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German Pages 131 Year 2009
Schriften zu Kommunikationsfragen Band 47
Legitimation und Limitierung von Onlineangeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Konzeption der Kommunikationsverfassung des 21. Jahrhunderts
Von
Hubertus Gersdorf
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
HUBERTUS GERSDORF
Legitimation und Limitierung von Onlineangeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Schriften zu Kommunikationsfragen Band 47
Legitimation und Limitierung von Onlineangeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Konzeption der Kommunikationsverfassung des 21. Jahrhunderts
Rechtsgutachten im Auftrag der Stiftervereinigung der Presse e.V.
Von
Hubertus Gersdorf
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4239 ISBN 978-3-428-13023-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort „Wer nicht online geht, wandert ins Museum“ (Markus Schächter). Eine Internetpräsenz ist nicht nur für den etablierten Kreis der Rundfunkveranstalter und der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, sondern für die gesamte Informationsgesellschaft unverzichtbar. Da Rundfunk und Presse durch unterschiedliche Ordnungsprinzipien gekennzeichnet sind, stoßen im Internet zwei Welten aufeinander. Welche Welt gilt im Internet? Und insbesondere: Darf es oder muss es öffentlich-rechtliche Angebote auch im Internet geben? Und welche Voraussetzungen bestehen hierfür? Die vorliegende Untersuchung im Auftrag der Stiftervereinigung der Presse e. V. widmet sich diesen Fragen. Eine Antwort auf diese Fragen kann nur dann gefunden werden, wenn man grundrechtstheoretischen Boden betritt. Die Konzeption des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als „dienende Freiheit“ ist Chiffre zur Legitimation eines umfassenden Onlineengagements des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Diese Konzeption trägt den grundlegenden Änderungen der modernen Informationsgesellschaft, in der Medien-Freiheiten Jedermann-Freiheiten sind, nicht Rechnung. Sie besitzt auch keine Anschlussfähigkeit an die europarechtliche Grundrechtsdogmatik, die „dienende (Medien-)Freiheiten“ nicht kennt. Erforderlich ist eine (Wieder-)Belebung des individualrechtlichen Kerns der grundrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit, ohne dabei den – auf Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt gerichteten – objektiv-rechtlichen Gehalt des Grundrechts zu negieren. Nach Maßgabe der gebotenen (Neu-)Konzeption der grundrechtlichen Kommunikationsverfassung ist eine Vollversorgung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Internet von Verfassungs wegen unzulässig. Gebührenfinanzierte Onlineangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind nur zulässig, wenn sie im Vergleich zu den Angeboten Privater einen (quantitativen oder qualitativen) kommunikativen Mehrwert begründen. Darüber hinaus sind besondere Vorkehrungen der Vielfaltsicherung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk notwendig. Semistaatliche Organisationsstrukturen – wie beim ZDF – rechtfertigen kein (Gebühren-)Privileg. Rostock/Berlin, November 2008
Hubertus Gersdorf
Inhaltsverzeichnis A. Gegenstand und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Bedeutung des Internet in der Informationsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Internet als „Mitmach-Netz“: Massenkommunikation als (Jedermann-) Kommunikation für und durch die Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutungszuwachs des Internet in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Technologisches Umfeld: Rasanter Anstieg von Festnetz- und mobilen Breitbandanschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Verfassungsrechtliche Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kardinalfrage: Von welchem Verständnis der Massenkommunikationsgrundrechte geht man aus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Massenkommunikationsgrundrechte als Funktionsgrundrechte: Konzeption – offene Fragen – Auswirkungen auf die Legitimation öffentlichrechtlicher Onlineangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Massenkommunikationsgrundrechte als „dienende Freiheiten“ . . . . . . . 2. Kein Raum für die Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wahlfreiheit des Gesetzgebers bei der Entscheidung für ein Modell der Medienordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strukturelle Defizite des Marktmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Informationsasymmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Externe Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Konzentration durch Skalen- und Verbundvorteile . . . . . . . . . . . dd) Nicht-Ausschließbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fazit: Öffentlich-rechtliches Integrationsmodell als zulässige Organisationsform der Massenmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Dogmatische Unterbelichtung des Grundsatzes der Neutralität des Staates im Kommunikationsprozess: Rechtfertigungsbedürftigkeit einer gebührenfinanzierten Vollversorgung durch öffentlich-rechtliche Medienunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz der Neutralität des Staates im publizistischen Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gebührenfinanzierte Vollversorgung durch öffentlich-rechtliche Medienunternehmen als staatliche Beeinträchtigung des publizistischen Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gebührenfinanzierte Grundversorgung durch den öffentlichrechtlichen Rundfunk als Vollversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8
Inhaltsverzeichnis bb) Gebührenfinanzierte Vollversorgung öffentlich-rechtlicher Medienunternehmen auch in anderen Medienbereichen? . . . . . . . .
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III. (Neu-)Konzeption der grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung . . .
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1. (Wieder-)Belebung des individualrechtlichen Kerns der Massenkommunikationsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Medienfreiheiten als Jedermann-Freiheiten: Vom elitären zum egalitären Charakter der Massenkommunikationsgrundrechte . . . . . . . .
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b) Europarechtliche Direktiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Europarechtliche Perspektive: Medienfreiheiten als Individualgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
bb) Verbindlichkeit des Europarechts für die Interpretation der Massenkommunikationsgrundrechte des Grundgesetzes . . . . . .
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2. Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt in den Medien als objektiv-rechtliche Zielsetzung der Massenkommunikationsgrundrechte . . .
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3. Abwägungsmaßstab bei Zielkonflikt: Strikte Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Marktmodell als (kommunikations-)verfassungsrechtliches Regelmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Neutralität des Staates im publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb: Notwendigkeit einer strikten Rechtfertigung des Gebührenprivilegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Staatliche Neutralitätspflicht als anerkanntes Strukturprinzip im Pressebereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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b) Staatliche Neutralitätspflicht als Strukturprinzip der gesamten Kommunikationsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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c) Publizistischer und wirtschaftlicher Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . .
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d) Rundfunkgebührenprivileg als strikt rechtfertigungsbedürftige selektive Förderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks . . . . . . . . . .
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6. (Möglichst weitgehende) Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als verfassungsrechtliche Direktive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I.
Verfassungsrechtliches Verbot einer Vollversorgung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Quantitativer kommunikativer Mehrwert der Telemedien des öffentlichrechtlichen Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Qualitativer kommunikativer Mehrwert der Telemedien des öffentlichrechtlichen Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98 IV. Legitimation und Limitierung von Textdiensten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Digitale Textdienste als Presse oder Rundfunk im Sinne des Verfassungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Inhaltsverzeichnis
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2. Unzulässigkeit selbstständiger Textdienste des öffentlich-rechtlichen Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3. Sendungsbezug bzw- (Video-, Audio-)Telemedienbezug als Legitimation und Limitierung von Textdiensten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 E. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch ein externes und staatsfrei organisiertes Kontrollgremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
A. Gegenstand und Gang der Untersuchung Wie häufig haben unsere Großeltern, unsere Eltern und wir ihn in den Händen gehalten, uns mit ihm in eine ruhige Ecke zurückgezogen, uns in ihm vertieft? Die nachkommenden Generationen werden ihn nicht mehr in den Händen halten, sein Wissensschatz bleibt ihnen aber erhalten. Die Rede ist von der deutschsprachigen Universalenzyklopädie, von der Insigne des Bildungsbürgertums schlechthin: dem Brockhaus. Die neueste gedruckte Auflage wird die letzte sein. Das macht nichts. Seit Frühjahr 2008 steht der gesamte Inhalt des Brockhaus im Internet auf Abruf zur Verfügung. Was kostet das? Nichts, die Finanzierung erfolgt allein über Werbung. Der gedruckte Brockhaus ist tot, es lebe der Internet-Brockhaus. Der Fall Brockhaus ist nur ein Beispiel für die grundlegenden Veränderungen der Informationsgesellschaft. „Wer nicht online geht, wandert ins Museum“ (Markus Schächter). So richtig dieser Satz ist, so wichtig ist es, darauf hinzuweisen, dass dies nicht nur für den Rundfunk und die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage gilt, sondern für die gesamte Informationsgesellschaft. Massenkommunikation war in der Vergangenheit Wenigen vorbehalten. Es war Kommunikation von Wenigen für die Masse. Massenkommunikation unter den Bedingungen der modernen Informationsgesellschaft ist Kommunikation nicht nur für, sondern auch durch die Masse. Massenkommunikation ist eine Jedermann-Freiheit. Geht der öffentlich-rechtliche Rundfunk online, trifft er auf die Gesamtheit der Informationsgesellschaft. Da Rundfunk und Presse durch unterschiedliche Ordnungsprinzipien gekennzeichnet sind, stoßen im Internet zwei Welten aufeinander. Welche Welt gilt im Internet? Dieses Grundsatzproblem stellt sich vor dem Hintergrund der hier relevanten Frage, ob und ggf. mit welchen Diensten sowie mit welchen Inhalten der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Internet präsent sein darf. Während es eine gemeinnützige öffentlich-rechtliche Presse nicht gibt, der Pressebereich vielmehr durch privatrechtliche Organisationsformen, durch privatwirtschaftliche Entscheidungsrationalität der Presseunternehmen und durch Außenpluralismus geprägt ist, ist der gemeinnützige binnenpluralistisch organisierte öffentlich-rechtliche Rundfunk Bestandteil der dualen Rundfunkordnung. Um den Kern des Problems erfassen zu können, muss unweigerlich grundrechtstheoretischer Boden betreten werden. Die Konzeption des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als dienende Freiheit ist Chiffre zur Legitimation eines umfassenden
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A. Gegenstand und Gang der Untersuchung
Onlineengagements des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Nach funktionalem Grundrechtsverständnis, das der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkfreiheit zugrundeliegt, besitzt der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Medien (!) im Wesentlichen freie Hand. Onlineaktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bedürfen nach dieser Grundrechtsdeutung keines besonderen Begründungsaufwands. Die Frage, wie die grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten zu deuten sind, avanciert zum Schlüssel für Legitimation und Limitierung von Onlineangeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Untersuchung vollzieht sich in vier Schritten. Nach einer kurzen Darstellung der Bedeutung des Internet in der Informationsgesellschaft (B.) geht es um die genannte grundrechtsdogmatische Kardinalfrage. Hierbei werden die zentralen Strukturelemente einer modernen Kommunikationsverfassung benannt (C.). Erst auf dieser Grundlage lassen sich die Voraussetzungen für Onlineaktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entwickeln (D.). Die Untersuchung schließt mit der verfassungsrechtlichen Forderung nach einer neuen Kontrollstruktur für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Rahmen des anstehenden sogenannten Drei-Stufen-Tests (E.).
B. Bedeutung des Internet in der Informationsgesellschaft I. Internet als „Mitmach-Netz“: Massenkommunikation als (Jedermann-)Kommunikation für und durch die Masse Im Zeitpunkt der Geburtsstunde des World Wide Web am 30. April 1993 konnte noch niemand sicher prognostizieren, wie sich das Internet entwickeln und welchen Stellenwert es innerhalb der Informationsgesellschaft einnehmen wird. Heute steht fest, dass sich in den letzten Jahren keine andere Plattform so dynamisch entwickelt hat wie das Internet. Die Zahl der registrierten Domains stieg von 500 im Jahr 1993 auf über 45 Millionen im Jahr 2007. Wie viele Internetseiten es gibt, lässt sich nicht exakt beziffern. Die Schätzungen schwanken zwischen 6 und 8 Milliarden Seiten1. Das Internet hat sich von einem rein textbasierten Informationssystem zu einer multimedialen Plattform für Text-, Audio- und Videoangebote entwickelt, wobei im Rahmen der Nutzung die Textangebote gegenwärtig und wohl auch in absehbarer Zeit im Vordergrund stehen. Diese Entwicklung hat sich in mehreren Schritten vollzogen. In der ersten Phase wurde das Internet von einer zahlenmäßig kleinen, zumeist jungen, gut ausgebildeten Nutzergruppe als Informationssystem und zum Zwecke der individuellen E-Mail-Kommunikation verwendet. Die zweite Phase ist durch die rasch steigende Internetverbreitung in der breiten Bevölkerung gekennzeichnet. Immer mehr Menschen und Unternehmen erkannten den kommunikativen Mehrwert des Internet. Insbesondere Serviceseiten, Onlineshopping, Onlinebanking und Onlineauktionen fungierten als Antriebsaggregate der neuen Plattform. In der dritten Phase wurde das bis dato primär textbasierte Internet durch Video- und Audioangebote erweitert. Diese Entwicklung wurde durch die sich dynamisch entwickelnde Marktpenetration der breitbandigen Internetanschlüsse ermöglicht und befördert. Im Internet findet sich eine Vielzahl von Video- und Audioangeboten, die von etablierten Anbietern und von der stetig wachsenden Gruppe von Newcomern bereitgehalten werden. Die über die klassischen Übertragungswege (BK-Netz, Satellit, DVB-T) verbreiteten Rundfunkprogramme werden zusätzlich über das Internet übertragen (sogenanntes Live-Streaming)2. Hinzu kommen Anbieter, die klassische 1
ARD/ZDF-Online-Studie 2007, vgl. van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 2007,
362. 2 So werden etwa die Fernsehprogramme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland über das Portal von Zattoo verbreitet. Eine Liste der
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B. Bedeutung des Internet in der Informationsgesellschaft
(lineare) Rundfunkprogramme ausschließlich über das Internet verbreiten (sogenanntes Web-Casting). Hierbei handelt es sich um exklusiv über das Internet übertragene Fernseh- und Hörfunkprogramme. Schließlich ist die Vielzahl von Video- und Audioinhalten zu nennen, die auf Abruf zur Verfügung stehen. Das Schlagwort Web 2.0 steht für das „Mitmach-Netz“. Die Zugangshürden sind im Vergleich zu den klassischen Massenmedien wie Rundfunk und Presse deutlich geringer. Ohne nennenswerten Aufwand ist die Verbreitung von Texten, Grafiken und stehenden Bildern jedermann möglich. Doch auch Videoinhalte lassen sich wegen des Preisverfalls im Bereich der Aufzeichnungstechnik und des massenhaften Vertriebs entsprechender Aufzeichnungsgeräte durch die Wirtschaft ohne großen Aufwand erstellen. Neue Hörfunkprogramme, Abruffernsehen sowie Blogs kennzeichnen das Mitmach-Netz Web 2.0. Unter den Bedingungen der modernen Informationsgesellschaft ist Massenkommunikation nicht mehr wenigen, besonders kapitalkräftigen Unternehmen vorbehalten. Das Web 2.0 ist Ausdruck einer grundlegenden Änderung der Informationsgesellschaft. Massenkommunikation war in der Vergangenheit im Kern eine Domäne Weniger3. Es war Kommunikation von Wenigen für die Masse. Massenkommunikation unter den Bedingungen der modernen Informationsgesellschaft ist Kommunikation nicht nur für, sondern auch durch die Masse. Massenkommunikation ist eine Jedermann-Freiheit4. An die Stelle des eher elitären tritt ein eher egalitärer Zug. Jedermann kann ohne weiteres Texte und Bilder ins Netz stellen und sich auf diese Weise an der Massenkommunikation beteiligen. Auch für die Verbreitung von audiovisuellen Angeboten bestehen keine unüberwindbaren Zugangshürden. So wundert es nicht, dass wesentliche Innovationen wie Google, YouTube, Facebook oder MySpace nicht von kapitalkräftigen Weltkonzernen ausgingen, sondern auf die kreativen Energien Studierender zurückzuführen sind.
II. Bedeutungszuwachs des Internet in Deutschland Das Internet avancierte in den letzten Jahren zur dritten Säule der Mediennutzung. Innerhalb von elf Jahren stieg der Anteil der Internetnutzer von 6,5% auf 62,7%5. Im Jahr 2007 wurde die 40-Millionengrenze bei der Zahl der Internetnutzer in Deutschland durchbrochen6. Die höchsten Zuwachsraten entfielen in den letzten Jahren auf Frauen und auf die Über-50-Jährigen, also auf Bevölkeparallel im Internet verbreiteten (ausländischen und deutschen) Fernsehprogramme findet sich etwa unter der Adresse http://de.wwitv.com/. 3 Vgl. hierzu zuletzt Kübler, Medien, Menschenrechte und Demokratie, S. 82 ff. 4 Zutreffend Fiedler, Meinungsfreiheit in einer vernetzten Welt, S. 32 ff. 5 ARD/ZDF-Online-Studie 2007, vgl. van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 2007, 362 (363). 6 ARD/ZDF-Online-Studie 2007, vgl. van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 2007, 362 (363).
II. Bedeutungszuwachs des Internet in Deutschland
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rungsgruppen, die in der Vergangenheit dem Internet eher distanziert gegenüberstanden. Auch die Über-60-Jährigen entdecken zunehmend das Internet. Vertraten sie bis vor wenigen Jahren noch die Auffassung, darauf verzichten zu können, weil Fernsehen, Hörfunk und Zeitung als Informationsquellen ausreichten, setzt sich heute immer mehr die Erkenntnis durch, dass sich die gewünschten Informationen im Internet deutlich leichter als in anderen Medien finden lassen7. Obgleich der Anteil der Internetnutzer unter den 14–19-Jährigen (95,8%) im Vergleich zu den 50–59-Jährigen (64,2%) und vor allem zu den Über-60-Jährigen (25,1%) erheblich höher ist8, stellte im Jahr 2007 aus demografischen Gründen die Gruppe der Über-60-Jährigen (5,1 Millionen) im Vergleich zu den 14–19-Jährigen (4,9 Millionen) die zahlenmäßig größere Gruppe der Internetnutzer9. Da das Wachstumspotenzial bei den älteren Bevölkerungsgruppen noch lange nicht ausgeschöpft ist, werden vor allem die Über-50-Jährigen und die Über-60-Jährigen die Wachstumstreiber der Internetnutzung sein10. Das Internet dient der Mehrheit der Anwender weiterhin vor allem zur Informationsbeschaffung. Eine Unterhaltungsplattform, die in Konkurrenz zum Fernsehen und Hörfunk steht, ist das Internet für die Wenigsten. 72% der Internetnutzer geben an, dass sie das Netz überwiegend zu Informationszwecken nutzen. Nur für 14% steht die Unterhaltung im Netz an erster Stelle11. Allerdings bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Generationen. Fast die Hälfte (47%) der 14–19-Jährigen möchte sich in erster Linie unterhalten lassen. Je älter der Nutzer ist, desto informationsorientierter ist er12. Eng mit der Marktpenetration von Breitbandanschlüssen ist die dynamische Entwicklung der Abrufzahlen von Audio- und Videoinhalten verbunden. Die wöchentliche Nutzung von Videoinhalten hat sich im Jahr 2007 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Insgesamt 14% aller Internetnutzer schauen sich mindestens einmal wöchentlich Videos im Internet an, während der Anteil im Jahr 2006 noch bei 7% lag. Bei den Jüngeren fällt der Nutzungsanstieg gegenüber dem Vorjahr noch deutlicher aus. 46% gegenüber 22% der 14–19-Jährigen und 24% gegenüber 10% der 20–29-Jährigen nutzen Videoinhalte mindestens einmal wöchentlich13. 7 ARD/ZDF-Online-Studie 2007, vgl. van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 2007, 362 (364 f.). 8 ARD/ZDF-Online-Studie 2007, vgl. van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 2007, 362 (364). 9 ARD/ZDF-Online-Studie 2007, vgl. van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 2007, 362 (364). 10 ARD/ZDF-Online-Studie 2007, vgl. van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 2007, 362 (378). 11 ARD/ZDF-Online-Studie 2007, vgl. van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 2007, 362 (368). 12 ARD/ZDF-Online-Studie 2007, vgl. van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 2007, 362 (368).
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B. Bedeutung des Internet in der Informationsgesellschaft
Ob und in welchem Umfang durch die Internetnutzung die Nutzung klassischer Medien (Rundfunk, Hörfunk und Zeitungen sowie Zeitschriften) zurückgeht, lässt sich noch nicht exakt prognostizieren. Allerdings geben 29% der Internetnutzer an, dass sie durch den Internetkonsum weniger fernsehen. 22% nehmen einen geringeren Hörfunkkonsum und 23% eine geringere Zuwendung zur Zeitung bzw. Zeitschrift wahr. Bei den Jüngeren fallen diese Zahlen deutlicher aus: 40% der 14–29-Jährigen meinen, aufgrund der Internetnutzung weniger fernzusehen14. Als Begründung wird regelmäßig genannt, dass das Fernsehen seine Funktion als Informationsmedium zunehmend verliere. Gleiches gelte für den Hörfunk und die Tageszeitung. Insbesondere informationsorientierte Nutzer beschaffen sich zunehmend die sie interessierenden Artikel aus dem Netz und betrachten es als Vorteil, dass sie im Netz auf eine Vielzahl von Quellen zurückgreifen können15. Vor allem aber wird die das lineare Fernsehen kennzeichnende feste Bindung an das von den Veranstaltern vorgegebene Programmschema als Grund für das Abwandern ins Internet angeführt. Laut einer von Accenture und SevenOne Media durchgeführten Umfrage ist nur jeder dritte Internetnutzer zwischen 16 und 24 Jahren mit dem klassischen Fernsehen zufrieden. Ursache sei weniger das Programm als der vorgegebene Programmablauf. So seien lediglich 14% mit dem Inhalt unzufrieden. 62% störten sich aber an den festen Sendezeiten16. Gleichwohl ist fraglich, ob sich diese Selbsteinschätzung mit den tatsächlichen Nutzungsgewohnheiten im Bereich des Fernsehens deckt. Die GfK-Fernsehforschung kommt zu anderen Ergebnissen: Die Internetnutzer schauen nicht weniger, sondern sogar mehr fern als der durchschnittliche bundesdeutsche Erwachsene17. Allerdings ist auch insoweit zwischen den verschiedenen Altersgruppen zu unterscheiden. Für Jugendliche hat das Internet bereits heute den gleichen Stellenwert wie Fernsehen und Hörfunk. Die 14–19-Jährigen verbringen inzwischen mehr Zeit mit dem Internet (102 Minuten täglich) als mit dem Hörfunk (95 Minuten täglich). Ihr Fernsehkonsum (105 Minuten täglich) liegt nahezu gleichauf mit der Dauer der Internetnutzung18. 13 ARD/ZDF-Online-Studie 2007, vgl. van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 2007, 362 (370). 14 ARD/ZDF-Online-Studie 2007, vgl. van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 2007, 362 (376). 15 ARD/ZDF-Online-Studie 2007, vgl. van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 2007, 362 (376). 16 Vgl. http://www.presseportal.de/pm/39565/1202513/; vgl. hierzu auch http:// www.heise.de/newsticker/Junge-Menschen-wandern-vom-Fernsehen-zum-Internet-ab-/ meldung/108838. 17 ARD/ZDF-Online-Studie 2007, vgl. van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 2007, 362 (376 und 377). 18 ARD/ZDF-Online-Studie 2007, vgl. van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 2007, 362 (378).
II. Bedeutungszuwachs des Internet in Deutschland
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Was das Verhältnis von Internetnutzung und Zeitungs- bzw. Zeitschriftenkonsum anbelangt, liegen mittlerweile erste wissenschaftliche Untersuchungen vor. Vorauszuschicken ist zunächst, dass Nachrichten immer häufiger im Internet gelesen werden. Nach Berechnungen des BITKOM ist die Anzahl der Besuche von Nachrichtenportalen im ersten Quartal 2008 im Vergleich zum Vorjahr um 33% gestiegen. Nach der Untersuchung wurden die zwanzig meistgenutzten Seiten in dieser Zeit insgesamt 1,2 Milliarden Mal besucht. Zu den meistgenutzten Nachrichtenportalen zählen nicht nur die thematisch breit aufgestellten Seiten der bundesweiten Tages- und Wirtschaftspresse. Auch Angebote, die sich auf einzelne Themen wie Computer oder Sport konzentrieren, finden sich in der Liste unter den ersten 20. Hinzu kommen Seiten von Regionalzeitungen, die in ihrem Einzugsbereich so stark sind, dass es für eine gute Platzierung im Bundesvergleich reicht.
Der Untersuchung des BITKOM zufolge liegen die Deutschen bei der Nutzung von Online-News europaweit im Mittelfeld. Mit 21% der Bevölkerung (16 bis 74 Jahre) entspricht der Wert für 2007 dem EU-Durchschnitt. Die Besucherzahlen sind aber in fast allen EU-Staaten in den vergangenen Jahren gestiegen. Nach Überzeugung der Sozial- und Kommunikationswissenschaftler Kolo und Meyer-Lucht sollen Onlinenachrichtenportale die gedruckten Tageszeitungen Schritt für Schritt substituieren. Für ihre Untersuchung haben die Autoren eine Zeitreihenanalyse der Mediennutzungsstudien Allensbacher Werbeträger-Analyse (AWA) und Allensbacher Computer- und Technik-Analyse (ACTA) zwischen 2001 und 2006 erstellt. Sie betrachteten die Nutzung von Nachrichten-
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B. Bedeutung des Internet in der Informationsgesellschaft
sites, die zum großen Teil von Zeitungsverlagen ins Internet gestellt werden, sowie die Nutzung gedruckter Zeitungen im Zeitraum von 2001 bis 2006. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass Tageszeitungen genau dort besonders viele treue Leser verlieren, wo eine starke Hinwendung zum Internet als Nachrichtenplattform zu beobachten ist. Das Internet bewirke eine schleichende „Erosion der Intensivleserschaft“ der Tagespresse, stellen die Autoren in ihrer Untersuchung mit dem gleichnamigen Titel fest19. Besonders stark betroffen seien die Altersgruppen der 25–34-Jährigen und der 35–44-Jährigen. Bei ihnen sei der Anteil der regelmäßigen Leser von Abonnements-Tageszeitungen von 2001 bis 2006 von 50,5% auf 37,4% und von 64,8% auf 54,2% zurückgegangen. In demselben Zeitraum sei der Anteil der Intensivnutzer von Nachrichtensites von 7,9% auf 14,2% und von 7,0% auf 12,3% gestiegen. Online und Print entwickelten sich nicht parallel oder ergänzten sich, sondern machten einander zunehmend Zuwendungsressourcen streitig20. Es zeichne sich der Übergang von einer „experimentellen Parallelnutzung“ hin zur „habitualisierten Entscheidung“ für Print oder Online ab21. Ungeachtet der Frage, ob sich bereits momentan Tageszeitungen und Onlinenachrichtenportale in einem Substitutionsverhältnis zueinander befinden, steht in jedem Fall fest, dass die etablierten Verlagshäuser vor der Notwendigkeit stehen, ihre Internetaktivitäten auszubauen. Insbesondere die Zeitungsbranche steht vor dem Hintergrund der modernen Informationsgesellschaft vor tiefgreifenden Veränderungen. Schon heute zehren die Druck- und Distributionskosten für (überregionale) Tageszeitungen die Abonnenten- und Verkaufserlöse (weitgehend) auf. Die Werbeerlöse stagnieren und entwickeln sich – auch wegen der Konkurrenz der Onlinemedien – rückläufig. Zur Onlinezeitung wird es daher mittel- bzw. langfristig keine Alternative geben. Dabei wird man sich von der Vorstellung eines am PC oder vor dem Notebook sitzenden Lesers einer Onlinezeitung lösen müssen. Insbesondere im Bereich der Empfangssysteme ist in naher Zukunft mit tiefgreifenden Veränderungen zu rechnen. Nachdem Inhalte und Übertragungswege digitalisiert sind, besteht die Notwendigkeit der Entwicklung von Empfangssystemen, die den spezifischen Nutzungsbedürfnissen entsprechen. Neuartige Technologien, wie etwa die Touchscreen-Technologie, die ein komfortables Lesen von Internetseiten selbst auf kleinen Endgeräten (Smartphone, PDA etc.) gestattet, werden die (mobile) Rezeption einer Onlinezeitung ermöglichen22. Allgemein wird davon ausgegangen, dass in dem mobilen Inter19
Kolo/Meyer-Lucht, M&K 2008, 513 ff. Kolo/Meyer-Lucht, M&K 2008, 513 (528). 21 Kolo/Meyer-Lucht, M&K 2008, 513 (528 f.). 22 Das iPhone und das iTouch von Apple oder die Geräte der taiwanesischen Firma HTC (HTC Diamond etc.) sind nur Beispiele einer sich gerade herausbildenden Produktlinie, die eine nutzerfreundliche, komfortable mobile Nutzung des Internet (Videound Textdienste) erlaubt. 20
II. Bedeutungszuwachs des Internet in Deutschland
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net erhebliches Wachstumspotenzial steckt23. Als Surrogat für das gedruckte Papier kommen papierähnliche Trägerfolien, Tablets oder ähnliche technische Empfangssysteme in Betracht, die über Rundfunkübertragungswege (DVB-T, DVB-H, DMB), Mobilfunkfrequenzen, WLAN etc. versorgt werden könnten. Wie lange es noch gedruckte Zeitungen geben wird, lässt sich heute nicht mit hinreichender Sicherheit prognostizieren. Dass die Onlinezeitung die gedruckte Zeitung ergänzen und irgendwann ersetzen wird, entspringt keiner Science Fiction-Fantasie, sondern schlichter wirtschaftlicher Rationalität. Es wird sich langfristig der Verbreitungsweg durchsetzen, der im publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb besteht. Die (stetig wachsenden) Druck- und Distributionskosten im Printbereich und die stetig fallenden Anzeigenerlöse (auch und gerade wegen des Wettbewerbs mit den Onlinemedien) lassen erwarten, dass das Leben gedruckter Tageszeitungen in der digitalen Informationsgesellschaft zunehmend schwieriger wird. Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um schon heute vorauszusagen, dass sich langfristig die Publikationsform durchsetzen wird, die keine vergleichbare Kostenlast zu schultern hat: Und das ist nicht die gedruckte Zeitung, sondern die Onlinezeitung oder besser: das Online-Lesemedium, das sich in Form und Gestaltung von dem Format klassischer Druckzeitungen grundlegend unterscheidet24. Allerdings setzt die Substitution der gedruckten Zeitung durch die Onlinezeitung voraus, dass sich auch im Onlinebereich entsprechende Werbeerlöse generieren lassen. Und vor allem ist zu berücksichtigen, dass die Zeitungslektüre in erheblicher Weise von den (haptischen) Gewohnheiten des Lesers geprägt ist. Diejenigen Zeitungsleser, die in der analogen Welt sozialisiert sind, werden auf die gedruckte Zeitung kaum verzichten wollen und digitale Versionen und Angebote lediglich als Ergänzung verstehen. Für die jüngere, (im Wesentlichen) durch das Internet sozialisierte Generation mag etwas anderes gelten. Aus demografischen Gründen wird ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung im Vergleich zu den bisherigen Generationen nur verhältnismäßig gering ansteigen. Die demografische Entwicklung wird auch insoweit die technologische Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland bremsen und den Migrationsprozess von der gedruckten zur digitalen Zeitung verzögern.
23 Vgl. das F.A.Z.-Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden von Google, Eric Schmidt, F.A.Z. Nr. 121 vom 27.05.2008, S. 14: „Die nächste große Welle ist das mobile Internet.“ 24 Nach Einschätzung des Microsoft-Chefs Steve Balmer wird es in etwa 10 Jahren keine gedruckten Zeitungen und Zeitschriften mehr geben: „Here are the premises I have. Number one, there will be no media consumption left in 10 years that is not delivered over an IP network. There will be no newspapers, no magazines that are delivered in paper form. Everything gets delivered in an electronic form“ (Interview in der Washington Post vom 05.06.2008, http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/con tent/article/2008/06/04/AR2008060403770_pf.html).
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B. Bedeutung des Internet in der Informationsgesellschaft
III. Technologisches Umfeld: Rasanter Anstieg von Festnetz- und mobilen Breitbandanschlüssen Die zunehmende Nutzung von multimedialen Inhalten, insbesondere von Videoangeboten, steht in engem Zusammenhang mit der Marktpenetration von Breitbandanschlüssen in Deutschland25. Ende 2007 belief sich die Gesamtzahl aller Breitbandanschlüsse auf ca. 19,6 Mio. Innerhalb eines Jahres erhöhte sich die Anzahl der Breitbandanschlüsse um 5 Mio.26, womit die Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union den Spitzenplatz einnahm27. Bei den Breitbandanschlüssen kommt der DSL-Technologie die weitaus größte Bedeutung zu. Ende 2007 entfielen ca. 18,5 Mio. oder knapp 95% der Breitbandanschlüsse auf die DSL-Technologie, ca. 985.000 auf das BK-Netz, 36.500 auf Satellit und 9.500 auf Powerline28. Erst langsam gewinnt der intermodale Wettbewerb zwischen den maßgeblichen Zugangstechnologien DSL und BK-Netz an Intensität. Aus unterschiedlichen Gründen wurde das BK-Netz (viel zu lange) ausschließlich als Fernsehvertriebsnetz genutzt. Erst seit geraumer Zeit bewerben die BK-Netzbetreiber mit erheblichem Aufwand ihr Triple-Play-Angebot und suchen ihre Position auf dem Breitbandmarkt durch preisgünstige Angebote auszubauen. Der zunehmend an Dynamik gewinnende intermodale Wettbewerb hat im Frühjahr 2008 zu einem erheblichen Preisverfall bei den Breitbandanschlüssen gesorgt. Es ist zu erwarten, dass die BK-Netzbetreiber einen im Vergleich zur Vergangenheit deutlich größeren Marktanteil auf dem Neukundenmarkt der Breitbandanschlüsse erlangen werden. Schätzungen zufolge werden Ende 2008 rund 23 Mio. und damit 58% der Haushalte über einen Breitbandanschluss verfügen29. Etwa 70% der Haushalte mit DSL-Breitbandanschlüssen in Deutschland nutzten im Jahr 2007 Anschlüsse mit Brandbreiten ab 2 Mbit/s. Auch vor dem Hintergrund des Wettbewerbs mit den BK-Netzbetreibern, die deutlich höhere Bandbreiten – von bis zu 32 Mbit/s – zu vergleichsweise guten Konditionen anbieten, gehen die DSL-Netzbetreiber dazu über, ihre bisherigen 2-Mbit/s-Anschlüsse ohne Aufschlag auf Bandbreiten von 6 bzw. 16 Mbit/s zu erhöhen. Es kann davon ausgegangen werden, dass DSL-Anschlüsse künftig ausschließlich mit einer Brandbreite von 16 Mbit/s vermarktet werden. Sofern der Haushalt nicht mehr als 1,8 km von dem Hauptverteiler (HVt) entfernt ist, wird er im Wege von DSL2+ mit einer Brandbreite von 16 Mbit/s versorgt. Wegen des 25 ARD/ZDF-Online-Studie 2007, vgl. van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 2007, 362 (374). 26 BNetzA, Jahresbericht 2007, S. 73. 27 BNetzA, Jahresbericht 2007, S. 74. 28 BNetzA, Jahresbericht 2007, S. 73. 29 http://www.bitkom.org/files/documents/BITKOM_Presseinfo_Breitband_in_EU_ und_Deutschland_16_05_2008.pdf.
III. Technologisches Umfeld
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Dämpfungseffekts der Kupferleitung reduziert sich diese Bandbreite, wenn der Haushalt vom Hauptverteiler (HVt) weiter entfernt liegt, d.h. die Kupferleitung länger als etwa 1,8 km ist. Nach allgemeiner Auffassung wird der Bandbreitenbedarf in den nächsten Jahren stark ansteigen. Solange und soweit Fernsehen und Videos in DVB-Qualität ausgestrahlt werden, reichen die bisherigen DSL-Anschlüsse im Regelfall aus. Fernsehen in DVB-Qualität beansprucht bei Verwendung moderner Kompressionstechnologien eine Bandbreite von ca. 3–4 Mbit/s. Selbst wenn in einem Mehrpersonenhaushalt zeitgleich unterschiedliche Programme und Internetangebote nachgefragt würden, ist die Bandbreite von 16 Mbit/s bei DSL-Anschlüssen regelmäßig ausreichend. Dies ändert sich jedoch, wenn Fernseh- und Videoinhalte in höherer Qualität angeboten werden sollen. Seit Frühjahr 2008 verbreitet der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine digitalen Fernsehprogramme über Satellit und Kabel mit einer höheren Auflösung, die für jedes Programm eine Bandbreite von 5–6 Mbit/s erfordert. Fernseh- und Videoangebote in HDQualität benötigen eine noch größere Bandbreite, die bei mindestens 10 Mbit/s liegt. Insbesondere bei Mehrpersonenhaushalten dürften die bisherigen DSL-Anschlüsse den zunehmenden Bandbreitenbedarf in Zukunft nicht mehr hinreichend decken. Wie bereits erwähnt, vermarkten die BK-Netzbetreiber bereits jetzt Internetanschlüsse mit einer Bandbreite von mehr als 30 Mbit/s. In der Erprobungsphase befinden sich derzeit 100 Mbit/s-Anschlüsse30. Die Kabelnetzbetreiber geben sich zuversichtlich, dass sich alle damit im Zusammenhang stehenden technischen Probleme zügig meistern lassen. Schon in Bälde werden die BKNetzbetreiber hochleistungsfähige Anschlüsse mit einer Bandbreite von 50 bis 100 Mbit/s in ihr Portfolio aufnehmen und damit den intermodalen Infrastrukturwettbewerb mit den DSL-Netzbetreibern nachhaltig befördern. Höhere Bandbreiten im Bereich des (DSL-)Zugangsnetzes lassen sich nur erreichen, wenn das bislang rein kupferbasierte Zugangsnetz teilweise oder ganz durch Glasfaser ersetzt wird. Die Deutsche Telekom AG (DTAG) hat sich für die erste Alternative entschieden31. Das Unternehmen hat angekündigt, ihr Zugangsnetz bis zum Jahr 2012 vollständig auf IP-Standard umzustellen32. Dabei wird zum einen das kupferbasierte Hauptkabel durch Glasfaser ersetzt bzw. (für eine gewisse Übergangszeit) ergänzt. Die Signalübermittlung bis zum Kabelverzweiger (KVz) erfolgt über Glasfaser (Fibre To The Curb – FTTC), und zwar vom bisherigen Standort des Hauptverteilers (HVt) ohne Vermittlungstechnik oder von einem anderen Standort; der Großteil der HVt soll (wenigstens lang30
http://www.teltarif.de/arch/2007/kw51/s28248.html. Vgl. hierzu Gersdorf, N&R Beilage 2/2008, 1 ff. 32 Zu den Gründen für eine Umstellung des Zugangsnetzes auf die IP-Technologie vgl. Gersdorf, N&R Beilage 2/2008, 1 (2 f.). 31
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B. Bedeutung des Internet in der Informationsgesellschaft
fristig) geschlossen werden. Zum anderen rückt die bislang im HVt verortete Vermittlungstechnik (DSLAM) näher an die Haushalte (Teilnehmeranschlusseinheiten – TAE) heran und wird im KVz loziert. Vom KVz erfolgt die Signalübermittlung weiterhin über die Doppelkupferader, was bei einer Leitungslänge von maximal 300 m eine Übertragungsbandbreite von symmetrisch 100 Mbit/s – nach dem von der ITU im Jahr 2005 verabschiedeten VDSL2-Standard – und damit den Vertrieb hochauflösender audiovisueller Dienste (HDTV und sonstiger multimedialer Angebote in HD-Qualität) ermöglicht. Bereits jetzt sind die Städte Berlin, Düsseldorf, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Köln, Leipzig, München, Nürnberg und Stuttgart an das Hochgeschwindigkeitsnetz der DTAG angeschlossen. In der zweiten Etappe des Netzausbaus sollen 40 weitere Städte folgen33. Aus Kreisen des Unternehmens ist zu hören, dass die Planungen, den Ausbau auf mehr als 100 Städte auszudehnen, weit fortgeschritten sind34. Die DTAG beziffert die erforderlichen Investitionen für die Versorgung der ersten 50 Städte mit drei Milliarden Euro35. Für welche Zugangsvariante sich die alternativen Teilnehmernetzbetreiber entscheiden werden, ist derzeit noch nicht sicher absehbar. Der größte Teil der alternativen Teilnehmernetzbetreiber neigt dazu, anstelle der hybriden Zugangsvariante FTTC/VDSL der DTAG gleich „den großen Schritt“ zu einer rein glasfaserbasierten Erschließung der Haushalte (FTTX-Zugang36) zu machen. Die damit eröffneten Bandbreiten im Gigabit-Bereich würden den Breitbandbedarf der angeschlossenen Haushalte langfristig sicherstellen. Die FTTC/VDSL-, aber vor allem die FTTX-Zugangsvariante ist mit erheblichen Investitionen verbunden, deren Refinanzierung einen Marktanteil von 30% bis 40% im Endkundenmarkt voraussetzt. Allein die DTAG verfügt im DSL-Neukundengeschäft über einen Marktanteil von deutlich mehr als 40% (schwankend zwischen etwa 43% und 48%), so dass sich dieser zur Refinanzierung der Netzinvestitionen erforderliche Marktanteil für das Unternehmen nicht als Marktzutrittsschranke darstellt. Anders liegen die Dinge im Kreis der alternativen Teilnehmernetzbetreiber. Keiner der alternativen Teilnehmernetzbetreiber hat für sich genommen bundesweit einen solchen Marktanteil, so dass sich die Entwicklung erfolgreicher Geschäftsmodelle ungleich schwieriger gestaltet37. Ungeachtet dieser Probleme steht in jedem Fall fest, dass neben der DTAG auch die Wettbewerber (alternative Teilnehmernetzbetreiber und Wiederverkäufer) künftig Hochgeschwindigkeitsanschlüsse vermarkten werden, die über das Leistungsvermögen 33
Wik, Technische und ökonomische Aspekte des VDSL-Ausbaus, S. 17. F.A.Z. Nr. 162 vom 16.07.2007, S. 19. 35 F.A.Z. Nr. 162 vom 16.07.2007, S. 19. 36 FTTX umschreibt die unterschiedlichen rein glasfaserbasierten Anschlussvariationen, d.h. Glasfaser bis ins Gebäude („Fibre To The Building“ – FTTB) oder bis in die Wohnung („Fibre To The Home“ – FTTH). 37 Vgl. hierzu Gersdorf, N&R Beilage 2/2008, S. 1 (15). 34
III. Technologisches Umfeld
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der DSL2+-Anschlüsse hinausgehen und Bandbreiten von (mehr als) 50 Mbit/s ermöglichen. Doch auch im Mobilfunksektor werden sich die Brandbreiten in den nächsten Jahren steigern. Je nach Ausbaustufe sind derzeit im Bereich des UMTS-Frequenzbandes Datendownloadraten von 3,6 Mbit/s, 7,2 Mbit/s bzw. 14,4 Mbit/s pro Funkzelle möglich. Künftig soll die Bandbreite erheblich gesteigert werden. In jeder Funkzelle soll mittels Long Term Evolution (LTE) eine Bandbreite beim Downloading von über 100 Mbit/s möglich sein. Allerdings müssen sich sämtliche Nutzer in der jeweiligen Funkzelle diese Gesamtbandbreite von 100 Mbit/s teilen. Im Gegensatz zu anderen Funktechnologien wie z. B. WiMAX setzt LTE auf der UMTS-Technologie auf und verursacht deutlich geringere Investitionskosten als andere funkgestützte Hochgeschwindigkeitszugänge38. Die Marktbeteiligten sind sich einig, dass das mobile Internet in den nächsten Jahren in erheblichem Umfang wachsen wird39. Im Ergebnis steht fest, dass die Marktpenetration von breitbandigen Internetzugängen an Dynamik gewinnt. Bereits Ende 2008 werden etwa 58% der Haushalte über einen breitbandigen Internetzugang verfügen. Insbesondere vor dem Hintergrund des an Dynamik gewinnenden intermodalen Infrastrukturwettbewerbs zwischen DSL- und BK-Netzbetreibern, aber zunehmend auch der Mobilfunkunternehmen, wird die Breitbandversorgung in der Bundesrepublik Deutschland auch künftig rasch voranschreiten. Parallel hierzu wird die Bandbreite in den jeweiligen Übertragungssystemen rasant ansteigen, so dass dem zu prognostizierenden künftigen Zuwachs des Bandbreitenbedarfs der einzelnen Haushalte Rechnung getragen werden kann. Für die allermeisten Haushalte wird ein leistungsfähiger Breitbandanschluss so selbstverständlich sein wie der klassische Fernsehempfang. Auch der mobile Internetzugang wird Schritt für Schritt zur Standardausstattung der Nutzer werden. Vor diesem Hintergrund wird es zunehmend eine Frage der Zweckmäßigkeit werden, welcher Technologie (Verteil- oder Abruftechnologie) man sich zur Übermittlung von Inhalten, insbesondere von audiovisuellen Angeboten, bedient.
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Zur LTE-Technologie vgl. http://www.teltarif.de/mobilfunk/lte/. Vgl. das F.A.Z.-Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden von Google, Eric Schmidt, F.A.Z. Nr. 121 vom 27.05.2008, S. 14: „Die nächste große Welle ist das mobile Internet.“ 39
C. Verfassungsrechtliche Grundlegung Sowohl Rundfunkanbieter als auch Presseverlage sind im Internet tätig. Da Rundfunk und Presse durch unterschiedliche Ordnungsprinzipien gekennzeichnet sind, treffen im Internet zwei Welten aufeinander. Welche Welt gilt im Internet? Gelten im Internet die Leit- und Ordnungsprinzipien des Presse- oder des Rundfunkbereichs? Dieses Grundsatzproblem stellt sich vor dem Hintergrund der hier relevanten Frage, ob und ggf. mit welchen Diensten sowie mit welchen Inhalten der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Internet präsent sein darf. Während es eine gemeinnützige öffentlich-rechtliche Presse nicht gibt, der Pressebereich vielmehr durch privatrechtliche Organisationsformen, durch privatwirtschaftliche Entscheidungsrationalität der Presseunternehmen und durch Außenpluralismus geprägt ist, ist der gemeinnützige, binnenpluralistisch organisierte öffentlich-rechtliche Rundfunk Bestandteil der dualen Rundfunkordnung. Man könnte deshalb geneigt sein, in der Abgrenzung zwischen Rundfunk und Presse den Schlüssel zur Beantwortung der Frage zu erblicken, ob sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk von Verfassungs wegen auch im Internet betätigen darf oder ggf. sogar muss. Eine solche rein begriffliche Abgrenzung müsste indes den eigentlichen Kern der Problematik verfehlen. Denn selbst wenn bestimmte Onlinedienste als Rundfunk zu qualifizieren sein mögen, ist damit noch nicht gesagt, dass die vom Bundesverfassungsgericht für den linearen Rundfunk entwickelten verfassungsrechtlichen Leitprinzipien auch für den Onlinebereich gelten und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu Onlineaktivitäten legitimieren. Umgekehrt lässt sich die Unzulässigkeit von Onlineaktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht mit dem schlichten Hinweis darauf begründen, dass Vielfaltdefizite im Internet nicht erkennbar seien und deshalb ein öffentlich-rechtliches Angebot nicht erforderlich sei.40 Auch wenn diese Auffassung im Ergebnis Zustimmung verdienen mag, ist noch nicht dargetan, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur zur Kompensation von Vielfaltdefiziten tätig werden darf. Man könnte einer solchen Begrenzung des Funktionsauftrages des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit dem Argument begegnen, dass auch öffentlich-rechtliche Angebote zur publizistischen Vielfalt beitrügen und deshalb vom Normziel des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gedeckt seien41. Und schließlich 40 Vgl. nur Degenhart, Der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der „Digitalen Welt“, S. 67 ff.; Müller-Terpitz, AfP 2008, 335 (339 ff.). 41 Vgl. Eberle, AfP 2008, 329 (330); siehe auch die Fernsehratsvorlage des ZDFIntendanten zu Telemedien und Digital-TV vom 24.06.2008, epd medien Nr. 60 vom 30.07.2008, S. 6 (12 f.).
C. Verfassungsrechtliche Grundlegung
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ließe sich einwenden, dass der von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wahrzunehmende Funktionsauftrag nicht auf eine Mindestversorgung beschränkt sei42, sondern sich auf (massenattraktive) Programmelemente erstrecke, die sich auch in den Angeboten privater Veranstalter wiederfinden. Wendet man sich der Frage zu, ob und unter welchen Voraussetzungen der öffentlich-rechtliche Rundfunk neben der klassischen linearen Rundfunkverbreitung auch Inhalte im Internet auf Abruf zur Verfügung stellen darf, muss man unweigerlich den Boden der Grundrechtsdogmatik betreten. Es genügt nicht, einzelne Aussagen der einen oder anderen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Begründung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Onlineangeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks heranzuziehen. Vielmehr geht es im Kern um das grundrechtstheoretische Verständnis der Massenkommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Die auf unterschiedlichen Grundrechtstheorien beruhenden Interpretationsansätze der Grundrechte der Presse- und der Rundfunkfreiheit führen gleichsam unweigerlich zu unterschiedlichen Antworten auf bestimmte Grundsatzfragen43. Dieser verfassungstheoretische Hintergrund wird im Folgenden kurz erläutert (I.). Im Anschluss hieran wird die Baustruktur des funktionalen Grundrechtsverständnisses skizziert. Hierbei wird sich zeigen, dass der Gesetzgeber auf der Grundlage eines rein funktionalen Grundrechtsverständnisses bei der Ausgestaltung der Medienordnung im Wesentlichen freie Hand besitzt und öffentlich-rechtliche Onlineangebote nahezu voraussetzungslos zulassen, d.h. die duale Rundfunkordnung zu einer dualen Medien- und Informationsordnung mutieren lassen könnte (II.). Dieses funktionale Grundrechtsverständnis wird zum einen den Bedingungen der modernen Informationsgesellschaft, in der Massenkommunikationsgrundrechte zunehmend zu Jedermann-Grundrechten avancieren, und zum anderen den (Vorrang beanspruchenden) europarechtlichen Direktiven für die Auslegung der grundrechtlichen Kommunikationsgrundrechte nicht mehr gerecht. Erforderlich ist eine (Neu-)Konzeption der Massenkommunikationsgrundrechte, die auf individualrechtlichem Boden fußen, ohne dabei das – ebenfalls in den Kommunikationsgrundrechten ressortierende – Ziel der Vielfaltsicherung aus den Augen zu verlieren. Vielfaltsicherungen sind grundsätzlich zulässig und teilweise sogar geboten. Sie müssen sich aber am individualrechtlichen Kern der Kommunikationsgrundrechte messen lassen und insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Hieraus leiten sich weitreichende Direktiven ab. Insbesondere sind gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Angebote im Internet nur zur Kompensation von Vielfaltdefiziten im Bereich privater Angebote zulässig. Nur soweit der Markt die (von Verfassungs wegen erforderliche) Vielfalt 42
Vgl. nur BVerfGE 74, 297 (325 f.). Vgl. statt vieler Bethge, Rundfunkfreiheit und privater Rundfunk, S. 8; Wagner, Die Landesmedienanstalten, S. 35. 43
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C. Verfassungsrechtliche Grundlegung
nicht generiert, sind staatliche Interventionen erforderlich und damit gerechtfertigt. Öffentlich-rechtliche Angebote sind durch Vielfaltdefizite des privaten Mediensektors legitimiert und zugleich limitiert (III.).
I. Kardinalfrage: Von welchem Verständnis der Massenkommunikationsgrundrechte geht man aus? In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde der Grundsatzstreit um die Auslegung der Massenkommunikationsgrundrechte bereits mehrfach geführt. Insbesondere in den 70er Jahren wurde die Frage diskutiert, ob – neben Rundfunkunternehmen – auch Presseunternehmen einer öffentlich-rechtlichen Organisationsform unterworfen werden dürften44. Da der Gesetzgeber bis zum heutigen Tag – aus verfassungsrechtlichem Grund – dem Marktmodell vertraut und keine öffentlich-rechtliche Organisationsform im Pressebereich vorschreibt, ist diese Diskussion rein theoretischer Natur geblieben. Anders liegen die Dinge im Rundfunksektor. Der mit besonderer Heftigkeit geführte Streit anlässlich der Einführung privaten Rundfunks Anfang der 80er Jahre hatte seine Wurzel in divergierenden grundrechtstheoretischen Interpretationen der Rundfunkgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG45. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Streit Stellung bezogen und mit seiner im Dritten Fernsehurteil entwickelten46 und in ständiger Rechtsprechung vertretenen47 Konzeption einer „dienenden Freiheit“ einer klassisch individualrechtlichen Grundrechtsdeutung eine Absage erteilt. Auch im Zusammenhang mit der Frage nach der Zulässigkeit und den Grenzen von Onlineaktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht es wiederum um dieses grundrechtstheoretische Kardinalproblem. Das Grundrechtsverständnis von den Massenkommunikationsgrundrechten der Presse- und der 44 Vgl. Stammler, Die Presse als die soziale und verfassungsrechtliche Institution, S. 302 f.; 349 ff.; Hoffmann-Riem/Plander, Rechtsfragen der Pressereform, S. 71 ff.; Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 209; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 209; ähnlich ders., HdbVerf, Rn. 39, 52; dagegen statt vieler Bullinger, in: Löffler, Presserecht, § 1 LPG Rn. 44; ders., HStR, § 142 Rn. 51; Starck, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 86. 45 Im Sinne eines funktionalen, dienenden Verständnisses der Rundfunkfreiheit vgl. statt vieler Badura, Verfassungsrechtliche Bindungen der Rundfunkgesetzgebung, S. 22 f., 26, 32 f., 29 f., 78; Berendes, Staatsaufsicht über den Rundfunk, S. 39 ff., 42 ff.; Böckenförde/Wieland, AfP 1982, 77 (81); Wieland, Die Freiheit des Rundfunk, S. 138 ff.; Schmidt, Rundfunkgewährleistung, S. 82; im Sinne eines individualrechtlichen Verständnisses vgl. Eberle, Rundfunkübertragung, S. 31 ff., 42 f.; H. H. Klein, Die Rundfunkfreiheit, S. 47; Starck, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 1 ff., 8 ff., 108 ff., 150. 46 BVerfGE 57, 295 (319). 47 BVerfGE 73, 118 (152); 83, 238 (295 f.); 87, 181 (197); 90, 60 (87); 107, 299 (332); 114, 371 (386 f.); BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1288).
I. Verständnis der Massenkommunikationsgrundrechte
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Rundfunkfreiheit avanciert abermals zum Schlüssel der Lösung des Grundsatzstreits über die Onlinebetätigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Einige der relevanten Fragestellungen legen hierfür Zeugnis ab: – Ist das privatrechtsförmige Marktmodell des Pressebereichs von Verfassungs wegen festgeschrieben und als Institutsgarantie in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankert? Ist nach dem Grundgesetz das Marktmodell der Presse das Grundmodell und das gemeinwirtschaftliche öffentlich-rechtliche Integrationsmodell das (rechtfertigungsbedürftige) Ausnahmemodell? – Oder steht bei der Verwirklichung des Normziels der Massenkommunikationsgrundrechte das Organisationsmodell nicht im Vordergrund? Gilt ein Prinzip der „Modellneutralität“ 48 mit der Folge, dass der Gesetzgeber gleichsam voraussetzungslos zwischen den einzelnen Organisationsmodellen prinzipiell frei wählen oder sich für eine Kombination beider Modelle entscheiden darf? Wäre – wie beim Rundfunk – ein öffentlich-rechtliches Organisationsmodell auch im Pressesektor zulässig? Dürfte der Gesetzgeber – der Rundfunkordnung entsprechend – eine duale Presseordnung bestehend aus privatrechtlich und öffentlich-rechtlich organisierten Presseunternehmen vorsehen? Bejahendenfalls wären Onlineaktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gleichsam eine Selbstverständlichkeit; die duale Rundfunkordnung könnte ohne weiteres zu einer dualen Internet- und Informationsordnung ausgebaut werden49. – Und vor allem: Darf der Gesetzgeber nur dann vielfaltsichernde Maßnahmen treffen und zu diesem Zweck öffentlich-rechtliche Organisationsgebilde vorhalten, wenn das „freie Spiel der Kräfte“ zu entsprechenden Vielfaltdefiziten führt? Sind öffentlich-rechtliche Angebote nur zur Kompensation von Vielfaltdefiziten des Marktmodells oder gleichsam voraussetzungslos zulässig? Bekanntlich ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht lediglich „Lückenfüller“ für Defizite des kommerziellen Rundfunkangebotes. Vielmehr ist der Versorgungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einem umfassenden Sinne zu verstehen. Er erstreckt sich auch auf solche (massenattraktiven) Programmangebote, die im „freien Spiel der Kräfte“, also auch ohne Intervention des Staates zweifelsfrei generiert würden und gewährleistet wären (Blockbuster, Fußballberichterstattung etc.). Wäre ein derart weit verstandener Versorgungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf (den Pressebereich und) das Internet übertragbar? Dürfte der Gesetzgeber den öffentlichrechtlichen Rundfunk zur Verbreitung solcher Onlineangebote legitimieren, 48 Vgl. Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 189; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 189. 49 So ausdrücklich Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 222; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 222; Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 223 ff.
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C. Verfassungsrechtliche Grundlegung
die auch kommerzielle oder nichtkommerzielle Private im Internet bereithalten und die auch ohne staatliche Intervention zweifelsfrei verfügbar wären? Selbst wenn sich eine entsprechende Verpflichtung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründen ließe: Wäre der Gesetzgeber hierzu von Verfassungs wegen wenigstens berechtigt? Die Beantwortung aller dieser (Kardinal-)Fragen setzt Klarheit über das grundrechtstheoretische Verständnis der Massenkommunikationsgrundrechte voraus. Versteht man die Massenkommunikationsgrundrechte zumindest auch als Individualgrundrechte, bildet das privatrechtliche und privatwirtschaftliche Organisationsmodell das verfassungsrechtliche Regelmodell. Die Hervorbringung gleichgewichtiger Vielfalt erfolgt regelmäßig in einem außenpluralistischen Modell durch publizistisch und wirtschaftlich miteinander konkurrierende Medienunternehmen. Öffentlich-rechtliche Integrationsmodelle und sonstige Formen der Vielfaltsicherung sind damit nicht a priori ausgeschlossen. Sie sind jedoch sub specie des individualrechtlichen Kerns der Massenkommunikationsgrundrechte rechtfertigungsbedürftig und zwar nach Maßgabe der strikten Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Öffentlich-rechtliche Angebote, die von Privaten vorgehalten werden, sind nicht erforderlich und vermögen daher eine Abweichung vom Regelmodell nicht zu rechtfertigen. Sie sind verfassungswidrig. Nur soweit der Markt die (von Verfassungs wegen erforderliche) Vielfalt nicht generiert, sind staatliche Interventionen erforderlich und damit gerechtfertigt. Öffentlich-rechtliche Angebote sind durch Vielfaltdefizite legitimiert und zugleich limitiert. Sie dienen allein der Kompensation von Vielfaltdefiziten und dürfen über diesen sie legitimierenden Zweck nicht hinausgehen. Legt man der Interpretation der Massenkommunikationsgrundrechte hingegen eine funktionale Grundrechtsdeutung zugrunde, gelangt man zu diametral anderen Ergebnissen. Versteht man die Massenkommunikationsgrundrechte als Funktionsgrundrechte, so geht es allein oder doch im Wesentlichen um die Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt. Da sowohl das Marktmodell als auch das öffentlich-rechtliche Integrationsmodell bei der Verwirklichung dieses Normziels (strukturelle) Defizite aufweisen, gibt es nach funktionalem Grundrechtsverständnis kein Regel- und Ausnahmemodell. Der Gesetzgeber kann zwischen beiden Organisationsformen prinzipiell frei wählen oder sich für Mischmodelle entscheiden. Auch sind öffentlich-rechtliche Angebote nicht auf die Kompensation der Defizite privater Angebote begrenzt. Sie dienen der Versorgung der ganzen Bevölkerung, also der Versorgung von Massen und von Minderheiten gleichermaßen. Dementsprechend wären öffentlich-rechtliche Angebote (im Pressebereich und) im Internet auch dann zulässig, wenn sie sich von denen privater Anbieter nicht (grundlegend) unterscheiden. Fazit: Unter der Prämisse einer rein funktionalen Deutung der Massenkommunikationsgrundrechte entpuppt sich die Qualifizierung des Marktmodells als Regelmodell für die Organisation der Massenmedien als reiner politischer Glaubenssatz. Die Modell-
II. Massenkommunikationsgrundrechte als Funktionsgrundrechte
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frage wird von der Bühne des Verfassungsrechts verbannt und dem politischen Raum zugeführt.
II. Massenkommunikationsgrundrechte als Funktionsgrundrechte: Konzeption – offene Fragen – Auswirkungen auf die Legitimation öffentlich-rechtlicher Onlineangebote 1. Massenkommunikationsgrundrechte als „dienende Freiheiten“ Grundrechte stellen im Regelfall Individualgrundrechte dar und vermitteln dem Einzelnen den Legitimationstitel zur Entfaltung seiner Freiheit nach privatautonomen Handlungsmustern. Sie markieren den Bezirk privater Selbstbestimmung, innerhalb dessen sich der Grundrechtsträger frei von autoritativer Zweckbestimmung und staatlicher Einmischung nach autonom gesetzten Zielen entfalten kann. Im Schutzzentrum stehen die personalen Entfaltungsinteressen des Einzelnen. Der Grundrechtsträger genießt um seiner selbst willen grundrechtlichen Schutz. Die personale Autonomie bildet die Sinnmitte grundrechtlichen Schutzes. Dies schließt es freilich nicht aus, dass neben diesen individualrechtlichen Grundrechtskern auch objektiv-rechtliche Bedeutungsschichten treten. Solange und soweit diese objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte der Stärkung und Erweiterung individueller Freiheitsbezirke dient, also funktional auf einen möglichst effektiven Schutz personaler Freiheiten gerichtet ist, ist hiergegen auf der Grundlage eines individualrechtlichen Grundrechtsverständnisses an nichts zu erinnern50. Im scharfen Kontrast zu diesem individualrechtlichen Grundrechtsmodell steht die Auslegung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht. Das Gericht versteht das Grundrecht der Rundfunkfreiheit nicht als selbstzweckhafte Freiheit, in dessen dogmatischem Gravitationszentrum der Schutz der personalen und wirtschaftlichen Entfaltungsinteressen steht. In der Diktion des Gerichts: „Die Rundfunk50 Vgl. BVerfGE 50, 290 (337: „Nach ihrer Geschichte und ihrem heutigen Inhalt sind sie in erster Linie individuelle Rechte, Menschen- und Bürgerrechte, die den Schutz konkreter, besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand haben. Die Funktion der Grundrechte als objektive Prinzipien besteht in der prinzipiellen Verstärkung ihrer Geltungskraft, hat jedoch ihre Wurzeln in dieser primären Bedeutung. Sie läßt sich deshalb nicht von dem eigentlichen Kern lösen und zu einem Gefüge objektiver Normen verselbständigen, in dem der ursprüngliche und bleibende Sinn der Grundrechte zurücktritt.“); ebenso BVerfGE 115, 320 (358); Jeand’Heur, JZ 1995, 161 (163 ff.); Friauf, NJW 1986, 2595 (2600 f.); Kull, in: Badura/Scholz (Hrsg.), FS für Lerche, S. 663 (669).
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C. Verfassungsrechtliche Grundlegung
freiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ermächtigt ihren Träger nicht zu beliebigem Gebrauch“51. Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit wird seinem Träger nicht „zum Zweck der Persönlichkeitsentfaltung oder Interessenverfolgung“ eingeräumt52. „Als dienende Freiheit wird sie nicht primär im Interesse der Rundfunkveranstalter, sondern im Interesse freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung gewährleistet“53. Diese Konzeption der Rundfunkfreiheit als „dienende Freiheit“ entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts54. Allerdings liefern einige Judikate einen Hinweis darauf, dass der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkfreiheit kein (rein) funktionales Grundrechtsverständnis zugrunde liegt55. Die Rundfunkfreiheit wird lediglich als „primär“ dienende Freiheit verstanden, so dass sie – wenn auch nur in sehr mediatisierter Form – zumindest auch den privaten Interessen der Rundfunkveranstalter zu dienen bestimmt ist56. Die Rundfunkfreiheit gewährleistet damit nach der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur einen Restbereich personaler Subjektivität57. Allerdings ist dieses grundrechtlich geschützte Feld privatautonomer Gestaltungsmacht von der objektiv-rechtlichen Bedeutungsschicht des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG überlagert, die auf die Herstellung freier öffentlicher und individueller Meinungsbildung durch den Rundfunk gerichtet ist. Die Rundfunkgarantie wird daher im Kern in den Dienst der Gewährleistung freier individueller und öffentlicher Kommunikation gestellt.
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BVerfGE 83, 238 (315). BVerfGE 87, 181 (197). 53 BVerfGE 83, 238 (315). 54 BVerfGE 57, 295 (319). 55 BVerfGE 57, 295 (319 f.); 73, 118 (152); 83, 238 (295 f.); 87, 181 (197); 90, 60 (87); 107, 299 (332); 114, 371 (386 f.); BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1288). 56 Vgl. BVerfGE 57, 295 (320); 74, 297 (323); 83, 238 (315); siehe Rossen, Freie Meinungsbildung durch den Rundfunk, S. 268 ff., der zu Recht darauf hinweist, dass die in BVerfGE 57, 295 (321) konstatierte Kollisionslage zwischen der Meinungsäußerungsfreiheit der Rundfunkveranstalter und der Informationsfreiheit der Rezipienten auf der Grundlage einer funktionalen Grundrechtsinterpretation konstruktiv nicht zu begründen ist; denn wenn die Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit der Rundfunkschaffenden den Informationsbedürfnissen der Rezipienten zu dienen hat und nur insoweit grundrechtlichen Schutz genießt, ist eine Kollision der genannten Grundrechte nicht möglich. 57 Deutlich zu einem binnenpluralistischen Organisationsmodell im privaten Rundfunk BVerfGE 73, 118 (171: „Damit wäre diese Form der Veranstaltung von Rundfunksendungen um das Grundelement privatautonomer Gestaltung und Entscheidung und damit um ihre eigentliche Substanz gebracht“; ebenso BVerfG, AfP 2008, 174 (177: „Grundelement privater autonomer Gestaltung und Entscheidung“); vgl. ferner BVerfG, NJW 1991, 1943, wonach der Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks seinen Ursprung nicht nur im demokratischen System hat, sondern auch „im Interesse der personalen Autonomie“ (Hervorhebung durch Verf.) am Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG teilnimmt. 52
II. Massenkommunikationsgrundrechte als Funktionsgrundrechte
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Das bedeutet indes nicht, dass das Grundrecht der Rundfunkfreiheit keine subjektiv-rechtlichen Elemente aufweist. Das Grundrecht vermittelt subjektive Rechte im Sinne einklagbarer Rechtspositionen. Nur werden diese subjektiven Rechte dem einzelnen Grundrechtsträger nicht zum Zwecke der Verteidigung individueller Freiheiten eingeräumt. Vielmehr stehen auch diese subjektiven Rechte in dem Dienst der objektiv-rechtlichen Gewährleistungsschicht des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG58. Nur um dessentwillen genießt der Grundrechtsträger grundrechtlichen Schutz. Kraft dieses subjektiven Rechts kann der Grundrechtsträger gerichtlich überprüfen lassen, ob sowohl das die Rundfunkfreiheit ausgestaltende Gesetz als auch die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts dem objektivrechtlichen Normziel dient. Kurzum: Dem Grundrechtsträger wird im Interesse der Grundrechtssicherung eine Art „Wächterfunktion“ eingeräumt; das Bundesverfassungsgericht spricht insoweit von einem „Grundrechtsbeachtungsanspruch“59 des Grundrechtsträgers. Auch die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG wurzelnden subjektiven Rechtspositionen sind funktional auf die Gewährleistung des objektivrechtlichen Normziels gerichtet: auf die Versorgung der Bevölkerung mit einem in meinungsbezogener und gegenständlicher Hinsicht umfassenden Rundfunkangebot. Einen (dogmatisch tragfähigen) Grund für diese Abkehr von einem individualrechtlichen Grundrechtsverständnis hat das Bundesverfassungsgericht nicht genannt. Dass die Rundfunkfreiheit wie alle Kommunikationsgrundrechte dem Kommunikationsprozess (faktisch) dienen, rechtfertigt den Dispens vom individualrechtlichen Kern des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht. Auch die Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG dient dem Prozess individueller und öffentlicher Meinungsbildung, ohne dadurch zu einem Funktionsgrundrecht zu mutieren. Implizit beruht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auf der Idee einer realiter möglichst gleichen Teilhabe aller Bürger am gesellschaftlichen Kommunikationsprozess60, also auf der Prämisse eines verfassungsrechtlichen Grundsatzes kommunikativer Chancengleichheit 61. Aufbauend auf dem liberalen Theorem, demzufolge sich 58 Deutlich BVerfGE 97, 298 (314: „Da es [scil.: das Grundrecht der Rundfunkfreiheit; Verf.] sowohl objektivrechtlich als auch subjektivrechtlich im Dienst der Grundrechtssicherung steht, gibt es dem Bewerber aber jedenfalls einen Anspruch darauf, dass bei der Auslegung und Anwendung seine Position als Träger des Grundrechts der Rundfunkfreiheit hinreichend beachtet wird.“) 59 BVerfGE 97, 298 (314). 60 Hierauf wird im Schrifttum zu Recht hingewiesen, vgl. statt vieler Bullinger, HStR, § 142 Rn. 161; Hoffmann-Riem, in: HdbVerfR, § 7 Rn. 12; ders., in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 140; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 140; Schulz, Gewährleistung kommunikativer Chancengleichheit als Freiheitsverwirklichung, S. 179. 61 Vgl. hierzu Hoffmann-Riem, in: HdbVerfR, § 7 Rn. 12; ders., in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 140; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 140; Held, Online-Ange-
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C. Verfassungsrechtliche Grundlegung
im Wege des öffentlichen geistigen „Meinungskampfes“62 aus dem „Konzert der ungezählten Stimmen“63 die Auffassung mit der größten Überzeugungskraft durchsetzen solle und die Ergebnisse dieses Wettstreites von Informationen und Wertungen die Gewähr für eine größtmögliche Rationalität bieten sollen64, wird die faktisch möglichst gleiche kommunikative Teilhabechance aller Bürger zum zentralen Baustein der Kommunikationsverfassung deklariert. Überall dort, wo die Chancengleichheit, aktiv und passiv am Kommunikationsprozess mitzuwirken, durch technische, wirtschaftliche oder sonstige Gründe, also realiter gestört sei, habe der Staat durch Ausgestaltung der Kommunikationsordnung für möglichst gleiche Teilhabechancen Sorge zu tragen. Deshalb könnten Massenkommunikationsgrundrechte nicht als Individualgrundrechte verstanden werden. Da der Zugang zu den Massenkommunikationsmitteln wie Rundfunk und Presse insbesondere wegen des damit verbundenen Kapitalaufwandes nur Wenigen vorbehalten sei, müsse die Wahrnehmung der Massenkommunikationsgrundrechte durch Wenige in den Dienst der Befriedigung der kommunikativen Bedürfnisse der Bevölkerung gestellt werden. Dem Fehlen realer massenkommunikativer Mitwirkungsmöglichkeiten der Masse korrespondiere der „Teilhabeanspruch“ der Masse gegenüber den wenigen Massenkommunikationsmedien, dem durch Integration der kommunikativen Bedürfnisse im Versorgungsauftrag der Massenmedien zu entsprechen sei. Der besondere Schutz der Massenkommunikationsgrundrechte ziele nicht auf die Absicherung kommunikativer und wirtschaftlicher Interessen weniger, zumeist kapitalkräftiger Unternehmen, sondern auf die umfassende Information der Bevölkerung65. Auf die grundsätzliche Kritik an diesem Grundrechtsverständnis wird später noch gesondert eingegangen. Vor allem gilt es deutlich zu machen, dass die Prämissen dieser Grundrechtskonzeption unter den Bedingungen moderner Massenkommunikation zunehmend ins Wanken geraten oder bereits entfallen sind66.
bote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 44 ff.; Rossen, Freie Meinungsbildung durch den Rundfunk, S. 244 f.; Schulz, Gewährleistung kommunikativer Chancengleichheit als Freiheitsverwirklichung, S. 178 f.; siehe auch Stammler, Die Presse als die soziale und verfassungsrechtliche Institution, S. 181 ff., 215 ff., 219 ff. 62 Vgl. nur BVerfGE 7, 198 (208); 12, 113 (125); 24, 278 (286); 25, 256 (264); 42, 163 (170); 43, 130 (137); 44, 197 (207); 54, 129 (138); 54, 208 (221); 61, 1 (11 f.); 66, 116 (150 f.); 68, 226 (232); 73, 206 (258). 63 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 I, II Rn. 4. 64 Vgl. BVerfGE 5, 85 (135); 12, 113 (125); 69, 315 (345 f.). 65 Im Ergebnis ähnlich die Konzeption, welche die massenkommunikative (Rundfunk-)Freiheit als Gruppengrundrecht oder als treuhänderisches Grundrecht versteht (vgl. statt vieler Lücke, DVBl. 1977, 977 ff.). 66 Vgl. C. III., S. 50 ff.
II. Massenkommunikationsgrundrechte als Funktionsgrundrechte
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2. Kein Raum für die Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Auf der Grundlage des funktionalen Grundrechtsverständnisses ist der Staat verpflichtet, die Erfüllung der den Massenmedien obliegenden dienenden Funktion im Kommunikationsprozess zu gewährleisten. Bekanntlich schreibt das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber im Bereich des Rundfunks die Aufgabe zu, durch eine positive Ordnung dafür Sorge zu tragen, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichst großer Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet und auf diese Weise umfassende Information ermöglicht wird67. Für solche das Grundrecht der Rundfunkfreiheit ausgestaltenden Gesetze gelten besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen. So ist auch im Bereich der Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit das rechtsstaatliche Gebot der Normenklarheit zu beachten68. Außerdem müssen die die Rundfunkfreiheit ausgestaltenden Normen geeignet sein, das Normziel des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu erreichen69. Dementsprechend darf der Gesetzgeber den privaten Rundfunk nicht Bedingungen unterwerfen, die seine Veranstaltung in hohem Maße erschweren, wenn nicht ausschließen würden70. Denn in diesem Fall könnten sich die publizistischen Energien privater Rundfunkveranstalter nicht entfalten. Entsprechende Regelungen wären nicht geeignet, den freien Kommunikationsprozess zu fördern. Demgegenüber gelangen die weiteren Elemente des rechtsstaatlich und grundrechtlich fundierten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die Kriterien der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Zumutbarkeit), im Bereich der Ausgestaltung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit nicht zur Anwendung. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht keinen Zweifel daran gelassen, dass auch für private Anbieter binnenpluralistische Maßstäbe vorgeschrieben werden dürfen71, und zwar auch dann, wenn derartige Sicherungsinstrumente zur Erreichung gleichgewichtiger Vielfalt nicht unerlässlich sind. Weil die Kriterien der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit im Ausgestaltungsbereich keine Anwendung finden, besitzt der Gesetzgeber bei der Bestimmung 67 BVerfGE 57, 295 (319 f.); 73, 118 (152 ff.); 74, 297 (323 f.); 83, 238 (295 f.); 87, 181 (197 f.); 89, 144 (152); 90, 60 (88); 114, 371 (386 f.); BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1288). 68 Vgl. BVerfGE 73, 118 (163 f.); 83, 238 (322); vgl. Wichmann, Vielfaltsicherung in digitalen Breitbandkabelnetzen, S. 35; Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 80. 69 Vgl. BVerfGE 97, 228 (267); Reinemann, Zugang zu Übertragungswegen, S. 86 ff.; Wichmann, Vielfaltsicherung in digitalen Breitbandkabelnetzen, S. 35; Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 80. 70 BVerfGE 73, 118 (157); 83, 238 (317); Reinemann, Zugang zu Übertragungswegen, S. 99. 71 Vgl. BVerfGE 57, 295 (325); 73, 118 (171); 83, 238 (316).
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des dem privaten Rundfunk abverlangten Vielfaltstandards einen weiten Gestaltungsspielraum. Es komme allein auf die Gewährleistung freier und umfassender Berichterstattung an72. Der dogmatische Grund für diesen weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegt darin, dass die Kriterien der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne keine Zulässigkeitsvoraussetzungen für Ausgestaltungsregelungen darstellen. Nicht aber umgekehrt folgt die Unanwendbarkeit dieser beiden Kriterien aus dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers73. Indes wird in der Literatur teilweise der Versuch unternommen, die Kriterien der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne auch auf den Bereich des rundfunkspezifischen Ausgestaltungsvorbehalts zu übertragen und damit den Gesetzgeber auf die Einhaltung dieser rechtsstaatlichen Erfordernisse zu verpflichten74. Auch in der Rechtsprechung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts gibt es Anzeichen für eine Geltungserstreckung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf den Bereich der Grundrechtsausgestaltung75. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in seinem Urteil vom 12. März 2008 ein (absolutes) Beteiligungsverbot politischer Parteien an Rundfunkveranstaltern ausdrücklich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemessen und als unverhältnismäßige Regelung für verfassungswidrig erklärt76. Ganz offenbar ist diese neue Entwicklung Ausdruck eines grundrechtlich schlechten Gewissens. Um einer gesetzgeberischen Beliebigkeit (engere) Grenzen setzen zu können, wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in den Bauplan der grundrechtlichen Ausgestaltung implantiert. Auch wenn dem im Ergebnis uneingeschränkt zuzustimmen ist77, beruht die Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Grundrechtsausgestaltung auf einer 72 Vgl. nur BVerfGE 57, 295 (321 f.); 73, 152 (153); 74, 297 (324); 83, 238 (296); 114, 371 (387); BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1288). 73 Gersdorf, Chancengleicher Zugang zum digitalen Fernsehen, S. 29 f.; ders., Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 80. 74 Vgl. etwa Bremer/Esser/Hoffmann, Der Rundfunk in der Verfassungs- und Wirtschaftsordnung in Deutschland, S. 44 f.; Eberle, Rundfunkübertragung, S. 44; Lerche, Presse und privater Rundfunk, S. 25 ff.; Jarass, Gutachten zum 56. DJT, Rdnr. 36; Hoffmann-Riem, AöR 109 (1984), 304 (316); ders., in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 158; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 158. 75 Vgl. BVerfGE 97, 228 (267: „Gesetze, die die Rundfunkfreiheit ausgestalten, sind dann verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie geeignet sind, das Ziel der Rundfunkfreiheit zu fördern, und die von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Interessen angemessen berücksichtigen.“); das Gericht lässt indes offen, was es unter den „von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Interessen“ versteht und vor allem in welchem Verhältnis diese Interessen zum Normziel des Grundrechts der Rundfunkfreiheit stehen sollen. 76 BVerfG, AfP 2008, 174 (181: „unverhältnismäßig“ [Rn. 126], „außer Verhältnis“ [Rn. 129], „angemessen“ [Rn. 130]). 77 Vgl. C. III. 3., S. 67 ff.
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Aktivierung und Stärkung des individualrechtlichen Kerns der Rundfunkgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG78, der im Bauplan des funktionalen Grundrechtsverständnisses keinen Platz hat79. Denn versteht man die Rundfunkfreiheit als dienende Freiheit, in deren grundrechtlichem Gravitationszentrum nicht der Schutz des einzelnen Grundrechtsträgers und seiner personalen Entfaltungsinteressen80, sondern der objektiv-rechtliche Bezug des Grundrechts steht, fehlt es an der Grundlage für die Anwendbarkeit der Grundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Die Prüfung des Erforderlichkeitskriteriums, also die Suche nach dem mildesten Mittel zur Erreichung des anvisierten Ziels, setzt eine gegenläufige Position des Grundrechtsträgers voraus. Eine solche dem personalen Substrat entspringende gegenläufige Position ist dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit nach funktionalem Verständnis indes fremd. Hiernach geht es gerade nicht um den Schutz der personalen Entfaltungsinteressen des Grundrechtsträgers, sondern um die Verwirklichung des objektiv-rechtlichen Normziels, das heißt, um die Gewährleistung umfassender Information durch den Rundfunk. Der Träger des Grundrechts der Rundfunkfreiheit genießt im Interesse dieses Normziels Grundrechtsschutz, nicht aber aus Selbstzweck oder um seiner Persönlichkeitsentfaltung willen. Deshalb geht die Frage nach dem „mildesten Mittel“ von vornherein fehl. Sie hat nur dann einen Sinn und nur dann eine Berechtigung, wenn es widerstreitende Interessen des Grundrechtsträgers gibt, die in Abwägung mit den vom Staat verfolgten öffentlichen Interessen zu bringen sind. An dieser Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Erforderlichkeitsgrundsatzes fehlt es jedoch im Bereich der Ausgestaltung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit, weil nach funktionaler Deutung der Grundrechtsträger dem objektiv-rechtlichen Normziel zu dienen hat und nur um dessentwillen grundrechtlichen Schutz genießt. Aus dem gleichen Grund kann auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne keine Anwendung finden; auch insoweit geht es um einen angemessenen Ausgleich der einander konfligierenden Güter im Rahmen der Mittel-Zweck-Relation. Ein solcher Interessenwiderstreit ist innerhalb der Bauarchitektur des funktionalen Verständnisses des Grundrechts der Rundfunkfreiheit ausgeschlossen.
78 Ganz deutlich BVerfG, AfP 2008, 174 (181, Rn. 126: „individuelle rundfunkverfassungsrechtliche Positionen“). 79 Zutreffend Witt, Internet-Aktivitäten öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 229; vgl. bereits Gersdorf, Chancengleicher Zugang zum digitalen Fernsehen, S. 30 f.; ders., Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 81. 80 Vgl. nur BVerfGE 83, 238 (315: „Die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ermächtigt ihren Träger nicht zu beliebigem Gebrauch. Als dienende Freiheit wird sie nicht primär im Interesse der Rundfunkveranstalter, sondern im Interesse freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung gewährleistet.“).
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C. Verfassungsrechtliche Grundlegung
3. Wahlfreiheit des Gesetzgebers bei der Entscheidung für ein Modell der Medienordnung Leugnet man den individualrechtlichen Gehalt der Massenkommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG oder bringt man diesen kraft eines überwölbenden objektiv-rechtlichen Gehalts nur in verkürzter, gleichsam akzidentieller Form zum Ansatz und versagt man dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der „Grundrechtsausgestaltung“ die Existenzberechtigung, ist die Wahl des Organisationsmodells für die Massenmedien im Wesentlichen eine rein politische Frage. Nach funktionalem Verständnis schreibt das Grundgesetz kein bestimmtes Modell für die Ausgestaltung der Medienordnung vor. Für die Organisation der Massenmedien gäbe es kein Vorrang- und kein rechtfertigungsbedürftiges Ausnahmemodell. Vielmehr wird die Modellneutralität zum verfassungsrechtlichen Grundsatz erklärt81. Der Gesetzgeber könne sich für das Modell entscheiden, das eine pluralistische, dem Prinzip kommunikativer Chancengleichheit verpflichtete Medienordnung gewährleistet. Da sowohl das Markt- als auch das gemeinnützige öffentlich-rechtliche Integrationsmodell strukturelle Schwächen aufwiesen, keines indes für sich genommen gänzlich ungeeignet sei, für gleichgewichtige Vielfalt zu sorgen, könne sich der Gesetzgeber prinzipiell für beide Modelle oder auch für eine Kombination beider Modelle entscheiden. Bei Lichte betrachtet kann der Gesetzgeber nach funktionalem Grundrechtsverständnis über das Medienmodell nahezu frei verfügen, ohne hierbei an verfassungsrechtliche Vorgaben gebunden zu sein82. Liegt die Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt im Sinnzentrum der Massenkommunikationsgrundrechte, kann der Gesetzgeber die Medienordnung frei ausgestalten, solange und soweit das gewählte Modell zur Erreichung des objektivrechtlichen Normziels geeignet ist. Das den Rundfunkbereich seit jeher kennzeichnende öffentlichrechtliche (binnenpluralistische) Integrationsmodell könnte demnach gleichsam voraussetzungslos auch in anderen Medienbereichen (Presse, Film) zum Einsatz gelangen. In der Argumentation werden vor allem strukturelle Defizite des Marktmodells deutlich herausgehoben, um auf diese Weise die Berechtigung des Gesetzgebers zur öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung der Medienordnung zu bekräftigen, ohne dass es hierzu nach der Rationalität des funktionalen Grundrechtsverständnisses überhaupt einer weiteren Begründung bedürfte. Zwar werden auch die Funktionsdefizite eines öffentlich-rechtlichen Integrationsmodells, die sich 81 Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 189; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 189; siehe bereits ders., Innere Pressefreiheit als politische Aufgabe, S. 8 ff., 39 ff., 62 f., insbesondere 76 ff. 82 Zu Recht kritisch statt vieler Starck, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 10.
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vor allem im erheblichen Einfluss der politischen Parteien auf den öffentlichrechtlichen Rundfunk manifestieren83, angesprochen. Ihnen wird aber im Vergleich mit den strukturellen Defiziten des Marktmodells geringeres Gewicht beigemessen84. Die Präferenz für das binnenpluralistische Organisationsmodell kommt mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck. Vor allem im Bereich des Rundfunks wird dem Marktmodell eine von Verfassungs wegen nicht hinnehmbare Schwäche unterstellt, die eine Bestands- und Ewigkeitsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Folge hat, während vergleichbare Funktionsdefizite im öffentlich-rechtlichen Integrationsmodell nicht ausgemacht werden. So entpuppt sich der sogenannte Grundsatz der Modellneutralität als Chiffre, um der historisch gewachsenen privatrechtlichen Organisationform vor allem des Pressewesens ihre grundrechtlich verfestigte Institutsgarantie abzusprechen und den Boden für eine Transformation öffentlich-rechtlicher Organisationsstrukturen auch in diesem Bereich zu bereiten. Eine reine oder primär privatrechtliche Organisation des Rundfunks wird hingegen für alle Ewigkeit ausgeschlossen. Von Organisationsneutralität kann nicht die Rede sein. Dem Marktmodell, das auf dem Konzept privatrechtlich organisierter, privatwirtschaftlich handelnder und publizistisch sowie wirtschaftlich miteinander konkurrierender Medienunternehmen beruht, werden strukturelle Schwächen attestiert, welche den Gesetzgeber verfassungsrechtlich zu einer öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung der Medien berechtigten oder (wie im Rundfunkbereich) sogar verpflichten sollen. Hierbei rekurriert man auf medienökonomische Erkenntnisse, die belegen sollen, dass Medien sich in ihren Eigenschaften von anderen (Wirtschafts-)Gütern grundlegend unterscheiden und deshalb eine allein den Funktionsgesetzen des Marktes folgende Medienordnung zu Vielfaltdefiziten führe. Die zentralen Argumentationsstränge werden im Folgenden aufgezeigt85.
83 Vgl. hierzu statt vieler Bullinger, HStR, § 142 Rn. 92 ff.; Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 220; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 220; Vesting, Prozedurales Rundfunkrecht, S. 145 f.: „weitgehende Gleichschaltung“. 84 Vgl. etwa Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 220; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 220. 85 Vgl. umfassend zu den Defiziten des Marktmodells Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 183 ff. (Rundfunkbereich), 206 ff. (Onlinebereich); Hildebrand, in: Holznagel/Dörr/Hildebrand, Elektronische Medien, S. 400 ff.; Kübler, Medien, Menschenrecht und Demokratie, S. 27 ff.; siehe auch Holznagel, Der spezifische Funktionsauftrag des Zweiten Deutschen Fernsehens, S. 114 ff.
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a) Strukturelle Defizite des Marktmodells aa) Informationsasymmetrien Marktprozesse werden durch Angebot und Nachfrage gesteuert. Im Idealfall besteht zwischen Anbietern und Nachfragern ein Gleichgewicht. Das setzt hinreichende Informationen voraus. Sind Nachfrager schlechter informiert als Anbieter eines Produkts oder einer Dienstleistung (Informationsasymmetrien), können Anbieter Produkte oder Dienstleistungen mit minderer Qualität auf den Markt bringen, ohne dass dies den Verbrauchern auffällt und durch den Verbraucher sanktioniert werden kann. Dies kann eine adverse Selektion zur Folge haben, so dass schlechte die vergleichsweise qualitativ besseren Produkte und Dienstleistungen verdrängen86. Insbesondere für den Rundfunkbereich meint man, den Zuschauern eine mangelnde Fähigkeit zur Einschätzung der Qualität attestieren zu können. Rundfunkprogramme seien sogenannte Erfahrungsgüter, weil die Beurteilung der Qualität erst nach dem Konsum möglich sei87. Bei bestimmten nicht-fiktionalen Programmen wie Informationssendungen (Nachrichten etc.) seien die Rezipienten auch nach Empfang nicht in der Lage, die Qualität der rezipierten Inhalte mit vertretbarem Aufwand zu beurteilen. Es handele sich daher um sogenannte Vertrauensgüter88. Bei Erfahrungsgütern und vor allem bei Vertrauensgütern bestehe die Gefahr, dass private Rundfunkveranstalter im Interesse der Kostenreduzierung das qualitative Niveau absenkten, ohne dass die Zuschauer dies entsprechend sanktionieren könnten. Auch im Onlinebereich werden solche Informationsasymmetrien gesehen89. bb) Externe Effekte Die Nutzung von Medien hat nicht nur Auswirkungen auf die jeweiligen Rezipienten, sondern auch auf an der Kommunikation nichtbeteiligte Dritte und auf sonstige Rechtsgüter. Es kann zwischen positiven und negativen Externalitäten differenziert werden. Als positiver Effekt kann die integrierende und demokratiefördernde Funktion des Rundfunks genannt werden. Rundfunkpro-
86 Vgl. Hildebrand, in: Holznagel/Dörr/Hildebrand, Elektronische Medien, S. 402 f. m. w. N. 87 Hildebrand, in: Holznagel/Dörr/Hildebrand, Elektronische Medien, S. 404; Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 185; Kops, Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 8. 88 Hildebrand, in: Holznagel/Dörr/Hildebrand, Elektronische Medien, S. 404; Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 185; Kops, Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 8. 89 Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 206 ff.
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gramme können aber auch negative Effekte zeitigen, wie etwa die Förderung von Gewaltbereitschaft, Rassismus und Respektlosigkeit gegenüber Dritten90. cc) Konzentration durch Skalen- und Verbundvorteile Fernsehmärkte zeichnen sich durch einen vergleichsweise hohen Konzentrationsgrad aus. Der Fernsehmarkt ist durch wenige Anbieter mit erheblicher Marktmacht gekennzeichnet91. Dies wird darauf zurückgeführt, dass Skalenund Verbundvorteile vor allem marktmächtigen Unternehmen zugute kommen. Da beim Rundfunk die Produktionskosten (Fixkosten) und die Grenzkosten (Vervielfältigungs- und Distributionskosten) von der Zahl der Rezipienten im Wesentlichen unabhängig sind, lassen sich die Kosten mit wachsender Nutzerzahl entscheidend reduzieren. Deshalb entspricht es ökonomischer Rationalität, vorwiegend massenattraktive Inhalte anzubieten und eine einmal produzierte bzw. erworbene Sendung möglichst oft zu verbreiten. Hinzu treten Verbundvorteile horizontal bzw. vertikal integrierter Unternehmen. Der Zugriff auf gemeinsame Ressourcen hilft, die Kosten auf den einzelnen Wertschöpfungsstufen zu verringern. Verbundvorteile lassen sich zudem durch vertikale Verflechtungen auf den Medienmärkten erreichen. dd) Nicht-Ausschließbarkeit Medien stellen öffentliche Güter dar. Im Gegensatz zum Pay-TV oder zur über Abonnenten- und Verkaufserlöse finanzierten Presse ist es beim Free-TV nicht möglich, nichtzahlende Personen vom Konsum auszuschließen92. Beim werbefinanzierten Free-TV wird ein hilfsweises Ausschlussverfahren angewendet. Die Programmgestaltung orientiert sich an den wirtschaftlichen Interessen der werbetreibenden Industrie. Das bedeutet zum einen regelmäßig eine Orientierung an den kommunikativen Bedürfnissen einer breiten Masse, weil die Werbepreise mit wachsender Zuschauerreichweite steigen. Zum anderen wird in erster Linie diejenige Zielgruppe berücksichtigt, die für die werbetreibende Wirtschaft von Bedeutung ist. Das ist vor allem die Altersgruppe der 14 bis 29Jährigen. (Nichtkaufkräftige) Minderheiten und die zahlenmäßig große Gruppe der älteren Menschen, die in der Vergangenheit für die werbetreibende Wirtschaft von nur geringer Bedeutung war, kommen bei werbefinanzierten kom90 Hildebrand, in: Holznagel/Dörr/Hildebrand, Elektronische Medien, S. 403 f.; Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 187. 91 Vgl. etwa Kruse, in: ders. (Hrsg.), Ökonomische Perspektiven des Fernsehens in Deutschland, S. 32 ff. 92 Heinrich, Medienökonomie 2, S. 26; Hildebrand, in: Holznagel/Dörr/Hildebrand, Elektronische Medien, S. 401 f.; Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 190.
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C. Verfassungsrechtliche Grundlegung
merziellen Rundfunkangeboten zu kurz. So lassen sich etwa volkstümliche Musiksendungen, die vor allem beim älteren Publikum auf Zuspruch stoßen und (teilweise) sehr hohe Zuschauerreichweiten erzielen, aus Wirtschaftswerbung nicht oder nur unzulänglich finanzieren. b) Fazit: Öffentlich-rechtliches Integrationsmodell als zulässige Organisationsform der Massenmedien Auf der Grundlage des funktionalen Verständnisses der Massenkommunikationsgrundrechte, das die Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt in das Zentrum des grundrechtlichen Schutzes rückt, kann sich der Gesetzgeber auch mit Blick auf die (strukturellen) Defizite eines auf marktwirtschaftlichen Prinzipien basierenden Mediensystems für eine öffentlich-rechtliche Ausgestaltung der Medienordnung entscheiden. Insbesondere im Bereich des Rundfunks ist die Argumentationsfigur eines strukturellen Vielfaltdefizits des Marktmodells beim Bundesverfassungsgericht auf Gehör gestoßen. Dem primär werbefinanzierten privaten Rundfunk bescheinigt das Bundesverfassungsgericht aufgrund der dieser Finanzierungsform inhärenten vielfaltverengenden Wirkung ein strukturelles Defizit93. Eine allein auf Massenattraktivität ausgerichtete Programmgestaltung könne dem auf umfassende Versorgung der Bevölkerung bezogenen Programmauftrag des Rundfunks nicht genügen. Dementsprechend betont es in ständiger Rechtsprechung, dass eine überwiegende Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus Wirtschaftswerbung und Sponsoring mit dem ihm obliegenden Grundversorgungsauftrag nicht vereinbar sei94. Ergänzend wird auf den Prozess horizontaler und vertikaler Verflechtung auf den Medienmärkten verwiesen, der ebenfalls zu Vielfaltgefährdungen führen könnte95. Vor diesem Hintergrund genießt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der (primär) gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk im Rahmen der dualen Rundfunkordnung eine Bestands- und Entwicklungsgarantie96. Nach funktionalem Grundrechtsverständnis ist das öffentlich-rechtliche Integrationsmodell keinesfalls auf den Bereich des klassischen (linearen) Rundfunks begrenzt. Die den klassischen kommerziellen Rundfunk kennzeichnenden Funktionsdefizite sollen auch im Onlinebereich vorliegen97. Auch im Onlinebereich bestünden Informationsasymmetrien, die bei nicht-fiktionalen Inhalten 93 Vgl. nur BVerfGE 87, 181 (199); 90, 60 (91); 114, 371 (388); BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1289); BVerfG, AfP 2008, 174 (177). 94 Vgl. BVerfGE 83, 238 (311); 87, 181 (199); 90, 60 (91); BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1290). 95 Vgl. BVerfGE 95, 163 (173); BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1289). 96 Vgl. BVerfGE 74, 297 (324 f., 342); 90, 60 (91); BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1289).
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(Nachrichten und sonstige Informationsportale) besonders stark und bei fiktionalen Inhalten vergleichsweise gering ausgeprägt seien98. Auch im Onlinebereich seien horizontale und vertikale Verflechtungen naheliegend oder sogar bereits zu verzeichnen99. Und auch im Onlinebereich bestünde bei einer primär wirtschaftlichen Ausrichtung des Angebots die Gefahr, dass sich die Auswahl von Themen und die Art der Darstellung an wirtschaftlichen und nicht an journalistischen Kriterien orientiere100. Außerdem bestünde das Risiko, dass die Beachtung journalistischer Regeln (Rechercheobliegenheit) aus Kostengründen unterbleibe101. Folgerichtig wird dem Gesetzgeber die Befugnis eingeräumt, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk über die Veranstaltung klassischen Rundfunks hinaus auch eine Betätigung im Onlinebereich zu gestatten, solange und soweit es sich bei den Onlineinhalten um Rundfunk im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG handelt102. Dementsprechend könne der Gesetzgeber, die duale Rundfunkordnung zu einer dualen Internet- und Informationsordnung weiterentwickeln103, ohne hierbei an weitere verfassungsrechtliche Vorgaben gebunden zu sein104. Der – sich gleichsam aufdrängende – Einwand105, dass auf der Grundlage der dem Onlinebereich attestierten Vielfaltdefizite kommerzieller Angebote auch eine öffentlich-rechtliche Pressetätigkeit zulässig sein müsse106, vermag nach funktionalem Grundrechtsverständnis nicht zu verfangen. Denn danach könnte der Gesetzgeber die Presse nach Maßgabe der den Rundfunkbereich kennzeichnenden Strukturen organisieren107. Den im Spiegel-Urteil gemachten Ausfüh97 So insbesondere die medienökonomische Analyse von Kops, in: Schulz/Held/ Kops, Perspektiven der Gewährleistung öffentlicher Kommunikation, S. 107 ff.; ihm folgend Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 206 ff. 98 Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 207. 99 Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 209. 100 Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 216. 101 Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 217 ff. 102 Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 223 ff. 103 So ausdrücklich Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 222; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 222; Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 223 ff. 104 Teilweise wird sogar ein Internet-Access durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Gegengewicht zu kommerziellen Angeboten für erforderlich gehalten (Libertus, ZUM 1999, 889 [895 f.]); hiergegen mit Recht Degenhart, Der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der „Digitalen Welt“, S. 98 f. 105 Auf die (fehlende) Validität dieser dem funktionalen Grundrechtsverständnis zugrundeliegenden Annahmen wird später noch gesondert eingegangen, vgl. D. bei und nach Fn. 322 (S. 92) und D. IV. 2. nach Fn. 373 (S. 109). 106 Vgl. Beyer/Beck, FAZ Nr. 119 vom 24.05.2008, S. 13. 107 Vgl. Stammler, Die Presse als die soziale und verfassungsrechtliche Institution, S. 302 f., 349 ff.; Hoffmann-Riem/Plander, Rechtsfragen der Pressereform, S. 71 ff.; Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 209; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 209; ähnlich ders., HdbVerf, Rn. 39, 52; dagegen statt vieler Bullinger, in:
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rungen des Bundesverfassungsgerichts, wonach Presseunternehmen nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen und in privatrechtlichen Organisationsformen tätig werden108, wird rein deskriptive, nicht aber (verfassungs-)rechtliche Bedeutung beigemessen109. Die gegenwärtige privatwirtschaftliche Ordnung der Presse wird lediglich als „Mittel zum Zweck“ eingestuft110. Da auch das öffentlichrechtliche Integrationsmodell dem Normzweck des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG genüge, wäre es nach funktionaler Deutung des Grundrechts der Pressefreiheit ebenfalls zulässig. Auch wenn es hierzu keiner weiteren Begründung bedürfte, werden auch insoweit die Defizite des ökonomischen Wettbewerbs bei der Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt genannt. Dementsprechend findet sich der Hinweis auf die Verbund- und Skalenvorteile der marktmächtigen Presseunternehmen ebenso wie der Hinweis auf Konzentrationsbewegungen und Konzentrationsgrad im Pressesektor111. Vermögen Vielfaltdefizite des Marktmodells zur Begründung öffentlich-rechtlicher Medienangebote auszureichen, dürften die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu horizontal verflochtenen Medienhäusern ausgebaut werden, die nicht nur Rundfunk, Onlineinhalte, Tageszeitungen, Zeitschriften, sondern auch Bücher, CDs, DVD oder sonstige – dem Grundrecht der Pressefreiheit unterfallende – Trägermedien in ihrem Repertoire bereithalten. Informationsasymmetrien bestehen auch bei Sachbüchern und sonstigen informationsbezogenen Büchern. Wäre deshalb eine öffentlich-rechtliche Enzyklopädie als Gegengewicht zum kommerziellen Brockhaus zulässig? Auch im Bereich der (Musik-) CDs und (Video-)DVDs wird man unschwer eine Tendenz zur inhaltlichen Ausrichtung auf den Massengeschmack feststellen können. Auch diesen Bereich kennzeichnet ein hoher Konzentrationsgrad der Medienindustrie. Wäre deshalb ein öffentlich-rechtlich organisierter Musik- und Videovertrieb mit Eigen- und Fremdproduktionen als Gegengewicht zu den kommerziellen Angeboten weltweit operierender Musik- und Videokonzerne zulässig? Gewiss, niemand denkt ernsthaft an eine solche überbordende Erweiterung des Funktionsauftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Gewiss ist aber, dass die Massenkommunikationsgrundrechte bei einer funktionalen Lesart einem solchen Schritt keine Grenzen setzten, sondern diesen legitimierten.
Löffler, Presserecht, § 1 LPG Rn. 44; ders., HStR, § 142 Rn. 51; Starck, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 86. 108 BVerfGE 20, 161 (175); 66, 116 (133). 109 Hoffmann-Riem/Plander, Rechtsfragen der Pressereform, S. 70; ebenso Groß, DVBl. 1975, 266 (244). 110 Hoffmann-Riem, in: HdbVerfR, § 7 Rn. 17. 111 Hoffmann-Riem, in: HdbVerfR, § 7 Rn. 77; ders., in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 192; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 192.
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4. Dogmatische Unterbelichtung des Grundsatzes der Neutralität des Staates im Kommunikationsprozess: Rechtfertigungsbedürftigkeit einer gebührenfinanzierten Vollversorgung durch öffentlich-rechtliche Medienunternehmen Sofern man – auf der Grundlage des funktionalen Grundrechtsverständnisses – von Vielfaltdefiziten eines auf ökonomischen Marktprozessen beruhenden Medienmodells ausgeht, ist damit noch nicht dargetan, in welchem Umfang Angebote öffentlich-rechtlicher Medienunternehmen zur Kompensation der Vielfaltdefizite zulässig sind. Sind Angebote öffentlich-rechtlicher Medienunternehmen nur zur Schließung der Versorgungslücken des kommerziellen Medienangebots zulässig (Mindestversorgung)? Oder sind Angebote öffentlich-rechtlicher Medienunternehmen – wie im Rundfunkbereich – auch dort zulässig, wo private Konkurrenz tätig ist (Vollversorgung)? Auch nach funktionalem Grundrechtsverständnis drängt der – im Pressebereich entwickelte – Grundsatz der Neutralität des Staates im Kommunikationsprozess auf Verwirklichung (a). Eine staatlich begründete gebührenfinanzierte Vollversorgung durch öffentlich-rechtliche Medienunternehmen führt zu einer Beeinträchtigung des publizistischen Wettbewerbs zwischen den Medienunternehmen, der vor dem Neutralitätsgrundsatz strikt rechtfertigungsbedürftig ist (b). a) Grundsatz der Neutralität des Staates im publizistischen Wettbewerb Auch nach funktionalem Grundrechtsverständnis ist der Staat im Rahmen der Grundrechtsausgestaltung an den Grundsatz der Staatsfreiheit gebunden112. Dieser erstreckt sich auf die gesamte Staatstätigkeit und bezieht den Gesetzgeber ein113. Im Rahmen einer privatrechtlichen Ausgestaltung der Medienordnung, wie etwa dem Pressebereich, erhält der Grundsatz der Staatsfreiheit klare Konturen. Eine pressegemäße Betätigung des Staates ist von Verfassungs wegen ausgeschlossen. Staatspresse ist (kommunikations-)verfassungsrechtlich unzulässig114. 112 Vgl. nur BVerfGE 83, 238 (323 f.); 90, 60 (89 f.); Reinemann, Zugang zu Übertragungswegen, S. 95 ff.; Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 83. 113 BVerfGE 73, 118 (182); 83, 238 (323 f.); 90, 60 (89 f.); BVerfG, NVwZ-RR 1993, 549; Linck, NJW 1974, 2433 (2433); Starck, Rundfunkfreiheit als Organisationsproblem, S. 17; Wufka, Die verfassungsrechtlich-dogmatischen Grundlagen der Rundfunkfreiheit, S. 98; Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 105 f.; ders., Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 145. 114 Vgl. statt aller Bethge, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 5 Rn. 80; Bullinger, HStR, § 142 Rn. 48 ff.; Gersdorf, Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestages, S. 26.
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Darin erschöpft sich der Grundsatz der Staatsfreiheit im Pressebereich indes nicht. Insbesondere im Zusammenhang mit der Zulässigkeit und den Grenzen staatlicher Pressesubventionen haben Rechtsprechung und Literatur herausgearbeitet, dass sich der Staat in Bezug auf den publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen den einzelnen Presseunternehmen strikt neutral zu verhalten hat. Jede Einflussnahme auf Inhalt und Gestaltung einzelner Presseerzeugnisse sowie Verzerrungen des publizistischen Wettbewerbs insgesamt müssen vermieden werden115. Die Vertreter des funktionalen Grundrechtsverständnisses lassen die Frage ungeklärt, ob dieser dem Staat obliegende Neutralitätsgrundsatz auch im Rahmen einer grundsätzlich in allen Mediensektoren für möglich gehaltenen dualen Medienordnung auf Verwirklichung drängt. Auch auf der Grundlage des funktionalen Grundrechtsverständnisses wird man diese Frage bejahen müssen. Denn wenn sich die Medienfreiheiten in ihrer Funktion grundsätzlich nicht unterscheiden116, muss das die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit prägende Strukturprinzip für alle weiteren Medienfreiheiten (Rundfunk, Film) gelten. Dass das Grundrecht der Rundfunkfreiheit im Gegensatz zum Grundrecht der Pressefreiheit einer gesetzlichen Ausgestaltung bedarf, ändert hieran nichts. Denn der vom Bundesverfassungsgericht für den Rundfunk geforderte Ausgestaltungsvorbehalt dient demselben Ziel, das dem Marktmodell verpflichtet ist: der Herstellung und Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt im Rundfunkbereich. Es hieße, Sinn und Zweck des rundfunkspezifischen Ausgestaltungsvorbehalts zu verkennen, wenn man hieraus die Befugnis des Staates zur Einwirkung auf den publizistischen Wettbewerb unter den Trägern der Rundfunkfreiheit ableitete117. Das Prinzip der Staatsfreiheit der Presse findet insoweit seine Entsprechung im Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks118.
115 Vgl. BVerfGE 80, 124 (135 f.); Bullinger, in: Löffler, Presserecht, § 1 LPG Rn. 49; ders., HStR, § 142 Rn. 53 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 5 I, II Rn. 228; siehe hierzu noch C. III. 5, S. 72 ff. 116 Vgl. etwa BVerfGE 91, 125 (134: „Rundfunk und Presse unterscheiden sich in ihrer Funktion nicht.“). 117 Koch, Möglichkeiten der Beteiligung privater Rundfunkveranstalter am Rundfunkgebührenaufkommen der Bundesrepublik Deutschland, S. 80 ff.; Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 95. 118 Koch, Möglichkeiten der Beteiligung privater Rundfunkveranstalter am Rundfunkgebührenaufkommen der Bundesrepublik Deutschland, S. 81 f.; Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 95.
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b) Gebührenfinanzierte Vollversorgung durch öffentlich-rechtliche Medienunternehmen als staatliche Beeinträchtigung des publizistischen Wettbewerbs In einer Medienordnung, die ausschließlich dem öffentlich-rechtlichen Integrationsmodell vertraut und keine private Konkurrenz zulässt, stellt sich die Frage der staatlichen Neutralität nicht. Anders liegen die Dinge im Rahmen einer dualen Medienordnung, zu der sich der Gesetzgeber nach funktionalem Grundrechtsverständnis nicht nur im (klassischen) Rundfunk, sondern auch in anderen Medienbereichen (Internet, Presse) entscheiden darf. aa) Gebührenfinanzierte Grundversorgung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Vollversorgung Der Sache nach ist die Gebührenfinanzierung öffentlich-rechtlicher Medienunternehmen eine spezielle Form der Mediensubventionierung. Der öffentlichrechtliche Rundfunk verfügt über ein maßgebliches Privileg: das Gebührenprivileg. Während private Medienunternehmen vor der Notwendigkeit der Finanzierung nach den Gesetzlichkeiten des Marktes stehen, finanziert sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Wesentlichen aus dem Gebührenaufkommen. Wenn der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Kern auf das beschränkt wäre, was private Anbieter (aus ökonomischen Gründen) nicht leisten können oder nicht leisten wollen, und allein dieser kommunikative vielfaltsichernde und kulturstaatliche Mehrwert aus öffentlichen Gebühren finanziert würde, wäre hiergegen unter dem Gesichtspunkt der dem Staat im publizistischen Wettbewerb obliegenden Neutralitätspflicht an nichts zu erinnern. Der gebührenfinanzierte Funktionsaufrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht aber hierüber hinaus und erstreckt sich auf (massenattraktive) Programmbereiche, in denen auch private Veranstalter tätig sind und auf die sich die publizistische Konkurrenz zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk bezieht. Bereits anlässlich der Einführung des privaten Rundfunks wurde von den Vertretern des funktionalen Grundrechtsverständnisses zum Begriff der Grundversorgung kritisch eingewandt, dass damit eine Abkehr von der Vollversorgung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbunden sein könne119. Der Begriff könne bedeuten, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf Programme beschränkt sei, die von Privaten nicht angeboten würden120. Der öffentlichrechtliche Rundfunk dürfe nicht zur Pluralitätsreserve121, zum „Lückenbüßer“122 degradiert werden. 119 Stock, Zur Theorie des Koordinationsrundfunks, S. 95 ff., 105 ff.; ders., RuF 1987, S. 15 ff. 120 Stock, Zur Theorie des Koordinationsrundfunks, S. 106. 121 Hoffmann-Riem, Kommerzielles Fernsehen, S. 272.
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C. Verfassungsrechtliche Grundlegung
Das Bundesverfassungsgericht hat sich dieser Ansicht angeschlossen und betont, dass es sich bei der den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten obliegenden Grundversorgungsaufgabe nicht um eine Mindestversorgung handele, die von privaten Anbietern nicht abgedeckt wird. Zum Umfang der von den Rundfunkanstalten wahrzunehmenden Grundversorgungsaufgabe heißt es im BadenWürttemberg-Beschluss: „Wie sich aus den Darlegungen hierzu deutlich ergibt, bezeichnet der Begriff nicht eine Mindestversorgung, auf die der öffentlich-rechtliche Rundfunk beschränkt ist oder ohne Folgen für die an privaten Rundfunk zu stellenden Anforderungen reduziert werden könnte. Ebensowenig handelt es sich um eine Grenzziehung oder Aufgabenteilung zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk, etwa in dem Sinne, daß Programme oder Sendungen, die der Grundversorgung zuzurechnen sind, dem öffentlich-rechtlichen, alle übrigen dem privaten Rundfunk vorbehalten sind oder vorbehalten werden könnten.“123
Deutlicher wird das Bundesverfassungsgericht im Nordrhein-Westfalen-Urteil, in dem es den auf eine Vollversorgung gerichteten Charakter des Grundversorgungsauftrages hervorhebt: „Der Begriff der Grundversorgung bezeichnet dabei weder eine Mindestversorgung, auf die der öffentlichrechtliche Rundfunk beschränkt ist oder ohne Folgen für die Anforderungen an den privaten Rundfunk beschränkt werden könnte, noch nimmt er eine Grenzziehung oder Aufgabenteilung zwischen öffentlichrechtlichen und privaten Veranstaltern etwa in dem Sinne vor, daß jene für den informierenden und bildenden, diese für den unterhaltenden Teil des Programmangebots zuständig wären. Es muß vielmehr sichergestellt sein, daß die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten für die Gesamtheit der Bevölkerung Programme anbieten, die umfassend und in der vollen Breite des klassischen Rundfunkauftrags informieren, und daß im Rahmen dieses Programmangebots Meinungsvielfalt in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise hergestellt wird (vgl. BVerfGE 74, 297 [325 f.]).“124
Der Begriff der Grundversorgung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht im Sinne einer Mindestversorgung125 zu verstehen, sondern erfasst den gesamten klassischen Auftrag des Rundfunks. Er zielt auf (Voll-)Versorgung der ganzen Bevölkerung, also auf Versorgung von Massen und von Minderheiten gleichermaßen126. Eine „Marginalisierung“ öffentlichrechtlichen Rundfunks wird kategorisch als ausgeschlossen betrachtet127. 122
Hoffmann-Riem, RuF 1984, 32 (47). BVerfGE 74, 297 (326). 124 BVerfGE 83, 238 (297 f.). 125 Zu einer restriktiven Interpretation des Begriffs der Grundversorgung kommen Bleckmann, Öffentlich-rechtliche Spartenprogramme als Bestandteil der Grundversorgung?, S. 54 ff.; Selmer, Bestands- und Entwicklungsgarantien für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in einer dualen Rundfunkordnung, S. 82; Starck, NJW 1992, 3257 (3262). 126 Vgl. statt vieler Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 223; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 223; Holznagel, Der spezifische Funktionsauftrag des 123
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Durch die Gebührenfinanzierung dieses gesamten Vollversorgungsauftrages des öffentlich-rechtlichen Rundfunks greift der Staat in den publizistischen Wettbewerb zwischen dem öffentlich-rechtlichen und dem privaten Rundfunk ein. Der publizistische Wettbewerb ist Lebenselement der Meinungsfreiheit128. Schutz vor publizistischer Konkurrenz ist der Kommunikationsverfassung fremd129. Dagegen schützt die Verfassung vor einer selektiven Förderung durch den Staat und der damit einhergehenden staatlichen Beeinträchtigung des publizistischen Wettbewerbs130. Solange und soweit die Rundfunkgebühr lediglich der Finanzierung der vom privaten Rundfunk nicht abgedeckten Programmsegmente, also allein der Kompensation der Vielfaltdefizite des kommerziellen Rundfunksektors diente, wäre das Neutralitätsprinzip in Ermangelung eines publizistischen Wettbewerbs zwischen beiden Systemen nicht berührt. Eine gebührenfinanzierte Mindestversorgung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist verfassungsrechtlich unproblematisch. Der über diese Mindestversorgung hinausgehende Vollversorgungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erstreckt sich hingegen auch auf Programmbereiche, in denen öffentlich-rechtliche und private Rundfunkveranstalter miteinander (publizistisch) konkurrieren. Dies ist etwa im Bereich der (massenattraktiven) (A-)Sport- und Programmrechte der Fall. Die den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eingeräumte Möglichkeit, auch in diesem Programmbereich auf das Gebührenaufkommen zurückzugreifen, ist eine Form der selektiven Förderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch den Staat, die vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Neutralitätsgrundsatzes der strikten Rechtfertigung bedarf. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erhalten dadurch eine im Vergleich zu den privaten Anbietern komfortable Wettbewerbsposition. Als eines der vielen Beispiele für diese staatlich begründete Wettbewerbsverfälschung sei der Erwerb der Rechte an der (Fußball-)Bundesliga für die Spielzeiten von 2003 bis 2005 und von 2006 bis 2009 durch die ARD-Anstalten erwähnt. Den ARD-Anstalten ist es gelungen, die hohen Kosten für die Bundesligarechte einschließlich der Produktionskosten (im Wesentlichen) aus den Erträgen der Wirtschaftswerbung zu finanzieren131. Vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden für die Ausstrahlung von Werbung im Rahmen der „Sportschau“ Entgelte verlangt, welZweiten Deutschen Fernsehens, S. 19; Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 107 f. 127 Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 223; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 223. 128 BVerfGE 74, 297 (332). 129 Vgl. BVerfGE 74, 297 (335). 130 Das wird zum Teil verkannt, vgl. etwa Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 246. 131 So ausdrücklich der ehemalige Vorsitzende der ARD und Intendant des NDR Plog in epd medien Nr. 41 vom 29.05.2004, S. 18: „Keine Gebührengelder für die Sportschau“.
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che die Werbepreise der privaten Rundfunkveranstalter in den früheren Spielzeiten deutlich übersteigen. Den privaten Anbietern wurde von Seiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorgehalten, in der Vergangenheit Werbezeiten im Rahmen der Bundesligaberichterstattung regelrecht „verramscht“ zu haben. Für den flüchtigen Beobachter könnte sich der Eindruck ergeben, beim öffentlichrechtlichen Rundfunk säßen die vergleichsweise besseren Manager. Der maßgebliche Grund für den besonderen Geschäftserfolg des öffentlich-rechtlichen Rundfunks liegt jedoch darin, dass er gegenüber der werbetreibenden Wirtschaft über eine im Vergleich zum privaten Rundfunk deutlich bessere Verhandlungsposition verfügt. Er steht nicht vor der Notwendigkeit einer Refinanzierung aus den Erlösen der Wirtschaftswerbung, sondern könnte hierzu (ergänzend) das Rundfunkgebührenaufkommen verwenden. Bleiben die Werbeblöcke wegen zu hoher Forderungen frei, greift man auf das Gebührenaufkommen zurück. Da die Rundfunkgebühr nicht nur der Kompensation der Vielfaltdefizite des privaten Rundfunks dient, sondern als Finanzierung eines über eine Mindestversorgung hinausgehenden umfassenden Vollversorgungsauftrages eingesetzt wird, begründet die Gebührenfinanzierung ein Privileg des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, das sub specie des dem Staat obliegenden Neutralitätsgebots strikt rechtfertigungsbedürftig ist. Ob ein solches Gebührenprivileg des öffentlichrechtlichen Rundfunks auch in den Programmbereichen von Verfassungs wegen zu rechtfertigen ist, in denen sich die publizistischen Energien des privaten Rundfunks entfalten und die auch ohne staatliche Intervention in der Gestalt einer selektiven Förderung des öffentlich-rechtlichen Systems hinreichend gewährleistet blieben, ist in der Vergangenheit nicht (hinreichend) diskutiert worden. Der der ökonomischen Rationalität folgende private Rundfunk mag wegen der programmverengenden Wirkung, die insbesondere von der Werbefinanzierung ausgeht, Vielfaltdefizite aufweisen. Das bedeutet aber nicht, dass er überhaupt keinen Vielfaltbeitrag leistet. Deshalb bedarf die selektive Förderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Programmsegmenten der Rechtfertigung, in denen öffentlich-rechtliche und private Rundfunkanbieter miteinander konkurrieren. Die dem Staat nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG obliegende Gewährleistungspflicht bezieht sich auf eine umfassende Versorgung der Bevölkerung mit Rundfunkprogrammen, nicht aber auf bestimmte öffentlich-rechtliche Rundfunkinhalte. Um nur ein Beispiel zu nennen: Auch ohne gebührenfinanzierte Fußballberichterstattung verschwände Fußball nicht von der Bildfläche. Das „freie Spiel der Kräfte“ vermag diese Form der unerlässlichen (Grund-)Versorgung zu gewährleisten. Lässt sich dann eine staatliche Intervention in den publizistischen Wettbewerb rechtfertigen? Die gebührenfinanzierte umfassende Vollversorgung der Bevölkerung lässt sich allein aus der Tradition des Rundfunks begründen. Vor der Einführung der dualen Rundfunkordnung war es ausschließlich Sache der Rundfunkanstalten, die Bevölkerung mit Rundfunkprogrammen umfassend zu versorgen. An diesem
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Vollversorgungsaufrag sollte der in 80er Jahren hinzukommende private Rundfunk nichts ändern. Die zu politischem Handeln berufenen Akteure waren sich darin einig, dass der in der Vergangenheit bewährte klassische Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fortgeschrieben werden solle. Ob sich hierfür auch heute noch hinreichende Gründe finden lassen, die das Gebührenprivileg des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch in den vom privaten Rundfunk abgedeckten Programmbereich rechtfertigen, kann hier nicht untersucht werden. bb) Gebührenfinanzierte Vollversorgung öffentlich-rechtlicher Medienunternehmen auch in anderen Medienbereichen? Ist die Legitimation einer gebührenfinanzierten Vollversorgung des öffentlichrechtlichen Rundfunks, die den publizistischen Wettbewerb mit dem privaten Rundfunkveranstalter vornehmlich im massenattraktiven Programmbereich beeinträchtigt, in der Vergangenheit nicht (hinreichend) dargelegt und begründet worden, so bleiben die Vertreter des funktionalen Grundrechtsverständnisses die Beantwortung dieser Kardinalfrage in anderen dualen Medienordnungen schuldig. Wie gezeigt darf sich der Gesetzgeber nach funktionalem Grundrechtsverständnis für eine Kombination von öffentlich-rechtlicher und privater Medienorganisation in Entsprechung der sich herausgebildeten dualen Rundfunkordnung auch in anderen Medienbereichen entscheiden (Presse, Internet etc.). Unbeantwortet bleibt die Frage, ob der Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Neutralität im publizistischen Wettbewerb Grenzen gesetzt sind. Wie ließe sich eine gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Tageszeitung rechtfertigen, die in publizistische Konkurrenz zu den privatwirtschaftlich finanzierten (überregionalen und regionalen) Tageszeitungen tritt? Wie lassen sich gebührenfinanzierte Onlineangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks rechtfertigen, die publizistisch mit den (kommerziellen oder ideellen) Onlineaktivitäten der klassischen Verlagshäuser und der sich online engagierenden Zivilgesellschaft konkurrieren? Das Web 2.0 steht für „MitmachNetz“132, in dem sich publizistische Energien nicht nur aus kommerziellen, sondern auch aus ideellen Motiven entfalten. Zwar ist der Kommunikationsverfassung ein Schutz vor publizistischer Konkurrenz als Lebenselement der Meinungsfreiheit133 fremd134. Das Grundgesetz schützt jedoch vor einer staatlichen Verfälschung des publizistischen Wettbewerbs, die von einer auf staatlicher Gebührenfinanzierung beruhenden, selektiven Förderung des öffentlich-rechtlichen Mediensystems ausgeht135. 132
B. I., S. 13 ff. BVerfGE 74, 297 (332). 134 Vgl. BVerfGE 74, 297 (335). 135 Das wird zum Teil verkannt, vgl. etwa Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 246. 133
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C. Verfassungsrechtliche Grundlegung
Dies wird verkannt, wenn man dem Gesetzgeber im Wesentlichen freie Hand bei der Ausgestaltung der Medienordnungen lässt und ihm die Befugnis zur Schaffung dualer Medienordnungen (auch außerhalb des Rundfunkbereichs) einräumt. Bei Lichte betrachtet sind dem Gesetzgeber nach funktionalem Grundrechtsverständnis bei der Ausgestaltung der Medienordnung unter dem Gesichtspunkt der Neutralitätspflicht des Staates Grenzen gesetzt. Staatliche Eingriffe in den publizistischen Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien(-unternehmen) sind nach Möglichkeit zu vermeiden. Hieraus folgt, dass gebührenfinanzierte Medienangebote regelmäßig nur zur Kompensation der Vielfaltlücken des privaten Medienangebots zulässig sind, also einer Mindest-, nicht aber einer Vollversorgung dienen. Wird aus Gebühren – wie im Rundfunkbereich – eine Vollversorgung durch öffentlich-rechtliche Medienunternehmen finanziert, so bedarf der hierdurch bewirkte staatliche Eingriff in den publizistischen Wettbewerb der strikten Rechtfertigung. Auch auf der Grundlage des funktionalen Grundrechtsverständnisses hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Medienordnungen keine freie Hand. Vielmehr sind ihm durch den Neutralitätsgrundsatz des Staates Schranken gesetzt.
III. (Neu-)Konzeption der grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung Das – den Rundfunkbereich die letzten Jahrzehnte prägende – funktionale Verständnis der grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten, das einen individualrechtlichen Kern (mit substanziellem Gewicht) der Massenkommunikationsgrundrechte leugnet136, das für die rechtsstaatlich und grundrechtlich gebotene Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit keinen Platz lässt137, das dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Medienordnungen (nicht nur im Rundfunkbereich) im Wesentlichen freie Hand lässt138 und das die Auswirkungen der Wahl des Organisationsmodells auf die grundrechtlich geschuldete Neutralität des Staates im publizistischen Wettbewerb konzeptionell (noch) nicht verarbeitet hat139, vermag den Anforderungen an die Bedingungen der modernen Kommunikationsordnung nicht zu entsprechen. Erforderlich ist eine (Neu-) Konzeption der Massenkommunikationsgrundrechte, die sich von grundrechtlichen Anomalien löst und den Weg dafür ebnet, dass die grundrechtlich gewährleisteten Medienfreiheiten (unter Einbeziehung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit) von der Familie der tradierten (Freiheits-)Grundrechte (wieder) aufgenommen werden, aus der wenigstens das Grundrecht der Rundfunkfreiheit lange 136 137 138 139
C. C. C. C.
II. II. II. II.
1., 2., 3., 4.,
S. S. S. S.
29 33 36 43
ff. ff. ff, insbesondere S. 40 ff. ff.
III. (Neu-)Konzeption der grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung
51
Zeit ausgestoßen war140. Damit ist keineswegs einer rein klassischen liberalen Grundrechtsdeutung das Wort geredet, die das Ziel der Gewährleistung gleichgewichtiger Medienvielfalt in den Bereich des Faktischen verweist, ohne ihm eine grundrechtliche Funktion zuzusprechen, die der individuellen Freiheitsbetätigung Grenzen zu setzen vermag141. Die Massenkommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG haben – in Entsprechung zu Art. 11 Abs. 2 GRCh142 („Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet“) einen Doppelcharakter. Sie sind zum einen Individualgrundrechte („Die Freiheit der Medien . . .“). Zum anderen enthalten sie einen staatlichen Gewährleistungsauftrag für die Vielfaltsicherung in den Medien („ihre Pluralität“). Beide Funktionsschichten wurzeln in den Massenkommunikationsgrundrechten. Die Notwendigkeit einer (Wieder-)Belebung des individualrechtlichen Kerns der grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten ergibt sich zum einen daraus, dass Massenkommunikationsrechte unter den Bedingungen der modernen Informationsgesellschaft Jedermann-Grundrechte sind; zum anderen ist dies auch sub specie europarechtlicher Vorgaben angezeigt (1.). Die Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt ist ebenfalls eine in den Massenkommunikationsgrundrechten verortete verfassungsrechtliche Zielsetzung (2.). Beide Strukturelemente des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG stehen in einem korrelativen Zusammenhang. Soweit die auf die Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt gerichteten staatlichen Maßnahmen individuelle Freiheitsräume des Grundrechtsträgers beschneiden, sind sie an den für Grundrechtseingriffe geltenden Voraussetzungen zu messen. Das Gleiche gilt, wenn man solche vielfaltsichernden Maßnahmen als Grundrechtsausgestaltungen qualifiziert. In beiden Fällen drängen die für Grundrechtseingriffe gelten Voraussetzungen auf Verwirklichung: der Vorbehalt des Gesetzes und die strikte Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (3.). In der freiheitlich verfassten Kommunikationsordnung des Grundgesetzes ist die Herstellung gleichgewichtiger Vielfalt in erster Linie Sache der privatrechtlich organisierten und nach privatwirtschaftlicher Rationalität handelnden Medien. Das durch privatrechtliche Organisationsform, durch Privatwirtschaftlichkeit als Unternehmensrationalität und durch Außen140 Zutreffend: Schoch, VVDStRL 57, 158 (194: „Geboten ist – ohne Verfassungsänderung, nur durch Korrektur der Rechtsprechung – eine realistische, in Anlehnung an Art. 10 EMRK zu entwickelnde neue Rundfunkrechtsdogmatik.“). 141 Vgl. etwa Forsthoff, Der Verfassungsschutz der Zeitungspresse, S. 15; H. H. Klein, Der Staat 10 [1971], S. 145 (167). 142 Nach dem Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft, unterzeichnet in Lissabon am 13.12.2007 (ABl. C 306, S. 1), erlangt die GRCh – mit Inkrafttreten des Lissaboner Vertragswerks – Rechtsverbindlichkeit. Gem. Art. 6 Abs. 1 Unterabsatz 1 EU n. F. erkennt die Union die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der GRCh vom 7.12.2000 in der am 19.10.2007 in Lissabon angepassten Fassung (ABl. C 303, S. 1) niedergelegt sind; vgl. hierzu Hatje/Kindt, NJW 2008, 1761 (1766).
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C. Verfassungsrechtliche Grundlegung
pluralismus gekennzeichnete Marktmodell ist das grundgesetzliche Regelmodell. Das öffentlich-rechtliche Integrationsmodell ist durch die Kommunikationsverfassung nicht ausgeschlossen. Als Ausnahmemodell bedarf es jedoch der Rechtfertigung (4.). Dem Staat ist von Verfassungs wegen aufgeben, sich im publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb der Medien(-unternehmen) neutral zu verhalten. Staatliche Eingriffe in den publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb bedürfen einer Rechtfertigung (5). Indem der Gesetzgeber den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Verbreitung gebührenfinanzierter Onlineangebote berechtigt, weicht er vom Marktmodell als grundgesetzlichem Regelmodell für die Medienfreiheiten ab. Auch wegen des damit verbundenen Rundfunkgebührenprivilegs ergeben sich besondere Anforderungen an die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Hierzu gehört die verfassungsrechtliche Direktive einer möglichst weitgehenden Staatsferne des öffentlichrechtlichen Rundfunks (6). 1. (Wieder-)Belebung des individualrechtlichen Kerns der Massenkommunikationsgrundrechte Grundrechte stellen im Regelfall Individualgrundrechte dar und vermitteln dem Einzelnen den Legitimationstitel zur Entfaltung seiner Freiheit nach privatautonomen Handlungsmustern. Sie markieren den Bezirk privater Selbstbestimmung, innerhalb dessen sich der Grundrechtsträger frei von autoritativer Zweckbestimmung und staatlicher Einmischung nach autonom gesetzten Zielen verwirklichen kann. Im Schutzzentrum stehen die personalen Entfaltungsinteressen des Einzelnen. Der Grundrechtsträger genießt um seiner selbst willen grundrechtlichen Schutz. Die personale Autonomie bildet die Sinnmitte grundrechtlichen Schutzes. Bezogen auf die Massenkommunikationsgrundrechte bedeutet dies, dass die grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten (zumindest auch) auf die Entfaltung individueller kommunikativer Interessen gerichtet sind. Sie begründen keine „Freiheit um zu“, keine Freiheit für bestimmte (im Gemeinwohlinteresse liegende) kommunikative Interessen, sondern den Schutz um der personalen Subjektivität willen143. Dies schließt es freilich nicht aus, dass neben diesen individualrechtlichen Grundrechtskern auch objektiv-rechtliche Bedeutungsschichten treten. Solange und soweit diese objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte der Stärkung und Erweiterung individueller Freiheitsbezirke dient, also funktional auf einen möglichst effektiven Schutz personaler Freiheiten gerichtet ist, ist hiergegen auf der Grundlage eines individualrechtlichen Grundrechtsverständnisses an nichts zu erinnern144. 143 Vgl. Forsthoff, Der Verfassungsschutz der Zeitungspresse, S. 15; zuletzt Hain, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2007/I, 21 (22).
III. (Neu-)Konzeption der grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung
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Die zur Rundfunkgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Konzeption einer „dienenden Freiheit“ steht zu diesem individualrechtlichen Grundrechtsverständnis im scharfen Kontrast145. Die Polarität liegt dabei nicht zwischen einem objektiv- und einem subjektivrechtlichen Verständnis des Grundrechts der Rundfunkfreiheit. Subjektive, d.h. einklagbare Rechtspositionen ergeben sich auch nach funktionalem Grundrechtsverständnis aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG146. Vielmehr verläuft die Trennlinie zwischen einer funktionalen bzw. primär objektiv-rechtlichen und einer individualrechtlichen Deutung der Rundfunkfreiheit. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkfreiheit liegt kein (rein) funktionales Grundrechtsverständnis zugrunde147. Die Rundfunkfreiheit wird lediglich als „primär“ dienende Freiheit verstanden, so dass sie – wenngleich nur in sehr mediatisierter Form – zumindest auch den privaten Interessen der Rundfunkveranstalter zu dienen bestimmt ist148. Die Rundfunkfreiheit gewährleistet damit nach der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur einen Restbereich personaler Subjektivität149.
144 Vgl. BVerfGE 50, 290 (337: „Nach ihrer Geschichte und ihrem heutigen Inhalt sind sie in erster Linie individuelle Rechte, Menschen- und Bürgerrechte, die den Schutz konkreter, besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand haben. Die Funktion der Grundrechte als objektive Prinzipien besteht in der prinzipiellen Verstärkung ihrer Geltungskraft, hat jedoch ihre Wurzeln in dieser primären Bedeutung. Sie läßt sich deshalb nicht von dem eigentlichen Kern lösen und zu einem Gefüge objektiver Normen verselbständigen, in dem der ursprüngliche und bleibende Sinn der Grundrechte zurücktritt.“); ebenso BVerfGE 115, 320 (358); Jeand’Heur, JZ 1995, 161 (163 ff.); Friauf, NJW 1986, 2595 (2600 f.); Kull, in: Badura/Scholz (Hrsg.), FS für Lerche, S. 663 (669). 145 Vgl. hierzu C. II. 1., S. 29 ff. 146 Vgl. hierzu C. II. 1. bei Fn. 58 (S. 31). 147 So zutreffend die Analyse von Brugger, EuGRZ 1987, 225 (226). 148 Vgl. BVerfGE 57, 295 (320); 74, 297 (323); 83, 238 (315); siehe Rossen, Freie Meinungsbildung durch den Rundfunk, 268 ff., der zu Recht darauf hinweist, dass die in BVerfGE 57, 295 (321) konstatierte Kollisionslage zwischen der Meinungsäußerungsfreiheit der Rundfunkveranstalter und der Informationsfreiheit der Rezipienten auf der Grundlage einer funktionalen Grundrechtsinterpretation konstruktiv nicht zu begründen ist; denn wenn die Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit der Rundfunkschaffenden den Informationsbedürfnissen der Rezipienten zu dienen hat und nur insoweit grundrechtlichen Schutz genießt, ist eine Kollision der genannten Grundrechte nicht möglich. 149 Deutlich zu einem binnenpluralistischen Organisationsmodell im privaten Rundfunk BVerfGE 73, 118 (171: „Damit wäre diese Form der Veranstaltung von Rundfunksendungen um das Grundelement privatautonomer Gestaltung und Entscheidung und damit um ihre eigentliche Substanz gebracht“; ebenso BVerfG, AfP 2008, 174 (177: „Grundelement privater autonomer Gestaltung und Entscheidung“); vgl. ferner BVerfG, NJW 1991, 1943, wonach der Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks seinen Ursprung nicht nur im demokratischen System hat, sondern auch „im Interesse der personalen Autonomie“ (Hervorhebung durch Verf.) am Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG teilnimmt.
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C. Verfassungsrechtliche Grundlegung
Insbesondere die Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts ist durch das Bemühen geprägt, den – fast in Vergessenheit geratenen – individualrechtlichen Kern der grundrechtlich geschützten Rundfunkgarantie zu (re-)aktivieren. In seinem Urteil vom 12. März 2008 zum (absoluten) Beteiligungsverbot politischer Parteien an Rundfunkveranstaltern spricht der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts von den „betroffenen individuellen rundfunkverfassungsrechtlichen Positionen“ (Hervorhebung d. Verf.) der Parteien150 und erkennt damit einen individualrechtlichen Kern der Rundfunkgarantie ausdrücklich an. Auch misst der Zweite Senat – in Konkretisierung erster Ansätze des Ersten Senats151 – gesetzliche Regelungen der Grundrechtsausgestaltung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit152, was die Anerkennung eines – dem objektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gegenläufigen – individualrechtlichen Grundrechtskerns impliziert153. Da Massenkommunikation unter den Bedingungen der modernen Informations- und Kommunikationsgesellschaft eine Jedermann-Freiheit ist (a) und das Europarecht auf einem individualrechtlichen Grundrechtsverständnis auch der Massenkommunikationsgrundrechte beruht (b), steht zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht diesen bereits eingeschlagenen Kurs weiterverfolgt und den individualrechtlichen Charakter der Massenkommunikationsgrundrechte unter Einbeziehung der Rundfunkgarantie künftig stärker betonen und akzentuieren wird154.
150
BVerfG, AfP 2008, 174 (181 Rn. 126). Vgl. BVerfGE 97, 228 (267: „Gesetze, die die Rundfunkfreiheit ausgestalten, sind dann verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie geeignet sind, das Ziel der Rundfunkfreiheit zu fördern, und die von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Interessen angemessen berücksichtigen.“); das Gericht lässt indes offen, was es unter den „von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Interessen“ versteht und vor allem in welchem Verhältnis diese Interessen zum Normziel des Grundrechts der Rundfunkfreiheit stehen sollen. 152 BVerfG, AfP 2008, 174 (181: „unverhältnismäßig“ [Rn. 126], „außer Verhältnis“ [Rn. 129], „angemessen“ [Rn. 130]). 153 Vgl. bereits C. II. 2. bei Fn. 74 (S. 34). 154 Vgl. in diesem Sinne aus dem neueren Schrifttum Bullinger, HStR, § 142 Rn. 118 ff.; Degenhart, in: BK GG, Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 Rn. 643 ff.; ders., Der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der „Digitalen Welt“, S. 67; Engel, AfP 1994, 185 ff.; Hain, Rundfunkfreiheit und Rundfunkordnung, S. 80 ff.; ders., Bitburger Gespräche Jahrbuch 2007/I, 21 ff.; H. H. Klein, FS für Maurer, S. 193 (202 ff.); O. Klein, Fremdnützige Freiheitsgrundrechte, S. 107 f.; Schoch, VVDStRL 57, 158 (187 ff.); Starck, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 1 ff., 8 ff., 108 ff., 150. 151
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a) Medienfreiheiten als Jedermann-Freiheiten: Vom elitären zum egalitären Charakter der Massenkommunikationsgrundrechte Dem Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG kommt unstreitig eine individualrechtliche Funktion zu. Gemeint ist damit das Recht des Einzelnen auf Entfaltung seiner geistigen Persönlichkeit. Individualität umschließt das natürliche Bedürfnis, im privaten und öffentlichen Raum „den Mund auftun zu können“155 und „geistig Luft abzulassen“. In der Diktion des Bundesverfassungsgerichts: Die freie Meinungsäußerung ist „unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft“156. Dass die Meinungsäußerung „für die freiheitliche Demokratie unerlässlich“157 ist und ihr insoweit zugleich eine objektiv-rechtliche Funktion zukommt, ändert an der individualrechtlichen Prägung des Grundrechts nichts. Vielmehr dient dieser objektiv-rechtliche Bezug der Verstärkung der Geltungskraft des Grundrechts als individuelles Recht158. Die grundrechtliche Sonderstellung der Massenkommunikationsgrundrechte beruht im Kern auf der Erwägung, dass die Wahrnehmung von Medienfreiheiten im Gegensatz zu dem Jedermann-Grundrecht der Meinungsäußerung nur wenigen, zumeist kapitalkräftigen Unternehmen vorbehalten sei159. Aufbauend auf dem liberalen Theorem, demzufolge sich im Wege des öffentlichen geistigen „Meinungskampfes“160 aus dem „Konzert der ungezählten Stimmen“161 die Auffassung mit der größten Überzeugungskraft durchsetzen solle und die Ergebnisse dieses Wettstreites von Informationen und Wertungen die Gewähr für eine größtmögliche Rationalität bieten sollen162, wird die faktisch möglichst gleiche kommunikative Teilhabechance aller Bürger zum zentralen Baustein der Kommunikationsverfassung deklariert163. Überall dort, wo die Chancengleicheit, ak155
Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 I, II Rn. 4. BVerfGE 7, 198 (208); 97, 391 (398); ebenso BVerfGE 85, 23 (31: „unmittelbarer Ausdruck der menschlichen Person“). 157 BVerfGE 7, 198 (208); 20, 162 (174). 158 Vgl. die Nachweise in Fn. 144 (S. 53). 159 Vgl. hierzu bereits oben C. II. 1. bei Fn. 60 (S. 31). 160 Vgl. nur BVerfGE 7, 198 (208); 12, 113 (125); 24, 278 (286); 25, 256 (264); 42, 163 (170); 43, 130 (137); 44, 197 (207); 54, 129 (138); 54, 208 (221); 61, 1 (11 f.); 66, 116 (150 f.); 68, 226 (232); 73, 206 (258). 161 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 I, II Rn. 4. 162 Vgl. BVerfGE 5, 85 (135); 12, 113 (125); 69, 315 (345 f.). 163 Zum Prinzip kommunikativer Chancengleichheit vgl. Hoffmann-Riem, in: HdbVerfR, § 7 Rn. 12; ders., in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 140; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 140; Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 44 ff.; Rossen, Freie Meinungsbildung durch den Rundfunk, S. 244 f.; Schulz, Gewährleistung kommunikativer Chancengleichheit als Freiheitsverwirklichung, S. 178 f.; siehe auch Stammler, Die Presse als die soziale und verfassungsrechtliche Institution, S. 181 ff., 215 ff., 219 ff. 156
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tiv und passiv am Kommunikationsprozess mitzuwirken, aus technischen, wirtschaftlichen oder sonstigen Gründen, also realiter gestört sei, habe der Staat durch Ausgestaltung der Kommunikationsordnung für möglichst gleiche Teilhabechancen Sorge zu tragen. Deshalb könnten Massenkommunikationsgrundrechte nicht als Individualgrundrechte verstanden werden. Da der Zugang zu den Massenkommunikationsmitteln wie Rundfunk und Presse insbesondere wegen des damit verbundenen Kapitalaufwandes nur Wenigen vorbehalten sei, müsse die Wahrnehmung der Massenkommunikationsgrundrechte durch Wenige in den Dienst der Befriedigung der kommunikativen Bedürfnisse der Bevölkerung gestellt werden. Dem Fehlen realer massenkommunikativer Mitwirkungsmöglichkeiten der Masse korrespondiere der „Teilhabeanspruch“ der Masse gegenüber den wenigen Massenkommunikationsmedien, dem durch Integration der kommunikativen Bedürfnisse im Versorgungsauftrag der Massenmedien zu entsprechen sei. Der besondere Schutz der Massenkommunikationsgrundrechte ziele nicht auf die Absicherung kommunikativer und wirtschaftlicher Interessen weniger, zumeist kapitalkräftiger Unternehmen, sondern auf die umfassende Information der Bevölkerung. Das Prinzip kommunikativer Chancengleichheit, das den dienenden Charakter der Massenkommunikationsfreiheiten, insbesondere der Rundfunkfreiheit, konzeptionell begründen soll, lehnt sich an das Strukturprinzip egalitärer Chancengleichheit bei der staatlichen Willensbildung durch Wahlen und Abstimmungen an. Hier erhält jeder Bürger eine Stimme und damit rechtlich sowie faktisch die gleiche Mitwirkungsmöglichkeit im Rahmen staatlicher Willensbildung. Außerhalb des Bereichs staatlicher Willensbildung besteht aber faktisch keine Gleichheit bei der politischen Willensbildung. So kann der Einzelne nach Maßgabe seiner wirtschaftlichen Leistungskraft ein Teil seines Vermögens und Einkommens politischen Parteien oder sonstigen meinungsbildenden Einrichtungen zukommen lassen und sich auf diese Weise Einfluss auf die Meinungsbildung verschaffen. Das Grundgesetz schützt nur vor rechtlicher Ungleichbehandlung; es verpflichtet den Staat aber nicht zur Gewährleistung tatsächlich gleicher Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger bei der politischen Willensbildung164. Im Übrigen ist der Umstand, dass die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten realiter nur Wenigen vorbehalten ist und Viele hiervon abhängig sind, kein hinreichender Grund, um den individuellen Kern des Grundrechts zu leugnen. Im Bereich der Eigentumsgarantie spielen zwar alle diese Aspekte im Rahmen der Ausgestaltung des Sozialmodells des Art. 14 Abs. 2 GG eine Rolle. Der soziale Bezug des Eigentums stellt jedoch den individualrechtlichen Charakter der Eigentumsgarantie nicht in Frage. Er lässt die Eigentumsgarantie nicht zu einem Funktionsgrundrecht mutieren, das den Staat dazu berechtigt, unter Ausblen-
164
Zutreffend Bullinger, HStR, § 142 Rn. 149.
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dung eines individualrechtlichen Kerns im Wesentlichen frei über die Wirtschaftsordnung zu verfügen. Ungeachtet dieser Bedenken gerät die Prämisse nur begrenzter Zugangsmöglichkeiten zu den Massenmedien unter den Bedingungen moderner Massenkommunikation zunehmend ins Wanken, wenn sie nicht sogar bereits entfallen ist. Massenkommunikation war in der Vergangenheit im Kern eine Domäne Weniger165. Es war Kommunikation von Wenigen für die Masse. In Ermangelung ausreichender Übertragungswege bestand lange Zeit bereits aus technologischen Gründen keine Möglichkeit für ein außenpluralistisches Modell, in dem private Anbieter wirtschaftlich und publizistisch miteinander konkurrieren. Bereits deshalb prägt die binnenpluralistische Organisationsstruktur die Tradition des Rundfunks in Deutschland. Hinzukommt – wie im Bereich der Presse – der erhebliche finanzielle Aufwand, der für die Produktion und die Verbreitung von Medien erforderlich war. Die Wahrnehmung von Medienfreiheiten war lange Zeit nur einer zahlenmäßig begrenzten Personengruppe möglich. Massenkommunikation war Kommunikation von Wenigen für die Masse. Hierin liegt der maßgebliche Grund dafür, dass die Medienfreiheiten, insbesondere das Grundrecht der Rundfunkfreiheit, in den Dienst einer umfassenden Versorgung der Bevölkerung gestellt wurden. Massenkommunikation unter den Bedingungen der modernen Informationsgesellschaft ist Kommunikation nicht nur für, sondern auch durch die Masse. Massenkommunikation ist eine Jedermann-Freiheit166. An die Stelle des eher elitären tritt ein eher egalitärer Zug. Jedermann kann ohne besondere faktische Zugangshürden Texte und Bilder ins Netz stellen und sich auf diese Weise an der Massenkommunikation beteiligen. Auch für die Verbreitung von audiovisuellen Angeboten bestehen keine unüberwindbaren Zugangsbarrieren. Ob die an die Allgemeinheit gerichteten (Text- und oder Bewegtbild-)Dienste dem Grundrecht der Presse- oder Rundfunkfreiheit zuzuordnen sind167, ist in diesem Zusammenhang nicht von entscheidender Bedeutung. In jedem Fall handelt es sich um Massenkommunikation, die auch realiter von Jedermann ausgeübt werden kann und zunehmend ausgeübt wird. So wundert es nicht, dass wesentliche Innovationen wie Google, YouTube, Facebook oder MySpace nicht von kapitalkräftigen Weltkonzernen ausgingen, sondern auf die kreativen Energien von Studierenden zurückzuführen sind. Die Wahrnehmung der Massenkommunikationsgrundrechte ist unter den Bedingungen des Web 2.0, des „Mitmach-Netzes“, faktisch ebenso möglich wie die Ausübung des (Individual-)Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit. Es ist deshalb nicht (mehr) gerechtfertigt, den Massenkommunikationsgrundrechten den Charakter streitig zu machen, den das 165 166 167
Vgl. hierzu zuletzt Kübler, Medien, Menschenrechte und Demokratie, S. 82 ff. Zutreffend Fiedler, Meinungsfreiheit in einer vernetzten Welt, S. 32 ff. Vgl. hierzu noch D. IV. 1., S. 103 ff.
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Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit kennzeichnet: den individualrechtlichen Kern aller Kommunikationsgrundrechte. Meinungsäußerungsfreiheit und Medienfreiheiten sind gleichermaßen Jedermann-Freiheiten. Das aus der Individualität folgende natürliche Bedürfnis, im privaten und öffentlichen Raum „den Mund auftun zu können“168 und „geistig Luft abzulassen“, erstreckt sich auch und gerade auf die Freiheitsentfaltung im Netz, also auf die Kommunikation mit der Masse. Unter den Bedingungen der modernen Kommunikationsordnung ist Massenkommunikation auch realiter eine Freiheitsbestätigung des Einzelnen und damit „unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft“169. Gewiss wird auch unter den Bedingungen des Web 2.0 weiterhin die Notwendigkeit einer professionellen Aufbereitung von Massenkommunikationsinhalten bestehen, die letztlich nur von kapitalkräftigen Unternehmen geleistet werden kann. Doch wo sollte man die Grenze zwischen Massenkommunikation durch Jedermann und durch Wenige ziehen? Wo sollte die Trennlinie zwischen Individual- und Funktionsgrundrecht liegen? Auch vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, die funktionale Einbindung der Massenkommunikationsgrundrechte zu verabschieden und sie in die Familie der tradierten Grundrechte zu reintegrieren: in die Gruppe der Individualgrundrechte. Und vor allem droht, dass auf der Grundlage des funktionalen Grundrechtsverständnisses die Zielsetzung der Gewährleistung kommunikativer Chancengleichheit gleichsam in ihr Gegenteil verkehrt wird: Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk gleichsam voraussetzungslos ins Internet expandieren dürfte, ohne dass ihm hierbei von Verfassungs wegen Grenzen gesetzt wären, tritt er in publizistische Konkurrenz nicht nur mit den tradierten kommerziellen Anbietern aus dem Presse- und Rundfunkbereich, sondern mit einer Vielzahl kleinerer, gerade in Aufbau begriffener Anbieter, die teils aus wirtschaftlichen und teils aus ideellen Motiven tätig werden. Die Akteure begegnen sich im publizistischen Wettbewerb nicht auf Augenhöhe. Während dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk das Gebührenprivileg zugute kommt, steht der private Anbieter vor der Notwendigkeit einer Refinanzierung insbesondere durch Werbung. Da die (gebührenfinanzierte) Internetpräsenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu einer geringeren Abruffrequenz und Verweildauer privater Angebote führt und damit die wirtschaftliche Situation privater Anbieter schmälert, drohen gebührenfinanzierte Angebote die kommunikativen Interessen auch derjenigen zu schmälern oder gar zu vereiteln, die unter den Bedingungen des Web 2.0 erstmals die Möglichkeit zur Artikulation ihrer publizistischen Inhalte haben. So nimmt es kein Wunder, dass sich gegen die Internetaktivitäten des öffentlich168
Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 I, II Rn. 4. BVerfGE 7, 198 (208); 97, 391 (398); ebenso BVerfGE 85, 23 (31: „unmittelbarer Ausdruck der menschlichen Person“). 169
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rechtlichen Rundfunks nicht nur von Seiten der Presse und des privaten Rundfunks, sondern auch von einer Vielzahl kleinerer privater Internetportale Widerstand breit macht170. Wenn Jedermann-Medien das gleiche leisten wie der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk, ist das Gebührenprivileg nicht mehr zu rechtfertigen. Diente das Gebührenprivileg in der Vergangenheit der Gewährleistung kommunikativer Chancengleichheit, entwickelt es sich zunehmend zu einer Bedrohung dieses – den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk lange Zeit tragenden – Grundsatzes. Unter den Bedingungen der modernen Kommunikationsordnung gilt es zu verhindern, dass der Gesetzgeber über das Medienmodell beliebig disponieren darf und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu einer umfassenden Vollversorgung auch im Internet ermächtigt. Das Gebührenprivileg des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bedarf der besonderen Rechtfertigung. Ihm muss ein besonderer kommunikativer Mehrwert der Angebote des öffentlich-rechtlichen Systems korrespondieren, der sich im publizistischen Engagement der kommerziellen Anbieter und der gesamten Zivilgesellschaft nicht wiederfindet. Damit die Verfassung diese, der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers Grenzen setzende Steuerungskraft zu entfalten in der Lage ist, ist die Herausbildung einer wehrfähigen Gegenposition erforderlich: die (Wieder-)Belebung des individualrechtlichen Kerns aller Medienfreiheiten. b) Europarechtliche Direktiven Die europarechtliche Perspektive bekräftigt die Notwendigkeit einer (Re-) Aktivierung des individualrechtlichen Gehalts der Medienfreiheiten. Zwar ist das Ziel der Gewährleistung von Medienvielfalt auch europarechtlich anerkannt. Diese objektiv-rechtliche Zielsetzung lässt aber den individualrechtlichen Charakter der Medienfreiheiten unberührt. Die Konstruktion einer „dienenden Freiheit“ ist der EMRK und dem Unionsrecht fremd (aa). Die individualrechtliche Prägung der Medienfreiheiten durch Europarecht strahlt auf die Auslegung der Massenkommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG aus. Ihr sind verbindliche Direktiven für die Interpretation der grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung zu entnehmen (bb). aa) Europarechtliche Perspektive: Medienfreiheiten als Individualgrundrechte Dass den Medienfreiheiten in Europa eine objektiv-rechtliche Funktion im Sinne der Gewährleistung von Medienvielfalt zukommt und dass die Konventionsstaaten bzw. EU-Mitgliedstaaten berechtigt sind, für Pluralität in ihren Mediensystemen Sorge zu tragen, ist (heute) ein grundrechtlicher Gemeinplatz, der 170
Vgl. etwa www.heise.de oder www.teltarif.de.
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in Art. 11 Abs. 2 GRCh („und ihre Pluralität“) ausdrücklich verbrieft ist171. Die Anerkennung dieses objektiv-rechtlichen Gehalts lässt jedoch den individualrechtlichen Charakter der europäischen Massenkommunikationsgrundrechte unberührt. Er dient nicht der Entkleidung des individualrechtlichen Kerns der Massenkommunikationsgrundrechte und einer Mutation der Medienfreiheiten zu Funktionsgrundrechten. Insbesondere von den Vertretern des funktionalen Verständnisses des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG wurde der Versuch unternommen, die Konstruktion einer „dienenden Freiheit“ auf das Europäische Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 10 EMRK zu übertragen und in Art. 10 Abs. 1 Satz 3 EMRK einen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG entsprechenden Ausgestaltungsvorbehalt zu verankern172. Diese Konstruktion einer „dienenden Freiheit“ verbunden mit einem grundrechtlichen Ausgestaltungsvorbehalt hat jedoch beim EGMR kein Gehör gefunden173. Als Erscheinungsform der Meinungsfreiheit wird die Rundfunkfreiheit als individuelles Freiheitsrecht qualifiziert, dessen Beschränkungen nur nach Maßgabe des Art. 10 Abs. 2 EMRK zulässig sind. Der EGMR betont zwar den besonderen Stellenwert, den eine pluralistische Medienordnung in einer demokratischen Gesellschaft einnimmt; er weist dem Staat zur Verwirklichung dieses Ziels sogar eine Garantenstellung zu174; dabei wird das Pluralismusgebot als Konkretisierung der „Rechte anderer“ im Sinne des Art. 10 Abs. 2 EMRK angesehen. Zugleich lässt der Gerichtshof aber keinen Zweifel daran, dass kulturpolitisch motivierte und im Interesse der Pluralismussicherung erlassene staatliche Regelungen die Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 10 Abs. 1 EMRK beschränken und daher der Rechtfertigung nach Art. 10 Abs. 2 EMRK bedürfen175. Dies erfordert eine Prüfung am Maßstab des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, wenngleich die Kriterien der Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne oftmals nicht mit der die deutsche
171
Vgl. hierzu noch C. III. 2., S. 65 ff. Hoffmann-Riem, Rundfunkrecht neben Wirtschaftsrecht, S. 186 ff.; Holznagel, Rundfunkrecht in Europa, S. 160; Petersen, Rundfunkfreiheit und EG-Vertrag, S. 282 ff.; Vesting, Prozedurales Rundfunkrecht, S. 275 ff. 173 EGMR – Groppera/Schweiz, EuGRZ 1990, 255 (258); EGMR – Informationsverein Lentia/Österreich, EuGRZ 1994, 549 (550 f.); vgl. auch Engel, Privater Rundfunk vor der Europäischen Menschenrechtskonvention, S. 39; E. Klein, AfP 1994, 9 (15); Degenhart, in: BK GG, Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 Rn. 651; Grothe/Wenzel, in: Grothe/Marauhn (Hrsg.), EMRG/GG, Kap. 18 Rn. 21; Kühling, Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht, S. 152; Schoch, VVDStRL 57, 158 (194 f.); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 5 I, II Rn. 25; Gersdorf, AöR 119 (1994), 400 (416 f.); ders., Rundfunkfreiheit ohne Ausgestaltungsvorbehalt, S. 62 f. 174 Deutlich EGMR, EuGRZ 1994, 549 (550). 175 EGMR, EuGRZ 1990, 255 (258); EGMR, EuGRZ 1994, 549 (550 f.); vgl. hierzu Dörr, NJW 1995, 2263 (2266). 172
III. (Neu-)Konzeption der grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung
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Rechtstradition prägenden Tiefenschärfe zur Anwendung gelangen176. Die den Konventionsstaaten in ständiger Rechtsprechung eingeräumte „margin of appreciation“ entspricht der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, die er im Rahmen grundrechtseinschränkender Regelungen hat177. Die Kategorie der „margin of appreciation“ ist aber nicht mit der Gestaltungsfreiheit im Rahmen der Grundrechtsausgestaltung gleichzusetzen178. Die besondere Weite des Gestaltungsspielraums, den der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Ausgestaltung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG besitzt, folgt daraus, dass nach funktionalem Grundrechtsverständnis ausgestaltende Regelungen nicht an den Grundsätzen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu messen sind179. Im Gegensatz zum funktionalen Grundrechtsverständnis kann der Gesetzgeber nach Art. 10 EMRK nicht grundsätzlich frei über die Medienordnung verfügen. Ausdrücklich hat der EGMR entschieden, dass ein öffentlich-rechtliches Rundfunkmonopol unverhältnismäßig und damit konventionswidrig ist180. Dieser liberalen Grundrechtsüberzeugung des EGMR in Straßburg hat sich der Europäische Gerichtshof in Luxemburg angeschlossen. Zwar gilt in den Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten das Ziel der Pluralismussicherung als Leitprinzip mit verfassungsrechtlicher Valenz; auch der Gerichtshof betont in ständiger Rechtsprechung die Berechtigung der Mitgliedstaaten zum Schutz der Medienvielfalt181. Nur fungiert das Konzept der Pluralismussicherung insoweit – in Abweichung von der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Dogmatik zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG – als eine von außen an das Individualgrundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit herangetragene, diese einschränkende normative Kategorie. Es soll das Prinzip der freien Meinungsäußerung in seiner Tragweite einschränken, um auf diese Weise der Öffentlichkeit Informationsvielfalt zu verschaffen182. Allerorten wird zwar die klassische Public-ServiceFunktion des Rundfunks betont; nur bleibt dadurch der individuelle Charakter 176 Vgl. hierzu ausführlich Kühling, Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht, S. 172 ff. 177 Vgl. hierzu Petersen, Rundfunkfreiheit und EG-Vertrag, S. 289; Kühling, Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht, S. 177 f. 178 So aber Vesting, Prozedurales Rundfunkrecht, S. 278. 179 Vgl. C. II. 2., S. 33 ff. 180 EGMR, EuGRZ 1994, 549 (550); vgl. nur Degenhart, in: BK GG, Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 Rn. 657; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 5 I, II Rn. 25; Gersdorf, Rundfunkfreiheit ohne Ausgestaltungsvorbehalt, S. 63. 181 Vgl. III. 2., S. 65 ff. 182 Vgl. zu den pluralitätsvermittelnden und -erhaltenden Regelungen und ihrer Bedeutung in den Rechtskulturen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausführlich das Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften „Pluralismus und Medienkonzentration im Binnenmarkt. Bewertung der Notwendigkeit einer Gemeinschaftsaktion“, Dok. KOM (1992) 480 endg., S. 14 ff.; siehe hierzu Dörr, NJW 1995, 2263 (2264) mit kritischem Unterton.
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C. Verfassungsrechtliche Grundlegung
der Kommunikationsgrundrechte unberührt183. Diese individualrechtliche Verfassungstradition in den Mitgliedstaaten hat der Europäische Gerichtshof übernommen. Im Fall Familiapress schließt sich der Gerichtshof ausdrücklich der individualrechtlichen Grundrechtsdeutung und der Eingriffskonzeption an184, die der EGMR im Fall Informationsverein Lentia entwickelt hat. Danach entsprechen pluralismussichernde Maßnahmen zwar einer objektiv-rechtlichen Schutzdimension der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 10 EMRK. Sie stellten aber einen Eingriff sowohl in die Medienfreiheit des Medienunternehmens als auch in die Informationsfreiheit der Rezipienten dar, der einer gesetzlichen Grundlage und dem Grundsatz der Erforderlichkeit genügen müsse185. Hierbei ist hervorzuheben, dass der Gerichtshof dem nationalen Gericht sehr differenzierte Kriterien an die Hand gibt, anhand derer die Erforderlichkeit im konkreten Fall zu beurteilen ist186. Die funktionale Grundrechtsdeutung der Massenkommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur grundrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit stehen zu dieser europarechtlichen Sichtweise der Massenkommunikationsgrundrechte in Kontrast. Die Konzeption einer „dienenden Freiheit“, die auf einer Leugnung des individualrechtlichen Kerns der Massenkommunikationsgrundrechte beruht, die den Einzelnen in den Dienst des objektiv-rechtlichen Normziels stellt und nur dessentwillen grundrechtlichen Schutz angedeihen lässt, bildet in der Kommunikationsverfassung sowohl der EMRK als auch der Gemeinschaftsgrundrechte einen Fremdkörper. „Dienende Freiheiten“ gibt es weder in der EMRK noch in den Grundrechten des Unionsrechts187. Auch lässt sich der Ausgestaltungsvorbehalt, den das Bundesverfassungsgericht dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit entnimmt, mit Europarecht (wohl) nicht vereinbaren. Zwar gilt sowohl für die Grundrechtsausgestaltung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als auch für Beschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 10 Abs. 2 EMRK und nach Unionsrecht der Vorbehalt des Gesetzes. Weiter misst das Bundesverfassungsgericht in neuester Rechtsprechung – in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Art. 10 Abs. 2 EMRK – ausgestaltende Gesetze am Maßstab des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit188, auch wenn 183
Vgl. bereits Gersdorf, Rundfunkfreiheit ohne Ausgestaltungsvorbehalt, S. 62. EuGH, Slg. 1997, S. I-3689, Rn. 25 ff.; hierzu ausführlich Kühling, Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht, S. 120 ff. 185 Kühling, Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht, S. 122 und 123. 186 Zustimmend Kühling, Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht, S. 122; kritisch hingegen Hödl, WBl. 1997, 325 ff. 187 Degenhart, in: BK GG, Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 Rn. 653 ff., 659 ff.; ders., Der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der „Digitalen Welt“, S. 67. 188 C. II., 2. nach Fn. 74 (S. 34). 184
III. (Neu-)Konzeption der grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung
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sich dies mit der Struktur einer funktionalen Grundrechtskonzeption nicht verträgt. Ein relevanter Unterschied besteht aber darin, dass die Ausgestaltung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Voraussetzung für die Grundrechtsausübung ist, während der Grundrechtsträger auf der Grundlage eines liberalen Grundrechtsmodells auch ohne – das Grundrecht beschränkende – Gesetz von seiner grundrechtlichen Freiheit Gebrauch machen kann. Während der Gesetzesvorbehalt bei der Grundrechtsausgestaltung freiheitsausübungslegitimierende Wirkung hat, wirkt er im Rahmen des liberalen Schutzkonzepts des Art. 10 EMRK eingriffslimitierend. Im ersten Fall ist verboten, was nicht durch – das ausgestaltende – Gesetz erlaubt ist, im zweiten Fall ist erlaubt, was nicht verboten ist189. Auch hieran zeigt sich, dass die Leugnung eines individualrechtlichen Kerns der Medienfreiheiten (mit substanziellem Gewicht) nach Maßgabe des funktionalen Grundrechtsverständnisses von praktischer Bedeutung ist. bb) Verbindlichkeit des Europarechts für die Interpretation der Massenkommunikationsgrundrechte des Grundgesetzes Die europarechtliche Interpretation der Meinungsäußerungsfreiheit einschließlich der Medienfreiheiten steht nicht beziehungslos neben der Kommunikationsverfassung des Grundgesetzes, sondern begründet verbindliche Direktiven für die Auslegung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Dies gilt sowohl für die EMRK als auch für die Unionsgrundrechte: Die Bundesrepublik Deutschland ist als Vertragsstaat der Europäischen Konvention für Menschenrechte unmittelbar an die EMRK gebunden (vgl. Art. 1 EMRK)190. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die staatlichen Organe verpflichtet, die Gewährleistungen der EMRK zu berücksichtigen191 und das nationale Recht nach Möglichkeit im Einklang mit der EMRK und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EGMR auszulegen192. Soweit das Grundgesetz Auslegungs- oder Abwägungsspielräume eröffnet, sind diese im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes193 so auszufüllen, dass eine Kollision mit der EMRK in der Interpretation des EGMR vermieden wird194. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des EGMR dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestim189 Vgl. hierzu ausführlich Gersdorf, Rundfunkfreiheit ohne Ausgestaltungsvorbehalt, S. 14 ff., 32 ff. 190 Vgl. nur Giegerich, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Kap. 2 Rn. 41. 191 Siehe nur BVerfGE 111, 307 (324 ff.). 192 BVerfGE 111, 307 (324). 193 Vgl. hierzu BVerfGE 111, 307 (317 ff.). 194 BVerfGE 111, 307 (317); BVerfG, 1 BvR 1664/04 vom 05.04.2005, AbsatzNr. 15, http://www.bverfg.de/; vgl. hierzu umfassend Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15 ff.
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C. Verfassungsrechtliche Grundlegung
mung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte195. Aus diesem Grund dürfte das Bundesverfassungsgericht künftig nur in seltenen Ausnahmefällen von dem durch die EMRK gewährleisteten Grundrechtsschutz abweichen. Dem entspricht es, dass sich das Bundesverfassungsgericht in seiner jüngsten Entscheidung zur Veröffentlichung von Fotoaufnahmen Prominenter der Linie des EGMR (Caroline)196 angeschlossen hat und von seiner bisherigen Rechtsprechung197 abgerückt ist198. Die Bundesrepublik Deutschland ist zudem an die Unionsgrundrechte in der Auslegung des Europäischen Gerichtshofes gebunden. Dem Unionsrecht kommt Vorrang vor nationalem (Verfassungs-)Recht zu, solange und soweit die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG gewahrt ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte gebunden, soweit sie im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts handeln199. Dies ist unter anderem der Fall, wenn die Mitgliedstaaten in die Grundfreiheiten des EGV eingreifen200. Bei der Rechtfertigung der Eingriffe sind sie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes verpflichtet, die Gemeinschaftsgrundrechte zu beachten201. Diese ständige Rechtsprechung hat nunmehr in Art. 51 Abs. 1 GRCh Eingang gefunden202. Die zur Sicherung von Medienpluralität in den Mitgliedstaaten erlassenen Rechtsvorschriften beeinträchtigen regelmäßig Grundfreiheiten des EGV, insbesondere die Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit. Daher muss sich auch die Medienregulierung an den Unionsgrundrechten und der hierzu ergangenen Judikatur des Gerichtshofes messen lassen. Eine funktionale Interpretation der Massenkommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist mit dem Vorrang beanspruchenden Unionsrecht nicht vereinbar.
195
BVerfGE 111, 307 (317). EGMR, NJW 2004, 2647 ff. 197 BVerfGE, 101, 361 ff. 198 BVerfG, GRUR 2008, 539 ff. 199 EuGH, Slg. 1985, 2605 (2727 Rn. 26); EuGH, Slg. 1987, 3719 (3754 Rn. 28); EuGH, Slg. 1991, I-4685 (I-4741 Rn. 31); EuGH, Slg. 1997, I-7493 (I-7510 Rn. 13). 200 Siehe nur EuGH, Slg. 1991, I-2925 (I-2964 Rn. 43). 201 Vgl. etwa EuGH, Slg. 1991, I-2925 (I-2964 Rn. 42); EuGH, Slg. 1991, I-4007 (I-4043 Rn. 23); EuGH, Slg. 1993, I-487 (I-518 Rn. 9 f.); EuGH, Slg. 1994, I-4795 (I-4832 Rn. 18 f. u. I-4833 ff. Rn. 23 ff.); EuGH, Slg. 1997, I-3689 (I-3717 Rn. 24 ff.); EuGH, Slg. 2003, I-5659 (I-5711 Rn. 46 ff.). 202 Hierzu ausführlich Brosius-Gersdorf, Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte, S. 36 ff. 196
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2. Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt in den Medien als objektiv-rechtliche Zielsetzung der Massenkommunikationsgrundrechte Dass die Massenkommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht lediglich der individuellen Persönlichkeitsentfaltung dienen, sondern zugleich schlechthin konstituierend für die freiheitlich verfasste Demokratie des Grundgesetzes sind, ist (heute) ein verfassungsrechtlicher Gemeinplatz. Dieser Doppelcharakter der Massenkommunikationsgrundrechte ist das tragende Fundament der Kommunikationsverfassung des Grundgesetzes. Die Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt in den Medien ist notwendige Bedingung für eine funktionsfähige Demokratie. Der Schutz des Pluralismus gehört daher zu den Kernelementen der vom Bundesverfassungsgericht ausgeformten Kommunikationsverfassung203. Der Blick auf die europäische Ebene bestätigt diesen grundrechtlichen Befund. In allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union stellt der Schutz der Medienpluralität einen Rechtswert mit verfassungsrechtlicher Wertigkeit dar204, der als überkommene Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten am Schutz der Gemeinschaftsgrundrechte teilnimmt. Im Interesse der Medienvielfalt wird es gemeinhin für zulässig erachtet, Rundfunklizenzen in einem den Gleichheitssatz wahrenden Verfahren zu vergeben sowie die Beteiligung an einem anderen Medienunternehmen zu versagen, um auf diese Weise der Bildung meinungsbestimmender multimedialer Konglomerate vorzubeugen205. Allerorten steht die klassische Public-Service-Funktion des Rundfunks im Vordergrund, die ein Primat des Informationsinteresses der Allgemeinheit gegenüber den Belangen der Veranstalter statuiert und damit weitreichende Einschränkungen ihrer Freiheiten legitimiert206. Sowohl der EGMR, der dem Staat zum Zwecke der Pluralismussicherung sogar eine Garantenstellung einräumt207, als auch der EuGH betonen in ständiger Rechtsprechung den besonderen Stellungwert der Medienvielfalt. Erstmals musste sich der Europäische Gerichtshof in den Rechtssachen Stichting Collec-
203 Vgl. bereits BVerfGE 12, 113 (125); vgl. statt vieler Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 5 I, II Rn. 46. 204 Petersen, Rundfunkfreiheit und EG-Vertrag, S. 189, 191 ff. 205 Vgl. dazu das Grünbuch der EG-Kommission „Pluralismus und Medienkonzentration im Binnenmarkt. Bewertung der Notwendigkeit einer Gemeinschaftsaktion“, Dok. KOM (1992) 480 endg., S. 15. 206 Vgl. zur Spruchpraxis der Obersten Gerichtshöfe in Frankreich und in Italien das Grünbuch der EG-Kommission „Pluralismus und Medienkonzentration im Binnenmarkt. Bewertung der Notwendigkeit einer Gemeinschaftsaktion“, Dok. KOM (1992) 480 endg., Anhang, S. 48 f. und 66 f. 207 Deutlich EGMR, EuGRZ 1994, 549 (550).
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C. Verfassungsrechtliche Grundlegung
tieve Antennevoorziening Gouda u. a./Commissariaat voor de Media208 und Kommission/Niederlande209 mit der Frage beschäftigen, ob Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs durch kulturpolitisch begründete Erwägungen gerechtfertigt werden können. Von wegweisender Bedeutung sind die Ausführungen des Gerichtshofes zur Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 10 EMRK. In den Entscheidungen heißt es: „Die Aufrechterhaltung eines pluralistischen Rundfunkwesens, die diese niederländische Politik gewährleisten soll, steht nämlich in einem Zusammenhang mit der durch Artikel 10 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Meinungsfreiheit, die zu den von der Gemeinschaftsordnung geschützten Grundrechten gehört“210.
Auch wenn die Darlegungen des Gerichtshofes einer dogmatischen Begründung entbehren, beinhalten sie dennoch die Feststellung, dass die Aussagekraft des Art. 10 EMRK über seinen schlichten Abwehrgehalt hinausgeht und in eine weiterreichende Dimension vordringt: Art. 10 EMRK verbürgt nicht nur das Recht eines jeden – und damit auch eines jeden Rundfunkveranstalters –, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese frei zu verbreiten, sondern garantiert der Öffentlichkeit zugleich Informationsvielfalt. Der Gerichtshof entnimmt Art. 10 EMRK damit einen Zielwert, der sich mit der klassischen Abwehrfunktion nicht erklären lässt, sondern auf einer objektiv-rechtlich gespeisten grundrechtlichen Funktionsschicht fußt211. Der Gerichtshof vertritt diesen Standpunkt in ständiger Rechtsprechung212. Diese Rechtsprechung hat nunmehr in Art. 11 Abs. 2 GRCh Eingang gefunden213. Danach wird nicht nur die Freiheit der Medien (individualrechtliche Komponente), sondern auch ihre Pluralität geachtet (objektiv-rechtliche Komponente). Ausweislich der Erläuterungen des Präsidiums des Europäischen Konvents sollte damit der Rechtsprechung des Gerichtshofes entsprochen werden214. Dass die Pluralität in den Medien lediglich „geachtet“ und nicht gewährleistet wird, beruht auf der nur eingeschränkten Kompetenz der Union im Bereich der Medien215. Art. 11 Abs. 2 GRCh begründet demnach eine Obliegenheit der 208
Slg. I 1991, 4007 (4036 ff.). Slg. I 1991, 4069 (4089 ff.). 210 EuGH, Slg. I 1991, 4007 (4043); EuGH, Slg. I 1991, 4069 (4097). 211 Vgl. Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, Rn. 177; Kühling, Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht, S. 365 ff.; Selmer/ Gersdorf, Die Finanzierung des Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Prüfstand des EG-Beihilferegimes, S. 67 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 5 I, II Rn. 16; Gersdorf, AöR 119 [1994], 400 (412 ff.); ders., Rundfunkfreiheit ohne Ausgestaltungsvorbehalt, S. 60 f. 212 Vgl. EuGH, EuZW 1993, 215 (252); EuGH, ZUM 1995, 327 (328); zuletzt EuGH, Urteil vom 13.12.2007 – Rs. C 250/06, Rn. 41 f. 213 Häberle, Der europäische Jurist, S. 39. 214 ABl. C vom 14.12.2007, S. 17 (21). 209
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Mitgliedstaaten216. Die Vorschrift dient der Legitimation der im Interesse der Vielfaltsicherung ergangenen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der (audiovisuellen) Medien. 3. Abwägungsmaßstab bei Zielkonflikt: Strikte Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Die objektiv-rechtliche Funktion der Grundrechte dient in erster Linie der Stärkung und Erweiterung individueller Freiheitsräume217. Soweit etwa die Rechtsordnung den Medien Privilegien einräumt, werden diese nicht im personalen Interesse des Grundrechtsträgers, sondern im Interesse des objektiv-rechtlichen Bezugs der Medienfreiheiten gewährt. Nicht das personale Substrat, sondern der überindividuelle Bezug bildet die Grundlage für Medienprivilegien. Solange und soweit die objektiv-rechtliche Dimension des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zur Stärkung und Erweiterung individueller Freiheitsbezirke führt, ist der individualrechtliche Kern der grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten nicht berührt. Anders liegen die Dinge, wenn der objektiv-rechtliche Gehalt der Medienfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG der Verkürzung der individualrechtlichen Grundrechtsdimension dient. Soweit die auf die Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt gerichteten staatlichen Maßnahmen individuelle Freiheitsräume des Grundrechtsträgers beschneiden, sind sie an den für Grundrechtseingriffe geltenden Voraussetzungen zu messen. Ob die Kategorie der Grundrechtsausgestaltung, die das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung für das Grundrecht der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG entwickelt hat, mit Europarecht vereinbar ist, erscheint in hohem Maße zweifelhaft218. Zu einer – auch grundgesetzlich geschuldeten219 – Vermeidung einer Kollision mit der EMRK und den Unionsgrundrechten müssen in jedem Fall für grundrechtsaus215 Stern, in: Tettinger/Stern (Hrsg.), Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechte-Charta, Art. 11 Rn. 35. 216 Zutreffend Stern, in: Tettinger/Stern (Hrsg.), Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechte-Charta, Art. 11 Rn. 33, anders Rn. 32: „Verpflichtung“. 217 Vgl. BVerfGE 50, 290 (337: „Nach ihrer Geschichte und ihrem heutigen Inhalt sind sie in erster Linie individuelle Rechte, Menschen- und Bürgerrechte, die den Schutz konkreter, besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand haben. Die Funktion der Grundrechte als objektive Prinzipien besteht in der prinzipiellen Verstärkung ihrer Geltungskraft, hat jedoch ihre Wurzeln in dieser primären Bedeutung. Sie läßt sich deshalb nicht von dem eigentlichen Kern lösen und zu einem Gefüge objektiver Normen verselbständigen, in dem der ursprüngliche und bleibende Sinn der Grundrechte zurücktritt.“); ebenso BVerfGE 115, 320 (358); Jeand’Heur, JZ 1995, 161 (163 ff.); Friauf, NJW 1986, 2595 (2600 f.); Kull, in: Badura/Scholz (Hrsg.), FS für Lerche, S. 663 (669). 218 Vgl. C. III. 1 b) aa) nach Fn. 187 (S. 62). 219 Vgl. C. 1. B. bb), S. 63 ff.
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gestaltende Regelungen dieselben Maßstäbe zum Tragen kommen, die für Grundrechtseingriffe gelten. Neben dem Vorbehalt des Gesetzes ist vor allem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab heranzuziehen. Es wäre grotesk, wenn Europa irgendwann einmal die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Ausgleich grundrechtlicher Defizite ausgerechnet in der Bundesrepublik Deutschland einfordert, also dort, wo der hehre rechtsstaatlich und grundrechtlich verankerte Verfassungsgrundsatz seine Heimstatt findet und von wo er seinen erfolgreichen Weg nach Europa angetreten hat. Bei der im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit erforderlichen Abwägung der im Einzelfall widerstreitenden Belange ist der individualrechtliche Kern der Medienfreiheit maßgeblich zu berücksichtigen. Dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im europarechtlichen Kontext oftmals nicht mit der die deutsche Rechtstradition prägenden Tiefenschärfe zur Anwendung gelangt220 und dass der EMRK den Konventionsstaaten in ständiger Rechtsprechung eine Einschätzungsprärogative einräumt („margin of appreciation“)221, legitimiert nicht zum „Weichspülen“ der den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit tragenden Strukturelemente222. Dessen Maßstäbe lassen keinen „institutionellen Nebel“ aufkommen, in dessen Dunstkreis die scharfen und stringenten Formen klassischer Hermeneutik allzu leicht zerfließen und an die Stelle juristischer Argumentation die mit dem Mäntelchen des Verfassungsrechts kaschierte macht- und medienpolitisch motivierte Proklamation tritt223. Im Gegensatz zur funktionalen Grundrechtskonzeption können „ausgestaltende Regelungen“ keine freiheitsermöglichende Funktion entfalten224. Sie bilden nicht die Kraftquelle, aus der sich publizistische Energien der Medien speisen. Sedes materiae für die publizistische Betätigung der Medien sind die Massenkommunikationsgrundrechte selbst. Auch ohne ausgestaltendes Gesetz können (Jedermann)Medien „auf Sendung gehen“. Das rechtsstaatliche Verteilungsmodell, das allein den Staat in die Pflicht nimmt, die im Interesse der Verwirklichung des objektiv-rechtlichen Normziels des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG erforderlichen (gesetzlichen) Maßnahmen zu treffen, bleibt unberührt. Auch im Bereich der Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit gilt der liberale Grundsatz, dass erlaubt ist, was nicht verboten ist225. 220 Vgl. hierzu ausführlich Kühling, Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht, S. 172 ff. 221 Vgl. hierzu Petersen, Rundfunkfreiheit und EG-Vertrag, S. 289; Kühling, Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht, S. 177 f. 222 Mit entsprechendem Impetus indes Hoffmann-Riem, in: Kommunikationsfreiheiten, Rn. 177; Vesting, Prozedurales Rundfunkrecht, S. 277 ff. 223 Vgl. bereits Selmer/Gersdorf, Die Finanzierung des Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Prüfstand des EG-Beihilferechts, S. 82. 224 Vgl. hierzu bereits C. III. 1. b) nach Fn. 188 (S. 62). 225 Für Grundrechtsbeschränkungen im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG, die dem Schutz eines nichtkommunikationsbezogenen Rechtsgutes dienen, gilt dieser liberale
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Drängen die für Grundrechtseingriffe geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen auch im Rahmen von Ausgestaltungen der Medienfreiheiten auf Verwirklichung, stellt sich die Frage nach der Legitimation dieser grundrechtlichen Anomalie. Das Bundesverfassungsgericht sollte sich ermutigt fühlen, den deutschen Sonderweg einer funktionalen Grundrechtskonzeption zu verlassen und den Weg zum tradierten Grundrechtsmodell einzuschlagen. Eine Erosion der Kommunikationsordnung stünde nicht zu erwarten226. 4. Marktmodell als (kommunikations-)verfassungsrechtliches Regelmodell Aus der individualrechtlichen Fundierung der grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten folgt, dass der Gesetzgeber zwischen einer privatrechtlichen und einer öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung der Medienordnung nicht frei wählen kann. Vielmehr bekennt sich die Kommunikationsverfassung zum Marktmodell als Regeltypus der Medienorganisation. Die Verfassung begründet keinen Grundsatz der Modellneutralität 227, sondern präferiert das der individuellen Entfaltungsfreiheit gemäße Modell: eine durch privatrechtliche Organisationsformen, durch privatwirtschaftliche Entscheidungsrationalität und durch Außenpluralismus gekennzeichnete Medienordnung: Der individuelle Kern der Massenkommunikationsgrundrechte gewährleistet die Freiheit zur selbstbestimmten, selbstorganisierten, autonomen Verbreitung von Ideen, Gedanken sowie Kommunikationsinhalten gleich welcher Art. Die Legitimation zur Freiheitsbetätigung des Einzelnen wurzelt im Grundrecht selbst und nicht in einem („Ausgestaltungs“-)Gesetz oder in einem sonstigen Hoheitsakt. Die Gründung von Medienunternehmen fußt auf gesellschaftlichem Boden. Die für die Entfaltung individueller Freiheit zur Verfügung stehende Organisationsform ist die des (Jedermann-)Privatrechts. Die den Medien gemäße Organisationsform ist die des privaten, nicht die des öffentlichen Rechts. Zulassungserfordernisse oder sonstige Beschränkungen bei der Mitwirkung an der öffentlichen und privaten Kommunikation sind nicht im Grundrecht selbst angelegt, sondern bedürfen im Lichte des individuellen Gehalts des Grundrechts der Rechtfertigung. Die Bestimmung des Inhalts und der Form des Kommunikationsinhalts ist Sache des Einzelnen. Die Tendenzfreiheit ist unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit. Sie bildet den Kern der MassenkommunikationsgrundGrundsatz ohnehin (auch auf der Grundlage einer funktionalen Grundrechtsinterpretation), vgl. Gersdorf, Rundfunkfreiheit ohne Ausgestaltungsvorbehalt, S. 35 ff. 226 Zutreffend: Schoch, VVDStRL 57, 158 (194: „Geboten ist – ohne Verfassungsänderung, nur durch Korrektur der Rechtsprechung – eine realistische, in Anlehnung an Art. 10 EMRK zu entwickelnde neue Rundfunkrechtsdogmatik.“). 227 Vgl. Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 189; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 189.
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rechte. Die Herstellung und Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt vollzieht sich prinzipiell im und durch den publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb der miteinander konkurrierenden Medien(-unternehmen). In diesen publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb darf der Staat prinzipiell nicht eingreifen. Und schließlich ist die privatwirtschaftliche Entscheidungsrationalität der Medienunternehmen Strukturprinzip der Medienfreiheit. Zwar bildet das Motiv, mit Medieninhalten wirtschaftliche Erträge zu erzielen, nicht den Kern der (Massen-)Kommunikationsgrundrechte, in deren Sinnmitte die Verbreitung von Kommunikationsinhalten als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit steht. Das ist gemeint, wenn das Bundesverfassungsgericht den Schutz der Pressefreiheit nicht in der „Garantie wirtschaftlicher Interessen“228 erblickt oder aber im rundfunkrechtlichen Zusammenhang betont, dass „Marktchancen . . . eine Frage wirtschaftlicher (Freiheit), nicht aber der Meinungsfreiheit“229 seien. Dies lässt aber den engen Zusammenhang von wirtschaftlicher und publizistischer Verbreitungsfreiheit unberührt. Im Fokus der kommunikationsverfassungsrechtlichen Perspektive stehen nicht die Motive, sondern steht der Effekt. Die Geschichte des Pressewesens zeigt, dass sich Gewinnstreben für die Ausbreitung von Ideen als mindestens ebenso wirksam wie missionarischer Eifer erwiesen hat230. Gewerbe- und Pressefreiheit gehören seit jeher zusammen und stellen zwei Seiten einer und derselben Medaille eines freiheitlichen Pressewesens dar. Auf diese aus dem individualrechtlichen Gehalt der Medienfreiheiten folgenden Strukturelemente hat das Bundesverfassungsgericht bereits im SpiegelUrteil Bezug genommen und die das Institut „Freie Presse“ tragenden Ordnungsprinzipien wie folgt beschrieben: „Presseunternehmen müssen sich im gesellschaftlichen Raum frei bilden können. Sie arbeiten nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen und in privatrechtlichen Organisationsformen. Sie stehen miteinander in geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz, in die die öffentliche Gewalt grundsätzlich nicht eingreifen darf.“231
Das Institut „Freie Presse“ ist nicht nur verfassungsrechtlich verbürgt232. Vielmehr stellen die das Institut „Freie Presse“ prägenden Ordnungsprinzipien das verfassungsrechtliche Regelmodell für die Organisation der Medien dar. Das auf privatrechtliche Organisationsformen, auf Privatwirtschaftlichkeit als 228
BVerfGE 25, 256 (268). BVerfGE 74, 297 (335). 230 Statt vieler Bullinger, HStR, § 142 Rn. 165. 231 BVerfGE 20, 161 (175); siehe auch BVerfGE 66, 116 (133). 232 Vgl. statt vieler Bethge, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 5 Rn. 72; Bullinger, in: Löffler, Presserecht, § 1 LPG Rn. 44; ders., HStR, § 142 Rn. 51; Kübler, Medien, Menschenrechte und Demokratie, S. 110 ff.; Starck, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 89; a. A. Hoffmann-Riem/Plander, Rechtsfragen der Pressereform, S. 70; ebenso Groß, DVBl. 1975, 266 (244). 229
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Entscheidungsrationalität und auf Außenpluralismus beruhende Marktmodell ist das dem individualrechtlichen Gehalt der Massenkommunikationsgrundrechte gemäße Modell. Abweichungen von diesem Regelmodell sind damit nicht a priori ausgeschlossen. Wie bereits mehrfach erwähnt, wird insbesondere im Rundfunkbereich dem Marktmodell die Tauglichkeit zur Erreichung des objektiv-rechtlichen Normziels der grundgesetzlich geschützten Rundfunkgarantie abgesprochen und stattdessen seit jeher dem Modell eines öffentlich-rechtlichen Integrationsrundfunks vertraut. Ungeachtet der Validität dieser Prämisse ist dadurch das die Kommunikationsverfassung kennzeichnende Regel- und Ausnahmeprinzip nicht in Frage gestellt. In einer individualrechtlichen, freiheitlichen Kommunikationsverfassung ist die Hervorbringung gleichgewichtiger Vielfalt und damit die Verwirklichung des objektiv-rechtlichen Gehalts der Massenkommunikationsgrundrechte zunächst einmal Aufgabe der publizistisch und wirtschaftlich miteinander konkurrierenden Medien(-unternehmen). Der individualrechtliche und der objektiv-rechtliche Gehalt der Massenkommunikationsgrundrechte dürfen nicht beliebig gegeneinander ausgespielt werden. Die Gewährleistung von Pluralität erfolgt primär im und durch den publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb der Medien. Solange und soweit der freie Wettbewerb die von Verfassungs wegen erforderliche Vielfalt generiert, sind Abweichungen vom Marktmodell als verfassungsrechtlichem Regelprinzip nicht gerechtfertigt. Modellneutralität ist dem Grundgesetz fremd. Der Gesetzgeber kann nicht beliebig zwischen dem Markt-, dem Integrations- und dem Kombinationsmodell wählen. Sofern zwischen den individualrechtlichen und den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten kein Konflikt auftritt, d.h. der publizistische und wirtschaftliche Wettbewerb die von Verfassungs wegen gebotene Vielfalt hervorbringt, ist der Gesetzgeber nicht berechtigt, vom freien Wettbewerbsprinzip abzuweichen und dieses durch Integrations- oder Kombinationssysteme zu ersetzen oder zu ergänzen. In der freiheitlichen Kommunikationsverfassung genießt die autonome Selbstorganisation der gesellschaftlichen Gruppen und Kräfte Vorrang vor einem fremdbestimmten, staatlichen Oktroi binnenpluralistischer Organisationseinheiten, in die darüber hinaus der Staat typischerweise noch hineinwirkt233. Ein öffentlich-rechtliches Integrationsmodell bildet das verfassungsrechtliche Ausnahmemodell, welches der strikten Rechtfertigung bedarf. Es ist durch etwaige Funktionsdefizite des freien Wettbewerbs legitimiert, hierdurch aber auch limitiert234. Insbesondere unter den Bedingungen der modernen Kommunikationsgesellschaft besteht ein erheblicher Begründungsaufwand für die Legitimation öffentlich-rechtlicher Organisationsgebilde. Je geringer die Zugangshürden zu den Massenmedien sind, desto größer ist die Begrün233 234
Vgl. hierzu sogleich. Vgl. hierzu noch D., S. 91 ff.
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dungslast, um Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks legitimieren zu können. 5. Neutralität des Staates im publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb: Notwendigkeit einer strikten Rechtfertigung des Gebührenprivilegs a) Staatliche Neutralitätspflicht als anerkanntes Strukturprinzip im Pressebereich Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt auf die herausragende Bedeutung einer freien Presse für den demokratischen Willensbildungsprozess hingewiesen235. Die Aufgabe der Presse ist, umfassende Information zu ermöglichen, die Vielfalt der bestehenden Meinungen wiederzugeben und selbst Meinungen zu bilden und zu vertreten. Das setzt die Existenz einer relativ großen Anzahl selbstständiger, vom Staat unabhängiger und nach ihrer Tendenz, politischen Färbung oder weltanschaulichen Grundhaltung miteinander konkurrierender Presseerzeugnisse voraus236. Presseunternehmen befinden sich im publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb, in den die öffentliche Gewalt grundsätzlich nicht eingreifen darf237. In seinem Beschluss zum Postzeitungsdienst vom 6.6.1989238 hat das Bundesverfassungsgericht diese dem Staat obliegende Verpflichtung zur strikten Neutralität im publizistischen Wettbewerb der Presseunternehmen näher konkretisiert239. In dieser Entscheidung ging es um die Frage, ob der Staat im Rahmen eines staatlich subventionierten Postzeitungsdienstes zwischen der publizistischen Interessen dienenden Presse einerseits und den (eher) von geschäftlichen Zwecken geleiteten (Presse-)Erzeugnissen andererseits differenzieren darf. Zunächst betont das Gericht, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit enthalte, sondern auch als objektive Grundsatznorm die Freiheitlichkeit des Pressewesens insgesamt garantiere240. In dieser Eigenschaft erlege das Grundrecht dem Staat 235
BVerfGE 20, 162 (174); 52, 283 (296); 66, 116 (133). BVerfGE 52, 283 (296) mit Hinweis auf BVerfGE 12, 205 (206); 20, 162 (175). 237 BVerfGE 20, 162 (175); 66, 116 (133). 238 BVerfGE 80, 124. 239 Zur Neutralitätspflicht des Staates bei Pressesubventionen vgl. aus dem Schrifttum Bullinger, in: Löffler, Presserecht, § 1 LPG Rn. 49; ders., HStR, § 142 Rn. 53 ff.; Bremer/Martini, ZUM 2003, 942 (945); Dittrich, Pressekonzentration und Grundgesetz, S. 76 ff., insbesondere 81 f. m. w. N. in Fn. 59 und 60; Klein, Konkurrenz auf dem Markt der geistigen Freiheiten, S. 272 f.; Lerche, Verfassungsrechtliche Fragen zur Pressekonzentration, S. 103; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 5 I, II Rn. 228. 240 BVerfGE 80, 124 (133) unter Hinweis auf BVerfGE 20, 162 (175). 236
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eine Schutzpflicht für die Presse auf und binde ihn bei allen Maßnahmen, die er zur Förderung der Presse ergreift. Daraus folge allerdings für den einzelnen Träger der Pressefreiheit noch kein grundrechtlicher Anspruch auf staatliche Förderung241. Weiter heißt es in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: „Wenn sich der Staat jedoch, ohne verfassungsrechtlich dazu verpflichtet zu sein, zu Förderungsmaßnahmen für die Presse entschließt, wie das in Gestalt des Postzeitungsdienstes geschehen ist, verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, dass jede Einflussnahme auf Inhalt und Gestaltung einzelner Presseerzeugnisse sowie Verzerrungen des publizistischen Wettbewerbs insgesamt vermieden werden. Staatliche Förderungen dürfen bestimmte Meinungen oder Tendenzen weder begünstigen noch benachteiligen. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG begründet im Förderungsbereich für den Staat vielmehr eine inhaltliche Neutralitätspflicht, die jede Differenzierung nach Meinungsinhalten verbietet. Dieser Neutralitätspflicht des Staates entspricht auf Seiten des Trägers der Pressefreiheit ein subjektives Abwehrrecht gegen die mit staatlichen Förderungsmaßnahmen etwa verbundenen inhaltslenkenden Wirkungen sowie ein Anspruch auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb.“242
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe gelangt das Gericht sodann zu dem Ergebnis, dass die vom Staat vorgenommene Differenzierung zwischen publizistischen und wirtschaftlichen Interessen dienenden Presseerzeugnissen nicht gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verstoße: „Durch die Anknüpfung an den vom Träger der Pressefreiheit selbst bestimmten Publikationszweck wird auch die Gefahr der inhaltlichen Einflussnahme auf einzelne Presseerzeugnisse oder auf den publizistischen Wettbewerb insgesamt vermieden. Denn zum einen ist die Förderung vom Inhalt der verbreiteten Meinungen oder der Tendenz des Presseerzeugnisses unabhängig und setzt den Träger des Grundrechts daher auch keinem Druck zur Tendenz- oder Inhaltsänderung aus. Zum anderen werden alle Druckschriften, die gleichartige Zwecke verfolgen und deswegen untereinander in einem Konkurrenzverhältnis stehen können, auch in gleicher Weise behandelt, so dass eine Wettbewerbsverzerrung nicht eintritt.“243
Analysiert man die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 6.6.1989 aufgestellten Grundsätze, lassen sich drei verschiedene Fallgruppen grundrechtlicher Betroffenheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) erkennen: Erste Fallgruppe: Das Grundrecht der Pressefreiheit wendet sich zunächst dagegen, dass der Staat auf Inhalt und Gestaltung einzelner Presseerzeugnisse einwirkt und sich auf diese Weise Einfluss auf den gesellschaftlichen Meinungsund Willensbildungsprozess verschafft, der nach dem Willen des Grundgesetzes im Interesse der personalen Autonomie und des demokratischen Systems staatsfrei zu bleiben hat244. So ist es dem Staat im Förderbereich verwehrt, den Inhalt 241 242 243 244
BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
80, 80, 80, 80,
124 124 124 124
(133). (133 f.). (135 f.). (134); siehe auch BVerfGE 20, 162 (174 ff.).
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von Meinungen oder die Tendenz von Presseprodukten zum Fördergegenstand zu machen. Mit dem Grundrecht der Pressefreiheit ist jede Form inhaltslenkender staatlicher Maßnahmen unvereinbar. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet den Staat zur strikten inhaltlichen Neutralität, die jede Differenzierung nach Meinungsinhalten verbietet245. Zweite Fallgruppe: Auch wenn das Grundrecht der Pressefreiheit seine besondere Schutzkraft gegen diese Form inhaltslenkender Wirkungen staatlicher Maßnahmen entfaltet, erschöpft sich darin der Inhalt der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten staatlichen Neutralitätspflicht nicht. Das Grundrecht der Pressefreiheit schützt nicht nur davor, dass der Staat einzelne Presseunternehmen aufgrund bestimmter Inhalte oder Tendenzen ihrer Presseerzeugnisse privilegiert bzw. diskriminiert. Vielmehr ist die staatliche Neutralitätspflicht in einem umfassenderen Sinne zu verstehen. Sie wendet sich gegen staatliche Verzerrungen des publizistischen Wettbewerbs insgesamt, sei es in Gestalt inhaltslenkender Maßnahmen, sei es in sonstiger Form. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen „Verzerrungen des publizistischen Wettbewerbs insgesamt vermieden werden“246; es ist der öffentlichen Gewalt grundsätzlich verwehrt, in den Wettbewerb zwischen den „miteinander in geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz“ stehenden Presseunternehmen einzugreifen247. Im Gravitationszentrum der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geforderten Neutralitätspflicht des Staates steht die Gewährleistung eines ungestörten publizistischen Wettbewerbs zwischen den einzelnen Trägern der Pressefreiheit. Nur wenn dieser publizistische Wettbewerb frei von staatlichen Verzerrungen bleibt, kann er seine ihm von Verfassungs wegen zugedachte Funktion erfüllen: Dem liberalen Theorem zufolge soll sich im Wege des öffentlichen geistigen „Meinungskampfes“248 aus dem „Konzert der ungezählten Stimmen“249 die Auffassung mit der größten Überzeugungskraft durchsetzen. Die einzelnen Argumente und deren Wirkkraft klären sich oftmals erst in Rede und Gegenrede250. Sie müssen sich der öffentlichen Auseinandersetzung stellen, Tatsachen und Gegenpositionen standhalten. Irrtümer und Fehler lassen sich auf diese Weise aufdecken. Erst Ergebnisse dieses Wettstreites von Informationen und Wertungen vermögen die Gewähr für möglichst umfassende Rationalität zu bieten251. Hieraus erhellt, weshalb das Bundesverfassungsgericht die „publizistische Konkur245
BVerfGE 80, 124 (134). BVerfGE 80, 124 (133 f.). 247 BVerfGE 20, 162 (174); 66, 116 (133). 248 Vgl. BVerfGE 7, 198 (208); 12, 113 (125); 24, 278 (286); 25, 256 (264); 42, 163 (170); 43, 130 (137); 44, 197 (207); 54, 129 (138); 54, 208 (221); 61, 1 (11 f.); 66, 116 (150 f.); 68, 226 (232); 73, 206 (258). 249 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 I, II Rn. 4. 250 Vgl. BVerfGE 20, 162 (175). 251 Vgl. BVerfGE 5, 85 (135); 12, 113 (125); 69, 315 (345 f.). 246
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renz als Lebenselement der Meinungsfreiheit“252 qualifiziert und die herausragende Bedeutung der Presse „für die freiheitliche Demokratie“ immer wieder betont253. Im Ergebnis steht daher fest, dass der Staat in den publizistischen Wettbewerb zwischen Presseunternehmen grundsätzlich nicht eingreifen darf, also Verzerrungen des publizistischen Wettstreits vermieden werden müssen. Diese Verpflichtung des Staates zur strikten Wahrung der Neutralität im publizistischen Wettbewerb der Presse folgt unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Eine (ergänzende) Heranziehung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG erübrigt sich deshalb. Dritte Fallgruppe: Sofern der Staat einzelne Träger der Pressefreiheit unterschiedlich behandelt, ohne hierbei den publizistischen Wettbewerb zu beeinträchtigen, sind die entsprechenden, unter Wahrung des staatlichen Neutralitätsgebots getroffenen Maßnahmen gleichwohl am Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu messen. Das Bundesverfassungsgericht nimmt auch insoweit eine Prüfung am Maßstab des Grundrechts der Pressefreiheit vor. So hat das Gericht in dem bereits erwähnten Beschluss zum Postzeitungsdienst vom 6.6.1989 auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG rekurriert, obgleich bei dem in Rede stehenden – zwischen publizistischen und außerpublizistischen (geschäftlichen) Herausgabezwecken differenzierenden – Förderkriterium eine inhaltliche Einflussnahme auf einzelne Presseerzeugnisse bzw. sonstige Formen staatlicher Verzerrungen des publizistischen Wettbewerbs ausgeschlossen waren. Die Entscheidung macht deutlich, dass der Gesetzgeber im Wirkungsfeld des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG durchaus zu differenzierenden Regelungen berechtigt ist, sofern er hierbei seine ihm nach der Verfassung obliegende Neutralitätspflicht wahrt, also den publizistischen Wettbewerb zwischen einzelnen Presseerzeugnissen unberührt lässt. b) Staatliche Neutralitätspflicht als Strukturprinzip der gesamten Kommunikationsverfassung Das den Pressebereich kennzeichnende staatliche Neutralitätsgebot, das dem Staat untersagt, in den publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen Presseunternehmen einzugreifen, drängt als Strukturprinzip der Kommunikationsverfassung im gesamten Medienbereich auf Verwirklichung. Wie bereits gezeigt254, gilt dies sogar auf der Grundlage eines – hier abgelehnten – funktionalen Verständnisses der grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten. Der Grundsatz der Neutralität des Staates ist eine Facette des Grundsatzes der Staatsfreiheit, an den der Staat im Rahmen der Grundrechtsausgestaltung ge252 253 254
BVerfGE 74, 297 (334). BVerfGE 7, 198 (208); 20, 162 (174). Vgl. C. II. 4. a), S. 43 ff.
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bunden ist255. Der Grundsatz der Staatsfreiheit erstreckt sich auf die gesamte Staatstätigkeit und bezieht den Gesetzgeber mit ein256. Die Kategorie der Grundrechtsausgestaltung dient dem Ziel der Herstellung und Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt im Rundfunkbereich. Es hieße, Sinn und Zweck der Grundrechtsausgestaltung zu verkennen, wenn man hieraus die Befugnis des Staates zur Einwirkung auf den publizistischen Wettbewerb unter den Trägern der grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten ableitete257. Das Prinzip der Staatsfreiheit der Presse findet insoweit seine Entsprechung im Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks258. Auch auf der Grundlage der hier vertretenden Grundrechtskonzeption, nach der den grundrechtlich gewährleisteten Medienfreiheiten sowohl individualrechtliche als auch objektiv-rechtliche Bedeutung zukommt, ist das dem Staat obliegende Neutralitätsgebot ein Strukturprinzip der gesamten Kommunikationsverfassung. Der Neutralitätsgrundsatz zielt auf die Abwehr staatlicher Einwirkungen auf den gesellschaftlichen Kommunikationsprozess, der nach dem Willen des Grundgesetzes im Interesse der personalen Autonomie und des demokratischen Systems staatsfrei zu bleiben hat259. Er findet seine Heimstatt sowohl im individualrechtlichen Kern der Mediengrundrechte, in dessen Schutzzentrum die personale Autonomie steht, als auch in der objektiv-rechtlichen Funktionsschicht des Grundrechts, die im Interesse des Demokratieprinzips einen Meinungs- und Willensbildungsprozess „von unten nach oben“ vorsieht, in den der Staat grundsätzlich nicht eingreifen darf. c) Publizistischer und wirtschaftlicher Wettbewerb Wie soeben dargelegt, ist es dem Staat sub specie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG prinzipiell verwehrt, in den publizistischen Wettbewerb zwischen Medien255 Vgl. nur BVerfGE 83, 238 (323 f.); 90, 60 (89 f.); Reinemann, Zugang zu Übertragungswegen, S. 95 ff.; Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 83. 256 BVerfGE 73, 118 (182); 83, 238 (323 f.); 90, 60 (89 f.); BVerfG, NVwZ-RR 1993, 549; Linck, NJW 1974, 2433 (2433); Starck, Rundfunkfreiheit als Organisationsproblem, S. 17; Wufka, Die verfassungsrechtlich-dogmatischen Grundlagen der Rundfunkfreiheit, S. 98; Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 105 f.; ders., Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 145. 257 Koch, Möglichkeiten der Beteiligung privater Rundfunkveranstalter am Rundfunkgebührenaufkommen der Bundesrepublik Deutschland, S. 80 ff.; Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 95; Selmer/Gersdorf, DVBl. 1992, 79 (91). 258 Koch, Möglichkeiten der Beteiligung privater Rundfunkveranstalter am Rundfunkgebührenaufkommen der Bundesrepublik Deutschland, S. 81 f.; Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 95; Selmer/Gersdorf, DVBl. 1992, 79 (91). 259 BVerfGE 80, 124 (134); siehe auch BVerfGE 20, 162 (174 ff.).
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unternehmen einzugreifen. Als „Lebenselement der Meinungsfreiheit“260 ist der publizistische Wettbewerb schlechthin konstituierend für die demokratische Kommunikationsordnung. Im Interesse dieser demokratischen Funktion genießen Presse, Rundfunk und sämtliche Massenkommunikationsmittel den besonderen, prävalenten Schutz der Verfassung. Auch wenn diese herausragende Funktion des publizistischen Wettbewerbs allgemein anerkannt ist, bleibt in hohem Maße unklar, was unter publizistischem Wettbewerb im Einzelnen zu verstehen ist. Weder Rechtsprechung noch Rechtslehre haben diesen Begriff bislang hinreichend zu konturieren vermocht. Vor allem im Bereich des Rundfunkrechts wurde der Versuch unternommen, die Wesensmerkmale des publizistischen Wettbewerbs aufzuzeigen261. Im Gegensatz zum wirtschaftlichen Wettbewerb soll es bei der publizistischen Konkurrenz nicht auf die Marktfähigkeit von Inhalten ankommen. Meinungen und Ideen sollen ungeachtet des Vorliegens einer ökonomischen Nachfragebereitschaft Gegenstand freien Austausches und Diskurses sein262. Regelmäßig wird auf die qualitative Verbesserung der Vermittlung von Meinungen, Informationen, Kultur und Unterhaltung abgestellt263. Publizistischer Wettbewerb sei durch Qualitätswettbewerb gekennzeichnet264. Vor dem Hintergrund dieses eher diffusen Begriffsbildes stellt sich die Frage, ob der publizistische mit dem wirtschaftlichen Wettbewerb, der einen ungleich höheren Konkretisierungsgrad aufweist, gleichgesetzt werden kann. Während sich der publizistische Wettbewerb nicht exakt definieren, sondern allenfalls beschreiben lässt, haben Rechtsprechung und Rechtslehre zur Bestimmung des (sachlich und räumlich) relevanten Marktes hinreichend leistungsfähige Maßstäbe entwickelt. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass dem publizistischen im Verhältnis zum wirtschaftlichen Wettbewerb keine eigenständige, spezifische Funktion zukomme. Verwiesen wird insoweit vor allem auf die wechselseitige Verknüpfung zwischen ökonomischem und publizistischem Wettbewerb265. Auch das für den Pressebereich geltende Ordnungskonzept des GWB
260
BVerfGE 74, 297 (334). Vgl. hierzu Hoffmann-Riem, Rundfunkrecht neben Wirtschaftsrecht, S. 32 ff.; Bleckmann, Öffentlich-rechtliche Spartenprogramme als Bestandteil der Grundversorgung?, S. 95. 262 Vgl. Hoppmann, in: Mestmäcker (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 163 (177 f.); Trafkowski, Medienkartellrecht, S. 8. 263 Preuss Neudorf, Grundversorgung und Wettbewerb im dualen Rundfunksystem: medienrechtliche und wettbewerbsrechtliche Aspekte, S. 118; Trafkowski, Medienkartellrecht, S. 8. 264 Vgl. Stock, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Rundfunkrecht im Wettbewerbsrecht, S. 47 ff.; Trafkowski, Medienkartellrecht, S. 8. 265 Vgl. etwa Engel, Medienordnungsrecht, S. 48 ff.; ders., AfP 1994, 185 (188); Hoppmann, in: Mestmäcker (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 163 (177 f.). 261
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beruht darauf, publizistische Vielfalt durch wirtschaftlichen Wettbewerb unabhängiger und selbstständiger Unternehmen zu sichern. Gleichwohl ist in Erinnerung zu rufen, dass das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung zwischen dem publizistischen und dem wirtschaftlichen Wettbewerb unterscheidet266. Das Gericht betont, dass die Presseverlage „miteinander in geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz“267 stehen. In der erwähnten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Postzeitungsdienst ist im Zusammenhang mit der staatlichen Neutralitätspflicht ausschließlich vom „publizistischen Wettbewerb“ die Rede268. Auch in seiner rundfunkrechtlichen Judikatur differenziert das Gericht deutlich zwischen wirtschaftlichem und publizistischem Wettbewerb der Anbieter und erblickt in der „publizistischen Konkurrenz“ die Grundlage der Rundfunkgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG269. Überspitzt formuliert das Bundesverfassungsgericht: „Marktchancen können eine Frage wirtschaftlicher (Freiheit), nicht aber der Meinungsfreiheit sein“270. Zwischen publizistischem und wirtschaftlichem Wettbewerb ist daher auch unter dem Gesichtspunkt der dem Staat obliegenden Neutralitätspflicht zu unterscheiden. Zwischen beiden Bereichen besteht kein kongruenter Anwendungsbereich. Zwar kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass zugleich die publizistische Wettbewerbskonstellation betroffen ist, wenn der Staat den wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen einzelnen Medienunternehmen beeinträchtigt. Das bedeutet indes nicht, dass der publizistische Wettbewerb nur berührt ist, wenn der wirtschaftliche Wettbewerb beeinträchtigt ist. Medien(-unternehmen) können auch dann miteinander in publizistischer Konkurrenz stehen, wenn die betreffenden Träger der Mediengrundrechte nicht auf demselben sachlich und räumlich relevanten Markt tätig sind, also in ökonomischer Hinsicht nicht miteinander konkurrieren. Der „Marktplatz der Meinungen“ deckt sich nicht mit dem sachlich und räumlich relevanten (wirtschaftlichen) Markt. Unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten bestimmt sich der Gegenstand des wirtschaftlichen Wettbewerbs nach Maßgabe einer marktbezogenen Betrachtung, welche die Feststellung und Abgrenzung des betroffenen sachlich-gegenständlich, räumlich und gegebenenfalls zeitlich relevanten Marktes umfasst. Nach ständiger (kartellrechtlicher) Rechtsprechung sind sämtliche Güter, die sich nach ihren Eigenschaften, ihrem wirtschaftlichen Verwendungszweck und 266 Umfassend zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Hoffmann-Riem, Rundfunkrecht neben Wirtschaftsrecht, S. 28 ff. 267 BVerfGE 20, 162 (174); 66, 11 (133). 268 BVerfGE 80, 124 (134). 269 Vgl. nur BVerfGE 74, 297 (332, 335); 97, 228 (268). 270 BVerfGE 74, 297 (335); vgl. hierzu mit kritischem Impetus Kull, AfP 1987, 568 (569); Schmitt Glaeser, DÖV 1987, 837 (842); Seemann, ZUM 1988, 67 (81).
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ihrer Preislage so nahe stehen, dass der verständige Nachfrager sie als für die Deckung eines bestimmten Bedarfs geeignet und miteinander austauschbar ansieht, in einen Markt einzubeziehen (so genanntes Bedarfsmarktkonzept)271. Gegenstand dieser Perspektive ist immer das Produkt als Ganzes. Bezogen auf Medienmärkte bedeutet dies, dass einzelne Medienerzeugnisse nur dann demselben Markt zuzurechnen sind, wenn sie als Ganzes aus Sicht der Nachfrager austauschbar sind. Für die Frage, ob zwischen den öffentlich-rechtlichen und privaten Medienunternehmen wirtschaftlicher Wettbewerb (im wettbewerbsrechtlichen Sinne) besteht, ist zu unterscheiden: Soweit sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk, wie im Bereich der klassischen linearen Verbreitung von Rundfunkprogrammen, auch aus Werbung finanziert, befinden sich öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunk bei der Aquisition von Werbekunden in einer wettbewerblichen Beziehung. Da sich die von der werbetreibenden Industrie zu zahlenden Entgelte für die Ausstrahlung von Werbespots maßgeblich nach den erzielten Reichweiten bestimmen, entscheidet die Attraktivität des Programmangebots zugleich über die Wettbewerbsbedingungen auf dem Werbemarkt. Mit anderen Worten: „Der Wettbewerb im Rundfunk wird mit Hilfe des Programmangebots geführt“272. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Sendeunternehmens ist untrennbar verzahnt mit seinem publizistischen Erfolg. Aufgrund dieses mittelbaren Bezugs der Programmtätigkeit auf die Werbeerlöse ließe sich daher auch von einem wirtschaftlich relevanten „Programmmarkt“ sprechen273. Darüber hinaus sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Nachfrager einer Vielzahl von Zulieferleistungen, derer es zur Produktion und Verbreitung 271 Vgl. nur BGH, WuW/E BGH 2433 (2436 f.); BGH, WuW/E BGH 2150 (2153); Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., 2001, § 19 Rn. 18, 24 ff.; Richter, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 20 Rdnr. 7 ff.; für das nach § 3 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG maßgebliche „konkrete Wettbewerbsverhältnis“ ist entscheidend, dass die beteiligten Unternehmen den gleichen Abnehmer bzw. Lieferantenkreis haben (BT-Drs. 15/1487, S. 16; ebenso BGH, GRUR 1999, 69 [70]; BGH, GRUR 2001, 78); der Sache nach handelt es sich hierbei um die im Kartellrecht geltenden Marktabgrenzungskriterien (vgl. Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 24 Rdnr. 9). 272 Mestmäcker, 56. DJT, Band II, 09-037, 023. 273 Vgl. statt vieler Gabriel-Bräutigam, Rundfunkkompetenz und Rundfunkfreiheit, S. 145; Grundmann, Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Wettbewerb, S. 105 f.; Klaue, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Rundfunk im Wettbewerbsrecht, S. 84 (91); Kulka, AfP 1985, 177 (183); Mestmäcker, 56. DJT, Band II, 09-037, 023; Ricker, Rundfunkwerbung und Rundfunkordnung, S. 17 ff.; Selmer/Gersdorf, Die Finanzierung des Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Prüfstand des EGBeihilferegimes, S. 46 f.; Ulmer, Programminformationen der Rundfunkanstalten in kartell- und wettbewerbsrechtlicher Sicht, S. 24; Wieck, in: Mestmäcker (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 363 (370).
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von Rundfunkprogrammen und Telemedien bedarf. Hierzu gehören unter anderem der Ankauf von Senderechten (Film- und [A-]Sportrechten), von technischen Anlagen sowie die Anwerbung des redaktionellen oder technischen Personals. Diese Parameter bestimmen in entscheidendem Umfang über die Art, Qualität und Attraktivität der verbreiteten Programme. In diesem Bereich der Beschaffungstätigkeit konkurrieren die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht nur mit den privaten Anbietern, sondern auch untereinander. Zwischen den einzelnen Rundfunkanbietern besteht daher insoweit unzweifelhaft ein wirtschaftlich relevantes Wettbewerbsverhältnis274. Und schließlich existieren wettbewerbliche Rechtsbeziehungen in dem Bereich der Verwertung von Rundfunkprogrammen275. Die von den Rundfunkveranstaltern hergestellten oder erworbenen Produktionen können als Vermögenswerte verwertet werden, indem sie anderen Veranstaltern gegen Entgelt zur Verfügung gestellt werden. Fraglich ist, ob ungeachtet des Bestehens einer wirtschaftlichen Austauschbeziehung im Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk bereits unter dem Gesichtspunkt des „Wettbewerbs um Zuschauer bzw. User“ ein wirtschaftlicher Wettbewerb zwischen beiden Systemen stattfindet. Diesen Standpunkt vertritt die Europäische Kommission im Beihilfeverfahren wegen der Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland: „Durch die Beihilfe wird den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ein finanzieller Vorteil verschafft, der ihre Stellung gegenüber anderen privaten Rundfunkveranstaltern stärkt, die ihre Tätigkeiten aus kommerziellen Einnahmen finanzieren müssen. Sowohl öffentliche als auch private Sender stehen im Wettbewerb um Zuschauer. Da die Einschaltquoten für die Höhe der Werbepreise maßgeblich sind, wirkt sich ein Anstieg der Einschaltquote bei öffentlich finanzierten Rundfunkanstalten auf Kosten privater Wettbewerber direkt auf die Werbeeinnahmen der privaten Sender aus.“276
Zum Onlinebereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, in dem Werbung und Sponsoring nicht stattfindet (§ 4 Abs. 3 Satz 2 ARD-StV, § 4 Abs. 3 Satz 2 ZDF-StV), führt die Kommission aus: „Schließlich stehen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten insbesondere im Hinblick auf neue Medien mit privaten Sendern, die ähnliche Online-Dienste anbie274 Vgl. statt aller Gabriel-Bräutigam, Rundfunkkompetenz und Rundfunkfreiheit, S. 154 f.; Grundmann, Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Wettbewerb, S. 117 ff.; Hoffmann-Riem, Rundfunkrecht neben Wirtschaftsrecht, S. 139 ff., insbesondere 141 f.; Selmer/Gersdorf, Die Finanzierung des Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Prüfstand des EG-Beihilferegimes, S. 47 f.; ebenso K(2007) 1761 endg., Rn. 185. 275 Statt aller Grundmann, Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Wettbewerb, S. 116 f.; Hoffmann-Riem, Rundfunkrecht neben Wirtschaftsrecht, S. 158 ff., insbesondere 167 ff.; Selmer/Gersdorf, Die Finanzierung des Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Prüfstand des EG-Beihilferegimes, S. 48; ebenso K(2007) 1761 endg., Rn. 187. 276 K(2007) 1761 endg., Rn. 184.
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ten, im Wettbewerb. Bieten öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten ähnliche oder identische Online-Dienste an wie private Sender, liegt auf der Hand, dass sich die öffentliche Finanzierung solcher Tätigkeiten auf private Geschäftsmodelle auswirken kann, und zwar entweder durch den Wettbewerb von entgeltpflichtigen Diensten der privaten Sender mit kostenlosen Angeboten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten oder durch den Wettbewerb um Nutzer, die letztlich für die Werbeeinnahmen der privaten Sender maßgeblich sind.“277
Ob diese Auffassung Zustimmung verdient, kann hier dahinstehen. Denn in jedem Fall ist die Kategorie des wirtschaftlichen Wettbewerbs im Zusammenhang mit der dem Staat obliegenden Neutralitätsverpflichtung nicht auf Wettbewerb im kartellrechtlichen Sinne beschränkt. Kartellrecht und der staatsrechtliche Neutralitätsgrundsatz verfolgen unterschiedliche Funktionen278. Der Neutralitätsgrundsatz wendet sich gegen jedwede Form staatlicher Einmischung im Verhältnis der Medien untereinander. Eine solche Beeinträchtigung kann sich auf den wirtschaftlichen Wettbewerb im kartellrechtlichen Sinne beziehen; dies ist der Fall, wenn sich die Betroffenen im Verhältnis funktionaler Austauschbarkeit befinden. Hierin erschöpft sich das dem Staat obliegende Neutralitätsgebot jedoch nicht. Vielmehr entfaltet das staatliche Neutralitätsgebot seine Schutzwirkung immer dann, wenn durch staatliche selektive (Förder-)Maßnahmen die wirtschaftliche Stellung eines bestimmten Trägers der Massenkommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verbessert oder verschlechtert wird. Ebensowenig wie es etwa im Wirkungsfeld der Neutralitätspflicht des Staates im weltanschaulichen und religiösen Bereich darauf ankommt, dass die betroffenen Glaubens- oder Religionsgemeinschaften im wirtschaftlichen Sinne miteinander konkurrieren279, ist für die tatbestandliche Einschlägigkeit des in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG wurzelnden Neutralitätsgebots ein solches Wettbewerbsverhältnis im kartellrechtlichen Sinne erforderlich. Sub specie der grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung ist allein maßgeblich, ob sich staatliche Maßnahmen in wirtschaftlicher Hinsicht auf einzelne Medienunternehmen auswirken. Im Lichte der spezifischen Funktion des kommunikationsverfassungsrechtlichen staatlichen Neutralitätsgebots transzendiert der Begriff des wirtschaftlichen Wettbewerbs das kartellrechtliche Begriffsfeld und erfasst alle staatlichen (Förder-)Maßnahmen, welche die wirtschaftliche Stellung einzelner Medienunternehmen verbessern bzw. verschlechtern. Doch selbst dann, wenn man dem nicht folgte und den Begriff des wirtschaftlichen Wettbewerbs einschränkend in einem kartellrechtlichen Sinne verstünde, 277
K(2007) 1761 endg., Rn. 189. Zur unterschiedlichen Bedeutung des Begriffs „beherrschende Einflussnahme“ im Kartell- und Rundfunkverfassungsrecht BVerfG, AfP 2008, 174 (181: „Konzernrecht und Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit verfolgen unterschiedliche Regelungsziele“). 279 Umfassend zur staatsrechtlichen Kategorie der Neutralitätspflicht Huster, Die ethische Neutralität des Staates, passim. 278
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wären entsprechende, die wirtschaftliche Situation einzelner Träger des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG beeinträchtigende staatliche (Förder-)Maßnahmen gleichwohl am verfassungsrechtlichen Neutralitätsgrundsatz zu messen. Denn in jedem Fall wäre der publizistische Wettbewerb zwischen den konkurrierenden Medien betroffen. Die dem Staat im publizistischen Wettbewerb obliegende Neutralitätspflicht wendet sich dagegen, dass sich der Staat in den Austausch von Gedanken, Ideen und sonstigen Kommunikationsinhalten einmischt, Partei zugunsten einzelner Medienunternehmen ergreift oder selektiv bestimmte Träger des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fördert. Das Neutralitätsgebot des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG schützt nicht nur vor wirtschaftlich nachteiligen Folgen, die von selektiven staatlichen (Förder-)Maßnahmen für den Kreis der Nichtbegünstigen ausgehen. Nicht der wirtschaftliche, sondern der publizistische Wettbewerb steht im Sinnzentrum des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, auch wenn der Schutz der wirtschaftlichen Verbreitungsfreiheit regelmäßig wesentliche Voraussetzung für einen effektiven publizistischen Wettbewerb ist280. Das dem Staat obliegende Neutralitätsgebot schützt auch Träger des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, die aus rein ideellen Motiven an der Massenkommunikation mitwirken und hierbei keine wirtschaftlichen Interessen verfolgen. Vor dem Hintergrund, dass die Medienfreiheiten unter den Bedingungen der modernen Informations- und Kommunikationsordnung zu Jedermann-Freiheiten avanciert sind, kommt dem Schutz des publizistischen Wettbewerbs als solchem zunehmend größere Bedeutung zu. Das Neutralitätsgebot des Staates schützt nicht nur vor einer staatlichen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen professionell operierender Medienhäuser. Es entfaltet seine freiheitsschützende Kraft gegenüber staatlichen Verzerrungen des publizistischen Wettbewerbs sämtlicher Träger des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. d) Rundfunkgebührenprivileg als strikt rechtfertigungsbedürftige selektive Förderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Das Rundfunkgebührenaufkommen ist als Finanzierungsform für die Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunkprogrammen und Telemedien allein den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vorbehalten. Eine Beteiligung kommerzieller Rundfunkveranstalter oder Anbieter von Telemedien am Gebührenaufkommen ist ausgeschlossen (§ 43 Satz 2 RStV). Die Gebührenfinanzierung befreit den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von der Notwendigkeit, seine publizistische Tätigkeit nach den Gesetzen des Marktes zu finanzieren. Das begründet ein Privileg: das Rundfunkgebührenprivileg. Dieses Rundfunkgebührenprivileg ist eine selektive Förderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
280
Vgl. C. III. 4. bei Fn. 228 (S. 70).
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Die Einräumung dieses Gebührenprivilegs zugunsten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist unter dem Gesichtspunkt des dem Staat obliegenden Neutralitätsgebots nicht per se unzulässig. Soweit durch diese Form staatlicher Förderung der wirtschaftliche und publizistische Wettbewerb mit konkurrierenden (kommerziellen oder aus ideellen Motiven operierenden) privaten Anbietern beeinträchtigt wird, ist das Gebührenprivileg von Verfassungs wegen strikt rechtfertigungsbedürftig281. Welche Voraussetzungen hierfür vorliegen müssen, wird später noch gesondert erörtert282. Da das staatliche Neutralitätsgebot auch im Interesse der personalen Autonomie des Grundrechtsträgers besteht283, sind staatliche Verzerrungen des wirtschaftlichen und publizistischen Wettbewerbs zwischen den Medien(-unternehmen) an den für Grundrechtseingriffe geltenden Voraussetzungen zu messen. Insbesondere sind staatliche Eingriffe in den publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig. 6. (Möglichst weitgehende) Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als verfassungsrechtliche Direktive Sofern der Gesetzgeber den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Verbreitung gebührenfinanzierter Onlineangebote legitimiert, bedarf es hierzu unter zwei Gesichtspunkten einer strikten Rechtfertigung. Zum einen weicht er insoweit vom Marktmodell als grundgesetzliches Regelmodell für die Organisation der Medien ab. Zum anderen kollidiert die Gebührenfinanzierung des öffentlichrechtlichen Rundfunks (oftmals) mit der Verpflichtung des Staates, sich im publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb der Onlinemedien neutral zu verhalten. Gerechtfertigt ist dies nur, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk besondere Gewähr für die Sicherung von Meinungsvielfalt bietet. Gleichsam gebetsmühlenartig werden in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG die strukturellen Mängel des kommerziellen Rundfunks, insbesondere die von der Werbefinanzierung ausgehenden programmbegrenzenden und vielfaltverengenden Zwänge betont284. Insbesondere unter Verwertung medienökonomischer Erkenntnisse unternimmt das Bundesverfassungsgericht den Versuch, strukturelle Defizite des auf Marktprozessen beruhenden privaten Rundfunksystems nachzu-
281 Vgl. auch Schulz, Der Programmauftrag als Prozess seiner Begründung, S. 15: „In der vom Grundgesetz errichteten Ordnung sind Privilegien wie das Gebührenprivileg nur funktionsbezogen denkbar und begründungsbedürftig.“ 282 Vgl. D., S. 91 ff. 283 BVerfGE 80, 124 (134); siehe auch BVerfGE 20, 162 (174 ff.). 284 Vgl. nur BVerfGE 87, 181 (199); 90, 60 (91); 114, 371 (388); BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1289); BVerfG, AfP 2008, 174 (177).
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weisen285. Eine mit vergleichbarem Begründungsaufwand vorgenommene Analyse der Defizite des öffentlich-rechtlichen Rundfunks findet sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht. Unschwer lässt zwar der Vergleich der Programmleistungen des öffentlich-rechtlichen und des privaten Rundfunks erhebliche Unterschiede erkennen286, worauf das Bundesverfassungsgericht zutreffend verweist287. Nur ist damit noch nicht geklärt, worauf diese besondere Leistungsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zurückzuführen ist. Zweifelsfrei trägt die Gebührenfinanzierung zur Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Systems zu, weil diese Finanzierungsform eine von den Begehrlichkeiten der werbetreibenden Wirtschaft unabhängige Programmgestaltung ermöglicht288. Von entscheidender Bedeutung – insbesondere für die Rechtfertigung des Gebührenprivilegs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – ist, ob und in welchem Umfang die binnenpluralistische Organisationsstruktur zur Vielfaltsicherung beiträgt. Nur wenn das Modell des Binnenpluralismus eine hinreichende Vielfaltgewähr garantiert, ist die selektive Förderung des öffentlichrechtlichen Rundfunks in der Gestalt des Gebührenprivilegs (dauerhaft) zu rechtfertigen. Sub specie des dem Staat obliegenden Neutralitätsgebots lässt sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht unter Hinweis auf die Besonderheit der Gebührenfinanzierung rechtfertigen; vielmehr bedarf umgekehrt das Gebührenprivileg der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Zwar spricht das Bundesverfassungsgericht von den „besonderen organisatorischen Anforderungen zur Sicherung der Vielfalt und Unabhängigkeit“289. Eine Antwort auf die Frage, ob damit die binnenpluralistische Organisationsstruktur des öffentlichrechtlichen Rundfunks gemeint ist und welche Leistungskraft dieser Organisationsform im Rahmen der Vielfaltsicherung zukommt, bleibt das Bundesverfassungsgericht schuldig. Die Leistungsfähigkeit des Modells eines Binnenpluralismus als organisatorisches Instrument der Vielfaltsicherung wird zunehmend in Zweifel gezogen290. Die Zweifel beruhen darauf, dass das Modell des Binnenpluralismus eher einem ständestaatlichen Modell verhaftet ist, welches die sich stetig weiter ausdifferenzierende moderne Gesellschaft schon lange nicht mehr zutreffend abbildet, dass die binnenpluralistischen Aufsichtsorgane aufgrund der sich (faktisch) herausgebildeten Autonomie von Intendanz und Redaktionseinheiten keinen effektiven 285
Vgl. nur BVerfGE 114, 371 (388); BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1289). Krüger/Zapf-Schramm, MP 2007, 166; ALM Jahrbuch 2006, S. 208 ff. 287 Vgl. nur BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1289). 288 Vgl. nur BVerfGE 90, 60 (90). 289 BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1289); Hervorhebung durch d. Verf. 290 Vgl. statt vieler Bullinger, in: HStR, § 142 Rn. 92 ff.; Degenhart, K&R 2001, 329 (337); Engel, Medienordnungsrecht, S. 113 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 5 I, II Rn. 261 f.; Schulz, Gewährleistung kommunikativer Chancengleichheit als Freiheitsverwirklichung, S. 184 f.; Vesting, Prozedurales Rundfunkrecht, S. 144 f. 286
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Einfluss auf die Programmgestaltung haben und dass mit den regional rekrutierten Gremienmitgliedern keine hinreichend leistungsfähige Aufsichtsstruktur für die Kontrolle bundesweit verbreiteter Programme und Internetangebote zur Verfügung stehen. Im Fokus der Kritik steht vor allem der erhebliche Einfluss des Staates, insbesondere der der politischen Parteien auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk291. Dieser vergleichsweise große Einfluss der Politik ist struktureller Natur: Es ist utopisch anzunehmen, dass sich die Interessengruppen der Gesellschaft gleichsam im organisatorischen Gefäß des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zusammenfassen ließen. Das binnenpluralistische Modell beruht auf der Annahme, dass die gesellschaftlich relevanten Gruppen und Kräfte das gleiche Artikulationsinteresse besitzen und mit gleicher kommunikativer Intensität im Rahmen der Meinungs- und Willensbildung eines Aufsichtsgremiums des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mitwirken. Gewiss wünschte man sich eine entsprechend lebendige und aktive Zivilgesellschaft. Die Realität zeigt indes ein anderes Bild. In erster Linie sind es Politiker, die den Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk suchen, weil vor allem sie ein substanzielles Interesse an der Darstellung ihrer eigenen Person und ihrer Partei im öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben. Vor diesem Hintergrund muss es Befremden auslösen, wenn das Bundesverfassungsgericht dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk „besondere organisatorische Anforderungen292“ zur Vielfaltsicherung attestiert. Während der „Realbereich“ des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG293 im Hinblick auf den privaten Sektor hell ausgeleuchtet wird, bleibt er im Hinblick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Dunkeln. Es wird nicht zur Kenntnis genommen, geschweige denn konzeptionell verarbeitet, dass sich öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten zuweilen aus ihrer Verhaftung im gesellschaftlichen Boden gelöst haben und Züge eines (zumindest) semistaatlichen Senders tragen294. Insbesondere in Ermangelung entsprechender Inkompatibilitätsvorschriften für die von den politischen Parteien entsandten Vertreter sind von den 77 Mitgliedern des ZDF-Fernsehrates295 33 Staatsvertreter, also Personen, die staatliche Funktionen bekleiden (Mitglieder der Bundesregierung oder der Landesregierungen, MdB, MdL, MdEP etc.), was einer Quote von 42,86% entspricht. Rechnet man den Kreis 291 Vgl. hierzu statt vieler Bullinger, HStR, § 142 Rn. 92 ff.; Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 220; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 220; Vesting, Prozedurales Rundfunkrecht, S. 145 f.: „weitgehende Gleichschaltung“. 292 Vgl. nochmals BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1289). 293 Zur Problematik der Einbeziehung der „Realfaktoren“ zur Interpretation verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Normen vgl. zuletzt Schoch, Die Verwaltung (2007), Beiheft 7, S. 177 (192 ff.). 294 Vgl. nunmehr aber der Zweite Senat des Bundesverfassungsgericht, der „von Freundeskreisen in den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ (BVerfG, AfP 2008, 174 [182]) spricht. 295 http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/21/0,1872,2012149,00.html.
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der ehemaligen staatlichen Funktionsträger (Bundesminister etc. a.D.) und die Spitzenpolitiker ohne Bekleidung staatlicher Ämter (Bundesvorsitzender einer Partei)296 der „Staatsbank“ zu, erhöht sich die Zahl auf 39 Staatsvertreter und damit die Staatsquote auf 50,65%. Hinzu kommt, dass es sich bei den Staatsvertretern durchweg um Spitzenpolitiker handelt, so dass Sitzungen des ZDFFernsehrats als Stelldichein der Belle Etage der deutschen Politik erscheinen. Das (unschöne) Bild wird dadurch abgerundet, dass der Vorsitz des ZDF-Fernsehrats in den Händen des Spitzenpolitikers Ruprecht Polenz (MdB) liegt. Ungeachtet der Frage, wann die Grenzen einer – auch vom Bundesverfassungsgericht für unzulässig erklärten297 – staatlichen Beherrschung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überschritten sind, dürfte kaum zweifelhaft sein, dass die gleichsam semistaatliche Zusammensetzung des ZDF-Fernsehrates die Beherrschungsgrenze überschreitet und gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit verstößt. Der Blick auf den ZDF-Verwaltungsrat, dessen Zusammensetzung ebenfalls am Grundsatz der Staatsfreiheit zu messen ist298, lässt keine vergleichsweise staatsfernere Aufsichtsstruktur erkennen299. Auch insoweit wird der Vorsitz von einem Spitzenpolitiker wahrgenommen: dem Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz und Vorsitzenden der Rundfunkkommission der Länder, Kurt Beck, der – in diesen Funktionen – Verantwortung nicht nur für das ZDF, sondern für den gesamten Medienbereich trägt. Der Grundsatz der Staatsfreiheit dient zunächst einmal der Unabhängigkeit des Rundfunks bei seiner publizistischen Tätigkeit. Gegen eine Gängelung der Medien durch den Staat haben sich die Kommunikationsgrundrechte ursprünglich gerichtet und in der Abwehr staatlicher Kontrolle der Berichterstattung finden sie auch heute ein wesentliches Anwendungsfeld300. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann seine Kontrollaufgaben gegenüber dem Staat nur dann wahrnehmen, wenn der Staat auf diese Kontrolle keinen Einfluss nehmen kann. Hierin erschöpft sich die Funktion des Grundsatzes der Staatsfreiheit indes nicht. Vielmehr geht es zugleich um die Unabhängigkeit auch des Staates. Der Staat kann seiner Aufgabe als Sachwalter der Interessen der Allgemeinheit nur nachkommen, wenn er mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht personell verflochten ist. Erfahrungen aus anderen Regulierungsfeldern lehren, dass es immer dann einer unabhängigen Regulierungsinstanz bedarf, wenn der Staat eigene – etwa fiskalische im Zielkonflikt mit wettbewerbspolitischen – Interessen verfolgt301. Im Medienbereich geht es nicht um lediglich fiskalische Interessen von Politikern, sondern um ihre persönlichen Interessen und die Interessen 296 BVerfG, AfP 2008, 174 (178: „Der Grundsatz der Staatsfreiheit ist auch im Verhältnis zu den Parteien zu beachten“). 297 Vgl. hierzu sogleich bei und nach Fn. 302 (S. 87). 298 Vgl. BayVerfGH, BayVBl. 1989, 303 ff. 299 http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/9/0,1872,2030985,00.html. 300 Vgl. BVerfGE 57, 295 (320); 90, 60 (88); BVerfG, AfP 2008, 174 (178).
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ihrer Partei. Derartige Machtgewinnungs- und Machterhaltungsinteressen sind in besonderer Weise geeignet, den Blick auf das Gemeinwohl zu verstellen. Die zu politischem Handeln berufenen staatlichen Funktionsträger sind nur dann in der Lage, die Interessen aller Beteiligten in den Blick zu nehmen und diese sorgsam gegeneinander abzuwägen, wenn sie die notwendige Distanz zu den Beteiligten aufweisen und insbesondere personell nicht mit ihnen verflochten sind. Ein personell mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk verflochtener Staat kann seine Funktion als Sachwalter des Allgemeinwohls nicht nachkommen; von den Betroffenen wird er auch nicht als solcher wahrgenommen. Eine personelle Verflechtung von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Politik begründet gleichsam den Verdacht der Befangenheit der politisch handelnden Akteure. Ein auf einer doppelten Funktionsträgerschaft beruhender Spagat ist mit der dem Staat zukommenden Funktion als Stifter und Garant des Gemeinwohls unvereinbar; er unterminiert letztlich die Legitimation des Staates. Dieses Wechselspiel gegenseitiger Abhängigkeit wird vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk gesehen und zuweilen (keinesfalls durchweg) geschickt genutzt, um die eigene Position im Wettbewerb mit konkurrierenden privaten Medienunternehmen zu stärken. Ganz unverhohlen bringt es ein (hochrangiger) Funktionsträger einer öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt auf den Punkt: „Wenn die Politiker bei uns ihren Stuhl räumen müssten, gäbe es uns spätestens in fünf bis zehn Jahren nicht mehr.“ Die der Unabhängigkeit bei der publizistischen Tätigkeit abträgliche Abhängigkeit vom Staat wird bewußt in Kauf genommen oder sogar gesucht, um Bestand und Entwicklung der Institution zu sichern: Die „besonderen organisatorischen Anforderungen“ der Vielfaltsicherung öffentlich-rechtlichen Rundfunks mutieren dann zur dysfunktionalen Groteske. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts trägt eine nicht unbeträchtliche Mitverantwortung an dieser Entwicklung. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts verbietet der Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks lediglich, dass der Staat beherrschenden Einfluss auf das Programm der von ihm unabhängigen Veranstalter nimmt302. Dementsprechend hält es eine Repräsentanz staatlicher Vertreter in den Kontrollgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bis diesseits der Beherrschungsgrenze für zulässig303. Einen (dogmatisch) tragfähigen Rechtfertigungsgrund ist das Bundesverfassungsgericht bislang schuldig geblieben. Soweit das Bundesverfassungsgericht in ständiger
301 Als Beispiel sei die BNetzA genannt, deren Unabhängigkeit (von der Regierung) unerlässliche Voraussetzung für die Gewährleistung eines auf Chancengleichheit beruhenden, funktionsfähigen Wettbewerbs auf den Telekommunikationsmärkten ist; vgl. hierzu statt aller (pointiert) Ruffert, in: Berliner TKG-Kommentar, § 116 Rn. 12: „Mitspieler dürfen nicht gleichzeitig Schiedsrichter sein.“ 302 BVerfGE 73, 118 (165); 83, 238 (330); BVerfG, NVwZ 2007, 1304 (1305); BVerfG, AfP 2008, 174 (178). 303 Vgl. BVerfGE 12, 205 (263); 73, 118 (165); 83, 238 (330).
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Rechtsprechung betont, dass der Rundfunk weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Kraft ausgeliefert werden dürfe304, ist dem nicht zu widersprechen. Nur ist das noch keine Begründung dafür, dass der Staat Zugang zu den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erhalten darf. Die Gleichstellung von Einflüssen des Staates und einzelner gesellschaftlicher Kräfte geht fehl305. Die Mitwirkung einzelner gesellschaftlicher Gruppen am gesellschaftlichen Kommunikationsprozess und damit im Rundfunk gehört zum verfassungsrechtlichen Normalfall. Von Verfassungs wegen ist lediglich sicherzustellen, dass einzelne gesellschaftliche Gruppen keinen beherrschenden Einfluss auf den Rundfunk ausüben. Demgegenüber ist dem Staat die Mitwirkung am gesellschaftlichen, grundrechtlich umhegten Kommunikationsprozess und damit die Beteiligung am Rundfunk – in gleich welcher Höhe – untersagt. Im Gegensatz zu einzelnen gesellschaftlichen Gruppen verfügt der Staat über keinerlei Legitimation zur Mitwirkung am grundrechtlich geschützten Kommunikationsprozess. Das bedeutet freilich nicht, dass in der grundgesetzlich verfassten Kommunikationsordnung für staatliche Kommunikation überhaupt kein Platz ist. Die Legitimation des Staates zur Öffentlichkeitsarbeit und zu anderen Formen zulässiger Informationsarbeit steht außer Frage306. Dies darf indes nicht den Blick davor verstellen, dass Staats- und Volkswillensbildung auf unterschiedlichen Legitimationsgrundlagen beruhen. Ebenso wie von Verfassungs wegen zwischen Staat und Gesellschaft zu differenzieren ist307, fußen staatliche Kommunikation einerseits und individuelle bzw. gesellschaftliche Kommunikation andererseits auf unterschiedlichen Legitimationsschichten. Während sich staatliche Kommunikation aus Kompetenzen ableitet und durch diese begrenzt ist, speist sich individuelle und gesellschaftliche Kommunikation aus grundrechtlichen Legitimationsquellen308. Für den Staat ist kein Platz in diesem grundrechtlich geschützten Bezirk individueller Meinungs- und Willensbildung. Staatliche Medien oder die Mitwirkung des Staates an Medien sind in der Kommunikationsordnung des Grundgesetzes ausgeschlossen. Presse und Rundfunk sind der gesellschaftlichen Sphäre vorbehalten. Im Übrigen bestehen Schwierigkeiten festzustellen, wann die Grenze zur unzulässigen staatlichen Beherrschung überschritten ist309. Nicht sachgerecht er304
Vgl. BVerfGE 12, 205 (262); 60, 53 (65); 90, 60 (88); BVerfG, AfP 2008, 174
(178). 305 Vgl. Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 90 ff.; ders., Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 133. 306 Vgl. hierzu zuletzt Gersdorf, Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestages, S. 27 ff. m. w. N. 307 Vgl. statt vieler Böckenförde, Staatstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, S. 26; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 180 ff.; Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, S. 37 ff. 308 Vgl. zuletzt Gersdorf, Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestages, S. 31 f.
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scheint es, hierbei auf ein numerisches Übergewicht der staatlichen Funktionsträger abzustellen. Denn dem tatsächlichen Gewicht des Staates bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung würde dadurch nicht hinreichend Rechnung getragen. Die Erfahrung zeigt, dass (Spitzen-)Politikern kraft ihrer organisatorischen und personellen Ausstattung sowie ihres Bekanntheitsgrades ein vergleichsweise deutlich höheres Gewicht im Rahmen der Willensbildung und Entscheidungsfindung der Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zukommt. Diese rein faktische Gewichtsverteilung lässt sich rechtlich kaum hinreichend präzise erfassen. Soll dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der dualen Rundfunkordnung die Rolle eines Vielfaltgaranten zukommen und soll er zu diesem Zweck mit dem Rundfunkgebührenprivileg ausgestattet bleiben, erscheint es unerlässlich, das Verhältnis von Staat und öffentlich-rechtlichem Rundfunk neu zu bestimmen. Der Zutritt staatlicher Funktionsträger zu Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist schlechthin zu untersagen. Durch Inkompatibilitätsregelungen ist dafür Sorge zu tragen, dass die Vertreter politischer Parteien und die Vertreter (anderer) gesellschaftlicher Organisationen in den Kontrollgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht zugleich staatliche Ämter bekleiden. Eine semistaatliche Aufsichtsstruktur wie beim ZDF-Fernsehrat dient nicht dem wohl verstandenen Interesse des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und ist durch die Kommunikationsverfassung des Grundgesetzes verboten. Zu Recht jagt der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr der Utopie einer strikten Staatsfreiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach, sondern lässt an deren Stelle das realistischere Bilder einer möglichst „weitgehenden Staatsferne“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks treten. „Anzustreben“ sei eine „weitgehende Staatsferne zur Verwirklichung der freien Meinungsbildung“310. Die „anzustrebende“ „weitgehende Staatsferne“ beinhaltet die Forderung, dass Politiker und weitere staatliche Funktionsträger ihren Stuhl in den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks räumen: Staatliche Funktionsträger haben dort schlichtweg nichts zu suchen, weil ihre Mitgliedschaft mit der verfassungsrechtlich geschuldeten Unabhängigkeit sowohl des Staates als auch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unvereinbar ist. Das Gebot einer möglichst weitgehenden Zurückdrängung staatlichen Einflusses auf die Willensbildung und Entscheidungsfindung binnenpluralistisch organisierter Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird künftig erheblich an Bedeutung gewinnen. Bislang hatte der Rundfunk- bzw. Fernsehrat innerhalb der Organisationsverfassung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine relativ geringe Bedeutung. Rechtlich und vor allem faktisch verfügt der Intendant über eine prävalente Stellung innerhalb der öffentlich-rechtlichen 309 310
Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 144. BVerfG, AfP 2008, 174 (178).
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Rundfunkanstalt311. Künftig werden die Kompetenzen des binnenpluralistischen Gremiums erheblich an Gewicht gewinnen. Im Rahmen des geplanten sogenannten Drei-Stufen-Tests, der bei beabsichtigten neuen Angeboten oder Veränderungen bestehender Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durchzuführen ist, obliegt es dem Gremium, die in hohem Maße unbestimmten Rechtsbegriffe der Drei-Stufen-Regelung zu konkretisieren und damit über die Reichweite des Funktionsauftrages des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu bestimmen312. Mit Blick auf diesen erheblichen Bedeutungszuwachs kommt der Zusammensetzung der binnenpluralistischen Aufsichtsgremien des öffentlichrechtlichen Rundfunks eine Schlüsselrolle zu. Der Staatseinfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird in beträchtlichem Umfang steigen, wenn staatliche Funktionsträger auch weiterhin Zugang zu den Gremien des öffentlichrechtlichen Rundfunks erhalten. Soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch künftig in den Genuss des Rundfunkgebührenprivilegs kommen, sind besondere organisatorische Anforderungen der Vielfaltsicherung erforderlich. „Wo Politiker in der ersten Reihe sitzen“313, entfällt die Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. (Semi-)Staatliche Organisationsstrukturen sind das Gegenteil dessen, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Informations- und Kommunikationsordnung benötigten. Sie legitimieren vor allem nicht das maßgebliche Privileg des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: das Rundfunkgebührenprivileg.
311 312 313
Vgl. statt vieler Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 335 ff., 346. Vgl. noch D. III. bei Fn. 341 (S. 99). Vgl. Beyer/Beck, FAZ Nr. 119 vom 24.05.2008, S. 13.
D. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Wie bereits erwähnt, werden von Teilen des Schrifttums einem auf Marktprozessen beruhenden Mediensystem nicht nur im Bereich des klassischen linearen Rundfunks, sondern auch im Onlinebereich Vielfaltdefizite attestiert, die als Legitimationsgrundlage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dienen. Die den klassischen kommerziellen Rundfunk kennzeichnenden Defizite sollen auch im Onlinebereich vorliegen314. Auch im Onlinebereich bestünden Informationsasymmetrien, die bei nicht-fiktionalen Inhalten (Nachrichten und sonstige Informationsportale) besonders stark und bei fiktionalen vergleichsweise gering ausgeprägt seien315. Auch im Onlinebereich seien horizontale und vertikale Verflechtungen naheliegend oder sogar bereits zu verzeichnen316. Und auch im Onlinebereich bestünde bei einer primär wirtschaftlichen Ausrichtung des Angebots die Gefahr, dass sich die Auswahl von Themen und die Art der Darstellung an wirtschaftlichen und nicht an journalistischen Kriterien orientiere317. Außerdem bestünde das Risiko, dass die Beachtung journalistischer Regeln (Rechercheobliegenheit) aus Kostengründen unterbleibe318. Dementsprechend könne der Gesetzgeber die duale Rundfunkordnung zu einer dualen Internetund Informationsordnung weiterentwickeln319. Die These beruht auf einem funktionalen Verständnis der grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten, das dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Medienordnungen (nicht nur des klassischen Rundfunks) prinzipiell freie Hand belässt. Dieses funktionale Grundrechtsmodell erzeugt (mit Bedacht?) einen seichten Nebel, der den Blick auf die Fundamentalfrage der Kommunikationsordnung der Gegenwart (und der Vergangenheit) verschwimmen lässt oder gar verstellt: Ist es mit der dem Staat obliegenden Neutralitätspflicht vereinbar, 314 So insbesondere die medienökonomische Analyse von Kops, in: Schulz/Held/ Kops, Perspektiven der Gewährleistung öffentlicher Kommunikation, S. 107 ff.; ihm folgend Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 206 ff.; vgl. auch Witt, Internet-Aktivitäten öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 117 ff. 315 Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 207. 316 Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 209. 317 Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 216. 318 Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 217 ff. 319 So ausdrücklich Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar, Art. 5 Rn. 222; ders., Kommunikationsfreiheiten, Rn. 222; Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 223 ff.
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D. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien
wenn er den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dazu ermächtigt, aus den Mitteln des Gebührenaufkommens auch solche Angebote zu finanzieren, die ebenfalls (kommerzielle) private Anbieter in vergleichbarer Qualität anbieten? Darf dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk (im Internet) eine gebührenfinanzierte Volloder nur eine Mindestversorgung gestattet werden?320 Dient also das Gebührenaufkommen der Finanzierung nur solcher Angebote, die der private Mediensektor entweder überhaupt nicht oder zumindest nicht in der gewünschten Qualität generiert? Dies ist die Schlüsselfrage der modernen Kommunikations- und Informationsordnung, die nicht nur kommerzielle private Anbieter, sondern die gesamte, sich publizistisch betätigende Zivilgesellschaft betrifft. Die (nicht auf einem funktionalen Grundrechtsverständnis beruhende) grundgesetzliche Kommunikationsverfassung bietet klare Maßstäbe für die Bestimmung der Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Onlineangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sofern der Gesetzgeber den öffentlichrechtlichen Rundfunk zur Verbreitung gebührenfinanzierter Telemedien legitimiert, bedarf dies unter zwei Gesichtspunkten der strikten Rechtfertigung321. Zum einen weicht er vom Marktmodell als grundgesetzliches Regelmodell für die Organisation der Medien ab. Zum anderen kann die Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit der dem Staat obliegenden Neutralitätspflicht kollidieren. Eingriffe in beide Strukturelemente sind nur unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig. Auch unter Zugrundelegung der dem Gesetzgeber zustehenden Einschätzungsprärogative322 reichen allgemeine, auch in anderen Wirtschaftsbereichen auftretende Gefährdungslagen zur Rechtfertigung für eine Abweichung vom Regelmodell nicht aus. Verbund- und Skalenvorteile horizontal und vertikal verflochtener Unternehmen sind eine typische Erscheinungsform des Wirtschaftslebens. Insbesondere im Recht der Netzwirtschaften spielen Verbund- und Skalenvorteile marktmächtiger horizontal und vertikal integrierter Internehmen eine zentrale Rolle323. Dies kann Regulierung legitimieren oder sogar erforderlich machen, rechtfertigt aber noch keine Verstaatlichung der betroffenen Wirtschaftsbereiche. Ebensowenig kann eine mit der Konzentration im Medienbereich verbundene Gefahr einer einseitigen Einflussnahme auf die Meinungsbildung als Legitimation für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk angeführt wer320 Der Bereich des klassischen linearen Rundfunks ist durch eine gebührenfinanzierte Vollversorgung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gekennzeichnet; vgl. hierzu C. II. 4. b), S. 45 ff. 321 Im Ergebnis ähnlich Schulz, Der Programmauftrag als Prozess seiner Begründung, S. 15: „In der vom Grundgesetz errichteten Ordnung sind Privilegien wie das Gebührenprivileg nur funktionsbezogen denkbar und begründungsbedürftig.“ 322 Vgl. BVerfGE 57, 295 (321); 83, 238 (296); 97, 228 (267). 323 Vgl. hierzu für den Bereich der Telekommunikation statt vieler Gersdorf, N&R 2008 Beilage 2, 1 (12 m. w. N.).
D. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien
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den. Sie rechtfertigt allein eine Regulierung des privaten Mediensektors mit den Mitteln des Kartellrechts und ggf. des rundfunkspezifischen Konzentrationsrechts324. Weiter scheiden auch die sogenannten Informationsasymmetrien als Rechtfertigung für gebührenfinanzierte Onlineangebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus. Angesichts der Komplexität der auch andere Dienstleistungsund Produktbereiche kennzeichnenden Faktoren erscheint es bereits in hohem Maße zweifelhaft, ob Informationsasymmetrien ein Spezifikum des Mediensektors sind. Auch in anderen Bereichen, bleibt dem Verbraucher oftmals keine andere Wahl, als auf die versprochene Güte und Qualität des Produkts zu vertrauen. Weiter spielen Informationsasymmetrien bei fiktionalen (Unterhaltungs-) Inhalten kaum eine Rolle, sondern kommen allenfalls bei nicht-fiktionalen Inhalten (Nachrichten und sonstige Informationsportale) zum Tragen325. Doch auch in diesem Bereich verliert das Argument der asymmetrischen Information an Bedeutung, wenn der Nutzer ein Portal längerfristig konsultiert. Im Übrigen ermöglicht vor allem das Internet einen Vergleich einer Vielzahl von Angeboten. Ohne dass Mehrkosten entstehen und ohne an die Programmplanung eines linear verbreiteten Rundfunksenders gebunden zu sein, kann der Nutzer den (Wahrheits-)Gehalt der Information durch Aufsuchen anderer Internetportale und Internetseiten zu verifizieren versuchen. Auch im Vergleich zur klassischen Presse bestehen im Onlinebereich keine größeren Informationsasymmetrien. Schließlich kann eine Internet-Vollversorgung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht damit legitimiert werden, dass sich werbefinanzierte Internetanbieter – wie kommerzielle Rundfunkveranstalter – auf massenattraktive Angebote beschränken werden326. Zunächst einmal schließt die Orientierung von Online-Angeboten an dem Massengeschmack nicht aus, dass auch Minderheiten entsprechend versorgt werden327. Und zum anderen rechtfertigten entsprechende Vielfaltlücken im privaten Mediensektor ein Engagement des gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks lediglich in diesem Feld, aber keine Vollversorgung im Internet durch die Anstalten. Die Frage, ob und in welchem Umfang der öffentlich-rechtliche Rundfunk zur Verbreitung von Telemedien berechtigt werden darf, kann nicht pauschal beurteilt werden. Vielmehr ist eine differenzierende Betrachtung des jeweiligen Dienstes erforderlich, wobei insbesondere zwischen Textdiensten (Lesemedien: Texte, stehende Bilder, Grafiken) und Video- bzw. Audiodiensten zu unterscheiden ist. An dieser Stelle geht es allein um die Maßstäbe, die Aufschluss über 324
Vgl. Vgl. 326 Vgl. S. 216. 327 Vgl. 325
hierzu zuletzt BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1289 m. w. N.). Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 207. insoweit Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, hierzu sogleich.
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D. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien
die Legitimation, aber auch Limitierung von Onlineangeboten des öffentlichrechtlichen Rundfunks geben. Abweichungen von dem durch privatrechtliche Organisationsformen und durch privatwirtschaftliche Entscheidungsrationalität der Medien gekennzeichneten Grundmodell sind ebenso rechtfertigungsbedürftig wie – sub specie des dem Staat obliegenden Neutralitätsgebots – die Einräumung eines (Rundfunkgebühren-)Privilegs für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Weicht der Staat von diesen beiden Strukturelementen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ab, kann der hierin begründete Grundrechtseingriff nur unter dem Gesichtspunkt des ebenfalls in den Massenkommunikationsgrundrechten verwurzelten Pluralismusgebots gerechtfertigt sein. Bei Abwägung der einander konfligierenden Zielwerte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gilt es, den grundrechtlich und rechtsstaatlich verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren328. Hieraus folgt, dass durch das jeweilige Onlineangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein besonderer, kommunikativer Mehrwert begründet werden muss, der sich in privaten Medienangeboten nicht widerspiegelt. Eine gebührenfinanzierte Vollversorgung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Internet entspräche nicht den aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgenden kommunikationsverfassungsrechtlichen Direktiven und wäre verfassungswidrig (I.). Unzweifelhaft gerechtfertigt sind solche Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die sich im privaten Medienbereich – aus wirtschaftlichen Gründen – nicht finden, die gleichwohl im Interesse der Vielfaltsicherung als unentbehrlich bzw. wichtig erscheinen. In diesem Fall eines „Marktversagens“ begründen gebührenfinanzierte Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einen quantitativen kommunikativen Mehrwert und sind gerechtfertigt (II.). Besondere Probleme wirft eine Gebührenfinanzierung in den Bereichen auf, in denen private Angebote zwar vorhanden oder wahrscheinlich sind, aber vergleichsweise qualitativ minderwertig erscheinen. Onlineangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zum Zweck der Qualitätssteigerung (qualitativer kommunikativer Mehrwert) erweisen sich unter dem Gesichtspunkt des dem Staat obliegenden Neutralitätsgebots als prekär und besonders legitimationsbedürftig (III.). Textdienste des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind nur zulässig, wenn sie einen sendungsbezogenen Inhalt haben (Annexfunktion). Durch diese Annexfunktion sind Textdienste des öffentlich-rechtlichen Rundfunks legitimiert und limitiert. Sofern diese strikte Annexfunktion gelockert oder gar aufgelöst würde, wäre die grundgesetzliche Kommunikationsverfassung verletzt (IV.).
328 Die gleichen Prüfungsmaßstäbe kommen zum Tragen, wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung an der Kategorie der Grundrechtsausgestaltung festhält. Auch im Rahmen der Grundrechtsausgestaltung bedarf es einer wechselseitigen Zuordnung der einander kollidierenden Rechtsgüter nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.
I. Verfassungsrechtliches Verbot
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I. Verfassungsrechtliches Verbot einer Vollversorgung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Internet Die – den Geist der Freiheitlichkeit atmende – Kommunikationsverfassung des Grundgesetzes legt die Verwirklichung des (objektiv-rechtlichen) Ziels der Pluralismussicherung zunächst in die Hände selbstorganisierter und selbstbestimmt agierender Medien(-unternehmen), die nach autonom gesetzten Handlungsmustern Ideen, Gedanken sowie Kommunikationsinhalte gleich welcher Art verbreiten und auf diese Weise zur publizistischen Vielfalt beitragen. Die Herstellung und Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt vollzieht sich prinzipiell im und durch den publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb der miteinander konkurrierenden privaten Medien(-unternehmen). Der öffentlichrechtliche Rundfunk ist kein genuin gleichberechtigter Akteur in der Massenkommunikation. Er ist ein sektoraler Aufgabenträger, der seine spezifische Legitimation aus Funktionsdefiziten eines auf Marktprozessen beruhenden privaten Mediensystems ableitet. Sind solche Defizite nicht erkennbar, fehlt es an einer Legitimation für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die grundgesetzliche (Kommunikations-)Verfassung beruht auf einem Primat der gesellschaftlichen Selbstorganisation auch und gerade im Medienbereich. Auch und gerade sub specie des Grundsatzes der Staatsfreiheit bildet eine fremdbestimmte, staatliche Organisierung der gesellschaftlichen Kräfte als Instrument der Vielfaltsicherung den grundgesetzlichen Ausnahmefall, welcher der Rechtfertigung bedarf. (Vollständige) Staatsfreiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist Utopie, eine möglichst „weitgehende Staatsferne“329 ein realistischer Zielwert. Auch wenn man alle nur denkbaren Sicherungen zu aktivieren sucht, wird kaum zu verhindern sein, dass hinter dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr oder weniger der in Erscheinung tritt, gegen den die Kommunikationsfreiheiten ihre Schutzkraft entfalten: der (Parteien-)Staat. Dieses Primat der auf gesellschaftlicher Selbstorganisation beruhenden grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung gewinnt in dem Maße an Bedeutung, in dem nicht nur die klassischen kommerziellen Akteure, sondern ein stets wachsender Teil der Zivilgesellschaft an der Massenkommunikation mitwirkt. Unter den Bedingungen der modernen Informations- und Kommunikationsordnung ist Massenkommunikation nicht mehr einer (kleinen) Gruppe kapitalkräftiger Unternehmen vorbehalten. Die Ausübung der Medienfreiheiten ist jedermann auch realiter möglich. Gebührenfinanzierte Onlineangebote des öffentlichrechtlichen Rundfunks treten nicht nur in (wirtschaftliche und) publizistische Konkurrenz zu den Angeboten der tradierten kommerziellen Anbieter aus dem Presse- und Rundfunkbereich, sondern auch zu den Onlinemedien einer Vielzahl kleinerer, gerade im Aufbau begriffener Anbieter, die teils aus wirtschaft329
So ausdrücklich nunmehr BVerfG, NVwZ 2008, 174 (178).
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D. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien
lichen und teils aus ideellen Motiven tätig werden. Die Akteure begegnen sich im publizistischen Wettbewerb nicht auf Augenhöhe. Während dem öffentlichrechtlichen Rundfunk das Gebührenprivileg zugute kommt, steht der private Anbieter vor der Notwendigkeit einer Refinanzierung insbesondere durch Werbung. Da die (gebührenfinanzierte) Internetpräsenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu einer geringeren Abruffrequenz und Verweildauer privater Angebote führt und damit die wirtschaftliche Situation privater Anbieter schmälert, drohen gebührenfinanzierte Angebote die kommunikativen Interessen auch derjenigen zu schmälern oder gar zu vereiteln, die unter den Bedingungen des Web 2.0 erstmals die Möglichkeit zur Artikulation ihrer publizistischen Inhalte haben. So nimmt es kein Wunder, dass sich gegen die Internetaktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht nur von Seiten der Presse und des privaten Rundfunks, sondern auch von einer Vielzahl kleinerer privater Internetportale Widerstand breit macht330. Wenn Jedermann-Medien das gleiche leisten wie der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk, ist das Gebührenprivileg nicht mehr zu rechtfertigen. Diente das Gebührenprivileg in der Vergangenheit der Gewährleistung kommunikativer Chancengleichheit, entwickelt es sich zunehmend zu einer Bedrohung dieses – den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk lange Zeit tragenden – Grundsatzes. Eine Vollversorgung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die nicht lediglich Vielfaltdefizite des privaten Medienbereichs zu kompensieren sucht, sondern darüber hinaus auch solche Angebote umfasst, die von Privaten (mit vergleichbarer Qualität) bereitgehalten werden, kollidiert mit beiden Strukturprinzipien des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, d.h. mit dem Marktmodell als kommunikationsverfassungsrechtliches Regelmodell und mit der dem Staat obliegenden Neutralitätspflicht. Eine Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt des ebenfalls in den Massenkommunikationsgrundrechten verwurzelten Pluralismusgebots scheidet aus. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist nicht gewahrt331: Zwar sind auch Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die im Vergleich mit Telemedien privater Anbieter keinen kommunikativen Mehrwert aufweisen, geeignet, einen publizistischen Beitrag zur Vielfalt zu leisten. Allerdings dürfte das zur Erreichung dieses Ziels eingesetzte Mittel der Gebührenfinanzierung als Form selektiver Medienförderung unzulässig sein. Zwar ist der publizistische Wettbewerb ein Lebenselement der Meinungsfreiheit332; Schutz vor publizistischer Konkurrenz ist der Kommunikationsverfassung fremd333. Damit ist aber nur eine Teilnahme am Kommunikationsprozess zu denselben Bedingungen ge-
330 331 332 333
Vgl. etwa www.heise.de oder www.teltarif.de. Vgl. Fn. 328 (S. 94). BVerfGE 74, 297 (332). Vgl. BVerfGE 74, 297 (335).
II. Quantitativer kommunikativer Mehrwert der Telemedien
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meint334. Wenn alle das gleiche leisten, ist die Einräumung des (Rundfunkgebühren-)Privilegs zugunsten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht zu rechtfertigen. In jedem Fall fehlt es an der Erforderlichkeit des Grundrechtseingriffs: Auch ohne gebührenfinanzierte Telemedien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist die (objektiv-rechtlich geschuldete) Vielfalt hinreichend sichergestellt. Eine gebührenfinanzierte Vollversorgung der Bevölkerung mit Telemedien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die auch Angebote erfasst, welche im Vergleich zum privaten Mediensektor keinen kommunikativen Mehrwert begründen, sondern der Sache und der Qualität nach funktional austauschbar sind, ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Die Begründung eines kommunikativen Mehrwerts ist Grundvoraussetzung für ein Onlineangebot des öffentlichrechtlichen Rundfunks. Bei einem kommunikativen Patt, gibt es keinen gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Aufschlag. Das Aktionsfeld des öffentlichrechtlichen Rundfunks ist durch (mögliche) Funktionsdefizite der Marktprozesse bei der Hervorbringung gleichgewichtiger Vielfalt legitimiert, aber hierdurch zugleich limitiert. Hiergegen lässt sich nicht einwenden, das System der Gebührenfinanzierung als Form einer Solidarfinanzierung beruhe darauf, dass die Gesamtheit aller Gebührenzahler, sei es Masse oder Minderheiten, von den (Online-)Angeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks profitiere. Gewiss ist nicht von der Hand zu weisen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk an Akzeptanz in der Bevölkerung verlieren dürfte, wenn (große) Teile der Bevölkerung zur Finanzierung von (Online-)Angeboten herangezogen werden, die nicht auf ihr Interesse stoßen, während ihre kommunikativen Bedürfnisse nur von Privaten befriedigt werden. Daraus ergibt sich jedoch kein Problem mit (verfassungs-)rechtlicher Valenz: Der (Steuer-)Staat zieht Bürger zur Finanzierung auch solcher Aufgaben heran, deren Erledigung nicht im Interesse eines jeden einzelnen liegt. Für die Rundfunkgebühr, die nicht (mehr) als Vorzugslast konzipiert ist, sondern der Gewährleistung des überindividuellen Ziels der Vielfaltsicherung dient335, gilt nichts anderes.
II. Quantitativer kommunikativer Mehrwert der Telemedien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Wie bereits mehrfach erwähnt, beruht die spezifische Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Bereich des klassischen linearen Rundfunks auf der Annahme, dass von der Werbefinanzierung kommerzieller Veranstalter 334 Dies wird verkannt in der Fernsehratsvorlage des ZDF-Intendanten zu Telemedien und Digital-TV vom 24.06.2008, epd medien Nr. 60 vom 30.07.2008, S. 6 (12 f.). 335 Zur Entwicklung der Rundfunkgebühr von einer Vorzugslast zu einer überindividuelle Ziele verfolgenden Abgabe (sui generis) vgl. zuletzt grundlegend Fiebig, Gerätebezogene Rundfunkgebührenpflicht und Medienkonvergenz, S. 122 ff.
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D. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien
vielfalt- und programmverengende Wirkungen ausgehen, die mit dem auf umfassende Versorgung gerichteten Auftrag des Rundfunks nicht vereinbar sind. Sofern vergleichbare Entwicklungen auch im Onlinebereich zu erwarten wären, wäre es Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, entsprechende Versorgungslücken zu schließen. In Ermangelung eines wirtschaftlichen und publizistischen Wettbewerbs zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien drängt in diesem Fall das dem Staat obliegende Neutralitätsgebot bereits nicht auf Verwirklichung. Die Abweichung vom Marktmodell als grundgesetzliches Regelmodell ist unter dem Gesichtspunkt der Vielfaltsicherung gerechtfertigt. Soweit gebührenfinanzierte Onlineangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einen quantitativen kommunikativen Mehrwert begründen und der Schließung von Vielfaltdefiziten des privaten Mediensektors dienen, ist hiergegen sub specie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG an nichts zu erinnern. Derartige Vielfaltlücken sind nicht nur bei den Video-Diensten im Informations-, sondern auch im Unterhaltungsbereich (Versorgung von Senioren etc.) denkbar. Allerdings bedarf es der besonderen Begründung, ob ein solcher Fall des „Marktversagens“ vorliegt, der gebührenfinanzierte Angebote des öffentlichrechtlichen Rundfunks zu legitimieren vermag. Die primäre Ausrichtung auf die kommunikativen Bedürfnisse der (für die werbetreibende Wirtschaft relevanten) Teile der Bevölkerung reicht zur Begründung öffentlich-rechtlicher Angebote noch nicht aus. Kommunikationsverfassungsrechtlich ist allein dafür Sorge zu tragen, dass eine hinreichende Versorgung der gesamten Bevölkerung unter Einbeziehung von Minderheiten sichergestellt ist. Die im Vergleich zur klassischen Fernsehdistribution deutlich (kosten-)günstigeren Vertriebsstrukturen des Internet lassen Onlineangebote auch für die Teile der Bevölkerung erwarten, die im kommerziellen Fernsehsektor im Wesentlichen unversorgt blieben336. Ökonomische Analysen zeigen, dass mit Inhalten (Filme, Musik, Literatur etc.), die nur für eine Minderheit von Interesse sind und die aufgrund zu hoher Kosten auf dem klassischen Vertriebsweg nicht vermarktet wurden, im Internet ein hinreichender Gewinn erzielt werden kann („The Long Tail“)337.
III. Qualitativer kommunikativer Mehrwert der Telemedien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Gewiss lässt sich nicht nur dann von Vielfaltdefiziten des privaten Mediensektors sprechen, wenn bestimmte Telemedien von Privaten nicht angeboten werden. Auch in der Wahl der Berichterstattungsgegenstände sowie der Art und 336
Vgl. Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 216. Vgl. hierzu Hildebrand, in: Holznagel/Dörr/Hildebrand, Elektronische Medien, S. 407 ff.; siehe auch Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 215. 337
III. Qualitativer kommunikativer Mehrwert der Telemedien
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Weise ihrer Aufbereitung können Vielfaltdefizite auftreten. Hierauf weist das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Verbot der Rundfunkberichterstattung aus Gerichten während der Hauptverhandlung ausdrücklich hin: „Insbesondere der wirtschaftliche Wettbewerbsdruck und das publizistische Bemühen um die immer schwerer zu gewinnende Aufmerksamkeit der Zuschauer führen häufig zu wirklichkeitsverzerrenden Darstellungsweisen, etwa zu der Bevorzugung des Sensationellen, und zu dem Bemühen, dem Berichtsgegenstand nur das Besondere, etwa Skandalöses, zu entnehmen.“338
In seiner zweiten Rundfunkgebührenentscheidung bestätigt das Gericht seine Rechtsprechung339 und fügt hinzu: „Auch dies bewirkt Vielfalt(s)defizite.“
Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt also kein rein output-orientierter Ansatz zugrunde, der ausschließlich darauf abstellt, ob bestimmte Rundfunkprogramme von privaten Rundfunkveranstaltern angeboten werden oder nicht340. Auch im Onlinebereich können (Video- und Audio-)Telemedien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in qualitativer Hinsicht einen kommunikativen Mehrwert begründen, der eine Gebührenfinanzierung der Angebote rechtfertigt. Dementsprechend spielt das Qualitätskriterium im Rahmen des sogenannten Drei-Stufen-Tests eine Schlüsselrolle. In Konkretisierung der Zusagen, welche die Bundesrepublik Deutschland gegenüber der EU-Kommission im Rahmen des EU-Beihilfeverfahrens gemacht hat341, sieht § 11f Abs. 3 12. RÄStV-E342 für (Video- und Audio-)Telemedien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks folgende Regelungen vor: „Ist ein neues Angebot oder die Veränderung eines bestehenden Angebots nach Absatz 1 geplant, hat die Rundfunkanstalt gegenüber ihrem zuständigen Gremium darzulegen, dass das geplante, neue oder veränderte Angebot vom öffentlich-rechtlichen Auftrag umfasst ist. Es sind Aussagen darüber zu treffen, 1. inwieweit das Angebot den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht, 2. in welchem Umfang durch das Angebot in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb beigetragen wird und 3. welcher finanzielle Aufwand für das Angebot erforderlich ist. 338
BVerfGE 103, 44 (67). BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1289). 340 Zutreffend Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 184. 341 K(2007) 1761 endg., Rn. 328. 342 Arbeitsentwurf zur Umsetzung der Zusagen gegenüber der EU-Kommission im Rahmen des EU-Beihilfeverfahrens (Stand: 12. Juni 2008), abrufbar unter http://www. stk.rlp.de/. 339
100
D. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien
Dabei sind Quantität und Qualität der vorhandenen frei zugänglichen Angebote, marktrelevante Auswirkungen des geplanten Angebots sowie dessen meinungsbildende Funktion angesichts bereits vorhandener vergleichbarer Angebote auch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu berücksichtigen. Darzulegen ist der voraussichtliche Zeitraum, innerhalb dessen das Angebot stattfinden soll.“
Mit Recht wird in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion das Augenmerk zuvörderst auf die zweite Stufe des Drei-Kriterien-Tests gerichtet, weil sie das Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Mediensektor betrifft343. Das Qualitätskriterium, das Aufschluss über Legitimation und Limitierung der Telemedienangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geben soll, erweist sich (kommunikations-)verfassungsrechtlich als besonders prekär. Die Bedenken beruhen weniger auf den Schwierigkeiten, die sich bei der Operationalisierung dieses unbestimmten (Rechts-)Begriffs ergeben. Das das Rundfunk- und Medienrecht prägende Vielfaltgebot erweist sich als ebenso wenig konturiert. Von entscheidender Bedeutung ist vielmehr, dass das Qualitätskriterium als Legitimation für Onlineangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks den Kern des in Rede stehenden verfassungsrechtlichen Maßstabes berührt: das dem Staat auferlegte Neutralitätsgebot. Während durch eine Gebührenfinanzierung von Onlineangeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die einen quantitativen kommunikativen Mehrwert aufweisen und Vielfaltlücken des privaten Medienbereichs schließen, der publizistische und wirtschaftliche Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Medienbereich nicht oder nicht erheblich betroffen ist und infolgedessen das dem Staat obliegende Neutralitätsgebot nicht auf Verwirklichung drängt, ist der nervus rerum dieses Strukturelements des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG berührt, wenn der öffentlichrechtliche Rundfunk unter Hinweis auf seine besondere publizistische Leistungskraft zur Verbreitung von Telemedien ermächtigt wird und zu diesem Zweck auf das Gebührenaufkommen zurückgreifen darf. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und private Medien(-unternehmen) befinden sich insoweit in einem wirtschaftlichen und publizistischen Wettbewerb, in den der Staat grundsätzlich nicht eingreifen darf. Im Vergleich zu dem Fall der gebührenfinanzierten Onlineangebote mit einem quantitativen kommunikativen Mehrwert, unterliegt die Gebührenfinanzierung von Onlineangeboten mit einem (rein) qualitativen kommunikativen Mehrwert sub specie des dem Staat obliegenden Neutralitätsgebots der besonderen Rechtfertigung. Die tatbestandliche Betroffenheit des dem Staat nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG obliegenden Neutralitätsgebots wird verkannt, wenn eine „Optimierung publizistischen Wettbewerbs“ zum Leitprinzip der zweiten Stufe im Rahmen des Drei-Stufen-Tests erklärt wird344. Die Kommunikationsverfassung stemmt sich 343 344
Schulz, Der Programmauftrag als Prozess seiner Begründung, S. 31. Schulz, Der Programmauftrag als Prozess seiner Begründung, S. 31, 37.
III. Qualitativer kommunikativer Mehrwert der Telemedien
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nicht gegen eine Optimierung des publizistischen Wettbewerbs als Lebenselement der Meinungsfreiheit345; damit ist die Teilnahme am publizistischen Wettbewerb zu den gleichen Bedingungen gemeint. Demgegenüber ist jede staatliche Verfälschung des wirtschaftlichen und publizistischen Wettbewerbs strikt rechtfertigungsbedürftig. Die Einräumung des Gebührenprivilegs ist eine selektive Förderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und unterliegt sub specie des dem Staat obliegenden Neutralitätsgebots der Notwendigkeit besonderer Rechtfertigung. Hieraus folgt zunächst, dass Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einem im Vergleich zum privaten Medienbereich weitgehenden Qualitätsanspruch genügen müssen, um vor dem Qualitätstest im Sinne des Drei-StufenTests Bestand zu haben. Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die sich qualitativ vom privaten Sektor nicht oder nicht entscheidend abheben, verdienen kein Gebührenprivileg und sind unzulässig. Bei einem kommunikativen Patt gibt es keinen gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Aufschlag346. Erforderlich ist ein qualitativer kommunikativer Mehrwert des Angebots des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sofern das im Einzelfall zur Überprüfung anstehende Angebot des öffentlichrechtlichen Rundfunks diese Qualitätsstufe nimmt und einen qualitativen kommunikativen Mehrwert verkörpert, ist noch kein Persilschein für die Legitimation der Verbreitung des Angebots ausgestellt. Vielmehr bedarf es einer Abwägung der konfligierenden Strukturelemente der Kommunikationsverfassung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG: eine Abwägung zwischen dem Primat einer marktwirtschaftlichen Ordnung der Medien als Regelmodell und dem dem Staat obliegenden Neutralitätsgebot einerseits und dem – ebenfalls kommunikationsverfassungsrechtlich verankerten – Pluralismusgebot andererseits, das staatliche Maßnahmen zum Zwecke der Qualitätssteigerung der Medien prinzipiell zulässt. Die gebotene Güterabwägung orientiert sich nach den für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geltenden allgemeinen Kriterien. Bei der Gesamtabwägung darf die Schwere des Eingriffs nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe stehen347. Hierbei spielen die Gesichtspunkte der Bedeutung der in Rede stehenden Rechtsgüter348, der Intensität der (drohenden) Rechtsgutbeeinträchtigung349 und die Wahrscheinlichkeit der Rechtsgutbeeinträchtigung350 eine maßgebliche Rolle.
345 346 347
Vgl. BVerfGE 74, 297 (332). Vgl. D. I. nach Fn. 333 (S. 96). Vgl. nur BVerfGE 90, 145 (173); 92, 277 (327); 109, 279 (349 ff.); 115, 320
(345). 348 349 350
Vgl. nur BVerfGE 100, 313 (392); 110, 33 (60). Vgl. nur BVerfGE 100, 313 (376); 109, 279 (353); 110, 33 (60); 115, 320 (347). Vgl. nur BVerfGE 100, 313 (392 ff.); 115, 320 (360 f.).
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D. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien
Was dies für die Zulässigkeit von Onlineaktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bedeutet, lässt sich nur im konkreten Einzelfall beurteilen. An dieser Stelle können nur einige wesentliche Aspekte genannt werden, die im Rahmen der Gesamtabwägung eine Rolle spielen. Von zentraler Bedeutung ist, ob sich im privaten Medienbereich ein – dem klassischen Pressebereich vergleichbares – funktionsfähiges System einer Vielzahl publizistisch und wirtschaftlich miteinander konkurrierender Anbieter herausgebildet hat oder mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist. Als wichtiger Indikator für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbssystems kann die Anzahl der voneinander unabhängigen, konkurrierenden Anbieter herangezogen werden (vgl. § 11f Abs. 3 Satz 3 12. RÄStV-E). Besteht ein solcher funktionsfähiger Wettbewerb, kann ein gebührenfinanziertes Online-Engagement des öffentlich-rechtlichen Rundfunks regelmäßig nicht mit dem hierdurch erwarteten Qualitätsgewinn gerechtfertigt werden. Ebensowenig wie eine öffentlich-rechtliche „Qualitätszeitung“ zulässig wäre, wären gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Onlineangebote im Rahmen eines durch hinreichenden publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb gekennzeichneten privaten Mediensystems zulässig. Auch wird man ganz allgemein zwischen fiktionalem und non-fiktionalem Bereich unterscheiden können. Im fiktionalen (Unterhaltungs-)Bereich wird der Nachweis eines qualitativen Mehrwerts eines öffentlich-rechtlichen Angebots schwerer zu erbringen sein als im non-fiktionalen (Informations-)Bereich351. Die geplanten gesetzlichen Regelungen (vgl. § 11d Abs. 1 12. RÄStV-E) beruhen auf der Erkenntnis, dass dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk insbesondere im journalistisch-redaktionellen Bereich besondere publizistische Leistungsfähigkeit attestiert werden kann. Weiter sind im Bereich von Onlineangeboten, die sich speziell an Kinder wenden, schon aufgrund der Werbefreiheit kommunikative Alleinstellungsmerkmale des öffentlich-rechtlichen Systems denkbar, die auch vor dem Hintergrund der herausragenden Funktion eines effektiven Kinderschutzes eine Gebührenfinanzierung rechtfertigen. Schließlich bedürfte es einer näheren Untersuchung, ob für den Qualitätsnachweis zwischen Eigenund Fremdproduktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu differenzieren ist352. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass nur Onlineangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die über vergleichsweise weiterreichende Leistungsmerkmale verfügen, eine Gebührenfinanzierung legitimieren. Darüber hinaus bedarf es der besonderen Begründung, ob dieser qualitative kommunikative Mehrwert von derartigem Gewicht ist, dass ein gebührenfinanziertes Angebot auch nach Ab-
351 Zutreffend Schulz, Der Programmauftrag als Prozess seiner Begründung, S. 39; siehe auch Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 206 ff. 352 Schulz, Der Programmauftrag als Prozess seiner Begründung, S. 39.
IV. Legitimation und Limitierung von Textdiensten
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wägung aller relevanten Umstände vor dem dem Staat obliegenden Neutralitätsgebot Bestand hat.
IV. Legitimation und Limitierung von Textdiensten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Die genannten verfassungsrechtlichen Maßstäbe sollen am Beispiel der digital verbreiteten Textdienste (Texte, stehende Bilder und Grafiken) als Unterfall der Telemedien exemplifiziert werden. Bei Textdiensten ergibt sich eine Bandbreite von Erscheinungsformen, die von einer elektronischen Ausgabe von Zeitungen bzw. Zeitschriften über ausschließlich im Internet verbreitete Textdienste bis zu Textdiensten von Rundfunkveranstaltern reichen, die der Erläuterung, Vertiefung und Ergänzung ihrer Rundfunkprogramme dienen (Annexfunktion)353. Hinzu treten zunehmend multimediale Dienste, bei denen Texte und Video- bzw. Audiobeiträge kombiniert werden. Hierbei können Texte eine Annexfunktion besitzen und der Erläuterung, Vertiefung und Ergänzung der (im Internet originär) auf Abruf zur Verfügung gestellten Video- bzw. Audiobeiträge dienen oder umgekehrt Video- bzw. Audiobeiträge eine Annexfunktion gegenüber Textdiensten aufweisen. Schließlich ist es möglich, dass Textdienste sowie Video- bzw. Audiobeiträge auf einem Portal parallel angeboten werden, ohne dass die Inhalte der beiden Angebotsgattungen in einem inneren, funktional aufeinander bezogenen Zusammenhang stehen. 1. Digitale Textdienste als Presse oder Rundfunk im Sinne des Verfassungsrechts? Ob digitale Textdienste, die auf einfachgesetzlicher Ebene nicht den für Rundfunk, sondern den für Telemedien geltenden Ordnungs- und Regulierungsrahmen unterliegen, dem Grundrecht der Presse- oder der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zuzuordnen sind, ist nicht geklärt354. Die damit verbundene Problematik kann und braucht hier nicht vertieft zu werden. Denn die Untersuchung hat gezeigt, dass die vom Bundesverfassungsgericht für das Institut „Freie Presse“ entwickelten Strukturelemente für sämtliche grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten unter Einbeziehung der Rundfunkfreiheit gelten. Auch im Bereich der grundrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit ist das Marktmodell das Regelmodell, das allerdings unter dem Gesichtspunkt des ver353 Zur Typologisierung der Textdienste vgl. statt vieler Bullinger/Mestmäcker, Multimediadienste, S. 60 ff. 354 Bei Lichte betrachtet geht es um ein Fundamentalproblem, das nicht nur die Abgrenzung von Rundfunk- und Pressefreiheit, sondern von Rundfunkfreiheit und weiteren grundrechtlich verbürgten Freiheiten betrifft, vgl. Gersdorf, in: Dittmann/Fechner/Sander (Hrsg.), Der Rundfunkbegriff im Wandel der Medien, S. 137 (142 ff.).
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D. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien
fassungsrechtlich geschuldeten Pluralismusgebots Einschränkungen unterworfen ist. Und weiter gilt nicht nur für den Presse-, sondern ebenfalls für den Rundfunkbereich das dem Staat obliegende Neutralitätsgebot, das staatliche Eingriffe in den publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb der Medien(-unternehmen) an besondere, diese legitimierende Gründe bindet. Deshalb ist es im gegebenen Zusammenhang letztlich unerheblich, ob Textdienste Rundfunk oder Presse im Sinne des Verfassungsrechts darstellen. Gleichwohl sollen einige wesentliche Eckpunkte der Diskussion über die Zuordnung digitaler Textdienste benannt werden. Der Pressebegriff erfasst im herkömmlichen Sinne sämtliche Arten von Druckerzeugnissen (verkörperte Kommunikationsinhalte), während für den Rundfunk die Verbreitung der Informationen mittels elektromagnetischer Schwingungen kennzeichnend ist (körperlose Kommunikationsinhalte). In Anknüpfung an dieses tradierte Bild sehen verschiedene Stimmen das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen Rundfunk und Presse auch weiterhin in der Übertragungstechnik. Nach dieser Ansicht kommt es allein auf den Vertriebsweg an, mit der Folge, dass sämtliche auf elektronischem Wege übermittelten Informationen dem Rundfunkbegriff zuzuordnen sind, und zwar auch, soweit es um reine Textdienste geht355. Diese Auffassung sorgt für klare Verhältnisse und hilft, zumeist schwierige Abgrenzungsprobleme und die Entstehung von Rechtsunsicherheit zu vermeiden. Gleichwohl erscheint es im grundrechtlichen Zusammenhang nicht zielführend, für die Abgrenzung von Rundfunk und Presse allein auf die Übertragungstechnik abzustellen356. Erblickte man allein in der (Nicht-)Verkörperung der Kommunikationsinhalte das maßgebliche Abgrenzungskriterium, müsste folgerichtig die digitale Verbreitung aller für die private und öffentlich-rechtliche Meinungsbildung relevanten Informationen dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit unterfallen. Damit aber würde der Schutzbereich des Grundrechts der Rundfunkfreiheit auf Kosten anderer grundrechtlich geschützter Freiheitsverbürgungen aufgeblasen, die unter den Bedingungen der modernen Informationsordnung ebenfalls auf digitalem Wege wahrgenommen werden können. Die Not355 Vgl. Brand, Rundfunk im Sinne des Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG, S. 122; Rudolf/Meng, Rechtliche Konsequenzen der Entwicklung auf dem Gebiet der Breitbandkommunikation für die Kirchen, S. 48; Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 81 f.; Scherer, Telekommunikationsrecht und Telekommunikationspolitik, S. 600 f.; ders., Der Staat 22 [1983], 347 (363); ders., NJW 1983, 1832 (1835); Jarass, Gutachten zum 56. DJT, Rn. 13; ders., Online-Dienste und Funktionsbereich des Zweiten Deutschen Fernsehens, S. 16 ff. 356 Bullinger/Mestmäcker, Multimediadienste, S. 60 ff.; König, Die Teletexte, S. 123; Schmitt Glaeser, Kabelkommunikation und Verfassung, S. 190 ff.; Scholz, Audiovisuelle Medien und bundesstaatliche Gesetzgebungskompetenz, S. 50 ff.; Gersdorf, Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff im Lichte der Digitalisierung der Telekommunikation, S. 14 ff.
IV. Legitimation und Limitierung von Textdiensten
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wendigkeit eines Verzichts auf den Ausschließlichkeitsanspruch der Rundfunkfreiheit für sämtliche meinungsrelevanten Informationen wird auch deutlich, wenn man sich das Verhältnis der einzelnen Freiheitsgrundrechte zum (Individual-)Kommunikationsgrundrecht der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG vor Augen führt. Das Grundrecht der Kunstfreiheit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lex specialis gegenüber der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG357. Deshalb macht es keinen Sinn, dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit gegenüber dem Grundrecht der Kunstfreiheit Vorrang einzuräumen und den „digitalen Wirkbereich“ von Kunstobjekten aus dem Freiheitsbereich der Kunstfreiheit auszuklammern und der Rundfunkfreiheit zu unterstellen. Auch das digital gespeicherte Informationsangebot von Hochschulen und sonstigen Forschungseinrichtungen bewegt sich im Gewährleistungsbereich des Art. 5 Abs. 3 GG und nicht des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG358. Schließlich ist die Eigenwerbung von Rechtsanwälten im Internet Ausdruck der Wahrnehmung ihrer grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG)359. Da es für die Abgrenzung zwischen dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit und sonstigen grundrechtlich geschützten Freiheitsverbürgungen nicht auf das Transportmittel ankommt, erweist sich dieses Kriterium ebenfalls als ungeeignet, die Trennlinie zwischen den grundrechtlichen Verbürgungen der Rundfunkund Pressefreiheit zu ziehen. Für die Abgrenzung von Rundfunk und Presse wird man auf das tradierte und typische Erscheinungsbild der beiden Massenmedien zurückgreifen und hieran anknüpfend prüfen müssen, welchem der herkömmlichen Medien das jeweils zu beurteilende Medium am ehesten entspricht360. Das Bundesverfassungsgericht sieht in der „Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft“361 die entscheidenden Wesenszüge des Rundfunks. Die besondere suggestive Wirkung des Rundfunks wird in erster Linie durch Tonund Bewegtbildsendungen vermittelt. Zu Recht betont das Bundesverfassungsgericht, dass „in bewegten Bildern“ das „Spezifikum“ des Fernsehens begründet ist, durch das es sich von der Presse unterscheidet: „Gerade hierin (in bewegten Bildern; Verf.) liegt das Spezifikum des Mediums, durch das es sich von Hörfunk und Presse unterscheidet.“362 357 BVerfGE 30, 173 (200); 67, 213 (227 f.); 75, 369 (377); ebenso implizit BVerfG, NJW 1990, 2541. 358 Gersdorf, in: Dittmann/Fechner/Sander (Hrsg.), Der Rundfunkbegriff im Wandel der Medien, S. 137 (143). 359 BVerfG, NJW 2008, 1298 (1299). 360 König, Die Teletexte, S. 123 f.; Gersdorf, Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff im Lichte der Digitalisierung der Telekommunikation, S. 145 f. 361 Vgl. BVerfGE 31, 314 (325); 90, 60 (87); 97, 228 (256); 103, 44 (74); 114, 371 (387); BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1289); siehe auch BVerfGE 91, 125 (134); EGMR, EuGRZ, 488 (491) – st. Rspr. 362 BVerfGE 97, 228 (259).
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D. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien
Dementsprechend sind Video- und Audiobeiträge prinzipiell der grundrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit zuzuordnen363, wenigstens insoweit, als die Ton- und Bewegtbildbeiträge keine untergeordnete Funktion einnehmen, etwa indem sie bestimmte stehende Texte oder Grafiken erläutern oder ergänzen364. Umgekehrt sind Texte, stehende Bilder und Grafiken das die Presse kennzeichnende, typusprägende Element. Die typische Eigenschaft der Presse besteht darin, den Menschen zum Lesen zu aktivieren. Presse ist im Kern ein Lesemedium365, auch wenn es sich in dieser Funktion nicht erschöpft. Das Lesen von gedruckten und digital verbreiteten Texten unterscheidet sich nicht (grundlegend). Der Leser entscheidet autonom über Rezeptionsgegenstand und Rezeptionstiefe. Neben bzw. an die Stelle der klassischen Lektüre einer Zeitung bzw. Zeitschrift tritt der Abruf digitaler Textdienste. Momentan ist die Parallelnutzung beider Medien noch üblich. Substitutionseffekte sind jedoch naheliegend und werden von sozial- und kommunikationswissenschaftlichen Analysen bereits heute nachgewiesen366. Das bedeutet freilich nicht, dass sämtliche Textdienste aus dem grundrechtlichen Schutzbereich der Rundfunkfreiheit auszuklammern und dem Grundrecht der Pressefreiheit zuzuordnen sind. Sofern Textdienste einen funktionalen Bezug zu einem Rundfunkprogramm eines Rundfunkveranstalters aufweisen und programmbegleitende, -unterstützende oder -ergänzende Informationen enthalten, ist der Textdienst Akzessorium zum (Haupt-)Programm. In seiner programmbezogenen Annexfunktion unterfällt der Textdienst unzweifelhaft der grundrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit367. Dementsprechend unterfallen digitale Textdienste dem Grundrecht der Pressefreiheit und nicht der Rundfunkgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Die für den Rundfunk typische „besondere Suggestivkraft“ liegt in der audiovisuellen (Fernsehen), auditiven (Hörfunk) oder (rein) visuellen (Stummfilm) Darbietungsform. Digitale Textdienste erfüllen diese Voraussetzung nicht. Als „Lesemedien“ sind sie funktional dem Grundrecht der Pressefreiheit zuzuordnen. Nur soweit Textdienste der Unterstützung und Ergänzung von Rundfunkdarbietungen
363 Hieraus ergeben sich keine weitergehenden Rechtsfolgen (Zulassungserfordernis u. ä.); Differenzierungen sind auf einfachgesetzlicher Ebene vorzunehmen. 364 Hierzu sogleich. 365 Vgl. hierzu Bullinger, JZ 1996, 385 (388); ders./Mestmäcker, Multimediadienste, S. 63; Fiedler, Meinungsfreiheit in einer vernetzten Welt, S. 29 f.; siehe zuletzt auch Möllers, AfP 2008, 241 (243 ff.). 366 Vgl. hierzu B. II. bei Fn. 19 (S. 18). 367 Vgl. statt vieler Bullinger, Kommunikationsfreiheit im Strukturwandel der Telekommunikation, S. 38 f.; Eberle, ZUM 1994, 530 (536); Gersdorf, Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff im Lichte der Digitalisierung der Telekommunikation, S. 146 f.
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dienen, unterfallen sie kraft ihrer Annexfunktion der Rundfunkgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Besondere Zuordnungsprobleme werfen diejenigen (Misch-)Dienste auf, bei denen Texte, stehende Bilder und Grafiken einerseits und Video- bzw. Audiobeiträge kombiniert werden. Auch insoweit ist bei der Abgrenzung der grundrechtlichen Schutzbereiche der Presse- und Rundfunkfreiheit zu unterscheiden. Sofern im Rahmen des Gesamtangebots die Textelemente den Kern der Kommunikation bilden und die Video- bzw. Audiobeiträge im Wesentlichen lediglich erläuternden und ergänzenden Charakter haben, sind die Video- bzw. Audioteile kraft ihrer Annexfunktion dem Grundrecht der Pressefreiheit zuzuordnen. Und umgekehrt ist das Grundrecht der Rundfunkfreiheit – in Parallele zur grundrechtlichen Einordung der (Annex-)Textdienste klassischer Rundfunkveranstalter – einschlägig, wenn die Textdienste Annex der Video- oder Audiobeiträge sind368. Fehlt es an einer solchen Annexfunktion, unterfallen beide Mediengattungen unterschiedlichen grundrechtlichen Verbürgungen: die Textdienste der grundrechtlich geschützten Pressefreiheit und die Video- bzw. Audiobeiträge der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. 2. Unzulässigkeit selbstständiger Textdienste des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (Selbstständige369) Textdienste des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kollidieren mit beiden Strukturelementen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG: Zum einen weichen Onlineaktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vom Marktmodell als grundgesetzliches Regelmodell für die Organisation der Medien ab. Digitale Textdienste unterliegen prinzipiell den für das Grundrecht der Pressefreiheit geltenden Ordnungsprinzipien. Öffentlich-rechtliche binnenpluralistische Organisationsformen lassen sich in die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Bauarchitektur der – durch privatrechtliche Organisationsformen, Privatwirtschaftlichkeit und Außenpluralismus gekennzeichnete – Institutsgarantie „Freie Presse“370 nicht einfügen. Sie bilden einen Fremdkörper innerhalb des grundgesetzlich geschützten Instituts „Freie Presse“. Auch für Telemedien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit einer Kombination von Textdiensten und Video- bzw. Audioelementen ergeben sich keine Unterschiede.
368 Diese auf eine funktionale Verklammerung abstellende Betrachtung liegt der Richtlinie 2007/65/EG über audiovisuelle Mediendienste vom 11.12.2007 zugrunde (ABl. L 332, S. 27), vgl. Erwägungsgründe 18 und 22 Richtlinie 2007/65/EG. 369 Vgl. zu den (unselbständigen) Annexdiensten sub D. IV. 3., S. 109 ff. 370 Vgl. hierzu oben C. III. 4. bei Fn. 231 (S. 70).
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D. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien
Entsprechendes gälte, wenn man digitale Textdienste – entgegen der hier vertretenen Meinung – nicht als Presse, sondern als Rundfunk im verfassungsrechtlichen Sinne qualifizierte. Das Marktmodell ist das Regelmodel der grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung und drängt damit auch bei der Verbreitung digitaler Textdienste auf Verwirklichung. Zum anderen kollidiert die Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit der Verpflichtung des Staates, sich im publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb der Onlinemedien neutral zu verhalten. Abweichungen von dem durch privatrechtliche Organisationsformen und durch privatwirtschaftliche Entscheidungsrationalität der Medien gekennzeichneten Grundmodell sind ebenso rechtfertigungsbedürftig wie – sub specie des dem Staat obliegenden Neutralitätsgebots – die Einräumung eines (Rundfunkgebühren-)Privilegs für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Weicht der Staat von diesen beiden Strukturelementen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ab, kann der hierin begründete Grundrechtseingriff nur unter dem Gesichtspunkt des ebenfalls in den Massenkommunikationsgrundrechten verwurzelten Pluralismusgebots gerechtfertigt sein. Bei Abwägung der einander konfligierenden Zielwerte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gilt es, den grundrechtlich und rechtsstaatlich verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren371. Hieraus folgt, dass durch das jeweilige Onlineangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein quantitativer oder ein qualitativer kommunikativer Mehrwert entstehen muss. Doch selbst wenn ein solcher Mehrwert vorläge, wäre der (vielfaltstiftende) Vorteil in Abwägung zu bringen mit den dem Grundrechtseingriff inhärenten Nachteilen. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk zur Verbreitung gebührenfinanzierter (selbstständiger) Texte nicht legitimiert werden. Es ist kein Grund erkennbar, der eine vom klassischen Pressebereich abweichende Betrachtung zuließe und insbesondere eine staatliche Verfälschung des wirtschaftlichen und publizistischen Wettbewerbs rechtfertigen könnte. Im Onlinebereich bestehen im Vergleich zum Printbereich keine höheren Zugangshürden; ganz im Gegenteil: Die hohen Druck- und Distributionskosten im Printbereich, die nahezu die gesamten Verkaufs- und Abonnentenerlöse von (überregionalen) Tageszeitungen aufzehren, fallen im Onlinebereich nicht an. Zur Rechtfertigung der Verbreitung von Telemedien durch den öffentlichrechtlichen Rundfunk wird vorgebracht, bei einer primär wirtschaftlichen Aus371 Die gleichen Prüfungsmaßstäbe kommen zum Tragen, wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung an der Kategorie der Grundrechtsausgestaltung festhält. Auch im Rahmen der Grundrechtsausgestaltung bedarf es einer wechselseitigen Zuordnung der einander kollidierenden Rechtsgüter nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.
IV. Legitimation und Limitierung von Textdiensten
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richtung des Angebots bestünde die Gefahr, dass sich die Auswahl von Themen und die Art der Darstellung an wirtschaftlichen und nicht an journalistischen Kriterien orientiere372. Außerdem erwachse das Risiko, dass die Beachtung journalistischer Regeln (Rechercheobliegenheit) aus Kostengründen unterbleibe373. Mit denselben Argumenten könnte man auch eine öffentlich-rechtliche Zeitung und Zeitschrift zu rechtfertigen suchen. Bereits deswegen stellt diese Argumentation die Kommunikationsverfassung des Grundgesetzes gleichsam auf den Kopf. Soweit sich in der Vergangenheit Mängel bei der publizistischen Arbeit im Internet herausgebildet haben mögen, mag dies vor allem auf die vormals noch vergleichsweise geringe Bedeutung des Internet zurückzuführen sein374. Es ist zu erwarten, dass sich in dem Maße, in dem das Internet als Informations- und Unterhaltungssystem wächst, die das klassische Pressewesen kennzeichnenden hohen publizistischen Leistungsstandards auch im Internet einstellen werden. Von strukturellen Mängeln des Marktmodells kann schon wegen der vergleichsweise deutlich geringeren Zugangshürden nicht die Rede sein. Ebensowenig wie eine gebührenfinanzierte Zeitung oder Zeitschrift des öffentlichrechtlichen Rundfunks zulässig wäre, ist ein Gebührenprivileg des öffentlichrechtlichen Rundfunks im Bereich digitaler Textdienste zu rechtfertigen. Der Staat verletzt seine ihm obliegende Neutralitätspflicht, wenn er den öffentlichrechtlichen Rundfunk zur Verbreitung gebührenfinanzierter (selbstständiger) digitaler Textdienste ermächtigt. 3. Sendungsbezug bzw. (Video-, Audio-)Telemedienbezug als Legitimation und Limitierung von Textdiensten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Digitale Textdienste des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind nur zulässig, wenn sie einen rundfunkbezogenen Inhalt haben (Annexfunktion). Durch diese Annexfunktion sind Textdienste des öffentlich-rechtlichen Rundfunks legitimiert, aber zugleich auch limitiert. Diese Annexfunktion kann sich (neben der Anstaltspräsentation) beziehen auf – konkrete Sendungen eines linearen (Fernseh- oder Hörfunk-)Programms (sog. sendungsbezogene Telemedien)375, 372
Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 216. Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 217 ff. 374 Auch dürfte es der Offenheit des Internet für Jedermann-Kommunikation („Mitmach-Netz“) geschuldet sein, dass nicht in jedem Fall die die klassischen Medien prägenden hohen professionellen journalistischen (Sorgfalts-)Standards gewahrt sind. 375 Der Begriff der sendungsbezogenen Telemedien im Sinne des § 11d Abs. 2 RÄStV-E erfasst allein Telemedien, die sich auf eine bestimmte Sendung eines linea373
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D. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien
– konkrete Video- bzw. Audio-(Abruf-)Telemedienbeiträge. Das Erfordernis des Sendungsbezugs bzw. (Video-, Audio-)Telemedienbezugs zielt darauf ab, dass sich digitale Textdienste inhaltlich und zeitlich auf eine konkrete Sendung oder auf einen bestimmten (Video-, Audio-)Telemedienbeitrag beziehen. Aus der Annexfunktion folgt, dass digitale Textdienste keine „dritte Säule“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bilden. Sie sind funktional auf eine konkrete Sendung eines Fernseh- bzw. Hörfunkprogrammes oder auf einen bestimmten (Video-, Audio-)Telemedienbeitrag der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten bezogen und dürfen sich von diesem sie legitimierenden Kern nicht lösen. Die Verbreitung selbstständiger, d.h. von der Annexfunktion entkoppelter Textdienste ist dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk von Verfassungs wegen versagt. Aus der Annexfunktion folgt schließlich eine quantitative Begrenzung der Textangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der inhaltliche und zeitliche Bezug reicht als Limitierung der Textdienste der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht aus. Eine quantitativ unbegrenzte Textberichterstattung zu Sendungen bzw. (Video-, Audio-)Telemedienbeiträgen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wäre mit der die Verbreitung von Textdiensten legitimierenden Annexfunktion nicht vereinbar. Dem Wesen der Annexfunktion entsprechend müssen Textangebote den Charakter eines untergeordneten, die Haupttätigkeit lediglich unterstützenden (Hilfs-)Dienstes haben. Nach dem Gesamteindruck des Angebots muss der Schwerpunkt erkennbar in der Bewegtbildberichterstattung liegen. Textdienste dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erläuterung von Sendungen bzw. von (Video-, Audio-)Telemedienbeiträgen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erforderlich ist. Eine öffentlich-rechtliche Online-Zeitung kombiniert mit Videound Audiobeiträgen ist unzulässig. Der Text muss stets Akzidenz des Videobzw. Audiobeitrages sein, niemals aber darf umgekehrt der Video- bzw. Audiobeitrag Akzidenz des Textes sein. Anderenfalls büßte der Dienst seine ihn legitimierende Annexfunktion ein. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht zur Verbreitung einer thematisch vollumfänglichen digitalen Zeitung oder Zeitschrift legitimiert. Als Referenzobjekt lässt sich die gedruckte Programmzeitschrift heranziehen: Digitale Textdienste des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen ihrem Inhalt und Erscheinungsbild nach Züge einer digitalen Programmzeitschrift (im weiteren Sinne) ren (Fernseh- oder Hörfunk-)Programms beziehen. Dies folgt aus der Legaldefinition der Sendung nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 12. RÄStV-E, wonach eine Sendung „ein inhaltlich zusammenhängender, geschlossener, zeitlich begrenzter Teil eines Programms“ ist. Dieser auf das (klassische) lineare Programm begrenzte Sendungsbegriff steht mit dem Sendungsbegriff nach der Richtlinie 2007/65/EG (Fn. 368 [S. 107]) nicht in Einklang, der sich neben dem linearen (Fernseh-)Programm auch auf audiovisuelle Abrufdienste erstreckt (vgl. Art. 1 Buchstabe b Richtlinie 2007/65/EG; siehe auch Erwägungsgrund 17 der Richtlinie 2007/65/EG: „dynamische“ Auslegung des Sendungsbegriffs).
IV. Legitimation und Limitierung von Textdiensten
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tragen. Sie sind das funktionale Äquivalent einer gedruckten Programmzeitschrift des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und nach denselben Maßstäben legitimiert und limitiert376. Dem Gesetzgeber ist es verwehrt, den von Verfassungs wegen erforderlichen strikten Sendungsbezug oder (Video-, Audio-)Telemedienbezug zu lockern oder gar aufzulösen. Gestattet der Gesetzgeber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Verbreitung von Textdiensten, hat er dafür Sorge zu tragen, dass Textdienste in quantitativer Hinsicht über das zur Erläuterung der Bewegtbildangebote erforderliche Maß nicht hinausgehen. Aus der Annexfunktion folgt eine inhaltliche, zeitliche und quantitative Begrenzung der Textangebote des öffentlichrechtlichen Rundfunks.
376
Vgl. hierzu BVerfGE 83, 238 (312 ff.).
E. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch ein externes und staatsfrei organisiertes Kontrollgremium Angesichts der relativen Unschärfe der materiellen Maßstäbe des „Funktionsauftrags“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Allgemeinen und des Sendungs- oder (Video- bzw. Audio-)Telemedienbezugs für die Verbreitung digitaler Textdienste im Besonderen kommt der prozeduralen und organisationsrechtlichen Ausgestaltung bei der Verwirklichung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit eine Schlüsselrolle zu. Dies gilt insbesondere für den nicht nur beihilferechtlich, sondern auch verfassungsrechtlich geschuldeten Drei-Stufen-Test, dem künftig geplante neue Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unterzogen werden müssen. Im Rahmen dieses Drei-Stufen-Tests sind u. a. die Auswirkungen des Vorhabens auf den publizistischen Wettbewerb mit (privaten) Anbietern frei zugänglicher Rundfunk- und Telemediendienste zu berücksichtigen (vgl. § 11f Abs. 3 RÄStV-E). Die binnenpluralistische Organisationsstruktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vermag den schutzwürdigen Interessen privater Anbieter nicht hinreichend Rechnung zu tragen. Erforderlich ist ein externes und staatsfrei organisiertes Aufsichtsgremium377. Im Folgenden sollen kurz die maßgeblichen Gründe benannt werden: Erstens: Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit der Gebührenfestsetzung entschieden, dass im Interesse der mit der Gebühr belasteten Teilnehmer eine externe Kontrolle der Bedarfsanmeldung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erforderlich ist. „Da bei der Rundfunkgebühr das Korrektiv des Marktpreises ausfällt, ist vielmehr eine externe Kontrolle im Interesse der mit der Gebühr belasteten Teilnehmer erforderlich.“378
Denn die Anstalten bieten aufgrund ihres jeder Institution eigenen „Selbstbehauptungs- und Ausweitungsinteresses“ keine hinreichende Gewähr dafür, dass sie sich bei der Anforderung der finanziellen Mittel im Rahmen des Funk-
377 Vgl. bereits Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 273 ff.; ders., AfP 1994, 108 (113 f.); zuletzt umfassend zur Regulierung der Konkretisierung des Funktionsauftrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Held, Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, S. 338 ff. 378 BVerfGE 90, 60 (102 f.).
E. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer Kontrolle
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tionsnotwendigen halten379. Ebenso wie im Gebührenfestsetzungsverfahren das Finanzgebaren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einer externen Kontrolle in der Gestalt der (staatsfrei organisierten) KEF bedarf, ist die Entscheidung über neue Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch ein externes Kontrollorgan zu überprüfen, um dem „Selbstbehauptungs- und Ausweitungsinteresse“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Grenzen setzen zu können. Zweitens: Der Staat scheidet als Steuerungsinstanz aus. Die notwendigen Kontroll- und Lenkungsfunktionen gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk können nicht im Rahmen der „begrenzten Rechtsaufsicht“ (vgl. § 11f Abs. 6 RÄStV-E) wahrgenommen werden. Ebensowenig wie staatliche Stellen mit der Zulassung und Beaufsichtigung privater Rundfunkanbieter betraut werden dürfen380, dürfen der staatlichen Rechtsaufsicht programmbezogene Handlungs-, Beurteilungs- und Ermessenspielräume im Verhältnis zum öffentlichrechtlichen Rundfunk eingeräumt werden. Solche inhaltsbezogenen Wertungen sind im Rahmen der qualitativen Prüfung des in Rede stehenden Angebots des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach § 11f Abs. 3 RÄStV-E erforderlich. Auch scheidet eine exklusive Selbstüberprüfungsbefugnis durch die binnenpluralistischen Aufsichtsgremien aus. Die binnenpluralistische Zusammensetzung der Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks soll dafür Sorge tragen, dass alle bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen im Gesamtprogramm angemessen zu Wort kommen und das Programm nicht einseitig einer Partei oder Gruppe, einer Interessengemeinschaft, einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung dient381. Die Gremienmitglieder fungieren bei der Hervorbringung und Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt als Sachwalter der Allgemeinheit382. Ihre Legitimation besteht aber nicht darin, den publizistischen Wettbewerb zu schützen und insbesondere die legitimen Interessen der von einer Programmexpansion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks betroffenen privaten Anbieter und der Gebührenzahler wahrzunehmen. Ebenso wie im Verfahren der Gebührenfestsetzung „eine externe Kontrolle im Interesse der mit der Gebühr belasteten Teilnehmer erforderlich ist“383, ist für eine Operationalisierung der in § 11f Abs. 3 12. RÄStV-E niedergelegten materiellen Maßstäbe im Interesse der privaten Anbieter ein externes Kontrollund Bewertungsgremium erforderlich384. Wenn im Gebührenfestsetzungsverfah379
Vgl. BVerfGE 87, 181 (200 ff.); BVerfG, NVwZ 2007, 1287 (1291). Vgl. nur BVerfGE 73, 118 (182 f.). 381 BVerfGE 83, 238 (333); siehe auch BVerfGE 12, 205 (262 f.); 31, 314 (326); 57, 295 (321 f.); 60, 53 (65 f.). 382 BVerfGE 60, 53 (65); 83, 238 (333 f.); Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 331, 339. 383 Vgl. nochmals BVerfGE 90, 60 (102 f.). 384 Ähnlich, aber nicht so weitgehend Schulz, Der Programmauftrag als Prozess seiner Begründung, S. 42: „Dass immer strukturähnliche medienökonomische Fragen zu 380
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E. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer Kontrolle
ren die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, die im Grunde genommen dem Verwaltungsrat der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt obliegt385, von Verfassungs wegen in den Hände eines externen Kontrollorgans (KEF) zu legen ist, kann sich die Verfassung im Rahmen der Konkretisierung des Funktionsauftrags durch den Drei-Stufen-Test nicht mit einer (exklusiven) Selbstkontrollbefugnis des binnenpluralistischen Rundfunkrats der Sendeanstalten begnügen. Die hierdurch entstehende „Schutzlücke“ lässt sich auch nicht durch die Möglichkeit der Stellungnahme betroffener Dritter schließen (vgl. § 11f Abs. 4 und 5 RÄStV-E). Die im Rahmen des Drei-Stufen-Tests wahrzunehmenden Kontrollaufgaben sind in die Hände eines externen und staatsfrei organisierten Aufsichtsgremiums zu legen.
klären sind, spricht sogar für die Einrichtung einer gesonderten Stelle zur Bearbeitung dieses Punkts, d.h. zur gutachterlichen Stellungnahme, nicht zur Entscheidung.“ 385 Vgl. nur Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 342.
Zusammenfassung in Thesen I. Gegenstand der Untersuchung Gegenstand der Untersuchung ist die Frage, ob und mit welchen Diensten der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Internet präsent sein darf.
II. Verfassungsrechtliche Grundlegung 1. Um die Frage nach Legitimation und Limitierung von Onlineaktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beantworten zu können, muss grundrechtstheoretischer Boden betreten werden. Die Konzeption des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als dienende Freiheit ist Chiffre zur Legitimation eines umfassenden Onlineengagements des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Nach funktionalem Grundrechtsverständnis, das der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkfreiheit zugrundeliegt, besitzt der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Medien (!) im Wesentlichen freie Hand. Onlineaktivitäten des öffentlichrechtlichen Rundfunks bedürfen nach dieser Grundrechtsdeutung keiner besonderen Begründung. Die Frage, wie die grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten zu deuten sind, avanciert zum Schlüssel für Legitimation und Limitierung von Onlineangeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks386. 2. Das funktionale Verständnis der grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten beruht auf einer Vielzahl verfassungsrechtlicher Anomalien: a) Nach funktionalem Verständnis der Medienfreiheiten werden die Massenkommunikationsgrundrechte nicht zum Zweck der Persönlichkeitsentfaltung, sondern im Interesse freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung gewährleistet. Diese Konzeption der „dienenden Freiheit“ leugnet einen individualrechtlichen Kern (mit substanziellem Gewicht) der Medienfreiheiten387. b) Dementsprechend findet im Rahmen der Grundrechtsausgestaltung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keine Anwendung. Zwar wird dessen Anwendbarkeit zuweilen auch von den Vertretern des funktionalen Grundrechtsverständnisses gefordert. Diese Forderung verträgt sich aber mit der Konzeption der „dienenden Freiheit“ nicht, weil die Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine gegenläufige individualrechtliche Position des Grund386 387
C. I., S. 26 ff. C. II. 1., S. 29 ff.
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Zusammenfassung in Thesen
rechtsträgers voraussetzt, die im Bauplan einer funktionalen Grundrechtsdeutung keinen Platz hat388. c) Leugnet man den individualrechtlichen Gehalt der Massenkommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG oder bringt man diesen kraft eines überwölbenden objektiv-rechtlichen Gehalts nur in verkürzter, gleichsam akzidentieller Form zum Ansatz und versagt man dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der „Grundrechtsausgestaltung“ die Existenzberechtigung, ist die Wahl des Organisationsmodells für die Massenmedien im Wesentlichen eine rein politische Frage. Nach funktionalem Verständnis schreibt das Grundgesetz kein bestimmtes Modell für die Ausgestaltung der Medienordnung vor. Für die Organisation der Massenmedien gäbe es kein Vorrang- und kein rechtfertigungsbedürftiges Ausnahmemodell. Vielmehr wird die Modellneutralität zum verfassungsrechtlichen Grundsatz erklärt389. Dem Marktmodell werden vielfaltverengende Gefahren und Wirkungen attestiert390. Auch – aber nicht nur – deshalb könne der Gesetzgeber das den Rundfunk prägende öffentlich-rechtliche Integrationsmodell auch für andere Medienbereiche (Internet, Presse) vorsehen391. d) Wenn gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Medienunternehmen – wie im Rundfunkbereich – nicht nur der Schließung von Versorgungslücken des kommerziellen Medienangebots dienen (Mindestversorgung), sondern auch dort tätig sein dürfen, wo private Konkurrenz auftritt (Vollversorgung), führt die Gebührenfinanzierung zu einer Beeinträchtigung des wirtschaftlichen und publizistischen Wettbewerbs zwischen den Medienunternehmen, aus dem sich der Staat prinzipiell heraushalten muss. Die Wahl des Organisationsmodells hat also Auswirkungen auf die grundrechtlich geschuldete Neutralität des Staates im publizistischen Wettbewerb, was die Vertreter eines funktionalen Grundrechtsverständnisses konzeptionell (noch) nicht verarbeitet haben392. 3. Das – den Rundfunkbereich die letzten Jahrzehnte prägende – funktionale Verständnis der grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten, das einen individualrechtlichen Kern (mit substanziellem Gewicht) der Massenkommunikationsgrundrechte leugnet, das für die rechtsstaatlich und grundrechtlich gebotene Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit keinen Platz lässt, das dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Medienordnungen (nicht nur im Rundfunkbereich) im Wesentlichen freie Hand lässt und das die Auswirkungen der Wahl des Organisationsmodell auf die grundrechtlich geschuldete Neutralität des Staates im publizistischen Wettbewerb konzeptionell nicht aufgenommen 388 389 390 391 392
C. C. C. C. C.
II. II. II. II. II.
2., S. 33 ff. 3., S. 36 ff. 3. a), S. 38 ff. 3. b), S. 40 ff. 4., S. 43 ff.
II. Verfassungsrechtliche Grundlegung
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hat, vermag den Anforderungen an die Bedingungen der modernen Kommunikationsordnung nicht zu entsprechen. Erforderlich ist eine (Neu-)Konzeption der Massenkommunikationsgrundrechte, die sich von grundrechtlichen Anomalien löst und den Weg dafür ebnet, dass die grundrechtlich gewährleisteten Medienfreiheiten (unter Einbeziehung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit) von der Familie der tradierten (Freiheits-)Grundrechte (wieder) aufgenommen werden, aus der wenigstens das Grundrecht der Rundfunkfreiheit lange Zeit ausgestoßen war. Die Massenkommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG haben – in Entsprechung zu Art. 11 Abs. 2 GRCh („Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet“) einen Doppelcharakter. Sie sind zum einen Individualgrundrechte („Die Freiheit der Medien . . .“). Zum anderen enthalten sie einen staatlichen Gewährleistungsauftrag für Vielfaltsicherung in den Medien („ihre Pluralität“). Beide Funktionsschichten wurzeln in den Massenkommunikationsgrundrechten. a) Die Notwendigkeit einer (Wieder-)Belebung des individualrechtlichen Kerns der grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten ergibt sich zum einen daraus, dass Massenkommunikationsrechte unter den Bedingungen der modernen Informationsgesellschaft Jedermann-Grundrechte sind393. Zum anderen verlangen dies auch europarechtliche Vorgaben. Weder EMRK noch Unionsgrundrechte kennen „dienende Freiheiten“, sondern werden individualrechtlich gedeutet394. Diese europäische Sichtweise ist für die Interpretation der Medienfreiheiten des Grundgesetzes verbindlich395. b) Die Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt ist ebenfalls eine in den Massenkommunikationsgrundrechten verortete verfassungsrechtliche Zielsetzung396. c) Beide Strukturelemente des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG stehen in einem korrelativen Zusammenhang. Soweit die auf die Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt gerichteten staatlichen Maßnahmen individuelle Freiheitsräume des Grundrechtsträgers beschneiden, sind sie an den für Grundrechtseingriffe geltenden Voraussetzungen zu messen. Das Gleiche gilt, wenn man solche vielfaltsichernden Maßnahmen als Grundrechtsausgestaltungen qualifiziert. In beiden Fällen drängen die für Grundrechtseingriffe geltenden Voraussetzungen auf Verwirklichung: der Vorbehalt des Gesetzes und die strikte Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit397. d) In der freiheitlich verfassten Kommunikationsordnung des Grundgesetzes ist die Herstellung gleichgewichtiger Vielfalt in erster Linie Sache der privat393 394 395 396 397
C. C. C. C. C.
III. III. III. III. III.
1. a), S. 55 ff. 1. b) aa), S. 59 ff. 1. b) bb), S. 63 ff. 2., S. 65 ff. 3., S. 67 ff.
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Zusammenfassung in Thesen
rechtlich organisierten und nach privatwirtschaftlicher Rationalität handelnden Medien. Das durch privatrechtliche Organisationsform, durch Privatwirtschaftlichkeit als Unternehmensrationalität und durch Außenpluralismus gekennzeichnete Marktmodell ist das grundgesetzliche Regelmodell. Das öffentlich-rechtliche Integrationsmodell ist durch die Kommunikationsverfassung nicht ausgeschlossen. Als Ausnahmemodell bedarf es jedoch der Rechtfertigung398. e) Dem Staat ist von Verfassungs wegen aufgegeben, sich im publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb der Medien(-unternehmen) neutral zu verhalten. Dieses in der Vergangenheit vor allem im Pressebereich399 diskutierte staatliche Neutralitätsgebot gilt als Strukturprinzip der Kommunikationsverfassung für alle grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten400. Die Kategorie des wirtschaftlichen Wettbewerbs ist im Zusammenhang mit dem dem Staat obliegenden Neutralitätsgebot nicht auf Wettbewerb im kartellrechtlichen Sinne beschränkt. Vielmehr entfaltet das staatliche Neutralitätsgebot seine Schutzwirkung immer dann, wenn durch staatliche selektive (Förder)Maßnahmen die wirtschaftliche Stellung eines bestimmten Trägers der Massenkommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verbessert oder verschlechtert wird401. Als Form selektiver Förderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist die Rundfunkgebühr strikt rechtfertigungsbedürftig402. f) Soll dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der dualen Rundfunkordnung die Rolle eines Vielfaltgaranten zukommen und soll er zu diesem Zweck mit dem Rundfunkgebührenprivileg ausgestattet bleiben, muss er besonderen organisatorischen Anforderungen unterliegen. Hierzu gehört in erster Line eine möglichst weitgehende Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die gleichsam semistaatliche Zusammensetzung des ZDF-Fernsehrates wird dem nicht gerecht. Der Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks zielt nicht nur auf die Unabhängigkeit des Rundfunks, sondern auch des Staates. Staatliche Funktionsträger haben in den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schlichtweg nichts zu suchen, weil ihre Mitgliedschaft mit der verfassungsrechtlich geschuldeten Unabhängigkeit sowohl des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als auch des Staates unvereinbar ist. Der Zutritt staatlicher Funktionsträger zu Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist schlechthin zu untersagen. Durch Inkompatibilitätsregelungen ist dafür Sorge zu tragen, dass die Vertreter politischer Parteien und die Vertreter (anderer) gesellschaftlicher Organisationen in den Kontrollgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht zugleich staatliche Ämter bekleiden403. 398 399 400 401 402
C. C. C. C. C.
III. III. III. III. III.
4., S. 69 ff. 5. a), S. 72 ff. 5. b), S. 75 ff. 5. c), S. 76 ff., insbesondere nach Fn. 277 (S. 81). 5. d), S. 82 f.
III. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien
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III. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks 1. Sofern der Gesetzgeber den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Verbreitung gebührenfinanzierter Telemedien legitimiert, bedarf dies unter zwei Gesichtspunkten der strikten Rechtfertigung. Zum einen weicht er vom Marktmodell als grundgesetzliches Regelmodell für die Organisation der Medien ab. Zum anderen kann die Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit der dem Staat obliegenden Neutralitätspflicht kollidieren. Eingriffe in beide Strukturelemente sind nur unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig. Auch unter Zugrundelegung der dem Gesetzgeber zustehenden Einschätzungsprärogative reichen allgemeine, auch in anderen Wirtschaftsbereichen auftretende Gefährdungslagen zur Rechtfertigung für eine Abweichung vom Regelmodell nicht aus404. Zur Rechtfertigung von Onlineaktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist ein besonderer, kommunikativer Mehrwert des öffentlich-rechtlichen Onlineangebots erforderlich, der sich im privaten Mediensektor nicht oder nicht in der gewünschten Qualität widerspiegelt. Eine gebührenfinanzierte Vollversorgung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Internet wäre verfassungswidrig (a). Erforderlich ist ein quantitativer (b) oder qualitativer (c) Mehrwert des Angebots des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. a) Die – den Geist der Freiheitlichkeit atmende – Kommunikationsverfassung des Grundgesetzes legt die Verwirklichung des (objektiv-rechtlichen) Ziels der Pluralismussicherung zunächst in die Hände selbstorganisierter und selbstbestimmt agierender Medien(-unternehmen), die nach autonom gesetzten Handlungsmustern Ideen, Gedanken sowie Kommunikationsinhalte gleich welcher Art verbreiten und auf diese Weise zur publizistischen Vielfalt beitragen. Die Herstellung und Gewährleistung gleichgewichtiger Vielfalt vollzieht sich prinzipiell im und durch den publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb der miteinander konkurrierenden privaten Medien(-unternehmen). Der öffentlichrechtliche Rundfunk ist kein genuin gleichberechtigter Akteur in der Massenkommunikation. Er ist ein sektoraler Aufgabenträger, der seine spezifische Legitimation aus Funktionsdefiziten eines auf Marktprozessen beruhenden privaten Mediensystems ableitet. Sind solche Defizite nicht erkennbar, fehlt es an einer Legitimation für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Begründung eines kommunikativen Mehrwerts im Vergleich zum privaten Mediensektor ist Grundvoraussetzung für ein Onlineangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Bei
403 404
C. III. 6., S. 83 ff. D. bei und nach Fn. 322 (S. 92).
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einem kommunikativen Patt gibt es keinen gebührenfinanzierten öffentlichrechtlichen Aufschlag405. b) Soweit gebührenfinanzierte Onlineangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einen quantitativen Mehrwert begründen und der Schließung von Vielfaltdefiziten des privaten Mediensektors dienen, ist hiergegen sub specie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG an nichts zu erinnern406. c) Sofern dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk Onlineangebote zum Zweck der Qualitätssteigerung gestattet werden, erweist sich dies (kommunikations-) verfassungsrechtlich als besonders prekär. Während durch eine Gebührenfinanzierung von Onlineangeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die einen quantitativen kommunikativen Mehrwert aufweisen und Vielfaltlücken des privaten Medienbereichs schließen, der publizistische und wirtschaftliche Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Medienbereich nicht oder nicht erheblich betroffen ist und infolgedessen das dem Staat obliegende Neutralitätsgebot nicht auf Verwirklichung drängt, ist der nervus rerum dieses Strukturelements des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG betroffen, wenn der öffentlichrechtliche Rundfunk unter Hinweis auf seine besondere publizistische Leistungskraft zur Verbreitung von Telemedien ermächtigt wird und zu diesem Zweck auf das Gebührenaufkommen zurückgreifen darf. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und private Medien(-unternehmen) befinden sich insoweit in einem wirtschaftlichen und publizistischen Wettbewerb, in den der Staat grundsätzlich nicht eingreifen darf. Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen einem im Vergleich zum privaten Medienbereich weitgehenden Qualitätsanspruch genügen, um dem Qualitätstest im Sinne des Drei-Stufen-Tests zu genügen. Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die sich qualitativ vom privaten Sektor nicht oder nicht entscheidend abheben, verdienen kein Gebührenprivileg und sind unzulässig. Darüber hinaus bedarf es der besonderen Begründung, ob dieser qualitative kommunikative Mehrwert von derartigem Gewicht ist, dass ein gebührenfinanziertes Angebot auch nach Abwägung aller relevanten Umstände vor dem dem Staat obliegenden Neutralitätsgebot Bestand hat407. 2. Textdienste (Texte, stehende Bilder, Grafiken) des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind nur zulässig, wenn sie einen Bezug zu einer konkreten Sendung eines Rundfunkprogramms oder zu einem (Video- bzw. Audio-)Telemedienbeitrag aufweisen. Durch diese Annexfunktion sind Textdienste des öffentlichrechtlichen Rundfunks legitimiert, aber zugleich auch limitiert. Sofern diese strikte Annexfunktion gelockert oder gar aufgelöst würde, wäre die grundgesetzliche Kommunikationsverfassung verletzt: 405 406 407
D. I., S. 95 ff. D. II., S. 97 ff. D. III., S. 98 ff.
III. Legitimation und Limitierung gebührenfinanzierter Telemedien
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a) Digitale Textdienste unterfallen dem Grundrecht der Pressefreiheit und nicht der Rundfunkgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Die für den Rundfunk typische „besondere Suggestivkraft“ liegt in der audiovisuellen (Fernsehen), auditiven (Hörfunk) oder (rein) visuellen (Stummfilm) Darbietungsform. Digitale Textdienste erfüllen diese Voraussetzung nicht. Als „Lesemedien“ sind sie funktional dem Grundrecht der Pressefreiheit zuzuordnen. Nur soweit Textdienste der Unterstützung und Ergänzung von Rundfunkdarbietungen dienen, sind sie kraft ihrer Annexfunktion vom Grundrecht der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützt. Nach Maßgabe dieses Annexkriteriums sind auch multimediale (Misch-)Dienste, bei denen Texte und Video- bzw. Audiobeiträge kombiniert werden, grundrechtlich einzuordnen408. b) (Selbstständige) Textdienste des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kollidieren mit beiden Strukturelementen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG: Zum einen weichen Onlineaktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vom Marktmodell als grundgesetzliches Regelmodell für die Organisation der Medien ab. Digitale Textdienste unterliegen prinzipiell den für das Grundrecht der Pressefreiheit geltenden Ordnungsprinzipien. Öffentlich-rechtliche binnenpluralistische Organisationsformen lassen sich in die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Bauarchitektur der – durch privatrechtliche Organisationsformen, Privatwirtschaftlichkeit und Außenpluralismus gekennzeichneten – Institutsgarantie „Freie Presse“ nicht einfügen. Sie bilden einen Fremdkörper innerhalb des grundgesetzlich geschützten Instituts „Freie Presse“. Auch für Telemedien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit einer Kombination von Textdiensten und Videobzw. Audioelementen ergeben sich keine Unterschiede. Entsprechendes gälte, wenn man digitale Textdienste – entgegen der hier vertretenen Meinung – nicht als Presse, sondern als Rundfunk im verfassungsrechtlichen Sinne qualifizierte. Das Marktmodell ist das Regelmodell der grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung und drängt damit auch bei der Verbreitung digitaler Textdienste auf Verwirklichung. Zum anderen kollidiert die Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit der Verpflichtung des Staates, sich im publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb der Onlinemedien neutral zu verhalten. Ein Eingriff in beide Strukturelemente des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG wäre nicht gerechtfertigt. Es ist kein Grund erkennbar, der eine vom klassischen Pressebereich abweichende Betrachtung zuließe und insbesondere eine staatliche Verfälschung des wirtschaftlichen und publizistischen Wettbewerbs rechtfertigen könnte. Im Onlinebereich bestehen im Vergleich zum Printbereich keine höheren Zugangshürden; ganz im Gegenteil: Die hohen Druck- und Distributionskosten im Printbereich, die nahezu die gesamten Verkaufs- und Abonnentenerlöse von (überregionalen) Tageszeitungen aufzehren, fallen im Onlinebereich nicht an. 408
D. IV. 1., S. 103 ff.
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Zusammenfassung in Thesen
c) Textdienste des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind nur zulässig, wenn sie einen Bezug zu einer konkreten Sendung eines Rundfunkprogramms oder zu einem (Video- bzw. Audio-)Telemedienbeitrag aufweisen. Textbasierte (Texte, stehende Bilder, Grafiken) öffentlich-rechtliche Angebote sind nur durch diese Annexfunktion legitimiert. Dem Gesetzgeber ist es verwehrt, den von Verfassungs wegen erforderlichen strikten Sendungsbezug oder (Video-, Audio-)Telemedienbezug zu lockern oder gar aufzulösen. Auch in quantitativer Hinsicht ergeben sich Beschränkungen. Textdienste des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erläuterung von Sendungen bzw. von (Video-, Audio-)Telemedienbeiträgen erforderlich ist. Aus der Annexfunktion folgt eine inhaltliche, zeitliche und quantitative Begrenzung der Textangebote der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Digitale Textdienste des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen ihrem Inhalt und Erscheinungsbild nach Züge einer digitalen Programmzeitschrift (im weiteren Sinne) tragen409. E. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch ein externes und staatsfrei organisiertes Aufsichtsgremium Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen verpflichtet, die im Rahmen des Drei-Stufen-Tests wahrzunehmende Kontrollaufgabe nach § 11f Abs. 3 12. RÄStV-E in die Hände eines externen und staatsfrei organisierten Aufsichtsgremiums zu legen410.
409 410
D. IV. 3., S. 109 ff. E., S. 112 ff.
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