Lehrbuch des deutschen Zivilprozessrechts: Neue, die Amtsgerichts-Novelle vom 1. Juni 1909 und die Reichsgerichts-Novelle vom 22. Mai 1910 berücksichtigende Ausgabe. In zwei Bänden [2 ed.] 9783428569854, 9783428169856


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German Pages 1242 Year 1910

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Lehrbuch des deutschen Zivilprozessrechts: Neue, die Amtsgerichts-Novelle vom 1. Juni 1909 und die Reichsgerichts-Novelle vom 22. Mai 1910 berücksichtigende Ausgabe. In zwei Bänden [2 ed.]
 9783428569854, 9783428169856

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Lehrbuch des deutschen Zivilprozessrechts Von Richard Schmidt

Zweite, umgearbeitete Auflage

Duncker & Humblot reprints

LEHRBUCH DES

DEUTSCHEN ZIVILPROZESSRECHTS.

LEHRBUCH DES

DEUTSCHEN

ZIVILPROZESSRECHTS. VON

DR RICHARD SCHMIDT, PROFESSOR DER RECHTE IN FREIBURO.

ZWEITE, UMGEARBEITETE AUFLAGE. NEUE, DIE AMTSGERICHTS-NOVELLE VOM I.JUNI 1909 UND DIE REICHSGERICHTS-NOVELLE VOM 22. MAI 1910 BERÜCKSICHTIGENDE AUSGABE.

LEIPZIG. VERLAG VON DUNCKER & HUMBLOT. 1910.

A l l e Hechte vorbehalten.

Vorrede zur zweiten Auflage. Das Lehrbuch des Zivilprozefsrechts hat eine wesentlich veränderte Gestalt erhalten müssen, um zum zweitenmal vor die Öffentlichkeit treten zu können. Bei seinem ersten Erscheinen im Jahre 1898 lag aufser dem zweibändigen Werk des greisen Julius Wilhelm Planck eine abschliefsende systematische Darstellung unseres Reichsprozefsrechts in breiterem Rahmen überhaupt noch nicht vor. Auch der ehrwürdige Meister der deutschen Prozefswissenschaft, der seitdem aus dem Leben geschieden ist, hatte bei aller Gediegenheit seiner historisch-dogmatischen Schulung und bei aller Fülle seines reifen und feinen Verständnisses für das praktische Rechtsleben ein Bild der deutschen Zivilrechtspflege, wie sie sich auf der Grundlage unsers grofsen Reichsgesetzes wirklich gestaltet hatte, nicht mehr entwerfen können. So war ich damals darauf angewiesen, die verschiedenen Elemente des Stoffs, Rechtsgeschichte und Gesetzeskritik, Dogmatik und Kasuistik, ohne eine gröfsere Vorarbeit aus dem Rohen zu einem System zu verarbeiten, und es ergab sich ganz von selbst, dafs das Buch in Formulierung und Anordnung unfertig und unausgeglichen blieb. Es spiegelte nicht das Ganze des Zivilprozesses ab, sondern „disiecta membra", wie ein übrigens wohlwollender Kritiker, Eccius, ganz zutreffend urteilte. Vor allem aber war im Ringen mit den Schwierigkeiten einer einigermafsen anschaulichen und doch auch logisch »konsequenten und erschöpfenden Systematisierung, im Streben nach Vermittlung zwischen der öffentlichrechtlichen und privatrecht-

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Vorrede zur zweiten Auflage.

liehen Seite der prozessualistischen Gedankengänge die Würdigung des neuen Zivilrechts ganz verabsäumt worden, das vom Bürgerlichen Gesetzbuch damals soeben erst geschaffen worden war, während die Ergänzungen der Prozefsordnung selbst, die im Jahre des Erscheinens in der Novelle veröffentlicht wurden, nur nachtragsweise berücksichtigt werden konnten. Inzwischen hat sich die Sachlage sehr viel günstiger gestaltet. Die Judikatur, vor allem die neue Praxis des Reichsgerichts, und die fortschreitende Vertiefung der Kommentarienliteratur haben das junge Reichszivilrecht und das ältere Prozefsrecht mit Energie zu verschmelzen begonnen. Diese Arbeit hatte ich jetzt vor Augen. Ich genofs zudem das besondere Glück, durch meine Mitarbeiterschaft am Freiburger Landgericht den Verschmelzungsprozefs selbsttätig mitbeobachten zu können und mich dabei seitens meiner richterlichen Kollegen des erfahrensten Rats, der liebenswürdigsten und vielseitigsten Anregung zu erfreuen, für die ich ihnen an dieser Stelle kaum ein angemessenes Wort des Dankes sagen kann. Aufserdem hat aber innerhalb des letzten Jahrzehnts auch die systematische Behandlung des Prozefsrechts, wenn auch etwas einseitig nach der materiellrechtlichen Seite des Prozesses hin, einen bemerkenswerten Aufschwung genommen; nicht nur eine Reihe sehr wertvoller Monographien, sondern auch mehrere bedeutende Gesamtdarstellungen haben über die Grundfragen des Prozesses aufklärendes Licht verbreitet. So konnte ich mich im Bestreben, das System zu vereinfachen und abzurunden, diesmal in viel gröfserem Umfang an fremden Anschauungen belehren und korrigieren. Um die veränderte Anlage des Buchs, das vor allem aus Rücksichten des Unterrichts in zwei Absätzen erscheint, noch vor seinem im Laufe dieses Sommers erfolgenden Abschlufs von vornherein überschaubar zu machen, habe ich bereits der ersten Hälfte eine vollständige Inhaltsübersicht beigegeben. In den Hauptpunkten war ich bemüht, den Charakter des Buchs so zu erhalten, wie er gewesen ist. Soll sich die Grenze zwischen systematischer und exegetischer Darstellung, zwischen Handbuch und Kommentar nicht verflüchtigen, soll ein System in erster Linie über die Berührungspunkte der kasuistischen Einzelfragen mit den historischen und dogmatischen Grundgedanken unterrichten und den grofsen Zusammenhang der

Vorrede zur zweiten Auflage.

Teile betonen, so darf es mit den Einzelheiten der Literatur und Rechtsprechung nicht überlastet werden. Es konnte also nach wie vor nur eine Auswahl der in unserm theoretischen und praktischen Rechtsleben gärenden Gedanken gegeben werden, und die gerechte und zweckmäfsige Auslese machte vielleicht den schwierigsten Teil meiner diesmaligen Aufgabe aus. Vor allem aber wurde nach wie vor auf ein andres Gewicht gelegt. Die Tiefe und Vielseitigkeit unsrer Kommentare ist gegen früher so sehr gestiegen, dafs sie der Systematik, soweit diese nur das Verständnis des geltenden Rechts erschliefsen soll, auch in den prinzipiellen Fragen in grofsem Umfang die Arbeit abzunehmen begonnen haben. Um so mehr mufs sich aber nun die systematische Literatur der Aufgabe unterziehen, mit der Anleitung zum wissenschaftlichen Anwenden des positiven Rechts die Einführung in eine besonnene Gesetzeskritik, in die für eine Fortentwicklung unsers Rechts mafsgebenden Gedanken zu verbinden. Es ist nicht mehr zu besorgen, eine solche Verbindung werde zu Unklarheit und Verwirrung der Aufgabe führen, die klare Ausprägung der von der lex lata gegebenen Rechtsbegriffe und Rechtssätze könne von subjektiven Räsonnements wieder überwuchert werden, obwohl diese krankhafte Erscheinung, die Begleitfolge der Reformperiode des 19. Jahrhunderts, auch heute noch gerade in der Prozefswissenschaft an manchen schriftstellerischen Typen vorkommt. Im allgemeinen ist der Bestand und die Tradition des positiven Rechts heute so gesichert, dafs sich neben der Darlegung des Gesamtcharakters und der Einzelinstitute unseres geltenden Gerichtsverfahrens eine fortlaufende kritische Stellungnahme wohl rechtfertigen läfst. Aus diesem Grunde habe ich den geschichtlichen und rechtsvergleichenden Unterbau, auf den ich die Darstellung von Anfang an gestützt hatte, nicht nur beibehalten, sondern noch weiter auszubauen gesucht, obwohl die Systematiker, die inzwischen hervorgetreten sind, mir darin zu meinem Bedauern nicht gefolgt sind. Ich halte ihn fortgesetzt für unentbehrlich. Nicht als ob ich mich dem Wahne hingeben möchte, dafs es ausführbar sei, in so engem Rahmen ein einigermafsen erschöpfendes Bild der Entwicklung unsres Zivilprozesses im Sinne der deskriptiven Rechtsgeschichte zu liefern. Aber das wird sich behaupten lassen, dafs nur ein Einblick in die verschiedenen charakteristischen Grundformen der historisch gewordenen Prozefsrechte so viel Kapital an Erfahrung erschliefst,

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Vorrede zur zweiten Auflage.

wie erforderlich ist, um den Wert des geltenden Rechts unvoreingenommen zu beurteilen. Nur die geschichtliche Vorbereitung ermöglicht es insbesondere, das System des Zivilprozesses in der Weise zur Darstellung zu bringen, dafs der Betrachter sich den Prozefs als ein Produkt der Lebens- und Verkehrsbedürfnisse und der damit verflochtenen Lebensanschauungen vor Augen stellen kann. Für die moderne Systematik dürfte es doch vor allem andern darauf ankommen, jene alteingewurzelte Methode der Betrachtung eines Rechtsstoffs zu überwinden, die mit abstrakten Obersätzen, mit „Definitionen" beginnt, um daraus die einzelnen positiven Rechtssätze als Folgerungen abzuleiten. In Wahrheit stellen sich die axiomartigen Leitgedanken selbst erst als Ableitung aus den Einzelsätzen dar, nur dafs sich in sie allzuleicht willkürlichnaturrechtliche Beisätze des subjektiven Schilderers einmischen. Die stete Fühlung mit der Geschichte ermöglicht es, statt solcher axiomatischen Darstellung eine kritisch-vergleichende eintreten zu lassen, — eine biologische, möchte man versucht sein zu sagen, wenn nicht naturwissenschaftliche Analogien heute anrüchig und leicht mifsverständlich wären. Für den Zivilprozefs speziell läfst sich nur so die in diesem Stoff verborgen liegende, aber bedeutsame Masse öffentlich-rechtlicher Gedanken veranschaulichen, die unsre Prozefswissenschaft ohnehin von jeher hat zu kurz kommen lassen, und die durch das Erscheinen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und die erneute Betonung der privatrechtlichen Beziehungen des Prozefsrechts, die es zur Folge hatte, mehr als billig wieder in den Hintergrund gedrängt worden sind. In den Augen des Kundigen werden gerade diese Bestrebungen nicht als müfsig erscheinen. Denn tatsächlich ist die Lage unsers nationalen Prozefsrechts bedrohlich genug. In allen seinen wesentlichen Teilen hat es Not, seinen Kredit in der öffentlichen Meinung gegen den Vergleich mit gefährlichen Konkurrenten zu wahren, gegenüber der routinemäfsigen Bequemlichkeit des englischen und französischen An waits Verfahrens ganz ebenso wie gegenüber der polizeistaatlich-konzentrierenden Tendenz des österreichischen Rechts, die das Machtgefühl des richterlichen Beamtentums in so bedenklicher Weise zu steigern geeignet ist. Angesichts dieser Strömungen kann ich auch heute nur auf die Worte zurückkommen, mit denen ich seinerzeit die Vorrede zur ersten Auflage abschlofs. Eine aussichtsreiche Abwehr kann

Vorrede zur zweiten Auflage.

allein durch die richtige Beleuchtung des Vorhandenen und seines innern Werts geführt werden. Schon in den jüngeren Juristen gilt es die Einsicht zu erwecken, wieviel an gesunder Lebensbeobachtung und Menschenberechnung in unsern Normen der Gerichtsverfassung und der Parteitätigkeit, in unserm Beweisrecht, in Rechtsmittelsystem und Vollstreckungsordnung enthalten ist. F r e i b ü r g , Ostern 1906.

Vorrede zur neuen Ausgabe der zweiten Auflage. Buchhändlerische Rücksichten bringen es mit sich, daß der neue Rechtsstoff, den die Novellengesetzgebungen der Jahre 1909 und 1910 auf dem Gebiet des Zivilprozeßrechts geschaffen haben, dem Lehrbuch zunächst in Form eines Nachtrags angegliedert wird, wie sich dies Verfahren schon durch die Ergänzung der ersten Auflage nach dem Erscheinen der Zivilprozeßnovelle von 1898 bewährt hatte. Aber die gesonderte Darstellung läßt sich auch diesmal aus inneren Gründen rechtfertigen. Die jüngsten Novellen, besonders die erste, die „Amtsgerichtsnovelle", wollen nicht nur Änderungen verbesserungsbedürftiger Einzelteile der Gerichtsverfassung und des Verfahrens unserer Zivilrechtspflege bringen. Sie führen in das Zivilprozeßrecht neue Grundgedanken ein, wenn auch vorläufig nur andeutend und ausprobend, nicht grundsätzlich ausbauend. Ihr Geist ist ein wesentlich anderer als der, von dem die noch in Geltung stehenden Hauptgesetze, Gerichtsverfassungsgesetz und Zivilprozeßordnung, getragen sind. So ist es für eine systematische Darstellung, die in erster Linie die geschichtlichen Zusammenhänge der prozessualen Rechtsgedanken anschaulich machen möchte, nicht unangemessen, dieses Kind veränderter Stimmungen und sein Verhältnis zu den Schöpfungen der alten Zeit in selbständigem Rahmen vorzuführen. F r e i b u r g , Juli 1910. Riehard Schmidt.

Inhaltsverzeichnis. Vorrede zur zweiten Auflage Vorrede zur neuen Ausgabe der zweiten Auflage Erläuterung der Abkürzungen

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Einleitung.

Bedeutung und Gegenstand des Zivilprozefsrechts. § 1. Zivilprozefs und Zivilprozefsrecht 1 I. Die Aufgabe des Zivilprozesses. — II. Die Aufgabe des Zivilprozefsrechts. — I I I . Die Gegenstände des Zivilprozefsrechts im allgemeinen. § 2. Die Organe des Zivilprozesses 5 I. Die Gerichtsverfassung der Zivilrechtspflege. — II. Die verschiedenen Arten und das gemeinsame Wesen der Zivilrechtspflegebehörden. § 3. Die Handlungen des Zivilprozesses 7 I. Das Verfahren der Zivilrechtspflege als Aufbau von Einzelhandlungen. — II. Verschiedene Formen und gemeinschaftliche Grundlagen der Prozefshandlungen. § 4. Die gesetzlich geregelten Bedingungen und Garantien des prozessualen Rechtsschutzes 11 I. Der Prozefs als Verfahren und der Prozefs als Rechtsverhältnis. — I I . Die Rechtsschutzbedingungen. — I I I . Prozefsvoraussetzungen und Bedingungen des rechtlichen Gehörs. Erstes Buch.

Die Quellen des Zivilprozefsrechts nach ihrer Vorgeschichte, ihrem heutigen Bestand und Anwendungsgebiet. Erstes Kapitel. D i e g e s c h i c h t l i c h e n V o r s t u f e n des h e u t i g e n deutschen Zivilprozefsrechts 28 § 5. Die Probleme der Prozefsgesetzgebung in der geschichtlichen Entwicklung 28 I. Ständische Gerichte und Beamtengerichte, formfreies und formstrenges Verfahren. — I I . Äufserer Entwicklungsgang des Prozefsrechts.

Inhaltsverzeichnis.

X Seite

§ 6.

Die vorgeschichtlichen Anfänge des Zivilprozefsrechts . . . . I. Gemeinsame Ausgangspunkte. — II. Die Trennung der antiken und der germanischen Entwicklung. § 7. Die Rechtsgedanken des römischen Prozesses I Der Charakter der antiken Rechtspflege in den Orientstaaten, in den griechischen Republiken und in Rom. — I I . Der Zivilprozefs der römischen Republik in seiner Durchbildung. — III. Umgestaltung und Auflösung des Prozesses im römischen Kaiserrecht. § 8. Die Rechtsgedanken des germanischen Prozesses I. Der Charakter der germanischen Rechtspflege. — II. Der Aufbau des national-germanischen Gerichtsverfahrens. § 9. Das Zusammentreffen der römischen und der germanischen Rechtsgedanken im Prozefs der neuen Nationen I. Obersicht. — II. Die Justizgesetzgebung des fränkischen Reichs. — III. Die Fortentwicklung des fränkischen Prozesses nördlich der Alpen. — IV. Der langobardisch-romanische Prozefs in Italien. § 10. Der Prozefs im italienischen Stadtrecht und Gewohnheitsrecht und in der kanonischen Gesetzgebung I. Das neue Prozefsprinzip. — II. Aufbau des Verfahrens. — III. Die Fortbildung des Prozesses seit dem Ende des 13. Jahrhunderts unter dem Einflufs des Beschleunigungsinteresses. § 11. Die Rezeption des italienischen Rechts und seine Umbildung zum gemeinen deutschen Prozefsrecht I. Rezeption und Kammergerichtsprozefs. — II. Der sächsische Prozefs. — III. Der „gemeine deutsche" Prozefs. § 12. Die Versuche zur Verbesserung des gemeinen Prozesses und die preuisische Prozefsgesetzgebung im 18. Jahrhundert . . . I. Die praktische Bedeutung des gemeinen Prozesses. — II. Die Reformversuche in Preufsen und die allgemeine Gerichtsordnung. § 13. Das französische Prozefsrecht I. Die Grundlagen der französischen Prozefsgesetzgebung. — II. Gerichtsverfassung. — III. Verfahren vor dem Kollegialgericht. — IV. Verfahren vor Friedensrichter, Handels- und Gewerbegericht. § 14. Die Prozefsreform in Deutschland und der Erlafs der Reichsjustizgesetze I. Die Rezeption des französischen Rechts und die Partikularrechte. — II. Entstehung des Reichsrechts. § 15. Das neue Prozefsrecht in Österreich § 16. Der Stand der Prozefsgesetzgebung aufserhalb des französischen und des deutsch-österreichischen Rechtsgebiets § 17. Die Entwicklung des englischen Prozesses I. Die Gerichtsorganisation und das Verfahren bis zum 19. Jahrhundert. — II. Die moderne Prozefsreform.

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Zweites Kapitel. G e s e t z g e b e r i s c h e G r u n d g e d a n k e n des g e l t e n den R e c h t s 125 § 18. Ergebnis der Gesamtentwicklung und Bedeutung der deutschen Zivilprozefsordnung 125 § 19. Die neuesten Reformbestrebungen, insbesondere die Forderung des sozialen Prozefsrechts 128 Drittes Kapitel. Der Q u e l l e n k r e i s des g e l t e n d e n Z i v i l p r o z e f s rechts § 20. Die reichsrechtlichen Quellen I. Die Grundgesetze. — II. Die Novellen zu den Reichsjustizgesetzen und die Neuredaktion des Jahres 1898. — III. Prozessuale Ergänzungsgesetze des Reichs.

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Inhaltsverzeichnis. Seite

§ 21. Die landesrechtlichen Quellen I. Verhältnis des Reichsrechts zum Landesrecht. — II. Die landesrechtlichen Bestimmungen. § 22. Zwingendes und nachgiebiges Zivilprozefsrecht § 23. Zeitliche und örtliche Herrschaft des Zivilprozefsrechts. . . . § 24. Literatur des Zivilprozefsrechts Viertes Kapitel. D e r W i r k u n g s k r e i s der Z i v i l r e c h t s p f l e g e u n d das A n w e n d u n g s g e b i e t des Z i v i l p r o z e f s r e c h t s § 25. Zivilprozefs, Privatrechtsschutz aufserhalb des Zivilprozesses und staatliche Behördentätigkeit aufserhalb des Privatrechtsschutzes § 26. Staatliche Zivilgerichtsbarkeit und vertragsmäfsiger Rechtsschutz I. Die Gerichtsbarkeit in Sachen des Privatrechtsschutzes. — II. Das schiedsrichterliche Verfahren. — III. Zivilprozefs und vertragsmäfsige Selbsthilfe. § 27. Die Zivilgerichtsbarkeit im Verhältnis zur staatlichen Behördenorganisation überhaupt I. Staats- und Privatgerichtsbarkeit. — II. Der Behördenorganismus des Staats. § 28. Zivilprozefs und freiwillige Gerichtsbarkeit * . I. Streitige und freiwillige Gerichtsbarkeit. — II. Einflufs des Verhältnisses auf die Gerichtsverfassung. — III. Einflufs des Verhältnisses auf das Verfahren. § 29. Zivilprozefs und Strafrechtspflege I. Ziviljustiz und Strafjustiz. — II. Zivil- und Strafgerichtsverfassung. — III. Gegensatz der Zivilsache und der Strafsache im Verfahren. § 30. Zivilrechtspflege und Verwaltung I. Das Prinzip der Trennung von Justiz und Verwaltung. — II. Bedeutung des Prinzips für die Gerichtsverfassung. — III. Bedeutung des Prinzips für das Verfahren. — IV. Prozessuale Behandlung der Trennung. § 31. Kennzeichen der Zivilrechtspflege und leitende Gesichtspunkte für die folgende Darstellung Zweites

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Buch.

Die Gerichtsverfassung der Zivilrechtspflege. Erstes Kapitel. D i e O r g a n e d e r Z i v i l r e c h t s p f l e g e § 32. Ordentliche und besondere, Landes- und Reichsgerichte . . . I. Ordentliche und Sondergerichte. — II. Landesgerichte und Reichsgerichte. § 33. Die Grundgedanken der ordentlichen Gerichtsorganisation . . . I. Gerichtsanstalten und Rechtspflegeorgane. — II. Die Verschiedenheiten der Rechtspflegeorgane. § 34. Erkennende, vollstreckende, zustellende, beurkundende Behörden I. Der Instanzenzug der erkennenden Gerichte. — II. Die Vollstreckungsorgane. — III. Beweiserhebende, betreibende, vergleichstiftende, zustellende, beurkundende Organe. — IV. Richterliche und nicht-richterliche Funktionen. § 35. Richterliche und nicht-richterliche Beamte I. Gesetzliche Grundlagen der gerichtlichen Ämterverhältnisse. — II. Die Bedingungen der Fähigkeit zum Amte. — III. Anstellung der Gerichtsbeamten. — IV. Rechtsstellung der Beamten. — V. Ausschliefsung und Ablehnung der Gerichtspersonen. § 36. Einzelrichter und Kollegialgerichte I. Die Tätigkeit der Kollegialgerichte. — II. Beratung und Abstimmung. — III. Organe des Kollegiums.

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Inhaltsverzeichnis.

XIII Seite

§ 37. Die Rechtsanwaltschaft I. Bedeutung der Rechtsanwaltschaft. — II. Begründung des Anwaltsberufs. — III. Ausübung der Rechtsanwaltschaft. § 38. Die Organe der Sondergerichte I. Umfang der Sondergerichtsbarkeit. — II. Konsular- und Kolonialgerichte. — I I I . Die reichsgesetzlich zugelassenen Sondergerichte. — IV. Die Landessondergerichte älteren Stils. — V. Gewerbegerichte und Kaufmannsgerichte. Zweites Kapitel. D i e V e r t e i l u n g d e r Z i v i l g e r i c h t s b a r k e i t u n t e r die Gerichte δ 39. Die Zuständigkeitsordnung § 40. Die Verteilung der sachlichen Zuständigkeit I. Gesichtspunkte des Gesetzes. — II. Zuständigkeitsgrenzen zwischen den Gerichten erster Instanz. — III. Zivilkammer und Kammer für Handelssachen. § 41. Die Verteilung der örtlichen Zuständigkeit: I. Örtliche Zuständigkeit und Gerichtsstand. — II. Die Grundgedanken der Zuständigkeit für die erkennenden Gerichte. — I I I . Die einzelnen Gerichtsstände, δ 42. Die Verteilung der Zuständigkeit in Vollstreckungssachen. . . § 43. Die Parteidisposition über die Zuständigkeit I. Die leitenden Gedanken. — II. Zwingende Natur der gesetzlichen Funktionenverteilung. — I I I . Disposition über sachliche und örtliche Zuständigkeitsgrenzen. — IV. Zivilkammer und Kammer für Handelssachen. — V. Zwingende Natur der Vollstreckungsverteilung. § 44. Die Rechtshilfe unter den deutschen Gerichten I. Bedeutung der Rechtshilfe. — II. Rechtshilfe unter ordentlichen Gerichten. — III. Rechtshilfe innerhalb der besonderen Gerichtsbarkeit. Drittes Kapitel. D i e v ö l k e r r e c h t l i c h e S t e l l u n g D e u t s c h l a n d s i n der Z i v i l r e c h t s p f l e g e § 45. Deutsche und ausländische Zivilgerichtsbarkeit I. Grenzen zwischen der deutschen und der ausländischen Gerichtsbarkeit. — II. Einflufs der ausländischen Zivilrechtspflege auf Deutschland und die deutschen Gerichte. § 46. Internationale Rechtshilfe § 47. Exemtionen und Prozefserschwerungen I. Exemtionen von der deutschen Gerichtsbarkeit. — II. Prozefserschwerungen für Ausländer. Drittes

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Buch.

Die gemeinsamen Grundlagen des Verfahrene. Erstes Kapitel. P r o z e f s g e g e n s t a n d u n d P r o z e f s p a r t e i e n . . . § 48. Das Verfahren des Zivilprozesses § 49. Der Privatrechtsanspruch und das Privatrechtsverhältnis . . . I. Der Gegenstand des Zivilprozesses. — II. Subjektives Recht, Anspruch und Rechtsverhältnis im bürgerlichen Recht. — III. Der Schutz der Privatrechte nach der Zivilprozefsordnung. — IV. Die rechtserhebliche Tatbestandsbehauptung als Prozefsgegenstand. — V. Der Prozefsgegenstand bei den sogenannten prozefsgestaltenden Klagen. — VI. Der Privatrechtsanspruch und das Interesse am gerichtlichen Schutz. § 50. Die Parteien I. Parteirolle und Sachlegitimation. — II. Parteifähigkeit. — III. Prozefsfähigkeit. — IV. Die Parteistellung unbestimmter Interessenträger.

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X V

Inhaltsverzeichnis. Seite

Zweites Kapitel. D i e p r o z e s s u a l e n T ä t i g k e i t e n § 51. Die Rechtschutzhandlungen und ihre Vorbereitung I. Die Prozefshandlungen. — II. Rechtsschutzakte und vorbereitende Handlungen. § 52. Die Beweistätigkeit I. Die Gegenstände des Beweises: Tatbestandsmerkmale und Indizien, Rechtssätze und Erfahrungsregeln. — II. Der Beweis der Tatsachen. — III. Der Beweis der Erfahrungssätze. — IV. Die Beweistätigkeiten. § 53. Der Prozefsbetrieb ' I. Bedeutung des Prozefsbetriebs. — II. Gerichtsbetrieb und Parteibetrieb. § 54. Die vorbereitenden Entscheidungen und unterstützenden Zwangshandlungen I. Die Vorentscheidungen. — II. Die vorbereitenden Zwangshandlungen. § 55. Die prozessualen Rechtsgeschäfte § 56. Die Beurkundung § 57. Die Stellvertretung im Zivilprozefs I. Das Prinzip der Stellvertretung. — II. Arten und Entstehungsgründe der Stellvertretung. — III. Der Umfang der Vertretungsmacht. — IV. Entstehung und Endigung des Vertretungsrechts. — V. Beistandschaft. Drittes Kapitel. D i e v e r s c h i e d e n e n V e r f a h r e n s a r t e n des Z i v i l prozesses § 58. Die Zusammensetzung der Prozefshandlungen zum Verfahren. . § 59. Rechtsstreit und Vollstreckung I. Die Verbindung von Erkenntnisverfahren und Vollstreckungsverfahren. — II. Verfahren auf Feststellung und Rechtsgestaltung. — III. Exekutivprozefs. § 60. Ordentlicher und summarischer Prozefs § 61. Landgerichtsprozefs und Amtsgerichtsprozefs, Vermögensprozefs und Eheprozefs am Landgericht I. Landgerichtliches und amtsgerichtliches Verfahren. — II. Verfahren in Ehe- und Kindschaftssachen. § 62. Anordnung des Gesetzes und der folgenden Darstellung . . . Viertes

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Buch.

Das Verfahren des Rechtsstreits. Erstes Kapitel. D i e E i n l e i t u n g des Prozesses § 63. Klagerhebung und Rechtsschutzgesuch I. Dispositionsprinzip und Offizialprinzip. — II. Inhalt der Rechtsschutzbitte. — III. Anwendung des Offizialprinzips im Zivilprozesse. § 64. Die Form der Klagerhebung und der übrigen prozefseinleitenden Akte . · I. Die Schriftlichkeit der Klage und deren Verhältnis zum vorbereitenden Schriften Wechsel. — II. Inhalt der Klagschrift. § 65. Das Verhalten der Parteien auf die Klage § 66. Die Einlassung des Beklagten I. Bedeutung der Streiteinlassung. — II. Wirkungen der Streiteinlassung im geltenden Recht. § 67. Die Form der Vernehmlassung des Beklagten und die Uberleitung zur Verhandlung § 68. Klagzurücknahme und Vergleich I . Die Wiederaufhebung des eingeleiteten Verfahrens durch die Parteien. — II. Klagzurücknahme. — III. Vergleich.

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Inhaltsverzeichnis.

X Seite

§ 69. Die Rechtshängigkeit I. Bedeutung der Rechtshängigkeit. — II. Die prozessualen Rechtshängigkeitswirkungen. — III. Die privatrechtlichen Rechtshängigkeitswirkungen.

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Zweites Kapitel. D i e k o n t r a d i k t o r i s c h e P a r t e i Verhandlung . . § 70. Die Prinzipien der Verhandlung I. Die verschiedenen Formen der Verhandlung. — II. Verhandlungsprinzip und Untersuchungsprinzip. § 71. Die Beschaffung des Tatsachenstoffs I. Wert des Verhandlungsprinzips für den Tatsachenstoff. — II. Tragweite des Verhandlungsprinzips. — III. Die Mitverantwortlichkeit des Gerichts fur die Stoffbeschaffung. — IV. Aufsergerichtliche Wahrnehmungen des Gerichts. § 72. Die Fürsorge für die Aufklärung der Rechtssätze und Erfahrungsregeln I. Die Beschaffung der Rechtssätze. — II. Die Beschaffung der Erfahrungssätze. § 73. Mündlichkeit und Schriftlichkeit der Parteiverhandlung . . . I. Die Bedeutung der Form für die Verhandlung. — II. Unmittelbarkeit und Mündlichkeit. — III. Schriftlichkeit und Beurkundung im Landgerichtsprozefs — IV. Die mündliche Verhandlung des Landgerichtsprozesses vor vermittelndem Gericht: vorbereitendes Verfahren. — V. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Amtsgerichtsprozefs. — VI. Das Gebiet des rein schriftlichen Verfahrens. § 74. Die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung. (Der vorbereitende Schriftenwechsel)

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Drittes Kapitel. B e w e i s a u f n a h m e u n d B e w e i s w ü r d i g u n g . . . . § 75. Die Beweistätigkeiten I. Verhältnis zwischen Verhandlung und Beweis. — II. Aufgabe des Beweisrechts. § 76. Gemeinsame Formen der Beweiserfahrung. (Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Beweisaufnahme) I. Die Bedeutung der Formalprinzipien für die Beweisaufnahme? akte. — II. Unmittelbarkeit und Mündlichkeit. — I I I . Beurkundung und Schriftlichkeit. § 77. Die gemeinsamen Grundsätze der Beweiswürdigung I. Die Pflicht des Gerichts zur Begründung seiner Entscheidungen. — II. Prinzip der freien Beweiswürdigung und seine Grenzen — Beweisregeln und Vermutungen. — III. Voller Beweis und Glaubhaftmachung. § 78. Die Grundsätze der Beweislast I. Bedeutung der Beweislastprinzipien. — II. Leitgedanken der Beweislastregeln. — III. Anspruch und Gegenanspruch. — IV. Rechtserzeugung und Rechtsuntergang. — V. Klaggrund und rechtshindernde Einreden, rechtsvernichtende Einreden und Repliken. § 79. Die einzelnen Bestandteile des Prozefsstoffes § 80. Das Geständnis und die unbestrittene Parteibehauptung . . . I. Ausdrückliches und „stillschweigendes" Geständnis. — II. Die Wirkungen der Parteierklärungen. § 81. Die Zeugen I. Bedeutung des Zeugen. — II. Zeugnisunfähigkeit. — III. Zeugnispflicht. — IV. Form der Zeugenvernehmung. § 82. Die Urkunden I. Bedeutung der Urkunde. — II. Beweiswirkung der Urkunde : öffentliche und private Urkunden. — III. Editionspflicht — IV. Echtheitsbeweis.

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Inhaltsverzeichnis. Seite

§ 83. Die Wahrnehmungsobjekte § 84. Die Parteieide I. Bedeutung des Parteieids. — II. Wirkungen des Eids. — I I I . Voraussetzungen des zugeschobenen Eids. — IV. Voraussetzungen des richterlichen Eids. — V. Form der Eidesauflage und Eidesabnahme. § 85. Die Sachverständigen § 86. Die Sicherung des Beweises Viertes Kapitel. B e s o n d e r e F o r m e n der V e r h a n d l u n g u n d des Beweises § 87. Die besonderen Verfahrensformen § 88. Verfahren bei Verzicht und Anerkenntnis § 89. Versäumnisverfahren I. Das gesetzgeberische Problem des Versäumnisverfahrens. — II. Versäumnisurteil und Einspruch. — III. Vorbedingungen des Versäumnisurteils. § 90. Die summarische Kognition § 91. Urkunden- und Wechselprozefs I. Grundgedanke des Verfahrens. — II. Voraussetzungen der Prozefsart. — III. Verfahren. — IV. Verhältnis des Urkundenprozesses zum ordentlichen Prozefs. § 92. Arrest und einstweilige Verfügungen I. Grundgedanke des Verfahrens. — II. Voraussetzungen der Prozefsart. — III. Verfahren. — IV. Verhältnis des Arrestprozesses zum Ordinarium. § 93. Das Mahnverfahren I. Anlage und Bedeutung. — II. Bedingungen der Rechtsschutzform. — III. Verfahren. — IV. Verhältnis des Mahnverfahrens zum ordentlichen Prozefs. Fünftes Kapitel.

Der untergeordnete Prozefsbetrieb

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§'94. Bedeutung des Prozefsbetriebs 608 § 95. Die Ladungen 609 I. Bedeutung der Ladung. — II. Ausdrückliche Ladung durch die Partei. — III. Ausdrückliche Ladung durch das Gericht. — IV. Stillschweigende Ladung. § 96. Verkündung und Zustellung 613 § 97. Die Formen der Zustellung 617 I. Zustellung im Parteibetrieb und im Offizialbetrieb. — II. Zustellungsorgane. — III. Die gemeinsamen Regeln über Gegenstand, Empfang, Ort und Zeit der Zustellung. — IV. Beurkundung oder Zustellung. — V. Öffentliche Zustellung. Sechstes Kapitel.

Die Prozefsleitung

§ 98. Bedeutung und Mafsregeln der Prozefsleitung § 99. Die Aufeinanderfolge der Prozefshandlungen I. Reihenfolgebehandlung und Eventualbehandlung. — II. Die richterliche Fürsorge für die Gruppierung der Prozefshandlungen. — III. Reste gesetzlicher Gliederung des Verfahrens. § 100. Der zeitliche Zusammenhang der prozessualen Handlungen . . I. Bedeutung und Arten der prozessualen Zeitbestimmungen. — II. Die Termine. — III. Die Fristen. — IV. Die Gerichtszeit. § 101. Örtlichkeit und Umgebung der prozessualen Handlungen . . . I. Örtliche . Beziehung der Prozefshandlungen. — II. Heimlichkeit und Öffentlichkeit. — III. Prozefspolizei. § 102. Gerichtsakten und Gerichtssprache

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Inhaltsverzeichnis.

X I I Seite

Siebentes Kapitel. D i e P r o z e f s v o r a u s s e t z u n g e n u n d R e c h t s schutzbedingungen § 103. Die aufserprozessualen Vorbedingungen der Entscheidung . . . § 104. Die Prozefsvoraussetzungen I. Bedeutung der Prozefsvoraussetzungen. — II. Die einzelnen Prozefsvoraussetzungen. — III. Tragweite der Prozefsvoraussetzungen. § 105. Die Behandlung der Prozefsvoraussetzungen I. Die gemeinsame Wirkung des Mangels der Prozefsvoraussetzungen. — II. Prozessuale Nichtigkeit und Anfechtbarkeit. — I I I . Trennung der Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe. § 106. Die prozefshindernden Einreden I. Gemeinsame Bedeutung. — II. Prozefshindernde und nichtprozefshindernde Mängel im Landgerichtsprozefs. — III. Die Prozefsmängel im Amtsgerichtsprozefs. — IV. Verhandlung und Beweisverfahren über die prozefshindernden Einreden. § 107. Die Behandlung der Prozefsmängel in der Rechtsmittelinstanz . I. Einflufs der Prozefsmängel auf das Rechtsmittelverfahren. — II. Bedeutung der Nichtigkeit im Prozefs. § 108. Nachträglicher Eintritt und nachträglicher Fortfall der Prozefsvoraussetzungen (Unterbrechung und Aussetzung des Verfahrens und Wiederaufnahme des Rechtsstreits) I. Leitende Gedanken. — II. Tod der Partei. — I I I . Fortfall der Prozefsfähigkeit oder des Vertretungsrechts. — IV. Gerichtsstillstand und Parteiverhinderung. § 109. Die prozessualen Mängel einzelner Prozefshandlungen 8 110. Die Rechtsschutzbedingungen § 111. Die Vorbedingungen der Leistungs und Be Wirkungsklage im ordentlichen Prozefs . I. Die Leistungsklage. — II. Die Bewirkungsklage. § 112. Die Vorbedingungen der verschiedenen Prozefsarten § 113. Die Vorbedingungen der positiven Feststellungsklage I. Anwendungsgebiet der positiven Feststellungsklage. — II. Das Feststellungsinteresse. — I I I . Die Klagen aus befristeten Ansprüchen und die gesetzlichen Erleichterungen der Feststellungsklage. § 114. Negative Feststellungsklage und Klagzurücknahmeverbot . . . . I. Negative Feststellungsklage. — II. Verbot der Klagzurücknahme. § 115. Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsschutzbedingungen . . . . Achtes Kapitel. D i e E n t s c h e i d u n g e n § 116. Arten und Formen der Entscheidungen I. Inhalt der Entscheidungen. — II. Form der Entscheidungen. § 117. Die Entscheidungen über den Anspruch I. Das Endurteil als Sachurteil. — II. Teilurteil und bedingtes Endurteil. δ 118. Die Entscheidungen über materielle Vorfragen § 119. Die Entscheidungen über prozessuale Vorfragen I. Prozessuale Vorentscheidung durch Endurteil. — II. Prozessuale Vorentscheidung durch Zwischenurteil. § 120. Die gemeinsame Wirkung der Entscheidungen § 121. Die Rechtskraftwirkung der Sachurteile „ . I. Wesen der Rechtskraftwirkung. — II. Anwendungsgebiet der materiellen Rechtskraft. — III. Umfang der Rechtskraft. — IV. Wirkung der Rechtskraft auf Dritte. δ 122. Die Bedingungen der Wirksamkeit der Entscheidungen . . . . δ 123. Die Grenzen der Abänderlichkeit der Entscheidungen . . . . . . § 124. Die Grenzen der Anfechtbarkeit der Entscheidungen (das Rechtsmittelsystem) . . I. Grundgedanken des Rechtsmittel systems. — II. Anfechtung R i c h a r d S c h m i d t , L e h r b u c h des Z i v i l p r o z e f s r e c h t s .

2. A u f l .

II

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XVIII

Inhaltsverzeichnis. Seite

§ 125.

§ 126. § 127.

§ 128.

der Haupt- und der Vorentscheidungen. — I I I . Die Rechtsmittel gegen Hauptentscheidungen im Verhältnis zu einander. — IV. Die Beschwerde. — V. Die gemeinsamen Förmlichkeiten der Rechtsmitteleinlegung. Die Berufung 787 I. Wesen und Anwendungsgebiet der Berufung. — II. Verhandlung und Beweis in der Berufung. — III. Berufungsentscheidung. Die Revision 796 I. Wesen und Anwendungsgebiet der Revision. — II. Revisionsverhandlung. — III. Revisionsentscheidung. Die Wiederaufnahmeklagen 808 I. Wesen und Anwendungsgebiet der Wiederaufnahmeklagen. — II. Bedingungen der Nichtigkeitsklage. — I I I . Bedingungen der Restitutionsklage. Die Beschwerde 813 I. Einfache und sofortige Beschwerde. — II. Erstmalige und weitere Beschwerde. III. Beschwerdeverfahren.

Neuntes Kapitel. E i n f l u f s des Z u s a m m e n h a n g s v e r s c h i e d e n e r R e c h t s s c h u t z i n t e r e s s e n auf den Prozefs § 129. Die Verbindung mehrerer Rechtsverhältnisse im gemeinsamen Verfahren § 130. Die Klagänderung I. Bedeutung des Klagänderungsverbots. — II. Prozessuale Behandlung. § 131. Die Klaghäufung I. Bedeutung. — II. Bedingungen und Form. — I I I . Wirkungen. § 132. Die Verbindung von Anspruch und Gegenanspruch I. Bedeutung. — II. Bedingungen und Form. — III. Wirkungen. § 133. Die Zwischenfeststellungsklage § 134. Die Streitgenossenschaft I. Bedeutung. — II. Bedingungen und Form. — III. Wirkungen. Insbesondere bei der notwendigen Streitgenossenschaft. § 135. Die Nebenintervention I. Bedeutung. — II. Bedingungen und Form. — III. Wirkungen. — IV. Streitverkündung. § 136. Die Hauptintervention I. Bedeutung. — II. Bedingungen und Form. — III. Wirkungen. — IV. Prätendenten - Streitverkündung und Urheberbenennung. § 137. Die Streitveräufserung I. Bedeutung des StreitveräufserungsVerbots. — II. Prozessuale Behandlung. Fünftes

819 819 822 831 836 842 844 852 860

868

Buch.

Das Verfahren der Zwangsvollstreckung. Erstes Kapitel. G r u n d l a g e u n d E i n l e i t u n g der V o l l s t r e c k u n g . 874 § 138. Die Bedingungen des Vollstreckungsschutzes 874 I. Verhältnis zwischen Vollstreckung und Rechtsstreit. — II. Prozefsgericht und Vollstreckungsbehörde. — III. Die prüfungsbedürftigen Vorbedingungen der Vollstreckung (Vollstreckungstitel). § 139. Die einzelnen Vollstreckungstitel 878 I. Übersicht. — II. Gerichtliche und dispositive Vollstreckungstitel. — III. Ordentliche und summarische Vollstreckungstitel. — IV. Rechtskräftige und vorläufig vollstreckbare

Inhaltsverzeichnis.

XIX Seite

Urteile. — V. Sekundäre Vollstreckungstitel. — VI. Vorentscheidungen als Vollstreckungstitel. — VII. Anwendung des Vollstreckungsverfahrens aufserhalb des Zivilprozesses. § 140. Die Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung 895 I. Bedeutung der Vollstreckungsklausel. — II. Verfahren bei Erteilung der Vollstreckungsklausel. — III. Wirkung der vollstreckbaren Ausfertigung. § 141. Die nachträgliche Prüfung von Vollstreckung&bedingungen durch das Gericht 900 I. Die Klagen auf Erteilung der Vollstreckungsklausel. — II. Nachträgliche Prüfung des Bedingungseintritts. — III. Nachträgliche Prüfung der Rechtsnachfolge oder Rechtsgemeinschaft. § 142. Die Prüfung der Vollstreckungsbehörde (Die Prozefsvoraussetzungen und der Vollstreckungsantrag) 910 I. Verhältnis der Aufgaben der Vollstreckungsorgane zu denen der erkennenden Gerichte. — II. Die Form der Einleitung des Vollstreckungsverfahrens. Zweites Kapitel. D i e V o l l s t r e c k u n g s h a n d l u n g e n §^143. Die Vollstreckungsmittel I. Anlage des Vollstreckungssystems (direkter und indirekter Zwang, Spezial- und Generalexekution, Personal- und Realexekution, Natural- und Geldvollstreckung. — II. Der direkte Zwang. — III. Der indirekte Zwang. § 144. Die Vollstreckungsobjekte (Personal- und Realexekution) . . . . § 145. Die Geldvollstreckung im allgemeinen I. Pfändung und Verwertung des Schuldnervermögens. — II. Priorität und Gleichberechtigung der Gläubiger: das Pfändungspfandrecht. § 146. Die Vollstreckung in körperliche Mobilien I. Grundgedanken. — II. Anwendungsgebiet. — III. Pfändung. — IV. Verwertung. § 147. Die Vollstreckung in Geldforderungen I. Grundgedanken. — II. Anwendungsgebiet. — I I I . Pfändung. — IV. Verwertung. § 148. Vollstreckung in Vermögensrechte aufser Geldforderungen . . . I. Bedeutung. — II. Anwendungsgebiet. — III. Pfändung und Verwertung. § 149. Vermittelnde Formen der Mobiliarvollstreckung I. Übersicht. — II. Pfändung und Verwertung der Wertpapiere und Papierforderungen. — III. Vollstreckung in Hypothekenforderungen. § 150. Gläubigerkonkurrenz und Verteilungsverfahren bei der Mobiliarvollstreckung I. Bedeutung der Gläubigerkonkurrenz. — II. Konkurrenz mehrerer Vollstreckungsgläubiger. — III. Konkurrenz der Vollstreckungsgläubiger mit Pfandgläubigern. — IV. Verteilungsverfahren. § 151. Die Vollstreckung in unbewegliche Sachen I. Grundgedanken. — II. Anwendungsgebiet der Immobiliarvollstreckung. — III. Vollstreckungsformen im allgemeinen. — IV. Verfahren auf Zwangsversteigerung, Einleitung, Feststellung der Beteiligten und der Steigerungsbedingungen, Versteigerung, Verteilung. — V. Verfahren auf Zwangsverwaltung. § 152. Die mittelbare Geldvollstreckung in Mobilien und Immobilien . g 153. Die Vermögensvollstreckung zur Erwirkung von Sachleistungen § 154. Die Personal Vollstreckung und der Offenbarungseid I. Anwendungsfälle. — II. Pflicht zur Leistung des Offenbarungseids. — III. Prozessuale Zwangs- und Strafhaft. § 155. Gemeinsame Formen der Vollstreckung II*

917 917

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Inhaltsverzeichnis. Seite

Drittes Kapitel. D i e E i n w e n d u n g e n gegen d i e V o l l s t r e c k u n g . . § 156. Schutzmittel gegen die Vollstreckung im allgemeinen § 157. Einwendungen des Schuldners gegen den Vollstreckungstitel und gegen die Vollstreckungsklausel I. Vollstreckungsgegenklage. — II. Anfechtung der Vollstreckungsklaus el. § 158. Einwendungen des Schuldners gegen die Vollstreckungshandlung I. Einwendung gegen das Vollstreckungsverfahren. — II. Schutz des Erben in der Vollstreckung. § 159. Einwendungen Dritter gegen die Vollstreckungshandlungen . . . I. Schutz gegen Verfahrensverletzung. — II. Widerspruchsklage. § 160. Wiederaufhebung der Vollstreckung (Rückgewähr und Schadensersatz) . § 161. Hemmung der Vollstreckung. (Vorläufige Einstellung)

1009 1009 1010 1017 1025 1039 1043

Anhang.

Das Kostenwesen. δ 162. Die § 163. Der § 164. Der § 165. Der § 166. Der § 167. Der § 168. Die δ 169. Die § 170. Die Sachregister Quellenregister

Kostenansprüche 1046 Gerichtskostenanspruch 1050 Sportelanspruch des Gerichtsvollziehers 1054 Entschädigungsanspruch der Zeugen und Sachverständigen . 1055 Honoraranspruch des Rechtsanwalts 1055 Kostenerstattungsanspruch der Partei 1058 Vorschufs- und Sicherheitspflicht und das Armenrecht. . . 1059 Geltendmachung der Kostenansprüche 1063 Berechnung des Streitwerts 1066 1069 1103

Erläuterung der Abkürzungen. S o w e i t bei den einzelnen M a t e r i e n S c h r i f t e n n u r m i t d e m N a m e n des Verfassers u n d d e m H i n w e i s „a. a. 0 . u oder ä h n l i c h e n A b k ü r z u n g e n z i t i e r t s i n d , beziehen s i c h d e r a r t i g e Z i t a t e auf die zu A n f a n g der P a r a g r a p h e n z u s a m m e n g e s t e l l t e L i t e r a t u r . A l s ständige A b k ü r z u n g e n f ü r Gesetze, Z e i t s c h r i f t e n , P r f t j u d i z i e n s a m m l u n g e n , E i n z e l s c h r i f t e n w e r d e n n u r die n a c h f o l g e n d bezeichneten v e r w e r t e t .

A.G. A.G.O. A.L.R.

= Ausführungsgesetz. = Allgemeine Gerichtsordnung für die preufsischen Staaten. = Allgemeines Landrecht für die preufsischen Staaten (auch preufs. L.R.). Beitr. = Gruchots Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts, hrsg. von Küntzel, Eccius, Jaeckel (vgl. S. 149). Bethmann-Hollw. = v. Bethmann-Hollweg, Der Civilprozefs des gem. Rechts in geschichtlicher Entwicklung (vgl. S. 86 A. 1. 37). B.G.B. = Bürgerliches Gesetzbuch. C.A. oder civ. A. = Archiv für die civilistische Praxis. Dernburg, Pand. = Dernburg, Das bürgerliche Recht des deutschen Reichs und Preufsens, Bd. I—Y (2., bez. 3. Aufl.). E.G. — Einführungsgesetz. Fitting = Fitting, der Keichszivilprozefs, 11. Aufl., 1903. G.od.Ges.= Gesetz. Gaupp oder Gaupp-Stein = Gaupp, Kommentar zur Z.P.O. 2. Aufl. 1892, von Stein in 8./9. Aufl. herausgegeben, 1906. G.K.G. = Gerichtskostengesetz. Geb.O. = Gebührenordnung. f. G.Y. = für Gerichtsvollzieher, f. Z.S. = für Zeugen und Sachverständige, f. R.A. = für Rechtsanwälte. Grünh. Z. = Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, hrsg. von Grünhut. G.V.G. = Gerichtsverfassungsgesetz. H.E. = Entwurf einer allgem. Z.P.O. für die deutschen Bundesstaaten (Hannöverscher Entwurf, vgl. S. 106). Hellwig = Hellwig, Lehrbuch des deutschen Zivilprozefsrechts, Bd, I, 1903, Bd. II, 1907 (nach Abschlufs dieses Lehrbuchs erschienen). H.G.B. = Handelsgesetzbuch. J.W. = Juristische Wochenschrift. J.M.B1. = Justizministerialblatt. J.R.A. = Jüngster Reichsabschied. J.Z. = Deutsche Juristenzeitung, begr. von Laband, Stenglein, Staub, — hrsg. v. Laband, Hamm, Heinitz. Kleinfeller = Kleinfeller, Lehrbuch des deutschen Z.P.R., 1905. K.O. = Konkursordnung.

XXXI N.E.

Erläuterung der Abkürzungen.

= Entwurf einer Zivilprozefsordnung für den Norddeutschen Bund (Norddeutscher Entwurf, vgl. S. 106). O.A.G. = Oberappellationsgericht. O.L.G. = Oberlandesgericht. Petersen-Anger = Petersen, Remelé u. Anger, Kommentar zur Z.P.O., 5. Aufl., 1904. Planck = Planck, Lehrbuch des Civilprozefsrechts, 2 Bde., 1886 ff. Plen. = Plenarentscheidung. P.O. = Prozefsordnung. Prot. = Protokolle der Justizkommission des Reichstags. Pr.R. = Privatrecht. R.A.O. = Rechtsanwaltsordnung. R.G. = Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen. R.G.B1. = Reichsgesetzblatt. R.J.K. = Reichsjustizkommission. R.O.H.G. = Reichsoberhandelsgericht. R.V. = Reichsverfassung.' S.A. = Sächsisches Archiv für bürgerl. Recht und Prozefs, hrsg. von Hoffmann, Sommerlatt, Wulfert (S. 149). Seuffert = Seuffert, Kommentar zur Z.P.O., 10. Aufl. 1905. Seuff.-A. = Archiv f. Entsch. der obersten Gerichte, hrsg. von Seuffert. Skonietzky-Gelpcke = Skonietzky und Gelpcke, Kommentar zur Z.P.O. (Neubearb. von Wilmowsky-Levy, vgl. u.), 1905 (im Erscheinen). St.P.O. = Strafprozefsordnung. Strafs. = Strafsenat. Struckm.-K. = Struckmann u. Koch, Kommentar zur Z.P.O. (vgl. S. 149); 8. Aufl. 1901. V. oder V.O. = Verordnung. V.U. = Verfassungsurkunde. Wach, Hb. = Wach, Handb. des deutschen Civilprozefsrechts, 1. Bd. 1885. Wach, Vortr. = Wach, Vorträge zur Reichscivilprozefsordnung 1879. (2. Auflage 1896.) Weismann=Weismann, Lehrbuch des deutschen Zivilprozefsrechts, 2 Bde., 1903. 1905. Wetzell = Wetzell, System des gemeinen Civilprozeferechts, 3. Aufl. 1879. Wilm.-Lev. = v. Wilmowski und Levy, Kommentar zur C.P.O., 7. Aufl. 1895. Z.P. = Zivilprozefs. Z.P.O. = Zivilprozefsordnung. Z.S. = Zivilsenat. Z. oder Z. f. Z.P. = Zeitschrift für Zivilprozefs, begr. von Busch, hrsg. von Vierhaus und Schultzenstein.

Einleitung. Bedeutung und Gegenstand des Zivilprozefsrechts. § ι. Zivilprozefs und Zivilprozefsrecht. I . Die Aufgabe des Zivilprozesses. Das Leben der menschlichen Gesellschaft erzeugt für die Einzelpersönlichkeit unter allen Bedingungen und auf allen Entwicklungsstufen des Daseins das Bedürfnis, sich in ihrem Lebens- und Verkehrskreise gegen Eingriffe zu schützen. Das Privatrecht teilt dem Einzelnen nach Mafsgabe der Rechtsüberzeugung der sozialen Gruppe, in der er lebt, die Herrschaftssphäre seiner Wirtschafts-, Familienund sonstigen Personenbeziehungen zu. Aber einen Schutz, eine4 Sicherung und Verwirklichung der Privatrechtssphäre bietet das Privatrecht selbst nicht. Von Natur ist der Mensch vielmehr darauf angewiesen, zur Geltendmachung seiner privatrechtlichen Interessen sich der eigenen physischen Kraft zu bedienen und die individuelle Überzeugung von seinem Recht zur Geltung zu bringen. Im Laufe der Zeit bestreben sich sodann die politischen Verbände, zu denen sich die Gesellschaftsgruppen äufserlich organisieren, immer entschiedener, die Eigenmacht einzuschränken und schlieislich ganz zu unterdrücken; sowohl im Interesse der Einzelbürger, die zu schwach sind, um die selbsttätige Verwirklichung ihrer privatrechtlichen Bedürfnisse durchzusetzen, als auch im Interesse der Gesamtgesellschaft, die unter fortwährenden Ordnungs- und Friedensstörungen durch eigenmächtige Rechtshändel naturgemäfs leiden mufs. Der Kampf der Gesellschaft gegen die Selbsthilfe hat aber nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Gesellschaft gleichzeitig einen Ersatz für diese bietet. Es erwächst ihr deshalb die Notwendigkeit, eine für alle Bürger gleichmäfsig zugängliche Veranstaltung zum Schutz des Privatrechts vorzukehren. So entsteht der Z i v i l p r o z e f s , die Z i v i l r e c h t s p f l e g e , die Z i v i l j u s t i z , d. h. die a l l g e m e i n z u g ä n g l i c h e E i n r i c h t u n g zum P r i v a t r e c h t s s c h u t z Richard Schmidt,

L e h r b u c h des Z i v i l p r o z e f s r e c h t s .

2. A u f l .

1

2

Einleitung.

§ 1. Zivilprozefs und Zivilprozefsreckt.

der B ü r g e r , die R e c h t s s c h u t z a n s t a l t f ü r das G e b i e t der p r i v a t r e c h t l i c h e n B e z i e h u n g e n 1 . I I . Die Aufgabe des Zivilprozefsrechts. Von den gekennzeichneten Bedürfnissen der Individuen und aus den gesellschaftlichen Versuchen zu ihrer Abhilfe nimmt ein eigenartiger Kreis von Rechtsnormen, das Zivilprozefsrecht, seinen Ausgang. Seine nächste Aufgabe ist es von jeher gewesen und ist es noch heute, der s t a a t l i c h e n O r g a n i s a t i o n der Menschen die M a c h t und zwar eine ausschliefsliche, jede Eigenmacht der Einzelnen zurückdrängende M a c h t z u r P r i v a t r e c h t s p f l e g e zu erteilen. Das Zivilprozefsrecht ordnet die Existenz von Gerichten, d. h. von Personen, die durch bindende Willensaussprüche ( U r t e i l e ) , oder durch äufsere Zwangseingriffe ( V o l l s t r e c k u n g ) den rechtsuchenden Bürgern, den P a r t e i e n , Sicherheit und Genufs ihrer Privatrechtssphäre verschaffen. Ihrer schützenden Tätigkeit werden die Parteien unterstellt. Dafür müssen sie sich im tätigen Betrieb und Verfolg ihrer beiderseitigen Rechtsansprüche an die Mitwirkung der Gerichte und an die für den sachgemäfsen gerichtlichen Verkehr gegebenen Formen binden. Aber eben aus dem Verhältnis, das auf solche Weise entsteht, erwächst eine andere, von vornherein nicht minder bedeutsame Aufgabe des Prozefsrechts. Indem sich die Bürger des Schutzes der Zivilgerichte bedienen, werden sie von deren Macht abh ä n g i g . Die Gefahr entsteht, dafs die Handlungen, die zum Ausgleich des Streits der Privaten und zur Verwirklichung des Privatrechts dienen sollen, aus bösem Willen oder aus Nachlässigkeit vom Gegner oder vom Gericht nicht, wie erwartet wird, zur Erfüllung der Forderungen der objektiven Gerechtigkeit gebraucht, sondern im Gegenteil zur Bedrückung des Einzelnen mifsbraucht werden, sei es in dem egoistischen Interesse einer der Parteien, sei es im Interesse der politischen Macht, des fiskalischen Gewinns, des Klassenegoismus oder anderer öffentlicher Interessen, die dein Prozefszweck fremd sind. Infolgedessen inufs hier, wie überall, wo verschiedene Willensträger sich zu beeinträchtigen drohen, die Rechtsordnung eintreten, um die Partei- und Gerichtstätigkeit bindend anzuleiten und zu beschränken und dadurch die Verwirklichung des anzustrebenden Ideals einer guten und zweckgemäfen Zivilrechtspflege möglichst zu befördern. Die Rechtsordnung, d. h. der Inbegriff der Regeln, die auf Grund der in einer menschlichen Gemeinschaft geltenden Überzeugung das äufsere Willensverhalten innerhalb derselben bindend bestimmt, erstreckt ihre Wirksamkeit auch auf das Gebiet der Zivilrechts1 D a b e i geht aus dem Gesagten schon h e r v o r , dafs der Z w e c k des Rechtsschutzes h i e r b e i d o p p e l d e u t i g u n d z w e i s e i t i g ist. E r b e d e u t e t e i n m a l die W i e d e r h e r s t e l l u n g der v e r l e t z t e n i n d i v i d u e l l e n R e c h t s p o s i t i o n des E i n z e l n e n w i e d i e V e r w i r k l i c h u n g der o b j e k t i v r i c h t i g e n Rechtslage i n der Gesellschaft i m ( ö f f e n t l i c h e n ) Interosse der F r i e d e n s b e w a h r u n g (vgl. ü b e r d i e S o n d e r u n g dieser beiden G e s i c h t s p u n k t e D e g e n k o l b , E i n l a s s u n g s z w a n g u n d U r t e i l s n o r m , 1877 S. J'j ff. L a b a n d , S t a a t s r e c h t dos D. Reichs, 4. A u f l . B d . 3 S. 349. W a c h , H a n d b . I , 4).

Verhältnis des Zivilprozefsrechts zum Privatrecht und zum Staatsrecht.

3

pflege. Ihre Aufgabe ist es, die Willenstätigkeiten, die auf den Zivilrechtsschutz hinarbeiten, so zu ordnen, dafs deren Ergebnis den Interessen aller Beteiligten wie denen der Gesellschaft möglichst entspricht. So entsteht das Z i v i l p r o z e f s r e c h t , d. h. e i n K r e i s von R e c h t s s ä t z e n , d i e d i e A n s t a l t der Z i v i l r e c h t s pflege bindend regeln. Dasselbe schliefst sich seinem Anwendungsgebiet nach aufs engste dem P r i v a t r e c h t o d e r Z i v i l r e c h t an; ja, im praktischen Rechtsleben bildet es sozusagen ein einheitliches Rechtsgebiet mit diesem. Denn nur die Anwendung der Privatrechtssätze in einem Verfahren, das nach Mafsgabe der Prozefsrechtssätze durchgeführt wird, lassen schliesslich den sozialen Akt, an welchem die Beteiligten interessiert sind, den A k t des P r i v a t r e c h t s s c h u t z e s , hervortreten. Da der Hauptteil der zivilrechtlichen Normen der Gestaltung und dem Gedeihen der w i r t s c h a f t l i c h e n Existenz des Menschen im Interessenkampf mit den Mitmenschen zu gute kommt, so läfst sich auch die Aufgabe des Zivilprozefsrechts in dieser Hinsicht vorwiegend als eine w i r t s c h a f t l i c h e A u f gabe bezeichnen, und in der Tat sind es in erster Linie die verschiedenen am wirtschaftlichen Verkehre beteiligten Volksklassen, städtischer und ländlicher Grundbesitz, industrielles Kapital und Arbeiterschaft, Handel und Gewerbe, die am Dasein einer gut und rasch funktionierenden Ziviljustiz interessiert sind l . Gleichwohl zeigt das Vorausgehende, dafs i n n e r l i c h , seinem Gedankengehalte nach, das Zivilprozefsrecht zum ö f f e n t l i c h e n Recht gehört. Denn die Aufgaben, die ihm gesteckt sind, decken sich im Grunde mit den Aufgaben alles öffentlichen Rechts, besonders des Staatsrechts. Alle Teile und Regeln des Staatsrechts drehen sich um die Aufgabe, auf der einen Seite gewisse Einzelpersonen zu Organen des Staats zu erheben und sie demgemäfs mit überlegener Macht zum wirksamen Handeln, vor allem zum Handeln mit Wirkung für die Untertanen des Staats, auszustatten, auf der anderen Seite aber die beteiligten Individuen gegen die Staatsorgane zu schützen, ihnen Sicherheit gegen übertriebenen, willkürlichen und nachteiligen Gebrauch der Staatsmacht zu gewähren. So bildet einerseits die Ermöglichung der öffentlichen Funktionen, die gemeinsame S i c h e r h e i t u n d W o h l f a h r t , anderseits die Selbstbeschränkung der öffentlichen Gewalt in ihren Funktionen, die geregelte und für alle g l e i c h geregelte Sicherheit des Individuums, die F r e i h e i t u n d G l e i c h h e i t der Bürger gegenüber dem Staat, den Angelpunkt aller öffentlichrechtlichen Normen, mag es sich im besonderen um die staatlichen oder kommunalen Funktionen der Heeresorganisation, der Besteuerung, des Wegebaues, der Gesundheitspflege, der Schulverwaltung 1 I n dioser W e i s e h a t n e u e r d i n g s V i e r h a u s , ü b e r d i e sozialen u n d w i r t s c h a f t l i c h e n Aufgaben der Zivilprozefsgesetzgebung 1903 (Fstg. f ü r K o c h ) , S. 64 ff. f o r m u l i e r t .

1*

4

Einleitung.

§ 1. Zivilprozefs und Zivilprozefsrecht.

oder welche andere sonst handeln. Die gleichen Interessen geben auch für das Eingreifen des Zivilprozefsrechts nicht minder wie für die des ihm nahe verwandten Strafprozefsrechts (s. § 29) den Antrieb. Auch für die Normen eines Zivilprozefsgebers sind, wie oben gezeigt, einerseits das Bedürfnis nach einem w i r k samen Schutz des Privatrechts, nach S i c h e r h e i t des Einzelnen g e g e n ü b e r dem M i t b ü r g e r , anderseits das Bedürfnis nach einem für alle Volksklassen und Individuen g l e i c h m ä f s i g f e s t g e r e g e l t e n Anteil an jenem Schutz, nach F r e i h e i t und G l e i c h h e i t der Individuen, nach deren S i c h e r h e i t in ihrem Verhältnis zum S t a a t als Träger der Rechtsschutzfunktion, bestimmend. Die Mittelstellung des Zivilprozefsrechts zwischen dem P r i v a t r e c h t und dem S t a a t s r e c h t , wie sie sich aus dem vorstehenden ergibt, hat die Zivilprozefs w i s s en s c h a f t in erster Linie zu beleuchten. Im Prinzip ist diese doppelte Aufgabe der Prozefsdoktrin auch seit langem erkannt worden; insbesondere ist nicht mehr bestritten, dafs das Prozefsrecht nicht blofs ein Teil oder ein Anhängsel des Privatrechts ist 1 . Aber die Wissenschaft ist ihrer Aufgabe nicht immer ganz gerecht geworden, denn regelmäfsig kommt die öffentlich-rechtliche Seite zu kurz; sie wird bei Behandlung der praktischen Fragen ganz übergangen oder nur an vereinzelten Fragen betont 2 , während sie auf alle Fragen der Gerichtsverfassung und des Verfahrens ihren Einflufs übt. Dafür lösen sich aber auch in diesen beiden Gesichtspunkten alle Probleme der Zivilprozefsgesetzgebung auf; vor allem auch die, clie man häufig als eine eigenartige s o z i a l e oder s o z i a l p o l i t i s c h e Aufgabe des Prozefsrechts bezeichnet. Hierbei hat der Sprachgebrauch solche Rechtssätze einer Prozefsordnung im Auge, die dafür sorgen sollen, dafs a l l e s o z i a l e n Schichten der Bevölkerung an den Segnungen der Zivilrechtspflege in gleicher Weise teilnehmen, d. h. dafs auch die unbemittelten und gedrückten Volksklassen nicht unter ungünstigeren Bedingungen die gerichtliche Hilfe anzurufen brauchen. I n der Tat ist dies eine der vornehmsten Sorgen jedes Prozefsrechts. Aber es ist das eben nur eine der Garantien, die dem Bürger für sichere und gleichmäfsige Erreichbarkeit des Rechtsschutzes, für seine „Freiheit und Gleichheit" im Prozefs (s. o.) gewährt werden müssen (vgl. über die Folgen der Unklarheit unt. § 19).

I I I . Die Gegenstände des Zivilprozefsrechts im allgemeinen· Aus der Bedeutung des Zivilprozesses und der Aufgabe des Zivilprozefsrechts ergibt sich bereits, was im einzelnen den Gegenstand der gesetzlichen Regelung dieses Rechtsgebiets bildet. Das Zivilprozefsrecht findet clen Kreis der rechtsschutzbedürftigen Personen als gegeben vor; zu ihm gehört im Zweifel jedes Mitglied der menschlichen Gesellschaft, das am Verkehr teilnimmt. So 1 Bes. scharf zuerst v o n B O c k i n g , GrundriL's z u V o r l e s g n . über den gem. d. Z.Pr. 1852 S. 1. — Später v g l . W a c h , H a n d b u c h des Z . P r . R . I , (). 2 N e u e r d i n g s h a u p t s ä c h l i c h n u r an der F r a g e , w i e s i c h das P r i v a t r e c h t s Verhältnis z w i s c h e n d e n B ü r g e r n zu d e m R e c h t des B ü r g e r s a u f S c h u t z gegen den Staat v e r h ä l t (vgl. u n t . § 4, I I . I I I . Beachte aber dazu S 4, I V u n d S :>).

Stellung des Z.P.R. zwischen Privat- und Staatsrecht. Gerichtsverfassung. 5

hat das Recht nur die soziale Veranstaltung zu normieren, in der sich der Privatrechtsschutz verkörpert, und dies sind einerseits die P e r s o n e n , die mit der Rechtspflegefunktion ausgestattet werden, anderseits die H a n d l u n g e n , in denen dieselben mit den rechtsuchenden Bürgern die Rechtspflege verwirklichen. Hierzu kommt weiter das V e r h ä l t n i s , in welches die rechtsuchenden Bürger zu den Gerichtspersonen treten, wenn sie Rechtsschutz erbitten oder durchsetzen wollen; dasselbe gewinnt hauptsächlich um der Frage willen praktisches Interesse, unter welchen B e d i n g u n g e n der Bürger den allgemein zugänglichen Rechtsschutz erwarten kann. Ein Überblick über die drei Gegenstände des Zivilprozefsrechts — P r o z e f s o r g a n e , P r o z e f s h a n d l u n g e n und P r o zessuales R e c h t s v e r h ä l t n i s (oder, was ungefähr dasselbe ist: Bedingungen des Rechtsschutzes) — vermag ungefähr zu beleuchten, welche Fragen im wesentlichen j e d e Prozefsgesetzgebung zu beantworten hat.

§ 2. Die Organe des Zivilprozesses. I . Die Gerichtsverfassung der Zivilrechtspflege. Das Zivilprozefsrecht im weiteren Sinne umschliefst in erster Linie eine engere Gruppe von Rechtsnormen, das G e r i c h t s v e r f a s s u n g s r e c h t . Seinen Gegenstand bilden die Behörden oder Organe der Zivilrechtspflege, d. h. die Personen, welche aus der Mitte der Gesellschaftsgruppen geschaffen werden, um die Funktion der Zivilrechtspflege für die Einzelbürger zu verwirklichen, und welche demgemäfs mit „ Z i v i l g e r i c h t s b a r k e i t " , d. h. mit der Macht zur Entfaltung des Rechtsschutzes (S. 2) ausgestattet werden. Die Organe des Zivilprozesses lassen sich im weiteren Sinne als Zivilgerichte bezeichnen. Ihr Dasein setzt einen Akt der Einsetzung, einen Organisationsakt der gesellschaftlichen Verbände voraus, sowie eine Fürsorgetätigkeit dieser Verbände, welche dauernd das Amtieren der Gerichte ermöglicht, ihnen die Mittel für ihre Existenz gewährt, ihre Dienstführung überwacht usw. Regeln für diese Organisationstätigkeit und Fürsorge aufzustellen, bildet die Hauptaufgabe des Gerichtsverfassungsrechts. I I . Die verschiedenen Arten und das gemeinsame Wesen der Zivilrechtspflegebehörden. Das Gerichtsverfassungsrecht kann die Organe des Privatrechtsschutzes überaus verschiedenartig gestalten. Je nach den Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens kann das Recht die Fürsorge für Einsetzung und Aufsicht der Rechtspflegebehörden sehr verschiedenen Mächten der Gesellschaftsgruppe übertragen. Träger der Justizhoheit, „Gerichtsherr", kann der Staat, der höchste Verband der im Gebiet ansässigen Menschen sein; seine Gerichte sind „ S t a a t s g e r i c h t e " . Es kann aber auch den engeren Gebietsverbänden im Staate, den Gemeinden, überlassen sein die Gerichte einzusetzen ( K o m -

6

Einleitung. § .

ane des Zivilprozesses.

m u n a l g e r i c h t e , S t a d t - oder D o r f g e r i c h t e ) , ebenso den selbständigen Häuptern einer Untertanengruppe, wie einem Lehnsherrn oder bäuerlichen Grund- oder Gutsherrn für seine Vasallen oder Bauern ( F e u d a l - , P a t r i m o n i a l g e r i c h t e ) , nicht minder auch den über ein Gebiet verstreuten Genossen eines einzelnen Standes ( Z u n f t - , G i l d e g e r i c h t e ) , endlich auch einem Kultverband für seine Mitglieder, insbesondere einer christlichen Religionsgemeinschaft, einer Kirche ( g e i s t l i c h e G e r i c h t e ) . In allen Fällen können clie Behörden aus berufsmäfsig und dauernd mit dem Richtergeschäft betrauten Personen (als Be a m t e n g e r i e h te) oder aus periodisch funktionierenden Standesgenossen der Rechtsuchenden (als L a i e n g e r i c h t e ) zusammengesetzt werden. Sie können ihre Entstehung allein aus dem Willen der Verbandsgewalt, vor allem der Staatsgewalt, der Regierung schöpfen ( b u r e a u k r a t i s c h e G e r i c h t e ) ; es können aber auch die Bürger durch direkte Mitwirkung an der Justiz, indirekt durch Wahl oder Vorschlag oder Ablehnung einen mehr oder minder mafsgebenden Einflufs auf die Justizfunktionen üben ( V o l k s g e r i c h t e ) . Es ist ferner je nach der Auffassung, die die Gesellschaft von den Funktionen der Rechtspflege hat, eine sehr verschiedenartige Teilung und Abgrenzung dieser Funktionen (Urteilspruch, Vollstreckung, Ladung usw.) und demgemäfs eine weitgehende Vereinfachung oder eine verfeinerte Spaltung der Behörden denkbar. Insbesondere kann sich auch bei den wichtigsten Organen der Justiz, bei den Gerichten im engern Sinne, ihre Erscheinung sehr mannigfaltig abschattieren, je nachdem sie in gröfserem Umfang tätig eingreifen, z. B. die verantwortliche Prüfung und Beurteilung des Streithandels übernehmen, oder nur die Tätigkeit der Parteien passiv kontrollierend begleiten, z. B. nur die Form eines Vollstreckungsakts überwachen, den die Parteien selbst als gesetzlich geregelte Eigenmacht vornehmen. An dieser Stelle berührt sich das Gerichtsverfassungsrecht mit der Regelung des V e r f a h r e n s (§ 3). Aber in jedem Falle, auf allen historischen Entwicklungsstufen setzen die mit Funktionen des Privatrechtsschutzes betrauten Organe ein gemeinsames Merkmal voraus, damit sie als Organe des Zivilprozesses erscheinen. Zivilgerichte als Gegenstand eines Gerichtsverfassungsrechts sind nur ö f f e n t l i c h e Gerichte, d. h. solche, welche ihre Macht von einem den Individuen überlegenen Willen, einem Verbandswillen, herleiten, und deshalb allen Mitgliedern des Verbands allgemein zugänglich sind. Nur ihre Tätigkeit ist Zivilprozefs ; nicht die von Personen, denen die rechtsuchenden Bürger als Einzelne selbst die Macht dazu verliehen haben. Über Grenzen und Bedingungen solcher Rechtsschutztätigkeit, z. B. über die Schiedsgerichtsbarkeit, entscheidet das P r i v a t r e c h t , das an diesem Punkte sich äufserlich mit dem Gerichtsverfassungsrecht nahe berührt (u. § 26).

Mögliche Typen der Gerichtsverfassung.

Verfahren.

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§ 3. Die Handlungen des Zivilprozesses. W a c h , H a n d b u c h des d. C.P.R. I , § 3. P l a n c k . L e h r b u c h d. d. C.P.R. I , 1887. 193. L a b a n d , Staatsr. des D. R e i c h s , 4. A . (1901) I I I , 352. S c h u l t z e , B e g r i f f des C.Pr. Z e i t s c h r . 12, 470. W e i s m a n n , L e h r b . des C.Pr. I (1903), §§ 3, 4. B ü l o w , Gesetz u n d R i c h t e r a m t 1883.

I . Das Verfahren der Zivilrechtspflege als Aufbau von Einzelhandlungen· In Ergänzung des Gerichtsverfassungsrechts regelt das Zivilprozefsrecht im engeren Sinne, die „Zivilprozefsordnung", die äufseren Tätigkeiten der am Rechtsschutz interessierten Personen, das „Verfahren". Das Verfahren, wie es den Gegenstand des eigentlichen Zivilprozefsrechts bildet, oder der Zivilprozefs im konkreten Sinn stellt sich zunächst als ein historischer Vorgang, nämlich als Aneinanderreihung oder Aufbau von einzelnen Handlungen dar, die sich auf dieselbe Privatrechtsbeziehung, auf ein bestimmtes Eigentums-, Erb-, Forderungsrecht beziehen. Das Verfahren ist die V i e l h e i t der P r o z e f s h a n d l u n g e n . Nur sind Prozefshandlungen nicht alle und jede Handlungen, die in einem Prozesse oder anläfslich des Prozesses vorgenommen werden, sondern nur diejenigen, die vom Gericht in mittelbarer oder unmittelbarer Erfüllung des Rechtsschutzzwecks oder von den Parteien im Streben nach Rechtsschutz vorgenommen werden. Prozefshandlungen sind die mit bewufster Beziehung auf den Prozefszweck verwirklichten Willenshandlungen. Nur sie sind Gegenstand des Prozefsrechts 2. Für die Rechtsschutzgewährung e r h e b l i c h können auch andere Tatsachen als Willenshandlungen sein, z. B. das zufällige Verbrennen einer Urkunde, deren Vorlegung der Partei aufgegeben worden, der Ausbruch eines die Gerichtstätigkeit unterbrechenden Krieges, eine Überschwemmung, die den Rechtsanwalt der Partei am Erscheinen verhindert. Manche bezeichnen deshalb den Zivilprozefs als eine Aneinanderreihung von Prozefst at S a c h e n , unter denen die Prozefshandlungen nur als die wichtigsten hervorragen ( W a c h , Hb. I, 24). Aber alle diese Tatsachen werden nur von Bedeutung, wo im Hinblick auf den Rechtsschutzzweck Willenshandlungen vorgenommen werden. Indem das Gesetz ihre rechtlichen Folgen regelt, normiert es damit m i t t e l b a r immer wieder nur die Vorbedingungen oder Wirkungen der dem Prozefszweck dienenden Tätigkeiten, d. h. eben der Prozefshandlungen. D i e Prozefsh a n d l u n g e n sind also die p r o z e f s g e s t a l t e n d e n Tats a c h e n , die prinzipalen Prozefstatsachen; — alle anderen sind nur sekundär, mittelbar erheblich. Allerdings gibt es aufserdem einen Kreis von Tatsachen, die weder Prozefshandlungen sind, noch sich auf e i n z e l n e Prozefshandlungen beziehen, sondern auf den P r o z e f s als G a n z e s einwirken. Sie sind unter dem Namen der Bedingungen des zivilprozessualen Rechtsschutzes zusammenzufassen und ihre Regelung bildet einen besonderen Gegenstand der Prozefsgesetzgebung (vgl. unten § 4). Für sie werden die meisten Tatsachen von Bedeutung, welche man als solche Prozefstatsachen, 1 I m Gegensatz z u m Z i v i l p r o z e f s i m a b s t r a k t e n Sinne, w i e er oben § 1 als I n b e g r i f f a l l e r a u f den P r i v a t r e c h t s s c h u t z b e z ü g l i c h e n A n s t a l t e n der Gesellschaft ( P e r s o n e n u n d T ä t i g k e i t e n ) dargelegt w o r d e n ist. 2 Es r e g e l t n u r d i e j e n i g e n , die d e m Prozefszweck zu d i e n e n b e s t i m m t s i n d , andere ü b e r h a u p t n i c h t ( n i c h t z. B. B e l e i d i g u n g des R e c h t s a n w a l t s d u r c h d e n G e g n e r , B e s t e c h u n g des R i c h t e r s d u r c h d i e P a r t e i u. a.)· A u c h d i e Aussage eines Z e u g e n , Sachv e r s t ä n d i g e n i m Prozefs i s t d e m n a c h n i c h t P r o z e f s h a n d l u n g . Sie w i r d Gegenstand prozefsrechtlicher R e g e l u n g n u r (wie die U r k u n d e , d i e gelieferte u n d b e m ä n g e l t e W a r e ) als O b j e k t der r i c h t e r l i c h e n B e w e i s e r h e b u n g , w e l c h e P r o z e f s h a n d l u n g i s t . V g l . w e i t e r e s u n t . § 51

ff.

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Einleitung.

§ 3. Handlungen des Zivilprozesses.

die nicht Prozefshandlungen sind, aufführt. (Tod einer Partei, Geisteserkrankung ihres Vormunds, Rücktritt des Vorstands einer klagenden Aktiengesellschaft, Ausscheiden eines Richters aus dem Kollegium durch Versetzung, Verlegung des Wohnsitzes einer Person an einen bestimmten Ort, mit der Wirkung, dafs sie nunmehr dort verklagt werden mufs.)

I I . Verschiedene Formen und gemeinschaftliche Grundlagen der Prozefshandlungen. Die Art und Weise, wie sich aus einzelnen Tätigkeiten ein prozessuales Verfahren aufbaut, läfst sich überaus verschieden denken. Rein äufserlich betrachtet, hängt die Eigenart seiner Formen von dem verschiedenen Mafse ab, in welchem sich die Parteien, überhaupt die Privatpersonen, und anderseits die Behörden daran beteiligen. Aber unter allen Umständen sind gewisse Handlungen dem Zivilprozefs der verschiedenen Zeiten und Nationen gemeinschaftlich, — nämlich die Tätigkeiten, die durch den Hauptzweck der Ziviljustiz geboten werden, die, welche der Privatrechtssphäre des Bürgers den erwarteten öffentlichen Schutz gewähren. Schlechthin für jede Form der Zivilrechtspflege ist unentbehrlich. dafs auf einem doppelten Wege Rechtsschutz gewährt werden kann, durch zwangsweise Verwirklichung des Privatrechts, durch V o l l s t r e c k u n g . E x e k u t i o n , und durch bindenden, autoritären Ausspruch über den Inhalt des Privatrechtsverhältnisses, durch F e s t s t e l l u n g , Entscheidung, Dekretur. a) Das äufserlich nächstliegende Schutzbedürfnis wird durch die Verwirklichung eines privatrechtlich erheblichen ä u f s e r e n Z u s t a n d s (der Verschaffung einer Sache, einer Geldsumme, der Verhinderung des Nachbarn an der Grundstücksstörung) befriedigt. Diesem Zweck dient die V ο 11 s t r e c k u il g s t ä t i g k e i t. Sie ist P r i v a t r e c h t s v e r w i r k l i c h u n g , Zustandsverä n r l e r u n g , Eingriff in die Aufsenwelt, meist mechanische Verrichtung. b) Ein zweites Bedürfnis nach Rechtsschutz erwächst aber auch schon durch die Ungewifslieit eines Privatrechtsverhältnisses. Ihr wird abgeholfen durch die A b u r t e i l u n g . Sie ist F e s t s t e l l u n g des P r i v a t r e c h t s , Gewifsmachung und b i η d e η d e B e z e i c h n u n g des vom objektiven Recht gebilligten Zustandes. Diese Funktion der Justiz hat nicht wie die Vollstreckung die Aufgabe, die ä u f s e r e Beziehung der Bürger zu einander zu verändern, sondern nur die, eine den Willen der Bürger beherrschende, ihn anweisende und beschränkende Regelung ihrer gegenseitigen Rechtsbeziehung herbeizuführen. Diese ihre Wirkung aber entnimmt die Aburteilung zunächst einer geistigen, durch Reflexion vermittelten logischen Verrichtung, nämlich der Rechtsanwendung, der Anwendung des abstrakten objektiven R e c h t s s a t z e s (ζ. B. „Eigentum an einer beweglichen Sache entsteht, wenn der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind, dafs das Eigentum übergehen soll") auf die rechtserheblichen, historischen \7orgänge, T a t b e s t ä n d e

Rechtsschutz durch Entscheidung und durch Vollstreckung.

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(z. B. die Verabredungen zweier Personen über Besitz, Genufs, Verfügung an einem Möbelstück. Hierauf stützt sie die autoritäre Erklärung der dem einzelnen Fall entsprechenden R e c h t s f o l g e n (der Eigentumsentstehung an diesem Stück). Das Urteil ist also einerseits Produkt einer Schlufsfolgerung (Konklusion) aus Obersatz (Rechtssatz) und Untersatz (Tatbestand); er entspringt der sog. Subsumtionstätigkeit. Anderseits ist er Machtspruch, Rechts be f e h l 1 . Für die landläufige Anschauung erscheint er lediglich alseine v o r b e r e i t e n d e Prozefshandlung, nämlich als Vorbereitung der Zwangsvollstreckung (lit. a), als Bejahung oder Verneinung der Vorbedingungen der Zwangsvollstreckung. In Wahrheit aber ist es ein Akt, der an und für sich schon dem Bürger Rechtsschutz der Privatrechtssphäre erteilt, der auch ohne Rücksicht auf seine etwaigen Vollstreckungsfolgen für den Bürger und seine Rechtsverhältnisse wertvoll und förderlich ist. Denn durch das Urteil gewinnt der Bürger die Unanfechtbarkeit seiner Rechtslage gegenüber dem Gegner. Er erreicht, dafs der Gegner gegen ihn nicht mehr mit Anfechtungen seiner Rechtslage hervortreten darf, und damit eine gröfsere Ruhe, Sicherheit und Vorausberechnung seiner Angelegenheiten innerhalb der sozialen Konkurrenz. Mithin aber verkörpert schon das U r t e i l an sich eine F o r m des R e c h t s s c h u t z e s , die selbständig bedeutsam neben der der Vollstreckung steht. Es betätigt sie durch seine bindende Kraft, R e c h t s k r a f t . Hiermit stimmt aber auch die i n n e r e B e d e u t u n g der geistigen Operation überein, die in der gerichtlichen Entscheidung zutage tritt. Die Rechtsanwendung, von der die Aburteilung nur eine Erscheinungsform ist, stellt innerhalb des Rechtslebens eine eigenartige Funktion dar. Sie teilt zwar die Frist der Normierung, d. h. der bindenden Bestimmung und Regelung fremden Willensverhaltens mit der Gesetzgebung. Aber sie erschöpft sich doch keineswegs darin, dafs sie das Gesetz mechanisch wiederholt, nur für den Einzelfall von neuem ausspricht. Denn die Willensschranken , die das Gesetz allgemein für menschliches Verhalten errichtet, können vom Gesetz nie so formuliert werden, dafs sie ohne weiteres auf die einzelne konkrete Lebenserscheinung zutreffen. Das Gesetz formuliert vielmehr nur einen Rechts ge d a n k en, und selbst bei den einfachen Konflikten des Rechtslebens müssen stets eine ganze Reihe von Sätzen herangezogen werden, die durch ihre Verknüpfung und wechselseitig ergänzendes Ineinandergreifen an den Rechtsfall erst angepafst werden müssen. Die gerichtliche Entscheidung hat also die in den abstrakten Rechtssätzen enthaltenen Rechtsgedanken „weiterzudenken", das Recht fortzuentwickeln 2. In der Zurichtung der dem Einzelfall ent1 H i e r n a c h erschöpft s i c h die B e d e u t u n g des U r t e i l s k e i n e s w e g s i n „ H e r s t e l l u n g einer E r k e n n t n i s " ( W e i s m a n n , L e h r b . S. 4). V g l . bes. L a b a n d , St.R. 3, 353. B e r n a t z i k , Rechtspr. u n d R e c h t s k r a f t (188(i). 2 Dies energisch i m m e r w i e d e r b e t o n t zu h a b e n , i s t das V e r d i e n s t dor S c h r i f t e n B ü l o w s , bes. i n d e m ob. zit. A u f s . , aber a u c h C i v . A r c h . 62 (1879), 93; 64(1881), 1; n e u e r -

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Einleitung.

§ 3. Handlungen des Zivilprozesses.

sprechenden Entscheidungsnorm verrichtet also das Gericht immer eine schöpferische Tätigkeit, wenn auch nicht eine rechtschaffende Tätigkeit \ Von der R e c h t s s c h u t z t ä t i g k e i t und zwar von einer zweifachen Rechtsschutztätigkeit mufs also ausgegangen werden, wenn der Aufbau des Verfahrens verstanden, die ursächliche Verknüpfung der Prozefshandlungen analysiert werden soll. Alle übrigen Prozefshandlungen stehen dem Vollstreckungsakt oder dem Urteilserlafs als v o r b e r e i t e n d e gegenüber. Die Vorbereitung wird sich also verschieden gestalten, je nachdem es darauf ankommt, die vollstreckungsweise Verwirklichung oder die Aburteilung einer privatrechtlichen Beziehung zu ermöglichen, und es kann sich danach das Verfahren in mehreren selbständigen Gruppen, Abschnitten, ja, sogar in ganz verschiedenen, von einander unabhängigen Verfahrensformen verkörpern. Im regelmäfsigen Falle eines Zivilprozesses wird insbesondere der R e c h t s s t r e i t , das auf Entscheidung hinarbeitende Verfahren und das V o l l s t r e c k u n g s v e r f a h r e n , die um einen Zwangsakt sich drehende Prozedur, unterschieden werden müssen. Ja sie können sogar von ganz verschiedenen Behörden, dem erkennenden Gericht und der Vollstreckungsbehörde, geleitet werden. Aber auch innerhalb des Rechtsstreits oder des Exekutionsverfahrens kann das Gefüge der sich wechselweise bedingenden Handlungen je nach den wirtschaftlichen Bedürfnissen und dem geistigen Entwicklungsstand einer Nation oder einer Zeit ein überaus verschiedenes Gepräge annehmen. Vor allem an ihnen wird nunmehr die schon hervorgehobene Frage bedeutsam, nach welchem Gesichtspunkt die gesamte prozessuale Tätigkeit zwischen Gerichtspersonen und Parteien verteilt werden soll. Es ist keineswegs notwendig, dafs die Akte des Rechtsschutzes selbst, Urteil und Vollstreckung, ausschliefslich in der Hand des Gerichts liegen, obwohl der modernen Zeit die Vorstellung geläufig ist. d i n g s Ζ. f. C.P. 3], 266 (1904). Diese A n s c h a u u n g s w e i s e i s t z u r z e i t dio herrschende (vgl. W a c h , L e h r b . I , § 1, S. 7. H e l l w i g , K l a g r e c h t u n d K l a g m ö g l i c h k e i t , 10Γ» S. 88. D e g e n k o l b , B e i t r ä g e z u m C.P., 1905 S. 50 if.). M i t der A n s c h a u u n g , dafs d e m G e r i c h t eine rechtschaffende F u n k t i o n z u k o m m e , h ä n g t der n e u e r d i n g s l e b h a f t e r w e r d e n d e S t r e i t d a r ü b e r z u s a m m e n , ob das G e r i c h t e i n e m Gesetzesrecht gegenüber n i c h t n u r L ü c k e n des Gesetzes ergänzen, s o n d e r n a u c h i m W i d e r s p r u c h m i t S i n n u n d I n h a l t des Gesetzes das „ R e c h t - ä n d e r n d ü r f e " (vgl. z . B . Z i t e l m a n n , L ü c k e n i m R e c h t , R e k t o r a t s r e d e 1903. R i c h a r d S c h m i d t , Das R e i c h s g e r i c h t u n d die deutsche R e c h t s w i s s e n s c h a f t . Sonderh e f t des sächs. A . z u m 25 j ä h r . J u b i l . d. R e i c h s g e r i c h t s , 1904 S. 229 ff. S t a m p e , D. J u r . - Z . 1905 S. 417. L a n d s b e r g , e b e n d a , S. 922. S t a m p e , Gesetz u n d R i c h t e r m a c h t , ebenda S. 1017). H e c k , I n t e r e s s e n j u r i s p r u d e n z u . Gesetzestreue, ebenda S. 1140. H i e r h a n d e l t es s i c h t e i l s u m e i n e n W o r t s t r e i t , der sich i n d e m S t r e i t u m das V e r h ä l t n i s v o n Gesetz u n d G e w o h n h e i t s r e c h t a u t l ö s t , t e i l s u m die F r a g e , w i e v i e l R a u m d i e Rechtssätze, insbesondere d i e des Z i v i l r e c h t s , d e m r i c h t e r l i c h e n E r m e s s e n gönnen sollen. Die Frage nach der g r u n d s ä t z l i c h e n B e d e u t u n g der R i c h t e r f u n k t i o n b e r ü h r t dieser S t r e i t an sich n i c h t . 1 D a m i t i s t n i c h t g e s a g t , dafs seine T ä t i g k e i t e i n „Rechtschaffen" d a r s t e l l t . Recht schaffen k a n n das G e r i c h t n i c h t e i n m a l i n e i n e m v o m G e w o h n h e i t s r e c h t e beherrschten Rechtsleben. Geschaffen w i r d o b j e k t i v e s R e c h t n u r d u r c h A u f s t e l l e n einer allgemeing ü l t i g e n R e c h t s n o r m , u n d eine solche setzt e i n G e r i c h t , a u c h w e n n es aus der Kechtsg e w o h n h e i t schöpft, s t i l l s c h w e i g e n d stets als v o r h a n d e n v o r a u s (hier z. B. i n einer k o n s t a n t e n ä l t e r e n P r a x i s , i n d e n A u f s e r u n g e n der L i t e r a t u r ) . A n d e r s S c h u l t z e , P r i v a t r . u . Prozefs, 18*13, 95 ff., der i n solchen F ä l l e n (z. B . i m g e r m a n i s c h e n V o l k s - , Schöffeng e r i c h t , u. § T) den R i c h t e r als rechtschaffendes O r g a n bezeichnet.

Vorbereitende Tätigkeiten des Prozesses.

H

Vielmehr ist denkbar, dafs die Staatsbehörde sich bei der Vollstreckung auf eine blofs allein überwachende Stellung zurückzieht, während der eigentliche Zwangsakt — Pfändung, Verbringung des Schuldners in Schuldhaft — vom Gläubiger selbst unter Beobachtung gewisser Formen vollzogen wird. Entsprechend kann bei der Vorbereitung des Urteils wiederum die Partei wesentliche Teile der Subsumtion der streitigen Tatsachen unter den Rechtssatz (o. S. 8) durch ihre Tätigkeit, z. B. durch Beeidigung der Existenz oder Nichtexistenz des streitigen Rechtsverhältnisses, des Eigentums, der Darlehnsschuld, vorwegnehmen, so dafs auch hier der Behörde nur eine Kontroll- und Nachhilfetätigkeit, etwa die bindende Fixierung der streitigen und zu beeidigenden Rechtsfrage, übrig bleibt 1 . Anderseits kann aber da, wo das staatliche Organ die verantwortliche Tätigkeit in der Entscheidung vornimmt, dieses selbe Organ auch weiter in die V o r b e r e i t u n g der Entscheidung eingreifen, so dafs umgekehrt die Parteien nur eine untergeordnete und wenig selbständige Mitwirkung entfalten (Untersuchungsmaxime); das Gericht kann umgekehrt das M a t e r i a l der Prüfung wesentlich oder ausschliefslich von der Parteiverhandlung erwarten und sich auf die Beurteilung beschränken (Verhandlungsmaxime). Hier beginnt deshalb das Gebiet, wo ein genauerer Einblick in die Aufgabe des Prozefsgesetzgebers nur von dem Vergleich der verschiedenen denkbaren Prozefssysteme erwartet werden kann (vgl. Buch I Kapitel 1).

§ 4. Die gesetzlich geregelten Bedingungen und Garantien des prozessualen Rechtsschutzes. A u s der z u r z e i t schon s c h w e r ü b e r s e h b a r e n L i t e r a t u r zu diesem s y s t e m a t i s c h e n H a u p t g e s i c h t s p u n k t e s i n d h e r v o r z u h e b e n : B ü l o w , Die L e h r o v o n den Prozefseinreden u n d Prozefsvoraussetzungen 1S68. D e g e n k o l b , E i n l a s s u n g s z w a n g u n d U r t e i l s n o r m 1877. W a c h , Defensionspfl. u. K l a g r . , G r ü n h u t s Ζ. 6, 51r> (gegen d. vor., 1879). P l o s z , B e i t r ä g e z u r Theorie des K l a g r e c h t s 1880. W e i s m a n n . H a u p t i n t e r v e n t i o n u n d Streiterenossenschaft 1884. L a b a n d , S t a a t s r e c h t des deutschen Reichs. 2. A u f l . 1887, § 84 (4. Auff. B d . 3 S. 349). W a c h , H b . I , 12 u. der F e s t s t e l l u n ç s a n s p r u c h 1888. K o h l e r , Der Prozefs als R e c h t s v e r h ä l t n i s 1889. L a n g h e i n o k o n . Der L / r t e i l s a n s p r u c h 1899. H e l l w i g , A n s p r u c h u n d K l a g recht 1900 u n d L e h r b . d. C.Pr. I S. 14o. S t e i n , V o r a u s s e t z u n g e n des Rechtsschutzes 1903. B ü l o w , K l a g e u n d U r t e i l , Z e i t s c h r . f. C.P. 31 (1903), 191. R i c h a r d S c h m i d t , P r o z e f s r e c h t u n d S t a a t s r e c h t (Froib. A b h . I I ) 1904. W a c h , Der R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h , Z e i t s c h r . 32 (1904) 1. K o h l e r , Der sogenannte R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h , Z. f. C.P. 33 (1904) S. 24. H e l l w i g , K l a g r e c h t u n d K l a g m ö g l i c h k e i t 1905. W e i s m a n n , L e h r b . des C.Pr.R. I (1903) S. (55, I I (1905) S. 9 ff. G o l d s c h m i d t , M a t e r i e l l e s J u s t i z r e c h t (Fester. f. H ü b l e r ) 1905. D e g e n k o l b , Der S t r e i t ü b e r den K l a g r e c h t s b e g r i i f 1905. K o h l e r , G r u n d l a g e n des Civilprozesses, c i v . A r c h . 97, 1 (1905). Pagenstecher, ebenda S. 17.

I . Der Prozefs als Verfahren und der Prozefs als Rechtsverhältnis. Indem das Prozefsrecht die einzelnen Handlungen des Prozesses in ihrer Form und Wechselwirkung regelt, löst es seine Aufgabe nach deren einer Seite : es trägt nach einer Berechnung, die möglichst auf alle Fälle pafst, für ein gutes Ergebnis des Prozesses, vor allem für eine zugleich gründliche und schleunige Ab1 Die nähere V e r a n s c h a u l i c h u n g solcher V e r h ä l t n i s s e e r g i b t s i c h u n t e n aus der h i s t o r i s c h e n D a r s t e l l u n g , z. B. aus der des a l t r ö m i s c h e n (S. 43 A n m . 2) u n d des a l t g e r m a n i schen V e r f a h r e n s (S. 54).

Einleitung. § 4. Bedingungen und Garantien des Rechtsschutzes.

urteilung der streitigen Ansprüche Sorge. Eben hierin kann sich, wie schon anfangs (S. 3) betont, die Aufgabe der Prozefsgesetzgebung nicht erschöpfen. Vielmehr kommt es weiter darauf an, dafs das Prozefsrecht d i e R e c h t s s t e l l u n g d e r B ü r g e r i n i h r e m V e r h ä l t n i s z u r R e c h t s p f l e g e sichere, ihnen v o r dem Prozesse und w ä h r e n d Schwebens des Prozesses eine gesicherte und beruhigte Anwartschaft auf Rechtsschutz gewährleiste, gesichert sowohl gegenüber den staatlichen Organen, wie gegenüber dem Verhalten der beteiligten Mitbürger. So gewinnt unter einem zweiten eigenartigen gesetzgeberischen Gesichtspunkt der ganze Prozefs ein anderes Ansehen. Er interessiert den Gesetzgeber nicht nur als Aufeinanderfolge von lauter Einzelvorgängen, als Kette von Handlungen, die unter der Sammelbezeichnung eines „Prozesses" oder „Verfahrens" nur um deswillen zu einer Einheit zusammengefafst werden, weil sie einem gemeinsamen Z w e c k , dem Schutz eines bestimmten Privatrechtsanspruchs, dienen. Vielmehr läfst sich der Prozefs nun auch als ein rechtserheblicher Dauerzustand, als eine rechtlich geordnete Beziehung der prozefsberechtigten Personen, als ein R e c h t s - o d e r V e r p f l i c h t u n g s v e r h ä l t n i s auffassen. Keineswegs hat die Auffassung des Prozesses als einer dauernden und erst im Lauf der Zeit durch den Abschlufs des Prozesses aufgelösten Rechtsbeziehung nur Wert als Kern einer theoretisierenden Betrachtungsweise. Im Gegenteil hat der Gedanke eine ganz unmittelbare praktische Bedeutung. Er bewährt sie an der praktischen Gestaltung des gesamten Verhältnisses, in welchem sich die rechtsuchenden und rechtsschutzbedürftigen Bürger gegenüber dem Staat als Träger der Rechtspflegefunktion bewegen. Der ausgebildete Staat soll in allen seinen Funktionen, wo dieselben mit der Interessensphäre der Bürger in Berührung und eventuell in Konflikt treten, „Rechtsstaat" sein, d. h. er soll in dem schon früher (oben S. 3) dargelegten Sinne seine Kulturaufgaben in den Grenzen rechtlicher Regeln, und zwar von Regeln, die für alle Bürger gieichmäfsig oder verhältnismäfsig wirken, erfüllen. Auch in seiner Rechtspflegeaufgabe soll der Staat mit der Sicherung der persönlichen, besonders wirtschaftlichen Sphäre des Individuums jene Rücksicht auf Freiheit und Gleichheit der Bürger verbinden. Nun läfst sich aber diese Forderung — in letzter Linie eine Idealforderung — praktisch nur realisieren mit Hilfe formaler Garantien, d. h. durch ein ganzes System von Einzelregeln, bezw. Einzelinstituten, die gegenüber dem ganzen Prozefs, wie in jedem Stadium des Prozesses dem Bürger die freie Bewegung in einer gesetzlich fest abgegrenzten Rechtssphäre und damit zugleich die Gleichheit der Rechtsstellung gegenüber den Mitbürgern gewährleisten sollen. Die Lehre vom Prozesse als Rechtsverhältnis umschliefst also alle die Rechtssätze, die das Individuum gegenüber der Rechtspflegemacht des Staats selbst sicherzustellen berufen sind,

Prozefs als Verfahren und als Rechtsverhältnis.

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und damit die Ausflüsse eines beherrschenden Gesichtspunktes, unter welchem der Gesetzgeber den gesamten Prozefs und seine verschiedenen Teile zu beurteilen und zu ordnen hat. Es ist nötig, wenigstens die Hauptaufgaben, die in dieser Richtung dem Prozefsrecht gestellt sind, von vornherein hervorzuheben. Die bisherige Doktrin krankt daran, dafs sie den leitenden Gesichtspunkt, den sie im Prinzip jetzt fast allgemein anerkennt, einseitig nur an bestimmten typischen Einzelfragen prüft. I I . Die Rechtsschutzbedingungen In erster Linie beschäftigt der Prozefs als Ganzes den Gesetzgeber mit Rücksicht auf die Frage, unter welchen B e d i n g u n g e n eine Person den gerichtlichen Schutz für ihre Privatrechtssphäre mit Erfolg erbitten kann. Im allgemeinen ist allerdings der Urteils- oder Vollstreckungsschutz durch eine Sachlage bedingt, die sich als Störung oder Kränkung der Partei in ihren privatrechtlichen Beziehungen bezeichnen läfst, wie die Wegnahme einer Sache, die Nichterfüllung einer Kaufpreisforderung, die Bestreitung eines Kindschaftsverhältnisses. So liegt die Annahme nahe, dafs diejenige Sachlage a u f s e r h a l b oder v o r B e g i n n des Prozesses, in der sich die Voraussetzung des Siegs i m Prozesse verkörpert, ausschliefslich vom P r i v a t r e c h t bestimmt wird, und dafs das Privatrecht gerade an diesem Punkte sich mit dem Prozefsrecht ergänzt. Aber in Wahrheit trifft dies für die praktischen Erscheinungen, wie sie sich in der Gesamtentwicklung des Zivilprozefsrechts darstellen, nicht zu. Schon in der zweifachen Art des Rechtsschutzes durch Urteilsfeststellung und durch Vollstreckung (s. S. 8) liegt die Möglichkeit begründet, je nach Sachlage auf Grund einer und derselben privatrechtlichen Beziehung den Schutz des Prozesses in verschiedenen Formen zu gewähren, und tatsächlich weisen hierauf auch die verschiedenen Bedürfnisse oder Interessen des Bürgers, die sich aus dem Verkehr ergeben. Demgemäfs erwächst es zu einer selbständigen Aufgabe des Prozefsgesetzgebers, die verschiedenen Vorkommnisse, Tat bestände zu fixieren, welche ein solches Interesse begründen, und entsprechend die verschiedenen R e c h t s s c h u t z f o r m e n oder P r o z e f s a r t en, die zu ihrer Abhilfe dienen. a) Im landläufigen Falle wendet sich der Bürger an die Gerichte, weil sein Gegner einen Privatrechtsanspruch bestreitet und deshalb unerfüllt läfst. Der Prozefs mufs hier Gewifsheit des Rechts schaffen und eventuell drüber hinaus Befriedigung. Er dreht sich mithin um den Erlafs eines U r t e i l s , welches auf Grund e r s c h ö p f e n d e r Prüfung das Privatrechtsverhältnis endgültig feststellt, und aus welchem nach Befund Vollstreckung der 1 E i n fester S p r a c h g e b r a u c h f ü r die h i e r b e h a n d e l t e n F r a g e n f e h l t . U m den V e r gleich m i t der L i t e r a t u r des C.P. zu e r l e i c h t e r n , sei v o n v o r n h e r e i n b e m e r k t , dafs u n t e r - R e c h t s s c h u t z b o d i n g u n g e n t t h i e r das bezeichnet w i r d , was andere S c h r i f t s t e l l e r u n t e r dem N a m e n „ K l a g v o r a u s s e t z u n g e n 1 1 ( H e l l w i g ) oder „ K l a g b a r k e i t s v o r a u s . s e t z u n g e n - ( W e i s mann) verstehen.

Einleitung. § 4. Bedingungen und Garantien des Rechtsschutzes.

Leistungspflicht erwächst. Das Bedürfnis nach Rechts g e w i f s h e i t und R e c h t s e r f ü l l u n g begründet den Schutz durch rechtskraftfähiges Urteil (S. 9) und \Tollstreckung. Es bildet den Inhalt des o r d e n t l i c h e n Prozesses um L e i s t u n g . b) Unter Umständen mufs jedoch eine Person einen staatlichen Schutz nur um der U n g e w i f s h e i t der Rechtslage willen erhalten. Diese kann schädliche Folgen äufsern auch da, wo keine Erfüllung einer Leistung gefordert werden darf, so dann, wenn die B e s t r e i t u n g des Rechts, das erst in zukünftiger Zeit erfüllt werden soll, den Gläubiger zur jetzigen Zeit mit Schaden bedroht, oder wenn die A η ma fs un g eines Rechts seitens einer Person den angeblichen Schuldner in der freien Verfügung über sein Vermögen beeinträchtigt. Hier hat der Bürger ein Interesse am U r t e i l allein, an erschöpfender Prüfung und Feststellung, an Feststellung der Existenz des bestrittenen, der Nichtexistenz des angemafsten Rechts. Es bildet den Inhalt des o r d e n t l i c h e n Feststellungsprozesses. Nur eine Anwendung desselben Gedankens ist es, dafs gemäfs einer schlechthin allgemein verbreiteten Rechtsüberzeugung dem Beklagten des Prozesses ein Interesse daran zugesprochen wird, eine grundlos erhobene Klage abgewiesen zu sehen. Verteidigt sich der Beklagte gegen die Klage, so darf das Gericht nach keinem Prozefssystem auf die Klage eine Entscheidung erlassen, die das Verfahren lediglich „einstellt", sich mit einem „non liquet" ausspricht, sondern es mufs gegen den Kläger unci für den Beklagten urteilen. Die Α η m a f s u n g eines Rechtes, die in der Klageerhebung ohne objektiven Grund enthalten ist, wird also zur Bedingung für ein selbständiges Interesse des Beklagten am Rechtsschutz. Das Gesetz kann so weit gehen, ein solches Interesse auch dann noch anzuerkennen, wenn der Kläger den Prozefs im Stiche läfst und die Klage zurücknimmt. Es kann dann dem Beklagten die Macht gegeben werden, durch Widerspruch gegen die Zurücknahme der Klage auf einem klagabweisenden Urteil zu seinen Gunsten zu bestehen. c) Umgekehrt kann ein Privatrechtsanspruch e r f ü l l u n g s bedürftig werden, der zu keinem Teile u n g e w i f s ist. Es ist denkbar, dafs ihn der Schuldner in Formen anerkannt hat, die jeden Zweifel ausschliefsen und dem Urteilsausspruch gleichstehen, ζ. B. dafs er sich der Vollstreckung in einer öffentlichen Urkunde ausdrücklich selbst unterworfen hat. Hier mnfs der Berechtigte eventuell direkt die Vollstreckung einleiten dürfen, ohne genötigt zu sein, vorher gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Die Sachlage, Nichterfüllung eines gewissen Anspruchs, führt zum reinen Vollstreckungsverfahren, zum aufserordentlichen Ε χ k u t i ν prozefs. d) Endlich ist in Berechnung gezogen worden, dafs ein unbefriedigter Anspruch zwar bestritten, also prüfungsbedürftig ist, dafs aber seine Befriedigung besonders d r i n g l i c h ist und deshalb ein ü b e r w i e g e n d e s Schutzinteresse des Gläubigers begründet.

Verschiedene Bedürfnisse und Arten des Rechtsschutzes.

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Dies ist der Fall, wenn ein Rechtsverhältnis seiner Natur nach auf schleunige Befriedigung zugeschnitten ist, wie der Wechsel, oder wenn es durch die Gestaltung des Einzelfalls zur schleunigen Realisierung, „Arrest", drängt, wie infolge eines betrügerischen Verhaltens des Schuldners, der den Gläubiger um die Vollstreckungsobjekte zu prellen strebt. Hier kann blofs so geholfen werden, dafs die Prüfung des Anspruchs nur flüchtig und ohne erschöpfende Unterlagen, „ s u m m a r i s c h " , vorgenommen wird, dafs eine Entscheidung p r o v i s o r i s c h die Vollstreckung anordnet, und dafs die erschöpfende Prüfung und damit die endgültige Feststellung des Anspruchs im ordentlichen Prozefs der Zukunft vorbehalten wird. Das Bedürfnis nach Rechts g e w i f s hei t und E r f ü l l u n g (s. lit. a) begründet hier in Verbindung mit der D r i n g l i c h k e i t der letzteren ein Verfahren, das sich um eine doppelte Entscheidung und um eine dem U r t e i l v o r a u s g e n o m m e n e (antezipierte) V o l l s t r e c k u n g dreht. Es bildet den Inhalt einer s u m m a r i schen Prozefsart, die je nach Umständen wieder in verschiedener Form als W e c h s e l prozefs, als A r r e s t prozefs auftreten kann. Der ganze Kreis von Rechtssätzen, der sich mit den verschiedenen Prozefsarten und deren Vorbedingungen beschäftigt, hat demnach seine praktische Bedeutung zunächst darin, dafs die Aussicht der Parteien auf Rechtsschutz an gewisse beschränkende Bedingungen geknüpft wird. In jenen Sätzen kommt zum Ausdruck, dafs das Zustandekommen von Urteil und Vollstreckung nicht nur von den privatrechtlichen Beziehungen, sondern noch von anderen prozefsrechtlich geregelten Umständen abhängt, die aufserhalb des Prozesses und vor dem Prozefs erweisbar vorhanden sein müssen. Sie lassen sich zum Unterschied von den Voraussetzungen des umstrittenen Privatrechtsanspruchs als R e c h t s s c h u t z b e d i n g u n g e n oder S c h u t z g r ü n d e bezeichnen. Nur wo sie gegeben sind, hat der Bürger Anwartschaft auf Hilfe des Gerichts. Das Prozefsgericht hat sie je nach Art des erbetenen Rechtsschutzes zu prüfen. Sie erweitern also die Aufgabe der richterlichen Prüfung, insofern das Gericht bei Anordnung s c h l e u n i g e r Vollstreckung nicht nur den Anspruch des Gläubigers, sondern auch die Schikane des Schuldners, weil sie für den Gläubiger das Dringlichkeitsinteresse begründet (s. lit. d), — bei Entscheidung über ein noch nicht fälliges Recht die den Gläubiger benachteiligende Bestreitung des Schuldners, weil sie das Feststellungsinteresse für den Gläubiger schafft (s. lit. b) usw. zu prüfen hat. In ihrer Gesamtheit aber gewähren alle diese Rechtsgedanken dem Bürger doch eine festere Rechtsstellung im Prozesse. Sie bedeuten, dafs Urteil und Vollstreckung nicht dem guten Willen des Staats überlassen sind, sondern den Inhalt einer V e r p f l i c h t u n g bilden, die dem Staat durch die prozefsrechtlichen Vorschriften auferlegt wird. Selbstverständlich wird diese Pflicht erfüllt und betätigt nur durch die einzelnen Organe, die Behörden, die der Staat für die Zivilrechtspflege einsetzt (s. S. 5). Und

It)

Einleitung. § 4. Bedingungen und Garantien des Rechtsschutzes.

es wird ferner erst durch den Verlauf des einzelnen Verfahrens, durch Klage, Verhandlungen, Beweiserhebungen, tatsächliche und rechtliche Würdigung der Sachlage klar, ob im einzelnen Fall eine Rechtsschutzpllicht des Staats begründet ist. Aber dadurch, dafs das Recht sie ein für allemal gesesetzlich fixiert, wird schon vor dem Prozesse und für den Privatmann, speziell für die Partei a n n ä h e r n d b e r e c h e n b a r , ob Schutz zu gewärtigen ist. Nicht zu leugnen ist, dafs der ganze Gedankengang nur unter der Voraussetzung zutrifft, dafs das geltende Prozefsrecht eine mehr oder minder genaue Abgrenzung der Lebensverhältnisse bietet, die eine Anwartschaft auf Urteil geben, insbesondere auch der Rechtsverhältnisse des Zivilrechts. Eine Justiz, die es, wie die orientalischer Despotien, ganz ins Ermessen des Gerichts stellt, ob und wann einem Untertanen geholfen werden soll, eine „Kadijustiz", beruht nicht auf Erfüllung eines „Rechtsschutzanspruchs". Aber tatsächlich haben die Prozefssysteme aller zivilisierten Nationen, — die, mit denen wir die unsrige allein zu vergleichen pflegen,— von jeher jener Voraussetzung genügt, und die Auffassung des Prozesses als einer rechtlich geordneten Beziehung darf demgemäfs als ein Gemeingutsbegriff alles gebildeten Prozefsrechts angesehen werden. Die im vorstehenden dargelegte Anschauung, die den Zivilprozefs und sein Ergebnis, das Urteil mit seiner feststellenden und vollstreckbaren Wirkung, als Erfüllung einer Rechtsschutzpflicht begreift, die dem Staate gegenüber dem Bürger obliegt, ist, vorbereitet durch verwandte Untersuchungen Degenkolbs 1 und Bülows (vgl. unt. S. 17), zuerst von Laband, Staatsrecht § 84 und Wach (Handbuch I , 19. Feststellungsanspruch 1888) als Kern der prozessualen Rechtsbeziehungen nachgewiesen worden. Sie ist seitdem in einem immer zunehmenden Kreise als unerläfslich zum Verständnis sowohl der staatsrechtlichen wie der eigentlich prozessualen Grundgedanken des C.P. anerkannt worden 2 . Nur ist festzuhalten, dafs ihr Hauptwert, wie häufig und zum Teil gerade jetzt wieder im Streiten um abstrakte Begriffe verkannt worden ist, darin besteht, die p r a k t i s c h e E r s c h e i n u n g a n s c h a u l i c h zu m a c h e n , dafs der rechtsuchende Bürger, besonders der Kläger, zur Begründung seiner Klage nicht nur den behaupteten Privatrechtsanspruch, sondern a u f s e i d e m n o c h e i n e G r u p p e p r o z e f s r e c h t l i c h e r h e b l i c h e r T a t s a c h e n , d i e h i e r sog. R e c h t s s c h u t z b e d i n g u n g e n (das F e s t s t e l l u n g s i n t e r e s s e , den A r r e s t g r u n d I Der H a u p t g e d a n k e Degenkolbs bewegte sich a l l e r d i n g s i n anderer R i c h t u n g ( v g l . u. S. 24). - V o r a l l e m h a b e n sich f ü r den R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h ( w e n n a u c h m i t m a n c h e n der u n t e n b e r ü h r t e n M o d i i i k a t i o n e n ) e r k l ä r t : S t e i n , U r k u n d e n - u n d Wechselprozei's 1887. S. 47. G i e r k e , Deutsches P r i v a t r e c h t 1895, I , S. 326. R e i n h o l d , R e c h t s v e r l e t z u n g als V o r a u s s e t z u n g des K l a g r e c h t s , Z. 21 (1895), 1. R i c h a r d S c h m i d t , Z e i t s c h r i f t f. C.P. 14, 163 (1893). i n der I . A u l l , dieses L e h r b . u n d i n Prozefsrecht u n d S t a a t s r e c h t 1904. J e l l i n e k , S y s t e m der s u b j e k t i v e n tfffentl. Rechte, „2. A u f l . (1*05) S. 124. K i p p , neue A u l l , v o n W i n d s c h e i d s P a n d e k t e n §122. S k e d l , Österreichisches C.Pr. I (lyOO). H ö l d o r , A n s p r u c h u n d K l a g r e c h t , Z e i t s c h r . f. C.Pr. 29 (1901) S. 50. L o t h a r S e u f f e r t , K o m m e n t a r z u r C.P.O. 9. A u f l . (1905) z u § 253. F i t t i n g , L e h r b . des C.P. $ 37. E n g e l m a n n , L e h r b u c h I , S 2. L a n g h e i n e k e n , Der U r t e i l s a n s p r u c h 1899, S. 12. Z i t e l m a n n , R. des b ü r g e r l . GB., a l l g . T e i l , I (1900). S. 24. E n d e m a n n , L e h r b . des b ü r g e r l . R., I , §86. v . S c h r u t k a , R e c h t e n s t a m m , J u r . L i t e r a t u r b l a t t 1903 N r . 147. H e l l w i g . A n s p r u c h u n d K l a g r o c h t (1900). D e r s . , L e h r b . des C.P.R. I (1903) S. 146 u. K l a g r e c h t u n d K l a g m ö g l i c h k e i t (I9D5). S t e i n , Gaupps K o m m e n t a r 4. A u i i . 1901, I , 515, ebenso i m A b rifs des C.P.R. i n B i r k m e y e r s E n c y k l o p ä d i e S. 1175 u. über die Voraussetzungen des Rechtsschutzes 1903, S. I f f . O o r t m a n n , V o r r e d e zu W i n d s c h e i d s gesammelten A b h a n d l u n g e n S. X X V . Ρ ο l l a k , Lehrb. des österr. C.P.R. 1903, I , § 1.

„Rechtsschutzanspruch", Streit um den Begriff.

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usw.) b e h a u p t e n u n d b e w e i s e n mufs — j a bisweilen (bei negativer Feststellungsklage) sogar n u r sie, ohne einen Privatrechtsanspruch. Diese Erscheinung läfst sich gar nicht bestreiten und wird von niemandem mehr bestritten. Zweifelhaft kann nur sein, wie man diese Erscheinung konstruktionell am zweckmäfsigsten formuliert, d. h. wie sie mit allen Funktionen und Aufgaben des Prozesses und des Prozefsrechts in Einklang zu bringen ist. In dieser Hinsicht erfährt die hier vertretene Anschauung noch Widerspruch, neuerdings wieder in verstärktem Mafse. Jedenfalls unbegründet ist es, wenn man die Vorstellung, dafs der Bürger einen Rechtsschutzanspruch gegen den Staat erwerbe, deshalb für unrichtig erklärt, weil der Staat überhaupt in keinem Pflichtenverhältnis zum Bürger stehen könne. Diese Anschauung wird jetzt nur noch ganz vereinzelt von K o h l e r verteidigt 1 . Sonst sind subjektive öffentliche Rechte des Individuums gegen den Staat allgemein anerkannt 2 . Ob man dazu auch die sog. Grundrechte, Freiheitsrechte oder Menschenrechte rechnen w i l l , ist für die vorliegende Frage belanglos, denn auch wenn man die Unverletzlichkeit des Lebens, Vermögens, die Glaubens-, Prefsfreiheit usw. n i c h t als Rechte des Einzelnen im eigentlichen Sinne anerkennt — wofür gute Gründe sprechen —, so läfst sich der Rechtsschutzanspruch doch mit ihnen nicht vergleichen 3 . Bedeutsamer sind die Einwände anderer ( B ü l o w , W e i s m a n n , D e g e n k o l b ) . Sie leugnen, dafs der Bürger schon v o r dem Prozesse und a u f s e r h a l b des Prozesses ein Recht auf Schutz gegen den Staat besitzen könne. Sie erkennen an, dafs der Bürger unter gewissen Bedingungen ein Recht auf siegreiches Urteil gegen den Staat erwerbe. Aber sie erblicken diese Bedingungen ausschliefslich in dem Vorgange des P r o z e s s e s selbst, d. h. in den Anträgen, Behauptungen, Gegenerklärungen, Beweiserhebungen, aus denen sich das tatsächliche Bild der zu beurteilenden Begebenheiten herausstellt, und in den Rechtsanschauungen, die sich das Gericht über den fraglichen Fall bildet. Insbesondere rechnen sie hierbei mit der Grundvorstellung, dafs das Gericht, indem es das Privatrecht auf den historischen Einzelfall anwendet und die Existenz oder Nichtexistenz des umstrittenen Privatrechtsanspruchs daraus folgert (vgl. o. S. 8), nicht eine technischmechanische, unselbständige D e k l ara t i on des objektiven Rechts, eine blofs reproduzierende Verstandesoperation, vornimmt, sondern eine freischöpferische F o r t e n t w i c k l u n g des Rechts, die Entfaltung eines eigenen gebietenden Willens (o. S. 9). Demgemäfs urteile das Gericht zugunsten des Klägers nicht auf Grund einer v o r dem Prozefs begründeten Pflicht, sondern in Erfüllung einer Pflicht, die erst i m Prozefs und d u r c h den Prozefs geschaffen werde 4 . 1 K o Ii 1 e r , Prozefs als R e c h t s v e r h ä l t n i s 1889, A b r i f s des C.P.R. i n H o l t z e n d o r f f K o h l e r s E n c y k l o p ä d i e , (>. A u f l . 1903, I I , 54. „ V ö l l i g a b w e g i g i s t es, v o n e i n e m R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h zu sprechen, k r a f t dessen die P a r t e i d u r c h B e g i n n des C.P. d e n R i c h t e r z w i n g e , zu i h r e m Schutz t ä t i g zu sein, so dafs der R i c h t e r m i t t e n i n das R e c h t s v e r h ä l t n i s h i n e i n gezogen w e r d e u n d d e n P a r t e i e n gegenüber ebenso r e c h t l i c h g e b u n d e n w e r d e w i e der Gegner. Das ist ebenso u n r i c h t i g , als w e n n m a n bei i r g e n d w e l c h e n a n d e r e n Staatst ä t i g k e i t e n a n n e h m e n w o l l t e , der S t a a t sei d e m einzelnen gegenüber v e r p f l i c h t e t . - Sehr ä h n l i c h e B e t r a c h t u n g e n n e u e r d i n g s bei D e g e n k o l b , B e i t r ä g e S. 18 ( n i c h t k o n s e q u e n t aber S. 60). 3 V g l . bes. J e l l i n e k , S y s t e m der s u b j e k t i v e n öffentl. Rechte, 2. A u f l . 1905. ·» ' Die sog. G r u n d r e c h t e sollen n u r a u s d r ü c k e n , dafs j e d e r Mensch gewisse n a t ü r l i c h e F ä h i g k e i t e n ( W a h l des Berufes, W o h n s i t z e s , B e t ä t i g u n g seines Lebens, seiner M e i nung) besitzt, die der geordnete S t a a t n i c h t v e r k ü m m e r n d a r f , aufser w o d e m S t a a t das Recht h i e r z u beigelegt w i r d ( V e r h a f t u n g , E x p r o p r i a t i o n usw.). Diese G a r a n t i e , u n b e h e l l i g t zu bleiben, k a n n m a n i n der T a t n i c h t als R e c h t des B ü r g e r s bezeichnen. W o h l aber mufs m a n e i n solches d a a n e r k e n n e n , w o e i n b e s t i m m t e r B ü r g e r ( n i c h t j e d e r ) u n t e r gewissen B e d i n g u n g e n e i n H a n d e l n des Staats (eine L e i s t u n g desselben) v e r l a n g e n d a r f , u n d das i s t i m Z i v i l p r o z e f s der F a l l . E i n g e h e n d e E r ö r t e r u n g dieser Seite der F r a g e bei R i c h a r d S c h m i d t , Prozefsrecht u n d S t a a t s r e c h t , S. 22 ff. 4 B ü l o w , K l a g e u n d U r t e i l , Z e i t s c h r . f. C.P. 31 (1903), S. 191 ff., v e r b u n d e n m i t älteren A u f s ä t z e n : „Gesetz u n d R i c h t e r a m t * 1885, S. 6 u n d „ D i e neue Prozefswissenschaft" ( K r i t i k dieses L e h r b u c h s ) , Z. f. C.P. B d . 27 (1900), S. 212. I m n e g a t i v e n T e i l j e t z t w e s e n t l i c h ü b e r e i n s t i m m e n d W e i s m a n n , L e h r b . S. 68: der K l ä g e r i s t n u r b e r e c h t i g t , d i e v e r l a n g t e F e s t s t e l l u n g oder V e r u r t e i l u n g zu e r w i r k e n . H ä l t das G e r i c h t i n n f ü r ber e c h t i g t , so v e r h i l f t es i h m dazu. V e r p f l i c h t e t aber i s t das G e r i c h t n u r z u u r t e i l e n

Richard Schmidt,

L e h r b u c h des Z i v i l p r o z e f s r e c h t s .

2. A u f l .

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Einleitung. § 4. Bedingungen und Garantien des Rechtsschutzes. A n dieser Lehre ist so viel richtig, dafs der Kläger sich mit seinem Rechtsschutzbegehren im realen Leben nur unter der selbstverständlichen Bedingung durchsetzen kann, dafs es ihm gelingt, den Grund desselben im gerichtlichen Verfahren zu beweisen. Aber hieraus folgt nicht, dafs die Lage, wie sie v o r dem Prozesse und aufserhalb des Prozesses besteht, für den Ausgang des Prozesses g l e i c h g ü l t i g sei, wie es aus der Ansicht Bülows gefolgert werden müfste. Die letztere vermag vor allem eine erfahrungsmäfsige Erscheinung des Rechtslebens nicht zu erklären, nämlich die, dafs sich nicht nur das Gericht, sondern auch die Bürger, sowohl die Parteien als auch die rechtlich und tatsächlich an einem Streitfall interessierten, ein U r t e i l ü b e r d i e F r a g e zu b i l d e n s t r e b e n u n d t a t s ä c h l i c h b i l d e n , wer in dem Falle recht hat. Obwohl solche Anschauungen auf subjektiven und gefühlsmäfsigen Vorstellungen der Tatsachen und auf vagen Rechtsanschauungen beruhen, so geben sie doch einen Mafsstab für den Wert des Prozefsergebnisses ab Eine Justiz, die sich fortgesetzt mit den Vorstellungen der Beteiligten über die Bedürfnisse des Rechtsschutzes in Widerspruch setzen würde, würde nicht mehr als Rechtspflege, sondern als Machtmifsbrauch der Gerichte angesehen werden. Mit demselben Grund also, mit dem man im s t a a t l i c h e n G e s e t z nicht nur einen Befehl der Staatsgewalt, sondern eine vom Staate blofs sanktionierte und garantierte Regel, die in Wahrheit von der Überzeugung des Volkes geschaffen und getragen wird, zu sehen gewohnt i s t 1 , darf man im g e r i c h t l i c h e n U r t e i l nicht nur einen Machtausspruch des staatlichen Organs, sondern eine Anerkennung der nach Mafsgabe des Gesetzes von den Bürgern im Einzelfall gebilligten Rechtsschutzbedürfnisse erblicken. Die Rechtslage aber, in welcher dem Bürger von der öffentlichen Meinung, in der nur die Rechtsüberzeugung des einzelnen Rechtsgenossen als ein unlöslicher Bestandteil lebendig ist, eine Anwartschaft auf günstige Entscheidung zugesprochen wird, kann man einen Rechtsschutza n s p r u c h gegen den Staat nennen. Das staatliche Organ erfüllt, indem es ihm zur Geltung verhilft, eine o f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e P f l i c h t . Denn die staatliche Rechtsordnung schafft planmäfsig Garantien dafür, dafs das schliefsliche Urteil des Gerichts mit der Vorstellung der öffentlichen Meinung übereinstimme 2 . Sie bestehen einmal in den Vorschriften der Prozefsordnung, deren pflichtmäfsige Beobachtung das Gericht nötigen, die Tatsachen möglichst so zu rekonstruieren, wie sie sich im realen Leben zugetragen haben. Sie bestehen anderseits in den R e c h t s s ä t z e n , d i e d i e B e d i n g u n g e n r e g e l n , u n t e r d e n e n ein Urteil mit Erfolg erbeten werden kann. Dieselben decken sich teilweise mit den Bedingungen des P r i v a t r e c h t s a n s p r u c h s , den der Berechtigte gegen den verpflichteten Mitbürger besitzt. Auch er erhält volle Wirksamkeit erst durch das gerichtliche Urteil, das ihn anerkennt, und wenn man also, wie Bülow, dieses Urteil nur als Produkt der i m P r o z e f s gefühlten Verhandlungen und Beweisaufnahmen erklären wollte, so müfste man konsequent auch die v o r dem Prozefs begründete Existenz eines Privatrechtsanspruchs leugnen, woran niemand ernstlich denken wird. Aber die Bedingungen des siegreichen Urteils bestehen nicht n u r in den Voraussetzungen des Privatrechtsanspruchs. Wie oben (S. 14) ausgeführt, werden für viele Prozesse noch andere Tatsachen von Bedeutung; z. B. die Bestreitung des Anspruchs als Voraussetzung eines Feststellungsurteils, die Gefährdung der künftigen Vollstreckung durch den Schuldner als Voraussetzung des Anrechts. Auch diese mufs die Partei, z. B. mit Hilfe ihres Anwalts, möglichst sicher berechnen können. Das Gesetz hat sie also möglichst bestimmt zu fixieren. Indem es sie aber fixiert, gibt es dem Bürger einen realen rechtlichen Vorteil, einen Zuwachs seiner n a c h d e m Ergebnisse des V e r f a h r e n s . I h n e n schliefst sich n e u e r d i n g s K o h l e r an, Z. f. C.P. („der sog. R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h " ) B d . 33 S. 211 (1905). 1 Die D a r l e g u n g dieser d u r c h a u s a n a l o g e n K o n s t r u k t i o n s f r a g e s. i n R i c h a r d S c h m i d t , A l l g e m e i n e S t a a t s l e h r e I (1900) S. 175. 9 Dafs dieser Gedanke l e g i s l a t i v p o l i t i s c h u n e n t b e h r l i c h i s t , geben a u c h m a n c h e Gegner, z. B . D e g e n k o l b a. a. O. S. 52 A . 4 , G o l d s c h m i d t S. 16, zu. A b e r h i e r a u s f o l g t n i c h t , dafs er d o g m a t i s c h b e d e u t u n g s l o s i s t ( G o l d s c h m i d t a. a. O.).

Rechtsschutzaiispruch vor d. Prozefs od. durch d. Prozefs. „Klagbefugnis".

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rechtlichen Machtstellung gegenüber den staatlichen Organen. Diese Beziehung, die von praktischem Wert ist schon v o r dem Prozesse und in Hinblick auf das künftige, in seinem Ausfall noch nicht v ö l l i g sichere Urteil, ist der Rechtsschutzanspruch. D i e s e r d o g m a t i s c h e B e g r i f f z e i g t a l s o s e i n e r e a l e S e i t e an dem D a s e i n g e s e t z l i c h e r N o r m e n ü b e r d i e V o r b e d i n g u n g e n des P r o z e f s g e w i n n e s 1 . Im übrigen darf man die Bedeutung des hier referierten Streits nicht überschätzen. Jedenfalls läfst derselbe diejenige Erscheinung des praktischen Rechtslebens, von dem die Versuche zur Konstruktion der prozessualen Rechtsbeziehung ausgehen — die Rechtsschutzbedingungen, Klagvoraussetzungen oder Klagerfordernisse (o. S. 13ff.) — u n b e r ü h r t . Darüber besteht Einverständnis, dafs neben den privatrechtlich bedeutsamen Anspruchsvoraussetzungen (Vertragsschlufs, Eigentumserwerb, Deliktsbegehung usw.) ein prozefsrechtlich bedeutsamer Kreis von Tatsachen für die Prüfung des Gerichts in Betracht kommt (das Interesse an der Feststellung, die Gefährdung des Gläubigers durch Schikane des Schuldners usw.). Dafs es solche den Erfolg der Klage bedingende Voraussetzungen gebe, d i e s i c h w e d e r u n t e r d e n B e g r i f f der r e i n m a t e r i e l l - r e c h t l i c h e n V o r a u s s e t z u n g e n des s t r e i t i g e n R e c h t s v e r h ä l t n i s s e s noch unter d e n B e g r i f f der r e i n p r o z e s s u a l e n K l a g v o r a u s s e t z u n g e n (der sog. Prozefsvoraussetzungen, wie der Zuständigkeit, Parteifähigkeit, u. S. 21) b r i n g e n l a s s e n , ist zuerst von J a k o b W e i s m a n n , Hauptintervention und Streitgenossenschaft 1884, § 21, grundsätzlich ausgesprochen worden (vgl. L.B. dess. S. 66 Anm. 3). Hiernach erkennen denn auch viele Leugner 2 des „Rechtsschutzanspruchs" neben dem Privatrechtsanspruch des Z i v i l r e c h t s eine zweite vom P r o z e f s r e c h t geregelte Rechtsbeziehung an, um die sich der Prozefs dreht, nämlich die Befugnis des Klägers, die Verurteilung des Beklagten oder die den Beklagten bindende Feststellung oder die schleunige (summarische) Verurteilung zu erwirken, eine „materielle Klagbefugnis" 3 . Diese soll ein sog. „Kannrecht" 4 sein, die Befugnis, einen Rechtserfolg (die Urteils Wirkungen) gegen den Beklagten herbeizuführen; richtet sich also g e g e n d e n B e k l a g t e n (nicht gegen den Staat) auf ein D u l d e n der UrteilsVirkungen und hat g e m i s c h t privatrechtlichen und publizistischen Charakter. Aber sie teilt mit dem Rechtsschutzanspruch wie ob. S. 16 die Vorstellung, dafs s c h o n v o r B e g i n n des P r o z e s s e s eine rechtserhebliche Situation vorhanden ist, die dem Kläger ein Anrecht auf das Urteil gibt, und da das „Erwirken" dieses Urteils gegen den Beklagten ohne das G e r i c h t nicht möglich ist, so geht m i t t e l b a r auch diese Befugnis gegen den Staat 5 . Diese Lehre unterscheidet sich also von der hier vorgeführten im Grunde nur dadurch, dafs sie den w e s e n t l i c h e n Inhalt dieser Ansprüche in dem D u l d e n der gerichtlichen Eingriffe seitens des B ü r g e r s sieht, während die Anschauung des Textes den wesentlichen Inhalt in der 1 Eingehendere E n t w i c k l u n g dieser Gedankengänge bei R i c h a r d S c h m i d t , Prozefsr e c h t u n d S t a a t s r e c h t 1905 ( F r e i b u r g e r A b h a n d l u n g e n I I ) . V g l . j e t z t a u c h H e l l w i g , K l a g r e c h t u n d K l a g m ö g l i c h k e i t , S. 88 ff. : „ B ü l o w v e r w e c h s e l t E x i s t e n z eines Rechts u n d M ö g l i c h k e i t seiner D u r c h s e t z u n g . " 2 N i c h t alle. Z. B. legen B ü l o w u n d neuestens D e g e n k o l b , B e i t r ä g e , S. 87 ff. d e n K l a g v o r a u s s e t z u n g e n oder R e c h t s s c h u t z b e d i n g u n g e n k e i n e n e n t s c h e i d e n d e n EinfluTs a u f die S y s t e m a t i k bei. Die Gegner des R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h s t e i l e n s i c h d e s h a l b w i e d e r u m . Die letztere Gruppe sieht eine prozessuale R e c h t s b e z i e h u n g n u r i n d e m u . S. 20 ff. bespr. „ P r o z e f s r e c h t s v e r n ä l t n i s · oder „ R e c h t a u f r e c h t l i c h e s Gehör·*. 3 A m m e i s t e n ausgebildet bei W e i s m a n n , H a u p t i n t e r v e n t i o n u n d Streitgenossenschaft 1884, S. 40, L e h r b . S. 67. A h n l i c h H e l l m a n n , J h e r i n g s J a h r b . 31, 85, n e u e r d i n g s K o h l e r , Z. f. C.P. 33, 231 ( t e i l w . gegen W e i s m a n n ) . C h i o v e n d a , l ' a z i o n e n e l S i s t e m a dei d i r i t t i 1903, p. 71. G o l d s c h m i d t , S. 18. E i n e e i g e n a r t i g e V a r i a n t e dieser A u f f a s s u n g b i l d e t das K l a g r e c h t H ö l d e r s . V g l . d a r ü b e r bes. D e g e n k o l b S. 79. 4 I m Sinne v o n Z i t e l m a n n , I n t e r n a t i o n a l e s P r i v a t r e c h t I I , 32 (1898). V g l . ü b e r diesen B e g r i f f u n d seine B e r e c h t i g u n g u. § 49, I . β So i n der T a t W e i s m a n n L . B . S. 68. J e l l i n e k , Öff. Recht, S. 124. E t w a s s t ä r k e r w i r d der Gegensatz, w e n n m a n d e m R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h j e d e R i c h t u n g gegen d e n Gegner (auch n u r m i t t e l b a r e ) a b s p r i c h t . Dies t u t S t e i n . V o r a u s s e t z u n g e n des Rechtsschutzes S. 3. ( V g l . deshalb W e i s m a n η S. 69 Α . 10.)

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Einleitung. § 4. Bedingungen und Garantien des Rechtsschutzes. R e c h t s s c h u t z h a n d l u n g des G e r i c h t s erblickt und deren Dulden seitens des Bürgers nur als die selbstverständliche Konsequenz betrachtet. L o g i s c h lassen sich beide Auffassungen rechtfertigen. Die Frage, welche vorzuziehen sei, hängt also zunächst davon ab, welche Denkform die anschaulichere und fruchtbarere ist. Dies ist aber zu gunsten der Lehre vom Rechtsschutzanspruch um deswillen zu behaupten, weil nur sie das Hineinragen des Zivilprozefsrechts in das S t a a t s r e c h t veranschaulicht. Nur sie bringt den öffentlich-rechtlichen Gedanken zum Ausdruck, dafs im geordneten Staat der Bürger schon vor dem Prozefs nach Mafsgabe eben jener g e s e t z l i c h fixierten Rechtsschutzbedingungen berechnen k a n n , ob er m i t E r f o l g p r o z e s s i e r e n k ö n n e (vgl. o. S. 18). Es genügt m. a. W . nicht, die Rechtsschutzbedingungen oder Klagvoraussetzungen als ein eigenartiges Objekt richterlicher Prüfung i m P r o z e s s e zu begreifen (so die Lehre Weismanns); sie müssen auch als der Grundstock der bürgerlichen Rechtssicherheit, vulgär: Freiheit, im Verhältnis des Bürgers zum Staat in dessen Rechtsschutzfunktion gewürdigt werden 1 2 . Auf ein ganz anderes Gebiet tritt der Streit, wenn statt des Anspruchs, den der in seiner Rechtssphäre verletzte Bürger gegen den Staat auf Schutz hat, ein öffentliches „Klagrecht" in dem Sinne eines Rechts j e d e s (ernstlich ein Recht b e h a u p t e n d e n ) Bürgers auf K l a g e , also auf blofses Inslebenrufen eines (vielleicht ganz erfolglosen) Prozesses, ein Recht auf „rechtliches Gehör" oder auf sachgemäfse Behandlung durch das Gericht konstruiert wird (Degenkolb). Diese Lehre ist kein G e g e n s a t z zu der hier vertretenen, sondern betrifft ein selbständiges gesetzgeberisches Problem, das u n a b h ä n g i g v o n d e m hier erörterten behandelt werden mufs (vgl. darüber I I I ) 3 .

I I I . Prozefsvoraussetzungen und Bedingungen des rechtlichen Gehörs· Die Aufgabe, bestimmte Bedingungen des Zivilrechtsschutzes zu regeln, erwächst dem Prozefsgesetzgeber auch nach einer andern Seite. Das Eingreifen des Gerichts hängt auch noch von weiteren Tatsachen ab, als von der Verletzung oder Störung des Bürgers in seinen Privatrechtsverhältuissen. Selbst wenn eine solche stattgefunden hat, ist noch nicht notwendig die Pflicht für das Gericht begründet, dem gekränkten Kläger durch Urteil Abhilfe zu schaffen ; ja, es hat das Gericht gar nicht immer sofort in die Prüfung eines Klagbegehrs einzutreten. Es ist nämlich denkbar, dafs sich eine Partei unter Verhältnissen an das Gericht wendet, die es als offenbar u n z w e c k m ä f s i g erscheinen lassen, dafs hier überhaupt geurteilt werde. Es können m. a. W. die Bedingungen für eine geeignete Prüfung des Streithandels, die ein sachgemäfses, 1 Diesen G e s i c h t s p u n k t h e r v o r z u k e h r e n , w a r d i e A b h a n d l u n g v o n Richard S c h m i d t , Prozefsrecht u n d S t a a t s r e c h t 1905, b e s t i m m t . E b e n w e i l dieser G e s i c h t s p u n k t d e r e n t s c h e i d e n d e i m S t r e i t i s t , s i n d m . E. die blofs prozessualen A r g u m e n t e , m i t d e n e n a u c h n e u e r d i n g s W a c h (gegen B ü l o w , Z. f. C.P. 32, 1. 1904) u n d H e l l w i g (gegen Κ ο h l e r , K l a g r e c h t u n d K l a g m ö g l i c h k e i t 1905) v o r g e h e n , n i c h t m e h r a u s r e i c h e n d , der L e h r e v o m R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h gegenüber der L e h r e B ü l o w s oder W e i s m a n η s v o m blofsen K l a g r e c h t d e n V o r z u g zu verschaffen. 2 E i n e n speziellen G e g e n g r u n d gegen die A n n a h m e eines Rechtsschutz- oder U r t e i l s a n s p r u c h s e n t n i m m t B ü l o w , Z. f. C.P. 31, 256 d a r a u s , dafs m a n , w e n n m a n einen Rechtss c h u t z a n s p r u c h des K l ä g e r s a n n e h m e n w o l l e , k o n s e a u e n t a u c h d e m B e k l a g t e n einen solchen z u e r k e n n e n müsse. Dieser Gedanke i s t n e u e r a i n g s b r e i t v o n P a g e n s t e c h e r . C i v . A . 97 (1905), S. 15ff. a u s g e f ü h r t w o r d e n (ebenso D e g e n k o l b , B e i t r ä g e 38). Das A r g u m e n t e r l e d i g t s i c h e i n f a c h d a d u r c h , dafs e i n solcher R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h des B e k l a g t e n a u f K l a g a b w e i s u n g bei g r u n d l o s e r K l a g e w i r k l i c h besteht (o. S. 14). 3 M i t v o l l e m R e c h t w e i s t deshalb H e l l w i g , K l a g r e c h t u n d K l a g m ö g l i c h k e i t , S. 7, a u f das u n g e n a u e der P o l e m i k K o h l e r s h i n , w e n n dieser d e n G r u n d b e g r i f f der h i e r v e r t r e t e n e n L e h r e als einen - j e d e m U n t e r t a n zustehenden R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h u c h a r a k t e risiert.

Prozefsvoraussetzungen und Bedingungen des rechtlichen Gehörs.

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gründliches und gerechtes Resultat erwarten lassen, fehlen, z. B. weil das Gericht von dem Interessen- und Lebenskreis des Beklagten so weit entfernt ist, dafs dieser sich nicht rationell verteidigen kann, oder weil eine Partei wegen Geisteskrankheit oder aus anderen Gründen nicht für das Recht beachtlich handeln kann, oder weil über denselben Anspruch bereits bei einem andern Gericht oder in anderem Verfahren verhandelt wird, oder was sonst. Derartige Mängel, die „Unzuständigkeit" des Gerichts, die „Prozefsunfähigkeit" einer Partei, die „Rechtshängigkeit" der Streitsache und andre hindern deshalb notwendig das Zustandekommen eines Urteils in der Sache überhaupt. Wo sie vorhanden sind, kann noch nicht zu Gunsten des Klägers, der prozefseinleitenden Partei, entschieden werden, selbst wenn er materiell über den Beklagten im Recht sein sollte. Ebensowenig kann dem Beklagten Recht gegen den Kläger gegeben werden. Es kann hier w e d e r f ü r den K l ä g e r noch f ü r den B e k l a g t e n entschieden werden. Das Gericht hat demgemäfs in jedem einzelnen Falle zu prüfen, ob die Bedingungen für eine geeignete Verhandlung und Entscheidung im g e r a d e s c h w e b e n d e n V e r f a h r e n vorhanden sind, und als Unterlage dieser Prüfung hat das Prozefsgesetz festzusetzen, welche Umstände oder Tatsachen, insbesondere welche Eigenschaften der Gerichtspersonen, der Personen der Parteien oder der Streitsache als Bedingungen der Wirksamkeit des Verfahrens gelten sollen. Der Sprachgebrauch nennt die Vorbedingungen dafür, dafs überhaupt eine S achentscheidung zu stände komme, die P r o z e f s v o r a u s s e t z u n g e n . Jedenfalls bilden sie eine weitere Gruppe von Tatsachen, die a u f s e r h a l b des Prozesses in dem privaten Verhältnis der Prozefsbeteiligten begründet sind, die also nicht zu den P r o z e f s h a n d l u n g e n , den Elementen des Verfahrens (§ 3) gehören und die doch andererseits nicht privatrechtlich erhebliche Tatsachen darstellen. Hierin ähneln sie den Rechtsschutzbedingungen (II). Sie sind aber auch von diesen als eine Tatsachengruppe eigner Art zu unterscheiden, die einen selbstständigen Gegenstand der gerichtlichen Prüfung und der gesetzgeberischen Normierung bildet. Diese Unterscheidung wird schon durch ihre innere Bedeutung gefordert. Denn zweifellos sind die Voraussetzungen Tatsachen, die vor den Rechtsschutzbedingungen oder gar den Anspruchsvoraussetzungen geprüft werden müssen. Von der Prozefsvoraussetzung, z. B. von der Zuständigkeit, hängt es ab, ob überhaupt zwischen den Parteien entschieden werden soll; von der Rechtsschutzbedingung hängt es ab, ob die Entscheidung dem K l ä g e r oder dem B e k l a g t e n recht geben soll. Aber diese Verschiedenheit der inneren Bedeutung tritt auch ä u f s e r l i c h hervor. Stellt sich bei der Prüfung heraus, dafs eine Prozefsvoraussetzung fehlt, dafs der Prozefs mit einem Mangel behaftet ist, so ist hierüber besonders zu entscheiden : es ergeht ein Urteil, z. B. auf Klagabweisung, das die Streitsache gar nicht berührt.

Einleitung. § 4. Bedingungen und Garantien des Rechtsschutzes.

Aber auch wenn die Prozefsvoraussetzungen sich bei der Prüfung als vorhanden erweisen, k a n n es nötig werden, dafs dies durch eine gerichtliche Entscheidung besonders ausgesprochen wird. Mindestens hebt sich das Verfahren der Prüfung hierüber von dem nachfolgenden Verfahren in der Streitsache selbst äufserlich ab. Es bildet ein vorbereitendes oder V o r v e r f a h r e n vor dem Hauptverfahren, oder dem Verfahren über die H a u p t s a c h e 1 . Inhalt dieses Vorverfahrens bildet die Frage, ob ein Prozefs durch die Klage zustande gekommen ist, der seinen Zweck erfüllen, den Streit der Parteien sachlich erledigen kann, der also wirksam und gültig ist. Man kann den Prozefs in diesem Zusammenhang als eine andere Rechtsbeziehung auffassen, die, durch die Rechtsschutzbitte des Bürgers, besonders die Klage, ins Leben gerufen, die P f l i c h t des e i n z e l n e n a n g e r u f e n e n G e r i c h t s in der Sache zu entscheiden geltend macht. Vielfach wird diese dem einzelnen konkreten Verfahren zugrunde liegende Rechtsbeziehung als das P r o z e f s r e c h t s v e r h ä l t n i s bezeichnet. Die Notwendigkeit, den O.P., besonders das Urteilsverfahren, nicht nur als eine Aneinanderreihung einzelner Handlungen (oben § 3), sondern auch als einen rechtserheblichen Dauerzustand, als ein Rechtsverhältnis zu betrachten, das mit der Prozefseinleitung seine Entstehung, mit dem Rechtsschutzakt des Gerichts (dem Urteil) seine Erfüllung findet, betonte zuerst B ü l o w , Prozefsvoraussetzungen (1868), 1 if. (s. ob. Lit.). Er tat dies sofort unter dem p r a k t i s c h e n Gesichtspunkt, dafs es prozessuale Rechtssätze (besonders die gesetzliche Aufstellung der Prozefsvoraussetzungen) gebe, welche sich nicht auf Organe und Randlungen des C.P., sondern auf ein Drittes erstrecken. Demgemäfs ist diese Vorstellung längst die allgemeine. Dagegen ausschliefslich K o h l e r , Prozefs als Rechtsverhältnis, 6 ff. Sein Widerspruch ist um so weniger von Gewicht, als er über die Bedeutung der Lehre nicht hinlänglich klar ist. Deren praktischer Kern liegt in der pflichtmäfsigen H a n d l u n g des G e r i c h t s , welche den Gegenstand des Verpflichtungs- oder Rechtsverhältnisses ausmacht. Dieselbe ist die Entschlufsfassung des Gerichts über das Rechtsschutzbegehren, bes. die Urteilsfällung auf die Klage. Diese Urteilspflicht des öffentlichen Gerichts hat aber den gleichen Inhalt und ist deshalb von gleicher Realität wie die Urteilspflicht des Schiedsgerichts, nur dafs sie auf öffentlich-rechtlichem Vorgang (der Anstellung und der Anrufung des öffentlichen Gerichts) und nicht, wie diese, auf privatrechtlichem Vertrag r u h t 2 8 . Der Mangel der bisherigen Betrachtungsweise seit B ü l o w ruht nur darin, dafs die Verpflichtung des e i n z e l n e n Gerichts, über ein Rechtsschutzgesuch Entscheidung zu fällen, erst allmählich von der Verpflichtung des 1 Der B e g r i f f des V o r v e r f a h r e n s i m C.P. zuerst bei L e o n h a r d , Die K e f o r m des C.P., 1865, S. 7 g e b r a u c h t . V g l . W a c h I 2(5 a. 3. 9 V i e l m e h r t r i f f t das, w a s K o h l e r a. a. 0 . a n d i e S t e l l e setzt, der V o r w u r f des u n w i r k l i c h e n , blofs scholastischen. E r n i m m t e i n P r o z e f s r e c h t s v e r h ä l t n i s z w i s c h e n den P a r t e i e n a n u n d e r b l i c k t es i n deren - K a m p f v e r h t t l t n i s u . Dieses aber, d. h. das Befangensein der P a r t e i e n i m Prozefs, i s t e i n blofs f a k t i s c h e s V e r h ä l t n i s (nach seinem A u s d r u c k blofse „ S i t u a t i o n " ) , w e n n a u c h e i n r e c h t l i c h b e s t i m m t e s (beachte d i e „ R e c h t s h ä n g i g k e i t " , u n t e n B u c h I V K a p . 5). E i n e P f l i c h t zu b e s t i m m t e m V e r h a l t e n l i e g t i h m n i c h t zu Grunde. β U n s c h ä d l i c h i s t der W i d e r s p r u c h F i t t i n g s (Lehrb., 7. A u f l . 1890, 287 A . 2«), der d a r a u f b e r u h t , d t f s s i c h die P f l i c h t des G e r i c h t s , z u u r t e i l e n , i n seiner A m t s p f l i c h t auflöse. Das i s t r i c h t i g . Die Schaffung der V o r s t e l l u n g des Prozefsrechtsverhältnisses i s t j e d o c h , w i e die a l l e r Rechtsbegriffe, eine Z w e c k m ä f s i g k e i t s f o r d e r u n g , w e i l gerade dieser A u s f l u f s der A m t s p f l i c h t m i t R ü c k s i c h t a u f d e n gesamten Prozefszweck eine besondere R o l l e s p i e l t u n d v o r a l l e m u n t e r p r a k t i s c h besonders w i c h t i g e n B e d i n g u n g e n ( d e n Prozefsvoraussetzungen) steht. Später h a t F i t t i n g (11. Α . 1903 S. 197) den E i n w a n d nicht wiederholt.

Pflicht des Gerichts zur Sachentscheidung u. zur Entsch. überhaupt. 23 S t a a t s gesondert worden ist, durch ein b e l i e b i g e s G e r i c h t einem bestimmten Bürger durch günstiges Urteil, Vollstreckung, zu helfen. Hauptsächliche Folge dieser Verwechslung ist die Anschauung, dafs man das Einzelgericht den P a r t e i e n g e g e n ü b e r zum Handeln verpflichtet sein läfst 1 . I n Wahrheit aber ist am Nichturteilen jeder Beliebige interessiert. Die Parteien nehmen hier keine Sonderstellung ein, sondern nur insofern, als jede von ihnen am g ü n s t i g e n Ausfall interessiert ist. Berechtigt ist also derjenige, der die Gesamtinteressen in der Rechtspflege zu wahren hat, d. h. der Staat oder sonst der Inhaber der Rechtspflegefunktion. Dies wird bestätigt dadurch, dafs wegen Justizweigerung die Staatsregierung usw. aus eigner Initiative oder auf Beschwerde jedes Bürgers einschreiten kann 1 . Die herrschende Lehre 2 stellt allerdings auch der Pflicht des e i n z e l n e n G e r i c h t s , ein Urteil zu erlassen, ein Recht beider P a r t e i e n auf dieses Urteil gegenüber und bezeichnet dieses durch die Klage entstehende Recht als das „ R e c h t a u f r e c h t l i c h e s G e h ö r " . Dabei wird dann weiter gestritten, ob j e d e Partei ein Recht nur gegen das G e r i c h t habe (Planck, Lehrb. I, 201; Hellwig a. a. 0.) oder auch jede Partei gegen die andere (Bülow, Z. 27, 201 IT.; Degenkolb, Beiträge, S. 58) 3 .

Läfst erst das Dasein der Prozefsvoraussetzungen aus der Klage eine Pflicht des Gerichts erwachsen, zwischen den Parteien in der H a u p t s a c h e über den Anspruch zu entscheiden, so zeigt doch gerade das Eingehen auf diese eigentümlichen Vorbedingungen der gerichtlichen H a u p t t ä t i g k e i t , dafs Pflichten des Gerichts zum Tätigwerden auch ohne sie entstehen. Auch wenn das Gericht unzuständig, eine Partei nicht fähig ist, prozessualisch zu handeln, wenn also der Prozefs im Hinblick auf seinen Hauptzweck ungültig eingeleitet ist, mufs doch das Gericht irgendwie für eine formelle Erledigung des durch Klage eingeleiteten Verfahrens sorgen. Schon dies durch Klage tatsächlich begründete Verfahren lälst sich also wiederum als prozessuale Rechtsbeziehung verstehen, deren Inhalt die sachgemäfse und rechtsgemäfse Behandlung des Prozesses ist 4 . Dabei kann der Prozefsgesetzgeber auch diesem rechtlichen Verhältnis wieder im verschiedenen Grade seine Beachtung zuwenden. Es ist denkbar, dafs er jedem Bürger die Möglichkeit offenhält, durch einfachen Willensakt das Gericht mit Prüfung — mindestens mit der der Prozefsvoraussetzungen — zu befassen 1 W e i t e r auch d a d u r c h , dai's e i n P r o z e f s r e c h t s v e r h ä l t n i s ganz i m g l e i c h e n S i n n a u c h i m Strafprozesse v o n B e d e u t u n g i s t , o b w o h l h i e r , w o a u c h der B e t r i e b u n d die E i n l e i t u n g des Prozesses i m ö f f e n t l i c h e n Interesse u n d d u r c h öffentliche Organe ( S t a a t s a n w a l t usw.) s t a t t f i n d e t , gar k e i n e P a r t e i e n als i n d i v i d u e l l e I n t e r e s s e n t e n v o r h a n d e n s i n d . — F ü r d e n R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h (oben I I ) findet s i c h i m S t r . P r . k e i n e A n a l o g i e . 2 So v o r a l l e m e i n g e h e n d W e i s m a n n , H a u p t i n t e r v e n t i o n (1883), dessen S c h r i f t nächst B ü l o w den Gegenstand a m m e i s t e n g e k l ä r t h a t . Ebenso P l a n c k I , 249. W a c h , H a n d b u c h I , 37. H e l l w i g , L e h r b . S. 143 162; K l a g r e c h t u n d K l a g m ö g l i c h k e i t , S. 53, 76. D e g e n k o l b , B e i t r ä g e 47 ff. A n d e r s u n d sehr u n b e s t i m m t W e i s m a n n , L e h r b u c h S. 385. 8 W e n n m a n c h e v o n einer M e h r h e i t prozessualer R e c h t s v e r h ä l t n i s s e sprechen, so i s t dies e n t w e d e r die Folge der A n s c h a u u n g , dafs die a u f das U r t e i l B e r e c h t i g t e n d i e (mehreren) P a r t e i e n seien ( S c h w a l b a c h , C i v . A . (^3 [1880], 393 u. a.), i s t also u n r i c h t i g ( A n m . 2), oder es b e r u h t a u f der V o r s t e l l u n g , dafs die A m t s p f l i c h t des G e r i c h t s eine P f l i c h t desselben z u m H a n d e l n a u c h i m L a u f e des Prozesses i m m e r w i e d e r h o l t begründe, wo das Gesetz e i n H a n d e l n ( B e w e i s a u f n a h m e , Z u s t e l l u n g usw.) fordere. ( P l a n c k , L e h r b . I 205.) Letzteres i s t l o g i s c h r i c h t i g , aber z u r p r a k t i s c h e n V e r a n s c h a u l i c h u n g des Prozesses überflüssig. V g l . h i e r z u n o c h S c h u l t z e , B e g r . d. C.Pr. Z. 12, 470. * Es w i r d d a n n eine Sache der p o s i t i v r e c h t l i c h e n E r w ä g u n g , i n w i e w e i t bereits der K l a g e a n s i c h , i n w i e w e i t erst der K l a g e , d i e b e i V o r n a n d e n s e i n der Prozefsvoraussetzungen erhoben w i r d , r e c h t l i c h e B e a c h t u n g u n d W i r k u n g beigelegt w e r d e n s o l l . V g l . W e i s m a n n , L e h r b . S. 385. H e l l w i g , K l a g r e c h t u n d K l a g m ö g l i c h k e i t , S. 54.

Einleitung. § 4. Bedingungen und Garantien des Rechtsschutzes.

und die pflichtmäfsige Notwendigkeit einer formellen Erledigung des Verfahrens ins Leben zu setzen. Eine solche Behandlung würde den staatlichen Rechtsschutz dem Bürger sehr leicht zugänglich machen; sie würde das Schwergewicht der prozessualen Tätigkeit allein in die Prüfung der Frage verlegen, welche Partei recht hat. Das jeweilige Prozefsrecht kann aber in der Art, wie es dem Volke die gerichtliche Funktion zur Verfügung stellt, auch zurückhaltender verfahren. Es kann nämlich bereits eine V o r p r ü f u n g darüber eintreten lassen, ob man überhaupt der Klage Beachtung schenken, dem rechtsuchenden Bürger „rechtliches Gehör" geben solle, oder ob nicht vielmehr der Klage rechtliches Gehör zu versagen sei . z. B. weil der Kläger anscheinend chikanös wider besseres Wissen Klage erhebt oder weil kein Versuch gemacht worden ist, den Streit durch friedliche Einigung, Sühne, aus der Welt zu schaffen. Wo das Gesetz diesen Standpunkt einnimmt, hat nicht jeder Bürger die t a t s ä c h l i c h e M ö g l i c h k e i t , Klage mit beachtlicher Wirkung zu erheben. Vielmehr hat der Bürger nur dann die Macht hierzu, wenn er gewissen Voraussetzungen genügt. Dieses gesetzgeberische System verleiht also bereits die Willensmacht, den Prozefs auch nur ins Leben zu rufen und das Gericht irgendwie in Tätigkeit zu setzen, nur an bestimmte Personen. Es verleiht nur unter gewissen Bedingungen ein Recht zu klagen, ein „Klagrecht". Nur zeigt sich, dafs die Annahme eines solchen „abstrakten publizistischen Klagrechts" nicht ein selbstverständlicher, zu jedem Rechtspflegesystem notwendig gehöriger Rechtsgedanke ist, sondern dafs auch sie nur insofern Sinn erlangt, als sie gewisse praktische Erscheinungen bezeichnet1. Hiermit ist ausgesprochen, dafs sich die von der neueren Wissenschaft aufgeworfene Frage, oh ein publizistisches Klag r e c h t , bezw. ein R e c h t beider Parteien auf Gehör, anzuerkennen sei, in eine Frage des p o s i t i v e n R e c h t s auflöst, was von den streitenden Meinungen oft verkannt oder nicht betont ward. Dem Begründer der Ansicht vom Klagrecht in diesem Sinn ( D e g e n k o l b , Einl. I f f . ; ähnlich P l o s z , Beitr. 47; P l a n c k 245) schwebt der erstbezeichnete Rechtszustand vor; insbes. D e g e n k o l b hat nur ein Recht auf Gehör für das „ e h r l i c h b e h a u p t e t e " Recht im Auge 2 (über die Ausflüsse eines solchen unten im römischen [S. 45], germanischen [S. 52], italienisch-kanonischen (u. § 10, II) Prozefs. Die, die es allgemein leugnen ( W a c h , Grünhuts Z. 6, 515, H.B. I 22, W e i s m a n n , Hauptint. 108 u. a.), fassen n u r den zweitgenannten Zustand des modernen Rechts ins Auge. Jedenfalls ist zuzugeben, dafs die Aufstellung eines solchen Klagrechts denk1 M i n d e s t e n s i s t es e i n W i d e r s p r u c h m i t dem S p r a c h g e b r a u c h , w e n n m a n d a , w o , w i e i m m o d e r n e n Prozefsrecht, j e d e K l a g e s c h l e c h t h i n a n g e n o m m e n w e r d e n mufs, diese t a t s ä c h l i c h e M ö g l i c h k e i t als „ R e c h t " , „ B e r e c h t i g u n g " bezeichnet. D e n n s u b j e k t i v e s Recht b e d e u t e t b e g r i f f l i c h e i n e n V o r z u g v o r a n d e r e n u n d l i e g t deshalb n u r v o r , w o die M ö g l i c h k e i t e t w a s zu t u n d u r c h A u f s t e l l u n g besonderer B e d i n g u n g e n a u f e i n e n E i n z e l n e n oder m e h r e r e E i n z e l n e e i n g e s c h r ä n k t i s t . So b e r u h t z. B . d i e O k k u p a t i o n herrenloser Sachen i m a l l g e m e i n e n n i c h t a u f e i n e m R e c h t z u r O k k u p a t i o n , s o n d e r n a u f einer j e d e m z u s t e h e n d e n t a t s ä c h l i c h e n M ö g l i c h k e i t . I n h a l t eines s u b j e k t i v e n R e c h t s i s t sie n u r d a n n , w e n n d u r c h p o s i t i v e V o r s c h r i f t die A n e i g n u n g b e s t i m m t e r Personen a u s s c h l i e f s l i c h g e w ä h r l e i s t e t i s t , w i e die v o n j a g d b a r e n T i e r e n d e m J a g d b e r e c h t i g t e n . ( A u s s c h l i e f s l i c h e s R. z u m L u m p e n s a m m e l n R . G e r . É n t s c h . 7, 161.) « Ü b r i g e n s l e g t D e g e n k o l b i n seiner n e u e s t e n S c h r i f t (Beiträge 1905 S. 44 ff.) a u f dieses „ v o r p r o z e s s u a l e " K l a g r e c h t n i c h t m e h r e r h e b l i c h e s G e w i c h t . E r b e t o n t j e t z t m e h r das d u r c h die K l a g e b e g r ü n d e t e Recht a u f Gehör, d. h. auf U r t e i l (o. S. 22).

Klagmöglichkeit oder abstraktes publizistisches Klagrecht.

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bar ist. Wie hier S t e i n , Grundrifs bei Birkmeyer, S. 10, § 5. H e l l w i g , Klagrecht und Klagmöglichkeit S. 26

I V . Der Zusammenhang der prozessualen Rechtsbeziehungen mit dem prozessualen Verfahren. Hebt man, wie im Vorstehenden geschehen, das Wesentliche der durch den Prozefs entstehenden Rechtsbeziehungen heraus, so folgt von selbst, dafs eine Betrachtung, die das Ganze des Prozesses als ein dauerndes, nach Auflösung strebendes Verpflichtungsverhältnis der Prozefsbeteiligten ins Auge fafst, von der andern Betrachtung, der der Prozefs als eine Kette von einzelnen ineinander greifenden Handlungen, als Verfahren, erscheint, innerlich nicht getrennt werden kann 2 . Als wesentlicher Kern der durch das Prozefsganze verkörperten Rechtsverhältnisse wurde der Gedanke erkannt, dafs der Partei eine sichere Anwartschaft auf den Erfolg des Rechtsschutzes vom Gesetzgeber geschaffen werden soll. Das Verhalten, durch welches der eine den Privatrechtskreis eines andern stört, löst den Anspruch des Gekränkten gegen den S t a a t auf gerichtliche B e s e i t i g u n g dieser Störung aus; die gesetzliche Fixierung der klagberechtigenden Rechtskränkungen (der Rechtsschutzbedingungen II) gewährleistet dies. Und die darauf folgende Anrufung eines bestimmten Gerichts durch Klage löst die Pflicht dieses e i n z e l n e n G e r i c h t s zur sachgemäfsen Erledigung des konkreten Verfahrens im Urteile aus, die ihrerseits das Mittel zur Erreichung jenes Schutzerfolges, des g e r e c h t e n Urteils, ist; sei es der Gewährung der Schutzbitte des Klägers oder der Gewährung der Bitte des Beklagten um Abweisung der unbegründeten Klage ; die gesetzliche Fixierung der Bedingungen zur Entscheidung in diesem Verfahren (der Prozefsvoraussetzungen I I I ) gewährleistet auch dies. Nun würde aber die Garantie für 1 Ü b e r d i e s h a t die S c h r i f t D e g e n k o l b s die über diese Frage h i n a u s g e h e n d e Bed e u t u n g , dafs sie zuerst den G e d a n k e n , dafs e i n ö l f e n t l i c h r e c h t l i c h e r A n s p r u c h des Bürgers £egen den Staat den A n s t o i s z u m C.Pr. gebe, angeregt h a t , e i n e n G e d a n k e n , der seitdem i n der V o r s t e l l u n g v o m R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h (oben I I ) v e r v o l l k o m m n e t w o r d e n ist. A n sich i s t es f r e i l i c h ganz u n r i c h t i g , die Frage a u f „ K l a ç r e c h t o d e r R e c h t s s c h u t z anspruch 1 ·? zu stollen. W i e I I u n d I I I zeigen, schliefsen sie s i c h n i c h t aus, s o n d e r n bezeichnen zwei p r a k t i s c h e R e c h t s g e d a n k e n , die m i t e i n a n d e r v e r e i n b a r s i n d . - A n diesem P u n k t e hat s i c h z u r Z e i t der K a m p f u m d i e K o n s t r u k t i o n der Prozefsrechtsbeziehung h a u p t s ä c h l i c h verfangen. Es i s t n i c h t m e h r zu l e u g n e n , dafs e i n T e i l der V e r t r e t e r des R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h s ( W a c h , H e l l w i g ) d e n N a c h w e i s eines s o l c h e n Z u s a m m e n h a n g s z w i s c h e n d e m Prozefs als R e c h t s b e z i e h u n g u n d d e m Prozefs als V e r fahren s c h u l d i g geblieben s i n d ; n a c h i h r e r A n s c h a u u n g s t e n t die A b s t r a k t i o n des d u r c h die vorprozessualen T a t s a c h e n geschaffenen R e c h t s s c h u t z a n s p r u c h s u n d der s i c h äufserl i c h d a r a n anschliefsenden P r o z e f s h a n d l u n g e n , d i e v i e l l e i c h t z u e i n e m a b w e i c h e n d e n E r gebnisse f ü h r e n , u n v e r m i t t e l t neben- oder n i n t e r e i n a n d e r . H i e r a u s h a t v o r n e h m l i c h die neuerliche O p p o s i t i o n B ü l o w s , W e i s m a n n s , Degenkolbs u. a. (o. S. 17) i h r e K r a f t geschöpft. Diese lösen alles a u f i h r e W e i s e sehr einfach. D e n n d a sie e i n R e c h t a u f g ü n s t i g e s U r t e i l n u r als E r g e b n i s a l l e r bereits abgelaufenen P r o z e d u r a k t e a n n e h m e n , k ö n n e n sie aus i h r e m Recht a u f sachgemäfse B e h a n d l u n g des V e r f a h r e n s jenes R. a u f U r t e i l s i c h a l l m ä h l i c h h e r a u s e n t w i c k e l n lassen. F ü r die A n n a h m e , dafs e i n R e c h t a u f e i n U r t e i l bes t i m m t e n I n h a l t s schon v o r d e m Prozesse e n t s t e h t , i s t das P r o b l e m s c h w i e r i g e r . Die A b h . R i c h a r d S c h m i d t s , Prozefsrecht u n d S t a a t s r e c h t , S. 30ff., h a t , i m w e s e n t l i c h e n w i e h i e r , v e r s u c h t , d u r c h die B e t o n u n g der P a r t e i s t e l l u n g i m Prozesse d i e L ö s u n g z u geben. Die P f l i c h t des Gerichts, eine ( i r g e n d w e l c h e ) E n t s c h e i d u n g z u f ä l l e n u n d das Recht der v e r l e t z t e n P a r t e i a u f eine i h r g ü n s t i g e E n t s c h e i d u n g ^ d u r c h d r i n g e n s i c h w e c h s e l s e i t i g , w e i l die E r f ü l l u n g der U r t e i l s p f l i c h t i m L a u f e des V e r f a h r e n s u n t e r f o r t esetztem Einflufs der P a r t e i t ä t i ^ k e i t e r f o l g t , u n d w e i l das Gesetz der P a r t e i d u r c h seine iegeln die M ö g l i c h k e i t g e w a h r t , die W i r k u n g j e d e r einzelnen E t a p p e des V e r f a h r e n s vorauszuberechnen.

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Einleitung. § 4. Bedingungen und Garantien des Rechtsschutzes.

die Sicherheit der Privatrechtssphäre, die hierin gelegen ist, nur eine halbe sein, wenn die Partei, n a c h d e m sie das Verfahren in Gang gebracht hat, mit ihrer wirkenden Tätigkeit ganz ausgeschaltet würde. Erst dadurch vielmehr erhält die Prozefsrechtsbeziehung ihren vollen Ausbau, dafs die Partei auch im weiteren Verlauf des Prozesses fort und fort durch ihren freien Willensakt (Behaupten, Benennen von Beweisen, Anfechtung der Entscheidung durch Rechtsmittel) den Prozefsgang beeinflussen darf, und dafs i h r diese T ä t i g k e i t g a r a n t i e r t w i r d . Und ferner erhält der Anspruch auf ein ihr g ü n s t i g e s Urteil erst dadurch seine volle Sicherheit, dafs die Partei die Vorbedingungen und Wirkungen ganz spezieller Einrichtungen des Prozesses, die ihr zu Gebote stehen, v o r a u s b e r e c h n e n k a n n , z. B. die Voraussetzungen des Armenrechts, das ihr im Fall der Mittellosigkeit eine vorläufig kostenlose Prozefsführung ermöglicht, die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde, die sie sich für ihren Anspruch verschafft hat, die Bedingungen und die Folgen einer Herausforderung des Gegners zum Eid über eine wesentliche Tatsache für den Fall, dafs sie mit ihrem Zeugenbeweis scheitert. Nur lassen sich freilich die Garantien eines gesicherten Rechtsschutzes nicht zum voraus allgemein bezeichnen. Einmal beginnt mit diesen Betrachtungen die hier einleitungsweise bezweckte Darstellung gewisser Grundbegriffe, von denen im allgemeinen j e d e s Prozefsrecht bei seiner Aufgabe ausgehen mufs, bereits in die Darstellung der einzelnen Institute und Formen überzugehen, die den individuellen Charakter der v e r s c h i e d e n e n positiven Prozefsrechte ausmachen. Denn jene Parteirechte lassen sich verschiedenartig abgrenzen; ja, es zeigt sich, dafs der Gesetzgeber gerade, wenn er zu ihnen Stellung nehmen will, vor eine Alternative geführt wird, die mit den charakteristischen Gegensätzen der prozessualen Systeme zusammenhängt, und eine historisch-gesetzeskritische Betrachtung der Grundgedanken des Zivilprozesses (vgl. das erste Kapitel des I. Buchs unt. S. 28 ff.) mufs hiervon ihren Ausgang nehmen. Vor allem aber läfst sich die ganze Fülle der Garantien, die das Prozefsrecht durch die Gestaltung des Verfahrens selbst für die rechtsuchenden Bürger schafft oder schaffen kann, nur in engem Zusammenhang mit den Vorbedingungen, Formen und Wirkungen der einzelnen Verfahrensbestandteile selbst, an den einzelnen Prozefshandlungen, beleuchten. Derselbe prozessuale Vorgang, z. B. die Zustellungsordnung, die Beweislastverteilung, die Eideszuschiebung, läfst sich gleichzeitig einerseits als eine Gruppe von Grundsätzen betrachten, die sich mit Form oder Wirkung e i n z e l n e r P r o z e f s h a n d l u n g e n beschäftigen, wie auch andererseits als ein unlösliches Stück der 1 N ä m l i c h n u r bei der L e h r e v o n den K e c h t s s c h u t z b e d i n g u n g e n ( K l a g v o r a u s setzungen) u n d P r o z e f s v o r a u s s e t z u n g e n , d. h. v o n den T a t s a c h e n , die die a u f s e r h a l b des Prozesses u n d v o r d e m Prozefs b e g r ü n d e t e n V o r b e d i n g u n g e n des gesicherten Rechtsschutzes b e r ü h r e n (o. I I . , I I I . ) .

Verknüpfung der gemeinsamen Grundgedanken des Prozeßrechts.

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Garantien einer freien Bewegung und R e c h t s s t e l l u n g des B ü r g e r s im Prozesse. Eben deshalb läfst sich der „Prozefs als Rechtsverhältnis" und der „Prozefs als Verfahren" wohl in einzelnen Fragen, aber nicht in allen Stücken, von einander sondern 1, und ein Versuch, etwa auf die Sonderung der beiden Gesichtspunkte (§ 3 und 4) die Systematik der Prozefswissenschaft zu begründen, müfste fehlschlagen. Ein System dieses Rechtsgebiets kann nur, wie im folgenden geschieht, Gerichtsverfassung und Verfahren scheiden, und bei der Darstellung der letzteren die verschiedenen Gesichtspunkte hervorheben. Wenn man früher eine andere Einteilung des Prozefsrechts in m a t e r i e l l e s und f o r m e l l e s der Betrachtung zu Grunde legte, so ist sie heute jedenfalls überlebt; der ältere Sprachgebrauch verstand unter dem m a t e r i e l l e n Prozefsrecht die Rechtssätze des Prozefsrechts, die den Einflufs des Prozesses auf das streitige Privatrechtsverhältnis (das „materielle" Rechtsverhältnis) regelten (Rechtshängigkeit, Klagänderung, Aufrechnung im Prozesse, Beweislast, Rechtskraft usw.) — unter dem f o r m e l l e n die Prozefsrechtsnormen, die die Handlungen des Verfahrens ordnen. Die heutige Wissenschaft hat sich jedoch überzeugt, dafs jene Einwirkungen auf das Privatrecht den ganzen Prozefs durchziehen und dafs sich die W i r k u n g der einzelnen Prozefshandlung nicht von Wesen und Form der Handlung selbst trennen läfst. Es kann also z. B. die Wirkung der Rechtshängigkeit nur in Verbindung mit der Klage, die Beweislast in Verbindung mit der Beweiswürdigung, die Rechtskraft in Verbindung mit den Entscheidungen wissenschaftlich erörtert werden. 1 Diesen V e r s u c h h a t t e d i e e r s t e A u f l a g e dieses L e h r b . g e w a g t . I c h gebe i h n h i e r m i t auf. F r e i l i c h n i c h t w e i l d u r c h diese S o n d e r u n g die D a r s t e l l u n g des C.P. w e n i g e r a n s c h a u l i c h w i r d , w i e m a n c h e m e i n e r K r i t i k e r sagen; d e n n w e n n e i n G e s i c h t s p u n k t s y s t e m a t i s c h r i c h t i g w ä r e , m ü f s t e er i n l e t z t e r L i n i e a u c h d e m Z w e c k e der V e r a n s c h a u l i c h u n g dienen, — f r e i l i c h n i c h t der der A u f s e r l i c h k e i t e n , w o h l aber der der G r u n d gedanken des Prozefsrechts. I c h gebe diese S o n d e r u n g v i e l m e h r n u r aus der i m T e x t bezeichneten E r k e n n t n i s auf, dafs er s i c h s y s t e m a t i s c h n i c h t k o n s e q u e n t d u r c h f ü h r e n l ä f s t .

Erstes Buch. Die Quellen des Zivilprozefsrechts nach ihrer Vorgeschichte· ihrem heutigen Bestand und Anwendungsgebiet. Erstes Kapitel.

Die geschichtlichen Vorstufen des heutigen deutschen Zivilprozefsrechts. § 5.

Die Probleme der Prozefsgesetzgebung in der geschichtlichen Entwicklung.

I . Ständische Gerichte und Beamtengerichte, formfreies und formstrenges Verfahren. Manche Gedanken und Formen hängen so eng mit dem Zweck des Zivilprozesses zusammen, dafs sie notwendig der Zivilrechtspflege aller Zeitalter und Nationen gemeinsam sein müssen. Hierauf mufste die Einleitung (§ 1 —4) zunächst hinweisen. Im Ausbau dieser Grundformen ergeben sich jedoch die Möglichkeiten verschiedener Ρ r 0 z e fs s y s t e m e. Das gesetzgeberische System des heutigen deutschen Prozefsrechts erscheint als das Produkt langer wechselnder Erfahrungen, die verschiedene Epochen und Kulturvölker mit ihrem Prozefs angestellt haben. Demnach mufs das geltende Recht, ehe es die wissenschaftliche Analyse der Auslegung aus seinem eigenen Gedankeninhalt unternimmt, als historische Erscheinung und als vorläufiger Abschlufs des bisherigen gesetzgeberischen Denkprozesses ins Auge gefafst werden. An und für sich zeigt die geschichtliche Aufeinanderfolge der Rechtspflegesysteme eine lange Reihe von immer neuen und untereinander abweichenden Kombinationen einzelner Formen. Das Bild vereinfacht sich jedoch dadurch, dafs gewisse Gegensätze innerhalb der gesetzgeberischen Versuche typisch sind und im Lauf der

Typische Gegensätze in Gerichtsverfassung und Verfahren.

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Zeit wiederkehren, sowohl im Aufbau der G e r i c h t s v e r f a s s u n g , wie in der Gestalt des V e r f a h r e n s . 1. Die Eigenart der O r g a n e , die mit der Rechtspflegefunktion betraut werden, bestimmt sich hauptsächlich darnach, ob das Recht sie aus den Mitbürgern, besonders aus den Standesgenossen der Parteien hervorgehen läfst, unter Umständen sogar so, dafs die Parteien einen ausschlaggebenden Einflufs auf Auswahl und Bestellung der Richterperson ausüben, oder aus Individuen, die ständig und fachmäfsig mit Urteilsfällung und Vollstreckung befafst sind. Man kann also in der Gerichtsverfassung die Extreme einer V o l k s r i c h t e r j u s t i z von L a i e n , insbes. S t a n d e s g e n o s s e n und einer B e a m t e n r e c h t s p f l e g e unterscheiden (o. S. 5, 6). 2. Entsprechend läfst sich das V e r f a h r e n zwischen Parteien und Gericht verschieden gestalten. Für dasselbe kann die Erfahrung mafsgebend sein, dafs die Prüfung und Entscheidung von Streitfragen, wie sie den Kern der prozessualen Funktionen bildet, nicht nur im Rechtsleben, sondern auch aufserhalb desselben in allen möglichen menschlichen Verhältnissen eine Rolle spielt. Zur Schlichtung von Streitigkeiten ist z. B. auch der Familienvater zwischen seinen Kindern, der Dienstherr zwischen seinen Dienstboten, der Handwerksmeister oder Fabrikherr unter seinen Gesellen oder Arbeitern, der amtliche Vorgesetzte unter seinen Untergebenen berufen. Sie alle nehmen die Beurteilung zweifelhafter und strittiger Verhältnisse auf Grund der Prüfung unklarer Tatsachen wie eine Funktion vor, die sich nach Lebenskenntnis und gemeinem Menschenverstand gewissermafsen von selbst versteht. Die gleiche Erwägung führt dazu, dafs streitende Personen einem vertrauenswürdigen Privatmann einen Streitpunkt, insbesondere ein Rechtsverhältnis, freiwillig zur Entscheidung, zum „Schiedsspruch" übertragen. Nun kann sich aber alle solche naive Urteilstätigkeit mit den Funktionen der öffentlichen Rechtspflege unter Umständen sehr nahe berühren. Auf allen älteren Kulturstufen übernimmt die patriarchale Grofsfamilie mit Kindern, Enkeln, leibeigenen Knechten, der Grundherren- oder Gutshof mit Hörigen, die Zunft mit Gesellen und Lehrlingen ohnehin starke Anteile öffentlicher Funktionen in Kultus-, Heeres-, Abgabenwesen, so auch in der Rechtspflege über ihre Mitglieder. Umgekehrt kann in früheren Zeiten auch eine Schiedsrichterstellung leicht einer politisch einflufsreichen oder autoritären Person, dem Priester, Fürsten, übertragen werden. In solchen Fällen wird also naturgemäfs eine f o r m l o s e p a t r i a r c h a l i s c h e Ges t a l t u n g auch innerhalb der öffentlichen Justiz platzgreifen können, in der Art, dafs deren äufserer Gang den Eingebungen der Parteien und dem Ermessen des Richters, überhaupt dem Bedürfnis des Einzelfalles anheimgestellt wird. Aber diese Verfahrensform entspricht nur dem einen der in der Rechtsentwicklung wirksamen Antriebe. Daneben wird, und zwar ebenfalls von

30 I· Geschichte und Quellen. § 5. Probleme der Prozefsgesetzgebung.

der Urzeit an', auch eine zweite Entwicklungstendenz sich geltend machen. Auch die offizielle feierliche Bedeutung des staatlichen Rechtsakts kann für dessen Form mafsgebend sein und nach Art von Zeremonien des religiösen Lebens oder anderer durch die Sitte geheiligter Gebräuche dem Verfahren des Rechtsstreits eine s t r e n g f o r m a l e u n d z e r e m o n i e l l e Form aufprägen. Die Annahme liegt nahe, dafs der Widerstreit dieser verschiedenen Rechtsgedanken in einer natürlichen, gesetzmäfsigen Entwicklung seine Lösung finden mufs. Je weiter sich die sozialen Verhältnisse aus mittelalterlich-ständischen zu modernstaatlichen umgestalten, um so mehr, könnte man denken, müfsten auch die Gerichte den privaten oder ständischen Charakter abstreifen und zu Beamtengerichten werden. Und entsprechend müfste sich, je vielseitiger, differenzierter, freier die Verkehrsverhältnisse werden, desto mehr auch ein formenstrenges altertümliches Verfahren vereinfachen und der äufseren Formen entledigen. Aber in Wahrheit entspricht eine solche fortschreitende Vereinfachung den historischen Hergängen nicht. Im Gegenteil, es würde der, der mit Hilfe des vorgefafsten Glaubens an diese Entwicklung den Wert eines Prozesses beurteilen wollte, die Aufgaben einer modernen Prozefsgesetzgebung nicht unbefangen würdigen können 1 . Die Interessen, denen nach den früheren Ausführungen (oben S. 2, 3) im Zivilprozefsrecht Rechnung zu tragen ist, sind nicht so einfach, dafs der Gesetzgeber dem Richter ihre Berücksichtigung sozusagen als eine selbstverständliche und allgemein menschliche Verrichtung überlassen könnte. Wer allerdings von der Anschauung ausgeht, dafs das zivilgerichtliche Verfahren einem staatlichen Organ nur die Anhörung der Parteien, die Prüfung ihrer Beweise und danach die Entscheidung und Vollstreckung zu ermöglichen habe, der wird ein Verfahren für das vollkommenste halten, das das Gericht am wenigsten mit Formen um die Erfüllung gesetzlicher Schranken beschwert. Denn ein Verfahren, worin dem gerichtlichen Ermessen alles überlassen ist, wird sich am leichtesten dem Bedürfnis und der Eigenart des Einzelfalles und der Einzelpersönlichkeiten anpassen. Der Richter wird hier seinen Scharfsinn, seine Findigkeit, seinen praktischen Verstand am freiesten walten lassen können. Aber ein solches Verfahren würde andererseits zugleich eine unbegrenzte Intelligenz, 1 Es i s t e i n M a n g e l unserer Z i v i l p r o z e i ' s l i t e r a t u r , dafs sie a u f die a l l g e m e i n e n E r w ä g u n g e n , d i e i m f o l g e n d e n zusammengefafst w e r d e n , z u w e n i g e i n g e h t , o b w o h l v o n der p r i n z i p i e l l e n S t e l l u n g n a h m e z u i h n e n t a s t die m e i s t e n u n d w i c h t i g s t e n S t r e i t f r a g e n abh ä n g e n , die de lege ferenda u m die G e s t a l t u n g unserer m o d e r n e n Z w a n g s v e r f a s s u n g u n d P r o z e d u r f o r m — j e t z t grofsenteils aussichtslos u n d ohne gegenseitiges Verständnis — gef ü h r t w e r d e n . Meine schon i n der 1. A u f l . S. 4 ff. d a r a u f g e r i c h t e t e n B e m ü h u n g e n , die A u f m e r k s a m k e i t a u f diese P r o b l e m e , besonders a u f die p s y c h o l o g i s c h e n G r u n d l a g e n der Z i v i l p r o z e f s g e s e t z g e b u n g z u l e n k e n , ' s i n d w e s e n t l i c h erfolglos geblieben. B e r ü h r u n g s p u n k t e m i t diesen E r ö r t e r u n g e n : L e o n h a r d , L e b e n s b e d i n g u n g e n der Rechtspflege 1891. V i e r h a u s , Soziale u n d w i r t s c h a f t l i c h e A u f g a b e n der Civilprozefsgesetzgebung 1903. L a n d s b e r g , N a t u r des Civilprozesses, D. J u r . - Z . 1900. S. 189. Gerade u m der N o t w e n d i g k e i t w i l l e n , diesen F r a g e n i n m e t h o d i s c h e r W e i s e beiz u k o m m e n . i s t es u n e r l ä f s l i c h , a u c h . i n die D a r s t e l l u n g des m o d e r n e n Prozefsrechts, w e n n sie k r i t i s c h sein s o l l , eine Ü b e r s i c h t über die h i s t o r i s c h e n E r f a h r u n g e n der Prozefsgesetzgebung z u bieten.

Wert eines formstrengen Prozefsrechts.

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Arbeitskraft, Unparteilichkeit und Pflichttreue voraussetzen, kurz, die Fähigkeit, in jedem Falle ohne weiteres der Wahrheit am nächsten und am raschesten zum Ziele zu gelangen. Dabei würden also Konflikte und Schwierigkeiten ignoriert, die im realen Leben zweifellos die Situation erschweren. 1. Einmal kann in realen Verhältnissen die Richtersperson nicht immer den relativ besten Weg des Privatrechtsschutzes finden. Auch abgesehen von der Gefahr einer absichtlichen parteiischen Begünstigung der einen Partei, mufs damit gerechnet werden, dafs ein Richter aus Bequemlichkeit, Nachlässigkeit, Krankheit, persönlicher Erregung oder Ermüdung, geringerer Begabung, Geschäftsüberlastung die Sachlage nicht völlig beherrscht oder dafs er sich trotz aller seiner Fähigkeiten durch die Aufsenseite der Parteien, durch die Ränke der einen, durch die Unbeholfenheit der anderen täuschen und zu unzweckmäfsigen Schritten verleiten läfst. Deshalb mufs die prozefsrechtliche Regelung eines formell gebundenen Verfahrens einen Weg vorzeichnen , der auch für minder gewandte Richter oder für schwieriger gelagerte Fälle ein gutes Ergebnis verspricht, der also für den D u r c h s c h n i t t der Fälle eine befriedigende Erfüllung der Rechtspflegeaufgabe ermöglicht. Indem das Prozefsrecht das Gericht zur Beobachtung bestimmter Formen der Ladung, Prozefseinleitung, Angriffs- und Verteidigungshandlungen, Beweiserhebungen usw. nötigt, schafft es die Garantien dafür, dafs in jedem Stadium des Prozesses gewisse widerstrebende oder nebeneinander stehende Interessen, das der Schleunigkeit und der Gründlichkeit, das des Klägers und des Beklagten usw. gleichmäfsig berücksichtigt werden. Nur so verbürgt es ein g e r e c h t e s, d. h. eben a l l e n b e t e i l i g t e n I n t e r e s s e n gemäfses Prozefsergebnis. 2. Der Wert eines fest geregelten Verfahrens wird aber in der Schätzung noch steigen, wenn man im Auge behält, dafs das Zivilprozefsrecht nicht nur einen möglichst wirksamen Schutz des Einzelnen in seinen Privatrechten gegen den Einzelnen vorkehren soll, sondern noch eine zweite Funktion zu erfüllen hat, die nämlich, die beiden streitenden Interessenten vor Mifsgriffen der staatlichen Beamtenmacht zu sichern, in deren Schutz sie sich im Zivilprozefs eben begeben und begeben müssen (oben S. 2). Die Bürger sollen gegenüber der Ziviljustiz des Staats wie gegenüber allen Zweigen der Staatstätigkeit eine f r e i e Stellung gewinnen, d.h. Unabhängigkeit von schwankenden persönlichen Meinungen und Beliebungen der Behörde; sie sollen vor der Justiz eine g l e i c h e Stellung haben, d. h. eine sichere Anwartschaft auf Rechtsschutz, von ihren sozialen Klasseninteressen und Verhältnissen. Schon objektiv ist dieser Erfolg nur dann erreichbar, wenn den streitenden Bürgern ein m ö g l i c h s t s i c h e r v o r a u s z u b e r e c h n e n d e r W e g des gerichtlichen Schutzes in Aussicht steht. Ein solcher fehlt aber, wenn die Vorbedingungen der Klage, die Wirkung jedes einzelnen

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· Geschichte und Quellen. § 5. Probleme der Prozefsgesetzgebung.

Verteidigungs- oder Beweismittels, Zeit, Ort, Gelegenheit und Form des Verfahrens von dem leicht wechselnden E r m e s s e η des Gerichts abhängt. Nur ein Bestand allgemein feststehender Rechtssätze bietet der Partei, bezw. ihrem Anwalt, die Möglichkeit, das Schicksal des Prozesses in jedem Stadium annähernd zum voraus zu übersehen und darnach eine freie Bewegung und Entschliefsung zu gewinnen. Hiermit aber nicht genug. Das Ideal des gesellschaftlichen Zustande, das man gemeinhin als die Freiheit und Gleichheit der Bürger im Staat bezeichnet, ist nicht nur durch ein bestimmtes äufseres Verhalten der am Staatsleben Beteiligten bedingt. Es ruht aufserdem, wo nicht in erster Linie, auf einer bestimmten Gesinnung, einem beruhigten und friedlichen Bewufstseinszustand. Gerade ein solcher würde jedoch bei einer formlosen und dem freien Ermessen überlassenen Rechtspflege empfindlich gefährdet sein. Ein vom Gesetz nicht gebundenes Verfahren müfste die Macht der richterlichen Personen in deren eigenen Augen so sehr steigern, dafs sich Pflichtgefühl und Verantwortlichkeitsbewufstsein des ganzen Richterstands abschwächen würde. Entsprechend würde das Volk, wenn die Gerichte alle wichtigen Mafsnahmen des Prozesses nach ihrem Ermessen regeln könnten, auf die Dauer einem so privilegierten Stand mifstrauisch und mifsgünstig gegenüberstehen. Die Parteien und die anderen Bürger würden zu abfälliger Kritik, Unzufriedenheit und Mifstrauen in die Rechtspflege gereizt werden. Ein gewisser Stamm bindender Prozefsrechtsnormen wird also auch dazu notwendig, um zwischen den Rechtspflegeorganen und dem rechtsschutzbedürftigen Publikum, beide als Ganzes betrachtet, ein gedeihliches Verhältnis herzustellen. Der Zwang zur Unterordnung unter die Gesetzesvorschrift hält im Richter den Gedanken an seine öffentliche Verantwortlichkeit lebendig. Andererseits wirkt die Wahrnehmung der Bürger, dafs die Beamten nach Maisgabe der festen Regel, „im Wege Rechtens" handeln, stärkend auf das Vertrauen in die Gerichte, in deren Unparteilichkeit, Sachlichkeit und Gewissenhaftigkeit. Ein formales Prozefsrecht behält also, erhaben über alle wechselnden Kulturverhältnisse, für die Ges i n n u n g der an der Rechtspflege gebend oder empfangend beteiligten Menschen seine Bedeutung. Es wirkt nicht nur fördernd auf die konkreten Handlungen des Prozesses, sondern auch erzieherisch und befriedend auf die handelnden Personen. Nur dann ist die Rechtspflege v o l k s t ü m l i c h , p o p u l ä r . Gerade im Hinblick auf diese verschiedenartigen Funktionen der gesetzlichen Regeln zeigt sich nun ein naher Zusammenhang zwischen den Prinzipien des G e r i c h t s V e r f a s s u n g s r e c h t s und denen des eigentlichen P r o z e f s r e c h t s . Das letztere hat eine verhältnismässig leichtere Aufgabe, wenn die Gerichtsverfassung auf S t a n d e s g e n o s s e n - oder V o l k s g e r i c h t e gebaut ist. Wenn ein Bürger nur über Mitbürger urteilt, über die seiner eigenen oder über die einer anderen ihm im Leben

Wert eines formstrengen Prozefsrechts.

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nahe verbundenen Klasse, z. B. ein Kaufmann über Kaufleute oder ein Grundherr über hörige Bauern, so verbürgt hier in vieler Hinsicht schon die Art der Behördenorganisation den wünschenswerten erzieherischen Einflufs auf die persönliche Beziehung und die wechselseitige Gesinnung der Beteiligten. Denn einerseits bringt dann die Richtersperson zu ihrer Aufgabe Bescheidenheit und Selbstbeschränkung, Interesse am Streithandel und Verantwortlichkeitsbewufstsein mit; andererseits bringt das Volk den ihnen vertrauten Richterspersonen Zutrauen und Verständnis entgegen. Kurzum, das ständische Gericht ist seiner N a t u r nach ein populäres Gericht. Es ist ein solches um so mehr, je mehr aufserdem die Parteien auf Auswahl der zu bestellenden Richter oder mindestens auf Ablehnung der bestellten Einflufs haben. Unter diesen Umständen wird also der Gesetzgeber bei einem System von Volksoder Standesgenossengerichten geneigt sein, die formalen Regeln des Verfahrens abzuschwächen, auch um deswillen, weil die nicht fachmäfsig, nur gelegentlich amtierenden Richter zur Handhabung feinerer technischer Regeln weniger geschickt sind. Im Gegensatz hierzu zeigt sich, dafs gegen das Volk abgeschlossene B e r u f s b e a m t e n g e r i c h t e einer entsprechend stärkeren Betonung der formalen Garantien der Rechtspflege bedürfen. Wo sie funktionieren, ist die Gefahr eines Mifsbrauchs ihrer Gewalt, vor allem aber die Gefahr einer Entfremdung zwischen Gericht und Parteien, eines Sichgehenlassens der Beamten, einer Gehässigkeit der Rechtsuchenden unvergleichlich gröfser, und ein Gesetzgeber mufs deshalb, je mehr er seine Justiz auf die Tätigkeit rechtsgelehrter Berufsrichter zuschneidet, um so eingehender sein Augenmerk dem Ausbau eines wohlberechneten gesetzlich geregelten Prozefsgangs zuwenden. So stellt sich bei sorgfältiger Beobachtung der in Betracht kommenden psychologischen und kulturellen Bedingungen der Rechtspflege ein Entwicklungsgesetz heraus, das gerade das umgekehrte ist von demjenigen, das für den Laien nahe zu liegen scheint. Allerdings lassen sich die gesetzgeberischen Probleme der Gerichtsverfassung und die des Verfahrens nicht von einander sondern. Aber die Garantien einer gerechten Rechtspflege liegen bei einem System von V o l k s g e r i c h t e n mehr in den Normen der Gerichtsorganisation, bei einem System von Beam t e n g e r i c h t e n mehr in den Regeln des Zivilprozefsrechts im engeren Sinne, d. h. in den Regeln über die Prozefshandlungen 1. 1 Der Gegensatz, der h i e r n a c h i n der ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e n G r u n d l a g e der Rechtspflegesysteme die H a u p t r o l l e s p i e l t , w i r d i n der m o d e r n e n L i t e r a t u r e i g e n t l i c h gar n i c h t e r ö r t e r t , o b w o h l seine B e d e u t u n g k a u m h o c h g e n u g angeschlagen w e r a e n k a n n . M e r k w ü r d i g e r weise findet s i c h die k l a r e E i n s i c h t i n diese Frage schon sehr f r ü h e bei J u s t u s M ö s e r , P a t r i o t i s c h e P h a n t a s i e n I (1778), N r . 51 (über die A r t u n d W e i s e , w i e unsere V o r f a h r e n d i e Prozesse a b g e k ü r z t haben), bes. S. 298: „ Ü b e r h a u p t aber k o m m e n w i r h i e r a u f die b e y d e n A r t e n , S t r e i t i g k e i t e n zu e n d i g e n . Die erste i s t , aafs e i n e b e n b ü r t i g e r u n d genosser M a n n n a c h s e i n e m G u t d ü n k e n sage, w i e es seyn s o l l e ; — die a n d e r e , dafs e i n G e l e h r t e r , der den P a r t e y e n so w e n i g e b e n b ü r t i g als Genofs i s t , sage, was d i e G e s e t z e a u f den s t r e i t i g e n F a l l v e r o r d n e t haben. Die erste w a r die A x t unserer V o r f a h r e n ; d i e l e t z t e r e i s t die unsrige. — E s i s t d e r m e n s c h l i c h e n F r e y h e i t u n e n d l i c h v i e l daran

R i c h a r d S c h m i d t , L e h r b u c h des Z i v i l p r o z e f s r e c h t s .

2. A u f l .

3

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I

Geschichte und Quellen. § 5. Probleme der Prozefsgesetzgebung.

Die Untersuchung der leitenden Gedanken des m o d e r n e n d eut sehen Zivilprozefsrechts mufs deshalb vor allem feststellen, welche der soeben bezeichneten Grundformen im Lauf der historischen Entwicklung bis in die heutige Zeit hinein das Übergewicht erlangt hat und voraussichtlich behaupten mufs 1 . Von hier aus ist vor allem zu dem seit der Aufklärungszeit immer wieder auftauchenden Vorschlag der Laien oder halbgebildeten Juristen Stellung zu nehmen, den formellen Zivilprozefs mehr und mehr durch ein formfreies, patriarchalisches, alles oder möglichst viel dem Scharfsinn und Gerechtigkeitsgefühl des einzelnen Richters, dem „richterlichen Ermessen" überlassendes Verfahren zu ersetzen, überhaupt zu der Meinung, als sei eine „Kadi"oder Paschajustiz, eine den „gesunden Menschenverstand" des Richters möglichst entfesselnde Rechtspflege das anzustrebende I d e a l 2 . Bei den weitaus meisten derartigen Schwärmern eines zwanglosen Verfahrens und Gegnern des prozessualen „Formalismus" entspringt diese Auffassung allerdings der optimistischen Verständnislosigkeit gegenüber den menschlichen Schwächen der Prozefsbeteiligten, die die Gefahren 'der Indolenz und Schikane der Parteien, der Nachlässigkeit, Gleichgültigkeit und Parteilichkeit des Richters ganz übersieht; sie verkennt, dafs sich hinter den Entscheidungen des sogenannten gesunden Menschenverstands häufig nur eine oberflächliche Einseitigkeit in der Beurteilung der einschlagenden Interessen verbirgt. Aber auch diejenigen, welche die Nachteile des Prozefsformalismus gewissenhafter gegen dessen Vorzüge für das o b j e k t i v e Ergebnis der Rechtspflege abwägen, verkennen leicht, dafs, ganz abgesehen hiervon, der Zwang des Prozefsrechts heilsam auf die s u b j e k t i v e n Beziehungen zwischen Gerichten und Volk wirkt und zu diesem Zwecke unentbehrlich ist, wenn nicht durch die besondere Auswahl der Richter in dieser Hinsicht in anderer Weise vorgesorgt wird. Der richtige Kern der patriarchalischen Auffassung ist nur das, dafs Verhältnisse denkbar sind, unter denen auch im modernen Staat ein formfreies Verfahren das beste sein kann. Aber r e g e l m ä f s i g liegen diese eben nicht vor. Die Vorzüge des formellen Zivilprozefsrechts sind so bedeutend, dafs dagegen auch erhebliche Nachteile, die mit ihnen unverkennbar verbunden sind, unbedingt in Kauf genommen werden müssen. Es ist allerdings zuzugeben, dais in manchen Fällen die prozessualen Formen äufserst störend und hemmend auf die Verfolgung der Privatrechtsinteressen einwirken, ja, dafs sogar kaum eine allgemein gültige Form denkbar ist, die für alle Fälle zweckmäfsig ist. Die Vorschrift der Beeidigung des Zeugen, im allgemeinen unerläfslich zur Herbeiführung gewissenhafter Aussagen, ist für notorisch gewissenhafte Zeugen oder bei völliger Unerheblichkeit der Aussage eine empfindliche Gewissensbelästigung. Die segensreiche Forderung, dafs die Sachdarstellung der Parteien in mündlicher Verhandlung, nicht in schriftlicher Mitteilung an das g e l e g e n , d a f s b e y d e A r t e n n i c h t v e r m i s c h e t w e r d e n . Unsere h e u t i g e n P h i l o s o p h e n u n d p h i l o s o p h i s c h e n R e c h t s g e l e h r t e n t r a g e n k e i n B e d e n k e n zu sagen : „der R i c h t e r müsse a u f das W a h r e , das Gute, das H e i l s a m e u n d das B i l l i g e sehen, seine gesunde V e r n u n f t b r a u c h e n u n d d a n a c h s p r e c h e n , ohne s i c h u m alle r ö m i s c h e n Gesetze u n d die Glossatoren z u b e k ü m m e r n . So h ä t t e n es \insere V o r f a h r e n gemacht." A l l e i n so w a h r dieser Satz i s t , w o die P a r t h e y e n e b e n b ü r t i g e u n d genösse R i c h t e r e r h a l t e n , so falsch, so v e r r ä t h e r i s c h i s t er i m Gegenteile u n d i n unserer h e u t i g e n Verfassung. (S. 305.) „ W e n n diesen w i e j e n e n d i e V o l l m a c h t e r t e i l t w i r d , blofs n a c h der B i l l i g k e i t zu entscheiden, w e n n diesen e r l a u b t w i r d , — m i t H i n t a n s e t z u n g u n n ö t h i g e r F o r m a l i t ä t e n zu verfahren. — so b e r u h t F r e i h e i t u n d E i g e n t u m e i n z i g u n d a l l e i n a u f der Gnade des L a n d e s h e r r n * ( w i r w ü r d e n h e u t e sagen: der B u r e a u k r a t i e ) . 1 A n diese S t e l l u n g der Frage k n ü p f e n deshalb die k r i t i s c h e n S c h l u f s b e t r a c h t u n g e n ü b e r d e n S t a n d u n d d i e A u f g a b e des m o d e r n e n Prozefsrechts, u. §§ 18, 19, w i e d e r an, d i e b e s t i m m t s i n d , die Ergebnisse aus d e n h i s t o r i s c h e n E r f a h r u n g e n abzuleiten. 2 F ü r D e u t s c h l a n d h a t dieser A n s c h a u u n g besonderen V o r s c h u b geleistet das ebenso anregende w i e oberflächliche u n d gefährliche B u c h v o n Z i n k (bayr. O b e r - A p p e l l a t i o n s G e r i c h t s r a t ) , d i e E r m i t t l u n g des S a c h v e r h a l t s , 18ß0. G e g e n w ä r t i g v e r t r i t t sie v i e l f a c h d i e r a d i k a l e Presse. Gegensätze z w i s c h e n d e n d e u t s c h e n u n d a u s l ä n d i s c h e n Prozefsrechten ( d e m e n g l i s c h e n , französischen, schweizerischen) stehen d a m i t i n enger V e r b i n d u n g ( v g l . d a r ü b e r e i n g e h e n d u . § 15 ff.).

Wert und Schattenseiten eines formellen Prozeßrechts.

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Gericht zu erfolgen hat (Mündlichkeitsprinzip), ist für viele geringfügige und einfache Streitsachen verzögernd. Die gesetzlichen Schranken der zur Vollstreckung der Ansprüche dienenden Zwangsmittel, wie z. B. die aus Humanitätsrücksichten im Interesse unglücklicher Schuldner verfügte Aufhebung der Schuldhaft als eines zu harten Zwangsmittels zum Beschaffen von Geld, enthält für viele Fälle eine Laxheit, die dem schikanösen Schuldner ermöglicht, die Befriedigung des Gläubigers (die Pfändung und Versteigerung usw.) zu vereiteln oder die den leichtsinnigen Borger in der Unsolidität bestärkt usw. Noch weniger läfst sich leugnen, dafs die zivilprozefsrechtliche Regelung des Verfahrens nicht jeden Mifsbrauch innerhalb der Zivilrechtspflege zu verhindern imstande ist. Das beste Prozefsrecht kann die Prozefsverschleppung, das jahrelange Sichhinziehen eines Prozesses mit seinen verhängnisvollen Wirkungen für Vermögen und Charakter der Beteiligten nicht verhüten, falls besondere Kompliziertheit der Sache, tiefgehende Erbitterung, Familienzwistigkeiten eine besonders ungünstige Vorbedingung für die Schlichtung des Streits schaffen. Und wo vor allem solche Schäden in breiteren Schichten vorhanden sind, wo z. B. der Richterstand korrumpiert, das V o l k , aus dem die Zeugen, die Parteien hervorgehen, von Verlogenheit oder materiellegoistischen Bestrebungen erfüllt ist, kann trotz eines an sich guten Prozefsrechts die Zivilrechtspflege keine gute sein. Gleichwohl ist der Wert formeller Bindung der prozessualen Tätigkeiten ein unbesreitbarer. Es ist eben nur notwendig, die o b j e k t i v e Wirksamkeit der prozessualen Formvorschriften für die Zivilrechtspflege noch mehr, als dies ohnehin bei allen Rechtssätzen erforderlich ist, nach dem D u r c h s c h n i t t d e r g r o f s e n Masse der Prozesse zu beurteilen (oben Nr. I), und ferner gleichzeitig die s u b j e k t i v e r z i e h e r i s c h e .Einwirkung dieser Formschranken auf den Richterstand und die rechtsuchende Bevölkerung (Nr. 2) zu berücksichtigen. Der letztere Einflufs ist gerade für Zeiten unentwickelter oder gesunkener öffentlicher Moral besonders bedeutungsvoll.

I I . Äufserer Entwicklungsgang des Prozefsrechts. Die inneren Gegensätze, die innerhalb des Prozefsrechts nach Ausgleich ringen, decken sich ungefähr mit dem Gegensatz der äufseren Külturkreise, die hauptsächlich an der Ausbildung des modernen Zivilprozefsrechts gearbeitet haben, — mit dem Gegensatz der a n t i k e n Justiz und derjenigen der n e u e r e n N a t i o n e n , die durch Einwanderung germanischer Volksgruppen in das römische Reich entstanden sind und vor allem in Italienern, Deutschen, Franzosen und Engländern die führenden Träger der Rechtsbildung geworden sind. In den Kulturnationen des A l t e r t u m s , vor allem bei Hellenen und Römern, wiegt eine f o r m f r e i e Justiz in der Hand von V o l k s richtern vor, — in denen der christlich-westeuropäischen Welt eine f o r m g e b u n d e n e Rechtspflege, die rechtsgelehrten Beamtenrichtern übertragen ist. Aber zwischen den Extremen bilden sich durch die Berührung der verschiedenen Rechtselemente zahlreiche vermittelnde Gebilde, und äufserlich treten deshalb allmählich die modernen Prozefsprinzipien durch die wiederholte Reibung und Verschmelzung antiker und germanischer Rechtsgedanken und Rechtsformen zusammen. Die Grundlage des heutigen Zivilprozefsrechts aller Kulturstaaten war das germanische Recht der Völkerwanderungszeit. Aber zu drei Malen wurden ihm Elemente des Niederschlags der antiken Rechtsbildung beigemengt, der in der Gesetzgebung der letzten römischen Kaiser konserviert war: 3*

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· Geschichte und Quellen. § 5. Probleme der Prozefsgesetzgebung.

1. Zuerst und am nachhaltigsten wirkte der römische Prozefs in I t a l i e n auf das germanisch-langobardische Gerichtsverfahren ein, das sich in den lombardischen und toskanischen Städten unter starkem Einflufs der Kirche seit dem 12. Jahrhundert zu dem eigenartigen Produkt des italienischen oder „ r o m a n i s c h k a n o n i s c h e n " Prozesses umbildete. 2. Das Einströmen des italienischen Rechts in D e u t s c h l a n d , die „Rezeption", führte sodann seit dem 16. Jahrhundert vor allem im Gebiet des s ä c h s i s c h e n Prozesses zur Genesis des Prozedursystems, das unter dem Namen des „ g e m e i n e n d e u t s c h e n P r o z e s s e s " kraft Rechtsgewohnheit oder partikulärer Gesetzgebung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in Geltung stand. 3. Gleichzeitig erwuchs in einer entsprechenden Verschmelzung in F r a n k r e i c h aus der Mischung des westfränkischen Verfahrens mit dem italienischen der moderne f r a n z ö s i s c h e Prozefs, und der Einflufs dieses abschliefsend durch den Code de procédure civile (1806) geregelten Systems auf Deutschland erzeugte seit zirka 1850 eine Reformbewegung, die zu dem modernen deutschen Prozefs, zuletzt zu der Z i v i l p r o z e f s o r d n u n g f ü r das d e u t s c h e R e i c h (1877) führte. Mit dem allmählichen Einblick in diese g e s c h i c h t l i c h e n Zusammenhänge des Zivilprozesses hat sich auch der Einblick in die gesetzgeberischen Probleme des modernen Zivilprozesses, also die planmäfsige A n a l y s e u n d K r i t i k des praktischen Rechts, vertieft. Die Anfänge der neuen Prozefswissenschaft fallen demgemäfs mit der Entdeckung der historischen Quellen des Prozesses zusammen, die bis gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts unbekannt waren. Bis dahin glaubte man für das gemeine deutsche Prozefsrecht, welches damals noch in Geltung stand (vgl. o. Nr. 2), die gesetzlichen Normen im römischen Recht zu finden, wie es die justinianische Kompilation, das Corpus iuris, gestaltet hatte; man begnügte sich mit der Annahme, dafs das römische Recht in einzelnen Punkten durch die päpstliche Gesetzgebung für das Bedürfnis der geistlichen Gerichte des Mittelalters abgeändert und dafs dann dieser römisch-kanonische Prozefs in Deutschland rezipiert und durch die Praxis und einzelne deutsche Reichsgesetze von neuem modifiziert worden sei. So wurde der Nachweis epochemachend, dafs die treibende Kraft der ganzen Entwicklung das g e r m a n i s c h e Recht war, das seinerseits nur ganz allmählich durch römische Einflüsse umgebildet worden war. Die erste Ahnung dieser Zusammenhänge trat bei M o r i t z A u g u s t v o n B e t h m a n n - H o l l w e g auf, der in der Vorrede seines Grundrisses zu Vorlesungen über den Zivilprozefs (1821) die Schriften der italienischen Juristen des 12. und 18. Jahrhunderts (der Glossatoren und Postglossatoren) als Schlüssel für die Entstehungsgeschichte des gemeinen Z.Pr. bezeichnete. Aber noch wichtiger war, als man die die p r a k t i s c h e n Rechtsgedanken weit unmittelbarer verkörpernden italienischen S t a d t r e c h t s a u f z e i c h n u n g e n dieser Zeit ( „ S t a t u t e n " , unten § 10), auf ihre Bedeutung erkannte. Dies war nach flüchtigen Bemerkungen ( S a v i g n y , Geschichte des römischen R. im Mittelalter, I I I , § 189, 1822) erst H a n s K a r l B r i e g l e b vorbehalten, der die neue Erkenntnis an einem schlagenden Beispiel (den exekutorischen Urkunden) in seiner klassischen „Geschichte des Exekutivprozesses" (1839) durch die Tat erprobte 1 . 1 Vgl. über Literärgeschichtliches B e t h m a n n - H o l l w e g , R . t B d . 6, S. 1, V o r r e d e .

Der C.Pr. des g e m e i n e n

Gang der geschichtlichen Entwicklung des Prozefsrechts.

§ 6.

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Die vorgeschichtlichen Anfänge des Zivilprozefsrechts.

J h e r i n g , V o r g e s c h i c h t e der I n d o e u r o p ä e r 1894, S. 73 ff. § 15. B r u n n e r . Deutsche Rechtsgeschichte 1887, I , S. 179. B e r n h ö f t , S t a a t u n d Recht der r ö m . K ö n i g s z e i t i m V e r h . zu v e r w a n d t e n Rechten 1882, s 37 ff., beachte bes. die r e c h t s v e r g l e i c h e n d e Q u e l l e n z u s a m m e n s t e l l u n g der A n l a g e S. 236 ff. A m i r a , G r u n d r i f s des germ. Rechts i n P a u l s G r u n d r i f s der germ. P h i l . , 2. A u f l . , 1897, § 83 ff.

I . Gemeinsame Ausgangspunkte. Die Gegensätze, die zwischen der Rechtspflege der antiken und der neuern Nationen in historischer Zeit hervortreten, gehen auf eine überaus frühe Spaltung der ursprünglich verwandten Rechtsbildung in diesen beiden Kulturkreisen zurück. Da wie bekannt alle Völker, aus denen die späteren Kulturnationen Europas hervorgegangen sind, von einem und demselben indoeuropäischen Urvolk abstammen, so müssen notwendig auch die Einrichtungen der Rechtspflege, soweit sie in der Zeit gemeinsamer Siegelung schon vorhanden waren, dieselben gewesen sein. In der Tat finden sich bei vielen der Tochtervölker, — Indern, Persern. Griechen, Italikern, Kelten, Germanen, Slaven — manche Institutionen von altertümlichem Gepräge, die gemeinsame Gedanken und Formen aufweisen. Vor allem sind die beiden Formen, aus denen sich die spätere Zwangsvollstreckung des staatlichen Beamten entwickelt, in zwei Rechtsakten einer durch die Übung in gewisse Formen gebundenen Eigenmacht vorgebildet, die gemein-arisch gewesen zu sein scheinen. Wenn einer Person eine bewegliche Sache — ein Waffenstück, Geräte, Viehstück — abhanden gekommen ist, so darf sie bei dem von ihr Bezichtigten Haussuchung halten. In solcher „Spurfolge" liegt bereits der Keim der spätem P f ä n d u n g mit enthalten, durch die sich der Gläubiger Objekte verschafft, die er bis zur Befriedigung seiner Forderung zwangsweise zurückhält — nachmals zur Deckung derselben behält oder verkauft. Ansätze zu solchem Verfahren zeigt sowohl das römische wie das germanische Recht 1 . Entsprechend kennen Eine zusammenfassende D a r s t e l l u n g d i e s e s E n t w i c k l u n g s g a n g s i s t n i c h t v o r h a n d e n . Begonnen v o n B e t h m a n n - H o l l w e g , Der Civilprozefs des g e m e i n e n Rechts i n gesch. E n t w . B d . I (18 >4) bis VT A b t . 1 (1874), w u r d e h i e r v o n i h m n u r bis z u m A n f a n g der e n t scheidenden Epoche (dem i t a l i e n i s c h e n Prozefs des 12. J a h r h u n d e r t s ) g e f ü h r t , — k e i n N a c h t e i l , da, B e t h m a n n - H o l l w o g n o c h ganz i n der g e s c h i c h t s p h i l o s o p h i s c h e n B e t r a c h t u n g s weise seiner Z e i t befangen i s t u n d i n dieser d e n A u s g a n g s p u n k t f ü r das V e r s t ä n d n i s alles w e i t e r e n , das W e s e n des g e r m a n i s c h e n Prozesses, v ö l l i g v e r k a n n t e . E i n e T o t a l geschichte i s t erst j e t z t m ö g l i c h g e w o r d e n , n a c h d e m a u c h i n der Rechtsgeschichte eine e m p i r i s c h - e n t w i c k l u n g s g e s c n i c h t l i c h e M e t h o d e der U n t e r s u c h u n g a u f verfassungs- u n d w i r t s c h a f t s g e s c h i c h t l i c n e r G r u n d l a g e d u r c h g e d r u n g e n i s t . D o c h l i e g e n bis j e t z t n u r V e r suche v o r , z. B. E n g e l m a n n , Der Civilprozefs, B a . I I , 1890—94, a n s c h a u l i c h , aber n i c h t erschöpfend, da v o r a l l e m die E n t w i c k l u n g i n I t a l i e n zu k u r z k o m m t . Ü b e r h a u p t i s t v e r h ä n g n i s v o l l , dafs die S c h i l d e r u n g der h i s t o r i s c h e n V o r s t u f e n des h e u t i g e n Prozesses fast i m m e r e n t w e d e r v o n der r ö m i s c h e n oder v o n der d e u t s c h e n Rechtsgeschichte geliefert w i r d , wobei d a n n gerade das f ü r a l l e Folgezeit entscheidende Z w i s c h e n s t a d i u m , der Z u sammenstofs des a l t r ö m i s c h e n u n d des g e r m a n i s c h e n Rechts i n I t a l i e n , z u B o d e n f ä l l t . A u s diesem G r u n d e w i r d i m f o l g e n d e n , w o f r e i l i c h als A b s c h l a g f ü r eine genaue D a r s t e l l u n g auf G r u n d l a n g j ä h r i g e n Q u e l l e n s t u d i u m s n u r eine Skizze geboten w e r d e n k a n n , die i t a l i e n i s c h e E n t w i c k l u n g e t w a s e i n g e h e n d e r b e r ü c k s i c h t i g t . 1 Das älteste römisene Recht k e n n t i n d e m f u r t u m l i c i o et l a n c e c o n c e p t u m ( G a i u s I I I 192 ff.) e i n e n F a l l , i n w e l c h e m der B e s t o h l e n e eine i h m a b h a n d e n g e k o m m e n e Sache u n t e r B e o b a c h t u n g ge »visser F o r m a l i e n ( n u r m i t e i n e m S c h u r z f e l l b e k l e i d e t u n d

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Ι · Geschichte u. Quellen. § 6. Vorgeschichtl. Anfänge d. Zivilprozesses.

beide indoeuropäische Tochterrechte auf ihrer ältesten Stufe einen zwangsweisen Zugriff gegen die Person des Schuldners nebst seiner Familie, seinen Knechten und seiner Habe, seine Wegführung in den Gewahrsam, die Schuldknechtschaft des Gläubigers, der, falls binnen bestimmter Frist nicht gezahlt wird, verkaufen oder töten darf 1 . Dies Verfahren, besonders in der römischen manus iniectio ausgebildet (u. S. 42), enthält bereits den Keim der späteren S c h u l d h a f t . Wie zum Zwecke der Vollstreckung, mögen auch zum Zwecke der Prüfung und Feststellung eines streitigen Anspruchs manche Formen in gemein-arischer Zeit in Ansätzen vorhanden gewesen sein, vor allem der E i d zur Beseitigung zweifelhafter Rechtsbehauptungen2, das Aufbieten von Zeugen zu deren Klarstellung, vor allem das S c h i e d s g e r i c h t , dem sich zwei streitende Parteien freiwillig unterwerfen 8. Aber ein genaueres Bild des Prozesses der Urzeit läfst sich nicht rekonstruieren. Denn auch soweit jene solennen Akte, die damals als Surrogat späterer Vollstreckung oder Feststellung gedient haben, in ihrem D a s e i n nachweisbar sind, so läfst sich doch über ihr A n w e n d u n g s g e b i e t nirgends durch Rückschlüsse ein Urteil gewinnen. Jedenfalls sind sie in der Urzeit nicht als allgemein verwertbare, für alle Arten von Streitpunkten bestimmte Prozeduren zu denken, wie dies der Zivilprozefs einer entwickelten Kultur ist, sondern anscheinend sämtlich nur als Sonderformen, die in Verschmelzung mit ganz bestimmten Privatrechtsansprüchen (auf Sachherausgabe wegen Diebstahl, auf Wergeldzahlung wegen Mords, auf Rückzahlung von Darlehen) n u r f ü r diese erwachsen und vielleicht erst viel später, nach der Trennung der indogermanischen Stämme, auf andre Fälle übertragen worden sind 4 . eine leere Schüssel, l a n x , i n der H a n d ) d u r c h H a u s s u c h u n g i m f r e m d e n H a u s e e r m i t t e l n kann. Die ä h n l i c h e R e c h t s f o r m findet s i c h bei d e n G e r m a n e n ( v g l . J h e r i n g , V o r geschichte der I n d o e u r o p ä e r 15. B r u n n e r , Rechtsgeschichte I I , S. 496. B e r n h ö f t §. 223, 24h). Ä u f s e r l i c h i n n a h e m Z u s a m m e n h a n g h i e r m i t s t e h t die eigenmächtige Pfandn a h m e b e w e g l i c h e r Sachen. Sie k o m m t als p i g n o r i s capio i n a l t r ö m i s c h e r Z e i t noch vere i n z e l t f ü r gewisse p r i v i l e g i e r t e F o r d e r u n g e n v o r . I m g e r m a n . R. i s t sie die regelmäfsige V o l l s t r e c k u n g der ä l t e r e n Z e i t (u. S. 56). 1 Es i s t m ö g l i c h , dafs die gemein-arische W u r z e l dieser E i n r i c h t u n g i m S c h u l d p f ä h l b e s t e h t , a n d e n der n i c h t zahlende S c h u l d n e r g e b u n d e n w i r d , bis i h n j e m a n d auslöst. W i r d er n i c h t g e l ö s t , so w i r d er d e m G l ä u b i g e r z u r T ö t u n g preisgegeben ( J h e r i n g S. 78ff.). A m B e g i n n der r ö m i s c h e n Z e i t i s t dies z u r W e g f ü h r u n g i n die S c n u l d k n e c h t s c n a f t des G l ä u b i g e r s m i t d e m e v e n t u e l l e n R e c h t des V e r k a u f s oder der T ö t u n g u m g e b i l d e t . I m g e r m a n i s c h e n R e c h t w i r d n a c h l e x Salica w e n i g s t e n s der T o t s c h l ä g e r , der das W e r g e i d n i c h t z a h l t , den S i p p e n des Getöteten zur T ö t u n g preisgegeben. W i e w e i t s i c h h i e r m i t i m G r u n d g e d a n k e n aie A c h t u n g b e r ü h r t e , die als prozessuales Z w a n g s m i t t e l des g e r m a n i s c h e n Rechts v e r w e r t e t w i r a (u. S. 57), läfst sich n i c h t a l l g e m e i n sagen. Ü b e r i n d i s c h e , griechische A n a l o g i e n B e r n h ö f t S. 241. 2 Ü b e r d i e v o r g e s c h i c h t l i c h e B e d e u t u n g des E i d e s v g l . ν . A m i r a § 89. E r ers c h e i n t i n der U r z e i t als E i n s a t z des e i g n e n Lebens f ü r die W a h r h e i t einer B e h a u p t u n g d a d u r c h , dafs e i n Gegenstand (Schiff. Rofs, W a f f e n s t ü c k ) oder eine G o t t h e i t d u r c h Zauberf o r m e l b e s c h w o r e n w i r d , d e n S c h w ö r e n d e n i m F a l l e des M e i n e i d s zu t ö t e n . 3 Ü b e r das S c h i e d s g e r i c h t i m ä l t e r e n g r i e c h i s c h e n u n d r ö m i s c h e n Recht v g l . M a t t h i a s , E n t w i c k l u n g des r ö m . Schiedsgerichts 1888, i m ä l t e r e n german. R. v. A m i r a , P a u l s G r u n d r i f s § 86. * So i s t z . B . k e i n genauer V e r g l e i c h des P a r t e i e i d s i m f r ü h r ö m i s c h e n u n d f r ü h g e r m a n i s c h e n Prozefs m ö g l i c h , w e i l n i c h t f e s t s t e h t , f ü r w e l c h e Rechtsverhältnisse der E i d ü b e r d e m K l a g a n s p r u c h i m r ö m . R. z u r V e r f ü g u n g s t a n d ( n u r f ü r K l a g e n a u f c e r t u m ? s. u . S. 43) — ebenso k e i n V e r g l e i c h der m a n u s i n i e c t i o m i t german. I n s t i t u t e n , w e i l das A n w e n d u n g s g e b i e t der ersteren n i c h t sicher i s t ( n u r bei n e x u m ? s. u. S. 42).

Urgeschichtliche Anfänge des Prozesses.

Rechtspflege im Orient.

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I I . Die Trennung der antiken und der germanischen Entwicklung. Bei dem unvollkommenen Stand unserer Kenntnis ist es zur Zeit und vielleicht für immer unmöglich, im einzelnen zu bestimmen, auf welchem Wege aus den Wurzeln der Urzeit die ältesten Einrichtungen des Rechtsschutzes historischer Zeit erwachsen sind 1 . Für das Verständnis der späteren Entwicklung ist dies jedoch gleichgültig. Hierfür genügt die Tatsache, dafs es bei den verschiedenen Kulturvölkern v e r s c h i e d e n e Rechtselemente waren, die im Gerichtsverfahren die Oberhand gewannen, und zwar sowohl im Rechtsstreit wie im Vollstreckungsverfahren. Bei Beginn der historischen Kenntnis ist deshalb der a n t i k e Zivilprozefs einerseits, der ein Jahrtausend später ins Licht der Geschichte tretende f r ü h g e r m a n i s c h e Zivilprozefs andererseits von g r u n d s ä t z l i c h v e r s c h i e d e n e n R e c h t s g e d a n k e n b e h e r r s c h t . Von dieser Tatsache ist als der eigentlichen Grundlage einer rechtsvergleichenden Betrachtung auszugehen. Nur mufs sich die Darstellung darauf beschränken, für den römischen sowohl wie für den national-germanischen Prozefs den allgemeinen Charakter festzustellen. Deren genauere Schilderung ist hier ausgeschlossen.

§ 7. Die Rechtsgedanken des römischen Prozesses. Ä l t e r e D a r s t e l l u n g e n des r ö m . Z . P . : v . B e t h m a n n - H o l l w e g , Der C.P. des gem. K . i n ges c h i c h t l . E n t w i c k l . , r ö m i s c h e r Prozefs B d . I — I I I (1864-66). P u c h t a , I n s t i t u t i o n e n , I . B d . 3. B u c h (8. A u f l . S. 424). K e l l e r , Der r ö m i s c h e C.P. u n d die A k t i o n e n 1852 ; 6. A u f l . v o n W a c h 1883. F ü r die G e r i c h t s v e r f a s s u n g u n d den Z u s a m m e n h a n g des Prozefsrechts m i t dem S t a a t s r e c h t v o n g r u n d l e g e n d e r B e d e u t u n g M o m m s e n , Kömisches S t a a t s r e c h t B d . I , I I 3. A u f l . , I I I 1. A u f l . 1*87. Zusammenfassende D a r s t e l l u n g des Prozesses i m R a h m e n der S t a a t s r e c h t s e n t w i c k l u n g R i c h a r d S c h m i d t , A l l g e m e i n e S t a a t s l e h r e Έ ά . 2 A b t . 1 (1903), S. 203, 228, 253, 280, 285. A b r i f s : S o h m , I n s t i t u t i o n e n , 12. A u f l . 1905, S. 222 ff. (§ 46 ff.). E i n e erschöpfende neuere G e s a m t d a r s t e l l u n g f e h l t . D e s h a l b s i n d die sehr z a h l reichen E i n z e l u n t e r s u c h u n g e n der n e u e r e n L i t e r a t u r , die z u m T e i l v o n çrofsem W e r t s i n d u n d çanz neue A u s b l i c k e eröffnet h a b e n , n o c h n i c h t v e r a r b e i t e t . V o n i h n e n s i n d , ohne dafs i r g e n d w i e eine erschöpfende Ü b e r s i c h t ü b e r d e n A p p a r a t a n dieser S t e l l e m ö g l i c h wäre, bei den einzelnen P u n k t e n der .Gerichtsverfassung u n a des V e r f a h r e n s die w i c h t i g s t e n hervorgehoben.

I . Der Charakter der antiken Rechtspflege in den OrientStaaten, in den griechischen Bepubliken und in Rom. Im ganzen Kulturkreis der Mittelmeerländer wurde die Entwicklung des Gerichtswesens im weitern Verlauf dadurch bestimmt, dafs die sämtliche mafsgebende Prozefstätigkeit in der Hand des staatlichen Richters vereinigt wurde. Die Parteien verloren jeden Einflufs auf die Urteilsgrundlagen. Sie beschränkten sich darauf, ihren Streithandel vorzutragen. Die Gerichtspersonen übernahmen nach ihrem Ermessen die Prüfung, nach ihrer Überzeugung die tatsächliche und rechtliche Entscheidung nach Art eines Schiedsrichters. Sie handhabten auch die Vollstreckung. In den orientalischen S t a a t e n , in Ägypten, den syrischen, phönikischen, kleinasiatischen Kleinstaaten, in Assyrien, später 1 E i n z e l n e h y p o t h e t i s c h e Versuche, eine e n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t l i c h e E r k l ä r u n g der späteren h i s t o r i s c h e n I n s t i t u t e , v o r a l l e m des r ö m i s c h e n u n d des g e r m a n i s c h e n Rechts, aus den h i s t o r i s c h e n W u r z e l n der g e m e i n - a r i s c h e n Z e i t zu l i e f e r n , s i n d u n t e n §§ 43 u n d 47 e r w ä h n t .

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I· Geschichte und Quellen. § 7. Rechtsgedanken des römischen Prozesses.

in der persischen Monarchie bildete sich dieser Zuschnitt des Prozesses, soweit sich erkennen läfst, in der einfachsten Form aus. dafs die vom Fürsten oder vom oligarchischen Rat der städtischen Republiken eingesetzten richterlichen Beamten jene prozessuale Verantwortlichkeit ungeteilt übertragen erhielten. Innerhalb der g r i e c h i s c h e n und i t a l i s c h e n Welt erwuchs aus dem gleichen Grundgedanken ein neues Gebilde nur insofern, als die prozessuale Vollgewalt des Staats u n t e r m e h r e r e s t a a t l i c h e O r g a n e v e r t e i l t wurde. In den g r i e c h i s c h e n K l e i n s t a a t e n fand sich zur homerischen Zeit ebenfalls die unumschränkte Judikatur des Gauoder Stadtkönigs mit seinen adligen Räten, oder die des vom Fürsten eingesetzten Vertreters vor. Der Übergang in die Stadtrepublik übertrug diese Funktion auf den aristokratischen Rat, bezw. auf den von den herrschenden Geschlechtern für die Justiz eingesetzten Ausschufs. In vielen der hellenischen Freistaaten, so in Böotien, auf den Inseln, in den peloponnesischen Gemeinwesen, u. a. auch in der Justiz der spartanischen Ephoren, blieb dieser Zustand ebenso wie der des Orients dauernd. In A t h e n dagegen führte die Opposition der mittleren und unteren Klassen gegen den Adel in der solonischen Gesetzgebung und in den anschliefsenden Verfassungen demokratischen Gepräges zu einer originellen Form der Gerichtsverfassung. Die bisherigen aristokratischen Jahresbeamten, die Archonten, besonders die für die Justiz bestimmten sechs Thesmotheten, behielten nur die Einleitung des Rechtsstreits, der von ihnen anhängig gemacht wurde. Zur eigentlichen Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung leiteten sie ihn an einen ausgelosten Ausschufs der V o l k s v e r s a m m l u n g , die Heliäa, über 1 . Nach den Perserkriegen ward die Zahl der Heliasten für den Jahresbedarf auf 6000 fixiert. Abwechselnd funktionierte eine von zehn Sektionen, bestehend aus je 500 Geschworenen, die teils sämtlich, teils bei kleinen Streitsachen in beliebig begrenzten Gruppen das prüfende und urteilende Gerichtskollegiuni des Prozesses bildeten. Aber so rationell der mit dem solonischen Verfassungsstaat verflochtene Gedanke war, durch die T e i l u n g der Richtergewalt die Macht der Beamten einzudämmen, so führte das System doch zu dem andern Extrem einer Allgewalt der Volksgerichte, die seit dem 5. Jahrh. die Ziviljustiz in die Leidenschaften der Parteikämpfe hineinzogen, da die HeliastenAusschüsse von der nunmehr herrschenden Volksversammlung 1 Die Ü b e r g a n g s e i n r i c h t u n g Solons w a r a n s c h e i n e n d d i e , dai's zunächst n u r eine B e r u f u n g v o m A r c h o n an die H e l i ä a g e s t a t t e t w u r d e . Später j e d o c h , insbesondere i m 5. J a h r h u n d e r t , b e h a l t e n d i e A r c h o n t e n n u r d i e S t e l l u n g eines G e r i c h t s p r ä s i d e n t e n (ηγεμονία (Itxaartwlov). Sie n e h m e n die K l a g e entgegen, u n t e r z i e h e n sie einer V o r p r ü f u n g ( ùvûyçiotç ) u n d l e g e n die Streitsache d a n n d e m V o l k s g e r i c h t v o r . Die V e r t e i l u n g dieser I n s t r u k t i o n s t ä t i g k e i t u n t e r die m e h r e r e n A r c h o n t e n i s t sehr k o m p l i z i e r t . Meist ( i n O b l i g a t i o n s · u n d E i g e n t u m s s a c h e n ) b e w i r k e n sie die T h e s m o t h e t e n , i n m a n c h e n F ä l l e n aber a u c h der erste A r c h o n (der sog. E p o n y m o s , — f ü r S t a t u s - u n d Nachlafsprozesse) der A r c h o n P o l e m a r c h o s (für Zivilprozesse der N i c h t - B ü r g e r , sehr w i c h t i g seit d e m 4. J a h r h u n d e r t f ü r die u n t e r w o r f e n e n B ü n d n e r ) . — F ü r B a g a t e l l s a c h e n a m t i e r e n besondere u m herreisende K o m m i s s i o n e n (Vierzig-Männer).

Antike Rechtspflege im Orient, in Griechenland, in Italien.

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innerlich nicht zu trennen waren. Vor allem unterblieb aber im Getriebe der vielköpfigen, stets in der Besetzung wechselnden Gerichtskollegien die Ausbild ung eines g e o r d n e t e n V e r f a h r e n s und eigentlichen P r o z e f s r e c h t s gänzlich. In derselben Weise, wie bereits die Verhältnisse des Orients der Rechtsbildung ungünstig gewesen waren, verkümmerte sie auch in der griechischen Welt. In I t a l i e n entsprach der Beginn der Entwicklung der von Hellas. Auch dort lag in den einzelnen latinischen, samnitischen, umbrischen Gau- und Stadtstaaten die Gerichtsbarkeit (iurisdictio) beim Fürsten oder dessen Bevollmächtigten, -—da, wo wie in Rom die Aristokratie herrschend wurde, bei dem patrizischen Rat, dessen geschäftsführendem Magistrat, dem Konsul oder Prätor 1 . Dann kam in Rom in derselben Zeit, wo es die Hegemonie zunächst über Mittelitalien, weiter über ganz Italien zu erringen begann, durch die Ständekämpfe eine ähnliche Gegenbewegung gegen die einheitliche Gewalt des Magistrats in Gang wie in Athen. Auch hier führte die Bewegung zu einer T e i l u n g der Rechtsprechungsfunktion. Aber das Ergebnis war ein ganz andres eigenartiges System. Der Prätor behielt in Rom ebenfalls nur die Entgegennahme der Klage und der Gegenerklärung sowie eine Vorprüfung, während er die eigentliche Entscheidung einem andern übertrug, — er behielt nur das Instruktionsverfahren (Verfahren „ i n i u r e " ) . Das Hauptverfahren übernahm jedoch nicht der Ausschufs der Volksversammlung, sondern ein E i n z e l r i e h t e r , der aus den nichtbeaniteten Senatsmitgliedern bestellt wurde. Da die Parteien auf die Auswahl der Person durch Vorschlag (postulatio) und Verwerfung (recusatio) einwirkten, der Vorgeschlagene aber vom Magistrate beauftragt und mit staatlicher Autorität für den Einzelfall ausgestattet und beeidigt wurde, so mischten sich in die Stellung dieses „Geschworenen" Elemente eines vertragsmäfsig bestellten privaten Schiedsrichters und eines Stellvertreters des Magistrats. Der Einzelgeschworene hiefs deshalb iudex oder arbiter. Seine Prüfung, das Verfahren „ i n i u d i c i o " führte zum Urteil (sententia2). Mit dem Urteil erlosch der Auftrag, und die Sache wurde behufs der Vollstreckung insbesondere zur Bewilligung der manusiniectio, der Verbringung des Schuldners in Schuldknecht1 Die g r u n d s ä t z l i c h e S t r e i t f r a g e , ob die P o n t i f e n (nach P o m p o n i u s 1. 2, β D. 1 , 2 ) n u r Pfleger des Rechts gewesen ( M o m m s e n , S t a a t s r e c h t I I , 1, .S3) oder selbst R i c h t e r (so noch j e t z t B o c h m a n n , Ü b e r a i e r i e h t . T h ä t . d. P., 1890) — n a c h den Q u e l l e n n i c h t zu e r m i t t e l n — k a n n n a c h der h e l l e n i s c h - i t a l i s c h e n S t a a t s e n t w i c k l u n g u n m ö g l i c h so entschieden w e r d e n , dafs v o n i h n e n das R i c h t e r a m t a u s g i n g . D a m i t i s t ganz w o h l v e r t r ä g l i c h , dafs der K ö n i g ( u r s p r ü n g l i c h selbst oberste p r i e s t e r l i c h e G e w a l t ) sie als B e i s i t z e r zuzieht u n d i h n e n E n t s c h e i d u n g e n ü b e r t r ä g t . A n s i c h s i n d sie als T r ä g e r des g e l e h r t e n E l e m e n t s i m V o l k n u r R e c h t s k e n n e r . V g l . bes. J ö r s . Römische R e c h t s w i s s e n s c h a f t bis a u f die C a t o n e n . I , 1887, S. 4b'. G i r a r d , l ' o r g a n i s a t i o n j u d i c i a i r e a u x t e m p s de Rois, revue h i s o r i q u e d u d r o i t , 25 (1901), p. 49 if. - A n der B e d e u t u n g des Systemwechsels ä n d e r t es n i c h t s , dafs eine B e a u f t r a g u n g eines anderen (Priesters, Senators) m i t der P r ü f u n g u n d E n t s c h e i d u n g m ö g l i c h e r w e i s e schon i n der K ö n i g s z e i t s t a t t g e f u n d e n h a t t o ( G i r a r d I S. 55ff.). I m m e r h i n w a r dies i n der a l t e n Z e i t f a k u l t a t i v aus R ü c k s i c h t e n des Geschäftsbetriebs v o r g e n o m m e n w o r d e n . Das neue w a r , dafs die T e i l u n g j e t z t o b l i g a t o r i s c h i n K o n s e q u e n z eines k o n s t i t u t i o nellen P r i n z i p s d u r c h g e f ü h r t w u r d e . Ü b e r den Z u s a m m e n h a n g des Gerichtsverfassungsrechts m i t d e m Staatsrecht v g l . R i c h a r d S c h m i d t , A l l g e m . S t a a t s l e h r e I I . 1, S. 203ff.).

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I· Geschichte und Quellen. § . Rechtsgedanken des rmischen Prozesses.

Schaft des Gläubigers, wieder vor den Prätor gebracht 1. Eine eigentlich entscheidende Funktion äufserte die Gerichtsgewalt (iurisdictio) des Prätors nur noch insoweit, als es sich um Vorfragen im Vorverfahren (Vertretungsrecht eines Dritten) oder um aufserordentliche Nebenfragen, ζ. B. provisorische Regelung des Besitzstands an der umstrittenen Sache handelte. Diese eigentümliche römische Organisation des regelmäfsigen Rechtspflegegangs (ordo iudiciorum privatorum), die T r e n n u n g des Prozesses „in ius" und „ i u c l i c i u m " wurde sehr allmählich für alle wichtigen Rechtssachen bis etwa zum Jahre 300 n. Chr. durchgeführt. Die Zwischenstufen sind heute nicht mehr genau erkennbar. Jedenfalls bedeutet aber der Hauptgedanke der Regelung für die antike Welt eine epochemachende Neuschöpfung. Das römische Recht hatte damit die eigentliche Rechtsprechung, besonders den Urteilsspruch von den politisch tätigen militär-, finanzverwaltenden Behörden losgelöst und sie doch andrerseits nicht wie das attische in die Hand einer andern politischen Macht, der Volksversammlung, gelangen lassen. Die Verwertung der iudices privati ermöglichte zum ersten Mal eine geregelte unparteiische geschäftsmäfsige Abwicklung der Ziviljustiz i s o l i e r t vom V e r w a l t u n g s b e t r i e b . Dies änderte sich auch dadurch nicht, dafs — ungewifs zu welcher Zeit — für manche Prozesse die Entscheidung nicht an Einzelrichter, sondern an stehende Kollegien gewiesen wurden, Statussachen an die decemviri, Grundstückssachen an die centumviri (S. 43, Anm). Erst unter der Herrschaft dieses G e r i c h t s v e r f a s s u n g s s y s t e m s wurde deshalb die Ausbildung eines eigentlichen Z i v i l p r o z e f s r e c h t s möglich. I I . Der Zivilprozefs der römischen Republik in seiner Durchbildung. Das Verfahren, das sich seit den Stäudekämpfen bis zur vollen Begründung der Weltherrschaft unter Augustus in kontinuirlicher Entwicklung aus- und fortbildete, gab bewufst und prinzipiell dem Bedürfnis nach einer f o r m e l l e n B i n d u n g der P a r t e i - u n d G e r i c h t s t ä t i g k e i t Ausdruck. Aber es verwirklichte das Prinzip e i n s e i t i g u n d u n v o l l k o m m e n . Eine folgerichtig durchdachte und zweckmäfsige Form wurde für das e i n l e i t e n d e V e r f a h r e n i n i u r e geschaffen. Hierfür war das Bestreben mafsgebend, das streitige Rechtsverhältnis der Parteien so genau festzustellen, dafs dem Prätor eine aus1 Ü b e r d i e m a n u s i n i e c t i o v g l . o. S. 38. — I h r e F o r m e l : „ q u o d t u m i h i i u d i c a t u s sive d a m n a t u s es s e s t e r t i u m decern m i l i a , ob earn r e m ego t i b i s e s t e r t i u m X m i l . i u d i c a t i m a n u m iniicio." H i e r b e i w u r d e bisher (seit H u s c h k e ) r e g e l m ä f s i g a n g e n o m m e n , dafs die V o l l s t r e c k u n g d u r c h m a n u s i n i . u r s p r ü n g l i c h o h n e v o r ç â n g i ç e s U r t e i l an b e s t i m m t e f o r m e l l e Rechtseschäfte, d i e als solche ohne w e i t e r e s ipso i u r e v o l l s t r e c k b a r w a r e n ( n e x u m , i n k l . es S ü h n e v e r g l e i c h s über s t i p u l i e r t e W u n d - , M o r d b u f s e n , - D a m n a t i o n s l e g a t ) ank n ü p f t e , d a e i n M i f s b r a u c h solcher E x e k u t i v m a f s r e g e l n bei der O f f e n k u n d i g k e i t der Ges c h ä f t s v e r h ä l t n i s s e i m ä l t e s t e n Gemeinwesen n i c h t zu b e f ü r c h t e n w a r . E r s t später sei i h r e A u s d e h n u n g gegen d e n „ i u d i c a t u s * u n d „confessus" erfolgt. D a n a c h hätte die m . i . ebenso w i e d i e e i g e n m ä c h t i g e P f ä n d u n g des g e r m a n . R. z u g l e i c h die F u n k t i o n eines E x e k u t i v p r o z e s s e s (o. S. 14) m i t e r f ü l l t (so j e t z t n o c h B e k k e r , Sav. Z. 23, J3). Diese A u f f a s s u n g w i r d j e d o c h n e u e r d i n g s l e b h a f t bestr. v o n M i t t e i s , Sav. Z. 22, S. 96ff. (1902). L e n e l , ebenda B d . 23 S. 84 ff. S c h l o f s m a n n , A l t r ö m i s c h e s S c h u l d r e c h t u n d S c h u l d v e r f a h r e n 1904, S. 5 ff. (dazu L e n e l , Sav. Z. 1904, 395).

§

Trennung von ius und iudicium.

Legisaktionen.

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reichende Vorprüfung und vor allem eine bestimmte Instruktion des zu beauftragenden Geschworenen möglich werde. Diesem Zweck diente: a) ursprünglich im Prozefs zwischen römischen Bürgern der aus der Urzeit entwickelte Gebrauch, dafs der Kläger seinen Anspruch in stereotypen durch Gewohnheit, seit 450 durch das Zwölftafelgesetz und sonst g e s e t z l i c h n o r m i e r t e n F o r m e l n ( S p r u c h f o r m e l n , l e g i s a c t i o n es) vortrug, z. B. „aio te mihi decern dare oportere ex iure Quiritium". Erkannte der Beklagte den Anspruch an (confessio in iure), so bedurfte es keines Urteils. Blieb er aus, so verfügte der Prätor provisorisch zugunsten des Klägers Vollstreckung, missio in bona (S. 46). Auch wenn der Kläger dem Beklagten den Eid über das ganze streitige Rechtsverhältnis zuschob (iuramentum in iure delatum), entschied dessen Leistung oder Verweigerung in iure den Streit ohne Urteil 1 . In dem Hauptfall, dafs der Beklagte widersprach, mufste er dies ebenfalls in Spruchformeln tun, z. B. „nego me tibi decern dare oportere ex iure Quiritium". Eventuell schlossen sich weitere Formalien an, vor allem nach der ältesten Prozedurform, der legisactio sacramento, die Prozefswette, durch die jede Partei die andre zur Hinterlegung einer Wertsumme („sacramentum") herausforderte und deren Verfall bei Unwahrheit der eigenen Rechtsbehauptung angelobte2. War 1 A l l e r d i n g s sprechen G r ü n d e d a f ü r , dafs eine solche E i d e s z u s c h i e b u n g n u r a u f dem Gebiet der K l a g e n a u f c e r t u m ( u n d sonst i n E i n z e l f ä l l e n ) z u l ä s s i g w a r ; v i e l l e i c h t erfolgte erst i m J u s t i n . K . eine V e r a l l g e m e i n e r u n g ( D e m e l i u s , S c h i e d s e i d u n d B e w e i s e i d i m r. C.P. 37, 38, 124). — Ü b e r d i e V e r w e n d u n g des E i d e s i m g r i e c h i s c h e n Recht v g l . W e n g e r , E i d i n d e n griech. P a p y r u s u r k u n d e n , Sav. Z. 1902, 158. 2 F o r m e l : ( v i n d i c a t i o ) „ h u n c ego h o m i n e m ex i u r e Q u i r i t i u m m e u m esse a i o ; u (dazu die k ö r p e r l i c h e B e z e i c h n u n g des S t r e i t g e g e n s t a n d s : ) s i c u t d i x i ecce t i b i v i n d i c t a m i m posui, — entspr. G e g e n b e h a u p t u n g ( c o n t r a v i n d i c a t i o ) : — q u a n d o t u i n i u r i a v i n d i c a v i s t i , q u i n g e n a r i o sacramento t e provoco — s i m i l i t e r ego t e · . Die E r k l ä r u n g dieser W e t t e h ä n g t m i t der Frage der u r g e s c h i c h t l i c h e n V o r s t u f e n des r ö m i s c h e n , ü b e r h a u p t des a n t i k e n Prozesses z u s a m m e n , aie i m D u n k e l liegen. M a n k a n n sie aus d e m u r s p r ü n g l i c h e n A b schlufs eines S c h i e d s v e r t r a g s der P a r t e i e n a b l e i t e n , bei d e m j e d e P a r t e i die Geldsumme als H o n o r a r f ü r den recntsprechenden S c h i e d s m a n n einsetzt (hierfür M a t t h i a s m i t H i l f e griechischer A n a l o g i e n v g l . o. S. 38). M a n k a n n sie a u c h als Rest eines E i d s (sacram e n t u m i n diesem Sinne) e r k l ä r e n , d u r c h den die P a r t e i e n s u m m a r i s c h die E h r l i c h k e i t i h r e r R e c h t s b e h a u p t u n g bestärkten, u m sich i n dieser W e i s e d e n Z u g a n g z u m r i c h t e r l i c h e n Gehör zu e r s c h l i e ß e n (vgl. o. S. 26): so schon f r ü h e r D a n z , Der s a k r a l e S c h u t z i m r. R., S c h u l t z e . P r i v . R . u. Proz., 1883,500. - S o h m , G i r a r d , P f l ü g e r , l a . sacr. 18^8; — h i e r f ü r germanische A n a l o g i e n u. S. 52 u n d die I n s t i t u t i o n , dafs n o c h i n h i s t o r i s c h e r Z e i t der K l ä g e r vor d e m P r ä t o r e i n e n E i d über den ganzen A n s p r u c h als solchen zuschieben u n d d a m i t die Sache i n i u r e o h n e U r t e i l z u r E r l e d i g u n g b r i n g e n k o n n t e . M ö g l i c h e r w e i s e k ö n n e n auch beide G e s i c h t s p u n k t e k o m b i n i e r t gewesen sein. Ohne j e d e n B e w e i s insbes. J h e r i n g , Scherz u. E r n s t i. d. J u r i s p r u d . , 4. A u f l . (1891) 385: Der Sakramentsprozefs i s t V e r d r ä n g u n g der G o t t e s u r t e i l e (des Feuers oder W a s s e r s ) , d e m sich u r s p r ü n g l i c h die P a r t e i e n zur B e k r ä f t i g · n g i h r e r E i d e (sacramentum) (beiderseits?) zu u n t e r z i e h e n h a t t e n . Die D e p o s i t i o n der G e l d s u m m e i s t A b f i n d u n g d a f ü r , dafs der G o t t h e i t die J u r i s d i k t i o n entzogen w i r d . Diese H y p o t h e s e h a t k e i n e andere Stütze als d i e A n n a h m e , dafs iedes V o l k der U r z e i t G o t t e s u r t e i l e z u r S t r e i t e r l e d i g u n g v e r w e n d e t ; u n d diese A n n a h m e s t i m m t n i c h t e i n m a l f ü r das germanische R e c h t ( u n t e n S. 56), v g l . E i s e l e . B e i t r ä g e z u r r ö m . Rechtsgesch. 1895, S. 217. Ganz e i g e n t ü m l i c h B o c h m a n n , S t u d i e n i m Geb. der l a . sacr. i n rem, 1889 ( E n t s t . des S a k r . - P r . aus e i n e m A u f g e b o t s v e r f a h r e n ohne Gegner). Die w e i t e r e E n t w i c k l u n g geht d a n n Jedenfalls d a h i n , s t a t t der f o r m e l l u m s t ä n d l i c h e n S a k r a m e n t s a k t e m i n d e s t e n s f ü r p r a k t i s c h besonders w i c h t i g e F ä l l e f o r m e r l e i c h t e r t e A r t e n der P r o z e f s e i n l e i t u n g z u schaffen. Diese B e d e u t u n g h a t die E i n f ü h r u n g der l e g i s actio p e r i u d i c i s p o s t u l a t i o n e m u n d der p e r c o n d i c t i o n e m , sowie eine i n h a l t l i c h n i c h t näher b e k a n n t e l e x P i n a r i a . Der Z u s a m m e n h a n g v o n a l l e d e m i s t d u n k e l , v i e l l e i c h t so, dafs d i e la. per i u d i c i s a r b i t r i v e p o s t u l a t i o n e m die E i n f ü h r u n g der Ges c h w o r n e n r i c h t e r a u f z w e i s e i t i g e n V o r s c h l a g der P a r t e i e n bei F o r d e r u n g s k l a g e n bedeutet, dais die l a . per c o n d i c t i o n e m ( c o n d i c t i o sicher = d e n u n t i a t i o u t [ r e u s j ad i u d i c e m c a p i e n d u m die 30. adesset) die M ö g l i c h k e i t f o r m e l l e r e i n s e i t i g e r F o r d e r u n g eines i u d e x (bei K l a g e n a u f c e r t u m ) e i n f ü h r t u n d dafs die l e x P i n a r i a d i e E i n r i c h t u n g f ü r a l l e

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I· Geschichte und Quellen. § . Rechtsgedanken des rmischen Prozesses.

Klage und Widerspruch erfolgt, so konnte unter Umständen auch jetzt der Prätor selbst entscheiden, vor allem wenn eine Prozefsvoraussetzung fehlte wie Zuständigkeit, Vollmacht des Vertreters des Klägers (s. o. S. 21), wenn ein Klagrecht dieser Art im Gesetz nicht begründet war 1 . Der Prätor versagt dann das Klagrecht (denegatio actionis). Im normalen Fall dagegen stellt er den Inhalt der Klagbehauptung und -bestreitung mit Hilfe von Gerichtszeugen fest (litis contestatio) und bestellt nach 30 Tagen für Prüfung und Entscheidung den iudex oder arbiter. — In der gleichen Weise ordnen auch die Magistrate in den römischen Kolonien den Prozefs unter römischen Bürgern 2 . Sehr früh aber wurde auch eine Norm für die Prozesse zwischen Bürgern und Angehörigen unterworfener Gebiete italischer, griechischer, keltischer, asiatischer Nationalität — inter cives et peregrinos — nötig, für welche in Rom (seit ca. 250) der praetor peregrinus, in den Provinzen die Statthalter amtierten. Für solche Prozesse war das Legisaktionverfahren als nationalrömisches Recht nicht verwertbar 3 . Wahrscheinlich zuerst als dessen Ersatz im Peregrinenprozefs ward deshalb üblich, dafs: b) der M a g i s t r a t selbst die Streitfrage fixierte. Auf Grund des formlosen Parteivortrags stellte er das zu untersuchende Thema in einem amtlichen Protokoll ( S c h r i f t f o r m e l , f o r m u l a ) fest. Als litis contestatio wurde nunmehr der Sclilufs des Verfahrens in iure bezeichnet, nicht mehr der Zeugeriaufruf für das lege agere der P a r t e i e n , sondern das actionem dare des Ρ rä t o r s. Darum enthielt die Formel nicht nur die iudicis datio („C. Octavius iudex esto"), sondern auch die Anweisung an den iudex, unter bestimmter Bedingung zu verurteilen (condemnatio) und diese Bedingung, d. h. die Bezeichnung des Klagrechts (intentio): „si paret, Numerium Negidium Aulo Agerio decern dare oportere, — Nin. Nm. Ao. Ao. decern condemna, — si non paret, absolve". Dieses Verfahren „per concepta verba" war sowohl für die Parteien weniger riskant als auch für den Magistrat bequemer; letzterer ward hierdurch in den Stand gesetzt, auch die im römischen obliijationenrechtlichen Klagen zur allgemeingesetzlichen u n d formfreien macht. W i e d e r u m z w e i f e l h a f t , w i e s i c h hiezu die Schaffung der b e i d e n s t ä n d i g e n G e r i c h t s h ö f e , der decemv i r i s t l i t i b u s i u d i c a n d i s ( i n h i s t . Ζ. f ü r Statusprozesse) u n d der c e n t u m v i r i ( i n Ciceron. Z e i t f ü r G r u n d s t ü c k s - u n d E r b s c h a f t s s t r e i t i g k e i t e n ) v e r h ä l t . Die d e c e m v i r i (schon ao. 450 v . Chr. v o r h a n d e n ) s i n d m u t m a f s l i c h die ( r e v o l u t i o n ä r e ) V o r s t u f e f ü r d i e i u d i c e s ; — das C e n t u m v i r a l g e r i c h t dagegen eine sehr j u n g e (demokratisierende) S c h ö p f u n g des 1. J a h r h . v . Chr., geschaffen u m ohne weiteres die T r e n n u n g v o n i u s u n d j u d i c i u m a u c h f ü r d i n g l i c h e S t r e i t i g k e i t e n e i n z u f ü h r e n , w ä h r e n d u r s p r ü n g l i c h die d i n g l i c h e n Sachen erst d u r c h s p o η s i ο k ü n s t l i c h zu p e r s ö n l i c h e n u n d so z u i u d e x - f ä h i g e n gemacht w e r d e n mufsten. 1 Der P r ä t o r o r d n e t also i n diesem V o r v e r f a h r e n n i c h t n u r das k ü n f t i g e i u d i c i u m , s o n d e r n p r ü f t d a b e i a u c h das R e c h t des K l ä g e r s a u f Gehör ( K l a g r e c h t ) u n d die Prozefsv o r a u s s e t z u n g e n i n d e m S i n n oben § 4 I I I , I V . ( K l a r g e l e g t d u r c h B ü l o w , Lehre v o n den Prozefseinreden, 1868; dazu aber a u c h D e g e n k o l b , E i n l . Z w . u n d U r t e i l s n o r m . 41.) 2 T e i l s d u r c h die S t a d t m a g i s t r a t e , t e i l s d u r c h die eigenen, k r a f t der A u t o n o m i e den v e r b ü n d e t e n , bez. u n t e r w o r f e n e n G e m e i n d e n belassenen M a g i s t r a t e , t e i l s d u r c h die d i r e k t v o n R o m uus abgeordneten besonderen J u s t i z k o m m i s s a r e (praefecti i u r i d i c u n d o ) , die i n gewissen S p r e n g e i n h e r u m r e i s t e n ( v g l . d a r ü b e r M o m m s e n , S t a a t s r e c h t I I I , S. 5*1, neuerd i n g s G i r a r d a. a. Ο. I S. 69, Ü b e r s i c h t R i c h a r d S c h m i d t , A l l g . St.L. I I , 1 S. ±22). 3 E i s e l e , A b h a n d l u n g e n z u m r ö m i s c h e n C.Pr., 1889. F i n Z w i s c h e n g e b i e t b i l d e n d i e Prozesse des r ö m . B ü r g e r s m i t d e n N i c h t - R ö m e r n , denen d u r c h besonderen Staatsv e r t r a g c o m m e r c i u m u n d reeiperatio v e r l i e h e n i s t .

Ausbildung der formula.

Verfahren in iudicio.

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ius civile nicht anerkannten, gemäfs dem wachsenden Verkehrsbedürfnisse aus dem ius gentium entnommenen und durch die prätorische Praxis gewohnheitsrechtlich sanktionierten Ansprüche, actiones, zu einem iudicium zu verweisen. So verdrängte die formula allmählich auch im Bürgerprozefs die Legisaktionen. Der Wechsel vollzog sich im letzten Jahrhundert der Republik durch eine lex Aebutia (wahrscheinlich zunächst nur für persönliche Klagen) und Dabei zwei leges Juliae (wahrscheinlich von Cäsar und August) ermöglichte das System dem Prätor fort und fort eine Vorprüfung der anhängig gemachten Klagsachen, die in erster Linie nicht rein formale Bedeutung hatte, sondern zugleich eine tatsächliche und rechtliche, und zwar eine prozefsrechtliche und zivilrechtliche Entscheidung darüber enthielt, ob die Sache verhandlungswürdig war oder nicht 2 . Im letzteren Fall wies schon der Prätor die Klage ab (denegatio actionis). Das auf Grund der litis contestatio vor dem Geschworenen sich entwickelnde i u d i c i u m wurde durch die streng formellen Handlungen des ius in einem sehr wichtigen Punkte mitergriffen. Das „officium iudicis" fand eine gesetzliche Schranke insoweit, als die legisactio oder formula eine solche zog. Denn da sie die Bedingungen des Rechtsschutzes ein- für allemal bindend feststellten, so durfte der Kläger in iudicio keinen anderen Leistungsgegenstand fordern, keinen anderen Rechtsgrund (actio) geltend machen, der Beklagte keine andere Einwendung (exceptio) vorschützen, als durch den Inhalt der Formel vorgezeichnet war. Eine und dieselbe Sache mit verändertem Antrag oder Grund in einem anderen Prozesse geltend zu machen, ist der Kläger durch den zur Verhütung des Prozefsmifsbrauchs schon von ältester Zeit ausgebildeten Zweckmäfsigkeitssatz gehindert, dafs die einmal eingeklagte und zum iudicium verwiesene Sache nicht nochmals in einem zweiten Verfahren anhängig gemacht werden könne (ne bis de eadem re sit actio). Diese heute sogenannte „prozessuale Konsumtion" gab also in sehr schroffer Form dem Bedürfnis Nachdruck, um der Sicherheit des Rechtsgangs willen durch das Anhängigwerden der Streitsache ein prozessuales Verhältnis der Gebundenheit zwischen Parteien und Staatsorgan zu begründen (oben S.20) 8 . Diese rechtliche Bindung war aber für das i u d i c i u m 1 Diese A u s b i l d u n g b i l d e t zur Z e i t einen H a u p t g e g e n s t a n d der E r ö r t e r u n g . Gegenüber der A n s c h a u u n g der h e r r s c h e n d e n M e i n u n g , dafs (wie oben ausgeführt) d i e f o r m u l a i m Peregrinenprozel's z u r E n t s t e h u n g g e l a n g t u n d d a n n i n d e n Bürgerprozefs ü b e r t r a g e n ist ( W l a s s a k , r ö m . Proz.Ges. 1888, S o h m , I n s t i t u t i o n e n , § 49), s t e h t d i e a n d e r e , dafs sie i n n e r h a l b des a l t r ö m . Spruchformelprozesses selbst s i c h e n t w i c k e l t h a t , i n s o f e r n der P r ä t o r neben den L e g i s a k t i o n e n e i n e n S c h r i f t s a t z r e d i g i e r t u n d so e i n g e m i s c h t e s Spruch- u n d S c h r i f t f o r m e l v e r f a h r e n geschaffen habe (so B e k k e r , A k t i o n e n d. r ö m . P r i v . R . , 1871). Das V e r f a h r e n i s t s c h w e r v o r s t e l l b a r , d a die H a u p t f u n k t i o n der l a . wie der fa., d e n S t r e i t g e g e n s t a n d b i n d e n d zu bezeichnen, k e i n e K o n k u r r e n z zuliefs. I m ü b r i g e n w i e d e r z w e i f e l h a f t , i n w e l c h e n A b s t u f u n g e n s i c h die E i n f ü h r u n g i n den Bürgerprozefs v o l l z o g e n ( d u r c h 1. A e b u t i a bereits a l l g e m e i n z u r W a h l oder n u r f ü r obligatoriscne K l a g e a u f certum?). — S t a n d der Frage bei W l a s s a k a. a. O. 2 H i e r ü b e r n e u e r d i n g s S c h o t t , Ü b e r das G e w ä h r e n des Rechtsschutzes i m r ö m . C.P. 1908; Römischer Civilprozefs u n d m o d e r n e Prozefswissenschaft 1^04. 3 Von welchem Z e i t p u n k t an die K o n s u m t i o n s w i r k u n g eintrat, ist lebhaft bestritten. Der S t r e i t h ä n g t z u s a m m e n m i t der Frage, w o r i n die l i t i s c o n t e s t a t i o i m F o r m u l a r p r o z e s s e

46 I· Geschichte und Quellen. § . Rechtsgedanken des rmischen Prozesses.

a u c h d i e e i n z i g e . Im übrigen wirkte in dessen Formen die Verwandtschaft des Geschworenen mit einem privaten Schiedsrichter, die Stellung eines unverantwortlichen Vertrauensmannes der Parteien nach. Der Richter gestaltete Umfaug und Reihenfolge der Parteivorträge und Beweiserhebungen nach seinem Ermessen, würdigte deren Ergebnisse nach dem Totaleindruck, unter Umständen sogar nach dem persönlichen Eindruck der Parteien. Die Zuverlässigkeit und Gerechtigkeit der Entscheidung hing deshalb hauptsächlich von der zufälligen Gewissenhaftigkeit, Unparteilichkeit, Rechtskenntnis des iudex ab 1 . Ein Gegengewicht gegen seine Omnipotenz gab nur die besonders seit dem 2. Jahrhundert sich stärker entfaltende Tätigkeit der Sachwalter der Parteien, die in der mündlichen Verhandlung plädierten (postulare), — ferner die Übung, dafs der Richter zur Sitzung und zur Beratung seines Urteils unparteiische und eventuell rechtsverständige Beisitzer zuzog, auch auf Antrag der Parteien ein Gutachten eines Rechtsgelehrten (responsum) entgegennahm. Das Urteil (sententia) ward vom Geschwornen schriftlich aufgezeichnet. Im übrigen treten bestimmte Formen erst wieder ein, wenn die Sache auf Grund cles Urteils zur Vollstreckung an den Magistrat zurückkehrt. Die Vollstreckung bedient sich zuerst der älteren Formen weiter, doch wird die Folge der manus iniectio von einer lex Poetelia vom Jahre 313 dadurch gemildert, dafs der Gläubiger das Recht der Tötung und des Verkaufs seines Schuldners verliert. Die Wegführung führt zu einer blofsen Schuldhaft. Allmählich bringt dann das prätorische Recht den exekutiven Zugriff auf die P e r s o n des Schuldners ganz in Wegfall. Der Gläubiger erhält nur Einweisung in den Besitz des Schuldnervermögens (missio in bona), die ipso i u r e auch für sich anschliefsende Gläubiger eintritt. Sie führt zur venditio bonorum und zur Verteilung des Erlöses unter die Gläubiger nach Prozenten. Aber die Vollstreckung bleibt Generalexekution, Zugriff in das Gesamt vermögen. I I I . Umgestaltung und Auflösung des Prozesses im römischen Kaiserrecht. Wenn die kaiserliche Organisation einerseits die Geschworenenrechtsptiege erst völlig abschlofs (S. 45), so gaben deren Übelstände andererseits dem Princeps Anlafs und Handhabe, sie schon früh ihres Charakters zu entkleiden und den nationalrömischen Prozefs allmählich wieder aufzulösen. Den Anfang dazu b e s t a n d , ob sie n u r e i n prozessualer M o m e n t (Ende des ius) oder e i n f o r m a l e r A k t gewesen sei ( v g l . W l a s s a k , Die L i t i s k o n t . i m F o r m u l a r p r o z e f s , 1889; L e n e l , F o r m aer L i t i s k . i m F . P r . , Sav. Z e i t s c h r . 1894, 374; H ö l d e r , Z u r l i t . cont. des F . P r . , Sav. Z. 1903, 197 u n d L e n e l , ebenda S. 329). S c h o t t , K ö m i s c h e r Civilprozefs u n d moderne Prozefsw i s s e n s c h a f t 1904, S. 46 ff. 1 Besonders c h a r a k t e r i s t i s c h i s t eine n o c h i m 2. J a h r h u n d e r t der K a i s e r z e i t überlieferte K e c h t s r e g e l des ä l t e r e n C a t o , w o n a c h der K l ä g e r i n E r m a n g e l u n g v o n Beweism i t t e l n f ü r seinen A n s p r u c h n u r d a n n abzuweisen s e i , w e n n er n i c h t ein besser r e n o m m i e r t e r M a n n (ein v i r m e l i o r ) sei als der B e k l a g t e . ( G e l I i u s , noct. a t t . 14, 2, H a u p t a u s k u n f t s s t e l l e f ü r das o f f i c i u m i u d i c i s , v g l . R i c h a r d S c h m i d t , a u f s e r g e r i c h t l . W a h r n e h m , des Prozefsrichters, 1892, S. 19.)

Mängel des Formularprozesses.

Reformen der Kaiser.

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machte der Schritt des Augustus, sowohl den instruierenden Magistrat wie den urteilenden Geschworenen, jeden in verschiedenem Sinn unter den Einflufs der kaiserlichen Zentralverwaltung zu stellen. Gleich in den Anfängen des Prinzipats liefs sich Augustus für das ganze Reich eine Oberjurisdiktion über jeden Prätor oder Statthalter übertragen Der Kaiser übte sie entweder so, dafs er auf s u p p l i c a t i o einen beliebigen Rechtshandel unter Umgehung des zuständigen Magistrats selbst entschied, sei es persönlich, sei es durch Stellvertreter, oder so, dafs er auf a p p e l la t i o ein Dekret des Magistrats nachprüfte. Das letztere ermöglichte ihm insbesondere, auch die Formeln des Prätors oder Statthalters umzustofsen und von sich aus einen Geschworenen einzusetzen. Die sententia des Geschworenen, das Urteil im ordentlichen Prozefs, unterlag freilich der Appellation an den Kaiser nicht. Aber dafür sicherte sich der Prinzeps eine Kontrolle über die P e r s o n e n der iudices. Er behielt den kaiserlichen Beamten sofort die Aufstellung der Ritter- und Bürgerliste vor, aus der von jetzt an die Geschworenen ausschliefslich bestellt wurden 2. Iu ähnlicher Weise machte sich kaiserlicher Einflufs auch geltend, wenn in den Munizipien Italiens, den aufseritalischen Bürgerkolonien oder den Provinzialstädten die geeigneten Personen für den Richterdienst ausgewählt wurden. Unter solchen Umständen nahm die römische Rechtspflege im ganzen Umfang des Reichs zwar sehr allmählich, aber stetig fortschreitend, von neuem den Charakter einer B e r u f s b e a m t e n j u s t i z an. Soweit die Gerichtsverfassung der Republik fortbestand, gehörten die beteiligten Personen einer sozial sich mehr und mehr abschliefsenden Klasse an, — die instruierenden Magistrate dem Reichssenat oder den städtischen Senaten, die urteilenden Einzelrichter dem neuen kaiserlichen Beamtenadel, der Ritterschaft oder dem Patriziat der Provinzialstädte. Daneben aber erhob sich in wachsendem Umfang eine neue r e i n bureaukratische Gerichtsverfassung, der die Trennung von Magistrat und Einzelrichter überhaupt fremd war, die der Juristen der kaiserlichen Kanzlei, der Statthalter (Prokonsuln und Proprätoren, später allgemein als praesides provinciarum bezeichnet) und ihrer Unterbeamten. Ursprünglich traten dieselben nur in Ausnahmefällen ein, vor allem da, wo für einen Rechtsanspruch keine actio im Zivilrecht oder Edikt vorhanden war, wo ein solcher vielmehr erst durch kaiserlichen Rechtssatz anerkannt worden war. Bald 1 Z u m f o l g e n d e n bes. M o m m s e n , S t a a t s r e c h t I I 958 ff. S o h m . I n s t . § 56, 57. J ö r s i n B i r k m e y e r s E n c y k l o p ä d i e , 1. A u f l . , S. 80 A n m . 2. — Ü b e r d e n E i n f l u f s des Kaisers auf die Geschwornen M o m m s e n , S t a a t s r e c h t I I I , 527 ff. A l l g e m e i n e D a r s t e l l u n g der Gerichtsverfassung i m R a h m e n der k a i s e r l i c h e n S t a a t s o r g a n i s a t i o n s. bei R i c h a r d S c h m i d t , A l l g e m e i n e S t a a t s l e h r e I I , 1, S. 258 ff., insbes. S. 2(30, 2t>7, 278. 2 Die S t a a t p r ä t o r e n , seit Cäsar 12—16, e n t n e h m e n d e n E i n z e l r i c h t e r n i c h t m e h r d e m P a r t e i v o r s c h l a g , s o n d e r n d e m a l b u m i u d i c u m . I n diesem s i n d die a u f Lebenszeit ausg e w ä h l t e n Geschwornen (iudices selecti) eingetragen. Die d r e i ersten D e k u r i e n der Geschwornen w e r d e n seit lex A u r e l i a (70 v . Chr.) aus der Senatoren- u n d K i t t e r l i s t e (Zensus der Senatoren 1 M i l l . Sesterzen = ca. 200000 M k . , Zensus der K i t t e r 400000 Sesterzen = ca. 80000 Mk., seit Cäsar n u r aus d e n K i t t e r n , die v i e r t e D e k u r i e (seit C a l i g u l a n o c h eine fünfte) aus den w o h l h a b e n d e n B ü r g e r n (Zensus 200000 Sest.) a u s g e w ä h l t .

48 I

Geschichte und Quellen. § . Rechtsgedanken des rmischen Prozesses.

aber verdrängten die kaiserlichen Kommissare und Beamten die Geschworenenrechtsprechung auch aus den Rechtssachen, die nach altem Recht zu entscheiden waren, hauptsächlich auf Initiative der Parteien selbst, die unter Umgehung der ordentlichen Gerichte sich an die rascher verfahrenden und unbedingt appellablen Kaiserrichter wandten. Von der Umgestaltung der Gerichtsverfassung wurde auch das V e r f a h r e n berührt. Auch da, wo der ordo i u d i c i o r u m mit Trennung des ius und iudicium, noch galt, verlor er doch seine bisherige Bedeutung, weil Magistrat und Richter im wesentlichen der gleichen P e r s o n e n k l a s s e angehörten. Die Formelerteilung sank also zu einer blofsen Bureauschablone herab. Sie erschien bald nur noch wie die Überweisung der Sache an einen Unterbeamten (iudex pedaneus), auf den der Magistrat die Prüfung der Tatfrage abwälzte. In Prozessen vor Kaiserrichtern aber kam der prozessuale Formalismus von vornherein in Wegfall. Wie der Kaiser persönlich nach Billigkeit, unbeengt durch die Normen des Privatrechts wie des Prozefsrechts entschied, so übertrug er die Prüfung „extra ordinem a auch auf seinen Stellvertreter. In der e x t r a o r d i n a r i a c o g n i t i o gestaltete sich demgemäfs das Verfahren ebenso wie da, wo in republikanischer Zeit der Magistrat noch selbst entschieden hatte (S. 42), als eine formlose, dem richterlichen Ermessen anheimgegebene Prüfung, die ungeteilt von der Klage an bis zu Urteil und Vollstreckung in der Hand desselben Beamten lag. Schon in der Zeit Hadrians steht das Extraordinarverfahren als ein gleichberechtigter Konkurrent neben dem Formularprozefs ; in den Provinzen bildet es damals wohl schon die Regel. Von Diokletian wird schliefslich die iudicis datio gäuzlich aufgehoben. Infolgedessen stellt sich der Prozefsgang, wie er in der Gesetzgebung der späteren Kaiser und Justinians abschliefsend normiert erscheint, als ein äufserst lockeres, ein „schlotteriges Verfahren" (Briegleb) dar. Gerade der Teil, der in der republikanischen Zeit formell ausgebildet worden war, das ius, ist abgestorben. Fortgepflanzt hat sich nur der Teil, den die Republik ohnehin formlos gelassen hatte, das iudicium. G a n g des V e r f a h r e n s 1 : 1. L a d u n g des Beklagten durch richterliche Unterbeamten (in ius vocatio, citatio) und in Verbindung hiermit Übersendung einer Κ l a g s c h r i t t (libellus), welche eine allgemeine Angabe des Sfreitgegenstands (editio actionis) enthält. Dieselbe steht jedoch in keinem unmittelbaren Entwicklungszusammenhang mit der formula, entstammt vielmehr späten Rechtsformen des magistratischen Verfahrens. Sie ist deshalb nur vorbereitender Schriftsatz, bezweckt dem Beklagten binnen 20 Tagen Gelegenheit zur Überlegung zu geben, ob er anerkennen oder streiten und ob er den Richter ablehnen wolle oder nicht (nov. 53 cap. I I I § 1). Ein das Verfahren beherrschender, den Streitgegenstand bindend bestimmender Akt ist sie nicht; der Kläger kann beliebig sein Sachbegehr in der späteren Verhandlung ändern 2 . 1

Ü b e r eine besondere Prozedur des s p ä t e m Rechts K i p p , die l i t i s d e n u n t i a t i o 1887. 2 § 35 I n s t . J u s t , de act. 4 , 6 : si q u i s a l i u d pro alio i n t e n d e r i t , n i h i l e u m p é r i c l i tai·! p l a c e t , sed i n eodem i u d i c i o , c o g n i t a v e r i t a t e e r r o r e m s u u m corrigere ei p e r m i t t i m u s ;

Extraordinaria cognitio.

Kaiserprozefs.

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2. Erst der formlose B e g i n n d e r V e r h a n d l u n g ist die eigentliche S t r e i t b e g r ü n d u n g , jetzt litis contestatio genannt (lis enim tunc contestata videtur, quum iudex per narrationem negotii causam audire coeperit. Sev. u. Antonin. ao. 202 = 1. 1 Cod. de lit. cont. 3, 9). Als schwächliche Gegenmafsregel gegen Parteischikane wird jetzt (post narrationem et responsionem) von beiden Seiten das iusiurandum calumniae geleistet, vom Kläger über die bona fides des Angriffs (non calumniandi animo litem movisse, sed existimando bonani causam habere), vom Beklagten über die des Widerspruchs (quod putans se bona instantia uti ad reluctandum pervenerit, Justin, ao. 529 = 1. 2 pr. C. de iur. propt. cal. 2, 59); — dieser Eid ist der einzige Schutz gegen Veränderung der Angriffsweise, lügnerische Bestreitung, verschleppende Vorschützung von Einreden, Benennung unstichhaltiger Beweismittel. 3. Die V e r h a n d l u n g u n d B e w e i s a u f n a h m e vollzieht sich ungegliedert, formlos. Über die zu erhebenden Beweise entscheidet das Ermessen des Gerichts. Ebenso würdigt es den Inhalt der Verhandlung völlig frei. (Quae argumenta ad quem modum probandae cuique rei sufficiant, nullo certo modo satis definiri potest, — alias numerus testium, alias dignitas et auctoritas, alias veluti consentiens fama confirmât rei, de qua quaeritur, fidem. — rescript. Hadriani 1. 3 § 2 D. de test. 22, 5.) 4. In formeller Weise (schriftlich) ergeht nur das U r t e i l (sententia). 5. Die V o l l s t r e c k u n g wird wiederum auf Anweisung des Richters, regelmäfsig durch Pfändung einzelner Vermögensstücke (pignoris capio) in Anlehnung an das älteste magistratische Verfahren bewirkt. Aber erst sehr spät (unter Antonio) tritt mit dieser Form eine S p e z i a l e x e k u t i o n , Vollstr. in e i n z e l n e Vermögensstücke, neben die missio in bona.

Damit war auch der römische Prozefs während seines letzten Entwicklungsstadiums ebenso in der formlosen Beamtenjustiz der orientalischen Staaten wiederaufgelöst worden, wie die gesamte römische Verfassung von einer absolutistischen Zentralisierung ägyptischen Stils aufgesogen wurde. Der Weltstaat langte schliefslich bei dem Ausgangspunkt der Entwicklung, der freien Prüfung und Entscheidung des Königs-Richters im Stadtstaat wieder an. Es war ein Rückfall in die patriarchalen Verhältnisse, die später durch die neugegrtindeten Staaten der Araber als eine primitive, durch gesetzliche Regeln nicht gebundene „Kadijustiz" in den Orient selbst wieder einzogen. Um so bedeutsamer war es, dafs gleichzeitig im Abendland durch die Germanen eine Rechtspflegeform eingeführt wurde, die zwar auch primitiv, aber nach durchaus andersartigen Gedanken gebildet war.

§ 8. Die Rechtsgedanken des germanischen Prozesses. v. B e t h m a n n - H o l l w e g , Der C.Pr. i n g e s c h i c h t l i c h e r E n t w i c k l u n g (o. § 5) B d . I V ; daneben hauptsächl. die L e h r b ü c h e r der d e u t s c h e n R e c h t s g e s c h i c h t e , bes. S c h r ö d e r , 4. A u l l . 1902 § 13. B r u n n e r B d . I (1886) S. 177, I I (1892) S. 327. v . A m i r a , G r u n d r i f s des germ. R. i n P a u l s G r u n d r i f s der g e r m a n . P h i l . I I , 2, § 87 ff. (2. A u f l . 1897). V o n E i n z e l u n t e r s , bes. z u beachten S o h m , Prozefs der l e x S a l i c a 1867 u n d f r ä n k . Reichs- u n d Gerichtsverfassung 1873. B r u n n e r , F o r s c h u n g e n z u r Gesch. des d e u t s c h e n u . franz. R., 1894.

I . Der Charakter der germanischen Rechtspflege. Während sich der spätrömische Zivilprozefs innerhalb eines nicht mehr entwicklungsfähigen Wirtschafts- und Staatslebens immer entv e l u t i si is q u i h o m i n e m S t i c h u m petere d e b e r e t , E r o t e m p e t i e r i t a u t si q u i s ex testamento sibi d a r i oportere i n t e n d e r i t , q u o d ex s t i p u l a t u d e b e t u r . R i c h a r d S c h m i d t , L e h r b u c h des Z i v i l p r o z e f s r e c h t s .

2. A u f l .

4

50 I· Geschichte und Quellen. § 8. Rechtsgedanken des germanischen Prozesses.

schiedener in ein formloses Verfahren bureaukratischer Willkürjustiz auflöste, brachten gleichzeitig die noch unentwickelten Bedürfnisse der Germanenstämme, die sich in der Völkerwanderung auf dem Boden des weströmischen Reichs angesiedelt hatten, ein höchst formstrenges und dabei die Mitwirkung s t ä n d i g e r s t a a t l i c h e r O r g a n e auf ein Mindestmafs bes c h r ä n k e n d e s Verfahren hervor. Die Territorien der alten Provinzen waren schon in dem ökonomischen Rückgang des römischen Reichs, noch mehr seit der Einwanderung halbzivilisierter Volksgruppen, in die gesellschaftliche und wirtschaftliche Schichtung des altrömischen Stadtstaats, auf die Stufe eines adeligen, grofs- und kleinbäuerlichen Landwirtschaftsbetriebs zurückgesunken. Das Eindringen des germanischen Völkerschaftsstaats verstärkte dieses Gepräge. Er brachte vor allem die Gestaltung mit, dafs die Grundlage der Gerichtsverfassung der Gau (pagus), der Unterabteil der Völkerschaft (civitas) bildete. In den Unterbezirken des Gaus, den Hundertschaften, herumreisend, hegte der Gaufürst (princeps) wechselweise das Gericht, wie an seiner Stelle der Hundertschaftsbeamte (centenarius). Die Faktoren der Rechtspflege sind also dieselben wie im ältesten Athen oder Rom, der Gaufürst und die Volksversammlung der Hundertschaft. Hieran änderte es auch zunächst nichts, wenn die Völkerschaften im Laufe der Zeit zu gröfseren Stammesreichen, besonders zum fränkischen vereinigt wurden und das Volksorgan des Gaufürsten der taciteischen Zeit durch die königlichen Grafen verdrängt wurde x . Aber gerade der Vergleich mit den primitiven Kulturen der Antike und des germanischen Volkskreises zeigt, wie in dem Prozefs des letzteren ganz andere Gedanken in den Vordergrund traten. Der Rechtsgang, der für die Folgezeit der im Zweifel geltende wurde, erwuchs n i c h t aus einer dem Schiedsspruch verwandten P r ü f u n g u n d E n t s c h e i d u n g des M a g i s t r a t s (S.41), sondern aus einem S ü h n e - oder Ver g l e i c h s V er f a h r e n der s t r e i t e n d e n P a r t e i e n vor d e r V o l k s g e m e i n d e , das ursprünglich nur auf einen Fall des Streits, dem aus Delikt (Mifshandlung, Tötung, Diebstahl, Raub) berechnet war. Der Verletzte oder die Angehörigen des Getöteten bezichtigten den Täter vor der unter Vorsitz des Gaufürsten versammelten Hundertschaft, und darauf wies der Spruch der Genossen den Frevler an, sich zur Leistung der Bufse, insbesondere des Wergeids, an den Kläger zu verpflichten, diesem die Leistung im Vergleichswege feierlich anzugeloben. Räumte der Beklagte 1 I n h i s t o r i s c h e r Z e i t (nach l e x Salica, E n d e des 6. J a h r h . ) steht neben dem V o l k s beamten (thunerinus) schon der K ö n i g s b e a m t e , der Graf. I n die Rechtspflege greift er j e d o c h n o c h n i c h t e i n ; noch i s t er n u r V e r w a l t u n g s b e a m t e r , der erst a l l m ä h l i c h den G a u m a g i s t r a t a u c h als R i c h t e r v e r d r ä n g t ( u n t e n § 8). N a c h d e m erst v o n B r u n n e r ( I I , 149) ganz k l a r g e l e g t e n E n t w . der Ä m t e r v e r f a s s u n g i s t also die älteste germanische Rechtspflege a u f der Basis des G a u e s z u r e k o n s t r u i e r e n , der auch die G r u n d l a g e des h e l l e n i schen u n d i t a l i e n i s c h e n S t a d t s t a a t s i s t . D a r a u f , dafs die H u n d e r t s c h a f t n u r e i n Gaub e z i r k i s t (herrschende M e i n u n g ) , sich n i c h t u r s p r . m i t d e m Gau deckt, i s t h i e r n i c h t n ä h e r einzugehen.

Grundgedanken der germanischen Gerichtsverfassung und Prozedur.

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seine Tat unumwunden ein, so erfolgte die Anweisung unbedingt. Bestritt er sie, so lautete die Anweisung b e d i n g t f ü r den F a l l , dafs die K l a g e n i c h t d u r c h R e i n i g u n g des Bek l a g t e n e n t k r ä f t e t w e r d e n s o l l t e . Die Prüfung ihres Grunds oder Ungrunds nahm das Volksgericht nicht selbst vor. Es formulierte nur die Streitfrage und ordnete deren Klarstellung durch die Tätigkeit der Parteien an. Aus dem Ausfall ergab sich dann die Rechtsfrage, ob das Bufsversprechen des Beklagten bindend werde oder nicht, von selbst. Dafs dies der ursprüngliche Sinn des germanischen Gerichtsverfahrens war, wird unzweifelhaft durch die Tatsache bewiesen, dafs das germanische Urteil gerade nach ältestem Recht, speziell nach der lex Salica am Ende des 5. Jahrhunderts, den Beklagten n i c h t zur L e i s t u n g , s o n d e r n zum V e r s p r e c h e n der Leistung, zum U r t e i l s e r f ü l l u n g s g e l ö b n i s , verurteilt 1 . Zwar wird dieser Gebrauch, der sonst unerklärlich sein würde, früh abgeschwächt, naturgemäfs deshalb, weil in historischer Zeit das Gerichtsverfahren die ehemalige Funktion einer Vergleichsstiftung um des öffentlichen Friedens willen verliert und die Funktion des modernen Prozesses, die der u r t e i l s m ä f s i g e n F e s t s t e l l u n g eines streitigen Rechtsverhältnisses (oben S. 12), annimmt. Aber trotz dieser Verschiebung des Gesichtspunkts bleibt die Eigenart der G e r i c h t s v e r f a s s u n g wie des V e r f a h r e n s aus der Urzeit erhalten. Die Gerichtsverfassung kennt im Gegensatz zur antiken nicht die ungeteilte Gerichtsgewalt des Magistrats oder des von ihm bestellten Vertreters, sondern bewahrt ein Z u s a m m e n w i r k e n von M a g i s t r a t u n d V o l k s g e m e i n d e i n der G e r i c h t s g e w a l t , wobei die Gerichtsversammlung die w i c h t i g e r e Rolle spielt. Das Verfahren kennt im Gegensatz zur Antike nicht die freie richterliche Prüfung, sondern bewahrt eine Verteilung der Prozefstätigkeit zwischen G e r i c h t u n d P a r t e i e n , wobei die Parteihandlung den mafsgebenden Einflufs übt. Diese ursprünglich nur für den Deliktprozefs entstandenen Formen verbreitern sich zur Form des ordentlichen Zivilprozesses überhaupt. Andere Verfahrensformen wirken nur als aufserordentliche Prozefsarten nach. Auf die zum Teil sehr verwickelten und landschaftlich verzweigten Einzelheiten der germanischen Gerichtsverfassung ist hier nicht näher einzugehen. Der allgemeine Ausgangspunkt war nach dem eben dargelegten jedenfalls der, dafs die Gerichtsbarkeit zunächst u n g e t e i l t von dem Vorsitzenden Beamten (dem Gaufürst, später Graf, — in der niedern Gerichtsbarkeit dem Zentenar) und der Versammlung aller freien Volksgenossen der Hundertschaft ausgeübt wird. Ursprünglich beteiligte sich der Beamte wohl an dem Zustandekommen des Urteils, so dafs Beamter und Versammlung als Einheit wirkten 2 (von Bedeutung zum Verständnis der abweichenden Rechte 1 B e s t ä t i g e n d k o m m t h i n z u , dafs die älteste B e z e i c h n u n g des A u s s p r u c h s der Gerichtsgemeinde, des U r t e i l s , . s ô n a , suona (Sühne) i s t , dafs i u d i c a r e als s ô n j a n bezeichnet w i r d . ( B r u n n e r I , 17;*.) Ü b e r das E r f ü l l u n g s g e l ö b n i s v g l . S ο h m , lex S a l i c a , S. 218. B r u n n e r I I , 363, 455. S c h r ö d e r S. 363 A . 23. a So die i n n e r l i c h w a h r s c h e i n l i c h s t e D e u t u n g , die die N a c h r i c h t e n v o n Cäsar u n d Tacitus (bell. g a l l . 6, 23. Germ. 12: p r i n c i p e s i u s d i c u n t ) m i t d e n Q u e l l e n der V ö l k e r 4*

52 I· Geschichte und Quellen. § 8. Rechtsgedanken des germanischen Prozesses. mancher Stämme, bes. des folgenreichen l a n g o b a r d i s c h e n Prozesses : u. S.66). In geschichtlicher Zeit aber bringen gewisse, im einzelnen Fall hierzu ernannte Mitglieder der Versammlung, rechtsverständige Gemeindegenosben (bei den Franken: die Rachineburgen, Ratgeber) einen Urteilsvorschlag ein 1 , der durch die Zustimmung des „Umstands" das „Vollwort" erhält und zum gültigen Urteil wird, und dem Beamten bleibt nur („Hegung" des Gerichts) die feierliche Eröffnung, die Leitung der Sitzung und das Rechtsgebot an die Parteien auf Grund ihres schliefslichen Ergebnisses. Die Funktionen des „Richters" (Vorsitzenden) und der „Urteiler" (der Versammlung) werden rechtlich getrennt 2 . In dieser Organisation des Urteilskörpers liegt bereits, dafe eine Änderung des vom Volk e i n m a l g e s p r o c h e n e n , d. h. mittels des Vollworts gutgeheifsenen Urteils nicht möglich ist, weil es über dem Volke eine höhere Instanz nicht gibt. Vielmehr kann nur w ä h r e n d des E n t s t e h e n s des Urteils ein bestimmender Einflufs auf die Rechtsansicht geübt und ein Fehler verhindert werden. Nur der U r t e i l s v o r s c h l a g des Ratmanns also kann von der Partei oder jedem andern Dingmann g e s c h o l t e n , d. i. verworfen werden. Der Betreffende hat dafür ein besseres Urteil vorzuschlagen, wodurch zwischen Schelter und Einbringer des Urteils ein selbständiger Prozefs entsteht. (1. Sal. 57, 3, 4. 1. Ribuaria 55 3 .)

I I . Der Aufbau des national - germanischen Gerichtsverfahrens. Das Verfahren gestaltete sich in der historischen Zeit des ö. und 7. Jahrhunderts, soweit es unter Beiseitelassung späterer, insbesondere fränkischer Neuerungen rekonstruiert werden kann, folgendermafsen 4 : a) In eigener Person ladet der Kläger den Beklagten, indem er mit Zeugen dessen Wohnung aufsucht und ihn mündlich auffordert, binnen gesetzlicher Frist (7, 14, 40 Nächten) vor Gericht zu erscheinen (mannire, admallare) 6. b) Erst im Termin der gerichtlichen Verhandlung erfolgt die Streitbegründung durch mündliche Rechtsbehauptung des Klägers und Gegenerklärung des Beklagten. Auch sie erscheinen als formelmäfsige Akte der Parteien ohne Mitwirkung des Gerichts, ähnlich den Legisaktionen des altrömischen Prozesses, ζ. B. „haec mihi iniuste abstulisti, quae reddere debes et cum tot solidis componere". Der Kläger beteuert die Wahrheit seines Klagebegehrs, unter Umständen eidlich (durch Voreid, Widereid, wedredus, der die bona fides des Klägers als Bedingung des rechtlichen Gehörs versichert, oben S. 24) und fordert in feierlicher Form den Beklagten zu einer Antwort auf (tanganare). Wanderung (der R e c h t s p r e c h u n g d u r c h die G e r i c h t s g e m e i n d e )

i, 149.1

vereinigt:

Brunner

I h n e n e n t s p r e c h e n bei B a i e r n . A l e m a n n e n , F r i e s e n , Sachsen e i n oder mehrere U r t e i l e r u n t e r v e r s c h i e d e n e n B e z e i c h n u n g e n ( i u d e x , b a y r . êsago, Tries, asega). B e i B u r g u n d e n u n d W e s t g o t e n i s t der u r s p r ü n g l i c h e Z u s t a n d n i c h t m e h r e r k e n n b a r . 2 Diese regelmäfsig w e c h s e l n d e n G e r i c h t s v e r s a m m l u n g e n b i l d e n das „echte D i n g " . D a n e b e n g i b t es b e i m a n c h e n S t ä m m e n (vor a l l e m d e n F r a n k e n ) n o c h „gebotene D i n g e " , deren Z e i t p u n k t u n d T e i l n e h m e r v o m M a g i s t r a t b e s t i m m t w u r d e n ; — B r u n n e r I I , 216. 8 Das V e r f a h r e n dieses Scheitungsprozesses der ä l t e s t e n Z e i t i s t n i c h t zu e r m i t t e l n , insbesondere das B e w e i s v e r f a h r e n . I m Z w e i f e l k a m es a u c h h i e r n a c h a l l g e m e i n e n G r u n d s ä t z e n z u m P a r t e i e i d m i t E i d h e l f e r n , w i e bei B e w e i s des s t r e i t i g e n Rechts (s. u.). — V g l . B r u n n e r I , 356 ff. * M a n v e r g l e i c h e z u r scharfen U n t e r s c h e i d u n g h i e r m i t den Gang des a l t r ö m i s c h e n V e r f a h r e n s o. § 7, I I (S. 42 ff.). 5 I m A n s c h l u f s d a r a n oder als E r s a t z d a f ü r k a n n das E r s c h e i n e n beider Parteien a u c h d u r c h e i n gegenseitiges S t r e i t g e d i n g e , K a u t i o n s v e r s p r e c h e n sichergestellt w e r d e n ( p l a c i t u m adramire).

Richter und Urteiler.

Prozeiseinleitung.

Beweisurteil.

58

Der Beklagte antwortet durch Anerkenntnis oder Leugnung, letzteres, indem er die Klage Wort für Wort bestreitet, z. B. „de illas res, unde tu me mallasti, ego de illas — non redebeo" c) Nach den Rechtsbehauptungen der Parteien kommt es nicht zu einer eingehenden Parteiverhandlung und gerichtlichen Prüfung der historischen Unterlagen derselben. Vielmehr ergeht ohne tatsächliche Prüfung sofort die Entscheidung, und zwar nicht nur, wenn der Beklagte, a n e r k e n n t , sondern auch wenn er b e s t r i t t e n hat. 1. Erkennt der Beklagte an, so ergeht sofort Endurteil, welches unbedingt den Beklagten verurteilt. Nach älterem Stil lautet dieses Urteil darauf, dafs der Beklagte die Erfüllung des Anspruchs anzugeloben hat, so dafs die Vollstreckung erst auf Grund dieses Gelöbnisses (fides facta) eintreten kann. Nach den späteren Übungen tritt dies aber bereits in den Hintergrund (oben S. 51), und vollstreckt wird direkt auf Grund des gerichtlichen Ausspruchs. 2. Hat der Beklagte w i d e r s p r o c h e n , so erläfst das Gericht ein Z w i s c h e n u r t e i l , welches bestimmt, von wem, worüber und wie Beweis erbracht werden soll, und wie nach dem Ausfall des Beweisverfahrens die Streitsache zu behandeln ist. Das Urteil ist also „zweizüngig"; es formuliert die Bedingung, unter der eine Partei zum Sieg gelangen soll, und damit b e d i n g t schon die s c h l i e f s l i e h e E n t s c h e i d u n g s e l b s t . Beides aber wird wiederum erst durch die Vermittlung einer P a r t e i t ä t i g k e i t normiert; das Urteil weist die Partei nicht unmittelbar an, zu beweisen oder zu leisten, sondern nur dazu, im Prozesse ein rechtförmliches G e l ö b n i s mit Hingabe einer Wette (wadia) abzulegen2, des Inhalts, dafs sie e n t w e d e r den a u f e r l e g t e n B e w e i s e r f ü l l e n oder dem G e g n e r R e c h t v e r s c h a f f e n , insbesondere, dafs der Beklagte beweisen oder den Anspruch des Klägers erfüllen werde 3 . Und auch die Beschaffung des Beweises durch die Partei ist eigenartig, ist ausschliefslich gesetzliche Parteitätigkeit. Sie ist nicht nur in b e s t i m m t e n F o r m e n zu erfüllen, sondern auch mit g e s e t z l i c h e m I n h a l t 1 V g l . diese Z i t a t e aus d e m d e c r e t u m T a s s i l o n i s u n d aus 1. Sal. ed. Hessels 102, 2, bei B r u n n e r I I S. 342, A n m . 2, 3. 2 Ü b e r das Prozefsgelöbnis bes. V a l . d e L i è v r e , L a u n e g i l d u n d W a d i a , 1877; R i c h a r d L o e n i n g , V e r t r a g s b r u c h i m d e u t s c h e n R e c h t , 1876. B r u n n e r I I , § 102. 3 Z. B. 1. Salica 56. - r a c h i n e b u r g i i i u d i e a v e r u n t , u t a u t ad i n e u m a m b u l a r e t (sich der Kesselprobe u n t e r w e r f e n solle) a u t n d e m de composicione faceret. — 1. A l a m . H l o t h . 36, 3: „ e t w a d i u m s u u m donet, . . . u t i n c o n s t i t u t o die a u t l e g i t i m e i u r e t a u t si c u l p a v i l e s est componat." ( B r u n n e r I , 180, A . 11.) B i s w e i l e n w i r d das Gelöbnis n i c h t besonders bet o n t u n a ohne weiteres g e u r t e i l t , daf« bewiesen oder g e z a h l t w e r d e n solle : z. B . F o r m . A n d e g a v . 10: v i s u m f u i t , u t — c o n i u r a r e deberet — si a u t e m n o n p o t u e r i t hoc i n m e n d a r e s t u d i a t . — form. M a r c u l f . I , 38 ( B r u n n e r I I , 363) f u i t i u d i c a t u m u t — debeat c o n i u r a r e . . . Si hoc c o n i u r a r e p o t u e r i t , de hac causa d u c t u s resedeat ; s i n a u t e m n o n p o t u e r i t , ipso servo — reddere s t u d e a t . ( H i e r i n l i e g t der A n s a t z p u n k t z u der W e i t e r e n t w i c k l u n g , w e l c h e d i e B e d e u t u n g des E r f ü l l u n g s g e l ö b n i s s e s v e r r i n g e r t , s. oben S. 51). T e i l w e i s e w i r d h i n s i c h t l i c h des zu L e i s t e n d e n e i n f a c h a u f das Gesetz v e r w i e s e n , so dafs n a c h d e m E r g e b n i s der Beweisaufnahme n o c h e i n E n d u r t e i l n ö t i g w i r d , welches d e n I n h a l t der gesetzlichen L e i s t u n g f e s t s t e l l t , z. B . P é r a r d S. 148, H . 370: „ d e c r e v e r u n t i u d i c i u m , q u o d post X L noctes i n p r o x i m o m a l l o ipse H . c o n t r a A . i u r a s s e t a u t q u o d l e x est fecisset." ( B r u n n e r I I , § 101, A n m . 48. S. 363.)

54 I· Geschichte und Quellen. § 8. Rechtsgedanken des germanischen Prozesses.

u n d g e s e t z l i c h e n W i r k u n g e n ausgestattet. Die Beweiserbringung besteht nämlich stets in einer eidlichen Versicherung der Partei, einer Bestärkung ihrer Rechtsbehauptung, deren Glaubwürdigkeit durch Garanten (Eidhelfer, Zeugen als mitschwörende Personen, Gottesurteil) gewährleistet wird und erstreckt sich grundsätzlich nicht auf die einzelnen, für das Recht erheblichen Tatsachen, äufseren Vorgänge (Vertragsberedungen, Tatsachen des Eigentumserwerbs, des Delikts), sondern auf den für den Prozefs ausschlaggebenden rechtserheblichen G es am t t a t b e s t a n d u n d d a m i t i n d i r e k t a u f das s t r e i t i g e R e c h t s v e r h ä l t n i s s e l b s t 1 . Eben deshalb kann die Beweisbestärkung ihrem Wesen nach nur von e i n e r Partei geleistet werden ; Bestärkung seitens beider Parteien, wenn auch mit verschiedenen Helfern, würde einen inhaltlich unauflösbaren Widerspruch bewirken. Ein G e g e n b e w e i s findet deshalb n i c h t statt; der germanische Beweis ist prinzipiell e i n s e i t i g 2 . Die Funktion des Urteils ist also nicht, wie die des römischen, die, das Ergebnis der richterlichen Beweiswürdigung historischer Tatsachen auszusprechen, auf diese das Recht anzuwenden und so zur Feststellung der Anspruchsexistenz oder -nichtexistenz zu gelangen. Vielmehr nimmt das G e r i c h t n u r die r e c h t l i c h e Würdigung vor; es prüft nur (ähnlich dem römischen Prätor bei Ordnung des judicium) den Obersatz der Anspruchsbehauptung, die rechtliche Stichhaltigkeit derselben, die auf den Fall bezügliche abstrakte Rechtsfrage, z. B. ob der Beklagte aus einem derartigen Verbrechen büfsen, ob der Kläger auf Grund langjährigen Besitzes das geforderte Grundstück zu behalten berechtigt sei usw. Die bindende Klarstellung der gesamten Tatbestandsfrage dagegen, des faktischen Untersatzes und seine Subsumtion unter Anpassung an das Recht (ob der Beklagte den Kläger in der gesetzlich erheblichen Weise verwundet habe, ob der Kläger das Grundstück vorschriftsmäfsig durch die Verjährungszeit besessen habe oder nicht usw.) erwartet das Gericht von dem Beweisakt der Partei, der somit ungefähr denselben Inhalt hat, wie im altrömischen Prozefs der Spruch des unparteiischen iudex. Insoweit hat das Urteil nur festzustellen, w e l c h e P a r t e i das R e c h t zum B e w e i s und damit die Möglichkeit hat, sich den Sieg im Prozesse zu sichern, sowie (was damit zusammenhängt), w e l c h e B e w e i s m i t t e l zur Bestärkung verwendet werden sollen. Aber auch diese Frage ist Rechtsanwendung, da das Gesetz, bezw. 1 Z. B. 1. Sal. 101 (Prozel's u m Sachherausgabe) — debet i l l e (der I n h a b e r der Sache) très t e s t i m o n i a m i t t e r e , q u o d i n alode p a t r i s hoc i n v e n i s s e t et a l t e r a t r e a t e s t i m o n i a , q u a l i t e r p a t e r suus res i p s i u s i n v e n i s s e t . — F r ä n k . G e r i c h t s f o r m e l des 1. J a h r h u n d e r t s ( K o z i è r e f o r m . 484): der P a r t e i w i r d aufgegeben z u s c h w ö r e n , dafs das s t r e i t i g e G u t s e c u n d u m l e g e m p l u s s i t — ei h a b e n d i , — q u a m ipso h o m i n i (dem Gegner) r e d d e n d i . — F r ä n k . G e r i c h t s v e r h a n d l . 9Ü0 ( M é n a r d , h i s t o i r e de Nismes I , 17). Es w i r d geschworen, dafs die s t r e i t i g e n Z e h n t e n p l u s debent esse p a r t i b u s S a n c t i A n d r e a e q u a m — Gesoaldo. B r u η η e r , E n t s t . der S c h w u r g e r . 48. a E r s t m i t der Zeit w i r d e i n Gegenübertreten v o n E i d gegen E i d u n d eine f o r m e l l e L ö s u n g des W i d e r s p r u c h s z w i s c h e n b e i d e n e r m ö g l i c h t . A u c h dies i s t j e d o c h k e i n e i g e n t l i c h e r Gegenbeweis (s. u n t e n S. 69 l i t . b).

Verhältnis zwischen Gerichts- und Parteitätigkeit.

Beweisformen.

55

Gewohnheitsrecht bestimmte, für die Hauptgruppen der Prozefsfälle a l l g e m e i n g ü l t i g e b i n d e n d e R e g e l n über Vorrecht und Form des Beweises aufstellt. Wenn der Beklagte den auf Grund des Urteils angelobten Beweis in der vorgeschriebenen Weise nicht erfüllt, so tritt der zweite Teil seines Gelöbnisses (das bedingte Versprechen der Anspruchserfüllung) in Kraft und unterwirft ihn ipso iure der Vollstreckung. Nur ein Spezialfall solches Beweisfälligwerdens ist auch das A u s b l e i b e n des Beweispflichtigen im zweiten Termin. Auch der Säumige ist also, kraft des vorausgehenden Urteils, ipso iure s a c h f ä l l i g . Im einzelnen gelten für das Verfahren, insbesondere zur Entscheidung der Hauptfrage, w e l c h e Partei zum Beweise kommen soll und w i e sie beweisen darf, wiederum sehr verwickelte Grundsätze. Prinzipiell wird das Recht zur Bestärkung seiner rechtserheblichen Behauptung: «) dem B e k l a g t e n gewährt, so insbesondere bei den zweifellos ältesten Anwendungsfällen dieser ursprünglich germanischen Rechtsstreitform, der Klage aus Delikt auf Bufse und Schadensersatz (oben I I a. E.). Der Beklagte hat das N i c h t b e s t e h e n des A n s p r u c h s g r u n d e s und zwar regelmäfsig mit E i d h e l f e r n (consacramentales) zu beeidigen. Helfer sind ursprünglich nur die Geschlechtsgenossen des Hauptmanns (oder mindestens Nachbarn, dem Gedanken des Gesetzes nach identisch) 1 . Sie werden entweder vom Schwörenden ausgewählt oder (zu stärkerer Garantie der Glaubwürdigkeit) vom Gegner ernannt (nominati, electi) oder aus beiderlei Arten zusammengesetzt (bei Saliern, Langobarden, Angelsachsen je zur Hälfte), und treten im Regelfall in Zwölfzahl auf (Volleid) 2 : wenn auch in gewissen Fällen, besonders mit Rücksicht auf die Gröfse der Streitsache, mehr vorgeschrieben sind, in manchen Fällen weniger gefordert werden. Sie sind nur fähig, wenn sie Standesgenossen des Schwörenden, nicht eidesunwürdig (Meineidige, Friedlose) sind. ß) Grundsätzlich nur bei besonderer Sachlage wird dem K l ä g e r gestattet, den Eid des Beklagten durch e i g n e n Eid mit Z e u g e n , d. h. mit solchen Helfern auszuschliefsen, die mit Berufung auf ihre persönliche Wissenschaft, auf die Kenntnis des Tatbestands, schwören. Sie werden im allgemeinen nicht über zufällig wahrgenommene Vorgänge zugelassen, sondern regelmäfsig nur über solche, zu denen sie zugezogen worden sind 8 (Rechtsgeschäfte, prozessuale Akte, z. B. die Ladung, die Pfändung: als gezogene Zeugen), oder über dauernde Zustände (Grundstückssachen: als Gemeindezeugen). Nur gezogene Zeugen sind zum Erscheinen verpflichtet. Auch für Zeugen gelten bestimmte Erfordernisse (Zahl: 2—3, für Gemeindezeugen mehr, — Fähigkeit: Freiheit, männliches Geschlecht, Volljährigkeit, Eideswürdigkeit, ev. Vermögensbesitz). γ) Die Ordalien, Gottesurteile (vor allem das des glühenden Eisens und des siedenden Kessels, auch sonst in zahlreichen Varietäten) sind an sich nicht Prozefsinstitut, sind ursprünglich nur für Unfreie, Frauen, Fremde als 1 Belege h i e r f ü r B r u n n e r I I , 379 ff. 2 Abgesehen v o n der H ö h e der geforderten L e i s t u n g , insbesondere der zu z a h l e n d e n Bufse, i s t f ü r d i e Z a h l der E i d h e l f e r a u c h mafsgebend d i e A r t i h r e r B e r u f u n g z u m S c h w u r (der v o m Gegner e r n a n n t e ersetzt mehrere v o n der P a r t e i a u s g e w ä h l t e ) , oder a u c h d i e A r t des V o r e i d s des K l ä g e r s ( v e r s t ä r k t e r V o r e i d — oben S. 52 —) f o r d e r t m e h r E i d h e l f e r b e i m H a u p t e i d . - Den E i n e i d v e r w e n d e n v e r e i n z e l t Sachsen u n d Friesen, häufiger B a y e r n u n d L a n g o b a r d e n ( u n t e n § 9, I V ) . B r u n n e r I I , 390. 3 Zeugenbeweis über z u f ä l l i g e W a h r n e h m u n g e n läfst i m a l l g e m e i n e n n u r l e x S a l i c a zu (die F ä l l e z u s a m m e n g e s t e l l t B r u n n e r I I , 395. A . 19). A b e r es i s t u n b e r e c h t i g t , d a r a u s auf eine a l l g e m e i n e u n d beliebige Z u l a s s u n g des Zeugenbeweises z u f o l g e r n , e b e n s o w e n i g auf eine m o d e r n i s i e r e n d e Tendenz. W a h r s c h e i n l i c h h a n d e l t es s i c h u m w i l l k ü r l i c h e fremde Beeinflussung, die i n der F o l g e z e i t sogar w i e d e r z u r ü c k t r i t t . ( B r u n n e r a. a. O.)

56 I· Geschichte und Quellen. § 8. Rechtsgedanken des germanischen Prozesses. Surrogat des Eidhelfereids aufgenommen. Erst recht nicht prozessuale Beweisform ist der Z w e i k a m p f , der nur in der Funktion des a u f s e r p r o z e ss u a l e n , wenn auch solenn verabredeten Einzelkampfs (zum Teil auch um Güter) als gemeingermanische soziale Erscheinung der Urzeit nachweisbar ist. Aber sehr früh, gerade bei Beginn der historischen Zeit, sind beide in Reaktion gegen das allgemein beklagte Überhandnehmen der Meineide auch im Prozesse im Eindringen, — die Gottesurteile werden (besonders von 1. Salica) auch für Freie verwertet, — der Zweikampf wird, zum Gottesurteil umgeformt, als Eidesprobe wahrscheinlich durch bewufsten Gesetzgebungsakt in den Prozefs verpflanzt, — zuerst anscheinend durch burgundisches Gesetz Gundebads (1. Gundeb. 45, — ca. 500). Doch werden sie auch jetzt z u n ä c h s t für die eigentlich zivilprozessualen Streitigkeiten nur wenig verwertet 1 .

Das V o l l s t r e c k u n g s v e r f a h r e n vollzieht sich ähnlich wie die manusiniectio des altrömischen Rechts, durch einen formalen Selbsthilfeakt des Gläubigers, der dazu vom Beamten nur die Ermächtigung, nicht die Mitwirkung nachsucht. Es besteht in einer mündlichen Verhandlung, in der der Gemeindebeamte über den geladenen und anwesenden Schuldner die Haftbarkeit („nexti canthigio = vinculo adstringo") ausspricht, worauf der Gläubiger aufsergerichtlich mit Zeugen vollstreckt. Nur ist diese Vollstreckung nicht Personalexekution (wie in Rom), sondern — milder — blofse Vermögensexekution, Pfändung von Fahrhabe, die so lange beim Gläubiger bleibt, bis der Schuldner sie durch Deckung der Schuld auslöst. Die Voraussetzung hierfür ist ursprünglich das formelle Gelöbnis des Schuldners (fides facta ; o. S. 51). Erst später wird das Urteil selbst die Grundlage. Eben deswegen kann aber auch ohne vorgängigen Prozefs aus feierlichem Vertragsversprechen die Vollstreckung eingeleitet werden. Sie ersetzt also zugleich die Funktion eines schleunigen Exekutivprozesses (oben S. 16). Im einzelnen verläuft das Verfahren nach 1. Sal. folgendermafsen : Mahnung durch Gläubiger mit Zeugen in der Wohnung des Schuldners — formelle Ladung des Schuldners (mannitio) durch den Gläubiger in den mallus des Thungin — im Termin Antrag des Gläubigers auf Anpfändung des Schuldners mit der Spruchformel ut nexti chantigius gasacio meo — Ausspruch des nexti chantigio durch den Magistrat — hierauf dreimalige Mahnung des Schuldners durch den Gläubiger in Wochenfristen — nach Ablauf der letzten Pfändung durch den Gläubiger als indirekter Zwang zur Zahlung, eventuell mit späterem Verfall bei Nichtzahlung. In dieser Weise darf der Gläubiger die Vollstreckung auf Grund jedes förmlichen (d. i. mit Zuwerfen der festuca eingegangenen) Schuldversprechens aus Darlehnsrückzahlung, Bufszahlung usw., und zwar zunächst eines aufsergerichtlichen, vollziehen. Eine g e r i c h t l i c h e P r ü f u n g d e s s e l b e n i m T e r m i n f i n d e t n i c h t s t a t t . Mifsbrauch wird regelmäfsig durch die Enge der Verhältnisse, die Kontrolle der öffentlichen Meinung, verhütet. Erfolgt 1 Die Frage der O r d a l i e n u n d des Z w e i k a m p f s i s t f ü r das V e r s t ä n d n i s des ältesten E n t w i c k l u n g s g a n g s des g e r m a n i s c h e n Prozesses (wie a u c h des r ö m i s c h e n , oben S. 43) ausschlaggebend. Es g i l t aber z u e r k e n n e n , dafs f ü r sie n i c h t s d u r c h den Nachweis g e w o n n e n w i r d , dafs sie beide eine a l l g e m e i n arische S i t t e ausmachen. Dies beweist n o c h n i c h t , dafs sie d i e t y p i s c h e n M i t t e l der P r o z e f s e r l e d i g u n g i n der U r z e i t sind. E n t s c h e i d e n d i s t der U m s t a n d , dafs sie sich seit B e g i n n der h i s t o r i s c h e n Z e i t bis z u m 11. J a h r h u n d e r t i n a u f w ä r t s s t e i g e n d e r E n t w i c k l u n g bewegen (die v o l l s t ä n d . L i t . s. bei Β r u n η e r I I , 399) — die g e g e n w ä r t i g e D a r s t e l l u n g f o l g t B a i s t , Der g e r i c h t l i c h e Z w e i k a m p f n a c h seinem U r s p r u n g , R o m a n . Forsch. 5 (1890). V g l . S c h r ö d e r S. 87.

Gottesurteil.

Kampf.

Vollstreckung.

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die Anpfändung und Vollstreckung dennoch, so ist dies ein Delikt, das wie andere zur Rache führt, eventuell eine Bufszahlung des Pseudogläubigers veranlafst. Ebenso ist anderseits das Verfahren mit der Pfändung zu Ende. Bleibt diese bei gerechter Vollstreckung erfolglos, so fehlen weitere Prozefsbehelfe. Anders nur bei Nichterfüllung von Wergeid- und andern stipulierten Bufsschulden. Hier trat dann naturgemäfs die Rache wieder in Geltung, und da diese vor 1. Sal. durch offizielle P r e i s g a b e des S c h u l d n e r s an den Gläubiger (insbes. an die Sippen des Getöteten) unterstützt wurde, so entwickelte sich hier (also nur s u b s i d i ä r ) eine Personalexekution als Annex der erfolglosen Vermögensvollstreckung, gleichwertig der manus iniectio. Dafs in allen Fällen erfolgloser Pfändung der Gläubiger habe auf Friedloslegung des Schuldners antragen können (also auf m e h r als Preisgabe), ist unbewiesen und mit der Behandlung der Bufsschulden unverträglich. Die Friedloslegung tritt erweisbar nur ein, wenn die L a d u n g erfolglos ist und der Beklagte von vornherein ausbleibt.

Das charakteristische Moment des germanischen Verfahrens in seinem Gegensatz zum Legisaktionen- und Formularprozefs läfst sich demnach sehr präzis dahin bezeichnen, dafs die Beantwortung der den Prozefs beherrschenden und für die Entscheidung mafsgebenden Tatbestandsfrage vom Gericht nicht, wie in Rom, dem E i n z e l g e s c h w o r e n e n , s o n d e r n den P a r t e i e n u n d i h r e n H e l f e r n a u f g e g e b e n w i r d . Das g e r m a n i s c h e B e w e i s u r t e i l e n t s p r i c h t nach s e i n e r S t e l l u n g im P r o z e f s u n d n a c h s e i n e r b e d i n g t e n Fassung a n n ä h e r n d der F o r m e l e r t e i l u n g des P r ä t o r s . Infolgedessen teilt es mit dem Akt der litis contestatio wichtige Wirkungen. Auch die germanische Rechtsanschauung geht von dem Gedanken aus, dafs der Bürger, der den staatlichen Rechtsschutz anruft, zwar Anspruch auf Gewährung seines Begehrs hat, aber n u r i n dein z u e r s t e i n g e l e i t e t e n V e r f a h r e n . Der Kläger mufs seinerseits das Verfahren durchführen. Abspringen vom Prozesse kostet ihm den Verlust der Sache, des Anspruchs. Die letztere ist durch d i e s e s Verfahren konsumiert, gleichviel, ob es zum Rechtsspruch darüber kommt oder nicht, und diese prozessuale Konsumtion tritt spätestens mit dem Augenblick ein, wo das Gericht den Anspruch offiziell zum Gegenstand der Prüfung macht, — wie in Rom durch \7erweisung an den iudex, im germanischen Rechte durch Auflage des Beweises an die Partei. Die letztgenannte Verschiedenheit aber läfst sich nur historisch aus dem verschiedenen Ausgangspunkt erklären, der für die Entwicklung hier und dort mafsgebend gewesen, — daraus, dafs der altrömische Prozefs aus Verstaatlichung eines Schiedsrichterspruchs, der germanische aus einem blofsen Sühneverfahren hervorging (oben S. 51) 1 . Alle sonstigen Verschiedenheiten sind 1 A l l e ä l t e r e n E r k l ä r u n g e n s i n d d o k t r i n ä r , fufsen a u f d o g m e n a r t i g e n I d e e n , die i n einer p r i m i t i v e n E n t w i c k l u n g k e i n e R o l l e spielen k ö n n e n , so v o r a l l e m d i e E r k l ä r u n g , dafs die eigenartige w e i t g e h e n d e B e w e i s t ä t i g k e i t der P a r t e i aus i h r e r S t e l l u n g als M i t g l i e d der G e r i c h t s g e m e i n d e , als T e i l h a b e r der mafsgebenden R e c h t s ü b e r z e u g u n g , folge ( H ä n e l u. S. 54, — diese S t e l l u n g f ä l l t n u r i n s G e w i c h t , insofern, als sie d i e R e c n t s k e n n t n i s des E i n z e l n e n v e r b ü r g t e u n d i h m so das S c h w ö r e n über d e n r e c h t l i c h e n T a t b e s t a n d ermöglichte), -- ebenso aie E r k l ä r u n g , dafs j e d e K l a g e eine U n r e c h t s - D e l i k t s b e s c h u l d i g u n g des B e k l a g t e n e n t h a l t e n habe u n d i h m deshalb i n erster l i i n i e die R e i n i g u n g v o n der

I· Geschichte und Quellen. § 9. Römische und germanische Rechtsgedanken.

nur sekundäre Folgen dieser wichtigsten1. Das charakteristische Prinzip des römischen Rechts ist Sanktion der f r e i e n P r ü f u n g s g e w a l t des R i c h t e r s , dessen p e r s ö n l i c h e Ü b e r z e u g u n g für die Entscheidung mafsgebend wird. Das des germanischen ist Anerkennung der v e r a n t w o r t l i c h e n P a r t e i t ä t i g k e i t , die durch Erbringung rechtlich bestimmter Garantien, insbesondere dadurch, dafs die Partei ihre Helfer oder Zeugen von ihrem Recht (aufsergerichtlich) zu überzeugen vermag, zum Sieg gelangt. Den Ausgleich zwischen diesen beiden prinzipiell verschiedenen und an sich gleichberechtigten Rechtsgedanken, bewirkte die weitere Entwicklung in den Vorläufern der modernen Nationen.

§ 9· Das Zusammentreffen der römischen und der germanischen Rechtsgedanken im Prozess der neuen Nationen. I . F r ä n k i s c h e r P r o z e f s . v . B e t h m a n n - H o l l w e g , Geschichte des C.P., 5. Bd. 1. H ä l f t e (1871). S o h m , F r ä n k i s c h e Reichs- u n d G e r i c h t s v e r f a s s u n g 1871. B r u n n e r , Deutsche R e c h t s g e s c h i c h t e I I , S. 189 ff. (18y2). S c h r ö d e r , Deutsche Rechtsgeschichte, 4. Aufl., 1902, § 25, 37. I I . N o r m a n d i e u n d E n g l a n d . B r u n n e r , E n t s t e h u n g der S c h w u r g e r i c h t e 1872. B i e n e r , Das englische G e s c h w o r n e n g e r i c h t 1852. Gneist, E n g l i s c h e Verfassungsgeschichte 1882, S c h u l d angesonnen habe ( B e t h m a n n - H o l l w e g . ) — n u r i n s o w e i t r i c h t i g , als die älteste R e c h t s s t r e i t f o r m f ü r U n g e r i c h t s - , D e l i k t s k l a g e n ausgebildet w o r d e n u n d erst später a u f d i e ü b r i g e n K l a g s a c h e n ü b e r t r a g e n w o r d e n i s t , w o v o n als p r a k t i s c h e Konsequenz z u r ü c k g e b l i e b e n i s t , dafs der v e r l i e r e n d e B e k l a g t e i n a l l e n F ä l l e n z u g l e i c h B u f s e zu erlegen hat.) 1 J e d e n f a l l s b e s t e h t h i e r n a c h das E i g e n t ü m l i c h e des g e r m a n i s c h e n U r t e i l s v e r f a h r e n s i m Gegensatz z u m ä l t e s t e n r ö m i s c h e n n i e n t n u r d a r i n , dafs der Beweis m i t f o r m a l e n B e w e i s m i t t e l n (d. i . m i t B e w e i s m i t t e l n v o n gesetzlich geregelter F o r m u n d Beweisk r a f t ) i m Gegensatz zu m a t e r i e l l e n E r k e n n t n i s q u e l l e n (deren A u s w a h l , G e s t a l t u n g u n d Ü b e r z e u g u n g s k r a f t der R i c h t e r erwägt) geliefert w i r d u n d i n V e r b i n d u n g h i e r m i t d a r i n , dafs z u n ä c h s t d e r B e k l a g t e u n d n i e n t der K l ä g e r z u m B e w e i s herangezogen w i r d . V i e l m e h r s i n d dies erst K o n s e q u e n z e n der h a u p t s ä c h l i c h e n u n d w e s e n t l i c h s t e n E i g e n t ü m l i c h k e i t , dafs der g e r m a n i s c h e R e c h t s s t r e i t d i e E n t s c h e i d u n g über den A n s p r u c h ü b e r h a u p t n i c h t d u r c h d i e A u f k l ä r u n g d e r h i s t o r i s c h e n T a t s a c h e n , sondern d i r e k t d u r c h d i e P a r t e i f e s t s t e l l u n g der j u r i s t i s c h e n T a t b e s t ä n d e u n d d a m i t ohne weiteres des z w e i f e l h a f t e n A n s p r u c h s bezweckt. Dies i s t f ü r den späteren m i t t e l a l t e r l i c h - d e u t s c h e n Prozefs schon g r u n d l e g e n d e n t w i c k e l t w o r d e n v o n P l a n c k , das B e w e i s u r t e i l , 1848, S. 38, 48, 94: H ä n e l , B e w e i s s y s t e m des Sachsenspiegels, 1858, für die a l t g e r m a n i s c h e Z e i t aber n o c h n i c h t genügend b e t o n t w o r d e n . Selbst B r u n n e r , Deutsche R.Gesch. I I , 375 e r w ä h n t es n u r als e t w a s Z u f ä l l i g e s u n d G e l e g e n t l i c h e s , dafs das „Bew e i s t h e m a o f t i n a u s g e d e h n t e m Mafse i n das Gebiet der Rechtsfragen hinüber 4 4 greife. I n W a h r h e i t i s t dies j e d o c h n i c h t z u f ä l l i g e B e i g a b e , sondern die d u r c h die älteste E n t w i c k l u n g b e d i n g t e g r u n d s ä t z l i c h e G e s t a l t u n g des Beweis Verfahrens. N u r i h r e f o r m e l l e D u r c h f ü h r u n g h ä n g t v o n d e n einzelnen F ä l l e n ab. V o n i h u e n h ä n g t es ab, ob m e h r oder w e n i g e r E l e m e n t e j u r i s t i s c h e r B e u r t e i l u n g i n den Beweissatz a u f g e n o m m e n w e r d e n sollen, ob der E i d a u f den rechtserzeugenden T a t b e s t a n d oder e i n e n r e c h t s h i n d e r n d e n (Einrede-) T a t b e s t a n d oder e i n Gegenrecht (z. B . Gegeneigentum) des B e k l a g t e n g e s t e l l t w e r d e n soll. P r a k t i s c h e r h e b l i c h i s t n u r , dafs das gesamte S t r e i t m a t e r i a l a u f e i n e n e i n z i g e n r e c h t s e r h e b l i c h e n S t r e i t p u n k t reduziert w i r d . A l l e ü b r i g e n , oben g e s c h i l d e r t e n K e n n z e i c h e n des r e i n g e r m a n i s c h e n Prozesses s i n d n u r s e k u n d ä r , n u r K o n s e q u e n z e n des ersten, v o r a l l e m : a) die F o r m a l n a t u r aer B e w e i s m i t t e l , d. h. die i n i h r e r F o r m u n d i h r e n W i r k u n g e n a l l g e m e i n k r a f t Gesetzes geregelte B e h a n d l u n g d e r s e l b e n ; b) d i e V e r t e i l u n g des B e w e i s r e c h t s , v o r a l l e m das V o r r e c h t des B e k l a g t e n z u m Beweise. D a bei der Gesamtanlage des V e r f a h r e n s die B e w e i s f ü h r u n g ein V o r t e i l i s t . i s t es s e l b s t v e r s t ä n d l i c h , dafs m a n diesen d e m A n g e g r i f f e n e n zuschiebt. H i e r m i t t r i f f t die p r a k t i s c h e E r w ä g u n g z u s a m m e n , dafs über H a n d l u n g e n des B e k l a g t e n , u m w e l c h e es s i c h i n den Prozessen der U r z e i t (besonders d e m p r i m ä r e n DeliktsprozeTs) i m m e r h a n d e l t , d i e U m g e b u n g des B e k l a g t e n (die E i d h e l f e r ) a u c h a m besten i n f o r m i e r t ist. N u r aus der B e i s e i t e l a s s u n g der G r u n d a n l a g e des g e r m a n i s c h e n Verfahrens i s t es deshalb e r k l ä r l i c h , w e n n der V e r s u c h g e m a c h t w o r d e n i s t , als p r i n z i p i e l l e n G r u n d s a t z die Beweis l a s t des K l ä g e r s n a c h z u w e i s e n . (R. L o e n i n g , Der R e i n i g u n g s e i d bei U n g e r i c h t s k l a g e n , 1880; w i e h i e r a u c h S c h r ö d e r , R.G. § 37 S. 3t>3 ff.)

Fortbildung des Prozesses im Mittelalter.

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S. 94 ff. P o l l o c k a n d M a i t l a n d , h i s t o r y of e n g l i s h l a w . H o l d s w o r t h , a h i s t o r y of e n g l i s h l a w , I , 1903, p. 1—72. F r a n k r e i c h . Daniels, S y s t e m u n d Geschichte des französ. C.P.R., I , 1849. Ü b e r sicht über die G e r i c h t s v e r f a s s u n g : R i c h a r d S c h m i d t , A l l g e m e i n e S t a a t s l e h r e , I I , 1, S. 399 ff. V e r f a h r e n : W a r n k ö n i g u n d S t e i n , Französ. Staats- u n d R e c h t s g e s c h i c h t e , 3, 387 (2. Aufl., 1875) ( i n d e n m e i s t e n F r a g e n ü b e r h o l t ) . D e u t s c h l a n d . H o m e y e r , Das Gerichtswesen n a c h d e m R i c h t s t e i g , i n s. A u s g . des R i c h t s t e i g s L a n d r e c h t s 1857, S. 411. H a e n e l , B e w e i s s y s t e m des Sachsenspiegels 1858. P l a n c k , Die L e h r e v o m B e w e i s u r t e i l 1848. P l a n c k , Das deutsche G e r i c h t s v e r f a h r e n i m M i t t e l a l t e r , 2 Bde., 1879 ff. Meibom, Das deutsche P f a n d r e c h t 1867 ( E n t w i c k l u n g der V o l l streckung). L o e n i n g , Der R e i n i g u n g s e i d bei U n g e r i c h t s k l a g e n 1880. B u r c h a r d , Die H e g u n g der deutschen Gerichte, 1893. - K u r z e D a r s t e l l u n g v o n E n g e l m a n n , Der Civilprozefs, I L H e f t 1 (1890); B r u n n e r , G r u n d z ü g e der d e u t s c h e n Rechtsgechichte 1901, S. 157. I I I . I t a l i e n , v. B e t h m a n n - H o l l w e g , G e s c h i c h t e , 4. B d . S. 29.*, 5. B d . 2. H ä l f t e (1873, daselbst S p e z i a l l i t e r a t u r S. 150). G r u n d l e g e n d J u l i u s F i c k e r , F o r s c h u n g e n z u r i t a l i e n i s c h e n Reichs- u n d Rechtsgeschichte, B d . 1 (IHG8) 3 (1870) nebpt U r k u n d e n b a n d . I m ü b r i g e n bestreben s i c h v i e l e der u. § 10 g e n a n n t e n M o n o g r a p h i e n , die sich m i t d e m ausgebildeten i t a l i e n i s c h e n Prozefs des 13. u. 14. J a h r h u n d e r t s beschäftigen, die G r u n d l a g e n desselben i m l a n g o b a r d i s c h e n Prozefs a u f z u d e c k e n . B e a c h t e insbes. f ü r K l a g e u n d I n s t r u k t i o n des Prozesses V a l de L i è v r e , L a u n e g i l d u n d W a d i a 1877. O p e t , Gesch. der Prozefseinleitungsformen 1891, — f ü r prozefshindernde E i n r e d e n : K a n n e n g i e f s e r , Prozefsh i n d e r n d e E i n r e d e 187*, — f ü r die E i n l a s s u n g u n d das Vers.-Verf. R i c h a r d S c h m i d t , K l a g ä n d e r u n g ^ 8 8 , - f ü r das B e w e i s r e c h t : Z i m m e r m a n n , Der G l a u b e n s e i d 1863, für Volls t r e c k u n g , s u m m a r i s c h e Prozesse: W a c h , I t a l . Arrestprozel's 1868. S k e d l , Das M a h n verfahren 1891, — f ü r das R e c h t s m i t t e l s y s t e m S k e d l , Die N i c h t i g k e i t s b e s c h w e r d e 1887.

I . Übersicht. Der ursprüngliche Charakter des nationalgermanischen Gerichtsverfahrens, wie er (S. 50 ff.) dargelegt wurde, läfst sich nach den vorhandenen Rechtsdenkmälern nur annähernd rekonstruieren. Bei seinem Auftreten in der Geschichte hatte er sich schon vielfach umzugestalten begonnen. Die Völkerwanderung, die zur Begründung neuer territorialer Staaten im Gebiet des römischen Reichs führte, warf die germanische und romanische Bevölkerung durcheinander und leitete damit zugleich die Verschmelzung ihrer Rechtsformen ein, die in einem sich über Jahrhunderte hinziehenden Vorgang schliefslich die eigenartigen Rechtssysteme der neuen Mischnationen, vor allem der Italiener, Engländer, Franzosen und Deutschen, zustande brachte. Die Ausbildung neuer Zivilprozefssysteme war nur ein Teil dieses Verlaufs. Sofort an den Anlangen der Bewegung macht sich aber eine Verschiedenheit geltend, die bis heute fortgewirkt hat. Naturgemäfs war der Einflufs des römischen Rechts auf das germanische dort am stärksten, wo die römische Tradition und Bevölkerung besonders mächtig w a r , in I t a l i e n . In den Ländern nördlich der Alpen wurde das germanische Gerichtsverfahren bis auf weiteres nur in Äufserlichkeiten von den römischen Resten berührt. Von früh an differenzierten sich demgemäfs auf der Grundlage eines romanisch-germanischen Mischprozefsrechts zwei Systeme, ein r o m a n i s i e r e n d e s i n I t a l i e n , ein n a t i o n a l e r g e r i c h t e t e s im Kern der nördlichen Staaten, dem f r ä n k i s c h e n Reich. Da aber das fränkische Prozefsrecht auch auf England Einflufs gewann, da andererseits das spätere Deutschland nachmals infolge besonderer Verhältnisse unter die überwiegende Einwirkung des italienischen Rechts geriet, so bereitete sich von der Völkerwanderung an der Gegensatz des f r a n z ö s i s c h e n u n d e n g l i s c h e n Prozefsrecht einerseits, des i t a l i e n i s c h e n u n d deutschen andererseits vor. Im weiteren Verlauf nahmen dann

I· Geschichte und Quellen. § 9. Römische und germanische Rechtsgedanken.

freilich auch das französische und das englische Recht eine sehr verschiedene Entwicklung. Die Übergangsgebilde, die das Hervertreten der neuen Grundformen vermittelten, können hier naturgemäfs nur sehr flüchtig angedeutet werden. I I . Die Jnstizgesetzgebung des fränkischen Reichs. Die einheitliche Organisation, die die Merowinger und Karolinger seit dem 6. Jahrhundert in rasch wachsendem Umfang den reingermanischen und den halbromanischen Gebieten nördlich der Alpen aufzwingen, führt früh eine wesentliche Veränderung der germanischen G e r i c h t s v e r f a s s u n g mit sich; der im Gau erbliche Fürst oder von den Gauleuten gewählte Vorsteher (oben S. 50) wird durch den Beamten des Königs verdrängt, den vom Königshof ernannten G r a f e n ; dieser rückt in Gallien zugleich in die Funktion des römischen Provinzialstatthalters (S. 47). Hieran knüpft sich eine fortschreitende Konzentration und obrigkeitliche Umgestaltung der Gerichte. Nicht nur, dafs der Hundertschaftsbeamte der Gemeinde (Zentenar) in den deutschen Gebieten (Alamannen, Franken) in einen gräflichen Unterbeamten verwandelt wird, wie es die Vikare der gallischen Grafen waren, auch der Urteilskörper nimmt durch Reform Karls des Grofsen (ca. 780) einen mehr amtsmäfsigen Charakter an. Schon die Ratmannen, die in der Gerichtsversammluug aller Dingleute den Urteils Vorschlag einbringen, werden l e b e n s l ä n g l i c h — jetzt unter dem Namen der scabini, S c h ö f f e n , — bestellt. Zugleich wird aber die Dingpflicht der Gemeindegenossen zur Entlastung der Ärmeren auf drei Gerichtsversammlungen (echte Dinge) jährlich eingeschränkt; zu allen übrigen Sitzungen brauchen überhaupt nur die Schöffen zu erscheinen und diese werden demgemäfs hier zu a u s s c h l i e f s l i e h e n U r t e i l e r n , eine Anbahnung ständiger Berufsrichterkollegien, deren Bedeutung nur durch die sehr bruchstückweise Durchführung dieser karolingischen Schöffenverfassung abgeschwächt wird 1 . Vor allem aber erhält die Justiz im K ö n i g s g e r i c h t , das die Grofsen des Hofs, besonders die höchsten Hofbeamten, unter dem Vorsitz des Königs oder Hausmeiers bilden, eine einheitliche Spitze. Dasselbe entscheidet teils als nachprüfendes O b e r i n s t a n z g e r i c h t , insofern gestattet wird, durch Urteilsschelte ein Untergerichtsurteil vor den König zu ziehen, — teils und mit Vorliebe aber tritt das Königsgericht als ein mit den Volksgerichten k o n k u r r i e r e n d e s A u s n a h m e g e r i c h t auf und zwar in der Weise, dafs ein Verletzter durch Erwirkung eines königlichen Befehls (indiculus commonitorius) den Gegner anweisen lassen kann, den behaupteten Anspruch zu erfüllen oder zur Prüfung desselben vor dem Königs1 B e i F r i e s e n , B a y e r n , A l e m a n n e n w i r d die Schöffenverfassung gar n i c h t , bei d e n Sachsen n u r i m Grafen-, n i c h t i m N i e d e r g e r i c h t des Gografen d u r c h g e f ü h r t . (Brunner I I , 224.)

Fränkische Zeit.

Schöffen.

Königsgericht.

Verfahren.

61

gericht zu erscheinen. Diese Einrichtung beeinflufst die Rechtspflege um so mehr, als die Ämterverfassung auch d e t a c h i e r t e S i t z u n g e n des K ö n i g s g e r i c h t s ermöglicht. Sie treten in den Gerichtsversammlungen der königlichen Sendboten auf, der aufserordentlichen wie der von den Karolingern eingeführten ordentlichen (regelmäfsig wiederkehrenden, jährlichen) Königsboten (missi dominici), die auf ihren Rundreisen sowohl an Stelle der Grafen im echten Ding, wie mit beliebig aufgebotenen Urteilsfindern, einzelne Rechtssachen (bei Justizverweigerung, fiskalischem Interesse usw.) zur Erledigung an sich ziehen. Durch alles dies werden für die in germanischer Weise organisierten Gerichte die Anfänge einer Gerichtshierarchie im Stil des römischen Kaiserrechts geschaffen. Das V e r f a h r e n besteht in den volksrechtlichen Formen (oben § 7) fort, mindestens bei den B e z i r k s g e r i c h t e n . Die königlichen Kapitularien befördern zwar, entsprechend der Ausbildung des Beamtensystems, eine stärkere Mitwirkung des Grafen, aber meist nur in den äufserlicheu Punkten des Prozefsbetriebs: Ladung (bannitio) und Worterteilung erfolgt jetzt durch den Grafen, ebenso auch die Vollstreckung, die sowohl als gerichtliche Pfändung von Mobilien, wie — aus der Friedloslegung hervorgehend — als Beschlagnahme der Liegenschaften (missio in bannum) auftritt, welch letztere Form zugleich für den Fall der V e r s ä u m n i s des Beklagten im ersten Termin benutzbar gemacht wird Das Übergewicht der Partei bei der Anspruchsfeststellung wird nicht verringert, im Gegenteil noch durch starke Verwertung des Zweikampfs gesteigert. Dieser dient als Korrektiv gegen den Meineid der Partei oder des Zeugen, der durch Ausforderung gescholten werden kann 2 . Nur zaghaft wird dem Richter eine gewisse Kritik gegenüber den Zeugen eingeräumt, insofern er vor der Zulassung zum Eid eine discussio testium eintreten lassen kann, um sich dadurch zu vergewissern, ob und woher sie eine persönliche Kenntnis vom Sachverhalt besitzen. In der (unanfechtbaren) Königsurkunde bildet sich dagegen ein neues wichtiges Beweismittel aus 3 . Erhebliche Wandlungen erfährt das Verfahren im K ö n i g s g e r i c h t . Dasselbe untersteht nicht den Grundsätzen des Volksrechts, sondern den Erwägungen der Billigkeit 4 . Sie ermöglichen deshalb hier auch die Aufnahme neuer Rechtsnormen des Verfahrens, zum Teil nach römischem Muster, insbesondere den Gebrauch von Beweisformen, deren Erhebung einer richterlichen Prüfung der T a t s a c h e n mindestens sehr nahe kommt. Diese Bedeutung hat vor allem eine neue Form des Z e u g en be weises 1

V g l . S c h r ö d e r § 37 S. 372. V i e l l e i c h t w i r d bereits i n dieser Z e i t der Z w e i k a m p f a u c h als M i t t e l der U r t e i l s schelte v e r w e r t e t , w i e j e d e n f a l l s später. 3 B r u n n e r , Das Gerichtszeugnis u . die f r ä n k . K ö n i g s u r k u n d e , 1873, R.Gesch. 420. 4 Die F u n k t i o n des K ô n i g s ç e r i c h t s als eines souveränen, über d e m R e c h t s t e h e n d e n B i l l i g k e i t s ç e r i c h t s h o f s besteht n i c h t n u r i m f r ä n k i s c h e n , s o n d e r n e n t s p r e c h e n d a u c h i m angelsächsischen, b u r g u n d i s c h e n , l a n g o b a r d i s c h e n S t a a t . ( B r u n n e r Π , 136.) 2

I· Geschichte und Quellen. § 9. Römische und germanische Rechtsgedanken.

durch Königsrecht geschaffen. Sie wird zunächst für die Fälle Bedürfnis, in denen der König selbst wegen Eingriffs in königliches oder fiskalisches Grundeigentum (in Domänen, Benefizialgüter, Amtsgüter, Königsklöster) als Kläger aufzutreten gezwungen ist. Soweit er hier nach Volksrecht prozessiert, ist er abhängig vom Prozefsbetrieb seines Vertreters, und besonders angesichts der lokalen Opposition des Vorsitzenden Grafen, der Urteiler, der vom Kläger zu stellenden Gemeindezeugen mangelhaft geschützt, — um so mehr, als die Gemeindezeugen keinem Zeugenzwang unterliegen. Deshalb wird, besonders von Karl dem Grofsen, ein Ausnahmeverfahren ausgebildet, eine i n q u i s i t i o per bonos et idoneos testes, d. h. ein Verfahren, in welchem der König, bezw. sein missus, gleichzeitig als Richter und als Kläger beteiligt ist, die Zeugen nicht mehr als Gemeindegenossen, sondern kraft ihrer Untertanenpflicht aufbietet und ihnen einen Ausspruch über das streitige Grundeigentum unter ihren allgemein oder im besonderen Fall geleisteten Treueid abverlangt. Da diese Inquisitionsgewalt vereinzelt auch von Grafen ausgeübt wird und in der Folgezeit das Recht, sie zu fordern, auch Kirchen, Klöstern oder einzelnen Personen durch Privileg verliehen wird, so nähert sie sich schon in karolingischer Zeit äufserlich dem regulären Zivilprozefs wieder an, um jedoch in dessen Funktion ein bedeutendes Mafs richterlicher Initiative hineinzutragen 1 . I I I . Die Fortentwicklung des fränkischen Prozesses nördlich der Alpen. Mit der Auflösung des Karolingerreichs seit dem Ende des 9. Jahrhunderts wurde die einheitliche Fortbildung des Prozefsrechts, in welchem schon bisher die verschiedenen Gebietsteile zahlreiche Besonderheiten bewahrt hatten, gänzlich unterbrochen. Vor allem die Gerichtsverfassung gestaltete sich nunmehr in äufserst mannigfaltigen Formen. Nicht nur zwischen Ost- und Westfranken, und zwischen den verschiedenen Landschaften traten Gegensätze hervor, insbesondere dadurch, dafs an manchen Stellen die altgermanische Gerichtsgemeinde aller Freien, an andern der Gemeindeausschufs der aus den reichen Grundbesitzern entnommenen Schöffen die Urteilsgewalt handhabte. Vielmehr vollzog sich aufser der landschaftlichen Sonderung auch eine s t ä n d i s c h e Sonderung der Gerichte. Die germanische Grundform der Gerichtsverfassung, die Gerichts Versammlung der freien Bauern oder das Kollegium bäuerlicher Schöffen unter dem Vorsitz des Grafen oder seines Stellvertreters, wurde durch die Ausbildung des Lehnswesens, die zahllose Freie dienst- oder zinspflichtig machte, und durch die wachsende Ausbreitung der „Immunitäten", der Exemtionen geistlicher Stifter oder groiser Grundherren von 1 E n t d e c k u n g u n d K l ä r u n g dieses f ü r d i e Gesamtgeschichte des Prozesses h e r v o r r a g e n d w i c h t i g e n I n s t i t u t s d u r c h B r u n n e r , Zeugen- u n d I n q u i s i t i o n s b e w e i s , Sitz.-Ber. der W i e n e r A k a d . d. W i s s . , 1865, 343, j e t z t i n F o r s c h u n g e n S. 88 ff. V c l . darüber w e i t e r u. I I I u n d § 17.

Inqiiisitio.

Nachfränkische Zeit.

Anglonorniannisches Recht.

(33

der Gerichtsgewalt der Grafen, gesprengt. So stellte sich an vielen Stellen, am frühesten in Westfranken, neben die Grafengerichte der gemeiufreien eine selbständige Gerichtsbarkeit der ritterlichen Grundherren, die mit freien Vasallen oder Dienstmannen über die lehns- und dienstpflichtigen Personen, sowie über bäuerliche Hintersassen urteilten. In gleicher Weise zersetzend wirkten die Städtegründungen, durch welche sich ebenfalls Gerichtsbezirke unter den Richtern des Stadtherrn, des königlichen Vogts, des Herzogs, Bischofs oder stadtgründenden Grundherrn, aussonderten. Innerhalb der neuen Stadt aber strebten seit der späteren Zeit die Gilden der Kaufleute nach der Gerichtsbarkeit über die Gildegenossen, entsprechend die Zünfte der Handwerker nach der Justiz in Streitigkeiten der Zunftmeister oder zwischen Meistern und Gesellen. Gleichwohl konservierte sich unter diesen mannigfaltigen äufsern Erscheinungsformen der Gerichte die innere Organisation des Gerichts, insbesondere die T e i l u n g der G e r i c h t s g e w a l t z w i s c h e n dem V o r s i t z e n d e n und den u r t e i l s f ä l l e n d e n B e i s i t z e r n , den Schöffen oder dem Umstand. Vor allem aber ward in allen Gerichten das germanische V e r f a h r e n mit seiner V e r t e i l u n g der P r o z e f s f u n k t i o n e n zwischen G e r i c h t u n d P a r t e i e n geübt. In dieser Hinsicht zeigte sich — abgesehen von den zahllosen Partikularitäten im Formenschatz, besonders in den Beweisformen, — eine Verschiedenheit hauptsächlich nur darin, dafs sich die Rechtsgewohnheit je nachdem mehr an das fränkische, oder an das frühgermanische Recht anlehnte. ( N o r m a n d i e u n d E n g l a n d . ) Den engsten Anschlufs an die karolingische Überlieferung bewahrten die nordwestlichen Landesteile des fränkischen Reichs, die (912) von den Normannen okkupiert, unter dem Namen der Normandie die Bedeutung eines selbständigen Rechtsgebiets erlangten und mit England durch die Eroberung zur Basis einer einheitlichen Rechtsentwicklung verbunden wurden. In ihr gab das normannische Element gegenüber dem angelsächsischen den Ton an. Das kräftige Fürstentum, besonders das anglonormanische Königtum seit Wilhelm I., war in der Lage, die wesentlichsten Stücke der karolingischen Gerichtsund Prozefsreform fortzupflanzen. Demgemäfs blieb neben der Justiz des Grafschaftsbeamten (vicecomes, angels, shiregerêfa, engl, sheriff) die Gerichtsbarkeit des Königsgerichts zu Rouen und London in stetem Wachsen. Die curia regis, von der sich bei Ausbreitung ihrer Kompetenz allmählich ein eignes Obergericht für Zivil- und Strafsachen, das regis bancum (court of kings bench), abzweigte, trat nicht mehr nur in Ausnahmefällen als Billigkeitsgerichtshof ein, sondern ward mehr und mehr zu einem r e g e l mäfsig mit den Grafschaftsgerichten konkurrierenden Gerichtshof. Es deckte dieses Bedürfnis durch die von der Hauptstadt in die Provinz geschickten Kommissare, die Nachfolger der fränkischen

(34 I· Geschichte und Quellen. § 9. Römische und germanische Rechtsgedanken.

missi (jetzt iudices itinérantes, iusticiarii in itinere, justices in eyre). Hiermit Hand in Hand ward allmählich an Stelle der altgermanischen Beweisformen, besonders des Zweikampfs, der in frühnormannischer Zeit seine Blüte erreichte, immer reichlicher die karolingische inquisitio (o. S. 62), jetzt „recognitio" genannt, verwertet. Zuerst durch königliche Privilegien für Zivilprozesse der Bürger im Einzelfall verliehen, ward sie besonders im Interesse Unbemittelter durch Satzung (assiza) Heinrichs II. (1158) zu einer allgemeinen Einrichtung, jedem zugänglich, der auf cler königlichen Kanzlei ein breve recognitionis (writ) und damit das Recht zur Herbeiziehung eines Aufgebots und Verhörs vor Gemeindezeugen der Provinz erwirkte. Die geschlossene Aussage der vereidigten Zeugen, die in germanischer Weise das streitige Recht bejahen oder verneinen, bildete unter Vorsitz der Hofrichter zu Beginn des 13. Jahrhunderts die reguläre Form der Prozefserledigung. Sie wurde zugleich das technische Mittel, um alle englischen Rechtssachen im Prinzip bei dem obersten Gericht der Residenz zu z e n t r a l i s i e r e n (vgl. u. § 17). (Frankreich.) Auch die Fortentwicklung des germanischen Prozesses in Frankreich vollzog sich in Anlehnung an das Königsrecht. Freilich verkörperte sich die Justiz angesichts des völligen Versagens der königlichen Zentralgewalt vom 10. bis gegen Ende des 13. Jahrhunderts vorwiegend im Lehnsgericht, das die fast unabhängigen Kronvasallen (Barons) und die erblich gewordenen Untervasallen (Seigneurs) mit feudal-ritterlichen Beisitzern abhielten. Die Richter des Königs in dessen Hausbesitz, seine Vögte (prévôts), bildeten nur eine einzelne Erscheinungsform dieses Gerichts. Erst auf sie gestützt konnte das Hofgericht in Paris, später Parlament genannt, seinen Eintlufs geltend machen, und erst mit der Ausdehnung der Domänen (seit ca. 1180) und der Schaffung der königlichen Amtmänner (baillis) begann sein Einflufs zu wachsen. Demgemäfs blieb auch das Verfahren hier mehr als in England volksrechtlich. Es stützte sich überwiegend auf den Zweikampf und liefs es zum Zeugenbeweis in der königsrechtlichen Form der inquisitio (enquête) nur selten kommen. Auch bei dem Vordringen der königlichen Richter war es vor allem die Urkunde, die davon den Vorteil zog (unten S. 101). Jedenfalls erhielt das Verfahren in echt germanischer Weise durch Untätigkeit des Gerichts und prävalierende Parteitätigkeit fortdauernd die Signatur (vgl. unten § 13). ( D e u t s c h l a n d . ) Umgekehrt wie in England und Frankreich geht die Entwicklung in Deutschland vom 9. bis zum 13. Jahrhundert den Weg fortschreitender Zersplitterung; in der Zeit der umfassenden Neuaufzeichnung der Prozefsrechts im S a c h s e n s p i e g e l (ca. 1230) und den sich daran anschliefsenden Quellen ist dieselbe schon fast vollendet. Nur er-

Anglonormannisches, altfranzösisches Recht.

Sachsenspiegel.

65

hält sich während dieses langsamen Auflösungsprozesses neben dem Lehnsgerichte über Vasallen und Dienstmannen, dem grundherrlichen Gerichte über Unfreie, halbfreie Bauern und (in der Immunität) freie Hintersassen die germanische Gerichtsbarkeit über Freie in verhältnismäfsig grofsem Umfang, und zwar in den alten Verkörperungen als G r a f e n g e r i c h t , Landgericht der Grafen mit den Schöffen 1, und als N i e d e r g e r i c h t , als Zent-, Go-Gericht des Zentgrafen, Schultheifsen, in Sachsen als das des Gografen mit dem gesamten Dingvolk. Erst allmählich tritt mit der wachsenden staatlichen Selbständigkeit der Grafen und Herzöge der Landeshoheiten an die Stelle des persönlich unter Königsbann richtenden Grafen der Richter (Vizegraf, Vogt) des Landesherrn. Demgemäfs aber bewahrt auch das deutsche Gerichtsverfahren ganz besonders seinen alten volksrechtlichen Charakter, und sein Typus wird durch den Sachsenspiegel und den Richtsteig Landrechts in annähernder Reinheit auf lange hinaus festgestellt Insbesondere behält es die scharfe Scheidung zwischen der Funktion des „Richters", des Vorsitzenden Beamten, und den „Urteilern", der Schöffenbank. Während der erstere nur das Verfahren ordnet und die Fragen stellt, üben die Schöffen ausschliefslich die Entscheidungstätigkeit aus. Ebenso besteht der streng formelle, bei jedem Formverstofs die Partei gefährdende, die Formen der Klage, der Antwort, des Beweises allgemein regelnde Charakter des Verfahrens fort. Im einzelnen zeigt sich die Formalnatur des german. ZPr. so wie er in den sächsischen Quellen geregelt ist, noch gewachsen. Einmal müssen die Parteien in der Wahl ihrer Rede vor Gericht äufserste Vorsicht walten lassen, weil sich Gegner und Gericht streng an das gesprochene Wort halten. Sie bedienen sich deshalb zum Beistand des „Vorsprechers" 2 . Vor allem aber sind die Bedingungen der Wirksamkeit jeder Prozefshandlung fest geregelt. Für jede Klagform und die entsprechende Form des Widerspruchs des Beklagten wird möglichst allgemein bestimmt, welche Partei zum Beweise gelangt und mit welchen Beweismitteln, — mit Eid, Zeugen, Gerichtszeugnis, Urkunde, Kampf. Werden dem Kläger mehrere Klag- und Beweisformen zur Wahl gestellt, — insbesondere so, dafs er nur unter Angabe der Leistungspflicht, ohne einen bestimmten Rechtsgrund anzuführen, „schlecht", oder mit Begründung klagen kann, — so ist mindestens die Wahl eine bindende und er übernimmt durch die „Gewere" der Klage die Pflicht, die Klage gerade so und nicht anders durchzuführen, widrigenfalls der Prozefs sachfällig wird 3 . Im Sachsenspiegel selbst gilt ungefähr das Prinzip, dafs bei Klagen „um Schuld" (auf persönliche Leistung) und „um Ungericht" (aus Friedbruch auf Bufse) der Beklagte mit seinem Unschuldseid die Klage ablehnen kann (jetzt meist mit dem „Eineid", ohne Eidhelfer, — insbesondere wenn „schlecht" geklagt wird). Dagegen überwiegt bei Klagen „uppe gut" 1 Dafs auch i m deutschen Recht die f r ä n k i s c h e n S c h ö p f u n g e n bedeutsam n a c h w i r k e n , betont S ο h m , Röm. R. u . f r ä n k . R., Sav. Ζ. 1 (1880), S. 25 ff. 2 A n d e r s e i t s zeigt s i c h die p r i m i t i v e Stufe des V e r f a h r e n s d a r i n , dafs eine V e r t r e t u n g i n der gesamten P r o z e f s f ü h r u n g d u r c h B e v o l l m ä c h t i g t e , die die V o r b e d i n g u n g jedes feineren Prozesses i s t (u. S. 70)l n o o h n i c h t e r l a u b t i s t ( v g l . h i e r z u bes. B r u n n e r , W o r t u n d F o r m i m altfranzös. P r . , F o r s c h g n . z u r Gesch. des d e u t s c h e n u n d französ. R. 1894 S. 390ff., W e i f s l e r , Geschichte der R e c h t s a n w a l t s c h a f t , 1905, S. 25 ff.). 8 Es z i e h t also die K l a g e r h e b u n g i n b e s t i m m t e r F o r m a u c h j e t z t n o c h die «prozessuale K o n s u m t i o n " n a c h s i c h (o. S. 57); v g l . d a r ü b e r bes. R i c h a r d S c h m i d t , K l a g änderung 1888, S. 103 ff.

R i c h a r d S c h m i d t , L e h r b u c h des Z i v i l p r o z e f s r e c h t s .

2. A u f l .

5

I· Geschichte und Quellen. § 9. Römische und germanische Rechtsgedanken. (wie Fahrhabe oder Grundstücke) der E i d mit Gezeugen, sei es des Klägers, sei es des Beklagten. Dabei vollzieht sich aber innerhalb der sächsischen Quellen noch eine reiche Entwicklung, — besonders in den Beweisgrundsätzen. So steht vor allem der sich um das M a g d e b u r g e r W e i c h b i l d r e c h t gruppierende Quellenkreis des 14. Jahrhunderts auf der Stufe fortschreitender Rechtsbildung, die in dem stetigen Vordringen des Gezeugenbeweises auf Kosten des Eides des Beklagten und besonders in der Ausbreitung des G e r i c h t s z e u g n i s s e s hervortritt, das durch Verbriefung die Überleitung zum U r k u n d e n b e w e i s abgibt Κ Parallel steigert sich im Prozefs die rechtsprechende Tätigkeit der Urteiler, die sukzessive den Gang des Verfahrens durch eiüe Kette von Entscheidungen begleiten. Dieselben erstrecken sich zunächst auf alle prozessualen Vorfragen (ob Dingzeit sei, ob der Richter das Recht habe dem Beklagten Antwort zu gebieten, ihn laden zu lassen usw.), — dann aber auch auf einzelne Teile des Anspruchsstoffs, so dafs allmählich über einzelne Klaggründe, Einreden usw., also im gleichen Prozefs mehrfach Recht gefunden wird, — die naturgemäfse Folge davon, dafs der Streitstoff in den modernen Verhältnissen, besonders der grofsen Handelsstädte, komplizierter wird. So bereitet das Aufkommen freier Beweisformen und die Steigerung der Aufgabe der Schöffen, die im Magdeburger Recht zu der am meisten vervollkommneten Gestaltung der germanischen Prozefsstruktur führt, zugleich die Zersetzung dieser Form vor, die in der Rezeption des italienischen Rechts definitiv eintritt (vgl. §§ 10—12).

Neben diesem formstrengen Verfahren bilden sich aber in allen drei Territorien auch neue Prozeduren f o r m f r e i e n C h a r a k t e r s , nämlich in dem Verfahren vor den jüngeren Standesgenossengerichten, die seit der Entwicklung der Gemeinden, besonders der Städte, in den Gerichten der M a r k g e n o s s e n s c h a f t e n , der G i l d e n , Z ü n f t e , S c h i f f e r sc h a f t e n hervortreten (o. S. 62). Diese „Sondergerichte" knüpfen nicht an das alte Volksgericht, sondern an private S c h i e d s g e r i c h t e an und nehmen von diesen auch den Hauptgedanken des Richtens n a c h E r m e s s e n auf 2 . Dieser Gedanke, der den antiken Prozefs in seiner Blütezeit beherrscht hatte, tritt damit auch im westeuropäischen Kulturkreis wieder mit dem spezifisch germanischen Formalgedanken des strengen Volksrechts in Konkurrenz 3. Er findet eine wirksame Stütze in der obersten Spitze der Gerichtsverfassung, insofern auch im deutschen, französischen, englischen Königsgericht, wie früher im fränkischen, eine von den volksrechtlichen Formen entbundene B i l l i g k e i t s j u s t i z waltet. I T . Der langobardisch-romanische Prozefs in Italien. Weit stärkere Modifikationen als nördlich der Alpen erfährt der germanische Prozefs i m l a n g o b a r d i s c h e n R e c h t i n I t a l i e n . 1 D a b e i g e h t das G e r i c h t s z e u g n i s i n d e n sächsischen Q u e l l e n v o m e i g e n t l i c h e n D i n g z e u g n i s , a. h. v o n d e m Z e u g n i s , das R i c h t e r u n d Schöffen über g e r i c h t l i c h e Vorgänge selbst a b l e g e n , a u s , — i m Gegensatz zu d e m D i n g m a n n e n z e u g n i s des Schwabenspiegels, z u d e m die P a r t e i einige M i t g l i e d e r der f r ü h e r e n G e r i c h t s b a n k als Zeugen v o r G e r i c h t berief. Diesem Gegensatz des sächsischen u n d s ü d d e u t s c h e n Rechts geht der andere p a r a l l e l , dafs das erstere die P r i v a t u r k u n d e als B e w e i s u r k u n d e n i c h t k e n n t , w ä h r e n d das letztere seit d e m 13. J a h r h u n d e r t die d u r c h Siegel b e g l a u b i g t e U r k u n d e zuläfst ( v g l . B r u n n e r , G r u n d z ü g e S. 114, 151, 154). ä V g l . h i e r ü b e r v . A m i r a , i n P a u l s G r u n d r i f s § 8 6 . G i e r k e , Das deutsche Genossenschaftsrecht, I , S. 397 ff., 937. S t i e d a , Das Gewerbegericht 1890, S. 12ff. • V g l . h i e r z u die a l l g e m e i n e O r i e n t i e r u n g o. S. 35.

Gerichtszeugnis.

Sondergerichte.

Langobardisch-romanischer Z.P.

67

Da die Langobarden erst mit ihrer Einwanderung in Italien (568) endgültig sefshaft werden, so kann sich auch erst hier ihr Stammrecht (zunächst im edictus Rotharis 643), auch die Gerichtsverfassung und der Prozefs wirklich befestigen. Da ferner in Italien die Anwendung des römischen Rechts in besonders grofsen Gebieten — im Exarchat von Ravenna (der später sog. Romagna) und im Gebiet von Rom — und mit fester Überlieferung fortbesteht, so werden die noch im Flusse befindlichen langobardischen Gerichtseinrichtungen besonders stark durch römische Analogien beeinflufst. So kommt unter dem römischen Einflüsse vor allem die Tätigkeit der germanischen Gerichtsgemeinde nunmehr überhaupt nicht zur Entfaltung; vielmehr entwickelt sich aus dem nur unklar getrennten Zusammenwirken von Beamten und Versammlung, das bei der Urteilsfällung der Urzeit den gemeinsamen Ausgangspunkt bildete (S. 51), ein ausschliefsliches R i c h t e r a m t des k ö n i g l i c h e n B e a m t e n (ursprünglich des dux, später des Grafen oder des sonstigen königlichen Lehnsmanns). Wie der römische Kaiserrichter vereinigt er alle richterlichen Funktionen, Prozefsleitung und Zwangsgewalt wie Urteilsfällung, in seiner Person. Er läfst sich hierbei nur durch beratende, schon im 9. Jahrhundert meist rechtsverständige Beisitzer unterstützen oder tritt mit andern Beamten zur Urteilsfällung zusammen. Die Ziviljustiz nimmt deshalb ein bureaukratisches Gepräge an und die Anfechtung eines Richterspruchs durch Anrufung des Königsgerichts erscheint somit, weil sie sich gegen das Urteil des Beamten richtet, als eine Appellation römischen Stils (S. 47). Diese grundsätzliche Eigenart der langobardischen Gerichtsverfassung, noch verkannt von S a v i g n y , Gesch. I, 252 u. a. ist für den altlangobardischen Staat jetzt allgemein zugegeben ( B e t h m a n n - H . 4, 356; F i c k e r , Forschungen 1, 357; B r u n n e r , R.G. I, 153; v. A m i r a , Grundrifs § 84). Auch durch den Eintritt der fränkischen Herrschaft (o. II) ist hieran nichts geändert worden. Allerdings führen seit Ende des 9. Jahrhunderts die Urkunden den Vorsitzenden (Grafen, Missus usw.) und die Urteiler (scabini, iudices) getrennt auf, und noch B e t h m a n n - H o l l w e g 5, 23 folgert hieraus, dafs die gemein-germanische Gerichtsverfassung in Italien wiederbelebt worden sei. In Wahrheit jedoch handelt es sich hierbei nur um die Konsequenzen der zunehmenden Rechtsunkenntnis der feudalen Gerichtsherren. Bald ziehen sie die rechtserfahrenen Beisitzer zu, um mit ihnen in geschlossenem Kollegium zu urteilen, bald überlassen sie ihnen a l l e richterlichen Funktionen, um selbst blofse Figuranten (Scheinvorsitzende) zu bleiben (erwiesen durch F i c k e r 3, 214 if.; S k e d l , Nichtigkeitsbeschwerde 42 ff.) 1 . 1 Die Q u e l l e n des Prozessrechts bewegen s i c h demgemäfs v o m 7. J a h r h u n d e r t bis z u m 12. J a h r h u n d e r t (d. h. bis zur A u f l ö s u n g des u n t e r deutscher H e g e m o n i e bestehenden l a n g o b a r d i s c h e n E i n h e i t s s t a a t s ) a u f der G r u n d l a g e der g l e i c h e n G e r i c h t s v e r f a s s u n g . Sie sind besonders der e d i c t u s L a n ^ o b a r d o r u m , d i e v o n K o t h a r i 843 v e r ö f f e n t l i c h t e , d u r c h seine N a c h f o l g e r , besonders L i u t p r a n d , ergänzte A u f z e i c h n u n g des l a n g o b a r d i s c h e n V o l k s r e c h t s , dem sodann die f ü r I t a l i e n erlassenen K a p i t u l a r i e n der f r ä n k i s c h e n u n d deutschen K ö n i g e h i n z u g e f ü g t w u r d e n (die c a p i t u l a r i a g e n e r a l i a haben f ü r I t a l i e n k e i n e Geltung). Die spätere E n t w i c k l u n g findet i h r e n A u s d r u c k t e i l s i n d e n Z u s ä t z e n der l a n g o b a r d i s c h e n R e c h t s s c h u l e n , besonders der zu P a v i a (den Glossen u n d F o r m e l n aus dem ersten D r i t t e l des 11. J a h r h u n d e r t s u n d d e r sog. e x p o s i t i o , e i n e m K o m m e n t a r v o n ca. 1070, beide m i t d e m Gesetzestext i m sog. l i b e r Papiensis v e r b u n d e n u n d E n d e des 11. J a h r h u n d e r t s zu d e m s y s t e m a t i s c h e n W e r k der „ L o m b a r d a * v e r e i n i g t ) , — t e i l s i n d e n z a h l r e i c h e n G e r i c h t s u r k u n d e n besonders des 9., 10. u n d 11. J a h r h u n d e r t s , w e l c h e f ü r 49. K o h l e r , Gesamm. B e i t r ä g e 185. W a d l i n g e r , Z w . V . ausl. Schiedssprüche, 1896. 2 Z a h l r e i c h e Beispiele aus der P r a x i s des m o d e r n e n Vereinsrechts bei L e i s t , U n t e r s , z u m neuen Vereinsrecht, 1904, S. 51 ff., 116 ff. 3 V o r a l l e m mufs n a t ü r l i c h der S e l b s t h i l f e v e r t r a g g e t r e n n t b e u r t e i l t w e r d e n v o n der e i n s e i t i g e n e i g e n m ä c h t i g e n Selbsthilfe. Sie i s t d u r c h die G e w ä h r u n g des staatlichen Rechtsschutzes s t i l l s c h w e i g e n d ausgeschlossen — i m p l i c i t e w i r d sie v o n der Straf b e s t i m m u n g gegen N ö t i g u n g ergriffen (St.G.B. § 240). V e r e i n z e l t schliefst sie die Prozefsgesetzgebung n o c h a u s d r ü c k l i c h aus, z. B. Basel 1875. § 35: „ W e r i n i r g e n d einer Sache Recht zu suchen veranlafst i s t , s o l l s i c h solches n i c h t selbst verschaffen, sondern sich hierfür an den z u s t ä n d i g e n R i c h t e r wenden. 1 1 A u s n a h m s w e i s e Zulass, der S e l b s t h i l f e , B.G.B. § 229.

1(30 I. Geschichte u. Quellen. §27. Die Zivilgerichtsb. in d. Behördenorganisat. (§ 134, 138 B.G.B.), und dies läfst sich von einem Selbsthilfevertrag um so weniger sagen, als die Selbsthilfe in gewissem Umfange schon g e s e t z l i c h gestattet ist (B.G.B. § 226 ff.). Nur wird damit die Frage durchaus vom einzelnen Fall abhängig. Nichts spricht z. B. gegen die Gültigkeit, wenn der Gläubiger sich ausbedingt, eine nur unter Bedingung verkaufte und tradierte Sache bei Nichterfüllung der Bedingung wieder wegnehmen zu dürfen, wie bei Abzahlungsgeschäften über Klaviere, Nähmaschinen, Droschken (Beispiel solchen Vertrags R.G. Strafs. 7, 63), denn hier ist nur Betreten fremder Räume und Besitzergreifung zugesichert, was im Privatrechtsverkehr ohnehin oft geschieht. Zweifelhaft wäre eher, ob auch gew a l t s a m e Wegnahme u. a. m. gestattet werden kann. Eine andere Frage ist, ob die G e s e t z g e b u n g nicht gut tue, einem solchen vertragsmäßigen Zwang durch positive Bestimmungen feste Grenzen zu ziehen. Hierauf deutet vor allem die Erscheinung des modernen Vereinsrechts, dafs sich rechtsfähige wie nicht-rechtsfähige Vereine durch die Statuten überaus weitgehende, die ganze Existenz ihrer Mitglieder umfassende Rechte gegen diese beilegen und sich zu deren Ergänzung exorbitante Zwangsmittel, bes. die Ausschliefsung mit allen Folgen, sichern 1 . Hierdurch wird der Staat in seiner Einwirkung auf die Bürger, auch in seiner Zivilrechtspflege, in einem wachsenden Mafse geschmälert 2 .

§ 27. Die Zivilgerichtsbarkeit im Verhältnis zur staatlichen Behördenorganisation überhaupt. I . Staats- und Privatgerichtsbarkeit. Das Gebiet des Zivilprozesses beschränkt sich (S. 151) auf die Rechtsschutztätigkeit der öffentlichen, d. h. der von den öffentlichen oder staatlichen Verbänden eingesetzten Gerichte. Hiermit ist noch nicht gesagt, dais die Zivilprozefsgerichte notwendig Gerichte des S t a a t s im engern Sinne, d h. des obersten staatlichen Verbands sein müssen. An und für sich ist vielmehr denkbar, dafs der Staat auf Grund der historischen Entwicklung geschehen läfst, dafs niedere Verbände innerhalb des Staatsganzen für ihre Mitglieder oder ihr Gebiet die Gerichtsherrlichkeit ausüben. Die Gerichte können deshalb, ohue ihren Charakter als öffentliche Rechtsschutzorgane einzubüfsen, von Stadt- oder Landgemeinden (Kommunalgerichte), von städtischen Korporationen (Gilde-, Zunftgerichte) oder vom Haupt eines lehns- oder gutsherrlichen Verbands (Lehns- oder Patrimonialgerichte) eingesetzt werden, und in allen Teilen Deutschlands waren solche Institutionen seit dem Mittelalter entwickelt (0. S. 6, 62, (56, 8U, 94). Innerhalb der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts haben sich diese „Privatgerichte" jedoch überall als überlebt erwiesen 3. Sie 1 Sie s i n d z u r Z e i t n u r s o w e i t u n w i r k s a m , als die i n d i r e k t zu erzwingende M i t g l i e d s v e r p f l i c h t u n ç s e l b s t u n w i r k s a m , z. B. als f r e i h e i t s g e f ä h r l i c h c o n t r a bonos mores i s t , z. B. die P f l i c h t der M i t g l i e d e r eines A r b e i t e r v e r b a n d s , s i c h bei V e r l u s t der M i t g l i e d s c h a f t den B e s t i m m u n g e n des V o r s t a n d s über A r b e i t s p r e i s u n d A r b e i t s z e i t zu u n t e r w e r f e n (R.G. 33, 185, sogar h i e r z w e i f e l n d K i p p , J a h r b . f. Dogm. 35, 334). D e n n d a r ü b e r i s t k e i n Z w e i f e l , dafs A n d r o h u n g v o n Geldstrafen oder A u s s c h l i e f s u n g u s w . v o m h e u t i g e n P r i v a t r e c h t g e b i l l i g t w i r d . Sie w e r d e n der A k t i e n g e s e l l s c h a f t , der E r w e r b s - u . Wirtsch.Genossensch, schon d u r c h das Gesetz beigelegt. (H.G.B. § 219, Genoss.Ges. § 68.) 2 Die D a r l e g u n g dieser Gefahr bezweckt L e i s t , U n t e r s u c h u n g e n z u m i n n e r n Vereinsrecht, 1904, bes. S. 177 ff. 3 ' D e r Begriff der „ P r i v a t g e r i c h t s b a r k e i t " , o b w o h l i h n a u c h das G.V.G. n o c h geb r a u c h t (s. u.), i s t a l l e r d i n g s n i c h t k o r r e k t . E r b e r u h t a u f der V o r s t e l l u n g , dafs die P a t r i m o n i a l - oder K o m m u n a l g e r i c h t e Gerichte v o n ^ U n t e r t a n e n ' · des Staats s i n d . A b e r

Selbsthilfeverträge.

Beseitigung der Patrimonialgerichte.

101

hatten durch klassenegoistische Berufsausübung bei den unteren Klassen, besonders bei den Bauern, das Vertrauen verscherzt und vertrugen sich nicht mehr mit dem Streben des modernen Staats, für seine richterlichen Beamten gleichmäfsige Qualifikationsbedingungen und eine offizielle Überwachung durchzuführen. Seit den Grundrechten der Frankfurter Nationalversammlung von 1848 § 174 erhoben es alle deutschen Einzelstaaten zum Verfassungsaxiom, dafs die Gerichtsbarkeit „allein vom Staate ausgeht". Wenn also G.V.G. § 15 für die ordentlichen Gerichte den Grundsatz aufnahm: „Die Gerichte sind Staatsgerichte, — die Privatgerichtsbarkeit ist aufgehoben", so bestätigte es im wesentlichen nur einen bereits vorhandenen Rechtszustand l . Das gleiche war für die geistliche Gerichtsbarkeit (besonders in Ehe- und Verlöbnissachen) der Fall, die „ohne bürgerliche Wirkung" sein soll (Abs. 3) 2 . I I . Der Behördenorganismus des Staats. Im modernen Staat löst sich hiernach die Ausübung der Zivilgerichtsbarkeit in dem Werk der Behördenorganisation auf, durch welche der Staat seine Fürsorge für die gemeinsamen Interessen des Volks betätigt. Gerade deshalb setzt aber die Einrichtung der Organe der Ziviljustiz nach Mafsgabe des Gerichtsverfassungsrechts (unten Buch II) das Dasein gewisser beherrschender Grundsätze voraus, die das Verhältnis dieser Organe zu den übrigen Behördenzweigen, also überhaupt das wechselseitige Verhältnis aller verschiedenen Seiten der staatlichen Funktion, bestimmen. Es werden neben der Zivilgerichtsbarkeit insbesondere die zahlreichen und untereinander sehr verschiedenartigen Tätigkeiten der V e r w a l t u n g , die Funktion der S t r a f g e r i c h t s b a r k e i t und die der sog. f r e i w i l l i g e n G e r i c h t s b a r k e i t von Bedeutung. Für sie alle erhebt sich die Frage, ob es möglich ist, mehrere oder sämtliche dieser Funktionen in der Hand derselben Behörden oder im Rahmen desselben Verfahrens zu verbinden (hierüber §§ 28—30). er v e r k e n n t , dais diese U n t e r t a n e n k e i n e P r i v a t p e r s o n e n s i n d , s o n d e r n selbst Verbände ö f f e n t l i c h e r , d. h. s t a a t l i c h e r N a t u r , insofern sie h i s t o r i s c h z u r B e f r i e d i g u n g der öffentl i c h e n ( a l l e n B ü r g e r n gemeinsamen) Bedürfnisse e n t s t a n d e n s i n d ( v g l . B i c h . S c h m i d t , A l l g e m . Staatslehre, I , S. 10 ff.). 1 Bei I n k r a f t t r e t e n des G.V.G. bestand i n D e u t s c h l a n d : a) eine P a t r i m o n i a l g e r i c h t s b a r k e i t n u r n o c h i n Preufsen zu G u n s t e n des Herzogs v o n A r e n b e r g - M e p p e n , i n Sachsen zu G u n s t e n des f ü r s t l . u n d gräfl. Hauses S c h ö n b u r g , also zu Gunsten m e d i a t i s i e r t e r s t a n d e s h e r r l i c h e r Häuser als Rest einer e h e m a l s s t a a t l i c h e n G.B., - als e i g e n t l i c h g r u n d h e r r l i c h e n u r i n M e c k l e n b u r g ; b) eine städtische n u r m M e c k l e n b u r g , L i p p e u n d S c h a u m b u r g - L i p ç e , — dagegen c) eine geistliche als G.B. i n Ehesachen v o n K a t h o l i k e n i n z a h l r e i c h e n Staaten (Bayern, Sachsen, Hessen usw.). Die d u r c h § 15 m i t beseitigten „ P r ä s e n t a t i o n e n " , d. h. die Hechte (der Standesherren usw.) z u m V o r s c h l a g b e s t i m m t e r I n d i v i d u e n an die S t a a t s g e w a l t s i n d m e i s t n u r abgeschwächte F o r m e n der P r i v a t g e r i c h t s b a r k e i t . (S. aber M o t . G.V.G. 62.) 2 F r e i l i c h ist zu b e d e n k e n , dafs G.V.G. das P r i n z i p n u r f ü r d i e sog. „ o r d e n t l i c h e n " Gerichte a u f s t e l l t (vgl. u. S 32). Die sog. Sondergerichte s i n d deshalb a u c h heute n o c h Staatsgerichte n u r n a c h Mafsgabe der L a n d e s g e s e t z e . I n der T a t h a t das Reichsrecht bei den w i c h t i g s t e n derselben, den G e w e r b e - u n d K a u f m a n n s g e r i c h t e n , selbst den A n s t o i s gegeben, den s t a a t l i c h e n C h a r a k t e r i h r e r G e r i c h t s b a r k e i t abzuschwächen u n d i h n e n eine k o m m u n a l e B e i m i s c h u n g zu geben (vgl. u. § 38). R i c h a r d S c h m i d t , L e h r b u c h des Zivilprozefsrechts.

2. A u t i .

11

162 I· Geschichte und Quellen.

§ 2.

Z

u.

ei

e r c h t .

§ 28. Zivilprozefs und freiwillige Gerichtsbarkeit. G r u n d l e g e n d e U n t e r s , des Verhältnisses bei W a c h , H a n d b . i , S. 47, § 6, d u r c h w e l c h e die d o r t angeg. frühere L i t . grofsenteils v e r a l t e t i s t . Die ältere L i t . über das ehemalige p r a k t i s c h e P a r t i k u l a r r e c h t i s t n i c h t m e h r v o n Interesse. — I m ü b r i g e n : W e i s m a n n , L b . § 70, H e l l w i g , L b . § 12. Ü b e r das R e i c h s r e c h t : D o r n e r , K o m m , z u m R.Ges. über die f r e i w i l l . Gbk., 1899. Josef, L e h r b u c h des Verf. der f r e i w i l l i g e n Gbk., 1902. Die Z e i t s c h r i f t f ü r Civilprozefs (o. S. 149) h a t seit 1900 a u c h die A n g e l e g e n h e i t e n der f r e i w i l l i g e n G e r i c h t s b a r k e i t m i h r e n R a h m e n gezogen. A u f s e r d e m b e a c h t e : Z e n t r a l b l a t t f ü r f r e i w i l l i g e G e r i c h t s b a r k e i t , her. v . Lobe.

I . Streitige und freiwillige Gerichtsbarkeit. Äufserlich und innerlich am nächsten berührt sich der Zivilprozefs mit einer Reihe von Behördentätigkeiten, die unter dem Namen der freiwilligen oder nicht-streitigen Gerichtsbarkeit (iurisdictio voluntaria) oder Rechtspolizei zusammengefafst und dem Zivilprozefs als der streitigen Gerichtsbarkeit (iurisdictio contentiosa) gegenübergestellt werden. Sie umfassen wieder sehr verschiedenartige Funktionen, z. B. Errichtung von rechtserheblichen Urkunden (Testamenten, Grundbüchern, Vertragsinstrumenten), Verwaltung des Vermögens hilfloser Personen (Unerwachsener, Geisteskranker), Überwachung familienrechtlicher Akte (des Eheschlusses, der Adoption), begegnen sich aber jedenfalls darin mit den Akten cles Zivilprozesses, dafs auch sie sämtlich dem Schutz der individuellen Privatrechte, der Verwirklichung der Privatrechtsordnung dienen. Sie sind beide Z i v i l r e c h t s p f l e g e . Trotz der Gemeinsamkeit im letzten Ziele sind die Tätigkeiten der freiwilligen und der streitigen Zivilgerichtsbarkeit innerlich verschieden. Allerdings liegt das Unterscheidende nicht in demjenigen Moment, das die Namensbezeichnung auszudrücken scheint, nämlich nicht darin, dafs hier das Verfahren durch einen S t r e i t , dort ohne Streit durch übereinstimmenden Willensakt mehrerer Beteiligter veranlafst wird. Im Gegenteil kann einerseits recht wohl der wesentliche Akt des zivilprozessualen Schutzes (Urteil, Vollstreckung) zugunsten einer Person ohne Widerspruch des Gegners vorgenommen werden (Anerkenntnisurteil Z.P.O. § 307, Heranziehung eines erfolglos ausgepfändeten Schuldners zur Leistung des Offenbarungseides mit dessen Willen, §§ 899 if.) 1 , — anderseits kann ein Eintrag im Hypothekenbuch oder Handelsregister, die Bestellung eines Vormunds wider Willen der hierzu ausersehenen Person, eventuell mit Zwang gegen sie vor sich gehen. Vielmehr liegt das Unterscheidende der Zivilrechtspflege im Gegensatz zur freiwilligen Gerichtsbarkeit darin, dafs sie nur z u r A b w e h r des k o n k r e t e n o b j e k t i v r e c h t s w i d r i g e n V e r h a l t e n s eines b e s t i m m t e n E i n z e l n e n eingreift. Der Zivilprozefs setzt demgemäfs einen tatsächlichen A n g r i f f auf die Rechtsordnung voraus. Dieser verkörpert sich in der Störung, 1 Ebenso i s t e i n A k t der Strafrechtspflege ohne S t r e i t m i t dem B e s c h ä d i g t e n d e n k b a r : A b u r t e i l u n g a u f G r u n d f r e i w i l l i g e r S t e l l u n g u n d Geständnisses Str.P.O. § 211; E r lafs des S t r a f befehls, dem sich der B e s c h u l d i g t e u n t e r w i r f t , § 447, 450.

Unterscheidung der streitigen und freiwilligen Gerichtsbarkeit.

163

Nichterfüllung des fremden Privatrechts, in der rechtswidrigen Anmafsung eines eigenen Privatrechts usw., welche das Rechtsschutzinteresse (oben S. 13 ff.) und die Vorbedingung des Urteilsoder Vollstreckungsschutzes bilden und welche mithin behauptet sein müssen, damit Zivilprozefs zustande komme. Dagegen entwickelt der Staat in der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine Tätigkeit der Fürsorge für die Privatrechte der Einzelnen, ohne dafs d i e A b w e h r der A n g r i f f e eines a n d e r n bezweckt würde, v i e l m e h r n u r , um b e l i e b i g e n A n g r i f f e n i n d e r Z u k u n f t v o r z u b e u g e n . Das Recht fordert als Voraussetzung des freiwilligen Rechtspflegeakts nicht eine konkrete Beeinträchtigung fremder Rechtssphäre, ja nicht einmal Tatsachen, die die Besorgnis einer solchen begründen, sondern es läfst diese Rechtspflegeakte eintreten auf die a l l g e m e i n e und u n g e w i s s e M ö g l i c h k e i t von Beeinträchtigungen hin. Die Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit erschöpfen sich deshalb unmittelbar darin, bei der Ordnung privatrechtlicher Verhältnisse in einer Weise mitzuwirken, dafs die letzteren zum voraus gegen Eingriffe gesichert und widerstandsfähig erscheinen, z. B. man verwaltet das Vermögen eines Minderjährigen unter staatlicher Aufsicht, um die Möglichkeit einer Übervorteilung und Ausbeutung des Unerwachsenen auszuschliefsen, man errichtet notarielle Vertragsurkunden, die die Gefahr künftiger Bestreitung verringern usw. So läfst sich ihrem unmittelbaren Zwecke nach die freiwillige Gerichtsbarkeit als die M i t w i r k u n g s t a a t l i c h e r O r g a n e b e i der E n t s t e h u n g , F o r t e n t w i c k l u n g u n d E n d i g u n g der P r i v a t r e c h t e b e z e i c h n e n 1 . Im einzelnen gehören demgemäfs zu den Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit: 1. die Akte der B e u r k u n d u n g , d. h. die Abgabe urkundlicher Erklärungen, die entweder als B e w e i s m i t t e l oder als wesentliche E r s c h e i n u n g s f o r m rechtserzeugender, -verändernder oder -aufhebender Tatbestände (s. unten § 51) dienen. In dieser Funktion tritt behördliche Tätigkeit auf: a) bei Entstehung und Endigung von Rechts S u b j e k t e n selbst (Eintragung ins Genossenschafts-, Vereinsregister, Beurkundung von Geburtsund Sterbefällen im Zivilstandsregister); b) bei Entstehung und Endigung von R e c h t e n , und zwar sowohl von 1 i Z u s a m m e n s t e l l u n g u n d W i d e r l e g u n g abweichender Versuche der U n t e r s c h e i d u n g bei W a c h 47 ff. U n r i c h t i g dagegen K ö h l e r , G r u n d r i f s i n H o l t z e n d . E n c y k l . § 6: i n d e r f r e i w i l l . Gbk. w e r d e n neue Rechtsbeziehungen geschaffen, i m Prozefs v o r h a n d e n e festgestellt. Bei der K l a g e auf Rechtsänderung i B e w i r k u n ^ , u . § 49, 112) schafft a u c h der Z . P . neue R e c h t s v e r h ä l t n i s s e ; i n der F ü h r u n g aes H a n d e l s r e g i s t e r s , Standesbuchs b e g n ü g t sich a u c h die f r e i w i l l . Gbk. v o r h a n d e n e festzustellen. N e u e r d i n g s w i l l W e i s m a n n I , S. 24 jede feste U n t e r s c h e i d u n g zwischen beiden F u n k t i o n e n l e u g n e n u n d die Grenze e i n f a c h dem p o s i t i v e n Recht überlassen. F r e i w i l l i g e Gbk. s o l l d a n a c h j e d e B e t ä t i g u n g des Staats i m H i n b l i c k a u f p r i v a t r e c h t l i c h e V e r h ä l t n i s s e sein, d i e n i c h t Z i v i l p r o z e f s ist. A b e r die E r s c h e i n u n g e n , d i e er z u m Beweise b e i b r i n g t , beweisen n i c h t s . Sie beweisen n u r , dafs es Rechtslagen g i b t , i n denen das B e d ü r f n i s n a c h sicherer B e g r ü n d u n g neuerer Rechte (nach f r e i w i l l . Gbk.) u n d n a c h Schutz gegen R e c h t s v e r l e t z u n g (nach Z i v i l prozefs) zusammentreffen k a n n . Deshalb k a n n z. B. e i n M i t e r b e n v e r h ä l t n i s g l e i c h z e i t i g Grundlage eines f ü r s o r g l i c h e n Auseinandersetzungsverfahrens u n d eines Prozesses u m E r b t e i l u n g werden. F ü h r t heute die A u s e i n a n d e r s e t z u n g der M i t e r b e n v o r d e m N a c h l a f s gericht (B.G.B. § 2042 F.G.G. § 86 ff.) zu k e i n e r E i n i g u n g , so k o m m t es z u r K l a g e v o r d e m Prozefsgericht ( D o r n e r S. 378).

11*

164

I· Geschichte und Quellen. § 28. Z.P. u. freiwill. Gerichtsbarkeit.

Familien- und Individualrechten (Eintragung in die Patentrolle, das Warenzeichenregister, Beglaubigung von Vollmachten, Eintragung der Prokuristen-, Vorstandsbestellung im Handelsregister), wie besonders von Vermögensrechten (Eintragung des Eigentumswechsels, der Hypothekeneinräumung, -Zession, -löschung und anderer Immobiliarrechte im Grund- und Hypothekenbuch, Beurkundung von Verträgen aller Art, Ehepakten, letztwilligen Verfügungen usw. 2. Die Akte der R e c h t s b e g r ü n d u n g , d. h. Abgabe von (beurkundeten oder nicht beurkundeten) amtlichen Willenserklärungen, welche als solche vom Gesetz zum rechtsverändernden Tatbestande erhoben sind. Und zwar kann die amtliche Tätigkeit wiederum konstituierend wirken: a) für Entstehung von Rechtssubjekten (gerichtliche oder administrative Genehmigung der Entstehung juristischer Personen); b) für Entstehung, Endigung usw. von R e c h t e n , von Personenrechten (standesamtliche Erklärung des Eheschlusses, Bestätigung der Adoption, Bestellung des Alters-, Geisteskranken-, Abwesenheitsvormunds usw.) oder von Vermögensrechten (Zuerteilung u. Entziehung von Rechten bei Auflösungen von Gemeinschaften, Grundstücksteilungen, Erbteilungen usw.). 3. Die Akte der R e c h t s p o l i z e i im e. S., d. h. die Leitung und Überwachung einer auf Erziehung, V e r m ö g e n s v e r w a l t u n g gerichteten dauernden Tätigkeit, der Vormundschaftsführung (in ihrer persönlichen wie in ihrer vermögensrechtlichen Entfaltung), der Abwicklung der Angelegenheiten einer oifenen Handelsgesellschaft, Aktiengesellschaft zum Zweck ihrer Liquidation, der Inventarisierung, Versilberung usw. einer Erbschaft.

I I . Einflufs des Verhältnisses auf die Gerichtsverfassung* Für streitige und freiwillige Gerichtsbarkeit erhebt sich hiernach zunächst die Frage, inwieweit die innere Verschiedenheit der Funktion auf die äufsere Handhabung derselben einwirkt. Was die Bildung der amtierenden B e h ö r d e n angeht, so sind die beiden Funktionen in der Hand derselben Behörden wohl miteinander verträglich. Die Verrichtungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit nähern sich denen der streitigen Gerichtsbarkeit, und zwar gerade der Zivilgerichtsbarkeit, insofern aufserordentlich T als auch sie im wesentlichen in der Anwendung der Privatrechtsordnung auf äufsere Tatbestände bestehen und in vielen Fällen (Grundbuchsachen, Patentsachen usw.) sogar ein sehr bedeutendes Mafs juristischer Prüfung erfordern. Das geltende Recht tritt deshalb ihrer Verbindung nicht in den Weg. E.G. zu G.V.G. § 4 spricht im Gegenteil von Anfang an aus, dafs „die Landesgesetzgebung nicht gehindert werde", den ordentlichen Zivilgerichten Jede andere Art der Gerichtsbarkeit zu übertragen". Die Partikulargesetzgebungen, die damals noch mit der gesetzlichen Regelung der Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit befafst waren, hatten deshalb allgemein alle oder doch die gröfseren Teile der letzteren den Prozefsgerichten, insbesondere den Amtsrichtern, anvertraut und sich deshalb sowohl das Personal wie die Organisation für die freiwillige Gerichtsbarkeit angeeignet. Seitdem hat das Reich selbst deren Ordnung in die Hand genommen, und das im Anschlufs an das B.G.B, erlassene R.Ges. über die Angel, der F.G. vom 17. Mai 1898 (F.G.G.) hat nunmehr die Behördengemeinschaft der streitigen und freiwilligen Zivilgerichtsbarkeit zum Prinzip erhoben. Es überträgt den A m t s g e r i c h t e n :

Gemeinsamkeit der Behörden für streitige und freiwill. Gbk.

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1. die V e r r i c h t u n g e n des V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t s in Sachen der Vormundschaft über Minderjährige, Geisteskranke, Verschwender usw. und der Pflegschaft (B.G.B. § 1909) über Gebrechliche , Abwesende, Ungeborne, sonstige Fürsorgebedürftige (B.G.B. § 1913), öffentliche Sammlungen (F.G.G. §§ 35-42), sowie in andern Fällen (§ 43 verb. m. B.G.B. § 112.1630, 2.1635 u. dergl.). 2. d i e M i t w i r k u n g bei A n n a h m e an K i n d e s s t a t t (§ 65); 3. die A u f b e w a h r u n g cles N e b e n r e g i s t e r s i n P e r s o n e n s t a n d s s a c h e n (§69 in Verbindung mit Zivilst.Ges. vom . Februar 1875, § 14); 4. clie V e r r i c h t u n g e n des N a c h l a f s g e r i c h t s ( § 72); 5. die F ü h r u n g des H a n d e l s - , V e r e i n s - , G ü t e r r e c h t s r e g i s t e r s (§§ 125. 159); 6. die A b n a h m e des O f f e n b a r u n g s e i d e s aufserhalb cles Zivilprozesses, — auch in Fällen, wo derselbe sich nicht auf Nachlafssachen F.G.G. § 79 B.G.B. § 2006) bezieht (F.G.G. § 163, B.G.B. §§ 259. 260. 2028. 2057), sowie die Bestellung von Sachverständigen zur Feststellung des Zustandes oder Wertes von Sachen (§ 164), die Bestellung und Honorierung des Verwahrers von Sachen (in den Fällen B.G.B. §§ 432. 1217. 1281. 2039, verb, m. F.G.G. § 165) usw.; 7. die g e r i c h t l i c h e B e u r k u n d u n g von R e c h t s g e s c h ä f t e n , sowie die gerichtliche Beglaubigung von Handzeichen (§ 167, 1), sowie — neben den Notaren — die öffentliche Beglaubigung einer Unterschrift (§ 167, 2) 1 . Für alle Fälle gilt gemeinsam, dafs sich die B e s c h w e r d e gegen Verfügungen der Amtsgerichte in den genannten Fällen an die Zivilkammer des L a n d g e r i c h t s richtet, in dessen Bezirk das erstere seinen Sitz hat (§§ 19. 30), die eventuelle w e i t e r e Beschwerde an den Zivilsenat des Ober l a n d e sge r i e h ts und R e i c h s g e r i c h t s (§ 28). Immerhin können auch noch in Zukunft die L a n d e s g e s e t z e andere Behörden in grofsem Umfange mit den Funktionen der freiw. Gb. betrauen 2 , besonders in folgenden Punkten: a) Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, nach welchen iur die Verrichtungen des V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t s o d e r N a c h l a f s ge r i e h t s andere als gerichtliche Behörden zuständig sind (E.G. B.G.B. Art. 147, vgl. F.G.G. §§ 190, 193); — mit Ausnahme des in Nachlafssachen /•u leistenden Offenbarungseids, den auch unter dieser Voraussetzung das Amtsgericht abzunehmen hat (Abs. 2) [vgl. auch Art. 148 und speziell über 1 H i e r f ü r sind aufser den A m t s g e r i c h t e n (bez. Notaren) f ü r die Personen der Schiffsbesatzung oder andere Schiffsinsassen a u c h die G e s c h w a d e r a u d i t e u r e z u s t ä n d i g , solange sich das Schiff aufserhalb eines i n l ä n d . Hafens befindet. (§ 174.) 2 M als gebend h i e r f ü r i n P r e u f s e n Ges. ü b e r die f r e i w i l l i g e G e r i c h t s b a r k e i t v o m 21. September 1899 (G.S. 249), -- i n B a y e r n Ausf.Ges. z u m B.G.B., Beilage z u m L a n d t a g s abschied (zum Gesetzblatt v . 12. J u n i 1899, S. 33), A r t . 129 ff., — i n S a c h s e n V . O . z u r Ausf. einiger m i t d e m B.G.B, z u s a m m e n h ä n g e n d e r Reichsgesetze v . 24. J u l i 1899, I . A b s c h n i t t (Ges.Bl. 217), — i n W ü r t t e m b e r g Ausf.Ges. z. B.G.B, u n d dessen Nebengesetzen v. 28. J u l i 1899, I . A b s c h n i t t (Reg.Bl. 423), — i n B a d e n Ges. betr. die f r e i w i l l . Gb. u n d ) aus M i f s b r a u c h einer i n i h r e r freien W i l l e n s b e s t i m m u n g beschränkten Frauensperson eine „ b i l l i g e E n t s c h ä d i g u n g i n G e l d " wegen des „ S c h a d e n s , der n i c h t Vermögensscnaden i s t u , v e r l a n g t w e r d e n . Dieser A n s p r u c h v e r m i s c h t s i c h i n h a l t l i c h v ö l l i g m i t dem Bufsa n s p r u c h , i s t aber n i c h t i m Strafprozefs d u r c h N e b e n k l a g e , sondern i m Z i v i l p r o z e f s d u r c h K l a g e e i n z u f o r d e r n . B e i K ö r p e r - u n d G e s u n d h e i t s v e r l e t z u n g e n k a n n der Verletzte z w i s c h e n Bufse (s. o.) u n d Schmerzensgeld i m S i n n e des Z i v i l r e c h t s (§ 847 B.G.B.) w ä h l e n . ·'' A u c h h i e r t r a t e n m i t A n f a n g des J a h r h u n d e r t s die f r a n z ö s i s c h e n Rechtsa n s c h a u u n g e n , die die b i n d e n d e K r a f t des S t r a f u r t e i l s f ü r den Z i v i l r i c h t e r a n e r k a n n t e n , m i t den g e m e i n r e c h t l i c h e n i n K o n f l i k t , die sie l e u g n e t e n . Die letzteren haben sich i n h e f t i g e n K o n t r o v e r s e n behauptet. ' Vgl. darüber u. S 127.

Zivilsache und Strafsache.

Trennung von Justiz und Verwaltung. 177

20. Mai 1898 R.G.B1. 345), — sowie für die entsprechende Entscheidung über den Entschädigungsanspruch des u n s c h u l d i g o d e r o h n e b e g r ü n d e t e n V e r d a c h t V e r h a f t e t e n , die in zweiter Instanz dem gleichen Zivilgericht übertragen ist, die f r e i s p r e c h e n d e Entscheidung des Strafgerichts (R.Ges. betr. die Entschäd. für unschuldig erlittene Untersuchungshaft v. 14. Juli 1904, R.G.B1. 321) \

§ 30. Zivilrechtspflege und Verwaltung. L a b a n d , Staatsrecht d. Deutschen Reichs, 4. Aufl., I I , S. 6, 159 ff. O t t o M a y e r , H a n d b u c h des deutschen V e r w a l t u n g s r e c h t s , I , S. 61 ff. W a c h , H b . I , 77 (daselbst N r . 1 die frühere L i t e r a t u r ) . S e i t d e m : Prazak, A b e r . d. K o m p e t . zw. G. u. V. ( A . f. öff. R. 4, 241, 1889). B o r n h a k , Stengels W ö r t e r b . 1, Y e r w a l t . - R . 2, 331 (1890). O t t o S t ö l z e l , R e c h t s w e g u n d O o m p e t e n z k o n i l i k t i n Preufsen, 1901. Ü b e r die S t e l l u n g der einzelnen Landesrechte d i e (oben S. 142 zit.) „ l a n d e s r e c h t l . Z i v i l p r o z e f s n o r m e n " A n h ä n g e zu Gaupps K o m m e n t a r e v o n Reitzenstein, Betzinger, S c h i e r l i n g e r , Grengel. Gefsler, M i c h a e l i s .

I . Das Prinzip der Trennung von Justiz und Verwaltung. Ihrem Inhalte nach steht auch die Verwaltung zum Zivilprozefs in keinem Gegensatz. Die Verwaltung umschliefst an und für sich jede Behördentätigkeit des Staats, die der fortlaufenden Befriedigung der gemeinsamen Interessen dient, die gesamte Fürsorge für die wirtschaftliche und geistige Volkskultur (Wohlfahrts- und Sicherheitspolizei, innere Verwaltung) ebenso wie die militärische Sicherung und die finanzielle Ermöglichung (Militär- und Finanzverwaltung). Wie zu den zahlreichen Leistungen des Bürgers an den Staat in letzter Linie auch die Unterwerfung des verbrecherischen Bürgers unter die Strafe gehört (o. S. 173 ff.), so ist auch der Zivilrechtsschutz im Grunde nur eine von den vielen Leistungen des Staats an den Bürger, der freiwillige (S. 162 ff.) sowohl wie der streitige, der Zivilprozefs. In der Tat stellen denn alle Funktionen, die auf die E r m ö g l i c h u n g der Straf- und Zivilrechtspflege gerichtet sind, nur einen Einzelzweig der Verwaltung, die J u s t i z v e r w a l t u n g , dar (o. S. 151). Ja, jede ältere Staatsverfassung begann ursprünglich ganz naturgemäfs mit der Einrichtung, auch die A u s ü b u n g der Rechtspflege denselben Organen zu übertragen, die die Verwaltungsfunktion, vor allem die der inneren Verwaltung, zu besorgen hatten ; noch im 18. Jahrhundert lag mindestens die Justiz unterer Instanz in den deutschen Territorien in der Hand der landesfürstlichen Amtmänner, die zugleich die Träger der Lokalverwaltung waren. Dabei war die äufsere organisatorische Verbindung von Justiz und Verwaltung insofern ziemlich gerechtfertigt, als die Verwaltungsakte in mancher Hinsicht eine gleiche geistige Leistung in sich schliefsen wie die Urteile der Justiz. Denn zweifellos setzt auch die Entschliefsung der Verwaltungsbehörde — Steuerauflage oder Zollerhebung, Truppenaushebung oder polizeiliche Verhaftung, Strafsenbau1 Dabei i s t aber die f ü r das Z i v i l g e r i c h t mafsgebende E n t s c h e i d u n g des Strafgerichts n i c h t das U r t e i l , welches den Strafprozefs (freisprechend) entscheidet, s o n d e r n eine ad hoc erlassene Z w i s c h e n e n t s c h e i d u n g , e i n B e s c h l u f s , der z u g l e i c h m i t d e m freisprechenden U r t e i l die V e r p f l i c h t u n g der Staatskasse z u r E n t s c h ä d i g u n g a u s s p r i c h t u n d dem A n geklagten nach R e c h t s k r a f t des U r t e i l s d u r c h Z u s t e l l u n g (geheim) b e k a n n t zu m a c h e n i s t .

R i c h a r d S c h m i d t , L e h r b u c h des Zivilprozefsrechts.

2. Aufl.

12

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Ι · Geschichte und Quellen. § 30. Zivilrechtspflege und Verwaltung.

Verfügung, Enteignung, Prefszensur — eine R e c h t s a n w e n d u n g voraus. Zu keiner Zeit ist die Verwaltung, vom Standpunkt der Vorstellungen des Volks aus betrachtet, nur willkürliche Machtentfaltung des Staats. Sie ist immer kulturfördernde Willenstätigkeit nach Mafsgabe des Gewohnheitsrechts oder des Gesetzes. Allerdings bewegen sich die Verwaltungsbehörden im Rahmen der rechtlichen Normen nach ihrem freien Ermessen, indem sie die augenblickliche Situation individuell ordnen und gestalten. Aber in gewissem Umfang tun dies auch die Gerichte, wenn sie ζ. B. im Zivilprozesse einen Schaden abschätzen, die Anforderungen von Treu und Glauben im \7erkehr feststellen oder eine Grenzregulierung zweier Nachbarn vornehmen 1. Nichtsdestoweniger besteht, wie die Erfahrung gelehrt hat, zwischen den Funktionen der Verwaltung und denen der Zivilund Strafrechtspflege ein starker innerer Gegensatz. Betrachtet man die Verwaltung als Ganzes, so stellt sie an ihre Organe vorwiegend die Anforderung, den wechselnden Bedürfnissen des Augenblicks Rechnung zu tragen, im Interesse der gemeinsamen Aufgaben und Wünsche des Volks selbständige Willensentschliefsungen zu treffen 2 . Obwohl der moderne Staat in steigendem Mafse die Tendenz entfaltet, die hierfür mafsgebenden Grundsätze in den Hauptpunkten, zum Teil auch in Einzelpunkten gesetzlich zu formulieren, so bleibt doch immer ein grofser Raum offen, der der gesetzlichen Regelung entzogen und einer produktiven, kulturfördernden Initiative der Verwaltungsbehörden überlassen werden mufs. Eben deshalb ist es unvermeidlich, dafs der Staat, um auch für das Gebiet der „Ermessensfragen" eine gewisse Einheitlichkeit der Verwaltungstätigkeit zu gewährleisten, die l o k a l e n Verwaltungsbehörden an die Instruktionen von Organen der Z e n t r a l Verwaltung, der Ministerien, bindet, und diese enge Unterordnung unter die Anweisungen der „Regierung" führt wiederum dazu, dafs auch die unteren Verwaltungsbeamten sich systematisch gewöhnen, bei ihrer Entschliefsung den Blick in erster Linie auf das Gesamtinteresse, insbesondere dasjenige, das der augenblicklichen Regierung als solches vorschwebt, gerichtet zu halten. Infolgedessen werden die Verwaltungsbehörden psychologisch wenig geeignet, eine unparteiische Prüfung vorzunehmen, die lediglich auf Feststellung des dem Rechtssatz entsprechenden Zustands abzweckt. Sie entwöhnen sich insbesondere leicht, solche rechtliche Erwägungen zu berücksichtigen, die vorwiegend die 1 Dafs die V e r w a l t u n g das V o l k s l e b e n u n t e r A n w e n d u n g oder B e o b a c h t u n g v o n Rechtsregeln o r d n e t u n d dai's m i t h i n z w i s c h e n „ R e c h t s e n t s c h e i a u n g e n " u n d „Ermessense n t s c h e i a u n g e n " , z w i s c h e n der F u n k t i o n der V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n u n d der Gerichte k e i n b e g r i f f l i c h e r U n t e r s c h i e d besteht, i s t j e t z t d i e a l l g e m e i n e A n s c h a u u n g . V g l . L a b a n d , S t a a t s r e c h t , 4. A u f l . , I I , 105. O t t o M a y e r , L e h r b . des V e r w a l t u n g s r e c h t s , I , S. 107 ff. G n e i s t , Der Rechtsstaat, 2. A u f l . S. 62, 281. H ä n e l , Staatsrecht^ I , 127. Z o r n , V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t , V e r w . A . 2, 140. v . L e m a y e r , S t u d i e n zur Verw.Ger., G r ü n h u t s Z e i t s c h r . 22 (1895) S. 353ff. R i c h a r d S c h m i d t , A l l g e m e i n e Staatslehre, I , S. 202ff., — i m Gegensatz z u der ζ. B. Von B ä h r . Der R e c h t s s t a a t , 1864, v e r t r e t e n e n , f r ü h e r a u c h v o n L a o a n d , S a r w e y u. a. g e t e i l t e n M e i n u n g , als bewege s i c h die V e r w a l t u n g i h r e r N a t u r n a c h u n a b h ä n g i g v o m Recht. 2 V g l . bes. L a b a n d a. a. O.

Verwaltungsbehörden und Gerichte.

Grund ihrer Sonderung.

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Interessen der beteiligten I n d i v i d u e n betreffen. Diese Erkenntnis hat neuerdings auf das Gebiet der Verwaltung selbst gestaltend eingewirkt. Sie hat zur Einrichtung von V e r w a l t u n g s g e r i c h t e n geführt, d. h. von besonderen K o n t r o l l o r g a n e n , die von den sog. exekutiven oder ausübenden Verwaltungsbehörden getrennt sind 1 . Diese sind ausschliefslich dazu bestimmt, auf Beschwerde einzelner Staatsbürger oder untertäniger Verbände (Vereine, Gemeinden) nachzuprüfen, ob die Verwaltungsbehörden bei ihren Beschlüssen in Steuer-, Wehrpflicht-, Wegebau-, Bau-, Polizei-, Gesundheitssachen usw. die durch bindende Rechtsregeln gezogenen Grenzen gewahrt haben2. Ganz dieselben Gedanken brachen aber schon früher in der Erkenntnis durch, dafs die exekutiven Verwaltungsbeamten auch nicht die Eigenschaften, vor allem nicht die volle U n p a r t e i l i c h k e i t und den Blick für die am Staatsleben beteiligten i n d i v i d u e l l e n I n t e r e s s e n besitzen, welche zur Handhabung der über das Schicksal des Individuums entscheidenden Zivil- und Strafrechtsprechung erforderlich sind. Hieraus ist als Grundprinzip der Behördenorganisation des modernen Staats die „ T r e n n u n g von J u s t i z u n d V e r w a l t u n g " hervorgegangen 3. Vorgebildet von England im 1 F r e i l i c h sind die V e r w a l t u n g s g e r i c h t e , die i n den d e u t s c h e n S t a a t e n seit d e n 0er J a h r e n , zuerst v o n B a d e n (18ö3), z u l e t z t v o n Sachsen o r g a n i s i e r t w o r d e n s i n d , v o n -den V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n n i c h t v o l l s t ä n d i g g e t r e n n t . Die T r e n n u n g besteht n u r f ü r d i e o b e r s t e I n s t a n z . I n den u n t e r e n I n s t a n z e n i s t die F u n k t i o n der V e r w a l t u n g s r e c h t s p f l e g e m i t der der e x e k u t i v e n V e r w a l t u n g s o r g a n e verschmolzen. E i n e G a r a n t i e f ü r d i e U n p a r t e i l i c h k e i t w i r d n u r i n der Z u s a m m e n s e t z u n g aus S t a a t s v e r w a l t u n g s b e a m t e n u n d O r g a n e n der S e l b s t v e r w a l t u n g gesucht. I n P r e u f s e n v e r k ö r p e r t sie s i c h i n erster I n s t a n z i n d e n Kreisausschüssen u n t e r d e m V o r s i t z des L a n d r a t s (bezw. Stadtausschüssen) u n d B e z i r k s ausschüssen u n t e r dem V o r s i t z des R e g i e r u n g s p r ä s i d e n t e n (letztere z u g l e i c h O b e r g e r i c h t e f ü r die Sachen der ersteren), i n höchster I n s t a n z (2., bezw. 3. i n s t . G.), i m O b e r v e r w a l t u n g s g e r i c h t t e i l s aus R i c h t e r n , t e i l s aus V e r w a l t u n g s b e a m t e n (Ges., b e t r . d i e Verfassung der V e r w a l t u n g s g e r i c h t e u . das V e r w a l t u n g s s t r e i t v e r f a h r e n v . 3. J u l i 1875, n e u gefafst d u r c h Ges. v . 2. A u g . 1880 m i t E r g ä n z u n g e n v. 1888, 1899, 1893). E i n e e n t s p r . V e r schiedenheit besteht i n d e n M i t t e l s t a a t e n z w i s c h e n der u n t e r e n I n s t a n z der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t u n d der obersten I n s t a n z (dem V e r w a l t u n g s g e r i c h t s h o f ) . B a y r . G. v . 8. A u g . 1878, b a d . G. v . 24. Jan. 1880, v . 12. A p r i l 1882, v . 14. J u n i 1834, w ü r t t e m b . G. v . 16. Dez. 1876, h e s s i s c h e s G. v. 16. A p r i l 1879, s ä c h s i s c h e s G. v. 1·.». J u l i 1900 (G.B1. 486). Über die E n t w i c k l u n g u. O r g a n i s a t i o n i m einzelnen v g l . M e y e r - A n s c h ü t z , S t a a t s recht, 6. A . 1905, § 18J. Z o r n , V e r w a l t u n g s a r c h i v 2, 84 ff. v. L e m a y e r , G r ü n h . Z e i t s c h r . 22. 381 ff. Dies ist die Auffassung, die i n den g e l t e n d e n d e u t s c h e n P a r t i k u l a r r e c h t e n f ü r d i e A r t u n d A b g r e n z u n g der F u n k t i o n der V e r w a l t u n g s g e r i c h t e mafsgebend g e w o r d e n i s t . Aus i h r i s t v o r a l l e m das P r i n z i p abgeleitet w o r d e n , w o n a c h d i e „ B e s c h l u f s s a c h e n " der e x e k u t i v e n V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n v o n den „ V e r w a l t u n g s s t r e i t - " oder „ A d m i n i s t r a t i v sachen" u n t e r s c h i e d e n w e r d e n . Z u den l e t z t e r e n w e r d e n n u r d i e „ R e c h t s f r a g e n " , n i c h t die „Ermessensfragen 1 * gerechnet. M i t U n r e c h t i s t dieser S t a n d p u n k t n e u e r d i n g s als i n n e r l i c h u n b e g r ü n d e t angegriffen w o r d e n . T e z n e r , L e h r e v. d. f r e i e n E r m e s s e n der V e r w . - B e h ö r d e n , 1883. Z o r n , V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t , V e r w . - A r c h i v 2 , S. 82 ff. b e h a u p t e n , da sich eine Grenze z w i s c h e n K e c h t s a n w e n d u n g u n d B e u r t e i l u n g einer V e r w a l t u n g s m a f s r e g e l n a c h Ermessen n i c h t ziehen lasse, so m ü f s t e n die V e r w a l t u n g s g e r i c h t e i h r e P r ü f u n g auch a u f die Ermessensfragen erstrecken. Die V o r a u s s e t z u n g dieses S t a n d p u n k t e s i s t r i c h t i g . A b e r g l e i c h w o h l i s t der S t a n d p u n k t f e h l e r h a f t , w e i l er das W e s e n d e r T r e n n u n g v o n e x e k u t i v e n Organen u n d V e r w a l t u n g s g e r i c h t e n n u r d a r i n e r b l i c k t , dafs z w e i B e h ö r d e n s u k z e s s i v e über die F r a g e n der V e r w a l t u n g entscheiden. D a m i t v e r k e n n e n die G e n a n n t e n , dafs die w e s e n t l i c h e G a r a n t i e des Rechtsstaats i n der N a c h p r ü f u n g der E x e k u t i v e d u r c h eine B e h ö r d e m i t a n d e r e n E i g e n s c h a f t e n , d. h . m i t der F ä h i g k e i t u n p a r t e i i s c h e r R e c h t s a n w e n d u n g l i e g t . Gegen die A n w . i n d i e s e m Sinne v . L e m a y e r , G r ü n h . Z e i t s c h r . 22, 450 ff. V g l . a u c h R i c h a r d S c h m i d t , A l l gemeine Staatslehre, I (1900), S. 214 ff. O t t o M a y e r I , 164. 3 I n der d a r g e l e g t e n p s y c h o l o g i s c h e n U n v e r e i n b a r k e i t der F u n k t i o n e n l i e g t der e i g e n t l i c h e G r u n d der T r e n n u n g v o n J u s t i z u n d V e r w a l t u n g . U n g e n a u i s t es, i h n i n die A b h ä n g i g k e i t der V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n v o n d e n W e i s u n g e n der R e g i e r u n g e n zu verlegen, die m i t der i n n e r e n U n a b h ä n g i g k e i t der n u r an das Gesetz gewiesenen Ger i c h t e n i c h t zu v e r e i n b a r e n sei. Die A b h ä n g i g k e i t der V e r w a l t u n g s b e h ö r d e i s t v i e l m e h r n u r s e k u n d ä r , n u r die Folge i h r e r P f l i c h t z u r B e r ü c k s i c h t i g u n g des e i n s e i t i g e n S t a a t s -

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· Geschichte und Quellen. § 30. Zivilrechtspflege und Verwaltung.

18. Jahrhundert, wurde der Grundsatz durch die französische Nationalversammlung populär gemacht, von Revolution und Kaiserreich durchgeführt und im Lauf des 19. Jahrhunderts auch von allen deutschen Territorien aufgenommen. Ihnen ist das Reichsrecht lediglich gefolgt. Allerdings mischen sich in der Ausbildung des Prinzips zwei Tendenzen. Man arbeitete von der einen Seite ebenso darauf hin, Einmischungen der Gerichte in die Verwaltung zu verhindern, um nicht deren freie Entfaltung im Interesse der Kulturförderung zu hemmen, wie von der anderen, den Verwaltungsbehörden eine Aburteilung privatrechtlicher und strafrechtlicher Sachen zu verlegen. Auch heute müssen noch beide Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Doch steht der zweite im Vordergrunde. I I * Bedeutung des Prinzips für die Gerichtsverfassung* Die grundsätzliche Trennung von Justiz und Verwaltung bedeutet praktisch, dafs nicht ein und dieselbe Person beide Funktionen vornehmen könne. Infolgedessen wirkt sie zunächst auf die Gestaltung der beiderseitigen O r g a n e (vgl. oben S. 161 a. E. . „ G e g e n s t ä n d e der V e r w a l t u n g d ü r f e n den o r d e n t l i c h e n G e r i c h t e n n i c h t ü b e r t r a g e n werden" (E.G. zu G.V.G. § 4 Satz 2), d. h. die Funktionen der a u s ü b e n d e n Verwaltungsbehörden und der ordentlichen Gerichtsbehörden sind verschiedenen I n d i v i d u e n zu übertragen, soweit nicht gesetzliche Ausnahmen gelten. Dagegen können die Funktionen der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t sehr wohl denselben Personen anvertraut werden wie die der Ziviljustiz. Denn sie bezweckt, wie die letztere, nur unparteiische Prüfung und Rechtsanwendung. Wenn also § 4 Satz 1 den ordentlichen Gerichten „jede andere Art der Gerichtsbarkeit" zu übertragen gestattet, so erstreckt er sich nicht nur auf die freiwillige Gerichtsbarkeit (o. S. 164), sondern auch auf die Verwaltungsjustiz. In der Tat haben alle deutschen Partikularrechte ihre Oberverwaltungsgerichte oder Verwaltungsgerichtshöfe zum Teil mit Oberlandesgerichtsräten besetzt1. In dieser Weise ist § 4 auszulegen, wenn überhaupt das ihm zugrunde liegende Streben nach Erhaltung der richterlichen Unparteilichkeit Verwirklichung finden soll. Die Auslegung der Motive zu G.V.G. 210 und vieler Kommentare, Verwaltungsgeschäfte dürften zwar nicht den Gerichtsb e h ö r d e n , wohl aber den einzelnen Mitgliedern des Gerichts übertragen werden, macht das gesamte Prinzip illusorisch und beruht wesentlich auf einem Mifsverständnis. Man rechtfertigt nämlich damit vorzugsweise die Mafsnahme, dafs Mitglieder ordentlicher (Zivil- und Straf-) Gerichte nebenbei Sit/ und Stimme in einem Verwaltungsgerieht erhalten 2 . Die Verwaltungsjustiz ist aber, wie eben dargelegt, sehr wohl mit der Ziviljustiz vereinbar. intéresses u n d b r i n g t diesen S t a n d p u n k t besonders d e u t l i c h z u m A u s d r u c k . V g l . dar. u. S. 209 ff. 1 So w e r d e n ζ. B . n a c h b a d i s c h e m Ges. v . 24. F e b r u a r 1880 A r t . 1 die erforder l i e h e n E r s a t z r i c h t e r des V e r w a l t u n g s g e r i c h t s h o f s aus der Z a h l der Oberlandes^erichtsräte berufen. A n d e r s e i t s d ü r f e n die M i t g l i e d e r w ä h r e n d ihres R i c h t e r a m t s i n k e i n e r W e i s e i m V e r w a l t u n g s d i e n s t v e r w e n d e t w e r d e n ( A r t . 3). » V g l . W i l m o w s k y - L e v y , E.G. § 4 A n m .

Verschiedene Organisation der Justiz- und Verwaltungsbehörden.

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Ausnahmsweise ist zugelassen, dafs die Geschäfte der J u s t i z v e r w a l t u n g oder Gerichtsherrlichkeit (o. S. 151) den gerichtlichen Personen übertragen werden können, obwohl sie rein administrativen Charakter haben (§ 4 zit., Satz 1). G.V.G. tut dies zum Teil selbst, indem es Dienstaufsicht, Geschäftsverteilung usw. an bestimmte Gerichtspersonen überträgt (an den Präsidenten, das sog. Präsidium des Landgerichts usw., u. S. 208). Infolgedessen umschliefst die „Gerichtsbehörde" im weitesten Sinn sowohl Organe der Gerichtsbarkeit wie solche der Justizverwaltung. Sie sind aus denselben Personen in verschiedener Weise zusammengesetzt. (Näheres u. § 35, III.) Zu dieser Ausnahme des Gesetzes kommt aber noch eine aus der Natur der Sache sich ergebende Ausnahme. Es können nämlich solche Organe der Gerichtsbarkeit, welche nicht Gericht im engern Sinn, d. h. nicht mit einer unparteiisch prüfenden, sondern prozefsbetreibenden, vollziehenden usw. Funktion ausgestattet sind (S. 194 ff.), unbedenklich auch mit Tätigkeiten des Verwaltungsgebiets befafst werden. In der Tat betrauen viele Partikularrechte den Gerichtsvollzieher mit Vollstreckungen in Verwaltungsachen (vgl. u. § 138).

Aus der Ungeeignetheit des Verwaltungsbeamten für die richterlichen Geschäfte würde an und für sich gefolgert werden müssen, dafs auch das Mitglied einer Volksvertretung, des Reichstags wie eines Einzellandtags, die innere Vorbedingung für die richterliche Funktion nicht erfülle. Das geltende Recht hat dies Aber mindestens nicht für ganz Deutschland ausgesprochen. I I I . Bedeutung des Prinzips für das Verfahren. Die Trennung der B e h ö r d e n zieht die Folge nach sich, dafs auch die G e g e n s t ä n d e der zivilgerichtlichen Prüfung von denen der administrativen Prüfung gesondert werden müssen, denn je nachdem müssen sie vor verschiedenen Behörden und demgeinäfs auch in einem verschiedenen Verfahren zur Erledigung gebracht werden. Für jeden einzelnen Fall erwächst die Notwendigkeit, festzustellen, ob er eine Z i v i l p r o z e f s s a c h e oder eine V e r w a l t u n g s sache bezw. eine Verwaltungsstreitsache, Administrativjustizsache d. h. eine vom Verwaltung^ g e r i c h t zu entscheidende Sache darstellt. Die Verwaltungsbehörden bezw. Verwaltungsgerichte haben sich der Zivilprozefssachen, die Zivilgerichte der Verwaltungssachen zu enthalten. G.V.G. § 13 erkennt dieses Ausschliefsungsverhältnis an, insofern es bestimmt, dafs vor die ordentlichen Gerichte „alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, für welche nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist", gehören. Hiermit deutet das G.V.G. zugleich auf das Prinzip hin, das für die Unterscheidung im einzelnen Falle niafsgebend ist. Es nimmt stillschweigend dasselbe Prinzip auf, das in dieser Richtung bereits viele deutsche Einzelstaaten, wie Preufsen, Sachsen, Baden, gesetzlich formuliert, andere wenigstens gewohnheitsrechtlich anerkannt hatten 1 . V e r w a l t u n g s s a c h e 1 Solche a u s d r ü c k l i c h e Gesetzesäufserungen besitzen bes. P r e u f s e n i n A l l g . G.O., E i n l . § 1: „ A l l e S t r e i t i g k e i t e n über Sachen u n d R e c h t e , w e l c h e einen Gegenstand des P r i v a t e i g e n t u m s (soviel w i e : P r i v a t r e c h t s ) a u s m a c h e n , müssen — d u r c h r i c h t e r l i c h e n A u s s p r u c h entschieden werden 1 1 , S a c h s e n i n A . - G e s . v. 28. J a n u a r 1835, § 6: die Ger i c h t e entscheiden „ b e i a l l e n I r r u n g e n über p r i v a t r e c h t l i c h e V e r h ä l t n i s s e " , B a d e n i n V e r f . - U r k . v . 1818 § 14, 2: „ a l l e E r k e n n t n i s s e i n b ü r g e r l i c h e n Rechtssachen müssen v o n •den o r d e n t l i c h e n G e r i c h t e n ausgehen' 4 , i n V e r b i n d u n g m i t d e m den B e g r i f f „ b ü r g e r l i c h e

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· Geschichte und Quellen. § 30. Zivilrechtspflege und Verwaltung.

i s t d e m n a c h das ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e Verpflicht u n g s V e r h ä l t n i s , Z i v i l p r o z e f s s a c h e die „ b ü r g e r l i c h e R e c h t s s t r e i t i g k e i t " , m. a. W. das p r i v a t r e c h t l i c h e Verpflichtungsverhältnis 1. Die Durchführung dieses Prinzips ist jedoch überaus schwielig. Anerkanntermafsen läfst sich nämlich ein greifbares äufseres K e n n z e i c h e n für den privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Charakter einer Streitsache nicht finden. Vor allem ist hierfür keineswegs entscheidend, wer als P a r t e i am S t r e i t b e t e i l i g t i s t , der Staat oder die Gemeinde oder nur Privatpersonen. Auch der Fiskus nimmt am Privatrechtsverkehr teil und mufs deshalb vor den Zivilgerichten klagen und sich verklagen lassen, ζ. B. aus Verkauf einer Domäne, aus dem Werkvertrag über einen Schulbau oder Brückenbau, aus Sachbeschädigung durch seine Eisenbahnen2 ; andererseits können zwei Bürger um eine publizistische Pflicht zur Reparatur eines Weges, zur Strafsenreinigung, zur Entfernung eines die Sittlichkeit gefährdenden Hausschmucks vor den Verwaltungsbehörden streiten. Ebensowenig gibt ein Kriterium der E n t s t e h u n g s g r u n d , der rechtserzeugende Tatbestand des streitigen Rechts. Aus Rechtsgeschäft entstehen nicht nur Privatrechtsansprüche, sondern auch öffentliche Rechte, so aus der Anstellung die Rechte und Pflichten der Beamten 3 , aus staatlichem Akt entstehen auch Privatrechte 4. Vielmehr Rechtssachen 1 1 e r l ä u t e r n d e n A b s . 3: „ d e r Grofsh. F i s k u s n i m m t i n a l l e n aus p r i v a t r e c h t l i c h e n V e r h ä l t n i s s e n e n t s p r i n g e n d e n S t r e i t i g k e i t e n Recht v o r den L a n d e s g e r i c h t e n " , H a m b u r g i n Gesetz v o m 23. A p r i l 1879 § 1: „ S t r e i t i g k e i t e n , welche n a c h staatsrechtl i c h e n G r u n d s ä t z e n zu b e u r t e i l e n d e öffentliche V e r h ä l t n i s s e betreffen, gehören n i c h t z u r Z u s t ä n d i g k e i t der Gerichte u s w . " , W ü r t t e m b e r g besitzt k e i n e n a l l g e m e i n e n gesetzl i c h e n A u s s p r u c h , e b e n s o w e n i g B a y e r n , das als A u s d r u c k des G e w o h n h e i t s r e c h t s die D e f i n i t i o n S e u f f e r t s , K o m m , zur b a y r . Ger.O., 2. Α . I , 156 b e t r a c h t e t , Zivilprozefssache l i e g e v o r , w e n n „ d i e H i l f e des Staats zur G e l t e n d m a c h u n g eines P r i v a t r e c h t s v e r h ä l t n i s s e s w i d e r e i n e n b e s t i m m t e n , i n entgegengesetztem Interesse b e t e i l i g t e n Gegner auf d e m G r u n d e einer bestehenden R e c h t s n o r m angerufen w i r d " , u n d H e s s e n . 1 Dies i s t die u n b e f a n g e n v e r s t a n d e n e M e i n u n g v o n j* 13 G.V.G.: „ d a das E.G. § 4 z w e i f e l l o s eine feststehende U n t e r s c h e i d u n g v o n J u s t i z u n d V e r w a l t u n g z u g r u n d e l e g t , so v e r b i n d e t i m Z w e i f e l a u c h § 13 m i t d e m B e g r i f f „ b ü r g e r l i c h e R e c h t s s t r e i t i g k e i t " eine feststehende V o r s t e l l u n g , — eben die der r P r i v a t r e c h t s s t r e i t i g k e i t u . So zuerst Η ü p ρ η e r , C i v . Α . 69. 434 ff.; F i t t i n g , C.P. § 3 ; G a u p p - S t e i n , V o r b e m . v o r § 1, Z.P.O. I I . - Die h e r r s c h e n d e M e i n u n g s i e h t dagegen i n § 13 n u r ausgesprochen, dafs h i n s i c h t l . der U n t e r s c h e i d u n g v o n Prozefs- u n d V e r w a l t u n g s s a c h e n a u f das L a n d e s r e c h t v e r w i e s e n w i r d , dafs s i c h also G.V.G. eines eigenen P r i n z i p s e n t h a l t e n w o l l e . ( W a c h , H a n d b . I , 79; L a b a n d , S t . R . I I , 340; M o n i c h , Z. f. C.Pr. 23, 407; 0 . S t ö l z e l , R e c h t s w e g 42, so auch die 1. A . dieses L b . 120; — ebenso R.G. 5, 34; 11, 96; 12, 280; 18, 123). — Der ganze S t r e i t ist belangl o s , w e i l das P r i n z i p des Textes als S u b s i d i ä r p r i n z i p v o n N i e m a n d b e s t r i t t e n w i r d u n d w e i l anderseits z w e i f e l l o s , dafs G.V.G. k e i n e D e f i n i t i o n der p r i v a t r e c h t l i c h e n N a t u r e i n e r Streitsache gegeben h a t . 2 W e i t e r e Beispiele sowie anderseits Beispiele f ü r ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e S t r e i t i g k e i t e n · des F i s k u s oder d e r Gemeinden s. u . S. 185. 3 D e n n der V e r t r a g des B e a m t e n m i t d e m S t a a t b e g r ü n d e t z u n ä c h s t das öff. T r e u u n d G e h o r s a m s - ( D i e n s t - ) V e r h ä l t n i s u n d als dessen K o n s e q u e n z a l l e E i n z e l p f l i c h t e n u n d - r e c h t e . So j e t z t herrsch. M. L a b a n d (4) I , S. 403 ff. S t ö l z e l S. 55 ff. 4 So die m i f s b r ä u c h l i c h e V o r n a h m e einer A m t s h a n d l u n g , d i e eines E n t s c h ä d i g u n g s a n s p r u c h s gegen d e n B e a m t e n (G.V.G. 8 70, 2), d i e V e r l e i h u n g eines F a m i l i e n w a p p e n s , e i n e r M ü h l e n g e r e c h t i g k e i t an e i n e m ö f f e n t l i c h e n Flusse die G r u n d l a g e eines p r i v a t e n . R e c h t s v e r h ä l t n i s s e s , aas gegen S t ö r u n g e n anderer i m Z.P. b e h a u p t e t w e r d e n k a n n . N u r n a c h Lage des e i n z e l n e n F a l l s k a n n der E r w e r b s t i t e l e i n S y m p t o m f ü r E n t s c h e i d u n g der F r a g e sein, ob die s t r e i t i g e P f l i c h t i h r e m I n h a l t n a c h d e n B ü r g e r als U n t e r t a n , bezw. d e n S t a a t als ü b e r g e o r d n e t e o r g a n i s i e r t e M a c h t t r i f f t , oder ob sie i h n e n als S u b j e k t e n des W i r t s c h a f t s - oder ü b e r h a u p t P r i v a t r e c h t s v e r k e h r s o b l i e g t , ζ. B. ist die Pflicht eines B ü r g e r s z u r Ü b e r l a s s u n g eines G r u n d s t ü c k s z u K u g e l s c h i e f s ü b u n g e n des M i l i t ä r s öffentl i c h r e c h t l i c h , w e n n sie d u r c h e i n s e i t i g e n A k t der M i l i t ä r v e r w a l t u n g zwangsweise a u f G r u n d eines h i e r z u e r m ä c h t i g e n d e n speziellen Gesetzes e r f o l g t , — p r i v a t r e c h t l i c h , w e n n sie i n E r m a n g e l u n g solchen Gesetzes a u f G r u n d f r e i w i l l i g e n V e r t r a g s g e l t e n d gemacht wird.

Unterscheidung von Zivilprozefssache und Verwaltungssache.

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gilt es, ob eine Rechtssache privatrechtlich oder öffentlichrechtlich ist, nach dem Inhalt der entscheidungsbedürftigen Verpflichtung i m e i n z e l n e n F a l l e festzustellen. Es kommt darauf an, ob der zweifelhaften Verpflichtung eine Zweckbeziehung n u r auf die Interessen des einzelnen oder eine solche a u c h auf die Interessen der Gesamtheit (des Staats, der Provinz, der Gemeinde) zukommt. Dient ein Verpflichtungsverhältnis bestimmten Inhalts nur den Wirtschafts- oder Familienzwecken des einzelnen, werden ajso durch dasselbe die Beteiligten berechtigt oder verpflichtet nur in ihrer Eigenschaft als einander g l e i c h g e o r d n e t e G l i e d e r des W i r t s c h a f t s - u n d R e c h t s v e r k e h r s , so liegt Privatrechtsverhältnis vor. Dient dagegen ein Verpflichtungsverhältnis bestimmten Inhalts den Zwecken dßs allgemeinen Zusammenlebens in Staat oder Gemeinde, sind daraus die Beteiligten berechtigt oder verpflichtet a l s G l i e d e r d i e s e s G e m e i n w e s e n s , i n ihrer Eigenschaft als die einem höheren staatlichen Verband u n t e r g e o r d n e t e n Bürger, so liegt öffentliches Rechtsverhältnis vor. Demgemäfs sind insbesondere die Verpflichtungen aus den zur Verwertung und Förderung des Privatvermögens abgeschlossenen Geschäften, aus den ein fremdes Privatvermögen beschädigenden Akten, aus den das Familienleben gestaltenden Dispositionen (Eheschlufs, Adoption usw.) privatrechtlich, die Verpflichtungen zur Zahlung oder Rückzahlung von Staats- und Gemeindesteuern, zur Strafsenreparatur, Strafsenreinigung, Chausseegeldzahlung, die Berechtigungen zur Erhebung von Gehalt, Landtagsdiäten, Zeugengebühren öffentlichrechtlich. Es ist also das für die Verwirklichung der Verpflichtung mafsgebende Motiv, der Bes t i m m u n g s g r u n d der V e r p f l i c h t u n g , dessen objektive Betrachtung den privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Charakter derselben ergibt 1 . Nun ist aber in zahlreichen Fällen die Analyse des Inhalts eines streitigen Rechts von sehr zweifelhaftem Erfolg. Sehr häufig mischen sich in einem Rechtsverhältnis Interessen der Privatwirtschaft, des Verkehrs, und Interessen der Allgemeinheit, der öffentlichen Funktionen. Je nachdem man die eine oder die andere Seite in den Vordergrund stellt, kann man also häufig ein Rechtsverhältnis ebensowohl als privatrechtlich wie als öffentlichrechtlich konstruieren. Infolgedessen ist es Bedürfnis, in vielen typischen Fällen die Zuständigkeit der Gerichte oder der Verwaltungsbehörden durch S p e z i a l g e s e t z zu fixieren, und in der Tat haben sich teils das Reichsrecht, teils die Landesrechte dieser Aufgabe in grofsem Umfang unterzogen. Regelmäfsig haben die Gesetze damit nur eine a u t h e n t i s c h e I n t e r p r e t a t i o n des aus der Natur der Sache folgenden Prinzips gegeben und sich 1 I n dieser A r t a u c h W a c h , H b . I , S. 93 ff. v. S a r w e y , Öffentliches Recht u n d V e r w a l t u n g s r e c h t s p f l e g e , S. 289. S t ö l z e l a. a. O. S. 44 ff. Dai's an e i n e m S t r e i t das p r i v a t r e c h t l i c h e I n t e r e s s e des E i n z e l n e n w e s e n t l i c h oder u n m i t t e l b a r b e t e i l i g t i s t , g e n ü g t n i c h t , u m i h n z u m Z i v i l p r o z e f s geeignet zu m a c h e n . ( W e i s m a n n I , 29.)

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· Geschichte und Quellen. § 30. Zivilrechtspflege und Verwaltung.

bemüht, diesem Prinzip zu folgen l . Gelegentlich hat das positive Recht aber auch das natürliche Prinzip direkt durchbrochen und durch A u s n a h m e v o r s c h r i f t Privatrechtssachen an die V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n , ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e Ans p r ü c h e an die Z i v i l g e r i c h t e gewiesen. Die Veranlassung hierzu lag einerseits in dem Wunsch, die unparteiische Entscheidung der auch in ihrer Organisation besonders eingerichteten, nämlich besonders u n a b h ä n g i g gestellten Gerichte (u. S. 210) von vornherein auch für gewisse öffentlichrechtliche Ansprüche zugänglich zu machen, und es wurde deshalb die Zuständigkeit der Gerichte hier besonders in einer Zeit begründet, wo eine ausgebildete Verwaltungsgerichtsbarkeit noch nicht bestand, ζ. B. für vermögensrechtliche Ansprüche der Beamten, insbesondere der Richter, aus ihrem Dienstverhältnisse auf Gehalt, Wartegeld oder Ruhegehalt2, für den Entschädigungsanspruch des Bürgers wegen Expropriation eines Grundstücks (E.G. Z.P.O. § 15 no. 2 ) 3 4 . Andererseits aber hielt man auch umgekehrt bisweilen eine Überweisung rein privatrechtlicher Streitigkeiten vor die Verwaltungsbehörden für zweckmäfsig, — nämlich da, wo man bei den letzteren eine besondere technische Kenntnis gewisser abgegrenzter Lebens- oder Berufsgebiete und damit eine besondere Geeignetheit zur Entscheidung der gerade damit verknüpften Streitigkeiten voraussetzte, ζ. B. Streitigkeiten wegen Wildschäden5. Jedenfalls ergibt sich hieraus, dafs bei der Prüfung, ob eine bestimmte Streitsache für die g e r i c h t l i c h e oder für die adm i n i s t r a t i v e Entscheidung geeignet ist, zunächst immer die 1 V o r a l l e m ist das v i e l f a c h f ü r die p r i v a t r e c h t l i c h e n S t r e i t i g k e i t e n des F i s k u s ausgesprochen. Das G e g e n t e i l d a r f n a c h E.G. Z.P.O. § 4 die Landesgesetzgebung gar n i c h t verfügen. F ü r b ü r g e r l i c h e R e c h t s s t r e i t i g k e i t e n , f ü r w e l c h e n a c h dem Gegenstand oder der A r t des A n s p r u c h s der R e c h t s w e g zulässig i s t , d a r f aus d e m G r u n d e , w e i l als P a r t e i der F i s k u s , eine Gemeinde oder eine andere öffentliche K o r p o r a t i o n b e t e i l i g t i s t , der R e c h t s w e g d u r c h die Landesgesetzgebung n i c h t ausgeschlossen werden. 2 W ä h r e n d i m a l l g e m e i n e n die R e c h t s v e r h ä l t n i s s e des A m t s ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e r N a t u r s i n d (vgl. o. S. 182), s i n d d i e V e r m ö g e n s a n s p r ü c h e aus d e m A m t v o n a l l e n d e u t s c h e n R e c h t s q u e l l e n den G e r i c h t e n zugewiesen. F ü r die R i c h t e r s p r i c h t es E.G. G.V.G. $ 9 selbst aus, f ü r die Reichsbeamten Reichsbeamtenges. v . 31. März 1873 § 149, f ü r d i e preufs. B e a m t e n preufs. Ges. v. 24. M a i 1861, ebenso baa. Beamtenges, v. 24. J u l i 1888 § 88 (G.V.B1. 399), B a y e r n (G.V.B1. 1874 B e i l . V ) , W ü r t t e m b e r g , G e f s l e r S. 218. B e i Offizieren hat die P r a x i s den R e c h t s w e g ausgeschlossen. Dagegen läfst sie i h n bei sog. m i t t e l b a r e n B e a m t e n ( K o m m u n a l b e a m t e n , L e h r e r n , Pfarrern) zu (auf G r u n d eines Gew o h n h e i t s r e c h t s ? S t ö l z e l 82 ff.). Schon der N a t u r der Sache n a c h s i n d z u m R e c h t s w e g geeignet die. K l a g e n çegen B e a m t e oder gegen d e n S t a a t wegen B e s c h ä d i g u n g d u r c h M i i s D r a u c n oder Ü b e r s c h r e i t u n g der A m t s g e w a l t (B.G.B. § 839); v g l . G.V.V. § 70, 3. So fast alle P a r t i k u l a r r e c h t e (z. B . bad. Enteign.Ges. v . 20. J u n i 1899 § 45, w ü r t t e m b . v . 20. Dez. 1888 a. 41 u s w . ) , sowie einzelne r e i c h s r . Best. (R.Rayon-G. v . 21. Dez. 1871 § 40 u. a. W e n n dieselben j e t z t n o c h f o r t b e s t e h e n , w o V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t e x i s t i e r t , so h a b e n sie n a c h d e m Gesagten n u r n o c h e i n historisches Recht. Die A n s c h a u u n g , dafs der A n s p r u c h auf E n t s c h ä d i g u n g aus den E x p r . p r i v a t r e c h t l i c h , n u r der E x p r o p r i a t i o n s a k t selbst ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h sei ( W a c h , H b . I , 97), i s t u n r i c h t i g . Der V o r g a n g läfst sich n i c h t a u s e i n a n d e r r e i f sen. 4 H i e r h e r i s t es a u c h zu r e c h n e n , w e n n das R e i c h s g e r i c h t n i c h t n u r m i t p r i v a t r e c h t l i c h e n A n s p r ü c h e n aus d e m P a t e n t r e c h t (als R e v i s i o n s g e r i c h t ) befafst w e r d e n k a n n , s o n d e r n aufserdem a u c h als B e r u f u n g s g e r i c h t i n d e m v o r d e m P a t e n t a m t schwebenden a d m i n i s t r a t i v e n , bezw. v e r w a l t u n g s g e r i c h t l i c h e n V e r f a h r e n f u n k t i o n i e r t . ( P a t e n t gesetz v . 7. A p r i l 1891, 3 33.) 5 P r e u f s . Ges. v. 11. J u l i 1891. S ä c h s . 1. Jan. 1900. Dagegen n a c h b a d . Jagdges. 9. A u g . 1898 § 21, gegen Festsetzung des B ü r g e r m e i s t e r s K l a g e auf d e m Rechtswege. I n W ü r t t e m b . s i n d die W i l d s c h ä d e n a n s p r ü c h e z i v i l g e r i c h t l i c h e (A.G. B.G.B, a. 194).

Privatrechtsstreit und öffentlich-rechtlicher Streit. Spezialgesetze.

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Frage aufgeworfen werden mufs, ob eine r e i c h s r e c h t l i c h e o d e r p a r t i k u l ä r e R e c h t s n o r m die Zuständigkeit b i n d e n d g e o r d n e t h a t , gleichviel ob in Konsequenz des Prinzips oder in Durchbrechung desselben. Erst wenn eine positive Bestimmung fehlt, hat die Behörde die Möglichkeit, selbst nach Mafsgabe des rechtlichen Gehalts des streitigen Anspruchs die Entscheidung zu treffen Obwohl nach dem Gesagten das positive Recht, und zwar insbesondere das Partikularrecht, einen grofsen Einflufs auf die Scheidung der Prozefssachen und der Verwaltungssachen ausübt, ist doch der Rechtszustancl Deutschlands wenigstens in den typischen Fragen ein ziemlich homogener. Abgesehen von den bereits im vorstehenden berichteten Normierungen können beispielsweise folgende Regeln herausgehoben werden: 1. Im Gebiet des M i l i t ä r w e s e n s sind reine V e r w a l t u n g s f r a g e n die Beschwerde oder Ersatzforderung eines Privaten wegen angeblich zu U n r e c h t erlittener Kriegsschäden, ü b e r m ä f s i g e r Belastung mit Natural- oder QuartierLeistungen,— ebenso die Festsetzung der Vergütung für r e c h t m ä f s i g e Naturalleistungen (R.G. über die Nat.-Leist. 13. Febr. 1875 in Fass, der Nov. 21. Juni 1887, R.G.B1. 245, gegen die ältere Praxis). Zur K l a g e im Rechtsweg geeignet ist dagegen die Forderung der in der Höhe fixierten (bei Quartierlast durch Gesetz fixierten) Vergütung. 2. Im Gebiet des S t e u e r wesen s ist Verwaltungsfrage in Preufsen die „Verbindlichkeit zur Entrichtung allgemeiner Anlagen ( = öffentlicher Abgaben), denen sämtliche Einwohner des Staats oder alle Mitglieder einer gewissen Klasse unterworfen sind" (§ 78 A.L.R. I I , 14), insbesondere auch die Rückforderung einer Abgabenzahlung, weil sie nicht oder nicht in dieser Höhe geschuldet gewesen, obwohl das äufserlich wie eine condictio indebiti erscheint 2. Dagegen ist Prozefssache die Geltendmachung besonderer Gründe für Steuerfreiheit (Vertrag, Privileg) 3 . 3. Im Gebiet des S c h u l w e s e n s ist Verwaltungssache der Widerspruch gegen Heranziehung zum Schulgeld, z. B. für Lehrerskinder, weil dies öffentliche Abgabe ist 4 . 4. Im Gebiet der J a g d p o l i ζ ei ist Verwaltungssache die Wirksamkeit eines in Ausübung des Jagdaufsichtsrechts ab1 Eine eingehende k a s u i s t i s c h e Z u s a m m e n s t e l l u n g a l l e r d e r j e n i g e n Äul'serungen der reichs- u n d p a r t i k u l a r r e c h t l i c h e n Gesetzgebung u n d J u d i k a t u r , w e l c h e z u r Z e i t f ü r d i e V e r t e i l u n g der S t r e i t i g k e i t e n z w i s c h e n Z i v i l g e r i c h t e n u n d V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n mafsebend sind, b i e t e n die A n h ä n g e zu G a u p p s K o m m e n t a r ( v g l . o. S. 142): R e i t z e n s t e i n , reufsen (1. A u l l . ) S. 4 f f . ; S c h i e r l i n g e r , B a y e r n S. 133 ff. ; G e f s l e r , W ü r t t e m b e r g S. 204 ff.; B e t z i n g e r , Baden S. 259 ff.; G r e n g e l , Sachsen S. 276. I n diesen Z u s a m m e n s t e l l u n g e n w e r d e n f r e i l i c h die p o s i t i v r e c h t l i c n e n E i n z e l a n w e n d u n g e n des h i e r aufgestellten P r i n z i p s u n d die p o s i t i v r e c h t l i c h e n D u r c h b r e c h u n g e n des P r i n z i p s (über sie v g l . oben) n i c h t a u s e i n a n d e r g e h a l t e n . F ü r P r e u f s e n spez. eine sorgsame K a s u i s t i k a l l e r Einzelfragen bei S t ö l z e l a. a. O. S. 93 ff. a R.G. 1884 J u r . W . 169: 1890 E n t s c h . 25, 302: 1894, 32, 245. Ebenso B a y e r n : S c h i e r l i n g e r S. 159. 8 R.G. 1892. 30, 200. * R.G. 1904. 58, 32.

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Geschichte und Quellen. § 30. Zivilrechtspflege und Verwaltung.

geschlossenen Jagdpachtvertrags. Dagegen besteht der Rechtsweg für einen Dritten, der den Ausschlufs seines Grundstücks von einem Jagdbezirk behauptet. Von der Trennung der r e i n privatrechtlichen und der r e i n öffentlichen Rechtsverhältnisse ist zu unterscheiden die häufig auftretende Gestaltung, dafs ein s e l b s t ä n d i g e s ö f f e n t l i ches R e c h t s v e r h ä l t n i s als unerläfsliche B e d i n g u n g eines privatrechtlichen oder umgekehrt ein Privatrechtsanspruch als die eines publizistischen in Betracht kommt. So wird z. B. im Prozefs über Schadloshaltung wegen einer in negotiorum gestio eines andern bewirkten Steuerzahlung die Steuerpflicht, — sowie anderseits in dem Verwaltungsstreit über die Pflicht der Stadtgemeinde zur Reinigung eines Arealstreifens auf Grund ihres E i g e n t u m s r e c h t s an demselben dieses Eigentumsrecht Gegenstand der Prüfung 2 . Hier bestimmt sich, ob Zivilgericht oder Verwaltungsbehörde anzurufen, nach der Natur des eigentlich entscheidungsbedürftigen Rechtsverhältnisses und das b e d i n g e n d e Rechtsverhältnis wird als ein Tatbestandsmerkmal mitgeprüft: das Zivilgericht kommt also hier in die Lage, über Rechtsverhältnisse, die an sich öffentlichrechtlich sind und vor die Verwaltungsbehörden gehören würden, zu entscheiden, weil dieselben als V o r f r a g e f ü r e i n P r i v a t r e c h t s v e r h ä l t n i s in Betracht kommen. Aber die Entscheidung der Zivilgerichte über das letztere bindet auch hier nicht die Verwaltungsbehörden, sowie umgekehrt die Entscheidung der Verwaltungsbehörden bezw. -gerichte über das präjudizielle Privatrechtsverhältnis nicht eine prozessuale Rechtskraft zwischen den Parteien schafft. Deshalb wird zweckmäßig das Gericht, „wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, welches von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dafs die Verhandlung b i s z u r E n t s c h e i d u n g d e r \ r e r w a l t u n g s b e h ö r d e a u s z u s e t z e n s e i " (Z.P.O. § 148). In einzelnen Fällen wird diirch reichs- oder landesrechtliche Sondervorschrift das Zivilgericht v e r p f l i c h t e t , eine administrative Entscheidung abzuwarten 3 , — in manchen Fällen wird das Gericht sogar an den I n h a l t der abzuwartenden Entscheidung gebunden4.

I T . Prozessuale Behandlung der Trennung. Die Kasuistik ( I I I ) ergibt, dafs die notwendige Sonderung der Zivilprozesse und der Verwaltungssachen unter Umständen eine schwierige Prüfung in sich schliefst. So bedarf es zum Schlüsse noch der gesetzlichen Bestimmung, von wessen Prüfung und Entscheidung es abhängen soll, ob eine Streitsache vor die Zivilgerichte oder vor die Verwaltungsbehörden zur Erledigung zu bringen sei, — wer also für eine bestimmte Streitsache nach dem üblichen Sprachgebrauch die Z u l ä s s i g k e i t oder U n z u l ä s s i g k e i t des R e c h t s w e g s mafsgebend feststellen soll. Da das Prinzip der Trennung von Justiz und Verwaltung zum einen Teile die Siche1 V g l . ü b e r w e i t e r e E i n z e l f r a g e n ( A r m e n - , W e g e - , F i s c h e r e i - S a c h e n usw.) die S. 185 A . 1 gen. 2 N i c h t r i c h t i g R.G. 1890 25, 325, das d e n g a n z e n S t r e i t als p r i v a t r e c h t l i c h auffafst. 3 Z. B . Reichsbeamtenges. v . 31. März 1873 § 149, 150 ( Z u s a m m e n s t e l l u n g bei G a u p p I I Β no. 1). N i c h t z u v e r w e c h s e l n m i t den z a h l r e i c h e n F ä l l e n , w o e i n u n d d e r s e l b e A n s p r u c h z u n ä c h s t z u r V o r e n t s c h e i d u n g a n d i e V e r w a l t u n g s b e h ö r d e zu b r i n g e n u n d h i e r g e g e n B e r u f u n g a u f den R e c h t s w e g zulässig i s t ( S t e i n zu § 148, so i n Sachen, d i e z u n ä c h s t v o r d i e G e m e i n d e g e r i c h t e — u. § 38, I I I — gelangen). 4 So i s t d i e E n t s c h e i d u n g der D i s z i p l i n a r - u n d V e r w a l t u n g s b e h ö r d e über die Rechtsw i d r i g k e i t der A m t s h a n d l u n g eines R e i c h s b e a m t e n f ü r die g e r i c h t l i c h e E n t s c h . ü b e r E n t s c h ä d i g u n g s a n s p r ü c h e aus derselben mafsgebend (Reichsbeamteng. v . 31. März 1873 T § 155). A n d e r e F ä l l e bei G a u p p § 148, I I Β no. 2.

Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs. Kompetenzkonflikt.

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rung der obersten und wichtigsten Eigenschaft der Rechtspflegeorgane, der Unparteilichkeit, bezweckt, zum andern Teile die ungehemmte Entfaltung der Regierungstätigkeit anstrebt, so ist von vornherein sicher, dafs die P a r t e i e n auf Zulassung oder Ausschliefsung des Rechtswegs keinen Einflufs üben können (oben S. 144). Vielmehr kann dieselbe nur entweder vom Spruch der Verwaltungsbehörden oder von dem der Zivilgerichte abhängen. Von den ersteren wäre erfahrungsgemäfs vorwiegend die Berücksichtigung des öffentlichen Interesses zu erwarten, von den Gerichten die überwiegende Rücksichtnahme auf das Interesse der Einzelbürger daran, dafs ihnen eine unparteiische Entscheidung der Gerichte in allen Fällen, wo solche dais Recht einmal für angemessen anerkannt hat (III), gesichert bleibt. Das Gesetz stellt das Individualinteresse unbedingt in den Vordergrund und überträgt die Kompetenz, über Zulässigkeit des Rechtswegs zu entscheiden, die „Kompetenz-Kompetenz", den Z i v i l g e r i c h t e n (G.V.G. § 17 Abs. 1). Sie haben die Frage im Rahmen des durch Klage eingeleiteten Prozesses über die Sache selbst, also als eine Vorfrage, m. a. W. durch Entscheidung über eine P r o z e f s v o r a u s s e t z u n g ( o . S. 21 ff.) zu regeln. Allerdings bleibt dabei noch die Gefahr bestehen, dafs — ehe es zu einer Entscheidung der Gerichte kommt — sich bereits die Verwaltungsbehörden auf Antrag oder von Amts wegen mit derselben Sache befassen (sog. p o s i t i v e r K o m p e t e n z k o n f l i k t } oder dafs vor oder nach einer a b l e h n e n d e n Entscheidung der Gerichte auch die Verwaltungsbehörden die Sache von sich ablehnen (sog. n e g a t i v e r Kompetenzkonfiikt). § 17, 2 ermächtigt mit Rücksicht hierauf die Landesgesetzgebungen, für die Entscheidungen von Streitigkeiten zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden bezw. Verwaltungsgerichten über die Zulässigkeit des Rechtswegs b e s o n d e r e B e h ö r d e n , sog. K o n f l i k t s g e r i c h t s h ö f e , zu organisieren. Doch ist diese Einrichtung durch gewisse reichsrechtliche Normativbestimmungen beschränkt und tritt im Einzelfall vor allem dann nicht in Tätigkeit, wenn die Gerichte das Recht der Parteien auf g e r i c h t l i c h e Entscheidung bereits rechtskräftig, d. h. unanfechtbar festgestellt haben, ohne dafs zuvor auf die Entscheidung des Konfliktsgerichtshofs angetragen worden war (§ 17, no. 4). Der K o n f l i k t s g e r i c h t s h o f ist organisiert worden in: 1. P r e u f s e n (V. v. 1. Aug. 1879, G.S. 573): Gerichtshof von 11 Mitgliedern, von denen 6 Räte des O.L.G. Berlin, die andern 5 zu höherem Verwaltungsdienst oder Richteramt qualifiziert und über 35 Jahre alt sein müssen, entscheidet in Besetzung von 7 Mitgliedern, bei p o s i t i v e m Konflikt auf Antrag der Zentral- und Provinzialverwaltungsbehörde (bezw. Oberpräsidenten, Provinzialregierungen) vor Erlafs einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über den Rechtsweg (§ 4), — bei n e g a t i v e m auf Antrag einer Partei (§ 21). ( R e i t z e n s t e i n , Civilprozefsnormen, S. 62.) 2. B a y e r n (G. v. 18. Aug. 1879, G.V.B1. 991): Gerichtshof von 11 Mitgliedern, von denen der Präsident und 5 Räte dem obersten L.G. (u. S. 197} oder einem O.L.G., die andern 5 einem Verwaltungsgerichtshof (o. S. 179) angehören müssen, entscheidet in Besetzung von 7 Mitgliedern, bei positivem

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· Geschichte und Quellen. § 30. Zivilrechtspflege und Verwaltung.

Konflikt auf Antrag der höheren Verwaltungsstellen (Zentralstelle, Kreisregierung), hei negativem auf Antrag der Partei. ( S c h i e r l i n g e r , Anh. zu Gaupp f. Bayern, 3. Α., S. 65. 3. S a c h s e n (G. v. 3. März 1879 u. G. v. 19. Juli 1900 § 100): Gerichtshof von 11 Mitgliedern, 6 Mitgliedern des Oberlandesgerichts und 5 Ministerialräten oder Oberverwaltungsgerichtsräten entscheidet in Besetzung von 7 Mitgliedern (4 Richter und 3 Verwaltungsbeamte) auf Antrag der höheren Verwaltungsbehörden (§ 3) oder der Parteien (§ 17), wie no. 1 u. 2 (Grengel S. 155.) 4. B a d e n (G. v. 30. Jan. 1879): Gerichtshof von 13 Mitgliedern, 8 (einschliefslich des Präsidenten) Oberlandesgerichtsräten, 5 Verwaltungsbeamten oder Mitgliedern des Verwaltungsgerichts, entscheidet in Besetzung von 7 Mitgliedern (dazu V. v. 24. Juni 1879; B e t z i n g e r , Anh. zu Gaupp, 122). Ahnlich: W ü r t t e m b e r g (G. v. 25. Aug. 1879). H e s s e n (A.G. zur Z.P.O. v. 4. Juni 1879, u. 22 ff.). Im übrigen kann auf Antrag eines Bundesstaats und mit Zustimmung desselben durch kaiserl. Verordnung die Verhandlung und Entscheidung über den Konflikt dem R e i c h s g e r i c h t zugewiesen werden. (E.G. zu G.V.G. § 17, so geschehen für B r e m e n d. V. v. 26. Sept. 1879, R.G.B1. 298). Nach allen diesen Landesgesetzen erfolgt bei Erhebung des Konflikts die E i n s t e l l u n g des bei Gericht anhängigen Verfahrens. (E.G. Z.P.O. § 15 no. 1.) Allerdings ist durch die Konfliktsgerichtshöfe nicht allen möglichen Differenzen vorzubeugen. Denn selbstverständlich wirkt ihre Entscheidung nur für die beteiligten Behörden des B u n d e s s t a a t s , von dem sie eingesetzt sind, und es kann deshalb ein Konflikt, der erst während der Anhängigkeit der Sache am Reichsgericht mit einer Landesverwaltungsbehörde ausbricht oder umgekehrt ein Konflikt, der zwischen einem Untergericht und einer Reichsverwaltungsbehörde (dem Reichsversicherungsamt usw.) entsteht, durch die Konfliktshöfe nicht geschlichtet werden 1 ; ebensowenig ein Konflikt zwischen Verwaltungsbehörden und Gerichten verschiedener Bundesstaaten. Ohne alle Bedeutung ist der geschilderte Gegensatz zwischen den Funktionen der Justiz und Verwaltung für die beiden gemeinsame V o l l s t r e c k u n g s f u n k t i o n . Es besteht deshalb kein Bedenken, dafs der Gesetzgeber die zivilprozessuale Vollstreckungsbehörde zugleich in den Dienst administrativer Exekutionen (von Steuerforderungen usw.) stellt (vgl. darüber u. § 139).

§31. Kennzeichen der Zivilrechtspflege und leitende Gesichtspunkte für die folgende Darstellung. Fafst man das über die Stellung der Zivilrechtspflege im Kreise der übrigen staatlichen Funktionen Dargelegte zusammen, so ergibt sich, dafs sich die Ziviljustiz von der Verwaltung und von der Strafjustiz schon äufserlich sehr scharf dadurch abgrenzt, dafs sie grundsätzlich in die Hand abgesonderter Behörden gelegt ist. Die Zivilgerichte unterscheiden sich von den Behörden der Verwaltung durch d i e B e s e t z u n g der Personen, von denen der Strafrechtspflege mindestens durch die A r t der Z u s a m m e n s e t z u n g . Mit der freiwilligen Gerichtsbarkeit hat die Zivilrechtspfiege zwar den Organismus der Behörden sowohl nach Besetzung wie nach Zusammensetzung gemein. Aber diese funk1 W a c h , H b . I , 102: L a b a n d , S t a a t s r e c h t , 4. A . I I I , 363 ff. B a y e r n u. W ü r t t e m berg haben dies gesetzlich a n e r k a n n t . D e m a b w e i c h e n d e n S t a n d p u n k t des preufsischen K o n f l i k t s g e r i c h t s h o f s h a t sich das R e i c h s g e r i c h t n i c h t gefügt (E. 44, 4). Sehr w e i t gehend R.G. P l e n . E . 1901, 48 S. 195, dafs schon 'die A n h ä n g i g k e i t der Sache beim R.G. d e n K o n f l i k t ausschliefse. Doch hat d a r a u f h i n preufs. Ges. v . 22. Mai 1902 ausgesprochen, dafs sogar der Erlafs eines b e i m R e i c h s g e r i c h t a n f e c h t b a r e n U r t e i l s des Oberlandesgerichts bereits den K o n f l i k t ausschliefsen soll.

Konfliktsgerichtshöfe.

Gesichtspunkte der folgenden Darstellung.

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tionieren in beiden Tätigkeitszweigen in v e r s c h i e d e n e m V e r f a h r e n . In jedem Falle also bedarf es der genauen Abgrenzung der Sachen, in denen sich ein Zivilprozefs verkörpert, um das Gebiet zu begrenzen, in welchem die O r g a n e des Zivilprozesses tätig werden und das V e r f a h r e n desselben zur Anwendung kommt. In dieser Hinsicht aber hat das Vorausgehende die Kennzeichen für den Stoff der Zivilrechtspflege ergeben. Er wird nur durch solche Vorgänge des Rechtslebens gebildet, i n denen ein B ü r g e r gegen e i n e n a n d e r e n B ü r g e r wegen e i n e s P r i v a t r e c h t s v e r h ä l t n i s s e s S c h u t z b e g e h r t . Denn zum Unterschied hiervon ist der Verwaltung die öffentlichrechtliche Natur des normierungsbedürftigen Rechtsverhältnisses, der Strafrechtspflege das Fehlen eines schutzbedürftigen Einzelnen, der freiwilligen Gerichtsbarkeit das Fehlen eines Angreifers, gegen den Schutz erbeten wird, eigentümlich. Hiernach mufs folgerichtig die wissenschaftliche Analyse der Zivilrechtspflege zunächst die Eigenart der für sie tätigen Beh ö r d e n bestimmen (Buch II). Sie mufs sodann ihren Gegenstand und die ihm zugrunde liegende Personenbeziehung — das Privatrechtsverhältnis und das Zweiparteienverhältnis — darlegen (Buch I I I Kap. 1) und endlich das Verfahren selbst in seinem allgemeinen Charakter (Buch I I I Kap. 2 und 3) und in seinen einzelnen Bestandteilen (Buch IV und V) schildern.

Zweites Buch. Die Gerichtsverfassung der Zivilrechtspflege. Erstes Kapitel.

Die Organe der Zivilrechtspflege. § 32. Ordentliche und besondere, Landes- und Reichsgerichte. I . Ordentliche und Sondergerichte. Wenn das moderne Recht die Fürsorge für die Zivilrechtspflege, die sog. Gerichtsherrlichkeit oder Justizverwaltung, mit immer steigender Ausschliefslichkeit dem S t a a t e zugewiesen hat (0. S. 160), so war das Motiv hierfür in erster Linie das, dem Bedürfnis der G l e i c h h e i t der Bürger vor der Justiz Nachdruck zu geben und für alle Klassen der Bevölkerung ebenso wie für alle Arten der Rechtshändel g l e i c h a r t i g e R e c h t s p f l e g e o r g a n e zu schaffen. Hiervon geht vor allem auch das G.V.G. aus. Es regelt die Grundsätze für die Zusammensetzung der Zivilprozefsbehörden ohne Rücksicht auf die Eigenart der Parteien oder der Streitsachen. Die vom G.V.G. geregelten Gerichte sind die „ o r d e n t l i c h e n " Gerichte, d. h. diejenigen, welche im Zweifel für jede Streitsache zuständig sind (E.G. G.V.G. § 2). Auch das moderne Recht ist jedoch nicht imstande gewesen, die Einheitlichkeit des Rechtsptlegeorganismus radikal durchzuführen. Für manche Arten von Streitsachen haben, sei es mit Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten, sei es wegen der Eigenart der Rechtsverhältnisse, gewisse, in eigentümlicher Form zusammengesetzte Behörden erhalten werden müssen ; und ganz neuerdings ist die Tendenz zu deren Schaffung sogar im Steigen, so dafs die vereinheitlichende Bewegung des modernen Staats für Deutschland einer rückläufigen Bewegung Platz gemacht hat. Solche Gerichte heifsen b e s o n d e r e oder

Sondergerichte.

Landes- und Reichsgerichte.

191

Sonde i g e r i c h t e . Ein qualitativer Unterschied besteht zwischen den ordentlichen und den besonderen Gerichten nicht ; die ersteren sind die regulären, normalen, — die anderen die unregelmäfsigen, anomalen Gerichte. Insbesondere sind auch die Sondergerichte ständige, „ g e s e t z l i c h e " , d. h. vom Gesetz ein für allemal geordnete Gerichte, keine „Ausnahmegerichte" (u. S. 210). Nur der Gegensatz besteht, dafs das G.V.G. sich mit den Sondergerichten nicht befafst, ihre Organisation vielmehr speziellen Reichs- oder Landesgesetzen überlassen hat (E.G. G.V.G. § 3; vgl. u. § 38). I I . Landesgerichte und Reichsgerichte. Mit der Frage, welche R e c h t s q u e l l e die Normen für clie Organisation der Gerichte vorzeichnet — generelles oder Spezialgesetz, Reichs- oder Landesgesetz —, deckt sich keineswegs die Frage, welche Staatsgewalt die J u s t i z v e r w a l t u n g (o. S. 151)fürdie Gerichte ausübt, die Gerichtspersonen ernennt, überwacht, honoriert usw. An und für sich könnten im deutschen Bundesstaat sowohl das Reich wie die Einzelstaaten als Gerichtsherr über den deutschen Rechtspflegebehörden fungieren. Nach deutschem Staatsrecht gilt jedoch das Prinzip, dafs die Einzelstaaten alle staatlichen Funktionen der Verwaltung ausüben, solange sich das Reich nicht dieselbe ganz oder teilweise beigelegt hat. Das letztere ist auf dem Gebiet der Justizverwaltung nur in geringem Umfange geschehen Demgeniäfs sind die ordentlichen wie die besonderen Gerichte in ihrer Hauptmasse L a n d e s b e h ö r d e n . Die Aufbringung der Geldmittel für Gehälter, Baulichkeiten, sonstige Auslagen der Justiz, die Überwachung der Vorbildung, die Prüfung, Auswahl, Anstellung, disziplinäre Kontrolle der Beamten, die Verteilung der Gerichtssprengel usw. besorgen Preufsen, Sachsen, Baden usw. 2 . Das Reich besorgt sie nur da, wo es z u g l e i c h die T e r r i t o r i a l s t a a t s g e w a l t übt, in Elsafs-Lothringen und da, wo die deutsche Staatsgewalt überhaupt n u r als Zentralgewalt auftritt und die Grenzen der Einzelstaaten verschwinden, nämlich in den halbzivilisierten Auslandsstaaten, wo Deutschland ausnahmsweise eine sog. Konsulargerichtsbarkeit besitzt und in den deutschen Kolonien (Schutzgebieten) ; in diesen beiden Territorien sind clie Konsularund Kolonialgerichte (vgl. unten § 38) unmittelbar als Reichsbehörden organisiert. Eine eigentliche Ausnahme bildet innerhalb des Reichs Verbands nur das deutsche R e i c h s g e r i c h t , das Gericht oberster Instanz, für das deshalb ausnahmsweise das G.V.G. §§ 127 ff. die Grenzen der Justizverwaltung des Reichs feststellt (u. S. 213). 1 K e i n e solche A n s i c h z i e h u n g l i e g t i n A r t . 1 der R.Verf., w o n a c h zu d e n Z w e c k e n des deutschen Reichs „ d e r S c h u t z des i n n e r h a l b des B u n d e s g e b i e t s g ü l t i g e n R e c h t s - gehört. E r ü b e r t r ä g t d e m R e i c h n u r die F ü r s o r g e d a f ü r , dafs die G l i e d s t a a t e n das R e c h t schützen. ( L a b a n d 4. A u f l . I I I , S. 335 f.). 2 I n d i r e k t b e s t ä t i g t d u r c h E.G. zu G.V.G. § 4, G.V.G. § 15, 2, w e l c h e diese A n s c h a u u n g als s e l b s t v e r s t ä n d l i c h z u g r u n d e legen.

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Π . Gerichtsverfassung.

§ 32. Landes- und Reichsgerichte.

Nur die Konsequenz der partikulären Gerichtsherrlichkeit ist die Fähigkeit der einzelnen Bundesstaaten, sich untereinander durch Staatsvertrag (sog. G e r i c h t s k o n v e n t i o n ) zur gemeinsamen Ausübung der Gerichtsbarkeit, speziell zur Einsetzung gemeinsamer Gerichte, zu vereinigen 1 , oder einem andern Bundesstaat für das eigne Territorium oder einen Teil desselben die Gerichtsbarkeit verzichtweise zu übertragen 2 . Anderseits hat die Reichsgesetzgebung gegen die Partikularität der Gerichtsherrlichkeit Gegengewichte geschaffen. Obwohl die Justizverwaltung von den einzelnen Staaten an sich ebenso selbständig geübt wird, wie von Frankreich oder Italien gegenüber dem Ausland, ist sie doch nicht nur durch eine Kontrolle der Reichsgewalt beschränkt (Beschwerde über verweigerte oder gehemmte Rechtspflege an den Bundesrat, R.Verf. a. 77), sondern es ist auch durch eine Reihe gesetzlicher Mafsregeln vorgesorgt, dafs die Gesamttätigkeit der einzelstaatlichen Gerichte im praktischen Ergebnisse wie die von Gerichten eines d e u t s c h e n E i n h e i t s s t a a t e s wirksam wird. Diese Mafsregeln sind — abgesehen von der reichsrechtlichen Aufstellung von N o r m a t i v b e s t i m m u n g e n f ü r die E i n r i c h t u n g d e r G e r i c h t e , von Minimalerfordernissen der Gerichtsverfassung, die die Bundesstaaten zu beobachten haben (G.V.G. §§ 1 if., oben S. 162iC u. unten S. 193if.): a) die Aufstellung einer einheitlichen Zuständigkeitsordnung, welche die erledigungsbedürftigen Rechtssachen unter die sämtlichen deutschen Gerichte n u r mit Rücksicht auf die lokale Beziehung der Sache zum einzelnen Gericht, o h n e Rücksicht auf ihre Beziehung zum einzelnen Bundesstaat, gleichmäfsig verteilt (Z.P.O. §§ 12 ff., - unten § 41); b) die Begründung einer allgemeinen R e c h t s h i l f e p f l i c h t der deutschen (ordentlichen und besondern) Gerichte untereinander, derzufolge iedes deutsche Gericht jedes andere, gleichviel ob sie demselben oder verschiedenen Bundesstaaten angehören, durch einzelne Prozefshandlungen (Zeugenvernehmungen usw.) unterstützen mufs (G.V.G. §§ 157 if. , in Übereinstimmung mit R.Ges. vom 21. Juni 1869, — unten § 44); c) die Schattung eines der Justizverwaltung des Reichs selbst unterstehenden obersten Reichsgerichts zum Zweck der Erhaltung einer einheitlichen Rechtsprechung aller deutschen Gerichte (u. S. 196); d) die Aufstellung des Prinzips, dafs die Entscheidungen eines deutschen Gerichts im ganzen Umfange des Reichs die gleiche Wirkung äufsern, also von jeder andern deutschen Gerichtsbehörde als Grundlage der Vollstreckung oder als Grundlage der Feststellung des Anspruchs unbedingt anerkannt werden müssen 3 . 1 G e m e i n s c h a f t l i c h das L a n d g e r i c h t M e i n i n g e n (für preufsisches m e i n i n g i sches. gothaisches Gebiet), R u d o l s t a d t (Preufsen, M e i n i n g e n , S c h w a r z b u r g - R u a o l s t a d t , — V e r t r ä g e v o m 17. O k t o b e r 1878), Gera ( S a c h s e n - W e i m a r u. Reufs j . L., V . v. 18. M a i 1878), das O b e r l a n d e s g e r i c h t Jeiui L ü b e c k ( O l d e n b u r g u . L ü b e c k , V . v . 29./30. Sept. 1878), (für Preufsen u n d t h ü r i n g i s c h e S t a a t e n , V . v . 19. Febr. 1877 u. 23. A p r i l 1878), H a m b u r g (für die H a n s e s t ä d t e . V . v . 30. J u n i 187*), O l d e n b u r g (für O l d e n b u r g u. S c h a u m b u r g - L i p p e , V. v . 23. O k t o b e r 1878), R o s t o c k (für beide M e c k l e n b u r g , M e c k l e n b . Ausf.-G. v . 17. M a i 1879, § 29). 2 V e r z i c h t e , s ä m t l i c h z u G u n s t e n v o n P r e u f s e n , s i n d v e r e i n b a r t f ü r das g a n z e Gebiet des F ü r s t e n t u m s W a l d e c k e i n s c h l i e f s l i c h der L i p p e s c h e n E n k l a v e n L i p p e r o d e u n d S t i f t Cappel b e z ü g l i c h a l l e r Gerichte (Verträge v . 24. N o v . 1877 u . 4. Jan. 1879 a. 7), - f ü r das des F ü r s t e n t u m s S c h w a r z b u r g - S o n d e r s h a u s e n bezw. der l a n d - u . oberlandeseerichtl i c h e n G e r i c h t s b a r k e i t (zu G u n s t e n des L.G. E r f u r t u. O.L.G. N a u m b u r g , V . v . 7. O k t o b e r 1878), — f ü r das des H e r z o g t u m s A n h a l t u n d des F ü r s t e n t u m s L i p p e n u r bez. der obevl a n d e s g e r i c h t l i c h e n (zu G u n s t e n der O.L.G. N a u m b u r g u n d Celle, - V e r t r . v. 9. Oktober 1878 u. 4. Jan. 1879). A u f s e r d e m i s t das F ü r s t e n t u m B i r k e n f e l d (oldenburgische E n k l a v e ) d e m L.G. S a a r b r ü c k e n u n d O.L.G. K ö l n u n t e r s t e l l t (V. v . 20. A u g . 1878). — V g l . I . a b a n d (4) I I I , 374. 3 H i e r i n t r i t t ganz besonders der Gegensatz z w i s c h e n d e m V e r h ä l t n i s der deutschen G e r i c h t e z u e i n a n d e r u n d d e m V e r h ä l t n i s der d e u t s c h e n zu den a u s l ä n d i s c h e n h e r v o r (s. u n t e n § 45, I I S. 285 ff.). *

Landesgerichte u. Reichsgerichte. Grundgedanken d. Gerichtsorganisation.

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§ 33· Die Grundgedanken der ordentlichen Gerichtsorganisation· AVach, H a n d b u c h I , S. 309 ff. L a b a n d , S t a a t s r e c h t des d e u t s c h e n Reichs, B d . I I I (4. Aufl.), S. 398 ff. W e i s m a n n , L b . § 14 a.

I · Gerichtsanstalten und Rechtspflegeorgane· D i e o r deutl i c h e n R e c h t s p f l e g e o r g a n e , die ausschließlich vom G.V.G. geordnet werden (o. S. 190), werden in § 12 sämtlich zu vier grofsen Gruppen oder Komplexen zusammengefaist. „Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit wird durch Amtsgerichte und Landgerichte, durch Oberlandesgerichte und durch das Reichsgericht ausgeübt." Damit ist jedoch nicht ausgesprochen, dafs diese Gruppen „Amtsgericht" usw. die Z i v i l g e r i c h t e selbst verkörpern, d. h. die Willensträger, die unmittelbar Rechtsschutzhandlungen oder vorbereitende Prozefshandlungen vornehmen. Sie sind nicht die im Prozefs handelnden, z. B. Zeugen vernehmenden, beschlufsfassenden Personen. Vielmehr stellen sie nur die äufserlichen Umrahmungen dar, in welche die prozessualisch handelnden Organe der gröfseren Einheitlichkeit und Übersichtlichkeit wegen und zur Verhinderung einer Zusammenhangs- und planlosen Berufsausübung eingegliedert werden und an welche die für die dort gebildeten Gerichtsorgane gemeinsame Baulichkeit, die Dienstüberwachung, Abgrenzung der Amtssprengel, Beschaffung des Dienstpersonals usw. angeknüpft wird. Sie sind nur G e r i c h t s a n s t a l t e n und dienen nur dem Zweck der J u s t i z v e r w a l t u n g (o. S. 151), nicht dem Zweck des Prozesses, Rechtsschutzes selbst. Die Anstalten des § 12 sind nur Gerichte im administrativen, nicht im prozessualen Sinn, nur die „Kadres", innerhalb deren die Rechtspflegeorgane zur Entstehung kommen ( L a b a n d , St.R. [4] I I I S. 404). Ihre Bedeutung erhellt am besten daraus, dafs sie nicht nur die verschiedenen Zivilgerichte — z. B. das Landgericht, die Zivilkammer beim Landgericht, die Gerichtsvollzieher, Gerichtsschreiber beim Landgericht usw. — umfassen, sondern gleichzeitig auch die Organe der Strafgerichtsbarkeit (die Strafkammer des Landgerichts, das beim Landgericht zusammentretende Schwurgericht, die Staatsanwaltschaft beim Landgericht usw.). Ja, die Gerichtsanstalt umschliefst auch Personen, welche ü b e r h a u p t k e i n e prozessuale Tätigkeit entwickeln (Kopisten, Gerichtsdiener, Aufwärter). Die neuerdings wieder von W e i s m a n n , Lb. S. 40, vertretene Anschauung, dafs die Amtsgerichte, Landgerichte d i e Prozefsorgane darstellen, die im Amtsrichter, in den Kammern „zum Handeln organisiert" werden, macht eine klare Einsicht in die Gerichtsorganisation unmöglich, läfst insbes. den wichtigen Vorgang der Personalverteilung (unten S. 208 f.) unverständlich.

I I . Die Verschiedenheiten der Rechtspflegeorgane. Die Vielheit der verschiedenen Einzelorgane, die bei den vier grofsen Gerichtsanstalten gebildet werden, verdankt ihre Entstehung wiederum zwei verschiedenartigen Gesichtspunkten, die gesondert werden müssen. 1. In jedem Prozefs, der um ein bestimmtes Privatrechtsverhältnis geführt wird, werden nacheinander verschiedenartige Behördentätigkeiten, Funktionen nötig, z. B. Beurkundung der Richard Schmidt,

L e h r b u c h des Z i v i l p r o z e f s r e c h t s .

2. Aufl.

13

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I I . Geichtsverfassung.

§34. Erkennende, vollstreckende usw. Behörden

Klage, Zustellung derselben oder anderer Schriftsätze an den Gegner, Entgegennahme mündlicher Parteianträge, Zeugenvernehmung, Entscheidung, nochmalige Entscheidung (Nachprüfung), Vollstreckung. Es ist zweckmäfsig und unter Umständen unbedingt erforderlich, manche dieser Funktionen unter verschiedene Behörden zu verteilen, so dafs die rechtsuchende Partei sich sukzessive an eine ganze Reihe sich ablösender amtlicher Personen wenden mufs 1 . Die Rechtspflegeorgane unterscheiden sich also zunächst nach ihrer F u n k t i o n im g l e i c h e n P r o z e s s e — als erkennende, vollstreckende, beurkundende, zustellende, vorbereitende Behörden 2. 2. Aufserdem kann aber das Gesetz auch die P e r s o n e n , die an einer Zivilgerichtsbehörde beteiligt sind, verschieden behandeln oder einrichten, an die Vorbedingungen ihrer Anstellung, an die rechtliche Macht, die sie in ihrem Amt geniefsen, verschiedene Anforderungen stellen. Diese Sonderung führt zu dem Gegensatze der R i c h t e r , die sich zum Teil in Gerichtskollegien vereinigen, der G e r i c h t s v o l l z i e h e r , der Ger i c h t s s c h r e i b e r und der aufserhalb des eigentlichen Behördenorganismus stehenden, aber doch in vielen Stücken ähnlich behandelten R e c h t s a n w ä l t e . Selbstverständlich hängt der Gegensatz der F u n k t i o n e n mit dem Gegensatz der E i n r i c h t u n g oder O r g a n i s a t i o n eng zusammen. Aber ez zeigt sich doch, dafs sich die Arten der prozessualen Tätigkeiten (Prüfung und Entscheidung in erster Instanz und in höheren Instanzen. Vollstreckung, Beurkundung, Zustellung, Vorbereitung) und die verschiedenen Organisationsklassen (Gerichte im e. S., Gerichtsvollzieher, Gerichtsschreiber, Rechtsanwälte) keineswegs genau decken. Das beherrschende Prinzip kann sich nur aus der Übersicht über den Behördenorganismus im einzelnen ergeben (§§ 34, 35; s. bes. S. 201).

§ 34.

Erkennende, vollstreckende, zustellende, beurkundende Behörden.

O r g a n i s a t i o n des R e i c h s g e r i c h t s : H e n r i c i , Das deutsche R.G., J a h r b . f. D o g m a t i k , 24, S. 23 ff. E. M ü l l e r , Die ersten 25 Jahre des R.G., S o n d e r h e f t des sächs. A r c h i v s f. b ü r e e r l . R.. 1904, S, 1 ff.

I . Der Instanzenzug der erkennenden Gerichte. Die verantwortlichste Funktion ist die E n t s c h e i d u n g , d. h. die bin1 F e r n z u h a l t e n i s t h i e r b e i die A n s c h a u u n g , als ob die s ä m t l i c h e n , verschiedenen i n einer u n d derselben Sache f u n k t i o n i e r e n d e n B e n ö r d e n ( i m prozessualen Sinn) wenigstens i m m e r e i n u n d derselben G e r i c h t s a n s t a l t ( i m a d m i n i s t r a t i v e n Sinn) angehören müfsten. I m G e g e n t e i l k a n n sich dieselbe Sache, i n d e m sie verschiedene Rechtspliegeorgane i n T ä t i g k e i t s e t z t , a u c h d u r c h A n s t a l t e n v e r s c h i e d e n e n Ranges h i n d u r c h bewegen (erste E n t s c h e i d u n g v o r der K a m m e r des L a n d g e r i c h t s , z w e i t e E n t s c h e i d u n g v o r dem Senat des O b e r l a n d e s g e r i c h t s , d r i t t e Entscheidung vor dem R e i c h s g e r i c h t , Volls t r e c k u n g d u r c h den G e r i c h t s v o l l z i e h e r b e i m A m t s g e r i c h t ) . 2 Die S u m m e der R e c h t s p f l e ç e f u n k t i o n e n , die i n i r g e n d einer Sache das Gericht, d. h . die G e s a m t h e i t der g e r i c h t l i c h e n Personen a u s ü b t , n e n n t W a c h I , § 24 I V (313) „ G e r i c h t s g e w a l t " . E r u n t e r s c h e i d e t i n i h r die reine Rechtspflegegewalt ( D e k r e t u r u n d E x e k u t i v e ) , d i s z i p l i n a r e (prozefspolizeiliche) G e w a l t u n d U r k u n d s b e f u g n i s . W i e sich aber aus d e m o b i g e n u n d dem f o l g e n d e n zeigt, i s t der Ο b e r b e g r i f f der G e r i c h t s g e w a l t p r a k t i s c h w e r t l o s u n d die U n t e r s c h e i d u n g der U n t e r a r t e n n i c h t erschöpfend.

Teilung der Funktionen im gleichen Prozefs.

Instanzenzug.

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dende Regelung ungewisser privatrechtlicher oder prozessualer Beziehungen mittels Anwendung der Rechtssätze auf die konkreten Tatsachen. Sie ist mit verschwindenden Ausnahmen (unten S. 202) den G e r i c h t e n zugewiesen, und zwar einschliefslich aller Tätigkeiten, die, wie vor allem die Beweiserhebung, und die Beschaffung der zu beurteilenden Beweisunterlagen, die Entscheidung vorbereiten und ermöglichen, soweit diese Tätigkeiten überhaupt g e r i c h t l i c h e , b e h ö r d l i c h e Tätigkeiten sind und soweit sie nicht a u s d r ü c k l i c h einer der anderen Behörden übertragen sind. Dabei ist jedoch die Entscheidungsfunktion verschiedenen Gerichten übertragen, je nachdem sie erstinstanzlich oder höherinstanzlich, d. h. e r s t m a l i g e P r ü f u n g o d e r N a c h p r ü f u n g ist; und für jede von beiden Arten der Prüfung wiederum ist nicht nur eine Art von Gerichten eingesetzt, sondern es ist schon die erstinstanzliche Prüfung und demgemäfs auch die Nachprüfung je nach der gröfseren oder geringeren Wichtigkeit der Streitsache zwischen zwei verschieden gestalteten Gerichtsorganen verteilt. a) Die e r s t i n s t a n z l i c h erkennenden Gerichte erhalten eine doppelte Gestaltung dadurch, dafs die einen mit E i n z e l r i c h t e r n , die anderen mit Personen-Mehrheiten, K o l l e g i e n , besetzt werden. In g e r i n g e r e n Sachen entscheiden die den Amtsgerichten „vorstehenden" oder sonst ihnen zugewiesenen „Amtsrichter", deren jeder „die ihm obliegenden Geschäfte als E i n z e l r i c h t e r " erledigt (§22 G.V.G.), in g r ö f s e r e n die bei den Landgerichten gebildeten K a m m e r n von d r e i M i t g l i e d e r n mit Einschlufs des Vorsitzenden (§§ 59. 77). Die letzteren können aber wieder in doppelter Weise besetzt werden: 1. Die regelmäfsige Form der Landgerichtskammer in Zivilsachen ist die Z i v i l k a m m e r (§ 59), bestehend aus drei rechtsgelehrten ständigen Beamtenrichtern, einem Vorsitzenden (Direktor oder Präsident) 1 und zwei Beisitzern, 2. Aufserdem aber k ö n n e n , „soweit die Landesjustizverwaltung ein Bedürfnis als vorhanden annimmt", bei den Landgerichten zur Entscheidung von wichtigeren Sachen handelsrechtlichen Charakters K a m m e r n f ü r H a n d e l s s a c h e n aus einem rechtsgelehrten beamteten Mitglied des Landgerichts (nicht notwendig einem Direktor) als Vorsitzenden und zwei periodisch ernannten ehrenamtlichen Mitgliedern des Handelsstandes als „Handelsrichtern" gebildet werden (§§ 100. 109). Die Kammern für Handelssachen brauchen sich im Bezirk und Sitz mit der Zivilkammer nicht zu decken. Sie können für den ganzen Landgerichtsbezirk oder für örtlich abgegrenzte Teile desselben (etwa nur für den Bezirk einer gröfseren Handelsstadt selbst) gebildet werden (§ 100, 1). In b e i d e n Fällen können sie ihren Sitz innerhalb des Landgerichtsbezirks auch an Orten haben, an denen das Landgericht seinen Sitz nicht hat (insbesondere 1 Der Gegensatz v o n D i r e k t o r u n d P r ä s i d e n t b e r ü h r t n i c h t die prozessuale Q u a l i t ä t , sondern n u r die a d m i n i s t r a t i v e i m S i n n v o n § 34. (Das Nähere u n t e n S. 208, 221.)

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I I Geichtsverfassung. §34. Erkennende, vollstreckende usw. Behörden

am Sitz eines Amtsgerichts des Landgerichtssprengeis), als sog. d e t a c h i e r t e Kammer für Handelssachen; in solchen Fällen kann auch ein Amtsrichter Vorsitzender sein (§ 100, 2. 110)1. Die Mitglieder der Kammer für Handelssachen haben ebenso gleiches Stimmrecht wie die der Zivilkammer (§ 109, 2). Nur in Streitigkeiten über das Rechtsverhältnis zwischen Reeder oder Schiffer einerseits und der Schiffsmannschaft anderseits kann der Vorsitzende allein entscheiden (§ 109, 3).

b) Die nachprüfenden Gerichte sind s ä m t l i c h k o l l e g i a l i s c h gestaltet. Die zweitinstanzlich nachprüfenden sind : 1. für die Entscheidungen der Amtsrichter (a) die bei den Landgerichten gebildeten B e r u f u n g s - und B e s c h w e r d e k a m m e r n von drei Beamtenrichtern (§§ 59. 71. 77); 2. für die Entscheidungen der Landgerichtskammern erster Instanz die bei den O b e r l a n d e s g e r i c h t e n gebildeten Z i v i l s e n a t e , bestehend aus einem Senatspräsidenten und vier Mitgliedern (§§ 120. 124), sämtlich rechtsgelehrten Beamtenrichtern. c) Drittinstanzlich nachprüfende Gerichte sind nur für die erstinstanzlichen Entscheidungen der Landgerichtskammern organisiert. Dieselben sind die beim R e i c h s g e r i c h t i n L e i p z i g gebildeten Z i v i l s e n a t e , die aus einem Vorsitzenden und sechs (beamteten) Beisitzern zusammengesetzt werden (§§ 132. 140. R.Ges. über den Sitz des R-G. v. 11. April 1877). Das Reichsgericht hat zugleich die Aufgabe, über einer einheitlichen Gestaltung der Rechtsanwendung aller deutschen Gerichte zu wachen. Diese Funktion droht jedoch der Umstand zu vereiteln, dafs am Reichsgericht notwendig eine Mehrheit von Senaten funktioniert, zurzeit sieben Zivilsenate neben sechs Strafsenaten 2. Einer Zersplitterung der Rechtsprechung soll deshalb das Institut der P l e n a r e n t s c h e i d u n g der vereinigten Zivilsenate, event, aller Straf- und Zivilsenate (des „Plenums"), vorbeugen (G.V.G. § 137). Eine P l e n a r e n t s c h e i d u n g 3 mufs ein Zivilsenat einholen: «) schon nach der ursprünglichen Fassung G.V.G. § 137 von den v e r e i n i g t e n Z i v i l s e n a t e n , wenn er in einer Rechtsfrage von der Entscheidung e i n e s a n d e r n Zivilsenats oder der v e r e i n i g t e n Z i v i l s e n a t e abweichen will, also nicht, wenn er seine eigne bisher befolgte Praxis durchbrechen w i l l (Beispiel für letzteres R.G. I I Ziv.-Sen. 3, 414 vgl. m. 27, 393: Was ist bei der Wandelungsklage die „streitige Verpflichtung" im Sinne des G.Std. des Erfüllungsorts? § 29; u. §41). 1 I n der P r a x i s h a t s i c h dies — bei der F r e i h e i t , die den L a n d e s j u s t i z v e r w a l t u n g e n elassen w o r d e n — sehr v e r s c h i e d e n gestaltet. N u r i n w e n i g e n Oberlandesgericntse z i r k e n s i n d K a m m e r n f ü r H a n d e l s s a c h e n f ü r a l l e L a n d g e r i c h t e des B e z i r k s bestellt (Bamberg, B r a u n s c h w e i g , D a r m s t a d t , H a m b u r s ) ; ebenfalls n u r i n w e n i g e n fehlen sie ganz ( O l d e n b u r g , R o s t o c k ) ; m e i s t bestehen f ü r m e h r oder m i n d e r grofse T e i l e des Bezirks solche K a m m e r n u n d h i e r w i e d e r f ü r ganze L a n d g e r i c h t s b e z i r k e eder f ü r T e i l e v o n L a n d g e r i c h t s b e z i r k e n . I m ganzen s i n d v o n den Gerichtseingesessenen des Deutschen Reichs d i e H ä l f t e (50,1%) a u c h K a m m e r n f ü r H a n d e l s s a c h e n u n t e r s t e l l t . ( J u s t i z s t a t i s t i k X , S. 12, bis 1. J a n u a r 1901.) 2 U r s p r . 1879 w u r d e n aus den 68 M i t g l i e d e r n des R.G. f ü n f Z i v i l s e n a t e (neben d r e i Strafsenaten g e b i l d e t . Z w e i m i t O b e r l a n d e s g e r i c h t s r ä t e n besetzte H i l f s s e n a t e für die Ü b e r g a n g s z e i t w u r d e n 1883 d e f i n i t i v w i e d e r aufgelöst. Infolgedessen machte die Geschäftslage 1886 e i n e n 6. Z i v i l s e n a t ( u n d 4. Strafsenat) n ö t i g (79 M i t g l i e d e r ) , i m Jahre 1899 einen 7. (92 M i t g l i e d e r ) m i t R ü c k s . a u f den E r l a f s des B.G.È. Es besteht zur Z e i t bei Reichsr e g i e r u n g u n d R e i c h s g e r i c h t E i n v e r s t ä n d n i s , dafs eine w e i t e r e V e r m e h r u n g der Senate ohne S c h ä d i g u n g der i n n e r e n Geschlossenheit des Gerichtshofs n i c h t m ö g l i c h ist. (Von B e d e u t u n g f ü r aie G e s t a l t u n g der R e v i s i o n u . § 126.) M ü l l e r a. a. O. S. 89. 3 H i e r z u S c h u l t z e n s t e i n , E i n h e i t der R e c h t s p r e c h u n g . Z. 18, 88 (18)3).

g

Nachprüfende Gerichte. Reichsgericht. Plenarentscheidung.

197

ß) nach der Novelle zum G.V.G. v. 17. März 1886 (neue Fassung § 137) von dem P l e n u m des Reichsgerichts, d.h. von denvereinigten Z i v i l - u n d S t r a f s e n a t e n , wenn der Zivilsenat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines Strafsenats oder der vereinigten Strafsenate oder des Plenums abweichen w i l l , dies in Fällen, wo dieselben Rechtsfragen sowohl die Entscheidung von Zivilprozessen wie die von Strafprozessen mafsgebend bedingen 1 a . Nach der ursprünglichen Fassung G.V.G. bedeutete die Herbeiführung •einer solchen Plenarentscheidung eine „Verweisung" an die vereinigten Senate, so dafs die letzteren in diesem Fall das eigentlich entscheidende Organ wurden, vor dem auch das dem Urteil zugrunde zu legende Verfahren (event, die neue mündliche Verhandlung) zu führen war. Die Novelle von 1886 jedoch wandelte die Plenarentscheidung in die Rolle eines R e c h t s g u t a c h t e n s um, das zwar „in der zu entscheidenden Sache bindend" ist, aber „in allen Fällen ohne vorgängige mündliche Verhandlung" erfolgt (§ 137, 3; — nur vor Entscheidung der vereinigten Strafsenate, des Plenums, und in Ehe-, Kindschafts-, Entmündigungssachen der Zivilsenate Gehör des Oberreichsanwalts mit schriftlichen Anträgen). „Soweit die Entscheidung der Sache eine vorgängige mündliche Verhandlung erfordert, erfolgt dieselbe durch den e r k e n n e n d e n S e n a t auf Grund einer erneuten mündlichen Verhandlung, zu welcher die Prozefsbeteiligten von Amts wegen unter Mitteilung der ergangenen Entscheidung der Rechtsfrage zu laden sind" (§ 137, 5); d e r e i n z e l n e S e n a t i s t u n d b l e i b t a l s o a u c h i n d i e s e n F ä l l e n f o r m e l l das e n t scheidende Organ. Dagegen k a n n das drittinstanzliche Gericht eine Änderung erfahren „durch die Gesetzgebung eines Bundesstaats, in welchem mehrere Oberlandesgerichte errichtet werden". E i n solcher kann „die Verhandlung und Entscheidung der zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehörenden Revisionen und Beschwerden in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten einem o b e r s t e n (drittinstanzlichen) Landesgerichte" zuweisen (E.G. G.V.G. § 8), doch ist diese Autorisation unanwendbar auf denjenigen Bundesstaat, in dessen Gebiet das Reichsgericht seinen Sitz h a t 3 . (R.Ges. über den Sitz des Reichsgerichts vom 11. April 1877.) Da Preufsen verdienstvollerweise von Anfang an entschlossen war, um der Rechtseinheit willen kein solch partikuläres Oberorgan zu schaffen, so war die Klausel zugeschnitten auf Bayern und ist auch von ihm allein benutzt worden (Errichtung des Obersten Landesgerichts zu München 4 , Ges. vom 23. Febr. 1879 a. 42). Doch wurden von der Vorschrift die Zivilsachen ausgenommen, die zur Zuständigkeit des Reichsoberhandelsgerichts gehören oder durch besondre Reichsgesetze dem Reichsgericht zugewiesen sind (§ 8,2). Demnach fand von vornherein auch für b a y e r i s c h e R e c h t s s a c h e n wenigstens eine T e i l u n g der d r i t t i n s t a n z l i c h e n E n t s c h e i d u n g s t ä t i g k e i t zwischen Reichsgericht und oberstem Landesgericht statt. Diese hat seit dem Inkrafttreten des deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs das oberste L.G. noch mehr zugunsten des Reichsgerichts zurückgedrängt 5 . 1 Ζ. Β . die F r a g e , oh die A n f e r t i g u n g v o n L e d e r s c h e i b e n , w e l c h e i n n e r h a l b eines m e c h a n i s c h bewegten M u s i k i n s t r u m e n t s ( A r i s t o n u. dgl.) eine b e s t i m m t e T o n f o l g e u n d so d i e Melodie auslösen, ^mechanische V e r v i e l f ä l t i g u n g " , N a c h d r u c k eines M u s i k w e r k s , — ob die H e r s t e l l u n g eines P a r f ü m s n a c h b e s t i m m t e m Rezept P a t e n t v e r l e t z u n g i s t . 2 Dafs die Rechtsfrage a u f die anstofsgebende V o r e n t s c h e i d u n g e i n e n mafsgebenden Einflufs geübt h a t , i s t s t e t s V o r a u s s e t z u n g f ü r die P f l i c h t z u r E i n h o l u n g der P l e n a r e n t s c h e i d u n g . E h e m a l i g e beiläufige B e m e r k u n g e n v e r p f l i c h t e n h i e r z u n i c h t (R.G. V I 25. Sept. 1890, 26, 431). ^ F ü r Sachsen, den j e t z i g e n Sitz des R.G., z u r Z e i t g e g e n s t a n d s l o s , d a es n u r e i n Oberlandesgericht besitzt. 4 Es f u n k t i o n i e r t i n Senaten i n Besetzung v o n 7 M i t g l . e i n s c h l . des V o r s . a. 48. 5 Denn A r t . 6 E.G. B.G.B, w e i s t n u n m e h r a l l e a u f das B.G.B, g e s t ü t z t e n A n s p r ü c h e , a u c h f ü r B a y e r n , d e m R e i c h s g e r i c h t zu. A l s E r s a t z h a t das b a y r . oberste L.G. n a c h einer andern R i c h t u n g seine K o m p e t e n z e r w e i t e r t . W ä h r e n d das o b e r s t e L a n d e s g e r i c h t i n B a y e r n bisher n u r z i v i l g e r i c h t l i c h e F u n k t i o n e n übte, e r h ä l t es k ü n f t i g a u c h b e s c h r ä n k t e F u n k t i o n e n der S t r a f g e r i c h t s b a r k e i t , i n s o f e r n die R e v i s i o n e n u n a B e s c h w e r d e n , die i n Strafsachen a n das O b e r l a n d e s g e r i e h t f ü h r e n (G.V.G. § 123, N r . 2, 3, 5), i h m zugewiesen w e r d e n k ö n n e n (E.G. zu G.V.G. § 9 neue Fass.). I n s o w e i t m u f s seine O r g a n i s a t i o n ,

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II. Geiichtsverfassung. § 34. Erkennende, vollstreckende usw. Behörden-

I i . Die Yollstreckungsorgane. Die Funktion der Vollstreckung (oben S. 9) steht an sich nicht in untrennbarem Zusammenhang mit der der Entscheidung. Sie verkörpert eine selbständige Form des Rechtsschutzes wie diese und bewegt sich in äufserlich getrenntem Verfahren, o f t b e i mechanischem Zwang (Pfändung, Verhaftung) an anderen Örtlichkeiten. Deshalb hat ein Gesetzgeber an sich die Wahl. Er kann die Vollstreckungsgewalt den entscheidenden Organen, Gerichten, überlassen, die dann mit Hilfe von Anweisungen abhängiger Unterbeamten (Gerichtsdiener usw.) oder mittels Ersuchen anderer Gerichte den Zwang verwirklichen, — so das gemeinrechtliche System (S. 78, 94). Ebensowohl aber kann er auch für die Vollstreckungstätigkeit eigene Beamte einsetzen, die von den Parteien unmittelbar in Bewegung gesetzt und aus eigener Entschliefsung unter gesetzlichen Vorbedingungen und ohne Einmischung oder Anweisung der erkennenden Gerichte tätig werden; so das französische System, verkörpert im Amt des huissier (S. 100). In der Entwicklung des modernen Prozefsrechts überwog das Interesse an der „Reinhaltung des richterlichen Amts" zugunsten der zweiten Gestaltung, also einer gesonderten Organisation der Entscheidungsund Vollstreckungsorgane, die es ermöglichte, die Kräfte der Gerichte auf die wichtigste, moralisch und intellektuell schwierigste Aufgabe der tatsächlichen Prüfung und Rechtsanwendung zu konzentrieren. Die Entwicklung übertrug demnach den „ G e r i c h t s vollzieher" als eine mit selbständiger amtlicher Verantwortlichkeit handelnde Vollstreckungsbehörde nach Deutschland. Gleichwohl sah sich das Reichsprozefsrecht nicht in der Lage, dem Gerichtsvollzieher allein die gesamte Vollstreckungstätigkeit zu überlassen, einfach deswegen nicht, weil auch innerhalb dieser Vollstreckungsfunktion unter Umständen verwickelte Operationen und Beurteilungen rechtlicher Verhältnisse vorzunehmen waren, und weil die subalterne Beamtenklasse, aus der die Landesregierungen gezwungen waren, die neuen Vollstreckungsorgane zu bilden, — die abhängigen Gerichtsdiener der alten Gerichtsverfassung, — die gewissenhafte, unbestechliche und geschickte Erfüllung eines solchen Pflichtenkreises wenigstens zunächst nicht und nicht im ganzen Gebiete des Reichs erwarten liefs. Infolgedessen wurden unier Kombination des gemeinrechtlichen mit dem französischen System die G e r i c h t e auch jetzt noch neben den Gerichtsvollziehern zur Vollstreckung herangezogen. Einzelne deutsche Territorien hatten bereits die Einführung eines ausschliefslich auf die Gerichtsvollzieher gebauten Vollstreckungssystems riskiert, so abgesehen von den ganz französischen Rheinlanden (seit 1806) auch Bayern in P.O. v. 1869, — angeblich mit gutem Erfolg. Die Vermittlung ging auch hier von der Hannöv. P.O. 1850 aus, die zwar den „ G e r i c h t s V o i g t e n " auch die gesamte Vollstreckung (auch in Immobilien, Forderungen, ausgenommen Strafandrohungen) übertrug (§ 531), aber in andern Fällen eine Mitwirkung b i s h e r der des Keichsgerichts entsprechend, der des Oberlandesgerichts angepafst werden (E.G. § 10 neue Fass.).

Gerichtsvollzieher und Vollstreckungsgericht.

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und Überwachung des Gerichts eröffnete (§§ 549. 555 u. ö.). Der preufsische Entwurf entzog ihnen alsdann die Immobiliarvollstreckung, der norddeutsche auch die Vollstreckung in Forderungen (vgl. Mot. zu E. G.V.G. 176 ff.; H a h n I, 157 ff.). Die neue ö s t e r r e i c h i s c h e E x e k u t i o n s o r d n u n g (o. S. 112) hat das gemeinrechtliche System festgehalten: „Bewilligung" des Vollstr. regelmäfsig durch das Prozefsgericht, Vollzug durch die Bezirksgerichte (Einzelrichter) oder Gerichtsdiener unter deren Leitung (§ 3 ff., 16, 24).

Die Organisation der Vollstreckungsorgane ist demnach folgende : a) „Die Zwangsvollstreckung erfolgt, soweit sie nicht den Gerichten zugewiesen ist, durch Gerichtsvollzieher" (§ 753 Z.P.O.). „Die den Gerichten zugewiesene Anordnung von Vollstreckungshandlungen — gehört zur Zuständigkeit der Amtsgerichte als Vollstreckungsgerichte" (§ 7(34). Insoweit sind also die als Einzelbeamten funktionierenden Gerichtsvollzieher und die Amtsrichter, die auch hier als Einzelrichter das „Amtsgericht" verkörpern (G.V.G. § 22) einander k o o r d i n i e r t , so dafs entweder die einen oder die anderen, jene für die leichteren, diese für die schwierigeren Vollstreckungshandlungen tätig werden. b) Aufserdem wird aber auf dem Exekutionsgebiet, welches den Gerichtsvollziehern zugewiesen ist, wiederum ein Subordinationsverhältnis derselben unter den Amtsrichtern hergestellt. 1. Der Amtsrichter übt unter Umständen eine M i t w i r k u n g bei den Vollstreckungen der Gerichtsvollzieher, unterstützt deren Handlungen in besonders verwickelt oder absonderlich gearteten Fällen durch Ermächtigung, Vorkehrung von Hilfsmafsregeln, vor allem aber durch R a t e r t e i l u n g , an die der Gerichtsvollzieher im Zweifel immer gewiesen ist. 2. Der Amtsrichter übt aber auch eine Ü b e r w a c h u n g , Kontrolle des Gerichtsvollziehers aus, prüft dessen Vorgehen auf Einwendung oder Beschwerde der Partei oder eines beteiligten Dritten nach. Die e r m ä c h t i g e n d e M i t w i r k u n g des Amtsrichters zu Handlungen des Gerichtsvollziehers (no. 1) tritt vor allem ein in den speziell genannten Fällen, besonders § 758, 3 (Herbeiziehung militärischer Hilfe, wenn aufsergewöhnlicher Widerstand überwunden werden mufs), § 761 (Ermächtigung zur Vollstreckung bei Nacht oder an Feiertagen), § 822 (Ermächtigung zur Umschreibung eines gepfändeten und versteigerten Wertpapiers auf den Namen des Käufers; vgl. auch § 825). Aufserdem kann aber der G.V. selbst beliebig die Initiative ergreifen, um den Rat des Amtsrichters einzuholen. Die N a c h p r ü f u n g des Amtsrichters über Handlungen des Gerichtsvollziehers (no. 2) äufsert sich hauptsächlich bei Korrektur von Übergriffen des Gerichtsvollziehers über die gesetzlichen Schranken der Vollstreckung, § 765, 1 (z. B. bei Pfändung von Vermögensstücken über den Betrag der Forderung, § 803; Pfändung von vollstreckungsentzogenen Objekten, des notwendigen Hausrats des Schuldners usw., § 811; Pfändung durch Eingriff in den Gewahrsam eines Dritten, § 809 — vgl. unten § 159). Die Kontrolle des Amtsrichters kann aber auch als Nötigung des Gerichtsvollziehers zum Vorgehen im Fall der Weigerung (§ 765, 2) auftreten. In entsprechender Weise wie der Gerichtsvollzieher durch den Amtsrichter wird auch dessen Vollstreckungstätigkeit in gewissen Grenzen wieder durch das im Instanzenzug übergeordnete Gericht, also (nach den Grund-

200

. Geichtsverfassung. § 34. Erkennende, vollstreckende usw. Behörden

Sätzen über die Entscheidungsorgane) durch die Z i v i l k a m m e r des L a n d g e r i c h t s nachgeprüft (§ 793). So bietet die Organisation der Vollstreckungsbehörden ein ähnliches Bild wie die der Entscheidungsbehörden: Vollstreckungsbehörden: Gerichtsvollzieher Amtsrichter Amtsrichter

Kammer des Landgerichts

Amtsrichter

Erkenntnisbehörden: Kammer des Landgerichts

Kammer des 'Landgerichts

Oberlanlesgericht Reichsgericht.

Diese Organisation ist in beiden Teilen darauf gebaut, dafs das für wichtigere Geschäfte berufene Organ gleichzeitig das übergeordnete für die in minderwichtigen Geschäften berufenen Organe ist. Da aber aufserdem das h ö h e r organisierte V o l l s t r e c k u n g s o r g a n und das n i e d r i g e r organisierte E n t s c h e i d u n g s o r g a n d a s s e l b e i s t — der Amtsrichter—, so gehen beide Klassen von Behörden i n e i n a n d e r ü b e r . Dies ist insofern innerlich gerechtfertigt, als die s c h w i e r i g e r e n V o l l s t r e c k u n g s h a n d l u n g e n (z. B. die Beschlagnahme einer Forderung des Schuldners gegen einen Dritten zum Zweck der Befriedigung des Gläubigers, die Beschlagnahme eines Grundstücks und der Zuschlag desselben in der Zwangsversteigerung) tatsächlich E n t s c h e i d u n g e n sind, so dafs im Grunde auch die beiden Tätigkeiten ineinander übergehen (s. unten S. 202).

I I I · Beweiserhebende, betreibende, vergleichstiftende, znsteilende, beurkundende Organe. Auch abgesehen von der Vollstreckung hat das Gesetz für besondere Funktionen besondere amtliche Organe vorgesehen. a) Für die die Entscheidung vorbereitende B e w e i s t ä t i g k e i t gibt es in der Zivilgerichtsverfassung im allgemeinen eigne Organe nicht 1 . Sie löst sich im Zweifel in der Entscheidung der erkennenden Gerichte auf. Nur vereinzelt wird für gewisse, aus dem Rahmen des normalen Prozesses heraustretende Beweisakte der A m t s r i c h t e r als ausschliefslich berufenes Organ festgesetzt, nämlich für solche Beweishandlungen (Zeugen- und Sachverständigenvernehmungen, Eidesleistungen usw.), die in fremdem Sprengel auf R e c h t s h i l f e e r s u c h e n vorgenommen werden müssen (G.V.G. § 158), und für solche, die wegen drohender Gefahr des Verlusts eines Beweismittels vor Beginn eines Prozesses im Wege der S i c h e r u n g des B e w e i s e s bewirkt werden (§ 486, 2). b) Auch die die Prüfung anregende Tätigkeit des Prozefsbetriebs fällt dem erkennenden Gericht zu, soweit nicht überhaupt in dieser Richtung ein Eingreifen in den Prozefs von den Parteien erwartet wird. Immerhin entsteht zwischen Gericht und Parteien in den R e c h t s a n w ä l t e n ein mindestens halbamtliches Organ eigner Art, dessen Hauptfunktion die „Instruktion" der Sache ist 1 I n der S t r a f g e r i c h t s v e r f a s s u n g h a t diese B e d e u t u n g der U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r (G.V.G. § CO). F ü r den Zivilprozefs v e r w e r t e t solche blofs „ i n s t r u i e r e n d e " Beamten das schweizerische, englische Recht i n grofsem Mafsstab ( v g l . o. S. 117, 124).

Behörden für Beweis, Instruktion, Sühne, Zustellung, Beurkundung. 201

(hierüber u. S. 222 ff.). Vereinzelt, nämlich in Ehe- und anderen Statussachen, wird mit ihr eine wirkliche Behörde betraut, die S t a a t s a n w a l t s c h a f t , die — an sich auf die Bedürfnisse des Strafverfahrens berechnet — hier in den Zivilprozefs eingreift (§607), wie in das prozefsähnliche Entmündigungsverfahren (o. S. 171) ^ c) Wie zum Beweise vor Anhängigkeit des Prozesses (o. lit. a) wird auch, wenn vor Beginn des Prozesses ein Vergleich der Parteien gestiftet werden soll, der A m t s r i c h t e r als S ü h n e o r g a n von Bedeutung (§§ 510. 609). d) Die Z u s t e l l u n g , d.h. die formelle, die Sicherheit verbürgende Übermittlung prozessualer Schriftstücke (Entscheidungen, Parteischriftsätze, Ladungen) wird grundsätzlich zusammen mit der niederen Vollstreckung den G e r i c h t s v o l l z i e h e r n übertragen (G.V.G. § 155). Als Hilfsorgane konkurrieren hier mit ihm die G e r i c h t s d i e n e r 2 und die P o s t b o t e n . e) Als eine eigenartige, die sonstigen Prozefshandlungen nur teilweise vorbereitende, zum Teil sie selbständig begleitende Tätigkeit bedarf endlich die B e u r k u n d u n g eines besonderen amtlichen Organs. Solches ist seiner eigentlichen Bestimmung nach der in äufserer Verbindung mit dem Gericht, aber kraft selbständiger Verantwortlichkeit tätig werdende G e r i c h t s s c h r e i b e r (G.V.G. § 154, in Verb, mit Z.P.O. §§ 163. 165. 706. 724 u. ö.). I T . Richterliche und nicht-richterliche Funktionen. Wenn gemeinhin vom Sprachgebrauch, u. a. auch von dem des Gesetzes, die Gerichte als erkennende, die Gerichtsvollzieher als Vollstreckungs- und Zustellungs-, die Gerichtsschreiber als Urkundsbehörden bezeichnet werden, so kann dies nach dem vorausgehenden nur so verstanden werden, dafs den genannten Behörden jene Funktionen i n e r s t e r L i n i e zufallen. Dagegen zeigt sich, dafs genaue Unterschiede der Funktionen zwischen den verschiedenen, am Prozefs beteiligten Organen n i c h t bestehen. Am deutlichsten läfst sich an der V o l l s t r e c k u n g s f u n k t i o n beobachten, wie das Gesetz die richterliche Aufgabe und die cles Gerichtsvollziehers ohne alle feste Grenze ineinander überfliefsen macht. Entsprechende Übergänge bestehen aber in Wahrheit auch hinsichtlich aller übrigen Funktionen. Einerseits werden auch den subalternen Behörden innerhalb ihres Wirkungskreises gewisse Prüfungen und Entscheidungen angesonnen, z. B. dem Gerichtsvollzieher über ATorbedingungen eines Vollstreckungsakts 3, dem Gerichtsschreiber 1 Sie b e t e i l i g t sich am Z i v i l p r o z e f s a u f G r u n d derselben O r g a n i s a t i o n , die sie d u r c h G.V.G. § 142 ff. zunächst f ü r die Z w e c k e des Betriebs der S t r a f j u s t i z e r h a l t e n h a t , d. h. als e i n d e m J u s t i z m i n i s t e r i u m u n t e r s t e h e n d e s , aber d e n V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n n a c h gebildetes, i m ü b r i g e n , w i e die G e r i c h t e , das o b j e k t i v e I n t e r e s s e der Rechtspflege v e r tretendes staatliches Organ. 2 Der Gerichts d i e n e r i s t erst d u r c h N o v . § 190 a (Z.P.O. I I , 208) z u m Z u s t e l l u n g s beamten gemacht w o r d e n . V o r h e r gehörte er ü b e r h a u p t n i c h t z u r G e r i c h t s v e r f a s s u n g , sondern n u r z u m H a u s p e r s o n a l der Gerichte. 3 So h a t u. a. der G e r i c h t s v o l l z i e h e r bei V o l l s t r e c k u n g eines U r t e i l s , das d e n Schuldner zur L e i s t u n g Z u g u m Z u g v e r u r t e i l t , z u p r ü f e n , ob d i e d e m G l ä u b i g e r geschuldete L e i s t u n g bei der V o l l s t r e c k u n g bereit u n d vertragsgemäfs i s t (vgl. § 726 A b s . 2). A n d e r e F ä l l e u. § 141.

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I I · Gerichtsverfassung. § 35. Richterliche u. nichtrichterliche Beamte.

über solche eines Urkundsakts 1 . Anderseits greift der Gerichtsschreiber in grofsem Umfang in die Z u s t e l l u n g ein (§§ 166 ff.), umgekehrt der Gerichtsvollzieher in die B e u r k u n d u n g , besonders bei Aufnahme der Zustellungsurkunde (§ 190) und des Vollstreckungsprotokolls (§ 762). Endlich verfliefst auch die Grenze zwischen der Erkenntnis- und der Vollstreckungstätigkeit der G e r i c h t e , insofern auch das „Prozefsgericht", d. h. das das Urteil erlassende Gericht selbst, die Vollstreckungsmafsregeln zu dessen Durchführung verhängt, nämlich bei Androhung von Geldoder Haftstrafen zum Zwecke der Vollstreckung von Ansprüchen, die auf höchstpersönliche Handlungen des Schuldners (z. B. Ausstellung eines Zeugnisses) oder auf Duldungen oder Unterlassungen gerichtet sind (§§ 888. 890). Nach alledem läfst sich eine scharfe Wesensbestimmung der verschiedenen Prozefsorgane mit Rücksicht auf ihre Funktion nicht geben. Es lassen sich genau genommen nur die Funktionen der G e r i c h t e i m e. S., d. h. der Behörden, die aus r i c h t e r l i c h e n B e a m t e n zusammengesetzt sind, und die an n i c h t - r i c h t e r l i c h e Organe überlassenen Funktionen sondern, die nicht-richterlichen Funktionen sind aber nicht qualitative und inhaltlich eigenartige. Vielmehr ist ihnen nur das Kennzeichen gemeinsam, dafs sie sämtlich u n t e r g e o r d n e t e u n d v e r h ä l t n i s m ä f s i g l e i c h t e Funktionen darstellen. Der einzige feste Leitgedanke der Funktionenverteilung ist somit, dafs das Gericht mit solchen gröberen und einfacheren Tätigkeiten verschont werden soll, damit es sich desto intensiver auf seine w i c h t i g e n , besonders die Urteilsfunktion und die sie vorbereitenden, verantwortlichen Akte konzentrieren könne. Dies ist das Prinzip der „ R e i n h a l t u n g des r i c h t e r l i c h e n A m t s t t . Es beherrscht den Aufbau der G e r i c h t s v e r f a s s u n g innerhalb des Gebiets der Zivilrechtspflege. wie das verwandte Prinzip der T r e n n u n g von J u s t i z u n d V e r w a l t u n g das Verhältnis der verschiedenen Behördenzweige. Sonach wird der Gegensatz der r i c h t e r l i c h e n und n i c h t - r i c h t e r l i c h e n Beamten die Hauptfrage der Gerichtsverfassung.

§ 35« Richterliche und nichtrichterliche Beamte. H e n r i c i , D i e E r n e n n u n g der M i t g l i e d e r des Reichsgerichts, Grenzboten 1895, B d . 55. K a d e , G e s e t z e n t w u r f über die R e g e l u n g der R i c h t e r g e h ä l t e r i n Preufsen, p r . J a h r b . 1896, B d . 84. v . S c h r u t k a - R e c h t e n s t a m m , U m g e s t a l t u n g der G e r i c h t s v e r f a s s u n g ( i n Ö s t e r r e i c h ) , 1894. A u b i n , E n t w . der r i c h t e r l . U n a b h ä n g i g k e i t i m neuesten deutschen u. Osterreich. Recht ( F r e i b u r g e r A b h a n d l u n g e n N r . 6, 1905).

I . Gesetzliche Grundlagen der gerichtlichen Amterverhältliisse. Das G.V.G hat die weitüberragende Bedeutung der richterlichen Beamten gegenüber der der Subalternen schon in der ver1 Der Gerichtsschreiber h a t r e c h t l i c h e B e u r t e i l u n g e n bes. bei E r t e i l u n g der V o l l s t r e c k u n g s k l a u s e l (§ 725) u n d des Rechtskraftzeugnisses 706) v o r z u n e h m e n . § 576 s p r i c h t deshalb geradezu v o n E n t s c h e i d u n g e n des Gericntsschreibers.

„Reinhaltung d. richterl. Amts". Richter, Gerichtsvollz., Gerichtsschreiber. 2 0 3

schiedenen Art, wie es zu beiden Stellung genommen hat, zum Ausdruck gebracht. Während G.V.G. für die Vorbedingungen des r i c h t e r l i c h e n Amts sowie für die Rechtsstellung des Richters im Amt mit Rücksicht auf die besondere W i c h t i g k e i t dieses A m t s r e i c h s r e c h t l i c h e Normativbestimmungen erlassen hat, werden die „Geschäftseinrichtung" der Gerichtsschreiberei (§ 154) und die „Dienst- und Geschäftsverhältnisse" der Gerichtsvollzieher der Regelung der L a n d e s g e s e t z g e b u n g oder L a n d e s j u s t i z v e r w a l t u n g als das minderwichtige überlassen (§ 155). Aber auch im Inhalt dieser Rechtsnormen prägt sich der Gegensatz aus; dieselben bringen verschiedene Grundsätze zur Anwendung (II. I I I ) , wenn es auch Punkte gibt, in denen die Richter mit den Gerichtsschreibern und Gerichtsvollziehern gleich oder wenigstens analog behandelt weiden (II. a. Ε., IV.). Der ursprüngliche Entwurf des G.V.G. hatte auch hinsichtlich der R i c h t e r davon Abstand genommen, gemeinrechtliche Vorschriften über Berufung und Rechtsstellung zu treffen. Erst die Justizkommission des Reichstags, besonders auf Betreiben Laskers, nahm die Minimalerfordernisse derselben auf. (Protokolle 7 ff. 335. 638 ff. Hahn, Mat. 569. 794.) Freilich sind die Vorschriften darüber auch jetzt noch, wie das Folgende zeigt, fragmentarisch. Für die G e r i c h t s s c h r e i b e r und G e r i c h t s v o l l z i e h e r hat dagegen das Reich nicht einmal Leitsätze aufgestellt, abgesehen von denen am Reichsgericht, die durch Verordnung des Reichskanzlers geordnet werden. Ja, das G.V.G. verlangt nicht einmal Regelung durch Landesgesetz. Auch V e r o r d n u n g e n des Justizministeriums oder des Gesamtministeriums können sich damit beschäftigen. Das Folgende ergibt, dafs die Verhältnisse der Gerichtsschreiber in manchen Staaten teils durch Gesetz, teils durch Verordnung, in andern nur durch Verordnung geordnet sind. Für die Verhältnisse der Gerichtsvollzieher gelten gemeinhin nur Verordnungen 1 . Sie sind seit der Reichsjustizorganisation bereits umgearbeitet worden, teilweise wiederholt. Zurzeit gelten durchweg die im Anschlufs an die Novelle zur Z.P.O. erlassenen Ordnungen aus den Jahren 1899 und 1900. Die Amtsstellung der G e r i c h t s s c h r e i b e r regeln: 1. für P r e u f s e n das Ges. betr. die Dienstverhältnisse der Gerichtsschreiber 3. März 1879 (G.S. S. 99), ergänzt durch die G e r i c h t s s c h r e i b e r o r d n u n g v. 17. Dez. 1899 (Just.M.Bl. 849); 2. für B a y e r n Ausf.G. zu G.V.G. 23. Febr. 1879 a. 59 ff. (abg. durch Ausf.G. B.G.B. 9. Juni 1899 a. 167, G.V.B1. Beilage z. Landtagsabschied 66); 3. für S a c h s e n Verordnung 21. April 1893 (G.V.B1. 117); 4. für B a d e n E.G. zu Reichsjust.Ges. 3. März 1879 § 66 (abg. Ges. 30. Nov. 1899 G.V.B1. 805) und V. 8. Juni 1889, erg. durch V. 4. Nov. 1899 (G.V.B1. 517); 5. für W ü r t t e m b e r g Ges. 24. Jan. 1879 (Reg.Bl. 3), verb. m. Ausf.G. zu B.G.B. 28. Juli 1899 (Reg.Bl. 423. 514). Die Amtsverhältnisse der G e r i c h t s v o l l z i e h e r regeln die G e r i c h t s vollzieherordnungen: 1. für P r e u f s e n vom 31. März 1900 (Justiz.Min.Bl. S. 345); 2. für B a y e r n vom 16. Dez. 1899 (G.V.B1. S. 1015); 1 So d e n k t es sich das G.V.G. F ü r die G e r i c h t s v o l l z i e h e r w e r d e n n a c h § 155 s o w o h l die D i e n s t - w i e die G e s c h ä f t s Verhältnisse der G e r i c h t s v o l l z i e h e r d u r c h die L a n d e s j u s t i z v e r w a l t u n g geregelt. F ü r die G e r i c h t s s c h r e i b e r i s t dies (§ 154) n u r für die G e s c h ä f t s e i n r i c h t u n g ausgesprochen. Die „ D i e n s t v e r h ä l t n i s s e " s i n d n i c h t e r w ä h n t . Ü b e r die A r t i h r e r R e g e l u n g h a t d e m n a c h e i n Landesgesetz zu b e s t i m m e n .

204 I 3. 9., 11., 4. 5.

Gerichtsverfassung. § 35. Richterliche u. nichtrichterliche Beamte. für S a c h s e n (Geschäftsordnung, in Fass. d. Verordnungen 30. Nov., 15. Dez. 1890). (Just.M.Bl. 83. 87. 125. 139); für W ü r t t e m b e r g vom 8. Sept. 1899 (Reg.Bl. 631); für B a d e n vom 16. Nov. 1899 (G.B1. 563).

I I . Die Bedingungen der Fähigkeit zum Amte sind so geordnet, dafs eine Person, um die Qualiiikation zum R i c h t e r a m t zu erlangen, sich in einem besonders langen Zeitraum und in intensivem und vielseitigem Bildungsgang einer Vorbereitung unterziehen mufs, welche ihm sowohl eine a u s g e b r e i t e t e K e n n t n i s des R e c h t s als auch einen t i e f e r e n E i n b l i c k i n d i e dem R e c h t u n t e r f a l l e n d e n V e r k e h r s - und L e b e n s e r s c h e i n u n g e n und d i e t e c h n i s c h e n V e r r i c h t u n g e n des R i c h t e r s ermöglicht. Für Gerichtsschreiber und Gerichtsvollzieher wird neben einer mäfsigen juristischen Bildung und ohne dafs auf eine vielseitige soziale Lebensanschauung Gewicht gelegt würde, wesentlich n u r eine t e c h n i s c h - p r a k t i s c h e S c h u l u n g gefordert. a) Die Vorbildung des Richters zerfällt in das „ U n i v e r s i t ä t s s t u d i u m " und den „ V o r b e r e i t u n g s d i e n s t " , zwei mindestens dreijährige Ausbildungszeiten, die sukzessive erledigt werden müssen und je durch Absolvierung einer Prüfung abzuschliefsen sind (G.V.G. § 2). Die Ablegung der Prüfungen erfolgt innerhalb der Justizverwaltung der einzelnen Bundesstaaten (oben § 33); wer jedoch „in einem Bundesstaate die Fähigkeit zum Richteramte erlangt hat, ist — zu jedem Richteramte innerhalb des Deutschen Reichs befähigt" (§ 5). Der Ordinarius der deutschen Juristenfakultät ist ipso iure qualifiziert (§ 4). Alle Einzelheiten der Regelung dieser für die Rechtspflege ungemein bedeutsamen Fragen überläfst G.V.G. den Bundesstaaten1. Sie befinden sogar darüber, inwieweit jungen Juristen, die die reichsrechtlichen Qualifikationserfordernisse noch n i c h t erlangt haben (Referendaren, Rechtspraktikanteil), zeitweilig richterliche Funktionen anvertraut werden dürfen 2 . Das U n i v e r s i t ä t s s t u d i u m mufs mindestens drei Jahre umfassen, wovon mindestens drei Semester auf einer deutschen, d. h. dem deutschen Staatswesen angehörigen Hochschule (im Gegensatz auch zu den deutsch1 V g l . z u m F o l g e n d e n die Z u s a m m e n s t e l l u n g der l a n d e s r e c h t l i c h e n N o r m e n bei R e i t z e n s t e i n , S c h i e r l i n g e r , B e t z i n g e r , G e f s l e r , G r e n g e l , M i c h a e l i s (oben 'S. 142). 8 Die zur E r g ä n z u n g der §§ 2—5 d i e n e n d e n l a n d e s r e c h t l i c h e n V o r s c h r i f t e n s i n d f ü r P r e u f s e n , Ges. v . 6. J u n i 1869 § 2 - 1 1 , 14, Ausf.Ges. 24. A p r i l 1878 8 1 (G.S. 69, 656. 78, 230), m i t R e g u l a t i v v . 1. M a i 1883 (J.M.B1. S. 131), abgeändert d u r c h V e r f ü g u n g e n v . 1888, 1890, 1897, 1899 (Text s. bei R e i t z e n s t e i n S. 22 ff.); f ü r B a y e r n , V e r o r d n . v . 4. J u l i 1899 (G.V.B1. 367, bei S c h i e r l i n g e r S. 37); f ü r S a c h s e n . V e r o r d n . , den V o r b e r e i t u n g s d i e n s t z u r E r l a n g u n g der F ä h i g k e i t z u m R i c h t e r a m t betr., v. 17. Sept.. 1879 (G.B1. 370) u Γ V e r o r d n . , die z w e i t e j u r . S t a a t s p r ü f u n g b e t r . , v . 11. O k t . 1889 (G.V.B1. 93; s. bei G r e n g e l S. 140); f ü r W ü r t t e m b e r g . V e r o r d n . v . 25. A p r i l 1839, betr. D i e n s t p r ü l ' u n g e n i m J u s t i z d e p a r t e m e n t (R.G.B1. 415), V e r o r d n . v. 20. Dez. 1881, betr. V o r b e r e i t u n g für den h ö h e r e n J u s t i z d i e n s t (Reg.Bl. 481), erg. d u r c h V e r f ü g u n g ν. 1. J u l i 1882 (Gerichtsbl. 20, 353; v g l . G e f s l e r S. 45); f ü r B a d e n , V e r o r d n . , d i e V o r b e r e i t u n g z u m Dienst i n der J u s t i z betr., v . 17. N o v . 1899 (G.V.B1. 647) u. V e r o r d n . , B e s c h ä f t i g u n g der R e c h t s p r a k t i k a n t e n u. Keferendare betr., v. 21. Nov. 1899 (G.V.B1. 653: bei B e t z i n g e r 68).

Qualifikationsbedingungen des Richters. Studium. Vorbereitungsdienst. 205 schweizerischen, österreichischen) verbracht werden müssen (§ 2, 2). Der einzelne Bundesstaat kann den Zeitraum verlängern 1 (§ 2, 4), wenn auch nicht die Einrichtung des Studiums weiter einschränken, z. B. ein Studium gerade an den Hochschulen des jeweiligen B u n d e s s t a a t s vorschreibeu. Ausschliefslich vom Einzelstaat wird der Modus der ersten Prüfung geregelt (der Umfang derselben, die prüfenden Personen 2 , die dadurch erlangten Prädikate 3 ). Entsprechend kann auch der mindestens dreijährige Zeitraum des V o r b e r e i t u n g s d i e n s t e s zwischen der ersten und zweiten Prüfung vom Einzelstaat verlängert werden (§2, 4) 4 . E r m u f s j e d e n f a l l s eine bungszeit bei G e r i c h t e n und* R e c h t s a n w ä l t e n umfassen, k a n n (nach Reichsrecht) auch teilweise bei der Staatsanwaltschaft (§ 2, 3) und (wenn es das Landesrecht gestattet) auch teilweise (bis zu einem Jahre) bei den Verwaltungsbehörden zugebracht werden (§ 2, 4) 6 . Die Prüfung regelt auch hier das Landesrecht 0 , ebenso die Prädizierung nach bestandener Prüfung. Hierzu bestimmt hinsichtlich der Wirkung der Vorbereitungszeit der § 5 ein Doppeltes: 1. dafs der Kandidat i n n e r h a l b des B u n d e s s t a a t s , in dessen Justizverwaltung er die Qualifikation erlangt hat, j e d e s Richteramt erlangen kann, also auch sofort ein solches an einer Gerichtsanstalt höheren Ranges (z. B. Oberlandesgericht): eine bestimmte Reihenfolge der Ämter braucht nicht eingehalten zu werden; 2. dafs der Kandidat, der in einem Bundesstaat die Qualifikation erlangt hat, in j e d e m a n d e r n Bundesstaat und im R e i c h jedes beliebige Richteramt erlangen kann: in einem andern Staat braucht die Prüfung nicht wiederholt zu werden (ein Prinzip, das durch die Modalitäten der Anstellung u. I I praktisch ziemlich illusorisch wird). Die von § 5 vorbehaltene „Ausnahme" (§ 127, 2: zum Mitglied des Reichsgerichts kann nur der zum Richteramt qualifizierte ernannt werden, der das 35. Lebensjahr vollendet hat) ist keine eigentliche Ausnahme, weder von 1. noch von 2., sondern nur Aufstellung einer neuen weiteren Qualifikationsbedingung. Gerade der Zweck des praktischen Vorbereitungsdienstes bringt es m i t sich, dafs auch Personen, die noch nicht die volle Qualifikation zum Richteramt erworben haben, sondern sie erst erwerben wollen, mit richterlichen Funktionen betraut werden müssen. Es ist ferner erklärlich und naheliegend, dafs der Staat solche Personen im Vorbereitungsdienst zugleich verwendet, 1 Dauer des S t u d i u m s 3 J a h r e i n Preui'sen, B a y e r n , W ü r t t e m b e r g , 3V2 J a h r e i n Baden, Sachsen. Es i s t i m a l l g e m e i n e n a n e r k a n n t , dafs das d r e i j ä h r i g e S t u d i u m bei d e m W a c h s e n des Gesetzesstoffs u n d der gröfseren V e r z w e i g u n g u n d V e r t i e f u n g der Rechtswissenschaft n i c h t m e h r l a n g g e n u g bemessen i s t , bes. i n H i n b l i c k a u f die s t a r k e Bee i n t r ä c h t i g u n g , die es d u r c h die m i l i t ä r i s c h e n D i e n s t l e i s t u n g e n erfährt. 2 I n P r e u f s e n P r ü f u n g s k o m m i s s i o n e n v o n 4 M i t g l i e d e r n bei den Oberlandese r i c h t e n , v o r w i e g e n d aus R i c h t e r n u n d 2 U n i v e r s i t ä t s l e h r e r n b e s t e h e n d ; i n S a c h s e n lommission v o n 5 M i t g l i e d e r n (Professoren der Leipziger J u r i s t e n f a k u l t ä t u n d e i n e m aufserordentlichen K o m m i s s a r , niedergesetzt v o m K u l t u s m i n i s t e r i u m ) , i n B a y e r n K o m m , an den U n i v e r s i t ä t e n , bestehend aus Professoren u n t e r V o r s i t z eines h ö h e r n B e a m t e n , i n W ü r t t e m b e r g K o m m , aus Professoren der T ü b i n g e r F a k u l t ä t , i n H e s s e n K o m m , bestehend aus den Professoren der Giefsner F a k u l t ä t (Verordn. v o m 7. J u l i 1891); i n B a d e n K o m m i s s i o n des J u s t i z m i n i s t e r i u m s u n t e r M i t w i r k u n g v o n K o m m i s s a r e n des M i n i s t e r i u m s des I n n e r n (§ 3) u n d einzelnen ohne feste Regel beigezogenen Professoren der F a k u l t ä t e n H e i d e l b e r g u n d F r e i b u r g . — N u r i n B a y e r n besteht das n i c h t e m p f e h l e n s w e r t e I n s t i t u t einer „ Z w i s c h e n p r ü f u n g " , der sich der S t u d e n t n a c h den d r e i ersten Semestern ü b e r Rechtsgeschichte zu u n t e r w e r f e n h a t . Ά Der m i t E r f o l g Geprüfte h e i l s t Referendar i n P r e u f s e n , S a c h s e n , W ü r t t e m b e r g , R e c h t s p r a k t i k a n t i n Baden, B a y e r n . 4 D a u e r d e s V o r b e r e i t u n g s d i e n s t e s 4 Jahre i n Preufsen (A.G. 78, § 1), Sachsen ( V e r o r d n u n g v o m 17. Sept. 1879, § 3) ; 3 Jahre i n B a d e n ( V e r o r d n . v o n 1Ô94, § 2), B a y e r n (Verordn. v o m 6. J u l i 99, § 27), W ü r t t e m b e r g (s. o. S. 204 A n m . 2. 5 Vorb. bei den V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n g e s t a t t e t v o n B a d e n , § 8, V e r o r d n . v o n 1894; Bayern V e r o r d n . 1893, § 20; Sachsen V e r o r d n . v o m 17. September 1879, § 4. M ö g l i c h , dafs ein Bundesstaat a u c h eine V o r b e r e i t u n g bei den N o t a r e n zuläfst (Baden § 8); diese s i n d Gehilfen der Gerichte i m Gebiet der f r e i w i l l i g e n G e r i c h t s b a r k e i t (oben S. 1G5). 6 B a y e r n : K o m m , v o n J u s t i z - u. V e r w a l t u n g s b e a m t e n an den Sitzen der K r e i s r e g i e r u n e (Verordn. 1893 §§27, 31); Sachsen, B a d e n : das J u s t i z m i n i s t e r i u m ( V e r o r d n . 1894, §§ 11-14)".'

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um aushilfsweise oder in Stellvertretung den eigentlichen richterlichen Beamten einen Teil ihrer Arbeit abzunehmen. Die Landesgesetze haben deshalb von der erwähnten Ermächtigung, auch einen noch nicht Qualifizierten „zur zeitweiligen Wahrnehmung richterlicher Geschäfte" heranzuziehen (§ 10), sämtlich Gebrauch gemacht. Preufsen (A.G. § 2) gestattet die Beauftragung von Referendaren nach zweijähriger Vorbereitung mit Geschäften bei den Amtsgerichten (aufser der Urteilsfällung) im Bedürfnisfall, ebenso Sachsen auch vor Ablauf der zwei ersten Jahre (A.G. G.V.G. §..21). Baden erlaubt (E.G. § 11 Satz 2) im Fall des Bedürfnisses sogar die Übertragung der sämtlichen Befugnisse eines Amtsrichters (also auch die Urteilsfällung) durch Auftrag des Justizministeriums (mangels solchen Auftrags nur Vornahme einzelner richterlicher Handlungen aufser den Entscheidungen durch Übertragung des Amtsrichters). Anderseits wird durch die Ablegung auch der letzten Prüfung der Kandidat noch nicht Richter; dies wird er erst durch die Übertragung eines Amts, die ihrerseits wieder von selbständigen Rücksichten abhängig ist (unten III). I n Ermangelung reichsrechtlicher Vorschriften ist es deshalb wiederum Sache der Landesgesetzgebung, zu bestimmen, in welcher Weise die an sich zum Richter qualifizierten Personen (Assessoren, in Süddeutschland: Referendäre) verwendet und beschäftigt werden sollen. Die genannten Qualifikationsbedingungen sind selbstverständlich für Handelsrichter bedeutungslos. Das Amt derselben ist ein Ehrenamt (§ 111), das an sich jeder Deutsche bekleiden kann (§ 113). Die eigentliche Fähigkeit besitzt er, wenn er als Kaufmann, als Vorstand einer Aktiengesellschaft, als Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschr. II. oder als Vorstand einer sonstigen juristischen Person in das Handelsregister eingetragen ist oder war, — an Seeplätzen auch, wenn er schiffahrtskundig ist oder war (§ 113, in Fassung des R.Ges. vom 20. März 1905, R.G.B1. 179, § 114). Im übrigen wird Vollendung des 30. Lebensjahrs und womöglich Wohnsitz bezw. Sitz seiner Handelsniederlassung oder der Gesellschaft, der er vorsteht, im Bezirk fads d u r c h P r i v a t p e r s o n e n , w e g e n B e s c h ä d i g u n g e n , d i e v o n F l ö f s e r n u n d Schiffern w ä h r e n d der F a h r t oder b e i m Schiffziehen v e r u r s a c h t w o r d e n (nach E l b s c h . A . a u c h w e g e n des Betrags der B e r g e l ö h n e u n d anderer H i l f s v e r g ü t u n g e n bei U n g l ü c k s f ä l l e n ) . [ K h e i n schiff.A. a. 34 E l b s c h . A . a. 23.] 1 Abgesehen v o n den t h ü r i n g i s c h e n Staaten e x i s t i e r e n sie v o n A n f a n g an n u r i n Preufsen, Sachsen (Ges. v . 17. März 1832), W ü r t t e m b e r g (Ges. v. 14. A p r i l 1848) u n t e r d e m N a m e n der G e n e r a l k o m m i s s i o n e n f ü r A b l ö s u n g e n u n d G e m e i n h o i t s t e i h i n g e n . I h r e F u n k t i o n i s t aber angesichts der V e r r i n g e r u n g ihres W i r k u n g s k r e i s e s auch hier a u f die höheren V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n (preufs. R e g i e r u n g e n , sächs. K r e i s h a u p t m a n n s c h a f t Dresden) übert r a g e n w o r d e n — i n Preufsen 2. I n s t a n z : das O b e r l a n d e s k u l t u r g e r i c h t , preufs. G. v . 18. Feb r u a r 1880. Das V e r f a h r e n i s t das der Z.P.O. m i t geringen, i n j e n e n Gesetzen bezeichneten Abweichungen 2 B e i V o r b e r e i t u n g der N o v . 1897 s c h l u g der R e g . - E n t w . v o r , die A g r a r g e r i c h t e i n gröfserem U m f a n g zur U r t e i l s f u n k t i o n heranzuziehen, — a u c h über nachbar-, s e r v i t u t e n r e c h t l i c h e S t r e i t i g k e i t e n . Diese K o m p e t e n z e r w e i t e r u n g s o l l t e eine Konzession a n dae n e u e r d i n g s h e r v o r t r e t e n d e Streben s e i n , f ü r agrarische R e c h t s s t r e i t i g k e i t e n l a n d w i r t s c h a f t l i c h e S c h ö f f e n - oder S c h i e d s g e r i c h t e i n s Leben z u r u f e n (vgl. d e n E n t w u r f eines entsprechenden Gesetzes u n d d i e B e g r ü n d u n g des Gedankens bei S c h n e i d e r , Z. 20, 533, 1894). Der R e i c h s t a g v e r w a r f das aber m i t R ü c k s i c h t d a r a u f , dafs die sog, - , G e n e r a l k o m m i s s i o n e n u den zeitgemäfsen A n s p r ü c h e n n i c h t m e h r entsprächen u n d der V o r s c h l a g n o c h n i c h t ausgereift sei. 3 B a d e n : B e t z i n g e r S. 20. Ü b e r W ü r t t e m b e r g : G e f s l e r , landesr. N o r m . , S. 3. 240. 4 V o n N u t z e n s i n d sie i m w e s e n t l i c h e n n u r f ü r die ganz k l e i n e n G e m e i n d e n , d i e n i c h t S i t z eines A m t s g e r i c h t s sind. — V g l . G e f s l e r , W ü r t t e m b . N o r m e n z u m K o m m . 240; B e t z i n g e r , B a d . N o r m e n S. 295. N e u e r d i n g s s i n d a u c h sie d a d u r c h w i e d e r an B e d e u t u n g gestiegen, dafs die Gewerbe- u n d K a u f m a n n s g e r i c h t e (u. V) ebenfalls bei den G e m e i n d e n o r g a n i s i e r t s i n d . Die B ü r g e r m e i s t e r , die T r ä g e r der G e m e i n d e j u s t i z s i n d z u g l e i c h die V o r s i t z e n d e n des Gewerbegerichts.

Agrargerichte.

Gemeindegerichte.

Gewerbegerichte.

237

sinken die Gemeindegerichte zu einem blofs vorschlagsweise judizierenden Organ, ähnlich einer Sühnebehörde, herab. In W ü r t t e m b e r g entscheiden sie in Gemeinden 1. Klasse (Städte über 5000 Einwohner), 2. und 3. Klasse bis zu 50 bezw. 40 und 30 Mark in Besetzung von mindestens 3 M i t g l i e d e r n des Gemeinderats (Berufung ans A.G. binnen 10 Tagen) (A.G. Z.P.O. a. 3—12), in B a d e n bis zu 60 Mark als E i n z e l r i c h t e r (Bürgermeister) (Berufung ans A.G. binnen 2 Wochen: E.G. zu R.Just.G. §§ 115 if. in Verb, mit Gesetz vom 16. April 1886, G.B1. 141). In beiden Staaten nähern sie sich durch die geschilderte Entwicklung der Einrichtung an, dafs Gemeindeverwaltungsbehörden (zum Teil ganz dieselben) mit den Funktionen von Schiedsmännern, Vergleichsstiftern ausgestattet sind (s. unten § 68, besonders auffallend im badischen Gesetz von 1886).

Y· Gewerbegerichte und Kaufmannsgerichte· Von viel gröfserer Bedeutung sind die erst nach dem G.V.G. voll hervortretenden S t a n d e s g e n o s s e n g e r i c h t e . Der Gedanke eines Sondergerichts für die g e w e r b l i c h e n S t r e i t i g k e i t e n zwischen A r b e i t e r n und A r b e i t g e b e r n entspringt dem von langher ausgebildeten Mifstrauen des Arbeiterstandes in den erfahrungsgemäfs grofsenteils der Bourgeoisie entnommenen Beamtenrichterstand und sind demgemäfs wesentlich eine Schöpfung der sozialpolitischen Bewegung (vgl. oben S. 129) 1 . Schon Art. 120 a Gewerbeordnung in deren Fassung vom 17. Juli 1878 (R.G.B1. 203) stellte die Einsetzung solcher Gerichte nach Mafsgabe landesgesetzlicher bezw. ortsstatutarischer Regelung frei und berief subsidiär die Gemeindeverwaltungsbehörden zur Entscheidung, allerdings mit zehntägiger Berufung auf den Rechtsweg (an das Amtsgericht, wie o. lit. d). Durch R.Ges. vom 29. Juli 1890 (R.G.B1. 141) ist jedoch Organisation und Verfahren r e i c h s r e c h t l i c h geregelt und die Bedeutung der Gewerbegerichte dadurch gesteigert worden, dafs die Anfechtung ihrer Entscheidungen nicht durch Provokation auf den (untersten) Rechtsweg, sondern nur durch Berufung an das Landgericht, wie gegen Urteile der Amtsgerichte, stattfinden (§ 5) und bei Streitobjekten unter 100 Mark ganz ausgeschlossen sein solle (§ 55) 2 . Eine Neuredaktion des Gesetzes vom 30. Juni 1901 (bekannt gemacht 29. Sept. 1901, R.G.B1. 353) erhöhte darauf ihre Kompetenz und ihr Anwendungsgebiet noch mehr. Während ursprünglich die Einsetzung eines Gewerbegerichts dem Ortsstatut, also dem Ermessen der Gemeindeverwaltung oder in Wahrheit den Kämpfen der Parteien innerhalb der Gemeinde überlassen worden war, schrieb die Novelle ein solches für Gemeinden über 20000 Einwohner 1 Der B e r i c h t der R e i c h s t a g s k o m m i s s i o n über den s o z i a l d e m o k r a t i s c h e n A n t r a g v o m Februar 188») (Drucks, d. R . T . 1886 N r . 122): sie seien h e r v o r g e g a n g e n aus e i n e m „ t i e f w u r z e l n d e n h i s t o r i s c h e n Recht der d e u t s c h e n V o l k s s t ä m m e , die i m B e r u f e n t s t a n d e n e n S t r e i t i g k e i t e n d u r c h e b e n b ü r t i g e Standes- u n d Fachgenossen z u r E n t s c h e i d u n g z u b r i n g e n " , d r ü c k t den l e i t e n d e n G e d a n k e n m i n d e s t e n s sehr u n g e n a u aus. 2 A r b e i t e r i m S i n n e des Gesetzes s i n d Gesellen, G e h i l f e n , F a b r i k a r b e i t e r u n d L e h r l i n g e i m S i n n e dos 7. T i t e l s der G e w e r b e o r d n u n g , — a u c h Betriebsbeamte, W e r k meister, m i t höheren t e c h n i s c h e n D i e n s t l e i s t u n g e n b e t r a u t e A n g e s t e l l t e m i t Jahresverdienst bis i n k l . 2000 M a r k (§ 2). N i c h t A r b e i t e r s i n d z. B. die „ A r t i s t e n " (R.G. 37, 60; B e r n h a r d t , J u r . Z. 1900, 263).

238

. Gerichtsverfassung.

§ 38. Sondergerichte.

1

obligatorisch vor (§ 2) . Endlich hat das R.Ges. vom 6. Juli 1904 (R.G.B1. 266) nach dem Muster der Gewerbegerichte in den gleichen Gemeinden auch für Streitigkeiten aus dem D i e n s t - oder L e h r v e r h ä l t n i s s e z w i s c h e n K a u f l e u t e n und i h r e n H a n d l u n g s g e h i l f e n bezw. L e h r l i n g e n ein Sondergericht, das K a u f m a n n s g e r i c h t , geschaffen, — dieses sogar mit einer inappellablen Kompetenz bis zu 300 Mark (§ 16) 2 . Beide Gerichte entscheiden in einer Besetzung eines rechtsgelehrten beamteten Vorsitzenden, der durch Magistrat oder Gemeindevertretung gewählt wird (meist ist er ein städtischer Verwaltungsbeamter, zweiter Bürgermeister oder dergl.) und zweier Beisitzer, eines Arbeitgebers und eines Arbeiters, oder eines Kaufmanns und ^ines Angestellten (Gew.G.G. § 24, K.G.G. § 15). Die Beisitzer werden in direkter geheimer Wahl von ihren Standesgenossen gewählt ; die Grundsätze der Wahl (eventuell Proportionalwahl) regelt das Ortsstatut (Gew.G. § 15) 3 , die Qualifikationsbedingungen die Gesetze (Gew.G. § 11, K.G. § 10). R e c h t s a n w ä l t e werden vor den Sondergerichten nicht nur nicht gefordert, sondern n i c h t e i n m a l z u g e l a s s e n (Gew.Ger. § 31, K.G. § 16). Die Z u s t ä n d i g k e i t beider Gerichte ergreift die gewerblichen und kaufmännischen Streitigkeiten ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstands und u n t e r A u s s c h l u f s d e r o r d e n t l i c h e n G e r i c h t e , so dafs die Parteien sich auch freiwillig diesen nicht unterwerfen können (keine Prorogation, u. § 43; — Gesetze § 6) 4 . Sie umfafst ziemlich gleichmäfsig (Gew.Ges. § 4, Kaufm.G. § 5) Streitigkeiten: 1. über Antritt, Fortsetzung oder Auflösung des Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses sowie über Aushändigung oder Inhalt der Zeugnisse (Arbeitsbücher, Lohnbücher usw.); 2. über die Leistungen aus dem Vertragsverhältnis; 3. über die Rückgabe von Zeugnissen, Legitimationspapieren (Büchern, Sicherheiten usw.), die aus Anlafs des Vertragsverhältnisses übergeben worden sind; 4. über Ansprüche auf Schadenersatz oder Zahlung einer Vertragsstrafe wegen Nichterfüllung der Verbindlichkeiten Ziffern 1—3 sowie wegen unrichtiger oder gesetzwidriger Eintragungen im Zeugnisse usw.; 5. über Berechnung und Anrechnung von Krankenkassenbeiträgen und Eintrittsgeldern (im Sinn des Krankenvers.Ges. vom 10. April 1892 §§ 53 a. 65. 72 f.). Den Gewerbegerichten ist ferner .eigentümlich (no. 6) die Zuständigkeit für Ansprüche, die auf Grund der Übernahme einer gemeinsamen Arbeit von A r b e i t e r n desselben Arbeitgebers gegeneinander erhoben werden, — den Kaufmannsgerichten (no. 6) die Zuständigkeit für Ansprüche aus einer Vereinbarung, durch welche der Gehilfe oder Lehrling für die Zeit nach Beendigung des Vertragsverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit 1 B e s t e h t k e i n G e w e r b e g e r i c h t , so k a n n s t a t t dessen über m a n c h e S t r e i t i g k e i t e n der G e m e i n d e v o r s t a n d angerufen w e r d e n (§ 76, 77). E r schliefst aber das ord. G. n i c h t aus. 2 K a u f l e u t e i m S i n n des Ges. s i n d n a t ü r l i c h die Personen, welche das H a n d e l s g e s e t z b u c h d a r u n t e r v e r s t e h t (vgl. u. S. 249; v g l . S t a u b , K o m m . B.G.B. S. 1 A n m . 79; A p t , A n m . zu § 1 des K a u f . G . 3 L u s c h k a , Die V e r h ä l t n i s w a h l b e i m Gewerbegericht, F r e i b u r g e r A b h . 5, 1906. 4 W e n n das Gewerbegericht das o r d e n t l i c h e G e r i c h t a u s s c h l i e f s t , so w i r d es selbst w i e d e r ausgeschlossen d u r c h d i e I n n u n g e n f ü r S t r e i t i g k e i t e n zwischen I n n u n g s m e i s t e r n u n d L e h r l i n g e n u n d d u r c h die I n n u n g s s c h i e d s g e r i e n t e f ü r S t r e i t zwischen I n n u n g s m e i s t e r n u n d G e s e l l e n o d e r A r b e i t e r n (Gew.O. § 81 a η . 4, 81b n r . 4 verb. m . 91), f a l l s diese I n s t i t u t i o n e n existieren.

Gewerbegerichte.

Kaufmannsgerichte.

239

beschränkt wird, also aus der sog. Konkurrenzklausel (H.G.B. § 74), während diese Ansprüche für die Gewerbegerichte gerade ausdrücklich ausgeschlossen werden (§ 4 Abs. 2). Die ö r t l i c h e Zuständigkeit kommt dem Gerichte zu, in dessen Bezirk die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist oder sich die gewerbliche Niederlassung des Arbeitgebers befindet oder beide Parteien ihren Wohnsitz haben (Gew.G. § 27; K.G. § 16) Das V e r f a h r e n richtet sich im allgemeinen nach den Grundsätzen des Amtsgerichtsprozesses (Gew.G. § 26; K.G. § 16), hat aber starke Besonderheiten 2 . Alle Zustellungen erfolgen von Amts wegen (§ 32) unter Fürsorge des Gerichtsschreibers (§ 33), ebenso die Ladungen der Parteien zu den vom Vorsitzenden ex officio angesetzten Terminen (§ 35). Alle Fristen sind kürzer. Bei Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen hängt die Beeidigung vom richterlichen Ermessen ab (δ 44, 2). Der Verhandlungsinhalt wird protokolliert (§ 47). Die Redaktion der Urteile ist einfach (§ 49, nicht notwendig Sonderung von Tatbestand und Gründen). Die Urteile sind in gröfserem Umfang für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 57: aufser denen über Objekte bis 300 Mark auch alle appellablen Urteile über die Ansprüche § 4 no. 1). Das Gericht hat eine gesteigerte Sühnegewalt. Jeder erste Verhandlungstermin ist nur ein Sühnetermin und kann deshalb vom Vorsitzenden allein abgehalten werden. Schlägt der Sühneversuch fehl, so kann der Vorsitzende auch ohne Beisitzer verhandeln und entscheiden, wenn beide Parteien es beantragen (§ 54). Dafs in der neuen Einrichtung ein berechtigter Kern steckt, braucht nicht bestritten zu werden (vgl. oben S. 132). Wenn die Laienbeisitzer auch für den objektiven Wert der Entscheidung im einzelnen Fall meist wenig beitragen werden, so kann doch die Kontrolle derselben auf die ganze Amtsgebahrung des Vorsitzenden Juristen erzieherisch wirken. Vor allem aber kann die Mitwirkung standesgenössischer Richter auf die Parteien einwirken, ihr Vertrauen in die Rechtspflege stärken, Vergleichsgeneigtheit befördern, unnütze Berufungen verhindern. Insbesondere ist das Verlangen nach solchen Schutzgarantien, wenn es einmal in weiten Kreisen laut geworden und festgewurzelt ist, von der Gesetzgebung schwer zu ignorieren. Diese Erfolge liefsen sich aber in einfacherer Weise dadurch erreichen, dafs man die gewerblichen und kaufmännischen Beisitzer in das Amtsgericht einordnete, nach Analogie der Schöffen in der Strafrechtspflege, der Handelsrichter am Landgericht. Dagegen ist die jetzt durchgeführte Organisation eine in ihren Folgen unabsehbare Durchbrechung unserer Gerichtsverfassung. Sie zerreifst die Einheitlichkeit der unteren Rechtsprechung, indem sie richterliche Funktionen gleicher Art wie die aller Prozesse aus Dienstverträgen an Beamte überträgt, die von den R i c h t e r n g e t r e n n t sind. Sie zerstört die heilsame Grenze zwischen Justiz und Verwaltung, indem sie jene richterliche Funktionen an V e r w a l t u n g s b e a m t e überträgt. Sie schwächt die Justizgewalt des S t a a t s , indem sie vielfach s t ä d t i s c h e Verwaltungsbeamte als Gewerbe- und Kaufmannsrichter verwertet und so zugleich den k o m m u n a l e n Einflufs auf die Rechtspflege wiederherstellt. Sie schafft zwischen diesen verschiedenen Instanzen ein unerfreuliches Verhältnis, insofern sie zu zahllosen Streitigkeiten um die Kompetenz Anlafs gibt 3 . Sie zeichnet für diese sonderrechtlichen Prozesse ein a b w e i c h e n d e s Verfahren vor und beeinträchtigt die Rechtsgleichheit der Bürger dadurch, dafs sie dieselben in 1

A l s o n i c h t das G e r i c h t am W o h n s i t z des B e k l a g t e n (u. S. 255). Den regelmäfsigen F o r m e n des A m t s g e r i c h t s f o l g t die K l a g e r h e b u n g , die S t e l l u n g v o n A n t r ä g e ^ die öffentliche V e r h a n d l u n g , die i m Z w e i f e l u n m i t t e l b a r e B e w e i s a u f n a h m e , das B e w e i s m i t t e l s y s t e m (Eidesauflage d u r c h bedingtes E n d u r t e i l oder Beweisbeschlufs nach Ermessen), das V e r s ä u m n i s v e r f a h r e n , U r t e i l s e r l a f s , Vergleichsschlufs. 3 M i t Recht v e r n e i n t das R.G., 1902 51, 193, dafs der E r b e eines L o h n a n s p r u c h s ebenfalls v o r dem Gewerbegericht k l a g e n k a n n , da das a n der Person h a f t e n d e sozialolitische M o t i v der S o n d e r g e r i c h t s b a r k e i t hier n i c h t z u t r i f f t . A n d e r s aber O.L.G. Dresden, as Gewerbegericht 7, 127, B e w e r , J u r . Z. 1904, 1110. Ubers, über diese K o n t r o v e r s e n W i l h e l m i - B e w e r S. 48 ff. 2

S

240

. Gerichtsverfassung.

§ 38. Sondergerichte.

ihrem Rechtsschutz unter ganz verschiedenartige Bedingungen stellt. Die Vereinfachung des Gewerbegerichtsprozesses erkauft sie durch Preisgabe wichtiger Prozefsprinzipien, vor allem der Anwaltskontrolle gegenüber dem Richter 1 . Der Hinweis auf das eingewurzelte germanische Bedürfnis nach Rechtspflege von Standesgenossen aber (S. 237) rechtfertigt alle diese zersetzenden Eingriffe um so weniger, als die ständische Justiz ohne hinlängliche zentralisierende Gegengewichte schon im mittelalterlichen Staat zersetzend wirkte, als ihre Reste im absoluten Staat (die Verwirrung der Gerichtsstände) sogar eine Hauptschwäche der Justiz vor Beginn der Reformperiode bedeutete. Angesichts der Tatsache, dafs eigentlich alle gewichtigen j u r i s t i s c h e n Stimmen über die Verwerflichkeit der Organisation eins waren, ist es schwer begreiflich, dafs die Reichsregierung zu dieser Einrichtung die Hand geboten hat. Es erklärt sich zunächst aus der sachlichen Erwägung, dafs eine Angliederung an den Amtsgerichtsprozefs nicht populär war, weil der Amtsgerichtsprozefs selbst in vielen Stücken reformbedürftig ist. Vor allem war der unsachliche Wunsch der Justizverwaltungen mafsgebend, dem Staat die Kosten des neuen Verfahrens zu ersparen und diese auf die Gemeinden abzuwälzen (Gew.G. § 9; Kaufm.G. § 8). Jedenfalls ist dringend zu wünschen, dafs bei der bevorstehenden Revision der Justizgesetze der Mifsgriff wieder rückgängig gemacht und die Gewerbe- und Kaufmannsgerichte nachträglich noch zu blofsen Modifikationen des amtsgerichtlichen Verfahrens gestaltet werden.

In Wahrheit ebenfalls zu den Sondergerichten gehörig und den Gewerbegerichten nach Zweck und Organisation nahe verwandt sind die S c h i e d s g e r i c h t e f ü r A r b e i t e r v e r s i c h e r u n g 2 . Sie beruhen auf dem (neuen) I n v a l i d e n v e r s i c h e r u n g s g e s e t z vom 13. Juli 1899 (R.G.B1. S. 393) §§ 103 ff., dessen Bestimmungen zunächst für die Streitigkeiten aus Invalidenversicherung berechnet waren, kurz darauf aber auch durch das „Mantelgesetz" vom 30. Juni 1900 auf die Unfall Versicherungsstreitigkeiten für anwendbar erklärt wurden 8 . Sie funktionieren mit einem ständigen Vorsitzenden (Verwaltungsbeamten) und zwei Beisitzern aus dem Kreis der Arbeitgeber und der Versicherten und entscheiden über die Berufung gegen Entscheidungen, die die Versicherungsanstaltsvorstände oder Rentenstellen über Ansprüche auf Fürsorge erlassen haben4. 1 E i n e I n k o n s e q u e n z i s t a u c h die, dafs die P a r t e i e n a u f die Z u z i e h u n g der Beisitzer venzichten k ö n n e n , i m W i d e r s p r u c h m i t d e m G r u n d p r i n z i p , dafs die R e g e l u n g der F u n k t i o n e n der Prozefsorgane zwingendes R e c h t i s t (o. S. 144). Y g l . i m ü b r i g e n ü b e r d e n Z u s a m m e n h a n g des Verfahrens v o r den neueren Sonderg e r i c h t e n m i t den F r a g e n der Prozefsreform o. S. 131 ff. Gesetzeskritische B e m e r k u n g e n s. b e i S t r a n z , J u r . Z. 1903, 70. 144; 1904, 185. S t a u b , ebenda 1904 no. 3. 2 Sie s i n d also n i c h t „ S c h i e d s g e r i c h t e " i m eig. Sinne (o. S. 152). 3 Die ä l t e r e n , a n d i e Berufsgenossenschaften a n g e g l i e d e r t e n U n f a l l s c h i e d s g e r i o h t e ( v g l . ü b e r sie R o s i n , R e c h t der A r b e i t e r v e r s . , I (1893), 728 ff.) s i n d d a m i t beseitigt. 4 Ü b e r O r g a n i s a t i o n u n d V e r f a h r e n v g l . erschöpfend R o s i n , Recht der A r b e i t e r v e r s i c h e r u n g , I I (1905), S. 248 ff.

Gewerbe- und Kaufmannsgerichte.

Zuständigkeit.

241

Zweites Kapitel.

Die Verteilung der Zivilgerichtsbarkeit unter die Gerichte. § 39· Die Zuständigkeitsordnung· P l a n c k , H b . I , § C.

W a c h I , § 28 if. (347).

F i t t i n g § 12.

W e i s m a n n I § 27 ff.

Die vom Gerichtsverfassungsrecht geordneten Behörden (Kap. I) befriedigen i n i h r e r G e s a m t h e i t das Rechtspflegebedürfnis der Bevölkerung in Deutschland. Ihre gemeinsame Tätigkeit kann sich jedoch nur dann in geregelter Weise abwickeln, wenn clas Gerichtsverfassungsrecht weiter eine V e r t e i l u n g der sämtlichen Geschäfte der Ziviljustiz unter sie vornimmt, also die Rechtspflegegewalt jeder einzelnen Behörde gesetzlich abgrenzt. Der abgegrenzte Kreis der Prozefstätigkeit, die jedes Organ zu erfüllen ermächtigt und verpflichtet ist, heifst die zivilprozessuale Z u s t ä n d i g k e i t oder K o m p e t e n z desselben, — der gesetzliche Verteilungsplan ist die Zuständigkeitsoder Kompetenzordnung. Die Abgrenzung des Wirkungskreises mufs für jede Behörde in dreifacher Richtung, d. h. gegen drei verschiedene Gruppen anderer Behörden erfolgen: a) Als Verteilung der Zuständigkeit läfst sich bereits die gesetzliche Einrichtung auffassen, dafs i n d e r s e l b e n Sache, d. h. mit Beziehung auf denselben schutzbedürftigen Anspruch (o. S. 193) mehrere Behörden — erstentscheidendes, nachprüfendes Gericht, Gerichtsvollzieher, Gerichtsschreiber, Vollstreckungsrichter — verschiedene Geschäfte oder Funktionen getrennt zu verrichten haben — erste Entscheidung, Nachprüfung, Zustellung, Beurkundung, Vollstreckung usw. Den K r e i s von F u n k t i o n e n , der einem Organ im Gegensatz zu a n d e r e n , i n d e r g l e i c h e n Sache t ä t i g e n Organen zugeteilt ist, kann man als seine f u n k t i o n e l l e Zuständigkeit bezeichnen. Nur deckt sich insoweit die gesetzliche Zuständigkeitsordnung mit der gesetzlichen Einrichtung der Rechtspflegeorgane überhaupt; denn mit der Einsetzung verschiedener Arten von Behörden mufs zur Erkenntnis ihres Wesens notwendig schon ihre Funktion mitbestimmt werden. Dieser Teil der Zuständigkeitsordnung ist also bereits in Kap. 2 dargelegt worden. Es ist hiernach gleichgültig, ob man für das Verhältnis dieser Organe von der Verschiedenheit der funktionellen Z u s t ä n d i g k e i t sprechen w i l l 1 , 1 Der Begriff der f u n k t i o n e l l e n Begrenzung der K o m p e t e n z , d. i . der „ Z u w e i s u n g bestimmter verschiedener R e c h t s p f l e g e t u n k t i o n e n i n derselben Sache 14 (ohne R ü c k s i c h t auf W e r t oder A r t u n d a u f r ä u m l i c h e B e z i e h u n g der Sache) an verschiedene „ G e r i c h t e " ist zuerst aufgestellt v o n W a c h I , § 28 I V S. 350. N u r besteht k e i n G r u n d , i h n , w i e

R i c h a r d S c h m i d t , L e h r b u c h des Z i v i l p r o z e f s r e c h t s .

2. A u f l .

16

242

Π . Gerichtsverfassung.

§ 39. Zuständigkeitsordnung.

oder ob man einfach von der Verschiedenheit der Funktionen reden und die Unterscheidung der Zuständigkeit auf die Organe g l e i c h e r Funktion einschränken will (unten lit. b. c). J e d e n f a l l s m u f s d i e U n t e r s c h e i d u n g des q u a l i t a t i v v e r s c h i e d e n e n G e s c h ä f t s k r e i s e s (a) g e t r e n n t geh a l t e n w e r d e n von der V e r t e i l u n g desselben Geschäftskreises u n t e r m e h r e r e O r g a n e (lit. b. c) 1 . Die praktische Bedeutung dieser Methode zeigt sich an der Frage der V e r e i n b a r u n g ü b e r d i e Z u s t ä n d i g k e i t (vgl. unten § 43).

b) Jede mit einer bestimmten Funktion ausgestattete Behörde wird aber weiter dadurch in ihrem Tätigkeitsfelde beschränkt, dafs für v e r s c h i e d e n e Prozesse (Sachen) mehrere Behörden v e r s c h i e d e n e r O r g a n i s a t i o n die gleichen Geschäfte zu erledigen haben, — so die Landessondergerichte (ζ. B. Gewerbegerichte) und die ordentlichen Gerichte und unter letzteren wieder die Amtsrichter und die Landgerichtskammern die erstinstanzliche Entscheidung, die Gerichtsvollzieher und Vollstreckungsrichter die Vollstreckung. Der K r e i s von R e c h t s s a c h e n , der einem Rechtspflegeorgane im Gegensatz zu den Organen g l e i c h e r F u n k t i o n , a b e r v e r s c h i e d e n e r O r g a n i s a t i o n zugeteilt ist, ist die s a c h l i c h e (objektive) Ζ u s t ä n d i g k e i t desselben. Sowohl für die Verteilung der F u n k t i o n e n i n d e r s e l b e n Sache (a) wie für die Verteilung d e r m e h r e r e n S a c h e n u n t e r g l e i c h f u n k t i o n i e r e n d e B e h ö r d e n (b) ist hiernach eine verschiedene E i n r i c h t u n g , O r g a n i s a t i o n m e h r e r e r B e h ö r d e n die Voraussetzung, und es ist gerade deshalb eine Vermischung beider naheliegend, i n der Tat sind auch die G r ü n d e und mithin die G e s i c h t s p u n k t e der verschiedenen Organisation für beide Unterscheidungen sehr ähnlich. Für beide ist mafsgebend die gröfsere oder geringere Verantwortlichkeit und Schwierigkeit der Aufgabe, sei es wegen der Funktionen, sei es wegen des O b j e k t s der Funktion und deshalb für die Schaffung der entsprechenden Behörden, die gröfsere oder geringere Leistungsfähigkeit der Mitglieder dieser Behörden. Diese ist mafsgebend ebenso für die S c h e i d u n g der Entscheidungsfunktion und der Zustellungs-, Vollstreckungs-, Beurkundungsfunktion zwischen Gericht und Subalternen, der erstinstanzlichen Prüfung und der Nachprüfungsfunktion zwischen Amtsrichter und Landgericht, Landgericht und Oberlandesgericht (S. 194) wie anderseits für die V e r t e i l u n g der Vollstreckungsfunktion zwischen Amtsrichter und Gerichtsvollzieher, der Entscheidungsfunktion erster Instanz zwischen Landgericht und Amtsrichter. Nichtsdestoweniger ist die Unterscheidung zwischen funktioneller und sachlicher Zuständigkeit praktisch notwendig mit Rücksicht auf das Prinzip der V e r e i n b a r u n g über die Zuständigkeit (Z.P.O. §§ 38 ff., — s. unten § 43).

c) Endlich liegt eine dritte Beschränkung des Wirkungskreises der Behörden in der Notwendigkeit, einer jeden Behörde W a c h , a u f das V e r h ä l t n i s m e h r e r e r m i t verschiedenen F u n k t i o n e n ausgestatteter G e r i c h t e i m e n g e r n S i n n ( e r s t i n s t a n z l i c h e r u n d o b e r i n s t a n z l i c h e r , entscheidender u n d v o l l s t r e c k e n d e r Gerichte usw.) e i n z u s c h r ä n k e n . Der Gegensatz, der z w i s c h e n entscheidendem G e r i c h t u n d Gerichtsschreiber oder G e r i c h t s v o l l z i ^ e r b e s t e h t , i s t k e i n gröfserer oder q u a l i t a t i v anderer. A n d e r s e i t s i s t der U n t e r s c h i e d z w i s c h e n U n t e r g e r i c h t u n d Oberinstanzg e r i c h t e i n solcher der F u n k t i o n , also e i n q u a l i t a t i v anderer u n d deshalb e i n gröfserer als der z w i s c h e n d e m A m t s r i c h t e r als V o l l s t r e c k u n g s r i c h t e r u n d dem G e r i c h t s v o l l z i e h e r , d i e die g l e i c h e F u n k t i o n haben. 1 Jedenfalls i s t es also u n k l a r , w e n n d i e ältere L i t . , a u c h n o c h P l a n c k a. a. O., d i e U n t e r s c h e i d u n g der e r s t i n s t a n z l i c h e n u n d der o b e r i n s t a n z l i c h e n P r ü f u n g ( L a n d g e r i c h t u n d Oberlandesgericht) m i t der V e r t e i l u n g der e r s t i n s t a n z l i c h e n P r ü f u n g (zwischen A m t s r i c h t e r u n d L a n d g e r i c h t ) a u f eine L i n i e s t e l l t .

Funktionelle, sachliche, örtliche Zuständigkeit.

Gerichtssprengel.

243

ein bestimmt abgegrenztes Gebiet (Gerichtsbezirk, Sprengel) anzuweisen, so dafs sie ihre Funktion (a) in den ihr zufallenden Rechtssachen (b) nur dann ausüben kann, wenn sie in ihren Bezirk fallen. Der K r e i s von R e c h t s s a c h e n , der einem Rechtspflegeorgan im Gegensatz zu den Organen gleicher Funktion und gleicher Organisation, aber v e r s c h i e d e n e n S p r e n g e i s zugeteilt ist, ist die ö r t l i c h e Zuständigkeit desselben. Die Bestimmung der B e z i r k e (und Sitze) der Gerichte gehört an sich zum Gerichtsverfassungsrecht und ist deshalb (mindestens für das Oberlandesgericht und zum Teil auch für die Landgerichte) durch G e s e t z der Einzelstaaten bestimmt worden (Preufs. A.G. v. 24. April 1878 §§ 27. 47 u. Ges. v. 4. März 1878 G.S. 109, S y d o w 1. Sächs. A.G. v. 1. März 1879 §§ 2. 3. Bad. E.G. zu d. Reichsjust.G. § 1). Die Bestimmung der Bezirke der A m t s g e r i c h t e ist durch Gesetz meist einer l a n d e s h e r r l i c h e n V e r o r d n u n g delegiert (Preufs. A.G. §§ 21. 37. 47 •und dazu Verordn. v. 26. Juli 1878, S y d o w 86 G.S. 275; Sachsen, A.G. § 4 u. Verordn. v. 28. Juli 1879; in Baden (E.G. § 1, Verordn. v. 23. A p r i l 1879, G.B1. 279) auch die der Landgerichte, in Bayern (Verordn. v. 2. April 1879 G.B1. 355) die a l l e r Gerichte 1 . Die Einteilung der Landgerichts- und Amtsgerichtsbezirke richtet sich meist nach der der Oberlandesgerichtsbezirke, und deren Grenzen wiederum sind vorwiegend durch politisch-historische Uberlieferungen (Grenzen der Bundesstaaten, Provinzen) bestimmt. Infolgedessen ist der Umfang der 28 Oberlandesgerichtsbezirke aufserordentlich verschieden. 1905 ist das Maximum der Gerichtseingesessenen (Berlin) fast 4V2 Millionen, das Minimum (Oldenburg) ca. 361 566 (Justiz-Statistik 1905 Jahrg. X I I S. 6). Ebenso ist verschieden die Zahl der auf den Oberlandesgerichtsbezirk entfallenden Landgerichte und Amtsgerichte (1905 im ganzen 173 Landgerichte und 1933 Amtsgerichte). Z. B. umfassen zurzeit das Oberlandesgericht Breslau 14 Landgerichte, Berlin, Celle, K ö l n , Hamm, Naumburg 9 Landgerichte, Oberlandesgericht Braunschweig 1 Landgericht, Oberlandesgericht Stuttgart (Württemberg) und Karlsruhe (Baden) 8, Oberlandesgericht Dresden (Sachsen) 7 Landgerichte. Die Gröfse derselben schwankt zwischen 1888 848 (Berlin I) und ca. 68 396 (Greiz). (Vgl. Justiz-Statistik 1905 Jahrgang X I I S. 7 if.) Durch ein bes. preufs. Ges. v. 16. Sept. 1899 (in Kraft vom 1. Juni 1906, Vo. v. 7. Nov. 1904 G.S. 281) ist neuerdings die G e r i c h t s o r g a n i s a t i o n f ü r B e r l i n u n d U m g e b u n g geregelt worden 2 . Es wird in 5 Amtsgerichtsund 3 Landgerichtsbezirke geteilt, — Amtsgericht Berlin-Mitte und damit sich deckend Landgericht Berlin I , — Amtsgericht Berlin-Tempelhof und -Schöneberg (Südost und Südwest), neben andern Amtsgerichten der Umgegend Berlins zum Sprengel des Landgerichts Berlin I I gehörig, — Amtsgericht Berlin-Wedding und -Weifsensee (Nordwest und Nordost) mit andern Amtsgerichten zu Landgericht Berlin I I I vereinigt.

In allen drei Anwendungen kann man als Z u s t ä n d i g k e i t nicht nur (im konkreten Sinn) die sämtlichen einer Behörde zufallenden Rechtssachen bezw. Funktionen, sondern auch (im abstrakten Sinne) die F ä h i g k e i t der j e w e i l i g e n B e h ö r d e sich mit gewissen Funktionen oder mit gewissen Sachen bestimmter Art oder lokaler Beziehung zu befassen, bezeichnen. 1 Spezielle F r a g e : Einflufs der Ä n d e r u n g der Gerichtsbezirke a u f die bereits begründete R e c h t s h ä n g i g k e i t einer Streitsache. ( B e t z i n g e r , Z. 17, 429, 1892.) 2 V g l . darüber O t t o S t ö l z e l , Z. f. Z.P. 32 (19J4), 35. J a s t r o w , Z. f. Z.P. 34 1905), 433.

16*

244

I I · Gerichtsverfassung.

§ 40. Sachliche Zuständigkeit.

Die Aufstellung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung hat nicht die Bedeutung, dafs eine Rechtspflegebehörde a u f s e r h a l b des Kreises ihrer funktionellen, sachlichen, örtlichen Zuständigkeit überhaupt keine Gerichtsbarkeit besitze. Jede Rechtspflegebehörde ist Vertreterin der staatlichen Gerichtsbarkeit überhaupt und die Zuständigkeitsgrenzen beschränken sie nur in der Ausübung derselben, sowohl im öffentlichen Interesse eines geordneten Geschäftsgangs als auch im privaten Interesse der den Parteien möglichst vorteilhaften Geschäftserledigung. Die praktische Konsequenz hiervon zeigt sich an den .Folgen der Kompetenzüberschreitung. Der Gesetzgeber kann an eine solche Überschreitung je nach der Wichtigkeit der verletzten Kompetenznormen ganz verschieden schwere Folgen knüpfen (darüber unten §§ 107 ff).

§ 40. Die Verteilung der sachlichen Zuständigkeit. W a c h , H b . § 29-

P l a n k I , § 9.

W e i s m a n n I , § 28.

K l e i n f e l l e r § 24f.

I . Gesichtspunkte des Gesetzes. Die Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit (0. S. 242) ist in erster Linie erforderlich für die Landes-Sondergerichte im Gegensatz zu den o r d e n t l i c h e n Rechtspflegebehörden. Insoweit ist sie jedoch unlöslich verbunden mit der Organisation solcher Sonderbehörden, sie beruht also wie diese auf Ausnahmerücksichten und ergibt sich aus den für sie mafsgebenden Spezialvorschriften (vgl. oben S. 284 ff.). G r u n d s ä t z l i c h ist dagegen durch das Reichsrecht geregelt, wie sich die sachliche Kompetenz unter den verschiedenen o r d e n t l i c h e n Rechtspflegebehörden gleicher Funktion gestaltet. Die Frage ist getrennt für das Verhältnis der an jeder einzelnen Rechtspflegefunktion beteiligten verschiedenen Organe zu beantworten, insbesondere für das Verhältnis zwischen den erstinstanzlich e n t s c h e i d e n d e n Behörden: zwischen Amtsrichter und Landgerichtskammer (II) und hier wieder zwischen Zivilkammer und Kammer für Handelssachen ( I I I ) , sowrie für das Verhältnis zwischen den mehreren V o l l s t r e c k u n g s o r g a n e n : Gerichtsvollzieher und Amtsrichter (hierüber u. § 42). I I . Zuständigkeitsgrenzen zwischen den Gerichten erster Instanz. Das Kompetenzverhältnis zwischen Amtsrichter und Landgerichtskammer ist derart geregelt, dafs eine Anzahl ausd r ü c k l i c h namhaft gemachter Sachen den Amtsgerichten überwiesen ist, während den Landgerichten a l l e ü b r i g e n zufallen (vgl. § 23 mit § 70 G.V.G., Z.P.O. § 1). a) Die Amtsrichter sind als Einzelrichter in der Lage, die Sachen in vereinfachterem Geschäftsgange und eben deshalb schleuniger zu erledigen als die Kollegieu. Die Absicht des Gesetzes ist deshalb, sie mit solchen Streitigkeiten zu befassen, die sich durch einen e i n f a c h e r e n T a t b e s t a n d oder durch besondere D r i n g l i c h k e i t auszeichnen. Doch überläfst es dies nicht der Prüfung im einzelnen Falle, sondern es hebt gewisse Sachen nach äufseren Merkmalen heraus und begnügt sich mit der Erwägung, dafs dieselben erfahrungsgemäfs i n der R e g e l die Eigenschaften der Einfachheit oder der Dringlichkeit oder

Amtsgerichtliche Kompetenz.

245

beide zugleich oder eine gleichwertige Eigenschaft besitzen. Amtsgerichtlich sind demnach: 1. g e r i n g w e r t i g e S a c h e n , nämlich „Streitigkeiten über v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldeswert die Summe von dreihundert Mark nicht übersteigt," also im Wert von 300 Mark e i n s c h l i e f s l i c h (§ 23 no. I ) 1 . 2. Gewisse Streitigkeiten „ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstands", vielmehr mit Rücksicht darauf, dafs sie aus vorübergehenden oder sonst einer raschen Lösung bedürftigen Personenbeziehungen herrühren, nämlich gewisse Streitigkeiten aus M i e t - oder D i e n s t v e r h ä l t n i s s e n und Streitigkeiten, die aus Anlafs einer Reise entstanden sind 2 (§ 23 no. 2Abs. 1, 2, 3). Im einzelnen bezeichnet als solche das Gesetz: «) Streitigkeiten „zwischen V e r m i e t e r n und M i e t e r n von Wohnungsund andern Räumen 8 wegen Überlassung, Benutzung und Räumung derselben sowie wegen Zurückhaltung der vom Mieter in die Mietsräume eingebrachten Sachen" 4 . Es gilt gleich, ob der Vermieter (z. B. im letzten Fall auf Geltendmachung des Retentionsrechts an den Illaten) oder der Mieter (auf Freigabe der retinierten Sachen wegen Erfüllung der Mietsschulden) klagt, ebenso ob die Klage auf Leistung oder nur auf Feststellung gerichtet i s t 5 , ob sie das Bestehen oder die Ungültigkeit des Mietvertrags behauptet 6 . Da nach B.G.B. § 536 Abs. 3 der Vermieter die Mietsache bei Beendigung des Mietverhältnisses nicht nur von seinem Mieter, sondern auch von dessen U n t e r m i e t e r d i r e k t zurückverlangen kann, so ergreift das Amtsgericht seit der Novelle (§ 23 no. 2 Abs. 1 neue Fassung) jene Streitigkeiten auch zwischen Vermieter und Untermieter. ß) Streitigkeiten „zwischen D i e n s t h e r r s c h a f t und G e s i n d e , zwischen A r b e i t g e b e r n und A r b e i t e r n hinsichtlich des Dienst- und Arbeitsverhältnisses, insofern dieselben während des Dienst-, Arbeits- oder Lohnverhältnisses entstehen" 7 . Diese Gruppe umfalst auch die Streitigkeiten, welche nach § 4 R.Ges. vom 20, Sept. 1901 die Zuständigkeit der Gewerbe1 I m p l i c i t e s i n d d a m i t ausgeschieden a l l e , w e n n a u c h n o c h so einfachen S t a t u s S t r e i t i g k e i t e n : v g l . u. S. 247. a Über das M o t i v dieser Z u s t ä n d i g k e i t s r e g e l M o t . G.V.G. S. 61 ff. H a h n I , 69. 3 A l s o n i c h t S t r e i t i g k e i t e n z w i s c h e n V e r p ä c h t e r n u n d P a c h t e r n ( t r o t z § 581, 2 B.G.B.). 4 Also n i c h t S t r e i t i g k e i t e n wegen Z a h l u n g des Mietzinses oder wegen E n t s c h ä d i g u n g f ü r N i c h t Ü b e r l a s s u n g oaer V e r s c h l e c h t e r u n g des M i e t l o k a l s . E n t w . G.V.G. zog a l l e S t r e i t i g k e i t e n „ i n Betreff des M i e t v e r h ä l t n i s s e s " , also a u c h sie h i e r h e r . A n d e r s e i t s erg r e i f t £ 23 auch n i c h t K l a g e n a u f R ä u m u n g aus d e m E i g e n t u m oder d e r g l . 5 Denn auch bei F e s t s t e l l u n g s k l a g e n k a n n das f ü r § 23 N r . 2 mafsgebende D r i n g l i c h k e i t s i n t e r e s s e mafsgebend sein, z. B. : der b i s h e r i g e M i e t e r , d e m e i n s e i t i g g e k ü n d i g t w o r d e n , v e r w e i g e r t die R ä u m u n g ; u m d e m n e u e n M i e t e r a m b e v o r s t e h e n d e n 1. J a n u a r sofort den E i n g a n g verschaffen z u k ö n n e n , k l a g t V e r m i e t e r i m Dezember a u f F e s t s t e l l u n g der k ü n f t i g e n R ä u m u n g s p f l i c h t . V e r l e g u n g des Prozesses ans L a n d g e r i c h t w ü r d e den Z w e c k der K l a g e v e r e i t e l n . D a d u r c h e r l e d i g t sich der E i n w a n d W a c h s § 29 no. 8. W i e dieser G a u p p - S t e i n § 1 , 2 a . R.G. v . 13. Dez. 1890. ' B e i t r . 35, 1175 u. Seuff. A r c h . 46 Ν . 128. fl R.G. v . 2. Jan. 1886. B e i t r . 30, 1101. 7 Diese V o r a u s s e t z u n g i s t n u r e r f ü l l t , w e n n der P r o z e f s w ä h r e n d des V e r t r a g s verhältnisses eingeleitet w i r d , d e n n aus d e m Bestehen des l e t z t e r e n fliefst das B e d ü r f n i s der D r i n g l i c h k e i t , das die Z u s t ä n d i g k e i t b e g r ü n d e t (so S t r u c k m a n n - K o c h no. 6 u . die d o r t genannten — entsprechend l i t . y), — n i c h t schon d a n n , w e n n der S t r e i t , das Z e r w ü r f nis u s w . w ä h r e n d dieser Z e i t e n t s t e h t , der Prozefs aber erst n a c h B e e n d i g u n g der Vertragsbeziehung eingeleitet w i r d (so W a c h 354 a. 10. G a u p p § 1, l b . W i l m o w s k i - L . no. 5 u. a.). N a c h beiden A n s i c h t e n f a l l e n j e d e n f a l l s n i c h t u n t e r § 23 N r . 2 S t r e i t i g k e i t e n aus Verhältnissen, die v o r E i n g e h u n g des D i e n s t v e r h ä l t n i s s e s l i e g e n ( K l . a u f A n t r i t t des Dienstes) oder erst n a c h seiner E n d i g u n g e n t s t e h e n ( K l . a u f A u s s t e l l u n g v o n Z e u g n i s s e n ü b e r die Dienstzeit).

24(5

Π . Gerichtsverfassung.

§ 40. Sachliche Zuständigkeit.

1

gerichte ausmachen , diese aber selbstverständlich seit dem genannten Gesetz dann nicht, wenn am Erfüllungsort der streitigen Obligation oder am Ort der Niederlassung des prozefsbeteiligten Arbeitgebers oder am gemeinsamen Wohnorte b e i d e r Parteien ein Gewerbegericht eingerichtet ist (s. oben S. 237) 2 . Seit Einrichtung der Kaufmannsgerichte scheiden auch die diesen zugewiesenen Streitigkeiten unter der gleichen Voraussetzung von der amtsgerichtlichen Kompetenz aus. γ) Streitigkeiten „zwischen R e i s e n d e n und Wirten, Fuhrleuten, Schilfern, Flöfsern oder Auswanderungsexpedienten in den Einschiffungshäfen, welche über Wirtszechen, Fuhrlohn, Überfahrtsgelder, Beförderung der Reisenden und ihrer Habe und über Verlust und Beschädigung der letzteren, sowie Streitigkeiten zwischen Reisenden und Handwerkern, welche aus Anlafs der Reise entstanden sind", vorausgesetzt dafs (entsprechend ß) die beteiligte Person noch bei Klagerhebung Reisender ist 3 .

3. Sowohl wegen der häufigen Dringlichkeit (wie no. 2) als auch wegen der Einfachheit des Tatbestands4 (wie no. 1) werden ohne Rücksicht auf den Streitwert dem Amtsgericht zugewiesen A n s p r ü c h e aus e i n e m a u f s e r e h e l i c h e n B e i s c h l a f e , gleichviel ob Ansprüche der Mutter oder des Kindes § 23 no. 2. 4. Sie werden amtsgerichtlich ohne Rücksicht darauf, ob sie vermögensrechtliche sind, auf Alimentation (B.G.B. § 1708), Geburtsund Wochenbettkosten (§ 1715), Schwängerungsentschädigung (§ 1300) oder familienrechtliche (auf Anerkennung der Vaterschaft, Z.P.O. § 644). Nur mufs die Konkumbenz als solche der gesetzliche Entstehungstatbestand sein ; auf Ansprüche aus andern Tatbeständen, für die der Beischlaf nur die Veranlassung ist, pafst weder der Wortlaut noch der Gedanke des Gesetzes, das komAnderseits pliziertere Tatbestände gerade ausscheiden will 5 . kommt bei den getroffenen Ansprüchen die Zuständigkeit des Amtsgerichts auch Dritten zugute 6 . 4. Aus besonderen Gründen sind endlich ohne Rücksicht auf den Streitwert die Streitigkeiten wegen Viehmängel oder Wildschäden zu Amtsgerichtssachen erklärt 7 , — sie, weil sie vorwiegend die Landbevölkerung berühren und deshalb zwTeckmäfsig 1 G.V.G. § 23 N r . 2 zog u n t e r die a m t s g e r i c h t l i c h e Z u s t ä n d i g k e i t „ d i e i m § 10^ der G e w e r b e o r d n u n g (seil, i n der F a s s u n g v . 1869) bezeichneten S t r e i t i g k e i t e n : dieser w u r d e d u r c h § 120 a der Gew.O. v . 1. J u l i 1883 u n d dieser w i e d e r u m nach $ 78 Gew.Ger.Ges., 1890 u . 1901 d u r c h § 4 dieses Ges. ersetzt u n d d u r c h § 5 des Ges. über die K a u f m a n n s g e r i c h t e ergänzt. 2 D a i s e i n Gewerbegericht a m W o h n s i t z d e s B e k l a g t e n e x i s t i e r t , b i l d e t k e i n H i n d e r n i s gegen d i e A n r u f u n g des A m t s g e r i c h t s (R.G. 33, 428). 3 S t r e i t i g k e i t e n wegen Z u r ü c k h a l t u n g eingebrachter Sachen a u f G r u n d des P f a n d r e c h t s des G a s t w i r t s (B.G.B. § 704) w e r d e n n i c h t einbegriffen. « Besonders b e t o n t v o n M o t , G,V.G. S # 62 ( H a h n I , 70). 5 § 23 t r i f f t also n i c h t d i e K l a g e aus § 825, n i c h t die aus V e r e i n b a r u n g des Vaters u n d K i n d e s über den U n t e r h a l t (§ 1714, R.G. 1884, 12, 368). A n d e r s i s t es, w e n n ein aui'serg e r i c h t l i c h e s A n e r k e n n t n i s n u r als B e w e i s g r u n d f ü r den B e i s c h l a f beigebracht w i r d , also a u c h i m F a l l § 1718 (R.G. I I I , 1882, 7, 338; G a u p p - S t e i n zu § 1, i f l i t . f.) K l a g e n des B r a u t k i n d s aus dem V e r l ö b n i s k o m m e n , n a c h B.G.B, n i c h t m e h r i n Frage ( L a n d s b e r g , , R e c h t des B.G.B. I I , 834). 6 Der M u t t e r u n d deren A n g e h ö r i g e n , a u f d i e der A n s p r u c h nach § 1709 k r a f t Gesetzes ü b e r g e h t . 7 V i e h m ä n g e l a n s p r ü c h e s o w o h l aus gesetzlichen M ä n g e l n (§ 459, 481) w i e aus G a r a n t i e v e r s p r e c h e n (8 491), g l e i c h v i e l ob a u f Schadensersatz. M i n d e r u n g oder W a n d e l u n g ; — ebenso W i l d s c h ä d e n a n s p r ü c h e s o w o h l als gesetzliche (§ 835) w i e als vertragsmäfsige (aus J a g d p a c h t usw.). G a u p p - S t e i n l i t . d.

Grenzen zwischen Amtsgericht und Landgericht.

247

an den für die letztere leichter erreichbaren Amtsgerichten ausgetragen werden 1 (§ 23 no. 2, 5, 6). Das Aufgebotsverfahren, das § 23 a. E. ebenfalls den Amtsgerichten zuweist, ist Sache der freiwilligen Gerichtsbarkeit (oben S. 172). — [Im übrigen darf mit der sachlichen Zuständigkeit der Amtsgerichte nicht der spezielle F u n k t i o n e n k r e i s der Amtsgerichte verwechselt werden, insbesondere die ihnen ausschliefslich zufallende Vollstreckung (§ 764), Sühneverfahren (§§ 510. 609), Sicherung des Beweises (§ 486), Rechtshilfe (G.V.G. § 158), Mahnverfahren (§ 688), Arrest- und einstweilige Verfügung (§§ 919. 936. 942), Konkursverfahren (K.O. § 71). Hierüber oben S. 200, 201.]

b) Vor die K a m m e r n der L a n d g e r i c h t e (Zivilkammer und Kammer für Handelssachen) „gehören alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, welche nicht den Amtsgerichten zugewiesen sind" (§ 70 Abs. 1), also: 1. die sämtlichen f a m i l i e n r e c h t l i c h e n Streitigkeiten mit Ausnahme der vereinzelt den Amtsrichtern zugewiesenen Klagen aus aufserehelichem Beischlaf (o. lit. a no. 3), besonders Paternitätsklagen, Klagen auf Durchsetzung der elterlichen Gewalt, Ehesachen (argo § 70 in Verb, mit § 23, spez. Z.P.O. § 606). 2. Die v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e n Streitigkeiten mit einem Streitwert ü b e r 300 M a r k , soweit nicht solche den Amtsrichtern ausdrücklich (wie Miet-, Dienststreitigkeiten usw.) zuerteilt sind. Aufserdem sind vereinzelte vermögensrechtliche Streitigkeiten ohne R ü c k s i c h t a u f den S t r e i t w e r t (also auch bei einem Wert u n t e r 300 Mark) zu landgerichtlichen erklärt (§ 70, 2, 3). Diese vereinzelten Sachen sind: «) die „Ansprüche, die auf Grund des Gesetzes vom 1. Juni 1870 über die Abgaben von der Flöfserei gegen den Reichsfiskus erhoben" werden, nämlich Ansprüche von Privatpersonen oder Gemeinden auf Entschädigung aus der Reichskasse wegen derjenigen A b g a b e n v o n der F l ö f s e r e i auf Flüssen mehrerer Bundesstaaten, die durch § 1 R.Ges. beseitigt worden sind (R.Ges. § 2); ß) die „Ansprüche, die auf Grund des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten vom 31. März 1873 gegen den Reichsfiskus erhoben" werden, nämlich die Klagen eines Reichsbeamten auf Feststellung, dafs er — im Widerspruch mit dem Beschlüsse seiner Kassenaufsichtsbehörde — nicht zu der Entschädigung eines Defekts verpflichtet sei (§ 144 in Verbindung mit §§ 134 ff. das.), — Klagen eines Reichsbeamten oder seiner Hinterbliebenen auf Gehalt, Wartegeld, Pension (§ 149, — vgl. § 9 G.V.G. oben S. 184); γ) die „Ansprüche gegen Reichsbeamte wegen Überschreitung ihrer amtlichen Befugnisse oder wegen pflichtwidriger Unterlassung von Amtshandlungen" (§ 70, 2 no. 2, Reichsbeamtenges. § 154). Aufserdem k a n n d i e L a n d e s g e s e t z g e b u n g (entsprechend lit. β u. γ) den Landgerichten a u s s c h l i e f s l i c h zuweisen auch (1.) „Ansprüche der Staatsbeamten gegen den S t a a t aus ihrem Dienstverhältnisse, (2.) Ansprüche (von Bürgern) gegen den Staat wegen Verfügung der Verwaltungsbehörden, (3.) wegen Verschuldung von Staatsbeamten und (4.) wegen Aufhebung von Privilegien, (5.) Ansprüche gegen Beamte wegen Überschreitung 1 Die Wildschädenprozesse scheiden da a u s , w o sie (auf G r u n d der E r m ä c h t i g u n g oben S. 184) v o m P a r t i k u l a r r e c h t v o r die V e r w a l t u n g s g e r i c h t e gewiesen s i n d (Preufs. W i l d schädengesetz v . 11. J u l i 1891, B.G.B. E.G. a. 19 f.).

248

Gerichtsverfassung.

§ 40. Sachliche Zuständigkeit.

ihrer amtlichen Befugnisse oder wegen pflichtwidriger Unterlassung von Amtshandlungen, sowie (6.) Ansprüche in betreff öffentlicher Abgaben" (§ 70, Abs. 3). Das Motiv für die ausnahmsweise Zuweisung an die Landgerichte ist bei allen diesen Ansprüchen das Bestreben, für dieselben in dritter Instanz das R e i c h s g e r i c h t zugänglich zu machen, besonders deswegen, weil schon Gesetz vom 1. Juni 1870 § 2 und Reichsbeamtengesetz §§ 152 ff. für sie in letzter Instanz das Reichsoberhandelsgericht zuständig machte. (Vgl. Mot. zu Entw. G.V.G. § 6.) Aus dem gleichen Motiv sind auch den Landgerichten gewisse Fragen zur Prüfung und Feststellung zugewiesen, die teilweise gar nicht der Zivilgerichtsbarkeit, sondern der Verwaltung oder der freiwilligen Gerichtsbarkeit (oben S. 164 ff.) angehören: «) Anspruch auf Rückerstattung bezw. Befreiung von der Pflicht zur Entrichtung von Reichsstempelabgaben (Reichsstempelabg.G. vom 14. Juni 1900, § 43; vergl. auch Börsenges. v. 22. Juni 1896, § 47; R.Ges. gegen den unlaut. Wettbew. v. 27. Mai 1896, § 15); ß) Klagen auf Anfechtung eines Beschlusses der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft: H.G.B. §§ 271. 272, 2, Genoss.G. vom 20. Mai 1898, § 51, 3 (R.G.B1. 1898 S. 822); γ) Klagen auf Auflösung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (R.G. vom 20. April 1892, § 61, R.G.B1. 1898 S. 862); tf) Klagen auf Entschädigung wegen unschuldiger Straf- oder Untersuchungshaft aus R.Ges. v. 20. Mai 1898 u. v. 14. Jüli 1904 (o. S. 176). f) Anfechtungsklagen in E n t m ü n d i g u n g s s a c h e n (§665Z.P.O.; o. S. 172). Bei der Fassung des Gesetzes gewinnt es hiernach den Anschein, als sei für den vermögensrechtlichen Zivilprozefs in Deutschland die l a n d g e r i c h t l i c h e Zuständigkeit die Regel, die am t s gerichtliche die Ausnahme. I n Wahrheit erweist jedoch die Statistik, dafs die landgerichtlichen Sachen im Durchschnitt der Jahre 1881—1903 nur 11—14% aller erstinstanzlichen vermögensrechtlichen Streitsachen ausmachen (Just.Stat. 6, 142. 7, 142. 12, 115)1. Trotzdem ist das Bestreben vorhanden, die amtsgerichtliche Zuständigkeit durch Hinaufrücken der Wertgrenze bis zu 500 Mark noch zu erweitern (was ca. noch den dritten Teil der bisherigen Landgerichtsprozesse an das Amtsgericht übertragen würde). Dafür wird Kostenverbilligung, Einschränkung des Anwaltszwangs geltend gemacht. Die Mafsregel wäre jedoch keinesfalls zu billigen, solange die Garantien des Amtsgerichtsprozesses für eine gründliche Entscheidung so unvollkommene bleiben wie sie heute sind, d. h. solange nicht gleichzeitig der Formlosigkeit und Willkürlichkeit dieses Prozesses (ob. S. 131) gesteuert wird 2 . In Wahrheit läfst man sich in dieser Tendenz durch den in seiner modernen Entwicklung auf Verflachung gerichteten französischen Prozefs beeinflussen (o. S. 103). Das österreichische Recht ist ihm schon gefolgt (vgl. o. S. 113).

I I I . Zivilkammer und Kammer für Handelssachen. Unter den Kammern des Landgerichts findet in den Sprengein, wo K a m m e r n f ü r H a n d e l s s a c h e n von der Landesjustizverwaltung eingerichtet worden sind (o. S. 195), eine weitere Verteilung der Sachen zwischen diesen und den Z i v i l k a m m e r n 1 Es k o m m e n auf 1000 ( o r d e n t l i c h e , U r k u n d e n - u n d Wechsel-) Prozesse, die bei den o r d e n t l i c h e n G e r i c h t e n erster I n s t a n z ü b e r h a u p t a n h ä n g i g gemacht w o r d e n s i n d , i n den J a h r e n 1881/85: 120 Landgerichtsprozesse, 1886/90: 114, 1891/95: 118, 1893/1900: 120, 1901: 135, 1902: 125, 1903: 125. W e n n dabei die l e t z t e n J a h r e eine scheinbare Z u n a h m e aufweisen, so e r k l ä r t sich das daraus, dafs den A m t s e e r i c h t e n anderseits d u r c h d i e Gewerbegerichte i m m e r m e h r Sachen entzogen w o r d e n s i n a , also die a m t s g e r i c h t l i c h e V e r h ä l t n i s z a h l gesunken ist. 2 Abgesehen v o n ä l t e r e r L i t e r a t u r g e g e n die E r w e i t e r u n g J a s t r o w , Z. f. C.P. 18, 302 ( V o r s c h l a g der K o s t e n v e r b i l l i g u n g i m b i s h e r i g e n A m t s g e r i c h t s p r o z e s s e , da h i e r v o n eine bedeutende Z u n a h m e der P r o r o g a t i o n l a n a g e r . S. ans A m t s g e r i c h t zu e r w a r t e n w ä r e ) ; d a f ü r P e i s e r , J u r . Z. 1, 358.

Erweiterung der Amtsgerichtskompetenz?

Handelssachen.

249

statt. Das Gesetz nimmt sie (§ 101) in der Weise vor, dafs unter allen landgerichtlichen Sachen gewisse Gruppen aus besonderem Grunde zu H a n d e l s s a c h e n erklärt werden. Grundsätzlich ist dafür n i c h t die Zugehörigkeit der P a r t e i e n zum Handelsstande mafsgebend, sondern der handelsrechtliche I n h a l t des s t r e i t i g e n Rechtsverhältnisses. Die Kammer für Handelssachen ist deshalb nicht so ausgesprochen ein Standesgenossengericht wie das Gewerbe- und Kaufmannsgericht (o. S. 237). Nur durch die N a t u r des G e s c h ä f t s wird der Charakter der Handelssache für die Gruppen § 101 no. 2 u. 3 (Wechselsachen und speziell aufgeführte Rechtsverhältnisse) bestimmt. Mindestens in erster Linie ist sie bestimmend auch für die Hauptgruppe § 101 no. 1 (beiderseitige Handelsgeschäfte). Hier mufs aber immerhin die Kaufmannseigenschaft des Beklagten noch hinzutreten, damit das Geschäft vor die Kammer für Handelssachen kommen könne, und da durch die neue Fassung des Handelsgesetzbuchs vom 10. Mai 1897 der Kreis der Handelsgeschäfte eingeengt, der Kreis der als Kaufmann zu betrachtenden Personen aber bedeutend erweitert worden ist, so spielt tatsächlich doch die Zugehörigkeit der beklagten P a r t e i zum Kaufmannsstand eine erhebliche prozessuale Rolle 1 . Im einzelnen gehören jetzt vor die Kammer für Handelssachen: 1. A n s p r ü c h e g e g e n e i n e n K a u f m a n n aus G e s c h ä f t e n , w e l c h e f ü r b e i d e T e i l e H a n d e l s g e s c h ä f t e s i n d (§ 101 no. 1). Die Abgrenzung ist grundsätzlich dieselbe wie nach altem H.G.B. Sie erhält aber einen andern Sinn durch die veränderte Abgrenzung der Begriffe „Kaufmann" und „Handelsgeschäfte" 2 . Früher waren K a u f l e u t e nur (kraft Gesetzes) die Personen, die gewerbsmäfsig die vom Gesetz bezeichneten Grundhandelsgeschäfte trieben (Warenanschaffung zwecks Weiterveräufserung, Übernahme von Lieferung anzuschaffender Sachen, Übernahme der Be- oder Verarbeitung beweglicher Sachen für andere, Kommissions-, Bankiersgeschäfte usw., § 1), sowie (kraft der Eintragung im Handelsregister) die Gesellschaften. Künftig dagegen werden aufserdem (kraft Eintragung) auch solche Personen Kaufmann, die a n d e r e a l s G r u n d h a n d e l s g e s c h ä f t e , aber in k a u f m a n n ä h n l i c h e m B e t r i e b abschliefsen(Bergwerkunternehmer, Leihbibliothekare, Grundstückspekulanten, Pfandleiher, neues K.G.B. § 2), sowie Land- und Forstwirte, die im N e b e n b e t r i e b G r u n d h a n d e l s g e s c h ä f t e (Anschaffung fremden Viehes zur Mast und Weiterveräufserung neben ihrem eigenen) oder a n d e r e G e s c h ä f t e im k a u f m ä n n i s c h e n B e t r i e b (Veräufserung lediglich e i g e n e n Viehes in grofsem Mafsstab, mit Buchführung usw.) abschliefsen und die Eintragung im Handelsregister verlangen (H.G.B. § 3) 3 . Umgekehrt sind die Erfordernisse der H a n d e l s g e s c h ä f t e e n g e r fixiert 1 M a n k a n n also n i c h t sagen, dafs den K . f. H a n d e l s s a c h e n der C h a r a k t e r v o n standesgenössischen G e r i c h t e n ganz fehle ( W a c h 359). N u r besitzen sie i h n n i c h t so r e i n w i e die Gewerbe- u n d K a u f m a n n s g e r i c h t e . 2 V g l . h i e r z u Co s a c k , L e h r b . des H a n d e l s r e c h t s , 6· A u f l . 1903, § 7 ff. Staub, K o m m e n t a r zu § 1 ff. H.G.B. 3 Gegenüber dieser A u s d e h n u n g der K a u f l e u t e f ä l l t es w e n i g e r i n s G e w i c h t , dafs auch die e r s t e Gruppe ( K a u f l e u t e k r a f t Gesetzes) d u r c h V e r m e h r u n g der G r u n d h a n d e l s aeschäfte e r w e i t e r t w o r d e n i s t ; — es i s t geschehen, i n d e m zu den G r u n d g e s c h ä f t e n a u c h aie Geschäfte der S c h l e p p s c h i f f a h r t s u n t e r n e h m e r u n d L a g e r h a l t e r , sowie a l l e Geschäfte der Handelsagenten u n d H a n d e l s m ä k l e r einbezogen w o r d e n s i n d (die f r ü h e r v o n d e n K a u f l e u t e n ausgeschlossenen a m t l i c h e n M ä k l e r s i n d beseitigt). A n d e r s e i t s w e r d e n d i e K a u f l e u t e k r a f t Gesetzes d a d u r c h e i n g e s c h r ä n k t , dafs L a n d - u n d F o r s t w i r t e nie k r a f t Gesetzes K a u f m a n n w e r d e n , a u c h w e n n sie gewerbsmäfsig i m H a u p t - oder Nebenbetrieb Grundgeschäfte abschliefsen (§ 3, 1), v i e l m e h r i m m e r n u r a u f G r u n d der E i n t r a g u n g i m E i n z e l f a l l ( v g l . den T e x t der D e n k s c h r . z u m E . des H . G . B . 17, 18).

250

Gerichtsverfassung.

§ 40. Sachliche Zuständigkeit.

worden. Während bisher, abgesehen von den sog. Nebengeschäften (d. h. allen Geschäften im Betrieb eines Kaufmanns), die wichtigeren Grundgeschäfte (eines Kaufmanns oder Nichtkaufmanns) auch dann als Handelsgeschäfte anerkannt waren, wenn sie als Einzelgeschäft auftraten, umfafst der Kreis künftig die Grundgeschäfte nur, wenn sie g e w e r b s m ä f s i g abgeschlossen werden, sowie die Nebengeschäfte im Betrieb des Handelsgeschäfts eines Kaufmanns (H.G.B. § 343) ». Soll also für eine Sache auf Grund des § 101 no. 1 G.V.G. die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen in Anspruch genommen werden, so ist künftig zu prüfen: a) ob der B e k l a g t e z u r Z e i t d e r K l a g e r h e b u n g K a u f m a n n i m S i n n H.G.B. §§ I f f . i s t (gleichviel ob es auch der Kläger ist); b) ob das G e s c h ä f t , auf dem der streitige Anspruch beruht, z u r Z e i t des G e s c h ä f t s s c h l u s s e s a u f S e i t e n b e i d e r K o n t r a h e n t e n H a n d e l s g e s c h ä f t war (gleichviel ob die Kontrahenten Kaufleute waren) 2 . War der Kontrahent K a u f m a n n , so genügt es, wenn das Geschäft im B e t r i e b s e i n e s H a n d e l s g e s c h ä f t s abgeschlossen worden (gleichviel ob als Grund- oder als Nebengeschäft). War der Kontrahent N i c h t k a u f m a n n , so ist erforderlich, dafs das Geschäft von seiner Seite ein G r u n d h a n d e l s g e s c h ä f t darstellt und dafs er solche Geschäfte g e w e r b s m ä f s i g abschlofs 3 . 2. A n s p r ü c h e aus e i n e m W e c h s e l im Sinn der W.O. (Art. 4. 96) oder einem sonstigen i n d o s s a b e l n P a p i e r 4 (auch gegen einen Nichtkaufmann) (§ 101 no. 2). 3. Ansprüche aus einer Anzahl s p e z i e l l a u f g e f ü h r t e r R e c h t s v e r h ä l t n i s s e , ebenfalls ohne Rücksicht auf die Kaufmannseigenschaft der Parteien (§ 101 no. 3): a) aus dem Rechtsverhältnis „zwischen den Mitgliedern einer Handelsgesellschaft oder zwischen dieser und ihren Mitgliedern, zwischen dem stillen Gesellschafter und dem Inhaber des Handelsgeschäfts (H.G B. § 335), sowohl während des Bestehens als nach Auflösung des Gesellschaftsverhältnisses, sowie aus dem Rechtsverhältnisse zwischen den Liquidatoren oder den Vorstehern einer Handelsgesellschaft und der Gesellschaft oder deren Mitgliedern" ; b) aus dem Rechtsverhältnis, das „das Recht zum Gebrauch der Handelsfirma" betrifft (H.G.B. § 17); c) aus den Rechtsverhältnissen, welche sich auf „den Schutz der Warenbezeichnungen, Muster und Modelle" beziehen; d) aus dem Rechtsverhältnis, welches „durch den Erwerb eines bestehenden Handelsgeschäfts unter Lebenden zwischen dem bisherigen Inhaber und dem Erwerber entsteht" (H.G.B. § 22); 1 U m g e k e h r t w i e n a c h v o r . A n m . ist gegenüber dieser Ε i n s c h r ä n k u n g der H a n d e l s eschäfte d e r e n A u s d e h n u n g i m n e u e n H . G . B , w e n i g e r b e d e u t u n g s v o l l , w o n a c h die [ e b e n g e s c h ä f t e (bes. der V e r k a u f der W a r e n u n d die sog. H i l f s g e s c h ä f t e : K a u f des I n v e n t a r s , A b s c h l u f s v o n E n g a g e m e n t s v e r t r ä e e n , V e r s i c h e r u n g der W a r e n usw.) k ü n f t i g a u c h d a n n Handelsgeschäfte s i n d , w e n n sie über G r u n d s t ü c k e geschlossen w e r d e n (Ladenm i e t e ) oder w e n n sie als W e i t e r v e r ä u f s e r u n g v o n H a n d w e r k e r n a u f t r e t e n . 2 M . a. W . es g i l t g l e i c h , ob der B e k l a g t e schon zur Z e i t des Geschäftsschlusses K a u f m a n n w a r . Ebenso ob der B e k l a g t e m i t dem K o n t r a h e n t e n ü b e r h a u p t i d e n t i s c h i s t : a u c h e i n .Rechtsgeschäft eines N i c h t k a u f m a n n s k a n n gegen seinen Rechtsnachfolger als H a n d e l s s a c h e g e l t e n d g e m a c h t w e r d e n , f a l l s dieser K a u f m a n n i s t ( v g l . h i e r z u W i l m . X e v y z u G.V.G. § 101 N r . 6, 7). 3 N i c h t Handelssachen sind also: i m Gegensatz z u a : A n s p r ü c h e aus (event, beiderseitigen) H a n d e l s g e s c h ä f t e n , die n i c h t g e g e n e i n e n K a u f m a n n geltend gemacht werden; i m Gegensatz zu b : A n s p r ü c h e gegen einen K a u f m a n n : a. aus b 1 o f s e i n s e i t i g e m H a n d e l s g e s c h ä f t , (i. aus D e l i k t oder a n d e r e m gesetzl. T a t b e s t a n d (ζ. B. Schadensersatza n s p r u c h aus einer E x p l o s i o n i n der F a b r i k ) . * W ä h r e n d b i s h e r n u r die A n s p r ü c h e aus W e c h s e l n diese B e h a n d l u n g e r f u h r e n , s i n d i h n e n d u r c h G.V.G. § 101 N r . 2 a u c h d i e A n s p r ü c h e aus einer a n d e r n „ d e r i m § 363 H . G . B , bezeichneten U r k u n d e n " g l e i c h g e s t e l l t , also a u c h aus k a u f m ä n n i s c h e n A n w e i s u n g e n , V e r p f l i c h t u n g s s c h e i n e n , K o n n o s s e m e n t e n , L a d e s c h e i n e n , Lagerscheinen, Bödmereibriefen, Seeversicherungspolizen, s o w e i t sie a n O r d e r l a u t e n .

S

Handelssachen.

Örtliche Zuständigkeit.

251

e) aus dem Rechtsverhältnis zwischen dem Prokuristen, dem Handlungsbevollmächtigten, Handlungsgehilfen oder Handlungslehrling und dem Inhaber des Handelsgeschäfts (§ 48. 54. 59. 76), sowie aus dem Rechtsverhältnis zwischen einem Dritten und demjenigen, welcher wegen mangelnden Nachweises der Prokura oder Handlungsvollmacht haftet; f) aus den Rechtsverhältnissen „des Seerechts oder des Rechts der Binnenschiffahrt, insbesondere aus denjenigen, welche sich auf die Reederei, die Rechte und Pflichten des Reeders oder Schiffseigners, des Korrespondentreeders und der Schiffsbesatzung, auf die Bodmerei und die Haverei, auf den Schadensersatz im Falle des Zusammenstofses von Schiffen, auf die Bergung und Hilfeleistung und auf die Ansprüche der Schiffsgläubiger beziehen

§ 41. Die Verteilung der örtlichen Zuständigkeit· W a c h , H b . I , § 34 ff. (S. 398). F i t t i n g § 14—17. P l a n c k I , § 12—22. W e i s m a n n I , § 29 ff. V o n den K o m m e n t a r e n bes. G a u p p - S t e i n u n d S k o n i e t z k i - G e l p c k e zu § 12 ff. ( v o l l s t ä n d . B e r ü c k s i c h t i g u n g der h i e r sehr w e i t s c h i c h t i g e n J u d i k a t u r ) . M o n o g r . bes. z. f o r u m c o n t r a c t u s : Peter, B e i t r . 24, 366 (1880); S t e i n , ebd. 28, 406 (1884); Ölenheinz, Z i v . - A r c h . fc9, 218. — K o r n , G. der u n e r l . H a n d l u n g , 1885.

I . Örtliche Zuständigkeit und Gerichtsstand. Wie der Verteilung der Rechtssachen unter die Behörden, die im gleichen Sprengel für die gleiche Funktion, aber in verschiedener Organisation tätig werden, so bedarf es weiter der Verteilung aller Rechtssachen unter die gleich funktionierenden und gleich organisierten Organe der verschiedenen Sprengel oder Bezirke. An welches der Gerichte verschiedener Bezirke sich die Partei mit ihrem Rechtsschutzbegehr zu wenden hat, hängt davon ab, welchem das Gesetz die ö r t l i c h e Z u s t ä n d i g k e i t beilegt, d. h. die Fähigkeit, im Gegensatz zu den Gerichten anderer Bezirke einzuschreiten (S. 243). Wo in einer Rechtssache das Gericht die Zuständigkeit besitzt, da ist für den G e g n e r , insbesondere für den Beklagten, der G e r i c h t s s t a n d , d. h. die Notwendigkeit, sich dem gerichtlichen Akt zu unterwerfen, begründet. Beide korrespondierende Eigenschaften aber, sowohl die Zuständigkeit des Gerichts wie der Gerichtsstand der Partei, sind gleichmäfsig bedingt durch das Vorhandensein einer T a t s a c h e , clie die Zugehörigkeit der Rechtssache zu einem Gerichtsbezirk, eine l o k a l e 1 I n a—f s i n d eine Reihe N e u e r u n g e n der N o v . 1898 e n t h a l t e n : I n l i t . a s i n d neben den R e c h t s v e r h ä l t n i s s e n zwischen den M i t g l i e d e r n einer Handelsgesellschaft a u c h d i e zwischen G e s e l l s c h a f t u n d M i t g l i e d e r n einbegriffen. I n l i t . c. s i n d an Stelle der Rechtsverh. des Markenschutzes die R e c h t s v e r h ä l t n i s s e , die s i c h a u f d e n S c h u t z d e r W a r e n b e z e i c h n u n g e n beziehen, getreten, gemäfs d e m z u m E r s a t z des M a r k e n s c h u t z gesetzes v . 30. N o v . 1874 erlassenen R.Ges. z u m S c h u t z der W a r e n b e z e i c h n u n g e n v . 12. M a i 1894. I n l i t . d. ist das R e c h t s v e r h . aus V e r ä u f s e r u n g eines Handelsgesch. präziser bezeichnet als R.V., welches d u r c h den E r w e r b e i n e s b e s t e h e n d e n Handelsg e s c h ä f t s u n t e r L e b e n d e n zwischen dem bisherigen Inhaber u n d dem Erwerber e n t s t e h t . I n l i t . e. s i n d zu d e n R e c h t s v e r h ä l t n i s s e n des Geschäftsinhabers zu P r o k u r i s t e n , . H a n d l u n g s b e v o l l m ä c h t i g t e n u n d H a n d l u n g s g e h i l f e n a u c h die z u m H a n d l u n g s l e h r l i n g srefügt u n d die R e c h t s v e r h ä l t n i s s e z w i s c h e n e i n e m D r i t t e n u n d d e m w e g e n m a n g e l n d e n N a c h w e i s e s d e r P r o k u r a o d e r H a n d l u n g s v o l l m a c h t h a f t e n d e n präziser bezeichnet. I n l i t . f. (enspr. der b i s h . l i t . g) i s t u n t e r den R e c h t s v e r h ä l t n i s s e n , d i e s i c h auf die Reederei, auf die Rechte oder P f l i c h t e n des Reeders, Korrespondent-Reeders u s w . beziehen, dem Reeder auch der S c h i f f s e i g n e r g l e i c h g e s t e l l t . Die R e c h t s v e r h ä l t n i s s e zwischen H a n d e l s m ä k l e r u n d K o n t r a h e n t e n (bisher N r . 3 l i t . f) s i n d ausgeschieden, w e i l «lie a m t l i c h e n M ä k l e r b e s e i t i g t s i n d u n d die P r i v a t m ä k l e r schon n a e n N r . 1 getroffen werden. V o r den A n s p r ü c h e n aus Gesellschaftsverhältnissen (Nr. 3 l i t . a) s i n d die Rechtsverhältnisse zwischen den T e i l n e h m e r n einer V e r e i n i g u n g zu einzelnen Handelsgeschäften oder einer V e r e i n i g u n g z u m H a n d e l s b e t r i e b e (a. 10 des a l t e n H.G.B.) gegenstandslos geworden.

252

II

Gerichtsverfassung.

§ 4.

liche Zuständigkeit.

B e z i e h u n g zu demselben, begründet. Auch diese zuständigkeitserzeugenden Tatbestände oder Kompetenzgründe werden Ger i c h t s s t ä n d e (fora) genannt, so dafs man Gerichtsstand im abstrakten und im konkreten Sinn zu unterscheiden hat 1 . Im übrigen müssen auch die hieraus sich ergebenden Fragen, insbesondere die Frage, welche Tatsachen als zuständigkeitsbegründend anerkannt werden, getrennt für die Behörden verschiedener Funktion, insbesondere gesondert für die zu erk e n n e n d e n G e r i c h t e (hierüber I I . III.) und die V o l l s t r e c k u n g s b e h ö r d e n (u. § 42) aufgeworfen werden. I I . Die Grundgedanken der Zuständigkeit für die erkennenden Gerichte. Bei der Bestimmung eines Gerichts, bei dem ein Anspruch zur Entscheidung gebracht, insbesondere e i n g e k l a g t werden soll, des „Prozefsgerichts", leitet den Gesetzgeber naturgemäfs in erster Linie die Frage, bei welchem Gerichte die Parteien am zweckmäfsigsten den Prozefs führen können. An und für sich könnte sich der Gesetzgeber ebensowohl nach dem Interesse des Klägers wie nach dem des Beklagten richten. Eine zwingende Forderung der Billigkeit hat aber in allen Rechtssystemen darauf gedrängt, im Zweifel das Interesse des Angegriffenen überwiegen zu lassen, da er die Last eines Rechtsstreits auf sich nehmen mufs, während der Angreifer die Initiative zum Prozesse frei ergreift. Die weitaus meisten Gerichtsstandsregeln knüpfen deshalb von alters her die Zuständigkeit an eine Beziehung des B e k l a g t e n zum Gerichtsort, an seinen Wohnsitz, flüchtigen oder länger dauernden Aufenthalt, sei es den zur Zeit der Klageerhebung, sei es den zur Zeit der Entstehung des Anspruchs, an den Wohnsitz des Erblassers des Beklagten usw. Der K l ä g e r h a t s i c h n a c h dem B e k l a g t e n zu r i c h t e n . „Actor s e q u i t u r forum rei.u Das eine Prinzip verlangt aber notwendig ein anderes als Ausgleich zugunsten des K l ä g e r s . Unmöglich kann nunmehr für jeden einzelnen Prozefs nur ein e i n z i g e s G e r i c h t für zuständig erklärt werden, wenn nicht der Kläger in der Bewegung sehr eingeengt werden soll. Das Gesetz mufs also für jede Rechtssache im Zweifel mehrere Gerichtsstände schaffen, und zwar um in doppelter Hinsicht dem Interesse des Klägers Genüge zu tun. 1. Es müssen, wenn möglich, m e h r e r e deutsche Gerichte nebeneinander für zuständig erklärt werden. Richten sich die e i n z e l n e n in erster Linie nach dem Beklagten, so mufs unter den m e h r e r e n der Kläger entscheiden können, welches ihm das relativ besser gelegene ist. 1 Den B e g r i f f des „ G e r i c h t s s t a n d s " g e b r a u c h t Z.P.O. i n beiden hier bezeichneten B e d e u t u n g e n , z. B . i n § 12 zuerst i n d e m S i n n der G e r i c h t s u n t e r w o r f e n h e i t (einer abs t r a k t e n Eigenschaft) des B e k l a g t e n , s o d a n n i n d e m S i n n des g o r i c h t s s t a n d - u n d zus t ä n d i g k e i t b e g r ü n d e n d e n F a k t u m s . V g l . über diese t e r m i n o l o g i s c h - b e g r i f f l i c h e n F r a g e n W a c h I , S. 348; P l a n c k I , 25; G a u p p - S t e i n , V o r b e m . v o r § 12; W e i s m a n n § 14; K l e i n f e l l e r , Lb. § 23.

Elektivkonkurrenz der Gerichtsstände. Subsidiarität u. Ausschliefslichkeit. 253

2. Es mufs in möglichst vielen Fällen, die irgendwie die deutsche Rechtssphäre berühren, i r g e n d e i n d e u t s c h e s Ger i c h t für zuständig erklärt werden. Dem Kläger mufs in solchen Fällen, wo das Interesse des Beklagten sowohl auf einen Gerichtsstand im Ausland wie in Deutschland hinweist, Gelegenheit geboten werden, auch in Deutschland zu klagen. Beide Gesichtspunkte durchkreuzen sich in allen modernen Gerichtsstandsordnungen, auch in der deutschen. Sie treffen aber jedenfalls darin zusammen, dafs g r u n d s ä t z l i c h e i n e M e h r h e i t von G e r i c h t s s t ä n d e n begründet wird, z w i s c h e n denen der K l ä g e r im Z w e i f e l die Wahl hat (Prinzip der E l e k t i v k o n k u r r e n z , Z.P.O. § 35). Allerdings braucht dieser Gesichtspunkt nicht allein zu entscheiden. Es ist auch denkbar, dafs der Gesetzgeber dem Kläger einen zweiten Gerichtsstand nur für den Fall zur Verfügung stellt, wo ein bestimmter prinzipaler Gerichtsstand, an dem der B e k l a g t e mehr interessiert ist, nicht besteht, also nur s u b s i d i ä r . Es ist fernerdenkbar, dafs neben dem Interesse des Beklagten auch ein ö f f e n t l i c h e s Interesse auf einen Gerichtsstand hinweist, z. B. das der leichteren Erledigung der gerichtlichen Beweisaufnahme auf den Gerichtsstand der belegenen Sache bei Grundstücksprozessen (u. S. 260), und dafs ein solches Interesse alle anderen zurückdrängt, auss c h l i e f s l i c h wirkt. Sowohl das Verhältnis der Subsidiarität wie das der Exklusivität steht im Gegensatz zu dem der Elektivkonkurrenz. Bei beiden fällt die freie Wahl des Klägers weg. Die Subsidiarität begründet den Vorrang eines Gerichtsstands vor e i n e m b e s t i m m t e n a n d e r n , — die Exklusivität den Vorrang eines Gerichtsstands vor a l l e n andern. Aber beide Beziehungen sind gegenüber dem Prinzip der freien Wahl des Klägers (§ 35) Ausnahmen, müssen also durch Sondernorm der Z.P.O. ausdrücklich statuiert sein. Im übrigen sind nun aber die Gerichtsstände, auch soweit sie in ihrer Wirksamkeit einander gleichstehen, nicht alle gleichartig in ihren Bedingungen und ihrer Tragweite. Die T a t sachen, die die Zugehörigkeit des Prozesses zum Gericht begründen, können verschieden sein, und dementsprechend können sie ein verschiedenes A n w e n d u n g s g e b i e t haben. Das, was die Zuständigkeit begründet, kann: 1. die Beziehung der P e r s o n des B e k l a g t e n zum Gerichtssprengel unmittelbar sein. Hat diese Beziehung die Wirkung, a l l e gegen jene Person gerichteten Prozesse an diesem Gericht zu fixieren, so bildet sie einen a l l g e m e i n e n p e r s ö n l i c h e n Gerichtsstand, d. h. clen Entstehungsgrund der Zuständigkeit des Gerichts dieses Sprengeis für alle Klagen gegen d i e s e n Bek l a g t e η, soweit nicht einzelne (durch einen ausschliefslichen Gerichtsstand, vgl. oben) ausdrücklich ausgenommen werden. Diese Rechtsnatur hat vor allem der W o h n s i t z des Beklagten (Z.P.O. §§ 12. 13, u. S. 254).

254

Gerichtsverfassung.

§ 4.

liche Zuständigkeit.

2. Zuständigkeit kann ferner auch die Beziehung des e i n z e l n e n A n s p r u c h s zum Gerichtsbezirk schaffen. Dieselbe wird zwar, wie schon erwähnt (o. S. 252), meist ebenfalls in einem Interesse wurzeln, das die Person des Beklagten an den Gerichtsort bindet, aber doch in einem Verhältnis zum Gerichtsort, das eben nur mit Bezug auf dieses Rechtsverhältnis begründet ist, ζ. B. in der Notwendigkeit des Schuldners, eine Forderung an einem bestimmten Ort zu erfüllen (§ 29). Sie wirkt also nur als besonderer s a c h l i c h e r Gerichtsstand, d. h. nur für diese Streitsache. 3. Endlich kann eine Beziehung der P e r s o n des Bek l a g t e n zum Gerichtssprengel die Zuständigkeit rechtfertigen, die nicht für alle Rechtssachen gegen diese Person, sondern nur f ü r g e w i s s e G r u p p e n derselben praktische Bedeutung hat. nämlich nur für solche, die mit jenem Zustand der Person zusammenhängen. Diese Gerichtsstände bilden deshalb eine eigne Gruppe. Sie sind p e r s ö n l i c h e (wie no. 1), aber als solche doch nur für gewisse Sachen, mithin als b e s o n d e r e (wie no. 2) wirksam (so ζ. B. der Besitz einer Handelsniederlassung für die hierauf bezüglichen Ansprüche, § 21) l . Sie sind b e s c h r ä n k t persönliche G.Stde. I I I . Die einzelnen Gerichtsstände gruppieren sich hiernach in drei Klassen: a) Der allgemeine persönliche Gerichtsstand besteht grundsätzlich nur in einer Tatsache: er wird „durch den Wohnsitz bestimmt", ist das forum domicilii (§ 13). Das Prinzip dafür, wo der Wohnsitz einer Person anzunehmen ist, stellte früher implicite die Z.P.O. selbst auf 2 . Neuerdings hat dasselbe das B.G.B, ausdrücklich formuliert, und zugleich sind die meisten der Einzelbestimmungen, die die Z.P.O. I als Konsequenzen des Prinzips anerkannt hatte, in das B.G.B, übergegangen3. Die Klage ist 1 Es f ö r d e r t das V e r s t ä n d n i s der Z u s t ä n d i g k e i t s o r d n u n g , w e n n i n dieser Weist* d r e i , n i c h t n u r , w i e ü b l i c h , z w e i G e r i c h t s s t a n d s a r t e n (so a u c h bei W a c h 397 ff.) ang e n o m m e n w e r d e n . A n d e r s e i t s h a t es w e n i g Z w e c k , aufserdem n o c h eine S o n d e r u n g v o n g e s e t z l i c h e n ( a l l g e m e i n gesetzlich n o r m i e r t e n ) u n d g e w i l l k ü r t e n ( d u r c h einen W i l l e n s a k t i m k o n k r e t e n F a l l geschaffenen) ( f r ü h e r : b i s w . a u f s e r o r d e n t l i c h e g e n a n n t : v e r g l . u n t . ) v o r z u n e h m e n . D e n n abgesehen d a v o n , dafs s e l b s t v e r s t ä n d l i c h auch die g e w i l l k ü r t e n i h r e rechtserzeueende W i r k u n g n u r a u f G r u n d einer gesetzlichen E r m ä c h t i g u n g z u r W i l l e n s d i s p o s i t i o n ü o e n ( W a c h 39ö, oben S. 102), h a t gerade die w i c h t i g s t e F o r m der W i l l e n s d i s p o s i t i o n , die V e r e i n b a r u n g der P a r t e i e n ( P r o r o g a t i o n ) , n i c h t n u r f ü r die V e r t e i l u n g der ö r t l i c h e n , s o n d e r n a u c h f ü r die der s a c h l i c h e n Z u s t ä n d i g k e i t B e d e u t u n g , so dafs sie n i c h t n u r als „ G e r i c h t s s t a n d " ( E n t s t e h u n g s t a t b e s t a n d der ö r t l i c h e n Z u s t ä n d i g k e i t ) i n B e t r a c h t k o m m t , u n d demgemäfs eine allgemeine B e t r a c h t u n g f o r d e r t (s. u n t e n d e n f o l g e n d e n Paragraphen). E b e n d a d u r c h t r i t t sie aber i n Gegensatz zu der z w e i t e n W i l l e n s d i s p o s i t i o n , der z u s t ä n d i g k e i t b e g r ü n d e n d e n E n t s c h e i d u n g des G e r i c h t s , d i e n u r als G e r i c h t s s t a n d (des „ K o m m i s s o r i u m s " u s w . , u n t e n S. 270) w i r k s a m w i r d u n d i n dieser E i g e n s c h a f t n u r eine e r g ä n z e n d e B e d e u t u n g h a t . U n b r a u c h b a r i s t der f r ü h e r ü b l i c h e B e g r i f f des a u f s e r o r d e n t l i c h e n oder p r i v i l e g i e r t e n G e r i c h t s s t a n d s , d. h. der U n t e r w o r f e n h e i t des B e k l a g t e n u n t e r besonders zusammengesetzte Gerichte ( U n i v e r s i t ä t s - , Fürsten-Gerichte). E r h a t m i t der ö r t l i c h e n V e r t e i l u n g der G e r i c h t s b a r k e i t ü b e r h a u p t n i c h t s z u t u n u n d löst sich j e t z t i n der B e t r a c h t u n g der S o n d e r g e r i c h t e a u f (s. das. S. 195 ff.). 2 W e n i g s t e n s n a c h der r i c h t i g e n A u s l e g u n g ( W a c h I I S. 401, dieses L b . 1. A . S. 24). Die M o t . der Z.P.O., R.G. 22, 385; 30, 348 u . a. m e i n t e n , dafs die Z.P.O. h i n s i c h t l i c h des Begriffs „ W o h n s i t z " a u f die L a n d e s z i v i l r e c h t e v e r w e i s t . 3 B.G.B. § 9, 10, 11 entsprechen Z.P.O. I , § 14, 17, 1 ; 17, 2. V g l . deshalb f ü r den z i v i l r . W o h n s i t z - B e g r i f f Co s a c k , L b . 4. A . 1, § 27; D e r n b u r g , BR. I , § 57; Landsberg, R. des BGB. I , § 2G.

Arten der Gerichtsstände.

Wohnsitz.

255

hiernach an dem Gericht des Orts zu erheben, wo sich eine Person s t ä n d i g n i e d e r l ä f s t (§ 7 B.G.B.). Dies setzt voraus, dafs die Person an jenen Ort t a t s ä c h l i c h den Beziehungspunkt und Mittelpunkt der Privatexistenz, d. h. des Berufs-, Wirtschafts- und Familienlebens verlegt hat. Es genügt nicht, dafs sie den Ort nur durch ihren Willen zum Wohnsitz bestimmt hat; ebensowenig, dafs sie ihre öffentlichrechtliche Existenz, Bürger- oder Heimatsberechtigung, dort fixiert hat 1 . Anderseits mufs sie aber die tatsächliche Niederlassung durch ihren W i l l e n s a k t begründet haben, so dafs ein Geschäftsunfähiger keinen Wohnsitz selbständig begründen kann (§ 8) 2 . Die Voraussetzungen des Domizils können an mehreren Orten gleichzeitig gegeben sein. Nur müssen sie überall die Totalität der Lebensbeziehungen darstellen 3 . Lediglich ein Grundbesitz oder ein Beschäftigungsaufenthalt begründet keinen zweiten Wohnsitz 4 . Während hiernach für den Regelfall die Bestimmung des Wohnsitzes und folgeweise des Gerichtsstands von der Prüfung der konkreten Umstände abhängig gemacht wird, hat das Gesetz für gewisse Ausnahmefälle den wohnsitzbegründenden Tatbestand nach typischen Merkmalen geordnet. Das Gesetz geht darin wieder in doppelter Weise vor. Für manche Personen bestimmt es einen Wohnsitz, der sich erfahrungsgemäfs im Durchschnitt mit dem freigewählten Existenzzentrum, dem natürlichen Wohnsitz, deckt, nur gelegentlich von diesem abweicht, also einen kraft Gesetzes p r ä s u m i e r t e n Wohnsitz, — dies für s t ä n d i g e M i l i t ä r p e r s o n e n (B.G.B. § 9), für die E h e f r a u (B.G.B. § 10), für Kinder in der Gewalt (B.G.B. § 11) und für öffentlichrechtliche und privatrechtliche Verbandspersonen (Z.P.O. §§ 19. 20). Manchen Personen aber legt das Gesetz als Gerichtsstand einen Zustand bei, der mit dem natürlichen Wohnsitz n i e m a l s zusammentrifft, also einen gesetzlich f i n g i e r t e n Wohnsitz, nämlich für Angehörige auswärts garnisonierender Truppenteile (B.G.B. § 9, 2) und für die sog. Exterritorialen (Z.P.O. § 15). Im einzelnen sind die Fälle des p r ä s u m i e r t e n Wohnsitzes folgende. Er wird begründet: «) für selbständige Berufssoldaten, d. h. M i l i t ä r p e r s o n e n , soweit sie nicht nur zur Erfüllung der Wehrpflicht dienen oder einen Wohnsitz nicht begründen können, am Garnisonsort (B.G.B. § 9 an Stelle der Z.P.O. § 146). 1 H i e r i n u n t e r s c h e i d e t sich das m o d e r n e R. v o m r ö m i s c h e n , das d e n a l l g . G.Std. a n d o m i c i l i u m u n d o r i g o a n k n ü p f t . Der germanische Einflufs i n I t a l i e n u n d D e u t s c h l a n d h a t diesen M i s c h c h a r a k t e r abgestofsen ( W a c h , L b . I , S. 398 a. 3). 2 Ebenso bedarf es z u r A u f h e b u n g des W o h n s i t z e s der A u f h e b u n g der N i e d e r l a s s u n g m i t dem W i l l e n der A u f h e b u n g (§ 7, 3 B.G.B.). M a n pflegt deshalb z u sagen, dafs z u m d o m i c i l i u m a n i m u s u n d corpus zusammentreffen müssen. So z. B . w e n n der B e k l . w e c h s e l n d e i n S t a d t h a u s u n d e i n R i t t e r g u t , eine V i l l a i n einem K u r o r t b e w o h n t . 4 E b e n deshalb b e e i n t r ä c h t i g t es den W o h n s i t z einer Person i n L i c h t e r f e l d e , w o sie m i t i h r e r F a m i l i e i n eigenem H a u s e s t ä n d i g w o h n t , n i c h t , w e n n sie i n B e r l i n i h r e m Gewerbe den ganzen T a g über i m K o n t o r u n d A t e l i e r o b l i e g t (R.G. 30, 348). s Der § 9 g i l t d a n a c h n i c h t f ü r die Soldaten, die i h r e z w e i - bezw. e i n j ä h r i g e W e h r pflicht e r f ü l l e n oder eine L a n d w e h r - oder R e s e r v e ü b u n g a b s o l v i e r e n u n d f ü r n i c h t - g e schäftsfähige Berufssoldaten. F ü r sie g i l t Z.P.O. § 13 oder B.G.B. §11 ( G a u p p - S t e i n z u § 14, I I I ; Begriff der „ M i l i t ä r p e r s o n e n * ebenda I I ) . A u f s e r d e m ev. G.Std. des d a u e r n d e n A u f e n t h a l t s (u. S. 258).

2

5

6

·

Gerichtsverfassung.

§ 4.

liche Zuständigkeit.

Ergänzend fügt hierzu nur Z.P.O. I I § 14, dais in den Fällen, wo der Garnisonsort in m e h r e r e G e r i c h t s b e z i r k e geteilt ist, nicht ein inneres Merkmal (z. B. die Lage der Kaserne) für den Gerichtsstand mafsgebend sein soll, sondern dafs der als Wohnsitz geltende Bezirk durch allgemeine Anordnung der Landesjustizverwaltung bestimmt wird. β) Die E h e f r a u teilt den Wohnsitz des Ehemanns, wenn derselbe einen solchen besitzt, ausgenommen, wenn er ihn im Ausland an einem Ort begründet, an den die Frau ihm zu folgen nicht verpflichtet ist und auch tatsächlich nicht gefolgt ist (B.G.B. § 10, 1 an Stelle von Z.P.O. § 17, 1). Nur wo der Mann (ζ. B. als Landstreicher) domizillos ist oder ein Domizil hat, das die Ehefrau nicht zu teilen braucht \ begründet die Ehefrau selbständig einen solchen. Aufserdem hebt natürlich die Scheidung bezw. Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft (B.G.B. §§ 1575. 1586) den gesetzlichen Wohnsitz auf. γ) Das e h e l i c h e K i n d teilt den Wohnsitz des Vaters, das uneheliche den der Mutter, das adoptierte den des Adoptivvaters oder der Adoptivmutter, aber nur bis es ihn rechtsgültig auf hebt (B.G.B. § 11, 1 an Stelle von Z.P.O. § 17, 2). Hierin liegt, dafs der gesetzliche Wohnsitz des Kindes im Gegensatz zu dem der Ehefrau nicht zwingend, sondern dispositiv fixiert w i r d 3 . Wenn das Kindes Verhältnis überhaupt erst n a c h der Volljährigkeit (durch Legitimation oder Adoption) begründet wird, teilt das Kind den Wohnsitz des Vaters usw. von vornherein nicht (§ 11, 2). J) Von j u r i s t i s c h e n P e r s o n e n hat ein für allemal der F i s k u s seinen Gerichtsstand am Sitz der Behörde, die berufen ist, ihn im Rechtsstreit zu vertreten (Z.P.O. § 18), eine Behörde, soweit sie als solche verklagt werden kann, an ihrem Amtssitz (§ 17, 2). Von privatrechtlichen Verbandspersonen hat die Gewerkschaft ihren Sitz da, wo das Bergwerk liegt (§ 17, 2). Im übrigen entscheidet sowohl für öifentlichrechtliche „Korporationen" („Gemeinden", Provinzialverbände usw.) wie für privatrechtliche Verbände („Gesellschaften", „Genossenschaften", „Vereine") und sonstige parteifähige Rechtssubjekte, die nicht natürliche Personen sind („Anstalten", „Stiftungen", „Vermögensmassen, die als solche verklagt werden können"), zunächst ein Spezialgesetz oder das Statut. Subsidiär gilt als ihr Wohnsitz der Sitz ihrer Verwaltung. E i n f i n g i e r t e s Domizil gilt für Militärpersonen, welche zu einem aufserhalb des Reichs garnisonierenden Truppenteil gehören (als Wohnsitz gilt der letzte deutsche Garnisonsort, B.G.B. § 9 Satz 2) und für Deutsche, die das Recht der Exterritorialität geniefsen, bes. G e s a n d t e (vergl. im übr. u. § 47; mit Ausn. der Wahlkonsuln § 15, 2), sowie für die im Ausland angestellten Beamten des Reichs oder eines Bundesstaats: sie behalten in Ansehung des Gerichtsstands den Wohnsitz, den sie im Heimatsstaate hatten (§ 15). Im letzteren Fall gilt in Ermangelung eines früheren heimischen Domizils die Hauptstadt des Heimatsstaats als Wohnsitz. In Ermangelung der Zugehörigkeit zu einem Bundesstaat (besonders für Ausländer, die im S c h u t z g e b i e t die Reichsangehörigkeit erworben haben) gilt als Wohnsitz die Stadt Berlin (Nov. § 15 neue Fass., Z.P.O. I I § 15, 1). Soweit die Hauptstadt des Bundesstaats oder die Reichshauptstadt Berlin in mehrere Gerichtsbezirke geteilt ist, wird der als Wohnsitz geltende Bezirk vom Justizministerium bezw. vom Reichskanzler durch allgemeine Anordnung bestimmt.

Nach § 13 mufs der r e g u l ä r e allgemeine Gerichtsstand für die Zwecke der deutschen Gerichtsbarkeit versagen, wenn der 1 N ä m l i c h i n den F ä l l e n , w o sich d i e E n t s c h e i d u n g des Mannes über den W o h n s i t z als M i f s b r a u c h seines Rechts d a r s t e l l t (B.G.B. § 1354, 2), ζ. B. w e n n der M a n n einer l u n g e n k r a n k e n F r a u b e w u f s t den W o h n s i t z i n eine r a u h e Gebirgsstadt T y r o l s v e r l e g t . N i m m t der M a n n u n t e r sonst g l e i c h e n U m s t ä n d e n i n n e r h a l b D e u t s c h l a n d s eine solche W o h n s i t z v e r ä n d e r u n g v o r , so t e i l t die E h e f r a u den W o h n s i t z , o b w o h l sie auch i n diesem F a l l n i c h t zu f o l g e n v e r p f l i c h t e t i s t . 2 Das m i n d e r j ä h r i g e K i n d b r a u c h t n a c h a l l g e m . Grundsätzen (B.G.B. § 8) die Zustimmung des Vaters. — V g l . Co s a c k 1 S. 80 (4. Α.).

Präsumierter und fingierter Wohnsitz.

257

Aufenthalt.

Beklagte den objektiven Verhältnissen nach innerhalb Deutschlands einen Wohnsitz nicht hat. a) sei es, dafs er einen solchen nur im A u s l a n d besitzt, b) sei es, dafs er überhaupt keinen festen Wohnsitz hat, domizillos ist, als Landstreicher, beschäftigungsloser und Beschäftigung suchender Handwerksgeselle, Fabrikarbeiter, reisender Taschenspieler, aber auch als Vergnügungsreisender von Profession, der ausschliefslich in Hotels lebt 1 . Für den letzten Fall, aber n u r f ü r d i e s e n , bestimmt Z.P.O. zur Aushilfe einen andern allgemeinen Gerichtsstand in § 16: „Der allgemeine Gerichtsstand einer Person, welche keinen Wohnsitz hat, wird durch den A u f e n t h a l t s o r t im Deutschen Reiche und, wenn ein solcher nicht bekannt ist, durch den letzten Wohnsitz bestimmt." Als Surrogat des Gerichtsstands des Wohnsitzes dient also der Gerichtsstand des a u g e n b l i c k l i c h e n Aufenthalts, und zwar gleichviel ob dieser Aufenthalt ein dauernder oder nur ein flüchtiger ist. Mafsgebend für ihn ist der Zeitpunkt der K l a g e r h e b u n g . Als Kehrseite ergibt sich, dafs für die zwar mit Domizil, aber nur mit a u s l ä n d i s c h e m Domizil ausgestattete Person ein a l l g e m e i n e r Gerichtsstand in D e u t s c h l a n d ü b e r h a u p t nicht besteht. Ganz besonders für diese Fälle werden die Sondergerichtsstände der zweiten und dritten Gruppe (lit. b u. c) von Bedeutung. Ob solche Personen an ihrem ausländischen Wohnsitz einen Gerichtsstand haben, bestimmt sich nach ausländischem Prozefsrecht (o. S. 146). b) Dem allgemeinen persönlichen Gerichtsstand am nächsten stehen in Entstehungsgrund und Wirkung die b e s o n d e r e n p e r s ö n l i c h e n Gerichtsstände. Auch sie verkörpern sich in Beziehungen der P e r s o n des Beklagten zum Gerichtsort, nur dafs dies Beziehungen sind, die zur Begründung eines Wohnsitzes an sich nicht genügen (s. o. S. 255 f.) und dafs sie die Zuständigkeit mit Beziehung auf gewisse gröfsere oder geringere Gruppen von Rechtssachen üben, die in mehr oder minder enger Verbindung mit jenem persönlichen Verhältnisse stehen. Sie sind: 1. Der G e r i c h t s s t a n d des d a u e r n d e n A u f e n t h a l t s (§ 20). Die B e d i n g u n g der Kompetenzbegründung ist der Aufenthalt einer Person „an einem Orte (seil, innerhalb eines deutschen Gerichtssprengeis) unter Verhältnissen, welche ihrer Natur nach auf einen Aufenthalt von l ä n g e r e r D a u e r hinweisen". Die W i r k u n g der Kompetenzbegründung umfafst nur die Klagen, welche „gegen diese Personen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche erhoben werden". Der G. unterscheidet sich also von dem a l l g e m e i n e n G. des a u g e n b l i c k l i c h e n Aufenthalts (§ 16, o. lit. a) dadurch: 1

L a n d s b e r g , L e h r b . I , 100 A . 3.

Richard Schmidt,

L e h r b u c h des Z i v i l p r o z e f s r e c h t s .

2. A u l l .

17

258

Gerichtsverfassung.

§ 4.

liche Zuständigkeit.

«) dafs er an s t r e n g e r e Bedingungen geknüpft ist, nicht einen augenblicklichen, sondern einen dauernden Aufenthalt und zwar einen solchen, dessen längere Dauer aus seiner Natur, d. h. bei der regelmäfsigen Sachlage aus seinem Zwecke folgt, insbesondere aus der Stellung des Dienstboten, Hand- und Fabrikarbeiters, Gewerbegehilfen, Studierenden, Schülers, Lehrlings (§ 20), aber auch aus der Verbüfsung der Strafhaft für den Gefangenen, der Ausführung eines Auftrags für einen Baumeister, Freskomaler, Eisenbahningenieur, aus der Absolvierung einer langwierigen ärztlichen Behandlung für den Kranken 1 . Dabei fehlt aber diesem Aufenthalt das wesentliche Merkmal des Wohnsitzes, die Lokalisierung a l l e r Interessen. Vereinzelt schafft § 20, 2 einen notwendigen Ort des dauernden Aufenthalts, nämlich für Militärpersonen, die nur zur Erfüllung der Wehrpflicht dienen oder welche selbständig einen Wohnsitz nicht begründen können 2 , den Garnisonsort. Weiter steht der G. zu dem des § 16 in Gegensatz dadurch, ß) dafs er eine b e s c h r ä n k t e r e Wirkung äufsert, nämlich nur für die Klagen aus Rechtsverhältnissen, deren Abwicklung regelmäfsig allein an solchen dauernden Aufenthaltsorten zu geschehen pflegt, nämlich auf diejenigen vermögensrechtlichen I n h a l t s 3 4 . Keine kompetenzbegründende Wirkung legt Z.P.O. dem p e r i o d i s c h s i c h w i e d e r h o l e n d e n , a b e r v o r ü b e r g e h e n d e n Aufenthalt an einem Ort bei, z. B. in dem Fall, dafs ein Kapitalist sich in einer Stadt ein möbliertes Zimmer unterhält, um von Zeit zu Zeit nach seinen dort gelegenen Mietgrundstücken zu sehen.

2. Der G e r i c h t s s t a n d der N i e d e r l a s s u n g (§21). Der Zuständigkeits g r u η d ist der eigene Besitz einer „ N i e d e r l a s s u n g zum Betriebe einer Fabrik, einer Handlung oder eines andern Gewerbes, von welchem aus unmittelbar Geschäfte geschlossen werden", gleichviel ob von dem Inhaber (von der physischen oder juristischen Person) selbst, ob von dessen Beamten oder Vertretern im Gerichtssprengel. Gleich steht die Tatsache, dafs der Beklagte „ein mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden versehenes Gut als Eigentümer, Nutzniefser oder Pächter daselbst bewirtschaftet". Die Wirkung des Gerichtsstands ergreift nur die Klagen, die auf den Geschäftsbetrieb der Niederlassung oder die Bewirtschaftung des Guts sich beziehen. Der Gerichtsstand nähert sich dem des § 20: «) hinsichtlich der Bedingungen insofern, als nicht das V o r h a n d e n s e i n der gewerblichen oder landwirtschaftlichen Niederlassung als eines Eigentums (speziell Grundeigentums des Beklagten, — Gegensatz zu § 24) entscheidet, sondern der t a t s ä c h l i c h e B e t r i e b derselben, gleichviel in welchem Rechtsverhältnis des Beklagten sie steht (Eigentums-, Nutzniefsungs-, Pachtverhältnis usw.). Anderseits tritt er zum G. des dauernden Aufenthalts dadurch in Gegensatz, dafs n i c h t n u r d e r A u f e n t h a l t des Beklagten selbst in der Niederlassung, sondern (enger als § 20) der Betrieb a u f e i g n e 1 Dafs der A u f e n t h a l t z u r E r r e i c h u n g eines b e s t i m m t e n Z w e c k s g e n o m m e n w i r d , l i e g t i m B e g r i f f (R.G. I I I . 1892, 30, 328). Dafs anderseits das E n d e des A u f e n t h a l t s nach dessen Z w e c k v o n v o r n h e r e i n genau absehbar, h i n d e r t den G. n i c h t ( G a u p p I I , 1). I m G e g e n t e i l w i r d gerade h i e r i n oft der U n t e r s c h i e d des d a u e r n d e n A . v o m W o h n s i t z hervortreten. 2 A l s o a u c h , w e n n sie i n concr. d o r t k e i n e n l ä n g e r n A u f e n t h a l t haben ( v o n der G a r n i s o n a u f l ä n g e r a b k o m m a n d i e r t sind). G a u p p - S t e i n § 20 I I I . 3 Z.P.O. f o l g t aber n i c h t der (an sich konsequenteren) B e s c h r ä n k u n g des G.Stds. a u f solche v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e A n s p r ü c h e , d i e aus V e r t r ä g e n , H a n d l u n g e n , U n t e r l a s s u n g e n a m A u f e n t h a l t s o r t e n t s t a n d e n s i n d (so Preufs. E. § 16, w ü r t t e m b . Z.P.O. § 41). 4 Gegensatz z w i s c h e n v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e n u n d S t a t u s k l a g e n w i e oben h i n s i c h t l i c h der V e r t e i l u n g der s a c h l i c h e n Z u s t ä n d i g k e i t z w i s c h e n A m t s - u n a L a n d g e r i c h t (S. 247).

Dauernder Aufenthalt.

Niederlassung.

Vermögensbesitz.

259

R e c h n u n g erforderlich ist; hierbei genügt (weiter als § 20) auch ein Betrieb d u r c h a n d r e . Es scheiden aus nur die Betriebe durch a n d r e auf d e r e n Rechnung (eines Warenlagers durch Kommissionäre, eines Guts durch Pächter). Die beiden Fälle des G. selbst unterscheiden sich so, dafs für die g e w e r b l i c h e Niederlassung der Betrieb sich in der u n m i t t e l b a r e n E i n g e h u n g v o n G e s c h ä f t e n verkörpern mufs (nicht nur in W a r e n p r o d u k t i o n , in blofsem Fabrikbetrieb ohne Kontor, nicht nur in dem m i t t e l b a r e n Geschäftsschlufs durch Vermittlung von Agenturen, die sich an andern Orten befinden) 1, — für die l a n d w i r t s c h a f t l i c h e in der Bewirtschaftung an sich. β) Hinsichtlich der Wirkungen ist der G. von mehr folgerichtiger Beschränkung als der des § 20, denn er ergreift mit Rücksicht auf die gewerbliche Niederlassung nur die auf den G e s c h ä f t s b e t r i e b b e z ü g l i c h e n Klagen, mit Rücksicht auf die landwirtschaftliche die auf die B a w i r t s c h a f t u n g bezüglichen, diese freilich allgemein (auch Ansprüche aus Delikten, Haftpflichtansprüche, Entschädigungsansprüche wegen Nachbarrechtsverletzung usw.) 2 .

3. Der G e r i c h t s s t a n d des V e r m ö g e n s (§ 23). Zuständigkeitsgrund ist das Vorhandensein von Vermögen des Beklagten oder des mit der Klage in Anspruch genommenen Gegenstands im Gerichtsbezirk. Es begründet die Zuständigkeit für Klagen „wegen vermögensrechtlicher Ansprüche", aber nur s u b s i d i ä r (S. 253), nämlich nur falls der Beklagte im Deutschen Reich keinen Wohnsitz hat 3 . Durch die spezielle Erwähnung des Anspruchsgegenstandes wird allerdings dieser G. mit denjenigen Gerichtsständen in Verbindung gesetzt, deren Grundlage in einer lokalen Beziehung der S t r e i t s a c h e besteht (lit. c). Aber in Wahrheit ist dies doch nur eine einzelne Erscheinungsform des G. Im allgemeinen ist er auf eine Beziehung der P e r s o n zum Gerichtsort gebaut, auf den B e s i t z von Vermögen, mag dasselbe das umstrittene Vermögensstück sein oder ein anderes, mag es später als Vollstreckungsobjekt in Betracht kommen oder n i c h t 4 (er ist wirksam auch für Feststellungsklagen), mag es wertvoll sein oder geringfügig oder wertlos, mögen es Sachen oder geldwerte Immaterialrechte (Patentrecht, Autorrecht) sein oder (Vermögenswerte) Forderungsrechte 6 . (Im letzten Fall wird die lokale Zugehörigkeit der Forderung durch den Wohnsitz des Schuldners wie des Beklagten im Gerichtsbezirk begründet, und wenn für die Forderung eine Sache zur Sicherheit haftet, auch durch das Vorhandensein dieser Pfandsache usw. am Gerichtsort, § 23 Satz 2 e .) 1 K.G. 1894. S e u f f . A . 50 n. 3. P e t e r s e n , Z. 2, 190. v. Arnsberg, p r o r o g . f o r i u . c o n t u m a c i a , c i v . A . 65, 59. Petersen, Z. 3, 245 u. a., — neuestens K r a u f s , V e r e i n b . ü b e r d. Z. d. G. A d a m , Die c i v i l p r . Z u s t . V e r . (beide 1888, h a u p t s . historisch). D e y b e c k , G e r i c h t s s t a n d der V e r e i n b a r u n g (1888). (Österreich) Sperl, V e r e i n b . d. Z. (1897). A u f s e r d e m W a c h , H b . I §43, I I I . P l a n c k I §21. W e i s m a n n , L . B . §31. K o m m e n t a r e zu §38 ff.

I . Die leitenden Gedanken. Trotz seines Bemühens, die verschiedenen Funktionen des Prozesses und bei Erledigung der gleichen Funktion die verschiedenen Prozesse nach ihrer sachlichen und örtlichen Beziehung unter die Rechtspflegeorgane, mit möglichster Berücksichtigung der Bedürfnisse des Einzelfalls zu verteilen, hat das Gesetz unmöglich a l l e n in concreto in Betracht kommenden Interessen Rechnung tragen können. Es kann gelegentlich im Interesse beider Parteien liegen, eine Rechtssache h ö h e r e n Streitwerts in dem leichter beweglichen A m t s g e r i c h t s p r o z e f s zum Austrag zubringen. Es können ebenso Kläger wie Beklagter den Wunsch haben, einen zufälligen gleichzeitigen Aufenthalt in einer Stadt zur Abwicklung eines Prozesses zu benutzen, obwohl dort ein gesetzlicher Gerichtsstand nicht begründet ist 2 . So liegt es auf dem Gebiet der Kompetenzverteilung besonders nahe, dem Willen der interessierten Parteien einen gewissen Einflufs einzuräumen, ihnen m. a. W. durch einen dispositiven Rechtssatz zu gestatten, dafs sie durch Dispositionsakt den Geschäftskreis einer Behörde auch in anderer Richtung er1 V g l . S t e i n - S c h m i d t , A k t e n s t ü c k e , 5. A . S. 115 m i t 131, 132. 2 H a t z. B. e i n W o h n u n g s v e r m i e t e r i n R o s t o c k gegen einen d o r t s t u d i e r e n d e n M e d i z i n e r eine R e s t f o r d e r u n g aus der Z i m m e r m i e t e , so i s t der G.Std. des E r f ü l l u n g s o r t s i n R o s t o c k , der des W o h n s i t z e s d o r t b e g r ü n d e t , w o s i c h der S c h u l d n e r als L a n d a r z t niedergelassen h a t . V e r z i e h t aber der G l ä u b i g e r später n a c h B e r l i n u n d h ä l t sich der A r z t einer w i s s e n s c h a f t l i c h e n A r b e i t w e g e n e i n i g e W o c h e n d o r t a u f , so k a n n der A u s t r a g des Prozesses i n B e r l i n f ü r beide w ü n s c h e n s w e r t sein, o b w o h l d o r t k e i n G.Std., auch n i c h t der des d a u e r n d e n A u f e n t h a l t s b e g r ü n d e t ist.

Keine Vereinbarung über die funktionelle Zuständigkeit.

273

strecken kann, als er durch die subsidiäre gesetzliche Norm erstreckt wird. Nur bleibt gerade hier zu bedenken, dafs eine solche vom Parteiinteresse geleitete private Willensverfügung über die Gestaltung der RechtspHegeordnung, auch wo sie statthaft ist, niemals selbstverständlich als Austiufs einer allgemeinen Fähigkeit der Parteien, die ,,Prozefsordnung abzuändern", besteht, sondern dafs sie ihrerseits stets einen e r m ä c h t i g e n d e n R e c h t s s a t z des Prozefsrechts voraussetzt (oben S. 144). Sie ist ihrem Wesen nach A usnahmeerscheinung. Infolgedessen ist sie auch auf dem Gebiet der Zuständigkeitsordnung nur insoweit anzuerkennen, als das Gesetz zu i h r a u s d r ü c k l i c h a u t o r i s i e r t . Dies ist für die Auslegung der Z.P.O. in verschiedener Hinsicht bedeutsam. Die prinzipiell in Betracht kommende, hiernach auszulegende Bestimmung ist § 38 der Z.P.O.: „Ein an sich unzuständiges G e r i c h t e r s t e r I n s t a n z wird durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien zuständig." I I . Zwingende Natur der gesetzlichen Funktionenverteilung. Vermöge des soeben betonten Auslegungsgrundsatzes ergibt sich aus § 38 in erster Linie, dafs die Parteidisposition nur auf die Kompetenz der Gerichte (d. h. nach dem Sprachgebrauch des Gesetzes der Gerichte) im engeren Sinne, der richterlichen Behörden). und zwar auch hier nur auf die Kompetenz der e r s t i n s t a n z l i c h e n Gerichte, einwirken kann. Es folgt: a) Durch Parteiwillen wird keine Verschiebung der prozessualen Verrichtungen zwischen Gericht, Gerichtsschreiber und Gerichtsvollzieher gerechtfertigt. Der Gerichtsschreiber darf keinen Sühneversuch abhalten, — der als Gerichtsschreiber fungierende Referendar kein Urteil erlassen 1, — umgekehrt der beisitzende Richter nicht beurkundend (etwa durch Aufzeichnung und U n t e r z e i c h n u n g des Zeugenprotokolls neben dem Vorsitzenden) auftreten. b) Durch Parteiwillen wird keine Verschiebung der Verrichtungen von Gerichten verschiedenen Rangs statthaft, keine D u r c h b r e c h u n g des I n s t a n z e n ζ ugs". Keine Sache darf durch Parteivereinbarung in erster Instanz ans Oberlandesgericht oder Reichsgericht gebracht werden 2. Hierin liegt aber nichts anderes als der allgemeine Satz ausgesprochen, dafs überhaupt die fun k t i o n e i l e Kompetenz, so wie sie das Gesetz geordnet hat, durch Partei Vereinbarung nicht alteriert werden darf, folgeweise selbst da nicht, wo innerhalb der Hierarchie der Gerichte einer Gerichtsgruppe im Gegensatz zur anderen eine prozessuale Funktion als solcher ausschliefslich zu1 E t w a u n t e r U m g e h u n g der d e n Referendar v o n der U r t e i l s b e f u g n i s ausschliefsenden l a n d e s r e c h t l i c h e n V o r s c h r i f t e n (oben S. 206). * N u r eine A m t s g e r i c h t s s a c h e d a r f ans L a n d g e r i c h t gebracht w e r d e n , o b w o h l dies Oberinstanz f ü r A m t s g e r i c h t s s a c h e n i s t . D e n n das L a n d g e r i c h t i s t g l e i c h z e i t i g E r s t i n s t a n z g e r i c h t , die V e r s c h i e b u n g i s t also V e r e i n b a r u n g über d i e s a c h l i c h e Z u s t . ( I I I ) .

R i c h a r d S c h m i d t , L e h r b u c h des Z i v i l p r o z e f s r e c h t s .

2. A u l l .

18

274

Π . Gerichtsverfassung.

§ 43. Disposition über die Zuständigkeit.

gewiesen ist. Es darf also n i e dem Landgericht eine Vollstreckungshandlung, der Erlafs eines Zahlungsbefehls, die Erledigung eines Rechtshilfeersuchens zugeschoben werden 1. I I I . Disposition über sachliche und örtliche Zuständigkeitsgrenzen· Auch mit Rücksicht auf sachliche und örtliche Zuständigkeit war während der Entwicklung des gemeinen Rechts eine Tendenz vorhanden, die Disposition der Parteien über die gesetzliche Kompetenzordnung zu beschränken. Vielfach wurde von Doktrin und Praxis für das Gericht, das unter Aufserachtlassung der Zuständigkeitsregeln angerufen wurde, die Befugnis in Anspruch genommen, trotz des übereinstimmenden Parteiwillens die Sache von sich abzulehnen, — um deswillen nicht ganz ohne praktischen Grund, weil bei dem Partikularismus der Gerichtsverfassung in Italien und Deutschland die Scheu vor Belastung mit uneinträglichen Sachen ein Offizialinteresse an der Verhinderung solcher Parteiverfügungen zu begründen schien. Für die Anschauung des modernen Rechtsstaats und bei der geistigen Einheit der Rechtspflege funk tion der deutschen Bundesstaaten kommen solche Erwägungen nicht mehr in Betracht, Infolgedessen ist für die Geschäftsverteilung unter den e r s t i n s t a n z l i c h e n d e u t s c h e n G e r i c h t e n g l e i c h e r F u n k t i o n die F r e i h e i t der P a r t e i d i s p o s i t i o u e i n e u n b e s c h r ä n k t e Dem Parteiwillen wird freie Möglichkeit gewährt, die s a c h l i c h e wie die ö r t l i c h e Zuständigkeit zu verschieben, sog. prorogatio s. propagatio fori — also ebenso die Möglichkeit, ein Landgericht mit einer Amtsgerichtssache zu befassen (und umgekehrt), wie anderseits ein beliebiges deutsches Land- oder Amtsgericht mit einer Sache zu befassen, die nur zu andern Gerichtssprengeln in Beziehung steht und für die deshalb nach clem Gesetz das Gericht dieses Sprengeis nicht zuständig ist (§ 38). Das Gericht darf ex officio, insbesondere nach freiem Ermessen, nicht widersprechen. Fraglich ist hiernach nur, welche Form die Parteiwillenserklärung haben mufs, um diese Rechtswirkung, ein an sich unzuständiges Gericht mit Zuständigkeit für die einzelne Sache auszustatten, zu erreichen. a) Zuständigkeitsbegründender Tatbestand ist jedenfalls die „ a u s d r ü c k l i c h e oder s t i l l s c h w e i g e n d e V e r e i n b a r u n g d e r P a r t e i e n " (§ 38), also zweiseitiges prozessuales Rechtsgeschäft, Vertrag. Eine bestimmte F o r m wird hierfür nicht gefordert. Die Willenseinigung kann also auftreten: 1. als ausdrückliche, und zwar: a) als aufserprozessuale, — nämlich als mündliche oder schriftliche private Verabredung der Parteien, insbesondere durch eine Nebenberedung, Klausel zu einem Privatrechtsgeschäft (Dar1 F ü r V o l l s t r e c k u n g s s a c h e n v o n R.G. 18, 361 g e b i l l i g t , aber i n der falschen A n s c h a u u n g , als h a n d l e es s i c h h i e r u m eine a u s s c h l i e f s t c h e s a c h l i c h e Kompetenz des A m t s r i c h t e r s als V o l l s t r e c k u n g s r i c h t e r (die B e s t i m m u n g § 707 w ü r d e , w e n n sie sich a u f s a c h l i c h e Z u s t . ü b e r h a u p t bezieht, n u r die V e r t e i l u n g der V o l l s t r . S a c h e n zwischen A m t s r i c h t e r u n d G e r i c h t s v o l l z i e h e r betreffen, oben S. 271).

Ausdrückliche und stillschweigende Zustand.-Vereinbarung.

275

lehnsvertrag usw.). Hierfür erfordert die Z.P.O. § 40, 1 nur, dafs die Vereinbarung „auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis und die aus demselben entspringenden Rechtsstreitigkeiten sich bezieht" ; ß) als prozessuale, — nämlich als Vereinbarung bei Gelegenheit des vor einem an sich unzuständigen Gericht anhängig gemachten Prozesses, und zwar als mündliche (in der Verhandlung) oder schriftliche (im vorbereitenden Schriftenwechsel). 2. Aber auch als stillschweigende, konkludente tritt die Willenseinigung auf, wenn der Kläger vor dem unzuständigen Gericht Klage erhebt und der Beklagte hierauf m i t B e w u f s t s e i n der U n z u s t ä n d i g k e i t dieses G e r i c h t s in die Vorbereitung oder Verhandlung der Sache eintritt. b) Aufserdem stellt aber Z.P.O. § 39 einen weiteren kompetenzbegründenden Tatbestand auf. „Stillschweigende Vereinbarung ist anzunehmen, wenn der Beklagte, ohne die Unzuständigkeit geltend zu machen, zur Hauptsache mündlich verhandelt hat." An sich liefse sich denken, dafs hiermit nur § 38 näher erläutert und an den oben (lit. a no. 2) erwähnten Tatbestand des tatsächlichen zweiseitigen Verhandeins die Vermutung, Präsumtion der Vereinbarung angeknüpft werde — in der Weise, dafs der Beklagte die Vermutung durch den Beweis des mangelnden Vertragswillens entkräften könnte. Dies ist jedoch sicher nicht die Absicht dès Gesetzes. § 274 Z.P.O. nämlich, welcher die prozefshindernden, clen Mangel einer Prozefsvoraussetzung behauptenden Einreden überhaupt (o. § 4, I I I ) des Beklagten behandelt, betont in Abs. 3 ausdrücklich, dafs nach dem Beginne der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache prozefshindernde Einreden nur geltend gemacht werden können, „wenn dieselben entweder solche sind, auf welche der Beklagte wirksam nicht verzichten kann, oder wenn der Beklagte glaubhaft macht, dafs er ohne sein V e r s c h u l d e n n i c h t i m s t a n d e gewesen sei, dieselben vor der Verhandlung zur Hauptsache geltend zu machen". Unter diesen Einreden ist unter no. 1 auch die Einrede der Unzuständigkeit aufgeführt. Da dieselbe nun — eben nach dem Prinzip § 38 — ganz zweifellos zu der zweiten Klasse gehört, auf welche der Beklagte wirksam verzichten kann, so ist ausgesprochen, dafs dieselbe durch jedes schuldhafte Unterlassen in der Verhandlung, also nicht nur absichtliches, bewufstes, sondern auch fahrlässiges, verloren wird, und es zeigt sich, dafs nach dem aus § 274 ergänzten § 39 der Beweis des mangelnden B e w u f s t s e i n s von der U n k e n n t n i s , cler U n z u s t ä n d i g k e i t des Gerichts, mit andern Worten der Beweis des Mangels der Z u s t i m m u n g zur Prorogation, an sich n i c h t genügt, um eine Prorogation auszuschliefsen. Vielmehr kommt die Begründung der Kompetenz des unzuständigen Gerichts auch dann zustande, wenn der Beklagte sich zur Zeit der Verhandlung die Unzuständigkeit nicht vorstellt, falls er nur diese Unkenntnis v e r s c h u l d e t hat — also z. B. 18*

276

Π . Gerichtsverfassung.

§ 43. Disposition über die Zuständigkeit.

schon dann, wenn er den Besitz der Einrede vergessen hatte, sich nach der Zuständigkeit nicht e r k u n d i g t hatte usw. Aus allem ergibt sich, dafs § 39 einen neuen selbständigen Prorogationstatbestand einführt, den der einseitigen Klageerhebung mit nachfolgender selbstverschuldeter Unterlassung des Widerspruchs und der damit verbundenen V e r w i r k u n g der Unzuständigkeitseinrede. § 39 begründet nicht eine Präsumtion der Vereinbarung, sondern eine F i k t i o n . Er stellt der Vereinbarung (§ 38) auch Vorgänge gleich, die bei der konkreten Sachlage Vereinbarung zweifellos n i c h t sind — ; er fufst also nicht auf dem Prorogations-, sondern auf dem P r ä k l u s i o n s p r i n z i p . c) Bei diesem Gedankengang des Gesetzes wird es fraglich, ob nun § 39 aufserdem noch über seinen Wortlaut hinaus erweiternd auszulegen ist. Eine schuldhafte Unterlassung der Unzuständigkeitseinrede kann nämlich nicht nur in der Weise eintreten, dafs der Beklagte erscheint und tatsächlich zur Sache verhandelt, sondern auch dadurch, dafs der Beklagte überhaupt nicht erscheint oder zwar erscheint, aber nicht verhandelt — mit andern Worten in den Fällen der V e r s ä u m n i s (§§ 331 ff. Z.P.O.). Demgemäß ist von mancher Seite behauptet worden, dafs auch dieser Fall nach Analogie des § 39 zu behandeln sei, dafs also auch hier Präklusion, Verwirkung der Einrede einzutreten und das angerufene u n z u s t ä n d i g e Gericht sich mit der Klage zu befassen habe. Wäre dies wichtig, so hätte es in solchem Fall das Versäumnisurteil gegen den ausgebliebenen oder sonst untätigen Beklagten zu erlassen (u. § 89). Der Schlufs ist aber jedenfalls nicht zwingend. Im Gegenteil ist an sich auch der andere Gedankengang des Gesetzes möglich, dafs nur bei einer z w e i s e i t i g e n W r i l l e n s t ä t i g k e i t b e i d e r P a r t e i e n (wenn auch nicht gerade nur bei Willensübereinstimmung) die Kompetenzdurchbrechung eintreten solle, — eine Voraussetzung, die in b e i d e n Fällen §§ 38. 39 (o. lit. a und b) vorliegt, im Fall der V e r s ä u m n i s der einen Partei (lit. c) aber fehlt. Der letzteren Auslegung ist nach der gesamten Entwicklung des Gesetzes wie mit Rücksicht auf die praktische Sachlage als der wahrscheinlich gewollten der Vorzug zu geben. Es hat deshalb das unzuständige Gericht im Versäumnisfall seine Unzuständigkeit stets zu berücksichtigen und von Amts wegen die Klage bezw. den Antrag auf Versäumnisurteil abzuweisen (vgl. über die prozessuale Behandlung näheres unten § 105). Dieser Grund ist der Hauptgrund für die Entscheidung der Frage 1 , die auch von der Praxis seit R.G. I vom 26. Mai 1880 1, 438 so behandelt wird. 1 Die F r a g e , eine M o d e k o n t r o v e r s e bei I n k r a f t t r e t e n der Z.P.O., w u r d e aus Z u f a l l g l e i c h z e i t i g d u r c h B ü l o w u. W a c h i m 62. B d . d. c i v . A . (s. oben L i t t . ) angeregt. Beide k a m e n v o n v e r s c h i e d e n e n G e s i c h t s p u n k t e n z u der A n n a h m e , dafs die Z.P.O. e i n d u r c h geführtes P r ä k l u s i o n s p r i n z i i ) s a n k t i o n i e r t habe (auch f ü r den V e r s ä u m n i s f a l l ) . Die V e r t e i d i g u n g der g e g e n t e i l i g e n M e i n u n g ( O f f i z i a l a b w e i s u n g des K l ä g e r s i m V e r s ä u m n i s fall) bes. d u r c h v . A r n s b e r g , das R.G. (s. oben) b l i e b l a n g e eine u n f r u c h t b a r e , w e i l sie s i c h l e d i g l i c h a u f das u n s t i c h h a l t i g e A r g u m e n t der abw. M. der M o t i v e u. der Gesetzr e d a k t o r e n s t ü t z t e . Die r i c h t i g e n ( i m T e x t hervorgehobenen) Gegenargumente hat erst

Keine Prorogation durch Versäumnis des Beklagten.

277

Sie stützt sich auf die Erwägung, dafs bei gesetzlicher Aufstellung einer F i k t i o n , d. h. eines rechtserheblichen Tatbestands, dessen Rechtsfolgen nicht direkt, sondern durch Verweisung auf die Rechtsfolgen eines andern Tatbestands normiert werden, trotz der innern Verschiedenheit der Tatbestände doch immerhin vom Gesetzgeber eine G l e i c h a r t i g k e i t derselben zum Ausgangspunkt gemacht wird. Fraglich ist somit in jedem Fall nur, welches Kennzeichen des Ausgangstatbestands vom Gesetzgeber als das wesentliche betrachtet wird, — d. h. als dasjenige, um dessen willen ihm der andere Tatbestand in den Wirkungen gleichgestellt wird. Dies ist aber im vorliegenden Fall nach der gesamten Bedeutung der Prorogation die Betätigung eines Interesses b e i d e r P a r t e i e n daran, dafs der Prozefs vor d i e s e m an sich nicht zuständigen Gericht geführt werde. Hierin stehen sich die stillschweigende Vereinbarung und das tatsächliche, wenn auch nicht bewufste Verhandeln vor unzuständigem Gericht gleich. Unterstützend kommt hinzu, dafs (nach oben S. 144) die Z.P.O. bereits durch rückhaltslose Anerkennung der Dispositionsfreiheit und noch mehr durch Anerkennung der Präklusion neben der eigentlichen Vereinbarung über das ältere Recht hinaus- und im Sinn einer E r w e i t e r u n g der Parteidisposition vorgegangen ist. Es ist also nicht anzunehmen, dafs das Gesetz stillschweigend noch weiter gehen wollte. Endlich entspricht diesem Auslegungsresultat das praktische Interesse des Beklagten. Andernfalls könnte der Kläger leicht auf dessen Ausbleiben spekulieren und absichtlich vor einem unzuständigen Gericht klagen, um ihn der Einrede zu berauben und Versäumnisurteil gegen ihn zu erschleichen.

Aus s p e z i e l l e n Rücksichten gilt nur in einer doppelten Hinsicht eine Beschränkung der sonstigen für das Urteilsverfahren begründeten Prorogationsfreiheit. Eine Verschiebung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung ist unzulässig (§ 40, 2) 1. „wenn der Rechtsstreit andere als vermögensrechtliche Ansprüche betrifft", 2. „wenn für die Klage ein ausschliefslicher Gerichtsstand begründet ist". B e i d e Ausnahmevorschriften beziehen sich sowohl auf die ö r t l i c h e wie auf die s a c h l i c h e Zuständigkeit. Hinsichtlich der ö r t l i c h e n folgt bereits aus § 40 no. 1, dafs Statussachen, auch Kindschaftsprozesse niemals dem gesetzlichen Gericht durch Prorogation entzogen werden können. § 40 no. 2 wiederholt dasselbe noch einmal für Ehesachen, da für sie ausdrücklich ein ausschliefslicher Gerichtsstand geschaffen ist (§ 606). Aufserdem spricht § 40 no. 2 das gleiche auch für die übrigen ausschliefslichen Gerichtsstände aus, d. h. für Immobiliarklagen (§ 24) und für die Fälle §§ 584. 648. 665 [676. 679. 680. 684 ff.] 1005, 2. Erst hieraus bestimmt sich demgemäfs der Begriff der A u s s c h l i e f s l i c h k e i t eines Gerichtsstands vollständig. Aus § 12 verb, mit § 35 Z.P.O. geht nur hervor, dafs der ausschliefsliche Gerichtsstand den Vorrang vor allen übrigen durch G e s e t z begründeten Gerichtsständen hat (o. S. 253). § 40, 2 gibt ihm auch den Vorrang vor einem durch P a r t e i v e r e i n b a r u n g geschaffenen. Dabei ist zu bedenken, dafs der § 38, der den Parteiwillen entfesselt, einer Prorogation auch die Möglichkeit gibt, k r a f t des P a r t e i w i l l e n s e i n e n a u s s c h l i e f s l i c h e n Gerichtsstand zu schaffen, in der Art, dafs der Kläger bei dem prorogierten Gericht nicht nur klagen k a n n ,

W a c h selbst ( H a n d b . I , 500 f.) g e l t e n d gemacht. Jetzt d a r f d i e h i e r v e r t r e t e n e M e i n u n g als gesichert gelten. F ü r sie G a u p p - S t e i n § 39 I A . 4. S e u f f e r t n. 3. S k o n i e t z k i G e l p c k e n. 1. S e u f f e r t zu § 39 n. 2 u s w . (vgl. a u c h K.G. 2, 409 u n d u n t e n § 105.

278

Gerichtsverfassung.

§ 43. Disposition über die Zuständigkeit.

sondern klagen mufs. Nur mufs dies im Einzelfall aus der Auslegung des pactum prorogationis nachgewiesen werden Entsprechend ergeben sich als Grenzen der Prorogation über die s a c h l i c h e Kompetenz aus §40 no. 1, dafs S t a t u s p r o z e s s e durch Parteiwillen nie vom Landgericht ans Amtsgericht gebracht werden können. § 40 no. 2, welcher hier gegen den sonstigen Sprachgebrauch der Z.P.O. (o. S. 251) von einem ausschliefslichen „Gerichtsstand" im s a c h l i c h e n Sinne spricht, wiederholt dies für Ehesachen (§ 606) und verordnet ferner das gleiche auch für die v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e n Sachen, die nach G.V.G. § 70 no. 1 dem Landgericht ausschliefslich zugewiesen sind (o. S. 247).

I T . Zivilkammer und Kammer für Handelssachen. Eine Frage für sich ist die Frage, ob und inwieweit die Disposition der Parteien auf die gesetzliche Verteilung der Landgerichtssachen zwischen Zivilkammer und Kammer für Handelssachen einwirken kann. Das Gesetz (G.V.G. §§ 103 ff.) regelt die Frage selbständig in der richtigen Vorstellung, dafs die Geschäftskreise dieser beiden Kollegien, welche einer Gerichtsanstalt der g l e i c h e n Rangstufe angehören, nicht in demselben Verhältnis zueinander stehen, wie die Geschäftskreise zweier Gerichte v e r s c h i e d e n e r Rangstufe (Amts- und Landgericht) ; denn während die Kammer für Handelssachen vom Standpunkte des objektiven Beurteilers niedriger organisiert ist als die Zivilkammer (Besetzung mit nur einem r e c h t s g e l e h r t e n Richter), so hat sie anderseits vom Standpunkt der Parteien auch einen Vorzug der Organisation vor der Zivilkammer voraus (Besetzung mit zwei standesgenössischen oder mindestens für den Anspruch besonders sachvérstândigen Richtern). Das Gesetz behandelt deshalb ganz folgerichtig die Kompetenz einerseits der Zivilkammer, anderseits der Kammer für Handelssachen u n g l e i c h m ä f s i g . a) Den Eingriff der Parteien in die Kompetenz der K a m m e r f ü r H a n d e l s s a c h e n z u g u n s t e n der Z i v i l k a m m e r behandelt die Z.P.O. als g l e i c h g ü l t i g ; sie überläfst es den Parteien, auf die Einhaltung dieser Kompeteuzgrenzen zu achten. In einer vor die Landgerichte gehörigen Sache, welche Handelssache ist, kommt es zur Verhandlung vor der K. f. H.S. nur dann, wenn der Kläger dies in der Klageschrift ausdrücklich b e a n t r a g t hat (G.V.G. § 102). Ist dieser Antrag nicht gestellt worden, wird vielmehr eine Handelssache vor der Zivilkammer zur Verhandlung gebracht, so ist nicht mehr auf Initiative des Klägers, sondern nur auf Antrag des Beklagten der Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen zu verweisen (§ 104, 1). Von Amts wegen (ohne Antrag des Beklagten) kann die Zivilkammer nicht verweisen (§ 104, 3). Und auch wenn der Beklagte den Verweisungsantrag stellt, kann und mufs die Zivilkammer prüfen, ob die Sache eine Handelssache ist; sie kann ihn verwerfen, auch 1 Dies f o l g t , da e i n m a l das Gesetz die Z u s t ä n d i g k e i t der P a r t e i d i s p o s i t i o n u n t e r s t e l l t h a t , aus d e m W e s e n der V e r t r a g s f r e i h e i t ganz v o n selbst. W i l l k ü r l i c h , dafs die E x k l u s i v i t ä t der V e r e i n b a r u n g u n m ö g l i c h sei ( H e l l m a n n , Lb. 121. S c h w a l b a c h , c i v . A . 64, 293 a. 54). A n d e r s e i t s g r u n d l o s , dafs eine V e r m u t u n g f ü r die A u s s c h l i e f s l i c h k e i t streite. ( S t r u c k m a n n § 38 n . 3 u. a.). W i e hier W a c h § 43 a. 36. G a u p p § 38 I .

Einflufs des Parteiwillens auf die Zuständigk. der Kammer f. Handelssachen. 279

wenn der Kläger ihm zustimmt (§ 104, 4), während solche Zustimmung das Landgericht zur Verweisung einer Sache ans Amtsgericht v e r p f l i c h t e n würde. Das Gesetz gibt also dem Parteiwillen auf die Ausdehnung der Handelskammerkompetenz einen g e r i n g e r e n E i n f l u f s als auf die Ausdehnung der landgerichtlichen Zuständigkeit zu ungunsten der amtsgerichtlichen oder umgekehrt. Auch sonst die Tendenz zur Einschränkung der Ilandelskammerkompetenz: ein Beklagter, der nicht in das Handelsregister eingetragen ist, kann den Verweisungsantrag nicht darauf stützen, dafs er Kaufmann ist ($ 104, 1 a. E.). — Über §§ 102, 2. 104, 2 s. unten §§ 63. 130.

b) Umgekehrt tritt das Gesetz einem Eingriff in die Kompetenz der Z i v i l k a m m e r z u g u n s t e n d e r K a m m e r f ü r H a n d e l s s a c h e n e n t g e g e n , sogar da, wo beide Parteien darin einig sind. Zunächst gelangt die am Landgericht erhobene Klage i m Z w e i f e l vor die Zivilkammer (argo § 102, 1; oben lit. a). Wird ferner vor der Kammer für Handelssachen (auf Initiative des Klägers) eine Zivilsache anhängig, so ist der Rechtsstreit nicht nur auf Antrag des Beklagten an die Zivilkammer zu verweisen (§ 103, 1), sondern die Kammer für Handelssachen ist auch von A m t s w e g e n befugt, den Rechtsstreit an die Zivilkammer zu verweisen (§ 103, 2), wenn auch nicht aus dem Grunde, dafs der Beklagte nicht Kaufmann ist (über § 105 s. unten § 130). Das Gesetz läfst also zur Durchbrechung der Z i v i 1 k a m m e r - Κ o m p e t e η ζ d i e V o r b e d i n g u n g e n der sonstigen Prorogation (oben I I I ) n i c h t genügen. Für beide Fälle a) und b) gemeinsam gilt im Interesse der Sicherheit des Prozefsgangs nur soviel, dafs der Verweisungsantrag der Partei wie die Offizialverweisung des Gerichts nur bis zur Verhandlung . des Antragstellers bezw. einer Partei zur Sache zulässig ist (§§ 103, 2. 106;. Über den Antrag ist vorab zu verhandeln und zu entscheiden (§ 106, 2) Der Verweisungsbeschlufs unterliegt keinem Rechtsmittel und ist für die Kammer, an die verwiesen wird, bindend (§ 107).

V. Zwingende Natur der Vollstreckungsverteilung. Ganz a l l g e m e i n dagegen ist der Prorogation das Gebiet der V o l l s t r e c k u n g s t ä t i g k e i t entzogen. §§ 38 ff. ermächtigen zur Parteidisposition nur im Verhältnis von Gericht zu Gericht, — infolgedessen ist sie ausgeschlossen (vgl. ο. II) stets da, wo die Vollstreckungsfunktion s a c h l i c h zwischen Gerichtsvollzieher und Vollstreckungsgericht geteilt ist. Nach § 707 sind ferner sämtliche im achten Buch der Z.P.O. aufgestellten Gerichtsstände ausschliefsliche, hieraus folgt, dafs immer nur der Gerichtsvollzieher und das Amtsgericht der Zwangsbereitschaft (§§ 674. 684) für die Vornahme einer Zwangshandlung ö r t l i c h zuständig sind. Auch hier ergibt sich aus dem engen Zusammenhang von Mahnverfahren und Arrestprozefs mit der Vollstreckung, dafs auch in diesen Prozeduren nicht prorogiert werden darf (§8 689. 919. 924; vergl. R.G. 1896, 37. 369 in Verb, mit § 40, 2,i.

280

II

Gerichtsverfassung.

§ 4.

echshie.

§ 44. Die Rechtshilfe unter den deutschen Gerichten. I · Bedeutung der Rechtshilfe· Die örtliche Zustäncligkeitsordnung (§§ 45.46) bestimmt das P r o z e f s g e r i c h t für die verschiedenen Streitsachen, d. h. dasjenige Gericht, welches über einen Anspruch (endgültig oder provisorisch) zu entscheiden und im Zweifel die vorbereitenden Handlungen vorzunehmen hat. Nun werden aber in vielen Prozessen einzelne Prozefshandlungen (Abnahme von Eiden, Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, Abhaltung eines Vergleichstermins usw.) nötig, die mit Rücksicht auf den augenblicklichen Aufenthaltsort der beteiligten Privatpersonen nicht oder wenigstens nicht ohne Schwierigkeiten innerhalb des Sprengeis des Prozefsgerichts vorgenommen werden können, sondern passend nur im Sprengel eines auderen, dem Prozefsgericht gleichgeordneten Gerichts bezw. am Sitze eines dem Prozefsgericht (Landgericht, Oberlandesgericht) untergeordneten Gerichts (Amtsgerichts). Für diesen Fall kann ein Gesetz zwei Wege vorsehen. Entweder kann es das Prozefsgericht ermächtigen, die Handlung i m f r e m d e n B e z i r k e vorzunehmen, oder es kann das f r e m d e Gericht verpflichten, sie im eigenen Bezirk f ü r die Z w e c k e des P r o z e f s g e r i c h t s vorzunehmen. Der erste Weg ist im allgemeinen mit dem regelmäfsigen Gang der Justizgeschäfte schwer verträglich. Demgemäfs gestattet G.V.G. § 167 das Handeln im fremden Sprengel nur als Ausnahme, nämlich nur bei Gefahr im Verzug und unter Anzeige an das Gericht, sonst nur mit Zustimmung des fremden Gerichts. Abgesehen hiervon verweist das geltende Recht die mit der ganzen Sache befafsten Behörden auf die R e c h t s h i l f e des fremden Organs, d. h. auf Vornahme der Handlung d u r c h das f r e m d e O r g a n f ü r d i e z u s t ä n d i g e B e h ö r d e : es begründet aber zu diesem Zweck eine allgemeine R e c h t s h i l f e p f l i c h t der deutschen Rechtspflegebehöiden untereinander. Dieselbe wurde schon vor der Justizreform, durch R.Ges. vom 21. Juni 1869 (B.G.B1. 305), das sog. Rechtshilfegesetz, geschaifen, und beruht jetzt auf dem G.V.G., soweit dessen Geltungsgebiet reicht (E.G. § 2, unten II). Das Rechtshilfegesetz ist aber auch jetzt noch nicht ganz unanwendbar; es gilt noch immer aufserhalb des Verhältnisses der o r d e n t l i c h e n Gerichte (unten III). Diese Rechtshilfeleistung hat aber nur Bedeutung für das gegenseitige Verhältnis der G e r i c h t e im engeren Sinne, und zwar auch insoweit nur für die mit der e r k e n n e n d e n Funktion und ihren Vorbereitungen betrauten Gerichte (o. S. 194). Dagegen ist sie für die Vollstreckungs- und Zustellungsfunktion (o. S. 197ff.), wie die Organisation und Kompetenzverteilung der hiermit befafsten Organe einmal ist (vgl. bes. § 34, IV. V). bedeutungslos. Das Gericht als Vollstreckungsgericht, ebenso wie der Gerichtsvollzieher als Vollstreckungs- und Zustellungsorgan, wird überhaupt

Bedeutung und Grenzen der Rechtshilfe.

281

immer nur da tätig, wo die gewünschte E i n z e l h a n d l u n g vorzunehmen ist, d. h. wo sich die von ihr betroffene Person oder Sache (der Zustellungsadressat, die zu pfändenden Gegenstände des Vollstreckungsschuldners, der Schuldner selbst, dessen Geldforderung das Vollstreckungsgericht für den Gläubiger beschlagnahmen soll, § 828) befindet. In einer und derselben Rechtssache können deshalb nacheinander die Zustellungen oder Vollstreckungen durch Behörden verschiedener Bezirke vorgenommen werden, z. B. zum Zwecke der Vollstreckung eines Geldanspruchs zunächst in A die Möbel des Schuldners gepfändet und versteigert, dann nach Verzug des Schuldners nach Β dort beim Amtsgericht die Abnahme des Offenbarungseids und die Beschlagnahme eines Aufsenstands verlangt werden 1. Wer hierbei Gerichtsvollzieher oder Vollstreckungsrichter in Bewegung setzt, ob (wie regelmäfsig) die Partei oder (ζ. B. bei Vollstreckung einer Zeugenstrafe § 380, einer gerichtlichen Gebühr, bei Zustellung einer von Amts wegen zuzustellenden Entscheidung, Ladung) das Gericht bezw. dessen Gerichtsschreiber, macht nur einen äufserlichen Unterschied; auch in den letzteren Fällen findet nicht ein Ersuchen um Rechtshilfe, sondern in den vom Gesetz geordneten Formen eine einfache Beauftragung statt 2 : „Die Herbeiführung der zum Zwecke von Vollstreckungen, Ladungen, Zustellungen erforderlichen Handlungen erfolgt nach Vorschrift der Prozefsordnungen ohne Rücksicht darauf, ob die Handlungen in dem Bundesstaate, welchem das Prozefsgericht angehört oder in einem anderen Bundesstaate vorzunehmen sind" (G.V.G. § 1(51)3. Speziell bei Z us t e l l un gen an einem andern Ort oder Bezirk als dem des Prozefsgerichts k a n n der Auftrag direkt an den Gerichtsvollzieher des fremden Sprengeis gerichtet werden. Allerdings fordert die Bequemlichkeit, dafs die Partei oder das Gericht (der Gerichtsschreiber) auch zunächst den eigenen Gerichtsvollzieher beauftragen könne. Aber auch in diesem Falle kommt es nunmehr nicht zu einem Ersuchen des fremden Gerichtsvollziehers durch den des Prozefsgerichts. Vielmehr stellt hier Z.P.O. die Post als Zustellungsorgan zur Verfügung, das in der prozefsordnungsmäfsigen Weise vom Gerichtsvollzieher (eventuell auch unmittelbar vom Gerichtsschreiber des Prozefsgerichts) in Bewegung gesetzt wird (das nähere unten § 97). I I . Rechtshilfe unter ordentlichen Gerichten. Die (ordentlichen) „Gerichte haben sich nach G.V.G. §§ 157 ff. in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Rechtshilfe zu leisten", und zwar ist das E r 1 V g l . z. B. S t e i n - S c h m i d t , A k t e n s t ü c k e , Z.P. E. S. 113 if. ( V o l l s t r e c k u n g s f a l l ) . 2 K.G. 25, m . 3 Der P a r a g r a p h ist überflüssig, denn, w i e gezeigt, f o l g t sein I n h a l t schon aus der Gerichtsverfassung u n d d e m V e r f a h r e n des Reichsrechts. E r i s t aufserdem u n r i c h t i g , insofern er die „ L a d u n g 4 1 besonders e r w ä h n t . Dieselbe i s t e n t w e d e r ü b e r h a u p t n i c h t B e h ö r d e n a k t , sondern P a r t e i a k t , oder selbständiger A k t des Prozefsgerichts oder eines ersuchten Richters. Das Gesetz d e n k t s o m i t n u r a n d e n S p e z i a l f a l l der Z u s t e l l u n g v o n L a d u n g e n ( v g l . u n t e n § 95. 90).

282

Gerichtsverfassung.

§ 4.

echshie.

s u c h e n um Rechtshilfe (sog. Requisition), gleichviel welches Gericht das Prozefsgericht ist (Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht, Reichsgericht), an das A m t s g e r i c h t zu richten, in dessen Bezirk die einzelne Amtshandlung für den Prozefs vorgenommen werden soll (§ 158). Das Ersuchen ist bindend, d. h. es darf jedenfalls nicht auf Grund einer freien Prüfung des ersuchten Richters über die Zuständigkeit des ersuchenden Richters, über die Zweckmäfsigkeit, Notwendigkeit oder die Aussichtslosigkeit der Beweis-, Vergleichshandlung usw. abgelehnt werden (§ 159, 1). Nur wenn: a) das Ersuchen von einem nicht im Instanzenzug vorgesetzten Gericht ausgeht 1 , ist eine beschränkte Prüfung des ersuchten Richters darüber vorgeschrieben, ob ihm nicht die örtliche Zuständigkeit fehlt (nämlich für die geforderte Handlung, mit anderen Worten ob die Handlung in seinen Sprengel fällt) oder ob sie nicht nach dem Rechte ersuchten Gerichts verboten ist (ζ. B. Z.P.O. § 888, 2, — unten § 143 III). b) Geht dagegen das Ersuchen von einem im Instanzenzug vorgesetzten Gericht aus, so entfällt sogar diese Prüfung (§ 159, 2) 2 . W i r d das Ersuchen abgelehnt, oder wird im Fall a) das unzulässige Ersuchen fehlerhafterweise nicht abgelehnt, so entscheidet .das Oberlandesgericht über dem Bezirke des e r s u c h te η Gerichts. Gehören ersuchtes unci ersuchendes Gericht zu verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken (R.G. 33, 425), so richtet sich dagegen eine Beschwerde an das Reichsgericht. Andernfalls ist die erste Entscheidung unanfechtbar (§ 160). I n ähnlicher Weise hat auch das O.L.G. zu entscheiden, wenn sich aus (1er A u s f ü h r u n g des Ersuchens solche Streitigkeiten entwickeln, besonders wegen der baren Auslagen, die das ersuchende Geriebt dem ersuchten zu erstatten hat (§ 165, unten Anh.; vgl. R.G. Entsch. in Strafs. 24, 2).

I I I . Rechtshilfe innerhalb der besonderen Gerichtsbarkeit. Für den Fall, dafs Sondergerichte untereinander der Rechtshilfe bedürfen oder dafs sie durch die ordentlichen Gerichte oder umgekehrt diese durch die Sondergerichte unterstützt sein wollen, gilt grundsätzlich noch immer das Rechtshilfegesetz vom 21. Juni 1869, das bereits auf den gleichen Gedanken beruht, welche oben entwickelt sind. So wenigstens für Landesherrengerichte, Stromgerichte, Gemeindegerichte, Agrargerichte. Gerade für die wichtigsten Gruppen derselben ist jedoch das G.V.G. ausdrücklich für anwendbar erklärt, nämlich für Konsular- und Kolonialgerichte, für Gewerbe- und Kaufmannsgerichte. Den Gewerbegerichten haben die ordentlichen Gerichte nach G.V.G. Rechtshilfe zu leisten (R.Ges. vom 29. Sept. 1891, § 61). Ebenso haben die Konsulargerichte (und demgemäfs auch die Kolonialgerichte, oben S. 232) unter sich und gegenüber den ordentlichen Gerichten Rechtshilfe nach G.V.G. 1 G l e i c h v i e l ob dieses G e r i c h t g l e i c h e r O r d n u n g i s t ( A m t s g e r i c h t ) , oder höherer O r d n u n g , w i e das ersuchte ( L a n d g e r i c h t , O b e r l a n d e s g e r i c h t ) , l'alls es n u r n i c h t gerade das i h m übergeordnete i s t ( W i I m . - L e ν ν 8 1ό9 η . ] , 2). 2 E i n E r s u c h e n des R e i c h s g e r i c h t s d a r f also nie abgelehnt w e r d e n .

Form der Rechtshilfe.

Grenzen der Gerichtsbarkeit gegen das Ausland. 283

zu leisten und zu erbitten. An Stelle des Amtsrichters tritt hier der Konsul. (Kons.Ger.Ges. vom 7. April 1900, § 18.) Für die Justizbehörden eines und desselben Bundesstaats wird bisweilen durch Landesgesetz noch speziell die Rechtshilfepflicht zwischen a l l e n Gerichten eingeschärft.

Drittes Kapitel.

Die völkerrechtliche Stellung Deutschlands i n der Zivilrechtspflege. § 45. Deutsche und ausländische Zivilgerichtsbarkeit· Über die W i r k u n g des ausl. U r t e i l s f ü r D e u t s c h l a n d ( I I ) v g l . W a c h , H b . § 19 I , 223 if. W e i s m a n n , Lb. § (>2. H e l l w i g , Lb. I . § 15 ff. F r a n c k e , Z. f. Z.P. 8, 1 (1885) u. über d i e N o v e l l e Z. 27, 125. H e i d e c k e r , R e c h t s k r . a. U . Z. IS, 453 (1893). K l e i n , E r f o r d e r n i s der v e r b ü r g t e n G e g e n s e i t i g k e i t . Z. f. i n t e r n a t . P r i v a t r e c h t u n d S t r a f r e c h t , v o n B ö h m u n d Niemeyer 9 (1899) 20Ö. K o m m e n t a r e zu § 328 u n d 722 ff. Z.P.O.

I . Grenzen zwischen der deutschen und der ausländischen Gerichtsbarkeit. Die Verteilung der Geschäfte unter die v e r s c h i e d e n e n deutschen Justizbehörden (§§ 39 — 44) setzt eine Abgrenzung der Rechtsptiegeaufgabe s ä m t l i c h e r deutschen Justizbehörden im Gegensatz zu den ausländischen voraus, mit andern Worten eine Abgrenzung der d e u t s c h e n Z i v i l g e r i c h t s b a r k e i t . Zum Teil sind deren Grenzen freilich durch die Natur der Sache bedingt. Denn selbstverständlich gilt für die modernen Staaten das Prinzip, dafs deutsche Behörden nur innerhalb des deutschen Gebiets oder des dem deutschen Inland gleichgestellten Gebiets (Konsularbezirks, Schutzgebiets) tätig werden können und auf fremdem Staatsgebiet nicht handeln dürfen. Aber dieser Grundsatz regelt an sich die Frage nicht erschöpfend. Vor allem darf daraus keineswegs der Satz abgeleitet werden, dafs die deutschen Zivilgerichte nur in Rechtssachen solcher Parteien rechtsschützend einschreiten können, die sich zur Zeit des Prozesses auf d e u t s c h e m G e b i e t e aufhalten. Im Gegenteil ist eine Vornahme von Prozefshandlungen sehr wohl denkbar gegen Personen, die sich zurzeit im A u s l a n d aufhalten. Das Versäumnisverfahren oder die Verhandlung durch Prozefsbevollmächtigte gibt die Möglichkeit, gegen solche Personen zu urteilen. Ebenso ist gegen sie Vollstreckung möglich, z. B. wTenn Verniögensobjekte sich im Inland befinden. An sich also kann nur die Beziehung der abzuurteilenden Rechtsverhältnisse oder der der \7ollstreckung zu unterwerfenden Objekte zu Deutschland dafür bestimmend sein, inwieweit sich die Zivilgerichtsbarkeit der deutschen Gerichte erstrecken soll, und die in die deutsche Interessensphäre fallenden Rechtsverhältnisse oder Objekte abzugrenzen, ist Sache des geltenden Rechts nach Mafsgabe selbständiger, durch die Verkehrsbedürfnisse bedingter Zweckmäfsigkeitserwägungen.

284

I I · Gerichtsverfassung.

§ 45. Deutsche u. ausländische Gerichtsbarkeit.

An und für sich nun ist die gesetzliche Regelung dieser Fragen die V o r b e d i n g u n g für die gesetzliche Regelung der Zuständigkeitsordnung. Die Grenzen der deutschen Gerichtsbarkeit gegenüber dem Ausland wären also nach logischen Gesichtspunkten v o r der Verteilung der Rechtspflegegeschäfte unter die mehreren deutschen Gerichte zu behandeln gewesen. Tatsächlich jedoch behandelt sie unser Gesetz in einer Weise, dafs umgekehrt die G r e n z e n der Gerichtsbarkeit nur mittelbar aus den Grundsätzen über die V e r t e i l u n g der Gerichtsbarkeit erkannt werden können. Da nämlich G.V.G. und Z.P.O. ein allgemeines Merkmal für die der deutschen G e r i c h t s b a r k e i t unterworfenen Gegenstände der Aburteilung und Vollstreckung nirgends aufstellen, so kann ein solches nur im e i n z e l n e n F a l l e daraus entnommen werden, ob nach der Zuständigkeitsordnung i r g e n d e i n deutsches Gericht für die Aburteilung oder Vollstreckung gerade in der fraglichen Sache zuständig ist. Eine Überschreitung der Gerichtsbarkeitsgrenzen findet also nur dann statt, wenn ein Rechtspflegeorgan einschreitet, obwohl k e i n solches, weder dieses noch ein anderes, kraft Gesetzes kompetent ist. Insbesondere: a) unterfällt ein Anspruch der deutschen E n t s c h e i d u n g s g e w a l t , wenn für ihn bei irgend einem deutschen Gericht ein allgemeiner oder ein besonderer Gerichtsstand begründet ist. Durch die weitgehenden Sonderformen der Vertrags- und Deliktsgerichtsstände (§§ 29. 32) waren die Chancen für die ErStreckung der deutschen Gerichtsbarkeit auf Prozesse, deren Beklagter im Ausland wohnt oder sich aufhält, von jeher sehr grofse 1. Neuerdings hat die Novelle für Ehe- und Kindschaftssachen und für Erbschaftssachen (§§ 606. 642. 27, 2 Z.P.O. II) die Zahl der Sondergerichtsstände gerade im Interesse dieser Erweiterung der deutschen Gerichtsgewalt auf Kosten der ausländischen noch vermehrt (vgl. o. S. 265 ff). Und endlich wird der gleiche Erfolg dadurch ungemein befördert, dafs der Beklagte auch da, wo ein gesetzlicher Gerichtsstand fehlt, sich ausdrücklich und besonders stillschweigend der Urteilsgewalt des Gerichts unterwerfen kann (§§ 38. 39 Z.P.O., o. S. 274). Ja selbst in Fällen, wo ursprünglich eine gültige Vereinbarung nicht stattgefunden und ein an sich unzuständiges Gericht geurteilt hat, kann deutsche Gerichtsgewalt noch nachträglich dadurch geschaffen werden, dafs die Partei es unterläfst, das Urteil des unzuständigen Gerichts mit Berufung oder Revision anzufechten (§ 551 no. 4) 2 . b) Ein Anspruch unterfällt der deutschen V o l l s t r e c k u n g s g e w a l t , wenn Vermögensstücke, an denen die Zwangshandlung 1 N u r a u s n a h m s w e i s e w i r d f ü r den G e r i c h t s s t a n d der Mefs- u n d M a r k t s a c h e n der A u f e n t h a l t des B e k l a g t e n oder seines b e v o l l m ä c h t i g t e n V e r t r e t e r s i m Gerichtssprengel z u r Z e i t d e r K l a g e r h e b u n g a u s d r ü c k l i c h gefordert (§ 30). 2 Gegen das r e c h t s k r ä f t i g e ( m i t B e r u f u n g oder R e v i s i o n n i c h t m e h r anfechtbare) U r t e i l k a n n die B e h a u p t u n g , dafs das G e r i c h t „seine Z u s t ä n d i g k e i t m i t U n r e c h t ang e n o m m e n h a t " , d u r c h N i c h t i g k e i t s k l a g e ( u n t . § 127) n i c h t m e h r g e l t e n d gemacht w e r d e n (Z.P.O. § 579).

Grenzen der deutschen Entscheidungs- und Vollstreckungsgewalt.

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vorgenommen werden kann, in den Bezirk irgend eines deutschen Vollstreckungsgerichts fallen (§ 7(34). z. B. wenn in einem solchen körperliche Mobilien des Schuldners lagern (§§ 883. 808), der Schuldner als Inhaber einer zu pfändenden Forderung, eines Patentrechts seinen Wohnsitz hat (§ 828) usw. Nur wenn die Zwangshandlung nach der Natur des Anspruchs an der Person des S c h u l d n e r s s e l b s t vorgenommen werden mufs (durch Verhaftung) (§§ 888. 890. 903. 918), scheidet die Vollstreckung infolge des Aufenthalts des Schuldners im A u s l a n d aus dem Bereich der deutschen Gerichtsbarkeit aus. Eine besondere Frage bildet es, inwieweit das deutsche Gericht solche Akte vornehmen kann, die eine unmittelbar rechtsändernde, konstitutive Wirkung haben (u. §§ 49. 112). Im Zweifel kann es dies nur, wenn das Rechtsverhältnis nach den Grundsätzen des internationalen P r i v a t r e c h t s gemäfs dem deutschen Rechte zu gestalten ist, z. B. keine Ehescheidung gegenüber zwei Ausländern (§ 606, 4), keine Bestellung eines Notwegs (B.G.B. § 917) für ein ausländisches Grundstück. (Kasuistik bei Hellwig I, 105.)

I I . Einflufs der ausländischen Zivilrechtspflege auf Deutschland und die deutschen Gerichte. Nach dem Dargelegten zeigt die deutsche Zuständigkeitsordnung an, in welchen Fällen sich ein Rechtssuchender an die deutschen Gerichte unter Ausschlufs oder unter Umgehung der ausländischen wenden kann. Ks ist aber denkbar, dafs in einer deutschen Rechtssache bereits v o r h e r e i n a u s l ä n d i s c h e s Rechtspflegeorgan mit derselben Sache befafst gewesen ist. Unabhängig (von I) entsteht deshalb die Frage, welche W i r k u n g ein schon ergangenes ausländisches Urteil auf die deutschen Behörden äufsert, wenn eine Partei eine solche nachträglich in derselben Sache anruft. Dabei ist zu berücksichtigen, dafs die fremde Entscheidung auf die deutschen Rechtspflegeakte an und für sich in doppelter Richtung einen Einflufs zu üben fähig ist: 1. Einmal kann eine Partei sich in einem deutschen Rechtsstreit auf das Urteil des ausländischen Gerichts zu dem Zwecke berufen, um eine n o c h m a l i g e Entscheidung des deutschen Gerichts über dasselbe Rechtsverhältnis zu v e r h i n d e r n . Dieses Bedürfnis empfindet der Beklagte, wenn der Kläger, im Ausland mit seinem Anspruch bereits abgewiesen, ihn in Deutschland nochmals b e h a u p t e t , z. B. noch einmal die gleiche Erbschaft verlangt, die ihm im Ausland schon abgesprochen worden ist. Ebenso aber kann auch der Kläger an der Berufung auf das fremde Urteil interessiert sein, nämlich wenn er aus einem im Ausland anerkannten Recht andere Ansprüche in Deutschland herleitet und der Beklagte das grundlegende Recht b e s t r e i t e t , z. B. das Kindschaftsverhältnis des Klägers, auf das dieser Alimentenansprüche gegen den Beklagten gründet. Jedenfalls macht in allen solchen Fällen eine deutsche Partei die F e s t s t e l l u n g s - oder R e c h t s k r a f t w i r k u n g des ausländischen Urteils (oben S. 8. 9) für sich geltend. Vor allem tut dies der Beklagte, der sich in dem

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§ 45. Deutsche u. ausländische Gerichtsbarkeit.

Fall neuer Klage des zuvor abgewiesenen Klägers auf die ausländische Klagabweisung stützt, durch E i n r e d e der Rechtskraft. 2. Von vornherein hiervon zu unterscheiden ist der praktisch besonders bedeutungsvolle Fall, dafs ein im ausländischen Prozefs siegreicher Gläubiger das Urteil verwenden will, um darauf vor deutschen Behörden ein neues Verfahren, nämlich ein Vollstreckungsverfahren, zu gründen. Hier erhebt sich die Frage, ob das ausländische Urteil in Deutschland v o l l s t r e c k b a r ist, ob es für Deutschland die Bedeutung eines V o l l s t r e c k u n g s t i t e l s hat, auf Grund dessen der siegreiche Gläubiger einen deutschen Vollstreckungsrichter oder Gerichtsvollzieher (o. S. 199) um Vornahme der Pfändung usw. angehen kann. Aus der Natur der Sache läfst sich jedenfalls das Verhältnis der deutschen Behörden zu den Auslandsgerichten nicht regeln. Ein souveräner Staat kann von einer so hohen Schätzung seiner eigenen Gerichtsbehörden und seines Verfahrens ausgehen, dafs er den Ergebnissen der fremdländischen Rechtsprechung grundsätzlich mifstraut und dieselbe im Interesse seiner Bürger wie in dem seiner eigenen Autorität gänzlich ignoriert. Ein Staat kann aber ebensowohl auch der umgekehrten Anschauung folgen, dafs die Gerichte anderer zivilisierter Staaten als Organe gleicher Bildung, Unparteilichkeit und Leistungsfähigkeit wie seine eigenen anzuerkennen seien und dafs deshalb die eigenen Gerichte die Aussprüche der f r e m d e n Gerichte ebenso als bindend und autoritativ berücksichtigen müssen wie die eines andern d e u t schen Gerichts (o. S. 192 lit. d). Die Z.P.O. hat sich weder dem einen noch dem andern Extrem angeschlossen. Sie hat vielmehr einen Mittelweg eingeschlagen, und zwar durch die Vorschrift, dafs die deutschen Gerichte zwar im Prinzip die Urteile der fremden Gerichte als gleichwertig in Tatsachenprüfung und Rechtsanwendung hinnehmen sollen, dafs sie sich jedoch keineswegs kritiklos jeder einzelnen Entscheidung des Auslands anschliefsen dürfen, diese im Gegenteil zuvor auf gewisse G a r a n t i e n der Gerechtigkeit ü b e r p r ü f e n müssen. In diesem Hauptgedanken stimmen die ältere und die neuere Z.P.O. überein. Z.P.O. I I bringt ihn in den Sätzen zum Ausdruck, dafs die deutschen Gerichte in der Regel das ausländische Urteil „anzuerkennen" haben, und zwar „ohne P r ü f u n g der G e s e t z m ä f s i g k e i t " der Entscheidung, dafs sie aber die Anerkennung zu versagen haben, wenn bestimmte, ausdrücklich aufgezählte Minimalerfordernisse fehlen (§§ 328. 723, 2) \ Folgerichtig mufs das Gesetz des näheren regeln: 1. in welchem Verfahren die erforderliche Überprüfung des ausländischen Urteils durch ein deutsches Gericht zu erfolgen hat; 2. a u f w e i c h e E r f o r d e r n i s s e das deutsche Gericht seine Prüfung zu richten hat. 1 Dabei s p r i c h t über Z.P.O. n u r v o n der feststellenden K r a f t des ausländischen U r t e i l s , d. h. des A u s s p r u c h s der a u s l ä n d i s c h e n S t a a t s b e h ö r d e n . K l a g e auf Erf ü l l u n g eines i m A u s l a n d ergangenen Schiedsspruchs s. R.G. 1892, 30. 3^8 (o. 159, A . 1).

Wirkung ausländischer Urteile.

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Das V e r f a h r e n zur Prüfung und Feststellung der Frage, ob ein ausländisches Urteil in Deutschland anerkannt werden soll, mufs sich aus technischen Gründen verschieden gestalten, je nachdem sich die Partei nur auf die R e c h t s k r a f t der fremden Gerichtsentscheidung beruft (S. 285, no. 1) oder daraus die V o l l s t r e c k u n g betreiben will (S. 286, no 2). a) Ob ein streitiges Rechtsverhältnis durch ein ausländisches Urteil bereits als r e c h t s k r ä f t i g f e s t g e s t e l l t anzusehen oder ob jenes Urteil zu ignorieren ist, clas bildet der Natur der Sache nach stets den Gegenstand einer V o r f r a g e innerhalb eines deutschen Zivilprozesses. Denn wenn jenes im Ausland abgeurteilte Rechtsverhältnis vor einem deutschen Gericht noch einmal allein oder in Zusammenhang mit einem andern geltend gemacht wird, so kommt das deutsche Gericht ohnehin in die Lage, die Gültigkeitsbedingungen des ausländischen Urteils zu prüfen. Eines besonderen Verfahrens bedarf es also für deren Prüfung nicht. Vor allem in dem Hauptfall, wo der im Ausland abgewiesene Kläger in Deutschland noch einmal klagt (S. 285), löst sich die Prüfung im Beweis und in der juristischen Beurteilung der Rechtskraftseinrede auf. Diese Situation hat Z.P.O. § 328 im Auge, wenn er von den Bedingungen spricht, unter denen das deutsche Gericht das fremde Urteil „anzuerkennen" hat 1 . b) Dagegen mufs dann, wenn der siegreiche Gläubiger das ausländische Urteil in Deutschland v o l l s t r e c k e n lassen will, einem deutschen Gericht eigens Gelegenheit verschafft werden, über das Vorhandensein der Garantien jenes Urteils zu entscheiden. Denn im allgemeinen wird das Vollstreckungsverfahren aus einem vollstreckungsreifen Urteil nach deutschem Recht nicht vor einem erkennenden Gericht und in der Regel überhaupt nicht vor einem Richter, sondern unmittelbar vor dem Vollstreckungsorgan, besonders dem Gerichtsvollzieher, eingeleitet; vor das Eingreifen tritt an sich nur eine formale Bescheinigung der Vollstreckungsreife, die Erteilung· der „vollstreckbaren Ausfertigung", durch den Gerichtsschreiber. Weder der Gerichtsvollzieher jedoch, noch der Gerichtsschreiber sind zu umfassenden Beweiserhebungen und rechtlichen Beurteilungen qualifiziert (vgl. o. S. 198). Infolgedessen hat die Z.P.O. vorgeschrieben, dafs der Gläubiger, um aus dem ausländischen Urteil zur Vollstreckung durchzudringen, deren Zulässigkeit im W7ege der K l a g e durch ein „ V o l l st r e c k u n g s u r t e i l " eines deutschen Gerichts aussprechen lassen mufs. Das Vollstreckungsurteil soll nur die technische Überleitung vom ausländischen Urteil zum Vollstreckungsverfahren 1 Die Z.P.O. I h a t t e dieses P r i n z i p n i c h t a u s d r ü c k l i c h ausgesprochen. Die sog. m a t e r i e l l e R e c h t s k r a f t des ausl. U. w a r n i c h t expressis v e r b i s g e r e g e l t , s o n d e r n konnte n u r aus analoger A n w e n d u n g der f ü r die V o l l s t r e c k u n g s w i r k u n g i n 8 722, 723 aufgestellten Grundsätze t u n t e n l i t . b) erschlossen w e r d e n . So bes. a u c h K.G. I , 29. Jan. 83, 8, 385 ( E i n i n Schweden erlassenes U r t e i l auf A b w e i s u n g der P f l i c h t t e i l s k l a g e gegen den Testamentserben m u f s — bei V e r b ü r g u n g der G e g e n s e i t i g k e i t , u n t e n S. 290 — auch einer neuen Klage entgegenstehen). E n t s p r e c h e n d : R^G. 9, 372.

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II· Gerichtsverfassung.

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bilden, damit eine nochmalige richterliche Zwischenprüfung, die der Minimalerfordernisse, ermöglicht werde 1 . Es prüft also unci stellt fest nicht die privatrechtlichen Tatbestände des zu vollstreckenden A n s p r u c h s , sondern nur die Existenz des ausländischen Urteils und die Tatsachen, von denen die Anerkennung dieses Urteils abhängt. Dies meint § 722 mit dem Ausdruck, das deutsche Vollstreckungsurteil sei „ohne Prüfung der Gesetzmäfsigkeit" des ausländischen Urteils zu erlassen 2. Die E r f o r d e r n i s s e , die ein ausländisches Urteil besitzen mufs, um vor deutschen Gerichtsbehörden anerkannt zu werden, sind in jedem Fall die gleichen, mag deren Prüfung innerhalb des neuen Prozesses über den Anspruch selbst aus Anlafs der Rechtskrafteinrede aus dem Urteil erfolgen (lit. a), oder mag sie durch Erhebung der Klage auf Vollstreckungsurteil veranlafst werden (lit. b). Die Z.P.O. erschwert diese Einsicht lediglich dadurch, dafs sie die Minimalerfordernisse im allgemeinen in § 328 aufzählt, zugleich mit Wirkung für den Erlafs des Vollstreckungsurteils (§ 722),. dafs sie aber anderseits e i n Erfordernis bei Gelegenheit der Voraussetzungen des Vollstreckungsurteils erwähnt (§ 723, 2), das in § 328 unerwähnt gelassen ist, aber ebenfalls für a l l e Fälle der Nachprüfung eines ausländischen Urteils Bedeutung hat. Von § 723, 2 wird zunächst die Folge aus demjenigen Allgemein-Prinzip gezogen, nach dem sich das Verhältnis der Geltung ausländischen und deutschen P r o z e f s r e c h t s bestimmt (o. S. 146 ). Da nämlich ausländische Prozefshandlungen sich grundsätzlich nach ausländischem Prozefsrecht richten, so kann das ausländische Urteil erst dann für vollstreckbar erklärt werden, wenn es nach ausländischem Recht „die Rechtskraft erlangt hat", d. h. wenn es das prozessuale Verfahren durchlaufen hat, welches das dortige Recht als Vorbedingungen für die Vollwirksamkeit, besonders für die Vollstreckbarkeit eines Urteils, ansieht (§ 661 no. 1). Wenn z. B. nach dem Recht von New York Versäumnisurteile noch ein Jahr nach dem Erlafs wieder beseitigt werden können, so mufs diese Frist auch bei der Erteilung des Vollstreckungsurteils in Deutschland gewahrt bleiben.

In Abweichung von dem Prinzip § 723 Abs. 2, wonach das Zustandekommen des ausländischen Urteils naturgemäfs nur den Erfordernissen des a u s l ä n d i s c h e n Prozefsrechts zu genügen haben würde, stellt jedoch Z.P.O. für das dem Urteil vorausgehende Verfahren des ausländischen Gerichts aufserdem noch gewisse 1 N u r aus d e m b e t o n t e n Gegensatz der F u n k t i o n der e r k e n n e n d e n u n d der v o l l s t r e c k e n d e n B e h ö r d e n e r k l ä r t sich also dieser a u f den ersten B l i c k befremdende U m s t a n d , dafs Z.P.O. f ü r die V o l l s t r e c k u n g des ausl. U . e i n n o c h m a l i g e s V e r f a h r e n m i t U r t e i l verl a n g t , dagegen die F e s t s t e l l u n g s w i r k u n g desselben o h n e weiteres a n e r k a n n t w i s s e n w i l l . Der G r u n a h i e r f ü r l i e g t n i c h t e t w a d a r i n , dafs die V o l l s t r e c k u n g s w i r k u n g eine i n t e n s i v e r e , der K o n t r o l l e m e h r b e d ü r f t i g e i s t (so die 1. A u f l . S. 'J38). - Die K l a g e a u f V o l l s t r e c k u n g s u r t e i l w i r d deshalb häufig als actio j u d i c a t i bezeichnet. V o r u n g e n a u e m Gebrauch dieses Begriffes w a r n t W a c h § 19 A . 18.

Erfordernisse der Anerkennung ausländischer Urteile.

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Minimalerfordernisse nach d e u t s c h e m R e c h t auf, nämlich die E i n h a l t u n g d e r j e n i g e n Grenzen der G e r i c h t s b a r k e i t , die das deutsche Recht seinerseits den deutschen Gerichten auferlegt (§ 328 no. 1), die Wahrung gewisser unerläfslicher Garantien für f r e i e s r e c h t l i c h e s G e h ö r des d e u t s c h e n S c h u l d n e r s (§ 328 no. 2), die Übereinstimmung der im ausländischen Urteil enthaltenen Rechtsanwendung des fremden Richters mit den w i c h t i g s t e n P r i n z i p i e n des d e u t s c h e n Z i v i l r e c h t s (§ 328 no. 3. 4) und die V e r b ü r g u n g der G e g e n s e i t i g k e i t (§ 328 no. 5). Diese d e u t s c h r e c h t l i c h e n Formalien, die bei der Entstehung des ausländischen Urteils erfüllt sein müssen, damit es in Deutschland Wirkung übe, entspringen verschiedenen Gründen: 1. Einerseits soll im Interesse der Gleichberechtigung der Kulturstaaten einer allzu mafslosen Ausdehnung der Gerichtsbarkeit eines ausländischen Staats vorgebeugt werden. Deshalb wird das ausländische Urteil nicht anerkannt, wenn „nach dem Rechte des über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung urteilenden deutschen Richters d i e G e r i c h t e desjenigen Staats nicht zuständig waren, welchem das ausländische Gericht angehört" (§ 328 (no. 1). Mit andern Worten es wird nur dann anerkannt, wenn bei gleicher Sachlage in Deutschland i r g e n d e i n d e u t s c h e s G e r i c h t (durch Wohnsitz des Schuldners, Erfüllungsort, — auch durch Vereinbarung, — oben 1) zuständig gewesen wäre. Die weitergehende Forderung, dafs nach deutschem Recht gerade das e i n z e l n e a u s l ä n d i s c h e G e r i c h t und kein anderes ausländisches Gericht zuständig gewesen sein müsse (R.G. I 1891 27, 410), ist unbegründet. Denn der Zwang auf die Parteien, im ausländischen Prozefs die d e u t s c h e Kompetenzverteilung unter die verschiedenen Gerichte zu wahren, würde kein irgendwelches vernünftiges Interesse befriedigen. Er verstöfst aufserdem gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes1. 2. Anderseits soll im Interesseder deutschen Schuldner, die im Ausland in Prozesse verwickelt werden, der Kläger daran gehindert werden, den Beklagten mit Hilfe eines laxen Ladungsverfahrens zu überrumpeln. Deshalb wird das ausländische Urteil nicht anerkannt, wenn der verurteilte deutsche Schuldner, der sich „auf den Prozefs nicht eingelassen" hat (mit andern Worten : der vom Beginn des Prozesses ab säumig gewesen ist), nicht in besonders sicherer Weise geladen worden ist, nämlich durch Zustellung der prozefseinleitenden Ladung oder Verfügung entweder i m ( a u s l ä n d i s c h e n ) S t a a t des P r o z e f s g e r i c h t s an den B e k l a g t e n i n P e r s o n 2 o d e r i m D e u t s c h e n R e i c h d u r c h G e w ä h r u n g d e r R e c h t s h i l f e (unten III) (§ 328 no. 2). 3. Nach der älteren Z.P.O. war mit den genannten Umständen der Kreis der Wirksainkeitserfordernisse des ausländischen Urteils, soweit sie in dessen Inhalt und Entstehungsgang begründet waren, erschöpft. Die Novelle zur Z.P.O. hat jedo(h ein weiteres hinzugefügt. Sie glaubte auf den Art. 30 des E.G. zum B.G.B. Rücksicht nehmen zu müssen, wonach ein deutscher Richter bei Beurteilung eines Privatrechtsverhältnisses nach ausländischem Recht dann ein ausländisches Gesetz nicht anwenden darf, wenn die Anwendung gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstofsen würde. Die Nov. wollte verhüten, dafs dieses Prinzip der sog. collisio statutorum dadurch umgangen würde, dafs ein a u s l ä n d i s c h e s Urteil, in 1 Denn § 328 N r . 1 v e r l a n g t n u r , dafs „ d i e G e r i c h t e des S t a a t s , d e m d a s a u s l ä n d i s c h e G e r i c h t a n g e h ö r t " , z u s t ä n d i g gewesen sein m ü s s e n , n i c h t dafs d a s G e r i c h t selbst z u s t ä n d i g w a r . Ebenso v . B a r , T h e o r i e u n d P r a x i s I I , 424. W a c h , V o r t r . 315, Lb. I , 231. F r a n c k e (s. ο.) Ζ . 27, 130. W e i s m a n n I , 247, die m e i s t e n K o m m e n t a r e , überh. die herrschende M e i n u n g . N e u e r d i n g s h a t auch das R.G. V I I . 1902, 51, 138 diesen konniventeren Standpunkt akzeptiert. 2 Der B e k l . d a r f also n i e n t d u r c h sog. ö f f e n t l i c h e Z u s t e l l u n g ( u n t e n § 97) oder d u r c h sog. E r s a t z z u s t e l l u n g (u. ebenda) geladen w o r d e n sein.

Richard

Schmidt,

L e h r b u c h des Z i v i l p r o z e f s r e c h t s .

2. Aufl.

19

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Gerichtsverfassung. § 45. Deutsche u. ausländische Gerichtsbarkeit.

welchem solche ausländische Normen der Beurteilung zugrunde gelegt worden sind, durch ein deutsches Gericht zur Anerkennung gebracht werde. Demgemäfs ist einem Urteil des ausländischen Gerichts dann die Wirksamkeit zu versagen, wenn s e i n e A n e r k e n n u n g gegen die guten Sitten oder den Zweck eines deutschen Gesetzes verstofsen würde (§ 328 no. 4). Die Nov. hat zweifellos mit dem letztern nur solche Fälle im Auge, wo w i c h t i g e G r u n d p r i n z i p i e n des deutschen Rechts, die ihrem Inhalt nach ausschliefslich Geltung haben sollen, von der ausländischen Rechtsanwendung verletzt worden sind, z. B. das der Ungültigkeit einer Spielschuld. Aber es ist nicht zu leugnen, dafs die Abgrenzung derartiger Prinzipien von andern Rechtssätzen schwierig ist. Jedenfalls bedeutet die Vorschrift, dafs dem deutschen Gericht das Recht und die Pflicht gegeben wird, die im Ausland entschiedene Sache nochmals nach Mafsgabe der d e u t s c h e n R e c h t s s ä t z e zu prüfen. I n Wahrheit ist also künftig das deutsche Gericht schlechthin gebunden nur an die Resultate der t a t s ä c h l i c h e n Prüfung des ausländischen Gerichts, vor allem an dessen Beweiswürdigung. Der Gedanke des § 723, 1, dafs das Vollstreckungsurteil „ohne P r ü f u n g d e r G e s e t z m ä f s i g k e i t " der ausländischen Entscheidung zu erlassen sei, ist teilweise (hinsichtlich der j u r i s t i s c h e n Prüfung) wieder zurückgenommen 4. Endlich trägt Z.P.O. dem Grundsatz der völkerrechtlichen Gleichberechtigung dadurch Rechnung, dafs sie die bindende Wirkung des ausländischen Urteils für deutsche Gerichte ausschliefst, wenn „ d i e G e g e n s e i t i g k e i t n i c h t v e r b ü r g t i s t " (§ 328 no. 5). Diesem Erfordernis ist allerdings schon dann genügt, wenn der ausländische Staat gegenüber den deutschen Urteilen ü b e r h a u p t das P r i n z i p anerkennt, dafs dieselben ohne n o c h m a l i g e „ P r ü f u n g d e r G e s e t z m ä f s i g k e i t " der ausländischen Vollstreckung zugrunde gelegt werden, und es schadet deshalb nichts, wenn g e r a d e u n t e r d e n b e s o n d e r e n U m s t ä n d e n des E i n z e l f a l l s die ausländischen Gerichte mit Rücksicht auf ihre prozessualen Vorschriften dem deutschen Urteil die Vollstreckung versagen würden 2 . Als Prinzip aber mufs die Anerkennung der Feststellungswirkung deutscher Urteile im ausländischen R e c h t gesichert sein; und es genügt umgekehrt nicht, wenn deutsche Urteile gelegentlich durch spezielle Willensakte der Staatsgewalt vollstreckbar gemacht werden 3 . Ausnahmsweise wird das Erfordernis der Gegenseitigkeit ganz fallen gelassen 4 . Infolgedessen wirkt die Gegenseitigkeitsklausel in erheblichem Mafse einschränkend auf die Anerkennung der Feststellungswirkung ausländischer Urteile. Die Gegenseitigkeit kann als verbürgt gelten: a) wesentlich nur Seiten Ö s t e r r e i c h s (Exek.Ordn. v. 27. Mai 1896 §§ 79 ff. ; falls die Gegenseitigkeit durch Staatsvertrag oder durch Kund1 F ü r spezielle F ä l l e e r f ä h r t § 328 N r . 4 n o c h eine w e i t e r e Z u s c h ä r f u n g i n § 328 Nr. ;>. H i e r n a c h i s t das ausländische U r t e i l j e d e n f a l l s d a n n u n w i r k s a m : α) w e n n es i n E h e s a c h e n , Prozessen über eheliche A b s t a m m u n g eines K i n d e s , L e g i t i m a t i o n eines u n e h e l i c h e n K i n d e s oder A n n a h m e an K i n d e s s t a t t z u m N a c h t e i l einer d e u t s c h e n P a r t e i v o n den d e u t s c h r e c h t l i c h e n G r u n d s ä t z e n , des i n t e r n a t i o n a l e n P r i v a t r e c h t s (E.G. B.G.B. A r t . 13, 1. 3. 17. 18. 22, - v g l . a u c h A r t . 13, 1 verb, m i t A r t . 27) abweicht; fi) w e n n das ausl. U r t e i l z u m N a c h t e i l der E h e f r a u eines i m I n l a n d f ü r t o t erk l ä r t e n A u s l ä n d e r s , w e l c h e bis zu i h r e r V e r h e i r a t u n g Deutsche w a r , w e n n a u c h j e t z t n i c h t m e h r i s t , die E i n g e h u n g der E h e dieser F r a u ( i m W i d e r s p r u c h m i t A r t . 13, 2 E.G. zu B.G.B.) n i c h t na, 551), der ^ I n b e g r i f f äul'serer W i l l e n s b e s t i m m t h e i t e n , die d u r c h R e c h t s n o r m e n gesetzt s i n d " ( G i e r k e , H b . I . §27), der „ r e c h t l i c h a n e r k a n n t e Interessen- u n d M a c h t k r e i s * ( R e g e l s b e r g e r , P a n d e k t e n I , 74). I m w e s e n t l i c h e n schon ü b e r w u n d e n die B e s t i m m u n g des s u b j e k t i v e n Rechts als eines . r e c h t l i c h geschützten Interesses· ( J h e r i n g , Geist I I I , § 61), des „der Person d u r c h die R e c h t s o r d n u n g g e w ä h r t e n A n t e i l s an den Lebensgütern" ( D e r n b u r g , Pand., $ 39). Sie v e r w e c h s e l t das (früher o f t zu g e r i n g g e s c h ä t z t e ) O b j e k t des Rechts m i t diesem selbst, — v e r k e n n t , dai's die R e c h t s o r d n u n g n i c h t u n m i t t e l b a r eine V e r t e i l u n g der G ü t e r , sondern eine (ideale) V e r t e i l u n g der W i l l e n s g e b i e t e m i t Bezug a u f die Lebensgüter bezweckt u n d n u r i m N o t f a l l ( m i t t e l b a r ) sich m i t der äufsern Z u t e i l u n g der Güter selbst befafst.

Das subjektive Privatrecht als Gegenstand des Zivilprozesses.

299

wechselweise dem einen eine gewisse Willensmacht erteilt, dem andern eine gewisse entsprechende Beschränkung oder Gebundenheit auferlegt wird. Diese Willensherrschaften, die das objektive Recht einer Person über eine oder viele andere mit Bezug auf ein Gut des Privatlebens gewährt, sind die s u b j e k t i v e n R e c h t e des P r i v a t r e c h t s , die privatrechtlichen Befugnisse unci Verpflichtungen. Wie sie den Inhalt des Privatrechts ausmachen, so stellen sie zugleich den G e g e n s t a n d des Z i v i l prozesses dar. Der Gegenstand des Zivilprozesses ist demnach in letzter Linie immer ein und derselbe. Für die praktische Lebensanschauung zeigt sich allerdings ein Unterschied unter clen subjektiven Rechten insofern, als sich der Inhalt der einen vorwiegend in dem pfiichtmäfsigen Verhalten des Verpflichteten gegenüber dem Berechtigten, in der L e i s t u n g , dem H a n d e l n oder U n t e r l a s s e n n i ü s s e n des V e r p f l i c h t e t e n , wahrnehmbar erweist, während das Schwergewicht der andern in der R e c h t s a u s ü b u n g des B e r e c h t i g t e n , in dessen H a n d e l η d ü r f e n liegt 1 . a) Die erstere Gruppe 2 umfafst die weitaus meisten Privatrechte, vor allem sowohl die persönlichen wie die dinglichen Rechte auf Leistung, mag dieselbe beim Forderungsrecht in der Erfüllung des kontraktlich versprochenen oder in Schadensersatz, beim Sachenrecht in dem Unterlassen der Bebauung der Grundstücksgrenze oder in der Herausgabe der Sache, in der Bewilligung des Grundbucheintrags (Auflassung), in der Wiederbeseitigung der störenden Bauwerke oder \7orrichtungen bestehen. Ebenso steht das Leistenmüssen des V e r p f l i c h t e t e n im Vordergrund bei den meisten Individual-, Familien- oder Erbrechten 8. b) Zu allen übrigen Rechten stehen diejenigen Rechte, die sich in erster Linie in einer dem Berechtigten verliehenen Macht zum Handeln wirksam erweisen, äufserlich in Gegensatz. Sie unifassen zunächst die Rechte zu einem ä u f s e r e η s i n n e n f ä l l i g e n T u n , demgegenüber der Verpflichtete auf ein blofses Geschehenlassen, ein Unterlassen von W i d e r s t a n d gegen clie vom Berechtigten vorgenommene Veränderung der Aufsenwelt angewiesen wird, so die Rechte, die sich in der Herrschaft und Verfügung über eine Sache selbst äufsern, manche Dienstbarkeiten (das Recht zum Wasserschöpfen, zum Überbauen), Nachbarrechte (Notweg), Familienrechte wie das elterliche Erziehungsrecht (oft sog. Rechte des „ D ü r f e n s " ) . Solche Rechte sind aber auch die vielfach sog. Rechte des „Könnens", die „Kannrechte", d. h. die 1 Z u m Folgenden v g l . besonders Z i t e l m a n n , I n t e r n a t . P r i v a t r e c h t I , 42 u n d A l l gemeiner T e i l des b ü r g e r l . R., 21. C o s a c l c , I.b. I , § 14 ff. E n d e m a n n , 8. A u f l . § 14 ff. L a n d s b e r g I § 14. H e l l w i g , A n s p r u c h u n d K l a g e r e c h t , § 1 ff., L b . § 32 ff. 2 Sie e n t s p r i c h t den v o n Z i t e l m a n n , L a n d s b e r g u . &. sog. R e c h t e n des „S ο 11 e n s* oder „Sollrechten". 3 Eheliche Folgepflicht u n d A u f n a h m e p t i i c h t (§ 1354), P f l i c h t z u r U n t e r l a s s u n g der Störungen der E r b e n i n der V e r f ü g u n g über den Nachlafs (§ 2018).

300 ΠΙ. Grundlagen des Verfahrens. § 49. Anspruch u. Rechtsverhältnis.

Befugnisse, die ihrem Inhaber die Macht gewähren, durch seinen W i l l e n s a k t e i n e Ä n d e r u n g des v o r h a n d e n e n R e c h t s z u s t a n d s , eine „Rechtsänderung" oder „Rechtsgestaltung" oder „Bewirkung", hervorzurufen. Teilweise kann der Berechtigte ausschliefslich durch Erklärung seines Willens die in seine Macht gestellte Veränderung der Rechtswelt bewirken, — solchen Inhalt haben im Sinn der Rechtserzeugung das Vorkaufs- oder Wiederkaufsrecht (B.G.B. § 505.497), das Okkupationsrecht (§ 958), das Recht der Erbschafts- oder Vermächtnisannahme, — im Sinn der Aufhebung eines bestehenden Rechtszustands das Rücktrittsrecht (§§ 346. 355). die Anfechtung eines Schuldverhältnisses (§ 142), das Aufrechnungsrecht (§ 389), das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft. Teilweise kann das Recht auf Rechtsänderung auch dadurch eine eigenartige Ausprägung gewinnen, dafs dem Berechtigten die Macht verliehen wird, die Tätigkeit des G e r i c h t s in Bewegung zu setzen und durch ein gerichtliches Urteil die Veränderung der rechtlichen Beziehungen direkt herstellen zu lassen. Dies macht die Eigenart des Rechts auf Scheidung, Nichtigerklärung oder Anfechtung einer Ehe (Z.P.O. § 606), auf Ausspruch der Erbunwürdigkeit (B.G.B. § 2340) aus. Die Bewirkung des vom Recht geforderten Zustands verkörpert sich dann nicht im Inhalt einer Leistung des Verpflichteten, sondern in einem der Disposition des Berechtigten unterstellten behördlichen Akt, in einer Leistung des Gerichts. Aber eine scharfe Grenze trennt die beiden Hauptgruppen der subjektiven Privatrechte, die Rechte auf Leistenmüssen des Verpflichteten und die Rechte zum Handelndürfen und Handelnkönnen des Berechtigten, n i c h t . In Wahrheit steht auch bei den Rechten, deren reale Bedeutung sich hauptsächlich in dem äufseren Verhalten des Verpflichteten äufsert (lit. a), dem letzteren ein Dürfen, eine Macht des Berechtigten gegenüber, insofern die Leistung des Verpflichteten stets durch ein Verlangen des Berechtigten ausgelöst wird. Anderseits entspricht auch bei der andern Gruppe der Willensmacht des Berechtigten, sich den rechtsgemäfsen Zustand zu verschaffen, ein Verhalten des Verpflichteten, nämlich ein D u l d e n müssen der Veränderungen. Da, wo das Recht auf eine ä u f s e r e Veränderung gerichtet ist, wie z. B. beim Wasserschöpfrecht oder Recht des Notwegs, wird dieses Dulden zu einer eigentlichen L e i s t u n g , zum Unterlassen der Zuwiderhandlung 1 . Die Rechte auf Rechtsänderung durch Richterspruch ferner gehen geradezu in die Rechte auf Leistung über; denn es sind wichtige Rechte denkbar, die z u n ä c h s t auf Veränderung der Rechtslage durch Handeln, Leisten des Verpflichteten gerichtet sind und sich erst im Fall des Ausbleibens der Leistung 1 Die U n t e r s c h e i d u n g der a u f H a n d e l n , U n t e r l a s s e n , D u l d e n g e r i c h t e t e n Kechte d ü r f t e also m i n d e s t e n s f ü r die V e r a n s c h a u l i c h u n g der prozessualen Probleme genügen. A u c h f ü r das Z i v i l r e c h t s s y s t e m w i r d v o n v i e l e n Seiten der problematische W e r t der U n t e r s c h e i d u n g v o n S o l l - , Dürf- u n d K a n n r e c h t e n betont (vgl. Se e k e l , Die Gestaltungsr e c h t e , 1903, S. 209. Ε η d e m a n n , L b . 8. A u f l . I , § 14 A . 10. So h m , Der Gegenstand, 1905, S. 82.

Arten der Privatrechte.

301

in ein Recht auf Rechtsbewirkung durch Urteil verwandeln: solcher Art sind die Rechte auf Abgabe einer Willenserklärung, z. B. auf Bewilligung der Eintragung einer Hypothek, auf Vornahme der Auflassungserklärung (B.G.B. § 925, o. S. 299), deren Nichterfüllung nicht zur Vollstreckung, zum Willenszwang gegen den Verpflichteten, sondern unmittelbar zu dem Erfolg führt, dafs die urteilsmäfsige Willenserklärung des Gerichts die Willenserklärung des Schuldners ersetzt (Z.P.O. § 894) 1 . Ein greifbarer Unterschied besteht also innerhalb des gesamten Kreises der subjektiven Privatrechte e i n z i g und a l l e i n d a r i n , dafs neben der weitaus regelmäfsigen Erscheinung, wo der Inhalt des Rechts auf eine sinnlich w a h r n e h m b a r e Veränderung der äufseren Lage gerichtet ist, gleichviel ob auf ein Handeln oder ein Unterlassen „eines andern" oder auf ein Dulden der äufseren Handlung des Berechtigten, eine kleinere Anzahl von Rechten denkbar ist, deren Ausübung keine ä u f s e r e Veränderung der sozialen Welt bewirkt, sondern sich in einem unmittelbar wirksamen Willensa k t dt s Berechtigten erschöpft. Ein Dulden dieses Willensaktes Seiten des Verpflichteten liegt zwar auch hier vor. Aber dieses Dulden verkörpert sich n i c h t s i c h t b a r im U n t e r l a s s e n r e a l e n W i d e r s t a n d s , i n e i n e r L e i s t u n g eines a n d e r n . Eine Besonderheit gilt somit nur für e i n e n T e i l der Rechte auf Handeln des Berechtigten (lit. b), für die sog. „Kannrechte" (S. 300). Zwischen ihnen und den Rechten auf Leistung stehen die Rechte auf Rechtsänderung durch Richterspruch als eine eigenartige Überleitungskategorie in der Mitte. An die eben bezeichnete Unterscheidung knüpft der von altersher von der Doktrin 2 und nunmehr auch vom B.G.B, geübte Sprachgebrauch an, der die wichtigste Gruppe der Privatrechte als „ A n s p r ü c h e " bezeichnet. Anspruch ist „das Recht, von einem andern ein Tun oder ein Unterlassen zu verlangen" (§ 194). Da als Unterlassen im weitern Sinn natürlich auch das Unterlassen des Widerstands gegen fremde Tätigkeit, das Dulden realer Veränderungen erscheint, so begreift der Anspruch, wie von niemand bezweifelt wird, auch die Rechte auf Duldung ein, m. a. W. er umfafst a l l e R e c h t e a u f L e i s t u n g . Nur begreift er dieselben allerdings erst dann, wenn sie sich gegen „einen andern" gerichtet, d. h. wenn sich das Recht auf die Leistung einer b e s t i m m t e n , dem B e r e c h t i g t e n gegenüberstehenden Person k o n z e n t r i e r t hat. Bei den persönlichen, relativen Rechten, d. h. bei den Familienrechten und den Rechten 1 Dies i s t die j e t z t a l l g e m e i n e i n g e b ü r g e r t e A u f f a s s u n g dieser Gesetzesbestimmung, wonach die W i l l e n s e r k l ä r u n g des S c h u l d n e r s m i t der R e c h t s k r a f t (d. h. U n a n f e c h t b a r werden) des U r t e i l s .als abgegeben zu g e l t e n " h a t (vergl. u . § 111. 120). 2 Zuerst v o n W i n d s c h e i d , Die actio des r ö m . u i v i l r e c h t s , 1866. Jetzt P a n d e k t e n , her. v. K i p p I 8 43ff. Die Z u s a m m e n s t e l l u n g der s o n s t i g e n L i t e r a t u r bei H e l l w i g , A n s p r u c h u n d K l a g r e c h t , 1900, § 1 ff., L b . I , § 32. Die v o n F i s c h e r , B e i t r . z u r K r i t i k der E. B.G.B. 6 (1889), 7»), H ö l d e r u . a. vorgeschlagene B e z e i c h n u n g , F o r d e r u n g * h a t sich n i c h t eingebürgert.

3 0 2 ΠΙ. Grundlagen des Verfahrens.

§ 49. Anspruch u. Rechtsverhältnis.

aus Schuldverhältnissen, ist dies der Natur der Sache nach von vornherein der Fall. Die Rechte dagegen, die sich auf eine Sache oder ein geistiges Erzeugnis beziehen, wie die dinglichen oder die Urheberrechte, richten sich als „absolute" Rechte zunächst gegen jedermann. Sie verlangen von allen Nichtberechtigten die U n t e r l a s s u n g der B e e i n t r ä c h t i g u n g der Rechtsherrschaft und verdichten sich demgemäfs zu einem Anspruch erst durch das beeinträchtigende Verhalten einer bestimmten Person, die nunmehr zur Beseitigung der Störung, zur Herausgabe der Sache, zur Gewährung von Schadensersatz usw. verpflichtet wird. Immerhin können sich doch auch aus absoluten Rechten Ansprüche entwickeln. In grundsätzlichen inneren Gegensatz zu den Ansprüchen oder anspruchserzeugenden Rechten treten also nur die Rechte, denen eine reale Leistung des Verpflichteten überhaupt nicht und unter keiner Bedingung entspricht, R e c h t e ohne A n s p r u c h , wie sie passend genannt werden, wie das Kündigungsrecht, das Aufrechnungsrecht, das Vorkaufs- und Wiederkaufsrecht. Hierin wird auch vom Sprachgebrauch jene einzige wirklich bedeutsame Verschiedenheit in der Struktur der Privatrechte anerkannt, die die Doktrin konstatieren kann 1 . Ob man die Rechte auf Rechtsänderung durch Richterspruch zu der einen oder andern Gruppe, zu den Ansprüchen oder den anspruchslosen Rechten zählen will, bleibt demgegenüber ziemlich eine Frage der Willkür oder des Geschmacks, da sich diese dritte Gruppe als eine Summe genau charakterisierter Einzelfälle von beiden andern unterscheidet (vergl. u. § 111). Hebt hiernach das Anschauungsbedürfnis aus den sämtlichen Privatrechten durch den Begriff des Anspruchs die für das Rechtsleben besonders wichtige Hauptgruppe in engerem Sinn heraus, so umschliefst es umgekehrt mit dem Begriff des „Rechtsverhältnisses" die subjektiven Privatrechte in einem weitesten, laxeren Sinn 2 . Das Rechtsverhältnis ist nach dem Wortbegriff jedes Lebensverhältnis, das vom Recht geordnet wird. Ein solches Verhältnis stellt natürlich vor allem andern jede Beziehung zwischen Personen dar, vermöge deren der eine vom andern, wenn auch noch unbestimmten Menschen etwas zu fordern hat, d. h. eben jedes s u b j e k t i v e Recht (S. 299). Speziell gehört dazu auch das Recht, das sich bereits gegen einen b e s t i m m t e n Menschen konzentriert hat, d. h. jeder A n s p r u c h . Insoweit decken sich die Begriffe. Jedes Recht, jeder Anspruch ist auch ein Privatrechtsverhältnis 3. Aber ander1 I n der B e t o n u n g dieses einfachen Ergebnisses, das v i e l e andere D i s t i n k t i o n e n u n n ö t i g m a c h t , t r i f f t diese D a r s t e l l u n g m i t S ο h m , der Gegenstand, e i n G r u n d b e g r i f f des B.G.B. 1905 § 15 zusammen. E r s i e h t das W e s e n der Rechte ohne A n s p r u c h , dafs sie sich i n der E i g e n s c h a f t e r s c h ö p f e n , die f ü r a l l e Rechte gemeinsam u n d g r u n d l e g e n d ist, n ä m l i c h i n der K r a f t , die d e m Recht entsprechende H a n d l u n g z u r e c h t f e r t i g e n . — Ü b e r das U n n ö t i g e der U n t e r s c h e i d u n g v o n S o l l - , Dürf- u n d K a n n r e c h t e n v g l . auch E n d e m a n n , 8. A u f l . , I , § 14. Se e k e l , Die Gestaltungsrechte, Festz. f ü r K o c h , (ί, 209. 2 V g l . h i e r z u bes. W i n d s c h e i d - K i p p I , §37. Z i t e l m a n n , A l l g e m e i n e r T e i l , 21 ff. C o s a c k , L b . I , § 14. E n d e m a n n , Lb. § 84 ff. H e l l w i g , A n s p r u c h u n d K l a u r e c h t , S. I f f . : L b . I , 192 ff. L a n d s b e r g , L b . I , § 13 S. 51. ^Das Recht i s t das R e c h t s v e r h ä l t n i s , b e t r a c h t e t v o n der Seite des Berecht i s t en" ( H e l l w i g , Lb. I , 194).

Prozessuale Bedeutung von „Anspruch" und „Rechtsverhältnis".

303

seits werden als Rechtsverhältnis auch rechtlich geregelte Beziehungen bezeichnet, bei denen man noch nicht an einen bestimmten Inhalt der rechtlichen Herrschaft oder erst recht nicht an eine bestimmte Leistungspflicht einer bestimmten Person denkt. Mit dem Begriff des Rechtsverhältnisses ergreift man auch ganze Gruppen oder Komplexe von Rechten oder Ansprüchen, die aus einem bestimmten Vorgang oder Zustand (Vertrag, Verwandtschaft, Testament, Beamtenverhältnis) erwachsen oder vielleicht später erwachsen können und bei denen man einstweilen dahingestellt sein läfst, gegen wen und worauf sie einzeln gerichtet sind oder sein werden. So umschliefst das Rechtsverhältnis des Vaters zum Kinde das elterliche Erziehungsrecht (§ 1631), ev. den Anspruch auf Herausgabe des Kindes (§ 1632) und das Verwaltungsrecht des Vaters am Kindesvermögen (§ 1638). — unter Umständen im Fall späterer Bedürftigkeit den Anspruch auf Unterstützung (§ 1601)1. Das Rechtsverhältnis der Gesellschaftsmitglieder umfafst das Recht auf Mitwirkung bei den Angelegenheiten des Vereins und die Ansprüche anf Geldbezüge (Gewinnanteil, Dividende). Das Vertragsverhältnis des Angestellten zum Prinzipal begreift nicht nur das Recht auf Gehaltsbezug, sondern auch auf spätere Ausstellung des Dienstzeugnisses, event, auf Aufnahme in den Haushalt und Verköstigung, speziell, wenn lebenslängliche Anstellung behauptet wird, auf spätere Zahlung einer Pension. Das Rechtsverhältnis bezeichnet also die durch ein bestimmtes historisches Ereignis des Privatrechtsverkehrs zusammengehaltene V i e l h e i t von Ansprüchen und eventuellen Gegenansprüchen. Es ist seiner Natur nach ein S a m m e l b e g r i f f und deshalb eine Rechtserscheinung u n b e s t i m m t e n I n h a l t s . I I I . Der Schutz der Privatrechte nach der Zivilprozefsordnung. Vergleicht man die Grundgedanken des Zivilrechts mit dem Sprachgebrauch der Z.P.O., so lassen sich dieselben sehr leicht in Einklang bringen. Es wird zwar vielfach behauptet, die Z.P.O. verwerte stillschweigend einen eigenen, nur ihr eigentümlichen und im weiteren Sinn zu verstehenden Begriff des „Anspruchs" und begreife darunter alles, „was der Kläger begehrt" 2 . Aber von mafsgebender Bedeutung für das Verständnis cles Gesetzes ist dieser Sprachgebrauch jedenfalls nicht. Im allgemeinen schliefst sich vielmehr der prozessuale Rechtsschutz den zivilrechtlichen Unterscheidungen an. Wenn für die Hauptform des Rechtsschutzes, die L e i s t u n g s k l a g e (§ 253 Z.P.O.), nur von der Erhebung eines „Anspruchs" gesprochen wird, so kommt sie in der Tat nur für Rechte auf Leistung, d. h. für Ansprüche im strengen Sinn des B.G.B. § 194, in Betracht. Folgerichtig kann aus absoluten Rechten 1 Vgl. die l e h r r e i c h e , aber w e s e n t l i c h n u r z i v i l r e c h t l i c h bedeutsame A n a l y s e a l l e r Rechtsverhältnisse des P r i v a t r e c h t s s v s t e m s bei H e l l w i g , L e h r b . I , § 30. - So W e i s m a n n , Lb. § 19 ö. 02. H e l l w i g , A n s p r u c h u n d K l a g r e c h t , S. 155. V e r g l . dazu Bolze i n G r u c h s B e i t r . 46, 75G ff. (1902).

304 ΠΙ. Grundlagen des Verfahrens.

§ 49. Anspruch u. Rechtsverhältnis.

(Sachenrechten, Autorrechten, Erbrechten) eine Leistungsklage erst erhoben werden, wenn durch zuwiderlaufenden Zustand ein Anspruch erwachsen ist (o. S. 302)^ Aus den Rechten o h n e A n s p r u c h aber (Vorkaufs-, Kündigungsrecht, o. S. 300. 302) ist eine Leistungsklage überhaupt nicht denkbar. Um so wichtiger ist, dafs zur Ergänzung des Rechtsschutzsystems in § 256 wegen des Bestehens oder Nichtbestehens eines „ R e c h t s v e r h ä l t n i s s e s " die F e s t s t e l l u n g s k l a g e zur \ r erfügung gestellt wird. Da der Ausdruck Rechtsverhältnis nach zwei Richtungen die umfassendste Bezeichnung aller Privatrechte bedeutet, so liegt in § 256 ein Doppeltes ausgesprochen: 1. Die Feststellungsklage kommt einmal wie die Leistungsklage allen „Ansprüchen" i. e. S. zugute. Mit andern Worten das gegen eine bestimmte Person auf eine bestimmte Leistung gerichtete Recht kann ebensowohl zum Zweck der Verurteilung und sofortigen Vollstreckung des Verpflichteten, wie ohne Rücksicht auf die künftige Vollstreckung zur blofsen Feststellung gebracht werden 2. Aufserdem aber kommt die Feststellungsklage auch allen Privatrechten zugute, die n i c h t A n s p r ü c h e sind. Einerseits den Rechten, die sich in concreto noch nicht zu einem Anspruch verdichtet haben, wie den Sachenrechten oder Urheberrechten, die noch nicht „verletzt worden sind. Anderseits aus den ihrer Natur nach „anspruchslosen" Rechten oder Kannrechten, wie dem Vorkaufs-, Kündigungs-, Aufrechnungs-, Anfechtungsrecht (o. S. 302). Für sie ist sie die einzige Rechtsschutzform, da bezüglich ihrer eine Leistungsklage nicht entstehen kann. Über den Schutz der Rechte auf Rechtsänderung oder Bewirkung (Scheidungsklage, Klage auf Aufhebung der Gütergemeinschaft usw.) spricht Z.P.O. nichts aus. Die dritte Form der Klage, die „Rechtsänderungsklage", ist deshalb nach Analogie der Leistungsklage (§ 253) zu behandeln ; im übrigen findet sie ihre Grundlage in den Einzelbestimmungen des B.G.B., die für Durchführung gewisser Rechtsverhältnisse eine Klage und ein Urteil für unbedingt erforderlich erklären (§§ 1329. 1341. 1564 u. a.; vergl. u. § 111). 2. Indem aber die Feststellungsklage ganz allgemein für Rechtsverhältnisse zur Verfügung gestellt wird, spricht § 256 weiter aus, dafs auch eine jener S a m m e l g r u p p e n von Rechten oder Ansprüchen Gegenstand des Rechtsstreits und Urteils werden kann, die nur durch das ihnen als gemeinsame Grundlage dienende Lebensverhältnis bezeichnet werden, also auf die Fälle, wo das „Rechtsverhältnis" etwas i n h a l t l i c h n i c h t genau abgegrenztes bezeichnet. Die Klage auf Feststellung erstreckt sich dann auf die rechtliche Gültigkeit des grundlegenden Vorgangs, aus welchem 1 V g l W e i s m a n n , L b . I S. 04. So b e i m N a m e n s r e c h t (§ 12), beim E i g e n t u m n a c h B e s i t z e n t z i e h u n g (§ 985), n a c h anderer S t ö r u n g (§ 1004), bei G r u n d d i e n s t b a r k e i t (8 1027), N i e f s b r a u c h (8 1065), P f a n d r e c h t (§ 1227), Besitz (§ 862); U r h e b e r r e c h t nach V e r v i e l f ä l t i g u n g , V e r b r e i t u n g des W e r k s u s w . (R.Ges. 1901 § 3d). E i n g e h e n d e A n a l y s e : H e l l w i g , L b . I , 203f. 2 D e s h a l b s p r i c h t B.G.B. § 209 (für die M a t e r i e der V e r j ä h r u n g ) k u r z w e g n u r v o n K l a g e n a u f F e s t s t e l l u n g des „ A n s p r u c h s " .

Bedeut. d. Prozesses um „Rechtsverhältn.". Kein Prozefs weg. blofs. Tatbest. 305

ein beliebiger Komplex von Verpflichtungen entstanden ist oder zum Teil vielleicht in Zukunft erst erwächst, auf alle Rechte und Pflichten aus der Anstellung des Handlungsgehilfen, auf alle Rechte und Pflichten des am 1. April 1905 abgeschlossenen Mietsvertrags. § 256 enthält deshalb den wichtigen Satz, dafs der Bürger befähigt ist, den staatlichen Rechtsschutz auch für eine i n h a l t l i c h u n b e s t i m m t e R e c h t s b e h a u p t u n g zu erbitten 1 . Während z. B. die Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens nur den Anspruch auf die persönliche Gewaltübung über den Ehegatten geltend macht, macht die Klage auf Feststellung des Bestehens der Ehe (§ 606) die sämtlichen in der Ehe vereinigten Personenund Vermögensrechte, das Recht auf eheliche Gemeinschaft, das Recht auf Verwaltung des eingebrachten Vermögens usw., zum Streitgegenstand. I V . Die rechtserhebliche Tatbestandsbehauptung als Prozefsgegenstand. Als Standpunkt des Gesetzes ergibt sich nach dem Gesagten, dafs die privatrechtlichen Beziehungen im weitesten Umfang zum Gegenstand des Zivilprozesses gemacht werden können. Die Erscheinung, dafs ein Privatrecht n i c h t des prozessualen Schutzes teilhaftig, also n i c h t k l a g b a r sein soll, wird von der Z.P.O. überhaupt nicht in Rechnung gezogen2. Anderseits geht das Wirkungsfeld der Zivilrechtspflege nicht über die Privatrechte hinaus. Vor allem darf Streitgegenstand im Prinzip nicht eine irgendwelche „Rechtsbehauptung", d. h. die Behauptung einer rechtserheblichen Tatsache oder Tatsachenbeziehung sein. Allerdings bringt es die Behauptung oder Leugnung eines Rechtsverhältnisses schon ganz von selbst mit sich, dafs die prozessuale Tätigkeit sich als Mittel zum Zweck auch mit den Tatsachen oder Tatbeständen befassen mufs, von denen die Existenz oder Nichtexistenz des Rechts abhängt; aus dieser logischen Abhängigkeit ergibt sich in erster Linie der Einblick in den Aufbau und den Zusammenhang der Prozefshandlungen, vor allem in die gerichtliche Prüfung und Beweiserhebung sowie in die Partei1 Es ist d e m n a c h f ü r die Prozei'swissenschaft n i c h t e m p f e h l e n s w e r t , v o n dem Begriff des Rechtsverhältnisses auszugehen u n d daraus d a n n w e i t e r den des A n s p r u c h s zu erk l ä r e n . So t u t H e 11 w i g L b . (1,192 ff. D e n n f ü r die E r s c h e i n u n g e n des p r a k t i s c h e n Lebens w i r d i n erster L i n i e die R e c h t s b e z i e h u n g z w i s c h e n B e r e c h t i g t e n u n d Verpflichteten a k u t , die w i r „ R e c h t " oder „ A n s p r u c h " n e n n e n . Sie i s t die einfachere u n d realistischere. Das „ R e c h t s v e r h ä l t n i s " e n t s t e h t erst d u r c h eine abstrahierende Z u s a m m e n s e t z u n g v i e l e r n a c h i h r e m E n t s t e h u n g s g r u n d oder w i r t s c h a f t l i c h e n Z w e c k z u s a m m e n h ä n g e n d e r A n s p r ü c h e . Vg;l. h i e r ü b e r bes. L a n d s b e r g a. a. O. H i e r m i t s t i m m t d i e p r o z e s s u a l e B e d e u t u n g beider Begriffe überein. Die u r s p r ü n g l i c h a l l e i n v o r h a n d e n e L e i s t u n g s k l a g e befafst sich n u r m i t der G e l t e n d m a c h u n g v o n A n s p r ü c h e n . Das h i s t o r i s c h Spätere i s t die F e s t s t e l l u n g s k l a g e , die n i c h t n u r A n s p r ü c h e , s o n d e r n ganze R e c h t s v e r h ä l t n i s s e z u m Gegenstand der r i c h t e r l i c h e n P r ü f u n g m a c h e n k a n n . 2 Es k a n n deshalb der S t r e i t , ob es i m h e u t . R. n o c h sog. n a t ü r l i c h e V e r b i n d l i c h k e i t e n g i b t oder n i c h t , ganz d a h i n g e s t e l l t bleiben. F ü r diese A n s c h a u u n g H e l l m a n n , Jher. Jb. 31, 117; L a n g h e i n e k e n , U r t e i l s a n s p r u c h 197, R.G. 46. 154 (das V e r sprechen des Kuppelpelzes sei n i c h t n i c h t i g , s o n d e r n w i r k s a m u n d e r f ü l l b a r , j e d o c h n i c h t klagbar). N a c h der r i c h t i g e n M e i n u n g i s t bei f e h l e n d e r prozessualer K l a g b a r k e i t entweder U n W i r k s a m k e i t des P r i v a t r e c h t s v o r h a n d e n (B.G.B. § 762, 656), oder M a n g e l des v o m Recht anerkannten Interesses a m Rechtsschutz ( i m S i n n u n t e n S. 309. 312), so n a c h § 1394 für die F r a u , d i e i h r e A n s p r ü c h e aus der e h e m ä n n l i c h e n V e r w a l t u n g u. N u t z n i e f s u n g w ä h r e n d der Dauer der V e r w a l t u n g n i c h t g e l t e n d m a c h e n k a n n ; s o W a c h l , 122; M i t t e i s , Jher. Jb. 28, 160; H e l l w i g , L b . 197.

Richard

Schmidt,

L e h r b u c h des Zivilprozefsrechts.

2. A u l l .

20

306 Π Ι . Grundlagen des Verfahrens.

§ 49. Anspruch u. Rechtsverhältnis.

Verhandlung (unten Kap. I I S. 331 ff.). Aber damit ist nicht im entferntesten für möglich erklärt, dafs sich das Zivilgericht von vornherein und ausschliefslich mit rechtserheblichen Tatbeständen als solchen beschäftigen dürfe. Es kann keine Klage von dem Intestaterben eines noch Lebenden auf Feststellung der Testierunfähigkeit des Erblassers erhoben werden, ebensowenig kann die Unmöglichkeit einer Leistung, die Beschaffenheit einer Ware, das Bestehen eines aufserehelichen Geschlechtsverkehrs festgestellt werden 1 . Dies ist von prinzipieller Bedeutung. Wären solche Klagen möglich, so würden sie eine mafslose Ausdehnung der ZivilrechtspSege bedeuten. Sie würden den Prozefs zum Werkzeug ganz unbestimmter s u b j e k t i v e r Bedürfnisse der Bürger machen. Der Gedanke des Rechtsstaats fordert aber auch in diesem Zweig der öffentlichen Tätigkeit die genaue Bestimmtheit ihres Anwendungsgebiets und deshalb eine o b j e k t i v bestimmbare Regel für die Bedürfnisse, die den Prozefs entfesseln. Dafs die Z.P.O. tatsächlich diesen Standpunkt teilt, ergibt sich daraus, dafs sie es für nötig hält, in Ausnahmefällen den Prozefs durch Sondervorschrift auch zur Prüfung blofser Tatbestände zur Verfügung zu stellen. Es geschieht vor allem durch Einräumung der Klage auf Feststellung der E c h t h e i t oder U n e c h t h e i t e i n e r U r k u n d e , auch wo sie kein Rechtsverhältnis, sondern nur Beweismittel für ein Rechtsverhältnis darstellt (§ 256), und in anderen Einzelfällen. Aber diese Ausnahmen sind so vereinzelte, dafs aus ihnen kein verallgemeinerndes Prinzip hergeleitet werden kann 2 . V· Der Prozefsgegenstand bei den sog· prozefsgestaltenden Klagen. Scheinbar eine grundsätzliche Erweiterung erfährt das Anwendungsgebiet des Zivilprozesses dadurch, dafs die Z.P.O. in vielen Fällen die Erwirkung eines Urteils durch Klage gestattet, wo die Partei jedenfalls den g e s a m t e n I n h a l t eines Privatrechtsverhältnisses oder Privatrechtsanspruchs n i c h t zur gericht1 G a u p p - S t e i n zu § 256 I I , 1. S e u f f e r t zu § 256, no. 2 a, erste A u f l . dieses Lb. S. 142, 143. E b e n s o w e n i g k a n n z u m I n h a l t eines Prozesses eine a b s t r a k t e R e c h t s f r a g e g e m a c h t w e r d e n . W e n n ζ. B. e i n K a u f m a n n v o r E i n g e h u n g eines V e r t r a g s gegen seinen e v e n t u e l l e n M i t k o n t r a h e n t e n festzustellen b e a n t r a g t e , dafs dieser bei V e r z ö g e r u n g der L i e f e r u n g a u c h die E n t s c h ä d i g u n g zu ersetzen v e r p f l i c h t e t sei, die d e m K l ä g e r (Besteller) u n t e r U m s t ä n d e n gegenüber e i n e m d r i t t e n A b n e h m e r w e g e n U n m ö g l i c h k e i t der E r f ü l l u n g erwachsen w e r d e (vgl. R.O.H.G. 13, 197), so w ä r e diese K l a g e abzuweisen, n i c h t w e i l e i n Interesse a n der F e s t s t e l l u n g f e h l t e , s o n d e r n w e i l h i e r z u r Zeit ü b e r h a u p t n o c h k e i n P r i v a t r e c h t s a n s p r u c h b e h a u p t e t w e r d e n k a n n . Ebenso das R.G. I , 1882. 6, 385 gegenüber der K l a g e eines H a m b u r g e r B ü r g e r s gegen die d o r t i g e S t e u e r d e p u t a t i o n , dafs er n a c h ev. k ü n f t i g e n h a m b . Gesetzen n i c h t v e r p f l i c h t e t s e i , v o n D i v i d e n d e n aufserh a m b u r g i s c h e r A k t i e n g e s e l l s c h a f t e n d i e h a m b u r g i s c h e E i n k o m m e n s t e u e r zu e n t r i c h t e n . 2 W e n n aufserdem n o c h i n a n d e r e n F ä l l e n das R e i c h s r e c h t den Z i v i l p r o z e f s als M i t t e l eröffnet, u m Rechtsfolgen v o n T a t b e s t ä n d e n i m w e i t e r e n S i n n feststellen zu lassen, so k e n n z e i c h n e n s i c h diese als p o s i t i v - r e c h t l i c h e A u s n a h m e n schon d a d u r c h , dafs sie ü b e r h a u p t n i c h t die Z u l ä s s i g k e i t eines R e c h t s s c h u t z a k t s , sondern die Z u l ä s s i g k e i t eines A k t s der f r e i w i l l i g e n G e r i c h t s b a r k e i t betreffen, so die K l a g e a u f A n f e c h t u n g , oezw. A u f h e b u n g eines d i e E n t m ü n d i g u n g aussprechenden Beschlusses 605, 620, 624, 62ft, h i e r ü b e r oben S. 172), die A n f e c h t u n g s k l a g e gegen das A u s s c h l u f s u r t e i l des A u f g e b o t s v e r f a h r e n s (§ 831, oben S. 173), die A n f e c h t u n g s k l a g e der A k t i o n ä r e gegen einen G e n e r a l v e r s a m m lungsbeschlufs der A k t i e n g e s e l l s c h a f t u s w . (H.G.B. § 271). Jedenfalls l i e g t also i n allen diesen S o n d e r e r s c h e i n u n g e n eine p o s i t i v - r e c h t l i c h e V e r w e r t u n g des Zivilprozesses zu Zwecken, f ü r d i e er a n u n d f ü r s i c h n i c h t g e s c h a f f e n i s t .

Kein Prozefs um blofse Tatbestände.

„Prozefsgestaltende" Klagen.

307

liehen Prüfung gebracht wissen will. Gegenstand der Prüfung bilden hier, äufserlich betrachtet, nur Rechtsfragen meist fragmentarischen Charakters, von denen die Existenz eines Anspruchs oder gar nur eine bestimmte Art oder Form seiner prozessualen Geltendmachung abhängt. Ist insbesondere bereits ein Urteil über einen Anspruch ergangen, dessen wirksames Zustandekommen noch von einer ungewissen Bedingung abhängig ist oder nach dessen Erlafs eine Rechtsnachfolge (Erbgang, Zession) eingetreten ist, so kann Klage „auf Erteilung der Vollstreckungsklausel" erhoben werden, d. h. auf ein Urteil, welches lediglich den Eintritt der Bedingung oder der Rechtsnachfolge feststellt (§ 731 verb, mit §§ 726. 727). Liegt ein ausländisches Urteil vor, so ist Klage auf Erlafs des Vollstreckungsurteils zum Zweck der Prüfung zu erheben, ob die Minimalerfordernisse für dessen Vollstreckbarkeit in Deutschland vorliegen (§ 722, o. S. 288). In analoger Weise kann auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs geklagt werden (§ 1042, o. S. 157). Ist ein Vermögensstück für mehrere Gläubiger desselben Schuldners gepfändet und der unzureichende Erlös der Versteigerung vom Gerichtsvollzieher beim Amtsgericht zur Verteilung hinterlegt worden, so kann gegen den Teilungsplan Widerspruch in Form der Klage erhoben werden (§ 878). Diese und andere Fälle 1 erwecken also wiederum die Vorstellung, als könnten auch blofse rechtserhebliche Tatsachen Objekt selbständiger Zivilprozesse sein. Diese Klagen stellen sich als Mittel zur Ausgestaltung oder Durchführung ungewisser prozessualer Situationen dar, die, wenn überhaupt eine Verpflichtung, nur eine Verpflichtung des Gerichts, in bestimmter Weise prozessual zu handeln, zur Prüfung bringen. Keinesfalls wird anscheinend ein Privatrechtsanspruch oder Privatrechtsverhältnis von ihnen ergriffen. Sie werden deshalb häufig als p r o z e f s g e s t a l t e n d e Klagen oder als K l a g e n ohne A n s p r u c h bezeichnet, und zur Stütze des verallgemeinernden Prinzips verwendet, der moderne Zivilprozefs sei nicht oder nicht mehr ein Verfahren zur Prüfung von Privatrechtsverhältnissen, sondern überhaupt von R e c h t s f o l g e n rechtserheblicher Tatbestände2. In Wahrheit dürfen jedoch alle die genannten Klagen nicht als t y p i s c h e Formen der Bitte um prozessualen Schutz gelten. Denn sie stehen grundsätzlich in einem wesentlichen Punkte zu allen übrigen bisher besprochenen Klagen normalen Inhalts in Gegensatz. Sie rechnen nämlich sämtlich mit der Voraussetzung, 1 W e i t e r e r F a l l die sog. V o l l s t r e c k u n g s g e g e n k l a g e , d. i . d i e k l a g w e i s e G e l t e n d m a c h u n g der B e h a u p t u n g , dafs e i n bereits d u r c h U r t e i l v o l l s t r e c k b a r e r k l ä r t e r A n s p r u c h n a c h t r ä g l i c h ( d u r c h Z a h l u n g ) e r l e d i g t sei (§ 767). 2 So zuerst S t e i n , v e r b i n d l i c h e K r a f t r i c h t e r l i c h e r E n t s c h e i d u n g e n , 1897. G r u n d rifs des Z.P. bei B i r k m e y e r S. 8 , G a u p n - S t e i n , 4. A u f l . z u § 253, I I (S. 515: „ A l s gemeinsamer Gegenstand a l l e r n a c h der Z . r . O . zulässigen K l a g e n k a n n n u r bezeichnet w e r d e n die R e c h t s f o l g e eines m a t e r i e l l - r e c h t l i c h e n T a t b e s t a n d s u ) . N e u e r d i n g s H e l l w i g , L b . § 23 A n m . 2. W e i s m a n n , L b . S. 61. — S t e i n s H a u p t a r g u m e n t b i l d e n neben den i m T e x t c h a r a k t e r i s i e r t e n Anhangsprozessen d i e oben gen. R e c n t s ä n d e r u n g s k l a g e n (o. S. 300; v g l . u. § 59. 111). Es w u r d e bereits d a r g e l e g t , aafs diese n u r K l a g e n aus einer Gruppe v o n P r i v a t r e c h t s a n s p r ü c h e n (auf D u l d u n g ) sind. V e r g l . a u c h K i s c h , Beiträge zur U r t e i l s l e h r e 1903, § 7 ff.

20*

308 Π Ι . Grundlagen des Verfahrens.

§ 49. Anspruch u. Rechtsverhältnis.

dafs i h n e n e i n a n d e r e s U r t e i l u n d e i n a n d e r e r P r o zefs b e r e i t s v o r a u s g e g a n g e n ist. Während im allgemeinen die Klage über einen Anspruch dadurch, dafs dieser schon einmal abgeurteilt worden ist, gerade rechtlich unmöglich, der Einrede der Rechtskraft ausgesetzt wird, sind diese Klagen ohne bereits erfolgte Aburteilung ihrem Wesen nach überhaupt nicht denkbar. Die Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel wegen Bedingungseintritts oder Rechtsnachfolge b e r u h t auf dem Urteil, das den Anspruch als b e d i n g t e n oder in der Person des Erblassers feststellt. Die Klage auf Vollstreckungsurteil beruht auf dem ausländischen Urteil usw. Alle genannten Verfahren erweisen sich somit als höchst a n o m a l e Erscheinungen des Zivilprozesses. Sie führen zu blofsen N a c h t r a g s - oder A n h a n g s p r o z e s s e n , die nur dazu bestimmt sind, das noch nicht abschliefsend geprüfte Material eines streitigen Privatrechtsanspruchs nach einer Seite hin zu ergänzen und zu vervollständigen. Inhaltlich sind der vorausgehende Hauptprozefs und der nachfolgende Anhangsprozefs voneinander nicht zu trennen. Um so weniger handelt es sich also hier um Klagen ohne Anspruchsbehauptung. Der Streitgegenstand ist vielmehr auch in diesen Prozessen ein Privatrechtsanspruch, nur mit der Besonderheit, dafs im Anhangsprozefs nur eine einzige, augenblicklich wesentliche E i g e n s c h a f t des Anspruchs zur Aburteilung gelangt 1 . Sonach bleibt es bei dem den Zivilprozefs beherrschenden Prinzip, dafs Streitgegenstand nur der A n s p r u c h im Sinn des Privatrechts bezw. (in gewissen Fällen) das Privatrechtsverhältnis ist. Es besteht keine Veranlassung, daneben einen erweiterten Begriff des „Anspruchs im prozessualen Sinn", d. h. jeder zwecks Aburteilung aufgestellten „ R e c h t s b e h a u p t u n g " , der „Rechtsfolge eines Tatbestands", aufzustellen. Denn verschwindende Ausnahmeerscheinungen rechtfertigen keine Modifikation der leitenden Rechtsgedanken, die die Wissenschaft zu entwickeln hat. V I . Der Privatrechtsanspruch und das Interesse am gerichtlichen Schutz. Darf das Gebiet des Zivilprozesses hiernach im allgemeinen nicht über die Prüfung von Privatrechten ausgedehnt werden, so erstreckt sich anderseits der Zivilprozefs auf sie ohne Einschränkung. Es ist deshalb willkürlich, anzunehmen, als ob ein Anspruch nur bei Vorhandensein gewisser Eigenschaften Objekt des zivilprozessualen Schutzes werden könne. Insbesondere gehört zum Wesen des Anspruchs, insoweit er Gegenstand des Prozesses sein kann, nicht, dafs er fällig, auf eine fällige Leistung gerichtet ist 2 . Im Gegenteil sprach die Z.P.O. indirekt schon 1 T e i l w e i s e zu dieser A u f f a s s u n g z u s t i m m e n d , insbes. zu dem A u s d r u c k des „ A n hangsprozesses u sowie gegen S t e i n : H e l l w i g , L b . I , 49. S c h w a r t z , B i l l i g k e i t s u r t e i l , S. 105 (1904). N i c h t g u t t u t m a n , sich m i t d e m B e g r i f f eines „ P r o z e f s b e h e l f s in K l a g f o r m " z u begnügen. 2 So n o c h j e t z t a u f G r u n d v o n B.G.B. § 198, w o n a c h die V e r j ä h r u n g des „ A n s p r u c h s * m i t seiner E n t s t e h u n g b e g i n n t , H ö l d e r , Z e i t s c h r . 29, 85. Dagegen H e l l w i g , L b . 27.

Nachtrags- oder Anhangsprozesse.

Rechtsschutzinteresse.

309

früher aus (I § 672, I I § 751), dafs aus noch nicht fälligen Ansprüchen geklagt werden könne, und heute ist dies (Z.P.O. I I §§ 257 ff.) direkt zugelassen. Mindestens auf einer Verwechslung beruht aber auch die Anschauung, dafs als ein Anspruch, der zur prozessualen Bewährung geeignet sei, nur das v e r l e t z t e , von einer bestimmten Person u n b e f r i e d i g t gelassene Recht anzusehen sei 1 . Dieser Vorstellung liegt die richtige Erkenntnis zugrunde, dafs ein Prozefs nur dann Aussicht auf Erfolg verspricht, wenn der Rechtsuchende sich auf ein beeinträchtigendes Verhalten eines bestimmten Gegners, auf eine Rechtskränkung oder -Störung, berufen kann; hierin liegt das Charakteristikum des Zivilprozesses im Gegensatz zum Eingreifen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (o. S. 103. 189). Aber ein Vorurteil ist es, anzunehmen, dafs gerade nur die Verletzung des s t r e i t i g e n u n d u r t e i l s b e d ü r f t i g e n R e c h t s oder Anspruchs zum Zivilprozefs den Anlafs geben könne. Vielmehr kann ein irgendwelcher Eingriff in die f r e m d e R e c h t s s p h ä r e überhaupt, falls er nur zu einem bestimmten Privatrechtsverhältnis i n B e z i e h u n g s t e h t , genügen, um die Unterlage eines Prozesses und eines Urteils über dieses Privatrechtsverhältnis zu schaffen. So kann z. B. die Anmafsung eines Forderungsrechts dem angeblichen Schuldner deswegen die Handhabe zu einer Feststellungsklage des Nichtbestehens -dieses Rechts liefern (§ 256), weil er infolge der Anmafsung in seiner wirtschaftlichen Disposition oder in seinem Kredit gehemmt wird (u. § 114). In vielen anderen Fällen aber ist der Umstand, dafs ein Privatrechtsanspruch verletzt ist, nicht ausreichend, um den prozessualen Schutz zu motivieren. So bedarf es zur Ausbringung des Arrests (§§ 916 ff.) nicht nur des Nachweises, dafs der Gläubiger von seinem Schuldner nicht befriedigt worden ist, sondern weiter des Nachweises, dafs der Schuldner dem Gläubiger durch leichtsinniges Verhalten den Zugriff in sein Vermögen zu vereiteln droht, des „Arrestgrunds". Ein und derselbe Anspruch kann demnach in mehrfacher Weise verletzt werden, und je nachdem können verschiedene Formen des Prozesses dem Berechtigten zur Verfügung gestellt werden, um der Verletzung zu begegnen. Dennoch läfst sich nicht einfach der Satz aufstellen: Gegenstand des Zivilprozesses sei das Privatrecht unter der Voraussetzung, dafs es in bestimmter Weise behandelt, d. h. dafs es verletzt worden ist. Vielmehr zeigt sich hier wieder die schon früher dargelegte Erscheinung, dafs der Zivilprozefs neben der prüfungsbedürftigen Behauptung oder Leugnung eines Privatrechts noch einen zweiten Gegenstand der gerichtlichen Prüfung umschlieist, nämlich die Frage, ob eine Person durch eine andere in ihrer 1 D u r c h diese V o r s t e l l u n g h a t t e S a v i g n y d e n d e m B e g r i f f des A n s p r u c h s zu G r u n d e liegenden B e g r i f f der r ö m i s c h e n actio v o n f r ü h a n v e r d u n k e l t . So a u c h j e t z t noch R e g e l s b e r g e r , P a n d e k t e n I , 213. Dagegen bes. W i n d s c h e i d - K i p p , P a n d e k t e n I , § 44 a. E. (vgl. d o r t A n m . 5 i n der 8. A u f l . S. 163 den S t a n d der L i t e r a t u r ) . Fischer, Recht u n d Rechtsschutz, S. 68; H e l l w i g , A n s p r u c h , § 50, I . W e i s m a n n , L b . S. 64.

310

I I I . Grundlagen des Verfahrens.

§ 5.

P r t e .

Privatrechtssphäre gestört worden ist. Diese Frage dreht sich aber nicht nur um eine Beziehung oder Eigenschaft des streitigen P r i v a t r e c h t s , — vor allem nicht notwendig, worin sie praktisch wird, um eine Beziehung zwischen dem Leistungsberechtigten und Leistungsverpflichteten, zwischen den Subjekten des Privatrechtsverhältnisses. Sie hängt vielmehr von der p e r s ö n l i c h e n Bez i e h u n g der am P r o z e f s b e t e i l i g t e n P e r s o n e n , der P a r t e i e n , ab, und diese brauchen nicht notwendig dieselben Personen zu sein, die unmittelbar am streitigen P r i v a t r e c h t beteiligt sind. Mit andern Worten, neben dem streitigen Anspruch,, clem vom bürgerlichen Recht geordneten Gegenstand des Prozesses, ist für dessen Gang und Ergebnis ein anderes Verhältnis bedingend, das Interesse der Beteiligten am Rechtsschutz, das R e c h t s s c h u t z Diese Vori n t e r e s s e oder der R e c h t s s c h u t z g r u n d 1 . bedingung cles Prozesses ordnet jedoch das Prozefsrecht und zwar als ein unlösliches Stück des Verhältnisses der Interessenten des Rechtsschutzes, der P a r t e i e n (vgl. § 50 und unt. § 110if).

§ 50. Die Parteien. F l a n k , L e h r b . I , 199. W a c h , L b . I , 518. F i t t i n g , R.C.Pr. 37. W e i s m a n n , L b . I , 73. H e l l w i g , L b . I , 292. K l e i n f e l l e r , L b . I , § 37. K o m m e n t a r e v o r § 50 C.P.O. (bes. Seuffert, G a u p p - S t e i n , S k o n i e t z k i - G e l p c k e ad h. 1.). Stegemann, Die P a r t e i e n i m Prozesse, Z. 17 (1892), 326. Dagegen Petersen, P a r t e i b e g r i f f u n d P a r t e i f ä h i g k e i t , Z. 18 (1893), 1. Oetker, K o n k u r s r e c h t l i c h e Grundbegriffe I , 316. T h i e l e , W e r ist P a r t e i ? Civ. A . 82 (1894), 31. B u n s e n , P a r t e i e n i m O.P., Z. f. C.P. 26 (1899) S. 197 ff. L a n g h e i n e k e n , U r t e i l s a n s p r u c h 23 (1899). H e l l w i g , A n s p r u c h u n d K l a g r e c h t , S. 220. S c h o t t , Das A r m e n r e c h t . M i t B e i t r . z u r L e h r e v o m Parteibegriff, 1900.

I · Parteirolle und Sachlegitimation· Das Anwendungsgebiet des Zivilprozesses hängt nicht nur vom G e g e n s t a n d des behördlichen Verfahrens, von dessen Beziehung auf ein Privatrechtsverhältnis ab. Vielmehr erwächst aus der gerichtlichen Erörterung eines Privatrechtsverhältnisses, wie die frühere Grenzziehung (oben S. 189) ergab, ein Zivilprozefs nur unter der weiteren Voraussetzung, dafs sie im Interesse zweier in Widerstreit ihrer Interessen stehender Personen verlangt und vorgenommen wird. Der Zivilprozefs setzt zwei Willensträger voraus, deren einer den Erfolg des Rechtsschutzes für die Zwecke seiner Privatrechtssphäre gegen die andere störende Person zu erringen sucht. Zwei Personen, die im Gegensatz zueinander ein Sonderinteresse verfolgen, verschiedenen Zwecken nachgehen, nennt der Sprachgebrauch „Parteien". So wie im politischen Leben, so macht es auch im Prozesse das Wesen der Partei aus, dafs jemand einen vorteilhaften Erfolg für sich selbst, und zwar als einen Sonderzweck oder ein Sonderinteresse im Gegensatz und auf Kosten der Zweckbestrebungen anderer oder aller erstrebt 2 . Für jede Verfahrens1

V g l . ü b e r die R e c h t s s c h u t z b e d i n g u n g e n oder K l a g v o r a u s s e t z u n g e n bereits oben Dazu H e l l w i g , L b . I , 160. V g l . ü b e r den B e g r i f f u n d die B e d e u t u n g der P a r t e i e n i m p o l i t i s c h e n S i n n R i e h . S c h m i d t , A l l g e m e i n e S t a a t s l e h r e I (1900), S. 238 ff. u n d die d o r t referierte L i t e r a t u r .

S. 13ff.

2

Begriff der Partei.

Kennzeichen der Parteistellung.

311

form, die durch Tätigwerden staatlicher Behörden entsteht, ist deshalb das charakteristische Gepräge, abgesehen von ihrem Inhalt, in erster Linie dadurch bedingt, inwieweit es sich um Sonderinteressen und deren Träger dreht. Die der Zivilrechtspflege in vieler Hinsicht verwandten Prozeduren des Strafprozesses und des Verwaltungsstreitverfahrens zweigen sich vom Zivilprozefs aber gerade dadurch ab, dafs sie ihrem Wesen nach nicht durch Auseinandersetzung zweier gesonderter Interessenkreise, sondern durch Berührung einer Sondersphäre mit dem allgemeinen Interesse, das auch sie mit umschliefst, entstehen. Dem Zivilprozefs ist dagegen ein Z w e i p a r t e i e n v e r h ä l t n i s in seinem genauen Sinn eigentümlich, und zwar ist dies gerade sein ausschliefsliches Kennzeichen. Es liegt nun sehr nahe, das Z w e i p a r t e i e n V e r h ä l t n i s , die Grundlage der prozessualen T ä t i g k e i t e n , nur als die selbstverständliche prozessuale Kehrseite oder Konsequenz des P r i v a t r e c h t s v e r h ä l t n i s s e s anzusehen, das den Gegens t a n d des Prozesses bildet (§ 49). Die Parteistellung zweier Personen im Prozesse wäre dann nur der Reflex der Berechtigung und Verpflichtung, über welche im Prozesse geurteilt wird oder welche zur Vollstreckung gebracht werden. Das hätte zur Folge, dafs für die Rolle einer Person als Partei ein ganz bestimmtes p r i v a t r e c h t l i c h e s Kennzeichen mafsgebend wäre. Die prozessuale Parteistellung hätte sich nach der Beziehung der Prozefsbeteiligten zu dem streitigen Anspruch zu richten. Prozefs könnte nur zwischen denen geführt werden, für den und gegen den ein Anspruch behauptet wird. Als Kläger und Beklagter wären nur der angeblich B e r e c h t i g t e und der angeblich V e r p f l i c h t e t e eines Rechtsverhältnisses denkbar; — entsprechend als Gläubiger und Schuldner der Vollstreckung der siegreiche Berechtigte und der unterlegene Verpflichtete des Privatrechtsverhältnisses. So bezeichnete in der Tat die ältere Doktrin die Parteien oder Prozefssubjekte als identisch mit den Subjekten des streitigen Rechtsverhältnisses. Die P a r t e i s t e l l u n g im Prozesse würde dann zusammenfallen müssen mit der sog. S a c h l e g i t i m a t i o n für das private Rechtsverhältnis. Ein eingebürgerter Sprachgebrauch nennt nämlich die Person, der eine Berechtigung bestimmten Inhalts im gegebenen Augenblick zusteht, a k t i v l e g i t i m i e r t , — 1 Z u m B e g r i f f der P a r t e i e n g e h ö r t h i e r n a c h e i n d o p p e l t e s : dafs sie T r ä g e r eines I n t e r e s s e s s i n d , d. h. dafs m i t W i r k u n g f ü r u n d gegen sie V o r t e i l e , bezw. N a c h t e i l e erstrebt w e r d e n u n d dafs sie Träger eines S o n d e r i n t e r e s s e s s i n d , d. h. i n d e n v o n i h n e n erstrebten W i r k u n g e n m i t a n d e r n i m Gegensatze stehen. So b r i n g t es der S p r a c h g e b r a u c h , w i e er besonders f ü r die p o l i t i s c h e n P a r t e i e n u. ä. g i l t , m i t sien. F ü r den Z.P. b r a u c h t demselben n i c h t w e i t e r nachgegangen zu w e r d e n . W o h l aber i s t er bedeutsam f ü r den Strafprozefs. F ü r i h n f o l g t , dais der S t a a t s a n w a l t n i e P a r t e i i s t , d e n n er v e r f o l g t n i c h t ein g r u n d s ä t z l i c h d e m A n g e k l . entgegenges. I n t e r e s s e , s o n d e r n „ u n p a r t e i i s c h " o b j e k t i v r e c h t l i c h geforderte R e c h t s w i r k u n g e n , — aber a u c h , dafs der P r i v a t k l ä g e r n i c h t P a r t e i i s t , denn er v e r f o l g t R e c h t s w i r k u n g e n n i c h t f ü r s i c h . I n der N i c h t b e r ü c k s i c h t i g u n g des n a t ü r l i c h gegebenen Parteibegriffs l i e g t die Schwäche der h e u t i g e n S t r a f p r o z e f s d o k t r i n , die v e r h ä n g n i s v o l l w i r d , w e n n daraus, w i e bei M i t t e r m a i e r , P a r t e i s t e l l u n g des Staatea n w a l t s (1897) p r a k t . Konsequenzen gezogen w e r d e n .

312

I I I . Grundlagen des Verfahrens.

§ 5.

P r t e .

die andere Person, der eine Pflicht bestimmten Inhalts obliegt, p a s s i v l e g i t i m i e r t für das Rechtsverhältnis. Sowohl die Aktivlegitimation, die Innehabung eines Privatrechtsanspruchs, als die Passivlegitimation, die Gebundenheit durch eine anspruchsmäfsige Verpflichtung — zusammenfassend die Sachlegitimation —, hängt von bestimmten, im Prozesse zu prüfenden Tatsachen ab, — die A k t i v l e g i t i m a t i o n z. B. von dem Erwerb der eingeklagten Forderung durch Zession oder Erbgang, von dem Eigentum am Grundstück, für das eine Dienstbarkeit klagweise verfolgt wird, — die P a s s i v l e g i t i m a t i o n z. B. von dem erfolgten Eintritt in die eingeklagte Schuld durch Schuldübernahme, von der Erlangung des Besitzes an der mit Eigentumsklage verlangten Mobilie. In diesem Sinn bilden die Tatsachen der Sachlegitimation zunächst einen Bestandteil der Anspruchsbegründung, die der Kläger behaupten und beweisen mufs, um gegen den Beklagten obzusiegen. Würden nun aber, wie soeben angenommen wurde, die Träger des streitigen Rechtsverhältnisses und die Parteien des über ein Recht geführten Prozesses notwendig zusammenfallen, so würde sich zugleich das prozessuale Prinzip ergeben : P a r t e i e n s i n d die P e r s o n e n , d i e i h r e r B e h a u p t u n g nach f ü r das s t r e i t i g e P r i v a t r e c h t a k t i v und p a s s i v l e g i t i m i e r t sind. Die Parteistellung hinge davon ab, dafs eine zur Begründung der Sachlegitimation geeignete Tatsache mindestens g e l t e n d g e m a c h t wird 1 . In der Tat trifft für die regelmäfsigen Fälle die bezeichnete einfache Gestaltung zu. Notwendig ist dieselbe jedoch nicht. Keineswegs immer hängt das privatrechtliche Verpflichtungsverhältnis und das prozessuale Parteienverhältnis so eng zusammen. Das geltende Recht stellt vielmehr den Zivilprozefs in vielen Fällen auch solchen Personen zur Verfügung, die nicht i h r Rechtsverhältnis oder nicht ein ihrem G e g n e r g e g e n ü b e r bestehendes Rechtsverhältnis zur gerichtlichen Prüfung und Entscheidung gebracht wissen wollen, sondern die ein f r e m d e s Recht, an welchem sie i n t e r e s s i e r t sind, oder ihr Recht gegenüber einem a n d e r e n als dem V e r p f l i c h t e t e n zum Gegenstand des Streits erheben. Bei dem gesetzlichen Güterstand der Eheleute bleibt zwar die Ehefrau die Inhaberin der zu ihrem Einbringen gehörigen Vermögensrechte, der Ehemann hat jedoch kraft seines Nutzniefsungs- und Verwaltungsrechts das Eigentum an den Sachen geltend zu machen, die zugehörigen Forderungen im eigenen Namen gerichtlich einzuziehen (B.G.B. § 1380); er ist also Kläger aus fremdem Recht. Entsprechend kann der Vollstreckungsgläubiger, der eine Geldforderung seines Schuldners an dessen Drittschuldner gepfändet hat, unmittelbar Klage auf Fest1 So n o c h P l a n c k I , 209 ( P a r t e i e n : die an dem s t r e i t i g e n P r i v a t r e c h t s v e r h ä l t n i s b e t e i l i g t e n ) . W a c h I , 613. P e t e r s e n , Z. 18, 1 u n d die älteren K o m m e n t a r e ; n e u e r d i n g s w i e d e r K l e i n f e l l e r , L b . 120.

Aktiv- u. Passivlegitimation. Klage für u. gegen nicht sachlich Legitimierte. 313

Stellung dieser Forderung gegen den Drittschuldner erheben 1. Umgekehrt spielt im Konkurse die Klage eine erhebliche Rolle, die der Konkursgläubiger, der seine Forderung zur Teilnahme an der Befriedigung aus dem Schuldnervermögen angemeldet hat, aber von andern Gläubigern bestritten worden ist, gegen diese G l ä u b i g e r erhebt; der Gläubiger bringt also hier sein Privatrecht nicht gegenüber dem Verpflichteten, d. h. dem Konkursschuldner, der ganz aus dem Spiele bleibt, sondern gegenüber einem Dritten, an dem Nichtbestehen der Forderung Interessierten zur Feststellung, der durch seine Bestreitung dem Gläubiger ein Interesse am Rechtsschutz gegen ihn gegeben hat. Entsprechend kann ein Gläubiger, wenn ein anderer behauptet, dafs er die geschuldete Leistung vom Schuldner zu fordern habe (z. B. die Auszahlung der Versicherungssumme von der Versicherungsgesellschaft), Klage nicht gegen den Schuldner (der die Forderung gar nicht bestreitet), sondern gegen den Prätendenten auf Fesstellung seines Rechts (§ 256) erheben 84 . Aus solchen Fällen ergibt sich, dafs die Parteien nicht notwendig die aus dem streitigen Anspruch berechtigten oder verpflichteten sind. Parteien sind vielmehr alle, f ü r und gegen w e l c h e d i e W i r k u n g e n eines U r t e i l s oder e i n e r V o l l s t r e c k u n g w e g e n e i n e s b e l i e b i g e n A n s p r u c h s e r b e t e n w e r d e n . Voraussetzung dafür aber, dafs für eine Person oder gegen sie Rechtsschutz verlangt wird, ist lediglich, dafs sie an dem streitigen Rechtsverhältnis i n t e r e s s i e r t sind. P a r t e i e n sind d e m n a c h die a n g e b l i c h e n I n t e r e s s e n t e n des U r t e i l s - o d e r V o l l s t r e c k u n g s s c h u t z e s , derjenige, von welchem, und derjenige, welchem gegenüber der Rechtsschutz im Zivilprozesse verlangt wird 5 . Das Interesse an der Aburteilung eines Rechtsverhältnisses k a n n mit der angeblichen Aktiv- oder Passivlegitimation zusammentreffen. Es kann aber auch in anderen, vom Gesetz anerkannten Tatsachen beruhen. Will eine Person für sich und 1 E i n o d e r a r t i g e F e s t s t e l l u n g s k l a g e w i r d v o n B e d e u t u n g i n dem V o l l s t r e c k u n g s s t a d i u m , wo die G e l d f o r d e r u n g des V o l l s t r e c k u n g s s c h u l d n e r s f ü r d e n V o l l s t r e c k u n g s gläubiger z w a r gepfändet, i h m aber n o c h n i c h t zur E i n z i e h u n g ü b e r w i e s e n ist. (R.G. I I , 24. 6. 90. 27, 345.) V e r g l . u. § 147, I I I . - A n d e r e r F a l l : Der G l ä u b i g e r , der n a c h K l a g e r h e b u n g seine F o r d e r u n g z e d i e r t h a t , behält auch j e t z t noch das Interesse d a r a n , dafs über die n u n m e h r d e m D r i t t e n (Zessionar) zustehende F o r d e r u n g auf eigenen N a m e n a b g e u r t e i l t w e r d e (Z.P.O. § 265, — v g l . u . § 137). M i n d e s t e n s ä h n l i c h : K l a g e des D r i t t e n a u f F e s t s t e l l u n g der N i c h t i g k e i t der z w i s c h e n d e n Gatten bestehenden Ehe (u. § 63). — Ebenso k l a g t d e r , a u f den der W e c h s e l „ z u r E i n k a s s i e r u n g " , „ i n P r o k u r a " i n d o s s i e r t w o r d e n i s t , n a c h a r t . 17 W o . den W e c h s e l ein, ohne E i g e n t ü m e r g e w o r d e n zu sein. a So i m F a l l R.G. I I I , 1882, 7, 419. 4 A n d e r e F ä l l e : Die K l a g e aus der B o d m e r e i , die K l a g e der Schiffsgläubiger ( H e u e r ansprüche der Besatzung, L o t s e n g e l d e r , B e i t r ä g e z u r H a v e r e i ) , k a n n n i c h t n u r gegen den Verpflichteten (den R e e d e r ) , s o n d e r n a u c h gegen den K a p i t ä n e r h o b e n w e r d e n (H.G.B. § 696, 761; K o h l e r , ges. B e i t r ä g e 569, E n c y k l . 86, 91). Der m i t der E i g e n t u m s k l a g e a u f Herausgabe belangte B e k l a g t e , der die Sache veräufsert h a t , behält a u c h j e t z t n o c h das Interesse d a r a n , dafs über d i e V e r p f l i c h t u n g des D r i t t e n ( n u n m e h r i g e n Besitzers) g e u r t e i l t w e r d e (Z.P.O. § 265e — v g l . u . § 137). 5 So zuerst p r i n z i p i e l l f o r m u l i e r t v o n 0 e t k e r , J u r i s t . L i t e r a t u r b l a t t I I , 189. S t e g m a n n , Parteien i m Prozefs, Z. f. C.P. 17, 357 u. i n der 1. A u f l . dieses Lb. S. 145. Z u s t i m mend G a u p p - S t e i n v o r § 50. S e u f f e r t v o r § 50. M i t O e t k e r k a n n m a n dies d a h i n a u s d r ü c k e n : P a r t e i e n s i n d n i c h t die „ S u b j e k t e der res i n j u d i c i u m d e d u e t a " , s o n d e r n der „ r e m i n j u d i c i u m deducens" u n d „ e t c o n t r a q u e m res i n j u d i c i u m d e d u c i t u r " .

314

I I I . Grundlagen des Verfahrens.

§ 5.

P r t e .

gegen ihren Gegner Urteil erlangen, so mufs sie eine solche interessebegründende Tatsache beweisen. Dieselbe wird dann zu einem Bestandteil des Rechtsschutzinteresses (o. S. 310). Wie ein erfolgreiches Prozefsergebnis in erster Linie davon abhängt, dafs ü b e r h a u p t ein Eingriff in fremde Rechtssphäre sich ereignet hat, so setzt dasselbe, wie sich nunmehr zeigt, weiter voraus, dafs g e r a d e d i e k l a g e n d e P e r s o n und dafs sie g e r a d e g e g e n ü b e r der b e k l a g t e n P e r s o n einen rechtlich anerkannten tatsächlichen Anlafs zum Schutz durch gerichtliches Urteil nachweisen kann. Es mufs z. B. der Kläger in seiner Person sein ehemännliches Verwaltungsrecht nachweisen, das ihm ein eigenes Interesse an der Geltendmachung der eingebrachten Forderungen begründet, — der Kläger mufs in der Person des Beklagten ein Verhalten nachweisen, durch das sich dieser derselben Forderung gegen einen Dritten berühmt (z. B. als Zessionar), auf die der Kläger selbst (als ursprünglicher Gläubiger) Anspruch macht, und das dem Kläger das Interesse begründet, gerade gegen diesen Prätendenten die Feststellung zu erwirken. Um aber fürs erste Prozeis e i n z u l e i t e n , genügt es, eine solche Beziehung zu beh a u p t e n . K l ä g e r i s t d e r j e n i g e , der auf G r u n d i r g e n d w e l c h e r T a t s a c h e n an e i n e m U r t e i l ü b e r e i n e n A n s p r u c h i n t e r e s s i e r t zu sein b e h a u p t e t , — B e k l a g t e r d e r j e n i g e , dem g e g e n ü b e r der K l ä g e r am U r t e i l angeblich interessiert ist1. Welche Personen ein Interesse besitzen, dessen Behauptung sie für Erhebung der Klage befugt, kann nur aus den Einzelvorschriften des Zivil- oder Prozefsrechts entnommen werden. Sie können aber nicht nur verfügen, dafs ein am Privatrechtsverhältnis n i c h t berechtigter doch ein Interesse haben kann, als Partei wegen dieses Rechtsverhältnisses aufzutreten, wie in den oben genannten Fällen, sondern sie können auch anordnen, dafs der zivilrechtlich Berechtigte, der aktiv oder passiv Legitimierte, k e i n Interesse zur Führung des Prozesses haben solle. So will es das geltende Recht für die Ehefrau hinsichtlich der Rechte ihres eingebrachten Guts, falls nicht der Mann zustimmt (B.G.B. § 1400). Der Hinweis auf ein durch irgendwelche Spezialvorschriften begründetes I n t e r e s s e an einem streitigen Rechtsverhältnis kann am einfachsten die Fälle erklären, in denen nicht der aus dem Rechtsverhältnis Berechtigte oder Verpflichtete, sondern ein D r i t t e r (Nicht-Berechtigter oder -Verpflichteter) als Partei auftritt. Es ist deshalb eine unnötige Erschwerung des Systems, wenn neuerdings Hellwig (Anspr. u. Klagrecht S. 131, Lb. S. 155. 316) solchen 1 H i e r a u s e r g i b t s i c h z u g l e i c h , w i e d i e entgegengesetzten S o n d e r i n t e r e s s e n , d i e dies Z w e i p a r t e i e n v e r h ä l t n i s b e g r ü n d e n (o. S. 311), zu v e r s t e h e n sind. E n t s c h e i d e n d s i n d n i c h t f e i n d l i c h e I n t e r e s s e n a m P r i v a t r e c h t s v e r h ä l t n i s , sondern a m E r f o l g d e s P r o z e s s e s . Dies w i r d v o n p r a k t i s c h e r B e d e u t u n g d a f ü r , dafs K l a g e einer Person gegen eine andere, z . B . eine Gesellschaft, die d u r c h sie selbst v e r t r e t e n w i r d ( „ K l a g e g e g e n s i c h s e l b s t " ) , n i c h t d e n k b a r i s t . T r o t z der v e r s c h i e d e n e n o b j e k t i v e n P r i v a t r e c h t s s p h ä r e n i s t h i e r eine Z e r l e g u n g zweier s u b j e k t i v e r R e c h t s s c h u t z i n t e r e s s e n , auf die es a n k o m m t , n i c h t d e n k b a r . Ebenso R.G. I , 18. O k t . 82. 7, 404. 15, 397. E . N o v , ν. Z.P.O. § 53 a. ( „ E i n V e r t r e t e r k a n n n i c h t i m N a m e n des V e r t r e t e n e n einen Rechtsstreit m i t sich i m eigenen N a m e n oder als V e r t r e t e r eines D r i t t e n f ü h r e n " ) i s t n i c h t Gesetz geworden.

Sachlegitimation und subjektives Rechtsschutzinteresse.

315

Personen ein „ P r o z e f s f ü h r u n g s r e c h t " beilegt und dieses als eine selbständige „Klagvoraussetzung" neben den „ R e c h t s s c h u t z g r u n d " stellt 1 . Wie soeben dargelegt, ist vielmehr das Interesse, das eine bestimmte Person daran hat, ein Urteil wegen eines Rechts zu erstreiten, ein unlöslicher Bestandteil des Rechtsschutzinteresses überhaupt (o. S. 309), das neben dem Anspruch selbst geprüft werden mufs, wenn die Unterlagen des Urteils in der Sache festgestellt werden sollen. Am deutlichsten zeigt sich das an dem angeblichen Prozefsführungsrecht des Beklagten. Prozessiert z. B. der Eigentümer gegen den Besitzer der Sache weiter, nachdem dieser die Sache an einen andern veräufsert und übergeben hat (§ 265), so ist die Unterlage des fortdauernden Prozefsführungsrechts des ehemaligen Besitzers, nunmehrigen „Dritten", doch nichts anderes als sein ehemaliger Besitz, d. h. eben dieselbe Tatsache, die zugleich den Rechtsschutzgrund bildete. Klagt der Gläubiger gegen den dritten Prätendenten auf Feststellung der Forderung (o. S. 313 zu A. 3), so wird dessen Prozefsführungsrecht durch die Anmafsung des gleichen Rechtsgesch,atfen, also durch dieselbe Tatsache, die das Feststellungsinteresse nach § 256 abgibt 2 . W i l l man— mindestens in der Person des K l ä g e r s — doch zwischen den Tatsachen, die zum Prozesse überhaupt den Anlafs geben (der Störung im Recht), und den Tatsachen, die gerade d i e s e r Person ein Interesse am Rechtsschutz geben (z. B. dem Verwaltungsrecht des Ehemanns), unterscheiden, so genügt es, zwischen o b j e k t i v e n und s u b j e k t i v e n Rechtsschutzbedingungen oder Klagvoraussetzungen zu sprechen. Der Gegensatz ist jedenfalls logisch kein tieferer als der, den das Privatrecht zwischen dem Klaggrund (dem rechtserzeugenden Tatbestand) und der Aktivlegitimation (dem Erwerb des Rechts für d i e s e Person, o. S. 312) begründet. Ein Verdienst hat sich jedoch Hellwig dadurch erworben, dafs er den Begriff der Aktiv- und Passivlegitimation schärfer auf die Personen eingeschränkt hat, denen das streitige R e c h t zusteht, die streitige P f l i c h t obliegt. Der bisherige Sprachgebrauch war geneigt, auch denjenigen aktiv oder passiv legitimiert zu nennen, der nur ein I n t e r e s s e am Prozessieren über das Recht (ein Prozefsführungsrecht im Sinne Hellwigs) hat 3 . Gar nicht berührt hier zunächst die Unterscheidung der Sachlegitimation (legitimatio ad causam) von der Prozefslegitimation (legitimatio ad processum), d. h. der Vertretungsbefugnis, die einem Dritten gewährt ist, im N a m e n ι Vgl. auch H e l l w i g , Prozefsführungsrecht u n d Prozefsführungsmacht i n „Das Recht", 1902, no. 2 if. — W i e d e r anders K o h l e r , Sukzession i n das P r o z e f s v e r h ä l t n i s , Z. f. C.P. 12, S. 97 ff. R e c h t i m Prozefs, G r ü n h u t s Z. B d . 14, der e i n z i v i l i s t i s c h e s V e r h ä l t n i s der einen Person z u m Z i v i l r e c h t einer a n d e r e n , k r a f t w e l c h e n V e r h ä l t n i s s e s es der einen Person z u s t e h t , einen Prozefs zu f ü h r e n , dessen z i v i l i s t i s c h e F o l g e n a u f d i e andere Person f a l l e n " , als „ P r o z e f s s t a n d s c h a f t u bezeichnen m o c h t e . K o h l e r r e c h n e t dabei m i t z u m B e g r i f f der Prozel'sstandschaft, dafs das v o m N i c h t b e r e c h t i g t e n e r s t r i t t e n e U r t e i l gegen einen D r i t t e n (den B e r e c h t i g t e n ) w i r k t . D a m i t z i e h t er aber eine Frage h e r e i n , die das Gesetz nach e i g e n a r t i g e n E r w ä g u n g e n (vgl. d a r ü b e r u . § 121, I V ) zu b e a n t worten hat. * H e l l w i g z i e h t denn auch diesen F a l l n i c h t h i e r h e r . E r e r k l ä r t (Lb. S. 199) d i e Klage a u f F e s t s t e l l u n g gegen den D r i t t p r ä t e n d e n t e n d a r a u s , dafs a u c h e i n F o r d e r u n g s r e c h t d u r c h D r i t t e v e r l e t z b a r sei, speziell aus A n a l o g i e der K l a g e u u f H e r a u s g a b e des E r l a n g t e n gegen einen N i c h t b e r e c h t i g t e n , der über den F o r d e r u n g s g e g e n s t a n d v e r f ü g t h a t (B.G.B. § 816). H i e r m i t k a n n aber der P r ä t e n d e n t e n s t r e i t gar n i c h t v e r g l i c h e n w e r d e n . $ 816 begründet eine p r i v a t r e c h t l i c h e L e i s t u n g s p f l i c h t w e g e n V e r m ö g e n s b e s c h ä d i g u n g i m A l l g e m e i n e n , die B e r ü h m u n g des P r ä t e n d e n t e n den n o r m a l e n , r e i n prozessualen Rechtsschutzanspruch auf Feststellung. A n d e r s e i t s b e h a n d e l t H e l l w i g als eine H a u p t k a t e g o r i e des P r o z e f s f ü h r u n g s r e c h t s d r i t t e r Personen als der B e r e c h t i g t e n die F ä l l e , dafs T e i l e eines Vermögens der V e r f ü g u n g des A k t i v l e g i t i m i e r t e n entzogen u n d zu e i n e m S o n d e r v e r m ö g e n (z. B. Nachlafs, K o n k u r s masse) erhoben w e r d e n (Lb. S. 322, 331). H i e r schlagen aber ganz andere G e s i c h t s p u n k t e ein (vgl. u . I V S. 322 ff). Der B e g r i f f des Prozefsführungsrechts d i e n t also d a z u , zusammengehörige E r scheinungen zu t r e n n e n , u n d f r e m d a r t i g e zu einer Gruppe zu v e r e i n i g e n . N i c h t z u r K l ä r u n g u n d gröfsern s y s t e m a t i s c h e n E i n h e i t , w i e H e l l w i g m e i n t , t r ä g t es b e i , w e n n m i t der Frage, w a n n e i n N i c h t b e r e c h t i g t e r die P a r t e i r o l l e wegen eines Rechts haben u n d ein U r t e i l über fremdes Recht oder fremde P f l i c h t e r s t r e i t e n k a n n , die andere Frage v e r bunden w i r d , ob u n d >vann i n solchen F ä l l e n das v o m N i c h t b e r e c h t i g t e n (z. B . E h e m a n n ) e r s t r i t t e n e U r t e i l f ü r oder gegen den B e r e c h t i g t e n , den A k t i v - oder P a s s i v l e g i t i m i e r t e n (z. B. die Ehefrau) w i r k s a m w i r d . Diese Frage k a n n n u r i m R a h m e n der L e h r * v o n den g e r i c h t l i c h e n E n t s c h e i d u n g e n b e a n t w o r t e t w e r d e n (u. § 121. 141). « V g l . H e l l w i g , L e h r b u c h S. 156.

316

I. Grundlagen des Verfahrens.

§ 5.

u n d m i t W i r k u n g für die P a r t e i im Prozesse Stellvertretungsrecht (vgl. u. S. 365 und § 57).

P r t e . zu h a n d e l n ,

das

Aus dem richtigen ParteibegrifF erklären sich weitere Erscheinungen: a) Nicht jeder, der an einem prozefsbefangenen Privatrechtsverhältnis als Berechtigter oder Verpflichteter beteiligt ist, ist deswegen auch Partei, sondern nur der, a u f d e s s e n N a m e n , für oder gegen den tatsächlich durch ausdrückliche Willenserklärung der Prozefs eingeleitet worden ist. Wenn von zwei Miteigentümern eines Grundstücks nur der eine klagt, von zwei Solidarschuldnern nur der eine beklagt wird, so wird das Urteil nur auf den Namen dieser Personen erlassen und an sich nur für und gegen sie wirksam. Der andere Mitberechtigte und Mitverpflichtete ist nicht Partei. So z. B. sogar dann, wenn, wie bisweilen in der Amtsgerichtspraxis, der Gläubiger, um einen Rechtsanwalt zu umgehen, seine Forderung zum Schein einem Winkeladvokaten abgetreten hat und dieser sie auf eigenen Namen scheinbar als Zessionar, in Wahrheit als Vertreter einklagt. Selbst wenn das Gericht in dieses Verhältnis Einblick gewinnt, darf es den Gläubiger nicht als Partei behandeln (vgl. unten § 81, II). b) Umgekehrt erfährt der Kreis der Parteien eine Erweiterung dadurch, dafs innerhalb des Hauptprozesses neue selbständige Streitigkeiten über V o r f r a g e n entstehen, die nicht mit der Frage der Existenz des streitigen Anspruchs zusammenfallen, nur das Verfahren über den Anspruch in einzelne Teile, seine Zulässigkeit, seine Gültigkeit usw. berühren. Solche Streitigkeiten können nicht nur zwischen den Parteien des Hauptstreits, sondern auch zwischen einer oder beiden von ihnen und einem D r i t t e n entstehen, z. B. mit Zeugen, Sachverständigen, die die Aussage verweigern (§ 383 tt'.), mit Stellvertretern, Gerichtsschreibern, Gerichtsvollziehern, die angeblich durch grobes Verschulden Kosten verursacht haben (§ 102) u. a. In diesen Zwischen- oder Inzidentstreitigkeiten sind es naturgemäfs die Dritten, welche in demselben Sinn wie die Parteien hinsichtlich des Gesamtprozesses eine Wirkung, welche ihrem individuellen Rechtsschutz vorteilhaft ist, durch behördliche Entscheidung anstreben oder einer ihnen nachteiligen Wirkung unterworfen werden sollen. Sie bewegen sich also innerhalb des Inzidentstreits als Parteien und sind hinsichtlich ihrer Tätigkeit (Zustellungen, Verhandlungen, Beweisantretungen usw.) als solche zu behandeln, wenn man auch als Parteien im engeren Sinn nur die an dem prozefsveranlassenden Akt des Privatrechtsschutzes (an Sachurteil oder Anspruchsvollstreckung) interessierten bezeichnet.

I I · Parteifähigkeit. Ob eine Person über ein strittiges Rechtsverhältnis als Kläger oder Beklagter mit Erfolg prozessieren kann, setzt, wie gezeigt, ein erweisliches Interesse am Schutz ihrer Rechtssphäre, soweit diese durch jenes Recht berührt wird, voraus. In jedem Falle also ergreift das ergehende Urteil, mag es gegen oder für die Partei ausfallen, deren R e c h t s s p h ä r e , d. h. die Gesamtheit ihrer rechtlichen Machtstellung. Sie wird durch die Wirkung des Prozesses verstärkt oder geschmälert. Infolgedessen mufs die Partei unter allen Umständen diejenige rechtliche Eigenschaft mitbringen, die sie befähigt, die Wirkungen eines Prozesses auf sich zu nehmen. Diese Eigenschaft ist die P a r t e i f ä h i g k e i t , d. h. die Fähigkeit, ü b e r h a u p t einen Prozefs mit Wirksamkeit zu führen oder, wie meist gesagt wird, die Fähigkeit, zu k l a g e n o d e r v e r k l a g t zu werden. Sie mufs geprüft werden und feststehen, ehe die Frage aufgeworfen wird, ob das behauptete Interesse an der Feststellung eines bes t i m m t e n e i n z e l n e n Privatrechtsverhältnisses besteht Sie

Parteifähigkeit natürlicher und juristischer Personen.

317

ist eine P r o z e f s v o r a u s s e t z u n g , eine Voraussetzung dafür, dafs ü b e r h a u p t sachlich entschieden werden kann (o. S. 21), ehe das Gericht sich schlüssig zu machen hat, f ü r wen entschieden werden soll. Ist nun aber die Wirkung des Prozesses, sowohl des Urteils wie der Vollstreckung, immer nur eine Verstärkung oder Beschränkung der P r i v a t r e c h t s s p h ä r e der Partei, mufs sich die Parteifähigkeit in ihren Bedingungen mit der vom bürgerlichen Recht geordneten Fähigkeit decken, private Rechte und Pflichten zu erwerben, d. h. mit der R e c h t s f ä h i g k e i t . „ P a r t e i f ä h i g i s t , wer r e c h t s f ä h i g i s t " (§ 50). Die Parteifähigkeit kommt danach zu: 1. jeder n a t ü r l i c h e n Person von der Geburt bis zum Tode1. Dagegen ist der Verstorbene nicht mehr fähig, durch einen andern zu klagen oder verklagt zu werden, ebensowenig im strengen Sinn der möglicherweise Tote (der Verschollene), und anderseits die ungeborene Leibesfrucht 2. Parteifähig ist ferner: 2. jede sog. j u r i s t i s c h e Person, vor allem der Fiskus und andere ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e Verbandspersonen (Provinzen, Gemeinden, Religionsgemeinschaften in privatrechtlicher Beziehung, o. S. 182), die p r i v a t r e c h t l i c h e n Verbandspersonen, die nach gesetzlicher Vorschrift oder kraft staatlicher Verleihung die juristische Persönlichkeit erlangt haben3, die S t i f t u n g e n , die dieser Vorbedingung genügen4. Nicht parteifähig sind dagegen solche Erscheinungen des Rechtslebens, die nach aufsen zwar als die eigentlichen Interessenträger auftreten, aber vom Recht nicht als selbständige Träger von Rechten und Pflichten anerkannt sind, insbes. die Gesellschaften des bürgerlichen Rechts (B.G.B. § 705), die gemeinnützigen Institute (Krankenhäuser, Schulen, Pfründhäuser), die nicht selbständige Stiftung oder Korporation, sondern nur Anstalten der Gemeinde usw. sind, — ebenso die Firma des Einzelkaufmanns. Klagen und verklagt werden können in diesen Fällen nur die Gesellschafter (Konsequenz § 736 Z.P.O.), die Gemeinde, der Inhaber der Firma. Bei dem letzteren gilt nur die Besonderheit, dafs der Kaufmann „unter seiner Firma" klagen und verklagt werden kann (H.G.B. § 17, 2), d. h. dafs der Name des Inhabers in der 1 A u c h dem Ordensgeistlichen nach A b l e g u n g der Gelübde. Ä l t e r e N o r m e n , die i h m die R e c h t s f ä h i g k e i t n a h m e n , s i n d d u r c h A r t . 55 E.G. B.G.B, aufgehoben. M i t der P.F. i s t w o h l v e r t r ä g l i c h , dafs das L a n d e s r e c h t den Rechtserwerb u n d d a m i t die V e r f o l g u n g desselben i m Prozesse v o n s t a a t l . G e n e h m i g u n g a b h ä n g i g m a c h e n k a n n ( A r t . 87 E.G.), G a u p p - S t e i n § 50, I I . 2 F ü r sie (§ 1911, 1912 B.G.B.) e r g i b t sich eine e i g e n a r t i g e R e c h t s s t e l l u n g ( v g l . u n i . S. 324). 3 I m E i n z e l n e n i s t also p a r t e i f ä h i g auf G r u n d ihres gesetzlichen G r ü n d u n g s a k t s die A k t i e n g e s e l l s c h a f t (H.G.B. § 210), d i e K o m m a n d i t g e s . a u f A k t i e n (§ 320), die K o m m a n d i t gesellschaft (H.G.B. § 161), die E r w e r b s - u n d W i r t s c h a f t s g e n o s s e n s c h a f t (Genoss.Ges. v . 1. M a i 89, 20. M a i 98, § 17), die Gesellsch. m i t beschr. H a f t u n g (R.Ges. v . 20. A p r i l 92, §13). Die w i r t s c h a f t l i c h e n V e r e i n e , die n i c h t zu den p r i v i l e g i e r t e n des H a n d e l s r e c h t s gehören, s i n d p a r t e i f ä h i g a u f G r u n d der V e r l e i h u n g (§ 22 B.G.ß.), ebenso die K o l o n i a l g e s e l l schaften (R.Ges. v . 15. März 88 § 8). Die Vereine m i t i d e a l e m Z w e c k s i n d es a u f G r u n d der E i n t r a g u n g i m Vereinsregister (§ 22) ev. i m F a l l §61 u n t e r der Voraussetzung, dafs die V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n i c h t E i n s p r u c h erhoben h a t . Über andere p a r t e i f ä h i g e K o r p o r a t i o n e n n a c h R e i c h s r e c h t u n d Landesrecht v g l . G a u p p - S t e i n § 50, I I . S e u f f e r t § 50, n. 2. * P r i v a t r e c h t l i c h e S t i f t u n g e n bei s t a a t l i c h e r G e n e h m i g u n g (B.G.B. § 80), — öffentl i c h - r e c h t l i c h e (Schulen, K u n s t a n s t a l t e n ) n a c h Mafsgabe des r a r t i k u l a r r e c h t s .

318

I I I . Grundlagen des Verfahrens.

Klage nicht angegeben und in der Verhandlung braucht An und für sich müfste das gleiche auch schaft gelten, die zweifellos nicht juristische Verein, der die juristische Persönlichkeit nicht hat (B.G.B. § 54). Hierfür hat aber das pos. gestellt (vergl. u. S. 321. 322).

§ 5.

P r t e .

nicht nachgewiesen zu werden für die offene HandelsgesellPerson ist, sowie für einen erhalten oder wieder verloren R. besondere Prinzipien auf-

I I I . Prozefsfâhigkeit. Unter den Personen, die an sich fähig sind, die Wirkungen eines prozessualen Verfahrens, des Urteils oder der Vollstreckung, zu ihren Gunsten oder zu ihrem Nachteil auf sich zu nehmen, tritt sofort eine weitere Verschiedenheit der Behandlung durch das Gesetz hervor. Z.P.O. § 51 legt gewissen Parteien die Notwendigkeit auf, sich „durch andere Personen, g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r " , vertreten zu lassen, weil sie n i c h t p r o z e f s f ä h i g sind. Z.P.O. scheidet sie demgemäfs von solchen Parteien, welche die „Fähigkeit, vor Gericht zu stehen" oder die P r o z e f s f ä h i g k e i t besitzen. Aus dem Gegensatz, dafs die letzteren keines gesetzlichen Vertreters bedürfen, folgt als wesentlicher Inhalt der Prozefsfähigkeit die rechtliche Macht, für Prozesse selbständig Prozefshandlungen mit Wirksamkeit vorzunehmen, vor allem durch selbständigen Willensentschlufs die Einleitung des Prozesses als Kläger und die Übernahme des Prozesses als Beklagter zu beschliefsen 2. „Prozefsfähigkeit" ist also die prozessuale Handlungs-, Verfügungsfähigkeit, — ihre gesetzliche Bezeichnung als Fähigkeit vor Gericht zu stehen ist nur die ungeschickte Verdeutschung des gemeinrechtlichen Terminus „légitima persona standi in judicio" (Cod. 3, 6). Sie entspricht für das Gebiet des Prozesses derjenigen Eigenschaft der Person, welche im Privatrecht als Handlungs-, Verfügungs-, Geschäftsfähigkeit von Bedeutung wird, und da die Wirkungen des prozessualen Parteihandelns mittelbar (durch Vermittlung der gerichtlichen Rechtsschutzhandlungen) die Privatrechtssphäre des Einzelnen berühren, so ist es folgerichtig, dafs Z.P.O. die Vorbedingungen der prozessualen Handlungsfähigkeit nach Mafsgabe cler Vorbedingungen der zivilistischen Handlungsfähigkeit regelt (Z.P.O. §51). W i e s i c h die P a r t e i f ä h i g k e i t n a c h der R e c h t s f ä h i g k e i t r i c h t e t , so r i c h t e t sich d i e P r o z e f s f ä h i g k e i t nach der H a n d l u n g s - , G e s c h ä f t s f ä h i g k e i t (B.G.B. § 104). „Eine Person ist insoweit prozefsfähig, als sie s i c h d u r c h V e r t r ä g e v e r p f l i c h t e n k a n n " (Z.P.O. § 52, 1). Die Konsequenz8 des § 52, 1 ist demnach für den Regelfall : Diejenigen Personen können prozessualisch nicht selbständig han1 So die P r a x i s schon des R e i c h s o b e r h a n d e l s g e r i c h t s , j e t z t R.G. V I , 1898, 41, 410. S t a u b z u §17 H . G . B . G a u p p - S t e i n §50, I I I . Sonach k a n n der derzeitige I n h a b e r auch u n t e r der F i r m a k l a g e n , die n o c h den N a m e n des V e r s t o r b e n e n t r ä g t . N u r mufs dieser Name a l s F i r m a bezeichnet w e r d e n . V g l . S i m o n , B l . f. Rechtspü. i n T h ü r i n g e n , 40, 193 (1893). 2 G u t W e i s m a n n , L b . S. 77: P r . F . i s t d i e „ F ä h i g k e i t zu einem f ü r die Prozessführung m a f s g e b e n d e n Wollen". 3 V e r g l . z. F o l g d n . : S t r o h a l . Jher. Jb. l i8, 344 ff. Landsberg, R. des B.G.B. I . § 51.

Prozefsfähigkeit.

Unerwachsene, Geisteskranke usw.

319

dein, die durch Vertragserklärungen keine privatrechtliche Verbindlichkeit übernehmen können; unerheblich ist, ob sie durch ihre Willenshandlungen Rechte, rechtliche Vorteile, erwerben oder sich durch Delikt oder e i n s e i t i g e Rechtsgeschäfte verpflichten, ob sie testieren können Prozefsunfähig sind hiernach nicht nur : 1. die völlig „Geschäftsunfähigen", Kinder unter sieben Jahren, in der Geistestätigkeit krankhaft Gestörte oder wegen Geisteskrankheit Entmündigte (B.G.B. § 104), sondern auch: 2. die „in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkten" Personen, — die Minderjährigen über sieben Jahre und die ihnen gleichgestellten, — die wegen Geistesschwäche, wegen Verschwendung oder wegen Trunksucht Entmündigten, sowie die Volljährigen, deren Entmündigung beantragt ist und die (nach § 1906) unter vorläufige Vormundschaft gestellt sind (§ 114 B.G.B.), denn auch diese Personen bedürfen zu Willenserklärungen, „durch die sie nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangen, der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters" (B.G.B. § 107). Anderseits müssen, soweit beschränkt geschäftsfähige Personen für gewisse Gebiete von Rechtshandlungen die Fähigkeit übertragen erhalten, selbständig zu handeln, sie auch prozefsfähig sein. Diese p a r t i e l l e Prozefsfähigkeit gilt nach modernem Recht vor allem da, wo ein Minderjähriger durch den gesetzlichen Vertreter mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts oder durch dieses allein ermächtigt worden ist, selbständig ein Erwerbsgeschäft zu betreiben oder in Dienst oder in Arbeit zu treten (B.G.B. § 112, 113). Da die betr. Personen hier für Rechtsgeschäfte im Geschäftsbetrieb, in Hinblick auf Dienst- und Arbeitsverhältnis, unbeschränkt geschäftsfähig sind, so sind sie insoweit auch prozefsfähig 1 . Ebenso sind die in der G e s c h ä f t s f ä h i g k e i t b e s c h r ä n k t e n Parteien (Minderjährige über 7 Jahren, wegen Geistesschwäche, Verschwendung, Trunksucht Entmündigte) in E h e s a c h e n prozefsfähig (§ 612)a. Entsprechend ist der beschränkt geschäftsfähige Ehemann selbständig zur Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes seiner Ehefrau berechtigt (§ 641). Für die ges c h ä f t s u n f ä h i g e n (besonders die geisteskranken) Parteien mufs auch in Familienrechtssachen der gesetzliche Vertreter den Rechtsstreit führen (§ 612, 2. 641, 2 — vgl. B.G.B. § 1336)3. Eine weitere Durchbrechung des Prinzips hatte das frühere Prozefsrecht insofern vorgenommen, als es die (grofsjährige) E h e f r a u unter allen Umständen für p r o z e f s f ä h i g anerkannt hatte, obwohl dieselbe nach vielen deutschen Zivilrechten, nämlich da, wo das Prinzip der ehelichen Vormundschaft galt, g e s c h ä f t s u n f ä h i g war. Da nun auf die vor dem 1. Januar 1900 geschlossenen Ehen das ältere Recht im Zweifel 4 auch jetzt 1 Ebs. Seem.O. 27. Dez. 72 § 6. Nach P a r t . R . g a l t gleiches f ü r e n t m ü n d . V e r s c h w e n d e r i n f a m i l i e n r e c h t l i c h e n Prozessen (anders n a c h B.G.B. § 1304, das d e m V e r s c h w e n d e r d i e selbständige E h e e i n g e h u n g v e r w e h r t ) . a Die K l a g e n w e r d e n also d u r c h u n d gegen die E h e g a t t e n p e r s ö n l i c h erhoben, n i c h t d u r c h u n d gegen i h r e gesetzlichen V e r t r e t e r (B.G.B. § 1335). N u r w e n n d i e E h e aus d e m Grunde angefochten w e r d e n s o l l , w e i l d i e E h e s c h l i e f s u n g oder B e s t ä t i g u n g der Ehe eines damals noch i n der Geschäftsfähigkeit b e s c h r ä n k t e n G a t t e n ohne E i n w i l l i g u n g des gesetzl i c h e n Vertreters erfolgte (B.G.B. § 1331), k a n n w ä h r e n d der F o r t d a u e r der D i s p o s i t i o n s beschränkung n u r der V e r t r e t e r die E h e anfechten (B.G.B. § 1336, 2 Satz 2, Z.P.O. I I .

§ 612, 8 1).

Der gesetzliche V e r t r e t e r bedarf j e d o c h zur E r h e b u n g der S c h e i d u n g s k l a g e , der E h e a n f e c h t u n g s k l a g e u n d der E h e l i c h k e i t s a n f e c h t u n g s k l a g e (des Ehemanns) der G e n e h m i g u n g des V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t s (§ (Π2, 2. 641, 2). Die K l a g e a u f H e r s t e l l u n g des e h e l i c h e n Lebens k a n n der gesetzliche V e r t r e t e r ü b e r h a u p t n i c h t erheben (Z.P.O. § 612, 2). 4 F a l l s n i c h t a u f G r u n d v o n a. 218 die Landesgesetzgebg. das G e g e n t e i l angeordnet h a t .

320

I

Grundlagen des Verfahrens.

§ 5.

P r t e .

noch Anwendung findet (E.G. B.G.B, a. 200, 3), so bedurfte es f ü r ä l t e r e E h e n auch nach Z.P.O. I I noch der Aufrechterhaltung des Prinzips (früher 51, 2; jetzt § 52, 2), dafs die Prozefsfähigkeit einer Frau blofs dadurch, afs sie Ehefrau ist (also falls sie grofsjährig ist) nicht beschränkt wird. Für die nach dem 1. Januar 1900 geschlossenen Ehen ist § 52, 2 bedeutungslos. Hieran ändert nichts, dafs die Ehefrau auch nach B.G.B, in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt ist, denn diese Beschränkung schliefst die Geschäftsfähigkeit und schon deshalb die Prozefsfähigkeit nicht aus (B.G.B. § 1399). Wenn also die Ehefrau auch in der Prozefsführung Beschränkungen unterliegt, so erklären sich dieselben nur als Mafsregeln zum Schutz des Verwaltungs- und Niefsbrauchsrechts des Ehemanns am e i n g e b r a c h t e n G u t der Frau. Im Einzelnen gilt für das System des gesetzlichen Güterstands (§ 1363 ff.): 1. für die a k t i v e Geltendmachung der Rechte des eingebrachten Gutes wird der Ehefrau das Interesse am Rechtsschutz nur zugesprochen, wenn der Mann zustimmt (§ 1400, 2, Ausn. § 1401). Fehlt die Zustimmung, so wird die Frau wegen mangelnden Rechtsschutzinteresses mit der Klage abgewiesen Κ W i r d der Klage vermöge eines Irrtums des Gerichts stattgegeben und in der Sache entschieden, so ist das Urteil (insbesondere die Abweisung mit dem Anspruch) dem Manne gegenüber unwirksam (§ 1400,1). Die „Zustimmung" ist hiernach ein Teil des Rechtsschutzinteresses der Frau (o. S. 313). Selbst Partei, Kläger, wird der Ehemann durch die Berufung der Frau auf die Zustimmung n i c h t (R.G. 1905, 60, 86). 2. für die pas s i v e Rechtsverfolgung, die Verteidigung gegen Klage eines Dritten braucht die Frau nicht einmal die Zustimmung des Mannes (arg. e. contr. § 1400). Aber das Urteil ist gegen den Mann ohne dessen Zustimmung nicht wirksam (§ 1400, 1), insbes. kann es gegen ihn in das eingebrachte Gut n i c h t v o l l s t r e c k t werden. Hierzu mufs der Kläger eine Klage auch gegen den Mann erheben und eine Verurteilung desselben zur Duldung der Zwangsvollstreckung erwirken (Z.P.O. § 739). Ob er aber mit einer solchen Erfolg hat, hängt von der Wirksamkeit der streitigen V e r p f l i c h t u n g gegen den Mann ab, vor allem davon, ob er zu dem verpflichtenden G e s c h ä f t der Frau seine Zustimmung erteilt hatte (B.G.B. § 1412 ff.) 3. Jedenfalls darf die Ehefrau den Prozefs mit Wirksamkeit g e g e n s i c h s e l b s t führen, folglich mit voller Wirkung über und gegen ihr V o r b e h a l t s g u t . Völlig unberührt durch die Dispositionsbeschränkungen, denen sie unterliegt, bleibt es, dafs n e b e n i h r a u c h d e r M a n n s e l b s t ä n d i g klagen und sich verklagen lassen kann, soweit dies die Verwaltung des Eingebrachten mit sich bringt 8 . Nur für das internationale Prozefsrecht (o. S. 145) bedeutsam ist, dafs der A u s l ä n d e r , der nach dem Prinzip des § 51 die Prozefsfähigkeit nicht besitzen würde, weil er nach dem „Recht seines Landes" (den statuta personalia) nicht geschäftsfähig ist, doch in einem d e u t s c h e n Prozefs als prozefsfähig behandelt wird, falls er nach deutschem Recht geschäftsfähig sein würde (§ 55).

Daraus, dafs jedenfalls die prozefsunfähige Partei eines gesetzlichen Vertreters bedarf, folgt nicht, dafs n u r die Prozefsunfähigkeit den Grund einer gesetzlichen (d. h. vom Gesetz vorgeschriebenen und nach Zustandekommen und Machtumfang geordneten) 1 Die ü b l i c h e D a r s t e l l u n g bezeichnet dies als A b w e i s u n g w e g e n Mangels der A k t i v l e g i t i m a t i o n . W e n n m a n j e d o c h ( m i t H e l l w i g ) diese E i g e n s c h a f t k o r r e k t n u r dem B e r e c h t i g t e n selbst z u s c h r e i b t (was d i e E h e f r a u stets i s t ) , so k a n n es sich n u r u m das F e h l e n der ( s u b j e k t i v e n ) K e c h t s s c h u t z b e d i n g u n g e n h a n d e l n (vgl. o. S. 315). 2 S o w e i t d i e R e c h t s s t e l l u n g der E h e f r a u schon n a c h f r ü h e r e n P a r t i k u l a r r e c h t e n (vor a l l e m d e m preufsischen u n d sächsischen, A . L . R . I l , 1, 320 f. Sächs. B.G.B. § 1638, 1641, 1645) d e n G r u n d s ä t z e n des j e t z i g e n gesetzlichen Güterstands folgte., w a r a u c h die prozessuale B e h a n d l u n g s w e i s e scnon damals die gleiche (R.G. 28, 332). A h n l i c h w a r sie a u c h n a c h französ. R. (code c i v . 217, 776, bad. L . R . a. 1420 a, v g l . R.G. 29, 164). 3 E i n g e h e n d e K a s u i s t i k : G a u p p - S t e i n z. § 52, 2. A r t h u r S c h m i d t , F a m i l i e n r e c h t (1900) zu § 1400 ff. B.G.B. S. 275 if.

Stellung der Ehefrau im Prozefs. Gesetzliche Vertretung Prozefsfähiger?

321

Vertretung bilden kann. Auch prozefsfähige Parteien können aus andern Gründen gesetzlicher Vertreter bedürfen, und Z.P.O. I I hat dies in Erledigung früherer Zweifel durch § 53 für alle die Fälle anerkannt, wo einer an sich geschäftsfähigen Person deswegen ein P f l e g e r bestellt wird, weil sie f a k t i s c h (wegen Ungewifsheit ihrer ganzen Existenz, Abwesenheit usw.) ihre Geschäfte nicht wahrnehmen kann (B.G.B. §§ 1911 ff.). Sie soll dann „für den Rechtsstreit einer nicht prozefsfähigen Partei g l e i c h s t e h e n " 1 . Daraus folgt aber nicht, dafs sie prozessunfähig i s t (hierüber u. IV. S. 324). Frage wissenschaftlicher Erkenntnis ist auch die Beurteilung der Stellung, die die j u r i s t i s c h e n Personen im Prozesse einnehmen. Die landläufige Anschauung nennt sie prozefsunfähig, so dafs sie schon aus diesem Grund von ihrem Vorstand usw. gesetzlich vertreten werden müfsten. Wenn aber eine andere Anschauung ihnen einen realen selbständigen Willen beilegt, den sie durch ihre Organe ausübt 2 , so steht nichts im Wege, sie ebenfalls als prozefsfähige Personen zu betrachten, die — vermöge ihres eigenartigen Handelns durch Organe — den prozefsunfähigen lediglich g l e i c h g e s t e l l t sind. Eine von der Prozefsunfähigkeit und ihrer Behandlung ganz unabhängige Frage ist die, inwieweit eine Partei unfähig sein soll, g e g e n ü b e r dem G e r i c h t p e r s ö n l i c h zu handeln, insbes. vor Gericht zu plädieren. Diese „Postulationsunfähigkeit" begründet für sie nur in gewissen Prozessen die Notwendigkeit, einen A n w a l t zuzuziehen. Aber gerade die mafsgebende Initiative hierzu und deshalb die selbständige Prozefsführung (o. S. 318) geht von ihr selbst aus (vergl. genauer u. § 57 a. E.).

I Y . Die Parteistellung unbestimmter Interessenträger. Die allgemeinen \7orschriften der Z.P.O., wie sie soeben (II. III.) entwickelt worden, genügen nicht, um bestimmte eigenartige P r e i s gestaltungen zu erklären. Tatsächlich wird in gewissen Fällen auf den Namen von Personen Prozefs geführt, Klage erhoben und Urteil erlassen, auf die die regelniäfsigen Grundsätze der Partei, Parteifähigkeit, Prozefsfähigkeit nicht passen, so dafs ihre Behandlung als einer selbständig parteifähigen Person jedenfalls nur aus besonderen gesetzlichen oder gewohnheitsrechtlichen Normen erklärbar wird. Es sind folgende Fälle: a) Nach H.G.B. § 124 (früher Art. 111) kann die o f f e n e H a n d e l s g e s e l l s c h a f t „unter ihrer Firma — vor Gericht klagen und verklagt werden". Anerkanntermafsen ist die Handelsgesellschaft nicht juristische Person (§ 105, 2 H.G.B.). Ihr Vermögen ist nur wirtschaftlich von dem der einzelnen Gesellschafter gesondert, während diese r e c h t l i c h als Einzelne direkt an den 1 § 53 ist eine F i k t i o n , ^ gerichtsprozefs L a n d g e r i c h t s i n veri n Ehe oder A m t s mögens- oder K i n d gerichtsprozefs r e c h t l i c h e n schafts(MannStreitigsachen verfahren keiten ausschl. amtsgerichtlich) 2 Insbesondere i n der A u s w a h l der „ a l l g e m e i n e n B e s t i m m u n g e n " (Buch I ) aus den ü b r i g e n V o r s c h r i f t e n des Verfahrens. J

380 ΠΙ. Grundlagen des Verfahrens. §62. Disposition des Gesetzes u. der Darstell.

geschildert wird, obwohl es nur eine Form des o r d e n t l i c h e n Landgerichtsprozesses ist (oben S. 377). Ferner wird der Eheprozefs aus rein äufserlichen Gründen in einem Buch mit dem Entmündigungsverfahren zusammengestellt (§ 645), während doch das letztere gar nicht zum Zivilprozefs gehört, sondern wie früher (S. 169f.) dargelegt, ein Sonderverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit darstellt. Es würde folgerichtig mit dem A u f g e b o t s v e r f a h r e n (§ 946) zusammengehören, das in der Tat am Ende des gesamten Gesetzesstoffs in Buch IX mit dem S c h i e d s g e r i c h t s v e r f a h r e n (§ 1025, Buch X) als blofser Anhang geordnet wird. Im folgenden sind die Schwächen der gesetzlichen Systematik zu vermeiden. Die Darstellung legt nunmehr nur die Hauptunterscheidung von Rechtsstreit und von Vollstreckungsverfahren {Buch IV und V) zugrunde 1. Bei Schilderung des Rechtsstreits sind die Eigentümlichkeiten des amtsgerichtlichen Verfahrens des Eheprozesses am Landgericht bei den einzelnen Fragen hervorzuheben. Die drei summarischen Prozefsarten sind jede in ihrer stark abweichenden Eigenart im Zusammenhange zu erörtern und zwar im Anschlufs an die Verfahrensteile, an denen sich die Eigenart besonders zeigt, an Verhandlung und Beweis (vgl. o. S. 374; u. § 90—93). 1

V g l . h i e r z u das umstehende Schema.

Viertes Buch. Das Verfahren des Rechtsstreits. Erstes Kapitel.

Die Einleitung des Prozesses. § 63. Klagerhebung und Rechtsschutzgesuch· I . Dispositionsprinzip und Offizialprinzip. Nachdem im Bisherigen vom Endzweck des Zivilprozesses aus die allgemeinen Gedanken dargelegt worden sind, die die verschiedenen Tätigkeiten und den Aufbau des zivilprozessualen Verfahrens in dessen verschiedenen Formen bestimmen (Buch III), ist nunmehr auf der gewonnenen Grundlage das Verfahren so zu schildern und zu analysieren, wie es sich äufserlich und chronologisch im praktischen Rechtsleben entwickelt. Dieser Plan führt zunächst auf das Verfahren, das sich um den Erlafs einer Entscheidung, insbesondere eines Urteils, gruppiert, auf das Erkenntnisverfahren, den Rechtsstreit (S. 372), und zwar in erster Linie auf die Handlungen, die den Rechtsstreit zur Entstehung bringen. Das Verfahren der Prozefseinleitung empfängt seinen Charakter durch die prinzipielle Regelung der Frage, wessen W i l l e n si n i t i a t i v e für die gerichtliche Prüfung mafsgebend ist. An und für sich kann eine Behörde den Anstofs zu ihrem rechtsschützenden Eingreifen ebensowohl durch bestimmte vom Gesetz geregelte Voraussetzungen erhalten, bei deren Vorhandensein die Behörde von amtswegen tätig zu werden hat, als auch durch eine frei willkürliche Handlung einer Privatperson, eine Rechtsschutzb i t t e , in deren Ermangelung die Behörde untätig bleibt. Der erste Gedanke wird als O f f i z i a l p r i n z i p bezeichnet. Er kann wiederum in der Weise wirksam werden, dafs das Gericht selbst von amtswegen in Prüfung und Entscheidung eintritt; dies ist regelmäfsig der Gang im Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit (s. S. 162). Ein Offizialprinzip gilt aber auch dann, wenn das Gericht durch eine zweite Behörde in Bewegung gesetzt wird, die ihrerseits nach Mafsgabe der gesetzlichen Vorbedingungen ein-

382

IV. Rechtsstreit.

§ 63. Klagerhebung und Rechtsschutzgesuch.

schreitet; so im Strafprozefs durch die Staatsanwaltschaft (S. 94). Im Zivilprozefs ist regelmäfsig weder das eine noch das andre der Fall. Im Hinblick auf das Zweiparteienverhältnis, auf dem der Zivilprozefs von Grund aus ruht (S. 310), kann der Staat zum Schutz der Privatrechtsbeziehung des einen gegen den andern von amtswegen nicht eingreifen, ohne den bestehenden Zustand und damit die Gleichheit der Bürger zu verletzen. Infolgedessen wird von altersher die Zivilrechtspflege dem Bürger nur nach Mafsgabe von dessen Bedürfnissen zur V e r f ü g u n g gestellt. Der Bürger, der sich beschwert fühlt, verfügt, disponiert über den Privatrechtsschutz, indem er ihn erbittet. Der Zivilprozefs untersteht also dem D i s p o s i t i o n s p r i n z i p : „Nemo j u d e x sine actore" 1. Die Kehrseite hiervon ist jedoch, dafs der Dispositionsakt des Bürgers, der sich beschwert fühlt, g e n ü g t , um die Tätigkeit des Gerichts in Gang zu setzen. Wie der Staat sich in den Schutz der Privatrechtsverhältnisse nicht vorzeitig e i n m i s c h e n darf, so darf er ihn anderseits dem Einzelnen auch nicht e r s c h w e r e n . Das moderne Recht kennt also keine „Bedingungen des rechtlichen Gehörs" mehr, von deren Prüfung das Gericht sein Eingehen auf die Klage abhängig machen könnte 2 . Der Akt der WTillensdisposition, durch den die Privatperson eine Entscheidung zum Schutz ihrer Rechtslage erbittet, tritt: a) regelmäfsig als „ K l a g e " auf. Klage heifst die Rechtsschutzbitte da, wo der Bürger im Wege des o r d e n t l i c h e n Prozesses, d. h. auf Grund erschöpfender Prüfung (o. S. 372) ein endgültig feststellendes (rechtskraftfähiges) Urteil herbeiführen will. Die Klage ist also im Sinne des Sprachgebrauchs wie des Gesetzes die B i t t e um r e c h t s k r ä f t i g e s U r t e i l a u f G r u n d e r s c h ö p f e n d e r P r ü f u n g und ist der normale Prozefseinleitungsakt, gleichviel ob n u r rechtskräftige Feststellung erstrebt wird (Feststellungsklage) oder Feststellung des Anspruchs als eines sofort zu e r f ü l l e n d e n , so dafs das Urteil kraft Gesetzes das Vollstreckungsverfahren entfesselt oder selbst bewirkt (Leistungsund Rechtsänderungsklage; näheres unten § 111 ff.). Sie ist der Prozefseinleitungsakt auch dann, wenn die Bitte um Urteil (soweit das zulässig) in prozessualem Zusammenhang mit einem schon schwebenden Verfahren geltend gemacht wird, — über einen Gegenanspruch der selbst bereits beklagten Partei als W i d e r k l a g e (§ 33, 278) über einen die Existenz oder Nichtexistenz des ersten Anspruchs bedingenden (sog. präjudiziellen) Anspruch (z. B. innerhalb des anhängigen Servitutenstreits über Feststellung des Grundeigentums des 1 Das D i s p o s i t i o n s p r i n z i p i s t I n h a l t auch anderer R e c h t s s p r i c h w ö r t e r : „ne procedat j u d e x ex officio"* (vgl. 1. u n . C. u t nemo i n v i t u s agere c o g a t u r 3, 7). „ M a n ne sal n i e m a n n e d v i n g e n t o nener K l a g e , der he n i c h t b e g u n t ne hevet* (Ssp. L a n d r . I , (ΐ·2 § 1). „ W o k e i n K l e g e r i s t , do i s t ouch k e i n r i c h t e r " (Gloss, ib.). 2 D a m i t e r l e d i g t s i c h die o. S. 24 a l l g e m e i n aufgeworfene Frage für das h e u t i g e Hecht i n n e g a t i v e m S i n n . I n gewissem S i n n k a n n m a n eine B e d i n g u n g des rechtl i c h e n Gehörs f ü r den Scheidungs- u n d Eheherstellungsprozefs i n d e m o b l i g a t o r i s c h e n S ü h n e v e r s u c h e r b l i c k e n (u. S. 407).

Dispositionsprinzip. Unterschied der Klage u. des Gesuchs um Rechtsschutz. 383

angeblich Servitutsberechtigten) als I n z i d e n t k l a g e (§ 280, unten § 133 — über einen Anspruch eines Dritten, der mit dem streitigen Rechtsverhältnis beider prozessierenden Parteien in Widerspruch tritt als Interventionsklage (§ 61, unten § 136) 2 . b) Für die Fälle, wo der Prozefs (ausnahmsweise) zu dem Zwecke eingeleitet wird, um im Weg einer summarischen Prozefsart zunächst eine blofs provisorische Prüfung eines Privatrechtsanspruchs als Grundlage beschleunigter Vollstreckung zu erzielen (oben S. 375), verkörpert sich die Parteidisposition in dem entsprechenden Antrag auf die richterliche Entscheidung, welche mit dem genannten Rechtserfolg ausgestattet wird. Sie tritt dann auf entweder als M a h n gesuch (Gesuch um Zahlungsbefehl § 690) oder als A r r e s t g e s u c h , bezw. als Antrag auf einstweilige \ 7 erfügung (§ 920). An sich würde hierzu auch der Antrag auf Einleitung des Urkunden- oder Wechselprozesses (§ 592) kommen, denn auch dieser führt nur zur provisorischen Prüfung der sofort beweisbaren Tatsache im Interesse schleuniger Vollstreckung 3 . Gleichwohl tritt dieser Antrag als Klage auf (wie nach lit. a; § 593) und zwar folgerichtig um deswillen, weil die prozefseinleitende Partei selbst beliebig von der summarischen Prozefsart abstehen und ohne weiteres i m g l e i c h e n V e r f a h r e n zum ordentlichen Prozefs (oben a) übergehen kann (§ 596). Der Antrag ist deshalb zugleich e v e n t u e l l e B i t t e um r e c h t s k r a f t f ä h i g e s U r t e i l . Er bringt die eventuelle Natur darin zum Ausdruck, dafs die Klage „im Urkundenprozefs" erhoben wird (§ 592, 593, 3). Diese Akte sind die Akte der P r o z e f s e i n l e i t u n g . Gelegentlich nennt, man speziell die Klage den „Prozefsgründungsakt u , insofern sie die Pflicht des Gerichts zum Erlafs des Sachurteils (das Prozefsrechtsverhältnis, o. S. 21 ; u. § 104) begründet. I I . Inhalt der Rechtsschutzbitte. Wenn die Prüfungstätigkeit des Gerichts prinzipiell erst von der Partei in Bewegung gesetzt wird, so schliefst dies notwendig schon das weitere ein, dafs das Gericht auch den G e g e n s t a n d , das T h e m a , s e i n e r P r ü f u n g und E n t s c h e i d u n g von der Partei vorgezeichnet erhält. Die Partei disponiert hierüber in verschiedener Richtung, und zwar gleichviel ob die Rechtsschutzbitte als Klage oder als Gesuch auftritt. a) In erster Linie wird von der Partei die Aufstellung der 1 V e r w a n d t die A n t r ä g e a u f Ersatz v o n Schäden u s w . , d i e aus d e m P r o z e f s s e 1 b s t erwachsen s i n d (§ 302, 4. 541, 2. 600, 2. 717, 2). 2 Über die speziellen Fälle, i n denen n o c h e i n m a l U r t e i l b e g e h r t w i r d ü b e r e i n e n bereits a b g e u r t e i l t e n A n s p r u c h ( N i c h t i g k e i t s - , R e s t i t u t i o n s k l a g e § 580. 581, V o l l s t r e c k u n g s gegenklage § 667) oder i n denen U r t e i l begehrt w i r d über eine einzelne r e c h t s e r h e b l i c h e E i g e n s c h a f t eines schon a b g e u r t e i l t e n A n s p r u c h s (die V o l l s t r e c k u n g s f ä h i g k e i t in Deutschland: § 722. 723.) s. oben S. 307. 3 A u c h die E i n l e i t . des M a h n v e r f . f ü h r t zu einer e n d g ü l t i g e n F e s t s t e l l u n g , d e n n solche l i e g t i m v o l l s t r e c k t Z a h l u n g s b e f e h l , gegen den n i c h t E i n s p r u c h eingelegt w o r d e n (§ 700 — u n t e n § 93). A b e r sie f ü h r t h i e r z u n i c h t i m W e g e e r s c h ö p f e n d e r P r ü f u n g . Z u letzterer k a n n es z w a r e v e n t u e l l k o m m e n , aber n u r a u f Anstofs des S c h u l d n e r s ( d u r c h W i d e r s p r u c h gegen den Zahlungsbef., E i n s p r . gegen d e n Vollstr.Bef.). Die prozefse i n l e i t e n d e P a r t e i (der G r l ä u b i g e r ) w i l l sie gerade v e r m e i d e n . M a h n g e s u c h e n t h ä l t also n i c h t eine e v e n t u e l l e K l a g e .

384

IV. Rechtsstreit.

§ 63. Klagerhebung und Rechtsschutzgesuch.

R e c h t s b e h a u p t u n g erwartet, an deren Feststellung die Parteien interessiert sind. Sie bezeichnet den „Anspruch" oder das „Rechtsverhältnis" 'im privatrechtlichen Sinn, das, wie früher (S. 303 ff.) dargelegt, stets den Gegenstand des Zivilprozesses ausmacht, gleichviel ob er ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten oder ein angeblich dem Beklagten gegen den Kläger zustehender ist, dessen sich der Kläger erwehren will (negative Feststellungsklage) oder ein Rechtsverhältnis einer Partei zu dritten, am Prozefs nicht beteiligten Personen 1. b) Weiter wird aber auch vom Kläger eine Äufserung darüber erwartet, i n w e l c h e n G r e n z e n d e r Privatrechtsanspruch Gegenstand der Entscheidung werden soll. Dies zeigt sich praktisch darin, dafs der Anspruch nur im U m f a n g des P a r t e i a n t r a g s geprüft wird. „Das Gericht ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist" (§ 308). „Ne eat judex ultra petita" 2 . Denigemäfs kann der Kläger N e b e n f o r d e r u n g e n des Anspruchs ausscheiden (Früchte, Verzugs-, Vertragszinsen, § 308, 1). Wenn das Gericht die Entscheidung über die Prozefskosten auch ohne Parteiantrag zu fällen hat (§ 308, 2), so ist dies keine Ausnahme, cla es sich bei ihnen in erster Linie um einen Anspruch des Staates handelt und die Kostenansprüche der Parteien gegeneinander mit diesem untrennbar verknüpft sind. Ferner kann die Partei beliebig T e i l e 3 eines Anspruchs, falls er teilbar ist, von der gerichtlichen Prüfung ausscheiden und durch ihren Antrag die Entscheidungstätigkeit lediglich auf einen Teil einschränken. Sie kann dies an sich auch dann, wenn sie durch dieses Mittel künstlich die Zuständigkeit des Amtsgerichts statt des Landgerichts schafft; einer Schikane, z. B. der Absicht, dem Beklagten die dritte Instanz zu verkümmern (o. S. 196 lit. c) wird durch § 506 vorgebeugt4. c) Die Partei kann endlich durch ihre Klage in den gesetzlich erlaubten Grenzen die den Anspruch betreffenden Tatbestände teilweise ausscheiden, insofern sie nicht den Anspruch selbst, sondern nur rechtserhebliche E i g e n s c h a f t e n desselben der gerichtlichen Prüfung unterwirft, — z. B. die Unbedingtheit des Anspruchs (§ 726), die Vollstreckbarkeit in Deutschland (§ 722. 723) usw. (s. oben S. 383, A. 1 und unten § 141). d) Endlich wird von der prozefseinleitenden Partei die Bezeichnung der R e c h t s s c h u t z f o r m erwartet, an der sie im Hinblick auf diesen Anspruch interessiert ist. Der Antrag mufs auf Feststellung, Verurteilung. Verurteilung im Urkundenprozefs, 1

H i e r w i e d e r h o l e n sich die oben S. 308. 312 ff. gegebenen U n t e r s c h e i d u n g e n . A u c h i n der F o r m : „ u l t r a p e t i t a n o n c o g n o s c i t u r " . A u c h der N e b e n a n s p r u c n i s t a n s i c h n u r T e i l a n s p r u c h des ganzen Rechts. E r u n t e r s c h e i d e t sich v o n dem T e i l a n s p r u c h i m eng. S. n u r d a d u r c h , dais er n u r n n t e r der V o r a u s s e t z u n g der E x i s t e n z eines a n d e r e n A n s p r u c h s (des H a u p t a n s p r u c h s ) zur E n t s t e h u n g g e l a n g e n k a n n ( H e l l w i g , L b . I , 198). 4 N ä m l i c n d a d u r c h , dafs der n u r a u f eine einzelne Rate des K a p i t a l s V e r k l a g t e n e g a t i v e F e s t s t e l l u n g s k l a g e wegen des Ganzen erheben u n d d a r a u f h i n die Verw e i s u n g des Rechtsstreits ans L a n d g e r i c h t b e a n t r a g e n k a n n . 2

Einflufs des Parteiantrags.

Offizialprinzip im Zivilprozefs.

385

Erlafs des Zahlungsbefehls (oben S. 383) gerichtet sein und unterwirft den Anspruch der richterlichen Prüfung nur nach dieser (s. oben I lit. a, b) 1 . I I I . Anwendung des Offizialprinzips im Zivilprozesse. Obwohl die Herrschaft einer freien Disposition der beteiligten Individuen der regelmäfsigen Rechtslage im Zivilprozesse angemessen ist, so bedeutet sie doch kein zwingendes Prinzip. Sie entspringt vor allem der Erwägung, dafs die bürgerlichen Interessenkreise mit Rücksicht auf ihre Gleichberechtigung im Zweifel der Wahrung durch die Interessenten überlassen werden können und müssen. Wo dies aber ausnahmsweise mit Bezug auf ein Privatrechtsverhältnis nicht möglich wird, nämlich wo an einem Interessenkreis dritte Personen oder die ganze Gesellschaft mit beteiligt sind, kann auch im Zivilprozesse der Staat eingreifen und zur gerichtlichen Feststellung den Anstofs geben. Die Handhabe hierzu wird schon in solchen Fällen geboten, wo einem D r i t t e n ein eignes Interesse daran zuerkannt wird, ein fremdes Rechtsverhältnis zur Entscheidung bringen zu lassen, Klage auf dessen Feststellung zu erheben. Wird vom geltenden Recht ein solches Interesse beliebig vielen Dritten, einer ganzen Personenklasse oder allen Bürgern zugesprochen, so wirkt schon hier der Dritte wie ein Organ der Gesellschaft, so z. B. wenn aus Handlungen des unlauteren Wettbewerbs auf Unterlassung der unrichtigen Angaben über Beschaffenheit, Herstellungsart usw. seiner Waren von jedem Gewerbetreibenden geklagt werden kann, der Waren oder Leistungen gleicher Art herstellt usw. (R.Ges. v. 27. Mai 1896 § 1). Es ist also nur ein Schritt weiter, wenn einer staatlichen Behörde die Macht erteilt wird, Klage wegen des Rechtsverhältnisses mehrerer Bürger zu erheben. Die Z.P.O. hat dies allerdings für jetzt nur in einem Falle getan, indem sie die Staatsanwaltschaft neben dritten Interessenten zur Erhebung der E h e n i c h t i g k e i t s k l a g e ermächtigt hat (§ 632). Hier gilt also auch im Zivilprozesse vereinzelt das O f f i z i a l p r i n z i p ; und diese Besonderheit wird hier von besonderer Wichtigkeit um deswillen, weil die offizielle Geltendmachung das einzige wesentliche Merkmal darstellt, welches die Ν ich t i g k ei t der Ehe von der blofsen A n f e c h t b a r k e i t unterscheidet 2. Doch besteht kein innerer 1 Ü b e r die G e l t e n d m a c h u n g der verschiedenen R e c h t s s c h u t z f o r m e n s. bei B e s p r e c h u n g derselben u n d i h r e r V o r a u s s e t z u n g , — insbes. über die der s u m m a r i s c h e n Prozefsarten § 90 ff., über die der L e i s t u n g s - u n d F e s t s t e l l u n g s k l a g e u . § 111 ff. 2 Die B e h a n d l u n g , die die beiden G r u p p e n der E h e h i n d e r n i s s e i m B.G.B, erfahren, begründet eine p r i n z i p i e l l e V e r s c h i e d e n h e i t der E h e n i c h t i g k e i t s - u n d der E h e a n f e c h t u n g s g r ü n d e n i c h t . N i c h t i g i s t d i e f o r m l o s geschlossene (§ 1324), v o n e i n e m Geschäftsunfähigen eingegangene (§ 1325), Doppelehe (§ 1326), inzestuöse E h e (§ 1327), E h e der Ehebrecher (§ 1328. 1312). A n f e c h t b a r i s t d i e Ehe der i n der Geschäftsfähigkeit b e s c h r ä n k t e n (§ 1331), a u f M i f s v e r s t ä n d n i s (§ 1332) oder I r r t u m oder D r o h u n g (§ 1333—1335) beruhende. A b e r s o w o h l die N i c h t i g k e i t w i e die A n f e c h t b a r k e i t k a n n n u r d u r c h K l a g e u n d U r t e i l d u r c h gesetzt w e r d e n (§ 1329. 1341). U n d n i c h t n u r die N i c h t i g k e i t , s o n d e r n a u c h die A n f e c h t b a r k e i t w i r k t , w e n n sie g e l t e n d gemacht w i r d , a u f d i e Z e i t des Eheschlusses z u r ü c k (§ 1343).

R i c h a r d S c h m i d t , L e h r b u c h des Z i v i l p r o z e f s r e c h t s .

2. A u f l .

25

386

IV. Rechtsstreit.

§ 6.

Form der

erhung.

Grund, dafs das nur im genannten Falle anerkannt werde. Das positive Recht könnte das Gebiet der offiziellen Prozefseinleitung jederzeit erweitern 1 .

§ 64. Die Form der Klagerhebung und der übrigen prozefseinleitenden Akte. Insbes. zu I I ( I n h a l t der Klage) W a c h , V o r t r ä g e 17 (2. A . 19). Petersen, Ζ. 3, 385 i n B e i t r . 28, 651. F i t t i n g , c i v . A . 61, 422 (1878) u. Ζ. 9, 69. F ö r s t e r - E c c i u s , preufs. P r i v . K . (4. Α.) I , 275. S t r u c k m a n n , A b w . d. K l . angebr. A r t . , Ζ. 3, 224 (1881). B i r k m e y e r , c i v . A . 66, 38 (1883) Fuchs, B e i t r . 29, 6*5 (1885). F r e u d e n s t e i n , Die R e c h t s k r a f t , 1881. R i c h a r d S c h m i d t , Die K l a g ä n d e r u n g (188s) 147. S t a u b , Begr. des K l a g g r u n d s , B e i t r . 32, 554 (1888). Petersen. Z u r L e h r e v o m K l a g g r u n d , 1892 (auch Sächs. A . B d . 2). W a c h , B e i t r . 33, 8 (1889). Max R i l m e l i n , c i v . A . 88, 128 (1898). I m ü b r i g e n P l a n c k I I , § 87. W e i s m a n n , L b . I , § 19. K l e i n f e l l e r , L b . § 76. Die K o m m e n t a r e z u § 253.

I . Die Schriftlichkeit der Klage und deren Yerhältnis zum vorbereitenden Schriftenwechsel. Bei der grundlegenden Bedeutung, die dem Akt der Prozefseinleitung für das ganze folgende Verfahren zukommt, hat die Gesetzgebung stets als Bedürfnis erkannt, dafs er s c h r i f t l i c h beurkundet und überhaupt in fester Form vollzogen werde (o. S. 73). Darin jedoch, wie weit der prozessuale Formalismus im Stadium der Prozefseinleitung auszudehnen sei, hat das positive Recht vielfach geschwankt. Insbesondere ist auch heute noch unklar, ob nur die K l a g e r h e b u n g oder auch die V e r n e h m l a s s u n g des B e k l a g t e n formell zu behandeln sei. Das geltende Recht behandelt die einleitenden Erklärungen des Klägers und des Beklagten grundsätzlich verschieden. Das Problem ist deshalb für beide gesondert darzulegen (vergl. § 65). Für das Rechtsschutzbegehr des Klägers gilt als Regel, dafs es n u r i n s c h r i f t l i c h e r F o r m g ü l t i g u n d b e a c h t l i c h ist. Dies gilt vor allem für die Bitte um rechtskräftiges Urteil, die K l a g e . Nur kommt der Standpunkt der Z.P.O. um deswillen blofs verhüllt zum Ausdruck, weil die Klagerhebung sich äufserlich in die beliebig lange Reihe der vorbereitenden Schriftsätze einfügt und ihre rechtliche Sonderstellung unter den letzteren nicht von vornherein klar bezeichnet wird. Der vorbereitende Schriftenwechsel hat als solcher nicht nur für die Prozefseinleitung Bedeutung. Er soll überhaupt „die mündliche Verhandlung" vorbereiten (§ 129), d. h. alle Termine, in denen die Parteien durch Angriff oder Verteidigung im Hinblick auf eine gerichtliche Entscheidung tätig werden. Schriftsätze werden deshalb nicht nur für den ersten Termin, sondern auch für die späteren sich wiederholenden Termine erforderlich, nicht nur zur Vorbereitung der Verhandlung über den Anspruch, sondern auch über Vorfragen (Prozefsvoraussetzungen, Editionspflicht, vgl. u. S. 455). Sie enthalten deshalb zum Voraus alles Material, was irgendwie zur Prüfung des Anspruchs und der Vorfragen wesentlich werden kann, 1 So s t ü n d e z. B. n i c h t s i m Wege, dafs i n d e m oben gen. F a l l des u n l a u t e r n W e t t bewerbes die K l a g e ebenfalls der S t a a t s a n w a l t s c h a f t ü b e r t r a g e n w ü r d e .

Prinzip der Schriftlichkeit der Klage.

387

— Anträge (§ 130 Nr. 2), Behauptungen (Nr. 3), Gegenerklärungen {Nr. 4), Beweisantretungen (Nr. 5) usw. Anderseits sind sie aber, eben weil sie nur das künftige Vorbringen für die mündliche Verhandlnng ankündigen, unwesentlich, fakultativ. Sie werden nur für den Landgerichtsprozefs gefordert, für den Amtsgerichtsprozefs ins Belieben der Parteien gestellt (§ 129, Abs. 2), und auch soweit sie gefordert werden, hat ihre Unterlassung „Nachteile in der Sache" nicht zur Folge; vor allem hat keine Partei deswegen, weil sie einen Schriftsatz nicht oder unvollständig gestellt, Ausschlufs eines Vorbringens, Nichtbeachtung desselben oder gar Sachverlust (Abweisung oder Verurteilung) zu gewärtigen. In dieser ihrer Funktion und Bedeutung können demnach die vorbereitenden Schriftsätze nur in engem Zusammenhang mit der rechtlichen Regelung der Parteihandlung und ihrer Form verstanden werden (vgl. u. § 74). Ein vorbereitender Schriftsatz in solchem Sinn ist aber nach ihrer einen Seite auch die Klagschrift. Sie ist in einer Hinsicht nur der e r s t e Schriftsatz. Nach § 253, 3 finden die „allgemeinen Bestimmungen über die vorbereitenden Schriftsätze" auch auf sie Anwendung. Der Umstand jedoch, dafs § 253 die Klagschrift neben § 129 ff. noch besonders behandelt, beweist, dafs dieser Schriftsatz noch eine weitere prozessuale Zweckbestimmung haben soll. „Die Erhebung der Klage erfolgt durch Zustellung eines Schriftsatzes." Da (nach oben §63,1) Klagerhebung einen festen technischen Sinn hat, da sie soviel bedeutet als die Willenserklärung, durch welche ein feststellendes oder verurteilendes Urteil begehrt wird, und deshalb soviel als „Prozefseinleitung", Prozefsbegründung, so ist in § 253 ausgesprochen: die Klagschrift hat nicht nur den Zweck, die künftige Verhandlung vorzubereiten, sondern auch den Zweck, unmittelbar den Prozefs ins Leben zu rufen und so die damit verbundenen Wirkungen (die Urteilspflicht und die sog. Rechtshängigkeitswirkungen, — über sie unten § 69) zu erzeugen. Die Klagschrift ist n i c h t n u r v o r b e r e i t e n d e r S c h r i f t s a t z , s o n d e r n a u c h V e r k ö r p e r u n g des P r o z e f s e i n l e i t u n g s akts. Hieraus ergibt sich sofort die Bedeutung der Vorschrift § 253. Sie schreibt den I n h a l t der K l a g s c h r i f t vor (Abs. 2). Nun sind aber die Bestandteile dieses Inhalts nichts anderes, als was bereits in § 130 zum Inhalt des vorbereitenden Schriftsatzes gehört (Angabe der Prozefsbeteiligten, des Antrags usw., — vgl. § 253 Nr. 1 mit § 130 Nr. 1, § 253 Nr. 2 mit § 130 Nr. 2. 3); sie umfassen nur weniger als die Bestandteile des vorbereitenden Schriftsatzes (z. B. jedenfalls nicht die Angabe der zu benennenden Beweismittel § 130 Nr. 5). Somit kann das N e u e der Vorschrift des § 253 nur darin liegen, dafs sie die hier nochmals genannten Elemente nicht nur imperativ („soll enthalten"), Sondern o b l i g a t o r i s c h („mufs enthalten") fordert, d. h. nicht nur als wünschenswerte Ankündigung des Verhandlungsinhalts, deren gänzliche Unter25*

388

IV. Rechtsstreit.

§ 6.

Form der

erhung.

lassung oder Lückenhaftigkeit „Nachteile in der Sache" nicht zur Folge haben (§ 129), sondern als B e d i n g u n g f ü r die G ü l t i g k e i t der K l a g e r h e b u n g , P r o z e f s e i n l e i t u n g . Wird eine Klagschrift überhaupt nicht zugestellt oder hat die zugestellte Klagschrift nicht den geforderten Minimalinhalt, so treten die spezifischen Wirkungen der Klagerhebung, insbesondere die Notwendigkeit des Gerichts zu urteilen, nicht ein und es hat deshalb das Gericht in solchem Falle entweder ganz untätig zu bleiben oder falls der Kläger trotz des Mangels der Klage handeln will, ihn mit der Klage wegen U n z u l ä s s i g k e i t d e r s e l b e n ( d u r c h U r t e i l ) a b z u w e i s e n (sog. A b w e i s u n g „ a n g e b r a c h t e r mafsen" oder a l i m i n e , a b s o l u t i o ab i n s t a n t i a ) . Dies Erfordernis stellt aber das Gesetz ferner nicht nur für die Prozesse auf, wo vorbereitender Schriftenwechsel vorgeschrieben wird d. h. für den Anwaltsprozefs, sondern für a l l e P r o z e s s e , insbesondere auch für den A m t s g e r i c h t s p r o z e f s . Von der Klage unterscheidet sich dagegen formell die Einleitung der summarischen Verfahrensarten (aufser der des Urkundenprozesses, o. S. 383). Die des Mahnverfahrens, Arrestund Verfügungs verfahr ens vollzieht sich durch Anbringung des Gesuchs bei Gericht und zwar s c h r i f t l i c h o d e r m ü n d l i c h (§ 690. 921. 936). Das Mahngesuch wird im sog. Mahnregister beurkundet (s. u. § 93), das Arrestgesuch k a n n zu Protokoll erklärt werden (§ 921, 3) 1 . Das Besondere der Klagerhebung im A m t s g e r i c h t s p r o z e f s liegt nur darin, dafs die Klage hier nicht nur in Schriftsatzform zur Terminsbestimmung eingereicht, sondern auch zu Protokoll des Gerichtsschreibers angebracht werden kann (§ 496), sowie dafs die Zustellung (§ 499) eventuell auf Betrieb des Gerichtsschreibers erfolgt (§ 497). Hierdurch wird aber für den Regelfall an dem Erfordernis der Klagschrift oder seines Inhalts nichts geändert (§ 495). Von letzterem begründet erst die (wenig benutzte) Vorschrift des § 500 eine Ausnahme, wonach an ordentlichen Gerichtstagen die Parteien zur Verhandlung des Rechtsstreits ohne vorgängige schriftliche Klage (und ohne Ladung und Terminsbestimmung) erscheinen können, worauf die Erhebung der Klage hier durch deren mündlichen Vortrag erfolgen kann. Grundsätzlich erfolgt die Klagerhebung mündlich bei Erhebung im schwebenden Verfahren durch e i n e der schon beteiligten Parteien, d. h. bei Widerklage (§ 278) und Inzidentklage (§ 280, — s. oben 382 (§ 281). Die Erhebung der Klage eines D r i t t e n im schwebenden Prozefs (Hauptintervention) unterliegt dem normalen Prinzip (§ 64), — ebenso erfolgt der B e i t r i t t eines Dritten (Nebenintervention) durch Zustellung eines Schriftsatzes (§ 70).

I I . Inhalt der Klagschrift· Die genaue Bestimmung des besonderen Z w e c k s , durch den sich die Klagschrift von den übrigen Schriftsätzen auszeichnet, ist von entscheidender Wichtig1 Der Gegensatz a u n d b e r k l ä r t sich daraus, dafs die K l a g e u n t e r a l l e n U m s t ä n d e n n u r d u r c h T e r m i n z u r m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g beider P a r t e i e n zur E n t s c h e i d u n g f ü h r t J u n t e n S. 401), i n d e m r e i n s u m m a r i s c h e n V e r f a h r e n dagegen n u r f a k u l t a t i v m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g angeordnet w i r d .

Bedeutung der Klagschrift.

Obligatorischer Inhalt derselben.

389

keit für die Bestimmung des I n h a l t s , den dieser Schriftsatz bei Gefahr der Ungültigkeit der Prozefseinleitung enthalten mufs; . P a u l , Der V e r g l e i c h i m C.P. 1898. W o l f , Prozefsvergleich, c i v . A . 88. 153 (1898). T r ü l t s c h , Über den Prozefsv e r g l e i c n i m g e l t . R., 1893. K ö h l e r , P r o z e f s h a n d l u n g e n m i t C i v i l r e c h t s w i r k u n g e n , Z. 29 (1901), 34ff. H e d e m a n n , Der V e r g l e i c h s i r r t u m , Fischers A b h d l g n . 9, 2 (1903). - I m ü b r i g e n W e i s m a n n § 37 S. 104. K l e i n f e l l e r § 113. — F ü r Österreich P o l l a c k § 81.

I . Die Wiederaufhebung des eingeleiteten Verfahrens durch die Parteien. Bei allen Verschiedenheiten, die das verschiedene Verhalten der Parteien auf die Klage für das Prozefsergebnis begründet, ist dasselbe insofern von gemeinsamer Bedeutung, als es unter allen Umständen zu einer Entscheidung, einem den Prozefs beendigenden U r t e i l , führt, Die Klagerhebung begründet demnach als solche bis auf weiteres die N o t w e n d i g k e i t eines U r t e i l s . Aus ihr entsteht ein prozessuales Rechtsverhältnis, eine dauernde, auf prozessuales Handeln gerichtete Beziehung, die durch das Urteil ihre Lösung findet. Liegen aufserdem die Prozefsvoraussetzungen vor, so konzentriert sich diese Beziehung zum Prozefsrechtsverhältnis im engern Sinn, d. h. zu einem Verhältnis, vermöge dessen die Prozefssubjekte zu Erlafs und Entgegennahme eines S a c h u r t e i l s verpflichtet sind. Aber auch wo die Prozefsvoraussetzungen fehlen, mufs das Verfahren immerhin eine E r l e d i g u n g d u r c h g e r i c h t l i c h e n A u s s p r u c h f i n d e n (vgl. weiter u. § 104). In grundsätzlichen Gegensatz zu allen übrigen P r e i s gestaltungen tritt demnach nur diejenige, durch welche die Parteien auch die Wirkung der K l a g e s e l b s t wieder rückgängig machen. Diese Behandlung überläfst das Gesetz ihrer freien Willensdisposition. Wie der Rechtsstreit durch Dispositionsakt der Partei ins Leben gerufen wird (o. S. 382), so fühlt er zum Urteil auch nur unter dem Vorbehalt, dafs die Parteien durch ihre Disposition nicht den F o r t b e s t a n d des Verfahrens wieder beseitigen. Nur führt die Rücksicht darauf, dafs durch beiderseitiges Tätigwerden ein Interesse b e i d e r Parteien am Prozesse erwächst (S. 398), notwendig zu dem Gedanken, dafs die Parteidisposition, während sie den Prozefs e i n s e i t i g ins Leben ruft (S. 39(3), regelmäfsig nur z w e i s e i t i g imstande ist, den Prozefs wieder aus der Welt zu schaffen. Anderseits kann die Prozefsbeendigung durch Parteidisposition wieder in zweierlei Formen und mit zweierlei Wirkung auftreten, als K l a g z u r ü c k n a h m e und als V e r g l e i c h . I I . KlagzurQcknahme. Die Klagzurücknahme ist die Parteiwillenserklärung, die den Prozefs ohne E r g e b n i s f ü r das K l a g r e c h t beendigt. Je nach dem Prozefsstadium, in welchem sie erklärt wird, verkörpert sie sich in verschiedenen Tatbeständen. Solange der Beklagte sich noch nicht zur Sachverhandlung eingelassen hat, wirkt sie bereits als e i n s e i t i g e r P a r t e i a k t des

Beseitigung cles Verfahrens ohne Urteil.

Zurücknahme der Klage.

405

Klägers. Nachdem dagegen der Beklagte zur Hauptsache mündlich verhandelt hat, kann der Kläger die Klage „nur mit Einwilligung des Beklagten" zurücknehmen; die Klagzurücknahme ist also n u r als z w e i s e i t i g e s Rechtsgeschäft wirksam. Hierin liegt, dafs n a c h der E i n l a s s u n g eine einseitige Klagzurücknahme überhaupt unwirksam bleibt. Die Klage bleibt trotz der Erklärung des Klägers kraft Gesetzes anhängig, und der Kläger hat, falls er auf der Zurücknahme, d. h. auf Untätigkeit, besteht, Versäumnisurteil zu gewärtigen (o. S. 398) Im übrigen ist der Gegensatz der Zeit vor und nach der Einlassung auf die F o r m und auf die W i r k u n g e n der Klagzurücknahme einflufslos. a) Die Klagzurücknahme erfolgt in jeder Lage des Rechtsstreits entweder durch Erklärung in der mündlichen Verhandlung oder entsprechend der E r h e b u n g der Klage durch Zustellung eines Schriftsatzes (§ 271, 2) 2 . b) Ihre Wirkung ist die, dafs „der Rechtsstreit als nicht anhäogig geworden anzusehen ist". Dies bedeutet, dafs nunmehr über den streitigen A n s p r u c h selbst jedenfalls keine Entscheidung ergehen kann 3 . Hieraus folgt aber nicht, dafs in diesem Verfahren überhaupt keine Entscheidung ergehen könnte. Eine solche wird nämlich unter Umständen erforderlich über die K o s t e n p f l i c h t . Allerdings trifft dieselbe den Kläger, der die Klage zurücknimmt, schon kraft Gesetzes (§ 271, 3). Nun kann aber die Festsetzung der Höhe cler Kosten (durch Kostenfestsetzungsbeschlufs) gerade nach den Prinzipien der Z.P.O. nur auf Grund eines Vollstreckungstitels, Vergleichs oder Urteils erfolgen (§ 104). Infolgedessen mufs auch die Kostenpflicht des Klagzurücknehmenden noch ausdrücklich durch Urteil festgestellt werden, falls der Gegner (Beklagte) es beantragt. Besonders im Hinblick auf die Fälle, wo es zu solchem Urteil nicht gekommen ist 4 , stellt § 271, 4 dem Beklagten noch ein zweites indirektes Zwangsmittel für den Kostenersatz zur Verfügung, nämlich die 1 Da d i e B e h a n d l u n g der K l . Ζ. v o n der E i n l a s s u n g a b h ä n g i g i s t , so i s t e i n s e i t i g e K l . Z. auch m ö g l i c h , solange n u r n o c h über Prozefsvoraussetzungen g e s t r i t t e n w i r d : n i c h t dagegen w e n n n a c h d e r E i n l a s s u n g der B e k l a g t e n o c h eine u n v e r z i c h t bare oder i h m bisher u n b e k a n n t e Prozefseinrede n a c h h o l t (s. W e i s m a n n S. 387). Da ferner S 271 eine W i r k u n g der E i n l a s s u n g r e g e l t , so i s t er b e d e u t u n g s l o s f ü r die F i l l l e , wo E i n l a s s u n g gar n i c h t e r w a r t e t w i r d , — n ä m l i c h f ü r M a h n g e s u c h u n d A r r e s t g e s u c h (oben S. 382). Beide k ö n n e n also b e l i e b i g z u r ü c k g e n o m m e n w e r d e n , — das Mahngesuch solange, als n i c h t d u r c h W i d e r s p r u c h die Sache i n das o r d e n t l i c h e U r t e i l s v e r f a h r e n übergeleitet u n d d o r t E i n l a s s u n g e i n g e t r e t e n i s t . Anderseits i s t f ü r W i d e r k l a g e , I n z i d e n t k l a g e , I n t e r v e n t i o n s k l a g e § 271 (event, u n t e r U m k e h r u n g der P a r t e i r o l l e n ) g ü l t i g . 2 N u r i n dieser F o r m . Dafs a u c h das a u f s e r g e r i c h t l i c h e Versprechen, die K l a g e z u r ü c k z u n e h m e n , u n m i t t e l b a r e W i r k u n g habe ( W e i s m a n n S. 388) i s t aus d e m Gesetz n i c h t zu r e c h t f e r t i g e n ( H e l l w i g , A n s p r u c h § 24 A . 10). 3 A u f s e r d e m n a t es B e d e u t u n g f ü r die R e c h t s h ä n g i g k e i t s w i r k u n g e n , die d u r c h die K l a g e eingetreten s i n d , v g l . u. S. 412. 4 Besonders i n den F ä l l e n , w o die K l a g e s c h r i f t l i c h z u r ü c k g e n o m m e n w o r d e n u n d w o es deshalb zu d e m V e r h a n d l u n g s t e r m i n , i n w e l c h e m a l l e i n das U r t e i l über die K o s t e n beantragt w e r d e n k o n n t e , n i c h t g e k o m m e n i s t . N i c h t r i c h t i g i s t , dafs i n solchem F a l l t r o t z oer K l a g e z u r ü c k n a h m e der bereits a n b e r a u m t e T e r m i n s t a t t f i n d e ( W e i s m a n n S. 388).

4 0 6 I V .

Rechtsstreit.

§ 68. Klagzurücknahme und Vergleich.

„Einrede der mangelnden Kostenerstattung" (§ 274 Nr. (5), durch die er eventuell auf ein neues Klagbegehren über denselben Anspruch die Einlassung verweigern kann. Die tatsächliche Untätigkeit beider Parteien, auch über beliebig lange Zeit, bewirkt jedenfalls die Endigung des Prozesses nicht; sie führt nur zum „Ruhen des Verfahrens", r e c h t l i c h also zur Hemmung des Prozesses (§ 251, 2 Z.P.O.). Tatsächlich liegt im Ruhenlassen allerdings häufig das Ende des Verfahrens. I I I . Vergleich· Eine in den Wirkungen weitergehende zweiseitige Disposition über den Prozefsfortgang ist der Prozefsvergleich, d. h. die Willenserklärung beider Parteien, die den Prozefs n i c h t e r g e b n i s l o s , s o n d e r n u n t e r N o r m i e r u n g des s t r e i t i g e n R e c h t s v e r h ä l t n i s s e s beendigt. Der Vergleich ist an und für sich nicht nur Prozefsakt. Er ist eine Form des P r i v a t r e c h t s g e s c h ä f t s und zwar ein Vertrag, dessen wesent1 icher Inhalt darin besteht, dafs von zwei Interessenten eines Rechtsverhältnisses („Parteien" in diesem Sinn, § 779 B.G.B.) ein aufsergerichtlicher Streit oder eine Ungewifsheit „im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird". Für die Fälle jedoch, wo er „nach Erhebung der Klage" zwischen den Parteien im Sinne cles Prozesses „zur Beilegung des Rechtsstreits seinem ganzen Umfange nach oder in betreff eines Teils des Streitgegenstands vor einem deutschen Gericht abgeschlossen wird", erhebt die Z.P.O. § 794 Nr. 1 den Vergleich neben seiner privatrechtlichen Bedeutung zu einem P r o z e f s r e c h t s g e s c h ä f t (o. S. 359), das seine eigenartigen prozessualen Wirkungen neben den privatrechtlichen Wirkungen äufsert und an eigenartige prozessuale Bedingungen geknüpft ist. Als m a t e r i e l l e s Geschäft bewirkt der Vergleich die Erledigung des verglichenen Privatrechtsverhältnisses (des Darlehns-, Kaufsverhältnisses usw.) ; er begründet somit die Unmöglichkeit, dasselbe noch geltend zu machen, folglich auch die Unmöglichkeit p r o z e s s u a l e r Geltendmachung: der Partei, die aus dem Rechtsverhältnis Klage erhebt, kann der Gegner die rechtsvernichtende Einrede der verglichenen Sache (exceptio rei transactae) entgegenstellen2. Gültigkeitsbedingung des materiellen Vergleichs sind die Bedingungen des Zivilrechtsgeschäfts überhaupt 3 . Als p r o z e s s u a l e r Vorgang teilt cler Vergleich mit dem gerichtlichen Urteil: 1 Sie k ö n n t e diesen E r f o l g n u r h a b e n , w e n n n a c h A b l a u f b e s t i m m t e r F r i s t dieV e r j ä h r u n g des Prozesses e i n t r ä t e w i e i m F o r m u l a r p r o z e f s . E i n e solche k a n n t e d i e C.P.O. aber n i c h t . 2 M. a. W . Diese E i n r e d e des V e r g l e i c h s e r w ä c h s t nicht, n u r aus dem P r ο ze f s v e r g l e i c h , s o n d e r n aus j e d e m V e r g l e i c h . Sie s t e h t d e m n a c h n i c h t n u r einem z w e i t e n , w i e d e r h o l t e n , sondern a u c h d e m e r s t e n V e r f a h r e n aus der Sache entgegen. Diese W i r k u n g des V e r g l e i c h s e r k l ä r t sich also n i c h t aus einer V e r w a n d t s c h a f t m i t d e m U r t e i l . Λ Insbes. i s t derselbe a u c h wegen I r r t u m s oder aus a n d e r n G r ü n d e n anfechtbar. ( V g l . B.G.B. § 119 if., n u r i m S p e z i a l f a l l § 779, 1 a. Ε . , R.G. V. 1896. 37, 418. W e i s m a n η § 104 A n m . (S.)

Prozefsbeendigender Vergleich.

Vergleich im Sühneverfahren.

407

a) die negative Wirkung, das prozessuale Verfahren mit allen Handlungen der Beteiligten zu beenden1; b) die positive Wirkung, einen selbständigen „Vollstreckungstitel" und damit die Grundlage für ein neues Verfahren, für eine Vollstreckungstätigkeit des Gerichtsvollziehers usw., zu schaffen (§ 794 Nr. 1). Zu seiner Gültigkeit setzt der Prozefsvergleich voraus, dafs er im Sitzungsprotokoll beurkundet worden ist (§ 160 Nr. 1). Im übrigen kann er in jedem Stadium des Verfahrens abgeschlossen und vom Gericht von amtswegen angeordnet werden. Insbesondere kann das Gericht die Parteien zum Zweck des Sühneversuchs stets vor einen beauftragten oder ersuchten Richter verweisen und hierzu das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen (§ 296). Von ganz anderer Bedeutung ist der V e r g l e i c h i m S ü h n e v e r f a h r e n , d. h. der Vergleich, der über einen η o c h n i c h t r e c h t s h ä n g i gen Anspruch zur V e r h ü t u n g eines Prozesses, speziell der Klagerhebung, abgeschlossen wird. Im geltenden Recht tritt er auf: a) als Vergleich vor dem ordentlichen Gericht, und zwar vor dem A m t s r i c h t e r (§ 510). Wer eine Klage (gleichviel ob amts- oder landgerichtlicher Zuständigkeit) zu erheben b e a b s i c h t i g t , kann unter Angabe des Gegenstands seines Anspruchs zum Zwecke eines Sühneversuchs den Gegner vor das Amtsgericht laden, vor welchem dieser seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Erscheinen beide Parteien und wird ein Vergleich geschlossen, so ist derselbe zu Protokoll festzustellen. Kommt ein Vergleich nicht zu Stande, so wird auf Antrag beider Parteien der Rechtsstreit sofort verhandelt; die Erhebung der Klage erfolgt in diesem Falle durch den mündlichen Vortrag derselben (wozu selbstverständlich bei Landgerichtssachen eine ausdrückliche oder stillschweigende Prorogation nach §§ 38. 39 vorausgesetzt wird). Ist der Gegner nicht erschienen oder der Sühneversuch erfolglos geblieben, so werden die erwachsenen Kosten als Teil der Kosten des Rechtsstreits behandelt (§ 510, 3). In Sachen wegen E h e s c h e i d u n g oder H e r s t e l l u n g des ehelichen Lebens ist ein solcher Sühneversuch vor dem Amtsgericht o b l i g a t o r i s c h (§ 608). Der Vorsitzende der Zivilkammer darf deshalb hier den Termin zur mündlichen Verhandlung erst festsetzen, wenn vorher der Kläger bei dem A m t s g e r i c h t im allgemeinen Gerichtsstand des E h e m a n n s (ev. im Gerichtsstand des § 606, 2) die Anberaumung eines Sühnetermins beantragt und zu diesem Termin den Beklagten geladen hat (§§ 609. 610). Zu diesem Termin müssen die Parteien p e r s ö n l i c h erscheinen (Beistände können zurückgewiesen werden, — § 610, 1). Erscheint der Kläger oder erscheinen beide Parteien nicht, so mufs der Kläger, um die Klage erheben zu können, zunächst n o c h m a l s Sühnetermin beantragen und den 1 So w ü r d e ζ. B. n a c h geschlossenem V e r g l e i c h die L a d u n g zu n e u e m T e r m i n der A n b e r a u m u n g zu versagen sei. 2 I n Ehesachen event. A u s s e t z u n g des V e r f a h r e n s über eine S c h e i d u n g s k l a g e aus $ 1508 oder eine K l a g e a u f H e r s t e l l u n g des e h e l i c h e n Lebens v o n A m t s w e g e n , w e n n das G e r i c h t die A u s s ö h n u n g der P a r t e i e n f ü r w a h r s c h e i n l i c h erachtet ( n u r e i n m a l i m Prozefs u n d höchstens a u f ein J a h r . (§ 620. (i21.) A u f A n t r a g A u s s e t z u n g i n a l l e n S c h e i d u n g s fällen. (§ 620, 1.) 3 A u s n a h m s w e i s e k a n n der V o r s i t z e n d e den T e r m i n a u c h ohne vorgängiges S ü h n e verfahren ansetzen. Dasselbe i s t n i c h t e r f o r d e r l i c h , w e n n der A u f e n t h a l t des B e k l a g t e n u n b e k a n n t oder i m A u s l a n d e i s t , w e n n dem S ü h n e v e r s u c h e e i n anderes schwer zu beseitigendes H i n d e r n i s entgegensteht, welches v o n d e m K l ä g e r n i c h t v e r s c h u l d e t i s t , oder w e n n die E r f o l g l o s i g k e i t des S ü h n e v e r s u c h s m i t B e s t i m m t h e i t vorauszusehen i s t . Ü b e r das V o r h a n d e n s e i n dieser Voraussetzungen entscheidet der V o r s i t z e n d e ohne v o r g ä n g i g e s Gehör des B e k l a g t e n (§ 611). A u c h neues V o r b r i n g e n u n d eine W i d e r k l a g e i s t v o n einem v o r g ä n g i g e n S ü h n e v e r s u c h n i c h t a b h ä n g i g (§ 614 Abs. 2).

408

IV. Rechtsstreit.

§ 69. Rechtshängigkeit.

Beklagten dazu laden. Erscheint der Kläger, aber nicht der Beklagte, so ist der Sühneversuch als mifslungen anzusehen (§ 612, 2 ) 1 2 . b) Aufserdem aber haben auch die L a n d e s g e s e t z g e b u n g e n zum grofsen Teil noch e i g n e B e h ö r d e n der f r e i w i l l i g e n G e r i c h t s b a r k e i t zur Abhaltung solcher Sühnetermine geschaffen, die den Parteien auch dann zugänglich sind, wenn sie „die Erhebung einer Klage nicht beabsichtigen". Diese Behörden sind meist e h r e n a m t l i c h e Gemeindebehörden, aus angesehenen Bürgern gewissen Lebensalters bestellt, in Preufsen die S c h i e d s m ä n n e r , gewählt von den Stadtverordneten oder sonstigen Gem e i n d e v e r t r e t u n g e n , so von den Gemeindeversammlungen (Schiedsm. Ordn. v. 29. März 1879, G.S. 321), in Sachsen die F r i e d e n s r i c h t e r (Verordn. v. 16. Mai 1879, G.V.B1. 209), — in Baden sind die Bürgermeister als Schiedsmänner bestellt (Ges. v. 16. April 1886, G.B. 145). Vor ihnen können die Parteien einen Vergleichsversuch unternehmen, — zum Teil jedoch auf e i n s e i t i g e n Antrag nur bis zu gewisser Höhe (in Baden: 300 Mark). Auch diese Vergleiche begründen kraft des Parteiwillens eine Ordnung des streitigen Rechtsverhältnisses (Feststellung) und nach Mafsgabe der Landesgesetze ein Vollstreckungsverfahren (hierüber unten § 139). P r o z e f s h a n d l u n g e n , D i s p o s i t i o n ü b e r d e n P r o z e f s sind sie jedoch naturgemäfs nicht. Sie sind Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

§ 69. Die Rechtshängigkeit. S c h w a l b a c h , R e c h t s h ä n g i g k e i t , c i v . A . (1830), 64, 2o4. L i p p m a n n , E i n r e d e der U . U . , c i v . A . 65, 358 (1881). S c h o l l m e y e r , Die K o m p e n s a t i o n s e i n r e d e , 1884. L i p p m a n n , Z . - L . v o n der rozessualen R . H . , c i v . A . 71, 291 (1888). W e i s m a n n , H a u p t i n t e r v e n t i o n (1894), S. 16;>. t e i n , U r k u n d e n p r o z e f s (1887), S. 282. — I m ü b r i g e n W e i s m a n n , Lb. §88. K l e i n f e l l e r § 77. K o m m e n t a r e zu § 263.

P

I . Bedeutung der Rechtshängigkeit. Die Einleitung des Prozesses äufsert ihre Wirkung zunächst insofern, als sie den Parteien ein festes Anrecht darauf verschafft, den eigentlichen Zweck des Prozesses zu erreichen. Nur von dieser Hauptwirkung der Prozefsbegründung war bisher (§§ 63 — 68) die Rede. Die Grundgedanken, die das geltende Recht über sie entwickelt hat, lassen sich im Rückblick dahin zusammenfassen, dafs für jede Partei gesondert aus ihrer Anrufung des Gerichts das Recht auf Erledigung des Verfahrens durch gerichtliches Urteil erwächst, für den Kläger aus der Klagerhebung, für den Beklagten aus der Einlassung. Für jede Partei ist dieses Recht möglichst unabhängig von dem Verhalten des Gegners gestellt worden (S. 394. 39(5). Der Prozefs ist jedenfalls durch Urteil zu entscheiden, gleichviel ob durch ein Urteil über den A n s p r u c h oder wegen eines Prozefsmangels durch blofse Prozefsabweisung, und im erstem Fall, ob zwischen den Parteien S t r e i t über den Anspruch oder eine einseitige Verhandlung unter Säumnis des Gegners oder ein Verzicht oder ein Anerkenntnis zustande kommt. Das Gericht hat 1 Ebenso i s t n u r die e r f o l g r e i c h e L a d u n g z u m S ü h n e t e r i n i n m i t der p r i v a t r e c h t l i c h e n W i r k u n g a u s g e s t a t t e t , d a w d u r c h sie die gesetzliche F r i s t f ü r die E r n e b u n g der S c h e i d u n g s k l a g e g e w a h r t w i r d . E r s c h e i n t der K l ä g e r n i c h t , so i s t die L a d u n g w i r k u n g s los (B.G.B. § 1571). 2 N u r die F o r t f ü h r u n g der V o r s c h r i f t e n über den S ü h n e v e r s u c h i s t es, w e n n das G e r i c h t v e r p f l i c h t e t , bezw. b e r e c h t i g t w i r d , i m Scheidungsprozefs oder i m E h e h e r stellungsprozefs d i e A u s s e t z u n g des V e r f a h r e n s zu v e r f ü g e n , w e n n der K l ä g e r es bea n t r a g t oder das G e r i c h t v o n A m t s w e g e n e r m i t t e l t , dafs A u s s i c h t zur A u s s ö h n u n g der P a r t e i e n v o r h a n d e n ist (Vorschr. der Nov., C.P.O. §§ 620. 621).

Bedeutung der Rechtshängigkeit.

409

solange die Pflicht zu urteilen, als nicht die Parteien selbst — im Zweifel b e i d e Parteien — durch Klagzurücknahme oder durch Vergleich den Prozefs aus der Welt schaffen (§ 68). In diesen Wirkungen erschöpft sich jedoch die Prozefseinleitung nicht. Sie schafft vielmehr weiter auch eine eigentümliche prozessuale Beziehung zwischen den Parteien, die durch die Zeit des Schwebens des Prozesses andauert. Sie wird als Zustand der R e c h t s h ä n g i g k e i t , L i t i s p e n d e n z , bezeichnet und bedeutet praktisch, dafs sich jede Partei in der Prozefsführung, in Angriff und Verteidigung im Interesse des Gegners b e s c h r ä n k e n mufs. Allerdings wird mit dem Begriff der Rechtshängigkeit im Lauf der gesetzgeberischen Entwicklung nicht eine Gebundenheit ganz bestimmten I n h a l t s oder eine Reihe von solchen Pflichten ausgedrückt. Soweit er Gemeingut aller Prozefsrechte ist, bezeichnet er vielmehr nur einen Rechtsgedanken, den nämlich, dafs jede Partei während des Prozessierens empfindliche Störungen des Gegners zu vermeiden, um der Ordnung, Klarheit, Übersicht des prozessualen Handelns willen sich rücksichtsvoll und loyal zu verhalten hat. Worin diese Pflichten der Rücksichtnahme im einzelnen bestehen und wie weit sie gehen, bestimmt das positive Recht. Ebenso hängt von ihm ab, mit welchem Zeitpunkte innerhalb des Verfahrens der Prozefseinleitung die Rechtshängigkeitswirkungen eintreten sollen, ob sie schon mit der Klagerhebung oder erst mit der Streiteinlassung beginnen sollen oder dergleichen. Die erwähnten Wirkungen der Prozefseinleitung bilden ein durchgehendes Problem der Prozefsgesetzgebung, das sich in eigenartigen prozessualen, d. h. auf die Prozefsführun g bezüglichen Macht- und Pflrhtbeziehungen zwischen den Parteien verkörpert (vgl. II). Demnach ist von der Rechtshängigkeit im prozessualen Sinn die andere Erscheinung zu sondern, dafs die Prozefseinleitung auch am P r i v a t r e c h t s v e r h ä l t n i s der Parteien, am streitigen Anspruch gewisse Veränderungen hervorruft. Man bezeichnet auch sie als Rechtshängigkeitswirkungen. Aber genauere Prüfung zeigt, dafs sie mit der sog. prozessualen Rechtshängigkeit nur ganz äufserlich in Verbindung stehen. Die Rechtsgedanken, die für sie mafsgebend sind, sind z i v i l r e c h t l i c h e (hierüber III). I I . Die prozessualen Rechtshängigkeitswirkungen. Die Rechtssätze, die die Z.P.O. als Wirkungen der Rechtshängigkeit in der prozessualen Beziehung der Parteien aufstellt, beschränken die Parteien in vier Richtungen: bald nur den Kläger, bald nur den Beklagten, bald beide Parteien gleichmäfsig. 1. Mit der Klagerhebung begründet die E i n r e d e d i e R e c h t s h ä n g i g k e i t (exceptio litis pendentis). „Wenn während der Dauer der Rechtshängigkeit von einer Partei die Streitsache anderweit anhängig gemacht wird," so kann der Gegner die Prozefsabweisung der zweiten Klage wegen der Rechtshängigkeit

410

IV. Rechtsstreit.

§ 69. Rechtshängigkeit.

der Streitsache verlangen (§ 263 Abs. 2 no. 1). B e i d e P a r t e i e n sind also an das e i n m a l e i n g e l e i t e t e V e r f a h r e n , solange dasselbe schwebt, gebunden, können ein Urteil in der Sache nur in diesem Verfahren erreichen. Der Gegner kann sich einer Übertragung des Streits in ein anderes V e r f a h r e n , vor allem einem d o p p e l t e n Verfahren über dieselbe Sache widersetzen. 2. Die sogen. B e f e s t i g u n g der Z u s t ä n d i g k e i t (perpetuatio fori). „Die Zuständigkeit des Prozefsgerichts wird durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt" (§ 263 no. 2). Fällt mit andern Worten nach der Prozefseinleitung vor einem bestimmten Gericht der ursprünglich vorhandene Grund der örtlichen Zuständigkeit (z. B. der Wohnsitz des Beklagten im Gerichtssprengel) oder der sachlichen (z. B. der Mehrwert der eingeklagten Wertpapiere durch einen plötzlichen Kurssturz) weg, so kann der Beklagte trotzdem n i c h t m e h r die Abweisung wegen Unzuständigkeit fordern (vgl. oben S. 275). Der B e k l a g t e ist also hinsichtlich dieser Streitsache an das einmal angegangene G e r i c h t gebunden. Der Kläger kann ein Urteil in der Sache jedenfalls von diesem Gericht verlangen. Er kann sich einer Übertragung des Streits vor ein anderes G e r i c h t widersetzen. 3 Den Ausschlufs der K l a g ä n d e r u n g (exceptio mutati libelli). „Der Kläger ist nicht berechtigt, ohne Einwilligung des Beklagten die Klage zu ändern (§ 264). Wenn der Kläger die erhobene Klage ändert, d. h. (argo § 268) nachträglich in wesentlichen Punkten etwas anderes in der mündlichen Verhandlung vorbringt, als was in der schriftlichen Klage geltend gemacht war, so kann der Beklagte die Abweisung der veränderten Klage fordern. Der K l ä g e r ist also an die einmal geltend gemachte S t r e i t s a c h e gebunden; er kann in d i e s e m Verfahren ein Urteil nur über sie erreichen. Der Beklagte kann sich einer Veränderung des wesentlichen S t r e i t p u n - k t e s widersetzen (hierüber unten § 130). 4. Den Ausschlufs der S t r e i t v e r ä u f s e r u n g (Entstehung der L i t i g i o s i t ä t ) . Die Veräufserung der im Streit befangenen Sache oder die Zession des geltend gemachten Anspruchs durch eine Partei an einen Dritten wird durch die Einleitung cles Prozesses zwar nicht privatrechtlich unzulässig bezw. ungültig, aber sie „hat auf den Prozefs keinen Einflufs". Der Rechtsnachfolger ist nicht berechtigt, ohne Zustimmung des Gegners an Stelle oder in Umgehung des Rechtsurhebers als Partei in den Prozefs einzutreten (§ 265). Will der Rechtsnachfolger den Prozefs auf eignen Namen als Kläger oder Beklagter übernehmen, so kann der Gegner ohne Rücksicht auf dessen Tätigkeit den Prozefs mit der bisherigen Partei nur nach Mafsgabe ihres Prozefsverhaltens weiterführen. Jede Partei bleibt m i t i h r e r Person an das einmal eingeleitete Verfahren gebunden. Jede kann sich der Übertragung der P a r t e i r o l l e von der Person ihres Gegners an einen D r i t t e n widersetzen (hierüber unten § 137).

Einr. der Rechtshäng. Perpetuation. Verb. d. Klagänd., d. Streitveräufserung. 4 1 1

Die Tragweite der prozessualen Rechtshängigkeit im einzelnen läfst sich aus deren allgemeiner Bedeutung allein nicht bestimmen. Im Gegenteil hängen die sämtlichen Rechtsfolgen, in denen sich die Rechtshängigkeit praktisch äufsert, mit Gedanken zusammen, clie auch anderweit in das Verfahren eingreifen. Die Einrede der Rechtshängigkeit (no. 1), der Widerspruch gegen die Verdoppelung des Prozesses über dieselbe Sache während schwebenden Rechtsstreits (vor Erlafs des Urteils) berührt sich in ihren Voraussetzungen mit der Einrede der Rechtskraft, d. h. dem Widerspruch gegen die Erneuerung des Prozesses über dieselbe Sache nach gesprochenem Urteil (unten § 121). Die Perpetuation des Gerichts trotz Fortfalls des Zuständigkeitsgrunds (no. 2) ist nur ein Einzelfall des Wegfalls einer Prozefsvoraussetzung überhaupt (unten § 108). Die Einrede der Klagänderung (no. 3) berührt sich nahe mit der Klaghäufung (unten §§ 131 ff.), die Veräufserung des Klaganspruchs oder des Klaggegenstands (no. 4) mit dem Eintritt dritter Personen in einen schwebenden Rechtsstreit, der sog. Intervention (unten § 135. 136). Es mufs deshalb in diesen Verbindungen auf die einzelnen Ausstrahlungen der Rechtshängigkeit zurückgegriffen werden. Gleichwohl hängen die sämtlichen Rechtssätze durch ihre Beziehung auf einen gemeinsamen Zweck und dementsprechend durch den prozessualen Tatbestand, an den sie anknüpfen, untereinander zusammen. Die sämtlichen Rechtshängigkeitswirkungen haben, gemeinsam betrachtet, die Bedeutung, dafs sie jeder Partei die Möglichkeit garantieren, u n g e s t ö r t d u r c h s c h i k a n ö s e s oder doch o f f e n b a r e r s c h w e r e n d e s V e r h a l t e n des G e g n e r s ein Urteil über das streitige Rechtsverhältnis zu erlangen. Sie sind also eine Einrichtung, die unterstützend zu derjenigen Rechtsbeziehung hinzutritt, die durch die Prozefseinleitung in erster Linie hervorgerufen wird, nämlich zu der Anwartschaft der Parteien auf Urteil und insbesondere auf Sachurteil überhaupt. Auf den primitiveren Stufen des Prozefsrechts, aus denen sich das heutige Recht entwickelt hat, ist die Verbindung des Prozefsrechtsverhältnisses (o. S. 20 ff.) mit der Rechtshängigkeit sogar eine noch engere. Im älteren römischen Recht, insbesondere im Formularverfahren, gab der Magistrat, indem er actio gewährte, ebenfalls ein Recht auf Urteil. Aber hier konnte die Partei n u r i n d i e s e m Prozesse Urteil über diese actio erstreiten. Der Einklagung desselben Rechts in einem neuen Verfahren, mit Hilfe eines anderen rechtlichen Gesichtspunkts (einer anders benannten, aber gleichwertigen actio), durch eine andere Person konnte der Gegner die exceptio rei in judicium deduetae entgegensetzen. Die Partei war d e f i n i t i v an das einmal eingeleitete Verfahren gebunden (o. S. 45). Gleichen Rechtsgedanken folgte das mittelalterliche Recht der germanischen Nationen (o. S. 57). Das moderne Prozefsrecht hat diesen schroffen Standpunkt fallen lassen. Die Klage begründet zwar das Recht auf Urteil für den Kläger, die

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IV. Rechtsstreit.

§ 69. Rechtshängigkeit.

Einlassung das entsprechende Recht des Beklagten (o. S. 398). Aber die Parteien haben dieses Recht nicht nur i n diesem Verfahren. Durch Klagzurücknahme vor oder nach der Einlassung können die Parteien vom Verfahren wieder Abstand nehmen (o. S. 404), eventuell später einen neuen Prozefs über dasselbe Recht einleiten oder andern Personen die Prozefsführung darüber vorbehalten. Das moderne Recht kennt also nicht mehr eine Gebundenheit der Parteien an den Prozefs ü b e r h a u p t , sondern nur eine Gebundenheit an den schwebenden Prozefs, solange als er e i n g e l e i t e t und nicht erledigt ist. Das Gebundenheitsverhältnis der Parteien in dieser elastischeren Form ist es, was das Wesen der Rechtshängigkeit ausmacht. Immerhin bildet dasselbe auch heute noch eine Fortentwicklung des durch die Klage (§ 63) begründeten, durch die Einlassung (§ 65) befestigten Prozefsrechtsverhältnisses. Dem entspricht es, dafs die Wirkungen der prozessualen Rechtshängigkeit durch einen und denselben Prozefsvorgang, durch die K l a g e r h e b u n g , ins Leben gerufen werden. Denn Klage bedeutet, dafs über ein bestimmtes Rechtsverhältnis zwischen bestimmten Parteien Urteil erbeten wird (§ 63). Ihre Folge ist, dafs die unabhängigen Tätigkeiten des Gerichts und der Parteien entfesselt werden, die zum Erlafs eines erschöpfenden, der Rechtskraft fähigen Urteils unentbehrlich sind. Gerade zu dem Zwecke aber, die ungestörte und sachgemäfse Abwicklung dieser Tätigkeiten zu ermöglichen, wird der Zustand der Rechtshängigkeit geschaffen. Da somit rein prozessuale Rücksichten für die Rechtshängigkeit mafsgebend sind, so ist gleichgültig, welches die aufserprozessualen Verhältnisse sind, die (S. 17 ff.) zur Klagerhebung den Anlafs geben. Auch die negative Feststellungsklage, d. h. die Bitte, das Nichtbestehen eines Anspruchs festzustellen, dessen sich der Gegner angeblich mit Unrecht berühmt, begründet die Rechtshängigkeit 2 . Umgekehrt ergibt sich, dafs die Geltendmachung eines Anspruchs da, wo nicht U r t e i l über ihn begehrt wird, nicht zu dem eigentümlichen Zustand der Rechtshängigkeit führt, — also nicht, wo der Anspruch nur verteidigungsweise als rechtsverfolgende Einrede (o. S. 395), wo das Pfandrecht gegenüber der Eigentumsklage, die Dienstbarkeit gegenüber der Negatorienklage, die Aufrechnungsforderung gegenüber der Klagforderung geltend gemacht wird, — aber auch nicht, wo aus dem Anspruch lediglich V o l l s t r e c k u n g begehrt wird, wie aus exekutorischer Urkunde 1 Die A n h ä n g i g k e i t des A r r e s t v e r f a h r e n e b e g r ü n d e t deshalb k e i n e E i n r e d e der R e c h t s h ä n g , gegenüber der L e i s t u n g s - oder F e s t s t e l l u n g s k l a g e (R.G. V . v. 1. A p r i l 18S5. 13, 360. W e i s m a n n , H a u p t i n t e r v e n t i o n 164 A . 14). - Bes. F r a g e , ob e i n anhängiges A r r e s t v e r f a h r e n d i e E i n l e i t u n g eines z w e i t e n bei e i n e m a n d e r n G e r i c h t h i n d e r t . R.G. I I v . 24. O k t . 1882. 8, 359 b e h a u p t e t dies n a c h A n a l o g i e des § 263, u m mehrfache Bel ä s t i g u n g zu v e r m e i d e n , — m i t U n r e c h t , d e n n das Gesetz, welches es j e d e n f a l l s n i c h t Ausdrücklich v e r f ü g t , berechnet die ges. W i r k u n g e n der R e c h t s h ä n g i g k e i t n u r a u f das U r t e i l s v e r f a h r e n . A u f s e r d e m i s t e i n berechtigtes Interesse an doppelter A r r e s t a n l e g u n g sehr w o h l d e n k b a r , z. B. da, w o v o n der ersten A r r e s t p f ä n d u n g n i e n t die v o l l e D e c k u n g der zu s i c h e r n d e n F o r d e r u n g (§ 803) e r w a r t e t w e r d e n k a n n . 2 R.G. 1890. 2β, 368. Seuffert zu § 263. c . , p. (die n e g a t i v e Festst. K l . b e g r ü n d e t ζ. B. die E i n r e d e der Rechtsh. gegenüber der p o s i t i v e n Festst. K l . , n i c h t gegenüber « i n e r L e i s t u n g s k l a g e i m anderen verfahren).

Mafsgebender Tatbestand der Rechtshängigkeit.

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(S. 374) oder Anordnung provisorischer Vollstreckung, wie durch Gesuch um Arrest oder einstweilige Verfügung 1 . Folgerichtig schafft auch die Einleitung des Mahnverfahrens, das Mahngesuch keine Rechtshängigkeit. Anderseits ist es keine Inkonsequenz, dafs die Zustellung des Z a h l u n g s b e f e h l s s e l b s t die Rechtshängigkeitswirkungen eintreten läfst (§ 693). Denn er begründet die Möglichkeit für den S c h u l d n e r , durch W i d e r s p r u c h oder später durch Einspruch (gegen den vollstreckbar erklärten Zahlungsbefehl) die Sache ins o r d e n t l i c h e V e r f a h r e n u n d z u m U r t e i l zu treiben (o. S. 383 Α. 2) 1 . Die österreichische „Streitanhängigkeit" entspricht in allen Wirkungen der deutschen (§ 232 ff.).

I I I . Die privatrechtlichen Rechtshängigkeitswirkungen. Neben den Vorschriften der Z.P.O., welche den Einflufs des Prozefsbeginns auf die prozessuale Beziehung der Parteien normieren, steht — in ihrem Verhältnis zu jenen Sätzen der Z.P.O. nicht von vornherein durchschaubar — eine Gruppe von Rechtssätzen des b ü r g e r l i c h e n Rechts, die nach der landläufigen Anschauung ebenfalls „Wirkungen der Rechtshängigkeit" begründen (Z.P.O. § 267). Sie beziehen sich sämtlich auf Veränderungen im p r i v a t r e c h t l i c h e n Verhältnis des Berechtigten zum Verpflichteten, die durch den Prozefsbeginn hervorgerufen werden. Die Klagerhebung des Gläubigers unterbricht die zugunsten des Schuldners laufende Anspruch s Verjährung (B.G.B. § 209, l ) 2 . Die Klagerhebung versetzt den Schuldner in Verzug (§ 284), begründet also die verstärkte Haftung für Fahrlässigkeit oder event, zufällige Unmöglichkeit der Leistung (§ 287), die Verzugszinsenpflicht (§ 288) 8 . Auch ohne Verzug begründet die Rechtshängigkeit des Eigentumsanspruchs für den Besitzer, die des Forderungsrechts auf bestimmte Sachleistung für den Schuldner die gesteigerte Haftung für Nutzungen (§§ 987, 292), für Verschlechterung, Untergang oder sonstige Leistungsunmöglichkeit (§§ 989. 292)4. Mit der Rechtshängigkeit werden höchst persönliche Ansprüche abtretbar und vererblich (§§ 847. 1300)5. Die Z.P.O. geht von der Vorstellung aus, dafs die aufgezählten Veränderungen, die der Prozefs am Privatrechtsverhältnis hervorruft 6 , regelmäfsig durch die E i n l e i t u n g eines Prozesses über den Anspruch hervorgerufen werden. F ü r den F a l l , 1 Ü b e r die formelle B e h a n d l u n g , insbes. w e n n e i n A n s p r u c h l a n d g e r i c h t l i c h e r Z u s t ä n d i g k e i t i m a m t s g e r i c h t l i c h e n M a h n v e r f a h r e n erhoben w i r d , v g l . u . § 93. Die K l a g e i m U r k u n d e n p r o z e f s s t e h t a u c h i n der F ä h i g k e i t , die R e c h t s h ä n g i g k e i t zu erzeugen, der o r d e n t l i c h e n K l a g e g l e i c h (vgl. S t r u c k m a n n - K o c h n. 3. S e u f f e r t 2 c, d. S t e i n , U r k u n d e n p r o z e f s 291). 2 E n t s p r . U n t e r b r e c h u n g der F r i s t der B e s i t z k l a g e (§ 864, 1), der- E r s i t z u n g d u r c h E r h e b u n g der E i g e n t u m s k l a g e (§ 941). 3 G e l d s c h u l d e n h a t der Sch. a u c h ohne V e r z u g v o n der R e c h t s h ä n g i g k e i t an z u verzinsen (§ 291). 4 Entsprechendes bei den A n s p r . aus u n g e r e c h t f e r t i g t e r B e r e i c h e r u n g (§ 818, 1). — U m g e k e h r t steigert s i c h z u g u n s t e n des Besitzers d u r c h R e c h t s h ä n g i g k e i t der E i g e n t u m s k l a g e der E r s a t z a n s p r u c h w e g e n V e r w e n d u n g e n (B.G.B. § 994, 2. 996). 5 Der A n s p r u c h aut Schmerzensgeld, der Deflorationsanspruch. — E n t s p r . w i r d d e r P f l i c h t t e i l s a n s p r u c h n a c h der R . H . pfändbar. (Z.P.O. § 852.) β N i c h t G r u n d v o n V e r ä n d e r u n g e n von R e c h t e n , s o n d e r n M i t t e l z u r W a h r u n g v o n Rechten i s t die K l a g e e r h e b u n g i n der v o n S e u f f e r t zu § 267 η . 1. hierhergezogenen §§ 1435. 1613. 1933. 2077. V g l . auch H.G.B. § 140, 2. 433, 2. 440, 3. 623, 2. 469, 2.

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IV. Rechtsstreit.

§ 69. Rechtshängigkeit.

dafs dies g e s c h i e h t , spricht die Z.P.O. § 267 aus, dafs als Akt der Prozefseinleitung auch in Hinblick auf diese Wirkungen die K l a g e r h e b u n g mafsgebend sein solle, also gemeinhin die Zustellung der Klage (§ 253) event, der Vortrag der Klage in der mündlichen Verhandlung (§ 281)1. Zweifellos bezeichnet jedoch die Z.P.O. die behandelte Erscheinung hiermit nicht erschöpfend, ja nicht einmal ganz richtig. Denn genauer betrachtet, ist derjenige Tatbestand, der dem Inhaber eines Privatrechts die bezeichneten Vorteile, wie die Unterbrechung der Verjährung, den verstärkten Anspruch auf Verzugshaftung usw., einträgt, nicht die Klagerhebung als solche, d h. nicht die Bitte um Urteil über den Anspruch (wie oben nach II), sondern vielmehr die bes o n d e r s i n t e n s i v e A u s ü b u n g und G e l t e n d m a c h u n g des A n s p r u c h s , die darin gelegen ist, dafs der Anspruch dem Gericht gegenüber behauptet wird. Nun sieht aber das Zivilrecht eine derartige Ausübung nicht nur in der P r o z e f s f ü h r u n g über den Anspruch, sondern auch in aufserprozessualen Akten, z. B. für die Inverzugsetzung in einer M a h n u n g des Gläubigers an den Schuldner, für die Verjährungsunterbrechung in der Annahme einer A b s c h l a g s z a h l u n g , Sicherheitsleistung des Schuldners (vgl. z. B. B.G.B. §§ 284. 208). Eben deshalb also braucht auch die Rechtsausübung innerhalb des Prozesses nicht gerade als K l a g e r h e b u n g aufzutreten. Vielmehr können auch andere prozessuale Akte eine gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs enthalten, wie die Ausbringung eines Zahlungsbefehls 2, der Antrag auf Einleitung der Vollstreckung (z. B. auch ohne vorgängigen Rechtsstreit aus einer vollstreckbaren Urkunde, § 794 no. 5; vgl. B.G.B. § 209 no. 5), die blofs v e r t e i d i g u n g s w e i s e Geltendmachung des Anspruchs in Form der rechtsverfolgenden Einrede (Kompensations-, Retentionseinrede, — oben S. 395; vgl. § 209 no. 3) 3 . Anderseits aber wird auch klar, dafs nicht j e d e Klagerhebung über einen Anspruch die Rechtshängigkeitswirkungen des Privatrechts äufsern kann, — nämlich diejenige nicht, welche keine gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs enthält, mit andern Worten n i c h t die negative Feststellungsklage, die gerade umgekehrt einen behaupteten Anspruch a b w e h r t . Es ergibt sich also, dafs Ζ P.O. sich inkorrekt ausdrückt, wenn sie die materiellen Rechtshängigkeitswirkungen als solche der Klagerhebung bezeichnet. N i c h t n u r sie erzeugt diese Wirkung. Anderseits erzeugt auch sie sie n i c h t i m m e r . Die privatrechtlichen Rechtshängigkeitsfolgen knüpfen sich vielmehr an die gerichtliche Geltendmachung, an die Behauptung des Anspruchs im Prozefs m i t der A b s i c h t , d a r a u s p r o z e s s u a l e E r f o l g e 1 M. a. W . a u c h die V e r ä n d e r u n g e n der P r i v a t r e c h t e l a ç e sollen n i c h t schon d u r c h d i e E i n r e i c h u n g der K l a g e , aber auch n i c h t erst d u r c h die L i t i s k o n t e s t a t i o n h e r v o r gerufen w e r d e n ( v g l . o. S. 396). * V g l . A s c h r o t t , das M a h n v e r f . i n s. W i r k , a u f U n t e r b r . der V e r j ä h r u n g . Gruch. B e i t r . 28, 641 (1884). B.G.B. § 209 n r . 1. E n t s p r e c h e n d § 284. 3 So v o r a l l e m die P r a x i s des Reichsgerichts, E n t s c h . 32, 354. 33, 394, bes. V I I . 1902, 50, 298.

Verhältnis der materiellen zu den prozessualen Rechtshängigkeitswirkungen. 415

h e r z u l e i t e n . An die Klagerhebung knüpfen sie sich nur, soweit die Klage eben diese Funktion der Rechtsausübung besitzt 1 . Wenn man in der angegebenen Art die prozessualen (II) und die materiellen Rechtshängigkeitswirkungen (III) gesondert betrachtet, stellt sich heraus, dafs sie auf zwei ganz verschiedenen, von einander unabhängigen Rechtsgedanken beruhen 2 . Man hat deshalb mit gutem Grunde verlangt, dafs statt des scheinbar einheitlichen Zustande der Rechtshängigkeit, wie er dem Gesetz vorschwebt, zwei gesonderte rechtserhebliche Zustände unterschieden werden müssen, die p r i v a t r e c h t l i c h erhebliche R e c h t s h ä n g i g k e i t im e. S. und die prozefsrechtlich erhebliche A n h ä n g i g k e i t oder Streitbefangenheit 8 . Die erstere tritt mit ihren Wirkungen ein, wenn ein B e r e c h t i g t e r seinen Anspruch vor Gericht geltend macht, sei es durch K l a g e oder E i n r e d e . Die andere tritt ein, wenn i r g e n d e i n I n t e r e s s e n t Urteil über einen Anspruch erbittet, d. h. wenn er K l a g e (wenn auch nur negativeFeststellungsklage) erhebt. Erst von dieser Erkenntnis aus lassen sich mannigfache Fragen beurteilen, die mit der Rechtshängigkeit in Verbindung stehen. Wenn z. B. die prozessualen Rechtshängigkeitswirkungen durch Klagzurücknahme wieder wegfallen, so ist dies für die privatrechtlichen Folgen nicht notwendig ebenso. Die Klagzurücknahme kann die letzteren je nach dem Gesichtspunkt, unter dem sie an die Ausübung des Anspruchs angeknüpft werden, verschieden beeinflussen. Es wird z. B. im Zweifel der durch Klagerhebung begründete Verzug des Schuldners trotz der Klagzurücknahme fortbestehen, während die Unterbrechung der Verjährung mit ihr zusammenfällt (B.G.B. § 212)*. Nicht allgemein zu entscheiden ist ferner die Frage, ob die Rechtshängigkeitswirkungen auch durch eine Klage hervorgerufen werden, die wegen Mangels einer Prozefsvoraussetzung zu einem Urteil in der Sache zu führen nicht imstande ist. Ob sie die m a t e r i e l l e n Wirkungen begründet, ist wiederum für Verzug, Verjährungsunterbrechung usw. gesondert zu entscheiden 4 . Was aber den Einflufs eines Prozefsmangels auf die p r o z e s s u a l e n W i r kungen angeht, so kann es an sich zweifelhaft sein, ob die eigenartige Gebundenheit der Parteien an Gericht, Gegner, Verfahren und Streitgegenstand (s. oben S. 410) nur durch die Einleitung eines e r f o l g v e r s p r e c h e n d e n Urteilsverfahrens (bei Vorhandensein der Prozefsvoraussetzungen) oder auch durch ein Urteilsverfahren begründet werden kann, das wegen Mangels der Prozefsvoraussetzungen überhaupt nicht zum Sachurteil, sondern zur Prozefsabweisung führt. Die Z.P.O. unterläfst eine ausdrückliche Normierung der 1 N u r v o n den F ä l l e n , w o sie diese F u n k t i o n h a t , sagt also § 267, dafs h i e r die Κ l a s z u S t e l l u n g der entscheidende A k t sei (s. oben). — Spez. die W i r k u n g , den Verz u g des Schuldners zu begründen, k o m m t a u c h der p o s i t i v e n F e s t s t e l l u n e s k l a g e n i c h t zu. (Mot. B.G.B. 2, 58.) 2 Die B e g r i f f s b e s t i m m u n g e n dieses Zustande« i n der ä l t e r e n L i t e r a t u r w a r e n m e i s t nichtssagend. Sie betonen u n r i c h t i g v e r a l l g e m e i n e r n d i m m e r e n t w e d e r die eine Seite der Sache ( P I a n c k , L b . I , 271: Z u s t a n d des A n s p r u c h s , i n w e l c h e n er d u r c h . E r h e b u n g des A n s p i u c h s * gerät), oder die andere ( B u c h k a , Einflufs des Prozesses anf das Rechtsv e r h ä l t n i s I I , 125: Z u s t a n d des schwebenden Prozesses) u n d v e r z i c h t e n d a m i t a u f einen verwertbaren Ausgangspunkt. Ά Zuerst k l a r aufgestellt v . W e i s m a n n , H a u p t i n t . 163 (1884), v g l . a u c h S c h w a l b a c h , c i v . A . 64 , 264: S t e i n , U . P r . 282. Jetzt W e i s m a n n , L b . S. 354. 4 Nach B.G.B. § 212 g i l t m i t der Prozefsabweisung die U n t e r b r e c h u n g als n i c h t e r f o l g t ; — erhebt aber der B e r e c h t i g t e b i n n e n 6 M o n a t e n neue K l a g e , so w i r d die d a d u r c h begründete U n t e r b r e c h u n g a u f den Z e i t r a u m der ersten K l a g e z u r ü c k d a t i e r t ( v g l . H e l l m a n n , c i v . A . 66, 204).

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IV- Rechtsstreit.

§ 70. Prinzipien der Verhandlung.

Frage. Unter diesen Umständen mufs im Zweifel angenommen werden, dafs — solange das Verfahren tatsächlich schwebt — das Bedürfnis nach Ordnung und Ungestörtheit des Verfahrens, welches diese Rechtshängigkeitswirkungen hervorruft, auch einem mangelbehafteten Verfahren gegenüber besteht. Es begründet also auch ein Verfahren vor dem unzuständigen Gericht die Einrede der Rechtshängigkeit, wenn der erste Beklagte die Sache durch negative Feststellungsklage vor das zuständige Gericht verschieben will, — auch für eine Klage vor dem unzuständigen Gericht gilt das Verbot der Klagänderung

Zweites Kapitel.

Die kontradiktorische Parteiverhandlimg. § 70. Die Prinzipien der Verhandlung. A u s g a n g s p u n k t : G ö n n e r , H b . des gem. Proz. I (1804) 175fif. u n d die g e m e i n r . L i t e r a t u r , oben § 21, insbes. W e t z e l l 6 43 l i t . c (3. Α . , 520), W i e d e r a n r e g u n g der Frage n e u e r d i n g s : H e u s l e r , G r ü n d l , des B e w . R . , c i v . A . 62 (1879). W a c h , V o r t r . (1. A . 1879). 148. v . Canstein, G r ü n d l , des Beweisrechts (gegen H e u s l e r u n d W a c h ) , Z. 2 (1880) 297. W e n d t , c i v . A.' 63, 263 (1880). P l a n c k I , 198. F i t t i n g , Lb., § 33, 36. V e r m i t t l u n g der Gegensätze: Schneid e r , r i e h t . E r m i t t l . des S a c h v e r h a l t s , 18S8, 177. R i c h a r d S c h m i d t , d. aufserger. W a h r n e h m u n g e n des Prozefsrichters, 1892, 5. (Sächs. A . 2, 265.) S t e i n , 9. 372); b) Geständnisse k ö n n e n a u c h da abgelegt w e r d e n , w o P a r t e i v e r h a n d l u n g i m a l l g e m e i n e n ausgeschlossen ist, n ä m l i c h v o r dem R i c h t e r k o m m i s s a r , der an s i c h l e d i g l i c h u m B e w e i s a u f n a h m e e r s u c h t oder m i t solcher b e a u f t r a g t i s t (§ 288). I n diesem F a l l g i l t (abweichend v o n den G r u n d s ä t z e n f ü r die P a r t e i v e r h a n d l u n g ) das U n m i t t e l b a r k e i t s p r i n z i p n i c h t , d a f ü r aber S c h r i t t l i c h k e i t i m strengen S i n n , d. h. das Geständnis i s t n u r b e a c h t l i c h , w e n n es v o m K o m m i s s a r z u P r o t o k o l l g e n o m m e n w o r d e n . H i e r m i t i s t n i c h t z u verwechseln das Geständnis v o r dem b e a u f t r a g t e n R i c h t e r i m v o r b e r e i t e n d e n V e r f a h r e n (§ 348fF.). H i e r i s t f ü r d i e g e s a m t e P a r t e i v e r h a n d l u n g u n d das Geständn i s als T e i l derselben der U n m i t t e l b a r k e i t s g r u n d s a t z beseitigt u n d das S c h r i f t l i c h k e i t s p r i n z i p (§ 350, 3) angenommen. ( V g l . oben S. 450.)

462

IV· Rechtsstreit.

§ 76. Form der Beweisaufnahme.

Prozefsgerichts zu verlangen, auch wenn sich dieselben an einem andern Orte befinden, und das Gleiche gilt für die am Orte befindlichen Beweismittel, auch wenn ihre Erhebung beschwerlich, zeitraubend und umständlich ist. Gerade in diesen Fällen zeigt sich jedoch, dafs eine rigorose Durchführung des Prinzips teils mit dem Interesse der Parteien, besonders ihrem Kosteninteresse, teils mit dem eines glatten Geschäftsbetriebs der Gerichte nicht vereinbar, dafs seine Durchbrechuog in ungleich höherem Mafse unvermeidlich ist als bei der Parteiverhandlung. Dem trägt die Z.P.O. Rechnung, indem sie in grofsem Umfang die B e a u f t r a g u n g eines Kollegiumsmitglieds mit der Beweisaufnahme oder das E r s u c h e n eines „anderen" Gerichts, d. h. des Amtsrichters andern Sprengeis, um die Beweisaufnahme gestattet Hinsichtlich : a) der A u g e n s c h e i n s e i n n a h m e und anderer richterlicher Wahrnehmungsakte läfst Z.P.O. die Wahl zwischen unmittelbarer Beweiserhebung und Vermittlung. Sie stellt damit die Durchführung des gesamten Prinzips geradezu in das E r m e s s e n des Gerichts (§ 372). b) Die Übertragung von Zeugen- und Sachverständigenvernehmung, Urkundeneinsicht und Eidesabnahme an vermittelnde Richter knüpft Z.P.O. zwar an gesetzliche Voraussetzungen (§ 375. 402 in \ r erb. mit § 405. 434. 479), aber in einer Fassung, dafs auch hier ihre Benutzung dem Prozefsgericht in sehr zahlreichen Fällen ermöglicht wird. Der Fassung des Gesetzes nach ist die kommissarische Erhebung der Wahrnehmungsobjekte und der übrigen Beweismittel g r u n d s ä t z l i c h verschieden begrenzt 2 . In Wahrheit aber ist der Gegensatz kein sehr erheblicher. Einerseits sind die Grenzen der kommissarischen Erhebung von Auskunftspersonen, Urkunden und Eiden sehr dehnbare. Die Durchbrechung der Unmittelbarkeit ist möglich: a) f ü r Z e u g e n - u n d S a c h v e r s t ä n d i g e n b e w e i s (§ 340 in Verbindung mit § 402): 1. wenn zur Ausmittelung der Wahrheit die Vernehmung des Zeugen (Sachverständigen) an Ort und Stelle dienlich erscheint (z. B. zur Konfrontation mit einem anderen nur dort vernehmbaren Zeugen); 2. wenn die Beweisaufnahme vor dem Prozefsgericht erheblichen Schwierigkeiten unterliegen würde; 3. wenn der Zeuge (Sachverständige) verhindert ist, vor dem Prozefsgerichte zu erscheinen; 4. wenn der Zeuge (usw.) in grofser Entfernung von dem Sitz des Prozefsgerichts sich aufhält. Die Beauftragung oder Ersuchung eines Richters wird n o t w e n d i g zum Zweck der Vernehmung der Landesherren, der Mitglieder landesherrlicher Familien und der andern privilegierten Familien (o. S. 294), da diese stets in ihrer W o h n u n g zu vernehmen sind (§ 375, Abs. 2), sowie event, zur Ver1 D i e B e a u f t r a g u n g eines „ a n d e r n " R i c h t e r s a m e i g n e n A m t s s i t z , also z. B. eine B e a u f t r a g u n g des A m t s r i c h t e r s a m S i t z des e r k e n n e n d e n L a n d g e r i c h t s , w i l l das Ges. a u c h h i e r n i c h t gestatten (s. oben S. 183). E b e n s o w e n i g die B e a u f t r a g u n g eines der K a m m e r u s w . n i c h t a n g e h ö r i g e n R i c h t e r s (letzteres bèh. m a n c h e K o m m e n t a r e ) . 2 Die B e h a u p t u n g , dafs z w i s c h e n a u n d b k e i n g r u n d s ä t z l i c h e r U n t e r s c h i e d bestehe u n d § 372 aus A n a l o g i e v o n § 375 u s w . e i n s c h r ä n k e n d zu i n t e r p r e t i e r e n sei (v. K r i e s , Z. f. S t r a f r . - W i s s . 6, 201), findet weder i n der Fassung des Ges. noch i n der N a t u r der Sache eine B e g r ü n d u n g .

Beweiserhebung durch das Prozefsgericht oder durch Kommissar.

40 3

nehmung des Reichskanzlers, der Minister und anderer höchster Beamten, der Bundesrats- und Parlamentsmitglieder, da diese regelmäfsig an ihrem Amts- oder Funktionssitz zu vernehmen sind, also immer dann kommissarisch, wenn das Prozefsgericht an einem anderen Orte tätig ist (§ 382;. Im letzteren Fall ist zur Aufrechterhaltung der Unmittelbarkeit die Genehmigung des Staatshaupts, des unmittelbaren Vorgesetzten, der gesetzgebenden Körperschaft erforderlich (§ 882, 2 — vgl. hierzu unten § 86, III). b) bei U r k u n d e n b e w e i s , wenn die Vorlegung der Urkunde bei der mündlichen Verhandlung „wegen erheblicher Hindernisse nicht erfolgen kann oder wegen der Wichtigkeit der Urkunde und der Besorgnis des Verlustes oder der Beschädigung bedenklich erscheint" ($ 434). c) bei E i d e s b e w e i s , wenn der Schwurpflichtige am Erscheinen vor dem Prozefsgericlite verhindert ist oder in grofser Entfernung von dem Sitze desselben sich aufhält" (§ 479). Auch hier ist die Durchbrechung des Prinzips notwendig bei Eidesleistungen der Landesherrn, der Mitglieder landesherrlicher Familien und der übrigen Privilegierten (§ 479, 2). Aus diesen Vorschriften kann eine ungemein grofse Ausdehnung der kommissarischen Beweisaufnahme hergeleitet werden, besonders der kommissarischen Zeugenvernehmung, mit Hilfe der (zweifellos der Absicht des Gesetzes nicht entsprechenden) Auslegung des § 340, dafs als „erhebliche Schwierigkeit" (nr. 2) auch die Geschäftsüberlastung des Gerichts, als „grofse Entfernung" schon der Wohnsitz des Zeugen aufserhalb des Sprengeis desjenigen Amtsgerichts behandelt wird, welches am Sitz des Prozefsgerichts residiert. W a c h ' s Enquête (1887) 121 hat hier sehr unerfreuliche Zustände ergeben. Bei vielen, wenn nicht den meisten deutschen Gerichten aller Landschaften bildet danach die kommissarische Beweisaufnahme die Regel, die Beweisaufnahme durch das Prozefsgericht die Ausnahme, — letztere vielfach nur 18—22% aller Beweisaufnahmen 1 . Anderseits ruht aber auch bei der A u g e n s c h e i n s e i n n a h m e die Wahl zwischen eigner Beweisaufnahme des Prozefsgerichts oder kommissarischer Beweisaufnahme nicht auf reiner Willkür (Bequemlichkeitsrücksichten usw.), sondern dem Sinn des Gesetzes nach, wie jede Betätigung des richterlichen Ermessens, auf einer pflichtmäfsigen causae cognitio, ob die eine oder die andere im Interesse der Sache und der Beteiligten die ζ w e c k m ä f s i g e r e sei. Es kann deshalb auch hier das Gericht verpflichtet sein, in corpore eine Augenscheinseinnahme zu bewirken, wenn ein Sehen a l l e r Mitglieder für die spätere Aburteilung erforderlich ist, — ζ. B. über die Frage, ob das vom bekl. Baumeister gebaute Haus in seinem ästhetischen Eindruck den dem Kläger ursprünglich gelieferten Plänen entspricht oder nicht, — und es kann in der Oberinstanz ein Urteil wegen Verletzung dieser Pflicht anfechten. Nur sind hier die Fälle, in denen die Gefahr des unverhältnismäfsigen Zeit- und Kostenaufwands (bei Häuserbesichtigung, Grenzinspektion usw.) vorliegt, besonders zahlreich; deshalb hier die veränderte Fassung des Gesetzes 23 . Da nach dem Vorstehenden die Z.P.O. auf die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme weit weniger Gewicht legt, als auf die der Verhandlung, so ist schon um deswillen aus § 280 nicht notwendig zu schliefsen, dafs der W e c h s e l der G e r i c h t s b e s e t z u n g innerhalb des Kollegiums wie eine Erneuerung der Verhandlung (oben S. 444), so auch eine E r n e u e r u n g der B e w e i s a u f n a h m e nach sich ziehen müsse. Hiermit trifft zusammen, dafs der Inhalt der Beweisaufnahme im Gegensatz zum Verhandlungsinhalt dem 1

Die U r s a c h e n dieses Mifsstands ergeben s i c h z u m grofsen T e i l aus u n t e n I I . I n E r m a n g e l u n g besonderer gesetzlicher V o r s c h r i f t e n e r g i b t s i c h aus d e m oben S. 453 aufgestellten A u s l e g u n g s p r i n z i p , dafs i n a l l e n F ä l l e n eine m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g d a r ü b e r e r f o r d e r l i c h i s t , ob u n m i t t e l b a r oder per c o m m i s s o r i u m Beweis z u erheben sei, w i e G a u p p - S t e i n zu § 355, I . , S e u f f e r t no. 1, S t r u c k m a n n - K o c h no. 1. verl a n g e n ( A n d . K.G. v . 2. A p r i l 1889, J . W . 206; I I . 11. J u n i 86. 16, 4 1 ; P e t e r s e n - A n g e r zu § 855, no. 3). 3 Bei V e r s i c h e r u n g a n E i d e s s t a t t z u m Z w e c k der G l a u b h a f t m a c h u n g (§ 294, v e r g l . u. § 77) k a n n naturgemäfs eine B e w e i s a u f n a h m e d u r c h E r s u c h e n oder B e a u f t r a g u n g n i c h t v e r w e r t e t werden (argo: § 294. 2 Abs. 2). 8

464

IV

Rechtsstreit.

§ 76. Form der Beweisaufnahme.

S c h r i f t l i c h k e i t s z w a n g unterliegt (s. unten). Somit erscheint es nicht unzulässig, dafs das Prozefsgericht die von ihm selbst vorgenommene Zeugenvernehmung usw. im Fall einer im Verlauf eintretenden Veränderung der Besetzung aus den Protokollen ganz ebenso benutzt, wie im F a l l , dafs die Vernehmung von vornherein vor ersuchtem oder beauftragtem Richter stattgefunden hat (über diesen Fall vergl. unten; — so R.G. v. 9. März 1882. 6. 191). Eine Wiederholung der Beweisaufnahme kann es nach Ermessen vornehmen, ebenso wie das Gericht darüber die Diskretion besitzt, ob der Gedächtnisschwäche der an der Beweisaufnahme beteiligten Richter nur durch Einsichtnahme der Protokolle oder durch Erneuerung der Beweisaufnahme abzuhelfen sei 1 .

Schon bezüglich der Unmittelbarkeit ist hiernach keineswegs eine völlig gleiche Behandlung der Parteiverhandlung und der Beweisaufnahme vom Gesetze beliebt. Dieser Umstand wird entscheidend für die weitere Frage, ob für die Beweisaufnahme wie für die Verhandlung auch das M ü n d l i c h k e i t s p r i n z i p (§ 128, — o. § 73, I I , S. 345) gelte, d. h. ob auch der Beweisstoff nur insoweit für das Gericht beachtlich sei, als er demselben wörtlich i n m ü n d l i c h e r F o r m v o r g e f ü h r t worden ist. Da für richterliche Wahrnehmungen, besonders Augenscheinseinnahmen, eine mündliche Vorführung überhaupt gegenstandslos, für Zeugen-, Sachverständigenaussagen und Eidesleistungen dieselbe an sich selbstverständlich ist, so hat die Frage nur für die Fälle Bedeutung, wo der Beweisstoff dem Prozefsgericht gemäfs der natürlichen Gestaltung der Sache i n s c h r i f t l i c h e r A u f z e i c h n u n g zugeht, nämlich für U r k u n d e η , für Zeugen- und Sachverständigenaussagen, Augensch einseinnahmen und Eidesleistungen, die im P r o t o k o l l eines ersuchten oder beauftragten Richters niedergelegt sind, sowie für s c h r i f t l i c h e r t e i l t e G u t a c h t e n (o. S. 463, § 376). Ein strenges Mündlichkeitsprinzip müfste in diesen Fällen zum wörtlichen Vortrag der Urkunde, des Protokolls usw. als Bedingung der Benutzbarkeit führen. Tatsächlich hat jedoch das Gesetz ein solches nirgends aufgestellt und in Ermangelung einer bindenden Formalvorschrift mufs deshalb die blofse E i n s i c h t n a h m e des Schriftstücks zur Vermittlung der Beweisstücke an das Gericht genügen, umsomehr, als das gesetzgeberische Motiv, welches bei richtigem Verständnis die Mündlichkeit für die Partei Verhandlung fordert (den Wunsch, die Parteiverhandlung zu gehöriger Entfaltung zu zwingen, o. S. 446), für die Beweisaufnahme gar nicht zutrifft. Zu keinem andern Standpunkt führt auch Z.P.O. § 285, 2. Wenn hier gefordert wird, dafs nach einer Beweisaufnahme vor ersuchtem oder beauftragtem Richter die Parteien das Ergebnis derselben vor dem Prozefsgericht „auf Grund der Beweisverhandlungen", d.h. der Protokolle, „vorzutragen" haben, so bedeutet das nur ein (nicht notwendig wörtliches) Referat, das bestimmt ist, als Grundlage der anderweiten Parteiverhandlung über das Beweisergebnis und zur Sache (§ 285, 1) zu dienen, die im Anschlufs an jede Beweisaufnahme stattfinden mufs. 1 Ebenso v . W e r s e b e , K o m m , zu § 28ö.

Ζ . 1, 432 if.

Gaupp-Stein,

P e t e r s e n - A n ge r u . a.

Strenge Mündlichkeit der Beweisaufnahme?

Urkundenvortrag?

4(35

Die Geltung des Mündlichkeitsprinzips behauptet das R.G. I I I . 21. März 81 4, 379, V. v. 8. Jan. 1881, B e i t r . 25, 1118, I I I . v. 20. Juni 1882. 8, 3 2 5 , und ein Teil der L i t t e r a t u r 1 auf Grund des § 285, aus der Analogie des § 248 St.P.O. (Erfordernis des Urkundenvortrags in der Hauptverhandlung des S t r a f p r o z e s s e s ) und aus der Analogie der Mündlichkeit der zivilprozess. Parteiverhandlung. R.G. folgert hieraus, dafs das Gericht n u r das mündlich vorgetragne verwerten könne; dafs es bei unvollständigem oder unrichtigem Vortrag nur nach § 136, 3. 139 die Berichtigung oder Ergänzung veranlassen könne (event, mittels Wiedereröffnung der Verhandlung § 156), dafs aber die Parteien, wenn sie solcher Aufforderung nicht nachkommen wollten, b e l i e b i g über den Beweisstoff d i s p o n i e r e n könnten. Aber § 285 und die Grundsätze, die für die Parteiverhandlung gelten, beweisen, wie dargelegt, nicht zwingend, und ebensowenig die Analogie des St.P., denn dort besteht die Notwendigkeit des Urkundenvortrags vor allem um des A n g e k l a g t e n willen, der — mangels freier Einsicht in die Urkunde — des wörtlichen Verlesens zu seiner Verteidigung bedarf 2 .

I I I . Beurkundung und Schriftlichkeit. Dafs Parteiverhandluug und Beweisaufnahme nicht gleich behandelt werden, erfährt endlich seine Bestätigung an der gesetzlichen Regelung der Frage, inwieweit eine schriftliche Beurkundung des Prozefsstoffs erforderlich ist. Während für die Parteiverhandlung eine Beurkundung grundsätzlich nur iudirekt vorgeschrieben wird (oben S. 446), bildet sie für die Elemente des Beweisstoffs das wesentliche Erfordernis ihrer Benutzung, — nicht nur, wo dies selbstverständlich ist, für die Urkunden, für das von vornherein in schriftlicher Form angeordnete Gutachten (§ 411), für die Parteieide, die stets in beurkundeten Urteilen oder Beschlüssen auferlegt werden müssen (u. § 85 a. E.), sondern auch soweit der Beweis durch richterliche Wahrnehmung (besonders Augenschein) oder durch Entgegennahme mündlicher Mitteilungen von Zeugen oder Sachverständigen erhoben wird. Für die Ergebnisse aller dieser Beweisakte gilt P r o t o k o l l z w a n g und zwar auch hier nicht nur, wie wiederum selbstverständlich, in den Fällen der Beweisaufnahme des ersuchten oder beauftragten Richters, wo dem Prozefsgericht nur durch dessen Protokolle vermittelt werden kann, sondern auch in den Fällen der Beweisaufnahme vor dem Prozefsgericht (§ 146 Nr. 3. 4). 1 S e u f f e r t , S t r u c k m a n n - K o c h , P e t e r s o n - A n g e r u . a . K o m m e n t a r e zu § 285. K o f f k a , Gr. B e i t r . 25, 271. W e i s m a n n , L b . S. 187, v e r l a n g t w e n i g s t e n s einen orient i e r e n d e n V o r t r a g des U r k u n d e n i n h a l t s . E r v e r s t e h t auch die F o r d e r u n g des RG. n u r i n diesem b e s c h r ä n k t e n S i n n . ' l Anderseits s p r i c h t d i r e k t g e g e n die M ü n d l i c h k e i t : a) der M a n g e l eines r a t i o n e l l e n Z w e c k s . Die F o r d e r u n g i s t n u r d i e Konsequenz der übertriebenen V o r s t e l l u n g v o n der freien D i s p o s i t i o n der P a r t e i e n über den S t r e i t stoff (S. 418). \xnd der i r r i g e n A n s c h a u u n g , dafs eine P a r t e i a u f die i h r g ü n s t i g e n T a t sachen sich b e r u f e n müfste (S. 423). I m Gegenteil w i r k t die F o r d e r u n g höchst v e r h ä n g n i s v o l l als eine ( i m Gegensatz zu § 137) r e i n f o r m a l i s t i s c h e , die L e b e n d i g k e i t der Stoffs a m m l u n g ertötende, zeit- u n d a r b e i t s k r a f t r a u b e n d e V o r s c h r i f t ; b) clie p r a k t i s c h e U n d u r c h f ü h r b a r k e i t . F ü r A u g e n s c h e i n s e i n n a h m e g i l t das P r i n z i p o h n e h i n n i e n t u n d u n t e r U m s t ä n d e n k a n n a u c h e i n U r k u n d e n m a t e r i a l u s w . so w e i t s c h i c h t i g sein, dafs sich die f o r m e l l e B e d i n g u n g gar n i c h t e r f ü l l e n läfst (z. B. b e i m Prozefs einer Gemeinde gegen einen u n g e t r e u e n K a s s e n b e a m t e n , i n w e l c h e m die s ä m t l i c h e n B ü c h e r der l e t z t e n J a h r e v o r g e l e g t werden). M i t B ü c k s i c h t h i e r a u f i s t n i c h t n u r die überwiegende M e i n u n g der L i t e r a t u r gegen die A u s l e g u n g des R . G , V i e r h a u s , Z. 5. 96. v . K r i e s , Z. f. S t r a f r . W . 6, 116. W a c h , Z. (Enquête) 11, 743. S t e i n , U r k . P r o z . 195 n . 8, sondern a u c h die U n t e r g e r i c h t e haben s i c h zu einem grofsen T e i l v o n dessen P r a x i s u n a b h ä n g i g g e m a c h t ( W a c h s E n q u ê t e 79. 83).

R i c h a r d S c h m i d t , L e h r b u c h des Z i v i l p r o z e f s r e c h t s .

2. A u l l .

30

466

IV

Rechtsstreit.

§ 7.

B e w e i s u n .

Dafs dieser Protokollzwang G i l t i g k e i t s b e d i n g u n g für die Benutzung der Beweise ist (quod non est in actis, non est in mundo), beweist argo. e. contr. § 161, wonach nur aus n ah m s w e i s e die protokollarische Feststellung der Aussagen von Zeugen und Sachverständigen unterbleiben kann, wrenn die Vernehmung vor dem Prozefsgericht erfolgt und das Endurteil der Berufung nicht unterliegt (also im zweitinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht oder vor dem Oberlandesgericht). Im P r o t o k o l l ist hier nur zu bemerken, d a f s die Vernehmung stattgefunden habe. Das E r g e b n i s der Vernehmung ist nur im U r t e i l s t a t b e s t a n d (hier aber nach den allgemeinen Prinzipien, oben § 73 I I I mit Ausschliefslichkeit) zu beurkunden 1 2 . Keine Ausnahme ist es, dafs Aussagen von Personen, die schon früher vernommen wurden (also auch schon zu Protokoll), nicht nochmals ζμ protokollieren sind, aufser wenn sie von den früheren Aussagen abweichen (§ 146 n. 3). Nur eine Folge des Protokollzwangs ist, dafs bei B e w e i s a u f n a h m e n nach Wechsel im Richterpersonal n i c h t (wie Verhandlungen o. S. 413) wiederholt zu werden brauchen (RG. 14, 379. 17, 345).

§ 77. Die gemeinsamen Grundsätze der Beweiswürdigung. P l a n c k , L b . I , § 10o. W e i s m a n n I , § 4 4 S. 151. K l e i n f e l l e r § 88, V e r h a n d l u n g e n des ti. d e u t s c h e n J u r i s t e n t a g s (2, 278. 284), des 9. (2, 221). L . Seuffert, über r i c h t e r l i c h e s E r messen, 1880. ( Z u I I b ) : S t e i n , p r i v a t e s W i s s e n des R i c h t e r s , 1893, 47. H e d e m a n n , Die V e r m u t u n g n a c h d e m R. des d . R., Fischers A b h a n d l u n g e n B d . 11 1904.

I . Die Pflicht des Gerichts zur Begründung seiner Entscheidungen. Auch die Würdigung des Beweises, d. h. die AbSchätzung der erhobenen Beweismittel, und die Zusammenstellung dieser Ergebnisse zum geschlossenen Tatbestandsbild kann vollständig nur im engen Zusammenhang mit der Darstellung der e i n z e l n e n Beweismittel nach ihrer Eigenart und ihrem Inhalt bestimmt werden. Aber auch für sie kommen daneben gewisse Grundsätze in Betracht, die das Gericht bei j e d e r Beweiswürdigung leiten müssen. Ja, es können die Grundsätze über den Beweiswert des einzelnen Beweismittels sogar nur dann begriffen werden, wenn man zwei allgemeine Gesichtspunkte zugrunde legt. Den Rechtsgedanken, der die gesamte Beweiswürdigung beherrscht, spricht das Gesetz überhaupt nicht ausdrücklich aus. Er wird nur indirekt aus § 280 Abs. 1 Satz 2 ersichtlich, wonach i n dem U r t e i l e d i e G r ü n d e anzugeben sind, „welche für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind". Diese Vorschrift ruht auf dem Prinzip, dafs das Gericht sich bei Ableitung des Tatbestandsbilds aus den einzelnen Elementen des erhobenen Beweises durch o b j e k t i v e G r ü n d e bestimmen lassen mufs. Um einen Zwang in dieser Richtung auszuüben, verlangt Z.P.O. in den U r t e i l e n eine A n g a b e der Gründe, also eine offizielle Rechenschaftslegung darüber, deren Unterlassung an sich bereits die Rechtsmittelanfechtung des Urteils ermöglicht (bes. Z.P.O. § 551 no. 7; u. § 126). Für Beschlüsse und Verfügungen, also 1 Das R.G. (17, 344) f o r d e r t , w e n n i n s o l c h e m F a l l die i m T a t b e s t a n d b e u r k u n d e t e n A u s s a g e n v o r e i n e m höheren G e r i c h t b e n u t z t w e r d e n sollen, v o n seinem S t a n d p u n k t e aus (oben I I a. E.) f o l g e r i c h t i g den w ö r t l i c h e n V o r t r a g dieser Tatbestandsteile. 2 Beweis f ü r die Aussagen u s w . k a n n dagegen n i c h t der T a t b e s t a n d , sondern n u r das P r o t o k o l l l i e f e r n (argo § 313), a u c h i m F a l l des § 161 (vgl. u n t e n 82, I I ) .

Bedeutung der Beweiswürdigung. Begründungspflicht der Gerichte.

467

die weniger wichtigen Entscheidungen,' ist die A n g a b e der Gründe nicht Gültigkeitsbedingung. Aber P r ü f u n g u n d A b w ä g u n g solcher Gründe ist hiernach für jede richterliche Entscheidung vorausgesetzt. Das Gericht darf mit andern Worten nicht eine Überzeugung von den historischen Vorgängen bei der Rechtsanwendung zugrunde legen, die n u r eine subjektive ist, d. h. über deren Entstehung sie nicht ein klares Bewufstsein besitzt und die somit n u r auf Gefühle, auf den sog. Totaleindruck des Wahrgenommenen oder gar nur auf die Empfindung der Zuneigung oder Abneigung gegenüber der P e r s o n der Parteien zurückzuführen ist. Vielmehr ist Beweiswürdigung im Sinne des Gesetzes erst vorgenommen, wenn eine Überzeugung durch Gründe entstanden ist, die auch andern mitgeteilt,und von andern anerkannt werden können, — wenn also die Überzeugung des entscheidenden Gerichts mutmafslich auch für ein aus andern Personen bestehendes Gericht begründet worden wäre Nun kann aber für die Überzeugungskraft einer Mitteilung über den Tatbestand ein gültiger Mafsstab für j e d e n dritten Beobachter, also auch für j e d e s Gericht, nur aus den Lebenserfahrungen, entnommen werden. Diese liefern darüber Regeln, welchen Überzeugungswert Mitteilungen solcher Personen unter solchen Umständen und mit solchem Inhalt zu besitzen pflegen. Sonach läfst sich, das Prinzip dahin feststellen : Die Begründung der richterlichen Überzeugung mufs sich nach Gründen vollziehen, die m i t den E r f a h r u n g s r e g e l n in Ε i n k 1 an g#> stehen. Teilweise lehren diese Erfahrungsregeln, welche Überzeugungskraft für eine beweiserhebliche Tatsache einem B e w e i s m i t t e l (Zeugen, Urkunden usw.) zu entnehmen ist, — teilweise geben sie an, ob und inwieweit Überzeugungskraft für die erhebliche Tatsache durch Schlufsfolgerung aus einer a n d e r e n u n e r h e b l i c h e n T a t s a c h e , einem I n d i z zu entnehmen ist 1 . Die Regeln der letzteren Art speziell, aus denen eine Tatsache bis auf weiteres geschlossen, durch die also dem Gegner die Notwendigkeit des Gegenbeweises zugeschoben wird, nennt man n a t ü r l i c h e V e r m u t u n g e n (praesumtiones facti) 2 . Ihre V e r k ö r p e r u n g findet die objektive Begründung in den „Entscheidungsgründen" der Urteile im konkreten Sinn (§§ 286. 313 n. 4). Sie umfassen aber nicht nur die Ableitung des Resultats der richterlichen Prüfung der Verhandlungen und Beweismittel für die einzelnen Elemente der Entscheidung, sondern aufserdem auch die Aneinanderpassung der Entscheidungselemente, die Subsumtion der für bewiesen erachteten Tatsachen unter Erfahrungs- und R e c h t s regeln (oben S. 459). Eine äufsere Sonderung derselben 1 H i e r i s t das über beide G r u p p e n v o n E r f a h r u n g s r e g e l n oben § 53 ü b e r s i c h t l i c h B e m e r k t e zu vergleichen. 2 I m Prozefs des Käufers gegen den V e r k ä u f e r a u f Schadensersatz w e g e n N i c h t e r f ü l l u n g g i l t z. B. die V e r m u t u n g , dafs der K ä u f e r die W a r e h ä t t e w e i t e r v e r k a u f e n k ö n n e n (R.G. 4, 3). — W i r d i n e i n e m Prozefs geçen eine Lebensversicherungsgesellschaft, nachdem der Versicherte m i t einer S c h u f s w u n d e i m G e h i r n als I.eiche i m Wasser g e f u n d e n w o r d e n i s t , u m die Todesursache g e s t r i t t e n , so g i l t (da h i e r U n g l ü c k s f a l l ausgeschlossen) die V e r m u t u n g , dafs i n z i v i l i s i e r t e r Gegend eher S e l b s t m o r d als Verbrechen v o r l i e g t . (R.G. I I I 1896. Seuff. A . n. F. 21, 296.)

*

468

IV

Rechtsstreit.

§ 7.

B e w e i s u n .

von dem „Tatbestand" des Urteils, der Angabe der einzelnen Anträge, Behauptungen, Erklärungen, Beweisantretungen, Beweiserhebungen (oben S. 448), ist nicht vorgeschrieben; doch ist sie üblich und im Interesse der klaren Erfassung der richterlichen Pflicht, sowohl über die äufseren Unterlagen, wie über das interne Zustandekommen der Überzeugung Rechenschaft abzulegen, dringend zu wünschen. Nichtangabe der Gründe eröffnet (gegen Endurteile) unbedingt Berufung und Revision (§ 551 n. 7), gegen Zwischenurteile event. Beschwerde. Für wichtigere B e s c h l ü s s e , bezw. V e r f ü g u n g e n ist Angabe der Entscheidungsgründe ebenfalls üblich, — hier allerdings meist ohne vorherige Angabe des Tatbestands, — häufig in der sog. „Erwägungsform", der Entscheidung v o r a u s g e h e n d 1 .

I I . Prinzip der freien Beweiswürdigung und seine Grenzen : Beweisregeln und Vermutungen. Erst auf der Grundlage des Gedankens, dafs das Gericht objektive Gründe für seine Überzeugung zusammenzustellen hat, wird die eigentliche Gesetzgebungsfrage der Beweiswürdigung brennend. Ein Gesetz kann es dem Gericht überlassen, jene Erfahrungsregeln über die Bedeutung der einzelnen Indizien oder Beweismittel nach Ermessen anzuwenden, also dem G e r i c h t die F r e i h e i t in der Beweisw ü r d i g u n g zuerkennen. Es kann aber auch weitergehend einzelne oder alle Erfahrungsregeln zu R e c h t s r e g e l n erheben, also zu Regeln, die unter gewissen Bedingungen ein für allemal b i n d e n d wirken und das Gericht verpflichten, gewissen Indizien oder Beweismitteln ein bestimmtes Mafs von Beweiskraft beizulegen; hierin liegt die Aufstellung einer „ g e s e t z l i c h e n Be we i s t h e o r i e " . Das gemeine Recht hatte in allmählicher Umbildung des formalen germanischen Beweisrechts den letzteren Standpunkt eingenommen. Die Reform des 19. Jahrhunderts und mit ihr die Z.P.O. nahm jedoch grundsätzlich das Prinzip der f r e i e n B e w e i s w ü r d i g u n g auf. Danach hat das Gericht „unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei" (§ 286, 1). „An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden" (§ 286, 2). Zur Zeit der Vorbereitung und Einführung der Z.P.O. wurde dem Wechsel des Prinzips der Beweiswürdigung eine ganz aufserordentlich hohe Bedeutung beigelegt. Hierin lag jedoch eine grofse Überschätzung. Einmal wurde vielfach übersehen, dafs unter allen Umständen, wie oben (I) dargelegt, eine objektive Begründung der richterlichen Überzeugung notwendig blieb. Die meisten Regeln, die im gemeinen Recht als rechtlich bindende Beweisregeln gegolten hatten, behielten auch jetzt als E r f a h r u n g s r e g e l n ihre Geltung. Die Fälle, in denen das veränderte Prinzip zu einem anderen Ergebnis der Beweiswürdigung führte, sind danach relativ selten. Sie treten nur ein, wenn mit 1

E i n B e i s p i e l S t e i n - S c h m i d t , A k t e n , H e f t 2, S. 118.

Freie Beweiswürdigung.

Ausnahmen: Beweisregel u Vermutung.

469

Rücksicht auf besondere, ausnahmsweise gegebene Umstände das Gericht eine bestrittene Geschäftsberedung usw. schon nach der Aussage der Ehefrau der Partei oder eines wegen Meineids bestraften oder persönlich interessierten Zeugen, nach einer stark entstellten, korrigierten Urkunde, nach blofsen Indizien als bewiesen annimmt. In der Regel (wenn nämlich die Garantien für die besonders zweifellose Glaubwürdigkeit des Beweismittels fehlen) wird und mufs auch jetzt das Gericht schon nach der Erfahrung (wie im gemeinen Recht auf Grund gesetzlicher Vorschrift) in solchen Fällen eine Ergänzung dürch Auferlegung eines richterlichen Eides anstreben 1. Aber auch abgesehen davon, welche Bedeutung dem Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Recht im Prinzip zukommt, ist zu berücksichtigen, dafs das System der gesetzlichen Bindung des Gerichts noch in vielen Stücken nachwirkt. 1. Einmal hat das moderne Recht seinerseits wieder in „sehr wichtigen Punkten Regeln für die Bildung der richterlichen Überzeugung aufgestellt, und zwar die Z.P.O. selbst „ g e s e t z l i c h e B e w e i s r e g e l n " (§ 286, 2), d. h. gesetzliche Regeln über clas Mafs von Überzeugungskraft, welches gewisse B e w e i s m i t t e l unter bestimmten Bedingungen besitzen sollen. Allgemein ist dies für Urkunden geschehen (§§ 415 ff.). Aber auch die ganze Behandlung der Parteierklärungen und der Parteieide wirkt im Hauptpunkte wie eine Beweisregel, — ein Gegensatz zu den eigentlichen Beweisregeln besteht hier nur insofern, als bei ihnen die Möglichkeit des Gegenbeweises unter besonderern Gesichtspunkt und zwar in b e s c h r ä n k e n d e r Tendenz behandelt wird (alles Nähere unten §§ 80 ff.) 2. Der gleiche Erfolg wird aber ferner dadurch erzielt, dafs die Z.P.O. in vielen Fällen auf die Vorschriften verweist, in denen „das Gesetz für das Vorhandensein einer Tatsache eine V e r m u t u n g " aufstellt (§ 292). Die „gesetzlichen Vermutungen" (praesumtiones juris) sind die im B.G.B, oder in speziellen Reichsoder Landesgesetzen enthaltenen Vorschriften, nach welchen „unter bestimmten Voraussetzungen eine Tatsache bis zum Beweise des Gegenteils als gewifs anzusehen ist (vgl. § 292 Z.P.O. I I mit § 16 no. 1 des alten E.G. Z.P.O.). Sie sind gesetzliche Regeln über das 1 Ebenso ist die U r t e i l s f ä l l u n g l e d i g l i c h a u f G r u n d v o n I n d i z i e n , ohne Z u h i l f e nahme v o n E i d e n der P a r t e i , sehr s e l t e n , — der reine I n d i z i e n b e w e i s -spielt i m C.Pr. (— insbesondere f ü r die K l a g e n aus Rechtsgeschäften —) n i c h t d i e R o l l e w i e i m S t r a f >rozefs. Gröfsere B e d e u t u n g e r l a n g e n sie d a d u r c h , dafs eine u n v o l l k o m m e n e Beweisü h r u n g d u r c h d i r e k t e n Beweis (z. B. d i e Aussage eines u n k l a r e n oder befangenen Z e u s e n über den I n h a l t eines Vertrags) d u r c h h i n z u t r e t e n d e I n d i z i e n v e r v o l l s t ä n d i g t w e r d e n k a n n , so dafs die I n d i z i e n also an die Stelle eines r i c h t e r l i c h e n Eides (s. oben) e i n t r e t e n können. a Z u diesen a l l g e m e i n e n V o r s c h r i f t e n über d i e B e w e i s k r a f t gewisser B e w e i s m i t t e l k o m m e n noch spezielle, die s i c h n u r a u f den Beweis b e s t i m m t e r T a t s a c h e n beziehen. Sie begründen s ä m t l i c h ebenfalls eine gesetzliche B e w e i s k r a f t v o n U r k u n d e n , die s i c h beziehen auf die prozessualen Vorgänge ( S i t z u n g s p r o t o k o l l , T a t b e s t a n d des U r t e i l s § 161. 313), auf die Z u s t e l l u n g (§ 198, 2. 202, 2), auf die E c h t h e i t anderer U r k u n d e n (§ 437. 438, 2. 440, 2). H i e r z u k o m m t als w e i t e r e Regel die ü b e r die B e w e i s k r a f t der Z i v i l s t a n d s b e u r k u n d u n g e n ( a u f r e c h t e r h a l t e n d u r c h E.G. § 16 n r . 2) u n d der B e u r k u n d u n g e n des G r u n d - u n d H y p o t h e k e n v e r k e h r s ( a u f r e c h t e r h a l t e n d u r c h E.G. § 17, Abs. 2, v g l . § 891 B.G.B.).

i

470

IV

Rechtsstreit.

§ 7.

B e w e i s u n .

Mafs der Überzeugungskraft, welche gewisse, an sich für das Beweisthema unerhebliche, aber einen Schlufs gestattende Tatsachen, m. a. W. I n d i z i e n t a t s a c h e n , für die beweiserheblichen.Tatsachen besitzen sollen. Wie die gesetzliche Beweisregel die Überzeugungskraft eines B e w e i s m i t t e l s für eine Tatsache, so normiert die Vermutung die Überzeugungskraft eines I n d i z e s , den Schlufs aus einer selbst erst beweisbedürftigen T a t s a c h e auf eine andere Tatsache1. Dabei kann die \7ermutung nicht nur für e i n z e l n e Tatsachen2, sondern auch für ganze T a t b e s t ä n d e begründet werden. Im B.G.B, bestehen solche Tatbestandsvermutungen nach § 1362: nach dem Besitz eines oder beider Ehegatten an Mobilien wird zu Gunsten der Gläubiger des Mannes vermutet, dafs sie dem Manne gehören; — dagegen wird für die Sachen im persönlichen Gebrauch der Fran vermutet, dafs sie der Frau gehören; — § 1527: bei Errungenschaftsgemeinschaft wird vermutet, dafs das vorhandene Vermögen der Gatten Gesamtgut sei; — § 1006: der Besitz einer beweglichen Sache begründet die Vermutung des Eigentumserwerbs. Diese Vermutungen sind jedoch nur quantitativ von den Vermutungen von Einzeltatsachen unterschieden 3 . N i c h t Rechtsvermutung ist der Schlufs aus Eintrag oder Löschung eines Rechts im Grundbuch auf dessen Bestehen oder Nichtbestehen (§ 891, — dies ist Beweisregel; ebenso die sog. Vermutung aus dem Erbschein [§ 2365]4). Dagegen stehen in grundsätzlichem Gegensatz zu den gewöhnlichen Rechtsvermutungen die unwiderleglichen Rechtsvermutungen (praesumtiones iuris et de iure). Sie stehen zur richterlichen B e w e i s w ü r d i g u n g aufser aller Beziehung, sind vielmehr echte „Vorschriften des bürgerlichen Rechts", durch sie wird die Rechtsfolge eines Tatbestands (z. B. Ehelichkeit eines Kindes als Folge der Erzeugung in der Ehe) an einen anderen äufserlich ähnlichen Tatbestand (Beiwohnung des Ehemanns mit der Mutter während der Empfängniszeit), auch für die Fälle angeknüpft, wo dem letzteren die Merkmale des Haupttatbestands fehlen (also auch für die Fälle, wo nachgewiesen werden kann, dafs ein anderer der Vater ist, z. B. aus dem Ehebruch der Mutter mit einem Dritten in Verbindung mit auffallender Ähnlichkeit zwischen diesem und dem Kinde, — B.G.B. § 1591, Mot. Ε . 654) 4 . Die p r a e s u m t i o i u r i s et de i u r e ist also 1 So m i t K e c h t S t e i n 49 gegen W e n d t , c i v . A . (53, 287 u . a. — P r a k t i s c h t r i t t d e r Gegensatz n a c h Z.P.O. d a r i n h e r v o r , dafs gegen V e r m u t u n g e n der zulässige Gegenbeweis a u c h d u r c h E i d e s z u s c h i e b u n g g e f ü h r t w e r d e n d a r f , w ä h r e n d Beweisregeln n a c h d e m P r i n z i p des § 446 n i c h t d u r c h solche e n t k r ä f t e t w e r d e n k ö n n e n (vgl. u n t e n § 84). Diesen G e d a n k e n f o r m u l i e r t n a c h V o r g a n g des f r ü h e r e n EG. § 16 No. 1 ebenfalls § t92 Z.P.O, I I . 2 V e r m u t u n g e n f ü r E i n z e l t a t s a c h e n : U n t e r g a n g mehrerer i n gemeinsamer Gefahr b e w e i s t den g l e i c h z e i t i g e n T o d (B.G.B. § 20). H e r v o r t r e t e n v o n V i e h m ä n g e l n w ä h r e n d der G e w ä h r f r i s t b e w e i s t deren V o r h a n d e n s e i n i m M o m e n t des Gefahrübergangs (§ 484). F e r n e r § 1591, 2. 1253, 2. Ü b e r s i c h t über a l l e V e r m u t u n g e n des B.G.B. H e d e m a n n S. ü20. 3 Es i s t deshalb n i c h t r i c h t i g , u n t e r den V e r m u t u n g e n (.Gesetzesvermutungen u ) z w e i q u a l i t a t i v verschiedene G r u p p e n , die „ T a t s a c h e n v e r m u t u n c e n " u n d die „Rechtsv e r m u t u n g e n " zu u n t e r s c h e i d e n u n d u n t e r den letzteren die gesetzliche F e s t s t e l l u n g v o n R e c h t s v e r h ä l t n i s s e n zu verstehen. (So H e d e m a n n , Die V e r m u t u n g 1904 ST 27U.) Diese A n s c h a u u n g l ä u f t der g r u n d s ä t z l i c h e n W a h r h e i t z u w i d e r , dafs Rechtsverhältnisse i m m o d . P r . n i e Gegenstand des Beweises s i n d , sondern n u r Tatsachen (o. S. 33.S). A u c h d u r c h d i e V e r m u t u n g v o n ganzen T a t b e s t ä n d e n w i r d dem G e r i c h t die r e c h t l i c h e Beu r t e i l u n g n i c h t entzogen u n d dies zeigt sich p r a k t i s c h sofort d a n n , w e n n die Gegenpartei d e n Beweis des Gegenteils (der U n w a h r h e i t ζ. B. des e i g e n t u m b e g r ü n d e n d e n Tatbestands) u n t e r n i m m t . V g l . i m ü b r i g e n über den S t a n d p u n k t H e d e m a n n s u. S. 487 f. K r v e r k e n n t , dafs die B e d e u t u n g der V e r m u t u n g f ü r die B e w e i s l a s t i h r e n C h a r a k t e r als Regel der B e w e i s W ü r d i g u n g n i c h t ausschliefst. 4 R i c h t i g H e d e m a n n S. 138 gegen die I . Aufl., dafs diese beiden F ä l l e wesensgleich s i n d ; n u r i s t i h m i n den F o l g e r u n g e n n i c h t z u z u s t i m m e n . 5 N u r eine spezielle, w e n i g p r a k t i s c h e E r s c h e i n u n g s f o r m der R e c h t s v e r m u t u n g e n w a r e n die ebenfalls i n Landesrechten e n t h a l t e n e n „ V o r s c h r i f t e n , nach w e l c h e n u n t e r bes t i m m t e n V o r a u s s e t z u n g e n eine Tatsache als m e h r oder m i n d e r w a h r s c h e i n l i c h anzun e h m e n i s t t t (E.G. § 14 n. 3), w o n a c h also eine (unerhebliche) Tatsache n i c h t als v o l l beweisendes, sondern n u r als h a l b b e w e i s e n d e s I n d i z f ü r eine beweisbedürftige w e s e n t l i c h e Tatsache v o m Gesetz a n e r k a n n t w i r d . U n r i c h t i g e r w e i s e w u r d e diese m e i s t

Rechts Vermutungen.

Tatbestands- und Tatsachenvermutungen.

471

im Hauptpunkt der F i k t i o n verwandt, welche ebenfalls die Rechtsfolgen eines Tatbestands auf einen anderen erstreckt. Verschieden ist bei beiden nur der Gedankengang des Gesetzgebers und deswegen die Auslegung der Tragweite der gesetzlichen Bestimmungen. Bei der P r ä s u m t i o n hält der Gesetzgeber den ursprünglichen Rechtsgedanken fest und der ganze Kreis von Rechtsnormen ist somit von diesem aus zu interpretieren Bei der F i k t i o n läfst der Gesetzgeber den ursprünglichen Rechtsgedanken (z. B. in § 39 den der Vereinbarung) fallen und setzt einen anderen (den der Verwirkung, vgl. oben S. 276) an die Stelle, sodafs nunmehr die Rechtsfolge des Fiktionstatbestands in Nebenpunkten anders behandelt werden kann als die des Ilaupttatbestands (ähnlich in Z.P.O. §§ 138. 331 u. ö.) 2 .

2. Weiter ist im Auge zu behalten, dafs der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ohne allen Einflufs auf die F o r m der Beweismittelerhebung ist. Er besagt nicht, dafs das Gericht j e d e beliebige, ihm in beliebiger Form zufliefsende Überzeugungsquelle frei prüfen und eventuell benutzen dürfe. Vielmehr tritt die gesamte Beweiswürdigungstätigkeit erst in Kraft gegenüber denjenigen Parteiverhandlungen und Beweisaufnahmen, die for Inger e c h t bewerkstelligt worden sind, und zwar sowohl unter Wahrung der vom Gesetz a l l g e m e i n für Verhandlung und Beweisaufnahme aufgestellten Vorschriften (o. § 76, S. 462 ff.) wie unter Beobachtung der für die e i n z e l n e n Beweismittel je nach deren Natur geforderten formellen Garantien (unten §§ 79 ff.). Wenn Z.P.O. also z. B. für die Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen grundsätzlich stets die B e e i d i g u n g verlangt, so kann ein unbeeidigter Zeuge im Zweifel auch nicht mit Hilfe der freien Beweiswürdigung verwertbar gemacht werden, sondern ist einfach unverwertbar. Die Begriffe der „Verhandlung" und „Beweisaufnahme", deren Inhalt nach § 286 zu würdigen ist, sind technische Begriffe; — sie bedeuten die prozessualen Akte i m Sinne cler Z.PO. Diese sehr wesentliche Schranke der freien Beweiswürdigung hat das R.G. von vornherein mit anerkennenswerter Energie aufrechterhalten (R.G. I v. 15. Nov. 1882. 8, 406; V. v. 18. März 1883. 9, 323 u. zahlr. a. E.) 3 .

I I I . Toller Beweis und Glaubhaftmachung. Die Aufstellung gesetzlicher Beweisregeln ist nicht das Einzige, wodurch das Gericht in der Abwägung der Beweisgründe beschränkt werden kann. Das Gesetz kann dem Gericht nicht nur die Regeln verschieden genau vorschreiben, nach denen es die Beweiswürdigung vorzunehmen hat, sondern auch den B e w e i s e r f o l g , bis zu welchem es vordringen mufs, um den Tatbestand der r e c h t l i c h e n Würdigung und der Entscheidung selbst zugrunde legen zu köni.en. zu den n a t ü r l i c h e n V e r m u t u n g e n , praesumtiones facti, d. h. zu den g e w ö h n l i c h e n I n d i z i e n (o. S. 467), gezählt. I n W a h r h e i t w a r i h r e A u f s e r k r a f t s e t z u n g i n § 14 n. 3 eine A u s n a h m e v o n § 16 n. 1. (C.P.O. h a t eine solch h a l b e Verm. z. B. n o c h i n § 427 Satz 2.) 1 I n der C.P.O. selbst w i r d d i e u n w i d e r l e g l i c h e V e r m u t u n g v e r w e r t e t i n § 14. 269. 551. 2 Übers, a l l e r E . : G a u p p - S t e i n (3. A.) > 286 a. 19. 3 Das P r i n z i p schliefst n i c h t a u s , dafs Zeugenaussagen eines f r ü h e r e n Prozesses nach dessen P r o t o k o l l e n ohne n o c h m a l i g e m ü n d l i c h e , beeidigte V e r n e h m u n g v e r w e r t e t werden. N u r s i n d sie d a n n n a c h den Regeln des U r k u n d e n b e w e i s e s zu b e n u t z e n (R.G. 15, 335). Das V e r f a h r e n i s t weder häufig noch e m p f e h l e n s w e r t ( v g l . d a r ü b e r u. § 129).

472

IV

Rechtsstreit.

§ 7.

B e w e i s u n .

a) lin Zweifel gestattet das Gesetz bei Erlafs der Entscheidung nur die Berücksichtigung der Tatsachen, für welche dem Gericht B e w e i s im engern Sinne, sog. v o l l e r B e w e i s , d. h. eine feste, b e s t i m m t e Ü b e r z e u g u n g begründet worden ist. Allerdings kann dieses Ziel im Prozesse, wo es sich stets um h i s t o r i s c h e Beweisführung von T a t s a c h e n oder auf Tatsachen ruhenden Erfahrungssätzen handelt, nie a b s o l u t e Gewifsheit sein. Denn da die Erkenntnismittel in letzter Linie stets auf sinnliche Wahrnehmung zurückzuführen (S. 337), ist die Möglichkeit einer Sinnestäuschung und damit die Möglichkeit des Andersseins auch nach der gründlichsten Erforschung nie ausgeschlossen. Voller Beweis, Überzeugung ist somit nie eine Vorstellung von den Tatsachen, bei der — objektiv betrachtet — die Vorstellung des Gegenteils a u s g e s c h l o s s e n ist. Wohl aber fordern sie ihrem Wesen nach die Vorstellung einer so hohen W a h r s c h e i n l i c h k e i t , dafs die Möglichkeit des Gegenteils vom vernünftigen Menschen bei der rechtlichen Entschliefsung in seinem Handeln nicht mehr in Rechnung gezogen wird. b) In gewissen, speziell bezeichneten Fällen gestattet jedoch Z.P.O. bei der Entscheidung die Berücksichtigung von Tatsachen, über die dem Gericht lediglich eine G l a u b h a f t m a c h u n g (Bes c h e i n i g u n g , S u b s t a n z i i e r u n g ) verschafft worden ist. Dieselbe unterscheidet sich vom Beweis grundsätzlich nicht durch die verwendeten Beweismittel bezw. die Beweiskraft, die dieselben äufsern, sondern durch den B e w e i s e r f o l g , den sie anstrebt. Der Beweiserfolg der Glaubhaftmachung ist ein geringerer als der des Beweises. Nur ist auch dieser Gegensatz kein qualitativer, sondern (nach dem oben a bemerkten) nur ein q u a n t i t a t i v e r . Glaubhaftmachung strebt nicht Wahrscheinlichkeit im Gegensatz zur Gewifsheit, sondern nur eine g e r i n g e r e Wahrscheinlichkeit an, nämlich eine solche, bei welcher das zu überzeugende Gericht mit der M ö g l i c h k e i t des G e g e n t e i l s noch r e c h n e n m u f s und t a t s ä c h l i c h r e c h n e t . Naturgeinäfs wird das Gesetz die Glaubhaftmachung besonders da verwenden, wo das Interesse der B e s c h l e u n i g u n g des Beweises obwaltet (vgl. u. § 90). Hierin liegt schon, dafs die B e w e i s m i t t e l , mit denen die Glaubhaftmachung bewirkt wird, dieselben sind, wie die der eigentlichen Beweisführung (§ 294). Nur der Eideszuschiebung darf sich der Glaubhaftmachende nicht bedienen, und zwar erklärt sich dies aus der prozessualen Situation in solchen Fällen. Die Fälle, in welchen Glaubhaftmachung verlangt wird, sind gröfstenteils dieselben, in welchen (ebenfalls kraft positiver Vorschrift) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (die Fälle der sog. „fakultativen" mündlichen Verhandlung, oben S. 453), z. B. Ablehnung einer Gerichtsperson (§ 44, 2. 46), Festsetzung der Prozefskosten (§ 99, 1. 2), Abkürzung oder Verlängerung einer Frist (§§ 202, 2. 203, 1) usw.; in allen diesen Fällen aber fehlt die zur sofortigen Erledigung der Eideszuschiebung erforderliche Anwesenheit des Gegners. Allerdings tritt Glaubhaftmachung bisweilen auch innerhalb der o b l i g a t o r i s c h e n mündl. Verhandl. ein, so bei Glaubhaftmachung des Interesses am Eintritt des Nebenintervenienten (§ 71), des Wiedereinsetzungsgrunds (§ 214), der unverschuldeten Versäumung von

Glaubhaftmachung.

Bedeutung der Beweislast.

473

prozefshind. Einreden (§ 274), Angriffs- und Verteidigungsmitteln im vorher. Verfahren (§ 354, 2). Statt der E.Z. wird er zur V e r s i c h e r u u g d e r W a h r h e i t an E i d e s s t a t t zugelassen (u. S. 467). Ausnahmsweise wird ein unvollkommener Beweis auch im ordentlichen Prozefs über den A n s p r u c h für genügend erklärt, — nämlich im Prozefs über Schäden- und Interesseforderungen zur Feststellung der schädlichen Kausalität des Ereignisses und der Höhe des Schadens. Dies will der schlechtgefafste § 260 ausdrücken, wenn , er die Entscheidung hierüber der „Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung" überläfst. Aufserdem gewährt er ein freies Ermessen hinsichtlich der „Anordnung" der angetretenen Beweise im Gegensatz zum Prinzip (o. S. 426) und den eigenartigen Schätzungseid (u. § 84). Die Behandlung des Sachverständigen ist nichts besonderes (o. S. 438).

§ 78. Die Grundsätze der Beweislast. G r u n d l e g e n d f ü r die g e m e i n r e c h t l i c h e Z e i t : W e b e r , ü b e r die V e r b i n d l i c h k e i t z u r B e w e i s f ü h r u n g i m CP. 1. Α . 1805. Α . ed. Heffter 1845. ν . B e t h m a n n - H o l l w e g , V e r sucheüber einzelne T e i l e der T h e o r i o des Cp. 1827 (über die B e w e i s l a s t S. 319). G e r b e r , z u r Lehre v o m K l a g g r u n d 1858. M a x e n , über B e w e i s l a s t 1861. Speziell f ü r d i e altsächsische P r a x i s : P ö s c h m a n n , A n a l e n des sächs. O b e r a p p e l l a t i o n s g e r i c h t s 5(1868) 289. I m ü b r i g e n W e t z e l l , gem. C.Proz. § 15. W ä c h t e r , P a n d e k t e n I § 102. W i n d s c h e i d (8. A u f l . v . K i p p ) § 133. (Grofse L i t e r a t u r a n g a b e n , D e r n b u r g , P a n d e k t e n I § 159.) A u s der Z e i t aes R e i c h s r e c h t s : R ö m e r , das q u a l i f i z i e r t e Geständnis, c i v . A . 02 (1879) 149 ( m i t grofser K a s u i s t i k ) . F i t t i n g , G r u n d l a g e n der B e w e i s l a s t Z. 13 (1889) 1. B e t z i n g e r , vie die mannitio des germanischen Prozesses, o. S. 52. 55) bei Vermeidung von Rechtsnachteilen zum

Aussage-, Eides-, Erscheinungspflicht des Zeugen.

503

in ihrem vollen Inhalt. Ihr Inhalt umfafst die Verpflichtung, in der prozefsordnungsmäfsigen Weise auszusagen und zu diesem Zwecke vor Gericht zu erscheinen. Die A u s s a g e p f l i c h t im engeren Sinne ist ihrem Umfang nach relativ bestimmt. Sie richtet sich danach, welche Fragen clas Gericht nach seinem p]rmessen dem Zeugen vorzulegen für gut findet, insbesondere auch danach, ob eine wiederholte Vernehmung vom Gericht für erforderlich erachtet wird (§ 396, 2. 397. 398), und ergreift jedenfalls die Pflicht, über die P e r s o n a l i e n und über die Sache auszusagen (§ 395. 396, 1ff. ; u. S. 508). Auch schliefst sie die Pflicht zur B e e i d i g u n g cler Aussage ein, soweit das Gesetz eine solche für erforderlich erachtet (u. S. 509). Die innerlich sekundäre, zeitlich zunächst bedeutungsvolle Pflicht, zum Zweck der Aussageerstattung vor Gericht zu e r s c h e i n e n , enthält die Verpflichtung, nicht nur vor einem beliebigen, sondern gerade vor dem v o r l a d e n d e n Gericht zu erscheinen, also eventuell auch von einem entlegenen Wohnsitz aus sich zu diesem Gericht hinzubegeben. Nur ausnahmsweise wird eine Person aus besonderen Gründen von cler Pflicht befreit. Die Befreiung kann sich verschieden weit erstrecken. 1. Von der Z e u g n i s p f l i c h t mit allen ihren 'Leistungen (Aussage, Beeidigung, Erscheinen) befreien diejenigen Tatsachen, die vom Gesetz als Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s g r u n c l anerkannt werden. Dieselben sind : a) teilweise Tatsachen, welche für gewisse Personen ein Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber a l l e n Fragen begründet, die im Prozesse gestellt werden. Diese Wirkung hat die nahe F a m i l i e n b e z i e h u n g des Zeugen zur Partei und zwar für den Verlobten, für den (eventuell auch geschiedenen) Ehegatten der Partei und für denjenigen, der mit einer Partei in gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Adoption verbunden oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist (auch wenn die Ehe, durch welche die Schwägerschaft begründet ist, nicht mehr besteht; § 383 Nr. 1—3). ß) teilweise Tatsachen, welche für gewisse Personen ein Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber Fragen b e s t i m m t e n I n h a l t s begründen, — nämlich gegenüber Fragen, deren Beantwortung eine G e h e i m h a l t u n g s p f l i c h t verletzen (§ 383 Nr. 4.5) oder die G e f a h r des Vermögensschadens, der Unehre, der Strafverfolgung, der Preisgabe eines Kunst- oder Gewerbegeheimnisses verursachen würde (§ 384 Nr. 1—3). Erscheinen und Aussagen zu verpflichten. W e n n vielfach noch der Zeuce s i s t i e r t , d. h. von der Partei unmittelbar z u m Erscheinen veranlafst w i r d (bes. bei Sühneversuchen, bei Anbringung von Arrestgesuchen und Gesuchen u m einstweilige Verfügungen), so setzt dies stets freiwillige M i t w i r k u n g des Zeugen voraus.

504

IV. Rechtsstreit. § 8 .

en.

Im einzelnen können das Zeugnis aus letzteren Gründen (lit. β) verweigern : 1. G e i s t l i c h e in Ansehung desjenigen, was ihnen bei der Ausübung der S e e l s o r g e anvertraut ist (§ 385. n. 4), nicht nur in Ansehung der B e i c h t mitteilungen, aber auch nicht in Ansehung aller privaten Mitteilungen. 2. Personen, welchen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch die Natur derselben 1 oder durch gesetzliche Vorschriften geboten ist, in betreif der Tatsachen, auf welche die Verpflichtung zur Verschwiegenheit sich bezieht, — also unter diesen Voraussetzungen besonders alle Beamte, Reichsbeamte (im Sinne des Reichsbeamtenges. 31. März 73 § 1), Staats- und Kommunalbeamte — alle Träger staatlich konzessionierter oder öffentlich verantwortlicher Berufe — Rechtsanwälte, Notare (R.G. 30, 355), Ärzte, Wundärzte, Hebammen, Apotheker und deren Gehilfen (St.G.B. § 300), Mäkler (H.G.B, a. 69 n. 5), Schöffen und Geschworene (G.V.G. § 200). Ferner sind zur Zeugnisverweigerung berechtigt: 3. alle Personen über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen oder einem nahen Angehörigen (im Sinn § 383 η. 1—3, oben lit. α) einen u n m i t t e l b a r e n v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e n S c h a d e n verursachen würde-. (§ 384 η. 1). 4. alle Personen über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen oder einem nahen Angehörigen (im Sinn § 383. η. 1—3) zur U n e h r e gereichen oder die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zuziehen würde (§ 384 n. 2), 5. alle Personen über Fragen, welche der Zeuge nicht würde beantworten können, ohne ein Kunst- oder Gewerbegeheimnis zu offenbaren (§ 384 Nr. 3). Die Unterscheidung der Zeugnisverweigerungsgründe lit. « und lit. β wird vor allem darin praktisch, dafs über die e r s t e r e n die Zeugen vor der Vernehmung zu belehren sind (§ 383, Abs. 2). Von den Gründen der Verweigerung über e i n z e l n e Fragen lit. β legt nur die Geheimhaltungspflicht § 383 n. 4. 5 dem Gericht die Pflicht auf, Fragen, die dieser Pflicht offensichtlich zuwiderlaufen, auch ohne Zeugnisverweigerung zu vermeiden (§ 383, Abs. 3). Anderseits kann in den Fällen lit. a (§ 383 η. 1—3), sowie wegen drohenden Vermögensschadens der Zeugnisverweigerungsgrund nach Mafsgabe von § 385 wieder hinfällig werden, dann, wenn mutmafslich andere Beweismittel fehlen — nämlich bei Fragen: 1. über die Errichtung und den Inhalt eines Rechtsgeschäfts, bei dessen Errichtung der (Prozefs-)Zeuge als (Solennitäts-)Zeuge zugezogen war. 2. über Geburten, Verheiratungen oder Sterbefälle von Familiengliedern. 3. über Tatsachen, welche die durch das Familienverhältnis bedingten Vermögensangelegenheiten betreffen. 4. über diejenigen auf das streitige Rechtsverhältnis sich beziehenden Handlungen, welche vom Zeugen selbst als Rechtsvorgänger oder Vertreter einer Partei (vgl. unten S. 532) vorgenommen worden sein sollen. 1 Welche Personen zur Geheimhaltung gewisser Tatsachen „nach deren Natur" verpflichtet sind, entscheidet das richterliche Ermessen. Nicht dazu gehören die Redaktionen der Zeitung, nicht ein p r i v a t i m zu Rate gezogener Sachverständiger (deshalb auch nicht ein von einem R . A . zu Rat gezogener Rechtslehrer, a. M. K ö h l e r , Z. f. C.P. 26, 1899, 334), — nicht die Mitglieder eines bischöflichen Konsistoriums wegen der Deckung der Kosten eines Kirchenbaues (R.G. 33, 363), — nicht ein Inhaber eines Kreditauskunftsbureaus (O.L.G. H a m b u r g , Seuff. A . 37 n. 162, K o l m a r , elsäss. Z. 22, 291) — nicht ein Verleger eines anonymen W e r k s (O.L.G. Dresden, sächs. A . 7, 110). 2 Die Unterscheidung des unmittelbaren von dem mittelbaren Schaden ist fliefsend. Die Aussage b e w i r k t unmittelbar einen Schaden, wenn sie (obwohl selbstverständlich in Verbindung m i t anderen Tatsachen) den Zeugen i n eine Lage bringt, die selbst schon eine Verringerung seiner Vermögenswerte bildet (ihn einem bisher nicht bestehenden A n spruch aussetzt usw.), — mittelbar, wenn er i n eine Lage kommt, die möglicherweise erst später andere derartig vermögensverringernde Ereignisse auslöst, ζ. B. w e n n die Aussage des Schuldners i m Streit zweier Gläubiger dem Gläubiger Material l i e f e r t , u m einen s c h o n b e s t e h e n d e n Anspruch m i t neuen Beweismitteln zu verfolgen (R.G. 32, 381).

Gründe der Zeugnisverweigerung.

505

Die wegen Geheimhaltungspflicht zeugnisverweigerungsberechtigten Personen (§ 383 n. 4—5) sind es nicht, wenn sie von der Pflicht zur Verschwiegenheit entbunden sind (§ 385, Abs. 2) 1 . Von den Fällen des Zeugnisverweigerungsrechts zu unterscheiden ist das V e r b o t d e r A u s s a g e in den Fällen des § 376. Danach d ü r f e n ö f f e n t l i c h e B e a m t e (auch wenn sie nicht mehr im Dienste sind), über Umstände, auf welche sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, n u r m i t G e n e h m i g u n g i h r e r v o r g e s e t z t e n (oder zuletzt vorgesetzt gewesenen) D i e n s t b e h ö r d e als Zeugen vernommen werden. Für den Reichskanzler bedarf es der Genehmigung des Kaisers, für die Minister der Genehmigung des Landesherrn, für die Mitglieder der Senate der freien Hansestädte der Genehmigung des Senats. Nur darf diese Genehmigung n i c h t w i l l k ü r l i c h v e r s a g t werden, sondern nur, ,,'wenn die Ablegung des Zeugnisses dem Wohle des Reichs oder eines Bundesstaats Nachteile bereiten würde". Die Genehmigung ist durch das Prozefsgericht einzuholen und dem Zeugen bekannt zu machen (§ 376, 3).

2. Ist die Zeugnispflicht begründet oder hat der Zeuge trotz eines Zeugnisverweigerungsrechts dieselbe freiwillig auf sich genommen, so ist eine Verweigerung der B e e i d i g u n g des Zeugnisses aus besonderen Gründen n i c h t gestattet 2 . Dagegen ist auch da, wo eine Zeugnispflicht besteht, unter Umständen aus besonderen Gründen die E r s c h e i n u n g s p f l i c h t beseitigt. Diese Gründe sind α) teilweise Tatsachen, die gewisse Personen für alle Prozesse vom Erscheinen befreien. Vom Erscheinen vor j e d e m Gericht sind die Landesherrn und die Mitglieder ihrer Familien befreit (§ 375, 2, — oben S. 294). Sie sind durch b e a u f t r a g t e n oder e r s u c h t e n Richter zu vernehmen. Befreit vom Erscheinen vor dem Gerichte a u f s e r h a l b i h r e s A m t s s i t z e s o d e r des O r t s i h r e r T ä t i g k e i t sind gewisse hohe Beamte oder Mitglieder politischer Körperschaften. Es sind nämlich der Reichskanzler, die Minister eines Bundesstaats, die Mitglieder der Senate der freien Hansestädte, die Vorstände der obersten Reichsbehörden 3 und die Vorstände der Ministerien an ihrem Amtssitze oder, wenn sie sich aufserhalb desselben befinden, an ihrem Aufenthaltsorte, m. a. W. durch einen ersuchten Richter zu vernehmen (§ 382, 1). Die Mitglieder des Bundesrats sind während ihres Aufenthalts am Sitze des Bundesrats an diesem Sitze, die Mitglieder einer deutschen gesetzgebenden Versammlung während der Sitzungsperiode und ihres Aufenthalts am Orte der Versammlung an diesem Orte zu vernehmen (§ 382, 2). Zwar kann von diesen Bestimmungen abgewichen werden, aber nur mit Genehmigung des Kaisers, Landesherrn, Senats, der gesetzgebenden Versammlung, des unmittelbaren Vorgesetzten des Beamten (§ 382, 3).

ß) Es sind aber auch Tatsachen denkbar, die eine Person vom Erscheinen im e i n z e l n e n Prozesse und im einzelnen Fall befreien. — „ E n t s c h u l d i g u n g s g r ü n d e " . Was als solche an1 Bei katholischen Geistlichen ist solche Entbindung nicht möglich (c. 12 X de poenit. 5, 38). * Ohne gesetzlichen A n h a l t behauptet S e u f f e r t § 383 η. 1 a. E., dafs der Zeugnisverweigerungsberechtigte auch nach der Aussage noch die Beeidigung verweigern könne. N u r die St.P.O. gestattet dies ausdrücklich (§§ 51, 52), liefert aber eben d a m i t ein argum e n t u m e contrario. 8 Bes. der Staatssekretär des I n n e r n , i m auswärtigen A m t , des Keichsmarineamts, des Reichspostamts, der Vorstand des Reichsschatzamts, der Präsident des Reichsbankdirektoriums, der Präsident des Reichsgerichts. (Nachweise: S e u f f e r t zu § 382 n. 2.)

506

IV. Rechtsstreit. § 8 .

en.

zuerkennen (Krankheit, berufliche Verhinderung, Eisenbahnunterbrechung), entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen (§ 381). Da Aussage- und Erscheinungspflicht die Regel, ihr Fehlen die Ausnahme ist, so werden sie folgerichtig vermutet und den geladenen Zeugen trifft die Verantwortlichkeit, Z e u g n i s ver w e i g e r u n g s g r u n d oder E n t s c h u l d i g u n g s g r u n d g e l t e n d z u machen u n d zu b e w e i s e n , wenn er sich nicht den zur Verwirklichung der Pflicht gegebenen Zwangsnachteilen aussetzen will. 1. Um sich der A u s s a g e e r s t a t t u n g zu entziehen, hat der Zeuge den Zeugnisverweigerungsgrund anzugeben und glaubhaft zu machen, worauf das P r o z e f s g e r i c h t nach Anhörung der Parteien durch ein (mit sofortiger Beschwerde anfechtbares) Z w i s c h e n u r t e i l darüber entscheidet (§ 386, 1. 2; 387, 1. 3). Im Fall der Zeugnis- bezw. Eidesverweigerung ohne Angabe eines Grundes ebenso wie im Fall der Vorschützung eines solchen nach E i n t r i t t der R e c h t s k r a f t des Zwischenurteils, das ihn verworfen hat, ist der Zeuge, ohne dafs es eines Antrags bedarf, in die durch die Weigerung verursachten Kosten, sowie zu einer Geldstrafe bis zu 300 Mark, — für den Fall von deren Uneintreibbarkeit zu sechswöchiger Haftstrafe zu verurteilen (§ 390, 1). Im Fall wiederholter Weigerung ist auf Antrag zur Erzwingung des Zeugnisses die Haft (höchstens bis zur Beendigung der Instanz) anzuordnen (§ 390, 2). Auch diese Beschlüsse unterliegen der Beschwerde (§ 390, 3). Das Zwischenurteil über den Weigerungsgrund kann auf zwei verschiedenen Wegen herbeigeführt werden: a) Der Zeuge erscheint im Termin p e r s ö n l i c h und macht den Grund m ü n d l i c h geltend (§ 386, 1), auch im Kollegialgerichtsprozefs ohne Anwaltszwang (§ 387, 2). Die Parteien haben sich darüber zu äufsern (§ 387). Ist die Vernehmung vor einem ersuchten oder beauftragten Richter anberaumt, so sind die Erklärungen des Zeugen unci die der Parteien aufserdem in das Protokoll aufzunehmen (§ 389, 1). D i e P r ü f u n g u n d E n t s c h e i d u n g e r f o l g t j e d e n f a l l s d u r c h das P r o z e f s g e r i c h t (§ 387, 1). Steht der Beweisaufnahmetermin ohnehin vor dem letzteren an, so dient derselbe kraft Gesetzes als Termin zur Verhandlung über die Zeugnispflicht. Stand er vor dem Kommissar an, so werden Zeuge und Parteien von Amtswegen zu einem besonderen Termin vor das Prozefsgericht geladen (§ 389, 2). In beiden Fällen kommt es zur mündlichen Verhandlung. 1st nur das Proz G. beteiligt, bewegt sich dieselbe frei um das Vorbringen des Zeugen und der Parteien; — war der Grund schon vor dem Kommissar geltend gemacht, so hat auf Grund der dort abgegebenen Erklärungen ein Gerichtsmitglied Bericht zu erstatten; Zeuge und Partei können zwar ebenfalls „das Wort nehmen", das Protokoll des Kömmissars ist jedoch bindend: „neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nicht geltend gemacht werden" ($ 389, 3). Hierauf erfolgt in jedem F a l l die Glaubhaftmachung des Zeugen mit allen Mitteln des § 294, auch der Zulassung zur eidlichen Versicherung, anstatt deren für die zur Geheimhaltung durch ihren Beruf verpflichteten (§ 383, 4. 5) auch die Ver1 M i t dem Ges. unvereinbar R.G. v. 30. März 89. J. W . 89, 169, wonach der Zeuge vor dem Pr.G. die W e i g e r u n g durch Angabe eines andern Grundes neu begründen kann; so auch G a u p p - S t e i n § 389 I I . P e t e r s e n - A n g e r , S t r u c k m a n n - K o c h ebenda.

Verfahren über die Zeugnisverweigerung. Entschuldigungsgründe.

507

Sicherung auf einen geleisteten Diensteid gestattet werden kann (§ 386, 2). Endlich ergeht, — gleichviel ob die P a r t e i e n erschienen waren oder n i c h t 1 — das Ζ w i s c h e n u r t e i l des Prozefsgerichts. ß) Der Zeuge kann aber auch den Weigerungsgrund v o r d e m T e r m i n schriftlich oder zu Protokoll des Gerichtsschreibers angeben und kann dann im Termin selbst (gleichviel ob vor dem Prozefsgericht oder dem Kommissar) ausbleiben (§ 386, 1. 3). Im Termin vor dem Kommissar hat dieser dann lediglich die Erklärungen der Parteien zu Protokoll zu nehmen (§ 389, 1), doch sind die Parteien in jedem Fall von dem Eingang einer schriftlichen Erklärung des Zeugen oder deren Aufnahme zu Protokoll v o r dem Termin durch den Gerichtsschreiber zu benachrichtigen (§ 389, 4). Im Termin vor dem Prozefsgericht, in welchem der Zeuge ausgeblieben ist, hat auf Grund seiner schriftlichen Erklärungen ein Mitglied des Prozefsgerichts Bericht zu erstatten (§ 388), d i e G l a u b h a f t m a c h u n g m u f s h i e r e b e n f a l l s s c h o n i n d e r s c h r i f t l i c h e n M i t t e i l u n g e n t h a l t e n sein. Auf Grund des Referats ergeht das Zwischenurteil. Das Zwischenurteil u n t e r l i e g t d e r s o f o r t i g e n Beschwerde (§ 387, 3), mufs also, damit die Notfrist für die Einlegung derselben oder den Eintritt der Rechtskraft in Lauf gesetzt werde, von einer der Parteien dem Zeugen zugestellt werden (§ 577, 2). Da das Gericht hierbei nicht in Mitleidenschaft t r i t t , so erfährt es auch nichts vom späteren Eintritt der Rechtskraft. Da aber anderseits die Ladungen der Zeugen grundsätzlich immer vom Gericht besorgt werden, so ist die WTeiterführung des Beweisverfahrens gegen den renitenten Zeugen nach der Verwerfung seines Weigerungsgrundes nur so denkbar, dafs die Partei nach der Rechtskraft des Zwischenurteils den G e g n e r zu neuem Termin ladet (oben S. 402) und darauf das Gericht die Ladung an den Zeugen erläfst 2 .

2. Um sich dem E r s c h e i n e n v o r G e r i c h t zu entziehen, mufs der Zeuge entweder einen Zeugnisverweigerungsgrund v o r dem Termin schriftlich oder zu Protokoll des Gerichtsschreibers erklären oder einen Entschuldigungsgrund, gleichviel ob schriftlich vor dein Termin oder mündlich (durch einen Dritten) in demselben, anzeigen. Sowohl der Zeugnisverweigerungsgrund (§ 386, 1; vergl. oben), wie der Entschuldigungsgrund mufs g l a u b h a f t gemacht werden (§ 381). Trifft der E n t s c h u l d i g u n g s g r u n d nicht zu, so ist — ohne dafs (wie nach Nr. 1) eine vorherige Verwerfung des Entschuldigungsgrundes durch besondere Entscheidung erforderlich wäre — der ausbleibende Zeuge s o f o r t , ohne dafs es eines Antrags bedarf, in die durch das Ausbleiben verursachten Kosten, sowie zu einer Geldstrafe bis zu 30U Mark und für den Fall von deren Uneintreibbarkeit zu sechswöchiger Haftstrafe zu verurteilen (§ 380, 1). Im Fall wiederholten Ausbleibens mufs die Strafe noch einmal erkannt, auch kann die zwangsweise Vorführung des Zeugen angeordnet werden (§ 380, 2 neue Fass.). Die Beschlüsse sind durch Beschwerde anfechtbar (§ 380, 3). I V . Form der Zeugenvernehmung. Hängt die Verwertbarkeit des Zeugnisses einerseits von dem Recht des Gerichts ab, 1 I m F a l l des Nichterscheinens w i r d nicht der Verzicht der Partei a u f den Zeugen angenommen. G a u p p - S t e i n § 387 I I . * G a u p p - S t e i n § 387 I I I . S t r u c k m a n n - K o c h n. 2. Dagegen wollen S e u f f e r t n. 3, P e t e r s e n - A n g e r Nr. 4 die gesamte Weiterführung des Verfahrens dem gerichtl. Offizialbetrieb überlassen.

508

IV. Rechtsstreit.

§ 8.

en.

eine Person zum Zeugnis heranzuziehen (II. III), so kann auch der fähige und aussagepflichtige Zeuge nur dann verwertet werden, wenn er i n g e s e t z l i c h e r F o r m v e r n o m m e n worden ist. Die Z.P.O. bindet dieselbe an gewisse Erfordernisse, die die Garantie für die unparteiische, gründliche unci gewissenhafte Auslassung des Zeugen bieten sollen. Das Gesetz fordert: a) i s o l i e r t e V e r n e h m u n g . „Jeder Zeuge ist einzeln und in Abwesenheit der später abzuhörenden Zeugen zu vernehmen" (§ 394, Ι ) * . b) g e o r d n e t e V e r n e h m u n g . Eine solche mufs sich zunächst auf die P e r s o n a l i e n (Vornamen, Zunamen, Alter, Religionsbekenntnis, Stand, Gewerbe, Wohnort), erst in zweiter Linie auf den G e g e n s t a n d seiner Vernehmung erstrecken (§ 395). Ob ihm aufserdem noch die sog. Generalfragen, „Fragen über solche Umstände, welche seine Glaubwürdigkeit in der vorliegenden Sache betreffen, insbesondere über seine Beziehungen zu den Parteien," vorgelegt werden sollen, steht im Ermessen des Gerichts (§ 395, Satz 2). Ebenso entscheidet über die Ausdehnung der Sachvernehmung das erst nach dem Gang der Beweisaufnahme bestimmbare richterliche Ermessen, das auch gegenüber Fragen der Parteien die Entscheidung besitzt (§ 396—98). Jedenfalls ist dem Zeugen zu Anfang der Vernehmung Gelegenheit zu geben, sich über den Gegenstand des Beweises „ i m Z u s a m m e n h a n g " zu äufsern (§ 396, 1); eine fragweise inquirierende Abhörung über einzelne Punkte, ein Artikelverhör (S. 76), gefährdet die Unbefangenheit des Zeugen. Sie führt zu leicht zu dem Ergebnis, dafs der vernehmende Richter eine von ihm suggerierte und deshalb künstlich konstruierte Aussage aus dem Zeugen herausholt. § 396, 1 ist deshalb eine sehr wichtige Vorschrift. Wird dagegen verstofsen, so ist die Beweisaufnahme anfechtbar 2. Erst in zweiter Linie, nachdem sich der Zeuge in freiem Vortrag ausgesprochen, dürfen ergänzende Fragen („zur Aufklärung und zur Vervollständigung der Aussage, sowie zur Erforschung des Grundes, auf welchem die "Wissenschaft des Zeugen beruht" § 396, 2) vorgelegt werden. Dieselben stellt zunächst der Vorsitzende. Dieser hat jedoch weiterhin auch jedem Mitgliede des Gerichts auf Verlangen zu gestatten, Fragen zu stellen (§ 396, 3). Die Parteien müssen ihn veranlassen, Fragen „zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen" vorzulegen. Nur ausnahmsweise k a n n er ihnen selbst gestatten, unmittelbar an den Zeugen Fragen zu richten. Den Anwälten m u f s er dies auf Verlangen gestatten (§ 397, 2). Beanstandet der Vorsitzende 1 Dem Bestreben des Gesetzes, in den s p ä t e r zu vernehmenden Zeugen die U n befangenheit nicht durch das Anhören der Aussage der früher vernommenen zu beeinträchtigen, läuft es nicht z u w i d e r , dafs die Parteien und die s c h o n v e r n o m m e n e n Zeugen der Vernehmung anwohnen dürfen. Ebensowenig ist es eine Durchbrechung desselben, dafs zwei schon vernommene Zeugen nachträglich einander gegenübergestellt ( k o n f r o n t i e r t ) werden können, wenn sich ihre Aussagen widersprechen (§ 394, 2). 2 H i e r m i t hängt die Regelung der L a d u n g s f o r m zusammen. Sie gefährdete früher die Unbefangenheit des Zeugen dadurch, dafs i n der L a d u n g dem Zeugen die zu beauskunftenden Tatsachen nach Mafsgabe des Beweisbeschlusses sehr detailliert voreführt w u r d e n , und es soll deshalb künftig in die Ladung nur ganz a l l g e m e i n d e r - e g e n s t a n d d e r V e r n e h m u n g aufgenommen werden (S 342 Nr. 3 neue Fassung, Z . P 0 . I I . § 377).

§

Isolierung.

Auslassung im Zusammenhang.

Beeidigung des Zeugen. 509

die Zulässigkeit einer Frage, so entscheidet das Gericht (§ 397, 3). Beanstandet sie ein beauftragter oder ersuchter Richter, so entscheidet das Prozefsgericht, um darauf weiterhin die Stellung der Frage — sei es durch das Prozefsgericht selbst, sei es wieder durch den beauftragten Richter — anzuordnen (§ 398, 3). Von dieser n a c h t r ä g l i c h e n Vernehmung ist die w i e d e r h o l t e Vernehmung zu unterscheiden, die das Prozefsgericht ebenfalls nach Ermessen (z. B. wenn die erste an einem Formfehler litt) anordnen kann (§ 398, 3). (Uber die Ablehnung des Kreuzverhörs oben S 427.)

c) B e e i d i g t e V e r n e h m u n g des Zeugen wird vom Gesetz wenigstens für den regelmäfsigen Fall vorgeschrieben. „Jeder Zeuge ist einzeln und vor seiner Vernehmung zu beeidigen" (§ 391, 1). Die Zeugenaussage ist also nur in Verbindung mit der Glaubwürdigkeitsgarantie der eidlichen Versicherung ihrer Wahrheit benutzbar und d a r f insbesondere n i c h t m i t Ber u f u n g a u f das P r i n z i p der f r e i e n Be weis Würdigung ohne Hinzutritt des Eides verwertet werden (o. S. 471). D i e Parteien k ö n n e n auf die B e e i d i g u n g verzichten (§ 391, 2). Dies ist jedoch keine Durchbrechung des Prinzips. Vielmehr ist der Verzicht der Interessenten nur eine Surrogat-Garantie an Stelle des Eides 1 2 . Jedenfalls kann das G e r i c h t nach s e i n e m E r messen nicht vom Eid absehen. Die Beeidigung ist also zwingenden Rechts. Hiermit hängt eng zusammen das Prinzip der V orbe e ici i gun g. Nur „aus besonderen Gründen" darf Nachbeeidigung eintreten. I)afs das Eideserfordernis für den Zeugen a b s o l u t vom Gesetz aufgestellt, n i c h t i n s E r m e s s e n des G e r i c h t s gelegt ist, sagt schon die imperative Fassung des § 391, 1, und wird noch zweifelloser argo. e. contr. der Ausnahmebestimmungen § 391, 3. 393 (s. unten. Gegenüber untergerichtlichen Abweichungsversuchen vom R.G. durchgeführt: 8, 407. 10, 415. 13, 416, weiteres G a u p p - S t e i n 391 III). Die Frage nach den Vorzügen des V o r e i d s oder des N a c h e i d s steht damit in engem Zusammenhang. Die N a c h b e e i d i g u n g (assertorische Beeidigung) ermöglicht in zwangloser Weise die Abstandnahme von der Beeidigung nach richterlichem Ermessen in Fällen, in denen der Zeuge offensichtlich nichts erhebliches bekunden konnte usw. und damit eine Einschränkung der Eide (so der Standpunkt cler Preufs. A.G.O. I, 10. § 202. V. v. 1844. 1849. 1867. Sächs. Ges. v. 30. Dez. 61. § 18, — auch jetzt im Gegensatz zu Z.P.O. noch vielfach gefordert. Gleichwohl ist im Anschlufs an gemeines Recht, KammerG.O. 1577 tit. 77., cod. de proc. 262 die V o r b e e i d i g u n g (promissorische Beeidigung) beibehalten worden — mit Recht, denn der Gewissenszwang auf den Zeugen wirkt durch sie intensiver, als wenn dieser, unbeeidigt und in der Hoffnung, den Eid zu vermeiden, aussagt und erst nachträglich vor die Wahl, seine Aussage zu widerrufen oder den Meineid zu leisten, gestellt wird; vor allem wird dem Zeugen die Pflicht, n i c h t s z u v e r s c h w e i g e n , durch Voreid kräftiger eingeschärft; aufserdem kann 1 Denn der Verzicht der Parteien auf die Beeidigung ist die übereinstimmende Erklärung beider Parteien, dafs sie dem Zeugen Z u t r a u e n schenken, enthält also i n sich eine positive Garantie für dessen Glaubwürdigkeit wie der E i d selbst. Diese Auffassung ist wichtig. Aus ihr folgt, dafs bei e i g e n m ä c h t i g e r Abstandnahme des Gerichts von der Beeidigung der fehlende Verzicht nicht etwa nachträglich durch das Unterbleiben der Rüge aes Prozefsfehlers (§ 295) ersetzt wird. Letztere Meinung ist die herrschende : So G a u p p - S t e i n § 391, I I I . R.G. 17, 3S0. 9, 378. 1. M a i 86. G r u c h . 30, 1134. 27. Nov. 86. S e u f f . A. 42, 249. W i e hier F i t t i n g , Ζ. 11, 7 η. 5. V g l . N e u b a u e r a. a. Ο. 158. 2 K e i n Parteiverzicht auf den E i d in Ansehung der Tatsachen, die Scheidung, Eheanfechtung, Eheherstellung, Nichtigkeit und Gültigkeit, Bestehen oder Nichtbestehen der Ehe begründen sollen (§ 617, 2. 3).

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IV. Rechtsstreit. § 8 .

en.

auch in diesen Fällen die richterliche Freiheit nicht heilsam wirken (oben S. 4. 31. 127). Eine Vermittlung ist durch § 391, 1 ermöglicht, wonach „aus besonderen Gründen, namentlich wenn Bedenken gegen ihre Zulässigkeit obwalten", die Beeidigung bis nach Abschlufs der Vernehmung ausgesetzt werden kann. Einen solchen Grund findet die Praxis auch darin, dafs der Zeuge von vornherein erklärt, nichts zu wissen; insofern erwartet werden kann, dafs die Parteien gegenüber einem solchen Zeugen, wenn er einen zuverlässigen Eindruck macht, auf den Eid verzichten werden, kann hier indirekt der segensreiche Erfolg der Eidesersparnis erreicht werden, ohne doch das gefährliche richterliche Ermessen zu entfesseln — Die N o r m des Eides ist für den Voreid: „dafs Zeuge nach bestem Wissen die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde", — für den Nacheid: „dafs Zeuge nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt, nichts verschwiegen und nichts hinzugesetzt habe" (§ 392). — Die E i d e s f o r m e l (Bestärkungformel) ist dieselbe wie beim Parteieid (Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, — so wahr mir Gott helfe! § 481). Im übr. vgl. u. S. 542: Hinweis auf die Bedeutung des Eides (§ 480), Leistung durch Nachsprechen oder Ablesen der die Eidesnorm enthaltenden Eidesformel unter Erhebung der rechten Hand (§ 482), — bei Landesherren usw. und Stummen durch Abschreiben und Unterschreiben der Formel oder durch Zeichen (§ 483), — bei Mitgliedern privilegierter Religionsgesellschaften durch Gebrauch der gesetzlich zugelassenen Beteuerungsformel (§ 484). § 482, 2 ist hier unanwendbar, § 478 selbstverständlich, § 479 folgt bereits aus § 375 oben S. 462. 505. Die von mancher Seite befürwortete A b s c h a f f u n g des Zeugeneids, sein Ersatz durch ein blofses öffentlichrechtlich bindendes W a h r h e i t s gelöbnis wäre eine bedauerliche Durchbrechung jahrtausendealter Tradition (S. 38). Der Gesetzgeber mufs im Gegenteil die pädagogische Unterstützung, die dies religiöse Bewufstsein gewährt, mit Freuden begrüfsen, wenn er auch nur bei einem Teil der Bevölkerung mit ihm rechnen kann 2 .

F ü r g e w i s s e F ä l l e zieht das Gesetz den Grundsatz der Beeidigung ausdrücklich als ungeeignet zurück. Die Fälle sind im allgemeinen diejenigen, in denen das gemeine Recht den Zeugen für unfähig oder für befangen erklärte; auch erklärt sich aus dieser Rückerinnerung, dafs die unbeeidigt vernehmungsfähigen Personen untereinander wiederum in zweierlei verschiedener Weise behandelt werden. 1. G r u n d s ä t z l i c h unbeeidigt zu vernehmen sind die Eidesunmündigen und die Eidesunfähigen (§ 393 Nr. 1. 2). Eidesunmündig sind die Personen, welche „zur Zeit der Vernehmung das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet oder wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen Verstandesschwäche von dem Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung haben". Eidesunfähig sind die Personen, die wegen Verurteilung wegen Meineids (St.G.B. § 161 in Verb. m. § 154. 155) dauernd für unfähig erklärt sind, als Zeugen eidlich vernommen zu werden. 1 Die i m Jahre 1904 über die Revision der S t r a f p r o z e i ' s o r d n u n g beratende Kommission des Bundesrats hat sich m i t sehr geringer Majorität (11 gegen 9) für Ersatz des Voreids durch den Nacheid ausgesprochen; allerdings wurde betont, dal's i m Grunde weder der Voreid noch der Nacheid durchgreifende Vorzüge vor dem andern habe (Protokolle der Kommission 1905, I , S. 58: hierfür auch Colomb a. a. Ο. — vergl. ο.). Sollte dies i m St.P. durchgeführt w e r d e n , so würde es mutmafslich auch auf den Z.P. wirken. N u r ist zu bedenken, dafs die Lage nicht gleich ist. Da i m Strafprozefs der Zeuge regelmäfsig schon i m V o r v e r f a h r e n vernommen, aber erst in der H a u p t v e r h a n d l u n g beeidigt w i r d , ist schon jetzt der Eid kein reiner Voreid. 2 Sehr schwer durchführbar wäre der Vorschlag, bei religiösen Personen den Eid, bei ungläubigen die Wahrheitsversicherung nach Ermessen aufzuerlegen. (So K a h l , Jur. Z. 1903. 338.) Allerdings liegt im Eideszwang gegen Ungläubige ein gewisser Verstofs gegen die Gewissensfreiheit.

Zeugeneid. Voreid oder Nacheid? Unbeeidigte Zeugen.

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2. B i s auf w e i t e r e s unbeeidigt zu vernehmen sind: a) die Personen, die wegen naher Angehörigkeit oder im Interesse ihres Vermögens, ihrer Ehre, ihrer Sicherung vor den Strafgerichten zeugnisverweigerungsberechtigt sind (§ 395 Nr. 3 verb. m. § 383, 1—3 und 384, 1. 2) 1 . b) die Personen, die „bei dem Ausgange des Rechtsstreits unmittelbar beteiligt sind" (§ 393 Nr. 4) 2 . Diese beiden Gruppen können jedoch n a c h t r ä g l i c h n a c h Ermessen des P r o z e f s g e r i c h t s beeidigt werden (§ 393, 2), so dafs dasselbe im Gegensatz zu der Notwendigkeit der Beeidigung im Normalfall und im Gegensatz zu der Notwendigkeit der Vermeidung des Eicles unter der ^Voraussetzung Nr. 1 hier in jedem Fall eine Entschliefsung fassen mufs, ob es beeidigen wolle oder von der Beeidigung absehe3. Die Annahme, dafs zur G l a u b h a f t m a c h u n g beliebig auch u n b e e i d i g t e Zeugen benutzt werden könnten (R.G. 30, 376) wird durch das Gesetz nicht unterstützt.

§ 82. Die Urkunden. Über das Wesen der U r k u n d e ist nicht nur die prozessuale, sondern auch die k r i m i n a listische Literatur zu beachten (Kommentare zu St.G.B. § 267 und bes. W e i s m a n n , Der Thatbest. d. Urk.Fälsch., Z. f. d. ges. Strafrechtswiss. 11, I f f . ) . I m übrigen Planck I I , § 113 ff. Weismann, Lb. § 44 a, I V , Kil. v. Kries, Das Unmittelbarkeitsprinzip, Z. f. Strafrechtswiss. ü, 88. Stein, Der U r k u n d e n - und Wechselprozefs (1887), 114. A . Sig. Schultze. Grünhuts Zeitschr. 12, 70 (1894) u. Beweisbedeut. der P r i v a t u r k . , Z. 22 (18y6), 106. Z u I I I (Ed. PH.): Goldschmidt, Über Editionspflicht, Z. f. d. ges. Handelsrecht, 29, 341. A p t , Die Pflicht zur Urkundenedition in dogmengesch. E n t w . , 1892. Kohler, Z u r Editionslehre, civ. A . 79, 1 (1892). Siegel, Vorlegung von U r k u n d e n i m Prozefs, 1904.

I . Bedeutung der Urkunde. Für das Anwendungsgebiet des durch § 415 ff. Z.P.O. geregelten Urkundenbereiches ist wie für 1 Hierüber macht § 393 N r . 3 die Einschränkung, wonach die blofs p a r t i e l l z e u g n i s b e f r e i t e n Personen nur dann, wenn sie l e d i g l i c h über die zur Verweigerung der Aussage berechtigenden Tatsachen vorgeschlagen sind, auch vom E i d befreit sein sollen. Es ergibt sien also, dafs sich Zeugnisverweigerungsrecht und unbeeidigte Aussageerstattung ihrem Umfang nach decken sollen. Folglich müssen auch die Angehörigen, wo sie aussagepflichtig sind (nämlich in den Fällen § 385) den E i d leisten. So auch K.G. 1897, 40, 318, aie Kommentare. 2 „Unmittelbar beteiligt" sind jedenfalls nicht schon die w i r t s c h a f t l i c h , sondern nur die mit ihren R e c h t e n am Prozefsausgang ( U r t e i l und Vollstreckung) beteiligten. Aber es ist zweifelhaft, ob der Kreis dieser Personen enger oder weiter abzugrenzen ist. I m engern Sinn würde er nur die Personen ergreifen, für und gegen die die Kechtskratt des Urteils oder die Vollstreckbarkeit direkt wirksam sein würde (z.B. das K i n d i m Eheprozesse der E l t e r n , § 629; so G a u p p - S t e i n zu § 393 I I n. 4. S e u f f e r t , Ebenda Nr. 5. H a u g e n , Fälle der notw. Streitgenoss, sowie Fälle der unmittelbaren Beteil., 1895). Die Praxis bezieht S 393 η. 4 aber auf alle, deren „Rechts- und Pflichtenkreis m i t dem streitigen Rechtsverhältnis in Zusammenhang steht" (R.G. 40, 376). Unbeeidigt zu vernehmen ist also der Zeuge dann, wenn das U r t e i l auch nur eine Bedingung (ein Tatbestandsmerkmal) für Existenz oder Nichtexistenz seines Anspruchs oder eines Anspruchs gegen i h n schaffen würde, so der Gerichtsvollzieher, der über die Frage der gültigen Zustellung vernommen wird, wo die Gültigkeit der Berufung davon abhängt (R.G. 17, 405), der Zedent, dem aus dem Streit des Zessionars m i t dem "Schuldner ev. die H a f t u n g wegen Richtigkeit und Sicherheit der Forderung erwächst (R.G. 40, 376), speziell dann, wenn die Eintreibung der Forderung für Rechnung des Zedenten erfolgt (R G. 44, 375), — fraglich, ob auch der Agent, der über ein Geschäft aussagt, von dem er Provision zu beanspruchen h a t , R.G. 8, 411, wendet auch hier § 393 a n , obwohl es sich hier nur u m w i r t s c h a f t l i c h e Einw i r k u n g i m Prozesse handelt. — Ungefähr deckt sich dann der Kreis der „ b e t e i l i g t e n " Z e u g e n m i t d e m d e r z u r N e b e n i n t e r v e n t i o n b e r e c h t i g t e n Personen (u. § 135). 3 Regelmäfsig so, dafs das Gericht die Beeidigung beschliefst , falls es dem Zeugen Glauben schenkt, — von der Beeidigung absieht, w e n n die Aussage unglaubwürdig erscheint. Aber die Prüfung der Aussagen unbeeidigter Zeugen untersteht dem richterlichen Ermessen (R.G. 1883. 10, 416). Sie ist nicht prinzipiell o h n e Beweiskraft. Das Gericht k a n n sie also ζ. B. auch m i t Ergänzung durch richterlichen E i d der Partei benützen (vgl. S e u f f e r t § 393 η. 1).

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IV. Rechtsstreit. § 8 .

rune.

das des Zeugenbereiches in erster Linie der Sprachgebrauch mafsgebend. Er versteht unter Urkunde alle Sachen, welche eine in verständlichen S c h r i f t z e i c h e n ausgedrückte E r k l ä r u n g verkörpern, die ihrerseits einen aus sich selbst verständlichen Ged a n k e n enthält, — gleichviel im übrigen, aus welchem Material die Sache besteht (Papier, Stein, Holztafel) und in welcher Form die Schriftzeichen auftreten (deutsche oder ausländische, Kurrent-, Chiffreschrift, Stenographie, telegraphische Zeichen usw.)1. Aber ebenso wie aus dem Kreise der Zeugen aus prozessualen Rücksichten die Personen ausscheiden, die vermöge ihrer Parteitätigkeit im Prozesse eine besondere Rolle spielen (S. 499), so wird auch der Kreis der Urkunden im Sinne des Prozefsrechts ein engerer, als er im natürlichen Sinne ist. Wenn nämlich eine schriftliche Erklärung zum Beweise herangezogen wird nicht wegen ihres Inhalts, sondern wegen ihres Daseins oder wegen bestimmter äufserer Eigenschaften, z. B. ein Autogramm Bismarcks als Kaufsobjekt eines Sammlers, ein noch nicht ediertes Manuskript, ein Brief als Objekt einer Diebstahlsklage, ein Buch als angebliches Plagiat eines andern, so ist die Urkunde im Sinne des Zivilprozesses Augenscheinsobjekt; dann finden § 371 ff. auf sie Anwendung. Urkunden sind nur dann Urkunden im Sinne der Z.P.O., wenn sie zum Zwecke des „Urkundenbeweises", d. h. um des I n h a l t s der E r k l ä r u n g w i l l e n von Bedeutung sind 2 . Nun können aber auch die eigentlichen Urkunden im prozessualen Sinne vermöge ihrer Beziehung zum Gegenstand der Entscheidung wieder verschiedene Bedeutung erlangen. Sie können, wie'früher gezeigt (S. 338. 339), erheblich werden: a) zum Beweis der E r k l ä r u n g s e l b s t , die als rechtserheblicher Tatbestand oder als Indiz eines solchen in Betracht kommt, D i s p o s i t i v u r k u n d e , wie die Vertragskorrespondenz, die briefliche Aufkündigung der Miete, die Quittung (im übr. S.338). b) zum Beweis des E r k l ä r t e n , mit andern Worten der tatsächlichen Vorgänge, über welche die urkundliche Erklärung berichtet und die ihrerseits als Tatbestandsmerkmale oder Indizien von Interesse werden, Z e u g n i s u r k u n d e , wie der Handelsbucheintrag, der briefliche Bericht über Mifshandlungen cler Ehefrau durch ihren Mann im Scheidungsprozefs (im übr. S. 339). Diese Unterscheidung (lit. a und b) wird auf die prozefsrechtliche Behandlung des Urkundenbeweises von entscheidendem Einflufs. 1 Von vornherein n i c h t zu den U r k u n d e n gehören also nur die Sachen, welche zwar derartige Schriftzeichen tragen, aber nicht solche, welche eine aus sich verständliche E r k l ä r u n g verkörpern, — die Kerbhölzer, Kontremarken aller A r t usw., die nur in Verbindung m i t andern (mündlichen) Erklärungen oder konkludenten H a n d l u n g e n eine E r k l ä r u n g darstellen. Nicht U r k u n d e ist aber i m Zweifel auch die auf ein leeres Blatt gesetzte Namensschrift, das B l a n k e t t , das erst durch Ausfüllung einen „urkundlichen I n h a l t " (St.G.B. § 269) empfangen kann. ( W i c h t i g wegen unten S. 517 A . 1). 2 Die Beweisbedeutung der U r k u n d e für die in inr verkörperte E r k l ä r u n g nennt man herkömmlich die „ f o r m e l l e B e w e i s k r a f t " der U r k u n d e .

Gesetzgeberisches Problem des Urkundenbeweises.

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Diese Verschiedenheit des Beweiszwecks wird auf die prozefsgesetzliche Behandlung des Urkundenbeweises von entscheidendem Einflufs. Sie bringt es mit sich, dafs die W i r k u n g des Urkundenbeweises im einzelnen Falle von wesentlich verwickeiteren Umständen abhängt, als die der Zeugenaussagen. 1. Wird die Urkunde als D i s p o s i t i v u r k u n d e zum Beweis der in ihr verkörperten Erklärung selbst verwertet (als Beweis einer testamentarischen Willenserklärung, einer Warenbestellung, einer behördlichen Anordnung usw.), so ist die Prüfung verhältnismäfsig einfach. Hier ist lediglich zu prüfen, ob die urkundliche Erklärung, vorausgesetzt, dafs sie echt ist, von ihrem Aussteller herrührt, ob sie auch wirklich Ausflufs von dessen Willen war, ob sie von ihm nicht nur zum Scherz, in Geistestrübung, durch Schreibversehen geschrieben und besonders, ob sie von ihm bewufst dem V e r k e h r ü b e r g e b e n worden. 2. Wird dagegen die Urkunde als Z e u g n i s u r k u n d e zum Beweis der in ihr mitgeteilten Tatsachen beigebracht (als briefliche Mitteilung, als Protokoll, Registereintrag eines Beamten über Kaufserklärungen, Zeugenaussagen usw.), so hat sich die Prüfung zur Beweisverwertung nicht nur auf jene Fragen der ernstlichen, zweckbewufsten usw. Abgabe des Berichts (Nr. 1) zu erstrecken. Sie mufs darüber hinaus auch darauf gehen, ob der Bericht w a h r ist, ob also der Urkundenaussteller (Briefschreiber, Beamte) recht gesehen, richtig geschildert hat und ob er die hierzu erforderlichen Eigenschaften (Wahrnehmungsfähigkeit, Bildung, Gedächtnis, Redlichkeit, Gewissenhaftigkeit usw.) besessen hat, kurzum auf alles das, was auch gegenüber einer Zeugenaussage zu prüfen wäre, nur dafs es hier nicht gegenüber der lebendigen Person, sondern nur gegenüber der toten Sache geschehen kann. Ja, für den Fall, dafs die Urkunde den Bericht des Ausstellers (z. B. des Beamten) über Angaben eines Dritten enthält, kommt es auch auf die Glaubwürdigkeit dieses Dritten an. Für die Beantwortung dieser Fragen kann Z.P.O. (§ 286) nicht kurzerhand die freie Beweiswürdigung des Gerichts verantwortlich machen, wie dies für den Zeugenbeweis geschieht. Einerseits sind Erscheinungsform und Inhalt der Urkunden nach dem oben Gesagten viel mannigfaltiger und die Kennzeichen ihres Wertes viel weniger greifbar als bei der Beurteilung einer Auskunftsperson. Anderseits hat der Inhaber einer Urkunde ein besonders dringendes Bedürfnis an geregelter und leicht berechenbarer Beurteilung derselben. Die Menschen sind ja darauf angewiesen, sich Urkunden, sowohl dispositive wie berichtende, zu dem Zweck zu schaffen, damit sie künftig in der Lage seien, ihre Rechtsverhältnisse leicht und sicher zu beweisen. Gerade des Hauptvorteils aber würden sie verlustig gehen, hinge in jedem einzelnen Falle die Beweiskraft von dem Ausfall der subjektiven Erwägung des Gerichts ab: die Sicherheit des Rechtsverkehrs würde hierunter empfindlich leiden. Demgemäfs trägt Z.P.O. Sorge, R i c h a r d S c h m i d t , Lehrbuch des Zivilprozefsrechts.

2. Aufl.

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IV. Rechtsstreit. § 8 .

e.

dafs wenigstens bei gewissen immer wiederkehrenden Erscheinungen das Prozefsgericht in der Würdigung der Urkunden durch g e s e t z l i c h e B e w e i s r e g e l (gegen § 28(3) gebunden werde. Die gesetzliche Behandlung des Urkundenbeweises erstreckt sich deshalb nicht nur auf die Frage, wann und wie der Beweisführer sich der Mitwirkung anderer Personen zur Benutzung der Urkunde bedienen kann 1 (III) und von welchen formellen Garantien die Verwertung abhängt2 (IV). Vielmehr wird ungleich dem Zeugenbeweis auch die B e w e i s k r a f t cler Urkunde Gegenstand der Gesetzesvorschrift (II). Umgekehrt hängt die Tauglichkeit einer Urkunde zum Beweis gar nicht von gesetzlichen Bedingungen ab. Ebensowenig wie es s c h l e c h t h i n zeugnisunfähige Personen gibt, ebensowenig gibt es an sich beweisuntaugliche Schriftstücke. Insbesondere sind auch hier die gemeinrechtlichen Vorschriften, wonach äufsere Mängel die Urkunde von der Verwertung als Beweismittelausschliefsen,beseitigt: „InwiefernDurchstreichungen, Radierungen, Einschaltungen oder sonstige äufsere Mängel die Beweiskraft einer Urkunde ganz oder teilweise aufheben oder mindern, entscheidet das Gericht nach freier Überzeugung" (§ 419). Aber auch das Prinzip, wonach einzelne Personen wegen ihrer Beziehung zum schwebenden Prozefs, nämlich mit Rücksicht auf ihre Parteitätigkeit, vom Zeugnis ausgeschlossen sind, findet für die Urkunde keine Analogie. Schriftliche Erklärungen können für den Prozefs verwertbar sein, gleichviel ob sie von Dritten, Unbeteiligten herrühren oder ob sie von einer der Parteien selbst kommen (als Schuldschein, als aufsergerichtliches Geständnis, o. S. 492); ja, es sind sogar die Urkunden der Parteien von überwiegender Bedeutung 3 . I I . Beweiswirkung der Urkunde: öffentliche und private Urkunden. Die verschiedene Würdigung des Urkundenbeweises gegenüber Dispositiv- und gegenüber Zeugnisurkunden (I) vereinfacht das Gesetz dadurch, dafs es der Urkunde einen grundsätzlich verschiedenen Wert je nach ihrem Aussteller zuerkennt. Sie begründet m. a. W. eine bevorzugte, besonders gesicherte Beweiswirkung für die ö f f e n t l i c h e n Urkunden. a) Unter ö f f e n t l i c h e n U r k u n d e n versteht Z.P.O. Urkunden, „welche von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind" 1 Diese Frage konzentriert sich auf die Bedingungen der E d i t i o n s p f l i c h t andrer Personen (der Gegenpartei oder Dritter). 8 Diese Frage spitzt sich auf die F ü h r u n g des E c h t h e i t s b e w e i s e s zu. 3 Aus dem Text ergibt sich also, dafs die Aufgabe der Prozefsgesetzgebung für die entschiedenen Beweismittel, sogar für die relativ nächstverwandten, wie Zeugen und Urk u n d e n , aufserordentlich verschiedene sind. Es empfiehlt sich daher n i c h t , die zu Anfang hervorgehobenen Fragen des Beweisrechts (Beschaffung des Beweises, Beweisaufnahme, Beweiswürdigung) für a l l e Beweismittel g e m e i n s a m zu behandeln, wie dies W e i s m a η η § 42 ff. t u t .

Bevorzugte Beweiskraft öffentlicher Urkunden.

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(§ 415) also alle solchen Urkunden, welche von Ausstellern herrühren, die kraft einer amtlichen oder ständigen Berufsstellung eine Bürgschaft für die Genauigkeit der Wahrnehmung und die Gewissenhaftigkeit der Mitteilung bieten 1 . 1. Werden solche Urkunden als Z e u g n i s u r k u n d e n , als Berichte über Tatsachen, für den Prozefs von Bedeutung, so beweisen sie kraft Gesetzes bis auf weiteres nicht nur die Abgabe der urkundlichen Erklärung, d. h. des amtlichen Berichtes der Urkundsperson selbst, sondern sogar die berichteten Tatsachen. Dieses Prinzip wird zunächst von § 415 für den wichtigsten Spezialfall ausgesprochen, dafs der berichtete und durch die urkundliche Erklärung der Behörde oder Urkundsperson bescheinigte Vorgang seinerseits wieder eine E r k l ä r u n g , nämlich die Abgabe einer solchen vor der Urkundsperson ist, z. B. die Abgabe des Ehekonsenses vor dem Standesbeamten, der Testamentsverfügung vor dem Verlassenschaftsgericht, der Hypothekenbestellung, Löschungs-, Auflassungserklärung vor dem Grundbuchamt, der Zeugenaussage vor Gericht, des gerichtlichen Parteivorbringens, das im Tatbestand des Urteils beurkundet ist (§ 314, vgl. oben S. 448) 2 . Aufserdem aber wird das gleiche Prinzip nochmals allgemein für alle weiteren Fälle durch § 418 wiederholt, also für Fälle, wo die Urkunde einen „anderen Inhalt" hat, nicht über eine E r k l ä r u n g , sondern über einen andern Vorgang offiziell berichtet, wie z. B. der Wechselprotest des Notars über die nicht erfolgte Zahlung, ein notarielles Protokoll über die inventarmäfsige Aushändigung eines Nachlasses, eines Gutsinventars, eines Fabrikbestands, das Protokoll des Gerichtsvollziehers über die Vorgänge bei der Pfändung (Z.P.O. § 762), die Zustellungsurkunde des Gerichtsvollziehers oder Postboten über die Zustellung eines Schriftstücks (u. § 97). Die getrennte Aufstellung des Prinzips rechtfertigt sich daraus, dafs die Z.P.O. die bevorzugte Beweiskraft der öffentlichen Urkunde in beiden Fällen verschieden begrenzt. Die offizielle Bescheinigung einer E r k l ä r u n g wird allgemein dem G e g e n b e w e i s seitens des Gegners der beweisführenden 1 Welche Urkunden als öffentliche U r k u n d e n i m Sinn der §§ 415, 417, 418 anzusehen sind, richtet sich nach Spezialvorschriften des Reichs- oder Landesrechts, neuerdings vor allem nach R.Ges. über freiwill. Gbk. § 167 ff. Sie bestimmen die drei F a k t o r e n , von welchen die .öffentliche" Eigenschaft der Urkunde (gemäfs § 415) abhängt : a) die Urkundsorgane, seien sie „ B e h ö r d e " oder „ U r k u n d s p e r s o n " (mit öffentlichem Glauben versehene Person, welche nicht Behörde ist). Z u den letzteren gehören vor allem die N o t a r e (o. S. 166); b) die „ A m t s b e f u g n i s s e " der Behörde und den „ G e s c h ä f t s k r e i s " der U r kundsperson; c) die F o r m der Beurkundung. 2 U m den I n h a l t des § 415 zu beurteilen, gilt es zu erkennen, dafs er von U r k u n d e n spricht, die für zweierlei verschiedene „Erklärungen" Bedeutung haben, — für die E r klärung der Urkundsperson (die urkundliche E r k l ä r u n g selbst) und für die E r k l ä r u n g des Privaten, die v o r der Urkundsperson abgegeben worden ist und über die die Urkunde berichtet. Das Wesentliche und Ungewöhnliche in § 415 ist n i c h t , was er über die Beweiskraft der Urkunde für die erste, sondern für die z w e i t e E r k l ä r u n g sagt. N u r hierauf bezieht sich auch der G e g e n b e w e i s , Abs. 2. Dies verkennt z. B. jetzt wieder W e i s m a n n S. 163.

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IV. Rechtsstreit. § 82. Urkunden.

Partei ausgesetzt, d. h. dem Beweis, dafs der Vorgang unrichtig beurkundet sei (§ 415, 2). Die offizielle Bescheinigung a n d e r e r V o r g ä n g e dagegen unterliegt dem Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen nur dann, wenn nicht „Landesgesetze", d. h. richtiger reichs- oder partikularrechtliche Sondervorschriften den Beweis „ausschliefsen oder beschränken". Sind also z. B. Einträge im Grund- und Hypothekenbuch (über Kauf und Erwerb, Vererbung eines Grundstückes usw.) nach Landesrecht unanfechtbar oder nur durch den Beweis der Fälschung usw. zu entkräften, so wirkt dies auch für den Prozefs 1 . Die Z.P.O. knüpft selbst eine solche durch Beschränkung des Gegenbeweises verstärkte Beweiskraft an das S i t z u n g s p r o t o k o l l ; soweit dasselbe sich über die F ö r m l i c h k e i t e n ausspricht, deren Beobachtung für die mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig (§ 164, Satz 2). Der „Tatbestand" des Urteils (oben S. 448) hat eine solche verstärkte Beweiskraft sogar wegen gewisser dort bezeugter Erklärungen, nämlich des „Parteivorbringens"; der Beweis desselben kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden (§ 314)2. Umgekehrt macht in vereinzelten Fällen die Z.P.O. die bevorzugte Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde von einer sondergesetzlichen Vorschrift abhängig, — dies dann, wenn „das Zeugnis nicht auf eigner Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson" beruht. Hier gilt § 418, 1 nur, wenn nach Spezialvorschriften die Beweiskraft „von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist" (§ 418, 3) 3 .

2. Aus der Beweisregel der §§ 415. 418, folgt schon von selbst, dafs solche öffentlichen Urkunden, welche für den Prozefs als D i s p o s i t i v u r k u n d e n , d. h. zum Bericht der behördlichen Erklärung selbst in Betracht kommen, erst recht vollen Beweis der Ernstlichkeit, der bewufsten Abgabe, der korrekten Wiedergabe des Inhalts dieser Erklärung erbringen ; — denn dieser Beweis ist im Verhältnis zu Nr. 1 der weniger weitgehende. Z.P.O. §417 spricht dies jedoch für den Hauptfall aus, — nämlich für Urkunden, die eine „amtliche Anordnung, Verfügung oder Entscheidung" enthalten. Dieselben begründen „vollen Beweis ihres Inhalts" 4 . b) P r i v a t u r k u n d e n , d. h. Urkunden, welche nicht im Sinne des § 415 als öffentliche gelten, erhalten, soweit sie nicht unterschrieben sind, also den Aussteller nicht aus der Erklärung 1 Ev. also bedarf es zur E r m i t t l u n g der Tragweite solcher landesges. Bestimmungen der Prüfung, ob die (im Grund- und Hyçothekenbuch beurkundete) liitsache Erklärung oder anderer Vorgang ist. Für erstere w i r k t die landesrechtl. Vorschr. n i c h t . (Gaupp 2. Auii. zu Z.P.O. I , § 383, I I I . ) 2 M e y e r (Marienwerder), Beweiskraft d. Urteilstatbest., Z. 19, 255 (1894). Die Beweiskraft des Tatbest. gilt nicht für Zeugenaussage, die das Berufungsgericht ausnahmsweise nach § 161 ohne Protokollierung i m Tatbestand festgestellt hat. (Also auch z. B. keine Verwertung solcher Aussagen nach Zurückverweisung eines kassierten Berufungsurteils durch Vortrag des Tatbestands. R.G. 17, 344.) 3 Die Vorschr. bezieht sich nicht nur auf die r e i c h s g e s . Vorschr. dieser A r t , bes. Personenstandsges. 6. Febr. 75 § 15 (die Standesregister beweisen die eingetragenen Tats. bis zum Beweis der Fälschung, der Unrichtigkeit der Eintragung oder der Anzeige, — obwohl die Eintragungen durch den Beamten nur auf die Anzeige des Geburts- oder Sterbefalls seitens eines D r i t t e n erfolgen); denn diese Vorschrift würde bereits durch E.G. Z.P.O. § 13 aufrechterhalten sein. Vielmehr hat sie entsprechende Landesvorschrift i m Auge, die gleiches für die v o r dem R.Ges. vorgenommenen Persononstandsbeurk. der Geistlichen oder Standesbeamten vorschreiben (preufs. Ges. 9. März 74 § 11, bad. Ges. 21. Dez. 61 § 21, 2. 33. 37. 40, 3). 4 A u c h solche U r k u n d e n können zum T e i l Zeugnis-, Berichtsurkunden sein, z. B. hins. der Z e i t , des Orts der Entscheidung, — insbes. die gerichtlichen U r t e i l e (im „Tatbestand") hins. des Parteivorbringens, der Vorgänge des Prozesses. Insoweit kommen §§ 415, 418 auf sie zur Anwendung (s. oben S. 515 no. 1).

Beweiskraft der öffentlichen und der Privaturkunde.

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selbst erkennen lassen, überhaupt keine gesetzliche Beweiskraft beigelegt. Die unterschriebenen begründen kraft Gesetzes „vollen Beweis dafür, dafs die in denselben enthaltenen Erklärungen von den Ausstellern abgegeben sind" (§ 416). Diese Beweiskraft ist jedoch eine sehr beschränkte. Insbesondere erstreckt sie sich: 1. bei Z e u g n i s u r k u n d e n gar nicht auf clie b e r i c h t e t e η T a t s a c h e n . Es unterliegt demgemäfs unbeschränkt freier Beweiswürdigung des Gerichts, inwieweit die Berichte über Tatsachen, die in Briefen, Tagebüchern, Privatnotizen enthalten sind, geglaubt werden sollen. Dies hangt naturgemäfs voij der Vorstellung ab, die das Gericht von der Glaubwürdigkeit des Ausstellers, sei es der Partei, sei es eines Dritten, gewinnt (vgl. o. S. 513). 2. Die Regel des § 416 hat vielmehr fast allein für private D i s p o s i t i v u r k u n d e n , d. h. für Fälle Bedeutung, in denen die Urkunde eine rechtserhebliche Erklärung selbst verkörpert (Vertragsofferte, Kündigung, Empfangsbekenntnis, Mängelanzeige). Hier, wo die urkundliche Erklärung mit der beweisbedürftigen Tatsache zusammenfällt, wird diese durch die Urkunde k r a f t Gesetzes bewiesen, und der Gegner (der Urkundenaussteller, dessen Erbe usw.) trägt die Beweislast dafür, dafs ausnahmsweise die Erklärung unerheblich sei, weil ihr der Wille der Begebung gefehlt habe, ζ. B. weil sich der Aussteller ihres Inhalts nicht bewufst gewesen, weil die Unterschrift erschlichen, die Urkunde ohne seinen Willen dem Verkehr übergeben worden sei. § 416 begründet also gesetzliche Beweiskraft bis auf Gegenbeweis nicht nur dafür, dafs die Urkunde tatsächlich von dem angeblichen Aussteller „ h e r r ü h r t " ; — denn dann wäre § 416 identisch mit § 440; er würde nur die hier gar nicht interessierende Frage der E c h t h e i t berühren (s. unten IV). Vielmehr hat § 416 seine Bedeutung gerade darin, dafs aufserdem auch die Ernstlichkeit der Erklärung, das Verständnis ihres Inhalts, die Vermeidung von Schreibfehlern und vor allem die „Begebung" der Urkunde, d. h. deren bewufste Verwendung zur Abgabe der darin enthaltenen Erklärung, bis auf weiteres anzunehmen ist. Ob dies gesetzgeberisch zu billigen, ist andere Frage. Wer es verneint ( S c h u l t z e , Grünh. Z. 22, 70. Z. f. Z.P. 22, 106, — österr. Z.P.O. § 294) könnte § 415 ganz streichen 1 . Im übrigen, nämlich hinsichtlich ihres I n h a l t s , unterliegt auch die private Dispositivurkunde der freien Beweiswürdigung. Wird ζ. B. gegenüber einem urkundlich fixierten Vertrag eine mündliche Nebenabrede behauptet, so k a n n das Gericht sie aus dem Inhalt der Urkunde für widerlegt erachten, weil es diese für erschöpfend ansieht; und es wird dies im Zweifel immer 1 W e n n also der Beklagte eine Bürgschaftsurkunde unterzeichnet h a t , aber dagegen einwendet, dieselbe sei von i h m unter Benutzung seines schlechten Gesichts erschlichen worden durch das Vorgeben, es sei ein Klagschreiben, welches er unterzeichne, so hat das der B e k l a g t e zu beweisen. Α . M. R.G. 5, 38^. S c h u l t z e a. a. O. und danach S e u f f e r t zu § 416 und die meisten Kommentare. I h r E i n w a n d , dafs bei solcher Ausl. § 416 aus dem Schreiben der U . einen p r i v a t r e c h t l i c h e n Rechtsakt schaffen würde, widerlegt sich durch die Erkenntnis, dafs § 416 j a nur die Beweislast regelt. A n fechtung nach B.G.B. §§ 117, 142 bleibt selbstverständlich möglich. Keinen Gegengrund bildet auch, dafs nach dieser Auffassung die widerrechtliche Ausfüllung einer Β l a n k e t t u n t e r s c h r i f t den Blanko-Unterzeichner zum Beweise nötige, denn eine unberechtigte Blankett&usfüllung ist eine F ä l s c h u n g ; ihr fehlt also die — vom Beweisführer zu beweisende — Echtheit (unten S. 524), auch wenn man annimmt, dafs auch durch Blankoausfüllung (trotz B.G.B. § 126) eine U r k u n d e zu Stande kommt, R.G. 27, 271. (Vergl. R i e z l e r , civ. A. 9% 368.) W i e h i e r , für das g e l t e n d e R. K l e i n f e l l e r a. a. 0 . u n d Lb. 3o6. W e i s m a n n , Lb. 163.

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IV. Rechtsstreit. § 82. Urkunden.

tun, wenn nicht besondere Anhaltspunkte dafür vorliegen, dais die Nebenabrede n i c h t in die Urkunde aufgenommen wurde (vergl. S. 536 Anm. 1).

I I I . Editionspflicht. Die Beweisbenutzung der Urkunden setzt naturgemäfs n i c h t i m m e r (wie die Benutzung eines Zeugen) die Mitwirkung einer anderen, dem Beweisführer fremden Person voraus. Ist nämlich der Beweisführer zugleich im B e s i t z der U r k u n d e , so ist die letztere ohne weiteres zugänglich. Nur wenn ein anderer als der Beweisführer und zwar entweder der G e g n e r oder eine d r i t t e . u n b e t e i l i g t e Person der Inhaber der Urkunde ist, ist »der Beweisführer von deren Willen abhängig. Für diese Fälle also müssen die Vorbedingungen einer P f l i c h t z u r H e r a u s g a b e der U r k u n d e für die prozessuale Beweisbenutzung (Ed i t i on s ρ f l i c h t ) normiert werden. Hierin liegt aber schon, dafs sich die Geltendmachung der Editionspflicht seitens der beweisführenden Partei und die Prüfung derselben durch das Gericht notwendig mit den Handlungen der A n t r e t u n g und der A u f l a g e des Urkundenbeweises verflechten mufs, die erst durch diesen Zusammenhang erklärlich werden. In den Fällen, wo der Beweisführer die Urkunde selbst besitzt, kommt eine Editionspflicht nicht zur gerichtlichen Erörterung. Also: „die A n t r e t u n g des Beweises erfolgt durch die Vorlegung der Urkunde", — oder, wie es treffender heifsen müfste: mit der A n t r e t u n g des Urkundenbeweises hat sich (ohne vorherige gerichtliche Prüfung) sofort die für E r h e b u n g des Beweises (IV) erforderliche Überreichung der Urkunde zu verbinden (§ 420). Der § 420 bedeutet sonach zunächst vom Standpunkt des G e r i c h t s aus eine Erleichterung der Form des Urkundenbeweises, insofern er den Erlafs eines Beweisbeschlusses und dann eine gerichtliche Prüfung sowohl der Erheblichkeit der Tatsache (vgl. hierüber unten § 99, II) wie auch der Zugänglichkeit der Urkunde für überflüssig erklärt. Vom. Standpunkt der beweisführenden Partei ist dies einerseits ebenfalls eine Erleichterung (es wird die wörtlich bestimmte Bezeichnung der Urkunde unt. S. 521. 522 überflüssig) als auch eine Erschwerung (die Partei wird genötigt, diç Urkunde in dem Augenblicke, in welchem sie sich darauf beruft, auch sofort bei der Hand zu haben) 1 . Eine Durchbrechung des § 420 findet nur dann statt, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen für die Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 434) vorliegen (oben S. 463), d. h. wenn die Vorlegung der Urkunde vor dem P r o z e f s g e r i c h t wegen erheblicher Hindernisse nicht erfolgen kann oder wegen der Wichtigkeit der Urkunde und der Besorgnis des Verlustes oder der Beschädigung bedenklich erscheint und deshalb Vorlegung vor ersuchtem oder beauftragtem Richter notwendig wird. Hier wird die von der Beweisantretung getrennte Vorlegung besonders „angeordnet" (§ 434), d. h. wie in den folgenden Fällen in formeller Weise durch einen B e w e i s b e s c h l u f s eingeleitet, o b w o h l die beweisführenjje Partei s e l b s t r die Urkunde besitzt. Anderseits gibt es aufser dem § 420 noch einen weiteren JFall der formlosen Urkundenbeweisführung, den das Gesetz nicht erwätnt. Es ist der, 1 H a t die Partei die Urkunde bei der Beweisantretung nicht bei der H a n d , so k a n n zwar die Verhandlung zum Zweck der Herbeischaffung vertagt werden (§206), aber der Gegner k a n n dem widersprechen und das Gericht es ablehnen (s. oben S. 310).

Gebiet und Bedingungen der Pflicht zur Urkundenedition.

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dafs die» Urkunde sich bei derjenigen Gerichtsbehörde (Landgericht usw.) befindet, der das prüfende gerichtliche Organ (die Kammer usw.) angehört. Da von einer Behörde grundsätzlich stets Gestattung der Urkundeneinsicht erwartet wird (§ 432, unten S. 523), ein „Ersuchen" um Mitteilung der Urkunde aber hier gegenstandslos, § 432 unanwendbar wird, so wird die Urkunde in solchem Fall Beweisstoff durch Bezeichnung und formlose Herbeiziehung derselben seitens des Gerichts 1 .

Auf einem mehr formellen Weg mufs der Urkundenbeweis herbeigeführt werden, wenn ein a n d e r e r als die beweisführende Partei — sei es deren Prozefsgegner, sei es ein Dritter — die Urkunde besitzt. In allen solchen Fällen hat der Beweisführer den Beweis durch einen (regelmäfsig in der mündlichen Verhandlung gestellten) Antrag anzutreten, und clie Herbeiziehung der Urkunde findet erst auf Grund eines durch Beschlufs eingeleiteten Verfahrens statt, das auf Geltendmachung und Prüfung der P f l i c h t d e s I n h a b e r s z u r V o r l e g u n g d e r U r k u n d e (der sog. E d i t i o n s p f l i c h t ) gerichtet ist. Diese Editionspflicht entspricht genau cler Zeugenpflicht (o. S. 502), aber sie wird grundsätzlich anders behandelt als diese. Sie wird nicht als R e g e l für jeden Inhaber begründet, der nicht a u s n a h m s w e i s e ein Editionsverweigerungsrecht besitzt. Vielmehr wird sie von vornherein nur als A u s n a h m e aus besonderen gesetzlich festgestellten Umständen geschaffen. Hieraus folgt, dafs nicht bis auf weiteres die Vorlegung der Urkunde durch Beweisbeschlufs angeordnet und hierauf abgewartet wird, ob der i n A n s p r u c h genommene (wie der geladene Zeuge) das N i c h t b e s t e h e n der Pflicht behauptet und beweist. \ 7 ielmehr wird von vornherein dem B e w e i s f ü h r e r die Notwendigkeit auferlegt, seinerseits das B e s t e h e n der Editionspflicht darzulegen und zu beweisen. Die G r ü n d e , aus denen der Inhaber einer Urkunde zu deren Edition für den Beweis im Prozesse verpflichtet ist, sind die gleichen, mag der Inhaber der P r o z e f s g e g n e r des Beweisführers oder ein D r i t t e r sein (§ 429). Dagegen gestaltet sich das V e r f a h r e n , in welchem die Pflicht geltend zu machen, zu beweisen, festzustellen und zu verwirklichen ist, gegenüber dem Gegner oder dem Dritten verschieden. Die G r ü n d e der E c l i t i o n s p f l i c h t , die clem UrkundenInhaber gegenüber clem Beweisführer obliegt, sind dieselben Tatbestände, aus denen der Beweisführer nach bürgerlichem Recht „die Herausgabe oder die Vorlegung der Urkunde verlangen kann" (§422). Die Editionsgründe sind entweder Ausflüsse eines anderen zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnisses — Eigentums-, 1 Ygl. hierzu S t e i n , Urkundenprozefs 193 — der F a l l ist zu unterscheiden von^dem des § 432 (unten S. 523). 2 N u r ist in j e d e m F a l l die Editionspflicht eine selbständige Pflicht eigenen I n halts, nämlich eine öffentlich-rechtliche, p r o z e i s r e c h t l i c h e und für den Prozefs bestimmte Pflicht, nicht nur eine Seite der p r i v a t r e c h t l i c h auf Herausgabe oder Verweisung begründeten Pflicht ( G a u p p - S t e i n zu § 422. S i e g e l , Vorl. v. ü r k . , 1904 § 5). Dabei verschwindet für den Prozels der materiellrechtliche Gegensatz zwischen dem Anspruch auf H e r a u s g a b e und auf V o r l e g u n g (Siegel S. 6).

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IV. Rechtsstreit. § 82. Urkunden.

Erbrechts, Forderungsrechts \ insbesondere eines handelsrechtlichen Gesellschaftsverhältnisses (H.G.B. § 118. 157. 166 usw.), eines Verhältnisses, das den Inhaber zur Rechnungslegung verpflichtet 2. Oder der Editionsgrund wird vom Gesetz speziell für die Urkunde mit Rücksicht auf deren Eigenart und Inhalt geschaffen. Das letztere geschieht durch B.G.B. § 810 zugunsten eines jeden, wenn die Urkunde in seinem Interesse errichtet ist oder in der Urkunde ein zwischen ihm und einem anderen bestehendes Rechtsverhältnis beurkundet ist oder wenn die Urkunde Verhandlungen über ein Rechtsverhältnis enthält, die zwischen der Partei und einem andern oder zwischen einem von beiden und einem g e m e i n s c h a f t l i c h e n Vermittler gepflogen worden sind. Urkunden über Rechtsverhältnisse, die z w i s c h e n m e h r e r e n P e r s o n e n bestehen, sind Vertragsurkunden, aber auch Verzichtsurkunden, Quittungen, Abrechnungen des Handelsgesellschafters, Vormunds usw. über geschehene Geschäftsführung, Geschäftsbücher, über Abnahme von wiederkehrenden Lieferungen oder Arbeitsleistungen, die zwischen Gewerbtreibenden, Kaufleuten, Landwirten usw. und ihren Kunden, bezw. Arbeitern geführt werden, die Handelsbücher der Kaufleute, soweit ihre Einträge sich auf gegenseitige Rechtsverhältnisse beziehen 3 , — nicht Rechnungsbücher und urkundliche Aufstellungen, die der Inhaber sich für seinen privaten Gebrauch — wenn auch über Geschäftsschlüsse mit anderen, Zahlungen an Gläubiger usw. — angefertigt h a t 4 . Von urkundlichen V e r h a n d l u n g e n kann nur dann Edition verlangt werden, wenn sie zwischen den Parteien oder von einer Partei mit einem g e m e i n s c h a f t l i c h e n Vermittler, nicht nur von einer Partei i n t e r n m i t i h r e n A n g e s t e l l t e n oder Bevollmächtigten (Handlungsreisenden) geführt sind. Im P r o z e s s e s e l b s t begründet die Bezugnahme auf eine Urkunde zum Zwecke der Beweisführung für j e d e Partei die Editionspflicht gegenüber dem Gegner (§ 423; o. S. 457).

Ist die Grundlage der Editionspflicht stets dieselbe, so wird das E d i t i o n s v e r f a h r e n vom Gesetz in verschiedener Weise in den Hauptprozefs eingefügt, je nachdem der Inhaber ein beliebiger Dritter oder der Gegner ist. a) Befindet sich die Urkunde nach der Behauptung des Beweisführers in den Händen eines D r i t t e n , so beschränkt sich das Gericht des Hauptprozesses darauf, innerhalb des letzteren auf Grund der Beweisantretung durch Beschlufs 5 eine F r i s t zur Herbeischaffung der Urkunde und zur Erwirkung eines Termins 1 Vor allem hat jeder Miterbe Anspruch auf Herausgabe der gemeinsamen U r k u n d e gegen den Miterben (§§ 2032, 2040, 2057), — der Zessionar auf H . der U r k u n d e n über die Forderung gegen den Zedenten (§ 402), — der Käufer auf H . der die Kaufsache betreffend e n U r k u n d e n gegen den Verkäufer (§ 444). Ebenso § 952. * R.G. 20, 45 Fälle der Pflicht zur Rechnungslegung u. § 113, I V . 3 F ü r die letzteren Fälle hatte ursprünglich die Z.P.O. selbst ( I , § 387 Nr. 2) die Bedingungen geregelt. Sie lagen v o r , w e n n «die U r k u n d e ihrem I n h a l t nach eine für den Beweistührer und den Gegner (bezw. Dritten) gemeinschaftliche" war. Die „Gemeinschaftlichkeit" sollte nach § 387 Abs. 2 „insbesondere" i n Fällen angenommen w e r d e n , die ungefähr denen des § 810 B.G.B, entsprachen, konnte also aufserdem n a c h r i c h t e r l i c h e m E r m e s s e n angenommen werden. Das letztere ist jetzt abgeschnitten. 4 Es k a n n deshalb von dem beteiligten Beweisführer die Vorlegung eines solchen Eintrags verlangt w e r d e n , — nicht dagegen auf Grund desselben die Vorlegung des ganzen Buchs (R.G. I v. 3. Okt. 1885. Beitr. 3 0 , 439. — 14. Nov. 1885. 15, 380.) 5 Dieser Beschluis ordnet nicht die Vorlegung der Urkunde, also die Erhebung des Urkundenbeweises, in einem von i h m selbst bestimmten Termine a n , sondern die Frist,

Editionsgründe. Verfahren auf Edition gegen Dritte.

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für ihre Vorlegung zu bestimmen (§ 431). Die Herbeischaffung selbst erfolgt aufserhalb des Prozesses, entweder so, dafs der Beweisführer den Besitzer aufsergerichtlich zur freiwilligen Herausgabe der Urkunde bestimmt oder, falls derselbe widerstrebt, m i t t e l s e i n e s s e l b s t ä n d i g e n Prozesses, der durch eigne Klage anhängig gemacht, zum Beweis der Editionspflicht und des Besitzes der Urkunde, zum Urteil unci darauf eventuell zur Vollstreckung der Urkundenherausgabe führt (§ 429). Ist dieser Erfolg innerhalb der gesteckten Frist erreicht, so ladet der Beweisführer den Gegner zu einem neuen Termin, in welchem die Urkunde vorgelegt, bezw. dann die Verhandlung fortgesetzt wird 1 . Wird der Erfolg überhaupt nicht oder nicht fristgemäfs erreicht, so betreibt der Gegner den Fortgang des Prozesses unter Übergehung der Urkunde 2 ; er kann dies auch schon vor Ablauf der Frist beantragen, wenn der Prozefs des Beweisführers gegen den Dritten erledigt ist oder wenn der Beweisführer die Betreibung des Prozesses (besonders Klagerhebung oder Zwangsvollstreckung) verzögert (§431, 2). Die Prüfung des Prozefsgerichts erstreckt sich hiernach in diesem Falle nur auf die bei jeder Beweisanordnung zu prüfende Frage, ob die unter Beweis gestellte Tatsache erheblich ist (§ 431), und aufserdem auf die Frage, ob die Beweisantretung aussichtsreich, die Editionspflicht m ö g l i c h e r w e i s e b e g r ü n d e t ist. Deshalb hat der Beweisführer bei seinem Antrage auf Fristgewährung nicht nur die aus dem Wesen der Beweisantretung folgende Bezeichnung der Urkunde, der zu beweisenden Tatsache und des Inhalts der Urkunde zu liefern (§ 424, 1. 3. 430), sondern auch die Behauptung, dafs die Urkunde im Besitz des Dritten und dafs dieser aus bestimmten Gründen zur Edition verpflichtet sei, sowie G l a u b h a f t m a c h u n g b e i d e r Behauptungen (§ 424 n. 4. 5. in Verbindung mit § 430) 8 .

b) Ganz anders gestaltet sich das Verfahren, wenn sich die Urkunde nach der Behauptung des Beweisführers in den Händen des G e g n e r s befindet. Für diesen Fall schafft die Z.P.O. § 390 ff. ein besonderes Verfahren, in welchem sich in eigenartiger Weise die normale Anordnung der Beweiserhebung mit einem dem Hauptprozefs eingefügten Zwischenstreit über Editionspflicht und Editionsmöglichkeit des Gegners nach Art des Zwischenstreits über die innerhalb deren die Partei den T e r m i n durch Ladung für die Urkundenvorlegung b e a n t r a g e n soll, — er ist also nicht unmittelbar auf Herbeiführung einer g e r i c h t l i c h e n Beweisnandlung, sondern auf Herbeiführung einer Prozefsbetriebshanalung der Partei gerichtet. Hiernach ist er n i c h t B e w e i s b e s c h l u f s i m technischen S i n n , wenn er auch, wie der Beweisbeschlufs^ erst nach Prüfung der Erheblichkeit der zu beweisenden Tatsache (unten § 99, I I ) ergeht (§ 431,1), sondern eben nur ein besonderer F a l l einer richterlichen Fristbestimmung (unten § 100). Dem Beweisbeschlusse entspricht i n h a l t l i c h erst der später vom Beweisführer erwirkte Beschlufs auf Terminsanberaumung zur U r k u n d e n vorlegung, nur dafs dieser wiederum i n Durchbrechung der sonstigen Grundsätze des Beweisverfahrens nicht auf Betreiben des Gerichts, sondern der Partei ergeht fso auch G a u p p S t e i n I I ) . Das ganze Verfahren ist also (ebenso wie das l i t . b) ein durchaus eigenartiges. 1 Der T e r m i n zur Vorlegung k a n n unter den Voraussetzungen § 434 (oben S. 463) auch vor ersuchtem oder beauftragtem Richter e r w i r k t werden. D a n n erfolgt die Fortsetzung der Verhandlung vor dem Prozefsgericht nach den gewöhnlichen Regeln (im Betrieb des Prozefsgerichts, § 370; unten § 95). 2 Der Beweisführer k a n n dann die U r k u n d e nur nach Mafsgabe des § 356 benutzen, d. h. falls er das Verfahren durch ihre Vorlegung nicht verzögert (sie vor dem Schlüsse der mündlichen Verhandlung der Instanz vorzulegen i n der Lage ist). 3 Die Glaubhaftmachung der Editionsmöglichkeit und des Editionsgrundes k a n n durch Geständnis oder Nichtbestreiten des Gegners ersetzt werden ( G a u p p - S t e i n § 430).

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IV. Rechtsstreit.

§ 82. Urkunden.

Zeugenpflicht mischt oder je nach Lage des Falls mischen kann. Ob lediglich das erste oder auch in mehr oder minder grofsem Umfange das zweite hervortreten soll, richtet sich danach, in welcher Weise sich der Gegner und angebliche Besitzer der Urkunde auf den Antrag des Beweisführers, der gleichzeitig Beweisantretung (Bezeichnung des zu erhebenden Beweismittels § 422, 1—3) und Geltendmachung der Editionspflicht (Behauptung des Editionsgrundes und cler Editionsmöglichkeit § 422, 4. 5) ist, erklärt. E r k e n n t der Gegner seine E d i t i o n s p f l i c h t durch Zugestehen der sie begründenden Tatsachen, insbesondere auch des Besitzes der Urkunde, an, so ergeht einfacher B e w e i s b e s c h l u f s , cler die Vorlegung der Urkunde durch den Gegner anordnet, — derselbe (vom Gesetz nicht erwähnt) enthält wie jeder Beweisbeschlufs nur clie Prüfung, ob die unter Beweis gestellte Tatsache erheblich sei 1 . Wird dagegen die E d i t i o n s p f l i c h t bestritten, so ist zunächst cler hieraus erwachsende Z w i s c h e n s t r e i t ü b e r d i e Z u g ä n g l i c h k e i t c l es B e w e i s m i t t e l s der Entscheidung bedürftig, und diese — der Entscheidung über einen Zeugnisverweigerungsgrund (o. S. 50G) entsprechende — Zwischenentscheidung verbindet sich eventuell mit der Anordnung der Vorlegung des Beweismittels selbst. 1. Wird die Eclitionspflicht mit Rücksicht auf den Mangel eines E d i t i o n s g r u n d e s bestritten, dagegen ausdrücklich oder durch Nichterklärung über clen Editionsantrag, (vergl. § 390) stillschweigend der B e s i t z der Urkunde zugestanden, so hat das Gericht je nach dem Ausfall der Prüfung des Antrags durch Zwischenurteil das Nichtbestehen oder das Bestehen der Editionspiiicht festzustellen. Im letzteren Fall ist darauf die Vorlegung der Urkunde durch Beschlufs anzuordnen (§ 425 2 ). 2. Wird clie Eclitionspflicht wegen Mangels des B e s i t z e s der Urkunde bestritten, der eventuell für den Fall des Urkundenbesitzes vom Antragsteller geltend gemachte Editionsgrund aber nicht in Abrede gestellt, so ist ein Zwischenurteil über den letzteren jedenfalls unnötig. Vielmehr hat hier clas Gericht sofort durch Beschlufs dem Gegner die Leistung des sog. Editionseides, eines Eides über Besitz oder Kenntnis vom Verbleib der Urkunde aufzuerlegen. Die Fassung des Eides 3 und die Notwendigkeit, ihn zu leisten, ist gesetzlich geregelt; durch aridere Beweismittel kann weder der Beweisführer den Besitz, * noch der Gegner den Nichtbesitz nachweisen (§ 426)4. 1 Erachtet das Gericht die Tatsache n i c h t für erheblich, so bedarf es überhaupt keiner b e s o n d e r e n Entscheidung. Dies wird in den Gründen des E n d u r t e i l s ausgesprochen. ( S e u f f e r t § 425, n. l a . ) 2 Zwischenurteil und Beschlufs können i n einer Entscheidung verbunden werden, sind aber verschieden zu behandeln (ersteres ist zu begründen und bindend; K o h l e r , Forschungen S. 81, S i e g e l 158). 3 „Dafs er nach sorgf. Nachforschung die Uberz. erl. habe, dafs die U . in seinem Besitz sich nicht befinde, dafs er die U . nicht in der Absicht abhanden gebracht habe, deren Benutzung dem Beweisführer zu entziehen, dafs er auch nicht wisse, wo die U. sich befinde.* R.G. 16, 395 (vgl. unten S. 5Î7Ï.

Editionsverfahren gegen den Gegner.

523

3. Stellt der Gegner die Eclitionspflicht sowohl wegen Fehlens eines Grundes als auch wegen Mangels des Besitzes in Abrede, so hat nicht etwa zunächst (wie nach Nr. 1) Zwischenurteil über das Bestehen oder das Nichtbestehen der Herausgabepflicht, und im ersten Fall bei Feststellung des Bestehens im Anschluss hieran weiter (wie nach Nr. 2) ein Beschlufs auf Leistung des Editionseides zu ergehen. Vielmehr ist dann s o f o r t Beschlufs auf Leistung des Editionseids zu erlassen. Lediglich in dessen Begründung ist auch die Editionspflicht festzustellen Ist hiernach aber schon das Mittel und die Form der Beweisführung im Editionsverfahren eine eigentümliche, so erstreckt sich diese Eigenart auch weiter auf clie V e r w i r k l i c h u n g der Editionspflicht. Es wird nicht (wie im Fall a) die Anordnung der Vorlegung durch Wegnahme der Urkunde vollstreckt, — ebensowenig wird im Fall der Nichtleistung des Eides die Vorlegung der Urkunde angeordnet und zwangsweise durchgeführt. Vielmehr wird der Gegner nach den Grundsätzen des prozessualen Parteibetriebs behandelt und für den Fall des Nichthandelns mit den Rechtsnachteilen der Nichtbestreitung bedroht. „Kommt der Gegner cler Anordnung, die Urkunde vorzulegen oder den Eid zu leisten, nicht nach, so ist, wenn der Beweisführer eine Abschrift der Urkunde beigebracht hat, diese Abschrift als richtig anzusehen. Ist eine Abschrift cler Urkunde nicht beigebracht, so können die Behauptungen des Beweisführers über die Beschaffenheit und den Inhalt der Urkunde als bewiesen angenommen werden" (§ 427). Sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen wie hinsichtlich des Verfahrens der Edition vereinfacht ist der Fall, dafs sich eine Urkunde nach der Behauptung des Beweisführers in den Händen einer ö f f e n t l i c h e n B e h ö r d e oder eines öffentlichen Beamten befindet. Eine Behauptung und Prüfung der Editionspflicht findet hier z u n ä c h s t nicht statt. Der Beweisführer erwirkt vielmehr durch einfachen Antrag ein E r s u c h e n der Behörde oder des Beamten um die Mitteilung der Urkunde (§ 432). Erst wenn dieselben die Mitteilung verweigern, kann der Beweisführer eine Editionspflicht nach § 422 behaupten und Antrag nach Mafsgabe § 428 ff. (oben S. 520,, stellen. Diese Behandlung findet jedoch nur Anwendung, wenn die Behörde nicht Partei, sondern D r i t t e r im Sinn § 428 ist, und auch hier nur dann, wenn der Beweisführer die Urkunde nicht ohne weiteres jederzeit erhalten kann (wie dies z. B. bei Urteilsabschriften Z.P.O. § 299, — Hypothekenbuchauszügen usw. der Fall ist, — § 432, Abs. 2).

I V . Echtheitsbeweis. Die Erhebung des Urkundenbeweises, die gerichtliche E i n s i c h t n a h m e in die Urkunde, bedarf im allgemeinen keiner Regeln. Wie jedoch die Anhörung des Zeugen gewissen prozessualen Garantien der Zuverlässigkeit unterstellt werden mufs, um benutzbar zu sein, so darf das Gericht auch die 1 Der ersteren Meinung (erst Zwischenurteil, — dann Beschlufs): G a u p p - S t e i n δ 426 I , S t r u c k m a n n - K o c h , §425 n. 2, P e t e r s e n - A n g e r , §426 n. 1, P l a n c k I I , 255. D a m i t würde aber ein Zwischenurteil des I n h a l t s erlassen, aafs der Gegner zur E d i t i o n verpflichtet ist f ü r d e n F a l l , d a f s er d i e U r k u n d e hat. Eine solche Entscheidung ist undenkbar. W i e hier S e u f f e r t § 426 n. 1, W a c h , Vortr. 91. — Ganz ausgeschlossen ist ein durch Editionseid bedingtes Zwischenurteil, da die C.P.O. ein bedingtes Z w . U . nicht kennt (u. § 169, I I ) .

524

IV. Rechtstreit. § 8 .

r d e .

eingesehene Urkunde nur dann als Prozefsstoff benutzen, wenn eine offizielle prozessuale Ermittlung ihrer Zuverlässigkeit stattgefunden hat. Diesem Bedürfnis wird genügt durch die bindende Vorschrift an das Gericht, in jedem Falle die E c h t h e i t der Urkunde zu ermitteln, d. h. die Tatsache, dafs die urkundlich verkörperte Erklärung in Wirklichkeit auf den Willen derjenigen Person zurückführbar ist, von der sie nach ihrer äufseren Erscheinung herrührt 1 , — auf den Willen des angeblichen Ausstellers. Das Gericht hat demgemäfs die Behauptung und den Beweis der Echtheit ebenso zu behandeln, wie Behauptung und Beweis irgend einer derjenigen Tatsachen, welche zur Begründung des Klaggrunds oder einer Einrede gehören; wird die beweisführende Partei mit ihr beweisfällig, so ist gegen sie zu entscheiden, weil sie die Beweislast dafür trägt. Nur schränkt auch hier die Z.P.O. die Beweisführung durch gewisse Regeln ein, und zwar auch wiederum unter Verwertung des Gegensatzes von öffentlichen und Privaturkunden. a) „Urkunden, welche nach Form und Inhalt als von einer ö f f e n t l i c h e n Behörde oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person errichtet sich darstellen, haben d i e V e r m u t u n g der E c h t h e i t f ü r s i c h " (§ 437, 1). Hinsichtlich der öffentlichen Urkunden ist sonach nicht nur die Beweiskraft verstärkt (o. S. 515), sondern auch die Form der Beweisaufnahme erleichtert. Nur eine Einzelanwendung dieses Gedankens ist es, wenn eine Urkunde, unter der das Handzeichen gerichtlich oder notariell beglaubigt ist, ebenfalls die Vermutung der Echtheit für sich hat (§ 440, 2). Der § 437, 1 ist hiernach nicht eine Beweisregel, d. h. ein Rechtssatz, welcher ein B e w e i s m i t t e l (die Urkunde) mit gesetzlicher Beweiskraft ausstattet, sondern eine V e r m u t u n g (oben S. 470), d. h. eine Rechtsregel, die dem Gericht aus der (indizierenden) T a t s a c h e der anscheinenden Öffentlichkeit der Urkunde eine andere Tatsache (die Echtheit) zu folgern vorschreibt. Sie ist also Überwälzung der Beweislast auf den Gegner des Beweisführers (oben S. 487). Dieser hat die Unechtheit zu beweisen, kann dies aber nach bekannten Grundsätzen auch durch Eideszuschiebung t u n 2 . Aber auch die Vermutung ist nur eine sogenannte „halbe" Vermutung (im Sinn oben S. 470 A. 5), d. h. sie begründet nur eine mehr oder minder grofse Wahrscheinlichkeit der Echtheit. Hält das Gericht nach besonderen Umständen die Echtheit für zweifelhaft, so kann es von Amtswegen die Behörde oder die Person, von welcher die Urkunde errichtet sein soll, zu einer Erklärung über die Echtheit veranlassen (§ 437, 2). Ganz freies Ermessen hat das Gericht gegenüber einer Urkunde, die von einer a u s l ä n d i s c h e n Behörde oder einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person des Auslands errichtet sich darstellt. Es kann solche „ohne näheren Nachweis" als echt ansehen oder aber den Echtheitsbeweis vom Beweisführer fordern (§ 438, 1). Nur wenn die ausländischen Urkunden vom Konsul oder Gesandten des 1 Gibt ihre äufsere Erscheinung hierfür (ausnahmsweise) keinen A n h a l t (ununterschriebene Notizen usw.), so ist Echtheit die Zurückführbarkeit auf den W i l l e n dessen, von dem sie nach der B e h a u p t u n g d e s B e w e i s f ü h r e r s herrührt, — aber auch nur i n solchen Fällen. Dies zu Definitionen wie der von S e u f f e r t , § 437 n. 1. 2 H a n d e l t e es sich u m eine Beweisregel zugunsten des Beweismittels der Urkunde, so wäre der Beweis der Unechtheit Gegenbeweis und Eideszuschiebung dazu nicht verwertbar (S 446, - unten S. 534).

Echtheitsbeweis bei öffentlichen und Privaturkunden.

525

Reichs (nicht eines Bundesstaats) legalisiert sind, d. h. wenn ihre Echtheit von diesen Personen b e s c h e i n i g t wird, tritt die Vermutung des § 437 auch für sie wieder in Geltung ($ 438, 2) 1 .

b) Dagegen ist die Echtheit der Privaturkunden wie jede andere erhebliche Tatsache zu behandeln. In der Produktion einer solchen Urkunde liegt die Behauptung ihrer Echtheit, und der Gegner des Beweisführers hat sich zunächst darüber zu erklären (§ 439, 1. 138). Erklärt er sich nicht, so ist die Urkunde „als anerkannt anzusehen", wenn nicht die Absicht, die Echtheit bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht (sog. poena recogniti, § 439, 3). Wird die Echtheit bestritten oder in erlaubter Weise (§ 138, 3) eine Erklärung mit Nichtwissen darüber abgegeben, so ist die Echtheit vom Beweisführer zu beweisen (§ 440, 1), und zwar mit allen Arten von Beweismitteln (Zeugen, Eideszuschiebung), sowie auch der Gegner den Gegenbeweis (Beweis der Unechtheit) beliebig führen kann. Von beiden Parteien kann insbesondere auch der Beweis durch S c h r i f t v e r g l e i c h u n g geführt werden (§441,1). Der Beweis durch Schriftvergleichung ist der Beweis der Echtheit einer Urkunde durch Vergleichung mit anderen Urkunden, deren Echtheit, d. h. deren Herrühren von dem angeblichen Aussteller der ersten, durch Notorietät, Geständnis des Gegners oder sonstigen Beweis (§ 441, 2) festgestellt werden kann. Die Vergleichung der ersten Schriftstücke mit dem in seiner Echtheit angefochtenen ist ein Spezialfall des Wahrnehmungs-, Augenscheinsbeweises (unten S. 526); — die zum Vergleich herangezogenen Urkunden sind Augenscheinsobjekte, da sie nicht um des Inhalts der in ihnen verkörperten Erklärung willen, sondern wegen ihrer äufseren Beschaffenheit, wegen der Schriftzüge zum Beweis bedeutsam werden (vgl. hierüber oben S. 512). Das Gericht entscheidet deshalb über den Ausfall der Vergleichung nach freier Überzeugung, eventuell mit Hilfe von Sachverständigen (§ 442, — unten S. 544 ff.) 2. Wenn also § 441, 1—3 für die Vorlegung, den Betrieb der Edition Seiten des Gegners oder eines Dritten die Vorschriften über Urkundenvorlegung und Edition (§ 415 ff.) für anwendbar erklärt, so ist das Ausdehnung dieser Grundsätze auf Fälle des Augenscheinsbeweises, die aber nicht verallgemeinert werden darf (u. S. 526, A. 4). Der gesamte Echtheitsbeweis wird dadurch e r l e i c h t e r t , dafs sich die Erklärung über die Echtheit und im Fall ihrer Bestreitung ihr Beweis bei den mit Namensunterschrift versehenen Urkunden zunächst nur auf die U n t e r s c h r i f t zu richten hat (§ 439, 2). Steht die Echtheit der Namensunterschrift fest, so hat die über der Unterschrift stehende Schrift die Vermutung der Echtheit für sich (§ 440, 2). Eine unterstützende Mafsregel zur S i c h e r u n g des Echtheitsbeweises ist die Vorschrift, dafs Urkunden, deren Echtheit bestritten ist oder deren Inhalt verändert sein soll, bis zur Erledigung des Rechtsstreits auf der Gerichtsschreiberei verwahrt werden, sofern nicht ihre Auslieferung an eine andere Behörde im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich ist (§ 408) Ist eine Urkunde von einer Partei in der Absicht, deren Benutzung dem Gegner zu entziehen, beseitigt oder zur Benutzung untauglich gemacht, so 1 Für die i n l ä n d i s c h e öffentliche U r k u n d e folgt schon aus § 437, dafs hier eine Legalisierung nicht nötig ist. § 437. 438 fallen also i n h a l t l i c h m i t den Vorschriften des R.Ges. über Begl. öff. U r k . v. 1. M a i 1878 (R.G.B1. 89) § 1. 2 zusammen — nur dafs dieses Ges. über den Zivilprozefs hinausgeht. — U r k . von Behörden der deutschen Schutzgebiete stehen den i n l ä n d i s c h e n öffentl. U r k u n d e n gleich ( S e u f f e r t §438 nr. 1 u. and. Komm.). 2 Über die Funktion dieser S c h r i f t s a c h v e r s t ä n d i g e n vgl. W i t t m a n n , Das Recht 5,153. 3 Über das Verfahren zur Einsichtnahme der U r k u n d e durch den Gegner und zur Wiedererlangung einer solchen U r k u n d e s. oben S. 357.

526

IV. Rechtsstreit. § 83. Wahrnehmungsobjekte.

können die Behauptungen des Gegners über die Beschaffenheit und den Inhalt der Urkunde als bewiesen angesehen werden (ein einzelner Anwendungsfall der sog. poena probati, — vgl. Z.P.O. § 542 und unten § 125).

§ 83. Die Wahrnehmungsobjekte. An Bedeutung für die prozessualen Beweiszwecke den Zeugen und Urkunden ebenbürtig sind die Gegenstände, welche dem Gericht eine unmittelbar rechtserhebliche oder eine indizierende Tatsache sinnenfällig verkörpern (vgl. hierüber 0. S. 337. 340). Das Gesetz hat jedoch über ihre Behandlung keine eingehenden Vorschriften aufgestellt 1 . Sonach hat das Gericht in diesem Zweig der Beweisakte freie Hand. Es ist insbesondere unbeengt in der Entschliefsung, w e l c h e Arten von Wahrnehmungsobjekten es heranziehen will, — insbesondere kann die Tatsache, dafs Z.P.O. Tit. 6 nur von Beweis durch „Augenschein" (als der praktisch bedeutsamsten Form) spricht, nicht hindern, dafs auch der Gehörs-, Geruchssinn usw. vom Gericht in Bewegung gesetzt wird. Es können ferner bewegliche wie unbewegliche Sachen — unter ersteren auch Urkunden — sowie Menschen (die Partei oder Dritte) als Wahrnehmungsobjekte dienen (Beispiele hierzu S. 338 A. 6). In allen Fällen hat das Gericht den geeignetsten Weg der Wahrnehmung ausfindig zu machen und (durch Prozefsbetrieb oder prozefsleitendes Dekret) zu ordnen. Das Schweigen der Z.P.O. über die richterliche Wahrnehmung ist im allgemeinen begründet. Einer ausdrücklichen Regelung bedürfte jedoch die Frage, unter welchen Bedingungen eine Person, sei es Gegner, sei es Dritter, v e r p f l i c h t e t und eventuell gezwungen werden kann, eine Besichtigung seiner Sachen zu dulden. Da die Editionspflicht nur für Urkunden geregelt ist, hat Z.P.O. hier eine Lücke. Man kann daraus schliefsen, dafs n i e m a n d verpflichtet ist, seine Sachen zur Verfügung zu stellen, aufser wo das bürgerliche Recht eine Pflicht zur Vorlegung begründet 2 . Man kann die Analogie der U r k u n d e n e d i t i o n anwenden (also nur ausnahmsweise nach § 810. 811 eine Pflicht statuieren) 3 . Man kann die Analogie der Z e u g n i s p f l i c h t heranziehen, also jeden, aufser die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen zur Edition verpflichten. Man kann endlich f ü r j e d e n die Editionspflicht annehmen. Die erste und die letzte Alternative wären Singularitäten, die ohne ausdrückliche Bestimmung nicht angenommen werden könnten. Entscheidet man aber zwischen der Analogie des Urkunden- und des Zeugenbeweises, so ist der letzteren der Vorzug zu geben. Die enge Begrenzung der Editionspflicht bei Urkunden erklärt sich aus dem intimen Charakter des Schriftstücks (St.G.B. § 299)4. Dagegen besteht kein Grund, eine Person zur Förderung der Wahrheit durch Vorlegung ihrer Sachen in geringerem Umfang anzuhalten, als durch Erstattung ihrer Aussage als Zeuge. 1 Die Vorschrift des § 371 erstreckt sich nur auf die Beweisantretung (s. o. S. 428), die des § 372, 2 auf das für alle Beweisaufnahmen wesentliche Prinzip der U n m i t t e l b a r k e i t (o. S. 461). 2 So G a u p p - S t e i n vor § 371. S e u f f e r t ebenda. H e l d m a n n , Vorlegung von Augenscheinsobjekten Z. 26 , 409 ff. S i e g e l , Vorlegung der U r k u n d e n i m Prozefs 1905, S. 3. 102. W e is m a n n I S. 144. 3 So P l a n c k I I , 265. K ö h l e r , Forschungen 78., die 1. Aufl. dieses Lb. 4 Eben deshalb begründet es kein Argument für die Analogie der Urkundeneditionspflicht (o. A n m . 2), wenn C.P.O. 441, 3 bei der Schriftvergleichung für die zu vergleichenden Urkunden, die in W a h r h e i t Augenscheinsobjekte sind, den § 421 ff. angewendet wissen will.

Pflicht zur Herausgabe von Augenscheinsobjekten?

Eid.

527

In der Tat hat St.P.O. § 95 ff. gegen jede Person zur Vorlegung von Gegenständen ihres Gewahrsams die Mittel des Zeugenzwangs zur Verfügung gestellt, aufser gegen die Zeugnis verweigerungsberechtigten. Die Übertragung der Vorschriften der St.P.O. auf den Z.P. ist aber gerade in diesem Punkte zu rechtfertigen, da § 144 Z.P.O wie im Strafprozefs für die Augenscheinsobjekte das Untersuchungsprinzip aufstellt, also eine besonders bevorzugte Verwertbarkeit dieses Beweismittels ausspricht (o. S. 428)

§ 84. Die Parteieide. Über den Eid in der geschichtlichen E n t w i c k l u n g : K. Loening, der Reinigungseid bei Angerichtsklagen. Zimmermann, der Glaubenseid 18ß7. Muther, die Gewissensvertretung I80O. Kleinfeller, gesch. E n t w . des Tatsacheneids 1891. Eine monograph. Behandlung für das moderne Recht fehlt. I m übr. vgl. Fitting, L.B. § 70 ff. Planck, L.B. I I , § 123 S. 283 ff. W a c h , Vorträge 2. Aufl. S. 217. W e i s m a n n § 45 S. 168 ff. Kleinfeller § 99ff.

I . Bedeutung des Parteieids· Abgesehen von Wahrnehmungsobjekten, Zeugen und Urkunden kann auch der „Parteieid" zur Klarstellung von Tatsachen verwendet werden. Richtig verstanden ist er die durch Eid bestärkte E r k l ä r u n g der Partei über eine Tatsache. Wesentlich ist ihm also nicht nur die*Beteuerung unter Anrufung Gottes, die „ E i d e s f o r m e l " , sondern auch deren Beziehung auf eine bestimmte tatsächliche Versicherung, auf die „ E i d e s η o r m " oder den E i d e s s a t z . Aber auch ein bestimmter I n h a l t des Eidessatzes ist für diese Beweisform wesentlich. Da die Erklärung der Partei über eine ihr nach der Prozefslage u n g ü n s t i g e Tatsache, das Geständnis, schon ohne weiteres die Tatsache zum Prozefsstoff macht, so kann es zum Parteieid über eine Tatsache nur über eine bestrittene Tatsache und zwar auf Seiten der Partei kommen, der sie v o r t e i l h a f t ist. Der „Beweis durch Eid" (§§ 445 ff.) bedeutet also den Beweis durch e i d l i c h e P a r t e i v e r s i c h e r u n g e i n e r der P a r t e i g ü n s t i g e n T a t s a c h e . Die Grundlinien des Eidesrechts sind insoweit bindend gezogen, als der Eid nur über T a t s a c h e n geleistet werden kann (argo § 450 verb, mit § 445). Hierin liegt, dafs das moderne Recht die Auflage eines Eids über das ganze streitige R e c h t s v e r h ä l t n i s oder mindestens über einen ganzen unter den Rechtssatz subsumierten Tatbestand, wie es das römische juramentum in iure delatum oder der germanische Haupteid war (oben S. 43. 54) nicht mehr für zulässig hält. Es kann also nicht mehr darüber geschworen werden, dafs der Beklagte dem Kläger 3000 Mk. Darlehn schuldig sei u. dergl. 2 . Dagegen hat es das geltende Recht nifcht als z w i n g e n d e s Prinzip aufgestellt, dafs ein Eid mit den ihm eigentümlichen Wirkungen nur von der P a r t e i geleistet werden kann. Nach § 449 soll der Eid zwar im Zweifel 1 Von diesem Prinzip ist nur da eine Ausnahme zu machen, wo gewissen Augenscheinsobjekten der Rechtsfrieden der Person, wie an U r k u n d e n besonders intensiv interessiert ist, nämlich für die Besichtigung des menschlichen K ö r p e r s ( F r i e d r i c h s , der menschliche Körper als Beweismittel Z . 19, 390; 1894) und für die der W o h n u n g . (Vergl. S i m o n s o n , Parteirecht und Haussuchung, Z. 35, 424. 1906.) 2 Dafs hiermit ein E i d über j u r i s t i s c h g e f ä r b t e T a t s a c h e n unter Umständen wohl vereinbar, vgl. o. S. 341. (Z. B. darüber, dafs m a n 1000 M. D a r l e h e n empfangen habe, dafs eine Sache mangelhaft sei usw.) (R.G. 7, 1. 15, 336. 21, 402. 25, 181. 51, 412).

528

IV. Rechtsstreit. § 8 .

arte.

„ n u r d e r P a r t e i , n i c h t e i n e m D r i t t e n " zugeschoben werden. Wenn sich aber die Parteien einigen, so kann der Eid auch einer d r i t t e n P e r s o n auferlegt werden, z. B. im Prozefs zwischen dem Ehemann als Verwalter des eheweiblichen Vermögens mit einem Gläubiger der E h e f r a u , die am Verfahren nicht beteiligt ist (§ 450)1. Diese Dispositionsfreiheit der Parteien ist zu mifsbilligen. Sie verschiebt die Grenze zwischen Parteieid und Zeugenbeweis. Der Dritte sollte nur nach den Regeln des letzteren vernommen werden (also insbesondere unter freier Würdigung des Gerichts), da die besondere Behandlung des Eides sich überhaupt nur aus der Stellung der Partei im Z.P. erklärt 2 . Keine eigentliche Durchbrechung des Prinzips ist es, wenn an Stelle der prozefsuniahigen, abwesenden usw. Partei deren g e s e t z l i c h e m V e r t r e t e r der E i d zuzuschieben und aufzuerlegen ist (§ 473, — s. oben S. 368). Nur ausnahmsweise kraft bes. causae cognitio des Gerichts und auf Antrag des Gegners kann auch der Vertretene, der Minderjährige selbst, falls er das 16. Lebensjahr zurückgelegt hat, oder ein Verschwender zum Eid kommen, — jedoch nur über facta propria (s. unten S. 531, § 473). Ebenso ist es konsequent, wenn die Zuschiebung an den sogenannten streitgenössischen (d. h. eine selbständige Parteitätigkeit entfaltenden) Nebenintervenienten für zulässig erklärt wird (§ 414. 69. Z.P.O., — unten § 135). Überhaupt nicht unter die Z.P.O. fällt ein Eid der Partei oder eines Dritten, den die Parteien als Bedingung eines von ihnen geschlossenen gerichtlichen Vergleichs vereinbart haben. Er gehört ins Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit (oben S. 167).

I I . WirkuDgen des Eids. Als nächster Interessent des Prozesses eine kritische Tatsache eidlich zu beteuern, ist das Verantwortlichste, was der Partei im Prozesse angesonnen werden kann. Es bedeutet angesichts des sozialen unci religiösen Gewichts der Eideshandlung und der entsprechenden strafrechtlichen Folgen ihres Mifsbrauchs in jedem einzelnen Fall einen Konflikt zwischen materiellem Interesse und Gewissenspflicht, der mit demjenigen eines unter Eid aussagenden Zeugen oder Sachverständigen nicht zu vergleichen ist. Zu allen Zeiten ist deshalb auch der Eid, falls sich einmal die Partei zu ihm entschlossen hat, mit viel stärkeren Wirkungen ausgestattet worden als die Aussage Dritter. Auch die Z.P.O. verleiht ihm deshalb da, wo er geleistet wird, eine g e s e t z l i c h b e z e i c h n e t e F o r m a l w i r k u n g , die ihn der freien richterlichen Beweiswürdigung (oben 468) grundsätzlich entrückt. Diese Wirkung entspricht genau der des Ges t ä n d n i s s e s . Sie äufsert sich, wie dort, in einem doppelten: a) „Durch Leistung des Eides wird v o l l e r B e w e i s der beschworenen Tatsache begründet" (§ 463). Mit andern Worten, das Gericht darf die beeidigte Parteierklärung nicht frei würdigen, sie nicht, wie eventuell auch die beeidigte Zeugenaussage, unbeachtet lassen. Es mufs sie als beweisend der Entscheidung zugrunde legen, ohne noch einen weiteren ergänzenden Beweis dafür zu fordern 3. 1

Vergl. B a c h , Züsch, und Zurückschiebung des Eids an Dritte 1894. Nach Novelle § 473, 2 n. F. auch der wegen Geistesschwäche oder Trunksucht Entmündigte sowie der, welcher ohne prozefsunfänig zu sein, im Prozesse durch einen Pfleger vertreten w i r d (der Erbe usw., vel. o. S. 325). Da (nach oben S. 328) auch die offene Handelsgesellschaft als solche P a r t e i , die firmierenden socii ihre gesetzlichen Vertreter sind, so haben, w e n n ihr ein E i d auferlegt w i r d , folgerichtig alle firmierenden Gesellschafter zu schwören ( G a u p p - S t e i n zu § 474 I u. a. Komm.). 3 Konform m i t Cod. civ. a. 1361. Preufs. A.G.O. I 13 § 10. Hannov. P.O. 290. 2

Verstärkte Wirkung der Eidesleistung.

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Über die Wirkung des Eides für einen anderen Prozefs, — für die anderen Verfahrensstadien desselben Prozesses (das Nachverfahren im Urkundenprozefs, die Berufung, das Wiederaufnahmeverfahren) s. unten § 129.

b) „Der Beweis des Gegenteils findet nur unter denselben Voraussetzungen statt, unter welchen ein rechtskräftiges Urteil wegen Verletzung der Eidespflicht angefochten werden kann." Mit andern Worten, der Eid unterliegt nur einem b e s c h r ä n k t e n Gegenbeweis. Der Eid wird nicht schon durch den Beweis des Gegenteils mit Hilfe anderer Beweismittel entkräftet. Vielmehr wird nur der Beweis zugelassen, dafs der objektiv unrichtige Eid w i s s e n t l i c h o d e r f a h r l ä s s i g f a l s c h geleistet worden, und auch dieser Gegenbeweis darf nicht ohne weiteres innerhalb des Zivilprozesses geführt werden, sondern ausschliefslich unter der Bedingung, dafs es vorher in einem Strafprozesse zu einer S t r a f v e r u r t e i l u n g der Schwörenden wegen dieser Handlungen gekommen ist \ So verordnet es das Gesetz in erster Linie für den Fall, wo auf Grund des angeblich unwahren Eids rechtskräftiges Urteil schon e r g a n g e n ist und dieses ausnahmsweise durch Restitutionsklage angefochten werden soll (§§ 580 no. 1. 581). Die gleichen Grundsätze sollen aber nach § 463, 2 auch gelten, wenn der Eid noch vor Erlafs des Urteils angegriffen werden soll. Hiernach ist der Eid der Partei jedenfalls, wie das Geständnis, ein vor den übrigen Beweismitteln b e v o r z u g t e s A u f k l ä r u n g s m i t t e l , und da der Schwörende durch die Schwurhandlung unter Umständen Rechtswirkungen herstellt in dem Bewufstsein, sie hervorzubringen, so kann auch der Eid, wie das Geständnis, den Charakter eines Dispositionsakts, eines prozessualen R e c h t s g e s c h ä f t s annehmen2. I I I . Voraussetzungen des zugeschobenen Eids. Während das moderne Recht in der Art, wie es die Wirkungen des Eids bestimmt, nur die alte Tradition aufrechterhält, hat es gerade umgekehrt in der Regelung der B e d i n g u n g e n des Eids eine Entwicklung abgeschlossen, die ganz allmählich, aber stetig verlaufend den Parteieid von seiner ursprünglichen Rolle als Hauptbeweismittel jedes Prozesses (o. S. 55) zu einem höchst subsidiären und möglichst selten zu verwendenden Mittel der Wahrheitsfeststellung herabgedrückt hat. Hierfür ist derselbe Umstand mafsgebend gewesen, der auch die Wirkung des Eids bestimmte (o. II), nämlich die Gefahr für das Gewissen der Partei, die durch die verführerische Bequemlichkeit, eine streitige Tatsache durch 1 Ausnahme nur, wenn trotz genügenden Beweises der Schuld die E i n l e i t u n g oder Durchführung des St.P. nicht erfolgen k a n n , z. B. wegen Fehlens einer Prozefsvoraussetzung (geistige Erkrankung, Abwesenheit des Beschuldigten usw.), s. unten § 105. 2 Der Streit darüber, ob der E i d , speziell der zugeschobene, ein Beweismittel sei, ist hiernach wesentlich doktrinär. ( L e o n n a r d . Eideszusch. in Familienprozessen, 1891. H e l l m a n n , K r i t . V.J.Schr. 34, 571. K l e i n f e l l e r , Verh. d. 22. Jur.T. 1, 67 u. Α.). Stellt man der gleichen W i r k u n g wegen den E i d dem Geständnis gleich (wie hier geschehen), so bleibt immerhin zu bedenken, dafs er i n den Vorbedingungen wesentlich anders als das Geständnis und mehr nach Analogie der eigentlichen Beweismittel gestaltet ist (vgl. I I I bes. lit. b, I V ) .

R i c h a r d S c h m i d t , Lehrbuch des Zivilprozefsrechts.

2. Aufl.

34

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IV. Rechtsstreit. § 84. Parteieide.

Eid, d. h. durch einen Willensakt, klarzustellen, geschaffen wird. Der Eid wird demgemäfs an ganz bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die geset zlich fixiert und vom Gericht im einzelnen Fall zu prüfen sind. Sie sind äufserst streng, wenn der Eid a u f A n t r a g der P a r t e i zur Verwendung kommt, als z u g e s c h o b e n e r E i d oder S c h i e d s e i d , minder streng, wenn es auf Initiative des Richters zum Eid kommt, zum r i c h t e r l i c h e n Eid oder N o t e i d . Jedenfalls ist in beiden Fällen der Eid nur als A u s h i l f e gedacht. Nur ganz vereinzelt ist der Eid umgekehrt unter A u s s c h l u f s aller andern Beweismittel als g e s e t z l i c h e r Eid, als E d i t i o n s e i d oder Offenbarungseid aufzuerlegen 1. Diese gesetzlichen Eide können nur im Zusammenhang mit den Einzelfragen, wo sie bedeutsam werden, mit der Urkundenedition (o. S. 522) und mit der Vollstreckung in das bewegliche Vermögen erörtert werden (u. § 154). Allgemeiner Darlegung bedarf dagegen der zugeschobene und der richterliche Eid. In dem Fall, wo der Eid auf Initiative cler Partei zum Beweis verwertet wird, erfolgt „die Antretung des Beweises durch die Erklärung, dafs dem Gegner über die Tatsache der Eid zugeschoben wird" (§ 451). Schon diese Einrichtung der E i d e s z u s c h i e b u n g , delatio iuramenti, entspricht der Besorgnis vor Eidesmifsbrauch. An und für sich könnte eine Partei Eidesbeweis sowohl dadurch antreten, dafs sie sich s e l b s t zum Eid erbietet, wie dadurch, dafs sie den Gegner zum Eid herausfordert. Die Erfahrung lehrt jedoch, dafs jede Partei jederzeit sehr gern bereit sein würde, eine streitige rechtserhebliche Tatsache „zu beschwören". Der Eid würde alsdann überreichlich zur Verwendung kommen. Dagegen wird die Partei immer nur im Notfall zu dem Mittel greifen, dem Gegner eine Tatsache „ins Gewissen zu schieben" und ihm damit die Möglichkeit zu verschaffen, dafs er durch seinen Willensakt den Prozefs zu seinen Gunsten entscheide. Deshalb soll die Beweisantretung nur durch Provokation des Gegners zum Eid, d. h. eben durch Eideszuschiebung, erfolgen 2. Hierbei 1 Beseitigt ist der gemeinrechtlich vorgesehene P e r h o r r e s z e n z e i d (zur eidlichen Bestärkung des Ablehnungsgesuchs gegen einen Richter usw. ; s. im Gegenteil oben lit. b) u. der D i i i e s s i o n s e i d (zur Best, der Urkundenunechtheit). Ebensowenig kennt das Gesetz einen E i d , den die Partei kraft Gesetzes verlangen darf, aber so, dafs ihr derselbe nicht wider ihren W i l l e n auferlegt werden k a n n , — wie das gemeinrechtliche iuramentum i n litem (oben S. 466 a. E.). a M i t der E r k e n n t n i s , dafs jeder Gesetzgeber an sich zwischen der Eidesbeweisantretung durch Berufung auf den e i g e n e n E i d und derjenigen durch Berufung auf den G e ç n e r e i d zu wählen h a t , und dafs die praktische Eigenart des Eidesbeweises notwendig auf die Vorzüge der letzteren hinweist, schwindet jedes Bedürfnis nach einer tieferen logischen E r k l ä r u n g für die Eideszuschiebung. Es kann deshalb nur aus der ungenügenden Erkenntnis der Situation gedeutet werden, wenn z. B. F i t t i n g § 72 a. Α. (7. A. S. 439.) die Eideszuschiebung über eine Tatsache künstlich als das gerichtliche Zugeständnis ihrer U n w a h r h e i t , falls der Gegner eidlich versichert, dafs er sie m i t gutein Gewissen, d. h. nicht wider besseres Wissen bestreite·, zu verstehen sucht. A u f dasselbe hinaus k o m m t P l a n c k Ι Γ , 291: die E i d e s z u s c h i e b u n g sei ein (formelles) B e w e i s m i t t e l . Aber ganz unrichtig dessen Behauptung: als solches bezeichne sie auch die Z.P.O. I n l Gegenteil sondert das Ges. die B e w e i s a n t r e t u n g (Zuschiebung) und das B e w e i s m i t t e l (Eidesleistung) nach dem Obigen sehr scharf. Damit w i r d unter völliger Umkehrung des wahren Verhältnisses die eigentlich tatsachen-feststellende Kraft in die

Zugeschobener, richterlicher, gesetzlicher Eid.

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mufs die zu beschwörende Tatsache „bestimmt bezeichnet" werden (§ 451), woraus folgt, dafs eine Eideszuschiebung über das gesamte Parteivorbringen nicht statthaft ist 1 . Aber auch die Eideszuschiebung darf das Gericht nicht in jedem Falle berücksichtigen. Vielmehr ist sie weiter nur unter gewissen Voraussetzungen wirksam: 1. Der zugeschobene Eid wird auf Tatsachen beschränkt, über die beim Schwurptlichtigen Kenntnis wirklich vorhanden sein mufs oder wenigstens im Durchschnitt der Fälle erwartet werden kann. „Die Eideszuschiebung ist nur über Tatsachen zulässig, welche in Handlungen des Gegners, seiner Rechtsvorgünger oder Vertreter bestehen oder welche Gegenstand der Wahrnehmungen dieser Personen gewesen sinda (§ 445). Hierin liegt: a) Der Eid darf r e g e l m ä f s i g nur über e i g n e H a n d l u n g e n und W a h r n e h m u n g e n der zum Schwur kommenden Partei (sog. f a c t a p r o p r i a ) zugeschoben werden, nicht über Handlungen und Wahrnehmungen Dritter. Hinsichtlich der in der eigenen Wissenschaft des Schwörenden beruhenden Tatsachen besteht anderseits keine Einschränkung. Gemäfs früherer Feststellung des Begriffs „Tatsachen" (oben S. 333) gehören dazu auch „innere" Tatsachen (R.G. 3. 430. 10, 323. 15, 368. 21, 402), auch Unterlassungen. Auch über unsittliche oder strafbare Handlungen ist Eideszuschiebung nicht ausgeschlossen. Ausnahmsweise ist sogar über e i g e n e Handlungen und Wahrnehmungen des Gegners Eideszuschiebung unzulässig: «) in E h e s a c h e n , wenn es sich um Tatsachen handelt, welche die Scheidung, Anfechtung der Ehe, Verweigerung der Eheherstellung, Giltigkeit oder Nichtigkeit der Ehe oder (im Ehefeststellungsprozefs) Bestehen oder Nichtbestehen der Ehe begründen sollen (§§ 617, 2, R.G. 34, 351). β) im Verfahren auf die R e s t i t u t i o n s k l a g e über die Tatsachen, welche den Restitutionsgrund bilden (§ 581, 2: Meineid der Partei, des Zeugen usw. vgl. unten § 103). y) in Entmündigungssachen (§§ 670. 679, 2. 684, 4. 686, 4). Grundsätzlich kann die Eideszuschiebung als eine bindende Disposition der Partei nicht zur Anwendung kommen, wo es sich um Aufklärung einer prozessualen Gültigkeitsbedingung des ganzen Verfahrens, einer Instanz oder einer einzelnen Prozefshandlung handelt, die von Amts wegen berücksichtigt werden mufs (§ 54 usw.). Hier gilt das gleiche, wie hinsichtlich des Geständnisses (oben S. 497 lit. b).

b) Über die Handlungen und Wahrnehmungen Dritter (facta a l i é n a ) kann der Eid nur a u s n a h m s w e i s e zugeschoben Eideszuschiebung statt in den E i d selbst verlegt, während die erstere doch nur A k t des Prozel'sbetriebe, Beweisantretung, wie die Berufung auf einen Zeugen, ist. Allerdings wird dieselbe, wie überhaupt das gesamte Eidesinstitut, vom Gesetz besonders behandelt. Sie zieht anders als andere Beweisantretungen bestimmte Rechtsfolgen unmittelbar kraft Gesetzes nach sich, begründet ipso iure eine eigentümliche Gebundenheit des Gegners (unten S. 462) und ist deshalb wie der Eid selbst als ein p r o z e s s u a l e s R e c h t s g e s c h ä f t zu bezeichnen ( W a c h , Vortr. 2. A. 220). 1 Nach § 451 mufs bei der Eideszuschiebung die zu beschwörende Tatsache „bestimmt bezeichnet" werden. Hieraus folgt, dafs eine Eideszuschiebung über das gesamte Parteivorbringen generell nicht statthaft ist. Dagegen w i r d damit nicht gefordert, dafs der Deferent uio zu beschwörende Eidesnorm selbst bindend zu formulieren hat.

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IV. Rechtsstreit. § 84. Parteieide.

werden nämlich in Fällen, wo bei der besonders engen Beziehung zwischen dem Dritten und der Partei eine gute Information der letzteren über diese fremden Tatsachen vermutet werden kann 2 . Als solche Fälle erkennt § 445 die Handlungen und Wahrnehmungen des R e c h t s v o r g ä n g e r s oder V e r t r e t e r s der zum Schwur kommenden Partei an. Als Rechtsvorgänger kommen alle diejenigen Personen in Betracht, von denen der Schwörende nach der Behauptung des Zuschiebenden ein R e c h t a b l e i t e t , sei es mittels Übertragung des Rechts des Rechtsurhebers, sei es mittels Begründung eines neuen Rechts im Umfang der Rechtssphäre des Auktors (eines Dienstbarkeits-, eines Pfandrechts, das der Eigentümer bestellt usw.) 8 , — gleichviel ob die Rechtsnachfolge Singularoder Universalsukzession war. Vertreter sind diejenigen Personen, die nach der Behauptung des Zuschiebenden i m N a m e n des Schwörenden r e c h t l i c h erhebliche H a n d l u n g e n vorg e n o m m e n haben, gleichviel ob auf Grund einer Vollmacht bezw. eines gesetzlichen Vertretungsrechts oder als Geschäftsführer ohne Auftrag 4 und gleichviel wie weit sich das Gebiet erstreckt hat, auf dem er für die Partei rechtlich tätig geworden ist 5 . Diese Vorbedingungen der Zuschiebung müssen auch erfüllt sein im Fall der Z u r ü c k s c h i e b u n g (§ 448, 1). In gewisser Beziehung ist dieselbe jedoch n o c h b e s c h r ä n k t e r . Hatte nämlich der Deferent den Eid über eine Tatsache zugeschoben, welche vom Standpunkt des Delaten ein factum proprium (oben lit. a) war, so darf die Zurückschiebung nur erfolgen, wenn sie a u c h vom Standpunkt des nunmehr selbst zum Schwur kommenden Deferenten und Relaten eine e i g e n e Handlung oder Wahrnehmung ist, — nicht dagegen, wenn sie für diese ein factum alienum (lit. b) ist, z. B. eine Kauf beredung, die zwar der Delat (als Besteller) p e r s ö n l i c h , der Deferent aber durch seinen Handlungsreisenden, V e r t r e t e r , abgeschlossen hat.

2. Die Eideszuschiebung setzt ferner voraus, dafs die unter Eid gestellte Tatsache, wenn sie eine dem Gegner bekannte ist (no. 1), innerhalb des Streitmaterials eine ganz bestimmte Lage 1 Nach dem Vorschlag des 8. d. Jur.T. sollte die E.Z. über facta aliéna g a n z beseitigt werden. Das Ges. sucht eine V e r m i t t l u n g (Mot. zu § 397 E. Z.P.O., S. 276). 2 Desh. unstatthaft über .Kenntnis von der Zahlungseinstellung" eines Dritten, R.G. 3, 398 i m Anfechtungsprozefs, denn hier ist beweisbedürftig sowohl die Zahlungseinstellung selbst wie die Kenntnis davon. 3 R.G. 1899. 45, 369. — Z u der letzteren Gestaltung gehört es auch, wenn in einem Prozesse auf Anfechtung einer Rechtshandlung der Gläubiger gegenüber dem Anfechtungsgegner (Dritten) Behauptungen über eine P f ä n d u n g aufstellt, die derselbe ins Vermögen des Schuldners ausgebracht hat. Der Schuldner ist hier Rechtsvorgänger des Dritten, über seine Handlungen usw. k a n n der E i d zugeschoben werden ( G a u p p zu §445, I I I R.G. u. a. O.). Dagegen ist der I n d o s s a n t des Wechsels nicht Rechtsvorgänger des Indossatars und Wechselinhabers: denn letzterer erwirbt kraft des Indossaments alle Rechte aus dem Wechsel (art. 10 W.O.), nicht nur die des Indossanten (R.G. 9, 45). 4 Vertreter ist nicht j e d e r , «für dessen Handlungen die Partei h a f t e t " (so Mot. 275; — der, für dessen Kontraktsschuld die Partei als Bürge; der Bedienstete, für dessen Deliktsschuld sie als Gastwirt haftet, ist nicht Vertreter); — aber anderseits ist Vertreter nicht nur der, der für die Partei rechtswirksam zu handeln b e f u g t w a r ( G a u p p I I n. 2 u. Α.). h Ob dies der F a l l gewesen, hängt von den Umständen ab. W e n n ζ. B. ein i m Fabrikbetrieb verletzter Arbeiter aus § 2 Haftpfl. Ges. gegen den Fabrikanten klagt, so ist nicht ohne weiteres sicher, ob der Werkführer des letzteren, dem die Leitung des Betriebs u n d die Beaufsichtigung der Arbeiten übertragen w a r , auch r e c h t l i c h e r h e b l i c h e Handlungen für den Prinzipal vorgenommen hat (Lohnauszahlung usw.). Z u weitg. desh. R.G. 13, 356.

Eid nur über facta propria. Subsidiarität des Eides.

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einnimmt. Zunächst darf über eine Tatsache der Eid nur dann zugeschoben werden, wenn zu deren Aufklärung keine andern Beweismittel (Wahrnehmungsobjekte, Zeugen, Urkunden) mehr zur Verfügung stehen. Während das G e s t ä n d n i s a l l e n a n d e r n B e w e i s m i t t e l n v o r g e h t , ihre Erhebung ausschliefst, s t e h t der E i d a l l e n a n d e r n B e w e i s m i t t e l n n a c h , wird er durch ihre Erhebung bis auf weiteres ausgeschlossen. Der Eid ist nur s u b s i d i ä r e s Beweismittel k r a f t Gesetzes. Dieses Prinzip kommt in § 453 zum Ausdruck, der daraus die eine Konsequenz zieht: „Durch die Zuschiebung, Annahme oder Zurückschiebung des Eides wird die Geltendmachung anderer Beweismittel von Seiten der einen oder der anderen Partei nicht ausgeschlossen. Werden andere Beweismittel geltend gemacht, so gilt der Eid nur für den Fall als zugeschoben, dafs die Antretung des Beweises durch die anderen Beweismittel erfolglos bleibt" (z. B. Beklagter schiebt über die Einrede der Zahlung der eingeklagten Darlehnsforderung den Eid zu, legt aber nachträglich eine Quittung vor, während Kläger Zeugen dafür benennt, dafs die Quittung sich auf eine aridere Forderung beziehe). Das Prinzip hat jedoch auch die andere (vom Gesetz nicht ausgesprochene) Konsequenz, dafs auch das G e r i c h t , soweit es zur (untersuchenden) Herbeiziehung von Beweismitteln berechtigt ist (von Augenscheinsobjekten: oben S. 428), solche ex officio zum Zwecke der Ausschliefsung des Eides erheben mufs (z. B. ein Buchhändler klagt auf Kaufpreis für gelieferte Bücher, behauptet gegenüber der den Klaggrund leugnenden Behauptung, die Sendung sei nur Ansichtssendung gewesen, zur Ergänzung, dafe der Beklagte die Bücher aufgeschnitten und gebunden habe und schiebt hierüber den Eid zu, — das Gericht ordnet die Vorlegung der Bücher ex officio an) 1 . Die Anerkennung der Subsidiarität des Eides ist Produkt einer langen, aber stetigen Entwicklung, die im letzten Stadium des gemeinen Prozesses ihren Ausdruck in dem Institut der „Gewissensvertretung", probatio pro exoneranda conscientia fand, d. i. der Beweisantretung zum Zwecke der Vermeidung eines vom G e g n e r zugeschobenen E i d e s , sowie in der sogenannten Eventualkumulation des Eides mit anderen Beweismitteln, d. i. der Beweisantretung zu dem Zwecke, womöglich die L e i s t u n g des an d e n G e g n e r zugeschobenen Eides überflüssig zu machen. Noch in letzter Stunde wurde diese Entwicklung durch nordd. E. §§ 612. 613. 621, 4 gefährdet, der sowohl Gewissensvertretung wie Kumulation ausschlofs und umgekehrt dem Gegner der beweisantretenden Partei die Möglichkeit gab, die Erhebung der Beweise durch Eideszuschiebung an den Beweisführer auszuschliefsen. Hierdurch wäre eine Vereinfachung des Verfahrens um den Preis der neuerlichen Erhebung des Parteieides zum Hauptbeweismittel erkauft worden. Von Z.P.O. wurde jedoch rechtzeitig das Verhängnisvolle dieser Wendung erkannt (dargelegt in Mot. 279. H a h n I, 333).

3. Die Eideszuschiebung ist ferner nur unter der Voraussetzung wirksam, dafs sich das Gericht nicht bereits auf Grund anderer Beweismittel eine Ü b e r z e u g u n g über die fragliche Tatsache g e b i l d e t h a t . Dies ist selbstverständlich für den 1 Zuerst betont von S c h n e i d e r , E r m i t t l u n g des Sachverhalts, S. 164 (weitere Beispiele S. 142). Die herrschende Meinung, die das richterliche Aujjenscheinsrecht nur a u f „Informationsaugenschein" bezieht (s. oben S. 349), k a n n natürlich nicht zu diesem Resultate kommen. Betrachtet m a n dagegen den § 135 als Gewährung eines eigentlichen Untersuchungsrechts, so mufs m a n auch folgerichtig i n den F ä l l e n , wo das Gericht den E i d nicht i n dieser Weise ausgeschlossen hat, die A n f e c h t u n g d e s U r t e i l s gestatten (entsprechend wie bei ungenügender Ausübung des Aufklärungsrechts, oben S. 348).

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IV. Rechtsstreit. § 84. Parteieide.

Fall, dafs eine Partei über eine schon v o l l bewiesene Tatsache den Eid zuschiebt. Eine Besonderheit dagegen ist, dafs auch die Eideszuschiebung über eine Tatsache, deren G e g e n t e i l bereits voll bewiesen ist, nicht beachtet werden darf (§ 446). Hierin liegt, dafs die Eideszuschiebung n i c h t zum Z w e c k des G e g e n b e w e i s e s gegen schon v o l l e r b r a c h t e n B e w e i s verwendet werden kann, z. B. nicht vom Beklagten zum Beweis der Zahlung der Klagschuld an den Kläger persönlich, wenn der Kläger bereits durch Zeugen nachgewiesen, dafs wegen eines dauernden Alibi in der kritischen Zeit die Zahlung an ihn gar nicht geleistet werden konnte. In konsequenter Anwendung des § 446 ist die Eideszuschiebung auch unzulässig zum Beweis der Unwahrheit von Tatsachen: a) die nicht zufolge f r e i e r Beweiswürdigung von Beweismitteln, sondern gemäfs einer B e w e i s r e g e l , die einem Beweismittel gesetzliche Beweiskraft beilegt, für bewiesen erachtet worden (z. B. gegen das Empfangsbekenntnis eines Rechtsanwalts über die Zustellung einer Urkundsausfertigung §§ 198, 415 Z.P.O. R.G. I I I , 1885. 15, 375). b) Entsprechend müfste eigentlich E.-Z. unzulässig sein über Tatsachen, die nicht durch freie Beweiswürdigung von Indizien (S. 467), sondern gemäfs einer R e c h t s ν er m u t u n g , die den Schlufs aus einer indizierenden Tatsache auf eine Tatsache vorschreibt, für bewiesen erachtet worden. Hier wird sie jedoch durch Z.P.O. § 292 ausdrücklich gestattet. Jedenfalls ist die Eideszuschiebung durchaus zulässig, sowie die unter E i d gestellte Tatsache nicht das gerade Gegenteil der schon bewiesenen ist, wenn sie auch mit ihr zusammenhängt, insbesondere zum Beweis: a) einer Tatsache, die den schon bewiesenen Tatsachen eine andere r e c h t l i c h e B e d e u t u n g gewähren soll (ζ. B. durch Vertragsurkunde ist erwiesen, dafs die Ehefrau sich verpflichtet, den Darleiher ihres Mannes für alles schadlos zu halten, was er aus dessen Konkurs nicht erhalten würde, — der Eid wird von der beklagten Ehefrau darüber zugeschoben, das Versprechen sei nur abgegeben worden, um den Gläubiger zum Beitritt zu einem Zwangsvergleich zu bestimmen und ihn vor anderen Gläubigern zu bevorzugen, also nichtig. R.G. I I I . 1886 Beitr. 31, 100). Ebenso ist E.Z. möglich zum Beweis: b) einer Tatsache, die ein selbständiges Indiz bildet, aus dem erst die Unwahrheit der schon (ζ. B. durch andere Indizien) bewiesenen Tatsache geschlossen werden soll (ζ. B. ein Verleger hat durch Bücher und Zeugen bewiesen, dafs er ein vom Autor verlangtes hohes Honorar nicht versprochen haben könne, weil es seinen Übungen zuwider laufe, — der Eid wird darüber zugeschoben, dafs der Verleger die Honorarverabredung bei einem Buchhändlerdiner schon halb angetrunken getroffen habe).

4. Die letzte und einschneidendste Voraussetzung der Eideszuschiebung ist endlich die, dafs die Partei, die sie vornimmt, ihrer bedarf, um eine ihr günstige Entscheidung über den Anspruch oder die zweifelhafte Vorfrage zu erlangen, d. h. wenn sie hinsichtlich der unter Eid gestellten Tatsache die Beweislast, die Gefahr des Unterliegens im Fall der Unbewiesenheit, trägt. „Eine nicht beweispflichtige Partei übernimmt durch Eideszuschiebung nicht die Beweispflicht" (§ 447). Hat ζ. B. gegenüber der Darlehnsklage der Beklagte für die Zahlung der Schuld einen Zeugen benannt, der nichts bekundet hat, der Kläger dagegen dem Beklagten

Keine Eideszuschiebung zum Gegenbeweis. Beweislast.

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den Eid zugeschoben, so ist die Eideszuschiebung unbeachtlich und es ist auf die Klage zu verurteilen, weil nicht der Kläger, sondern der Beklagte die Zahlung (als Einrede) zu beweisen hat (s. oben S. 480). Demnach wird, ehe das Gericht sich über eine Eideszuschiebung entscheidet, in jedem Prozefs erst die genaue Prüfung der V e r t e i l u n g der Beweislast erforderlich, vor allem wenn die Parteien über eine die Entstehung des Anspruchs berührende Tatsache verschiedene Sachdarstellungen gaben, ob die Darstellung des Beklagten eine L e u g n u n g des K l a g g r u n d s in dem unter Eid gestellten Punkte enthält oder ein s e l b s t ä n d i g e s G e g e n v o r b r i n g e n , eine rechtshindernde Einrede. Behauptet z. B. der Beklagte, das angeblich feste Geschäft sei nur b e d i n g t geschlossen worden und schieben sich die Parteien über diese Behauptung den Eid zu, so ist dies Leugnen, es ist die Zuschiebung des Klägers beachtlich und der B e k l a g t e kommt zum Eid, — behauptet der Beklagte gegenüber der Üblichkeit des Kaufpreises eine Nebenabrede wegen besonderer Vereinbarung niedrigeren Preises, so ist dies Einrede (o. S. 485, 486), und der Kläger kommt zum Eid. Mit Rücksicht hierauf und weil die Prüfung der Beweislast häufig von der nicht genau vorauszuberechnenden rechtlichen Beurteilung des Gerichts abhängt, ist es Gebrauch, dafs sich die Parteien w e c h s e l s e i t i g e v e n t u e l l den Eid zuschieben und ihn für den Fall, dafs den Gegner die Beweislast treffen soll, annehmen1. Die Bedeutung des § 447 wird unzulässig abgeschwächt, wenn er nur auf den Fall bezogen wird, wo j e d e Partei der andern ( w e c h s e l s e i t i g ) den Eid über dieselbe Tatsache zugeschoben hat: hier sei nur die Eideszuschiebung der beweispflichtigen Partei zu berücksichtigen; — dagegen nicht auf den Fall, wo die beweispflichtige Partei gar keinen Beweis angetreten, der Gegner ihr den Eid zugeschoben hat: hier sei die Eideszuschiebung trotz mangelnder Beweislast zu berücksichtigen. ( W a c h , Vorträge, 1. A. 167. W i l m . - L e v y zu Z.P.O. I § 412 a. E.). 1 Der Zusammenhalt der gesetzlichen Vorschriften ergibt, dafs das Gericht den Eid auf Grund der Zuschiebung desselben zur Feststellung einer Tatsache n u r a u s h i l f s w e i s e (wenn andere Beweismittel weder die Tatsache noch deren Gegenteil ergeben haben) und n u r i m F a l l d e r N o t (wenn die zuschiebende Partei nach den Beweislastregeln bei Unbewiesenheit der Tatsache einen Nachteil erleiden würde) verwerten darf, — dafs aber unter diesen Voraussetzungen der Zuschiebende vermöge der Zwangslage des Gegners e i n f e s t e s g e s e t z l i c h e s A n r e c h t auf den Gebrauch des Eides besitzt. Hieraus erklärt sich, dafs Z.P.O. einen W i d e r r u f der Eideszuschiebung weder gestattet noch verbietet. Derselbe ist in W a h r h e i t gegenstandslos. Denn entweder ist der Zuschiebende für die (an sich erhebliche) Tatsache b e w e i s p f l i c h t i g u n d ohne a n d e r e Beweismittel: dann würde er durch W i d e r r u f schlechthin beweisfällig und er hätte sicheren Prozefsverlust zu gewärtigen, während er unter Aufrechterhaltunp der Zuschiebung selbst im ungünstigsten F a l l (der Annahme durch den Gegner) noch eine Chance des Obsiegens (den F a l l der Nichtleistung des Eides) hat. Oder der Zuschiebende ist überhaupt nicht für die Tatsache beweispliichtig oder hat noch andere Beweismittel, dann d a r f das Gericht (selbst bei Annahme des Gegners) den E i d nicht auferlegen und der Zuschiebende erlangt eine günstige Entscheidung auch o h n e d e n E i d . U n r i c h t i g deshalb W a c h , Vortr. 167 Weismann S. 174, dafs der Zuschiebende den E i d widerrufen könne. E i n Interesse des Deferenten am W i d e r r u f besteht für sie nur u m deswillen, w e i l sie auch die Eideszuschiebung der n i c h t be weispflichtigen Partei an sich für beachtlich erklären (s. oben i m Text). Aber gerade aus der Tatsache, dafs Z.P.O. einen W i d e r r u f nicht erwähnt, ergibt sich, dafs diese Auffassung des § 447 nicht die der Meinung des Gesetzes entsprechende ist. [ H i e r m i t ist nicht zu verwechseln die besondere Behandlung des Widerrufs der Zuschiebung n a c h i n z w i s c h e n erfolgter Auferlegung des Eides, § 470, — unten S. «71. Eigenartig ferner der F a l l des Todes, des Eintritts der Prozefsunfähigkeit des Schwurpflichtigen § 471, unten S. 471.]

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IV. Rechtsstreit. § 84. Parteieide.

Von dieser Unterscheidung ist dem Gesetz nichts bekannt. Sie wird auch nicht unterstützt dadurch, dafs i m a l l g e m e i n e n jede Partei ohne Rücksicht auf die Beweislastverteilung Beweismittel (Zeugen usw.) wirksam benennen kann (s. oben S. 476 A. 1). Denn § 447 will eben wie §§ 446, 458 für den Eid etwas b e s o n d e r e s vorschreiben, um ihn absichtlich zu beschränken. Eine bedenkliche Abschwächung des § 447 wäre es auch, wenn man bei Einigung der Parteien über die Erhebl. eines Eids die Beweislast für gleichgiltig erklären wollte. So R.G. 53, 39 in Widerspr. mit (§ 450 o. S. 528).

Nach allem befindet sich die Partei da, wo sie zur Eideszuschiebung greift und nach Lage der Sache greifen mufs, in einer stark eingeengten Lage. Die Parteigleichheit erfordert, dafs zum Entgelt auch der Gegner bei seinem Verhalten gegenüber dem zugeschobenen Eid gesetzlich gebunden wird. Auch der „ D e l a t t t kommt deshalb in eine prozefsrechtlich geregelte Zwangslage. Er hat nur folgende Möglichkeiten: a) Er kann den Eid a n n e h m e n u n d l e i s t e n und hierdurch die beschworene Tatsache (die e i g n e Behauptung) feststellen (§ 463, 1 ; über dessen Tragweite oben II). „Die Erlassung des Eides von Seiten des Gegners hat dieselbe Wirkung wie die Leistung des Eides" (§ 464, 1). b) Der Delat kann den Eid v e r w e i g e r n . Hierdurch wird das G e g e n t e i l der zu beschwörenden Tatsache (die Behauptung des Zuschiebenden) festgestellt (§ 464, 2), und zwar gleichviel (was das Gesetz nicht unterscheidet) ob die Eidesverweigerung, die ausdrückliche oder konkludente Erklärung, den Eid nicht leisten zu wollen oder nicht leisten zu können, schon bei oder nach der Zuschiebung, v o r der Auferlegung des Eides, oder nach vorheriger Annahme, n a c h der Auferlegung, abgegeben wird. c) Endlich jedoch stellt das Gesetz dem Delaten auch noch eine dritte Alternative, die zwischen der ihm günstigsten Chance (lit. a) und der ihm ungünstigsten (lit. b) in der Mitte steht, — die der Z u r ü c k s c h i e b u n g , R e l a t i o n des Eides an den Zuschiebenden (§§ 452. 448). Sie besteht in der Aufforderung an den Zuschiebenden, den E i d s e l b s t zu l e i s t e n , und gibt deshalb für die Tatsache noch keine endgültige Entscheidung (wie lit. a und b), eröffnet vielmehr wiederum eine doppelte Möglichkeit, — die, dafs der Deferent den Eid leiste oder die, dafs er ihn verweigere. Eine ausdrückliche Annahme ist in ersterem Fall nicht notwendig, weil gegenüber der Zurückschiebung die dritte Alternative (nochmalige Zurückschiebung) fehlt (relatio relationis non fit) und weil deshalb der zurückgeschobene Eid „auch ohne ausdrückliche Erklärung über die Annahme als von dem Beweisführer angenommen" gilt (§ 456). Vorausgesetzt wird nur auch für die Zurückschiebung (wie für Leistung oder Verweigerung) des Eides, dafs ihr eine gültige und wirksame Zuschiebung (nach oben I I I , 1—3) vorausgegangen ist. 1 Dagegen k a n n gegen eine Urkunde, die freier Beweiswürdieung unterliegt, auch der E i d zum Gegenbeweis benutzt werden, z. B. zur Entkräftung aer Behauptung, dafs eine U r k u n d e e r s c h ö p f e n d sei und eine mündliche Nebenverabredung, die vom Deferenten behauptet wird, nicht getroffen worden sei (vergl. o. S. 517. 518).

Stellung des Delaten. Annahme, Verweigerung, Zurückschiebung.

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Mit Rücksicht auf diese verschiedenen gesetzlich festgelegten Möglichkeiten begründet Z.P.O. § 452 entsprechend den sonstigen Grundsätzen über den Parteibetrieb (oben 422) die Last oder Notwendigkeit des Delaten, sich über die Eideszuschiebung zu erklären, ob er den Eid annehme oder zurückschiebe, selbst wenn er Einwendungen in Beziehung auf die Eideszuschiebung vorbringt. Gibt er keine Erklärung ab oder schiebt er in einem Falle, in welchem die Zurückschiebung unzulässig ist, den Eid zurück, ohne denselben bedingt anzunehmen, so wird der Eid als verweigert angesehen (§ 452, 2; sog. poena recusati). Die Verantwortlichkeit des Delaten für diese Erklärung wird noch dadurch gesteigert, dafs die Wahl zwischen den verschiedenen Möglichkeiten eine definitive ist, nicht widerrufen werden kann (§ 458). Anderseits wird die Verantwortlichkeit dadurch erleichtert, dafs die Partei (ausnahmsweise, oben S. 427) durch das Gericht ausdrücklich zur Erklärung über den Eid aufgefordert werden mufs (§ 455). Ausnahmsweise ist ein Widerruf der Wahl zwischen Zurückschiebung und Annahme gestattet, wenn nach solcher Erklärung über den Eid noch andere Beweismittel (gemäfs § 453, o. Nr. 1) erhoben worden sind (§ 454, 2), sowie speziell im Fall, dafs sich der Delat f ü r Zurückschiebung entschieden hat, dann, wenn der Schwurpflichtige wegen wissentlicher Verletzung der Eidespflicht rechtskräftig verurteilt oder wenn glaubhaft gemacht wird, dafs der Gegner nicht nach erfolgter Zurückschiebung des Eides von einer solchen Verurteilung Kenntnis erlangt habe (§ 457). Die A n t r e t u n g anderer Beweise nach der Eideszuschiebung schiebt die Erklärungspflicht des Delaten bis nach der Aufnahme oder sonstigen Erledigung derselben auf (§ 454, 1). Die eigentümliche Nötigung beider Parteien, sich im Fall der Eideszuschiebung wechselweise und unter weittragender Verantwortlichkeit zu erklären, rechtfertigt zugleich, dafs zum Zwecke blofser G l a u b h a f t m a c h u n g , d.h. zu schleuniger Begründung einer annähernden Wahrscheinlichkeit, die Eideszuschiebung nicht verwendet werden darf (§ 294, vgl. unten S. 539). Sie entspricht hier nicht der prozessualen Situation. Denn in solchen Fällen findet meist nur schriftlicher Verkehr oder einseitige Verhandlung einer Partei vor Gericht statt (o. S. 453. 478).

IV· Voraussetzungen des richterlichen Eids. Das Gericht kann den Parteieid auch von A m t s w e g e n , in Ausübung eines der für diesen Fall begründeten Untersuchungsrechte (o. S. 428) zur Aufklärung des Tatbestands verwerten. Dies geschieht sowohl mittels „Auferlegung eines richterlichen Eids" wie mittels „Zulassung zur Versicherung an Eidesstatt". Die beiden Anwendungsformen sind auf verschiedene Gebiete berechnet, haben aber beide das gemeinsame, dafs für die Auferlegung des Eides ein Antrag oder Erbieten der Partei zwar anstofsgebend sein kann, doch nicht notwendig ist, und dafs das Gericht, ungebunden durch den Antrag, nach seinem Ermessen befindet, ob der Eid aufzuerlegen ist. Der r i c h t e r l i c h e E i d (iuramentum iudiciale, necessarium, a iudice delatum) kommt auf d e m s e l b e n G e b i e t zur Anwendung wie der z u g e s c h o b e n e E i d , nämlich da, wo das

538

IV. Rechtsstreit. § 8 .

rtei.

Gesetz zu einer Entscheidung v o l l e n B e w e i s des Tatbestands verlangt. „Ist clas Ergebnis der Verhandlungen und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht ausreichend, um die Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit oder Unwahrheit der zu erweisenden Tatsache zu begründen, so kann das Gericht der e i n e n oder d e r a n d e r n Partei über eine streitige Tatsache einen Eid auferlegen" (§ 475). Der letztere steht demnach zur Verfügung, wenn für eine erhebliche Tatsache e i n i g e W a h r s c h e i n l i c h k e i t , aber nicht soviel begründet ist, dafs damit volle Überzeugung des Gerichts entsteht 1 . Nur ist, da jedenfalls die Grundsätze über die Beweislast nicht beeinträchtigt werden dürfen, soviel sicher, dafs das nicht ausreichende Ergebnis der Beweisaufnahme zugunsten der b e w e i s ρ f l i e h t i g e η Partei ausgefallen sein mufs, und es hat deshalb das Gericht die Beweislastverteilung in diesem Falle ganz ebenso zu prüfen wie vor Auferlegung des zugeschobenen Eids. Dagegen sind die weiteren Voraussetzungen des zugeschobenen Eids aufgegeben. Einmal kann der richterliche Eid nach Ermessen nicht nur über facta propria, sondern auch über facta aliéna (o. S. 531) auferlegt werden. Das Gericht ist ferner nicht gezwungen, v o r dem Eid zunächst noch andere angetretene, aber unerhobene Beweismittel zu erheben. Der richterliche Eid ist also n i c h t wie der zugeschobene s u b s i d i ä r e s Beweismittel 2 . Vielmehr steht es im freien Ermessen des Gerichts, ob es den unvollständigen Beweis durch Vernehmung der noch benannten Zeugen oder durch Auferlegung eines richterlichen Eids ergänzen w i l l 8 . Endlich bestimmt das Gericht nach freiem Ermessen, ob es den Eid derjenigen Partei auferlegen will, f ü r die schon etwas bewiesen ist, als Erfüllungseid (iuramentum suppletorium) oder derjenigen, gegen w e l c h e etwas bewiesen ist, als Reinigungseid (iuramentum purgatorium) 4 . Anderseits hat das Gericht, wenn schon eine gewisse Wahrscheinlichkeit erbracht 1 D a m i t ist nicht gesagt, dal's der Eid· nur auf Grund vorgäneriger B e w e i s a u f n a h m e auferlegt werden kann. I n § 475 lieçt v i e l m e h r , dafs der E i d auch schon auf Grund der P a r t e i V e r h a n d l u n g zulässig i s t , wenn ζ. B. zugestandene I n d i z i e n t a t s a c h e n bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit begründen. 2 E i n solches w a r er nach g e m e i n e m Recht. Die Reformgesetze (auch hann. und nordd. E.) erleichterten, wie den zugeschobenen Eid, so auch den richterlichen, und die Regierungsentwürfe der Z.P.O., die hinsichtlich des zugeschobenen Eids die gemeinrechtliche E n t w i c k l u n g i m Gegensatz zum nordd. E . wieder aufnahmen (vgl. hierüber oben S. 461), versäumten die gleiche W e n d u n g auch zugunsten des richterlichen Eides zu machen, m i t der unklaren Begründung, es widerspreche dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung, wenn der Richter g e z w u n g e n sein solle, vor Auferlegung eines Eides erst die sonst angebotenen Beweise zu erheben. (Mot. zu § 419 E., S. 286. H a h n I , 340.) (Verwechslung m i t dem richtigen Gedanken S. 533.) Die Reichstagskommission nahm auf A n t r a g S t r u c k m a n n m i t Recht den Zusatz wieder auf: „Das Gericht ist — nicht befugt, den E i d früher aufzuerlegen, als bis die sonstige Beweisantretung - erledigt ist., u (Komm.Prot. 181. H a h n I , 668), liefe sich aber i m letzten Stadium, trotz des dringenden Hinweises von B ä h r , R e i c h e n s p e r g e r u. a. auf die Gefahr der richterlichen W i l l k ü r , durch die Regierung bestimmen, i h n wieder zu streichen (Kom.Prot. 168. Sitz. H a h n I I , 1182). 3 R.G. 1885. S e u f f . A . 41, 229. 1888 ib. 44, 109. N u r wenn der Schwurpflichtige wegen wissentlicher Verletzung der Eidespflicht verurteilt w i r d , ist dies ein so starkes N o v u m , dafs das Gericht hier den bereits auferlegten E i d zurücknehmen mufs (§ 477, 2., entspr. der Zurücknahme der Eideszuschiebung i m gleichen F a l l § 457). * R.G. v. 7. Juni 1?88 21, 3 7 4 , v. 24. 10. 85. S e u f f . A . 41, 229, v. 8. 11. 88. Beitr. 33, 1174.

Voraussetzungen des richterlichen Eides.

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ist und gleichzeitig die beweispflichtige Partei dem Gegner den Eid zugeschoben hat, n i c h t freie Wahl, ob es der Eideszuschiebung folgen solle oder nach Ermessen den richterlichen Eid auferlegen solle. Hier mufs es den letzteren anwenden: denn da in solchem Falle die Beweisaufnahme nicht „erfolglos" geblieben ist (§ 453, oben S. 533), liegen die Vorbedingungen für den Delateid gar nicht vor 1 2 . In gewisser Richtung noch freier steht das Gericht bei Auflegung des S c h ä t z u n g s e i d s , cler in einem Entschädigungsprozesse dazu dient, den Schaden oder das Interesse eidlich zu schätzen (§ 287). Obwohl im allgemeinen nur ein Spezialfall des richterlichen Eids, wird er doch insofern anders behandelt, als er auch ohne v o r h e r erbrachte Wahrscheinlichkeit auferlegt werden kann. Anderseits ist das Gericht hier dadurch mehr beschränkt, dafs es den Eid nur dem „Beweisführer", d. h. der b e w e i s p f l i c h t i g e n P a r t e i , zubilligen kann. Jedenfalls steht die Auflage des Eids an sich auch hier im richterlichen Ermessen, im Gegensatz zum Schätzungseid cles gemeinen Rechts, dem iuramentum in litem (§ 287, 2). Dem richterlichen Eid entspricht die Z u l a s s u n g z u r e i d e s s t a t t l i c h e n V e r s i c h e r u n g für das Gebiet, auf welchem sowohl der zugeschobene Eid wie auch der richterliche Eid ausgeschlossen sind (vgl. S. 537), nämlich für die Fälle, wo das Gesetz zur Entscheidung nur G l a u b h a f t m a c h u n g voraussetzt. „Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, kann — zur Versicherung an Eidesstatt zugelassen werden" (§ 294). Bei dieser Zulassung ist das Gericht noch freier gestellt als durch § 475, insofern auch von § 294 wie von § 287 nicht vorausgesetzt wird, dafs für die Tatsache bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit erbracht sei. Anderseits ist das Gericht hier beschränkter, da es den Eid nur der beweisführenden Partei selbst (mit der es ohnehin regelmäfsig allein zu verhandeln hat), nicht dem Gegner auferlegen kann 4 . V. Form der Eidesauflage und Eidesabnahme3· Die Entgegennahme des Eidesbeweises erfolgt auf Grund eines gericht1 M i t andern W o r t e n : bei ftufserer Konkurrenz zwischen Delateid und richterlichem E i d über dieselbe Tatsache geht der letztere grundsätzlich v o r . 2 Kraft Gesetzes a u s g e s c h l o s s e n ist der richterliche E i d nur i n Entmündigungssachen (§ tili. 624. 626.), — nicht dagegen (wie der Schiedseid) i n Ehesachen, über T a t sachen, deren A u f k l ä r u n g dem Untersûchungsçrinzip unterliegt. 3 Sie ist von der Novelle an Stelle der .eidlichen Versicherung der W a h r h e i t " (§ 266 Z.P.O. I ) gesetzt worden und zwar auf Betreiben der Reichstagskommission, die in solchen Fällen einen eigentlichen E i d ganz ersparen wollte. 4 I n manchen Fällen w i r d die Versicherung als Glaubhaftmachungsmittel ausgeschlossen, nämlich bei Prüfung des Ablehnungsgrunds gegen Gerichtspersonen und Sachverständige (§ 44, 2. 406, 3, bei Prüfung des Revisionsinteresses (§ 54 i, 3). Sie w i r d durch Berufung auf den Diensteid e r s e t z t bei Glaubhaftmachung gewisser Zeugnisverweigerungsgründe (§ 386, 2). 6 Z u m Folgenden R ö n n b e r g , Eidesabnahme Z. 28, 79 (1901). S t ö l z e l . Fassung von Eidesauflagen Z. 29, 339 (1902).

540

IV. Rechtsstreit. § 84. Parteieide.

lichen Dekrets, welches die E i d e s n o r m vorzeichnet und auf Grund der gesetzlichen Vorschriften, welche teils die Behandlung dieses Dekrets als auch, unabhängig von demselben und allgemeingültig, die Formen der Eidesleistung regeln. Da die Verwertbarkeit des Eides, sowohl die des zugeschobenen wie die des richterlichen, von der Erheblichkeit der Tatsache, der Beweislastverteilung und dem Vorhandensein und Ergebnis anderer Beweismittel abhängt (oben I I I ) , so setzt die Auferlegung des Eids die vollständige Prüfung aller Teile des Streitmaterials, der faktischen wie der juristischen, in ihrem Verhältnisse zueinander voraus. Z.P.O. sucht deshalb eine solche Prüfung und hiermit wiederum die gewissenhafte Verwertung des Eids dadurch zu erzwingen, dafs sie für den Regelfall vorschreibt: „auf die Leistung eines Eids ist durch bedingtes Endurteil zu erkennen" (§ 4(30), d. h. durch eine Entscheidung, welche vor Auflegung des Eids den gesamten Rechtsstreit b e d i n g t , alternativ für den Kläger oder den Beklagten je nach dem Ausfall der beabsichtigten Eidesauflage entscheidet. Dieselbe schliefst die Instanz ab, präkludiert, wenn sie rechtskräftig erlassen, d. h. mit Rechtsmitteln nicht mehr angefochten werden kann, alles neue Tatsachen- und Beweisvorbringen der Parteien, wie das Endurteil, und zieht nach inzwischen erfolgter Leistung (bezw. Erlassung) oder Nichtleistung des Eids nur ein sog. L ä u t e r u n g s u r t e i l (sententia purificatoria) nach sich, das die bereits im bedingten Urteil bindend bezeichnete Rechtsfolge der Eidesleistung oder -nichtleistung endgültig ausspricht. (Über die prozessuale Behandlung dieser Entscheidungen u. §§ 117 ff.). Durch solches bedingtes Endurteil ist nach geltendem Recht der r i c h t e r l i c h e Eid ausnahmslos, der z u g e s c h o b e n e Eid wenigstens in der Regel aufzuerlegen (§ 477, 3. 460, 1). Nur ausnahmsweise kann der zugeschobene Eid, wie andere Beweismittel, durch Beweisbeschlufs (unten § 99) angeordnet werden: 1. wenn die Parteien über Norm und Erheblichkeit desselben einverstanden sind (§ 461, 1); 2. wenn vom Eid die Erledigung eines Zwischenstreits oder eines selbständigen Angriffs- oder Verteidigungsmittels abhängt (§ 461, 1. 2); 3. wenn der Eid im Urkunden- oder Wechselprozefs aufgelegt wird; hier ist umgekehrt bedingtes Urteil ausgeschlossen (§ 595, 4: hierüber s. § 91, III). Für die Auferlegung eines Eides über ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel (einen von mehreren Klaggründen, eine von mehreren Einreden) steht aufserdem der eigentümliche Weg des b e d i n g t e n Z w i s c h e n u r t e i l s zur Verfügung (§ 461, 2, s. darüber unten § 119,11). Ist einer Partei der Eid bereits durch bedingtes Urteil auferlegt worden, so kann der Gegner nur ausnahmsweise auch nach Eintritt der Rechtskraft die Zuschiebung sowie die Zurückschiebung widerrufen, wenn der Schwurpflichtige wegen wissentlicher Verletzung der Eidespflicht rechtskräftig verurteilt oder wenn glaubhaft gemacht wird, dafs der Gegner erst nach erfolgter Zuschiebung oder Zurückschiebung des Eides von einer solchen Verurteilung

Form der Auflage und Abnahme von Eiden.

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Kenntnis erlangt habe (§ 470). In diesem Fall kann der Gegner alle Rechte ausüben, die ihm vor der Zu- oder Zurückschiebung zustanden (§ 471, 2). Anderseits wird der S c h w u r p f l i c h t i g e durch die Auferlegung des Eides nicht gehindert, frühere Behauptungen zurückzunehmen oder früher bestrittene Tatsachen zuzugestehen. Tut er dies, so kann er sich zur Leistung eines beschränkteren Eides erbieten. Auch können unerhebliche Umstände, welche in die Eidesnorm aufgenommen sind, berichtigt werden (§ 469).

Aber auch im I n h a l t der verschiedenen Formen der Eidesauflegung ist das Gericht insofern gebunden, als das Gericht ihm Vorschriften über die F a s s u n g des Eids macht: 1. die E i d e s f o r m e l , d. h. die das Eidesthema bekräftigende Beteuerungsformel, ist ein- für allemal durch § 443 festgesetzt. Die Einleitungsformel lautet: „Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden," — die Schlufsformel: „So wahr mir Gott helfe" l . 2. Die E i d e s n o r m , d. h. die durch die Eidesformel zu bekräftigende Tatsache oder Tatsachenmehrheit, wird je nach der Prozefslage durch die gerichtliche Entscheidung festgesetzt. Hierbei ist das Gericht wiederum gebunden hinsichtlich des Grads der B e s t i m m t h e i t , in welchem die Tatsachen Versicherung durch die Partei abgegeben werden soll : a) Falls die Partei den Eid (gleichviel ob einen zugeschobenen oder richterlichen Eid) über eigne Handlungen oder Wahrnehmungen zu leisten hat, schwört sie ihn jedenfalls als Wahrheitseid (de veritate), d. h. über die W a h r h e i t der beweisbedürftigen T a t s a c h e selbst. In diesem Sinne kann er jedoch in bestimmterer oder in abgeschwächter Fassung geschworen werden. Regelmäfsig ist er als W i s s e η seid zu leisten (de veritate im engeren Sinne), nämlich dahin, „dafs die Tatsache wahr oder nicht wahr sei". Kann dem Schwurpflichtigen jedoch „nach den Umständen des Falls nicht zugemutet werden, dafs er die Wahrheit oder Nichtwahrheit derselben beschwöre", und bringt er dies durch einen ausdrücklichen A n t r a g zum Ausdruck, so k a n n das Gericht den Eid nach E r m e s s e n als einen unbestimmteren, blofsen G l a u b e n seid (de credulitate) anordnen, nämlich dahin: „dafs der Schwurpflichtige nach sorgfältiger Prüfung und Erkundigung die Uberzeugung e r l a n g t habe, dafs die Tatsache wahr oder nicht wahr sei" (§ 459, 1. 2), — so wenn die Partei die Tatsache, die sie beschwören soll, im Finstern, in der Betrunkenheit, in aufsergewöhnlicher Erregung, im Fieber, schon vor sehr langer Zeit wahrgenommen hat. 1 Diese Formel w i r d somit vom Gesetz ohne Rücksicht auf die persönlichen religiösen Anschauungen des Schwörenden aufgestellt. Sowohl die Angehörigen der verschiedenen (an einen persönlichen Gott glaubenden) Religionsparteien, (Christen, Juden), wie die, welche diesen Glauben überhaupt nicht besitzen, m ü s s e n den £ i d m i t allen seinen Folgen in dieser Form auf sich nehmen, falls sie nicht die Folgen der Eidesverweigerung erfahren wollen (vgl. o. S. 510 A . 2). Eine Ausnahme gilt nur für die Mitglieder der Religionsgesellschaften, denen das Gesetz den Gebrauch gewisser Beteuerungsformeln an Stelle des Eides ausdrücklich gestattet. Sie geben die Eideserklfirung unter dieser Beteuerungsformel ab (überall gleichm ä ß i g gestattet nur den Mennoniten).

542

IV. Rechtsstreit. § 84. Parteieide.

b) „Über andere Tatsachen", d. h. über facta aliéna, über die ausnahmsweise der Eid zugeschoben wird oder über die das Gericht einen richterlichen Eid aufzulegen für gut findet, wird der Eid dagegen überhaupt nicht als Wahrheitseid, sondern als blofser Ü b e r z e u g u n g s e i d (de conscientia) geschworen. Die Fassung geht dann dahin: „dafs der Schwurpflichtige nach sorgfältiger Prüfung und Erkundigung die Überzeugung erlangt oder nicht erlangt habe, dafs die Tatsache wahr sei" (§ 459. 3). In diesen Fällen wird also nicht eigentlich die prozefserhebliche Tatsache selbst beeidigt, sondern nur die s o r g f ä l t i g e P r ü f u n g u n d E r k u n d i g u n g und das Resultat, zu welchem dieselbe vom subjektiven Standpunkte des Schwörenden aus geführt hat. Endlich wird auch die A b n a h m e des Eides in gesetzliche Formen eingeschlossen. „Vor der Leistung des Eides hat der Richter den Schwurpflichtigen in angemessener Weise auf die Bedeutung des Eides hinzuweisen" (§ 480). Sodann schwört die Partei den Eid, indem sie unter Erhebung der rechten Hand die Eidesformel, welche die Eidesnorm enthält, nachspricht oder abliest (§ 482). Ist die Eidesnorm von grofsem Umfange, so genügt die Vorlesung der Eidesnorm seitens des Vorsitzenden und die Verweisung auf die letztere und die Eidesformel (§ 482, 2). Die Landesherren und die Mitglieder der landesherrlichen Familien, sowie die Mitglieder der andern privilegierten Familien (o. S. 294) leisten den Eid mittelst Unterschreibens der die Norm enthaltenden Formel (§ 482, 3). Stumme, welche schreiben können, leisten den Eid mittels Abschreibens und Unterschreibens der Eidesformel, nicht schreibenekundige Stumme durch Zeichen mit Hilfe eines Dolmetschers (§ 483). Entsprechend ist die Behandlung der Personen, welche der deutschen Sprache nicht mächtig sind (G.V.G. § 190, unten S. 102). Der g e s e t z g e b e r i s c h e W e r t der Prinzipien des Eidesrechts in der Z.P.O. ist ein sehr bedeutender. Die gegenwärtig vielfach aufgestellten Vorschläge zur Beseitigung dieser Grundsätze gehen aus Mangel an Verständnis für die Grundaufgaben des Zivilprozefsrechts überhaupt (oben §§ 1, 5) und speziell für die des Eidesrechts hervor. Die Reformpolitiker sehen in dem gegenwärtigen Formalismus der Vorbedingungen des Eides, wie in seiner Formalwirkung die Ursache eines stetigen Sinkens des Eides in der Achtung des Volks und dementsprechend einer fortschreitenden Verfälschung der prozessualen Wahrheit. Um dem zu steuern, soll der Richter künftig an eine Eideszuschiebung nicht mehr gebunden sein. Vielmehr soll er in Ermanglung anderer Beweise eine V e r n e h m u n g b e i d e r P a r t e i e n anordnen und hierauf nach Ermessen diejenige Partei zur Beeidigung ihrer Aussage heranziehen, die ihm die bestinformierte und glaubwürdigste scheint 1 . Dadurch würde aber für das Gericht eine ungesunde Verantwortlichkeit geschaffen. In den Fällen, wo clie Entscheidung in Ermangelung anderer Beweismittel vom Eid abhängt, also gerade in den kritischsten Fällen aller 1 Dieses I n s t i t u t befürwortet auch für Deutschland K l e i n f e l l e r , Gutachten f. d. 22. Jur.T. (Verh. I , 67). K o h l e r u. a. Es ist geschaffen worden von der englischen Ges., zuerst für die Grafschaftsçerichte (oben S. 122 ff.) durch county court act 9 u. 10 Vict. c. 95. dann auf die oberen Gerichtshöfe ausgedehnt durch stat. 14. 15 Vict. c. 99. A u f Grund der dortigen Erfahrungen, die a n s i c h bei den ganz eigenartigen englischen Verhältnissen und der ganz andern Stellung des dortigen Kichters (s. oben S. 124) für das Festland gar nicht mafsgebend sein können, hat ö s t e r r . C.P.O. (in Fortführung des Gesetzes

Gesetzgeberischer Wert des deutschen Eidesrechts.

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Zivilprozesse würde in die Hand des G e r i c h t s die Machtvollkommenheit gelegt, der einen oder der anderen Partei diese Entscheidung zuzuschieben. So entstände hier in besonders grofsem Mafsstabe die Gefahr, die eine iede Betätigung des richterlichen Ermessens mit sich, führt — nämlich die Gefahr, dafs sich das Gericht durch äufsere Eindrücke, Vorurteile, Gefühlsregungen leiten läfst, oder mindestens die Gefahr, dafs es durch Einmischung seiner persönlichen Auffassung eine gehässige Kritik der benachteiligten Partei und weiterhin gröfserer Kreise des Volks herausfordert (oben S. 31. 32) 1 . Gerade in der Kunst dies zu verhindern, liegt die tiefe Weisheit unseres geltenden Rechts. Es ist gerade sein gröfster Vorzug, dafs es den Gebrauch des Eides unter genau fixierten Bedingungen in die Hand der P a r t e i selbst legt. Die einschneidenden Wirkungen dieser Entschliefsung, dem G e g n e r den entscheidenden Eid zuzuschieben, ist einerseits ein heilsamer Sporn, v o r h e r alle anderen Aufklärungsmittel in Bewegung zu setzen. Anderseits aber gestattet die P.O. ihr, falls sie einmal zum Eide greift, a l l e F o l g e n g e n a u v o r a u s zu b e r e c h n e n . Vor allem wichtig und heilsam hierfür ist das Prinzip, dafs nur die Eideszuschiebung derjenigen Partei beachtet wird, die die B e w e i s l a s t trägt (oben S. 534). Da sich dies nach fester Regel bestimmt, so liegt in der Eideszuschiebung eine der bedeutendsten Garantien der F r e i h e i t des B ü r g e r s g e g e n ü b e r d e r Z i v i l r e c h t s p f l e g e (in dem Sinn oben S. 3. 3 l ) 2 . Das einzige Ausgleichsbedürfiiis (für den Fall, wo etwas bewiesen ist) wird durch den richterlichen Eid bereits hinlänglich befriedigt. Allerdings ist auch die Behandlung des richterlichen Eids noch nicht konsequent. Liegt es einerseits in seinem Wesen, dafs seine Auflegung von den Grundsätzen der Beweislast weniger abhängig ist (beachte aber 0. S. 538), so besteht doch kein Grund dafür, ihn auch im Punkte der Subsidiarität anders zu behandeln als den zugeschobenen Eid. Auch er müfste also erst n a c h V e r w e r t u 11 g aller andern Beweismittel zur Verfügung gestellt werden Eine Frage für sich ist es, ob die Auflage des Eides in der Fassung eines formulierten Satzes befürwortet werden soll 4 , oder ob sie durch ein freies Verfahren zu ersetzen ist, in welchem der zum Eid kommenden Partei Gelegenheit gegeben wird, sich eidlich im Z u s a m m e n h a n g zu äufsern wie ein Zeuge. Dieser Kompromifsvorschlag hängt eng mit der Frage der Beibehaltung des bedingten Endurteils oder dessen Abschaffung zusammen und ist sekundär. Zu betonen ist, dafs der Hauptwert des geltenden Rechts darin besteht, dafs die B e d i n g u n g e n der Eidesauflage durch g e s e t z l i e h e R e g e l festgestellt sind und insbesondere bei Eideszuschiebung den Regeln der Be weis l a s t folgen. Unentbehrlich, aber verfänglich, wie der Eid einmal ist, ist die heutige Behandlung die relativ beste 4 .

§ 85. Die Sachverständigen. Der Sachverständige nähert sich ä u f s e r l i c h dem Zeugen an, insofern auch er dem Gericht neuen Entscheidungsstoff und V. 27. A p r i l 1873) diesen W e g bereits eingeschlagen i§ 371 ff., o. S. 115). Nach unbeeidigter Vernehmung beider Parteien bestimmt ev. das Gericht die eine zum E i d , wenn ein Beweis durch andere Beweismittel nicht hergestellt ist. — Wesentlich anders v. C a n s t e i n , ebenda I , 3 ff. W e n n letzterer nur eine Partei Vernehmung n e b e n dem Schiedseid vorschlägt, so redet er damit lediglich dem Untersuchungsprinzip für die Parteiverhandlung das W o r t ; — dessen Ungesundheit ist aber schon früher erwiesen (oben S. 420). 1 Es versteht sich, dafs diese Gefahr i n schwierigen sozialen und politischen Verhältnissen, z. B. den österreichischen, noch verdoppelt auftreten müfste. 2 H i e r erkennen auch die Verteidiger des geltenden Rechts den K e r n des praktischen Werts unserer Eideszuschiebung ( W a c h , Vortr. 2. A . 236. T r u t t e r , Schiedseid und Partei Vernehmung 1893. v. H a m m , Gutachten f. d. Jur.Tag und Jur.Z. 1, 350. L e v y , Ζ. 23, 1.; auch Beschlufs des 18. Jur.T., Verh. I I 314-44. . . . . , 3 Dafs dies urspr. beabsichtigt w a r und nur durch ein Mifsverständnis nicht in das Gesetz überging, vgl. o. S. 538 A . 2. * Über die Vorschläge, den E i d g a n z z u b e s e i t i g e n ( K a d e , Der E i d und das Recht auf W a h r h e i t 1895, Jur. Z. 1900. S. 60) ist nicht ernstlich zu diskutieren. I n diesem Sinne dagegen L a n d s b e r g , Jur. Z. 1900, 189.

544

IV

Rechtsstreit. § 8 .

chertni.

zwar in der Regel durch m ü n d l i c h e Aussage zur Verfügung stellt Aber immerhin ist, wie schon früher (oben S. 343 ff.) ausgeführt, seine i n n e r e Bedeutung für die Stoffsammluug eine ganz abweichende. Denn er ist seiner Natur nach bestimmt, über E r f a h r u n g s r e g e l n Auskunft zu geben, denen gegenüber das Gericht beim Betrieb der Stoffsammlung eine grundsätzlich andere, freiere Stellung als gegenüber Tatsachen einnimmt. Schon hierdurch tritt er zum Gericht in eine engere Beziehung als der Zeuge, und dies zeigt sich ganz besonders deutlich da, wo er die interessierenden Erfahrungssätze in unmittelbarer Anwendung auf Tatsachen bekundet, die nur er wahrgenommen hat: hier nimmt er geradezu richterliche Funktionen vor, er wird richterlicher Gehilfe. (Näheres hierüber oben S. 345. 346.) Hieraus erklärt sich, dafs: a) ä u f s e r l i c h der Sachverständige in den meisten Beziehungen wie der Zeuge behandelt wird. „Auf den Beweis durch Sachverständige finden die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechende Anwendung," insoweit nicht abweichende Bestimmungen getroffen sind (§ 402). Dies gilt besonders hinsichtlich folgender Punkte: 1. Das Gutachten unterliegt f r e i e r gerichtlicher Würdigung (oben S. 498). 2. Es besteht für den vom Gericht ernannten Sachverständigen (über die Ernennung s. unten) eine öffentlichrechtliche P f l i c h t zur Gutachtenerstattung. Allerdings gilt sie nur für den, dessen Vernehmung einen Erfolg erwarten läfst, nämlich (nach § 407): «) wenn er zur Erstattung von Gutachten der erforderten A r t öffentlich bestellt ist, ß) wenn er die Wissenschaft, die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntnis Voraussetzung der Begutachtung ist, öffentlich zum Erwerbe ausübt oder wenn er zur Ausübung derselben öffentlich bestellt oder ermächtigt ist, γ) wenn er sich zur Erstattung des Gutachtens vor Gericht bereit erklärt hat. Innerhalb dieser Grenzen aber gilt die Sachverständigenpflicht a l l g e m e i n , ohne dafs in cgncreto der Nachweis eines Grundes derselben erforderlich wäre. Ein G u t a c h t e n v e r w e i g e r u n g s r e c h t i s t a u c h h i e r n u r d i e A u s n a h m e und vom Sachverständigen zu beweisen. „Dieselben Gründe, welche einen Zeugen berechtigen, das Zeugnis zu verweigern, berechtigen einen Sachverständigen zur Verweigerung des Gutachtens." Nur kann kraft einer zugefügten clausula generalis das Gericht „auch aus andern Gründen einen Sachverständigen von der Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens entbinden" (§ 408, 1). Im übrigen findet (in Verallgemeinerung des § 376) die Vernehmung eines ö f f e n t l i c h e n B e a m t e n als Sachverständigen nicht statt, wenn die vorgesetzte Behörde des Beamten erklärt, dafs die Vernehmung den dienstlichen Interessen Nachteile bereiten würde" (§ 408, 2) 2 . Das V e r f a h r e n bei Nichterscheinen oder Verweigerung des pflichtmäfsigen Gutachtens ist das gleiche wie gegen den ausbleibenden oder aussageweigernden 1 Die ausnahmsweise Abweichung durch Gestattung schriftlicher Begutachtung (Z.P.O. § 411, auch hier event. Anordnung mündlicher Erörterung) s. bereits oben S. 461. 2 Der literarisch-musikalische Sachverständige nur m i t Genehmigung der Sachverständigen k a m i n e r (R.Ges. 19. Juni 1901 § 49).

Abweichung der Behandlung der Sachverständigen von der der Zeugen. 545 Zeugen. Nur ist der ungehorsame Sachverständige blofs zum Ersatz der Kosten und zu einer Geldstrafe bis zu 300 Mk. (bei Wiederholung bis zu 600 Mk.), nicht zu Haft, zu verurteilen und die Strafverhängung findet nur durch beschwerdefähigen Beschlufs, nicht durch ein mit sofortiger Beschwerde anfechtbares Zwischenurteil statt (§ 409; gegen eine aktive Militärperson durch Vermittlung des Militärgerichts). 3. Die F o r m der Sachverständigenvernehmung ist die der Zeugenvernehmung (0. § 86 IV). Auch der Sachverständige ist (aufser wenn beide Parteien darauf verzichten) zu beeiden, — nur dafs der E i d dahin lautet, „dafs er das von ihm geforderte Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen erstatten werde" 1 . Ist der Sachverständige für die Erstattung von Gutachten der betreflenden A r t im allgemeinen beeidet, so genügt die B e r u f u n g auf den geleisteten E i d 2 8 .

b) Aber die Analogie des Zeugen gilt nur, „insoweit nicht — abweichende Bestimmungen getroffen sind" (§ 402), und diese sind nicht nur in gewissen Nebenpunkten der äufseren Behandlung4, sondern vor allem in der grundsätzlichen Gestaltung des V e r hältnisses des Sachverständigen zum G e r i c h t getroffen. 1. Da die Erfahrungsregeln nur insoweit aufklärungsbedürftig werden, als sie das Gericht nicht ohnehin kraft seiner privaten Kenntnisse beherrscht, so hängt es durchaus vom Gericht ab, ob überhaupt ein Sachverständiger vernommen werden soll und wer als solcher zu vernehmen ist. Hierin liegt zunächst der wichtigste Satz, dafs das Gericht nicht (durch das Verhandlungsprinzip) verpflichtet ist, überhaupt Jemand als Sachverständigen zu vernehmen (hierüber oben S. 438). Aufserdem führt das zu einer Reihe weiterer Sätze, falls das Gericht auf Sachv. greift: «) die A u s w a h l der zuzuziehenden Sachverständigen und die Bestimmung ihrer Anzahl erfolgt durch das P r o z e f s g e r i c h t (§ 404); — eventuell kraft einer Ermächtigung des Prozefsgerichts durch den beauftragten oder ersuchten Richter (§ 4 0 5 ) H i e r i n ist das Gericht bis zu gewissem Grade gebunden. Sind für gewisse Arten von Gutachten Sachverständige öffentlich bestellt, so sollen andere Personen nur dann gewählt werden, wenn besondere Umstände es erfordern (§ 404, 2). Das Gericht kann die Parteien auffordern, Personen zu bezeichnen, welche geeignet sind, als Sachverständige vernommen zu werden (§ 404, 3). Einigen sich die Parteien über bestimmte Personen als Sachverständige, so hat das Gericht dieser Einigung Folge zu geben. Das Gericht kann jedoch die Wahl der Parteien auf eine bestimmte Anzahl beschränken (§ 404, 4). ß) Ebenso bestimmt die Z a h l der zu vernehmenden Sachverständigen das Gericht (Prozefsgericht oder stellvertretender Richter). Dasselbe kann sich auf die Ernennung eines e i n z i g e n Sachverständigen beschränken. Es kann 1 Über die Form der Eidesleistung gilt auch hier das Verfahren S. 542 (C.P.O. § 478 ff.). 2 W o ein Zeuge nicht beeidet werden d a r f oder nach Ermessen des Gerichts auch unbeeidigt benutzt werden k a n n , mufs oder kann auch ein Sachverständiger unbeeidigt bleiben (R.G. 20, 394). 3 A u c h soweit es das Gesetz nicht ausdrücklich ausspricht, können Vorschriften, die für den Zeugenbeweis gelten, für die Sachverständigenvernehmung wegfallen. Insbesondere sind Fragen nach der Wissensquelle des Zeugen (Z.P.O. § 396) für den Sachverständigen gegenstandslos, da er sein Aussagethema, die Sätze, fertig empfängt und der Gegensatz des Wahrnehmungszeugen und aes Zeugen von Hörensagen (oben S. 498 A . 2) hier nicht existiert ( S t e i n priv. Wissen 54 a. 13). 4 Hierüber s. das Vorhergehende. 5 Also keine Nötigung des Gerichts zur Vernehmung der e i n s e i t i g von einer Partei benannten Personen. Dieser Gedanke liegt auch schon i n § 403: „Die A n t r e t u n g des Beweises erfolgt durch die Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte" (s. oben S. 358 A. 2).

R i c h a r d S c h m i d t , Lehrbuch des Zivilprozefsrechts.

2. Aull.

35

546

IV· Rechtsstreit.

§ 86. Sicherung des Beweises.

an Stelle der zuerst ernannten Sachverständigen andere ernennen (§ 404, 1). Das Gericht kann auch n a c h Erstattung eines Gutachtens noch eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet (§ 412, 1).

2. Da der Sachverständige ferner in manchen Fällen, ja in gewissem Sinne stets richterliche Funktionen verrichtet und sich als richterlicher Gehilfe darstellt, so unterliegt er denselben Anforderungen der U n b e f a n g e n h e i t wie cler Richter. „Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, welche zur Ablehnung eines Richters berechtigen, a b g e l e h n t werden" (§ 406). Nur insofern bestellt ein Unterschied, als die Tatsache, dafs der Sachverständige bereits in derselben Sache als Zeuge vernommen worden (§ 41 n. 5) nicht zum Zwecke der Ablehnung geltend gemacht werden darf (§ 406, 1). Das V e r f a h r e n entspricht dem der Richterablehnung (oben S. 217): Anbringung des Ablehnungsgesuchs bei dem Gericht oder (beauftragten oder ersuchten) Richter, von welchem die Ernennung des Sachverständigen erfolgt ist, und zwar bis zur mündlichen Vernehmung, bezw. bis zur Einreichung des schriftlichen Gutachtens, schriftlich, eventuell zu Protokoll des Gerichtsschreibers unter Glaubhaftmachung des Ablehnungsgrunds (jedenfalls nicht durch Versicherung an Eidesstatt, § 406, 8), — n a c h jenem Zeitpunkt nur unter gleichzeitiger Glaubhaftmachung, dafs der Ablehnungsgrund vorher nicht geltend gemacht werden konnte (§ 406, 2). E n t s c h e i d u n g ergeht ohne oder auf fakultative mündl. Verhandlung durch Beschlufs des Gerichts der Gesuchstellung (§ 406, 4). Anfechtung des Beschlusses, der das Gesuch für begründet erklärt, findet nicht statt, — der das Gesuch ablehnende, die Ablehnung verwerfende Beschlufs ist durch sofortige Beschwerde anfechtbar (§ 406, -5). Erfolgt die Ablehnung n a c h Erstattung des Gutachtens, so kommt es eventuell zu neuer Begutachtung (§ 412, 2).

§ 86. Die Sicherung des Beweises. Marcus, Gr. Beitr., 34, 365. Pollak, Beweissicherung gegen Frachtführer und Schiffer, Z. 33. 235 (1904). Weismann, § 53. Kommentare zu § 485 ff.

Während die Beweistätigkeit im allgemeinen nur eine der vorbereitenden Tätigkeiten des Rechtsstreits bildet, kann sie unter Umständen auch alleiniger Inhalt eines selbständigen Verfahrens werden. Dieses nur der Beweiserhebung als solcher gewidmete Verfahren ist die „Sicherung des Beweises" (probatio in perpetuam rei memoriam, „Beweisaufnahme zum ewigen Gedächtnis")1. Die Selbständigkeit des Verfahrens erweist sich entweder darin, dafs die Beweisaufnahme nur im Hinblick auf einen künftigen Prozefs oder dadurch, dafs sie zwar im Lauf eines Prozesses, aber nicht auf Grund kontradiktorischer \7erhandlung vorgenommen wird. V o r b e d i n g u n g d e r B e w e i s s i c h e r u n g ist das Bedürfnis nach sofortiger Erhebung eines A u g e n s c h e i n s (bezw. nach einem andern Akt unmittelbarer richterlicher Wahrnehmung, oben S. 526) oder nach sofortiger Vernehmung eines Z e u g e n o d e r S a c h v e r s t ä n d i g e n 2 . Das Bedürfnis kann beruhen: 1

Historische Notizen bei W e i s m a n n , S. 206. F ü r U r k u n d e n dient die Klage auf Feststellung der Urkundenechtheit als Surrogat (§ 256, o. S. 306). 2

Ablehnung der Sachverständigen.

Bedingungen der Beweissicherung. 547

1. in der Besorgnis, dafs der Verlust oder die Gebrauchserschwerung des Beweismittels im Fall der Verzögerung eintreten würde 1 (§ 485); 2. in dem Bedürfnis nach Feststellung von Mängeln einer Sache oder eines Werks, aus denen ein Recht gegen den G e g n e r hergeleitet werden s o l l 2 , oder nach Feststellung des Zustands eines Guts, für dessen Beweis ein Kommissionär, Spediteur, Lagerhalter, Frachtführer zu sorgen verpflichtet ist (§ 488, l ) 8 ; 3. in dem Bedürfnis nach Feststellung der Mängel einer Sache oder eines Werks, wenn dem Veräufserer vom Erwerber (clem Unternehmer vom Besteller) der Mangel der Sache (des Werks) angezeigt oder wenn deren Annahme wegen Mangelhaftigkeit abgelehnt worden ist (§ 488, 2); 4. in einem sonstigen Bedürfnis einer Person, wenn der Gegner zustimmt und das Gericht es für angemessen hält (§ 489). Das Bedürfnis nach Beweissicherung mufs einem bestimmten G e g n e r gegenüber bestehen4. Das V e r f a h r e n wird durch Gesuch eingeleitet, dafs das Beweisthema, das Beweismittel, den Gegner, das Bedürfnis nach Sicherung bezeichnet unci letzteres glaubhaft macht (§ 486). Z u s t ä n d i g hierfür ist das Prozefsgericht, wenn der Rechtsstreit schon schwebt, das A m t s g e r i c h t der Beweisbereitschaft, wenn er noch nicht anhängig ist oder bei Anhängigkeit in dringenden Fällen ($ 486). Über das Gesuch wird mit oder ohne vorgängige mündliche Verhandlung entschieden (§ 490). Hierauf erfolgt die Beweisaufnahme in der gewöhnlichen Form (§ 492). Der Gegner ist hierzu rechtzeitig zu laden; die Versäumung hindert jedoch die Beweisaufnahme nicht (§ 491), vielmehr macht sie nur eventuell die spätere Benutzung des Beweisergebnisses unzulässig (§ 493, 2). Sonst hat j e d e Partei das Recht zur Benutzung im späteren Prozesse (§ 493, 1).

Viertes Kapitel.

Besondere Formen der Verhandlung und des Beweises· § 87· Die besonderen Verfahrensformen. Die bisher dargelegten Grundsätze der Beweisbeschaffung und des Beweises kommen regelmäfsig zur Anwendung, wenn vom Gericht eine Entscheidung über eine zweifelhafte Rechtsfrage des Zivilprozesses, sei es über den Anspruch, sei es über eine Vorfrage, verlangt wird. Es treten jedoch in der Rechtspflege 1 Hohes A l t e r , schwere Krankheit eines Zeugen, — drohender Verderb gelieferter Efs waren. * B.G.B. § 477 f. 485. 493. 524. 639. 3 H.G.B. § 388. 407, 2. 417. 4 Aufser wenn der Antragsteller einen solchen ohne seine Schuld nicht angeben kann, z. B. 0i>, V. A (zu S. 581) 16. H i e r w i r d Steins unrichtige These der Rechtskraftfähigkeit des Vorbehaltsurteils praktisch (o. S. 578).

582

IV. Rechtsstreit. § 92. Arrest und einstweilige Verfügungen.

wo nicht einmal das formale Erfordernis des Widerspruchs gegen den Anspruch gewahrt worden, nämlich wo der Beklagte entweder s ä u m i g geblieben i s t 1 oder den Anspruch a n e r k a n n t hat 2 . Dem Urteil unter Vorbehalt der Rechte sind als Vollstreckungstitel nahe verwandt das Zwischenurteil, das in der B e r u f u n g s i n s t a n z verspätete Einreden wegen Verschleppungsgefahr und Chikane ad separatum in ein Nach verfahren verweist (§ 540. 541, — vgl. unten S. 732) und das eigenartige Urteil, welches bei Spruchreife des Anspruchs, gegen den eine illiquide Kompensationsforderung geltend gemacht worden ist, zur Leistung aus dem Anspruch unter Vorbehalt der Kompensationseinrede verurteilt (§ 302, unten § 118). Sie unterscheiden sich von dem Urteil im Urkundenprozefs jedoch dadurch, dafs der Vorbehalt der Rechte in letzterem g e n e r e l l ist (alle m ö g l i c h e n Verteidigungsmittel des Beklagten in das Nachverfahren verweist), während nach §§ 540. 302 der Vorbehalt s p e z i e l l ist (nur die e i n z e l n e n , besonders b e z e i c h n e t e n Verteidigungsmittel für eine nachträgliche Prüfung offen hält).

§ 92. Arrest und einstweilige Verfügungen. Kleinfeller § 131. W e i s m a n n , Lb. § 183 ff., I I , 233. Kommentare zu $ 916 ff. Z u r Geschichte s. L i t . oben S. 66. — Joh. M e r k e l , Über Arrest u. einstweil. Verf., 1880. Berger, Arrest u. V o r m e r k u n g , 1883. Peters, Arrest u. einstweil. Verf. nach preufs. R., 1884. Dorendorf, Arrest u. einstw. Verf., 2. A . 1884. W e r n e r , Das R. des Arrests i m C.Pr. unter Bertlcks. des bayr. I m m o biliar arrests , 1884. ν. Meibom, Der Immobiliararrest im Geltungsber. der C.P.O., civ. A . 72, 331 (1888). Gtlthe, Vorauss. u. I n h . der anticipierten Z w . V . Z. 24 (1898), 346.

I . Grundgedanke des Verfahrens. Auch der Arrestprozefs und das Verfahren mit einstweiligen Verfügungen dienen wie der Urkundenprozefs dem Zweck, eine Entscheidung unter gewissen Bedingungen darüber herbeizuführen, ob eine provisorische Vollstreckung notwendig sei oder nicht. Allerdings sind Arrest und einstweilige Verfügung nach der Bezeichnung des Gesetzes nur Mafsregeln „zur Sicherung" einer eventuellen, künftigen, jetzt gefährdeten Zwangsvollstreckung des Anspruchs (§ 910. 935), — ja, es gibt einstweilige Verfügungen, die überhaupt nicht auf Verwirklichung des Anspruchs selbst, sondern auf die Regelung eines einstweiligen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gerichtet sind (§ 940). Aber alle diese Mafsregeln 1 Über die Vorbedingungen des Versäumnisurteils gegen den Beklagten innerhalb des Urkundenprozesses s. oben S. 577. 2 Von dem i n n e r h a l b d e s U r k u n d e n p r o z e s s e s erlassenen Versäumnisurteil (über dessen Voraussetzungen oben S. 577) ist jedoch sowohl zu unterscheiden das Versäumnisurteil, zu welchem es n a c h vorgängigem Erlafs des Vorbehaltsurteils i m N a c t i v e r f a h r e n k o m m t . A u f dieses finden selbstverständlich die normalen Vorschriften A n w e n d u n g (§ 600 Abs. 3), d. h. es ist auf A n t r a g des Klägers bei Ausbleiben des unter Vorbehalt verurteilten Beklagten, dahin zu erlassen, dafs das Vorbehaltsurteil aufrechtzuerhalten sei. Z u einer A b w e i s u n g des Klägers nach S 331, 2 k a n n es infolgedessen hier nicht k o m m e n , da das tatsächliche Vorbringen des Klägers nicht mehr geprüft zu werden braucht ( W e i s m a n n I , 524).

Grundgedanken des Arrestprozesses.

583

treten selbst als zwangsweise Herstellung äufserer Zustände, also als Vollstreckung auf, wie in der zuletzt geschilderten Verfahrensart. „Auf die Vollziehung des Arrests finden die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung entsprechende Anwendung" (§ 928); das gleiche gilt für die einstweiligen Verfügungen (§ 936). Arrest und einstweilige Verfügung sind aber in einem b e s c h l e u n i g t e n V e r f a h r e n e r l a s s e n e V o l l s t r e c k u n g s t i t e l . Was die B e d e u t u n g des Arrestprozesses vom Urkundenprozefs unterscheidet, ist sonach nur der G r u n d seiner Verwendung, die Bedingung des Rechtsschutzes (u. I I ) 1 . Hiermit steht des weitern in Verbindung, dafs auch die A n l a g e des Verfahrens sich in einer bemerkenswerten Hinsicht vom Urkundenprozefs entfernt : das Verfahren bleibt aufser allem Zusammenhang mit dem ordentlichen Verfahren der Anspruchsfeststellung und zwar sowohl hinsichtlich seines Ergebnisses, der darin erlassenen Entscheidung, wie hinsichtlich der es beherrschenden Grundsätze (III. IV). Vor allem sieht das Gesetz davon ab, die Entscheidung über Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der arrestatorischen Mafsregeln von v o l l e m Beweis abhängig zu machen, wie im Urkundenprozefs. Der schleunige Beweis wird vielmehr zum blofsen Effekt der Glaubhaftmachung gefordert. Zwischen dem Arrestprozefs einerseits, dem Verfahren mit einstweiligen Verfügungen anderseits besteht ein qualitativer Unterschied zunächst nicht; sie dienen dem gleichen Zwecke nach wesentlich gleichen Grundsätzen und für verschiedene Gruppen von Vollstreckungsfällen (II. a. b). Nur gilt es allerdings zu beachten, dafs die einstweilige Verfügung vom Gesetz aufserdem unter bestimmten Voraussetzungen noch zu einem andern Zweck verwendet wird als zu dem der Sicherung künftiger Anspruchsvollstreckungen, so dafs im geltenden Recht von einstweiligen Verfügungen in einem doppelten Sinn gesprochen werden mufs ( I I c). Die Z.P.O. hat sich damit ganz von dem Sprachgebrauch des gemeinen Rechts entfernt und zwar zum Nachteil der Klarheit. Das gemeine Recht fafste alle Mafsregeln zur Sicherung der Zwangsvollstreckung untèr dem Namen des Arrests zusammen, gleichviel ob die zu sichernde Vollstreckung 1 M i t diesen Erwägungen erledigt sich i m Grunde sehr einfach die Frage nach der Stellung des Arrestprozesses i m System. E r ist nicht das Verfahren zur Befriedigung eines eigenartigen materiellrechtlichen Anspruchs, nämlich eines neben dem Eigentumsrecht , Forderungsrecht usw. bestehenden „akzessorischen Sicherungs- oder Kautionsanspruchs", wie die gemeinr. D o k t r i n annahm ( B r i e g l e b , E i n l . i n die Theorie der summar. Proz. 1859 § 75. 103. W a c h , ital. Arrestproz. § 1*). Das Verf. darf also auch nicht als ein bes. Verf. der „Zwangssicherung* angesehen w e r d e n , das die E r f ü l l u n g eines als w a h r s c h e i n l i c h angenommenen Anspruchs s i c h e r t , während die „Zwangsvollstreckung" die Erfüllung eines als b e s t e h e n d angenommenen Anspruchs h e r b e i f ü h r t (so noch jetzt W e i s m a n n Lb. I I , 233). Vielmehr i s t die Vollziehung des Arrests selbst Zwangsvollstreckung, die n u r in ihrer quantitativen Ausdehnung beschränkt w i r d . Der A r r e s t p r o z e f s aber, d. h. der der Anordnung der provisorischen Vollstreckung dienende R e c h t s s t r e i t , unterscheidet sich von dem ordentlichen Z.P. n u r durch die beschränkte Stoffsammlung, d. h. als summarischer Prozefs. Eigentümlich ist i h m also nur der G r u n d des summarischen Rechtsschutzes, oder anders ausgedrückt das dem Prozefs zugrunde liegende I n t e r e s s e , das den Rechtsschutzanspruch bestimmt. H i e r nach ist es auch nicht gerechtfertigt, eine begriffliche Unterscheidung des „ U r t e i l s a n s p r u c h s - , aus dem der ord. Pr. erwächst, und des „ A r r e s t a n s p r u c h s " , A r r e s t r e c h t s vorzunehmen ( H e l l w i g , Klagmöglichkeit und Klagrecht S. 13ff. [1905]).

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IV. Rechtsstreit. § 92. Arrest und einstweilige Verfügungen.

Geldvollstreckung oder Vollstreckung einer Individualleistung (auch z. B. familienrechtlicher A r t : Herausgabe eines Kindes) ist. Daneben kannte es eine Reihe einzelner Dekrete zur Sicherung der Nachteile, die aus der Ungewifsheit des umstrittenen Anspruchs erwachsen können, wie das possessorium summariissimum zur Regelung des Grundstückszustands für die Dauer des Besitzstreits u. a. sog. „Provisorien", die durch einen Befehl des Gerichts (im „unbedingten Mandatsprozefe") erlassen wurden. Die Z.P.O. unterscheidet zwischen den w e s e n s g l e i c h e n Mafsregeln des Arrests zur Sicherung der Geldvollstreckung und der einstweiligen Verfügung zur Sicherung anderer Vollstreckungsformen und fafst anderseits unter dem Namen der einstweiligen Verfügung die w e s e n s u n g l e i c h e n Mafsregeln der Sicherung gewisser künftiger Vollstreckungsformen (§ 935) und der Regelung eines zweifelhaften Zustands (§ 940) zusammen, der letzteren, gleichviel ob sie Geldansprüche oder andere Ansprüche betreffen 1 (näheres u. S. 589). Das auf die Dekrete bezügliche V e r f a h r e n wird meist noch immer als „Arrestprozefs" zusammengefafst.

I I . Voraussetzungen der Prozefsart. Die Vorbedingungen der Prozefsart sind zunächst für Arrest und für einstweilige Verfügungen getrennt festzustellen, soweit beide S i c h e r u n g der V o l l s t r e c k u n g bewirken (a und b), und hierauf wiederum selbständig für einstweilige Verfügungen, soweit sie „ Z u s t a n d s r e g e l u n g " herbeiführen (c): a) „Der A r r e s t findet zur Sicherung der Zwangsvollstreckung in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen wegen einer Geldforderung oder wegen eines Anspruchs statt, welcher in eine Geldforderung übergehen kann" (§ 916). Nun versteht aber Z.P.O. § 803 ff. unter der Zwangsvollstreckung in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen jede Exekution, die aus dem Mobiliaroder Immobiliarvermögen des Schuldners G e l d herzustellen bezweckt, — es kann ferner ein Übergang der ursprünglich obliegenden Leistung in eine Geldforderung an und für sich bei j e d e r Art von Ansprüchen, sofern sie Vermögenswert besitzen, eintreten; — infolgedessen bestimmt sich die Anwendbarkeit des Arrests im engeren Sinne nicht nach dem u r s p r ü n g l i c h e n I n h a l t des Anspruchs, dessen Erfüllung gesichert werden soll, sondern vielmehr nach der Art der die Anspruchserfüllung bezweckenden V o l l s t r e c k u n g s h a n d l u n g selbst, die gesichert werden soll. Arrest findet statt, wenn aus einem Anspruch in Zukunft eine G e l d v o l l s t r e c k u n g bevorsteht, gleichviel ob der Anspruch an sich auf Geldzahlung, auf Fungibilienleistung, Leistung einer Spezies, auf ein Tun oder Unterlassen gerichtet ist. Folgerichtig kann der Rechtsschutz durch Sicherung auch bei b e t a g t e n (z. B. noch nicht gekündigten Ansprüchen) und bei b e d i n g t e n Ansprüchen Bedürfnis werden, bei letzteren nur dann nicht, wenn der Anspruch „wegen der entfernten Möglichkeit des Eintritts der Bedingung einen gegenwärtigen Vermögenswert nicht hat" (§ 916, 2) 2 . 1 Über die Berechtigung oder Nichtberechtigung dieser gesetzestechnischen Behandlung vgl. Mot. zu Z/P.O. 5 § 796 ff. M e r k e l a. a. 0 . 20, — dagegen W a c h , k r i t . Vierteljahrsschrift 15, 372. 3 F ü r bedingte Ansprüche, die § 796 Z.P.O. I . nicht erwähnte, hat dies die Nov. 1898 a n e r k a n n t , zum Î e i l m i t Rücksicht auf B.G.B. § 161, der den bedingt verpflichteten er-

Arrestanspruch und Arrestgrund.

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Sonach unterscheiden sich ursprüngliche Geldforderungen und andere Ansprüche, die in eine solche übergehen können, für die Ausbringung eines Arrests nur dadurch, dafs die erstere ohne weiteres zur arrestatorischen Sicherung geeignet ist, bei der andern die Möglichkeit der Umwandlung des Leistungsgegenstands in Geldleistung besonders dargetan werden mufs 1 . Nur bleibt zu bedenken, dafs, wenn bei einer solchen Forderung die Umwandlung nicht glaubhaft gemacht wird, doch immerhin noch die Sicherung durch einstweilige Verfügung denkbar bleibt und deshalb der (an sich unbegründete) Antrag auf Arrest vom Gericht als Antrag auf einstweilige Verfügung interpretiert werden mufs (denn s. unten S. 590). Völlig ausgeschlossen vom Arrest ist von vornherein der f a m i l i e n r e c h t l i c h e Anspruch sowie der Anspruch auf eine Leistung, die — wenn auch vermögenswert, nicht in Geld abgeschätzt werden kann, weil sie h ö c h s t i n d i v i d u e l l ist (z.B. auf Ausstellung eines Arbeitszeugnisses) 2. Auch für diese Fälle ist einstweilige Verfügung am Platze.

Damit ein auf Geld Vollstreckung gerichteter Anspruch arrestweise gesichert werden könne, mufs als Bedingung gerade für diese Form des Rechtsschutzes ein „ A r r e s t g r u n d " (causa arresti) (§ 917. 920) gegeben sein 3 . Er liegt vor, wenn zu besorgen ist, dafs ohne Verhängung des Arrests die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde" (§ 917), besteht also in der G e f ä h r d u n g der k ü n f t i g e n G e l d v o l l s t r e c k u n g d u r c h d r o h e n d e V e r e i t l u n g oder w e s e n t l i c h e E r s c h w e r u n g . Da sich die Geldvollstreckung nur in der zwangsweisen Herstellung von Geld aus beliebigen Vermögensstücken des Schuldners, — beweglichen und unbeweglichen, körperlichen und unkörperlichen — vollzieht, so liegt die den Arrest rechtfertigende Gefährdung vor, wenn aus bestimmten Tatsachen geschlossen werden kann, dafs i n Z u k u n f t solche Vermögensstücke in g e r i n g e r e m W e r t v o r h a n d e n sein oder s c h w e r e r e r r e i c h b a r sein werden a l s j e t z t und zwar in der Weise, dafs eine solche Verschlechterung der Befriedigungschancen zwischen dem jetzigen Zeitpunkt des Gesuchs, wo die Vollstreckung noch nicht statthaft ist, eintreten werde bis zu dem künftigen Zeitpunkt, in welchem auf Grund eines zu erstreitenden Urteils usw. die Vollstreckung möglich werden würde. Beispielsweise ist die Gefahr der V e r e i t e l u n g (Verringerung der Exekutionsheblich bindet. Es folgt daraus, dafs auch Ansprüche, die klagweise vorerst nur mittels F e s t s t e l l u n g s k l a g e geltend gemacht werden können, doch gleichzeitig der p r o v i s o r i s c h e n V o l l s t r e c k u n g durch Arrest zugänglich sind (vgl. u. § 113). Erst recht ist Arrest möglich für einen Anspruch aus gegenseitigem, z. B. W e r k v e r t r a g , auch wenn der Arrestkläger seine eigne Leistung (die Arbeit) noch nicht v o l l erbracht h a t iR.G. 54, 162). 1 Ob ein Anspruch von vornherein Geldforderung oder n i c h t , k a n n \>ei manchen Ansprüchen zweifelhaft sein. So bez. des Anfechtungsanspruchs aufserhalb des Konkurses (nach R.Ges. v. 21. Juni 1879, — über ihn o. S. 262 Α. ή). E r gehört zu den Goldansprüchen. Denn die Klage des Gläubigers gegen den Dritten, der vom Schuldner i n fraudem creditoris usw. Vermögensstücke erworben h a t , ist nicht auf Herausgabe dieser Sachen usw. gerichtet, sondern auf G e s t a t t u n g d e r V o l l s t r e c k u n g d e s A n s p r u c h s g e g e n d e n S c h u l d n e r i n d i e d e m D r i t t e n g e h ö r i g e n S a c h e n oder F o r d e r u n g s r e c h t e nach Mafsgabe § 803 Z.P.O. Die Vollstreckung des Anspruchs ist also jedenfalls G e l d vollstreckung gegen den Dritten, unterliegt somit der Arrestsicherung. 2 Hier kann es von der Lage des Einzelfalls abhängen, ob der Anspruch i n Geld veranschlagbar ist (ζ. B. der aut Herstellung eines Gemäldes gegen einen bedeutenden M a l e r , wenn der Besteller ein K u n s t h ä n d l e r ist) oder höchst i n d i v i d u e l l ist (derselbe Anspruch, wenn der Besteller ein nur per affectionem interessierter Liebhaber ist). 3 Der Bodmereigläubiger k a n n in die verbodmeten Gegenstände ausn. auch ohne Nachweis eines Arrestgrunds-Arrest ausbringen (H.G.B. § 691, § 698, 2).

586

IV. Rechtsstreit. § 92. Arrest und einstweilige Verfügungen.

Objekte) begründet, wenn der Schuldner sein Vermögen verschleudert oder unvorteilhaft und unter dem Werte veräufsert, — ferner, wenn er seine festliegenden Werte (Grundstücke, Möbel, Kunstgegenstände) vorteilhaft versilbert, um mit dem Erlös flüchtig zu werden, — die Gefahr der E r s c h w e r u n g der Vollstreckung (Erschwerung der Erreichbarkeit der Objekte), wenn dieselben ins Ausland, auch in die deutschen Kolonien 1 gebracht werden sollen oder wenn der Schuldner sich anschickt, sie in den Gewahrsam eines Helfershelfers zu bringen (denn dann müfste der Gläubiger in Zukunft den für ihn lästigeren Weg der Vollstreckung in den A n s p r u c h des Schuldners auf Herausgabe, eventuell mit Klage gegen den Dritten, u. § 152 — wählen). Dagegen ist es grundsätzlich n i c h t Arrestgrund, wenn bereits jetzt zurzeit cles Gesuchs die Chancen der Befriedigung für den Gläubiger so ungünstige oder erschwerte sind, dafs sie es durch die Zukunft nicht noch mehr werden können. Hieraus ergibt sich die wichtige Konsequenz, dafs die zerrüttete Vermögenslage des Schuldners ( Z a h l u n g s u n f ä h i g k e i t ) an s i c h die Arrestausbringung nicht rechtfertigt. Liegt sie vor, so hat der Gläubiger (wie andere Gläubiger) für jetzt wie für später die Aussicht auf unzureichende bezw. vereitelte Befriedigung. Das Gesetz stellt nun freilich dafür den besonderen Rechtsschutzweg des K o n k u r s p r o z e s s e s zur Verfügung, der für jeden beteiligten Gläubiger i m G e g e n s a t z z u m Z i v i l p r o z e f s eine Erschwerung bedeutet. Aber diese erschwerte Prozefsart erachtet das Gesetz e i n f ü r a l l e m a l in solchem Fall für angemessener, als die ordentliche Rechtsverfolgung. Eine Erschwerung der späteren Befriedigung im Gegens a t z z u r j e t z i g e n steht also ebenfalls nicht bevor. Z.P.O. und K.O. haben somit Arrestprozefs und Konkursprozefs für verschiedene Bedürfnisse geschaffen (RG. v. 25. Febr. 1881 3, 4 1 6 , v. 18. Febr. 1890 J.W. 113 und die gesamte Literatur) Daraus folgt nicht, dafs Arrest und Konkurs sich ausschliefsen. T r i t t zur Zahlungsunfähigkeit des Schuldners noch eins der oben bezeichneten Verhältnisse hinzu, so kann zunächst Arrest verhängt werden. Kommt es dann freilich später zur Konkurseröffnung, so wird stets in Erwägung zu ziehen sein, ob diese Arrestpfändung, die zugunsten eines Gläubigers erfolgt ist, nicht im Interesse aller Gläubiger vom Konkursverwalter nach K.O. § 29ff. angefochten werden soll 3 . Aber auch die Tatsachen, die nach obigem an sich Arrestgrund sein können, sind dies nur nach Mafsgabe der im r i c h t e r l i c h e n E r m e s s e n stehenden Prüfung, ob im einzelnen Fall daraus eine Gefährdung erwächst. So gibt Vermögenszuschiebung an einen Dritten keinen Arrestgrund ab, wenn sicher ist, dafs der Dritte in die direkte Pfändung (nach § 808. 809) willigen werde (vgl. unten § 146), — Vermögensverschleuderung nicht, wenn der Gläubiger bereits durch hinreichende Pfänder gesichert i s t 4 5 . Eine Aus1 Es gilt gleich, worin die Erschwerung besteht. I m Ausland i m e. S. ist die Vollstreckung r e c h t l i c h erschwert (Notwendigkeit des Vollstreckungsurteils o. S. 287); i n den Schutzgebieten nur f a k t i s c h (Verzögerung). 2 V i e r h a u s , Z. 14, 207. 3 I m m e r h i n ist die Eröffnung des Konkurses nicht notwendig eine „Veränderung der Umstände 4 *, die die Aufhebung des Arrestes (§ 927) rechtfertigt (K.G. 20, 361). 4 Ebenso gibt eine grundsätzlich gefährdende Tatsache keinen zureichenden Arrestgrund a b , w e n n das Gesetz zur Sicherung der Vollstreckung andere M i t t e l gewährt, so aie Auflösung einer Aktiengesellschaft deswegen n i c h t , w e i l die Gesellschaftsgläubiger durch H.G.B. § 297. 301, 1 gegen eine unrechtmäfsige Verteilung der Befriedigungsmittel geschützt sind. (Arrest erst, wenn die Liquidatoren verdächtig wären, die Verteilung vorschriftswidrig vorzunehmen.) S e u f f . A . 20, 253. à Anderseits k a n n nach richterlichem Ermessen der Arrest trotz H a f t u n g von Pfändern verhängt werden, wenn diese von vornherein unzureichend w a r e n und deshalb die Gefahr zureichender Befriedigung für später nicht ausschliefsen.

Arrestgründe.

Persönlicher Arrest.

587

nähme stellt nur die Notwendigkeit der Vollstreckung im Auslande dar. Sie ist „zureichender Arrestgrund" kraft Gesetzes (§ 917, 2), also z. B. auch dann, wenn der Schuldner Vermögensstücke im Inlande besitzt, ein Teil der Vollstreckung also im Inland zum Ziele führt 1 . Anderseits braucht, wenn die Gefahr der ausländischen Vollstreckung besteht, nicht aufserdem bewiesen zu werden, dafs der Schuldner Vermögen in Deutschland hat, in das der Arrest vollstreckt werden kann

Subsidiär, im übrigen aber unter den gleichen Bedingungen, kann an Stelle des dinglichen Arrests, d. h. der sichernden Yermögensbeschlagnahme, auch ein p e r s ö n l i c h e r Arrest, eine sichernde Freiheitsbeschränkung gegen die Person des Schuldners verhängt werden (§ 918). Anscheinend wird die soeben gekennzeichnete Rechtsschutzbedingung*, des Arrests von Z.P.O. § 917 nur für den sog. d i n g l i c h e n Arrest, d. h. die zum Zweck der Sicherung gewährte provisorische Vollstreckung in das V e r m ö g e n des Schuldners (Realexekution) aufgestellt, während daneben und äufserlich unabhängig hiervon auch ein „ p e r s ö n l i c h e r Sicherheitsarrest", ein provisorischer vollstreckungweiser Zwang gegen die Schuldnerperson (Personalexekution), zugelassen wird (§ 918). I n Wahrheit besteht jedoch zwischen beiden Mafsregeln kein qualitativer Unterschied hinsichtlich ihres Z w e c k s und demgemäfs auch nicht hinsichtlich ihrer (hier interessierenden) Vorbedingungen. Dinglicher und persönlicher Arrest sind nur verschiedene F o r m e n d e r dem g l e i c h e n Z w e c k d i e n e n d e n R e c h t s s c h u t z m a f s r e g e l , und es ist deshalb der Personalarrest nur unter denselben Voraussetzungen zulässig, wie der dingliche Arrest. § 918 sagt im allgemeinen nichts neues, sondern verweist stillschweigend zurück: 1. hinsichtlich des Anwendungsgebiets auf § 916: auch der Personalarrest wird nur verhängt, um eine „Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners (d. i. eine Geldvollstreckung) zu sichern", (nicht zur Sicherung einer Vollstreckung gegen die individuelle Person, z. B. wegen höchst persönlicher Leistung 2 , familienrechtlicher Ansprüche (oben S. 584); 2. hinsichtlich der Rechtsschutzbedingung auf § 917: auch der Personalarrest wird nur verhängt, wenn die Zwangsvollstreckung „gefährdet", d. h. ihre Vereitelung oder Erschwerung, also eine künftige Verschlechterung ihrer Chancen, zu besorgen ist (nicht um eine künftige Vollstreckung zu erleichtern, z. B. um den Schuldner zur Beschaffung von künftigen Deckungsmitteln zu veranlassen) 3. Etwas neues bringt § 918 nur, insofern er das Verhältnis zwischen dinglichem und persönlichem Arrest — die S u b s i d i a r i t ä t des letzteren — vorschreibt. Dies kommt in der Vorschrift zum Ausdruck, dafs er nur dann verhängt werden kann, „wenn er (d. h. g e r a d e er) erforderlich ist, um die gefährdete Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners zu sichern", — wenn also mit anderen Worten die Vermögensbeschlagnahme nicht hinreichen würde, um den Erfolg der Sicherung zu bewirken. Solche Fälle ergeben sich da, wo der Schuldner gerade in seiner Person die Gefahr für die Verschleppung der Vermögensobjekte trägt, wenn z. B. der Verdacht seiner 1

G a u p p - S t e i n § 917 I I I . Jetzt auch S e u f f e r t § 917 n. 3. W i l m - L e v y nr. 3. 2 Ζ. Β . kein Personalarrest gegen einen streikenden Arbeiter vor A b l a u f der vertragsmäfsigen Dienstzeit. H i e r könnte nicht e i n m a l , wenn aus dem Bruch des Arbeitsvertrags Kosten, Schäden usw. entstehen, Arrest ausgebracht werden, geschweige denn Personalarrest drohen (für diesen F a l l nur Feststellungsklage, — vgl. unten S. 712). V g l . M e r k e l 30 und beachte hierzu Z.P.O. § 888, 2 (u. § 143, I I I ) . 3 E i n Personalarrest i n diesem S i n n , m. a. W . Verbringung i n Schuldhaft, w a r schon durch § 1 R.G. v. 29. M a i 1868 abgeschafft. Doch wurde § 2 dieses Gesetzes (mit Unrecht) dahinausgelegt, dafs die Beschaffung von Zahlungsmitteln aus dem A u s l a n d e durch Personal arrest, wenn nicht erzwungen, so doch veranlagst werden könne (O.A.G. Lübeck, S e u f f . A . 24, 441, R.O.H.G. 10, 137). Nachdem § 2 cit. durch § 13, 1 E.G. Z.P.O. ausdrücklich aufgehoben, 8 918 also die alleinige Grundlage des Personalarrests geworden,, w i r d diese Auffassung unmöglich. Vgl. G a u p p - S t e i n zu § 918 n. 2.

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IV

Rechtsstreit. § 92. Arrest und einstweilige Verfügungen.

Flucht ins Ausland begründet ist, während der Verbleib seines — zweifellos vorhandenen — Barvermögens nicht bekannt ist. Anderseits geht der Personalarrest gelegentlich weiter als der dingliche Arrest, insofern er die Festnahme der Person des Schuldners auch zu dem Zweck ermöglicht, damit dieser den Offenbarungseid leiste und Aufschlüsse über den Stand seines Vermögens gebe

b) „Einstweilige Verfügungen in Beziehung auf den Streitgegenstand" sind nach § 935 allgemein für zulässig erklärt zur Sicherung der „Verwirklichung des Rechts einer Partei", selbstverständlich soweit solche „Rechtsverwirklichung", nicht Geldvollstreckung im bisher (a) entwickelten Sinne ist. Die einstweilige Verfügung ist also auf Vollstreckungshandlungen berechnet, welche die Herstellung einer i n d i v i d u e l l b e s t i m m t e n L e i s t u n g (sog. Individualleistung), besonders die Herausgabe eines Grundstücks oder einer Mobilie, eines bestimmten gewerblich oder geistig wertvollen Tuns und Unterlassens bezwecken (§ 883ff. Z.P.O., unten §§ 143. 153). Im übrigen können diese A n s p r ü c h e , wie schon oben (zu a) erwähnt, solche sein, die durch Veränderung der Verhältnisse auch zu einer Geldleistung führen und deshalb auch zur Unterlage eines Arrests dienen können: wie besonders Ansprüche auf Herausgabe beweglicher oder unbeweglicher Sachen aus dinglichem Recht oder aus Kauf-, Miet-, Pachtvertrag, auf bestimmte Verrichtungen aus Werk verdingung, ehe sie in I n t e r e s s e n f o r d e r u n g e n übergehen 2. Die Verfügungen können sich aber auch auf Ansprüche beziehen, die in Geld überhaupt nicht veranschlagt werden können, z. B. den Servitutauspruch eines Grundbesitzers, dafs ihm die Aussicht seines Balkons nicht verbaut werde usw., — speziell auf familienrechtliche Ansprüche, z. B. den des Ehemanns gegen seine Ehefrau, die ihn mit ihrer Tochter böslich verlassen hat, auf Herausgabe des Mädchens, wenn zu besorgen ist, dafs die Mutter das letztere in ein italienisches Kloster bringen werde. Arrestgrund (im w. S.) ist dementsprechend hier eine Tatsache, die die Besorgnis begründet, „dafs durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte". Hierbei kommt es nicht darauf an, ob der Schuldner i m a l l g e m e i n e n die gegen ihn gerichteten Vollstreckungen gefährdet, sondern nur darauf, ob sein Verhalten oder ein anderer Vorgang gerade für die Vollstreckung dieses konkreten Anspruchs gefährlich ist. Es ist z. B. der Verkauf der Sache an einen Dritten (im Widerspruch mit dem Vertragsrecht des ersten Käufers), das Unternehmen zur Bebauung eines Grundstücks, auf dessen Freibleiben der gegenüber wohnende Grundbesitzer ein Recht hat (s. oben), genügender Grund für die einstweilige Verfügung, auch 1 Denn auch das ist provisorische Exekution (oben S. 583 A. 1), da der Z w a n g zur Leistung des Offenbarungseids eine Hilfsmafsregel der Zwangsvollstreckung darstellt. (L.G. F r e i b u r g , bad. Rechtspraxis 1901, 31.) 2 Ε . V . zur Sicherung des dinglichen Rechts, das dem Hypothekengläubiger auf die M i e t e n des Grundstücks zusteht (R.G. 1902, 52. 139).

Einstweilige Verfügungen im engern Sinn und „Provisorien".

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wenn der Schuldner im übrigen in sehr geordneten Vermögensverhältnissen lebt. Anderseits begründet Vermögensverschleuderung usw. keine einstweilige Verfügung, solange der Schuldner gerade das beanspruchte Fahrnisstück oder Grundstück unberührt läfst. In manchen Fällen gestattet eine Spezialvorschrift die Erwirkung einstweiliger Verfügung auch o h n e N a c h w e i s e i n e r G e f ä h r d u n g , insbesondere B.G.B. 885 dem, der die V o r m e r k u n g der Einräumung oder Aufhebung eines Rechts am Grundstück verlangen kann, und § 899, der auf Grund der wirklichen Rechtslage Eintrag eines W i d e r s p r u c h s gegen die Richtigkeit des Grundbuchs verlangt 1 . c) Nach § 940 sind einstweilige Verfügungen „auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus andern Gründen nötig erscheint". § 940 spricht nicht von einem einzelnen Anwendungsfall der Verfügungen des § 935, — insbesondere nicht von Verfügungen, die sich von den bisher genannten wiederum (wie diese vom Arrest) durch den Inhalt der sicherungsbedürftigen L e i s t u n g unterscheiden. Vielmehr verfolgen die hier genannten Dekrete einen ganz andern Zweck als den für Arrest und für \7erfügungen i. S. § 935 gemeinsamen Zweck der Sicherurig künftiger Vollstreckung. Was sie erreichen wollen, ist A b w e n d u n g i r g e n d eines w e s e n t l i c h e n N a c h t e i l s , der aus dem Zustand der Bestrittenheit eines Rechtsverhältnisses zu erwachsen droht, nur dafs dieser Nachteil n i c h t der der künftigen Vollstreckungsvereitelung oder -erschwerung sein darf. Diese Dekrete wollen nicht die Verwirklichung des Anspruchs selbst vorwegnehmen, sondern bis zur definitiven Verwirklichung einen p r o v i s o r i s c h e n Z u s t a n d schaffen, und ein alter Sprachgebrauch nennt mit Rücksicht hierauf diese Gruppe einstweiliger Verfügungen noch heute „Provisorien" (o. S. 584). Während also die einstweilige Verfügung des § 935 den Arrest in der Weise ergänzt, dafs sie den gleichen p r a k t i s c h e n Erfolg für andere Arten von Ansprüchen erreicht, dienen die Provisorien zur Ergänzung sowohl des Arrests wie der andern Verfügungen (lit. b) in dem Sinne, dafs sie für die g l e i c h e n Ansprüche einen a n d e r n p r a k t i s c h e n E r f o l g erzielen 2. Dieser Erfolg ist nicht Schutz, auch nicht nur provisorischer Schutz, des einzelnen P r i v a t r e c h t s a n s p r u c h s , sondern Schutz der g e s a m t e n R e c h t s 1 Die Gefährdung liegt hier von Rechtswegen i m öffentlichen Glauben des Grundbuchs, der einem dritten Rechtserwerber bei Unterbleiben der Vormerkung oder des Widerspruchs-Eintraus zu Gute kommen würde. — Anderer Spezialfall Wettbewerbsges. v. 27. Mai 189ö § 3. — E.G. Z.P.O. § 16 Nr. 3 hat nur noch für l a n d e s r e c h t l i c h e Rechts Verhältnisse Bedeutung. 2 Man k a n n kurz sagen: Arrest u n d einstw. Verf. i m engeren Sinn (§ 935) beziehen sich auf v e r s c h i e d e n e A r t e n A n s p r ü c h e , setzen aber die gleiche G e f ä h r d u n g voraus, — die Provisorien beziehen sich auf d i e s e l b e n A n s p r ü c h e wie Arrest u. einstw. Verf., sind aber auf eine verschiedene Art der G e f ä h r d u n g berechnet.

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IV. Rechtsstreit. § 92. Arrest und einstweilige Verfügungen.

Sphäre der um ein Rechtsverhältnis streitenden Parteien m i t B e z i e h u n g a u f dieses R e c h t s v e r h ä l t n i s 1 . Anderseits ergibt sich gerade aus der genannten Zweckbestimmung, dafs die einstweiligen Verfügungen der zweiten Art nicht nur mit Beziehung auf I n d i v i d u a lleistungen (oben lit. b) notwendig und zulässig werden können, sondern auch mit Beziehung auf Geldleistungen und dafs deshalb diese Verfügungen sich zur Abwendung m i t t e l b a r e r N a c h t e i l e auch aus Streitigkeiten entwickeln können, die zur S i c h e r u n g der V o l l s t r e c k u n g des A r r e s t s bedürfen würden. Mit andern Worten, die einstweiligen Verfügungen des § 940 bieten eine Ergänzung s o w o h l für die Verfügungen des § 935 wie auch für den Arrest und üben für die beiden oben genannten Gruppen von Ansprüchen die gleiche Funktion. Eine Verfügung nach § 940 kommt mit Beziehung auf G e l d a n s p r ü c h e zu Gute z. B. einem Kind, das, vertreten durch die aufsereheliche Mutter, vom angeblichen Schwängerer Unterhaltsbeiträge verlangt, — einem Arbeiter, der wegen Fabrikunfalls vom Arbeitgeber eine Rente beansprucht, — einer Putzmacherin, die als Vorsteherin eines Putzgeschäfts engagiert von ihrem Prinzipal kündigungslos entlassen, auf den Gehalt für die ganze Vertragszeit geklagt hat (R.G. 9, 384), — und zwar allen diesen Personen dann, wenn sie behaupten, wegen p e r s ö n l i c h e r N o t l a g e vorläufiger Unterhaltsmittel zu bedürfen. W i r d hier provisorisch dem Beklagten die Zahlung regelmäfsiger Renten auferlegt, so wird damit ein a u f s e r h a l b des Privatrechtsverhältnisses selbst liegender „Nachteil abgewendet" 2 3 . Bei a n d e r e n A n s p r ü c h e n bildet den Hauptgrund für die einstweilige Verfügung die Besorgnis vor Unruhen und G e w a l t t ä t i g k e i t e n (vgl. § 940). Sie kann einen Grund abgeben, wo zwei Grundnachbarn wegen Grenzregulierung, wegen Wege- oder Wasserschöpfgerechtigkeit streiten, wo Vermieter und Mieter um den Mietvertrag uneins sind, der Mieter auszuziehen, der Vermieter sein Retentionsrecht an den Illaten geltend zu machen und der Mieter sich dem zu widersetzen droht. I n vielen dieser Fälle ersetzt die einstweilige Verfügung jetzt das frühere gemeinrechtliche possessorium summariissimum 4 . Aber auch die Besorgnis vor anderen Nachteilen kann die Verfügung begründen, — z. B. der Umstand, dafs in einem bekannten Reisehandbuch ein kreditgefährdendes Urteil über ein Hotel enthalten ist und dafs der Hotelbesitzer, der auf Entfernung jener Buchstelle klagt, in der Zwischenzeit bis zur Entscheidung Einbufse an Zuspruch erleidet (Gesuch um einstw. Verfügung, dafs der Verkauf des Reisehandbuchs zu verbieten sei) 6 . Nur Spezialfälle der Provisorien sind die einstweiligen Verfügungen auf G e t r e n n t l e b e n der Gatten, auf Ordnung der U n t e r h a l t s p f l i c h t der Gatten untereinander und gegenüber den Kindern, auf Verbleib der Kinder wegen schwebenden Eheprozesses (Z.P.O. § 627). 1 Die einstweilige Verfügung § 940 ist deshalb innerlich am nächsten der n e g a t i v e n F e s t s t e l l u n g s k l a g e verwandt. W i e diese durch U r t e i l , Feststellung das Interesse an Integrität der Privatrechtssçhâre (gegen unbegründete Anspruchsb e r ü h m u n g e n ) schützt, so schützt die einstweilige Verfüg, des § 940 dasselbe Interesse durch mechanischen Z w a n g , V o l l s t r e c k u n g (gegen ä u f s e r e Eingriffe, Beunruhigungen). V g l . hierüber das unten S. 719 A n m . 1 ausgeführte. 2 Dagegen ist i n allen diesen Fällen A r r e s t zu verhängen, wenn der Kläger beh a u p t e t , dals der Vater sein Geld i n Spielhöllen verschleudere, dafs der Fabrikant sein Geschäft zu verkaufen u n d auszuwandern beabsichtige usw. Denn dann handelt es sich u m Sicherung der Vollstreckung des P r i v a t r e c h t s v e r h ä l t n i s s e s selbst. 8 Anders liegt der F a l l R.G. 15, 377. 4 Deshalb sind die Regeln, welche das gem. R. oder ein anderes Zivilrecht früher für die Voraussetzungen eines solchen Dekrets aufstellten (insbes., dafs solchen provisorischen Besitz der verlangen k ö n n e , welcher die letzte ungestörte Besitzausübung nachweist) durch Z.P.O. beseitigt. Das Gericht entscheidet jetzt nach freiem Ermessen. 5 Ganz w o h l k a n n auch eine u n d dieselbe Tatsache s o w o h l unter dem Gesichtsp u n k t des § 935 a l s a u c h unter dem des § 940 eine einstweilige Verfügung motivieren.

Vorbedingung der Provisorien.

Arrest-Verfahren.

591

I I I . Verfahren. Das Verfahren, in welchem die Bedingungen des arrestatorischen Rechtsschutzes (II) zu prüfen und das letztere entweder anzuordnen oder zu versagen ist, ist unter Vorbehalt ausdrücklich namhaft gemachter Abweichungen das gleiche für Arrest und für einstweilige Verfügungen (§ 936). Gegenüber dem ordentlichen Prozefs ist es sowohl nach A u f b a u wie nach I n h a l t durch eigenartige Grundsätze beherrscht. Der A u f b a u des Verfahrens, das sich in Beginn, Verlauf und Ergebnis unabhängig vom ordentlichen Prozefs über den sicherungsbedürftigen oder streitigen Anspruch selbst entwickelt, kann sich in den e i n z e l n e n F ä l l e n wiederum verschieden gestalten, aber nach Gesichtspunkten, unter denen der Gegensatz von Arrest und einstweiligen Verfügungen nur sekundär eine Rolle spielt. In erster Linie ist für die Verschiedenheit mafsgebend: 1. die Z u s t ä n d i g k e i t des Gerichts. Z.P.O. regelt sie für den A r r e s t im engern Sinne in der Weise, dafs der Antragsteller („Arrestkläger") frei zwischen dem „Gericht der H a u p t s a c h e " und dem „Amtsgericht, in dessen Bezirk der mit Arrest zu belegende Gegenstand oder die in ihrer Freiheit zu beschränkende Person sich befindet", wählen kann (§ 919). Hierbei bedeutet das Gericht der H a u p t s a c h e das, welches für den ordentlichen Prozefs über den zu sichernden Anspruch zuständig sein würde, d. h. das Amts- oder Landgericht des Wohnsitzes, des Erfüllungsorts, des dauernden Aufenthalts usw., eventuell auch, wenn der Anspruch bereits in zweiter Instanz anhängig ist, das Berufungsgericht (§ 943). Das Amtsgericht am Ort des Arrestgegenstands ist das Gericht, das (nach § 764) für die endgültige Vollstreckung zuständig sein würde, das Gericht der Z w a n g s b e r e i t s c h a f t . Für e i n s t w e i l i g e V e r f ü g u n g e n ist grundsätzlich n u r das Gericht der H a u p t s a c h e zuständig (§ 937). Nur ausnahmsweise, „in dringenden Fällen" kann das Amtsgericht der Zwangsb e r e i t s c h a f t eine einstweilige Verfügung erlassen (§ 942) ^ An und für sich würde dieser Gegensatz nicht erheblich viel bedeuten. Denn naturgemäfs sind sehr viele Fälle einstweiliger Verfügungen „dringende", und in solchen läuft die Regelung des Gerichtsstands ebenfalls auf eine Wahl des Antragstellers hinaus. Die Z.P.O. verschafft aber dem Gegensatz dadurch gröfsere Bedeutung, dafs sie einen Gegensatz des V e r f a h r e n s daran anknüpft. Dasselbe wird zunächst verschieden geregelt für die regelmäfsige Gestaltung, d. h. für alle Arrestfälle und für die VerH a t z. B. ein Fabrikant sein Geschäft m i t allen A k t i v e n v e r k a u f t , schickt er sich aber unmittelbar vor der Übergabe an, die auf dem Fabrikgebäude befindliche Telephonleitung zu entfernen, weil sie angeblich nicht zu den A k t i v e n des Geschäfts gehöre, sondern ein persönliches Bequemlichkeitsbedürfnis befriedige, so k a n n der Käufer hier einstweilige "Verfügung verlangen 1. weil die vorzeitige Entfernung die spätere Übergabe unmöglich mache, falls die Leitung doch als A k t i v u m zu betrachten wäre (§ 935), 2. w e i l bei E n t fernung der Käufer eine Zeitlang ohne Telephon sei u n d dadurch i m Verkehr m i t den Kunden nachteilig gehindert werde (§ 940). 1 Von Nov. w i r d dies Erfordernis der Dringlichkeit j e t z t fallen gelassen, wenn einstweilige Verfügung zum Zweck einer Vormerkung oder eines Widerspruchs çegen die Richtigkeit des Grundbuchs oder Schiffsregisters beantragt w i r d (vgl. über diese Fälle o. S. 589; Z.P.O. § 942).

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IV. Rechtsstreit. § 92. Arrest und einstweilige Verfügungen.

fügungsfälle vor dem Gericht der H a u p t s a c h e einerseits, verschieden für die Verfügungssachen „in dringenden Fällen" anderseits. 2. Aufserdem unterscheidet aber in den regelmäfsigen Fällen das Gesetz weiter, w e l c h e V e r h a n d l u n g der Entscheidung über das Gesuch zur Grundlage gedient hat. Nicht nach Wahl des Klägers, wohl aber nach Ermessen des Gerichts kann über das Gesuch sofort m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g angeordnet oder ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 921 ff.). Bei einstweiligen Verfügungen kann das Gericht der Hauptsache von der mündlichen Verhandlung nur „in dringenden Fällen" absehen (§ 937, 2). Je nachdem entwickelt sich das Verfahren wiederum verschieden. Inden „dringenden Fällen" vor dem Gericht der Zwangsbereitschaft (o. Nr. 1) besteht die doppelte Möglichkeit ebenfalls (§ 942, Abs. 4). Hier ist sie jedoch auf das Verfahren einflufslos. Ob ein Gesuch um Arrest oder einstweil. Verf. „ d r i n g e n d " ist, ist auch noch in einer dritten Hinsicht von Einflufs. Es bewirkt, dafs an Stelle des Kollegiums der V o r s i t z e n d e über das Gesuch entscheiden kann, falls eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich i s t 1 (§ 944). Es ist zu beachten, dafs diese Besonderheit s o w o h l b e i A r r e s t wie bei einstw. Verf. Platz greifen kann. Auf das weitere Verfahren ist sie jedoch ohne Einflufs.

Hiernach ist nur die E i n l e i t u n g des Verfahrens sämtlichen Fällen des Arrests und der einstweiligen Verfügung gemeinsam. Sie erfolgt stets durch schriftliches Gesuch, das dem Gericht in Schriftsatz eingereicht oder vor dem Gerichtsschreiber zu Protokoll erklärt werden kann (§ 920, 3) und die Bezeichnung des Anspruchs (unter Angabe des Geldbetrags oder des Geldwerts) sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes im weitesten Sinne (oben II) enthalten soll (§ 920, 1). Von der Einbringung des Gesuchs an teilt sich das Verfahren. a) Ist A r r e s t (gleichviel ob beim Gericht der Hauptsache oder der Zwangsbereitschaft) oder ist einstweilige Verfügung beim Gericht der Hauptsache beantragt, so hat das Gericht darüber zu befinden, ob es mündliche Verhandlung über das Gesuch anordnen will (bei einstweiliger Verfügung in dringenden Fällen, § 937, 2). 1. Wird mündliche Verhandlung angeordnet, so kommt es, falls beide Parteien erscheinen, zur kontradiktorischen Erörterung, event, zur Beweisaufnahme nach beiderseitigen Beweisantretungen über Arrestanspruch unci -grund und hierauf zur ablehnenden oder arrestverhängenden Entscheidung durch E n d u r t e i l (§922,1)2. 2. Wird mündliche Verhandlung nicht angeordnet, so verhandelt das Gericht lediglich einseitig mit dem Arrest- oder Verfügungskläger und erläfst die Entscheidung über das Gesuch durch B e s c h l u f s , der, wenn er den Arrest anordnet, vom Arrestkläger dem Gegner zuzustellen ist (§ 922, 2) — im Fall der Ablehnung 1 I n den Fällen der einstweiligen Verfügung m ü s s e n diese beiden Eigenschaften stets zusammentreffen (§ 816, — s. oben). 2 Dafs eine f a k u l t a t i v e m. V. zum E n d u r t e i l f ü h r t , ist anomal (o. S. 453). Es hat zur Folge, dafs der Instanzenzug an Oberlandesgericht und Reichsgericht führt.

Arrestverhandlung.

Impugnation.

Salvation.

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oder der durch Sicherheit beschränkten Arrest verhängung dem Gegner nicht mitgeteilt wird (§ 922, 3) 1 . In diesem Fall kann jedoch n a c h t r ä g l i c h eine mündliche Verhandlung verlangt werden und zwar auf Betreiben des Arrestgegners. „Gegen den Beschlufs, durch welchen ein Arrest angeordnet wird, findet W i d e r s p r u c h statt. Die widersprechende Partei hat den Gegner unter Mitteilung der Gründe, welche sie für die Aufhebung des Arrests geltend machen will, zur mündlichen Verhandlung zu laden" (§ 924, 1. 2), ohne hierbei an eine Ausschlufsfrist gebunden zu sein. Durch das eigentümliche Rechtsmittel des Widerspruchs entwickelt sich also ein neues Verfahren mit mündlicher Verhandlung vor d e m s e l b e n Gericht, das den Beschlufs erlassen hat, das sog. I m p u g n a t i o n s v e r f a h r e n . In ihm ist nunmehr (wie im Fall Nr. 1 von Anfang an) durch E n d u r t e i l über die Rechtmäfsigkeit des Arrests oder der Verfügung zu entscheiden (§ 925)2. b) Ist dagegen die einstweilige Verfügung (ausnahmsweise) beim A m t s g e r i c h t der Z w a n g s b e r e i t s c h a f t beantragt worden, so gilt es gleich, ob das Gericht hier mündliche Verhandlung anordnet oder nicht, was ihm (im Gegensatz zum Gericht der Hauptsache oben lit. a) vollkommen frei steht (§ 942, 4). In j e d e m Fall ist vom Amtsgericht nur p r o v i s o r i s c h zu entscheiden, also vorbehaltlich einer zweiten Prüfung. Aber diese wiederholte Prüfung wird hier nicht durch Widerspruch des Gegners bei dem g l e i c h e n Gericht und zwar nicht nach dem freien Willen dieser Partei herbeigeführt (wie lit. a Nr. 2). Vielmehr hat stets das verfügende Amtsgericht d i e P f l i c h t , dem A n t r a g s t e l l e r eine Frist zu bestimmen, innerhalb welcher er den Gegner zur mündlichen Verhandlung über die Rechtmäfsigkeit der einstweiligen Verfügung und zwar stets vor das Gericht der H a u p t s a c h e zu laden hat. Es entwickelt sich hier also ein neues Verfahren mit mündlicher Verhandlung und (argo. § 922) Endurteil nicht als Impugnations-, sondern als S a l v a t i o n s oder J u s t i f i k a t i o n s v e r f a h r e n . Dasselbe ist n o t w e n d i g zur Aufrechterhaltung der Verfügung. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist hat das Amtsgericht auf Antrag die Verfügung aufzuheben (§ 942, 3) 3 . 1 Dagegen ist der arrestablehnende B e s c h l u l ' s vom Gesuchsteller durch B e s c h w e r d e anfechtbar. (R.G. lt>, 3t>7.) So k a n n es kommen, dafs das Beschwerdegericht die mündliche Verhandlung anordnet und den Beschlufs durch U r t e i l korrigiert, gegen das nunmehr ev. Revision ans Reichsgericht stattfindet (R.G. 1902 52., 271; W e i s m a n n 240 A . 8. 9., — a. M. G a u p p - S t e i n zu § 922 I I b ; P e t e r s e n - A n g e r ebd. 8). 2 Gleichviel ob die mündliche Verhandlung obligatorisch oder f a k u l t a t i v ist, k a n n V e r s ä u m n i s v e r f a h r e n eintreten und zwar ist, da die Parteistellung trotz des W i d e r spruchs die gleiche bleibt, gegen den ausbleibenden A r r e s t k l ä g e r § 330, gegen den ausbleibenden Arrest g e ^ n er und Widerspruchskläger der § 331 anzuwenden (d. h. Arrestanspruch u. -grund sind r f ü r glaubhaft gemacht anzusehen"). F ü r die fakultative m. V . entspricht dies wenigstens der herrsch. M. (R.G. 1898. 40, 426). 3 Da wo die Verfügung vom Amtsgericht der Zwangsbereitschaft ausnahmsweise auch ohne Dringlichkeit erlassen werden k a n n (nämlich zum Zweck des Eintrags einer Vormerkung oder eines Widerspruchs gegen die Richtigkeit des Grundbuchs oder Schiffsregisters S 942, Abs. 2., o. S. 591 A n m . 1), besteht die weitere Ausnahme, dafs die Pflicht

R i c h a r d S c h m i d t , Lehrbuch des Zivilprozefsrechts.

2. Aufl.

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IV. Rechtsstreit. § 92. Arrest und einstweilige Verfügungen.

Auch mit Erlafs eines den Arrest bestätigenden Urteils ist die Prüfung über die Vorbedingungen der Mafsregel nicht notwendig abgeschlossen. 1. Das U r t e i l , das im Impugnations- oder im Salvationsverfahren erlassen worden, kann, gleichviel ob es Arrest oder Verfügung bestätigt oder aufgehoben hat, durch Berufung, ev. Revision nach den normalen Grundsätzen (u. § 124) angefochten werden 1 . 2. Aber auch in derselben Instanz, in welcher das Dekret erlassen worden ist, kann selbst nach der Bestätigung des Arrests die A u f h e b u n g des Arrests oder der Verfügung nochmals beantragt werden, — nämlich „ w e g e n v e r ä n d e r t e r U m s t ä n d e " , insbesondere wegen Erledigung des Arrestgrunds oder auf Grund des Erbietens zu einer nach freiem Ermessen zu bestimmenden Sicherheitsleistung (§ 927)2. Ist zu dieser Zeit die Hauptsache schon anhängig, so ist hierfür stets das Gericht der Hauptsache zuständig 3 . Die Entscheidung erfolgt auch hier durch Endurteil, welches wiederum (wie nach nr. 1) der Rechtsmittelanfechtung unterliegt (§ 927, 2). Im übrigen können „veränderte Umstände" auch schon im Widerspruchs- oder Salvationsverfahren geltend gemacht werden (R.G. 1904, 57, 223).

Die V o l l z i e h u n g der arrestatorischen Mafsregeln bedarf raschen Betriebs. Der Gläubiger, welcher sie verzögert, beweist durch sein eigenes Verhalten, dafs an der beschleunigten Vollstreckung überhaupt kein Interesse oder kein Interesse mehr bestehe. Sie wird deshalb unstatthaft, wenn seit dem Tage der Verkündung oder der Zustellung des Arrestbefehls an den Gesuchsteller zwei Wochen verstrichen sind (§ 929, 2 ) 4 5 . Umgekehrt darf der Gläubiger im Betrieb der Vollziehung nicht aufgehalten werden. Sie wird deshalb durch keines der verschiedenen Nachprüfungsstadien gehemmt. Für den Fall der Erhebung des Widerspruchs ist das ausdrücklich ausgesprochen (§ 924, 3). Das Gleiche ist aber auch für den Fall anzunehmen, wo gegenüber einer einstweiligen Verfügung das Salvationsverfahren schwebt (§ 942, 1). Dafs das Endurteil, welches auf Impugnation (§ 925) oder Salvation (§ 942) den Arrest oder die Verfügung b e s t ä t i g t , ipso iure vorläufig vollstreckbar sein mufs und in seiner Vollziehung durch die Rechtsmittel nicht gehemmt wird, folgt hieraus schon des Antragstellers zum Justifizieren nur dann entsteht, wenn der Verfügungsgegner die Frist beantragt. 1 Der B e s c h l u f s , durch welchen (ohne mündliche Verhandlung) Arrest oder (mit oder ohne mündliche Verhandlung, — nach § 942) einstw. Verfügung erlassen worden ist, unterliegt einem R e c h t s m i t t e l (Beschwerde) nicht. Für i h n ist eben Impugnation oder Salvation geschaffen. — Dagegen k a n n der Beschlufs, der Arrest oder einstweilige Verfügung a b l e h n t , obwohl das vom Gesetz nicht hervorgehoben w i r d , nach $ 507 durch Beschwerde und zwar e i n f a c h e Beschwerde angefochten werden. R.G. 10, 367 gewährt ohne Grund s o f o r t i g e Beschwerde. 8 Vgl. hierzu H e r b s t , Z. 3, 519. M ö l l e r , Z. 10, 438. Eine einstw. V. k a n n nur u n t e r be s o n d e r n U m s t ä n d e n durch Sicherheitsleistung zur Aufhebung gebracht werden, weil„ihr Objekt, die I n d i v i d u a l l e i s t u n ç , in einer G e l d k a u t i o n i m Zweifel k e i n genügendes Äquivalent findet (§ 939). E i n Beispiel solcher -besondern Umstände" s. in R.G. 1903. 55, 141. 3 Gerade deswegen k a n n auch derjenige Arrestgegner an der Beschreitung dieses Wegs interessiert sein, gegen den bisher nur durch Beschlufs Arrest verhängt worden i s t , dem also an sich der Widerspruch noch offen stände. Denn diesen müfste er (vgl. oben S. 593) in. jedem F a l l bei dem arrestverhängenden Gericht einlegen, — auch wenn der Anspruch inzwischen schon bei einem andern Gericht anhängig geworden wäre. (Die herrsch. M. spricht i h m deshalb in der T a t das Recht zum Gebrauch des § 927 zu, auch wenn die Bestätigung des Arrests noch nicht erfolgt ist. (So insbes. alle Komm.) 4 I s t der Arrest in dieser Weise v e r w i r k t , so fehlt demnach für die Einlogung des Widerspruchs oder für die Einleitung des Salvationsverfahrens (oben lit. b) die Veranlassung. 6 Das Erfordernis der Zustellung des Arrests oder der Verfügung an den G e g n e r ist eine allgemeine Vorbedingung der Vollstreckung (§ 750). Vgl. darüber und über seine Milderung beim Arrest (§ 929, 3) unten § 142.

Wiederaufhebung wegen veränderter Umstände.

Arrestvollzug.

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von selbst. Nur ist diese rasche Vollziehbarkeit dadurch abgeschwächt, dafs das Gericht in jedem Stadium die Anordnung des Arrests von einer nach freiem Ermessen zu bestimmenden' Sicherheitsleistung abhängig machen kann (§ 921, 2; 925, 2). Auch ist im Arrestbefehl ein Geldbetrag festzustellen, durch dessen Hinterlegung die Vollziehung des Arrests gehemmt und der Schuldner zu dem Antrag auf Aufhebung des vollzogenen Arrests berechtigt wird (§ 923). Anderseits sind diejenigen Urteile, durch welche ein Arrest oder eine einstweilige Verfügung aufgehoben wird, stets von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 708, Nr. 5), — gleichviel ob sie im Widerspruchsverfahren (§ 921) oder im Salvationsverfahren (§ 942), in der Rechtsmittelinstanz (oben S. 594, Nr. 1) oder wegen veränderter Umstände (§ 927; oben Nr. 2) erlassen werden. Die vom Gesetz vorgesehenen Unterschiede des Verfahrens erstrecken sich jedoch ganz ausschliefslich auf dessen ä u f s e r e Form. Auf den wesentlichen I n h a l t desselben, auf die Art der Prüfung und das Ergebnis der Entscheidung üben sie keinen Einflufs. a) Die S t o f f s a m m l u n g , von der die Entscheidung abhängt, ist stets Verhandlung und Beweisaufnahme über den Arrestanspruch und Arrestgrund. Soll das Gesuch um Arrest oder einstweilige Verfügung Erfolg haben, so sind A n s p r u c h und A r r e s t g r u n d g l a u b h a f t zu machen (§ 920, 2). Da nun aber Widerspruchs- und Salvationsverfahren nur die Fortsetzung des Arrestprozesses sind, eine andere Bedeutung auch dem Berufungsverfahren gegen das bestätigende oder aufhebende Urteil und dem Verfahren wegen veränderter Umstände nicht zukommt, so vollzieht sich auch in diesen Verfahrensabschnitten die gerichtliche Prüfung ausschliefslich nach den Grundsätzen der G l a u b h a f t m a c h u n g , d. h. eines unvollkommenen, aber schleunigen Beweises (vgl. oben S. 471. 568), und zwar, da im Zweifel beide Parteien in den Bedingungen der Rechtsverfolgung gleichgestellt sind, nicht nur zugunsten des Arrestklägers, sondern auch zugunsten des A r r e s t g e g n e r s . Letzterer kann also zum Zweck des Gegenbeweises oder zum Beweis rechtshindernder oder rechtsvernichtender Einreden gegen den Anspruch (o. S. 481) ebenfalls mit blofsen Bescheinigungsmitteln zugelassen werden und mit Hilfe solcher Verteidigung die Aufhebung des Arrests usw. erreichen, während der Gebrauch der bei Glaubhaftmachung ausgeschlossenen Beweismittel (Verwendung des Eides auf Zuschiebung oder nach den Grundsätzen des richterlichen Eides) nicht statthaft ist. Wenn also z. B. der Gläubiger seinem angeblichen Schuldner ein Wertpacket auf offener Strafse gewaltsam (wie unter den Voraussetzungen § 229 B.G.B.) abgenommen hat, und erst nachträglich die Arrestbeschlagnahme des nunmehr in seinem Gewahrsam befindlichen Exekutionsobjekts zur Sicherung

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seiner Forderung herbeiführt, so kann der Schuldner den Widerspruch mit Glaubhaftmachung der exceptio spolii (B.G.B. § 861) durchsetzen (R.G. I I I 1882. 7, 328). Wenn der Inhaber einer auf fremdem Bauerngut eingetragenen Altenteilsberechtigung, die der Grundbesitzer löschen läfst, durch einstweilige Verfügung eine Vormerkung zur Erhaltung seines Rechts ausbringt, so kann sich der Gegner (Grundbesitzer) auf einen während des gerichtlichen Verfahrens geschlossenen Vergleich behufs Beseitigung der Verfügung berufen und das Gericht darf dem Kläger nicht einen richterlichen Eid über das Nichtbestehen des Vergleichs auferlegen (R.G. I I I 1891 27, 425)'. Nur bleibt freilich zu bedenken, dafs nicht unter allen Umständen die Glaubhaftmachung des Klägers durch die Glaubhaftmachung des Gegners entkräftet wird. Bescheinigt z. B. der Kläger eine Darlehnsgewährung an den Gegner, so kann dieser nicht schon dadurch im Impugnationsverfahren die Beseitigung des Arrests erreichen, dafs er bescheinigt, es habe Schenkung vorgelegen. Dies ist Frage der Beweiswürdigung. Als Surrogat der G l a u b h a f t m a c h u n g von Anspruch oder von Grund oder von beiden (R.G. 1895. 27, 417) kann das Gericht eine S i c h e r h e i t des Arrestklägers gelten lassen (§ 924). Daraus folgt aber nicht, dafs hierdurch der Kläger auch der B e h a u p t u n g von Anspruch und Arrestgrund (der Substanzierung) überhoben wird.

b) Die E n t s c h e i d u n g des Arrestprozesses ist stets entweder V e r h ä n g u n g bezw. B e s t ä t i g u n g der provisorischen Zwangsvollstreckung oder A b l e h n u n g bezw. A u f h e b u n g derselben, — inhaltlich von gleicher Bedeutung, mag sie auf den ursprünglichen Antrag oder auf Widerspruch, Salvationsantrag, Rechtsmittel usw. ergehen. Sie erstreckt sich aber nicht auf den Anspruch selbst, sondern immer nur auf die „Rechtmäfsigkeit des Arrests", d. h. auf die Bedingungen des arrestatorischen Rechtsschutzes (§ 925) Demgemäfs äufsert sie e b e n s o w e n i g m a t e r i e l l e R e c h t s k r a f t wie das Urteil im Urkundenprozefs (oben S. 578). Nur tritt naturgemäfs hier der bestimmungsgemäfse Unterschied zwischen Arrest und einstweiliger Verfügung und hier wieder zwischen den verschiedenen Arten der einstweiligen Verfügung hervor. 1. Der Inhalt des A r res tbe f e h l s ist in den Hauptpunkten gesetzlich bestimmt. Der d i n g l i c h e A r r e s t ist „Arrest in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen" (§ 916), mit der Wirkung, dafs „auf die Vollziehung die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung entsprechende Anwendung finden", soweit nicht abweichende Bestimmungen getroffen sind (§ 928). In letzterer Beziehung aber wird allgemein nur hinzugefügt, dafs die Vollziehung des Arrests in bewegliches Vermögen durch P f ä n d u n g (also ohne nachfolgende V e r w e r t u n g der gepfändeten Vermögensstücke) bewirkt wird (§ 930), während die Vollziehung des Arrests in unbewegliches Vermögen durch Eintragung einer Sicherungshypothek erfolgt (§ 932). Aus alledem ergibt sich, dafs der Erlafs des Arrestbefehls die Anordnung einer G e l d v o l l s t r e c k u n g 1 A . M. H e r g e n h a h n , Z. 18, 347 (1892), der die Zulässigkeit solcher Einreden an sich zwar z u g i b t , aber für ihr Durchdringen vollen Beweis fordert (gegen ihn M e y e r , Einr. i m Arrestpr., civ. A . 81, 281 (1893). — Eine besondere Frage vgl. bei P e t e r s , Beitr. 25, 593. O.L.G. Dresden 8. Febr. 1882, Z. 7, 116.

Inhalt der arrestatorischen Entscheidung.

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von b e s c h r ä n k t e r T r a g w e i t e , — nämlich einer auf blofse pfändungsweise Beschlagnahme beschränkten Vollstreckung — darstellt. Das G e r i c h t hat demnach auf seinen Inhalt nur insofern einen Einflufs, als es bestimmt, in w e l c h e m U m f a n g die Beschlagnahme erfolgen soll. Es hat auszusprechen, ob der Arrest in das bewegliche oder in das unbewegliche Vermögen oder in beide Vermögensgruppen verhängt werden soll. Und ferner hat es auszusprechen, bis zu welchem Wert der Arrest die zu beschlagnahmenden Vermögensstücke ergreifen soll, da auch hier das Prinzip des § 803 Platz greift , wonach die Pfändung nicht weiter ausgedehnt werden darf, als zur (eventuellen künftigen) Befriedigung des Anspruchs erforderlich (u. § 145). Das Gericht mufs diese Beschränkung also mindestens in der Weise vorkehren, dafs es den Wert des zu sichernden Anspruchs im Dekret feststellt (in welchem Fall die Begrenzung der zu pfändenden Objekte dem Gerichtsvollzieher oder dem Vollstreckungsgericht überlassen bleibt). Es kann aber auch so verfahren, dafs es von vornherein nur die Pfändung individuell b e s t i m m t e r (dem Wert des Anspruchs ungefähr entsprechender) Objekte anordnet. Werden hiernach die b e w e g l i c h e n Vermögensstücke des Schuldners und zwar die k ö r p e r l i c h e n Mobilien vom Arrest ergriffen, so erfolgt die Arrestanlegung durch Pfändung, d. h. Inbesitznahme. Ausnahmsweise kann das Vollstreckungsgericht sogar auf Antrag anordnen, dafs eine bewegliche körperliche Sache, wenn sie der Gefahr beträchtlicher Wertsverringerung ausgesetzt ist oder wenn ihre Aufbewahrung unverhältnismäfsige Kosten verursachen würde, versteigert und der Erlös hinterlegt werde (§ 930, 3). I n solchen Fällen ist nicht einmal die T r a g w e i t e der arrestatorischen Vollstreckung beschränkt. Ergreift der Arrest Forderungen, so ergeht nur das arrestatorium und Inhibitorium (unten § 147); die Überweisung zur Einziehung und die Einziehung selbst unterbleibt. Für die Pfändung einer Forderung ist das Arrestgericht als Vollstreckungsgericht zuständig (§ 930 Abs. 1 a. E.). Gepfändetes Geld und ein im Verteilungsverfahren auf den Gläubiger fallender Betrag des Erlöses werden hinterlegt (§ 930, 2).

2. Umgekehrt wie beim Arrest ist der Inhalt der e i n s t w e i l i g e n V e r f ü g u n g durchaus dem Gericht überlassen. „Das Gericht bestimmt nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur E r r e i c h u n g des Z w e c k s erforderlich sind" (§ 938), — eine Befugnis des Gerichts, die sich sowohl auf die vollstreckungsichernden Verfügungen (§ 935) wie auf die Provisorien (§ 940, oben S. 589) bezieht. Hieraus ergibt sich, dafs die Verfügung je nach Lage des einzelnen Falls zugunsten des Antragstellers einen Zustand anzuordnen hat, der sich (im Fall § 935) mit Sicherheit in die Befriedigung des Anspruchs überleiten läfst oder der (im Fall § 940) geeignet ist, den infolge des Streits befürchteten Schaden (die Ruhestörung, die Notlage des angeblich Berechtigten) zu verhüten. Die natürliche Grenze dieser Anordnung bildet nur die selbstverständliche Erwägung, dafs sie dem Gesuchsteller nicht m e h r Macht verleihen und den Gegner nicht mehr beschränken darf, wie die Erfüllung des behaupteten Anspruchs selbst. Im

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übrigen aber besteht für die einstweilige Verfügung keine grundsätzliche Grenze. Insbesondere verlangt das Gesetz nicht, dafs die einstweilige Verfügung nicht so weit vorgehen dürfe wie die Anordnung einer durchgeführten Vollstreckung selbst. Vielmehr kann die Verfügung recht wohl provisorisch denselben Zustand vorschreiben, der — definitiv — die Erfüllung des Anspruchs selbst ausmachen würde. In der Tat wird dies da unvermeidlich, wo der Antragsteller gegen eine seinem Recht zuwiderhandelnde Person provisorisch den Zwang zur U n t e r l a s s u n g begehrt, wo also z. B. gegen eine Person, der auf fremdem Grundstück kontraktmäßig das Recht zum Steinebrechen eingeräumt worden, die aber das Entgelt hiefür unregelmäfsig abführt, in Kraft einstweiliger Verfügung aufgegeben wird, das weitere Steinebrechen bei Strafe zu unterlassen 1 . Aber auch wo der angebliche Anspruch auf ein Tun des Schuldners gerichtet ist, kann bereits die einstweilige Verfügung die v o l l e Leistung auferlegen, besonders in den Fällen der zustandregelnden Verfügungen (§ 940). Wenn einem Geschäftsreisenden, dem die Verzögerung seiner Abreise Schaden bringt, vom Hotelier der Koffer vorenthalten wird, obwohl er diesem angeblich den vollen Rechnungsbetrag angeboten, so kann (gegen Sicherheitsleistung) dem Hotelier die H e r a u s g a b e des Koffers auferlegt werden. In den Fällen, wo der angeblich Berechtigte durch Verzögerung des Prozesses mit Notlage bedroht ist (vgl. Beispiel oben S. 590), kann dem Schuldner die Zahlung der Rente usw. provisorisch auferlegt werden. Die Scheidungsklägerin kann durch einstweilige Verfügung vorläufige Trennung, vorläufige Entrichtung von Alimenten erreichen (§ 627; o. S. 590), der Besitzkläger kann erreichen, dafs ihm der Sachbesitz provisorisch zugesprochen werde. Wenn möglich freilich und in den landläufigen Fällen der einstweiligen Verfügung wird das Gericht nicht die volle Verwirklichung, sondern nur eine geringere Leistung, einen Interimszustand, anordnen. Die in Betracht kommenden Hauptlalle sind folgende: Behauptet der Antragsteller, dafs er einen Anspruch auf Herausgabe einer beweglichen Sache aus Kauf, Hinterlegung usw. besitze, dafs aber der Schuldner beabsichtige, die Sache an einen Dritten zu veräufsern, zu verpfänden, dafs er die Sache durch mifsbräuchliche Benutzung verschlechtere usw., — so kann das Gericht die Übergabe der Sache in den Gerichtsgewahrsam, an einen Sequester, einen unparteiischen Dritten anordnen, es kann die Weiterveräufserung unter Androhung der Nichtigkeit 2 (soweit dies das Zivilrecht gestattet) oder unter Strafdrohung verbieten, — letzteres in leichten Fällen, z. B. wenn die Ehefrau den Mann verlassen und Vermögensgegenstände mit fortgenommen hat, von denen zu besorgen ist, dafs sie dieselben zur Beschaffung von Unterhaltsmitteln verkaufen werde 8 . 1 Ebenso, wenn einem Theaterdirektor, einem Zirkusbesitzer, die rechtswidrige A u f führung eines Stücks, eines Ballets bei Strafe verboten w i r d . 2 D a r i n liegt schon e n t h a l t e n , dafs das Gericht nicht zum Schutz eines Rechts in andere Rechtsverhältnisse eingreifen k a n n , die von dem zu sichernden ganz unabhängig sind. H a t z. B. eine Ehefrau von i h r e m flüchtig gewordenen Ehemann Generalvollmacht zur V e r w a l t u n g seines Hausgrundstücks erhalten, diese Vollmacht aber zu illoyalen Gebahrungen mifsbraucht (eine vermietete W o h n u n g kurz vor Beginn der Vertragszeit einem D r i t t e n eingeräumt usw.), so k a n n das Gericht nicht zum Schutz eines weiteren, sich hierdurch gefährdet glaubenden Mieters der F r a u provisorisch die V o l l m a c h t e n t z i e h e n oder die Entziehung androhen (vgl. R.G. 35, 3'Z). H i e r ist nur möglich, dafs der F r a u unter Strafdrohung die Vertragsbrüchige Weitervergebung verboten w i r d usw. — Entsprechend ist es unzulässig, dafs zur Sicherung des Anspruchs auf Lieferung der ekauften Sache dem Verkäufer die Weiterveräufserung unter Androhung der Nichtigkeit erselben verboten wird, soweit das Zivilrecht (§ 93j) im Interesse den gutgläubigen Erwerber einer f r e m d e n Sache i n diesem Erwerb schützt. 3 Denkbar ist aber auch hier, dafs sofort die provisorische Herausgabe der Sache an den Kläger angeordnet w i r d , — so w e n n zu erwarten i s t , dafs die Sache (z. B. ein abgerichteter H u n d , ein empfindliches Pferd, ein kostbares Ölbild) durch A u f b e w a h r u n g bei einem D r i t t e n e n t w e r t e t , beschädigt werden könne und wenn der Kläger wesentlich vertrauenswürdiger erscheint als der derzeitige Inhaber.

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Inhalt der einstweiligen Verfügung.

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Behauptet der Antragsteller, dafs er einen Anspruch auf Eintragung als Grundstückseigentümer, auf Eintragung einer Hypothek oder eines anderen Rechts am Grundstück besitze, so ordnet die einstweilige Verfügung meist den Eintrag einer V o r m e r k un g oder eines W i d e r s p r u c h s an (o. S. 589; Kasuistik hierzu S e k l e r , Lehre von der Vormerkung, 1904). Die einstweilige Verfügung kann auch in einer Sequestration, auch in der Untersagung der Veräufserung, Belastung oder Verpfändung eines Grundstücks bestehen (§ 938, 2, verb. m. B.G.B. § 136). Da aber auch diese wegen des gutgläubigen Rechtserwerbs Dritter (§ 135, 2. 892. 1138) der E i n t r a g u n g bedürfen (2.P.O. § 941), so wird die Vormerkung regelmäfsig vorgezogen werden. Alle diese Gesichtspunkte gelten jedoch nur vorbehaltlich besonderer Bestimmungen, welche die Reichs- oder Landesgesetze über Bedingungen und Inhalt einstweiliger Verfügungen aufstellen. Solche Vorschriften zeichnen unter Umständen den Inhalt der einstweiligen Verfügung bestimmt vor, so hauptsächlich die, welche Sicherung von Ansprüchen an Grundstücken (in Form von Vormerkungen) und die provisorische Regelung von Ehesachen betreffen (o. S. 589) Die V o l l z i e h u n g des Arrestbefehls oder der einstweiligen Verfügung gehört an und für sich nicht mehr zu der in ihren Formen eigenartigen summarischen Prozefsart. Sie steht dieser ebenso gegenüber wie die normale V o l l s t r e c k u n g dem o r d e n t l i c h e n R e c h t s s t r e i t . In der Tat hat sie auch im allgemeinen nichts besonderes, sondern folgt den Formen der Vollstreckung; speziell ist dieser Vollzug des Arrests in bewegliches Vermögen Pfändung, die „nach denselben Grundsätzen wie jede andere Pfändung" erfolgt (§ 930). Eigenartig behandelt wird sie nur insofern, als sie quantitativ nicht so weit geht wie die Pfändung, nämlich nicht bis zur Versteigerung, weil dies durch den Zweck der Sicherung nicht geboten ist. (Im übrigen vgl. darüber in Buch V.)

I V . Verhältnis des Arrestprozesses zum Ordinarium, Zum ordentlichen Verfahren der urteilsmäfsigen Anspruchsfeststellung steht das Verfahren über die arrestatorische Sicherung des Anspruchs an sich in gar keiner prozessualen Beziehung2. Der Arrestprozefs kann deshalb sowohl vor der ordentlichen Anhängigkeit eingeleitet und durchgeführt werden (§ 926) 8 wie während ihrer Anhängigkeit, — ja, auch noch nach Erlafs des erstinstanzlichen Urteils, z. B. wenn dasselbe durch Rechtsmittel angefochten und nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt worden ist (in welchem Fall das Arrestgesuch beim Berufungsgericht als Gericht der Hauptsache anzubringen ist, § 943, — o. S. 591)4. Anderseits will jedoch das Gesetz nicht, dafs die Arrestbeschlagnahme auf die Dauer fortbestehe, ohne dafs über den Anspruch selbst definitiv entschieden wird. Es kann deshalb in den Fällen, wo bei Arrestausbringung die Hauptsache noch nicht anhängig ist, der Gegner beim Arrestgericht den Antrag stellen, dafs das Gericht 1 Die vom L a n d e s r e c h t aufgestellten Spezialfälle der einstweiligen Verfügungen haben seit dem B.G.B, keine erhebliche Bedeutung mehr. Vgl. darüber die „landesrechtlichen Zivilprozefsnorm*-n tt von Reitzenstein. Schierlinger, Grengel, Betzinger usw. (o. S. H2). - Die Folge ist z. B., dafs die Zustellung des Arrestbeschlusses an den Schuldner nicht notwendig (nach § 170) an den Prozefsbevollmächtigten erfolgen m u f s , den dieser für den H a u p t p r o z e f s hat (R.G. 45, 3ü5). 3 Anderes ist auch nicht für die einstweilige Verfügung § 935 verordnet. Aus der Fassung, wonach einstweilige Verfügungen „in Beziehung auf den Streitgegenstand" zulässig sind, folgt n i c h t , dafs sie nur dann zulässig s i n d , wenn der Anspruch schon „im Streit" befangen ist. Denn § 935 n i m m t § 925 nicht aus (R.G. 4, 305). 4 Ebenso k a n n auch der W i d e r s p r u c h erst eingelegt w e r d e n , wenn nach Firlafs des Arrestbefehls inzwischen die Hauptsache anhängig gemacht worden ist.

IV. Rechtsstreit.

600

§ 93. Mahnverfahren.

den Arrestausbringer a n h a l t e , b i n n e n e i n e r r i c h t e r l i c h e n F r i s t K l a g e zu erheben. Das Gericht entscheidet über diesen Antrag ohne mündliche Verhandlung durch Beschlufs, der die A n o r d n u n g der Klagerhebung binnen bestimmter Frist enthält (§ 926, 1). Entspricht dem der Arrestausbringer, gleichviel ob durch Leistungs- oder Feststellungsklage, so wird das Verfahren in ordinario nach den regelmäfsigen Grundsätzen durchgeführt. Wird dagegen der Anordnung nicht Folge geleistet, so kann der Gegner den Arrestkläger zur mündlichen Verhandlung laden und hier durch Endurteil die Aufhebung des Arrests erwirken (§ 926, 2). Selbstverständlich wird durch dieses Verfahren der angebliche Schuldner nicht gehindert, den gleichen Erfolg der erschöpfenden Prüfung durch eine seinerseits erhobene n e g a t i v e F e s t s t e l l u r i g s k l a g e zu erreichen 1 2 .

§ 93. Das Mahnverfahren. Goldenring, Das Mahnverfahren, Z. 1, 459 (1879). Peters, Die geschäftliche Behandlung der Mahnsachen (1889). Skedl, Das Mahnverfahren, 1891. Kohler, Prozefsrechtl. Forschungen 130. P o l l a k , Über die systematische Stellung des Mahnverfahrens, Z. 19, 126 (1894). Richter, Das Mahnverfahren, systematisch dargestellt, 1895 (beachte dazu Z. 21, 130). I m übrigen: W e i s m a n n , Lb. I , § 121, S. 548 ff. Kleinfeller, Lb. § 129. Kommentare zu § 688 ff. Z.P.O.

I . Anlage und Bedeutung· Wie der Gesetzgeber nach Analogie des vorläufig vollstreckbar erklärten k o n t r a d i k t o r i s c h e n Urteils zur Zulassung eines Vollstreckungstitels in dem eigens zu diesem Zwecke beschränkten Prüfungsverfahren des Urkundenprozesses gelangt, so wird der dem vorläufig vollstreckbar erklärten V e r s ä u m n i s u r t e i l zugrunde liegende Rechtsgedanke gesetzgeberisch weiter verwertet in der Schaffung des sog. v o l l s t r e c k b a r e n Z a h l u n g s b e f e h l s oder V o l l s t r e c k u n g s b e f e h l s im Mahnverfahren. Dasselbe ist wie der Urkundenprozefs ein nach der Absicht der prozefseinleitenden Partei zunächst n u r auf A n o r d n u n g der V o l l s t r e c k u n g gerichtetes Verfahren, das nur eventuell mit dem Verfahren auf Feststeilung in Verbindung gebracht wird und im Verlaufe in ein solches übergeleitet werden kann. Die Anordnung der Vollstreckung im Mahnverfahren wird jedoch nicht auf Grund objektiver richterlicher Prüfung, sondern auf Grund von Versäumnis, Untätigkeit des Schuldners und im Anschlufs daran mit P r ä k l u s i o n der Verteidigung des Schuldners ausgesprochen, und die Überleitung in das Verfahren einer unbeschränkten und erschöpfenden Prüfung kann nur vom Angegriffenen (dem Schuldner) betrieben werden. Das praktisch Wesentliche des Verfahrens liegt sonach darin, dafs der Gläubiger, indem er es einleitet, hier von vornherein auf die Untätigkeit des 1

So jetzt auch K o h i e r , Z. 33 (1904) S. 230. - I n E h e s a c h e n wird als etwas besonderes bestimmt, dafs die einstweilige Verf. erst dann zulässig sein soll, w e n n T e r m i n zur mündlichen Verhandlung bezw. (im Scheidungsprozefs) zum Sühneversuch bestimmt oder W i d e r k l a g e auf Scheidung oder Anfechtung erhoben ist (§ 627, 2; vgl. o. S. 590).

Grundgedanken des Mahnverfahrens.

601

Schuldners, auf ein Unterbleiben der Abwehr als das Wahrscheinliche spekuliert. Hieraus ergibt sich sogleich sein Anwendungsgebiet. Es ist berechnet auf die Fälle, wo der Schuldner einen Anspruch — besonders einen geringfügigen Anspruch des täglichen Verkehrs — nicht in der Absicht, ihn zu bestreiten, sondern nur aus Trägheit, Entschlufslosigkeit, momentanem Geldmangel unerfüllt läfst. Das Mahnverfahren liefert hier dem Gläubiger in einer einfachen Prozedur einen vollstreckbaren Schuldtitel, ohne überhaupt die Prüfungstätigkeit des Gerichts und die Verteidigungstätigkeit des Schuldners in Bewegung zu setzen1 und ermöglicht zugleich die F e s t s t e l l u n g des Anspruchs wie durch rechtskräftiges Urteil. Wie beim Urkundenprozefs, so folgt für das Mahnverfahren aus seiner Grundanlage, dafs Ansprüche, welche eventuell wohl der Feststellung, aber nicht der u n m i t t e l b a r e n Befriedigung bedürftig sind, vor allem bedingte oder befristete, n i c h t in dieser Form geltend gemacht werden können (oben S. 713). Dies ist schon aus § 688, 2 argo. a minori ad maius zu schliefsen, da sogar Ansprüche, deren Geltendmachung von einer noch nicht erfolgten Gegenleistung abhängig ist (Ansprüche auf Zug- um Zugleistung) nicht zum Mahnverfahren geeignet sind, obwohl sie u n b e d i n g t und an sich sofort befriedigungsbedürftig sind. Bestätigt wird es durch § 691, 1, wonach das Mahngesuch auch dann zurückzuweisen ist, wenn der Anspruch „zur Zeit nicht begründet" ist. Aus dem Rechtsgedanken, dafs im Mahnverfahren der Gläubiger auf Untätigkeit des Schuldners r e c h n e t , erklärt sich die weitere Beschränkung des § 688, 2, wonach Mahnverfahren nicht stattfindet, „wenn die Zustellung des Zahlungsbefehls im Auslande oder durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen müfste" (unten S. 629). Diese (unsicheren) Formen der Zustellung würden die Gelegenheit des Schuldners zur freien Verteidigung schmälern (vgl. § 328 nr. 2).

I I . Bedingungen der Rechtsschutzform. Das Anwendungsgebiet des Mahnverfahrens fällt im wesentlichen mit dem des Urkundenprozesses zusammen. Denn es erstreckt sich ebenfalls auf Ansprüche, welche die Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder die Leistung einer bestimmten Quantität anderer vertretbarer Sachen oder Wertpapiere zum Gegenstande haben (§ 688. I ) 2 . 1 Da hiernach das Mahnverfahren ein Verfahren i s t , dessen Hauptzweck Befriedigung unerfüllter Ansprüche ist, so kann, wenn einmal das Wesen der streitigen Gbk. i m Gegensatz zur freiwilligen richtig erfafst ist (oben S. l(>i), kein Zweifel darüber sein, dafs es zum Z i v i l p r o z e f s gehört und nicht ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist, wie noch immer manche behaupten ( S k e d l 116, wie hier W e i s m a n n 549). Ob m a n i m übrigen das Mannverfahren als „aufserordentliches tt Verf. bezeichnen w i l l ( D r e c h s l e r , Ζ. 1, 288, civ. A. 62, 423; W a c h I , 46) oder als summarisches" (wie hier geschieht), hängt von dem Gebrauch dieser Begriffe ab. Der letztere i m Sinne des auf schleunige Vollstreckung gerichteten Verfahrens ist eingebürgert. Sicher ist nur, dafs das Mahnverfahren keine Erscheinungsform der summarischen K o g n i t i o n (im Sinne oben S 90) darstellt. V ç l . vielmehr über das in i h m verwertete Prinzip der richterlichen Prüfung S. 400. Über die G e s c h i c h t e d. M.V. u. seine E n t w i c k l u n g aus dem „bedingten Mandat sprozefs" o. S. 80. Dazu bes. Skedl, a. a. 0 . , Kleinfeller, Lb. S. 527. a Eine wesentlich gröfsere Ausdehnung hat das Mahnverfahren i n B a d e n und W ü r t t e m b e r g , wo es auf Grund von Landesgesetzen auch vor den (nur dort bestehenden) Gemeindegerichten (Bürgermeister, bezw. Gemeinderäte als Sondergerichte, — oben S. 236) und sogar für ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e Ansprüche vor den Verwaltungsbehörden zugelassen ist, — i n Württemberg unter dem N a m e n des Schuldklageverfahrens ( b a d . E.G. zu Reichsjust.Ges. § 120, V.O. über die Z w . V . öff. Ford. v. 27. Okt. Ib84 §3, V.O. über Beitreib, der Gemeindeforderungen 3. Nov. 1884; - W ü r t t e m b e r g . A.G. zu Z.P.O. a. 13, Ges. v. 18. Aug. 1879 betr. Z w . V . wegen öff. Anspr., a. 7—9).

602

IV. Rechtsstreit.

§ 93. Mahnverfahren.

Die Abgrenzung dieser Ansprüche vollzieht sich also nach den gleichen Gedanken, wie für den Urkundenprozefs; insbesondere gilt auch hier gleich: a) aus welchem G r u n d e der Anspruch geltend gemacht wird, ob aus persönlichem oder dinglichem (argo § 689) usw. Auch der Anspr. der Hypothek, Grundschuld, Rentenschuld (§ 688, 1, Satz 2) ist, soweit sie auf Geldzahlung gerichtet ist, zum Mahnverfahren geeignet 1 ; b) in welcher H ö h e der Anspruch geltend gemacht wird. Allerdings hat das Verfahren hauptsächlich nur für kleinere Ansprüche Bedeutung (s. oben I a. E.). Z u l ä s s i g ist es jedoch auch für gröfsere. Nur wird es als Mahnverfahren, d. h. solange es sich um den Erlais von Zahlungsbefehlen dreht, s t e t s v o r d e n A m t s g e r i c h t e n geführt, auch wenn die Sache nach den Grundsätzen des ordentlichen Prozesses zur l a n d g e r i c h t l i c h e n Zuständigkeit gehören würde (§ 689, 1). Die Gründe liegen in seinem exekutivischen Charakter 2 . „Ausschliefslich zuständig ist das Amtsgericht, bei welchem der allgemeine persönliche Gerichtsstand oder (seit Nov.) der Gstd. des (dauernden) Aufenthalts (§ 20 C.P.O. o. S. 257) oder der dingliche Gerichtsstand für die im ordentlichen Verfahren erhobene Klage begründet sein w ü r d e 3 , wenn die Amtsgerichte in erster Instanz sachlich unbeschränkt zuständig wären" (§ 689, 2, vgl. dazu S. 706).

I I I · Verfahren. Das Mahnverfahren bezweckt nach dem früheren womöglich eine Vollstreckung unter Vermeidung einer Parteiverhandlung und einer sachlichen gerichtlichen Prüfung herbeizuführen. Es richtet sich deshalb auf den Erlafs eines „Zahlungsbefehls", d. h. eines die sofortige Leistung anordnenden Dekrets, zunächst eines „bedingten" (§ 688, 1), weiterhin eines unbedingten nach Grundsätzen, die i n h a l t l i c h denen des Versäumnisverfahrens im ordentlichen Prozefs entsprechen und wie dieses die richterliche P r ü f u n g auf das äufserste Mafs beschränken. Derselbe Zweck schliefst aber weiter auch eine möglichste Beschränkung in den p r o z e s s u a l e n F o r m e n ein. Sowohl für die Parteiakte wie für die gerichtlichen Akte wird deshalb eine solenne, besonders schriftliche Form nicht verlangt. Insbesondere erfolgt für die einzelnen Mahnsachen n i c h t die A n l e g u n g e i n e s A k t e n s t ü c k s , weder die Anträge der Parteien noch die Dekrete des Gerichts werden in fester urkundlicher Form bei dem prüfenden Amtsgericht gesammelt. Vielmehr wird ein Ersatz für die Beurkundung und ein Mittel zur dauernden Kontrolle der Vorgänge des Verfahrens nur durch die Führung eines M a h n r e g i s t e r s d u r c h den G e r i c h t s s c h r e i b e r beim Amtsgericht vorgesehen, obwohl auch diese Einrichtung von Z.P.O. nicht ausdrücklich vorgeschrieben, sondern nur stillschweigend vorausgesetzt und der Regelung der Einzelstaaten überlassen wird. Im Register wird zu Anfang die im Mahnverfahren anhängig gemachte Sache und dann im Lauf der Entwicklung des Ver1 Kontrovers© des früheren R., i m Sinne der herrsch. M. durch Nov. zu § (328, 1, Z.P.O. I , entschieden. 2 Sogar d a n n , wenn es sich u m Ansprüche h a n d e l t , die nach G.V.G. § 70, 3 den Landgerichten ausschliefslich zugewiesen sind. Sie sind vom Mahnverfahren nicht ausgeschlossen (R.G. v. 17. Sept. 188*. 24, 198). 3 Der dingliche Gerichtsstand § 24 z. B. für die Hypothekenklage w i r k t auch hier h ö c h s t ausschliefslich. I m übrigen w ä h l t der Gläubiger zwischen den beiden andern. Zweifel entscheidet auch hier das übergeordnete Gericht (§ 36), so nach anfängl. Ablehnung (27, 404) j e t z t auch R.G. 30, 426.

Zuständigkeit in Mahnsachen.

Mahnregister.

Mahngesuch.

603

fahrens jeder der für dessen Gestaltung wesentlichen Formalakte (Zahlungsbefehl, Widerspruch, Vollstreckungsbefehl usw., — vgl, das Folgende) eingetragen. Der Verlauf des Verfahrens entwickelt sich nach diesen Grundsätzen in zwei Stadien, deren erstes sich um den Erlafs des „ b e d i n g t e n Z a h l u n g s b e f e h l s " (§ 688, — meist der Z a h l u n g s b e f e h l schlechthin genannt) dreht, während der zweite auf den Erlafs der V o l l s t r e c k b a r e r k l ä r u n g des Zahlungsbefehls (meist der V o l l s t r e c k u n g s b e f e h l genannt) gerichtet ist. a) Das V e r f a h r e η u m d e n Z a h l u n g s b e f e h l wird durch M a h n g e s u c h des Gläubigers eingeleitet (§ 688,1), das schriftlich d. h. durch Einreichung eines Schriftsatzes), aber (vgl. oben) auch formlos und mündlich und zwar in diesem Fall auch ohne Aufnahme eines Protokolls eingelegt werden kann (§ 702) 2 . Da es Geltendmachung eines Anspruchs bedeutet, so mufs das Gesuch — abgesehen von dem Antrag „auf Erlassung des Zahlungsbefehls" — dasselbe enthalten wie eine Klage, nämlich die Bezeichnung der Parteien nach Namen, Stand oder Gewerbe und Wohnort, die Bezeichnung des Gerichts und die bestimmte Angabe des Betrags oder Gegenstands und des Grundes des Anspruchs (§ 690) 8 . Diese Angaben werden im Mahnregister beurkundet. Eine Zustellung des Gesuchs an den Schuldner oder auch nur eine Mitteilung in Abschrift findet nicht statt (§ 702). So kommt der Schuldner ü b e r h a u p t n i c h t zu G e h ö r , vielmehr tritt sofort das Gericht in die Prüfung ein. Diese Prüfung erstreckt sich jedoch nicht auf die t a t s ä c h l i c h e n Unterlagen des Gesuchs, über die weder Beweis noch auch nur Glaubhaftmachung zu erheben ist, sondern nur auf die rechtlichen Vorbedingungen, die für jeden Prozefs und speziell für das Mahnverfahren vorhanden sein müssen, — nämlich auf die Prozefsvoraussetzungen (Prozefsfähigkeit, Zulässigkeit des Rechtswegs usw.) 4 , auf die formellen Erfordernisse des Mahngesuchs (§ 690, s. oben), vor 1 Vgl. zur Veranschaulichung S t e i n - S c h m i d t , A k t . 130 u. Preufs. Justizm.Bl. 1896 S. 367 ff. I n P r e u f s e n (Gesch.O. f. Gerichtsschreib. v. 14. Dez. 1896 8 24) enthält das Mahnverfahren 10 Spalten unter fortlaufenden N u m m e r n : Parteien ( N a m e , S t a n d , W o h n o r t . G r u n d , Betrag, ev. Zinsen des Anspruchs, Zurückweisung des Mahngesuchs, Erlafs des Zahlungsbefehls, Einlegung des "Widerspruchs, Erlafs des Vollstreckungsbefehls, E i n legung des Einspruchs, Kosten). A k t e n werden nicht verlangt. Die gestellten Anträge werden in Blattsammlungen vereinigt, i n denen sich aber die gerichtlichen Dekrete n i c h t finden; diese werden dem Antragsteller i m O r i g i n a l ausgehändigt, ohne dafs Abschriften davon zurückbehalten werden. I m wesentlichen ebenso ist die E i n r i c h t u n g i n B a y e r n (V. vom 7. J u l i 1879 J.M.B1. 314), S a c h s e n (Geschäftsordn. § 1410 ff.) und den übrigen Bundesstaaten. 2 Das Gesuch k a n n demgemäfs auch i n der Weise angebracht w e r d e n , dafs der Gesuchsteller selbst sofort das F o r m u l a r des nachher v o m Gericht (durch Unterschrift) zu erlassenden Zahlungsbefehls ausfüllt u n d übergibt (so preufs. Geschäftsordn. § 24 cit.). 3 Zur Angabe des G r u n d e s fordert die Praxis hier fast durchgehende nur das zur I n d i v i d u a l i s i e r u n g des Anspruchs Nötige, da die Substanziierung durch die T a t sachen i m Mahnverfahren, wo es auf eine Prüfung der Tatsachen gerade nicht abgesehen ist, überhaupt keinen Sinn hätte. Hieraus konnte eine neue Bestätigung der Auslegung des § 253 (Inhalts der Klage) entnommen werden. Dieses Argument ist aber j e t z t hinfällig geworden (vgl. o. S. 392). 4 Hierüber s. unten § 104 ff.

604

IV. Rechtsstreit.

§ 93. Mahnverfahren.

allem die genügende Individualisierung des Anspruchs, endlich auf die Bedingungen des Rechtsschutzes (oben II), vor allem also darauf, ob der Anspruch Fungibilienanspruch, ob er sofort befriedigungsbedürftig (nicht bedingt) ist usw. (§ 691, 1). Je nach dem Ausfall der Prüfung kann der Amtsrichter in zwei Richtungen entscheiden : 1. Wird auf Z u r ü c k w e i s u n g des Gesuchs erkannt (so auch dann, wenn die Vorbedingungen des Zahlungsbefehls auch nur in Ansehung eines T e i l s des Anspruchs nicht vorliegen § 691, 2), so ist in diesem Fall das Verfahren zu Ende, ohne dafs irgendwelche bleibenden Wirkungen erzielt wären; — denn selbstverständlich hat die Zurückweisung nicht die Bedeutung, das Nichtbestehen des Anspruchs rechtskräftig festzustellen. 2. Liegen die Vorbedingungen § 688. 690 vor, so erfolgt die Entscheidung durch E r l a f s des Z a h l u n g s b e f e h l s . Derselbe ist ein (dem Schuldner zuzustellender, § 693) Beschlufs, der unter Bezeichnung der Parteien, des Gerichts und des Anspruchs nach Gegenstand und Grund den Befehl an den Schuldner enthält, e n t w e d e r binnen einer vom Tage der Zustellung laufenden Frist von e i n e r Woche bei Vermeidung sofortiger Zwangsvollstreckung den Gläubiger wegen des Anspruchs nebst den dem Betrage nach zu bezeichnenden Kosten des Verfahrens und der geforderten Zinsen zu b e f r i e d i g e n oder b e i dem G e r i c h t e W i d e r s p r u c h z u e r h e b e n (§ 692) 1 2 . Aber auch damit ist bis auf weiteres eine selbständige rechtliche Wirkung nicht erzielt. Abgesehen nämlich von dem Fall, dafs nunmehr der Schuldner dem Gläubiger tatsächlich zahlt (in welchem Fall der Zahlungsbefehl nur als eine energische „Mahnung" im engeren Sinne gewirkt hat und prozessualisch überhaupt keine eigenartige Wirkung hinterläfst), entsteht jetzt wieder eine doppelte Möglichkeit je nach der Alternative des gerichtlichen Befehls. a) W i d e r s p r i c h t der Schuldner rechtzeitig dem Anspruch oder einem Teil desselben, so „verliert der Zahlungsbefehl seine Kraft" (§ 695) und das Mahnverfahren ist als solches (d. h. soweit es zu der eigentümlichen, vom Gläubiger erstrebten Anordnung der beschleunigten Vollstreckung führt) erfolglos beendet8. 1 Formel: . A u f A n t r a g des praktischen Arztes Dr. med. A. Schneider in München w i r d dem Buchdruckereibesitzer Keinhold E c k e r m a n n ebenda aufgegeben, den Ersteren wegen des Anspruchs auf Z a h l u n g von 200 M a r k für ärztliche Behandlung von Familiengliedern sowie wegen der unten berechneten Kosten des Verfahrens m i t 2 M a r k 40 Pf. binnen einer vom Tage der Zustellung dieses Befehls laufenden Frist von 2 Wochen bei Vermeidung sofortiger Zwangsvollstreckung zu befriedigen oder bei dem unterzeichneten Gerichte Widerspruch zu erheben. München, den 10. August 1896. Königliches Amtsgericht." Die Widerspruchsfrist, urspr. 2 W o c h e n , ist von Nov. auf eine Woche herabgesetzt worden i n E i n k l a n g m i t der Herabsetzung der Einlassungsfrist (§ 262; o. S. 402). 3 A u c h der Widerspruch k a n n wieder formlos, ev. nur mündlich zum Register, eingelegt werden. R e c h t z e i t i g ist er nicht nur, w e n n er in der gesteckten einwöchigen Frist erhoben wird, sondern kraft bes. Vergünstigung des § 094, 1 auch noch nach Ablauf dieser Frist, falls nur vom G e r i c h t noch keine weiteren Schritte getan sind, d. h. falls •der Vollstreckungsbefehl (unten b) noch nicht v e r f ü g t ist, gleichviel ob er schon be-

Erlafs des Zahlungsbefehls.

Widerspruch. Vollstreckungsbefehl.

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Nur ist es hier anderseits nicht ohne alle prozessuale Wirkung. Es gilt vielmehr das Verfahren nunmehr (und zwar regelmäfsig ipso iure) als in den ordentlichen Prozefs tibergeleitet, so dafs es ebenso anzusehen ist, als wenn der Gläubiger mit der Zustellung des Zahlungsbefehls K l a g e erhoben hätte. Es ist nur nach den regelmäfsigen Grundsätzen zum Endurteil zu verhandeln (das Nähere u. IV). ß) Aber auch wenn der Schuldner n i c h t r e c h t z e i t i g Widerspruch einlegt, ist damit allein noch nichts zugunsten des Gläubigers entschieden. Im Gegenteil tritt jetzt nur ein neuer Schwebezustand ein, der erst dadurch zu festen prozessualen Wirkungen führt, dafs der Gläubiger einen neuen selbständigen Antrag stellt und durch einen besonderen zweiten Akt des Prozefsbetriebs das zweite Stadium des Verfahrens einleitet (u. lit. b). b) Der zweite T e i l des Verfahrens wird durch ein n e u e s Gesuch des Gläubigers eingeleitet, den Zahlungsbefehl für vorläufig v o l l s t r e c k b a r zu erklären, das denselben Grundsätzen unterliegt wie das Mahngesuch (vgl. insbes. § 702), aber binnen sechs Monaten von Ablauf der einwöchigen Widerspruchsfrist erhoben werden mufs (§ 701). Wie auf das letztere, so kann auch auf das neue Gesuch je nach Ausfall der Prüfung doppelt entschieden werden: 1. Beschlufs auf Z u r ü c k w e i s u n g des Gesuchs ist zu erlassen, wenn wegen Einlegung des Widerspruchs das Gesuch gegenstandslos geworden ist oder wenn das Gesuch wegen Ablaufs der Sechsmonatsfrist (§ 701) oder aus anderen Gründen nicht oder nicht mehr zulässig ist 2 . Gegen die Zurückweisung ist sofortige Beschwerde zulässig (§ 699, 2). 2. Ist das Gesuch begründet, so ist der Zahlungsbefehl für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Diese Erklärung erfolgt „durch einen auf den Z a h l u n g s b e f e h l zu s e t z e n d e n V o l l s t r e c k u n g s b e f e h l " , worin gleichzeitig die vom Gläubiger zu berechnenden Kosten des bisherigen Verfahrens aufzunehmen sind (§ 699, 1. 2) 3 . Mit dem Erlafs" dieses Vollstreckungsbefehls ist jedenfalls die wesentliche Hauptwirkung des Mahnverfahrens erreicht : es ist ein s c h l e u n i g e r V ο 11 s t r e c k u n g s t i t e 1 geantragt ist. Über die rechtzeitige Erhebung des Widerspruchs ist der Gläubiger (formlos) in Kenntnis zu setzen und dem Schuldner auf Verlangen eine Bescheinigung zu erteilen (§ 694, 2). 1 Nicht einmal durch offizielle Zurückweisung des nicht rechtzeitigen Widerspruchs w i r d zu Ungunsten des Schuldners Gewifsheit geschaffen. Einer solchen ^bedarf es nicht" (§ 694, 3) oder sie ist richtiger gar nicht möglich, da die Rechtzeitigkeit des Widerspruchs nach oben lit. u a. E. von den weiteren A k t e n des Verfahrens abhängt. 2 Vor allem auch dann, wenn nur bezügl. dieses Gesuchs die Prozefsvoraussetzungen fehlen, ζ. B. wenn aus dem vom Vormund ausgebrachten Zahlungsbefehl der Minderjährige allein den Vollstreckungsbefehl nachsucht. :1 Die übliche Formel schliefst sich deshalb der oben S. 604 genannten Form des Zahlungsbefehls mit den W o r t e n an: „Vorstehender Zahlungsbefehl w i r d in Höhe der darin angegebenen Beträge sowie wegen — M a r k Kosten des Verfahrens für vorläufig vollstreckbar erklärt" (vgl. S t e i n - S c h m i d t , A k t . , S. 136).

606

IV. Rechtsstreit.

§ 93. Mahnverfahren.

schaffen. Denn „der Vollstreckungsbefehl steht einem für vorläufig vollstreckbar erklärten, auf Versäumnis erlassenen Endurteile gleich" (§ 700); — er ist also ebensowohl wie das Urteil im Urkundenprozefs unter Vorbehalt der Rechte ohne w e i t e r e s zur Zwangsvollstreckung geeignet (§ 794 n. 3). Zweifelhaft ist es jedoch zunächst, ob das Verfahren noch eine weitere Wirkung, nämlich auch die der r e c h t s k r ä f t i g e n F e s t s t e l l u n g , äufsern soll. Dies hängt wieder von dem Verhalten des Schuldners ab, das, wie gegenüber dem Zahlungsbefehl (oben lit. a, a u. β), so auch gegenüber dem Vollstreckungsbefehl in doppelter Weise denkbar ist. a) Der Schuldner kann gegen den Vollstreckungsbefehl nach Mafsgabe der Vorschriften über das Versäumnisurteil (Z.P.O. § 338 bis 346, vgl. o. S. 556) den E i n s p r u c h einlegen (§ 700). Dadurch wird allerdings clie vorläufige Vollstreckungswirkung des Befehls an sich nicht berührt 1 . Über diese hinaus aber wird seine Wirkung beseitigt und es wird, wie durch Einlegung des Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil, die prozessuale Lage vor Erlafs des Vollstreckungsbefehls wieder hergestellt. Der Einspruch gegen den Vollstreckungsbefehl wirkt mit andern Worten wie der Widerspruch gegen den Zahlungsbefehl und hat ebenfalls den Effekt, die Sache zur kontradiktorischen Verhandlung und Entscheidung in den ordentlichen Prozefs überzuleiten (weiteres u. S. 607). ß) Legt umgekehrt der Schuldner den Einspruch n i c h t ein, so tritt § 705 in Kraft, wonach mit Ablauf der Einspruchsfrist das Versäumnisurteil, entsprechend also der Vollstreckungsbefehl formell rechtskräftig, unanfechtbar wird. Er erhält also jetzt auch die F e s t s t e l l u n g ^ - , m a t e r i e l l e Rechtskraftwirkung und kann höchstens nach § 579. 580 ausnahmsweise durch Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigt werden. I V · Verhältnis des Mahnverfahrens zum ordentlichen Prozefs. Durch die Schilderung des Prozefsgangs ist bereits klargelegt, in welcher Weise das Mahnverfahren mit dem auf erschöpfende Prüfung und Aburteilung gerichteten ordentlichen Prozefs in Verbindung gesetzt ist. Sowohl in seinem ersten Abschnitt (oben I I lit. a) wie in seinem zweiten ( I I lit. b) ist für den S c h u l d n e r die Möglichkeit gegeben, das summarische Verfahren, durch welches der Gläubiger auf die eigenartige Wirkung desselben hinarbeitet, abzubrechen und in das Ordinarium überzuleiten, — nämlich entweder im früheren Stadium durch Widers p r u c h gegen den Z a h l u n g s b e f e h l oder in seinem späteren durch E i n s p r u c h g e g e n den V o l l s t r e c k u n g s b e f e h l . Es 1 Gegen die provisorische Vollstreckungswirkung stehen dein Schuldner vielmehr nur die besonders in Bewegung zu setzenden Verteidigungsmittel zu Gebote, wie sie auch gegen vorl. vollstr. Urteile (kontradiktorische oder Versäumnisurteile) nach Einlegung der Berufung oder des Einspruchs ergriffen werden müssen (Z.P.O. §§ 707, 719, — vgÜ unten § 157 ff., bes. § 161).

Vollstreckungsbefehl. Einspruch. Rechtshängigkeitswirkg. d. Zahlungsbef. 607

bedarf also in letzter Linie (wie oben in § 129) der Klarstellung, wie in solchem Falle die Einleitung des Ordinarium zustande kommt. a) Wird die mündliche Verhandlung durch W i d e r s p r u c h verlangt, so wird „die K l a g e als m i t der (vorher erfolgten) Z u s t e l l u n g des Z a h l u n g s b e f e h l s — e r h o b e n a n g e sehen" 1 . Dieser Erfolg wird unmittelbar erzielt, wenn die Aburteilung des Anspruchs vor die A m t s g e r i c h t e gehört, — dann gilt die Fiktion der Klagerhebung „bei dem Amtsgericht, welches den Befehl erlassen hat", ipso i u r e (§ 696); es ist also die Notwendigkeit eines Sachurteils — vorausgesetzt, dafs die Prozefsvoraussetzungen gegeben sind — begründet und jede Partei kann den Gegner zur mündlichen Verhandlung laden, unter Wahrung der (nach § 207 für den Amtsgerichtsprozefs ohnehin geforderten) Ladungsfrist von mindestens 3 Tagen (§ 696, 2). Ist allerdings der Anspruch des Mahn Verfahrens eine Sache l a n d g e r i c h t l i c h e r Zuständigkeit, so kann der gleiche Erfolg nur auf einem Umwege erreicht werden. In diesem Fall mufs die Klage binnen einer sechsmonatigen Frist vom Tage der Benachrichtigung vom Widerspruch an bei dem „zuständigen" Landgericht, — sei es dem dem Amtsgericht des Mahnverfahrens übergeordneten oder einem andern, — erhoben werden und nur die W i r k u n g e n der Klagerhebung, die sog. Rechtshängigkeitswirkungen werden auch hier von dem Tage der Zustellung des Zahlungsbefehls berechnet (§ 697). Wird die formelle Klage binnen der Frist n i c h t erhoben, so erlöschen nachträglich die Wirkungen des Zahlungsbefehls (§ 697). Dies erstreckt sich auch auf die Kosten. Die Kosten des Mahnverfahrens sind im Falle der rechtzeitigen Erhebung des Widerspruchs als ein Teil der Kosten des entstehenden Rechtsstreits anzusehen. W i r d aber im Fall § 697 die Klage nicht binnen der Frist erhoben, so hat der Gläubiger die Kosten des Mahnverfahrens zu tragen (§ 698).

b) In entsprechender Weise, wie für den ersten Fall, wird das ordentliche Verfahren auch durch den E i n s p r u c h gegen den Vollstreckungsbefehl in Gang gebracht. Der Einspruch enthält bereits als essentielles Stück die „ L a d u n g des Gegners zur mündlichen Verhandlung über die Hauptsache" mit (§ 340, Nr. 3, — o. S. 556). Er bewirkt also an sich bereits denjenigen Erfolg, welchen bei Erhebung des Widerspruchs (oben lit. a) nur der Widerspruch und die darauffolgende selbständige Ladung zusammen bewirken, — nämlich in a m t s g e r i c h t l i c h e n Mahnansprüchen den unmittelbaren Eintritt in die mündliche Verhandlung. Nur in Landgerichtssachen mufs auch hier formelle Klage erhoben werden. 1 Nur die Konsequenz dieses Prinzips ist § 693: „mit der Zustellung des Zahlungsbefehls treten die W i r k u n g e n der Rechtshängigkeit e i n u , denn diese W i r k u n g e n sind solche der Klagerhebung. Vor allem hat nun Jede Partei die E i n r e d e der Rechtshängigkeit gegen eine K l a g e r h e b u n g aus demselben Anspruch in anderen Verfahren. "(Im übrigen vergl. S. 410.) Über die ζ i v i 1 r e c h t 1 i c h e n Rechtshängigkeitswirkungen (B.G.B. § 209, 2. 284, 1) vergl. S. 413.

608

IV. Rechtsstreit.

§ 93. Mahnverfahren.

§ 94. Prozefsbetrieb.

Aber auch in diesen Fällen hat der Einspruch die Ladung vor das A m t s g e r i c h t zu enthalten. Die mündliche Verhandlung vor demselben führt zur Entscheidung darüber, ob der Einspruch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt sei (§ 700 in Verbindung mit § 341). Erst hierauf erwächst dem Gläubiger eventuell die Pflicht zur Klagerhebung vor dem Landgericht. Die Sechsmonatfrist beginnt dann mit der Rechtskraft des den Einspruch für zulässig erklärenden (amtsgerichtlichen) Urteils. Hieraus und aus dem schon früher (oben S. 382 ff.) über das Wesen des Mahngesuchs erörterten ergibt sich die r e c h t l i c h e N a t u r des Z a h l u n g s b e f e h l s , des Hauptakts des Mahnverfahrens. Das Mahngesuch ist Bitte um vollstreckbare und rechtskraftfähige Entscheidung über den Anspruch, aber n i c h t K l a g e , weil es nicht Bitte um solche Entscheidung auf Grund e r s c h ö p f e n d e r P r ü f u n g ist. Der darauf ergehende Zahlungsbefehl ist eine gerichtliche Entscheidung, welche unter einer alternativen Bedingung, d. h. je nach Eintritt oder Nichteintritt eines und desselben Ereignisses z w e i v e r s c h i e d e n e R e c h t s f o l g e n auf das Mahngesuch anordnet: 1. Für den F a l l , dafs der Schuldner sich dem Zahlungsbefehl unterwirft, wird dem Antrag des Gläubigers stattgegeben, d. h. der Zahlungsbefehl ist eine Entscheidung, die unter der Bedingung, dafs der Schuldner n i c h t W i d e r s p r u c h erhebt, den Anspruch für vollstreckungsfähig erklärt und — unter der Bedingung, dafs er auch keinen E i n s p r u c h einlegt, — aufserdem den Anspruch rechtskräftig feststellt; 2. Für den Fall, dafs der Schuldner sich nicht unterwirft, Widerspruch oder Einspruch einlegt, wird ein Urteilsverfahren angeordnet, — d. h. der Zahlungsbefehl ist gleichzeitig eine Entscheidung, die unter der (im Verhältnis zu 1) u m g e k e h r t e n Bedingung des Widerspruchs oder Einspruchs dem Gläubiger von Gerichts wegen Eintritt in die mündliche Verhandlung a u f e r l e g t 1 2.

Fünftes Kapitel.

Der untergeordnete Prozefsbetrieb. § 94. Bedeutung des Prozefsbetriebs. Die Prozefseinleitung (Kap. 1), die Verhandlung, welche die Gegenstände und Mittel der gerichtlichen Prüfung klarlegt (Kap. 2) und die Beweistätigkeit, die die Bestandteile des Prüfungsmaterials 1 Der Zahlungsbefehl w i r d also in seiner zweiten F u n k t i o n am besten verständlich durch den Vergleich m i t dem strafprozessualen Straf befehl (St.P.O. § 447 if.). Dieser ist unter der Bedingung, dafs sich i h m der Angeschuldigte u n t e r w i r f t , rechtskraftfähige Strafverurteilung (Surrogat des Urteils), — unter der umgekehrten Bedingung, dafs der Angeschuldigte „Einspruch" dagegen erhebt, Eröffnung der H a u p t v e r h a n d l u n g (Surrogat des Eröffnungsbeschlusses). — Innerhalb des Z i v i l p r o z e s s e s findet der Zahlungsbefehl eine Analogie in der (allerdings unbedingten) gerichtlichen Auflage an den A r r e s t k l ä g e r , binnen gewisser Frist Klage zu erheben 926, — vgl. o. S. 599). 2 Durch diese Erwägungen erledigen sich die sämtlich ungenügenden Charakterisierungen des Mahngesuchs und Zahlungsbefehls i n der bisherigen L i t e r a t u r , die immer nur eine Seite desselben herauskehren; z. B. die Anschauung, der Zahlungsbefehl sei nur eine „eindringliche Mahnung" (Mot. zu § 585/86 d. I . E.), bezw. m i t „Androhung" der Zwangsvollstreckung ( G a u p p zu Z.P.O. 1 §632 I I ) , bezw. verbunden m i t einer Zustellung der Klage ( W i l m o w s k y - L e v y §632, P e t e r s e n ib., F i t t i n g 636), er sei ein „bedingtes Versäumnisurteil in Form der Verfügung und zugleich K l a g e u ( G o l d e n r i n g 453, 470), - er sei „Verfügung, durch welche ohne vorhergehendes Erkenntnisstadium das Exekutionsverfahren eingeleitet w i r d " ( S k e d l 117). — Der H a u p t p u n k t ist, zu erkennen, dafs der Zahlungsbefehl ( b e i U n t e r b l e i b e n d e s W i d e r s p r u c h s ) n i c h t n u r exekutorisches Dekret, sondern auch f e s t s t e l l e n d e s ist, — anderseits, dafs er gerichtliches Dekret ist und eben deshalb ( b e i E i n l e g u n g d e s W i d e r s p r u c h s ) n i c h t K l a g e , d. h. Parteibitte u m U r t e i l , sondern nur ein eigenartiges Ersatzmittel der Klage sein kann. (Ebenso G a u p p - S t e i n zu § 692, I).

Untergeordneter Prozefsbetrieb.

Ladungen.

(509

sammelt und ordnet (Kap. 3 und 4), verkörpern die wichtigsten und mafsgebenden Formen des Prozesses, aus denen die gerichtliche Entscheidung, vor allem das Endurteil selbst erwächst. Nur eine indirekte Vorbereitung der letzteren, aber darum doch für das Ganze des Prozesses nicht weniger unentbehrlich sind die weiteren Tätigkeiten, die dazu bestimmt sind, zwischen den genannten Grundoperationen des Verfahrens eine äufsere Verbindung herzustellen und dadurch den Prozefs im Gang zu erhalten. Sie gehören ebenso wie die Klagerhebung, wie die Behauptung oder Beweisantretung, zu der b e t r e i b e n d e n Tätigkeit der Parteien und des Gerichts (o. S. 347 ff.) ; doch kann man sie von dieser als u n t e r g e o r d n e t e n Prozefsbetrieb oder Prozefsbetrieb i m e n g e r e n S i n n e unterscheiden. Sie werden hauptsächlich in zweierlei Richtung notwendig: 1. Soweit das Gesetz für wesentliche Teile der Verhandlung und Beweisaufnahme auf ein gemeinsames Handeln des Gerichts mit den Parteien oder Auskunftspersonen im Termin rechnet, bedarf es der L a d u n g e n , d. h. der solennen wirksamen Aufforderungen, im Termin zu erscheinen. 2. Soweit sich der Prozefs aus Handlungen zusammensetzt, die einer der Prozefsbeteiligten gegenüber dem andern, die Partei gegenüber dem Gegner, das Gericht gegenüber der Partei oder umgekehrt vornimmt, bedarf es der M i t t e i l u n g dieser Handlungen, damit sie wirksam werden. Diese mufs verschieden sein, jenachdem die Handlung im Gericht, d. h. mündlich, oder aufsergerichtlich, schriftlich vorgenommen wird. Für die erstere wird besonders die V e r k ü n d u n g , für die letztere die Z u s t e l l u n g von Bedeutung. Zum untergeordneten Prozefsbetrieb lassen sich auch die Handlungen des Kostenwesens rechnen, die, wie Einzahlung von Vorschüssen, Hinterlegung von Sicherheit, die Vorbedingung gewisser Handlungen des Verfahrens, wie eines Beweisaufnahmeakts, einer Vollstreckung, bilden. Sie lassen sich jedoch nur im Zusammenhang mit den Grundsätzen des Kostenrechts überhaupt verstehen (vgl. den Anhang).

§ 95. Die Ladungen. Baron, Ζ. 1, 401 (1879). 0 . Fischer, T e r m i n und Ladung. Beitr. 25, (J20 (1882). Meyer, Beitr. 28, 707 (85). Planck, Lb. I , 393, 503. Die Kommentare zu § 191 ff. — Z u r K r i t i k des geltend. R. : W a c h , K r i t . V.J.Sehr. 14, 351. 15, 340.

I · Bedeutung der Ladung. Die Ladung, Z i t a t i o n , ist die Aufforderung an einen Prozefsbeteiligten, vor Gericht zu erscheinen. Als solche ist sie das unentbehrliche Mittel, um den „Termin", d. h. den mündlichen Verkehr des Gerichts mit Parteien und Auskunftspersonen (S. 643) zustande zu bringen Es ist jedoch nicht gesagt, 1 I m Strafprozel's werden die Ladungen auch für andere als in Richtereigenschaft prozefsbeteiligte Personen bedeutungsvoll, — für Schöffen und Geschworne. Für die Handelsrichter des Z.P. k o m m t dies jedoch, weil sie ständig funktionieren, nicht in Frage.

R i c h a r d S c h m i d t , Lehrbuch des Zivilprozefsrechts.

2. Aull.

39

610

IV. Rechtsstreit.

§ 95. Ladungen.

dafs sie, um diesen Zweck zu erfüllen, zu jedem Termin von dem gleichen Organ ausgehen und in derselben Form erfolgen mufs. Der Gesetzgeber mufs sie vielmehr der jeweiligen Lage des Prozesses anpassen, wenn der Zweck in möglichst einfacher Weise, vor allem in möglichstem Anschlufs an das vorausgehende Prozefsstadium erreicht werden soll. Diesem Gedanken folgt auch die Z.P.O. Sie sieht für manche Lagen des Prozesses eine a u s d r ü c k l i c h e Aufforderung zum Erscheinen vor. Nur diese bezeichnet das Gesetz als „Ladung" im eigentlichen Sinn. Aber schon sie kann einen verschiedenen Charakter annehmen, jenachdem sie bald der Partei im „Parteibetrieb", bald dem Gericht im „Offizialbetrieb" (vgl. o. S. 352) überlassen wird. Die Parteiladung kann ferner verschiedene Formen annehmen (II. III). Aufserdem aber knüpft unter Umständen die Z.P.O. die Pflicht zum Erscheinen auch an prozessuale Akte, die die Aufforderung nur indirekt, stillschweigend, konkludent zum Ausdruck bringen. Man kann dieselben als stillschweigende oder uneigentliche Ladung bezeichnen. Sie vollzieht sich immer im Betrieb des Gerichts (IV). I I · Ausdrückliche Ladung durch die Partei. Das Gesetz bezeichnet als Regel, dafs es zum Termin einer f ö r m l i c h e n Ladung der P a r t e i an ihren Gegner bedarf (§ 214). Aus den übrigen Bestimmungen, vor allem daraus, dafs zu solchen Terminen, die in v e r k ü n d e t e n B e s c h l ü s s e n anberaumt worden sind, eine Ladung überflüssig ist (§ 218), ergibt sich jedoch, dafs in Wahrheit die ausdrückliche Ladung von Partei an Partei nur zu bestimmten Terminen nötig wird, nämlich 1. wenn eine mündliche Verhandlung in einer Streitsache ü b e r h a u p t noch n i c h t stattgefunden hat (bei Einleitung des ordentlichen oder Urkundenprozesses) oder eines neuen Verfahrens (durch Einspruch, Rechtsmittel) 1 oder wenn die mündliche Verhandlung infolge des Nichthandeins b e i d e r Parteien, des Todes einer Partei usw. ohne e i n e g e r i c h t l i c h e E n t s c h e i d u n g abgebrochen worden ist (in den Fällen der sog. Unterbrechung, Aussetzung oder Ruhe des Verfahrens, § 239—251)2. Die Form der Ladung ist hier stets die schriftliche (argo § 216, 1 : „einzureichen'M. Die Ladung ist ein Schriftsatz mit der Erklärung, dafs der Gegner zum Erscheinen im Termin aufgefordert werde, 1 Dieser F a l l liegt auch v o r , wenn eine Sache wegen sachlicher Unzuständigkeit vom Landgericht an das Amtsgericht (§ 249) oder vom Amtsgericht an das Landgericht (§ 4öfi) verwiesen worden. Z u unterscheiden der F a l l der Verweisung von Z i v i l k a m m e r an Kammer für Handelssachen, wo das Gericht und deshalb das Verfahren dasselbe bleibt (oben S. 278). H i e r G.V.G. § 107, vgl. unten I I I lit. b. 2 Ob die V e r h a n d l u n g sich auf die „Hauptsache* oder auf einen Zwischenstreit", d. h. lediglich auf eine prozessuale Vorfrage (oben § 54, unten § 119) erstrecken soll, gilt gleich (§ 214). Ebenso, w e l c h e Partei die Ladung ausbringt. Dies ist, wenn eine schon begonnene und noch nicht beendigte Verhandlung fortgesetzt werden soll, die an der Fortsetzung interessierte Partei („welche — mündlich verhandeln w i l l u , § 214). Bei Beginn des "Verfahrens ist es selbstverständlich der Kläger, bei Einleitung eines neuen Verfahrens der Antragsteller (der Einspruch, Berufung usw. gegen die Entscheidung einlegt).

611

Ladung durch die Partei und durch das Gericht.

unter Bezeichnung von Gericht, Verhandlungsgegenstand, V.erhandlungszeit1. Er wird zunächst dem Gerichtsschreiber zum Zweck der Terminsbestimmung eingereicht, die binnen 24 Stunden durch den Vorsitzenden erfolgt (§ 216, u. S. 644) und auf dem Ladungsschriftsatz angebracht wird. Durch sie ergänzt, wird die Ladung dem Gegner zugestellt (u. § 96) 2 . 2. Ausnahmsweise wird ferner auch in solchen Fällen, wo nach Schlufs einer Verhandlung vom Gericht ein neuer Termin zur Fortsetzung der Verhandlung bestimmt und verkündet wird, eine Parteiladung an den Gegner gefordert, — dann nämlich, wenn im ersten Termin n u r e i n e Partei erschienen war. Wird hier gegen die ausgebliebene kein Versäumnisurteil erlassen, sei es, weil die erschienene Partei es nicht beantragt, sei es, dafs die Vorbedingungen dafür fehlen (§ 335, 1. 337), so wird der letzteren doch freigestellt, einen neuen Termin zu verlangen. Zu diesem mufs sie die ausgebliebene laden (§ 335, 2) 8 . Im Gegensatz zu dem regelmäfsigen Fall (Nr. 1) hat sie dann mit der Ladung die Abschrift des Sitzungsprotokolls, das den Beschlufs auf Terminsbestimmung enthält, zuzustellen4. I I I . Ausdrückliche Ladung durch das Gericht. Eine besondere Form der Aufforderung zum Erscheinen im Gericht begründet die Heranziehung der Auskunftspersonen (Zeugen und Sachverständigen). Sie werden formell g e l a d e n (wie oben II), aber im Gegensatz zur Ladung der Partei im Betrieb des Ger i c h t s , das also in diesem Fall sich n i c h t (wie oben I I I b) mit einer offiziellen Mitteilung des Termins begnügt. Die Ladung der Zeugen und Sachverständigen (§ 377. 402) ist voln Gerichtsschreiber auszufertigen (oben S. 363) und von Amts wegen zuzustellen 1 Für die Aufforderung braucht nicht der Ausdruck : .ich lade" gewählt zu werden. Die Bezeichnung von Gericht und Termin kann indirekt durch stillschweigende Bezugnahme auf die der Ladung beigefügte Terminsbestimmung des Vorsitzenden erfolgen (R.G. 6, 349). Ebenso kann der Verhandlungsgegenstand (bei den auf Fortsetzung der Verhandlung gerichteten Ladungen) stillschweigend als bekannt vorausgesetzt werden. Biswoilen wird er vom Gesetz selbst betont, z. B. § 239: Ladung zur Aufnahme des Verfahrens. Bei Erhebung der K l a g e , Einlegung von Einspruch, Berufung usw. w i r d er ohnehin nach den hierfür geltenden besonderen Vorschriften §§ 253, 340, 518 usw. bezeichnet und die Ladung wird lediglich als unselbständiger T e i l in den Klagschriftsatz usw. aufgenommen (§ 214 Abs. 2). I n Anwaltsprozessen k o m m t zu den Erfordernissen der Ladung noch ein weiteres hinzu: hier mufs sie, „sofern die Zustellung nicht an einen Rechtsanwalt erfolgt, die Aufforderung an den Gegner enthalten, einen bei dem Prozefsgerichte zugelassenen A n w a l t zu bestellen" (§ 215). I D 2 Hier ist die Ladung, die solenne A u f f o r d e r u n g , von der T e r m i n s b e s t i m m u n g und von der Zustellung, der solennen M i t t e i l u n g beider, zu sondern. J e d e Ladung ist mit Terminsbestimmung und Mitteilung verbunden, bezw. setzt sie voraus oder zieht sie nach sich, aber die Fragen, von w e m diese Handlungen ausgehen, bilden selbständige Gesetz;ebungs- und Auslegungsfragen. Die Terminsbestimmung ist i h r e m Wesen nach richtericher A k t , Entscheidung. Die Ladung kann vom Gericht ausgehen, geht aber regelmäfsig von der Partei aus. Die M i t t e i l u n g der Ladung k a n n ebenfalls von beiden ausgehen, aber sehr wohl kann eine auf I n i t i a t i v e der P a r t e i ausgebrachte Ladung auf I n i t i a t i v e des G e r i c h t s mitgeteilt (zugestellt) werden. Über letztere Frage s. unten § 96. 97. Die Terminsbestimmung ist stets Gerichtsakt, stets Entscheidung (unten S. 644 ff.). 3 Speziell wiederholt w i r d diese Vorschrift für das Verf. i m vorbereitenden Verfahren (§ 351), in Ehesachen (§ 618, 3), in Entmündigungssachen (§§ 670, 679. 4, 684. 4, 686. 4). 4 Nach a. M. braucht die Partei nur auf die Terminsbestimmung B e z u g · z u n e h m e n ( W i l m o w s k y zu § 216, 1). Keinesfalls braucht die Ladung dann noch e i n m a l zur Ttorminsanberaumung eingereicht zu werden.

?

39*

612

IV. Rechtsstreit

§ 95. Ladungen.

(u. S. 621). Sie muis bezeichnen die Parteien, den Gegenstand der Vernehmung im allgemeinen (seit Nov. nicht mehr die Tatsachen, über welche die Vernehmung erfolgen soll) die Anweisung, zur Ablegung des Zeugnisses bei Vermeidung der durch das Gesetz angedrohten Strafen in dem nach Zeit und Ort zu bezeichnenden Termin zu erscheinen (§ 377, 2). Aufserdem ist in der Ladung auf den Beweisbeschlufs Bezug zu nehmen, der die Vernehmung angeordnet hat (u. S. 639, — § 377, 1). Ladung einer dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörenden Person des Soldatenstands als Zeuge erfolgt durch Ersuchen der Militärbehörde (§ 378 — vgl. oben S. 294).

IY. Stillschweigende Ladung. Dagegen bedarf es einer förmlichen Ladung nicht, weder durch Partei noch durch Gericht, wenn die bereits eingeleitete mündliche Verhandlung durch eine E n t s c h e i d u n g unterbrochen worden ist, die ihrem Inhalt nach mit der Fortsetzung der Verhandlung rechnet. Die Ladung soll hier durch die einfache M i t t e i l u n g des vom Gericht seinerzeit bestimmten neuen Termins ersetzt werden. a) Am einfachsten wird dieser Erfolg erreicht, wenn der Beschlufs, der den einen Termin schliefst, unmittelbar den neuen Termin bestimmt (Verlegung, Vertagung, Anberaumung zur Fortsetzung der Verhandlung, o. S. 401, u. S. 645) und in der Verhandlung verkündet wird. „Zu Terminen, welche in verkündeten Entscheidungen bestimmt sind, ist eine Ladung der Parteien nicht erforderlich" (§ 218). Hierzu kommt es, wenn der Termin zur Verhandlung vor Aufruf der Sache v e r l e g t oder nach Aufruf der Termin zum Neubeginn der Verhandlung v e r t a g t oder ein Termin zur F o r t s e t z u n g a n b e r a u m t wird (§ 206). Desgleichen, wenn nach Schlufs der Verhandlung ein Termin zur Beweisaufnahme v o r dem P r o z e f s g e r i c h t anberaumt wird, da ein solcher stets „zugleich zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt" ist (§ 370). Wenn nach Schlufs der Verhandlung eine Beweisaufnahme vor e r s u c h t e m oder b e a u f t r a g t e m R i c h t e r angeordnet wird, so k a n n wenigstens damit die sofortige Bestimmung eines neuen Verhandlungstermins verbunden werden (§ 370, 2). Aber auch die Verkündung der Termine zur Verkündung (§ 310), zur Beweisaufnahme (§ 361) wirkt ohne weiteres gegen die Parteien.

b) Kann am Schlüsse eines Verhandlungstermins nach Lage der Sache ein Termin für Fortsetzung der Verhandlung nicht sofort bestimmt und deshalb auch nicht durch Verkündung (wie a) mitgeteilt werden, so hat das Gericht die Bestimmung nachträglich vorzunehmen und den Beschlufs den Parteien durch Z u s t e l l u n g von Amts wegen mitzuteilen (in Gemäfsheit des allgemeinen Prinzips § 329). Hierzu kommt es dann, wenn mit der Anordnung der Beweisaufnahme vor ersuchtem und beauftragtem Richter n i c h t sofort die Bestimmune des neuen Verhandlungstermins vor dem Prozefsgericht verbunden worden (§ 370, 2, — oben lit. a. am Schlüsse)2, — stets dann, wenn das Prozefsgericht ein 1 Diese Neuerung ist getroffen, damit die U n b e f a n g e n h e i t des Zeugen durch die zu genaue M i t t e i l u n g seines Aussagethemas nicht getrübt werde. 1 Entsprechend auch i n dem (vom Gesetz nicht erwähnten F a l l , wo nach Schlufs der Verhandlung nicht Beweisaufnahme, sondern einfach Verlegung oder Fortsetzung der V e r h a n d l u n g (§ 228, oben lit. a) beschlossen worden, aber aus Zweckmäfsigkeitsrücksichten oder Vergefslichkeit die Bestimmung des neuen Termins unterblieben ist (so P l a n c k I , 394. G a u p p - S t e i n vor § 214 I I I ) .

Stillschw. Ladung d. verkündeten oder v. A. w. zugestellten Beschlufs.

013

„vorbereitendes Verfahren", d. h. eine Parteiverhandlung vor beauftragtem Richter angeordnet hat und nach Beendigung desselben die Verhandlung vor dem Prozefsgericht fortgesetzt werden soll (§ 352, — oben S. 450 a. E.), — stets dann, wenn bei Beweisaufnahme vor beauftragtem oder ersuchtem Richter ein Streit entsteht, von dessen Erledigung die Fortsetzung der Beweisaufnahme abhängt und der vom P r ο z c fs gericht entschieden werden mufs (§ 366). Ebenso in dem eigenartigen Fall, dafs eine Sache von der Zivilkammer des Landgerichts an die Kammer für Handelssachen d e s s e l b e n Gerichts verwiesen worden (G.V.G. § 107 — s. oben S. 232). Der Fall b) ist dem des Fall a) vollkommen analog und wie dort, so wird deshalb auch hier die Ladung durch die Mitteilung der Terminsbestimmung e r s e t z t . Die Forderung der Mot. 159 ( H a h n I, 235), dafs in den von Amts wegen zuzustellenden Beschlufs das „Formale der Ladung" (die förmliche Aufforderung) aufzunehmen sei, findet also weder im Gesetz noch in der Sachlage Unterstützung. (So die meisten: G a u p p - S t e i n , Vorb. vor §214. A. I I I ; S e u f f e r t vor § 214 n. 2, I V ; F i s c h e r 819; Α. M. W i l m o w s k y L e v y , Vorb. vor Z.P.O. I, § 191 nr. 1.

c) Endlich hat auch in gewissen Fällen, in denen ein Verfahren noch nicht im Gange ist und das Erscheinen der Parteien zum ersten Verhandlungstermin herbeigeführt werden soll, an Stelle der L a d u n g durch die P a r t e i (wie dies nach I Regel) M i t t e i l u n g des Termins durch das G e r i c h t (wie I I b ) einzutreten, — dann nämlich, wenn eine mündliche Verhandlung nicht kraft Gesetzes mit Notwendigkeit, sondern nur kraft richterlicher Anordnung nach Ermessen (als sog. fakultative Verhandlung) eintritt 1 .

§ 96. Verkündung und Zustellung. Planck, Lb. § 33. W e i s m a n n , Lb. § 71 (S. 271 if.). Ungeheure Literatur und Judikatur. Vgl. hierzu bes. Kleinfellers L i t . Ber. i n Z. f. C.P. 15 (1891) 148. 16 (1891), 196 usw. Sämtliche Auslassungen behandeln jedoch Detailfragen. Eine Beleuchtung des Gesamtproblems fehlt. Vgl. bes. Petersen, W i r k u n g e n wesentlicher Mängel der Zustellung 71, 170 (1879). L a n g , Mängel des Zustellungswesens, civ. A . 76, 265 (1890). L . Seuffert, Revision der Ζ.Ρ.Ο., Z. f. Z.P. 17 (1892), 279.

Während die im Termin vor Gericht vorzunehmenden Prozefshandlungen, durch Aufforderung zum Erscheinen im Termin, besonders durch Ladung v o r b e r e i t e t werden müssen, bedürfen anderseits viele Prozefshandlungen des Gerichts oder der Parteien und zwar hauptsächlich die n i c h t im T e r m i n vorgenommenen, um wirksam zu werden, n a c h t r ä g l i c h einer besonderen M i t t e i l u n g an die übrigen Prozefsbeteiligten. a) Soweit i n n e r h a l b des gerichtlichen Termins 2 P a r t e i 1 Über diese Fälle oben S. 453. Manche wollen auch hier die Parteiladung (wie I : F i s c h e r S. 629, 643; W i l m o w s k y , Vorb. Z.P.O. 1 § 119 Nr. 1; S t r u c k m a n n § 214 Nr. 2). Nach herrsch. M. dagegen hat auf das das Verfahren einleitende Gesuch des Antragstellers (z. B. auf das Gesuch u m B e w i l l i g u n g des Armenrechts § 126) das G e r i c h t durch Beschlufs die Anordnung der mündlichen Verhandlung u n d z u g l e i c h die T e r m i n s b e s t i m m u n g vorzunehmen u n d beide den Parteien zustellen zu lassen (wie I I b ) : H o f f m a n n , Beitr. 24, 739: W a c h , Beitr. 26, 262: G a u p p - S t e i n zu § 128 V n. 1, S e u f f e r t § 128 Nr. 5 a. K.G. 1897 39, 423 ist unbestimmt. Eine Ladung durch die Partei wäre hiernach nur i n den Fällen vorzunehmen, wo die fakultative Verhandlung der obligatorischen gleichgestellt i s t , zum U r t e i l führt, — nämlich bei Arrest und einstweiligen Verfügungen (s. hierüber oben S. 592; S e u f f e r t zu § 128 Nr. 5. 2 E i n Unterschied zwischen der obligatorischen und der f a k u l t a t i v e n mündlichen Verhandlung (im Sinn S. 453) wie oben zu § 95 a. E. besteht hier natürlich nicht.

614

IV. Rechtsstreit.

§ 96. Verkündung und Zustellung.

handlungen vorgenommen werden, werden sie dem Gegner wie dem Gericht ohne weiteres durch den mündlichen Vortrag (§ 137) bekannt, gleichviel ob sie im übrigen auch schriftlich fixiert werden (z. B. § 297) oder nicht (vgl. S. 446). Die g e r i c h t l i c h e n E n t s c h e i d u n g e n , die a u f G r u n d e i n e r m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g erlassen werden, werden ebenfalls regelmäfsig durch mündliche Erklärung, nämlich durch V e r k ü n d u n g (Publikation) in der Sitzung den Parteien mitgeteilt und zwar, soweit Entscheidungen des Kollegiums in Frage kommen, durch Verkündung des V o r s i t z e n d e n (§ 136, 4). Die wichtigeren der auf Grund einer mündlichen Verhandlung erlassenen Dekrete, nämlich B e s c h l ü s s e , müssen verkündet werden, und da Urteile grundsätzlich nur auf Grund mündlicher Verhandlung ergehen können, so ist folgerichtig, dafs U r t e i l e s t e t s zu verkünden sind (§§ 329, 1. 310. 311). Für die Verfügungen — worunter das Gesetz Entscheidungen des Vorsitzenden oder des ersuchten bezw. beauftragten Richters versteht (§ 329, 2) — ist, soweit sie auf Grund der Verhandlung ergehen, die Verkündung wenigstens das Nächstliegende. In sämtlichen Fällen wird jedoch eine hinreichende Mitteilung schon darin erblickt, dafs den Beteiligten G e l e g e n h e i t gegeben wird, von dem Inhalt der Entscheidung Kenntnis zu nehmen, auch wenn die Kenntnisnahme selbst nicht erfolgt; mit andern Worten „die Wirksamkeit der Verkündung eines Urteils (oder sonstigen Dekrets) ist von der Anwesenheit der Parteien nicht abhängig. Die Verkündung gilt auch derjenigen Partei gegenüber als bewirkt, welche den Termin versäumt hat" (§ 312 in Verb. mit § 329, 2). Die Verkündung des U r t e i l s zeichnet sich, abgesehen von ihrer grundsätzlichen Notwendigkeit, auch durch besondere Solennität aus. Sie erfolgt durch „Vorlesung der Urteilsformel", setzt also die schriftliche Fixierung v o r a u s . Beschlüsse und Verfügungen können auch nachträglich beurkundet werden (§ 160, n. 5. 6), ebenso m i n d e r w i c h t i i r e U r t e i l e (§ 311)1. Ferner ist auf dem Urteile vom Gerichtsschreiber der Tag der Verkündung zu bemerken und diese Bemerkung besonders (abgesehen von dem Sitzungsprotokoll über die Verkündung) zu unterschreiben (§ 315 n. 3 — vgl. S t e i n - S c h m i d t , Akt. S. 47. 63. 95 usw. die obere linke Ecke des Urteilsformulars). Aufserdem wird zur Verhütung nachteiliger Folgen der Vorschrift, dafs auch in Abwesenheit der Parteien die Publikation der Dekrete vorgenommen werden kann (s. oben), für die U r t e i l e insofern eine Abmilderung verfügt, als der Gerichtsschreiber verpflichtet wird, die verkündeten und unterschriebenen Urteile in ein V e r z e i c h n i s zu bringen und dieses Verzeichnis an bestimmten, vom Vorsitzenden im voraus festzusetzenden Wochentagen mindestens auf die Dauer einer Woche in der Gerichtsschreiberei auszuhängen (§ 316). Der Tag des Aushangs ist vom Gerichtsschreiber mit Unterschrift zu bemerken (Abs. 2) 2 .

b) Dagegen müssen diejenigen Prozefshandlungen, die aufserh a l b des Termins vorgenommen werden und sich in schriftlicher 1 U r t e i l e , die auf Grund von Versäumnis und (seit Nov.) auf Grund von Anerkenntnis, Verzicht, Klagzurücknahme und bedingten Endurteils (als Läuterungsurteile, o. S. 540) erlassen werden. 2 E i n spezielles Akzessorium ist die V e r ö f f e n t l i c h u n g des U r t e i l s , die in Prozessen we^en unlauteren Wettbewerbs noch abgesehen von der Verkündung auf Kosten der unterliegenden Partei gestattet ist (R.Ges. v. 27. M a i 189Ü § 13, 4.)

Gebiet der Verkündung und außergerichtlichen Mitteilung.

615

Aufzeichnung verkörpern, den übrigen Prozefsbeteiligten zugänglich gemacht werden. 1. Soweit schriftliche P a r t e i a k t e dem G e r i c h t zugänglich zu machen sind, geschieht dies f o r m l o s , nämlich durch Einreichung beim Gerichtsschreiber, so die vorbereitenden Schriftsätze, Ladungen, Klagschriften, Klagzurücknahmen u. a. (§§ 44. 118. 133. 216. 261. 271, 2 usw.). Statt dessen kann auch die Erklärung sofort zu Protokoll des Gerichtsschreibers abgegeben werden (§§ 44. 118 usw.). 2. Die Mitteilung schriftlicher Parteiakte an den G e g n e r erfolgt nur a u s n a h m s w e i s e f o r m l o s (§ 73, 2 Abschrift der Streitverkündung, § 364 Benachrichtigung von der ausländischen Beweisaufnahme, § 502, 2 Anträge und Erklärungen im Amtsgerichtsprozefs, auf die in der Verhandlung Gegenerklärungen abgegeben werden sollen). Im allgemeinen dagegen ist für diesen Zweck ein f o r m e l l g e r e g e l t e r M i t t e i l u n g s modus geschaffen, die Z u s t e l l u n g an den Gegner. 3. Von den gerichtlichen Entscheidungen bedürfen diejenigen einer besonderen Mitteilung an die Parteien und sonstigen Prozefsbeteiligten, die nicht durch Verkündung bekannt gegeben werden, d. h. diejenigen B e s c h l ü s s e , die nicht auf Grund mündlicher Verhandlung erlassen werden (argo § 329, 1) und die nicht verkündeten Verfügungen des Vorsitzenden, gleichviel ob sie innerhalb oder aufserhalb des Termins ergangen sind. Auch für sie ist die Z u s t e l l u n g vorgeschrieben (§ 329 Abs. 3) 1 . Hiernach ist für die beiden Formen der Mitteilung zunächst der Gedanke mafsgebend, dafs sich gerichtliche Mitteilung, besonders Verkündung und aufsergerichtliche Mitteilung, Zustellung ergänzen. Der ersteren bedürfen die Handlungen, die im Termin vorgenommen werden, — der Zustellung die Handlungen aufserhalb des Termins. Dieses Prinzip wird jedoch dadurch durchbrochen, dafs das Erfordernis der Zustellung unter Umständen auch auf die bereits mündlich mitgeteilten Prozefshandlungen, nämlich auf verkündete Entscheidungen, erstreckt wird. Obwohl die Urteile und manche Beschlüsse an sich schon durch die Verkündung wirksam werden, wird doch aufserdem für den Eintritt gewisser Wirkungen noch eine Zustellung des Urteils an die Partei gefordert. 1. Soll die N o t f r i s t in Lauf gesetzt werden, innerhalb deren eine Partei Einspruch, Berufung, Revision gegen ein Urteil oder die sofortige Beschwerde gegen einen Beschlufs bei Gefahr der Verwirkung einlegen mufs, so mufs das Urteil oder der Beschlufs dieser Partei vorher zugestellt werden (§§ 339. 516. 552. 577, 2). 2. Soll aus einem Urteil oder Beschlufs gegen den Schuldner V o l l s t r e c k u n g eingeleitet werden, so mufs ihm das Dekret 2 Und zwar erstreckt sich die Zustellung auch auf die Entscheidungen, Vollstreckungsakte sind, §§ 829 , 857 (oben S. 331).

welche

G16

IV. Rechtsstreit.

§ 96. Verkündung und Zustellung.

vorher oder gleichzeitig zugestellt werden (§ 750 in Verb, mit § 794 no. 3; hierüber speziell § 142). Das Gleiche gilt auch, wenn gegen verkündete Urteile die Notfrist für Beantragung eines Ergänzungsverfahrens in Lauf gesetzt werden soll (§ 321, 2). Für die Anfechtung oder Vollstreckung nicht verkündeter Entscheidungen, z. B. des Vollstreckungs-, Arrestbefehls, Kostenfestsetzungsbeschlusses folgt die Notwendigkeit der Zustellung schon aus der Regel oben lit. b nr. 3. Besondere Frage ist, inwieweit die Zustellung des Urteils, bezw. Beschlusses erfolgen mufs, nicht nur um den G e g n e r zur Einlegung eines Rechtsmittels zu n ö t i g e n , sondern auch um s i c h s e l b s t die Einlegung eines solchen zu e r m ö g l i c h e n . Als Bedingung von Berufung und Revision ist dies vorgeschrieben (§ 516, 2. 552, 2), als Bedingung von Einspruch und Beschwerde nicht und deshalb bestritten. Nach dem Wortlaut des Gesetzes (der Einspruch usw. ist „innerhalb der Frist" einzulegen § 339), nach seiner Vorgeschichte, aus der das Bestreben der Redaktoren hervorgeht, den Einspruch und die Beschwerde der Berufung und Revision hinsichtlich der Einlegung ganz gleich zu stellen, ist anzunehmen, dafs auch die Einspruchsund Beschwerdeeinlegung erst erfolgen kann, wenn der Anfechtende vorher die Zustellung der Entscheidung bewirkt hat 1 . Die Praxis (R.G. 3, 408. 9, 421 ; O.L.G. Karlsruhe, Bad. Ann. 58, 354; O.L.G. Dresden, Sächs. A. 1, 277) legt jedoch — hauptsächlich aus Bequemlichkeitsrücksichten — auf die vorherige Zustellung kein Gewicht 2 . Nicht zu verwechseln hiermit: § 221, 2. Aber in allen Fällen, in denen die Zustellung noch zur Verkündung hinzutreten mufs, gilt dieses Erfordernis n u r als Bedingung für die bezeichnete Benutzung der Entscheidung (zur Vollstreckung) bezw. für die bestimmte Behandlung (für die Anfechtung). „Die Befugnis einer Partei auf Grund eines verkündeten Urteils (bezw. anderer Entscheidungen § 294, 2) das Verfahren fortzusetzen oder von dem Urteil in anderer Weise Gebrauch zu machen, ist von der Zustellung an den Gegner nicht abhängig" (soweit eben das Gesetz nicht ein anderes bestimmt hat — § 283, 2). Abgesehen von Vollstreckung und Anfechtung können also die Parteien sich auf die Entscheidung schon auf Grund der Verkündigung berufen, insbesondere um Kostenfestsetzung, Arrest, einstweilige Verfügung zu erwirken. Ebenso setzt der Eintritt der Fe s t s t e l l u n g s Wirkung, wenn die Rechtskraft nicht mehr von Rechtsmittelfristen abhängig ist, das Urteil nicht mehr anfechtbar ist, k e i n e Z u s t e l l u n g voraus (so z. B. bei letztinstanzlichen Urteilen des Reichsgerichts, zweitinstanzlichen des Landgerichts).

Hieraus erhellt, dafs die Zustellung in doppelter Bedeutung vom Gesetz verwendet wird. Regelmäfsig ist sie Surrogat der mündlichen Mitteilung, insbesondere bei Entscheidungen Surrogat der Verkündung. In gewissen Fällen jedoch tritt sie zur Verkündung der Entscheidung hinzu als ein formeller Hinweis auf die der Partei aus einer Entscheidung erwachsenden Lasten (nämlich die Entscheidung anzufechten, falls diese nicht unanfechtbar werden soll) oder Pflichten (nämlich zur Erfüllung der in der Entscheidung geforderten Leistung), verwandt den Aufforderungen zu Prozefshandlungen (o. S. 353. 427). Die mögliche Verschiedenheit der Bedeutung der Zustellung wird, wie einerseits für die Wirksamkeit der Prozefshandlungen, so anderseits für die Gestaltung der Zustellung praktisch wichtig (§ 97) 8 . ' 1 Zuerst ausgef. v. W a c h , Beitr. 25, 257 (1881), H b . I , 271, ebenso manche Kommentare ( S e u f f e r t . G a u p p - S t e i n , P e t e r s e n - A n g e r , ebenso P l a n c k I I , 392; W i l m o w s k y zu Z.P.O. I , 8 339). 2 Ebenso die meisten Kommentare zu § 304. 3 Z.P.O. bezeichnet die formlosen Mitteilungen als „ M i t t e i l u n g " schlechthin, die formelle M i t t e i l u n g in allen ihren gesetzlichen M e r k m a l e n als „ Z u s t e l l u n g " , den T e i l

Zustellung auf Parteibetreiben oder auf Betreiben des Gerichts.

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§ 97. Die Formen der Zustellung. Vgl. die Kommentare zu $ lr>6—213 Z.P.O. und die Literatur zum vorigen Paragraphen.

I . Zustellung im Parteibetrieb und im Offizialbetrieb. Eine genauere gesetzliche Regelung erfordert unter den Formen der prozessualen Mitteilung „nur die Z u s t e l l u n g , I n s i n u a t i o n . Sie ist ihrem Wesen nach Übergabe eines in einem Schriftstück verkörperten Gerichts- oder Parteiakts in solenner Form, insbesondere durch Vermittlung besonderer Organe und unter Errichtung urkundlicher Beweismittel darüber. Das Gesetz regelt jedoch diese beiden hauptsächlichen Formfragen nicht in gleicher Weise für sämtliche Fälle, in denen eine Zustellung (nach S. 615) zum Bedürfnis wird. Vielmehr unterschied schon die Z.P.O. I stillschweigend zwei gesonderte Gebiete derselben, die Zustellung „auf Betreiben der Parteien" (§ 288, jetzt § 317) und die auf Betreiben des Gerichts. Die Novelle hat diesen Gegensatz mit ausdrücklichen Worten durchgeführt, indem sie die „Zustellungen auf Betreiben der Parteien (§§ 166 ff.) und die „Zustellungen von Amts wegen" (§§ 208 ff.) von vornherein in zwei selbständigen Rubriken behandelt. Der Gegensatz äufsert sowohl in den Behörden, die bei der Zustellung in Aktion treten, wie in der Form der Handlung, besonders bei cler Beurkundung des Zustellungsakts, seine Konsequenzen. Das Gesetz geht hiernach von einer prinzipiellen Stellungnahme zu der Frage aus, welche Person die Zustellung zu „betreiben" hat, d. h. gemäfs der allgemeinen Bedeutung dieses Begriffs (o. § 53), wer für die Zustellung „zu sorgen" (§ 209), zu ihr die Initiative zu ergreifen hat. Es könnte sozusagen selbstverständlich scheinen, als richte sich die verantwortliche Person ihrerseits wieder nach dem zuzustellenden Schriftstück : für Parteischriftsätze habe die Partei, für gerichtliche Schriftstücke, besonders Entscheidungen, das Gericht zu sorgen. In Wahrheit ist dies jedoch keineswegs selbstverständlich. Die Wahl zwischen Parteibetrieb und Offizialbetrieb der Zustellung bildet vielmehr ein Gesetzgebuugsproblem, das mit dem Behördensystem und der Verfahrensstruktur des jeweiligen Prozefsrechts verwachsen ist (vgl. S. 352). Einerseits war das gemeine Recht und das ältere deutsche Partikularrecht dazu gelangt, dem Gericht nicht nur die Insinuation seiner Dekrete, sondern auch alle Schriftsätze der Parteien zu überlassen1. Anderseits gab das f r a n z ö s i s c h e R e c h t der der Zustellung, welcher in dem..rein äufserlichen A k t der M i t t e i l u n g des Schriftstücks an den Adressaten besteht, als „ Ü b e r g a b e " (vgl. G a u p p - S t e i n vor § 166, V I ) . 1 Nach gemeinem Recht beauftragte das Gericht durch den Gerichtsschreiber die unteren von i n m abhängigen Organe (Gerichtsdiener usw.) oder wandte sich mittels E r suchens an das Gericht eines anderen Sprengeis, nachdem einmal die Partei ihren Schriftsatz beim Prozefsgericht eingereicht hatte. Ebenso das p r e u l ' s i s c h e Recht (A.G.O. I , 7 § 19), das nur die „Überwachung des Requisitionsschreibens" an auswärtige Gerichte der Partei überläfst (§ 5), die w ü r t t e m b e r g i s c h e , b a d i s c h e P.O.

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I V Rechtsstreit.

§ 97. Formen der Zustellung.

Partei anheim, ihre Schriftsätze direkt einem eigenen Zustellungsbeamten, dem huissier, mit dem Auftrag zur Übermittlung an den Gegner zu behändigen, — ein sehr einfaches Verfahren besonders deshalb, weil die Parteischriftsätze dort überhaupt zunächst nur an den Gegner, nicht an das Gericht gelangen (o. S. 100). Diesen Parteibetrieb wendete aber das französische Recht umgekehrt auch auf die Gerichtsentscheidungen an 1 . Die Z.P.O. hat sich nach dem Vorgang des hannoverschen Rechts von beiden Systemen beeinflussen lassen und einen „modifizierten" Parteibetrieb geschaffen. 1. Einerseits wurden schon von der alten Z.P.O. dem Parteibetrieb nicht nur die Klagschriften, Rechtsmittel-, Vorbereitungsschriftsätze, Ladungen usw. unterstellt, sondern ganz ausdrücklich auch die wichtigsten Entscheidungen, die U r t e i l e , soweit sie (nach o. S. 615) zur Rechtsmitteleinlegung und Vollstreckung der Zustellung bedürfen (§ 317). Zustellung von Amts wegen, d. h. eine Zustellung, „für die der Gerichtsschreiber Sorge zu tragen hat" (§ 209), trifft somit nur die gerichtlichen Akte, für die etwas besonderes nicht ausgesprochen ist, vor allem die nicht verkündeten Beschlüsse und Verfügungen (§ 329), die gerichtlichen Ladungen (o. S. 615). Im einzelnen gelten hier viele Besonderheiten 2 . 2. Anderseits hat aber die Z.P.O. auch die P a r t e i s c h r i f t sätze nicht ohne Einschränkung der Fürsorge der Parteien überlassen. Im Zweifel hat allerdings die Partei nach französischem Muster den Zustellungsbeamten, meist den Gerichtsvollzieher mit der Zustellung „zu beauftragen" (§ 166, 2). In manchen Fällen kann sie jedoch diesen Auftrag „unter Vermittlung des Gerichtsschreibers" erteilen (§ 166, 2). Hierzu bedarf es aber nicht einer ausdrücklichen, auch nur mündlichen Ermächtigung an den Gerichtsschreiber. Vielmehr hat cler Gerichtsschreiber einen Gerichtsvollzieher zu beauftragen, „sofern nicht die Partei erklärt hat, dafs sie selbst einen Gerichtsvollzieher beauftragen wolle," und zwar mufs sich die Partei den eignen Betrieb sogar schriftlich vorbehalten (Z.P.O. § 168. 497. 511). Die alte Z.P.O. stellte dieses System zunächst nur für den A m t s g e r i c h t s p r o z e f s zur Ver1 I n groisem Umfang überläfst das franz. Recht der Partei auch, ihren Schriftsatz mittels ihres A n w a l t s ohne M i t w i r k u n g eines Beamten dem A n w a l t des Gegners zu übermitteln — ein sehr einfaches Verfahren namentlich u m deswillen, w e i l dort die Parteischriftsätze z u n ä c h s t ü b e r h a u p t n u r a n d e n G e g n e r g e h e n , das Gericht erst z u m Schlüsse die gesammelten A k t e n erhält (s. oben S. 100). Ebenso bayerische Z.P.O. a. 192. 2 Ausnahmsweise werden n i e h t verkündete Entscheidungen auf Betrieb der Partei zugestellt: § 693 (Zahlungsbefehl), §§ 829. 2, 857.2 (Beschlufs auf Forderungsbeschlagsnanme), §922,2 (Arrestbefehl, der nicht auf Grund mündlicher Verhandlung erlassen ist). U m g e k e h r t werden (ganz aufserhalb der normalen Zustellungsgrundsätze) (verkündete) Urteile auf T r e n n u n g , U n g ü l t i g k e i t oder Nichtigkeit der Ehe ausnahmsweise von A m t s wegen zugestellt (§ 625). Ebenso die Urteile der Gewerbegerichte (oben S. 237 R.Ges. 1901 § H2). Ferner erfolgen i m Offizialbetrieb: a) die Zustellungen i m Verteilungsverfahren (§ 875), b) die Zustellungen i m Verfahren der Immobilienzwangsvollstreckung. R.Ges. v. 24. März 1897 (unten § 151), § 3 (Mot. ζ. E n t w . 101 if., Denkschr. S. 35).

Abgrenzung des Parteibetriebs und Offizialbetriebs.

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fügung, wo die Partei des Anwalts entbehrt (Z.P.O. I § 152, 2). Die Erfahrung lehrte jedoch, dafs dasselbe überhaupt für den deutschen Prozefs viel natürliches hat, weil dieser anders als der französische fordert, dafs ohnehin von vornherein jeder Schriftsatz in Abschrift nicht nur dem Gegner, sondern auch dem Gericht mitzuteilen ist, —ja, weil sogar viele wichtige Schriftsätze, nämlich alle, die eine L a d u n g enthalten, zum Zweck der Terminsanberaumung z u e r s t bei Gericht eingereicht werden müssen, ehe sie dem Gegner zugestellt werden 1. Es liegt also nahe, sofort beide Abschriften auf der Gerichtsschreiberei einzureichen und dieser die Weiterbeförderung zu überlassen. Demgemäfs hat die Nov. die Zustellung „unter Vermittlung des Gerichtsschreibers" auch auf wichtige Schriftsätze des Landgerichtsverfahrens übertragen, nämlich auf solche, „durch welche eine Notfrist gewahrt werden soll" (Z.P.O. I I § 166, 2), also besonders auf Berufungs-, Revisions-, Einspruchs-, Beschwerde-, Wiedereinsetzungsschrift 2. In diesen Fällen nähert sich also der Parteibetrieb der Zustellung von Parteischriftsätzen einem Gerichtsbetrieb an. Initiative der Partei ist zwar auch hier der Ausgangspunkt, insofern der Schriftsatz der Partei beim Gerichtsschreiber e i n g e r e i c h t werden mufs. Insofern rechnet Z.P.O. diese Fälle mit einem gewissen Recht noch zur Zustellung auf Parteibetreiben. Aber es ist doch nicht zu verkennen, dafs der Gerichtsschreiber die Weiterbeförderung, besonders die entscheidende Beauftragung des eigentlichen Zustellungsbeamten (des Gerichtsvollziehers oder Postboten) von A m t s wegen bewirkt, und in der Tat ist das gesamte Verfahren ja auch nichts andres als ein Rest des ausschliefslichen Offizialbetriebs, den das gemeine Recht geschaffen hatte, — ein eigenartiges Mittelding zwischen dem reinen Parteibetrieb und dem reinen Offizialbetrieb, der die Zustellung von Entscheidungen bestimmt (o. Nr. I ) 8 . 3. Endlich hat die Z.P.O. auch das Gebiet der Zustellung, das durch den reinen Parteibetrieb beherrscht wird, d. h. die Zustellung cler Parteischriftsätze sowie der anfechtbaren und vollstreckungsfähigen Entscheidungen im L a n d g e r i c h t s p r o z e f s 1 W i e eingreifend diese Abweichung der Z.P.O. von der formellen Behandlung des französischen Rechts den Aufbau des ganzen Verfahrens, vor allem das der P r o z e f s e i n l e i t u n g , berührt, ist oben S. 399. 450 eingehend dargelegt worden. 2 Diese Neuerung erlangt ihre volle Tragweite erst durch Verbindung m i t dem neu zugefügten Abs. 2 des δ 190 (Z.P.O. I I . 207, 2), wonach die Notfrist i n solchen F ä l l e n , w o der Gerichtsschreiber aie Zustellung zu vermitteln verpflichtet i s t , nicht nur durch die bewirkte Zustellung selbst gewahrt w i r d , sondern bereits durch die E i n r e i c h u n g b e i d e m G e r i c h t s . S c h r e i b e r , — vorausgesetzt n u r , dafs die Zustellung selbst binnen zwei Wochen nach der Einreichung erfolgt. Da der Gerichtsschreiber auf dem Schriftsatz die Einreichung vermerkt (§ 169, 2), so läfst sich hierdurch der Beweis erbringen, ob die Einreichung rechtzeitig innerhalb der Notfrist erfolgt war. Aufserdem bedarf es aber auch eines sicheren Beweises dafür, dafs i m konkreten F a l l die Erleichterung der Zustellung nach § 207 anwendbar sein sollte, und zu diesem Behufe schreibt § 168 vor, dafs sie i m Z w e i f e l immer, bei einem notfristwahrenden Schriftsatz A n w e n d u n g finden soll, wenn nicht aus einer E r k l ä r u n g der Partei i m Schriftsatz selbst hervorgeht, dafs n i c h t durch V e r m i t t l u n g des Gerichtsschreibers zugestellt werden sollte. 3 I n dieser Weise modifizieren sich die Bemerkungen in der 1. Aufl. S. 410 und Nachtrag S. 49, wo dieses Verfahren geradezu als Zust. i m Offizialbetrieb bezeichnet worden war.

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I V Rechtsstreit.

§ 97. Formen der Zustellung.

wie im Amtsgerichtsprozefs nicht nach einer und derselben Form behandelt. Gerade hier erwächst der formellen Zustellung durch B e a m t e , besonders dem von der Partei zu beauftragenden Gerichtsvollzieher, ein Konkurrent in einer formerleichterten Zustellung durch die Partei selbst, nämlich in der Zustellung von A n w a l t zu A n w a l t (§ 198). Da in Kollegialgerichtssachen die Parteien von der Einlassung des Angegriffenen ab i m m e r durch Anwälte vertreten sind, so bleibt die Zustellung durch Parteiauftrag an den Gerichtsvollzieher nur in den seltnen Fällen nötig, wo der Gegner noch keinen Anwalt hat, also besonders für die Zustellung der Klage. Es erhellt also, dafs gerade d i e s e r Z u s t e l l u n g s m o d u s , der von § 166 als der n o r m a l e angesehen w i r d , i n der p r a k t i s c h e n A n w e n d u n g n u r i n r e l a t i v verschwindendem Mafsstab a u f t r i t t . Hiernach liegt heute die gesetzgeberische Frage nahe, ob nicht überhaupt die Einführung der Zustellung durch Gerichtsvollzieher und direkten P a r t e i a u f t r a g als ein Mifsgriff, als eine Kopie französischer Grundsätze auf einem Gebiet, wo für dieselben die Vorbedingungen fehlen, zu betrachten ist. Es wird vielfach gefordert, dieselbe ganz wieder abzustofsen und teils durch die Zustellung durch Gerichtsvollzieher im Auftrag des G e r i c h t s s c h r e i b e r s , teils durch Zustellung von Anwalt zu Anwalt zu ersetzen 1 .

I I . Zustellungsorgane· Der Parteibetrieb und der Offizialbetrieb rechnen mit der Mitwirkung verschiedener Personen bei der Zustellung. Ebenso arbeitet aber auch jede der beiden Zustellungen für sich wieder unter verschiedenen Bedingungen. Infolgedessen entsteht eine grofse Reihe wechselnder Kombinationen. a) Die Zustellung a u f P a r t e i b e t r i e b gestaltet sich: 1. am einfachsten bei Zustellung von A n w a l t zu A n w a l t , sei es im Anwaltsprozefs, sei es im Parteiprozefs (vgl. oben). Die Übergabe bewirkt hier ein privater Gehilfe des Anwalts (Austräger, Schreiber) direkt auf dem Bureau des Gegenanwalts. Handelt es sich um Zustellung von Schriftsätzen, die die Terminsbestimmung bedarf, so bildet sich die Kette: Anwalt — Gerichtsschreiber — Anwalt — Gegenanwalt (§ 198). 2. Bedient sich die Partei des G e r i c h t s v o l l z i e h e r s d i r e k t , wie notwendig z. B. bei Zustellung der Klage im Landgerichtsprozefs, so übergibt der Gerichtsvollzieher selbst an den Empfänger, wenn dieser am Sitz des Beamten wohnt oder sich aufhält. Bedarf der Schriftsatz der Terminsbestimmung, so durchläuft er die Kette: Partei (Anwalt) — Gerichtsschreiber — Anwalt — Gerichtsvollzieher — Gegner. 1 Vgl. S e u f f e r t , Ζ. f. Z.P. 17, 279 ff. A u f A n t r a g R i n t e l e n hat sogar der Reichst a g a m 30. Juni 1890 ( V I I I . Legisl.-Per., Stenogr. ßer. 712 ff.) beschlossen, dafs die Zustellung i m Gerichtsbetrieb auch für den Landgerichtsprozefs (die Fälle N r . 1) wieder als Regel aufgenommen werden solle (vgl. Bericht darüber von V i e r h a u s , Z. 15, 463). Die Reichsgesetzgebung ist hierauf jedoch zunächst nicht eingegangen. E i n Antragsteller griff denselben allerdings bei Beratung der Novelle i n der Keichsjustizkommission nochmals auf. E r wurde jedoch auf dringende Mahnung des Regierungsvertreters, solche grundstürzende Änderungen zu vermeiden, mit allen gegen eine Stimme abgelehnt (vgl. Sten. Berichte S. 66).

Zustellungsorgane: Anwalt,Gerichtsvollzieher,Gerichtsschreiber,Postbote. 0 2 1

3. Wiederum eine Vereinfachung erfährt das Verfahren Nr. 2, wenn die Partei den Gerichtsvollzieher unter Vermittlung des G e r i c h t s s c h r e i b e r s beauftragt oder dieser in vermutetem Parteiauftrag tätig wird, also im Parteiprozefs und bei Zustellung der urschriftwahrenden Schriftsätze im Anwaltsprozefs (o. S. 619; § 166. 168). Dann erledigt sich die Rückgabe des Schriftstücks an die Partei, dasselbe geht von Partei zu Gerichtsschreiber — Gerichtsvollzieher — Gegner. 4. An und für sich kann der Gerichtsvollzieher auch dann die Übergabe bewirken, wenn der Empfänger sich aufserhalb des Gerichtssitzes aufhält. Ist an eine Person zuzustellen, die sich zwar i m S p r e n g e l , aber n i c h t am S i t z des Amts- bezw. Landgerichts der Streitsache befindet, so kann der Gerichtsvollzieher zu ihr reisen. Ist an eine Person zuzustellen, die aufserh a l b des Sprengeis des Prozefsgerichts sich aufhält, so kann sich die Partei mit dem Zustellungsauftrag direkt an den Gerichtsvollzieher des fremden Sprengeis wenden (G.V.G. § 161, o. S. 281). Um jedoch die kostspieligen Reisen der Gerichtsvollzieher und den unsicheren Verkehr mit auswärtigen Beamten möglichst zu ersparen, ist als Hilfsorgan für a l l e Zustellungen (auch für die am Sitz des Prozefsgerichts) die Post zur Verfügung gestellt (§ 193). Sie kann mit der Zustellung in erster Linie vom Gerichtsvollzieher betraut werden, wenn dieser von Partei oder Gerichtsschreiber beauftragt worden ist β (§ 194). Wird also einmal der Postbote fähig, die eigentliche Übergabe an Stelle des Gerichtsvollziehers zu übernehmen, so kann nunmehr dieser letztere auch ganz ausgeschaltet werden. Der Postbote kann aber in den vorigen Fällen (Nr. 3) auch vom G e r i c h t s s c h r e i b e r d i r e k t mit cler Zustellung beauftragt werden (§ 196). Das vom Gerichtsvollzieher oder Gerichtsschreiber an die Post gerichtete Ersuchen hat den Inhalt, „die Zustellung einem Postboten des Bestimmungsorts aufzutragen" (§ 194). Die gerichtlichen Beamten können also mit Hilfe der Post an jedem Ort des Reichs innerhalb und aufserhalb des Sprengeis die Zustellung bewirken. Zustellungsbeamter ist dann der P o s t b o t e . Zwischen der Zustellung durch Gerichtsvollzieher allein oder durch die Post (mit oder ohne Vermittlung des Gerichtsvollziehers) hat der Betreibende die Wahl. Doch kann die Partei die durch Wahl der Gerichtsvollzieherzustellung erwachsenden Mehrkosten (bes. Reisekosten) von dem kostenpflichtigen Gegner nicht miterstattet verlangen (§ 197).

b) Die Sorge für Zustellung g e r i c h t l i c h e r Ladungen, Entscheidungen usw., soweit sie im O f f i z i a l b e t r i e b erfolgt (o. S. 618), liegt ebenfalls dem Gerichtsschreiber ob (§ 209). Doch kann er sich hier (seit der Nov.) des G e r i c h t s v o l l z i e h e r s 1 I m Falle der Z. durch die Post ist also wiederum ein dreifacher W e g denkbar: Partei—Gerichtsvollzieher—Postbote—Gegner, oder Partei—Gerichtsschreiber—Postbote— Gegner, oder Partei—Gerichtsschreiber—Gerichtsvollzieher—Postbote—Gegner.

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IV· Rechtsstreit.

§ 97. Formen der Zustellung.

n i c h t bedienen. Seine Organe sind vielmehr nur entweder ein G e r i c h t s d i e n e r , der durch Nov. zum Zustellungsbeamten erhoben worden ist (o. S. 201) oder der P o s t b o t e (§211. 212). Die Neuregelung der Zustellung von Amts wegen hat zur Folge, dafs das (durch Postboten oder Gerichtsdiener) zu übergebende S c h r i f t s t ü c k nunmehr s t e t s in einem durch das Gerichtssiegel verschlossenen, mit der Adresse des Empfängers versehenen und mit einer Geschäftsnummer bezeichneten Briefumschlag eingeschlossen werden mufs (§ 211), — ebenso wie wenn im Parteibetrieb durch den Postboten übergeben wird (§ 194). Doch mufs bei Zustellung von Amts wegen noch der Vermerk auf dem Kouvert „vereinfachte Zustellung" hinzu kommen (§ 211 Abs. 1 a. E.) 1 2 .

I I I . Die gemeinsamen Regeln über Gegenstand, Empfänger, Ort und Zeit der Zustellung. Die Verschiedenheiten der bei der Zustellung beteiligten Organe (II) üben an und für sich auf die F o r m des Zustellungsakts keinen Einflufs. Dieselbe richtet sich im Zweifel für alle Fälle der Zustellung nach den gleichen Regeln, sowohl in der Frage, welches Schriftstück übergeben werde, wie in der andern, an wen, an welchem Ort und zu welcher Zeit die Übergabe erfolgen mufs, um rechtsgültig zu sein. 1. G e g e n s t a n d der Zustellung ist nicht das O r i g i n a l des mitzuteilenden Schriftstücks, sondern immer nur die K o p i e . In manchen Fällen, bei Zustellung von Entscheidungen oder anderen gerichtlichen Erklärungen (Ladungen usw.), die Übergabe einer A u s f e r t i g u n g , einer schon vor der Zustellung in Vertretung des Originals angefertigten solennen Abschrift (o. S. 362), bei der Zustellung der meisten Entscheidungen und aller Parteiakte lediglich die Übergabe einer b e g l a u b i g t e n A b s c h r i f t erforderlich (§ 170). Die Frage, in welchen Fällen eine Ausfertigung zu übergeben ist, ist bei dem völligen Schweigen der Z.P.O. schlechthin unentscheidbar. Nach Ansicht mancher nur bei Zustellung der Zeugen- und Sachverständigenladung (§ 377. 402), des Arrestbefehls (§ 929, 2), des Schiedsspruchs (§ 1039), wo es ausdrücklich vorgeschrieben ( W i l m o w s k y zu Z.P.O. I, § 156 n. 3), nach den meisten auch bei Zustellung aller nichtverkündeten Beschlüsse und Verfügungen ( G a u p p - S t e i n § 170, I I I ; P l a n c k I, 469), nach manchen auch bei Zustellung der Urteile. (Dagegen R.G. I I I , 29. 3. 81. 3, 435.) Jedenfalls k a n n eine Ausfertigung auch in Fällen mitgeteilt werden, wo dies nicht v o r g e s c h r i e b en. In den Fällen, wo beglaubigte Abschrift zu übergeben ist, nimmt die Beglaubigung vor (§ 170, 2): α) Der Gerichtsvollzieher, wenn er von der Partei direkt oder durch den Gerichtsschreiber beauftragt wird; ß) der Rechtsanwalt, wenn er dem Gegenanwalt zustellt; γ) der Gerichtsschreiber bei den Zustellungen von Amts wegen, also auch bei Zustellung der Parteiakte im Amtsgerichtsprozefs. Gerichtsschreiber und Gerichtsvollzieher erhalten von der Partei Urschrift und eine der Zahl der Adressaten entsprechende Abschriftenzahl 1 Di© Vorschrift, dafs die B e g l a u b i g u n g der~zuzustellenden Abschrift der Entscheidung bei Zustellung von Amtswegen durch den Gerichtsschreiber zu erfolgen hat (§ 210), ist nur aus § 170 (früher § 150 Z.P.O. I ) herausgenommen. * F ü r die öffentliche Zustellung ist § 204, Abs. 2 von Nov. m i t § 170 in E i n k l a n g gebracht worden.

Zuzustellende Schriftstücke.

Zustellungsempfänger.

ß23

(§ 155). Die Urschrift geht nach der Zustellung (mit der Zustellungsurkunde, unten V) an die Partei zurück. Die Zustellung durch die P o s t erfolgt durch Übergabe eines verschlossenen, mit dem Dienstsiegel versehenen, adressierten und mit einer Geschäftsnummer bezeichneten B r i e f u m s c h l a g s , in dem Gerichtsvollzieher oder Gerichtsschreiber die Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift eingeschlossen haben (§ 194, — notwendig wegen der eigentümlichen A r t der Beurkundung, unten VI). Ist bei einer Zustellung an den Vertreter mehrerer Beteiligten oder an einen von mehreren Vertretern die Übergabe der Ausfertigung oder Abschrift eines Schriftstücks erforderlich, so genügt die Übergabe nur einer Ausfertigung oder Abschrift. Einem Zustellungsbevollmächtigten mehrerer Beteiligten {s. unten lit. b) sind so viele Ausfertigungen oder Abschriften zu übergeben, als Beteiligte vorhanden sind (§ 189).

2. E m p f ä n g e r des zuzustellenden Schriftstücks k a n n der Nächstbeteiligte persönlich sein, für den das Schriftstück bestimmt ist — so stets der Zeuge oder der Sachverständige, denen ihre Ladung behändigt werden soll, — bisweilen auch die Partei bei den an sie zuzustellenden Schriftstücken. Sehr häufig aber sind der, für den die Zustellung bestimmt ist (Zustellungs a d r e s s a t) und der, an den die Übergabe zu erfolgen hat (Zustellungsempfänger) verschiedene Personen. a) In vielen Fällen mufs an eine andere Person als die Partei zugestellt werden. Hat die Partei nämlich einen Prozefsbevollmächtigten bestellt (auch im Amtsgerichtsprozefs und auch einen Nichtanwait), so müssen alle Zustellungen i n n e r h a l b des a n h ä n g i g e n R e c h t s s t r e i t s an diesen geschehen, s o w e i t sie zu d e r l n s t a n z g e h ö r e n , für die er bestellt ist (§ 176. 178). Die Zustellung an die P a r t e i s e l b s t i s t u n w i r k s a m 1 . An die Partei selbst erfolgt die Zustellung nur, wenn der Rechtsstreit noch nicht anhängig ist (also besonders die Zustellung der K l a g s c h r i f t ) und im weiteren Verlauf des Rechtsstreits, wenn kein Prozefsbevollmächtigter bestellt worden (also in vielen Amtsgerichtssachen). In diesen Fällen gilt eine weitere Ausnahme nur für die prozefsunfähigen Parteien: für diese erfolgen die Zustellungen an die gesetzlichen V e r t r e t e r derselben (§ 171, 1) 2 . Dies trifft alle zustellungsbedürftigen Akte, gleichviel ob Parteischriftsätze oder Entscheidungen (auch Urteile, Kostenfestsetzungsbeschlüsse, R.G. 9, 367) und gleichviel ob die Zustellung von Amts wegen oder im Parteibetrieb e r f o l g t 3 4 . Es trifft aber nur die Handlungen des Rechtsstreits und der In1 N u r ausnahmsweise Zustellung an den Prozefsbevollmächtigten u n d a n d i e P a r t e i z u g l e i c h (§§ 239, 3. 24t>). — Z u m folgd. H e l l m a n n , Zust. an Proz.B., Z. 18, 74. 2 Bei Behörden, Gemeinden und Korporationen, sowie bei Personenvereinen, welche als solche klagen und verklagt werden können, genügt die Zustellung an die Vorsteher (§ 171, 2). Bei mehreren gesetzlichen Vertretern sowie bei mehreren Vorstehern genügt die Zustellung an einen derselben (§ 177, 3). A u f besonderem Gesichtspunkte beruht, dafs die Zustellung für einen Unteroffizier oder einen Gemeinen des aktiven Heeres oder der a k t i v e n Marine an den Chef der zunächst vorgesetzten Kommandobehörde (Kompagnie-, Eskadron-, Batteriechef) erfolgt (§ 158). 3 Auch wenn der zuzustellende A k t die Partei unmittelbar persönlich berührt (Aufforderung, zur Eidesleistung oder zur Auskunftserteilung § 132 persönlich zu erscheinen). G a u p p - S t e i n § 177, I , 1. I m übrigen bestimmt § 178 die Tragweite der „Instanz" i n diesem Sinne. 4 Der ganze Grundsatz des § 177 ist i n seiner doktrinären Konsequenzmacherei eine der lästigsten und unpopulärsten Vorschriften des Gesetzes. Seine üblen Folgen s. z. B.

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I V Rechtsstreit.

§ 97. Formen der Zustellung.

stanz, für die Vollmacht erteilt ist. Hierzu sollen allerdings nach § 178 gehören auch die Zustellung des Einspruchs gegen ein in der Instanz ergangenes Versäumnisurteil, der Wiederaufnahmeklagen § 579ff., der Einwendungen gegen den vollstreckbaren Anspruch oder die Vollstreckungsklausel § 767 667. 696, die Zustellungen aus dem Verfahren, das hieraus oder infolge Aufhebung eines Urteils (durch Berufung oder Revision) der unteren Instanz neu entsteht, und die Zustellung im Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht. Dagegen ergreift § 176 nicht: «) Die Zustellungen in einem im Anschlufs an den alten in g l e i c h e r Instanz n e u e n t s t e h e n d e n R e c h t s s t r e i t (Klage eines Dritten gegen den Vollstreckungsgläubiger nach § 771. 805); ß) die Zustellungen in den h ö h e r e n I n s t a n z e n d e s s e l b e n Rechtsstreits, insbesondere auch die Zustellung der Berufung und Revision (§ 518. 553) selbst. Sie erfolgt nur, wenn für die höhere Instanz ein Prozefsbevollmächtigter schon bestellt ist, an diesen und auch dann uur f a k u l t a t i v ; im Zweifel dagegen an den der nächstuntergeordneten, bezw. ersten Instanz (§ 179 Abs. 1; — beachte hierzu lit. b a. E ).

b) In den Fällen, wo an die Partei selbst bezw. an ihren gesetzlichen Vertreter zugestellt werden darf (s. a. E.), k a n n unter Umständen die Zustellung w a h l w e i s e an sie oder eine a n d e r e P e r s o n f ü r sie bewirkt werden. So kann sie „mit gleicher Wirkung wie an die Partei selbst" an den „ G e n e r a l b e v o l l m ä c h t i g t e n . sowie in den durch den Betrieb eines Handelsgewerbes hervorgerufenen Rechtsstreitigkeiten an den P r o k u r i s t e n " erfolgen (§ 173), besonders aber an solche Personen, welche die Partei mit Vollmacht zum Empfange der für sie bestimmten Schriftstücke unter gewissen Bedingungen besonders eingesetzt hat, die sog. Z u s t e l l u n g s b e v o l l m ä c h t i g t e n (§ 174). Zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten ist die Partei jedenfalls dann k r a f t G e s e t z e s verpflichtet, wenn an sie selbst nur im Ausland und deshalb nur in umständlicher Weise zugestellt werden könnte, — nämlich wenn sie nicht im Deutschen Reiche wohnt (§ 174, 2). Wohnt sie zwar im Deutschen Reiche, aber weder am Orte des Prozefsgerichts noch innerhalb des Amtsgerichtsbezirks, in welchem das Prozefsgericht seinen Sitz hat, so steht zunächst die Zustellung mit Hilfe der Post (oben S. 621) zur Verfügung. Das G e r i c h t kann jedoch n a c h E r m e s s e n bei besonderer Sachlage (z. B. wenn die Postzustellung nicht oder nur schwer ausführbar sein würde) auch hier a u f A n t r a g des G e g n e r s durch eine auch ohne mündliche Verhandlung zu erlassende und unanfechtbare Anordnung der Partei die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten aufgeben (§ 174, 1). Die Partei hat dann bei der nächsten gerichtlichen Verhandlung oder, wenn sie dem Gegner vorher einen Schriftsatz zustellen läfst, in diesem den Zustelltingsbevollmächtigten zu benennen. Tut sie dies nicht, so können alle späteren Zustellungen bis zur nachträglichen Benennung in der Art bewirkt werden, dafs der Gerichtsvollzieher das zu übergebende Schriftstück unter der Adresse der Partei i n R.G. 18, 395. 405. 25, 419. — Der A n t r a g K i n t e l e n (oben S. 620) ist m i t auf Beseitigung desselben gerichtet. Die Novelle steuert wenigstens den üblen Konsequenzen, die das Prinzip nach sich zog, wenn der Aufenthalt des Prozefsbevollmächtigten unbekannt war, besonders dem Mifsbrauch, einen Prozefsbevollmächtigten nur zum Schein zu bestellen, um durch seine Unauffindbarkeit die Zustellungen zu vereiteln. I s t der Aufenthalt des Bevollmächtigten unbekannt, so k a n n sich die zustellende Partei vom Prozefsgericht ermächtigen lassen, an seiner Statt einem eventuell bestellten Zustellungsbevollmächtigten oder dem Gegner in Person zuzustellen (§ 177), — entsprechend ist an Stelle eines unauffindbaren Prozefsbevollmächtigten für die Oborinstanz dem unterinstanzlichen Bevollmächtigten zuzustellen (§ 179, 3).

Zust. an Prozefs-, General- u. Zustellungsbevollmächtigten. Ersatzzust.

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nach ihrem Wohnorte (eventuell also auch ins Ausland) zur Post gibt; es tritt also nicht Zustellung ein (auch nicht „Zustellung durch die Post", welche ja nur eine äufserliche Abart der formell geordneten Zustellung ist), sondern eine f o r m l o s e M i t t e i l u n g durch die Post ohne Garantie für das Eintreffen der Sendungen beim Adressaten. Die Zustellung wird mit der A u f g a b e zur Post als bewirkt angesehen, selbst wenn die Sendung als unbestellbar zurückkommt. Selbst „eingeschrieben" werden die Sendungen nur, wenn der Adressat es verlangt und zur Zahlung der Mehrkosten sich bereit erklärt. (§ 175.) Die Verpflichtung der Partei (kraft Gesetzes oder richterlicher Anordnung), einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, kommt nicht zur Entstehung, falls die Partei am Ort des Prozefsgerichts oder innerhalb des Amtsgerichtsbezirks, in dem das Prozefsgericht seinen Sitz hat, einen Prozeßbevollmächtigten bestellt hat (§ 174). Der Zustellungsbevollmächtigte hat die Partei nicht (wie der Prozeßbevollmächtigte nr. 1) m i t N o t w e n d i g k e i t im Zustellungsempfang zu vertreten, d. h. der Gegner ist nicht v e r p f l i c h t e t , an ihn für die Partei zuzustellen, sondern nur hierzu b e r e c h t i g t . Ausnahme gilt nur für die Zustellung des R e c h t s m i t t e l s . Ist weder in der oberen noch in der ersten Instanz ein Prozefsbevollmächtigter bestellt, so mufs die Zustellung an den, wenn auch nur für die erste Instanz, bestellten Zustellungsbevollmächtigten, sie kann erst „in Ermangelung eines solchen" an den Gegner selbst erfolgen (§ 179, 2 Abs. 2). Eventuell gilt auch hier § 177 (§ 179 Abs. 3; o. S. 624 Anm.).

c) Kann an die Partei selbst oder an die Person, die (nach lit. a. b) die Partei im Empfang des Schriftstücks vertreten mufs oder vertreten kann (den Prozefsbevollmächtigten, gesetzlichen Vertreter, Zustellungsbevollmächtigten usw.), die Übergabe nicht bewirkt werden, so kann unter gewissen Bedingungen und an gewisse Personen eine sog. E r s a t z z u s t e l l u n g platzgreifen, d. h. es k a n n a u s h i l f s w e i s e (subsidiär), nicht wahlweise (wie Nr. 2) einem andern für die Partei zugestellt werden. Die Ersatzzustellung kann stattfinden: a) In der W o h n u n g . W i r d die Person, welcher zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung nicht angetroffen, so kann die Zustellung in der Wohnung an einen zu der Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen oder an eine in der Familie dienende erwachsene Person erfolgen. W i r d eine solche Person nicht angetroffen, so kann die Zustellung an den in demselben Hause wohnenden Hauswirt oder Vermieter erfolgen, wenn diese zur Annahme des Schriftstücks bereit sind (§ 181); b) im G e s c h ä f t s l o k a l . Werden Gewerbetreibende, die ein besonderes Geschäftslokal haben, oder Rechtsanwälte, Notare, Gerichtsvollzieher in ihrem Lokal nicht angetroffen, so kann die Zustellung an einen darin anwesenden Gewerbegehilfen, bezw. Rechtsanwaltsgehilfen oder Schreiber erfolgen (§ 183). Entsprechend kann anstatt an den gesetzlichen Vertreter oder Vorsteher einer Behörde, Gemeinde, Korporation, eines Personenvereins, wenn er innerhalb der gewöhnlichen Geschäftsstunden im Geschäftslokal nicht angetroffen wird oder an der Annahme verhindert ist, an einen anderen dort anwesenden Beamten oder Bediensteten zugestellt werden (§ 184, 1). Im allgemeinen stehen die Ersatzzustellungen in der Wohnung und die im Geschäftslokal dem Zustellungsbeamten zur Wahl. Nur an den gesetzlichen Vertreter oder Vorsteher juristischer Personen ist die Ersatzzustellung in der Wohnung dadurch bedingt, dafs ein besonderes Geschäftslokal nicht vorhanden ist (§ 184, 2) 1 . Ist die Ersatzperson selbst der Gegner des 1 H e i l u n g einer mangelhaften Ersatzzustellung durch nachträgliche Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks: K l e i n , Z. 15, 493 (1891). R i c h a r d S c h m i d t , Lehrbuch des Zivilprozefsrechts. 2. Aufl. 40

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Rechtsstreit.

§ 97. Formen der Zustellung.

Adressaten (d. h. der Zustellende), so darf an sie keine Zustellung vorgenommen werden, um Durchstechereien zu verhüten (Nov., § 185). Anderseits sind die Formen der Ersatzzustellung nicht streng obligatorisch 1 .

Unter Umständen kann auch die Ersatzzustellung an einen andern durch einen noch mehr erleichterten Modus ersetzt werden. a) Ist sie n i c h t a u s f ü h r b a r , d. h. entweder unmöglich oder nach Ermessen des Zustellungsorgans nicht zweckmäfsig (z. B. weil nur ein offenbar beschränkter Dienstbote angetroffen wird), so k a n n das zu übergebende Schriftstück auf der Gerichtsschreiberei des Amtsgerichts, in dessen Bezirk der Zustellungsort gelegen ist, oder an diesem Orte bei Postanstalt, Gemeindevorsteher oder Polizeivorsteher niedergelegt und die Niederlegnng sowohl durch eine an der Tür der Wohnung zu befestigende schriftliche Anzeige als auch, soweit tunlich, durch mündliche Mitteilung an zwei in der Nachbarschaft wohnende Personen bekannt gemacht werden (§ 182). ß) Ist die Ersatzzustellung zwar ausführbar, wird sie aber dadurch v e r e i t e l t , dafs der Adressat oder die Ersatzperson die Annahme ohne gesetzlichen Grund 2 verweigert, so ist das zu übergebende Schriftstück am Zustellungsort zurückzulassen (§ 186)3. γ) Die Ersatzzustellung darf nicht zur „Zustellung an sich selbst" mifsbraucht werden (§ 185)4. Ist infolge eines Formverstofses eine Zustellung ungültig bewirkt und dadurch eine Frist versäumt worden, so hilft ev. die W i e d e r e i n s e t z u n g in den vorigen Stand (§ 235; u. S. 648). 3. Der O r t , an welchem die Zustellung gültig vorgenommen werden kann, ist dem Gesetz gleichgültig. Sie kann an jedem Ort erfolgen, wo der Zustellungsempfänger (im Sinne IV) angetroffen wird (§ 180), ist also an sich gültig, gleichviel ob sie im Hause oder auf der Strafse, in Gesellschaft, im Theater oder auf Reisen geschieht. Der Empfänger kann jedoch, wenn er am O r t e (d. h. hier in der „Ortschaft") der Zustellung eine Wohnung Z u s t e l l u n g e n von L a d u n g e n sollen unter Umständen als w i r k s a m behandelt werden, auch w e n n sie nicht den gesetzlichen Erfordernissen der Ersatzzustellung genügt haben, — dann nämlich, wenn sien aus den E r k l ä r u n g e n d e r P a r t e i ergibt, dafs die L a d u n g trotz Verletzung der F o r m i n ihre Hände gelangt ist 187). Die Novelle sucht d a m i t zu v e r h i n d e r n , dafs Zustellungen, obwohl sie offensichtlich für den Interessenten ihren Zweck erreicht haben, blofs wegen der Formverletzung als solcher als ungültig behandelt werden. Dies hat besondere Bedeutung für die F ä l l e , wo der Gegner auf die Ladung erschienen w a r , sich aber dann entfernt hatte u n d nunmehr Versäumnisurteil beantragt wird. H i e r mufste bisher, falls sich jetzt ein Zustellungsmangel herausstellte, das Versäumnisurteil versagt werden. 2 H a u s w i r t und Vermieter können die Annahme an Stelle des Mieters m i t gesetzlichem Grund verweigern (oben S. 625 lit. a). 3 Nicht Ersatzzustellung, sondern direkte Zustellung ist die Einwerfung i n den Briefkasten des Adressaten. Aber sie ist rechtzeitig nur, wenn darauf gerechnet werden konnte, dafs der Briefkasten innerhalb der Frist geöffnet w e r d e , also ζ. B. n i c h t , wenn am Sonnabend (dem letzten Tage der Frist) abends in den Kasten eines Bureaus nach dessen Schlufs eingeworfen w i r d (R.G. I , v. 20. März 1880. 1, 430). 4 Diese Gefanr entsteht, w e n n der Bedienstete, Hausgenosse der Partei zugleich d e r e n G e g n e r i m schwebenden Rechtsstreit ist. H i e r könnte.diese Person die Ersatzzustellung benutzen, u m eine Zustellung der Klage, Ladung an die Partei durch Übergabe an sioh selbst zu bewirken und den A k t damit jedes Werts zu berauben (vgl. schon K.G. 21, 389). Die Nov. verbietet deshalb hier eine Ersatzzustellung (§ 185).

Ersatzzustellung.

Zustellungsort und -zeit.

Zustellungsurkunde.

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oder ein Geschäftslokal hat, an andern Örtlichkeiten die Annahme verweigern und es ist unter dieser Voraussetzung die Zustellung nur in Wohnung und Geschäftslokal gültig (§ 180, 2). 4. Auch der Z e i t p u n k t der Zustellung ist im allgemeinen freigestellt. Sie ist auch in den Ferien, zur Nachtzeit, an Feiertagen an sich nicht untersagt (vgl. § 188, 1 mit Abs. 4). Der Empfänger kann jedoch (ähnlich wie zu 3) an Sonntagen und allgemeinen Feiertagen (sofern die Zustellung nicht durch Aufgabe zur Post erfolgt) die Annahme verweigern. In diesem Falle ist die Zustellung ungültig, aufser wenn dazu von vornherein die richterliche Erlaubnis erteilt worden ist (durch den Vorsitzenden des Prozefsgerichts oder den Amtsrichter des Zustellungsbezirks, — eventuell durch beauftragten oder ersuchten Richter) und die ermächtigende Verfügung bei der Zustellung abschriftlich mitgeteilt wird (§ 188, vgl. aufserdem u. § 100, IV).

IY. Beurkundung der Zustellung. Während in den bisher erwähnten Formalien die Zustellung von der Verschiedenheit der mit ihr betrauten Organe (II) unabhängig ist, wird die letztere von erheblichem Einflufs auf die praktisch bedeutsamste Formbeschränkung der Zustellung, nämlich für die offizielle B e u r k u n d u n g , die zur Sicherung des künftigen Beweises der Zustellung in jedem Fall vorgenommen werden mufs. Diese urkundlichen Beweismittel sind von um so gröfserer Erheblichkeit, als das Gesetz sie dem Zustellenden, besonders der Partei, nicht nur zum Zweck eines e r l e i c h t e r t e n Beweises zur Verfügung stellt, sondern sie vielmehr zum Beweis der Zustellung unter allen Umständen fordert. Anders als durch diese Urkunden, etwa durch Zeugen, k a n n die Z u s t e l l u n g g a r n i c h t b e w i e s e n werden. Tatsächlich wird also ihre Aufnahme zu einem F o r m b e s t a n d t e i l des Zustellungsakts; sie bedingen seine Gültigkeit. Die A u f n a h m e der Z u s t e l l u n g s u r k u n d e erfolgt durch einen amtlichen urkundlichen Bericht über den Zustellungsvorgang, der in U r s c h r i f t auf die Urschrift des zuzustellenden Schriftstücks oder auf einen mit derselben zu verbindenden Bogen zu setzen und mit der Urschrift, die (nach oben II) in der Hand des Zustellenden bleibt, der betreibenden Partei oder dem betreibenden Gerichtssclireiber zu übermitteln ist (§ 190, 1. 2. 4). Gleichzeitig ist sie in A b s c h r i f t auf das zu übergebende Duplikat des Schriftstücks oder einen damit zu verbindenden Bogen zu setzen (§ 190, 3). Wird durch die Post zugestellt (o. S. 621), so wird eine doppelte Beurkundung notwendig, und zwar hat hier zunächst der Gerichtsvollzieher bezw. Gerichtsschreiber auf der U r s c h r i f t des zuzustellenden Schriftstücks, das i n seinen H ä n d e n v e r b l e i b t , zu bezeugen, dafs er der Post den gesiegelten, adressierten und mit bestimmter Geschäftsnummer bezeichneten B r i e f u m s c h l a g übergeben und dafs dieser das zuzustellende D u p l i k a t (Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift) enthalten habe (§ 194. 196), und hierauf hat der Postbote eine Zustellungsurkunde aufzunehmen, in welcher die Übergabe des verschlossenen, adressierten und mit 40*

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I V Rechtsstreit.

§ 97. Formen der Zustellung.

der Geschäftsoummer bezeichneten B r i e f u m s c h l a g s an den A d r e s s a t e n bescheinigt wird (§ 195). Die Kombination dieser Urkunde des Postboten, welche von letzterem der Postanstalt und durch sie dem Gerichtsschreiber bezw. Gerichtsvollzieher zu übermitteln ist, mit der Bescheinigung des Gerichtsschreibers oder Gerichtsvollziehers über die Beauftragung der Post erbringt hier denselben Beweis, wie im regelmäfsigen Fall die alleinige Urkunde des Zustellungsbeamten. Der I n h a l t der Z u s t e l l u n g s u r k u n d e (§ 191) umfafst (obligatorisch): a) die Bezeichnung des Z u s t e l l u n g s v o r g a n g s : Ort, Zeit (Nr. 1), Konstatierung, dafs Ausfertigung oder Abschrift des zuzustellenden Schriftstücks nebst Abschrift der Zustellungsurkunde übergeben worden und dafs die Abschriften b e g l a u b i g t waren (nr. 6). (Die Beziehung auf das Schriftstück wird durch die V e r b i n d u n g mit demselben [§ 190] hergestellt); b) die Bezeichnung der Z u s t e l l u n g s b e t e i l i g t e n : der betreibenden Person (Partei, Gericht [nr. 2]), des Adressaten (nr. 3), des Zustellungsempfängers, gleichviel ob dieser der Adressat selbst ist oder — bei Ersatzzustellung usw. — ein anderer, hier mit Angabe des Grundes (nr. 4; — im Fall der Annahmeverweigerung statt der Bezeichnung des Empfängers die Erwähnung, dafs die Annahme verweigert und das Schriftstück am Zustellungsorte zurückgelassen ist, nr. 5). Die Urkunde ist vom Beamten zu unterzeichnen (§ 191 nr. 7). I n den Fällen der Zustellung d u r c h A u f g a b e z u r P o s t seitens des Gerichtsvollziehers usw. (mangels Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten, § 161, — oben I V lit. b) ist (statt a) nur zu beurkunden, dafs zu bestimmter Zeit einer bestimmten Postanstalt das (vorliegende) Schriftstück unter bestimmter Adresse aufgegeben worden, — (statt b) ist nur die betreibende Person und der Adressat zu bescheinigen. Aufserdem ist die Urkunde zu unterzeichnen (§ 192). In den Fällen der Zustellung d u r c h die P o s t (§ 193, — s. oben) wird (im übrigen nach den regelmäfsigen Grundsätzen) als Zustellungs ν ο r g a n g die Übergabe des mit Geschäftsnummer bezeichneten Briefumschlags beurkundet, — durch § 194, 2 wird erreicht, dafs auch hier dem Empfänger durch die Beurkundung erkennbar gemacht werde, f ü r w e n zugestellt wird, obwohl im Kouvert zugestellt wird. (Nov.) (§ 195, 2.) Bei Zustellung im Parteibetrieb v o n A n w a l t zu A n w a l t mufs auch dem Zustellungsempfänger die Möglichkeit verschafft werden, den Vorgang der Zustellung zu beweisen. Infolgedessen soll nicht nur er selbst dem zustellenden Anwalt ein Empfangsbekenntnis ausstellen, sondern auch der Zustellende hat dem empfangenden Anwalt auf Verlangen eine Bescheinigung über die Zustellung zu erteilen (§ 198, 2). Bei Zustellung v o n A m t s w e g e n lehnt sich die Beurkundung den Formen an, die bei Zustellung im Parteibetrieb durch die Post beobachtet werden (§ 194), aber mit gewissen Vereinfachungen, wie sie das bisherige Recht bereits für die Zustellungen im Gewerbegerichtsprozefs (R.Ges. vom 29. Juli 1890, §§ 31, 32; vgl. o. S. 249) ausgebildet hatte 1 . 1 W i e bei Zustellung durch die Post wird das Schriftstück hier immer i m B r i e f u m s c h l a g zugestellt, nur dafs auf diesen der Vermerk „ V e r e i n f a c h t e Zustellung 1 4 zu setzen ist. Der G e r i c h t s s c h r e i b e r beurkundet ferner durch V e r m e r k i n d e n A k t e n die Geschäftsnummer des Briefumschlags, in welchem er das zuzustellende Schriftstück der Post oder dem Gerichtsdiener übergeben hat (vgl. o. S. 627; 8 211, 2). Der G e r i c h t s d i e n e r oder der P o s t b o t e n i m m t nach den regelmäfsigen Vorschriften die Zustellungsurkunde auf, .jedoch m i t der Mafsgabe, dafs er dem Empfänger keine A b s c h r i f t derselben behändigt, vielmehr nur den T a ç der Zustellung auf dem Briefumschlag bemerkt. Die Zustellungsurkunde gibt er dem Gerichtsschreiber (§212 in Verbindung m i t §§ 195, 193). W i r d a u s n a h m s w e i s e (wegen Nichtbestellung eines Zustellungsbevollmächtigten) durch formlose A u f g a b e z u r P o s t von Amts wegen zugestellt (§ l'29

T. Öffentliche Zustellung. Die sämtlichen bisher geschilderten Vorschriften über Organe, Objekt. Empfänger, Ort, Zeit und Beweis der Zustellung (II—IV) treten aufser Geltung, wenn der Aufenthalt einer Partei, der zugestellt werden soll, u n b e k a n n t oder wenn eine Zustellung im A u s l a n d zu bewirken ist und die Befolgung der für diese bestehenden Vorschriften (§ 199, oben S. 292) unausführbar ist oder keinen Erfolg verspricht, insbesondere wenn die Rechtshilfe der ausländischen Behörden verweigert worden ist oder wahrscheinlich verweigert werden wird 1 . Hier kann im einzelnen Fall eine „ Z u s t e l l u n g d u r c h ö f f e n t l i c h e B e k a n n t m a c h u n g " erfolgen (§ 203). Ob die Voraussetzungen dafür vorliegen, ist durch Beschlufs des Gerichts (nicht durch Verfügung des Vorsitzenden) zu entscheiden, — wenn die Zustellung im Parteibetrieb stattfindet, auf ausdrückliches (mündliches oder schriftliches) Gesuch der Partei (§ 204, 1) nach fakultativer mündlicher Verhandlung oder ohne solche. Hierdurch wird die öffentliche Zustellung bewilligt. Der weitere Betrieb ist i n j e d e m F a l l O f f i z i a l b e t r i e b (durch den Gerichtsschreiber § 204, 1). Die Zustellung erfolgt dann durch Anheftung einer beglaubigten Abschrift des zuzustellenden Schriftstücks an die Gerichtstafel (§ 2Q4, 2); sie gilt als bewirkt mit dem Ablauf von zwei Wochen seit der Anheftung, auch wenn das Schriftstück früher wieder entfernt worden ist (§ 206, 2. 3). Besondere Grundsätze gelten für den wichtigen Fall, dafs das Schriftstück (als Klage, Rechtsmittelschrift usw.) eine Ladung enthält. Hier ist aufser der Anheftung noch die zweimalige Einrückung eines Auszugs des Schriftstücks in dasjenige Blatt erforderlich, das für den Sitz des Prozefsgerichts zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen bestimmt ist sowie die einmalige Einrückung des Auszugs in den deutschen R e i c h s a n z e i g e r , — ev. nach Ermessen des Prozefsgerichts noch in andere Blätter bezw. noch öfter wiederholt (§ 204, 2. 3). I n dem Auszuge müssen das Prozefsgericht, die Parteien, der Prozefsgegenstand (oben S. 390), der Antrag, der Zweck der Ladung und die Zeit, zu der der Geladene erscheinen soll, bezeichnet werden (§ 205). Die Zustellung gilt in diesen Fällen als erfolgt an dem Tage, an welchem seit der letzten Einrückung des Auszugs in die öffentlichen Blätter ein Monat verstrichen ist, event, nach Beschlufs des die öffentliche Zustellung bewilligenden Prozefsgerichts erst nach Ablauf einer längeren Frist (§ 206, 1). Soweit das öffentlich zuzustellende Schriftstück bestimmt ist, eine Frist zu wahren oder eine Verjährung oder Frist zu unterbrechen, gilt sie als vollzogen schon m i t der Überreichung des Gesuchs einer öffentlichen Zustellung, falls nur hinterdrein die Zustellung wirklich erfolgt. Das gleiche hat statt, wenn mittels Ersuchens anderer Behörden oder Beamten (oben I I a. E.) zugestellt wird (§ 207; vgl. über den Gedanken dess. oben S. 519 A. 1). 1 Von Nov. w i r d sie auch auf den F a l l ausgedehnt, dafs einer Person, die der deutschen Gerichtsbarkeit untersteht, in der W o h n u n g eines Exterritorialen (G.V.G. §§ 18, 19) zugestellt werden soll, — also an einem O r t , der dem deutschen Zustellungsbeamten nach Völkerrecht unzugänglich ist (§ 203, 3).

630

IV. Rechtsstreit.

§ 98. Prozefsleitung.

Sechstes Kapitel.

Die Prozefsleitung· § 98. Bedeutung und Mafsregeln der Prozefsleitung· Prozefseinleitung, Verhandlung, Beweiserhebung und Prozefsbetrieb (Kap. 1—5) erschöpfen die Tätigkeiten des Gerichts und der Parteien, aus denen sich das Verfahren, soweit es auf Entscheidung über den Anspruch hinarbeitet, z u s a m m e n s e t z t . Doch tritt zu ihnen noch eine weitere Tätigkeit hinzu, um die E n t s c h e i d u n g in zweckmäfsiger Weise v o r z u b e r e i t e n . Sie äufsert sich in der Fürsorge des Gerichts für eine sachgemafse Verknüpfung und Anordnung der verschiedenen oben genannten Bestandteile des Prozesses und wird als Tätigkeit der Prozefsleitung zusammen gefafst. Die Funktion der Prozefsleitung ist zu voller Entfaltung ihres Wirkungskreises und ihrer Eigenart erst im modernen Prozesse gelangt. In den älteren und primitiven Formen der Zivilrechtspflege überwiegt das Streben, die Aufeinanderfolge, den zeitlichen Abstand, die äufseren Begleitumstände der verschiedenen Prozefshandlungen und Prozefsstadien ein für allemal g e s e t z l i c h festzulegen. Erst die wachsende Vielgestaltigkeit der Bedürfnisse gibt den Anstofs, die erforderlichen Mafsregeln einem freien Eingreifen des Gerichts je nach Lage des einzelnen Prozesses anzuvertrauen. Die nächste Frage ist deshalb die, inwieweit für die Gruppierung der Prozeisteile noch Reste der g e s e t z l i c h e n R e g e l n , inwieweit für sie r i c h t e r l i c h e P r o z e f s l e i t u n g nach E r m e s s e n mafsgebend ist. Auch die hierauf gerichtete Funktion des Gerichts tritt jedoch wieder verschieden auf. Sie kann sich bei wichtigeren Fragen im Erlafs bindender solenner Beschlüsse und Verfügungen betätigen. Sie kann sich aber auch darauf beschränken, zwanglose, unverbindliche Anregungen zu geben, das prozessuale Verhalten der Parteien durch Vorschläge und tatsächliches ordnendss Eingreifen zu beeinflussen, in cler Weise, dafs stillschweigend mit der Befolgung dieser Direktiven gerechnet wird. Es ist also jedenfalls unrichtig, die Prozefsleitung nur als eine Art der gerichtlichen Entscheidungstätigkeit anzusehen. Wie schon früher (S. 357) dargelegt, gehört sie zum grofsen Teil zu dem weiten Gebiet des blofsen richterlichen Prozefsbetriebs, wie er sich auch bei der Beweisbeschaffung (im Fragrecht u. a., 0. S. 348) äufsert. In der genannten Form entfaltet sich die ordnende Funktion des Gerichts unter verschiedenen Gesichtspunkten. Sie kann auftreten als Fürsorge:

Bedeutung.

Reihenfolge- und Eventualbehandlung.

631

a) für eine zweckmäfsige Gruppierung, Aufeinanderfolge der Prozefshandlungen (§ 99), b) für den geeigneten zeitlichen Zusammenhang der zusammengehörigen Handlungen (§ 100), c) für eine passende Örtlichkeit und Umgebung der Prozefshandlungen (§ 101), d) für Herstellung beurkundender Beweismittel und für geregelten schriftlichen und mündlichen Austausch der Beteiligten in einer gemeinsamen Gerichtssprache (§ 102). Unter die Obhut darüber, dafs sich die prozessualen Akte in passender Umgebung und Verkehrsform der Beteiligten abspielen (lit. c), gehört auch die Fernhaltung s t ö r e n d e r Einflüsse. Diesen Zweig nennt man traditionell die P r o z e f s p o l i z e i (§ 101, I I I ) 1 .

§ 99. Die Aufeinanderfolge der Prozefshandlungen. Planck I § 82, I I § 108.

W e i s m a n n I § 81. 41. 51.

Kleinfeller I § 64, S. 208.

I . Reihenfolgebehandlung und Eventualbehandlung. Wie schon früher (S. 358) dargelegt, macht jeder Rechtsstreit die häufig wiederholte Vornahme derselben Grundtätigkeiten nötig. In immer neuen Wiederholungen schieben sich die Operationen der Parteien und des Gerichts, die die Prüfung der gesamten Unterlagen des Streitgegenstands ermöglichen, hinter- und ineinander: Behauptungen, Gegenerklärungen, Beweisantretungen, Beweiserhebungen. Schon bei der Prüfung nur eines einzigen anspruchsbegründenden Tatbestands (o. S. 332) müssen sie sich auf dessen v e r s c h i e d e n e t a t s ä c h l i c h e E l e m e n t e erstrecken, z. B. bei einer Schadenersatzklage wegen fahrlässiger Herbeiführung eines Unfalls 2 , auf den Eintritt eines Körperschadens und infolgedessen eines Vermögensschadens, auf die objektive Verursachung desselben, auf schuldhaftes Verhalten, auf die Höhe des Schadens. Und noch ausgedehnter gestaltet sich die gerichtliche Prüfung, wenn für den Anspruch m e h r e r e T a t b e s t ä n d e , S t r e i t p u n k t e , A n g r i f f s - o d e r V e r t e i d i g u n g s m i t t e l prüfungsbedürftig sind. Es können dies mehrere Klaggründe sein (Okkupation und Ersitzung bei der Eigentumsklage, Darlehn und ungerechtfertigte Bereicherung bei Geldforderung), Klaggrund und Einrede (Abschlufs des Kaufvertrags und Bezahlung der Kaufschuld), mehrere Einreden gegen denselben Anspruch (Nichterfüllung der Gegenleistung, Verjährung, Betrug), — es können dies aber auch die mehr oder minder zahlreichen Tatbestände sein, die neben der materiellen Frage prozessuale Streitpunkte und die Notwendigkeit prozessualer Vorentscheidungen (o. S. 355) oder wenigstens der Berücksichtigung in der Hauptentscheidung begründen, wie das 1 Es ist nicht erforderlich, denselben m i t W a c h I , 313 als eine selbständige Funktion des Gerichts neben Entscheidung und Vollstreckung aufzufassen. 58 Vgl. S t e i n u. S c h m i d t , Aktenstücke. Erster F a l l (vgl. das Referat S. 24).

IV. Rechtsstreit.

§ 99. Aufeinanderfolge der Prozefshandlungen.

Vorhandensein einer Prozefsvoraussetzung (Zuständigkeit, Befangenheit des Richters § 41. 42). Urkundeneditionspflicht (§ 420), Zulässigkeit des Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil (§ 340) usw., — besonders auch die Tatbestände, die eine Beweiseinrede, d. h. einen Grund zur Anfechtung der Glaubwürdigkeit von Beweismitteln (schlechten Ruf eines Zeugen, Ignoranz eines Sachverständigen usw.) verkörpern. Ja noch mehr verwickelt sich der Streitstoff und damit die Gesamtheit der Prozefshandlungen, wenn in einem und demselben Verfahren m e h r e r e s e l b s t ä n d i g e A n s p r ü c h e desselben Klägers gegen denselben Beklagten (Z.P.O. § 260) oder der Parteien untereinander (Forderung und Gegeilforderung § 33) oder mehrerer Streitgenossen (§ 59) usw. zur gerichtlichen Prüfung erwachsen. Um alle hier notwendig werdenden materiellen und prozessualen Fragen haben sich Behauptungen, Beweisantretungen usw. zu gruppieren. Dieselben müssen sich nach und nach in irgendwelcher Aufeinanderfolge entwickeln. Das Natürlichste und Nächstliegende ist hier, die Aneinanderreihung und Verknüpfung der Prozefshandlungen der freien Wahl und dem praktischen Ermessen der Prozefsbeteiligten zu überlassen, es also durchaus von dem Prozefsbetrieb der Parteien oder des Gerichts (S. 630) abhängig zu machen, ob sich sämtliche Prüfungstätigkeiten zunächst auf die eine Tatsache oder den einen Tatbestand, dann auf die andern erstrecken sollen, oder ob zunächst die Verhandlung (Behauptung und Gegenerklärung) der Parteien das gesamte Tatsachenmaterial ergreifen und es dann erst zu allen Beweisantretungen und hierauf zu allen Beweiserhebungen kommen soll, oder ob im letzteren Fall wiederum zunächst ein Streitpunkt ausgeschaltet werden soll usw. Aus solcher Behandlung aber, die alles von der z u f ä l l i g e n Fügung des Augenblicks, von der Gestaltung der prozessualen Erörterung usw. abhängig macht, kann unter Umständen eine doppelte Gefahr erwachsen: a) Einmal entsteht die Gefahr der P r o z e f s V e r w i r r u n g , weil nur zu leicht die mehreren Operationen bei Prüfung eines Streitpunkts oder gar bei Prüfung mehrerer Streitpunkte sich störend beeinflussen und durchkreuzen. Es könnten z. B. die Parteien während der Beweisaufnahme die Verhandlung wieder beginnen wollen und so die Unbefangenheit des Zeugen beeinträchtigen. Es könnte die Hereinziehung aller möglichen Streitpunkte in der ersten Verhandlung dem Gericht den freien Einblick in den Sachverhalt erschweren» so besonders wenn die Parteien untereinander oder mit dem Gericht über die Gangbarkeit des einzuschlagenden WTegs uneins sind. Deshalb kann das Bedürfnis entstehen, dafs durch b i n d e n d e Mafsnahmen eine äufsere T r e n n u n g der Prozefstätigkeiten herbeigeführt werde und zwar vor allem: 1. eine Trennung der e i n z e l n e n P r ü f u n g s t ä t i g k e i t e n untereinander, soweit sie die mehreren Tatsachen desselben Streitpunkts (s. oben) betreffen, also in der Weise, dafs es erst nach

Trennung und Zusammendrängung der Prozefshandlungen.

633

den Parteibehauptungen in gesondertem Prozefsstadium zur Gegenerklärung, erst dann zur Beweisantretung, dann zur Beweisaufnahme kommt ; 2. eine Trennung der Prüfung v e r s c h i e d e n e r S t r e i t punkte voneinander, so dafs erst die Klagtassachen, dann die Einreden, oder erst die Prozefsvoraussetzungen, dann die Rechtsschutzbedingungen und hierauf getrennt die Beweiseinreden (s. oben) der Verhandlung, Beweisantretung, Beweisaufnahme unterzogen werden. Eine solche Trennung nennt man im allgemeinen eine R e i h e n f o l g e b e h a n d l u n g . Sie stellt eine bewufste Zweck mäfsigkeitsmafsregel dar, die der Beförderung der G r ü n d l i c h k e i t u n d K l a r h e i t und damit weiterhin der Gerechtigkeit des Zivilprozesses dient, und kann im einzelnen Fall durch richterlichen Prozefsleitungsakt oder allgemein durch Gesetz erfolgen. Verfügt sie das Gesetz mit der Wirkung, dafs die Durchbrechung der Reihenfolge die G ü l t i g k e i t des Verfahrens in Frage stellt, so erkennt es damit insoweit ein R e i h e n f o l g e p r i n z i p an. b) Anderseits droht aber, wenn man den Verlauf des Verfahrens völlig sich selbst überläfst, die Gefahr der Pr ο ze fsver schlep pun g. Sie erwächst daraus, dafs die Beteiligten aus Schwerfälligkeit oder Übergründlichkeit jede einzelne Tatsache nach der andern, jeden Streitpunkt nach dem andern der Prüfung unterwerfen. Sie wird deshalb auch durch die gerichtliche oder gesetzliche Reihenfolgebehandlung (lit. a) begünstigt. Infolgedessen kann (umgekehrt wie nach a) auch das Bedürfnis entstehen, eine Z u s a m m e n d r ä n g u n g der Prozefshandlungen, d. h. eine möglichst gleichzeitige Vornahme mehrerer Prozefshandlungen im gleichen Verfahrensabschnitt zu bewirken. Im einzelnen führt dieses Bedürfnis besonders: 1. zur möglichsten Verbindung von Beweisantretungen und Beweisaufnahmen mit den Behauptungen und Gegenbehauptungen, also zur möglichst unmittelbaren Aneinanderreihung der m e h r e r e n P r ü f u n g s t ä t i g k e i t e n , soweit sie dieselbe Tatsache oder mehrere zusammenhängende Tatsachen betreffen (im Gegensatz oben zu lit. a Nr. 1), — oder: 2. zur Verbindung der Prüfung m e h r e r e r S t r e i t p u n k t e in der Wreise, dafs zunächst die V e r h a n d l u n g gleichzeitig auf mehrere Klaggründe, auf mehrere Einreden erstreckt wird, dann ebenso die B e w e i s a n t r e t u n g und so fort (im Gegensatz zu lit. a Nr. 2). Da von solchen mehreren Tatbeständen der zweite meist erst dann von Erheblichkeit für die richterliche Prüfung wird, wenn der erste sich in bestimmter Weise erledigt hat, z. B. die Anspruchserfordernisse erst, wenn die Prozefsvoraussetzungen verneint sind, die Zahlungseinrede erst dann, wenn der Darlehnsvertrag sich als wrahr erwiesen und die Verjährungs- oder Kompensationseinrede erst, wenn sich die Zahlungseinrede als unstichhaltig herausgestellt hat, da also mit andern Worten ein

I V Rechtsstreit.

§ 99. Aufeinanderfolge der Prozefshandlungen.

Angriffs- oder Verteidigungsmittel nur „ e v e n t u e l l " auf den m ö g l i c h e n Fall einer bestimmten Gestaltung des übrigen Sachverhalts vorgebracht wird, so nennt man diese Art der \7erbindung die Eventualbehandlung. Sie wie die Verbindung überhaupt (Nr. 1) ist eine M a f s r e g e l d e r B e s c h l e u n i g u n g , K o n z e n t r a t i o n . Wird sie allgemein vom Gesetz mit der Wirkung aufgestellt, dafs die nicht verbundenen, sondern erst nachträglich vorgebrachten Streitpunkte nicht mehr beachtet werden dürfen, „präkludiert" werden, so entfaltet sie sich zum E v e n t u a l p r i n z i p . Sonderung und Zusammendrängung der Prozefshandlungen, Reihenfolge- und Eventualbehandlung sind zwei einander entgegengesetzte Mafsregeln. Da ein guter Prozefs zugleich geordnet und schleunig sein soll, so fordern sie einen gewissen Ausgleich untereinander. Sie sind bestimmt, einander zu ergänzen. Diese Ergänzung mit logischer Schärfe und planmäfsiger Konsequenz durch G e s e t z vollzogen zu haben, macht die wesentliche Eigentümlichkeit der Entwicklung des gemeinen Rechts von seinen Anfängen im 12. bis zu seinem Abschlufs im 18. Jahrhundert aus. Es begann im Frühstadium des partikularen und kanonischen Prozesses Italiens mit der schroffen Sonderung von Behauptung, Antwort, Beweisantretung (Artikulation) und Beweisaufnahme durch getrennte Termine in der Art, dafs sie sämtlich sich für beliebig viele Streitpunkte (mehrere Klaggründe, mehrere Einreden) wiederholen konnte (System der B e w e i s v e r b i n d u n g ; S. 77. 81). Der verschleppenden Wirkung dieses Systems wurde zunächst damit begegnet, dafs ebenfalls sehr früh (noch im 13. Jahrhundert) jeder Turnus der vier Hauptoperationen für jede Klasse von g l e i c h a r t i g e n Streitpunkten n u r e i n m a 1 vorgenommen werden durfte, für Prozefsvoraussetzungen („dilatorische" Einreden), für Klaggründe, Sacheinreden. Man gab also der Sonderung der Prozefsf u n k t i o n e n eine Zusamm^ndrängung der S t r e i t p u n k t e g l e i c h e r A r t zum Gegengewicht. In allmählicher, immer schärferer Betonung dieses Äquivalents kam schliefslich der gemeine Prozefs bei dem Ergebnis an, jede der getrennten Hauptoperationen des Prozesses gleichzeitig auf alle, auch auf die vers c h i e d e n a r t i g e n Streitpunkte zu erstrecken, d. h. das gesamte Streitmaterial in drei n u r e i n m a l vorzunehmende Stadien der Behauptungen und Gegenerklärungen, der Beweisantretungen, der Beweiserhebungen zusammenzudrängen (System der „ B e w e i s t r e n n u n g 1 ' ; o. S. 91). Aber gerade die letzte und konsequenteste Durchbildung der beiden Komplementärprinzipien zeigte die Schwerfälligkeit eines Verfahrens, das von ihnen beherrscht war. Die Reaktion erfolgte unter dem Einflufs des deutschen Bagatellprozesses, der von der italienischen Zeit her eine zwanglosere Gliederung bewahrt hatte (S. 03 ff.) und unter dem des französischen Prozesses, der eine gewisse Freiheit der Arerknüpfung nie aufgegeben hatte. Die

Reihenfolge- und Eventualbehandlung. Richterliche Prozefsleitung.

(335

Reformperiode und mit ihr die Z.P.O. gab der Einsicht Raum, dafs je nach den wechselnden Gestaltungen der prozessualen Lage bald eine Absonderung, bald eine Zusammenlegung wünschenswert wird, wenn das Verfahren gründlich und schleunig verlaufen soll. Diesen Effekt kann aber keine allgemeine Regel, sondern nur die r i c h t e r l i c h e P r o z e f s l e i t u n g erreichen, mag sie nur tatsächlich betreibend und dirigierend (o. S. 630) oder mit bindender Entscheidung eingreifen. Nur ganz vereinzelt schreibt noch das Gesetz eine Absonderung oder Verbindung vor. I I . Die richterliche Fürsorge für die Gruppierung der Prozefshandlungen. Der Beweisbeschlufs insbesondere. Die Gruppierung der Prozefshandlungen im geltenden Verfahren ist grundsätzlich eine z w a n g l o s e . Handelt es sich: a) um die sachgemäfse Ordnung der Verhandlung der Parteien, d. h. um Anträge, Behauptungen, bestreitende und zugestehende Gegenerklärungen, Beweisantretungen, so wird die Verteilung der verschiedenen Streitpunkte im wesentlichen nur durch die instruierende, formlos leitende Tätigkeit des Vorsitzenden hergestellt. Der Vorsitzende „erteilt das Wort" (§ 136) und bezeichnet dabei ungefähr die Richtung, die die Auslassungen der Parteien zunächst zu nehmen haben. Die Befugnis, dem, der „seinen Anordnungen nicht folgt", das Wort zu entziehen (§ 136), genügt erfahrungsgemäfs als Disziplinarmittel, um den gewünschten Erfolg zu erreichen. Hiernach kann er ebensowohl dahin wirken, dafs auf jede Behauptung sofort die Gegenerklärung des Gegners und in eventuellen Beziehungen der Beweismittel vorgenommen werden, wie auch dahin, dafs jede Partei eine Gesamtdarstellung ihres Vorbringens gibt und dafs hierauf erst der Gegner seine Gegenerzählung und beide Parteien ihre Beweisantretungen erfolgen lassen. Erst recht kann also auch die Verhandlung gesondert auf Klaggrund und Einreden oder auf mehrere Einreden, aber so eingerichtet werden, dafs über das jeweilige Material im Zusammenhang verhandelt wird. Hierfür gelten a l l e T e r m i n e der Verhandlung einander gleich. B i s zum S c h l u f s des letzten können Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend gemacht werden (Prinzip der E i n h e i t der V e r h a n d l u n g ; § 278). Erfahrungsgeniäfs genügt diese zwanglose Leitung des Verfahrens im allgemeinen, um eine sachgemäfse Behandlung zu ermöglichen. Das Gericht hat deshalb nur in seltenem Fall Anlafs, eine Gliederung b i n d e n d d u r c h B e s c h l u f s zu verfügen. Es kann dies jedoch sowohl im Sinne der T r e n n u n g wie im Sinne der Z u s a m m e n d r ä n g u n g tun. Einerseits ist es statthaft, dafs „bei mehreren auf denselben Anspruch sich beziehenden selbständigen Angriffs- oder Verteidigungsmitteln (Klaggründen, Einreden, Repliken usw.) die Verhandlung zunächst auf eines oder einige dieser Angriffs- oder Verteidigungsmittel zu beschränken sei" (§ 146). Ist durch einen solchen Beschlufs die Absonderung

I V Rechtsstreit.

§ 99. Aufeinanderfolge der Prozefshandlungen.

z. B. nur der Zahlungseinrede oder einer Kompensationseinrede erfolgt, so hat dies die Wirkung, dafs nunmehr die gesamte „Verhandlung", d. h. die gesamte Prüfung (Parteiverhandlung im engeren Sinne, Beweisantretung und Beweisaufnahme), bis auf weiteres nur diesen Tatbestand ergreift und dafs erst nach seiner Erledigung zu den übrigen übergegangen wird. Ein häufiger Gebrauch wird aber von dem „ A b s o n d e r u n g s r e c h t " nicht gemacht1. Eine Z u s a m m e n d r ä n g u n g anderseits kann das Gericht direkt erreichen in der Weise, dafs es „für die durch das neue Vorbringen veranlafste nochmalige Beweisanordnung" die b e s o n d e r e E r h e b u n g e i n e r G e b ü h r , also einer Gebühr, die an sich nach den Kostengesetzen nicht zu erlegen sein würde und die somit als eine S t r a f g e b ü h r in Betracht kommt, beschliefst (Ger.Kost.G· § 48) 2 . Als i n d i r e k t e r Zwang wirkt ferner die Möglichkeit der Nichtberücksichtigung nachträglich vorgebrachter Verteidigungs- und Beweismittel. Sie gilt jedoch nur in sehr engen Grenzen, nämlich nur insoweit, als das Gesetz das sog. Souveränitätsrecht des Gerichts noch aufrecht erhalten hat (o. S. 426). Kraft desselben k ö n n e n „Verteidigungsmittel, welche von dem Beklagten nachträglich vorgebracht werden," — „auf Antrag zurückgewiesen werden, wenn durch deren Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und das Gericht die Überzeugung gewinnt, dafs der Beklagte in der Absicht, den Prozefs zu verschleppen oder aus grober Nachlässigkeit die Verteidigungsmittel nicht früher vorgebracht hat" (§ 279). Entsprechend gilt, dafs der Antrag auf Erhebung neuen Zeugen- und Urkundenbeweises nach Erlassung eines Beweisbeschlusses bezüglich der schon in diesem unter Beweis gestellten Tatsachen aus dem gleichen Grunde (objektiver Verzögerlichkeit und subjektiv doloser oder grob kulposer Verschuldung der Verzögerung) „ z u r ü c k z u w e i s e n i s t " — die Vorbringung neuer Urkunden wenigstens dann, wenn dieselben im Besitz einer dritten, nicht prozefsbeteiligten Person, 1 Dafs dies© abgesonderte Erledigung in einem gesonderten T e r m i n e erfolge, ist d a m i t nicht gesagt: nach der Erledigung k a n n der schwebende T e r m i n weiter verwertet werden. Noch weniger liegt in der abgesonderten Verhandlung auch die Notwendigkeit abgesonderter Entscheidung; hierfür gelten besondere Grundsätze. Eben deshalb ist mit der Absonderung nicht die W i r k u n g der P r ä k l u s i v i t ä t , d. h. des Ausschlusses späterer neuerer Beweisantretungen verbunden. A u f welche Tatbestände sich die Anordnung erstrecken k a n n , hängt an sich von der rein faktischen Frage a b , ob ein solcher s e l b s t ä n d i g v e r h a n d l u n g s f ä h i g ist (gleichviel ob er auch geeignet i s t , Gegenstand einer selbständigen E n t s c h e i d u n g zu sein, s. oben). Diese Eigenschaft k o m m t sowohl einem von mehreren Klaggründen, E i n reden usw. zu (Beispiele oben S. 631). als auch einem Rechtsverhältnis, das im Prozefs nur deswegen bedeutungsvoll w i r d , w e i l das streitige Rechtsverhältnis in Existenz oder Nichtexistenz von i h m abhängt (Grundeigentum i m Servitutenstreit, Statusverhältnis, Paternität, i m Streit u m Intestaterbrecht^ sogenannte präjudizielle Rechtsverhältnisse, unten § 121, I I I , 133). Denn wenn es sich hier auch u m Tatbestände handelt, die einem selbständigen P r ä j u d i z i a l a n s p r u c h zur Grundlage dienen, so sind sie doch i n erster Linie T e i l e d e s T a t b e s t a n d s , welcher den streitigen Hauptanspruch begründet, also Angriffs- oder Verteidigunesmittel i m Verhältnis zu diesem ( W a c h , Vortr. (2) 38. G a u p p fetein zu § 146). Dafs § 146 auch von einzelnen p r o z e s s u a l e n Streitpunkten spricht (Echtheit einer U r k u n d e , Ausschlufs der Öffentlichkeit usw.), ist bestritten, k a n n aber nicht geleugnet w e r d e n , da § 347 den F a l l ins Auge fafst, dafs ein T e r m i n lediglich zur Verhandlung eines Zwischenstreits (des Hauptfalls einer prozessualen Vorfrage, unten § 119) anberaumt w i r d . Das bedeutet aber abgesonderte Verhandlung. 2 Der Beschlufs ist beschwerdefähiar (§ 48, 2 cit. in Verb. m. § 531 ff Z.P.O.).

Richterl. Absonderungsbeschlufs. Zurückweisung verschlepp. Rechtsbehelfe. (337

Privatperson oder Behörde, sich befinden (§ 373. 4 3 3 ) E s unterliegen also die Vorbedingungen der Präklusion der richterlichen Kognition. Was die A n g r i f f s m i t t e l des K l ä g e r s , die Vorschützung von Klaggründen, angeht, so verrichtet die entsprechende Funktion hier das Verbot der K l a g ä n d e r u n g (o. S. 392. 410). Indem der Kläger zu gewärtigen hat, dafs er mit einem nachträglich vorgebrachten Klaggrund abgewiesen wird, falls er hierdurch die Verteidigung des Beklagten erschwert (§ 264), wird er indirekt genötigt, m e h r e r e Klaggründe gleich von vornherein eventuell gemeinschaftlich vorzubringen (vgl. u. § 130. 131). b) Während sonach die Ordnung der Prozefshandlungen durch formellen Gerichtsbeschlufs i n n e r h a l b der Parteiverhandlung nur vereinzelt eingreift, wird gerade sie für das V e r h ä l t n i s der V e r h a n d l u n g zur B e w e i s a u f n a h m e zur Regel. Die letztere kann sich der Natur der Sache nach im Regelfalle nicht sofort an die Bezeichnung des Beweismittels anschliefsen, da, um clie Beweismittel herbeizuschaffen, z. B. um die im Besitz eines Dritten oder des Prozefsgegners befindliche Urkunde heranzuziehen, die Zeugen und Sachverständigen oder die Schwurpflichtige Partei vorzuladen — in den weitaus meisten Fällen ein neuer Termin abgehalten werden mufs. Hier greift also die richterliche Prozefsleitungstätigkeit als trennende Macht ein. „Erfordert die Beweisaufnahme ein besonderes Verfahren (d. h. eben einen abgesonderten Termin), so ist dasselbe durch Beweisbeschlufs anzuordnen" (§ 358) 2 . Aber damit ist schon ausgesprochen, dafs dies nicht mit Notwendigkeit zu geschehen hat und dafs da, wo die Erhebung des Beweismittels ohne neuen Termin erfolgen kann und wo deshalb ein Beweisbeschlufs unterbleibt, die Beweisaufnahme sich sofort an die Beweisantretung anschliefsen kann. Insbesondere geschieht dies mit Urkunden oder Augenscheinsobjekten, wenn die beweisführende Partei selbst sie zur Hand hat oder wenn der Gegner sie besitzt und zu ihrer sofortigen Vorlegung bereit ist 3 . Auch erstreckt sich die Abtrennung, wo sie verfügt worden, nur auf das „besondere Verfahren" der Beweisaufnahme. Ist dieses beendigt, so ist nun sofort wieder die Ungetrenntheit des Ver1 Das Souveränitätsrecht wird erfahrungsmäfsig sehr wenig gebraucht, da besonders im Anwaltsprozesse der Rechtsanwalt Bedenken trägt, die Kalumnienbeschuldigung gegen den Kollegen zu erheben. ( W a c h , Enquete 1887, 107.) M i t Recht gestattet österr. Z.P.O. 179, 275 die Abschneidung auch ex officio. 2 Dafs nach der Meinung des Gesetzes die Notwendigkeit eines Beweisbeschlusses sich deckt m i t der Notwendigkeit eines besonderen Termins, d. h. der Trennung (Reihenfolge), bestätigt auch R.G. I , 29. 9 . 83, 10 , 371. Dafs aufserdem noch andere Eigenschaften des Beweisverfahrens Einliufs üben (keine Notwendigkeit eines Beweisbeschlusses, wenn das Gericht v o n A m t s w e g e n Augenscheinseinnahme oder Sachverständigenvernehmung anordnet, o. S. 428), findet i m Gesetz keinen Anhalt. 3 § 420: -Die Antretung des (Urkunden-)Beweises erfolgt durch die Vorlegung der Urkunde", richtiger gefafst : die A n t r e t u n g des Beweises (nämlich die Bezeichnung des Beweismittels) ist sofort m i t der Vorlegung und Einsichtnahme der U r k u n d e (d. i. m i t der Beweisaufnahme) zu verbinden (vgl. oben S. 518). — Die Verbindung von Beweisantretung und Beweisaufnahme i m gleichen T e r m i n k a n n (seltener) auch bei anderen Beweismitteln eintreten; so k a n n ein Zeuge oder Sachverständiger sofort vernommen werden, wenn die beweisführende Partei inn in dem T e r m i n , i n welchem sie i h n vorschlägt, mitbringt („sistiert"), — der in der Verhandlung anwesenden Partei kann (unter den Voraussetzungen des g 4(il) ein E i d sofort auferlegt und abgenommen werden.

(538

IV. Rechtsstreit.

§ 99. Aufeinanderfolge der Prozefshandlungen.

fahrens hergestellt, und es kann deshalb im gleichen Termin sofort die Verhandlung der Parteien über die Ergebnisse der Beweisaufnahme (§ 285) und wo diese überflüssig oder abgeschlossen ist, weiterhin die Verhandlung über die Hauptsache eintreten. Deshalb ist ein Termin, der zur Beweisaufnahme vor dem Prozefsgericht anberaumt ist, stets ipso iure „zugleich zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt" (§ 370, 1). Anders naturgemäfs, wenn der besondere Termin zur Beweisaufnahme auch vor einem anderen G e r i c h t , nämlich einem beauftragten oder ersuchten Richter stattfindet (§ 3 6 1 ) H i e r ist zur Verhandlung über das Ergebnis der Beweisaufnahme (§ 285, 2) und zur Fortsetzung der Verhandlung über die Sache ein neuer Termin vor dem Prozefsgericht zu bestimmen. Derselbe kann von vornherein in dem Beweisbeschlusse, der die Beweisaufnahme vor dem ersuchten oder beauftragten Richter anordnet, anberaumt werden. Es kann jedoch auch seine Anberaumung einstweilen unterbleiben und erst nachträglich, nach Beendigung der Beweisaufnahme durch das Prozefsgericht von Amts wegen erfolgen (§ 370, 2). Vgl. hierzu unten S. 644.

Im Beweisbeschlufs ist aber gleichzeitig auch das Mittel gegeben, um durch richterliches Dekret die Aufeinanderfolge der Beweiserhebungen über verschiedene S t r e i t p u n k t e (Klaggründe, Einreden usw.) zu ordnen, und zwar pafst sich auch hier der Beweisbeschlufs ganz dem Bedürfnis des konkreten Falls an. Das Gericht kann durch ihn die S t r e i t p u n k t e t r e n n e n , d. h. die zunächst verhandelten T a t b e s t ä n d e herausheben und nur über sie sofort die Erhebung der angetretenen Beweismittel anordnen. Da Angriffsmittel (Klaggründe) und Verteidigungsmittel („Einreden, Widerklagen, Repliken usw.") noch nachträglich „bis zum Schlüsse derjenigen mündlichen Verhandlung, auf welche das Urteil ergeht, geltend gemacht werden können" (§ 278), so kann der Erfolg der B e w e i s v e r b i n d u n g , d. h. der sofortigen Verbindung der Verhandlung, Beweisantretung, Beweisaufnahme über einzelne Streitpunkte erreicht werden, ehe es zur Verhandlung über einen oder mehrere der andern kommt (S. (334). Die gleiche Möglichkeit der nachträglichen Geltendmachung besteht für Beweismittel und Beweiseinreden, nachdem bereits über denselben Streitpunkt verhandelt und Beweis erhoben worden ist (§ 256). Umgekehrt kann aber auch vermöge des Beweisbeschlusses im einzelnen Falle eine Z u s a m m e n d r ä n g u n g , Eventualb e h a n d l u n g der S t r e i t p u n k t e , d. h. derjenige Erfolg erreicht werden, der vom gemeinen Recht durch das gesetzliche Prinzip der B e w e i s t r e n n u n g (o. S. 634) erreicht wurde, insofern zunächst über sämtliche Angriffs- und Verteidigungsmittel verhandelt, hierauf erst zur gemeinsamen Entgegennahme der Beweisantretungen verschritten und schliefslich ebenso gemeinsam, wenn möglich, alle Beweise (z. B. Zeugenbeweise) erhoben werden 2. 1 Die B e s t i m m u n g der Termine vor dem Kommissar (über ihn vgl. i m übrigen o. S. 221. 462) k a n n hier durch das Prozefsgericht erfolgen. I m Zweifel n i m m t sie cler Kommissar selbst vor (§361,2). Das E r s u c h e n eines auswärtigen Richters erfolgt durch •den Vorsitzenden (§ 362). E v e n t u e l l kann sowohl der beauftragte wie der ersuchte Richter das Ersuchen an ein g e e i g n e t e r e s d r i t t e s G e r i c h t weitergeben (§ 365). 2 Prozefsleitende Anordnung der R e i h e n f o l g e b e h a n d l u n g von Beweisaufnahmen liegt z. B. in einem Beweisbeschlusse, der nach gleichzeitiger erschöpfender Parteiver-

Beweisbeschlufs als Mittel d. Trennung oder Ev.-Behdlg. d. Streitpunkte.

639

Erst aus der Übersicht über die dem Gericht zur Verfügung gestellten Mafsregeln erhellt das Wesen des B e w e i s b e s c h l u s s e s . Seiner nächsten Funktion nach ist derselbe nur A n o r d n u n g der \ r o r f ü h r u n g b e s t i m m t e r B e w e i s m i t t e l (Zeugen, Urkunden usw.). Hiernach bestimmt sich sein I n h a l t . Derselbe mufs umfassen (§ 359, 1—3) : 1. die Bezeichnung der streitigen Tatsachen, über welche der Beweis zu erheben ist; 2. die Bezeichnung der Beweismittel unter Benennung der zu vernehmenden Zeugen und Sachverständigen; 3. die Bezeichnung der Partei, welche sich zum Nachweise oder zur Widerlegung tatsächlicher Behauptungen auf das Beweismittel berufen hat 1 . Nunmehr zeigt sich aber, dafs sich die Funktion des Beweisbeschlusses hierin nicht erschöpft. Indirekt wirkt der Beweisbeschlufs gleichzeitig als Dekret, das das Verhältnis der unter Beweis gestellten Streitpunkte zu andern Streitpunkten desselben Prozesses ordnet, insofern die gleichzeitige Beweisanordnung über mehrere solche Streitpunkte die bindende Anordnung einer gleichzeitigen, vielleicht e v e n t u e l l e n Prüfung derselben bedeutet,— die Beweisanordnung über einzelne herausgehobene dagegen die Anordnung der s u k z e s s i v e n Prüfung der übrigen besagt. Die Zweckbestimmung einer solchen bindenden Ordnungsfunktion ist es hauptsächlich, weshalb das Gesetz darauf Gewicht legt, dafs v o r E r l e d i g u n g des B e w e i s b e s c h l u s s e s von k e i n e r der P a r t e i e n eine Ä n d e r u n g d e s s e l b e n auf Grund der früheren Verhandlungen beantragt werden kann (§ 360). Nur das Gericht, kann von Amts wegen (gemäfs den allgemeinen Grundsätzen u. § 123) seine Prozefsleitungsmafsregel abändern, also z. B. ehe es zur Erledigung kommt an Stelle der Reihenfolgebehandlung eine Eventualbehandlung eintreten lassen und umgekehrt. Um diese Funktion durch den Beweisbeschlufs erfüllen zu können, mufs das Gericht bei dessen Erlafs notwendig eine interne rechtliche Prüfung des sämtlichen bis dahin geltend gemachten Parteivorbringens eintreten lassen. Es hat nicht nur (für den unmittelbaren Zweck der Beweisanordnung) zu prüfen, ob die e i n z e l n e Tatsache erheblich und bestritten sei, sondern es hat auch weiter das V e r h ä l t n i s der einen Tatsache zu den übrigen zu prüfen, — ob also nach der Bewahrheitung gewisser Behauptungen des Klägers gewisse Gegenbehauptungen des Beklagten handlung und Beweisantretung über das gesamte Tatsachenmaterial (der Kaufpreisansprüche aus Warenlieferung) zunächst nur Augenscheins- u n d Zeugenbeweis über die rechtzeitige und hinlängliche Lieferung der W a r e n anordnet, und die angebotenen Beweiserhebungen über Rücktrittsvereinbarung, Verwendungs-, Kompensationsansprüche des Beklagten der Z u k u n f t vorbehält. Prozefsleitende Anordnung der E v e n t u a l b e h a n d l u n g von Beweisaufnahmen liegt in dem Beweisbeschlusse, der umgekehrt auf sofortige Erhebung sämtlicher Beweismittel l a u t e t , zweckmäfsig besonders d a n n , wenn über alle Punkte dieselben Zeugen oder verschiedene Zeugen am gleichen Ort (z. B. per requisitionem) zu vernehmen sind. Vgl. über Fassung von Beweisbeschlüssen H e r m a n n M e y e r , Recht 8, 13. Z. 33, 511. 1 I s t der angeordnete Beweisakt die Eidesleistung der Partei selbst, so t r i t t an die Stelle dieses Inhalts die Bezeichnung der sogen. „Eiaesnorm 1 ·, d. h. des tatsächlichen Behauptungssatzes, welchen die Partei eidlich bekräftigen soll (§ 359 n. 4 vgl. o. S. 540).

IV. Rechtsstreit.

§ 99. Aufeinanderfolge der Prozefshandlungen.

beachtlich sind usw. Hieraus folgt aber nicht, dafs die Aufgabe des Gerichts auch jetzt wesentlich dieselbe sei, wie im gemeinen Prozesse bei Erlafs des sog. B e w e i s i n t e r l o k u t s und des B e w e i s in i t t e l p r o d u k t i o n s d e k r e t s . Denn gerade die wesentlichste Eigenschaft dieser Entscheidungen, schon im Laufe des Verfahrens eine Prüfung vorzunehmen, die das G e r i c h t b i n d e t und den Parteien eine feste Anwartschaft auf das endliche Prozefsergebnis gewährte, fehlt dem Beweisbeschlufs. Dieser bindet weder das Gericht, das nach dem Ausfall der Beweisaufnahme seine rechtliche Anschauung beliebig ändern kann, noch fixiert er die Angriffs- und Verteidigungsweise der Parteien, die im Gegenteil durch den Beweisbeschlufs gerade auf die sukzessive Nachbringung neuer Tatsachen hingewiesen werden. Die in der Literatur beliebten Vergleichungen zwischen Beweisbeschlufs und Beweisinterlokut hinken von vornherein insofern, als beide sich in der Stellung innerhalb der prozessualen Sachlage keineswegs entsprechen. Das B e w e i s i n t e r l o k u t schlofs die Behauptungen und Erklärungen der Parteien ab und provozierte die B e w e i s a n t r e t u n g e n , — der B e w e i s b e s c h l u f s setzt die Beweisantretungen voraus und ordnet die „Vorführung", richtiger: die (im Gerichtsbetrieb erfolgende) H e r b e i z i e h u n g der bezeichneten Beweismittel (die B e w e i s a u f n a h m e ) an. Der Beweisbeschlufs ist also (vorbehaltlich jener grundsätzlich beschränkteren Funktion) an die Stelle des B e w e i s m i t t e l p r o d u k t i o n s d e k r e t s getreten.

I I I . Reste gesetzlicher Gliederung des Verfahrens. Nur in sehr vereinzelten Punkten wirkt die gemeinrechtliche Gestaltung noch darin nach, dafs eine feste g e s e t z l i c h e Vorschrift gewisse Verfahrensabschnitte trennt oder zusammendrängt. Selbst da, wo eine solche stattfindet, ist teilweise noch modifizierend das richterliche Ermessen entfesselt. a) Kraft Gesetzes besteht das R e i h e n f o l g e p r i n z i p noch für das Verhältnis der das ganze Verfahren berührenden Prozefsm ä n g e l zu den Streitpunkten, welche die S t r e i t s a c h e berühren. „Prozefshindernde Einreden (Unzuständigkeit usw.) sind — vor der Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache vorzubringen" (§ 274,1) und es ist über sie „besonders zu verhandeln und durch Urteil zu entscheiden, wenn der Beklagte (im Kollegialgerichtsprozefs) die Verhandlung zur Hauptsache verweigert" (§ 275, 1), so dafs dann in einem durch Urteil isolierten Verfahrensabschnitt, wenn auch nicht notwendig in besonderem Termin, über die Prozefsmängel verhandelt und Beweis erhoben wird. Ganz folgerichtig wird der Überlieferung gemäfs für das Verhältnis mehrerer Prozefsmängel auch das E v e n t u a l p r i n z i p aufgestellt, insofern sie bei Gefahr der Nichtberücksichtigung „gleichzeitig —vorzubringen" sind (§ 274) 1 W i r d die Einlassung vom Beklagten nicht verweigert, so k a n n ergänzend durch r i c h t e r l i c h e Verfügung die Reihenfolge angeordnet werden (s. oben S. 636 A . 1). N u r richterliche A n o r d n u n g im Amtsgerichtsprozefs (§ 504, hier gesetzliche Reihenfolgebehandl u n g n u r bezüglich der Unzuständigkeitseinrede und i m llandgerichtlichen) Urkundenprozefs (§ 594). Näheres unten § ION. I n ähnlicher Weise wird auch für solche Prozefsmängel, die nur einzelne Prozefshandlungen betreffen, die Geltendmachung v o r dem E i n t r i t t in die mündliche Verhandl u n g über andere Streitpunkte, insbesondere die Hauptsache innerhalb dei; nächsten mündlichen Verhandlung vorgeschrieben (§ 295, s. unten § 109).

Reste des gesetzlichen Reihenfolge- und Eventualprinzips.

641

b) Innerhalb des Verfahrens zur Prüfung der H a u p t s a c h e selbst wendet das Gesetz die Reihenfolge- und Eventualbehandlung in den schon früher (S. 449) geschilderten Landgerichtsprozessen an, in welchen die Kammer ein „vorbereitendes Verfahren 44 anordnet (§ 277. 348). Dieses Verfahren, das auf Streitsachen mit besonders zahlreichen Streitpunkten berechnet ist, hat sein wesentliches Charakteristikum darin, dafs es das Unmittelbarkeitsprinzip beiseite setzt und statt dessen die Anträge, Behauptungen, Gegenerklärungen, Beweisantretungen der Parteien zu Protokoll eines vermittelnden Richters fixiert (S. 450); erst nach Schlufs der Verhandlung kehrt die Sache zur Anordnung des Beweises an das Kollegium zurück. Was nicht zu Protokoll des beauftragten Richters vorgebracht worden ist, kann nachträglich vor dem Prozefsgericht, insbesondere nach E r h e b u n g der angetretenen Beweismittel; in der Regel nicht nachgeholt werden (§ 354, 2). Hierin aber liegt ausgedrückt, dafs für clas Verhältnis von Parteiverhandlung und Beweisaufnahme in den Fällen des vorbereitenden Verfahrens kraft Gesetzes das R e i h e n f o l g e p r i n z i p gilt, dafs anderseits auch das gesamte Parteivorbringen vom E v e n t u a l p r i n z i p beherrscht wird. Der ganze Prozefs zerfällt in zwei scharf geschiedene Stadien, Verhandlungen (ausschliefslich der Beweisantretungen) und Beweiserhebungen. Jedes Stadium findet nur einmal statt, ähnlich dem System des gemeinen Rechts. Da die Vorschriften des vorbereitenden Verfahrens im Zweifel für alle Prozesse der Konsular- und Kolonialgerichte für anwendbar erklärt sind (S. 233), so ergreift die gesetzliche Gliederung und Zusammendrängung der Prozefshandlungen heute noch immer ein nicht unerhebliches Gebiet der Rechtspflege. c) Eine blofse Singularität ist es, wenn § 767 für die sog. V o l l s t r e c k u n g s g e g e n k l a g e , durch welche der Schuldner gegenüber einem Vollstreckungstitel, besonders Urteil, klagweise das nachträgliche Erlöschen des vollstreckbaren Anspruchs (Zahlung, Aufrechnung, Verjährung usw.) geltend machen kann (unten § 157, 4), anordnet, dafs alle solche „Einwendungen gegen den vollstreckbar erklärten Anspruch'' g l e i c h z e i t i g vorgebracht werden müssen.

§ ioo. Der zeitliche Zusammenhang der prozessualen Handlungen (Termine und Fristen). Schwalbach, Civ. A. 66, 251 (1883). A. S. Schultze, Von den prozessualen Zeitbestimmungen (in Festg. f. Planck, 1887). P l a n c k , Lb. I , 393 (§ 83). W e i s m a n n I , §§ 70. 86 (Wiedereinsetzung). Buder, Die Wiedereinsetzung i n den vor. Stand, 1902.

I . Bedeutung und Arten der prozessualen Zeitbestimmungen. Schon durch die Art der Gruppierung der Prozefshandlungen wird teils für die Gründlichkeit, teils für die Schleunigkeit des Verfahrens Sorge getragen. Jede Prozefsgesetzgebung kommt aber diesen beiden Hauptbedürfnissen der Zivilrechtspfiege auch dadurch R i c h a r d S c h m i d t , Lehrbuch des Zivilprozel'srechts.

2. Aufl.

41

642

I V . Rechtsstreit.

§ 100. Termine und Fristen.

entgegen, dafs sie die Handlungen desselben Verfahrens oder mehrerer zusammenhängender Verfahrensabschnitte (der untern und obern Instanz) in einen bestimmten z e i t l i c h en Zusammenhang zu bringen sucht, sie im Interesse der Gründlichkeit zeitlich zu t r e n n e n oder im Interesse der Schleunigkeit zeitlich zus a m m e n z u d r ä n g e n strebt. Demgemäfs kann: a) das Prozefsrecht die Zeitbestimmung zunächst zu dem Zwecke verwenden, um im Interesse der gründlichen und gerechten Wahrnehmung aller Interessen eine zu schnelle Aufeinanderfolge der Prozefshandlungen zu verhindern. Es strebt zu diesem Zwecke durch die Zeitbestimmung den Erfolg der Trennung an und fordert, dafs die Partei eine bestimmte Handlung so frühzeitig vorzunehmen hat, dafs der Gegner bis zur Vornahme der seinigen eine Vorbereitungszeit von bestimmter Länge gewinnt. Solche von der Partei dem Gegner zu gewährende Vorbereitungszeit ist die V o r b e r e i t u n g s - oder Z w i s c h e n f r i s t . Sie ist die M i n i m a l d a u e r der Zeit, die zwischen der Tätigkeit der einen und der der andern Partei (z. B. zwischen der Zustellung der Klagschrift des Klägers und dem Termin für die mündliche Verhandlung und das Erscheinen des Beklagten) offen bleiben mufs, — ein von einem Ereignis an laufender Zeitraum, dessen Endpunkt der terminus a quo für die erwartete Handlung bildet, d. h. der Punkt, an dem die Handlung (z. B. das Erscheinen) f r ü h e s t e n s erwartet werden k a n n . b) Das Prozefsrecht verwertet aber die Zeitbestimmung auch zu dem Zwecke, um im Interesse der Beschleunigung eine Konzentration der Prozefstätigkeiten zu erzwingen. Dementsprechend kann es für eine Handlung der Partei eine Zeit festsetzen mit der Wirkung, dafs die Nichtvornahme (Versäumung) der erwarteten Handlung innerhalb dieses Zeitraums der Partei prozessuale Nachteile, vor allem den Ausschlufs (die Präklusion) der Handlung (o. S. 350) zuzieht, und zwar jenachdem es auf die verschiedenen Formen des Parteihandelns ankommt, in verschiedener Weise. 1. Wird ein a u f s e r g e r i e h t l i c h e s Handeln der Partei gegenüber dem Gegner, einem Dritten oder dem Gericht erwartet, so erfolgt die Festsetzung der Zeit ebenfalls durch Anberaumung einer Frist, nur (zum Unterschied von a) einer H a n d l u n g s oder Ausschlufs fr ist, 2. Wird ein Handeln der Partei vor G e r i c h t in Aussicht genommen, so bezeichnet man clie Zeitbestimmung als Anberaumung eines T e r m i n s . Ihrem Wesen nach haben Handlungsfrist unci Termin die gleiche Bedeutung. Sie sind beide M a x i m a l d a u e r der Zeit, die einer Partei von irgend einem Ereignis (von einer andern Prozefshandlung ab, von der Eröffnung des Termins an) zur Vornahme ihrer Handlung offen bleiben mufs, — ein von solchem Ereignis an laufender Zeitraum, dessen Endpunkt der terminus

Zeitliche Trennung und zeitliche Zusammendrängung der Proz.Handl. (343

ad quem für die erwartete Handlung bildet, d. h. der Punkt, an welchem sie s p ä t e s t e n s vorgenommen werden m u f s 1 . Die Z.P.O. verwendet Zwischenfristen, Handlungsfristen und Termine. Hierbei behandelt sie Termine und Fristen verschieden nach Mafsgabe der oben genannten Unterscheidung. Sie unterscheidet zwischen ihnen nicht nach Art der Zeitbestimmung, etwa so, dafs als Termin eine vorübergehende Zeit (ein Z e i t p u n k t ) , als Frist eine länger dauernde Zeit (ein Zeitraum) betrachtet würde ; denn diese quantitativen Verschiedenheiten gehen ineinander über: wie der Termin, der auf einen einzelnen Kalendertag festgesetzt wird, so gibt es auch Fristen von nur 24 Stunden (§ 604, 2). Vielmehr bildet das trennende Moment für die Anwendung der Normen über Frist oder über Termin der Umstand, ob die Zeitbestimmung für das A l l e i n h a n d e l n der Parteien oder für das g e m e i n same Handeln von Parteien u n d G e r i c h t getroffen ist 2 . Dagegen ist in der Z.P.O. eine schärfere Sonderung des viel wichtigeren Gegensatzes von Z w i s c h e n - und H a n d l u n g s f r i s t e n zu vermissen. Das Gesetz stellt nur allgemeine Vorschriften über Fristen überhaupt auf (§ 198 ff.) und es bleibt bei jeder einzelnen zu prüfen, ob sie auf beide Arten oder nur auf die eine (besonders auf Handlungsfristen) anwendbar ist 3 . Jedenfalls unanwendbar sind die Vorschriften der Z.P.O. über Fristen auf diejenigen Zeitbestimmungen, die für Handlungen der Gerichtspersonen festgesetzt sind (Bestimmung der Termine binnen 24 Stunden durch den Vorsitzenden, § 216, 2. Verkündung des Urteils binnen einer Woche nach Schlufs der Verhandlung, § 310. Redaktion des Urteils vor Ablauf einer Woche nach der Verkündung, § 315, 2. Einforderung der Akten erster Instanz durch den Gerichtsschreiber der zweiten Instanz binnen 24 Stunden nach Einreichung der Berufungsschrift § 544 usw.). Man bezeichnet sie als u n e i g e n t I i che Fristen im Gegensatz zu den n u r der Partei gesetzten, eigentlichen Fristen. Verletzung derselben kann nur disziplinare Nachteile für den Beamten haben, wie seine Versäumnis überhaupt (vgl. oben S. 349 ff.).

ι Ein gut ausgebildetes System von Ausschlufsfristen ist die feinere Form der zeitlichen Zusammendrängung der Prozefshandlungen. Die primitivere ist die gesetzliche Festsetzung eines Zeitraums, innerhalb dessen das ganze anhängig gemachte Verfahren beendigt (insbesondere das U r t e i l gesprochen) sein mufs bei Gefahr des Erlöschens des Prozesses und der U n w i r k s a m k e i t der vorgenommenen Prozefshandlungen (Prinzip der Prozefs Verjährung). Dies ist das System des römischen Formularprozesses, in welchem die judicia légitima (zwischen Bürgern i m Stadtweichbild) binnen einer 18 monatigen Frist, die judicia imperio continentia m i t der Amtsdauer des instruierenden Magistrats erloschen (Gai. I V §§ 104, 10^. Hierzu grofse Lit., eingel. durch K e l l e r , Über Litiskontestation und U r t e i l , §§ 15, 16). Die Prozefsverjâhrunç wurde aber schon vom Kaiserrecht nicht aufgenommen (über die Ausl. der 1. 3 C. de jud. 3, 1 i n W e t z e l l § 71 n. 2 S. 965) und blieb dem gemeinen ital. u. deutschen Z.Pr. unbekannt. 38 Ob vor Gericht ein H a n d e l n b e i d e r Parteien oder nur e i n e r Partei erwartet w i r d , gilt an sich für die Termine gleich. Doch w i r d in sämtlichen zivilprozessualen Terminen nach der Z.P.O. ein z w e i s e i t i g e s H a n d e l n der Parteien erwartet. Der für das einseitige H a n d e l n des Antragstellers gesetzte Aufgebotstermin (§ 947 ff.) ist k e i n Prozefstermm (s. oben S. 169). Den Verhandlungstermin des vorbereitenden Verfahrens (oben S. 450. 561) nennt S c h u l t z e ganz m i t Unrecht einen T e r m i n für einseitiges Parteihandeln. H i e r w i r d Handeln beider erwartet u n d das Nichthandeln m i t Nachteilen bedroht, wenn sie auch verzögert eintreten (§ 351). 3 Die ungenügende Betonung dieses Hauptgegensatzes ist auch die Schwäche der Abh. v. S c h u l t z e (s. oben). A u c h er denkt nur an Handlungsfristen unter Überschätzung der terminologischen Bedeutung des Wortes Frist ( = Aufschub, Anstand). Dagegen S t e i n , Z. 12, 411.

41 *

644

IV. Rechtsstreit.

§ 10.

e r e u n e n .

I I . Die Termine. Die Termine, d. h. die Zeiträume, innerhalb deren die Parteien die Möglichkeit haben, vor Gericht zu handeln (auch eine Entscheidung vom Gericht entgegenzunehmen), werden stets vom Gericht bestimmt bezw. von dessen Organen, dem Vorsitzenden (§ 216, 1) oder dem ersuchten oder beauftragten Richter (§ 368. 361) l . Gesetzliche Termine gibt es nicht. Die terminbestimmende Entscheidung kann äufserlich als unselbständiger Teil einer Parteischrift auftreten, die zu diesem Zwecke bei Gericht eingereicht wird (einer Ladungsschrift, Klagschrift, Rechtsmittelschrift, Einspruchsschrift (§ 214, 2. 216, 2; vgl. oben 611 A. 1) oder als Bestandteil einer anderen richterlichen Entscheidung (des Beweisbeschlusses § 361, 1. 355, oben S. 639). Sie kann aber auch eine selbständige Entscheidung bilden, so wenn die Beweisaufnahme von einem beauftragten oder ersuchten Richter vorgenommen werden soll und im Beweisbeschlusse die Terminsbestimmung unterblieben ist (§ 361, 2). Vor allem ist sie das, wenn innerhalb der Verhandlung an Stelle des ursprünglich angesetzten Termins ein anderer festgesetzt wird (§ 228), sei es durch V e r l e g u n g (d. h. v o r Eröffnung der Verhandlung im ursprünglichen Termin) oder durch V e r t a g u n g (d. h. nach Aufruf der Sache durch Verschiebung der eigentlichen Sachverhandlung) oder durch Anberaumung eines Termins zur Fortsetzung der Verh a n d l u n g (d. h. nach Beginn der Verhandlung unt^r nachträglichem Abbruch derselben). Auf die Natur der Terminsbestimmung haben diese Formunterschiede selbstverständlich keinen Einflufs; sie ist also nicht nur in den letzteren Fällen, sondern stets prozefsleitende Entscheidung, d. h. Prüfung und Normierung der zur Verhandlung geeigneten Zeit. Nur ist damit nicht gesagt, dafs mit ihr auch eine Prüfung des zur Terminsbestimmung eingereichten Schriftstücks, z. B. der Klagschrift auf ihre gesetzlichen Erfordernisse (§ 253, oben S. 390), verbunden ist 2 . Dagegen ist Anfangs- und Endpunkt des Termins innerhalb des bestimmten Kalendertags ein für allemal vom Gesetz geregelt. Bei dieser Definition ist zu beachten : a) Termin für das H a n d e l n Dritter gibt es nicht. Der zum T e r m i n geladene event, zwangsweise zu i h m beigezogene (§ 880) Zeuge usw. ist auch hier nur Objekt der gerichtlichen T ä t i g k e i t , wie bei der Augenscheinseinnahme das zu besichtigende Grundstück. (Anders natürlich auch hier, wenn der Zeuge usw. als Interessent prozessuale Erfolçe erreichen w i l l , — vgl. oben S. 316, 505). I n erster Linie ist der Beweisaufnahmetermin T e r m i n für die Partei (§ 357). E r ist nicht nur dazu d a , dais sie ihm „ b e i w o h n t " , sondern auch dafs sie in i h m h a n d e l t (§ 397 usw.). b) T e r m i n e , deren Nichtbenutzung für die Parteien n i c h t m i t Nachteilen bedroht sind, gibt es nicht. Eine vom Gesetz bezeichnete Z e i t , in der die Parteien eine Tätigk e i t vornehmen können, w e n n s i e w o l l e n (die „ordentlichen Gerichtstage", an denen sie „ohne Ladung und Terminsbestimmung" zur Verhandlung erscheinen können) ist kein Termin (§ 500). 8 Dies k a n n jedoch, wie sich aus den Ausf. des Textes ergibt, nicht schon deswegen verneint werden, w e i l die Terminsanberaumung selbst keine Entscheidung sei ( W a c h , Vortr. 2. A . S. 29 Anm.). Vielmehr liegt, eine solche Prüfung deshalb nicht i m Sinne des Gesetzes, w e i l durch sie die Entscheidung der einschlagenden, oft schwierigen Rechtsfragen (7. B. was zur Behauptung des „Klaggrunds gehört, o. S. 391) dem V o r s i t z e n d e n i m s c h r i f t l i c h e n Verfahren übertragen w ü r d e , während sie nach der Absicht des Gesetzes vom ganzen K o l l e g i u m und auf Grund m ü n d l i c h e r V e r h a n d l u n g erfolgen soll. (Vgl. G a u p p - S t e i n zu § 216. E c c i u s , Stellung des Richters bei der Terminbest., Gruch. Beitr. 29, 1 (1885). S ch u l t z e n s t e i η , Ζ. 23, 92 (1897). S i n t e n i s , Ζ. 3υ, bbl.

Bestimmung der Termine. Verlegung, Vertagung, Neuanberaumung. 645

Der Termin beginnt mit dem Aufruf der Sache (§ 220) und endet mit dem Schlüsse der Verhandlung (§ 136, 4). Verhandelt die Partei bis zu diesem Zeitpunkt nicht, so ist er versäumt (§ 220, 2) und die erwarteten Prozefshandlungen sind ausgeschlossen (§ 230; o. S. 351). Zu dieser Folge kommt es jedoch nicht, wenn der Termin durch gerichtliche Entscheidung verlegt oder vertagt oder zur Fortsetzung der Verhandlung anberaumt wird (vgl. oben), ebenso dann nicht, wenn er a u f g e h o b e n wird, d. h. wenn die Parteien vor Beginn oder während des Termins v e r e i n b a r e n , ihn nicht einzuhalten (§ 227). Die A u f h e b u n g eines Termins (die Umgehung oder den Abbruch eines solchen) können die Parteien frei vereinbaren (§ 227, 1). Ebenso können sie die V e r l e g u n g eines Termins (durch Gerichtsbeschlufs v o r Eintritt in die Verhandlung) entsprechend wie die Verlängerung einer Frist ohne weiteres beantragen (§ 227, 2. 224), mit der Wirkung, dafs das Gericht dem Antrag Folge geben mufs. Für den Antrag auf Ve r t a g u n g oder (was praktisch dasselbe) auf Anberaumung eines Termins zur Fortsetzung der Verhandlung ist dies n i c h t ausgesprochen. Folglich ist: a) ein Mifsbrauch der V e r t a g u n g (und Fortsetzung der Verhandlung) nicht zu befürchten. Gegen ihn ist dadurch vorgesorgt, dafs das Gericht über die Vertagung verantwortliche Prüfung besitzt, sei es, dafs es sie von Amts wegen beschliefst oder auf Antrag der Parteien. (Nur vereinzelt kann die Partei eine Vertagung unbedingt verlangen, — im Fall der Versäumnis des Gegners, § 335 oben S. 563). Macht die Partei oder ihr Vertreter schuldhaft eine Vertagung oder Neuanberaumung n o t w e n d i g (durch ungenügende Information über die Behauptungen des Gegners, dessen Urkunden, — durch nicht rechtzeitige Zustellung von vorbereitenden Schriftsätzen), so kann das Gericht mindestens durch strafweise Verfügung einer besonderen (an sich nach dem Kostengesetz nicht zu erhebenden) Gebühr für die verursachte weitere Verhandlung nach § 48 G.K.G. gegen diese Unterlassung Zwang üben. Dagegen: b) ist das Gericht gegen zweiseitige Aufhebung oder gegen Vereinbarung der V e r l e g u n g der Termine machtlos, selbst wenn sie mifsbräuchlich ist. Das Gericht mufs sie geschehen lassen, darf die Erheblichkeit der Gründe nicht prüfen; — auch die Strafgebühr darf es (obwohl dies zweifelhaft) nicht verhängen. In der Tat wirkt dies gegenwärtig als starker Übelstand, da oft zu Anfang des Prozesses die Anwälte beliebig einige Male den Termin hinausschieben, den Eintritt in die mafsgebende Verhandlung zum Schaden der Parteien verzögern und die Vorbereitung des Gerichts auf dieselbe angesichts der Ungewifsheit des Zustandekommens des Termins erschweren 1 . Es ist deshalb zu fordern, dafs auch hier wie gegenüber dem Vertagungsantrag dem Gericht die Prüfung der Erheblichkeit der Gründe nach seinem Ermessen und die Kostenstrafe übertragen werde 2 , um so mehr als der Unterschied zwischen Verlegung und Vertagung ein rein formaler ist. Zurzeit ist auf a l l e Fälle des V e r s c h u l d e n s einer Terminsverschiebung (Verlegung, Vertagung, Anberaumung z>\r Fortsetzung der Ver1 Vgl. über das sog. Vertagungsunwesen oder die Gefahr der Terminsvereitelung (bes. in ihrem Einliufs auf das Anfangsstadium des Z.P.), o. S. 403. 8 Weitergehend sucht österr. Z.P.O. (o. S. 403) sogar eine g e s e t z l i c h e Festlegung der Vorbedingungen für Vertagung und Verlegung. Nach § 134 soll verlegt (.erstreckt") werden nur wegen unübersteiglicnen oder sehr erheblichen Hindernisses und unersetzlichen Schadens , wegen Behinderung des Gerichts, Unausführbarkeit der Beweisaufnahme oder sonstiger Untunlichkeit des Abschlusses der Verhandlung. W e r sich trotz Ablehnung der Erstreckung der Tagsatzung weigert zu verhandeln, gilt als säumig (§ 136). Aufserdem Kostenstrafe (§ 142). Dafs diese Bestimmungen gut durchführbar seien, w i r d behauptet. Vgl. dazu P o l l a k , Österr. Z.P.R. §§ 87. 89. — Über das f r a n z ö s i s c h e „Rollensystem" und seine Schwächen vgl. o. S 403 und W e i s m a n n I , 263.

()4G

IV. Rechtsstreit.

§ 100. Termine und Fristen.

handlung) ebenso wie auf die V e r s ä u m u n g eines solchen nur § 95 Z.P.O. anwendbar, wonach die dadurch verursachten Kosten von der schuldigen Partei zutragen sind. Dieselbe hat aber wesentlich nur für die V e r s ä u m n i s des Termins Bedeutung (o. S. 564), da bei Verschiebung des Termins an sich nach dem Pauschsystem der Kostengesetze (unten Anhang) keine neuen Gebühren erwachsen, also (abgesehen von Schreibgebühren für Zustellungen usw.). der § 48 des G.K.G. h i n z u t r e t e n mufs, um das Erwachsen einer weiteren Gebühr zu bewirken.

I I I . Die Fristen. Die Fristen, d. h. die für das a u f s e r g e r i c h t l i c h e Handeln der Parteien gesetzten Zeitbestimmungen, lassen sich in ihrer rechtlichen Bedeutung nicht allgemein kennzeichnen. Sie sind entweder Trennungsmafsregeln (als Vorbereitungs-, Zwischenfristen); oder Beschleunigungsmafsregeln (als Handlungs-, Ausschlufsfristen). a) Die Z w i s c h e n f r i s t e n gewinnen nach Z.P.O. nur Bedeutung als Ladungsfristen im weiteren Sinne, d. h. als Zeiträume, welche von einem anzuberaumenden Termin (II) z u r ü c k z u r e c h n e n sind, um den Zeitpunkt der L a d u n g zu diesem Termin fixieren zu können. Die Offenhaltung der Frist nach der Ladung bis zum Termin ist Bedingung für die Rechtzeitigkeit und darum für die Wirksamkeit der Ladung (vgl. besonders § 335, Nr. 2). Im einzelnen verkörpert sich die Zwischenfrist: 1. in der E i n l a s s u n g s f r i s t , d. h. der Frist, die zwischen der Zustellung der Klageschrift, Berufungs-, Revisionsschrift, die die Ladung zum e r s t e n Verhandlungstermin cler I n s t a n z enthält (§ 253, 2 u. 3) und dem Termin selbst offenzuhalten ist (§ 262, 520. 555); 2. in der L a d u n g s f r i s t im engeren Sinne, d.h. der Frist, die zwischen der Zustellung eines Schriftsatzes mit einer Ladung zum Termin i m L a u f e des Prozesses (o. § 95) und dem Termin zu wahren ist, die also in einer „ a n h ä n g i g e n Sache zwischen der Zustellung der Ladung und dem Terminstage liegen soll" (§ 217). Die Fristen für Zustellung vorbereitender Schriftsätze vor dem Termin (§ 132) sind nicht obligatorisch (o. S. 450). b) Die H a n d l u n g s - , A u s s c h l u f s f r i s t e n dagegen werden zur zeitlichen Fixierung der verschiedenartigsten Prozefshandlungen verwertet, der Einsichtnahme von Urkunden des Gegners (§ 134), der Beibringung von Urkunden (§ 428), der Einlegung von Rechtsmitteln (§ 516) usw. und zwar stets mit der Wirkung, dafs nach Ablauf der Frist die erwartete Handlung ausgeschlossen ist oder doch ausgeschlossen werden kann. Sie sind stets p e r e m t o r i s c h oder p r ä k l u s i v i s c h 1 . 1 N u r eine äufserliche Verschiedenheit der Behandlung ist es hiernach, ob der Ausschlufs, die peremtorische W i r k u n g , ohne weiteres kraft Gesetzes e i n t r i t t oder ob auf i h n das V e r h a l t e n d e s G e g n e r s o d e r d e s G e r i c h t s einen Einflufs übt und dadurch den E n d p u n k t der Frist zu einem beweglichen macht. Letzteres ist dadurch möglich, dafs der fristversäumenden Partei die Nachholung der H a n d l u n g bis zur nächsten Prozefshandlung des Gegners oder Gerichts gestattet w i r d , dafs also erst das neue Handeln der letzteren den Ausschlufs ständig bewirkt, so z. B. nach § 692 in Verbindung m i t S t»94 (Nachholung des Widerspruchs gegen den Zahlungsbefehl bis zum Erlafs des Voll-

Zwischenfristen und Ausschlufsfristen.

647

Grundsätzlich richtet Z.P.O. die Behandlung der Fristen n i c h t nach dem Gegensatze der Zwischenfristen und Handlungsfristen ein. Sie behandelt vielmehr a l l e Fristen verschieden, jenachdem sie g e s e t z l i c h e oder r i c h t e r l i c h e Fristen, d. h. jenachdem ihre Dauer allgemein durch gesetzliche Vorschrift oder im einzelnen Fall durch richterliche prozefsleitende Entscheidung bestimmt wird, nur dafs aufserdem zum Teil auch noch für gewisse speziell bedeutsame Fristen besondere Normen aufgestellt werden. Aufserdem wird aus den gesetzlichen Fristen noch eine Gruppe unter dem Namen der N o t f r i s t e n (dilatio fatalis) besonders hervorgehoben, — übrigens ohne anderes Kennzeichen, als dafs sie im Gesetz „als solche bezeichnet werden" (§ 223,3); dieselben umfassen die Fristen für Einlegung der Rechtsmittel (Berufung, Revision, Beschwerde, § 477. 514. 540), des Einspruchs (§ 339), der gegen rechtskräftige Urteile gewährten Nichtigkeits- und Restitutionsklage (§ 549), der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (s. unten S. 648; — § 234, 2), endlich neuerdings nach Novelle (Z.P.O. I I § 466), die Notfrist für den Antrag auf nachträgliche Abnahme eines versäumten Parteieids. Sie betragen regelmäfsig einen Monat (mit Ausnahme der zweiwöchigen Einspruchs- und Wiedereinsetzungsfrist) 2. Die praktische Bedeutung der Unterscheidung von richterlichen und gesetzlichen und innerhalb der letzteren wiederum von Notfristen und Nicht-Notfristen tritt an der Möglichkeit der Verlängerung und Verkürzung der Fristen hervor: a) Die gesetzlichen und richterlichen Fristen, — also alle Fristen mit Ausnahme der Notfristen können durch Vereinbarung der P a r t e i verlängert oder abgekürzt werden (§ 224,1). Aufserdem aber können: 1. die richterlichen und die speziell bezeichneten gesetzlichen Fristen auch auf einseitigen Antrag durch gerichtliche Entscheidung abgekürzt oder verlängert werden, wenn erhebliche Gründe glaubhaft gemacht sind, und zwar so, dafs die neue Frist von dem Ablauf der vorigen Frist an berechnet wird, wenn nicht im einzelnen Falle ein anderes bestimmt ist (§ 224, 2. 3). Über das Abkürzungs- oder Verlängerungsgesuch kann ohne vorgängige mündliche Verhandlung (also in sog. fakultativer mündlicher Ktreckungsbefehls), § 113 (Nachholung der Sicherheitsleistung des Ausländers bis zur Zurücknahmeerklärung der K l a g e ) , $ 3>G (Nachholung der durch ein Hindernis von ungewisser Dauer gehemmten Beweisaufnahme, auch nach der gesetzlichen F r i s t , w e n n dadurch das Verfahren nicht verzögert wird), § 334 (Nachbringung der U r k u n d e über eine ausländische Beweisaufnahmehandlung nach der F r i s t , wenn das Verfahren dadurch nicht verzögert wird. A u c h diese Fristen sind präklusivisch — w e n n auch nur i n Verbindung mit weiteren Umständen, nämlich m i t dem E i n t r i t t der nächstfolgenden Prozefshandlung. 1 Aufserdem aufserhalb des eigentlichen Zivilprozesses die Fristen für Erhebung «1er Anfechtungsklage gegen das Ausschlufsurteil i m Aufgebotsverfahren, § 958, und der A u f hebungsklage gegen den Schiedsspruch, § 1044. a N u r wenn die Zustellung des Einspruchs i m Ausland oder durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen soll, hat das G e r i c h t die Einspruchsfrist i m Versäumnisurteil oder nachträglich durch besonderen Beschlufs (eventuell ohne vorgängige mündliche V e r handlung) zu bestimmen (§ 3S9, 2).

648

IV. Rechtsstreit.

§ 100. Termine und Fristen.

Verhandlung, oben S. 453) entschieden werden. Abkürzung oder wiederholte Verlängerung darf aber jedenfalls erst nach (schriftlichem oder mündlichem) Gehör des Gegners bewilligt werden. Die Ablehnung des Gesuchs ist unanfechtbar (§ 225). 2. Die n i c h t b e z e i c h n e t e n g e s e t z l i c h e n Fristen sind auf e i n s e i t i g e Parteiinitiative weder abkürzbar noch prolongierbar (argo § 224, 2). b) Die speziell als N o t f r i s t e n bezeichneten gesetzlichen Fristen sind w e d e r durch zweiseitiges Rechtsgeschäft der Parteien, noch, da keine von ihnen zu den speziell bezeichneten (o. Nr. 1) gehört, auf einseitigen Antrag durch gerichtliches Dekret abzukürzen oder zu verlängern. Als Gegengewicht ist jedoch eine Remedur gegen ihre Versäumung n a c h t r ä g l i c h , wenn auch n u r a u s n a h m s w e i s e , statthaft, nämlich durch W i e d e r e i n s e t z u n g der v e r s ä u m e n d e n P a r t e i i n den v o r i g e n Stand. Die Partei kann dieselbe beantragen, falls sie durch N a t u r e r e i g n i s s e oder andere u n a b w e n d b a r e Z u f ä l l e an Einhaltung der Frist verhindert worden ist (§ 233) x , — bei Versäumung der Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil auch dann, wenn die Partei von der Zustellung des \7ersäumnisurteils ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat (§ 233, 2). Die Erteilung der Wiedereinsetzung bedeutet praktisch die Ermächtigung zur N a c h h o l u n g der versäumten Prozefshandlung (derRechtsmitteleinlegung usw.). Die Nachholung ist dann sofort spätestens m i t dem A n t r a g a u f W i e d e r e i n s e t z u n g zu v e r b i n d e n , so dafs sie zunächst s u s p e n s i v b e d i n g t vorgenommen wird und mit der nachträglichen gerichtlichen Bewilligung der Wiedereinsetzung endgültig wirksam wird 2 . Das V e r f a h r e n der Wiedereinsetzung beginnt mit dem A n t r a g auf Wiedereinsetzung innerhalb einer zweiwöchigen auch durch Vereinbarung nicht verlängerbaren (Not-)Frist, von dem Tage an gerechnet, an welchem das Hindernis gehoben ist, im Fall des § 233, 2, also von dem Tage, wo der Säumige von der ihm unbekannt gebliebenen Zustellung des Versäumnisurteils nachträglich erfahren hat (§ 234, 1. 2). Der Antrag ist aber n i e m a l s 1 Begriff des „unabwendbaren Zufalls", R.G. ver. Ziv.Sen. 1901, 48, 409. Vgl. dazu W e i s m a n n S. 348. 2 Der gleiche Rechtserfolg k a n n aufserdem auch dann erzielt werden, wenn keine höhere G e w a l t , sondern ein Zustellungsbeamter (Gerichtsschreiber, Gerichtsvollzieher, Postbote) die Versäumung einer Notfrist verursacht hat, während die Partei durch rechtzeitige und korrekte Übergabe des zur W a h r u n g der Frist zuzustellenden Schriftstücks (der Berufungs-, Einspruchsschrift) alles getan h a t t e , u m die Frist zu wahren. Es w i r d deshalb die Wiedereinsetzung auch dann e r t e i l t , wenn das Schriftstück spätestens am d r i t t e n Tage vor Ablauf der F r i s t dem Gerichtsvollzieher oder Gerichtsschreiber zum Z w e c k der Zustellung übergeben worden ist (so dafs den Zustellungsbehörden noch zwei volle Tage zur B e w i r t u n g der Zustellung offen blieben, § 235, 1). Ebenso dann, wenn die Frist deswegen versäumt wird, w e i l das angefochtene U r t e i l den Prozefsbevollmächtigten des Gegners u n r i c h t i g bezeichnete (§ 235, 2). Dagegen ist das Verschulden eines Parteiv e r t r e t e r s grundsätzlich n i e Wiedereinsetzungsçrund (% 232, 2). Ä h n l i c h der Gedanke des § 207, 1, wonach bei Zustellung mittels Ersuchens anderer Behörden oder Beamten oder mittels öffentlicher Bekanntmachung die (wirklich erfolgte) Zustellung hinsichtlich der W a h r u n g einer Frist (nicht nur der Notfrist) oder der Unterbrechung des Laufs einer V e r j ä h r u n g oder Frist auf den Zeitpunkt der Überreichung des Gesuchs u m Zustellung zurückdatiert wird.

Notfristen.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

649

s p ä t e r m ö g l i c h als bis zum A b l a u f eines J a h r e s vom Ende der versäumten Notfrist (Rechtsmittelfrist usw.), für welche die Wiedereinsetzung begehrt wird. Im Fall § 235,1 (S. 648 Anm. 2) mufs er innerhalb einmonatiger Frist nach Ablauf der Notfrist gestellt werden (Abs. 3). Der Antrag wird durch Zustellung eines Schriftsatzes gestellt (§ 236). der die Angabe des Wiedereinsetzungsgrundes (des hindernden Naturereignisses) und der Beweismittel zur Glaubhaftmachung desselben, sowie (s. oben) die Nachholung der versäumten Prozefshandlung enthalten mufs (§ 236 Nr. 1—3). Da die sofortige Beschwerde nicht durch Zustellung, sondern durch Einreichung eingelegt wird, so erfolgt auch ihre Nachholung in dieser Form (§ 236, 2) 1 . Welches Gericht über den Antrag zu entscheiden hat (im sog. judicium rescindens), richtet sich danach, welches Gericht über die versäumte und nachgeholte Prozefshandlung (judicium rescissorium) zu entscheiden hat (§ 237, 1). Auch das Verfahren ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Handlung (dem Berufungs-, Einspruchsverfahren usw.) zu verbinden, doch ist eventuell zunächst die Verhandlung auf die Wiedereinsetzung zu beschränken (§ 238, 1). Es folgt den Grundsätzen, welche für die Entscheidung über die nachgeholte Handlung gelten. Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind (§ 238, 2).

Nach der doppelten Unterscheidung, in der das Gesetz die Fristen behandelt, sollte man erwarten, dafs sich der Gegensatz der Handlungs- und Zwischenfristen mit dem Gegensatz von richterlichen, gesetzlichen und Notfristen durchkreuzt. In Wahrheit vereinfacht sich jedoch das Verhältnis dadurch, dafs die letztere Unterscheidung für die Ζ w i s c h e η fristen überhaupt keine Bedeutung hat. Die speziell benannten Fälle der Notfristen sind sämtlich H a n d l u n g s - u n d A u s c h l u f s f r i s ten. Die Unterscheidung zwischen richterlichen und gesetzlichen Fristen hat nach dem obigen (S. 647) die praktische Bedeutung, dafs die richterlichen Pflichten s t e t s , die gesetzlichen nur in den von Z.P.O. bezeichneten Fällen durch richterlichen Prozefsleitungsakt verlängert oder abgekürzt werden können (§ 224) Nun ist aber für „Einlassungsfristen, Ladungsfristen, sowie diejenigen Fristen, welche für die Zustellung vorbereitender Schriftsätze bestimmt sind", also für alle Zwischenfristen (s. oben S. 646), ohnehin die Abkürzung auf (einseitigen) Antrag durch spezielle gesetzliche Bestimmung gestattet (§ 226, Abs. 1). Eine Verlängerung derselben durch Richterakt ist aber ebenfalls möglich, denn das Mittel einer solchen ist die Verlegung des Termins, der den Endpunkt der Zwischenfrist bildet, und hierzu hat nach § 226, 3 das Gericht stets die Macht (s. oben S. 645). Eine weitere praktische Bedeutung 1 W i r d W.Eins, wegen Verschuldens eines Zustellungsbeamten begehrt (§ 235, 1; o. S. 648 A. 1), so k a n n der A n t r a g auf W . E i n s , auch m ü n d l i c h i n der V e r h a n d l u n g gestellt werden, falls die Ladung zum T e r m i n binnen einem Monat nach Ablauf der versäumten Notfrist (§ 235, 3) erfolgt ist (§ 236, 3).

650

IV· Rechtsstreit.

§ 100. Termine und Fristen.

wird der Unterscheidung von richterlichen und gesetzlichen Fristen durch § 221 verliehen, wonach der Lauf einer richterlichen Frist, sofern nicht bei der Festsetzung ein anderes bestimmt wird, mit der Z u s t e l l u n g des fristsetzenden schriftlich fixierten Dekrets, eventuell mit der V e r k ü n d u n g des fristsetzenden Dekrets beginnt. Diese Bestimmung hat aber der Natur der Sache nach n u r für Handlungsfristen Bedeutung. An die Z w i s c h e n f r i s t e η ist also bei der Unterscheidung von richterlichen, gesetzlichen und Notfristen von Z.P.O. gar nicht gedacht worden 1. Für die B e r e c h n u n g d e r F r i s t e n gelten (seit Nov.) die Vorschriften des B.G.B. (C.P.O. § 222 und B.G.B. § 186, wonach auch für die „in Gesetzen und gerichtlichen Verfügungen" enthaltenen Frist- und Terminsbestimmungen die Auslegungsvorschriften der §§ 187—193 gelten). Vervollständigend kommen noch gewisse Vorschriften der Z.P.O. zur Anwendung. a) Wenn für den A n f a n g einer sich nach Tagen bestimmenden Frist ein E r e i g n i s oder ein in den L a u f eines Tages fallender Zeitpunkt mafsgebend ist, so wird bei der Berechnung der Frist der Tag des Ereignisses oder des Zeitpunkts nicht mitgerechnet (B.G.B. § 187)2. Nur wenn für den Anfang der Frist der B e g i n n eines Tages mafsgebend ist, wird dieser Tag mitgerechnet 3 ; letzteres soll unter Ausnahme von Abs. 1 auch geschehen, wenn das eröffnende Ereignis die G e b u r t ist und das Lebensalter berechnet werden soll 4 . b) Hinsichtlich des E n d p u n k t s einer Frist bestimmt § 188 Abs. 1, dafs eine nach T a g e n bestimmte Frist mit dem A b l a u f des letzten Tages der Frist endigt. § 188, 2 regelt sodann an Stelle von § 200, 1, aber unter Abänderung desselben, die W T o c h e n - u n d M o n a t s f r i s t e n . Eine Frist, die nach Wochen, nach Monaten oder nach einem Zeitraum von mehreren Monaten (Jahr, Halb-, Vierteljahr) bestimmt ist, endigt, wenn die Frist durch ein E r e i g n i s oder einen Zeitpunkt im L a u f eines Tages eröffnet wird (§ 187 Abs. 1, vgl. o. lit. a) mit dem Ablauf des e n t s p r e c h e n d e n Wochenoder Monatstages (ζ. B. am Donnerstag der letzten Woche, am 15. des letzten Monats); — wenn die Frist durch den B e g i n n eines Tages eröffnet wurde (§ 187, 2), so endigt sie mit dem Ablauf des dem entsprechenden Tag v o r h e r g e h e n d e n Tags der letzten Woche oder des letzten Monats (am Mittwoch, am 14. usw.). Fehlt bei einer nach Monaten bestimmten Frist im letzten Monat der für ihren Ablauf mafsgebende Tag (d. h. das entsprechende oder das vorhergehende Datum), so endigt die Frist mit dem Ablauf des letzten Tages dieses Monats (§ 188, 2). Neben diesen Vorschriften des B.G.B, bleibt aber noch § 222 Abs. 2 Z.P.O. in Geltung, wonach die Frist, deren « Ende auf einen Sonntag oder allgemeinen Feiertag fällt, mit Ablauf des nächstfolgenden Werktags endigt. Bei der Berechnung einer Frist, die nach Stunden berechnet wird (ζ. B. (1er Einlassungsfrist im Wechselprozefs bei 1 Hieraus ergibt sich gleichzeitig die Unerheblichkeit einer anderen Streitfrage. Es w i r d behauptet, die Unterscheidung zwischen gesetzlichen und richterlichen Fristen beruhe nicht darauf, ob die D a u e r aer Frist allgemein gesetzlich oder im einzelnen F a l l richterlich bestimmt werde, — sondern vielmehr darauf, ob der A n f a n g s p u n k t gesetzlich oder richterlich bestimmt, m i t anderen W o r t e n ein vom Gesetz bezeichnetes Ereignis oder die richterliche Anordnung sei. Aber dieser Meinungsgegensatz hätte fast ausschliefslich nur für die Z w i s c h e n f r i s t e n Bedeutung. Dieselben wären nach der letzteren Meinung r i c h t e r l i c h e Fristen (also schon nach dem Prinzip des § 224 verlänger- und abkürzbar). Nach der herrschenden (hier vertretenen) Meinung sind sie e s e t z l i c h e F r i s t e n , die nur kraft Spezialbestimmung der Verlängerung oder Abürzung unterliegen. Da n u n (s. Text) solche Bestimmung in § 220 erlassen i s t , so ist die Kontroverse für sie gegenstandslos. (Abgesehen von ihnen ist sie nur von Bedeutung für die Frist, § 873, — nicht für die § (>92, die nach b e i d e n Anschauungen gesetzliche Frist ist.) 2 Ζ.. B. w e n n der Anfang durch eine Zustellung, die Insertion in den Zeitungen (§ 206), den W e g f a l l eines Hindernisses (§ 234) bestimmt wird. 3 I m Zivilprozefs wenig praktisch. 4 Für den Zivilprozefs von Bedeutung ζ. B. d a n n , wenn für die Eidesmündigkeit 893 Nr. 1) die Vollendung des 16. Lebensjahres festzustellen ist.

f

Berechnung der Fristen.

Nachtzeit.

Feiertag.

Ferien.

651

Klagzustellung am Sitz des Gerichts § 604, 2), werden Sonntage und allgemeine Feiertage nicht mitgerechnet.

I T . Die Gerichtszeit. Die Regelung des zeitlichen Zusammenhangs der Prozefshandlungen nach den oben geschilderten Grundsätzen ist hinsichtlich des Zeitraums, innerhalb dessen sie sich bewegt, im allgemeinen keiner Beschränkung unterworfen. An sich ist jede Zeit des Jahres Gerichtszeit, d. h. zur Bestimmung von Fristen oder Terminen für prozessuales Handeln geeignet. Unverwertbar sind nur die ausdrücklich ausgenommenen Zeiten. Solche Zeiten sind: a) die Zeit der N a c h t r u h e . Für die Verhandlungstermine und alle Handlungen, die eine dienstliche Anwesenheit der Gerichtspersonen an Gerichtsstelle voraussetzen, ergibt sich dies schon von selbst. Ausdrücklich ausgesprochen ist es für die a u f s e r h a l b des Gerichts vorzunehmenden Akte der Z u s t e l l u n g und V o l l s t r e c k u n g . Sie bedürfen zur Nachtzeit der Erlaubnis des Amtsrichters (§ 188. 701). Nachtzeit ist in den Monaten vom 1. April bis 30. September auf die Stunden von 9 Uhr abends bis 4 Uhr morgens, — in den Monaten vom 1. Oktober bis 31. März auf die Stunden von 9 Uhr abends bis 6 Uhr morgens festgesetzt (§ 761, 1. 3). b) Auch die Sonn- unci a l l g e m e i n e n F e i e r t a g e sind grundsätzlich nicht zum Prozefshandeln geeignet. Termine sind auf sie nur in Notfällen anzusetzen (§ 216, 3); ebenso darf eine Vollstreckungshandlung an ihnen nur mit Erlaubnis des Amtsrichters vorgenommen werden (§ 761, 1). Der Endpunkt einer Frist kann auf sie nicht fallen (§ 222, 2). c) Die G e r i c h t s f e r i e n , d. i. die Zeit der Ernte und der Geschäftsstille, die nach G.V.G. § 201 durch die Zeit vom 15. Juli bis 15. September jeden Jahres bezeichnet wird. Die Ferien sind ohne Einflufs auf die Zwangsvollstreckung, auf Arrest- und einstweilige Verfügungssachen und auf das Mahnverfahren, soweit es als solches lediglich auf Entscheidung über beschleunigte Vollstreckung gerichtet i s t 1 2 (§ 204. 202, Nr. 2). In allen anderen Verfahrensformen dagegen (also den auf Entscheidung gerichteten) haben die Ferien den Einflufs, dafs keine Termine abgehalten, keine Entscheidungen erlassen werden dürfen 3 (§ 202, 1) und dafs alle Fristen, mit Ausnahme der Notfristen, durch die Ferien in ihrem Weiterlaufen gehemmt, in ihrem Beginn aufgeschoben 1 Dafs die Ausnahme des Arrestprozesses in § 202 statuiert i s t , ist ein logischer Fehler der Gesetzredaktion. § 202 spricht von den eximierten Rechtssachen, — von den bezüglich aller Rechtssachen eximierten Verfahrensformen spricht § 204. 2 Auch die Erteilung der Vollstreckungsklausel w i r d nicht berührt, denn auch sie ist nur Prüfung der Statthaftigkeit der Vollstreckung (O.L.G. Jena, Z. 7. 93). 3 Dies gilt für alle Entscheidungen (Urteile, Beschlüsse, Verfügungen), gleichviel welchen Inhalts und gleichviel ob in der Verhandlung erlassen (verkündet) oder aufserhalb derselben (durch Zustellung). G.V.G. w i l l hier nicht aus der fehlerhaften U n t e r scheidung von Dezisiv- und Prozefsleitungsdekreten (o. S. 357) eine Konsequenz ziehen. Auch Prozefsleitungsdekrete (Beweisbeschlufs, Fristfestsetzung usw.) können nicht erlassen werden. Das Gegenteil w i r d meist nur behauptet, u m die Möglichkeit der Anberaumung von Terminen für die Zeit nach den Ferien zu retten. (Prot. 697. W i l m o w s k y - L . § 202 n. 1, G a u p p - S t e i n zu § 223 Z.P.O. I u. A ) Sie aber ist schon deswegen nicht ausgeschlossen. weil diese Entscheidung j a erst nach den Ferien in W i r k s a m k e i t t r i t t .

IV. Rechtsstreit.

§

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der Prozefshandlungen.

werden (Z.P.O. § 223, 1. 2 ) 1 2 . Von diesen beschränkenden Wirkungen der Ferien kann nur für die einzelne Rechtssache eine Befreiung eintreten, nämlich dadurch, dafs sie zur Feriensache erklärt wird. Letzteres tut das Gesetz allgemein (abgesehen von Strafsachen) für Mefs- und Marktsachen (vgl. Z.P.O. § 30, oben S. 263), für die amtsgerichtlichen Mietsachen (§ 23, Nr. 2, oben S. 245), für Streitigkeiten zwischen Dienstherrschaft und Gesinde, zwischen Arbeitgeber und Arbeiter bezüglich der Dienst- und Arbeitsverhältnisse, sowie die in § 3, 1 No. 1. 2 der Gewerbegerichtsprozefssachen, für Wechselsachen (§ 603, o. S. 571) und für Bausachen, wenn über Fortsetzung eines angefangenen Baues gestritten wird (§ 202, Abs. 2, Nr. 3—6). Aufserdem kann aber das Gericht bezw. provisorisch der Vorsitzende andere Sachen, soweit sie nach seiner arbitrierenden Prüfung besonderer Beschleunigung bedürfen, auf Antrag als Feriensachen bezeichnen (§ 202, Abs. 3). d) Endlich kann auch ein aufserordentliches Ereignis (Krieg, Grassieren der Cholera oder Influenza, Überschwemmung oder Schneefall) den S t i l l s t a n d der Gerichtstätigkeit und damit eine für die Prozefshandlungen unverwertbare Zeit herbeiführen. Es bewirkt „für die Dauer dieses Zustands" die Unterbrechung des Verfahrens in allen bei diesem Gericht anhängigen Sachen (Z.P.O. § 222) und damit nicht nur die Unmöglichkeit aller gerichtlichen Handlungen, besonders Entscheidungen (mit Ausnahme der Verkündung einer Entscheidung auf Grund einer vor der Unterbrechung stattgehabten Verhandlung, § 226, 3), sondern auch die Unwirksamkeit der Parteihandlungen, die in Ansehung der Hauptsache gegenüber dem Gegner vorgenommen werden (§ 226, 2) und das Aufhören des Laufs aller Fristen (auch der Notfristen) in der Weise, dafs nach Beendigung der Unterbrechung die voile Frist von neuem zu laufen beginnt (§ 226, 1). Von ganz anderer Bedeutung ist es, dafs in e i n z e l n e n Sachen vermöge eines das Verfahren betreffenden Ereignisses (Tod einer Partei, eines Parteivertreters usw.) eine Unterbrechung oder Aussetzung n u r i n d i e s e r Sache eintritt (§ 239ff.) oder dafs es vermöge der Parteidisposition zu einem Ruhen des Verfahrens kommt (§ 251). Die Wirkungen sind dann für diese Sache ganz oder teilweise dieselben, wie im Fall 5 (1893), woselbst weitere Einzelfragen. Die Praxis des R.G.

796

IV. Rechtsstreit.

§ 12.

Revis.

§ 126. Die Revision. Sonnenschmidt, Z. 2, 421 (1880). Erythropel, Z. 3, 104. Weismann, Z. 9, 169 (1885). Rocholl, Die Revision i n bürgerl. Rechtsstr., Z. 10, 285 (1886). Fels, Revision und Sonderrecht, 1884. Boitze, Z u r Reform des Rechtsmittels der R., civ. A . 84, 358 (1895). Uber die Trennung von Rechts- u n d Tatfrage: W a c h , Jur. W o c h . 1881 S. 73. Stahl, civ. A. 67, 94. Stein, Privates Wissen des Richters, 1894, S. 104 if. Boyens, Grenze zwischen That- u. Rechtsfrage, sächs. Archiv, Jubiläumshett 1904, S. 154 if. Insbes. über die Neugestaltung der Revision durch die Nov. v. 1905: Hagens, Jur. Z. 1903 S. 181, 277. Seuffert, Z. f. C.P. 33 (1904), 435 ff. — Kommentare zu § 545 ff.

I . Wesen und Anwendungsgebiet der Revision. Das Wesen und demgemäfs die Vorbedingungen der Revision lassen sich zum Teil wie die der Berufung aus dem Bedürfnis der Parteien nach einer d r i t t i n s t a n z l i c h e n Nachprüfung der Endurteile verstehen. Aber dieser Gesichtspunkt genügt nicht zum Verständnis. Vielmehr ist sie zugleich durch den sog. K a s s a t i o n s r e k u r s des französischen Rechts beeinflufst, obwohl sie auch diesem gegenüber wiederum die Bedeutung einer selbständigen Rechtsbildung beansprucht. Der Kassationsrekurs des französischen Rechts (pourvoi en cassation) ist Antrag auf Entscheidung des Kassationshofs (vgl. darüber oben S. 102 A. 4), dieser aber ist überhaupt nicht unmittelbar ein im Parteiinteresse wirksames Organ des P r i v a t r e c h t s s c h u t z e s , sondern ein Organ der staatlichen R e c h t s k o n t r o l l e , das aus dem ö f f e n t l i c h e n Interesse an der Aufrechterhaltung und einheitlichen Anwendung der rechtlichen Normen tätig wird. Der Zweck seiner Rechtsprechung ist nicht Herstellung einer gerechten Entscheidung des konkreten E i n z e l prozesses, sondern Erzwingung einer gleichmäfsigen und korrekten Gesamttätigkeit der gerichtlichen Rechtsanwendung, und es richten sich demgemäfs auch die Bedingungen seiner Anrufung nicht nach den eigentlich zivilprozessualen, sondern nach staatsrechtlichen Grundsätzen. a) Nicht nur die Partei, sondern auch die Staatsanwaltschaft (das ministère public) kann den Rekurs einlegen. b) Nicht die Entscheidung über die Streitsache (sur le fond), sondern die blofse Kassation des an rechtlichen Fehlern leidenden Urteils ist die Aufgabe des Gerichts. Die Erreichung des gleichen Zwecks wurde auch bei Ausbildung der Revision erstrebt. Gleichwohl suchte die deutsche Gesetzgebung die formale und abstrakte Trennung zwischen dem Rechtsschutzinteresse der Partei und dem oberaufsehenden Interesse des Staates an der Integrität des objektiven Rechts zu vermeiden. Sie stellte deshalb die Revision durch Verschmelzung der Gedanken des Kassationsrekurses mit dem Rechtsgedanken neigt dieser Auffassung z u , ist aber schwankend (vgl. R.G. 15, 208, — auch 22, 7. 29, 423, bes. 1897. 40, 271: stellt sich auf Berufung des Klägers heraus, dafs für dessen Klage der R e c h t s w e g nicht begründet w a r , so ist die Klage in zweiter Instanz von Amtswegen abzuweisen». De lege ferenda hat S c h u l t z e n s t e i n , Z. 31, Iff. (1903) sehr erwägenswerte Gründe für die grundsätzliche Beseitigung des Verbots der reformatio in peius beigebracht.

Grundgedanke.

Revision als Parteirechtsmittel.

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der Appellation zugleich in den Dienst der Zwecke des privaten Rechtsschutzes und reihte ihn unter die Rechtsmittel, die den Parteien verliehenen Wege zur Herbeiführung einer Urteilsabänderung, ein. Leitend für das Anwendungsgebiet, für die Bedingungen der Revision ist sonach jetzt das Prinzip: die Revision ist nur gegen solche Entscheidungen zulässig, welche g l e i c h z e i t i g das I n t e r e s s e der P a r t e i an e i n e m ger e c h t e n R e c h t s s c h u t z im E i n z e l f a l l wie das I n t e r e s s e der G e s a m t h e i t an einer einheitlichen Rechtsprechung der G e r i c h t e i n a l l e n F ä l l e n gefährdet. Wo nur das eine Interesse ohne das andere verletzt ist, entfällt der Grund der Revision. Auf die gleichzeitige Befriedigung b e i d e r Interessen sind auch die W i r k u n g e n der Revision berechnet (II, III). Die Revision wird damit zu einer eigenartigen, feinsinnig, aber freilich auch sehr künstlich ausgebildeten Schöpfung. 1. Der Charakter der Revision in ihrer Eigenschaft als Parteirechtsmittel kommt in folgenden Grundsätzen zum Ausdruck: a) Die Revision findet nur gegen solche zweitinstanzliche Endurteile und privilegierten Zwischenurteile statt, durch die sich eine Partei beschwert fühlt, also n u r a u f I n i t i a t i v e e i n e r P a r t e i (nicht auf solche der Staatsanwaltschaft; argo. § 553, hierüber oben S. 788). Auch liier werden aber von der einmal eingelegten Revision die nicht unanfechtbaren und nicht mit Beschwerde anfechtbaren Vorentscheidungen ipso iure mit ergriffen (§ 548 — vgl. S. 787).

b) Die Revision führt zur Nachprüfung an ein höheres Gericht als d r i t t e Instanz (hierüber s. weiteres unten Nr. 2 lit. b). c) Die Revision führt zur Nachprüfung des Prozesses zwischen denjenigen Parteien und über denjenigen Anspruch, welche auch Subjekte und Objekt des erst- und zweitinstanzlichen Prozesses gewesen sind. Auch hier dürfen neue Parteien nicht auftreten, neue Privatrechte nicht eingeführt werden. Anderseits kommt es auch vor dem Revisionsgericht zur Nachprüfung nur in den durch die A n t r ä g e der Parteien gewiesenen Grenzen (§ 559), nur dafs auch hier nicht nur die Anträge des Revisionsklägers (oben lit. a), sondern auch die des Revisionsbeklagten mafsgebend sind, falls sich derselbe der Revision nach den oben für die Berufung aufgestellten Grundsätzen a n g e s c h l o s s e n hat (§ 556). Im Verfolg des Gedankens, dafs die Revision ein Parteirechtsmittel, ergeben sich weiter für sie die entsprechenden Grundsätze hinsichtlich der Notfrist (§ 552) der Einlegung, hinsichtlich ihres obligatorischen Inhalts (§ 553 Nr. 1—3), hinsichtlich der Revisionseinlassungsfrist (§ 555) wie für die Berufung (oben S. 784). Auch die Revisionsschrift ist ferner vorbereitender Schriftsatz (§ 554). Als vorbereitender Schriftsatz soll auch die Revisionsschrift die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten und dessen Aufhebung beantragt wird ( R e v i s i o n s a n t r ä g e oben lit. c) enthalten (§ 554, 2). Dagegen weicht seit der Novelle von 1905 die Revision in cler F o r m d e r

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Rechtsstreit.

§ 12.

Revis.

E i n l e g u n g ab (nicht Zustellung, sondern Einreichung der Revisionsschrift). Der obligatorische Inhalt der Revisionsschrift wird durch den B e g r ü n d u n g s z w a n g gesteigert (§§ 553. 554; o. S. 786).

2. Da die Revision zugleich als Mafsregel der Rechtskontrolle dienen soll, schränkt das Gesetz das Geltungsgebiet der Rechtsmittel durch eine Reihe positiver Vorschriften in engere Grenzen ein. Die Beschwerde der Partei ist nämlich nur dann beachtlich, wenn sie auf einen Mangel der angefochtenen Entscheidung gegründet wird, der gleichzeitig das Interesse an der Erhaltung der R e c h t s p r e c h u n g s e i n h e i t verletzt. Dieser Gedanke ist von der Z.P.O. in folgenden Rechtssätzen entwickelt. a) „Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dafs die Entscheidung auf der Verletzung eines Gesetzes beruhe" (§ 549). Revisionsgrund ist hiernach nicht der Fehler in der Feststellung der sog. T a t f r a g e , — der Umstand, dafs..das Berufungsgericht sich eine irrtümliche oder lückenhafte Überzeugung von den zu beurteilenden tatsächlichen Vorgängen gebildet hat, sei es, weil dasselbe angeblich gewisse wesentliche Tatsachen nicht oder falsch berücksichtigt hat (weil sie nicht behauptet oder weil sie unrichtig zugestanden wurden), sei es, weil es verfügbare Beweismittel nicht erhoben hat (weil Zeugen nicht benannt, Urkunden nicht vorgelegt wurden), sei es, weil das Gericht die erhobenen Beweismittel angeblich unrichtig gewürdigt hat (weil es einem Zeugen nicht Glauben geschenkt hat usw.). Vielmehr ist Revisionsgrund nur der Fehler in der Beantwortung der R e c h t s f r a g e , — die Revision ist nur revisio in iure, nicht in facto. Anderseits besteht aber hinsichtlich der Berufung auf rechtliche Mängel keine Beschränkung. Als „GesetzesVerletzung" im Sinne des § 549 gilt jede N i c h t a n w e n d u n g oder jede unr i c h t i g e A n w e n d u n g e i n e r R e c h t s n o r m (§ 550). Sie liegt also vor : a) gleichviel ob Gesetzesrecht im engern Sinne oder Gew o h n h e i t s r e c h t falsch angewandt wurde und hinsichtlich des ersteren wieder, ob ein Gesetz im f o r m e l l e n S i n n e oder eine (kraft gesetzlicher Ermächtigung erlassene) V e r o r d n u n g falsch angewendet wurde. Kein Rechtsverstofs ist die falsche Auslegung von Vertragsbestimmungen oder die falsche Anwendung von Erfahrungssätzen, insbesondere also auch nicht von Handelsgebräuchen oder anderen Sätzen der Verkehrssitte, soweit sie nur als solche in Betracht kommen (oben S. 334 f.) 1 . Dagegen wird die Revision natürlich begründet durch unrichtige Anwendung einer vom Gesetz für die Auslegung eines Rechtsgeschäfts aufgestellten Regel, z. B. dafs die vereinbarte Beurkundung eines Vertrags im Zweifel als Gültigkeitsbedingung des Vertrags aufzufassen sei (B.G.B. § 154, 2; vgl. R.G. 9 S. 178). Ebenso 1 I h n e n gleich stehen statutarische Bestimmungen (von Versicherungsgesellschaften usw.), die als präsumtiver Vertracswille in Betracht kommen. Über das Eisenbahnbetriebsreglement s. die Judik. bei S e u f f e r t § 550 n. 1 lit. c. (R.O.H.G. 7, 134. 9, 339). A . M . D a n z , Ausl. der Rechtsgeschäfte, 2. Aufl. 190(3, 100 if., der nur m i t Recht betont, dafs sich i n der A n w e n d u n g von Regeln der S i t t e , des Verkehrs usw. die Anwendung ^ines G e w o h n h e i t s r e c h t s verbergen k a n n ; vgl. auch Jher. Jahrb. 38, 454 (1897), Jur. Ζ. 1900, ü5.

Rechtsverletzung.

Rechtsfrage und Tatfrage.

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ist Revisionsgrund die unrichtige A u f f a s s u n g eines Rechtsgeschäfts, z. B. als Kommissionsgeschäft statt als Kauf (R.G. 40 S. 120).

ß) Es gilt ferner gleich, ob die fehlerhafte Rechtsanwendung sich auf das R e c h t s v e r h ä l t n i s erstreckt, das den Streitgegenstand bildet, ob der Fehler an Normen des Privatrechts, Bestimmungen von Staatsverträgen, des Völkerrechts, begangen wurde 1 (als „error in iudicando")— oder ob innerhalb des V e r f a h r e n s ein Fehler in der Anwendung des P r o z e f s r e c h t s begangen wurde („error in procedendo"). Die letztere Möglichkeit bringt es mit sich, dafs der Fehler der Rechtsanwendung ä u f s e r l i c h an Unrichtigkeiten der Tatsachenfeststellungen hervortreten kann, — dann nämlich, wenn prozessuale Rechtsnormen verletzt werden, von welchen die Aufklärung des Sachverhalts abhängt, z. B. Regeln der Beweislast, der Beweiswürdigung, der Beweisbeschaffung, etwa wegen Nichtanwendung des gerichtlichen Fraerechts (o. S. 420). Die Unterschiede der Nr. 2 hat demgemäfs § 554 im Auge, wenn er von der Revisionsschrift als vorbereitendem Schriftsatze zur Begründung der Revisionsanträge (oben S. 786) fordert: Nr. 1: „insoweit die Revision darauf gestützt wird, dafs eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet sei, die Bezeichnung der Rechtsnorm," Nr. 2: „insoweit die Revision darauf gestützt wird, dafs das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, welche den Mangel ergeben," Nr. 3: „insoweit die Revision darauf gestützt wird, dafs unter Verletzung des Gesetzes Tatsachen festgestellt, übergangen oder als vorgebracht angenommen seien, die Bezeichnung dieser Tatsachen." Eine gesetzesverletzende Feststellung von Tatsachen wird z. B. gerügt durch die Behauptung, das Gericht habe die Tilgung der Klagschuld angenommen, als weder der Kläger etwas dagegen noch der Beklagte etwas dafür bewiesen .(Verletzung der Beweislastregel oben S. 480), — eine gesetzesverletzende Übergehung von Tatsachen z. B. durch die Behauptung, das Gericht habe über die angeblich betrügerische Vorspiegelung beim Kauf den dafür benannten Zeugen nicht vernommen (Verletzung der Regel des Verhandlungsprinzips oben S. 425); —» eine gesetzesverletzende Annahme einer Tatsache z. B. durch die Behauptung, das Gericht habe nach dem vorbereitenden Schriftsatz oder aus eigner Wissenschaft eine Tatsache unter Beweis gezogen (Verletzung der Rechtssätze oben S. 422. 432). Diese Fälle sind diejenigen, an denen in concreto die Unterscheidung von Tat- und Rechtsfrage sehr schwierig werden kann.

Erforderlich ist nur, dafs die angefochtene Entscheidung auf der Rechtsverletzung „beruht" (§ 549). Da die Revision doch eben immer dem Rechtsschutz des Einzelnen (oben II) dienen soll, so genügt nicht ein Fehler der Rechtsan wendung, der n u r b e i l ä u f i g in der Begründung der Entscheidung begangen wurde, aber auf den Inhalt der Entscheidung einflufslos geblieben ist. Vielmehr mufs die unrichtige Rechtsanwendung für die Ent1 Unricht. A n w . von Staatsverträgen: R.G. 2, 110, — der Berner Konvention z u m Schutz des Autorrechts, 188(J, K.G. 40, S. 109), einer als Landesges. publ. päpstl. Bulle (R.G. 3, 342). Ebenso begründet Revision die unr. A n w . von Ortsstatuten, die auf delegierter Gesetzgebungsgewalt beruhen (R.G. 42 S. 309).

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Rechtsstreit.

§ 12.

Revis.

Scheidung kausal gewesen sein; es mufs erweisbar sein, dafs ohne die irrige Rechtsanwendung die Entscheidung anders und zwar dem A n f e c h t e n d e n g ü n s t i g e r ausgefallen wäre. Im allgemeinen ist das Vorhandensein solchen ursächlichen Zusammenhangs vom Revisionsgericht im einzelnen Fall zu prüfen. Bei Verletzung g e w i s s e r w i c h t i g e r P r o z e f s r e c h t s s ä t z e aber wird das Gericht dieser Prüfung überhoben, insofern Z.P.O. § 551 verordnet, dafs die Entscheidung hier „stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen" sein solle. Diese rechtlichen Mängel sind vorhanden: 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftmäfsig besetzt war (§ 551 n. 1); 2. wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, welcher von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist (Nr. 2); 3. wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich derselbe wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war (Nr. 3); 4. wenn das Gericht seine Zuständigkeit oder Unzuständigkeit mit Unrecht angenommen hat (Nr. 4); 5. wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozefsführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat (Nr. 5); 6. wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei welcher die Vorschriften über die Öifentlichkeit des Verfahrens verletzt sind 1 (Nr. 6); 7. wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen i s t 2 (Nr. 7).

b) Aber auch die Berufung auf eine Gesetzesverletzung (im Sinne lit. a) rechtfertigt die Revision nur, wenn die Nachprüfung der untergerichtlichen Rechtsanwendung dem Zweck der e i n h e i t l i c h e n Rechtsanwendung a l l e r deutschen Gerichte f ö r d e r l i c h ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Nachprüfung durch ein über a l l e n deutschen Gerichten stehendes oberstes Gerichi, durch ein Rechtsprechungszentrum stattfindet, dessen Entscheidung eine autoritäre Bedeutung für ganz Deutschland besitzt und von dem vor allem die unteren Gerichte eine Umstoisung ihrer eigenen zuwiderlaufenden Entscheidungen zu besorgen haben, — mit anderen Worten an das R e i c h s g e r i c h t . Die revidierende Nachprüfung eines einzelnen Oberlandesgerichts würde den gleichen Einflufs nicht haben, da seine Entscheidung eine abweichende Praxis anderer Oberlandesgerichte und der diesen unterstehenden Untergerichte faktisch nicht irgendwie zu hindern vermöchte. Die Revision ist deshalb nur zulässig gegen die in zweiter (Berufungs-) Instanz von den Oberlandesgerichten erlassenen Endurteile (§ 545), nicht auch gegen diejenigen, die in zweiter Instanz 1 Gleichviel ob durch rechtswidrige Ausschliefsung der Öifentlichkeit oder durch rechtswidrige U n t e r l a s s u n g der (gesetzlich vorgeschriebenen §§171. 172 G.V.G.) Ausschliefsung (R.G. lt), 394). 2 Gleichviel ob eine Begründung g a n z f e h l t oder eine gehaltlose S c h e i n b e g r ü n d u n g ist („die Einrede erschien nach Lage der Sache nicht begründet", R.G. 8, 2ü2, — vgl. R.G. 3, 390. 6, 13$. 8, 341. 10, 88, — weitere Entsch.: S e u f f e r t § 551 n. 8); — gleichviel ob die Begründung i m E n d u r t e i l oder in einem (mitangefochtenen) Zwischenu r t e i l fehlt. — Der Mangel des genügenden T a t b e s t a n d s begründet die Revision n i c h t o h n e w e i t e r e s (K.G. 4, 4J9; ebenso die allg. M.).

Reichsgericht als Revisionsgericht.

Revisible Normen.

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auf Berufung gegen amtsrichterliche Urteile von den L a n d g e r i c h t e n erlassen worden sind. Denn eine Revision gegen die letzteren würde an das Oberlandesgericht führen und könnte immer nur eine einheitliche Rechtsprechung innerhalb des Oberlandesgerichtsbezirks herstellen 1. Anderseits bedarf auch die Zentralisierung der Revisionen am Reichsgericht einer Ergänzung im Institut cler P l e n a r e n t s c h e i d u n g e n , da nur hierdurch die Zersplitterung der Praxis unter den verschiedenen S e n a t e n verhindert werden kann (hierüber o. S. 197). c) Anderseits wird die Revision durch die Behauptung einer Gesetzesverletzung des untergerichtlichen Urteils nur dann gerechtfertigt, wenn die Nachprüfung durch das Reichsgericht zur Erhaltung einheitlicher Anwendung der fraglichen Rechtsgrundsätze n o t w e n d i g ist. Dies ist regelmäfsig nur dann der Fall, wenn die angeblich verletzte Rechtsnorm über die Sprengel m e h r e r e r Oberlandesgerichte und speziell im Bezirke desjenigen Oberlandesgerichts, dessen Urteil angefochten ist, Geltung hat. Denn die einheitliche Anwendung von Rechtsnormen, die nur im Sprengel eines e i n z i g e n Oberlandesgerichts Geltung haben, kann das Oberlandesgericht in seiner Eigenschaft als Berufungsgericht schon durch seine eigne Praxis allein für den Durchschnitt der Prozesse erzwingen. Deshalb kann die Revision „nur darauf gestützt werden, dafs die Entscheidung auf der Verletzung eines Reichsgesetzes oder eines Gesetzes, dessen G e l t u n g s b e r e i c h s i c h ü b e r den B e z i r k des B e r u f u n g s g e r i c h t s h i n a u s e r s t r e c k t , beruhe" (§ 549) 2 . Solche Normen mit gröfserem Geltungsgebiet, wie sie die Revision begründen können, pflegt man hiernach als „ r e v i s i b l e " Rechtsnormen im Gegensatz zu nichtrevisiblen zu bezeichnen8. Diese Grundsätze wurden im einzelnen allerdings erheblich modifiziert, vermöge der in § 6 E.G. Z.P.O. zugefügten Klausel, welche im Interesse einer vereinfachteren und sichereren Handhabung des § 549 vorsah, es könne mit Zustimmung des Bundesrats und unter nachträglicher Genehmigung des Reichstags durch kaiserliche Verordnung bestimmt werden: 1. dafs die Verletzung von Gesetzen, o b g l e i c h deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt, die Revision n i c h t begründe; 2. dafs die Verletzung von Gesetzen, obgleich deren Geltungsbereich sich n i c h t über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt, die Revision b e g r ü n d e . 1 Die Durchbrechung dieses Gedankens, die die Z.P.O I in Abzweigung der bayrischen Revisionen an das bayrische oberste Landgericht zugelassen h a t t e , ist nunmehr nach A r t . 6 E.G. B.G.B, erledigt, wonach alle Ansprüche, die klag- oder widerklagweise auf Grund des B.G.B, geltend peraacht werden, m letzter Instanz dem Reichsgericht zufallen. 2 Die Konsequenzen hiervon §§ 562. 565, 4, s. unten S. 806. 3 Die Berechnung des Gesetzes stimmt allerdings nur für den Durchschnitt der Fälle. Denn auch nicht-revisible Rechtsnormen werden erfahrungsgemftfs nicht nur von den Gerichten desjenigen Gebiets, i n welchem sie territoriale Geltung haben (innerhalb des Oberlandesgerichtssprengels) angewendet, sondern vermöge der Regeln des internationalen Privatrechts (über die sog. collisio statutorum) auch von Gerichten anderer Gebiete.

Richard

Schmidt,

Lehrbuch des Zivilprozefsrechts.

2. Aufl.

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Rechtsstreit.

§ 12.

Revis.

Eine solche Verordnung wurde bereits u n t e r m 28. S e p t e m b e r 1879 (R G Bl. 299. Genehmigung des Reichstags nach Bekanntmachung vom 11. April 1880, R.G.B1. 102) erlassen und später durch Reichsgesetze vom 15. März 1881 (R.G.B1. 38), vom 24. Juni 1886 (R.G.B1. 207) und vom 30. März 1893 (R.G.B1. 159) ergänzt 1 . Durch alle diese Rechtsnormen wurden zahlreiche e i n z e l n e Normen bezeichnet, welche in Widerspruch mit dem Prinzip des § 549 die Revision begründen oder nicht begründen sollten. Aufserdem aber wurde insbesondere durch die Verordnung von 1879 der Rahmen des § 549 auch durch a l l g e m e i n e Bestimmungen verschoben. a) Einerseits wurde das Prinzip des §549 n o c h m e h r e i n g e s c h r ä n k t d u r c h die Bestimmung der Verordnung § 1: „Die Revision kann — auf die Verletzung anderer Gesetze als derjenigen des gemeinen oder französischen Rechts nur gestützt werden, wenn dieselben über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus f ü r d e n g a n z e n U m f a n g m i n d e s t e n s z w e i e r d e u t schen B u n d e s s t a a t e n oder z w e i e r P r o v i n z e n Preufsens oder einer p r e u f s i s c h e n P r o v i n z und eines a n d e r n B u n d e s s t a a t s Geltung erlangt haben. b) Anderseits wurde das Prinzip des § 549 e r w e i t e r t durch § 2 der Verordnung: „Verletzung der Gesetze des gemeinen Rechts und der Gesetze des französischen Rechts, soweit letztere in andern deutschen Ländern aufser Elsafs-Lothringen Geltung erlangt haben, begründet die Revision, auch wenn der Geltungsbereich der e i n z e l n e n Bestimmung sich n i c h t über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt 2 .

d) Eine rein positivrechtliche Beschränkung hat endlich die Z.P.O. in der Erkenntnis hinzugefügt, dafs zur Wahrung der Rechtseinheit nicht alle, sondern nur manche (in ihrer rechtlichen Natur typische) Fälle der Nachprüfung unterworfen zu werden brauchen. In Rechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche ist deshalb „die Zulässigkeit der Revision durch einen den Betrag von 2500 Mark übersteigenden Wert des Beschwerdegegenstands (die sog. summa revisibilis, summa gravaminis oder Revisionssumme) bedingt" (§ 546). Der Revisionskläger hat den Wert nach Mafsgabe der §§ 3 ff. Z.P.O. glaubhaft zu machen. Nur vereinzelt findet die Revision ohne Rücksicht auf den Wert statt, nämlich — abgesehen von statusrechtlichen Sachen (oben S. 247) — nach der Ausnahmevorschrift des § 547. 1. insoweit es sich um die s a c h l i c h e Unzuständigkeit des Gerichts oder die Unzulässigkeit des Rechtswegs oder die Unzulässigkeit der Berufung handelt; 2. in den Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, für welche die Landgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstands ausschliefslich zuständig sind (S. 247). Die Aufstellung einer Revisionssumme bezweckt, das allzugrofse Anwachsen der Revisionen und damit die Überlastung des Reichsgerichts zu verhindern. Unter den Mafsregeln, die an und für sich zu diesem Zweck denkbar sind, gab Z.P.O. im Gegensatz zu ihren Vorläuferinnen der Revisionssumme den Vorzug 8 , beschränkte diese aber ursprünglich auf 1500 Mk. Mit 1 Zusammenstellung der gesamten Bestimmungen der Verordnungen und Gesetze i n v i e l e n Kommentaren, z. B. S e u f f e r t , G a u p p u. a. zu § 511. 2 Übersicht über die hieraus abzuleitenden Konsequenzen und die grofse J u d i k a t u r des R.G. zur Frage in den Kommentaren, vgl. z. B. G a u p p - S t e i n zu § 549, I . 3 Nach E n t w . I I I sollte das Korrektiv gegen zu zahlreiche Revisionen in dem Prinzip liegen, dafs n u r , wenn die erstinstanzliche Entscheidung durch die Berufungsinstanz abgeändert worden (bei sententiae difformes) , Revision statthaft sein solle, — n i c h t wenn jene durch die Berufungsinstanz bestätigt worden (sententiae conformes; — vgl. noch jetzt die Regelung der w e i t e r e n Beschwerde § 568, unten S. 815). Die gegenw ä r t i g e Normierung wurde'statt dessen durch die R.J.K, des Reichstags eingeschoben.

Revisible Summe.

Entlastung des Reichsgerichts.

803

dem Inkrafttreten des B.G.B, gewann jedoch das Problem der E n t l a s t u n g des R e i c h s g e r i c h t s an Bedeutung 1 . Es wurden deshalb schon bei Beratung der Novelle (1898) die verschiedensten Wege ins Auge gefafst, die Zahl der Revisionen um einen neuen Prozentsatz herabzudrücken: Vermehrung der Zivilsenate, — Einrichtung einer Vorprüfung der eingelegten Revisionen auf ihre rechtliche Haltbarkeit, — Beschränkung der Prüfung des Reichsgerichts auf die vom Revisionskläger bezeichneten Beschwerdepunkte, — Erhöhung der Revisionssumme auf §000 Mk. Der Reg.-E. schlug das letztere vor, unterstützt von der überwiegenden Meinung. In heftigem Kampfe brachte jedoch die sozialistische und klerikale Partei den Vorschlag im R.T. zu Falle, weil dadurch der Rechtsschutz des kleinen Mannes in unzulässiger Weise geschmälert werde 2 . So verzichtete schliefslich die Nov. auf jedes neue Korrektiv. Binnen kurzem trat jedoch die vorausgesehene Überlastung des Reichsgerichts in erschreckendem Mafse ein 3 . Sie führte zu nochmaliger Diskussion der Abhilfemöglichkeiten. Aber auch diesmal hielt man daran fest, dafs eine Vermehrung der Senate und Arbeitskräfte nicht durchführbar sei, ohne die Einheitlichkeit des Reichsgerichts zu gefährden und ohne das Institut der Plenarentscheidung (S. 197) unmöglich zu machen 4 . Ebensowenig wollte man das Verfahren der Revision ändern, vor allem weder die Mündlichkeit noch die Freiheit des Reichsgerichts zur Nachprüfung der gesamten Rechtsanwendung des Untergerichts, weil darin gerade die Hauptvorzüge des deutschen Rechtsmittels liegen 6 . Die Regierung suchte deshalb die Abhilfe nunmehr teils in der Einführung des Zwangs zur B e g r ü n d u n g der Revision, wodurch die planlose Einlegung unhaltbarer Revisionen aufs Geratewohl verhütet werden soll (jetzt § 554, vgl. o. S. 786), teils griff sie von neuem auf die Erhöhung der Revisionssumme zurück, jedoch statt auf 3000 Mk. nur bis zum Betrag von 2500 Mk. In dieser Weise ist die Neuerung durch Nov. v. 5. Juni 1905 (R.G.B1. S. 536) Gesetz geworden. I n der Tat sind die früheren Einwände hiergegen unstichhaltig. Denn dafs das Interesse des Einzelbürgers am Rechtsschutz zurückstehen mufs, wo es nicht zugleich dem erzieherischen Zweck der richterlichen Rechtsprechung dient, macht den Grundgedanken des ganzen Instituts der Revision aus (vgl. oben S. 797). 1 M i t I n k r a f t t r e t e n des B.G.B, vermehrt sich nicht nur, wie selbstverständlich, die Z a h l der der Erledigung bedürftigen Rechtsfragen, sondern auch die Gesamtbevölkerung, die der Rechtsprechung des Reichsgerichts untersteht, denn es k o m m t hinzu die Bevölkerung von Bayern, insofern eine Rechtspr. des obersten Landesgerichts durch A r t . 6 E.G. z u m B.G.B, über Ansprüche aus dem B.G.B, ausgeschlossen w i r d , und die des Kgr. Sachsen (bisher gemäfs Z.P.O. §511 nicht von ihr ergriffen) — ca. 10 M i l l . Köpfe, * Über den Hergang der Beratungen und der aufgestellten Meinungen s. Übers, i m Nachtraar zur I . Aufl. S. 62. a Steigerung der Revisionen von 1877 Fällen (1890) auf 2673 (1900), 3862 (1903), abges. von den Beschwerden usw. 4 Alle Sachkenner haben vor diesem Schritt gewarnt: H a m m , Deutsche Juristenzeitung 2, 455; S t e n g l e i n , ebda. 3, 41C; P e t e r s e n , ebda. 3, 7; W a c h , ebda. 3, 6. — Vereinzelt für stärkere Besetzung der Senate G o l d e n r i n g , ebda. 2, 483. Das zeigt sich vor allem am Vergleich m i t den obersten Gerichtshöfen des Auslandes. Von E n g l a n d ist dabei ganz abzusehen, weil bei der Zentralisation der Rechtspflege i n e r s t e r Instanz (o. § 17) die Rechtsmittel ohnehin einen viel kleineren R a u m einnehmen; i. J. 1891 hatte der Court of Appeal von (j Mitgliedern nur 262 Berufungen von den Grafschaftsgerichten, 353 vom H i g h Court zu erledigen, — das House of Lords (5 Mitglieder) nur 53 drittinstanzliche Rechtsmittel. Aber auch der f r a n z ö s i s c h e K a s s a t i o n s h o f besteht aus nur 49 Richtern; die chambre civile (17 Mitglieder) hat j ä h r l i c h nur ca. 280 pourvois en cassation zu erledigen. Der ö s t e r r e i c h i s c h e oberste Gerichtshof hat 55 Richter. Demgegenüber zeigt das R e i c h s g e r i c h t die Höchstzahl von Mitgliedern (92). Vgl. H a g e n s , Revision i n Civilsachen, Jur. Z. 1903, 277. * Die Beschränkung der Revisionsprüfung auf die i n der Revisionsschrift bezeichneten Beschwerdepunkte befürwortete bes. O. F i s c h e r , Jherings Jahrb. 38, 3)7 (1897), Jur. Woch. 1904, S. 307; H a g e n s , Jur. Z. 1903, 181. Hiergegen bes. W a c h , Jur. Z. 1904, 1149 m i t dem H i n w e i s , dafs i n der unbegrenzten juristischen Nachprüfung der hauptsächliche Schutz gegen Formalismus und Leblosigkeit der reichsgerichtlichen T ä t i g k e i t liegt. Ebenso M ü l l e r , Jur. Z. 1905 S. 719. Vgl. hierüber u. S. 807. Andere Abhilfen (Entlastung des R.G. von den auf L a n d e s r e c h t gestützten Revisionen, — Einführung einer V o r p r ü f u n g der Revision nach A r t der vor der chambre de requêtes i m französ. R. (oben S. 102 À . 4, F i s c h e r a. a. O.; S e u f f e r t , Z. 33, 446) würden keine genügende W i r k s a m k e i t üben.

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Rechtsstreit.

§ 12.

Revis.

I I . Revisionsyerhandlung. Wie auf die Bedingungen des Rechtsmittels, so macht sich die Verbindung der beiden gesetzgeberischen Rechtsgedanken auch auf seine W i r k u n g e n und zwar zunächst auf die Gestaltung der gerichtlichen Prüfungstätigkeit, die „Verhandlung" im weiteren Sinne geltend. Auch sie unterliegt, wie die Berufungsverhandlung, im Zweifel den Vorschriften, welche die Verhandlung erster Instanz vor den Landgerichten regelt, aber auch sie nur vorbehaltlich der ausdrücklich statuierten Abweichungen (§ 557). Die wichtigste dieser Abweichungen ergibt sich aus dem Prinzip des § 549, wonach die Revision nur Fehler der Rechtsanwendung rügen darf und liegt in § 561 : „Für die Entscheidung des Revisionsgerichts sind die in dem angefochtenen Urteile gerichtlich festgestellten Tatsachen mafsgebend." Das Reichsgericht darf demgemäfs keine Prozefshandlungen vornehmen oder zulassen, welche darauf gerichtet sind, die Richtigkeit der Überzeugung nachzuprüfen, die sich das Oberlandesgericht von den beurteilten Tatsachen, besonders den privatrechtlich erheblichen Tatbeständen gebildet hat oder die Richtigkeit der Angaben, die es über die selbst wahrgenommenen prozessualen Vorgänge (Behauptungen, Geständnisse, Eidesleistungen usw.) gemacht hat. Vielmehr ist das Reichsgericht insoweit an die Feststellungen des oberlandesgerichtlichen Urteilstatbestands oder an die Schriftsätze und Protokolle gebunden, auf welche der Tatbestand verwiesen hat 1 . Nur ist freilich zu beachten, dafs umgekehrt die Feststellungen des Berufungsurteils, die mit Hilfe einer Subsumtion von Tatsachen unter Rechtssätze zustande gekommen sind, das Revisionsgericht n i c h t b i n d e n , auch wenn sie in F o r m von T a t s a c h e n u r t e i l e n auftreten 2 , besonders in den Fällen § 554 Nr. 3 3 , und demgemäfs sind auch neue T a t s a c h e n zu beachten, wenn sich aus ihnen die unrichtige Anwendung einer Rechtsnorm (nämlich einer Prozefsrechtsnorm) ergibt (§ 554 Nr. 2, vgl. § 524) 4 . Über die Frage, ob das Reichsgericht die unrichtige Anwendung von Erfahrungssätzen rügen, bezw. verbessern könne, entscheidet Z.P.O. ausdrücklich nicht, da dieselben weder Tatsachen noch Rechtssätze sind. Aus § 561 folgt jedenfalls soviel, dafs dem Revisionsgericht die Prüfung derjenigen 1 So insbes. auch, wenn das O.L.G. die Tatsachen auf Grund von O f f e n k u n d i g k e i t festgestellt h a t ; denn diese, die Allgemeinbekanntheit einer Tatsache, ist s e l b s t eine Tatsache ( W i l m . - L e v y § 264 n. 1; F i t t i n g 569; S t e i n , Privates Wissen 172). W e n n W a c h , Deutsche Zeitschr. f. Kirchenr. 2, 186 u. A . annehmen, dal's das Reichsgericht die Offenkundigkeit nachprüfen k ö n n e , so beruht dies auf Verwechslung der offenk. T a t s a c h e n m i t den E r f a h r u n g s S ä t z e n (unten S. 805). 2 Z. B. das O.L.G. hat (angeblich unrichtig) eine Ladung in der Berufungsschrift „ a l s a u s r e i c h e n d - festgestellt (R.G. 2, 398). Aus gewissen Dispositionen einer Ehefrau bezüglich ihres Sonderguts hat es einen V e r z i c h t a u f d e n V o r b e h a l t gefolgert und festgestellt (R.G. 3, 206). Es hat festgestellt, dafs gewisse Tatsachen ein h i n r e i c h e n d e r E h e s c h e i d u n g s g r u n d seien (R.G. 6, 150. 8, 159. 11, 413) usw. 3 Uber § 554 n. 3 vgl. oben S. 799. — Das Reichsgericht k a n n also das Tatsachenbild abändern bezw. rügen, wenn es durch unr. A n w . einer Präsumtion (o. S. 4(i9), einer Beweisregel (o. S. 467), einer Beweislastregel (o. S. 476), einer Regel des Stoffsammlungsbetriebs.. (§ ISO u. A.) veranlafst war. 4 Über § 554 n. 2 vgl. oben S. 799, ζ. B. die Tatsachen, aus denen sich ergibt, dafs die Partei prozefsunfähig, i h r Vertreter nicht l e g i t i m i e r t , das Gericht nicht gehörig besetzt, ein Richter unfähig war usw.

Bindung des Revisionsgerichts an die Tatsachen des Vorderrichters.

805

Erfalirungssätze verschlossen ist, die das Untergericht zur Würdigung der Beweismittel und Indizien (oben S. 333.467 if.) verwendet hat. Dagegen besteht im Gesetz kein Grund, ihm auch die Prüfung solcher Erfahrungssätze zu verwehren, von denen die Anwendung des Rechtssatzes auf die Tatsachen abhängt. Es kann deshalb solche heranziehen, z. B. die erfahrungsmäfsigen Gepflogenheiten des Patentverkaufs, von denen es abhängt, ob bei einem solchen die Nichtexistenz eines entgegenstehenden Patents zu den „gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften" des Kaufobjekts gehöre (R.G. 20, 95), — die ästhetischen Regeln über den Unterschied der malenden und plastischen Kunst, von denen es abhängt, ob die Herstellung von Lichtbildern in Porzellan usw. als rechtswidrige Nachbildung eines Gemäldes anzusehen (R.G. 18, 102) —, die Regeln über die Sittenwidrigkeit eines bestimmten Handelns (R.G. 1904. 58, 220) Κ

I I I . Revisionsentscheidung. Auch die Entscheidung des Revisionsgerichts richtet sich in erster Linie nach dem Zweck der Rechtsmittelanfechtung im Interesse der Partei, d. h. nach dem Bedürfnis der Erzielung einer g e r e c h t e r e n E n t s c h e i d u n g des p r a k t i s c h e n E i n z e l f a l l s . Hieraus entspringt als wichtigster Folgesatz, dafs das Reichsgericht prinzipiell das oberlandesgerichtliche Urteil i n v o l l e m U m f a n g der Nachprüfung unterzieht, ohne hierbei auf die einzelnen Fehler der Rechtsanwendung, die seitens der Parteien gerügt werden, gebunden zu sein. Ursprünglich hatte die Z.P.O. dies Prinzip sogar stillschweigend auf alle Verstöfse gegen das materielle u n d p r o z e s s u a l e Recht erstreckt. Die zweite Novelle (1905) hat dann freilich im Interesse der Entlastung des Reichsgerichts eingeführt, dafs das letztere bei Revision wegen Gesetzesverletzung im V e r f a h r e n (o. S. 799) nur die g e l t e n d g e m a c h t e n Revisionsgründe prüfen solle (§ 559 n. F.). Aber gerade auf dem wichtigsten Gebiet der Nachprüfung, dem des materiellen Privatrechts, ist das alte Prinzip aufrecht erhalten und damit Vorsorge getroffen worden, dafs das Reichsgericht nicht zu einem blofsen Rechtspolizeiorgan, sondern zugleich zu einem Organ der Rechtspflege in dritter Instanz gestaltet wird. Hiermit hängt weiter zusammen, dafs da, wo die Revision für begründet erachtet wird, nicht nur die A u f h e b u n g , „ K a s s a t i o n " des Urteils allein erfolgen darf, sondern dafs zugleich für Erlafs eines n e u e n , r i c h t i g en Urteils gesorgt werden mufs (argo. § 565, s. u.). Anderseits wirkt die genannte Auffassung des Rechtsmittels in gewisser Hinsicht auch e i n s c h r ä n k e n d auf die Tragweite der Nachprüfungspflicht. Es ist nun auf Aufhebung des angegriffenen Urteils n u r d a n n zu erkennen, wenn durch den Rechtsfehler ein u n r i c h t i g e s Ergebnis veranlafst worden ist, wenn das Untergerichtsurteil auf der Gesetzesverletzung b e r u h t e (§ 549, o. S. 797); „ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen" (§ 503) 2 . 1 Eingehende Untersuchungen hierüber bei S t e i n , Privates Wissen des Richters (1893) 107 ff. D a n z , Auslegung der Rechtsgeschäfte, 2. Aufl., 1906. - § 50>3 ist nur die U m k e n r u n g des § 549.

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Rechtsstreit.

§ 12.

Revis.

Dagegen macht sich bei Regelung des Verfahrens, in welchem die neue Entscheidung erlassen wird, wieder die positiv-rechtliche Einschränkung des Reichsgerichts auf die R e c h t s p r ü f u n g geltend. Da die Funktion des Revisionsgerichts als eines Organs zur Wahrung der Rechtseinheit umfassende tatsächliche Erhebungen verbietet, da aber doch (ausweislich der Darlegungen IV) auch bei der blofsen Nachprüfung im Rechtspunkt weitere tatsächliche Erhebungen nicht zu vermeiden sind, so folgt, dafs regelmäfsig das Revisionsgericht nicht in der Lage ist (wie das Berufungsgericht, oben S. 793) Aufhebung des alten Urteils u n d N e u e n t s c h e i d u n g z u g l e i c h zu bewirken, sondern dafs es sich grundsätzlich auf die Aufhebung (Kassation) zu beschränken und hierauf „die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht, nach Ermessen an einen andern Senat als den erstentscheidenden zurückzuverweisen" hat (§ 565, 1). Das Oberlandesgericht hat „dann die rechtliche Beurteilung, welche der Aufhebung zu Grunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zu Grunde zu legen" (§ 565, 2). Aber auch hinsichtlich dieser Aufhebung und Zurückverweisung ist das Revisionsgericht weiterhin beschränkt. Da es seine Nachprüfung nur an der Anwendung „revisibler" Rechtsnormen im Sinne des § 549 vornehmen kann (oben S. 801), so kann es in Fällen, wo revisible mit nichtrevisiblen Rechtssätzen z u s a m m e n t r e f f e n , nur insoweit die Entscheidung aufheben und die Sache zur Neuverhandlung zurückverweisen, als ein Fehler mittels Nichtanwendung oder unrichtiger Anwendung der r e v i s i b e l n Normen begangen worden ist; dagegen ist „über das Bestehen und den Inhalt von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 549 nicht gestützt werden kann", die Entscheidung des B e r u f u n g s g e r i c h t s für die auf die Revision ergehende Entscheidung mafsgebend (fc 562)1. Der endgültige Inhalt der Entscheidung setzt sich hier also aus den Ansichten b e i d e r Gerichte zusammen. Während einerseits das Oberlandesgericht an der einmal vom Reichsgericht ausgesprochenen Anwendung der revisibeln Normen nichts mehr ändern kann, kann anderseits das Reichsgericht an der einmal vom Oberlandesgericht ausgesprochenen Anwendung des n i c h t revisibeln nichts mehr ändern, und zwar tritt diese Behandlung nicht nur dann ein, wenn auf denselben Rechtsfall Rechtsnormen beider Art nebeneinander, sich ergänzend, Anwendung finden (z. B. Landesprivatrecht und Handelsrecht auf ein Kaufgeschäft), sondern auch dann, wenn es bezüglich eines Rechtsfalls zweifelhaft ist, ob Reichsrecht o d e r nichtrevisibles Partikularrecht anzuwenden sei 2 . Nur ausnahmsweise hat das Revisionsgericht nicht nur aufzuheben, sondern auch „ i n d e r S a c h e s e l b s t " zu e n t s c h e i d e n (§ 565, 3), — nämlich : a) generell dann, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt u n d nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 565, 3 Nr. I ) 3 ; b) speziell wenn aie Aufhebung des Urteils wegen Unzuständigkeit des Gerichts oder wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs erfolgt (weil hier in jedem 1 § 562 ist also die U m k e h r u n g des andern i n § 549 enthaltenen Rechtsgedankens. Beachte die Konsequenzen dieser Erkenntnis bei S e u f f e r t zu § 562 n. 3. * Die H a n d h a b u n g des ganzen eigentümlichen Verhältnisses, an dem die Künstlichk e i t der Revision am meisten zu Tage t r i t t , führt i m einzelnen F a l l zu grofsen Schwierigkeiten. V g l . über die weitverzweigte Rechtspr. des R.G. über diese Frage die Kommentare zu §§ 561. 565. 3 Die Möglichkeit des Reichsgerichts, selbst zu entscheiden, fällt also weg: a) jedenfalls dann, wenn die A u f h e b u n g des Urteils wegen Verletzung des Gesetzes i n Bezug auf das Verfahren (§ 554 n. 2) oder wegen Verletzung des Gesetzes b e i Feststellung des Sachverhältnisses (§ 554 n. 3) erfolgt (vgl. über diese Fälle oben S. 799); b) auch dann, w e n n die A u f h e b u n g des Urteils we^en falscher A n w e n d u n g des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt, falls bei der Aufhebung die Spruchreife (oben S. 728), d. h. die völlige Erschöpfung des tatsächlichen und Beweismaterials nicht vorliegt, — z. B. wenn ein bedingtes E n d u r t e i l erlassen werden müfste, — w e n n sich erst i n der Revision eine Tatsache als erheblich herausstellt, die in der Unterinstanz bestritten worden war, jetzt also beweisbedürftig w i r d usw.

Zurückverweisung oder Neuentscheidung. Neuprüfung in vollem Umfang.

807

Fall nur auf Abweisung der Klage wegen Prozefsmangels — oben S. 683 — zu erkennen ist). Entsprechend dem Grundsatz des § 562 (s. oben vor. S.) kann aber ausnahmsweise auch in diesen Fällen wiederum die Z u r ü c k v e r w e i s u n g an das Berufungsgericht erfolgen, wenn für die Entscheidung in der Sache eelbst die Anwendbarkeit nicht revisibler Normen in Frage kommt (§ 565, 4). Im Hauptpunkte mufs auf die Konservierung der genannten Prinzipvorschriften Gewicht gelegt werden. Vor allem gilt dies für die Pflicht und das Recht des Reichsgerichts, die Rechtsanwendung der Oberlandesgerichte unbeengt durch die Revisionsgründe der Parteien i n v o l l e m U m f a n g n a c h z u p r ü f e n (S. 805). Es ist der sinnvollste Teil der Vorschriften über die Revision, dafs hiermit die Funktion der Überwachung der Rechtseinheit mit der Funktion eines drittinstanzlichen Rechtszugs zu Gunsten der einzelnen Rechtssuchenden verschmolzen wird und es war ein grofser Gewinn, dafs dieses Prinzip im Ringen mit dem Entlastungsproblem gerettet wurde (vgl. oben S. 803 Anm. 5). Nur hierdurch bleibt das Reichsgericht in Fühlung mit den Untergeiiehten und dem Leben. Es wirkt damit vorbildlich und pädagogisch auf die ganze A m t s g e b a h r u n g der Untergerichte, und ebendies verhindert es, dafs die Beschränkung der Revision h i n s i c h t l i c h d e r S u m m e des Streitwerts die reichsgerichtliche Funktion zu einer nur den wohlhabenden Prozefsinteressenten zu Gute kommenden Klasseneinrichtiing herabsinken läfst. Vor allem aber verhindert es, dafs das Reichsgericht sich in seiner Rechtsprechung auf e i n z e l n e M a c h t s p r ü c h e zur authentischen und bindenden Interpretation zweifelhafter Rechtsfragen, also zu einer vornehmlich Recht schaffenden, in die Gesetzgebung eingreifenden Tätigkeit zurückzieht, wie sie dem französischen Kassationshof oder dem englischen Obergericht eigen ist. Die notwendige Beschäftigung mit dem g a n z e n S t r e i t f a l l hält vielmehr das Reichsgericht an der Aufgabe fest, ganz wie die Untergerichte nur dem g e s e t z t e n R e c h t in seiner durch die Wissenschaft entwickelten Gestalt Nachdruck zu geben, sich u n t e r das Gesetz, nicht ü b e r das Gesetz zu stellen. Diese Auffassung der Funktion des Reichsgerichts aber hängt wiederum aufs engste mit der ganzen technisch hochstehenden Ausbildung des deutschen G e s e t z e s r e c h t s zusammen, mit dessen Tendenz, unter Vermeidung positiv-rechtlicher Kasuistik die a l l g e m e i n e n R e c h t s g e d a n k e n zu formulieren und dem Gericht nur deren E n t w i c k l u n g für den Einzelfall zu überlassen, — im Gegensatz zu der die W i l l k ü r und Ungleichmäfsigkeit begünstigenden Rechtsprechung nach „Precedents", Präjudizien, wie sie für die englische Justiz charakteristisch ist 1 . Es ist deshalb kurzsichtig, wenn auch seit der Novelle wieder, sogar in verstärktem Mafse dafür gearbeitet wird, dafs das Reichsgericht zum r e i n e n R e c h t s p o l i z e i o r g a n ausgebildet werden solle, dafs deshalb die freie Nachprüfung aller Rechtspunkte zu beseitigen, die Zahl der Richter am Reichsgericht einzuschränken sei. Dies fordert vor allem A d i c k es, G r u n d l i n i e n d u r c h g r e i f e n d e r J u s t i z r e f o r m (1906), S. 31 ff. In Verbindung hiermit will er auch in den Untergerichten nicht Vermehrung der Richterstellen (S. 132), sondern Verringerung derselben vermöge einer Vereinfachung des Verfahrens und Entlastung der Richter von niederen Geschäften herbeigeführt wissen ; die Richter sollen nicht nur aus den jüngeren Beamten (Assessoren) aufrücken, sondern in grofsem Umfang aus den A n w ä l t e n genommen werden. Über alle diese Vorschläge ist kaum eine Diskussion möglich. Sie bezwecken nichts geringeres als die Beseitigung der 1 Auch in der Frage des Verhältnisses zwischen G e s e t z u n d R i c h t e r a m t sind neuerdings vielfach Anschauungen geäufsert w o r d e n , die die deutsche Rechtstradition nach e n g l i s c h - f r a n z ö s i s c h e n Idealen einer souverän rechtschaifenden Macht der Gerichte umzumodeln streben, so vor allem von S t a m p e i n den o. S. 10 (Anm. Ί von S. 9) zit. Schriften. V e l . dazu die dort gen. Aufsätze von Z i t e l m a n n , L a n d s b e r g , H e c k . Spez. eingehend über die Tätigkeit des R e i c h s g e r i c h t s unter diesem Gesichtspunkte R i c h a r d S c h m i d t , Das Reichsgericht und die deutsche Rechtswissenschaft, i n Sächs. Archiv, Sonderheft z u m 25 jähr. Bestehen des R.G., 1904, S. 217 if.

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Rechtsstreit.

§ 12.

i d u n m e .

bestehenden deutschen Gerichtsverfassung und Prozedur z u G u n s t e n der e n g l i s c h e n und damit einen Bruch mit der gesamten nationalen Rechtstradition. Eine Vergleichung der deutschen und der englischen Prozefsrechtsgeschichte, wie sie oben (§ 10 ff.) gegeben worden, lehrt, dafs die eng'ischen Rechtszustände, wie sie Adickes als Ideal vorschweben, das Produkt einer ganz heterogenen Entwicklung sind, dafs sie sich also losgelöst von dieser auf Deutschland gar nicht übertragen lassen. In ihrer Grundanlage ist die englische Justiz an Leistungsfähigkeit der deutschen nichts weniger als überlegen. Sie ist der Ausdruck einer u n e n t w i c k e l t e n Rechtstechnik, die sich dementsprechend mit einer mehr geschäftsmännisch arbitrierenden Richtergewalt begnügt. Die d e u t s c h e Gerichtsorganisation und Rechtspflegeordnung ist allerdings verwickelter. Aber sie ist eben damit der adäquate Ausdruck eines technisch so hoch wie sonst noch niemals vervollkommneten Privat- und Prozefsrechts. Das von Adickes und anderen Kritikern, bes. in der Presse, getadelte standesmäfsig Abgeschlossene des deutschen Ricbterstands, in letzter Linie des Reichsgerichts, wird also reichlich aufgewogen durch den mäfsigenden und bindenden Einflufs des s y s t e m a t i s c h d u r c h d a c h t e n , w i s s e n s c h a f t l i c h d u r c h g e a r b e i t e t e n Gesetzes, — ein Einflufs, der dem draufsen stehenden Betrachter gar nicht zum Bewufstsein kommt. Die angebliche, in weiten Kreisen bestehende U n z u f r i e d e n h e i t mit der Justiz hat ihren wahren Grund nicht in der Justiz selbst, sondern in der rücksichtslosen Konkurrenz der wirtschaftlichen und sozialen Gruppen, in den starken und immer stärker werdenden ungesunden Gegensätzen, die innerhalb des gesellschaftlichen Lebens Deutschlands herrschen. Die Schwächen, die in der Justiz selbst vorhanden sind, ergeben sich grofsenteils naturgemäfs aus dem Ü b e r g a n g s z u s t a n d , der durch die gewaltigen gesetzgeberischen Umwälzungen des letzten Jahrzehnts geschaffen worden ist. U m v o l k s t ü m l i c h zu w e r d e n , b r a u c h t d i e d e u t s c h e Z i v i l r e c h t s p f l e g e , a u c h die P r a x i s des R e i c h s g e r i c h t s , v o r a l l e m a n d e r e n R u h e , um neue feste Traditionen bilden zu können, aber nicht eine neue „durchgreifende Justizreform".

§ 127. Die Wiederaufnahmeklagen. ™ I.3 Wesen und Anwendungsgebiet der Wiederaufnahmeklagen. Die Bedeutung und die allgemeinen Vorbedingungen des d r i t t e n gegen die Endurteile begründeten Rechtsmittels im weiteren Sinne ergibt sich aus der schon früher (0. S. 781). betonten Eigenart desselben als eines a u f s e r o r d e n t l i c h en Rechtsmittels. Hierin liegt, dafs es auf gewisse nur a u s n a h m s w e i s e vorhandene schwere Mängel des Urteils berechnet und nur s u b s i d i ä r (in Ermanglung der andern Rechtsmittel) zulässig ist. Ein irgendwelches Rechtsmittel solcher Funktion kann kein modernes Prozefsrecht entbehren 1. Im übrigen aber unterliegen die Vorbedingungen desselben durchaus positivrechtlicher Festsetzung. Die Erfahrung hat gelehrt, dafs zwei Hauptgruppen von Mängeln die aufserordentliche Anfechtung bedingen können, besonders 1 Das g e m e i n e Recht gewährte als solche die querela insanabilis n u l l i t a t i s u n d die in integrum restitutio (über die E n t w i c k l u n g der ersteren: S k e d l , Die Nichtigkeitsbeschwerde, 1883). Das a l t p r e u f s i s c h e gab die Nullitäts- und die Restitutionsklage (A.G.O. I , 16, V . v. 14. Dez. 183Î, § 28), — entsprechend die neueren Partikularproz.-Ordn., die Nichtigkeitsbeschwerde, bezw. Nichtigkeitsklage u n d die Wiederaufnahme des Verfahrens, bezw. Wiederaufnahmeklaffe (Hann. P.O. §§ 431, 444). N u r das f r a n z ö s i s c h e Recht zieht alle Anfechtungen i n ein Rechtsmittel (requête civile cod. 480 ff.) zusammen, gefolgt nur von Preufs. E . § 686 ff. A u c h hier folgt also Z.P.O. dem n a t i o n a l e n Recht vgl. o. S. 228 A n m . 1). Vgl. über die Entscheid. S c h w a l b a c h , civ. A. 63, 122 (1880).

Nichtigkeitsklage und Restitutionsklage.

809

schwere Mängel des V e r f a h r e n s und besonders eingreifende Mängel in den s a c h l i c h e n U n t e r l a g e n der Entscheidung. Demgemäfs hat auch die Z.P.O. zwei Gruppen von Vorbedingungen unterschieden und mit Rücksicht hierauf, w^e die meisten modernen Gesetzgebungen, den Antrag auf „Wiederaufnahme des Verfahrens" in zwei Klagformen gesondert, die N i c h t i g k e i t s k l a g e und die R e s t i t u t i o n s k l a g e (§ 578) Beiden ist untereinander und mit der Berufung und Revision (oben § 125, I ; 126, I) gemeinsam, dafs sie nur auf Initiative der Partei, unter denselben Parteien und über denselben Anspruch und nur im Umfang der Parteianträge eine Nachprüfung herbeiführen (vgl. o. S. 787. 797). Beidè u n t e r s c h e i d e n sich von der Berufung und Revision dadurch, dafs sie die Nachprüfung nicht an ein höheres Gericht ziehen (devolvieren), sondern an dasselbe Gericht, welches die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Dafs die Z.P.O. mit Rücksicht hierauf und mit Rücksicht auf die engere Begrenzung ihrer Vorbedingung sie nicht als „Rechtsmittel" bezeichnet, ist eine Willkürlichkeit des Sprachgebrauchs (darüber oben S. 778). Die a u s s c h l i e f s l i c h e Regelung der Zuständigkeit des Gerichts (§ 584) stützt sich im wesentlichen auf den Gedanken, dafs dasjenige Gericht im Wiederaufnahmeverfahren entscheiden solle, welches das angefochtene Urteil erlassen hat. Deshalb ist das e r s t i n s t a n z l i c h e Gericht zuständig, wenn n u r dieses geurteilt hat, — das B e r u f u n g s g e r i c h t , wenn ein Urteil des Berufungsgerichts (z. B. eine Zurückweisung der Berufung als u n b e g r ü n d e t ) angefochten wird, — das R e v i s i o n s g e r i c h t wenigstens dann, wenn gegen ein revisionsgerichtliches Urteil ein Nichtigkeitsgrund (§ 579) oder nur der Revisionsgrund § 580 n. 4, 5 geltend gemacht wird. Von diesem Prinzip werden jedoch in § 584 Ausnahmen aufgestellt: a) Da das Revisionsgericht an das festgestellte Sachverhältnis des Berufungsurteils gebunden ist, so wird auch in Fällen, wo das Reichsgericht entschieden hat, in Wahrheit doch das Urteil des Berufungsgerichts angefochten, wenn die Anfechtung auf einen schweren Mangel der T a t sachenfeststellung gestützt wird. Deshalb ist auch für die Anfechtung des R e v i s i o n s u r t e i l s doch das B e r u f u n g s g e r i c h t zuständig, wenn sie auf § 580, 1—3 (Verfälschung des Eides, der Urkunden, der Zeugen- oder Sachverständigenaussage) oder auf § 580, 6. 7 (nova reperta) gestützt wird. b) Haben im gleichen Rechtsstreit m e h r e r e Instanzen geurteilt (insbesondere das Untergericht in der Sache, das Obergericht durch Verwerfung des Rechtsmittels wegen prozessualer Unzulänglichkeit oder durch Zurückverweisung), so sind nach dem Prinzip des § 584 an sich für die Anfechtung des einen oder andern Urteils zwei verschiedene Gerichte zuständig. So soll es in der Tat sein, wenn Oberlandesger. und Reichsger. entschieden haben. Haben dagegen Erstinstanzgericht und Berufungsgericht entschieden, so ist das B e r u f u n g s g er i c h t für a l l e Anfechtungen zuständig, wenn auch „nur eines von mehreren angefochtenen Urteilen von dem Berufungsgerichte erlassen wurde". „Sind die Klagen gegen einen Vollstreckungsbefehl gerichtet (oben S. 606), so gehören sie ausschliefslich vor das Amtsgericht, welches den Befehl ι Die Zweiteilung der Klagen hat entsprechend ihren verschiedenen Gründen auch Bedeutung hinsichtlich der Verschiedenheit der W i r k u n g . Die Nichtigkeitsklage bewirkt die Aufhebung des mangelbehafteten Urteils ohne weiteres wegen des M a n g e l s a n s i c h , — die Restitutionsklage nur dann, wenn der Mangel eine s a c h l i c h e U n r i c h t i g k e i t des Urteils verursacht hat ( S e u f f e r t , Vorbem. von § 578).

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I

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Rechtsstreit.

§ 12.

i d u n m e .

erlassen hat; wenn der Anspruch nicht zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehört, vor das für den Rechtsstreit über den Anspruch zuständige Gericht" (§ 584, 2).

I I . Bedingungen der Nichtigkeitsklage. Die Nichtigkeitsklage findet aus den von § 579 abschliefsend bezeichneten Mängeln des Verfahrens statt. Ein solcher liegt nur vor: 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäfsig besetzt war; 2. wenn ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, welcher von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs oder eines Rechtsmittels ohne Erfolg geltend gemacht ist; 3. wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich derselbe wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war; 4. wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozefsführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat. Diese Mängel sind also von andern zu unterscheiden, welche nicht durch Nichtigkeitsklage, sondern nur durch Berufung und Revision geltend zu machen sind (z. B. der Unzuständigkeit des Gerichts), — anderseits aber auch von solchen (schwereren) Mängeln, die zu ihrer Geltendmachung der Nichtigkeitsklage gar nicht bedürfen, formlos auch gegenüber dem Vollstreckungsorgan geltend gemacht werden können (Urteil eines überhaupt nicht zum Richteramt legitimierten Menschen, — über diese Unterschiede näher o. S. 682. 685). Endlich aber unterscheidet § 579, 2 auch weiter unter den oben genannten Mängeln solche, welche u n b e d i n g t durch Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden können (n. 2, 4) und solche, welche nur s u b s i d i ä r durch sie behauptet werden können, falls sie nicht schon mittels Rechtsmittels gerügt werden konnten (nichtvorschriftsmäfsige Besetzung und Mitwirkung eines abgelehnten Richters, § 579 n. 1, 3).

I I I . Bedingungen der Restitutionsklage· Entsprechend findet die Restitutionsklage nur aus den in § 579 aufgeführten besonders schweren Verfälschungen oder Lücken der U r t e i l s g r u n d l a g e (u. Nr. 1—4, (3—7) oder aus der Verfälschung des Urteils selbst (Nr. 5) statt. Sie liegen vor: 1. wenn der Gegner durch Leistung eines P a r t e i e i d s (Schiedseids, richterlichen Eids, Glaubhaftmachungseids, gesetzlichen Editionseids, o. S. 529), auf welche das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat (§ 580, Nr. 1 in Verb. m. St.G.B. § 153. 163) 2. weun eine U r k u n d e , auf welche das Urteil gegründet ist (von der Partei oder einem Dritten), fälschlich angefertigt 1 Über das Erfordernis, dafs das U r t e i l auf den Eid, die U r k u n d e usw. ist: R.G. v. 21. Nov. 1883. 14 , 324.

ngegründet

u

Nichtigkeitsgründe.

Restitutionsgründe.

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oder gefälscht war (§ 580 Nr. 2 in Verb. m. St.G.B. § 267 bis 269. 271); 3. wenn durch Beeidigung eines Zeugnisses oder eines Gutachtens, auf welche das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder der Sachverständige (auch der Dolmetscher, o. S. 656) sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat (§ 580 Nr. 3 in Verb. m. St.G.B. § 154. 155. 163); 4. wenn das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Handlung erwirkt ist, welche mit einer im Wege des gerichtlichen Strafverfahrens zu verhängenden öffentlichen Strafe bedroht ist (Nr. 4), z. B. durch Verleitung eines Dritten zum Falscheid (St.G.B. § 160), durch Täuschung des Richters mit gefälschten Augenscheinsobjekten (St.G.B. § 263), durch Untreue des Rechtsanwalts (St.G.B. § 266); 5. wenn ein Richter bei dem Urteile mitgewirkt hat, welcher sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer öffentlich und gerichtlich strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat (Nr. 5), der passiven Bestechung (St.G.B. § 334), der Rechtsbeugung (§ 336), des Mifsbrauchs der Amtsgewalt (§ 339), der falschen amtlichen Beurkundung (§ 348) 6. wenn ein strafgerichtliches Urteil, auf welches das Urteil gegründet ist 2 , durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben ist (§ 580 Nr. 6) ; 7. wenn die Partei: a) ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder: b) eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, welche eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde 8 (§ 580 Nr. 7). Die Restitutionsgründe lassen sich hiernach bezeichnen teils als Begehungen s t r a f b a r e r H a n d l u n g , die durch ihre E i n m i s c h u n g eine ungerechte Entscheidung verursacht haben (sogenannte falsa oder quasi falsa, n. 1—5), teils als Entdeckung n e u e n P r o z e f s s t o f f s , dessen M a n g e l diese Wirkung gehabt hat (nova reperta n. 6, 7). Die Unterscheidung wird praktisch durch § 581, 1. Obwohl nämlich Zivilentscheidung und Strafentscheidung über denselben Tatbestand nicht aneinander gebunden sind, so wäre es doch ein „unerwünschter Zustand" (Mot. 337), wenn in so kritischen Fragen Zivilgericht und Strafgericht nicht gemeinsame oder gar verschiedene Stellung nehmen wollten. Deshalb soll in den Fällen Nr. 1—5 die Restitutionsklage nur stattfinden, „wenn wegen der strafbaren Handlung eine rechtskräftige Verurteilung (seil, des Strafgerichts) ergangen ist, oder wenn die Einleitung oder die Durchführung eines Strafverfahrens aus andern Gründen als wegen Mangels 1 2

Es genügt nicht eine blofs disziplinar strafbare H a n d l u n g des Richters. D. h. ein Strafurteil, welches (in der oben S. 176 lit. b bezeichneten Weise) t a t s ä c h l i c h auf die Meinung des Zivilgerichts Einflufs geübt hatte. 3 Allerdings nur eine solche U r k u n d e , die nicht erst i n Verbindung m i t andern n o c h z u e r h e b e n d e n Beweisen eine andere Entscheidung des Gerichts begründet, sondern für sich allein oder i n Verbindung m i t d e n b e r e i t s e r h o b e n e n (R.G. 7, 321. 14, 329. 16, 43?).

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Rechtsstreit.

§ 12.

i d u n m e .

1

an Beweis nicht erfolgen kann" . Wegen nova reperta ist die Restitutionsklage nur dann eingeschränkt, wenn die neu entdeckte Urkunde zum Gegenbeweis einer Tatsache verwendet werden müfste, die durch E i d festgestellt ist und deshalb dem freien Gegenbeweis (nach oben S. 529) nicht mehr unterliegt (§ 580 n. 7, Abs. 2). Dagegen ist in a l l e n Fällen die Restitutionsklage (im Gegensatz zu § 579 n. 1, 3, — oben II) nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden aufser Stande war, den Restitutionsgrund in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Einspruch oder Berufung oder mittels Anschlusses an die Berufung geltend zu machen (§ 582). Sie ist also gegenüber Berufung, Revision und Einspruch subsidiär, nicht nur, wie b e i d e Wiederaufnahmeklagen, in dem Sinne, dafs sie nur Platz greift, wenn Berufung und Revision zur Zeit nicht mehr e r g r i f f e n w e r d e n k ö n n e n , sondern auch in dem engern Sinn, dafs sie nur Platz greift, wenn sie (^uch früher) zur Geltendmachung d i e s e s Grunds nicht h ä t t e n ergriffen werden können.

I T . Wiederaufnahmeverhandlung und -entscheidung. Die Verhandlung und Entscheidung, die sich über die Nichtigkeitsoder Restitutionsklage entwickelt, entspricht dem Verfahren jedes andern durch Klage begründeten Prozesses (§ 585). Mündliche Verhandlung, Versäumnisverfahren, Beweisaufnahme, Urteilserlafs usw. sind die des ordentlichen Prozesses; ebenso richten sich die Rechtsmittel gegen das neu erlassene Urteil nach den allgemeinen Grundsätzen (§ 591)2. Eine Eigentümlichkeit ergibt sich nur daraus, dafs die gerichtliche Verhandlung und Beweisaufnahme z w e i i n n e r l i c h g e t r e n n t e Fragen zum Gegenstand hat. Ganz abgesehen nämlich davon, dafs das Gericht auch hier zunächst wie auf Berufung, Revision, Einspruch, die „Statthaftigkeit" und die Form- und Fristgerechtigkeit der erhobenen Nichtigkeits- oder Restitutionsklage zu prüfen hat (§ 589, s. hierüber o. S. 784) zerfällt die gerichtliche Prüfung in der Sache selbst: a) in die Prüfung des A n f e c h t u n g s g r u n d s und damit der sachlichen Zulässigkeit der Wiederaufnahme (sog. judicium rescindens) ; b) in die Neuprüfung des A n s p r u c h s , der „Hauptsache", soweit sie „von dem Anfechtungsgrunde betroffen ist" (§ 590, 1, judicium rescissorium) 8. Eine ä u f s e r e Sonderung beider Prüfungen ist, wie überhaupt das Gesetz eine bindende Reihenfolge verschmäht (o. S. (335), gesetzlich nicht vorgeschrieben, aber dem Gericht freigestellt. Das Gericht k a n n im konkreten Falle anordnen, dafs die Verhandlung und Entscheidung über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahme der 1 Diese Fälle der Unverfolgbarkeit oder Undurchführbarkeit des Strafrechts sind die Fälle, i n denen eine strafprozessuale Prozefsvoraussetzung (die Verhandlungsfähigkeit des Verbrechers wegen Abwesenheit, Geisteserkrankung nach der T a t , T o d , Jugend, St.P.O. §§ 203, 318, St.G.B. § 55) oder eine sog. Strafbarkeitsbedingung (der Strafantrag St.P.O. £259) fehlt. 2 W a r also das Wiederaul'nahmeeericht das erstinstanzliche (oben S. 809), so sind gegen das U r t e i l auf die Wiederaufnahmeklage Berufung und Revision, — war es das zweitinstanzliche und zwar das Oberlandesgericht, so ist nur die Revision zulässig. 8 Soweit das frühere Verfahren n i c h t vom Anfechtungsgrund betroffen w i r d , bleiben also die dort erhobenen Beweise für das Gericht ohne weiteres verwertbar.

Wiederaufnahmeverfahren.

Beschwerde.

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Verhandlung v o r d e r V e r h a 11 d 1 u 11 g über clie Hauptsache erfolge", wobei das rescissorium als Fortsetzung des rescindens anzusehen ist (§ 590, 2) 1 . Tatsächlich wird sich aber im Regelfall die Sache auch ohne Anordnung im Weg des richterlichen und Parteibetriebs so gestalten, dafs z u n ä c h s t nur der Wiederaufnahmegrund und erst dann der Anspruch im allgemeinen geprüft wird. (So insbesondere fast immer in den Fällen § 579 und 580 n. 5). Für das Verfahren des rescindens besteht nur bei der Restitutionsklage der sineuläre Unterschied, dafs der Beweis des Restitutionsgrunds nicht durch Eideszuschiebung geführt werden kann (§ 581, 2). Anderseits ist aber s t e t s zwischen der Frage der Statthaftigkeit, Formund Fristgerechtigkeit der Klagerhebung (der „Zulässigkeit der Klage" § 589) und der Frage des Bestehens eines Anfechtungsgrundes (der „Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens" § 590 zu unterscheiden. J e n e ist stets ihrer Natur nach Vorfrage, von A m t s we gen zu prüfen, — diese ist Hauptfrage, unterliegt im Zweifel der Verhandlungsmaxime (der Restitutionsgrund kann zugestanden werden, — im Versäumnisfall wird das tatsächliche Vorbringen des Klägers als zugestanden angenommen und nach § 331 verfahren usw., — so auch Mot. 340 und die herrschende Meinung).

§ 128. Die Beschwerde. Insbes. zu den Abänderungen der Nov. 5. Juni 1905: Seuffert, E n t w . eines Ges. zur A b änderung usw., Z. 33 (1904), 435.

I · Bedeutung der Beschwerde. Einfache und sofortige Beschwerde. Die Beschwerde ist das einzige Rechtsmittel, welches zur selbständigen Anfechtung von Vorentscheidungen über p r o z e s s u a l e V o r f r a g e n gewährt i s t 2 . Sie ist jedoch nach dem früher (S. 779) Dargelegten nur anwendbar, wo das Gesetz sie ausdrücklich zuläfst. Insoweit sie zulässig ist, erscheint sie ihren B e d i n g u n g e n nach an sich als o r d e n t l i c h e s Rechtsmittel, denn sie ist nicht auf Geltendmachung bestimmter Mängel beschränkt, sondern kann beliebige Beschwerdegründe — insbesondere tatsächliche und rechtliche — geltend machen (§ 570). Gleichwohl zeigt die Erfahrung, dafs die Beschwerdeanfechtung, da sie (im Gegensatz zum Anspruch) verhältnismäfsig nebensächliche F r agen betrifft, auch nur verhältnismäfsig seltner von den Parteien gebraucht wird, und die Z.P.O. trägt dem dadurch Rechnung, dafs sie die Beschwerde hinsichtlich des V e r f a h r e n s teilweise wie ein auiserordentliches Rechtsmittel behandelt. Vor allem tritt dies praktisch darin hervor, dafs die Beschwerde im Zweifel (als sog. „ e i n f a c h e " Beschwerde, querela simplex) nicht sofort bei einem höheren Richter, sondern zunächst bei demjenigen Richter eingelegt wird, der die angefochtene Entscheidung erlassen hat, bei dem sog. dekretierenden Richter oder judex a quo. Dieses Gericht 1 Da das Gericht i m m e r h i n dies R e c h t hat, eine Trennung vorzunehmen, so ist die Unterscheidung von rescindens und rescissorium nicht nur eine logische. Die Sache liegt nicht so wie die V e r h a n d l u n g , die in Berufung oder Revision über den M a n g e l des angefochtenen Urteils und über das n e u e Material stattfindet (so W e i s m a n n S. 463)· Denn hier k o m m t es n i e zu einer Trennung. 2 Gegen Zwischenurteile über m a t e r i e l l e Vorfragen („selbständige Angriffs- und Verteidigungsmittel", § 303) ist n i e Beschwerde gegeben. Sie sind stets nur zugleich m i t dem E n d u r t e i l anfechtbar (§ 512 usw.), soweit sie nicht vereinzelt der Berufung unterliegen.

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Rechtsstreit.

§ 12.

echere.

erhält dadurch nochmals Gelegenheit, seine Meinung in Erwägung zu ziehen. „Erachtet das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, die Beschwerde für begründet, so haben sie derselben abzuhelfen." Erst „andernfalls", d. h. erst wenn klar wird, dafs das Gericht seine Entscheidung aufrecht erhält, ist die Beschwerde vor Ablauf einer Woche dem höheren Gericht (Beschwerdegericht oder judex ad quem) vorzulegen (§ 571). Diese ganze Anordnung hat den Zweck, eigentliche Nachprüfungen durch ein höheres Gericht möglichst einzuschränken und beschwerende Vorentscheidungen möglichst durch abändernde Entschliefsung des dekretierenden Gerichts selbst (o. S. 775) zu beseitigen 1 2 . Nur in Fällen, in welchen die Vorentscheidung die Interessen der Beteiligten besonders empfindlich berührt, wird die Beschwerde als „sofortige" Beschwerde gestaltet, mit der Wirkung, dafs das dekretierende Gericht „zu einer Abänderung seiner durch Beschwerde angegriffenen Verfügung nicht befugt" ist (§ 577, 3), dafs also der judex a quo die Sache an den judex ad quem weiter befördern mufs 8 . Für die einfache wie für die sofortige Beschwerde gilt, dafs in „dringenden Fällen" die Beschwerde sogar sofort bei dem Beschwerdegericht (judex ad quem) eingelegt werden kann (§ 569, l ) 4 . Die e i n f a c h e Beschwerde wird ausdrücklich begründet: a) a l l g e m e i n „gegen solche, eine vorgängige mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidungen, durch welche ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen wird" (§ 567). Diese Vorentscheidungen sind also nie Zwischenurteile 6 , sondern stets Beschlüsse und Verfügungen, und auch sie: 1. nur wenn zu ihrem Erlafs mündliche Verhandlung nicht (wie die Regel) obligatorisch, sondern nur f a k u l t a t i v erfordert wird (o. S. 453), — gleichviel im übrigen, ob im einzelnen Fall solche Verhandlung wirklich angeordnet worden ist oder nicht; 2. nur wenn sie über ein p r o z e s s u a l e s (das Verfahren betreffendes) Gesuch entscheiden 6 ; 1 Jüiese (rein technische) E r w ä g u n g des Gesetzgebers rechtfertigt also nicht die verfehlte Anschauung P l a n c k s ( I I , 537 ff.), dafs die Beschwerde überhaupt kein Rechtsm i t t e l i m Parteistreit, sondern ein Streit einer Partei m i t dem dekretierenden Richter vor dem höheren Richter sei. a Beschwerdegericht ist hiernach i n den Fällen der einf. B. entweder der judex a uo oder der judex ad q u e m , so dafs die Beschwerdeschrift j e nachdem von einem bei em Untergericht oder bei dem Obergericht zugelassenen Rechtsanwalt zu unterzeichnen ist (R.G. P I e n . ν. 29. A p r i l 1880. 1, 431). 8 N u r w i r d dieser prinzipielle Gegensatz wieder dadurch abgeschwächt, dafs aus den Fällen der sofort beschwerdefähigen Entscheidungen einzelne herausgehoben werden, i n denen auch nach der Beschwerdeeinlegung zunächst eine abändernde Entscheidung des judex a q u o möglich wird. Diese Fälle sind der K o s t e η f e s t s e t z u η gs b e s c h l u f s (Z.P.O. § 105), sowie die K o s t e n f e s t s e t z u n g i m a m t s g e r i c h t l i c h e n U r t e i l , die als vereinfachtes Surrogat des Beschlusses durch Z.P.O. I I , § 103 geschaffen w i r d (§ 577, 3, Novelle). 4 Nach Mafsgabe der eben dargelegten Grundsätze kommt es in diesen Fällen zu einem verschiedenen Verfahren, je nachdem sofortige oder einfache Beschwerde begründet ist. Bei sofortiger Beschwerde befindet (gemäfs § 577) der judex ad quem ohne weiteres. I s t dagegen blofs einfache Beschwerde begründet, so befindet zunächst der judex ad quem, ob der F a l l ein „dringender 4 * ist. Verneint er dies, so teilt er z u n ä c h s t die Sache dem judex a quo zur eventuellen Abänderung der angefochtenen Entscheidung mit. 5 Zwischenurteile setzen stets mündliche Verhandlung voraus (o. S. 736). β Ζ. Β. über den Antrag, dafs wesentliche Erklärungen durch Protokollanlage festzustellen sind (§ 298), über den A n t r a g auf Stellung gewisser Fragen an den Zeugen (§ 397); — auch über den A n t r a g zur Verurteilung des Gegners i n die Kostenstrafe aes § 48 G.K.G. (vgl. oben S. 6, 2; vgl. u. S. 970). (Vgl. F i t t i n g 102.) Aufserdem liegt i n solchem E i n t r i t t in den schwebenden Streit der Ausgangspunkt der N e b e n intervention (u. § 135) und der Hauptintervention (§ 136). 4 N u r gegen das H i n d e r n i s , dafs für die mehreren zu verklagenden Streitgenossen verschiedene allgemeine Gerichtsstände begründet sind und ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand fehlt, k a n n durch Kommissorium geholfen worden (§36 n. 3: vgl. o. S. 270).

Form der Begründung des Streitgenossenschaftsverhältnisses. Wirkungen. 847

der Klaghäufung oder Widerklage, — nämlich Vereinfachung des Verfahrens durch Ersparnis an Zeit, Mühe und Kosten sowohl für das Gericht wie für die Parteien 1 . Dagegen strebt die Streitgenossenschaft den Erlafs einer gemeinschaftlichen Entscheidung und vor allem einer Entscheidung gleichen Inhalts für bezw. gegen alle Beteiligten grundsätzlich n i c h t an. Allerdings wird die gemeinschaftliche Verhandlung tatsächlich in vielen Fällen auch dem Ergebnis förderlich sein, dafs nur einmal entschieden wird und dafs widersprechende Entscheidungen vermieden werden. Findet z. B. die Verfolgung der getrennten Teile einer Erbschaftsforderung durch die mehreren Erben als Streitgenossen im gleichen Prozesse statt, so wird die Vernehmung eines Zeugen, die Beweiswürdigung und rechtliche Würdigung des Gerichts im Zweifel nur in gleichem Sinne entweder für oder gegen clie mehreren Kläger ausfallen, — während in getrennten Prozessen erwartet werden könnte, dafs der Zeuge hier aussagen, dort die Aussage verweigern werde, dafs das Gericht des einen Prozesses eine andere Rechtsansicht vertrete als das des zweiten. Das Gesetz sucht demgemäfs auch in beschränktem Umfange einen gleichförmigen Prozefsverlauf direkt zu befördern, — nämlich durch die Vorschrift, dafs zwar das Recht zur Betreibung des Prozesses jedem Streitgenossen zusteht, dafs er aber, wenn er den Gegner zu einem Termin ladet, auch die ü b r i g e n S t r e i t g e n o s s e n seiner Parteiseite laden mufs (§ 63) 2 . Nur eine allgemeine Gewähr für den gleichzeitigen und gleichförmigen Ausgang des Prozesses besteht nicht, und für den regelmäfsigen Fall der Streitgenossenschaft ist dieselbe mit einem im Ergebnis verschiedenen Verlauf sehr wohl verträglich. Dies kommt in folgenden Grundsätzen zum Ausdruck: 1. „Streitgenossen stehen dem Gegner dergestalt als Einzelne gegenüber, dafs die Handlungen des einen Streitgenossen dem andern weder zum Vorteile noch zum Nachteile gereichen" (§ 61). Das Gesetz begründet also für Tätigkeit und Untätigkeit des Streitgenossen eine selbständige und gesonderte prozessuale V e r a n t w o r t l i c h k e i t (o. S. 350). Im einzelnen ist: a) Die vorteilhafte Prozefstätigkeit nur dem handelnden nützlich, die nachteilige Untätigkeit des andern Streitgenossen 1 Ersparnis an Z e i t : ein für beide Ansprüche erheblicher Zeugenbeweis w i r d nur einmal, nicht wie in getrennten Prozessen unvermeidlich, wiederholt erhoben (R.G. 41, 119), — an Mühe: das Gericht macht sich nur einmal über dieselbe Rechtsfrage schlüssig und erläfst nur ein Urteil, — an Kosten: die mehreren Ansprüche werden zusammengerechnet (Z.P.O. § f>) und die Kosten werden danach zwar in einer höheren Wertklasse, jiber dafür nur einfach, also präsumtiv billiger berechnet, als w e n n sie i n einer Iiiederen Wertklasse mehrfach berechnet würden (vgl. u. § 170). - T u t der Streitgenosse das nicht, so ist die von i h m ausgebrachte L a d u n g des Gegners zum T e r m i n i m Sinn des Gesetzes nicht „ordnungsgemäfs". Erscheint der Gegner, so kann er Vertagung verlangen. Erscheint er n i c h t , so k a n n der einzeln erschienene Streitgenosse kein Versäumnisurteil gegen i h n ausbringen (§ 335 n. 2), obwohl der Gegner selbst geladen ist. Z u dem neu anzuberaumenden T e r m i n müssen die übrigen Streitgenossen geladen werden. Erscheint dagegen der ladende Streitgenosse selbst n i c h t , so ist er dem VersUumnisurteil auf A n t r a g des Gegners unterworfen trotz der ungehörigen Ladung, denn er darf aus seinem Verstofs nicht selbst Vorteil ziehen.

848

V· Rechtsstreit.

§ 134. Streitgenossenschaft.

ist diesem schädlich. So nützt das Erscheinen im Termin nur dem Erschienenen, gegen den Ausbleibenden wird Versäumnisurteil erlassen 1. Die Bestreitung von Behauptungen oder Urkunden zwingt den Gegner nur gegenüber dem tätigen Streitgenossen zum Beweis, — gegenüber dem stillschweigenden gilt die Tatsache usw. als zugestanden (§ 138). Legt nur ein Streitgenosse gegen das Urteil Berufung ein, so wird dasselbe nur ihm gegenüber nachgeprüft. Gegenüber dem untätigen wird das Urteil rechtskräftig 2 . ß) Die nachteilige Prozefsthätigkeit verschlechtert nur die prozessuale Lage des Handelnden, die vorteilhafte Untätigkeit erhält dem Streitgenossen seine prozessualen Vorteile trotz der Tätigkeit des andern. So begründet Verzicht, Anerkenntnis, Vergleich des einen Genossen die Beendigung des Streits nur gegen diesen, — das Geständnis stellt die Tatsache nur gegenüber dein Gestehenden aufser Streit, während dieselbe Tatsache durch Bestreiten des anderen Streitgenossen diesem gegenüber beweisbedürftig wird 3 . 2. Die Entscheidung wird nicht notwendig als einheitliche Entscheidung erlassen. Auch hier gelten §§ 300. 301, wonach sowohl nach gemeinsamer Klagerhebung wie nach Zusammenlegung getrennter Prozesse eine Trennung der Entscheidung stattfinden kann, wenn der eine Anspruch vor dem andern spruchreif wird. Und ferner kann auch im Fall der Streitgenossenschaft das Gericht die gemeinsam eingeklagten Ansprüche schon während der Verhandlung in getrennte Prozesse verweisen (§ 145, 1) oder die beschlossene Zusammenlegung nachträglich wieder aufheben (§ 150). 3. Nur die Folge der beiden ersten Grundsätze (Nr. 1 u. 2) ist es, dafs die Entscheidungen gegenüber den Streitgenossen i m I n h a l t nicht übereinzustimmen brauchen. Die Entscheidungen können auf Gruncl des verschiedenartigen Verlaufs des Prozesses trotz der Gleichheit oder Gleichartigkeit des streitigen Rechtsverhältnisses verschieden, ja direkt widersprechend ausfallen. Schon im regelmäfsigen Fall der Streitgenossenschaft kann das Verhältnis der Streitgenossen durch Sondervorschriften modifiziert werden. Die Z.P.O. sieht aber in § 67 gewisse Fälle vor, in denen sich das Verhältnis der Streitgenossen g r u n d s ä t z l i c h ändert. Sie werden im Anschlufs an § 62 als die Fälle der n o t 1 2

R.G. 1903, 55, 310. Entspr. k a n n ein Streitgenosse den E i d zuschieben, ein anderer nicht, — der E i d k a n n nur einem Streitgenossen zugeschoben, oder, wenn er a l l e n zugeschoben wird, nur von einem angenommen, bezw. geleistet werden. Die Leistung des Eides nützt nur dem schwörenden Genossen. (Vgl. die Kommentare zu § 472.) 3 Allerdings treten alle diese Konsequenzen nur insoweit e i n , als sich nicht aus den Vorschriften des bürgerlichen Rechts oder der Z.P.O. „ e i n a n d e r e s e r g . i b t u (§ 61). Da z. B. Miterben über einen Nachlafsgegenstand nur gemeinschaftlich verfügen dürfen, so ist der V e r z i c h t n u r e i n e s M i t e r b e n auf das geltend gemachte Recht ü b e r haupt wirkungslos. Vgl. R.G. 44, 348. Schwierige Kasuistik ( G a u p p - S t e i n zu

§

III).

Unabhängige und notwendige Streitgenossenschaft.

849

w e n d i g e n Streitgenossenschaft (auch der „besonderen" Streitgenossenschaft) bezeichnet. In einer dunklen Ausdrucksweise des Gesetzes werden sie als die Fälle gekennzeichnet, in welchen „das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden kann" oder in welchen „die Streitgenossenschaft aus einem sonstigen Grunde eine notwendige" ist Die Z.P.O. will damit keineswegs die hier in Betracht kommenden Rechtsverhältnisse e r s c h ö p f e n d b e s t i m m e n . Sie will nicht auf den Begriff der „einheitlichen Feststellbarkeit" oder der sonstigen Notwendigkeit eines Streitgenossenverhältnisses als auf eine a l l gem e i n e E i g e n s c h a f t gewisser Rechtsverhältnisse verwiesen haben, die sich nach logischen Erwägungen aus der Natur der juristischen Beziehung der mehreren Interessenten zu bestimmen hat. Überhaupt soll § 62 nicht aus sich selbst verständlich sein. Er ist vielmehr nur eine Ergänzungsbestimmung, die zu andern schon vorhandenen, aber ganz speziellen Vorschriften des Zivilrechts oder Prozefsrechts, besonders des ersteren, hinzutritt, aber auch hinzutreten mufs, weil mit jenen Sondervorschriften sich die regelmässige Behandlung der Streitgenossen (§ 61) nicht vertragen würde. Es gibt nämlich Sondervorschriften, die in manchen Fällen der Rechtsgemeinschaft oder Verpflichtungsgemeinschaft, f a l l s n u r e i n e r der M i t b e r e c h t i g t e n oder M i t v e r p f l i c h t e t e n k l a g t oder v e r k l a g t w i r d , eine getrennte Entscheidung verhindern wollen. Infolgedessen mufs die Z.P.O., um nicht den Zweck dieser Vorschriften illusorisch werden zu lassen, für den andern Fall eingreifen, wo in solchen Fällen die m e h r e r e n M i t b e r e c h t i g t e n oder M i t v e r p f l i c h t e t e n g e m e i n s a m (d. h. e b e n a l s S t r e i t g e n o s s e n ) k l a g e n o d e r v e r k l a g t w e r d e n . Sie mufs möglichst verhindern, dafs der v e r s c h i e d e n a r t i g e P r o z e f s v e r l a u f tatsächlich doch wieder zu getrennten und inhaltlich abweichenden Entscheidungen führe. Nur dies ist die Bedeutung des § 62 l . Hieraus wird weiter schon deutlich, dafs der § 62 nur eingreifen will, falls es in concreto 1 Dafs § (>2 an den Vorbehalt des § 58 anknüpft, also auf z i v i l r e c h t l i c h e Vorschriften verweist (soweit nicht das Prozefsrecht selbst derartige Vorschriften aufstellt), ergibt sich aus Nordd. E. § 95, wo dies ausdrücklich ausgesprochen w a r , — vgl. m i t Mot. z u m Deutschen E. S. 82. Die Erscheinung der notw. Streitg. w i r d deshalb unverständlich, wenn m a n § 62 aus sich selbst interpretieren und den Begriff der Notwendigkeit als einen l o g i s c h g e g e b e n e n verstehen w i l l . So noch neuerdings wieder K l e i n f e l l e r , Lb. S. 132, W e i s m a n n I , 4H8 u. manche, der o. zil. Monographien. Hierdurch w i r d gegen den Grundgedanken verstofsen, nach dem die Z.P.O. die Streitgenossenschaft behandelt. Denn es macht gerade das Wesentliche des §61 aus, dafs das Gericht der j u r i s t i s c h e n N a t u r dos H e c h t s V e r h ä l t n i s s e s , das dem Litiskonsortium zu Grunde liegt, k e i n e Rechnung tragen und i m g e m e i n s a m e n Prozefs ebenso unabhängig nach Mafsgabe des Prozefsbetriebs der verschiedenen Interessenten entscheiden soll, wie i n g e t r e n n t e n Prozessen zu entscheiden sein würde (o. S. 819). W o l l t e m a n also trotzdem in m a n c h e n Fällen der Streitgenossenschaft eine E i n h e i t der Entscheidung aus der N a t u r der Sache folgern, so würde man sich jeder Möglichkeit begeben, zwischen den einfachen und den notwendigen Streitgenossen eine feste Grenze zu ziehen, u n d i n der T a t ist auch bei den genannten Schriftstellern eine solche feste Abgrenzung zu vermissen (vgl. die unbestimmte Kasuistik bei W e i s m a n n S. 468. 469). I n W a h r h e i t sind die Fälle der notwendigen Streitgenossenschaft die, die das p o s i t i v e R e c h t a l s s o l c h e b e z e i c h n e t .

R i c h a r d S c h m i d t , Lehrbuch des Zivilprozefsrechts.

2. Aufl.

54

850

Rechtsstreit.

§ 134. Streitgenossenschaft.

vermöge des f r e i e n W i l l e n s der Beteiligten zu einem gemeinsamen Klagen oder Verklagtwerden gekommen ist. Keineswegs will er für manche Fälle die Streitgenossenklage vorschreiben, noch weniger einen direkten Z w a n g vorkehren, um sie wider Willen der Beteiligten herbeizuführen 1. Die Erscheinung wird jedoch dadurch verwickelter, dafs die materiellrechtlichen Vorschriften, die der § 62 zu ergänzen beabsichtigt, wiederum zweierlei Art sind. Sie treffen sämtlich darin zusammen, dafs sie den Erlafs widersprechender Entscheidungen in getrennten Prozessen verhüten wollen. Aber sie suchen diesen Erfolg auf verschiedenem Wege zu erreichen, 1. teilweise so, dafs sie dem Urteil, welches der e i n z e l n e Berechtigte oder Verpflichtete erstritten hat, unmittelbare Wirkung für und gegen den Mitberechtigten oder Mitverpflichteten beilegen. An diese Vorschriften denkt § 62, wenn er von den Fällen spricht, in denen das „Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden" kann. Die einschlagenden Ausnahmevorschriften, durch die der regelmäfsige Grundsatz einer subjektiven Beschränkung der Rechtskraft auf die Parteien, durch die eine Erstreckung der Rechtskraft auf einen Dritten ersetzt wird, sind früher zusammengestellt worden (o. S. 765 ff.). Sie ruhen teils auf materiellem Recht, teils auf dem Prozefsrecht selbst. Nach Zivilrecht sind danach notwendige Streitgenossen die mehreren Beklagten im Statusprozesse (insbesondere Z.P.O. § 632 bei Nichtigkeitsklage gegen beide Gatten, S. 766), Personen, gegen die gemeinsam eiu rechtsänderndes Urteil begehrt wird 2 , ferner die, welche durch Spezialvorschrift der gemeinsamen Rechtskraft unterstellt werden (Vorerbe und Nacherbe, Erbe und Testamentsvollstrecker) 3. Gleiches gilt für die prozefsrechtlichen Spezialfälle 4. Keineswegs aber trifft die notwendige Streitgenossenschaft alle Fälle der Rechtsgemeinschaft 5. Nur dadurch erfährt die eng begrenzte Erscheinung eine Erweiterung, dafs ein gleicher Effekt grundsätzlich 2. auch noch in anderer Weise erreicht werden kann, nämlich 1 Somit bezeichnet es das Wesen der Sache n i c h t , wenn W e i s m a n n u. a. die e i n f a c h e Streitgenossenschaft als „gewillkürte" oder „fakultative" der notwendigen gegenüberstellen. Es wäre besser zu unterscheiden „ u n a b h ä n g i g e 1 · und „ a b h ä n g i g e " Streitgenossenschaft. Vgl. insbes. über die A d z i t a t i o n u. S. 851 Anm. 1. 2 So z. B. die mehreren Sozien, gegen die auf Auflösung der Handelsgesellschaft geklagt w i r d (o. S. 770). 3 V g l . diese Fälle o. S. 7(57. — Insbes. besteht danach notwendige Streitgenossenschaft auch, wenn die offene Handelsgesellschaft und daneben die einzelnen Sozien als Streitgenossen verklagt worden sind (S. 7ti8). 4 Die mehreren Gläubiger, die dasselbe Vermögenstück gepfändet haben, iin Prozefs gegen den Drittschuldner (Z.P.O. § 85ß, 4), die mehreren Interessenten die den E n t mündigungsbeschlufs anfechten (§ (Mj, 3). Vgl. G a u p p - S t e i n zu § (i'2, I I b . 5 Insbes. nicht solche Fälle, die nach g e m e i n e m R e c h t notwendige Streitgenossen waren, w e i l damals eine Spezialvorschrift die gemeinsame Rechtskraft für sie begründete, die Miteigentümer i m Streit u m die Dienstbarkeit, die Gesamtschuldner aus D e l i k t , aus Bürgschaft. (Vgl. über sie nach früherem Recht I . Aufl. des Lb. S. 870.) Jetzt sind die letzteren durch" § 425, 2 ff. von der notwendigen Streitgenossenschaft ausdrücklich ausgeschlossen. Ebenso G a u p p - S t e i n zu § 02, I I a . W e i s m a n n 4(59. Überhaupt wird an dieser Stelle bedeutsam, dafs wie eine Erstreckung der Rechtskraft auf Dritte nie a u s d e r L o g i k des Rechtsverhältnisses allein gefolgert werden darf.(o. S. 7 richtsstände 252; sog. privilegierter Gemeines Prozefsrecht, italienisches — 254(1); einzelne — 254f.; — des 73; deutsches — 90; Wert des gem. Wohnsitzes 255 ; — des AufenthaltsZ.P. 93 f. orts 257 ; — der Niederlassung 258 ; Gemeinschaftliche Gerichte d. Bundes— des Vermögens 259; — der gestaaten 192; — Urkunden 520; — legenen Sache 260 ; — der Obligation Vollstreckung im Gegensatz zur i 261 f.; — der Deliktobligation 263; Sondervollstreckung 929. Generalbevollmächtigte, Zustellung I — der Erbschaft 265; — der Ehesachen und Kindschaftssachen 266; an — 625. — der Widerklage 837; — der Generalexekution u. Spezialexekution Vereinbarung 274; — des Sach917. zusammenhangs 269; — der BeGerichte, Organisation der — 190f.; auftragung 273; Verhältnis der Ge— als Gegenstand d. Prozefsgesetzrichtsstände zueinander 253. gebung 4. 5; — Einflufs ihrer Organisation auf die Gestaltung der Gerichtsstillstand 692. Zivilrechtspflege 28 f. ; erkennende Gerichtsurkunde, langobardische 67. — 194; vollstreckende — 197; vor- i Gerichtsverfassungsgesetz 135 ; Verbereitende, untersuchende, zustel- ! hältnis zum Landesrecht 139. Gerichtsvollzieher, französische 98; lende 201. — im geltenden Recht 198; — als Gerichtsanstalten in administrativem Vollstr.-Organ 199; — als ZustellungsSinn 193. organ 200. 620 ; — als BeurkundungsGerichtsbarkeit, Begriff 151; ordentorgan 200f.; Verhältnis zum Amtsliche und besondere 190; freiwillige richter 199; Dienstverhältnisse 201 ; und streitige 162; Zivil- und StrafVorbedingungen des Amts 207 ; gerichtsbarkeit 173; — des Reichs Rechtsverhältnis z. Vollstreckungsund der Bundesstaaten 191 ; deutsche und ausländische — 283. läubiger 898; rechtliche Prüfung Gerichtsbesetzung, ordnungsgemäfse — es — 898. 910* ; Prüfung d. Wegfalls der Vollstreckungsbedingungen als Prozefsvoraussetzung 660. durch 1012. Gerichtsbezirke, Feststellung der — Gerichtszeit 651. 243. germanischer Z.P. 49. Gerichtsdiener 201. 622. Gesandte als Rechtshilfsorgane 292; Gerichtsferien 651. auswärtige Gesandte, Exemtion von Gerichtsgewalt 151. der deutschen Gerichtsgewalt 294. Gerichtsherrlichkeit, Begriff u. Inhaber Geschäftsfähigkeit und Prozefsfähig152. keit 318. Gerichtskonventionen der Bundesstaaten 191. Geschäftsführer ohne Auftrag als proz. Gerichtskosten 1050. Vertreter 673.

f

1078

register.

Geschworne, Einführung im röm. Z.P. Glaubhaftmachung 471; Mittel ders. 472; Zulassung zur eidesstattlichen 41; Verfassung ders. im röm. Z.P. Versicherung zwecks — 539 ; — durch 47 (2); englische — in Zivilsachen Zeugen, Beeidigung derselben? 511; 119. summarischer Charakter 568; — i m Gesellschafter als Nebenintervenient Arrestprozefs 595. im Gesellschaftsproz. 854; nichtfirmierender — als Zeuge? 501. Gleichartigkeit des Grundes mehrerer Anspr. als Bedingung der StreitGesetzliche Gerichte im Gegensatz z. genossenschaft 845. Ausnahmegericht 271; — Eide 530; Gesetzliche Vertretung 365; Be- Gleichberechtigungsprinzip in d. Vollrechtigung zur — als Prozefsvorausstreckung 930f.; Entwicklung 931; setzung 660; — Wegfall der ges. — in der Immobiliarvollstr. 989 (2). Vertretung 689 f. Gograf, altsächsischer 66. Gesetzlicher Vertreter, Grund und Be- Gold- und Silbersachen, Versteigerung in d. Vollstreckung 946; Hinterdeutung 319. 365*; Fälle 366; prolegung 1061 (8). visorische Bestellung 366; Befugnisse — 368 ; provisorische Zulassung Gottesurteile 56 (1). des — 673 ; Eidesleistung des — 528 ; Graf, fränkischer 50; spätere Ent— als Zeuge? 500. wicklung 60. 62. Gesetzlichkeit des Versäumnisurteils Grenzscheidungsstreitigkeiten, Zustän563. digkeit 261. Geständnis, Begriff 490; Form 491: Grund der Klage, bei Abfassung der rechtliche Natur 494f.; ZusammenKlagschrift 390 ; — bei der Beweishang mit dem Verhandlungsprinzip last 481; Vorabentscheidung ..über 422. 494; gerichtliches una aufserden Grund des Anspruchs 731 ; Ändegerichtliches — 492 ; — in Ehesachen rung des Klaggrunds 825. 497; — offenkundig unwahrer Tat- Gründe der richterlichen Überzeugung, sachen 489 ; stillschweigendes — 493; Angabe ders. 467. vorwegnehmendes — 497; qualifi- Grunabuch, Führung des — 166: Einziertes — , Beweislast 483; W i r tragung d. Vollstreckungs-Beschlagkungen d. Geständnisses 493 ; Widernahme ins — 989. ruf 494; — in der Berufung 791. : Grunddienstbarkeiten, Gerichtsstand Gewährleistungsanspruch d. Erstehers bei Proz. um — 216; Streitwert wegen Versteigerung fremder Sachen von — 1067. 945; wegen Mängel 945; — als Grundstücksstreitigkeiten, örtl. Zust. Grundlage einer Nebenintervention ! 261. 855. Guarentigiierte Urkunden 79 ; im gelGewahrsam, Einflufs auf die Volltenden R. 880. streckung 936 ; Bedeutung alsVoraus- Gutachten, Form 545 ; Gründe der setzung der Vollstr. in Sachen 986 ; Gutachtenverweigerung 544; BeEinwendungen des Dritten bei Vereidigung 545; Schiedsgutachten 152. letzung desselben 1025. Gewerbegerichte in Frankreich 99 (3) ; in Deutschland 237; Organisation Häufung von Klagen, s. Klaghäufung. und Kompetenz 238; Zustellung d. Haft gegen Zeugen 506; als Zwang zu höchstpersönl. Handlungen, DulUrteile der — 618 (2). dungen, Unterlassungen 922 f. 927; Gewerbliches Arbeitsverhältnis, Anzur Erzwingung des Offenbarungssprüche aus dem —, Zuständigkeit eids 1004; Verfahren bei Vollstr. 238. 245 der — 1006; als Form d. PersonalGewissensvertretung 533: Entstehung arrests 587. 89. Gewohnheitsrecht, Beweis desselben Haftkostenvorschufs 1006. Hand wahre Hand, Einflufs des Prin437. zips für die Erstreckung der RechtsGläubiger, Partei d. Vollstr.-Verf. 311; kraft auf Dritte 769; auf die BeSicherung des Gläubigers in der schränkung der Rechtskraftwirkung Vollstr. gegen Eingriffe Dritter in gegen Dritte 766 ; Einflufs des Prinden Vollstr.-Gegenstand 941. 952; zips auf die Pfändung fremder Einwendungen der — gegen das Sachen 934. 1038·; auf die Vollstr. Vollstr.-Verf. 1025. von Sachleistungen 1001. Glaubenseid 542. —

register. Handelsbücher, Pflicht zur Edition Hinterlegung im Prozefs 1061 ; Grundsätze ders. 1062; Behörden ders. 1061 der — 520. (8); rechtl. Bedeutung u. W i r k u n g Handelsgebräuche, Usancen als Ele1062 (1); — des Pfanderlöses bei vorl. mente d. gerichtlichen Entscheidung Vollstreckbarkeit 889 ; — d. Schuld384. betrags einer gepfändeten Forderung Handelsgerichte in Frankreich 99; 889 ; zum Zwecke des VersicherungsReichsoberhandelsgerichtes, Begrünverfahrens 970 ; auf Grund der Prädung des — 107 (3); Einflufs seiner tendentenstreitverkündung 865. ehemal. Kompetenz auf die heutige Hinterlegungsbehörde, s. Hinterlegung; Gerichtsverfassung 197. Handelsgesellschaft, offne, Parteifähig— als Drittschuldner bei der Vollkeit derselben? 322; Einflufs ihrer streckung in Forderungen 952 (1). Rechtsnatur auf Zeugnisfähigkeit der ! Hinweisung auf die Bedeutung des Gesellschafter 501 ; auf die RechtsEids 542. kraft der Urteile 768 (3); Vollstr. Höchstgebot, s. Meistgebot. gegen die o. H.G. 322. 911 (1). Hohenzollern, Sondergerichtsbarkeit Handelsgeschäft, Anspr. aus — 249. für d. Mitglieder d. Familie — 235. Handelssachen, Kammern für — 195; huissier 100; Verh. zum deutschen GeAbgrenzung der Kompetenz gegenrichtsvollzieher 198. über den Zivilkammern 248 f. ; Dis- Hypothekenforderung als Vollstr.-Obj. position der Parteien hierüber 278. 964 f. Handlungen, unerlaubte, Anspr. aus Hypothekengläubiger, Behandlung d. —, Zust. 264. — i. Zwangsversteigerungsverfahren Handlungsfähigkeit, Beweislast 485; 982. 984. 989 f.; — in der ZwangsVerhältnis zur Prozefsfähigkeit 318. verwaltung 995. Hannoversche Ζ P.O. 105; hannöv. Hypothekenklage, Zuständigkeit 216; Entwurf einer deutschen Z.P.O. 106. Geltendmachung imUrkunaenprozefs Hauptintervention 860; — um Recht 571 ; — im Mahnverfahren 601 ; — in und um Sache 861; Form 863; WirForm der Hauptintervention 862 (3). kungen 863 ; — des Rechtsnach- Hypothekenurkunden als landesgesetzfolgers 812. liche Vollstreckungstitel 892 (1). Hauptpartei 853; ihr Verhältnis zum Nebenintervenienten 857. Hauptsache, Verhandlung zur — 394. Jagdrecht als Vollstreckungsobjekt 960. 400; Wirkungen 398; insbes. auf die Klagzurücknahme 405 ; auf prozefs- Immobilien, Begriff ders. für die Vollhind. Einreden 677. streckung 977; Vollstr. in Imm. im Hauptverfahren und Vorverfahren im allgemeinen, Verh. zur MobiliarZ.P. 22, im deutschen 677. exekution 932 ; — im einzelnen 979 f. ; mafsgeb. Gesetze 137. 976; Formen Hausgenossen, Zustellung an — 625. der Vollstr. 979 ; Organe der Vollstr. Hausnaltungsgegenstände, Pfändung 981; Arrest in — 980 f. solcher 939. Hauswirt, Ersatzzustellung an den — Immunitäten der Gerichtsgewalt 293. 625 Imperativ-Dekrete, Gegensatz zu blofs Heimlichkeit und Öffentlichkeit 652. feststellenden 357. Hemmung der Vollstreckung durch Impugnationsverfahren im Arrestproz. den Schuldner 1042. 593. Herausgabe, Anspr. auf Her. von Ur- Indiculus commonitorius 60; Wurzel kunden als Editionsgrund 519; An- ι des Mandatprozesses 80. spruch auf — von Sachen als Voll- j Individualisierung des Anspruchs in streckungsobjekt 920. 999*. ! der Klage 390; — im Mahngesuch Herrschaftsgebiet der Prozefsgesetze i 603. ; Indizien 333. 467*. 146. Herrschaftszeit der Prozefsgesetze Indossable Papiere als Vollstr.-Objekte 145. Herstellung des ehelichen Lebens, Inhaberpapier als Vollstr.-Objekt 963; 1 Aufgebots verfahr en 173. Klage auf — 378; Vollstreckung •Inhabilis judex 215; — testis 76. 923. I 499. Hilfsrichter 214. Hilfszwangshandlungen 357. ! Inhibitorium 951.

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Inländische Zivilgerichtsbarkeit, Gren- juramentum calumniae im röm. Z.P. 49; Parallelerscheinung im germ. R. 52; zen im Verh. zur ausländischen 283 f. im ital.-kanon. Proz. 75; — necesInquisitionsprinzip 417 ; im übrigen s. sarium 76; delatum 89. Untersuchungsprinzip. Inquisitionszeugen des fränk. Proz. 61. jure, revisio in — 798. instantia, absolutio ab —, s. Ab- Jurisdictio42; contentiosau. voluntaria 162. weisung. Instanz, Segriff 195; Einleitung der — Jurisprudenz, italienische 72. juristische Personen, Parteifähigkeit 784. solcher 317. Instanzenzug, keine Durchbrechung Jury, englische, in Zivilsachen 64. 119. des 278. 788. 797. Instruktionsprinzip im altpreufs. Z.P. jus und judicium, Trennung von — 95. 96; Bedeutung und Gegensatz i im röm. Z.P. 41. zum Verhandlungsprinzip 417 f. ι Justifikationsverfahren im Arrestproz. Interesse am Rechtsschutz 13. 309. ! 593. 695* ; Verhältnis zum Gegenstand j Justitium 692. des Prozesses, Anspruch 696; Arten I Justizverwaltung, Begriff 151. 181; der Rechtsschutzinteressen 697 f.; — I Geschäfte 193. 218. 226; Vereinbaran der Feststellung 710 f. 719; recht- I keit mit der Gerichtsbarkeit 181. liches — 711; — des Nebeninter- Justizverweigerung, Bedeutung 23; venienten 853. Folgen der — (Disziplinarverf.) 213. Interesseleistung anstatt Vollstreckung 918. 925. Interlokute 356; Beweisinterlokut 88. Kabinetsiustiz, Anschlufs solcher 211. Kaiser, Ernennung dnrch den — 207; 640; im übr. s. daselbst. Genehmigung des — zu ZeugenInteressenten des Zivilprozesses, Parvernehmungen 505. teien 313; — des Immobiliarexekutionsverfahrens, „Beteiligte" 982. Kalendertag, Abhängigkeit der zu vollstreckenden Anspr. von einem — 903. Intervention, akzessorische 852; im übr. s. Nebenintervention; prinzipale Kammern der Landgerichte 195 ; — für Handelssachen 196 ; Zuständ. gegen860; im übr. s. Hauptintervention. über der der Zivilkammern 249; Interventionsinteresse 853. 861. Verschiebung der Grenzen durch Inventar, Bedeutung für die Vollstr. Parteiwillen 278 ; sachl. Zuständ. 1021; Pfändung des landwirtschaftder Landger.K. gegenüber der amtslichen Inventars 940; Klage auf gerichtlichen 247. Vorlegung eines Inventars 717; eidliche Bestärkung eines Inventars, Kammergerichtsordnungen als Quelle des Prozefsrechts 83. Offenb. Eid 1005. Inzidentfeststellungsklage 842; Ver- Kammergerichtsprozefs 84 f. hältnis zur Rechtskraft der Ent- Kanonischer Z.P. 71 f. Kanzleigerichtshof, englischer — 121. scheidungsgründe 753. 102 ; Verh. zur Irrtum, Widerruf des Geständnisses Kassationsrekurs deutschen Revision 796 f. wegen — 493; Anfechtung der prozessualen Rechtsgeschäfte wegen — Kaufmann, Ansprüche gegen einen —, Zuständigkeit 249. 361. Italienischer Z.P. 69f.; Verhältnis zum Kind, persönlicher Gerichtsstand eines solchen 256; —als Nebenintervenient kanonischen Prozefs 72; modernes im Prozefs der Eltern 854. ital. Pr.R. 118. Judex, römischer Einzelrichter 41 ; Kings Bench-Gerichtshof 63. 119. judex a quo, ad quem 813; iudex Kläger, als Partei 311; Versäumnis des — 555. secundum allegata et probata judicare debet 432; nemo judex sine actore Klagänderungsverbot, Entstehung 74. 81 ; — als Wirkung der Rechts381. hängigkeit 410; Bedeutung 822f.*; judicature act, englische — 122. Behandlung 828f.; Tragweite 825; judices itinérantes, englische — 64. — in Ehesachen 826; — in der Bejudicium rescindens et rescissorium 812. rufungsinstanz 830. Jugendliche Personen, Eidesunfähigkeit 510 ; Ausschlufs von der Gerichts- Klagantrag 383. Klagbeantwortung 399*. verhandlung 656. Klagbefugnisse 19. julische Gerichtsorganisation 47(2).

register. Klage, Begriff u. Bedeutung 382 ; Form Ι Kognition, summarische 566 f. 386f.: — im Urkundenprozefs 57. ! Kollegium,Entscheidungdesselben725 ; 575; — auf Rechnungslegung, Ex- j Tätigkeit des — 218 ; Teilnahme am Beschlufs des — 219; Organe des — hibition 717; Interventionsklage 863; 219 f. Leistungs-, Bewirkungs-, Feststellungsklage 13 697* f.; — aus I Kolonialgerichte 232. bedingtem Anspruch 107. 718; aus Kommanditgesellschaft auf Aktien, Parteifähigkeit 317. befristetem 714; — sal va liquidatione 715 (1). 572; „prozef-gestaltendc" Kommissar des Gerichts 221. Klagen ? 306 ; — des Pfandgläubigers Kommunalgerichtsbarkeit 5; im gelt. im Vollstr.-Verf. 9ö5; WiderspruchsR. 160. 237. klage im Verteilungsverfahren 972; Kompensationseinrede, Einflufs der Widerspruchsklage d. Dritten gegen Rechtskraft auf sie 753; Beweislast unber. Vollstr. 1027; Vollstreckungshins. ders. 479; Rechtshängigkeitsgegenklage 1012; — auf Erlafs des wirkungen der —? 733. Vollstreckungsurteils zum Schieds- Kompetenz, s. Zuständigkeit. spruch 158; — zum ausländ. Urteil Kompetenzeinrede 275. 659. 672. 287; auf Aufhebung eines Schieds- Kompetenzkonflikt zwischen Gericht spruchs 158; — auf Erteilung der und Verwaltungsbehörde 187. Vollstreckungsklausel 902; — auf Konfliktsgerichtshöfe 188. Feststellung der Urkundenechtheit Konfrontation von Zeugen 508. 306*; — auf Wiederaufhebung der Konkurrenz von Gläubigern im Vollstr.Entmündigung 172; AnfechtungsVerf. 968; — mehrerer Vollstr.-Gläuklage im Aufgebotsverfahren 173; biger 969 : - - von Vollstr.-Gläubigern Nichtigkeits- und Restitutionsklage mit Pfandgläubigern 972; Prinzip der 809; Ehenichtigkeitsklage 385; Zufreien Konkurrenz der Anwaltschaft rücknahme der Klage 405. 720; K l . 225; Wert desselben 229. der Erben auf Beschränkung der Konkurs, Verhältnis zum Zivilprozefs Haftung 1023. 167; zum Arrestprozefs 586; zur Vollstreckung 919. Klageerfordernisse 13 f. 658. Konkursgläubiger, Rechtskraft des Klaggegenstand 390 Urteils im Prozefs der Mitgläubiger Klaggrund, Bedeutung für die Klag767 (2). schrift 390; — für die Beweislast 481; Änderung des Klaggrunds 825; Konkursmasse als Partei? 325f. Leugnen des Klaggrunds im Gegen- Konkursordnung 133. Konkursschuldner, Prozefsfähigkeit satz zur Einrede 485. desselben .^26; Zeugnisfähigkeit desKlaghäufung, objektive 831; Beselben 502(1). dingungen 832; Form 833; Unzulässigkeit formloser — 834; sub- Konkursverwalter, Stellung im Prozefs 325 f. jektive — 845; im übr. s. StreitKonnexität als Voraussetzung der Vergenossenschaft. bindungen von Anspruch und GegenKlagrecht, Wert des Begriffs 19. anspruch, der Widerklage 837; — als Klagschrift, Bedeutung 387; Inhalt 388; Voraussetzung der Streitgenossen— im röm. Z.P. 48; im ital.-kanon. schaft 845; Gerichtsstand der — 269. Z.P. 73; im Kammergerichtsproz. 85; im altsächs. Z.P. 87; im gemeinen Konstitutive W i r k u n g der Entscheidungen 743. Z.P. 90; im französischen Z.P. 100; im englischen Ζ P. 120; im öster- Konsul 231; als Rechtshilfeorgan 282. reichischen Z.P. 120. 292; Exemtion des ausländischen — von der deutschen Gerichtsbark. 294. Klagverbindung, s. Klaghäufung. Konsulargerichtsbarkeit 230. Klagvoraussetzungen 13. 658. Klagzurücknahme 405; Behandlung Konsumtion, prozessuale — im röm. Z.P. 45, im germanischen 57; Verder Kosten hierbei 661; Wirkung hältnis zur Rechtskraft 746 f. auf die Rechtshängigkeit 411. Kleidungsstücke, Pfändung von — 939. Kontradiktorische Form des Zivilproz. 416; — Urteile im Gegensatze zum Königsboten 61. Versäumnisurteil 551 ; Gebiet beider Königsgericht, germanisches 61. 783. Königsurkunde 62. 66. Körperliche Sachen, Vollstreckung in— Konzentration des Prozesses, gesetzgeberische Mafsregeln zur — 633. 935 f.

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Partei 610; — als Vorbedingung des Korporation, Gerichtsstand der— 256; Versäumnisurteils 562 ; — nach AbVollstreckung gegen öffentliche — lehnung des Antrags auf Vers.-Urt. 893. 611; — nach Unterbrechung, AusKorrespondentrheder, Ansprüche aus setzung, Ruhen des Verf. 610; —nach dem Rechtsverhältnis des — 249. Beweisaufnahme, Verh., vor beauftr. Kostbarkeiten, Pfändung von — 943. Richter 613; — zur Aufnahme des Kosten, Bedeutung 1046 Entscheidung Verfahrens 687; — zur fakultativen über die — 1047; bei KlagzurückVerhandlung 613; — im Arrestproz. nahme 406; — des Versäumnisurteils 593(2); — im Nachverfahren nach 563; der Zwangsvollstreckung 1050; Beendigung des Urkundenprozesses des Mahn Verfahrens 1049 (2); des 579; Entbehrlichkeit der — nach Arrestprozesses 1049 (2); HinterVerlegung, Vertagung 612; — der legung der — 1059 ; Sicherheitsleistung für die — 1060; Erstattung I Auskunftspersonen 611. Ladungsfrist 646. der Kosten 1058. Kostenansprüche, Arten 1047; — des i Läuterung d. bedingten Endurteils 540. Gerichts 1050; des Gerichtsvoll- Ι Laienjustiz und Beamtenjustiz 29. ziehers 1054; der Zeugen und Sach- • Landesgericht, oberstes — in Bayern ! 197. verständigen 1055: des Rechtsanwalts Landesgerichte u. Reichsgerichte 191. 1055 f. 1 Landesnerrengericht 235 ; LandesKostenberechnung 1051. 1056. 1059. herren, Exemtion von der GerichtsKosten erstattungsanspruch 1047. 1058*; 1 gewalt 294; Mitglieder landesherrGeltendmachung 1063. licher Familien, Eidesleistung 542. Kostenfestsetzungsverfahren 1065. Landesrechtliche Normen im Gebiet Kostengesetze 134. des Z.P. 139; Verhältnis zum ReichsKostenkompensation 1048. recht 140. Kostenlast 1046. Landgerichte im mittelalterlichen Z.P. Kostenseparation 1049. 65; — in der deutschen GerichtsKostenverteilung 1047. verfassung 194; Kammern der — Kestenvorschufs 1059. 195; sachliche Zuständigkeit 247. Kostenwesen 1046 f. Kraftloserklärung von Urkunden 173. langobardischer Z.P. 67. Krieg, Einflufs eines solchen auf den laudatio auctoris 866. Lebensversicherungspolize als Vollstr.Prozefs 692. Objekt 947. Kriegsbefestigungen 87, s. LitiskontesLegalisierung von ausländ. Urkunden tation, Einlassung. 524. Kriegsfahrzeug, Besatzung eines solchen, Exemtion v. d. Haft 1006. Legatar, Rechtskraftwirk, des Urteils im Erbschaftsprozefs auf den — 770. Kumulation der Ansprüche 831, im übrigen s. Klaghäufung; Eventual- Legisaktionen 43 légitima judicia 643(2). kumulation 833. Kündigung der Prozefsvollmacht 371. j légitima persona standi in judicio 318. Kündigungsklage 751 (1); im Ur- Legitimation gesetzlicherVertreter 370; Sachlegitimation, Aktiv- und Passivkundenprozefs 572. legitimation 313. Kurator eines Abwesenden, Nachlasses, Fideikommisses als gesetz- Lehrlinge, Gerichtsstand der — 308. licher Vertreter 364; — nicht Partei Leugnen des Klaggrunds; Gegensatz zur rechtshindernden Einrede 487; 324. motiviertes — 488 f. Kuxe als Vollstr.-Objekt 962. libelli oblatio im ital.-kanon. Z. P. 73. libellus im röm. Z.P. 48; im ital.-kanon. Z P . 73; im gemeinen Proz. 84 f. Ladung im röm. Z.P. 48; im german. Z.P. 52; im fränk. Z.P. 61; im lan- Liquidation, Sozius einer Gesellschaft gobardischen Z.P. 68; im ital.-kanon. in — als Zeuge? 501(3). Z.P. 73; im gemeinen Z.P. 93; im liquidatione, Klage salva — 714. geltenden Recht 609 f.; Form 610 f. Liquidationsverfahren, erbschaftliches — in der Klagschrift 611(1); — bei 165. Rechtsmittel-, Einspruchseinlegung Literatur des Zivilprozefsrechts 148. 611 (1); Verhältnis zur Terminsbe- Litisdenunziation 859. 864 ; im übr. stimmung und Zustellung 644; — der s. Streitverkündung.

register. Litiskontestation im Legisaktionenprozefs und im Formularprozefs 44; im Kaiserproz. 49; im ital.-kanon. Z.P. 73; im gemeinen Z.P. 85f.; im geltenden Recht 394; Fiktion der sog. affirmativen, negativen — 553; im einz. s. Einlassung. Lokalisierung der Rechtsanwaltschaft 225.

Meistgebot bei d.Mobiliarversteigerung 943 f. ; — bei der Grundstückversteigerung 983. 992. Mefs- und Marktsachen, Gerichtsstand der — 263. Mietrechte, Vollstreckung in — 960. Mietstreitigkeiten, sachliche Zust. 545; j vorläufige Vollstreckbarkeit 887. I Militärgerichtsbarkeit, keine — in ! Zivilsachen 294. ; Militärische Hilfe bei der Vollstreckung

Magdeburger Weichbildrecht 66. Manngesuch, Verh. zur Klage 388 ; ! 1008. Inhalt 603 ; Zurückweisung 604. I Militärpersonen, Wohnsitz ders. 225; Mahnregister 602. ! Zustellung an — 623(2); Zwangshandlungen gegen — 294: Haft Mahnverfahren 600 f.; Herkunft 80; Verhältnis zum Versäumnisverfahren i gegen aktive 1006 (1). 600; Bedeutung und Verh. zu den ! Minderjährige, Eidesleistung solcher übrigen summarischen Prozefsarten ! 527; — als Zeugen in ihren eignen Prozessen? 501; Prozefsunfähigkeit 600. 608(2); Vorbedingungen 601; Verfahren 602 ; Verhandlungen zum ' 318. ordentlichen Prozefs 606. Mindestgebot, Prinzip d. zulässigen — Majorität, s. Mehrheit. 986. Mandatar, Gerichtsvollzieher als — des Minister, Beteiligung an ausländ. ZuGläubigers? 915. stellung 293 ; Zeugenvernehmung Mandatsprozefs, bedingter und under — mit Genehmigung des Landesbedingter 80. herrn 505; Vernehmung an ihrem Amtssitz 505. Mängel des Prozesses 659. 665; einzelne — 659 f.; Einflufs auf das Missi dominici 60. Urteil 665; prozefshindernde Eigen- Missionen, Mitglieder auswärtiger —, schaft der — 675 ; Berücksichtigung Exemtion von der Gerichtsgewalt im Urkundenprozefs 578; — im 293. 294. Mahnverfahren 603; — in der Be- Mitberechtigung am Streitgegenstand, rufungsinstanz 682 ; — in d. RechtsEinflufs auf d. Richterausscnliefsung mittelverfahren überhaupt 682 ; — im 216; Grundlage einer StreitgenossenVollstreckungsverfahren 911; nachschaft 845; — einer Nebeninterträglicher Eintritt von Mängeln 685, vention 853. s. auch Prozefsmängel; Mängel der j Miteigentum am Grundstück, Gegeneinzelnen Prozefshandlungen 693. i stand der Vollstreckung 978. Manifestationseid, s. Offenbarungseid. Mitglieder des Gerichts, Personalverteilung 208; Mitwirkung bei der Entmannitio 52. scheidung 219 f.; Überwachung des manus iniectio 42 (1). Vorsitzenden durch die — 220; FragMaterielle Wahrheit, Prinzip der — stellung solcher 220; Übertragung 435. der Leitung der Verhandlung an Mehrheit, absolute — bei der Abeinzelne —? 221(1). stimmung 219; — der Prozesse, Einflufs mehrerer Prozesse aufeinander Mitteilungen, Bedeutung 613 f ; — durch hins. des Prozefsstoffs 819; hins. der ! Verkündung 614 ; — durch Zustellung Rechtskraft des Urteils 820; — v o n Ι 615 ; formlose — von Parteiakten 615. Ansprüchen im Prozefs 632. 821; i Mittelbare Vollstreckung zur Befrie— von Streitpunkten, Behandlung ; digung von Geldansprüchen 996; ders. 634 f. — von Sachansprüchen 1001. Meineid, Mafsregeln gegen den — in j Motiviertes Leugnen 485. ! der Geschichte 61 ; Bedeutung von Mühlengerechtigkeit, Streit um —, Voreid und Nacheid für die Gefahr privatrechtliche Natur? 182(4). des — 510; — des Zeugen, der Par- Mündliche Verhandlung 439 ; fakulteien usw. als Restitutionsgrund 810. tative — 453; Ladung zu solcher Meineidige als Zeugen 76. 510. 613; Vorbereitung der — 455; AusMeineidsbeschuldigung, notwendiges bleiben in der — 588; — in der Mittel zur Führung des GegenbeBerufung 794; Termine zur — 644 weises gegen den Eid 529. Protokoll über die — 446.

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Nichtigkeit des Prozesses, Bedeutung, Mündlichkeitsformalismus 444. Gegensatz zur Anfechtbarkeit 664. Mündlichkeitsprinzip, Bedeutung 489; 667*f.; — im späteren Stadium des — im engern Sinne 440; Verhältnis Prozesses 684; Berücksichtigung im zum Schriftlichkeitsprinzip 441 ; Wert Vollstr.-Verf.? 911. 443; — für die Beweisaufnahme? 464; — im französ. Z.P. 101; — i m Nichtigkeitsgründe d. privaten Rechtsältern preufs. Z.P. 95 ; in d. deutschen verhältnisses 485 ; prozessuale — Reformbewegung 104; in der öster664f.; Einflufs auf das Urteil 665: reichischen 114. Berücksichtigung von Amtswegen 667 ; — im Versäumnisverfahren 668. Nichtigkeitsklage 810 ; EhenichtigkeitsNachbeeidigung der Zeugen 510. klage 385; Ausschlufs ihrer VerNachbevollmächtigte 370. bindung mit anderen Klagen 833. Nachgiebiges Prozefsrecht 143. Nichtleistung des Eids 329; — des Nacbnolung von Prozefshandlungen bei Editionseid 522; des OffenbarungsFristversäumnis 648. eids 1004. Nachlafsgericht 165. Nichtständige Richter 212. Nachlafsgläubiger, Ansprüche der —, Nichtstreitige Gerichtsbarkeit 162 f. Zuständ. 266. Niclitverhandeln 491. Nachpfändung 968. Nichtwissen, Erklärung mit — 492. Nachträgliches Vorbringen, Zurück- Niederlassung, Gerichtsstand der — 259. weisung 636. Niederlegung der Schriftsätze als ZuNachtragsprozesse 308. stellung 626; — der Vollmacht 37, Nachtzeit, Zustellung zur — 651; Volls. Kündigung. streckung zur — 651. Nachzahlung von Prozefskosten 1062. Niefsbrauch, Vollstreckung von — 958; Geltendmachung der Belastung desNahrungsmittel, Pfändung solcher 939. selben bei ehemännl., väterl. — 959. Namensaktien, -papiere, als Vollstr.1027. Objekt 962. Nationaler Charakter des deutschen Niefsbrauch als rechtsverfolgende Einrede im Eigentumsstreit 395. 479. Prozesses, Verhältnis zum röm. R. Nigrum der Klagschrift 389. 36. 127*; zum französ. R. 129(2). Naturereignisse, Einflufs auf die Ver- Norddeutscher Entwurf der Z.P.O. 106. säumnis 562. Nebenforderungen, beliebige Ausschei-1 Normativbestimmungen der G.V.G. dung von — 384; Einflufs auf die ; 140. Berechnung des Streitwerts 1068. ! Notare, Urkundsbefugnis der — 166; Nebenintervenient, Begriff 853; Hand-1 Mitwirkung des Notars bei Immobiliarvollstreckung 972. lungen desselben 857 f ; Geständnis, Eidesleistung 858; streitgenössischer ! NotarielleUrkunden als Vollstreckungstitel 881. — 858. Nebenintervention 852; Bedingungen Notfristen 647. Notfristzeugnis 896. 853; Form 876; Wirkungen 856. Nebenprotokoll in fremder Sprache? Notorietät, notorische Tatsachen 434. nova reperta als Restitutionsgrund 811. 656. Noveneid 91 (6). neganti non incumbit probatio 479. Novenrecht in der Berufung 91 (6). 791. negatio per positionem 483. Novellen zur Z.P.O. 134; —anläfslich Negative, Beweis der sog. — 483. des bürgerl. Gesetzbuchs, Entwurf Negative Feststellungsklage 16. 720; 136; Arrestnovelle 913; — wegen Rechtskraft der Abweisung einer der Plenarentscheidung 197. solchen 760 ; Rechtshängigkeitswirkungen 412; Beweislast bei neg. Nullitätsquerel 808. Fest -Kl. 478. Nutzungsrechte, Vollstr. in — 958. Nennwert, Uberweisung einer Forderung zum — 954. Oberlandesgericht 196; GeschäftsverNe procedat judex ex offizio 382. teilung und Präsidium beim — 208. nexti canthigio, Verfahren mit — 56. Oberstes Landesgericht in Bayern 197. Nichtbestreitung 491; Folgen 493. Nichterscheinen der Partei 558 ; im übr. Öfen, Pfändung solcher 939 (3). s. mündl. Verhandlung, Versäumnis. Öffentliche Beamte, Pfändung gegen —

register. 940. 949; Zeugenvernehmung solcher .. 505. Öffentliche Gerichte im Gegensatz zu vertragsmäfsigen 5. 150*. Öffentliche Urkunden, Begriff 514; Beweiskraft 515; Echtheitsbeweis 524. Öffentliche Zustellung 629. Öffentlichkeitsprinzip, Bedeutung 653; Ausschliefsung der — 654; Versagung der — als ßevisionsgrund χ

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Öffnung der Behältnisse durch den .. Gerichtsvollzieher 1008. Örtliche Herrschaft der Prozefsgesetze .. 146. Örtlichkeit der prozessualen Tätigkeiten 652. Offenbarungseid 1002; privatrechtliche Pflicht zur Leistung des — 351 (2). 1003; Vollstreckung solcher 1004: prozessuale Pflicht zur Leistung des — 1003; privatrechtliche Pflicht 1005; — auf Grund eines Arrests 1002 (1); Verfahren über — 1004; Haft zur Erzwingung des — 1006; Klage auf Leistung des — 717. Offenkundigkeit von Tatsachen 433; angebl. Bedeutung für Erfahrungssätze 438 ; Verhältnis zum Geständnis 489 ; Berücksichtigkeit durch das Revisionsgericht 804(1); — der Rechtsnachfolge , des Bedingungseintritts bei Vollstreckung eines Urteils gegen den Rechtsvorgänger 905. Offizialberücksicntigung v. Tatsachen 422; — in Ehesachen 430; — von Prozefsmängeln 667; — von Mängeln einzelner Prozefshandlungen 694. Offizialbetrieb der Zustellung 617 f. Offizialprinzip 382 f. ; Geltung in Ehenichtigkeitssachen 385. Offiziere, Pfändung gegen — 940. 949. Ordinalien 55. Orden, Pfändung von — 939. Ordentliche Gerichtsbarkeit, Begriff 190. Ordentliche und aufserordentl. Rechtsmittel 781. Ordentlicher Prozefs 14. 566. 696* f. Ordnung des Verfahrens, Bedürfnis nach — 630; richterliche Tätigkeit zum Zweck der —, Prozefsleitung 631 f. Ordnungsstrafen gegen Rechtsanwälte, Parteien, Dritte 655. Organisation der Gerichte 161. 193*; — der Sondergerichte 229. Originalurkunden und Duplikate 362. Ort der Gerichtshandlungen 652.

Pachtverhältnis, Wert des Streitgegenstands 1067; als Vollstreckungsobjekt 959. Pächter eines Guts, Gerichtsstand für Ansprüche gegen den — 259. pactum executivum 79. 881* ; — prorogations 274. Parteibetrieb und Gerichtsbetrieb im allgemeinen 349; Parteibetrieb der Zustellung 617 f. Parteieid 527; im übr. s. Eid. Parteien des Zivilprozesses 310; Begriff, mit Beziehung auf den Strafprozefs 311 (1); — im Verhältnis zu den Subjekten des Privatrechtsanspruchs zu A k t i v - und Passivlegitimation 312; Ist Nachlafs-, Konkurs-, Abwesenheitskurator Partei? 323f.; Stellvertreter, Zeugen, Gerichtsschreiber in der Parteistellung 316; Verhältnis der — zur Zeugenrolle 501 ; persönliche Vorladung der — 427; Zusammenfall von Richter und Partei in einer Person 216; Zusammenfall beider Parteien in einer Person 314 (1). Parteifähigkeit 316 ; als Proz. Vor. 660; Wegfall der —, Aufnahme des Prozesses wegen — 689. Parteiprozefs und Anwaltsprozefs 367. Parteiverhandlung, Bedeutung 416; Form, mündl. oder schriftl. 439 f.; im übr. s. das. Parteivernehmung, eidliche, an Stelle des Eids, im engl. R. 124 f. ; im österr. R. 118; in der mod. Gesetzgebung überhaupt 543; — persönliche Vernehmung der Partei neben dem Prozefsbevollmächtigten 427. Passivlegitimation, Begriff 312; Beweislast hins. derselben 485. Patentrecht, Vollstr. in ein — 959; Lage desselben zur Bestimmung des Gerichtsstandes des Vermögens 259 (6). Patrimonialgerichtsbarkeit 160. Pensionsansprüche, Pfändung solcher Peremtorische Einreden 395 ; peremtorische Termine, Beschleunigung

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Perhorreszenzeid 530 (1). Perpetuatio fori 410. 687. Persönlicher Sicherheitsarrest 587 ; Form der Vollstreckung 1002 f. Persönliches Erscheinen der Partei, Anordnung desselben 427; — in Ehesachen 436. Personalverteilung innerhalb der Gerichtsanstalten 208.

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Personalexekution, Bedeutung 918.927. positiones et responsiones 75. possessorium und petitorium 833. 1002. Post, Zustellung durch Aufgabe zur — Personen, gerichtliche 202 f. Personenstand, Beweiskraft der Be625; Zustellung durch die — 620. urkundungen über den — 516 (3). Postanstalt, Zustellung durch NiederPersonenvereine, Parteifähigkeit der — legung auf der — 626. 317; — Gerichtsstand der — 256. Postbote als Zustellungsorgan 620. Pertinenzen, s. Zubehörungen. Posteinzahlung, Einflufs auf die VollPetitorium u. possessorium, Verbindung streckung 1012. beider 833. Postulationsfähigkeit 321. 367*; als Pfändung, Bedeutung 928; W i r k u n g Prozefsvoraussetzung 660. im allg. 930f.; Form und Wirkung Ι Postzustellungsurkunde 628. bei — von körperl. Mobilien 941; Ι Pourvoi de cassation 102. rechtskräftige — von Geldforderungen 951 ; — von I Präjudicialansprüche, sonstigen Vermögensrechten 960; ; Feststellung derselben 753; Geltend— von Geld 942: — von Wert- I machung durch Inzidentklage 842. überhaupt 350; papieren, Wechseln 962 ; — von Hypo- Präkiusionsprinzip thekenforderungen 964 ; von Sachen ! — bei Prozefsmängeln 670; — bei — durch Zust. eines Protokolls 969 ; ; der Unzuständigkeitseinrede, Präklusion und Prorogation 275 f. — von höchstpersönlichen Sachen, Früchten, Zubehörungen 938 ; — von : Präklusivischer Beweistermin 81. Haushalts- und Berufsmitteln 939; ! Präsentationen 160. — von Arbeits- u. Dienstlohn 949; ! Präsident des Gerichts 208. 221. Praesides provinciarum als Richter 47. Anschlufs-, Nachpfändung, s. das. Pfändungspfandrecht 930f.; Verhältnis Präsidium des Landgerichts usw. 208. zum zivilrechtl. Pfandrecht 935; Wert Präsumtionen 469; praesumtio iuris et de iure 470; Bedeutung für die Bedes — im Gegensatz zum Gleichweislast 487; Entkräftigung durch berechtigungsprinzip 932 ; Inhalt bei Eid? 534. körperlichen Mobilien 942; — bei Forderungen 952; Geltung in der Prätendent, Verkündung an den — 865; Klage eines Forderungsprätendenten Immobiliarexekution 989 (2). gegen einen andern 313. Pfändungszeichen 941. Prätor, Funktionen 41; — peregrinus Pfandlokal 941. 44; endgültige Organisation des Pfandrecht, vertragsmäfsiges, gesetzAmts 47 (2). liches, Einflufs der Vollstr. auf — 972; — des Handelsrechts 973 (3); Preis, Verst. um jeden Preis, bei der Mobiliarversteigerung 945; — nicht — als Vollstreckungsobjekt, Mobiliarbei der Immobiliarversteigerung 983. pfandrecht 997 ; Hypothek 998 ; — als Pfändungspfandrecht 930f.; im übr. Preufsische Zivilprozefsgesetzgeb. 94; — Entwurf der Z.P.O. 106; - - Eins. daselbst; Streitgegenstand, BeI führungsgesetze 141 ; — Zwangsrechnung des Werts 1067. Pfandsache, Bedeutung f. d. Gerichts- i versteigerungsrecht 976. Prioritätsprinzip in der Vollstreckung stand des Vermögens 239. Pflichten, prozessuale — d. Behörden 349; — der Parteien 350f.; — zur Privatgeheimnis, Zeugnisverweigerung Urkundenedition 518; — zur Leistung mit Rücksicht auf ein — 503. des Offenbarungseids 351. 1003; Privatgerichtsbarkeit, Beseitigung d. — 160. — der Zeugen 502; — der SachPrivatrecht, Verhältnis zum Prozefsverständigen 544. recht hins. der Einrichtungen des Plaidoyer im französ. Z.-P. 101. Rechtsschutzes 6. 151*; — in RePlenarentscheidungen 197. gelung der Vorbedingungen des poena confessi 491. 495; — recusati Rechtsschutzes 13. 695* f. 536; — recognito 525; — probati Privatrechtliche Natur der Streitsache 792. im Gegensatz zur öffentlich-rechtPolizei, Unterstützung von Vollstr.lichen 183 f. Handlungen durch die — 1008*. Polizeivorsteher, Zustellung durch Nie- Privatrechtsschutz, mittelbarer und unmittelbarer — 150 f. derlegung beim — 1008. Positionalverfahren, Entstehung 75 ; Privaturkunde, Beweiskraft 515; Echtheitsbeweis 524. Beseitigung 87.

register. Privilegien der Vollstreckung, Ver- Prozefsentscheidung und Sachenthaftung usw., s. Exemtionen; Anscheidung 22.365 f. 735; Rechtskraftspruch gegen den Staat wegen Aufquittung der Proz.-Entsch. ? 750. hebung von — 185. Prozefsfähigkeit 318 ; als ProzefsvorausProbatio pro exoneranda conscientia setzung 660 ; — juristischer Personen 533; Ausbildung der — 89; — in 319 ; partielle — 319; — der Ehefrau perpetum memoriam 546. 320 ; — des Gemeinschuldners in Prokuristen, Zustellung an den — 624. Proz. der Masse 324 f. Prorogation der Zuständigkeit 274f.; Prozefsgericht, Verhältnis seiner TätigAusschlufs ders. 277. keit zu der desVollstreckungsgerichts Protestation, Eintragung solcher im 202. 877*. Grundbuch bei vorläufiger Voll- Prozefshandlungen 7. 329*; Umfang streckung 889 (2). 330 f. Protokoll, Begriff 362; Sitzungsprot. Prozefshindernde Einreden 675 ; — im 362 ; — des beauftr. oder ersuchten Landgerichtsproz. 676} — im AmtsRichters 490; — des Gerichtsvollgerichtsproz. 679; — im Urkundenziehers 1008; Klagerhebung zu Proprozefs 680; — in der Berufung 683 tokoll des Gerichtsschreibers 388; Nichtprozefshindernde Einreden 678 — im vorbereitenden Verfahren 449 ; Verhandlung und Beweis — 680, Eventualbehandlungprozefshindernim Amtsgerichtsprozefs 452. der Einreden 640. 677*. Protokollzwang, Geschichte 77; — in Prozefskosten 1047. der Beweisaufnahme 465. Provisorien 589, im übr. s. einstweilige Proz efsleitung 630 ; Prozefsleitungsakte und Entscheidungen im engeren Verfügungen. Sinne 356. provocatio ex lege diffamari und ex Prozefsmängel 662 ; prozefshindernde lege si contendat 720. und nichtprozefshindernde — 675 f. ; Provokationsprozefs 720. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit beProzefsabweisung 666. 735; bei unzugründende — 667f.; Einflufs auf das lässiger Klagerhebung 395; im übr. U r t e i l 665; Behandlung im Vers. Abweisung. säumnisverfahren 668; Beweis 669; Prozefsakten 656, im übr. s. Akten. Einflufs auf die Verhandlung 680; Prozefsarten, Verschiedenheit der — 4. 566. 696*f.; summarische — 567f.; — auf das Rechtsmittelverfahren die einzelnen — 569 f.; Geschichte 682; — im Versäumnisfall 684; — auf der summarischen — 79. das Vollstreckungsverfahren 912; Beweislast 669. 670; Entscheidung Prozefsbeschleunigung, frühere Mafsdarüber 665; Rechtskraft dieser Entregeln der — 77f. 85f.; im altpreufs. scheidung 750; Einzelne — 660; P.Z. 95f.; — im französ. Z.P. 101 f.; heutige — 634 f. — als Revisionsgrund 800; s. auch Prozefsvoraussetzungen. Prozefsbetrieb, Bedeutung 347f.; Gerichts- u. Parteibetrieb 349 ; Gegen- Prozefspolizei 655. satz zur Prozefsleitung 357, Hand- Prozefsrecht, s. Zivilprozefsrecht. lungen des untergeordneten — 608* f. Prozefsrechtsverhältnis, Bedeutung 22. 663*; — des Gerichtsvollziehers 915; Prozefsbevollmächtigte, Arten der — Verhältnis zum Rechtsschutzan365 ; Ausschlufs der — von der Mitspruch 25. wirkung am Gericht 216; Gerichtsstand des Sachzusammenhangs für Prozefsstrafen 636. Klagen der — 269(3); Verurteilung Prozefsurteile 22. 365. 735; Rechtskraft derselben 750. der — in die Kosten * ; Zust. an die — 623; das Verf. gegen — kein Prozefsverjährung 649 (1). Zwischenstreit 737; Antrag der — Prozefs Verschleppung, Gefahr der — 633. auf Aussetzung des Verfahrens 681, Prozefsverwirrung, Gefahr und Beim übr. s. Prozefsvollmacht. Prozefseinleitung 381 f.; durch Klage | kämpfung der — 632 ; Klagänderungs382; durch Mahn-, Arrestgesuch 1 verbot, Mafsregel gegen —? 827. 383 ; — durch Vollstreckungsantrag ! Prozefsvollmacht und Spezialvollmacht 912. β I 369; Inhalt 570; Beweis 669; — als Prozefseinreden im ital.-kanon. Z.P. ! Prozefsvoraussetzung 660 f. 72 ; im späteren gem. Proz. 88 ; im I Prozefsvoraussetzungen, allgem. Beheutigen Z.P. 664. I deutung 20. 662; Verhältnis zu den

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Rechtsschutzbedingungen 25 ; zu den Prozefshandlungen 657; absolute u. dispositive — 667; wesentliche und nichtwesentliche — 671 ; einzelne — 660; Behandlung in den verschied. Prozefsarten una -Stadien 664 (2) ; - im Urteil ver fahren 665 ; - im Versäumnisverfahren 564 ; — im Urkundenprozefs 578; — im Mahnverfahren, Arrestprozefs 591; — im Vollstreckungs verfahren 912; — im Rechtsmittelverfahren 682; Verf. bei Wegfall der — im L a u f des Prozesses 685; Einflufs auf die Rechtshängigkeit 415. Prozefsvorschrift, Rüge der Verletzung einer — 694. Prüfung der Gesetzmäfsigkeit ausländischer Urteile 288 ; — d. Richterkandidaten, Gerichtsvollzieher usw. 204; — von Amtswegen, Verbot derselben im allgemeinen 422; Ausnahmsweise Anerkennung bei Prozefsmängeln 429. 667* t ; — bei Mängeln einzelner Prozefshandlg. 694; — in Ehesachen 450; — bei Erfahrungssätzen 438; Prüfung von Amtswegen gegenüber d. Formalien der Klagschrift usw. bei der Terminsanberaumung 644(2); — d. Formalien der Rechtsmittel 785 f. ; — Prüfung der Vollstreckungsbehörde, Umfang derselben 910f.; — bei der Vollstreckung in körperliche Mobilien 936; — in Geldforderungen 947; — bei der Immobiliarvollstreckung 988. Purifikatoria 470. Qualifikationsbedingungen der gerichtlichen Beamten 204 f. Qualifiziertes Geständnis 483. Qualitäten im französ. Z.P. 102 ; Verh. zum deutschen Tatbestand 448 (2). Quantität, Anspruch auf Leistung einer — im Urkundenprozefs 571; — im Mahnverfahren 601 ; — im Verf. aus exekutorischen Urkunden 881; Vollstreckung eines Anspruchs auf—921. Quasidelikte, Zuständ. 264. Quasikontrakte, Zuständ. 263. Quellen des Zivilprozefsrechts, Entwicklungsgang 35; — des ital.-kanon. Z.P. 72; — des älteren gemeinen deutschen Z.P. 82; — des späteren emeinen Z.P. 86; Bestand der eutigen — 133; reichsrechtliche — 133; landesrechtliche — 139; Herrschaftsgebiet der — 145.

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Quittung des Gläubigers, Einflufs aut die Vollstreckung 1012. Quod non est in actis, non est in mundo 440. rachineburgii 52. Radierungen in Urkunden 514. Räumung, Anspruch auf—, Zuständigkeit 245; vollstreckungsweise —von Grundstücken usw. 1001. Rangordnung der Gläubiger im Verteilungsverfahren 971; — in der Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung 993 f. Reallastklagen, Zust. 260; Streitwert 1067. Realexekution, Bedeutung 918. reassumtio litis 687. Rechnungsfehler im Urteil, Berichtigung der — 776. Rechnungslegung, Klage auf —, verbunden mit der Leistungsklage? 717. Recht, subjektives, Begriff und Bedeutung für den Prozefs 298; prozessuale Rechte 351 (3); Recht oder Rechtsfrage als Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung? 305; Bedeutung für die Tragweite der Rechtskraft 758. Rechtliches Gehör, Recht auf —, sog. Klagrecht? 24. Rechtsanwalt, Funktion 222; Verhältnis zum Beamten 223; Vorbedingungen der Stellung als — 224; Bestellung eines solchen 227. 368(2); wegen Armut 1063; Gebühren des — 1055; Unterschrift des — 458; Mitteilung von Urkunden an den — 457 ; Ordnungsstrafen gegen einen — 655; Disziplinarverfahren gegen einen — 228. Rechtsanwaltschaft 228 ; Vorgeschichte der heutigen Anwaltschaft 226(1); Wert der heutigen Anwaltsorganisation 229; — im franz. Z.P. 99; im englischen 120; in Preufsen 97; im geltenden Recht, Organisation 222; Zulassung zur — 223; Ausübung 226; — in Konsularsachen 232 ; Ausschlufs der RA. im Gewerbeu. Kaufmannsgericht 238. Rechtsanwaltsoranung 133. Rechtsan wendung, rechtliche Natur der — 9. 336*. Rechtsbehauptung 383. Rechtsbelehrung an die Geschworenen im engl. Z.P. 130. Rechtseinheit, Reichsgericht als Organ der — 192. 197. 801.

register. u. Frist zur Einlegung eines — 784; Rechtsfähigkeit u. Partei fähigkeit 316. Kosten erfolgloser — 1049 ; Ver„Rechtsfigur", angebl. Begriff 352. werfung der — als unzulässig 786; Rechtsfolgen, der Z.P. angeblich Fest— wegen mangelnder Sicherheitsstellung von — 305 f. leistung 906 ; Verhältnis der einRechtsgemeinschaft, Rechtskraft des zelnen — zueinander 780. Urteils gegenüber Dritten bei — 767; — als Bedingung der Streitgenossen- Rechtsmittelsystem 778. schaft 845 ; — der Nebenintervention Rechtsnachfolge, Wirkung der — auf den Prozefs, bei Eintritt während 858. des Proz. durch Tod 687; — durch Rechtsgeschäft, prozessuales 358; BeVeräufserung 868 ; bei Eintritt nach griff 360; Verhältnis zu den privatrechtlichen Rechtsgesch. 361; GeEintritt d. Rechtskraft 765; während des Vollstreckungsverfahrens 904. ständnis als — 496; Eid als — 529; Eideszuschiebung als — 530; Klage Rechtsnachfolger, Aufnahme des Verfahrens durch oder gegen den — als — 361. Rechtshängigkeit, Bedeutung 408; pro688; Eintritt des — in den schwebenden Streit bei Streitveräufserung zessuale Wirkungen 409; privatrechtliche — 413; Einrede aer — 870; Rechtskraftwirkung gegenüber dem — 765. 870; Erteilung der Vollals Prozefsmängel 661 ; keine — der rechtsverfolgenden Einrede 412; streckungsklausel gegen den — 905 f. — der Kompensationseinrede? 733; Rechtsnormen als Bestandteil der Voraussetzungen der prozessualen Prüfung 334 ; unrichtige Anwendung und privatrechtlichen — 412. 414; der — als Revisionsgrund 798; reProzefsvoraussetzungen auch Vorvisible und nichtrevisible — 801. aussetzungen der —? 415. Rechtspraktikanten 204. Rechtshilfe, Bedeutung 280; — unter Rechtssätze als Elemente der Entden ordentl. Gerichten 281 ; — unter scheidung 334; Verantwortlichkeit den Sondergerichten 282; internatiodes Gerichts oder der Parteien für nale — 291; die für ausländische ihre Aufklärung 436 f.; — spez. für Rechtshilfsakte mafsgebend. Rechtssolche des Gewohnheitsrechts, ausnormen 147. ländischen Rechts 437. Rechtshindernde Einreden 481; Ver- Rechtsschutz, soziale Bedeutung 1 ; vertragsmäßiger— 6.141*f.; Gründe hältnis zum Leugnen des Klagdes Rechtsschutzes 15. grunds 485 f. Rechtskraft 744 f.; formelle und ma- Rechtsschutzanspruch 16. terielle — 774. 746; materielle — Rechtsschutzbedingungen 13. 695. 746; Verh. zur Konsumtionswirkung Rechtsschutzhandlungen und vorbereitende Prozefshandlungen 8.329* f. 747; Anwendungsgebiet d e r — 749; Tragweite 751 f.; — der Entschei- Rechtsstaatsprinzip, Bedeutung dess. dungsgründe 754; W i r k u n g auf f. d. Z.P. 15. Dritte 761; — gegenüber Rechts- Rechtsstreit 10; Berechtigung des Benachfolgern 765; Bedeutung der — griffs 162. für einen späteren Prozefs 747 ; Ein- Rechtsverfolgende Einreden 395 ; rede der — und Prüfung von AmtsRechtshängigkeitswirkungen ders. wegen 749; keine — der Abweisung 414; Beweislast hins. ders. 479; Beder Klage angebrachtermafsen 750; handlung im Proz. 842. — der Entscheidung im Urkunden- Rechtsvernichtende Einreden 395; Beprozefs 578. 750; — des Vollweislast 480; Geltendmachung ders. streckungsbefehls 606 ; Verhältnis nach Erlafs des vollstreckbaren Urder — z u r Klagänderung 826; „Abteils 1014. solute" Rechtskraft? 771. Rechtsverhältnis als Gegenstand der Rechtskraftzeugnis 896. zivilproz. Entscheidung 302 ; BeRechtslehrer, Richterqualiiikation d.— deutung der Kl. auf Feststellung 205. eines Rechtsverhältn. 304. 705*f.; Rechtsmittel, Begriff 777; — im engern Prozefs als — 22. 663*; — des GeSinn 781; Gegensatz zur Klage 778; richtsvollziehers 915. — gegen Haupt- u. Vorentschei- Rechtsvermutungen 469; im bürgerl. dungen 778f.; — gegen VersäumnisG.B. 470; Bedeutung für die Beweisurteil 783; — im Urkundenprozefs last 489. 578; — im Arrestprozefs 594; Form Rechtsvorgänger, Handlungen desselb. R i c h a r d S c h m i d t , Lehrbuch des Zivilprozefsrechts. Aull. 69

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als Eidesthema 531; Urteil gegen den —, vollstreckbar gegen den Rechtsnachfolger 868. Rechtsweg, Zulässigkeit zum — 186; — als Prozefsvoraussetzung 660 ; — und Verwaltungsweg 183; Berufung auf den — gegen Urteile der Gemeindegerichte 236. recognitio, anglonormannische 64. Recuperatores 45. Recusation im röm. Z.P. 48; im mod. Proz. 216, s. Ablehnung. Referat des Vorsitzenden über die Verhandlung 445. Referendar 204. Referendär 205. Referent, Bestellung eines solchen vor der mündl. Verhandlung 219. 447; — bei der Abstimmung 219. reformatio in peius 795; besonders bei Eidesurteilen 795. Reformbewegung in Deutschland im 19. Jahrh. 104 f.: in Österreich 111; — gegenüber dem geltenden Recht 128 f.; bez. des Eids 543; bez. der Rechtsanwaltschaft 229. Regrefspflicht der Gerichtspersonen als Ausschliefsungsgrund 46. Reichsabschied, Jüngster 91. Reichsanzeiger, Einrückung der öff. Zust. in den — 629. Reichsgericht 196; Plenarentscheidungen 197; Bedeutung u. Funktion des — in der Revision 800 f. ; Mitlieder des —, Vorbedingungen 205; lestellung 207; Dienstaufsicht 213. Reichsgerichtsbarkeit 191 f. Reichsgesandter als Zustellungsorgan 292. Reichsgesetze, s. Reichsrecht, reichsrechtliche Quellen ; — über die Konsulargerichtsbarkeit 231 ; — über die Rechtsverhältnisse der Schutzgebiete 232; — über Zwangsvollstreckung in Grundstücke 137. 976*. Reichshofrat 84 (1). Reichsiustizkommission 108. Reichskammergericht 83 (2). Reichskonsul als Richter 231; — als Rechtshilfeorgan 292. Reichsrecht, Entstehung des — 105f.; Wert d. deutschen — 128f.; Stellung in der universalhistorischen Entwicklung 126; Bestand des — 133; Verhältnis zum Landesrecht 137; Verletzung von — als Revisionsgrund 798. Reichsrechtliche Quellen 133. Reihenfolgeprinzip, Entstehungsgeschichte 77; Begriff und Bedeutung

§

631; Anwendung im geltenden Recht 640; — spez. auf prozefshindernde Einreden im Verh. zur Hauptsache 640. 677*. Reinigungseid im geltenden Recht 538. Reisekosten, Vergütung von — 1059(1). Reisende, Streitigkeiten der —, sachl. Zuständigkeit 246. Rekurs, Kassations- im franz. Z.P. 102. Relation des Eides 536; im übrigen s. Zurückschiebung. Religionsdiener, Zeugnisverweigerungsrecht der — 504. Replik als vorbereitender Schriftsatz 455; — im Sinn der Beweislast 481. requête civile als Rechtsmittel im franz. T L.P. 808(1); — en matière criminelle (Anschliefsung) 176 (1). Requisition 280, im übr. s. Rechtshilfe. Residenzpflicht der Anwälte 226. Resoluti vbedingtheit, Beweis derselben 485. Restitutionsklage 808 f. Retorsion im allgem. 147; — in der Sicherheitspflicnt d. ausländ. Kläger 295; — in der Versagung des Armenrechts 1061. Revisible Rechtsnormen 801 ; revisible Summe 803 f. Revision 796; Bedingungen 797 f.; Form 784 f.; Verhandlung 804; Entscheidung 805; Bedeutung d. Reichsgesetzes v. 1905 über die Revision 802 f. ; Vorschläge zur Verbesserung 807. Revisionsfrist 785. Revisionsgründe 786. Revisionsschrift 786. Revisionssumme 803 f. Rezeption des röm.-ital. Proz.R. 82. Rezesse, Entstehungsgeschichte 84; - im geltenden Recht 447. Amt 'dung ders. 70; Bildung des — 204; persönliche Geeignetheit der —, Prüfung ders. 207; Titel 204f.; Rechtsstellung 209; Dienstaufsicht 213 f.; beauftragter u. ersuchter — 221. 281; vermögensrechtliche Ansprüche d. — aus ihrem Dienstverhältnis 184(2); gegenseitige Vertretung d. — 214; Ausschliefsung und Ablehnung der — 215 f. Richteraufgabe im german. Z.P. 51; — im modernen Z.P. 335. Richterliche Geschäfte, zeitweil. Übertragung solcher 214.

register. Richterliche Unabhängigkeit, Garantien ders. 211; in Österreich 215. Richterlicher Eid 537 ; Verhältnis zum zugeschobnen — 538. Römisches Zivilprozefsrecht 42 f. ; Rezeption des — 82; Bedeutung für heut. Recht 127. Rückgewähr des durch Vollstreckung entzognen 1039. Rüge der Verletzung von Prozefsvorschriften, der Prozefsmängel 667 f.; — des Mangels der Vollmacht 674; der Unzuständigkeit 673; — von Mängeln einzelner Prozefshandlungen 694. Ruhen des Verfahrens 406. 652. Ruhestand, einstweilige Versetzung in — 214. Sachansprüche, Vollstreckung solcher 667; indirekte Vollstreckung 229. Sachentscheidung und Prozefsentscheidung 22. 365. 735; Rechtskraft 750. Sachlcgitirnation, Begriff312; Einwand der mangelnden — bei Veräufserung des Streitgegenstands 873; Beweislast hins. der aktiven oder passiven — 485. Sachliche Zuständigkeit des Gerichts 244. Sachsenspiegel, Z.P. des — 65. Sächsisches Z.P.R., altsächsisches 87; im 19. Jh. 105; Sächsische Juristen 86; — Einführungsgesetze 142; — Zwangsversteigerungsgesetz 976. Sachverhältnis, Feststellung des — im Tatbestand 448; Verletzung von Rechtsnormen bei Feststellung des als Revisionsgrund 799; Bedeutung des festgestellten — erster Instanz im Versäumnisverf. der Berufungsinstanz 550. Sachverständige, Bedeutung f. d. Proz. 343; Arten der Auslassung 343; Verhältnis zum Zeugen 345; — richterl. Gehilfe? 346; Vernehmung von Amts wegen 438; Beweisaufnahme durch — 543; Pflicht zum Gutachten 544; Form der Vernehmung 545; Beeidigung 545; Auswahl, Ablehnung 546; Gebühren der — 1055 f; Protokollierung der Aussagen 464; Sachverständiger Zeuge 341. 499. Sacramentum im röm. Legisaktionenprozefs 43. Salvationsverfahren im Arrestprozefs 593. Schadenersatzforderung als Neben-

forderung 384; — wegen unrechtmäfsiger Vollstreckung, Arrest 1039. Schadenersatzklage salva liquidatione 708. 714. Schädenprozesse, Beweiswürdigung i n solchen 473. Schätzungseid 509. Schafe, Pfändung von — 939. Scheinprozefs, kein Zivilprozefs 167. Schiedsgericht 16. 152; Voraussetzungen seines Tätigwerdens 158; Verfahren vor demselben 155; Bestellung des — 154; Zuständigkeit eines — als Prozefsmängel 660; Verhältnis zur Unzulässigkeit des Rechtswegs 660 (1). Schiedsgerichtsbarkeit 152; Einflufs der — auf die Entw. des römischen Z.P. 43 (2); auf die Ausbildung der neueren Sondergerichtsbarkeit 66. Schiedsgutachten 152. Schiedsmann 408. Schiedsrichter, Auswahl, Tod, Ablehnung der — 155. Schiedsrichtervertrag und Schiedsvertrag 154. Schiedsspruch 156; Verh. zum ger. Urteil 157; Beratung und Abstimmung über den — 155 (2); Wirkungen des — 158; Anfechtung 158. Schiedsverfahren 152 f. ; Einflufs desselb. auf das gerichtliche — 155. Schiffe als Vollstreckungsobjekt 994. Schiffer, Ansprüche der —, Zuständigkeit 251 ; Gerichtsbesetzung in Streitigkeiten über Angr. der Schiffer — 195; Streitigkeiten der — mit Reisenden, Zuständigkeit 246; Zuständigkeit der Stromgerichte 235. Schiffahrtskundige als Handelsrichter

206.

Schiffsgläubiger, Anspruch der —, Zuständigkeit 251. Schleunige Beweismittel 567. Schliefsung der Verhandlung 645. 635. Schlufsvernandlung, Notwendigkeit derselben 464. Schlufsverhandlungsgebühr d. Rechtsanwalts 1057. Schöffenverfassung, karolingische 60. Schriftenvergleichung, Beweis der Urkundenechtheit durch — 525. Schriftformelprozefs, röm. 44. Schriftliche Begutachtung 464. Schriftlichkeitsprinzip, Entstehungsgeschichte 77 ; volle Ausbildung im gemeinen Prozefs 84. 92; Bedeutung 440; Umfang im geltenden Recht 445 ; im Amtsgerichtsprozefs 69 *

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register.

452; bezw. der Anträge 446; im vorbereit. Verf. — in der Beweisaufnahme 465; für Entscheidungen 725; für die Klageerhebung 386; für Vollstreckungshandlungen 1008. Schriftsätze, vorbereitende 454; Einlegung des Einspruchs durch Zustellung eines — 556; der Rechtsmittel durch Sehr. 785; Erhebung der Klage durch — 386 ; Klagzurücknahme durch — 405. Schriftstücke, Verlesung solcher in der Verhandlung 443. Schriftwechselverfähren, Ausbildung des — im gem. Z.P. 92; Anwendung im geltenden Recht 453. Schüler, Gerichtsstand der — 258. Schuldhaft, Abschaffung der — 919; Verhältnis zum Personalarrest 587 (3). Schuldklage, Verbindung der — mit der Hypothekenklage 260. Schuldtitel, vollstreckbare — 878; Notwendigkeit eines — als Grundlage des Kosten festsetzungsv erfahrene 1065. Schultheifs 65. Schutzgebiete, Rechtspflege der · — 232. Schutzgenossen, der Konsulargerichtsbarkeit unterworfene — 230. Schwägerschaft als Zeugnisverweigerungsgrund 504. Schwängerung, Ansprüche aus aufserehelicner — Zuständigkeit 246. Schweigebefehl, nur in Strafsachen 654. Schweizerisches Zivilprozefsrecht 117. Schwurgerichte, englische — in Zivilsachen 119 f. Schwurpflichtiger, Ausbleiben des — 561. Seelsorger, Zeugnisverweigerungsrecht des — 504. Selbsthilfe u. Zivilprozefs 1; als vorgeschichtliche Wurzel des Z.P. 37; im röm. Z.P. 42; im german. Z.P. 41. 56. Selbsthilfeverträge 159. Selbstverwaltung der Gerichte in der Personal- und Geschäftsverteilung 208; der Anwälte 127. Senate der Oberlandesgerichte 196; des Reichsgerichts 197; Mitglieder der — der freien Städte als Zeugen 505. Senatspräsidenten 208. 219. sententiae und interlocutiones 356. Separationen, Anspr. aus —, Agrargerichte 236. Sequester als gesetzlicher Vertreter

366; — im Zwangsverwaltungsverfahren 995. Sequestration 980; im übr. s. Zwangsverwaltung. Sicherheitsarrest, persönlicher — 587. Sicherheitsleistungen im Prozefs 1059; — für die Prozefskosten als Grund einer proz. Einrede 661 ; — bei vorläufiger Vollstreckbarerklärung 888. Sicherheitspflicht 1059. Sicherung des Beweises 546. Sicherungshypothek, Eintragung einer — als Form der Immobiliarvollstreckung 981. Siegel, Anlegung der — 941. Silbersachen, Versteigerung von — 946. simultaneus processus, Bedeutung 822. Sinneswahrnehmung, Aufklärung der Tatsachen durch — 337. Situationen, sog. prozessuale 352 (1). Sitz der Behörden, Gewerkschaften, Gemeindeverwaltung 256 ; — des Reichsgerichts 196; — der Forderungen für den Gerichtsstand des Vermögens 260. Sitzungspolizei 655. Sitzungsprotokoll 362; Inhalt 446. Sofortige Beschwerde 816. Soldforderung, Pfändung derselben 949. Soldaten, Verhältnis gegenüber der Gerichtsgewalt 294. Sondergerichte 190. 229* f.; Einzelne Arten 231 f.; reichsrechtlich bestellte und zugelassene — 230. Sondergerichtsbarkeit und ordentliche Gerichtsbarkeit 190. Sonn- und Feiertage 651. Souveräne, inländischeu. ausländische, Exemtion von der Gerichtsbarkeit 294. Souveränetätsrecht, richterliches — in Frankreich; in Österreich 114; — im geltenden R. 426. Soziales Prozefsrecht, Ideal eines solchen 4. 130* f. Spezial- u. Generalexekution 917. 931. Spezial- und Prozefsvollmacht 369. Spruchformeln im röm. Z.P. 43; — im german. Z.P. 52. Spruchreife 728. Staat, Ansprüche gegen den —, Zulässigkeit des Rechtswegs 184. Staatsanwaltschaft im Zivilproz. 171; Unvereinbarkeit ihrer Inmktionen mit den gerichtlichen 174; Beteiligung in Ehesachen 430; Erhebung der Ehenichtigkeitsklage durch die St.A. 385.

register. Staatsbeamte, Ansprüche der — gegen ; Strafsenate, Abweichung des reichsden Staat 184; Ansprüche gegen —, ! gerichtlichen Zivilsenats zum Urteil sachl. Zuständ. 247. j eines — 197. Staats- und Privatgerichtsbarkeit 160. j Strafsenbau, Reinigungspflicht,Rechtsweg oder Verwaltungsweg? 182. Staatskasse, Übernahme der Kosten Streiteinlassung 329, im übr. vgl. Einauf die — 1046. 1047 (1). lassung. Standesregister, Beweiskraft der — Streitgegenstand des Zivilproz. 297 f. ; 516. Berechnung des Werts des — 1066. Statusprozesse, Zuständ. für — 247; Rechtskraft der Urteile in — auf Streitgehülfe 853, im übr. s. NebenDritte 766. intervenient. Statuten, Beweis solcher 437; Lokal- Streitgenossen 845 f. ; Gerichtsstand für — 270. 846 (4); Eideszuschiebung statuten 437 (2); mittelalterlich-itaund -leistung von — 852; Interlienische — 72. venient als Streitgen. 858; VollStatus causae im altpreufs. Z.P. 96. streckungsgläubiger als Streitgen. Statusrechtliche Streitigkeiten 247. 970. Stellvertreter, gesetzlicne und gewillkürte — 365; Gerichtsvollzieher — Streitgenossenschaft 844 f. ; Bedingunen der — 845; Form der Begründes Gläubigers? 916*. 941 (4). ung 846; Unzulässigkeit formloser Stellvertretung, prozessuale 364f.; — Begründung 846; Wirkungen 847; des Gerichts ri64; — der Parteien notwendige — 849. 365 f.; gesetzliche und gewillkürte — 365; Einflufs auf die Prozefs- Streitveräufserung 868; Beschr. ders. nach der Rechtshängigkeit 410. voraussetzungen 660. 673*. Stempelabgaben 1050. Streitverhältnis, Feststellung des — Sterbekassen, Pfändung der Bezüge im Tatbestand 448. Streitverkündung als Provokation des aus — 949. Steuerforderungen in der ImmobiliarNebenintervenienten 859 ; — an den Forderungsprätendenten 865; Pflicht vollstreckung 982. 993. zur Streitverkündung für den VollSteuerrückforderung, Zulässigkeit des streckungsgläubigen bei Pfändung Rechtswegs? 185. einer Geldforderung 956. Stiftungen, Gerichtsstand der — 256. Stilus curiae 77 ; stilus parlamenti, Stroh, Pfändung von — 940. Stromgerichte 235. Prozefsschrift Du Brueils 98. Stimmenmehrheit 219. Studierende, Gerichtsstand für — 257. Stoffsammlung als prozessuale Grund- Stumme in der Verhandlung 656. tätigkeit 332 ; Gegenstände u. Mittel Stundungseinrede, Beweislast 481 ; der — 333f.; Betrieb der — 3477.; Geltendmachung in d. Vollstreckung im übr. s. Beweis. 1013. Strafbare Handlungen als Restitu- Subhastation und Sequestration, Verhältnis zueinander 980; Verfahren tionsgründe 811. der — 988 ; ältere Rechte 976 ; neuere Strafdrohung als Vollstreckungsmittel Rechte 983; Gliederung des Ver923. fahrens 987. Strafe, Verhängung einer — gegen widerspenstige, ausbleibende Zeug., Subhastationsordnungen 976. Sachverständigen 507. 545; Voll- Subsidiarität des Eids gegenüber anderen Beweismitteln 533; — des streckung solcher — 892 f. richterlichen Eids? 538; Ausbildung Strafgebühr, Verhängung der — als derselben 89; — d. Wiederaufnahme Mafsregel gegen Verschleppung 636. gegenüber anderen Rechtsmitteln 1053. 781; — der Personal Vollstreckung Strafgerichtliches Urteil, Wirkung auf gegenüber anderen Vollstreckungsden Z.P. 176; Aufhebung eines — mitteln 919; — des Personal^rreats als Restitutionsgrund 811. 587. Strafprozefs, Unzulässigkeit der Ver- Subsidiäre Gerichtsstände 253. folgung privatrechtlicher Ansprüche Substanziierung od. Individualisierung im — 176; Aussetzung der Z.P. mit der Klage? 391 f.; —, soviel wie Rücksicht auf einen — 176. 821 (2). Glaubhaftmachung 472. .Strafrechtspflege, Verh. z. Zivilrechts- Substitutionsvollmacht 370. pflege 173. Subsumtion des Faktum unter den

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register.

Rechtssatz, alleinige Aufgabe des Gerichts 336; Entstehung dieses Gedankens 70; anders im german. Z.P. 54. 57. Sühnetermin 407; — in Ehesachen 407. Summa gravaminis oder revisionis 803. Summankiage 85. Summarische Kognition 566. Summarische Prozefsarten 15. 568 * ; Entstehung 79; Arten 568*; ein^ zclne — 569 f. Suppletorium, iuramentum — 539. suspectus iudex 177; — testis 498. Suspensiveffekt der Rechtsmittel 781; — der Beschwerde 817. Svarez 96. Tage der Verhandlung 651; — der Zustellung 651. Tancredus 72. tanganare 52. Taube in der Verhandlung 656. Tauglichkeit der Urkunden zum Beweis 514; — der Zeugen 498. Teilforderungen, Ausscheidungen von Teilf. in der Klage 384; Rechtskraft des Urteils über — 754; Zwischenfeststellungsklage aus der Gesamtforderung im Proz. über die Teilforderung? 842. Teilung der Prozefskosten 1048; Teilungsplan im Verteilungs verfahr en 971 ; — in der Immobiliarvollstr. 993. Teilurteile 729 ; unter Abtrennung der Gegenforderung 733 ; Bedeutung desselben und Einflufs auf den weiteren Prozefs 734. Teilweise Verurteilung, — Abweisung im Urteil, Teilurteil 729; Behandlung in der Berufung 788. Tenor des Urteils, Gegensatz zu Tatbestand und Gründen 726; Bedeutung für die Rechtskraft 751; s. Urteilsformel. Termin und Frist 642; Behandlung 644 ; Verlegung, Vertagung, Neuanberaumung, Aufhebung des — 645. Bestimmung des — im Verhältnis zur Ladung 610; Prüfung des Vorsitzenden Dei Bestimmung des — 644 (2); „Vortermin" im östr. R. 403· Tatbestand der Urteile, Bedeutung und Redaktion des — 448. 726; Beurkundung von Beweiserhebungen im — 466 ; Beweiskraft des — 516 (2); Einwirkung des — auf die Tragweite der Urteilsrechtskraft 751: Einflufs der Feststellungen d. — auf

das Versäumnisverfahren der Berufung 792. Tatbestandmerkmale und Indizien 333. Tatfrage und Rechtsfrage 795. Tätigkeiten, prozessuale 329. Tatsachen als Elemente der Entscheidung 333; — und Tatsachenurteile 341; wesentliche und — Indizien 334. T i t e l der gerichtlichen Beamten 204; Vollstreckungstitel 878, im übr. s. daselbst. Tod der Partei 687; Aufnahme des Verfahrens durch oder gegen die Rechtsnachfolger 688; Einflufs d. — auf die Vollstreckung 905. 911.1019. — des gesetzlichen Vertreters 826. Tragung der Prozefskosten 1047. Trennung der Verhandlung 634f.; — über mehrere Klagansprüche 835; — über Anspruch und Gegenanspruch 841; — über die rechtsverfolg. Einrede 844 ; — über streitgenössische Ansprüche 847. ί trial by jury 120. Trunksucht, Entmündigung wegen — 170 f.; Einflufs auf die Prozefsun- fähigkeit 319. Truppenteil, Mitglieder im Ausland befindlicher —, Gerichtsstand solcher 255. Überfahrtsgelder, Streitigk. wegen —, .. sachl. Zuständ. 246. Übergabe als A k t der Zustellung 615. .. 622. Übergehung von Ansprüchen, Neben.. forderungen im Urteil 777. Übernahme des Rechtsstreits durch den Rechtsurheber 867; durch den Forderungsprätendenten 865; durch den Rechtsnachfolger 871 f. Überschreitung der Amtsbefugnisse, Ansprüche aus —, sachl. Zuständ. . 247. v Überweisung gepfändeter Geldforderungen an den Gläubiger an Zah.. lungsstatt oder zur Einziehung 955. Überweisungsbeschlufs 951 (2). Uberzeugung, freie richterliche — 468. Überzeugungseid 542. Umschreibung von Namensaktien im Vollstreckungsverfahren 962. Unabänderlichkeit als Bedingung der Wirkung der Entscheidung 774. Unabhängigkeit der Richter 211. Unabsetzbarkeit der Richter 212. Unanfechtbarkeit als Bedingung der Wirkungen der Entscheidung 774.

register. Unbeeidigte Vernehmung von Zeugen 510. Unbekannter Aufenthaltsort des Zustellungsadressaten 625. Unbewegliche Sache, Gerichtsstand der — 261 ; Vollstreckung auf Herausgabe von — 920. 1000; Vollstreckung in Ansprüche auf — 998. Unbewegliches Vermögen als Vollstreckungsobjekt 975 f. Unechtheit von Urkunden 524; Klage auf Feststellung der — 306. Unerlaubte Handlung, Gerichtsst. der — 264. Unerzwingbarkeit von Leistungen 923. 925. Unfähigkeit der Gerichtspersonen 215; proz. Behandlung der — 675; — von Zeugen zur Beeidigung 510. Ungebühr in der Sitzung 655. Ungehorsam der Parteien usw. 655. Ungewifsheit des örtlich zuständigen Gerichts 270. Ungültigkeit, Klage auf — einer Ehe 378; — des Prozesses wegen Mangels einer Prozefsvoraussetzung 663 f. ; im übr. s. Nichtigkeit, Anfechtbarkeit. Universität, ordentlicher Rechtslehrer einer — Richter Rieß und Binder, Das neue Prozeß- und Kostenrecht, 1909. Samter, Die Änderungen der Z.P.O., 1909. Fitting, Die Neuerungen der Novelle zur Z.PO, als Nachtrag zur 12. und 13. Aufl. des Reichszivilprozesses, 1909. Levin, Zur Einführung der Z.P.Nov., Jur.Z. 1910 S. 392. Kohler, Grundriß des Z.P. 2. A. 1909. Umfassender Kommentar: Stein, Die Novelle ζ. Z.P.O., als Ergänzung zur 8. u. 9. Aufl. des Kommentars zur Z.P.O. von Gaupp-Stein, 1910. Die 11. Auflage des Kommentars zur Z.P.O. von Lothar Seuffert (unter Mitberücksichtigung der Novelle) ist im Erscheinen. Remelé, Die abgeänderten Bestimmungen, Anhang zu Petersens Kommentar, 5. Aufl. 1910.

I . Entstehungsgeschichte der Novellen. Die Reichsjustizgesetze haben, soweit sie den Zivilprozeß berühren, durch ein am 1. Juni 1909 erlassenes, auf die Zeit vom 1. April 1910 ab in Kraft gesetztes Reichsgesetz Abänderungen erfahren, die zwar den Bestand der Gesetze nicht in sehr bedeutendem Umfang alterieren, gleichwohl aber den Charakter der deutschen Rechtspflege in wesentlich veränderte Bahnen zu lenken geeignet sind. Die Novelle ist das Produkt einer sehr eiligen Entwicklung. Bei Erlaß der Novelle vom 17. Mai 1898 (Lehrbuch S. 134) hatte man sich wohl gemeinhin in der Anschauung bewegt, daß über kurz oder lang eine Revision der ZPO. uuerläßlich sein werde und daß dann eine endpiltige Entscheidung darüber fallen müsse, ob die Grundprinzipien der r e i c h s r e c h t l i c h e n Justizorganisation der 70er Jahre fortbestehen sollten oder ob eine grundsätzliche Umbildung derselben im Geist und in der Richtung der ö s t e r r e i c h i s c h e n Zivilprozeßordnung von 1895 wünschenswert sei (S. 128 ff.). Aber die Gesetzgeber hatten damals die Alternative noch nicht für spruchreif gehalten, und in der Literatur der Folgezeit war eine Klärung ebenfalls nicht erzielt worden. Zwar hatte der Reichstag, als er im Sommer 1904 das Gesetz über die Kaufmannsgerichte verabschiedete (L. B.

Anlaß der Novelle.

3

S. 237) beiläufig einen Initiativbeschluß gefaßt, „unverzüglich eine allgemeine Reform des Zivilprozeßverfahrens in die Wege zu leiten" Aber auch diese Reform war als allgemeine gedacht und stieß deshalb zunächst auf das erwähnte Hindernis. Da wurde die öffentliche Stimmung und die Regierung aus ihrer abwartenden Haltung durch die Streitschrift eines der Prozeßpraxis wie der Prozeßwissenschaft fernstehenden Schriftstellers, des Oberbürgermeisters von Frankfurt, Adickes, plötzlich herausgedrängt. Während früher allgemein die Überzeugung geherrscht hatte, daß die Grundsätze der englischen ZivilrechtspHege als Muster für das Festland und insbesondere für Deutschland nicht in Betracht kommen könnten, überraschte Adickes durch die neue These, daß gerade England in seiner Rechtspflege die Eigenschaften besitze, an deren Mangel die deutsche Justiz kranke. Die deutsche G e r i c h t s . v e r f a s s u n g arbeite zu schwerfällig mit einem Übermaß an Beamten und Instanzen, unter dem Druck der Prinzipien der Kollegialität der Gerichte und der unbedingten Rechtsmittelanfechtbarkeit jedes Urteils. Statt dessen decke England den Bedarf mit einer verhältnismäßig geringen Zahl von Richtern dank der in erster Instanz ausschließlichen Zuständigkeit von E i n z e l r i e h t e r η und der großen S p a r s a m k e i t im Gebrauch von R e c h t s m i t t e l n . Entsprechend arbeite das deutsche V e r f a h r e n mit einem schwerfälligen Formenapparat, während der englische Zivilprozeß sich durch beliebige Konzentration der Termine, durch abgekürzte Beweiserhebungen und andere Maßregeln dem Bedürfnis des Einzelfalles beweglich anpasse. Zwar wurde fast einhellig von den sachverständigen Schriftstellern gegen Adickes' Schlußfolgerungen Widerspruch erhoben. Aber die Tagespresse und die in den Parlamenten nachklingende öffentliche Meinung wurde von den Schlagworten: Beschleunigung und Kostenersparnis durch Einzelrichtertum und verstärkte richterliche Fürsorge, durch Beschränkung des Anwaltszwangs und leichtere Zugänglichkeit des anwaltlosen Bagatellprozesses für den „kleinen Mann" — sofort bestochen. Und auch den Regierungen kamen diese Reformvorschläge erwünscht, weil sie auf den Ton der Personalersparnis und der entsprechenden Entlastung des Justizbudgets gestimmt waren. So wurde die Vorarbeit der Reichsregierung für eine Novelle beschleunigt, und deren Entwurf im Herbst 1907 veröffentlicht 2. Er enthielt allerdings keineswegs die Verwirklichung des Reichstagsbeschlusses von 1904. Denn er verzichtete auf systematische Revision und beschränkte sich auf den Vorschlag, die A m t s g e r i c h t s k o m p e t e n z zu erweitern ι Der Beschluß fordert eine Reform, „durch welche a l l g e m e i n , insbesondere aber für die zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehörenden Rechtsstreitigkeiten, ein dem Gesichtspunkt der Beschleunigung und der Verbilligung der Rechtspflege entsprechendes Verfahren eingeführt wird". 2 Reichsanzeiger 5. Okt. 1907 n. 238 Abdruck des Entwurfs als Sonderbeilage der d e u t s c h e n J u r i s t e n z e i t u n g X I I 1^07 zu η 20.

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Die Novelle zu den Reichsjustizgesetzen vom 1. Juni 1909.

und lediglich das a m t s g e r i c h t l i c h e V e r f a h r e n in seiner durch die Zuständigkeitserweiterung erhöhten Bedeutung umzugestalten. Bei dem Hauptpunkt, der Änderung des § 23 n. 1 G.V.G. hatte die Reichsregierung ursprünglich sogar an eine amtsgerichtliche Zuständigkeit bis zu 1200 Jt gedacht. Der veröffentlichte Entwurf begnügte sich mit 800 Jt 1. Funktionell steigerte er die Bedeutung des Amtsgerichts dadurch, daß er (als 511a Z.P.O.) die I n a p p e l l a b i l i t ä t seiner Urteile bei Streitgegenständen bis zu 50 cM vorsah. Die Grundgedanken des Entwurfs wurden von der Kritik mit einer fast überwältigenden Einmütigkeit abgelehnt, sowohl von einer ganz auffallend reichhaltigen Gelegenheitsliteratur (vgl. o. S. 1) wie auch besonders von einer Fülle von Versammlungen oder Kundgebungen korporativer Organe des Richterstandes, des Anwaltsstandes, der Handelskammern usw. 2 . Mit großer, zum Teil übermäßiger Leidenschaftlichkeit wendete sich die deutsche Anwaltschaft gegen den Entwurf 8 . Ein Teil der Gerichte sprach sich nur für eine mäßige Erhöhung der Amtsgerichtskompetenz aus. Gleichwohl wurde der Entwurf am 28. Februar 1908 mit nur geringen Änderungen dem Reichstag vorgelegt. Von wichtigeren Bestimmungen war nur der § 511a (Beseitigung der Berufung in kleinen Amtsgerichtssachen) fallen gelassen4, dagegen an der Forderung der Amtsgerichtskompetenz bis 800 Jt und der Bes chränkung der Reform auf das amtsgerichtliche Verfahren festgehalten 6 . Auch während der Entwurf dem Reichstag vorlag und (seit November 1908) dessen Kommission überwiesen war, dauerte die Opposition an. Sie fand noch vor Beginn der Kommissionsberatungen eine besonders lebhafte Äußerung in den Beschlüssen des deutschen Juristentags in Karlsruhe (September 1908). Aber auch auf den Reichstag machte der Widerspruch der öffentlichen Meinung nur geringen Eindruck. Die Kommission und ihr folgend das Plenum verstanden sich vielmehr zu einem Kompromiß, indem sie die Amtsgerichtskompetenz auf das Maximum von 600 Jt beschränkte. Anderseits fügte die Kommission des Reichstags aus eigener Initiative — die freilich in manchen Punkten von der Reichsregierung direkt in1 U n d zwar auf die schon vor der Veröffentlichung einsetzende Opposition. Schon im Sommer w a r ein vorläufiger E n t w u r f p r i v a t i m den Gerichten und Anwaltskammern zur Äußerung vorgelegt worden. Besonders der deutsche A n w a l t s t a g in M a n n h e i m (Sept. 1907, vgl. Jur. Woch. 1907, 600) erklärte sich m i t Energie eegen die Wertgrenze von 1200 J i . 2 Dem E n t w u r f günstig w a r auch in der Folge fast allein die Besprechung von Schneider. Das amtsgerichtliche Verfahren nach den Verbesserungsvorschlägen des Reichsjustizamts, Ζ. f. Z.P. 37 (1908), 354. 3 Besonders auf einem nach Leipzig einberufenen außerordentlichen Anwaltstag November 1907 (Referent H a c h e n b u r g ; vgl. o. S. 1). 4 Ausgabe: E n t w u r f und Ges., betr. Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Zivilprozeßordnung, des Gerichtskostengesetzes und der Gebührenordnung für Rechtsanwälte m i t Begründung und Anlagen. Carl Heymanns V e r l a g , Verlags-Archiv 4434; Drucks des Reichstags 1907/8 n. 7 5. 5 M i t der Motivierung : „Über die Richtung, welche die Reform einzuschlagen hätte, wenn sie den Anwaltsprozeß umfassen sollte, gehen die Meinungen weit auseinander".

Hauptgegenstände der Novelle.

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spiriert wurde — manche Neuerungen in den Entwurf ein und zwar nunmehr auch solche, die nicht nur das amtsgerichtliche, sondern auch das landgerichtliche Verfahren zu vereinfachen bezweckten (vgl. u. S. 5) Die entscheidende zweite und dritte Lesung im Reichstag selbst führte zu erheblichen Änderungen nicht mehr. Sie fanden am 2G./27. April und 5. Mai 1909 statt und führten zum Vollzug des Gesetzes unter dem 1. Juni 1909. Es ist vom 1. April 1910 an in Kraft gesetzt worden. I I . Verhältnis der Novelle von 1909 zum geltenden Recht. Der geschilderte Entstehungsgang der Nov. läßt bereits erkennen, in welcher Funktion sie in G.V.G. und Z.P.O. und deren Nebengesetze eingreifen. Ihre Bestimmungen lassen sich — abgesehen von den k o s t e n r e c h t l i c h e n Vorschriften (vgl. den Anhang) — in drei Gruppen gliedern: a) Ä n d e r u n g e n der G e r i c h t s v e r f a s s u n g . Sie dienen fast durchweg dem Interesse der Ersparnis der Kräfte an rechtsgelehrten Berufsrichtern, nicht nur durch Ausdehnung der Einzelrichterkompetenz, sondern auch durch solche der Funktionen der Laienrichter im Kollegialgericht (Kammer für Handelssachen G.V.G. § 100; u. S. 22) sowie des Gerichtsschreibers (Kostenfestsetzungen Z.P.O. § 104; S. 24) und durch Ermöglichung besserer Ausnutzung des Richterpersonals (G.V.G. § 58,2; S. 25). b) Ä n d e r u n g des V e r f a h r e n s i n a l l e n Prozessen (Land- und Amtsgerichtssachen). Diese Vorschriften (zum großen Teil von der Justizkommission des Reichstags eingeschoben) dienen fast sämtlich der V e r e i n f a c h u n g des Verfahrens, sei es durch Steigerung des Richtereinflusses (Vermehrung des Gebietes der Zustellung von Amtswegen bei Parteischriften § 341, 518, S. 56; Ermöglichung der persönlichen Vorladung der Partei als Gegengewicht gegen prozeßverschleppende Vorträge oder Vertagungsanträge der Anwälte § 141, S. 41) usw., — sei es durch Erleichterung des Formenapparates (Beseitigung von Tatbestand und Gründen für Versäumnis- und Anerkenntnisurteile, § 313, 4, S. 47, 67 ; Ersatz des Voreids bei Zeugen und Sachverständigen durch den Nacheid, um eventuell die Beeidigung ganz zu umgehen, § 394, S. 45; Vereinfachung der Form der Eidesabnahme, auch bei Parteieiden, § 481, S. 46). c) Ä n d e r u n g des A m t s g e r i c h t s v e r f a h r e n s . Hier waltet die Tendenz, landgerichtliches und amtsgerichtliches Verfahren stärker als bisher (L.B. S. 376) zu differenzieren, und zwar im letzteren mehr als im Landgerichte den Richtereinfluß zu steigern und die Formen zu vereinfachen. Die Erhöhung der gerichtlichen Funktionen auf Kosten der Anwaltstätigkeit liegt zum Teil schon 1 Bericht der 30. Kommission über den E n t w u r f und Gesetz, betr. Änderungen des G.V.G., der Z.P.O. usw., erstattet am 31. März 1909 von Abg. Heinze, Landgerichtsdirektor in Dresden (Heymanns Verlags-Archiv 4260; — Drucks, des Reichstags η. 1322)·

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in der Verbreiterung des Amtsgerichtsprozesses ohne Anwaltszwang (lit. a.). Aber auch innerhalb des amtsgerichtlichen Verfahrens wird die Partei oder der Anwalt zurückgeschoben durch prinzipielle Durchführung der Offizialzustellung (§ 490; S. 56) und Oftizialladung (§ 497; S. 52), durch Modifikation des Klagaktes (§ 490, 3, 500; S. 39), durch Begründung einer Verantwortlichkeit des Amtsrichters für Vorbereitung der Stoffsammlung (§ 501; S. 41). Die Vereinfachung des Formenapparates wird durch Abschwächung des Zwangs zum erschöpfenden mündlichen Vortrag (S. 43), Zusammenziehung von Verhandlung und Beweiserhebung (§ 509; S. 59), durch bequemere Regelung cler Fälle der Unzuständigkeit des Gerichts (§ 505; S. 65), durch kleine Änderungen des Fristen- und Ferienrechts (§ 499; S. 63) vorgesehen. Das führende Justizgesetz, die Z.P.O., ist durch die Novelle um acht Paragraphen (1056 statt 1048) gewachsen: an ungefähr 70 Stellen hat sie Änderungen erfahren. Außer G.V.G. und Z.P.O. ist jedoch auch das G e r i c h t s k o s t e n g e setz und die G e b ü h r e n o r d n u n g f ü r R e c h t s a n w ä l t e durch die Novelle geändert worden. Die Tätigkeit der Prozeßgesetzgebung des Jahres 1909 hat sich in der Novelle nicht erschöpft. Ein bedeutsames Gebiet des Verfahrens ist durch das völkerrechtliche Abkommen über die internationalen Beziehungen des Zivilprozesses neu geordnet worden, das an Stelle der 1896 getroffenen Haager Übereinkunft am 17. Juli 1905 ebenfalls im Haag zwischen den europäischen Festlandstaaten getroffen und für Deutschland durch Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 24. April 1909 vom 27. April 1909 ab in Kraft gesetzt worden ist, zugleich mit einem deutschen Ausführungsgesetz vom 5. April 1909 (R.G.B1. S. 409 ff.). Seine Grundgedanken berühren sich mit denen der Novelle insofern, als auch hier größere Einfachheit und Wohlfeilheit des Verfahrens im internationalen Verkehr erstrebt wird (vgl. darüber unten § 45 ff., S. 33 ff.). I I I . Bedeutung der Novelle von 1909 für die Gesamtentwicklung des deutschen und des ausländischen Prozefsrechts. Trotz der absichtlich fragmentarischen Natur des neueu Gesetzes, trotz seiner Scheu, die G r u n d s ä t z e der bisherigen Reichsjustizgesetze in ihrer formellen Anerkennung zu beeinträchtigen, hat die Nov. doch eine nicht zu unterschätzende grundsätzliche Bedeutung. Bedeutsam sind nicht so sehr die Einzelheiten der Novelle als solche, wohl aber der Gedankenkreis, dem sie entspringen und für den sie als Symptom dienen. Denn ganz zweifellos liegt der Novelle ein Ideal der Zivilrechtsptlege zugrunde, das den gesetzgeberischen Tendenzen der Reichsjustizgesetze und ihrer partikularrechtlichen Vorläufer feindlich und entgegengesetzt ist. Demgemäß kündigt sich in der Novelle der Versuch an, diese anderen Rechtsgedanken in der Praxis

Geistige Herkunft der Novelle.

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und vor der öffentlichen Meinung zu erproben. Würden sie künftig weiterverfolgt werden, so wäre nicht nur eine Revision der jetzigen Gerichtsverfassung und Prozedur, sondern eine grundsätzliche Umgestaltung, eine „durchgreifende Justizreform" (Adickes) unausbleiblich. Denn die Grundgedanken der Novelle sind ja die, daß der Einzelrichter für die erstinstanzliche Erledigung des Rechtsstreits nicht minder geeignet ist als das Kollegium, und daß im Interesse der raschen Prozeßerledigung die Macht des Richters gesteigert werden muß auf Kosten der Einwirkung, die sonst die Parteien und die Anwälte im Prozeß üben würden. Gerade die entgegengesetzten Gedanken aber sind es, auf welche die Gesetzgebung von 1877 die bisherige Gerichtsverfassung und Prozedur in erster Linie begründet hatte: Kollegialitätsprinzip und starker Einfluß des Parteiwillens, insbesondere der Anwaltschaft. Auf die Länge ist also die Tendenz der Novelle mit der des herrschenden Rechts unverträglich. Faßt man dies als den eigentlichen Geist der Novelle ins Auge, so erkennt man, an welche gesetzgeberische Traditionen sich das Gesetz anschließt. Es hat n i c h t s mit dem Typus der e n g l i s c h e n Zivilrechtspflege zu tun. Gewiß haben die Anpreisung der englischen Einrichtungen und Prozeßformen und die in der Anschauung Unkritischer plötzlich erwachende Sympathie für sie die offizielle Abwicklung des Gesetzesakts erleichtert. Denn die sonst kaum zu begreifende Bereitschaft des Reichstags und der öffentlichen Meinung wird nur dadurch erklärlich, daß die Anglophilen den Kredit d e s E i n z e l r i c h t e r t u m s und der R i c h t e r m a c h t im Prozesse plötzlich gesteigert hatten. Aber gerade diese beiden Ideen sind den deutschen und englischen Verhältnissen nur in einem ganz vagen und schlagwortartigen Sinne gemeinsam. Das wirkliche Rechtsleben Englands verwendet sie unter ganz anderen Bedingungen und mit ganz anderer Wirkung als die Novelle, und gerade die verhältnismäßig am meisten einschneidenden Bestimmungen der Novelle stehen zu den e n g l i s c h e n I n s t i t u t i o n e n i n d i r e k t e m Gegensatz. I n W a h r h e i t e n t s p r i n g t die N o v e l l e ganz a n d e r e n , D e u t s c h l a n d näherliegenden E i n f l ü s s e n . Ihre Tendenz deckt sich in allen Hauptpunkten mit den gesetzgeberischen Ideen der Juristen Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs des Großen, Coccejis, Carmers, Suarez', die in Preußen gerade durch die Reichszivilprozeßordnung und die vorbereitenden, f r a n z ö s i s c h e n Mustern nachgebildeten westdeutschen Partikularprozeßordnungen zurückgedrängt worden waren. Unmittelbar aber ist natürlich der Novelle durch die ö s t e r r e i c h i s c h e Z.P.O. von 1895 vorgearbeitet worden, deren Gedankenkreis seinerseits mit dem altpreußischen fast genau übereinstimmte. Es ist kein Zufall, daß diese bereits 1905 auch in F r a n k r e i c h Nachfolge gefunden hatte. Mit der französischen Reform geht die jetzige deutsche parallel.

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Die genannten Verhältnisse sind für das Verständnis der Novelle, ihrer Gesamtbedeutung wie ihrer Einzelvorschriften, von Wichtigkeit und deshalb in Kürze klarzulegen. Die e n g l i s c h e Zivilrechtspflege verwertet, wie gesagt, den Einzelrichter sowohl im High Court wie in den Grafschaftsgerichten unter anderen Bedingungen, als unter denen sich der deutsche Amtsrichter, der österreichische Bezirksrichter und der französische Friedensrichter bewegenΚ Das Charakteristische der englischen Gerichtsorganisation ist die bewußte Betonung der E i n z e l p e r s ö n l i c h k e i t des Richters und die V e r f l e c h t u n g u n d Z e n t r a l i s i e r u n g der I n s t a n z e n . Die Justizverwaltung arbeitet l e d i g l i c h mit ca. 250 j u r i s t i s c h e n B e r u f s r i c h t e r n . Etwa 20—30 Richter genügen für die beiden Abteilungen des High Court of Justice, Kings Bench Division und Chancery Division, und für die Kollegien der zweiten und dritten Instanz, den Court of Appeal und die Justizsektion des Oberhauses. Die 55 Grafschaftsgerichte sind mit je einem Richter besetzt. Außerdem besorgen die 18 „Masters" des High Court und die Registrars der County Courts als „Inferior Judges" richterliche Geschäfte, und das Gleiche gilt von den 95 District Registrars, die an 88 Stellen als Chefs der Kanzleien des High Court i n d e r P r o v i n z eingerichtet sind. Diese geringe Zahl ermöglicht der öffentlichen Meinung eine starke Kontrolle, besonders der Presse. Sie wird erleichtert durch den Umstand, daß alle richterlichen Beamten den Amtskreis, den sie zugewiesen erhalten haben, oft lebenslang behalten, daß eine Versetzung, eine „Carrière" des Richters bei der geringen Zahl der verfügbaren Stellen nur beschränkt in Betracht kommt. Vor allem aber übt das rechtsuchende Publikum, speziell durch die Anwälte, eine Kontrolle. Denn die Parteien haben nach dem alteingebürgerten und neuerdings sich noch immer weiter ausbildenden System die Wahl, ob sie Grafschaftsgericht oder High Court, den letzteren ev. durch Vermittlung der Distrikts-Registraturen, anrufen wollen. Und ebenso können sie bei den zentralen wie bei den vielen lokalen Gerichtshöfen wählen, ob sie die Entscheidung von dem Master, County Court Registrar oder District Registrar entgegennehmen wollen oder 1 Z u den M a t e r i a l i e n , auf Grund deren die Darstellung der englischen Zivilrechtspfiege i m Lehrbuch gegeben wurde (S. 122ff.)» ist angeregt durch die Tendenzschrift Adickes', in den letzten Jahren eine größere Reihe bedeutsamer Monographien hinzugekommen, die, Adickes' Argumente teils ablehnend, teils wenigstens ermäßigend, vieles Charakteristische der englischen Justiz schärfer beleuchtet und Herausgehoben haben, das im Lehrbuch nur noch andeutungsweise erwähnt w u r d e , so die bereits oben (S. 1) gen. Schriften von Gerl a n d , Stein, Mendelssohn - B a r t h o l d y , Koellreutter. Z u einer Modifikation der im L.B. vertretenen Gesamtauffassung haben sie jedoch nicht genötigt, vielmehr die dort gegebene Gesamtcharakteristik nur bestätigt und d a m i t auch das, was L.B. S. 132 über das Verhältnis der deutschen zur englischen Justiz gesagt wurde. Es kann sich deshalb im folgenden nur u m eine nochmalige kurze Fixierung der Ergebnisse dieser neuesten rechtsvergleichenden Literatur handeln. Eingehender habe ich diese Gedanken in meinem Aufsatz über die „deutsche Zivilprozeßreform und ihr Verhältnis zur ausländischen Gesetzgebung" in der Zeitschrift für Politik I (1908) S. 250 ausgeführt, auf den ich hiermit verweise. Eine soeben erscheinende umfangreiche systematische Darstellung von G e r l a n d (Die englische Gerichtsverfassung, 1910) konnte leider nicht mehr verwertet werden.

Charakter der englischen Rechtspflege.

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ob sie diesem nur die Vorermittlung des Streitstoffes, die Sachinstruktion überlassen und zur Entscheidung die Streitsache dem County Court Judge oder dem „Richter" von Kings Bench oder Chancery Division unterbreitet haben wollen oder endlich, ob sie nach Entscheidung des Inferior Judge die des Justice (ohne Rechtsmittel) einholen wollen. Der High Court-Richter und sein Master, der Grafschaftsrichter und sein Registrar bilden also eine Art Kollegium zu z w e i e n , indem bei Meinungsverschiedenheit der Senior Judge den Ausschlag gibt 1 . Die erste Instanz Englands beruht hiernach nicht eigentlich auf dem Einzelrichtersystem, sondern auf einem ganz eigenartigen Mittelding zwischen Einzelrichter- und Kollegialprinzip. Und wenn trotz der Wahlfreiheit der Parteien gerade in neuerer Zeit die Provokation von der Entscheidung des Master oder Registrar an den Richter nicht sehr häufig benutzt wird und anderseits statt der Klage beim High Court immer häufiger die Klage beim Grafschaftsgericht gewählt und dessen Kompetenz erweitert wird, so beweist das lediglich, daß das ganze System einen erzieherischen, disziplinierenden Einfluß auf die Rechtspflegepersonen ausübt. Hier wie oft genügt die M ö g l i c h k e i t , den einen Beamten durch den andern zu umgehen oder zu verdrängen, um Zucht im Richterstand, Vertrauen in den Rechtssuchenden zu stärken. So erklärt es sich vor allem, wenn als Gegengewicht dem E r m e s s e n der Richterpersonen die bekannte Freiheit eingeräumt wird. Bei der kleinen Zahl der Richter, bei der starken Auslese unter ihnen, bei ihrer Exponiertheit vor der öffentlichen Meinung erklärt es sich, warum England seinen Richtern eine verhältnismäßig sehr große Macht in der Anwendung des Privatrechts wie des Prozeßrechts gewährt, insbesondere den raschen, stark durch den Totaleindruck beeinflußten Betrieb des Verfahrens, zwanglose Verhandlung und Beweiserhebung, Komprimierung der Termine, Knappheit der Urteilsbegründung. Und diese Macht erklärt zum Teil wieder die Tatsache, daß eine so geringe Zahl von Richtern die gesamte Geschäftslast der Zivilrechtspflege bewältigt. Allerdings nur zum Teil. Denn auch sie geht keineswegs bis zu dem Grade, daß der Richter in England das Recht selbst schafft, wie es neuerdings wohl dargestellt worden ist. Vielmehr ist auch der englische Richter, der praktischen Handhabung nach, an über ihn stehende Grundsätze des Verfahrens gebunden, diese bleiben generelle Normen, wenn er auch selbst an der Aufstellung der Prozeßordnungen — in der Schaffung der sogenannten „Rules", der im Rahmen der Gesetze die Einzelheiten des Verfahrens regelnden Ausführungsbestimmungen — mittätig ist 2 . Aber es gibt zweifellos genug Situationen des Rechtslebens, wo das englische Gericht in sehr machtvoller Weise der 1 Über die eigenartigen Verhältnisse ausführliche Erhebungen bes. bei Koellre utter, Richter und Master S. 18, 34, 74. 8 Vergleiche hierüber neuerdings Gerland, die E i n w i r k u n g des Richters auf die Rechtsentwicklung in England, Richard Schmidts zivilproz. Forsch. 6, 1910.

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persönlichen Überzeugung unabhängig vom Gesetz Einfluß verschafft, besonders folgenreich in der Handhabung der R e c h t s m i t t e l . Nach fester Anschauung hat das englische Obergericht das Urteil des Untergerichts nicht in jedem Fall aufzuheben und abzuändern, wo seine eigene Beurteilung des Rechtsfalls von der untergerichtlichen abweicht, sondern nur dann, wo es einen groben Fehler der Vorinstanz konstatiert. Es nehmen also — sehr im Gegensatz zu Deutschland — die Obergerichte in England im Zweifel für das Urteil des Vordeirichters und gegen die Berufung Stellung. Dieser Korpsgeist unter den Gerichten mnß aber die Autorität der Rechtspflege außerordentlich stärken und genügt schon für sich allein, um die g e r i n g e Z a h l der B e r u f u n g e n zu erklären 1 . Nur freilich, — die anscheinend so viel größere Leistungsfähigkeit der englischen Gerichtsorganisation hat offenkundig auch noch ganz andere Ursachen. Die P r o z e ß k o s t e n sind in England durchschnittlich um das Dreifache höher als in Deutschland. Gerade die unteren Schichten der Mittelklassen und das Proletariat, aber auch größere Geschäftsleute suchen ihre Rechtshändel in anderer Weise als durch Richterspruch beizulegen und verzichten von vornherein auf Prozeß 2. Zum Teil wird die Kostenlast durch den großen Einfluß der Anwaltschaft bedingt, da die Partei für jeden größeren Prozeß den geschäftsführenden Schreibanwalt, Solicitor und den plädierenden Sachwalter, Barrister beauftragen und honorieren muß. In anderen Sachen aber wirken die Anwälte mindestens dahin, daß bereits in ihrem Vorverfahren die Streitsache erledigt wird. Einen Maßstab für die Bedeutsamkeit dieses Faktors bietet die Tatsache, daß die englische Rechtspflege, deren Bedarf durch so viel weniger R i c h t e r gedeckt wird als in Deutschland, dafür eine prozentual vjel g r ö ß e r e Zahl von A n w ä l t e n beschäftigt als Deutschland. Allerdings arbeitet die deutsche Justiz, die nach englischem Maße gemessen sich etwa mit 420 Richtern behelfen sollte, mit 8 — 9000; aber dafür beschäftigt die englische Justiz 20000 Anwälte. Ihnen würden in Deutschland nach der Bevölkerungszahl 35000 entsprechen; in Wahrheit sind aber hier nur 8O00 tätig 8 . So betrachtet, ist die englische Ziviljustiz auf die deutsche Zivilprozeßnovelle ohne allen Einfluß. Manche ihrer Grundlagen, die Zentralisierung der erstinstanzlichen Justiz, die Doppelbesetzung der Gerichte, die individuelle persönliche Auslese lassen sich auf Deutschland gar nicht übertragen. Sie hängen mit 1 Diesen Gesichtspunkt nachdrücklich betont zu haben, ist das Verdienst Mendelssohn-Bartholdys (Imperium des Richters S. 86 ff. — dort auch eine Statistik der Berufungen gegen Urteile der Grafschaftsgerichte 1901—19"6) und neuerdings, allerdings zunäcnst m i t Bezug auf Strafsachen: Englisches Richtertum i m Court of Criminal Appeal, W ü r z burger Abh. z. Prozeßrecht I . 1909. 2 Einzelnachweise hierfür bei A s c h r o t t , Prozeßkosten in England, Jur. Z. 1907 S. 178, G o l d s c h m i d t , ebenda 8. 740. 3 Zusammenstellungen von H a m m , Englische Justiz auf deutschem Boden, Jur. Z. 1906 S. 1051.

Einflußlosigkeit der englischen Justiz auf Deutschland.

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uralter Tradition, mit den geographisch engen Verhältnissen Englands, der Konzentration des Verkehrs in London zusammen. Jedenfalls h a t t a t s ä c h l i c h die N o v e l l e g a r n i c h t v e r s u c h t , e i n e s dieser S t ü c k e zu v e r w i r k l i c h e n . Sie begründet die erweiterte Kompetenz der Einzelrichter als ein Monopol, außer wenn die Parteien beiderseits über die Streitsache prorogieren. Wo der Amtsrichter zu entscheiden hat, wird er durch niemand beschränkt. Er steht in keiner festen und dauernden Beziehung zu seinem Gerichtsbezirk, wird oft und rasch versetzt, und die Novelle steigert diesen bureaukratischen Zustand, bei dem jeder richterliche Beamte nur eine fungible Person ist, noch erheblich dadurch, daß die Amtsrichter künftig — ohne der Versetzung unter Berufung auf die Garantien der richterlichen Unabhängigkeit widersprechen zu können — beliebig auch an dem ihnen übergeordneten Landgericht beschäftigt werden köunen wie umgekehrt, daß also ein noch viel stärkerer Personal Wechsel als bisher in der Justiz eintritt (u. S. 25). \ T or allem aber wird an eine Herabsetzung des Richterpersonals, wie sie in England die Grundlage aller weiteren Grundsätze bildet, gar nicht gedacht. Wenn jetzt den ca. 250 englischen Richtern mehr als die dreißigfache Zahl von Richtern erster Instanz in Deutschland gegenübersteht, so könnte auch eine gewisse Personalersparnis nur eiue relativ geringfügige sein und an der Gesamtphysiognomie der deutschen Justizorganisation nichts ändern 1. Denn das wäre nur möglich, wenn auch jene anderen Vorbedingungen geschaffen würden, die die Geschäftslast der englischen Gerichte — wie gezeigt, in teilweise gewaltsamer Weise — herabdrücken: die Kostenteuerung, die große Zahl und der bedeutende Einfluß der Anwälte und die starke Beschränkung der Rechtsmittel. Mit diesen Einrichtungen tritt aber die Novelle geradezu in Gegensatz, indem sie die Anwälte für eine neue große Gruppe von Streitsachen entbehrlich macht und ihren Einfluß im Prozeß einschränkt, indem sie die Prozeßkosten zu verbilligen sucht und die Einschränkung der Rechtsmittel (o. S. 4) grundsätzlich ablehnt. So würde denn die Vorstellung, als ob die Novelle eine Einführung englischer Rechtspflegezustände mindestens vorbereite, die wahre Sachlage nur verdunkeln. Wenn man die englische und die deutsche Justiz als Ganzes vergleicht, zeigt sich, daß die erstere in deutschen Verhältnissen gar nicht nachgeahmt werden könute Die Bedingungen, auf denen die V o r z ü g e der englischen Justiz ruhen, lassen sich in Deutschland nicht schaffen. Und die Vorzüge sind mit n a c h t e i l i g e n Verhältnissen innerlich so eng verbunden, daß um der letzteren willen eine englische 1 Die Personalersparnis wird um deswegen keine sehr große sein können, weil sicher zu erwarten ist, daß die V e r r i n g e r u n g der Geschäftslast der Z i v i l k a m m e r n in e r s t e r Instanz zu einem großen Teil durch eine g e s t e i g e r t e Geschäftslast dieser K a m m e r n in B e r u f u n g s s a c h e n ausgeglichen werden wird. Die verringerte Geschäftslast der Oberlandesgerichte als Berufungsgerichte kann bei der relativ verschwindenden Bedeutung der Mitglieder dieser (Gerichte zu dem numerischen Gesamtbestand der Richter keinen großen Einfluß ü b e n .

1 2 D i e

Novelle zu den Reichsjustizgesetzen vom 1. Juni 1909.

Kopie gar nicht wünschenswert wäre. Jedenfalls ist zweifellos, daß die Stücke der Novelle, in denen sie ä u ß e r l i c h sich den englischen Ideen nähert, nämlich gesteigerte Einzelrichterkompetenz und gesteigerte Richtermacht im Amtsgerichtsverfahren, im Rahmen der deutschen Verhältnisse ganz anders beurteilt werden müssen als in England, und daß die bewährte und populäre Geltung dieser Ideen in England für Deutschland und auch für den Wert der Novelle nichts beweist. Man muß also, um die Bedeutung der Novelle zu würdigen, den Streit um die Vorzüge und Nachteile des englischen Rechts ganz ausschalten. In Wahrheit tritt, wie(S. 7) gesagt, in der Novelle ausschließlich die gesetzgeberische Strömung zutage, die sich bereits bei der Novelle von 1898 bemerkbar gemacht hatte, damals aber während der Beratungen wieder zurückgedrängt worden war, der Einfluß des neuen ö s t e r r e i c h i s c h e n Zivilprozeßrechts und mittelbar die Nachwirkung des a l t p r e u ß i s c h e n Prozeßrechts des 18. Jahrhunderts. Cocceji eröffnete seinerzeit (vgl. L.B. S. 95) die Zivilprozeßreform. Preußens mit der Bagatellprozeßordnung von 1739 in der Tendenz, das Einzelrichterverfahren mit starker Konzentration allen Prozeßbetriebs in der Hand des Richters und unter Ausschluß der Anwälte möglichst verwendbar zu machen. Garnier suchte dies Verfahren zur regelmäßigen Form des Zivilprozesses erster Instanz zu machen, und Suarez führte es in der Allgemeinen Gerichtsordnung von 1793 mit gewissen Modifikationen in der Tat durch. In Konkurrenz hierzu trat seit 1810 das im deutschen Westen eingebürgerte französische Prozeßsystem (L.B. S. 104), das gerade im Gegensatz zu jenen fridericianischen Reformen das kollegiale Erstinstanzgericht und das Anwaltsverfahren als Grundtypus der Rechtspflege verwertete und ein einzelrichterliches Verfahren nur als Ausnahme ausbildete, auch dies zwar ohne Anwaltszwang, aber doch mit Zulassung von Anwälten. Das französische Gesetz vom August 1790 hatte an Einzelrichter, juges de paix, (abgesehen von Sühnefunktionen) die Entscheidung nur in Sachen bis 100 Livres (bis 50 Francs inappellabel) übertragen, — eine verschwindend geringe Kompetenz gegenüber dem kollegialen tribunal d'arrondissement, die nach dem offiziellen französischen Sprachgebrauch den Friedensrichter zum juge d'exception wie die Gewerbegerichte machte. Erst später ist seine Zuständigkeit auf die bisherige noch immer unbedeutende Höhe von 200 Francs (100 Francs inappellabel) gestiegen. Dies französische System hatte seit 1820 zunächst den Süden Deutschlands, nach dem Vorgang Hannovers allmählich auch den Norden und Osten erobert. Aber in der österreichischen Z.P.O. von 1895 erfolgte der erste Rückschlag (L.B. S. 111). Durch Österreich wurde Frankreich selbst im Gesetz vom 12. Juli 1 Vgl. dazu M e n d e l s s o h n - B a r t h o l d y , Justizreform, Jahrb. d. öff. R. I , 155ff. (1907); R i c h a r d S c h m i d t , Ζ. f. P o l i t i k , 257 (1908), Text des Ges. nebst Vorgesch. vgl. S i r e y , recueil général des lois et des arrêts, lois annotées 1905 p. 988ff.

Altpreußische, österreichische, französische Vorbilder der Novelle.

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1905 beeinflußt 1. Es übertrug den Friedensrichtern obligationenrechtliche und mobiliarsachenrechtliche Streitigkeiten bis zu 600 Francs (bis zu 300 Francs ohne Appellation an die tribunaux d'arrondissement), außerdem ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstands noch weiter eine große Reihe von Prozessen bestimmten Gegenstandes1. Zugleich steigerte es entsprechend dem wachsenden Wirkungskreis die Qualifikationsbedingungen für das Friedensrichteramt 2. In Deutschland sind schon bei Beratung der durch das B.G.B, veranlaßten Novelle zur Z.P.O. vom 17. Mai 1898 gleiche Gedanken geltend gemacht worden, ohne jedoch erheblichere Spuren an diesem Gesetz zurückzulassen (L.B. S. 134). Ein wichtiges Zugeständnis an sie bildete aber bereits das Gesetz über die Kaufmannsgerichte von 1904, das für ein weiteres Gebiet nach dem Muster des 1890 erlassenen, 1900 erweiterten Gesetzes über die Gewerbegerichte die Anwälte von der Mitwirkung am Prozesse ausschloß. Und die jetzige Novelle greift direkt auf die Zeit vor 1820 zurück, indem sie das Gebiet des Kollegialgerichtsverfahrens und des Anwaltszwangs für die erste Instanz auf einen minimalen Prozentsatz aller Streitsachen einschränkt. Dabei leuchtet ohne weiteres die Analogie zwischen den heutigen Gesetzesbestrebungen und den altpreussischen ein. Unter Friedrich Wilhelm I. befand sich die Justiz in einem so verrotteten Zustand der Zersplitterung der Gerichtsstände, der mangelhaften Disziplinierung der Richter und des überwuchernden Einflusses schlechter, großenteils bildungsloser Prokuratoren und Advokaten, daß das Bedürfnis nach strammer Zucht des Gerichtspersonals und nach Abkürzung der Prozesse und Schaffung eines geregelten Prozeßbetriebs alle anderen feineren Interessen der Justiz überwog. Und ebenso hat jetzt, — natürlich nur in viel geringerem Grade — in der öffentlichen Meinung die Klage über Verzögerung und Kostspieligkeit der Prozesse alle anderen zurückgedrängt. Inwieweit diese Klagen begründet sind und womit sie begründet werden, — ob aus der Disziplinlosigkeit der Anwälte, die durch zahlreiche Terminsvereitelungen (L.B. S. 401) den Prozess hinziehen, ob aus der Umständlichkeit des Verfahrens, das dem Mann aus dem Volke unverständlich und dem Gericht schwer handlich ist, ob aus den zu hohen Prozeßkostenansätzen, — das braucht hierfür nicht untersucht zu werden. Tatsache ist, daß seit dem Inkrafttreten der Z.P.O. die Tendenz der P r o z e ß b e s c h l e u n i g u n g im Interesse des wirtschaftlichen Verkehrs und der Gedanke des s o z i a l e n P r o z e ß r e c h t s , d. h. der Vereinfachung und Verbilligung des Verfahrens im Interesse der Gleichberechtigung 1 Sie entsprechen ungefähr den schon bisher durch deutsches G.V.G. § 23 n. 2 ohne Rücksicht auf den Streitwert den Amtsrichtern überwiesenen Sachen (Streitigkeiten zwischen Gasthofbesitzern, Transportunternehmern. Fuhrwerksbesitzern, Reisenden usw., Prozesse aus Mietsverhilltnis wegen Räumung und (ungleich Deutschland) auch wegen Mietzinszahlung oder Schadensersatz, Prozesse aus Arbeits- oder Dienstverhältnis, Feldschäden-, Baumschäden-, Viehmängelsachen, Alimentenstreitigkeiten. 2 Fähig zum juge de paix ist nur der Lizentiat des Rechts, der eine zweijährige Praxis beim Advokaten, Notar oder Avoué absolviert hat — der Baccalaureus des Rechts bei dreijähriger Praxis. Gehalt zwischen 3000 und 8000 fr.

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Die Novelle zu den Reichsjustizgesetzen vom 1. Juni 1909.

der unteren Klassen, immer mehr Popularität erlangt haben und zur Zeit allein Beachtung finden, und gerade diese Ideen stimmen durchaus mit den Leitgedanken der preußischen Gesetzgeber des 18. Jahrhunderts überein. Die eigentümliche Zickzackbewegung, die sonach das deutsche Prozeßrecht eingeschlagen hat, ist den gesetzgebenden Faktoren offenbar unter dem Gesichtspunkte unbedenklich erschienen, daß die Verhältnisse sich gegen 1870 geändert haben. Die Bedingungen, unter denen zu Beginn des 19. Jahrhunderts der einzelrichterliche Offizialprozeß durch Kollegialverfahren und Anwaltsprozeß verdrängt wurde, scheinen ihnen heutzutage nicht mehr vorzuliegen. Es wird vor allem auf die zunehmende Reife, juristische Schulung und Routine des Richterstands verwiesen, dem man ein größeres Maß von Verantwortlichkeit übertragen, dem man die Erfüllung vielseitiger Aufgaben im Prozeß, die Verbindung des fürsorgenden und die Partei unterstützenden Prozeßbetriebs mit der Aufgabe der eigentlichen Prüfung und Beurteilung, wohl zutrauen könne 1 . Aber im Licht der erfahrungsmäßigen Einsicht in Wesen und Funktion des Rechts im allgemeinen und insbesondere des Prozeßrechts läßt sich nicht verkennen, daß dies Zutrauen ein voreiliges und psychologisch nicht begründetes ist. Auch wenn man — und gewiß im allgemeinen mit Recht — annnehmen will, daß z u r Z e i t der deutsche Amtsrichterstand in der Durchschnittsqualität seiner Mitglieder gegen früher erhöhten Aufgaben gewachsen ist, so erhebt sich doch der Zweifel, ob dies auch k ü n f t i g so bleiben werde. Gewissenhaftigkeit, Pflichttreue, Selbstbeherrschung und Unparteilichkeit hat der deutsche Richter gerade u n t e r der H e r r s c h a f t eines s t r e n g e n P r o z e ß r e c h t s u n d m i t u n t e r dessen E i n f l u ß e r w o r b e n . Eine dreifache Beschränkung in seiner Amtstätigkeit hat ihn naturgemäß in dreifacher Richtung geschult: die Rücksichtnahme auf die A m t s genossen innerhalb des Kollegiums —, die Rücksichtnahme auf den ihm an Rechtskenntnis und beruflicher Solidarität ebenbürtigen, in der rechtlichen Stellung von ihm unabhängigen R e c h t s a n w a l t —, die Rücksichtnahme auf den festen Stamm b i n d e n d e r g e s e t z l i c h e r R e g e l n des V e r f a h r e n s , denen er sich in der Gestaltung des Parteigehörs, in der Sammlung der Beweismittel und Würdigung der Beweise, in der Gliederung der Verfahrensteile, in der Begründung der Entscheidung zu fügen hat. Aber der heilsam mäßigende und disziplinierende Einfluß aller dieser formalen Garantieen w i r k t nur v e r m ö g e eines d a u e r n d e n D r u c k e s . Wird der Beamte von einem gegebenen Zeitpunkte an dieses Druckes entledigt, so steht nach menschlicher Voraussicht zu erwarten, daß allmählich bei dem Durchschnitte der an der Justiz beteiligten Männer ein Nach1

Begründung der Reg.-Yorl. S. 18.

Verhältnis der Nov. zu den Bedürfnissen der Rechtspflege.

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lassen der Selbstdisziplin und damit überhaupt der Leistungsfähigkeit, also ein Sinken des seelischen, sei es intellektuellen, sei es ethischen Niveaus eintreten werde. Hierzu kommt, daß — ganz abgesehen von dem Einfluß auf das Richterpersonal — die Prinzipien und Formen des bisherigen Prozeßrechts bestimmte Bedürfnisse und Ideale der Rech tsuc h en den zu befriedigen bestimmt sind, die neben der Schleunigkeit der Justiz und der sozialen Gleichheit (o. S. 13) Beachtung verlangen, nämlich das Bedürfnis nach einem gewissen Maß f r e i e r B e w e g u n g i n A n g r i f f und V e r t e i d i g u n g des Prozesses und ein Interesse an einer gewissen s i c h e r e n B e r e c h e n b a r k e i t des P r o z e ß v e r l a u f s , — kurz die bürgerliche F r e i h e i t , so wie sie sich vom Standpunkt der Partei des Zivilprozesses darstellt 1 . Mit dem E i n z e l r i c h t e r t u m , der Beseitigung der Stütze des A n w a l t s , mit der Preisgabe des Prozeßgangs an Ermessensentschließungen des Richters in a l l e n prinzipiellen Punkten schwindet auch dieser Vorzug. Ein Prozeßrecht nach den Prinzipien der Novelle bedeutet also nicht nur historisch ein Zurückgreifen auf ä l t e r e , altpreußische Formen, sondern auch e n t w i c k e l u n g s g e s c h i c h t l i c h e i n e n R ü c k s c h r i t t , einen Rückfall in primitivere, minder feine und wertvolle Formen. Es bedeutet dasselbe, was eine Rückkehr des Verfassungsstaats in die Formen des absoluten Staates bedeuten würde, dem jenes preußische Prozeßrecht seinem Wesen nach entsprungen und adäquat war. Ein solcher Schritt würde nur dann zu rechtfertigen sein, wenn das Bedürfnis nach Schleunigkeit des Verfahrens als ein alle anderen überwiegendes nur auf diesem Wege erreicht werden könnte, also iu einer N o t l a g e . Sie aber liegt nicht vor. Von anderem abgesehen, hätte der Haupterfolg, den die Novelle erstrebt, der der Entlastung des Kollegiums und der stärkeren Heranziehung des einzelnen Richters sehr wirkam auf einem Wege erreicht werden können, der die bisherige Kompetenz des Landgerichts, die Mitwirkung des Anwalts und das formgebundene Verfahren a u f r e c h t e r h i e l t , nämlich durch eine sachgemäße Erweiterung und zweckmäßige Umbildung des v o r b e r e i t e n d e n V e r f a h r e n s (Z.P.O. § 348 ff.). Auf diese Maßregel, freilich in wesentlich anderen Formen als denen der Z.P.O., wies vor allem — neben dem schweizerischen — das Vorbild des englischen Rechts hin, und gerade wenn man die Reform unter die Erfahrungen des letzteren hätte stellen wollen, hätte hier der Anfang gemacht werden müssen. Man hätte das Prinzip aufstellen können, daß in Landgerichtssachen unter gewissen, fest geregelten Bedingungen (vor allem bei Einverständnis b e i d e r Parteien) ein Mitglied der Kammer die ganze Verhandlung und eventuell auch die Entscheidung an Stelle des Kollegiums 1 Der ausführlichen Darlegung dieses — bei allen modernen Prozeßbestrebungen vernachlässigten — Wertgesichtspunktes ist die Studie von R i c h a r d S c h m i d t , Der Prozeß und die staatsbürgerlichen Rechte, Vortr. der Gehestiftung Bd. I I H e f t 1 1910 gewidmet. Vgl. auch L B. S. 4, 31, 1^8.

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Novelle zu den Reichsjustizgesetzen vom 1. Juni 1909.

übernehmen dürfe, und zwar nicht nur bei bestimmter Geeigenschaftung des Streitfalls (in Rechnungssachen usw.), sondern in jeder Sache, falls der Fall einfach gelagert ist. Diese hätte m ganz anders verfeinerter Weise es ermöglicht, m i t R ü c k s i c h t a u f d i e N a t u r der e i n z e l n e n S t r e i t s a c h e durch Einverständnis von Gericht und Parteien den Ausgleich zwischen Kollegialität und Einzelrichtertum zu treffen, während die Novelle radikal verfährt mit Rücksicht auf das schablonenhafte Kennzeichen des Streitwerts neben einfachen Sachen auch komplizierte Sachen höheren Wertes an das primitive Verfahren vor dem Einzelrichter verweist, die besser vor der Kammer aufgehoben wären. Diese Maßregeln sind aber bei der Ausarbeitung der Novelle, sowohl in der Regierung wie im Reichstage, soweit die Begründung einen Einblick gestattet, g a r n i c h t e i n m a l e r w o g e n worden 1 . Allerdings ist eingehalten worden, daß die Novelle die veränderten Grundsätze der Gerichtsverfassung und des Verfahrens nur für einen neuen Bruchteil von Streitsachen einführe, sodaß der künftige Komplex der Bagatellsachen — bei dem Sinken des Geldwerts — verhältnismäßig kaum mehr repräsentiere als die Sachen bis zu 300 ^ nach der Gesetzgebung von 18772. Es seien auch die Änderungen innerhalb des amtsgerichtlichen Verfahrens im Sinne der Formvereinfachung und der Steigerung des Richtereinflusses nur geringfügige, die den Charakter des geltenden Rechtes nicht wesentlich alterieren könnten. Aber diese Argumentation trifft nicht zu. Die Novelle bedeutet jedenfalls einen Bruch mit der seit hundert Jahren stetig innegehaltenen Rechtsentwickelung, und jede Erschütterung im p r i n z i p i e l l e n Normenb e s t a n d des geltenden Rechts ist unheilvoll, da sie das Volk irreführt, die Rechtsautorität der eingebürgerten Regeln schwächt. Sie begründet deshalb stets die Gefahr des Weiterwirkens, und es liegt nahe, daß dieser erste Schritt ein Präjudiz für die noch ausstehende g r u n d s ä t z l i c h e Revision der Gerichtsverfassung und des Zivilprozesses (S. 2) schaffen werde. Dies im vorliegenden Falle um so mehr, als die an s i c h relativ geringfügige Änderung der Grenzen der Amtsgerichtskompetenz doch das V e r h ä l t n i s z w i s c h e n L a n d g e r i c h t und A m t s g e r i c h t g r u n d s ä t z l i c h v e r s c h i e b t . Bisher umfaßten die Amtsgerichtssachen noch immer 87—88 °/o aller erstinstanzlichen Prozesse. Künftig wird sich ihr Anteil an der erstinstanzlichen Rechtspflege auf 93—94°/o steigern. Die Landgerichtsprozesse stellen demgemäß künftig doch einen kleineren Bruchteil der Streitsachen dar als bisher. Unter solchen Umständen kann das Landgericht die Aufgabe nicht mehr 1 Über andere mögliche und notwendige Abhilfen vgl. Richard S c h m i d t in dem o. S. 8 zitierten Aufsatz (Z. f. Pol. S. 272). 2 Komm. Ber. S. 17 argumentiert: Die Amtsgerichtssachen seien in der preußischen Justiz von 1881—1907 nur um 12%, die Landgerichtssachen dagegen um 205°/u gestiegen. W ü r d e aber jetzt die Landgerichtskompetenz u m die Hillfte verringert, so wäre das Verhältnis noch immer nicht wieder so ungünstig wie 1881.

Amtsgericht und standesgenössisches Gericht.

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in dem Grade erfüllen, wie bisher, die Pflegestätte des feineren Verfahrens zu sein, dessen Praxis mittelbar auch die der Amtsrichter beeinflußt 1. Tatsächlich wird schon jetzt der Zustand erreicht, daß sich in nennenswerter Proportion nicht mehr ein E r s t i n s t a n z p r o z e ß h ö h e r e r und n i e d e r e r O r d n u n g , sondern ein Verfahren vor den O b e r g e r i c h t e n und den E r s t i n s t a n z g e r i c h t e n gegenüberstehen, — auch hierin ein Rückfall in den bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts bestehenden primitiven Rechtszustand des alten Reichs mit seiner Unterscheidung von „Hofgerichtsordnung" und „Untergerichtsordnung" (L.B. S. 83 ff.). Und endlich kann die veränderte Haltung der Novelle auch dadurch nicht gerechtfertigt werden, daß sie im Grunde nur Gedanken verwerte, die innerhalb der neuesten deutschen Justizgesetzgebung bereits erprobt seien, — nämlich in der Gerichtsverfassung und im Verfahren der G e w e r b e - u n d K a u f m a n n s g e r i c h t e (L.B. S. 237). Im Gegenteil liegt der Fehler der Novelle gerade darin, daß sie die Grundsätze, die dort u n t e r g a n z b e s o n d e r e n B e d i n g u n g e n eine gewisse Berechtigung haben, ohne weiteres auch für verwertbar im einzelrichterlichen Verfahren des ordentlichen Gerichts erachtet. Sie verkennt die Grundidee, daß eine Rechtspflege vor r e i n e n B e r u f s b e a m t e n g e r i c h t e n und eine Rechtspflege vor s t a n d e s g e n ö s s i s c h e n R i c h t e r n , V o l k s r i c h t e r n , grundsätzlich verschiedene Anforder u n g e n an das V e r f a h r e n s t e l l e n . Wie als grundsätzlich feststehend gelten kann (vgl. darüber ausf. L.B. S. 31 ff.), arbeitet die Volksrichterjustiz als solche mit eigenartigen Garantien für die Sorgfalt der Richtertätigkeit und für die Vertrauenswürdigkeit ihrer Ergebnisse bei den Parteien, und sie kann deshalb die Garantien, die in der Kontrolle des Anwalts und in der Bindung an das formell geregelte Verfahren liegen, eher entbehren. Wollte man also die Erfahrungen des Kaufmanns- und Gewerbegerichts verallgemeinern, so müßte man das System der Volksrichterjustiz, der „ Z i v i l s c h ö f f e n " für die gesamte ordentliche Rechtspflege, mindestens die der ersten Instanz durchführen 2. Aber einmal ist bereits in den jetzt ausgebildeten Formen der Sondergerichte die Begeisterung für die Volksrichterjustiz stark im Abflauen 8, auch abgesehen von dem Mißstand, der in der Abzweigung der Sondergerichte von der ordentlichen Justiz und in der Durchlöcherung der Einheitlichkeit unserer Rechtspflege besteht 4 . Die Garantie der 1 Eine Mission, die bei dem heutigen Drang der Geschäfte und des viel mehr gesteigerten Richterpersonals viel dringlicher ist als früher. D a m i t fällt die gekünstelte und sophistische Argumentation des K. (o. S. 16 A n m . 2) zusammen. 2 Darin sieht in der T a t H e l l w i g (Volksrichter, im „ T a g u 1909 n. 240, 241) das Z i e l der Fortentwicklung unserer Zivilrechtspflege. Ähnliche Ausblicke auch bei anderen Schriftstellern. 3 Ein Symptom hierfür ist es gewesen, wenn der A n t r a g , die Zuständigkeit der Gewerbegerichte auf Streitigkeiten von ßetriebsbeamten, W e r k m e i s t e r n , Technikern bis zu 5000 M Jahresverdienst (statt bisher 2000 J i ) auszudehnen, von der Petitionskommission des Reichstags n i c h t befürwortet worden ist (vgl. darüber B u c h k a , Jur.-Z 1909 S. 1196). 4 Über die geradezu erschreckenden Verirrungen und Streitfragen, die aus dieser Zersplitterung der Justiz erwachsen sind und die durchaus das L.B. S. 239 Ausgeführte bestätigen, gibt eine sorgfältige Übersicht S o n t a g , Eingliederung der Sondergerichte in die ordentliche Rechtspflege, Z. f. Z.P. 37, 331 (1908).

R i c h a r d S c h m i d t , Lehrbuch d. Zivilprozeßrechts.

2. Aufl.

Nachtrag.

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Die Novelle zu den Reichsjustizgesetzen vom 1. Juni 1909.

Gründlichkeit, die durch die Mitwirkung von Standesgenossen geboten wird, ist eben bei weitem nicht so wirksam wie die eines strengen V e r f a h r e n s , und der Ausschluß der Anwälte ist und bleibt auch hier eine Lähmung der Parteifreiheit im zuvor geschilderten Sinne 1 . Vor allem aber würde sich eine Gerichtsorganisation wie die der Gewerbe- und Kaufmannsgerichte für a l l e erstinstanzlichen Streitsachen in einem volkreichen Großstaat von höchst differenzierter Kultur praktisch gar nicht durchführen lassen, teils wegen des Mangels an genügend zahlreichen Kräften für das Zivilschöffenamt, teils wegen der mangelnden Geeignetheit derselben für alle schwierigeren und komplizierteren Zivilrechtsstreitigkeiten; es ist jedenfalls beachtenswert, daß in dem einzigen Großstaat, dessen Rechtspflege von altersher auf das Volksgericht, auch in Zivilsachen, aufgebaut war, diese Institution, die Ziviljury, fast ganz beseitigt worden ist und daß entsprechende Organisationen nur in Staaten mit dünnerer Bevölkerung und (bisher) vorwiegend bäuerlich-ländlicher Kultur, wie Schweden und der Schweiz, noch als durchgeführte vorhanden sind. Jedenfalls dürfte von diesem Staudpunkt aus eine Zurückdrängung des Anwaltseinflusses und der festen Verfahrensformen (o. S. 15) nur Hand in Hand mit dem Ausbau der Volksrichterjustiz stattfinden. I T · Die Novelle yon 1910. Wenn die Reichsgesetzgebung unmittelbar nach dem Inkrafttreten der Novelle von 1909, nach dem 1. April 1910, bereits wieder in den Bestand der Reichsjustizgesetze eingegriffen hat, so ist diese Erscheinung nicht durch die gesetzgeberische Bewegung des Vorjahrs bedingt gewesen. Die neue Nov. bedeutete weder eine neue Steigerung noch eine Modifikation der Rechtsgedanken, die in der Nov. v. 1909 zur Geltung gekommen waren. Sie beschäftigte sich vielmehr mit einem Sonderproblem der Ziviljustiz, das ebenfalls seit langem akut geworden und chronisch akut geblieben war, mit dem zunehmenden Bedürfnis nach E n t l a s t u n g des R e i c h s g e r i c h t s , das bereits zu der Nov. v. 5. Juli 1905 (L.B. S. 139, 803) den Anstoß gegeben hatte. Die gesetzgeberischen Bestrebungen zur Verbesserung der erstinstanzgerichtlichen einerseits, der ob< rstrichterlichen Rechtspflege anderseits haben sich also während des letzten Jahrzehnts annähernd parallel nebeneinander herbewegt. Wie die Nov. v. 1909 in der Hauptsache die Fortsetzung der g e n e r e l l e n U m b i l d u n g der Z.P.O. von 1898 bildet, so führt die Nov. v. 1910 die s p e z i e l l e R e f o r m von 1905 weiter. Daß die an das Reichsgericht gelangenden Revisionen und Beschwerden jährlich im Zunehmen seien und daß deshalb der Geschäftsstauung am obersten Gerichtshof durch die Nov. v. 1905 nur vorübergehend abgeholfen worden war, war schon während 1 Auch V i e r h a u s , J.-Z. 1909 S. 1172, deutet an, daß auch im Verfahren der Gewerbeund Kaufmannsgerichte eine größere Beteiligung der Parteien segensreich wirken könne.

Reichsgerichtsnovelle.

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der Vorbereitung der „Amtsgerichtsnovelle" offenkundig. Die Diskussion in der Literatur und auf den Kongressen über eine neue gesetzliche Maßregel war deshalb gleichzeitig mit den Erörterungen über die Zuständigkeitsverteilung und das Verfahren der Untergerichte im Gange, u. a. auf dem Juristentag zu Karlsruhe im September 1908 (s. S. 4) 1 . Aber die auf diesem Gebiet geplanten Reformen ließen sich mit der Amtsgerichtsreforin nicht verknüpfen, weil auch über die Mittel, durch die der Überbürdung des obersten Gerichtshofs abgeholfen werden sollte, die Ansichten weit auseinander gingen. Während die einen durch „kleine Mittel" helfen zu können glaubten, verlangten andere prinzipielle Maßnahmen und zwar wiederum manche durch Vermehrung der Senate des Reichsgerichts, manche durch neue Einschränkungen des drittinstanzlichen Rechtsmittels, sowohl der Revision wie der Beschwerde. So entschloß sich der Bundesrat erst nach Verabschiedung der Nov. v. 1909 und kurz vor deren Inkrafttreten, am 9. März 1910, dem Reichstag einen Entwurf vorzulegen 2. Aber auch in diesem Zeitpunkt zeigte sich noch das Auseinandergehen der Meinungen. Hatte der Reg.-Entw. die Abhilfe in erster Linie durch das sogenannte D i f f o r m i t ä t s p r i n z i p schaffen wollen, d. h. durch Beschränkung der Revision auf diejenigen Urteile der Oberlandesgerichte, welche sich mit dem erstinstanzlichen Urteile der Landgerichte i n W i d e r s p r u c h g e s e t z t haben, so zeigte sich der Reichstag diesem Hauptgedanken schon in erster Lesung (12. April) nicht geneigt. Die Kommission des Reichstags8 verwarf ihn endgültig und wählte zum Ersatz als Hauptentlastungsmittel die weitere Erhöhung der Revisionssumme auf 4000 J6, also die Maßregel, zu der sich schon die Nov. v. 1905 zögernd entschlossen und die man bis vor kurzem als das am wenigsten gangbare Auskunftsmittel betrachtet hatte 4 . Auf der Grundlage des Kommissionsberichtes ist die Nov. in den Plenarbera,tungen des Reichstags am 3. und 4. Mai 1910 verabschiedet und von der Reichsregierung akzeptiert worden. Unter dem 22. Mai 1910 hat diese das Gesetz sanktioniert. Sie greift aber nicht nur in die Grundsätze des V e r f a h r e n s am Reichsgericht, sondern auch in gewisse Grundsätze der Organisation des obersten Gerichtshofs, also in das G.V.G., ein 5 , und da der starke Geschäftsdrang beim Reichsgericht zum Teil auch aus der Zunahme 1 Gutachten von H a m m (Drucksachen des 29 Juristentags, Gutachten Bd. 3 S. 39 ff.) und S p r i n g (S. 129). — .Referate von W i l l i b a l d P e t e r s (Verhandlungen Bd. 5 S. 70) und R i c h a r d S c h m i d t (S. 732). Über die sonstige Literatur vg}. u. zu § 126. a Drucksachen des Reichstags, 12. Legislaturperiode 190W/I0 nr. 309. Entwürfe eines Gesetzes, betr die Zuständigkeit des Reichsgerichts sowie eines Gesetzes, betr. Änderungen der Rechtsanwaltsordnung 9 Bericht der 14 Kommission über die Entwürfe eines Gesetzes, betr. die Zuständigkeit des Reichsgerichts und eines Gesetzes, betr. Änderungen der Rechtsanwaltsordnung (Berichterstatter Rechtsanwalt am Reichsgericht Dr. Z e r m a k ) , Drucksachen des Reichstags 190M/10 nr. 43 4 Daneben ergriff der Reichstag in einem nicht unwesentlichen zweiten Punkte die Initiative. Außer seinen Abänderungsanträgen zum G e s e t z selbst regte er einen A k t der R e i c h s,i u s t i z v e r w a l t u n g an, indem er für den Notfall den Reichskanzler u m Schritte zur Schaffung eines weiteren R e i c h s g e r i c h t s s e n a t s ersuchte. 5 Zulassung von H i l f s r i c h t e r n beim Amtsgericht.



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Novelle zu den Reichsjustizgesetzen vom 1. Juni 1909.

derjenigen Entscheidungstätigkeit erklärt wurde, die dem Reichsgericht als E h r e n g e r i c h t s h o f f ü r R e c h t s a n w ä l t e übertragen worden ist, so wurde mit der Nov. zu G.V.G. und Z.P.O. noch ein besonderes Reichsgesetz zur Abänderung der R e c h t s a n w a l t s o r d n u n g verbunden, die von der Nov. von 1909 nicht berührt worden w a r A u c h das E.G. zur Z.P-O. (Art. IV der Nov.), das R.Ges. über die freiwillige Gerichtsbarkeit (Art. VI), das Gerichtskostengesetz2 (Art. V I I I ) , die Geb.O. für Rechtsanwälte (Art. I X ) , sowie die Grundsätze, die das Verhältnis der Reichs- und Landesjustizverwaltung beherrschen, also in staatsrechtlicher Grundlage der Gerichtsverfassung (Art. V , V I I , X, XI, X I I ) wurden durch die Nov. in Mitleidenschaft gezogen. Nach dem anfänglichen Hinzögern der Novelle war sie in ihrem letzten Stadium mit fieberhaftem Eifer betrieben worden 3. Dem entsprach es, daß die Kommission des Reichstags das Inkrafttreten der Novelle, für das ursprünglich erst der Herbst des Jahres 1910 ins Ange gefaßt worden war, bereits für den 1. Juni 1910 beantragte und durchsetzte. So trat das Gesetz bereits eine Woche nach seinem Erlaß in Geltung. In gewissem Zusammenhang mit der Neuregelung der Stellung des Reichsgerichts steht auch der Plan, eine d r i t t e ( R e v i s i o η s - ) I n s t a n z für die Streitsachen der Kolonial- und Konsulargerichte, einen o b e r s t e n K o l o n i a l - u n d K o n s u l a r g e r i c h t s h o f , zu schaffen, zunächst als provisorische Institutionen. Eine Kommission des Reichstags ist zurzeit hiermit befaßt.

Zeitliche Herrschaft der Novelle. (Zu S. 145 f.)

Auch die Novelle von 1909 hat über ihr Verhältnis zum älteren Recht nur für Einzelpunkte ausdrückliche Regeln aufgestellt. Im Zweifel gelten also hierfür die aus der Natur der Sache sich ergebenden Grundsätze, vor allem der, daß die Neuerungen des Verfahrens, welche die Novelle vorsieht, s o f o r t a u f die schon im Gange b e g r i f f e n e n Prozesse Anwendung finden. Es wird also z. B. gegen ein unter der Herrschaft des bisherigen Rechts erlassenes Versäumnisurteil 1 Diese Gelegenheit wurde b e n u t z t , u m in der R.A.O. auch eine Änderung vorzunehmen, die m i t der reichsgerichtlichen Geschäftslage gar nicht in Zusammenhang steht (Teilung des Anwaltskammerbezirks Berlin i n zwei: § 41a, vgl. u. S. 32). 2 Erhöhung der G e b ü h r e n für die Revision (nur m i t 104 gegen 98 Stimmen angenommen). — Erhebung der Einzahlung des G e b ü h r e n v o r s c h u s s e s zur Bedingung für die Z u l a s s u n g des Rechtsmittels s F ü r die Beurteilung der Novelle und ihrer Stellung in der historischen Entwicklung unserer Prozeflgesetzçebung mag einmal die Charakteristik bedeutsam werden, durch die ein hervorragendes Mitglied des Reichstags selbst die Stimmung im Stadium ihres Abschlusses Ende Mai 1910 unmittelbar vor E i n t r i t t des Reichstags in die Sommerferien in einem angesehenen Tagesblatte kennzeichnete: „die A r t , wie diese Volksvertretung seit einiger Zeit jeweils in den letzten Minuten vor Torschluß plötzlich unter gewaltigem inneren und äußeren Druck produktiv zu werden anfängt, hat etwas Beängstigendes an sich. Selbst diejenigen, die in der W e r k s t a t t stehen, sehen durch den Staub und Dampf hindurch nur noch sehr unsicher, was eigentlich fabriziert w i r d , und auch der k a l t blütigste und routinierteste unter den Mitarbeitenden w i r d nicht behaupten w o l l e n , daß er das, was an Gesetzgebungswerken unter solchen Verhältnissen zustande kommt, nach allen Richtungen auch nur halbwegs sicher zu übersehen imstande ist. Der Zufall und mehr oder weniger glückliche Improvisationen spielen dabei eine größere Rolle als gut ist. 4 ·

Verhältnis des neuen zum alten Recht.

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Einspruch sofort durch bloße E i n r e i c h u n g des Schriftsatzes (§ 340, 340 a der neuen Fassung) eingelegt. Doch gilt dies nur, soweit nicht ausnahmsweise die Novelle selbst eine Geltung der älteren Normen für ein schon im Gang begriffenes Verfahren oder für einen Teil dieses Verfahrens auch über den 1. April 1910 hinaus anordnet oder soweit nicht ein solches Fortwirken des älteren Rechts aus dem besonderen Inhalt dieser Sätze von selbst folgt. Ausgesprochen ist dies für die B e r e c h n u n g v o n F r i s t e n : eine Frist, die zur Zeit des Inkrafttretens der Novelle läuft, wird nach den bisherigen Vorschriften berechnet. (Nov. Art. I X Abs. 1 R.G.B1. S. 498.) Noch weitergehend verordnet Abs. 2 für einen Spezialfall, daß die Einspruchsfrist auch nach dem 1. April 1910 in amtsgerichtlichen Sachen noch z w e i W o c h e n betragen soll, falls das dem Einspruch zu unterwerfende Versäumnisurteil oder der Vollstreckungsbefehl vor dem 1. April erlassen ist, während nach dem Prinzip in solchem Falle nur die von der Novelle § 508, 2 für Amtsgerichtssachen geschaffene e i n w ö c h i g e Einspruchsfrist laufen würde. Aus der besonderen Natur der prozessualen Regeln folgt ein Weiterwirken des alten Rechts vor allem für die hauptsächliche Änderung der Novelle, für die Erhöhung der a m t s g e r i c h t l i c h e n Z u s t ä n d i g k e i t . Ist eine Sache zwischen 300 und 600 Λ schon vor dem 1. April 1910 beim L a n d g e r i c h t anhängig geworden, so folgt aus der Perpetuationswirkung der Rechtshängigkeit (§ 263 Abs. 2), daß das Landgericht künftig zuständig bleibt und die Sache n i c h t an das Amtsgericht zu verweisen hat (Begr. des E. S. 62) \ Aber auch in anderen Fällen läßt sich das alte Recht nicht sofort ausschalten, nämlich nicht f ü r s o l c h e unter der Herrschaft des n e u e n Rechts vorzunehmende Handlungen, die mit einer unter der Herrschaft des a l t e n Rechts vorgenommenen Prozeßhandlung innerlich zusammenhängen und durch sie bedingt sind. Dies Verhältnis besteht insbesondere zwischen Einreichung eines Schriftsatzes (Klage, Rechtsmittel usw.), Ladung, Terminsbestimmung und Zustellung. Die Anordnung: Klageeinreichung mit Parteiladung — Terminsbestimmung auf Parteibetrieb — Zustellung im Parteibetrieb — und die andere Anordnung: Einreichung der Klage — Terminsbestimmung von Amtswegen — Ladung von Amtswegen und Offizialzustellung von Terminsbeschluß und Ladung — bilden zwei in sich geschlossene Systeme. Wenn also die Novelle jetzt für den Amtsgerichtsprozeß das erste mit dem letzteren vertauscht, so muß die vor dem 1. April 1910 mit Parteiladung und Terminsbitte der Partei eingereichte Klage auch n a c h dem 1. A p r i l noch der P a r t e i zur Zustellung gebracht werden und eine Ladung von Amtswegen unterbleiben 2 . Die zeitliche Herrschaft der R.G.-Nov. vom 22. Mai 1910 hat das Gesetz selbst auf Initiative des Reichstags dadurch bestimmt, daß die erschwerenden Bedingungen der Revisionsanfechtung (Revisionssumme von 4000 höhere Gebühren usw.) auf die am 1. Juni 1910 schon verkündeten oder von Amtswegen zugestellten Urteile der Oberlandesgerichte k e i n e Anwendung finden sollen. 1 Umgekehrt w i r d freilich, wenn eine Sache zwischen 800 und 600 M k . schon vor d e m i . A p r i l 1910 (an sich unzulässig) beim A m t s g e r i c h t eingeklagt worden w a r , n a c h diesem Zeitpunkt ebenfalls eine Verweisung ans Landgericht nicht mehr möglich, — nach dem allgemeinen Grundsatz, daß es genügt, wenn eine Prozeßvoraussetzung nach RechtshÄngigkeit, aber v o r d e m U r t e i l e i n t r i t t (vgl. L.B. S. 686). 8 So m i t Recht S t e i n zu § 496, I X S. 78. Daselbst weitere Kasuistik.

Zum zweiten Buch. Gerichtsverfassung. §§ 32—36. Erkennende und nichterkennende Organe, richterliche und nichtrichterliche Beamte. In der Gerichtsorganisation der Zivilrechtspflege führt das der A.G.Novelle eigene Streben nach Arbeits- und Kräfteersparnis — auch abgesehen von ihrer Hauptneuerung, der Verschiebung der Z u s t ä n d i g k e i t s g r e n z e zwischen Landgericht und Amtsgericht — zu einer Reihe von Veränderungen der o r g a n i s a t o r i s c h e n G r u n d s ä t z e unserer Gerichtsverfassung. In manchen Fällen werden nämlich p r o z e s s u a l e F u n k t i o n e n an Behörden überwiesen, die sie bisher nicht besaßen. Die Novelle bewirkt also neben und vor der Veränderung der s a c h l i c h e n Zuständigkeit auch gewisse Veränderungen der f u n k t i o n e l l e n Zuständigkeit (L.B. S. 194, 241). (Zu S. 196).

1. Bisher war die Funktion der N a c h p r ü f u n g ausschließlich rechtsgelehrten Organen zugewiesen. Wo die Entscheidung im Wege der Berufung vom Amtsgericht an das Landgericht devolvierte, war als Berufungsgericht nur die Z i v i l k a m m e r des Landgerichts tätig, nicht die K a m m e r f ü r H a n d e l s s a c h e n , selbst wenn eine solche im Bezirk bestand; die letztere war n u r Erstinstanzgericht. Durch die Beschränkung der landgerichtlichen Kompetenz in e r s t e r Instanz, durch die die Novelle bereits der Zivilkammer den größten Teil der Streitsachen nimmt, schrumpft aber die erstinstanzliche Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen auf ein Minimum zusammen. Das Institut des Handelsrichters verliert also sehr an Bedeutung, und wenn wie bisher der Rechtszug vom Amtsgericht ausschließlich an die Zivilkammer gehen würde, so wäre für viele handelsrechtliche Streitigkeiten der Spruch kaufmännischer Richter ganz ausgeschaltet. Auf

Κ . f. Handelss. als zweite Instanz. Reichsger. nicht mehr Beschwerdeger. 23

Betreiben der deutschen Handelskammern hat deshalb die Novelle nunmehr die Kammern für Handelssachen sowohl in ihrer ersterkennenden wie in der nachprüfenden Funktion in Handelssachen an die Stelle der Zivilkammern gesetzt (neuer § 100 a G.V.G.). Dies gilt für die Berufungs- wie für die Beschwerdesachen. Wie die Nov. v. 1909 einem Glied der bestehenden Gerichtsanstalten eine Funktion neu gewährt, die ihnen bisher fehlte, so wird einem anderen durch die Nov. v. 1910 eine Funktion entzogen, Das Reichsgericht, dem G.V.G. § 135 bisher die Verhandlung und Entscheidung nicht nur über die Revisionen, sondern auch über die B e s c h w e r d e n gegen Entscheidungen der Oberlandesgerichte übertrug, büßt im Interesse seiner Geschäftserleichterung (o. S. 18) seine Funktion als letztinstanzliches Bes c h w e r d e g e r i c h t grundsätzlich ein durch die neue Fassung des § 135: „In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist das Reichsgericht zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Revision gegen die Endurteile der Oberlandesgerichte 1." Mit Rücksicht hierauf und auf die weiteren Einschränkungen, die auch die revisionsrichterliche Tätigkeit des Reichsgerichts erfährt (u. zu § 126), bleibt die Organisation des Reichsgerichts vorläufig die alte. Vor allem soll mit der Schaffung eines weiteren, achten, Zivilsenats, die vom Reichstag anfänglich peremptorisch ins Auge gefaßt wurde, gewartet werden, bis die Erfahrungen zeigen, wie die getroffenen Entlastungsmaßregeln einschlagen werden 2. (Zu S. 200).

2. Den A m t s g e r i c h t e n werden — abgesehen von der Erweiterung ihrer sachlichen Zuständigkeit — auch gewisse qualitativ eigenartige Funktionen übertragen, die ihnen bisher nicht zukamen. Nach Analogie ihrer ausschließlichen Kompetenz bei Rechtshilfegesuchen zwischen den deutschen Gerichten hat ihnen das Ausf.-Gesetz zum Haager Abkommen vom 17. Juli 1905 § 3, 5 (oben S. 6) die Erledigung von Rechtshilfegesuchen ausländischer Gerichte und die Vollstreckbarerklärung ausländischer Kobtenentscheidungen übertragen (näheres s. S. 33). 1 Über die Bedeutung, die diese Rechtsänderung für das Geltungsgebiet des Rechtsmittels besitzt, vgl. u zu § 12>. 2 Die Beschlüsse der Reichstagskommission e r s t e r Lesung beabsichtigten dem Reichstag einen Schlußartikel der Nov. vorzuschlafen : „Der Reichskanzler w i r d ermächtigt, die Mittel tur einen weiteren Senatspräsidenten und sechs weitere Reichsgeri78 begründet worden ist (Bekanntm. v. 7. M a i 1910 R.G.B1. fi74). 2 Zwischen Deutschland und N o r w e g e n gelten gewisse durch S 3 12. 10. 19, 2 des Abkommens vorbehaltene Erleichterungen hinsichtlich der Sprache (Bekanntm. vom 16. Aug. 1909 R.G.B1. S. 912). Ebenso mit S c h w e d e n (Bekanntm. vom 9. Febr. 1910 R.G.B1. S. 455.

Internationale Rechtshilfe.

Exemtion des Auslandsstaats.

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in Ermangelung einer Vereinbarung oder wenn das Schriftstück nicht in der vorgeschriebenen Sprache abgefaßt ist, durch formlose Übergabe, falls der Adressat zur Annahme bereit ist (Art. 2). Der N a c h w e i s der Zustellung wird durch ein datiertes, beglaubigtes Empfangsbekenntnis des Empfängers oder durch ein Zeugnis der Behörde über Tatsache, Form und Zeit der Zustellung beschafft (Art. 5); b) b e i a n d e r e n P r o z e ß h a n d l u n g e n , b e s o n d e r s B e w e i s a k t e n : die ersuchte Behörde hat im Zweifel die Formen ihres eigenen Rechts zu beobachten (Art. 14), insbesondere die Z w a n g s m i t t e l wie bei einheimischen Prozeßakten anzuwenden (Art. 10).

§ 47. Exemtionen und Prozeßerschwerungen· (Zu L.B. S. 293).

Auch das Haager Abkommen hat zu der Frage, inwieweit aus völkerrechtlichen Gründen einzelne Rechtssubjekte der ausländischen Gerichtsgewalt entrückt sein sollen, nicht Stellung genommen, obwohl im internationalen Verkehr manche typische Fälle zu Zweifeln erneuten Anlaß gegeben haben. Die Unklarkeit trifft zurzeit besonders die Frage, ob ein Staat in privatrechtlichen Streitigkeiten vor den Gerichten eines fremden Staates zu Recht zu stehen verpflichtet sei oder nicht, und zwar ob er sowohl der Entscheidungsgewalt wie der Vollstreckungsgewalt der fremden Gerichte unterworfen sei. Die Prinzipien des modernen Rechtsstaates weisen auf die Bejahung der Frage. Denn der Rechtsweg ergreift nach den i n n e r h a l b des Staates geltenden Grundsätzen alle privatrechtlichen Streitigkeiten, ohne Rücksicht darauf, wer die interessierte P a r t e i ist, auch die Klagen und Vollstreckungen gegen Staat und Gemeinden (L.B S. 182). So erfordert die Konsequenz, daß erst recht ein A u s l a n d s s t a a t an die Rechtspflegehoheit der Organe des Staates gebunden sei, in dessen Gebiet er seinen wirtschaftlichen Interessen nachgeht und dessen Schutz er gegen Störer seiner Privatrechtssphäre in Anspruch nimmt; Voraussetzung wäre auch hier nur, daß für eine Klage gegen den Auslandsstaat i r g e n d e i n Gerichtsstand (der Niederlassung, des Erfüllungsortes) bei einem der deutschen Gerichte begründet sei 1 . Mit diesen Prinzipien kreuzt sich aber eine internationale Praxis, auf Grund deren auch in der Literatur eine g e w o h n h e i t s r e c h t l i c h e E x e m t i o n jedes Staates von der Gerichtsgewalt fremder Staaten behauptet wird 2 . Sie wird auf die Erwägung begründet, daß ein Staat, indem er fremder G e r i c h t s b a r k e i t unterworfen wird, damit fremder S t a a t s g e w a l t unterworfen sei, also an seiner Souveränität einbüße. In Wahrheit würde hierin der Anschauungskreis des absoluten Staats, der in privatrechtlichen Dingen im Interesse seiner öffentlich-rech t1 So in der T a t v. B a r , Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts, 2. Aufl. 1889 I X b60; G a u p p - S t e i n , Kommentar, 8.0. Aufl. I S. 13. a Für die Exemtion des Auslandstaates E. L o e n i n g , Gerichtsbarkeit über fremde Staaten 1903, und Jur.-Z. 1910 S. 1(>2, sowie neuestens zahlreiche Gutachten zum F a l l Hellfeld (Anm. 4), von Triepel, Laband u. a.

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I I . Gerichtsverfassung.

§ 47. Exemtionen.

lichen Autorität sich eine Ausnahmestellung unter den übrigen Privatrechtssubjekten beilegte, für das Verhältnis der souveränen Staaten untereinander aufrecht erhalten, während er für das Verhältnis des Staats zu den eigenen Bürgern und Behörden durch die moderne Verfassungsbewegung aufgegeben worden ist. Diese Inkonsequenz kann nur so gehoben werden, daß die gewohnheitsrechtliche Exemtion einschränkend auszulegen, nämlich nur auf solche Fälle zu beschränken ist, wo das streitige Rechtsverhältnis aus einem Regierungs- oder Verwaltungsakt des ausländischen Staats erwachsen ist 1 . Nur folgt gerade hieraus, daß auch da, wo im Prinzip der fremde Staat den einheimischen Gerichten nicht unterworfen ist, der Mangel der Gerichtsgewalt durch E i n w i l l i g u n g des Auslandsstaates gehoben werden kann. Was der inländische Staat ein- für allemal durch Verfassungsgesetz ausgesprochen hat, kann vom Auslandstaat durch Verzicht im Einzelfall bewirkt werden 2 . Gibt man einmal das letztere zu, so sind auch andere Verhältnisse denkbar, bei denen aus B i l l i g k e i t s g r ü n d e n derselbe Effekt wie durch freiwillige Unterwerfung im einzelnen Fall erzielt werden muß — insbesondere muß der Auslandsstaat, w e n n er s e l b s t v o r d e u t s c h e n G e r i c h t e n K l a g e e r h o b e n h a t , sich nunmehr auch die W i d e r k l a g e gefallen lassen, die der Beklagte gemäß deutschem Prozeßrecht gegen ihn i n g l e i c h e m Verfahren erhebt3. Eine andere Frage ist die, ob auf Grund eines (rechtskräftig gewordenen) Urteils die V o l l s t r e c k u n g gegen den ausländischen Staat in die im Inland lagernden Vermögensobjekte zulässig ist 4 . Sie ist, wie jeder s t a a t l i c h e Z w a n g , gegen den Auslandstaat unzulässig und die Zwangsmaßregel mit den üblichen prozessualen Zwangsmitteln zu beseitigen (Vollstreckungsbeschwerde oder sofortige Beschwerde) 5 . ι Abgesehen von älteren Fällen ist bedeutsam ein Präzedenzfall von 1881 (Arrestbefehl des Landgerichts Berlin auf A n t r a g eines deutschen Ingenieurs gegen den rumänischen Staat zur Sicherung von Ansprüchen aus rumänischen Staatsobligationen — Pfändung eines Guthabens bei dem Bankhaus Bleichröder —, A n t r a g auf Kompetenzkonflikt auf Bismarcks I n i t i a t i v e und Versagung des Rechtsweges durch den Konfliktsgerichtshof). Ebenso manche Oberlandesgerichte und Entsch. des R.G. 1905 62, 16() (Zusammenstellung der Präzedenzien bei F l e i s c h m a n n , fremde Staaten vor deutschen Gerichten i m „Recht 1 4 14, 50 [1900]), N i e m e y e r , Jur.-Z. 1910 S. 106. 2 Es ist also nicht richtig, wenn S t e i n a. a. 0 . die W i r k s a m k e i t einer solchen Spezialunterwerfung für w i l l k ü r l i c h erklärt. 3 So auch v. B a r , S t e i n a. a. 0 . Zweifelhaft ist die Vorbedingung im neuesten Fall ν. H e i l f e i d gegen den russischen S t a a t : Rußland hatte während des ostasiatischen Krieges den Dampfer „Anhalt" m i t Proviant und Munition angekauft und ihn durch den H a u p t m a n n v. Hellfeld gegen Zusicherung einer bedeutenden Provision nach Wladiwostock führen lassen I n Kiautschou angelangt, verweigerte Hellfeld die Herausgabe des Dampfers, w e i l die Belohnung ausblieb, und auf Klage der russischen Regierung vor dem deutschen Schutzgebietsçericht Kiautschou erhob H . W i d e r k l a g e auf Kaufpreis wegen gelieferter Geschütze. Die vom ersten Gericht in ihrer Zulässigkeit verworfene Widerklage wurde vom Berufungsgericht, Konsulargericht Shanghai, zugelassen und darauf vom Gericht Kiautschou r e c h t s k r ä f t i g auf d i e - W i d e r k l a g e zugunsten des Beklagten Hellfeld geurteilt, obwohl d e r russische Staat fortdaufrnd die deutsche Gerichtsgewalt bestritt. 4 So i m weiteren Verlauf des vor. Note angegebenen Falles : Vollstreckung des Urteils durch Pfändung eines für den russischen Staat bei dem Bankhause Mendelssohn in Berlin liegenden Guthabens durch amtsgerichtlichen Beschluß nach § 828 Z.P.O. 6 Ob hier außerdem die Einleitung des K o m p e t e n z k o n f l i k t e s gegenüber dem Pfändungsbeschluß zulässig sei, wie ihn im F a l l v. Hellfeld das preußische Ministerium des Auswärtigen erhoben h a t , ist eine besondere Frage (vgl. F l e i s c h m a n n a. a. 0.). Laband betont in seinem zitierten Gutachten m i t R e c h t , daß nach dem System, nach welchem sich die souveränen Staaten wechselseitig als exemt von ihrer Rechtspflege bet r a c h t e n , jeder Staat den Schutz eines seiner Bürger gegen einen ausländischen Staat als eine F u n k t i o n seiner auswärtigen V e r w a l t u n g betrachten m u ß , g l e i c h v i e l ob d e r

Unterwerfung des ausländischen Staats unter deutsche Gerichtsgewalt. 37 (Zu L.B. S. 295).

Im Hinblick auf die p r o z e ß e r s c h w e r e n d e n AusnahmeVorschriften für ausländische Parteien hat das neue Haager Abkommen die Prinzipien des älteren ohne wesentliche Änderung e i n f a c h übernommen. Es bleibt also dabei, 1. daß zwischen den Vertragsstaaten den beiderseitigen Staatsangehörigen eine Sicherheitsleistung für die Prozeßkosten nicht abverlangt werden darf, falls sie in irgendeinem Vertragsstaate w o h n e n (Art. 17); 2. daß anderseits die Angehörigen aller Vertragsstaaten unter den gleichen Bedingungen wie die eigenen Landesangehörigen zum Armenrecht zugelassen werden müssen (Art. 20 ff.). Die Neuerungen des zweiten Abkommens bestehen demgemäß hier nur in Ergänzungen und in Beseitigung einzelner Unklarheiten: Zu 1. Die Befreiung des ausländischen Klägers oder Intervenienten von der Kostenkaution findet auch auf die Leistungen Anwendung, die von manchen Rechten unter dem Gesichtspunkte der V o r a u s z a h l u n g einzufordern sind (neuer Art. 17, 2). Zu 2. Wie die V e r u r t e i l u n g in die Kosten wird auch die K o s t e n f e s t s e t z u n g s e n t s c h e i d u n g (die Festsetzung des Kostenbetrags) vom Vertragsstaat für vollstreckbar erklärt (Art. 18, 2). Zu 3. Die zur Armenrechtserwirkung erforderlichen behördlichen Zeugnisse sollen künftig nicht nur von den Behörden des g e w ö h n l i c h e n wie des d e r z e i t i g e n Aufenthaltsortes des Antragstellers erteilt werden, sondern — wenn er sich nicht in einem Vertragsstaat aufhält — im Notfalle auch von einem diplomatischen oder konsularischen Vertreter seines Heimatsstaates (Art. 21). Alle diese Behörden können von den Behörden der anderen Vertragsstaaten Auskünfte einholen (Art. 22). Aufrechterhalten wird auch das Prinzip, daß die P e r s o n a l h a f t (sowohl als indirekter Zwang zur Vollstreckung wie als Personalarrest) gegen einen Ausländer nur unter den Voraussetzungen verhängt werden darf wie gegen einen Landesangehörigen (Abk. Art. 24). B ü r g e r die F e s t s t e l l u n g oder die V o l l s t r e c k u n g seines R e c h t s b e t r e i b t . Auch durch die gerichtliche Vollstreckung entsteht also der Konflikt zwischen Gericht und Verwaltung.

Zum vierten Buch. Verfahren des Rechtsstreits. §§ 64—69. Form der Klagerhebung und Rechtshängigkeit. (Zu L.B. S. 386 ff.).

Die die ganze Novelle durchziehende Tendenz, das Amtsgerichtsverfahren als eiu für eigenartige Bedürfnisse bestimmtes Verfahren schärfer als bisher vom Kollegialgerichtsprozeß abzusondern, hat bereits an dem prozeßbegründenden Akte der Klageerhebung eingesetzt. Da die Novelle für die Zustellung der schriftlichen Parteiakte im Amtsgericht grundsätzlich das Prinzip des O f f i z i a l b e t r i e b s aufgestellt hat, so hat auch für Zustellung des prozeßeinleitenden Schriftsatzes nicht mehr die Partei oder deren Anwalt zu sorgen. Vielmehr haben sie die Klage lediglich „bei dem Gericht schriftlich einzureichen oder mündlich zum Protokoll des Gerichtsschreibers anzubringen" (§ 496, neuer Abs. 2); bei der Einreichung ist die für die Zustellung erforderliche Zahl von Abschriften beizufügen (Abs. 2, Schlußsatz). Dagegen sorgt für die Zustellung selbst auch hier der Gerichtsschreiber durch Auftrag an Gerichtsdiener oder Postboten (u. S. 57). Diese Neuerung ergreift jedoch grundsätzlich nur die Form der Zustellung der Klage. Sie berührt das eigentliche Wesen der Klageerhebung als eines mit eigenartigen W i r k u n g e n ausgestatteten Tatbestandes nicht. An und für sich hätte ja nahe gelegen, nunmehr überhaupt den entscheidenden Moment des Klagetatbestandes in die E i n r e i c h u n g der Klagschrift oder in die E r k l ä r u n g zu Protokoll zu verlegen, hieran vor allem die Wirkungen der Rechtshängigkeit anzuknüpfen. Die Novelle hat dies jedoch nicht getan, — mit gutem Grunde ; denn es müßte das populäre Rechtsgefühl verwirren, wenn ein so bedeutsamer Akt wie die Klageerhebung, das Fundament .des ganzen Prozesses, je nachdem der Streitgegenstand zufällig 600 Jt oder darüber beträgt, in der E i n r e i c h u n g oder in der Z u s t e l l u n g der Klagschrift ver-

Einreichung und Zustellung der Klagschrift.

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körpert würde. So spricht es § 498 Abs. 2 Novelle ausdrücklich aus: „Die Klage gilt unbeschadet der Bestimmung im § 496 Abs. 3 erst mit der Zustellung an den Beklagten als erhoben." Als Klageerhebung bleibt demgemäß für a l l e Prozesse die Z u s t e l l u n g der Klagschrift bedeutsam1 und insbesondere die sogenannten prozessualen Rechtshängigkeitswirkungen (Einrede der Rechtshängigkeit, Ausschluß der Klagänderung usw., L.B. S. 409) entstehen erst vom Augenblick der Zustellung an. Der Kläger kann also z. B., nachdem er dem Gerichtsschreiber die Klage zu Protokoll gegeben, am nächsten Tage, solange nur die Zustellung noch nicht bewirkt ist, seinem Anspruch eine wesentlich andere tatsächliche und juristische Begründung geben, ohne die Abweisung der geänderten Klage besorgen zu müssen. Hieran ändert auch nichts die Vorschrift der Novelle, welche a u s n a h m s w e i s e gewisse Wirkungen der Klageerhebung im Amtsgerichtsverfahren bereits von der E i n r e i c h u n g oder A n b r i n g u n g der Klage ab eintreten lassen will; — nämlich die WTirkung, e i n e F r i s t zu w a h r e n oder die V e r j ä h r u n g zu u n t e r b r e c h e n (§ 496, 3). Da auch hier die Wirkung nur dann eintritt, „wenn die Zustellung demnächst erfolgt", so zeigt sich, daß selbst hier die Wirkung in Wahrheit an die Z u s t e l l u n g geknüpft wird, und daß nur vergünstigungsweise eine Z u r ü c k Ü b e r t r a g u n g der Wirkung auf den früheren Zeitpunkt des betreibenden Parteiaktes ausgesprochen wird 2 . Es ist dies ein Gedanke, der schon bisher von der Z.P.O. verwertet wurde und zwar in § 207 für den Fall, wo der Effekt der Fristwahrung oder Verjährungsunterbrechung als Folge einer Zustellung m i t t e l s E r s u c h e n s ausländischer Organe oder mittels ö f f e n t l i c h e r B e k a n n t m a c h u n g geregelt ward. Der Gedanke wird nunmehr für den Amtsgerichtsprozeß auf a l l e Zustellungen übertragen 3. Im übrigen gilt § 496, 3 nicht nur für die Einreichung, Anbringung und Zustellung der Κ l a g s c h r i f t , sondern auch für die anderen Parteierklärungen oder -anträge. Die Rückübertragung erfolgt also auch, wenn die Einspruchsfrist oder Wiedereinsetzungsfrist durch Einreichung des Schriftsatzes gewahrt werden soll usw. In erster Linie aber wird § 496, 3 für die Klageerhebung von Bedeutung, wenn die an die Rechtshängigkeit gebundene U n t e r b r e c h u n g der A n s p r u c h s v e r j ä h r u n g oder die W a h r u n g e i n e r K l a g e f r i s t , ζ. B. der vom Arrestgericht für die Einleitung des Ordinariums festgesetzten Frist (§ 926), geprüft werden muß. An der mit der schriftlichen Form der Klage konkurrierenden Form der r e i n m ü n d l i c h e n K l a g e e r h e b u n g i m A m t s g e r i c h t hat die 1 M i t Rocht tadelt es S t e i n S. 85, daß das Gesetz bei dieser i m Gedanken klaren Stellungnahme ihn in Form der Fiktion ausdrückt ( „ g i l t " — als erhoben). * Begründung S. 32. Vgl. S t e i n zu § 496 I V S. 73. 9 Dieselbe Zurückübertragung verfügt Nov. § 693, 3 auf die Einreichung des Zahlungsbefehls.

40 IV. Verfahren d. Rechtsstreits. § 68. Klagezurücknahme. § 70. Verhandl. Novelle an sich nichts geändert. Die Parteien können auch fernerhin zur Verhandlung des Rechtsstreits o h n e T e r m i n s b e s t i m m u n g erscheinen (§ 500, 1), selbstverständlich auch ohne Ladung, da die rarteiladungen im Amtsgericht überhaupt wegfallen (u. S. 52). W i r d sofort nach dem mündlichen Vortrag der Klage oder nach anfänglichem Streit ein Vergleich geschlossen oder ergeht Anerkenntnisurteil, so verbleibt es bei der mündlichen Klageerhebung. Nur wenn die Sache streitig und der Erledigung durch kontradiktorisches Urteil bedürftig wird, muß die Klage nachträglich zu Protokoll beurkundet werden (neuer Schlußs. des Abs. 2) 1 .

§ 68. Klagezurücknahme und Vergleich. (Zu L.B. S. 407).

Die Z.P.O. behandelt von jeher die Vergleichsstiftung als eine Funktion, die das Gericht von Amtswegen nach Ermessen selbst oder durch Vermittlung eines beauftragten oder ersuchten Richters ausüben kann (§ 269). Zum Zweck de.s Sühneversuchs konnte auch das p e r s ö n l i c h e E r s c h e i n e n der Parteien angeordnet werden. Ebenso wie da, wo die letztere Maßregel zum Zweck der Aüskunfterteilung über den Tatbestand ergriffen wird (u. S. 41), wird ihre Energie auch im Dienst des S ü h n e z w e c k s von der A.G.Novelle durch direkte L a d u n g d e r P a r t e i e n von A m t s w e g e n gesteigert (§ 296 Abs. 2, neuer Satz 2).

§§ 70—71. Prinzipien der Verhandlung. (Verhandlung^- und Untersuchungsprinzip·) (Zu L.B. S. 419).

Trotz der inneren Anlehnung der A.G.Novelle an altpreußische Rechtspflegeideale (0. S. 12) hat sie sich doch ebensowenig wie ihr unmittelbares Vorbild, die österreichische Z.P.O., entschlossen, in der Art, wie die Verantwortlichkeit für die Beschaffung des Tatsachenstoffes zwischen Gericht und Parteien verteilt wird, die prinzipielle Grundlage der Z.P.O. von 1877 zu verlassen. Obwohl m. a. W. die Nov. besonders für den A m t s g e r i c h t s p r o z e ß das Streben entfaltet, die Parteien im Fall des Fehlens von Anwälten durch richterliche Mitwirkung zu unterstützen, hat sie die richterliche Fürsorge keineswegs zu einer vollen Instruktions- oder Untersuchungsgewalt ausgebildet. Die Novelle hält vielmehr für alle Prozesse daran fest, daß die Parteien für Umfang und Auswahl der zu prüfenden Tatsachen und der zu erhebenden Beweise verantwortlich sind, und daß das Gericht sie nur zur zweckmäßigen Benutzung von Angriffs-, Verteidigungs- und Beweismitteln an1 Ohne genügenden Grund trägt S t e i n zu § 500 (S. 88) in die Worte des Gesetzes ,,die Klage ist zu Protokoll zu nehmen, falls die Sache streitig bleibt" eine weitere Unterscheidung hinein. H i e r m i t seien nur die Fälle gemeint, wo dor Streit nicht im ersten Termin erledigt w u r d e , sondern eine neue Terminsanberaumung, ein Boweisbeschluö, erlassen wurde. W u r d e gleich im ersten Termin entschieden, so sei die Protokollierung zwar angemessen, aber nicht notwendig. Eine unbefangenere I n t e r pretation des Gesetzes w i r d aber die W o r t e ,,streitig bleibt 1 1 doch nur dahin verstehen, daß ausgeschieden werden die Fälle, wo nach a n f ä n g l i c h e m Streit später noch Vergleich oder Anerkenntnis erfolgt (s. o.).

Mitverantwortlichkeit des Gerichts für die Tatsachenaufklärung.

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l e i t e n und ihr diese e r l e i c h t e r n soll (L.B. S. 427). Die Novelle hat diese Mitverantwortlichkeit lediglich g e s t e i g e r t : 1. In allen (Land- und Amtsgerichts-) Prozessen wird das Aufklärungsrecht des Gerichts dadurch energischer gestaltet, daß die Befugnis, das p e r s ö n l i c h e E r s c h e i n e n d e r P a r t e i neben dem Anwalt oder Bevollmächtigten anzuordnen (S. 427), fortentwickelt wird. Zwar wird auch jetzt noch nicht allgemein ein Z w a n g gegen eine Partei zur Verfügung gestellt, die auf solche Anordnung ausbleibt, wie ausnahmsweise in Gestalt von Geldstrafe in Ehesachen (§ 619), obwohl gerade in diesem Punkte die Anlehnung an englisches Muster der Nov. eine analoge Ausbildung der Ungehorsamstrafen wegen „Contempt of Court" recht nahegelegt hätte 1 . Immerhin aber wird vorgeschrieben, daß die Partei, der bisher nur der anordnende Beschluß von Amtswegen zugestellt wurde, von A m t s w e g e n a u s d r ü c k l i c h g e l a d e n werden muß, und zwar durch Zustellung an sie persönlich, auch wo sie einen Prozeßbevollmächtigten hat (§ 141, neuer Abs. 2). 2. Viel erheblicher als diese im Grunde unbedeutende und schwächliche Verbesserung ist die Umgestaltung des Verhältnisses zwischen Gericht und Parteien im A m t s g e r i c h t s v e r f a h r e n . Hier wird die bisherige Pflicht des Richters, nach den Vorträgen der Parteien auf vollständige Erklärung der Tatsachen hinzuwirken, verschärft zur Pflicht, „das Sach- u n d S t r e i t v e r h ä l t n i s m i t den P a r t e i e n zu e r ö r t e r n " (§ 502 n. F.). Hierbei denkt sich die Novelle das Verfahren so, daß nach den Anträgen die Parteien in einen Vortrag gar nicht eintreten, — ein Verfahren, das allerdings nach der Übung der Amtsgerichte schon im bisherigen Prozeß massenhaft auch ohne gesetzliche Vorschrift eingeschlagen wurde 2 . Es hätte nahe gelegen, noch weitergehend die Verwirkung von Behauptungen, Erklärungen und Beweisantretungen direkt und allgemein von einer Mahnung oder Androhung seitens des Amtsrichters abhängig zu machen, wie es vereinzelt schon bisher geschah3. Die Novelle hat das nicht getan 4 . Ein ganz neuer Gedanke kommt aber ferner darin zum Ausdruck, daß das Gericht* „schon v o r der m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g " gewisse „Anordnungen, die nach der Klageschrift 1 Über das energische Eingreifen des englischen Richters in solchen Fällen vgl. Beispiele bei Mendelssohn-Bartholdy, I m p e r i u m .des engl. K. S. 43 ff. 2 H a t also die Nov. hierin kaum eine Änderung getroffen, so liegt ein© solche in dem neuen Abs. 2 des § 502 (Ersatz der mündlichen Verhandlung durch Bezugnahme auf Schriftstücke; vgl. u. S. 43). 3 Hinweis "auf die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit (§ 504, 2) und auf die Folge der poena recogniti der Urkunde, falls sich der Gegner nicht über die Echtheit erklärt (Z.P.O. I 8 507. Nov. 8 510); — außerdem in a l l e n Prozessen auf die Folge der poena recusati bei Eideszuschiebung 455). 4 Es bleibt also dabei, daß die P a r t e i , auch ohne aufmerksam gemacht zu sein, durch ihre U n t ä t i g k e i t eine Behauptung des Gegners stillschweigend zugesteht (§138), die Zuständigkeit des unzuständigen Gerichts begründet (§ 39), die unzulässige K l a g änderung (§ 2(36) und andere Form Verletzungen heilt (§ 295). Vgl. S t e i n S. 94.

42 IV. Verfahren d. Rechtsstreits.

§

.

e r h .

§ 7.

n d l .

oder den vorbereitenden Schriftsätzen zur Aufklärung des Sachverhältnisses dienlich erscheinen", treffen kann (neuer § 501). Zu diesem Zweck kann sie zum voraus die sämtlichen Arten von B e w e i s m i t t e l n , soweit sie für den Prozeß in Betracht kommen, vorbereitend heranziehen, damit dieselben bereits bei Beginn der mündlichen Verhandlung bei Gericht vorliegen. So kann der Amtsrichter die Vorlegung von Urkunden und von urkundenähnlichen Augenscheinsobjekten (Stammbäumen, Plänen, Rissen, sonstigen Zeichnungen) anordnen (n. 1—3), Zeugen und Sachverständige, sowie die Parteien persönlich vorladen (n. 4, 5) und die Einnahme von Augenschein, ev. unter Begutachtung, anordnen (n. 6). Freilich soll auch hierdurch das Verhandlungsprinzip nicht durchbrochen werden. Abgesehen von Augenscheinseinnahme und Sachverständigenvernehmung, die ja ohnehin in allen Prozessen kraft bedeutsamer, grundsätzlicher Ausnahmevorschrift von Amtswegen erhoben werden können (Z.P.O. § 144, L.B. S. 428, 457), wird auch hier vorausgesetzt, daß die Partei sich auf die Urkunden oder Zeugen in den Schriftsätzen „bezogen" habe und demgemäß, daß sie sich auch demnächst in der mündlichen Verhandlung darauf bezieht, also Beweis antritt. Erscheinen also in einem Termin die Parteien oder eine der Parteien nicht, so wird die ganze Maßregel illusorisch. Streng genommen bewirkt deshalb die Novelle gegenüber dem bisherigen Verfahren nur die Neuerung, daß nach der Beweisantretung der Parteien in der mündlichen Verhandlung und nach dem Erlaß des Beweisbeschlusses die Anberaumung eines eigenen Beweistermins überflüssig wird, sich vielmehr die Beweisaufnahme sofort im gleichen Termin an die B e w e i s a n t r e t u n g anschließt1 (so in der Tat Novelle § 509). Aber es ist nicht zu verkennen, daß die unterstützende Tätigkeit des Gerichts, indem sie der mündlichen Beweisantretung v o r g r e i f t , die letztere stark zurückdrängt und sich praktisch einer U n t e r such un gstätigkeit mehr nähert als irgendwo sonst. Die Novelle schwächt jedoch die intensive Maßregel selbst wieder durch gewisse Klauseln ab. Zeugen-, Sachverständigen-, Parteivernehmung und Augenscheinseinnahme — also gerade die wichtigsten Beweisakte — sollen nur dann vor der ersten mündlichen Verhandlung angeordnet werden, wenn der Beklagte i n e i n e m v o r b e r e i t e n d e n S c h r i f t s a t z der K l a g e w i d e r s p r o c h e n h a t — eine Voraussetzung, die in allen Amtsgerichtsprozessen, wo der Beklagte nicht von vornherein einen Anwalt beauftragt, schwerlich erfüllt sein wird (§ 501, Abs. 2).

§ 73· Mündlichkeit und Schriftlichkeit. (Zu L.B. S. 452).

Mit den soeben besprochenen Vorschriften, die eine gesteigerte Mitverantwortlichkeit des Amtsrichters in der mündlichen Verhand1 Die ganze Vorschrift berührt also direkt nur die Prinzipien der G l i e d e r u n g des Verfahrens (vgl. u. S. 59).

Einschränkung der Mündlichkeit.

43

lung schaffen sollen, hängt es eng zusammen, daß anderseits auch die Durchführung der Mündlichkeit im A m t s g e r i c h t s p r o z e ß ins E r m e s s e n des Richters gestellt wird. Da nach § 502, 2 eine B e z u g n a h m e a u f S c h r i f t s t ü c k e für zulässig erklärt wird, „soweit keine der Parteien widerspricht und das Gericht sie für angemessen hält", so läßt die Novelle das Formalprinzip der Mündlichkeit, wonach für die Entscheidung beachtlich ist nur das im Einzelnen von der Partei mündlich Vorgetragene (§ 137, Abs. 2, 3) fallen. Sie ermöglicht es. die mündliche Verhandlung (§ 128) so zu gestalten, daß sie sich zu einer bloßen Überreichung von Rezessen bzw. zu einer Besprechung der von den Parteien gewechselten Schriftsätze zusammenzieht. Mit anderen Worten : Es bleibt für den Amtsgerichtsprozeß als unbedingt gültiges Formalprinzip nur das U n m i t t e l b a r k e i t s - , nicht das M ü n d l i c h k e i t s p r i n z i p im e n g e r e n S i n n e anerkannt. Damit entsteht nun freilich die Gefahr, die immer gegeben ist, wenn der Gesetzgeber auf das Erschöpfende des Parteivortrags ein vermindertes Gewicht legt (vgl. L.B. S. 444): die mündliche Verhandlung kann zu einer bloßen Scheinverhandlung herabsinken, und das Verfahren in Wahrheit ein schriftliches werden. Als ein Seitenstück des § 502, 2 führt die A.G.Nov, in dem neuen Abs. 4 des § 297 auch im A n w a l t s p r o z e ß eine die bisherige Mündlichkeitsform mildernde Vorschrift ein, allerdings eine viel weniger weitgreifende und durch die bisherige Praxis schon vorbereitete. Galt im Kollegialgericht bisher bei Gefahr der Nichtberücksichtigung (§ 297, 5) die Pflicht der Anwälte, die A n t r ä g e aus den Schriftsätzen oder einer Protokollanlage zu verlesen, so kann dies „durch eine Bezugnahme auf die die Anträge enthaltenden Schriftsätze ersetzt werden". Anderseits wird auf die s c h r i f t l i c h e F i x i e r u n g des mündlichen Parteivorbringens nach wie vor kein Zwang geübt. Vorbereitende Schriftsätze sind nicht notwendig, und sie werden, da Nov. in anderen Punkten des Verfahrens (Ladung, Zustellung, Instruktion der Sache usw.) die Parteien von dem Anwaltsbeistand mehr als bisher befreit und deshalb die Partei den Anwalt leichter entbehren kann, künftig noch häufiger unterbleiben. So läge es nahe, statt dessen die P r o t o k o l l i e r u n g der Amtsgerichtsverhandlung in stärkerem Maße vorzuschreiben, wie dies die österreichische Z.P.O. § 211 verb. m. § 433 (L.B. S. 115) für den Fall, wo Schriftsätze fehlen, in der Tat getan hat. Aber auch an die wünschenswerte p r o t o k o l l a r i s c h e Beurkundung der Parteiverhandlung (L.B. S. 452, 453) erhebt die Novelle keine strengeren Anforderungen als die Novelle von 1898 (bisher § 509, unverändert in § 510 a A.G.Novelle). Das Verfahren kann sich also auch zu einem r e i n mündlichen Vortrag der Parteien oder einem formlosen Wechselgespräch zwischen Richter und Parteien entwickeln, ohne daß für die Rekonstruktion seines Er-

44 IV. Verfahren d

Rechtsstreits.

§

.

ü n h e .

§

.

e n .

gebnisses in den Akten ein Anhalt (außer in der Klage) vorhanden wäre. Somit wird die geregelte Gestaltung des Amtsgerichtsprozesses in den zentralen Prozeßoperationen ganz aufgegeben. E r bewegt sich von Fall zu Fall zwischen den Extremen. Er kann sich als ein r e i n m ü n d l i c h e s Verfahren gestalten, wobei nur die Klagschrift und der U r t e i l s t a t b e s t a n d des Einzelrichters einen festen Punkt geben; ebensowohl aber auch als eine rein schriftliche Stoffdarlegung der Parteien, die erscheinen und mündlich nur ihre Anträge stellen. Ob das eine oder das andere Extrem oder eine der denkbaren zahllosen Mischungen mündlicher und schriftlicher Elemente den Verlauf der Streitsache bestimmen soll, hängt einzig und allein vom Ermessen (— oder von der Laune —) des Amtsrichters ab. Dies Ergebnis wird dadurch nicht billigenswerter, daß tatsächlich derselbe Zustand schon bisher bestanden hat, — durchschnittlich so, daß im Amtsgerichtsbetrieb der Großstädte, wo Überfluß an Anwälten herrscht, der Amtsrichter sich nur auf s c h r i f t l i c h e s Vorbringen einläßt, — in den kleinen Provinz- und Landbezirksgerichten, wo Mangel an Anwälten besteht, nur mündlich verhandelt wurde. Anstatt diesem Zustande einer völligen Partikularisierung und Zersplitterung des amtsgerichtlichen Verfahrens zu steuern, wird er von der Novelle zum gesetzlich anerkannten gemacht. Im übrigen wird an diesen Fragen auffallend, daß die Nov. zwar in der einen Seite des Problems (in der A b s c h w ä c h u n g des M ü n d l i c h k e i t s p r i n z i p s ) dem Muster des österreichischen Rechts folgt, anderseits aber nicht für nötig erachtet, das Gegengewicht einer Verstärkung der S c h r i f t I i c h k e i t , das die österr. Z.P.O. wohlerwogen geschaffen hat, auszubilden. Mutmaßlich hängt diese Inkonsequenz.damit zusammen, daß in Österreich vielfach über die Last der Protokollierung im Bezirksgerichtsverfahren geklagt wird: der Prozeß werde dadurch verzögert und nehme tatsächlich die Form eines rein schriftlichen Verfahrens an (vgl. S c h w a l b in Mitteil, des Vereins österr. Richter I I 1908 n. 1; L i c h t b l a u ebenda n. 2). Aber daraus folgt nur, daß in einem solchen Verfahren ganz anders als bisher für ein tüchtiges, zum f r e i e n s e l b s t ä n d i g e n N a c h s c h r e i b e n geeignetes Kanzleipersonal gesorgt werden muß; denn jene Verzögerung ist nur dadurch bedingt, daß heute in Österreich wie in Deutschland die Protokollierung t e c h n i s c h v e r s u m p f t und, wo sie auftritt, zu einem D i k t a t des Richters an den Gerichtsschreiber ausgeartet ist. Es ist deshalb in Österreich bereits die richtige Abhilfe in Form einer s y s t e m a t i s c h e n K a n z l e i r e f o r m gefordert worden (v. Loebell, Mitt. des Vereins österr. Richter I I I 1909, n. 4; ein von diesem Schriftsteller aufgestellter Gesetzentwurf ist von der Generalversammlung des österr. Richtervereins gutgeheißen worden, vgl. daselbst I I I n. 7). Auch in Deutschland würde das unvermeidlich sein. Daran, daß über alle diese Fragen bei Beratung der Nov. gar nicht nachgedacht worden ist, zeigt sich bei dieser Materie besonders deutlich die Flüchtigkeit ihrer Reform.

§ 81. Zeugen. (Zu L.B. S. 507).

Der Entw. der A.G.Nov, wollte die F o r m d e r Z e u g e n v e r n e h m u n g in einem ihrer wichtigsten Stücke ändern, indem er mindestens für Amtsgerichtssachen die B e e i d i g u n g des Zeugen ihrer bisherigen obligatorischen Natur entkleidete und in das Ermessen des Richters stellte. Der Reichstag hat diesen Bruch mit der Tradition abgelehnt und das argumentum e contrario , welches sich bisher für die Nichtbeeidigung jedes Zeugen aus der Ausnahmevorschrift der Nichtbeeidigung gewisser Zeugen

Abschwächung des Zeugeneids.

45

in § 393 ergab, ausdrücklich eingeschärft: „Jeder Zeuge ist, sow e i t n i c h t e i n anderes b e s t i m m t i s t , zu beeidigen" (§ 391). Dem Zwecke der Beschleunigung und der Ersparnis von Zeugeneiden ist demnach nur durch drei minder bedeutsame Rechtsänderungen ein Zugeständnis gemacht worden. 1. Die Vorbeeidigung, die die Regel bildete, ist in die N a c h beeidigung umgewandelt worden (§ 392, Satz 1). 2. Wenn mehrere Zeugen in derselben Sache vernommen werden, können sie nach ihrer gesonderten Vernehmung g e m e i n s a m beeidigt werden (§ 391, Satz 2). 3. U m ein g e r i n g e s e r w e i t e r t wird der Kreis der Zeugen, bei denen das Gericht a u s n a h m s w e i s e , nämlich wegen ihres Interesses am Rechtsstreit (§ 393 n. 4) aus freiem Ermessen Entschließung treffen darf, ob es sie beeidigen oder u n b e e i d i g t l a s s e n , d. h. ihnen ohne Eid Glauben schenken oder sie unbeeidigt verwerfen will. Außer den „am Ausgang des Rechtsstreits u n m i t t e l b a r Bet e i l i g t e n " werden in diese Gruppe alle „am Obsieg einer Partei im Rechtsstreite r e c h t l i c h i n t e r e s s i e r t e n " aufgenommen. Von diesen drei Neuerungen ist die erste, die allgemeine Ε i n f ü h r u n g des N a c h e i d e s , an Stelle des bisherigen Prinzips, den Eid nur nach Lage des Falles bis nach der Vernehmung auszusetzen, von problematischem Wert; denn sie erkauft die Ersparnis des Eides bei manchen Zeugen durch eine gewisse Schwächung der Intensität der Wahrheitserforschung, also eine individualistische Rücksicht durch Preisgabe eines Teils der Rücksicht auf den sozialen Rechtspflegezweck (L.B. S. 509). Das neue Prinzip läßt sich nicht einmal durchführen, da in vielen Fällen Ergänzungsfragen oder gar Fortsetzungen der Vernehmungen n a c h der Eidesleistung unvermeidlich sein werden, so daß hier der Eid wieder als Voreid wirkt 1 . Auch bei der zweiten Neuerung, der G e s a m t v e r e i d i g u n g , wird der Vorteil der Zeitersparnis durch einen Nachteil, die gesteigerte Weihelosigkeit des Eidesaktes, aufgewogen. Daß sich das Gesetz hiergegen gleichgültig zeigt, ist um so befremdlicher, als der Ruf nach Reform des Eidesrechts meist bei diesem Gesichtspunkt eingesetzt hat. Eine wirkliche Verbesserung bedeutet nur die V e r m e h r u n g d e r u n b e e i d i g t e n I n t e r e s s e n t e n . Allerdings sanktioniert jetzt das Gesetz nur ausdrücklich das, was im Hauptpunkt die Praxis des Reichsgerichts schon zur Geltung gebracht hatte, — daß nämlich alle die Personen, welche wegen ihres Interesses „am Obsieg einer Partei" dieser Partei als Nebenintervenienten beitreten dürfen (§ 66), da, wo sie als Zeugen vorgeladen werden, auch vor dem Eideszwang bewahrt bleiben sollen (L.B. S. 511 A. 2 a. E.). Dies trifft also alle, für die das Urteil zwischen den Parteien den Tatbestand eines Rechtsverlustes oder einer Verpflichtungsentstehung begründen würde; — den Verkäufer im Prozesse des Entwährers gegen den Käufer, den Bürgen im Prozesse des Gläubigers gegen den Hauptschuldner, den kaufmännischen Angestellten im Prozesse seines Prinzipals mit dem Kunden, wenn von dem 1 Die Fortsetzung· der Vernehmung ist an sich erlaubt, da die Nov. an der Erlaubnis einer ,,wiederholten 4 1 Vernehmung desselben Zeugen unter Berufung auf den früher geleisteten Eid ($ 398, 1. 3) nichts ändert. Sie w i r d künftig u m so leicnter eintreten, wenn das Gericht die Beeidigung zwar nach Abschluß der Vernehmung, aber v o r V e r l e s u n g des Protokolls vornimmt (was das Gesetz nicht verbietet). Denn erfahrungsgemäß ergibt die Protokollverlesung häufig den Anstoß zu ergänzenden Verhören ( S t e i n § 392 I S. 58).

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IV. Verfahren des Bechtsstreits.

§ 81. Zengen.

§ 84. Parteieide.

Geschäft sein Provisionsanspruch abhängt 1 . Ohne Rücksicht auf die Folgen des Prozesses kann der Z e d e n t im Prozesse des Zessionars über den abgetretenen Anspruch unbeeidigt bleiben, nämlich auch dann, wenn er „zur Gewährleistung nicht verpflichtet" ist (§ 393 n. 4 a. E.). Ganz unbedeutend ist die Vereinfachung der Eidesnorm des Zeugen (§ 392 Satz 3). E r hat künftig nur zu schwören, daß er nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe, — nicht auch, daß er „nichts hinzugesetzt" habe.

§ 84. Parteieide. (Zu S. 541 ff.).

Den Projekten grundsätzlicher Änderungen des Eidesrechts, wie sie den Verehrern englischer oder österreichischer Prozeßformen vorschweben, ist glücklicherweise weder von der Regierung noch vom Reichstag ein Zugeständnis gemacht worden. Vor allem hat die Bewegung, die die Eideszuschiebung mit dem vagen Vorwurf des „formalistischen" Wesens bekämpft und die Ausdehnung des richterlichen Eides oder gar einer richterlichen eidlichen Parteivernehmung wünscht, auf die Gefahr hin, damit alle sichere Berechenbarkeit dieses verfänglichen Beweismittels auf Seiten der Parteien und alle Schutzwehren gegen subjektive Fehlgriffe des Gerichts im Gebrauch des Eides preiszugeben (L B. S. 543), weder im Land- noch im Amtsgerichtsprozeß Boden gewonnen2. Nur in einem sekundären Punkte hat die Novelle den Formalismus des Eidesrechts abgeschwächt, nämlich in der Form der Eidesabnahme (§ 481). Der § 481 schreibt für a l l e Eide, die im Prozesse abzunehmen sind, Parteieid wie Zeugen-, Sachverständigen-, Dolrnetschereid vor, daß der Schwörende nicht mehr den zu beschwörenden Eidessatz, die Eides n o r m , sondern nur die E i d e s f o r m e l nachsprechen soll 8 . Die Eidesnorm wird nur vom Richter vorgesprochen und vom Schwurpflichtigen mit den Worten bestätigt: „ I c h s c h w ö r e es, so wahr mir Gott helfe." Selbstverständlich hat diese Neuerung am meisten für den P a r t e i e i d Bedeutung, da gerade bei ihm die dem Rechtsfall sich anpassenden Eidesformeln zu langatmigen, verschrobenen und damit dem Schwörenden selbst bei langsamerem Vorsprechen unverständlichen Formulierungen des Eidessatzes führen.

§ 85. Sachverständige. (Zu S. 543).

Abgesehen von einer unbedeutenden Instruktionsvorschrift, die dem Gericht in gewissen Fällen eine Person von der Gutachterpflicht „zu entbinden" empfiehlt (§ 408, neuer Abs. 3) 4 , 1

"Weitere Fälle vgl. S t e i n § 393 I I S. (50. Vgl. gegen diese verständnislose Beurteilung des geltenden Eidesrechts neuerdings Richard S c h m i d t , Der Prozeß und die staatsbürgerlichen Rechte. 1910. S. 24. 3 F a k u l t a t i v w a r dies auch bisher schon bei l ä n g e r e n Eidesnormen statthaft (§ 482, 2 bish. F). Der Regierungsentwurf hatte die o b l i g a t o r i s c h e Anwendung des Gebrauches nur für den F a l l vorgesehen, daß mehrere Personen g l e i c h z e i t i g einen Eid leisten — was gerade n i c h t für den Parteieid in erster Linie praktisch geworden wäre. 4 Diese Möglichkeit hat das Gericht schon j e t z t (§ 408, 1). Die Nov. hat aber in instruktioneller Form einen ii'all bezeichnet, i n welchem das Gericht vorzugsweise von 2

Vereinfachung des Parteieids.

Anerkenntnisverfahren.

47

hat die Novelle für den Sachverständigen absichtlich nur die Beeidigung neu geregelt. Sie hat (§ 410) wie beim Zeugen auch hier die grundsätzliche Bevorzugung des V o r e i d e s abgeschafft, anderseits aber auch nicht den Nacheid allgemein eingeführt, vielmehr die Beeidigung „vor oder nach Erstattung des Gutachtens" nach freier Wahl des Gerichts angeordnet 12 . Merkwürdigerweise hat die neue Fassung des § 410, 1 u n a b s i c h t l i c h noch eine zweite Neuerung getroffen 3 . Sie hat aus der ehemaligen Fassung den Passus gestrirhen: „Der Sachverständige hat, w e n n n i c h t b e i d e P a r t e i e n a u f die B e e i d i g u n g v e r z i c h t e n , vor Erstattung des Gutachtens einen Eid — zu leisten." Damit ist eine Vorschrift beseitigt, die bisher eine der A b w e i c h u n g e n des Sachverständigenbeweises vom Zeugenbeweis darstellte; denn indem § 410 vorschrieb, daß a u ß e r b e i P a r t e i v e r z i c h t eine unbeeidigte Vernehmung von Sachverständigen nicht zulässig sein solle, brachte er implicite zur Geltung, daß eine Analogie der unbeeidigten Zeugen des § 393 (vor allem der nahen Interessenten, o. S. 45) beim Sachverständigenbeweis nicht in Frage komme, — offenbar in der Anschauung, daß eine interessierte Person als Sachverständiger ü b e r h a u p t n i c h t v e r n o m m e n werden solle. K ü n f t i g bezieht sich aber das Gesetz hinsichtlich der Beeidigung einfach auf den Zeugenbeweis, also auch auf § 393. Es muß also nun (unzweckmäßigerweise) damit gererhnet werden, daß ein Interessent als Sachverständiger zwar vernommen werden darf (falls er nicht abgelehnt wird), und nur durch Nichtbeeidigung und nachträgliche Beweiswürdigung unschädlich gemacht werden kann.

§§ 88—89. Anerkenntnis- und Versäumnisverfahren. Das nicht-kontradiktorische Verfahren erfährt dadurch eine Vereinfachung, daß sowohl das Anerkenntnisurteil wie das Versäumnisurteil von dem Erfordernis einer sollennen Beurkundungsform entbunden wird: sie bedürfen nicht mehr des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe sowie der genauen Aufführung der prozeßbeteiligten Personen (§ 313, neuer Abs. 3 4 , vgl. hierüber u. S. 67). Dies gilt für a l l e Prozesse in gleicher Weise. Hierzu kommt, daß im Anitsgerichtsprozeß — allerdings nur in diesem — auch die Z u s t e l l u n g des Versäumnisurteils vereinfacht wird, insofern hier ausnahmsweise der G e r i c h t s s c h r e i b e r in Durchbrechung des Prinzips des § 317 von Amtswegen die Zustellung „zu vermitteln" hat, sofern nicht die der Ermächtigung Gebrauch machen „soll", nämlich wenn eine Person (als Beisitzer eines Seeamtes, eines Kaufmanns-, Gewerbe-, Ehrengerichts) bei einer richterlichen E n t scheidung m i t g e w i r k t hat und später vor dem ordentlichen Gericht über den Gegenstand der Entscheidung als Sachverständiger vernommen werden soll (§ 408, neuer Abs. 8). 1 Auch hier wird Voreid und Nacheid ineinanderfließen, z. B. wenn ein Sachverständiger zunächst mündlich vernommen worden ist, darüber nachträglich beeidigt ist und darauf beauftragt w i r d , ein schriftliches Gutachten abzufassen, das er nun durch Voreid bestärkt (Stein 8 410 I I S. (>2). 2 Daß die v e r e i n f a c h t e F o r m der E i d e s a b l e i s t u n g (Vorsprechen der Eidesnorm durch den Richter und Nachsprechen der Eidesformel) auch auf den Sachverständigeneid Anwendung findet, versteht sich von selbst. 3 Vgl. die scharfsinnige Interpretation S t e i n s zu § 410. Nov., S. 62. 4 Ebenso werden diese Urteile nicht mehr in das regelmäßig in der Gerichtsschreiberei auszuhängende Verzeichnis aufgenommen (§ 316, neuer Abs. 3).

48 IV. Verfahrend. Rechtsstreits. §91. Urkundenprozeß. §92. Arrestprozeß.

Partei erklärt hat, selbst einen Gerichtsvollzieher beauftragen zu wollen (neuer § 508). Die A n f e c h t u n g des Versäumnisurteils wird erleichtert, insofern der Einspruch durch E i n r e i c h u n g bei G e r i c h t , ohne L a d u n g zur mündlichen Verhandlung, eingelegt wird. Die Einspruchsschrift wird dem Gegner zusammen mit der von A m t s w e g e n zu beschließenden Terminsbestimmung zugestellt (§ 340 a, vgl. u. S. 56). Speziell im A m t s g e r i c h t s p r o z e ß wird anderseits der Einspruch durch eine kürzere Notfrist e r s c h w e r t . Die bisher allgemein zweiwöchige Einspruchsfrist wird hier auf eiue Woche eingeschränkt (§ 508, 2 verb. m. § 339, 1).

§ 91. Urkunden- und Wechselprozeß. (Zu S. 575).

Die erste summarische Prozeßart wird von der Novelle nur in einem jeder prinzipiellen Bedeutung entbehrenden Punkte berührt. § 604 ändert, nachdem schon die Nov. v. 1898 hier eingegriffen hatte, in W e c h s e l Sachen zum dritten Male die Einlassungsfrist der ersten Instanz sowie die Einlassungs- und Ladungsfristen der Berufungs- und Revisionsinstanz (vgl. u. S. 63). Indirekt ist neuerdings dadurch in den Wechselprozeß eingegriffen worden, daß die R e g r e ß a n s p r ü c h e aus S c h e c k s vom Scheckges. vom 11. März 1908 § 28, 3 für Wechselansprüche im Sinn der §§ 602—605 Z.P.O. erklärt worden sind.

§ 92. Arrestprozeß. (Zu S. 591).

Auch der Arrestprozeß und das Verfahren mit einstweiligen Verfügungen bleiben unverändert. Novelle § 924 bringt lediglich die Form der Einlegung des Widerspruchs, soweit er im amtsgerichtlichen Verfahren Platz greift, mit den neuen Formen der Klagerhebung des Amtsgerichtsprozesses in Einklang. Auch der Widerspruch wird künftig durch Einreichung oder Erklärung zu Protokoll erhoben. Hierauf erfolgt die Terminsbestimmung und Ladung nach § 497 von Amtswegen. Ferner ist die Frist zwischen Erlaß (Verkündung oder Zustellung) des Arrestbefehls und Arrestvollzug von bisher 14 Tagen auf einen Monat heraufgesetzt worden, um dem Gläubiger eine größere Freiheit der Bewegung zu verschaffen, falls er auf die Ausfertigung des Arrestes warten muß (§ 929, 2).

§ 93. Mahnverfahren. Unbestrittenermaßen hat die Überlastung der Gerichte zum Teil darin ihren Grund, daß die Z.P.O. nicht in genügendem Maße solche Prozeßformen ausgebildet hat, welche die Erledigung geringfügiger

Steigerung der Brauchbarkeit des Mahnverfahrens.

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oder einfacher Rechtssachen in zwangloser Weise ermöglichen. Infolgedessen wird oft das Gericht mit dem Apparat des ordentlichen Prozesses behelligt, wo diese relativ gründlichste Prozedur gar nicht erforderlich wäre, um Urteil oder Vollstreckung zu erreichen. Die Novelle hat sich aber auch dieses Gesichtspunktes nicht planmäßig bemächtigt, ist z. B. nicht dem Gedanken nahegetreten, das in Württemberg uud Baden eingebürgerte Verfahren des G e m e i n d e g e r i c h t s , also die Justiz der Bürgermeister der Städte und Landgemeinden, für ganz Deutschland zu verallgemeinern, obwohl dies Verfahren in Süddeutschland die ordentlichen Gerichte sehr erheblich entlastet 1 . Die Novelle hat vielmehr nur dem Mißstand abzuhelfen gesucht, daß das Mahn verfahren, das eine abgekürzte und den Rechtsstreit mit kontradiktorischer Verhandlung vermeidende Sacherledigung erschließt, wegen gewisser formaler Beschränkungen wenig benutzt wird und deshalb seinen Zweck der Entlastung des ordentlichen Prozesses nicht gehörig erfüllt. Allerdings hat die Novelle die von mancher Seite erhobene sehr radikale Forderung, den Erlaß des Zahlungsbefehls dem Gericht überhaupt abzunehmen und vom Amtsrichter auf den G e r i c h t s s c h r e i b e r zu übertragen, nicht erfüllt, — mit Recht, da der Zahlungsbefehl eine Sachentscheidung ist, die unter gewissen Bedingungen die vollen Wirkungen eines rechtskräftigen Urteils erzeugt, also der richterlichen Verantwortlichkeit nicht entraten kann 2 . Aber im übrigen hat die A.G.Novelle in das Mahnverfahren — besonders auf Initiative des Reichstags3 — stark eingegriffen 4. (Zu S. 602).

1. Während die ursprüngliche Z.P.O. nur den allgemeinen persönlichen und den dinglichen Gerichtsstand für Mahnsachen begründet, die Novelle von 1898 nur den des dauernden Aufenthalts hinzugefügt hatte, stellt jetzt Novelle § 689 dem Gläubiger zur Einlegung des Mahngesuchs j e d e n G e r i c h t s s t a n d zur Verfügung, den er auch für die Erhebung der Klage benutzen könnte. „Zuständig ist das Amtsgericht, welches für die im ordentlichen Verfahren erhobene Klage zuständig sein würde, wenn die Amtsgerichte in erster Instanz sachlich unbeschränkt zuständig wären." Der Gläubiger kann also Zahlungsbefehl nunmehr auch am Gerichtsstand des Vermögens (gegen den im Ausland wohnenden Schuldner § 23), der Handelsniederlassung (§ 21), der Erbschaft (gegen die Miterben des ursprünglichen Schuldners § 28) erwirken. Vor allem kann er aus Vertragsklagen 1 Vorschläge in dieser Richtung vgl. bei R i c h a r d S c h m i d t , Staatsverfassung und Gerichtsverfassung, Labandfestschrift 2, S. 839 ff. (1908). Neuerdings gibt die bisher ganz fehlende systematische Darstellung H e g l e r , Das Gemeindegerichtsverfahren in Baden und W ü r t t e m b e r g 1910. 2 Von diesem Vorschlag ist nur übrig geblieben, daß der Gerichtsschreiber den V o l l s t r e c k u n g s b e f e h l erteilt (u. S. 51). 3 Der Reg.-Entw. hatte..nur die Zustellung des Zahlungsbefehls von Amtswegen (§ 693) und die vereinfachte Überleitung des Mannverfahrens ins ordentliche Verfahren (§ 696 u. ·)97) neu geordnet. Vgl. hierzu Des. H e l l w i g , Justizreform S. 4(i. 4 S t e i n hat in seiner Behandlung der Nov. S. 127 ff. das Mahnverfahren in extenso dargestellt.

R i c h a r d S c h m i d t , Lehrbuch d. Zivilprozeßrechts.

2. Aufl.

Nachtrag.

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am Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29) vorgehen; z. B. könnte eine Firma, wenn sie sich in Vertragsformularen durch Klausel ihren e i g e n e n Sitz als Erfüllungsort auszubedingen pflegt, gegen a l l e ihre Kunden an i h r e m Gericht (dem der Gläubigerin, statt des Schuldners) Zahlungsbefehl verlangen 1 . (Zu S. 604).

2. Bisher verordnete § 691, 2 ohne Vorbehalt, daß das Mahngesuch „auch dann zurückzuweisen" sei, „wenn der Zahlungsbefehl nur in Ansehung e i n e s T e i l s des Anspruchs nicht erlassen werden kann". Der Gläubiger lief also das Risiko, auch mit einem durchaus begründeten Anspruch im Mahnverfahren kostenfällig zu unterliegen, weil sich das Mahngesuch einer geringen Zuvielforderung, einer falschen Berechnung der Zinsen oder Nebenforderungen schuldig gemacht hatte. Die Novelle will jetzt dem Gläubiger wenigstens Gelegenheit geben, in solchem Fall seinen Antrag zu berichtigen oder herabzusetzen. „Vor der Zurückweisung ist der Gläubiger zu hören tt (§ 691, 2 n. F.). (Zu S. 604).

3. Anderseits wird auch dem Schuldner entgegengekommen, indem die Novelle ihn von einer u n b e g r ü n d e t e n Erhebung des Widerspruchs gegen den erlassenen Zahlungsbefehl, die ihm nur Weiterungen und Kosten macht, abzuhalten sucht 2 . Während das Formular des Zahlungsbefehls dem Schuldner kurzweg die Alternative stellte, zu zahlen oder zu widersprechen, soll dieser künftig zum Widerspruch nur aufgefordert werden, uuter der Voraussetzung, daß „er E i n w e n d u n g e n gegen den Ans p r u c h h a b e " 8 (§ 692 n. F.). (Zu S 604.)

4. Die Zustellung des Zahlungsbefehls wird nicht dem Parteibetri« b überlassen. Vielmehr nimmt der Gerichtsschreiber dem Gläubiger die Fürsorge hierfür ab, indem er den Zahlungsbefehl dem S c h u l d n e r von Amtswegen zustellen läßt (§ 693, 1), und zugleich von der geschehenen Zustellung den G l ä u b i g e r in Kenntnis setzt (Abs. 4). Diese Neuerung gliedert sich an die Erweiterung der Offizialzustellung an, die im amtsgerichtlichen Verfahren überhaupt Platz greifen soll (vgl. u. S. 56) 4 . Nach dieser Analogie wird auch hier an den Rechtshängigkeitswirkungen der 1 Obwohl gerade für diesen F a l l die Komm. d. R.T. die neue Fassung verlangt hat (Bericht S. 63), zeigt sich hier am deutlichsten das Bedenkliche. E i n Geschäft kann z. B. m i t der Praxis, auf zugesandten Offerten die Klausel des Erfüllungsortes anzubringen und auf eine stillschweigende E i n w i l l i g u n g des Bestellers zu spekulieren, starken Mißbrauch treiben. 2 Insbesondere von Einlecung des "Widerspruchs in der irrigen Vorstellung, daß er auch in Ermanglung von Z a h l u n g s m i t t e l n widersprechen müsse. 3 M i t dieser Voraussetzung: wird der Schuldner auf die Chance, wo er Einwendungen gegen die prozessuale Gültigkeit des Gesuchs (Zuständigkeit des Gerichts, Geeignetheit des Anspruchs zum Mahnverfahren) hat, nicht hingewiesen ( S t e i n zu 8). Der Zahlungsbefehl ist aber bedingte Verurteilung.

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Erleichterungen des Mahnverfahrens.

Z u s t e l l u n g d e s B e f e h l s (Abs. 2) nichts geändert. Nur werden wie bei Klage gewisse Rechtshängigkeitswirkungen auf den Moment der E i n r e i c h u n g des M a h n g e s u c h s zurückdatiert (Abs. 3; o. S. 39). (Zu S. 605.)

5. Der V o l l s t r e c k u n g s b e f e h l , der nach unbenutztem Ablauf der Widerspruchsfrist zu erteilen ist, wird künftig vom G e r i c h t s s c h r e i b e r erteilt (§ 699). Er sinkt also auch hierin auf das Niveau der Vollstreckungsklausel herab, von der er sich in der Tat seinem Wesen nach kaum unterscheidet und die er gemäß der Vorschrift des § 790, 1 regelmäßig mit ersetzt 1 . Die Zustellung des Vollstreckungsbefehls erfolgt auf Parteibetreiben, aber wie künftig die der amtsgerichtlichen Versäumnisurteile, denen der Vollstreckungsbefehl gleichsteht (§ 700) nach Analogie des § 508 unter Vermittlung des G e r i c h t s s c h r e i b e r s , sofern nicht der Gläubiger erklärt hat, selbst einen Gerichtsvollzieher mit der Zustellung beauftragen zu wollen (§ 699). (Zu S. 606.)

6. Das V e r h ä l t n i s d e s M a h n v e r f a h r e n s z u m o r d e n t l i c h e n P r o z e ß wird dadurch wesentlich vereinfacht, daß die bisherige komplizierte Doppelform, das rein amtsgerichtliche Mahnverfahren je nach dem Streitwert des ursprünglichen Anspruchs bald in das Amtsgerichts-, bald in das Landgerichtsverfahren überzuleiten, aufgegeben wird. Vielmehr ist, wenn rechtzeitiger Widerspruch erhoben wird, die Klage künftig mit der Zustellung des Zahlungsbefehls bei dem A m t s g e r i c h t des Zahlungsbefehls als erhoben anzusehen (§ 696, 1), g l e i c h v i e l ob der A n s p r u c h a m t s g e r i c h t l i c h oder l a n d g e r i c h t l i c h war, und nur auf ausdrücklichen A n t r a g einer der Parteien hat sich das Amtsgericht durch Beschluß für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das Landgericht zu verweisen (§ 697, 1 — analog dem Fall des § 505, 2 u. S. 65). Der Verweisungsantrag ist zulässig bis zur Verhandlung zur Hauptsache, kann aber bereits provisorisch vom Kläger mit dem M a h n g e s u c h oder vom Beklagten mit dem W i d e r s p r u c h verbunden werden. In diesen Fällen kann die Entscheidung über den Antrag ohne vorgängige mündliche Verhandlung erfolgen (§ 697, 2). Mit dem Verweisungsbeschluß und seiner Zustellung gilt der Rechtsstreit als bei dem Landgericht anhängig. Bleibt, wie es nunmehr die Regel ist, die Sache auf Grund des Widerspruchs beim A m t s g e r i c h t anhängig, so müßte nach den neuen Vorschriften der Novelle über den Prozeßbetrieb an und für sich erwartet werden, daß der T e r m i n z u r m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g v o n A m t s w e g e n zu bestimmen wäre. Nov. § 696, 2 behält aber für diesen Fall auffallenderweise und ohne ersichtliches Motiv den Grundsatz des Parteibetriebs bei. Immer ist hier nur „auf Antrag der Partei" Termin zu bestimmen. Die L a d u n g erfolgt dann auch hier (nach § 497) von Amtswegen. 3 Der Gerichtsschreiber funktioniert jedoch dabei unter Überwachung des Mahngerichts. Diesem hat er, wenn er den Vollstreckungsbefehl nicht erteilen w i l l , das Gesuch des Gläubigers vorzulegen. Das Amtsgericht entscheidet dann, anfechtbar durch eofortige Beschwerde (§ 699).

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Die Grundsätze der Verweisung ans Landgericht finden an sich auch auf den Fall Anwendung, wo die Sache erst durch E i n s p r u c h gegen d e n V o l l s t r e c k u n g s b e f e h l zur kontradiktorischen Verhandlung ins Ordinarium übergeleitet wird. Hier wird jedoch künftig die Verweisung ans Landgericht an aie weitere Voraussetzung geknüpft, daß das A m t s g e r i c l i t d e n E i n s p r u c h bereits für zulässig erachtet haben muß (§ 700).

§ 95* Ladungen. (Zu S. 609 ff.).

Für die Herbeiführung eines Termins zur mündlichen Verhandlung zwischen Gericht und Parteien und für die L a d u n g , d. h. die Aufforderung an die Beteiligten, im Termin zu erscheinen, bedarf es in jeder Prozeßart und in jedem Prozeßstadium der Normen darüber, wie die hierauf gerichtete Tätigkeit zwischen Gericht und Parteien zu verteilen ist. Die Novelle hat das Verhältnis der Beteiligung für das Gebiet des Amtsgerichtsprozesses grundsätzlich verändert. Bisher ist in Amts- und Landgerichtsprozeß gleichförmig der P a r t e i die überwiegende Verantwortlichkeit für alle Fälle auferlegt, wo ein Termin und das Erscheinen dazu zu B e g i n n des Prozesses, einer Instanz, eines neuen Verfahrens (auf Einspruch nach Versäumnisurteil) oder durch W i e d e r a n k n ü p f u n g des durch die Zwischenfälle des § 239 und besonders durch Vereinbarung der Ruhe oder beiderseitiges Ausbleiben (§ 251, 1, 2) abgebrochenen Verfahren herbeigeführt werden soll. Hier wurde von der Partei s t e t s eine a u s d r ü c k l i c h e s c h r i f t l i c h e L a d u n g , sei es inseriert in Klageschrift, Einspruchsschrift, Rechtsmittelschrift, sei es in einem eigenen Ladungsschriftsatz, erwartet. Mit der üblichen Wendung „ich lade den Gegner zu dem vom Gericht zu bestimmenden Termin", umschloß sie gleichzeitig einen Antrag an das Gericht, einen Termin festzusetzen, und die Ladung im eigentlichen Sinne, die Aufforderung an den Gegner, zum Termin zu erscheinen. Mit der Zustellung an den Gegner galt dann die l a d e n d e P a r t e i s e l b s t kraft Gesetzes als zu dem von ihr veranlaßten Termin geladen. Während dies Verfahren für das Kollegialgericht fortdauert, bestimmt Novelle § 497 für den Amtsgerichtsprozeß: „Ladungen durch die Parteien finden nicht statt. Die Termine werden von Amtswegen bestimmt. Nach Bestimmung des Termins ist die Ladung der Parteien durch den Gerichtsschreiber zu veranlassen." Hierdurch wird in Amtsgerichtssachen für überflüssig erklärt, daß: 1. die Partei ausdrücklich vom Gericht einen Termin begehrt, und daß sie: 2. den Gegner ausdrücklich zum Erscheinen auffordert.

Neue Offizialladung.

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Vielmehr wird, wenn eine Partei einen Schriftsatz einreicht, der ihre A b s i c h t , m ü n d l i c h zu v e r h a n d e l n , e r k e n n e n l ä ß t (Klage, Einspruch, neuen vorbereitenden Schriftsatz), der Termin ohne Formalien vom Amtsrichter festgesetzt und hierauf eine Ladung zu diesem Termin vom Gerichtsschreiber an den Gegner zugestellt. Allerdings genügt hierzu nicht die Zustellung der terminanberaumenden Verfügung, sondern es wird nunmehr eine ausdrückliche Ladungserklärung des Gerichtsschreibers (in der Praxis natürlich in amtlichem Formular vorgedruckt) erforderlich. Die Partei, welche die Initiative ergriffen hat, braucht auch künftig nicht geladen zu werden, wenn ihr der Termin „bei Einreichung oder Anbringung der Klage oder des Antrags, auf Grund dessen die Terminsbestimmung stattfindet, mitgeteilt worden ist" (§ 497 Abs. 2). Ist das nicht geschehen oder die geschehene Mitteilung nicht zu den Akten vermerkt worden (ebenda), so hat der Gerichtsschreiber a u c h die a n r e g e n d e P a r t e i zu l a d e n 1 . Mit alledem wird eine g ä n z l i c h neue L a d u n g s f o r m g e s c h a f f e n , — mindestens eine Form der Ladung, die bisher nur für die Z e u g e n und S a c h v e r s t ä n d i g e n vorgeschrieben war (L.B. S. 611; Z.P.O. §§ 377, 402) auf die P a r t e i e n erstreckt. Denn allerdings gab es wohl auch jetzt schon Fälle, in welchen das G e r i c h t von Amts wegen für das Erscheinen der Parteien in einem Termin zu sorgen hatte 2 . Aber hier war und ist nicht eine ausdrückliche Ladungserklärung des Gerichtsschreibers erforderlich, sondern es genügt (nach herrschender Auslegung) die Zustellung des Terminsbeschlusses8. Und diese Formbereicherung ist umso weniger erfreulich, als sie praktisch an der Sachlage wenig ändert. Die Neuerung des §. 497 ist praktisch in der Tat höchst unbedeutend. Sie berührt lediglich die Äußerlichkeiten der Form und entlastet die Parteien dadurch so gut wie gar nicht. Denn in irgendwelcher Art den Willen kundzugeben, daß sie einen Termin wünsche, ist für die Partei auch künftig noch unentbehrlich (vgl. o.), und die Ersparnis der Fornialien ist von kaum nennenswerter Bedeutung 4 . Eine grundsätzliche Veränderung mag man wohl darin finden, daß bei dem nunmehrigen Offizialbetrieb dem Gericht die Prüfung zuwächst, ob im gegebenen Fall überhaupt ein Termin zur mündlichen Verhandlung notwendig ist, ob nicht etwa ein Fall der fakultativen mündlichen Verhandlung vorliegt, während das Gericht bisher automatisch auf die Ladung 1 Infolgedessen k a n n auch ein V e r s ä u m n i s u r t e i l gegen die die I n i t i a t i v e ergreifende Partei nur dann erlassen werden, wenn bewiesen wird, daß sie zum Termin geladen worden sei oder wenn bei den A k t e n vermerkt ist, daß ihr der Termin bei Einreichung des Antrags mündlich mitgeteilt worden sei, — eine bedeutsame E r s c h w e r u n g des Versäumnisverfahrens (vgl. S t e i n § 497 I V n. 3). 2 N ä m l i c h , wenn nach Beweisaufnahme vor beauftragtem oder ersuchtem Kichter ein neuer Verhandlungstermin herbeigeführt werden soll, — vor allein auch, wenn das Gericht nach Ermessen (fakultative) mündliche Verhandlung anordnet (L.B S. t»12, 613). ·* Etwas vollkommen der neuen Vorschrift Entsprechendes wäre im bisherigen Recht nur dann vorhanden, wenn die Anschauung richtig w ä r e , daß nach kommissarischer Beweisaufnahme oder bei Anordnung fakultativer mündlicher Verhandlung das besetz das „Formale der Ladung" verlangt (so die Motive der alten Z . P . O . , Fitting). Aber die herrschende Praxis hat el)en diese Auslegung nie befolgt (L.B. S. 613, A. 1). 4 Denn die formellen Ladungsworte wurden entweder vom A n w a l t automatisch in die ursprünglichen Schriftätze aufgenommen oder — wenn die Partei persönlich die Klage oder Ladung zu Protokoll gab, — so waren sie i m Vordrucke des amtlichen Formulars enthalten.

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der Parteien die Terminsbestimmung vornahm und die Partei auf ihr Risiko lud 1 . Aber auch dieser Unterschied schmilzt in praxi zusammen, weil Parieiladungen in Fällen, wo eine mündliche Verhandlung nicht obligatorisch ist, kaum vorkämen. Von weit größerer Bedeutung wäre freilich die Neuerung, wenn Satz 2 des § 497 w ö r t l i c h u n d i n v o l l e m S i n n e zu verstehen wäre, nämlich dahin, daß das Gericht von Amtswegen die I n i t i a t i v e nicht nur über die A n s e t z u n g der (von der Partei herbeigeführten) Termine, sondern auch über die H e r b e i f ü h r u n g einer Terminsbestimmung zu üben hätte, — insbesondere in den Stadien des Verfahrens, wo der Prozeß wegen Vereinbarung der Prozeßruhe oder wegen Ausbleibens beider Parteien ruht. Dann wäre die Novelle eine sehr erhebliche Steigerung der Richtergewalt, allerdings eine radikale; denn sie würde damit auf d e dem Richtereinfluß günstigsten Gesetze der älteren Zeit (auf die preußische Bagatellprozeßordnung Coccejis von 1739, auf die badische von 1752) zurückgreifen und über die Maßregeln noch hinausgehen, welche neuere Gesetze, wie die ö s t e r r e i c h i s c h e Z.P.O. von 1895, in dieser Tendenz getroffen haben 2 . Aber solche Absicht liegt dem Gesetz fern. Denn es bleibt durch die Novelle einmal unberührt das Recht der Parteien, einen vom Gericht festgesetzten Termin — sowohl im Landgericht wie im Amtsgericht — zu umgehen, seine Aufhebung oder Verlegung zu vereinbaren und zwar o h n e vom Gericht hieran gehindert werden zu können (§ 227 verb. m. § 224, vgl. L.B. S. 645) Somit können die Parteien das Streben des Gerichts zur Zusammendrängung der Termine durchkreuzen. Außerdem aber hat die Novelle selbst (§ 503) ausgesprochen, daß, wenn in einem Termin zur mündlichen Verhandlung beide Parteien nicht erscheinen, das Verfahren ruht, „bis die Ansetzung eines n e u e n V e r h a n d l u n g s t e r m i n s b e a n t r a g t wird". Hieraus ergibt sich, daß auch die Novelle stets davon ausgegangen sein wissen will, daß die Parteien über das Ob? einer Terminsanberaumung verlügen und das Gericht lediglich, wie bisher, das Wann? festsetzt. Für den Regelfall bedeutet die Wendung: „die Termine sind von Amtswegen zu bestimmen" nur, daß k e i n a u s d r ü c k l i c h e r A n t r a g der Partei auf Terminsfestsetzung erforderlich ist, sondern daß die Erkennbarkeit des Willens, Termine zur mündlichen Verhandlung zu erlangen, genügt; und im Ausnahmefall § 503 wird auch diese Neuerung wieder zurückgenommen. In der Tat ist also die ganze Reform in dieser Materie eine bloße Scheinreform. Das hindert nicht, daß nunmehr in zahlreichen Fällen Zweifel entstehen können, w a n n a u s d r ü c k l i c h e r A n t r a g der P a r t e i (wie in § 503), wann nur E r k e n n b a r k e i t d e r A b s i c h t a u f T e r m i n vom Gericht erfordert werden muß, um eine Ladung vorzunehmen, wann endlich w e d e r A n t r a g n o c h A n r e g u n g der Partei abgewartet zu werden braucht und, wie schon bisher, eine Zustellung des Terminsbeschlusses von Amtswegen (ohne offizielle Ladung, vgl. o. S. 58 Anm. 3) platzgreift. Schon jetzt beginnen sich hier neue Kontroversen |zu bilden 3 . Jedenfalls erstreckt sich die ausd r ü c k l i c h e Offizialladung auf alle Fälle, in denen im Landgericht eine a u s d r ü c k l i c h e Parteiladung erforderlich wäre, also auch auf die Fälle, wo a u s n a h m s w e i s e nach Anberaumung eines Termins durch v e r k ü n d e t e n Beschluß noch eine Ladung zum Termin vom Gesetz verlangt ι Dieser Unterschied betont von S t e i n zu § 497, Nov. S. 80. 2 Bekanntlich ist die österr. Z.P.O. § 134 (in Anlehnung an ältere Partikular-P.O., wie die badische von 1832 § 231 u. a.) nur soweit gegangen, dem Gericht die Prüfung der Gründe einer „Erstreckung" (der Verlegung der Tagsatzungen) zuzusprechen. Vgl. hierüber Richard S c h m i d t , Justizreformen i m alten Baden, bad. Rechtspraxis 1908, S. 229 f. 3 So behauptet z. B. S t e i n , daß die formelle Offizialladung nach § 497 künftig auch auf das A r r e s t g e s u c h für den Fall anzuwenden sei, daß mündliche Verhandlung angeordnet werde. Dagegen n i m m t L e v i n , Jur. Z. 1910 S. ^92 — mit Recht — a n , daß hier die bisherigen Grundsätze der Einleitung einer fakultativen mündlichen Verhandlung fortdauern, — also eine Offizialzustellung" des die Verhandlung anordnenden Beschlusses o h n e f o r m e l l e L a d u n g (vgl. o. S. f>8 Anm. 3) H i e r m i t ist nicht zu verwechseln, daß bei W i d e r s p r u c h gegen den Arrestboschluß, der j a o b l i g a t o r i s c h e mündliche Verhandlung nach sich zieht, eine f o r m e l l e Offizialladung ergeht (o. S. 48).

Grenze zwischen offizieller Ladung u. Terminsbeschluß v. Amtswegen. 55 wird. Dies trifft einmal die erst durch die Novelle selbst neugeschaffenen Fälle, wo in der Verhandlung durch verkündeten Beschluß das p e r s ö n l i c h e Erscheinen der Partei (zu Verhandlungstermin § 141 oder Sühnetermin § 269) angeordnet wird und die Partei zu diesem Termin geladen werden soll (o. S. 40). Vor allem aber greift die Ladung von Amtswegen auch da Platz, wo im Versäumnisfall die erschienene Partei, ohne Versäumnisurteil zu beantragen oder nach Ablehnung des Versäumnisurteils gegen den Säumigen Vertagung beantragt ($ 335, 2). Auch die hierzu ausnahmsweise notwendige neue Ladung des Säumigen besorgt im Amtsgerichtsprozeß der Gerichtsschreiber. Hierdurch schwächt sich der Gegensatz dieses Falles zum regelmäßigen Fall der Ladung bedeutend ab. Bisher hatte ja der Versäumnisf.ill das Eigentümliche, daß e r s t die Terminsbestimmung, dann die Ladung (durch die Partei) erfolgte, während regelmäßig die Parteiladung der Termin^bestimmung vorausging, um erst mit der Terminsnote zugestellt zu werden. K ü n f t i g folgt im A m t s g e r i c h t i n a l l e n F ä l l e n die gerichtliche Ladung der Terminsbestimmung n a c h . Das Besondere des Versäumnisfalls liegt also nur darin, daß die Ladung sich hier an eine Terminsbestimmung in v e r k ü n d e t e m B e s c h l u ß , nicht an eine solche in internem Beschluß anschließt.

§ 97. Formen der Zustellung. (Zu S. 617 ff.).

Im Zustellungswesen tut die Novelle von 1909 einen weiteren Schritt auf dem Wege, den die Z.P.O. bereits in ihrer ursprünglichen Fassung betreten hatte, um das von ihr selbst sanktionierte Prinzip des überwiegenden P a r t e i betriebes abzuschwächen, und der seither schon von der Novelle von 1898 und von der des Jahres 1905 weiter verfolgt worden war. Während aber die früheren Gesetze dem Gedanken des O f f i z i a l b e t r i e b s der Zustellung nur in verhüllter Form oder in Einzelpunkten Zugeständnisse gemacht hatten, biegt die jetzige Novelle in zwei prinzipiellen Fragen offen in das System der Zustellung von Amtswegen ein, nämlich für a l l e Zustellungen von Parteischriften im A m t s g e r i c h t s p r o z e ß (§ 4: 6) 1 und für alle wesentlichen Rechtsmittelschriften auch im Kollegialprozeß 2. Um so m< hr ist es zu beklagen, daß dies auch jetzt nur in Form von A u s n a h m e v o r s c h r i f t e n geschieht und daß die alten Prinzipien als R e g e l η noch immer aufrechterhalten werden, obwohl sie diese Bedeutung nunmehr gänzlich verloren haben. Den Ausgangspunkt für die künftige Auslegung des Gesetzes bildet die Tatsache, daß §§ 166, 167, 198, die an sich best« hen bleiben, durch die neue Fassung des § 496 (Zustellung im Amtsgerichtsprozeß) sowie durch die Neuerungen des § 340 a (Einspruchszu>tellung) und § 518 (Berufungszustellung) eine stark verminderte Bedeutung erhalten. Die ursprüngliche Z.P.O. und die Novelle von 1898 hatten für alle Parteischriftsätze im Amtsgerichtsprozeß und für die not1 Andere Einzelfälle s. bei S t e i n 8 496 I , 1, S. Π8. Die L a d u n g s s c h r i f t e n , die nach dem bisherigen Gesetz dem Prinzipwechsel ebenfalls unterworfen gewesen wären, scheiden aus, da eine Parteiladung i m Amtsgericht durch die Novelle überhaupt wegfällt. a W i e dies die Z.P.O. von Anfang an für die B e s c h w e r d e e i n l e g u n g vorgesehen hatte (§ 569, 1).

IV

Verfahren des

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fristunterbrechenden Parteischriften des Kollegialprozesses (Berufung, Revision, Einspruch, Wiedereinsetzungsgesuch usw.) verordnet, daß der Gerichtsvollzieher mit deren Zustellung im Zweifel nicht durch die Partei direkt, sondern durch den Gerichtsschreiber i n v e r m u t e t e m A u f t r a g der Partei beauftragt werden solle (L.B. S. 619). Der Sache nach bedeutete dies allerdings von Anfang an eine Z u s t e l l u n g von A m t s w e g e n , denn die Fürsorge des Gerichtsschreibers äußerte sich auf Einreichung der Parteischriften nicht anders als auf Erlaß einer von Amtswegen zustellungsbedürftigen Entscheidung (eines nicht verkündeten Beschlusses oder einer solchen Verfügung). Aber die Vermutung des Parteiauftrags an den Gerichtsschreiber hatte noch immer eine dreifache Wirkung. Einmal ließ sie der Partei die Möglichkeit offen, nach ihrem Willen die Zustellung selbst zu bes o r g e n , indem sie dies dem Gerichtsschreiber bei der Einreichung mitteilte. Ferner ließ dies Verfahren in solchen Fällen da, wo, sei es im Kollegialprozeß, sei es im Amtsgerichtsprozeß, Anwälte auf beiden Seiten funktionierten, Raum für die Z u s t e l l u n g von A n w a l t z u A n w a l t (§ 198). Endlich kamen auch auf die Zustellungen, die der Gerichtsschreiber veranlaßte, — eben weil sie als Zustellungen im Parteibetrieb g a l t e n — die Normen über das Verfahren zur Anwendung, die die Z.P.O. für die „Zustellung auf Parteibetreiben" aufgestellt hat (§ 166ff.), — insbesondere die Übergabe durch G e r i c h t s v o l l z i e h e r oder Postboten und die Aufnahme der sollennen Zustellungsurkunde unter Übergabe einer A b s c h r i f t derselben an den Adressaten. Nun aber hatte schon die Novelle 1905 damit begonnen, die Einlegung der R e v i s i o n an die Einreichung der Revisionsschrift bei Gericht zu knüpfen und die Zustellung der Revisionsschrift von A m t s w e g e n obligatorisch auzuordnen (§ 553a, Abs. 2). Dasselbe verfügt jetzt Novelle v. 1909 für den Einspruch (§ 340 a ; o. S. 48) und die Berufung (§ 518; u. S. 67). Weiter aber bestimmt sie ganz allgemein (§ 496) für das A m t s g e r i c h t s verfahren: „Die Zustellungen erfolgen von Amtswegen." Hierdurch wird das Prinzip des Offizialbetriebs extensiv wie intensiv verstärkt. Es ergreift nunmehr im A m t s g e r i c h t s v e r f a h r e n a l l e Parteischriften: Klage, vorbereitende Schriftsätze, Interventionsbeitritt (§ 70), Streitverkündigung (§§ 72, 75), Klagzurücknahme (§ 271) usw., — im Kollegialgerichtsprozeß aber alle ordentlichen Rechtsmittel (Berufung, Revision, Beschwerde) und den Einspruch. Für sie alle aber gilt ferner der Offizialbetrieb k r a f t z w i n g e n d e n R e c h t s , mit anderen Worten, es muß: 1. der Gerichtsschreiber überall v o n R e c h t s w e g e n das Zustellungsorgan beauftragen. Die Partei kann sich den Betrieb der Zustellung nicht mehr mit der Wirkung vorbehalten, daß dem

Erweiterung der Offizialzustellung.

57

Gerichtsschreiber die Sache entzogen wird. § 168 tritt somit außer Kraft. Ferner ist: 2. der Gerichtsschreiber a u s s c h l i e ß l i c h das betreibende Organ. Wo Zustellung von Amtswegen gilt, ist die Zustellung von A n w a l t zu A n w a l t a u s g e s c h l o s s e n , gleichviel ob im Anwaltsprozeß oder im Kollegialgerichtsprozeß. Der § 198 tritt insoweit außer Kraft. — Die Folge ist, daß: 3. überall auch bei Parteischriften die Übergabe an den Zustellungsadressaten nunmehr durch diejenigen Organe und in den Formen bewirkt werden muß, die für „Zustellungen von Amtswegen" im technischen Sinn von § 208 Z.P.O. (Novelle von 1898) festgesetzt worden sind. Der G e r i c h t s v o l l z i e h e r scheidet für die Zustellungen der amtsgerichtlichen Parteischriften und der Rechtsmittelschriften aus, und es tritt — neben dem Postboten bei Zustellungen außerhalb des Gerichtsorts — der Ger i c h t s d i e n e r an seine Stelle (§§211, 212). Ferner erfolgt die Übergabe nach der Form der „ v e r e i n f a c h t e n Z u s t e l l u n g " , d. h. zwar mit Aufnahme einer Zustellungsurkunde, aber ohne Übergabe einer A b s c h r i f t derselben an den Adressaten, sondern lediglich mit Vermerk des Zustellungstags auf dem Briefumschlag des zuzustellenden Schriftstücks (§ 212). Die „Zustellung von Amtswegen", der die ursprüngliche Z.P.O. gar nicht die Ehre einer besonderen Rubrik erwiesen hatte und die auch die Novelle v. 1898 nur als Anhängsel und in viel bescheidenerem Rahmen (in 6 Paragraphen gegenüber 42 Paragraphen über die Parteizustellung) behandelt hatte, wird also nunmehr der numerisch weit überwiegende Anwendungsfall der Zustellung. Obwohl hiermit die „vereinfachte" Zustellung die „sollenne" Zustellung aus dem Felde schlägt, wird dieser Sieg der vereinfachten Form doch dadurch abgeschwächt, daß die im geltenden Recht überhaupt einfachste Form, die der Zustellung von Anwalt zu Anwalt, gleichzeitig aus dem Gebiet des Offizialbetriebs ganz ausgeschaltet wird. Die Novelle sucht dies teilweise dadurch auszugleichen, daß im A m t s g e r i c h t s p r o z e ß , falls der Adressat durch einen A n w a l t vertreten ist, künftig auch bei der Zustellung auf Betreiben des Gerichtsschreibers (durch Gerichtsdiener oder Postboten) an Stelle der Zustellungsurkunde „das mit Datum und Unterschrift versehene schriftliche Empfangsbekenntnis des Anwalts" genügen soll (§ 496, Abs. 4). Es wird also im A m t s g e r i c h t s p r o z e ß d i e Ο f f i z i a l z u s t e l l u n g u n d d i e A n w a l t s z u s t e l l u n g zu e i n e r n e u e n F o r m v e r s c h m o l z e n . Dabei bleibt aber doch bestehen, daß der Hauptgehalt der Anwaltszustellung, die Mitteilung im kollegialen Verkehr sich verflüchtigt, und außerdem wird diese Vereinfachung der Beurkundung für die Zustellungen der R e c h t s m i t t e l - u n d E i n s p r u c h s s c h r i f t e n im Landgerichtsi rozeß und in den höheren Instanzen nicht

aufgenommen.

Die gesteigerte Fürsorgepflicht, die dem Gerichtsschreiber durch das Prinzip der Offizialzustellung auferlegt wird, wirkt naturgemäß weiter. Während nämlich bisher für den Fall einer formell nicht ordnungsgemäßen Zustellung die betreibende Partei das Risiko getragen hatte und bei Rüge des Mangels durch den Gegner im nächsten Termin die Unwirksamkeit des zugestellten Prozeßaktes (der Ladung, Klageerhebung usw.) über sich ergehen lassen mußte, folgt aus § 496, 1 konsequent, daß der Gerichtsschreiber schon v o r dem

58

IV. Verfahren des

echtsstreits.

§

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Termin die von ihm betriebene Zustellung zu überwachen und im F a l l i h r e r U n g ü l t i g k e i t von A m t s w e g e n w i e d e r h o l e n zu l a s s e n h a t 1 . Da die Zustellung der Rechtsmittelschriften nunmehr definitiv aus dem Gebiet der Zustellung im Parteibetrieb ausscheidet, so muß auch der bisherige § 179 Z.P.O., der für diesen Fall ordnet, an welchen Prozeßbevollmächtigten die Zustellung zu erfolgen hat, aus diesem Zusammenhang entfernt und in die Rubrik der „Zustellung von Amtswegen" übertragen werden. Hierdurch ist unter Wegfall von § 179 der neue § 210 a der Nov. entstanden. Sachlich hat dieser nichts geändert. Es bleibt also dabei, daß die Rechtsmittelschrift an den Prozeßbevollmächtigten beim Gericht der angefochtenen Entscheidung, im Notfall an den erster Instanz, nach Wahl aber neben beiden auch an den schon bestellten Prozeßbevollmächtigten des Rechtsmittelgerichts zuzustellen ist. Fehlen alle diese Personen, so tritt der Zustellungsbevollmächtigte oder die Partei selbst an die Stelle.

Für die Zustellung im P a r t e i b e t r i e b bleibt hiernach ein verhältnismäßig enges Gebiet übrig, nämlich im wesentlichen nur : 1. die Klage, die vorbereitenden Schriftsätze, die Ladungsschriften, Interventions-, Streitverkündigungs-, Klagzurücknahnieschriften im L a n d g e r i c h t s p r o z e ß ; 2. die U r t e i l e , soweit sie der Zustellung im Parteibetrieb für Notfristlauf und Vollstreckungsbetrieb nach § 317 verb. m. § 516 usw. und § 750 bedürfen, und zwar bemerkenswerterweise n i c h t n u r im K o l l e g i a l g e r i c h t s p r o z e ß , s o n d e r n a u c h i m A m t s g e r i c h t s prozeß. Diese letztere Ausnahme hat § 496 n. F. ausdrücklich vorbehalten („unbeschadet der Vorschrift § 317 t t ) 2 . Und zwar gilt hier r e i n e r Partei bet rieb, ausd r ü c k l i c h e r Auftrag der Partei au Gerichtsschreiber oder Gerichtsvollzieher oder die Zustellung von Anwalt zu Anwalt. Denn der fingierte Parteibetrieb oder modifizierte Offizialbetrieb der §§ 166, 2, 168, mit anderen Worten die Intervention des Gerichtsschreibers bis a u f G e g e n o r d e r der Partei war schon nach der bisherigen Auslegung des § 168 auf die Zustellung von U r t e i l e n Die anwendbar, und in der Tat gibt jetzt die Novelle selbst für die Auslegung eine indirekte Bestätigung, indem sie in dem neuen § 508, 1 bei V e r s ä u m n i s u r t e i l e n im Amtsgerichtsprozeß a u s n a h m s w e i s e die Intervention des Gerichtsschreibers genau im Sinn des § 168 zuläßt 3 . § 168 ist also für die einzigen Gebiete, für die er bisher Bedeutung hatte, durch den Offizialbetrieb im Amtsgericht und durch die veränderte Behandlung der Rechtsmittelschriften seiner Bedeutung entkleidet worden, mit anderen Worten, er steht nur noch auf dem Papier. Nur auf diesen beschränkten Gebieten (n 1 u. 2) ist künftig * V g l hierüber Levin, Jur. Ζ. 1910 S. 392 2 Selbstverständlich ist dies nicht. Es wurde i m Gegenteil vom Reichstag angeregt, auch die Urteile i m Amtsgericht der Offizialzustellung zu unterstellen. Die Regierung lehnte dies jedoch m i t dem H i n w e i s darauf ab, daß dann Jedes U r t e i l von vornherein an b e i d e Parteien zugestellt werden müsse, eine überflüssige und unnötige Kosten verursachende Vermehrung der Formen (Komm. S. 5">, 5ο). 3 W i e das Versäumnisurteil w i r d anch in diesem Punkte der V o l l s t r e c k u n g s b e f e h l behandelt (8 69')· H i e r m i t ist nicht wohl vereinbar, daß Seuffert zu § 166 n. 3 diese Vermittlungstätiarkeit des Gerichtsschreibers im Amtsgerichtsprozeß noch für a l l e Urteilszustellungen gebraucht wissen w i l l .

Reste des Parteibetriebs im Zustellungswesen.

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noch Raum für die Zustellung des G e r i c h t s v o l l z i e h e r s in Form der s ο 11 en n e η Zustellung durch Aufnahme der Zustellungsurkunde und Übergabe von deren Abschrift an den Adressaten. Nur auf ihnen konkurriert ferner auch künftig mit der Zustellung durch Gerichtsvollzieher und Postboten noch die Zustellung von Anwalt zu Anwalt. So bewahrheitet sich das schon zu Anfang Gesagte (o. S. 55), daß auch in der Regelung des Zustellungswesens von der Novelle nur ein Stückwerk geschaffen worden ist. Indem sie die §§ 166, 167 und 198 unverändert aufrechterhält, erregt sie im unbefangenen Ausleger des Gesetzes die irreführende Vorstellung, als sei noch immer das Prinzip des Parteibetriebes das beherrschende Prinzip des geltenden Zustellungsrechts, und sie macht hierdurch das Gesetz mindestens unübersichtlich l . Aber auch sachlich wird der bisherige Rechtszustand entwertet, vor allem dadurch, daß die bewährte und einfache Form der Z u s t e l l u n g v o n A n w a l t z u A n w a l t im ganzen Amtsgerichtsprozeß und bei allen Rechtsmitteln o h n e N o t a b g e s c h a f f t oder doch zu einer bloßen Unterform der Offizialzustellung des Gerichtsschreibers (S. 57) degradiert w i r d .

§ 99. Aufeinanderfolge der Prozeßhandlungen· (Zu S. 637.)

Zu clen prinzipiell bedeutsamen Sondergestaltungen, durch die die Novelle den Amtsgerichtsprozeß vom Kollegialgerichtsprozeß trennt, gehört auch ein Eingriff in die G l i e d e r u n g des V e r fahrens. Bisher hat die Z.P.O. inuerhalb der zwanglosen Gruppierung des Prozesses, die sie im allgemeinen zum Grundsatz erhoben hat, eiuen letzten Rest fester Reihenfolge beibehalten, nämlich in der Überleitung der V e r h a n d l u n g (Behauptung und Beweisantretung) in die B e w e i s a u f n a h m e . Durch den § 358 wird als Regel vorausgesetzt, daß die Beweisaufnahme „ein besonderes Verfahren", d. h. einen besonderen T e r m i n erfordert, und daß in diesen Fällen (obligatorisch allerdings nur in diesen) der Erlaß eines Beweisbeschlusses eine Zäsur zwischen der Verhandlung und der Beweisaufnahme herstellt. Nur ausnahmsweise, nämlich regelmäßig nur bei Überleitung zum Urkundenbeweis, nur in seltenen Fällen auch bei Zeugen- und Sachverständigenvernehmung und Augenscheinseinnahme, wird die Beweisaufnahme unmittelbar im gleichen Termin an die Verhandlung angeschlossen ; dann erübrigt auch der Beweisbeschluß. Nun schreibt jedoch Novelle § 509 das Verfahren, das bisher als Ausnahme galt, für das A m t s g e r i c h t s v e r f a h r e n als Regel vor : beschließt das Gericht eine Beweiserhebung, so soll die Aufnahme des Beweises, soweit dies tunlich ist, sofort erfolgen, insbesondere 2 Schon für die ursprüngliche Z.P.O. habe ich den Mangel der Systematik hervorgehoben, der darin l a g , daß das Gesetz nicht deutlich genug zum Ausdruck b r i n g t , wie stark das Prinzip des Parteibetriebs durch offizielle Elemente beeinträchtigt ist (Nachtrag zur ersten Auflage S. 49). W e n n S t e i n m i t einem gewissen Recht dem entgegenhält, daß die Z.P.O. doch auch bei Zustellung der Parteischriften durch den Gerichtsscnreiber noch immer die F i k t i o n des Partnibetriebs aufrechterhalte u n d daraus die i m Text bezeichneten Konsequenzen ziehe (Komm, zu § 1ιί8 η. 1), so ist nunmehr auch dieses Argument in sich zusammengefallen, und die Systematik ist j e t z t gänzlich überlebt.

60 IV. Verfahren d. Rechtsstreits. § 99. Aufeinanderfolge. § 100. Termine.

sollen Zeugen und Sachverständige, falls sie zur Stelle sind oder ihre unverzügliche Gestellung möglich ist, sofort vernommen werden. Die Ausführbarkeit, „Tunlichkeit", dieses Verfahrens soll aber vermöge des neuen § 501 dadurch garantiert werden, daß der Amtsrichter schon auf Grund des vorbereitenden Schriftwechsels unter gewissen Bedingungen Zeugen- und Sachverständigenanweisungen und Augenscheinseinnahmen v o r der mündlichen Verhandlung anordnen kann (vgl. o. S. 42). So können Auskunftspersonen und bewegliche Augenscheinsobjekte schon in der mündlichen Verhandlung zur Stelle sein, - was bisher nur in seltenen Fällen, nämlich wenn die Partei die Beweisprrsonen oder -Objekte mitgebracht oder die unverzügliche Herbeischaffung ermöglicht hatte, denkbar war 1 . Wie die Novelle sich in den genannten Fällen die F o r m der Anordnung des Beweises denkt, wird nicht ausgesprochen. Aber offenbar setzt die Novelle auch hier stets den Erlaß eines Beweisbeschlusses voraus, der schon nach den allgemeinen, für Landund Amtsgericht gleichmäßig geltenden Regeln (§ 160) im Protokoll zu beurkunden ist. Sonach läßt die Novelle nunmehr das Prinzip des § 358 fallen, wonach Beweisbeschluß nur dann verlangt wird, wenn die Beweisaufnahme ein „besonderes Verfahren" (den Wechsel des Termins) erfordert.

§ ioo. Termine und Fristen. (Zu S. 644).

Das System der T e r m i n s b e h a n d l u n g ist von der Nov. im Endergebnis nicht geändert worden, obwohl der Regierungsentwurf seine reformatorischen Absichten gerade auf diese Materie in allererster Linie gerichtet hatte. In der Erkenntnis, daß das zu bekämpfende Hauptübel, die Prozeßverzögerung, vor allem durch die zahlreichen, grundlosen Terminsvereitelungen verschuldet werde (L.B. S. 401), hatte er versucht, gegen dies „Vertagungsunwesen" die Strafgebühr des § 48 des Gerichtskostengesetzes in einer neuen Form zu verwenden 2 . Zurzeit kann eine solche Strafgebühr als Voll- oder Teilgebühr nur dann festgesetzt werden, wenn durch „Verschulden einer Partei oder ihres Vertreters" die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines Termins zur Fortsetzung der Verhandlung veranlaßt oder Angriffs- oder Verteidigungsmittel verspätet und verzögerlich vor1 Über diese Fälle L.B. S. C37. Natürlich kann (und soll) auch in diesen Fällen die Beweisaufnahme sofort erfolgen. Die Novelle § 509 deutet in ihrem zweiten Teil sogar i n d i r e k t auf sie h i n : es „sollen Zeugen und Sachverständige, falls sie zur Stelle sind oder ihre unverzügliche Gestellung möglich ist, sofort vernommen werden". S 509 bezieht sich also nicht n u r auf die Maßregel des § 501 zurück (Beer. d. g 39; vgl. S t e i n zu § 509,

S. 108).

2 Vgl. hierüber die sehr beachtenswerten und gründlichen Erörterungen der Reg.· Begr. S. 49ff und K o m m -Ber. S 72 Es wurde festgestellt, daß 1903 bei den Amtsgerichten 19.2%, bei den Landgerichten 4ö, J/u der Prozesse länger als sechs Monate gedauert hatten. 29,47%> der amtsgerichtlichen, 3ti,51 % der landgerichtlichen Prozesse beanspruchten mehr als.sechs T e r m i n e , manche Amtsgerichtssachen 42, manche Landgerichtssachen 46 Termine.

Terminsvereitelung.

Versuch zur Ausdehnung der Strafgebühren.

61

gebracht worden sind. Erfahrungsgemäß wird aber hiervon nur selten Gebrauch gemacht. Der Reg.E. gab deshalb dem § 48 eine veränderte Fassung dahin, daß er die Voraussetzungen der Strafgebühren zu erleichtern suchte. Die Strafgebühr sollte ohne weiteres dann verwirkt werden, wenn in einem Rechtsstreit innerhalb derselben Instanz mehr als vier, in einem Rechtsstreit mit Beweisaufnahme mehr als sechs Termine zur Verhandlung über die Hauptsache anberaumt werden. Um unbillige Häufungen von Gebühren zu vermeiden, sollte bei den fünf bzw. sieben Terminen ein Termin, in welchem Versäumnisurteil erlassen worden, ein Termin, der von Amtswegen verlegt oder vertagt oder ein offenkundig von den Parteien nicht verschuldeter Termin nicht mitgerechnet werden 1. Im übrigen war beabsichtigt, daß die Gebühren nicht abgesondert, sondern mit den sonstigen Gebühren von der unterliegenden Partei erhoben werden sollten — eventuell unter Kostenseparation nach § 95 Z.P.O. von der s i e g r e i c h e n Partei, wenn sie durch Säumnis den neuen Termin verschuldet hatte, — unter der besonderen Bedingung des § 102 Z.P.O. von dem grob schuldhaften V e r t r e t e r der Partei, auch dem Rechtsanwalt. Bedauerlicherweise gab die Kommission des Reichstags dem Vorschlag nicht ihre Zustimmung. Die während der Vorbereitung der Nov. angesammelte oppositionelle Stimmung in den Kreisen der Anwälte (o. S. 4) fand gerade in diesem Punkte einen Hebel des Angriffs, obwohl in der Kommission, wie billig, anerkannt werden mußte, daß gerade die Erweiterung des § 48 nicht den gemißbilligten „fiskalischen" Rücksichten entsprungen sei und daß die Mißstände der häufigen Vertagungen nicht zu beschönigen seien, obwohl auch tatsächlich angesehene Anwälte dem § 48 die Berechtigung nicht abgesprochen hatten 2 . Die Neuerung wurde mit vagen, allgemeinen Wendungen, wie dem Hinweis auf den „bureaukratischen Charakter" der Vorschrift, zu Falle gebracht. So hat das Verhängnis gewollt, daß die leidenschaftliche Polemik der Anwaltschaft die wahrhaft schädlichen, prinzipiellen Neuerungen der Nov., die Verschiebung der Amtsgerichtskompetenz, und ihre wertlosen, die Veränderung des Amtsgerichtsverfahrens, nicht hat 1 Die Begr. n a h m an, ein Verschulden der Parteien sei besonders dann ausgeschlossen, wenn die Anberaumung des Termins durch eine unrichtige Behandlung der Sache Seiten des Gerichts veranlaßt worden oder wenn das Gericht die Wiedereröffnung einer schon geschlossenen Verhandlung angeordnet habe. Der E n t w . rechnete außerdem m i t der weiteren Geltung des § 0 G.K G.. der dem Gericht die N i e d e r s c h l a g u n g der Gebühren wegen unrichtiger Behandlung der Sache Seiten des Gerichts eröffnet. Die Regelung der Frage, welche Termine bei der zulässigen M a x i m a l z a h l mitzurechnen seien, welche nicht, ließ allerdings manchen Zweifel offen. Aus der ausdrücklichen Ausschaltung des Versäumnistermins ließ sich w o h l arg. e contr. folgern, daß z. B. der Termin zur Erledigung eines bedingten Endurteils mitzurechnen sei (Begr. S. 53). Aber die von der Begr. als selbstverständlich angenommene Auslegung, daß die Termine des v o r b e r e i t e n d e n V e r f a h r e n s n i c h t mitzurechnen seien, hätte ebenfalls ausdrücklich ausgesprochen werden müssen. Denn das Argument der Begr., daß sie k e i n e V e r h a n d l u n g s t e r m i n e seien, trifft nicht zu. I h r e Besonderheit liegt lediglich darin, daß sie eine mündliche Verhandlung unter Aufgabe des U n m i t t e l b a r k e i t s p r i n z i p s darstellen (L.B. S. 450). Der E. hätte also, u m sie auszuschalten, als mitzuberechnende Termine ausdrücklich nur die zur mündlichen Verhandlung v o r d e m e r k e n n e n d e n G e r i c h t bezeichnen müssen. 8 So bereits Hachenburg auf dem Mannheimer A n w a l t s t a g unter dem Vorbehalt gewisser Änderungen der Entwurfsbestimmung.

62

IV. Verfahren des

echtsstreits.

§ 1 .

e n e

rte.

aufhalten können, und daß sie umgekehrt eine der wenigen gesund gedachten Vorschriften der Nov. verhindert hat. Allerdings ist dabei nicht zu verkennen, daß das Übel der Terminsvereitelungen auch von dem neuen § 48 nicht an der Wurzel gefaßt worden wäre. Um ihm wirksam entgegenzuarbeiten, könnte allein eine prinzipielle Umgestaltung der Anwaltschaft helfen. Die häufigen Vertagungen werden ganz zweifellos, wie die Anwälte mit Recht betonen, nur zu einem Teil durch Saumseligkeit und ungenügende Zeit- und Geschäftsdisposition der Anwälte verschuldet. Zum großen Teil erwachsen sie mit Notwendigkeit aus der Geschäftsüberlastung der Anwälte an den größeren Gerichtsorten; diese aber ist dadurch bedingt, daß ganz regelmäßig alle Anwälte eines Landgerichtsorts z u g l e i c h bei dem A m t s g e r i c h t u n d dem L a n d g e r i c h t z u g e l a s s e n s i n d (L.B. S. 225 Anm. 1, 229). So ist es selbst bei großer Rührigkeit des Anwalts nicht zu vermeiden, daß er an Termintagen, wo er zu einer Landgerichtsverhandlung erscheinen soll, beim Amtsgericht des Orts oder bei einem Amtsgericht der Umgebung beschäftigt ist. Das unausgesetzte Hin und Her begünstigt außerdem die Oberflächlichkeit und Ruhelosigkeit des Betriebs, die häufigen Substitutionen eines schlecht oder gar nicht orientierten Kollegen. Gerade die Erweiterung der Amtsgerichtskompetenz im Sinn der Nov., die die Praxis der Anwälte am Amtsgericht einträglicher zu machen verspricht, hätte die Gelegenheit gegeben, hier abzuhelfen und grundsätzlich die Zulassung des Anwalts nur am Amtsgericht oder nur am Landgericht, also die o r g a n i s a t o r i s c h e S o n d e r u n g d e r A m t s - u n d L a n d g e r i c h t s a n w a l t s c h a f t nach dem Muster der land- und oberlandesgerichtlichen Anwälte durchzuführen, so wie es der ursprüngliche Entwurf der Rechtsanwaltsordnung von Anfang an beabsichtigt hatte (L.B. S. 225). Diese Gelegenheit ist aber gänzlich versäumt worden, und die Gesetzgeber haben auch hier ihre Unfähigkeit bewiesen, die notwendige Reform des Gerichtsverfahrens in der Wechselbeziehung ihrer Grundgedanken zu überschauen1. (Zu S. 646.)

An dem F r i s t e n s y s t e m der Z.P.O. ändert die Novelle nichts. Sie greift nur in manche Einzelregeln über die Zwischenund Ausschlußfristen ein, im allgemeinen mit der Tendenz der Abkürzung der Fristen, also auch hier mit der Tendenz der Prozeßbeschleunigung. Die bedeutsamste Fristkürzung ist die Herabsetzung der E i n s p r u c h s f r i s t i n A m t s g e r i c h t s s a c h e n auf eine Woche (§ 339 verb. m. § 508, Abs. 2; vgl. o. S. 48). 1 Vgl. eingehender über diesen P u n k t der Reform, — neben der o. S. 15 berührten Frage der Umgestaltung des v o r b e r e i t e n d e n V e r f a h r e n s , den H a u p t p u n k t der künftigen Gesundung der Rechtspflege — Richard Schmidts Aufsatz über die Zivilprozeßreform in der Zeitscnr. f Politik 1 S 272. I m gleichen Sinn W e i ß l e r , Die Amtsgerichtsanwaltschaft der K > r n der Anwaltsfrage, Jur. Z. ly05 S. 702, und A d v o k a t u r und Prok u r a t u r , ebenda 1907 S. 259.

Terminsverzögerungen.

Einlassungsfrist.

63

Die E i n l a s s u n g s f r i s t behält im Prinzip ihre Dauer. Sie beträgt nach der bisherigen Z.P.O. für L a n d g e r i c h t s S a c h e n ein für allemal zwei Wochen (§ 262), in A m t s g e r i c h t s s a c h e n ist sie doppelt abgestuft: e i n e W o c h e , wenn die Zustellung der Klage a u ß e r h a l b des B e z i r k s des P r o z e ß g e r i c h t s , — d r e i Tage, wenn die Zustellung i m B e z i r k des P r o z e ß g e r i c h t s stattfindet (§ 498, — abgesehen von Meß- und Marktsachen, in denen die Einlassungsfrist in Land- wie in Amtsgerichtssachen gleicherweise 24 Stunden beträgt). Außerdem ist für W e c h s e l s a c h e n i n L a n d - w i e i n A m t s g e r i c h t s s a c h e n eine dreifache Abstufung vorgenommen: e i n e Woche, wenn die Zustellung der Klage außerhalb des Bezirks des Landgerichts erfolgt, welches Prozeßgericht ist oder dem erkennenden Amtsgericht übergeordnet ist, — drei Tage, wenn die Zustellung an einen Ort im Landgerichtsbezirk außerhalb des S i t z e s des Prozeßgerichts, — vierundzwanzig Stunden, wenn sie am Sitz des Prozeßgerichts vorgenommen werden soll (§604). Diese Abstufungsmethode hat nun unter gewissen lokalen und gerichtsorganisatorischen Bedingungen zu Mißständen geführt, da nämlich, wo eine Stadt allein oder in Verbindung mit ihren Vororten in verschiedene selbständige Gerichtsbezirke eingeteilt worden ist, während der S i t z der Gerichte sich durch die lokale Zugehörigkeit zur Ortschaft als ein e i n h e i t l i c h e r darstellt. Hier, insbesondere in Berlin, Hamburg usw. muß nach dem bisherigen Recht die Zustellung in derselben Stadt oft an nahe benachbart gelegenen Punkten derselben, mit längerer oder kürzerer Einlassungsfrist erfolgen, jenachdem die Wohnung des Beklagten außerhalb oder innerhalb desjenigen der mehreren Bezirke liegt, zu dem die Streitsache gerade gehört. Novelle §§ 499, 604 sieht deshalb vor, daß in allen A m t s g e r i c h t s s a c h e n und in allen land- oder amtsgerichtlichen Wechselsachen sich die Dauer der Einlassungsfrist nicht in erster Linie nach dem G e r i c h t s b e z i r k bemißt, sondern n a c h d e r O r t s c h a f t , welche den Sitz des Gerichts oder den Gerichtsbezirk umschließt. Nach diesem Prinzip wird: a) für die A m ts ge r i ch tss a c l i e n ü b e r h a u p t die Stufe der kürzeren ( d r e i t ä g i g e n ) Einlassungsfrist im Gegensatz zur längeren ( e i n w ö c h i g e n ) abgegrenzt durch alle Fälle, wo die Zustellung an einem Ort erfolgt, der Sitz des Prozeßgerichts ist oder im Bezirk des Prozeßgerichts liegt oder von dem ein Teil zu diesem Bezirk gehört 1 (§ 499 n. F.). Entsprechend werden: b) für die land- und amtsgerichtlichen W e c h s e l s a c h e n die b e i d e n Stufen der kürzesten ( v i e r u n d z w a n z i g s t ü n d i g e n ) und kürzeren ( d r e i t ä g i g e n ) Einlassungsfrist abgegrenzt. Die erstere Gruppe um faßt nun alle Fälle, wo die Klage an dem Ort, der Sitz des Prozeßgerichts ist, — die zweite alle Fälle, wo die Klage an einem anderen Ort zugestellt wird, der im Bezirk des Prozeßgerichts, oder, falls dieses ein Amtsgericht ist, im Bezirk des dem Amtsgericht übergeordneten Landgerichts liegt oder von dem ein Teil zu diesem Bezirk gehört. Die Tragweite dieser Bestimmungen wird noch dadurch gesteigert, daß die Novelle in Art. V dem Bundesrat die Befugnis erteilt, in konkreten Fällen zu bestimmen, daß b e n a c h b a r t e O r t e im Sinne der §§ 499, 604 als ein Ort anzusehen sind, insbesondere V o r o r t e einer Großstadt, die an sich selbständige Gemeinden darstellen. Die Wirkung dieser beiden No^ellenvorschriften ist also die, daß die Zahl der. Klagefälle mit kürzester oder kürzerer Einlassungsfrist vermehrt wird, im speziellen, daß alle amtsgerichtlichen und alle Wechselklagen im ganzen Umfang von G r o ß - B e r l i n (vgl. über dessen Sprengeleinteilung L.B. S. 243) mit kürzerer Frist zum Termin verhandlungsreif gemacht werden können. Anderseits werden die Fristanforderungen nach der Novelle mittelbar dadurch strengere, daß das Prinzip der Ladung b e i d e r Parteien von A m t s · 1 Bei dieser Alternativfassung bezieht sich die zweite Voraussetzung auf den bisher allein berücksichtigten F a l l , wo ein Amtsgerichtsbezirk m e h r e r e O r t s c h a f t e n (Kleinstädte und Dörfer) umfaßt, die erste auf den bisher n i c h t berücksichtigten, daß eine und dieselbe Ortschaft (Großstadt) m e h r e r e A m t s g e r i c h t s b e z i r k e einschließt.

64

IV. Verfahren des Rechtsstreits.

§ 100. Termine und Fristen.

w e g e n (§ 497; o. S. 53) dazu nötigt, künftig auch dem K l ä g e r gegenüber die Ladungsfrist (§ 217) zu wahren, während bisher, wenn auf Betrieb des K l ä g e r s der Beklagte ordnungsgemäß geladen worden war, der Kläger ipso iure zu diesem Termin a l s g e l a d e n g a l t 1 . Die neuen Vorschriften der Novelle über die W i e d e r e i n s e t z u n g (§ 235 ff.) bedeuten keine Änderung der Grundsätze über diesen Rechtsbehelf, weder in dem Sinne, daß die Möglichkeit, die Verlängerung einer versäumten Notfrist aus besonderen Gründen herbeizuführen, wie sie der Partei mit der Wiedereinsetzung gewährt wird, erleichtert, noch, daß diese Möglichkeit eingeschränkt würde. Die Vorschriften der Novelle sind lediglich Änderungen der äußeren Form, notwendig geworden durch die veränderten Grundsätze über die Formalien der notfristgebundenen Rechtsmittel (vgl. deshalb dort; u. S. 68). (Zu S. 651.)

Eine weitere zeitliche Zusammendrängung der Prozesse erstrebt die Novelle dadurch, daß sie den Kreis der Streitsachen erweitert, auf deren Erledigung die G e r i c h t s f e r i e n keinen Einfluß äußern sollen. Einmal werden die Sachen vermehrt, die um i h r e r b e s o n d e r e n N a t u r w i l l e n sowohl im Land- wie im Amtsgerichtsprozeß k r a f t G e s e t z e s Feriensachen sind 2 . Außerdem aber wird allgemein: 1. dem A m t s g e r i c h t zur Pflicht gemacht, j e d e Sache als Feriensache zu bezeichnen, bei der der Kläger es b e a n t r a g t . Nur gilt dieser Beschluß endgültig bloß für die Fälle, wo es zu Anerkenntnis oder Versäumnis des Beklagten kommt. Er ist wieder aufzuheben, wenn in einem Termin zur mündlichen Verhandlung einander widersprechende Anträge gestellt werden, außer wenn die Sache besonderer Beschleunigung bedarf (§ 202, Abs. 3 G.V.G.)8. 2. Das L a n d g e r i c h t o d e r h ö h e r e G e r i c h t soll (wie bisher) andere Sachen als die gesetzlichen nur dann als Feriensachen bezeichnen, wenn sie besonderer Beschleunigung bedürfen (§ 202, Abs. 4). Allgemein werden die Ferien einflußlos auch auf das I v o s t e n f e s t s e t z u n g s v e r f a h r e n (wie bisher auf das Mahnverfahren und die Zwangsvollstreckung; G.V.G. § 204 n. F.). §

IO3--IO6.

Prozeßvoraussetzungen. (Zu S. 606.)

Von Anfang an hatte die Z.P.O. die allgemeine Wirkung der begründeten Prozeßmängel, die Abweisung der Klage durch End1 2

V g l . S t e i n zu § 499, 2. Es werden den Streitigkeiten zwischen Dienstherrschaft und Gesinde, zwischen Arbeitgeber und Arbeitern, den Streitigkeiten der gewerbegerichtlichen Zuständigkeit (Gewerbegerichtsges. von 1901, § 4, 1, n. 1—4) gleichgestellt die Streitigkeiten, die nach § 5 , n. 1—4 des Kaufmannsgerichtsgesetzes von 1904 zur Zuständigkeit der Kaufmannsgerichte gehören. — beide Kategorien für den Fall, daß diese Streitsachen nach Lage der Verhältnisse vor die o r d e n t l i c h e n Gerichte gelangen (§ 202, n. 4a n. F.). Neu hinzu kommen Ansprüche aus außerehelichem Beischlaf (§ 202, n. 4 b). Außerdem haben aber auch — unabhängig von G.V G. und der Novelle — die gesetzliche Feriensachenqualität erlangt die Ansprüche aus dem Scheckverhältnis (Scheckges. 11. März 1908, §28) und die Streitigkeiten wegen elektrischer AnJagen (R.Ges. 6. A p r i l 1892, § 13). 3 H i e r n a c h kann der B e k l a g t e durch einfachen "Widerspruch gegen die Klage erreichen, daß der Streitsache die Ferienqu alitât wieder genommen wird. Auch hier zeigt sich wieder die zaghafte A r t der NoveUe ( D i t t e n b e r g e r , S. 11).

Verfahren bei sachlicher und örtlicher Unzuständigkeit.

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urteil herbeizuführen, aus Rücksichten der Vereinfachung, der Form- und Zeitersparnis, gemildert. Insbesondere sollte, wenn sich die s a c h l i c h e U n z u s t ä n d i g k e i t des Gerichts herausstellte, k e i n e Klagabweisung, die die Erhebung einer neuen Klage beim zuständigen Gericht nötig gemacht haben würde, sondern unmittelbar Urteil auf Verweisung der Amtsgerichtssache vom Landgericht an das zuständige Amtsgericht (§ 276) oder der Landgerichtssache vom Amtsgericht an das Landgericht erfolgen (§ 505). Die Novelle erweitert nunmehr die Pflicht des Ämtsgerichts, statt abzuweisen nur zu verweisen, auch auf die Fälle, wo sich ein Amtsgericht a n d e r n S p r e n g e i s a l s das ö r t l i c h z u s t ä n d i g e e r w e i s t . Zugleich soll die Verweisung sowohl bei sachlicher wie bei örtlicher Unzuständigkeit nur durch Bes c h l u ß , nicht mehr durch Urteil erfolgen. Mit dor letzten Neuerung verallgemeinert die Novelle eine einfachere Form, die bereits die Novelle von 1898 für den Spezialfall eingeführt hatte, daß das ursprünglich sachlich zuständige Amtsgericht erst nach der Klageerliebung unzuständig geworden war, weil durch Widerklage, Klageerweiterung oder Zwischenfeststellungsklage ein über die Kompetenzgrenze gehender Anspruch rechtshängig geworden war. Der § 507, der diesen Fall behandelt, wird deshalb von der jetzigen Novelle nur als eine Spezialisierung des allgemeinen § 505 n. F. behandelt und danach neu redigiert. Für alle Fälle gemeinsam gilt, daß der Verweisungsbeschluß nicht anfechtbar ist, daß er die konstitutive "Wirkung äußert, die Anhängigkeit der Streitsache bei dem neuen Gericht zu begründen (L.B. S. 743) und daß er dieses Gericht bindet (§§ 505, 2; 506, 2) 1 . (Zu S. 679.)

Anderseits ist die Materie der Prozeßvoraussetzungen die einzige, bei der die Novelle im Gegensatz zu ihrer sonstigen Tendenz die festen Formen zu verflüchtigen, eine geringe Steigerung des formalen Prozeßrechts i m A m t s g e r i c h t s v e r f a h r e n bewirkt. Das strenge Reihenfolge- und das Eventualprinzip, das für die prozeßhindernden Einreden im Kollegialgerichtsverfahren uneingeschränkt gilt, insofern jede k r a f t G e s e t z e s vor d e r V e r h a n d l u n g z u r H a u p t s a c h e und mehrere Einreden g l e i c h z e i t i g i n e v e n t u m vorgeschützt werden müssen, gilt für den Amtsgerichtsprozeß im Zweifel nicht. Nur für die Einrede der örtlichen und sachlichen Unzuständigkeit wurde es bisher von § 504 auch hier verwendet. Jetzt erstreckt die Novelle die Ausnahme auch auf die Einrede, daß die E n t s c h e i d u n g des R e c h t s s t r e i t s d u r c h S c h i e d s r i c h t e r zu e r f o l g e n h a b e , in dem Sinn, daß mit der Verhandlung zur Hauptsache oder mit der ausschließlichen Vorschützung einer anderen prozeß1 Verschieden in beiden Fällen ist. daß im Fall einer von vornherein begründeten örtlichen oder sachlichen Unzuständigkeit die Verweisung nur auf A n t r a g des K l ä g e r s — im Spezialfall auf A n t r a g e i n e r von beiden Parteien eintritt. S t e l l t sich heraus, daß im F a l l § 505 statt des (Berichts der Klage m e h r e r e andere Gerichte örtlich zuständig sind, so hat der Kläger zu wählen, an welches von ihnen die Verweisung erfolgen soll.

R i c h a r d S c h m i d t , Lehrbuch d. Zivilprozoßrechts. 2. Aufl. Nachtrag.

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§ 110—113.

Rechtsschutzbedingungen.

hindernden Einrede die Einrede des Schiedsgerichts verwirkt wird Im übrigen bleibt es bei der freien Gliederung des Verfahrens über die Prozeßvoraussetzungen. Sie wird nur durch das Ermessen des Amtsrichters eingeschränkt, a b g e s o n d e r t e V e r h a n d l u n g über die Einrede im einzelnen Fall anzuordnen (§ 504, Abs. 3).

§ ho—113. Rechtsschutzbedingungen· (Zu L.B. S. 717, 718.)

Beim Nachweis des Interesses am Rechtsschutz schallt die Novelle § 510 b dem Kläger in einem typischen Sonderfall eine Erleichterung, indem sie eine schon von Novelle v. 1898 (§ 255) für a l l e Prozesse getroffene Neuerung für den A m t s g e r i c h t s p r o z e ß weiter entwickelt. Es betrifft den Fall, wo der Kläger hinter der primär von ihm einzuklagenden Naturalerfüllung seines Anspruchs, insbesondere hinter der Lieferung der Ware oder Kaufsache, auf eine E n t s c h ä d i g u n g s l e i s t u n g des Schuldners reflektiert. § 255 hatte dem Berechtigten für solchen Fall gestattet, bereits in der Klage auf Erfüllung die Bestimmung einer Frist durch das Gericht zu beantragen. Gleichzeitig aber durfte er für den Fall, daß binnen der bestimmten Frist nicht geleistet werde, von v o r n h e r e i n mit der Klage auf Erfüllung auch die Klage auf Schadensersatz ohne Nachweis eines Interesses verbinden. Der neue § 510b gestattet dem Kläger nun i m A m t s g e r i c h t s p r o z e ß auch da, wo er z u n ä c h s t nur auf Erfüllung geklagt hat, i m L a u f des Prozesses und d u r c h f o r m l o s e n A n t r a g die Fristsetzung und eventuell die Verurteilung zur Entschädigungsleistung zu beantragen. Allerdings wird diese große Freiheit dem Kläger bloß unter einer doppelten Beschränkung eingeräumt: a) Nach § 510 b „kann" im Falle solchen Antrags die Verurteilung des Beklagten zugleich auf Entschädigung lauten. Die Berücksichtigung des Antrags steht also im r i c h t e r l i c h e n E r m e s s e n , — abgesehen davon, daß der Amtsrichter, wie er schon nach § 287 darf, auch die H ö h e der Entschädigung nach freiem Ermessen festsetzt. Die Abhängigmachung des Klägers vom Ermessen des Gerichts schwächt die Neuerung im Hauptgedanken ab, insofern derartige Normen über die Bedingungen des „Rechtsschutzes" gerade darin ihre rechtspolitische Bedeutung finden, daß sie dem Bürger unter gewissen Bedingungen eine b e s t i m m t b e r e c h e n b a r e Anwartschaft auf Rechtsschutz gewähren 2 . b) § 510b wird ferner durch den neuen § 888a ergänzt, wonach der Kläger durch den Antrag auf E n t s c h ä d i g u n g die V o l l s t r e c k u n g 1 Vgl. die Bedenken S t e i n s S. 95, w a r u m gerade hier die Steigerung der Präklusivbehandlung angemessen sei. I n der T a t besteht gar kein Interesse, die nachträgliche Übertragung einer Streitsache vom staatlichen Gericht an ein Schiedsgericht zu e r s c h w e r e n , wie es Nov. t u t , indem sie die V e r w i r k u n g der Schiedsgerichtseinredo e r l e i c h t e r t . I m Gegenteil sollte das Gesetz im Interesse der Entlastung der ordentlichen staatlichen Gerichte zugunsten von Lokalorganen (verl. o. S. 49) auch das Schiedsgericht b e f ö r d e r n . · 2 Vgl. Richard S c h m i d t , Der Prozeß und die staatsbürcerl. Rechte S. 40 und die dort angezogenen Zitate.

Abgekürzte Form der Versäumnis- und Anerkenntnisurteile.

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der prinzipalen A'erurteilung zur pfiichtmäßigen Handlung selbst (nach §§ 887, 888) verwirkt. Dies trifft freilich nur die Vollstreckung solcher Ansprüche, die auf Handlungen gerichtet sind, welche der Kläger im Fall der Nichterfüllung von einem Dritten vornehmen lassen oder durch Zwangsstrafen vollstrecken lassen muß. Ist der Anspruch auf Herausgabe beweglicher und unbeweglicher Sachen gerichtet, so greift die Beschränkung des § 510 b nicht Platz. Die hier nach § 883 eintretende Vollstreckung kann also vom Kläger vor der Geldvollstreckung des Schadensersatzes betrieben werden, auch wenn er seinen Antrag auf den letzteren nachgeschoben hat 1 . Innerlich gerechtfertigt ist es auch für die Fälle § 887—888 nicht, daß das Gesetz die Vollstreckung der Naturalleistung einengt. Es ist unverständlich, daß der Kläger sie ei wirkt, noch ehe die Frist für deren Vornahme gesetzt ist 2 .

§ II6. Arten und Formen der Entscheidungen. (Zu L.B. S. 726).

Die Novelle gestattet, um die redaktionelle Tätigkeit des Gerichts bei der Abfassung der Urteile zu entlasten und auch auf diesem Wege zur Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens beizutragen, eine a b g e k ü r z t e Form der Urteilsredaktion in einfachen Fällen, nämlich beim A n e r k e n n t n i s und beim V e r s ä u m n i s u r t e i l . Obwohl dies an sich nur die ä u ß e r e Form, nicht die innere Funktion des Urteilsakts berührt, hat die Neuerung doch prinzipielle Bedeutung, denn sie erklärt bei den genannten Urteilen T a t b e s t a n d , E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e , Bezeichnung der mitwirkenden Richter und unter Umständen der Parteien und ihrer Vertreter für entbehrlich (§ 313, Abs. 3). Nun ist aber Tatbestand und Begründung gerade das Element, wodurch sich nach § 313 bisher allein das Urteil sowohl als End- wie als Zwischenurteil von den Beschlüssen und Verfügungen unterschied. Die Trennung der gerichtlichen Dekrete nach der Form, schon bisher eine b l o ß formelle, weil der I n h a l t des Zwischenurteils und des Beschlusses kein verschiedener zu sein braucht (L.B. S. 727), wird damit vollständig preisgegeben. Das Urteil verliert nunmehr das zwingende Erfordernis der Sollennität. Es gibt künftig Urteile, die formloser sind als die meisten Beschlüsse. Die abgekürzte Form des Urteils wird auf diejenigen Versäumnis- und Anerkenntnisurteile eingeschränkt, die auf Antrag des K l ä g e r s ergehen 8 und die in jeder Hinsicht n a c h dem A n t r a g ergehen, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellt hat 4 . Sie besteht darin, daß das Urteil 1 Anders S t e i n zu § 510b (S. I I I ) . Kr w i l l Sinn und Tragweite des 8 510b von vornherein aus $ 888 a der Novelle ergänzt wissen. Danach hätte'also § 510 b überhaupt n u r die Ansprüche auf Vertretbare oder höchst persönliche Handlungen m i t A u s s c h l u ß d