hat den Diskurs verändert. Die Reinheit wird im philosophischen Kontext verdächtig. Denn erst jetzt wird die Zusammengehörigkeit von Reinheit und Religion erst wirklich deutlich. Leibliche Reinheit und geistige Reinheit in den Religionen sind bei Hamann in der Anwendung auf den philosophischen Bereich in innovativer Weise wieder aufeinander bezogen: durch den Nachweis des Körperlichen an der geistigen Reinheit. Bei diesem Vorgang ist eine interessante Inversion zu beobachten. Hamanns Kritik an der philosophischen Reinheit als einem unreflektierten religiösen Konzept stammt aus einer dezidiert religiösen Position als lutheranischer Christ. Man kann sagen, daß Hamann Kant an dieser Stelle religionswissenschaftlich untersucht. Gerade durch Hamanns Kritik wird somit die Reinheit als ein religiöser Grundbegriff in bestimmter Weise bestätigt, wandelt sich doch die vorgebliche kritische Philosophie unter dem eigenen Reinheitsanspruch schnell zu einer verkappten Religion, für die strukturell dieselben Reinheitskonzepte, Reinheitsgebote und auch Reinheitspraktiken und Sanktionen gelten wie bei so vielen anderen Religionen. Die Bedeutung des Religiösen als einer unsichtbar im Hintergrund wirkenden Denkfigur für Kants Philosophie hat Hamann nachdrücklich betont. An dieser Stelle wandelt er sich zu einem methodisch Ungläubigen, bekleidet sich mit der Rüstung des Gegners, um ihm dieselben Praktiken nachzuweisen, die dieser an der Religion und am Glauben kritisiert hat. An Johann George Scheffner schreibt er am 12. Mai 1785: Jemand, der es wissen kann, versicherte daß HE Pr Kant Ihnen auch ein Exemplar seiner Grundlegung verehrt: sonst hätte ich meines schon zum Durchlesen mitgetheilt, welches ich beylege, ohngeachtet ich es zum zweyten mal wider vornehmen wollte. Reine Vernunft und guter Wille sind noch immer Wörter für mich, deren Begriff ich mit meinen Sinnen zu erreichen nicht im stande bin, und für die Philosophie habe ich keine
8 Oswald Bayer und Christian Knudsen verweisen für diesen Kontext auf Johannes 13,10: „Wer gewaschen ist, der bedarf nichts als noch die Füße waschen; denn er ist ganz rein.“ Hier ist die Fußwaschung das entscheidende, die Philosophie inszeniert sich selbst als ganz rein, übersieht jedoch die Verbindung zum Boden und müssen entschieden darauf hingewiesen werden (vgl. Oswald Bayer/ Christian Knudsen, Kreuz und Kritik, 140).
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fidem implicitam. Ich muß allso mit Gedult die Offenbarung dieser Geheimniße abwarten.9
Für das Geheimnis des Begriffs der reinen Vernunft ist, so Hamann, grundsätzlich Religiöses, nämlich die christlichen Grundkonzepte Geduld, Glaube und Offenbarung notwendig, da die Erfahrung diese Worte nicht zu begreifen vermag und somit als ein Mysterium verstehen muß. Im Dienste seiner Kritik an der philosophischen Reinigungsbestrebungen wählt Hamann einen dezidierten Gegenstandpunkt, den des ,unreinen Denkers‘, d. h. seine religiöse Existenz. Dies ist angesichts der positiven Konnotation der Reinheit im religiösen Bereich zunächst eine Überraschung. Hamann verweist jedoch für diesen Affront auf das Neue Testament. Hinsichtlich seiner geistigen Sprößlinge schreibt er : „Das Ideal meines Embryons, wenn er noch zur Welt kommt, wird das unvermeidl. Urteil nach sich ziehen: Er hat einen unsauberen Geist.“10 Mit Bezug auf Markus 3,30 reinszeniert Hamann hinsichtlich der eigenen Autorschaft den entsprechenden Vorwurf an Jesus durch die Schriftgelehrten. Was er produziert, kann den reinen Geistern der zeitgenössischen Intellektuellen nur als unsauber vorkommen. Durch die strukturelle Christusnachfolge wird aber diese Art von Unsauberkeit zum Ehrentitel. Gegen die reine Vernunft setzt Hamann den Kot der Straße, eine Sinnlichkeit, die weit über die akzeptierten Grenzen der Anständigkeit hinausgetrieben ist. Doch hat dieser degoutante Kot einen entscheidenden Vorteil: er ist fruchtbar. Ich rechne alle Dinge als Mist, daß ich Jesum gewinne – dies zeigt nicht nur die Nichtswürdigkeit, sondern auch den Gebrauch an, den Gott von zeitlichen Dingen öfters macht, von ihrer Mittheilung so wohl als Entziehung derselben. Beydes dient unserm Herzen bloß als der Mist, um unsere Herzen zu erweichen, aufmerksam zu machen auf die Liebe Gottes in Christo Jesu. Alle zeitlichen Veränderungen und Wechsel unseres Glückes in Mangel und Überfluß sind gleich dem Mist, womit der Gärtner das Land bereitet und den Saamen zu ernähren und zu erhalten sucht; Prüfungen, durch die unsere Geduld, unser Glaube und Hoffnung gestärkt wird und zunimmt.11
Diese extreme Profanierung, ja scheinbar geradezu Denunziation der Umwelt ist eine bewußte Provokation. Doch ist dieser Angriff auf Vernunft und gute Sitten ob ihrer lebensfeindlichen Sterilität für Hamann geradezu lebensnotwendig. Nicht nur der üppige Mammons- und sclavische Waffendienst, ihr künstlicher Fleiß und Adel, sondern auch die Chimäre der schönen Natur, des guten Geschmacks und der gesunden Vernunft haben Vorurtheile eingeführt, welche die Lebensgeister des 9 ZH V, 434, 20–27. 10 ZH III, 305, 29–30. 11 BW 301, 26–35.
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Als Spermologe gegen Baubo
menschlichen Geschlechts und die Wohlfart der bürgerlichen Gesellschaft theils erschöpfen, theils in der Geburt ersticken.12
Schon in alltäglicher Praxis werden Körperfunktionen und Defekte des Leibes als unrein angesehen; Verdauung, Krankheit, Geburt, Sexualität und Tod sind bis zum heutigen Tage mit dem Unreinheitszeichen versehen. Dasselbe Verdikt gegen das Unreine galt und gilt teilweise immer noch in der Philosophie. Bei dem bewußt unreinen Denker Hamann jedoch findet der Einbruch der Körperlichkeit und des Schmutzes in das Philosophieren statt, genauer noch, der persönlichen Körperlichkeit eines von Freßlust und Verstopfung, diversen Ausschlägen, hartnäckigem Schleim, Eitergeschwüren, Haarausfall und Fettleibigkeit geplagten konkreten Individuums, welches keinen Anstoß daran nimmt, diese Widerlichkeiten auch in extenso mitzuteilen, insbesondere in seinen Briefen. Wie der religiöse Mensch die Reinheit verkörpert, so verkörpert Hamann die Unreinheit. Doch auch in seinen veröffentlichten Schriften, so in den Aesthetica in nuce stößt der entsetzte Leser auf solche bewußt eingesetzte und als solche reflektierte Zumutungen. Dabei gelten für Speise- wie auch für Lesegewohnheiten analoge Reinheitsgesetze. Denn ,für Leser von orthodoxem Geschmack gehören keine gemeine Ausdrücke noch unreine Schüsseln‘ – – – Impossibilissimum est, communia proprie dicere – Siehe! Darum geschieht es, daß ein Autor, dessen Geschmack acht Tage alt, aber beschnitten ist, lauter weißen überzogenen Entian – zur Ehre menschlicher Nothdurft! – in die Windeln thut – –13
Hamann stellt sich mit dieser Anspielung auf Apostelgeschichte 10, 11–15 gleich in den Kontext der Diskussion der frühen Christen mit Juden über Reinheit hinsichtlich der Speisegebote und kennzeichnet das Problem seines Stils so als ein eminent Religiöses. Hamann wirft den Verfechtern der Reinheit Realitätsblindheit vor. Die Bibelstelle weist auf das „unentwirrbare Ineinander von Rein und Unrein“14 hin, deren Scheidung nur im Reich des reinen Geistes vorgenommen werden kann. Das bedeutet: Gegen die Orthodoxie (der reinen Vernunft) stellt Hamann den neuen Glauben, demonstriert wie Petrus die Außerkraftsetzung der gewohnten Reinheitsvorschriften und verteidigt so seinen indezenten Stil. Hamanns Publikumsaneklungen sind Elemente seiner metakritischen Botschaft. Gleich zu Anfang seiner Autorschaft, in den Sokratischen Denkwürdig12 N II, 356, 24–29 (Fünf Hirtenbriefe). 13 SD/AN, 95 Der Herausgeber kommentiert in seiner Anmerkung durch einen Verweis auf ein gängiges Wörterbuch: „Im gemeinen Leben wird der weiße Hundskoth zuweilen auch weißer Enzian genannt (Adelung)“. 14 Jürgen Roloff, Die Apostelgeschichte, Göttingen und Zürich 1988, 170.
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keiten, kennzeichnet er plastisch die Art seiner Texte und die nötige Lektürehaltung: Wo ein gemeiner Leser nichts als Schimmel sehen möchte, wird der Affekt der Freundschaft Ihnen, Meine Herren, in diesen Blättern vielleicht ein mikroskopisch Wäldchen entdecken.15
Insbesondere für moderne Menschen ist der Schimmel Inbegriff des Unhygienischen und über die bloße Unsauberkeit hinaus auch noch gefährlich, weil durch Sporen krankmachend. Statt etwas als schmutzig zu verdammen, sollte gerade der Philosoph genau hinsehen. Doch Hamann hat hier keinerlei Berührungsängste. Auch und gerade geistiges Dasein ist für ihn betont und buchstäblich leibliches Philosophieren, konkreter gesagt ist eigentliches Philosophieren ein Wühlen in jedem Dreck. Denn dieses Verhalten bringt ihn der Erde als der eigentlichen Basis allen menschlichen Denkens näher. […] Sie wißen, daß ich jede Autorschaft als die Excremente der menschl. Natur ansehe, um die man sich nur als Kranker oder Artzt, das heißt, Diener der Kranken bekümmern muß. Es ist Mittag und ich freue mich aufs liebe Eßen und Trinken, und eben so sehr auf den Augenblick beydes wieder los zu werden und der Erde wieder zu geben, was aus ihr genommen ist. Vergeben Sie mir diese ungezogene Natursprache. Sie ist die Mutter meiner dürftigen Philosophie, und das Ideal dieser ungerathenen Tochter, welche mit ihrem Füßen auf der Erde steht und geht, nur mit ihren Augen den Himmel erreichen kann, von ferne, von weitem und je länger, desto dunkler.16
Nicht nur die Dezenz bleibt auf der Strecke wenn die Erde wieder in ihr philosophisches Recht eingesetzt wird. Ein weiteres prominentes Opfer ist die von der Philosophie geforderte Reinheit. Doch ist diese Konzentration auf das Konkrete noch nicht alles. In diesem Feldzug gegen die Verallgemeinerungen und Abstraktionen, sprich die Reinigungsanstrengungen einer letztlich tyrannischen Philosophie, kämpft Hamann so schmutzig wie möglich und setzt wortwörtlich auf vollen Körpereinsatz. Denn gerade der Verkörperungsaspekt, das Embodiment in den Konzepten und Normen von Reinheit, ist für Hamann von besonderem Interesse. Äußerungen von Körperlichkeit stehen in den Religionen zumeist unter Unreinheitsverdacht.17 Dieses unreine Denken als religiöser Verstoß hat dann auch entsprechend seinen philosophischen, aber darüber hinaus auch seinen politischen Preis. Durch seine körperbezogenen Ideen wird Hamann selbst zum unreinen und anstößigen Ärgernis in der aufgeklärten Philosophenzunft, die in seiner Heimat in Form und unter dem Schutz des Salomon de Prusse, wie Voltaire 15 SD/AN, 13 (Hervorhebung Hamann). 16 ZH VII, 332, 5–13. 17 Vgl. Bahr, Reinheit, 151.
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den König in Preußen, Friedrich den II., genannt hat, zur Macht gelangt ist. Der philosophische Kampf vor religiösem Hintergrund wird somit auch zu einer politischen Auseinandersetzung, ein Kampf gegen die höchste Macht im Staate. Hamann macht deutlich, daß Reinheit von einer philosophisch-methodischen zu einer normativen politisch-gesellschaftlichen Kategorie geworden ist: Zum Fluch und Schandfleck unseres erleuchteten Jahrhunderts lebt ein abgelebter wahnsinniger Spermologe, auf dessen kahlen Haarscheitel längst feurige Kohlen des Himmels ohne den undurchdringlichen Schild der im Olymp obwaltenden Toleranz geregnet hätten …18
Diese willentliche Selbstmarginalisierung und Selbstdemütigung Hamanns angesichts seines ,erleuchteten Jahrhunderts‘ verweist auf die hier vorliegende – imaginäre – Struktur geordneter Beziehungen und symbolischer Klassifikationssysteme, die durch das Konzept der Reinheit etabliert wird und zur Konstruktion von philosophischer wie auch gesellschaftlich-politischer Wirklichkeit genutzt wird. Unreinheit ist in dieser Wirklichkeit philosophisch-körperlich tabuisiert, ihre Anwesenheit ist hier eine normbrechende Anomalie, die die Ordnungsstruktur bedroht und in Frage stellt. Eine entsprechende Gefährdung inszeniert Hamann hier ganz bewußt. Durch sie wird auf eine als selbstverständlich hingenommene Struktur intellektueller Wirklichkeitskonstruktion aufmerksam gemacht. Reinheit funktioniert politisch mittels Abgrenzung, respektive durch Definitionen im philosophischen Bereich.19 Mit der Beachtung von Reinheitsgeboten gewinnt der Denker moralische Autorität gegenüber den Reinheitsverweigerern. Reinheit wird bei vorhandenem guten Willen als ein jedem erreichbarer Zustand angesehen. Dem Unreinen bleibt als Schandfleck auf der Textur der Wirklichkeit nur die Möglichkeit, sich bzw. seine Gedankenwelt mittels institutionalisierter Reinigungsrituale20 der herrschenden Wirklichkeitsbeschreibung konform zu machen. In ihrem einschlägigen kulturanthropologischen und religionsethnologischen Klassiker schreibt Mary Douglas: 18 N III, 45, 25–29 (Philologische Einfälle und Zweifel). 19 Vgl. die Charakterisierung der ,Schmutzstelle‘ als fundamentale Gefährdung in der religiösen Gedankenwelt Homers und Hesiods: „Die ,körperliche‘ Beschmutzung im Sinne Homers und Hesiods läßt sich demnach selbst nur innerhalb eines religiösen Gedankensystems begreifen. Eine ,Schmutzstelle‘ erscheint als Berührung und Verbindung von Wirklichkeiten, die streng geschieden bleiben müssen, sie erscheint als einer bestimmten Ordnung der Welt entgegengesetzt. Diese Berührung ist umso gefährlicher, je mächtiger die in Verbindung gebrachten Wirklichkeiten sind.“ (Jean-Pierre Vernant, Das Reine und das Unreine, in: ders., Mythos und Gesellschaft im alten Griechenland, Frankfurt 1987, 122). 20 Zur Verbindung von Reinheit mit kultischen Akten vgl. Jacob Neusner, The Idea of Purity in Ancient Judaism, Eugene o. J., 1 und 18ff.. Die Verbindung erscheint hier als eine Interpretation einer herrschenden Priesterkaste, die es nach Hamann (und Nietzsche) auch für die Vernunft gibt.
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A polluting person is always in the wrong. He has developed some wrong condition or simply crossed the line which should not have been crossed and this displacement unleashes danger for someone. Bringing pollution, unlike sorcery and witchcraft, is a capacity which men share with animals, for pollution is not always set off by humans. Pollution can be committed intentionally, but intention is irrelevant to its effects – it is more likely to happen inadvertently.21
Solcherart sind auch in der Philosophie Reinheitsdiskurse untrennbar mit der Konversionsthematik verbunden.22 Hamann dekuvriert die herrschende Ideologie solcherart als von ihrem Anspruch her universelle Religion, zumal ihm wie in einer ordentlichen Religion zu deren Tempeln und Heiligtümern als einer zudem noch willentlich unreinen Person der Zugang verboten ist. Reinheit ist ein essentielles Element ordnungsgemäßen Denkens und entsprechend verstößt Unreinheit gegen grundlegende Ordnungsvorstellungen menschlicher Organisation. As we know it, dirt is essentially disorder. There is no such thing as absolute dirt: it exists only in the eye of the beholder. If we shun dirt, it is not because of craven fear, still less dread of holy terror. Nor do our ideas about disease account for the range of our behavior in cleaning or avoiding dirt. Dirt offends against order. Eliminating it is not a negative movement, but a positive effort to organize the environment. […] In chasing dirt, in papering, decorating, tidying, we are not governed by anxiety to avoid disease, but are positively re-ordering our environment, making it conform to an idea.23
Für seine ordnungsstörende Position wählt Hamann eine ungewöhnliche Selbstkennzeichnung: die des Spermologen nach Apostelgeschichte 17,18 („Und etliche sprachen: was will dieser Schwätzer (Spermologos) sagen?“). Es ist dies die Bezeichnung des mit den Philosophen streitenden Paulus durch seine Diskussionsgegner. So hat durch das biblische Formular der Nachfolger des Paulus, der kahle Spermologe, der seminiverbius des ,Letzten Blattes‘24, als ein Schwätzer und Abfallaufleser (so die Übersetzungen dieses Begriffs), dessen Treiben den aufgeklärten und vernünftigen Geistern nur wie Wahnsinn vorkommen kann, eine wichtige philosophische und religiöse Mission, der er treu bleibt. Der 21 Mary Douglas, Purity and Danger. An Analysis of Concept of Pollution and Taboo, London/ New York 2008, 140. 22 Für das Christentum scheint dieser Zusammenhang wiederum ein Import aus der griechischen Philosophie zu sein, der aber hier zur besonderen Prominenz gelangt ist. Vgl. hierzu Hans Kippenberg/ Kocku von Stuckrad, Einführung in die Religionswissenschaft. Gegenstände und Begriffe, München 2003, 141. 23 Douglas, Purity 2 und 3. 24 Vgl. Bayer/Knudsen, Kreuz und Kritik, 128f. Außer dieser herausgehobenen Stelle taucht der Begriff noch auf dem Titelblatt der Schrift ,Die Magi aus Morgenlande, zu Bethlehem‘ aus den ,Kreuzzügen eines Philologen‘ (N II, 137) und (mit Bezug auf Voltaire!) in den ,Hierophantischen Briefen‘ (N III, 144) auf. Zur Erläuterung des Begriffes vgl. auch H.A. Salmony, Johann Georg Hamanns metakritische Philosophie, Zollikon 1958, 105ff.
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Körper- und Sinnenfeindschaft der rationalistischen Philosophie setzt Hamann die Betonung von Sinnlichkeit und Leiblichkeit des Menschen entgegen, und zwar ausführlich und wiederholt bis in das Konkreteste des täglichen Stuhlgangs hinein.25 Diese Aufklärung in Form einer „Anwendung der Unreinigkeit“26 ist in ihrer Penetranz und Konkretheit dem philosophischen Denken zumeist anzüglich und peinlich. So ist auch später etwa Hegel trotz allem Lobes für Hamann unangenehm berührt, wenn dieser so oft in seinen Briefen und Schriften von sich selbst und gar von seinen Krankheiten spricht – und empfiehlt sinnigerweise eine ,Reinigung‘ von Hamanns Schriften bei einer Neuausgabe.27
II.
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Bei Mary Douglas heißt es schlicht „Dirt is dangerous“28 und im Sinne einer anthropologischen Universalie: „Purity and Danger presupposed that everyone universally finds dirt offensive, which I still stand by.“29 Doch für Hamann ist die ständige konkrete Vergegenwärtigung von Schmutz und Leiblichkeit die ständige Rückerinnerung an die Erdbezogenheit des Menschen, in der allein Wahrheit des menschlichen Lebens verborgen ist. Nicht in der philosophischen Verleugnung des Leibes und des Schmutzes liegt die Möglichkeit der Erkenntnis. Diese Verleugnung ist für Hamann gleichbedeutend mit einer Verleugnung des Schöpfers, der sich zur Leiblichkeit gleich zweimal (in Adam und Jesus) herabgelassen hat. Das Loblied auf Unreinheit, Schmutz und Erde, auf Sinne, Leidenschaften und auch die Geschlechtlichkeit, kurz die Spermologie, ist für Hamann somit eigentliche Erkenntnistheorie. Reinheit erweist sich nicht als beliebige und harmlose philosophische Metapher, sondern markiert eine konkrete Bedrohung des Menschen selbst und Herausforderung seines metakritischen Furors. Die philosophische Reinheit strukturiert das Verhältnis des Menschen zu Gott, aber in einem unakzeptablen Sinne. Hamanns besonderes Talent, in einem Buche den springenden Punkt zu finden, zeigt sich auch hier in der Kritik einer verräterischen und gefährlichen Verwendung von Metaphern durch die vorgeblich aufgeklärte Philosophie. 25 „Sich den relativ großen Prozentsatz begreiflich zu machen, der in Hamanns Briefwechsel der detailgenauen Wiedergabe der Probleme bezüglich Nahrungsaufnahme und ihrer Verwertung gewidmet ist, erfordert schon vom heutigen Leser eine gewisse Desensibilisierung.“ (Kurt Christ, Johann Georg Hamann (1730–1788). Eine Porträtskizze nach hypochondrischen Briefen, 248). 26 N III, 223 (Konxompax). 27 Hegel, Hamanns Schriften, 324. 28 Douglas, Purity, X. 29 Douglas, Purity, XVIIf.
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Eben an dieser Stelle kann Hamann mit Unterstützung Luthers rechnen, der hinter dem Ideal der Reinheit ein selbstgerechtes, Christus mißachtendes Streben des Menschen vermutet, eigenmächtig und auf den eigenen Ruhm erpicht ,eyne leytter gen hymel [zu] bawen‘.30 Hamann kann diesen Punkt noch radikalisieren, denn nicht nur die Leiter, auch der Himmel soll per Reinheit von menschlicher Vernunft selbst errichtet werden. Der Spermologe nimmt Partei für das Unreine als Boden menschlicher Existenz und kämpft so für die dem Menschen gemäße (unreine) Wahrheit.31 Er bezweifelt entschieden, daß das Streben des Philosophen nach Reinheit ein Zeichen seiner Wahrhaftigkeit sei. Denn diese Reinheit ist kein akzeptables ethisches Prinzip. Sie verführt zur Hypokrisie. Wenn reiner Vernunftgebrauchs zum alleinigen Gegenstand des Respekts und Endziel des menschlichen Erkenntnisinteresses hypostasiert wird, machen sich Philosophen selbst zu einer gefährlichen Art von religiösen ,Hinterweltlern‘ und Dunkelmännern. Sie machen sich eben genau von dem Feindbild ununterscheidbar, gegen das sie selbst ursprünglich einmal emphatisch in aufklärerischer Absicht angetreten waren. Denn sie trennen sich und ihr leitendes Erkenntnisinteresse scharf von den Erscheinungen und Zumutungen der profanen und zumeist schmutzigen Wirklichkeit, indem sie einen sauberen Ideenhimmel reinen Geistes konstruieren. In gleichsam manichäischer Weise unterscheiden sie hierbei ein Diesseits und ein Jenseits. Der Kosmos wird geordnet in Himmel und Erde, welche in einem unversöhnbaren Dualismus streng voneinander geschieden sind. Dies ist für Hamann eine philosophische Selbstblendung per Systemkonstruktion: Seitdem unsere Philosophen die Augen fest zuschließen, um keine Zerstreuungen auf Kosten der Natur lesen zu dürfen, und seitdem sie die Hände in den Schoß legen, einer schönen Haut zu gefallen, hat es Luftschlösser und Lehrgebäude vom Himmel geregnet. Wer Land oder Häuser bauen, Schätze haben oder verbergen will, muß in den Schoß der Erde graben, die unser aller Mutter ist.32
Das Vorhandensein eines solchen systematischen Luftschlosses ist ablesbar am normativen Zwang zum reinen Denken bzw. am nunmehrigen Auftauchen der abzulehnenden Erscheinungen von Unreinheit und Schmutz. Per Idee wird der Schmutz im Heideggerschen Sinne aufsässig:
30 Vgl. Martin Arndt, Artikel ,Reinheit‘, in: Joachim Ritter, Karlfried Gründer (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 8, Darmstadt 1992, 547. 31 Vgl. Knut Martin Stünkel, Ästhetische Geologie. Die Frage nach der Wahrheit bei Johann Georg Hamann, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 49 (2007), 156–182. 32 N II, 365 (Fünf Hirtenbriefe), 2–9.
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Where there is dirt, there is system. Dirt is the by-product of a systematic ordering and classification of matter, in so far as ordering involves rejecting inappropriate elements.33
Das so entstandene und durch die Ablehnung und Absonderung des Unreinen fortdauernde System ist als reines Luftschloß keine wirkliche Bleibe für Menschen. Es kann geschehen, daß der Mensch mit seinen Defekten selbst vom Reich der Vernunft ausgeschieden werden muß. Gegen die trügerische Konsequenz der begrifflichen Konstruktion als reine Übereinstimmung mit sich selbst ohne Humanbezug verweist Hamann auf die Wahrheit der konkreten Dinge. Bitter Urteil ist heilsam, wenn es auf data und nicht assumta und supposita beruht; dies aber ist die Erbsünde der Philosophie, und gegen den Geist reiner Vernunft, der von ihren Antipoden gekrittelt wird.34
Aus religiösen Gründen rehabilitiert Hamann das Profane. Sobald Transzendentalphilosophie das Profane transzendiert, macht sie sich schuldig – sie wird zu einer falschen Religion und die wahre Religion muß wider den kryptoreligiösen Zugriff reiner Philosophie diesen transzendierenden Schritt zurücknehmen und erneut erden. Bei der Suche nach Wahrheit etwa macht sich der Philosophierende dabei notwendig schmutzig, was dem religiösen Puristen eine äußerst peinliche und inakzeptable Vorstellung sein dürfte. Viel lieber möchte er direkt ohne irdische Umwege in das Himmelreich einziehen. Die Wahrheit muß aus der Erde herausgegraben werden, und nicht aus der Luft geschöpft, aus Kunstwörtern – sondern aus irrdischen und unterirrdischen Gegenständen erst ans Licht gebracht werden durch sinnl. Gleichniße und Parabeln der höchten Ideen und transcendenten Ahnungen, die keine directi sondern blos reflexi radii seyn können […].35
Die Erde, nicht die reine Luft, ist ineins Ort der Wahrheit und natürlicher Lebensraum des Menschen. Als solche muß sie aber auch aktiv bearbeitet werden, denn sie enthüllt ihre Schätze nicht der reinen Kontemplation ohne eigene Tätigkeit. Sein Reich ist also nicht von dieser Welt des reinen Geistes. Nur durch menschliche Bearbeitung wird die Erde fruchtbares Ackerland. Und nur durch die Wahrung ihrer Fruchtbarkeit erweist sich der sowohl aus Erde gebildete als auch vom göttlichen Odem belebte Mensch seinerseits als würdiger Herr des Ackers bzw. ,König des Feldes‘36. Erde, die aus philosophischer Nichtbeachtung, aus Angst vor dem Schmutz, brach und jungfräulich bleibt, ist eine Anklage des 33 Douglas, Purity, 44. Vgl. auch 51: „Defilement is never an isolated event. It cannot occur except in view of a systematic ordering of ideas.“ 34 ZH VII, 434, 16–19. 35 ZH VII, 159, 11–15. 36 N III 40 (Philologische Einfälle und Zweifel).
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pflichtvergessenen Herrn. Und gerade dieser Pflichtvergessenheit macht sich ausgerechnet Immanuel Kant schuldig, wie Hamann in seiner ersten Rezension der Kritik der reinen Vernunft schreibt: Erfahrung und Materie ist also das Gemeine, durch deßen Ansonderung die gesuchte Reinigkeit gefunden werden soll, und die zum Eigenthum und Besitz der Vernunftvermögens übrig bleibende Form ist gleichsam die jungfräuliche Erde zum künftigen System der reinen (speculativen) Vernunft unter dem Titel: Metaphysik der Natur, wovon gegenwärtige Critik blos die Propädeutik ist.37
Gewissermaßen versucht Kant die Erde durch Sterilisation fruchtbar zu machen. Doch Reinheit ist gerade nicht der Boden, auf dem eine Metaphysik der Natur gedeihen kann, denn es fehlen ihm die ,Nährstoffe der Sinnlichkeit‘.38 Durch Reinheit fällt der Mensch aus der Zeit. Dieser Boden ist zukünftig unfruchtbar und gleichzeitig trennt sich der Mensch auf diese Weise von seinem kreatürlichen Ursprung. In der Bearbeitung der unreinen Erde jedoch begegnet der Mensch seinem Ursprung und dem Geheimnis seines Schöpfers. Gott nimmt sich die Mühe den Staub der Erde zu bilden – Die übrige Schöpfung scheint in Ansehung dieser ein opus tumultuariu zu seyn. Das größte Geheimnis wird beschlossen, das Gott sein gebildetes Werk anhaucht.39
Auf das von Gott gesetzte Ineinander von Irdischem und Göttlichen zu einem unreinen Ganzen liegt Hamanns philosophisches Hauptaugenmerk. Die reine Logik der Vernunft muß durch Erd-Kunde also eine Geo-logie bekämpft werden. Denn es gilt grundsätzlich: „Wir sind Erde, und diese Erde ist mit einem unsterbl. Geist verknüpft.“40 Diese Verknüpfung ist das Geschehen der Kondeszendenz41, die die Erde gerade in ihrer Niedrigkeit entscheidend aufwertet. Die sichtbare Welt mag noch so eine Wüste in den Augen eines zum Himmel erschaffenen Geistes seyn, die Brodte, die uns Gott hier aufträgt, mögen noch so unansehnlich und kümmerl. aussehen, die Fische noch so klein seyn, sie sind geseegnet und wir mit denselben von einem Allmächtigen, Wunderthätigen, Geheimnisvollen Gott, den wir Christen als den unsrigen nennen; weil er sich selbst so in der größten Demuth und Liebe offenbart hat.42
37 38 39 40 41
Oswald Bayer, Vernunft ist Sprache, 108. Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 110/111. BW 73, 19–21. BW 133. Vgl. hierzu Friedemann Fritsch, Communicatio idiomatum. Zur Bedeutung einer christologischen Bestimmung für das Denken Johann Georg Hamanns, Berlin/ New York 1999, 15. Eine entsprechende Kondeszendenz hat Hamann auch Kant in ihrem gemeinsamen Projekt einer ,Kinderphysick‘ zugemutet (vgl. ZH I, 446). 42 BW 406, 29–36 (Brocken).
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Es ist diese Tatsache, die den kryptoreligiösen philosophischen Saubermann zutiefst beschämen sollte. Gott selbst hat sich der Unreinheit nicht verweigert. Der Heilige Geist selbst ist, so Hamann, in der Kondeszendenz zu einem unreinen Geist geworden, und als ein solcher beseelt er den wahrheitssuchenden Autor, der den sermo humilis pflegt: […] daß der heil. Geist uns ein Buch für sein Wort ausgegeb[en], worinn er wie ein alberner und wahnsinniger, ja wie ein unheiliger v unreiner Geist uns.[erer] stoltzen Vernunft Mährlein, kleine verächtl. Begebenheit[en] zur Geschichte des Himmels v Gottes gemacht 1 Cor,1.2543
Der Wahnsinn, der den bibellesenden Spermologen in den Augen der stolzen Vernunft getroffen hat, ist also vielmehr ein Zeichen des Wirkens des Heiligen Geistes in seiner Herunterlassung.44 Auch für ihn gilt die Maxime vox populi – vox dei. Die Unreinheit des Textinhalts, des Erzählten und dessen unkünstlerische Form ist kein Argument gegen den göttlichen Gehalt der Schrift, sondern vielmehr gerade eine Bestätigung desselben. Denn es kann nur die Konzentration auf das Unreine die Augen öffnen für das, was wirklich vorgeht, gerade bei denen, die soviel Wert auf die Reinheit legen. Der reine Begriff ist in der Tat blind, in seiner Konzeption ein Blindgeborener. Nur durch den Kontakt mit der unreinen Erde kann er zum Zeichen des Wirkens göttlicher Wahrheit werden. Entsprechend liest Hamann die Episode von der Heilung des Blinden aus Johannes IX,6 („Da er solches gesagt, spie er auf die Erde und machte einen Brei aus dem Speichel und legte den Brei auf des Blinden Augen.“): Unser Erlöser brauchte einen Teich, dem er aus seinem Speichel und dem Staub der Erde zubereitete zur Augensalbe einen blindgeborenen sehend zu mach[en] Joh. IX.6.45
43 BW 346, 25–29 vgl. auch N II, 171, 4–11 (Kleeblatt): „Es gehört zur Einheit der göttlichen Offenbarung, daß der Geist Gottes sich durch den Menschgriffel der heiligen Männer, die von ihm getrieben worden, sich eben so erniedrigt und seiner Majestät entäußert, als der Sohn Gottes durch die Knechtsgestalt und wie die ganze Schöpfung ein Werk der höchsten Demuth ist. Den allein weisen Gott in der Natur bloß bewundern ist vielleicht eine ähnliche Beleidigung mit dem Schimpf, den man einem vernünftigen Mann erweist, dessen Werth nach seinem Rock der Pöbel schätzt.“ 44 „Der heil. Geist ist ein Geschichtsschreiber menschl. thörichter ja sündl. Handlung[en] geword[en] um wie David den Achisch zu hintergeh[en]. David verstellte se.[ine] Geberde, der Geist der Reinigkeit v der Weisheit – er macht Zeich[en] an d[en] Thür[en] der Pforte – Der heil. Geist begnügt sich [nicht] nur als ein M[ensch] zu red[en] v zu schreib[en] – sondern weniger als ein M[ensch] – als ein thörichter, als ein wahnwitziger, ja als ein rasender – er stellt sich aber nur in d[en] Aug[en] der Feinde Gottes so – er bemahlt die Thüren der Pforten, aus denen kein Achisch klug werd[en] konnte, Zeich[en], die man für die Handschrift eines Narr[en] hielt – ja was noch mehr, er läst sn. Speichel auf sn. Bart herunter fallen.“ (BW 160, 19–30). 45 BW 59, 31–33.
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Die dreifache göttliche Kondeszendenz in den Schmutz des Irdischen46 ist Hamanns Hauptbollwerk gegen den sterilen Kult der Reinheit, den die zeitgenössische Philosophie betreibt. Der Reinheitsanspruch richtet sich gegen Vermischung, und wie skandalös muß dann erst die Kontamination des Göttlichen mit dem Irdischen wirken. Doch über alle philosophischen Abgrenzungsbedenken hinweg ist die Vermischung Basis der Erkenntnis als Erzeugung. Gott selbst wurde nach Hamann dazu ein Mensch, „daß er die Wahrheit zeugen möchte“.47 Das heißt sowohl, daß er sie bezeugt als auch erzeugt, d. h. sichtbar und intellektuell verfügbar macht. Der Reinheits- bzw. Unreinheitsdiskurs ist also auch und wesentlich eine Frage der Kommunikation, in diesem Fall insbesondere in der von Gott durch seine Kondeszendenz gestifteten Kommunikation: der communicatio idiomatum.48 Dieses dem Menschen mögliche Erkenntnismittel wird durch die Kondeszendenz ermöglicht.Wer sich durch Reinigungen von der Möglichkeit der Kommunikation abtrennt, verzichtet gleichzeitig auf die Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt – nicht nur auf die Erkenntnis im biblischen Sinne.49 Hamanns Votum für die Erde behält auch für weniger hehre Lehren als die der reinen Vernunft seine Gültigkeit: Erkennt mit den Zauberen Egyptens auch in dem verächtlichsten Gewürm den Finger Gottes. Verachtet nicht diese unmündigen Sittenlehren, deren Gaukeltugenden euch beschämen, deren Handlungen äsopische Spiegel eurer Leidenschaften, Sinnbilder der Natur sind …50
Wo die Gefahr wächst, erniedrigt sich das Rettende. Denn es gilt nach biblischem Vorbild: „Alte verworfene Tücher, verrottete Lumpen waren die Seile, womit Jeremias aus dem schleimichten Gefängnis ausgezogen wurde.“51 Der Mensch kann sich nicht wie Münchhausen am eigenen Schopfe daraus emporziehen, sondern er bedarf dazu der Hilfe, welche durch das vormals Verachtete, Verworfene und Unreine kommt. Wahrheit ist nur im Schmutz zu haben und nur so dem Menschen heilsam. Die Vermischung findet ihren Ausdruck im unreinen Denken und seinem indezenten Stil. Hamann betätigt sich nicht nur als schmutziger Erdarbeiter, sondern auch als Kuppler, der Vermischung befördert. Diese Betonung der Vermichung ist der philosophisch-theologische Grund für Hamanns befremdliche Betonung der Sexualität bzw. seines bevorzugten Gebrauchs von sexuellen
46 47 48 49 50 51
Vgl. BW 151, 37–152, 7. SD/AN 73, 17–18. Vgl. N III, 27 (Rosencreutz). Vgl. Fritsch, Communicatio, 78. BW 235, 37–40. BW 237. Vgl. Jeremia 38,11–13.
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Metaphern und Anspielungen in seinen Texten.52 Sexualität ist Hamann eine heilsgeschichtliche Figur. Wie sich ein Gemächte mit seinem Ursprung vereinigt, gieng er ein, wo er einst hergekommen war als des Leibes Heiland, und gleich einem treuen Schöpfer in guten Werken schloß er die Lücke der Stätte zu mit Fleisch, um die älteste Makulatur des menschlichen Geschlechts fernerweit zu erfüllen.53
Es ist auch die Stelle, die den Namen des Spermologen in ursprünglicher Weise für ihn rechtfertigt.54 Mit der Betonung der Reinheit jedoch versucht der Philosoph jedoch nicht nur selbst jungfräulich und somit unfruchtbar zu bleiben, sondern schlimmer noch, er scheidet sogar fruchtbare Zusammenhänge.55 Der Philosoph scheidet sich ab, um geistig keusch und rein leben und denken zu können. Doch in dieser Weise pfuscht er dem Schöpfer ins Handwerk, denn „Was Gott zusammengefügt hat kann keine Philosophie scheiden.“56 Der von Hamann aufgezeigte Zusammenhang von Reinheit und Scheidekunst wird auch von der Etymologie bestätigt: ,rein‘ leitet sich wahrscheinlich vom indogermanischen Stamm für ,Scheiden‘ her.57 52 „Hamann will der Geschlechtlichkeit und dem Fortpflanzungsvermögen als zentralen Momenten der ehelichen Beziehung ausdrücklich einen positiven Platz einräumen, indem er sie protologisch und christologisch als wesentliche Aspekte der Ebenbildlichkeit Gottes beschreibt. Hamann ist der festen Überzeugung, daß Erotik und Fortpflanzung kostbare Gaben des Schöpfers sind.“ (Henri Veldhuis, Ein versiegeltes Buch. Der Naturbegriff in der Theologie J.G. Hamanns (1730–1788), Berlin/New York 1994, 367). 53 N III, 202, 33–203,2 (Sibylle). 54 Auch an dieser Stelle erweist sich die philosophische Reinheit in Bezug auf die Fruchtbarkeit als religiös konnotiert. Im Hinblick auf die Reinheitsvorstellungen im Buch Leviticus schreiben Marcel Poorthuis und Joshua Schwartz : „Apparently the fluids that do cause impurity – semen and menstrual blood – have something in common. A plausible common symbolism might be the connection between these fluids and the dimensions of life and death. Both semen and menstrual blood convey the loss of potential fertility. This ambiguity regarding emissions is perhaps not a relic from the primitive past, but a constant reminder of modern man’s frail ,human condition‘ as a creature of flesh and blood. It is questionable whether modern rational thinking is really capable of clearing away these religious taboos. Reflecting upon these regulations, reason might ,discover‘ its own bodily condition as ,thought incarnate‘, when confronted with sexuality, death and desire.“ (Marcel Poorthuis/ Joshua Schwartz, Purity and Holiness: an Introductory Survey, in: Marcel Poorthuis/Joshua Schwartz (eds.), Purity and Holiness. The Heritage of Leviticus, Leiden/Boston/Köln 2000, 10). Eben diese Erinnerung der Vernunft und die Rückführung des Menschen auf die verkörperte Inkarnation von Körper und Geist ist Hamanns Hauptanliegen in seiner Metakritik. 55 „Die Philosophen haben von jeher der Wahrheit dadurch einen Scheidebrief gegeben, daß sie dasjenige geschieden was die Natur zusammengefügt hat […]“ (N III, 40, 3–5 (Philologische Einfälle und Zweifel)). 56 ZH VII, 158. 57 So Dirk Mende mit Verweis auf das ,Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache‘ in
Die Selbst-Korrumpierung der Vernunft durch Reinheit
III.
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Die Selbst-Korrumpierung der Vernunft durch Reinheit Wie viele Dinge gibt es doch, die ich nicht brauche. (Kant)
Während der Begriff der Unreinheit sozialisiert und fruchtbar macht, differenziert und sterilisiert der Begriff der Reinheit im Philosophieren. Reinheit wird trotzdem zur Leitdifferenz gelingenden, d. h. vernünftigen Philosophierens erhoben. Die Vernunft macht das Sinnliche, Historische und Materielle in ihrem Bestreben, sich hiervon zu reinigen, zu einem moralisch Unreinen im biblischen Sinne.58 Sie stellt Natur, Sinnlichkeit und Geschichtlichkeit unter Generalverdacht. Diese Form von Unreinheit kann nicht entsühnt werden und ist nur durch Ausschluß zu bekämpfen.59 Der kritische Weg geht von der Hygiene zur Ethik. Diese Auffassung von der Reinheit der Vernunft zieht Demarkationslinien, grenzt ihren Bereich hermetisch gegen das Fremde und Verunreinigende ab.60 Eine Kritik der reinen Vernunft dient „nicht zur Erweiterung, sondern nur zur Läuterung unserer Vernunft“.61 Eine solche sich scheinbar selbst bescheidende philosophische Abgrenzung ist aber auch eine Form der Theogonie und somit ein religiöser Prozeß. In diesem Prozeß fungiert Kant für Hamann als ,der Homer der reinen Vernunft‘.62 In den Säuberungsbemühungen aufgeklärter Philosophen wird die reine Vernunft zu einer Hypostase, zu einer eigenständigen Person in einer ,heiligen Prosopopee‘63, die auch unabhängig ist von dem, der sie beschreibt bzw. unter ihrer Ägide philosophisch handelt. Sie wird somit zum Subjekt einer absoluten Subjektivität und erlangt durch die reine Geburt aus sich selbst einen quasi gottgleichen Status. Zudem schreibt sich die reine Vernunft die eigene Bibel. Per Reinigung wird das philosophierende Subjekt zum Teilnehmer einer göttlichen Heilsgeschichte.
58
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seinem Artikel ,Reinheit‘ im ,Wörterbuch der philosophischen Metaphern‘, vgl. Mende, Reinheit, 293. Einen entsprechenden Prozeß kann man in der Religionsgeschichte beobachten: „On the one hand this shift may indicate a more rational interpretation of certain purity rules, but on the other hand the state of impurity is hereby internalized into remorse and guilt. Impurity is no longer an objective state of the body that can be dealt with by conforming to the required rites, but becomes more spiritual and also more threatening to one’s conscience. It seems that this confusion between purity and morality has never ended in religious history.“ (Poorthuis/Schwartz, Purity and Holiness, 8). Vgl. Mende, Reinheit, 293. Vgl. hierzu Knut Martin Stünkel, Der Fremdkörper der Vernunft. Johann Georg Hamanns metakritische Rehabilitation des Körpers, in: Christian Hoffstadt, Franz Peschke, Andreas Schulz-Buchta, Michael Nagenborg (Hrsg.), Der Fremdkörper (Aspekte der Medizinphilosophie Band 6), Bochum/Freiburg 2008, 201–218. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. erster Teil, in: ders., Werke in zehn Bänden. Band 3, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, 63 (B 25/ A11). Bayer, Vernunft ist Sprache, 401. SD/AN, 99.
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Die erkenntnisleitende Furcht ist durch das Fremde korrumpiert zu werden. Kant notiert hierzu definitorisch: Es heißt aber jede Erkenntnis rein, die mit nichts Fremdartigen vermischt ist. Besonders aber wird eine Erkenntnis schlechthin rein genannt, in die sich überhaupt keine Erfahrung oder Empfindung einmischt, welche mithin völlig a priori möglich ist.64
Fremd und somit unrein für die Erkenntnis ist dem Denker der reinen Vernunft das Sinnliche und Materielle, insbesondere der eigene Leib, dessen Einfluß auf das Denken möglichst eliminiert werden soll. Vorbild hierfür ist der Bericht Descartes zu Anfang seiner dritten Meditation, in der er beschreibt, wie er sich als reines denkendes Wesen von allem Sinnen und Bildern körperlicher Dinge trennt. Diese Urszene zeitigte tiefgreifende Folgen, denn von nun an ist die Vernunft insbesondere den Bildern körperlicher Dinge gegenüber wesentlich durch Abstoßungsreaktionen charakterisiert, wobei die Abstoßung normativ besetzt ist, was wiederum einen bestimmten Affekt zur Folge hat. Der Ekel wird ihr zur Attitüde65, und die Abstoßung normativ besetzt. Bei Kant heißt es entsprechend: „wer einmal Kritik gekostet hat, den ekelt auf immer alles dogmatische Gewäsche […]“.66 Die philosophische Initiation führt zu einer Wandlung des ganzen Menschen im Sinne einer Konversionserfahrung. Hamann hingegen hatte Kant schon 1759 in einem Brief geschrieben: Wenn nichts so ungereimt ist, das nicht ein Philosoph gelehrt, so muß einem Philosophen nichts so ungereimt vorkommen, das er nicht prüfen und untersuchen sollte, ehe er sich unterstünde es zu verwerfen. Der Eckel ist ein Merkmal eines verdorbenen Magens oder verwöhnter Einbildungskraft.67
Reinigende Kritik verdirbt den Magen. Auf diese Weise von der Außenwelt angeekelt konzipiert sich Vernunft als versiegelter Bunker. Hamann ist der erste, der die philosophische Reinigungswut als eine Art von Allergie medizinisch beschreibt. Die Vernunft wird hypersensibel gegenüber der normalen Umwelt, denn sie nimmt eine grundsätzliche Abwehrhaltung ein. Dies hat verheerende 64 Kant, Kritik der reinen Vernunft, 62 (A 11). 65 So Hamann in seiner Rezension von Kants ,Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen: N IV, 289, 36–42: „Da ferner zur Beobachtungen die Gleichgültigkeit eines Zergliederers und starken Geistes unumgänglich sind, so hat der Eckel für den niedrigen Pöbel der Empfindungen und die Ehrfurcht für den hohen Adel des Gefühls (…) dem Leser einen reichen Vorrath zu Entdeckungen entzogen, die wo nicht anmuthig doch lehrreich gewesen wären […]“. 66 Immanuel Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, in: ders. Werke in zehn Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Band 5, S. 243 (A190)). Ganz entsprechend geht in den Religionen, beispielsweise in den dionysischen Weihen, die Reinigung einher mit einem tiefgreifenden Wandel der Persönlichkeit vgl. Walter Burkert, Antike Mysterien, Funktionen und Gehalt, München 2003, 81. 67 ZH I, 444, 29–33.
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Folgen für den Habitus des Philosophierenden. Die Abwehrhaltung manifestiert sich in der Tendenz zur Abgrenzung. So kultiviert der Philosoph einen Zustand permanenten abwehrenden Alarms, der zudem noch zu hysterischen Überreaktionen neigt, und zwar in Form eines ins Absolute gesteigerten Drangs zur Hygiene, welche sich in einer intensivierten Spirale wiederum die Abwehrbereitschaft steigert. Zuletzt kann Fremdes überhaupt nicht mehr integriert, geschweige denn ertragen werden und wird in einem finalen Schritt abgestoßen. Die Reaktion auf das Andere wird zu einer Sache auf Leben und Tod.68 Dies ist der Umschlag der Reinigungsbestrebung in die Neurose. Hamanns Darstellung läßt in der Tat den Verdacht aufkommen, als handele es sich bei der Reinigung um eine fixe Idee Kants.69 Schließlich richtet sich die neurotische philosophische Idee gegen die Lebensbasis des betroffenen Individuums selbst und wird so zu einer Bedrohung für andere. Hamann betont diesen Punkt in aller Schärfe: das zuvor aus dem Denken Herausdefinierte wird in der Philosophie exekutiert. „Eure mordlügnerische Philosophie hat die Natur aus dem Weg geräumt“70 ist Hamanns Vorwurf. Das Materielle wird als unrein und verschmutzend, als schädlich und aggressiv interpretiert und wird somit zu einer Bedrohung, die man am besten selbst präventiv, aggressiv und endgültig beseitigt. Diese Vorgehensweise ist ebenso in den Religionen zu beobachten: „Das Unreine wird als aggressiv bestimmt: Es steckt an, bemächtigt, befleckt, stigmatisiert, weshalb es präventiv ausgeschlossen oder repressiv ausgemerzt werden muß.“71 Dies hat natürlich auch politische Folgen, und zwar zunächst einmal innenpolitische. Denn die Aggressivität nach außen geht so einher mit einer Despotie nach innen, in der die Vernunft sich selbst gleichschaltet. Vernunft organisiert sich per Reinheit solcherart, daß sie keine möglichen Bezugspunkte mehr zur materiellen Welt bietet, um so das Risiko einer Kontamination auszuschalten. Das Reich der philosophischen Reinheit wird zur Insel, wie es Kant selbst eindrucksvoll beschreibt: Dieses Land aber ist eine Insel, und durch die Natur selbst in unveränderliche Grenzen eingeschlossen. Es ist das Land der Wahrheit (ein reizender Name), umgeben von einem weiten und stürmischen Ozeane, dem eigentlichen Sitze des Scheins, wo manche Nebelbank, und manches bald wegschmelzende Eis neue Länder lügt […].72 68 Reinheit wird virulent in Zeiten des Wechsels, wo es darum geht, Fremdes zu assimilieren. Für diese Zeiten sind Leben und Tod Grundphänomene (vgl. Robert Parker, Miasma. Pollution and Purification in Early Greek Religion, Oxford 1983, 52). 69 Vgl. Thomas Brose, Johann Georg Hamann und David Hume. Metaphysikkritik und Glaube im Spannungsfeld der Aufklärung, Frankfurt u. a. 2006, 661. 70 SD/AN 113. 71 Bahr, Reinheit, 150. 72 Kant, Kritik der reinen Vernunft, 267 (KrV B 294/295). In Purity and Danger faßt Mary
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Getrennt ist diese streng begrenzte Insel der Seligen insbesondere von diesem Gebiet, welches Kant in den Träumen eines Geistersehers einleitend beschrieben hat: Das Schattenreich ist das Paradies der Phantasten. Hier finden sie ein unbegrenztes Land, wo sie sich nach Belieben anbauen können. Hypochondrische Dünste, Ammenmärchen und Klosterwunder lassen es ihnen an Bauzeug nicht fehlen. Die Philosophen zeichnen den Grundriß und ändern ihn wiederum, oder verwerfen ihn, wie ihre Gewohnheit ist.73
Das Land der Wahrheit ist formvollendet eingedeicht und seine Bewohner so sicher vor dem unbegrenzten Reich des Scheins. Eine solche abschließende Selbstbegrenzung ist ein durchgehendes Motiv Kantischer Philosophie: In so ferne ist die Metaphysik eine Wissenschaft von den Grenzen der menschlichen Vernunft, und da ein kleines Land jederzeit viel Grenze hat, überhaupt auch mehr daran liegt, seine Besitzungen wohl zu kennen und zu behaupten, als blindlings auf Eroberungen auszugehen, so ist dieser Nutze der erwähnten Wissenschaft der unbekannteste und zugleich der wichtigste, wie er den auch nur spät und nach langer Erfahrung erreicht wird.74
Doch die sich abgrenzende Vernunft ist hier nicht mehr im eigentlichen Sinne vernünftig, d. h. vernehmend bzw. offen für Ansprache oder auch empfänglich und empfängnisbereit. Diesen Autismus nennt der Philosoph geistige Freiheit, Autarkie und Selbstgesetzgebung. Denn der Anspruch, unter Anleitung der Vernunft voraussetzungslos und vorurteilsfrei die Wahrheit erschließen zu können, ist als Unabhängigkeitserklärung des menschlichen Geistes ein anmaßender Irrtum, der von der Sinnlichkeit, Geschichtlichkeit und Sprachlichkeit des Denkens absieht. Die Selbstkastration des reinen Rationalismus, die natürlich zu unfruchtbaren Ergebnissen führt, ist eine furchtbare Selbsttäuschung, die mit Descartes begonnen hat: Der Vater der neueren Philosophie war genötigt, alles, was er wußte, zu vergessen, zu verleugnen und zu verwerfen, und sah dies als einziges Mittel an, die Wahrheit zu finden. Diese Wahrheit war gleichwohl nichts als ein Gebäude neu aufgeputzter und für neu aufgenommener Irrtümer.75
Douglas diesen Gegensatz von Insel und Meer in Bezug auf die Unreinheit allgemeiner als den Gegensatz von Form und Formlosigkeit: „For, as I see it, ritual pollution also arises from the interplay of form and surrounding formlessness. Pollution dangers strike when Form has been attacked.“ (Douglas Purity, 129f.). 73 Immanuel Kant, Träume eines Geistersehers, erläutert durch die Träume der Metaphysik, in: ders., Werke in zehn Bänden. Band 2: Vorkritische Schriften bis 1768, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, 923. 74 Kant, Träume eines Geistersehers, 983. 75 BW 284, 26–30.
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Da das Historische und die Sinnlichkeit nicht hintergehbar sind, wird durch den Reinigungsversuch nur ein bestimmter zeitlicher Zustand eines bestimmten Individuums perpetuiert. In fataler Weise erinnert die reine Vernunft an Lady Macbeth, der es ebenfalls nicht gelingt, sich die Hände rein zu waschen. Aber auch die keusche Unlust will Ewigkeit. Reine Vernunft wird so zur reinen kontingenten Subjektivität als Selbstapotheose. Der in sich kreisende Denker erkennt nur sich selbst und kann daher zu keinen fruchtbaren Ergebnissen kommen. Schlimmer noch, durch diese intellektuelle Form von Masturbation wird die Vernunft zu ihrer größten Unehre beschmutzt und befleckt. In seiner ,Metakritik‘ assoziiert Hamann die Scheidungen des transzendentalen Idealismus neben der Jungfrauengeburt und dem Zölibat, ostentativen Unfruchtbarkeiten also, mit dem „Formenspiel einer alten Baubo mit ihr selbst“.76 Die Figur der Baubo aus dem orphischen Legendenkreis wird zum Leitbild für Hamanns Verständnis der zeitgenössischen Philosophie und ihrer unfruchtbaren Bemühungen. Seine mythologische Anspielung ist indezent genug: Baubo aus Eleusis versucht die Göttin Demeter, die ihre von Pluto entführte Tochter Persephone sucht, durch Selbstbefriedigung aufzuheitern.77 Hamanns Vorwurf ist also: Eine Kritik der reinen Vernunft ist mit ihrer Reinigungstendenz schlicht transzendentaler Onanismus. Abhilfe schaffen kann hier nur der Spermologe.78 Als Spermologe gegen Baubo zu Felde zu ziehen ist eine Sache der philosophischen Verantwortung. Die reine Vernunft ist eine solipsistische Neurose mit der autoerotischen Tendenz zur Soziopathie. Als solche muß sie therapiert werden. Für diese Therapie ist zunächst eine Ätiologie notwendig. Hamann erzählt dieses selbstinduzierte Verrücktwerden der Vernunft in seiner Metakritik als die Geschichte ihrer dreifachen Reinigung‘79, durch die die Vernunft ,schrittweise ihre Bodenständigkeit und Bestimmtheit verliert‘80. Dieser Verlust ist zentrales Element der kritischen Philosophie. Durch vorschnelle und abstrakte Vorurteilskritik wird die Tatsache verkannt, daß der Mensch ohne auf Vorurteilen basierende Überlieferung nicht existieren kann:
76 Bayer, Vernunft ist Sprache, 362. 77 Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 370f. 78 „Hamann will nicht nur wie Paulus auf dem Marktplatz zu Athen, sondern auch so genannt werden, wie die ,Spermologen‘ der Gnosis, als tatsächliche ,Samenschwätzer‘, die immerfort von Samen, von Geschlechtlichem reden und eine wahrhaft ,ekle Spermologie‘ ins Zentrum ihrer Lehre und ihres Kultes stellen, im wörtlich-unmittelbaren Sinne genannt werden müßten.“ (Salmony, Johann Georg Hamanns metakritische Philosophie, 107f.). 79 Bayer, Vernunft ist Sprache, 248. 80 Bayer, Vernunft ist Sprache, 251.
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Die erste Reinigung der Philosophie bestand nemlich in dem theils misverstandenen, theils mislungenen Versuch, die Vernunft von aller Überlieferung, Tradition und Glauben daran unabhängig zu machen.81
Gelingen kann dieser Bruch faktisch nicht, jedoch ist schon der Versuch strafbar. Durch den Bruch mit der Überlieferung macht sich die Vernunft zum Kind ihrer selbst und verschließt sich in sich. Alsdann werden die Erfahrung und die alltägliche Praxis aus dem vernünftigen Diskurs eliminiert. Die zweite ist noch transcendenter und läuft auf nichts weniger als eine Unabhängigkeit von der Erfahrung und ihrer alltägl. Induction hinaus.82
Hier vergißt Kant den ihm von Hamann empfohlenen Hume und dessen Betonung von Erfahrung und Induktion. Schließlich wird die Sprache als die letzte Bastion von ,Bodenständigkeit, Erfahrungssättigung und Anwendungsbezug‘83 zu einem eitlen Spiel leerer Abstraktionen geläutert: Der dritte, höchste und gleichsam empyr[ä]ische Purismus betrifft also noch die Sprache, das einzige/ erste u letzte/ Organon und Kriterion der Vernunft, ohne ein ander Creditiv als Ueberlieferung und USUM.84
Kant selbst denkt nicht kritisch genug, da er die Tatsache außer Acht läßt, daß eine Reinigung der Sprache selbst wiederum nur sprachlich vollzogen werden kann85 ; daß man also nach dem bekannten Beispiel G.E. Moores schmutziges Geschirr mit schmutzigem Wasser zu reinigen hat. Doch die Vernunft befindet sich nicht auf dieser niederen Sphäre. An dieser Stelle macht Hamann den religiösen Charakter der philosophischen Reinigung besonders deutlich. Das Ergebnis der Purifikation ist ein kalter Götze im höchsten empyräischem Himmelreich, der ebendieselbe Tyrannei – und dies noch im potenzierten Maße – ausübt wie diejenigen vermeintlichen Götzenbilder, die der vernünftigen philosophischen Kritik (und Verwerfung) unterlagen. Hamann beklagt eure allgemeine Menschenvernunft, die ihr durch eine mehr als poetische Licenz zu einer wirklichen Person vergöttert, und dergleichen Götter und Personen macht ihr durch die Transsubstantiation eurer Bildwörter so viel, daß das größte Heidentum und blindeste Pabsttum in Vergleichung eurer philosophischen Idololatrie am jüngsten Gericht gerechtfertigt und vielleicht losgesprochen seyn wird.86 81 82 83 84 85
Bayer, Vernunft ist Sprache, 252. Bayer, Vernunft ist Sprache, 254. Bayer, Vernunft ist Sprache, 264. Bayer, Vernunft ist Sprache, 264. Vgl. Heinzpeter Hempelmann, Wie wir denken können. Lernen von der Offenbarung des dreieinigen Gottes für Wissenschaftstheorie, Sprachphilosophie und Hermeneutik, Wuppertal 2000, 81. 86 N III, 106, 34–40 (Neue Apologie des Buchstaben h).
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Der Gerichtshof der Vernunft besteht beim Jüngsten Gericht nicht, da er seine eigenen juristischen und politischen Implikationen vertuscht. Denn durch ihre Reinigungen verspricht die Vernunft: auch mit eben so viel Trotz den ungedultigen Zeitverwandten, und zwar in kurzer Zeit, jenen allgemeinen und zum Katholicismo und Despotismo nothwendigen und unfehlbaren Stein der Weisen, dem die Religion ihre Heiligkeit und die Gesetzgebung ihre Majestät flugs unterworfen wird, besonders in der letzten Neige eines kritischen Jahrhunder[t]s, wo beyderseitiger Empirismus, mit Blindheit geschlagen, seine eigene Blöße von Tag zu Tag verdächtiger u. lächerlicher macht.87
In ihrem Reinheitsbestreben zeiht die Vernunft die für die umfassende Weltherrschaft (katholon) benötigte intellektuelle Waffe, die sie in despotischer Weise zu handhaben gedenkt, insofern daß die hieraus resultierende Macht als Reinheit gleich Recht ist. Die Philosophie will im despotischen Sinne Weltreligion werden. Auf diese Weise wird die Heiligkeit der Religion nicht verworfen, sondern selbst beansprucht. Die Vernunft ursurpiert ihren Thron: Denn was ist die hochgelobte Vernunft mit ihrer Allgemeinheit, Unfehlbarkeit, Überschwenglichkeit, Gewißheit und Evidenz? Ein Ens rationis, ein Ölgötze, dem ein schreyender Aberglaube der Unvernunft göttliche Attribute andichtet.88
Das idolatrische Spiel von reinen Abstraktionen, das politische Auswirkungen hat, zeigt sich nach Hamann besonders im Hinblick auf eine wohlbekannte konkrete Situation aus dem Neuen Testament, in der Reinigung eine zentrale Rolle spielt. Nur derjenige, der seine Hände in Unschuld wäscht, kann versuchen, philosophisch vom Sinnlichen, Geschichtlichen und Sprachlichen zu reinigen. Daß ein solches vor allem herrscherlicher und letztlich willkürlicher Machtspruch ist, kommt ihm nicht zu Bewußtsein. Somit befindet er sich in einem unaufgeklärten und unwahren Verhältnis zu sich und anderen. Wer aber die Deutungsmacht über Reinheit besitzt, verfügt auch über soziale Macht. Die berühmte Frage ,Was ist Wahrheit?‘ hat mit der schmutzigen eigentlichen Wahrheit aber wenig zu tun, erhebt jedoch einen unbedingten philosophischen Machtanspruch. Derjenige, der wie der Weltweise und Schriftgelehrte Pilatus89 akademisch fragt und sich typischerweise die Hände wäscht, versucht rein zu bestimmen, also gesetzmäßig zu definieren. Entsprechend haben diejenigen, welche die einmal gesetzten Grenzlinien verletzen, als Ver87 Bayer, Vernunft ist Sprache, 254. 88 N III, 225, 3–6 (Konxompax). 89 Vgl. N IV, 384, 18.Vgl. Hamanns Brief an Kant vom April 1774, wo Hamann ,vollenden und schließen‘ möchte „mit dem Machtspruch des großen Kunstrichters und Krypto=Philologen P.P. der gewiß ein Liebhaber der Wahrheit und Unschuld war, wie aus seiner Quaestione Academica und typischen Händewaschen zu ersehen…“ (ZH III, 90, 18–21).
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brecher wider die reine Vernunft keine Gnade zu erwarten, wie Hamann mit Bezug auf Moses Mendelssohn ausführt: Der platonische Apologist desselben machte sich eben so wenig Gewissen einen alten kleinen Namen über das Portal und die beyden Thorflügeln seiner psilologischen psilosophischen Schutz- und Trutzschrift aufzuhängen und anzuschlagen, als der römischen Landpfleger Bedenken trug den allergrößten Übertreter der außerordentlichen Gesetzgebung, seinen rechtmäßigen und ehrenhaften Titel mit drey Zungen und Sprachen im Geiste der Wahrheit am mittelsten Pfahl allgemeiner öffentlicher Schädelstäte zur verlautbaren, zu bekräftigen und zu behaupten.90
Diese Begierde nach De-finition, nach Abgrenzung, hat Folgen für Gesinnung und Handlung. Der Reiniger wird zum Richter, der seine Tätigkeit im öffentlichen Prozeß ausübt und den Verurteilten also sozial unmöglich machen will: „Mendelssohn hat mit Pilatusfrage angefangen um mit einem analogen Richterspruch aufzuhören.“91 Die Reinigung der Vernunft führt zu einer höchstrichterlichen Verhaltensweise. Kant hingegen fängt gleich mit dem Richterspruch an. Es ergeht eine „Aufforderung an die Vernunft, das beschwerlichste aller ihrer Geschäfte, nämlich das der Selbsterkenntnis aufs neue zu übernehmen und einen Gerichtshof einzusetzen, der sie bei ihren gerechten Ansprüchen sichere […]“.92 Die Philosophie fällt im Namen eines Abstrakten und einer Hypostase Urteile und sucht die Verurteilten einem öffentlichen Urteil auszusetzen. Reinigung hat somit notwendig unverhüllten Despotismus zur Folge, wenn dieser auch nicht als solcher erkannt wird. Ja, ihr feinen Kunstrichter! fragt immer was Wahrheit ist, und greift nach der Thür, weil ihr keine Antwort auf diese Frage abwarten könnt – Eure Hände sind immer gewaschen, es sey, daß ihr Brodt essen wollt, oder auch, wenn ihr Bluturtheile gefällt habt – Fragt ihr nicht auch: Wodurch ihr die Natur aus dem Wege geräumt?93
Wenn Natur und Sinnlichkeit erst einmal als Beschmutzungen von den Händen abgewaschen sind, bleibt nur noch ein höchst künstliches, dabei aber nichtsdestoweniger sehr gefährliches Urteilen möglich. Zugunsten eines Abstrakten spricht man über das Konkrete das Todesurteil. Für den Einzelnen, der in einer reinen Gesellschaft lebt, bedeutet dies den konstanten Zwang zur richterlichen Selbstkontrolle und zur Normierung der Persönlichkeit.94 Das Wasser dient hier 90 91 92 93 94
N III (Ein fliegender Brief) 393, 28–36. ZH VI, 231, 4–5. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 13 (A XII). SD/AN 113. „Pure communities required their members to engage in constant self-analysis and total character reformation. […] All of these movements used purity to promote an idea of social order and self-control. These ideals were generally accompanied by coercive practices aimed at achieving internalization of the ideals. They all saw themselves as responses to threads of social disorder.“ (Mullin, Purity and Pollution, 517 und 518).
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nicht wie Hamanns Badwanne der Vermengung, sondern der Selbstabgrenzung. Als dieses Urteilen bzw. Verurteilen ist der Reinheitsdiskurs immer auch ein herrscherlicher Diskurs, der für sich das Gericht Gottes beansprucht. Hiergegen richtet sich Hamanns Ausruf: O eine Muse wie das Feuer eines Goldschmieds, und wie die Seife der Wäscher! – – Sie wird es wagen, den natürlichen Gebrauch der Sinne von dem unnatürlichen Gebrauch der Abstractionen zu läutern, wodurch unsere Begriffe von den Dingen eben so sehr verstümmelt werden, als der Name des Schöpfers unterdrückt und gelästert werde.95
Der Begriff der Reinheit stabilisiert somit die Deutungsmacht der Aufklärung über den philosophischen Diskurs der Zeit. Der Wille zur Reinheit ist auch Wille zur und Wille der absoluten Macht, die sich in Gewalttätigkeit äußert und starken Druck auf die durch sie sozialisierten Individuen ausübt.96 Gegen die religiös geprägten Machtpolitiker der Vernunft wird Hamann als Autor zum Partisanenkämpfer : Auch ich war einst im Arkadien der Literatur und mischte mich unter die Legion anonymer und pseudonymer Scribler, suchte in kleinen Heften mit Zweifeln und Einfällen gegen die Dictatoren der reinen Lehre und Vernunft – gegen die Dämagogen ephesischer Tabernakeln und Mirakulschmiede zu laborieren.97
IV.
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Vor der Aussicht auf absolute Macht in reinigender Methode gehen die Philosophen intellektuell und teilweise auch ganz konkret wie der Kammerherr Voltaire auf die Knie. ,Die heilige Vernunft! die ihnen die Stelle einer Offenbarung vertritt und vor Vernunftschlüssen, sie mögen noch so sein, sie mögen noch so weit hergeholt seyn‘ (sie mögen auf ihrem Bauch oder auf Vieren gehen) ,das Knie mit Ehrfurcht zu beugen‘ befiehlt […].98
Den Philosophen wird so die Vernunft zur Offenbarung; sie selbst sind entsprechend priesterliche Diener dieser Offenbarung, die Philosophie ist zur 95 SD/AN 115, 29–117, 5. 96 Über den Zusammenhang zwischen Reinheit und Macht in den Religionen vgl. Gerardus van der Leeuw, Phänomenologie der Religion, Tübingen 1956, 386: „Dieser Brauch ist bezeichnend für die Idee der Reinigung. Ein neuer Anfang wird gemacht, Macht ausgestoßen und neue Macht angezogen. Das rechte Verhältnis zur Macht, das im Laufe eines langen Jahres gelitten hat, wird wieder hergestellt. Sobald der Schmutz hinausgetragen ist, herrscht das rechte Verhältnis, ist fas. […] Die Reinigung bewirkt zweierlei: Mitteilung der guten, Abwehr der schlechten Macht.“ 97 N IV, 460, 39–42. 98 N III, 218, 20–23 (Konxompax).
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ehrfurchtheischenden Religion geworden. Mit der Reinigung ihrer selbst handelt die Vernunft der zeitgenössischen Philosophen also in eminent religiöser Weise und folgt genau den Ritualen und errichtet dieselben Institutionen an demselben geistigen Ort, von denen sie eigentlich befreien wollte. Kritische Philosophie ist strukturelle Religiosität. Sie ist so die eigentliche Dunkelmännerreligion, denn hinter ihr verbirgt sich sinisteres Machtstreben, welches trotzdem den Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit im Munde führt. Katholicismus ist nichts als Despotismus. Anstatt des römischen ist ein metaphysischmoralischer in der Mache, der seinen Sitz an eben dem Ort hat, wo man so viel Zetergeschrey über das seel. Pabst[th]um erhebt.99
Die reine Vernunft entfremdet sich vom profanen Leben und definiert sich selbst zu einem Sakralbereich, durchschaut jedoch seine eigenen Bedingungen nicht und fällt selbstgerecht Todesurteile. Dies hat für Hamann in seiner realen politischen Situation ein konkretes Sinnbild. Die zur Macht gelangte Aufklärung in Person des ,Metamachiavell‘ Friedrich des II. ist als aufgeklärter Absolutismus durch Orthodoxie und Infallibilität100 gekennzeichnet und handelt politisch in entsprechender Weise. Über diese strukturelle religiöse Hypokrisie der reinen Vernunft bedarf es der radikalen unreinen (christlichen) Aufklärung in Form der Metakritik. Dieser neue Glaube an die Notwendigkeit einer Metakritik stößt jedoch nach Hamann (wie das frühe Christentum) auf die Ablehnung der (jüdischen) Orthodoxie. Gegen das Christentum steht die politisch mächtige philosophischreligiöse Allianz von Athen und Jerusalem in Gestalt der französisch-deutschen Aufklärungsbewegung. Im Sinne dieses historischen Formulars ist Hamanns Parallelisieren von Juden und Philosophen101, im konkreten Fall ,Juden und Voltairen‘102, zu lesen. Auch für ihn scheint es so etwas wie eine Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums zu geben. Jedoch hat dies nichts mit wirklichem leibgebundenen und erdnahen Philosophieren zu tun. Aus dieser Mesalliance entsteht ,Psilosophie‘.103 Vernunft ist der leibhafte Moses – und unsere heutige Philosophie der leibhaftige Pabst verklärt – Judentum, sein Geist natürl. Religion, ist die allgemeine Losung […].104
99 100 101 102 103
ZH VI, 22, 29–33. Vgl. Bayer, Vernunft ist Sprache, 435. Vgl. ZH VII, 167, 3–8. N III, 151 (Hierophantische Briefe). Zur Assoziation des jüdischen mit dem Psilosphischen bei Hamann vgl. Bayer/Knudsen, Kreuz und Kritik, 132. 104 ZH IV, 195, 17–20.
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Doch der Gesetzgeber Moses (Mendelssohn) ist der Philosoph, dem der Eingang in das Land der Verheißung verwehrt ist, während Abraham als Glaubender einziehen darf.105 Reinigung ist ein wesentlich kultischer Akt und die Philosophen haben sich ihm wie selbstverständlich unterworfen, und zwar, wie man meinen könnte aus einem religiösen Impuls oder gar einem religiösen Bedürfnis heraus. Durch die postulierte Notwendigkeit zur Reinigung entsteht eine die Purifikation überwachende Priesterkaste. Eine solche allein ist in der Lage, den Prozeß der allgemeinen Reinigung zu predigen, zu leiten und zu überwachen.106 Dies leistet sie durch die Propagierung von verbindlichen Reinigungsritualen. Voltaire als Philosoph und Lobredner Friedrichs II. fungiert für Hamann entsprechend als der „Lieblingsprophet und Evangelist seines Jahrhunderts“.107 Das Projekt der Purifizierung der Vernunft hat zudem einen deutlich eschatologischen und soteriologischen Anspruch. Diese Ansprüche weist Hamann entschieden zurück. Jedes Projekt einer Reinigung der Philosophie ist ein anmaßendes, ein vergebliches wie auch verwerfliches Unternehmen. Es ist eine götzendienerische Religion. Daher kommt es, daß sie eine wirkliche in jedem Verstand allgemeine, der geheimen Geschichte und Natur des menschlichen Geschlechts völlig entsprechende Religion verwerfen, deren Geist und Wahrheit jene mannigfache Weisheit in sich schließt, welche von ihnen gesucht wird ohne erkannt zu werden, und daß sie einen aus dem Schul- und Modestaube ihres Wintertags neugebackenes Götzenbild aufzurichten suchen, daß keine einzige Eigenschaft ihrer abergläubischen und schwärmerischen Einbildungskraft an sich hat – daß sie eine Bundesreligion, die aus einer der Ribben ihres eigenen Ideals und nach dem Ebenbilde deßselben ausdrücklich scheint gemodelt zu seyn, gegen antisokratische Galanterie-Schreine vertauschen, aber inwendig den Fluch ihrer Verwesung darstellen –108
Descartes meditativer Wintertag ist nicht zuerst die Geburtsstunde der neuzeitlichen Philosophie, sondern die einer abergläubischen Religion. Diese Meditationen sind für Hamann die eigentlichen Träume eines Geistersehers. Diese Träume werden umso schlimmer, je mehr sie sich vom Körperlichen ins rein Geistige verabschieden. Der Traum der Vernunft nach Reinheit erzeugt Unge105 Vgl. N III, 305 (Golgatha). 106 Vgl. die entsprechende Kennzeichnung der Bedeutung der Reinheit für Etablierung einer Priesterkaste im Zoroastrismus: „Reinheit wird dabei zu einem positiven Wert, der mehr ist als die bloße Abwesenheit von Verunreinigung, denn ,Reinheit‘ begründet einen besonderen Status und berechtigt zur Durchführung bestimmter Rituale. Das bezieht sich vor allem auf die Priester, die dafür sorgen müssen, dass sie sich in einem Zustand von Reinheit befinden, um bestimmte rituelle Funktionen wahrnehmen zu können.“ (Michael Stausberg, Zarathustra und seine Religion, München 2005, 77). 107 N III, 219 (Konxompax). 108 N III, 191, 8–20 (Zweifel und Einfälle).
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heuer, die im Erzengel Luzifer ihre Präfiguration haben. Hamann schreibt in bemerkenswerter Umkehrung einer weitverbreiteten Auffassung des Verhältnisses von Leib und Seele: Der Leib ist das Kleid der Seele. Er deckt die Blöße und Schande derselben […] Er hat gedient uns[ere] Seele zu erhalt[en], eben wie die Kleidung unsern Leib schützet gegen die äußerl. Angriffe der Luft v. anderer Geg[en]stände. Diese Nothdurft unserer Natur hat uns erhalten, unterdessen höhere, v leichtere Geister ohne Rettung fielen.109
Die größte Gefährdung des Leibes ist nicht das Unreine, sondern das Reine. Nur durch das Unreine wird der Mensch abgehalten, ein zweiter Luzifer zu sein. Der anmaßende Geist ist durch den Körper sicher verwahrt. Der reine Geist allein ist tendenziell teuflisch, denn er erhebt sich nicht zum Himmel, sondern ist gefallen. Der reine Geist ist der Leibhaftige bzw. besser Unleibhaftige selbst und das Streben nach Reinigung seine teuflische Verführung. Als heilsames Zeichen gilt Hamann die körperliche Krankheit, welche meist einem Unreinheitsverdikt unterliegt. Das Denken der Unreinheit richtet sich bei Hamann gegen die Selbstkennzeichnung der Vernunft als ,gesund‘, denn sie ist eine Gesundheit, die nur auf Selbstreinigung, auf Hygiene und Sterilität, aber nicht auf Fruchtbarkeit beruht. Dieser Anspruch der Vernunft übersteigert den kirchlichen Machtanspruch: Die Gesundheit der Vernunft ist der wohlfeilste, eigenmächtigste und unverschämteste Selbstruhm, durch den alles zum Voraus gesetzt wird, was eben zu beweisen war, und wodurch alle freye Untersuchung der Wahrheit gewaltthätiger als durch die Unfehlbarkeit der römisch-katholschen Kirche ausgeschloßen war.110
Gegen den totalen Machtanspruch der sich selbst voraussetzenden, selbstreinigenden und daher jede unabhängige Prüfung verhindernden ,gesunden‘ und reinen Vernunft äußert Hamann politischen Verdacht. Von diesem Verdacht hat sich zwar nicht die Vernunft, aber doch die Reinheit philosophiegeschichtlich nicht mehr erholen können. Hamanns Apologie des Körpers und des Unreinen bedeuten eine perspektivische Neuorientierung des Denkens, die dieses über sich selbst aufklärt und mit einer Umwertung philosophischer Werte einhergeht. Genau genommen sollen dadurch philosophische Werte im Vernunftdiskurs erst wieder etabliert werden, da dieser bisher unbewußt mit religiösen Konzepten operiert hatte. Denn durch die Operationen der reinen Vernunft wird Philosophie zur Psilosophie.111 Die Betonung der schmutzigen Kondeszendenz durch vollen Körpereinsatz bedeutet, der reinen Vernunft lästig zu fallen und ihre 109 BW 417, 12–17 (Brocken). 110 N III, 189, 18–22 (Zweifel und Einfälle). 111 Für reine Vernunft soll laut Hamann der Begriff ,psilos‘ eingeführt werden, vgl. ZH V, 239, 3 und 349, 33.
Der kritische Philosoph als Schwärmer
231
Matadoren auf stillschweigend vorausgesetzte Prämissen und Idiosynkrasien hinzuweisen. Und dies geschieht zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Jahre 1781 als Hamann als erster Leser die Lektüre der Kritik der reinen Vernunft beendete. Im Entwurf A zur Metakritik schreibt Hamann: Worin besteht denn das Geheimnis der reinen Vernunft? worauf ihr gnostischer Eckel und Haß vor aller Materie und ihre mystische Neigung zu einer leeren Form? Sind ihre subjektive Bedingung[en], aristotelische Categorien und platonische Ideen nicht auch Materialien [?]112
Die reine Vernunft ist also eben nicht vorurteilsfrei, dafür aber despotisch und mystikgefährdet. Für sie gilt es, „zum Schrein der mystischen Einheit im allgemeinen Begriff“113 vorzudringen, aufzusteigen in dreifacher Reinigung und dort in einer unio mystica anbetend zu verharren. Mystik ist für Hamann das unfruchtbare Kreisen in reiner Selbstbezüglichkeit. Hier sieht er strukturelle Entsprechungen von reiner Vernunft und gnostischem Denken. Formale Reinheit ist Scheinheiligkeit114, Kritik in Wahrheit hypokritisch, denn sie reflektiert ihren eigenen Willen zur Macht nicht. Hierüber muß die reine Vernunft metakritisch aufgeklärt werden, ohne sich von ihr einschüchtern zu lassen. Philosophisches Schwärmen für Geistigkeit ohne Leiblichkeit, die Selbstbegründung der Vernunft und ihres Gerichtshofs, ist möglichst radikal aufzuzeigen, in dem die Bedeutung des von der Vernunft Verschmähten am extremen und befremdlichen Beispiel vorgeführt wird. Gegner ist für Hamann also nicht die Person Kant, sondern der Schwärmer und Mystiker. Kant selbst hat diese Kennzeichnung seiner Position und das entsprechende Projekt seines Freundes jedenfalls sehr verwundert, wie Hamann in einem Brief beschreibt: Er war sehr vertraut mit mir, ohngeachtet ich ihm das vorige mal ein wenig stutzig gemacht hatte, da ich seine Kritik billigte aber die darinn enthaltene Mystik verwarf. Er wußte gar nicht, wie er zur Mystik kam. Mich hat es sehr gefreut, daß L. eine gleichförmige Sprache mit Kant führt – Ein neuer Beweiß für mich, daß alle Philosophen Schwärmer, und umgekehrt sind, ohne es zu wissen.115
Derjenige, der sich in den Träumen eines Geistersehers gegen Schwärmertum ausgesprochen hat, findet sich plötzlich auf der Seite der Schwärmer.116 Gerade die politische Gefährlichkeit der Schwärmer, die auf einer religiösen Beziehung 112 113 114 115 116
Bayer, Vernunft ist Sprache, 158. N III, 219, 9–10 (Konxompax) Bayer, Vernunft ist Sprache, 113. ZH IV, 355, 32–37 . Vgl. zu Kants Affinität zu Schwärmern, insbesondere zu Swedenborg: Hartmut Böhme/ Gernot Böhme, Das Andere der Vernunft. Zur Entwicklung von Rationalitätsstrukturen am Beispiel Kants, Frankfurt 1983, 254ff.
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Als Spermologe gegen Baubo
zu einem Transzendenten beruht, hatte Kant selbst schon früh scharfsinnig erkannt und hiervor eindringlich gewarnt: Ganz anders ist es mit dem Fanatiker (Visionär, Schwärmer) bewandt. Dieser ist eigentlich ein Verrückter von einer vermeintlichen unmittelbaren Eingebung, und einer großen Vertraulichkeit mit den Machten des Himmels. Die menschliche Natur kennt kein gefährlicheres Blendwerk. Wenn der Ausbruch davon neu ist, wenn der betrogene Mensch Talente hat und der große Haufe vorbereitet ist, dieses Gärungsmittel innigst aufzunehmen, alsdann erduldet bisweilen so gar der Staat Verzuckungen.117
Mit Hamann gelesen hat Kant hier genau die verzweifelte Situation im Preußen Friedrichs des II. beschrieben. Doch hat, so stellt Hamann an anderer Stelle großmütig fest, das Schwärmertum durchaus seine Berechtigung in der Philosophie, gerade wenn es darum geht, eine neue philosophische Epoche einzuleiten. Dafür muß sich dieses philosophische Schwärmertum allerdings auf das Meer wagen und darf nicht auf seiner sicheren Insel verharren: Doch sind vielleicht die philosophischen Chroniken und Bildergallerien weniger zu tadeln, als der schlechte Gebrauch, den ihre Liebhaber davon machen. Ein wenig Schwärmerey und Aberglauben würde hier nicht nur Nachsicht verdienen, sondern etwas von diesem Sauerteige gehört dazu, um die Seele zu einem philosophischen Heroismus in Gährung zu setzen. Ein durstiger Ehrgeiz nach Wahrheit und Tugend, und eine Eroberungswuth aller Lügen und Laster, die nämlich nicht dafür erkannt werden, noch seyn wollen; hierinn besteht der Heldengeist eines Weltweisen.118
117 Immanuel Kant, Versuch über die Krankheiten des Kopfes, in: ders., Werke in zehn Bänden, Band 2, 896. 118 SD/AN 21, 32–23, 10.
VIII. Krankheit als Katapher. Briefliche Nosologie bei Johann Georg Hamann Sie machen mich beben, wenn Sie mir von Ihren Krankheiten reden. (Friedrich der Große an Voltaire)
I.
Einleitung
Von Hegel in seiner Rezension von Hamanns Schriften bis hin zu Kurt Christ in seiner Porträtskizze nach hypochondrischen Briefen von 1988 erstreckt sich die Galerie der Leser, die sich über den hohen Grad der Mißachtung der sozialen Grundregel der Dezenz verwundern, welche sich in Hamanns Schriften und insbesondere in seinen Briefen findet, und die Bedauern für seine Briefpartner zeigen, welche gezwungen waren, diese unappetitlichen Auslassungen zu lesen. Dies ist nicht unverständlich, resultiert aber aus einer unterschiedlichen Interpretation des Konzeptes Vertraulichkeit, welches Hamann viel weiter auslegt als seine späteren Leser. Wenn er in einem Brief an Johann August Eberhardt freundlich-treuherzig ankündigt: „Erlauben Sie mir, HöchstzuEhrender Herr Sie mit einer ähnlichen Freymütigkeit in meine häuslichen Kleinigkeiten blicken zu lassen“, da hier, in der Häuslichkeit des Herdes, mit Heraklit auch Götter seien1, dann beinhaltet dies eben als Ausdruck des Individuellen nicht nur Idyllisches und Anheimelndes, sondern auch und gerade auch dies Indezente und Degoutante. Hamann selbst zeigt sich, was die Aufnahme seiner vertraulichen Berichte betrifft, optimistisch. An Moses Mendelssohn schreibt er : „Ich besorge nicht, liebster Freund, daß Ihnen dieser vertrauliche Ton eckel und beschwerlich seyn wird, in dem ich mich über meine kleine Angelegenheiten gegen Sie ausgeschüttet.“2 Die kleinen Angelegenheiten haben es in sich. Insbesondere der Dysfunktionalität von Hamanns Körper ist breiter Raum in seinen Schriften gewidmet. Derjenige Autor, der diesem Komplex in Hamanns Autorschaft den breitesten Raum gewidmet hat, H. A. Salmony, schreibt hierzu: „Es wäre ein endloses Unternehmen, wollte man aus Hamanns Briefen die Klagen, Schilderungen, Berichte über seinen Gesundheitszustand, über seine Krankheiten, über echte 1 Vgl. ZH III, 7, 17–19. 2 Hamann an Mendelssohn vom 13. September 1770 (ZH III, 5, 9–11).
234
Krankheit als Katapher
und eingebildete körperliche Leiden, über Rezepte und Medikamente zusammenstellen. Von den frühen Briefen bis hin zu den letzten reißen die Berichte über eine Fülle verschiedener Krankheiten und über Quacksalberei am eigenen Körper nicht ab; die Briefe sind in ihrer Gesamtheit ein quälendes Zeugnis lebenslanger unablässiger Selbstbeobachtung.“3 Die ausführliche Deskription von Krankheitsbildern ist dabei nicht nur aufsässig abstoßend, sondern scheint auch bei dem nach Oswald Bayer „aus der Wurzel seiner Existenz heraus auf Kommunikation“4 bedachten Hamann kommunikativ kontraproduktiv zu sein, denn noch heute gilt im gesellschaftlichen Verkehr die Vorgabe, seinen Gesprächspartner nicht mit der eingehenden Darstellung der eigenen Krankheitsgeschichte zu behelligen, und zwar nicht so sehr, weil es diesen abstoßen, sondern vielmehr, weil es diesen als Nichtbetroffenen langweilen könnte und selbst ein erhofftes Mitleiden unmöglich macht. Hamann jedoch macht sich beider Vergehen gegen die kommunikative Vernunft schuldig. Nichtsdestoweniger sind die durch Länge wie auch durch Intensität quälenden Schilderungen von Krankheit Teil eines bestimmten Kommunikationsprozesses, der Hamanns Autorschaft insgesamt ausmacht.
II.
Der kommunizierende Hypochonder
Grundsätzlich ist eine gewisse Neigung der Zeit Hamanns zum eingehenden Krankheitsbericht, sei es im persönlichen Gespräch, sei es in brieflicher Kommunikation, nicht zu unterschätzen. Dies gilt insbesondere auch für die intellektuelle Elite in Hamanns unmittelbaren und mittelbaren Gesichtskreis. Glaubt man seinen frühen Biographen, so scheint sich etwa Kant gerne über Gesundheitstipps mit anderen ausgetauscht5, sich leidenschaftlich gerne aber zudem über Fragen ge- und besonders mißlingender Verdauung unterhalten und beratschlagt zu haben, viel weniger bereitwillig jedoch über hochgeistige und philosophische Themen.6 Wenn man mit Kant in kommunikativen Kontakt 3 H. A. Salmony : Johann Georg Hamanns metakritische Philosophie, 121/122. 4 Oswald Bayer: Einführung, in: Insel Almanach auf das Jahr 1988. Hamann, hrsg. von Oswald Bayer, Bernhard Gajek, Josef Simon, Frankfurt 1987, 15. 5 Vgl. Ludwig Ernst Borowski, Darstellung des Lebens und Charakters Immanuel Kants, in: Immanuel Kant. Sein Leben in Darstellungen von Zeitgenossen. Die Biographien von L.E. Borowski, R.B. Jachmann und A.Ch. Wasianski, hrsg. von Felix Groß, Berlin 1912 (Nachdruck Darmstadt 1968), 53. 6 „Ungeachtet des schwächlichen Körpers war Kant in seinem ganzen langen Leben nie krank gewesen. Die beschwerliche Absonderung und der daraus entstehende Druck der Blähungen auf den Magenmund war das einzige Übel, worüber er sich zu beschweren hatte […] Obgleich Kant nie seinen Geist zum Gegenstande seines Gespräches wählte und auch jedes Gespräch darüber absichtlich vermied, so sprach er desto mehr von seinem Körper. Er rezensierte sehr
Der kommunizierende Hypochonder
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treten wollte, sprach man am Besten über scheiternde Verdauung, nicht aber über Kritik.7 Hamann selbst hat dies sehr wohl gewußt und spricht brieflich über gemeinsame ,Experimente a posteriori‘, die aber zumeist scheitern.8 Unablässige Selbstbeobachtung mit Perspektive auf die Körperfunktionen scheint jedenfalls nicht allein Hamanns Privileg zu sein. Kants Biograph Jachmann schreibt über ihn: „Es hat vielleicht nie ein Mensch gelebt, der eine genauere Aufmerksamkeit auf seinen Körper und auf alles, was diesen betrifft, angewandt hat als Kant“, hält es aber für nötig, sofort beschwichtigend zu erklären: „aber höchst merkwürdig ist es, daß zu dieser genauen Aufmerksamkeit ihn nicht hypochondrische Grillen, sondern vernünftige Gründe bewogen.“9 Am Umgang mit Verdauung manifestiert sich die Vernunft. Dies zeigt sich mit Blick auf Vergangenheit wie Zukunft sehr deutlich. Bekanntlich war ein weiterer oft von Hamann bedachter Zeitgenosse, Voltaire nämlich, vernünftigerweise bereit, den gesamten eigenen Nachruhm für eine ihm offenbar nicht selbstverständlich gelingende Verdauung nach einem guten Essen jetzt und hier herzugeben. Und auch in früherer Zeit nennt der wohl beste Arzt unter den Philosophen, Moses Maimonides, selbst ein Vertreter rationalen Philosophierens, als wichtigste Lehre der Heilkunst die gelingende Verdauung: „Man sorge stets dafür, daß man, wenn nicht ein wenig Diarrhoe, doch offenen Leib habe. Es ist dies eine Hauptregel der Heilkunst. Wenn der Stuhlgang ganz fehlt, oder nur mit Mühe erfolgt, sind schwere Krankheiten im Anzuge.“10 Nach Nadler hat Hamann „zu der großen Brüderschaft der Königberger Hypochonder gehört und konnte mit Kant um die Ehre wetteifern, dieser Brüderschaft vorzustehen.“11 Zudem drang er mit den Jahren „in den inneren Kreis
7 8
9 10 11
oft seine körperliche Beschaffenheit, er teilte seinen Freunden jedes körperliche Gefühl und jede Veränderung mit, die sich mit seinem Körper zutrug. Besonders sprach er ganz gewöhnlich über das Übel, welches ihn öfters drückte und auf seinen Kopf so viel Einfluß hatte. Er brachte dabei sehr viele gelehrte und scharfsinnige Erklärungen an und pflegte bei der Gelegenheit darüber zu scherzen, daß man in unseren Zeiten, selbst in großen Gesellschaften, dergleichen Gespräche über natürliche Angelegenheiten, z. B. Hämorrhoiden, nicht mehr für unschicklich halte, da man sich ehemals als ein Geheimnis ins Ohr geraunt, daß jemand die güldene Ader habe.“ (Reinhold Bernhard Jachmann, Immanuel Kant geschildert in Briefen an einen Freund, in: Groß (Hg.), Immanuel Kant, 186/187). Vgl. Borowski 55. „Wollte heute wieder einen Versuch machen mit einem Experiment / posteriori. Es ist mir aber unmöglich und Kant geht es ebenso. Ich habe gestern den Anfang gemacht mit dem destillierten Wasser der Pfeffermintze, das mir gutschmeckt, wie alles.“ Brief Johann Georg Hamanns an Heinrich Schenk vom 16. Juli 1786 (ZH VI, 478, 10–13). Jachmann: Kant geschildert in Briefen, 194. Moses Maimonides: Das Buch der Erkenntnis, hrsg. von Eveline Goodman-Thau und Christoph Schulte, Berlin 1994, 169. Josef Nadler : Johann Georg Hamann 1730–1788. Der Zeuge des Corpus mysticum, Salzburg 1949, 181.
236
Krankheit als Katapher
derer ein, die das Zipperlein gezeichnet und ausgezeichnet hat.“12 Hypochondrie war also nicht nur ein persönliches, sondern auch ein gesellschaftliches Unternehmen. Die überwundene Hypochondrie galt zu Kants und Hamanns Lebzeiten als „Zeichen eines gehobenen geistigen Status.“13 Doch meint die Nachwelt einen gravierenden Unterschied konstatieren zu können. Denn bei aller Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper übersteigen bei Kant die brieflichen Mitteilungen „doch nicht das Maß dessen, was normalerweise in einer Korrespondenz an Sorge für die eigene Gesundheit, für Diät zum Ausdruck kommen kann. In ihrem jeweiligen Zusammenhang erscheinen sie als begreifliche Bekundungen einer vernünftigen Haltung zur Leiblichkeit.“14 Angesichts seiner Leiblichkeit ist Kants Nosophobie vernünftig. So meint jedenfalls optimistisch Salmony, ein Brief Hamanns an Herder vom 18. April 1783 weist jedoch auf ein anderes Verhalten Kants hin: Ich besuchte heute unsern Kant, der ein sehr sorgfältiger Beobachter seiner Evacuationen ist, und diese Materie ungemein und oft am sehr unrechten Orte widerkaut, daß man öfters in Versuchung komt ihm ins Gesicht zu lachen. Beynahe wäre es mir heute auch so gegangen; ich versichert ihm daß mit die kleinste mündl. und schriftl. Evacuation eben so viel zu schaffen machte, als die seinigen a posteriori.15
Gesetzt den Fall, daß die frühen Biographen in Sachen des hypochondrischen Verhaltens Kants16 nicht maßlos übertrieben haben, so manifestieren sich in Königsberg zu Hamanns Lebzeiten zwei Arten des Umgangs mit Krankheit in Tat und Schrift. Es gibt einerseits eine (nachahmenswürdige) vernünftige oder von Vernunft geleitete Selbstbeobachtung in der Person Kants und andererseits die ins Krankhafte gesteigerte Selbstbeobachtung, die Hypochondrie im pathologischen Sinne. Diese Umgangsweisen stehen zudem noch in Person Ha12 13 14 15 16
Nadler, Hamann, 181. Esther Fischer-Homberger : Hypochondrie, Bern/Stuttgart 1970, 41. Salmony : Hamanns metakritische Philosophie, 122. ZH V, 36, 1–6. Für eine moderne Hypochondriediagnose und -erläuterung bei Kant vgl. Hartmut Böhme/ Gernot Böhme: Das Andere der Vernunft, 119: „Die Konzentration des männlichen Leibes, der durch strenge Moralität und Durchrationalisierung der Handlungsfelder repulsiv abgegrenzt ist gegen erweichende Sympathien und attraktive Atmosphären, straft sich durch Empfindungslosigkeit der angespannten Nerven. Im Inneren des männlichen Körperpanzers wachsen unvermutet und regellos Reizbündel auf, phantastische Grillen, illusionäre Organempfindungen, peinliche Selbstaffektationen. Sie sind Konversionen überspannter Selbstkontrolle-: das ist Hypochondrie. […] In den medizinischen Theorien wird durchschnittlich ein Heranrücken des hysterischen oder hypochondrischen Leibes an die Natur als Therapie empfohlen, um durch jeweils polar entgegengesetzte Reize die Homotonie des Körpers und damit zugleich ein moralisch gesundes Maß des Subjektes wiederzugewinnen. Anders dagegen Kant: er kennt nur das Rezept, durch rituelle Moralisierung den Weg der Affektbeherrschung, Phantasiekontrolle und Verdrängung des Leibes zu Ende zu gehen.“ Zu Kants eigener Hypochondrie vgl. ebd., 389–397.
Der kommunizierende Hypochonder
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manns und Kants in direktem Kontakt. Der eigener Auskunft nach in diesem zweiten Sinne sehr wohl hypochondrische und grillenhafte Hamann scheint zum einen diese vernünftige Neigung der Selbstbeobachtung und zum anderen die kommunikativen Instrumentalisierung von eigenen Körperzuständen ins Groteske und ihr Gegenteil zu übersteigern. Er mutet den Empfängern seiner Briefe über die vernünftige Selbstbeobachtung und Selbstmitteilung hinaus und nicht ohne ein gewisses diebisches Vergnügen einiges mehr zu. So beglückt er Jacobi nicht nur mit der Beschreibung, sondern mit einem konkreten materialen Beweis seiner körperlichen Gebrechen: „Verzeihen Sie, daß Sie Beylage mit einem Macul meiner triefenden Nase zurück erhalten, auf deren Ausflüße ich nicht Zeit hatte Acht zu geben. Es ist alles gut gemeynt, und weiter geht die Freundschaft nicht.“17 Obwohl Jacobi nicht nur den Worten Hamanns, sondern auch dem Brief in seiner Materialität selbst heilende Wirkung zuschrieb (seine Zahnschmerzen wurden durch einen Brief Hamanns wunderbarerweise geheilt und er in die Lage versetzt, wieder Nahrung zu sich nehmen zu können18), darf man sich doch ziemlich sicher sein, daß er das nun nicht unbedingt wissen wollte. Hamann übertreibt also eine gängige und sozial akzeptierte Praxis vernünftiger Selbstbeobachtung und Mitteilung. Denkt man jedoch an seine Position zum Anspruch der Vernunft auf Begründungsfähigkeit für das menschliche Leben, so scheint seine Praxis schon weniger unmotiviert in ihrer Pertinenz und Penetranz zu sein. Für ihn gilt, wie er an Jacobi schreibt, folgendes: „Ich kann nicht anders als unter so groben Bildern davon reden.“19 Die Übertreibung wird so zur sprachlichen Über-windung, in der das krankhafte Sprechen von der Krankheit diese aufs äußerste potenziert. Wovon redet Hamann also in diesen möglichst groben Bildern? Aus der Feder von Kurt Christ stammt folgende Diagnose der hauptsächlichen Krankheit Hamanns, der pathologische Befund: Sie „besteht […] in einem durch Strangurie verursachten Nervenleiden der Hypochondrie, das Nervenanfälle, Launen, Anwandlungen hervorruft, insofern die vegetative, nicht beeinflußbare Peristaltik des Magens und der Gedärme das übrige Nervensystem in Phasen der Verstopfung beinahe paralysiert, es aber ebenso heftig in entgegengesetzte 17 Brief Hamann an Jacobi vom 18. Februar 1786 (ZH VI, 275, 21–23). 18 „Ich lag gestern in meinem großen Lehnstuhl gedrückt mit starken Zahnschmerzen, als der Bediente zum zweyten Mahl v der Post kam u Deinen Brief in der Hand hatte. Er kam mir gleich so schön dick entgegen dieser sehnlich erwartete Brief. Ich erbrach ihn im Zweifel, ob ich ihn unter meinen Schmerzen würde lesen können. Ich fieng an, las eine Seite, u noch eine, u wieder eine, bis zur letzten. Da sah ich mich nach meinen Zahnschmerzen um, die waren weg. Und siehe da, ich stand auf, u gieng zu Tische.“ Brief Jacobi an Hamann vom 20. November 1786 (ZH VII, 68, 22–28). 19 ZH VI, 372, 7.
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Krankheit als Katapher
Richtung beflügelt und in höchste Irritation versetzt, sobald die ewig erforderlichen Kämpfschen Klistiere ihre befreiende Wirkung in immer auftretenden Diarrhöen zeitigen.“20 Diese Krankheit führt zu einer Überentwicklung der Einbildungskraft, insbesondere in der Beobachtung des eigenen Körpers.21 Dies bedeutet also, daß im Falle Hamanns ein Prozeß des Sichaufsteigerns von Krankheit und auf Krankheit bezogener Einbildungskraft stattfindet. Diese hypochondrische Spirale führt laut Christ dazu, daß Hamann sich in zunehmenden Maße gerade in seiner Korrespondenz mit sich selbst beschäftigt, wobei er sich ,der unmittelbaren Konnexion zwischen der Nerventätigkeit des Leibes und der des Hirns‘22 völlig gewiß ist. Hamann erkennt also die psychosomatische Korrespondenz von Leiblichkeit und Denken aus eigener Erfahrung. Die eigene Verstopfung mit ,Schleim, Morast und Cruditäten‘23 begründet die eigene Unfähigkeit zu denken so weitgehend, daß geistige und körperliche Produktion in Entsprechung zueinander stehen. Doch blickt man auf die sprachliche Form der hypochondrischen Selbstbeschreibung, so scheint das extensive und obsessive Verweilen bei seinen mißlichen körperlichen Zuständen schon mehr zu sein als die Äußerungen eines hoffnungslos hypochondrischen Charakters. Sie sind vielmehr in der jeweiligen biographischen Situation bewußt eingesetzte Autorhandlungen.24 Weder unsere Seeligkeit noch die Seligkeit anderer beruht auf unserem Thun und auf die Behutsamkeiten desjenigen, das wir thun; sondern diese Aufmerksamkeit auf uns selbst und auf die Lehre des Evangelii ist ein herrlich und das einzige Mittel, uns im seeligmachenden Glauben zu erhalten und andere zur Annehmung desselben aufzumuntern.25
Es ist an dieser Stelle nicht angestrebt, Diagnose und Analyse von Christ zu reinszenieren, sondern es soll die sprachliche Struktur gekennzeichnet werden, mit der Hamann durch die Krankheitsbriefe sein philosophisch-theologisches Ziel zu erreichen sucht. Mindestens vier Ebenen und entsprechende Fragestellungen sind also bei Hamanns Beschreibungen seiner Krankheit zu unterscheiden: zunächst die Frage nach der ,tatsächlichen Krankheit‘, dann die Frage nach der Krankheit als Kommunikationselement (im alltäglichen und briefli20 Kurt Christ: Johann Georg Hamann (1730–1788). Eine Porträtskizze nach hypochondrischen Briefen, 249. 21 Christ, Hamann, 234. 22 Christ, Hamann, 249. 23 ZH VI, 371, 35. 24 „Der Magus war sich dessen wohl bewußt, wie sehr sein ,leibhaftes‘ Philosophieren sowohl für die rationalistische Theologie als auch für die kritische Philosophie seiner Zeit als Herausforderung galt.“ (Eva Kocziszky : Hamanns Kritik der Moderne, Freiburg/ München 2003, 105/106). 25 BW 300, 24–31.
Wider die Krankheit als Metapher
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chen Gespräch), drittens die philosophische Deutung und Bedeutung von Krankheit und viertens die sprachlich-stilistische Funktion der Krankheit in Hamanns Autorschaft.
III.
Wider die Krankheit als Metapher
Durch Christ und Salmony ist man hinsichtlich der Art von Hamanns Krankheit und dem häufigen kommunikativen Einsatz derselben in den Schriften hinreichend informiert. Im Folgenden möchte ich das Hauptgewicht der Überlegungen auf die letzten beiden Fragestellungen legen. Zu diesem Zwecke ist ein Positionsvergleich mit späteren Ideen aufschlußreich. Selbstverständlich spielt der Titel dieses Aufsatzes auf die wohl bekannteste Schrift Susan Sontags Illness as Metaphor (1978) an. Es soll jedoch nicht Hamanns Be-schreibung von Krankheit als Fall der von Sontag analysierten Metaphorisierung der Krankheit dargestellt werden. Vielmehr läßt sich gerade in der Gegenüberstellung mit dem Konzept der ,Krankheit als Metapher‘, welche von Sontag in ihrem Essay analysiert wird, die spezifische Stoßrichtung von Hamanns deskriptiver Auseinandersetzung mit (seiner) Krankheit herausstellen. Für Hamann wie auch für Susan Sontag gilt dabei: entscheidend ist der sprachliche Umgang mit Krankheit, d. h. welche Funktion der Krankheit in ihrer und durch ihre Beschreibung zuerkannt wird. Sontag plädiert für eine entschlossene sprachliche Entdämonisierung von Krankheit, die sich darin manifestiert, daß es dem Individuum nach einer eingehenden Selbstaufklärung gelingt „sich so weit wie möglich vom metaphorischen Denken zu lösen“.26 Diese Entmythologisierung durch Entmetaphorisierung geht in zwei Richtungen, und zwar ebenso gegen die Apologie der Tuberkulose, wie auch gegen die Verteufelung der Krebserkrankung. Der transzendierende Gebrauch von Krankheit soll überhaupt sprachlich unmöglich werden. TBC ist weder Zeichen für Vergeistigung noch Krebs Zeichen von Verworfenheit.27 Sontag benutzt hierzu ein für unseren Zusammenhang besonders signifikantes Beispiel aus Hamanns nächster Umgebung. Einer solchen Metaphorisierung der Krankheit, die eminente praktische Folgen zeitigt, macht sich 26 Susan Sontag: Krankheit als Metapher. Aids und seine Metaphern, Frankfurt 2005, 9. 27 Auch Hamann selbst ist am Anfang von diesem Gebrauch der Krankheit nicht frei: „So wie die Krankheit uns.[eres] Leibes d[as] Verderben uns.[erer] Seele ausdrückt; so ist der gefallene Mensch ein Sinnbild des gefallenen Engels und sein Fall eine Folge in der Natur vom Fall des letzteren.“ (BW 173, 28–31). Zu bemerken ist jedoch, daß diese metaphorische Verwendung der Krankheit nicht einem bestimmten Individuum einen moralischen Vorwurf macht, sondern für alle Menschen qua Menschen gilt, und so ebenso ein heilsames Zeichen der conditio humana sein kann.
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Krankheit als Katapher
nämlich etwa Immanuel Kant schuldig, wenn er im Paragraph 78 seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht schreibt: „Leidenschaften sind Krebsschäden für die reine praktische Vernunft und mehrenteils unheilbar ; weil der Kranke nicht will geheilt sein und sich der Herrschaft des Grundsatzes entzieht, durch den dies geschehen könnte.“28 Leidenschaften werden hier metaphorisch pathologisiert und hierdurch das entsprechende Verhalten der Menschen. Krankheit ist also Metapher für eine geistige Verfehlung des Widerstandes gegen die Herrschaft des Grundsatzes. Als Krebsschäden korrumpieren die Leidenschaften die reine praktische Vernunft und sind als unheilbar nur durch eine Radikalkur – oftmals gegen den Willen des Patienten – zu beseitigen.29 Doch weit davon entfernt, in dieser Weise für den Anspruch reiner Vernunft instrumentalisierbar zu sein, ist gerade diese Krankheit Anzeige für etwas Anderes: „Krebs als Krankheit, die sich überall verbreiten kann, ist eine Erkrankung des Körpers. Weit davon entfernt, irgend etwas Geistiges zu enthüllen, enthüllt sie, daß der Körper, so betrüblich das sein mag, nur Körper ist.“30 Gerade diese Krankheit macht in ihrer radikalen Körperlichkeit im Unterschied zur Tuberkulose, die gerne als Zeichen besonderer Vergeistigung gesehen wird, deutlich, daß Krankheit gesehen werden muß als eine umwerfende Erfahrung des Offensichtlichen, der menschlichen Körperlichkeit, die die Flucht in den reinen Geist radikal unterbindet. In diesem Sinne ist die Krankheit eine dekuvrierende Tabuverletzung und wird als obszön, d. h. abscheulich und sinnlich abstoßend empfunden.31 Zudem wird Krebs mit dem Entstehen von Tumoren als eine ,dämonische Schwangerschaft‘32 beschrieben, und entsprechend sind die 28 Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: ders., Werke in zehn Bänden. Band 10 Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, 600. Vgl. Hamanns „Zweifel und Einfälle über eine vermischte Nachricht (N III, 193, 28–33): […] so läßt sich doch ein eben so gemeinschaftliches Intereße bald absehen, den Krebs einer Philosophie, welche leider! die Vernunft und Sittlichkeit der großen Welt mehr als zu sehr angesteckt, auch unter dem gemeinen Volk auszubreiten und selbiges durch ein Geschwätz los zu machen, nach der Weise Aarons, der durch den güldenen Kälberdienst das Volk fein wollte anrichten […]“ Hier findet eine signifikante Umdeutung statt: nicht der Krebs dient als Metapher für etwas, sondern die Philosophie als Metapher für Krebs. In Golgatha und Scheblimini heißt es: „Wie den Kindern die Würmer, gehen den seuchtigen Buchstabenmenschen die Gesetze ab, welche auch die güldene Ader und Nymphe Egerie mancher philosophischer Regierung sind.“ (HH VII 74– 75). 29 Dieses Bild ist jedoch zu einfach: „Auch der virulente Gebrauch der Krankheit zur Simplifizierung von komplexen Situationen, wie man sie immer wieder in den politischen Diskursen findet […] konfrontiert die Krebspatienten täglich mit der Vorstellung eines unbesiegbaren Bösen, die kaum hilfreich für einen aktiven Kampf gegen die Krankheit sei.“ (Daniel Schreiber : Susan Sontag. Geist und Glamour, Berlin 2007, 178). 30 Sontag, Krankheit als Metapher, 20. 31 Vgl. Sontag, Krankheit als Metapher, 12. 32 Sontag, Krankheit als Metapher, 16.
Der Kranke als Weiser – Krankheit als Weisung
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krebsartigen Leidenschaften nach Kant „Gemütsstimmungen, die mit viel Übeln schwanger gehen“ und auch „ohne Ausnahme böse“ und „moralisch verwerflich“.33 Krebs ist hier bei Kant Metapher oder Zeichen moralischer Verderbtheit. Im übertriebenen Sprechen über die Krankheit nimmt Hamann ihr, wie von Susan Sontag gefordert, den Übertragungscharakter. Krankheit weist nicht mehr über sich hinaus, sondern nur auf sich selbst als verstörendes und aufrüttelndes körperliches Ereignis, dem ein spezifischer Ernst eignet. In ihrem späteren Essay Aids und seine Metaphern äußert sich Susan Sontag über ihre Absicht gegenüber Krebspatienten: „[…] sie sollten Krebs einfach als Krankheit betrachten lernen – eine ernste Krankheit, aber eben eine Krankheit, weder Fluch noch Strafe noch Peinlichkeit. Eine Krankheit ohne ,Bedeutung‘.“34 Und dies geschah aus folgendem Grund: „Ich hatte nämlich die schmerzliche Beobachtung gemacht, daß die metaphorischen Verbrämungen der Krebserkrankung sehr reale Konsequenzen haben […]“.35 Diese Konsequenzen bestehen in einem Fatalismus der Denkungsart, der den Kranken daran hindert, Maßnahmen zu seiner körperlichen Gesundung zu ergreifen. Die Krankheit als Metapher zu verwenden ist eine Denunziation der Körperlichkeit und so eine Flucht vor der Wirklichkeit, entweder in ein vergeistigtes Himmelreich oder aber in ein Fegefeuer, was beides dasjenige verdeckt, wofür die Krankheit steht.
IV.
Der Kranke als Weiser – Krankheit als Weisung
Hamann empfindet sich von Krankheit in ganz spezifischer Weise gezeichnet. In seinen Gedanken über meinen Lebenslauf beschreibt er für seine Jugendzeit nur eine nennenswerte Krankheit als ,Heimsuchung Gottes‘, die allerdings sichtbare bezeichnende Folgen hat: Ich trage ein Zeichen von meiner Genesung an diesem Aussatz an meinem kahlen Haupte, wo die Haare nach dem Rand, worinn der Hut dasselbe einschlüst, völlig ausgefall[en] sind. Sie scheuern aus v die Wurzeln derselb[en] waren voll Eiters, der Gestank unerträgl. […] Während derselben habe ich große Anfälle von Schwindel und Schwachheit des Hauptes gelitt[en], von den[en] ich Gott lob! in der Fremde fast nichts mehr empfunden.36
Kann die wohltätige Zeichnung durch diese Krankheit noch konventionell als zu akzeptierende Heimsuchung gelesen werden, gehen die folgenden Krankheitsschilderungen einen wichtigen Schritt weiter. Auch auf dem Krankenlager sind 33 34 35 36
Kant, Anthropologie, 601. Sontag, Krankheit als Metapher, 86. Sontag, Krankheit als Metapher, 86. BW 319/320, 38–10.
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Krankheit als Katapher
Götter. Nicht metaphorisch, sondern ganz konkret zeitigt die Krankheit positive Wirkungen. An seine Eltern schreibt Hamann am 17. März 1756: Der betrübten Nachrichten von Ihrer beyderseitigen Unpäßlichkeit habe auch auf dem Bette zu lesen bekommen, und muß selbige noch daselbst beantworten, wiewohl in der guten Hoffnung selbiges mit Gottes Hülfe ehstens verlassen zu können. Diese Krankheit wird mir gute Dienste thun und die Stelle einer Frühlingskur vertreten können.37
Wohltätige Krankheiten treten immer häufiger auf. In einem Brief an Herder vom 14. Oktober 1776 beschreibt Hamann seine Erkrankung an einem ,Flußfieber‘ als Element einer ,Entscheidung der Vorsehung‘ hinsichtlich des geplanten aber nicht gewollten Verkaufs eines Teils seiner Bibliothek auf einer Auktion. Über die Krankheit selbst heißt es Zugl. meine gegenwärtige, in allem Betracht wohltätige, heilsame und wunderbare Krankheit. […] Gemeine Leute nennen es das Reckfiber. Mein viertägiges war am Anfange von eben so wenig Kälte, die niemals recht zum Schaudern gekommen ist, und die Hitze verwandelt sich gleich in Schlaf u Ruhe ohne sonderl. Durst. […] Wenig Durst, einen Wohlgeschmack am Essen und eine Wollust daran, doch ohne Gefräßigkeit hab ich in meinem ganzen Leben nicht gehabt als seit dem Ausbruch des Fiebers. Mein Kopf ist Gottlob heiter, mein Gemüth leicht gewesen; die Hitze kam immer gegen den Abend u gab mir den sanftesten Schlaf u die ruhigsten Nächte, die ich auch noch genieße…38
Paradoxerweise befindet sich Hamann oftmals krank wohler als gesund, was in diesem Fall sowohl an dem glücklichen Umstand liegt, dass sich die Krankheit ,just im Termin der Auktion‘39 ereignet, als auch daran, daß die Krankheit die Gebrechen der Gesundheit, lustlose Unersättlichkeit und folgende schwere Verdauungsprobleme und Schlafstörungen heilt. In diesem Sinne ist die 37 ZH I, 165, 3–7. 38 ZH III, 255, 31–256, 13. Über eine entsprechende Krankheit mit positiven Wirkungen für das Gesamtbefinden berichtet Hamann in einem Brief an Herder vom 8. Dezember 1783 (ZH V, 106, 20–25): „Kommen Ihre Kreutzschmerzen von Verkältung oder Bewegungen der güldenen Ader her? Mein letzter Anfall der Gicht schien mir eine woltätige Wirkung der bittersüßen Stengel zu sein; bestand in einem bloßen Schmerz, der im Liegen und bey einer ruhigen Wärme sehr erträglich war, ohne alle Symptome. Appetit und Schlaf litten fast gar nicht dabey – Ich habe also wenig gelitten und mich desto mehr gepflegt.“ 39 Entsprechend beschreibt Hamann die Krankheit in seinem Brief an Friedrich Nikolai vom 22. Dezember 1776 (ZH III, 275, 11–19): „Nach einer Quarantaine von 15 runden Wochen hab ich heute meinen Kirchengang halten können. – Außer mancherley speculativischen Bedenklichkeiten und zum theil practischen Schwierigkeiten den Verkauf meines Büchervorraths wirklich auszuführen ereigneten sich zwey entscheidende Vorfälle, welche auch den eigensinnigsten guten Willen zu vereiteln im stande sind. Das erste war […] der Deus ex machina einer Krankheit, die anfänglich ein nichts bedeutendes Flußfieber zu seyn […], in ein Gallenfieber überzugehen schien, aber sich bald zu einem förml. Quartan-Fieber erklärte, just im Termin der Auction.“
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Krankheit im Sinne Richard Kochs die Äußerung einer Heilreaktion40, eine Eukatastrophe. Eine solche wohltätige Krankheit kann nur als wunderbar bezeichnet werden. Diese Paradoxie übersteigt die vernünftige Selbstbeobachtung. Es mag hierbei mithin nicht zwingend um die Vermeidung von Krankheit gehen. In der Tat sind Hamanns Krankheitsbriefe durchaus Teil seines meta-kritischen Projekts. Ein beredtes Beispiel hierfür ist der lange Brief an Friedrich Heinrich Jacobi, verfaßt im Zeitraum vom 4. bis zum 10. März 1788, wo Hamann seine Krankengeschichte mittels diverser biblischer Formulare41 zu einer Anzeige der eigentlichen Situation des Menschen gegenüber den Höhenflügen einer sich autark glaubenden Vernunft macht und somit zu einer Palingenese werden läßt. Nunmehr verfügt Hamann auch über die besondere Technik der Geschichtsschreiber, deren Fehlen er in den Sokratischen Denkwürdigkeiten beklagt hatte: Jetzt fehlt es mir an dem Geheimnisse der Palingenesie, das unsere Geschichtsschreiber in ihrer Gewalt haben, aus der Asche jedes gegebenen Menschen und gemeinen Wesens eine geistige Gestalt heraus zu ziehen, die man einen Charakter oder ein historisch Gemälde nennt.42
Der Brief zeigt, welche charakteristische Gestalt aus der eigenen gemeinen Asche Hamann als Palingenese zu ziehen in der Lage ist. Das briefliche Besprechen der Krankheit richtet sich gegen das indignierte Schweigen der Vernunft über die ihr nach Hamann notwendig zugrunde liegende Körperlichkeit, genauer : eine Körperlichkeit, die nach Hamann sich gerade durch ihre Anfälligkeit und das Bewußtsein hiervon gegenüber dem reinen, sich erhaben inszenierenden Denken auszeichnet. Hamann geht somit einen Schritt weiter (oder tiefer) als die griechischen Apologeten des schönen Körpers und radikalisiert den philosophisch relevanten Körper zum kranken Körper. Somit vertritt er im Gegensatz zu einer Kalokagathie eine Pathokagathie. Ort dieser philosophischen Radikalisierung ist die Sprache des Briefes. Es lohnt sich also ein Blick auf die Art und Weise wie Hamann von seinen Krankheiten schreibt. Im genannten Brief an Jacobi gibt Hamann einen detaillierten und sprachlich eindrücklichen Bericht, respektive ein charakteristisches historisches Gemälde von seinen diversen Gebrechen. Dieser Bericht ist jedoch in bestimmter Weise geordnet und in gewohnt centonischer Weise zum Ausdruck gebracht. Das Thema ist die in spezifischer Weise erzählte Geschichte 40 Vgl. Richard Koch: Ärztliches Denken. Abhandlungen über die philosophischen Grundlagen der Medizin, München 1923, 2–23. 41 Vgl. hierzu Knut Martin Stünkel: Biblisches Formular und soziologische Wirklichkeit. Elemente einer Hamannschen Soziologie, in: Manfred Beetz (Hg.): Johann Georg Hamann. Religion und Gesellschaft, Berlin/Boston 2012, 72–94. 42 SD/AN 59.
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eines „schleimichten Faulfiebers“43, also eine Narration, die eigens gestaltet wurde. Die Form der Erzählung ist sorgsam gewählt und wirkt dadurch, daß sie Assoziationen zu bekannten biblischen Erweckungsgeschichten weckt, die sich um den bekannten ,schmalen Pfad‘44 zum Heil drehen. Hamann beginnt seinen Brief wie folgt: Lieber Fritz Jonathan! Heute ist es ein rundes Vierteljahr, daß ich in dieser feuchten und morastigen Burg residiere, nicht wie Du sie schiltst, sondern wie in einem luftigen Gefilde und fruchtbaren Thal, wo ich meine Palingenesie und bkojkgqiam Act. III. 16 meines Heils, statt des Frühlings erwarte. Gottlob! daß der terminus fatalis des 9. Martii bis zum April verlängert worden! Etiam hoc erat in votis – Ich stehe heute wieder zum ersten mal auf nach einem schweren beynahe viertägigen Lager.45
Der Tag des Briefschreibens ist der Tag des Gedenkens und Auf(er)stehens. Das Feuchte und Morastige – entsprechend beschreibt er seine Verstopfungszustände – ist Hamann zu luftigem Gefilde und blühendem Tale, einer ,wohltätigen und heilsamen Wüste‘46, wie es später im Brief heißt, geworden, das gesundheitlich scheinbar Unzuträgliche zum eigentlich Heilsamen. Nicht zufällig erscheint an dieser Stelle auch wieder das im Munde Hamanns in Sachen Dezenz beunruhigende Motto von Heraklit: „Auch hier wohnen die Götter sagte jener Philosoph von seiner Küche.“47 Es ist also hinsichtlich der Zumutung von Indezenz wieder einiges zu befürchten. Die Krankengeschichte – mit übrigens wieder viertägigem Krankenlager – wird, dies zeigt das biblische Formular Apostelgeschichte 3, 16 im Kontext der Heilung des Lahmen durch Petrus und Johannes, zu einem philosophischen Heilsweg unter Benutzung biblischer Themen und Motive. Der Bibelvers bildet das Leitmotiv der Erzählung. Es heißt im Text: „Und durch den Glauben an seinen Namen hat diesen hier, den ihr sehet und kennet, sein Name stark gemacht; und der Glaube, der durch ihn gewirkt ist, hat diesem gegeben diese Gesundheit vor euer aller Augen.“ Dies ist das Wunderbare der Krankheit. Es geht um nicht weniger als die Wiedergeburt der Seele (Palingenese) und die Unversehrtheit (Holokleria) des Heils des Kranken, welches öffentlich zu verbreiten ist. Dies ist auch, so macht die Horaz- Sentenz deutlich, Hamanns Sehnsucht Wunsch. Am 6. März setzt er die durch andere Erläuterungen unterbrochene Krankheits-Erzählung als die Hauptsache seines Briefes fort. Die Erzählung formt sich nach dem Modell des Weges: „Nun fahre ich fort in der Geschichte meiner 43 44 45 46 47
ZH VII, 414, 3. ZH VII, 416, 21. ZH VII, 410, 3–9. ZH VII, 426, 32–33. ZH VII, 426, 34–35.
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Krankheit und auf dem Trübsalvollen Weg der Reinigung, die noch immer nöthiger schien als Stärkung.“48 Das Wegmodell ist somit näher bestimmbar : Hamann beschreibt also einen Passions- und Läuterungsweg anhand von Krankheit und Verstopfung.49 Wiederum bieten sich zur expressiven Ausgestaltung biblische Vorbilder an. Wie Hiob wird er mit Ausschlag geschlagen: Kurz darauf brach ein Flechtenartiger (herpetischer) Ausschlag auf den äußeren Fingern aus, inwendig wurde die Haut unempfindlich wie Pergament, und mein Rücken soll ein Blumenstück von allen mögl. Arten von Friesel, Peteschen und kleinen Geschwüren [ähnlich] gewesen sein, ein einziges auf der Brust, das ich statt eines Speciminis der übrigen selbst ansehen konnte – und ein paar unter der einen Achsel machten mir viel Schmerzen. Zwey auf dem Rücken unterschieden sich aber durch ihre Größe und Fülle unter einer Brut von kleinen, die erweicht und geöffnet werden mußten, wozu ein äußerlicher Wundarzt erfordert wurde.50
Die eigenen Schreiborgane, die Finger, sind außen von Flechte befallen, dafür aber entsteht innen unempfindliche (geduldige) Pergamenthaut. Dazu ist auf seinem Rücken ein Ereignis eingeschrieben, welches Hamann in seinem Brief mit Blick auf seine Brust mittels des wahrnehmbaren Einzelfalls kommentiert. Beredt beklagt Hamann, daß sein lieber Fritz Jonathan ,so ein tummes Geschwätz lesen‘ muß, bittet aber gleichzeitig um ,Mitleiden mit dem alten kranken Mann, der nichts klügeres und besseres schreiben kann.‘51 Doch diese Aussage ist mehrdeutig. Es ist eben das Beste und Klügste, was Hamann zu schreiben hat. Man muß sich vor Augen halten, daß auch dieser nach dem Vorbild des heiligen Sebastian ,von vielen kleinen Geschwüren punctierter und durchlöcherter‘52 Leib nach Hamann das Kleid der Seele ist, welcher die Blöße und Schande derselben nicht verursacht, sondern gnädig bedeckt, indem er durch seine Ge-
48 ZH VII, 414, 25–27. 49 In den Gedanken über meinen Lebenslauf bildet eine entsprechende Verstopfungskrankheit den Vorlauf zu der rettenden Bibellektüre, die zu Hamanns Bekehrungserlebnis führt: „Ich hatte im vorig[en] Coffeehause einen verstopften Leib auf 8 Tage lang bisweil[en] gehabt und ein[en] erstaunend[en] Hunger, der nicht zu ersättig[en] war. Ich hatte d[as] hiesige starke Bier, als Wasser in mir gesoffen. Meine Gesundheit daher bey all[en] den Unordnung[en] der Lebensart v meines Gemüths ist ein göttl. Wunder, ja ohne Zweifel mein Leben selbst v die Erhaltung desselb[en].“ (BW 341, 21–26). 50 ZH VII, 415, 5–13. Über Ausschläge heißt es in den Biblischen Betrachtungen: „Es ist eine bekannte Beobachtung aller Ausschläge, daß je mehr sie auswärtig erschein[en], desto weniger sind sie gefährl., weil die Ausbreitung des Giftes die Schärfe desselben schwächt v je mehr die Oberfläche des Körpers damit bedeckt ist, desto mehr sind die innern Theile davon erleichtert. War der Aussatz der Zöllner v Sünder in den Aug[en] unsers Seel[en]Arztes nicht gleichfalls reiner als der Pharisäer v Schriftgelehrt[en] ihrer?“ (BW 110, 18–24). Der spätere Zöllner Hamann hat dieses womöglich im Gedächtnis behalten. 51 ZH VII, 416, 7–8. 52 ZH VII, 415, 33.
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brechlichkeit verhindert, daß die Seele in ihrer Hochmut sich zu göttergleichem Status versteigt und ihre eigene Geschöpflichkeit verleugnet.53 Das in sein widerwärtiges Gegenteil verkehrte ,Blumenstück‘ von Geschwüren aller Art auf seinem Rücken und daher im Wortsinne pervertiert, konnte Hamann nicht sehen, sondern nur pars pro toto ein einzelnes Geschwür auf seiner Brust. Denn sichtbar ist das Übel nur selten, das macht gerade die Krankheit deutlich und ist für die Medizin wichtig: „Liebster Freund, nicht Ausbrüche, sondern die Quelle des Uebels ist die Sache wie in der Arzeney nicht Symptome das Augenmerk des Arztes sind.“54 Zur Behandlung des unsichtbaren Übels bedarf es eines geeigneten Arztes, eines Wundarztes und Baders in der Nachfolge seines Vaters, dessen Tätigkeit bekanntlich das Vorbild für die eigenen Autorhandlungen darstellte.55 Dem Körper Feindliches wurde also gebadet, zur Behandlung erweicht oder gar zum Zwecke der Reinigung eröffnet, so daß der feindliche Inhalt zum Vorschein kommt und entfernt werden kann. Doch dies ist nur die Tiefendimension, sprachlich wird von Hamann die widerwärtige Oberfläche inszeniert. Mit der ostentativen Zurschaustellung seiner Geschwüre auf seinem philologischen Kreuzzug gegen selbstherrliche Philosophie wirkt der Lazarus Hamann wie die Ritter des Lazarusordens im Heiligen Land der Kreuzfahrerstaaten, die ohne Helm in die Schlacht zogen, um den Gegner durch den Anblick ihrer von Lepra entstellten Gesichter zu erschrecken, demoralisieren und zur Flucht zu zwingen. Es selbst spricht im Brief von seinem „Ritterzug“56, der ihn in die feuchte und morastige Burg führt und den „Kreuzzügen“, die durch seinen „grauen kahlen Kopf hier durchgegangen“ sind.57 53 Vgl. Hamanns eindringliche Erläuterungen in den Brocken (BW 406, 24–26): „Wie weit mehr sündigt der Mensch in seinen Klagen über das Gefängnis des Körpers, über die Gränzen, in die ihn die Sinnen einschränken, über die Unvollkommenheit des Lichts […]“ Und später heißt es (BW 417, 12–32)„Der Leib ist das Kleid der Seele. Er deckt die Blöße und Schande derselben […] Er hat gedient uns[ere] Seele zu erhalt[en], eben wie die Kleidung unsern Leib schützet gegen die äußerl. Angriffe der Luft v. anderer Geg[en]stände. Diese Nothdurft unserer Natur hat uns erhalten, unterdessen höhere, v leichtere Geister ohne Rettung fielen. Die Hinderniß, die uns ein Kleid gibt, d[as] uns ein wenig schwerer [macht] v ein wenig von dem Gebrauch uns.[erer] Glieder entzieht, erstreckt sich nicht so wohl auf d[as] Gute, in Ansehung der Seele – als in Ansehung des Bösen. Wie abscheulich würde der M[ensch] seyn vielleicht wenn ihn der Leib ihn n[icht] in Schranken hielte.“ 54 Hamann an Ehregott Friedrich Lindner vom 20. April 1783 (ZH V, 42, 36–43,1). 55 „Seine [des Vaters, Anm. KMS] Badwanne ist mir so heilig, als dem Sokrates seiner Mutter Hebammenstuhl, und ich nahm mit bisweilen die Freyheit zum Belag ein griechisches Epigramm anzuführen, das Vater Hagedorn übersetzt Der Bader und die H… baden/ Den schlechten Mann und besten Kerl/ Beständig nur in einer Wanne. Herder will den Titel Salbadereyen nicht gelten lassen, nun mögen sie metakritische Wannchen heißen – die Füße = medios terminos progressus unsers aufgeklärten Jahrhunderts zu waschen.“ (ZH V, 331, 21–29). 56 ZH VII, 411, 10. 57 ZH VII, 424, 29–30.
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In analoger Weise durch eine Radikalkur durch Ausscheidung befreit wird auch der Geist. Nach der Beschreibung seiner Lektüre des griechischen Neuen Testaments sowie der ostentativen Erwähnung der Einnahme eines „Vomitifs“58, das seinen Magen von Appetit und Lüsternheit „bekehrt“59 kennzeichnet Hamann im Folgenden den hierdurch in Gang gebrachten psychophysischen Befreiungsprozeß: Jetzt eile ich die 4 ventriculos meines Gehirns eben so zu reinigen und zu erleichtern, von allem Wust der darinn kocht und den ich so unverschämt bin – War nicht die sokratische Philosophie die Mutter des Scepticismi und Cynismi, wie des Epicurismi u Stoicismi – wie der welsche Catholicismus der Vater des mannifaltigen Aberglaubens und einförmigen Atheismo in jeder Theorie und Praxis ist und bleibt bis ans Ende der Tage.60
Es ist wahrscheinlich, daß Hamann das Neue Testament als heilsames Brechmittel für die ,kleinen Mägen‘ (Ventrikeln) des Gehirns benutzt, indem es von den Auswüchsen alter und moderner Philosophie, die auf einen Katholizismus der Meinungen hinausläuft, befreit und dies in vollkommener Entsprechung zu der Wirkungsweise des ,Vomitifs‘, welches Hamanns Körper von einem mit ,Appetit und Lüsternheit‘61 geschlagenen Magen heilt, und zwar in Form einer Konversion. Ausdrücklich sei an dieser Stelle vermerkt, daß die Krankheit Kants, unter der er eigener Auskunft nach am meisten zu leiden hatte, in einer „Blähung auf dem Magenmunde“ und einem „Druck aufs Gehirn“ bestand, den er selbst auf eine „krampfhafte Zusammenziehung“ zurückführte62, die aber mit seinem hypochondrischem Hamann als philosophische Verstopfung der kleinen Mägen des Gehirns gedeutet werden kann. Diese Zusammenstellung ist nicht ganz willkürlich. Reine Vernunft und medizinische Beseitigung der Verstopfung sind in den Briefen eng assoziiert. An Franz Kaspar Buchholz schreibt Hamann am 17. Juli 1786: Der gute Wille verdiente einen herzlichen Dank; die reine Vernunft aber eine eben so herzliche Kritik. Nachdem ich den guten und bösen Engel in diesem Plan sahe, wurde ich selbst zu einem und dem anderen Original. Mein krankes Gemüt verwandelte
58 ZH VII, 421, 8. 59 ZH VII, 421, 13. 60 ZH VII, 421, 17–23. Vgl. Hamanns Aussage in seinem Brief vom 24. Juli 1784 an Johann Friedrich Hartknoch (ZH V, 167, 16–18): „Doch die Pudenda unserer Natur hängen mit den Kammern des Herzens und des Gehirns so genau zusammen; daß eine zu strenge Abstraction eines so natürlichen Bandes unmöglich ist.“ 61 ZH VII, 421, 14. 62 Jachmann, Immanuel Kant geschildert in Briefen, 206.
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diesen Vorfall in eine Hölle, die mir jetzt beynahe lächerlich vorkommt. Den ersten Julii fieng ich die Kämpfsche Cur an.63
Medizinischer Kronzeuge für Hamanns philosophische Therapie ist der Leibarzt des Fürsten von Hessen-Nassau, Johann Kämpf (1726–1787), dem Begründer der Lehre von den Infarkten des Darmes, nach der alle Krankheiten auf der Zurückhaltung eingedickter Kotballen beruhen. Auch Kämpf ist in Nachfolge seines Vaters Experte für die ventriculi; der Titel seiner Dissertation lautet: De infarcta vasorum ventriculi (1753). Hamann nennt ihn „meinen Leibarzt Kämpf“64, zu dessen Methode auch der liebe Jonathan Jacobi „kein geringes Zutrauen“ hat.65 Auch die Ärzte in Hamanns Umkreis sind Anhänger Kämpfs gewesen.66 An Jacobi hatte Hamann Ende April 1786 geschrieben: Meine zweite Erleichterung besteht in der Kenntnis meines bisherigen Übels und der Hülfsmittel. Der seel. Kanter hat mir oft das Kämpfsche Buch über die Hypochondrie empfohlen, und sich selbst nach dieser Methode zu helfen gesucht. Wie ich den Hr. Metzger besuchte, bitte ich mir das Buch aus und habe es meinem Nachbar und Freunde Miltz zu lesen gegeben, der eben so sehr wie ich von der Methode eingenommen ist, und mit dem ich zur Anwendung mich entschließen werde. Er hat selbst durch Clistiere in Guinea Wunder getan. Die Negerinnen leben vollkommen auf französischem Fuß, und spülen sich alle Morgen mit Seewasser ihr os posticum aus. Wenn die neue Ausgabe des Kämpf hier ist, muß ich es mir selbst anschaffen. Ich bin vollkommen überzeugt, daß bloß die Infarktus meiner Eingeweide an meiner sonderbaren Unvermögenheit zu denken Schuld sind, und daß alles oben wie in der Mitte vom Schleim, Morast und Cruditäten stockend und verstopft ist.67
Die Hypochondrie nun ist diejenige Krankheit, die auf die Infarkte des Unterleibes besonders aufmerksam macht und die heilsamen Spülungen, die ,ewig erforderlichen‘ (Kurt Christ) Kämpfsche Klistiere, motiviert. Das Kämpfsche Buch, welches in den späteren Briefen Hamanns eines der meistgenannten und 63 64 65 66
ZH VI, 482, 25–30. Hamann an Jacobi vom 3. Mai 1786 (ZH VI, 376, 21–22). Jacobi an Hamann vom 12. Mai 1786 (ZH VI, 386, 20). Kämpf ist, wie es in einer Rezension des postum in dritter Auflage erschienenen Enchiridium medicum heißt, „noch immer einer der ersten praktischen Ärzte […] der seinem Vaterlande Ehre macht, dessen Stärke in einer großen Kenntnis der wirksamsten, und Zusammensetzung der ausgesuchtesten Arzeneyen bestand.“ (ALZ No. 23 Januar 1793, 181). 67 ZH VI, 371, 23–36. An Herder schreibt Hamann am 30. Mai 1786: „Ich habe mir durch Fasten in Engl. Schon einmal das Leben gerettet, wollte auch zur Kämpfschen Cur meine Zuflucht nehmen; aus seinem schönen Buch habe ich mein Uebel kennen gelernt. Der seel. Kanter sprach mir immer davon, der gantz davon eingenommen war und gnung an Lavements verschwendet hatte.“ (ZH VI, 412, 31–35). Von Kämpfs Buch hat, wie Hamann am 19. Juni 1786 an Jacobi schreibt, er sich lange nicht trennen können: „Ich gieng diesen Morgen frühe aus um Kämpf dem Hofr. Metzger anzugeben, der meinen ungewöhnl. Fehler sein Buch, das ich auf ein paar Tage geliehen, Monathe lang behalten zu haben, nicht übel zu nehmen schien.“ (ZH VI, 435, 9–12).
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empfohlenen Werke ist, dessen Methode er sogar ,vorpredigt‘68, hat den entsprechenden Titel: Für Ärzte und Kranke bestimmte Abhandlung von einer neuen Methode, die hartnäckigsten Krankheiten, die ihren Sitz im Unterleibe haben, besonders die Hypochondrie, gründlich zu heilen. Weitere bezeichnende Krankheiten dieser Art sind laut Kämpf „Krankheiten der Haut, allerlei Ausschläge und Geschwüre, Krebs“69, also Hamanns momentane Krankheitssymptome aus dem Brief an Jacobi, in enger Zusammenstellung mit dem von Sontag und Kant behandelten Krebs. Immerhin ist auch Kant Hamanns Empfehlung gefolgt und hat die Kämpfsche Therapie jedenfalls in medizinischer Hinsicht übernommen.70 Interessant ist an Kämpfs Buch zudem noch seine Dedikation im Titel, die sich nicht nur an die Ärzte allein, sondern sich ebenso an die Patienten richtet. Kämpf beschreibt die Krankheit und deren Heilung also als einen gemeinsamen Prozeß auf der Basis eines gemeinsamen kommunikablen Wissensstandes. Auch dies findet seine Entsprechung in Hamanns Brief an Jacobi. Wie zur Bestätigung und als Bekräftigung der wunderbaren Erscheinung der Krankheit und des kommunikativen Helfers in seiner Not nennt Hamanns einerseits seinen Arzt Gottlob Immanuel Lindner (1734–1818) nach dem Schutzengel und Heiler aus dem Buch Tobit ,Dr. Raphael‘. Doch ist es andererseits mit dieser einfachen Metapher für den Arzt im Sinne eines modernen Halbgottes in Weiß nicht getan. Engels- und Menschensprache müssen bekanntlich ineinander übersetzt werden. Denn für eine solche Philosopheme abführende Krankheit müßten Arzt wie Patient, also der Kranke wie auch der Diener des Kranken, recht dankbar sein: Er hat eben so viel Ursache Gott zu danken ihm eine solche complicirte intricate, incarcerirte Krankheit zur Vollendung oder vielmehr Zernichtung seines eitlen Studierens in Collegiis und todten oder blinden Handleitern zugeschickt zu haben, als einen solchen Patienten, der alle feindseel. Minen und Launen, grobes und kleines
68 Hamann an Jacobi vom 3. Mai 1786 (ZH VI, 378, 7). 69 Joh. Kämpf Fürstl. Hessen-Hanauischen Oberhofraths und Leibartzs Für Aerzte und Kranken bestimmte Abhandlung von einer neuen Methode, die hartnäckigsten Krankheiten, die ihren Sitz im Unterleibe haben, besonders die Hypochondrie, sicher und gründlich zu heilen, Dessau und Leipzig 1784, 70. 70 Vgl. die aufschlußreiche Zusammenstellung von Kämpfscher Praxis und geistiger Tätigkeit bei Kant, über die Hamanns Brief an Heinrich Schenk vom 12. Juli 1786 (ZH VI, 465, 1–5) berichtet: „Kant hat auch vorgestern den Anfang mit den Kämpfschen Mitteln machen wollen, klagte mir aber gleichfalls seine Noth – und ich werde ihn ehstens aufsuchen, welches ich desto nöthiger habe, weil ich erfuhr, daß er etwas für die Berl. Monatsschrift arbeitet über das Mendelssohnsche Orientiren.“ An Jacobi hatte Hamann zuvor am 22. Juni 1786 geschrieben: „Kant klagt mir vorgestern Abend seine bittere Noth, daß er seinen Spincter nicht zur Oeffnung bewegen könnte. Er schreibt über das Mendelssohnsche Orientiren etwas – aber ist Dein Freund u des Resultatenmachers.“ (ZH VI, 442, 27–30).
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Geschütze gegen seine Wißenschaft und die Politik derselben hat spielen und springen laßen.71
In der Krankheit kommunizieren also helfender Engel und geschlagener Mensch zu beiderseitigem Nutzen. Der Status des Arztes jedoch ist angesichts der Krankheit Hamanns dramatisch verändert von einem bloßen studierten und seiner Wissenschaft hörigen Außerstehenden zu einem in einem bestimmten Kommunikationsprozeß involvierten Teilnehmer an der Krankheit. Als solcher kann er Vermittlungsorgan der Vorsehung sein: Gottes Vorsehung hat durch seinen Engel Raphael Wunder an mir gethan und ist am besten im stande auf eine ähnliche Art seine engl. Gedult und Klugheit gegen die Sophismen meiner Natur und ihres Schadens und gegen die ambages und sesquipedalia verba meiner schweren jetzt wider zum dritten und Gott gebe! Zum letzten mal belegten Zunge ausgerüstet hatte. Mein Ausschlag an den Fingern konnte eben so wenig physische Folgen der spanischen Fliegen seyn, als die Heerde von Geschwüren u Ausschlagen auf meinem Rücken, durch eine metaphysische Consequentz und rhetorische Figur wurde der Tempel zu Ephesus ein Aschenhaufen, weil Alexander in eben der Nacht zur Welt kam.72
Die ,Umschweife‘ und ,überlangen Worte‘ der krankheitsbedingt belegten Zunge werden in dieser Vermittlung verständlich. Die nicht zu ignorierende Aufsässigkeit des kranken Körpers ist die verfängliche Anzeige der wahren Situation des Menschen, in der sich das Nächste als widerspenstig gegenüber den Höhenflügen der Vernunft erweist. Erst jetzt fühlt der Philosoph sich selbst und erkennt seine Situation, die über die rein geistige Rationalität der Beweise hinausgeht. Die Krankheiten des Körpers gehören zum Endzweck der Erlösung, da sie Gleichnisse und Wirkungen der sündigen Seele wie der philosophischen Verstopfungen sind. Geleistet wird diese Erlösung paradoxerweise durch Befremdung, die zu einer Selbsterkenntnis führt.73 Die Briefe greifen also ein altes Lieblingsthema Hamanns auf, das sich bis in die ,Biblischen Betrachtungen‘ zurückverfolgen läßt. In seinen Erläuterungen zu 1. Könige XV, 23 kennzeichnet Hamann das biblische Formular seines schrift71 ZH VII, 422, 5–10. 72 ZH VII, 422, 10–20. 73 „Alle Geleg[en]heit[en], wo uns Gott die Bedürfnisse und Gränz[en] uns.[erer] Natur fühlen läst, sollten von uns als Versuchung[en] angeseh[en] [werden], der sich Gott bedient um uns zu zeig[en] was in uns.[eren] Herzen ist, damit wir dasjenige durch se.[ine] Gnade absondern könn[en], was ihm misfällig ist, damit wir dsjenige, was unser Herz auswirft an dem Probestein der Schrift untersuch[en] v nach der Güte desselben die Adern unsers Schates beurtheil[en] können. Wenn wir die Bedürfnisse uns.[erer] Natur nicht fühlen, so ist es wie mit den stehend[en] Wassern, die Schleim und Koth ansetzen in Gefäßen, wo sie aufbehalt[en] werd[en], und zu stinken und zu faul[en] anfang[en].“ (BW 145, 24–34).
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stellerischen Umgangs mit den Krankheit. Die Stelle lautet: „Was aber mehr von Asa zu sagen ist und alle seine tapferen Taten und alles, was er getan hat, und die Städte, die er ausgebaut hat, siehe, das steht geschrieben in der Chronik der Könige von Juda. Nur war er in seinem Alter an seinen Füßen krank.“ Das Entscheidende steht im scheinbar unmotivierten letzten Satz über die Krankheit der Füße. Der Kontext dieser Bibelstelle ist sehr aufschlußreich. Es wird von Asa, dem König von Juda berichtet, einem gottgefälligen Herrscher, der sich insbesondere dadurch auszeichnet, Tempelschänder und Götzenbildner zu bestrafen. Hierbei macht er sogar vor seiner eigenen Mutter nicht Halt. Zur Verteidigung seines Landes mobilisiert er sowohl sein Vermögen, den Königsschatz, wie auch göttliches Vermögen, den Tempelschatz und kämpft sodann mit vollem Einsatz seiner Ressourcen. Die ganze Stelle kann als Formular für Hamanns eigene schriftstellerische Tätigkeit angesehen werden. Denn der Kranke, so könnte man mit Hamann interpretieren, unterbindet mit vollem Körpereinsatz die Tempelschändung des Leibes und zerschlägt mit Hilfe seiner glaubenden Überzeugung das Greuelbild, das die Vernunft von sich selbst errichtet hat. Er hatte kranke Füße. Diese Anmerkung sollte jemand[en] befremd[en]; sie bestätigt aber, wie Gott durch keine andere Zeich[en] mit uns reden kann als durch körperl. oder sinnl. So hat er durch die Natur des Leibes d[as] Verderb[en] uns.[erer] Seel[en] ausgedrückt. Ja ich habe es schon gesagt, daß der Satan viele Empfindung[en] der Seele auf d[en] Körper allein gezog[en] v beyde zugl.[eich] durch diese List zu unterdrücken gesucht hat. Die leibl. Nothwendigkeit uns zu reinig[en] führt uns auf die Befleckung[en] die uns der Geist durch Gedank[en] Eindrücke pp leidt.74
Der kranke Körper ist befremdlich, doch die Befremdlichkeit macht aufmerksam. Der Körper leidet also für die Sünden der Seele bzw. des Geistes. Durch seine Korruption verstärkt sich die Korruption der Seele, die sich durch die Verschiebung ihres Verderbens auf den Körper exkulpieren zu können glaubt. Die List des Teufels ist es, durch Geringschätzung des Körpers die Überschätzung des Geistes zu befördern und so beide zugrunde zu richten. Somit hat gerade diese Penetranz der Darstellung auch widerlicher Vorkommnisse seinen philosophischen Zweck: durch Befremdung den Briefpartner an dessen Körper zu erinnern, der ihm als geistigen Menschen zu etwas Fremden und Peinlichen geworden ist, an das man nicht gern erinnert werden möchte. Die lästigen Krankheiten des aufsässigen Körpers erinnern daran, daß der Mensch kein Wesen ist, das aus und für sich existieren könnte. Nosologie ist gleichzeitig Anthropologie und Theologie. Und Hamanns gern genutzte Bibelformulare machen zudem deutlich, daß der Mensch sein Leid nur nach biblischer Vorgabe überhaupt adäquat beschreiben kann. Vernunft allein kann somit trotz aller 74 BW 181, 38–182, 6.
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geistigen Unabhängigkeitserklärungen dem Menschen nicht sein Dasein demonstrieren, wohl aber der unmittelbare Eindruck seiner krankheitsanfälligen Leiblichkeit, die auf Endlichkeit und somit ihn selbst verweist.75 Diese Lektion hat, so Hamann, auch Voltaire erfahren und lernen müssen: Das Schicksal setze den grösten Weltweisen und Dichter in Umstände, wo sich beyde selbst fühlen; so verleugnet der eine seine Vernunft und entdeckt uns, daß er keine beste Welt glaubt, so gut er sie auch beweisen kann, und der andere sieht sich seiner Muse und Schutzengel beraubt, bey dem Tode seiner Meta.76
Eine weitere gefährliche Metapher aus dem medizinischen Bereich ist das Ziel der schriftstellerischen Bemühungen Hamanns. Das Denken der Krankheit und das Schreiben über Krankheit, Pathokagathie und Nosologie, richten sich bei Hamann gegen die Selbstkennzeichnung der Vernunft als ,gesund‘. Gesundheit in diesem Sinne ist eine wertende und als solche irreführende Metapher für Autarkie (Selbstgesetzgebung), also eine Gesundheit, die auf einer bestimmten Form von Hygiene, nämlich der Selbstreinigung77 beruht: Die Gesundheit der Vernunft ist der wohlfeilste, eigenmächtigste und unverschämteste Selbstruhm, durch den alles zum Voraus gesetzt wird, was eben zu beweisen war, und wodurch alle freye Untersuchung der Wahrheit gewaltthätiger als durch die Unfehlbarkeit der römisch-katholschen Kirche ausgeschloßen war.78
Von dieser Anmaßung sind die kleinen Mägen des Gehirns mittels geeigneter Klistiere und Vomitiva zu reinigen. Hypochondrie ist somit im Sinne Hamanns keine Marotte, sondern Methode zur Etablierung eines körperbewußten Philosophierens. Gegen die Gewalttätigkeit der sich selbst voraussetzenden und daher jede unabhängige Prüfung verhindernden ,gesunden‘ katholischen Vernunft formuliert Hamann in Person des kranken ,Liebhabers der Langen Weile‘ den entscheidenden hypochondrischen Einwand. Die gesunde Vernunft anlangend, läugne ich gar nicht, daß selbige das tägliche Brodt aller Weltweisen und Kunstrichter vorstellen soll. Für Säuglinge hingegen gehört Milch; auch Kranken, die vor langer Weile sterben wollten, eckelt vor aller Speise gesunder Vernunft […]79
Die gesteigerte Selbstbeobachtung und Überbewertung von Körperwahrnehmungen als Krankheitszeichen sind somit Zeichen einer perspektivischen Neuorientierung des Denkens, eines Sprunges in das Andere, die mit einer 75 Vgl. Walter Leibrecht: Gott und Mensch bei Johann Georg Hamann, 102. 76 SD/AN 53, 9–16. 77 Vgl. hierzu: Knut Martin Stünkel: Als Spermologe gegen Baubo. Hamanns Metakritik der philosophischen Reinheit, in diesem Band 203–232. 78 N III, 189, 18–22 (Zweifel und Einfälle). 79 N III, 361, 1–4 (Fünf Hirtenbriefe).
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Umwertung philosophischer Werte einhergeht. Das vorgebliche Gesunde wird als das eigentlich defektbehaftete, sich dieser Defekte nicht bewußte und daher geistig, moralisch und politisch Ungesunde erkannt.80 Beobachtung des eigenen Körpers ist somit der Weg zur Sorge um die eigentliche menschliche Existenzweise. Die Übertreibung erweist sich so als erhellende Überbelichtung eines existenziellen Sachverhalts. Wenn sich Hamann von einem ,Paroxysmo der Hypochondrie‘81 erschüttern läßt, so ist damit nicht ein scheinbarer körperlich-seelischer Defekt, sondern ebenso ein philosophischer Vorzug der Empfänglichkeit für die Bedeutung des Körpers gemeint. „Leider sind Träume und Krankheiten die besten Data von der Energie der Seele.“82 bemerkt Hamann am 10. November 1784 in einem Brief an Scheffner. Der „böse[] Daemon meine Hypochondrie“83, von dem Hamann schreibt, ist zumeist ein ,Plagegeist‘ für diejenigen, die von der grundsätzlichen Körperlichkeit menschlicher Existenz nichts wissen wollen. In dieser Hinsicht, dem Getriebensein von einem Daimon, gleicht der Hypochonder dem Urvater des Philosophierens, nämlich Sokrates: Sokrates scheint vom seiner Unwissenheit so viel geredet zu haben als ein Hypochondriaker von seiner eingebildeten Krankheit. Wie man dies Übel selbst kennen muß um einen Milzsüchtigen zu verstehen und aus ihm klug zu werden; so gehört vielleicht eine Sympathie der Unwissenheit dazu von der sokratischen einen Begriff zu haben.84
Eigentliches philosophisches Reden und Reden über Krankheit stimmen in ihrer Befremdlichkeit und Intensität strukturell überein. Hypochondrie wirkt sokratisch. Die Sprache der Krankheit muß daher, in Form eines aufsässigen metaphernfreien Verweises auf sich selbst, so deutlich wie möglich sein, ohne noch anderes zu bedeuten.
V.
Krankheit als Katapher
Krankheit bewirkt also eine neue Hermeneutik. Erste Hinweise auf diese Idee finden sich schon früh in Hamanns Schriften und wird ihren Adressaten eindringlich kommuniziert. Die Wahrnehmung, das Vernehmen von Krankheit als 80 Für die kritischen Philosophie Kants bedeutet das in den Worten Oswald Bayers: „Der ,kritische Indifferentismus‘ ist keine Überwindung von Dogmatismus und Skeptizismus, sondern eine Krankheit, die sich in den Symptomen beider zeigt: in verzweifelter Resignation und trotzigem Herrschaftsdrang.“ (Oswald Bayer: Vernunft ist Sprache, 139). 81 N III, 336, 3–337,1 (Pro Memoria). 82 ZH V, 256, 9–10. 83 ZH VII, 258, 32. 84 SD/AN 43.
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Hinweis auf die eigene Körperlichkeit, ist die eigentlich vernünftige Haltung im Gegensatz zum sturen Befolgen der eigenen Selbstgesetzgebung. An seinen Vater schreibt Hamann am 6. März 1754: Verzeihen Sie, liebster Papa, wenn ich die Absicht dieser Krankheit zu Ihrem Besten auslege. Vielleicht dient sie Ihnen, Ihrem Körper ins künftige liebreicher zu begegnen, v ihn nicht der Verkältung, Entkräftung so auszusetzen, die Sie selbst für die Ursache Ihrer Zufälle angeben. Man hat sich bey einer Ruhe, die man sich aus einer billigen und vernünftigen Liebe zu sich selbst von denen Geschäften giebt, weniger Vorwürfe zu machen, als bey derjenigen, die uns die Noth oder eine selbstgemachte Unvermögenheit bisweilen auflegt.85
Hamanns Krankheitsberichte sind nicht müßige Ergüsse eines bloß hypochondrischen Charakters, sondern die ständige Vergegenwärtigung und Bezeugung des Körpers vor sich und seinen Lesern. Für Hamann ist Krankheit keine Metapher als sprachliche Figur des Übertragens auf einen anderen Bereich, sondern sinnliche Weisung Gottes als Rückführung auf das Eigene, und zeitigt folglich eine immense, umwerfende Wirkung. Wenn man Gott zum Ursprung aller Wirkungen im Großen und Kleinen, oder im Himmel und auf Erden, voraussetzt; so ist jedes gezählte Haar auf unserm Haupte eben so göttlich, wie der Behemoth, jener Anfang der Wege Gottes. Der Geist der mosaischen Gesetze erstreckt sich daher bis auf die ekelsten Absonderungen des menschlichen Leichnams.86
Durch ihre spezifische (Kommunikations-) und Situationsgebundenheit ist jedoch die briefliche Krankheitsschilderung Hamanns ebenso keine bloße Metapher einer besonderen anthropologischen Wahrheit, sondern zielt als aufsässige und bedrängende Realität in gleichsam seelsorgerischer Absicht auf eine Ein- und Umkehr des Lesers bzw. Empfängers des jeweiligen Briefes. Es soll der Leser, wie es dem großen Friedrich bei der Lektüre der Briefe seines Voltaire ergangen ist, ,beben gemacht‘ werden, wenn er die extensiven Krankheitsberichte, die vor den ekelsten Absonderungen nicht zurückschrecken, liest. Seinen absolutistisch aufgeklärten Landesherren als Personifikation tyrannischer Vernunft zum Beben zu bringen, wie es durch die Briefe Voltaires geschehen ist, hätte Hamann wohl als einen großer Erfolg seiner Autorschaft gewertet. Aber auch der Leser seiner Schriften wird nach einem Ausdruck des französischen Phänomenologen Jean-Luc Marion zu einem interloqu8, einem Frappierten, einem vom Ruf (des Gewissens) Getroffenen und ,Umgehauenen‘. Dieses Getroffenwerden stellen in didaktischer Absicht die Briefe dar, wie Hamann am 29. April 1787 an Jacobi schreibt: 85 ZH I, 66, 24–31. 86 N III, 27, 2–7 (Rosencreutz).
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Meine Briefe sind ein lebendiges Gemälde meiner wüsten Lebens- und Denkungsart, daß ich zu keiner Ruhe kommen kann, immer von innen und außen, von vorn und hinten hin und her geworfen werde. Ueberhaupt finde ich es für nöthig Dich vorzubereiten auf die neuen Unruhen, welche die Fortsetzung Deiner Autorschaft Dir zuziehen wird, eine reiche Ernte neuer Logomachien besorge ich, vielleicht mehr aus Freundschaft als mit Grunde.87
Mit seinen Schilderungen beansprucht Hamann mindestens exemplarischen Wert. Für zu erwartende Logomachien ist eine neue sprachliche Waffe erforderlich. Krankheit und Krankheitsschilderung sind sprachlich so zu einer Katapher geworden, einem wandelnden Wort, welches einem umwerfenden und zur Umkehr auffordernden Ereignis, vergleichbar mit Hamanns eigenem Londoner Bekehrungserlebnis, entspricht.88 Den kataphorischen Impuls seines Schreibens hat Hamann in seinem Brief an Lindner vom 21. März 1761 wie folgt beschreiben: Der größte Liebesdienst, den man seinem Nächsten thun kann, ist ihn zu warnen, zu bestrafen, zu erinnern, sein Schutzengel, sein Hüter zu seyn; diesen Kreutzzug hält nicht jeder Ritter aus.89
Das Beschreiben der Krankheit ist bei dem Lazarus-Ritter mit der traurigen Gestalt Hamann daher im bewußten Gegensatz zur Metaphorisierung ein Schreiben, in der die Krankheit nichts als sich selbst bedeutet und so den sich selbst in seiner Vernunftfähigkeit transzendierenden Menschen schockiert, Anstoß nehmen läßt und letztendlich eine tiefgreifende Verwandlung durch Selbsterkenntnis herbeiführt. Dies ist ein nicht zu unterschätzendes Potential, welches die Krankheit in Hamanns Nosologie entfaltet, und das Hamann auch in seinem Umkreis einzusetzen gedenkt. Prominent von Hamanns Kataphorik bedroht ist natürlich Kant. Dieser hat die Leidenschaften als Krebsschaden bezeichnet, durch die Bekanntschaft mit Hamann ist er so gar dieser Gefahr ausgesetzt, einem Menschen so nahe zu kommen, dem die Krankheit seiner Leidenschaften eine Stärke zu denken und zu empfinden giebt, die ein Gesunder nicht besitzt.90
87 ZH VII, 172, 17–22. 88 „Wenn unsere Schwachheiten einmal aufhören werden, wenn ein neuer Leib uns umgeben wird, deßen Last unser Geist nicht mehr fühlen wird; dann laß er uns mit jenen Kranken, die sein Wort gesund machte, mit einander ausrufen: Der Herr hat Alles wohl gemacht.“ (Hamann an die Eltern und den Bruder vom 28. Dezember 1755, ZH I, 130, 11–14). 89 ZH II, 71, 14–16. 90 Hamann an Kant vom 27. Juli 1759 (ZH I, 373, 23–26).
IX.
Das „liebe Essen und Trinken“ – Kulinarik als theologische Praxis bei Johann Georg Hamann Das menschliche Leben ist gleich einem SauerBraten, bey deßen herrlichen erquickenden Genuß mir die Schweißtropfen auf der Nase wie Perlen stehen. (Johann Georg Hamann)1 Das Essen ist nur ein accentuiertes Leben (Novalis).
I.
Leib und Seele
In Sprichwörtern findet man in Sachen Essen und Trinken zuhauf die Aufforderung, das rechte Maß zu halten als Ausdruck einer lebenspraktischen Diätik.2 Nicht zuletzt für den Menschen mit intellektuellen Ansprüchen scheint diese generelle Diät unumgänglich – Voller Bauch studiert nicht gern. Nicht weniger häufig, dafür aber wesentlich unseriöser, wirken da die Redensarten, die diese selbstauferlegte Askese über Bord werfen und dazu auffordern, kräftig zuzulangen. Dies aber hat eine gute mythische Tradition. Gerade Heroen wie Herakles und Siegfried oder der Gott Thor, Gestalten also, die gewaltige Aufgaben zu erfüllen haben, sind ebenso gewaltige Esser.3 Doch diese Anschauungsweise kann sich auch existenziell-realistisch geben und dabei sogar auf biblisches Vorbild verweisen: Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot. (Jesaja 22,13). Während die einen die geistige Seite des Umgangs mit der Notwendigkeit der körperlichen Ernährung thematisieren und die Überlegenheit des Geistes über den Körper bewahren wollen, scheinen die anderen die körperlichen Bedürfnisse unter Mißachtung solcher Restriktionen zu rechtfertigen. Beide Anschauungsweisen des Essens halten sich etwas auf ihre lebenspraktische Relevanz im Unterschied zur jeweils anderen zugute. Im Hinblick auf das Essen zeigt sich redensartlich also deutlich der Konflikt zwischen körperlicher und geistiger Existenz des Menschen. Die jeweilige Diät ist so das sinnfällige Zeichen, für welche Seite sich der Einzelne entschieden hat. Es gibt allerdings eine wohlbekannte Redensart, die auf die Vermittlerfunktion des Essens zwischen Leiblichen und Geistigen hinweist: ,Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen‘. Das Essen besitzt somit für das menschliche Leben 1 ZH IV, 360 (Brief an Herder vom 17. Dezember 1781). 2 Vgl. Lutz Röhrich, Artikel ,essen‘ in: ders., Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Band 2: Easy-Holzweg, Freiburg: Herder 1994, 402–403. 3 Vgl. Hanns Bächtold-Stäubli (Hg.), Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Band 2 C.M.B.-Frautragen, Artikel ,essen‘, Berlin/New York 1987, Sp. 1024.
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Das „liebe Essen und Trinken“
eine höhere Würdigkeit als bloßes Einbruchstor der reinen Körperlichkeit durch eine ständig lauernde Völlerei zu sein. Im Gegenteil, der Ernährung ist hier eine entscheidende Funktion bei der Vermittlung der gegensätzlichen Ansprüche von Körper und Geist zugewiesen. Die opulente Tafel ist hier nicht Versucher, sondern Moderator.
II.
Stoffwechsel und Communicatio idiomatum
Es ist Johann Georg Hamann, dem Tischgenossen und Freund Immanuel Kants, vorbehalten gewesen, dieser kommunikativen Funktion des guten Essens und Trinkens nicht nur den theologischen Unterbau geliefert, sondern diesen auch zudem höchstpersönlich und extensiv praktisch umgesetzt zu haben. Während Kant die von Theodor Gottlieb von Hippel4 angeregte Kritik der Kochkunst dann doch nicht verfaßt hat5, gibt es bei Hamann eine Art praktischer Metakritik des 4 Zur Beziehung Hamann-Hippel nicht nur in kulinarischer Hinsicht vgl. Joseph Kohnen, Das Dreiecksverhältnis Lauson – Hamann – Hippel, in: Johann Georg Hamann. Religion und Gesellschaft, hrsg. von Manfred Beetz und Andre Rudolph, Berlin/ Boston: De Gruyter 2012, 139–151, hier 144. 5 Kants Tischgesellschaft ist beschrieben bei Steffen Dietzsch, Immanuel Kant. Eine Biographie. Darmstadt: WBG 2003, 158–170. Zwar ist überliefert, daß Kant explizite Gespräche über kritische Philosophie an seinem Tische mied, es scheint aber gleichwohl eine gewisse kritische Attitüde in der Unterhaltung und beim Essen selbst spürbar gewesen zu sein (vgl. E. A. Ch. Wasianski, Immanuel Kant in seinen letzten Lebensjahren, in: Felix Groß (Hg.), Immanuel Kant. Sein Leben in Darstellungen von Zeitgenossen, Darmstadt: WBG 1968 (Nachdruck der Ausgabe Berlin 1912), 222). Zu Kants Verhalten bei Tisch siehe Ludwig Ernst Borowskis ,Darstellung des Lebens und Charakters Immanuel Kants‘, in: Groß (Hg.), Immanuel Kant., 55: „Gerne, wenn das Gericht ihm schmeckte, ließ er sich, auch in männlicher Gesellschaft, die Art der Zubereitung sagen; kritisierte, wenn sie ihm gesagt ward, dieses oder jenes, das andere als dazu notwendig ansahen, sehr scharf. Hippel sagte mehrmals scherzend zu ihm, er werde doch noch über kurz oder lang eine Kritik der Kochkunst schreiben.“ Während Kant also die Art und Weise der (Vor-)Bereitung der Speisen (die vorgängige Bedingung der Möglichkeit der Nahrungsaufnahme) untersucht und im Sinne einer (vernunftgemäßen) Optimierung kritisiert, findet sich bei Hamann eher eine Betrachtung des Verzehrs und dessen Auswirkungen auf die Befindlichkeit des Menschen selbst. Entsprechendes schildert Jachmann: „Außerdem liebte er überhaupt das Gespräch über die Kochkunst, hatte selbst viele Kenntnisse darin und suchte sie durch seine Unterhaltung mit den Damen noch zu vermehren. Deshalb fürchtete jede Wirtin diesen scharfen Kritiker und war ängstlich bemüht, seinen feinen Kennergeschmack zu befriedigen.“ (Reinhold Bernhard Jachmann, Immanuel Kant geschildert in Briefen an einen Freund, in: Groß (Hg.), Immanuel Kant, 192). Daß Kant selbst Anspruch auf Allgemeingültigkeit seiner Vorlieben erhob, beschreibt Borowski wie folgt. Zu einer Einladung in sein Haus „[…] ordnete [Kant, A.v.m.] selbst den Küchenzettel; sah es gern, wenn alles, was er gab, wenn besonders seine Lieblingsgerichte auch von andern mit rechtem Behagen genossen wurden […]“. (ebd., 55). Auch beim Essen selbst scheint es signifikante Unterschiede zwischen beiden gegeben zu haben, denen man durchaus geneigt sein könnte, eine grundsätzliche theoretische Bedeutung zuzuschreiben. Während Hamann sein Essen in großen Mengen verschlang, gilt für Kant nach Jachmann: „Auf seine Art zu essen
Stoffwechsel und Communicatio idiomatum
259
Essens, die sich vor allem in seinen Briefen findet, jedenfalls an solche seiner Briefpartner wie etwa Herder, denen er seine Überlegungen zumuten zu können meint oder ihnen aus verschiedenen Gründen zumuten will.6 Auf einer gesellschaftlichen Ebene ist die Bedeutung des Essens in Sachen Kommunikation gerade in der Königsberger ,Kant-Zeit‘ unmittelbar einsichtig. Auf die „legendär gewordene gemütlich-intellektuelle Geselligkeit innerhalb der gebildeten Kreise“ hat Joseph Kohnen nachdrücklich hingewiesen: „Das gemeinsame Essen ist für eine Reihe Königsberger eine Art kontinuierlicher Raum des fruchtbaren Gedankenaustauschs geworden, wo man den Genuss der Speisen in Heiterkeit geschickt in den Genuss des angenehmen wechselseitigen Denkens umzufunktionieren verstand. Das Tafeln war mithin am Ort eine reichhaltige, geistig fördernde Beschäftigung, ja sozusagen eine Institution.“7 Die gemeinschaftliche kommunikative Transformation von Materiellem ins Geistige im institutionalisierten gemeinsamen Mahl scheint etwas zu sein, das auch theologisch ausdeutbar ist. Böse Zungen könnten nun behaupten, in Hamanns Philosophie des Essens und der Verdauung würde ein einfaches persönliches Laster, die simple Freßlust, theoretisch verbrämt und somit entschuldigt. Hamann selbst scheint an manchen Tagen dieser Meinung gewesen zu sein, insbesondere wenn er an ihren Folgen zu leiden hatte.8 Trotzdem rechnet er sich „alle[] meine[] Talente im Eßen, Trinken, Schlafen“9 an, und zwar in Sachen der persönlichen Fähigkeit zum Glück.
6
7 8
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verwandte Kant wenige Aufmerksamkeit. Das meiste Fleisch zerkaute er bloß, sog den Saft aus und legte das übrige auf den Teller zurück. Er suchte dies zwar durch Brotkrusten zu bedecken, aber er vermied dadurch doch nicht allen Überstand.“ (Jachmann, Immanuel Kant, 191). Schließlich gibt es einen tiefen Dissens von Kant und Hamann in der Beurteilung des Bieres (vgl. Jachmann, Immanuel Kant, 191) und stärker noch Wasianski, Immanuel Kant, 272). Hamann hatte wohl keine Hemmungen, sein extensives Essen im gesellschaftlichen Verkehr wenn nicht als Waffe, so dann doch als Ausdrucksmittel persönlicher Animositäten einzusetzen. Über einen unliebsamen kränkelnden Besucher schreibt er am 18. Mai 1777 an Herder: „Er klagte mit seine Noth in Kgsb. redete von seiner Existenz, Function pp und ich soff 2 Schälchen Goldwaßer ohne zu wissen und wider meinen Willen aus, nahm ihn mit / la fortune du pot, fraß 2 Teller Sauerkraut, meine doppelte Portion gepreßten Caviar, ohne daß er im stande war mir Bescheid zu thun, sondern wie der katholsche Laye vom Zusehen satt werden muste. Dies gegebene Argernis meines sauren und grimmigen Geschmacks hielt ihn nicht ab den gantzen Tag dazubleiben.“ (ZH III, 347). Joseph Kohnen, Von der Hamann-Forschung zu wenig beachtet: Theodor Gottlieb von Hippel, in Beetz/ von Lüpke, Hamanns Briefwechsel, 341. Vgl. etwa Hamanns Brief an Herder vom 9. Februar 1784 (ZH V, 124/125): „Hierzu kommt mein starker Appetit zum Eßen, zum Caff8 und Bier zu Hause des Abends und zum Wein wenn ich zu Gast gehe, welches in Woche wol wenigstens einmal geschieht. Also kein wunder wenn bey dem Mangel an Bewegung, Schärfe und Säure und Stockung und Verdickung der Säfte entsteht.“ ZH IV, 25 (Brief an Herder vom 13. Juli 1778).
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Das „liebe Essen und Trinken“
Auf der physiologische Ebene hat Kurt Christ auf die Bedeutung der Kombination von ,Strangurie und ,pathologischer Freßlust‘‘, sowie den Zusammenhang von leiblichem und seelischem Stoffwechsel bei Hamann nachdrücklich hingewiesen.10 Hamann, so Christ, sei sich der „unmittelbaren Konnexion zwischen der Nerventätigkeit des Leibes und der des Hirns […] völlig gewiß“11 (bei Hamann: „Mein Kopf leidet an dem Zustande meiner Eingeweide […].“12), ebenso wie er sich der „Bedeutung der Eßlust in ihrer psychischkompensatorischen Funktion“13 deutlich bewußt sei. Doch ist dies zwar auch, jedoch keineswegs nur ein bloß pathologischer (,hysterischer‘14) Selbst-Befund, sondern vielmehr Gegenstand einer produktiven intellektuellen Bearbeitung, einer Stilisierung, wie Christ schreibt. Diese produktive Aufnahme dient unter anderem dazu „sich in Kontraposition zu Descartes in der Befriedigung seiner Eßlust seiner Existenz zu versichern“.15 Essen gewinnt somit philosophische Bedeutung; weniger das Denken, sondern vielmehr der Stoffwechsel in Form der Verdauung gibt Gewißheit in Fragen der Existenz. Es scheint daher ein lohnendes Unternehmen zu sein, Hamanns Stilisierungen des Essens einer näheren Betrachtung zu unterziehen, d. h. die Art und Weise zu untersuchen, wie Szenen des Essens bei Hamann, insbesondere in seinen Briefen, gestaltet sind. An Friedrich Heinrich Jacobi sendet Hamann im Dezember 1787 eine kulinarisch höchst verlockende Beschreibung eines Festmahls bei der Fürstin Gallizin in Angelmodde an der Werse, welche durch literarische und kirchliche Anspielungen gestaltet ist und sich so zu einem Traktat praktischer Theologie auswächst: Darauf gieng es zur Tafel im vollen Trabe, den ich nicht Zeit hatte selbst zu bemerken. Die Gerichte standen wie eine kleine Flotte ausgerüstet. Meine hungrige Muse ist nicht im stande einen genauen Catalogum davon anzufertigen, sondern wählte sich wie der Vogel des Apolls die heilige neuner Zahl. Eine pommersche Mandelsuppe stand neben Sauerkraut, wie ein paar Zwillingsschwestern. Ich nahm dazu einen Schnitt Rindfleisch mit Weißbrodt und Pfeffer gepudert; durfte nicht mehr aus Achtsamkeit des auf mich wartenden Sauerbratens. Hier trank ich einer alten Sitte der Diät zufolge zwey Gläser 10 Kurt Christ, Johann Georg Hamann (1730–1788). Eine Portraitskizze nach hypochondrischen Briefen, in: Johann Georg Hamann 1730–1788. Quellen und Forschungen, hrsg. von Renate Knoll, Bonn: Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen 1988, 248–252. Hamanns eigener Aussage nach „verfluchter Wurststil, der von Verstopfung herkommt“ und ihm „Eckel u Grauen“ macht, ist nur der deutlichste Ausdruck dieses Zusammenhangs (siehe Hamanns Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 4. Januar 1786, ZH VI, 217). 11 Christ, Johann Georg Hamann, 249. 12 Brief an Herder vom 2. April 1786 (ZH VI, 336). 13 Christ, Johann Georg Hamann, 251. 14 Christ, Johann Georg Hamann, 250. 15 Christ, Johann Georg Hamann, 251.
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kräftigen Biers. Mein katholischer Magen ließ sich auch gelüsten 2 Löffel eingerührter Eyer zu schmecken. Ein fetter Kurren oder Putenbraten hatte allen Reitz einer schmachtenden Blonden in meinen Augen. Ein Pudding schwamm im rothen Wein. Ein Mandelkuchen des vorigen Tages; eine Apfeltorte, die erst gebacken war. Ein Glas Bordeaux und 2 oder 3 Gläser Tokayer, wovon der eine trüber und Georgii Ausbruch, der andere klarer und feuriger war. Alles wurde mit einem Schnittchen schwarzbrodt und Butter beschloßen, und man stand von der Tafel auf. Auf 2 Schälchen Caff8 zu einer Pfeife Knaster trank ich noch ein großes Glas mit Salzerwasser. So wurde der 1. des Christm. gefeyert und das alte Kirchenjahr zurückgelegt.16
Schon die bloße Menge der verzehrten (und nicht nur verkosteten) Speisen und Getränke ist hier erstaunlich, ebenso merkwürdig ist aber auch die Art der Darstellung des Konsums. Hamanns allumfassender und deshalb katholischer Magen feiert durch die Vertilgung einer heiligen Neunerzahl höchst schmackhafter Gerichte den Beschluß des alten Kirchenjahres. Quantität geht ihm vor Qualität.17 Zudem ist er sich nicht zu schade, diese Art höherer Völlerei an einen seiner philosophischen Hauptansprechpartner in einer ,hymnischen Rhapsodie‘ zu schildern, einen Schiffskatalog seiner persönlichen Helden – und Heldinnen, indem er den Reiz eines ,fetten Putenbratens‘ dem einer sanft schmachtenden Blondine gleichsetzt. Der Verweis auf religiöse Traditionen zeigt jedoch, daß es nicht nur um eine lustvolle Wiederholung der körperlichen Genüsse in der Spielerei eines literarisch anspielungsreichen Schreibens geht (und darum seinen Briefpartner durch diese Art der Teilhabe zu ärgern), sondern, daß ihm das Essen mehr bedeutet und anzeigt, als man gemeinhin den kulinarischen Freuden zuzugestehen bereit ist. Das Ganze findet statt im Kontext einer ,Wallfahrt‘.18 „Die Küche gehörte“ so sein Biograph Joseph Nadler, „wie alles Irdische, mitten in seine Frömmigkeit.“19 Dies gilt auch in philosophischer Hinsicht. Wiederum an Jacobi schreibt Hamann am 9. April 1787: Der Tisch ist gedeckt, und es ist Zeit aufzustehen. Verzeih einem alten kranken Oedipus sein radotage, Herzenslieber Bruder Jonathan! Wie herrlich mir der Hecht und die Rehkäule meines kranken Freundes geschmeckt hat. Auch in der Küche sind die Götter, 16 ZH VII, 362. 17 „Delicateßen lieb ich nicht, aber eine gute Fleischsuppe eß ich lieber als Grütze.“ (ZH V, 26 (Brief an Ehregott Friedrich Lindner vom 17. Februar 1783)). In jedem Fall fand Hamann es bemerkenswert, wenn das Essen ihm nur in qualitativer und nicht so sehr in quantitativer Hinsicht Vergnügen bereitete. Über eine Krankheit berichtet er an Herder von 14. Oktober 1776: „Wenig Durst, einen Wohlgeschmack am Eßen und eine Wollust daran, doch ohne Gefräßigkeit hab ich in meinem ganzen Leben nicht gehabt als seit dem Ausbruch des Fiebers.“ (ZH III, 256). 18 ZH VII, 361, 19. Ebenso ist das Essen für Hamann in besonderer Weise beichtfähig, vgl. seinen Brief an Herder vom 10. Juli 1785 (ZH VI, 12). 19 Joseph Nadler, Johann Georg Hamann. Zeuge des Corpus mysticum, Salzburg 1949, 278.
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Das „liebe Essen und Trinken“
und was Cartes von seinem Cogito sagt, davon überführt mich die Thätigkeit meines Magens. Der Caff8 ist auch schon absolviert; und ich kehre zu meinem Schreibtisch, bald hätt ich gesagt vom Tisch zum Wisch.20
Heraklits Götter sind nicht nur im Herdfeuer, sondern auch in den Dingen, die auf diesem zubereitet werden.21 Die Nüchternheit der täglichen Nahrungsaufnahme steht gegen die intellektuelle Ausnahmesituation am Schreibpult, ja ist dieser sogar sachlich vorausgesetzt. Der Tisch des Menschen ist nicht nur der Schreibtisch, sondern auch und zuerst der Eßtisch.22 Doch nicht nur dies. Hamann setzt an dieser Stelle die religiöse Implikation der bekannten HeraklitAnekdote gegen den Ausgangspunkt der neuzeitlichen Philosophie im cartesianischen Cogito. Das Essen übernimmt als Ernährung nicht nur profan existenzsichernde, sondern auch im Prozeß der Verdauung theologisch existenzversichernde Funktion und vermittelt auf diese Weise heilige und profane Sphäre. Als diese Vermittlung kann es auch entsprechend sprachlich gefeiert werden. Gegenüber dieser Würdigkeit des Essens, des Tisches, wird die geistige Arbeit zurechtgestutzt, das Schreibpapier zum Wisch. Erst der Tisch ermöglicht die Arbeit am Wisch. Im Sinne dieser Reihenfolge von Ernährung und Verdauung ist es begreiflich, daß Hamann über das eigene Denken folgende scheinbar despektierliche Zeilen schreiben konnte: … Sie wißen, daß ich jede Autorschaft als die Excremente der menschl. Natur ansehe (…) Es ist Mittag und ich freue mich aufs liebe Eßen und Trinken, und eben so sehr auf den Augenblick beydes wieder los zu werden und der Erde wieder zu geben, was aus ihr genommen ist. Vergeben Sie mir diese ungezogene Natursprache. Sie ist die Mutter meiner dürftigen Philosophie, und das Ideal dieser ungerathenen Tochter, welche mit ihrem Füßen auf der Erde steht und geht, nur mit ihren Augen den Himmel erreichen kann, von ferne, von weitem und je länger, desto dunkler.23
Die Autorschaft wird so zur Fortsetzung und Folge der Ernährung mit anderen Mitteln, die schriftstellerische Produktion hat die theologisch verstandene Ernährung, das liebe Essen und Trinken, als Voraussetzung. Hamann erklärt entsprechend, daß er sich „über ein neues Gericht und einen neuen Geschmack auf einem fremden Tisch“ beinahe „wie über eine neue Wahrheit, die ein anderer für mich entdeckt“, freue.24 20 ZH VII, 140. 21 Vgl. Hamann Brief an Franz Kaspar Buchholtz vom 20 Dezember 1784, ZH V, 287. 22 An Buchholtz schreibt Hamann am 22. Februar 1785: „Vergeben Sie es einem so häuslichen alten Mann, daß er sie so oft an seinen Herd und Küchenfeuer versetzt. Auch hier sind Götter, sagte der mir liebe Heraklit beym Besuch einiger Abgesandten. An dieser kleinen Welt hab ich gnug und sie ist das einzige Observatorium, von dem ich die große zu beurteilen imstande bin, die ich nicht kenne und für die ich mich nicht schicke.“ (ZH V, 373). 23 ZH VII, 332. 24 ZH V, 412 (An Franz Kaspar Buchholtz vom 6. April 1785).
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Das Essen ist so insbesondere theologisch durch die Art und Weise seiner Beschreibung in immenser Weise aufgewertet. Diese Möglichkeit der Stilisierung des Essens durch den essenden Autor ist vielleicht überraschend, gerade für einen derart bibelbezogenen Autor wie Hamann, denn der Verzehr der Früchte vom Baum der Erkenntnis ist nach biblischem Bericht für den Fall des Menschengeschlechts verantwortlich. Jedoch sind es genau diese körperlichen Begierden, die dem Menschen letztlich zum Segen gereichen: Gott hat unsern Seelen einen Hunger nach Erkenntnis, ein Verlangen zu wissen, eine Unruhe, wenn wir uns in einem dunklen und finstern Orte sehen; er hat unserer Seele einen Durst der Begierden gegeben, die lechzen, die schreyen nach einem Gut, das wir so wenig zu nennen wissen, als der Hirsch das frische Wasser, das wir aber erkennen und in uns schlucken, so bald wir es antreffen. So wie wir für unsern zeitlichen Hunger und Durst einen reichen Vorrath der Natur finden, die für jeden Geschmack gedacht und gesorgt hat; so hat Gott gleichfalls Wahrheit und Gnade, Brodt und Wasser, Manna und Wein zur Nahrung und Stärkung unserer Seelen zubereitet.25
Jedoch ist es mehr als eine Analogiebeziehung, die den Hunger und den Durst nach göttlichem Gut mit dem zeitlichen Hunger und Durst verbindet. In seiner bekenntnishaften Schrift ,Gedanken über meinen Lebenslauf‘ beschreibt Hamann seine persönlich-leibliche Situation kurz vor seinem entscheidenden Bekehrungserlebnis – eine Übertragung auf geistige Ebene liegt nahe – wie folgt: Ich hatte im vorig[en] Coffeehause einen verstopften Leib auf 8 Tage lang bisweil[en] gehabt und ein[en] erstaunend[en] Hunger, der nicht zu ersättig[en] war. Ich hatte d[as] hiesige starke Bier, als Wasser in mir gesoffen. Meine Gesundheit daher bey all[en] den Unordnung[en] der Lebensart v meines Gemüths ist ein göttl. Wunder, ja ohne Zweifel mein Leben selbst v die Erhaltung desselb[en].26
Gerade für Hamann selbst gilt also der paradoxe Umstand, daß dasjenige, was zu seiner elenden Lage führt, unersättlicher Hunger und Durst, auf der anderen Seite eben dadurch zum Vehikel seiner Errettung wird. Unersättlicher Hunger ist so Zeichen für Erlösungsbedürftigkeit und auch der Bereitschaft hierzu – im Kontrast zur (Selbst-)Genügsamkeit.27 Gerade die Angewiesenheit auf Nahrung, welche nicht nur Erfüllung einer reinen Notwendigkeit, sondern auch psycho25 BW 224. Am Ende seines Lebens lobt Hamann häufig seine Bewältigungskapazität in Sachen der göttlichen Gaben: „Ueber meinen Magen kann ich nicht klagen, der bleibt noch immer wacker, und ich habe mehr Ursache einen Exceß als Defect meines Appetits und außerordentlichen Geschmacks an Gottes Gaben, mit denen ich verhältnismäßig versorgt worden bin, zu versorgen.“ (Brief an Johann George Scheffner vom 21. März 1787, ZH VII, 125). 26 BW 340. 27 „Ich freue mich herzlich über den Hunger und Durst, den Sie von sich bekennen. Die Unersättlichkeit aber ist der Genügsamkeit – wie in irrdischen also auch in himml. Dingen entgegen gesetzt.“ schreibt Hamann am 9. März 1759 an Lindner (ZH I, 292).
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logisch affektbesetzt bis hin zur Suchtähnlichkeit sein kann, macht Autarkieforderungen an den Einzelnen zumindest zweifelhaft. Es bleibt also die Frage, was einer Überprüfung zu unterziehen und was Restriktionen unterliegen sollte: der Drang zu essen und zu trinken oder der Versuch, sich von solcherart dokumentierten Abhängigkeiten frei- und selbständig zu machen. Für Hamann jedenfalls ist eher letzteres fraglich geworden. Biographisch kann er es daher auch kaum für einen Zufall ansehen, wenn nach seinem Londoner Erweckungserlebnis, kurz vor seiner Rückkehr in die Heimat, er selbst auf dieses Thema explizit angesprochen zu werden scheint: „In der Abschiedspredigt, die mir ein Knecht des Herrn in Engl. halten mußte, hieß es: Iß dein Brot mit Freuden und trink Deinen Wein mit gutem Muth ppp.“28 Der Vers Kohelet 9,7 wird so zum Leitmotiv der Hamannschen theologischen Kulinarik. An dieser Stelle, nach Oswald Bayer der cantus firmus29 seines Lebens, ist und bleibt für Hamann zeitlebens die enge Verbindung von Ernährung und seinem christlichen Glauben deutlich greifbar. So schreibt er gut dreißig Jahre später an Herder : Also iß Dein Brodt mit Freuden, trink Deinen Wein mit gutem Muth, denn Dein Werk gefällt Gott. Dieser Billigungstrieb vulgo Glaube hält doch immer fest, wenn alle andere Stricke reißen.30
Gerade der scheinbar profane Hunger und der scheinbar ordinäre Durst sind laut Hamann dasjenige, was den Menschen transzendiert, was ihn über sich hinausweist. Diese Ordnungsfunktion der körperlichen Bedürfnisse ist im Hinblick auf die Frage nach der Stellung des Menschen im Kosmos nicht zu unterschätzen. Der Mensch ist (Mensch), da er ißt. Die Bedürftigkeit des Menschen zeigt seine Angewiesenheit auf etwas anderes außer ihm selbst.31 Selbst28 ZH I, 427 (Brief an Lindner vom 12. Oktober 1759). Vgl. Hamanns Brief an Lavater vom 18. Januar 1778, ZH IV, 5. Siehe auch Hamanns Bericht in den Gedanken über meinen Lebenslauf BW 431. 29 Bayer, ,Geschmack am Zeichen‘, 8. 30 Brief an Herder vom 18. Januar 1786 (ZH VI, 240). Vgl. Hamanns Brief an Heinrich Schenk vom 16. Juli 1786, in dem diese Stelle eine noch deutlichere Zeichenhaftigkeit für Hamanns Leben erhält: „Mit dem heutigen Sonntagsevangelio 758 verließ ich Engl. Ich hielte meine Andacht und der damalige Prediger in der Savoykirche hatte zum Eingange: Iß dein Brot mit Freuden p. Es war zu Ende des Junii, ich war einen ganzen Monath auf dem Schiffe, und dennoch besinne ich mich eben so lebhaft mit demselben Evangelio in Riga wider bewillkommt zu seyn, weil ich wider vor Freuden mit dem ersten Sonntage meine Andacht hielte. Wie dies möglich gewesen ist, begreif ich bis diese Stunde nicht, da der Unterschied der Sonntage zwischen dem A. und N. Styl keinen ganzen Monath ausmachen kann.“ (ZH VI, 474/475). 31 Vgl. Erwin Metzke, J.G. Hamanns Stellung in der Philosophie des 18. Jahrhunderts, Darmstadt 1967, S. 18. In den ,Biblischen Betrachtungen‘ heißt es folglich: „Der Hunger ist uns nicht deswegen gegeben, daß wir nichts als essen sollen, die Schaam und Blöße nicht, daß wir uns nichts als Kleider anschaffen sollen; die Zunge nicht, daß wir nichts als reden sollen, der
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gesetzgebung hingegen führt zur Heautophagie. In diesem Sinne gilt auch für Hamann das brechtsche Motto ,Erst das Fressen und dann die Moral‘.32 Die Gefahr für den Menschen ist sein Bestreben autark zu werden, gerade auch im Hinblick auf die Ernährung: Es waren nicht die Fleischtöpfe allein Egyptens, sondern die Verachtung des Mannah, und das nicht allein, sondern eine Seuche des Satans in den Seelen der Israeliten, die sich selbst durch den Hunger nach Fleisch als eine giftige Krankheit durch eine Beule der Haut entdeckte. Mein Volk hat eine doppelte Sünde begangen: Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und trinken aus Pfützen, die sie selbst gegraben haben.33
Doch ist bei Hamann das leibliche Bedürfnis nicht einfach auf ein geistiges Bedürfnis zurückzuführen. Beide Bedürfnisse stehen vielmehr in einem engen Kommunikationsverhältnis, in dem das eine durch das andere vermittelt wird. Die Bedürftigkeit nach Nahrung transzendiert den Menschen, das Essen und Trinken realisiert diese Transzendenz im alltäglichen menschlichen Dasein. Der Christenmensch zeichnet sich also durch sein Essen aus. Dies wird vor allem durch das Sakrament des Abendmahls verdeutlicht.34 Er ist ein unersättlicher ,Wiederkäuer‘ und findet im Prozeß des Essens selbst, nicht nur in der eingenommenen Nahrung, Bestätigung seiner Existenz:
Leib nicht, daß wir nichts als fürs tägliche Brodt mit demselben arbeiten oder einen Müßiggang desselben pflegen sollen. Gott hat uns so viele Bedürfnisse gegeben, er hat sie so untergeordnet, daß uns die bloße Natur den Werth derselben, die Ordnung, nach der wir sie befriedigen sollen, lehren könnte; demohngeachtet hat Gewohnheit, Mode, Thorheit und alle möglichen Gestalten der Sünde selbst diese Ordnung aufgehoben und verkehrt. So hat der Satan uns mit Worten an statt Wahrheit abzuspeisen gewust. Wie lange hat der den Bauch der Vernunft mit diesem Ostwind gefüllt und aufgeblasen. Joh. 15,2.“ (BW, Biblische Betrachtungen, 225/226). Entsprechend können die (Verdauungs-)produkte der Vernunft sich in ihrer Beschaffenheit nicht viel von dem unterscheiden, was Kant als das eigentliche Ergebnis der ,Träume eines Geistersehers‘ kennzeichnet: „Auch wäre es bei dieser Lage der Sachen eben nicht nötig gewesen, so weit auszuholen und in dem fieberhaften Gehirn betrogener Schwärmer durch Hilfe der Metaphysik Geheimnisse aufzusuchen. Der scharfsichtige Hudibras hätte uns allein das Rätsel auflösen können, denn nach seiner Meinung: wenn ein hypochondrischer Wind in den Eingeweiden tobet, so kommt es darauf an, welche Richtung er nimmt, geht er abwärts, so wird daraus ein F-, steigt er aber aufwärts, so ist es eine Erscheinung oder eine heilige Eingebung.“ (Immanuel Kant, Träume eines Geistersehers erläutert durch die Träume der Metaphysik, in: ders., Vorkritische Schriften Band 2, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt: WBG 1983, 959/960). 32 Hamanns positive Fassung dieses Mottos könnte lauten: „Doch die Pudenda unserer Natur hängen mit den Cammern des Herzens und des Gehirns so genau zusammen; daß eine zu strenge Abstraction eines so natürlichen Bandes unmöglich ist.“ (ZH V, 167 (Brief an Johann Friedrich Hartknoch vom 24. Juli 1784)). 33 BW (Biblische Betrachtungen), 224. 34 Vgl. hierzu: Joachim Ringleben, Hamanns Verhältnis zum Sakrament des Abendmahls, in: Johann Georg Hamann, Religion und Gesellschaft, hrsg. von Manfred Beetz und Andre Rudolph, Berlin/ Boston: De Gruyter 2012, 196–207.
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Die Eigenschaften der reinen Thiere stellen uns die Natur des Christen vor. Er käut wieder, er spaltet die Klauen. Er will den Geschmack der Speisen, womit er seine Seele nährt, recht genüßen, er ermüdet sich daher nicht selbige hin und zurück zu werfen, dadurch wird seine Nahrung nicht nur zubereitet, sondern das Mittel selbige einzunehmen ist selbst Nahrung und Vergnügen vor ihm.35
Der Vorgang des Essens selbst also ist für einen Christen praktische Theologie. Dies gilt auch und gerade für Hamann persönlich: hier hat man ihn ,ganz vor sich‘.36 An Lavater schreibt er : Ihnen von Grund meiner Seele zu sagen, ist mein ganzes Christentum (ich mag zu den fetten oder magern Kühen Pharaos gehören) ein Geschmack am Zeichen, und an den Elementen des Wassers, des Brods, des Weines. Hier ist Fülle für Hunger und Durst […]37
Es scheint nun, daß das ausgiebige Essen für Hamann konkreter auch ein Aspekt praktischen ,Lutherisierens‘ ist. Es gibt bei Luther einige Stellen, die diese Auffassung stützen können, so zum Beispiel: „Denn laß sich halten, stellen, gebärden, wer da will und wie er will, glaubt er nicht an Jesus Christus, so bist du sicher, daß Gott Essen und Trinken im Glauben lieber hat als Fasten ohne Glauben; lieber wenige ordentliche Gebärden im Glauben als viele schöne Gebärden ohne Glauben, lieber wenige Gebete im Glauben als viele Gebete ohne Glauben.“38 Auf der einen Seite ist das Essen und Trinken nicht zugunsten einer asketischen Lebensführung per se denunziert, nämlich dann nicht, sobald das essende Subjekt seine ontologische Verwiesenheit erkennt und anerkennt. Dann ist, so Luther, auf der anderen Seite auch ein ostentativ entspanntes Verhältnis zu den Dingen der Welt möglich: „Unser Herrgott gönnet uns wohl, daß wir essen, trinken und fröhlich seien. Deshalb hat er auch so viele Dinge geschaffen. (Er will) lediglich, daß wir ihn für einen Gott erkennen und halten. Denn er will nicht haben, daß wir sagen könnten, er habe uns nicht genug gegeben, er könne unsern armen Madensack nicht ernähren und füllen.“39 Der Mensch genießt so „seine Nahrung in Bewunderung Gottes (admiratio dei) und heiliger Lust.“40 Der wohlgenährte Christ wird so zu einem (unübersehbaren) Zeichen gött35 BW S. 380. 36 Ringleben, Hamanns Verhältnis zum Sakrament des Abendmahls, 206. 37 ZH IV, 6 (Brief an Lavater vom 18. Januar 1778). Für eine eingehende Interpretation dieser Briefstelle vgl. Oswald Bayer, ,Geschmack am Zeichen‘, 1–15. 38 Martin Luther : Eine Heerpredigt wider den Türken (1530), zitiert nach Luther Deutsch Band. 7: Der Christ in der Welt, hrsg. von Kurt Aland, Göttingen:Vandenhoeck& Ruprecht 1991, 139. 39 Luther Deutsch Band 9: Die Tischreden, hrsg von Kurt Aland, Göttingen: Vandenhoeck& Ruprecht 1991, 264. 40 Tom Kleffmann, Die Erbsündenlehre im sprachtheologischen Horizont. Eine Intrpretation Augustins, Luthers und Hamanns, Tübingen: Mohr-Siebeck 1994, 143.
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licher Fürsorge41, aber auch in seinem (zunehmend) unersättlichen Hunger und Durst für seine Angewiesenheit auf etwas außer ihm selbst. Hamann verwendet häufig den Ausdruck ,Seelenhunger‘.42 Wenn nun, wie Joachim Ringleben zeigt, für Luther auch und gerade „das rechte Hören ein geistlich-sakramentales Verzehren (,Essen‘) ist“43, so ist die überragende Bedeutung des Essens für den entscheidenden Glaubensprozeß (fides ex auditu) an sich eindrücklich aufgewiesen. „Wer hier schmeckt,“ schreibt Hamann zuversichtlich an Christian Jakob Kraus, der es gewagt hatte, Hamann eine Beschränkung seiner Mahlzeiten zu empfehlen, „wird dort zu sehen bekommen, wie freundlich der HErr des Weltalls ist.“44 Geistiges ist Ergebnis des Verdauungsprozesses des Materiellen. Es ist dieser Vorgang des Metabolismus, des Stoff-Wechsels, der Hamann in besonderer Weise interessiert. Essen und Verdauung werden so zu einer sinnfälligen Erscheinungsweise der communicatio idiomatum, wo in einem Vorgang der Übersetzung die Sprache Gottes im natürlich-materiellen in die Sprache des Menschengeistes vermittelt wird.45 In diesem Sinne wird Mäßigkeit für Hamann in der Tat zu einer ,Bürgermeistertugend‘; der Geist als Produkt eines stattha-
41 „Unser Leib ist der Erstgeborene, und verdient als Tempel unsere Pflege und Sorgfalt.“ ZH V, 339 (Brief an Franz Kaspar Buchholz vom 24. Januar 1785). 42 Siehe zum Beispiel: „Mein außerordentlicher Geschmack an Nahrung und Genuß, mein Seelenhunger beunruhigt mich eben so sehr, als der Verdacht, den Sie gegen sich selbst haben [….].“ schreibt Hamann am 17. Juli 1786 an Franz Xaver Buchholz (ZH VI, 480). Vgl. auch ZH VII, 329. 43 Ringleben, Hamanns Verhältnis zum Sakrament des Abendmahls, 199. 44 ZH VII, 304. 45 Diese Kommunikation ist die speziell Hamannsche Version der bis in die Umgangssprache nachweisbaren „Parallelisierung von Ernähren und Erkennen“ (beschreiben bei: Astrid von der Lühe, Art. ,Schmecken‘ in: Wörterbuch der philosophischen Metaphern, hrsg. von Ralf Konersmann, Darmstadt: WBG 2007, 340–341), wobei Hamann dem Essen und der Nahrungsaufnahme nicht nur epistemologische, sondern sogar ontologische Relevanz zuschreibt. Während das Essen in metaphorischer Hinsicht den Prozeß des Zueigenmachens von (geistiger) Substanz beschreibt, verweist es bei Hamann gerade auf eine Abhängigkeit, die einem emphatischen Eigentumsbegriff zuwiderläuft. Der von Novalis beschriebene Prozeß: „Alles Genießen, Zueignen, und assimilieren ist Essen, oder Essen ist vielmehr nichts als eine Zueignung. Alles geistige Genießen kann daher durch Essen ausgedrückt werden.“ bezeichnet daher keine Zueignung durch das genießende Subjekt, sondern ein Zugeeignetwerden des Subjekts durch Gott, also im Hinblick auf die Parallelisierung von Ernähren und Erkennen einen Begriff von Erkenntnis als dem Erkanntsein durch Gott. Bei Novalis heißt es im Folgenden, Hamanns idiomenkommunikativer Auffassung nicht unähnlich: „So genießen wir den Genius der Natur alle Tage und so wird jedes Mahl zum Gedächtnißmahl – zum Seelennährenden, wie zum Körpererhaltenden Mal – zum geheimnißvollen Mittel einer Verklärung und Vergötterung auf Erden – eines belebenden Umgangs mit dem Absolut Lebendigen.“ (Novalis, Ergänzungen zu den Teplitzer Fragmenten, in: ders., Schriften. Zweiter Band: Das philosophische Werk I, hrsg. von Richard Samuel, Stuttgart: Kohlhammer 1965, 620/621).
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benden Stoffwechsels ist ohne Maß46 – und eine reichliche Aufnahme dessen, was diesen Stoffwechsel anregt, in diesem Sinne gerechtfertigt, wenn nicht gar gefordert.47 Der auferstandene Christus selbst ist nach Johannes 21,13 laut Hamann der ,Speisemeister‘ seiner Jünger und legt ihnen die Speisen zum Gebrauch vor, da nach der Sintflut alle Tiere uns insbesondere die der Flüsse und Seen zu diesem Zwecke geheiligt sind.48 Entsprechend ernst zu nehmen ist nach Hamann auch die Bitte des Vaterunsers; das tägliche Brot, um das gebeten wird, ist keine bloße Notwendigkeit, kein Zugeständnis an eine etwa zu überwindende Körperlichkeit, sondern vielmehr ein bedeutsames Zeichen des Wechselspiels menschlicher Bedürftigkeit und göttlicher Gnade. An seinen Bruder schreibt er Ende Juli 1760: Ob Brodt hier ist? Wer arbeitet, soll auch eßen. Ich trinke in meines Vaters Hause alle Tage Coff8e, Wein, so oft es mit einfällt, und habe heute Mittag Blaubeeren, Sauerbraten, Steinpilzchen gegeßen, auch eine Melone ungerührt zurückgehen laßen, und mein Vater unser! wird täglich reichlich, nach Herzenslust erhört.49
Und Hamann beschränkt sich beileibe nicht nur auf das Brot als einem Zeichen einer besonderen Askese. Nicht nur diätetisch, sondern auch in geistlicher Hinsicht ist eine Beschränkung der eigenen Ernährung auf das Brot zweifelhaft: zum eigentlichen Leben gehört auch und gerade, und zudem in ganz unmetaphorischer Weise, andere Nahrung:
46 Vgl. ZH VII, 418, 9–12. 47 Wie Thomas Strässle gezeigt hat, kann der kulinarische Faden bei Hamann hinsichtlich des kommunikativen Stoff-wechsels, seines Transformationpotentials, weiter fortgesponnen werden, Für Hamann sollte menschliche Nahrung nicht nur im reichlichen Ausmaße vorhanden, sondern selbst auch ordentlich gewürzt sein. In seiner Untersuchung über ,The Religious Symbolism of Salt and the Criticism of Rationality in Johann Georg Hamann‘ (Neue Zeitschrift für systemtische Theologie und Religionsphilosophie 46 (2004), 101–111 verweist Strässle auf die „[…] indispensible role [of salt, Anm. KMS] in all organic metabolisms[…]“. (101) Salz dient als dynamisierendes Element, als Katalysator des Stoffwechsels, allerdings erst, wenn es selbst seine purifizierende, d. h. unfruchtbar machende Eigenschaft überwunden hat. Gesalzenes ist so „capable of transubstantiation in the religious sense of the word. It thus serves as a symbol for wisdom: just as wisdom becomes foolish only to be transmuted into higher form of wisdom, so the salt of erudition becomes foolish only to be transformed into a salt that symbolically alludes both to intellectual acuteness and to apostolic wisdom.“ (110) Wenn, so Strässle, das Salz kritischer Gelehrsamkeit nach dem biblischen Ausdruck ,dumm‘ geworden ist, ist die Stelle gewonnen, an der die selbstreferentielle Vernunft sich transzendiert und auf Offenbarung hinweist (110). 48 Vgl. BW 279. 49 ZH II, 35.
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Nicht beym lieben Brodt – von dem der Mensch nicht allein lebt, wie Moses sagt und des Menschen sohn bekräftigt, schwitzt meine Nase, sondern lieber beym Sauerbraten. Der ist mein Diaphereticum.50
Was den Menschen antreibt und in transpirative Wallung bringt, ist die konkrete Leckerei, welche als solche dann aber nach Hamann durchaus auch theologisierbar ist und eben nicht im Gegensatz zum Guten, Schönen und Wahren eines gottgefälligen Lebens steht. Auch durch den Sauerbraten teilt sich Geist mit. Das konkrete Essen wird so zu einem praktischen Andenken an die Kondeszendenz, eine Würdigung der Herunterlassung Gottes in das Kleinste und Verächtlichste – und eine Würdigung des ,Absolut Lebendigen‘ (im Sinne Novalis’). In seiner programmatischen Schrift ,Brocken‘ schreibt Hamann: Die sichtbare Welt mag noch so eine Wüste in den Augen eines zum Himmel erschaffenen Geistes seyn, die Brodte, die uns Gott hier aufträgt, mögen noch so unansehnlich und kümmerl. Aussehen, die Fische noch so klein seyn, sie sind geseegnet und wir mit denselben von einem Allmächtigen, Wunderthätigen, Geheimnisvollen Gott, den wir Christen als den unsrigen nennen; weil er sich selbst so in der grösten Demuth und Liebe offenbart hat.51
III.
Essen und Lesen Ueberall ist meine Weide. Mir schmeckt auch alles. Ist es pica oder Hunger – aber ich muß in beyden Fällen büßen.52
Essen und Lesen stehen bei Hamann selbst in einer aufschlußreichen Entsprechung. In einer seiner Selbstdarstellungen, der Vox Pelicani Solitudinis berichtet er darüber, wie ihm das Lesen ganz konkret zur Bedingung der Möglichkeit des Essens wurde. Zwar habe er es nicht der Mühe wert gehalten „irgend eine Sprache weiter als zur Nothdurft meiner Lesesucht zu üben“53, im Falle des Französischen ermöglichten jedoch diese zum Zwecke des Lesens erlernten Sprachkenntnisse Hamanns Anstellung als Übersetzer „der neuen Prov. Accise und Zoll Direction“. Die ,Lesesucht‘ erlaubt somit die eigene Ernährung über das notwendige Maß hinaus: „Auf diese Weise beschärte mir die Vorsehung nebst dem täglichen Brodt auch Wildpret für die Lüsternheit meines Gaumens.“54 Die durch das Essen angezeigte und praktizierte Idiomenkommunikation findet sich prominent bei Hamann auch in seinen Berichten über seine exten50 51 52 53 54
Brief an Johann George Scheffner vom 17. November 1785 (ZH VI, 143). BW S. 406. Brief an Jacobi vom 3. Mai 1787 (ZH VII, 180). N III (Vox Pelicani), 328. N III (Vox Pelicani), 328.
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siven Lektüren, die er in kulinarischer Weise beschreibt. Dabei hat das Lesen für Hamann weniger mit der (Wein-) ,Lese‘ zu tun als vielmehr mit dem biblischen Bild des Verschlingens des Buches, welches als göttlicher Auftrag präsentiert ist (Du Menschenkind, du mußt diese Schriftrolle, die ich dir gebe, in dich hinein essen und deinen Leib damit füllen. Da aß ich sie, und sie war in meinem Munde so süß wie Honig, Ezechiel 3,3). Dieser Aufforderung ist Hamann, wie seine Lektüreberichte vor allem an den Freund Lindner eindrücklich zeigen, in exzessiver Weise nachgekommen, obwohl sich bei ihm in der Tat auch physiologisch genau die Effekte einstellten, die im biblischen Text beschrieben sind, und die Hamann sich beeilt, vor allem ausgewählten Briefpartnern in extenso mitzuteilen (Und ich ging hin zum Engel und sprach zu ihm: Gib mir das Büchlein! Und er sprach zu mir : Nimm hin und verschling’s, und es wird dich im Bauch grimmen: aber in deinem Munde wird’s so süß sein wie Honig. Und ich nahm das Büchlein von der Hand des Engels und verschlang’s, und es war süß in meinem Munde wie Honig; und da ich’s gegessen hatte, grimmte mich’s im Bauch Apokalypse 10, 9–10). Verdauungsprobleme (auch im Umgang mit Lektüre) werden für Hamann so zur Auszeichnung und zur Bewahrheitung des biblischen Wortes wie zum nicht ignorierbaren Verweis auf den Autor des Buches.55 Hamann kennzeichnet sich entsprechend nicht als Buchtrinker, sondern als gierigen Buchesser.56 Noch kurz vor seinem Tode konstatiert er sich selbst einen unersättlichen „Heißhunger nach Büchern“57; in einem seiner letzten Briefe heißt es kurz: „Der Appetit zum Eßen und Lesen unauslöschlich.“58 Der hier in der Lektüre vorliegende Übersetzungsvorgang einer menschlichen Sprache in eine andere (seine eigene) ist als Vorgang des Stoffwechsels resp. der Verdauung gekennzeichnet. Der grundsätzliche angemessene Umgang mit Büchern ist entsprechend abgeleitet von dem Umgang mit dem für Hamann bei weitem wichtigsten Buch, 55 Vgl. Hamanns Apologie der Bauchschmerzen im Zuge der dem Menschen nötigen Anerkennung seiner grundsätzlichen Kreatürlichkeit im Konxompax: „Denn die ganze Schöpfung nimmt an unsern Grimmen und Wehen Antheil, weil ihre Erlösung von der Leibeigenschaft der Eitelkeit, des Mißbrauchs und Bauchs, (welche Leibeigenschaft die Creatur nicht von freyen Stücken, sondern um desjenigen willen unterworfen ist, der den Bauch und die Speise und die gegenwärtige leibliche und geistlich Nothdurft seine Füsse zu decken eben so vernichten wird […]“ (N III, 226/227, vgl. Schoonhovens Kommentar in HH 5, 250/251). 56 An Johann Friedrich Reichardt schreibt er am 25, August 1781: „Will aber erst die Bibliothecam Fratrum polonorum, mit der ich eben den Anfang gemacht, durchlaufen und ihre Analogie mit unseren zeitigen Kirchenvätern u Reformationsseuchtigen ein wenig näher kennen lernen – wenn ich nicht an der pituita molesta und den Folgen meiner sitzenden Bulimie berste.“ (ZH IV, 330). 57 Vgl. den Bericht seines Sohnes Johann Michael Hamann am 1. Juli 1788 an Reichardt, abgedruckt in: Arthur Henkel, Einleitung zu Johann Georg Hamann, Briefwechsel. Siebter Band 1786–1788 (ZH VII, XVIII). 58 ZH VII, 506 (Brief an Gottlob Immanuel Lindner vom 4. Juni 1788).
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der Bibel. In einem Brief an Gottlob Immanuel Lindner schreibt er über den entsprechenden Umgang […] daß meinen Hunger nicht anderes als dies Buch gestillt, daß ich es wie Johannes geschluckt, und die Süßigkeit und Bitterkeit desselben geschmeckt habe […]59
Nun ist das Schmecken in Aufnahme der biblischen Speisemetaphorik (siehe Psalm 34,9) ein traditioneller Topos der Beschreibung einer spirituellen Erfahrung Gottes und dient im theologischen Kontext vor allem in seiner Eigenschaft als Nahsinn als Anzeige der Unmittelbarkeit und Intimität des Kontakts zum Göttlichen, das konkret in die Zusammensetzung der eigenen Person aufgenommen werden kann, wobei der Prozeß der Aneignung sich ebenso und wahrscheinlich in erster Linie auf die Aneignung des Schmeckenden durch das Geschmeckte in reziproker Wechselwirkung oder Kommunikation bezieht. Zudem weckt diese Möglichkeit Appetit60, und formt so physiologisch wie psychologisch die Gestalt des Schmeckenden. Diese Beschreibungskategorien sind nun ebenso anwendbar auf Gottes Wort. Die biblische Nahrung hat entsprechend Auswirkungen auf die Zusammensetzung von Hamanns Person bzw. den ,physiognomischen Stil‘ seiner Schriften. Herder läßt er wissen: Ich habe die Bibel mit einem fame canina verschlungen und laß tägl. Darinn. Sie war mein Element und Aliment; es war also ganz natürl. Daß mein gantzer Nervensaft tingirt war ; so wie gegenwärtiger Brief nach riedelscher und Klotzischer virtuosensprache ausartet.61
Für den Bibliophagen Hamann wird jedes Buch zur Bibel („Jedes Buch ist mir eine Bibel und jedes Geschäfte ein Gebeth.“)62 und kann folglich entsprechend behandelt bzw. kommunikativ aufgenommen werden.63 Konsequenterweise zeitigt auch die Vorstellung eines guten Buches bei Hamann eigener Auskunft nach wie bei dem Pawlowschen Hunde bestimmte physische Reaktionen. An Herder schreibt er am 9. Juli 1782: Aber um die Fortsetzung der mercurialischen Briefe über Nicolai flehe und bitte mit selbige mit der Post zu befördern. Der gestrige Anfang hat meine Speicheldrüsen in solchen Fluß gebracht, daß ich just einen solchen Brief schreibe wie Sie bey mir bestellt 59 60 61 62
ZH I, 305. Vgl. von der Lühe, ,Schmecken‘, 343–345. ZH II, 443/444 (Brief vom 9. April 1769). ZH I, 309 (Brief an Lindner vom 21. März 1759). An seinen Bruder schreibt er im August 1759: „Laß die Bibel Dein täglich Brodt sein, nimm hin und iß es, als wenn es zu deinem Unterricht allein vom Himmel gefallen wäre.“ (ZH I, 401). 63 Beispielsweise werden auch die Werke des Freundes Herder von Hamann nach Erscheinen „verschlungen“ (ZH IV, 26 (Brief an Herder vom 13. Juli 1778) oder ZH IV, 228 (Brief an Herder vom 25. Oktober 1780)).
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Das „liebe Essen und Trinken“
in Ihrem letzten freundschaftl. Briefe, den ich am Himmelfahrtsabend erhielt, wie ich eben von meinem Beichtvater zu Hause kam, und vor Freuden in mein Bett fuhr, wie unser liebe D. bey seinem Morgenseegen heraus. Hemsterhuis und Schloßer sind nichts; aber das ist Wildbret und ein Eßen, wie ichs gerne habe – und wofür Sie meine Seele seegnet.64
An Lessings Werken etwa kann Hamann sich „nicht satt lesen“.65 Kant schickt ihm „ein gebunden Exemplar seiner Kritik zum Frühstück“.66 Auch dieses Konsumieren ist ihm ein ,Gebeth‘ mit den entsprechenden wohltätigen Auswirkungen auf sein Seelenleben. Diese Wohltat bewirkt eine bestimmte Begierde, die vor seelischem Mundraub nicht zurückschreckt. An Gottlob Immanuel Lindner schreibt Hamann im September 1758: Wie weit sind Sie in ihrem Bücherschmause gekommen? Ich werde als ein Tellerlecker zu Gast kommen, und ihre besten Bißen, die ihnen an meisten gefallen haben, vor der Nase wegnehmen.67
Mißbrauch und Völlerei, B(a)uchgrimmen also, ist natürlich ebenso möglich und für einen unersättlichen „Appetit zum Lesen“68 nicht unwahrscheinlich.69 Entsprechend erschließt sich Hamann eine Vielzahl kulinarischer Metaphern und Umschreibungen, auch und gerade im Hinblick auf missfällige Lektüren. Nicht alle Lektüren sind in gleicher Weise leiblich zuträglich: Diderots moralische Versuche haben mir immer wie ein alt Stück Rindfleisch geschmeckt oder wie ein zäher Elendsbraten, für den weder meine Zähne noch mein Magen gemacht sind.70
Im Falle der Schriften Diderots wird Hamann der geliebte Braten sauer und dessen mechanische wie biochemische Aneignung schwierig bis unmöglich. Für Hamann hat nun also das jeweils gelesene Buch nicht nur Einfluß auf seine geistige, sondern sogar, und mit einer gewissen Konsequenz, Einfluß auf die eigene physische Gestaltung.71 „Eine gewiße Diät im Lesen hat auch in unsere 64 ZH IV, 387. Am 7. Juli 1782 bittet Hamann Herder erneut um Speisung: „Stillen Sie doch meinen Hunger und Durst nach der Fortsetzung und dem Ende Ihrer historischen Zweifel und antinikolaitischen Untersuchungen.“ (ZH IV, 400) 65 ZH IV, 54 (Brief an Herder vom 21. Februar 1779). 66 ZH IV, 312 (Brief an Kleuker vom 22. Juli 1781). 67 ZH I, 258. 68 ZH VII, 307 (Brief an Gottlob Immanuel Lindner vom 3. Oktober 1787). 69 „Die Lilienthalsche Auction ist meine letzte Henkersmahlzeit in Ansehung meines Bücherhungers gewesen – und ich habe mich an Ihrem Wust den Magen vollends verdorben, daß mit Schreiben und Lesen fast eckelt.“ (ZH V, 13 (Brief an Hartknoch vom 31. Januar 1783)). 70 ZH III, 33. ,Schmecken‘ läßt sich Hamann demgegenüber Philosophen wie Hume oder Bacon [sic] (vgl. ZH I, 356). 71 Vgl. auch Hamanns Bericht über seine körperliche Reaktion auf den (eingebildeten) Verdacht des Diebstahls eines seiner Bücher: „Diese Einbildung erhitzt mich so, daß ich kalt
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Gesundheit Einfluß.“ schreibt Hamann an Jacobi.72 Zu einer solchen Diätik hat es bei Hamann jedoch nur in seltenen Momenten gereicht; ein Umstand, welchen er oftmals beklagt. Die physiologisch bedingte Physiognomie seiner schriftstellerischen Arbeiten jedoch findet auf diese Weise eine eingängige Erklärung. Bei Arbeit würde auch meine Nahrung beßer gedeyen, und Diät ist ein Theil unserer animalischen Oekonomie. Aus Mangel eigener Gedanken, muß ich lesen wie ein Schmarotzer mit einem unverschämten Hunger, der mir selbst ärgerlich ist.73
Möglicherweise, so könnte man wiederum auf der anderen Seite mit Hamann sagen, fehlt auch einer bloß animalischen Ökonomie ganz wesentlich die Inspiration.
IV.
Essen und Leben
Hamanns kulinarische Theologie hat einige signifikante Parallelen in anderen religiösen Traditionen. Ein Beispiel sei hier angeführt. In seinem Kommentar zum SeferMe’or Einayim (,Augenlicht‘) des Rabbis Menachem Nachum Twerski von Tschernobyl (1730–1787), dem Begründer der ,Tschernobyl-Linie‘ des Chassidismus (er war Schüler Baal Shem Tovs), einem Zeitgenossen Hamanns also, kennzeichnet Joel Hecker die hier beschriebene Praxis des avodah begashmiyut, die ,Anbetung durch das Materielle‘, wie folgt: Divine Words descend, morphing into food, providing life-sustaining energy, which in turn transmutes into words, sustaining divinity itself. This teaching portrays a spiritual ecosystem in which the spiritual seeker can participate in a continuous cycle, sending the holiness embedded within our reality back upward with the proper spiritual intent.74
Die Beschreibung der Möglichkeit menschlicher Partizipation am kommunikativen Kreislauf75, der durch das göttliche Wort in Gang gesetzt ist, dem
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Wasser des Morgens zu mir nehmen muß und allen Appetit Mittags zu eßen auf einmal verliere, desto mehr Durst nach Wein und hitzigen Getränk, den ich nicht befriedigen kann. Ich werde außer mir – und zum Glück, weil ich nicht weiß an wen? geschrieben, bekomm ich einen Durchfall, der gegen Abend bis zu einer Ohnmacht ausschlägt. Den anderen Morgen findet sich das Buch anstatt im Kasten zu liegen oben drauf – […]“ (ZH V, 113 (Brief an Johann Friedrich Reichardt vom 15 Dezember 1783)). ZH V, 333 (Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 23. Januar 1785). ZH VII, 292 (Brief an Franz Kasper Bucholz vom 20. September 1787). Joel Hecker, Eating as a Spiritual Ecosystem, in: Jewish Mysticism and the Spiritual Life. Classical Texts, Contemporary Reflections, edited by Lawrence Fine, Eitan Fishbane and Or N. Rose, Woodstock: Jewish Lights Publishing 2011, 80/81. Den Hinweis auf diesen Text verdanke ich Alexandra Cuffel (Bochum). „Words of speech, particularly that of prayer and Torah study, energized the hiyyut in the
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Das „liebe Essen und Trinken“
Ökosystem also, welches überhaupt Leben ermöglicht, durch den scheinbar primitiven Akt des Essens ist auch bei Hamann auffindbar. Auch für seine Auffassung gilt: „[…] through our most basic activities, with eating as a prime example, we are able to participate in the flow of Divine Being that underlies all of reality.“76 Die Explikation des genauen Zusammenhangs von Essen und Leben in theologischer Hinsicht ist ebenso Hamanns vordringliche Aufgabe. Daß Essen und Leben untrennbar zusammengehören, ist eine wenig überraschende physiologische Binsenweisheit, auf die aber, wie Hamann glaubt, gerade unter theologischen Aspekten angesichts der geistigen Situation seiner Zeit erst wieder nachdrücklich hingewiesen werden muß. Im Essen wird ein unmittelbarer Zugriff auf das Leben, welches in der Kommunikation mit dem Göttlichen liegt, möglich, bzw. in dem Drang nach Essen das Verlangen nach einem solchen Zugriff unabweisbar deutlich. Das Leben liegt im Metabolismus, in der Kommunikation und wechselseitigen Übersetzung der verschiedenen Idiome – und den hieraus schließlich entstehenden Stoffwechselprodukten. In diesem Sinne findet es sich vor allen Dingen für Hamann repräsentiert im Sauerbraten, „der ohnehin eins meiner Leibgerichte ist, und ein Dessert Pillauschen Caviar“77, wirklicher jedenfalls als in einer diese Objekte des Stoffwechsels ignorierenden (reinen) geistigen Existenz.78
food’s sweetness, unite with the divine speech located in the initial holy spark, causing that spark to ascend. Ultimately, there is an identity of divine speech and human speech, with human speech participating in the continued circuit of holy overflow, proceeding downward, inward, outward, and upward.“ (Hecker, Eating as Spiritual Ecosystem, 83). (Hiyyut ist nach der Erklärung Heckers die Lebenskraft einer Person wie der matieriellen Dinge (ebd., 85)). 76 Hecker, Eating as a Spiritual Ecosystem, 81. 77 ZH IV, 388 (An Herder vom 10. Juni 1782). ,Caviar‘ ist ebenfalls eine von Hamanns ,Lieblingsspeisen‘ (vgl. ZH V, 337 (An Franz Kaspar Buchholtz vom 24. Januar 1785). 78 Vgl. zum Zusammenhang von Lesen, Essen und Leben Hamanns Brief an Herder vom 1. August 1783, welcher gerade die zerstörte Verbindung dieser drei Elemente im Hinblick auf die kommende Buchmesse beklagt: „Ohne mich einmal zu bedanken, gappe ich schon nach neuen. Ein wahrer Fleischhunger in dieser Wüsten, bey dem nichts gedeyt, nichts anschlägt, nichts haftet – alles in Fäulnis, nichts zum Leben übergeht.“ (ZH V, 60).
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