Leges Draconis et Solonis (LegDrSol): Eine neue Edition der Gesetze Drakons und Solons mit Übersetzung und historischer Einordnung 9783515133616, 3515133615

Die Autoren legen eine neue Ausgabe aller Fragmente der Gesetze Drakons und Solons mit griechischem bzw. lateinischem Or

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Band 1
Abgekürzt zitierte Literatur
Einführung
Testimonia
Historische Einordnung
Testimonia (T 1–35)
Gesetzesfragmente
I. Frühes Gesetz
Historische Einordnung
Gesetz gegen die Tyrannis (F 1)
II. Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung
Historische Einordnung
II 1 Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)
II 2 Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)
III. Verfahren vor dem Areopag
III 1 Die Entstehung des Areopags
Historische Einordnung
Die Entstehung des Areopags als Gerichtshof (F 40–42)
III 2 Der Areopag als Hüter über die Verfassung
Historische Einordnung
Der Areopag als Hüter über die Verfassung (F 43)
III 3 Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis
Historische Einordnung
Gesetze über die Tyrannis und den Umsturz der politischen Ordnung (F 44–46)
III 4 Eid der Areopagiten
Historische Einordnung
Eid der Areopagiten (F 47)
IV. Gesetze über die Amtsträger
IV 1 Prüfung der Amtsfähigkeit
Historische Einordnung
Prüfung der Amtsfähigkeit (F 48–49)
IV 2 Atimie und Ausschluss vom Rednerplatz
Historische Einordnung
Atimie und Ausschluss vom Rednerplatz (F 50–55)
IV 3 Naukrarie und Speisung der Prytanen im Prytaneion
Historische Einordnung
Naukrarie und Speisung der Prytanen (F 56–57)
IV 4 Prüfung der Amtsführung
Historische Einordnung
Prüfung der Amtsführung (Gesetz über die Untätigkeit – nómos argías) (F 58–59)
V. Verfahrensrecht
V 1 Abführung (apagōgē )́ und Anzeige (éndeixis)
Historische Einordnung
Abführung (apagōgḗ) und Anzeige (éndeixis) (F 60–63)
V 2 Popularklage
Historische Einordnung
Popularklage (F 64)
V 3 Ephesis
Historische Einordnung
Ephesis (F 65)
V 4 Eid der Heliasten und der Thesmotheten
Historische Einordnung
Der Eid der Heliasten und der Thesmotheten (F 66–67)
V 5 Eid und Beweismittel im Prozess
Historische Einordnung
Eid und Beweismittel im Prozess (F 68–73)
Band 2
VI. Gesetze, den archōn basileús und religiöse Angelegenheiten betreffend
VI 1 Asebie und Hierosylie
Historische Einordnung
Asebie und Hierosylie (F 74–78)
VI 2 Opferkalender und Kultvorschriften
Historische Einordnung
Opferkalender und Kultvorschriften (F 79–87)
VI 3 Prämien für Sieger in sportlichen Wettkämpfen
Historische Einordnung
Prämien für Sieger bei den olympischen und isthmischen Spielen (F 88)
VI 4 Gesetz über die Bestattung der Toten
Historische Einordnung
Gesetz über die Bestattung der Toten (F 89)
VII. Verfahren vor dem árchōn polémarchos
Historische Einordnung
Klage wegen Feigheit vor dem Feind (graphḗ deilías) (F 90–92)
VIII. Verfahren vor den Thesmotheten
VIII A Schriftklagen (graphaí)
VIII A 1 Klage wegen hýbris und gesetzwidriger Tat (graphē ́hýbreōs)
Historische Einordnung
Klage wegen hýbris (graphḗ hýbreōs) (F 93)
VIII A 2 Gesetz gegen außerehelichen Verkehr
Historische Einordnung
Gesetz gegen außerehelichen Verkehr (nómos moicheías) (F 94–98)
VIII A 3 Der nómos hetairḗseōs. Das Gesetz gegen unsittliche sexuelle Beziehungen
Historische Einordnung
Der nómos hetairḗseōs (F 99–101)
VIII B Privatklagen (díkai)
VIII B 1 Schuldverpflichtungen und Zins
Historische Einordnung
Schuldverpflichtungen und Zins (F 102–109)
VIII B 2 Schadensklage (díkē blábēs) und díkē exoúlēs
Historische Einordnung
Schadensklage (díkē blábēs) und díkē exoúlēs (F 110–111)
VIII B 3 Gesetz gegen Diebstahl (nómos klopḗs)
Historische Einführung
Gesetz gegen Diebstahl (F 112–114)
VIII B 4 Gesetz gegen tätliche Angriffe (díkē aikeías)
Historische Einordnung
Gesetz gegen tätliche Angriffe (díkē aikeías) (F 115)
VIII B 5 Üble Nachrede (Verbalinjurien)
Historische Einordnung
Gesetz gegen üble Nachrede (Verbalinjurien) (F 116)
VIII B 6 Vertragsrecht
Historische Einordnung
Vertragsrecht (F 117)
VIII B 7 Nachbarrecht
Historische Einordnung
Nachbarrecht (F 118–120)
IX. Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)
IX 1 Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder
Historische Einordnung
Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder (F 121–126)
IX 2 Erbtochterrecht
Historische Einordnung
Erbtochterrecht (F 127–131)
IX 3 Adoption und Testament
Historische Einordnung
Adoption und Testament (F 132–136)
IX 4 Intestaterbfolge
Historische Einordnung
Intestaterbfolge (F 137)
IX 5 Mitgift und Ausstattung der Braut
Historische Einordnung
Mitgift und Ausstattung der Braut (F 138–139)
IX 6 Unterhaltsregelungen
Historische Einordnung
Unterhaltsregelungen (F 140–143)
X. Appendices
X 1 Die zu Unrecht Solon zugeschriebenen Gesetze
a) Gesetzgebungsverfahren
b) Das Gesetz über den Vermögenstausch
X 2 Solonische Gesetze in den Reden des Aischines
XI. Literaturverzeichnis
XII. Register
Konkordanz
Quellenregister
Namen- und Sachregister
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Leges Draconis et Solonis (LegDrSol): Eine neue Edition der Gesetze Drakons und Solons mit Übersetzung und historischer Einordnung
 9783515133616, 3515133615

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Winfried Schmitz

Leges Draconis et Solonis (LegDrSol) Eine neue Edition der Gesetze Drakons und Solons mit Übersetzung und historischer Einordnung

Franz Steiner Verlag

Historia | Einzelschrift 270

Historia

historia

Zeitschrift für Alte Geschichte | Revue d’histoire ancienne |

Journal of Ancient History | Rivista di storia antica

einzelschriften

Herausgegeben von Kai Brodersen (federführend)

Christelle Fischer-Bovet | Mischa Meier | Sabine Panzram | Henriette van der Blom | Hans van Wees Band 270

Leges Draconis et Solonis (LegDrSol) Eine neue Edition der Gesetze Drakons und Solons mit Übersetzung und historischer Einordnung Winfried Schmitz Unter Mitarbeit von Anja Dorn und Tino Shahin

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2023 www.steiner-verlag.de Layout und Herstellung durch den Verlag Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13361-6 (Print) ISBN 978-3-515-13362-3 (E-Book)

„Wir haben gemerkt, dass der Mensch gewalttätig ist. Er ist es geblieben, trotz Jahrtausenden der Gesetze und Gerichte.“ Primo Levi

Primo Levi, So war Auschwitz (1975), in: Primo Levi, So war Auschwitz. Zeugnisse 1945–1986, herausgegeben von Domenico Scarpa und Fabio Levi, aus dem Italienischen von Barbara Kleiner, München: Carl Hanser Verlag 2017, 146.

Vorwort Das Ansinnen, die Gesetze Drakons und Solons neu zu edieren, reicht lange zurück. Die Beschäftigung mit dörflichen Strukturen im archaischen und klassischen Griechenland, mit den unter Nachbarn geltenden Werten und Normen und ihren spezifischen Strafritualen in Form von Rügebräuchen erforderte die Einbeziehung auch der solonischen Gesetze.1 Relevant waren nicht nur Regelungen zum Grenzabstand und zur Wasserversorgung, zum Familien- und Erbrecht, das in vielfältiger Weise bäuerliche Besitzstrategien widerspiegelt, sondern auch Verbote von Rügebräuchen, die durch die díkē aikeías unter Strafe gestellt wurden, eine Klage, die sich gegen Angriffe sowohl auf Personen als auch auf Sachen richtete. Weitere Publikationen über die Satzung Drakons, über die mit Ehebruch und Vergewaltigung in Zusammenhang stehenden Klagen, über das Stasisgesetz Solons und die graphḗ hýbreōs2 bestärkten zwar die Absicht, Athens frühe Gesetze in neuer Bearbeitung herauszugeben, doch vielfältige Verpflichtungen in Forschung, Lehre und universitärer Selbstverwaltung haben dazu geführt, dass ich erst im Jahr 2017 mit Hilfe einer Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Edition beginnen konnte. Inzwischen waren nach dem Tod von Eberhard Ruschenbusch aus dessen Nachlass die Fragmente der solonischen Gesetze mit Übersetzung und Kommentar und die von Delfim F. Leão und P. J. Rhodes vorgelegte Neubearbeitung erschienen, die weitgehend der von Eberhard Ruschenbusch angelegten Systematik folgt, sich allerdings zuversichtlicher zeigt hinsichtlich einiger von Ruschenbusch als unecht angesehener Fragmente.3 1  Winfried Schmitz, Nachbarschaft und Dorfgemeinschaft im archaischen und klassischen Griechenland, Berlin 2004. 2  Winfried Schmitz, Der nomos moicheias – Das athenische Gesetz über den Ehebruch, in: ZRG Rom. Abt. 114, 1997, 45–140; ders., „Drakonische Strafen“. Die Revision der Gesetze Drakons durch Solon und die Blutrache in Athen, in: Klio 83, 2001, 7–38; ders., Athen – eine wehrhafte Demokratie? Überlegungen zum Stasisgesetz Solons und zum Ostrakismos, in: Klio 93, 2011, 23–51; ders., Mut zur Entscheidung – Überlegungen zum Stasisgesetz Solons, in: Egon Flaig (Hrsg.), Genesis und Dynamiken der Mehrheitsentscheidung (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien Bd. 85), München 2013, 79–100. 3  Eberhard Ruschenbusch, Solon: Das Gesetzeswerk – Fragmente. Übersetzung und Kommentar, herausgegeben von Klaus Bringmann (Historia Einzelschr. 215), Stuttgart 2010 (die Ausgabe umfasst allerdings nur die von Ruschenbusch als echt angesehenen Fragmente 1–93); Delfim F. Leão, P. J. Rhodes, The Laws of Solon. A New Edition with Introduction, Translation and Commentary, London/New York 2015.

VIII

Vorwort

Ich danke den am Forschungsprojekt Beteiligten, Frau Anja Dorn und Herrn Dr. Tino Shahin, für ihre engagierte und inspirierende gemeinsame Arbeit an den Gesetzen, den Hilfskräften am Seminar für Alte Geschichte der Bonner Universität für die Unterstützung bei der Beschaffung von Quellen und Literatur, insbesondere Herrn Yann Wintersdorf, der das Projekt von Anfang an begleitet hat, und Frau Yvonne Krumholz, die mich bei der Erstellung der textkritischen Apparate unterstützt hat. Die Zeichnung des kýrbis in Abb. 3 S. 25 verdanke ich Herrn Tobias Pfaff. Für die Durchsicht und Diskussion einiger griechischer Texte danke ich Wolfgang Will; für zahlreiche Korrekturen am Text und die Bearbeitung der Druckvorlage habe ich Frau Ramona Lifland Dank zu sagen. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft verdanke ich die Finanzierung des Projekts und einen namhaften Druckkostenzuschuss, dem Franz Steiner Verlag danke ich für die gewohnt umsichtige und professionelle Betreuung der Publikation. Bonn, im September 2022

Winfried Schmitz

Inhaltsverzeichnis Band 1 Abgekürzt zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Testimonia Testimonia. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Testimonia (T 1–35). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Gesetzesfragmente I..

Frühes Gesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Gesetz gegen die Tyrannis (F 1). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

II..

Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Solons Satzung über die Tötung (F 19–39) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

II 1. II 2. III.. III 1.

Verfahren vor dem Areopag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Die Entstehung des Areopags. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Die Entstehung des Areopags als Gerichtshof (F 40–42) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

X III 2. III 3.

III 4.

IV.. IV 1. IV 2. IV 3. IV 4.

Inhaltsverzeichnis

Der Areopag als Hüter über die Verfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Der Areopag als Hüter über die Verfassung (F 43). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Gesetze über die Tyrannis und den Umsturz der politischen Ordnung (F 44–46). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Eid der Areopagiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Eid der Areopagiten (F 47). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Gesetze über die Amtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Prüfung der Amtsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Prüfung der Amtsfähigkeit (F 48–49) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Atimie und Ausschluss vom Rednerplatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Atimie und Ausschluss vom Rednerplatz (F 50–55). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Naukrarie und Speisung der Prytanen im Prytaneion. . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Naukrarie und Speisung der Prytanen (F 56–57). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Prüfung der Amtsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Prüfung der Amtsführung (Gesetz über die Untätigkeit – nómos argías) (F 58–59). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404

V..Verfahrensrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 V 1. Abführung (apagōgḗ ) und Anzeige (éndeixis). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Abführung (apagōgḗ) und Anzeige (éndeixis) (F 60–63) . . . . . . . . . . . . . . . . 421 V 2. Popularklage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Popularklage (F 64). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 V 3. Ephesis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Ephesis (F 65). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 V 4. Eid der Heliasten und der Thesmotheten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 Der Eid der Heliasten und der Thesmotheten (F 66–67) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450

Inhaltsverzeichnis

V 5.

XI

Eid und Beweismittel im Prozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 Eid und Beweismittel im Prozess (F 68–73). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462

Band 2 VI.. VI 1. VI 2. VI 3. VI 4.

VII..

Gesetze, den archōn basileús und religiöse Angelegenheiten betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Asebie und Hierosylie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 Asebie und Hierosylie (F 74–78). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 Opferkalender und Kultvorschriften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Opferkalender und Kultvorschriften (F 79–87) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 Prämien für Sieger in sportlichen Wettkämpfen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 Prämien für Sieger bei den olympischen und isthmischen Spielen (F 88). . . . . 544 Gesetz über die Bestattung der Toten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 Gesetz über die Bestattung der Toten (F 89). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 Verfahren vor dem árchōn polémarchos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 Klage wegen Feigheit vor dem Feind (graphḗ deilías) (F 90–92). . . . . . . . . . . 575

VIII.. Verfahren vor den Thesmotheten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 VIII A. Schriftklagen (graphaí). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 VIII A 1. Klage wegen hýbris und gesetzwidriger Tat (graphḗ hýbreōs). . . . . . . . . . . . 581 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 Klage wegen hýbris (graphḗ hýbreōs) (F 93) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 VIII A 2. Gesetz gegen außerehelichen Verkehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596 Gesetz gegen außerehelichen Verkehr (nómos moicheías) (F 94–98). . . . . . 612 VIII A 3. Der nómos hetairḗseōs. Das Gesetz gegen unsittliche sexuelle Beziehungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 Der nómos hetairḗseōs (F 99–101). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634

XII

Inhaltsverzeichnis

VIII B. Privatklagen (díkai). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 VIII B 1. Schuldverpflichtungen und Zins. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 Schuldverpflichtungen und Zins (F 102–109). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665 VIII B 2. Schadensklage (díkē blábēs) und díkē exoúlēs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 680 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 Schadensklage (díkē blábēs) und díkē exoúlēs (F 110–111) . . . . . . . . . . . . . . . 684 VIII B 3. Gesetz gegen Diebstahl (nómos klopḗs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 Historische Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 Gesetz gegen Diebstahl (F 112–114). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695 VIII B 4. Gesetz gegen tätliche Angriffe (díkē aikeías). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712 Gesetz gegen tätliche Angriffe (díkē aikeías) (F 115). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717 VIII B 5. Üble Nachrede (Verbalinjurien). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719 Gesetz gegen üble Nachrede (Verbalinjurien) (F 116). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723 VIII B 6. Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727 Vertragsrecht (F 117) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 VIII B 7. Nachbarrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735 Nachbarrecht (F 118–120). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 IX.. IX 1. IX 2. IX 3. IX 4. IX 5.

Verfahren vor dem árchōn epōń ymos (Erbrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745 Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745 Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder (F 121–126). . . . . . . . . . . . . 752 Erbtochterrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775 Erbtochterrecht (F 127–131). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779 Adoption und Testament. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 800 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 800 Adoption und Testament (F 132–136). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 808 Intestaterbfolge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 829 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 829 Intestaterbfolge (F 137) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835 Mitgift und Ausstattung der Braut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 844 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 844 Mitgift und Ausstattung der Braut (F 138–139). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 848

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XIII

IX 6.

Unterhaltsregelungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852 Unterhaltsregelungen (F 140–143). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857

X.. X 1.

Appendices. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 866 Die zu Unrecht Solon zugeschriebenen Gesetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 866 a) Gesetzgebungsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 866 b) Das Gesetz über den Vermögenstausch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 870 Solonische Gesetze in den Reden des Aischines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 873

X 2.

XI..Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 885 XII..Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 903 Konkordanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 903 Quellenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 926 Namen- und Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 937

Abgekürzt zitierte Literatur Bonner/Smith 1930–38 Chambers 1990 Gagarin/Perlman 2016 Hansen 1995 Harris 2006 Harris 2013 Harrison 1968–71 Kapparis 2019 Koerner 1993

Leão/Rhodes 2015 Lipsius 1905–15 MacDowell 1978 Martina 1968 Nomima Phillips 2013

Robert J. Bonner, Gertrude Smith, The Administration of Justice from Homer to Aristotle, 2 Bde., Chicago 1930–1938 (Ndr. New York 1968). Mortimer Chambers, Aristoteles. Staat der Athener (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 10,1), Berlin 1990. Michael Gagarin, Paula Perlman, The Laws of Ancient Crete c. 650–400 BCE, Oxford 2016. Mogens Herman Hansen, Die athenische Demokratie im Zeitalter des Demosthenes. Struktur, Prinzipien und Selbstverständnis, Berlin 1995 (engl. Originalausgabe 1991). Edward Harris, Democracy and the Rule of Law in Classical Athens. Essays on Law, Society, and Politics, Cambridge 2006. Edward Harris, The Rule of Law in Action in Democratic Athens, Oxford 2013. Alick R. W. Harrison, The Law of Athens, 2 Bde., Oxford 1968–71. Konstantinos A. Kapparis, Athenian Law and Society, London/ New York 2019. Reinhard Koerner, Inschriftliche Gesetzestexte der frühen griechischen Polis, aus dem Nachlaß hrsg. von Klaus Hallof (Akten der Gesellschaft für griechische und hellenistische Rechtsgeschichte, Bd. 9), Köln etc. 1993. Delfim F. Leão, P. J. Rhodes, The Laws of Solon. A New Edition with Introduction, Translation and Commentary, London/New York 2015. Justus Hermann Lipsius, Das attische Recht und Rechtsverfahren, 3 Bde., Leipzig 1905–15 (Ndr. Hildesheim etc. 1984). Douglas M. MacDowell, The Law in Classical Athens (Aspects of Greek and Roman Life), London 1978. Antonio Martina, Solon. Testimonia veterum (Lyricorum Graecorum quae exstant, Bd. 4), Rom 1968. Henri van Effenterre, Françoise Ruzé, Nomima. Recueil d’inscriptions politiques et juridiques de l’archaïsme grec, 2 Bde., Rom 1994. David D. Phillips, The Law of Ancient Athens, Ann Arbor 2013.

2 Rhodes 1981 Ruschenbusch 1966

Ruschenbusch 2005 Ruschenbusch 2010

Schmitz 2004 Todd 1993 Welwei 1992

Abgekürzt zitierte Literatur

P. J. Rhodes, A Commentary on the Aristotelian Athenaion Poli­ teia, Oxford/New York 1981, rev. Aufl. 1993. Eberhard Ruschenbusch, Σόλωνος νόμοι. Die Fragmente des Solonischen Gesetzeswerkes, mit einer Text- und Überlieferungsgeschichte (Historia Einzelschriften, Bd. 9). Wiesbaden 1966 (unveränderter Ndr. 1983). Eberhard Ruschenbusch, Kleine Schriften zur griechischen Rechtsgeschichte (Philippika. Marburger altertumskundliche Abhandlungen, Bd. 10), Wiesbaden 2005. Eberhard Ruschenbusch, Solon: Das Gesetzeswerk – Fragmente. Übersetzung und Kommentar, herausgegeben von Klaus Bringmann (Historia Einzelschriften, Bd. 215), Stuttgart 2010 (zweite korr. Aufl. 2014). Winfried Schmitz, Nachbarschaft und Dorfgemeinschaft im archaischen und klassischen Griechenland (Klio Beih. N. F., Bd. 7), Berlin 2004. Stephen C. Todd, The Shape of Athenian Law, Oxford 1993. Karl-Wilhelm Welwei, Athen. Vom neolithischen Siedlungsplatz zur archaischen Großpolis, Darmstadt 1992.

Literatur zu den einzelnen Gesetzen ist ans Ende der jeweiligen historischen Einordnung gesetzt, in chronologischer Reihenfolge und mit den vollständigen bibliographischen Angaben. In den Anmerkungen sind Kurztitel verwendet; Literatur, die weiterführende Informationen enthält, aber für das Gesetzesfragment selbst nicht unmittelbar einschlägig ist, ist in den Anmerkungen mit vollständigen bibliographischen Angaben versehen.

Einführung Die Gesetze Drakons und Solons sind die ältesten Prosatexte aus dem antiken Athen und mit den Fragmenten aus den solonischen Elegien die frühesten literarischen Quellen zur Geschichte Athens überhaupt. Da viele der Fragmente für die Geschichte Athens nicht nur in rechtshistorischer, sondern auch in wirtschafts-, sozial- und familiengeschichtlicher Perspektive von großer Relevanz sind, ist eine genaue Prüfung und Scheidung der Solon zuzuschreibenden oder ihm abzusprechenden Fragmente von entscheidender Bedeutung. Das Gesetz Drakons über die Tötung ist in einer auf Stein gemeißelten Abschrift aus dem Jahr 409/8 v. Chr. erhalten, allerdings in einem Zustand, der nur die Rekonstruktion von knapp zwanzig Zeilen erlaubt. Teile des Textes können mit Hilfe von Zitaten und eingefügten Gesetzen in der demosthenischen Rede Gegen Aristokrates rekonstruiert werden. Der hier vorgelegte Versuch, die Zitate, die der Satzung Drakons zuzuweisen sind, von den Zitaten, die auf Solons Gesetzgebung zurückzuführen sind, zu scheiden, ermöglicht eine genauere historische Einordnung und Bewertung der Vorgänge, die uns für die letzten Dezennien des 7. Jh. für Athen überliefert sind. Während sich bei Drakons Satzung epigraphische und literarische Überlieferung ergänzen, stehen für die Rekonstruktion der solonischen Gesetze nur sekundäre, meist in Gerichtsreden des 4. Jh. v. Chr. erhaltene Belege zur Verfügung. Wichtige Zeugnisse sind darüber hinaus – trotz ihrer Entstehung erst in der römischen Kaiserzeit – die Biographien Solons, verfasst von Plutarch und Diogenes Laertios, und antike, spätantike und byzantinische Lexika. Die Überlieferungssituation ist so fragmentarisch, dass nicht einmal mit Sicherheit angegeben werden kann, bis wann die alten Gesetzestexte Solons für die antiken Zeitgenossen noch greifbar waren und welche der antiken Bezeugungen schon auf einer sekundären, literarischen Überlieferung basieren. Aufforderungen an den Gerichtsdiener, Gesetze aus den „alten Gesetzen Solons“ zu zitieren,1

1  Lys. 10,15. Auch in Demosth. or. 57,31 f. wird zuerst aus dem Gesetz Solons zitiert, anschließend aus dem Gesetz Aristophons, der – vermutlich um 403 v. Chr. – das Gesetz Solons erneuert habe (§ 32: τοῦτον ἔδοξεν ἐκεῖνος καλῶς καὶ δημοτικῶς νομοθετῆσαι, ὥστ’ ἐψηφίσασθε πάλιν ἀνανεώσασθαι). Siehe dazu F 52b, 59d.

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Einführung

belegen aber, dass zumindest in der ersten Hälfte des 4. Jh. die ursprünglichen Texte mit manch ungewöhnlichem Wortgebrauch noch zugänglich waren. Gravierender für eine Rekonstruktion der solonischen Gesetze ist ein anderer Umstand. Unmittelbar nach dem oligarchischen Umsturz in Athen im Jahr 412/11 v. Chr. beschloss die Volksversammlung der wiederhergestellten Demokratie in der ersten Prytanie des Jahres 410 die Erneuerung der gesetzlichen Grundlagen Athens. Es begann mit dem Beschluss auf Antrag des Demophantos, wonach derjenige, der die Demokratie stürzte oder ein Amt in der Zeit ausübte, in der die Demokratie aufgelöst war, Feind der Athener sei und straflos getötet werden könne; sein Vermögen sei konfisziert und ein Zehntel solle der Göttin geweiht werden.2 Der Beschluss griff auf das älteste Gesetz Athens gegen die Tyrannis (F 1) zurück, das bereits Solon in eines seiner Gesetze einbezogen hatte (F 44a). Während bis zum späten 5. Jh. inschriftliche Gesetzestexte und andere Inschriften in Athen auf der Akropolis und in Heiligtümern aufgestellt waren, begann man nach der Wiederherstellung der Demokratie, die Agora als Zentrum des politischen Geschehens in Athen mit einer demokratischen Prägung auszubauen, wie es auch in den Inschriften zum Ausdruck kommt.3 Das auf Antrag des Demophantos beschlossene Gesetz gegen die Auflösung der Demokratie und gegen die Tyrannis wurde auf einer eigenen Stele vor dem (alten) Ratsgebäude aufgestellt. Kurze Zeit später erfolgte der Beschluss, die Gesetze Drakons und Solons neu in Stein einmeißeln zu lassen und sie auf der Athener Agora aufzustellen. Auch das Gesetz Drakons wurde auf einer eigenen Stele publiziert.4 Weitere, an verschiedenen Orten publizierte gesetzliche Bestimmungen sollten ebenfalls gesammelt und im Zentrum Athens neu publiziert werden.5 Es sollte dies eine demonstrative Rückkehr zu den rechtlichen Traditionen Athens und den gesetzlich geregelten und demokratisch legi2  And. 1,95–99. Zur Chronologie Julia L. Shear, Polis and Revolution. Responding to Oligarchy in Classical Athens, Cambridge 2011, 72–75. 3  Dazu ausführlich Shear 2011 (wie Anm. 2), 70–165, bes. 71 und 96–109. 4  Shear 2011 (wie Anm. 2), 85 f., 89. Zur Gesetzesrevision von 410–399 v. Chr. siehe Eberhard Ruschenbusch, Der sogenannte Gesetzescode vom Jahre 410 v. Chr., in: Historia 5, 1956, 123–128 (Ruschenbusch 2005, 11–16); Ronald S. Stroud, Drakon’s Law on Homicide, Berkeley etc. 1968, 20–28; Hardy Hansen, Aspects of the Athenian Law Code of 410/09–400/399 B. C. (Diss. Harvard 1969), New York/London 1990; K. Clinton, The Nature of the Late Fifth-Century Revision of the Athenian Law Code, in: Hesperia Suppl. 19, 1982, 27–37; Mogens H. Hansen, Diokles’ Law (Dem. 24,42) and the Revision of the Athenian Corpus of Laws in the Archonship of Eukleides, in: C & M 41, 1990, 63–71; Noel Robertson, The Laws of Athens, 410–399 B. C. The Evidence for Review and Publication, in: JHS 110, 1990, 43–75; P. J. Rhodes, The Athenian Code of Laws, 410–399 B. C., in: JHS 111, 1991, 87–100; Todd 1993, 57 f.; Hansen 1995, 168–171; James P. Sickinger, Public Records and Archives in Classical Athens, Chapel Hill 1999, 97–105; E. Volonaki, The Re-Publication of the Athenian Laws, in: Dike 4, 2001, 137–167; Astrid Dössel, Die Beilegung innerstaatlicher Konflikte in den griechischen Poleis vom 5.–3. Jahrhundert v. Chr., Frankfurt a. M. etc. 2003, 114–126; Christopher J. Joyce, The Athenian Amnestie and Scrutiny of 403, in: CQ 58, 2008, 507–518, hier 515 f.; Shear 2011 (wie Anm. 2), 70–111 und 238–245; Phillips 2013, 11–13. Zur älteren Literatur siehe die bei Dössel S. 114 Anm. 115 zusammengestellten Forschungsmeinungen und die bei Joyce S. 507 Anm. 1 genannte Literatur. 5  Robertson 1990 (wie Anm. 4), 44 f.; Shear 2011 (wie Anm. 2), 83–85.

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timierten Rechtsverfahren sein.6 Das Gesetz Drakons wurde im Wortlaut der Fassung, wie es im späten 7. Jh. erlassen worden war, im Jahr 409/8 auf einer Stele aus Marmor publiziert und vor der Stoa Basileios aufgestellt.7 Ergebnisse der aus zehn Männern bestehenden Kommission von ‚Schreibern‘ (anagrapheís) waren außerdem ein den Rat der 500 betreffendes Gesetz, ein Gesetz über die Trierarchen und ein weiteres, das die Einziehung von Abgaben betraf.8 Bei den Gesetzen Solons dauerte die Neuaufzeichnung hingegen deutlich länger. Die ‚Schreiber‘ hatten angeblich den Auftrag erhalten, „die Gesetze Solons innerhalb von vier Monaten neu aufzuzeichnen“.9 Einer dieser anagrapheís war Nikomachos gewesen, Sohn eines öffentlichen Sklaven, der unter die Bürger aufgenommen worden war.10 Ihm wurde 399/98 in einem Gerichtsverfahren vorgeworfen, er habe diese Tätigkeit auf sechs Jahre, also auf die Zeit von 410/9 bis 405/4, ausgedehnt. Da in diesen Jahren vor Gericht widersprüchliche, von Nikomachos ausgehändigte Gesetze vorgelegt worden seien, sei ihm eine Geldstrafe auferlegt worden. Zum endgültigen Abschluss kam die Neuaufzeichnung der Gesetze vor der Einsetzung des oligarchischen Regimes der Dreißig offenbar nicht mehr. Erst in dieser Zeit der Wirren habe sich Nikomachos einem Rechenschaftsverfahren gestellt, das er allerdings, ohne dass Klage erhoben wurde, überstand.11 In der Zeit des oligarchischen Regimes 404/3 wurden Gesetze außer Kraft gesetzt; die neuen Machthaber entfernten die Gesetze des Ephialtes und Archestratos über die Areopagiten vom áreios págos und hoben die Gesetze Solons auf, die Widersprüchlichkeiten enthielten und die den Richtern umfangreiche Machtbefugnisse gegeben hätten, z. B. hinsichtlich von Testamenten, die unter bestimmten Voraussetzungen für

6  Shear 2011 (wie Anm. 2), 70–72. Zu Recht äußert sich Jochen Bleicken (Die athenische Demokratie, Paderborn etc. 41995, 592) kritisch zur Ansicht von A. Natalicchio (Sulla cosidetta revisione legislativa in Atene alla fine del V secolo, in: QS 32, 1990, 61–90), dass der Anstoß zu einer Gesetzesrevision ursprünglich von den Oligarchen des Jahres 412/11 ausgegangen sei, die später von den ‚Dreißig‘ wieder aufgenommen worden sei. 7  IG I3 104 Z. 1–9. 8  Gesetz über die Befugnisse des Rates: IG I3 105. Zum Inhalt dieses und der weiteren Gesetze Shear 2011 (wie Anm. 2), 75–79. 9  Lys. 30,2: προσταχθὲν γὰρ αὐτῷ τεττάρων μηνῶν ἀναγράψαι τοὺς νόμους τοὺς Σόλωνος. Zum zeitlichen Rahmen Robertson 1990 (wie Anm. 4), 52–56. 10  Zu Nikomachos als Sohn eines öffentlichen Sklaven siehe Paulin Ismard, La démocratie contre les experts. Les esclaves publics en Grèce ancienne, Paris 2015, 109–110; zu seiner Tätigkeit als anagrapheús Shear 2011 (wie Anm. 2), 79–83. 11  Lys. 30,3.27. Nikolaos Papazarkadas, Sacred and Public Land in Ancient Athens, Oxford 2011, 80–88; Mirko Canevaro, Edward M. Harris, The Documents in Andocides’ On the Mysteries, in: CQ 62, 2012, 98–129, hier 111. Im Kerameikos wurde ein Fluchtäfelchen gefunden, das (neben anderen) auch den Namen des Nikomachos trägt. John G. Gager, Curse Tablets and Binding Spells from the Ancient World, New York/Oxford 1992, 127–129 Nr. 41: „The text of the inscription places it in the category associated with public trials“ (ebd. 129). Peter Keegan, Graffiti in Antiquity, London 2014, Nr. G6.20.

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ungültig erklärt werden konnten. Die Oligarchen hätten durch die Aufhebung dieser Gesetze ungerechtfertigte Anklagen verhindern wollen.12 Nach dem Sturz des oligarchischen Regimes setzte erneut ein Prozess der Wiederherstellung und Überprüfung alter Gesetze und neuer Regelungen ein. Vom Jahr 403/2 an übte Nikomachos wiederum das Amt des anagrapheús aus. Insgesamt dauerte diese Prüfung vier Jahre (bis 400/399), obwohl er – so behauptet der Sprecher der 30. Rede des Lysias – diese Aufgabe in dreißig Tagen hätte erledigen können. Erneut habe er, so der Vorwurf, willkürlich einige Gesetze gestrichen, andere neu aufgenommen und sich damit die Tätigkeit eines Gesetzgebers, eines nomothétēs, angemaßt.13 Dies ist als polemische Anschuldigung zu werten, da Nikomachos’ Rechenschaftslegung unbeanstandet geblieben und er nach Wiederherstellung der Demokratie erneut zum anagra­ pheús bestellt worden war. Es lässt sich nicht abschätzen, in welchem Umfang in den Jahren 410/409 bis 405/4 das Material gesammelt und zumindest teilweise publiziert worden war und wie viele dieser zusammengetragenen und publizierten Gesetze die Oligarchen zerstört hatten, also wie umfangreich die 403/2 wieder aufgenommenen Arbeiten und die Wiederherstellung zerstörter Texte waren. Zusammengestellt wurde unter anderem ein umfangreicher Opferkalender, von dem sich zahlreiche Fragmente gefunden haben (F 80). Dieser Opferkalender wurde auf separaten Steintafeln vor der Nordmauer im Innern der Stoa Basileios aufgestellt. Frühere Texte waren eradiert worden, möglicherweise unter der Herrschaft der Oligarchen, vielleicht aber auch infolge der Klage gegen Nikomachos im Jahr 399/8, er habe zu viele Opfer aufgenommen und dadurch bewirkt, dass zahlreiche Opfer, wie sie auf den alten Schriftträgern, den kýrbeis, verzeichnet waren, nicht vollzogen worden waren.14 Am Ende des gesam-

12  Aristot. Ath. pol. 35,2: καὶ τούς τ’ Ἐφιάλτου καὶ Ἀρχεστράτου νόμους τοὺς περὶ τῶν Ἀρεοπαγιτῶν καθεῖλον ἐξ Ἀρείου πάγο[υ], καὶ τῶν Σόλωνος θεσμῶν ὅσοι διαμφισβητήσεις ἔσχον, καὶ τὸ κῦρος ὃ ἦν ἐν τοῖς δικασταῖς κατέλυσαν, ὡς ἐπανορθοῦντες καὶ ποιοῦντες ἀναμφισβήτητον τὴν πολιτείαν. Siehe auch Xen. hell. 2,3,11, Diod. 14,4,1 und Schol. Aischin. 1,39: οἱ λʹ τύραννοι διὰ Λακεδαιμονίων κατασταθέντες καὶ τὴν πάτριον πολιτείαν τῶν Ἀθηναίων καταλύσαντες ἐλυμήναντο τοὺς Δράκοντος καὶ Σόλωνος νόμους. … 13  Lys. 30,4: ἔπειτα διωρισμένον ἐξ ὧν ἔδει ἀναγράφειν, αὑτὸν ἁπάντων κύριον ἐποιήσατο; nach § 25 war Nikomachos zum ἀναγραφεὺς τῶν ὁσίων καὶ τῶν ἱερῶν bestimmt worden. Zum Vorwurf, die Gesetze willkürlich gestrichen oder neue aufgenommen zu haben, auch Lys. 30,26. Zur zeitlichen Dauer der den anagrapheís übertragenen Aufgabe Rhodes 1991 (wie Anm. 4), 89. 14  Lys. 30. Nach Edwin Carawan, The Case Against Nikomachos, in: TAPhA 140, 2010, 71–95 richtete sich die Klage dagegen, dass Nikomachos übermäßig viele Opfer in den Kalender aufgenommen hatte, in einer Zeit, in der Eleusis von Athen abgetrennt war. Seine Verurteilung habe eine Neuaufzeichnung notwendig gemacht. Dies seien die neuen Texte gewesen, die über die eradierten eingemeißelt wurden (siehe auch Edwin Carawan, The Athenian Amnesty and Reconstructing the Law, Oxford 2013, 232 ff.). Vgl. Rhodes 1991 (wie Anm. 4), 93–95. Zu diesem inschriftlich überlieferten Opferkalender und seiner Aufstellung in der Stoa Basileios siehe umfassend Shear 2011 (wie Anm. 2), 240–247 mit Tabelle 6 sowie Abb. 6 und 16 (IG I3 236; SEG 52,48; 57,64).

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ten Verfahrens waren die gesammelten Gesetze Athens vor und in der Stoa Basileios an der Nordwestecke der Athener Agora öffentlich ausgestellt.15 Die Vorgänge, von denen der Kläger in der Rede Gegen Nikomachos spricht, werden durch den Bericht des Andokides in der wahrscheinlich im Jahr 400 v. Chr. gehaltenen Rede Über die Mysterien bestätigt. Nach dem zweiten oligarchischen Umsturz im Jahr 404/3 und dem militärischen Sieg der Demokraten über das oligarchische Regime hätten die Athener zwanzig Männer gewählt, welche die Stadt verwalten sollten, bis die Gesetze der wiederhergestellten Demokratie erlassen seien. Bis zum Abschluss dieser Aufgabe sollten die Athener die Gesetze Solons und Drakons anwenden. Als aber ein neuer demokratisch legitimierter Rat gelost und ‚Gesetzgeber‘ (nomothétai) gewählt waren, erwies es sich, dass viele Athener wegen der vorangegangenen Ereignisse aufgrund der Gesetze Solons und Drakons hätten bestraft werden können. Dies führte zu einer Debatte in der Volksversammlung, mit dem Ergebnis, dass alle Gesetze geprüft und nach Abschluss der Prüfung in der Stoa Basileios in Stein publiziert werden sollten.16 Diesen Ausführungen ist zu entnehmen, dass auch die Gesetze Drakons und Solons einer Revision unterzogen wurden, die Veränderungen an den überlieferten Texten zur Folge gehabt haben wird. In Widerspruch dazu steht ein in Andokides’ Rede eingelegter Beschluss, der auf Antrag eines gewissen Teisamenos angenommen worden war.17 Er sieht vor, dass die Athener ihre Stadt nach der altüberkommenen Ordnung verwalten, die Gesetze Solons sowie dessen Maße und Gewichte und auch die Satzungen Drakons anwenden sollten, so wie sie in früherer Zeit angewendet worden waren. Welche Bestimmungen aber zusätzlich als notwendig erachtet würden, sollten die vom Rat gewählten ‚Gesetzgeber‘ (nomothétai) auf Tafeln am Denkmal der zehn Phylenheroen öffentlich anschlagen und anschließend den Amtsträgern – vermutlich den Prytanen – übergeben, damit diese sie zur Prüfung dem Rat der 500 und den fünfhundert von den Demen gewählten ‚Gesetzgebern‘ (nomothétai) vorlegten. Waren die Gesetze angenommen, 15  Shear 2011 (wie Anm. 2), 245: „In 399, at the end of the project of recollecting and restoring the laws, accordingly, the little Stoa Basileios contained vast amounts of inscribed text: great stelai with the texts of the laws stood once again between the columns of the two annexes, while the sacrificial calendar now covered the back wall of the building“. 16  And. 1,81 f.; Xen. hell. 2,4,42. And. 1,82: Ἐπειδὴ δὲ βουλήν τε ἀπεκληρώσατε νομοθέτας τε εἵλεσθε, ηὕρισκόν τε τῶν νόμων τῶν τε Σόλωνος καὶ τῶν Δράκοντος πολλοὺς ὄντας οἷς πολλοὶ τῶν πολιτῶν ἔνοχοι ἦσαν τῶν πρότερον ἕνεκα γενομένων, ἐκκλησίαν ποιήσαντες ἐβουλεύσασθε περὶ αὐτῶν, καὶ ἐψηφίσασθε, δοκιμάσαντες πάντας τοὺς νόμους, εἶτ’ ἀναγράψαι ἐν τῇ στοᾷ τούτους τῶν νόμων οἳ ἂν ‹ἀεὶ› δοκιμασθῶσι. Ähnlich der kurze Bericht in Schol. Aischin. 1,39, wonach das Volk, nachdem es die Freiheit wiedererlangt hatte, zwanzig Männer gewählt habe, um die zerstörten Gesetze wiederherzustellen und aufzuzeichnen. Unter dem Archontat des Eukleides hätten sie die neu eingebrachten Gesetze, die an die Stelle der zerstörten getreten seien, in einer Abstimmung angenommen. Zu den zerstörten Gesetzen gehörten unter anderem die des Ephialtes und Archestratos über die Areopagiten, die am áreios págos aufgestellt waren (Aristot. Ath. pol. 35,2). 17  And. 1,83 f. Dieser Teisamenos ist in Lys. 30,28 neben Nikomachos als einer der tonangebenden Athener genannt, die mit der Aufzeichnung der Gesetze betraut worden waren.

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sollte der Areopag darüber wachen, dass die Amtsinhaber die angenommenen Gesetze anwandten.18 Zum Abschluss des Verfahrens sollten die in Kraft getretenen Gesetze „auf die Mauer“ geschrieben werden, „da wo sie auch vorher aufgezeichnet waren“.19 Mirko Canevaro und Edward M. Harris vertreten die Ansicht, der in And. 1,83–84 eingelegte Volksbeschluss sei eine Fälschung.20 Sie stützen sich dabei auf sprachliche Abweichungen vom üblichen Formular auf Inschriften und sachliche Widersprüche zu dem von Andokides kurz zuvor Ausgeführten. Der Volksbeschluss auf Antrag des Teisamenos ordne eine Prüfung nur derjenigen Gesetze an, die über die drakontischen und solonischen Gesetze hinaus zusätzlich als notwendig erachtet würden. Andokides hatte jedoch in 1,82 ausgeführt, dass auch die Gesetze Drakons und Solons geprüft werden sollten. Ungewöhnlich seien die beiden unterschiedlichen, im Volksbeschluss genannten Institutionen der nomothétai, die einmal vom Rat und einmal von den dēmótai gewählt wurden. Außerdem fehle eine Anweisung an diejenigen, welche die Publikation der geprüften Gesetze übernehmen sollten. Sie „auf die Mauer“ zu schreiben, „auf denen sie vorher eingeschrieben waren“, sei eine wenig präzise Angabe und nur dann sinnvoll, wenn es sich um veränderte alte, also solonische Gesetze handelte.21 Da aber der eingelegte Volksbeschluss nur die Prüfung zusätzlicher Gesetze regelt, bestehe ein innerer Widerspruch.22

18  Dies könnte einer alten Tradition folgen, da der Areopag Fälle von argía, also der Untätigkeit im Amt, ahnden konnte (s. u. F 59). 19  And. 1,82–83. Douglas M. MacDowell, Andokides. On the Mysteries, Oxford 1962, 194–199 hat die These vertreten, dass die Gesetzesrevision in den Jahren bis 405 abgeschlossen worden war und es in dem Dekret des Teisamenos lediglich um Ergänzungen aufgrund der Erfahrungen mit dem zweiten oligarchischen Regime ging. Zu unterschiedlichen Forschungsmeinungen dazu siehe Dössel 2003 (wie Anm. 4), 121. 20  Canevaro/Harris 2012 (wie Anm. 11), 98–129, hier 110–116 und dies., The Authenticity of the Documents at Andocides’ On the Mysteries 77–79 and 83–84, in: Dike 19/20, 2016–17, 9–49, hier 33–46. 21  Nach Canevaro/Harris 2012 (wie Anm. 11), 115 f. und dies. 2016–17 (wie Anm. 20), 40–44 seien die Gesetze auf Stelen verzeichnet gewesen, nicht in eine Wand eingemeißelt worden. Der zwischen 403 und 399 publizierte Opferkalender war auf Platten angebracht gewesen, die vor der Nordwand innerhalb der Stoa aufgestellt waren (Shear 2011 [wie Anm. 2], 85–96, 240–246). 22  In dem eingelegten Volksbeschluss ein echtes Dokument zu sehen, wäre also nur dann möglich, wenn man davon ausgeht, dass es sich um den zunächst in der Volksversammlung angenommenen Antrag handelt, bei dem die Athener die Gültigkeit der Gesetze Drakons und Solons beschlossen, die durch weitere, sich als notwendig erweisende Gesetze ergänzt werden sollten. Erst anschließend hätte sich dann erwiesen, dass dies zu zahlreichen Verurteilungen von Athenern geführt hätte, so dass die Volksversammlung einen darüberhinausgehenden Antrag annahm, auch die Gesetze Drakons und Solons einer Prüfung zu unterziehen. Damit wäre der frühere Beschluss zumindest teilweise hinfällig gewesen. Dies setzt voraus, dass der Bearbeiter ein falsches Dokument in die Rede eingefügt hat. Zu dieser Meinung Edwin Carawan, The Athenian Amnesty and the ‘Scrutiny of the Laws’, in: JHS 122, 2002, 1–23, hier 19–22; dagegen Shear 2011 (wie Anm. 2), 91. Wenn es sich um eine Fälschung handelt, ergibt sich die Frage, woher der Fälscher solch dezidierte, sonst nicht nachweisbare Einzelheiten nahm und warum er nicht aus den vorangehenden und anschließenden Worten des Andokides die Formulierung ἐν τῇ στοᾷ übernahm, sondern stattdessen εἰς τὸν τοῖχον, ἵνα περ πρότερον ἀνεγράφησαν schrieb.

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Folgt man hingegen P. J. Rhodes in der Rekonstruktion der Ereignisse, scheinen die Widersprüche weniger gravierend zu sein.23 Denn die Anweisung, die Gesetze, welche Gültigkeit erlangen sollten, auf die Wand zu schreiben, wo sie auch vorher angebracht waren, so dass jeder sie einsehen könne, wird sich nicht auf die endgültige Publikation in Stein beziehen, sondern auf eine provisorische Aufzeichnung des Gesetzescodes unmittelbar nach seiner Fertigstellung.24 Auf Antrag des Teisamenos hatte das Volk beschlossen, dass die Gesetze Drakons und Solons, soweit sie in den Jahren 410/9 bis 405/4 zusammengetragen und aufgezeichnet worden waren, gültig sein sollten. Als notwendig erachtete, zusätzliche Gesetze, die der vereinbarten Amnestie Rechnung trugen, sollten die vom Rat gewählten nomothétai auf Platten (sanídes) aufschreiben und bei dem Denkmal der Phylenheroen ausstellen, da man erkannt hatte, dass viele Athener gemäß den Gesetzen Drakons und Solons hätten zur Rechenschaft gezogen werden können.25 Nach der Zusammenstellung der Gesetze sollten sie unmittelbar, aber zunächst provisorisch an der Stoa Basileios angeschlagen werden.26 Julia L. Shear wiederum geht davon aus, dass im Dekret des Teisamenos, das sie als echt annimmt, „the final publication of the approved laws“ gemeint sei; die Gesetze seien auf hochrechteckigen Stelen aufgezeichnet worden, die als Trennwände in den Interkolumnien der Annexbauten der Stoa Basileios aufgestellt wurden. An dieser Stelle seien auch schon die Gesetze aufgezeichnet gewesen, die in der ersten Phase der Neuaufzeichnung geprüft worden waren.27

23  Er folgt Douglas MacDowell in der Einschätzung, dass der Text des Beschlusses zuverlässiger sei als die Ausführungen des Andokides (Rhodes 1991 [wie Anm. 4], 97). 24  Rhodes 1991 (wie Anm. 4), 98–100. Er folgt dabei einer These von Noel Robertson (1990 [wie Anm. 4], 46–52), nach denen die provisorische Aufzeichnung in Tinte auf der Rückwand der Stoa Basileios oder am Denkmal der zehn Phylenheroen erfolgt sei. Auch Sickinger 1999 (wie Anm. 4), 103 f. macht geltend, dass die Anordnung, die Gesetze in ihrer revidierten Form aufzuschreiben (anagra­ pheín), sich auch auf geweißte Holztafeln oder verputzte Wände bezogen haben könnte; ebenso James Sickinger, The Laws of Athens: Publication, Preservation, Consultation, in: Edward M. Harris, Lene Rubinstein (Hrsg.), The Law and the Courts in Ancient Greece, London 2004, 93–109, hier 101. 25  Zur Anpassung der an die anagrapheis ergangenen Anweisungen an die jeweiligen Erfordernisse siehe Rhodes 1991 (wie Anm. 4), 91. Teisamenos’ Antrag sah vor: „Athens is to use the laws of Solon and Draco, that is, the body of what is envisaged by Tisamenos, as opposed to Andocides, is not that all those laws must be reconsidered and some may be rejected, but that to make the amnesty of 403/2 work some additional laws may be needed“ (ebd. 97). 26  And. 1,84: Τοὺς δὲ κυρουμένους τῶν νόμων ἀναγράφειν εἰς τὸν τοῖχον, ἵνα περ πρότερον ἀνεγράφησαν, σκοπεῖν τῷ βουλομένῳ. Vgl. insgesamt Rhodes 1991 (wie Anm. 4), 91: „It would therefore have been natural, when the laws were being systematically reviewed for the first time since Solon, to put the new collection of texts, and not only those which were the direct concern of the basileus, in what had become the repository of the laws, and the usual view that all the texts collected by the anagrapheis were intended to be published in or near the Stoa of the Basileus is to be preferred“. 27  Shear 2011 (wie Anm. 2), 95: „the term ‚wall‘ describes the screen construction created by the inscriptions and the columns in the two annexes [der Stoa Basileios]. In 403/2, the phrase ‚where they were written up before‘ refers to the laws inscribed by the anagrapheis during their first term of office on the stelai in the intercolumniations of the stoa’s two wings“ (ebd. 95); vgl. ebd. 239: „When Teisamenos

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Abgeschlossen wurde die Prüfung der Gesetze erst im Jahr 399. Für die spätere Zeit sollten nur diejenigen vor dem Archontat des Eukleides erlassenen Gesetze Gültigkeit haben, welche noch zu Zeiten der Demokratie in Kraft gesetzt worden waren, also während der ersten Phase der Neuaufzeichnung der Gesetze in den Jahren 410 bis 405, sowie die unter dem Archontat des Eukleides und in der Folgezeit erlassenen Gesetze.28 Aufgrund der unklaren Überlieferungslage bleibt jedoch schwer einzuschätzen, in welchem Maße die alten solonischen Gesetze verändert worden waren. Ohne Zweifel hatten die geprüften und öffentlich angeschlagenen Gesetze die solonischen zur Grundlage, und so konnten sich Kläger und Angeklagte beziehungsweise deren professionelle Redenschreiber in Prozessreden vielfach auf Solon berufen, wenn sie Gesetze in den Reden zitierten oder indirekt auf sie verwiesen.29 Aufgrund der Prüfung und gegebenenfalls Wiederherstellung auch der solonischen Gesetze muss bei jedem einzelnen Fragment untersucht werden, ob sich das entsprechende Gesetz Solon zuschreiben lässt oder nicht. Die pauschale Einordnung der in den Gerichtsreden als solonisch ausgewiesenen direkten und indirekten Gesetzeszitate unter die unechten Gesetzesfragmente, wie bei Eberhard Ruschenbusch in seiner Ausgabe von 1966 geschehen, geht dabei allerdings zu weit. So haben Delfim F. Leão und P. J. Rhodes einige der unter Fragment 94–154 als unecht eingeschätzten Fragmente wieder den echten zugewiesen. Eine sichere Entscheidung ist in vielen Fällen nicht möglich, und selbstverständlich wird es weitere Diskussionen über diese Frage geben und werden kontroverse Standpunkte bestehen bleiben. Aufgrund der eigenen Bezeugung in den Elegien ist aber unbestreitbar, dass Solon als wichtigster Gesetzgeber Athens, der für alle gleichermaßen ein striktes Recht gegeben hat, im Verfahrens- und Deliktrecht eine weit reichende und für Hunderte von Jahren geltende Rechtsgrundlage geschaffen hat.30 Ob die hier vorgelegte neue Systematik seiner Gesetzgebung ein größeres Maß an Klarheit bieten kann, muss die weitere wissenschaftliche Diskussion erweisen.

specifies that the laws are to be written up where they were before, he must mean the place where these destroyed laws were originally erected“. 28  And. 1,85: Ἀγράφῳ δὲ νόμῳ τὰς ἀρχὰς μὴ χρῆσθαι μηδὲ περὶ ἑνός, und 1,87: Τὰς δὲ δίκας καὶ τὰς διαίτας κυρίας εἶναι, ὁπόσαι ἐν δημοκρατουμένῃ τῇ πόλει ἐγένοντο. Τοῖς δὲ νόμοις χρῆσθαι ἀπ’ Εὐκλείδου ἄρχοντος. Vgl. auch den in Demosth. or. 24,42 eingelegten Beschluss über die vor und nach dem Archontat des Eukleides erlassenen Gesetze. Dazu Rhodes 1991 (wie Anm. 4), 90 f.: „I prefer to believe, with MacDowell, that by ‚the laws enacted under the democracy before the archonship of Euclides’ Diocles meant the laws collected and published by the anagrapheis in their first term“. Ähnlich Shear 2011 (wie Anm. 2), 238 f. 29  Astrid Dössel, die den Volksbeschluss des Teisamenos für ein authentisches Dokument ansieht (wie auch Sickinger 1999 [wie Anm. 4], 100), geht aufgrund dessen von einer weitgehenden Übereinstimmung aus (2003, 122, 125). 30 Solon fr. 36, Z. 18–20 West (24 Diehl, 30 Gentili-Prato; aus Aristot. Ath. pol. 12,4): θεσμοὺς δ᾽ ὁμοίως τῷ κακῷ τε κἀγαθῷ, εὐθεῖαν εἰς ἕκαστον ἁρμόσας δίκην, ἔγραψα. – „Satzungen (thesmoí), gleichermaßen für niedrig und für hoch, habe ich, jedem einen geraden Entscheid passend gebend, festgesetzt“.

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Die hier vorgelegte Edition gibt die Fragmente der drakontischen und solonischen Gesetze in neuer Zählung und neuer Systematik wieder. Häufiger ist die Vermutung geäußert worden, dass die Gesetze Athens nach den verfahrensleitenden Institutionen untergliedert waren.31 In der aristotelischen Athenaion politeia sind in Kapitel 55-59 Aufgaben und Kompetenzen der einzelnen Archonten zusammengestellt, unter anderem auch die Klagen, die diese Archonten annahmen.32 Unsicher muss indes bleiben, ob auch schon die Gesetze Solons einer solchen Ordnung folgten oder ob dies eine Systematisierung darstellt, die auf die Prüfung und Neuaufzeichnung der Gesetze in den Jahren 410 bis 399 zurückzuführen ist. Die Zahl der Belege dafür, welche Gesetze Solons auf welchem áxōn verzeichnet waren, ist zu gering, um eine endgültige Entscheidung über die zugrunde liegende Systematik zu treffen. Trotzdem scheinen mir Zusammenhänge klarer zu werden, wenn auch die Edition der drakontischen und solonischen Gesetze einer solchen Gliederung folgt.33 Vorangestellt sind Gesetze über die Tyrannis und über die Tötung, Verfahren, die vor dem Prytaneion, den Ephetengerichten und dem Areopag stattfanden. Es folgen dann diejenigen Gesetzesfragmente, welche Klagen betreffen, die der árchōn basileús, anschließend die der árchōn polémarchos vor Gericht brachte, und schließlich solche, die der árchōn epṓnymos entgegennahm.34 Die Gliederung folgt damit den Ausführungen der Athenaion politeia, nach denen in vorsolonischer Zeit das erste Amt das des basileús war – es ist „altüberkommen“35 –, das zweite das des polémarchos und schließlich das Amt des árchōn (epṓnymos), da er keine althergebrachten Aufgaben wie der basileús oder der polémarchos wahrnimmt, sondern „die hinzugekommenen“ (τὰ ἐπίθετα). „Deshalb wurde es, erweitert um die dazugekommenen Aufgaben, auch erst in jüngster Zeit das bedeutendste Amt“.36 31  So bereits die Vermutung von Rudolf Schöll, Ueber attische Gesetzgebung, in: Sitzungsberichte der philosophisch-philologischen und historischen Classe der k. b. Akademie der Wissenschaften zu München, 1886,1, München 1887, 83–139, hier 88–95; Hansen 1995, 171. Für eine solche Systematik könnte auch die Bezeichnung ἡ ἠλιαία ἡ τῶν θεσμοθετῶν in IG I3 40 Z. 75 f. und IG I3 1453 (ML 45; Osborne/Rhodes 155) Z. 5–7 (ἐς τ]ὴν ἡλιαίαν τὴν τῶ[ν θεσμοθετῶν) sprechen. 32  Vgl. auch Aristot. pol. 1289a 15; Plat. leg. 6, 751a. 33  Werner Riess hat die solonischen Gesetze vier verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen zugewiesen, des Individuums, des oíkos, der Nachbarschaft und der Polis (Solon – Der erste europäische Krisenmanager und Reformer?, in: ders. [Hrsg.], Colloquia Attica. Neuere Forschungen zur Archaik, zum athenischen Recht und zur Magie, Stuttgart 2018, 61–79). 34  In Athen. 6,26, p. 234 f., 235c und Poll. 3,39, 6,35 ist von Bestimmungen ἐν τῷ τοῦ βασιλέως νόμῳ die Rede. 35  Aristot. Ath. pol. 3,2: μέγισται δὲ καὶ πρῶται τῶν ἀρχῶν ἦσαν βασιλεὺς καὶ πολέμαρχος καὶ [ἄ]ρ[χω]ν· τούτων δὲ πρώτη μὲν ἡ τοῦ βασιλέως (αὕτη γὰρ ἦν πάτριος), δευτέρα δ’ ἐπικατέστη [πολ]εμαρχία. 36  Aristot. Ath. pol. 3,3: τελευταία δ’ ἡ τ[οῦ ἄ]ρ[χ]οντ[ος·] … ὅτι δὲ τελευταία τούτων ἐγένετο τῶν ἀρχῶν, σημεῖον καὶ [τὸ] μηδὲν τῶν πατρίων τὸν ἄρχ[ο]ντα διοικεῖν, ὥσπερ ὁ βασιλεὺς καὶ ὁ πολέμαρχος, ἀλλ’ ἁπλῶ[ς] τὰ ἐπίθετα· διὸ καὶ νεωστὶ γέγονεν ἡ ἀρχὴ μεγάλη, τοῖς ἐπ[ι]θέτοις αὐξηθε[ῖ]σα. In Athen. 6,26 (p. 234 f.) ist eine Bestimmung zu den parásitoi bei Opfern für Apollon „aus den Gesetzen des árchōn basileús“ zitiert (κἀν τοῖς τοῦ βασιλέως δὲ νόμοις γέγραπται· …). Vgl. auch Plat. leg. 6,751a–b, wonach es zu den für die Einrichtung einer Verfassung notwendigen Dingen gehört, Amtsträger einzusetzen und ihnen dementsprechende Gesetze zuzuweisen.

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Die Fragmente sind, wenn es in den antiken und nachantiken Quellen mehrfache Bezeugungen gibt, in chronologischer Reihenfolge der antiken Autoren angeordnet. Bei den Übersetzungen wurde versucht, eng an den griechischen Originaltexten zu bleiben. Sie orientieren sich an publizierten Übersetzungen, sind aber in allen Fällen geprüft und teilweise modifiziert. Fachtermini und für die Diskussion und Kommentierung wichtige griechische Worte sind in den Übersetzungen in runden Klammern hinzugefügt, Ergänzungen zum leichteren Verständnis der Übersetzungen in eckigen Klammern.37 Bei den Kapiteln zur historischen Einordnung ist an das Ende des Textes diejenige Literatur in chronologischer Reihenfolge angefügt, die für die jeweiligen Gesetzesfragmente relevant ist.

37  Ausnahmen stellen F 2, die inschriftliche Überlieferung der Satzung Drakons, und der Opferkalender (F 80) dar. Dort sind, der epigraphischen Editionspraxis folgend, nicht erhaltene Teile der Inschrift durch eckige Klammern kenntlich gemacht.

Testimonia

Testimonia Historische Einordnung Abstract: Drakons Gesetz über die Tötung war auf den Seitenflächen einer oder mehrerer hölzerner und drehbar gelagerter ‚Achsen‘ (áxones) aufgezeichnet worden. Im Jahr 409/8 v. Chr. wurde der Gesetzestext neu auf einer steinernen Stele publiziert, unterteilt nach durchnumme­ rierten áxones. Außerdem belegt ein vermutlich auf Solon zurückgehendes Gesetz, dass Drakons Satzung auf einem áxōn verzeichnet war. Für Solons Gesetze werden in der klassischen Zeit durchgehend kýrbeis als Schriftträger genannt. Es waren dies vertikal und ebenfalls drehbar gelagerte viereckige Hölzer, die in einen mannshohen ‚Kasten‘ (plinthíon, plaísion) montiert waren. Seit hellenistischer Zeit gibt es eine lebhafte Diskussion über die Herkunft der Bezeichnung kýrbeis. Verwiesen wird auf einzeln stehende, hoch aufragende steinerne oder bronzene Stelen dreieckiger Form, die oben spitz zulaufen und kýrbeis genannt werden. Sie waren mit Inschriften oder Listen versehen und standen in Heiligtümern und an öffentlichen Plätzen. Wahrscheinlich aufgrund der hoch aufragenden Form dieser dreiseitigen Stelen wurden auch die vierseitigen hölzernen Walzen mit den Gesetzen Solons als kýrbeis bezeichnet. Die Schriftträger mit den Gesetzen Drakons und Solons waren ursprünglich auf der Akropolis oder beim Prytaneion auf der alten Agora aufgestellt. Nach der Revision der Gesetze in den Jahren 410 bis 399 v. Chr. waren alle Gesetze in und vor der Stoa Basileia auf der Agora aufgestellt.

In den antiken und mittelalterlichen Quellen werden áxones und kýrbeis als Schriftträger der drakontischen und solonischen Gesetze genannt. Angesichts der widersprüchlichen Angaben zur äußeren Form sind viele Forscher davon ausgegangen, dass áxōn und kýrbis zwei Worte für dasselbe Objekt seien,1 wohingegen andere da1  So Andrewes 1974. Ebenso Rhodes 1981, 131–135, der Felix Jacoby, Atthis. The Local Chronicles of Ancient Athens, Oxford 1949, 309 Anm. 64 folgt: „The relationship between thesmoi und nomoi is the same as between kyrbeis and axons: the former words are archaic, the latter modern“. Für zwei verschiedene Schriftträger hat sich Immerwahr 1985, 123 ausgesprochen. Bei einem non liquet belässt es Raphael Sealey, The Athenian Republic. Democracy or the Rule of Law?, University Park/London 1987, 140–145. Zur Diskussion in der älteren Forschung siehe Ruschenbusch 1966, 2 f., 14–16, der ebenfalls davon ausgeht, dass die kýrbeis mit den áxones identisch seien (21), und zwar in dem Sinne, dass „ein Axon eins von

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rin zwei Schriftträger unterschiedlicher Form sehen. So geht Ronald S. Stroud, der eine eigene Monographie zu der Frage vorgelegt hat, hinsichtlich dieser „enigmatic objects“2 davon aus, dass Solons Gesetze auf áxones verzeichnet waren, die aus viereckigen, drehbaren Balken bestanden, die in Gestellen von etwa zwei Metern Höhe montiert waren. Sie enthielten – boustrophedon geschrieben – die Gesetze Drakons und in getrennter Zählung die Solons. Wegen des sich verschlechternden Zustands der Schriftträger seien die Gesetze vor 462/1 v. Chr. neu auf kýrbeis übertragen worden.3 Dies seien freistehende drei- oder vierseitig beschriebene Pfeiler aus Bronze, vielleicht auch aus Stein gewesen.4 Gil Davis kann aufgrund einer Zusammenstellung von 81 Belegstellen für áxones und kýrbeis plausibel machen, dass es sich um unterschiedliche Schriftträger handelt, kýrbeis freistehende, dreieckige Objekte waren, vermutlich aus Holz, wohingegen áxones vierseitige, drehbare Holzbalken waren.5 Die Annahme, dass sie sich inhaltlich unterschieden hätten, kýrbeis sakrale Gesetze, áxones hingegen das säkulare Recht verzeichnet hätten, sei demgegenüber als unzutreffend einzuschätzen.6 Weil áxones erst am Ende des 5. Jh. belegt seien, nämlich bei der Wiederaufzeichnung der drakontischen Satzung (IG I3 104 Z. 10 und 56), geht Gil Davis davon aus, dass der Begriff erst zu dieser Zeit aufkam, als die anagrapheís ältere Gesetze von verschiedenen Aufstellungsorten zusammentrugen und – um eine Ordnung herzustellen – die Gesetze nach áxones nummerierten.7 Gil Davis kommt daher zu der Schlussfolgerung, dass die solonischen Gesetze archaischer Zeit auf kýrbeis geschrieben waren und später auf áxones übertragen und dabei nummeriert wurden.

mehreren Bauelementen eines Kyrbis war“ (22). Leão/Rhodes 2015, 5–6: „We agree with Ruschenbusch and Andrewes, against Stroud, that the two terms were applied to the same set of objects, probably revolving wooden beams of square section, set vertically (Ruschenbusch, against Andrewes and Stroud) in a frame, and accommodating an extensive text more compactly than could be done on a wall or a series of stelai“. Vgl. Sickinger 1999, 26–29. 2  Stroud 1979, 1. 3  Ebd. 16 allerdings mit der Feststellung, Drakons Gesetz „once stood on kyrbeis“, wobei er von weiteren Gesetzen Drakons ausgeht (ebd. 43). 4  Die Ergebnisse der genauen Quellenanalyse hat Stroud 1979 auf S. 41–44 zusammengefasst, Meyer 2016 nach erneuter genauer Durchsicht der Quellen die ihren auf S. 340 f. Vgl. Robertson 1986, 147: „we shall agree with Stroud that the axones and the kyrbeis were separate complete publications of Solon’s laws“. 5  Davis 2011, 10–12. Er formuliert ebd. 17 als Ergebnis: „Kurbeis were widely employed throughout the Greek speaking world in the sixth century BCE to early fifth century BCE to carry any authoritative text and the word went on to develop a metaphorical meaning. They were in the form of some kind of free-standing, three-sided pyramid or obelisk usually made from wood that had been whitened or plastered to bear an inscription. Axones were used only at Athens and were numbered“. 6  Ebd. 12 f. 7  Ebd. 19. Auch Lin Foxhall, Olive Cultivation in Ancient Greece: Seeking the Ancient Economy, Oxford 2007, 17 Anm. 3 hält es für plausibel, dass die Zählung der áxones auf die Neuedition der Gesetze am Ende des 5. Jh. zurückgeht. Zu Nummerierungen von Gesetzen auch außerhalb Athens Sickinger 1999, 29. Von Α bis Θ waren die Bestimmungen auf dem Gesetz der hypoknemidischen Lokrer über die Kolonie in Naupaktos (500–475 v. Chr.) durchnummeriert (IG IX 12 3,718; ML 20).

Historische Einordnung – Testimonia (T 1–35)

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Drakons áxōn Folgt man der inschriftlichen Überlieferung, ist davon auszugehen, dass Drakons Satzung über die Tötung ursprünglich auf áxones, also auf drehbaren, hölzernen (aber noch nicht durchnummerierten) ‚Achsen‘, angebracht war. Denn bei der erneuten Publikation der Satzung auf einer einzigen steinernen, vor der Stoa Basileia aufgestellten Stele im Jahr 409/8 v. Chr. (T 2) wurde der Text nach áxones unterteilt, so wie er ursprünglich auf den einzelnen Seitenflächen der ‚Achse‘ publiziert worden war. So trägt der erste Teil des Gesetzestextes die Überschrift „erster áxōn“ (IG I3 104 Z. 10), der zweite Teil auf derselben steinernen Stele die Überschrift „zweiter áxōn“ (Z. 56).8 Einzubeziehen ist bei der Frage, auf welchen Schriftträgern die Satzung Drakons ursprünglich publiziert war, das in der 23. demosthenischen Rede (or. 23,28) eingelegte Gesetz (T 1), das im Gesetzestext darauf verweist, „wie auf dem áxōn bestimmt ist“. Eingeführt wird dieses Gesetz als ὁ κάτωθεν νόμος, also als „das von unten her [stammende] Gesetz“. Demosthenes nimmt damit Bezug auf das in or. 23,22 verlesene Gesetz, das die Rechtsprechung bei Tötung und Verletzung aus Vorsatz, Brandstiftung und verabreichtem Gift dem Areopag zuspricht. Dieses Gesetz „aus den Tötungsgesetzen vom Areopag“ wurde auch in einer Rede des Lysias verlesen, als „Gesetz von der Stele vom Areopag“.9 Dieses Gesetz umfasste das gesamte Tötungsrecht mit der Ergänzung um die vorsätzliche Tötung, bei der Solon den Areopag als Gerichtsstätte zu den Ephetengerichten hinzufügte (F 19–39). Viele der in Demosth. or. 23 eingelegten, verlesenen Gesetze stammen aus dem Tötungsrecht, also „von der Stele vom Areopag“. Das in or. 23,28 verlesene Gesetz gehört indes nicht dazu, da es um Schadenersatzansprüche bei ungerechtfertigter Misshandlung eines Täters ging, für die die (h)eliaía zuständig war. Das ist der Grund dafür, dass Demosthenes dieses, und nur dieses Gesetz ὁ κάτωθεν νόμος nennt, das nicht dem Tötungsgesetz oben auf dem Areopag entnommen ist, sondern „von unten“, also aus der Stoa Basileia auf der Agora, kommt. Dieses „von unten stammende Gesetz“ verweist im Gesetzestext auf ein älteres Gesetz „auf dem áxōn“. Gemeint ist damit die Satzung Drakons, denn er hatte gestattet, den ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrten Täter zu töten oder abzuführen, aber verboten, ihn zu misshandeln oder ein Wergeld von ihm zu erpressen (F 8a). Die Klage, bei Zuwiderhandlung Schadenersatz zu fordern, geht vermutlich auf Solon zurück, der in seinem Gesetz auf Drakons Satzung mit den Worten „wie auf dem áxōn bestimmt ist“ verwies und sich dabei eng an dessen Wortlaut hielt.10 Die späten Grammatiker haben dies jedoch missverstanden und aus dem Verweis abgeleitet, dass

8  Überlegungen zum Gesamtumfang des ursprünglichen Textes bei Stroud 1968, 31 f., 58–60. 9  Lys. 1,30 (F 23d): ἀνάγνωθι δέ μοι καὶ τοῦτον τὸν νόμον ‹τὸν› ἐκ τῆς στήλης τῆς ἐξ Ἀρείου πάγου. 10  Für ein hohes Alter der Schadenersatzklage spricht die Verwendung des Wortes (h)eliaía statt di­ kastḗrion.

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Solons Gesetze auf áxones verzeichnet waren.11 Im Verweis heißt es nur: „wie auf dem áxōn bestimmt ist“ (ὡς ἐν τῷ ἄξονι ἀγορεύει); eine Nummerierung der áxones, wie von manchen Herausgebern eingesetzt („auf dem ‹ersten› áxōn“), hat es nicht gegeben.12 Der Singular áxōn im Verweis könnte dafür sprechen, dass Drakons Satzung auf einem einzigen drehbaren, achsenförmigen Holzgestell und dort auf allen vier Seiten des Schriftträgers aufgezeichnet worden war.13 Ronald Stroud hat berechnet, dass nach Ausweis der Inschrift IG I3 104 der „erste áxōn“ 2250 Buchstaben umfasste, so dass bei einer angenommenen Buchstabenhöhe und -breite von jeweils 3 cm die drehbare ‚Achse‘ etwa 2 m lang und 30 cm hoch gewesen sein könnte.14 Auf einer Fläche von 200 × 30 cm ließen sich in 10 Zeilen mit jeweils ca. 66 Buchstaben insgesamt 660 Buchstaben auf jeder Seite, demnach ca. 2640 Buchstaben auf einem áxōn schreiben. Für den gesamten Text wären dann mehrere áxones nötig gewesen.15 Wenn man hingegen von der Breite des Inschriftensteins IG I3 104 (72,5 cm) und der Annahme ausgeht, dass eine Zeile auf dem hölzernen áxōn zwei Zeilen auf der Steininschrift (mit je 50 Buchstaben) entspricht, könnte eine Seite des áxōn in ca. 22 Zeilen etwa 2200 Zeichen umfasst haben, so dass ein einziger, vierseitig beschriebener áxōn für den gesamten Text ausgereicht haben könnte.16 Letztlich muss aber unsicher bleiben, ob Drakons Gesetz über die Tötung auf den vier Seiten eines áxōns oder mehrerer áxones aufgezeichnet war. Die Tatsache, dass der Inschriftenträger áxōn genannt wurde, macht es

11  Harpokr. ο 14, Suda ο 104 und Phot. Lex. ο 173 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος. Auch in α 166 s. v. ἄξονι erklärt Harpokration, dass die solonischen Gesetze auf áxones aufgezeichnet waren. Er beruft sich dabei ausdrücklich auf Demosth. or. 23,28 und die Formulierung „wie auf dem áxōn gesagt ist“; auch ist der aus der Demosthenesrede übernommene Dativ Singular ἄξονι, und nicht etwa der Nominativ Plural ἄξονες, die ‚Überschrift‘ für das Lemma. Ähnlich in der Suda (α 2833 s. v. ἄξονες). 12  Lex ap. Demosth. or. 23,28 (wiederholt wird der Verweis in or. 23,31): ‚ὡς ἐν τῷ ‹αʹ› ἄξονι εἴρηται‘ φησίν – „‚wie auf dem ‹ersten› áxōn bestimmt ist‘, so sagt es das Gesetz“. Die Hinzufügung des αʹ ist in den Manuskripten nicht enthalten und hat wenig Wahrscheinlichkeit für sich, zumal auch im Zitat bei Harpokration die Zählung fehlt (α 166 s. v. ἄξονι: οἱ Σόλωνος νόμοι ἐν ξυλίνοις ἦσαν ἄξοσι γεγραμμένοι· Δημοσθένης ἐν τῷ Κατ’ Ἀριστοκράτους: „ὡς ἐν τῷ ἄξονι εἴρηται“). 13  Lukian beruft sich für die Wendung ἄρθρα ἐν ἄρθροις ἔχων, die den bei der Tat ergriffenen Ehebrecher bezeichnet, darauf, „wie der áxōn sagt“ (ὡς ὁ ἄξων φησίν) (Eun. 10). Dabei ist nicht zu entscheiden, ob damit die Bestimmung Drakons über die rechtmäßige Tötung des bei der Tat ergriffenen Ehebrechers gemeint ist oder Solons Gesetz über den Ehebruch, wobei sich Lukian der in späterer Zeit üblichen Zitation der Gesetze nach áxones bedient haben könnte. 14  Stroud 1979, 45. Stroud betont, dass es sich um eine hypothetische Rechnung handelt. Er verweist bei seiner Schätzung auf Hes. erg. 424, der für die Achse eines Wagens eine Länge von sieben Fuß angibt. Áxōn als ‚Wagenachse‘ (aus Holz oder Metall) ist bereits in den homerischen Epen belegt (Il. 5,723.838; 16,378). 15  So Stroud 1979, 6: „it is logical to infer from these two headings that the Drakontian homicide law was once inscribed on a series of numbered axones“. 16  Die Buchstabenhöhe auf der Steininschrift beträgt für den Gesetzestext ca. 1,4 cm. Auf einem hölzernen áxōn von 2 m Länge ließen sich bei einer Buchstabenhöhe und -breite von 2 cm in einer Zeile 100 Buchstaben (also zwei Zeilen der späteren Steininschrift) unterbringen. Bei 22 Zeilen hätte der hölzerne áxōn 44 cm hoch sein müssen.

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wahrscheinlicher, dass die hölzerne ‚Achse‘ waagerecht gelagert war, so wie man es von einer Wagenachse kannte.17

Abb. 1 hypothetische schematische Rekonstruktion des áxōns mit der Satzung Drakons (mit einer ‚Achse‘)

Abb. 2 hypothetische schematische Rekonstruktion der áxones mit der Satzung Drakons (mit drei ‚Achsen‘)

17  So auch Jeffery 1961, 52: „if the simplest interpretation is given to the ἄξονες, i. e. long logs of wood squared and well trimmed, they were probably inscribed lengthways like the earliest stone stelai … and, if so, they may have been set horizontally in their frames like rollers, which would be the easiest way to read and turn them.“ Ronald Stroud und Elizabeth Meyer schließen sich dieser Meinung an (Stroud 1979, 45; Meyer 2016, 340). Meyer ebd. 341 kommt allerdings zu dem Schluss: „Kurbeis, presenting vertically, were earlier than axones: no thesmos began life on an axon. Only when some of these posts were ‚turned‘ from vertical to horizontal did these same posts become ‚axles‘ … After that point the inscribed objects could be referred to as kurbeis or as axones.“

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Wenn Solon im Gesetz über Schadenersatzforderungen bei Misshandlungen auf die Satzung Drakons mit den Worten verweisen kann „wie auf der ‚Achse‘ bestimmt ist“, so wird für die Schriftträger seiner Gesetze eine andere Bezeichnung verwendet worden sein; nur dann war der Verweis eindeutig. Ob die Darstellung auf dem Innenbild einer rotfigurigen Schale des Briseis-Malers von ca. 480/470 v. Chr. im New Yorker Metropolitan Museum of Art eine solche Konstruktion mit mehreren horizontal gelagerten áxones wiedergibt, muss unsicher bleiben (Tafel 1). In einem auf einer Basis befestigten Rahmen sind drei ‚Walzen‘ montiert, die sich mit je drei eingelassenen ‚Handgriffen‘ drehen lassen. Der Abstand der ‚Walzen‘ im Rahmen ist indes sehr groß dargestellt und die unterste liegt so tief, dass ein Text (von dem im Bild nichts zu erkennen ist) nur mühsam zu lesen gewesen wäre.18 Ob es sich also um eine Darstellung von áxones handelt, muss offen bleiben. Solons kýrbeis Nach den frühesten Quellenbelegen wurden die Schriftträger für die Gesetze Solons kýrbeis genannt. Kýrbis ist ein Wort unbekannter Herkunft.19 Plutarch (T 21) zitiert hinsichtlich der Frage, auf welchen Schriftträgern die Gesetze Solons angebracht waren, als frühestes Zeugnis Kratinos, einen Dichter der alten attischen Komödie aus dem dritten Viertel des 5. Jh. v. Chr. (T 4), mit dem Vers: „Bei Solon und Drakon, auf deren kýrbeis sie jetzt bereits die Gerste rösten“.20 Entweder wurde also das Holz der kýrbeis als Feuerholz genutzt oder die ironische Äußerung mag auf die äußere Form der kýrbeis anspielen, die, wenn sie gelegt wurden, einem Rost glichen, auf das eine Röstpfanne gestellt werden konnte. Zudem könnte der Vers eine Anspielung auf Solons Bestimmung sein, wonach Personen, die sich um die Stadt verdient gemacht hatten, auf öffentliche Kosten im Prytaneion speisen konnten, wobei sie an normalen Tagen nur Speisen aus Gerste und allein an Festtagen zusätzlich Weizenbrot erhalten

18  Dazu Stroud 1979, 46 f.; Meyer 2016, 342 mit Anm. 87 und fig. 7. Inv. Nr. 27,74; ARV2 407 Nr. 18 (www.metmuseum.org/collection/the-collection-online/search/252891). 19  Nach Jeffery 1961, 53 gebe es keine zufriedenstellende etymologische Herleitung für das Wort kýr­ bis; sie vermutet einen anatolischen oder einen vorgriechisch kretischen Ursprung. Zur Etymologie vgl. auch Meyer 2016, 335 f. Zu den Zeugnissen für áxones und kýrbeis Stroud 1979, Davis 2011, 22–35 und Meyer 2016, 331–345. 20  S. Douglas Olson, Ryan Seaberg, Kratinos frr. 299–514. Translation and Commentary (FrC 3.6), Göttingen 2018, 19: „The gender of κύρβις is uncertain“. Aber da S das älteste Manuskript der Biographien ist, sei die Lesung τοῖς κύρβεσιν in Plut. Solon 25,1 vorzuziehen (so auch in Ath. pol. 7,1). Auch Photios, Bibl. cod. 279 (p. 532b 9 Bekker), sagt ausdrücklich, kýrbeis sei im Attischen ein Maskulinum (Ὅτι τὸ κύρβεις οἱ μὲν Ἀττικοὶ ἀρρενικῶς ἐκφωνοῦσι; als Femininum hingegen bei Lys. 30,20 [T 6], Theophrast [T 11], im Etymologicum Gudianum [T 17] und in der Suda [T 19d]). Ansonsten sei die Frage der äußeren Form der áxones und kýrbeis „a subject of intense scholarly debate already in the Hellenistic period“.

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sollten.21 Der Vers des Kratinos weist außerdem darauf hin, dass die hölzernen kýrbeis22 aus dem frühen 6. Jh. stark beschädigt waren, da sie lange Zeit der Witterung ausgesetzt waren, und nun eher antiquarisch-dokumentarische Bedeutung hatten; vermutlich war im Laufe des 5. Jh. eine Übertragung auf einen anderen Schriftträger erfolgt.23 In einer seiner Tragödien hat bereits Aischylos das Wort kýrbis verwendet, offenbar im Sinne eines Rechtstextes, da in der vorausgehenden Zeile das Wort „er wird sich flüchten“ (φεύξεται) und in der folgenden die Worte „ein anderes Land wird ihn aufnehmen“ fallen (T 3).24 In Aristophanes’ Komödie Die Vögel (T 5) aus dem Jahre 414 v. Chr. wird in einer Parodie das Gesetz über den Unterhalt des alten Vaters aus den kýrbeis der Störche zitiert; dort sind also allein die kýrbeis für die Gesetzesaufzeichnung Solons genannt, keine áxones.25 Dies gilt auch für die 399 v. Chr. gehaltene Gerichtsrede Gegen Nikomachos des Lysias (T 6), in der gesetzliche Bestimmungen aus den von den Vorfahren hochgeachteten kýrbeis über den Vollzug religiöser Opfer angesprochen sind. Neben den Bestimmungen über altüberkommene Opfer aus den kýrbeis sind weitere der Stadt nützliche und vom Volk beschlossene Opfer „auf den Stelen“ genannt. Daraus ergibt sich, dass die altüberkommenen Opferbestimmungen

21  Athen. 4,137e (F 57b). Eine solche Verbindung stellt auch Robertson 1986, 157 her. 22  Dass die Schriftträger aus Holz waren, bezeugen Polemon (in Harpokr. α 166 s. v. ἄξονι; vgl. Meyer 2016, 338), Gell. 2,12,1 (in legibus Solonis illis antiquissimis, quae Athenis axibus ligneis incisae sunt …); Diog. Laert. 1,45.63; Diogenianus, Paroemiae 5,72 s. v. Κύρβεις κακῶν; Sud. α 2833 s. v. ἄξονες; Tzetzes Chil. 12,349–358. Meyer 2016, 334: „The generally accepted conclusion seems to be … that the kurbeis are probably being burned in a fire used to roast barley.“ Alle Belege dazu zusammengestellt hat Davis 2011, 11 f. In Diog. Laert. 1,77 ist eine durch Gesetze gesicherte politische Ordnung als eine Herrschaft „des bunten Holzes“ (ἀρχὴ μεγίστη, „ἡ τοῦ ποικίλου … ξύλου“, σημαίνων τὸν νόμον) bezeichnet. 23  Dazu s. u. Immerwahr 1985, 134 war davon ausgegangen, dass die Gesetzesträger in den Perserkriegen stark beschädigt worden waren; auf diesen Überbleibseln sei die Gerste geröstet worden. Dass Kratinos in dem Vers auch das drakontische Gesetz einbezieht, ist vermutlich der kurzen Anspielung geschuldet, da sonst für Drakons Satzung keine kýrbeis als Schriftträger belegt sind (Stroud 1979, 7; Robertson 1986, 151). 24  Der Betreffende entflieht den προσβολαί, womit ein Angriff, Landungsorte oder Fügung bzw. Schicksal gemeint sein kann. Letzteres könnte auf einen religiösen Kontext schließen lassen. Da von einer Flucht und Aufnahme durch ein anderes Land die Rede ist, könnten die Zeilen sich aber auch auf ein Tötungsdelikt beziehen, das dazu zwingt, das Land zu verlassen und auch Hafenorte (ebenso wie den Grenzmarkt und amphiktyonische Feste) zu meiden. Alan Sommerstein übersetzt: „He will flee / from an attack, as an an[cient] ku[r]bis says, / and another land will receive him“ (dem folgt auch Meyer 2016, 334). 25  In Aristoph. nub. 447 ist kýrbis metaphorisch für einen ‚Rechtsverdreher‘ oder ‚Pedanten‘ gebraucht (vgl. dazu Schol. Aristoph. nub. 448). Der Singular kýrbis ist in einem weiteren, auf Papyrus überlieferten Fragment einer attischen Komödie überliefert, das dem Strattis zugesprochen wird (P. Oxy. 2743 fr. 26 Z. 7–8; adespota F 1105 PCG; Meyer 2016, 333 Anm. 38). Zu den Quellen in der alten attischen Komödie und der Tragödie Stroud 1979, 3–6. Als zeitlich frühesten Beleg für áxōn nennt Elizabeth A. Meyer („may be“) die Komödie Daitaleis des Aristophanes (F 233 PCG; 427 v. Chr.). In der von Galen überlieferten Szene (Galen, gloss. Hippocr. prooem. 19 p. 66 Kühn; F 70a) fragt der Sohn seinen Vater nach der Bedeutung außer Gebrauch gekommener Wörter aus den áxones Solons. Auf Aristophanes zurück gehen allerdings nur die Fragen selbst, nicht die einleitende Bemerkung, dass die Wörter aus den áxones Solons stammen.

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vermutlich solche aus den Gesetzen Solons waren (oder zumindest dafür gehalten wurden), die Schriftträger sich aber von der Form her von rechteckigen Stelen unterschieden.26 Auf Opfervorschriften auf den kýrbeis der Stadt nahmen auch die Salaminier in ihren Vereinbarungen über eine Aussöhnung zwischen zwei Linien der Salaminier Bezug (T 7); der inschriftlich erhaltene Text aus dem Jahr 363/62 v. Chr. verweist vermutlich auf den in den Jahren 403 bis 399 v. Chr. revidierten Opferkalender. Zu knapp ist der Beleg des Wortes kýrbeis in einer der Reden Lykurgs (T 8), so dass nicht entschieden werden kann, ob damit die Schriftträger der solonischen Gesetze gemeint sind oder andere, kýrbeis genannte Stelen. Nach Anaximenes von Lampsakos (T 9), einem Historiker der zweiten Hälfte des 4. Jh. und Zeitgenossen des Aristoteles, waren die áxones und die kýrbeis ursprünglich auf der Akropolis aufgestellt.27 Damit könnten die áxones (bzw. der vierseitig beschriebene áxōn) Drakons und die kýrbeis Solons als unterschiedlich gestaltete Schriftträger gemeint sein.28 Ephialtes, so sagt Anaximenes, habe die öffentlich aufgestellten Gesetze „oben von der Akropolis hinunter in das bouleutḗrion und die agorá versetzt“. Da das Ratsgebäude, das bouleutḗrion, sich auf der Agora befindet, scheinbar also eine Doppelung vorliegt, sollte man der Aussage des Anaximenes keine wörtlich gemeinte Translozierung der Schriftträger entnehmen; er wird damit metaphorisch die Entmachtung des Areopags gemeint haben.29 Wichtige Kompetenzen des Areopags waren im Jahr 461/0 v. Chr. durch die Reform des Ephialtes auf „Rat und Volk“ (auch in diesem Sin26  Lys. 30,19: πρῶτον μὲν κατὰ τὰ πάτρια θύειν, ἔπειτα ἃ μᾶλλον συμφέρει τῇ πόλει, ἔτι δὲ ἃ ὁ δῆμος ἐψηφίσατο. P. J. Rhodes, The Athenian Code of Law, 410–399 B. C., in: JHS 111, 1991, 87–100: „the kyrbeis of Solon and stelai on which more recent enactments had been published“ (95); Robert Parker, Athenian Religion. A History, Oxford 1994, 44 f. Möglicherweise waren die auf IG II2 1357 verzeichneten Opfer ἐκ τῶν φυλοβασιλικῶν von den kýrbeis übernommen worden (Stroud 1979, 9; Noel Robertson, The Laws of Athens, 410–399 B. C. The Evidence for Review and Publication, in: JHS 110, 1990, 43–75, dem Rhodes 1991 [wie oben], 91 Anm. 26 folgt). 27  Elizabeth A. Meyer vertritt die These, dass die ursprünglichen hölzernen Pfeiler mit Gesetzestexten Teile eines Kultgebäudes waren, die später, aus dem baulichen Verband herausgelöst, eine Sammlung von Votivobjekten darstellten (2016). 28  Julia L. Shear, Polis and Revolution. Responding to Oligarchy in Classical Athens, Cambridge 2011, 104 und Meyer 2016, 336 f.: „Anaximenes did name two different forms, and their association with each other and with the Acropolis (the first mention of where both were originally located) seems clear and likely. Such association of kurbeis and axones suggests that although regularly and consistently grouped together (…), they could or must have been seen as different. So there are two lawgivers, two names, and possibly two physical forms of objects“. 29  Bereits Felix Jacoby unterstellte Anaximenes ein Versehen, da die Verlagerung der áxones und kýr­ beis von der Akropolis auf die Agora nur metaphorisch für die Entmachtung des Areopags gemeint war. Dagegen aber Stroud 1979, 12 f., 42: „Anaximenes or his source also clearly conceived of axones and kyrbeis as separate physical objects, inscribed with laws, which once stood on the Acropolis. As part of Ephialtes’ reforms they were brought down into parts of the city where presumably they could be more readily consulted“ (12). Ähnlich Rhodes 1991 (wie Anm. 26), 91: „The Stoa of the Basileus became, perhaps in the time of Ephialtes, the home of the kyrbeis or axons on which the laws of Draco and Solon had originally been inscribed.“ Beide erklären aber nicht die ungewöhnliche ‚Ortsangabe‘ „in das bouleutḗrion und die agorá“.

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ne kann „bouleutḗrion und agorá“ verstanden werden) übergegangen.30 Zudem steht ein Verständnis, Ephialtes habe die Gesetze im bouleutḗrion aufgestellt, in Widerspruch mit anderen Angaben, wonach die in den Jahren 410–399 v. Chr. revidierten Gesetze in und vor der Stoa Basileios aufgestellt wurden. Gemäß der aristotelischen Athenaion po­ liteia (T 10) hatten die Athener die Gesetze Solons auf kýrbeis verzeichnet und an der Stoa Basileios angebracht.31 Wo die Gesetze Drakons und Solons ursprünglich aufgestellt waren, bleibt also bis zu einem gewissen Grade unsicher;32 nur mit Vorbehalten wird man davon ausgehen können, dass sie zunächst auf der Akropolis, später in der Stoa Basileios ausgestellt waren; die Reste der originalen hölzernen áxones befanden sich später im Prytaneion. Außerdem ist belegt, dass in klassischer Zeit das Tötungsrecht auf einer Stele am Areopag ausgestellt war. Theophrast (T 11) verweist bei seinen Erläuterungen über die Entstehung und Entwicklung verschiedener flüssiger Opferspenden auf kýrbeis, ohne allerdings explizit zu sagen, dass die solonischen kýrbeis gemeint sind. Ein Bezug auf die solonischen Gesetze ist auch deswegen nicht sicher, weil Theophrast die Veränderungen in den Opferbräuchen „an vielen in einzelnen Gemeinwesen geübten, althergebrachten Bräuchen“ (διὰ πολλῶν … τῶν παρ’ ἑκάστοις πατρίων) aufzeigt und dabei auf kýrbeis verweist, eine offenbar über Athen hinaus verbreitete Form von Schriftträgern, die insbesondere für die Aufzeichnung religiöser Bestimmungen verwendet wurden. Zurückgeführt wurde diese Form bereits von Theophrast auf die kretischen Korybanten.33 Ein kretischer Einfluss wurde in Athen mit Epimenides von Phaistos in Verbindung gebracht, der als Götterliebling galt und erfahren in der religiösen Ekstase und Mystik, weswegen Zeitgenossen ihn „einen neuen Kureten“ nannten. Er soll mit Solon Freundschaft geschlossen, ihm als Vorläufer und Wegbereiter für seine Gesetzgebung gedient und die Athener veranlasst haben, bei allen Opfern Einfachheit und bei der Trauer Mäßigung einzuhalten. Er habe schlichte Opfer bei den Begräbnisfeiern eingeführt und rohe, barbarische Sitten beseitigt. Durch Sühnungen, Reinigungen und Kultstiftungen habe er die Stadt entsühnt und sie geheiligt.34 Es ist also nicht ausgeschlossen, dass auch in

30 Zu agorá als Bezeichnung der Volksversammlung siehe S. 357 f. 31  Eine eigenständige Schrift des Aristoteles Über die áxones Solons, wie im Schriftenkatalog zur vita Menagiana angegeben (T 27), hat es wahrscheinlich nicht gegeben. 32  T. Leslie Shear, Jr. vertritt die Ansicht, dass die Schriftträger bereits am Ende des 6. Jh. in die als Amtsgebäude für den árchōn basileús neu errichtete Stoa Basileios transferiert worden seien (Ἰσονόμους τ᾽ Ἀθήνας ἐποιησάτην. The Agora and the Democracy, in: W. D. E. Coulsen et al. [Hrsg.], The Archaeology of Athens and Attica under the Democracy, Oxford 1994, 225–248, hier 240 f.). 33  Vgl. auch Hesych. κ 4660 s. v. Κύρβαντες· Κορύβαντες. Zum Kult der Korybanten bzw. Kureten auf Kreta siehe Diod. 5,70. Außerhalb Athens ist der Kult der Korybanten am besten in Erythrai dokumentiert, wobei sie dort auf Inschriften als Κύρβαντες und Κορύβαντες erscheinen. Zu Platons Äußerungen zu den Korybanten siehe Ivan M. Linforth, The Corybantic Rites in Plato, Berkeley 1946. 34  Plut. Solon 12,7–9: (7) οὕτω δὴ μετάπεμπτος αὐτοῖς ἧκεν ἐκ Κρήτης Ἐπιμενίδης ὁ Φαίστιος, … ἐδόκει δέ τις εἶναι θεοφιλὴς καὶ σοφὸς περὶ τὰ θεῖα τὴν ἐνθουσιαστικὴν καὶ τελεστικὴν σοφίαν· διὸ καὶ παῖδα νύμφης ὄνομα Βλάστης καὶ Κούρητα νέον αὐτὸν οἱ τότ’ ἄνθρωποι προσηγόρευον. (8) ἐλθὼν δὲ καὶ

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Athen durch Solon kultische Bestimmungen auf Schriftträgern aufgebracht waren, die den kretischen in der äußeren Form entsprachen, doch muss ein Bezug der Ausführungen Theophrasts zu den Gesetzen Solons unsicher bleiben.35 Schließlich spricht der Aristotelesschüler Phanias von Eresos (T 12) von einem kýr­ bis, auf dem die Opfer verzeichnet waren. Auch in diesem kurzen Zitat kann nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die solonischen kýrbeis als Schriftträger von Gesetzen gemeint sind.36 Bis zum Ende des 4. Jh. v. Chr. scheint der Befund also relativ eindeutig: Die antiken Autoren bestätigen, dass die Gesetze Solons auf kýrbeis angebracht waren; der Begriff áxōn lässt sich für die solonischen Gesetze für die klassische Zeit nicht sichern, sondern allein für die Satzung Drakons.37 Dies stützt die Annahme, dass das in Demosth. or. 23,28 eingelegte Gesetz (T 1) ein solonisches ist, in welchem Solon auf die frühere Satzung Drakons verweist, wobei der Hinweis „wie es auf dem áxōn bestimmt ist“ dafür ausreichte. Auffällig ist auch, dass viele spätere Erklärungen für das Wort áxōn allein auf die Belegstelle Demosth. or. 23,28 zurückgreifen konnten, was darauf hinweist, dass es in der Literatur der klassischen Zeit keine anderen Belegstellen gab, die die Gesetze Solons statt mit kýrbeis mit áxones in Verbindung brachten. Da die Herkunft und der semantische Gehalt des Wortes kýrbis unbekannt sind, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, warum die Schriftträger der solonischen Gesetze kýrbeis genannt wurden.38 Wie bei dem áxōn Drakons war es vermutlich die äußere Form, die zu dieser Bezeichnung führte. Nach den späteren literarischen Belegen zu urteilen waren kýrbeis dreiseitige, hoch aufragende, stelenförmige Gebilde, die am oberen Ende spitz oder pyramidenförmig ausliefen. Vielfach trugen sie Inschriften unterschiedlichen Inhalts. In klassischer Zeit dienten sie auch dazu, Personen zu militärischen Zwecken aufzulisten; auch konnten sie öffentliche Bekanntmachungen

τῷ Σόλωνι χρησάμενος φίλῳ, πολλὰ προϋπειργάσατο καὶ προωδοποίησεν αὐτῷ τῆς νομοθεσίας. καὶ γὰρ εὐσταλεῖς ἐποίησε ταῖς ἱερουργίαις καὶ περὶ τὰ πένθη πρᾳοτέρους, θυσίας τινὰς εὐθὺς ἀναμείξας πρὸς τὰ κήδη, καὶ τὸ σκληρὸν ἀφελὼν καὶ τὸ βαρβαρικόν, ᾧ συνείχοντο πρότερον αἱ πλεῖσται γυναῖκες. (9) τὸ δὲ μέγιστον· ἱλασμοῖς τισι καὶ καθαρμοῖς καὶ ἱδρύσεσι κατοργιάσας καὶ καθοσιώσας τὴν πόλιν, … 35  Beim Kult der Korybanten handelt es sich um einen ekstatischen Kult, der eine Initiation der weiblichen und männlichen Kultteilnehmer erforderte. Zu den Ritualen gehörten Bad und Opfer sowie das sakrale Mahl (dazu Fritz Graf, Nordionische Kulte. Religionsgeschichtliche und epigraphische Untersuchungen zu den Kulten von Chios, Erythrai, Klazomenai und Phokaia, Vervey 1985, 319–334; zur regionalen Verbreitung und Bezügen zu Kreta ebd. 328–332). 36  Auch in Ps.-Aristot. De mundo 6, 400b 30 f. ist das ausgewogene göttliche Gesetz mit „den verschrifteten Gesetzen auf den kýrbeis“ (τῶν ἐν ταῖς κύρβεσιν ἀναγεγραμμένων), nicht auch mit den áxones verglichen. 37  Auch Stroud 1979, 20 hebt in seiner streng chronologisch angelegten Untersuchung hervor, dass kýrbeis in den Quellen bis zur Mitte des 3. Jh. wesentlich häufiger belegt sind als áxones. Ebenso Meyer 2016, 337, 339 Anm. 77. 38  Einen ausführlichen Überblick über die unterschiedlichen Ansichten in der Forschung bietet Davis 2011, 3–10.

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Abb. 3 Rekonstruktion eines kýrbis, in einer Basis, wie sie auf der Athener Agora gefunden wurden (Zeichnung Tobias Pfaff).

tragen.39 Ronald Stroud deutet mehrere steinerne Basen, die gegenüber dem Metroon nahe dem Monument mit den Statuen der Phylenheroen auf der Athener Agora gefunden wurden, als solche für dreieckige Pfeiler, die den literarisch bezeugten Beschreibungen von kýrbeis entsprechen. In 5 cm tiefen und 2 cm breiten Vertiefungen waren mit Blei dreiseitige Stelen von 27 cm Breite aus Bronze in den Basen verankert gewesen; nach der Menge des Bleis und der Stärke eines erhalten gebliebenen Stücks der Bronze zu urteilen, schätzt Stroud die Höhe der bronzenen Stelen auf 1,50 bis 1,80 m. Da die Stelen innen hohl waren, werden sie einen oberen Abschluss aufgewiesen haben, vielleicht spitz zulaufend oder pyramidenförmig (Abb. 3). Die Bronzepfeiler hatten daher eine Form, wie sie für déltoi chalkaí angegeben wird.40 Aufgrund des Fundorts bringt Stroud die Basen mit Ausführungen in der Athenaion politeia in Verbindung, wonach die

39  Listen zu militärischen Zwecken: Stroud 1979, 52–55; öffentliche Beaknntmachungen: T 19b und 18e; Schol. Aristoph. nub. 448. 40  Poll. 8,128 (T 22). Zu weiteren oben spitz zulaufenden Schriftträgern siehe Immerwahr 1985, 123 f.

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eingetragenen Epheben früher auf geweißten Tafeln verzeichnet waren, über deren Namen der árchōn, unter dem sie eingetragen wurden, sowie der eponyme Heros, …, geschrieben waren; jetzt werden die Epheben auf einer bronzenen Stele (stḗlē chalkḗ) verzeichnet, und die Stele wird vor dem Bouleuterion bei den [Statuen der] eponymen Heroen aufgestellt.41

Eine weitere Verbindung wird durch Scholien zu Plutarchs Solonbiographie hergestellt, die von kýrbeis sprechen, welche für militärische Zwecke Listen von Personen (stratiōtikoí katálogoi) tragen (T 26). Verwiesen ist dabei auf die Komödie Der Friede von Aristophanes, allerdings auf eine nicht erhaltene Version dieses Stücks. Stroud leitet aus diesen Indizien ab, dass im 5. und 4. Jh. für militärische Zwecke Listen mit den Namen von Athenern zunächst auf geweißten Tafeln, später auf dreiseitigen Bronzestelen publiziert wurden, die kýrbeis genannt wurden.42 Von den späten Lexikographen werden auch solche Stelen als kýrbeis bezeichnet, die „das von den Göttern Verborgene kenntlich machen“.43 Es könnte damit eine Stele gemeint sein, wie sie in einem Orakelheiligtum der römischen Kaiserzeit im Athener Kerameikos nachgewiesen ist. Erhalten hat sich eine rechteckige Basis für eine dreiseitige Stele, die vermutlich eine Inschrift trug, in der auf ein direkt daneben liegendes Brunnenorakel, das durch einen Omphalos abgedeckt war, verwiesen sein könnte (Abb. 4a–b).44 Die Steinbasen mit den dreieckigen Aussparungen zur Verankerung von bronzenen Stelen auf der Athener Agora und die Erwähnung von kýrbeis in der nicht erhaltenen Version der aristophanischen Komödie stehen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in Verbindung mit den solonischen Gesetzen. Das Scholion belegt allerdings die Existenz von dreieckigen, kýrbeis genannten Stelen für das späte 5. Jh. Dafür, dass diese Form von Stelen vermutlich auf frühere Zeit zurückgeht, spricht ein Bild auf einer rotfigurigen Oinochoe im Bostoner Museum of Fine Arts, auf dem neben Statuen der Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton auf einer separaten Basis links neben den Statuen ein stelenförmiger Pfeiler zu sehen ist, der nach den vertikalen Binnenlinien

41  Aristot. Ath. pol. 53,4: οἱ δὲ ἔφηβοι ἐγγραφόμενοι πρότερον μὲν εἰς λελευκωμένα γραμματεῖα ἐνεγράφοντο, καὶ ἐπεγράφοντο αὐτοῖς ὅ τ’ ἄρχων ἐφ’ οὗ ἐνεγράφησαν, καὶ ὁ ἐπώνυμος …, νῦν δ’ εἰς στήλην χαλκῆν ἀναγράφονται, καὶ ἵσταται ἡ στήλη πρὸ τοῦ βουλευτηρίου παρὰ τοὺς ἐπωνύμους. Von geweißten Hölzern (ξύλα λελευκωμένα) spricht im Zusammenhang von kýrbeis Apollodoros (T 19e). 42  Stroud 1979, 52–55: „… that in the fifth century and continuing into the fourth century B. C. military lists at Athens were displayed at the monument of the Eponymous Heroes on wooden leukomata which in appearance somehow resembled three-sided, stele-like kyrbeis“ (55). Abgebildet sind einige der Basen auch bei Davis 2011, Figure 6. 43  „Das von den Göttern Verborgene“ in T 17, 19d; vgl. T 16. 44  Siehe dazu Jutta Stroszeck, Forschungen und Arbeiten im Gelände. Die erste Orakelstätte in Athen, in: AtheNEA 2015–2016, Athen 2016, 28–35 und Alfred Brueckner, Der Friedhof am Eridanos bei der Hagia Triada zu Athen, Berlin 1909, 45 f. Für Hinweise danke ich Frau Jutta Stroszeck.

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Abb. 4a–b Das der Artemis Soteira und dem Apollon Paion geweihte Orakelheiligtum im Athener Kerameikos. Der Brunnen mit den Orakelinschriften ist durch den Omphalos (bei Nr. 31) abgedeckt. Direkt nördlich davon befindet sich in der Kultnische die Basis für eine dreiseitige Stele (Nr. 30). Aus: Alfred Brueckner, Der Friedhof am Eridanos bei der Hagia Triada zu Athen, Berlin 1909, Plan (Abb. 4a) und 45 Abb. 20 (Abb. 4b).

eine eckige Form hat und oben spitz zuläuft.45 Ronald Stroud folgt dem Vorschlag von C. Wachsmuth, dass diese Stele, die vermutlich wie die Statuen selbst aus Bronze gefertigt war, das Gesetz trug, welches den Nachfahren des Harmodios und Aristogeiton bestimmte Ehren verlieh und deswegen als einziges zusätzliches Objekt in das Bild aufgenommen worden war.46 Damit lässt sich die Form dreiseitiger, hoch aufragender, stelenförmiger Inschriftenträger in die Zeit des späten 6./frühen 5. Jh. zurückverfol45  Fragmente einer attisch-rotfigurigen Oinochoe mit einer Abbildung der Statuen der Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton aus der Zeit um 400 v. Chr. Auf der hoch aufragenden Stele waren vermutlich die Ehrungen für die Tyrannenmörder und ihre Nachkommen aufgezeichnet (Museum of Fine Arts Boston, Inv. Nr. 98.936; vgl. https://collections.mfa.org/download/153809;jsessionid= 36551D78E36C086D0EAD72CEA61293BA). 46  Zu diesen Ehren Demosth. or. 19,280; 20,18.127; vgl. Aristot. Ath. pol. 58,1. Stroud 1979, 57–60. In Polit. 298d spricht Platon fiktiv von Bestimmungen bezüglich Ärzten und Steuermännern, die man „auf irgendwelche kýrbeis und Stelen“ schreibe (γράψαντας ἐν κύρβεσί τισι καὶ στήλαις).

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gen. Der Schluss liegt daher nahe, dass die Konstruktion drehbarer Holztafeln mit den Gesetzen Solons (zumindest seit dem späten 5. Jh.) kýrbeis genannt wurde, weil die drehbaren Schriftträger eine ähnliche, hoch aufragende Form aufwiesen. Diese für die kýrbeis mehrfach belegte „hoch aufragende Form“ spricht dafür, dass die solonischen kýrbeis im Gegensatz zu Drakons áxōn vertikal gelagert waren.47 Da Drakons Satzung über die Tötung sehr detaillierte Bestimmungen umfasste, ließ er, um Platz zu sparen, den umfangreichen Text auf einem drehbaren, der Gestalt einer Wagenachse gleichenden Holzkörper anbringen. Dabei könnte ein einziger, vierseitig beschriebener áxōn oder werden allenfalls zwei oder drei solcher áxones ausgereicht haben; Solons Verschriftung der Gesetze hingegen wird, da „er für jedes Delikt Satzungen (thesmoí) schrieb“,48 sehr viel mehr Raum beansprucht haben, so dass nicht nur einer, sondern viele solcher drehbarer Schriftträger benötigt wurden. Statt die ‚Walzen‘ horizontal als ‚Achsen‘ aufzustellen, wählte er offensichtlich eine vertikale Anbringung der ‚Walzen‘ in einem Rahmengestell. Zwar hätte man, wollte man in einer einzigen Vorrichtung mehrere ‚Walzen‘ direkt nebeneinander anbringen, dreiseitige Schriftträger wählen können, damit sie auch bei geringen Abständen drehbar blieben und sich nicht gegenseitig blockierten. Doch widerspricht dies zahlreichen Zeugnissen, die von viereckigen Hölzern sprechen, welche auf allen Seiten mit Schrift versehen waren. Weil die ‚Walzen‘ vertikal montiert waren, ähnelten sie von der Form den „hoch aufragenden“ kýrbeis;49 sie konnten aber, da sie wegen der vierseitigen Form dem áxōn Drakons entsprachen, auch als áxones bezeichnet werden, und wurden jedenfalls später nach áxones nummeriert. Die hoch aufragende Form von Schriftträgern war den Athenern und vielen anderen Griechen offensichtlich vertraut, und zwar unter der Bezeichnung kýrbis. Man verwendete diese Bezeichnung für die Schriftträger der solonischen Gesetze, auch wenn sie oben keinen spitzen oder pyramidenförmigen Abschluss aufwiesen wie die einzeln aufgestellten steinernen oder bronzenen kýrbeis, die die Gestalt eines dreiseitigen Obelisken hatten und vielfach Inschriften mit religiösen Texten oder offizielle Beschlüsse trugen, wie den für die Nachfahren der Tyrannenmörder

47  Davon gehen auch Immerwahr 1985, 125 und Meyer 2016, 333 aus. Siehe auch T 24, wonach die ‚Walzen‘ „vom Erdboden bis zum Dach“ des Gestells reichten. 48  Solon F 30 Gentili-Prato (36 West; 24 Diehl; = Aristot. Ath. pol. 12,4) Z. 18–20. 49  Eine Bestätigung findet dies in einem Eintrag des Hesychios, der für kýrbis zwei Erklärungen angibt: „dreiseitige Stele oder hölzerne Achse (áxōn), auf der in früher Zeit die Gesetze verzeichnet waren“. Hesych. κ 4664 s. v. κύρβις· στήλη τρίγωνος ἢ ξύλινος ἄξων, ἐν ᾧ τὸ παλαιὸν οἱ νόμοι ἐγράφοντο. Vgl. auch die Erklärung des Scholiasten zu Apollonios Rhodios, der kýrbeis mit stḗlai erklärt und fortfährt: „[kýrbeis] nennt man aber die Achsen (áxones), auf die die Gesetze geschrieben wurden, wie der Komödiendichter Aristophanes sagt“ (der das Wort kýrbeis in diesem Sinne gebraucht) (Schol. Apollonios Rhod. Argonautica 279–281b [T 19e]). Siehe auch Wyatt Jr. 1975, 47: „The natural answer is that the documents [Solons Gesetze] were inscribed on something that resembled κυρβεις“.

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getroffenen.50 Da sowohl die Schriftträger mit den solonischen Gesetzen als auch die in heiligen Bezirken (und an öffentlichen Orten) aufgestellten Stelen als kýrbeis bezeichnet wurden, können die Ausführungen Theophrasts zu flüssigen Opferspenden nicht mit Sicherheit auf die solonischen Gesetze bezogen werden, sondern könnten sich auch auf dreiseitige, im Kult der Korybanten verbreitete Stelen mit religiösen Texten beziehen. Áxones und kýrbeis in späteren Belegen In hellenistischer Zeit ändert sich das Bild, da seit dieser Zeit von Solons áxones gesprochen wird. Eratosthenes (T 13a) wird von späteren Autoren mit der Aussage zitiert, die kýrbeis würden auch áxones genannt, eine Aussage, die von dem Scholiasten zu Apollonios Rhodius mit Hinweis auf „sorgfältigere Autoren“ korrigiert wird. Der Scholiast erklärt auch, woher das Missverständnis komme, denn sowohl áxones als auch kýrbeis trügen Gesetze.51 Einem zweiten unabhängig davon überlieferten Fragment des Eratosthenes zufolge (T 13b) seien kýrbeis dreieckig, nicht viereckig. Da ein Zusammenhang im Etymologicum Gudianum und im Etymologicum Magnum nicht erhalten ist, bleibt unklar, ob Eratosthenes dies auf die kýrbeis der solonischen Gesetze bezog oder allgemein auf einzelne, freistehende, hoch aufragende und oben spitz zulaufende Stelen, von der sich die Bezeichnung kýrbeis auch für die Schriftträger der solonischen Gesetze herleite. Seine Gleichsetzung von kýrbeis und áxones war jedenfalls zunächst darauf ausgerichtet, dass in Athen kýrbeis und áxones Schriftträger für Gesetze waren; da beide drehbar gelagert waren, konnte Eratosthenes auch die vertikal gelagerten kýrbeis als ‚Achsen‘ bezeichnen, zumal wenn die solonischen kýrbeis vierseitig waren, nicht dreieckig wie die einzeln stehenden kýrbeis. In der Diskussion, ob die kýrbeis drei- oder viereckig waren, äußert sich Polemon in seiner Schrift Gegen Eratosthenes (T 14a) dahingehend, dass die áxones viereckig und allseitig beschrieben seien. Da er davon spricht, dass Reste im Prytaneion aufbewahrt 50 Ein kýrbis in einem Heiligtum eines Heroen ist in Kallimachos fr. 103 Pfeiffer gemeint („denn dies besingt der kýrbis“). Der Scholiast zu Aristoph. aves 1354 gibt an, dass die kýrbeis bronzene Tafeln mit Gesetzen waren (κύρβεις χαλκαῖ σανίδες ἔνθα τοὺς νόμους γράφουσι). Dasselbe, aber mit Bezug auf die áxones behauptet Pollux (8,128, T 22): ἄξονες δὲ τετράγωνοι χαλκοῖ ἦσαν, ἔχοντες τοὺς νόμους. Man wird aber davon ausgehen müssen, dass die solonischen Gesetzestafeln aus Holz gefertigt waren (s. o. Anm. 22) und Pollux und der Scholiast dies mit bronzenen kýrbeis, die andere Texte trugen, unzutreffend verbunden haben (ebenso Tzetzes Chil. 12,349–358). Stroud vermutet, die kýrbeis im Vers des Kratinos seien als Anzündholz oder Kohle für das Rösten verwendet worden; waren sie hingegen aus Bronze, könnten sie als „roasting pans“ wiederverwertet worden sein (Stroud 1979, 3; dazu Robertson 1986, 148–153; Olson/Seaberg 2018 [wie Anm. 20], 22). 51  Stroud 1979, 21: „We must then grant the possibility that Eratosthenes was writing from firsthand knowledge and that he may have seen three-sided objects inscribed with laws which were called by the Athenians both axones and kyrbeis“.

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waren,52 ist sein Zeugnis als zuverlässig eingestuft worden.53 Dass man die Vorstellung von dreiseitigen áxones gewinnen konnte, führt Polemon darauf zurück, dass die drehbaren áxones in einer bestimmten Stellung als dreieckig erscheinen konnten, nämlich wenn eine Kante nach vorne zeigte.54 Dies weist darauf hin, dass es um 200 v. Chr. bereits Diskussionen um die genaue Gestalt der áxones und kýrbeis gab, aber auch Polemon áxones und kýrbeis gleichsetzt, da die viereckige Form der áxones unstrittig war und nur hinsichtlich der kýrbeis diskutiert wurde, ob sie drei- oder viereckig waren. In einem zweiten Fragment zitiert Polemon eine Bestimmung über die Verköstigung von Herolden aus den kýrbeis, vermutlich den kýrbeis Solons (T 14b). Euphorion (T 15), ein Autor an der Wende vom 3. zum 2. Jh. v. Chr., bezeugt, dass áxones und kýrbeis in ihrer ursprünglichen Fassung boustrophedon geschrieben waren. Auch er ging offenbar von zwei unterschiedlichen Schriftträgern aus. Bei der Neuaufzeichnung der Satzung Drakons wurde der Text dann in die im späten 5. Jh. gängige Schreibrichtung umgesetzt, wie die Inschrift IG I3 104 zeigt.55 Aristophanes von Byzanz (T 16) im späten 3./frühen 2. Jh. ist der erste, der behauptet, áxones und kýrbeis unterschieden sich vom Inhalt her, wobei die áxones die Gesetze (nómoi), die kýrbeis die Opfer enthielten. Dies widerspricht anderen Zeugnissen.56 Dieses Missverständnis könnte dadurch entstanden sein, dass Lysias in der 30. Rede von den nicht eingehaltenen, aber nach den kýrbeis vorgeschriebenen Opfern spricht, Lykurg den Begriff kýrbeis in einer Rede Über die Priesterin verwendet hat, Theophrast bei seinen Erläuterungen zum Aufkommen und zur Entwicklung von flüssigen Opferspenden ebenfalls die kýrbeis als Beleg anführt und Polemon aus den kýrbeis Bestimmungen über die Herolde als parásitoi im Apollonheiligtum zitiert. Belege wie diese könnten zu der Annahme geführt haben, die kýrbeis umfassten lediglich Gesetze über kultische Angelegenheiten. Doch schon aus der Parodie der Storchengesetze in Aristophanes’ Komödie Die Vögel geht hervor, dass die kýrbeis Solons auch Gesetze wie das über den Unterhalt der alten Eltern enthielten.

52  Ruschenbusch 1966, 15–17. Ausführlich diskutiert sind die Fragmente des Eratosthenes und Polemon bei Stroud 1979, 20–25. Zur Kritik Polemons an Eratosthenes siehe Klaus Geus, Eratosthenes von Kyrene. Studien zur hellenistischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, München 2002, 299 f. Anm. 89; Meyer 2016, 338. Die Aufbewahrung von Resten im Prytaneion nennen auch Plut. Solon 25,1 und Paus. 1,18,3; vgl. Dion Chrys. or. 80,5. 53  So auch Stroud 1979, 22 f.; siehe aber die Einwände von Meyer 2016, 338. 54  Meyer 2016, 338 Anm. 66 übersetzt: „They sometimes give the illusion of being three-sided when they are inclined toward the narrow part of the corner“. 55  Boustrophedon geschriebene Inschriften endeten in Athen in der Zeit der Perserkriege (Meyer 2016, 341 f.). Außerdem soll Solon die Strafen mit Zahlzeichen angegeben haben (Aelius Herodianus, Περὶ ἀριθμῶν Z. 1–8 [T 567 Martina]: ἀλλὰ καὶ παρὰ Σόλωνι τῷ τοὺς νόμους Ἀθηναίων γράψαντι τὰ ἐπ’ ἀργυρίῳ προστιμήματα τούτοις ὁρῶ τοῖς γράμμασι σεσημασμένα. καὶ στήλας δὲ τὰς παλαιὰς καὶ ψηφίσματα καὶ νόμους πολλοὺς οὕτως ἐστιν εὑρέσθαι τὰ τῶν ἀριθμῶν σημεῖα ἔχοντας). 56  So auch die Einschätzung von Stroud 1979, 27 f.

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Aristophanes ist zudem der früheste Autor, der Details über die Schriftträger überliefert. Das Fragment ist in zwei Versionen erhalten, gleichlautend im Etymologicum Gudianum und im Etymologicum Magnum sowie mit leichten Abweichungen in der Suda und den Epimerismi Homerici. Die grammatikalisch korrektere und sachlich überzeugendere ist die in der Suda und in den Epimerismi Homerici. Danach ist „die Aufstellung beider folgendermaßen“ (ἀμφοτέρων δὲ τὸ κατασκεύασμα τοιοῦτον):57 „Gleichsam ein großes plinthíon, mannshoch, mit passend hergerichteten vierseitigen Hölzern (xýla), die breite und mit Texten vollgeschriebene Seitenflächen haben; an beiden Enden mit Zapfen, um bewegt und von den Betrachtern herumgedreht werden zu können“.58

Abb. 5 hypothetische Rekonstruktion der in einem plinthíon bzw. in einem plaísion eingebauten kýrbeis mit den Gesetzen Solons

Plinthíon oder plaísion – diesen Begriff verwendet später Plutarch (T 21) – ist im engeren Sinne ein hölzerner Formkasten, in dem Ziegel (plínthoi) abgestrichen werden können.59 Die Angabe, dass dieser Formkasten „mannshoch“ sei und die vierseitigen 57  Etym. Gud. und Etym. M.: ἀμφοτέρων δὲ τετραγώνων τὸ κατασκεύασμα· οἷον … 58  Suda κ 2745 s. v. Κύρβεις: … ἀμφοτέρων δὲ τὸ κατασκεύασμα τοιοῦτον· πλινθίον τι μέγα, ἀνδρόμηκες, ἡρμοσμένα ἔχον τετράγωνα ξύλα, τὰς πλευρὰς πλατείας ἔχοντα καὶ γραμμάτων πλήρεις· ἑκατέρωθεν δὲ κνώδακας, ὥστε κινεῖσθαι καὶ μεταστρέφεσθαι ὑπὸ τῶν ἀναγινωσκόντων. Demgegenüber bieten Etym. Gud. und Etym. M.: πλινθίον τὸ μέγα ἀνδρόμηκες, ἡρμοσμένα ἔχοντα [statt des korrekten: ἔχον] τετράγωνα ξύλα, … Bei Parmenides (DK 28 B 1) sind áxones in zweifacher Bedeutung (Z. 6 und 19) belegt, als Achsen eines Wagens und als erzerne Zapfen, mit denen – in Pfannenlöcher gesteckt – Türflügel drehbar gelagert werden können. 59  Hesych. π 2436 s. v. πλαίσια· πλινθία. Das Etymologicum Magnum (p. 674) erklärt den Begriff πλαίσια als Vorrichtung, mit der Ziegel (plínthoi) geformt wurden, die Suda π 1716 s. v. πλαίσια σύμπτυκτα nach Aristoph. ran. 800 (καὶ πλαίσια ξυμπτυκτὰ πλινθεύσουσι) als „Viereck aus Hölzern, so wie plinthía“ (τὰ τῶν ξύλων τετράγωνα, ὥσπερ πλινθία), in denen Ziegel gestrichen werden (vgl. Poll. 10,148, der

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Hölzer darin eingepasst seien (hērmosména), spricht dafür, dass die Hölzer vertikal angebracht und ebenfalls nahezu mannshoch waren. Die viereckigen Hölzer hatten breite Seitenflächen, waren vollständig mit Schrift versehen und mittels Zapfen drehbar gelagert. Nach Aristophanes unterscheiden sich die áxones und kýrbeis nur im Inhalt, nicht in der Art der Aufstellung; er fasst also sowohl áxones als auch kýrbeis als vierseitige ‚Hölzer‘ auf. Die Nachricht von Aristophanes, die kýrbeis enthielten die für die Götter festgelegten Opfer, hat Asklepiades (T 17), der um 200 v. Chr. den ersten Kommentar (τὰ τῶν ἀξόνων ἐξηγητικά) zu den áxones verfasst hat, in seine Schrift übernommen. Das Ety­ mologicum Gudianum verweist auf diesen Kommentar bei der Herleitung des Wortes kýrbes (κῦρβες) von kýrbeis (κύρβεις), auf denen die Opfer festgelegt seien.60 Krates (T 18a–b), vermutlich Krates von Pergamon, ein Autor aus der ersten Hälfte des 2. Jh. v. Chr., zitiert das solonische Gesetz über die Verweigerung des Zugriffsrechts (exoulḗ) als Gesetz vom fünften áxōn. Es ist dies das früheste Zeugnis dafür, dass Solons Gesetze nach áxones nummeriert waren. Seit der zweiten Hälfte des 3. Jh. wurden also die Begriffe áxones und kýrbeis synonym verwendet, wobei sich aufgrund der drehbaren Lagerung der Schriftträger der Begriff áxones gegenüber dem etymologisch umstrittenen kýrbeis mehr und mehr durchsetzte. Vermutlich geht die Zählung nach áxones auf den ersten Kommentar des Asklepiades zurück. Sollte sie bereits auf die Revision der solonischen Gesetze am Ende des 5. Jh. v. Chr. zurückgehen – so wie die Zählung der áxones für die Satzung Drakons –, bleibt unverständlich, warum es aus dem gesamten 4. Jh. keinen Bezug auf einen bestimmten áxōn Solons gibt und auch die Athenaion politeia nur von kýrbeis spricht.61 Weitere, von Aristophanes von Byzanz abweichende Informationen über die äußere Form der kýrbeis haben spätere Autoren den Werken des Apollodoros (T 19a–f) entnommen, eines Autors aus der zweiten Hälfte des 2. Jh. v. Chr. In seinem Werk Über die Götter beschreibt er kýrbeis als dreieckige, aufrecht stehende Steinstelen, die oben spitz zulaufen, und vergleicht ihre Form mit einem auf den Kopf gesetzten (persischen)

auch auf andere Geräte zur Steinbearbeitung verweist: ἐν δὲ ταῖς Ἀττικαῖς στήλαις ἀναγέγραπται πρίων λιθοπρίστης καὶ καρκίνος λίθους ἔχων. εἴποις δ’ ἂν καὶ μηχανὴν λιθαγωγόν). Schol. Aristoph. ran 800: καὶ πλαίσια: Τὰ τῶν ξύλων τετράγωνα. Phot. lex. π 910 s. v. πλαίσιον· τετράγωνος τάξις στρατεύματος· καὶ τὸ ἐκ ξύλων τετράγωνον πῆγμα, ὅ τινες πλινθίον καλοῦσιν. 60  Vgl. auch T 34, wonach Solon auf der 16. Gesetzestafel Preise für auserlesene Opfertiere festgelegt habe. Aufgrund des Kontextes ist θυσίας statt des überlieferten οὐσίας zu lesen. Siehe dazu Davis 2011, 27 Anm. 76, der übersetzt: „Asklepiades … (gets the name) from Kurbis who determined the form (hori­ santos) of sacrifices“. 61  Vgl. demgegenüber Stroud 1979, 33: „Certainly the biographer [Plutarch] used a source in which the laws of Solon were arranged according to their axon number since he cites three ordinances by such numerals, … The ultimate origin of this system, as we have seen, was probably the disposition of the laws on the monuments themselves“.

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Hut, der kyrbasía oder kyrbastḗ.62 Will man nicht davon ausgehen, dass Apollodoros in Widerspruch zu Aristophanes von Byzanz behauptet habe, die kýrbeis mit den solonischen Gesetzen seien dreieckige áxones gewesen, bietet sich als Möglichkeit an, dass es Apollodoros darum gegangen sei zu erklären, warum die Schriftträger der solonischen Gesetze kýrbeis geheißen haben. Dabei habe er die Bezeichnung von dreieckigen, mitunter geweißten Tafeln mit Ankündigungen hergeleitet, die von der Art der Aufstellung Stelen und wegen der hoch aufragenden Form und des oberen Abschlusses kýrbeis genannt wurden. Wenn sich diese Angaben nur auf die Herleitung der Bezeichnung kýrbeis für die Schriftträger der solonischen Gesetze beziehen und nicht auf diese selbst, lassen sich die Angaben Apollodoros’ in Einklang mit früheren bringen. Offensichtlich sind jedenfalls Apollodoros’ Aussagen auf Schriftträger anderer Art bezogen, nicht auf hölzerne, drehbare ‚Achsen‘ (áxones), sondern auf schlanke, dreiseitige, hoch aufragende und oben spitz zulaufende Pfeiler. Didymos von Alexandria hat im 1. Jh. v. Chr. eine gegen den Kommentar des Asklepiades gerichtete Streitschrift (antigraphḗ) Über die áxones Solons (T 29: Περὶ τῶν ἀξόνων τῶν Σόλωνος ἀντιγραφὴ πρὸς Ἀσκληπιάδην) verfasst, der Plutarch umstrittene Informationen zur Abstammung Solons entnahm.63 Auch Didymos hat also als Bezeichnung für die solonischen Gesetze den Begriff áxones für die drehbaren Holzkörper übernommen. Aus diesem Kommentar wurden zwei auf Didymos zurückgehende Erklärungen für die Formulierung ὁ κάτωθεν νόμος entnommen. Didymos habe erwogen, die Formulierung von der Schriftform, boustrophedon, herzuleiten oder – und dies scheint mir die zutreffende Erklärung zu sein – von der Gegenüberstellung von Verfahren vor der (h)elaía als dem ‚unteren‘ und vor dem Areopag als dem ‚oberen‘ Gerichtshof (T 20). Da sich Didymos auf ὁ κάτωθεν νόμος in Demosth. or. 23,28 bezieht und mit dem dort genannten áxōn das Gesetz Drakons gemeint ist, ergeben sich aus diesem Fragment keine Hinweise auf die solonischen kýrbeis. Seit hellenistischer Zeit ist jedenfalls neben der ursprünglichen Bezeichnung kýr­ beis von den áxones Solons die Rede, wahrscheinlich weil auch die vertikal gelagerten kýrbeis ähnlich wie horizontale Achsen drehbar in dem von Aristophanes von Byzanz beschriebenen Gestell gelagert waren.

62  Stroud 1979, 31: „In seeking to explain the etymology of kyrbeis Apollodoros focussed on the top of the monument which seemed somehow to resemble a mountain peak, κορυφή, or a pointed tiara, κυρβασία. … Some stone stelai do terminate in pointed or pedimental tops and it may be that Apollodoros was simply thinking of this type of stele as a kyrbis“. In einem delischen Tempelinventar geben die hieropoioí eine von Koskalos dem Apollon gestiftete silberne kýrbē (κύρβη) auch mit der Bezeichnung „Hut, Kappe“ (πῖλος) an (Hansen 1975, 43; Stroud 1979, 18 f.). Nach Hdt. 7,64,2 trugen die Saken, die Skythen waren, Turbane (kyrbasíai) auf dem Kopf, die nach oben spitz ausliefen und gerade in die Höhe standen (vgl. Meyer 2016, 335). 63  Einen weiteren Kommentar (hypómnēma) hat Seleukos von Alexandria (T 30: Ὑπόμνημα τῶν Σόλωνος ἀξόνων) im 1. Jh. n. Chr. unter ähnlichem Titel verfasst.

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Weitere Nachrichten stammen erst aus der Kaiserzeit.64 Plutarch (T 21) spricht in Bezug auf Solons Gesetze von „hölzernen áxones“, die „in Kästen“ (πλαίσια) drehbar gelagert waren, von denen geringe Überbleibsel noch zu seiner Zeit im Prytaneion aufbewahrt wurden und welche die Athener – gemäß Aristoteles – kýrbeis nannten. Plutarch setzt die „hölzernen áxones in Kästen“ also mit den kýrbeis gleich. Er fügt eine davon abweichende Erklärung an, wonach die kýrbeis Bestimmungen über Götterfeste und Opfer enthielten, die áxones Bestimmungen anderer Art. Wenn Plutarch in der Biographie Numas sagt, dieser habe den Römern heilige Bücher gegeben, die er selbst geschrieben habe, „wie die Gesetzgeber der Griechen die Gesetzestafeln (kýrbeis)“, zeigt dies ein weiteres Mal, dass er nicht zwischen den beiden unterschiedlichen Schriftträgern und ihren unterschiedlichen Aufstellungsorten und Funktionen trennte.65 Seine Informationen werden auf Aristophanes von Byzanz und Asklepiades zurückgehen. Von Plutarch stammt außerdem die Nachricht, dass er das solonische Amnestiegesetz dem 13. áxōn entnommen hat, auf dem 16. áxōn Preise für Opfertiere verzeichnet seien und das Gesetz bezüglich des Olivenöls auf dem 1. áxōn gestanden habe.66 In der Zeit um 100 n. Chr. gehen die antiken Autoren also wie selbstverständlich von den áxones Solons aus.67 Weitere Autoren aus der römischen Kaiserzeit sowie Grammatiker und Lexikographen, angefangen von Harpokration und Pollux bis zu Photios und der Suda, wie auch mittelalterliche Scholiasten wiederholen bei ihren Erklärungen zu áxones und kýrbeis meist die Angaben früherer Autoren, auf die sie sich zum Teil mit direkten Zitaten berufen. Die meisten sprechen sich dafür aus, dass áxones und kýrbeis eine unterschiedliche Form hatten,68 áxones vierseitige Schriftträger waren, kýrbeis hingegen dreiseitige.69 64  Meyer 2016, 339: „… but only late in the 1st century A. D. did an interest, perhaps seriously antiquarian, in axones reassert itself “. Gemäß der Erklärung des Grammatikers Erotianos (1. Jh. n. Chr.) seien phliaí „Hölzer, die zu beiden Seiten vom Boden in die Höhe ragen, an denen die áxones befestigt sind“ (Vocum Hippocraticarum collectio s. v. φλιαί· τὰ ἑκατέρωθεν τοῦ βάθρου ὄρθια ξύλα, ἐν οἷς οἱ ἄξονες περιέχονται). Da es sich um Erklärungen von Begriffen aus dem Corpus Hippocraticum handelt und Erotianus vermutlich Bezug auf phliaí in der Schrift De articulis 47 und 72 f. nimmt, wird es sich bei diesen áxones um Winden handeln, mit denen Gelenke eingerenkt werden konnten. 65  Plut. Numa 22,2: … τὰς ἱερὰς βίβλους ἃς ἐγράψατο μὲν αὐτός ὥσπερ οἱ τῶν Ἑλλήνων νομοθέται τοὺς κύρβεις. 66  Plut. Solon 19,4; 23,4; 24,2. 67  Dies gilt auch für weitere Belege von Wörtern, die den „áxones Solons“ entnommen sind: so für proptórthia in Hesych. π 3643 s. v. προπτόρθια (F 81c) und für psēphídes („Steinchen, Kiesel“, als Stimmsteine bei Abstimmungen) in Schol. Hom. Il. 21,260 (F 73). Nach Hesych. τ 1298 s. v. τρεῖς θεοί (F 38f) war in den áxones Solons ein Eid vorgeschrieben (τρεῖς θεοί· παρὰ Σόλωνι ἐν τοῖς ἄξοσιν ὅρκῳ τέτακται); vgl. auch Stephanos Byzantios, Ethnica 1,37 (p. 20) s. v. Ἀγνοῦς (F 84); Phot. Lex. α 1753 s. v. ἀνδραφόνων (F 33b); Paroem. Gr. I App. I 58 (F 114); Galen, Gloss. Hippocr. prooem. 19,66 Kühn (F 70a). 68  So Ammonios, De adfinium vocabulorum differentia 57 (ἄξονες καὶ κύρβεις διαφέρουσιν; T 553 Martina); Suda α 2833 s. v. ἄξονες. 69  Ammonios (wie Anm. 68); Scholia in Apollonii Rhodii Argonautica 279–281c (T 13a); Hesych. κ 4664 s. v. κύρβις (s. o. Anm. 49); Phot. Lex. κ 1235 s. v. κύρβεις; Lexicon Patmense (Lexicon in Demosthenem et Aeschinem) p. 160,17 s. v. κύρβεις (T 19g); Suda α 2833 s. v. ἄξονες (T 25); Schol. Plat.

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Auch die Angabe, die kýrbeis (als dreiseitige, hoch aufragende und obeliskenförmige Steinstelen)70 trügen die den Kult betreffenden Vorschriften, die áxones (als drehbare ‚Walzen‘ aus Holz) die Polisgesetze bzw. die Einzelpersonen betreffenden Gesetze, wurde fortgeschrieben, so wie es bei Aristophanes von Byzanz zum ersten Mal greifbar ist.71 Die sprichwörtliche Redewendung kýrbeis kakṓn – „ein Sack voller Übel“ ging in die Sammlung der Parömiographen ein und bezieht sich wieder eindeutig auf die solonischen Gesetze.72 Die Anordnung der Gesetze auf den kýrbeis Ob es eine systematische Anordnung der Gesetze gab und wie diese ausgesehen haben könnte, lässt sich nicht befriedigend rekonstruieren. Die Verfluchung desjenigen, der Olivenöl entnahm bzw. exportierte (T 31, F 76a), könnte deswegen auf dem ersten áxōn verzeichnet gewesen sein, weil das Verfahren in die Verantwortung des árchōn ba­ sileús fiel, des angeblich ersten und ehrwürdigsten Archonten.73 Die Tatsache, dass die die Tötung betreffenden Gesetze am Eingang zum Areopag aufgestellt waren (F 23d),

Politikos 298e. Auch nach der Synagoge (Anecd. gr. I 413,15 Bekker; T 561 Martina) sind die áxones vierkantige Hölzer gewesen. Als unzutreffend ist die Angabe im Brief des Michael Italicus (12. Jh.) zu werten, áxōn sei ein vierseitiger Stein – wie schon Apollodoros ausführt (epistulae 35,218): ὁ δὲ „πηὸς“ συγγενής ἐστι δήπουθεν. Ἀλλὰ καὶ Σόλων ὁ νομοθέτης ἐν τοῖς ἄξοσιν· ἔστι δ’ ὁ ἄξων λίθος τετράγωνος, ὥσπερ αἱ κύρβεις τριγωνικῶς σχηματίζονται, ἐν ᾧ ἐγγεγράφανται οἱ νόμοι τοῦ Σόλωνος· ἀπὸ τοίνυν τούτων οἱ μεταγεγραμμένοι λόγοι ἄξονες λέγονται. – „Das Wort pēós bedeutet ja doch ‚Verwandter‘ (syngenḗs). Der Gesetzgeber Solon aber [verwendet es] in den áxones. Der áxōn ist ein vierseitiger Stein – so wie die kýrbeis dreiseitig gestaltet sind –, auf dem die Gesetze Solons eingeschrieben waren. Gewiss von diesen her werden die umgeschriebenen Reden ‚Walzen‘ (áxones) genannt“ (ähnlich Anecd. Oxon. III p. 195,27 Cramer, T 563 Martina). 70  Pyramiden- oder obeliskenförmige Gestalt für die kýrbeis nennen: Poll. 8,128; Timaios, Lexicon Platonicum 993b; Demostratos (2. Jh. n. Chr.) bei Aelian, de natura animalium 15,9; Hesych. κ 3701 s. v. κόρυμβον. 71  So Ammonios, De adfinium vocabulorum differentia 57 (οἱ μὲν γὰρ ἄξονες ἦσαν τετράγωνοι, οἱ δὲ κύρβεις τρίγωνοι. καὶ οἱ μὲν ἄξονες εἶχον τοὺς ἰδιωτικοὺς νόμους ἐγγεγραμμένους, οἱ δὲ κύρβεις τὰς δημοσίας ἱεροποιΐας καὶ εἴ τι ἕτερον τοιοῦτον); Poll. 8,128 (T 22); Ps.-Zonaras, Lexicon p. 228 s. v. Ἄξονες. ἐν οἷς οἱ ἰδιωτικοὶ ἐνεγράφοντο νόμοι, οἳ καὶ τετράγωνοι ὑπῆρχον πίνακες. ἄξονες καὶ αἱ πράξεις τῶν ἀρετῶν; Timaios, Lexicon Platonicum 993b s. v. Κύρβις. στήλη τρίγωνος πυραμοειδής, νόμους ἔχουσα περὶ θεῶν; Schol. Plat. Politikos 298e (T 564 Martina): κύρβεσι. τρίγωνοι πίνακες ἐν οἷς οἱ περὶ τῶν ἱερῶν νόμοι ἐγγεγραμμένοι ἦσαν καὶ πολιτικοί· ἄξονες δὲ τετράγωνοι ἐν οἷς οἱ περὶ τῶν ἰδιωτικῶν. τινὲς δὲ ἀδιάφορα ταῦτά φασιν; Phot. Lex. κ 1235 s. v. κύρβεις· τρίγωνοι πίνακες, ἐν οἷς οἱ περὶ τῶν ἱερῶν νόμοι ἐγγεγραμμένοι ἦσαν καὶ οἱ πολιτικοί· καὶ ἄξονες δὲ ἐκαλοῦντο οἱ περὶ τῶν ἰδιωτικῶν ἔχοντες τοὺς νόμους καὶ τετράγωνοι. Ebenso Tzetzes Chil. 12,349–358. 72  Diogenianus, Paroemiae 5,72 s. v. Κύρβεις κακῶν: ἐπὶ πλήθους κακῶν. Κύρβεις γὰρ ξύλα τινὰ πινακοειδῆ, ὅπου τοὺς νόμους ἔγραφον; Zenobios 4,77. Auch in Suda κ 2745 s. v. κύρβεις (T 25). 73  Es ist davon auszugehen, dass die Zählung der solonischen áxones erneut mit dem ersten einsetzte und nicht die Zählung der drakontischen Satzung fortsetzte (Stroud 1979, 32). Zum árchōn basileús als dem ersten und ehrwürdigsten der Archonten Aristot. Ath. pol. 3,2–3 (s. o. S. 11 Anm. 35 f.).

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Testimonia

könnte darauf hinweisen, dass Solon seine Gesetze nach den einzelnen Gerichtshöfen (Areopag mit Ephetengerichten; Heliaia) und den verfahrensleitenden Amtsträgern angeordnet hat, eine Vermutung, die bereits Rudolf Schöll 1886 formuliert hatte.74 Dem entspricht, dass bei der Neuaufstellung des Gesetzes Drakons über die Tötung die Schreiber angewiesen wurden, sich den Gesetzestext vom basileús aushändigen zu lassen. Es wird meist davon ausgegangen, dass die Regelung des Unterhalts für Frauen und Waisen (T 35b) auf dem ersten (und einem weiteren) áxōn stand; da aber Bestimmungen über Adoptionen „im 21. der Gesetze“ verzeichnet waren (T 35a), ist nicht auszuschließen, dass auch die Unterhaltsregelung für Frauen und Waisen auf dieser Tafel, also der „einund‹zwanzigsten›“, stand; diesbezügliche Klagen waren beim árchon epṓnymos einzureichen.75 Jedenfalls wird, wenn genaue Stellenangaben mitgeteilt werden, wie es bei Plutarch und Harpokration (T 33–35) der Fall ist, die Nummer eines áxōn angegeben, und Plutarchs direktes Zitat des Amnestiegesetzes (T 33) spricht dafür, dass zumindest in den Kommentaren die Gesetze durchnummeriert waren. Älter als die Durchnummerierung der áxones und der Gesetze werden ‚Überschriften‘ gewesen sein. Zur besseren Orientierung für den Leser gab es zu Beginn Stichworte ähnlich unseren Marginalien; so war dem Amnestiegesetz ἀτίμων („über die Ehrlosen“) vorangestellt, dem Gesetz wegen Behinderung des Zugriffsrechts ἐξουλῆς („über die exoulḗ“; T 32a–b).76 Schriftklagen, die bei den Thesmotheten einzureichen waren und von ihnen vor den Gerichtshof gebracht wurden, standen unter der ‚Überschrift‘ ὕβρεως („über hýbris“).77 Es ist gut möglich, dass ‚Überschriften‘ dieser Art eine frühe Orientierungshilfe darstellten, bevor sich eine Zählung nach áxones durchsetzte.

74  Rudolf Schöll, Ueber attische Gesetzgebung, in: Sitzungsberichte der philosophisch-philologischen und historischen Classe der k. b. Akademie der Wissenschaften zu München, 1886,1, München 1887, 83–139, hier 88–95; Stroud 1979, 32 f. hält diese Annahme von Schöll für überzeugend, ebenso Sickinger 1999, 29; ders. 2004, 103. Dagegen hat sich Immerwahr 1985, 127 ausgesprochen. 75  Aristot. Ath. pol. 56,6–7. Zu weiteren Belegen siehe Ruschenbusch 1966, 11 f. 76  Ruschenbusch 1966, 24; Immerwahr 1985, 127 (der sie für spätere Zusätze hält). Vgl. die Überschrift ἱκεσίων in SEG 9, 72 (= LSS 115) B Z. 28 aus Kyrene (Ende 4. Jh. v. Chr.) und περὶ κλοπῆς in SEG 57, 1409 B Z. 31–34 aus Sagalassos (spätes 4./3. Jh. v. Chr.). Überschriften dieser Art weist auch die Astynomeninschrift aus Pergamon auf (OGIS 483; SEG 13, 521; HGIÜ III 488; Ilias Arnaoutoglou, Ancient Greek Laws. A Sourcebook, London/New York 1998, 123–127 Nr. 99). Im revidierten Opferkalender waren die Opfer unter den Rubriken ἐκ τῶν φυλοβασιλικῶν, ἐκ τῶν κατὰ μῆνα; ἐκ τῶν μὴ ῥητῇ, ἐκ τῶν σ[τηλῶν (oder: ἐκ τῶν σ[υγγραφῶν) aufgeführt (Parker 1994 [wie Anm. 26], 45). 77  Aischin. 1,15 (F 93e): „Und was für ein anderes [Gesetz]? Das der hýbris, das unter einem einzigen Begriff (kephálaion) alle [Vergehen] solcher Art zusammengenommen hat“. Zu kephálaion als ‚Überschrift‘ über einem Gesetz siehe das hadrianische Gesetz über Olivenöl (zu F 76).

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Der Aufstellungsort der áxones und kýrbeis Anaximenes von Lampsakos (T 9) ist der früheste Autor, der bezeugt, dass die áxones und kýrbeis anfangs auf der Akropolis aufgestellt waren, später von Ephialtes „in das bouleutḗrion und die agorá“ gebracht worden seien. Es könnte sich dabei um eine metaphorische Ausdrucksweise handeln, in dem Sinne, dass Ephialtes durch die Entmachtung des Areopags wichtige Entscheidungskompetenzen wie die Rechenschaftspflicht der Amtsträger „auf Rat und Volk“ übertragen hat.78 Nach Pollux (T 22) seien die Gesetze von alters her auf der Akropolis, später im Prytaneion und auf der Agora aufgestellt gewesen.79 Möglicherweise hat Pollux die bei Anaximenes überlieferte Angabe wörtlich genommen. Im Prytaneion waren nach Auskunft von Polemon, Plutarch und Pausanias Reste der alten Schriftträger zu sehen.80 Das 409/8 v. Chr. neu in Stein gemeißelte Gesetz Drakons über die Tötung wurde vor der Stoa Basileia aufgestellt,81 und dies galt vermutlich auch für die im Zeitraum von 410 bis 399 revidierten Gesetze Solons und weitere Gesetze, denn der Autor der Athenaion politeia sagt, die Gesetze Solons seien (zu seiner Zeit) in der Stoa Basileia aufgestellt.82 Literatur Lilian H. Jeffery, The Local Scripts of Archaic Greece. A Study of the Origin of the Greek Alphabet and its Development from the Eighth to the Fifth Centuries B. C., Oxford 1961, 52–55; A. Andrewes, The Survival of Solon’s Axones, in: D. W. Bradeen u. a. (Hrsg.), Phoros, Tribute to 78 Zu agorá im Sinne von Volksversammlung siehe S. 417 mit Anm. 7 und F 63a. 79  Poll. 8,128. Ebenso bereits Polemon in Harpokr. α 166 s. v. ἄξονι (T 14a). 80  Plut. Solon 25,1; Paus. 1,18,3: πλησίον δὲ πρυτανεῖόν ἐστιν, ἐν ᾧ νόμοι τε οἱ Σόλωνός εἰσι γεγραμμένοι καὶ θεῶν Εἰρήνης ἀγάλματα κεῖται καὶ Ἑστίας,… – „In der Nähe ist das Prytaneion, in dem die Gesetze Solons aufgezeichnet sind und von Göttern Kultbilder der Eirene und der Hestia und …“. Stroud 1979, 13. Nach Gil Davis waren die áxones zunächst (mindestens bis zur Mitte des 4. Jh. v. Chr.) im Bouleuterion, später (mindestens seit dem frühen 2. Jh. v. Chr.) im Prytaneion aufbewahrt (2011, 21). Einige der Inschriftfragmente mit dem reviderten Opferkalender sind im Bereich der Tholos gefunden worden (vgl. Jan-Mathieu Carbon im Kommentar zu CGRN 45; es sind die Fragmente 3 und 8–11). 81  Die Stoa Basileios wurde um 500 oder nach 480/79 in der Nordwestecke der Agora errichtet ( J. M. Camp II, The Athenian Agora: Site Guide, Princeton 52010, 75–81), vielleicht aus Anlass der Neuaufstellung der Gesetze (so Immerwahr 1985, 133). Vgl. Stroud 1979, 14 f.: „It is perfectly possible, therefore, that the kyrbeis stood in the Royal Stoa from ca. 461 B. C. or ca. 409 B. C. onwards and that they were still there in Aristotle’s day“ (15). Zu den widersprüchlichen Angaben zur Aufstellung bei Anaximenes und in der Athenaion politeia Immerwahr 1985, 129–132 und Robertson 1986, 153–157, der die Angaben des Anaximenes bestreitet: „There is no reason to think that the kyrbeis ever stood elsewhere than on the west side of the Agora, or that the axones ever stood elsewhere than in the Prytaneion“ (157). Ebenso 168: „And here, in the Prytaneion, Solon set up the axons as the immediate workaday publication of his laws“. Vgl. Sickinger 1999, 29–31. 82  Aristot. Ath. pol. 7,1. Vorauszusetzen ist allerdings eine verkürzte Darstellung dafür, dass die Athener die Gesetze Solons auf kýrbeis aufgeschrieben und später den Text der Gesetze auf die Wand der Stoa Basileios übertragen hätten.

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B. D. Meritt, New York 1974, 21–28; Hardy Hansen, What was a Kyrbis?, in: Philologus 119, 1975, 39–45; William F Wyatt Jr., Why Kyrbis?, in: Philologus 119, 1975, 46 f.; Ronald S. Stroud, The Axones and Kyrbeis of Drakon and Solon (University of California Publications. Classical Studies 19), Berkeley/Los Angeles/London 1979 (mit einer Zusammenstellung aller literarischer, epigraphischer und archäologischer Belege); Henry R. Immerwahr, The Date of the Construction of Solon’s Axones, in: Bulletin of the American Society of Papyrologists 22, 1985, 123–135; Noel Robertson, Solon’s Axones and Kyrbeis, and the Sixth-Century Background, in: Historia 35, 1986, 147–176; James P. Sickinger, Public Records and Archives in Classical Athens, Chapel Hill 1999, 26–29; ders., The Laws of Athens: Publication, Preservation, Consultation, in: Edward M. Harris, Lene Rubinstein (Hrsg.), The Law and the Courts in Ancient Greece, London 2004, 93–109; Maria Noussia-Fantuzzi, Solon the Athenian, the Poetic Fragments, Leiden/Boston 2010, 20 f.; Gil Davis, Axones and kurbeis: A New Answer to an Old Problem, in: Historia 60, 2011, 1–35; Elizabeth A. Meyer, Posts, kurbeis, metopes. The Origins of the Athenian „Documentary“ Stele, in: Hesperia 85, 2016, 323–383.

Testimonia (T 1–35) T 1–2 Drakons áxōn/áxones T 1: Gesetz Solons in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 28 (352 v. Chr.; Gesetz von 594 v. Chr.) (= F 33a) καίτοι πάντα ταῦτ’ ἀπείρηκεν ἄντικρυς καὶ σαφῶς ὁ κάτωθεν νόμος μηδὲ τοὺς ἑαλωκότας καὶ δεδογμένους ἀνδροφόνους ἐξεῖναι ποιεῖν. λέγε δ’ αὐτοῖς αὐτὸν τὸν νόμον τὸν μετὰ ταῦτα ΝΟΜΟΣ

„Τοὺς δ’ ἀνδροφόνους ἐξεῖναι ἀποκτείνειν ἐν τῇ ἡμεδαπῇ καὶ ἀπάγειν, ὡς ἐν τῷ ἄξονι ἀγορεύει, λυμαίνεσθαι δὲ μή, μηδὲ ἀποινᾶν, ἢ διπλοῦν ὀφείλειν ὅσον ἂν καταβλάψῃ. εἰσφέρειν τοὺς ἄρχοντας, ὧν ἕκαστοι δικασταί εἰσι, τῷ βουλομένῳ. τὴν δ’ ἡλιαίαν διαγιγνώσκειν“. App. crit.: δ’ om. A; ἀπαγορεύει A; δὲ ‹εἰς› Dilts, δ’ ἐ‹ς› Schelling, δὲ codd., δ’ om YP1; ἡλιαναγινώσκειν S1, corr. S2, δ’ ἀναγινώσκειν Y.

Und doch hat all dies das von unten her [stammende] Gesetz (ho kátōthen nómos) das alles ausdrücklich und klar verboten und sogar verurteilten und anerkannten Tätern von Tötungsdelikten (androphónoi) anzutun untersagt. Lies ihnen [den Geschworenen] das Gesetz (nó­ mos) vor, das darauf folgt. Gesetz

„Die verurteilten Täter (androphónoi) auf heimischem Gebiet zu töten oder abzuführen (ap­ ágein), ist zulässig, wie es auf dem áxōn bestimmt ist, sie zu misshandeln aber nicht und auch nicht, ein Wergeld zu verlangen (apoinán). Andernfalls schulde man das Doppelte von dem, was man an Schaden angerichtet hat. [Klage] bei den Archonten, die jeweils Richter (dikastaí) sind, einzubringen (eisphérein), ist jedem, der es will, erlaubt. Die hēliaía aber soll entscheiden“.

Es ist dies das einzige Gesetz, das im Gesetzestext selbst auf den áxōn Drakons verweist. Die von Cobet vorgeschlagene Verbesserung zu ἐν τῷ α' ἄξονι („auf dem ersten

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áxōn“) ist abzulehnen, da nicht nur die Codices, sondern auch Harpokration den Text ohne α' überliefern. Zum weiteren Kommentar siehe F 33a. Das Gesetz ist als kátōthen nómos, als ein „von unten her“ kommendes Gesetz, bezeichnet, im Gegensatz zu dem in or. 23,22 zitierten Gesetz, wonach der Areopag über Fälle von Tötung und Verwundung aus Vorsatz, Brandstiftung und Giftmord urteilt. Dieses Gesetz war auf einer Stele am Areopag aufgezeichnet. Das in Demosth. or. 23,28 verlesene Gesetz, in dem es um Schadenersatzklagen vor der (h)eliaía geht, war nicht auf dieser Stele verzeichnet, da solche Klagen nicht in die Kompetenz des Gerichtshofs für Tötungsgesetze fielen. Es gehörte also zu den Gesetzen, die „unten“ auf der Agora in der Stoa Basileia aufgestellt waren oder im Metroon eingesehen werden konnten.83 T 2: Inscriptiones Graecae I3 104 Z. 4–10 und 56 (409/8 v. Chr.) (= F 2) [..]ε[…]άνες εἶπε· τὸ[ν] |5 Δράκοντος νόμον τὸμ περὶ το� φό[ν]ο ἀναγρα[φ]σά[ν]τον οἱ ἀναγραφε-� ς το�ν νόμον παραλαβόντες παρὰ το� β̣[α]σ̣[ι]λ̣έ[ος με]τ[ὰ το� γραμμ]ατέος τες� βουλες� ἐστέλει λιθίνει καὶ κα[τ]α[θ]έντ[ον πρόσ]θε[ν] τες� στοᾶς τες� βασιλείας· … |10 προ�τος ἄχσον. … |56 [δεύτ]ε̣ρος ̣ [ἄχσον]· [..]e[… ph]anes stellte den Antrag: Das |5 Gesetz (nómos) Drakons über die Tötung sollen die anagrapheís, nachdem sie sich das Gesetz (nómos) vom basileús haben aushändigen lassen, zusammen mit dem Schriftführer des Rats (boulḗ) auf einer steinernen Stele aufschreiben und sie aufstellen lassen vor der stoá basíleia. … |10 Erster áxōn: … |56 [Zwei]ter [áxōn]: …

T 3–12 Solons kýrbeis (T 4: T 533 Martina, T 13, 26 Ruschenbusch; T 5: T 530 Martina, T 27 Ruschenbusch; T 6: T 529 Martina; T 9: T 548 Martina, T 15, 18a, 24 Ruschenbusch; T 10: T 535 Martina, T 19, 28 Ruschenbusch; T 11: T 536 Martina, T 30a Ruschenbusch; T 12: T 558 Martina, T 2 Ruschenbusch)

T 3: Aischylos fr. 494 Mette (5. Jh. v. Chr.) (P. Oxy. 2246, Z. 35–37)

[---] φεύ̣ξεται ̣ [--|--] προσβολάς, κύ̣[ρ̣]β̣ις ὡς γέ̣[ρων λέγει· --|--] δέξεται δ̣ὲ ̣ γ̣ᾶ νι ̣ν̣ ἄλλ[α --]. Er wird vor dem Angriff fliehen [oder: er wird die Landungsorte meiden], wie ein alter kýrbis sagt; … ein anderes Land aber wird ihn aufnehmen.

83  Zur Unterscheidung eines „oberen“ und eines „unteren Gerichtshofs“ siehe Lexeis Rhetorikai s. v. ἐπάνω δικαστήριον καὶ ὑποκάτω (Anecd. gr. 1,253,26–254,2 Bekker). Zur Archivierung von Gesetzen im Metroon Sickinger 2004, 105.

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T 4: Kratinos fr. 300 PCG (2. Hälfte 5. Jh. v. Chr.) (Plut. Solon 25,2)

καὶ Κρατῖνος ὁ κωμικὸς εἴρηκέ που· „πρὸς τοῦ Σόλωνος καὶ Δράκοντος, οἷσι νῦν φρύγουσιν ἤδη τὰς κάχρυς τοῖς κύρβεσιν“. App. crit.: πρὸς τοῦ Plut.SUMA, τοὺς Edmonds, τῶν Kassel; κάχρυς SU, κέχρυς MA; τοῖς κύρβεσιν Plut.S, ταῖς κύρβεσιν Plut.UMA

Und der Komödiendichter Kratinos hat an einer Stelle gesagt: „Bei Solon und Drakon, auf deren kýrbeis sie jetzt bereits die Gerste rösten.“

T 5: Aristophanes, Die Vögel (aves) 1353–1357 (414 v. Chr.) (= F 140a) ἀλλ’ ἔστιν ἡμῖν τοῖσιν ὄρνισιν νόμος παλαιὸς ἐν τοῖς τῶν πελαργῶν κύρβεσιν· „ἐπὴν ὁ πατὴρ ὁ πελαργὸς ἐκπετησίμους πάντας ποιήσῃ τοὺς πελαργιδέας τρέφων, δεῖ τοὺς νεοττοὺς τὸν πατέρα πάλιν τρέφειν“. App. crit.: τοῖσιν: τοῖς AM; νόμος: νόμοις V1; τοῖς: ταῖς RA Schol. RV Ald.

Doch wir Vögel haben ein Gesetz (nómos), Uralt, in den kýrbeis der Störche: „Sobald der Storchenvater alle Jungstörche ernährt und damit flügge gemacht hat, sollen die Jungtiere den Vater ihrerseits ernähren“.

T 6: Lysias, Gegen Nikomachos (or. 30) 17–18 und 20 (399/98 v. Chr.) (17) πυνθάνομαι δὲ αὐτὸν λέγειν ὡς ἀσεβῶ καταλύων τὰς θυσίας. ἐγὼ δ’ εἰ μὲν νόμους ἐτίθην περὶ τῆς ἀναγραφῆς, ἡγούμην ἂν ἐξεῖναι Νικομάχῳ τοιαῦτα εἰπεῖν περὶ ἐμοῦ· νῦν δὲ τοῖς κοινοῖς καὶ κειμένοις ἀξιῶ τοῦτον πείθεσθαι. θαυμάζω δὲ εἰ μὴ ἐνθυμεῖται, ὅταν ἐμὲ φάσκῃ ἀσεβεῖν λέγοντα ὡς χρὴ θύειν τὰς θυσίας τὰς ἐκ τῶν κύρβεων καὶ τῶν στηλῶν κατὰ τὰς συγγραφάς, ὅτι καὶ τῆς πόλεως κατηγορεῖ· ταῦτα γὰρ ὑμεῖς ἐψηφίσασθε. ἔπειτα εἰ ταῦτα νομίζεις δεινά, ἦ που σφόδρα ἐκείνους ἡγῇ ἀδικεῖν, οἳ τὰ ἐκ τῶν κύρβεων μόνον ἔθυον. (18) καίτοι, ὦ ἄνδρες δικασταί, περὶ εὐσεβείας οὐ παρὰ Νικομάχου ‹χρὴ› μανθάνειν, ἀλλ’ ἐκ τῶν γεγενημένων σκοπεῖν. οἱ τοίνυν πρόγονοι τὰ ἐκ τῶν κύρβεων θύοντες μεγίστην καὶ εὐδαιμονεστάτην τῶν Ἑλληνίδων τὴν πόλιν παρέδοσαν. … (19) πῶς δ’ ἄν τις εὐσεβέστερος γένοιτο ἐμοῦ, ὅστις ἀξιῶ πρῶτον μὲν κατὰ τὰ πάτρια θύειν, ἔπειτα ἃ μᾶλλον συμφέρει τῇ πόλει, ἔτι δὲ ἃ ὁ δῆμος ἐψηφίσατο καὶ δυνησόμεθα δαπανᾶν ἐκ τῶν προσιόντων χρημάτων; σὺ δέ, ὦ Νικόμαχε, τούτων τἀναντία πεποίηκας· ἀναγράψας γὰρ πλείω τῶν προσταχθέντων αἴτιος γεγένησαι τὰ προσιόντα χρήματα εἰς ταῦτα μὲν ἀναλίσκεσθαι, ἐν δὲ ταῖς πατρίοις θυσίαις ἐπιλείπειν. (20) αὐτίκα πέρυσιν ἱερὰ ἄθυτα τριῶν ταλάντων γεγένηται τῶν ἐν ταῖς κύρβεσι γεγραμμένων. καὶ οὐχ οἷόν τε εἰπεῖν ὡς οὐχ ἱκανὰ ἦν ἃ προσῆλθε τῇ πόλει. App. crit.: (17) στηλῶν Taylor, εὔπλων X, ὅπλων C. (20) ἱκανὰ εἶναι codd.

(17) Ich höre, dass er behauptet, ich habe einen Frevel gegen die Götter begangen (asebeín), weil ich die [vorgeschriebenen] Opfer (thysíai) aufheben würde. Hätte ich nun Gesetze zur Aufzeichnung [der Opfer] festgesetzt [wie es Nikomachos getan hat], dann würde ich mei-

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nen, dass Nikomachos mit einer solchen Behauptung über mich im Recht ist. Nun fordere ich aber nur, dass er die allgemeinen und gültigen Bestimmungen befolgt. Ich wundere mich doch sehr, dass er nicht bedenkt, dass er die Polis als ganze anklagt, wenn er mich beschuldigt, gegen die Götter gefrevelt zu haben (asebeín), weil ich gefordert habe, die Opfer (thysíai) auf den kýrbeis und den Stelen gemäß den Vorgaben zu vollziehen. Dies nämlich habt ihr durch Abstimmung beschlossen (psēphízesthai). Wenn du dies als verwerflich ansiehst, wie musst du dann diejenigen für Übeltäter halten, die allein die auf den kýrbeis [verzeichneten] Opfer vollziehen. (18) Allein, ihr Richter, wir müssen uns über religiöse Pflichten (eusébeia) nicht von Nikomachos belehren lassen, sondern allein die gegebenen Dinge beachten. Unsere Vorfahren, die [in Übereinstimmung] mit den kýrbeis die Opfer vollzogen, hinterließen uns die Polis als bedeutendste und wohlhabendste aller griechischen Städte. … (19) Wie könnte jemand gewissenhafter beim Befolgen der heiligen Gebräuche sein als ich, der ich für richtig halte, dass man vor allem gemäß der väterlichen Tradition opfert, danach gemäß solchen, die unserer Stadt besonderen Nutzen bringen, und schließlich entsprechend dem, was das Volk beschloss und was wir aus den Einkünften an Aufwand bestreiten können? Du aber, Nikomachos, hast von all dem das Gegenteil getan. Dadurch, dass du mehr aufgezeichnet hast, als tatsächlich verordnet worden war, bist du schuld daran, dass die Einkünfte für diese [neuen Gebräuche] verwendet wurden, für die althergebrachten Opfer aber dann nicht ausreichten. (20) Beispielsweise wurden im letzten Jahr Opfer im Wert dreier Talente, die auf den kýrbeis verzeichnet waren, nicht vollzogen. Und man kann nicht sagen, dass etwa die Einkünfte der Polis unzureichend gewesen wären.84

T 7: Beschluss der Salaminier Z. 80–88 (SEG 21,527) (363/62 v. Chr.) Ἀρχένεως εἶπεν· ὅπως ἂν Σαλαμίνιοι τὰ ἱερὰ θύωσι αἰεὶ τοῖς θεοῖς καὶ τοῖς ἥρωσι κατὰ τὰ πάτρια καὶ γίγνητα[ι] ἐφ’ οἷς διήλλαξαν οἱ διαλλακταὶ ἀμφοτέρους καὶ οἱ αἱρεθέντες ὤμοσαν, ἐψηφίσθαι Σαλαμινίοις τὸν ἄρχοντα Ἀρίσταρχον ἐγγράψαι τὰς θυσίας ἁπάσας καὶ τὰς τιμὰς τῶν ἱερέων εἰς τὴν στήλην ἐν εἷ αἱ διαλλαγαί εἰσιν, ὅπως ἂν οἱ ἄρχοντες αἰεὶ παρ’ ἀνφοτέρων εἰδῶσι ὅ τι δεῖ ἀργύριον συνβάλλεσθαι εἰς τὰ[ς] θυσίας ἁπάσας ἑκατέρους ἀπὸ τῆς μισθώσεως τῆς γῆς τῆ̣ς ἐφ’ Ἡρακλείωι, καὶ στῆ̣σαι τὴν στή̣λη̣ν ἐν τῶι Εὐρυσακείωι. v Μουνιχιῶνος. ἐπὶ Πορθμῶι· Κουροτρόφωι αἶγα Δ, Ἰόλεωι οἶν ὁλόκαυτον ΔΓ: Ἀλκμήνει οἶν ΔͰͰ, Μαίαι οἶν ΔͰͰ, Ἡρακλεῖ βοῦν 𐅄ΔΔ, ἥρωι ἐπὶ τεῖ ἁλεῖ οἶν ΔΓ, ἥρωι ἐπ’ Ἀντισάραι χοῖρον ͰͰͰΙΙΙ, ἥρωι Ἐπι- πυργιδ̣ίωι χοῖρον ͰͰͰΙΙΙ, Ἴον⟨ι⟩ οἶν θύειν ἐναλλὰξ παρ’ ἔτος· ξύλα ἐφ’ ἱεροῖς καὶ οἷς ἡ πόλις δίδωσιν ἐκ κύρβεω(ν) Δ. ὀγδόει ἐπὶ δέκα Εὐρυσάκε̣ι ̣ ὗν ΔΔΔΔ· ξύλα ἐφ’ ἱεροῖ⟨ς⟩ καὶ ε̣ἰς ̣ τἄλλα ͰͰͰ. Ἑκατονβαιῶνος. … App. crit.: Text nach AIO (nach Rhodes/Osborne 37, die wiederum SEG 21,527 und den Ergänzungen von Stephen D. Lambert, The Attic Genos Salaminioi and the Island of Salamis, in: ZPE 119, 1997, 85–106 Nr. 1 [SEG 47,165/1] and dems., in: ZPE 125, 1999, 100 n. 7 [SEG 47,165/3] folgen). Ἀρχέλεως Ferguson; ἁλει� Ferguson; ἐπὶ Πυργιλίωι Ferguson; Ἴων(ι) Ferguson.

Archeneos hat beantragt: Damit die Salaminier den Göttern und den Heroen stets gemäß der väterlichen Tradition die Opfer (hierá) darbringen und ausgeführt werde, was die Schiedsleute beiden Seiten zur Aussöhnung auferlegt und worauf die ausgewählten Personen einen Eid geleistet haben, sollen die Salaminier beschließen, dass der árchōn Aristarchos alle Opfer (thysíai) und den Wert (timaí) der Opfertiere (hieréa) auf die Stele schreibe, auf der die Be84  Übersetzung nach Ingeborg Huber.

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stimmungen der Aussöhnung verzeichnet sind, damit die árchontes von jeweils beiden Seiten für alle Zukunft wissen, welcher Betrag für alle Opfer (thysíai) jede der beiden Seiten aus der Verpachtung des Landes beim Herakleion beisteuern muss, und er [Aristarchos] die Stele im Eurysakeion aufstelle. [Im Monat] Munichion: in Porthmos: für Kurotrophos eine Ziege [im Wert von] 10 [Drachmen]; für Ioleos ein Schaf als Brandopfer (holókautos) [im Wert von] 15 [Dr.]; für Alkmene ein Schaf [im Wert von] 12 [Dr.]; für Maia ein Schaf [im Wert von] 12 [Dr.]; für Herakles ein Ochse [im Wert von] 70 [Dr.]; für den bei der Saline verehrten Heros ein Schaf [im Wert von] 15 [Dr.]; für den bei Antisara verehrten Heros ein Ferkel [im Wert von] 3 [Dr.] und 3 [Obolen]; für den Heros Epipyrgidios ein Ferkel [im Wert von] 3 [Dr.] und 3 [Ob.]; für Ion ist abwechselnd jedes zweite Jahr ein Schaf zu opfern. Holz für die Opfer und für die, die die pólis aus den kýrbeis vorschreibt, [im Wert von] 10 [Dr.]. Am achtzehnten [dieses Monats]: für Eurysakes ein Schwein [im Wert von] 40 [Dr.]; Holz für diese Opfer und anderes 3 [Dr.]. [Im Monat] Hekatonbaion: …

Auf der Stele sind die Ergebnisse einer Versöhnung nach einem Streit zwischen zwei Linien der Salaminioi, nämlich der „Salaminioi der sieben Phylen“ (ἐκ τῶν ἑπτὰ φυλῶν) und der „Salaminioi von Sunion“ (ἀπὸ Σονίο), aufgezeichnet, so wie sie im Jahr 363/62 vereinbart wurden.85 Die Vereinbarungen zu der Versöhnung gehen auf Besitztümer und Verpflichtungen bei der Übernahme von Priesterämtern und Opfern ein. Zwar werden die „Salaminioi der sieben Phylen“, da es bis zu den kleisthenischen Reformen nur vier Phylen gab, auf eine Zeit nach 508/7 v. Chr. zurückgehen, doch geht die Forschung davon aus, dass die Ursprünge der Salaminier selbst in früharchaischer, wenn nicht in noch früherer Zeit liegen.86 Zu den verpflichtenden Opfern, die die Salaminier zu erfüllen hatten, kam im Monat Munichion (April/Mai) ein Opfer hinzu, dessen Kosten die Polis Athen bestritt, wobei aber die Salaminier für das Brennholz aufkommen mussten. Bei diesen „Opfern von dem kýrbis“ (oder „von den kýrbeis“) wird es sich um Opfer handeln, die auf dem zentralen Opferkalender der Polis Athen in der revidierten Fassung der Jahre 403 bis 399 v. Chr. verzeichnet waren.87

85  SEG 21,527; 47,165,1 und 3; Franciszek Sokolowski, Lois sacrées des cités grecques. Supplément, Paris 1962, Nr. 19; Gerald V. Lalonde, Merle K. Langdon, Michael B. Walbank (Hrsg.), The Athenian Agora. Results of Excavations Conducted by the American School of Classical Studies at Athens, Bd. 19: Horoi, Poletai Records, Leases of Public Lands, Princeton 1991, Nr. L4a; Stephen D. Lambert, The Attic Genos Salaminioi and the Island of Salamis, in: ZPE 119, 1997, 85–106 Nr. 1; P. J. Rhodes, Robin Osborne, Greek Historical Inscriptions 404–323 BC, Oxford 2003, 22007, Nr. 37; Jan-Mathieu Carbon, Saskia Peels, Dossier of regulations of the genos of the Salaminioi in Attica, in: Vinciane Pirenne-Delforge (Hrsg.), A Collection of Greek Ritual Norms (CGRN), Liège 2016, Nr. 84 (http://cgrn.ulg.ac.be/file/84/). 86  Robin Osborne, Archaeology, the Salaminioi, and the Politics of Sacred Space in Archaic Athens, in: Susan E. Alcock, Robin Osborne (Hrsg.), Placing the Gods. Sanctuaries and Sacred Space in Ancient Greece, Oxford 1994, 143–160, hier 154–159, der die Ursprünge in die Zeit um 700 v. Chr. setzt. Vgl. Robert Parker, Athenian Religion. A History, Oxford 1996, 308–316; Nicholas F. Jones, The Associations of Classical Athens. The Response to Democracy, New York/Oxford 1999, 246 f. 87  William S. Ferguson, The Salaminioi of Heptaphylai and Sounion, in: Hesperia 7, 1938, 1–74, hier 67.

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T 8: Lykurgos, Über die Priesterin (or. 6) fr. 12 Conomis (4. Jh. v. Chr.) (Harpokr. κ 97 s. v. κύρβεις; Phot. Lex. κ 1233 s. v. κύρβεις)

Κύρβεις: Λυκοῦργος ἐν τῷ περὶ τῆς ἱερείας. κύρβεις φησὶν Ἀπολλόδωρος ἐν τοῖς περὶ θεῶν ἔχειν … Kýrbeis: Lykurgos in der Rede Über die Priesterin. Apollodoros sagt im Werk Über die Götter, ‚kýrbeis‘ enthielten … (T 19a)

T 9: Anaximenes von Lampsakos, Philippika FgrH 72 F 13 (ca. 350–320) (Harpokr. ο 14 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος; vgl. Suda ο 104 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος; Phot. Lex. ο 173 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος; P. Berol. 5008 B 7 ff. zu lex apud Demosth. or. 23,28 [= T 20])

ὁ κάτωθεν νόμος· Δημοσθένης ἐν τῶι κατ’ Ἀριστοκράτους. Δίδυμος „ἤτοι“ φησί „… λέγει ὁ ῥήτωρ (T 20) …“· ἢ „ἐπεί“ φησί, „τοὺς ἄξονας καὶ τοὺς κύρβεις ἄνωθεν ἐκ τῆς ἀκροπόλεως εἰς τὸ βουλευτήριον καὶ τὴν ἀγορὰν μετέστησεν Ἐφιάλτης, ὥς φησιν Ἀναξιμένης ἐν Φιλιππικοῖς“. App. crit.: Δίδυμος om. Phot. Sud.; ἤτοι: ἤ Phot. Sud.; ὁ ῥήτωρ om. Phot. Sud.; ἐκ om. Harpokr. ABCEF; Φιλιππικοῖς Harpokr.D, Φιλιππικῷ Harpokr., Sud., Phot.

„das von unten her [stammende] Gesetz (kátōthen nómos)“: Demosthenes in der [Rede] Gegen Aristokrates [or. 23,28]. Didymos sagt: „Der Redner sagt [kátōthen nómos] entweder, weil …“. „Oder“, so sagt er [Didymos], „weil Ephialtes die áxones und die kýrbeis oben (ánōthen) von der Akropolis [hinunter] in das Rathaus (bouleutḗrion) und die Agora gebracht hat, wie Anaximenes in den Philippika sagt“.

T 10: Aristoteles, Athenaion politeia 7,1 (320er Jahre) ἀναγράψαντες δὲ τοὺς νόμους εἰς τοὺς κύρβεις ἔστησαν ἐν τῇ στοᾷ τῇ βασιλείῳ. Sie [die Athener] schrieben die Gesetze (nómoi) [Solons] auf die kýrbeis auf und stellten sie in der Königshalle (stoá basíleios) auf.

T 11: Theophrast, Über die religiösen Pflichten (de pietate) fr. 12 Pötscher (2. Hälfte 4./ frühes 3. Jh.) (fr. 30 Hager, p. 155 Nauck2; aus Porphyrios, De abstinentia 2,20–21)

(20) διὰ πολλῶν δὲ ὁ Θεόφραστος ‹ἐκ› τῶν παρ’ ἑκάστοις πατρίων ἐπιδείξας, ὅτι τὸ παλαιὸν τῶν θυσιῶν διὰ τῶν καρπῶν ἦν ἔτ’ εἰπὼν πρότερον τῆς πόας λαμβανομένης, καὶ τὰ τῶν σπονδῶν ἐξηγεῖται τοῦτον τὸν τρόπον τὰ μὲν ἀρχαῖα τῶν ἱερῶν νηφάλια παρὰ πολλοῖς ἦν, νηφάλια δ’ ἐστὶν τὰ ὑδρόσπονδα, τὰ δὲ μετὰ ταῦτα μελίσπονδα· τοῦτον γὰρ ἕτοιμον παρὰ μελιττῶν πρῶτον ἐλάβομεν τὸν ὑγρὸν καρπόν· εἶτ’ ἐλαιόσπονδα· (21) τέλος δ’ ἐπὶ πᾶσιν τὰ ὕστερον γεγονότα οἰνόσπονδα. μαρτυρεῖται δὲ ταῦτα οὐ μόνον ὑπὸ τῶν κύρβεων, αἳ τῶν Κρήτηθέν εἰσι Κορυβαντικῶν ἱερῶν οἷον ἀντίγραφα ἄττα πρὸς ἀλήθειαν … App. crit.: ‹ἐκ› Nauck; τῶν κύρβεων Ruhnken: τῶν ἐν κύρβεων στηλῶν codd.; ἄττα vel τινα Ruhnken: τὰ codd.

(20) Theophrast zeigt an vielen in einzelnen Gemeinwesen geübten althergebrachten Bräuchen, dass man in früher Zeit Feldfrüchte opferte, wobei er hinzufügt, dass man noch früher Gras genommen habe. Und das [Aufkommen] der Trankopfer erklärt er folgendermaßen:

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In früher Zeit wurden bei vielen ‚nüchterne Opfer‘ (nēphália) [also kein Wein] gespendet (nēphália sind Wasserspenden), anschließend Honigspenden. Denn Honig bekamen wir als erstes von den Bienen bereitet als flüssigen Ertrag. Daraufhin [kamen] Ölspenden [auf]. (21) Am Ende nach all diesen [kamen] Weinspenden. Dies wird nicht nur von den kýrbeis bezeugt, die geradezu getreue Abschriften der Opfer der Korybanten aus Kreta sind … vgl. Photius, Lexicon κ 1234 s. v. κύρβεις· … Θεόφραστος δὲ ἀπὸ τῶν Κρητικῶν Κορυβάντων· τῶν γὰρ Κορυβαντικῶν ἱερῶν οἷον ἀντίγραφα αὐτοὺς εἶναι. – „kýrbeis: … Theophrast [leitet das Wort] von den kretischen Korybanten ab. Sie [die kýrbeis] sind nämlich geradezu Abschriften der Opfer der Korybanten“. Lexicon Patmense (= Lexicon in Demosthenem et Aeschinem) p. 160 (Sakkelion): Κύρβεις· … Θεόφραστος δὲ, ἀπὸ τῶν Κρητικῶν Κορυβάντων καὶ Κορυβαντικῶν ἱερῶν, οἷον ἀντίγραφα αὐτοῖς εἶναι. Schol. Aristoph. aves 1354: … κύρβεις δὲ …, ἢ ἀπὸ τῶν κορυβάντων. ἐκείνων γὰρ εὕρημα, ὥς φησι Θεόφραστος ἐν τῷ περὶ εὐσεβείας. – „kýrbeis aber [leitet sich her von …] oder von den Korybanten, deren Erfindung sie [die kýrbeis] nämlich sind, wie Theophrast im Buch Über die religiösen Pflichten sagt.“

T 12: Phanias von Eresos, fr. 22b Wehrli (2. Hälfte 4. Jh.) (Etymologicum Gudianum s. v. κῦρβες p. 355, 38–52 Sturz, cf. Etym. Magnum s. v. κύρβεις)

Κῦρβες, … Ἀσκληπιάδης δὲ ἐν τοῖς τῶν ἀξόνων ἐξηγητικοῖς ἀπὸ κύρβεως τοῦ τὰς θυσίας ὁρίσαντος, ὡς φησὶ Φανίης ὁ Ἐρέσιος, ‹ἢ› ἀπὸ τοῦ ταῦτα κυρωθῆναι τοῖς γράμμασιν. App. crit.: θυσίας Cramer, οὐσίας cod.

Kýrbes: … Asklepiades [erläutert] in seinem Kommentar (exēgētiká) der áxones: [der Name kýrbes leitet sich her] „von einem die Opfer festlegenden kýrbis, [oder] wie Phanias aus Eresos sagt, weil diese durch die schriftliche Abfassung Gültigkeit erlangt haben (kyrōthḗnai)“.

Vom Text her ist nicht sicher, welche der Erklärungen auf Phanias zurückgeht, nur die letztgenannte, wonach das Wort kýrbis von kyrōthḗnai abgeleitet ist, oder das gesamte Zitat. Geht das ganze Zitat auf Phanias zurück, ist er der früheste Autor, der von einem kýrbis spricht, der „die οὐσίαι bestimmt“. Οὐσίαι kann in diesem Zusammenhang kaum „Vermögen, Besitz“ bedeuten, allenfalls im Sinne von ‚Werten‘, die den Göttern als Opfergabe zustehen, so wie im Beschluss der Salaminier von „Opfern und Werten der Opfertiere“ (T 7: τὰς θυσίας ἁπάσας καὶ τὰς τιμὰς τῶν ἱερέων) die Rede ist.88 Meist aber wird das in den Handschriften überlieferte οὐσίαι an dieser und an weiteren Stellen durch θυσίαι ersetzt, da der Kontext einen religiösen Zusammenhang nahelegt und die Textveränderung minimal wäre.89 Dafür spricht auch, dass Plutarch in der Solonbiographie (T 21) anstelle von οὐσίαι die Wendung ἱερὰ καὶ θυσίαι verwendet. Der

88  Nach Meyer 2016, 335 leitete Asklepiades das Wort von einem unbekannten Gott Kyrbis ab oder brachte das Wort mit Grenzsteinen in Verbindung; sie versteht also τοῦ τὰς οὐσίας ὁρίσαντος im Sinne von „der die Besitztümer abgrenzende kýrbis“. Ebd. 335: „Apollodoros’s fascination with pointy objects of eastern exoticism is a learned etymologizing fantasy, not an accurate description of an object“. 89  So auch bei Aristophanes von Byzanz (T 16); vgl. T 17.

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kýrbis wäre dann eine Stele, auf der vorgeschriebene Opfer verzeichnet waren. Nicht auszuschließen ist auch die Deutung, Kyrbis sei der Name einer Person oder Gottheit, die Opfer festgelegt habe.90 T 13–26 áxones und kýrbeis (T 13a: T 566b Martina; T 13b: T 558 Martina, T 2 Ruschenbusch; T 14a: T 546 Martina, T 14, 20, 25 Ruschenbusch; T 14b: T 492 Martina; T 15: T 548 Martina, T 15, 18a, 24 Ruschenbusch; T 16–17: T 558 Martina, T 2, 11 Ruschenbusch; T 18a–b: T 569a–b Martina, T 6a–b Ruschenbusch; T 19a–c: T 547, 556, 557 Martina; T 19e: T 566a Martina; T 19f: T 531 Martina, T 30c Ruschenbusch; T 20: T 548 Martina, T 15, 18a, 24 Ruschenbusch; T 21: T 541 Martina, T 22–23 Ruschenbusch; T 22: T 551 Martina, T 18b Ruschenbusch; T 23: T 560 Martina, T 32 Ruschenbusch)

T 13a: Eratosthenes FgrH 241 F 37a (fr. 80 Strecker) (2. Hälfte 3. Jh. v. Chr.) (Scholia in Apollonii Rhodii Argonautica 279–281c)

κύρβιας: κύρβεις λέγουσιν, ὡς Ἐρατοσθένης, τοὺς ἄξονας καλουμένους Ἀθήνησιν, ἐν οἷς οἱ νόμοι περιέχονται. οἱ δὲ ἀκριβέστεροι ἄξονας μὲν τετραγώνους λίθους, κύρβεις δὲ τριγώνους· ἐν ἀμφοτέροις δὲ νόμοι ἦσαν γεγραμμένοι Ἀθήνησι. ἐνταῦθα δὲ κύρβιάς φησι πίνακάς τινας γῆς περίοδον περιέχοντας. kýrbias: kýrbeis nennt man, wie Eratosthenes [sagt], in Athen die so genannten Achsen (áxo­ nes), auf denen die Gesetze stehen. Die sorgfältigeren [Autoren geben an], áxones seien viereckige Steine, kýrbeis aber dreieckige. Auf beiden [Schriftträgern] waren in Athen Gesetze verzeichnet. Deswegen bezeichnet er [Apollonios] gewisse Tafeln (pínakes), die eine Erdbeschreibung [oder: Karte] tragen, als kýrbiai.

T 13b: Eratosthenes FgrH 241 F 37b (2. Hälfte 3. Jh. v. Chr.) (Etymologicum Gudianum s. v. κῦρβες p. 355,47 Sturz, cf. Etymologicum Magnum p. 547,50 s. v. κύρβεις)

Κῦρβες, … Ἐρατοσθένης δὲ τριγώνους φησὶν αὐτὰς εἶναι οὐ τετραγώνους· … Kýrbes: … Eratosthenes aber sagt, diese seien dreieckig, nicht viereckig. …

Im Text der Argonautica ist von der Stadt Aia die Rede, die noch immer von den Nachkommen der Männer bewohnt werde, die Sesostris dort angesiedelt habe; sie verfügten über von den Vätern ererbte Karten, Tafeln (kýrbiai), auf denen alle Wege und die Grenzen des Meeres und des Landes eingezeichnet waren.91 Der Scholiast zu den Argonautica nimmt dieses ungewöhnliche Wort zum Anlass einer Erläuterung und greift dabei auf Eratosthenes zurück, der erwähnte, dass auf kýrbeis die Gesetze (Solons) verzeichnet waren und sie drehbare ‚Achsen‘ waren. Die darauf folgende

90  Die kretische Stadt Hierapytna soll von Kyrbas gegründet worden sein und habe deswegen zunächst Kyrba geheißen (Strab. 10,3,19 p. 472 C; Herodian 1,252,7; Steph. Byz. s. v. Ἱεράπυτνα). Dazu Fritz Graf, Nordionische Kulte. Religionsgeschichtliche und epigraphische Untersuchungen zu den Kulten von Chios, Erythrai, Klazomenai und Phokaia, Vervey 1985, 330 Anm. 102. 91  Apoll. Rhod. 4,279–281.

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‚Korrektur‘ des Scholiasten ist unzutreffend, da weder die áxones noch die kýrbeis steinerne Stelen (líthoi) waren; Eratosthenes (T 13b) und die „zuverlässigeren Autoren“ könnten mit den dreieckigen kýrbeis einzeln stehende steinerne oder bronzene Stelen gemeint haben. T 14a: Polemon, Gegen Eratosthenes, FHG fr. 48 (Ende 3./Anfang 2. Jh.) (Harpokr. α 166 s. v. ἄξονι)

Ἄξονι· οἱ Σόλωνος νόμοι ἐν ξυλίνοις ἦσαν ἄξοσι γεγραμμένοι· Δημοσθένης ἐν τῷ Κατ’ Ἀριστοκράτους: „ὡς ἐν τῷ ἄξονι εἴρηται“. ἦσαν δέ, ὥς φησι Πολέμων ἐν τοῖς Πρὸς Ἐρατοσθένην, τετράγωνοι τὸ σχῆμα, διασώζονται δὲ ἐν τῷ πρυτανείῳ, γεγραμμένοι κατὰ πάντα τὰ μέρη. ποιοῦσι δ’ ἐνίοτε φαντασίαν τρίγωνον, ὅταν ἐπὶ τὸ στενὸν κλιθῶσι τῆς γωνίας. App. crit.: ἄξονι: ἄξονοι A; οἱ τοῦ Σόλωνος D; ἐν om. ABCF; ἄξοσι ἦσαν BC; Δημοσθένης … εἴρηται om. E; ὥς: ἕως ABF; ὥς φησι … Ἐρατοσθένην om. E; ἐν τοῖς: ἐν τῷ Stroud 1979; κατὰ πάντα Valesius, καὶ ἅπαντα codd.; τριγώνων Salmasius; κλιθῶσι: τιθῶσι BCFG.

[auf dem] áxōn: Die Gesetze Solons waren auf hölzernen áxones aufgeschrieben. Demosthenes [sagt] in der [Rede] Gegen Aristokrates: „wie es auf dem áxōn bestimmt ist“. Sie waren aber, wie Polemon in den [Büchern] Gegen Eratosthenes sagt, viereckig von der Form her, erhalten geblieben im Prytaneion, auf allen Seiten beschrieben. Einige nehmen an, [man könne] die Vorstellung dreieckiger Form haben, wenn sie [die áxones] auf die Spitze der Ecke gedreht sind.

T 14b: Polemon, Gegen Eratosthenes, FHG fr. 78 (Ende 3./Anfang 2. Jh.) (Athen. 6,26, p. 234d, e–f)

(D) Πολέμων γοῦν – … – γράψας περὶ παρασίτων φησὶν οὕτως· (E–F)… „Ἐν δὲ τοῖς κύρβεσι τοῖς περὶ τῶν Δηλιαστῶν οὕτως γέγραπται· ‚Καὶ τὼ κήρυκε ἐκ τοῦ γένους τῶν κηρύκων τοῦ τῆς μυστηριώτιδος. Τούτους δὲ παρασιτεῖν ἐν τῷ Δηλίῳ ἐνιαυτόν‘“. (D) Polemon schreibt über die parásitoi Folgendes: (E–F) … „Auf den kýrbeis bezüglich der Deliasten [der Festgesandten nach Delos] steht geschrieben: ‚… und auch die beiden Herolde aus dem Heroldsgeschlecht, das mit dem Mysterienkult verbunden ist. Diese sollen ein Jahr lang im Delion [dem Apollonheiligtum] parásitoi sein‘“.

Harpokration (T 14a) verweist in seiner Erklärung ἄξονι auf Demosth. or. 23,28 (bzw. 23,31), ohne zu berücksichtigen, dass in dem Zitat die Satzung Drakons gemeint ist. Polemon verweist hinsichtlich der äußeren Form der viereckigen áxones auf die erhaltenen Teile im Prytaneion. Ob Eratosthenes anderes behauptet hatte, lässt sich aus dem Fragment aber nicht entnehmen. T 15: Euphorion, Apollodoros (2. Hälfte 3. Jh.) (Harpokr. ο 14 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος; vgl. Suda ο 104 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος; Phot. Lex. ο 173 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος; P. Berol. 5008 B 7 ff. zu lex apud Demosth. or. 23,28 [= T 20])

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ὁ κάτωθεν νόμος· Δημοσθένης ἐν τῶι κατ’ Ἀριστοκράτους. Δίδυμος „ἤτοι“ φησί „… ἢ διὰ τὸ σχῆμα τῆς ἐν τοῖς ἄξοσι γραφῆς βουστροφηδὸν γεγραμμένης, ἧι τὸν ἀπὸ τῶν εὐωνύμων ἀρχόμενον νόμον κάτωθεν ὀνομάζει ὁ Δημοσθένης· ὅτι γὰρ“ φησὶ „βουστροφηδὸν ἦσαν οἱ ἄξονες καὶ οἱ κύρβεις γεγραμμένοι δεδήλωκεν Εὐφορίων ἐν τῷ Ἀπολλοδώρῳ· ἢ ἐπεί … Ἐφιάλτης …“. App. crit.: Δίδυμος om. Phot. Sud.; ἤτοι: ἤ Phot. Sud.; ἀρχομένωον νόμων Phot.

das von unten her [stammende] Gesetz (kátōthen nómos): Demosthenes in der [Rede] Gegen Aristokrates [or. 23,28]. Didymos sagt: „Gewiss wegen … oder wegen der Form der auf den áxones [verwendeten] Schrift, die boustrophēdón geschrieben ist, weshalb Demosthenes das von den linken [Zeilenenden] beginnende Gesetz kátōthen nennt. Dass nämlich die áxones und die kýrbeis boustrophēdón beschrieben waren, hat Euphorion im Apollodoros geäußert. Oder weil Ephialtes … (T 9)“.

T 16: Aristophanes von Byzanz, fr. 76 Nauck, FgrH 339 F *2 (spätes 3./frühes 2. Jh.) (Suda κ 2745 s. v. κύρβεις; Epimerismi Homerici κ 122 s. v. κύρβεις)

Κύρβεις: … Ἐρατοσθένης δὲ τριγώνους αὐτάς φησιν εἶναι· Ἀριστοφάνης δὲ ὁμοίας εἶναί φησι τοῖς ἄξοσι, πλὴν ὅτι οἱ μὲν ἄξονες νόμους, αἱ δὲ κύρβεις οὐσίας εἶχον. ἀμφοτέρων δὲ τὸ κατασκεύασμα τοιοῦτον· πλινθίον τι μέγα, ἀνδρόμηκες, ἡρμοσμένα ἔχον τετράγωνα ξύλα, τὰς πλευρὰς πλατείας ἔχοντα καὶ γραμμάτων πλήρεις· ἑκατέρωθεν δὲ κνώδακας, ὥστε κινεῖσθαι καὶ μεταστρέφεσθαι ὑπὸ τῶν ἀναγινωσκόντων. Kýrbeis: … Aber Eratosthenes sagt, diese seien dreieckig (T 13b). Aristophanes jedoch sagt, sie seien den áxones gleich, außer dass die áxones die Gesetze (nómoi), die kýrbeis hingegen die Opfer (thysíai) [oder: die Besitztümer (der Götter) (ousíai)] verzeichneten. Die Aufstellung beider aber sei folgendermaßen: Gleichsam ein großes plinthíon, mannshoch, mit passend hergerichteten vierseitigen Hölzern (xýla), die breite und mit Texten vollgeschriebene Seitenflächen hatten, an beiden Enden mit Zapfen, um bewegt und von den Betrachtern herumgedreht zu werden.92 vgl. Etymologicum Gudianum s. v. κῦρβες p. 355,38–52 Sturz (Etymologium Magnum p. 547,45 s. v. κύρβεις): Κῦρβες: … Ἐρατοσθένης δὲ τριγώνους φησὶν αὐτὰς εἶναι οὐ τετραγώνους· Ἀριστοφάνης δὲ φησὶν, ὁμοίας εἶναι τοῖς ἄξοσι, πλὴν ὅτι οἱ μὲν ἄξονες νόμους, αἱ δὲ κύρβεις θυσίας [θυσίας Cramer, οὐσίας codd.] ἔχουσιν· ἀμφοτέρων δὲ τετραγώνων τὸ κατασκεύασμα· οἷον, πλινθίον τὸ μέγα ἀνδρόμηκες, ἡρμοσμένα ἔχοντα τετράγωνα ξύλα, τὰς πλευρὰς πλατείας ἔχοντα καὶ γραμμάτων πλήρεις, ἑκατέρωθεν δὲ κνώδακας, ὥστε κινεῖσθαι καὶ περιφέρεσθαι ὑπὸ τῶν ἀναγινωσκόντων. – „Kýrbeis: … Aber Eratosthenes sagt, diese seien dreieckig, nicht viereckig (T 13b). Aristophanes aber sagt, sie seien den áxones gleich gewesen, außer dass die áxones die Gesetze (nómoi), die kýrbeis hingegen die Opfer (thysíai) [oder: die Besitztümer (der Götter) (ousíai)] verzeichneten. Die Konstruktion beider sei aber viereckig und folgendermaßen beschaffen gewesen: Ein plinthíon von mannsgroßem Ausmaß mit passend hergerichteten vierkantigen Hölzern, die breite und mit Texten vollgeschriebene Seitenflächen hatten, an beiden Enden mit Zapfen, um bewegt und von den Betrachtern herumgedreht zu werden“.

Die Suda und die Epimerismi Homerici enthalten in der einleitenden Bemerkung zur Beschreibung des kataskeúasma das Wort τετραγώνων nicht, sondern haben nur ἀμφοτέρων δὲ τὸ κατασκεύασμα τοιοῦτον. Diese Texte scheinen die besseren zu sein,

92  Vgl. auch die Übersetzung von Stroud 1979, 26 und Meyer 2016, 339.

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da auch ἔχον korrekt auf πλινθίον bezogen ist, wohingegen die Etymologica das falsche ἔχοντα bieten. Die drehbaren Hölzer (xýla) seien jedoch – darin decken sich die Überlieferungen – viereckig. Diese Hölzer haben breite Seitenflächen, die mit Buchstaben vollgeschrieben sind. Unklar ist, woher Aristophanes die Information hatte, dass die áxones die Gesetze, die kýrbeis die Opfer (oder die ousíai) verzeichneten.93 T 17: Asklepiades, Exegesis ton axonon FgrH 339 F 1 (um 200 v. Chr.) (Etym. Gud. s. v. κῦρβες p. 355,38–52 Sturz; Etym. M. p. 547, 45 s. v. κύρβεις)

Κῦρβες, αἱ τὰς τῶν θεῶν ἑορτὰς ἔχουσαι, ἤτοι ἀπὸ τῆς κατασκευῆς (εἰσὶ γὰρ κυρβασταὶ) ἢ κύρβιες· ἐπειδὴ τὰ τῶν θεῶν ἀποκρυπτόμενα δεῖ εἰδέναι· Ἀσκληπιάδης δὲ ἐν τοῖς τῶν ἀξόνων ἐξηγητικοῖς, ἀπὸ κύρβεως τοῦ τὰς οὐσίας ὁρίσαντος, ὡς φησὶ Φανίης ὁ Ἐρέσιος, ‹ἢ› ἀπὸ τοῦ ταῦτα κυρωθῆναι τοῖς γράμμασιν … App. crit.: εἰδέναι: εἶναι, Etym. M.; vgl. Etym. M.: Ἀσκληπιάδης δὲ ἀπὸ Κύρβεως τοῦ τὰς οὐσίας ὁρίσαντος, ὥς φησι Φανίας ὁ Ἐφέσιος. Ἢ ἀπὸ τοῦ ταῦτα κυρωθῆναι τοῖς γράμμασιν.

Kýrbes: Sie enthalten die Feste der Götter, [kýrbeis] sicherlich [so genannt] von der [äußeren] Form her (sie sind nämlich hutförmig – kyrbastaí), oder kýrbies, weil ja das von den Göttern Verborgene gesehen werden soll.94 Asklepiades [erläutert] in seinem Kommentar (exēgētiká) der áxones: [das Wort kommt] von einem kýrbis [oder: von Kyrbis], der die Besitztümer [der Götter] (ousíai) [oder: die Opfer (thysíai)] festgesetzt hat, wie Phanias aus Eresos sagt, ‹oder› weil diese durch die schriftliche Abfassung Gültigkeit erlangt haben … (T 12). vgl. Suda κ 2745 s. v. κύρβεις: αἱ τὰς τῶν θεῶν ἑορτὰς ἔχουσαι· κρύβιές τινες οὖσαι, ἐν αἷς τὰ τῶν θεῶν ἀποκρυπτόμενα ἔδει εἶναι. Ἀσκληπιάδης, ὅτι ἀπὸ Κύρβεως τοῦ τὰς οὐσίας ὁρίσαντος, … – „kýrbeis: Sie verzeichnen die Feste der Götter; krýbies sind nämlich solche [Dinge], in denen das von den Göttern Verborgene sein soll. Asklepiades [sagt], dass [das Wort] von Kýrbis [hergeleitet sei], der die Besitztümer [der Götter] (ousíai) [oder: die Opfer (thysíai)] festgelegt hat [oder: die Wesenheiten (der Götter) bestimmt hat]“.

Zur Erklärung des Asklepiades, die solonischen kýrbeis, als die sie bei Kratinos, Aristophanes, Lysias, Anaximenes, Theophrast und in der Athenaion politeia erscheinen, leiteten sich von kýrbis oder Kýrbis ab, siehe die Bemerkungen zu T 12. Im Etymologi­ cum Gudianum ist unter dem Lemma κῦρβες und im Etymologicum Magnum unter dem Lemma κύρβεις des weiteren hinzugefügt, dass κύρβεις die Feste (heortaí) der Götter enthielten, einige kýrbies oder krýbies seien, weil „das von den Göttern Verborgene ge93  F. Jacoby gibt das Fragment als von Seleukos herstammend an (FgrH 339 F 1: „Et. Gud. p. 355, 38 Sturm; p. 164, 11 Reitz (Et. Gen.; Et. M. p. 547, 45; Epim. Cramer A. O. I 221, 5; Eklog. ebd. II 455, 15): Σελεύκου (no. 341)· κύρβεις·“). Allerdings ist FgrH 341 F *2 als „vermutungsweise eingereihtes fragment“ ausgewiesen; im Kommentarband FgrH IIIb Text S. 92 hat Jacoby die Schrift ὑπόμνημα τῶν Σόλωνος ἀξόνων dem Seleukos aberkannt. 94  Das von den Göttern Verborgene soll also durch eine solche Stele kenntlich gemacht werden. Stroud 1979, 26 übersetzt: „those which contain the festivals of the gods, either [named] after their structure (for they are tiaralike) or their concealing capacity since it is necessary that the gods’ business be hidden away“.

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sehen werden soll“. Hardy Hansen und Elizabeth A. Meyer führen diese Informationen auf den Grammatiker Seleukos von Alexandria zurück, der im 1. Jh. n. Chr. einen Kommentar zu Solons áxones vorlegte (T 30).95 Bei Ausgrabungen in einem Orakelheiligtum im Athener Kerameikos wurde neben einem mit einem Omphalos abgedeckten, 8 m tiefen Brunnenschacht, an dessen tönernen Schachtringen Inschriften angebracht waren, eine Einfassung gefunden, die eine dreiseitige Vertiefung aufweist, möglicherweise zur Befestigung einer hoch aufragenden, dreiseitigen Stele, eben eines kýrbis. Die Inschrift auf diesem kýrbis könnte in der Tat auf „das von den Göttern Verborgene“, also auf das durch den Omphalos verdeckte Orakel hingewiesen haben.96 Diese Bedeutung von kýrbis lässt sich allerdings erst für die römische Kaiserzeit nachweisen. T 18a: Krates in Scholia vetera in Homeri Iliadem 21,282e (1. Hälfte 2. Jh.) (H. Erbse, Scholia Graeca in Homeri Iliadem [scholia vetera], Berlin 1969–1988)

ἐρχθέντ’ ἐν μεγάλῳ: … Κράτης· „εἰλθέντ’ ἐν μεγάλῳ“· εἴλλειν γάρ φησιν εἶναι τὸ εἴργειν, ὥστε τὴν τῆς κωλύσεως δίκην ἐξουλῆς καλεῖσθαι, καὶ παρατίθεται Σόλωνος ἐν ε ἄξονι· ἐξουλῆς … (F 111a). App. crit.: ἰαλειν cod., εἴλλειν Lipsius; ἐκ ε ἄξονος Pap.; εννεαξονι cod. Genf,97 corr. Ruschenbusch; ἐάν τις … ὁπόσου post δίκην ἐξουλῆς habet cod.; ἐξηλμάτων ἀντὶ cod., corr. Ruschenbusch; δίκανικῆς ἤ cod., corr. Ruschenbusch; ὀφλανῆ cod., corr. Ruschenbusch.

„eingeschlossen im Großen“ (erchthént’ en megálō): … Krates: „eilthént’ en megálō“. Denn eíllein ist nach ihm dasselbe wie eírgein, weshalb man auch die Klage wegen Hinderung [des

95  Hansen 1975, 45: „He [Seleukos] stated (FGH 341 F 2 = 339 F 1) that kyrbeis got their name either from the way they were constructed, since they were κυρβασίαι (or κυρβασταί), or they were called κύρβεις (or κρύβες or κρύβιες) because sacred matters must be hidden away (ἀποκρυπτόμενα). The second explanation seems on its surface ridiculous: the obvious purpose of kyrbeis was to publish, not to conceal. Yet if the things first called kyrbeis were ‚covers‘ rather than ‚concealers‘, Seleukos was nearly right. And his first definition seems even better: whether one reads κυρβασίαι or accepts the lectio difficilior κυρβασταί (adjective κυρβαστός, ‚covered‘, or noun κυρβαστής, ‚cover‘, from *κυρβάζω), Seleukos makes sense“. Meyer 2016, 353: „an etymology of kurbeis suggested by Seleukos (FGrH 341 F1) in the 1st century A. D., from κρύβεις (krubeis; as if build to κρυβ-, the form of the κρύπτω root seen in κρύβδην and the alternative second aorist passive ἐκρύβην), ‚since it was necessary to conceal the god’s business‘ (ἐπεὶ τὰ τῶν θεῶν ἀποκρυπτόμενα δεῖ εἰδέναι).“ 96  Jutta Stroszeck, Forschungen und Arbeiten im Gelände. Die erste Orakelstätte in Athen, in: AtheNEA 2015–2016, Athen 2016, 28–35, hier 30–35 mit Abb. 1–9; Alfred Brueckner, Der Friedhof am Eridanos bei der Hagia Triada zu Athen, Berlin 1909, 45 f. Das kaiserzeitliche Heiligtum war der Artemis Soteira und dem Apollon Paian geweiht. Die gleichlautenden Inschriften enthielten den Text: „Komm zu mir, o Paian, und bringe den wahren Orakelspruch mit“ (Übersetzung J. Strozeck). Für Hinweise danke ich Jutta Stroszeck ganz herzlich. – Vgl. Hansen 1975, 43: „Root κύρβ- would have appeared to be merely a by-form of root κρυβ-. The basic meaning of κύρβις, then, is to be sought in the idea of covering or capping“. Das Etym. Gud. p. 355 s. v. κυρβασία erläutert diesen Begriff mit „das, was den Kopf verhüllt; Theodoritos nennt in einigen Epigrammen die Kopfbedeckungen kyrbasíai“ (Κυρβασία, τὸ τὴν κεφαλὴν καλύπτον· Θεοδώριτος ἐν ἐνίοις ἐπιγράμμασι τὰς περικεφαλαίας κυρβασίας λέγει). 97  Zu εννεαξονι Carey 2019, 87 Anm. 35: „The latter was read as ἐν νε(άτῳ) ἄξονι by Nicole (‚the bottom of the axōn’ or ‚the bottommost axōn’). But Lipsius 1912: 664, 103 rightly presses for ἐν {ν}ε ἄξονι which is equally feasible palaeographically (dittography) and is consistent with the reading in a source which is otherwise (barring graphical errors) identical“.

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Zugriffsrechts] exoulḗs nannte. Und als Beleg führt er [ein Gesetz] Solons auf dem 5. áxōn an: „exoulḗs: …“ (F 111b).

T 18b: Krates in Scholia in Homeri Iliadem 21 (1. Hälfte 2. Jh. v. Chr.) (POxy 2,221 col. 14, Z. 9–13)

Κράτης [δὲ „εἰλθέ]ντα“, ἵν᾽ ᾖ ἐρχθέντα· καὶ τὴν [ἐξουλῆς] δίκην ἐντεῦθεν· ἐπιτίθη[σι δὲ καὶ Σ] όλωνος ἐκ ε ἄξονος: „ἐξου[λῆς· …“. App. crit.: ἐκτίθη[σι Grenfell-Hunt, ἐπιτίθη[σι Ruschenbusch.

Krates aber eilthénta, womit erchthénta [gemeint] ist. Und davon [abgeleitet] ist die Klage wegen Hinderung des Zugriffs (exoulḗs díkē); er setzt auch Solons [Gesetz] vom 5. áxōn hinzu: „exoulḗs: …“.

T 19a: Apollodoros, Über die Götter (FgrH 244 F 107a) (2. Hälfte 2. Jh.) (Harpokr. κ 97 s. v. κύρβεις; vgl. Phot. Lex κ 1233 s. v. κύρβεις)

Κύρβεις: Λυκοῦργος ἐν τῷ περὶ τῆς ἱερείας. κύρβεις φησὶν Ἀπολλόδωρος ἐν τοῖς περὶ θεῶν ἔχειν ἐγγεγραμμένους τοὺς νόμους, εἶναι δ’ αὐτοὺς λίθους ὀρθοὺς ἑστῶτας, οὓς ἀπὸ μὲν τῆς στάσεως στήλας, ἀπὸ δὲ τῆς εἰς ὕψος ἀνατάσεως διὰ τὸ κεκορυφῶσθαι κύρβεις ἐκάλουν, ὥσπερ καὶ κυρβασίαν τὴν ἐπὶ τῆς κεφαλῆς τιθεμένην. Ἀριστοτέλης δ’ ἐν τῇ Ἀθηναίων πολιτείᾳ φησὶν „ἀναγράψαν­ τες δὲ τοὺς νόμους εἰς τοὺς κύρβεις ἔστησαν ἐν τῇ στοᾷ τῇ βασιλείᾳ“. kýrbeis: Lykurgos in der Rede Über die Priesterin (T 7). Kýrbeis, sagt Apollodoros in den [Büchern] Über die Götter, trügen die eingeschriebenen Gesetze (nómoi), aber es sind aufrecht stehende Stein[platten], die sie von der [Art der] Aufstellung her Stelen, von der in die Höhe aufragenden Form wegen des oberen Abschlusses kýrbeis genannt haben, genau so wie auch ein auf den Kopf gesetzter spitzer Hut (kyrbasía). Aristoteles aber sagt in der Athenaion politeia (T 10; Ath. pol. 7,1): „Sie haben die Gesetze auf die kýrbeis geschrieben und in der Stoa Basileia aufgestellt“. Vgl. Photius, Lexicon κ 1233 s. v. κύρβεις: τοὺς κύρβεις φησὶν Ἀπολλόδωρος ἐγγεγραμμένους ἔχειν τοὺς νόμους· εἶναι δὲ λίθους ὀρθοὺς ἑστῶτας, ὡς ἀπὸ μὲν τῆς στάσεως στήλας καλεῖσθαι, ἀπὸ δὲ τῆς εἰς ὕψος παρα{σ}τάσεως διὰ τὸ κεκορυφῶσθαι †τ†ύρβεις, ὥσπερ καὶ κυρβασίαν τὴν ἐπὶ τῆς κεφαλῆς †τεθει†μένην· Ἀριστοτέλης δέ φησιν ἐν τῇ Ἀθηναίων πολιτείᾳ· „ἀναγράψαντες δὲ τοὺς νόμους εἰς τοὺς κύρβεις ἔστησαν ἐν τῇ στοᾷ τῇ βασιλίδι“.

T 19b: Apollodoros, Über die Götter (2. Hälfte 2. Jh. v. Chr.) (Photius, Lexicon κ 1234 s. v. κύρβεις)

κύρβεις· τρίγωνοι ἄξονες ἢ πίνακες ἔχοντες τοὺς πολιτικοὺς νόμους καὶ τὰς δημοσίας ἀναγραφάς· εἴρηται δὲ ἀπὸ τοῦ κεκορυφῶσθαι εἰς ὕψος ἢ κατεσκιρῶσθαι, ὡς Ἀπολλόδωρος. Θεόφραστος δὲ ἀπὸ τῶν Κρητικῶν Κορυβάντων· … (T 11). kýrbeis: dreieckige Achsen (áxones) oder Tafeln (pínakes), die die städtischen Gesetze (politi­ koí nómoi) und die öffentlichen Ankündigungen (dēmósiai anapgraphaí) enthalten. Man nennt sie so, weil sie in die Höhe ragen oder geweißt wurden, wie Apollodoros sagt. Theophrast (T 11) aber [sagt, das Wort komme] von den kretischen Korybanten; …

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T 19c: Apollodoros, Über die Götter (FgrH 244 F 107a; F 26a,1 FHG) (Suda κ 2744 s. v. κύρβεις)

Κύρβεις: τρίγωνοι πίνακες, ἐν οἷς οἱ περὶ τῶν ἱερῶν νόμοι ἐγγεγραμμένοι ἦσαν καὶ πολιτικοί. καὶ ἄξονες δὲ ἐκαλοῦντο οἱ περὶ τῶν ἰδιωτικῶν ἔχοντες τοὺς νόμους καὶ τετράγωνοι. ἄξονες καὶ κύρβεις διαφέρουσι. τοὺς κύρβεις φησὶν Ἀπολλόδωρος ἐγγεγραμμένους ἔχειν τοὺς νόμους· εἶναι δὲ λίθους ὀρθοὺς ἑστῶτας, ὡς ἀπὸ μὲν τῆς στάσεως στήλας καλεῖσθαι, ἀπὸ δὲ τῆς εἰς ὕψος παρατάσεως διὰ τὸ κεκορυφῶσθαι κύρβεις· ὥσπερ καὶ κυρβασίαν τὴν ἐπὶ τῆς κεφαλῆς τεθειμένην. Ἀριστοτέλης δέ φησιν ἐν τῇ Ἀθηναίων πολιτείᾳ· ἀναγράψαντας δὲ τοὺς νόμους εἰς τοὺς κύρβεις ἔστησαν ἐν τῇ στοᾷ τῇ βασιλίδι. kýrbeis: dreieckige Tafeln (pínakes), auf denen die Gesetze (nómoi) über die Opferfeiern (hierá) aufgeschrieben waren und auch die städtischen. Áxones aber wurden die genannt, die die Gesetze bezüglich Einzelpersonen trugen und viereckig waren. Áxones und kýrbeis unterscheiden sich. Die kýrbeis, sagt Apollodoros, trügen die eingeschriebenen Gesetze, seien aufrecht stehende Steine, die von der Aufstellung her Stelen genannt werden, von der in die Höhe aufragenden Form wegen des oberen Abschlusses aber kýrbeis, gerade so wie auch ein auf den Kopf gesetzter Hut (kyrbasía). Aristoteles aber sagt in der Athenaion politeia: „Sie haben die Gesetze auf die kýrbeis geschrieben und in der Stoa Basileia aufgestellt“.

T 19d: Apollodoros, Über die Götter (FgrH 244 F 107e) (Suda κ 2745 s. v. κύρβεις)

Κύρβεις: αἱ τὰς τῶν θεῶν ἑορτὰς ἔχουσαι· κρύβιές τινες οὖσαι, ἐν αἷς τὰ τῶν θεῶν ἀποκρυπτόμενα ἔδει εἶναι. Ἀσκληπιάδης, … (T 17). Ἐρατοσθένης δὲ … (T 13b)· Ἀριστοφάνης δὲ … (T 16) … Κύρβεις οὖν παρὰ τὸ κεκορυφῶσθαι εἰς ὕψος ἀνατεταμένα. ἢ ἀπὸ τῶν Κορυβάντων. ἐκείνων γὰρ εὕρημα φησὶ καὶ Ἀπολλόδωρος. Kýrbeis: Sie verzeichnen die Feste der Götter; einige sind krýbies, in denen das von den Göttern Verborgene sein soll. Asklepiades [erläutert], … (T 17). Eratosthenes aber sagt, … (T 13b). Aristophanes aber sagt, … (T 16). Kýrbeis heißen sie von der in die Höhe aufragenden Form oder von den Korybanten her. Deren Erfindung sind sie nämlich, sagt auch Apollodoros.

T 19e: Apollodoros, Über die Götter (FgrH 244 F 107b) (Scholia in Apollonii Rhodii Argonautica 279–281b)

κύρβιας· … Ἀπολλόδωρος δέ φησι πᾶσαν δημοσίαν γραφὴν καὶ νόμους κύρβιν καλεῖσθαι, ὅτι οἱ ἀρχαῖοι λίθους ἱστάντες τὸ δόξαν ἀνέγραφον, οὓς μὲν ἀπὸ τῆς στάσεως στήλας, κύρβεις δὲ ἀπὸ τῆς εἰς ὕψος ἀνατάσεως διὰ τὸ ἀπο‹κεκορυφῶσθαι›, [ἢ] οἷον κύρ‹υ›φεις κατὰ συγκοπήν, καὶ μεταθέσει καὶ τροπῇ τοῦ φ εἰς β κύρβεις. ὕστερον δὲ ‹εἰς› ξύλα λελευκωμένα γράφοντες ὁμοίως ἐκάλεσαν. κύρβις οὖν ἡ περιέχουσα τὰς ἱερὰς ἀναγραφάς ἐστιν. App. crit.: ἱστάντες εὶώθεσαν τὰ δόξαντα ἐναὐτοῖς ἀναγράφειν Jacoby.

die kýrbeis: … Apollodoros aber sagt, man nannte jede öffentliche Bekanntmachung und die Gesetze kýrbis, weil die Vorfahren Steine aufgestellt und den Beschluss (dóxa) darauf aufgeschrieben haben, Steine, die von der Aufstellung her Stelen, aber kýrbeis von der in die Höhe aufragenden Form wegen des oberen Abschlusses genannt wurden, gleichsam kýrpheis (oder: korýpheis) wa-

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ren, wobei die Veränderung von phi zu beta zu kýrbeis geführt hat; später aber haben sie geweißte Hölzer zum Schreiben ebenso benannt. Kýrbis ist also die religiöse Texte tragende [Stele].98 vgl. Schol. Aristoph. nub. 447: Ἀπολλόδωρος δέ φησι πᾶσαν δημοσίαν γραφὴν καὶ νόμους κύρβιν καλεῖσθαι· ὅτι οἱ ἀρχαῖοι λίθους ἱστάντες, τὸ δόξαν ἀνέγραφον, οὓς ἀπὸ μὲν τῆς στάσεως στήλας ἐκάλουν, κύρβεις δὲ ἀπὸ τῆς εἰς ὕψος ἀνατάσεως· ὕστερον δὲ, τὰ ξύλα λελευκωμένα γράφοντες ὁμοίως ἐκάλεσαν. Κύρβις οὖν ἡ περιέχουσα τὰς ἱερὰς γραφὰς στήλη. Schol. Aristoph. nub. 448: κύρβις σανίς, ἐν ᾗ ἔγραφον τοὺς νόμους καὶ τὰ δημόσια· ἀπὸ τοῦ κεκορυφῶσθαι τὰ ἄνωθεν καὶ κάτωθεν κύρφις καὶ κύρβις. – „Kýrbis: Tafel (sanís), auf die sie die Gesetze geschrieben haben, und die öffentlichen Bekanntmachungen (dēmósia); von dem oberen und unteren Abschluss [heißt die Tafel] kýrphis oder kýrbis.“

T 19f: Apollodoros, Über die Götter (FgrH 244 F 107d) (Scholion zu Aristophanes, aves 1354a)

ἐν ταῖς τῶν πελαργῶν κύρβεσιν: κύρβεις χαλκαῖ σανίδες ἔνθα τοὺς νόμους γράφουσιν. κατὰ δὲ ἐνίους ἄξονες τρίγωνοι ἐν οἷς ἦσαν οἱ τῶν πόλεων νόμοι γεγραμμένοι καὶ αἱ δημοσίαι ἱεροποιίαι, καθάπερ καὶ Ἀριστοτέλης ἐν τῇ τῶν Ἀθηναίων πολιτείᾳ φησὶ καὶ Ἀπολλόδωρος. κύρβιες δὲ ἤτοι παρὰ τὸ κεκορυφῶσθαι εἰς ὕψος ἀνατεταμένον ἢ ἀπὸ τῶν κορυβάντων· ἐκείνων γὰρ εὕρημα, ὥς φησι Θεόφραστος ἐν τῷ Περὶ εὐσεβείας. auf den kýrbeis der Störche: kýrbeis [sind] bronzene Tafeln (sanídes), auf die sie die Gesetze schreiben. Einigen zufolge waren die ‚Achsen‘ (áxones) dreieckig, auf denen die Gesetze der Städte geschrieben waren und auch die öffentlichen Kultfeste (hieropoiíai), so wie auch Aristoteles in der Athenaion politeia und Apollodoros sagen. kýrbeis [heißen sie] sicherlich von der in die Höhe aufragenden, spitzen Form oder von den Korybanten her. Denn deren Erfindung sind sie, wie Theophrast in seiner Schrift Über die religiösen Pflichten sagt (T 11).

T 19g: Apollodoros, Über die Götter (FgrH 244 F 107c) (Lexicon Patmense [Lexicon in Demosthenem et Aeschinem] p. 160,17 s. v. κύρβεις)

Κύρβεις· κατασκευάσματά τινα ξύλινα τρίγωνα, ἐν οἷς τὸ παλαιὸν ἀναγεγραμμένοι ἦσαν οἱ πολιτικοὶ νόμοι. Ὠνομάσθησαν δὲ οὕτως, ἤτοι ἀπὸ τοῦ κεκορυφῶσθαι ἢ κατεσκιρρῶσθαι, ὃ ἔστι λελευκάνθαι, ὡς Ἀπολλόδωρος. Θεόφραστος δὲ …. kýrbeis: gewisse dreieckige hölzerne Vorrichtungen, auf denen in alter Zeit die Gesetze der Stadt aufgeschrieben waren. Sie wurden so genannt, weil sie spitz zuliefen oder weil sie gehärtet waren, was ‚geweißt‘ bedeutet, wie Apollodoros [sagt]. Theophrast aber [sagt], … (T 11).

T 20: Didymos, Streitschrift gegen Asklepiades über die áxones Solons (1. Jh. v. Chr.) (= T 9) (P. Berol. 5008 B 7 ff. zu lex apud Demosth. or. 23,28 [4./5. Jh.]; Harpokr. ο 14 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος [2. Jh. n. Chr.]; vgl. Suda ο 104 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος; Phot. Lex. ο 173 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος)

98  Apollodoros scheint eine Entwicklung von κορύφεις (Spitze, Scheitel, Gipfel) über κύρφεις zu κύρβεις vorauszusetzen.

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P. Berol. 5008 B 7 ff.99: [Δίδυ]μος ὁ γραμματικὸς διχῶς [ἐξηγ]εῖται τὸ ε[ἰρημ]ένον· ἢ γὰρ διὰ τὸ τὴν ἡλιαίαν δ[ι]αγιγνώσκειν [περὶ] τῶν λυμαινομένων καὶ ἄπο[ιν]α δεχομέ[νων] οὕτως φησὶν εἰρηκέναι τὸν ῥήτορα· τῶν γὰρ [δικας]τηρίων ἔλεγον τὰ μὲν ἄνωι εἶναι τὰ δὲ κ[άτωι]· ἢ διὰ τὸ σχῆμα τῆς ἐν τοῖς ἄξοσι γραφῆς βου[στροφ]ηδὸν γεγραμμένης ἐκ μεταφορᾶς τῆς ἀ[πὸ τῶν ἀ] ρού[ντ]ων· [---] γὰρ ἀπὸ τῶν ἀρισ[τερῶν ---]. εν ἀ[ν]αστρέφ[εσθ]α[ι --Friedrich Blass hatte als weiteren Text gelesen: [ἐκ τῶν κ]άτ[ῳ] γὰρ ἀπὸ τῶν ἀρισ[τερῶν ἤρχοντο, ὥσ]τε τὸ[ν] ἑ[ξῆς ἄνωθ]εν ἀναστρέφ[εσθαι ἀπὸ τῶν δ]εξιῶν εἰς τὰ ἀριστερά – – ουδε τὸν νό[μο]ν [τὸν] – [ἀπὸ τῶν εὐωνύμω]ν ἀρχό[με]νον κά[τωθεν] – – εἶναι. δύναται δὲ [καὶ διὰ τοῦτο κάτωθεν λέγ]εσθαι, ὅτι τοὺς ἄξ[ονας καὶ τοὺς κύρβεις ἄνωθε]ν ἐκ τῆς ἀκροπόλ[εως εἰς τὸ βουλευτήριον καὶ τ]ὴν ἀγορὰν μετέ[στησεν Ἐφιάλτης, ὥς φησιν Ἀνα]ξιμένης ἐν τῇ – – [τῶν Φιλιππικῶν. Der Grammatiker Didymos erklärt die Wendung [kátōthen nómos] in zweierlei Weise (dichṓs). Denn er sagt, der Redner [Demosthenes] habe dies so gesagt, entweder weil es die hēliaía ist, die über diejenigen, die [den ohne Aussöhnung zurückgekehrten Täter] misshandelt oder ein Wergeld [von ihm] angenommen haben, das Urteil sprechen – man spricht nämlich bei den Gerichtshöfen von den oberen [der Areopag] und den unteren [die hēliaía] –, oder wegen der Form der auf den áxones verwendeten Schrift, die boustrophēdón geschrieben war, eine vom Pflügen übernommene Metapher, denn man begann unten links, so dass die folgende [Zeile] von oben von der rechten Seite zur linken zurücklief. … Aber es ist [als drittes] auch möglich, dass kátōthen deswegen gesagt wird, weil Ephialtes die áxones und die kýrbeis oben von der Akropolis [hinunter] in das Ratsgebäude (bouleutḗrion) und die Agora gebracht hat, wie Anaximenes im .. [Buch] der Philippika sagt (T 9). vgl. Harpokration ο 14 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος· Δημοσθένης ἐν τῶι κατ’ Ἀριστοκράτους. Δίδυμος „ἤτοι“ φησί „τὴν ἡλιαίαν λέγει ὁ ῥήτωρ διὰ τὸ τῶν δικαστηρίων τὰ μὲν ἄνω τὰ δὲ κάτω ὀνομάζεσθαι· ἢ διὰ τὸ σχῆμα τῆς ἐν τοῖς ἄξοσι γραφῆς βουστροφηδὸν γεγραμμένης, ἧι τὸν ἀπὸ τῶν εὐωνύμων ἀρχόμενον νόμον κάτωθεν ὀνομάζει ὁ Δημοσθένης· ὅτι γὰρ“ φησὶ „βουςτροφηδὸν ἦσαν οἱ ἄξονες καὶ οἱ κύρβεις γεγραμμένοι δεδήλωκεν Εὐφορίων ἐν τῷ Ἀπολλοδώρῳ“· ἢ „ἐπεί“ φησί, „τοὺς ἄξονας καὶ τοὺς κύρβεις ἄνωθεν ἐκ τῆς ἀκροπόλεως εἰς τὸ βουλευτήριον καὶ τὴν ἀγορὰν μετέστησεν Ἐφιάλτης, ὥς φησιν Ἀναξιμένης ἐν Φιλιππικοῖς“. „das von unten her [stammende] Gesetz“ (kátōthen nómos)100: Demosthenes in der [Rede] Gegen Aris­ tokrates [or. 23,28]. Didymos sagt: „Der Redner nennt entweder die hēliaía so, weil von den Gerichtshöfen die einen die oberen [der Areopag], die anderen die unteren [die hēliaía] genannt werden. Oder wegen der Form der auf den áxones [verwendeten] Schrift, die boustrophēdón geschrieben ist, weshalb Demosthenes das von den linken [Zeilenenden] beginnende Gesetz kátōthen nennt. Dass nämlich

99  Friedrich Blass, Neue Papyrusfragmente im ägyptischen Museum zu Berlin, II. Lexikon zu Demosthenes’ Aristokratea, in: Hermes 17, 1882, 148–163, hier 151 f. (Kopie des 5. Jh. n. Chr.); Craig A. Gibson, P.Berol. Inv. 5008, Didymus, and Harpokration reconsidered, in: CP 92, 1997, 375–381; ders., Interpreting a Classic. Demosthenes and his Ancient Commentators, Berkeley/Los Angeles/London, 2002, 157–171 (Text mit Übersetzung auf S. 158–161). 100  Die Formulierung ist in der Antike zum Gegenstand gelehrter Spekulationen geworden, weil sie im Werk des Demosthenes und anderer Redner einmalig ist. Daher wurde von antiken Kommentatoren vermutet, dass die Wendung eine besondere Bedeutung gehabt hatte und nicht nur „das unten folgende Gesetz“ bedeuten könne (Gibson 1997 [wie Anm. 99], 376; ders. 2002 [wie Anm. 99], 166.

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Testimonia die áxones und die kýrbeis boustrophēdón beschrieben waren, hat Euphorion im Apollodoros (T 15) aufgezeigt. Oder“, so sagt er [Didymos], „weil Ephialtes die áxones und die kýrbeis oben (ánōthen) von der Akropolis [hinunter, also kátōthen] in das Rathaus (bouleutḗrion) und die Agora gebracht hat, wie Anaximenes in den Philippika sagt“ (T 9).

Friedrich Blass war davon ausgegangen, dass die Erklärung des Harpokration auf den anonymen Autor des in P. Berol. 5008 B erhaltenen Lexikons zurückgehe. In einer detaillierten Untersuchung hat Craig A. Gibson überzeugend dargelegt, dass vermutlich beide Einträge auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen, die ihre Informationen aus Schriften des Didymos entnommen hatte. Allerdings ist in keiner anderen Quelle von der hēliaía als „unterem Gerichtshof “ die Rede. Die Ausführungen im Berliner Papyrus sind insofern genauer, als der Autor für die ersten beiden Erklärungen des kátōthen nómos auf Didymos verweist, dann eine dritte Erklärung anfügt, die nicht auf Didymos zurückgeht. Harpokration hingegen hat alle drei Erklärungen dem Didymos zugeschrieben.101 Nach Craig A. Gibson stammen die Informationen des Didymos aus seinem Kommentar zur 23. Rede des Demosthenes, denn er verwendet mit τὴν ἡλιαίαν διαγιγνώσκειν περὶ τῶν λυμαινομένων καὶ ἄποινα δεχομένων die Worte des in Demosth. or. 23,28 eingelegten Gesetzes. Auch die anderen Einträge in P. Berol. 5008 B kommentieren Worte allein aus dieser Rede. Ob er darüber hinaus einen Kommentar über die áxones Solons unter dem Titel Streitschrift gegen Asklepiades über die áxones Solons verfasst habe, beruhe auf unsicherer Quelle.102 T 21: Plutarch, Solon 25,1–2 (um 100 n. Chr.) (1) Ἰσχὺν δὲ τοῖς νόμοις πᾶσιν εἰς ἑκατὸν ἐνιαυτοὺς ἔδωκε, καὶ κατεγράφησαν εἰς ξυλίνους ἄξονας ἐν πλαισίοις † περιέχουσι στρεφομένους, ὧν ἔτι καθ’ ἡμᾶς ἐν Πρυτανείῳ λείψανα μικρὰ διεσῴζετο, καὶ προσηγορεύθησαν, ὡς Ἀριστοτέλης φησί, κύρβεις. (2) καὶ Κρατῖνος ὁ κωμικὸς εἴρηκέ που· πρὸς τοῦ Σόλωνος καὶ Δράκοντος, οἷσι νῦν φρύγουσιν ἤδη τὰς κάχρυς τοῖς κύρβεσιν. ἔνιοι δέ φασιν ἰδίως, ἐν οἷς ἱερὰ καὶ θυσίαι περιέχονται, κύρβεις, ἄξονας δὲ τοὺς ἄλλους ὠνομάσθαι. App. crit.: περιέχουσι: κνώδαξι vel περόνη Salmasius, περὶ ἥλους Reiske; πρὸς τοῦ Plu.SUMA, τοὺς Edmonds, τῶν Kassel; τοῖς κύρβεσιν Plu.S, ταῖς κύρβεσιν Plu.UMA

(1) Allen Gesetzen (nómoi) gab er [Solon] Rechtskraft für hundert Jahre, und sie [die Athener] haben sie auf hölzerne Achsen (áxones) geschrieben, drehbar in umgebende plaísia gelagert, von denen geringe Überbleibsel noch zu meiner Zeit im Prytaneion aufbewahrt wurden. Man nannte sie, wie Aristoteles (T 9; Ath. pol. 7,1) sagt, kýrbeis. (2) Und der Komödiendichter Kratinos (T 4) sagt an einer Stelle: „Bei Solon und Drakon, auf deren kýrbeis sie jetzt bereits die Gerste rösten.“ Manche sagen aber, dass insbesondere diejenigen [Tafeln], auf denen die [Be-

101  Gibson 1997 (wie Anm. 99), 378; Gibson 2002 (wie Anm. 99), 168 f. 102  Gibson 1997 (wie Anm. 99), 380; ders. 2002 (wie Anm. 99), 167: Dieser Titel stamme allein aus einer schlecht informierten Überlieferung, auf die Plutarch zurückgreift (Solon 1,1; T 29).

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stimmungen] über Götterfeste (hierá) und Opfer (thysíai) standen, kýrbeis, die anderen áxones genannt wurden.

Plutarch spricht von hölzernen áxones, „die sich in umgebenden (oder sie tragenden) plaísia drehen lassen“. Salmasius meinte κνώδαξι („durch Zapfen“) einsetzen zu müssen, verstand also „hölzerne áxones, durch Zapfen drehbar in plaísia gelagert“. Der Text ist aber auch ohne diese Verbesserung gut verständlich, wenn man von hölzernen áxones ausgeht, die drehbar „in den sie einfassenden plaísia“ gelagert sind.103 Antike Lexikographen setzen plaísia mit plínthion gleich, dem Begriff, den Aristophanes von Byzanz (T 16) verwendet.104 Plaísia heißen Vorrichtungen in viereckiger Form und aus Holz bestehend, in denen Ziegel gestrichen wurden. T 22: Pollux, Onomastikon 8,128 (2. Jh. n. Chr.) δέλτοι χαλκαῖ, αἷς ἦσαν πάλαι ἐντετυπωμένοι οἱ νόμοι οἱ περὶ τῶν ἱερῶν καὶ τῶν πατρίων. κύρβεις δὲ τρίγωνοι σανίδες πυραμοειδεῖς, οἷς ἦσαν ἐγγεγραμμένοι οἱ νόμοι. ἄξονες δὲ τετράγωνοι χαλκοῖ ἦσαν, ἔχοντες τοὺς νόμους. ἀπέκειντο δὲ οἵ τε κύρβεις καὶ οἱ ἄξονες ἐν ἀκροπόλει πάλαι· αὖθις δ’ ἵνα πᾶσιν ἐξῇ ἐντυγχάνειν, εἰς τὸ πρυτανεῖον καὶ τὴν ἀγορὰν μετεκομίσθησαν· διὰ τοῦτο ἔλεγον τὸν κάτωθεν νόμον ἀντιτιθέντες πρὸς τὴν ἀκρόπολιν. App. crit.: αἵ τε κύρβεις II; πάλιν ἐξῆν II.

Bronzene déltoi (Tafeln), auf denen früher die Gesetze (nómoi) über die Opfer (hierá) und die altüberkommenen Bräuche (pátria) eingeprägt waren. Kýrbeis aber sind dreieckige, pyramidenförmige Tafeln (sanídes), in die die Gesetze eingeschrieben waren. Áxones wiederum waren viereckige Bronzen, die die Gesetze trugen. Aufbewahrt wurden sowohl die kýrbeis als auch die áxones früher auf der Akropolis. Damit jedoch alle sie einsehen konnten, wurden sie in das Prytaneion und auf die Agora hinübergebracht. Daher spricht man von dem ‚unteren Gesetz‘ (kátōthen nómos), weil sie es dem auf der Akropolis gegenübergestellt haben.

T 23: Antiattikistes γ 5 s. v. γενέσια (2. Jh. n. Chr.) (Lexica Segueriana, Anecd. gr. I p. 86,20 Bekker)

γενέσια· οὔσης τε ἑορτῆς {τῆς} δημοτελοῦς Ἀθήναις, Βοηδρομιῶνος πέμπτῃ, Γενέσια καλουμένης, καθότι φησὶ Φιλόχορος καὶ Σόλων ἐν τοῖς ἄξοσι, ἀναγράψαντες δὲ τοὺς νόμους εἰς τοὺς κύρβεις ἔστησαν ἐν τῇ στοᾷ τῇ βασιλείῳ. App. crit.: ἑορτῆς {τῆς} δημοτελοῦς cod., secl. G. H. Schaefer; ‹ἐν› Ἀθήναις vel. Ἀθήνησι Jacoby, Ἀθηναί‹οι›ς Schäfer; πέμπτῃ Schaefer, πέμπτης cod.

103  Von hölzernen áxones spricht Plutarch auch in Maxime cum principibus philosopho esse disserendum 4 (mor. 779b). Die Ergänzung κνώδαξι folgt Aristophanes von Byzanz (T 16), περόνη folgt Phot. Lex. α 2183 s. v. ἄξονες (T 24). 104  Hesych. π 2436 s. v. πλαίσια· πλινθία.

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Genesia: In Athen gab es am fünften Tag [des Monats] Boedromion ein Fest aus öffentlichen Mitteln, Genesia genannt, wie Philochoros sagt, und Solon auf den áxones. Die Gesetze, die sie [= die Athener] auf kýrbeis aufgeschrieben hatten, waren in der Stoa Basileios aufgestellt.105

T 24: Photius, Lexicon α 2183 (9. Jh. n. Chr.) (= Etym. M. p. 115,45 s. v. ἄξονες)

ἄξονες: Ξύλα ἦν τετράγωνα, ἀπὸ τοῦ ἐδάφους μέχρι τοῦ ὀρόφου διήκοντα, καὶ διά τινος περόνης στρεφόμενα, ἐφ’ ὧν οἱ Σόλωνος νόμοι ἀπεγράφοντο, τοῖς τῶν ἁμαξῶν ἄξοσιν ὁμοίως κώδιξι στρεφόμενοι. áxones: Es waren vierseitige Hölzer, vom Erdboden bis zum Dach reichend und durch eine Art Zapfen drehbar gelagert, auf denen die Gesetze Solons geschrieben waren, drehbar auf Wagenachsen wie Codices. Vgl. Συναγωγὴ λέξεων χρησίμων ἐκ διαφόρων σοφῶν τε καὶ ῥητόρων πολλῶν α 1567 s. v. ἄξονες Cunningham (T 562 Martina): ἄξονες· ξύλα τετράγωνα ἦν, … ἐφ’ ὧν οἱ Σόλωνος νόμοι ἀνεγράφοντο. λέγονται δὲ καὶ ἐν τοῖς τῶν ἁμαξῶν ἄξοσιν ὁμοίως κώδιξι στρεφόμενοι. μέμνηται δὲ τῆς λέξεως Δημοσθένης ἐν τῷ Κατὰ Ἀριστοκράτους. – „áxones waren viereckige Hölzer, … auf die die Gesetze Solons aufgeschrieben waren. Man sagt auch, dass sie auf Wagenachsen wie Codices drehbar gewesen seien. Das Wort erwähnt Demosthenes in der [Rede] Gegen Aristokrates.“ Etymologicum Symeonis I p. 92 s. v. ἄξονες: ἄξονες· ἐν οἷς οἱ τοῦ Σόλωνος νόμοι γεγραμμένοι εἰσὶ τοῖς τῶν ἁμαξῶν ἄξοσιν ὁμοίως κώδιξι στρεφόμενοι. ξύλα δὲ ἦν τετράγωνα ἀπὸ τοῦ ἐδάφους μέχρι τοῦ ὀρόφου καθήκοντα καὶ διά τινος περόνης στρεφόμενα, ἐφ’ ὧν οἱ Σόλωνος νόμοι ἀπεγράφοντο.

T 25: Suda α 2833 s. v. ἄξονες (10. Jh. n. Chr.) ἄξονες: οὕτως ἐκάλεσαν Ἀθηναῖοι τοὺς Σόλωνος νόμους, διὰ τὸ ἐγγραφῆναι αὐτοὺς ἐν ξυλίνοις ἄξοσιν. ἦσαν δὲ τετράγωνοι τὸ σχῆμα. μέμνηται τῆς λέξεως Δημοσθένης ἐν τῷ κατὰ Ἀριστοκράτους. Ἄξονες δὲ καὶ κύρβεις διαφέρει. Ἄξονα δὲ λέγει Ὅμηρος τὸν τῆς ἁμάξης. áxones: So nannten die Athener die Gesetze Solons, weil sie in hölzerne áxones eingeschrieben waren. Sie waren von der Form her viereckig. Demosthenes erwähnt das Wort in der [Rede] Gegen Aristokrates. Áxones und kýrbeis unterscheiden sich aber. Homer sagt áxōn für die [Achse] des Wagens. Vgl. Suda κ 2745 s. v. κύρβεις: καὶ παροιμία· Κύρβεις κακῶν. σανίδες εἰσὶ παρ’ Ἀθηναίοις τετράγωνοι, ἐν αἷς τοὺς νόμους ἔγραφον, καὶ τὰς κατὰ τῶν ἀδικούντων τιμωρίας ἐποίουν. ἐπὶ τοίνυν τῶν σφόδρα πονηρῶν ἡ παροιμία. – „kýrbeis: Und [es gibt] ein Sprichwort, [das lautet]: ‚kýrbeis der üblen Dinge‘. Es gibt bei den Athenern viereckige Tafeln (sanídes), auf die sie die Gesetze schrieben und die Strafen für die Rechtsbrecher festschrieben. Auf diese Missetäter ist das Sprichwort gemünzt.“ Suda ν 485 s. v. νόμος: … ὅτι τοὺς τοῦ Σόλωνος νόμους ἄξονας Ἀθηναῖοι ἐκάλεσαν διὰ τὸ ἐγγραφῆναι αὐτοὺς ἐν ξυλίνοις ἄξοσιν. ἦσαν δὲ τετράγωνοι τὸ σχῆμα, κατὰ δέ τινας μᾶλλον τρίγωνοι. – „Gesetz (nó­ mos): … dass die Athener die Gesetze Solons áxones nannten, weil sie sie in hölzerne áxones eingeschrieben hatten. Sie waren von der Form her viereckig, einigen zufolge aber dreieckig“.

105  Stroud 1979, 18 folgt der Erwägung von Felix Jacoby, dass diese Nachricht auf Aristophanes von Byzanz zurückgehe.

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T 26: Scholion zu Plutarch, Solon 19,4 (10./11. Jh. n. Chr.) ἄξων· τινὲς ἄξονας τριγώνους φασὶν εἰς οὓς οἱ νόμοι τῶν Ἀθηναίων ἐγράφησαν, οἳ στρεφόμενοι παρεῖχον ἀναγινώσκειν τοῖς ἐντυγχάνουσιν. οὐκ εὖ δέ· τρίγωνος γὰρ ὁ κύρβις ἦν στήλη τις εἰς ὃν οἱ σρατιωτικοὶ ἐνεγράφοντο καταλόγοι, ὡς ὁ κωμικός φησι Ἀριστοφάνης ἐν Εἰρήνῃ. ἄξων· τίς ὁ ἄξων; ὃ νῦν ‹κατὰ› κεφάλαιον λέγει. ἄξονες δὲ ξύλα τετράγωνα ἦσαν, εἰς οὓς οἱ νόμοι ἐγράφησαν πρὸ τῆς τῶν διφθερῶν ἤ τοι δέρρεων εὑρέσεως, καὶ ἐν τούτοις μὲν τοῖς ἄξοσι οἱ πολιτικοὶ νόμοι ἐγράφοντο, οἱ δὲ τῶν στρατιωτῶν καταλόγοι ἐν τοῖς κύρβεσιν, ὃ τρίγωνον ἦν ξύλον. áxōn: Einige sagen, áxones seien dreiseitige Objekte, auf denen die Gesetze der Athener geschrieben waren, drehbar gelagert, damit Benutzer sie lesen können. Aber [dies] ist nicht richtig; dreiseitig war nämlich der kýrbis, eine Stele, auf der die Militärlisten (stratiōtikoí katálogoi) geschrieben waren, wie der Komödiendichter Aristophanes im Frieden sagt. áxōn: Was ist der áxōn? Etwas was er [Plutarch] hier kurz nennt. Áxones waren vierseitige Hölzer, auf die die Gesetze geschrieben waren, vor der Erfindung des Pergaments oder der Tierfelle [als Schreibmaterial]. Und auf diese áxones waren die städtischen Gesetze geschrieben, die Militärlisten (stratiōtikoí katálogoi) hingegen auf die kýrbeis, was ein dreiseitiges Holz war.

Der die Scholien enthaltende Codex Vaticanus 138 stammt aus dem 10./11. Jh. und geht möglicherweise auf Arethas von Caesarea zurück.106 In der Version der 421 v. Chr. aufgeführten Komödie des Aristophanes kommt das Wort kýrbis allerdings nicht vor. In der erhaltenen Version des Friede ist in den Versen 1180–1184 auf Bekanntmachungen beim Monument der eponymen Heroen und auf Manipulationen dieser Listen angespielt. Auch die Scholia zu pax 1183 nennen die stratiōtikoí katálogoi.107 T 27–30 antike Kommentare zu den áxones (T 27: T 534 Martina, T 1 Ruschenbusch; T 28: T 558 Martina, T 2 Ruschenbusch; T 29: T 537 Martina, T 3 Ruschenbusch; T 30: T 555 Martina, T 4 Ruschenbusch)

T 27: Vita Menagiana. Schriftenkatalog Nr. 140 Περὶ τῶν Σόλωνος ἀξόνων ε. Fünf [Bücher] über die áxones Solons.

Diese Angabe ist im Anhang der Vita Menagiana, einer zuerst 1663 von Égide Ménage herausgegebenen anonymen Vita des Aristoteles, enthalten. Die Vita stammt mögli-

106  Dazu Stroud 1979, 52 f. 107  Zur Überlieferung ausführlich Stroud 1979, 52–55, der vermutet, dass die katálogoi später auf Bronze publiziert wurden, um Streichungen wie die von Aristophanes unterstellten zu verhindern.

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cherweise von Hesychios von Milet aus dem 6. Jh. und wird daher auch als Vita Hesychii bezeichnet. Der an die Vita angehängte Schriftenkatalog stimmt mit dem bei Diogenes Laertios überlieferten nicht überein.108 Das angebliche Werk des Aristoteles über die áxones ist nur in der Appendix Hesychiana als Nr. 140 verzeichnet.109 Da von der Schrift selbst kein Fragment erhalten ist, muss unsicher bleiben, ob ein solches Buch des Aristoteles über die áxones überhaupt existierte; denn die Appendix wird nicht als zuverlässige Quelle eingeschätzt.110 Die Ausführungen in der Athenaion politeia über Solons Gesetze und die von ihm veränderte politische Ordnung beruhen jedenfalls eher auf Angaben Herodots, des Thukydides und der Atthidographen, nicht aber auf einer zugrunde liegenden Schrift in fünf Büchern über Solons áxones.111 Sollte es eine solche Schrift gegeben haben, wäre außerdem zu erwarten, dass der Titel Über Solons Gesetze oder Über Solons kýrbeis gelautet hätte. T 28: Asklepiades, Kommentar der áxones FgrH 339 F 1 (Exegesis ton axonon; um 200 v. Chr.) (= T 17) (Etym. Gud. s. v. κῦρβες p. 355, 38–52 Sturz; Etym. M. p. 547,45 s. v. κύρβεις; Epimerismi Homerici κ 122 s. v. Σελεύκου κύρβεις)

Κῦρβες, … Ἀσκληπιάδης δὲ ἐν τοῖς τῶν ἀξόνων ἐξηγητικοῖς, ἀπὸ κύρβεως τοῦ τὰς οὐσίας [Epimerismi: θυσίας] ὁρίσαντος, ὡς φησὶ Φανίης ὁ Ἐφέσιος [Etym. M. und Epimerismi: Ἐρέσιος], ἀπὸ τοῦ ταῦτα κυρωθῆναι τοῖς γράμμασιν· Ἐρατοσθένης δὲ … φησὶν· … Kýrbes: … (T 17). Asklepiades [erläutert] in seinem Kommentar (exēgētiká) der áxones: [das Wort kommt] von einem kýrbis [oder: von Kyrbis], der die Besitztümer [der Götter] (ousíai) [Epimerismi: die Opfer (thysíai)] festgesetzt hat, [oder: der die Wesenheiten (der Götter) bestimmt hat], [oder] wie Phanias aus Ephesos [Etym. M. und Epimerismi: aus Eresos] sagt, weil diese durch die schriftliche Abfassung Gültigkeit erlangt haben. Aber Eratosthenes sagt, … (T 13b).

T 29: Didymos, Streitschrift gegen Asklepiades über die áxones Solons FgrH 340 F 1 (περὶ τῶν ἀξόνων τῶν Σόλωνος ἀντιγραφῇ πρὸς Ἀσκληπιάδην; 1. Jh. v. Chr.) (Plut. Solon 1,1)

Δίδυμος ὁ γραμματικὸς ἐν τῇ περὶ τῶν ἀξόνων τῶν Σόλωνος ἀντιγραφῇ πρὸς Ἀσκληπιάδην Φιλοκλέους τινὸς τέθεικε λέξιν, ἐν ᾗ τὸν Σόλωνα πατρὸς Εὐφορίωνος ἀποφαίνει παρὰ τὴν τῶν ἄλλων δόξαν ὅσοι μέμνηνται Σόλωνος. Ἐξηκεστίδου γὰρ αὐτὸν ἅπαντες ὁμαλῶς γεγονέναι λέγουσιν, … App. crit.: φιλοκλέους: ἀμφικλέοθς Smg.

108  Dazu Chambers 1990, 89. Paul Moraux, Les listes anciennes des ouvrages d’Aristote, Louvain 1951; Ingemar Düring, Aristotle in the Ancient Biographical Tradition, Göteborg 1957, 80. 109  Eine Ausgabe mit kurzen Kommentaren bei Düring ebd. 82–89. 110  Chambers 1990, 90. Als zuverlässige Überlieferung schätzt sie hingegen Stroud 1979, 14 ein. 111  Chambers 1990, 90.

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Der Grammatiker Didymos hat in seiner gegen Asklepiades gerichteten Schrift Über die Ge­ setzestafeln (áxones) Solons eine Stelle aus einem gewissen Philokles angeführt, wo dieser behauptet, Solon sei ein Sohn des Euphorion gewesen, entgegen der Meinung aller anderen, die von Solon handeln. Denn alle erklären übereinstimmend, er sei ein Sohn des Exekestides gewesen, …

T 30: Seleukos, Kommentar zu Solons áxones (ὑπόμνημα τῶν Σόλωνος ἀξόνων), FgrH 341 F 1 (1. Jh. n. Chr.) (= F 87) (Phot. Lex. ο 439 s. v. ὀργεῶνες Theodorides; Suda ο 511 s. v. ὀργεῶνες)

Ὀργεῶνες: Σέλευκος δὲ ἐν τῶι ὑπομνήματι τῶν Σόλωνος ἀξόνων· ὀργεῶνας φησὶ καλεῖσθαι τοὺς συνόδους ἔχοντας περί τινας ἥρωας ἢ θεούς· ἤδη δὲ μεταφέροντες καὶ τοὺς ἱερέας οὕτως καλοῦσιν· … App. crit.: τοῦ Σόλωνος Sud. A; συνόδους: συλλόχους Sud.S, συνολους Phot.

orgeṓnes: Seleukos sagt im Kommentar (hypómnēma) zu den áxones Solons, orgeṓnes heißen diejenigen, welche die Festversammlungen (sýnhodoi bzw. sýllogoi) bei bestimmten Heroen oder Göttern abhalten. Dann heißen durch Übertragung [dieses Begriffes] auch die Priester so. …

T 31–35 Gesetze, bei denen die Nummer des áxōn erhalten ist (T 31: T 540 Martina, T 5 Ruschenbusch; T 32a–b: T 569a–b Martina, T 6a–b Ruschenbusch; T 33–34: T 538–539 Martina, T 7–8 Ruschenbusch; T 35a–b: T 549–550 Martina, T 9–10 Ruschenbusch)

erster áxōn T 31: Plutarch, Solon 24,2 (= F 76a) (1) Τῶν δὲ γινομένων διάθεσιν πρὸς ξένους ἐλαίου μόνον ἔδωκεν, ἄλλα δ’ ἐξάγειν ἐκώλυσε, καὶ κατὰ τῶν ἐξαγόντων ἀρὰς τὸν ἄρχοντα ποιεῖσθαι προσέταξεν, ἢ τίνειν αὐτὸν ἑκατὸν δραχμὰς εἰς τὸ δημόσιον· (2) καὶ πρῶτος ἄξων ἐστὶν ὁ τοῦτον περιέχων τὸν νόμον. App. crit.: τίνειν: ἐκτίνειν Y et ἐκ s. s. S.

(1) Einen Kontrakt (diáthesis) über [landwirtschaftliche] Erträge mit Fremden [abzuschließen] ließ er nur bei Olivenöl zu, anderes (her-)auszuführen (exágein) aber verbot er. Und gegen die, die es (her-)ausführten, hat er angeordnet, dass der árchōn Flüche (araí) aussprechen oder er selbst einhundert Drachmen an die öffentliche Kasse entrichten soll. (2) Und es ist der erste áxōn, der dieses Gesetz trägt.

fünfter áxōn T 32a: Krates in: Scholia vetera in Homeri Iliadem 21, 282e (= F 111a) (H. Erbse, Scholia Graeca in Homeri Iliadem [scholia vetera], Berlin 1969–1988)

ἐρχθέντ’ ἐν μεγάλῳ: … Κράτης· „εἰλθέντ’ ἐν μεγάλῳ“· εἴλλειν γάρ φησιν εἶναι τὸ εἴργειν, ὥστε τὴν τῆς κωλύσεως δίκην ἐξουλῆς καλεῖσθαι, καὶ παρατίθεται Σόλωνος ἐν ε ἄξονι· „ἐξουλῆς· …“. App. crit.: ἰαλειν cod., corr. Lipsius; ἐνεάξονι cod., corr. Ruschenbusch.

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„eingeschlossen im Großen“ (erchthént’ en megálō): … Krates: „eilthént’ en megálō“. Denn eíl­ lein ist nach ihm dasselbe wie eírgein, weshalb man auch die Klage wegen Behinderung [des Zugriffsrechts] exoulḗs nannte. Und als Beleg führt er ein Gesetz Solons auf dem 5. áxōn an: „exoulḗs: … (F 111a)“.

T 32b: Krates in Scholia in Homeri Iliadem 21 (1. Hälfte 2. Jh.) (= F 111b) (POxy 2,221 col. 14, Z. 9–13)

Κράτης [δὲ „εἰλθέ]ντα“, ἵν᾽ ᾖ ἐρχθέντα· καὶ τὴν [ἐξουλῆς] δίκην ἐντεῦθεν· ἐπιτίθη[σι δὲ καὶ Σ] όλωνος ἐκ ε ἄξονος „ἐξου[λῆς· …“. App. crit.: ἐκτίθη[σι Grenfell-Hunt, ἐπιτίθη[σι Ruschenbusch.

Krates aber eilthénta, womit erchthénta [gemeint] ist. Und davon [abgeleitet] ist die Klage wegen Hinderung des Zugriffs (exoulḗs díkē); er setzt auch Solons [Gesetz] vom 5. áxōn hinzu: „exoulḗs: …“ (F 111b).

dreizehnter áxōn T 33: Plutarch, Solon 19,4 (= F 106) ὁ δὲ τρισκαιδέκατος ἄξων τοῦ Σόλωνος τὸν ὄγδοον ἔχει τῶν νόμων οὕτως αὐτοῖς ὀνόμασι γεγραμμένον· „ἀτίμων ὅσοι ἄτιμοι ἦσαν πρὶν ἢ Σόλωνα ἄρξαι, ἐπιτίμους εἶναι, πλὴν ὅσοι …“. Aber der dreizehnte áxōn Solons enthält als achtes der Gesetze, das wörtlich folgendermaßen lautet: „Über die Ehrlosen (átimoi): Diejenigen, die ehrlos (átimoi) waren, bevor Solon als Archont im Amt war, sollen wieder ehrbar (epítimoi) sein, außer denjenigen, die …“.

sechzehnter áxōn T 34: Plutarch, Solon 23,4 (= F 81a)

(3) εἰς μέν γε τὰ τιμήματα τῶν θυσιῶν λογίζεται πρόβατον καὶ δραχμὴν ἀντὶ μεδίμνου, τῷ δ’ Ἴσθμια νικήσαντι δραχμὰς ἑκατὸν ἔταξε δίδοσθαι, τῷ δ’ Ὀλυμπιονίκῃ πεντακοσίας, λύκον δὲ τῷ κομίσαντι πέντε δραχμάς, λυκιδέα δὲ μίαν, ὧν φησιν ὁ Φαληρεὺς Δημήτριος τὸ μὲν βοὸς εἶναι, τὸ δὲ προβάτου τιμήν. (4) ἃς γὰρ ἐν τῷ ἑκκαιδεκάτῳ τῶν ἀξόνων ὁρίζει τιμὰς τῶν ἐκκρίτων ἱερείων, εἰκὸς μὲν εἶναι πολλαπλασίας, ἄλλως δὲ κἀκεῖναι πρὸς τὰς νῦν εὐτελεῖς εἰσιν.

App. crit.: θυσιῶν codd., οὐσιῶν Wilcken; ἔταξεν ἑκατὸν Y; ὀλυμπιονίκῃ S: ὀλύμπια Smg Y; πέντε δραχμὰς ἔδωκε Y; λυκιδέα ante ras. S, ut vid.: λυκίδα Y et post ras. S; ὧν Stephanus: ὡς codd., sed supra lin. S (fort. igitur [ὡς] φησὶ δ’ ὁ? Ziegler); ἐκκρίτων, punctum sub τ et τ in ras. S; ἱερείων, ει ut vid, ex ε corr., S.; τὰς νῦν Stephanus: τὰ νῦν codd.

(3) So rechnet er bei der Wertmessung (timḗmata) der Vermögen [oder: der Opfer] ein Schaf und eine Drachme gleich einem médimnos [Getreide]. Dem Sieger bei den Isthmien sollten einhundert Drachmen gegeben werden, so setzte er fest, dem Olympioniken fünfhundert; wer einen Wolf brachte, bekam fünf Drachmen, wer einen Jungwolf eine Drachme, von denen der eine – so sagt Demetrios von Phaleron (fr. 147 Wehrli) – der Wert (timḗ) eines Ochsen, der andere der eines Schafes ist. (4) Die Wertangaben, die er auf der sechzehnten der Gesetzestafeln (áxones) für auserlesene Opfertiere (hiereía) ansetzt, sind aber im Vergleich zu den heutigen auch noch niedrig

Testimonia (T 1–35)

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einundzwanzigster áxōn T 35a: Harpokration s. v. ὅτι οἱ ποιητοὶ παῖδες (ο 43 Keaney; p. 140,30 Bekker); Photios, Lexicon s. v. ὅτι οἱ ποιητοὶ παῖδες (ο 384 Theodoridis) (F 136c) Ὅτι οἱ ποιητοὶ παῖδες ἐπανελθεῖν εἰς τὸν πατρῷον οἶκον οὐκ ἦσαν κύριοι, εἰ μὴ παῖδας γνησίους καταλίποιεν ἐν τῷ οἴκῳ τοῦ ποιησαμένου, Ἀντιφῶν Ἐπιτροπικῷ ‹Κατὰ› Καλλιστράτου καὶ Σόλων ἐν καʹ νόμων. App. crit.: ποιηταὶ C; κατέλιπον BC; ‹κατά› Sauppe; pro νόμων: ἀξόνων Ruschenbusch.

Adoptivsöhne dürfen nicht wieder in ihren väterlichen oíkos zurückkehren, wenn sie nicht im Haus des Adoptivvaters rechtmäßige Söhne hinterlassen. So Antiphon in der Rede Über die Vormundschaft des Kallistratos und Solon im 21. der Gesetze (nómoi) [oder: auf dem 21. [áxōn] der Gesetze].

T 35b: Harpokration s. v. σῖτος (σ 18 Keaney); Photius, Lexicon σ 248; Suda σ 502 s. v. σῖτος (= F 142) Σῖτος· Δημοσθένης Κατ’ Ἀφόβου αʹ. σῖτος καλεῖται ἡ διδομένη πρόσοδος εἰς τροφὴν ταῖς γυναιξὶν ἢ τοῖς ὀρφανοῖς, ὡς ἐξ ἄλλων μαθεῖν ἔστι καὶ ἐκ τοῦ Σόλωνος †πρώτου κατὰ τοῦ† ἄξονος καὶ ἐκ τῆς Ἀριστοτέλους Ἀθηναίων πολιτείας. Τιμαχίδας δὲ ἡγεῖται παρὰ τοῖς Ἀττικοῖς σῖτον λέγεσθαι τὸν τόκον, ἀγνοεῖ δὲ ὅτι ἓν ἀνθ’ ἑνὸς οὐδέποτε παρ’ αὐτοῖς ὁ τόκος σῖτος καλεῖται. Photius, Lexicon σ 248 s. v. σῖτος· καλεῖται σῖτος καὶ ἡ διδομένη πρόσοδος εἰς τροφὴν …, ὡς ἔστι μαθεῖν κἀκ τῶν τοῦ Σόλωνος πρώτου ἄξονος (Suda σ 502: καὶ ἐκ τῶν τοῦ Σόλωνος πρώην τοῦ ἄξονος) καὶ ἐκ τῆς Ἀριστοτέλους Ἀθηναίων Πολιτείας· Τιμαχίδας δὲ … τὸν τόκον, οὐκ ὀρθῶς ἡγούμενος. App. crit.: καλεῖται σῖτος Harpokr.D καὶ ἡ διδομένη Harpokr.D Sud. τῶν om. Harpokr.; πρώτου κατὰ τοῦ ἄξονος cod. Harpokr. ap. Gronov. (πρώτου καὶ δεκάτου ci. Valesius), πρωην τοῦ ἄξονος Sud. (ζητεῖ πρωην Sud.M), πρώτου ἄξονος Harpokr. ed. Bekker. Phot.; ἐκ τῶν: ἐν τῷ Sud.G; ἄξονος: ἄξονι Sud.G ἄξονον Harpokr. AB

Sítos: Demosthenes in der 1. Rede Gegen Aphobos (or. 27,15). Sítos [Getreide] nennt man die Unterhaltsleistung für Frauen und Waisen, wie unter anderem zu ersehen ist aus dem †ersten ‹und vierten [bzw. neunten oder zehnten]›† áxōn und aus der Athenaion politeia des Aristoteles [56,7].112 Timachidas [aus Lindos] glaubt, bei den Athenern sei der Zins sítos genannt worden; er verkennt aber, dass bei ihnen niemals der Zins sítos genannt wird [Phot., Suda: diese Annahme ist aber falsch].

Die Angabe bei den Lexikographen, welcher áxōn die gesetzliche Bestimmung über die Verpflegung der Frauen und Waisen trug, ist korrupt überliefert. Wilhelm Dindorf geht vom ersten áxōn aus und hat in seiner Ausgabe den Text folgendermaßen rekonstruiert: ὡς ἐξ ἄλλων μαθεῖν ἔστι καὶ ἐκ τοῦ Σόλωνος αʹ ἄξονος καὶ ἐκ τῆς Ἀριστοτέλους 112  Vgl. Ruschenbusch 2010, 118: „Die von Maussacus benutzten Harpokr. Mss. O und N haben τοῦ Σόλωνος πρώτου κατὰ τοῦ ἄξονος. Das unsinnige κατὰ τοῦ hat Valesius zu καὶ δεκάτου verbessert. Zu erwägen wäre auch καὶ ἐνάτου [von Ruschenbusch vorgezogen].“

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Testimonia

Ἀθηναίων πολιτείας. In seinem Kommentar geht er davon aus, dass in der handschriftlichen Überlieferung in καὶ ἐν τῷ ἐκ τοῦ σόλωνος πρώτου κατὰ τοῦ ἄξονος die Wörter ἐν τῷ und κατὰ aus der darüberstehenden Zeile (Δημοσθένης ἐν τῷ κατ’ Ἀφόβου αʹ) irrtümlich hier eingefügt wurden.113 Andere Herausgeber sind ihm darin gefolgt;114 Eberhard Ruschenbusch tritt für die Lesung πρώτου καὶ ‹e. g. τετάρτου› τοῦ ‹e. g. γ› ἄξονος ein, geht also davon aus, dass das Wort σῖτος im ersten und ‹vierten› (oder neunten oder zehnten) Gesetz des ‹dritten› (oder anderen) áxōn verzeichnet war. Da Bestimmungen über die Adoptivsöhne auf dem 21. áxon verzeichnet waren (T 35a), wäre auch in Erwägung zu ziehen, ob der Text des Harpokration folgendermaßen gelautet haben könnte: ὡς ἐξ ἄλλων μαθεῖν ἔστι καὶ ἐκ τοῦ Σόλωνος πρώτου καὶ ‹εἰκοσ›τοῦ ἄξονος καὶ ἐκ τῆς Ἀριστοτέλους Ἀθηναίων πολιτείας. Das Gesetz über die Unterhaltspflicht von Witwen (bzw. Frauen nach einer Scheidung) und Waisen wäre dann ebenfalls auf dem einundzwanzigsten áxōn verzeichnet gewesen. Aufgrund der unsicheren Textüberlieferung können aus diesen Angaben aber keine verlässlichen Schlussfolgerungen über die Gliederung des Gesetzeswerks gezogen werden.

113  Wilhelm Dindorf, Harpocrationis Lexicon 1, Oxford 1853, 274. 114  Stroud 1979, 32 Anm. 10 z. B. verteidigt die Textherstellung von Dindorf, dass in Harpokration, Photios und der Suda ἐκ τοῦ Σόλωνος πρώτου ἄξονος zu lesen sei.

Gesetzesfragmente

I. Frühes Gesetz Historische Einordnung Abstract: Im Jahr 632 oder bereits 636 hatte der Adelige Kylon mit seinen Anhängern die Athener Akropolis besetzt, um eine Tyrannis zu errichten. Nachdem mehrere von ihnen aufgrund der Belagerung vor Hunger gestorben waren, waren die anderen dazu bereit, sich einem Gericht zu stellen. Sie wurden an der Nordseite der Akropolis zum Prytaneion geleitet. Einige flüchteten sich an die Altäre der Semnai am Fuß des áreios págos und wurden dort ‚abgeschlachtet‘. Um weitere Versuche, eine Tyrannis zu errichten, zu verhindern – vielleicht auch als nachträgliche Rechtfertigung der Tötung der an die Altäre Geflüchteten –, erließen die Athener ein Gesetz, dem zufolge die Tötung eines Tyrannen und derjenigen, die die Tyrannis miterrichtet hatten, straflos bleibe, der Täter daher rein an den Händen sei. Der Tyrann und seine Anhänger müssten Attika auf immer verlassen; sie und die Helfershelfer seien mit ihren Nachkommen ‚ehrlos‘ (átimos), also von jeglicher politischer Partizipation ausgeschlossen. Später übernahm Solon die Strafen in seine Gesetzgebung und zitierte die frühe Satzung – verkürzt – im Gesetz über Ehrlose. Die Atimie bedeutete auch in archaischer Zeit stets nur den Ausschluss von einer politischen Partizipation; eine frühe strenge Form der Atimie im Sinne von ‚vogelfrei sein‘ gab es nicht.

Der Tyrannisversuch Kylons und seiner Anhänger Die Historiker Herodot und Thukydides berichten über den Tyrannisversuch Kylons in Form von Rückblenden.1 Nach dem Sturz des Tyrannen Hippias, der 528 v. Chr. seinem Vater Peisistratos gefolgt und 510 v. Chr. vertrieben worden war, brachen in

1  Zum Tyrannisversuch Kylons und zum kylonischen Frevel Williams 1951; Berve 1967, 41–43, 539 f.; Stroud 1968, 70–74; Mario Manfredini, Luigi Piccirilli, La vita di Solone, Neapel 1977, 148–155; Seibert 1979, 13 f.; Welwei 1992, 133–137; De Bruyn 1995, 21–24; Loretana de Libero, Die archaische Tyrannis, Stuttgart 1996, 45–49; Harris-Cline 1999; Scheer 2000, 172–178; Sara Forsdyke, Exile, Ostracism, and Democracy. The Politics of Expulsion in Ancient Greece, Princeton, N. J. etc. 2005, 80–90; Schmitz 2018; Thür 2018; Meister 2020, 252 f.

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Frühes Gesetz

Athen – so berichtet Herodot2 – inneraristokratische Streitigkeiten aus. An der Spitze der rivalisierenden Gruppen stand auf der einen Seite Isagoras, auf der anderen Kleisthenes. Als Isagoras zu unterliegen drohte, rief er den spartanischen König Kleomenes zur Unterstützung herbei. Bevor es zu einer direkten Intervention kam, schickte König Kleomenes einen Gesandten nach Athen und verlangte auf Betreiben des Isagoras den Hinauswurf des Alkmeoniden Kleisthenes und vieler anderer Athener mit ihm, die er als ‚Fluchbeladene‘ (ἐναγέες) bezeichnete. Denn die Familie der Alkmeoniden und ihre Anhänger (οἱ συστασιῶται αὐτῶν) trügen an der Tötung Kylons die Schuld, wohingegen Isagoras und seine Getreuen davon nicht betroffen seien.3 Herodot erläutert im folgenden Kapitel, wie es zur Tötung Kylons und der Verfluchung der Alkmeoniden gekommen war. Kylon, ein Olympiasieger, trachtete nach einer Tyrannis, sammelte dazu eine unterstützende Gruppe von Altersgenossen (ἑταιρηίη τῶν ἡλικιωτέων) und versuchte, die Akropolis einzunehmen (καταλαβεῖν τὴν ἀκρόπολιν). Es gelang ihnen jedoch nicht, sich der Stadt zu bemächtigen, und als Schutzflehende, hikétai (ἱκέται), setzten sie sich an das Standbild (ἄγαλμα) der Göttin Athena.4 Die Vorsteher der naú­ kraroi (οἱ πρυτάνιες τῶν ναυκράρων), die damals Athen verwalteten, hießen sie, von ihrem Schutz gewährenden Platz aufzustehen; sie müssten sich für die Tat verantworten, sollten aber nicht den Tod erleiden. Die Schuld, dass diese dennoch getötet wurden, trügen die Alkmeoniden.5 Achtzig Jahre später, zu Beginn des Peloponnesischen Krieges schickten die Spartaner erneut Gesandte nach Athen, um möglichst starke Vorwände für einen Krieg zu haben. In diesem Rahmen forderten sie erneut, „den Fluch der Göttin zu bannen“.6 Thukydides bezeichnet den Olympiasieger Kylon als „einer angesehenen Familie angehörend und mächtig“, der die Tochter des Tyrannen von Megara, Theagenes, geheiratet hatte.7 Auf eine Anfrage des Orakels in Delphi hin erhielt er von Apollon die

2  Nach Meinung von Eberhard Ruschenbusch, Weitere Untersuchungen zu Pherekydes von Athen (FGrHist 3), in: Klio 82, 2000, 335–339 gehen die Informationen Herodots auf das Werk des Pherekydes von Athen zurück. 3  Hdt. 5,70. Zur erneuten Vertreibung der Alkmeoniden siehe G. W. Williams, The Curse of the Alkmaionidai II, in: Hermathena 79, 1952, 5–21. 4  Zur Hikesie John Gould, Hiketeia, in: JHS 93, 1973, 74–103; Martin Dreher, Hikesie und Asylie in den Hiketiden des Aischylos, in: ders. (Hrsg.), Das antike Asyl. Kultische Grundlagen, rechtliche Ausgestaltung und politische Funktion, Köln/Weimar/Wien 2003, 59–84; Christian Traulsen, Das sakrale Asyl in der Alten Welt, Tübingen 2004, 131–163. 5  Hdt. 5,71. 6  Thuk. 1,126,2: τὸ ἄγος ἐλαύνειν τῆς θεοῦ. 7  Thuk. 1,126,3: Ἀθηναῖος ἀνὴρ Ὀλυμπιονίκης τῶν πάλαι εὐγενής τε καὶ δυνατός. Ähnlich und vermutlich nach Thukydides schreibt Aristodemos (FgrH 104 F 2): Κύλων εἷς ἦν τῶν ἐνδόξων Ἀθηναίων, ἀνὴρ Ὀλυμπιονίκης; vgl. Suda π 1179 s. v. Περίκλης. Victor Parker urteilt aufgrund eines Textvergleichs von Herodot und Thukydides, dass dem Thukydides der Bericht Herodots vorgelegen, er ihn aber in mehreren Punkten korrigiert habe (Two Notes on Early Athenian History, in: Tyche 19, 2004, 131–155, hier 131–141). Dagegen wendet sich Tim Rood (The Cylon Conspiracy: Thucydides and the Uses of the Past, in: Antonis Tsakmakis, Melina Tamiolaki [Hrsg.], Thucydides between History and Literature, Berlin

Historische Einordnung – Gesetz gegen die Tyrannis (F 1)

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Antwort, er solle am höchsten Fest des Zeus die Akropolis von Athen einnehmen.8 Unterstützt von Theagenes besetzte er mit seinen Freunden an den auf der Peloponnes gefeierten Olympien die Akropolis, um eine Tyrannis zu errichten.9 Als die Athener merkten, was vor sich ging, kamen sie mit dem gesamten Aufgebot vom Land her zu Hilfe. Da den meisten aber eine langwierige Belagerung zu aufwändig war, zogen sie wieder ab und gaben den neun Archonten die Vollmacht, die der Lage angemessenen Entscheidungen zu treffen, da die meisten der die Polis betreffenden Angelegenheiten von den neun Archonten besorgt wurden.10 Während die Anhänger Kylons (οἱ δὲ μετὰ τοῦ Κύλωνος) übel dran waren und Mangel an Nahrung und Wasser litten, konnten Kylon und sein Bruder entfliehen. Da bereits einige hungers starben, setzten sich die anderen in ihrer Not als Schutzflehende an den Altar auf der Akropolis.11 Als die Belagerer weitere Beteiligte im Heiligtum sterben sahen, hießen sie die mit der Wache Beauftragten12 aufstehen: Sie würden ihnen nichts Übles antun. Dann aber führten sie

2013, 119–138), der darauf hinweist, dass Thukydides auch die heute verlorene Version des Hellanikos benutzt haben könnte. Auch eine Parteinahme zugunsten der Alkmeoniden sei nicht das Hauptinteresse des Thukydides gewesen. Möglicherweise wollte Thukydides Kylon in Parallele zu Alkibiades stellen. Zu den Unterschieden in den Berichten von Herodot und Thukydides und einer möglichen Parteinahme der Autoren Arnold W. Gomme, A Historical Commentary on Thucydides, Oxford 1945 (Nachdr. 1966), Bd. 1, 425–430; Williams 1951; Fritz R. Wüst, Zu den πρυτάνιες τῶν ναυκράρων, in: Historia 6, 1957, 176–191; Mabel Lang, Kylonian Conspiracy, in: CPh 62, 1967, 243–249; Franco Ghinatti, I gruppi politici ateniesi fino alle guerre persiane, Rom 1970, 9–39; Borimir Jordan, Herodotos 5.71.2 and the Naukraroi of Athens, in: CSCA 3, 1970, 153–175 (mit einem Überblick über die Literatur S. 153–158). 8  Thuk. 1,126,4: καταλαβεῖν τὴν Ἀθηναίων ἀκρόπολιν. Zu den Diasien in Athen und in Olympia Michael Jameson, Notes on the Sacrificial Calendar from Erchia, in: BCH 89, 1965, 154–172, hier 167–172. 9  Thuk. 1,126,5: κατέλαβε τὴν ἀκρόπολιν ὡς ἐπὶ τυραννίδι. Ähnlich Aristodemos FgrH 104 F 2. 10  Thuk. 1,126,7–8. 11  Thuk. 1,126,10: ἐπὶ τὸν βωμὸν ἱκέται τὸν ἐν τῇ ἀκροπόλει. 12  Waren dies die Vorsteher der Naukraren? Jordan 1970 (wie Anm. 7), 153–175 sieht in den athenischen naúkraroi die für die Finanzen zuständigen Amtsträger, wie aus den solonischen Gesetzen hervorgehe. Sie hätten nicht in Athen ‚geherrscht‘; ἔνεμον sei in diesem Kontext vielmehr im Sinne von ‚Einkünfte einziehen‘ zu verstehen (172 mit der Übersetzung: „the prytaneis of the naukraroi who at that time were collecting the revenues of Athens“). Sie hießen die an die Altäre geflüchteten Kylonanhänger aufstehen, da sie die Tempelschätze auf der Akropolis verwalteten und auch für die Athenastatue Verantwortung trugen (Suda τ 58–59 s. v. ταμίαι). Sie werden auf Geheiß der Archonten gehandelt haben (Herodot verwendet das Verb νέμειν in 1,59,6 aber für das ‚Regieren‘ des Tyrannen Peisistratos). Zu diesem Problem Stephen D. Lambert, Herodotus, the Cylonian Conspiracy and the πρυτάνιες τῶν ναυκράρων, in: Historia 35, 1986, 105–112; Parker 2004 (wie Anm. 7), 137–140 (der die Existenz von Archonten bereits um 630 v. Chr. anzweifelt) und Hans van Wees, Ships and Silver, Taxes and Tribute. A Fiscal History of Archaic Athens, London/New York 2013, 49–52. Hans van Wees sieht in den „Vorstehern der Naukraren“ militärische Führungspersonen, denen die Belagerung der Aufständischen auf der Akropolis übertragen worden war. Zu den umstrittenen Funktionen der Naukraren und zu den Naukrarien Charlotte Schubert, Die Naukrarien: Zur Entwicklung der attischen Finanzadministration, in: Historia 57, 2008, 38–64; van Wees 2013 (wie oben), 44–61. Zu dem Ostrakon von 488/85 v. Chr. mit dem Namen Xanthippos, der – vielleicht wegen der Heirat mit Agariste aus der Familie der Alkmeoniden – als „einer der verfluchten Prytanen“ (ἀλειτερο�ν πρυτανειο�ν) beschimpft wird, G. W. Williams, The Curse of the Alkmaionidai II, in: Hermathena 79, 1952, 21. Die Deutung des Ostrakons ist aber umstritten (Peter Siewert [Hrsg.], Ostrakismos-Testimonien I, Stuttgart 2002, T 1/153, S. 134–139). Van Wees 2013 [wie oben], 49 f. verweist

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Frühes Gesetz

sie ab und töteten sie.13 Einige hatten sich beim Vorüberzug an die Altäre der Semnai gesetzt und wurden dort getötet.14 Und wegen dieser Tat wurden jene ‚Verfluchte‘ (ἐναγεῖς) und ‚Frevler an der Gottheit‘ (ἀλιτήριοι τῆς θεοῦ) genannt, und ebenso deren Nachkommenschaft.15 Die Athener haben die Verfluchten ausgetrieben, ebenso wie es später Kleomenes von Sparta und die mit ihm verbündete athenische Adelspartei (μετὰ Ἀθηναίων στασιαζόντων) taten, indem sie die lebenden Nachfahren verbannten und die Gebeine der Toten über die Grenze warfen.16 Nun, am Vorabend des Peloponnesischen Krieges richtete sich die Forderung der Spartaner gegen Perikles, der mütterlicherseits von den Alkmeoniden abstammte. Die Darstellung des kylonischen Frevels in Plutarchs Solonbiographie weist gegenüber den Schilderungen von Herodot und Thukydides anekdotische Züge auf und hat mit der Episode um den gerissenen Faden interpretatorischen Charakter, denn sie spiegelt Diskussionen um die Rechtmäßigkeit der Tötung wider. Ob die Tötung durch den Rechtsbrauch gedeckt war oder nicht, lässt sich nicht eindeutig entscheiden. Jedes Heiligtum einer griechischen Stadt und jeder Altar konnte Schutz gewähren, doch durfte eigentlich nur derjenige Schutz beanspruchen, der ungerechtfertigt durch die Eigenmacht einer anderen Person bedroht war. Personen, die mit Vorsatz einen anderen Menschen getötet oder die Ehebruch begangen hatten, hatten vom Grundsatz her keinen Anspruch auf eine Zuflucht in ein Heiligtum.17 Was zu geschehen hatte, wenn solche Personen ungeachtet dessen an einen Altar geflüchtet waren, war nicht verbindlich geregelt – anders als im Recht des alten Israel.18 Plutarch schildert am kylonischen Frevel Solons Bemühen um eine friedliche Beilegung von internen Konflikten, und so setzt er unvermittelt damit ein, dass der Kylonfluch (τὸ δὲ Κυλώνειον ἄγος) Athen schon lange in Aufruhr hielt. Ohne auf den vorangegangenen Tyrannisversuch Kylons

auf weitere Ostraka, auf denen Megakles als „der Kylonier“ (Κυλόνεος) und als „Verbrecher“ (ἀλειτερός) beschimpft wird. Das Ostrakon mit dem Namen des Xanthippos belegt daher, dass in den 480er Jahren die Tötung der Kylonanhänger den „Vorstehern“ (πρυτάνιες) der Naukraren, nicht den Archonten zur Last gelegt wurde. 13  Thuk. 1,126,11: ἀπαγαγόντες ἀπέκτειναν. 14  Thuk. 1,126,11: καθεζομένους δέ τινας καὶ ἐπὶ τῶν σεμνῶν θεῶν τοῖς βωμοῖς ἐν τῇ παρόδῳ ἀπεχρήσαντο; vgl. Suda π 1179 s. v. Περίκλης. Zur topographischen Einordnung der Ereignisse und zur Lage der archaischen Agora siehe Harris-Cline 1999, die herausarbeitet, dass die Kylonanhänger an der Nordseite der Akropolis heruntergeleitet und zum Prytaneion nordöstlich der Akropolis geführt wurden, als sie am Altar der Semnai, der Erinyen, getötet wurden. Sie setzt dafür aber voraus, dass die Altäre der Semnai von der Alten Agora in der Zeit um 500 v. Chr. an den Fuß des Areopaghügels verlegt worden seien. Zur Frage, um welche Altäre es sich gehandelt hat, Scheer 2000, 172–175. Zur Lage des Prytaneion nordöstlich der Akropolis Noel Robertson, Solon’s Axones and Kyrbeis, and the Sixth-Century Background, in: Historia 35, 1986, 147–176, hier 159–168. 15  Thuk. 1,126,11: ἐναγεῖς καὶ ἀλιτήριοι τῆς θεοῦ ἐκεῖνοί τε ἐκαλοῦντο καὶ τὸ γένος τὸ ἀπ’ ἐκείνων. Siehe auch Schol. Aristoph. equ. 445a (I): ἀλιτηρίων δὲ ἀντὶ τοῦ ἐναγῶν; vgl. 445b–c. 16  Thuk. 1,126,12. 17  Lykurg. 93. 18  Exod 21,14; Deut 19,11–13.

Historische Einordnung – Gesetz gegen die Tyrannis (F 1)

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einzugehen, wendet sich Plutarch gleich der umstrittenen Tötung zu: Megakles, ein Alkmeonide, war es, der als Archont die Mitverschworenen Kylons (οἱ συνωμότες τοῦ Κύλωνος) überredet hatte, dass die am Altar der Göttin Schutz Suchenden (ἱκετεύοντες τὴν θεὸν) von der Akropolis herabkommen und sich einem Gericht (ἐπὶ δίκῃ) stellen sollten.19 Dass deren Tötung als berechtigt angesehen werden konnte, zeigt die um die Episode herumgesponnene Geschichte, die Schutzflehenden hätten einen Faden an das Bild der Göttin gebunden und so eine Verbindung zum Sakralen bewahrt. Als aber der Faden beim Herabsteigen von der Akropolis bei den Altären der Semnai „von selbst“ (αὐτομάτως) gerissen sei, hätten Megakles und die Mitarchonten sie ergriffen, weil ihnen die Göttin Athena die hikesía offensichtlich entzogen hatte. Die sich außerhalb des heiligen Orts Aufhaltenden wurden gesteinigt, die an die Altäre Geflüchteten ‚abgeschlachtet‘ (ἀπεσφάγησαν). Allein diejenigen, die sich Schutz suchend vor den Frauen der Archonten niedergeworfen hatten, wurden verschont.20 Die Tat barg jedoch den nächsten schweren Konflikt gleich in sich. Wegen dieses Aktes nämlich waren die Verantwortlichen als ‚Verfluchte‘ (ἐναγεῖς) verhasst, und nach deren Verbannung gewannen die überlebenden Kylonanhänger erneut an Macht und standen in ständigem Zwist mit den Anhängern des Megakles.21 Solon sei es schließlich zusammen mit den vornehmsten Athenern (ἅμα τοῖς πρώτοις τῶν Ἀθηναίων) gelungen, die ‚Verfluchten‘ dazu zu bewegen, sich einem aus dreihundert herausragenden (ἀριστίνδην) Bürgern zusammengesetzten Gericht zu stellen. Myron von Phlya habe die Anklage geführt, und die Angeklagten seien verurteilt worden. Die noch lebenden Angeklagten hätten das Land verlassen, die Leichname der bereits verstorbenen Schuldigen seien aus den Gräbern geholt und über die Grenzen geworfen worden.22 Da sich ungeachtet dessen abergläubische Ängste in der Stadt hielten und die Seher, die mánteis, verkündeten, die Opfer deuteten auf Blutschuld und Befleckungen, die der rituellen Reinigung bedurften, wurde aus Kreta Epimenides von Phaistos gerufen, der die Stadt durch Sühnungen, Reinigungen und Kultstiftungen entsühnte und sie heiligte.23 19  Plut. Solon 12,1. 20  Plut. Solon 12,1; vgl. Schol. Aristoph. equ. 445a: λίθοις αὐτοὺς ἔβαλλον οἱ Ἀθηναῖοι. Die Episode mit dem gerissenen Faden hat auch Aristodemos, ein Historiker unbekannter Zeit, aufgegriffen: „Perikles, die Helfershelfer mit sich führend, hieß sie aufstehen. Kylon aber, der den Perikles fürchtete, vereinbarte mit ihm, dass sie unter der Zusicherung der Straflosigkeit hinabstiegen, und nach Abschluss der Vereinbarung kam er, einen Faden vom Tempel der Athena herabbindend, wie ein Schutzflehender der Göttin (hikétēs) hinab. Die Anhänger des Perikles aber, die ihre Wut nicht zügeln konnten, töteten ihn, als er herabkam. Dies meint ‚kylonischer Frevel‘“ (FgrH 104 F 2). Tanja Scheer 2000, 174 f. verweist als historische Parallele auf die Ephesier, die ihre Stadt durch ein Seil mit dem außerhalb der Stadt gelegenen Tempel der Artemis verbunden hätten (Hdt. 1,26). Vgl. Traulsen 2004 (wie Anm. 4), 139. 21  Plut. Solon 12,2. 22  Plut. Solon 12,3–4; 13,1. Phillips 2008, 38 f. setzt dieses Verfahren noch in vordrakontische Zeit; es könne daher nicht auf Solons Intervention hin geschehen sein. 23  Plut. Solon 12,6–9; 6: οἵ τε μάντεις ἄγη καὶ μιασμοὺς δεομένους καθαρμῶν προφαίνεσθαι διὰ τῶν ἱερῶν ἠγόρευον. 9: ἱλασμοῖς τισι καὶ καθαρμοῖς καὶ ἱδρύσεσι κατοργιάσας καὶ καθοσιώσας τὴν πόλιν, …; vgl. Cic. leg. 2,28. Scheer 2000, 178 setzt die Entsühnung des Epimenides um 596–593 an, als eine Seuche Athen

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Frühes Gesetz

Mit dem Ankläger Myron, einem Angehörigen des Priestergeschlechts der Lykomiden, setzt der auf Papyrus erhaltene Anfang der Athenaion politeia ein. Die nach Vorzüglichkeit (ἀριστίνδην) ausgewählten Urteilenden leisteten einen Eid auf die Opfer. Nachdem sie auf Frevel (ἄγος) erkannt hatten, warfen sie die Gebeine der Schuldigen aus ihren Gräbern und die Familie der Alkmeoniden ging in immerwährende Verbannung. Der Kreter Epimenides entsühnte anschließend die Stadt.24 In wichtigen Punkten stimmt dieser fragmentarisch erhaltene Bericht mit der Darstellung des Plutarch überein: der Ankläger Myron, die Auswahl der Urteilenden nach Vorzüglichkeit, der Schuldspruch mit der Verweigerung der Bestattung und das Exil und schließlich die Entsühnung der Stadt durch den Kreter Epimenides. Es ist daher davon auszugehen, dass Plutarchs Bericht (zumindest teilweise) auf der Athenaion politeia oder einer gemeinsamen Quelle beruht. Ein Unterschied besteht darin, dass Plutarch die Anklage des Myron und das Verfahren gegen die Fluchbeladenen in die Zeit Solons setzt, wohingegen die Athenaion politeia dieses Ereignis in der Anordnung zeitlich vor die Gesetzgebung Drakons und die Reformen Solons stellt. Allerdings fällt auf, dass als erste Maßnahme gegen die Verfluchten die Entfernung der Gebeine der Verstorbenen aus den Gräbern in attischer Erde und erst anschließend die immerwährende Flucht der Familienmitglieder (γένος) genannt wird, und dies in einer Formulierung, die nach der ‚altehrwürdigen Satzung‘ (F 1) eher auf die Nachkommenschaft als auf die Schuldigen selbst zu beziehen ist. Dies legt ein Verfahren nahe, das erst etwa eine Generation später durchgeführt wurde, als die unmittelbar an der Tat Schuldigen bereits verstorben waren.25 Es ist also nicht auszuschließen, dass der Autor der Athenaion po­ liteia den Tyrannisversuch Kylons im Zusammenhang bis zu seinem vorläufigen Ende schilderte und dabei auf die Zeit um 600 v. Chr. vorgriff.26 heimsuchte und man die Ursache im kylonischen Frevel sah (ebenso Williams 1951, 45 f.). Angeblich soll ein Orakelspruch den Tod von zwei Jünglingen, Kratinos und Ktesibios, befohlen haben, doch hält Scheer die Tötung für „mehr als zweifelhaft“ (Plat. leg. 1,642d; Diog. Laert. 1,110; vgl. Athen. 13,602c). Auf die Entsühnung könnte auch hinweisen, dass auf der Akropolis eine Statue des Olympiasiegers Kylon aufgestellt wurde (Paus. 1,28,1; s. u.). Ein Kyloneion am sechsten der neun Stadttore Athens ist in Schol. Soph. Oid. K. 489 erwähnt. 24  Aristot. Ath. pol. 1: Ἐ[πι]μενίδης δ’ ὁ Κρὴς ἐπὶ τούτοις ἐκάθηρε τὴν πόλιν. Seibert 1979, 415 Anm. 63 geht nach Berve (1967, Bd. 2, 540) davon aus, dass die Alkmeoniden wegen Asebie angeklagt wurden. Ebenso Stroud 1968, 74. In der Epitome des Herakleides Lembos hat sich über die vorausgehenden Ereignisse die Nachricht erhalten, dass „Megakles und seine Anhänger die Männer um Kylon, die wegen des Strebens nach der Tyrannis an den Altar der Göttin geflüchtet waren, getötet haben. Die, die das getan hatten, haben sie als fluchbeladen vertrieben“ (Heraclid. Lemb. 1,2: τοὺς μετὰ Κύλωνος διὰ τὴν τυραννίδα ἐπὶ τὸν βωμὸν τῆς θεοῦ πεφευγότας οἱ περὶ Μεγακλέα ἀπέκτειναν. καὶ τοὺς δράσαντας ὡς ἐναγεῖς ἤλαυνον). Zur Rückkehr der Alkmeoniden Williams 1951, 46 f. 25  So auch Seibert 1979, 13. Die detaillierte Regelung im Gesetz Drakons, wer einer Aussöhnung zustimmen musste, wenn der Vater, Brüder oder Söhne nicht mehr lebten, könnte ebenfalls dafür sprechen, dass nach der Tat etliche Jahre ins Land gegangen waren (IG I3 104 Zeile 13–19). 26  Rhodes 1981, 81–84. Eine genaue Analyse der chronologischen Abfolge und der Datierung hat Luisa Prandi, I Ciloniani e l’opposizione agli Alcmeonidi in Atene, in: L’opposizione nel mondo antico. A cura di Marta Sordi, Milano 2000, 3–20 vorgelegt.

Historische Einordnung – Gesetz gegen die Tyrannis (F 1)

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Zwei kurze Notizen über den kylonischen Frevel finden sich schließlich bei dem kaiserzeitlichen Autor Pausanias. Im Zusammenhang mit dem verheerenden Erdbeben im Winter 373 v. Chr., durch das die Stadt Helike in Achaia zerstört und durch einen Tsunami überschwemmt wurde und die Einwohner der Stadt in der gewaltigen Flutwelle umkamen, verweist Pausanias auf weitere Naturkatastrophen, die durch den unerbittlichen Groll des (Zeus) Hikesios, des Gottes der Schutzflehenden, verursacht worden seien.27 So habe der Zeus von Dodona die Athener mit einem Orakelspruch gemahnt, die Schutzflehenden zu respektieren: „Achte des Areiopagos und der Opferaltäre der Eumeniden, wenn Schutz dort erflehen die Lakedaimonier, vom Speere bedrängt. Diese töte nicht mit dem Eisen, noch tue Unrecht an den Schutzflehenden, denn sie sind stets heilig und rein“.28

Dieser Orakelspruch bezog sich auf die Zeit des mythischen Königs Kodros, als sich ein peloponnesisches Heer aus Attika hatte zurückziehen wollen. Die in der Stadt zurückgebliebenen Spartaner wären zum áreios págos und zu den dort liegenden Altären der Semnai (der ‚Ehrwürdigen‘) geflohen. Die Athener hätten – eingedenk des Orakels aus Dodona – den Schutzflehenden freien Abzug gewährt. Später aber hätten sogar die Amtsinhaber selbst (αὐτοὶ οἱ ἔχοντες τὰς ἀρχὰς) diejenigen Schutzflehenden der Athena, die zusammen mit Kylon die Akropolis eingenommen hatten, (dort) getötet. Die Täter und deren Nachkommen galten deswegen als „von der Gottheit verflucht“ (ἐναγεῖς τῆς θεοῦ).29 Anders als bei der Stadt Sparta, der gleichfalls die Tötung von Schutzflehenden, die sich in das Heiligtum des Poseidon auf Kap Tainaron geflüchtet hatten, vorgeworfen wurde und die deswegen mit einem verheerenden Erdbeben in den 460er Jahren bestraft wurde, nennt Pausanias für den Frevel an den Kylonanhängern keine göttliche Strafe, vermutlich weil man einer solchen durch die Verurteilung der Schuldigen und die Entsühnung der Stadt durch Epimenides entgangen war. Bei seiner Beschreibung der Weihgeschenke auf der Athener Akropolis nennt Pau­ sanias unter anderem ein Bronzebild von Kylon, bekennt aber, nicht zu wissen, warum es dort aufgestellt worden war, da Kylon doch eine Tyrannis angestrebt habe. Er vermutet daher, es sei wegen dessen Schönheit und seines Ruhms als Sieger im Doppel­ lauf in Olympia sowie der Heirat mit der Tochter des Tyrannen Theagenes von Megara geschehen.30 Der Anlass für die Weihung muss unsicher bleiben: Es mag der Sieg in

27  28  29  30 

Paus. 7,24,12–13. Paus. 7,25,1 (Übersetzung Ernst Meyer). Paus. 7,25,2–3. Paus. 1,28,1; vgl. 1,40,1.

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Frühes Gesetz

Olympia gewesen sein; es kann aber auch ein Sühneopfer für die Tötung der an das Bild der Göttin geflohenen Kylonanhänger gewesen sein.31 Sehr späte, nicht genau zu datierende Berichte sind schließlich in den Scholien zu Aristophanes’ Komödie Die Ritter enthalten. Nach Schol. Aristoph. equ. 445a (I) hätten die Anhänger Kylons als hikétai Schutz bei der Statue der Athena gesucht, seien für das Verfahren von der Akropolis herabgestiegen, aber, als der Faden zerriss, von den Athenern gesteinigt worden. Wegen dieses Übergriffs seien die Verantwortlichen als ‚Verfluchte‘ (ἀλιτήριοι) bezeichnet worden.32 Ein zweites Scholion geht näher auf die Person Kylon und seinen Tyrannisversuch während der Olympien ein. Auf der Akropolis habe Kylon das Heiligtum geplündert (συλῶν) und sei deswegen belagert worden. Kylon konnte entkommen, doch seine Anhänger seien getötet worden, wobei einige von ihnen als Schutzflehende von den Altären weggerissen und getötet wurden. Die für diese Taten Verantwortlichen seien verflucht und aus der Stadt verbannt worden, weil sie die alten Gesetze durch die Tötung der Schutzflehenden gebrochen hatten.33 Auch die Version in einem dritten Scholion führt an, Kylon habe das Heiligtum der Athena geplündert und sei deswegen von den Athenern belagert worden. Während Kylon selbst hätte fliehen können, hätten seine Anhänger Zuflucht an den Altären der Götter gesucht, wären von dort aber weggerissen und getötet worden. Die dafür Verantwortlichen seien ‚Verfluchte‘ genannt worden.34 Gerhard Thür bringt die Tötung der Kylonanhänger mit zwei in Phaleron freigelegten Massengräbern in Verbindung, in denen Menschen mit über den Kopf gefesselten Händen Seite an Seite in eine Grube gelegt gefunden wurden, die durch apotympa­ nismós hingerichtet worden waren. Die Gräber gehören in die Zeit zwischen 650 und 31  Dies setzt indes voraus, dass Kylon bei der Belagerung der Akropolis ums Leben kam bzw. sein Standbild für alle an den Altären getöteten Anhänger aufgestellt wurde (zu dieser Frage Jameson 1965 [wie Anm. 8], 171). Stroud 1968, 71 Anm. 30 vermutet eine Aufstellung erst nach 480 oder im Zuge der spartanischen Forderung von 431 v. Chr., den kylonischen Frevel zu sühnen. Auch die Spartaner weihten der Athena zwei eherne Statuen des Königs Pausanias, der im Heiligtum der Athena Chalkioikos eingemauert und dort ums Leben gekommen war (Diod. 11,45,5–9). 32  Nach Schol. Aristoph. equ. 445a (I) sollte das Verfahren am áreios págos stattfinden: ἐκ τῶν ἀλιτηρίων: τῶν μετεχόντων τοῦ Κυλωνείου ἄγους, ὅπερ εἰς τὴν Ἀθηνᾶν δοκεῖ γενέσθαι ἀσέβημα, ἐπειδήπερ οἱ συγκατακλεισθέντες τῷ Κύλωνι ἐν τῇ ἀκροπόλει εἰς τὴν κρίσιν κατέβησαν ἐν Ἀρείῳ πάγῳ, ἐκ τοῦ ἕδους τῆς θεοῦ ἐξάψαντες τὴν ἱκετηρίαν. ἧς διαρρυείσης λίθοις αὐτοὺς ἔβαλλον οἱ Ἀθηναῖοι. ἀλιτηρίων δὲ ἀντὶ τοῦ ἐναγῶν. Zweifel äußert De Bruyn 1995, 22 f. daran, dass die Verschworenen hatten zum Areopag geführt werden sollen. 33  Schol. Aristoph. equ. 445a (II): ἄλλως: ἐκ τῶν ἀλιτηρίων: τῶν ἁμαρτόντων εἰς τὴν Ἀθηνᾶν. Κύλων γὰρ Ἀθηναῖος ἀνήρ, …, ἐπελθὼν τῇ ἀκροπόλει ἐλῄστευε καὶ ἁλίσκεται. ἐλήφθη δὲ καὶ συλῶν τὸ ἱερὸν τῆς Ἀθηνᾶς. καὶ αὐτὸς μὲν ὁ Κύλων φεύγει, τοὺς δὲ ἄλλους φονεύουσι, τινὰς δὲ καὶ ἱκέτας ἐκ τῶν βωμῶν ἀποσπάσαντες ἀπέκτειναν. τοὺς δὲ ἁμαρτόντας εἰς τοὺς ἱκέτας ἀλιτηρίους ἔφασκον· οὓς καὶ ἐξέβαλον τῆς πόλεως, ὅτι ἐκ τῶν ἀρχαίων νόμων παρέβησαν τοὺς ἱκέτας φονεύσαντες. 34  Schol. Aristoph. equ. 445a (III): ἄλλως: Κύλων τὴν ἀκρόπολιν κατέλαβεν ἐπὶ τυραννίδι, καὶ ἐλήφθη ποτὲ συλῶν τὸ ἱερὸν τῆς Ἀθηνᾶς, καὶ ὑπὸ Ἀθηναίων ἐκλείσθη. καὶ οὕτως ἐκεῖνος εὑρὼν καιρὸν φυγῇ ἐχρήσατο, καὶ οἱ φίλοι ἔφυγον εἰς τοὺς βωμοὺς τῶν θεῶν. οὓς οὗτοι ἀποσπάσαντες ἀπέκτειναν, ὅθεν ἀλιτήριοι ἐκλήθησαν.

Historische Einordnung – Gesetz gegen die Tyrannis (F 1)

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625. Es sei vorstellbar, dass auch bei der Niederwerfung des Kylonputsches Schuldige wegen der Errichtung einer Tyrannis nicht nur gesteinigt und an den Altären getötet, sondern auch mittels apotympanismós hingerichtet wurden.35 Beruhend auf einer Eintragung in der Chronik des spätantiken Kirchenhistorikers Eusebios wird die Besetzung der Akropolis durch Kylon in der Regel in das Jahr 632 v. Chr. datiert; doch auch die Jahre 636 oder 640 v. Chr., also ein oder zwei Olympiaden früher, kommen für die Datierung infrage.36 Das Gesetz gegen die Tyrannis Die von den antiken Quellen wenn auch nicht widerspruchsfrei geschilderten Ereignisse bilden den historischen Hintergrund für das früheste Gesetz Athens, die in der Athenaion politeia überlieferte ‚altehrwürdige Satzung‘ (F 1a).37 Es kann davon ausgegangen werden, dass Kylon durch seinen Tyrannisversuch die Athener gegen sich aufgebracht hat. Vermutlich war dies die Gelegenheit, nach erfolgreicher Abwehr dieses Versuchs in einer Satzung die Tyrannis zu verurteilen. Kylon, seinem Bruder und seinen Anhängern wurde vorgeworfen, gemeinschaftlich eine Tyrannis angestrebt zu haben. Nach der hier vorgelegten Rekonstruktion der Satzung drohte denen, die sich „zur Errichtung einer Tyrannis erhoben“ (ἐπανιστῶνται ἐπὶ τυραννίδι), dass sie straffrei getötet werden durften, weil sie als verflucht gelten konnten.38 Vermutlich waren damit der Verlust des Vermögens und das Verbot der Bestattung in attischem Boden verbunden. Sie selbst und darüber hinaus ihre Helfershelfer wurden zu ‚Ehrlosen‘ erklärt und damit von aller politischen Partizipation ausgeschlossen. Dies galt für sie selbst und für alle ihre Nachfahren.39 In der Literatur wurde das Gesetz in seiner ursprünglichen Form häufig Drakon oder Solon zugeschrieben, die Erneuerung, die in dem einleitenden Satz von Fragment 1a

35  Thür 1990, 147–149; Thür 2018, 27 mit Anm. 4, 29. 36  Eus. chron. 1,198,31 f.: Sieg Kylons im Diaulos in der 35. Olympiade (640 v. Chr.). Dazu Rhodes 1981, 79–84; De Bruyn 1995, 21 Anm. 13; Michael Gagarin, Writing Greek Law, Cambridge 2008, 94 (636 v. Chr.). Die weiteren Quellen sind zusammengestellt bei Harris-Cline 1999, 309 Anm. 5; vgl. auch Valentina Mussa, The College of Treasurers of Athena on the Acropolis During the Archaic Period, in: Constanze Graml, Annarita Doronzio, Vincenzo Capozzoli (Hrsg.), Rethinking Athens Before the Persian Wars, München 2019, 251–264, hier 252 f. 37  Das Argument von Greg Anderson, Before Turannoi Were Tyrants: Rethinking a Chapter of Early Greek History, in: Classical Antiquity 24, 2005, 173–222, hier 214, dass Solon in seinen Elegien die Tyrannis zwar verurteilt, sie aber nicht als unrechtmäßig darstellt, ist m. E. nicht hinreichend, um die Historizität der ‚altehrwürdigen‘ Satzung in Frage zu stellen. 38 Im König Ödipus verflucht Ödipus den Täter, der seinen Vater getötet hatte, verbietet, mit ihm Umgang zu pflegen, und schließt ihn von Gebeten, Opfern und geweihtem Wasser aus (Soph. OT 236–240). 39  Zu der mit Verbannung, Atimie und Einzug des Vermögens verbundenen Verfluchung Dössel 2003, 23 mit Verweis auf IG IV 506, I.Erythrai 1 und IG IX, 12 609.

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Frühes Gesetz

zum Ausdruck kommt, der Zeit nach dem Sturz der Peisistratiden 511/10 v. Chr. oder der ersten Oligarchie um 410 v. Chr.40 Der Kontext von Ath. pol. 16,10 legt nahe, dass das „althergebrachte Gesetz“ in der Zeit der Tyrannis des Peisistratos bereits existierte.41 Die überzeugendsten Argumente für die Datierung des Gesetzes hat Michael Gagarin vorgelegt. Er vertritt die These, dass in der Zeit vor Drakon und Solon die Thesmotheten Rechtssprüche (thésmia) aufgezeichnet hätten und einer dieser Rechtssprüche in Ath. pol. 16,10 erhalten geblieben sei. Wenn er ein Bestandteil des Gesetzes Drakons über die Tötung gewesen wäre, wäre zu erwarten, dass Drakon als Urheber des Gesetzes genannt wäre; außerdem wäre das Gesetz anders formuliert gewesen (nämlich dass die Tötung eines Tyrannen straflos bleibe, ein phónos díkaios sei).42 Gagarin geht daher davon aus, dass das thésmion im Zusammenhang mit der Niederschlagung des kylonischen Tyrannisversuchs 632 oder 636 aufgezeichnet wurde, auch wenn einige der Unterstützer getötet, andere vertrieben wurden. Die Vertriebenen seien vermutlich in absentia verurteilt und zu átimoi erklärt worden. In Folge dieses Verfahrens sei das thés­ mion aufgezeichnet worden.43 Durch seine durch die Elegien bekannte antityrannische Haltung kann es nach Michael Gagarin als sehr wahrscheinlich angesehen werden, dass Solon das Gesetz als Zitat aufnahm und durch das zusätzliche Verfahren der Eisangelie (F 44) effektiver gestaltete. Bei der Strafe hielt er an der früheren Bestimmung fest.44

40  Ostwald 1955, 106–109 geht von einem Gesetz Drakons aus; ebd. 105: „and the presumption is, therefore, that this procedure has only been used once, to wit, against the followers of Cylon, and that until that time no law existed to cover attempts at tyranny“. Von einem Gesetz Drakons gehen aus: Berve 1967, 540; McGlew 1993, 112 f.; Dössel 2003, 61 Anm. 39; dies., Einige Bemerkungen zum „Gesetz gegen Tyrannis und Oligarchie“ aus Eretria, 4. Jahrhundert v. Chr., in: ZPE 161, 2007, 115–124, hier 119 Anm. 18 und A. Gallia, The Republication of Draco’s Law of Homicide, in: CQ 54, 2004, 451–460, hier 458–459. In vorsolonische Zeit datiert das Gesetz auch Ruschenbusch 2010, 73. Dem Urteil von Lipsius 1905–15, 374, der das Gesetz in Ath. pol. 16,10 für solonisch hält, stimmt Chambers 1990, 210 f. mit Zurückhaltung zu (vgl. dagegen aber die Argumente von Ostwald 1955, 106–107). Ostwald 1955 setzt die Erneuerung des Gesetzes 511/10 v. Chr. an, Davies (CR 23, 1973, 225 f.) um 410 v. Chr. (skeptisch gegenüber diesem späten Ansatz ist Rhodes 1981, 221 f.). Dmitriev 2015, 41 f. lässt die Frage der Datierung offen. Die Schlussfolgerung von Ostwald, das Gesetz deshalb Drakon zuzuschreiben, weil nach Ath. pol. 41,2 Drakon zum ersten Mal Gesetze aufgezeichnet habe, hat bereits Gagarin 1981, 73 mit Hinweis auf Aristot. Ath. pol. 3,4 zurückgewiesen. Siehe auch die Zusammenstellung der Datierungsvorschläge bei Youni 2018, 142. 41  Rhodes 1981, 221. McGlew 1993, 113 vermutet nach Wallace 1985, 23 mit Anm. 73, dass „the reference to ‚laws [θέσμια] and customs [πάτρια]‘ suggests that the passage was taken from a later inscription of an archaic law“. Für eine solche Spätdatierung geben die beiden Worte aber keine hinreichende Grundlage. 42  Der Ansicht von Michael Gagarin, dass die Thesmotheten thésmia erlassen und gesammelt hätten, folgt Sickinger 1999, 10–14. Berve 1967, 43 geht wie Ostwald davon aus, dass es zur Zeit Kylons noch keine Satzungen über die Bestrafung von Tyrannisaspiranten gab. Dafür sprächen das spontane Vorgehen der Archonten gegen die Anhänger Kylons und „die nicht glaubwürdige Angabe“ (in Plut. Solon 12,1 und Schol. Aristoph. equ. 445a), dass diese gesteinigt worden wären (zur Steinigung als Strafvollstreckung Schmitz 2004, 393–400). All dies sehe eher nach Selbsthilfe gegen Feinde des Gemeinwesens aus. 43  Gagarin 1981, 72–74. Lenschau 1948, 1804 geht davon aus, dass diejenigen mit atimía bestraft worden seien, die durch Fürbitte der Archontenfrauen dem Tod entgangen waren (Plut. Solon 12,1), oder Kylon und sein Bruder, die sich nach Thuk. 1,126,10 durch Flucht gerettet hatten. 44  Gagarin 1981, 76 f.; Sickinger 1999, 10–14.

Historische Einordnung – Gesetz gegen die Tyrannis (F 1)

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Es scheint in der Tat plausibler, die ‚altehrwürdige Satzung‘ als unmittelbare Reaktion auf den Tyrannisversuch Kylons zu werten, also sie in eine Zeit zu setzen zwischen misslungenem Tyrannisversuch und Wiedererstarken der Kylonanhänger.45 Die Tötung der Kylonanhänger an den Altären könnte mit der Satzung nachträglich legitimiert worden sein. War die Satzung eine Reaktion auf die Besetzung der Akropolis durch Kylon, begann die Gesetzgebung in Athen in einer Zeit, als Megakles und die Anhängerschaft der Alkmeoniden sich der Vertreibung und Tötung von Tyrannen rühmen und in einer Satzung die straffreie Tötung eines Tyrannen und die Ehrlosigkeit seiner Unterstützer durchsetzen und gesetzlich festschreiben konnten.46 Weitere Auseinandersetzungen zwischen Kylonanhängern und ihren Gegnern Plutarch berichtet davon, dass die Stimmung in Athen bald kippte. Wegen des Frevels an der Gottheit seien die dafür Verantwortlichen als ‚Verfluchte‘ verbannt worden, und anschließend hätten die Anhänger Kylons erneut an Macht gewonnen.47 Das Gesetz Drakons über die Tötung (F 2–18) kann als Ausdruck dieses Stimmungs- und Macht­ umschwungs gedeutet werden.48 Das Gesetz bot die Möglichkeit, gegen solche Personen vorzugehen, die sich einer nicht vorsätzlichen Tötung schuldig gemacht hatten. Wurde darauf erkannt, mussten sie aus Attika flüchten. Die Tötung der Kylonanhänger kann als nicht vorsätzliche Tat gelten, da die Belagerung der Akropolis nicht mit dem Vorsatz begonnen worden war, die zu töten, die eine Tyrannis angestrebt hatten. Die Strafe, aus Attika fliehen zu müssen, traf gemäß Drakons Gesetz auch diejenigen, welche die Tötung veranlasst, also die Anordnung (βούλευσις) zur Tötung gegeben hatten. Auch dies ließe sich mit dem Geschehen beim Putsch Kylons gut verbinden, da Megakles vermutlich nicht mit eigener Hand getötet, sondern als Archont die Anweisung zur Tötung gegeben hatte. Er und weitere Athener, die sich der Tötung der Ky45  So auch Seibert 1979, 414 Anm. 59; Forsdyke 2005 (wie Anm. 1), 84–90. Auch Meister 2020, 295, 303 f. folgt der Ansicht Gagarins, dass das thésmion älter als das Gesetz Drakons ist. 46  Stroud 1968, 71 meint, dass nach der Tötung der Kylonanhänger an den Altären die Überlebenden durch ein Gerichtsverfahren zu Ehrlosen erklärt und in immerwährendes Exil getrieben wurden; ihnen war durch Solons Amnestiegesetz die Rückkehr versagt. In diesen Jahren „the Alkmeonid banner had never flown higher. In the eyes of many Megakles was probably regarded as the savior of Athens. Tyranny and foreign intervention had been swiftly and effectively blocked; the Kylonians got what they deserved“. 47  Plut. Solon 12,2. Stroud 1968, 71 f. 48  Stroud 1968, 72: „… there is much to be said for the theory that the appointment of Drakon to draw up a code of law was a direct outcome of the Kylonian fiasco“. Stroud sieht den Vorteil einer eindeutigen rechtlichen Regelung allerdings eher bei den Alkmeoniden. Einen unmittelbaren Zusammenhang sieht auch Thür 2018, 29: „Some fifteen years later [nach dem Tyrannisversuch Kylons], the peculiar beginning of Draco’s law seems to respond exactly to this scenario“, und: „Not only those who had slaughtered the suppliants with their own hands were guilty of homicide, but so, too – and primarily so – were the magistrates who had ordered the action that indirectly brought about their death“.

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lonanhänger schuldig gemacht hatten, konnten mit dem Gesetz Drakons zur Rechenschaft gezogen werden. Den Beschuldigten kam das Gesetz aber insofern entgegen, als unter bestimmten Bedingungen eine verbindliche und verlässliche Aussöhnung (αἴδεσις) zwischen Tätern und Angehörigen der Opfer möglich war. Diese Möglichkeit zur Aussöhnung unter diesen Bedingungen sollte auch denen gewährt werden, die Attika bereits als Schuldige verlassen hatten.49 Trotz dieser Gegenreaktion in Form des drakontischen Gesetzes kam die Stadt nicht zur Ruhe, vielleicht deswegen nicht, weil die Klassifizierung der Tat als nicht vorsätzliche den Angehörigen der Opfer nicht ausreichte oder göttliche Strafen wegen der verunreinigten Stadt befürchtet wurden. So folgte der dritte Akt in diesem politischen Konflikt unter Solon. Solon soll – so berichtet erneut Plutarch – die Verfluchten dazu bewegt haben, sich einem aus dreihundert Männern bestehenden Gerichtshof, nach Vorzüglichkeit ausgewählt, zu stellen. Dass es dabei eine regelrechte Anklage gab, die Myron von Phlya führte, und die Beschuldigten zu immerwährender Verbannung sowie einem Bestattungsverbot in Attika verurteilt wurden, deckt sich mit Solons Revision der drakontischen Satzung, in der auch die vorsätzliche Tat geregelt und als urteilende Instanz der Areopag eingesetzt wurde (F 19–39). Es ist also gut möglich, dass dieses Verfahren an dem Ort stattfand, an dem das Unrecht an den Göttern begangen worden war, bei den Altären der Semnai am Fuß des áreios págos. Trotz der Gegenreaktion in Form eines Verfahrens gegen (den inzwischen verstorbenen?) Megakles und die Alkmeoniden hielten die Athener an den Strafen für Tyrannen und ihren Helfershelfern fest: Die wegen Tyrannis für ehrlos Erklärten blieben dadurch, dass Solon sie in seinem Amnestiegesetz (F 1b, 44a) ausnahm, von jeglicher politischer Partizipation ausgeschlossen. Solon übernahm das Gesetz gegen die Tyrannis in seinen Gesetzescode, schuf ein formalisiertes Verfahren, durch das Anklagen wegen eines Tyrannisversuchs zukünftig vor den Areopag gebracht werden konnten (die sog. eisangelía) und bestätigte damit auch für die kommende Zeit die für die Tyrannen und ihre Helfershelfer festgelegten Strafen (siehe F 44–46).50

49  Dies würde bedeuten, dass durch Drakons Gesetz eine Möglichkeit geschaffen wurde, gegen Mega­ kles und seine Anhänger vorzugehen, die sich bisher auf die ‚altehrwürdige‘ Satzung berufen konnten (von einem Stimmungsumschwung geht auch Seibert 1979, 13 aus). Dennoch bot das Gesetz Möglichkeiten der Aussöhnung und der Rückkehr nach Athen, die nach der späteren Verurteilung durch das von Solon eingesetzte Gericht nicht mehr gegeben waren. Vgl. Sally Humphreys, A Historical Approach to Drakon’s Law on Homicide, in: Symposion 1990. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Pacific Grove, California, 24.–26. September 1990), hrsg. von Michael Gagarin, Köln 1991, 17–45, hier 20– 22. Doch ihre Deutung, wonach „laws prohibiting homicide would have benefited the Alcmaeonids, who therefore had reason to support Draco“, geht Robert W. Wallace, Revolutions and a New Order in Solonian Athens, in: Kurt A. Raaflaub, Josiah Ober, Robert W. Wallace (Hrsg.), Origins of Democracy in Ancient Greece, Berkeley etc. 2007, 55 zu weit. Er lässt die Frage letztlich offen: „This provision might or might not have reduced civic strife or helped any Alcmaeonids or others who had fled Athens“. 50  Nach Aristot. Ath. pol. 8,4 hat Solon ein Gesetz (νόμος) gegeben, das die Anklage (εἰσαγγελία) gegen Personen, die eine Tyrannis anstrebten, regelte (Σόλωνος θέντος νόμον εἰσαγγελίας περὶ αὐτῶν).

Historische Einordnung – Gesetz gegen die Tyrannis (F 1)

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Möglicher Ablauf des Geschehens Tyrannisversuch Kylons Besetzung der Akropolis durch Kylon und seine Anhänger (evtl. Zugriff auf die Tempelschätze)

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Belagerung der Akropolis; die Kylonanhänger suchen Schutz an den Altären; Schlichtungsangebot in Form eines Rechtsverfahrens unter den Vorstehern der Naukraren. Die Kylonanhänger steigen (am Nordabhang) von der Akropolis herab. Dabei werden sie (möglicherweise weil sie zu fliehen versucht hatten) ergriffen und getötet. Einige werden gesteinigt, andere fliehen zu den Altären der Semnai/ Erinyen, werden dort weggerissen und getötet, wie Opfertiere ‚abgeschlachtet‘. Einige der Anhänger werden vom Prytaneion verurteilt und müssen Attika als ‚Ehrlose‘ verlassen. Vielleicht sind es diejenigen, die Zuflucht bei den Frauen der Archonten gesucht haben und verschont wurden. Gesetz gegen Tyrannen: Wer eine Tyrannis errichtet, gilt als verflucht, darf straflos getötet werden; sein Vermögen wird eingezogen, seine Bestattung innerhalb Attikas verboten; die Helfershelfer werden ‚ehrlos‘ (átimos). Wiedererstarken der Kylonanhänger als Reaktion auf das Wiedererstarken der Kylonanhänger: Gesetz Drakons über die Tötung; Rechtsverfahren vor den ephétai wegen nicht vorsätzlicher Tötung und der Anweisung zur Tötung (gerichtet gegen diejenigen, die Anhänger Kylons getötet oder deren Tötung angeordnet hatten); möglicherweise fanden die Verfahren beim Palladion statt, da sich die Anhänger Kylons auf der Akropolis an die Altäre der Athena geflüchtet hatten. Eine endgültige Befriedung wird auch dadurch nicht erreicht.

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Schlichtung durch Solon Die Verantwortlichen für die Tötung an den Altären werden wegen Asebie und ‚Abschlachtens‘ an heiligen Orten vor einem Gericht mit 300 nach Vorzüglichkeit ausgewählten Athenern von Myron angeklagt. Schuldspruch: ewige Verbannung. Das Gericht tagt am Ort des Geschehens, bei den Altären der Semnai, am Fuß des áreios págos. Solon richtet damit den Areopag als Gerichtshof ein. Entsühnung der Stadt durch den Kreter Epimenides Amnestiegesetz Solons: ausgenommen sind die, die vom Prytaneion wegen Tyrannis, die von den ephétai wegen nicht vorsätzlicher Tötung (eigenhändiger und angeordneter) sowie die vom Areopag wegen Tötung und Abschlachtens an den Altären verurteilt wurden.

ca. 610/600

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Gesetz gegen die Tyrannis (F 1)

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Gesetz gegen die Tyrannis (F 1) (F 1a: T 324, 420 Martina; F 37a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 1b: T 418b, 538 Martina; F 70 Ruschenbusch; F 22/1 Leão/Rhodes)

F 1a: Aristoteles, Athenaion politeia 16,10 (320er Jahre v. Chr.) (= F 44a, 51a–b) ἦσαν δὲ καὶ τοῖς Ἀθηναίοις οἱ περὶ τῶν τυράννων νόμοι πρᾷοι κατ᾽ ἐκείνους τοὺς καιροὺς οἵ τε ἄλλοι καὶ δὴ καὶ ὁ μάλιστα καθήκων πρὸς τὴν τῆς τυραννίδος ‹κατάστασιν›. νόμος γὰρ αὐτοῖς ἦν ὅδε· „θέσμια τάδε ᾽Αθηναίων ἐστὶ καὶ πάτρια· ἐάν τινες τυραννεῖν ἐπανιστῶνται ἐπὶ τυραννίδι ἢ συγκαθιστῇ τὴν τυραννίδα, ἄτιμον εἶναι καὶ αὐτὸν καὶ γένος“. App. crit.: κατάστασιν ist von Kaibel/Wilamowitz eingefügt und von vielen Herausgebern übernommen worden. Zur umstrittenen Lesung ἐστὶ καὶ Rhodes 1981, 223; vgl. Chambers 1990, 210; Leão/Rhodes 2015, 57. Zu ἢ nach ἐπὶ τυραννίδι Chambers ebd. Die Worte ἐπὶ τυραννίδι werden oft getilgt, aber von Ostwald 1955, 121 Anm. 97 mit Verweis auf ἀνεφσιότετος καὶ ἀνεφσιο͂ im Gesetz Drakons (F 2a) als archaischer Pleonasmus verteidigt; im Gesetz des Eukrates von 336 v. Chr. heißt es: ἐάν τις ἐπαναστῆι τῶι δήμωι ἐπὶ τυραννίδι ἢ τὴν τυραννίδα συγκαταστήσηι (SEG 12,87; IG II/III3 1,320 Z.7), vielleicht mit Aufnahme der älteren Formulierung in der frühen Satzung. Daher sollte nach Rhodes 1981, 223 und Chambers 1990, 210 τυραννεῖν gestrichen werden. Zum textkritischen Apparat insgesamt Gagarin 1981, 72 Anm. 6.

Und bei den Athenern waren die Gesetze (nómoi) über Tyrannen in jenen Zeiten [zur Zeit des Peisistratos] milde und unter anderen ganz besonders dasjenige gegen die Errichtung einer Tyrannis. Bei ihnen bestand nämlich Folgendes als Gesetz (nómos): „Rechtlich festgesetzt (thésmia) und althergebracht (pátria) ist für die Athener dies: Wenn irgendwelche sich zur Errichtung einer Tyrannis erheben oder einer die Tyrannis miteinsetzt, der sei ehrlos (átimos), er selbst und seine Familie (génos)“.

F 1b: Plutarch, Solon 19,4 (um 100 n. Chr.) (= F 44a, 51a–b) ὁ δὲ τρισκαιδέκατος ἄξων τοῦ Σόλωνος τὸν ὄγδοον ἔχει τῶν νόμων οὕτως αὐτοῖς ὀνόμασι γεγραμμένον· „ἀτίμων· ὅσοι ἄτιμοι ἦσαν πρὶν ἢ Σόλωνα ἄρξαι ἐπιτίμους εἶναι, πλὴν ὅσοι ἐξ ᾽Αείου πάγου ἢ ὄσοι ἐκ τῶν ἐφετῶν ἢ ἐκ πρυτανείου καταδικασθέντες ὑπὸ τῶν βασιλέων ἐπὶ φόνῳ ἢ σφαγαῖσιν ἢ ἐπὶ τυραννίδι ἔφευγον ὅτε ὁ θεσμὸς ἐφάνη ὅδε“. App. crit.: ὑπὸ τῶν βασιλέων: ἐπὶ τῶν βασιλέων Naber, ἢ τοῦ βασιλέως Reiske; φθόνω S; ἔφευγον Sintenis; ἔφυγον Υ; διέφυγον S; ὁ om. Υ

Der dreizehnte áxōn Solons hat als achtes der Gesetze (nómoi) folgendes mit diesen Worten verzeichnet: „Über die Ehrlosen (átimoi): Diejenigen, die ehrlos (átimoi) waren, bevor Solon im Amt war, sollen [wieder] ehrbar (epítimoi) sein, außer denjenigen, die vom Areopag, oder denjenigen, die von den ephétai oder vom Prytaneion – von den basileís wegen Tötung oder Abschlachtens oder wegen Errichtung einer Tyrannis abgeurteilt (katadikasthéntes) – [aus Attika] geflohen sind/verbannt waren (épheugon), als diese Satzung (thesmós) erlassen wurde“.

Der Gesetzestext, wie ihn die Athenaion politeia wiedergibt, ist durch den einleitenden Satz als direktes Zitat gekennzeichnet. Dafür spricht auch die doppelte Einführung mit „bei ihnen bestand nämlich Folgendes als Gesetz“ und „rechtlich festgesetzt und althergebracht ist für die Athener dies“. Es liegt also ein doppeltes Zitat vor. Bestätigt

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wird der Zitatcharakter des Weiteren durch den Wechsel von nómos in der aristotelischen Formulierung und von thésmia im Zitat. Die Verwendung des Wortes thésmia deutet darauf hin, dass es Solon war, der diese ältere Rechtsbestimmung 594 v. Chr. in die Verschriftung des attischen Rechts aufnahm und diese mit dem Satz einführte „rechtlich festgesetzt und althergebracht ist für die Athener dies“.51 Dabei wird es sich bei Solons Rückbezug um eine frühe schriftliche Satzung und nicht um einen mündlich überlieferten Rechtsbrauch und auch nicht um eine untechnische, indirekte Wiedergabe handeln,52 wie der für Gesetze typische Aufbau mit ἐάν am Anfang und der Strafklausel am Ende nahe legt.53 Bezeichnend ist, dass in der Satzung von vornherein davon ausgegangen wird, dass an der Errichtung einer Tyrannis mehrere Personen beteiligt sind.54 Nach Nennung der direkten Beteiligung wechselt der Text bei der Unterstützung, eine Tyrannis zu errichten, in die Singularform.55 Während dies Martin Ostwald für die archaische Zeit als nicht ungewöhnlich ansieht, wertet John K. Davies dies als Anzeichen für eine spätere Hinzufügung der ersten Gesetzesklausel, wohingegen die zweite ursprünglich sei, da auch die Apodosis im Singular formuliert ist (ἄτιμον εἶναι καὶ αὐτὸν καὶ γένος). John K. Davies setzt daher das ursprüngliche Gesetz in vorsolonische Zeit, die erneute Inkraftsetzung in die 460er Jahre oder in die letzten Jahre des 5. Jh., da in diesen

51  Zu den Begriffen thesmós und nómos Ostwald 1969, 12–56. Danach sei der Begriff thesmós bis ins späte 6. Jh. gebräuchlich gewesen; der Begriff nómos im Sinne von Gesetz ist erstmals 464 v. Chr. in Aischyl. Suppl. 387 f. belegt, isónomos und isonomía für die Reformen des Kleisthenes. Ostwalds Meinung beruht aber auf der umstrittenen Annahme, dass das Gesetz gegen die Tyrannis nach dem Sturz der Peisistratiden im Jahre 511/10 v. Chr. erneuert wurde (siehe dagegen John K. Davies in: CR 23, 1973, 224 f. und Eberhard Ruschenbusch in: Gnomon 43, 1971, 414–416). Über Peisistratos sagt Herodot, dass er nach der ersten Errichtung der Tyrannis „die Gesetze“ (thésmia) nicht geändert habe (1,59,6). 52  Chambers (1990, 210) sieht den einleitenden Satz nicht als Teil des Gesetzes (bzw. dessen Zusammenfassung oder Paraphrase) an, da kein Gesetz mit den Worten „Dies sind altüberkommene Satzungen und Sitten der Athener …“ anfangen könne. Vielleicht habe ein späterer Autor so eine Zitatensammlung aus früheren Gesetzen begonnen. Siehe dazu aber unten S. 82–84. 53  Auch das wörtlich überlieferte Amnestiegesetz (F 1b) bestätigt, dass Solon in seinen Bestimmungen auf Verfahren in vorsolonischer Zeit Bezug nahm. 54  Auch in Ath. pol. 8,4 wird davon ausgegangen, dass solche Akte stets von mehreren Personen gemeinsam ausgeführt wurden. In gleicher Weise wird auch in den Fluchformeln aus Teos, den Teorum Dirae, der Zeit um 470 v. Chr. nicht nur derjenige verflucht, der einen – dem Tyrannen entsprechenden – Aisymneten einsetzt, sondern auch diejenigen, die einen Aufstand zum Zwecke einer Aisymnetie provozieren (Syll.3 37/38; SGDI 5632; ML2 30; Koerner 1993, Nr. 78/79; Nomima 1, Nr. 104/105; SEG 31,984; dt. Übersetzung in HGIÜ I 47 und in Dössel 2003, 22): Ὅστις : Τηίων : ‹τ›[ῶι ξ]υνῶι ἢ αἰσυ[μ] νήτη‹ν› : [ἰσταί]η : ἢ ἐπανισταῖτο : ‹ἐπ᾽› αἰ[συμ]νηίηι : ἀπόλλυσθαι : καὶ αὐτὸν : καὶ γένος : τὸ κένο. – „Wer dem Gemeinwesen der Teier einen Aisymneten [einsetzt] oder einen Aufstand macht [zum Zweck] einer Aisymnetie, der soll zugrunde gehen, er selbst und seine Nachkommen“. Entsprechend heißt es im Eid (II a Z. 22–24): αἰσυμνήτην : οὐ στήσῳ [ο]ὔτε : σὺμ πολλοῖσι[ν] … – „Ich werde keinen Aisymneten einsetzen, weder mit vielen zusammen …“. Astrid Dössel hebt zu Recht hervor, dass die Aisymnetie nach dem Verständnis dieser Inschrift „das außerordentliche, der Tyrannis nahestehende Amt“ ist (2003, 26). 55  Dazu Chambers 1990, 210; Ruschenbusch 2010, 73.

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Phasen die πάτρια πολιτεία ein wichtiges politisches Schlagwort gewesen war.56 Wären Präskript und erste Klausel aber erst in den 460er Jahren oder später hinzugefügt worden, wäre zu erwarten, dass auch die „Auflösung des dḗmos“ in das revidierte Gesetz aufgenommen worden wäre (dazu s. u. III 3). Überzeugender ist daher die These von Michael Gagarin, dass das ursprüngliche Gesetz auf die Zeit unmittelbar nach dem Tyrannisversuch Kylons zurückgeht, das als Zitat in die Gesetze Solons aufgenommen wurde. Die Forschung geht im Allgemeinen davon aus, dass in dem Gesetz die Strafe der Ehrlosigkeit (atimía) in ihrem archaischen Kontext verstanden werden müsse:57 Der für ehrlos erklärte Tyrannisaspirant und seine Unterstützer wären geächtet und dürften straflos getötet werden.58 In der Athenaion politeia verstehe der Autor die atimía hingegen im zeitgenössischen Sinne, als Ausschluss von politischen Partizipationsrechten, und beurteile das Gesetz deswegen als „mild“.59 Allerdings haben sich Serge Vleminck und J. Michael Rainer unabhängig voneinander in Aufsätzen aus den Jahren 1981 und 1986 dafür ausgesprochen, dass auch in solonischer Zeit mit der atimía lediglich der Ausschluss von den politischen Rechten gemeint war.60 Die Strafe der atimía beziehe sich nicht auf den Ausführenden des Tyrannisversuchs, sondern auf dessen Helfershelfer.61 Diese An56  John K. Davies in: CR 23, 1973, 225. 57  So auch Paul Usteri, Ächtung und Verbannung im griechischen Recht, Diss. Zürich, Berlin 1903, 11–13 („vogelfrei“); Lipsius 1905–15, 374 f.; Georg Busolt (bearbeitet von Heinrich Swoboda), Griechische Staatskunde (HdA IV 1,1.1–2), München 1920–1926, Bd. 1, 230 f.; Bd. 2, 848; Lenschau 1948, 1806; Berve 1967, 43; Gagarin 1981, 76 f.; Rhodes 1981, 222; Michael Weißenberger, Die Dokimasiereden des Lysias (orr. 16, 25, 26, 31), Frankfurt a. M. 1987, 16 mit Anm. 44; Chambers 1990, 211; McGlew 1993, 113 f.; De Bruyn 1995, 25 Anm. 42; Leão/Rhodes 2015, 58 f.; vgl. auch die Diskussion bei Friedel 1937, 20–26; zur Forschungsgeschichte und zur Etymologie von á-timos Vleminck 1981, 251–257; Maffi 1983, 252–254; Youni 2018, 137 f. Berneker 1956, 117 f. ist der Ansicht, dass in Ath. pol. 8,4 die Strafe als milde bezeichnet wird, weil dem Täter eine Flucht aus Attika gestattet worden sei, wohingegen in klassischer Zeit der Täter hingerichtet wurde. 58  Nach Bearzot 2007, 38 handle es sich beim Tyrannenmord also um eine berechtigte Tötung (díkaios phónos). 59  So Rhodes 1981, 222. Nach Philip B. Manville, Solon’s Law of Stasis and Atimia in Archaic Athens, in: TAPhA 110, 1980, 213–221 und ders., The Origins of Citizenship in Ancient Athens, Princeton 1990, 147 f. gehe die mildere Form der Atimie, der Ausschluss von der politischen Partizipation, im Zuge der rechtlichen Fixierung des Bürgerrechts auf Solon selbst zurück. 60  Vleminck 1981: „On ne voit donc aucun indice indiscutable, ni linguistique ni historique, qui fonde l’existence de deux types d’atimie, l’un promettant l’impunité au meurtrier du condamné, l’autre enlevant à ce condamné la qualité et les droits du citoyen (exclusion des affaires de l’État – … – privation du droit de paraître comme accusateur ou comme témoin dans des affaires privées), tout en lui permettant de séjourner dans la cité et lui garantissant une certaine protection, notamment en ce qui concerne sa vie“ und „Ἀτιμία n’a jamais été le nom de la proscription“ (264). 61  Rainer 1986, 172: „Wenn man nun aber bereits die ursprüngliche solonische Atimie nicht etwa als Friedlosigkeit, sondern als Einschränkung oder Suspendierung der politischen Rechte ansieht, …“ und „Die Strafe der Atimie wird aber bezeichnenderweise nicht für die eigentlichen Ausführenden eines Staatsstreiches in Aussicht gestellt, sondern vielmehr für die Mitläufer und Helfershelfer, die allerdings durch ihre Mitwirkung den Umsturz sanktionieren könnten. Dadurch wird sie als Strafe mittlerer Härte ausgewiesen“. Vgl. auch Maffi 1983, 260: „Atimazein significa ‚privare della time‘ quindi rendere ‚ehrlos‘.

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sicht würde in den Kontext einer archaischen Aristokratie passen, die solche Personen von allen weiteren politischen Aktivitäten ausschließen und damit politisch vollständig isolieren würde. Dem steht allerdings entgegen, dass in dem wörtlich zitierten Gesetz in Ath. pol. 16,10 ausdrücklich nicht nur der Helfershelfer (συγκαθιστῇ), sondern auch die Ausführenden selbst (ἐπανιστῶνται) mit der Atimie bestraft werden.62 Eine ausführliche Diskussion zur Bedeutung der atimía und zum Wandel von einer harten Form der atimía als Gesetzlosigkeit (‚outlawry‘) zu einer milden Form eines Ausschlusses von den politischen Rechten hat – mit umfassender Diskussion der Forschungsliteratur – 2015 Sviatoslav V. Dmitriev vorgelegt, wobei er davon ausgeht, dass atimía auch in klassischer Zeit Gesetzlosigkeit sei.63 In mehreren Beiträgen hat in den letzten Jahren Maria S. Youni die – trotz der Einwände von Alberto Maffi überzeugende – These vertreten, dass ‚outlawry‘ und Atimie zwei unterschiedliche Strafen seien; in archaischer Zeit sei der átimos, welcher ‚ehrlos‘ sei, von allen Ämtern ausgeschlossen, so dass sich die Strafe in ihrem Inhalt bis in die klassische Zeit nicht verändert habe.64 Hier sei indes eine neue These vorgelegt, die die Argumente von Serge Vleminck, J. Michael Rainer und Maria S. Youni aufnimmt und verständlich machen kann, wie es zu dem Urteil in der Athenaion politeia gekommen ist. Die Kontroversen über die Einheitlichkeit und Originalität des Gesetzestextes (F 1a) und zur Form der Atimie können nämlich aufgelöst werden, wenn man den Kontext, in dem das Gesetz aufgegriffen und deswegen als Zitat aufgenommen wurde, einbezieht. Das in Plut. Solon 19,4 überlieferte Amnestiegesetz (F 1b), das ebenfalls wörtlich zitiert ist, steht unter der Überschrift „Über die Ehrlosen (ἄτιμοι)“ und nahm u. a. diejenigen Ehrlosen von der Amnestie aus,

Di qui si può ragionevolmente avanzare l’ipotesi che lo stesso significato abbia anche l’atimia comminata in talune legislazioni arcaiche. Se questa ipotesi fosse confermata se ne dovrebbe concludere che non c’è mai stato alcun mutamento di significato nel termine atimia, ma che a mutare sono stati i referenti del termine time“ (zu atimázein in den homerischen Epen siehe auch Joyce 2018, 40–43). Diese Bedeutung der Atimie hat eine Parallele im Verbot der Amtsiteration der kretischen Stadt Dreros: Wer innerhalb von zehn Jahren erneut das Amt des Kosmos innehat, sei ἄκρηστος, solange er lebt (ML 2; Nomima 1, Nr. 87; Koerner Nr. 90; SEG 27,620; Gagarin/Perlman 2016, Nr. Dr1 [S. 200–207]). Reinhard Koerner geht davon aus, dass in Dreros der Besitz des für ehrlos und amtsunfähig Erklärten unangetastet bleibe. Aufgrund der milden Strafe könne das Gesetz nicht gegen einen Tyrannisversuch gerichtet sein. Zur Bedeutung von ἄκρηστος siehe auch Gagarin/Perlman 2016, S. 205. 62  Zum Gebrauch von ἐπανιστῶνται in diesem Zusammenhang siehe Dössel 2003, 33 f. 63  Zur abgeschwächten Form der Atimie in klassischer Zeit Evangelos Karabélias, La peine dans Athènes classique, in: La peine – Punishment 1. Antiquité – Antiquity, Bruxelles 1991, 77–132, hier 117–119; Margaretha Debrunner Hall, Even Dogs have Erinyes: Sanctions in Athenian Practice and Thinking, in: Lin Foxhall, Andrew D. E. Lewis (Hrsg.), Greek Law in its Political Setting. Justifications not Justice, Oxford 1996, 73–89, hier 79 f., vgl. 86. Vgl. auch Schmitz 2004, 404 f. 64  Youni 2018, bes. 137–139, 151 f. (mit Verweis auf Maria S. Youni, Atimia in Classical Athens: What the Sources Say, in: Laura Pepe, Lorenzo Gagliardi [Hrsg.], Dike. Essays in Greek Law in Honor of Alberto Maffi, Milano 2019, 361–378). Sie bezieht allerdings die Beiträge von Serge Vleminck und J. Michael Rainer nicht ein. Auch Joyce 2018, 33–60 vertritt die Meinung, ‚outlawry‘ und atimía seien zwei voneinander zu trennende Strafen und atimía meine in archaischer Zeit nicht Todesstrafe oder Exil (bes. 34–39 mit einem ausführlichen Überblick über die ältere Forschung).

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die wegen Errichtung einer Tyrannis verbannt waren, als Solon die Satzung erließ. Es erscheint plausibel, wenn unmittelbar auf diesen Satz das Fragment 1a folgte, gleichsam als eine Begründung, warum die wegen einer Tyrannis Verbannten von der Amnestie ausgenommen waren. Trifft diese Vermutung zu, stand auch der Text von F 1a unter der Rubrik „Über die Ehrlosen (átimoi)“ im Gesetzeswerk Solons. In diesem Kontext musste Solon aber nicht alle Strafen nennen, die den Tyrannen und seine Helfershelfer trafen, sondern er exzerpierte den Text nur insoweit, als er für die Atimie von Belang war. Dies ergäbe folgende Rekonstruktion für das Gesetz über Ehrlose: F 1a–b (achtes Gesetz auf dem dreizehnten áxōn Solons): „Über die Ehrlosen (átimoi): Diejenigen, die ehrlos (átimoi) waren, bevor Solon als Archont im Amt war, sollen [wieder] ehrbar (epítimoi) sein, außer denjenigen, die … wegen Errichtung einer Tyrannis abgeurteilt [aus Attika] geflohen sind/verbannt waren (épheu­ gon), als diese Satzung (thesmós) erlassen wurde. (Denn) rechtlich festgesetzt (thésmia) und althergebracht (pátria) ist für die Athener dies: ‚Wenn irgendwelche sich zur Errichtung einer Tyrannis erheben, [dann … (es folgte ursprünglich im Gesetz über die Tyrannis die Nennung der Strafen)], und wer eine Tyrannis miteinsetzt, der sei ehrlos (átimos), er selbst und seine Familie (génos).‘“

Wenn man davon ausgeht, dass die Hauptakteure der Tyrannis zu harten Strafen verurteilt wurden, die in der altehrwürdigen Satzung gegen die Tyrannis einzeln aufgeführt waren, wird verständlich, warum in der von Solon zitierten Passage das Verb in der Konditionalbestimmung vom Plural in den Singular wechselt. Im ersten Satz mit den harten Strafen für diejenigen, die eine Tyrannis errichten, ist wegen der gemeinschaftlichen Tat der Plural gebraucht; im zweiten Satz ist der Helfershelfer mit der Atimie belegt. Solon wollte aber nicht nur die zweite Bestimmung über die Helfershelfer als Begründung anführen, warum diese Personen von der Amnestie ausgenommen waren, sondern wollte auch den verbannten Tyrannen selbst die Rückkehr verweigern. Andererseits blieb er dem ursprünglichen Text verpflichtet, der bei der Errichtung der Tyrannis von mehreren Personen im Plural sprach. Der ursprüngliche und dann von Solon gekürzte Text könnte also ähnlich angelegt gewesen sein, wie das von Eukrates im Jahr 336 v. Chr. eingebrachte Gesetz gegen Verfassungsumstürze und Tyrannen: Wenn sich jemand gegen das Volk erhebt mit dem Ziel einer Tyrannis oder die Tyrannis miteinrichtet oder das Volk der Athener oder die Demokratie in Athen stürzt, soll der, der solche Personen tötet, rein sein. Demgegenüber wird der Areopagit, der während der Zeit des Verfassungsumsturzes an Sitzungen und Beratungen teilgenommen hat, mit der Atimie bestraft, er selbst und seine Nachkommen; seine Habe soll konfisziert werden und der zehnte Teil der Göttin Athena zufallen.65 Ohne dass dies 65  Zu dem von Eukrates eingebrachten Gesetz s. u. S. 301 f.; zur Abstufung der Strafen gegen diejenigen, die die Verfassung gestürzt haben, und gegen die Areopagiten siehe Youni 2018, 150. Zum historischen Kontext des Gesetzes Henning Börm, Mordende Mitbürger. Stasis und Bürgerkrieg in grie-

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explizit ausgesprochen ist, wird man für das Gesetz des 7. Jh. davon ausgehen müssen, dass die, die den Verfassungsumsturz aktiv betrieben hatten, straffrei getötet werden konnten, ihr Vermögen eingezogen wurde und sie ebenfalls der Atimie unterlagen. Martin Ostwald hat darauf hingewiesen, dass die Formulierung (im Singular) ἄτιμος ἔστω καὶ αὐτὸς καὶ γένος τὸ ἐξ ἐκείνου auf die ‚alte Satzung‘ bezogen ist.66 Damit lässt sich folgende erweiterte Rekonstruktion der ‚altehrwürdigen Satzung‘ postulieren: F 1 (frühes Gesetz gegen die Tyrannis): „Wenn irgendwelche sich zur Errichtung einer Tyrannis erheben, dann [können diese straflos getötet werden; ihr Vermögen sei öffentlich und ein Zehntel sei der Göttin geweiht. Wer jemanden, der eine Tyrannis errichtet, tötet, der sei rein an den Händen]. Und wer eine Tyrannis miteinsetzt, der sei ehrlos (átimos), er selbst und seine Familie (génos)“.67

Dass derjenige, der einen Tyrannen tötet, rein an den Händen sei, setzt vermutlich voraus, dass über den Tyrannen ein Fluch ausgesprochen wurde.68 Es ist gut möglich, dass die vollständige Aufzählung der Strafen für Tyrannen in einem anderen Gesetz Solons erfolgte, nämlich in dem über Landes- und Hochverrat (F 44–46). Helmut Berve war davon ausgegangen, dass die frühe, seiner Meinung nach drakontische Satzung gegen die Tyrannis von Solon dahingehend ergänzt wurde, dass die Strafe der atimía auch diejenigen treffen sollte, die an den Vorbereitungen zur Errichtung einer Tyrannis beteiligt gewesen waren, und dass die Tötung eines Tyrannen als straffreie, nicht befleckende Tat angesehen wurde.69 Die oben genannten Überlegungen machen es demgegenüber aber wahrscheinlich, dass bereits die ‚altehrwürdige Satzung‘, die kurz nach dem gescheiterten Kylonputsch verschriftet wurde, einen solchen Passus enthielt. Die Atimie wäre dann, wie dies Serge Vleminck, J. Michael Rainer und Maria S. Youni postuliert haben, tatsächlich bereits in der Zeit Solons, ja auch schon in der Zeit Drakons und davor, eine Strafe mittlerer Härte, die den Ausschluss von jeglicher politischer Tätigkeit meint.70 Für die Tyrannen selbst waren aber – akzeptiert man die hier chischen Poleis des Hellenismus, Stuttgart 2019, 242 f. Zu den aus älteren Gesetzen übernommenen Formulierungen ebd. 242. 66  Ostwald 1955, 122 f. 67  Der Text in der Klammer ist ergänzt nach dem Gesetz von 410, das auf Antrag des syngrapheús Demophantos beschlossen wurde (And. 1,96 [F 94 Ruschenbusch; Leão/Rhodes]: καὶ νηποινεὶ τεθνάτω, καὶ τὰ χρήματα αὐτοῦ δημόσια ἔστω, καὶ τῆς θεοῦ τὸ ἐπιδέκατον∙ ὁ δὲ ἀποκτείνας τὸν ταῦτα ποιήσαντα καὶ ὁ συμβουλεύσας ὅσιος ἔστω καὶ εὐαγής. Vgl. auch And. 1,95 und Demosth. or. 23,60: νηποινεὶ τεθνάναι, und or. 9,44). 68  Das entspräche der Verfluchung, wie sie in den Teorum Dirae belegt ist (s. o. Anm. 54). 69  Berve 1967, 43. Zur straffreien Tötung von Tyrannen und zur Ehrung der Tyrannenmörder Bearzot 2007, 37–47. 70  Diese Meinung hatte auch bereits Theodor Thalheim gegen Heinrich Swoboda und Justus Hermann Lipsius vertreten (Art. ἄτιμος, in: RE Suppl. 3, 1918, 178–180). Im Sinne von Swoboda und Lipsius

Gesetz gegen die Tyrannis (F 1)

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vorgelegte Rekonstruktion des solonischen Gesetzes über die Ehrlosen und die darauf aufbauende des frühen Gesetzes gegen die Tyrannis – in der (ungekürzten) ‚altehrwürdigen Satzung‘ darüber hinaus weitere, härtere Strafen festgeschrieben worden. Es ist gut vorstellbar, dass man einem verurteilten Tyrannen die Möglichkeit gewährte, zu fliehen (φεύγειν), um der straflosen Tötung zu entgehen, Solon aber diejenigen, die „wegen Tyrannis abgeurteilt geflohen sind“ (καταδικασθέντες … ἐπὶ τυραννίδι ἔφευγον), von einer Amnestie ausnahm. Plutarch zitiert in seiner Biographie Solons dessen Amnestiegesetz (F 1b) wörtlich, als Beleg für seine Ansicht, dass der Areopag nicht von Solon geschaffen wurde, sondern auf frühere Zeit zurückgeht. Umstritten ist jedoch bei diesem Gesetz, welche Institution Personen wegen welcher Vergehen verurteilt hatte. Liegt in der Satzkon­ struktion ein Chiasmus vor, wären vom Areopag Personen wegen Tyrannis verurteilt worden, von den ephétai und dem Prytaneion unter Vorsitz der basileís Personen wegen Tötung und Abschlachtens.71 Eine andere Interpretation des Amnestiegesetzes kommt aber ebenso in Betracht und scheint in diesem Falle überzeugender: Demnach wären von Solon diejenigen von der Amnestie ausgeschlossen worden, die (jüngst) von dem (neu geschaffenen) Areopag verurteilt worden waren, sowie diejenigen, die in früherer Zeit von den (von Drakon eingesetzten) ephétai oder (noch früher) vom Prytaneion verurteilt worden waren. Legt man diese zeitliche Abfolge zugrunde (siehe die Übersicht S. 78), wäre vorauszusetzen, dass die Kylonanhänger, die der Tötung an den Altären entgangen waren, vom Prytaneion verurteilt worden waren – so wie es

beurteilt auch Mogens Herman Hansen, Apagoge, Endeixis and Ephegesis against Kakourgoi, Atimoi and Pheugontes. A Study in the Athenian Administration of Justice in the Fourth Century B. C., Odense 1976, 75–80 die Atimie. Gegen die Ansicht von Maria S. Youni hat Alberto Maffi (2018) darauf verwiesen, dass átimos éstō in Ath. pol. 16,10 äquivalent zu nēpoineí tethnánai sei, so dass atimía in manchen Kontexten die Bedeutung von „removal of the right to the protection of personal safety“ haben könne. Stammt das Zitat jedoch aus der Regelung „Über die Ehrlosen“, lässt sich dieser Einwand entkräften. Es ist also zu unterscheiden zwischen átimos éstō „er sei ehrlos“ und átimos tethnánai „er kann als Ehrloser getötet werden“ (ohne dass eine díkē phónou möglich ist), wie Maria Youni und Christopher Joyce (2018, 57 f.) betonen. 71  So urteilen Lenschau 1948, 1805–1806; Ruschenbusch 1960, 132–135; Berve 1967, 43, 540; Nörr 1983, 641 f.; Richard Garner, Law and Society in Classical Athens, London/Sydney 1987, 80; Raphael Sealey, The Athenian Republic. Democracy or the Rule of Law?, University Park/London 1987, 72 f.; Carawan 1998, 15–17 und de Bruyn 1995, 24–27; vgl. Friedel 1937, 16 f. und Berneker 1956, 112 f. Demgegenüber hatten Robert W. Wallace, The Areopagos Council, to 307 B. C., Baltimore/London 1985, 22–28, Maximilian Braun, Die „Eumeniden“ des Aischylos und der Areopag, Tübingen 1998, 16–29, hier 28 f. und Charlotte Schubert, Der Areopag als Gerichtshof, in: ZRG Rom. Abt. 117, 2000, 103–132 die Meinung vertreten, das Gericht am Prytaneion habe über Tyrannisvorwürfe geurteilt; ältere Positionen zu dem Problem finden sich bei de Bruyn, Braun und Schubert. Zu Chiasmen in griechischen Gesetzen Gagarin 1981, 155–158. In dieser Weise wurde das Amnestiegesetz jedenfalls in späterer Zeit verstanden. In der Endphase des Peloponnesischen Krieges brachte Patrokleides einen Antrag ein, Verbannten die Rückkehr nach Athen zu erlauben. Nach dem in And. 1,78 eingelegten Volksbeschluss seien davon dieselben Kreise ausgenommen worden, denen bereits Solon eine Rückkehr verweigert hatte. Allerdings wird die Authentizität des Volksbeschlusses angezweifelt (siehe F 4a).

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den Besetzern der Akropolis angeboten worden war;72 die nicht vorsätzliche Tötung der Kylonanhänger bzw. die Anweisung zu ihrer Tötung hatten die Athener hingegen in einer Art Berufung den 51 ephétai zur Entscheidung vorgelegt, und schließlich hatte Solon ein Gremium von 300 nach Vorzüglichkeit ausgewählten Athenern einberufen, das an dem Ort der Tötung, also bei den Altären der Semnai bzw. Erinyen am Fuß des áreios págos, im Nachhinein über das Abschlachten der Schutzflehenden an den Altären entscheiden sollte. Es wäre dies dann die Geburtsstunde des Rats auf dem áreios págos, des Areopags (siehe III 1), dem Solon wenige Jahre später die Entscheidung auch über die vorsätzliche Tötung übertragen hat.73 Nicht sicher zu entscheiden ist, ob sich das ὑπὸ τῶν βασιλέων nur auf die Entscheidungen der ephétai (und des Prytaneions) bezieht oder gleichermaßen auch auf den Areopag. Das καταδικασθέντες (‚abgeurteilt‘, ‚verurteilt‘) spricht dafür, dass die Verfahren vor dem Areopag, den ephétai und dem Prytaneion zur Zeit des Amnestiegesetzes abgeschlossen waren, so dass es sich um ‚Abgeurteilte‘ handelte, nicht um Personen, denen ein dikázein (wie im Gesetz Drakons) noch bevorstand. Schließlich ist von der Annahme auszugehen, dass dem Autor der Athenaion po­ liteia das Gesetz Solons über die Tyrannis in seinem ursprünglichen Wortlaut nicht mehr vorlag, wenn er als Beleg für angebliche milde Strafen zur Zeit des Peisistratos auf Solons Gesetz über die Atimie zurückgreifen muss, aus dem sich diese Strafe für den Tyrannen und seine Helfershelfer entnehmen ließ, ihm darüber hinausgehende Strafen für den Tyrannen hingegen unbekannt waren. Es kann davon ausgegangen werden, dass die ‚altehrwürdige Satzung‘ bzw. die von Solon revidierte Fassung des Gesetzes über die Tyrannis während der oligarchischen Umstürze am Ende des 5. Jh. zerstört, aber nach der Wiederherstellung der Demokratie erneuert worden war, erneut in revidierter Form, so wie sie uns im Volksbeschluss des Demophantos und im letzten Drittel des 4. Jh. im Eukratesbeschluss entgegentritt. Diese Gesetze von 410/9, 404/3 und 336 v. Chr. ersetzten die ‚altehrwürdige Satzung‘, die allein auf die Tyrannis bezogen war, so dass dem Autor der Athenaion politeia keine validen Informationen zu einem Gesetz Solons über die Tyrannis mehr vorlagen. 72  Zur Frage, ob dies schon ein formalisiertes Verfahren war, äußert sich Ostwald 1955, 106 zurückhaltend: „… but we have also seen that the procedure prescribed by Solon was an impeachment involving a trial and not a declaration by which the offender was proclaimed an outlaw“. Von einem formalen Verfahren bereits in vorsolonischer Zeit geht Gagarin 1981, 71, 75 f. aus. Hinzuweisen ist auch auf Aristot. Ath. pol. 3,5, wonach zur Zeit Solons alle árchontes im Thesmotheteion zusammenkamen, die berechtigt waren, rechtsverbindliche Urteile zu fällen und nicht nur, wie in klassischer Zeit, die Voruntersuchungen zu führen. 73  Da die Einberufung des Gremiums von 300 nach Vorzüglichkeit ausgewählten Athenern vermutlich einige Jahre vor Solons Gesetzgebung erfolgte, hätte Solon in seinem Amnestiegesetz auch diejenigen von der Amnestie ausgenommen, die erst vor kurzem vom Areopag wegen der Tötung an den Altären zu immerwährendem Exil verurteilt worden waren. Eine solche Rekonstruktion der Ereignisse würde das Argument von Plutarch entkräften und die Meinung „der meisten“ bestätigen, dass Solon den Areopag eingerichtet habe.

II. Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung Historische Einordnung Abstract: Drakons Gesetz über die Tötung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Folgen des Versuchs Kylons, eine Tyrannis in Athen zu errichten. Es reagiert insofern auf diese Ereignisse, als dadurch Personen, die Beteiligte am Tyrannisversuch getötet hatten, zur Rechen­ schaft gezogen werden konnten. Sie mussten sich wegen eigenhändiger oder angeordneter Tötungen verantworten. Der auf IG I3 104 überlieferte Gesetzestext beginnt unmittelbar mit der nicht vorsätzlichen Tötung und regelt anschließend die sich daraus ergebenden weiteren Schritte. Hatten die einundfünfzig ephétai die Tötung als nicht vorsätzliche Tat anerkannt, eröffnete dies dem Täter die Möglichkeit, eine Aussöhnung auszuhandeln. Verweigerten ihm die Angehörigen des Opfers dies, folgten die Ankündigung der Blutrache und die Verfolgung, wenn der Täter Attika nicht verließ. Außerhalb Attikas war der Täter geschützt; kehrte er ohne Aussöhnung zurück, durfte er straflos getötet oder zur Hinrichtung abgeführt werden. Drakon orientierte sich bei seinem Gesetz an der Blutrache, wie sie in dieser Zeit praktiziert wurde, schaltete aber ein Gerichtsverfahren vor, damit auf diese Weise bestätigt wurde, wer sich einer nicht vorsätzlichen Tötung schuldig gemacht hatte. Da trotz dieses neu eingerichteten Verfahrens keine Befriedung der Konfliktparteien erreicht wurde, setzte Solon ein weiteres Mal Verfahren durch, die vor einem nochmals erweiterten Kreis von dreihundert Richtern stattfinden sollten, und zwar an dem Ort, an dem die Anhänger Kylons ‚abgeschlachtet‘ worden waren, am Fuß des áreios págos. In seinem auf der Grundlage der drakontischen Satzung aufbauendem Gesetz über die Tötung bezog Solon Verfahren wegen vorsätzlicher Tötung, die nun vor dem Areopag stattfanden, ein und wies der nicht vorsätzlichen, der berechtigten und der versehentlichen Tötung unterschiedliche Gerichtsstätten zu. Solon schuf damit ein umfassendes, systematisch angelegtes Gesetz über die Tötung, das seinerseits die Grundlage für die nach 399 v. Chr. gültigen ‚Tötungsgesetze‘ Athens, die phonikoí nómoi, war.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Überlieferung Im Sommer 1843 fanden Arbeiter beim Bau der Fundamente für die Athener Metropolitankirche (bei der Kirche Panagia Gorgopiko) einen marmornen Block von 72,5 cm Breite, links 96, rechts 94 cm Höhe und 13,5 cm Dicke, in den Drakons Satzung über die Tötung eingemeißelt ist. Zusammen mit dieser Inschrift wurden zahlreiche weitere Inschriften sowie Fragmente von Plastiken gefunden, die dort in einem spätmittelalterlichen Gebäude wiederverwendet worden waren. Offensichtlich war der quaderförmige Stein als geeignetes Baumaterial von seinem ursprünglichen Aufstellungsort an der Stoa Basileia auf der Athener Agora dorthin verschleppt worden.1 Die Inschriftenstele wurde zunächst bei der kleinen Metropolitankirche, später im Turm der Winde aufbewahrt.2 Wesentliche Fortschritte in der Lesung des Textes gelangen – nach einer Reinigung des Steins – Ulrich Köhler 1867; durch neu gelesene Buchstaben konnten einige der in Demosthenes’ Rede Gegen Aristokrates überlieferten Gesetzesbestimmungen in den fragmentarischen Text eingefügt werden. Köhler ging davon aus, dass der Block unzerstört war und das Gesetz Drakons über die Tötung ursprünglich vollständig wiedergab, so wie es 409/8 v. Chr. wiederaufgezeichnet worden war.3 Diese Ansicht wurde von Ronald S. Stroud, der der Inschrift nach einer weitergehenden Reinigung des Steins 1960/61 eine eigene Monographie widmete, revidiert.4 Der ursprünglich frei stehende, nicht in eine Wand eingefügte Block war unten für eine Wiederverwendung abgeschlagen worden, wie die im Gegensatz zu den anderen Seitenflächen grober gearbeitete und nicht exakt horizontal verlaufende untere Schmalseite beweist. Der untere Teil des Gesetzestextes fehlt also. Der Text ist sehr sorgfältig eingeschlagen worden, indem der Steinmetz in ein über den Stein gelegtes, möglicherweise vorgezeichnetes Gitter exakt 50 Buchstaben pro Zeile einschlug. Diese ‚stoichedon‘ genannte Anordnung wurde nur an zwei Stellen durchbrochen: bei den deutlich größeren ersten beiden, mittig angeordneten Zeilen des Präskripts und bei den nur wenig größeren Buchstaben von prṓtos áchsōn (προ�τος ἄχσον) und [deút]eros [áchsōn] ([δεύτ]ε̣ρος ̣ [ἄχσον]) in den Zeilen 10 und 56. Wie aus dem Präskript (Z. 1–9) hervorgeht, ist das Gesetz Drakons über die Tötung nach dem ersten oligarchischen Umsturz von 412/11 v. Chr., nachdem Athen zur demokratischen Ordnung und zu Recht und Gesetz zurückgekehrt war, im Jahre 409/8 v. Chr. im Zuge einer grundlegenden Sammlung und Prüfung der alten Gesetze neu aufgezeichnet worden. Aufgrund des vergleichsweise geringen Umfangs geschah die Neupublikation bei Drakons Gesetz zügig, wohingegen die Neuedition und Revi-

1  Die Metropolitankirche ist etwa 700 m entfernt. 2  Heute im Epigraphischen Museum Athen (EM 6602). 3  Ulrich Köhler, Attische Inschriften, in: Hermes 2, 1867, 27–36. 4  Stroud 1968; zu Fundumständen, Maßen, ersten Editionen und der Beschaffenheit des Steins ebd. 1–4. Er konnte der vorherigen Lesung von Köhler 218 neue Buchstaben hinzufügen.

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sion der solonischen Gesetze etliche Jahre in Anspruch nahm.5 Die zügige Publikation von Drakons Gesetz lag auch darin begründet, dass es ein einzelnes, in sich abgeschlossenes Gesetz war, ein – wie es im Präskript heißt – „Gesetz über die Tötung“ (Z. 4 f. τὸ[ν] Δράκοντος νόμον τὸμ περὶ το� φό[ν]ο). Drakon hatte darin rechtsverbindliche Verfahren hinsichtlich der Blutrache festgeschrieben, um die nach dem Tyrannisversuch Kylons und der Tötung seiner Anhänger fortbestehenden Auseinandersetzungen in geregelte rechtliche Bahnen zu lenken. Da die Blutrache in dieser Form im 5. Jh. nicht mehr praktiziert wurde – jedenfalls fehlen dafür alle Anhaltspunkte –, war das Gesetz Drakons mehr ein altehrwürdiges Dokument früher Gesetzgebung als von praktischem Nutzen.6 Auch dies machte eine grundlegende, auch inhaltliche Revision des Gesetzes im Jahre 409/8 v. Chr. überflüssig. Die nach dem oligarchischen Umsturz eingesetzten Schreiber (anagrapheís) haben im Jahre 409/8 durch den von einem unbekannten Athener (Z.4: [..]ε[…]άνες) im Rat eingebrachten und vom Volk angenommenen Antrag die Anweisung bekommen, sich den vom (άrchōn) basileús verwahrten Gesetzestext in seiner originalen Form aushändigen zu lassen und in Stein zu meißeln.7 Für die Annahme, dass es sich bei dem Inschriftentext um den Originaltext des drakontischen Gesetzes aus der zweiten Hälfte des 7. Jh. v. Chr. handelt, sprechen auch sprachliche Eigenarten, wie die Kontraktion von Doppelvokalen, die durchgehende Verwendung von kteínein statt des später geläufigeren apokteínein oder später als ungewöhnlich oder erklärungsbedürftig empfundene Begriffe (ephétai, anepsiótēs, agorá ephoría; siehe F 18).8 Aufgrund der Inkrustationen auf dem Marmor sind große Partien der Inschrift nicht lesbar. In den Zeilen 10–20 sind etwa 10–25 Buchstaben am linken Rand und 2–4 am rechten Rand zu lesen, in den Zeilen 21–41 bis zu 8 Buchstaben am linken und bis zu 9 Buchstaben am rechten Rand. In den folgenden Zeilen sind es jeweils nur wenige Buchstaben meist am rechten Rand. Eine Ergänzung einzelner Partien des Textes ist nur mit Hilfe von späteren direkten und indirekten Zitaten möglich.9 Dabei handelt

5  Dazu s. o. S. 3–12. 6  So auch Raphael Sealey, in: AHB 23, 2009, 32–37 (nach SEG 60,89): „the purpose in inscribing it [scil. the law] in 409/8 was not practical application“ (35). 7  Zu der umstrittenen Frage, ob es sich um eine unveränderte Abschrift handelt, wie hier zugrunde gelegt (so auch Carlier 1984, 348), oder um eine Fassung mit späteren Veränderungen, siehe Stroud 1968, 60–64 (S. 64: „a faithful copy of the original seventh-century law, the law of Drakon on homicide“); ders. 1993, 203–221, hier 205 Anm. 4; Koerner 1993, 30 mit Anm. 4; Tulin 1996, 9 f. Anm. 14 f. mit Nennung der unterschiedlichen Positionen. Die gewichtigsten Argumente für eine nach 620 erfolgte Revision des Gesetzestextes bietet m. E. Heitsch 1984a, 12–20; er betont aber, dass es 409/8 allein um eine Veröffentlichung des Textes ging, nicht um eine Revision oder Angleichung an andere im Laufe der Zeit erlassene Gesetze (ebd. 13); ebenso ders. 1984b, 19 mit Hinweis auf die rückwirkende Kraft des Gesetzes, die im Jahre 409/8 längst ohne Belang war. Ebenso Stroud 1968, 51. 8  Vgl. demgegenüber die Skepsis von Thür 2002, 632: „Thesmoi über Tötungsdelikte …, deren Wortlaut – oder was die Athener damals dafür hielten – im Jahr 409/8 auf Stein neu publiziert wurde“. 9  IG I3 104 Z. 13–23 (F 6), 26–29 (F 7), evt. 30 f. (F 8), 33–34 (F 10a), 37–38 (F 10b).

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es sich meist um Gesetzesauszüge, die in Gerichtsreden des 4. Jh. v. Chr. eingefügt sind, wobei der von Demosthenes verfassten Rede Gegen Aristokrates besondere Bedeutung zukommt. Das Gesetz Drakons und Demosthenes’ Rede Gegen Aristokrates Im Jahr 352 führte der Athener Euthykles ‚Klage wegen gesetzwidrigen Antrags‘, eine graphḗ paranómōn, gegen Aristokrates.10 Aristokrates hatte 353 den Antrag in den Rat und vor das Volk gebracht, einen Beschluss zugunsten des aus Oreos auf Euboia stammenden Söldnerführers Charidemos anzunehmen: Wenn jemand den Charidemos töte, solle der Täter überall innerhalb Attikas und der mit Athen verbündeten Poleis aufgegriffen werden können. Wer sich – Polis oder Einzelner – des Täters annehme, solle aus dem Gebiet des Attischen Seebundes ausgestoßen werden.11 Euthykles hatte noch in der Volksversammlung Einspruch erhoben und die graphḗ paranómōn angekündigt, die im folgenden Jahr verhandelt wurde. Die Rede des Euthykles, die er in dem Verfahren vor den Geschworenen hielt, schrieb Demosthenes. Nach einem Proömium legt Euthykles respektive Demosthenes ausführlich dar, dass der Antrag des Aristokrates in der eingereichten Form den Gesetzen Athens widerspreche, denn in diesen sei genau festgeschrieben, in welchen Fällen eine Tötung berechtigt oder unberechtigt sei, dass ein Täter erst nach und nicht bereits vor einem Gerichtsverfahren getötet werden dürfe, ob er sich durch Flucht aus Attika der Verfolgung entziehen könne oder nicht (or. 23,22–85).12 Im Zuge dieser Argumentation stellt Demosthenes immer wieder einzelne Bestimmungen aus dem athenischen Tötungsrecht dem Antragstext des Aristokrates gegenüber und lässt den Gerichtsschreiber die vorher ausgewählten Textpassagen verlesen. Die intensive Diskussion, ob die in die Rede eingefügten Gesetzesbestimmungen nur aus der Rede herausinterpoliert sind oder auf authentische Gesetzestexte zurückgehen, kann inzwischen als entschieden gelten; die Texte sind als authentische anerkannt. Denn die in der Rede folgenden Kommentierungen und Wiedergaben des Redners weisen kleinere textliche Abweichungen gegenüber den eingelegten (originalen) Gesetzesbestimmungen auf. Unsicher ist aber nach wie vor, welche der zitierten Gesetzesbestimmungen auf die Satzung Drakons und welche auf Übernahmen, Erweiterungen und Präzisierungen in den Gesetzen Solons zurückge10  Demosth. or. 23,5 (γραφή); 23,18 u. 20 (παρὰ τοὺς νόμους). 11  Demosth. or. 23,16.34.75.81.91. 12  Da Euthykles nachweisen muss, dass der Antrag des Aristokrates bestehenden Gesetzen widerspricht, widmet Demosthenes diesem Aspekt große Aufmerksamkeit (or. 23,19.22.23: περὶ τοῦ παρανόμου), wobei er sich ausgiebig mit der Gegenüberstellung von Aristokrates’ Antrag und den athenischen Gesetzen über die Tötung (φονικοὶ νόμοι) beschäftigt (or. 23,22–85), dann auch mit weiteren Gesetzen (86–99). Im zweiten Teil der Rede legt Euthykles dar, dass der Antrag darüberhinaus von großem außenpolitischem Nachteil für Athen ist (or. 23,18 u. 100 ff.).

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hen. Eine genaue Analyse zeigt indes, dass die in die Gerichtsrede eingelegten Gesetzestexte den auf Solon zurückgehenden (später so bezeichneten) phonikoí nómoi entnommen sind. Die von Euthykles ausgewählten Textpartien aus diesem Tötungsrecht entsprachen dem am Ende des 5. Jh. gültigen Recht. Die ausgewählten Texte folgen dabei vermutlich auch in der Reihenfolge dem athenischen Tötungsrecht. Überschrieben sind die Auszüge mit οἱ φονικοὶ νόμοι οἱ ἐξ Ἀρείου πάγου („Die Tötungsgesetze vom Areopag“) und sie beginnen mit der Zuständigkeit des Areopags für Tötung und Körperverletzung aus Vorsatz, Brandstiftung und Giftmittel, durch deren Einnahme jemand getötet wurde.13 hoi phonikoí nómoi hoi ex Areíou págou (§ 22) or. 23,22 Zuständigkeit des Areopags für Tötung und Körperverletzung aus Vorsatz, durch Brandstiftung oder Giftmittel or. 23,28 Tötung und Abführung des Täters innerhalb Attikas sind gestattet, nicht aber ihn zu misshandeln oder von ihm ein Wergeld zu erpressen. [Bei Zuwiderhandlungen kann jeder Athener Klage bei einem der Archonten einreichen, über die das Volksgericht, die hēliaía, entscheidet.]14 or. 23,37 Hält sich der Täter von einer agorá ephoría, amphiktyonischen Wettkämpfen und Festen fern, ist seine Tötung außerhalb Attikas nicht gestattet. or. 23,44 Bei einer nicht vorsätzlichen Tötung ist es nicht erlaubt, den Täter außerhalb der Grenzen zu malträtieren. or. 23,50 „wenn jemand einen schlägt, indem er den ersten Schlag versetzt“ und „wenn jemand einen aus Vorsatz tötet“. or. 23,51 Wer einen (ohne Aussöhnung) zurückgekehrten Täter bei den Amtsträgern anzeigt, gegen den kann – wenn der Täter daraufhin ergriffen und getötet wird – keine Klage wegen Tötung eingereicht werden. or. 23,53 Wer einen anderen bei einem Wettkampf, unterwegs auf der Straße versehentlich, bei einem Kriegszug unerkannt oder beim Ehebruch ergriffen berechtigt tötet, muss Attika nicht verlassen. or. 23,60 Wenn einer einen anderen, der gewaltsam und zu Unrecht angreift, sofort zum eigenen Schutz tötet, so sei dieser bußlos gestorben. or. 23,62 Wer als Amtsträger oder Einzelperson die Satzung (thesmós) außer Kraft setzt oder verändert, der sei ehrlos, seine Kinder und sein Besitz. 13  Die Benennung φονικοὶ νόμοι geht vermutlich auf die Revision der solonischen Gesetze am Ende des 5. Jh. zurück, da Solon seine Gesetze als thesmoí bezeichnet hat (F 20). Vgl. Lipsius 1905–15, 123 f. 14  Allein dieses Gesetz ist als kátōthen nómos bezeichnet, das also nicht den phonikoí nómoi hoi ex Areíou págou entnommen ist, sondern aus den auf der Agora öffentlich ausgestellten Gesetzen. Über entsprechende Schadenersatzklagen entscheidet daher nicht der Areopag, sondern die (h)ēliaía. Die Zulassung der Tötung und der apagōgḗ des ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrten Täters und das Verbot der Misshandlungen und der Erpressung eines Wergelds gehen jedoch auf Drakons Satzung zurück (siehe F 8a).

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Das Verbot der Abrogation in or. 23,62 zeigt, dass Solon seine ‚Neufassung‘ des drakontischen Gesetzes als eine einzige Satzung (thesmós im Singular) aufgefasst wissen wollte.15 Diese war, legt man die Reihenfolge der Auswahl in Demosthenes’ Rede zugrunde, sehr systematisch aufgebaut, beginnend mit der vorsätzlichen Tötung über die berechtigte Tötung, wenn der Täter Attika nicht verlassen hatte, und über die Behandlung des aus Attika geflohenen Täters bis zu den Tötungsfällen, bei denen nicht geklagt werden konnte oder die straflos blieben, und schließlich bis zum Verbot der Abrogation.16 In der Rede des Demosthenes folgen dann längere Ausführungen zu den fünf attischen Gerichtshöfen (F 22a), deren Zuständigkeit ebenfalls im Gesetz Solons festgeschrieben war, und anschließend ein Nachtrag eines „noch übrig gebliebenen“ Gesetzes, das aber ebenfalls noch zu den phonikoí nómoi gehörte.17 or. 23,82 Wird der Täter von seinen Angehörigen versteckt, können bis zu drei Geiseln genommen werden. An Details ist erkennbar, dass einige der Bestimmungen sicher nicht zum Gesetz Drakons, sondern zur Revision des Gesetzes durch Solon gehörten: Plutarch bezeugt, dass im Gesetz Drakons der Areopag nicht genannt wird; die Auszüge in Demosth. or. 23,22–85 stehen demgegenüber unter der Überschrift „Die Tötungsgesetze vom Areopag“. Die Bestimmung in or. 23,28 bezieht sich expressis verbis auf eine frühere Regelung in Drakons Satzung („so wie im áxōn bestimmt ist“), aber Solon erweiterte diese um die Verfahrensregelung, dass Klagen wegen Misshandlung des Täters oder ungerechtfertigter Forderungen eines Wergelds bei den Archonten einzureichen waren. In or. 23,44 könnte die Formulierung „der geflohenen Täter, deren Vermögen ‚ehrlich‘ (ἐπίτιμος) ist“ einen Hinweis auf eine Zuschreibung an Solon geben. Die Bestimmung or. 23,51 wird man wegen der darin genannten Klagen (φόνου δίκαι) und der Möglichkeit des Anzeigens (ἐνδεικνύναι) als solonisch anzusehen haben. Die Regelung in or. 23,53 über die versehentliche Tötung und die berechtigte Tötung des Ehebrechers wird man zumindest in der vorliegenden Formulierung wegen des apokteínein statt des in Drakons Text stets gebrauchten Simplex kteínein Solon zuschreiben wollen. Das Verbot der Abrogation schließlich ist auch eher der solonischen Gesetzesrevision als dem drakontischen Gesetzestext zuzuschreiben, denn Solon hätte sich andernfalls durch

15  Wenn denn das Abrogationsverbot nicht auf Drakons Satzung selbst zurückgeht. 16  Todd 1993, 57: „… the existing nomoi were … collected together (presumably in a logically coherent order)“. Über die Veränderbarkeit von Gesetzen vgl. Karl-Joachim Hölkeskamp, Tempel, Agora und Alphabet. Die Entstehungsbedingungen von Gesetzgebung in der archaischen Polis, in: Hans-Joachim Gehrke (Hrsg.), Rechtskodifizierung und soziale Normen im interkulturellen Vergleich, Tübingen 1994, 135–164, hier 140–142. 17  Das ergibt sich aus or. 23,86.

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seine Revision des Gesetzes des Verstoßes gegen diese Bestimmung schuldig gemacht; er und seine Familie sowie sein Besitz wären ‚ehrlos‘ (ἄτιμος) geworden.18 Damit sollte deutlich geworden sein: Was wir in den Auszügen aus Demosthenes’ Rede Gegen Aristokrates vor uns haben, ist die systematisierte und erweiterte Revision der drakontischen Satzung, systematisiert in zweierlei Hinsicht, nämlich durch Zuweisung des jeweiligen Falles an einen der fünf Gerichtshöfe über die Tötung und durch die Regelung erst der vorsätzlichen, dann der nicht vorsätzlichen, schließlich der berechtigten und versehentlichen Tötung, eine Reihenfolge, wie sie im Gesetz Drakons immer gesucht wurde.19 Nach der Verlesung des in or. 23,51 eingelegten Gesetzes behauptet Euthykles gegenüber den Geschworenen zwar: „Dieses Gesetz ist von Drakon, Athener, und auch die anderen, die ich aus den Tötungsgesetzen schriftlich [meiner Rede] beigefügt habe“, doch das unmittelbar vorausgehende Gesetzeszitat kann schlechterdings nicht aus der Satzung Drakons stammen. Gemeint ist, dass all diese Bestimmungen aus den gültigen „Tötungsgesetzen“ (φονικοὶ νόμοι) Athens zitiert sind, die letztlich auf Drakon zurückgehen und von Solon erweitert wurden. Wegen der mehrfachen Bezüge und Übernahmen drakontischer Bestimmungen ließ sich auch die von Solon revidierte Satzung noch als ‚Gesetz Drakons‘ oder als die ‚Gesetze Drakons‘ benennen.20 Für das Gesetz Drakons ergibt sich damit eine neue Grundlage der Rekonstruktion seiner Satzung und seiner Zielsetzung insofern, als nur von den ersten drei Zeilen 18  Es mag aber auch sein, dass Solons Erweiterungen und Präzisierungen unter Beibehaltung des Originaltextes nicht als Veränderung der Satzung angesehen wurden. Auch Christophe Flament (2009, 120 f.) hat aus den Widersprüchen zwischen den in Demosth. or. 23 eingelegten Gesetzeszitaten und der expliziten Äußerung Plutarchs, dass im Gesetz Drakons nur von den ephétai, nie aber vom Areopag die Rede sei, abgeleitet, dass Plutarch den 409/8 im Wortlaut publizierten Text der Satzung Drakons zugrundelegte, während Demosthenes die nach 403 revidierte Fassung der auf dem Areopag aufgestellten nómoi phonokoí herangezogen hatte (vgl. And. 1,81 f.). Ebd. 121: „Cette hypothèse, si elle se vérifiait, aurait alors d’importantes répercussions sur IG I3 104, puisque ce texte, très mutilé, a été en grande partie restitué sur base d’extraits du Contre Aristocrate, qui font peut-être référence à une autre version de la législation!“ 19  Auch Heitsch 1989, 74 urteilt hinsichtlich der verschiedenen Gerichtshöfe: „So alt die erörterten Regelungen nun aber auch sind, sie stammen offenbar nicht schon aus der Zeit Drakons“; ähnlich Phillips 2008, 135: „It is arguably improbable that Draco devised the entire system of homicide courts that operated in the fifth and fourth centuries“. Gagarin 2008, 75 hat hingegen bereits Drakon zugeschrieben, das Tötungsrecht „into a substantial and coherent whole“ gebracht zu haben. 20  Insofern wird es kein Zufall sein, dass Demosthenes zunächst nur neutral von „dem Gesetzgeber“ (ὁ θεὶς τὸν νόμον) spricht (or. 23,25.27.29); der Name Drakon fällt erst in § 51. Zu Demosth. or. 23 und den darin enthaltenen Gesetzeszitaten siehe die eingehende Analyse von Carawan 1998, 88–98, der das in § 53 eingelegte Gesetz für nachdrakontisch hält (S. 91). Sehr kritisch urteilt David Cohen, Late Sources and the ‚Reconstruction‘ of Greek Legal Institutions, in: Symposion 1988. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Siena/Pisa 1988), hrsg. von Giuseppe Nenci, Gerhard Thür, Köln/ Wien 1990, 283–293; 286: „… whether one attempts to read forwards or backwards, there is no way of bridging the gap of about 150 years from the time of Solon to the first literary and epigraphic evidence for classical Athenian law. In this period a great deal may have changed in Athenian law or nothing at all; we simply have no idea“.

Schutz des geflohenen Täters, wenn er sich von bestimmten Stätten fernhält

Z. 26–29

[straffreie Tötung desjenigen,] der zu Unrecht mit der Hand zuzuschlagen beginnt

Tötung bei gewaltsamem Angriff

Z. 33–34

Z. 37–38

Tötung oder Abführen eines verurteilten androphónos, der sich in Attika aufhält; Verbot der Misshandlung

Ankündigung der Blutrache und Verfolgung

Z. 20–23

evt. Z. 30–31

Aussöhnung

pheúgein bei nicht vorsätzlicher Tötung

Z. 13–20

IG I3 104 Z. 11–13

Nachtrag: Demosth. or. 23,82 Geiselnahme

die fünf athenischen Gerichtshöfe für Tötungsdelikte (or. 23,65–79) und das Apagogé-Verfahren (or. 23,80–81)

Tötung bei gewaltsamem Angriff Abrogationsverbot

keine Flucht aus Attika bei versehentlicher oder berechtigter Tötung

Demosth. or. 23,53 Demosth. or. 23,60

keine Tötungsklage gegen den, der einen ohne Aussöhnung zurückgekehrten Täter anzeigt

Demosth. or. 23,51

Demosth. or. 23,62

[straffreie Tötung desjenigen,] der zu Unrecht mit der Hand zuzuschlagen beginnt

Schutz des geflohenen Täters jenseits der Grenze

Demosth. or. 23,44 Demosth. or. 23,50

Tötung oder Abführen eines verurteilten androphónos, der sich in Attika aufhält; Verbot der Misshandlung; Klage bei den Archonten

Schutz des geflohenen Täters, wenn er sich von bestimmten Stätten fernhält

Demosth. or. 23,28

Demosth. or. 23,37

Demosth. or. 43,57 (2. Teil) Aussöhnung

Demosth. or. 43,57 (1. Teil) Ankündigung der Blutrache und Verfolgung

nicht vorsätzliche Tötung:

Zuständigkeit des Areopags für vorsätzliche Tötung

thesmós (or. 23,62), ab Ende 5. Jh. „Tötungsgesetze (phonikoí nómoi) vom Areopag“

thesmós, angebracht auf einem áxōn/auf mehreren áxones

Demosth. or. 23,22

Gesetz Solons

Gesetz Drakons

94 Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Historische Einordnung – Gesetze über die Tötung (F 2–39)

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(IG I3 104 Z. 11–13), von den Zeilen 13–23 zur Aussöhnung, der Ankündigung der Rache und der Verfolgung, von den Zeilen 26–29 zum Schutz des Täters außerhalb Attikas (und evtl. von den Zeilen 30–31 zum Schutz vor Misshandlung) und von den Zeilen 37–38 zur straffreien Tötung in Notwehr als gesicherten Bestandteilen des drakontischen Gesetzes ausgegangen werden kann.21 Nicht zweifelsfrei sichern lässt sich hingegen, ob in Drakons Gesetz neben der nicht vorsätzlichen Tötung auch die berechtigte des Ehebrechers und die versehentliche beim Wettkampf oder im Krieg geregelt war, auch wenn dies als wahrscheinlich anzusehen ist. An den in der Rede Gegen Aristokrates verlesenen Auszügen aus den Gesetzen über die Tötung ist zu erkennen, dass Solon auf das Gesetz Drakons Rücksicht genommen, darauf aufgebaut hat. Der explizite Rückverweis auf den áxōn Drakons in or. 23,28 ist dafür ein Beleg. Auch die Bestimmungen in or. 23,37 und 23,60 sind direkte Übernahmen aus dem drakontischen Gesetz, denn dort ist das kteínein stehengeblieben und nicht in das Kompositum apokteínein umgewandelt worden.22 Für eine wörtliche Übernahme spricht auch das διαγιγνώσκειν δὲ τοὺς ἐφέτας am Ende des in or. 23,37 eingelegten Gesetzes. Das Gesetz Drakons, so wie es durch die Inschrift IG I3 104 überliefert ist, kann durch einige der eingelegten Bestimmungen ergänzt werden: or. 23,37 fügt sich in die Zeilen 26–29, or. 23,60 in die Zeilen 37–38 ein. Hinzu kommt ein in Demosth. or. 43,57 (F 6a) eingelegtes Gesetz, das sich in die Zeilen 13–23 einfügen lässt. Da die Bestimmung am Anfang von or. 23,28 explizit ein Zitat aus Drakons Satzung ist, gehört auch diese in den drakontischen Gesetzestext, vielleicht in leicht veränderter Formulierung in die Zeilen 30–31 (F 8). Ablauf der Blutrache – in der traditionellen Rechtspraxis und im Gesetz Drakons Die erhaltenen Teile und Fragmente des drakontischen Gesetzes lassen erkennen, dass Drakon die Berechtigung zur Blutrache (nach einem Verfahren vor den basileís und den ephétai) und den Schutz des aus Attika geflohenen Täters geregelt hat.23 Dass die Ankündigung der Blutrache an einem öffentlichen Ort – sei es am Grab, sei es auf der Agora – zu erfolgen hatte und anschließend die Angehörigen des Opfers die Verfolgung 21  So auch Flament 2009, 121 f.: „En definitive, sa legislation sur l’homicide gravée en 409/408 constitue le seul élément tangible dont on dispose pour étudier Dracon et l’Athènes de son temps“. 22  Demosth. or. 23,37: κτείνῃ ἢ αἴτιος ᾖ φόνου. 23  Nach Aristot. Ath. pol. 4,1 habe Drakon seine Gesetze unter dem Archonten Aristaichmos erlassen, ein Datum, das mit dem Jahr 621/20 v. Chr. gleichsetzt wird (Tatian or. ad Graecos 41,8–9 [161] setzt Drakons Geburt in die 39., die Solons in die 46. Olympiade; Clemens Alex. strom. 1,16; Euseb. chron. 99b (Ol. 39,4) Helm der armenischen Version; Suda δ 1495 s. v. Δράκων), 27 Jahre vor der Gesetzgebung Solons (Diod. 9 fr. 17). Zur Datierungsfrage siehe die ausführliche Diskussion bei Stroud 1968, 66–70; Robert Develin, Athenian Officials, 684–321 B. C., Cambridge 1989, 31; Flament 2009, 118.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Ablauf der Blutrache

Drakons Gesetz über die Tötung

Tötung

Tötung

basileís und ephétai (dikázein, diagnṓnai) vorgeschaltetes Rechtsverfahren Entscheidung auf Unvorsätzlichkeit Aussöhnung Täter kann in Attika bleiben (poinḗ) Aussöhnung wird verweigert Ankündigung der Blutrache

Ankündigung der Rache am Grab des Getöteten

Verfolgung durch die Angehörigen

Flucht aus Attika

Aussöhnung

Täter bleibt in Attika Tötung des nicht geflohenen Täters Geiselnahme, wenn er versteckt wird

Verfolgung durch die Angehörigen

Flucht aus Attika

Täter ist geschützt

Täter bleibt in Attika Tötung oder apagogḗ, aber keine Misshandlung

Geiselnahme, wenn der Täter versteckt wird

des Täters aufnahmen, entsprach sicherlich der traditionellen Rechtspraxis. Rechtsverbindlich festgelegt wurde von Drakon, dass die Ankündigung der Blutrache, das proeipeín, von einem Angehörigen des Opfers innerhalb des Kreises der ‚Vetternschaft‘

Historische Einordnung – Gesetze über die Tötung (F 2–39)

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(ἀνεψιότης), und zwar bis zu den ‚Vettern‘ (ἀνεψιοί), erfolgen musste und dass sich an der gemeinsamen Verfolgung, dem syndiṓkein, darüber hinaus die Vettern, deren Kinder, die Schwiegersöhne, die Schwiegerväter und die Mitglieder der Phratrie, die phrátores, beteiligen sollten. Von einer Ankündigung der Blutrache am Grab des Getöteten spricht Demosthenes in or. 47,69.24 Danach entsprach es den Bräuchen (νόμιμα), beim Leichenzug (ἐπὶ τῇ ἐκφορᾷ) einen Speer mitzunehmen und am Grabmal die Rache anzukündigen (προαγορεύειν), wenn der Verstorbene einen Angehörigen hatte. Anschließend sollte dieser drei Tage lang am Grabmal wachen. Wenn dies dem allgemeinen Brauch entsprach, liegt es nahe, dass der Vorschrift Drakons, die Ankündigung der Blutrache habe ἐν ἀγορᾷ, also vermutlich „in der Volksversammlung“, zu erfolgen, ein besonderer, konkreter Fall zugrunde lag, bei dem wegen der Prominenz der betroffenen Personen die Ankündigung der Blutrache in der Volksversammlung erfolgen sollte. Denn eine Ankündigung ἐν ἀγορᾷ ist nur in der Inschrift belegt.25 Als wahrscheinlich ist anzusehen, dass bereits bei der traditionellen Blutrache die Angehörigen des Opfers dem Täter die Möglichkeit einräumten, innerhalb einer bestimmten Frist Attika – vielleicht auf Schutz gewährenden Wegen – zu verlassen, so wie dies später den Tätern gestattet war, über die die ephétai entschieden hatten.26 Folgerichtig war – zumindest bei der nicht vorsätzlichen Tötung –, dass der Täter außerhalb Attikas nicht verfolgt oder getötet werden durfte. Das Ziel war also die dauerhafte Separierung des Täters von den Angehörigen des Opfers, um das friedliche Zusammenleben der Gemeinschaft nicht zu gefährden. Um dies zu garantieren, waren dem Täter zusätzlich solche Orte verschlossen, an denen er mit den Angehörigen zusammentreffen konnte, wie Grenzmärkte oder amphiktyonische Wettkampfstätten und Heiligtümer.27 Für den Täter schien es Strafe genug, seine Heimat zu verlieren, sozial und religiös aus der Gemeinschaft ausgegrenzt zu sein und seine Ehre – insbesondere wenn es sich um Mitglieder der Oberschicht handelte – zerstört zu sehen. Eine Rückkehr nach Attika war nur nach einer Aussöhnung, der aídesis, möglich. Auch diesbezüglich entsprach es vermutlich der traditionellen Rechtspraxis, dass die 24  Harpokr. ε 81 s. v. ἐπενεγκεῖν δόρυ ἐπὶ τῇ ἐκφορᾷ mit Bezug auf Demosth. or. 47 und Istros FgrH 334 F 14; Poll. 8,65. Phillips 2008, 69. 25  Vom Wort her ist nicht zu unterscheiden, ob mit ἐν ἀγορᾷ die zentrale Agora in Athen, die Agorai in den lokalen Demen oder die Volksversammlung gemeint ist (Stroud 1968, 52; vgl. Koerner 1993, 38). MacDowell 1963, 24 (zustimmend Carlier 1984, 342 Anm. 104) hat drei Arten der ‚Ankündigung‘ unterschieden, die ‚religiöse‘ am Grab des Opfers, die der Angehörigen auf der Agora und die des basileús zum Ausschluss von heiligen Stätten und von heiligen Gegenständen. Vgl. Marcel Piérart, Note sur la ‚pror­ rhesis‘ en droit attique, in: AC 42, 1973, 427–435. Zur prorrhesis insgesamt ausführlich Tulin 1996, 38–46 (mit weiterer Literatur); vgl. Humphreys 1991, 27; Boegehold 1995, 45 Anm. 12; Phillips 2008, 72–74. Bei dem in Platons Gesetzen angeordneten Ausschluss von Heiligtümern, Agora, Häfen und anderen Versammlungsorten geht er davon aus, dass die Angehörigen den Ausschluss verkünden (leg. 9,871a–b). 26  Demosth. or. 23,72 (F 15). Entsprach dies der dreitägigen Wache am Grab des Toten? 27  Demosth. or. 23,37 (F 7).

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Familie des Opfers nicht zu einer Aussöhnung bereit war, wenn die Tötung mit Vorsatz geschehen war.28 Schließlich mussten die Angehörigen auf ihre eigene Ehre bedacht sein. Nur bei einer nicht vorsätzlichen Tat sollte eine Aussöhnung durch Zahlung einer Buße, eines Wergelds (ποινή), möglich sein.29 Auch dafür legte Drakon genaue Verfahrensregeln fest, um dem Täter eine sichere Rückkehr und anschließend einen ungefährdeten Aufenthalt innerhalb Attikas zu ermöglichen. So legte er fest, wer einwilligen musste, um eine Aussöhnung zu gewähren. Zunächst waren es die unmittelbaren Angehörigen der väterlichen Linie, der Vater, der Bruder (vom gleichen Vater) und der Sohn gemeinsam, dann alle Angehörigen innerhalb der ‚Vetternschaft‘ (ἀνεψιότης), und schließlich, wenn das getötete Opfer keine Verwandten bis zu diesem Grade hatte, zehn von den ephétai nach Vorzüglichkeit (ἀριστίνδην) ausgewählte Mitglieder der Phratrie. Das zwischen den Parteien vereinbarte Wergeld wurde nach dem Wert von Rindern bemessen.30 Schließlich gehörte zu den traditionellen Formen der Blutrache, dass die Angehörigen den Täter – sollte er nach der Ankündigung der Blutrache Attika nicht verlassen haben – eigenmächtig töten oder zur Hinrichtung abführen lassen konnten.31 Drakon hat sich in seinem Gesetz an der bereits bestehenden und lange zurückreichenden Rechtspraxis orientiert. Deutlich ist noch zu erkennen, dass vorher die Blutrache nach festen Regeln ablief und der Institutionen nicht bedurfte: die Ankündigung der Blutrache am Grab des Getöteten, die Flucht des Täters aus Attika oder – geschah sie nicht – die Verfolgung, sodann die Einigung auf ein Wergeld oder die Tötung des nicht geflohenen Täters.32 In diesen üblichen Ablauf griff Drakon mit seinem Ge28  Demosth. or. 21,43 (F 6b, 24a). Zur Aussöhnung umfassend Heitsch 1984b. Die Möglichkeit zur Aussöhnung gab es schon im Epos (Il. 9,632–636). Heitsch sieht in dem Vetorecht eines einzelnen und in den drakontischen Bestimmungen überhaupt eine Erschwerung der aídesis (ebd. 10). Berücksichtigt werden sollte aber auch, dass die kodifizierten Bestimmungen dem Täter eine größere Sicherheit gewährten, dass eine vereinbarte Aussöhnung eingehalten wurde. 29  IG I3 104 Z. 13–19. Eberhard Ruschenbusch ging hingegen davon aus, dass die Möglichkeit der Aussöhnung zugleich auf die vorsätzliche und die nicht vorsätzliche Tötung zu beziehen sei. Dagegen zu Recht Hirayama 2003, 96 und Eck 2012, 219. Ein Beleg dafür, dass bei einer vorsätzlichen Tötung keine Aussöhnung zu erwarten war und keine Aussöhnung gewährt wurde, ist die Bestimmung, dass sich der im Exil aufhaltende Täter nur dann von einem Schiff aus ‚in Phreato‘ verteidigen konnte, wenn er sich wegen einer Tat in der Verbannung aufhielt, „für die eine Aussöhnung erfolgen kann“ (Aristot. Ath. pol. 57,3). Wäre bei allen Tötungsdelikten eine Aussöhnung möglich, bräuchte es diese Einschränkung nicht. Dass sich die Regelungen Drakons über die Aussöhnung allein auf die Tötung ohne Vorbedacht beziehen, wird durch die 23. Rede des Demosthenes bestätigt: Danach müsse der der Tötung Überführte innerhalb einer bestimmten Frist auf vorgeschriebenem Wege aus dem Land gehen und es meiden, bis ihm einer aus der Familie des Getöteten Verzeihung gewähre, wenn es sich um eine nicht vorsätzliche Tötung (akoúsios phónos) handelt (Demosth. or. 23,72; auch im Recht des alten Israel galt eine mögliche Versöhnung nur bei der nicht vorsätzlichen Tötung, so Num 35,15 und Joshua 20,9). 30  Demosth. or. 43,57 (F 6a); Poll. 9,61 (F 18a). 31  Demosth. or. 23,28 (F 8a, 33a). Zum Verfahren der apagogḗ des androphónos, der an heiligen Stätten oder auf der Agora angetroffen wird, in den nómoi phonikoí klassischer Zeit siehe Zajonz 2014, 266–270. 32  Wergeld für einen getöteten Angehörigen ist schon in der homerischen Ilias belegt. Nach Il. 9,632– 634 konnte im Land bleiben (ἐν δήμῳ μένει), wer als Täter für einen getöteten Bruder oder Sohn Wergeld (ποινή) gezahlt hatte. Vgl. Il. 18,497–500. Dazu mit Hinweisen auf die ältere Literatur Thür 1996; Nicho-

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setz ein. Denn das Besondere an seinem Gesetz ist, dass er – wahrscheinlich um konkrete, erbittert geführte Fehden zu befrieden – der Ankündigung der Rache und der Verfolgung des Täters ein Verfahren vor den basileís und den ephétai vorschaltete. War in einem solchen Verfahren die Entscheidung getroffen worden, dass der Täter einer nicht vorsätzlichen Tötung für schuldig befunden wurde, die er eigenhändig begangen oder angeordnet hatte, und hatten die Angehörigen die Aussöhnung verweigert, dann erst folgte die Blutrache den vorherigen Regeln, mit Ankündigung und gemeinsamer Verfolgung durch die Angehörigen. Ankündigung und Verfolgung sollten erst dann geschehen, wenn nicht nur einzelne dikastaí, sondern ein von Drakon eingesetztes größeres Gremium von 51 ephétai in erneuter Entscheidung (éphesis) darauf erkannt hatte, dass die vor Gericht stehende Person der eigenhändigen oder angeordneten Tat schuldig war und die Tat eine nicht vorsätzliche war, so dass eine Aussöhnung prinzipiell möglich war. Erst wenn dies scheiterte, folgten die Ankündigung der Blutrache ἐν ἀγορᾷ und die gemeinschaftliche Verfolgung. Die in den Zeilen 11–23 festgelegten Bestimmungen des Gesetzestextes folgen also im Ablauf dem von Drakon neu festgelegten Verfahren.33 Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung und die Orestie des Aischylos In der Orestie des Aischylos ist der Übergang von der Blutrache als Rechtsbrauch zu einem verbindlich geregelten Verfahren vor einem Gericht, wie er sich mit den Satzungen Drakons und Solons vollzogen hat, gespiegelt. Dabei stehen die Erinyen als Rachegottheiten und Mächte der Unterwelt für das alte Recht – also die Zeit vor Drakons Satzung. Sie verfolgen Orest als Täter, und zwar auch über die Grenzen der Polis hinweg, und wollen die Rache unmittelbar vollziehen, ohne dass dabei Institutionen der Polis mitwirken.34 Die Beschränkung, dass der Täter vor der Verfolgung jenseits der las G. L. Hammond, The Scene in Iliad 18,497–508 and the Albanian Blood-Feud, in: ders., Collected Studies 1, Amsterdam 1993, 211–218 und Eckhard Wirbelauer, Der Schild des Achilleus (Il. 18,478–609), in: Hans-Joachim Gehrke, Astrid Möller (Hrsg.), Vergangenheit und Lebenswelt, Tübingen 1996, 143–178; zum Recht in den homerischen Epen siehe jetzt auch Shulamit Almog, The Origins of the Law in Homer, Berlin/Boston 2022. 33  Die Satzung beginnt mit dem neu angeordneten Verfahren vor basileís und ephétai. Michael Gagarin (2008, 96 f., vgl. 80–85; ders. 2003, 122 f.) geht hingegen davon aus, dass es die detaillierten Regelungen zur Aussöhnung waren, die zur Verschriftung wesentlich beigetragen haben und die so ausdifferenziert waren, dass eine schriftliche Fixierung wünschenswert schien, um Rechtssicherheit zu gewähren. Die Unterscheidung von vorsätzlicher und nicht vorsätzlicher Tat kann es nicht gewesen sein, da diese schon in den homerischen Epen getroffen wurde (siehe Hom. Il. 9,632–636; Od. 23,118–120; Gagarin 2008, 96, 98; Pepe 2015, 48–51). Phillips 2008, 49, 56 f. sieht hingegen in der grundsätzlichen Unterdrückung der Selbsthilfe in seiner extremen und gewalttätigen Form und in der Unterwerfung der Tötungsdelikte unter die Jurisdiktion des Staates das primäre Ziel des Gesetzgebers. 34  Die Erinyen „verfolgen“ den Täter (Eum. 251: διώκουσι; vgl. 231, 244 f., 421 f.). Gericht gehalten werden soll über Orest erst im Hades (Eum. 274 f.). Es mag sein, dass das Zusammentreffen von Orest und

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Polisgrenzen geschützt ist, wenn er sich von Grenzmärkten und amphiktyonischen Heiligtümern und Wettkämpfen fernhält, wird für das alte Recht nicht vorausgesetzt. Zudem wollen die Erinyen den Muttermord rächen, unabhängig davon, ob die Tat berechtigt war oder nicht, ob sie eigenhändig oder auf Veranlassung eines anderen begangen worden war.35 Diese, vermeintlich dem alten Recht entsprechenden Praktiken werden in den Eumeniden durch eine Zeit des neuen Rechts abgelöst: Gemäß neuem Recht, einem thesmós, wird von Athena ein bouleutḗrion von Richtern (δικαστῶν βουλευτήριον) auf dem áreios págos eingerichtet, da wo die Amazonen in ihrem Kampf gegen Theseus der „hochgetürmten neuen Burg“ (πόλις νεόπτολις ἡ ὑψίπυργος), also der Akropolis, eine andere „entgegentürmten“ und dem Kriegsgott Ares opferten.36 Athena hat ein Verfahren festgelegt, in dem die Richter einen Eid schworen und verpflichtet waren, beide Seiten zu hören, vor allem aber wird durch Richtende geprüft, wie die Tat zu qualifizieren ist.37 Am Ende entscheiden die Richter durch Mehrheitsbeschluss.38 Damit vollzieht die Tragödie des Aischylos das nach, was mit der Satzung Drakons festgeschrieben wurde, nämlich über die Qualifizierung der Tat ein größeres Gremium entscheiden zu lassen. Erst wenn basileús und Epheten entschieden hatten (und eine Aussöhnung nicht zustande kam), durften die Verfolgung des Täters und der Vollzug der Rache beginnen. Weil Orests Tötung seiner Mutter vom Gericht als berechtigte Tötung anerkannt wird, unterbleibt eine weitere Verfolgung durch die Erinyen. Wer einen anderen getötet hatte, galt als befleckt. Agamemnon war nach der Opferung Iphigenies mit befleckten Händen an den Altar getreten;39 Klytaimestra hat sich bei der Tötung des Agamemnon mit einem míasma befleckt, Orest bei der Tötung der Mutter.40 Die befleckten Täter sind in der Orestie von öffentlichen Heiligtümern und den darin befindlichen Altären ausgeschlossen, ebenso wie vom Trankopfer (chérnips)

Elektra am Grab Agamemnons und die dort vereinbarte Rächung des Vaters zu Beginn der Eumeniden für die Ankündigung der Rache am Grab steht. 35  Die Erinyen betrachten daher Orest grundsätzlich als befleckt. Sie werfen Apollon vor, er hätte mit der Aufnahme Orests in das delphische Heiligtum den eigenen Herd befleckt (Eum. 169–172). 36  Eum. 681–690 (681: θεσμός). 37  Eum. 704–710 (710: ὅρκος); vgl. 426–442. So wie dem Verfahren gegen Orest eine Verkettung von Tötungen vorausging, so waren den in der Satzung Drakons festgelegten Verfahren die Tötung der Kylonanhänger und Verurteilungen durch das Prytaneion vorausgegangen. 38  Eum. 709 f.: ὀρθοῦσθαι δὲ χρὴ καὶ ψῆφον αἴρειν καὶ διαγνῶναι δίκην αἰδουμένους τὸν ὅρκον. Auch das διαγνῶναι könnte auf die Satzung Drakons Bezug nehmen. 39  Aischyl. Ag. 209–211: μιαίνων παρθενοσφάγοισιν ῥείθροις πατρώιους χέρας πέλας βωμοῦ. Auch die von Prytaneion und Epheten Verbannten waren wegen ‚Abschlachtens‘, also Tötung an Altären, verurteilt worden (Plut. Solon 19,4: ἐπὶ φόνῳ ἢ σφαγαῖσιν). 40  Klytaimestra: Choeph. 1028; Orest: Choeph. 1017 (miásmata). Zum Motiv der Befleckung in der attischen Tragödie und speziell in der Orestie Fabian Meinel, Pollution and Crisis in Greek Tragedy, Cambridge 2015; vgl. Fortunat Hoessly, Katharsis. Reinigung als Heilverfahren, Göttingen 2001, 99–149; Steffi Grundmann, Haut und Haar. Politische und soziale Bedeutungen des Körpers im klassischen Griechenland, Wiesbaden 2019, 210.

Historische Einordnung – Gesetze über die Tötung (F 2–39)

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der Phratriemitglieder.41 In gleicher Weise gilt dies für das Athen dieser Zeit: Nach Demosth. or. 20,158 habe Drakon festgelegt, dass der Täter von geweihtem Wasser (chérnibes) ebenso ausgeschlossen sei wie von Opferspenden, von Opfergefäßen, von Heiligtümern und der Agora. In den Eumeniden des Aischylos kann der Täter von der Befleckung gereinigt werden,42 so wie auch die athenischen Tötungsgesetze die Rückkehr des Täters bei nicht vorsätzlicher Tat erst zulassen, wenn er sich einer Reinigung unterzogen hat.43 Klytaimestra bekennt offen, dass sie die Tötung Agamemnons schon „lange vorgeplant“, „mit Vorsatz“ ausgeführt hat.44 Sie erwartet, für diese Tat schuldig gesprochen und aus der Stadt verbannt zu werden, den Hass der Bürger auf sich gezogen zu haben und des Volkes Flüche erdulden zu müssen.45 Orest beruft sich ausdrücklich darauf, dass die Tötung Klytaimestras eine gerechtfertigte Tötung gewesen sei; er habe die Tat eigenhändig ausgeführt, allerdings sei sie ihm von Apollon angeordnet worden.46 Diese Differenzierung trägt dem Gesetz Drakons insofern Rechnung, als auch darin expressis verbis die eigenhändige Tötung ebenso bestraft wird wie die angeordnete Tötung.47 Immer wieder kreist in der Trilogie die Diskussion um die Fragen, ob die Tötung absichtlich beziehungsweise vorsätzlich oder gerechtfertigt geschehen war, ob eigenverantwortlich oder auf Anweisung eines anderen gehandelt wurde.48 Der Täter muss aus dem Land fliehen; bleibt er, hat er damit zu rechnen, getötet zu werden beziehungsweise bei einem Schuldspruch im Verfahren zum Tode verurteilt zu werden. Orest flüchtet nach dem Muttermord nach Delphi in das Apollonheiligtum, bittet als Schutzflehender, als hikétēs, um Aufnahme.49 In Athen begibt er sich an das Bild-

41  Aischyl. Eum. 655 f.: ποίοισι βωμοῖς χρώμενος τοῖς δημίοις; ποία δὲ χέρνιψ φρατέρων προσδέξεται; 42  Aischyl. Choeph. 73 f. (καθαίροντες), 646–650, 1059 (εἷς σοι καθαρμός); Eum. 237–239, 280–287, 445–453. 43 F 15–16. 44  Aischyl. Ag. 1377: ἐμοὶ δ’ ἀγὼν ὅδ’ οὐκ ἀφρόντιστος πάλαι; in Choeph. 606 f. ist ausdrücklich von πρόνοια die Rede. 45  Aischyl. Ag. 1412 f.: νῦν μὲν δικάζεις ἐκ πόλεως φυγὴν ἐμοὶ καὶ μῖσος ἀστῶν δημόθρους τ’ ἔχειν ἀράς. Sie ist an der Tötung nicht schuldlos (Ag. 1505 f.: ὡς μὲν ἀναίτιος εἶ τοῦδε φόνου τίς ὁ μαρτυρήσων;). 46  Aischyl. Choeph. 461 f. (ἐνδίκως); 987 (ἐν δίκηι), 1027 (οὐκ ἄνευ δίκης), Eum. 198–231, 610 (σὺν δίκηι κατέκτανον), 468, 612 und 615 (δικαίως). 47  IG I3 104 Z. 12–13: δ]ι|κάζεν δὲ τὸς βασιλέας αἴτι ̣ο[ν] φόν̣[ο] ε \[ναι ἒ χειρὶ ἀράμενον] ἒ [β]ολ|εύσαντα. Aischyl. Choeph. 1029–1032: Apollon habe die Anweisung zur Tat gegeben, so dass Orest „außerhalb einer Schuld“ sei (ἐκτὸς αἰτίας κακῆς); in Eum. 593 gesteht Orest die Ausführung der Tat ein und gibt an, auf wessen „Anordnungen“ (bouleúmata) hin er gehandelt habe. 48  Wie Orest den Muttermord, so bezeichnet auch Aigisth die Tötung des Agamemnon als gerechtfertigt (Aischyl. Ag. 1604: κἀγὼ δίκαιος τοῦδε τοῦ φόνου ῥαφεύς). Er habe, so der Chor, die absichtliche Tötung (Ag. 1613: ἑκὼν κατακτανεῖν) ersonnen, aber nicht mit eigener Hand auszuführen gewagt (Ag. 1634 f.: ἐπειδὴ τῶιδ’ ἐβούλευσας μόρον, δρᾶσαι τόδ’ ἔργον οὐκ ἔτλης αὐτοκτόνως). Indem Aigisth am Ende des Agamemnon eine harte, tyrannische Herrschaft ankündigt (Ag. 1638–1642), wird seine Tötung zu einer gerechtfertigten, bei der der Täter rein an den Händen bliebe. Er ist zudem Ehebrecher, der zu Recht getötet werden konnte (Choeph. 985–990). 49  Zur Flucht des Orest Choeph. 136 (φεύγων), 254 (φυγή), 940 (ὁ φυγὰς), 1042 f.

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nis der Göttin Athena. Auch wenn eine Schutzsuche in einem Heiligtum im Gesetz Drakons und Solons nicht belegt ist, ist gut vorstellbar, dass ein Täter, wenn er die Tat als eine nicht vorsätzliche, versehentliche oder berechtigte reklamierte, in einem Heiligtum Zuflucht suchte, um der unmittelbaren Verfolgung zu entgehen und eine Prüfung seines Falls durch ein bei dem Heiligtum gelegenes Gericht zu erwirken, so wie es Orest in den Eumeniden tut.50 Drakon hat mit seiner Satzung den unmittelbaren Vollzug der Blutrache bei der nicht vorsätzlichen Tötung ausgesetzt und eine Entscheidung über die Qualifizierung der Tat durch ein größeres Gremium vorgeschaltet, das eine Mehrheitsentscheidung traf. Solon hat eine Generation später auch die vorsätzliche Tötung in seine Satzung über die Tötung aufgenommen beziehungsweise das Verfahren abgeändert und am Fuß des áreios págos, unmittelbar neben dem Heiligtum der Erinyen,51 einen Gerichtshof geschaffen, der erneut über die Schuldigen an der Tötung der Kylonanhänger entscheiden sollte.52 Mit Solons Satzung waren für alle Tötungsfälle Gerichtshöfe festgelegt, vor denen über vorsätzliche, nicht vorsätzliche, berechtigte und versehentliche, eigenhändig ausgeführte und mittelbar angeordnete Tötungen entschieden wurde. Dass zwei Gerichtshöfe für Tötungen das Palladion und das Delphinion waren und in den Eumeniden Pallas Athena und der delphische Apollon für das neue Recht stehen, dürfte kaum Zufall sein. Die Übereinstimmungen zwischen dem athenischen Tötungsrecht und der Handlung der Trilogie sind also zahlreich: das Verfahren, in einem größeren Gremium über die Vorsätzlichkeit und über die Frage zu entscheiden, wer durch die eigenhändige oder mittelbare Ausführung der Tat die Schuld trägt (αἴτι ̣ον φόν̣ο εἶναι),53 die Strafe der ‚Flucht‘, die Befleckung durch die Tat und die erforderliche rituelle Reinigung.54 Man 50  Orest als Schutzflehender: Aischyl. Choeph. 1035; Eum. 40–45, 232–234; 441. Apollon gab Orest die Anweisung, sich keinem anderen Herd zu nähern außer seinem (Choeph. 1038 f.). Das Gericht über Orest fand nahe dem Götterbild (brétas) Athenas statt (Eum. 242 f.: πρόσειμι δῶμα καὶ βρέτας τὸ σόν, θεά. αὐτοῦ φυλάσσων ἀναμένω τέλος δίκης. – „So nah ich, Göttin, deinem Haus mich und heilgem Bild. Hier halt ich Wache und erwarte des Gerichts Entscheid“ [Übersetzung K. Steinmann]; 439 f.: εἴπερ πεποιθὼς τῆι δίκηι βρέτας τόδε ἧσαι φυλάσσων ἑστίας ἐμῆς πέλας). Wallace 1989, 9: „It is an obvious suggestion that homicide or other cases were heard at sacred sites because those accused of homicide or other crimes resorted to shrines for protection: Orestes is only the best-known case of this“. Auch Thukydides lässt die Athener, die 424/23 v. Chr. das Delion in Boiotien besetzt hielten, argumentieren, dass „die Altäre eine Zuflucht für diejenigen sind, die unabsichtlich Vergehen begangen hatten“ (Thuk. 4,98,6: καὶ γὰρ τῶν ἀκουσίων ἁμαρτημάτων καταφυγὴν εἶναι τοὺς βωμούς). 51  Aischyl. Eum. 804–807, 833, 854–857, vgl. 1041. 52  Wenn die ‚Verfluchten‘ am Ende von dem aus dreihundert angesehenen Athenern bestehenden Gericht verurteilt wurden, die noch Lebenden das Land verlassen mussten und die Leichname der Verstorbenen ausgegraben und über die Grenze geworfen wurden, bedeutet dies, dass die Verurteilten verflucht worden waren, sicherlich wegen des Vorwurfs, an den Altar geflüchtete Personen getötet, ja ‚abgeschlachtet‘ zu haben. 53  Vgl. Choeph. 68 f., 117, 273: ὁ αἴτιος; οἱ αἴτιοι τοῦ φόνου. 54  Das von Athena eingerichtete Verfahren folgt ihrem thesmós (Eum. 391, 484, 681: θεσμός, 571: θεσμοί).

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wird daher nicht daran zweifeln, dass sich Aischylos bei der Ausgestaltung der Trilogie eng an den athenischen Tötungsgesetzen orientiert hat, die Trilogie mithin eine wichtige Quelle und Reflexion der Satzungen Drakons und Solons aus der Mitte des 5. Jh. v. Chr. ist. Dass dies die Athener im 4. Jh. ähnlich sahen, zeigt Demosthenes’ Überblick über die athenischen Gerichtshöfe, die sich mit Tötungsdelikten befassen, bei dem er auf Orests Muttermord und das Verfahren vor dem Areopag beziehungsweise vor dem Delphinion hinweist.55 Vorsätzliche und nicht vorsätzliche Tat Über den Aufbau der Satzung, so wie er durch die Inschrift IG I3 104 in Grundzügen bekannt ist, hat es in der wissenschaftlichen Literatur eine langandauernde kontroverse Diskussion gegeben. Am Anfang steht die Flucht als Konsequenz einer nicht vorsätzlichen Tötung, das ‚Urteilen‘ (dikázein) der basileís und das ‚Entscheiden‘ (diagnṓnai) der ephétai.56 Die folgenden sieben Zeilen werden von der Regelung der Aussöhnung eingenommen. Es folgt eine Bestimmung, dass die Satzung rückwirkende Gültigkeit hat. Dann springt der Text im Ablauf der Blutrache scheinbar wieder an den Anfang: die Ankündigung der Blutrache und die Verfolgung des Täters. Im weiteren Verlauf des ersten áxōn sind Sonderbestimmungen zu erkennen: der Schutz des verurteilten und aus Attika geflohenen Täters, das Verbot der Misshandlung des verurteilten Täters und der Erpressung eines Wergeldes sowie die straffreie Tötung eines gewalttätigen Angreifers. Der Inhalt des zweiten áxōn lässt sich nicht mehr rekonstruieren, zumal der untere Teil des Inschriftenblocks fehlt. Der ungewöhnliche Aufbau des Textes fand unterschiedliche Erklärungen: 1. Ursprünglich hätte der Gesetzestext mit einer Bestimmung über die vorsätzliche Tötung begonnen. Auch für diese hätte das drakontische Gesetz die Flucht aus Attika (und möglicherweise weitere Strafen) vorgesehen. Da durch Solon oder durch ein späteres Gesetz für die vorsätzliche Tötung jedoch die Hinrichtung als Strafe festgesetzt, also die Strafe verschärft worden wäre, wäre bei einer Neuaufzeichnung des Gesetzes die erste Bestimmung als nicht mehr gültig entfallen.57 Die Neuaufzeichnung beginne

55  Demosth. or. 23,66 und 74. 56  Platon folgt dem in seinen Nomoi insofern, als auch er mit der Regelung der gewaltsamen unabsichtlichen Tötung beginnt (9,865a: φόνος βίαιος καὶ ἀκούσιος). 57  Vorsätzliche Tötung konnte in klassischer Zeit mit dem Tod bestraft werden. Im ersten Plädoyer des Angeklagten in Antiph. Tetr. 1β entrüstet sich der Sprecher, dass er aufgrund eines Zeugnisses eines Sklaven „vernichtet“ werde (§ 7), nämlich entweder „sterben“ (ἀποθνῄσκειν) oder „(aus Attika) fliehen“ (φεύγειν) müsse (§ 9; vgl. 1δ 11 und 2: ἀποκτείνειν). Die Verwendung von ἀποθνῄσκειν deutet darauf hin, dass der Verurteilte nicht hingerichtet wurde, sondern getötet werden konnte, wenn er Attika nicht ver-

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mit καὶ ἐὰμ … („und wenn …“) und zeige damit eine entfallene, ursprünglich vorausgehende Bestimmung über die vorsätzliche Tat an.58 Einzuwenden ist allerdings, warum in einer so sorgfältig auf den Stein eingemeißelten Inschrift der Steinmetz ein überflüssiges „und“ (καί) mit aufgenommen haben sollte. Zudem lautet der vom Volk angenommene Beschluss aus dem Jahr 409/8, dass „die Schreiber (anagrapheís) sich das Gesetz Drakons über die Tötung vom (árchōn) basileús aushändigen lassen und mit dem Schreiber des Rates auf einer steinernen Stele aufschreiben sollen“. Von einer Kürzung des Textes oder einer getroffenen Auswahl nur bestimmter Regelungen ist nicht die Rede. Hätten die anagrapheís die Bestimmung zur vorsätzlichen Tötung streichen sollen, wäre zu erwarten, dass dies im Präskript genannt worden wäre. Denkbar wäre nur, dass bereits Solon eine solche Bestimmung über die vorsätzliche Tötung bei seiner Revision des Gesetzes abgeändert hätte. Dass über den wiederaufgezeichneten Text optisch hervortretend als ‚Überschriften‘ „erster áchsōn“ und „zweiter áchsōn“ geschrieben und das Griechische nicht an spätere Formen angepasst ist59, spricht ebenfalls dafür, dass der Text originalgetreu aufgezeichnet wurde. 2. Alternativ wurde daher vorgeschlagen, dass die Satzung Drakons tatsächlich mit „und wenn …“ (καὶ ἐὰμ …) und der Regelung der nicht vorsätzlichen Tötung begann, die vorsätzliche Tötung aber im weiteren Verlauf des Gesetzestextes geregelt war, der inschriftlich nicht erhalten ist.60 Damit würde sich aber die Frage nach dem so scheinbar unsystematischen Aufbau des Gesetzes umso dringlicher stellen. 3. Dieter Nörr und Michael Gagarin haben – um diesen Schwierigkeiten zu entgehen – die vielbeachtete These vertreten, dass Drakon im ersten Satz die nicht vorsätzliche, damit aber implizit auch die vorsätzliche Tötung geregelt habe. Das καὶ ἐὰμ … sei ließ (so auch Ps.-Lys. 6,14). Zur Hinrichtung als Strafe bei vorsätzlicher Tötung in klassischer Zeit siehe Thür 1990; Thür 1991; Hirayama 2003, 94–96. 58  So u. a. R. Meiggs, D. M. Lewis, A Selection of Greek Historical Inscriptions to the End of the Fifth Century B. C., Oxford 21988, Nr. 86; Ruschenbusch 1960; ders. in: Gnomon 46, 1974, 816; ders. 2010, 33 f. (Ruschenbusch setzte zwei Zeilen für die entfallene Regelung der vorsätzlichen Tötung an); Noel Robertson, The Laws of Athens, 410–399 B. C. The Evidence for Review and Publication, in: JHS 110, 1990, 43–75, hier 55; P. J. Rhodes, The Athenian Code of Laws, 410–399 B. C., in: JHS 111, 1991, 87–100, hier 91; Figueira 1993, 292 f. Eine Gegenposition vertreten Gagarin 2008, 93 f. mit Anm. 4 und vor allem 96 (Anm. 9 mit Verweis auf die detaillierte Auseinandersetzung in Gagarin 1981, bes. 96–110) und Joseph Mélèze-Modrzejewski, Le sanction de l’homicide en droit grec et hellénistique, in: Symposion 1990. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Pacific Grove, California, 24.–26. September 1990), hrsg. von Michael Gagarin, Köln/Weimar/Wien 1991, 3–16, hier 5–9 (wiederabgedruckt in: Mélanges Pierre Lévêque 7: Anthropologie et société, hrsg. von M. M. Mactoux u. E. Geny [Paris 1993] 245–259) und Carlier 1984, 349 Anm. 139. Übersichten über die verschiedenen Hypothesen bieten Nörr 1983, 633–635; Wallace 1989, 16–18; Thür 1990, 145; Stroud 1993, 205 und Carawan 1998, 33–36. 59  Dies zeigen die leicht abweichenden Wiedergaben einzelner Bestimmungen in Demosth. or. 23. 60  So Stroud 1968, 34–37, 40, 60 (auf dem zweiten áxōn) sowie Carlier 1984, 349 Anm. 139; Heitsch 1984a, 14; 1984b, 22 Anm. 57 mit Berufung auf Plat. leg. 9,865a–874d, da auch Platon zunächst die unabsichtliche Tötung abhandelt, anschließend die Tötung aus Vorsatz (leg. 9,871a: ἐκ προνοίας τε καὶ ἀδίκως). Ronald Stroud fasste das καὶ ἐὰμ aber schon im Sinne von „even if “ auf (1968, 37–40).

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als „auch wenn …“ aufzufassen, da in beiden Fällen der Täter aus Attika fliehen müsse.61 Strittig bleibt allerdings, ob auch die in Z. 11–19 folgenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen und die Regelungen zur Aussöhnung sowohl die vorsätzliche als auch die nicht vorsätzliche Tötung betrafen.62 Auch stellt sich die Frage, warum Drakon, dessen Satzung ansonsten sehr ausführlich und umfangreich ist, die vorsätzliche Tat nicht explizit genannt hat, um Missverständnisse zu vermeiden. Es wären im ersten Satz nur drei Worte mehr gewesen (ἐκ προνοίας καὶ μὲ ’κ προνοίας). 4. Raymond Westbrook hat der Ansicht von Ronald Stroud und Michael Gagarin, das καί am Anfang des Gesetzes sei im Sinne von „auch wenn“ („moreover“) zu verstehen und die vorsätzliche Tötung daher implizit einbezogen, widersprochen.63 Durch den Vergleich mit nahöstlichen Gesetzessammlungen angeregt (z. B. dem Codex Ham­ murabi), gelangt er zu der These, dass bei der inschriftlichen Neuaufzeichnung des Gesetzes im Jahre 409/8 die anagrapheís aus einer wesentlich umfassenderen Gesetzessammlung Drakons alle Bestimmungen, die Tötungsdelikte betrafen, exzerpiert hätten.64 Der Bestimmung über die nicht vorsätzliche Tötung sei eine über nicht tödli-

61  Gagarin 1981; 1986, 80 ff., bes. 88; Nörr 1983, 633–640. Bei Drakon seien vorsätzliche und nichtvorsätzliche Tötung mit Verbannung bestraft worden, und in beiden Fällen seien die Täter im Ausland geschützt gewesen und sei die Möglichkeit zur Aussöhnung gewährt worden. Die vorsätzliche Tötung sei in Drakons Gesetz nicht explizit geregelt gewesen, da in diesem Falle der Rechtsbrauch der Blutrache fortbestand (zustimmend Mélèze-Modrzejewski 1991 [wie Anm. 58], 6; Gerhard Thür in: ZRG 102, 1985, 508–514; ders. 1990, 145–147; 149; ders. 1991, 53–72, hier 53; kritisch hingegen Koerner 1993, 32). Nach Humphreys 1991, 20, 29, 36 und Schmitz 2001, 24 f. habe Drakon sich mit der vorsätzlichen Tötung nicht befasst. Vgl. Eberhard Ruschenbusch in: Gnomon 46, 1974, 816 und Welwei 1992, 138 f. Stroud 1993, 205 bezeichnet die Frage, warum am Anfang Bestimmungen über die vorsätzliche Tötung fehlen, als nach wie vor offenes Problem. 62  Gegen die These von Gagarin, dass wegen der impliziten Mitregelung der vorsätzlichen Tötung aídesis auch bei vorsätzlicher Tötung gewährt werden konnte, weist Ernst Heitsch darauf hin, dass beim Fehlen weiterer Angehöriger die Aussöhnung mit zehn ausgewählten Phratriegenossen von der Entscheidung der ephétai abhängig gemacht war (1984b, 12–18). Wenn aber den Verwandten bei vorsätzlicher und bei nicht vorsätzlicher Tat aídesis erlaubt gewesen wäre, warum sollte sie dann – so Heitsch – nicht auch beim Fehlen von Verwandten möglich gewesen sein; denn in diesem Fall gab es doch keinen, mit dem der Täter aneinandergeraten konnte. Aídesis wird es also nur bei nicht vorsätzlicher Tat gegeben haben. Die nächsten Verwandten dürften ein stärkeres Interesse oder sogar die moralische Pflicht gehabt haben, das Blut des Opfers zu rächen. Dieser Rachewille wird bei den gewählten Phratriemitgliedern weniger stark ausgeprägt gewesen sein, so dass im Gesetz die Entscheidung der ephétai auf nicht vorsätzliche Tötung für eine Aussöhnung vorausgesetzt wurde. 63  Raymond Westbrook, Drakon’s Homicide Law, in: Symposion 2007. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Durham, 2.–6. September 2007), hrsg. von Edward Harris, Gerhard Thür, Wien 2008, 3–16. In seinem Kommentar zu dem Beitrag stimmt K. Kristensen (Response to Raymond Westbrook, in: ebd. 17–22) Westbrook zu: Vorsätzliche Tötung sei nicht nur mit der Ausweisung aus Attika bestraft worden. Die ersten Worte des Gesetzes seien also mit „and if “ zu übersetzen, wofür es nahöstliche Parallelen gebe. Andrew Gallia, The Republication of Draco’s Law of Homicide, in: CQ 54, 2004, 451–460, hier 456 Anm. 31 behauptet – m. E. zu Unrecht –, dass die Ansicht von Stroud und Gagarin, Drakons Gesetz habe mit καὶ ἐάμ begonnen, keine verbreitete Akzeptanz erfahren hätte. 64  Zur Unterscheidung von vorsätzlicher und nicht vorsätzlicher Tötung im Codex Hammurabi siehe Pamela Barmash, Homicide in the Biblical World, Oxford 2005, 20–32; David P. Wright, Inventing God’s

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che Verwundungen vorausgegangen, die bei der erneuten schriftlichen Aufzeichnung deswegen entfallen wäre, weil es sich dabei eben nicht um ein Tötungsdelikt handelte. Auch die erhaltenen Regelungen im Gesetz Drakons könnten Einzelbestimmungen sein, die von den anagrapheís exzerpiert und ohne inneren Zusammenhang aneinandergefügt worden seien. Jedoch ist diese These nicht überzeugend, da sie voraussetzt, dass im Jahr 409/8 ein umfangreicher Gesetzescode Drakons bekannt war, für den wir sonst keine sicheren Belege haben, und dass die anagrapheís einen großen Ermessensspielraum bei der Entscheidung hatten, welche Gesetze sie als relevant für Tötungsdelikte hielten und welche nicht.65 Hinzu kommt, dass das Gesetz Drakons in der Form, in der es überliefert ist, im athenischen Kontext des späten 7. Jh. als der Situation angemessen und logisch aufgebaut angesehen werden kann. Dass Drakon stattdessen auf ein mediterranes, im Nahen Osten verbreitetes Rechtsdenken zurückgegriffen habe, erscheint demgegenüber unwahrscheinlich.66 Der etwas unvermittelte Beginn und der auffällige Aufbau des Gesetzes lassen sich dann besser verstehen, wenn ein unmittelbarer und konkreter Anlass für die schriftliche Satzung zugrunde gelegt wird. Vorausgegangen war der Tyrannisversuch Kylons und seiner Anhänger, von denen etliche nach der Belagerung getötet worden waren, manche an den Altären der Semnai. Die erhaltenen Berichte darüber lassen erkennen, dass die Archonten bzw. die Vorsteher der Naukraren die Verantwortung für die Tötung trugen. Die spätere Überlieferung zeigt, dass in Athen anschließend erbittert geführte Konflikte über die Frage ausbrachen, ob die Tötung der Kylonanhänger rechtmäßig gewesen war oder nicht, ob göttliche Regeln gebrochen worden waren oder nicht, zumal die altehrwürdige Satzung (F 1) festschrieb, dass die, die eine Tyrannis errichtet hatten, straflos getötet werden konnten und ihr Besitz öffentlich war. Es spricht einiges dafür, dass auch die Satzung Drakons in diesen Zusammenhang zu stellen ist. Die Tötung der Kylonanhänger konnte als Tötung ohne Vorsatz gelten, da die Belagerung nicht mit dem festen Vorsatz begonnen worden war, Kylon und seine Anhänger

Law. How the Covenant Code of the Bible Used and Revised the Laws of Hammurabi, Oxford 2009, 154–159. 65  Siehe dagegen Gallia 2004 (Anm. 63), der die Ansicht vertritt, dass die anagrapheís sehr genaue Anweisungen erhalten hätten und den Text in seiner archaischen Sprache und Gliederung nach áxōnes wortwörtlich und vollständig übernommen hätten (so auch schon Gagarin 1981, 21 ff.; ebenso Hirayama 2003, 94). Auch im Jahr 409/8 hätte ein konkreter Anlass für die Neuaufzeichnung bestanden, nämlich die Ermordung des Oligarchen Phrynichos und die Ehrungen für die Täter, Thrasyboulos und Apollodoros. Da Drakons Gesetz auch eine Bestimmung darüber enthalten habe, dass Verräter straflos getötet werden konnten, hätte man nach dem Sturz der Vierhundert auf diese Regelung noch einmal ausdrücklich hinweisen wollen. 66  Auch Laura Pepe folgt in ihrer Interpretation des Gesetzes wieder der Ansicht von Stroud und Gagarin (Pepe 2015, 54).

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zu töten.67 Auch als die Anhänger Kylons von der Akropolis abstiegen, um sich einem Verfahren vor dem Prytaneion zu stellen, mögen die Belagerer und die politisch Verantwortlichen noch nicht die feste Absicht gehabt haben, diese zu töten. Vielleicht ergab sich die Tat aus einem Tumult oder aus einem Fluchtversuch heraus. Der Archont Megakles wird vermutlich nicht eigenhändig das Schwert zur Tötung gezückt, sondern allenfalls aus der Situation heraus Anweisung gegeben haben, die am Tyrannisversuch Beteiligten zu töten.68 Es mag sein, dass einige Jahre nach dem Geschehen die Rechtmäßigkeit, die Kylonanhänger zu töten, die sich auf die altehrwürdige Satzung stützte, in Zweifel gezogen wurde und Kylon nahestehende Kreise auf eine Verurteilung der Täter drängten, die zumindest wegen nicht vorsätzlicher Tötung zur Rechenschaft gezogen werden sollten. In dieser aufgeladenen Situation könnte Drakon mit seiner Satzung versucht haben, ein institutionelles Verfahren einzurichten, durch das eine gerichtliche Entscheidung dem ansonsten üblichen Ablauf der Blutrache vorgeschaltet wurde (Schema S. 96).69 So schärfte er ein, dass selbst dann, wenn die Tötung nicht mit Vorsatz begangen worden war – worauf sich die ‚Täter‘ bei der Niederschlagung der Tyrannis berufen haben werden –, die an der Tötung Schuldigen aus Attika fliehen mussten. „Urteilen sollen die basileís“, nicht grundsätzlich, sondern über den, „der Schuld trägt an der Tötung sei es […], sei es (die Tötung) angeordnet zu haben“ (Z. 11–13). Es liegt nahe, in der Lücke von 17 Buchstaben zu ergänzen „sei es [mit eigener Hand], sei es durch Anordnung“. Es wäre dann die Aufgabe der basileís gewesen, Verfahren gegen die im ersten oder zweiten Sinne Schuldigen zuzulassen und einzuleiten. Den ephétai hingegen oblag die Entscheidung – ein diagnṓnai im Sinne der ‚Unterscheidung‘ –, nämlich ob es 67  Eine Tat mit ‚Vorsatz‘ (πρόνοια) zu begehen, ist also nicht mit ‚willentlich‘ gleichzusetzen. Pepe 2009/2010. 68  So auch die Rekonstruktion von Thür 2002, 634–636: Dass neben der eigenhändigen nicht vorsätzlichen Tötung auch die Anstiftung bzw. Anordnung zu einer solchen Tötung einbezogen ist, könnte darauf hindeuten, dass Megakles als führender Archont oder Vorsteher der Naukraren die Anweisung gegeben hatte, die Kylonanhänger zu ergreifen und einem Verfahren zuzuführen, die aber dann in tumultuarischen Verhältnissen getötet wurden. Megakles hätte sich damit – nach dem späteren Gesetz Drakons – der „Anordnung“ (dem bouleúein) zu einer nicht vorsätzlichen Tötung schuldig gemacht und Attika verlassen müssen. Das bouleúein als eigener Tatbestand bilde eine Brücke zum Kylonputsch. Ebenso Thür 2018, 27 mit der Übersetzung „to order, advise (an action resulting in someone’s death)“ und 29; zum Bezug auf die Tötung der Kylonanhänger ebd. 29. Eine ähnliche Situation ist für den Bürgerkrieg in Korinth am Anfang des 4. Jh. belegt. Angesehene Bürger hatten sich zu den Götterstatuen auf der Agora und den Altären geflüchtet. Auf diesen religiösen Schutz hätten aber „weder diejenigen, die den Befehl erteilten, noch die, die ihm Folge leisteten“ (οἵ τε κελεύοντες καὶ οἱ πειθόμενοι) Rücksicht genommen und die Geflüchteten bei den Heiligtümern niedergemacht (Xen. hell. 4,4,3). Später hätten „die Täter und die Mitschuldigen an jener Tat“ (οἱ μὲν σφαγεῖς καὶ οἱ μεταίτιοι τοῦ ἔργου) Korinth aus eigenem Entschluss verlassen (Xen. hell. 5,1,34). 69  Einen bereits mit dem Gesetz Drakons bestehenden Gerichtszwang sehen Karl-Wilhelm Welwei, Die griechische Polis, Stuttgart etc. 1983, 151 und Sealey 1994, 116: „For several reasons it is likely that disputes arising from homicide were the earliest material for which the Athenians instituted compulsory litigation“. Gegen einen Gerichtszwang Heitsch 1984b, 16 f.

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sich tatsächlich um eine nicht vorsätzliche Tat handelte. Wurde dies durch die ephétai bestätigt, konnte über eine Aussöhnung mit den Familienangehörigen des Opfers verhandelt werden.70 Hat das Opfer bis zur Vetternschaft keine Angehörigen, der Täter unabsichtlich gehandelt und haben die 51 ephétai auf unabsichtliche Tötung erkannt, dann können zehn von den ephétai ausgewählte Phratriemitglieder in eine Rückkehr des Täters einwilligen.71 Dies zeigt noch einmal deutlich, dass es die ephétai waren, die den entscheidenden Spruch in der Sache fällten, und dass es dabei um die Qualifizierung der Tötung ging. Nur wenn sie auf nicht vorsätzliche Tötung erkannten, war den Phratriemitgliedern eine Aussöhnung möglich. Dass unter die Satzung auch diejenigen fielen, die in früherer Zeit getötet hatten, lässt darauf schließen, dass die Satzung Drakons gerade auf diejenigen zielte, die sich der Tötung der Kylonanhänger oder weiterer in diesen Zusammenhang gehörenden Tötungsdelikte schuldig gemacht hatten. Die sich anschließenden Regelungen zur Ankündigung der Blutrache und zur Verfolgung des Täters könnten den Ablauf insofern logisch fortgeführt haben, als sie das weitere Procedere regelten, wenn eine Aussöhnung unmittelbar nach der Entscheidung der ephétai gescheitert war. Nach der nicht zu rekonstruierenden Lücke in den Zeilen 23–26 schließt sich logisch daran an, dass der aus Attika entflohene und sich von agoraí ephoríai und amphiktyonischen Wettkampfstätten und Heiligtümern fernhaltende Täter nicht getötet werden durfte, wer sich aber dennoch in Attika aufhielt, getötet oder zu den Amtsträgern mittels apagōgḗ abgeführt, nicht aber misshandelt oder erpresst werden durfte. Eine solche Lesung des Gesetzes bedeutet, dass Drakon explizit nur die nicht vorsätzliche Tötung regelte, die vorsätzliche Tötung aber ausgenommen blieb, weil es bei der Tötung der Kylonanhänger um eine nicht vorsätzliche Tat ging und Drakon für genau diese und das daraus im weiteren Verlauf erwachsene Geschehen eine nachhaltige Lösung herbeiführen wollte.72 Auch die berechtigte und die versehentliche 70  Heitsch 1989, 84: „Die Epheten sollen nicht ent–, sondern unterscheiden. … Es ist aber kaum anders denkbar, als daß in beiden Fällen ihr unterscheidender Spruch das endgültige Urteil bedeutete, dem der König dann durch die Verkündung (δικάζειν) Rechtskraft verlieh“. Eberhard Ruschenbusch ging hingegen davon aus, dass ein Verfahren vor den ephétai erst dann stattfand, wenn die Familienangehörigen die Annahme eines Wergeldes und damit eine Aussöhnung verweigert hatten (2010, 33, 36). 71  In diesem Sinne beurteilt auch Sally Humphreys (1991, 35 f.) Drakons Gesetz: „Drakon’s law was formulated in the atmosphere of resentment generated by a recent episode of civil war, and has to be understood in that context rather than as a step in the development from the vendetta system assumed to characterize the stage of prédroit to written codification. His law dealt only with pardonable homicide“. 72  Einen Zusammenhang zwischen dem kylonischen Putsch, einer dadurch ausgelösten Welle von Blutracheverfahren und dem Gesetz Drakons sehen u. a. Mabel Lang, Kylonian Conspiracy, in: CPh 62, 1967, 243–249, hier 249; Stroud 1968, 70–74; Rhodes 1981, 79 ff.; Welwei 1983 (wie Anm. 69), 151; ders. 1992, 138; Humphreys 1991, 21 f.; Carawan 1998, 4 (mit weiterer Literatur); Sickinger 1999, 15; Karl-Joachim Hölkeskamp, Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland, Stuttgart 1999, 267 f. (mit weiterer Literatur); Schmitz 2001, 35 f.; Thür 2002, bes. 632–636; Traulsen 2004, 139; Sara Forsdyke, Exile, Ostracism, and Democracy. The Politics of Expulsion in Ancient Greece, Princeton, N. J. etc. 2005, 84–90; Maria Noussia-Fantuzzi, Solon the Athenian, the Poetic Fragments,

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Tötung waren im Gesetz Drakons vermutlich nur insoweit geregelt, als Personen, die eine andere Person bei einem gewaltsamen, unrechtmäßigen Angriff sofort getötet hatten, von der grundlegenden Bestimmung, dass auch derjenige aus Attika fliehen musste, der nicht vorsätzlich getötet hatte, ausgenommen waren, weil die getötete Person in diesem Fall „bußlos“ (νηποινεί) gestorben sei.73 An einer anderen Stelle des Gesetzes war geregelt, dass derjenige nicht aus Attika fliehen musste, der einen anderen unabsichtlich bei Wettkämpfen oder unterwegs oder im Krieg unerkannt oder als Ehebrecher bei der Frau, Mutter, Schwester, Tochter oder pallakḗ getötet hatte. Da in dieser Bestimmung Fälle versehentlicher und berechtigter Tötung zusammengefasst sind, kann dies (noch) kein entscheidendes Kriterium gewesen sein, die einzelnen Fälle verfahrensrechtlich zu unterscheiden. Was die Delikte verbindet, ist die aus der Tat folgende Konsequenz: Attika nicht verlassen zu müssen. Dass versehentliche und berechtigte Tötungen in dieser Bestimmung ungeschieden bleiben, lässt jedenfalls darauf schließen, dass Drakon keine systematische Regelung von nicht vorsätzlichen, versehentlichen und berechtigten Tötungen beabsichtigte, sondern im weiteren Gesetzestext Sonderregelungen aufnahm, in denen der zentrale Aspekt, die Strafe für die nicht vorsätzliche Tat, keine Anwendung fand.74 Es kann durchaus sein, dass zumindest bei der versehentlichen Tötung eine angemessene Buße (ποινή) gezahlt werden musste. Leiden/Boston 2010, 21 und Jason Hawke, Writing Authority. Elite Competition and Written Law in Early Greece, DeKalb/IL 2011, 111 f., 175; vgl. Eck 2012, 216. Auch Matthew Dillon, Linda Garland, The Ancient Greeks. History and Culture from Archaic Times to the Death of Alexander, London/New York 2013, 298–305 halten einen Zusammenhang mit dem kylonischen Frevel für möglich, gehen allerdings von einem umfassenden Gesetzescode Drakons aus sowie davon, dass die vorsätzliche Tötung auf dem zweiten áxōn geregelt war. Michael Gagarin zögert, das Gesetz in unmittelbaren Zusammenhang mit dem kylonischen Frevel zu bringen, weil der dazwischen liegende Zeitraum von etwa 15 Jahren sehr lang sei und die Tötung der Kylonanhänger als vorsätzliche Tötung, als Tötung ἐκ προνοίας, zu werten sei. Außerdem böte der Kylonputsch keine Veranlassung, auch die berechtigte Tötung etwa des bei der Tat ergriffenen Ehebrechers oder die versehentliche Tötung zu regeln (1981, 20 f.; 2003; 2008, 94–96, 95: „the massacre of the Cylonians was evidently carried out quite intentionally, as one would expect during a period of civil strife“); gegen einen Zusammenhang mit dem kylonischen Tyrannisversuch argumentiert auch Phillips 2008, 43, der aber davon ausgeht, dass Drakon einen umfassenden Gesetzescode und damit viele Gesetze erlassen habe, die mit der Niederschlagung dieses Versuchs nichts zu tun hatten; kritisch sind auch Ruschenbusch 1960, 147 und Flament 2009, 122. Siehe dagegen Schmitz 2018, 14 f. 73  F 10a (= F 2 Z. 37 f.). Aus dem Gesetz Drakons lässt sich allerdings die Rechtspraxis bei der vorsätzlichen Tötung indirekt erschließen, und dies nicht nur durch das „auch wenn“ am Beginn des Textes. Auch in F 7 (= Demosth. or. 23,37), der Tötung eines sich von agoraí ephoríai und amphiktyonischen Wettkämpfen und Festen fernhaltenden Täters, ist eine mögliche vorsätzliche Tötung mitbedacht. Wenn in diesem Fall die ephétai ebenfalls die Entscheidung fällen sollen, folgt daraus, dass sie grundsätzlich auch bei vorsätzlicher Tötung einberufen werden konnten (ebenso Koerner 1993, 40). Wenn der Besitz der aus Attika geflohenen Täter bei der nicht vorsätzlichen Tötung ‚ehrbar‘ bleiben sollte (Demosth. or. 23,44), kann daraus ex negativo geschlossen werden, dass der Besitz der vorsätzlich handelnden Täter öffentlich sein sollte. 74  Insofern ist der Aufbau des Textes in IG I3 104 so unsystematisch nicht (vgl. demgegenüber Robertson 1993 [wie Anm. 59], 55: „This necessity probably accounts for a strange inconsequence in the publication of ‚Draco’s law on homicide‘“; Todd 1993, 55: „But the internal organization of this document is hard to detect“). Nach Einschätzung von Gerhard Thür (2002, 637) hätten die Vorschriften Drakons

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Im Gegensatz dazu sieht David Phillips den Grund für eine Verschriftung der Regelungen zur Blutrache nicht im abgewehrten Versuch Kylons, eine Tyrannis zu errichten, sondern in vertikalen stáseis, also in Konflikten zwischen Adel und Volk. Diese Ansicht überzeugt nicht, denn in den Quellen zum früharchaischen Attika lassen sich Konfliktfelder zwischen Adel und Volk nur im wirtschaftlichen Bereich fassen, in der Gefahr für die Bauern, als Schuldner in eine permanente Abhängigkeit zu großen Gutsbesitzern zu geraten oder Attika verlassen zu müssen, um dem zu entgehen oder nicht in die Sklaverei verkauft zu werden. Warum diese Spannungen verstärkt zu nicht vorsätzlichen Tötungsdelikten geführt haben sollten und eine klare, auch verfahrensrechtliche Abgrenzung von vorsätzlicher, nicht vorsätzlicher, berechtigter und versehentlicher Tötung notwendig gemacht hätten, leuchtet nicht ein. Das ‚altehrwürdige Gesetz‘ gegen die Tyrannen und die Tatsache, dass Solon eine Generation später Verfahren wegen vorsätzlicher Tötung einem Gericht auf dem áreios págos übertrug und er den Areopag darauf verpflichtete, tiefgreifende Konflikte (stáseis) durch Abstimmungen zu lösen (F 44–46), vermittelt vielmehr den Eindruck von Polarisierungen zwischen den führenden Familien, die in der zweiten Hälfte des 7. und in den ersten Dezennien des 6. Jh. eskalierten und gewalttätige Formen annahmen. Eine trügerische Ruhe schuf erst Peisistratos mit der Etablierung einer Tyrannis, in deren Zuge viele andere Adelsgeschlechter das Land verließen. Dass Kleisthenes am Ende des 6./Anfang des 5. Jh. eine Befriedung der politischen Situation nur dadurch erreichen zu können glaubte, dass er durch eine grundlegende Phylenreform die Anhängerschaften adeliger Familien von diesen löste und die attischen Bürger der verschiedenen Regionen „mischte“ und dass er Ostrakismosentscheidungen im Fall politischer Konflikte vom Areopag auf das Volk übertrug, ist als weiterer Hinweis darauf zu sehen, dass Adelskonflikte die politische Situation dominierten.75 Auch wenn das Gesetz Drakons selbst keine expliziten Hinweise auf die historischen Hintergründe enthält, erscheint es doch plausibler, in den Ereignissen um den Tyrannisversuch Kylons und in der geforderten Anklage der Megaklesanhänger den Beweggrund für die gesetzliche Regelung Drakons zu sehen.

durch ihren Umfang den Charakter einer Kodifikation, die jedoch nicht systematisch geordnet sei oder Vollständigkeit angestrebt hätte. Die ‚Ordnung‘ ergibt sich aus der Situationsgebundenheit der Regelung, weswegen die Regelung zur nicht vorsätzlichen Tötung, zur Anordnung einer nicht vorsätzlichen Tötung und zur Aussöhnung sowie die rückwirkende Geltung an den Anfang treten. 75  Siehe auch Winfried Schmitz, Verpaßte Chancen? Adel und Aristokraten im archaischen und klassischen Griechenland, in: Hans Beck, Peter Scholz, Uwe Walter (Hrsg.), Die Macht der Wenigen. Aristokratische Herrschaftspraxis, Kommunikation und ‚edler‘ Lebensstil in Antike und Früher Neuzeit, München 2008, 35–70.

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Verfahren und Institutionen Im Gesetz Drakons sind zwei Institutionen genannt, die basileís und die ephétai. Ihnen sind unterschiedliche Aufgaben zugewiesen: Das diagignṓskein (Z. 13, ergänzt in 29, 35; in Z. 17: gnṓsi) ist sicher als ‚entscheiden‘ im Sinne von ‚unterscheiden‘ zu verstehen, also als Entscheidung darüber, ob die Tötung als eine nicht vorsätzliche zu qualifizieren ist oder nicht. Aus der Tatsache, dass in den Zeilen 17, 29 und 35 der Inschrift das ‚Entscheiden‘ der ephétai allein genannt ist (ohne das dikázein der basileís), ist zu erschließen, dass ihnen die substanzielle und letztendliche Entscheidung zufiel. Zwar sind die Zeilen 17 und 19 nach Demosth. or. 43,57 teilweise ergänzt und lassen sich die Zeilen 24 f. nicht ergänzen, doch kann auch aufgrund von Pollux 8,125 als sicher gelten, dass die ephétai als „die Einundfünfzig“ bezeichnet wurden. Warum diese Institution mal als „die ephétai“, mal als „die einundfünfzig ephétai“ und mal als „die Einundfünfzig“ erscheint, erschließt sich nicht.76 Aufgrund der Bezeichnung der ephé­ tai als „die Einundfünfzig“ ist davon auszugehen, dass das diagignṓskein durch Mehrheitsbeschluss zustande kam.77 Die basileís sind demgegenüber in Zeile 12 nur einmal genannt, als diejenigen, die über den urteilen, „der die Schuld an der Tötung trägt, sei es [mit eigener Hand], sei es, dass er sie veranlasst hat“. In der Frage, warum die basileís im Plural genannt sind und was das dikázein konkret bezeichnet, ist in der Forschung keine Einigkeit erzielt.78 Diskutiert wurde, ob basileís als Pluralwort für „den jeweils in dem Jahr amtierenden (árchōn) basileús“ oder ob als Pluralwort für „den amtierenden und alle das Amt vorher ausübenden (árchontes) basileís“ stehe, ob das Wort das Gremium aus (árchōn) 76  IG I3 104, Z. 13.17.29.36–37. Fritz R. Wüst, Zu den πρυτάνιες τῶν ναυκράρων, in: Historia 6, 1957, 177 f. sieht in den 48 Naukraren einen vorsolonischen Rat, der mit den drei Archonten die 51 ephétai gebildet haben könnte. Möglicherweise habe es mehrere Gerichtshöfe unterschiedlicher Stärke gegeben, und das Gesetz habe für Fälle nichtvorsätzlicher Tötung die Zahl von 51 ephétai festgeschrieben. Gegen die These von Wüst hat Stephen Lambert, Herodotus, the Cylonian Conspiracy and the prytanies ton naukraron, in: Historia 35, 1986, 105–112, hier 106 Stellung bezogen. Vgl. Carawan 1998, 71. Die Variation der Bezeichnungen hat Smith (1924) dagegen zu der Überlegung geführt, dass verschiedene Gruppen gemeint seien. Vgl. dazu den Kommentar von Stroud 1968, 48–49, der die ephétai mit den Einundfünfzig gleichsetzt. Eck 2012, 218 geht davon aus, dass die ephétai in klassischer Zeit aus den Areopagiten gelost wurden. Aufgrund der wenigen Quellen lassen sich diese Fragen aber nicht endgültig klären. Zur Mehrheitsentscheidung der ephétai siehe auch Jan B. Meister, ‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und frühklassischen Griechenland, Stuttgart 2020, 301 f. 77  Von fünfzig Epheten spricht Kleidemos FgrH 323 F 20 (= Eustathios, Comm. ad Od. 1,321 ff., p. 1419,52–59; Suda ɛ 2505 s. v. ἐπὶ Παλλαδίωι): Agamemnon sei, siegreich von Troia zurückkehrend, mit dem Palladion bei den Athenern gelandet; Demophon habe das Palladion geraubt und anschließend viele der Verfolger getötet. Zur Streitschlichtung habe man Agamemnon ein Gerichtsverfahren vor fünfzig Athenern und ebensovielen Argeiern angeboten, die ephétai genannt wurden. Dieser Gerichtshof sei nach Pallas Athena Palladion genannt worden. Ähnlich bei Harp. ε 107 s. v. ἐπὶ Παλλαδίῳ überliefert. Sollte der basileús als einundfünfzigster nach dem Votum von fünfzig Epheten seine Stimme abgeben, so wie Athena in Aischylos’ Eumeniden? 78  Vgl. zur Diskussion Hignett 1952, 311–313; Stroud 1968, 42–47; Harrison 1971, 43; Thür 1990, 151.

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basileús und den vier phylobasileís meine79 oder schließlich als allgemeiner Begriff für die Angehörigen der sozialen Elite aufzufassen sei, so wie auch in den homerischen Epen diese ‚Adeligen‘ als basileís bezeichnet wurden, die mit der Sorge für bestimmte Heiligtümer und heilige Handlungen betraut waren.80 Zu den Belangen, um die sich die Priestergeschlechter der adligen Oberschicht kümmerten, wird auch gehören, die Heiligtümer vor einer Befleckung und anderem Schaden zu bewahren. Flüchtete sich eine Person, die unabsichtlich, versehentlich oder berechtigt getötet hatte, in ein Heiligtum, um so der Vollstreckung der Blutrache durch die Familienangehörigen des Opfers zu entgehen, könnte sich der basileús schützend vor den Flüchtenden gestellt und die ephétai, das Gremium der 51 Urteilenden, einberufen haben, um über Vorsätzlichkeit oder Nichtvorsätzlichkeit entscheiden zu lassen. So viel scheint klar zu sein: Dem basileús oblag das dikázein, da es sich um Bluttaten handelte, die – von speziellen Ausnahmen abgesehen (s. u. S. 128–132) – eine ‚Befleckung‘ des Täters, ein míasma, bewirkten, von der der Täter, wollte er nach Attika zurückkehren, durch spezielle Opfer gereinigt werden musste. Das dikázein der basileís ist entweder im Sinne der Einleitung des Verfahrens und des Vorsitzes während des Verfahrens sowie der Urteilsverkündung durch Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses der ephétai verstanden worden81 – wegen ersterem ist das dikázein der basileís dem diagignṓskein der ephétai vorangestellt – oder als ein Formulieren von Eiden, die der Täter und die Angehörigen zu leisten hatten. In mehreren Untersuchungen hat sich Gerhard Thür dafür ausgesprochen, dass in archaischer Zeit

79  Treston 1923, 197; Thür 1990, 151; Humphreys 1991, 31; Welwei 1992, 140; Sealey 1997, 117; Karl-Wilhelm Welwei, Griechische Geschichte. Von den Anfängen bis zum Beginn des Hellenismus, Paderborn etc. 2011, 89; vgl. auch Rhodes 1981, 649 („probably refers to the basileus and φυλοβασιλεῖϛ currently in office“; ders. 1985, 99. Hignett 1952, 312: „all those who in the previous years have held the office of basileus, the successive holders of the office“; MacDowell 1963, 87–89 lässt die Frage offen. Nach Carlier 1984, 350 gäbe es zwei Alternativen, die jeweils aufeinanderfolgenden einzelnen (árchontes) basileís oder der (árchōn) basileús mit den vier phylobasileís. Nach Abwägung der Argumente kommt er zu dem Schluss: „Dès lors, il est extrêmement probable que dans la loi de Dracon le pluriel βασιλεῖς désigne les rois qui se succèdent chaque année“. Ebenso Stroud 1968, 47 und Odile De Bruyn, La compétence de l’Aréopage en matière de procès publics, Stuttgart 1995, 26. 80  So die Ansicht von Schmitz 2001, bes. 24–30; ders. 2018, 5–7, die aber hier revidiert ist; auch Christophe Flament (2009, 122–132) fasst die basileís als Adelige mit ihren Anhängerschaften auf, deren Macht bis zu den Kleisthenischen Reformen ungebrochen gewesen sei und die rechtsprechende Gewalt ausübten. Siehe dazu die Kritik von Dreher 2019. 81  So z. B. Stroud 1968, 45 („After the Ephetai have returned the verdict, it was the duty of the Basileis to pronounce the sentence and ceremonially to name the person responsible for the killing“); vgl. Carlier 1984, 344 Anm. 114: „L’usage du verbe δικάζειν à propos du roi (Constitution d’Athènes, LVII, 4) a conduit beaucoup de commentateurs à penser que le roi participait au vote du tribunal à la façon d’Athéna dans les Eumenides, 734–742“. Im Sinne der Urteilsverkündung Hans Julius Wolff, The Origin of Judicial Litigation among the Greeks, in: Traditio 4, 1946, 75 f. (nach Carlier ebd. „extrêmement vraisemblable“, da dafür auch das Abnehmen des Kranzes spreche; zustimmend auch Canevaro 2013, 54). Vgl. dagegen Thür 1990, 154 (da der Herold das Abstimmungsergebnis verkünde, gäbe es keine ‚Urteilsverkündung‘ durch den basileús); vgl. Thür 2018, 32.

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dikázein die Formulierung der Eide meine, die bei der diōmosía zu schwören waren.82 Er zieht Rechtsverfahren, die Verwendung des Wortes dikázein und die Bedeutung des Eids in den homerischen Epen und im Recht von Gortyn zum Vergleich heran, um nachzuweisen, dass Drakon mit der Formulierung δικάζεν δὲ τὸς βασιλέας meinte, „dass die basileís diese Eide durch dikázein beiden Parteien auferlegen, die Epheten dann darüber abstimmen, welcher Eid der bessere sei“. Die Tätigkeit der drakontischen basileís sei anzuordnen, „(dass der Verfolger schwöre), ‚er (der Verfolgte) sei der Tötung schuldig‘“; es sei also „das Festlegen, Anordnen der diomosiai durch dikazein“.83 Beide Parteien hätten einen Eid schwören müssen.84 Gerhard Thür übersetzt die Zeilen 11–13 daher folgendermaßen: „Selbst wenn jemand einen nicht mit Absicht getötet hat, soll er verbannt sein. Die Könige sollen anordnen (daß der Kläger schwört, der Verklagte) sei schuldig der Tötung, entweder ‚mit der Hand, die er geregt hat‘ oder ‚durch Ratschlag‘“.85 Einen Hinweis auf das Verständnis des dikázein gibt allerdings auch Solons Amnestiegesetz (F 4b). Denn die basileís in Z. 12 der Inschrift werden dieselben sein, die

82  Thür 1990, 150 f.; Thür 1996, 71; Thür 2006; weiter ausgeführt auch in: ders., Oaths and Dispute Settlement in Ancient Greek Law, in: Lin Foxhall, Andrew D. E. Lewis (Hrsg.), Greek Law in its Political Setting – Justifications not Justice, Oxford 1996, 57–72: der basileús entschied nicht über Schuld oder Unschuld, „but only gives a judgement about the oath-formula which, if taken, will automatically resolve the dispute“ (ebd. 62). Dieser Deutung schließt sich Sealey 1994, 119 an; vgl. demgegenüber Welwei 1992, 140 mit weiterer Literatur. Vgl. auch Humphreys: „In Drakon’s homicide law (…) the basileis (…) are said to dikazein and the ephetai to diagnonai; conceivably the ephetai decided between solutions proposed by the basileis“ (Sally Humphreys, The Evolution of Legal Process in Ancient Attica, in: Tria corda. Scritti in onore di Arnaldo Momigliano, hrsg. von Emilio Gabba, Como 1983, 235 Anm. 11). 83  Thür 2006, 51 und 52; ebenso Thür 2018, 32 f.; vgl. ders., Der Reinigungseid im archaischen griechischen Rechtsstreit und seine Parallelen im Alten Orient, in: Robert Rollinger, Heinz Barta (Hrsg.), Rechtsgeschichte und Interkulturalität. Zum Verhältnis des östlichen Mittelmeerraums und ‚Europas‘ im Altertum, Marburg 2007, 179–196; 180: „Die Entscheidung fiel durch die Parteien, und zwar in der Regel durch den Beklagten, selbst: Leistete dieser den vom Magistrat formulierten und auferlegten Reinigungseid, war er freigesprochen; scheute er den Eid, war er schuldig und dem Zugriff des Klägers unterworfen“. Er stützt sich bei seiner These auf das Argument, dass im Gesetzestext das dikázein der basileís vor das diagnṓnai der Epheten gesetzt ist, es daher sehr unwahrscheinlich sei, dass das dikázein das Verkünden des Urteils oder eher noch des Abstimmungsergebnisses der Epheten meine. Vgl. auch M. Talamanca, Dikazein e krinein alle origini dell’ attività giurisdizionale in Grecia, in: Symposion 1974. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Gargnano am Gardasee, 5.–8. Juni 1974), hrsg. von Arnaldo Biscardi, Köln/Wien 1979, 103–133. 84 Zur diōmosía, wie sie etwa bei Demosth. or. 23,67–69; Ps.-Demosth. or. 59,10; Aischyl. Eum. 429 und Antiph. 6,6 und 16 erwähnt wird, vgl. MacDowell 1963, 90–100. Nach Phot. Lex. s. v. διωμοσία haben in Mordfällen (φόνου ἀγῶνα) Kläger und Angeklagte den Eid geleistet. Thür (2006, 49–51) geht auch deswegen von zwei Eiden aus, weil das διαγιγνώσκειν nur bei zwei gegensätzlichen Eiden sinnvoll sei. Vgl. Aristot. pol. 2,8, 1268b 42–a 3: „wo irgendwelche altertümlichen Gesetze (archaía nómima) noch erhalten sind, da sind sie vollkommen einfältig, wie etwa in Kyme das Gesetz über die Tötung (perí tá phoniká nómos): Wenn der Kläger irgendeine Menge (plḗthos) von Zeugen aus seiner Verwandtschaft beibringt, so soll der Beklagte des Mordes schuldig erklärt werden“. Siehe auch Schmitz 2001, 27; Sealey 2006, 11 f.; Ruschenbusch 2010, 18–19. 85  Thür 2002, 634.

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auch im Amnestiegesetz Solons – im getreu wiedergegebenen Plural – genannt sind. Solon nimmt also Bezug auf das Gesetz Drakons und versteht dabei die für schuldig Befundenen als „die von den basileís Abgeurteilten“ (καταδικασθέντες ὑπὸ τῶν βασιλέων).86 Da die Verurteilung eine gewisse Zeit zurücklag und das Urteil bereits gesprochen war, gebraucht Solon im Amnestiegesetz bei seinem Rückbezug auf die drakontische Satzung katadikasthéntes statt des dikázein in Zeile 11 f. der Inschrift. Es kann hier nur im Sinne von ‚abgeurteilt‘ verstanden werden, nicht im Sinne von ‚Eide formulieren‘. Auch die Umwandlung des aktivischen δικάζειν in das passivische καταδικασθέντες spricht dafür, dass Solon die Tätigkeit der basileís zumindest auch im Sinne der Verfahrensleitung und der Urteilsverkündung verstand. Der Plural ba­ sileís wurde hingegen von Solon beibehalten, erregte keinen Anstoß und schien nicht erklärungsbedürftig. Das löst das Problem, wer denn genau die basileís waren, nicht. Die Formulierung des Amnestiegesetzes spricht aber dafür, dass (der Areopag,) die ephétai und das Prytaneion „unter den basileís“ ihre Entscheidung trafen. Da sich das Prytaneion aus den phylobasileís zusammensetzte, wäre es eine merkwürdige Doppelung, wenn diese „unter den basileís“ entschieden und es sich bei ihnen um den árchōn basileús und die (gleichen vier) phylobasileís gehandelt hätte.87 Da es gut möglich ist, dass sich außer Megakles noch etliche andere Athener der Tötung der Kylonanhänger schuldig gemacht hatten, also die Zahl der Betroffenen nicht ganz klein war, könnte Drakon den Plural basileís auch deswegen gewählt haben, weil die Verfahren voraussichtlich nicht in einem Jahr abgeschlossen und auch der basileús des Folgejahres und die der nächsten Jahre involviert wären.88 Nach Abwägung der Argumente ist die plausibelste Lösung diejenige, dass gemäß Drakons Satzung in den folgenden Jahren der jeweils amtierende (árchōn) basileús das Verfahren einleiten, (durch Formulieren

86  Plut. Solon 19,4: πλὴν ὅσοι ἐξ ᾽Αείου πάγου ἢ ὄσοι ἐκ τῶν ἐφετῶν ἢ ἐκ πρυτανείου καταδικασθέντες ὑπὸ τῶν βασιλέων. 87 Die phylobasileís standen jeweils einer der vier Phylen Attikas vor und sind in F 22c und e belegt. 88  Auch in Demosth. or. 47,69 sind die basileís des drakontischen Gesetzes in „den basileús“ umgedeutet, der eine Klage annehmen würde. Eine ähnliche Verwendung des Plurals im Sinne von „der in diesem und jeweils den folgenden Jahren amtierende einzelne Magistrat“ ist in IG II2 1174 in einem Beschluss des attischen Demos Halai belegt, in welcher Weise „die Demarchen“ Rechenschaft über die Finanzen ablegen müssen. Da das Amt des dḗmarchos ein Einzelamt ist, sind auch in diesem Dokument die in den folgenden Jahren jeweils amtierenden Einzelpersonen gemeint. In einem kretischen Gesetz ist angeordnet, dass die títai einhundert Statere „von jedem“ ksénios kósmos eintreiben sollen, wenn sie ihr Amt nicht pflichtgemäß ausüben, und auch die títai gestraft werden, wenn sie dies unterlassen (IC 4,78). Die Forschung geht davon aus, dass es in Gortyn nur jeweils einen amtierenden ksénios kósmos gab, was auch für den títas gelten könnte. Gunnar Seelentag hatte aus der Inschrift aber geschlossen, dass der Plural ein Kollegium bezeichnen könne, wie es bei den kretischen kósmoi der Fall ist (Der Xenios Kosmos und die Freigelassenen von Latosion, in: Hermes 145, 2017, 275–287, hier 280 f.). Auch in diesem Fall wäre zu erwägen, ob der Plural im Sinne von „die in den folgenden Jahren jeweils (einzeln) amtierenden ksénioi kósmoi“ gemeint sein könnte.

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der Eide) führen und er bzw. der Herold die Entscheidung der ephétai anschließend verkünden sollte.89 Nach wie vor ungeklärt ist auch die Frage, wie das Verfahren, an dem basileís und ephétai mitwirkten, in Gang gesetzt wurde. Der inschriftlich erhaltene und mit Zitaten ergänzte Text sagt dazu nichts. Man könnte den ersten Satz auf das Verfahren beziehen: „Auch wenn einer einen anderen nicht aus Vorsatz getötet hat, soll er fliehen“. Fliehen – wohin? Verließ er Attika nicht, drohte ihm die Verfolgung durch die Angehörigen. War die Tötung aus seiner Sicht aber eine berechtigte oder versehentliche, bei der er Attika nicht verlassen musste, brauchte er einen sicheren Zufluchtsort oder eine ihn schützende Person. Dies könnte der árchōn basileís oder ein Heiligtum gewesen sein, in das er sich als Schutzflehender (hikétēs) begab.90 Verfahren vor den ephétai fanden mindestens seit der Zeit Solons bei Heiligtümern statt, ‚beim Palladion‘, ‚beim Delphinion‘ und ‚in Phreato‘ – so zumindest die spätere Überlieferung.91 Verbunden wurden diese Orte mit mythischen Erzählungen von nicht vorsätzlichen und versehentlichen Tötungen, über die erstmals an diesen Orten verhandelt worden sei.92 Dies könnte dafür sprechen, dass 89  Angesichts der erneuten Durchsicht der Belege scheint mir dieses Ergebnis plausibler als das von mir bisher vertretene (s. o. Anm. 80). 90  Das Lexicon Patmense (ad Demosth. or. 23,71) erläutert die ‚Aussöhnung‘ mit dem Versuch, die Angehörigen durch Schutzbitte (hiketeía) und ein Wergeld zu erweichen (F 25j). Dieser Ablauf einer durch die Hikesie eingeschränkten Blutrache fände eine Entsprechung in den Hiketiden des Aischylos. Die vor den Aigyptossöhnen geflohenen Danaostöchter begaben sich, nachdem sie nach Argos gelangt waren, unverzüglich als hikétai in ein Heiligtum. Sie machten geltend, dass sie zu Unrecht verfolgt würden, da sie nicht mit Gewalt in eine Ehe gezwungen werden dürften. Die Danaiden und auch Danaos selbst wiesen explizit darauf hin, dass sie nicht wegen einer Blutschuld von der Stadt verurteilt worden waren und das Land deswegen hatten verlassen müssen, also das Heiligtum nicht beflecken würden (Suppl. 6 f.; 196). Dazu Winfried Schmitz, Die Schutzflehenden des Aischylos und das Asyl im klassischen Athen, in: Bettine Menke, Juliane Vogel (Hrsg.), Flucht und Szene. Perspektiven und Formen eines Theaters der Fliehenden, Berlin 2018, 49–74. Zufluchtsuche in Heiligtümern und an Altären von Personen, die ein Unrecht begangen hatten, nennt auch Lys. 12,98. 91  S. u. S. 121–128. Zu den verschiedenen Gerichtsstätten Heitsch 1984b 11 Anm. 26; 21 Anm. 54; Richard Garner, Law and Society in Classical Athens, London/Sydney 1987, 38; Evanghelos Karabélias, La peine dans Athènes classique, in: La peine – Punishment 1. Antiquité – Antiquity (Recueils de la Société Jean Bodin 55,1), Brüssel 1991, 77–132, hier 91–95; Todd 1993, 81 f.; 273–275; Stroud 1993, 203–221 mit Hinweisen zur Lokalisierung der Gerichtsorte. 92  Poll. 8,118–119; Paus. 1,28,10–11 (F 22d–e). Zu den Gründungsmythen Garner 1987 (wie Anm. 91) 36 f.; Carawan 1998; Humphreys 1991, 32 f., die darauf hinweist, dass sich die Gründungsmythen der Ausdifferenzierung des Rechts und den späteren Veränderungen angepasst haben. Dass es sich bei den Gerichtsorten in Heiligtümern um schutzgewährende Zufluchtsorte handelte, hatten bereits Louis Gernet (Law and Prelaw, in: ders., The Anthropology of Ancient Greece, Baltimore/London 1981 [franz. 1968], 176) und Robert W. Wallace vermutet (1989, 9): „Presumably, before homicide procedure was regularized, those accused of homicide would flee to any shrine – quite possibly the closest. Trials were held where they had taken refuge“; Wallace ebd. 25 f. weist auch darauf hin, dass dies der Grund gewesen sein könnte, warum Tötungen durch Tiere und Gegenstände vor dem Prytaneion verhandelt wurden, da in diesen Fällen keine Flucht in ein Heiligtum vorliegen konnte. Auch Kurt Latte, Kleine Schriften zu Religion, Recht, Literatur und Sprache der Griechen und Römer, München 1968, 384 erklärte die verschiedenen Gerichtsorte damit, dass in früher Zeit der Täter in ein Heiligtum flüchtete, „wenn er glaubte, sich rechtfertigen zu können, und der Kläger musste ihn dort aufsuchen. … In der Flucht ins

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sich der Täter, dem die Blutrache angekündigt worden war, zum Schutz gerade zu demjenigen Heiligtum begab, auf dessen mythischen Präzedenzfall er sich berief, eben eine versehentliche oder berechtigte oder zumindest eine nicht vorsätzliche Tat.93 Die andere Möglichkeit, sich direkt an den jeweils amtierenden (árchōn) basileús zu wenden, käme der formellen Einleitung eines Gerichtsverfahrens näher.94 Eine weitere Institution im Blutracheverfahren scheint nur kurz auf. Nach Demosth. or. 23,28 (F 8a) war es möglich, den nicht aus Attika geflohenen Täter eigenmächtig zu töten oder ihn „abzuführen“ (ἀπάγειν). Wohin er (zur Hinrichtung) abgeführt werden konnte, war den damaligen Zeitgenossen offenbar klar und bedurfte keiner expliziten Regelung. Es mögen die Thesmotheten gewesen sein oder die ‚Elfmänner‘, die in späterer Zeit nach einem Schuldeingeständnis Hinrichtungen durchführten bzw. von einem Henker durchführen ließen. Von der Blutrache zum Gesetz Solons über die Tötung Die plausibelste Lösung scheint darin zu liegen, drei zeitliche Stufen im Umgang mit der Blutrache und mit Tötungsdelikten zu unterscheiden. Am Anfang steht die gelebte Rechtspraxis, die keiner institutionellen Verfahren bedurfte: Ein Angehöriger des Opfers ging mit einem Speer zum Grab des Getöteten, kündigte dem Täter die Blutrache an und blieb drei Tage am Grab. In diesen drei Tagen hatte der Täter die Möglichkeit, aus Attika zu fliehen. Blieb er indes in Attika, konnte er der Blutrache kaum entgehen. Aufgrund der aufgeladenen Situation und der Kette von Blutracheverfahren im Zuge des kylonischen Tyrannisversuchs schrieb Drakon zur Beruhigung der Lage ein

Asyl lag ein Zugeständnis der Tat, und es wurde über die Frage gestritten, ob der Totschlag zu Recht geschehen sei, und ob er durch irgendwelche vom Täter nicht voll zu verantwortende Nebenumstände entschuldigt werde“. Ähnlich Braun 1998, 18. Siehe auch Schmitz 2001, bes. 24–30; ders. 2018, 5–7 und die Gegenargumente von Dreher 2019. Zu schutzgewährenden Stätten im Tötungsrecht und zur Unterscheidung von vorsätzlicher und nicht vorsätzlicher Tötung im Recht des Alten Israel Schmitz 2001, 29 f.; ausführlich Traulsen 2004, 9–85; J. Stackert, Rewriting the Torah: Literary Revision in Deuteronomy and the Holiness Legislation, Tübingen 2007, 32–36, 40–48; Klaus-Peter Adam, A Didactic Case Narrative: 1 Samuel 26, in: Klaus-Peter Adam, F. Avemarie, N. Wazana (Hrsg.), Law and Narrative in the Bible and in Neighbouring Ancient Cultures, Tübingen 2012, 99–122, hier 113–116. Vgl. auch Westbrook 2008, 6 und 10. Zu weiteren historischen Parallelen Ortwin Henssler, Formen des Asylrechts und ihre Verbreitung bei den Germanen, Frankfurt a. M. 1954, 31 f. und Paul Wilutzky, Blutrache. Anfänge des Strafrechts und des Prozesses, in: ders., Vorgeschichte des Rechts, Berlin 1903, 29–163; hier 111. 93  Schmitz 2001, 20–31; vgl. auch die Einwände von Dreher 2019. Nach Lys. 1,27 hatte sich der ertappte Ehebrecher nicht an den Herd des Hauses flüchten können, da er im Schlafraum ergriffen worden war. 94  Sealey 1994, 118 hatte angenommen, dass der von den Angehörigen des Opfers verfolgte Täter bei mächtigen Männern, den basileís, Zuflucht suchte, die ihm zeitweilig Schutz gewährten und das Gericht der 51 ephétai einberiefen.

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institutionelles Verfahren vor.95 Für diese konkrete Situation wurde der übliche Ablauf der Blutrache abgeändert. Sie sollte von den Angehörigen der Opfer nicht ohne weiteres vollzogen werden können; stattdessen wurde ein Verfahren vorgeschaltet, um die Schuld der Täter festzustellen. Wer an der nicht vorsätzlichen Tötung der Kylonanhänger beteiligt gewesen war, musste Attika verlassen. Dieser Tatbestand musste aber durch ein Urteil bestätigt werden. Der basileús leitete das Verfahren, die ephétai entschieden über die Vorsätzlichkeit. Der Text des inschriftlich erhaltenen Gesetzes folgt dann dem weiteren Ablauf: Haben die ephétai auf nicht vorsätzliche Tat erkannt, bietet sich den Tätern noch die Möglichkeit der Aussöhnung mit den Angehörigen. Wird diese verweigert, weil mindestens einer aus der Gruppe derer, die der Aussöhnung zustimmen müssen, Einspruch dagegen erhebt, kündigen die Angehörigen die Blutrache an und beginnen die Verfolgung. Das von Drakon vorgeschaltete Verfahren vor dem basileús (bzw. den basileís) und den ephétai kann erklären, warum im Gesetzestext die Bestimmungen über die Ankündigung der Rache und die Verfolgung denen über die Aussöhnung nachgestellt sind.96 In den weiteren Bestimmungen ist geregelt, in welcher Weise der aus Attika geflohene und sich von agoraí ephoríai und amphiktyonischen Wettkampfstätten und Heiligtümern fernhaltende Täter geschützt ist. Bleibt er in Attika, kann er eigenmächtig getötet oder zur Hinrichtung abgeführt werden. Trifft diese Rekonstruktion zu, wäre nachvollziehbar, warum das Gesetz Drakons nur die nicht vorsätzliche Tötung (nämlich die an den Kylonanhängern vollzogene) geregelt hat, warum Aussöhnung und Ankündigung der Rache ‚vertauscht‘ sind, warum die Ankündigung der Blutrache auf der Agora (gemeint ist wahrscheinlich in der Volksversammlung) und nicht am Grab des Getöteten zu erfolgen hatte, nämlich wegen der Prominenz von Opfern und Tätern und der Relevanz für die gesamte Gemeinschaft. Auch würden dann zum Gesetz Drakons nur solche Bestimmungen gehören, die sich aus der Verbannung des Verurteilten ergaben.97 Zutreffen würde dann auch die Erläuterung von Demosthenes in der Rede Gegen Aristokrates, dass die Gesetzgeber das Wort androphónos nur für den verurteilten Täter verwendet haben. Es war in der Satzung Drakons der verurteilte Täter, der nach der Flucht aus Attika nicht getötet werden durfte, wenn er sich von agoraí ephoríai und amphiktyonischen Wettkampf­ stätten und Heiligtümern fernhielt, und es war der verurteilte Täter, der getötet oder abgeführt werden durfte, wenn er in Attika blieb. Das dem Vollzug der Blutrache vorgeschaltete Verfahren, bei dem etliche Jahre nach dem Geschehen festgestellt wurde, 95  In diesen konkreten Zusammenhang stellt auch Gerhard Thür das Gesetz: „Drakon suchte die Staatskrise durch einen schlichten Blutprozeß zu meistern. Megakles (…) hatte sich vor Gericht zu verantworten. Wenn die 51 Epheten entschieden, daß seine Anordnung, auch ohne daß er es beabsichtigt hätte, zum Tod der Kylonier geführt hatte, mußte er in die Verbannung“ (2002, 635). 96  In Demosth. or. 43,57 ist demgegenüber die Reihenfolge des früheren Rechtsbrauchs (erst Ankündigung und Verfolgung, dann Aussöhnung) wieder hergestellt. 97  Das Verfahren en Phreato würde sich problemlos einreihen lassen, da es den wegen einer nicht vorsätzlichen Tat verurteilten und geflüchteten Täter betrifft. Shahin 2019.

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ob der Betreffende tatsächlich „Schuld an der Tötung“ trug (Z. 12: αἴτι ̣ο[ν] φόν̣[ο]), konnte als Appellation (éphesis), konnten demnach die Entscheidenden als ephétai gelten. Die hier vertretene Deutung des Gesetzes kann zudem erklären, warum Solon bereits eine knappe Generation später erneut ein Gesetz über die Tötung erließ und sich dabei auf die drakontische Vorlage berief. Das Gesetz Drakons war auf die Blutracheverfahren infolge des kylonischen Tyrannisversuchs ausgerichtet, hatte erstmals ein regelrechtes Verfahren und detaillierte Regeln über die Berechtigung der Ankündigung und Verfolgung erlassen, aber nur bei der nicht vorsätzlichen Tötung. Solon ging einen deutlichen Schritt darüber hinaus und vollzog damit die dritte Stufe im Umgang mit der Blutrache und den Tötungsdelikten. Er regelte nicht nur das Deliktrecht (Flucht aus Attika bei vorsätzlicher und nicht vorsätzlicher Tötung), sondern auch das Verfahrensrecht, legte fest, bei welchem Amtsträger Klage einzureichen war. Er systematisierte das gesamte Tötungsrecht durch Zuweisung der einzelnen Tötungsfälle an verschiedene Gerichtshöfe und durch Regelungen zur Klageerhebung, zu Zeugen und zu Eiden. Er legte fest, von welchen Institutionen die Klagen wegen vorsätzlicher und wegen nicht vorsätzlicher Tötung entschieden werden sollten, außerdem dass berechtigte und versehentliche Tötungen nicht zu einer Verurteilung führen durften bzw. dass solche Klagen nicht angenommen wurden (vgl. etwa F 29). Damit verfügte Athen nicht nur über ein Gesetz zur nicht vorsätzlichen Tötung, sondern über eine alle Tötungsdelikte umfassende Satzung (thesmós), um phonikoí nómoi, wie sie in klassischer Zeit hießen.98 Damit standen zwei konkurrierende Rechtsverfahren nebeneinander. Die Angehörigen des Getöteten konnten – nach alter Rechtspraxis – dem Täter die Blutrache am Grab ankündigen und nach einer bestimmten Frist die Verfolgung aufnehmen; floh der Täter nicht aus Attika, konnte er getötet werden. Die Angehörigen konnten den Täter fortan aber auch anklagen und das Verfahren vor dem Areopag oder den ephétai abwarten. Entschied der Areopag auf vorsätzliche Tötung, wurde der Täter mit dem Tod bestraft.99 Die Belege dafür lassen aber keine eindeutige Entscheidung zu, ob der Areopag einen Ermessensspielraum hatte und zwischen Tod und immerwährendem 98  Zum Verfahren in klassischer Zeit Carlier 1984, 342–348. 99  Jason Hawke folgt trotz des von Michael Gagarin geäußerten Zweifels der von Georg Busolt, Charles Hignett und Ronald Stroud vertretenen Meinung, der Areopag habe nicht erst seit der Zeit Solons über Fälle vorsätzlicher Tötung geurteilt, sondern bereits in der Zeit vor Drakon (Hawke 2011, 58–62, 111–113, 175; 211 Anm. 24). Dem steht aber das Zeugnis Plut. Solon 19,3 (F 4b) entgegen. Mythen orientieren sich an den solonischen Tötungsgesetzen, denn sie gehen davon aus, dass der Täter bei der vorsätzlichen Tötung vom Areopag verurteilt wurde und aus Attika fliehen musste. So soll Achaios, der Sohn des Xythos und Enkel des Erechtheus wegen einer vorsätzlichen Tötung (φόνος ἀκούσιος) nach Lakedaimon geflohen sein, weswegen die dort Lebenden Achaier genannt wurden (Strab. 8,7,1–383 C.). Daidalos, der zu den Nachfahren des Erechtheus gehörte, hatte aus Neid seinen Neffen hinterlistig getötet, wurde wegen dieser Tat vom Areopag verurteilt und musste sein Heimatland Attika verlassen (Hellanikos FgrH 323a F 20; Diod. 4,76,7: κατηγορηθεὶς δὲ καὶ καταδικασθεὶς ὑπὸ τῶν Ἀρεοπαγιτῶν φόνου).

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Exil mit Vermögenskonfiskation wählen konnte oder ob die Flucht nur vor oder während des Prozesses möglich war, nicht mehr hingegen, wenn das Urteil gesprochen war (F 24a). Die angebliche Aufhebung drakontischer Gesetze durch Solon Plutarch berichtet in der Biographie Solons, dass die Konfliktparteien Solon zum Ordner (diorthōtḗs) der Verfassung und zum Gesetzgeber (nomothétēs) mit umfassender Gewalt ernannt hätten.100 Daraufhin habe Solon zunächst alle bestehenden Gesetze, also die Gesetze Drakons, aufgehoben – mit Ausnahme der Gesetze über die Tötung –, und zwar wegen der Härte und Strenge der Strafen (F 19).101 Denn auf fast alle Vergehen habe Drakon nur eine Strafe gesetzt, den Tod, so dass auch die der Untätigkeit Überführten sterben mussten und die, die Gemüse oder Feldfrüchte gestohlen hatten, in gleicher Weise bestraft wurden wie Tempelräuber und Mörder. Diese (vermeintliche) Eigentümlichkeit der drakontischen Gesetze führte zur Ausbildung von Anekdoten: Auf die Frage, warum er für die meisten Vergehen den Tod als Strafe bestimmt habe, habe Drakon geantwortet, er habe die geringen Vergehen dieser Strafe für wert gehalten und für die schwereren Vergehen keine größere Strafe gewusst.102 Dieses Bild von den Gesetzen Drakons ist nicht erst eine Traditionsbildung römischer Zeit. Aristoteles stellt in der Politik lapidar fest: „eigentümlich und erwähnenswert ist an den Gesetzen Drakons nichts – außer ihrer Grausamkeit, weil die Strafen so hart sind“.103 Und von Demades, einem Gerichtsredner und Demagogen aus der zwei-

100  Plut. Solon 16,5: καὶ τὸν Σόλωνα τῆς πολιτείας διορθωτὴν καὶ νομοθέτην ἀπέδειξαν. 101  In der Forschung wird eine umfassende Gesetzgebung Drakons und die Abrogation durch Solon von Kurt Latte, Beiträge zum griechischen Strafrecht 1, in: Hermes 66, 1931, 30–48 (wiederabgedruckt in: Erich Berneker [Hrsg.], Zur griechischen Rechtsgeschichte, Darmstadt 1968, 294–301) als historisch akzeptiert. Ebenso Stroud 1968, 75–82 (dezidiert und mit sehr ausführlicher Argumentation); Gagarin 1981, 23; ders. 1986, 63 f., 66 Anm. 64, 76; Heitsch 1984a, 12; Chambers 1990, 155 f.; Tracey E. Rihll, Ἑκτήμοροι: Partners in Crime?, in: JHS 111, 1991, 101–127, hier 112; 115 f.; Sickinger 1999, 8, 15 f., 24; Robert W. Wallace, Revolutions and a New Order in Solonian Athens, in: Kurt A. Raaflaub, Josiah Ober, Robert W. Wallace (Hrsg.), Origins of Democracy in Ancient Greece, Berkeley etc. 2007, 55; Phillips 2008, 43 und Maria Noussia-Fantuzzi, Solon the Athenian, the Poetic Fragments, Leiden/Boston 2010, 21. Gegen eine Revision drakontischer Gesetze durch Solon sprechen sich Sealey 1994, 43 und insbesondere Humphreys 1991 sowie Ruschenbusch 2010, 24–26 aus. Vgl. auch Welwei 1992, 145 f.; Rhodes 1981, 109–112; Figueira 1993, 288–291; Eck 2012, 217. 102  Plut. Solon 17. Vgl. auch die Bewertung bei Gell. 11,18,3–4. 103  Aristot. pol. 2,12, 1274b 16–18: ἴδιον δ᾿ ἐν τοῖς νόμοις οὐδὲν ἔστιν ὅ τι καὶ μνείας ἄξιον, πλὴν ἡ χαλεπότης διὰ τὸ τῆς ζημίας μέγεθος. Auch in Aristot. rhet. 2,23,29, 1400b 20 f. sind die drakontischen Gesetze als hart (χαλεποί) bezeichnet. – Die Erwähnung von Schlangen (δράκοντες) in den Haaren der Erinyen könnte darauf hindeuten, dass schon Aischylos Drakon mit archaischen Formen der Blutrache gleichsetzte, die mit der Einsetzung des Areopags für Tötungsdelikte überwunden wurde (Choeph. 1048–1050; vgl. Suppl. 260–270; Paus. 1,28,6).

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ten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. stammt der berühmte Ausspruch, Drakon habe seine Gesetze nicht mit Tinte, sondern mit Blut geschrieben.104 Den Blick auf den wahren Sachverhalt haben betont einseitige Darstellungen in antiken Gerichtsreden verstellt. Kläger und Angeklagte ließen sich ihre Plädoyers von berufsmäßigen Redenschreibern verfassen, und diese haben sich nicht gescheut, die herangezogenen Gesetze in einen Kontext zu stellen, der der eigenen Argumentation diente. In polemischer Absicht verweist zum Beispiel Lykurgos in seiner Rede Gegen Leokrates auf „die alten Gesetzgeber“, die den Diebstahl von größeren und kleineren Beträgen, schweren und leichten Religionsfrevel und die Tötung eines Freien und eines Sklaven unterschiedslos mit dem Tod bestraft hätten, denn es gehe nicht um die Schwere des Verstoßes, sondern um das Delikt selbst.105 Um die Geschworenen zu einer harten Strafe gegen Leokrates zu bewegen, verschweigt Lykurgos, dass zwar der Wert des Gestohlenen nicht entscheidend war, wohl aber ob man den Dieb bei der Tat ergriffen hatte und ob die Tat nachts oder tagsüber geschehen war. Erlaubt war gemäß den Gesetzen über die Tötung „der alten Gesetzgeber“ Drakon und Solon die Tötung des bei der Tat ergriffenen nächtlichen Diebs, wohingegen bei einer gerichtlichen Klage wegen Diebstahls, wie sie Solon durch eine díkē klopḗs möglich gemacht hatte, im Falle einer Verurteilung nicht die Todesstrafe drohte, sondern Geldstrafen und eventuell eine zusätzliche Schandstrafe. Lykurgs Verweis auf die alten Gesetze über den Diebstahl, die den Tod angeordnet hätten, ist also irreführend, weil die Tötung nur als Eigenmacht gegenüber dem bei der Tat ergriffenen nächtlichen Dieb zugestanden war. Die Satzung Drakons befasste sich allein mit der Tötung. Da das drakontische Gesetz Bestimmungen darüber enthielt, unter welchen Bedingungen die Tötung des Ehebrechers, des nächtlichen Diebs, des Räubers usw. straffrei war, leiteten bereits antike Autoren daraus ab, dass Drakon all diese Delikte generell mit dem Tod geahndet wissen wollte und Solon diese Gesetze abrogiert und abgestufte, differenzierte Regelungen an deren Stelle gesetzt habe.106 Tatsächlich hat es drakontische Gesetze, die sich speziell mit dem Ehebruch, dem Diebstahl usw. beschäftigten, nicht gegeben. Auf Drakon geht allein ein Gesetz über die Tötung zurück.107 Dass im Jahre 409/8 die Ratsvorlage von der athenischen Volksversammlung angenommen wurde, „das Ge104  Plut. Solon 17,3. Vgl. Tzetzes Chiliades 5,342–351. 105  Lykurg. 65. 106  Die Quellen erwähnen neben den angeblich drakontischen Gesetzen über Ehebruch, Diebstahl und Untätigkeit weitere Bestimmungen Drakons über Eide und Bußen. Auch diese Bestimmungen können ohne weiteres in den Kontext des drakontischen Gesetzes über die Tötung integriert werden. So auch Humphreys 1991, 18: „References to an oath prescribed by Drakon, and to a payment of twenty oxen (eikosaboion), may have come from the homicide law“. Vielleicht sei die Buße von zwanzig Ochsen ein Wergeld für einen getöteten Sklaven. – Zu diesen weiteren Fragmenten drakontischer Gesetze vgl. außer Humphreys ebd. 18 f. noch Figueira 1993, 288–290. Zu weiteren Testimonia zu Drakon ebd. 299–304. 107  Dies hatte bereits Ruschenbusch 1960 vertreten (ebenso ders. 2010, 24–26): „Drakon (hat) in der Form des Blutrechts ein ganzes Deliktrecht gegeben“ (S. 151). Ebenso ders. in: Gnomon 46, 1974, 816 f. und mit ausführlicher Begründung Humphreys 1991. Zur Gegenposition s. o. Anm. 101.

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setz Drakons über die Tötung“ auf Stein meißeln zu lassen und vor der Stoa Basileia aufzustellen, spricht ebenfalls dafür, dass am Ende des 5. Jh. weitere Kenntnisse über die Gesetzgebung Drakons nicht vorlagen. Die athenischen Gerichtshöfe für Tötungsdelikte Die Regelungen Drakons über die nicht vorsätzliche Tötung ließ Solon in ihrer Substanz unangetastet, erweiterte das Tötungsrecht aber insofern, als er Verfahrenswege regelrechter Anklagen festlegte. Im Zuge dessen musste zusätzlich geregelt werden, bei welcher Institution Klage wegen vorsätzlicher Tötung einzureichen war und wer in diesen Verfahren entschied. Solon bestimmte, dass der Areopag darüber urteilen sollte (dikázein).108 Diese und die weiteren Festlegungen bildeten wiederum den Kern der „Gesetze über die Tötung vom Areopag“ in der revidierten Fassung vom Ende des 5. Jh. Es liegt nahe, diese grundlegende Systematisierung der Verfahrenswege Solon

108  Demosth. or. 23,22 (F 23a). Solon hat den Areopag also als weiteren Gerichtshof für Tötungen, nämlich für die vorsätzlichen Tötungen eingesetzt. In der Forschung überwiegt heute die Meinung, dass das Ephetengericht und nicht der Areopag der ältere Gerichtshof für Tötungsdelikte war, wobei Fälle vorsätzlicher Tötung erst später dem Areopag anvertraut worden waren (so etwa Gagarin 1981, 130; Raphael Sealey, The Athenian Courts for Homicide, in: CPh 78, 1983, 275–296). Die Thesen von Robert W. Wallace, dass schon seit der Zeit Drakons der Areopag über vorsätzliche Tötung entschieden und die Zahl der areopagitischen Richter 51 betragen habe, die mit den ephétai identisch gewesen seien, sind weitgehend auf Ablehnung gestoßen (1989, 8–28). Einige vertreten aber auch die Meinung, Drakon habe Kompetenzen vom älteren Areopag auf die von ihm neu bestellten ephétai übertragen und Solon habe die vorsätzliche Tötung an den Areopag zurückgegeben (Ernst Heitsch, Der Archon Basileus und die attischen Gerichtshöfe für Tötungsdelikte, in: Symposion 1985. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte [Ringberg, 24.–26. Juli 1985], hrsg. von Gerhard Thür, Köln/Wien 1989, 85 f.). Carawan 1998, 6–20 lehnt dies als nicht überzeugend ab. Er schlägt einen mehrstufigen Prozess vor: Einer seit alters bestehenden Instanz aus árchōn basileús und vier phylobasileís, die nach einem Eid- und Zeugnisverfahren einen Spruch fällten, alles weitere aber den Parteien überließen (freiwillige Flucht, Selbsthilfe oder außergerichtliche Einigung), habe Drakon eine aus Eupatriden bestellte größere Spruchkörperschaft von 51 ephétai an die Seite gestellt, die aber nicht über die Vorsätzlichkeit der Tat, sondern nur über die sich aus der Tat ergebenden Ansprüche entschieden. Nur in den Fällen, in denen keine Angehörigen des Opfers vorhanden waren, hätten die Epheten über den Vorsatz entschieden und Phratriemitglieder zur Herbeiführung einer Aussöhnung ausgewählt. Erst Solon habe dann dem Areopag das Urteil über die vorsätzliche Tötung übertragen. Damit habe die Polis in Fällen, in denen der Kläger dem Täter Vorsatz vorwarf und daher zu einer Aussöhnung nicht bereit war, die Hinrichtung des Täters und die Konfiskation des Besitzes in seine Hand genommen, um die Angehörigen des Opfers von einer Blutrache oder einer Ausweitung ihrer Entschädigungsansprüche abzuhalten. Bei den ephétai seien die Fälle verblieben, in denen es nur um die Ansprüche bei der Aussöhnung ging; diese Fälle seien im Palladion verhandelt worden. Da durch die Reformen Solons die Entscheidung über die Vorsätzlichkeit der Tat in den Vordergrund gerückt sei, hätte im Zuge dieser Reform ein spezieller Gerichtshof für die Fälle geschaffen werden müssen, in denen sich der Täter zwar zum Vorsatz bekannte, aber die Tat gerechtfertigt war. Diese Fälle berechtigter Tötung und in Erweiterung dessen auch die Fälle versehentlicher Tötung seien den ephétai im Delphinion zur Entscheidung übertragen worden. Auf einen Schuldspruch wäre wie beim Areopag die Hinrichtung durch die Polis erfolgt.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

zuzuschreiben. Im inschriftlichen Gesetzestext Drakons und in den dem Gesetz zuschreibbaren Fragmenten sind die Gerichtsorte – Palladion, Delphinion, in Phreato und Prytaneion – nicht belegt; stets ist allein von den ‚Entscheidenden‘, den 51 ephétai, die Rede. Es kann zwar als wahrscheinlich gelten, dass es sich beim Palladion, beim Delphinion und beim Gerichtsort ‚in Phreato‘ um traditionelle Gerichts- und Schwurstätten handelt, doch die feste Zuweisung der Fälle an diese Gerichtshöfe lässt sich für die Zeit Drakons nicht sichern.109 Die dann von Solon vorgenommene Systematisierung ist in Demosth. or. 23,65–81, in der Athenaion politeia, bei Pollux und bei Pausanias dargelegt (F 22a–e). Eingeleitet wurde fortan das Verfahren durch eine Klage, und zwar eine Privatklage (δίκη φόνου).110 Mit der Einführung von formell geregelten Rechtsverfahren hat Solon zwischen díkai, Privatklagen, und graphaí, Schriftklagen bzw. öffentlichen Klagen, unterschieden. Zwar waren Tötungsdelikte Handlungen, die das friedliche Zusammenleben der Gemeinschaft empfindlich störten, was eine graphḗ phónou gerechtfertigt hätte, doch Solon gab mit der ‚Privatklage‘ den Angehörigen des Opfers die Möglichkeit, die Ehre ihrer Familie insofern wieder herzustellen, als sie selbst das Verfahren gegen den Täter initiierten.111 Außerdem stellte sich Solon damit in die Tradition des drakontischen Gesetzes über die Blutrache, in dem Drakon festgeschrieben hatte, dass die Ankündigung der Blutrache durch die Angehörigen „bis zur Vetternschaft“ erfolgen sollte.112 Einzureichen war die Klage wegen Tötung beim (árchōn) basileús, unabhängig davon, ob es sich um vorsätzliche, nicht vorsätzliche oder versehentliche Tötung handelte. Um eine Befleckung heiliger Orte zu verhindern, verkündete der basileús den Ausschluss des Beklagten von bestimmten, durch Gesetz festgelegten Rechten.113 109  So auch Heitsch 1989, 74. Gerhard Thür hatte vorgeschlagen, dass es sich beim Delphinion und beim Palladion um altehrwürdige Schwurstätten handelt (Thür 1991, 53; ders. 2006, 52; zu beim Delphinion geleisteten Eiden vgl. Ps.-Demosth. or. 40,11; Is. 12,9). Wallace 1989, 9: „It was probably as a result of regulations by Drakon (or, possibly, Solon) that trials of the different types of homicide were delegated to particular shrines“. 110  Aristot. Ath. pol. 57,2. Auch nach Meinung von Carawan 1998, 91 gehörten die in Demosth. or. 23,22 und 28 eingelegten Gesetze zu einer Gesetzestafel mit späteren Änderungen: „The table was probably a Solonian preface or preamble to the Draconian laws: its provisions embody the changes that followed from Solon’s reforms“. 111  Die These von Mogens H. Hansen, dass es neben der díkē phónou auch eine (in Poll. 8,40 genannte) graphḗ phónou gegeben habe, ist auf allgemeine Ablehnung gestoßen (Mogens Herman Hansen, A Prosecution of Homicide in Athens: A Reply, in: GRBS 22, 1981, 11–30; Heitsch 1984a, 80; Thür 1990, 144; Todd 1993, 273; Tulin 1996; Ruschenbusch in: Gnomon 71, 1999, 165 f.; gegen eine graphḗ phónou war auch bereits Harold D. Evjen, Ἀπαγωγή and Athenian Homicide Procedures, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 38, 1970, 403–415, hier 414 f. eingetreten). 112  IG I3 104 Z. 20 f. 113  Aristot. Ath. pol. 57,2: λαγχάνονται δὲ καὶ αἱ τοῦ φόνου δίκαι πᾶσαι πρὸς τοῦτον [= βασιλέα], καὶ ὁ προαγορεύων εἴργεσθαι τῶν νομίμων οὖτός ἐστιν. – „Es gelangen alle Klagen wegen Tötung an ihn, und dieser ist es, der verkündet, dass [der Beklagte] von allen traditionellen Rechten ausgeschlossen wird.“ Die Wiedergabe im Text folgt der Übersetzung von M. Dreher. Zum Ausschluss aus heiligen Bezirken

Historische Einordnung – Gesetze über die Tötung (F 2–39)

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Dann wurden den unterschiedlichen Fällen die Gerichtshöfe zugewiesen. Dabei hat Solon den Klagen wegen vorsätzlicher Tötung solche wegen vorsätzlicher Körperverletzung (vermutlich mit Todesfolge114), wegen verabreichter Giftmittel und wegen Brandstiftung hinzugefügt. Die Athenaion politeia betont, dass allein über diese Fälle der Areopag urteilt.115 Dann folgen die übrigen Fälle von Tötungen, wobei die ephétai nicht explizit genannt sind, sondern „die beim Palladion“, „die beim Delphinion“ und „die in Phreato“ Urteilenden.116 Aber auch dabei sind Ergänzungen Solons gut möglich: So urteilen „die beim Palladion“ nicht nur „über unabsichtliche und veranlasste Tötungen“ von freien Athenern, sondern auch dann, „wenn einer einen Sklaven oder einen Metöken oder einen Fremden getötet hat“.117 Bei den verfahrensrechtlichen Regelungen wurden die Tötungsdelikte grundsätzlich von anderen Delikten getrennt, auch dies ein Erbe der drakontischen Satzung über die Blutrache. Wer entgegen Drakons Satzung den in Attika verbliebenen Täter misshandelte oder eine Bußleistung von ihm erpresste, gegen den konnte durch Solons Erweiterung des Gesetzes Klage erhoben werden. Da diese aber nur mit einer Tötung in Zusammenhang stand, selbst jedoch kein Tötungsdelikt darstellte, verwies Solon diese Klage – eine öffentliche Klage (graphḗ) – an die (h)ēliaía, ein aus Geschworenen bestehendes Gericht, das Solon eingerichtet hatte.118 Ebenso verfuhr Solon beim Ehebruch: Verfahren gegen denjenigen, der einen ergriffenen Ehebrecher getötet hatte, wurden beim Delphinion verhandelt. Wer aber in seinem Haus eine Person unrechtmäßig als Ehebrecher festsetzte, gegen den war eine Klage vor der (h)ēliaía möglich. Auch diese „Klage wegen unrechtmäßigen Festhaltens als Ehebrecher“ war eine Schriftklage (γραφὴ ἀδίκως εἱρθῆναι ὡς μοιχόν).119

siehe auch Antiph. Tetr. 1α 10; β 11; 2α 2 (εἴργοντας ὧν ὁ νόμος εἴργει τὸν ἀποκτείναντα – „verwehrt dem Täter [den Zutritt zu den Plätzen], die das Gesetz ihm verbietet“); 2γ 11 (εἴρξαντες ὧν ὁ νόμος εἴργει); 6,6 (αἱ προρρήσεις) und 6,35 f. Vgl. auch Plat. leg. 9,871a: τῶν νομίμων εἰργέσθω; 871b: προαγορεύων εἴργεσθαι. Rafał Matuszewski, Räume der Reputation. Zur bürgerlichen Kommunikation im Athen des 4. Jh. v. Chr., Stuttgart 2019, 56 geht davon aus, dass nach einer Tötung oder Desertion der Betreffende nicht von der gesamten Agora ausgeschlossen war, sondern nur von dem Teil, der durch Wasserbecken (perirrhantḗria) für die kultische Reinigung abgegrenzt war, also einem Bereich im Westen der Agora in der Nähe von Tholos und Bouleuterion. 114  So auch Rhodes 1981, 642 und Carlier 1984, 343 Anm. 106. Platon behandelt in seinen Tötungsgesetzen traúmata separat, an zweiter Stelle gleich nach den Tötungen (leg. 9,874e–879b). 115  Aristot. Ath. pol. 57,3; die Athenaion politeia verwendet das dikázein im Sinne von ‚entscheiden‘ analog zum diagnṓnai der ephétai in Drakons Gesetz. Vgl. Carlier 1984, 343 Anm. 108. 116  Aristot. Ath. pol. 57,3. Allein in 57,4 ist ἐφέται in einer Textlücke ergänzt, was durch die Gegenüberstellung zum Areopag sehr plausibel ist. 117  Das βουλεύσεως greift vermutlich das βουλεύσαντα des drakontischen Gesetzes auf. Zu Klagen im Fall eines getöteten Unfreien siehe F 14. Zu Fremden als Täter und Opfer bei Tötungsdelikten Emily Grace, Status Distinctions in the Draconian Law, in: Eirene 11, 1973, 5–30. 118  Aristot. pol. 2,12, 1274a 3–5; Ath. pol. 9,1; Plut. Solon 18,3–4. 119  Dazu Schmitz 1997, 79–85.

Thesmotheten / Elfmänner

εἰσάγει

Der wegen nicht vorsätzlicher Tötung aus Attika geflohene Täter wird einer vorsätzlichen Tat beschuldigt.

in Phreato (ἐν Φρεάτου δικάζουσιν)

Hinrichtung bei Eingeständnis; Verfahren, wenn der Täter nicht gesteht.

unbekannter Täter, Gegenstände und Tiere (ápsychoi und zṓoi)

Tötung ‚gemäß den Gesetzen‘ (κατὰ τοὺσ νόμουσ), beim Wettkampf, unterwegs, unerkannt im Krieg, des moichós

Delphinion (οἰ ἐπὶ Δελφινίῳ)

Prytaneion (basileus und phylobasileís)

eigenhändige unabsichtliche Tötung, Veranlassung (bouleúein) zur Tötung, auch bei Tötung eines Sklaven, Metöken und Fremden

Ausschluss des Täters von den Heiligtümern und der Agora

Ausschluss des Täters von den Heiligtümern; Verbot, die Agora zu betreten

Palladion (οἰ ἐπὶ Παλλαδίῳ)

Tötung aus Vorsatz (ek pronoías), Körperverletzung aus Vorsatz, Giftverabreichung (phármaka doús), Brandstiftung (pyrkaïá)

[ephétai] urteilen im Heiligtum und unter freiem Himmel

Täter betritt das Heiligtum und verteidigt sich (ἀπολογεῖναι)

Verfahren vor dem Areopag

120  Wenn ein Täter Orte betritt, von denen er durch Verkündung des basileús ausgeschlossen ist, oder ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrt ist.

B. Abführen (ἀπαγωγή) 120

Klage gegen unbekannten Täter (δράσων)

basileús

A. Privatklage basileús Areopag (díkē phónou) (λαγχάνειν) Verkündung des Ausschlusses von den nómima (προαγορεύων εἴργεσθαι τῶν νομίμων)

Die athenischen Gerichtshöfe für Tötungsdelikte (phonikoí nómoi)

124 Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Historische Einordnung – Gesetze über die Tötung (F 2–39)

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Mit der Einführung formalisierter Klagen ergab sich die paradoxe Situation, dass vor der Entscheidung des Areopags über die Vorsätzlichkeit der Tat und vor der Entscheidung der ephétai über die Nichtvorsätzlichkeit, Berechtigung und Unabsichtlichkeit einer Tötung entschieden werden musste, vor welchem Gerichtshof das Verfahren stattfinden sollte.121 Die drakontische Satzung über die Blutrache kannte nur die Entscheidung der ephétai, unabhängig von der Frage, wie die Tat zu qualifizieren war – und dies umfasste indirekt auch vorsätzliche Taten, wie die Bestimmung zeigt, dass die ephétai entscheiden sollten, wenn ein Täter, der sich von agoraí ephoríai und amphiktyonischen Wettkämpfen und Festen fernhielt, getötet wurde.122 Prinzipiell kommen für die Frage, ob nicht die Zuweisung eines Falles an einen bestimmten Gerichtshof einer Vorentscheidung über die Qualifizierung der Tat gleichkomme, drei Möglichkeiten in Betracht: Der Kläger beantragte die Überweisung seiner Klage an ein bestimmtes Gericht. Dann aber hätte es keine Verfahren wegen berechtigter oder versehentlicher Tötung gegeben. Welcher Kläger würde darauf klagen wollen? Konnte hingegen der Beschuldigte ein Verfahren vor einem bestimmten Gerichtshof fordern, hätte es keine Klagen wegen vorsätzlicher Tötung gegeben; jeder angeklagte Täter würde für sich eine unabsichtliche, berechtigte oder versehentliche Tötung reklamieren. Also wird es der (árchōn) basileús gewesen sein, der ja in allen Fällen die Klagen annahm123 und damit die Vorentscheidung über die Vorsätzlichkeit

121  Vgl. dazu Hans Julius Wolff, Beiträge zur Rechtsgeschichte Altgriechenlands und des hellenistisch-römischen Ägypten, Weimar 1961, 71: „Die Frühgeschichte des Areopag und der verschiedenen Ephetengerichte ist ein Geheimnis, das nie völlig gelüftet werden wird, es sei denn neue Quellen eröffnen uns bisher unbekannte Ausblicke“. Ähnlich Stroud 1968, 48: „The original relationship of the Ephetai and the Council of the Areopagus remains one of the most important unsolved problems in the constitutional history of Athens“. Möglicherweise wurden in klassischer Zeit die ephétai aus den Areopagiten oder den Geschworenen der Dikasterien bestellt (siehe dazu MacDowell 1963, 52–57; Gagarin 1981, 132–136; Edwin M. Carawan, Ἐφέται and Athenian Courts for Homicide in the Age of the Orators, in: CPh 86, 1991, 1–16; Carawan 1998, 14 f.; Stroud 1993, 213; Sealey 1994, 116 f.). 122  So zu Recht Heitsch 1989, 75, 83: „Für die alte Zeit jedoch, die für uns durch das inschriftlich erhaltene Gesetz repräsentiert wird, ist die Frage in dieser Form gegenstandslos. Damals wurde eine solche Qualifizierung erst durch das Urteil des zuständigen Gremiums vorgenommen. … In alter Zeit bedurfte es zur gerichtlichen Behandlung von Tötungsdelikten nach dem Willen des attischen Gesetzgebers nur eines einzigen Gremiums, und zwar aus dem einfachen Grund, weil es anläßlich der Tötung eines Bürgers durch einen Bürger in jedem Fall nur um die Frage gehen konnte, ob die Tat wirklich, wie der Täter gegebenenfalls behauptete, ohne Vorsatz begangen (oder gerechtfertigt gewesen) sei.“ So auch schon Ulrich Kahrstedt, Untersuchungen zu athenischen Behörden, in: Erich Berneker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, Darmstadt 1968, 197–223, 200 f., der die Entstehung des Areopags in die Zeit zwischen Drakon und Solon ansetzt (ebd. 203), und Canevaro 2013, 56. 123  So auch Carlier 1984, 343, 347 f. mit der Konsequenz: „Le choix du tribunal suppose déjà, de la part du roi, un jugement préliminaire sur l’affaire, que le verdict des juges, évidemment, peut fort bien contredire“. Rhodes 1981, 642 war hingegen der Ansicht gewesen, dass es vom Ankläger abhing, vor welches Gericht der Fall kam. Für die von Carlier vertretene Lösung spricht, dass Aristoteles in den Magna Moralia (1188b 29–38) von einem Fall berichtet, bei dem eine Frau einem Mann einen Liebestrank gab und der Mann daraufhin verstarb. Der Areopag verurteilte die Frau nicht, da sie nicht die Absicht gehabt hatte, den Mann zu töten. Carlier 1984, 347 Anm. 129 vermutet, dass der basileús den Fall vor den Areopag und

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

oder Nichtvorsätzlichkeit der Tat traf, die der eigentlichen Entscheidung von Areopag oder ephétai vorgriff. Entstanden ist diese Inkonsequenz im Verfahren durch die Rücksichtnahme auf die drakontische Satzung zur Blutrache, die noch keine formalisierte Klage kannte. Die Satzung, zumindest der erhaltene und rekonstruierbare Teil davon, schweigt sich darüber aus, wie das Verfahren eingeleitet wurde. Sinnvoll ließe sich die Widersprüchlichkeit auch dann erklären, wenn man die Schutzsuche in einem Heiligtum mitdenkt, auch wenn sie in Drakons und Solons Satzung nicht erwähnt ist. Wenn die Angehörigen des Opfers am Grab des Toten oder in der Volksversammlung die Blutrache ankündigten und nach einer Frist von wenigen Tagen mit der Verfolgung des Täters begannen – wohin sollte er sich wenden, wenn seine Tat eine nicht vorsätzliche, berechtigte oder versehentliche war? Es mag sein, dass er sich vor Ablauf der Frist an den amtierenden basileús wandte und um eine Entscheidung nachsuchte, wie denn die Tat zu qualifizieren sei. Es mag aber auch sein, dass sich der Täter innerhalb der Frist, die ihm bis zum Verlassen des Landes blieb, in ein bestimmtes Heiligtum flüchtete, in dem er zunächst vor dem Zugriff der Angehörigen sicher war und daraufhin ein Verfahren beim Palladion oder Delphinion eingeleitet wurde.124 Möglicherweise berief sich der Täter bei einer nicht vorsätzlichen, berechtigten oder versehentlichen Tat auf einen mythischen ‚Präzedenzfall‘ und schwor durch sein Handeln symbolisch einer Vorsätzlichkeit ab. Dies würde erklären, warum die Verfahren beim Palladion, beim Delphinion und ‚in Phreato‘ jeweils in oder bei Heiligtümern stattfanden, obwohl der Täter als befleckt galt und der basileús ihm vor der Entscheidung der ephétai gebot, keine Heiligtümer zu betreten. Erst für das Verfahren selbst begab sich der Täter zu dem Heiligtum. Hinsichtlich der Frage, wie oft solche Verfahren vor den ephétai und in oder bei Heiligtümern stattfanden, fehlen jegliche Quellen. Die erste Rede des Lysias ist im Verfahren gegen Euxitheos wegen vorsätzlicher Tötung des Eratosthenes gehalten worden; er verteidigte sich damit, dass er den Eratosthenes als Ehebrecher bei seiner Frau ergriffen und deswegen zu Recht getötet hatte. Wo das Verfahren stattfand, lässt sich aus der Rede nicht erschließen, doch der Sprecher redet das Gericht mit ‚Rat‘ (ὦ βουλή) an. Dies deutet eher darauf hin, dass der Areopag die urteilende Instanz nicht vor das Palladion gebracht hatte, weil er von vorsätzlicher Vergiftung ausging. Nach Aristot. Ath. pol. 57,3 und Poll. 8,117 war aber bei der Tötung und der Körperverletzung ausdrücklich die Vorsätzlichkeit genannt, bei der Brandstiftung und der Tötung durch Giftmittel hingegen nicht. 124  Sollte das epí (ἐπί) bei der Nennung der Gerichtshöfe so zu verstehen sein, dass das Verfahren „beim“, also außerhalb des Heiligtums stattfand, wohingegen Verfahren ‚in Phreato‘ innerhalb des Heiligtums durchgeführt wurden, bei denen sich aber der Täter von einem nicht verankerten und nicht durch einen Steg mit dem Land verbundenen Boot aus verteidigte? Vgl. Thür 2018, 31: „Depending on how the act of killing was classified (…), the basileus brought the trial to the courts, which were in the open, close to different sanctuaries“. Andreas Bagordo, Aristophanes fr. 590–674. Übersetzung und Kommentar (FrC 10,9), Heidelberg 2016, 85: „am Palladion heißt neben dem Athene-Tempel, in dem das der Legende nach von Troia mitgebrachte Bild der Pallas Athene – wohl die begehrteste Reliquie der antiken Welt – aufbewahrt wurde“.

Historische Einordnung – Gesetze über die Tötung (F 2–39)

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war und nicht die ephétai.125 Dem Kläger der 47. Rede des Demosthenes wird von den ‚Rechtskundigen‘ (ἐξηγηταί) abgeraten, gegen Euergos und Mnesibulos eine Klage wegen nicht vorsätzlicher Tötung einzureichen, da er mit der ums Leben gekommenen Amme nicht verwandt und sie nach der Freilassung auch nicht mehr seine Sklavin gewesen war. Die Klage hätte beim basileús eingereicht werden müssen, aber zu dem Verfahren kam es nicht.126 Die Klage gegen den (namentlich nicht bekannten) Choreuten, dessen Verteidigungsrede Antiphon schrieb, wird eine díkē phónou wegen phármaka gewesen sein und das Verfahren demnach vor dem Areopag stattgefunden haben.127 Eines der Chormitglieder war, nachdem er ein Getränk zu sich genommen hatte, verstorben. Dadurch dass Solon die Reglementierung der Blutrache durch Drakon zur Grundlage nahm, um darauf aufbauend genaue verfahrensrechtliche Schritte und insbesondere die Klagen festzuschreiben, erhielten viele Worte im Laufe der Zeit eine neue prozessrechtliche Bedeutung. Pheúgein wandelte sich von der ursprünglichen Bedeutung „(aus Attika) fliehen“ zu der in klassischer Zeit gängigen Bedeutung „angeklagt werden“.128 Im 5. und 4. Jh. konnte also der erste Satz des drakontischen Gesetzes verstanden werden im Sinne von „selbst wenn einer einen anderen nicht aus Vorsatz getötet hat, soll er angeklagt werden. Die basileís sollen urteilen, …“. Syndiṓkein im ursprünglichen Sinn von „gemeinsam verfolgen“ wird zu diṓkein im Sinne von „gerichtlich verfolgen, anklagen“. Auch epexérchomai kann gleichermaßen „verfolgen“ und „gerichtlich belangen, verklagen“ bedeuten. Ὁ διώκων ist im Recht der klassischen Zeit „der Kläger“, ὁ διωκόμενος „der Angeklagte“.129 Möglicherweise bietet die Doppeldeutigkeit des pheúgein im Sinne von „fliehen“ und „sich einem Verfahren 125  Lys. 1,1. Vielfach wird indes davon ausgegangen, es seien die ephétai im Delphinion gewesen, da dort die berechtigte Tötung des Ehebrechers verhandelt wurde (so z. B. Todd 1993, 276). Möglicherweise wurde der Fall aber auch vor dem Areopag verhandelt, weil der árchōn basileús die Berechtigung der Tötung für zweifelhaft hielt. 126  Demosth. or. 47,69–72. 127  Angeredet werden die Geschworenen mit ἄνδρες δικασταί (§ 1). 128  Phillips 2008, 50 f. hingegen versteht pheúgein bereits in IG I3 104 im Sinne von „he shall stand trial“ und syndiṓkein als „assist in prosecuting“. Wie David Phillips spricht sich David Mirhady (2008) dafür aus, das pheúgein nicht im Sinne von „(aus Attika) fliehen“ zu verstehen, sondern im Sinne von „angeklagt werden“. Er beruft sich auf Belegstellen aus Gerichtsreden des 4. Jh., insbesondere auf Demosth. or. 23,66, wo φεύγων und διώκων als Angeklagter und Kläger gegenübergestellt sind. Der Text im Gesetz Drakons folge der Reihenfolge von Anklage, Entscheid der basileís und Abstimmung der ephétai, auf die dann die Verhandlung um eine Aussöhnung mit den Angehörigen folge. Siehe dagegen Stroud 1968, 41. 129  Demosth. or. 47,70: δίωξις als „Anklage“ und gleichzeitig als Wiedergabe des συνδιώκειν im drakontischen Text; ἁλίσκομαι wandelt sich von „(den flüchtigen Täter) ergreifen“ (IG I3 104 Z. 25 f.: φόνο hέλοσ[ι, aber ohne weiteren Zusammenhang) zu „verurteilt werden“ (Demosth. or. 23,26: ἂν ἁλῷ, παθεῖν – … was er als Strafe „zu erleiden habe, wenn er verurteilt ist“). Vgl. or. 23,27 f. Ebenso Demosth. or. 23,29: τὸν ἑαλωκό᾿ τῇ ψήφῳ. Antiphon verwendet in seinen Tetralogien die Begriffe im Sinne der formalen Rechtsverfahren in klassischer Zeit (Tetr. 1α 2: Ἡμεῖς οἱ ἐπεξερχόμενοι τὸν φόνον … διώκομεν; 2β 9).

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

stellen“ eine Brücke in der Kontroverse um das Verständnis des Wortes. Man kann das pheúgein sowohl als „aus Attika fliehen“ als auch als „in ein Heiligtum fliehen“ verstehen, das einer Anrufung der basileís und der ephétai gleichkommt, wodurch ein Rechtsverfahren in Gang gesetzt wird, so dass in späterer Zeit „fliehen“ als „sich einem Verfahren stellen“ und damit „angeklagt werden“ verstanden werden konnte, so wie das diṓkein als „verfolgen“ des Täters in konkretem Sinne zu einem „anklagen“ werden konnte. Die Entwicklung von der Blutrache zum Verfahrensrecht lässt sich also auch begrifflich nachvollziehen. Tötung und Befleckung Die Zeugnisse antiker Autoren geben Hinweise darauf, dass eine Tötung die Befleckung des Täters bewirkte, von der er, wollte er in die Gemeinschaft reintegriert werden, gereinigt werden musste.130 Die Tötung hat aber nicht eo ipso eine Befleckung zur Folge, da in Gesetzen Solons ausdrücklich bezeugt ist, dass in bestimmten Fällen der Täter „rein an den Händen“ war (z. B. F 30, F 45):131 – die ‚altehrwürdige Satzung‘ gegen die Tyrannis (F 1) sah – nach der hier vorgelegten Rekonstruktion – vor, dass diejenigen, die sich zur Errichtung einer Tyrannis erhoben hatten, straflos getötet werden konnten, ihr Vermögen öffentlich und ein Zehntel der Göttin geweiht sein sollte. Wer jemanden, der eine Tyrannis errichtet hatte, tötete, sei rein an den Händen.132 Die Strafen und die Bestimmung über die in diesem Fall nicht eintretende Befleckung wurden später in das von Eukrates eingebrachte Gesetz von 336 v. Chr. aufgenommen.133 130  Grundlegend zum Zusammenhang von Befleckung und Tötungsdelikten Robert Parker, Miasma. Pollution and Purification in Early Greek Religion, Oxford 1983; Arnaoutoglou 1993 und Eck 2012 (zu Reinigungsriten 14–48). Zur Befleckung bei Tötungsdelikten Antiph. 5,11: τοῖς μὴ καθαροῖς τὰς χεῖρας. 131  Zur Befleckung als wesentliche Folge der schuldhaften Tötung und zu unterschiedlichen Standpunkten, inwieweit sakrale Vorstellungen das athenische Recht über die Tötung bestimmten: MacDowell 1963, 141–150; Ugo E. Paoli, Die Wissenschaft vom attischen Recht und ihren Möglichkeiten, in: Erich Berneker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, Darmstadt 1968, 42–45; Gagarin 1981, 164– 167; Parker 1983 (wie Anm. 130), 130–143; Garner 1987 (wie Anm. 91), 36; Humphreys 1991, 30 f.; Todd 1993, 272; Leão/Rhodes 2015, 32; Stephen C. Todd, Death and Religion in Athenian Law. Identifying Pollution?, in: Symposion 2015. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Coimbra, 1.–4. September 2015), hrsg. von Delfim F. Leão, Gerhard Thür, Wien 2016, 325–350, hier 326–336 und David D. Phillips, Notes on Pollution and Jurisdiction in Athenian Homicide Law: A Response to Stephen Todd, in: ebd. 351–364. Auch Ruschenbusch geht davon aus, dass es in der Zeit Drakons eine Vorstellung von Befleckung gab (2010, 36–37; 51). 132  And. 1,95 (F 94 Ruschenbusch; Leão/Rhodes): κατὰ γε τὸν Σόλωνος νόμον … ὁ ἀποκτείνας σε καθαρὸς τὰς χεῖρας ἔσται. Vgl. Lykurg. 124 zum Gesetz aus der Zeit kurz nach 404/3: καθαρὸν εἶναι. 133  IG II/III3 1,320 Z. 7–10 wonach derjenige, der eine Person tötet, die sich zur Errichtung einer Tyrannis erhebt oder eine Tyrannis mit einrichtet oder die Demokratie in Athen stürzt, unbefleckt sei (ὅσιος ἔστω). Nach dem Antrag des Demophantos von 410 konnte derjenige, der die demokratische Ordnung in Athen beseitigte, ungestraft getötet werden (And. 1,96: νηποινεὶ τεθνάτω). Ein Zehntel des

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– Drakon hat in seiner Satzung festgelegt, derjenige sei „bußlos umgekommen“ (νηποινεὶ τεθνάναι), der bei einem unrechten, gewaltsamen Angriff sofort getötet wurde (F 10). Die bußlose Tötung impliziert vermutlich, dass der Täter nicht als befleckt galt.134 Dasselbe wird auch für den gegolten haben, der im Krieg oder beim Sport versehentlich oder den Ehebrecher oder nächtlichen Dieb berechtigt getötet hatte (F 11–12).135 – Anders verhielt sich dies bei der nicht vorsätzlichen Tötung. Das in der Tradition Drakons und Solons stehende Gesetz sah eine Rückkehr nach einer Aussöhnung nur dann vor, wenn der Täter vorher „opfert, gereinigt wird und alles andere Erforderliche ausführt“.136 – Dass der Täter, der sich einer nicht vorsätzlichen Tötung schuldig gemacht hatte, als befleckt galt, war im Gesetz auch dezidiert ausgedrückt, denn Drakon habe festgelegt, dass der verurteilte Täter (ἀνδροφόνος) von geweihtem Wasser, von Opferspenden, von Opfergefäßen, von Heiligtümern und der Agora ausgeschlossen sei. Im Gegensatz dazu sei bei einer bußlosen Tötung der Täter „rein“.137 Da es sich hier ausdrücklich um den verurteilten Täter, den androphó­ nos, handelt, kann als wahrscheinlich gelten, dass der basileús den Ausschluss von heiligen Gegenständen und Opfern zusammen mit der Entscheidung der ephétai verkündete. – Einer der fünf attischen Gerichtshöfe, die mit Tötungsdelikten betraut waren, war das Gericht am Prytaneion. Dort wurden Klagen gegen den unbekannten Täter, gegen Tiere und Gegenstände geführt, die getötet hatten. Dass ein Verfahren auch gegen Tiere und Gegenstände geführt wurde, wird damit erklärt, dass eine Befleckung vorlag, die einer Reinigung bedurfte. Dafür spricht auch, dass die Gegenstände, die getötet hatten, nach Pollux über die Grenze geworfen wurden.138

konfiszierten Vermögens sollte der Göttin geweiht sein. Die Weihung eines Zehntels des Vermögens und das Verbot der Bestattung ist auch im Antityrannengesetz von Eretria vorgesehen (IG XII 9, 190). Der Täter, der einen Tyrannen tötet, sei „rein an den Händen“ (B Z. 11: καθαρὸς ἔστω χεῖρας). 134  S. u. Anm. 146. So auch Arnaoutoglou 1993, 127. 135  Demosth. or. 23,55: „Wer im Krieg,“ sagt das Gesetz, „ohne es zu wissen, einen anderen Mitbürger tötet,“ so solle auch dieser rein sein (‚ἂν ἐν πολέμῳ‘ φησὶν ‚ἀγνοήσας,‘ καὶ τοῦτον εἶναι καθαρόν). Das καὶ τοῦτον impliziert, dass dies auch für den davor genannten Fall gelte, bei dem jemand einen Gegner beim sportlichen Kampf getötet hatte. 136  F 15; Demosth. or. 23,72: καὶ θῦσαι καὶ καθαρθῆναι καὶ ἄλλ’ ἄττα διείρηκεν, ἃ χρὴ ποιεῖν. 137  F 16a; Demosth. or. 20,158 (καθαρὸν εἶναι). Zur prórrhēsis als Ausschluss von heiligen Handlungen und Gegenständen s. o. S. 97 Anm. 25, 122 f. Anm. 113 und Arnaoutoglou 1993, 115 f. 138  F 22e. Poll. 8,120. Wallace 1989, 26: „Yet, to avoid pollution, these things had to be tried“. Zu Tötungsdelikten, die vor dem Prytaneion verhandelt wurden, siehe Scheibelreiter 2019, 20–26. Auch das Verfahren ‚in Phreatto‘ wird als Beweis dafür gewertet, dass das Betreten attischen Landes als Befleckung angesehen wurde (so Jeremy McInerney, The Cattle of the Sun. Cows and Culture in the World of the Ancient Greeks, Princeton/Oxford 2010, 199 f.).

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Verfahren, die vom basileús eingebracht und von den ephétai entschieden wurden, fanden unter freiem Himmel statt,139 auch dies – wie die Forschung annimmt – weil der Täter als befleckt galt und ephétai und basileús nicht mit ihm unter einem Dach zusammenkommen wollten, um die Befleckung nicht auf sich zu ziehen.140 – Antiphon spricht im Zusammenhang mit der Bestrafung von ‚Mördern‘ ausdrücklich davon, dass mit der Bestrafung die heiligen Bezirke der Götter und die Stadt gereinigt werden.141 –

Diese Belege142 vermitteln das Bild, dass nicht jede Tötung die Befleckung des Täters mit sich brachte, sondern nur die vorsätzliche und die nicht vorsätzliche, nicht hingegen die berechtigte des Tyrannen, des abgewehrten Angreifers, des ergriffenen Ehebrechers oder des nächtlichen Diebs.143 Ilias Arnaoutoglou, der zur Bedeutung von ‚Befleckung‘ (μίασμα) im Kontext des athenischen Tötungsrechts und ihrer Funktion Stellung bezogen hat, wendet sich gegen die pollution doctrine, wonach das postulierte Konzept der Befleckung das der Gesetzgebung zugrundeliegende Prinzip darstellte und dementsprechend das Verfahrensrecht und die Strafbemessung beeinflusst habe.144 Nach der pollution doctrine habe zwischen Tötung und Befleckung eine kausale Beziehung bestanden, in der Form, dass jede Tötung eine Befleckung zur Folge gehabt hätte, nicht nur für den Täter selbst, sondern auch für die Stadt und ihre Bürger. Die Strafe zielte daher auf eine Reinigung der städtischen Gemeinschaft, in Form einer Separierung und möglichen Rückkehr nur nach einer Reinigung.145 Als Belege verweist Arnaoutoglou allein auf Demosth. or. 20,158 und or. 23,72; darüber hinaus gelte:

139  Antiph. 5,11; Otto Weinreich, Blutgerichte ἐν ὑπαίθρῳ, in: Hermes 56, 1921, 326–331 (= ders., Ausgewählte Schriften 1, Amsterdam 1969, 552–557); Garner 1987 (wie Anm. 91) 36. 140  F 22c: Aristot. Ath. pol. 57,4. Vgl. Demosth. or. 23,43: die Athener wollten mit blutbefleckten Personen (οὐ καθαροῖς οὖσιν) keinen Umgang pflegen müssen. 141  Antiph. Tetr. 1α 10–11; 1β 11; 2α 2; 2γ 11. Zu den Belegstellen in den Tetralogien Arnaoutoglou 1993, 131–134. Zu den Tetralogien insgesamt Edwin Carawan, The Tetralogies and Athenian Homicide Trials, in: AJPh 114, 1993, 239–270. Vgl. auch Plat. leg. 9,871a–b. 142  Zusammengestellt sind sie auch in Arnaoutoglou 1993, 115–118. 143  In den Hiketiden des Aischylos begaben sich die vor den Aigyptossöhnen fliehenden Danaostöchter in Argos unverzüglich als hikétai in ein Heiligtum. Vom Chor der Danaiden und vom alten Danaos wurde hervorgehoben, dass sie nicht wegen einer Blutschuld auf der Flucht waren (Aischyl. Suppl. 6 f.; 196). Die Gefahr, das Heiligtum zu beflecken, war also nicht gegeben. 144  Arnaoutoglou 1993. Vgl. Eck 2012, 89–129. 145  Arnaoutoglou 1993, 110 f. Neben Rache und Abschreckung sei die Reinigung die dritte Funktion, die der Strafe inhärent sei. In den homerischen Epen fehle ein Konzept von Befleckung noch, was jedoch nicht als Beweis dafür gewertet werden könne, dass entsprechende Vorstellungen noch nicht ausgebildet gewesen wären (Parker 1983, 130 ff.). Wiederaufgenommen ist die pollution doctrine erneut von McInerney 2010 (wie Anm. 138), 199–205 mit der These, dass ‚civic law‘ aus ‚religious law‘ entstanden sei. Siehe insbes. 199 f.: „The distinctions made between different types of homicide also point to a religious sensibility keenly attuned to the horror of pollution, and it is from this religious outlook that a legal sensibility emerges“. Das Gesetz Drakons sei ein „sacred law of homicide“ (200).

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In the Athenian legislation on homicide preserved in the inscription (IG I3 104) or prose texts there is no trace of the notion of pollution. In particular, there is no place where a statement about the status of the killer as μιαρὸς or not ὅσιος or a similar expression occurs, as happens for example in the case of tyrannicide.146

Arnaoutoglou schätzt den Stellenwert religiöser Befleckung im Tötungsrecht als gering ein, da darin eine religiöse Befleckung nie explizit genannt sei. Eine ganz ähnliche Meinung vertritt Bernard Eck, dem es in Anlehnung an eine Arbeit von Louis Moulinier um die Frage geht, ob eine nicht vorsätzliche, eine berechtigte oder versehentliche Tötung eine Befleckung zur Folge gehabt hätte. Aus der vorhandenen Überlieferung – der Inschrift IG I3 104, der 23. Rede des Demosthenes und weiteren Hinweisen auf das Gesetz aus klassischer Zeit – lasse sich eine religiöse Dimension nicht nachweisen; Drakons Gesetz sei ganz und gar säkular und auf die Lösung konkreter Probleme ausgerichtet.147 Allerdings kann – so ist einzuwenden – eine solche Befleckung als automatische Folge angesehen werden, so dass nur in den Ausnahmefällen vom Gesetzgeber explizit ausgeführt werden musste, dass z. B. bei der Tötung eines Tyrannen keine Befleckung vorliege. Das Gesetz in Demosth. or. 23,72 als gewohnheitsrechtlichen Brauch anzusehen, wie es Arnaoutoglou tut, überzeugt angesichts der oben genannten weiteren Belege für die Wendung „rein an den Händen“ nicht.148 Zuzustimmen ist Arnaoutoglou aber in der Hinsicht, dass die Befleckung nicht das wesentliche Element war, das eine Gesetzgebung induziert hat. Dass Befleckung keine genuin religiöse Kategorie war, geht daraus hervor, dass nicht jede Tötung als Bluttat eine Befleckung zur Folge hatte, sondern dies durch Gesetz geregelt war, dass der Täter in bestimmten Fällen rein an den Händen blieb, die aídesis allein mit den Angehörigen (ohne Einwirkung des basileús) vereinbart werden konnte und die Verfahren in Gegenwart des vermeintlich Befleckten in oder bei Heiligtümern stattfanden.149 Nach Ansicht von Arnaoutoglou geht es bei der Verkündung einer Befleckung in erster Linie um einen sozialen

146  Arnaoutoglou 1993, 114. Gesetzliche Regelungen zur Reinigung bei Tötungsdelikten sind aus Kyrene, Kleonai und dem hellenistischen Kreta überliefert (SEG 9, 72 Z. 133–141; Parker 1983 350 f.; LSS 115; Kleonai: LSCG 56,4–6; Kreta: LSS 112). Zur Vorstellung von Befleckung in klassischer Zeit Aischyl. Ag. 1645; Choeph. 1028; Eum. 169.281; Soph. OT 97.1012; Eur. Hipp. 35. 1447–51. Im König Ödipus verflucht Ödipus den Täter, der seinen Vater getötet hatte, verbietet, mit ihm Umgang zu pflegen, und schließt ihn von Gebeten, Opfern und geweihtem Wasser aus (Soph. OT 236–240). 147  Eck 2012, 216–225 nach Louis Moulinier, Le pur et l’impur dans la pensée des Grecs d’Homère à Aristote, Paris 1952. 148  Arnaoutoglou 1993, 115. 149  Zu den Argumenten Arnaoutoglou 1993, 118–120, mit dem Fazit: „All the references to pollution, or even where it is implied, are concentrated either on the procedural rules or occur in myths or literature (tragedies, epic, etc.) but not in any text of substantive or procedural law on homicide.“ Dem steht allerdings And. 1,95 („rein an den Händen“) entgegen.

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Ausschluss des Täters aus der Gemeinschaft, um eine Art ‚sozialer Tod‘.150 Ebenso wie Robert Parker sieht er Befleckung als „an expression of a social deregulation“;151 sie sei aber kein Bestandteil der gesetzlichen Strafe.152 In der Tat fehlen hinreichende Belege dafür, dass alles säkulare Recht aus dem sakralen Recht erwuchs und die Furcht vor Befleckung ein starkes Movens für die Verschriftung des Rechts war. Trotzdem ist sie bereits in den frühesten attischen Gesetzen berücksichtigt und zwar in aller Regel in der Form, dass in bestimmten Fällen von Tötung eine Befleckung nicht vorlag beziehungsweise nach Befleckung infolge einer nicht vorsätzlichen Tötung eine Reinigung vollzogen werden musste, um in die Gemeinschaft zurückkehren zu können.153 Literatur Lipsius 1905–1915, 121–133; 600–619; Hubert J. Treston, Poine. A Study in Ancient Greek Blood-Vengeance, London etc. 1923, 191–242; Bonner/Smith 1930–38, Bd. 2, 192–231; Charles Hignett, A History of the Athenian Constitution to the End of the Fifth Century B. C., Oxford, 1952, 305–311; Eberhard Ruschenbusch, Φόνος. Zum Recht Drakons und seiner Bedeutung für das Werden des athenischen Staates, in: Historia 9, 1960, 148–151; Douglas M. MacDowell, Athenian Homicide Law in the Age of the Orators, Manchester 1963; Ronald S. Stroud, Drakon’s Law on Homicide, Berkeley etc. 1968; Eva Cantarella, L’omicidio legittimo e l’uccisione del μοιχός nel diritto attico,

150  Arnaoutoglou 1993, 121 f. Für ein in dieser Hinsicht eingeschränktes Konzept von Befleckung waren auch Bonner/Smith 1932, 2,200, MacDowell 1963, 150 und Karabelias 1991, 113 und 118 eingetreten; vgl. Garner 1987, 36–38. Ausführlich ist dieses Konzept von Parker 1983, 104–143 dargelegt worden. 151  Arnaoutoglou 1993, 122. 152  So auch Trevor J. Saunders, Plato’s Penal Code, Oxford 1991, 65: „Yet pollution is not in itself a penalty. To an offender pollution is no doubt a disagreeable consequence of an offence; but not all dis­ agreeable consequences are punishments“. 153  In etwa diesem Sinne urteilt auch Arnaoutoglou 1993, 127: „In the case of justified homicide the lack of punishment and the licence to kill, as it is legislated by the city, lead to the lack of pollution … There is no pollution since the murder in such circumstances [scil. der berechtigten Tötung] is accept­able by society“. Und 131: „Cleansing is not a feature of the penalty on homicide, and it is not a remarkable particularity of the Athenian homicide law … The penalties inflicted, especially in the case of homicide, serve above all the purposes of vengeance and deterrence“. Pollution sei „an external, socially imposed confinement“ (133). Dies deckt sich in Grundzügen mit der von Bernard Eck vertretenen Ansicht, dass das Gesetz Drakons rein säkularen Charakters sei und Aspekte sozialer Praktiken eines Ausschlusses zeige. Auch in den in Demosth. or. 23 eingelegten Gesetzen begegne die Vorstellung einer Befleckung nicht (trotz F 15) (Eck 2012, 220 f., 223). Kritisch hat dazu Irene Salvo Stellung bezogen: „It was irrelevant to classical Athenian homicide laws and, even in Attic tragedies, pollution was not systematically linked to homicide. I think that this conclusion overemphasizes the limits of the existing evidence and tends to consider the domain of law as completely separate from religion, whereas they were, in fact, interconnected“ (BMCR 2013.02.06). In einer Inschrift aus Selinus sind Vorschriften für eine Reinigung festgelegt, wahrscheinlich in einem Fall von Tötung (Michael H. Jameson, David R. Jordan, Roy D. Kotansky, A Lex Sacra from Selinous, Durham/NC 1993; siehe dazu auch Michael H. Jameson, Theoxenia, in: Robin Hägg [Hrsg.], Ancient Greek Cult Practice from the Epigraphical Evidence, Stockholm 1994, 35–57 [wiederabgedruckt in: Michael H. Jameson, Cults and Rites in Ancient Greece. Essays on Religion and Society, Cambridge 2014, 145–176, hier 156–159]).

Historische Einordnung – Gesetze über die Tötung (F 2–39)

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

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II 1 Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18) Die Inschrift mit dem fragmentarisch erhaltenen Text der Satzung ist als wichtigstes Dokument an den Anfang gestellt. Die weiteren Fragmente und Belege folgen in der Reihenfolge dem inschriftlich erhaltenen Text. F 2 Die inschriftliche Neuaufzeichnung der Satzung im Jahr 409/8 (F 2: T 384 Martina; F 5a, 18a, 19a Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 2: Inscriptiones Graecae I3 104 (409/8 v. Chr.) Erstedition: K. S. Pittakis in: Eph. Arch. 1842, 528–530 Nr. 886; verbesserte Lesungen bei A. R. Rangabé in: Antiquités Helléniques 1, Athen 1842, 343–345 und U. Köhler in: Hermes 2, 1867, 27–36 sowie Stroud 1968, 5 f. Weitere Editionen und Übersetzungen: IG I 61; IG I2 115; SEG 42,19; 45,10; 58,50; 59,54; 60,89; 61,52; 62,6.1833.1889; 64,40; Tod I2 87; Meiggs-Lewis GHI2 86; HGIÜ I 145 (dt.); Koerner 1993, 27–41 Nr. 11 (deutsche Übersetzung mit Kommentar); Nomima I 16–23 Nr. 2; Matthew Dillon, Lynda Garland, Ancient Greece. Social and Historical Documents from Archaic Times to the Death of Socrates (c. 800–399 B. C.), London – New York 1994, 62–64; Tulin 1996, 7 f.; Ilias Arnaoutoglou, Ancient Greek Laws. A Sourcebook, London – New York 1998, 71–74 Nr. 63; Phillips 2013, 52–54 (englische Übersetzung). Zu weiteren Editionen siehe Stroud 1968, 1 Anm. 1. Oberer Teil einer Marmorstele, 1843 beim Bau der Metropolitankirche in Athen entdeckt; heute im Epigraphischen Museum Athen. Text des 409/8 v. Chr. in der Volksversammlung auf Antrag des Rats gefassten Beschlusses, das „Gesetz Drakons über die Tötung“ (aus dem Jahre 621/20 v. Chr.) auf Stein meißeln und auf der Agora aufstellen zu lassen. Die Inschrift stammt also aus der Zeit unmittelbar nach Wiederherstellung der Demokratie.154 Attische Schrift, von Z. 3 an stoichedon gesetzt (Z. 1–2, 10 sowie 56 sind hervorgehoben), mit 50 Zeichen pro Zeile. Der Text folgt der Edition von Stroud 1968, 5 f. und IG I3 104.

154  Die Datierung in das Jahr 409/8 ist durch das in Z. 2 genannte Archontat des Diokles gesichert. Dieser Archont ist auch in IG I3 474 Z. 5–6, Lys. 21,2 und Diod. 13,54,1 belegt (vgl. Stroud 1968, 19). Nach Lys. 30,2–5 gehörte Nikomachos zu den anagrapheís, die nach dem Sturz der Oligarchie die Gesetze Solons neu aufzeichnen sollten.

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Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

Διόγν[ε]τος Φρεάρριος ἐγραμμάτε[υε·] Διοκλες� ε \ρχε· ἔδοχσεν τει� βουλει� καὶ το�ι δέμοι. Ἀκα[μ]αντ̣ὶς ἐπ[ρ]υ̣τάνευε· [Δ]ι ̣ό[γ]νετος ἐγραμμάτευε· Εὐθύδικος [ἐ]πεστάτε, [..]ε[…]άνες εἶπε· τὸ[ν] |5 Δράκοντος νόμον τὸμ περὶ το� φό[ν]ο ἀναγρα[φ]σά[ν]τον οἱ ἀναγραφε-� ς το�ν νόμον παραλαβόντες παρὰ το� β̣[α]σ̣[ι]λ̣έ[ος με]τ[ὰ το� γραμμ]ατέος τες� βουλες� ἐστέλει λιθίνει καὶ κα[τ]α[θ]έντ[ον πρόσ]θε[ν] τες� στοᾶς τες� βασιλείας· οἱ δὲ πολεταὶ ἀπ̣ομι[σθο]σ[άντον κατὰ τὸν ν]όμον· οἱ δὲ ἑλλενοταμίαι δόντον τὸ ἀρ̣[γ]ύ[ρ]ι[ον]. vacat |10 προ�τος ἄχσον. καὶ ἐὰμ μὲ ’κ [π]ρονοί[α]ς [κ]τ[ένει τίς τινα, φεύγ]ε[ν· δ]ικάζεν δὲ τὸς βασιλέας αἴτι ̣ο[ν] φόν̣[ο] Ε[.........17........]Ε [β]ολ- εύσαντα· τὸς δὲ ἐφέτας διαγν[ο�]ν̣[α]ι ̣. [αἰδέσασθαι δ’ ἐὰμ μὲν πατὲ]ρ ε \- ι ἒ ἀδελφὸ[ς] ἒ hυες� , hάπαντ[α]ς ἒ τὸν κ̣ο[λύοντα κρατεν� · ἐὰν δὲ μὲ] ḥοῦ|15τοι ο\σι ̣, μέχρ’ ἀνεφ[σι]ότετος καὶ ̣ [ἀνεφσιο�, ἐὰν hάπαντες αἰδέσ]α̣σθαι ἐθέλοσι, τὸν κο[λύ]οντ̣α [κ]ρα[τεν� · ἐὰν δὲ τούτον μεδὲ hες� ε \ι, κτ]ένει δὲ ἄκο[ν], γνο�σι δὲ hοι ̣ [πε]ντ[έκοντα καὶ hες� hοι ἐφέται ἄκοντ]α̣ κτεν� αι, ἐσέσθ[ο]ν δὲ ḥ[οι φ]ρ[άτορες ἐὰν ἐθέλοσι δέκα· τούτος δ]ὲ ḥο̣ι πεντέκο[ν]τ[α καὶ] hες� ἀρ[ι]στ̣[ίνδεν hαιρέσθον. καὶ hοι δὲ πρ]ότε[ρ]|20ον κτέ[ν]α[ντ]ε[ς ἐν] το�[ιδε το�ι θεσμο�ι ἐνεχέσθον. προειπεν� δ]ὲ το�ι κτέν̣α̣ν[̣ τι ἐν ἀ]γορ̣[ᾶι μέχρ’ ἀνεφσιότετος καὶ ἀνεφσιο�· συνδιόκ]εν δὲ [κ]ἀνεφσ[ιὸς καὶ ἀνεφσιο�ν παῖδας καὶ γαμβρὸς καὶ πενθερὸ]ς καὶ φρ̣[ά]τ[ο]ρ[ας ..................36..................] αἴτιος [ε \ι] φό[νο .............26.............τὸς πεντέκοντ]α κα̣ὶ |25 h[ένα .....................42.....................] φόνο hέλ̣οσ[ι ..................35................. ἐὰν δ]έ [τ]ις τὸ[ν ἀν]δ̣ρ̣[οφόνον κτένει ἒ αἴτιος ε \ι φόνο, ἀπεχόμενον ἀγορᾶ]ς ἐφο- ρί[α]ς κ̣[α]ὶ [ἄθλον καὶ hιερο�ν Ἀμφικτυονικο�ν, hόσπερ τὸν Ἀθεν]αῖον κ̣[τένα]ν̣[τα, ἐν τοῖς αὐτοῖς ἐνέχεσθαι· διαγιγνόσκεν δὲ τὸς] ἐ[φ]έτα[ς]. |30 … Ε̣....................39....................τ̣ει ἑμεδ̣- [απει� ...................41...................ΟΝΑΤ. .....................45.....................Ạ Ν̣ Ạ.. Ν̣ [....................39....................ἄρχον]τ̣α χερ̣- ο͂ν̣ ἀ[δίκον ...............30...............χερ]ο͂ν ἀδίκον κ|35τέ[νει....7…]Σ̣[..........19.........διαγιγνόσκ]εν̣ δὲ τὸς ἐ[φέτ]ας ..................36..................ΕΙΣΕ ἐλεύθε[ρ]ος ε \ι ̣. κ̣α̣[ὶ ἐὰν φέροντα ἒ ἄγοντα βίαι ἀδίκος εὐθὺς] ἀ̣μυνόμενο- ς κτέ[ν]ει, ν̣[εποινὲ τεθνάναι ..........19.........]Σ̣ΕΧΟΝΤΟΒ․ ΙΑΝ..Λ̣[..................35.................τ]ὲν ἀ̣πόστα̣|40σιν ΤΟ..................37...................ΕΣ δεκατε-̣� [ς] ΤΟ..Ι..................37...................Ε ΔΕΚΑ.. ....................43....................ΕẠΚΥΡ̣.. .....................44....................ΟΜΝΥ̣ Μ. .....................44....................ΟΣ̣ΕΛ̣.. |45… Φ...................41...................Ν..ΝΗ

F 4/5 F6

F7 F8 F 10a

F 10b

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

.......................47.....................ΟΙΠ ..ΕΝ․․Η...................39....................ΑΝ̣ Ạ Ε … Κ....................42...................Ι̣ΗΕΚ …5..Ρ...................39....................Λ..Ο̣ Α |50......................46.....................Υ․ΙΤ̣ Ο̣ ......................46.....................Ο̣ .. ......................45.................... Π̣ ΙΘ̣ Ε․ .......................48......................Ι̣Ε̣ ....7… Ο̣ ..................37...................Ι․Ο̣ .. |55 …6… Σ̣ΝΙ̣ – – – – [δεύτ]ε̣ρος ̣ [ἄχσον]· ................c.32...............ΣΕΝ̣ ․ ....8....Ạ...................41................... vestigia App. crit.: Z. 4 [Ἀθ]ε[νοφ] ά̣νες U. Köhler, [Χσ]ε[νοφά]νες A. Kirchhoff, IG I 61, auch andere Namen kommen in Frage; Z. 10 πρôτος ἄχσον in größeren Buchstaben und mit Abstand zur nächsten Zeile; Z. 12 ε[ναι εἴτε αὐτόχερ εἴτ]ε [β]ολεύ|σαντα Ruschenbusch, ἒ [τὸν αὐτόχερα ἒ τὸν βου]λεύ|σαντα H. J. Wolff, Traditio 4, 1946, ε[ἲτε τὸν αὐτόχερα εἲτ]ε [β]ολ|εύσαντα Stroud 1968, 47, ε \[ναι ἒ χειρὶ ἀράμενον] ἒ Thür 1990, 152, Thür 2018, 33 f. cf. Antiph. 6,16; Z. 13–23 ergänzt aus F 6a; in Z. 14 wäre wegen des Plurals hυες� auch ἀδελφὸ[ι] möglich, doch Demosth. or. 43,57 (F 6a) gibt ebenfalls den Singular ἀδελφὸ[ς]; Z. 21 μέχρ᾽ statt ἐντός da stoichedon Stroud 1968, 52; Z. 26–29 ergänzt aus F 7, Z. 37–38 aus F 10; Z. 36 ἐ|φ[έ]τας Ruschenbusch (nach Foto).

Diognetos aus (dem Demos) Phrearrhioi war Schriftführer. Diokles war Archon. Beschlossen haben der Rat und das Volk. (Die Phyle) Akamantis hatte die Prytanie inne, Diognetos war Schriftführer, Euthydikos war Vorsitzender, [..]e[… ph]anes stellte den Antrag: Das |5 Gesetz (nómos) Drakons über die Tötung sollen die anagrapheís, nachdem sie es sich von den Gesetzen (nómoi) beim basileús haben aushändigen lassen, zusammen mit dem Schriftführer des Rats (boulḗ) aufschreiben lassen auf einer Stele aus Marmor und (sie) aufstellen lassen vor der stoá basileía. Die pōlētaí sollen den Auftrag vergeben entsprechend dem Gesetz; die hellēnotamíai sollen den Geldbetrag zur Verfügung stellen. |10 Erster áxōn: Auch wenn jemand einen anderen nicht aus Vorsatz tötet, soll er fliehen (= außer Landes gehen). Richten (dikázein) sollen die basileís den an der Tötung Schuldigen, der entweder [mit eigener Hand] oder dies beschließend (= veranlassend) getötet hat; die ephétai sollen entscheiden (diagnṓnai). Sich (mit dem Täter) aussöhnen sollen, wenn der Vater (noch) lebt oder der Bruder oder die Söhne, alle zusammen; andernfalls soll derjenige obsiegen, der (die Aussöhnung) verweigert. Wenn diese nicht (mehr) |15 leben, dann die bis hin zur Vetternschaft, und zwar bis zum Vetter, wenn alle sich aussöhnen wollen; andernfalls soll der obsiegen, der (die Aussöhnung) verweigert. Wenn aber auch von diesen nicht einer (mehr) lebt und er (der Täter) ohne (feste) Absicht (ákōn) getötet hat und die Einundfünfzig, die ephétai, darauf erkannt haben (gnṓnai), dass er ohne (feste) Absicht (ákōn) getötet hat, dann sollen ihn die phrátores wieder (in das Land) einlassen, wenn zehn es wollen. Diese sollen die Einundfünfzig ihrer Würdigkeit nach (aristíndēn) wählen. Und auch diejenigen, die früher |20 getötet haben, sollen unter diese Satzung (thesmós) fallen. Dem, der getötet hat, sollen (die Verfolgung) in der agorá ankündigen (proeipeín) (die Verwandten des Opfers) bis hin zur Vet-

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ternschaft, und zwar bis zum Vetter. An der Verfolgung teilnehmen (syndiṓkein) sollen auch Vettern und Vetternsöhne, Schwiegersöhne, Schwiegerväter und phrátores. … schuldig ist an der Tötung … die Einund|25fünfzig … [wenn sie einen] der Tötung |26–29 überführt haben … Wenn jemand den Täter (androphónos) (eigenhändig) tötet oder an dessen Tötung Schuld trägt, obwohl er sich von agoraí ephóriai, von Wettkämpfen und Festen der Amphiktyonen fernhielt, so soll er unter dieselben Bestimmungen fallen, wie wenn er einen Athener getötet hätte. Entscheiden (diagignṓskein) aber sollen die ephétai. … auf heimischem Boden … |33–38 … (wer einen, der) unrechtmäßig Hand anzulegen begonnen hat, … (jemand) einen, der unrechtmäßig Hand (angelegt hat), tötet, (so soll der bußlos getötet sein) … Entscheiden (diagignṓskein) aber sollen die ephétai … ein Freier ist. Auch wenn (jemand) einen, der mit Gewalt und unrechtmäßig wegträgt oder wegführt, sofort bei der Abwehr tötet, dann soll er (der Getötete) bußlos getötet sein … (17 Zeilen weitgehend unlesbar)

|56 Zweiter [áxōn: –] (weitere Spuren)

Der erste Teil der Inschrift (Z. 1–9) gibt Auskunft über die athenischen Amtsträger und Institutionen, unter denen die Gültigkeit von „Drakons Gesetz über die Tötung“ (Z. 5) im Jahre 409/8 v. Chr. durch erneute Publikation des Textes bekräftigt wurde.155 Weil es im archaischen Griechenland keine begriffliche Differenzierung zwischen verschiedenen Tötungsdelikten gab (wie sie etwa das deutsche Strafrecht mit ‚Totschlag‘ und ‚Mord‘ vornimmt), wird jede Tötung als phónos bezeichnet.156 Gemäß dem Antrag (Z. 4–9) wurde das Gesetz auf eine Marmorstele geschrieben und diese vor der Stoa Basileia, also an der Nordostecke der Athener Agora, aufgestellt.157 Z. 6 lässt darauf schließen, dass dem (árchon) basileús das drakontische Gesetz im Wortlaut vorlag, so dass der Inschriftentext ab Z. 10 auf Drakon zurückgeführt werden kann. Wenn der Text auf der Marmorstele geändert, gekürzt oder nur in Auswahl hätte verzeichnet werden sollen, wäre zu erwarten, dass der Antragsteller dies explizit ausgeführt hätte. Die Präambel spricht also dafür, dass das Gesetz vollständig und im originalen Wortlaut neu aufgezeichnet und publiziert wurde.

155  Zur Verwendung der Begriffe thesmós und nómos in Gesetzestext und Präambel vgl. F 3. Auch nach der Wiederherstellung der Demokratie im Jahr 404/3 wurde die drakontische Satzung als ein zentraler Bestandteil der athenischen Rechtsordnung angesehen (And. 1,81). 156  Welwei 1992, 139. 157  Zur Lage der am Ende des 6. Jh. errichteten Stoa Basileios Paus. 1,3,1; Carlier 1984, 350–353; Julia L. Shear, Polis and Revolution. Responding to Oligarchy in Classical Athens, Cambridge 2011, 72 f., 104. Auch die am Ende des 5. Jh. revidierten Gesetze Solons wurden in der Stoa Basileia aufgestellt (And. 1,82.85 mit Carlier ebd. 351; Homer A. Thompson, Richard E. Wycherley, The Agora of Athens [The Athenian Agora 14], Princeton N. J. 1972, 83–90). In klassischer Zeit wurden dort die Klagen bei Tötungsdelikten eingereicht und fanden die Voruntersuchungen, prodikasíai, statt (Antiph. 6,38.42; Plat. Euthyphr. 2a; vgl. Theait. 210d; Sitzungen des Areopags in der Stoa Basileia nennt Demosth. or. 25,23). Nach Phot. und Suda s. v. wurden die prodikasíai im Prytaneion durchgeführt.

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Die Zeilen 10 und 56 belegen, dass die frühere Einteilung nach áxones beibehalten wurde – vielleicht jetzt mit einer Zählung versehen –, obwohl das Gesetz 409/8 v. Chr. auf einer einzigen Marmorstele neu aufgezeichnet wurde. Nach Eberhard Ruschenbusch hatte jeder áxōn rund 2300 Buchstaben.158 Da es sich nach dem Präskript bei der Neupublikation um eine marmorne Stele handelt, wird der Text vermutlich zwei, allenfalls drei oder vier áxones umfasst haben, so dass die Stele ursprünglich ca. 1,70 m (bei zwei áxones) oder 2,30 m (bei drei áxones) hoch war.159 Áxones waren nach antiken Angaben (siehe Testimonia) viereckige, hölzerne und vertikal oder horizontal drehbare ‚Achsen‘. Da Solon im Rahmen seines Gesetzes über die Tötung, nämlich in einer Bestimmung über die zulässige Tötung und das Verbot der Misshandlung des nicht aus Attika geflohenen Täters, auf „den áxōn“ des drakontischen Gesetzes verweist (F 8a und 33a), ist denkbar, dass Drakons Gesetz ursprünglich nur auf einer ‚Achse‘ veröffentlicht worden war und mit „erster áxōn“ und „zweiter áxōn“ auf der Inschrift von 409/8 zwei Seitenflächen des drehbaren Achsbalkens gemeint waren. Der praktischen Anwendung des Gesetzes Drakons dienten, neben der Aufstellung an einem öffentlichen Ort und der inhaltlichen Gliederung nach áxones, auch sprachliche Mittel, welche das Verständnis der Bestimmungen erleichtern sollten.160 Auch die nichttechnische Sprache und das geringe Maß an ausdifferenzierten Definitionen der Delikte sprechen dafür. In den Z. 11–13, 13–14, 16–19 sowie 26–29 weisen Subjekte und Verben eine chiastische Anordnung auf.161 Außerdem steht am Anfang der Bestimmungen in den Z. 11, 13, 20 sowie 21 jeweils ein Infinitiv, gefolgt von einem dé, um den imperativen Charakter der Sätze zu unterstreichen.162 Und schließlich wiederholen sich Formulierungen wie τὸν κο[λύ]οντ̣α [κ]ρα[τεν� in den Z. 14 und 16. Der eigentliche Gesetzestext beginnt mit einem kaí (Z. 11), dessen Bedeutung in der Forschung kontrovers diskutiert wird. Grundsätzlich lassen sich zwei Positionen unterscheiden: Entweder wird kaí konnektiv als „und“ verstanden, so dass davor ein Textbestandteil verloren gegangen oder entfallen ist; oder kaí ist im adverbialen Sinne zu verstehen, in der Bedeutung „auch“. Folgt man der ersten Deutung, so wäre – unter der Voraussetzung, dass der Gesetzestext systematisch aufgebaut ist – eine Bestimmung über die vorsätzliche Tötung zu ergänzen, die, nach Ansicht von Eberhard Ruschenbusch, bei der Neuaufzeichnung des Gesetzes entfallen ist, weil die Strafe für die 158  Ruschenbusch 2010, 33. In Ruschenbusch 1966, 25 ist der Autor noch von 1300 Buchstaben, also einer Teubnerseite, ausgegangen. Korrigiert wurde dies von Stroud 1968, 60. 159  Stroud 1968, 31 f., 58–60. 160  Speziell für das Gesetz Drakons zeigt dies Gagarin 2008, 98–100. Siehe auch ders. 2003, 124 f. Zur Verschriftung von Gesetzen und deren Archivierung siehe Rosalind Thomas, Oral Tradition and Written Records in Classical Athens, Cambridge 1989 und Sickinger 1999, 10–24. 161  So beginnt die Bestimmung in Z. 11–13 mit δικάζειν δὲ τοὺς βασιλέας und endet mit τοὺς δὲ ἐφέτας διαγνῶναι (Verb, Subjekt – Subjekt, Verb), vgl. Gagarin 2008, 100. 162  Heitsch 1984b, 9; Gagarin 2008, 100.

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vorsätzliche Tötung zwischen dem späten 7. und dem späten 5. Jh. verändert, nämlich durch die Anordnung der Todesstrafe verschärft worden ist (siehe dazu S. 103 f.).163 Folgt man der zweiten Annahme, kann das kaí am Textanfang so verstanden werden, dass Drakon im ersten Satz die vorsätzliche Tötung implizit mitgeregelt hat, im Sinne von: „(Wenn jemand vorsätzlich) und auch wenn jemand nicht vorsätzlich tötet, soll …“.164 Warum aber hätte Drakon, nur um im Gesetzestext wenige Worte zu sparen, die vorsätzliche Tötung nicht explizit nennen sollen, zumal bei einer impliziten Regelung Missverständnisse darüber hätten aufkommen können, ob die angeratene Aussöhnung ebenfalls für die vorsätzliche und die nicht vorsätzliche Tötung gelten sollte oder nicht. Dies gilt auch für die Frage, ob der ins Exil geflohene Täter sowohl bei der nicht vorsätzlichen als auch bei der vorsätzlichen Tat durch Drakons Gesetz vor Repressalien geschützt war (siehe dazu F 7). Eine plausible Lösung ergibt sich dann, wenn man von einer konkreten Konfliktsituation ausgeht, wobei vielfach vermutet wurde, dass es sich dabei um die Folgen des kylonischen Frevels handelt. Da auf Geheiß des Alkmeoniden Megakles die Anhänger Kylons, die eine Tyrannis zu etablieren versucht hatten, im Zuge der Belagerung der Akropolis getötet worden waren, konnte die Tat als nicht vorsätzliche bzw. auf Anordnung anderer ausgeübte Tat gelten. Drakon hätte dann für diese Taten die Verbannung aus Attika für diejenigen festgeschrieben, die von den basileís und den ephétai als Schuldige an dieser nicht vorsätzlichen Tat angesehen wurden. In diesen besonderen Fällen sollte – bevor die Blutrache angekündigt und die Verfolgung aufgenommen wurde – eine rechtliche Entscheidung über die Schuld vorgeschaltet werden. Dies würde bedeuten, dass Drakon den bei der Blutrache sonst üblichen Rechtsbrauch grundsätzlich bestehen ließ und bei einer vorsätzlichen Tötung Blutrache in den traditionellen Bahnen geübt werden konnte. Ihm kam es darauf an, diesen akuten Konflikt, der zwischen führenden Adelsgeschlechtern ausgetragen wurde, endgültig zu befrieden, indem er zwar an der ‚Flucht‘ aus Attika, am pheúgein, als Strafe festhielt, aber eine Aussöhnung anriet, und zwar zu den im Gesetz minutiös geregelten Bedingungen, die beiden Seiten Verfahrenssicherheit gewährten. Die Möglichkeit der Aussöhnung sollte – wie an einem weiteren Fragment nachgewiesen werden kann – nur für die nicht vorsätzliche Tötung gelten.165 Das von Drakon vorgelegte Gesetz stellte also einen Kompromiss

163  Ruschenbusch 2010, 33–35. Dagegen spricht aber, dass auf das καὶ kein δὲ folgt. Von einem vorangegangenen Text über die vorsätzliche Tötung gehen auch Latte 1941, 526; Rhodes 1981, 112; Davis 2011, 20 und Leão/Rhodes 2015, 22 aus. 164  So die Deutung von Michael Gagarin; kaí im Sinne von „auch“: Stroud 1968, 34–40; Gagarin 1981, 80–95; Nörr 1983, 633 f.; Humphreys 1991, 36; Welwei 1992, 138–139; Schmitz 2001, 20 f.; Thür 1990, 145– 146; Thür 2002, 634–635; Thür 2006, 48; Gagarin 2008, 96. Zur Diskussion siehe auch Sickinger 1999, 19–23. 165  Eberhard Ruschenbusch ist für die archaische Zeit davon ausgegangen, dass in Bezug auf eine aí­ desis „die Tatsache, ob der Täter vorsätzlich oder unvorsätzlich getötet hatte, keine Rolle spielte“ (2010, 21). Deswegen schreibt er auch im Hinblick auf die Z. 13–16: „Denn sonst wäre die Betonung des Erfor-

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dar: Denn als Strafe für die minder schwere nicht vorsätzliche Tötung setzt das Gesetz die Verbannung aus Attika fest, die auch bei der vorsätzlichen Tötung galt. Daher das einleitende „und auch wenn“ (καὶ ἐάν). Drakon kam den Tätern bei einer nicht vorsätzlichen Tötung aber dadurch entgegen, dass er bei solchen Taten eine Aussöhnung zu festgelegten Bedingungen ermöglichte. Ein kaí eán am Anfang einer gesetzlichen Bestimmung ist nicht ungewöhnlich;166 es begegnet auch am Anfang von F 10b. Indirekt erschließen lässt sich aus dem kaí eán, dass auch ein Täter, der mit Vorsatz getötet hatte, aus Attika fliehen musste, wollte er nicht Opfer einer berechtigten Blutrache werden. Doch um die Regelung der vorsätzlichen Tötung ging es Drakon nicht, auch nicht um eine implizite Regelung. Nicht vorsätzliche Tötung geschieht in der Terminologie Drakons „nicht mit Vorbedacht“ (Z. 11: μὲ ’κ προνοίας), wobei als Synonym dazu auch „unabsichtlich“ (Z. 17: ákōn) verwendet ist.167 Der Wechsel in der Begrifflichkeit könnte darin begründet sein, dass in Z. 11 das „nicht aus Vorbedacht“ betont werden sollte, da sich die folgenden Verfahrensregeln einschließlich der Aussöhnung nur auf die Tötung ohne Vorbedacht beziehen und sie von der Tötung mit Vorbedacht deutlich abgegrenzt werden sollten. Die nicht vorsätzliche Tötung unterscheidet sich von der vorsätzlichen dadurch, dass letztere aus der festen und vorher geplanten Absicht geschieht. Die vorsätzliche Tötung kann also nicht mit der willentlichen Tötung, die letztlich auch aus dem Affekt heraus geschehen kann, gleichgesetzt werden. Der Gesetzgeber bezeichnete zwar jedes Tötungsdelikt als phónos (s. o.) und die Tat mit kteínein, berücksichtigte aber sehr wohl die Willensrichtung des Täters und die Tatumstände. Tötungsdelikte „ohne Vorbedacht“ umfassten Fälle von versehentlicher Tötung (etwa bei Wettkämpfen), aber auch Tötungen in Notwehr (s. dazu F 10–12).168 Die Worte „den an der Tötung Schuldigen, wenn er (mit eigener Hand) oder veranlassend (getötet hat)“ (αἴτι ̣ο[ν] φόν̣[ο] Ε[.........17........]Ε [β]ολεύσαντα) in Z. 12 f. sind so dernisses der unvorsätzlichen Tötung bei der Zulassung durch die Phratriegenossen nicht zu verstehen“ (2005, 39); vgl. auch Gagarin 1981, 51; Carawan 1990, 58 f.; Carawan 1998, 71 f. Dass die aídesis nur im Falle der minder schweren nicht vorsätzlichen Tötung galt, meinen Stroud 1968, 50; Heitsch 1984b, 13–18; Schmitz 2001, 36. 166  Stroud 1968, 40. 167  Mit der Frage, ob μὴ ἐκ προνοίας und ἄκων (ἀκούσιος) beziehungsweise ἐκ προνοίας und ἑκών (ἑκούσιος) als Synonyme verwendet sind, hat sich ausführlich Gagarin (1981, 31–37) auseinandergesetzt. Vgl. zum Beispiel auch den Wortgebrauch in Antiph. Tetr. 2α 1; 2β 9; 2γ 7. Bestätigt worden ist dies in zwei Aufsätzen von Laura Pepe (2008; 2010/11, vgl. auch 2015), die unter Heranziehung von Belegstellen aus den attischen Gerichtsreden, den Tragödien und Platons Nomoi noch einmal bekräftigt, dass ἐκ προνοίας und ἑκών (bzw. ἑκούσιος) auf der einen Seite und μὴ ἐκ προνοίας und ἄκων (bzw. ἀκούσιος) auf der anderen Seite synonym verwendet werden und nicht bloß als willentlich und intentional, sondern als mit Vorsatz (ἐκ προνοίας) oder eben ohne Vorsatz (μὴ ἐκ προνοίας) verstanden werden müssen. Ebenso W. T. Loomis, The Nature of Premeditation in Athenian Homicide Law, in: JHS 92, 1972, 86–95; Phillips 2013, 46. 168  Vgl. Welwei 1992, 139.

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zu verstehen, dass auch die Verantwortung für eine Tötung unter Strafe stand, wenn sie nicht eigenhändig, sondern durch Anordnung an einen Gefolgsmann oder Helfer begangen wurde (siehe F 5). Das in Zeile 11 weitgehend ergänzte Verb pheúgein bedeutet „(aus Attika) fliehen“ und ist von der Forschung in aller Regel auch so verstanden worden. David Phillips hat sich jedoch dafür ausgesprochen, pheúgein als „angeklagt werden“ („he shall stand trial“) zu verstehen, so wie dieses Verb in gerichtlichem Kontext in klassischer Zeit gebraucht wird. Laura Pepe hat sich dieser Interpretation angeschlossen.169 Für die Deutung von Phillips und Pepe spricht, dass sich dann eine stringente Abfolge ergibt: Anklage, Einleitung eines Verfahrens durch die basileís und Entscheidung durch die Abstimmung der ephétai. Doch die Einwände wiegen schwerer: Die homerischen Epen enthalten einige Belege dafür, dass Personen, die sich einer Tötung schuldig gemacht haben, das Land verlassen müssen, um nicht Opfer der Blutrache zu werden.170 Solon hat in seinem Amnestiegesetz (F 4b) diejenigen von der Möglichkeit ausgenommen, wieder zu ‚Ehrbaren‘ (epítimoi) zu werden, die vom Areopag oder von den ephétai wegen Tötung abgeurteilt ‚geflohen waren‘ (épheugon).171 Diese Belege sprechen dafür, dass das Gesetz Drakons keinen Hinweis darauf gibt, dass Klage bei einem Amtsträger erhoben wurde.172 169  Phillips 2008, 50 f.; Phillips 2013, 53; Pepe 2012, 22–30. Schon Treston (1923, 195) hatte pheúgein auf diese Weise verstanden. Stroud 1968, 41, Gagarin 1981, 30, Leão und Rhodes 2015, 23 und Thür 2018, 31 sprechen sich dagegen für die herkömmliche Deutung aus. Beispiele für die Konsequenz, fliehen zu müssen, nennt Koerner 1993, 33 auch für Milet und Naupaktos. 170  Hom. Od. 23,118–120: „Muss mancher doch, der in dem Volk auch nur einen einzigen Mann erschlagen (κατακτείνας) – einen, dem nicht viele Rächer (ἀοσσητῆρες) hernach entstehen – fliehen (φεύγει) und die Gesippen und sein väterliches Land verlassen“ (Übersetzung W. Schadewaldt). Vgl. Il. 15,334–336 und 9,632–634: Wer für die Tötung des Bruders oder Sohnes ein hohes Wergeld gezahlt habe, könne im Land bleiben. Zur (berechtigten) Blutrache des Orest an Aigisthos, der seinen Vater Agamemnon getötet hatte, Od. 3,193–198. Auch aus dem Scholion zu Hom. Il. 2,665 (F 24b) wird ersichtlich, dass in ganz Griechenland und so auch in Athen Tötung immerwährende „Flucht“ zur Folge hat (φυγαδεύειν δὲ τὸν ἅπαντα χρόνον). Demosthenes stellt in seiner Deutung des drakontischen Gesetzes in or. 23,38 (vgl. F 7), dass für den, der einen sich vom Grenzmarkt und von amphiktyonischen Wettkämpfen und Festen fernhaltenden Täter tötet, dasselbe gelte wie für den, der einen Athener getötet habe, beide Bedeutungen von pheúgein nebeneinander: „Der Gesetzgeber hielt es für angemessen, dass der Täter, der wegen Veranlassung der Tötung angeklagt und der Tat überführt war, wenn er einmal [aus Attika] ge­ flohen (ekpheúgein) war und sich so gerettet hatte, sich vom Vaterland des Getöteten fernhalten sollte“ (ἐκεῖνος ᾤετο τὸν πεφευγότ᾽ ἐπ᾽ αἰτίᾳ φόνου καὶ ἑαλωκότα, ἐάνπερ ἅπαξ ἐκφύγῃ καὶ σωθῇ, εἴργειν μὲν τῆς τοῦ παθόντος πατρίδος δίκαιον εἶναι). 171  Plut. Solon 19,4 (F 4b): πλὴν ὅσοι ἐξ ᾽Αρείου πάγου ἢ ὄσοι ἐκ τῶν ἐφετῶν ἢ ἐκ πρυτανείου καταδικασθέντες ὑπὸ τῶν βασιλέων ἐπὶ φόνῳ ἢ σφαγαῖσιν ἢ ἐπὶ τυραννίδι ἔφευγον. Aufgrund des vorangegangenen καταδικασθέντες kann ἔφευγον hier nur im Sinne von „geflohen sind“ verstanden werden. Das gilt auch für die Formulierung ἀπελθεῖν τακτὴν ὁδόν καὶ φεύγειν in F 15. 172  So urteilt der überwiegende Teil der Forscher. Karl-Joachim Hölkeskamp, Drakon, in: Kai Brodersen (Hrsg.), Große Gestalten der griechischen Antike. 58 historische Portraits von Homer bis Kleopatra, München 1999, 79–84, hier 83 setzt demgegenüber bereits beim Gesetz Drakons eine Anklage voraus. Anschließend sei die Zulässigkeit der Klage festgestellt und ihr Vollzug freigegeben worden. Aber auch im Alten Testament ist bei Tötungsdelikten nicht von Klagen die Rede, anders als bei anderen Vergehen

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αἴτι ̣ο[ν] φόν̣[ο] in Zeile 12 ist als Akkusativ Singular (αἴτιον) im Sinne von „den Verantwortlichen“, „den Schuldigen“ zu verstehen, der entweder eigenhändig gehandelt oder die Entscheidung zur Tat getroffen hat, so dass βουλεύσαντα auf αἴτιον zu beziehen ist.173 Das bouleúsas (Z. 12–13) muss jedenfalls nicht bedeuten, dass die Tötung eines anderen im Vorhinein geplant war, sondern beschreibt die Handlung, die zum Tod des Opfers führte.174 Insofern lässt sich ein Zusammenhang mit dem Tyrannisversuch Kylons herstellen, denn Megakles hatte als führender Archont vermutlich nicht die Absicht und nicht den festen Vorsatz gehabt, die Kylonanhänger zu töten, sondern zunächst nur, sie zu ergreifen; er führte auch die Tat nicht selbst aus, sondern erteilte aus der Situation heraus die Anweisung, sie zu ergreifen und zu töten.175 In einem 2002 publizierten Aufsatz plädiert Gerhard Thür nochmals dafür, das Gesetz Drakons als Reaktion auf die Tötung der Kylonanhänger anzusehen, indem er das bouleúein im inschriftlich erhaltenen Text im Sinne einer indirekten, mittelbaren Tötung versteht und auf Megakles bezieht, der die „Anordnung“ zur Tötung erteilt hatte, vielleicht auch nur die Anordnung, die Kylonanhänger zu ergreifen. Er habe also nicht beabsichtigt, dass die Kylonanhänger getötet werden sollten; sie seien im Verlauf der Ereignisse getötet worden, doch das Gesetz Drakons habe auch für diesen Fall vorgesehen, dass derjenige, der die Anordnung erteilt hatte, Attika verlassen musste.176 Auch die explizit rückwirkende Geltung des Gesetzes (Z. 19–20) spricht dafür, dass die Bestimmungen Drakons eine Neuerung waren und in Zusammenhang mit den stáseis nach der versuchten Machtübernahme Kylons standen.177 Zu den Z. 13–23 siehe den Kommentar zu F 6; zu den Z. 26–29 siehe den Kommentar zu F 7, zu den Zeilen 30 f. siehe den Kommentar zu F 8 und zu den Z. 33–35 und 37–38 siehe den Kommentar zu F 10. (Deut 19,14–19). Das Verfahren beginnt vielmehr damit, dass sich der Verfolgte in die Asylstätte begibt ( Joshua 20,1–6). 173  So Hans Julius Wolff, The Origin of Judicial Litigation among the Greeks, in: Traditio 4, 1946, 31–87, hier 71–78; Stroud 1968, 42–45 (zum Ergänzungsvorschlag von Hans Julius Wolff: „We shall see that there is reason to alter the wording of this restoration slightly but the sense remains clear: ‚let the Basileis pronounce responsible for the homicide him who either slew with his hands or plotted the death‘“) und Carlier 1984, 349. 174  Ruschenbusch 2010, 35. Zur boúleusis im Sinne von ‚Veranlassung‘ einer Tat Lipsius 1905–15, 125; Stroud 1968, 44 („Βούλευσις is one of the methods used to commit homicide, by ‚planning‘ or devising the death of the victim through the agency of another“). Nach Humphreys 1991, 21 f. könne sich boúleusis auf eine magistratische Anordnung zur Tötung beziehen, z. B. während eines Bürgerkriegs, einer Tyrannis oder eines oligarchischen Umsturzes. So auch Thür 1990, 60 f.: „Carrying out a killing not by one’s own hands, but by βουλεύειν, above all pertains to a special group of persons, the magistrates of the polis“. Siehe auch Michael Gagarin, Bouleusis in Athenian Homicide Law, in: Symposion 1988. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Siena/Pisa 1988), hrsg. von Giuseppe Nenci, Gerhard Thür, Köln/Wien 1990, 81–99. 175  Plut. Solon 13; vgl. Humphreys 1991, 20. 176  Thür 2002, 634 f. Auch Platon unterscheidet in seinen Gesetzen zwischen der eigenhändig ausgeführten Tat (αὐτόχειρ) und der Anordnung (βούλευσις; ἐπιβούλευσις) der Tötung (leg. 9,872a–b, d). 177  Stroud 1968, 72; Thür 2002, 633; vgl. auch Gagarin 2008, 97.

Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

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F 3 Drakons Gesetz als thesmós (F 3a–b, d: T 359a, 381a, c Martina; F 3b, d: F 1a, c Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 3a: Andokides, Über die Mysterien (or. 1) 81 (399 v. Chr.) (81) τέως δὲ χρῆσθαι τοῖς Σόλωνος νόμοις καὶ τοῖς Δράκοντος θεσμοῖς. … [(83) Ἔδοξε τῷ δήμῳ, Τεισαμενὸς εἶπε· πολιτεύεσθαι Ἀθηναίους κατὰ τὰ πάτρια, νόμοις δὲ χρῆσθαι τοῖς Σόλωνος, καὶ μέτροις καὶ σταθμοῖς, χρῆσθαι δὲ καὶ τοῖς Δράκοντος θεσμοῖς, οἷσπερ ἐχρώμεθα ἐν τῷ πρόσθεν χρόνῳ]. (81) Bis dahin [zur Revision der athenischen Gesetze nach 404/3] sollen die Gesetze (nómoi) Solons und die Satzungen (thesmoí) Drakons Anwendung finden. … [(83) Das Volk hat beschlossen, Teisamenos hat den Antrag gestellt: Die Athener sollen die Polis gemäß der väterlichen Tradition verwalten, die Gesetze (nómoi) Solons anwenden, die Maße und Gewichte, und sie sollen auch die Satzungen (thesmoí) Drakons anwenden, die wir in früherer Zeit angewandt haben].

F 3b: Aristoteles, Athenaion politeia 4,1 und 7,1 (320er Jahre) (= F 19b) (4,1) μετὰ δὲ ταῦτα χρόνου τινὸς οὐ πολλοῦ διελθόντος ἐπ᾽ Ἀρισταίχμου ἄρχοντος Δράκων τοὺς θεσμοὺς ἔθηκεν. (7,1) πολιτείαν δὲ κατέστησε καὶ νόμους ἔθηκεν ἄλλους, τοῖς δὲ Δράκοντος θεσμοῖς ἐπαύσαντο χρώμενοι πλὴν τῶν φονικῶν. (4,1) Danach, viel Zeit war nicht verstrichen, erließ Drakon unter dem Archontat des Aristaichmos seine Gesetze (thesmoí). (7,1) Er [Solon] schuf eine Verfassung und gab andere Gesetze (nómoi); [denn] von den Gesetzen (thesmoí) Drakons machte man keinen Gebrauch mehr, mit Ausnahme der Tötungsgesetze (phonikoí [thesmoí]).

F 3c: Pausanias, Graeciae descriptio 6,11,6 (2. Jh. n. Chr.) (= F 32e) … Δράκοντος, ὃς Ἀθηναίοις θεσμοὺς γράψας φονικούς. … Drakon, der für die Athener Tötungsgesetze (thesmoí phonikoí) verfasst hat.178

F 3d: Claudius Aelianus, Varia historia 8,10 (2. Jh. n. Chr.) (= F 19e) ἐπεὶ δὲ ᾑρέθη, τά τε ἄλλα ἐκόσμησε τὴν πόλιν καὶ δὴ καὶ τοὺς νόμους τοὺς νῦν ἔτι φυλαττομένους συνέγραψεν αὐτοῖς. καὶ τότε ἐπαύσαντο Ἀθηναῖοι χρώμενοι τοῖς Δράκοντος· ἐκαλοῦντο δὲ ἐκεῖνοι θεσμοί. μόνους δὲ ἐφύλαξαν τοὺς φονικοὺς αὐτοῦ. Nach seiner Wahl ordnete er [Solon] die Angelegenheiten der Stadt, in erster Linie aber fasste er für sie die Gesetze (nómoi) schriftlich ab, an denen noch heute festgehalten wird. Von da an wandten die Athener die [Gesetze] Drakons nicht mehr an. Jene [Gesetze] wurden thesmoí genannt. Allein die über die Tötung ([thesmoí] phonikoí) behielten sie von ihm bei.

178  Vgl. Paus. 9,36,8: Δράκοντος Ἀθηναίοις θεσμοθετήσαντος.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

In dem inschriftlich erhaltenen Text ist das Gesetz Drakons als ‚Satzung‘ (thesmós) bezeichnet (Z. 20: ἐν] το�[ιδε το�ι θεσμο�ι).179 Zwar ist in dieser Zeile thesmós ergänzt, doch durch Demosth. or. 43,57 (F 6a) gesichert. Im Präskript mit dem Beschluss der Neuaufzeichnung des Gesetzes aus dem Jahr 409/8 v. Chr. ist – entsprechend der Terminologie klassischer Zeit180 – vom „Gesetz Drakons“ als nómos die Rede (Z. 4–5). Da zudem noch Solon in einer seiner Elegien hervorhebt, dass er für alle Delikte thesmoí gegeben habe, und in seinem Amnestiegesetz und im Abrogationsverbot seine Ergänzung des drakontischen Gesetzes über die Tötung als thesmós bezeichnet ist, ist davon auszugehen, dass im späten 7. und frühen 6. Jh. v. Chr. Gesetze in Athen mit dem Begriff thesmoí bezeichnet wurden.181 Dies bestätigen auch die hier zusammengestellten Fragmente, die von thesmoí sprechen. In seinen vorausgehenden Erläuterungen zu dem in die Rede später eingefügten Volksbeschluss des Teisamenos nennt Andokides die Gesetze zweimal, einmal die solonischen nómoi vor den drakontischen thesmoí, das zweite Mal summarisch die nómoi Solons und Drakons.182 Auch im Text des Volksbeschlusses auf Antrag des Teisamenos sind die solonischen nómoi vor den drakontischen thesmoí genannt; allerdings ist nicht sicher, ob es sich bei dem eingelegten Text um ein authentisches Dokument oder eine spätere Fälschung handelt, die sich mit dieser Formulierung an dem vorausgehenden Text des Andokides orientiert.183 Dass die thesmoí Drakons trotz des höheren Alters nachgestellt und mit der Bemerkung versehen sind, die Athener hätten sie „in früherer Zeit angewandt“, zeugt davon, dass bei Tötungsdelikten in aller Regel Solons Bestimmungen über die Tötung angewandt wurden, durch die Drakons Satzung revidiert und systematisiert worden war.184 In Z. 20 der inschriftlich erhaltenen Satzung ist der Singular thesmós gebraucht. Das Gesetz über die Tötung war von Drakon also als ein in sich geschlossenes Gesetz ver-

179  Zum Begriff thesmós s. o. S. 137 Anm. 155. 180  MacDowell 1978, 44. 181  Solon fr. 36 West, 30 Gentili-Prato, 24 Diehl (Aristot. Ath. pol. 12,4) Z. 18–20; Amnestiegesetz (F 1b, 4b, 20e; Plut. Solon 19,4: ὅτε ὁ θεσμὸς ἐφάνη ὅδε); Abrogationsverbot (F 39a; Demosth. or. 23,62: τὸν θεσμὸν συγχυθῆναι τόνδε). 182  F 3a und in 1,82: τῶν νόμων τῶν τε Σόλωνος καὶ τῶν Δράκοντος. Neben der spezifischen Bezeichnung thesmós bzw. thesmoí wird in der antiken Literatur der klassischen und der späteren Zeit das Gesetz Drakons vielfach und wie in späterer Zeit üblich als nómos (bzw. nómoi) bezeichnet, z. B. in Plutarch, Solon 17,1: πρῶτον μὲν οὖν τοὺς Δράκοντος νόμους ἀνεῖλε πλὴν τῶν φονικῶν ἅπαντας … – „Zuerst hob er nun die Gesetze (nómoi) Drakons auf, mit Ausnahme der über die Tötung (hoí phonikoí), …“, und in Georgius Cedrenus, Historiarum Compendium (1 p. 145,18–20 Bekker, Corpus scriptorum historiae byzantinae, Bd. 13,1; = F 19f), ebenso in Demosth. or. 47,71 f. (F 6d), or. 20,158 (F 16a), Poll. 9,61 (F 18a). 183  Dem Wortlaut des Beschlusses wird von Raphael Sealey größere Glaubwürdigkeit zugesprochen als den inhaltlich davon abweichenden Äußerungen des Andokides (Raphael Sealey, The Athenian Republic. Democracy or the Rule of Law?, University Park 1987, 35; 46; ders. 1994, 47). Mirko Canevaro und Edward M. Harris sehen die eingelegten Beschlüsse hingegen als Fälschungen an: The Documents in Andocides’ On the Mysteries, in: CQ 62, 2012, 98–129, hier 110–116; dies., The Authenticity of the Documents at Andocides’ On the Mysteries 77–79 and 83–84, in: Dike 19/20, 2016–17, 9–49, hier 10–33. 184  S. o. S. 119–121.

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standen worden, trotz der vielen Einzelbestimmungen, die das Gesetz umfasste. Für den Singular spricht auch, dass es keine Belege für weitere Bestimmungen Drakons gibt, die sich nicht seiner Satzung über die Tötung zuschreiben lassen. Die Verwendung des Plurals bei Andokides und in der Athenaion politeia wird als ungenaue Bezeichnung aufgrund der vielen Einzelbestimmungen anzusehen sein; bei Aelian geht der Plural auf eine falsche Schlussfolgerung zurück: Aus dem Umstand, dass in den athenischen Gesetzen über die Tötung (phonikoí nómoi) die Tötung z. B. des nächtlichen Diebs oder des Ehebrechers als berechtigt anerkannt war, haben die antiken Autoren abgeleitet, Drakon hätte eigenständige Gesetze gegen Diebstahl oder Ehebruch erlassen und dabei den Tod als Strafe festgelegt (vgl. F 19). Da den antiken Autoren aber keine konkrete Überlieferung zu anderen Gesetzen Drakons vorlag, schlussfolgerten sie daraus fälschlicherweise, dass Solon diese anderen Gesetze Drakons aufgehoben und die Strafen abgemildert habe. F 4 ephétai und basileís (F 4a: T 418b adn. Martina; F 4b: T 408, 418b Martina; F 2 Ruschenbusch, Leão/Rhodes; F 70 Ruschenbusch; F 22/1 Leão/Rhodes; F 4c: T 303 Martina)

F 4a: Volksbeschluss (psḗphisma) auf Antrag des Patrokleides in Andokides, Über die Mysterien (or. 1) 78 (vermutlich unecht) … πλὴν ὁπόσα ἐν στήλαις γέγραπται τῶν μὴ ἐνθάδε μεινάντων, ἢ ἐξ ᾽Αρείου πάγου ἢ τῶν ἐφετῶν ἢ ἐκ πρυτανείου ἢ Δελφινίου ἐδικάσθη [ἢ] ὑπὸ τῶν βασιλέων ἢ ἐπὶ φόνῳ τίς ἐστι φυγὴ ἢ θάνατος κατεγνώσθη, ἢ σφαγεῦσιν ἢ τυράννοις. App. crit.: ἐδικάσθη codd., δικασθεῖσιν Lipsius; ἢ del. Luzac; ἢ σφαγεῦσιν ἢ τυράννοις codd., ἢ σφαγαῖσιν ἢ τυραννίδι Lipsius und Kirchhoff.

… außer all denen, die – auf den Stelen aufgezeichnet – nicht hier bleiben durften, oder wer vom Areopag oder den ephétai oder vom Prytaneion oder Delphinion verurteilt wurde [oder] unter dem Vorsitz der basileís, oder gegen den wegen Tötung auf Flucht oder Tod erkannt wurde oder gegen Schlächter oder Tyrannen.

F 4b: Plutarch, Solon 19,3–4 (um 100 n. Chr.) (= F 1b, 20e) (3) οἱ μὲν οὖν πλεῖστοι τὴν ἐξ Ἀρείου πάγου βουλήν, ὥσπερ εἴρηται, Σόλωνα συστήσασθαί φασι, καὶ μαρτυρεῖν αὐτοῖς δοκεῖ μάλιστα τὸ μηδαμοῦ τὸν Δράκοντα λέγειν μηδ’ ὀνομάζειν Ἀρεοπαγίτας, ἀλλὰ τοῖς ἐφέταις ἀεὶ διαλέγεσθαι περὶ τῶν φονικῶν. (4) ὁ δὲ τρισκαιδέκατος ἄξων τοῦ Σόλωνος τὸν ὄγδοον ἔχει τῶν νόμων οὕτως αὐτοῖς ὀνόμασι γεγραμμένον· „ἀτίμων· ὅσοι ἄτιμοι ἦσαν πρὶν ἢ Σόλωνα ἄρξαι ἐπιτίμους εἶναι, πλὴν ὅσοι ἐξ ᾽Αρείου πάγου ἢ ὄσοι ἐκ τῶν ἐφετῶν ἢ ἐκ πρυτανείου καταδικασθέντες ὑπὸ τῶν βασιλέων ἐπὶ φόνῳ ἢ σφαγαῖσιν ἢ ἐπὶ τυραννίδι ἔφευγον, ὅτε ὁ θεσμὸς ἐφάνη ὅδε“. App. crit.: ἀρεοπαγίταις U; ἐπὶ τῶν βασιλέων Naber, ἢ τοῦ βασιλέως Reiske; φϑόνω Sgell; ἔφυγον codd.

(3) Die meisten behaupten nun, wie gesagt, Solon habe den Rat vom Areopag eingerichtet, und ein Beleg dafür scheint zu sein, dass Drakon nirgends von ihm spricht noch Areopagiten

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

nennt, sondern in Bezug auf die Tötungsgesetze immer nur von den ephétai spricht. (4) Der dreizehnte áxōn Solons hat als achtes der Gesetze (nómoi) folgendes mit diesen Worten verzeichnet: „Über die Ehrlosen (átimoi): Diejenigen, die ehrlos (átimoi) waren, bevor Solon als Archont im Amt war, sollen wieder ehrbar (epítimoi) sein, außer denjenigen, die vom Areopag, oder denjenigen, die von den ephétai oder vom prytaneíon – von den basileís wegen Tötung oder Abschlachtens oder wegen Errichtung einer Tyrannis abgeurteilt –, [aus Attika] geflohen sind/verbannt waren (épheugon), als diese Satzung (thesmós) erlassen wurde“.

F 4c: Pollux, Onomastikon 8,125 (2. Jh. n. Chr.) ἐφέται τὸν μὲν ἀριθμὸν εἷς καὶ πεντήκοντα, Δράκων δ’ αὐτοὺς κατέστησεν ἀριστίνδην αἱρεθέντας· ἐδίκαζον δὲ τοῖς ἐφ’ αἵματι διωκομένοις ἐν τοῖς πέντε δικαστηρίοις. Σόλων δ’ αὐτοῖς προσκατέστησε τὴν ἐξ Ἀρείου πάγου βουλήν. κατὰ μικρὰ δὲ κατεγελάσθη τὸ τῶν ἐφετῶν δικαστήριον. δοκοῦσι δ’ ὠνομάσθαι, ὅτι πρότερον τοῦ βασιλέως τοὺς ἐπ’ ἀκουσίῳ φόνῳ κρινομένους ἐξετάζοντος ὁ Δράκων τοῖς ἐφέταις παρέδωκε τὴν κρίσιν, ἐφέσιμον ἀπὸ τοῦ βασιλέως πεποιηκώς. ephétai: von der Zahl her einundfünfzig. Drakon hat sie eingesetzt, ausgewählt nach Vorzüglichkeit (aristíndēn). Sie haben über die geurteilt (dikázein), die wegen einer Bluttat in den fünf Gerichtshöfen (dikastḗria) angeklagt wurden. Solon hat diesen [den ephétai] den Rat vom Areopag hinzugefügt. Der Gerichtshof der ephétai hat nach und nach an Ansehen verloren. Sie [die ephétai] scheinen so benannt worden zu sein, weil, nachdem in früherer Zeit der basileús über die wegen unbeabsichtigter Tötung zu Urteilenden die Untersuchung führte, Drakon den ephétai das Urteil übertrug, als Appellation (ephésimos [gnṓsis]) zu dem vom basileús getroffenen [Urteil].

Da Plutarch das Gesetz wörtlich zitiert, ist seiner Wiedergabe des Textes höhere Glaubwürdigkeit zuzusprechen als der Formulierung in dem von Patrokleides beantragten Volksbeschluss, zumal es sich dabei wahrscheinlich um einen fingierten Text eines späteren Herausgebers der Rede handelt.185 Patrokleides hatte im Herbst 405 angesichts der schweren Niederlage bei Aigospotamoi und der drohenden Niederlage im Peloponnesischen Krieg den Antrag eingebracht, die vom Bürgerrecht Ausgeschlossenen zur Stärkung der militärischen Kräfte wieder in die Bürgerschaft aufzunehmen. Um der Gefahr einer graphḗ paranómōn zu entgehen, könnte es sein, dass die gemäß solonischem Amnestiegesetz Ausgeschlossenen auch von der 405 verkündeten Amnestie ausgenommen bleiben sollten.186 Hat Plutarch den ursprünglichen solonischen Gesetzestext überliefert,187 so zeigt der in der Andokidesrede überlieferte (fingierte) Text das Verständnis späterer Zeit, das aber Inkonsistenzen enthält: Der Verfasser dieses Textes 185  Durch And. 1,80 und 1,103 ist allerdings belegt, dass Patrokleides einen Antrag gestellt hatte, die átimoi wieder zu epítimoi zu erklären (so auch Xen. hell. 2,2,11; Lys. 25,27). 186  Lipsius 1905–15, 40. Nach And. 1,107 wurden bei der Amnestie von 490 v. Chr. offenbar keine Ausnahmen gemacht und die pheúgontes aufgenommen sowie die átimoi zu epítimoi erklärt. Bei der Amnestie Alexanders wurden phygádes aufgenommen, aber die wegen hierosylía und Tötungen Verurteilten ausgeschlossen (Diod. 17,109,1; Curtius 10,2,4–7; Iust. 13,5,2–5; vgl. Diod. 8,18,4). 187  Dies zeigt der in sich schlüssige parataktische Aufbau des Satzes. Aufgrund sprachlicher Besonder-

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hat nach den bereits genannten ephétai das Delphinion als Gerichtshof hinzugefügt, obwohl auch dort ephétai entschieden. Anschließend folgt eine weitere Doppelung, denn nach den von ephétai, Prytaneion und Delphinion – wegen Tötungsdelikten – Verurteilten sind erneut die „wegen Tötung“ Verurteilten genannt.188 Die komplizierte Satzstruktur des solonischen Amnestiegesetzes, das bei Plutarch korrekt wiedergegeben ist, war bei der Abfassung des fingierten Textes offenbar nicht mehr verstanden worden. Wegen dieser nicht korrekten Übernahme der Amnestiebestimmung in den Volksbeschluss sollte man daher mit Konjekturen zurückhaltend sein.189 Für ein Verständnis des drakontischen Gesetzes über die Tötung im späten 7. Jh. sollte der zweite Satzteil (ἐπὶ φόνῳ τίς ἐστι φυγὴ ἢ θάνατος κατεγνώσθη) eher so verstanden werden, dass der wegen Tötung Verurteilte fliehen musste oder er getötet werden konnte, wenn er Attika nicht verließ, als dass Areopag und ephétai einen Ermessensspielraum gehabt hätten, ob sie den Täter mit Verbannung oder Hinrichtung strafen wollten. Für eine Rekonstruktion und Deutung des drakontischen Gesetzes ist jedenfalls vom direkten Zitat Plutarchs auszugehen. In der – von Plutarch überlieferten – Formulierung „diejenigen, die … von den ephétai oder vom prytaneíon – von den basileís wegen Tötung oder Abschlachtens … abgeurteilt – [aus Attika] geflohen sind/verbannt waren“ nimmt Solon im Amnestiegesetz selbst Bezug auf das Gesetz Drakons über die Tötung. Nach dem Amnestiegesetz zu urteilen, haben auch die Areopagiten ihr Urteil unter den basileís gesprochen.190 Das schließt nicht aus, dass die basileís bei diesen Verfahren auch Eide formulierten, wovon Gerhard Thür ausgeht, doch scheint die Leitung des Verfahrens darin inbegriffen zu sein. Das δ]ικάζεν δὲ τὸς βασιλέας im inschriftlich überlieferten Gesetzestext ist im Amnestiegesetz Solons als ein „Aburteilen“ (καταδικασθέντες) verstanden. Wenn im Amnestiegesetz Solons die ersten drei Zeilen der inschriftlich erhaltenen Satzung Drakons aufgegriffen sind, wäre dies ein weiterer Beleg dafür, dass das φεύγ]ε[ν in Z. 11 nur als „fliehen“, nicht als „angeklagt werden“ verstanden werden kann.

heiten sieht auch Odile De Bruyn, La compétence de l’Aréopage en matière de procès publics, Stuttgart 1995, 25 das Gesetz im Wortlaut als authentisch an. 188  Zu dieser stets als problematisch empfundenen Passage des (fingierten) Psephismas Canevaro/ Harris 2016–17 (wie Anm. 183), 31 f. 189  Alan L. Boegehold, Andokides and the Decree of Patrokleides, in: Historia 39, 1990, 149–162, hier 159: „Plutarch either quotes Solon accurately or he does not. If he does not, his quotation is not trustworthy as a control over anything“; 160: „Each of the two texts [Plut. Solon 19,4 und And. 1,79] accordingly needs to be interpreted in the context of its own time, and neither can be interpreted as exemplar of the other“. Eine solche Entscheidung erübrigt sich, wenn man den Text, wie von Mirko Canevaro und Edward M. Harris vertreten, als Fälschung auffasst (2016–17 [wie Anm. 183], 10–33). 190  Carlier 1984, 350 Anm. 145 bezieht ὑπὸ τῶν βασιλέων auf alle drei Kategorien von Verbannten und übersetzt: „Que tous ceux qui ont perdu leurs droits avant l’archontat de Solon les recouvrent, à l’exception de ceux qui sont en exil après avoir été condamnés par les rois du fait de l’Aréopage, des éphètes ou du Prytaneion“.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Auffällig ist der Zusatz, dass das Gesetz nicht nur für Tötungen gelte, sondern auch für ‚Abschlachten‘ (F 4b: ἐπὶ φόνῳ ἢ σφαγαῖσιν). Auch darin ist ein unmittelbarer Bezug auf die Tötung der Kylonanhänger zu sehen, denn Plutarch berichtet in seiner Version des Kylonputsches davon, dass – nachdem die mit dem Altar verbundene Schnur gerissen war – die sich außerhalb des heiligen Orts aufhaltenden Kylonanhänger gesteinigt, die an die Altäre Geflüchteten hingegen ‚abgeschlachtet‘ wurden (ἀπεσφάγησαν). Allein diejenigen, die sich Schutz suchend vor den Frauen der Archonten niedergeworfen hatten, seien verschont worden.191 In Solons Amnestiegesetz werden die Verurteilungen durch den Areopag deutlich von den Verurteilungen durch die ephétai und das Prytaneion abgegrenzt. Denn das ὅσοι wird vor ἐκ τῶν ἐφετῶν wiederholt und damit die von den ephétai Verurteilten von den Verurteilten des Areopags geschieden; vor ἐκ πρυτανείου ist das ὅσοι aber nicht noch einmal wiederholt: Die von ephétai und Prytaneion Verurteilten bilden also eine Einheit. Dies hat zu der These geführt, dass im Amnestiegesetz ein Chiasmus vorliege, also der Areopag über Tyrannisherrschaften urteilte und die ephétai und das Prytaneion über Tötungsdelikte.192 Dabei folgt man dem Argument von Plutarch, dass der Areopag bereits in vorsolonischer Zeit existiert und als Adelsrat über wichtige politische und rechtliche Angelegenheiten beraten und entschieden habe.193 Eine andere Interpretationsmöglichkeit sollte allerdings ebenfalls ins Auge gefasst werden, dass nämlich keine feste Zuordnung zwischen Institutionen (Areopag, ephé­ tai, Prytaneion) und Delikten bestand. Solon könnte diejenigen von der Amnestie ausgeschlossen haben, die als (überlebende) Anhänger Kylons vom Prytaneion verurteilt worden waren (bevor das Gesetz F 1 bestand), sowie diejenigen, die einige Zeit später wegen des Blutbades (sphagaí) an den zu den Altären geflüchteten Kylonanhängern infolge des drakontischen Gesetzes durch die ephétai verurteilt worden waren. Bestand Solons Vermittlungsversuch darin, erneut ein nun deutlich vergrößertes Gremium von 300 nach Vortrefflichkeit ausgewählten Athenern den Umgang mit den ‚Verfluchten‘ entscheiden zu lassen,194 könnte dies am Ort des Blutbads, am Fuß des áreios págos, neben dem Altar der Semnai, geschehen sein. Lag dieser Befriedungsversuch zeitlich 191  Plut. Solon 12,1; vgl. Schol. Aristoph. equ. 445a: λίθοις αὐτοὺς ἔβαλλον οἱ Ἀθηναῖοι. Zur Bedeutung von ‚Abschlachtung‘ (σφαγή) Hignett 1952, 312; MacDowell 1962, 118; Gagarin 1981, 129 Anm. 49 und Wallace 1985, 8 mit der Erklärung: „slaughters committed in political conflict“. So etwa in Isokr. 4,114; 12,259. 192  So auch Ruschenbusch 2010, 27 f. mit Berufung auf Stahl 1891, 482; Lenschau 1948, 1805 f.; Gagarin 1981, 127–132, 153–158 und Carawan 1998, 15–17. 193  Leão/Rhodes 2015, 14: „The best solution is that the Areopagus did exist before Solon, but was then concerned with major offences against the state, not with homicide“. So auch schon Ulrich Kahrstedt, Untersuchungen zu athenischen Behörden, in: Klio 80, 1937, 13–16 (wiederabgedruckt in: Erich Berneker [Hrsg.], Zur griechischen Rechtsgeschichte, Darmstadt 1968, 197–223, hier 200–203); Gagarin 1981, 130 und Koerner 1993, 40. Zu den Funktionen und Kompetenzen des Areopags in solonischer und vorsolonischer Zeit siehe den Kommentar zu F 40–43. 194  Plut. Solon 12,2–4.

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einige Jahre vor der Gesetzgebung von 594, würde Solon in seinem Amnestiegesetz neben den durch das Prytaneion um 636 und den durch die ephétai in den Jahren nach 621 Verurteilten auch die jüngst vom Areopag Verurteilten ausgeschlossen haben. Unter diesen Voraussetzungen könnte Solon als der Begründer des Areopags gelten, der nach vorausgehenden Verfahren vor dem Prytaneion und anschließend vor dem erweiterten Kreis von ephétai schließlich Verfahren vor einem noch einmal erweiterten Gremium begründete, die mittels eisangelía (namentlich) eingebracht werden mussten und in Fällen der Auflösung der politischen Ordnung und der vorsätzlichen Tötung durchgeführt wurden.195 Aus Rücksicht vor der drakontischen Satzung blieben die Fälle nicht vorsätzlicher, berechtigter und versehentlicher Tötung bei den ephétai. Die Mythen, die für ein hohes Alter des Areopags als Gerichtsstätte bei Tötungsdelikten sprechen, stammen größtenteils erst aus klassischer Zeit und spiegeln einen Zustand wider, der erst von solonischer Zeit an galt.196 Die Angabe Plutarchs bestätigt den aus der Inschrift IG I3 104 hervorgehenden Befund, dass in Drakons Gesetz über die Tötung stets von ephétai als Urteilenden die Rede ist, und erlaubt die Schlussfolgerung, dass auch in den nicht erhaltenen Partien des Gesetzestextes der Areopag und die Areopagiten nicht genannt waren. Die Ausführungen von Pollux für die drakontische Satzung heranzuziehen, ist nicht unproblematisch, da Pollux den ephétai (statt den basileís) das dikázein zuspricht und sie als Richtende in den fünf Gerichtshöfen ansieht, obwohl einer der fünf Gerichtshöfe der später hinzugefügte Areopag war, bei dem die ephétai nicht die Entscheidung fällten; auch im Prytaneion entschieden der basileús und die phylobasileís und nicht die einundfünfzig ephétai.197 Ob also tatsächlich die ephétai nach ‚Vorzüglichkeit‘ ausgewählt wurden, ist daher fraglich.198 195  Damit in Einklang steht eine Äußerung Ciceros (leg. 2,11 [28]), der es für falsch hält, dass in Athen nach der Sühnung des kylonischen Frevels auf Anraten des Kreters Epimenides der hýbris (contume­ lia) und der Schamlosigkeit (inpudentia) Heiligtümer errichtet wurden. Dies bezieht sich einerseits auf Solons Versuch der Befriedung, andererseits auf den Gerichtshof auf dem Areopag, wo es einen Altar der hýbris und einen der anaideía gab. Siehe Paus. 1,28,5 (F 22d). Die Altäre (βωμοί) der hýbris und der anaideía sind auch bei Theophrast belegt (Zenob. 4,36). 196  Ruschenbusch 2010, 27–28. Dagegen meinen Stroud 1968, 36–40 und Welwei 1992, 142–144, dass der Areopag schon in Drakons Zeit für Verfahren der vorsätzlichen Tötung zuständig war. MacDowell 1963, 7 lässt die Frage offen. Dazu ausführlich unten S. 273–279. 197  Siehe dazu Wallace 1985, 13. 198  Die angebliche Wahl der ephétai nach Vorzüglichkeit (aristíndēn) könnte ein aus Z. 19 der inschriftlichen Überlieferung resultierendes Missverständnis des Pollux sein (vgl. Hignett 1952, 311) oder auf Aussagen des Philochoros beruhen, wonach der Areopag aus Personen vornehmer Herkunft bestand und die 51 ephétai stellte: „Später bestand der Rat auf dem Areopag aus mehr Personen, dies sind die aus hervorragenden Männern bestehenden Einundfünfzig, ausschließlich aus Eupatriden, wie wir [bereits] gesagt haben, die sich durch Reichtum (ploútos) und anständige Lebensführung (bíos sṓphrōn) auszeichneten, wie Philochoros im dritten [Buch] seiner Athenischen Geschichten (Atthiden) berichtet“ (F 42a). Zum Kriterium der ‚Vorzüglichkeit‘ And. 3,30; Isokr. 4,146; Plut. Lys. 1,3–4; Phot. und Suda ɛ 3876 und 3877 s. v. ἐφέται: „ephétai: Personen, die umherzogen und Recht sprachen. Sie wurden ephétai genannt, weil sie über Bluttaten urteilten oder weil es keine Appellation (éphesis) gab – dies meint Beru-

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Sollte Drakon die ephétai für die im Zuge des kylonischen Tyrannisversuchs begangenen Tötungen eingesetzt und dadurch die Zahl der Urteilenden deutlich erhöht haben, ist nachvollziehbar, diese erneute Verhandlung der Taten als eine Art ‚Berufung‘ (éphesis) im Sinne einer Appellation zu verstehen.199 F 5 Die eigenhändige und veranlasste Tötung F 5a: Antiphon, Für den Choreuten (or. 6) 16 (419 v. Chr.) Διωμόσαντο δὲ οὗτοι μὲν ἀποκτεῖναί με Διόδοτον βουλεύσαντα τὸν θάνατον, ἐγὼ δὲ μὴ ἀποκτεῖναι, μήτε χειρὶ ἀράμενος μὴτε βουλεύσας. App. crit.: ἀράμενος codd. Die von Vahlen verteidigte handschriftliche Lesart μήτε χειρὶ, ἀράμενος, μήτε βουλεύσας hat Wilamowitz („mit der Hand, die ich darum geregt“) übernommen. ἐργασάμενος Dobree nach And. 1,94; ἐργασάμενον Valck.

Diese [die Gegner] haben zwar beschworen, ich hätte den Diodotos getötet, indem ich seinen Tod veranlasst hätte (bouleúein), ich aber, dass ich ihn nicht getötet habe, weder mit eigener Hand, die ich geführt habe (cheirí arámenos), noch durch Veranlassung (bouleúsas).

F 5b: Andokides, Über die Mysterien (or. 1) 94 (399 v. Chr.) Μέλητος δ’ αὖ οὑτοσὶ ἀπήγαγεν ἐπὶ τῶν τριάκοντα Λέοντα, ὡς ὑμεῖς ἅπαντες ἴστε, καὶ ἀπέθανεν ἐκεῖνος ἄκριτος· καί‹τοι› οὗτος ὁ νόμος καὶ πρότερον ἦν ‹καὶ› ὡς καλῶς ἔχων καὶ νῦν ἔστι, καὶ χρῆσθε αὐτῷ, τὸν βουλεύσαντα ἐν τῷ αὐτῷ ἐνέχεσθαι καὶ τὸν τῇ χειρὶ ἐργασάμενον. App. crit.: καὶ codd.; καίτοι Sluiter. ‹καὶ› abb. Baiter

Dieser Meletos wiederum hat Leon unter den Dreißig [Tyrannen] abgeführt (apágein), wie ihr alle wisst, und jener wurde ohne Urteil getötet. Und doch galt dieses Gesetz (nómos) schon früher, weil es ein schönes [Gesetz] ist, und so auch noch heute, wie ihr es gebraucht – für den, der eine Tat veranlasst hat (bouleúein), gelten dieselben Bestimmungen wie für den, der sie mit der eigenen Hand ausgeführt hat (cheirí ergázesthai).

Für die Lücke in Z. 12 der Inschrift IG I3 104 sind verschiedene Vorschläge unterbreitet worden, der Inhalt war indes unstrittig: Es ging um die Unterscheidung zwischen der eigenhändig ausgeführten und der veranlassten, der angeordneten Tat (boúleusis).

fung (ékklētos) – von ihnen zu einem anderen Gerichtshof “ und „ephétai: Personen im Alter über fünfzig Jahren, die hohes Ansehen genossen; sie urteilten auch über Fälle von Tötungen. Ihre Gerichtshöfe wurden ‚dikastḗria der ephétai‘ genannt“. 199  Susanne Gödde, Recht ohne Gesetz? Szenarien der Rechtsprechung bei Homer, Hesiod und Ais­ chylos, in: Klaus-Peter Adam, Friedrich Avemarie, Nili Wazana (Hrsg.), Law and Narrative in the Bible and in Neighbouring Ancient Cultures, Tübingen 2012, 157–185, hier 176: „Das Substantiv éphesis, also wörtlich ‚Entsendung‘, ‚Überweisung‘, wird hier [im Bericht Aristot. Ath. pol. 9.1 über Solons Reformen] verwendet, um die Delegation eines Falls an eine weitere Instanz innerhalb der immer komplexer werdenden Hierarchie der Athener Gerichte zu bezeichnen“; Anm. 60: „Die Mitglieder der Geschworenengerichte wurden entsprechend als ἐφέται bezeichnet“.

Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

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Gerhard Thür sieht in der von Antiphon in der Rede Für den Choreuten (F 5a) gebrauchten Formulierung einen direkten Bezug auf die Satzung Drakons.200 Folge man der Überlieferung der Codizes, würde diese Formulierung von der Zahl der Buchstaben genau in die Lücke passen: δ]ι|κάζεν δὲ τὸς βασιλέας αἴτι ̣ο[ν] φόν̣[ο] ε \[ναι ἒ χειρὶ ἀράμενον] ἒ [β]ολ|εύσαντα. In der Sache wird dies durch die Ausführungen des Andokides bestätigt, nur dass hier statt des altertümlichen arámenos (von ἀείρω, αἴρω – ‚heben, erheben‘) das um 400 verständlichere ergázesthai verwendet ist.201 F 6 Aussöhnung und Ankündigung der Blutrache (F 6a: T 385 Martina; F 5b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 6e–f: T 386a–b Martina; F 5c–d Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 6a: Gesetz in Demosthenes, Gegen Makartatos (or. 43) 57 (345/40 v. Chr.) (= F 27a; vgl. F 26a) προειπεῖν τῷ κτείναντι ἐν ἀγορᾷ ἐντὸς ἀνεψιότητος καὶ ἀνεψιοῦ· συνδιώκειν δὲ καὶ ἀνεψιοὺς καὶ ἀνεψιῶν παῖδας καὶ γαμβροὺς καὶ πενθεροὺς καὶ φράτερας. αἰδέσασθαι δέ, ἐὰν μὲν πατὴρ ᾖ ἢ ἀδελφὸς ἢ υἱεῖς, ἅπαντας ἢ τὸν κωλύοντα κρατεῖν. ἐὰν δὲ τούτων μηδεὶς ᾖ, κτείνῃ δὲ ἄκων, γνῶσι δὲ οἱ πεντήκοντα καὶ εἷς, οἱ ἐφέται, ἄκοντα κτεῖναι, ἐσέσθων οἱ φράτερες, ἐὰν ἐθέλωσι, δέκα· τούτους δὲ οἱ πεντήκοντα καὶ εἷς ἀριστίνδην αἱρείσθων. καὶ οἱ πρότερον κτείναντες ἐν τῷδε τῷ θεσμῷ ἐνεχέσθων. … App. crit.: προειπεῖν Reiske, προσειπεῖν codd.; καὶ ἀνεψιοὺς post γαμβροὺς codd., corr. Voemel; post πενθεροὺς habent codd. καὶ ἀνεψιαδοῦς, secl. Voemel; φράτερας, -ες: φράτορας, -ες codd.; αἰδέσασθαι δέ, ἐὰν: ἐὰν αἰδέσασθαι δεῖ codd.; ἅπαντας IG I3 104: πάντας codd.; οἱ ἐφέται: ἢ οί (i. e. hοι) ἐφέται codd.; τούτους: τούτοις codd.

Dem Täter [die Blutrache] in der agorá ankündigen (proeipeín) sollen [die Angehörigen] innerhalb der Vetternschaft (entós anepsiótētos), und [zwar] des Vetters. An der Verfolgung teilnehmen (syndiṓkein) sollen aber auch Vettern und Kinder von Vettern und Schwiegersöhne und Schwiegerväter und Phratriemitglieder. Sich aussöhnen aber sollen sie, wenn ein Vater da ist oder ein Bruder oder Söhne, alle zusammen oder der obsiege, der [die Aussöhnung] verweigert. Wenn es aber von diesen keinen gibt und er [der Täter] unabsichtlich (ákōn) getötet hat, sollen die Einundfünfzig, die ephétai, entscheiden, ob er unabsichtlich (ákōn) getötet hat, und die Phratriemitglieder ihn hineinlassen, wenn sie wollen, und zwar zehn. Diese sollen die Einundfünfzig nach Vorzüglichkeit (aristíndēn) wählen. Auch die, die früher getötet haben, sollen unter diese Satzung (thesmós) fallen … 200  Thür 2018, 33 f.; einen Überblick über bisherige Ergänzungsversuche gibt Thür 2015, 164 f. Phillips 2008, 49 f. hatte die Ergänzung ἒ [τὸν αὐτόχερ κτέναντ᾿] ἒ [β]ολεύσαντα vorgeschlagen. In Soph. OT 231 und 266 ist der Täter bei einem Tötungsdelikt als „eigenhändiger Täter“ (αὐτόχειρ) bezeichnet (vgl. auch Demosth. or. 20,158 [F 16a]). Der Kläger der ersten Rede Antiphons hat die Stiefmutter wegen Tötung aus Vorbedacht (ἐκ προνοίας) vor Gericht gebracht, und zwar wegen boúleusis, da die Stiefmutter das Gift der pallakḗ ausgehändigt haben soll, die das Mittel dann dem Vater des Klägers und dem Philoneos in den Trank gemischt hat. 201  Lipsius 1905–15, 125.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

F 6b: Demosthenes, Gegen Meidias (or. 21) 43 (348/7 v. Chr.) ἔπειθ’ οἱ φονικοὶ τοὺς μὲν ἐκ προνοίας ἀποκτιννύντας θανάτῳ καὶ ἀειφυγίᾳ καὶ δημεύσει τῶν ὑπαρχόντων ζημιοῦσι, τοὺς δ’ ἀκουσίως αἰδέσεως καὶ φιλανθρωπίας πολλῆς ἠξίωσαν. App. crit.: ἀποκτειννύντας Σ; ἀποκτιννύντας vulg.

Sodann bestrafen die Gesetze über die Tötung (phonikoí [nómoi]) diejenigen, die aus Vorsatz (ek pronoías) getötet haben, mit dem Tod oder immerwährender Flucht (aeiphygía) und Einzug des Vermögens, wohingegen sie den unabsichtlich (akousíōs) Tötenden Aussöhnung (aídesis) und großzügige Milde (philanthropía) angedeihen lassen.

F 6c: Demosthenes, Gegen Pantainetos (or. 37) 59 (347/5 v. Chr.) καὶ τοῦθ’ οὕτω τὸ δίκαιον ἐν πᾶσιν ἰσχύει, ὥστ’ ἐὰν ἑλών τις ἀκουσίου φόνου καὶ σαφῶς ἐπιδείξας μὴ καθαρόν, μετὰ ταῦτ’ αἰδέσηται καὶ ἀφῇ, οὐκέτ’ ἐκβαλεῖν κύριος τὸν αὐτόν ἐστιν. οὐδέ γ’, ἂν ὁ παθὼν αὐτὸς ἀφῇ τοῦ φόνου, πρὶν τελευτῆσαι, τὸν δράσαντα, οὐδενὶ τῶν λοιπῶν συγγενῶν ἔξεστ’ ἐπεξιέναι, ἀλλ’ οὓς ἐκπίπτειν καὶ φεύγειν, ἂν ἁλίσκωνται, καὶ τεθνάναι προστάττουσιν οἱ νόμοι, τούτους, ἐὰν ἀφεθῶσιν ἅπαξ, ἁπάντων ἐκλύει τῶν δεινῶν τοῦτο τὸ ῥῆμα. App. crit.: ἀϕεθῶσιν, ἅπαξ Blass.

Und dies hat bei allen eine solche Rechtskraft, dass, wenn sich einer, der einen anderen der unabsichtlichen Tötung (akoúsios phónos) überführt und ihn unverbrüchlich als unrein erwiesen hat, anschließend [mit ihm] ausgesöhnt und [eine Klage] fallen gelassen hat, er nicht mehr das Recht hat, ihn [aus Attika] herauszutreiben. Und auch wenn das Opfer selbst vor seinem Tod den Täter von der Tötung freigesprochen hat, ist es keinem der überlebenden Angehörigen mehr möglich, ihn gerichtlich zu belangen, denn diejenigen zu vertreiben oder zu verbannen, wenn sie verurteilt werden, oder zu töten, lassen die Gesetze zwar zu, doch wenn sie einmal [vom Opfer] freigesprochen waren, befreit sie dieses Wort von allen Schrecknissen.

F 6d: Ps.-Demosthenes, Gegen Euergos und Mnesiboulos (or. 47) 71 f. (um 355 v. Chr.) (= F 14b, 26b, 38b) (71) ταῦτα ἀκούσας ἐγὼ τῶν ἐξηγητῶν, καὶ τοὺς νόμους ἐπισκεψάμενος τοὺς τοῦ Δράκοντος ἐκ τῆς στήλης, ἐβουλευόμην μετὰ τῶν φίλων ὅ τι χρή με ποιεῖν. συμβουλευόντων δέ μοι ταὐτά, ἃ μὲν ὑπὲρ τῆς οἰκίας προσῆκεν μοι πρᾶξαι καὶ ἃ ἐξηγήσαντό μοι οἱ ἐξηγηταί, ἐποίησα, ἃ δ’ ἐκ τῶν νόμων οὐκέτι μοι προσῆκεν, ἡσυχίαν εἶχον. (72) κελεύει γὰρ ὁ νόμος, ὦ ἄνδρες δικασταί, τοὺς προσήκον­ τας ἐπεξιέναι μέχρι ἀνεψιαδῶν (καὶ ἐν τῷ ὅρκῳ διορίζεται ὅ τι προσήκων ἐστίν), κἂν οἰκέτης ᾖ, τούτων τὰς ἐπισκήψεις εἶναι. App. crit.: ταὐτά Schaefer, ταῦτα vulg., ποιεῖν ταὐτά S; ὰνεψιαῶν: ὰνεψιῶν F, Pollux 8,118, ἀνεψιῶν παίδων Koehler, Beauchet; διορίζεται: ἐπερωτᾶν F γρ. Q γρ., Pollux; ὅ τι D, ὅτι vulg., τί Q γρ., τίς Pollux, om. F γρ.; προσῆκον F γρ. Q γρ.; ᾖ codd., Pollux, ‹τις› ᾖ Cobet; τούτων: τῶν κυρίων Rüger, τῶν δεσοτῶν Philippi.

(71) Als ich dies von den Rechtskundigen (exēgētaí) gehört und [daraufhin] die Gesetze (nó­ moi) Drakons von der Stele geprüft hatte, habe ich mich mit meinen Freunden beraten, was ich tun sollte. Da sie mir dasselbe rieten, habe ich getan, was bezüglich des Hauses angemessen war zu tun [also: eine Reinigung vorzunehmen] und was die Rechtskundigen mir als Auskunft erteilt hatten, und ich habe mich zufrieden gegeben damit, was nach den Gesetzen (nómoi) mir ganz und gar nicht zukam: (72) Das Gesetz nämlich ordnet an, ihr Richter, dass die Ange-

Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

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hörigen bis zu den Vetterssöhnen (méchri anepsiadṓn) [den Täter] verklagen (epexérchesthai) und im Eid darlegen sollen, welcher Angehöriger man ist, und dass die Klagen (episkḗpseis) von diesen sein sollen, auch wenn er [der Getötete] ein Sklave (oikétēs) ist.

F 6e: Pollux, Onomastikon 3,28 (2. Jh. n. Chr.) Δημοσθένης δὲ τῆς ἀνεψιότητος εἴρηκε καὶ Σόλων. App. crit.: εἶπεν C.

Demosthenes spricht von der ‚Vetternschaft‘ (anepsiótēs), und [so auch] Solon.

F 6f: Synagoge lexeon chresimon s. v. ἀνεψιαδοί (frühbyzantinisch) (= F 26c) (Lexica Segueriana, Anecd. gr. I p. 401,18 Bekker)

ἀνεψιαδοί· […] καὶ Δημοσθένης ἐν τῷ περὶ τοῦ Ἁγνίου κλήρου παρατίθεται νόμον, ἐν ᾧ γέγραπ­ ται „καὶ πενθεροὺς καὶ ἀνεψιαδοῦς“. καὶ Λυσίας δέ λέγεται καὶ ἀνεψιότης. Δημοσθένης καὶ Σό­ λωνος νόμους παρατίθεται ἐν τῷ περὶ Ἁγνίου κλήρου, ἐν οἷς ἐστὶν ἡ ἀνεψιότης. App. crit. ἀνεψιαδοί Becker: ἀνεψιάδαι cod.; κλήρου Becker: ἀποκλήρου cod.

Anepsiadoí (Großneffen/Großvettern): […] und Demosthenes setzt in der Rede Über das Erbe des Hagnias [or. 43,57] ein Gesetz (nómos) [zum Vergleich] daneben, in dem geschrieben steht „und Schwiegerväter und Vetternsöhne“ (pentheroí, anepsiadoí). Lysias aber sagt auch „Vetternschaft“ (anepsiótēs). Demosthenes setzt in der Rede Über das Erbe des Hagnias auch Gesetze Solons [zum Vergleich] daneben, in denen anepsiótēs steht.

Demosthenes lässt in or. 43,57 f. den Auszug aus dem Gesetz über die Tötung und weitere Bestimmungen aus anderen Gesetzen verlesen, um daran Verpflichtungen der Familienangehörigen zu belegen.202 Zwar werden die erstgenannten Bestimmungen nicht als Gesetz Drakons ausgewiesen, doch mit Hilfe des hier angeführten Zitats ließen sich die Z. 13–20 und 20–23 in dem auf der Inschrift fragmentarisch erhaltenen Text (F 2) rekonstruieren, wobei die Bestimmung von Z. 20–23 bei Demosthenes an den Anfang gesetzt ist. Die Regeln der Aussöhnung zitiert Demosthenes verkürzt: Auf der Inschrift lässt sich eine weitere Bestimmung ergänzen, nämlich dazu, mit wem eine Aussöhnung zu vereinbaren ist, wenn Vater, Bruder oder Söhne fehlen. In diesem Fall sollen [die Angehörigen] „bis zur Vetternschaft, und zwar den Vettern“ sich versöhnen, „wenn alle sich versöhnen wollen; andernfalls obsiegt der, der dies verweigert“ (Z. 14–16: ἐὰν δὲ μὲ] ḥοῦ|15τοι ο\σι ̣, μέχρ’ ἀνεφ[σι]ότετος καὶ ̣ [ἀνεφσιο�, ἐὰν hάπαντες αἰδέσ]α̣σθαι ἐθέλοσι, τὸν κο[λύ]οντ̣α [κ]ρα[τεν� ).203 In dieser Zeile ist – anders als in der Bestimmung über Ankündigung und Verfolgung – die Wendung μέχρ’ ἀνεφ[σι]ότετος erhalten. Bei der Ergänzung der Textlücken in Z. 21 wurde das durch Demosthenes

202  Demosth. or. 43,59: all dies sind Verpflichtungen, „welche die Gesetze den Angehörigen zu verrichten auferlegen“. 203  Heitsch 1984b, 8.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

or. 43,57 belegte Wort ἐντός durch μέχρ᾽ ersetzt, da die Zeilen stoichedon gesetzt sind und jeweils 50 Zeichen umfassen.204 Das συνδιώκειν δὲ καὶ ἀνεψιοὺς καὶ ἀνεψιῶν παῖδας wird in Demosth. or. 47,72 (F 6d) mit den Worten ἐπεξιέναι μέχρι ἀνεψιαδῶν wiedergegeben, wobei der Sprecher ἐπεξιέναι nicht mehr im Sinne von „verfolgen“, sondern im Kontext des 4. Jh. im Sinne von „verklagen“ versteht, wie die nachfolgend genannten „Klagen“ (episkḗpseis) erkennen lassen.205 Demosthenes wird den Gerichtsschreiber angewiesen haben, die Bestimmungen über die Ankündigung der Blutrache deshalb voranzustellen, weil darin direkt die verwandtschaftlichen Beziehungen und Verpflichtungen bis zu Vettern genannt sind, wohingegen die Bestimmungen zur Aussöhnung mit den Verwandten nur zweiten Grades, dem Vater, Bruder und den Söhnen, beginnen. Möglich ist aber auch, dass bei der Revision der drakontischen Satzung durch Solon oder bei der Revision am Ende des 5. Jh. die ursprüngliche Anordnung in der Satzung Drakons verändert wurde und die Bestimmungen zur Ankündigung der Blutrache vorangestellt wurden, da dies der erste Schritt der Blutrache war und Drakon nur aufgrund der konkreten Situation – eines nun vorgeschalteten Verfahrens vor basileís und ephétai – die Möglichkeit zur Aussöhnung unmittelbar folgen ließ und in diesen Fällen die Ankündigung der Blutrache erst erfolgte, wenn keine Aussöhnung zustande kam. Die Formulierung anepsiótēs kaí anepsiós (Z. 15; 21) bedeutet, dass die aídesis bei fehlenden direkten Verwandten des Opfers bis zum Verwandtschaftskreis der „Vetternschaft“, und zwar den Vettern erfolgen musste, so dass im Interesse des Täters der Kreis derjenigen, die sich mit ihm einigen mussten, begrenzt blieb. Da es sich bei anepsiótēs um einen klassifikatorischen Verwandtschaftsbegriff handelt, könnte kaí anepsiós zur rechtlichen Präzisierung hinzugefügt sein. Umfasst sind damit alle Personen, die ‚vom selben Großvater abstammen‘ (a-neptioi).206 Bei den Phratriemitgliedern handelt es 204  Stroud 1968, 52. Allerdings würde sich bei einem Verständnis von ἐντὸς als „innerhalb der Vetternschaft und der Vettern“ – im Sinne von ‚ohne die Vettern selbst‘ – eine klare Abgrenzung der beiden Kreise ergeben, der eine bis zu den Neffen, der andere von den Vettern an. Da in Demosth. or. 43,57 kteínein nicht durch das später geläufige apokteínein ersetzt ist, ist zu überlegen, ob nicht doch das in or. 43,57 belegte entós den originalen Wortlaut wiedergibt. Siehe dagegen Stroud 1968, 52: „Ἐντός may have been used in preference to μέχρι by the orator or perhaps it was later introduced into the manuscript“. Siehe aber auch Plat. leg. 9,871b (s. u. Anm. 206). 205  Zu den exēgētaí James H. Oliver, The Athenian Expounders of the Sacred and Ancestral Law, Baltimore 1950; ders., Jacoby’s Treatment of the Exegetai, in: AJPh 75, 1954, 160–174. 206  Zu den mit μέχρ᾿ ἀνεψιότητος καὶ ἀνεψιοῦ bezeichneten Verwandten Humphreys 1991, 25 f. Sie versteht die Worte „as referring to uncles and first cousins“, denn die Onkel seien vom Verwandtschaftsgrad in der Aufzählung irgendwo zu erwarten. Wie das Wort a-neptioi die vom selben Großvater abstammenden Personen bezeichnet, so bezeichnet anepsiṓn paídes die vom selben Urgroßvater abstammenden Personen, also die Vettern zweiten Grades. „In adding anepsiotês to anepsios Drakon seems to be trying to stress that all kin within the degree of first cousin are included in this category“ (26). Die Worte wurden auch mit „Vetterssöhnen und Vettern“ übersetzt (etwa HGIÜ 145; Phillips 2013, 53 f.; vgl. auch Kurt Latte, Art. Mord, in: RE 16, 1933, 284; Stroud 1968, 50; Heitsch 1984b, 10). Für ein solches Ver-

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sich um Angehörige fiktiver verwandtschaftlicher bzw. dörflicher Vereinigungen. Ihre Erwähnung in der Inschrift legt nahe, dass jeder Athener Angehöriger einer Phratrie war.207 Nur wenn der Getötete keine männlichen Angehörigen hatte, also auch keine Vettern, entschieden zehn Phratriemitglieder, die von den 51 ephétai nach ‚Vorzüglichkeit‘, ‚Würdigkeit‘ (aristíndēn) gewählt wurden (Z. 19), über eine Aussöhnung.208 Die Einsetzung gewählter Phratriemitglieder war notwendig, wenn die Familie des Opfers erloschen war und dadurch niemand mehr existierte, der an einer Verfolgung interessiert war oder eine Aussöhnung gewähren konnte.209 Dass bei der Wahl der Phratriegenossen auf ein aristokratisches Prinzip zurückgegriffen wurde, deutet auf das hohe Alter der Bestimmung hin.210 In den Z. 16–18 der Inschrift geht es erneut um die Entscheidung der 51 ephétai, ob der Täter ohne Absicht getötet hat. Dieser Passus ist als Rückgriff auf die in den Zeilen 11–13 genannte Entscheidung der éphetai zu verstehen211 und bekräftigt noch einmal, dass zunächst die ephétai auf Nichtvorsätzlichkeit erkannt haben mussten, um anschließend die Phratriemitglieder zu wählen, die über die Aussöhnung entscheiden sollten. Da die in geringerem Maße betroffenen Phratriemitglieder großzügiger eine Aussöhnung hätten gewähren können, betonte Drakon, dass vorher die ephétai auf nicht vorsätzliche Tötung erkannt haben mussten, zumal nach Drakons Gesetz zehn Phratriemitglieder für ein Einverständnis zur Rückkehr ausreichten. In jedem Fall konnten nur jene Täter auf aídesis hoffen, die ohne Vorsatz getötet hatten. Alle, die mit Vorsatz getötet hatten, fielen entweder der Verfolgung im Rahmen der vollzogenen

ständnis von ἀνεψιότης gibt es allerdings keinen anderen Beleg. Außerdem wird für Vetterssöhne in Z. 22 die Formulierung ἀνεφσιο�ν παῖδες verwendet. Darüber hinaus ist dem Argument von Sally Humphreys zuzustimmen, dass anepsiótēs wohl kaum einen größeren Verwandtschaftskreis meinen kann, der über die Vettern hinausgeht, da in diesem Fall die anepsioí zuerst genannt wären. Vgl. auch S. 25 Anm. 28: „Mechri is certainly inclusive; … Entos, used in [Dem.] 43,57, is of course a synonym“. Vgl. Ruschenbusch 2010, 31 Anm. 1: Es werde zum Ausdruck gebracht, „dass innerhalb des Kollektivs jedes Mitglied angesprochen ist, also etwa ‚bis hin zur Vetternschaft und zwar bis hin zu jedem einzelnen‘“. Platon sieht in seinen Nomoi die Verpflichtung zur Anklage und zum Ausschluss von heiligen Orten bei den Verwandten „innerhalb der Vetternschaft von väter- und mütterlicher Seite“ (leg. 9,871b: οἱ ἐντὸς ἀνεψιότητος πρὸς ἀνδρῶν τε καὶ γυναικῶν). 207  Stephen D. Lambert, The Phratries of Attica, Ann Arbor 1993, 249. Gewissheit gibt der Inschrifttext allerdings nicht, da die beim kylonischen Putsch involvierten Täter und Opfer der Oberschicht angehört haben werden, die zweifellos einer Phratrie angehörten. Zu den Ursprüngen der Phratrie vgl. Philip B. Manville, The Origins of Citizenship in Ancient Athens, Princeton N. J. 1990, 60 f.; Lambert 1993, 245 f. 208  Eine Auswahl nach ‚Vorzüglichkeit‘ (aristíndēn) wurde auch beim Urteil über die am kylonischen Frevel Schuldigen angewandt: Aristot. Ath. pol. 1; Plut. Solon 12,3; vgl. Aristot. Ath. pol. 3,1; pol. 2,11, 1272b 36; 4,7, 1293b 10. 209  Heitsch 1984b, 17–18. 210  Stroud 1968, 50; Heitsch 1984b, 17–19. 211  So etwa Heitsch 1984b, 12–15.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Blutrache zum Opfer oder mussten für immer ins Exil flüchten (F 6b).212 Die Bestimmung, wie eine Aussöhnung erreicht werden konnte, wenn keine Angehörigen des Opfers bis hin zu den Vettern vorhanden waren, lässt den Schluss zu, dass Verfahren vor den ephétai auch dann geführt wurden, wenn keine Angehörigen als Kläger auftreten konnten. Diese Verfahren müssen also auf andere Weise eingeleitet worden sein. Die Bestimmung über die rückwirkende Geltung der Satzung bestätigt, dass bei der Neuaufzeichnung des Gesetzes im Jahr 409/8 der originale Wortlaut auf der Inschriftenstele verzeichnet wurde, da die Bestimmung im Jahr 409/8 ihre Bedeutung verloren hatte. Außerdem legt diese Bestimmung nahe, dass das Gesetz Drakons aus einem konkreten Anlass heraus geschaffen wurde (den Tötungen im Zuge des kylonischen Tyrannisversuchs), wobei einige der Täter schon aus Attika geflohen waren. In Demosth. or. 21,43 (F 6b) sind vorsätzliche und nicht vorsätzliche Tötung gegenübergestellt. Während bei der nicht vorsätzlichen Tötung die Aussöhnung möglich war, war sie bei der vorsätzlichen – die Drakon noch nicht, sondern erst Solon rechtsverbindlich geregelt hat – nicht vorgesehen, da das Exil ein immerwährendes war und das Vermögen eingezogen wurde, so dass der Täter bei einer Rückkehr keine Lebensgrundlage mehr gehabt hätte. Dass auch der Tod als Strafe genannt ist, ist nicht als alternative Bestrafung anzusehen, sondern so zu verstehen, dass dem Täter der Tod drohte, wenn er Attika nicht verlassen hatte.213 Die Reihenfolge der einzelnen Schritte bei der Blutrache lehnt sich in Demosth. or. 37,59 (F 6c) an das Gesetz Drakons an:214 Ist durch das Verfahren die Schuld an der Tötung erklärt, die Tat aber als eine nicht vorsätzliche anerkannt worden, kann eine Aussöhnung, die eben nur bei nicht vorsätzlicher Tötung gewährt wurde, erfolgen.215 Kommt eine Aussöhnung zustande, ist dem Täter ein Verbleiben innerhalb Attikas zugesichert. Ob die Bestimmung, dass der Täter auch dann keine Konsequenzen fürchten musste, wenn ihn das Opfer selbst von einer Schuld freigesprochen hatte, Bestandteil bereits der drakontischen Satzung war, lässt sich nicht entscheiden. Im Kontext des 4. Jh. ist das ἐπεξιέναι im Sinne einer gerichtlichen Klage zu verstehen, nicht mehr im Sinne einer Verfolgung des Täters. Eine Verurteilung kann nur die Verbannung, ein pheúgein, zur Folge haben; den Täter zu töten ist nur dann möglich, wenn er nicht aus

212  Gagarin 1981, 51; Carawan 1990, 58 f.; Carawan 1998, 71 f. und Ruschenbusch 2005, 39 (ders., 2010, 21) gehen hingegen davon aus, dass eine Aussöhnung sowohl bei vorsätzlicher als auch bei nicht vorsätzlicher Tat gewährt werden konnte; lediglich wenn Angehörige fehlten, hätten die Phratriemitglieder eine Aussöhnung nur in dem Fall gewähren durfen, wenn zuvor die ephétai auf nicht vorsätzliche Tötung erkannt hätten. 213  In klassischer Zeit konnte der Angeklagte in einem Verfahren wegen vorsätzlicher Tötung nach der ersten Rede unbeschadet in die Verbannung gehen. Blieb er zur zweiten Rede, drohte ihm die Todesstrafe (Antiph. 5,13; 6,14; Demosth. or. 23,69; Poll. 8,117; Stroud 1968, 42). 214  Der erste Satz in or. 37,59 ist in Demosth. or. 38,22 noch einmal wortwörtlich wiederholt. 215  Auch Phillips 2008, 52 f. geht davon aus, dass über Kompensationszahlungen für die Familie des Opfers erst nach einer rechtlichen Entscheidung der ephétai verhandelt wurde.

Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

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Attika flieht. Insofern ist die Aussage sehr präzise, wenn die Verurteilung nur auf ein Heraustreiben und Verbannen bezogen wird, nicht aber auf die Tötung. Denn bei der nicht vorsätzlichen Tat drohte die Todesstrafe nicht. Die Ausführungen in Demosth. or. 47,72 (F 6d) zeigen, dass eine Verfolgung – im 4. Jh. als Anklage verstanden – auch möglich war, wenn der Getötete ein Sklave, ein oikétēs, war. Man wird aber daran zweifeln müssen, ob mit dieser gesetzlichen Bestimmung im späten 7. oder frühen 6. Jh. ein Sklave gemeint war, oder nicht eher ein der hausväterlichen Gewalt unterstehender Angehöriger der unterbäuerlichen Schicht. Auch ein solcher Knecht könnte als oikeús dem ‚Vollfreien‘, dem eleútheros, gegenübergestellt sein.216 Für das späte 7. und das frühe 6. Jahrhundert ist mit einem höheren Anteil von freiem Gesinde zu rechnen, das in das Haus integriert war und der hausväterlichen Gewalt unterstand.217 Da es in der demosthenischen Rede Gegen Makartatos um das umstrittene Erbe des Hagnias geht, bezieht sich der Eintrag in den Lexica Segueriana (F 6f) auf Demosth. or. 43,57. Der Lexikoneintrag bestätigt damit den in den Codices von Demosth. or. 43 überlieferten, in den modernen Ausgaben ‚korrigierten‘ Wortlaut … καὶ πενθεροὺς καὶ ἀνεψιαδοῦς. Der Verweis in Pollux 3,28 (F 6e) wird sich vermutlich ebenfalls auf Demosth. or. 43,57 und damit auf das Gesetz Drakons beziehen, doch ist nicht ausgeschlossen, dass sich Pollux’ Begriffserläuterungen zu ‚Vettern‘ und ‚Cousinen‘ (anepsioí und anepsiaí) auf das solonische Erbrecht oder auf seine Bestattungsgesetze beziehen.218 Geht man davon aus, dass in IG I3 104 das Verfahren einem chronologischen Ablauf folgt, wäre in den Zeilen 23–26 eine Bestimmung zu erwarten, die auf das Geschehen nach Aufnahme der Verfolgung eingeht und dann fortgeführt wird mit der Bestimmung in Z. 26–29, dass der aus Attika geflohene Täter geschützt ist, wenn er sich von agoraí ephóriai, amphiktyonischen Wettkämpfen und Festen fernhält (F 7), er aber getötet und zur Hinrichtung abgeführt werden kann, wenn er innerhalb Attikas ergriffen wird (F 8).219

216  In IG I3 104 Z. 36 ist ἐλεύθερος belegt. Dazu Marie-Madelaine Mactoux, Lois de Solon sur les esclaves et formation d’une société esclavagiste, in: Toru Yuge, Masaoki Doi (Hrsg.), Forms of Control and Subordination in Antiquity, Leiden 1988, 331–354, hier 333 f. 217  Winfried Schmitz, Überlegungen zur Verbreitung der Sklaverei in der griechischen Landwirtschaft, in: Peter Mauritsch, Christoph Ulf (Hrsg.), Kultur(en) – Formen des Alltäglichen in der Antike. Festschrift für Ingomar Weiler zum 75. Geburtstag, Teil 2, Graz 2013, 535–552; ders., Art. Gesinde, in: Heinz Heinen (Hrsg.), Handwörterbuch der antiken Sklaverei, Stuttgart 2017, Sp. 1178–1181. 218  Z. B. das Gesetz in Demosth. or. 43,62: dort aber ἐντὸς ἀνεψιαδῶν; in der indirekten Wiedergabe in 43,63: μέχρι ἀνεψιότητος. 219  Stroud 1968, 53 vermutet eine Bestimmung, die mit ἐὰν δέ τις … in Z. 23 beginnt und am Zeilenübergang von 23 zu 24 mit κτένει ἒ] αἴτι|ος [ε \ι] φό[νο --- endet. Auch diesbezüglich hätten die „Einundfünfzig“ (am Ende von Z. 24) entscheiden sollen. Der Inhalt bleibe aber unklar. In Z. 25/26 folge dann möglicherweise ἐὰν δέ τινα] φόνο | hελ̣ο�σ[ι – „if they [die ephétai] convict someone of homicide, …“.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

F 7 Fernhalten von agoraí ephóriai, von amphiktyonischen Wettkämpfen und Festen (F 7: T 399 Martina; F 18b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 7: Gesetz in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 37 (352 v. Chr.) ΝΟΜΟΣ·

Ἐὰν δέ τις τὸν ἀνδροφόνον κτείνῃ ἢ αἴτιος ᾖ φόνου, ἀπεχόμενον ἀγορᾶς ἐφορίας καὶ ἄθλων καὶ ἱερῶν ἀμφικτυονικῶν, ὥσπερ τὸν Ἀθηναῖον κτείναντα, ἐν τοῖς αὐτοῖς ἐνέχεσθαι· διαγιγνώσκειν δὲ τοὺς ἐφέτας. App. crit.: δέ1 om. SYP1; ἐφορίας codd., ἐφυρείας F1. Gesetz:

Wenn jemand den verurteilten Täter tötet oder an dessen Tötung Schuld trägt, obwohl dieser sich von agoraí ephóriai und von amphiktyonischen Wettkämpfen und Festen (áthla kaí hierá) fernhält, so soll er unter dieselben [Gesetzesbestimmungen] fallen, wie wenn er einen Athener getötet hätte. Entscheiden aber sollen die ephétai. Vgl. Antiph. 6,4: Ἀνάγκη γάρ, ἐὰν ὑμεῖς καταψηφίσησθε, καὶ μὴ ὄντα φονέα μηδὲ ἔνοχον τῷ ἔργῳ χρήσασθαι τῇ δίκῃ, καὶ νόμῳ εἴργεσθαι πόλεως ἱερῶν ἀγώνων θυσιῶν, ἅπερ μέγιστα καὶ παλαιότατα τοῖς ἀνθρώποις. – „Denn wenn ihr jemanden verurteilt, so muss er, auch wenn er [tatsächlich] keiner ist, der getötet hat und an der Tat keinen Anteil hat, sich dennoch eurem Urteil unterwerfen und nach dem Gesetz sich ausschließen lassen von der Polis, von Heiligtümern (hierá), Wettkämpfen (agṓnes) und Opferfesten (thysíai), also von den für die Menschen wichtigsten und ältesten Einrichtungen“.

Zwar trifft die Behauptung des Sprechers in or. 23,51, er habe sich in seiner Argumentation auf die Gesetze Drakons als Vorlage gestützt, nicht unmittelbar für die eingelegten nómoi zu, weil die Auszüge aus der Revision der drakontischen Satzung, den phonikoí nómoi, stammen, doch lassen sich mit dem Zitat in or. 23,37 die Zeilen 26–29 der Inschrift mit der Wiederaufzeichnung des drakontischen Gesetzes über die Tötung (F 2) rekonstruieren.220 Die phonikoí nómoi haben also die drakontische Satzung (mehr oder weniger) wörtlich übernommen. Der Sprecher wiederholt in or. 23,38 und 23,39–43 das eingelegte Gesetz noch einmal fast wortwörtlich, einmal in knapper Darlegung, dann mit Erläuterungen versehen.221 Da sich für das drakontische Gesetz keine Bestimmung über die vorsätzliche Tötung verifizieren lässt und der Beginn des Gesetzes in den Z. 11–19 der Inschrift die nicht vorsätzliche Tötung und die dabei mögliche Aus-

220  In or. 23,42 spricht Demosthenes in Bezug auf alle angeführten Bestimmungen von den φονικαὶ δίκαι. 221  Es sind nur einige kleinere Abweichungen zu verzeichnen: Statt des ἐὰν δέ τις τὸν ἀνδροφόνον κτείνῃ heißt es in der indireckten Wiedergabe ἐάν τις ἀποκτείνῃ τὸν ἀνδροφόνον (or. 23,38) bzw. ἐάν τις τὸν ἀνδροφόνον κτείνῃ (or. 23,39) und ἄν τις ἀποκτείνῃ τὸν ἀνδροφόνον (or. 23,41), statt des ὥσπερ τὸν Ἀθηναῖον κτείναντα, ἐν τοῖς αὐτοῖς ἐνέχεσθαι heißt es in or. 23,41 ἥνπερ ἂν τὸν Ἀθηναῖον κτείνῃ bzw. τοῖς αὐτοῖς ἐνεχέσθω καθάπερ ἄν τὸν Ἀθηναῖον ἀποκτείνῃ, statt des ἐὰν δέ τις … αἴτιος ᾖ φόνου heißt es in or. 23,43 ἂν τις αἴτιος ᾖ. Nach Canevaro 2013, 57 können die leichten Abweichungen als „casual miscopying“ erklärt werden, oder Grundlage der Abschreiber seien leicht abweichende offizielle Kopien desselben Gesetzes gewesen. Ich halte eine sprachliche Anpassung des archaischen Gesetzestextes durch Demosthenes für wahrscheinlicher.

Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

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söhnung behandelt, ist davon auszugehen, dass auch durch die Bestimmung in den Z. 26–29 diejenigen, die nicht vorsätzlich getötet hatten und ins Exil gegangen waren, vor weiterer Verfolgung geschützt sein sollten.222 Dies betrifft sowohl den Täter, der eigenhändig getötet hatte, als auch den, der die Tötung veranlasst hatte, also die Verantwortung für die Tötung trug (αἴτιος ᾖ φόνου). Die Formulierung „wenn jemand den Täter tötet oder an dessen Tötung Schuld trägt“ nimmt die Bestimmung in den Z. 12–13 der Inschrift auf (Z. 12: αἴτι ̣ο[ν] φόν̣[ο] Ε[...... …17........]Ε). Für den Täter ist hier die Bezeichnung androphónos gebraucht, ein Begriff, der in den ‚Gesetzen über die Tötung‘ nach Demosth. or. 23,29–31 für den verurteilten Täter verwendet wurde. Und diese spezielle Bedeutung ist auch an dieser Stelle zu unterlegen, wie auch Antiph. 6,4 bestätigt,223 denn in der Abfolge des inschriftlichen Textes folgt die Bestimmung im Anschluss an das Urteil von basileís und ephétai, an die (gescheiterte) Aussöhnung, die Ankündigung der Blutrache und die Aufnahme der Verfolgung und die (im inschriftlichen Text fehlende) Flucht des Täters aus Attika.224 Wer einen solchen flüchtigen Täter tötete, wurde wie derjenige behandelt, der einen Athener getötet hatte.225 Diese Regelung ist sehr präzise, weil derjenige, der einen Flüchtigen getötet hatte, nicht sogleich als Mörder eingestuft werden konnte, sondern auch bei ihm zu entscheiden war, ob es vorsätzliche, nicht vorsätzliche, versehentliche oder berechtigte Tötung war.226 Darüber hatten die ephétai zu entscheiden (Z. 29), was beweist, dass die Qualifikation der Tat für alle Tötungen den ephétai oblag und es zu dieser frühen Zeit darüber hinaus keine Klagen wegen Tötung vor dem Areopag gab. Der Areopag – der vermutlich zu dieser Zeit noch nicht bestand – hatte also noch keine Kompetenz bei Tötungsdelikten. So schließt in nahezu identischer Form auch im eingelegten Gesetz an: „entscheiden aber sollen die ephétai“, wobei hier – in Parallele zu dem vorangehenden ἐνέχεσθαι – der Infinitiv Präsens statt des Infinitivs Aorist in Z. 13 gebraucht ist. Die ephétai sollen darüber entscheiden, ob die (durch das Gesetz untersagte) Tötung des verurteilten Täters eine vorsätzliche oder eine nicht vorsätzliche Tat war.227 222  So auch Ruschenbusch 2010, 47. 223  Nach Antiph. 6,2 gehöre dies zu den ältesten Gesetzen, die stets gleich geblieben seien. 224  Der Begriff androphónos ist im inschriftlichen Gesetz immer nur dann gebraucht, wenn der ‚verurteilte Täter‘ bezeichnet wird. Anders urteilt dagegen Stroud 1968, 53 zu Demosth. or. 23,29: „That this is mere sophistry is proved not only by Lysias, 10.6–12, but also by Demosthenes’ own words in section 80 of the same speech“. Die sophistische Argumentation ist aber eher in or. 23,80 zu sehen, und es ist durchaus möglich, dass in der Revision Solons oder in den phonikoí nómoi des späten 5. Jh. die Verwendung des Wortes weniger exakt war. 225  Phillips 2013, 53: „The phrase ‚the killer of an Athenian‘ means ‚the killer of an Athenian citizen in full possession of his civic rights,’ which a killer in exile did not enjoy“. 226  Die Formulierung zeigt darüber hinaus, dass das Gesetz auf athenische Bürger ausgerichtet war, zumal für eine Aussöhnung bei fehlenden engeren Verwandten davon ausgegangen wurde, dass der Getötete einer Phratrie angehört hatte. 227  Schon Stroud 1968 hatte gesehen, dass diese Bestimmung beweist, dass die ephétai prinzipiell auch über vorsätzliche Tötung entschieden. Vgl. Edwin M. Carawan, Ἐφέται and Athenian Courts for Homicide in the Age of the Orators, in: CPh 86, 1991, 1–16, hier 12.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

In aller Regel wird agorá ephoría (ἀγορὰ ἐφορία) als ‚Grenzmarkt‘ verstanden und übersetzt.228 Der Begriff ist nur im drakontischen Gesetz belegt; Demosthenes meint daher in der Rede Gegen Aristokrates (or. 23,39) ephórios als „die Grenzen des Landes“ (τὰ ὅρια τῆς χώρας) erklären zu müssen, weil dort – wie ihm scheine – die Anrainer der eigenen und der benachbarten Stadt (ἀστυγείτονες) zusammenkämen.229 Dass die im 4. Jh. als erklärungsbedürftig angesehene Wendung der agorá ephoría in dem 409/8 wieder aufgezeichneten Gesetz übernommen wurde, spricht erneut dafür, dass es der Originaltext aus dem späten 7. Jh. war, den die Schreiber auf der Stele veröffentlicht haben.230 Berücksichtigt man, dass agorá in IG I3 104 Z. 21 wahrscheinlich die Volksversammlung auf der Agora meint, kann agorá ephoría auch im Sinne einer jenseits der Grenzen abgehaltenen Versammlung verstanden werden. Eine solche Versammlung könnte z. B. während eines Feldzugs zusammengerufen worden sein. Bei den amphiktyonischen Wettkämpfen und Festen kann es sich um die Wettkämpfe und Feste der delphischen Amphiktyonie handeln, doch es kommen auch regionale Wettkämpfe der ‚ringsum Wohnenden‘ (ἀμφι-κτίονες), also von benachbarten Poleis, in Betracht.231 Im 4. Jh. verstand man – wie die demosthenische Rede Gegen Aristokra­ tes zeigt – unter den „amphiktyonischen Heiligtümern“ überregionale heilige Stätten wie Delphi, denn an diesen hätte, so Demosthenes, ein Täter Anteil, „da er ein Hellene war“, wenn es ihm durch das Gesetz Drakons nicht untersagt wäre. „Amphi­ktyonisch“ bezieht er nur auf die Heiligtümer, nicht auch auf die Wettkampfstätten (or. 23,40). Doch können die Ausführungen des Sprechers insbesondere in Hinsicht auf die Deutung des ‚amphiktyonisch‘ am ursprünglichen Sinn vorbeigehen.232 Eberhard Ruschenbusch hat die Meinung vertreten, dass die nur angedeutete Strafe nicht impliziere, dass 228  Sylvian Fachard, The Resources of the Borderland: Control, Inequality, and Exchange on the Attic-Boeotian Borders, in: Pascale Derron (Hrsg.), Économie et inégalité. Ressources, échanges et pouvoir dans l’antiquité classique, Vandœuvres 2017, 19–61, hier 48–50 nennt weitere Hinweise auf Märkte, die es im Grenzgebiet zwischen Attika und Boiotien gegeben haben wird. 229  Aufgenommen und mit einer spekulativen Erklärung versehen ist ἐφορία bei Harpokration, der auf die Stelle bei Demosthenes verweist: „Ephoría: die an den Grenzen vorgenommene Ankündigung (προαγόρευσις), wie Demosthenes in der Rede Gegen Aristokrates und Theophrast im 13. Buch der Geset­ ze lehren“ (Harpokr. ɛ 143 s. v.). Möglicherweise war auch eine „durch Grenzsteine (hóroi) abgegrenzte agorá“ gemeint (Mirko Canevaro, How to Cast a Criminal out of Athens: Law and Territory in Archaic Attica, in: Ioannis K. Xydopoulos, Kostas Vlassopoulos, Eleni Tounta (Hrsg.), Violence and Community. Law, Space and Identity in the Ancient Eastern Mediterranean World, London/New York 2017, 50–71, hier 57 f. 230  Stroud 1968, 53. 231  Ruschenbusch 2010, 47 mit der Übersetzung „von den Wettkämpfen und Festen der Grenznachbarn“ (mit Verweis auf Androtion FgrH 324 F 58 und die Belege für ἀμφικτίονες bei Homer und Pindar); Leão/Rhodes 2015, 29 halten dies für „less plausibly“ gegenüber einer „Delphic or any other amphictyony“; auch Figueira 1993, 292 bezog dies auf die delphische Amphiktyonie und leitete daraus ein Argument für eine spätere redaktionelle Bearbeitung des drakontischen Gesetzes ab. Zu regionalen Wettkämpfen Henri W. Pleket, Games, Prizes, Athletes and Ideology, in: Stadion 1, 1975, 49–89. 232  Auch Kurt Latte, Art. Mord, in: RE 16, 1933, 286 f. und Stroud 1968, 54 beziehen ‚amphiktyonisch‘ im Gesetz Drakons auf Wettkämpfe und Feste, Canevaro 2013, 56 hingegen bezieht es nur auf die Feste.

Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

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der Täter sein Bürgerrecht und seinen Besitz verliere (s. F 24a).233 Dies drohte ihm vermutlich nur, wenn die ephétai auf vorsätzliche Tat entschieden (siehe F 9). Die leichten Abweichungen und Variationen im kommentierenden Text der Demosthenesrede zeigen, dass der als Gesetz in or. 23,37 eingelegte Text auf einer eigenständigen Vorlage beruht und nicht aus den vom Sprecher wiedergegebenen Passagen zusammengestellt ist. Der eingelegte Text gibt also den ursprünglichen Gesetzestext Drakons in der von Solon übernommenen Form authentisch wieder.234 F 8 Tötung und apagōgḗ des nicht aus Attika geflohenen Täters (F 8a: T 397 Martina, F 16 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 8c: T 392 Martina, F 11 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 8a: Gesetz in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 28 (352 v. Chr.) (= F 33a, 110b) καίτοι πάντα ταῦτ’ ἀπείρηκεν ἄντικρυς καὶ σαφῶς ὁ κάτωθεν νόμος μηδὲ τοὺς ἑαλωκότας καὶ δεδογμένους ἀνδροφόνους ἐξεῖναι ποιεῖν. λέγε δ’ αὐτοῖς αὐτὸν τὸν νόμον τὸν μετὰ ταῦτα ΝΟΜΟΣ·

Τοὺς δ’ ἀνδροφόνους ἐξεῖναι ἀποκτείνειν ἐν τῇ ἡμεδαπῇ καὶ ἀπάγειν, ὡς ἐν τῷ ἄξονι ἀγορεύει, λυμαίνεσθαι δὲ μή, μηδὲ ἀποινᾶν, ἢ διπλοῦν ὀφείλειν ὅσον ἂν καταβλάψῃ. App. crit.: δ’ om. A; ‹αʹ› ante ἄξονι add. Cobet; ἀπαγορεύει A.

Und doch hat all dies das von unten her [stammende] Gesetz (ho kátōthen nómos) das alles ausdrücklich und klar verboten und sogar überführten und anerkannten Tätern von Tötungsdelikten (androphónoi) anzutun untersagt. Lies ihnen [den Geschworenen] das Gesetz vor, das darauf folgt: Gesetz:

„Die verurteilten Täter (androphónoi) auf heimischem Boden zu töten oder abzuführen (ap­ ágein), ist zulässig, wie es auf dem áxōn bestimmt ist, sie zu misshandeln aber nicht und auch nicht, ein Wergeld zu verlangen (apoinán). Andernfalls schulde man das Doppelte von dem, was man an Schaden angerichtet hat“.

F 8b: Pausanias, Graeciae descriptio 1,28,10 (2. Jh. n. Chr.) (= F 22d) πρότερον δὲ πρὶν ἢ Θησεὺς ἀφείθη, καθειστήκει πᾶσι φεύγειν κτείναντα ἢ κατὰ ταὐτὰ θνήσκειν μένοντα. App. crit.: ταὐτά Rˡ: ταῦτα β.

Früher aber, bevor Theseus freigesprochen wurde, war es für alle [gesetzlich] festgelegt, dass der, der getötet hatte, [aus Attika] floh (pheúgein) oder, wenn er [im Land] blieb (ménōn), demzufolge starb (thnḗskein).

233  Ruschenbusch 2010, 47; zustimmend Leão/Rhodes 2015, 29. 234  Diesen Schluss lassen zumindest die erhaltenen Buchstabenfolgen auf der Inschrift IG I3 104 Z. 26–29 zu: ἐὰν δ]έ [τ]ις τὸ[ν ἀν]δ̣ρ[οφόνον … ἀγορᾶ]ς ἐφορί[α]ς κ̣[α]ὶ [… Ἀθεν]αῖον κ̣[τένα]ν̣[τα, … ̣ τὸς] ἐ[φ]έτα[ς].

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

F 8c: Photios, Lexikon π 1009 Theodoridis (p. 437,20 Porsonus) s. v. ποινᾶν καὶ ἀποινᾶν (9. Jh. n. Chr.) (= F 33c) ποινᾶν καὶ ἀποινᾶν· τὸ λυτροῦν. Σόλων. poinán und apoinán (‚büßen‘ und ‚bußlos machen‘): das (gegen Lösegeld) Freigeben. Solon.

Wie es auch bei Solons Bestimmung über die Atimie und beim Amnestiegesetz (F 1a–b, 4b) der Fall ist, wird auch in der in Demosth. or. 23,28 überlieferten Bestimmung auf eine ältere Regelung, nämlich die drakontische, auf dem áxōn festgehaltene Satzung verwiesen.235 Geht das Zitat in Solons Gesetz auf die Satzung Drakons zurück, hat Drakon ausdrücklich zugelassen, denjenigen, der eine nicht vorsätzliche (oder eine vorsätzliche) Tötung begangen hatte, zu töten oder zu den Thesmotheten abzuführen (siehe F 8a, 33a), nämlich in dem Falle, dass er Attika nicht verlassen hatte.236 Mehrfach ist vorgeschlagen worden, das in Demosth. or. 23,28 zitierte Gesetz in den inschriftlich überlieferten Gesetzestext (F 2) einzuhängen, nämlich in die Zeilen 30 f.: |30… Ε̣....................39....................τ̣ει ἑμεδ̣|[απει�  …, wobei die Worte τῇ ἡμεδαπῇ den Ausschlag gaben. Da die Zeile 29 mit dem in sich abgeschlossenen Satz διαγιγνόσκεν δὲ τὸς] ἐ[φ]έτα[ς] endet, kann es gut sein, dass Zeile 30 mit der in or. 23,28 eingelegten Bestimmung begonnen hat. Aufgrund der Zeilenlänge von genau 50 Buchstaben wäre davon auszugehen, dass das in or. 23,28 nachgestellte καὶ ἀπάγειν unmittelbar auf ἀποκτείνειν folgte, was auch sachlich insofern präziser wäre, als sich die Zulassung der apagogḗ ebenfalls auf das Abführen nur innerhalb Attikas bezieht. Zu ergänzen wäre also: Τὸς δ’ ἀνδροφόνος ἐχσεν� αι ἀποκτένεν καὶ ἀπάγεν ἐν] τει� ἑμεδ|[απει� .237 Da von dem 235  ‹αʹ› in Demosth. or. 23,28 (und 23,31) ist Konjektur von Cobet („wie es auf dem ‹ersten› áxon bestimmt ist“), was sich durch die Neulesung der Inschrift durch Ronald Stroud (wegen des [δεύτ]ε̣ρος ̣ [ἄχσον] in Zeile 56) nach Meinung von Eberhard Ruschenbusch als verfehlt erwiesen habe, da das bei Demosth. or. 23,28 eingelegte Gesetz nicht in die Zeilen 23–26 oder 30–55 eingepasst werden kann. Wenn sich die erste Zeile von or. 23,28 allerdings in Zeile 30 f. einfügen ließe (dazu s. u.), wäre dieses Argument entkräftet. Die Konjektur ist aber auch nicht notwendig, wenn mit áxōn das drakontische Gesetz hinreichend spezifiziert ist. Hinzu kommt, dass in Harpokr. α 166 s. v. ἄξονι auf die Stelle Demosth. or. 23,28 verwiesen ist, mit dem Zitat: ὡς ἐν τῷ ἄξονι εἴρηται. Auch in Harpokrations Zitat ist also der áxōn nicht mit einer Nummerierung (αʹ) versehen. Dies gilt auch für das Zitat in Tiberius Rhet., De figuris Demosthenicis 13 (Rhet. gr. 8,451). Siehe auch T 14a. 236 Zur apagogḗ bei Tötungsdelikten Harold D. Evjen, Ἀπαγωγή and Athenian Homicide Procedures, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 38, 1970, 403–415, der die apagogḗ für ein frühes Verfahren hält. Ebenso Gagarin 1986, 75; 112–115; Todd 1993, 275 f. Phillips 2013, 47 hingegen hält die apagogḗ bei Tötungsdelikten für eine Erweiterung aus der Zeit des späten 5. Jh. 237  In der solonischen Revision des Gesetzes könnte das καὶ ἀπάγειν nach hinten verschoben worden sein, damit nicht missverständlich nur das ἐν τῇ ἡμεδαπῇ als drakontische Formulierung angesehen wird. In seiner Wiedergabe des Gesetzes in or. 23,30 benutzt Demosthenes die Worte ἐξεῖναι ἀποκτείνειν καὶ ἀπάγειν und weist ausdrücklich darauf hin, dass auch ein Abführen nur innerhalb des Landes statthaft sei (or. 23,35). Der weitere Text wird in or. 23,33 wiedergegeben. An diese Stelle der Inschrift das F 9, in dem ebenfalls die Worte ἐν τῇ ἡμεδαπῇ fallen, einzufügen, ist aufgrund der Länge der vorangehenden Satzteile nicht möglich. In seiner Elegie fr. 4 West Z. 24 spricht Solon von denjenigen Athenern, die

Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

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vierten Buchstaben dieser Zeile die obere Haste vermutlich eines Epsilon (Ε̣) erhalten ist, hatte Ronald Stroud die Umstellung ἐχσ]ε[� ναι δὲ τὸς ἀνδροφόνος ἀποκτένεν ἒ ἀπάγεν, ἐὰν ἐν] τει� ἑμεδ|31[απει� vorgeschlagen.238 Um den Text an die vorhandenen Buchstabenreste anzupassen, sind dabei aber mehrere leichte Textveränderungen vorzunehmen. Denn auch dieser – letztendlich von Stroud abgelehnte – Vorschlag beinhaltet Schwierigkeiten, da im drakontischen Text stets κτείνειν und nicht ἀποκτείνειν verwendet ist und auch der Plural τοὺς ἀνδροφόνους Anstoß erregt. Zu rekonstruieren wäre also ἐχσ]ε[� ναι δὲ τὸν ἀνδροφόνον …6… κτένεν ἒ ἀπάγεν ἐν] τει� ἑμεδ|[απει� . Bei der Übernahme der Bestimmung in das Gesetz Solons – nämlich in das Gesetz über Schädigungen, wie der letzte Satz in der eingelegten Bestimmung zeigt – ist der Text offenbar umgestellt und verändert worden, in einer Weise, die die genaue ursprüngliche Textfassung in der Satzung Drakons nicht wiederherzustellen erlaubt.239 Dennoch scheint es gut möglich, dass sich Solon bei seiner Übernahme auf die Zeilen 30 f. der Inschrift bezog, wobei auch hier davon auszugehen ist, dass das Wort ἀνδροφόνος für den verurteilten Täter steht. Die Bestimmung, wonach es zulässig ist, „die verurteilten Mörder auf attischem Boden zu töten oder abzuführen“, würde gut zu der vorausgehenden passen, dass die Tötung desjenigen verurteilten Täters, der sich von agoraí ephóriai und amphiktyonischen Wettkämpfen und Kultfeiern fernhält, nicht zulässig ist und dieselben Folgen hat, wie wenn man einen Athener (in Athen) getötet hätte. Nach diesem Verbot wird dann klargestellt: Die Tötung (oder Abführung) eines verurteilten Täters ist dann aber erlaubt, wenn er sich weiterhin in Attika aufhält.240 Von dem in Demosth. or. 23,28 eingelegten Text her kann nicht sicher beurteilt werden, ob das Zitat aus der drakontischen Satzung mit dem Einschub „wie es im áxōn bestimmt ist“ endet oder anschließend weitergeht, aber nach der ersten syntaktischen Einheit bereits klargemacht werden sollte, dass es sich bei der Übernahme in das Gesetz Solons um ein Zitat handelt. Der weitere Text lautet: λυμαίνεσθαι δὲ μή, μηδὲ

aufgrund von Schulden „in ein fremdes Land“ (γαῖαν ἐς ἀλλοδαπήν) verkauft wurden. Zu ἐν τῇ ἡμεδαπῇ siehe Canevaro 2013, 59. 238  Stroud 1968, 55 Anm. 102. 239  Dieses Problem besteht auch bei Z. 28: „Line 28, as here restored, has fifty-two letters. I cannot satisfactorily explain this anomaly in the stoichedon order. Perhaps the wording of the law is not exactly the same as the quotation in Demosthenes“ (Stroud 1968, 54). Auch Heitsch 1989, 76, Koerner 1993, 40, Sickinger 1999, 19 f. und Canevaro 2013, 50 f. hatten vermutet, dass in den Zeilen 30 f. die berechtigte Tötung des unerlaubt nach Attika zurückgekehrten Bluttäters geregelt war. Stroud 1968, 54–56 hat sich indes dagegen ausgesprochen, das Zitat in Zeile 30–31 der Inschrift einzufügen. 240  Da unzweifelhaft der nicht aus Attika geflohene, sondern gebliebene Täter gemeint ist, könnte er in Z. 30 f. als τὸν ἀνδροφόνος μένοντα bezeichnet gewesen sein (vgl. F 8b), so wie in Demosth. or. 23,44 (F 9a) von den „herausgegangenen Tätern“ (τῶν ἀνδροφόνων τῶν ἐξεληλυθότων) die Rede ist. Demosthenes zitiert in or. 23,31 noch einmal das ὡς ἐν τῷ ἄξονι ἀγορεύει etwas freier mit ὡς ἐν τῷ ἄξονι εἴρηται, verweist dann aber auf die Bestimmung, die Thesmotheten könnten den der Tötung Überführten mit dem Tod bestrafen. Der Täter sei also zu den Thesmotheten abgeführt worden (so auch or. 23,216 mit der Präzisierung, dass der Täter innerhalb Attikas angetroffen wird; siehe dazu auch unten Anm. 241).

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

ἀποινᾶν.241 Für ein weitergeführtes Zitat aus dem drakontischen Gesetz spricht zudem, dass naturgemäß in einem Gesetz Verbotsregelungen vorherrschen vor dem, was als zulässig erklärt wird, so dass die Bestimmung zur zulässigen Tötung und Abführung einerseits auf die vorangehende Regelung zurückverweist, andererseits aber auch auf den zweiten Teil des Satzes vorausweist: „zwar ist die Tötung und Abführung des Täters zulässig, verboten aber …“. In der Rede des Demosthenes Gegen Aristokrates ist die Misshandlung (das λυμαίνεσθαι) konkretisiert als „foltern, schlagen und Geld pressen“ (στρεβλοῦν, αἰκίσασθαι, χρήματα πράξασθαι), bzw. als „auspeitschen, fesseln und dergleichen mehr“ und „Geld pressen“ (μὴ μαστιγοῦν, μὴ δεῖν, μὴ τὰ τοιαῦτα ποιεῖν; μὴ χρήματα πράττεσθαι).242 Insgesamt spricht also einiges dafür, dass Drakons Satzung nicht nur die Tötung und das Abführen des verurteilten Täters explizit zuließ, sondern gleichzeitig die Misshandlung und das Abpressen eines Wergeldes verbot.243 Unabhängig davon, an welcher Stelle das Verbot der Misshandlung einzufügen ist, lässt sich für das drakontische Gesetz nachweisen, dass bereits in der Zeit Drakons neben der eigenhändigen Tötung des nicht geflohenen Täters auch dessen Abführung (apagōgḗ) geregelt war, was wiederum sehr wahrscheinlich macht, dass der nicht geflohene Täter den Thesmotheten bzw. den Elfmännern überstellt werden konnte, die im Falle eines Eingeständnisses den Ergriffenen hinrichteten.244 Aus dem Text darf hingegen nicht der Schluss gezogen werden, dass bei Tötungsdelikten ein Wergeld grundsätzlich ausgeschlossen war. Es durfte aber nur unmittelbar nach der Tat oder im Zuge der Aussöhnung vereinbart werden, nicht während des Abführens oder unter unmit241  Aufgegriffen noch einmal in or. 23,216: ὁ δεύτερος νόμος οὐδὲ τὸν ἡλωκότ᾽ ἀνδροφόνον λυμαίνεσθαι οὐδὲ χρήματα πράττεσθαι. Indirekt wiedergegeben ist das Gesetz auch bei dem Grammatiker Didymos in dessen Streitschrift gegen Asklepiades über die áxones Solons (T 20; P. Berol. 5008 B 7 ff.) mit den Worten διὰ τὸ τὴν ἡλιαίαν δ[ι]αγιγνώσκειν [περὶ] τῶν λυμαινομένων καὶ ἄπο[ιν]α δε-χομέ[νων]. 242  Demosth. or. 23,28 und 33; vgl. 35. 243  Canevaro 2013, 52, sieht hingegen das Verbot der Misshandlung und der Forderung eines Wergelds als spätere Ergänzung zum drakontischen Gesetz. 244  Das Abführen des androphónos, der – ist er geständig – mit dem Tod bestraft wird, bezeugt auch Aischin. in Tim. 91. Vgl. Thür 1990, 155: „Nach diesen Überlegungen kennt also Drakon zwar für Tötung noch nicht die Todesstrafe, wohl aber – zumindest subsidiär – die staatliche Exekution des Bannbrüchigen.“ Auch Platon gestattet in seinen Gesetzen, dass jeder Angehörige des Opfers und darüber hinaus jeder Bürger den ins Land ohne Aussöhnung zurückgekehrten Täter ungestraft töten oder ihn gebunden den Amtsträgern zur Hinrichtung übergeben kann (leg. 9,871d–e: κτεινάτω ἢ δήσας τοῖς ἄρχουσι … κτεῖναι παραδότω). Ruschenbusch 2010, 45 f. nimmt demgegenüber an, dass nur „in die Privathaft abführen“ gemeint sein kann, da zur Zeit Drakons noch keine Strafen vom Staat aktiv vollstreckt worden seien. Prinzipiell ist letzterem zuzustimmen; doch die Thesmotheten und die Elfmänner werden eine sehr alte Rechtsinstitution gewesen sein, so dass auch ein Abführen zu den Thesmotheten bzw. den Elfmännern zur Hinrichtung (siehe Aristot. Ath. pol. 52,1) für diese frühe Zeit als möglich erscheint (vgl. Ruschenbusch 2005, 77 f., 92 f. und 107 f.). Auch Demosthenes betont in or. 23,31 f., dass gewiss nicht gemeint sei, den Täter in sein eigenes Haus oder an einen beliebigen Ort abzuführen. Leão/Rhodes 2015, 28 sowie Mogens Herman Hansen, Apagoge, Endeixis and Ephegesis against Kakourgoi, Atimoi und Pheugontes. A Study in the Athenian Administration of Justice in the Fourth Century BC, Odense 1976, 113–118 lehnen ebenfalls die These von Ruschenbusch ab. Vgl. auch Eleni Volonaki, ‚Apagoge‘ in Homicide Cases, in: Dike 3, 2000, 147–176.

Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

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telbarer Androhung der Tötung bei dem ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrten Täter. Zudem war die Tötung und das Abführen eines verurteilten Täters jedem Athener gestattet, dem aber keine Entschädigung in Form eines Wergelds zustand. Pausanias (F 8b) bestätigt noch einmal, was Drakon in der Satzung über die Tötung festgeschrieben hatte, wonach derjenige, der getötet hatte, aus Attika fliehen musste oder, wenn er trotz fehlender Aussöhnung blieb, getötet werden konnte. Photius bezieht zwar seine Erklärung zu ποινᾶν καὶ ἀποινᾶν auf den Gesetzgeber Solon, ohne aber in Rechnung zu stellen, dass zumindest ἀποινᾶν als Zitat aus der Satzung Drakons übernommen worden sein wird (vgl. F 33c). F 9 Schutz vor Verfolgung jenseits der Grenze (F 9a: T 398 Martina; F 17 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 9a: Gesetz in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 44 (352 v. Chr.) ΝΟΜΟΣ·

Ἐάν τίς τινα τῶν ἀνδροφόνων τῶν ἐξεληλυθότων, ὧν τὰ χρήματα ἐπίτιμα, πέρα ὅρου ἐλαύνῃ ἢ φέρῃ ἢ ἄγῃ, τὰ ἴσα ὀφείλειν ὅσα περ ἂν ἐν τῇ ἡμεδαπῇ δράσῃ. App. crit.: τινα om. SF1YP; ὀφείλει SFYP. Gesetz:

Wenn jemand einen der [aus dem Land] herausgegangenen verurteilten Täter (androphónoi), deren Besitz ehrbar (epítimon) [also ihr eigen] bleibt, jenseits der Grenze verfolgt, beraubt oder greift, so soll er dasselbe schulden, als wenn er es im eigenen Land getan hätte.

F 9b: Theophrast, Über die Gesetze fr. 104 Wimmer, fr. 9 Szegedy-Maszak (ca. 320–287) (Harpokration ο 42 s. v. ὅτι οἱ ἁλόντες und Phot. Lex. ο 583 s. v. ὅτι οἱ ἁλόντες)

Ὅτι οἱ ἁλόντες ἐπ’ ἀκουσίῳ φόνῳ ἐξουσίαν εἶχον εἰς διοίκησιν τῶν ἰδίων, Δημοσθένης ἐν τῷ κατ’ Ἀριστοκράτους ὑποσημαίνει καὶ Θεόφραστος ἐν τῷ ιγ′ τῶν Νόμων δηλοῖ. App. crit.: ἐξουσίαν: Harpokr. †φρόντωνα†; Phot. om.

Dass die wegen unabsichtlicher Tötung (akoúsios phónos) Verurteilten das Vermögen in eigener Verwaltung behielten, sagt indirekt Demosthenes in der Rede gegen Aristokrates und ist aus Theophrasts 13. [Buch] der Gesetze ersichtlich.

Auch dieses Gesetz wird von Demosthenes in dem darauf folgenden Text erläutert und abschnittweise wiederholt.245 Die Verben elaúnein, phérein und ágein zielen auf Repressalien, wobei phérein in der Regel Bezug auf bewegliche Sachen und Gegenstände nimmt, ágein Bezug auf Menschen und Tiere. Die feste Wendung ‚phérein oder ágein‘ 245  Demosth. or. 23,45: ἐάν τίς τινα τῶν ἀνδροφόνων … τῶν ἐξεληλυθότων, ὧν τὰ χρήματα ἐπίτιμα; 46: ἐὰν πέρα ὅρου ἐλαύνῃ ἢ φέρῃ ἢ ἄγῃ. Statt des τὰ ἴσα ὀφείλειν ὅσα περ ἂν ἐν τῇ ἡμεδαπῇ δράσῃ gibt § 47 den Text freier mit ὀφείλειν ἅπερ ἂν οἴκοι δράσῃ wieder.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

wird auch in F 10b in der Bestimmung über Tötung in Notwehr verwendet (φέροντα ἢ ἄγοντα). Da das Objekt zu ἐλαύνῃ ἢ φέρῃ ἢ ἄγῃ das vorangehende τινα ist, wird es um verschiedene Formen des Malträtierens einer Person gehen.246 Gemäß dieser Bestimmung war es nicht erlaubt, den aus Attika geflohenen Täter zu verfolgen, zu ergreifen, anzugreifen oder zu töten. Eingeschränkt ist diese Bestimmung auf diejenigen, die ohne Vorbedacht getötet hatten und aus Attika geflohen waren, denn nur deren Vermögen blieb ‚ehrbar‘.247 Daraus kann indirekt geschlossen werden, dass bei einer vorsätzlichen Tötung das Vermögen ‚öffentlich‘ wurde, auch deswegen, weil die Flucht aus Attika dann eine immerwährende war und keine Möglichkeit der Aussöhnung und damit der Rückkehr bestand.248 Wie das Fragment 9a zeigt, bedeutete eine Flucht aus Attika infolge einer nicht vorsätzlichen Tötung nicht den irreversiblen Verlust der Ehre eines Bürgers, obwohl der Täter innerhalb Athens als átimos galt und, wurde er dort ergriffen, bußlos getötet werden durfte (F 8a). Zusammen mit der Regelung in F 7, die den geflohenen Täter vor einer Blutrache durch die Angehörigen des Opfers schützte, der sich von agoraí ephóriai sowie von amphiktyonischen Wettkämpfen und Festen fernhielt, sollte die hier zitierte Bestimmung Repressalien gegen den geflohenen Täter verhindern und die Möglichkeit auf eine Aussöhnung bewahren. Inhaltlich steht die Bestimmung also in unmittelbarem Zusammenhang mit F 7. Trotzdem lässt sich nicht zweifelsfrei sichern, dass sie Bestandteil der drakontischen Satzung war.249 In die Inschrift einpassen, z. B.

246  Eberhard Ruschenbusch hat als Objekt zu elaúnein Vieh gesehen (2010, 46). Siehe aber auch die Ausdeutung des Textes in Demosth. or. 23,46. Canevaro 2013, 60 f. spricht sich für die Beibehaltung des ἢ φέρῃ aus und gibt die Wendung mit ‚bear and carry‘ wieder, als „hostile action against his property carried out abroad“. Claude Brixhe (avec Monique Bile), La circulation des biens dans les Lois de Gortyne, in: Catherine Dobias-Lalou (Hrsg.), Des dialectes grecs aux lois de Gortyne, Nancy 1999, 75–116, hier 84 zu ἄγειν und φέρειν: „le premier concerne les entités animées (mobiles), le second les entités non animées (non mobiles)“. 247  So versteht schon Demosthenes in or. 23,45 die Bestimmung, die „von denen spricht, die wegen einer unabsichtlichen Tötung das Land verlassen haben“ (τῶν ἐπ᾽ ἀκουσίῳ φόνῳ λέγει μεθεστηκότων). Ebenso Ruschenbusch 2010, 46 und Leão/Rhodes 2015, 28: „This is a supplementary provision for those who have gone into exile after trial at the Palladium“. Das bei Demosthenes folgende Argument, dies ergebe sich daraus, dass es in der Bestimmung ἐξεληλυθότων heiße und nicht φευγόντων, ist allerdings nicht stichhaltig, da ja auch bei der nicht vorsätzlichen Tötung der Täter „fliehen“ musste. Das Belassen des Vermögens ist indes tatsächlich etwas, das die nicht vorsätzliche von der vorsätzlichen Tötung unterscheidet, und Demosthenes sagt es ausdrücklich: „der Besitz der mit Vorsatz [Tötenden] ist öffentlich“ (45: τῶν γὰρ ἐκ προνοίας δεδήμευται τὰ ὄντα). So auch Eck 2012, 218; vgl. Mogens Herman Hansen, Apa­ goge, Endeixis and Ephegesis against Kakourgoi, Atimoi and Pheugontes. A Study in the Athenian Admin­ istration of Justice in the Fourth Century B. C., Odense 1976, 78: „ἄτιμα χρήματα must accordingly be unprotected property which anyone can pillage with impunity (ἄγειν καὶ φέρειν)“. 248  Dass der Besitz bei vorsätzlicher Tötung nicht geschützt war, belegen Lys. 1,50; Demosth. or. 21,43; Aristot. Ath. pol. 47,2 (vgl. F 24). MacDowell 1968, 115–117; Heitsch 1989, 76. 249  Zu den diesbezüglichen Annahmen Canevaro 2013, 58 f., der sie eher als spätere Ergänzung ansieht.

Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

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unmittelbar nach F 7 in Z. 32 f., lässt sie sich nicht, auch wenn die erhaltenen Buchstabenreste nur spärlich sind. F 10 berechtigte Tötung im Angriffsfall (F 10b: T 400 Martina; F 19b Ruschenbusch, Leão/Rhodes; F 10c: T 380 Martina; F 141 Ruschenbusch, Leão/Rhodes)

F 10a: Gesetz in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 50 (352 v. Chr.) (= F 110c) (48) οὐκοῦν ταῦτά γε δήπου προσῆκε γράψαι „ἐάν τις ἀποκτείνῃ“ γράφοντα, „ἄκων ἢ ἑκών, ἀδίκως ἢ δικαίως, ξένος ἢ πολίτης“, ἵν’ ὅτῳ ποτὲ τοὔργον ἐπράχθη, τούτῳ τὰ ἐκ τῶν νόμων ὑπῆρχε δίκαια, … (50) ὁρᾶτε γὰρ ὡς ἐπὶ πάντων, οὐκ ἐπὶ τῶν φονικῶν μόνον, οὕτω τοῦτ’ ἔχει. „ἄν τις τύπτῃ τινά“ φησὶν „ἄρχων χειρῶν ἀδίκων“, ὡς, εἴ γ’ ἠμύνατο, οὐκ ἀδικεῖ. App. crit.: γράφοντα om. F; μόνων al.

(48) Du [Charidemos] musstest daher [in deinem Antrag] zu den Worten „wenn einer getötet hat“ noch hinzufügen „unabsichtlich (ákōn) oder absichtlich (hekṓn), unrechtmäßig (adíkōs) oder rechtmäßig (dikaíōs), als Fremder oder Bürger“, damit, wer auch immer die Tat verübt, ihm widerfährt, was die Gesetze zu Recht erkennen. … (50) Ihr seht ja, dass in allen Fällen, und nicht in Fällen von Tötung allein, dies gilt. So sagt es [das Gesetz]: „Wer einen anderen schlägt, unrechtmäßig und den ersten Schlag führend (árchōn xeirṓn adíkōn) … [der sei bußlos getötet];“ denn im Falle der Notwehr begeht er kein Unrecht.

F 10b: Gesetz in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 60 (352 v. Chr.) ΝΟΜΟΣ·

Καὶ ἐὰν φέροντα ἢ ἄγοντα βίᾳ ἀδίκως εὐθὺς ἀμυνόμενος κτείνῃ, νηποινεὶ τεθνάναι. Gesetz:

Auch wenn [jemand] einen sofort bei der Abwehr tötet, der mit Gewalt und unrechtmäßig wegträgt (phérein) oder wegführt (ágein), der sei bußlos (nēpoineí) umgekommen.

F 10c: Xenophon, Oikonomikos 14,4–5 (erste Hälfte 4. Jh. v. Chr.) (4) καίτοι τὰ μὲν καὶ ἐκ τῶν Δράκοντος νόμων, τὰ δὲ καὶ ἐκ τῶν Σόλωνος πειρῶμαι, ἔφη, λαμβάνων ἐμβιβάζειν εἰς τὴν δικαιοσύνην τοὺς οἰκέτας. δοκοῦσι γάρ μοι, ἔφη, καὶ οὗτοι οἱ ἄνδρες θεῖναι πολλοὺς τῶν νόμων ἐπὶ δικαιοσύνης τῆς τοιαύτης διδασκαλίᾳ. (5) γέγραπται γὰρ ζημιοῦσθαι ἐπὶ τοῖς κλέμμασι καὶ δεδέσθαι ἄν τις ἁλῷ ποιῶν καὶ θανατοῦσθαι τοὺς ἐγχειροῦντας. App. crit.: και1 om. Q; δικαιοσύνῃ(η) … διδασκαλίας codd., corr. Heindorf.

(4) Und indem ich das eine aus den Gesetzen (nómoi) Drakons, das andere aus denen Solons nehme, versuche ich, sagte er [Ischomachos], die Sklaven zur Rechtschaffenheit hinzuführen. Mir scheinen nämlich, meinte er, auch diese Männer viele ihrer Gesetze zur Belehrung über solche Rechtschaffenheit gegeben zu haben. (5) Festgeschrieben ist darin nämlich: Bestrafung bei Diebstählen, Fesselung, wenn jemand bei der Tat ergriffen wird, und der Tod für diejenigen, die tätlich werden (encheiroúntes).“

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Durch das in or. 23,60 eingelegte Gesetz (F 10b) lassen sich die Zeilen 37–38 der inschriftlichen Neuedition des Gesetzes Drakons über die Tötung (F 2) rekonstruieren. Die Bestimmung beginnt mit „auch wenn“ (kaí eán), genauso wie der Gesetzestext insgesamt (Z. 11). In diesem Fragment kann das kaí auch konnektiv gemeint sein, wenn eine weitere Bestimmung über eine berechtigte Tötung vorausging. Die Formulierungen ἄρχον]τ̣α χερ̣|ο͂ν̣ ἀ[δίκον … in Z. 33/34 und … χερ]ο͂ν ἀδίκον κ|τέ[νει in Z. 34/35 lassen sich durchaus in diesem Sinne deuten, auch wenn der genaue Inhalt dieser vorausgehenden Bestimmung nicht rekonstruiert werden kann.250 Zu verweisen ist aber auf eine Stelle in der Rede des Demosthenes Gegen Aristokrates, in der Demosthenes aus einem Gesetz die Wendung ἄν τις τύπτῃ τινά ἄρχων χειρῶν ἀδίκων zitiert (F 10a). Demosthenes führt zwar aus, dass eine Unterscheidung, ob die Tat absichtlich oder unabsichtlich, unrechtmäßig oder rechtmäßig, als Fremder oder Bürger verübt wurde, nicht allein bei Tötungen gelte, sondern auch in anderen Fällen; doch die folgenden Ausführungen zeigen, dass Demosthenes jeweils einer Bestimmung aus den Gesetzen über die Tötung eine andere aus anderen Gesetzen an die Seite stellt: Dem Zitat „Wer einen anderen schlägt, unrechtmäßig und den ersten Schlag führend“ folgt ein Zitat aus dem Gesetz wegen Beleidigung; dem Zitat „wenn jemand einen mit Vorsatz tötet“ folgt ein Zitat aus dem Gesetz über Schäden. Es erscheint daher plausibel, dass Drakons Gesetz eine Bestimmung über unrechtmäßige tätliche Angriffe enthielt. Z. 33–36 könnten also in folgendem Sinne verstanden werden:251 Wer denjenigen tötet, der gesetzwidrig mit Schlägen angegriffen hat, so sei dieser bußlos umgekommen; entscheiden sollen die ephétai (Z. 35 f.: διαγιγνόσκ]εν δὲ τὸς ἐ[φέτ]ας); … oder sei er ein Freier (ἐλεύθε[ρ]ος ε \ι ̣). Möglicherweise bezog sich die auf διαγιγνόσκ]εν δὲ τὸς ἐ[φέτ-] ας folgende Klausel auf gewaltsame Auseinandersetzungen innerhalb des Hauses (zwischen Vater und Sohn oder zwischen Abhängigem und Herrn), so dass ausdrücklich

250  Dafür könnte auch der Beleg F 10c sprechen, der die straffreie Tötung für diejenigen angibt, die „gewaltsam Hand anlegen“ (encheiroúntes). Edward M. Harris hat in Zweifel gezogen, dass das Gesetz Drakons in den Zeilen 33–35 eine Bestimmung über die straffreie Tötung desjenigen enthielt, der zu Unrecht den ersten Schlag geführt hatte. In den Zeilen 33 f. seien lediglich die Buchstaben ---]α χερ̣|ο[---, in Zeile 35 αδικονκ|τ zu lesen (2016, 204 f.). Doch entgegen der Ansicht von Harris wird Demosth. or. 23,50 auf Drakons Gesetz über die Tötung zu beziehen sein. 251  Stroud 1968, 56 bezieht die Zeilen auf eine gerechtfertigte Tötung eines „aggressor in a quarrel“. In der dritten Tetralogie Antiphons argumentiert der Angeklagte in seiner zweiten Verteidigungsrede, die Zeugen hätten bestätigt, dass der Gegner den ersten Schlag geführt hatte; deswegen sei der Angeklagte von allen Schuldvorwürfen frei und könne für die daraus folgenden Konsequenzen nicht haftbar gemacht werden (Antiph. 4δ 3: οἱ γὰρ μάρτυρες τοῦτόν φασιν ἄρξαι τῆς πληγῆς. Ἄρξαντος δὲ τούτου, καὶ τῶν ἄλλων ἁπάντων ‹τῶν› κατηγορουμένων ἀπολύεται τῆς αἰτίας). Als der für eine Tötung Verantwortliche müsse also der Angreifer gelten, nicht derjenige, der eine andere Person beim Angriff unmittelbar getötet habe. Der eigentliche Mörder sei vielmehr derjenige, der den ersten Schlag versetzt habe, denn er habe den anderen dazu gezwungen, in Notwehr zurückzuschlagen (Ebd. μᾶλλον τοῦ ἀποκτείναντος φονεύς ἐστιν, ὁ ἄρξας τῆς πληγῆς φονεὺς γίγνεται. Οὗτος γὰρ ἠνάγκασε τόν τε ἀμυνόμενον ἀντιτύπτειν τόν τε πληγέντα ἐπὶ τὸν ἰατρὸν ἐλθεῖν. Ἀνόσια δ’ ἂν ὅ γε διωκόμενος πάθοι, εἰ μήτε ἀποκτείνας ὑπὲρ τοῦ ἀποκτείναντος μήτε ἄρξας ὑπὲρ τοῦ ἄρξαντος φονεὺς ἔσται).

Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

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der der Hausgewalt Unterworfene dem Hausherrn gleichgestellt wurde, z. B. beim Ablegen eines Eids.252 Auf diese Bestimmung hinsichtlich eines Tötungsdelikts infolge eines gewalttätigen Angriffs folgt eine weitere, wonach die sofortige (euthýs) Tötung desjenigen, der mit Gewalt und unrechtmäßig sich eines Übergriffs schuldig gemacht hatte, straffrei bleiben sollte (F 10b). Dem direkten Zitat in der Rede Gegen Aristokrates sind Formulierungen in der Rede des Isokrates Gegen Lochites an die Seite zu stellen, in der dem Lochites vorgeworfen wird, er habe den Gegner geschlagen und „mit der Schlägerei angefangen“ (ἄρχων χειρ̣ῶν ἀδίκων), möglicherweise auch hier bewusst im Wortlaut der drakontischen Satzung.253 Vergleichbar ist auch eine Bestimmung in Platons Nomoi: Platon wollte die Tötung des eigenen Bruders, aber auch die des Mitbürgers und des Fremden, während der Kämpfe in einer stásis von Schuld frei wissen, wenn man sich gegen den Bruder oder den Mitbürger oder den Fremden „zur Wehr gesetzt hatte, weil dieser ihn als erster angegriffen hatte“ (ἀμυνόμενος ἄρχοντα χειρῶν πρότερον … ἔστω καθαρός).254 Das in Demosth. or. 23,60 eingelegte Gesetz leitet der Sprecher im vorangehenden Abschnitt (or. 23,53–59) mit der berechtigten Tötung des Ehebrechers ein (F 11) und beginnt seine Ausführungen zu der oben zitierten Bestimmung mit dem Satz: „Das ist ein anderer Fall, in dem zu töten gestattet ist“.255 Wie im Fall von F 7 wiederholt der Sprecher einmal den Text der gesetzlichen Bestimmung als Ganzes, dann in einzelnen Teilen.256 Das Adverb nēpoineí zeigt an, dass eine Tötung in diesen Fällen ‚keine Buße‘ (νή-ποινος) erforderlich machte, also straffrei blieb.257 Als Objekt von phérein sind bewegliche Gegenstände zu denken, während ágein auf Menschen und Tiere Bezug nimmt.258 Das Adverb adíkōs ist hier unbedingt erfor252  Vgl. dazu F 14a-b. 253  Isokr. 20,1. Edward M. Harris bezieht dies jedoch auf das Delikt der aikeía (2016, 208). 254  Plat. leg. 9,869c–d. Ähnlich 874c: „Auch wenn jemand einen Räuber bei der Gegenwehr tötet, sei er rein“ (καὶ ἐὰν λωποδύτην ἀμυνόμενος ἀποκτείνῃ, καθαρὸς ἔστω). Eine Bestimmung über die straffreie Tötung eines Vergewaltigers der Tochter, Schwester oder Mutter schließt sich an. 255  Demosth. or. 23,60. 256  Demosth. or. 23,60 f.: Dabei ist die Reihenfolge von φέροντα ἢ ἄγοντα vertauscht. Canevaro 2013, 70 erwägt, ob Demosthenes einen Hiat habe vermeiden wollen. 257  Zu den in den Tötungsgesetzen belegten Wörtern ποινᾶν und ἀποινᾶν siehe F 8c und 33c–d . Zum Verständnis von díkē und poinḗ im Sinne von „Entschädigung/Wiedergutmachung“ Bernadette Des­ charmes, Rächer und Gerächte. Konzeptionen, Praktiken und Loyalitäten der Rache im Spiegel der attischen Tragödie, Göttingen 2013, 42. Zur straffreien Tötung vgl. Julie Velissaropoulos-Karakostas, Νηποινεὶ τεθνάναι, in: Symposion 1990. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Pacific Grove, California, 24.–26. September 1990), hrsg. von Michael Gagarin, Köln/Weimar/Wien 1991, 93–105 mit Edwin C. Carawan, Response, in: ebd. 107–114. Phillips 2008, 52 sieht in nēpoineí keinen Zusammenhang mehr mit der Zahlung eines Wergelds; das Wort habe inzwischen die Bedeutung von ‚ungestraft bleiben‘ angenommen. Auch in den Epen stehe poinḗ für ‚Strafe‘, nicht für ‚Wergeld‘. 258  Hom. Il. 1,367; 5,484; 9,594; 23,513. Gagarin 1981, 69; Carawan 1998, 91 (dazu Canevaro 2013, 70 Anm. 133). Beides kann aber auch auf Personen bezogen werden, wie in Demosth. or. 51,13: πάντας ἀνθρώπους ἄγει καὶ φέρει. Zu ἄγειν καὶ φέρειν im Sinne von Plündern in fremdem Land Hdt. 1,88,3; 3, 39,4; Xen. hell. 3,2,2.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

derlich, um die Unrechtmäßigkeit des Wegtragens und Wegführens deutlich zu machen.259 Das „sofort“ schließt eine vorsätzliche Tötung aus; auch nach Demosthenes nehme dies dem Täter „die Zeit langer Vorüberlegungen für eine Untat“, ebenso wie das „bei der Abwehr“ allein dem Angegriffenen die Tötung zugestehe.260 Das Fragment lässt darauf schließen, dass eine eigenmächtige Auspfändung durch den Gläubiger statthaft war, nicht aber wenn keine Ansprüche bestanden. In der eigenmächtigen Inbesitznahme von Sachen, Tieren und Personen wird die Härte des archaischen Schuldrechts deutlich, das erst von Solon durch das Verbot des Zugriffs auf die Person des Schuldners abgemildert wurde. Doch gegen eine ungerechtfertigte gewaltsame Inbesitznahme war jeder geschützt, also auch der wegen einer Tötung Verurteilte, der Attika verlassen musste. Denn vermutlich bezog sich auch diese Bestimmung nicht auf ungerechtfertigte, gewaltsame Angriffe schlechthin, sondern auf die von den ephétai verurteilten Personen, die nicht jegliche Rechte verlieren sollten. Dass Personen, die dennoch gewaltsam und ungerechtfertigt Gegenstände wegtrugen oder Tiere oder Menschen wegführten, straffrei getötet werden konnten, lässt auf die hohe Bedeutung des Schutzes von Menschen, Tieren und Besitz im eigenen Oikos schließen, wie er sich auch bei der straffreien Tötung des nächtlichen Diebs und des Ehebrechers zeigt. Die Formulierung „bußlos umgekommen“ (νηποινεὶ τεθνάναι) findet sich auch im Antrag des Demophantos aus dem Jahr 410 v. Chr., wonach derjenige als Feind der Athener betrachtet und ungestraft getötet werden könne (νηποινεὶ τεθνάτω), der die demokratische Ordnung in Athen beseitigt oder als Beteiligter am oligarchischen Umsturz anschließend ein Amt ausübt.261 Vermutlich weil diese Tötungen straffrei bleiben sollten, ist statt „töten“ (κτείνειν, ἀποκτείνειν) hier das Verb „umkommen, sterben“ (θνῄσκειν) verwendet worden.262 Im Text Xenophons kann sich die Formulierung „bestraft werden bei Diebstählen“ sowohl auf die von Drakon zugelassene straffreie Tötung des ergriffenen nächtlichen Diebs (F 12), als auch auf den solonischen nómos klopḗs mit Geldstrafen und peinlicher Züchtigung beziehen, die Formulierung „gebunden werden, wenn einer bei der Tat ergriffen wird“ auf die Möglichkeit des ‚Abführens‘ (ἀπαγωγή). Die Formulierung

259  Joshua D. Sosin, Death on a Road (Dem. 23.53), in: Historia 65, 2016, 155–169; hier 165; Ruschenbusch 2010, 49. Auch Cantarella 1976, 133–135 bezieht dieses Gesetz auf die Tötung dessen, der gewaltsam fremdes Eigentum an sich reißt oder Vieh oder Personen des Hauses gewaltsam mit sich führt. Eva Cantarella hebt hervor, dass die Tötung eines Angreifers im Gesetz von drei Voraussetzungen abhängig gemacht wurde: dass der Angriff unrechtmäßig war, unter Gewaltanwendung geschah und die Gegenwehr unmittelbar auf den Angriff folgte. 260  Demosth. or. 23,60: ἀφεῖλε τὸν τοῦ βουλεύσασθαι τι κακὸν χρόνον. 261  And. 1,96. Dazu s. o. F 1 (S. 86). 262  Siehe auch Paus. 1,28,10 (F 8b): „Früher aber, bevor Theseus freigesprochen wurde, war es für alle Gesetz, dass der Täter [aus Attika] floh (pheúgein) oder, wenn er [im Land] blieb, zu Recht starb (θνῄσκειν)“.

Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

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„getötet werden die, die tätlich werden“, könnte sich unmittelbar auf das drakontische Gesetz, auf F 10a, beziehen. Für τ]ὲν ἀ̣πόστα̣|40σιν in Z. 39/40 der Inschrift hält Ronald Stroud die Bedeutung ‚Konfiskation‘ für wahrscheinlich, so wie in Demosth. or. 19,146 von der „Enteignung des Besitzes“ (τῶν δὲ κτημάτων ἀπόστασιν) die Rede ist.263 Bei den letzten Buchstaben von Z. 43 (ὀμνύμ[ε|νος) ist ein Eid belegt.264 F 11 keine Flucht aus Attika bei versehentlicher und berechtigter Tötung (F 11a: T 401 Martina; F 20 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 11e: T 459 Martina, F 28b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 11a: Gesetz in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 53 (352 v. Chr.) ΝΟΜΟΣ·

Ἐάν τις ἀποκτείνῃ ἐν ἄθλοις ἄκων ἢ ἐν ὁδῷ καθελὼν ἢ ἐν πολέμῳ ἀγνοήσας ἢ ἐπὶ δάμαρτι ἢ ἐπὶ μητρὶ ἢ ἐπ’ ἀδελφῇ ἢ ἐπὶ θυγατρί ἢ ἐπὶ παλλακῇ, ἣν ἂν ἐπ’ ἐλευθέροις παισὶν ἔχῃ, τούτων ἕνεκα μὴ φεύγειν κτείναντα. App. crit.: ἢ ἐπὶ μητρὶ om. S. Gesetz:

Wenn jemand einen tötet, unabsichtlich (ákōn) bei Wettkämpfen oder auf dem Weg entlangfahrend (en hodṓ kathelṓn) oder unerkannt im Krieg oder bei der Ehefrau (dámar) oder bei der Mutter oder bei der Schwester oder bei der Tochter oder bei der pallakḗ, die er um freier Kinder willen hat, muss derjenige, der getötet hat, wegen dieser Taten nicht außer Landes gehen (pheúgein).

F 11b: Lysias, Verteidigung im Mordfall Eratosthenes (or. 1), 30 f. (ca. 400/380 v. Chr.) (= F 28a) (30) ἀνάγνωθι δέ μοι καὶ τοῦτον τὸν νόμον ‹τὸν› ἐκ τῆς στήλης τῆς ἐξ Ἀρείου πάγου. ΝΟΜΟΣ

Ἀκούετε, ὦ ἄνδρες, ὅτι αὐτῷ τῷ δικαστηρίῳ τῷ ἐξ Ἀρείου πάγου, ᾧ καὶ πάτριόν ἐστι καὶ ἐφ’ ἡμῶν ἀποδέδοται τοῦ φόνου τὰς δίκας δικάζειν, διαρρήδην εἴρηται τούτου μὴ καταγιγνώσκειν φόνον, ὃς ἂν ἐπὶ δάμαρτι τῇ ἑαυτοῦ μοιχὸν λαβὼν ταύτην τὴν τιμωρίαν ποιήσηται. (31) καὶ οὕτω σφόδρα ὁ νομοθέτης ἐπὶ ταῖς γαμεταῖς γυναιξὶ δίκαια ταῦτα ἡγήσατο εἶναι, ὥστε καὶ ἐπὶ ταῖς παλλακαῖς ταῖς ἐλάττονος ἀξίαις τὴν αὐτὴν δίκην ἐπέθηκε. καίτοι δῆλον ὅτι, εἴ τινα εἶχε ταύτης μείζω τιμωρίαν ἐπὶ ταῖς γαμεταῖς, ἐποίησεν ἄν. νῦν δὲ οὐχ οἷός τε ὢν ταύτης ἰσχυροτέραν ἐπ’ ἐκείναις ἐξευρεῖν, τὴν αὐτὴν καὶ ἐπὶ ταῖς παλλακαῖς ἠξίωσε γίγνεσθαι. App. crit.: ‹τὸν› add. Westermann; τούτου … φόνον Reiske, τοῦτον … φόνου codd.

(30) Lies mir aber auch dieses Gesetz (nómos) von der Stele vom Areopag vor:

263  Stroud 1968, 57. Möglicherweise steht „der Zehnte“ (--]ες� δεκατε̣[� ς]) in Z. 40 f. als der den Göttern zustehende Anteil damit in Zusammenhang. 264  Zu Eiden s. u. F xx.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung Gesetz:

Ihr hört also, Geschworene, dass dem Gerichtshof (dikastḗrion) des Areopag selbst, dem es dem Herkommen (pátrion) gemäß und bis in unsere eigene Zeit hinein obliegt, die Klagen wegen Tötung (phónou díkai) zu entscheiden (dikázein), ausdrücklich vorgeschrieben wurde, denjenigen nicht wegen Tötung zu verurteilen (katagignṓskein), der einen Ehebrecher (moichós) bei seiner eigenen Ehefrau (dámar) ergriffen und diese Strafe für ihn gewählt hat. (31) Und der Gesetzgeber (nomothétēs) hielt dies im Falle der ehelichen Frauen (gametaí gy­ naíkes) für so sehr gerechtfertigt, dass er auch im Falle der pallakaí, die ja geringer gewertschätzt werden, [dem Ehebrecher] dieselbe Strafe auferlegte. Es ist doch offenbar, dass er, wenn er eine größere Strafe als diese gehabt hätte, sie im Falle der Ehefrauen eingesetzt hätte. Da er aber nun keine härtere Strafe als diese für jene Fälle finden konnte, erachtete er, dieselbe wie auch bei den pallakaí als angemessen.

F 11c: Xenarchos, F 4 PCG (4. Jh. v. Chr.) (Athen. 13,24, p. 569a, c–d)

(569a) ἐπιτιμᾷ δὲ καὶ Ξέναρχος ἐν Πεντάθλῳ τοῖς παραπλησίως σοι βιοῦσιν καὶ ἐσπουδακόσι περὶ τὰς μεγαλομίσθους ἑταίρας καὶ τὰς ἐλευθέρας τῶν γυναικῶν ταυτὶ λέγων· … (569c–d) ἃς πῶς ποτ’, ὦ δέσποινα ποντία Κύπρι (Eur. Hipp. 415), βινεῖν δύνανται, τῶν Δρακοντείων νόμων ὁπόταν ἀναμνησθῶσι προσκινούμενοι; Aber auch Xenarchos macht im Fünfkampf denen Vorwürfe, die in ähnlicher Weise wie du leben und hinter den hochbezahlten Hetären und den Frauen freier Mitbürger her sind, indem er folgendermaßen formuliert: „… Wie denn, o meine Herrin Kypris aus dem Meer, wie kann man lustvoll [mit diesen] verkehren (bineín), wenn man – nahend ihrem Schoß – an die Gesetze (nómoi) Drakons denkt?“

F 11d: Pausanias, Graeciae descriptio 9,36,8 (2. Jh. n. Chr.) πρῶτος δὲ οὗτος ὁ Ὕηττος δίκην μοιχείας λαβὼν δῆλός ἐστι· καὶ χρόνῳ ὕστερον Δράκοντος Ἀθηναίοις θεσμοθετήσαντος ἐκ τῶν ἐκείνου κατέστη νόμων, οὓς ἔγραφεν ἐπὶ τῆς ἀρχῆς, ἄλλων τε ὁπόσων ἄδειαν εἶναι χρὴ καὶ δὴ καὶ τιμωρίας μοιχοῦ. App. crit.: καὶ δράκοντος Pˡ y.

Dieser Hyettos war der erste, von dem bekannt ist, dass er wegen Ehebruchs (moicheía) Rache nahm (díkēn labṓn). Und als einige Zeit später Drakon den Athenern Gesetze gab (thesmo­ thetḗsōn), war unter den Gesetzen (nómoi), die er während seines Amtes niederschrieb, unter anderen Dingen, für die Straflosigkeit (ádeia) festgesetzt war, auch die Strafe (timōría) für den moichós.

F 11e: Ulpian, Labeo und Pomponius in: Digesta 48,5,24 (= F 94e) Ulpianus libro primo de adulteriis. quod ait lex „in filia adulterum deprehenderit“, non otiosum videtur. voluit enim ita demum hanc potestatem patri competere, si in ipsa turpitudine filiam de adulterio deprehendat. Labeo quoque ita probat et Pomponius scripsit in ipsis rebus Veneris deprehensum occidi. et hoc est, quod Solo et Draco dicunt ἐν ἔργῳ.

Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

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Ulpian im ersten Buch über unerlaubten Geschlechtsverkehr: Wenn das Gesetz sagt: „wenn er bei der Tochter den Ehebrecher (adulter) ertappt“, dann dürfte das nicht zufällig so sein. Es will nämlich, dass dem Vater dieses Recht (potestas) [ihn zu töten] dann zukomme, wenn er die Tochter beim unerlaubten Geschlechtsverkehr ertappt. Auch Labeo meint das so, und Pomponius schreibt, dass [nur] derjenige, der beim [unerlaubten] Geschlechtsverkehr auf frischer Tat (in ipsis rebus Veneris) gestellt worden sei, getötet werden könne. Und das ist es, was bei Solon und Drakon „bei der Tat“ (en érgō) heißt.

F 11f: P. Berol. 5008 s. v. ὁδός (4./5. Jh. n. Chr.) ΟΔΟ[Σ. ‚Ἐν ὁδῶι καθελών‘ … ἀντὶ τοῦ] ἐν λόχωι κ[αὶ ἐ]ν[έ]δρα[ι. τοιοῦτον δὲ εἶναι] καὶ τὸ Ὁ[μηρικὸν] δοκεῖ∙ ἢ [ὁδὸν] ἐλθέμε[ναι], ἢ ἀνδράσιν ἶφι μά[χεσθαι. Weg: „auf dem Weg entlangfahrend“ … [wird gesagt statt des] „im Versteck und Hinterhalt“. Und dies scheint auch das Homerische [die Bedeutung bei Homer] zu sein: „Entweder einen Weg zu gehen oder gegen Männer mit Kraft zu kämpfen“.

Die Formulierung ἐάν τις ἀποκτείνῃ statt ἐάν τις κτείνῃ in F 11a spricht zwar dafür, dass diese Bestimmung, so wie sie in Demosth. or. 23,53 vorliegt, auf die solonische oder die am Ende des 5. Jh. durchgeführte Revision der drakontischen Satzung zurückgeht (F 28).265 Das eingelegte Gesetz kann zwar in den auf der Inschrift erhaltenen Teilen des drakontischen Gesetzes nicht verankert werden, aber für die Zuweisung einer solchen Bestimmung an Drakon spricht, dass auch in Fällen versehentlicher und berechtigter Tötung die ephétai darüber entschieden, wie die Tat zu qualifizieren war.266 Auch die Verwendung des Wortes dámar, das nur in archaischer Zeit und in der attischen Tragödie vorkommt, spricht für ein hohes Alter der Bestimmung. Das eingelegte Gesetz wird von Euthykles, dem Sprecher der 23. Rede, in den Abschnitten 53–57 in Gegensatz zu dem von Aristokrates beantragten Beschluss gestellt und indirekt, gleichwohl eng am Wortlaut bleibend wiederholt.267 Er fügt indes hinzu, dass in Fällen versehentlicher Tötung der Täter „rein“, also frei von Blutschuld, sei.268 Auffällig ist, dass nicht zwischen versehentlicher und berechtigter Tötung unterschie265  Am Ende ist hingegen κτείναντα verwendet. Zur Verwendung des Simplex κτείνειν statt des in späterer Zeit geläufigeren Kompositums ἀποκτείνειν Andreas Bagardo, Aristophanes fr. 590–674. Übersetzung und Kommentar (FrC 10,9), Heidelberg 2016, 83 f. Der Gesetzestext in der oben wiedergegebenen Form ist auch auf einem Papyrus des 2. Jh. n. Chr. belegt (P. Mich. III 142) und kann als zuverlässige Überlieferung gelten (Canevaro 2013, 64–70). 266  Zu den Verfahren wegen berechtigter Tötung im Delphinion: Demosth. or. 23,74 (F 28b); Aristot. Ath. pol. 57,3 (F 28c); Ael. var. hist. 5,15 (F 28f); vgl. Poll. 8,119 (F 28e) und Paus. 1,28,10 (F 28d). 267  Demosth. or. 23,53–57: ἄν τις ἐν ἄθλοις ἀποκτείνῃ τινά (§ 54); ἂν ἐν πολέμῳ ἀγνοήσας (§ 55); ἢ ἐπὶ δάμαρτι ἢ ἐπὶ μητρὶ ἢ ἐπ’ ἀδελφῇ ἢ θυγατρί ἢ ἐπὶ παλλακῇ, ἣν ἂν ἐπ’ ἐλευθέροις παισὶν ἔχῃ (§ 55). Vgl. auch or. 23,217. Auf die Formulierung ἐν ὁδῶι καθελών geht Demosthenes nicht ein, vermutlich weil er den dahinter liegenden Sinn nicht mehr verstanden hat. 268  Demosth. or. 23,55: καὶ τοῦτον εἶναι καθαρόν. Platon hat in den Nomoi unabsichtliche Tötungen bei einem Wettkampf (ἐν ἀγῶνι) und bei öffentlichen Spielen (ἐν ἄθλοις δημοσίοις), im Krieg (κατὰ

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

den und für beide Fälle allein das ‚Nicht-Fliehen-Müssen‘ (μὴ φεύγειν) als Folge genannt ist.269 Ob im Falle einer versehentlichen Tötung zumindest eine Buße zu entrichten war, lässt sich dem Text nicht entnehmen. Mit seiner Formulierung μὴ φεύγειν weist der Text zurück auf Z. 11 der inschriftlichen Überlieferung und stellt sich in Opposition dazu.270 Wenn dieses Gesetzeszitat Bestandteil der drakontischen Satzung war, wäre vorauszusetzen, dass bei den gegenseitigen Tötungen von Megakles- und zurückgekehrten Kylonanhängern in den auf den Kylonputsch folgenden Jahren solche Tötungen von den in der Satzung festgelegten Verfahren ausgeschlossen werden sollten, weil sie mit dieser Blutfehde nicht in Zusammenhang standen. Erst Solon hat dies in seiner Revision als Ausgangspunkt genommen, um vorsätzliche, nicht vorsätzliche, versehentliche und berechtigte Tötung systematisch voneinander zu trennen und unterschiedlichen Gerichtsorten zuzuweisen. Demosthenes lässt den Euthykles die Bestimmung in der Weise kommentieren, dass „rein“ sei (τοῦτον εἶναι καθαρόν), wer einen anderen unerkannt im Krieg (und vermutlich auch beim Wettkampf) töte, „ungestraft“ (ἀθῷος) derjenige, der einen ‚Ehebrecher‘ töte.271 Dass der Täter in diesen Fällen als „rein“ galt, kann durchaus schon ein Bestandteil des drakontischen Gesetzes gewesen sein.272 Das Adverb ákōn für die nicht vorsätzliche Tötung ist auch in Z. 16/17 der Inschrift (F 2) bzw. in dem in Demosth. or. 43,57 (F 6a) eingelegten Gesetz belegt.273

πόλεμον) oder bei einer kriegerischen Übung an den Anfang seiner Tötungsgesetze gestellt. Er ordnete für solche Taten ein Opfer an, damit der Täter wieder rein sei (καθαρὸς ἔστω) (Plat. leg. 9,865a–b). 269  Auch in diesem Kontext übersetzt Philipps 2013, 57 das μὴ φεύγειν mit „he shall not stand trial“. 270  Zu weiteren Kommentaren zu Demosth. or. 23,53 siehe F 28. Bereits die Ilias kennt die Praxis, dass für einen im Krieg getöteten Mann den Angehörigen keine Buße zuteil wird (Hom. Il. 13,658 f.). Platon hat in den Nomoi die Fälle unabsichtlicher Tötungen – bei einem Wettkampf und bei öffentlichen Spielen, im Krieg oder bei einer kriegerischen Übung, bei denen sich der Täter allein einer Reinigung unterziehen musste, – getrennt behandelt von der straffreien Tötung eines Vergewaltigers: Wer eine freie Frau oder einen Knaben aus Liebesbegierde vergewaltigt, soll von dem Opfer, dem Ehemann, dem Vater, den Brüdern oder den Söhnen straflos getötet werden können (Plat. leg. 9,865a–b; leg. 9,874c: νηποινὶ τεθνάτω). 271  Demosth. or. 23,54 f. 272  Leão/Rhodes 2015, 32: „We believe that pollution was already attached to homicide in the time of Draco … As for homicide and pollution in general, earlier evidence is lacking, but the presumption must be that already in the time of Draco, while unlawful homicide was polluting, lawful was not“ (mit Verweis auf Demosth. or. 23,72 [F 15] und or. 9,43 f. [F 30] sowie Bestimmungen über die rechtmäßige Tötung von Tyrannisaspiranten und Hochverrätern). J. W. Hewitt, The Necessity of Ritual Purification after Justifiable Homicide, in: TAPhA 41, 1910, 99–113; MacDowell 1963, 128 f.; Parker 1983, 366–369. 273  Zur Frage, ob diese Bestimmung auf Drakon selbst zurückgeht oder nur von dessen Gesetz beeinflusst ist, vgl. Carawan 1998, 92 f. Dass denjenigen, „die nicht rein an den Händen sind“, als Befleckten der Zugang zur Agora verwehrt ist, bestätigt Demosth. or. 24,60: οἱ μὴ καθαρὰς τὰς χεῖρας ἔχοντες, εἰσιόντες δ’ εἰς τὴν ἀγοράν, ἀδικοῦσιν. Zur Befleckung von Personen, die getötet hatten, vgl. auch Antiph. 5,11 (τοῖς μὴ καθαροῖς τὰς χεῖρας), 5,82 (πολλοὶ ἤδη ἄνθρωποι μὴ καθαροὶ χεῖρας ἢ ἄλλο τι μίασμα ἔχοντες).

Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

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Die Wendung en hodṓ kathelṓn ist zweimal bei Harpokration belegt.274 Aus den Einträgen wurde geschlossen, dass en hodṓ dasselbe wie en lóchō kaí enédra (also „im Hinterhalt“) bedeute. Dann wäre die Bestimmung auf eine Tötung dessen, der einen anderen aus einem Hinterhalt auf offener Straße angegriffen hat, also auf eine Tötung als Selbstverteidigung und aus Notwehr, zu beziehen.275 Es ist aber zu berücksichtigen, dass die straffreie Tötung nach einem ungerechtfertigten, gewaltsamen Angriff bereits in dem in Demosth. or. 23,60 (F 10b) eingelegten Gesetz festgeschrieben ist. Selbst wenn ein räuberischer Angriff auf offener Straße aus einem Hinterhalt nicht unter diese Bestimmung fallen sollte, ist die Formulierung ἐν ὁδῷ καθελών zu unpräzise, um sie auf einen solchen konkreten Fall zu beziehen. Die Verbindung mit ἐν ἄθλοις ἄκων und ἐν πολέμῳ ἀγνοήσας deutet darauf hin, dass ein Unglücksfall oder eine versehentliche Tötung gemeint war. Auch Joshua Sosin geht davon aus, dass schon Harpokration die Worte nicht richtig verstanden hat, denn en hodṓ bedeute einfach „unterwegs“.276 En hodṓ kathelṓn sei als „overtaking on a road“ zu verstehen, also als Tötung infolge eines Unfalls, wobei kathelṓn das Überholen und Überfahren umfasse.277 In jedem Fall bringt die Wendung zum Ausdruck, dass die Tötung ohne Absicht geschah. Hinzu kommt, dass man am Ende des 4. Jahrhunderts offenbar nicht mehr exakt bestimmen konnte, was unter ἐν ὁδῷ καθελών zu verstehen sei; denn bezeichnend ist, dass gerade diese Worte bei der Kommentierung in Demosth. or. 23,54–56 und bei der Wiedergabe des Gesetzes in Aristot. Ath. pol. 57,3 fehlen.278 Die gerechtfertigte Tötung des Ehebrechers „bei“ der Ehefrau, Mutter, Schwester, Tochter oder pallakḗ wird auf die Tötung des bei der Tat ergriffenen Täters zu beziehen sein. Insofern stellt es vermutlich nur eine Präzisierung dar, wenn Solon in seinem 274  Harpokr. ο 2 s. v. ὁδός; κ 5 s. v. καθελών; Suda η 121 s. v. ἢ ἐν ὁδῷ καθελών, ο 47 s. v. ὁδός; Phot. Lex. η 67 s. v. ἢ ἐν ὁδῷ καθελών, ο 38 s. v. ὁδός; Eustath. Comm. ad Hom. Il. 1, p. 110,5. Siehe dazu und zu P. Berol. 5008 s. v. ὁδός, einem Auszug aus einem Kommentar zu Demosth. or. 23, Craig A. Gibson, Interpreting a Classic. Demosthenes and His Ancient Commentators, Berkeley/Los Angeles/London 2002, 160, 165 f. 275  So etwa MacDowell 1963, 75–76; David Cohen, Law, Sexuality, and Society. The Enforcement of Morals in Classical Athens, Cambridge 1991, 106 Anm. 26 und Eva Cantarella, L’omicidio legittimo e l’uccisione del μοιχός nel diritto attico, in: dies., Studi sull’omicidio in diritto greco e romano, Milano 1976, 132 f. und dies., Moicheia. Reconsidering a Problem, in: Symposion 1990. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Pacific Grove, California, 24.–26. September 1990), hrsg. von Michael Gagarin, Köln/Weimar/Wien 1991, 289 („uccisione del brigante, nel corso di una aggressione“ mit Verweis auf Harpokr. ο 2 s. v. ὁδός); ebenso Leão/Rhodes 2015, 31: „killing a raider or a highwayman“; vgl. Carawan 1998, 92. 276  Joshua D. Sosin, Death on a Road (Dem. 23.53), in: Historia 65, 2016, 155–169. Raphael Sealey, The Athenian Courts for Homicide, in: CPh 78, 1983, 283 glaubt, dass Harpokration für seine Erklärung keine weiteren Belege hatte als eben dieses Gesetz. Edward M. Harris hingegen folgt den Erklärungen Harpokrations und der Suda und versteht ἐν ὁδῷ καθελών im Sinne von „lying in an ambush“ (2016, 210 f.). 277  Sosin ebd. insb. 164–165. 278  So auch Canevaro 2013, 66–69 mit Nennung früherer Meinungen. David Cohen hatte die Tatsache, dass in der Athenaion Politeia die ‚zentrale‘ Bestimmung über die straffreie Tötung aus Notwehr ausgelassen ist, dahingehend interpretiert, dass die Wiedergabe des Gesetzes als ungenau und unzuverlässig anzusehen sei. Dies erscheint angesichts der neuen These von Joshua Sosin nicht stichhaltig.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Gesetz über den Ehebruch formuliert, dass die Tötung des Ehebrechers straffrei war, wenn er „bei der Tat“ bzw. „beim Geschlechtsverkehr“ (ἐν ἔργῳ und ἄρθρα ἐν ἄρθροις ἔχων) ergriffen worden war (F 94e–f).279 Auffällig ist, dass die Tötung des nächtlichen Diebs nicht mit der des Ehebrechers gleichgestellt und in dieser Bestimmung genannt ist. Dies könnte seinen Grund darin haben, dass die Tötung des nächtlichen Diebs von bestimmten Tatumständen abhängig war, so wie die Tötung eines Angreifers, die nur dann straffrei war, wenn der Angriff „gewaltsam und ungerechtfertigt“ (F 10b: βίᾳ ἀδίκως) geschehen und der Angreifer „sofort“ (εὐθὺς) getötet worden war. Eine pallakḗ ist eine Frau, die nicht durch engýē in eine rechtmäßige Ehe gegeben worden war. Es wird sich in den meisten Fällen um eine Frau handeln, mit der ein Athener nach dem Tod der ersten Ehefrau eine Lebensgemeinschaft einging.280 Da die Verbindung keine rechtmäßige Ehe war, waren die von der pallakḗ geborenen Kinder nicht ohne weiteres erbberechtigt – und dies war so beabsichtigt, denn der Hausvater wollte das Erbrecht der aus der ersten Ehe hervorgegangenen Kinder nicht schmälern. In den Fällen aber, in denen die Kinder aus erster Ehe starben, konnte der Hausvater die mit der pallakḗ gezeugten Kinder als Erben des Hausvermögens einsetzen.281 Die Formulierung im Gesetzestext gibt diesen Sachverhalt exakt wieder: Denn es ist von der pallakḗ die Rede, „die er zur Zeugung freier Kinder hat“. Die Kinder sind nicht als ‚rechtmäßige‘ (γνήσιοι) bezeichnet, denn in diesen Fällen hätten sie ein unmittelbares Erbrecht. Es mussten aber freie Kinder sein, denn nur diese hatten, wenn die rechtmäßigen Kinder verstorben waren, eine Anwartschaft auf das Erbe. Dass auch die pallakḗ, mit der der Hausvater „freie Kinder“ zeugen konnte, unter den besonderen Schutz des Gesetzes gestellt war, legt nahe, dass bereits im 7. und 6. Jh. eine Nachfolgeregelung praktiziert und rechtlich anerkannt war, wonach ein Hausvater beim Tod der mit seiner rechtmäßigen Ehefrau gezeugten Kinder die Kinder der pallakḗ zu Erben machen konnte.282

279  Ruschenbusch 2010, 49. Das μοιχὸν λαβών als indirekte Wiedergabe des ἐπὶ δάμαρτι … in der Athenaion politeia ist knapper, aber unpräziser. Das Wort moichós lässt sich für den drakontischen Gesetzestext nicht sichern. 280  So auch Leão/Rhodes 2015, 32: „a pallake, i. e. a concubine with the objective of free children, who seems to have been a long-term partner not formally acquired either by engye or by epidikasia after her father’s death: her children will have been free, but they will have been not gnesioi but nothoi (…), who had limited rights of inheritance in the absence of gnesioi (…) and were probably excluded from citizenship“. 281  Siehe dazu Winfried Schmitz, Den Normenkonflikt aushalten. Euripides’ Andromache und das Bürgerrechtsgesetz des Perikles, in: Karl-Joachim Hölkeskamp et al. (Hrsg.), Die Grenzen des Prinzips. Die Infragestellung von Werten durch Regelverstöße in antiken Gesellschaften, Stuttgart 2019, 63–79. 282  Platon hat den Begriff pallakḗ in seinen Gesetzen umgewandelt in eine „Miterzeugerin von Kindern“ (συγγεννήτωρ τέκνων) (leg. 9,874c).

Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

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F 12 berechtigte Tötung des (nächtlichen) Diebs (F 12a: F 23/1 Leão/Rhodes; F 12c: T 382 Martina; F 140 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 12d: T 383 Martina; F 23a Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 12a: Demosthenes, Gegen Timokrates (or. 24) 113 (353 v. Chr.) (= F 29, 112a) (113) καίτοι γ’ ὁ Σόλων, ὦ ἄνδρες δικασταί, ᾧ οὐδ’ ἂν αὐτὸς Τιμοκράτης φήσειεν ὅμοιος νομοθέτης εἶναι, οὐχ ὅπως ἀσφαλῶς κακουργήσουσι φαίνεται παρασκευάζων τοῖς τοιούτοις, ἀλλ’ ὅπως ἢ μὴ ἀδικήσουσιν ἢ δώσουσι δίκην ἀξίαν, καὶ νόμον εἰσήνεγκεν, εἰ μέν τις μεθ’ ἡμέραν ὑπὲρ πεντήκοντα δραχμὰς κλέπτοι, ἀπαγωγὴν πρὸς τοὺς ἕνδεκ’ εἶναι, εἰ δέ τις νύκτωρ ὁτιοῦν κλέπτοι, τοῦτον ἐξεῖναι καὶ ἀποκτεῖναι καὶ τρῶσαι διώκοντα καὶ ἀπαγαγεῖν τοῖς ἕνδεκα, εἰ βούλοιτο. τῷ δ’ ἁλόντι ὧν αἱ ἀπαγωγαί εἰσιν, οὐκ ἐγγυητὰς καταστήσαντι ἔκτισιν εἶναι τῶν κλεμμάτων, ἀλλὰ θάνατον τὴν ζημίαν. (114) … [siehe F 113b] App. crit.: φήσειεν: φήσαι codd. und Dindorf

(113) Übrigens ist es klar, Geschworene, dass Solon, mit dem Timokrates selbst sich als Gesetzgeber (nomothétēs) in keiner Weise vergleichen kann, nicht solche Einrichtungen getroffen hat, wodurch Menschen ungestraft Vergehen zu tun Gelegenheit erhalten sollten, sondern um sie entweder von Vergehen abzuhalten oder ihnen eine angemessene Strafe (díkē axía) aufzuerlegen, hat derselbe auch ein Gesetz (nómos) gegeben: Wenn jemand bei Tage [etwas im Wert von] mehr als fünfzig Drachmen stiehlt, so soll Abführung (apagōgḗ) zu den Elfmännern (héndeka) vollzogen werden; wenn aber einer bei Nacht irgendetwas stiehlt, so soll zulässig sein, diesen zu töten (apokteínai) oder bei der Verfolgung zu verwunden (trṓsai) oder zu den Elfmännern abzuführen (apagageín), wie es einem beliebt. Demjenigen aber, der ergriffen wurde bei Vergehen, bei denen Abführung (apagōgaí) vollzogen wird, soll es nicht gestattet sein, unter Stellung von Bürgen (engyētaí) das Gestohlene zu ersetzen, sondern der Tod soll die Strafe sein. (114) … [siehe F 113b]

F 12b: Plutarch, Solon 17,2 (um 100 n. Chr.) (17,1) πρῶτον μὲν οὖν τοὺς Δράκοντος νόμους ἀνεῖλε … (17,2) μία γὰρ ὀλίγου δεῖν ἅπασιν ὥριστο ζημία τοῖς ἁμαρτάνουσι θάνατος, ὥστε καὶ τοὺς ἀργίας ἁλόντας ἀποθνῄσκειν, καὶ τοὺς λάχανα κλέψαντας ἢ ὀπώραν ὁμοίως κολάζεσθαι τοῖς ἱεροσύλοις καὶ ἀνδροφόνοις. (17,1) Zuerst hob er nun alle Gesetze (nómoi) Drakons auf. … (17,2) Denn beinahe auf alle Verfehlungen war nur eine Strafe (zēmía) gesetzt: der Tod, so dass auch die der Untätigkeit Überführten sterben mussten und, wer Gemüse oder Feldfrüchte stahl, ebenso bestraft wurde wie Tempelräuber und Totschläger (androphónoi).

F 12c: Alkiphron, Briefe 2,38,3 (2. Jh. n. Chr.) μέμφομαι τῷ Σόλωνι καὶ τῷ Δράκοντι, οἳ τοὺς μὲν κλέπτοντας σταφυλὰς θανάτῳ ζημιοῦν ἐδικαίωσαν, τοὺς δὲ ἀνδραποδίζοντας ἀπὸ τοῦ φρονεῖν τοὺς νέους ἀθῴους εἶναι τιμωρίας ἀπέλιπον. App. crit.: φρονεῖν: φροντίζειν Meinecke, Herch., ἀφρονεῖν Reiske; [εἶναι] Cobet; κατλιτον Hersch.

Ich muss Solon und Drakon tadeln, die diejenigen, die Trauben gestohlen haben, mit dem Tod zu bestrafen anordneten, aber die, die mit ihrem Räsonieren junge Leute zu [nur] menschenfüßigen Wesen machten, straffrei ließen.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

F 12d: Gellius, Noctes Atticae 11,18,1–3 und 5 (2. Jh. n. Chr.) (= F 19d) (1) Draco Atheniensis vir bonus multaque esse prudentia existimatus est iurisque divini et humani peritus fuit. (2) Is Draco leges, quibus Athenienses uterentur, primus omnium tulit. (3) In illis legibus furem cuiusmodicumque furti supplicio capitis poeniendum esse et alia pleraque nimis severe censuit sanxitque. … (5) Solo … sua lege in fures non, ut Draco antea, mortis sed dupli poena vindicandum existimavit. App. crit.: duplici Q2 II X2

(1) Der Athener Drakon galt als charakterfester Mann mit ausgedehnten Kenntnissen, erfahren in der Auslegung göttlichen und menschlichen Rechts. (2) Dieser Drakon nun gab als allererster Gesetze, die bei den Athenern in Geltung waren. (3) In seinen Satzungen war unter vielen anderen die außerordentlich strenge Verordnung, dass ein Dieb, gleichgültig was immer er stiehlt, mit dem Tode zu bestrafen sei. … (5) … In seinem Gesetz gegen Diebe erkannte dieser [Solon] nicht wie vormals Drakon auf Tod, sondern nur auf doppelten Ersatz als Strafe.

F 12e: Methodius von Olympus, Symposium sive Convivium decem virginum or. 8 (Thekla), 16 (um 300 n. Chr.) Κατὰ γένεσιν ἄρα καὶ Μίνως καὶ Ῥαδάμανθος καὶ Δράκων καὶ Λυκοῦργος καὶ Σόλων καὶ Ζάλευκος νομοθέται φύντες διετάξοντο τοὺς νόμους ἀπαγορεύοντας μοιχείας, φόνους, βίας, ἁρπαγάς, κλοπάς, ὡς οὐκ ὄντων τούτων καὶ γινομένων κατὰ γένεσιν. Gemäß génesis sind also auch Minos, Rhadamanthos, Drakon, Lykurgos, Solon und Zaleukos als Gesetzgeber (nomothétai) hervorgegangen und haben Gesetze erlassen, die Ehebruch (moicheía), Tötung, Gewalttat, Raub und Diebstahl verboten haben, gleich als ob all dies nicht gemäß génesis geschähe.

Die in klassischer Zeit geltenden Gesetze zum Diebstahl lassen sich relativ gut rekonstruieren.283 Wer einen Dieb in seinem Haus bei der Tat (ἐπ᾿ αὐτοφώρῳ) ergriffen hatte, konnte ihn dann, wenn der Diebstahl tagsüber geschehen war und der Wert des Gestohlenen 50 Drachmen überstieg, zur Hinrichtung zu den Elfmännern abführen. Hatte man ihn nachts bei der Tat ergriffen, konnte man ihn unabhängig vom Wert des Gestohlenen unmittelbar und eigenhändig töten (F 12a).284 Hatte man ihn nicht bei der Tat ergriffen oder wollte ihn nicht eigenhändig töten, konnte man gegen ihn eine Privatklage wegen Diebstahls, eine díkē klopḗs, anstrengen. Bei einem Schuldspruch konnte jeder beliebige Dritte eine zusätzliche Schandstrafe beantragen. Der Dieb wurde dann fünf Tage und fünf Nächte in den Pranger gebunden (F 113b).285 Im drakontischen Recht gab es eine Bestimmung, dass die Tötung eines Diebs bußlos bleiben

283  Die zentralen Quellen sind: Demosth. or. 22,26 f.; 24,105.113 f.; Lys. 10,16 f. Siehe dazu den Kommentar zu F 112–114. 284  Auch Platon wertet die Tötung eines bei der Tat ergriffenen nächtlichen Diebs als gerechtfertigt; der Täter sei „rein“ (καθαρός) (leg. 9,874b). 285  Gesetz in Demosth. or. 24,105; Aristot. Ath. pol. 52,1.

Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18)

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sollte, wobei vermutlich bereits in der Satzung Drakons die straflose Tötung auf den nächtlichen Dieb beschränkt war.286 Auch hier gilt es, die verschiedenen Gesetze bzw. Delikte scharf voneinander zu trennen. Vermutlich schloss Drakon explizit die straffreie Tötung des nächtlichen Diebs von den von ihm geregelten Verfahren vor den ephétai aus, Solon regelte die alternativen Verfahren, die je nach den Tatumständen gegen den Dieb durchgeführt werden konnten. Dafür spricht auch, dass in Demosth. or. 24,113 zunächst die Abführung des tagsüber ergriffenen Diebs geregelt war, erst anschließend die unmittelbare Tötung des nächtlichen Diebs, die Verletzung des flüchtenden Täters oder dessen Abführung genannt ist. Es könnte sich bei der zweiten Bestimmung um eine in das solonische Gesetz eingefügte ‚Übernahme‘ aus einer älteren, drakontischen Bestimmung handeln. Gestützt wird dies durch die Formulierung ὁτιοῦν (κλέπτοι) in Demosth. or. 24,113, die dem cuiusmodicumque (furti) bei Aulus Gellius entspricht, der diese Bestimmung Drakon zuschreibt. Solon hat aber mit diesen präzisen und differenzierten Regelungen nicht ein früheres, härteres Recht revidiert, so dass die Tötung des nächtlichen Diebs nach wie vor straffrei blieb.287 Auch beim Diebstahl haben spätere Autoren aus einer Ausnahmeregelung (wer einen nächtlichen Dieb getötet hat, muss nicht aus Attika fliehen) zu Unrecht abgeleitet, Drakon habe für das Stehlen von Gemüse oder Feldfrüchten nur eine Strafe gekannt, den Tod.288 Folgt man den Angaben Plutarchs, hat das Gesetz Drakons nicht nur die Tötung des bei der Tat ergriffenen nächtlichen Diebs straffrei gelassen, sondern auch die des Tempelräubers. Den Begriff androphónos gebraucht Plutarch vermutlich in unspezifischem Sinne von ‚Mörder‘, ‚Totschläger‘ und nicht im spezifischen Sinne Drakons, der die Tötung und apagōgḗ des ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrten Täters gestattet hatte.

286  Denn auffällig ist, dass die berechtigte Tötung des Diebs in Demosth. or. 23,53 und Aristot. Ath. pol. 57,3 der Tötung des Ehebrechers nicht an die Seite gestellt ist, vermutlich deswegen weil die Tötung des bei der Tat ergriffenen Diebs von bestimmten Tatumständen abhängig war, so wie die Tötung eines Angreifers, die nur dann legitim war, wenn der Angriff unrechtmäßig und unter Gewaltanwendung geschehen war und der Angegriffene den Angreifer sofort getötet hatte (F 10b). Die notwendigen Voraussetzungen bei der straffreien Tötung eines Räubers betont Cantarella 1976, 134 f. Methodius von Olympus hat vielleicht nicht zufällig Ehebruch, Gewalttat, Raub und Diebstahl mit der Tötung zusammengestellt; denn all dies waren Delikte, bei denen im Gesetz Drakons unter bestimmten Voraussetzungen die unmittelbare Tötung des bei der Tat ergriffenen Täters straffrei bleiben sollte. 287  In einer Szene aus einer Komödie des spätklassischen Komödiendichters Diphilos erklärt Person A der Person B, dass derjenige, der stets die teuersten Speisen kaufe, vorgeladen und verhört werde. Wer über seine Verhältnisse lebe, werde ermahnt, wer sich nicht daran halte, mit einer Geldstrafe belegt. „Wer aber nicht das Geringste besitzt und auf großem Fuß lebt, der wird dem Henker übergeben. … Ein solcher Mensch kann unmöglich ohne irgendeine Untat leben. … Notgedrungen muss er entweder ein nächtlicher Kleiderdieb oder ein Einbrecher sein oder mit solchen Leuten unter einer Decke stecken“ (Diphilos F 31 PCG). Auch in dieser Szene ist ausdrücklich vom nächtlichen Kleiderdieb die Rede. 288  So auch Humphreys 1991, 19.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

F 13 Verfahren gegen den aus Attika geflohenen Täter War ein Täter wegen einer nicht vorsätzlichen Tötung für schuldig befunden worden und aus Attika geflohen und wurde ihm eine weitere Tötung zur Last gelegt und hatten die Angehörigen des Opfers deswegen die Blutrache angekündigt, was ihn an einer Rückkehr nach Attika trotz Aussöhnung für die erste Tat gehindert hätte, wurde unter Vorsitz des basileús ein Verfahren an der Küste Attikas, ‚in Phreato‘, durchgeführt, bei dem sich der Täter von einem Boot aus verteidigte. Die zu diesem speziellen Verfahren überlieferten Fragmente (F 31) geben keinen Anhaltspunkt dafür, in welcher Weise die diesbezüglichen Bestimmungen aus den attischen ‚Gesetzen über die Tötung‘ (νόμοι φονικοί) an eine Regelung im Gesetz Drakons anknüpften oder daraus entnommen waren. Der Umstand indes, dass auch bei diesem Verfahren die ephétai entschieden, legt nahe, dass es eine diesbezügliche Bestimmung in Drakons Satzung gab. Solon beließ den ephétai in diesen Verfahren die Entscheidung, obwohl sie damit auch in Fällen einer vorsätzlichen Tat entschieden, die mit Solons Revision dem Areopag übertragen worden waren. Dass einem Täter zwei Tötungen vorgeworfen wurden, wird selten vorgekommen sein. Nachvollziehbar ist ein so außergewöhnliches Verfahren indes, wenn man die Satzung Drakons auf die Tötung der Kylonanhänger bezieht. In diesem speziellen Fall konnte es durchaus vorgekommen sein, dass ein und dieselbe Person für den Tod mehrerer der Anhänger Kylons verantwortlich war, die in dem einen Fall bereits nach der Entscheidung der ephétai Attika hatte verlassen müssen, aber auf eine nachträgliche Aussöhnung und Rückkehr hoffte, die ihr die Ankündigung einer Blutrache wegen vorsätzlicher Tötung in einem zweiten Fall unmöglich machte.289 F 14 Tötung von Personen, die der Hausgewalt unterworfen sind F 14a: Antiphon, Über die Tötung des Herodes (or. 5) 48 (um 415 v. Chr.) Καίτοι οὐδὲ οἱ τοὺς δεσπότας ἀποκτείναντες, ἐὰν ἐπ’ αὐτοφώρῳ ληφθῶσιν, οὐδ’ οὗτοι ἀποθνῄσ­ κουσιν ὑπ’ αὐτῶν τῶν προσηκόντων, ἀλλὰ παραδιδόασιν αὐτοὺς τῇ ἀρχῇ κατὰ νόμους ὑμετέρους πατρίους. Εἴπερ γὰρ καὶ μαρτυρεῖν ἔξεστι δούλῳ κατὰ τοῦ ἐλευθέρου τὸν φόνον, καὶ τῷ δεσπότῃ, ἂν δοκῇ, ἐπεξελθεῖν ὑπὲρ τοῦ δούλου, καὶ ἡ ψῆφος ἴσον δύναται τῷ δοῦλον ἀποκτείναντι καὶ τῷ ἐλεύθερον, εἰκός τοι καὶ ψῆφον γενέσθαι περὶ αὐτοῦ ἦν, καὶ μὴ ἄκριτον ἀποθανεῖν αὐτὸν ὑφ’ ὑμῶν. App. crit.: θνήσκουσιν A; post ἀρχῇ Rs κολασθῆναι Hartm. κολάσαι desiderat; νόμους ‹τοὺς› ci. Js; τῷ ἐλεύθ. Rs: τὸν ἐλεύθ.

Und doch werden nicht einmal diejenigen, die ihre Herren (despótai) getötet haben, wenn sie auf frischer Tat (ep’ autophṓrō) ergriffen wurden, von den eigenen Verwandten getötet, sondern sie übergeben sie gemäß euren väterlichen Gesetzen (nómoi pátrioi) der Behörde (ar­ chḗ). Denn wenn es einem Sklaven (doúlos) auch gestattet ist, bei der Tötung als Zeuge gegen

289  Dazu Tino Shahin, Phreatto – Ein Gerichtsverfahren zwischen Land und Meer für Athener mit ‚Vorstrafe‘, in: Klio 101, 2019, 57–76.

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einen Freien aufzutreten, und dem Herrn (despótēs) [es gestattet ist], wenn es ihm angebracht erscheint, zugunsten eines Sklaven (doúlos) gerichtlich vorzugehen, und die Abstimmung (psḗphos) für den, der einen Sklaven (doúlos) getötet hat, das Gleiche bedeuten kann wie für den, der einen Freien getötet hat, so ist es doch nur recht und billig, dass auch über jenen eine Abstimmung (psḗphos) stattgefunden hätte und er nicht von euch ohne Urteil (ákritos) getötet worden wäre.

F 14b: Ps.-Demosthenes, Gegen Euergos und Mnesiboulos (or. 47) 70–72 (um 355 v. Chr.) (= F 6d, 26b, 38b) „… εἶτα πρὸς τὸν βασιλέα μὴ λαγχάνειν. (70) οὐδὲ γὰρ ἐν τῷ νόμῳ ἔστι σοι· οὐ γάρ ἐστιν ἐν γένει σοι ἡ ἄνθρωπος, οὐδὲ θεράπαινα, ἐξ ὧν σὺ λέγεις· οἱ δὲ νόμοι τούτων κελεύουσιν τὴν δίωξιν εἶναι· ὥστ’ εἰ διομεῖ ἐπὶ Παλλαδίῳ αὐτὸς καὶ ἡ γυνὴ καὶ τὰ παιδία καὶ καταράσεσθε αὑτοῖς καὶ τῇ οἰκίᾳ, χείρων τε δόξεις πολλοῖς εἶναι, καὶ ἐὰν μὲν ἀποφύγῃ σε, ἐπιωρκηκέναι, ἐὰν δὲ ἕλῃς, φθονήσει …“. (71) ταῦτα ἀκούσας ἐγὼ τῶν ἐξηγητῶν, καὶ τοὺς νόμους ἐπισκεψάμενος τοὺς τοῦ Δράκοντος ἐκ τῆς στήλης, ἐβουλευόμην μετὰ τῶν φίλων ὅ τι χρή με ποιεῖν. συμβουλευόντων δέ μοι ταὐτά, ἃ μὲν ὑπὲρ τῆς οἰκίας προσῆκεν μοι πρᾶξαι καὶ ἃ ἐξηγήσαντό μοι οἱ ἐξηγηταί, ἐποίησα, ἃ δ’ ἐκ τῶν νόμων οὐκέτι μοι προσῆκεν, ἡσυχίαν εἶχον. (72) κελεύει γὰρ ὁ νόμος, ὦ ἄνδρες δικασταί, τοὺς προσήκον­ τας ἐπεξιέναι μέχρι ἀνεψιαδῶν (καὶ ἐν τῷ ὅρκῳ διορίζεται ὅ τι προσήκων ἐστίν), κἂν οἰκέτης ᾖ, τούτων τὰς ἐπισκήψεις εἶναι. App. crit.: ταὐτά Schaefer: ταῦτα vulg.; ποιεῖν ταὐτά S (me teste); ὰνεψιαῶν] ὰνεψιῶν F, Pollux 8,118: ἀνεψιῶν παίδων Koehler, Beauchet; διορίζεται] ἐπερωτᾶν F γρ. Q γρ., Pollux; ὅ τι D: ὅτι vulg.: τί Q γρ.: τίς Pollux: om. F γρ. προσῆκον F γρ. Q γρ. ᾖ codd., Pollux: ‹τις› ᾖ Cobet; τούτων] τῶν κυρίων Rüdiger: τῶν δεσοτῶν Philippi.

„… Ferner sollst du sie nicht beim [árchōn] basileús verklagen. (70) Denn dies ist dir in dem Gesetz (nómos) nicht gestattet. Denn nach deiner Aussage ist die Person kein Angehöriger deiner Familie und auch nicht deine Sklavin (therápaina). Die Gesetze (nómoi) aber ordnen an, dass nur wegen solcher Klage stattfinde. Wenn du daher vor dem Palladion den Eid ablegen würdest, und mit dir auch deine Frau und deine Kinder und ihr zugleich euch und eure Familie (oikía) dem Fluch weihen würdet, so würden viele dich für übler einschätzen und, wenn der Gegner freigesprochen würde, dich sogar des Meineids bezichtigen, und wenn du gegen ihn gewinnst, dir Neid entgegen bringen …“. (71) Als ich dies von den Rechtskundigen (exēgētaí) gehört und [daraufhin] die Gesetze (nómoi) Drakons von der Stele geprüft hatte, habe ich mich mit meinen Freunden beraten, was ich tun sollte. Da sie mir dasselbe rieten, habe ich getan, was bezüglich des Hauses angemessen war zu tun [also: eine Reinigung vorzunehmen] und was die Rechtskundigen mir als Auskunft erteilt hatten, und ich habe mich zufrieden gegeben damit, was nach den Gesetzen (nómoi) mir ganz und gar nicht zukam: (72) Das Gesetz nämlich ordnet an, ihr Richter, dass die Angehörigen bis zu den Vetterssöhnen (méchri anepsi­ adṓn) [den Täter] verklagen (epexérchesthai) und im Eid darlegen sollen, welcher Angehöriger man ist, und dass die Klagen (episkḗpseis) von diesen sein sollen, auch wenn er [der Getötete] ein Sklave (oikétēs) ist.

F 14c: Lykurgos, Gegen Leokrates 65 (330 v. Chr.) ἐκεῖνοι γὰρ οὐ τῷ μὲν ἑκατὸν τάλαντα κλέψαντι θάνατον ἔταξαν, τῷ δὲ δέκα δραχμὰς ἔλαττον ἐπιτίμιον· οὐδὲ τὸν μὲν μεγάλα ἱεροσυλήσαντα ἀπέκτεινον, τὸν δὲ μικρὰ ἐλάττονι τιμωρίᾳ ἐκόλαζον·

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

οὐδὲ τὸν μὲν οἰκέτην ἀποκτείναντα ἀργυρίῳ ἐζημίουν, τὸν δὲ ἐλεύθερον εἶργον τῶν νομίμων· ἀλλ’ ὁμοίως ἐπὶ πᾶσι καὶ τοῖς ἐλαχίστοις παρανομήμασι θάνατον ὥρισαν εἶναι τὴν ζημίαν. App. crit.: ἀπέκτεινον Cor.: ἀπέκτειναν; μὲν om Apr; νομίμων Steph. & Antiph. 6,36 (et Aristot. Ath. pol. 57,2): νόμων.

Denn jene [Gesetzgeber] bestimmten nicht den Tod als Strafe (epitímion) für jemanden, der einhundert Talente gestohlen hatte, dagegen eine geringere für jemanden, der nur zehn Drachmen entwendet hatte; sie töteten auch nicht nur den, der in großem Umfang Tempelraub begangen hatte (hierosyleín), und bestraften den, der nur Weniges geraubt hatte, mit einer geringeren Strafe (timōría). Noch bestraften sie jemanden, der einen Sklaven (oikétēs) getötet hatte, nur mit einer Geldstrafe (argýrion), während sie denjenigen von allen Gebräuchen (nómima) ausschlossen, der einen Freien (eleútheros) getötet hatte. Vielmehr setzten sie für alle Vergehen, auch für die geringsten, in gleicher Weise den Tod als Strafe (zēmía) fest.

In Zeile 36/37 der inschriftlich erhaltenen Neupublikation des drakontischen Tötungsgesetzes ist ohne Zusammenhang der eleútheros, also der ‚Freie‘, belegt („[wenn] er ein Freier ist“). Dies gewährt einen Hinweis darauf, dass sich viele der erhaltenen Bestimmungen auf freie Athener beziehen, dass aber auch unfreie – zumindest teilweise – einbezogen waren. Andere Quellen bezeugen, dass Klagen wegen Tötung nicht nur bei Freien möglich waren, sondern auch Unfreie, die ihren eigenen Herrn getötet hatten, nicht direkt getötet wurden, sondern gemäß den alten Gesetzen dem Amtsträger zu übergeben waren. Auch habe ein doúlos bei Gericht bei einem Tötungsdelikt gegen einen Freien Zeugnis ablegen können,290 und der Herr habe zugunsten eines doúlos Klage einreichen können, selbst im Fall einer Tötung (F 14a–b). Die Quellen des späten 5. und des 4. Jh. sprechen in diesem Zusammenhang von Sklaven (doúloi und oikétai), doch es liegt näher, an Personen zu denken, die der hausväterlichen Gewalt unterworfen waren, so wie sie in einem Fragment der solonischen Gesetze als oikḗes bezeichnet werden. Mit diesem Begriff waren Personen gemeint, die als landwirtschaftliche Arbeitskräfte in das Haus integriert waren und denen damit, als abhängig Arbeitende, ein anderer Status zukam als der der ‚Vollfreien‘, der eleútheroi. Weil sie der hausväterlichen Gewalt unterstanden, konnten sie nicht eigenständig Klage einreichen, sondern mussten von dem Hausvater vertreten werden. Es ist bezeichnend, dass sich entsprechende Gesetze auf Tötungsdelikte und auf die an oder von gewaltunterworfenen Personen angerichteten Schäden beziehen. Und so wie in der gesetzlichen Bestimmung über den von einem oikeús oder einer doúlē angerichteten Schaden (oder einer Schädigung des oikeús oder der doúlē) im Verlauf der Zeit diese archaischen Worte durch oikétēs ersetzt wurden, ist gut möglich, dass Autoren der klassischen Zeit in den gewaltunterworfenen Personen des drakontischen Gesetzes Sklaven gesehen haben. Dies würde 290  Im ersten Plädoyer des Angeklagten in Antiph. Tetr. 1β entrüstet sich der Sprecher, dass er aufgrund eines Zeugnisses eines Sklaven „vernichtet“ werde (§ 7), nämlich entweder „sterben“ (ἀποθνῄσκειν) oder „(aus Attika) fliehen“ (φεύγειν) müsse (§ 9; vgl. 1δ 11 und 2: ἀποκτείνειν).

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die Verwunderung darüber, dass die Athener in gleicher Weise wie die freien Athener auch die Sklaven vor Tötungen geschützt hätten, erklären. Da in klassischer Zeit Prozesse wegen der Tötung von Sklaven grundsätzlich vor dem Palladion geführt wurden,291 ist anzunehmen, dass dies alter Tradition folgte und die Satzung Drakons eine entsprechende Bestimmung enthielt: Hatte ein Knecht den Herrn getötet – z. B. bei einer Schlägerei nach einer innerhäuslichen Auseinandersetzung – oder war ein Knecht oder eine Magd getötet worden, sollte auch in diesem Fall von den ephétai entschieden werden, ob es sich um eine nicht vorsätzliche, versehentliche oder berechtigte Tat handelte.292 Auch in klassischer Zeit galt für die Körperverletzung mit Todesfolge bei einer Sklavin noch die Verbannung als Strafe, wie die Befürchtung des Apollodoros zeigt, im Falle eines Schuldspruchs sein Vaterland verlassen zu müssen.293 F 15 Flucht auf schutzgewährenden Wegen und Rückkehr nach Attika (T 387 Martina; F 6 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 15: Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 72 (352 v. Chr.) τί οὖν ὁ νόμος κελεύει; τὸν ἁλόντ’ ἐπ’ ἀκουσίῳ φόνῳ ἔν τισιν εἰρημένοις χρόνοις ἀπελθεῖν τακτὴν ὁδόν καὶ φεύγειν, ἕως ἂν αἰδέσηταί τις τῶν ἐν γένει τοῦ πεπονθότος. τηνικαῦτα δ’ ἥκειν δέδωκεν ἔστιν ὃν τρόπον, οὐχ ὃν ἂν τύχῃ, ἀλλὰ καὶ θῦσαι καὶ καθαρθῆναι καὶ ἄλλ’ ἄττα διείρηκεν, ἃ χρὴ ποιεῖν, ὀρθῶς, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, πάντα ταῦτα λέγων ὁ νόμος. App. crit.: ὁ νόμος om. A; αἰδέσηταί τις app. Frankfurtana, marg. Lambini, corrector Weimaranus, αἰδέσηταί τινα codd., Harpokr. s. v.: αἰδεσθῇ παρὰ Blass; διείρηκεν codd., διῄρηκεν Dobree.

291  Aristot. Ath. pol. 57,3: τῶν δ’ ἀκουσίων καὶ βουλεύσεως, κἂν οἰκέτην ἀποκτείνῃ τις ἢ μέτοικον ἢ ξένον, οἱ ἐπὶ Παλλαδίῳ. Auch die Ausführungen in Demosth. or. 23,23 deuten an, dass Verfahren nur dann vor dem Areopag stattfanden, wenn es sich bei dem Opfer um einen athenischen Bürger handelte. Nach Isokr. 18,52 sei Kratinos wegen Tötung (infolge schwerer Verletzung) einer therápaina in einer díkē phónou vor dem Palladion angeklagt worden. Auch in der Rede Gegen Neaira wirft Theomnestos dem Stephanos vor, er habe mit falschen Zeugnissen wegen der Tötung einer Sklavin eine Klage, eine díkē phónou, beim Palladion gegen Apollodoros eingebracht, um ihn aus seinem Vaterland zu vertreiben (Ps.-Demosth. or. 59,9 f.). Er soll die Sklavin so schwer verletzt haben, dass sie an den Folgen gestorben sei. Stephanos habe durch einen Eid beteuert, Apollodoros habe die Frau mit eigener Hand getötet, und über sich, seine Familie und sein Haus einen Fluch ausgesprochen, für den Fall einer falschen Aussage. Er wurde aber des falschen Zeugnisses überführt, denn er war durch Geld dazu gebracht worden, Sklaven als Männer aus Kyrene zu verkleiden und als Zeugen aussagen zu lassen. 292  Die Bestimmung, dass bei der Tötung des eigenen Sklaven keine Strafe verhängt wurde, aber eine rituelle Reinigung vorgenommen werden musste, wird daher erst in spätere Zeit gehören. Antiph. 6,4: Τοσαύτην γὰρ ἀνάγκην ὁ νόμος ἔχει ὥστε καὶ ἄν τις κτείνῃ τινὰ ὧν αὐτὸς κρατεῖ καὶ μὴ ἔστιν ὁ τιμωρήσων, τὸ νομιζόμενον καὶ τὸ θεῖον δεδιὼς ἁγνεύει τε ἑαυτὸν καὶ ἀφέξεται ὧν εἴρηται ἐν τῷ νόμῳ, ἐλπίζων οὕτως ἂν ἄριστα πράξειν. – „Einen solchen Zwang übt nämlich das Gesetz aus, dass, selbst wenn jemand von denen einen tötet, über den er Macht ausübt (krateín) und für den es keinen Rächer geben wird, er doch aus Furcht vor dem Gesetz und der Religion sich entsühnen und dessen enthalten wird, was das Gesetz bestimmt, in der Hoffnung, dass es ihm wohl so am besten ergeht“. 293  Ps.-Demosth. or. 59,9: ἐκ τῆς πατρίδος … ἐκβαλεῖν; … προεῖπεν αὐτῷ ἐπὶ Παλλαδίῳ φόνου; 59,10: ὥστ᾽ ἐξελάσαι Ἀπολλόδωρον ἢ ἀτιμῶσαι.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Was bestimmt nun das Gesetz (nómos)? Der einer unabsichtlichen Tötung (akoúsios phónos) für schuldig Befundene soll innerhalb einer zugesicherten Frist einen festgelegten Weg nehmen und [außer Landes] fliehen (pheúgein), bis sich jemand aus der Familie (génos) des Getöteten [mit ihm] versöhnt haben wird (aidéomai). Erst dann aber hat er [der Gesetzgeber] zurückzukehren erlaubt und ausdrücklich bestimmt, dass er in bestimmter, nicht in beliebiger Weise dies tue, nämlich er opfern, gereinigt werden und alles andere Erforderliche ausführen müsse. Und all dies bestimmt das Gesetz (nómos), Athener, mit vollem Recht.

Es ist vom Ablauf her davon auszugehen, dass zunächst die ephétai über die Tat des wegen einer Tötung Ergriffenen entschieden und auf unabsichtliche Tötung erkannt haben mussten. In diesem Fall galt gemäß der ersten Bestimmung des drakontischen Gesetzes, dass der Täter aus Attika fliehen musste. Ob die Frist von den éphetai oder den Angehörigen des Opfers zugesichert wurde, ist aus dem Text nicht zu erkennen, vermutlich weil es dafür eine eingeübte Rechtspraxis gab.294 Der Täter, der das Land verlassen musste, war jedenfalls für eine bestimmte Zahl von Tagen und auf einem bestimmten Weg vor der Verfolgung durch die Angehörigen des Opfers geschützt.295 Eine zeitliche Frist gab es auch beim späteren Ostrakismos: Der Ostrakisierte hatte Attika in zehn bzw. fünf Tagen zu verlassen.296 Hatten die ephétai auf unabsichtliche Tötung erkannt, war die Chance auf Aussöhnung (aídesis) gewahrt, so wie es in der inschriftlichen Überlieferung des Gesetzes detailliert beschrieben ist (F 2 Z. 13–19). Die Formulierung „bis sich jemand aus der Familie (génos) des Getöteten [mit ihm] versöhnt haben wird“ (ἕως ἂν αἰδέσηταί τις τῶν ἐν γένει τοῦ πεπονθότος) ist jedoch insofern ungenau, als dass im inschriftlich überlieferten Text hervorgehoben wird, dass die Aussöhnung einhellig durch einen bestimmten Kreis von Angehörigen zu erfolgen hatte (s. o. F 6). Diese Ungenauigkeit mag darauf zurückzuführen sein, dass es sich in der Gerichtsrede um eine indirekte Bezugnahme auf das Gesetz handelt. Das erforderliche Opfer und die rituelle Reinigung vor der Rückkehr sind weitere Hinweise darauf, dass schon in der Zeit Drakons bzw. Solons eine Vorstellung von einer Befleckung (míasma) bestand.297 Die Ansicht von Ilias Arnaoutoglou, dass eine Verbindung zwischen Tötung und Befleckung mit dieser Quelle nicht zu belegen sei, weil Demosthenes bei anderen Zitaten aus dem drakontischen Gesetz einen solchen Zusammenhang nicht herstelle und das Wort nómos im Sinne von Gewohnheitsrecht verstanden werden könne,298 überzeugt wegen der Verwendung von δέδωκεν und διείρηκεν nicht. In Verbindung mit anderen Hinweisen zur Vorstellung von einer Be-

294  Vielleicht entsprach die Frist den drei Tagen, die ein Angehöriger des Opfers am Grab wachte, wenn er Blutrache ausüben wollte (Demosth. or. 47,69). 295  Dazu Hirayama 2003, 94–98. 296  Philochoros FgrH 328 F 30. 297  Zu Befleckung und ritueller Reinigung s. o. S. 128–132. 298  Arnaoutoglou 1993, 115.

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fleckung bei Tötungen im frühgriechischen Recht ist eher zu folgern, dass solche Vorstellungen weit zurückreichen. Es ist nicht zweifelsfrei zu entscheiden, ob die Bestimmung auf die Satzung Drakons zurückgeht oder eine von Solon hinzugefügte Präzisierung ist, die Rechtssicherheit bei der Flucht aus Attika gewährte. Vorauszusetzen ist aber, dass es in der Zeit Drakons mindestens eine Rechtspraxis gab, die dem Täter eine geschützte Flucht aus Attika erlaubte. Eberhard Ruschenbusch macht die Echtheit des Fragments an der Frage fest, ob es zur Zeit Drakons oder Solons schon die Vorstellung einer Befleckung des Täters gegeben hat. Er bejaht dies mit Verweis auf die vor dem Prytaneion stattfindenen Verfahren gegen unbekannte Täter, Tiere und Gegenstände, die nur aus der Sorge um eine rituelle Reinigung heraus zu verstehen seien.299 F 16 Ausschluss des Täters von heiligen Orten und Handlungen (F 16a: T 395 Martina; F 14 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 16a: Demosthenes, Gegen Leptines (or. 20) 158 (355/54 v. Chr.) ἐν τοίνυν τοῖς περὶ τούτων νόμοις ὁ Δράκων φοβερὸν κατασκευάζων καὶ δεινὸν τό τιν’ αὐτόχειρ’ ἄλλον ἄλλου γίγνεσθαι, καὶ γράφων χέρνιβος εἴργεσθαι τὸν ἀνδροφόνον, σπονδῶν, κρατήρων, ἱερῶν, ἀγορᾶς, πάντα τἄλλα διελθὼν, οἷς μάλιστ’ ἄν τινας ᾤετ’ ἐπισχεῖν τοῦ τοιοῦτόν τι ποιεῖν, ὅμως οὐκ ἀφείλετο τὴν τοῦ δικαίου τάξιν, ἀλλ’ ἔθηκεν, ἐφ’ οἷς ἐξεῖναι ἀποκτιννύναι, κἄν οὕτω τις δράσῃ καθαρὸν διώρισεν εἶναι. App. crit.: χέρνιβος S P γρ YP schol., χερνίβων S γρ A χερνίβων F; τῶν άνδροφόνων A1; τινα f1; ἀποκτειννύναι S A.

Drakon machte es nun in diesen Gesetzen (nómoi) [über die Tötung] zu einer abschreckenden und furchtbaren Sache, wenn der eine den anderen eigenhändig (autócheir) tötet. Und er legte schriftlich fest, dass der verurteilte Täter (androphónos) von geweihtem Wasser (chérnibes) ebenso ausgeschlossen sei wie von Opferspenden, von Opfergefäßen, von Heiligtümern und der Agora [oder: der Volksversammlung], und er zählte alles andere auf, wodurch er am ehesten glaubte, sie [die Athener] von einer derartigen Tat abhalten zu können. Gleichwohl hob er die [vorherige] Rechtsordnung nicht auf, sondern legte fest, unter welchen Umständen zu töten (apokteínein) erlaubt sei, und er bestimmte, dass jemand rein (katharós) sei, der auf diese Weise gehandelt hatte.

F 16b: Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 80 (352 v. Chr.) (= F 61b) Ἔτι τοίνυν ἔσθ’ ἕκτη τιμωρία πρὸς ἁπάσαις ταύταις, ἣν ὁμοίως παραβὰς γέγραφεν τὸ ψήφισμ’ οὑτοσί. εἰ πάντα ταῦτά τις ἠγνόηκεν, ἢ καὶ παρεληλύθασιν οἱ χρόνοι ἐν οἷς ἔδει τούτων ἕκαστα ποιεῖν, ἢ δι’ ἄλλο τι οὐχὶ βούλεται τούτους τοὺς τρόπους ἐπεξιέναι, τὸν ἀνδροφόνον δ’ ὁρᾷ περιιόντ’ ἐν τοῖς ἱεροῖς καὶ κατὰ τὴν ἀγοράν, ἀπάγειν ἔξεστιν εἰς τὸ δεσμωτήριον, οὐκ οἴκαδ’ οὐδ’ ὅποι 299  Ruschenbusch 2010, 37. Zustimmend Leão/Rhodes 2015, 24. MacDowell 1963, 1–5, 141–150 und Gagarin 1981, 164–167 sahen in den homerischen Epen und im Gesetz Drakons keine hinreichenden Belege für die Vorstellung einer rituellen Befleckung.

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βούλεται, ὥσπερ σὺ δέδωκας. κἀνταῦθ’ ἀπαχθεὶς οὐδ’ ὁτιοῦν, πρὶν ἂν κριθῇ, πείσεται, ἀλλ’ ἐὰν μὲν ἁλῷ, θανάτῳ ζημιωθήσεται, ἐὰν δὲ μὴ μεταλάβῃ τὸ πέμπτον μέρος τῶν ψήφων ὁ ἀπαγαγών, χιλίας προσοφλήσει. Zu all diesen Rechtsverfahren kommt endlich noch ein sechstes, welches der Antragsteller [Aristokrates] ebenso wenig eingehalten hat. Hat nämlich jemand von alledem nichts gewusst oder auch die für jeden Fall angeordnete Frist verstreichen lassen oder aus einem anderen Grund keinen von diesen Wegen betreten wollen, so steht es ihm frei, den Täter (androphó­ nos), wenn ein solcher sich bei den Festen oder in der agorá sehen lässt, in das Gefängnis (des­ mōtḗrion) abzuführen (apágein), nicht aber, wozu du ihn ermächtigst, in sein eigenes Haus oder wohin sonst es ihm beliebt. Auch dort geschieht dem Abgeführten (apachtheís), ehe er verurteilt wurde, nichts; erst wenn er schuldig gesprochen ist, erleidet er den Tod; der hingegen, der ihn abgeführt hat (ho apagagṓn), hat, wenn er nicht den fünften Teil der Stimmen für sich hat, als Buße tausend Drachmen zu zahlen.

Nach der Bestimmung in den Z. 26–29 der inschriftlichen Überlieferung war der Täter von Orten sozialer Zusammenkünfte, von agoraí ephóriai, amphiktyonischen Wettkampfstätten und Heiligtümern, ausgeschlossen. Dabei ging es vorrangig darum, ein Zusammentreffen der Familienangehörigen mit dem Täter zu vermeiden. Die Aufzählung in Demosth. or. 20,158 macht indes deutlich, dass sich der durch die Tötung befleckte Täter (innerhalb Athens) von allen heiligen Gegenständen, Handlungen und Orten fernhalten musste. Da im Text vom androphónos, also dem ‚verurteilten Täter‘, gesprochen wird, kann sich dieses Verbot nicht auf die Zeit zwischen Ankündigung der Rache und dem Verfahren vor den ephétai beziehen,300 sondern nur auf die Tage unmittelbar nach der Verurteilung, bis der Täter Attika verlassen hatte, und auf die Zeit der Rückkehr nach einer Aussöhnung im Falle der unabsichtlichen Tötung, solange bis die vom Gesetz geforderten Opfer und die Reinigung vollzogen waren.301 Das Verfahren der apagogḗ bei Tötungsdelikten, wie es Demosthenes in or. 23,80 (F 16b) beschreibt, entspricht zweifellos der im 4. Jh. geübten Praxis. Insofern kann nur vermutet, nicht gesichert werden, dass Drakons Satzung eine Bestimmung darüber enthielt, dass „bei dem verurteilten Täter, dem androphónos, der an Festen teilnimmt oder in die agorá geht, Abführen (apágein) zulässig ist“.302 Eine solche Bestimmung

300  So Ruschenbusch 2010, 42; zustimmend Leão/Rhodes 2015, 26 f. 301  Nach Demosth. or. 23,30 f. benutzen die ‚Gesetze über die Tötung‘ androphónos für den verurteilten Täter. Dies gilt auch für das Gesetz Drakons, in dem androphónos einmal für den aus Attika geflohenen (und damit verurteilten) und einmal für den verurteilten und nicht geflohenen Täter belegt ist (F 7–8), so dass auch in diesem Fragment davon auszugehen ist, dass androphónos den von basileús und ephétai verurteilten Täter meint. 302  Siehe dazu Zajonz 2014, 266–268, die allerdings davon ausgeht, dass auch der Mordverdächtige vor Beginn des Verfahrens abgeführt werden könne. Da in Demosth. or. 23,80 jedoch vom androphónos gesprochen wird, wird der verurteilte Täter gemeint gewesen sein. Platon spricht im Zusammenhang mit Tötungsdelikten von einer Befleckung der Agora, der Wettkämpfe und anderen heiligen Stätten, wenn der Täter ungereinigt diese Orte aufsucht (leg. 9,868a; vgl. 871a–b).

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könnte an die Regelung angeschlossen haben, gemäß derer der Täter von heiligen Stätten und Handlungen ausgeschlossen wurde. In der Rede Gegen Leptines ist das Gesetz303 ausdrücklich Drakon zugeschrieben. Auf einen Ausschluss von heiligen Orten und Handlungen weist auch Antiphon in seiner Rede Für den Choreuten hin: Den Prozessgegnern wird vorgeworfen, sie hätten die Klage wegen des tragischen Todes eines Chormitglieds nur deswegen erhoben, um den Beklagten daran zu hindern, seinerseits eine Klage gegen Aristion, Philinos und Ampelinos einzureichen. Denn wenn gegen jemanden eine Klage wegen Tötung eingereicht sei, sei dieser von den ihm zustehenden Rechten ausgeschlossen (εἴργεσθαι τῶν νομίμων).304 Denn so regele es das Gesetz (nómos): Wenn jemand eine Tötungsklage (phónou díkē) einreiche, sei er [der Angeklagte] von allen ihm zustehenden Rechten ausgeschlossen (erneut: εἴργεσθαι τῶν νομίμων),305 hätte also seinerseits keine Klage einreichen können. Da an dieser Stelle explizit von einer Klage die Rede ist, wird der Sprecher auf eine solonische oder spätere Bestimmung verwiesen haben, die auch die Zeit zwischen Klageerhebung und Prozess einbezog. Der Unterschied zu der drakontischen Regelung ergibt sich aus der Kontextgebundenheit der drakontischen Satzung. Da in Drakons Satzung das Verfahren vor basileís und ephétai am Anfang stand und auf deren Entscheidung und Urteil Aussöhnungsverhandlungen, bei deren Scheitern die Ankündigung der Blutrache, die Verfolgung und die Flucht aus Attika folgten, kann sich der Ausschluss des (ja inzwischen verurteilten) Täters von den heiligen Stätten nur auf die Zeit nach der Verurteilung beziehen, wohingegen nach der solonischen Systematisierung des Gesetzes der Ausschluss von heiligen Orten mit dem Einreichen der Klage einsetzte.306 Angespielt wird auf das Gebot, einen befleckten Täter von heiligen Handlungen und Orten fernzuhalten, auch in Sophokles’ Tragödie König Ödipus. Auf der Suche nach demjenigen, der seinen Vater Laios getötet hat (was Ödipus selbst unwissentlich getan hatte), gebietet er den Thebanern, mögliche Kenntnisse anzuzeigen. Wer sich selbst beschuldige, solle dies tun – er müsse nur außer Landes gehen, ungeschädigt.307 Wer aber schweige, der – so gebietet Ödipus – solle verflucht sein und den solle nie303  Zum Plural nómoi vgl. F 3. 304  Antiph. 6,35. Vgl. Leão/Rhodes 2015, 27: εἴργεσθαι τῶν νομίμων meine „‚be excluded from the things specified in the laws‘“. Vgl. auch Demosth. or. 23,46: εἴργεσθαι πατρίδος. Zu den rechtlichen Aspekten der Antiphon-Rede Carlier 1984, 344–347. 305  Antiph. 6,36. Den Ausschluss des Täters von der Agora bestätigt auch Antiph. 5,10: Ἐμοὶ δὲ πρῶτον μέν, οὗ τοῖς ἄλλοις εἴργεσθαι προαγορεύουσι τοῖς τοῦ φόνου φεύγουσι τὰς δίκας, ἐνταυθοῖ πεποιήκασι τὴν κρίσιν, ἐν τῇ ἀγορᾷ· – „In meinem Fall hat die Anklage zu dem Verfahren geführt, das an dem Ort stattfindet, von dem die, die wegen Tötung angeklagt sind, durch Ankündigung ausgeschlossen sind: der Agora“. 306  Aristot. Ath. pol. 57,2: „Außerdem werden alle Klagen wegen Tötung (díkai phónou) vor ihn [den basileús] gebracht, und er ist es, der den Ausschluss des Beklagten von bestimmten, durch Gesetz festgelegten Rechten verkündet (ὁ προαγορεύων εἴργεσθαι τῶν νομίμων οὗτός ἐστιν)“. 307  Soph. OT 229: γῆς δ᾿ ἄπεισαν ἀβλαβής.

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mand bei sich aufnehmen noch mit ihm reden, noch mit ihm gemeinschaftlich zu den Göttern beten oder Opfer darbringen oder ihm geweihtes Wasser (chérnibes) reichen, sondern ihn stattdessen als Befleckten (241: ὡς μιάσματος; vgl. 256: ἀκάθαρτος) aus dem Haus weisen.308 Bei den erwähnten Mischgefäßen handelt es sich um Krüge für Trankopfer, wie aus einer Stelle bei Demosthenes hervorgeht.309 Das Fragment 16a lässt sich als weiterer Beleg für eine Vorstellung von Befleckung in früher Zeit vorbringen.310 Das Fragment zeigt aber auch sehr deutlich, dass im Falle einer berechtigten Tötung (des Tyrannen, des ergriffenen Ehebrechers und nächtlichen Diebs, des Angreifers) keine Befleckung gegeben und damit keine Reinigung notwendig war.311 Das Fragment zeigt darüber hinaus, dass bereits antike Zeitgenossen davon ausgingen, dass Drakon auf eine frühere Rechtspraxis Rücksicht genommen hat. Sein Gesetz war demgegenüber aber schriftlich fixiert (gráphōn).312 F 17 Bestimmung gegen die Untätigkeit von Amtsträgern (F 17a: T 424b Martina, F 148c Ruschenbusch, F 66/1f Leão/Rhodes; F 17b: T 424a Martina; F 148b Ruschenbusch, F 66/1e Leão/Rhodes; F 17c: T 381b Matina; F 17d: T 424c Martina, F 148d Ruschenbusch, F 66/1g Leão/Rhodes)

F 17a: Lysias, Gegen Ariston (fragmenta or. 19) fr. 40b Carey (F 17 Thalheim, 47 Blass) (ca. 400–380 v. Chr.) (= F 59a) (Lexicon Rhetoricum Cantabrigiense 665,19 [Lexica Graeca minora p. 72 Latte-Erbse])

ἀργίας δίκη· Λυσίας ἐν τῷ κατὰ Ἀρίστωνός φησιν ὅτι Δράκων ἦν ὁ θεὶς τὸν νόμον, αὖθις δὲ καὶ Σόλων ἐχρήσατο, θάνατον οὐχ ὁρίσας ὥσπερ ἐκεῖνος, ἀλλ’ ἀτιμίαν, ἐάν τις ἁλῷ τρίς, ἐὰν δ’ ἅπαξ, ζημιοῦσθαι δραχμὰς ἑκατόν. App. crit.: ἐάν τις ἁλῷ τρίς τίσαι· ἂν δ’ ἅπαξ cod.; ἐάν τις ἁλῷ τρίς, ἐὰν δ’ ἅπαξ Dobraeus, Houtsma.

Klage wegen Untätigkeit (argías díkē): Lysias sagt in der [Rede] Gegen Ariston, dass Drakon es war, der das Gesetz (nómos) gegeben hat, aber auch Solon es erneut eingesetzt hat, indem er nicht den Tod [als Strafe] bestimmt hat wie jener; vielmehr wird der mit Ehrlosigkeit (atimía) bestraft, wenn er dreifach für schuldig befunden wurde, mit einhundert Drachmen aber, wenn einmal.

308  Soph. OT 233–279, 238–240: μήτ᾿ ἐσδέχεσθαι μήτε προσφωνεῖν τινα, μήτ᾽ ἐν θεῶν εὐχαῖσι μηδὲ θύμασιν κοινὸν ποεῖσθαι, μήτε χέρνιβας νέμειν; vgl. das Verbot Perianders, den von ihm verstoßenen Sohn aufzunehmen oder mit ihm zu reden (Hdt. 3,52,1–2), vermutlich in Anlehnung an Verbote gegenüber Befleckten. 309  Demosth. or. 19,280: ἐν ἅπασι τοῖς ἱεροῖς ἐπὶ ταῖς θυσίαις σπονδῶν καὶ κρατήρων κοινωνοὺς πεποίησθε. 310  Ruschenbusch 2010, 36; vgl. auch Parker 1983, 125. Zur Diskussion über eine Befleckung s. o. S. 128132. 311  Vgl. F 28. 312  Gagarin 2008, 94.

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F 17b: Lysias, Gegen Nikides (fragmenta or. 113) fr. 246 Carey (100 Thalheim, 48 Blass) (ca. 400–380 v. Chr.) (= F 53b, 54b, 59b) (Diog. Laert. 1,55)

… καὶ ὁ ἀργὸς ὑπεύθυνος ἔστω παντὶ τῷ βουλομένῳ γράφεσθαι. Λυσίας δ’ ἐν τῷ κατὰ Νικίδου Δράκοντά φησι γεγραφέναι τὸν νόμον, Σόλωνα δὲ τεθηκέναι … App. crit.: Νικίδου Roeper, νεικείδου B, νικώδου Fac, Νικίου P.

… Und der Untätige (argós) soll der Rechenschaft unterliegen (hypeúthynos) und von jedem Beliebigen (pás ho boulómenos) mittels Schriftklage angeklagt werden können (gráphesthai). Lysias sagt in der [Rede] Gegen Nikides, dass Drakon das Gesetz (nómos) erlassen, Solon aber auch dasjenige aufgestellt habe, …

F 17c: Plutarch, Solon 17,1–2 (um 100 n. Chr.) (= F 19c, 59h) (1) Πρῶτον μὲν οὖν τοὺς Δράκοντος νόμους ἀνεῖλε πλὴν τῶν φονικῶν ἅπαντας διὰ τὴν χαλεπότητα καὶ τὸ μέγεθος τῶν ἐπιτιμίων. (2) μία γὰρ ὀλίγου δεῖν ἅπασιν ὥριστο ζημία τοῖς ἁμαρτάνουσι θάνατος, ὥστε καὶ τοὺς ἀργίας ἁλόντας ἀποθνῄσκειν, καὶ τοὺς λάχανα κλέψαντας ἢ ὀπώραν ὁμοίως κολάζεσθαι τοῖς ἱεροσύλοις καὶ ἀνδροφόνοις. App. crit.: ἐπιτιμίων: κολσεων Smg; τοῖς ἁμαρτάνουσι ζημία ϒ.

(1) Zuerst hat er [Solon] alle Gesetze Drakons aufgehoben mit Ausnahme derer über Tötungsdelikte, wegen der Härte und der Strenge der Strafen (epitímia). (2) Denn beinahe auf alle Delikte war nur eine Strafe (zēmía) gesetzt, der Tod (thánatos), so dass auch die wegen Untätigkeit (argía) Verurteilten sterben mussten und, wer Gemüse oder Feldfrüchte stahl, ebenso bestraft wurde wie die, die Heiligtümer beraubt (hierósyloi) oder Menschen getötet hatten (androphónoi).

F 17d: Pollux, Onomastikon 8,42 (2. Jh. n. Chr.) (= F 59k) (42) … δώρων δὲ κατὰ τοῦ ἐπὶ δώροις δικάσαντος ἦν ἡ γραφή, δεκασμοῦ δὲ κατὰ τοῦ διαφθείραν­ τος· καὶ ὁ μὲν δεκάζεσθαι ὁ δὲ δεκάζειν ἐλέγετο. τῆς δὲ ἀργίας ἐπὶ μὲν Δράκοντος ἀτιμία ἦν τὸ τίμημα· ἐπὶ δὲ Σόλωνος, εἰ τρίς τις ἁλῴη, ἠτιμοῦτο. (42) … [graphḗ] dṓrōn war die Klage (graphḗ) gegen den, der wegen Annahme von Geschenken angeklagt wurde, [graphḗ] dekasmoú die gegen den Bestechenden. Der eine wurde auch ‚Bestochener‘, der andere auch ‚Bestechender‘ genannt. Für Untätigkeit (argía) war unter Drakon Ehrlosigkeit (atimía) die Strafe, unter Solon hingegen wurde nur derjenige ehrlos, der dreifach der Tat überführt wurde.

Lysias, Plutarch und Pollux schreiben Drakon Strafen für das Delikt der ‚Untätigkeit‘ zu. Wie unter F 59 gezeigt wird, handelt es sich dabei nicht um eine Strafe für einen müßigen Lebenswandel, sondern um Untätigkeit während der Amtsführung, wie es auch der Kontext bei Pollux zeigt, bei dem die graphḗ argías zusammen mit Klagen wegen Bestechung genannt ist. Zu vermuten ist, dass Drakons Satzung eine Bestimmung enthielt, wonach der untätig bleibende Amtsträger – wahrscheinlich der árchōn basileús – mit Atimie bestraft wurde (Pollux’ Angabe scheint vertrauenswürdiger als

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die Plutarchs), wenn er aus Rücksicht auf einen Standesgenossen oder eine verwandte oder befreundete Person diesen nicht vor ein Ephetengericht brachte.313 Pollux geht von der Atimie aus und schreibt Solon eine Abmilderung der Strafen zu, dass also nur derjenige átimos werde, der sich nicht nur einmal, sondern dreifach des Vergehens schuldig gemacht hatte. Demgegenüber wird aber davon auszugehen sein, dass Solon nicht Drakons Bestimmung abmilderte, sondern in eigenen Gesetzen ebenfalls Bestimmungen aufnahm, wonach der untätig bleibende Amtsinhaber zu bestrafen sei. Wenn man argía auf die Untätigkeit im Amt bezieht, werden die hohen Strafen plausibel, insbesondere die Strafe der Atimie als Ausschluss von jeglicher weiterer politischer Partizipation und der Ausübung eines Amts. F 18 einzelne Wörter (F 18a: T 391 Martina; F 10 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 18b: T 481b Martina; F 41c Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 18a: Pollux, Onomastikon 9,61 (2. Jh. n. Chr.) (60) … καὶ τετράδραχμον ἐκαλεῖτο καὶ τρίδραχμον καὶ δίδραχμον. τὸ παλαιὸν δὲ τοῦτ’ ἦν Ἀθηναίοις νόμισμα, καὶ ἐκαλεῖτο βοῦς, ὅτι βοῦν εἶχεν ἐντετυπωμένον. εἰδέναι δ’ αὐτὸ καὶ Ὅμηρον νομίζουσιν εἰπόντα ‚ἑκατόμβοι’ ἐννεαβοίων.‘ (61) καὶ μὴν κἀν τοῖς Δράκοντος νόμοις ἔστιν „ἀποτίνειν εἰκοσάβοιον“. App. crit.: δεκάβοιον F.

(60) … und wurde Tetradrachme, Tridrachme oder Didrachme genannt: Dies war in früher Zeit bei den Athenern eine Münze, die ‚Ochse‘ genannt wurde, weil ein Ochse darauf abgebildet war. Man nimmt an, dass dies schon Homer gekannt habe, weil er sagt: „[Waffen] im Wert von hundert Ochsen gegen solche im Wert von neun“ (Hom. Il. 6,236). (61) Und in den Gesetzen (nómoi) Drakons steht: „(muss) den Wert von zwanzig Rindern zahlen“.

Zum Plural nómoi s. F 3. Bei der Angabe von zwanzig Rindern in Drakons Satzung handelt es sich wahrscheinlich um die festgelegte Buße beziehungsweise um das Wergeld für eine nicht vorsätzliche oder versehentliche Tötung.314 Nach Homer zahlte 313  In Antiphons Rede Für den Choreuten legt der Angeklagte dar, die Kläger hätten den basileús beschuldigt, er habe aus Parteilichkeit die Klage wegen nicht vorsätzlicher Tötung nicht aufschreiben lassen wollen (41: καὶ πρῶτον ἃ τοῦ βασιλέως κατηγοροῦσι καὶ διὰ τὴν ἐμὴν σπουδὴν οὔ φασιν ἐθέλειν αὐτὸν ἀπογράφεσθαι τὴν δίκην). Der Grund dafür aber war, dass der basileús in der verbleibenden Amtszeit von zwei Monaten die Vorverfahren und den Prozess selbst nicht mehr hätte durchführen können. Und so sei der Bruder des Getöteten auch nicht beim Rechenschaftsverfahren des basileús aufgetreten, um Klage zu erheben, obwohl er ihm angeblich ein Amtsvergehen (wegen argía) vorgeworfen habe (43: Φιλοκράτης γὰρ οὑτοσὶ ἑτέρους ‹μὲν› τῶν ὑπευθύνων ἔσειε καὶ ἐσυκοφάντει, τούτου δὲ τοῦ βασιλέως, ὅν φασι δεινὰ καὶ σχέτλια εἰργάσθαι, οὐκ ἦλθε κατηγορήσων εἰς τὰς εὐθύνας). 314  Heitsch 1984b, 12 vermutet, dass im Gesetz die Höhe des Wergelds bestimmt wurde, um frühere Aushandlungen der Zahlungshöhe zu vermeiden. Vgl. Humphreys 1991, 18: „References to an oath prescribed by Drakon, and to a payment of twenty oxen (eikosaboion), may have come from the homicide

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Laertes denselben Preis für den Kauf der Sklavin Eurykleia.315 Außerdem soll Odysseus angeboten worden sein, dass ihm ein jeder der Freier als Entschädigung für die Heimsuchung und das Ausfressen des Hauses den Wert von zwanzig Rindern zahle, Erz und Gold hinzugebend, wenn er sie verschone.316 Drakon rechnete jedenfalls wie Homer mit Werten äquivalent zu Rindern, Solon dagegen in Drachmen. Die Wertangabe spricht also dafür, dass die Bestimmung tatsächlich Bestandteil des drakontischen Gesetzes war.317 Auf Solon geht vermutlich die Verrechnung von fünf Drachmen für ein Rind zurück (F 81a). 100 Drachmen, die dann 20 Rindern entsprächen, sind auch der höchste Strafbetrag, der in solonischen Gesetzen genannt wird (F 59j, 97d).318 F 18b: Aelius Dionysius, Attika onomata ε 12 s. v. εἰδύοι und ι 4 s. v. ἰδύους (2. Jh. n. Chr.) (= F 70b, d) (ε 12) εἰδύοι· μάρτυρες. (ι 4) ἰδύους· τοὺς μάρτυρας. οὕτω Δράκων καὶ Σόλων. (ε 12) eidýoi: Zeugen (mártyres). (ι 4) idýous: die Zeugen (mártyres). So Drakon und Solon. Vgl. Eustathios, Commentarium ad Homeri Iliadem 18,501 (p. 1158,19; 4 p. 236,4–9 van der Valk): ὅτι δὲ ἰδύους καὶ Δράκων καὶ Σόλων τοὺς μάρτυράς φησιν, Αἴλιος Διονύσιος ἱστορεῖ. – „Dass auch Drakon und Solon die Zeugen (mártyres) idýous nennen, berichtet Ailios Dionysios“.

Dass Aelius Dionysius das Wort für Drakon und Solon reklamiert, könnte dafür sprechen, dass mit diesem Begriff Zeugen speziell in Tötungsverfahren bezeichnet waren.319

law“. Zu der im Wert von Rindern angegebenen Summe und zum Aufkommen von Wertangaben in Drachmen siehe Gil Davis, Dating the Drachmas in Solon’s Laws, in: Historia 61, 2012, 127–158, hier 144. 315  Hom. Od. 1,431: ἐεικοσάβοια. 316  Hom. Od. 22,57 f.: τιμὴν ἀμφὶς ἄγοντες ἐεικοσάβοιον ἕκαστος, χαλκόν τε χρυσόν τ᾽ ἀποδώσομεν. Zu Heimsuchung und Ausfressen als Rügebrauch siehe Schmitz 2004, 320–329. Plutarch berichtet, dass angeblich bereits Theseus habe Münzen schlagen und einen Stier darauf prägen lassen. Daher stammten die Bezeichnungen im Wert von „hundert Stieren“ und „zehn Stieren“ (Thes. 25,3: τὸ ἑκατόμβοιον, τὸ δεκάβοιον). 317  Plutarch berichtet, dass angeblich bereits Theseus habe Münzen schlagen und einen Stier darauf prägen lassen. Daher stammten die Bezeichnungen im Wert von „hundert Stieren“ und „zehn Stieren“ (Thes. 25,3: τὸ ἑκατόμβοιον, τὸ δεκάβοιον). 318  Ruschenbusch 2010, 39; Leão/Rhodes 2015, 25. 319  Z. B. um vor Gericht zu bezeugen, dass die Tötung im Rahmen der berechtigten Eigenmacht ausgeübt worden war (Lys. 1,29). Auch auf frischer Tat ergriffene Diebe wurden von Nachbarn bewacht (Aristot. fr. 7,1–2; 7,4 Gigon, = 84 Rose; Cohen 1983, 61).

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II 2 Solons Satzung über die Tötung (F 19–39) F 19 Übernahme des drakontischen Gesetzes (F 19b–f: T 381a–c, 383, 665 Martina; F 19b–f: F 1a–d, 23a Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 19a: Antiphon, Über die Tötung des Herodes (or. 5) 14 (um 415 v. Chr.) und Für den Choreuten (or. 6) 2 (419 v. Chr.) Antiph. 5,14: Ὑπάρχει μέν γε αὐτοῖς ἀρχαιοτάτοις εἶναι ἐν τῇ γῇ ταύτῃ, ἔπειτα τοὺς αὐτοὺς ἀεὶ περὶ τῶν αὐτῶν, ὅπερ μέγιστόν ἐστι σημεῖον νόμων καλῶς κειμένων. Antiph. 6,2: Καὶ τοὺς μὲν νόμους οἳ κεῖνται περὶ τῶν τοιούτων πάντες ἂν ἐπαινέσειαν κάλλιστα νόμων ‹ἁπάντων› κεῖσθαι καὶ ὁσιώτατα. Ὑπάρχει μὲν γὰρ αὐτοῖς ἀρχαιοτάτοις εἶναι ἐν τῇ γῇ ταύτῃ, ἔπειτα τοὺς αὐτοὺς αἰεὶ περὶ τῶν αὐτῶν, ὅπερ μέγιστον σημεῖον νόμων καλῶς κειμένων. App. crit.: Antiph. 5,14: μέν γε: μέν γὰρ nach Antiph. 6,2; Antiph. 6,2: παινέσειαν N, ἐπαινέσειεν A; ‹ἁπάντων› additit Gernet nach Antiph. 5,14.

Antiph. 5,14: Denn es trifft bei ihnen zu, dass sie die ältesten in diesem Land sind und dann immer dieselben über dieselben [Fälle] geblieben sind, was der stärkste Beweis dafür ist, wie gut die Gesetze [über die Tötung] sind. Antiph. 6,2: Die Gesetze (nómoi) nun, die für Fälle dieser Art erlassen sind, sind, wie wohl alle anerkennen, die trefflichsten und heiligsten von allen Gesetzen. Denn es trifft bei ihnen zu, dass sie die ältesten in diesem Land sind und dann immer dieselben über dieselben [Fälle] geblieben sind, was der stärkste Beweis dafür ist, wie gut die Gesetze sind.

F 19b: Aristoteles, Athenaion politeia 7,1 (320er Jahre) (= F 3b) πολιτείαν δὲ κατέστησε καὶ νόμους ἔθηκεν ἄλλους, τοῖς δὲ Δράκοντος θεσμοῖς ἐπαύσαντο χρώμενοι πλὴν τῶν φονικῶν. Er [Solon] richtete eine Verfassung ein und gab weitere Gesetze (nómoi). Von den Gesetzen (thesmoí) Drakons machte man keinen Gebrauch mehr, mit Ausnahme derer über die Tötung (hoí phonikoí [nómoi]).

F 19c: Plutarch, Solon 16,5 und 17,1–2 (um 100 n. Chr.) (16,5) καὶ τὸν Σόλωνα τῆς πολιτείας διορθωτὴν καὶ νομοθέτην ἀπέδειξαν. … (17,1) πρῶτον μὲν οὖν τοὺς Δράκοντος νόμους ἀνεῖλε πλὴν τῶν φονικῶν ἅπαντας διὰ τὴν χαλεπότητα καὶ τὸ μέγεθος τῶν ἐπιτιμίων· (17,2) μία γὰρ ὀλίγου δεῖν ἅπασιν ὥριστο ζημία τοῖς ἁμαρτάνουσι θάνατος. App. crit.: ἐπιτιμίων: κολάσεων Sm; τοῖς ἁμαρτάνουσι ζημία ϒ.

(16,5) … und sie [die Athener] … ernannten Solon zum Ordner (diorthōtḗs) der Verfassung und zum Gesetzgeber (nomothétēs) … (17,1) Zuerst hob er nun alle Gesetze (nómoi) Drakons auf, mit Ausnahme derer über die Tötung (hoí phonikoí [nómoi]), und zwar wegen der Härte und Schwere der Strafen (epitímia). (17,2) Für alle, die ein Unrecht begangen hatten, sollte nämlich, so bestimmte er, fast nur eine einzige Strafe (zēmía) gelten, nämlich der Tod.

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F 19d: Aulus Gellius, Noctes Atticae 11,18,1–5 (2. Jh. n. Chr.) (= F 12d) (1) Draco Atheniensis vir bonus multaque esse prudentia existimatus est iurisque divini et humani peritus fuit. (2) Is Draco leges, quibus Athenienses uterentur, primus omnium tulit. (3) In illis legibus furem cuiusmodicumque furti supplicio capitis poeniendum esse et alia pleraque nimis severe censuit sanxitque. (4) Eius igitur leges, quoniam videbantur impendio acerbiores, non decreto iussoque, sed tacito inlitteratoque Atheniensium consensu oblitteratae sunt. (5) Postea legibus aliis mitioribus a Solone compositis usi sunt. App. crit.: furem: furum O X; igitur: itaque Π; a Solone: a solonibus X

(1) Der Athener Drakon galt als charakterfester Mann mit ausgedehnten Kenntnissen, erfahren in der Auslegung göttlichen und menschlichen Rechts. (2) Dieser Drakon nun gab als allererster Gesetze, die bei den Athenern in Geltung waren. (3) In seinen Satzungen war unter vielen anderen die außerordentlich strenge Verordnung, dass ein Dieb, gleichgültig was immer er stiehlt, mit dem Tode zu bestrafen sei. (4) Dieses Mannes Gesetze nun, weil sie so unangemessen hart schienen, traten nicht durch Beschluss und Anordnung außer Kraft, sondern nur durch stillschweigende Übereinkunft der Athener ohne schriftliche Festlegung. (5) In späterer Zeit bedienten sie sich anderer, milderer Gesetze, die von Solon ausgearbeitet waren.

F 19e: Claudius Aelianus, Varia historia 8,10 (um 200 n. Chr.) (= F 3d) Σόλωνα αἱρετὸν Ἀθηναῖοι προείλοντο ἄρχειν αὐτοῖς, οὐ γὰρ κληρωτὸν τοῦτον. ἐπεὶ δὲ ᾑρέθη, τά τε ἄλλα ἐκόσμησε τὴν πόλιν καὶ δὴ καὶ τοὺς νόμους τοὺς νῦν ἔτι φυλαττομένους συνέγραψεν αὐτοῖς. καὶ τότε ἐπαύσαντο Ἀθηναῖοι χρώμενοι τοῖς Δράκοντος· ἐκαλοῦντο δὲ ἐκεῖνοι θεσμοί. μόνους δὲ ἐφύλαξαν τοὺς φονικοὺς αὐτοῦ. Die Athener übertrugen Solon das Archontenamt, und zwar durch Wahl, nicht durch Los. Nach seiner Wahl ordnete er die Angelegenheiten der Stadt, insbesondere aber fasste er für sie schriftlich die Gesetze (nómoi) ab, an denen noch heute festgehalten wird. Von da an wandten die Athener die [Gesetze] Drakons nicht mehr an. Jene [Gesetze] wurden thesmoí genannt. Allein die über die Tötung (hoi phonikoí [nómoi]) behielten sie von ihm bei.

F 19f: Georgius Cedrenus, Historiarum Compendium 94,11 (Tartaglia) (Corpus scriptorum historiae byzantinae, Bd. 13,1, p. 145,18–20 Bekker)

ἐν τούτοις τοῖς ἄρχουσιν ἐνομοθέτει Ἀθηναίων πρῶτος Δράκων ὀνόματι. μετ’ αὐτὸν δὲ Σόλων τοῦ Δράκοντος τοὺς νόμους ἠθέτει. In der Zeit der [Herrschaft der] Archonten hat als erster von den Athenern ein Mann namens Drakon Gesetze erlassen (nomotheteín). Nach ihm hob Solon die Gesetze (nómoi) Drakons auf.

Die Behauptung, Solon habe die Gesetze Drakons mit Ausnahme der Gesetze über die Tötung aufgehoben, ist unzutreffend. Denn für weitere Gesetze Drakons außer der Satzung über die Tötung gibt es keinen stichhaltigen Beleg.320 Antike Autoren haben

320  Für solche weiteren Gesetze war mit Nachdruck Stroud 1968, 78 f. eingetreten. In diesem Sinne

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

aus der Tatsache, dass die Gesetze über die Tötung (phonikoí nómoi) die Tötung eines Ehebrechers, eines nächtlichen Diebs und eines gewalttätigen Angreifers (F 10–12) als berechtigte Tötung gewertet haben, die keine Flucht aus Attika erforderte, den irrigen Schluss gezogen, Drakon hätte auch Gesetze über Ehebruch, Diebstahl, Raub und andere Delikte gegeben. Es ging aber nicht um diese Delikte selbst, sondern um damit in Zusammenhang stehende Tötungen. Ein nach Hinweisen des Gerichtsredners Lysias auf Drakon zurückgehendes Gesetz über Untätigkeit (argía) bezieht sich auf eine Bestimmung über die Untätigkeit von Amtsträgern, die bereits Drakon in seinem Gesetz über die Tötung verankert haben mag, um den árchōn basileús zu zwingen, Verfahren vor das Ephetengericht zu bringen.321 Es ist also davon auszugehen, dass es nur eine Satzung Drakons, nämlich die über die Tötung, gab. Dafür sprechen vor allem der Singular nómos im Präskript zum Beschluss des Jahres 409/8 v. Chr., die Satzung Drakons auf Stein erneut zu publizieren, der Singular thesmós in Zeile 20 der inschriftlichen Neuedition und auch die Bemerkung des Aulus Gellius, dass andere Gesetze Drakons nicht schriftlich fixiert worden waren.322 Solon hat das Gesetz Drakons über die Tötung grundlegend revidiert und dabei systematisiert, indem er Verfahren zur Klageerhebung, zur Zeugenschaft und der Zuweisung zu einem Gerichtshof festgelegt hat (F 21; F 33a). Insofern ist die Angabe Aelians, mit der Neufassung der Gesetze Solons seien die Gesetze Drakons nicht mehr angewandt worden, nicht ganz falsch. Drakons Gesetz war in seinem Aufbau und in seiner Intention auf eine konkrete Konfliktsituation abgestimmt. Solons Gesetz regelte systematisch und allgemein verbindlich die Verfahren für alle Tötungsdelikte. Nachdem Solon ein wesentlich präziseres und systematischeres Gesetz über die Tötung erlassen hatte, wurden vermutlich alle weiteren Verfahren wegen Tötung mit einer Klage eingeleitet und vor dem dafür vorgesehenen Gericht verhandelt. Aufgrund der Übernahmen und regelrechten ‚Zitate‘ aus dem drakontischen Gesetz konnte Solons Satzung von den Autoren der klassischen und späteren Zeit auch als „Gesetze Drakons“ bezeichnet und mit den „Gesetzen über die Tötung“ (phonikoí nómoi) gleichgesetzt werden. Im Einzelfall ist daher zu prüfen (jedoch nicht immer zu sichern), ob einzelne Bestimmungen tatsächlich auf die Satzung Drakons zurückgehen oder erst Bestandteil

auch Phillips 2013, 3: „Most of Draco’s laws were annulled by Solon less than thirty years later (…) and so have left little to no trace in our source, but his homicide laws (…) remained in force down to the end of the Classical period“ (vgl. 45, 333). Bei Ruschenbusch 2010, 24–26 sind die Argumente gegen weitere Gesetze zusammengetragen. Leão/Rhodes 2015, 12: „We think the question whether there were other laws of Draco is better left open“ (ähnlich bereits Hignett 1952, 307 f.). Siehe dazu ausführlich S. 119–121. 321  F 17a–b. 322  Zur Unterscheidung von nómos/nómoi und thesmós/thesmoí vgl. F 3. Für unangemessen halte ich das Urteil von Tracy E. Rihll, Ἑκτήμοροι: Partners in Crime?, in: JHS 111, 1991, 101–127, hier 112: „… Drakon’s laws, under which the Athenians had been living for about 25 years, were unjust or inadequate“. Nach Meinung von Rihll hätte Drakon Satzungen zur Pacht und bezüglich der hektḗmoroi erlassen, die so starke Unruhen hervorgerufen hätten, dass Solon sie aufhob.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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des von Solon revidierten Gesetzes sind (z. B. F 12–16). Die Bemerkung Antiphons in der Rede Für den Choreuten ist ein Beleg dafür, dass die ältesten Gesetze, also diejenigen Drakons und Solons, weitgehend unverändert bis in das späte 5. Jh. Gültigkeit hatten.323 Antiphon bezieht bei den „ältesten Gesetzen“ auch dasjenige Drakons mit ein, denn er nennt im Verlauf der Rede, in der es um eine ‚Anordnung‘ (boúleusis) zu einer nicht vorsätzlichen Tötung geht,324 wörtlich die in der Inschrift überlieferte Alternative „sei es eigenhändig, sei es durch Veranlassung“ (Z. 12 f.),325 den Ausschluss des der Tötung Bezichtigten von allen Rechten326 sowie des aus Attika geflohenen Täters von Heiligtümern, Wettkämpfen und Opferfeiern (Z. 26–29)327 Dass es sich bei Plutarch, Aelian und Gellius um eine falsche Schlussfolgerung handelt, wird auch daran ersichtlich, dass nach Ansicht dieser antiken Autoren Drakon für alle Delikte die Todesstrafe festgesetzt habe.328 Da Drakon für die nicht vorsätzliche Tötung in seinem Gesetz ‚nur‘ die Flucht aus Attika vorsieht und aus dem Text zu erschließen ist, dass auch bei der vorsätzlichen Tötung der Täter aus Attika floh (dann allerdings ohne Aussicht auf Aussöhnung und Rückkehr), kann das Bild von überharten, ‚drakonischen Strafen‘, das die spätere Überlieferung von Drakons Gesetzen zeichnete, nicht der Realität entsprochen haben. F 20 Solons Gesetz über die Tötung als thesmós (F 20b: T 358c, 407, 415a Martina; F 22 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 20d: T 433 Martina; F 49d Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 20e: T 418b, 538 Martina; F 70 Ruschenbusch, F 22/1 Leão/Rhodes)

F 20a: Solon, Elegien fr. 31 West und fr. 36, Z. 18–20 West (frühes 6. Jh.) (26 Diehl, 40 Gentili-Prato [Plut. Solon 3,5]; 24 Diehl, 30 Gentili-Prato [Aristot. Ath. pol. 12,4])

(31) πρῶτα μὲν εὐχώμεσθα Διὶ Κρονίδῃ βασιλῆι θεσμοῖς τοῖσδε τύχην ἀγαθὴν καὶ κῦδος ὀπάσσαι. (36,18–20) θεσμοὺς δ᾽ ὁμοίως τῷ κακῷ τε κἀγαθῷ, εὐθεῖαν εἰς ἕκαστον ἁρμόσας δίκην, ἔγραψα. (31) Lasst uns beten zuerst zum König Zeus, dem Kroniden, dass er diesen Satzungen (thesmoí) Ruhm und Wirkung verleihe.

323  Auch gemäß Antiph. 1,3 seien die Gesetze über die Tötung von den Göttern und den Vorfahren übernommen (παρὰ τῶν θεῶν καὶ τῶν προγόνων διαδεξάμενοι), wobei es in diesem Fall um vorsätzliche Tötung und die Tötung durch Gift geht. 324  Antiph. 6,16 und 19: μὴ ἐκ προνοίας. 325  Antiph. 6,16: ἐγὼ δὲ μὴ ἀποκτεῖναι, μήτε χειρὶ ἀράμενος μὴτε βουλεύσας (F 5a). 326  Antiph. 6,34–36: προαγορεύειν εἴργεσθαι τῶν νομίμων. 327  Antiph. 6,4: καὶ νόμῳ εἴργεσθαι πόλεως ἱερῶν ἀγώνων θυσιῶν, ἅπερ μέγιστα καὶ παλαιότατα τοῖς ἀνθρώποις (F 7, 16). 328  Dies behauptet auch Lykurgos in Leokr. 64 f. mit Bezug auf „die frühen Gesetzgeber“.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

(36,18–20) Satzungen (thesmoí), gleichermaßen für niedrig und für hoch, habe ich, jedem einen geraden Entscheid passend gebend, festgesetzt.

F 20b: Gesetz in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 62 (= F 39a) λέγε τὸν μετὰ ταῦτα νόμον·„ὃς ἂν ἄρχων ἢ ἰδιώτης αἴτιος ᾖ τὸν θεσμὸν συγχυθῆναι τόνδε ἢ μεταποιήσῃ αὐτόν, ἄτιμον εἶναι καὶ παῖδας [ἀτίμους] καὶ τὰ ἐκείνου“. App. crit.: [ἀτίμους] del. Schaefer, Dindorf.

Lies das nachfolgende Gesetz: „Wer als Amtsträger oder als Einzelner veranlasst, dieses Gesetz (thesmós) aufzuheben oder es abzuändern, der soll ehrlos (átimos) sein, und ebenso seine Kinder und sein Besitz“.

F 20c: Herodot, Historiae 1,59,6 (drittes Viertel des 5. Jh. v. Chr.) ἔνθα δὴ ὁ Πεισίστρατος ἦρχε Ἀθηναίων, οὔτε τιμὰς τὰς ἐούσας συνταράξας οὔτε θέσμια μεταλλάξας, ἐπί τε τοῖσι κατεστεῶσι ἔνεμε τὴν πόλιν κοσμέων καλῶς τε καὶ εὖ. Seitdem herrschte Peisistratos über die Athener; aber er schaffte die bestehenden Ämter nicht ab, änderte auch die Gesetze (thésmia) nicht, sondern leitete (némein) die Stadt nach der bestehenden Ordnung in trefflicher und guter Ordnung.

F 20d: Aristoteles, Athenaion politeia 35,2 (320er Jahre) καὶ τούς τ’ Ἐφιάλτου καὶ Ἀρχεστράτου νόμους τοὺς περὶ τῶν Ἀρεοπαγιτῶν καθεῖλον ἐξ Ἀρείου πάγο[υ], καὶ τῶν Σόλωνος θεσμῶν ὅσοι διαμφισβητήσεις ἔσχον, καὶ τὸ κῦρος ὃ ἦν ἐν τοῖς δικασταῖς κατέλυσαν. Sie [die Dreißig des Jahres 404/3] entfernten die Gesetze des Ephialtes und Archestratos über die Areopagiten vom áreios págos und hoben die Satzungen (thesmoí) Solons, soweit sie Widersprüchlichkeiten enthielten, und die Machtbefugnis, die bei den Geschworenen lag, auf.

F 20e: Plutarch, Solon 19,4 (um 100 n. Chr.) (= F 1b, 41b, 44a, 50, 51a–b) ὁ δὲ τρισκαιδέκατος ἄξων τοῦ Σόλωνος τὸν ὄγδοον ἔχει τῶν νόμων οὕτως αὐτοῖς ὀνόμασι γεγραμμένον· „ἀτίμων· ὅσοι ἄτιμοι ἦσαν πρὶν ἢ Σόλωνα ἄρξαι ἐπιτίμους εἶναι, πλὴν ὅσοι ἐξ ᾽Αρείου πάγου ἢ ὄσοι ἐκ τῶν ἐφετῶν ἢ ἐκ πρυτανείου καταδικασθέντες ὑπὸ τῶν βασιλέων ἐπὶ φόνῳ ἢ σφαγαῖσιν ἢ ἐπὶ τυραννίδι ἔφευγον, ὅτε ὁ θεσμὸς ἐφάνη ὅδε“. App. crit.: ὑπὸ τῶν βασιλέων: ἐπὶ τῶν βασιλέων Naber, ἢ τοῦ βασιλέως Reiske; φθόνω S; ἔφευγον Sintenis; ἔφυγον ϒ; διέφυγον S; ὁ om. ϒ.

Der dreizehnte áxōn Solons hat als achtes der Gesetze (nómoi) folgendes mit diesen Worten verzeichnet: „Über die Ehrlosen (átimoi): Diejenigen, die ehrlos (átimoi) waren, bevor Solon als Archont im Amt war, sollen ehrbar (epítimoi) sein, außer denjenigen, die vom Areopag, oder denjenigen, die von den ephétai oder vom prytaneíon – von den basileís wegen Tötung oder Abschlachtens oder wegen Errichtung einer Tyrannis abgeurteilt – [aus Attika] geflohen sind (épheugon), als diese Satzung (thesmós) erlassen wurde“.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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Insbesondere die eigene Wortwahl Solons in seinen Elegien (F 20a) und im Gesetz über die Tötung (F 20b) ist Beleg dafür, dass zu seiner Zeit in Athen Gesetze als thesmoí bezeichnet wurden, auch wenn fr. 31 West unecht sein sollte.329 Der Singular thesmós im Abrogationsverbot zeigt, dass Solon sein ‚Gesetz über die Tötung‘ als eigenständiges Gesetz konzipiert hat. Denn das Verbot bezog sich, wie der Kontext in Demosth. or. 23,62 beweist, allein auf das Tötungsrecht. In klassischer und späterer Zeit wurde allgemein von Solons Gesetzen als nómoi gesprochen.330 F 21 Die im Gesetz festgelegten Gerichtshöfe für Tötungsdelikte F 21: Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 62–63 (352 v. Chr.) (62) τί γὰρ ἄλλ’ ἐστὶν τὸ μεταποιεῖν ἢ ὅταν ἔξω τῶν τεταγμένων δικαστηρίων καὶ ὅρων, ὧν εἴργεσθαι δεῖ, διδῷ τις τὰς τιμωρίας. … (63) … ἀλλ’ ἐν κεφαλαίῳ λέγω· ὁπόσοι νόμοι περὶ τῶν φονικῶν δικαστηρίων εἰσίν, καλεῖσθαι λέγοντες ἢ μαρτυρεῖν ἢ διόμνυσθαι τοὺς ἀγωνιζομένους ἢ ἄλλ’ ὁτιοῦν προστάττοντες, πάντας ὑπερβέβηκε τούτους καὶ πᾶσιν ἐναντίον εἴρηκεν τὸ ψήφισμα τουτί. οὗ γὰρ οὐ κλῆσις, οὐ κρίσις, οὐ μαρτυρία συνειδότος, οὐ διωμοσία, ἀλλ’ ἀπ’ αἰτίας εὐθὺς ἡ τιμωρία γέγραπται, καὶ αὕτη ἣν ἀπαγορεύουσιν οἱ νόμοι, τί ἂν ἄλλο τις εἴποι; καίτοι ταῦτα πάντ’ ἐπὶ πέντε δικαστηρίοις γίγνεται προστεταγμένα τοῖς νόμοις. App. crit.: οὐ κρίσις secl. Reiske; αὓτη: ταῦθ’ Blass.

(62) Denn was anders als ‚verändern‘ ist es, wenn jemand [wie Aristokrates beantragt] außerhalb der angeordneten Gerichte (dikastḗria) und der Grenzen, von denen er sich fernzuhalten hat, den Täter zur Strafe zu ziehen gestattet. … (63) … Doch um es kurz zusammenzufassen, so viele Gesetze (nómoi) es über die Gerichtshöfe bei Tötungen (phoniká dikastḗria) gibt, mit allem was über Vorladung (kaleísthai), Zeugenschaft (martyreín) und Eid (diómnysthai) der Parteien und anderes mehr darin angeordnet ist, – er [Aristokrates] hat diese alle übertreten und zu allem sich durch seinen Antrag in Widerspruch gesetzt. Denn wo von keiner Vorladung (klḗsis), von keinem Verfahren (krísis), von keinem Zeugnis (martyría) eines, der um die Sache weiß, und von keinem Eid (diōmosía) die Rede ist, sondern auf die Beschuldigung (aitía) sofort die Strafe folgt und diese auch noch von den Gesetzen (nómoi) untersagt ist, – was lässt

329  Plutarch (Solon 3,5) steht der Angabe skeptisch gegenüber, dass „manche behaupten“, Solon habe es auch unternommen, seine Gesetze in epische Hexameter zu bringen; als Beleg verwiesen sie auf seine Verse: „Lasst uns beten zuerst zu König Zeus, dem Kroniden, dass er diesen Gesetzen (thesmoí) Ruhm und Wirkung verleiht“. Dieses Fragment (31 West, 40 Gentili-Prato) wird in der Regel als unecht angesehen; durch diese Verse sollte Solon Thaletas und Charondas an die Seite gestellt werden, der seine Gesetze in Versform gegeben hätte (Hermippos fr. 88 Wehrli). Maria Noussia-Fantuzzi, Solon the Athenian, the Poetic Fragments, Leiden/Boston 2010, 521–524: „Thus, there are real reasons for suspecting that our fragment is spurious“ (521) und „if Solon’s fragment is a forgery, as seems likely, …“ (522). Der berechtigte Einwand, wonach die Gesetze Solons wohl kaum in Hexametern abgefasst gewesen seien, muss aber nicht bedeuten, dass auch die beiden Verse unecht sind. Sie könnten einem seiner Gedichte entnommen sein. 330  Der Begriff thesmós wird aber in den Tragödien weiterhin verwendet (z. B. Aischyl. Eum. 571, 681 in Bezug auf die Einsetzung des Areopags). Zu dem von Herodot (F 20c) angesprochenen Kontext verwenden Thukydides (6,54,6), die Athenaion politeia (16,8) und Plut. Solon 31,3 den Begriff nómoi.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

sich [von einem Antrag] anderes sagen? Und doch findet das alles in fünf Gerichtshöfen (di­ kastḗria) statt, wie es durch Gesetze (nómoi) festgelegt ist.

Demosthenes’ Ausführungen zeigen, dass die Zuweisung der Tötungsdelikte an die fünf verschiedenen Gerichtshöfe im Gesetz Solons bzw. in den phonikoí nómoi der Gesetzesrevision am Ende des 5. Jh. festgeschrieben war. Dass hier voll ausgebildete Rechtsverfahren vorausgesetzt sind, ist an der Reglementierung von Vorladung, Zeugenschaft und Eid ersichtlich. Da das inschriftlich überlieferte Gesetz Drakons keine Hinweise zu den Gerichtsorten enthält, sondern stets nur von der Entscheidung der ephétai die Rede ist, liegt es nahe, die Anweisung von Gerichtsorten (τὰ τεταγμένα δικαστήρια) mit der solonischen Revision des Gesetzes in Verbindung zu bringen. F 22 Die fünf attischen Gerichtshöfe (F 22: F 21a–c Ruschenbusch, F 21a–c, †F 21/2a Leão/Rhodes; F 22a: T 396, 387 Martina; F 22c: F 4/1b, †F 21/1, †F 21/2b Leão/Rhodes)

F 22a: Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 65–80 (352 v. Chr.) (65) πολλὰ μὲν δὴ παρ’ ἡμῖν ἐστι τοιαῦθ’ οἷ’ οὐχ ἑτέρωθι, ἓν δ’ οὖν ἰδιώτατον πάντων καὶ σεμνότατον, τὸ ἐν Ἀρείῳ πάγῳ δικαστήριον, ὑπὲρ οὗ τοσαῦτ’ ἔστιν εἰπεῖν καλὰ παραδεδομένα καὶ μυθώδη καὶ ὧν αὐτοὶ μάρτυρές ἐσμεν, ὅσα περὶ οὐδενὸς ἄλλου δικαστηρίου· ὧν ὡσπερεὶ δείγματος εἵνεκ’ ἄξιόν ἐστιν ἓν ἢ δύ’ ἀκοῦσαι. (66) τοῦτο μὲν τοίνυν τὰ παλαιά, ὡς ἡμῖν ἀκούειν παραδέδοται, ἐν μόνῳ τούτῳ τῷ δικαστηρίῳ δίκας φόνου θεοὶ καὶ δοῦναι καὶ λαβεῖν ἠξίωσαν καὶ δικασταὶ γενέσθαι διενεχθεῖσιν ἀλλήλοις, ὡς λόγος, λαβεῖν μὲν Ποσειδῶν ὑπὲρ Ἁλιρροθίου τοῦ υἱοῦ παρ’ Ἄρεως, δικάσαι δ’ Εὐμενίσιν καὶ Ὀρέστῃ οἱ δώδεκα θεοί. καὶ τὰ μὲν δὴ παλαιὰ ταῦτα· τὰ δ’ ὕστερον, τοῦτο μόνον τὸ δικαστήριον οὐχὶ τύραννος, οὐκ ὀλιγαρχία, οὐ δημοκρατία τὰς φονικὰς δίκας ἀφελέσθαι τετόλμηκεν, ἀλλὰ πάντες ἀσθενέστερον ἂν τὸ δίκαιον εὑρεῖν ἡγοῦνται περὶ τούτων αὐτοὶ τοῦ παρὰ τούτοις εὑρημένου δικαίου. πρὸς δὲ τούτοις τοιούτοις οὖσιν, ἐνταυθοῖ μόνον οὐδεὶς πώποτ’ οὔτε φεύγων ἁλοὺς οὔτε διώκων ἡττηθεὶς ἐξήλεγξεν ὡς ἀδίκως ἐδικάσθη τὰ κριθέντα. (67) … ἴστε δήπου τοῦθ’ ἅπαντες, ὅτι ἐν Ἀρείῳ πάγῳ, οὗ δίδωσ’ ὁ νόμος καὶ κελεύει τοῦ φόνου δικάζεσθαι, πρῶτον μὲν διομεῖται κατ’ ἐξωλείας αὑτοῦ καὶ γένους καὶ οἰκίας ὅ τιν’ αἰτιώμενος εἰργάσθαι τι τοιοῦτον, (68) εἶτ’ οὐδὲ τὸν τυχόντα τιν’ ὅρκον [τοῦτο ποιήσει] ἀλλ’ ὃν οὐδεὶς ὄμνυσ’ ὑπὲρ οὐδενὸς ἄλλου, στὰς ἐπὶ τῶν τομίων κάπρου καὶ κριοῦ καὶ ταύρου, καὶ τούτων ἐσφαγμένων ὑφ’ ὧν δεῖ καὶ ἐν αἷς ἡμέραις καθήκει, ὥστε καὶ ἐκ τοῦ χρόνου καὶ ἐκ τῶν μεταχειριζομένων ἅπαν, ὅσον ἔσθ’ ὅσιον, πεπρᾶχθαι. καὶ μετὰ ταῦθ’ ὁ τὸν τοιοῦτον ὅρκον ὀμωμοκὼς οὔπω πεπίστευται, ἀλλ’ ἐὰν ἐξελεγχθῇ μὴ λέγων ἀληθῆ, τὴν ἐπιορκίαν ἀπενεγκάμενος τοῖς αὑτοῦ παισὶν καὶ τῷ γένει πλέον οὐδ’ ὁτιοῦν ἕξει. (69) ἂν δὲ δόξῃ τὰ δίκαι’ ἐγκαλεῖν καὶ ἕλῃ τὸν δεδρακότα τοῦ φόνου, οὐδ’ οὕτω κύριος γίγνεται τοῦ ἁλόντος, ἀλλ’ ἐκείνου μὲν οἱ νόμοι κύριοι κολάσαι καὶ οἷς προστέτακται, τῷ δ’ ἐπιδεῖν διδόντα δίκην ἔξεστιν, ἣν ἔταξ’ ὁ νόμος, τὸν ἁλόντα, πέρα δ’ οὐδὲν τούτου. καὶ τῷ μὲν διώκοντι ὑπάρχει ταῦτα, τῷ δὲ φεύγοντι τὰ μὲν τῆς διωμοσίας ταὐτά, τὸν πρότερον δ’ ἔξεστιν εἰπόντα λόγον μεταστῆναι, καὶ οὔθ’ ὁ διώκων οὔθ’ οἱ δικάζοντες οὔτ’ ἄλλος ἀνθρώπων οὐδεὶς κύριος κωλῦσαι. (70) … καὶ πρῶτον μὲν παρ᾽ ἑνὸς τούτου δικαστηρίου καὶ [παρὰ] τοὺς γεγραμμένους νόμους καὶ τἄγραφα νόμιμα τὸ ψήφισμ᾽ εἴρηται.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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(71) Δεύτερον δ’ ἕτερον δικαστήριον τὸ τῶν ἀκουσίων φόνων φανήσεται συγχέων, τοὐπὶ Παλλαδίῳ, καὶ τοὺς παρὰ τούτῳ νόμους παραβαίνων. καὶ γὰρ ἐνταῦθ’ ὑπόκειται πρῶτον μὲν διωμοσία, δεύτερον δὲ λόγος, τρίτον δὲ γνῶσις τοῦ δικαστηρίου, ὧν οὐδέν ἐστιν ἐν τῷ τούτου ψηφίσματι. ἂν δ’ ἁλῷ καὶ δοκῇ τοὔργον εἰργάσθαι, οὔθ’ ὁ διώκων τοῦ δεδρακότος κύριος οὔτ’ ἄλλος οὐδεὶς πλὴν ὁ νόμος. (72) τί οὖν ὁ νόμος κελεύει; τὸν ἁλόντ’ ἐπ’ ἀκουσίῳ φόνῳ ἔν τισιν εἰρημένοις χρόνοις ἀπελθεῖν τακτὴν ὁδόν, καὶ φεύγειν ἕως ἂν †αἰδέσηταί τινα† τῶν ἐν γένει τοῦ πεπονθότος. τηνικαῦτα δ’ ἥκειν δέδωκεν ἔστιν ὃν τρόπον, οὐχ ὃν ἂν τύχῃ, ἀλλὰ καὶ θῦσαι καὶ καθαρθῆναι καὶ ἄλλ’ ἄττα διείρηκεν ἃ χρὴ ποιῆσαι, ὀρθῶς, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, πάντα ταῦτα λέγων ὁ νόμος. (73) καὶ γὰρ τὸ τῶν ἀκουσίων ἐλάττω τὴν τιμωρίαν ἢ τῶν ἑκουσίων τάξαι δίκαιον, καὶ τὸ παρασχόντ’ ἀσφάλειαν ἀπελθεῖν οὕτω προστάττειν φεύγειν ὀρθῶς ἐστιν ἔχον, καὶ τὸ τὸν κατιόνθ’ ὁσιοῦν καὶ καθαίρεσθαι νομίμοις τισί, καὶ τὸ τοὺς νόμους κυρίους ἁπάντων εἶναι, καὶ πάντα ταῦτ’ ἔχει καλῶς. ταῦτα τοίνυν ἅπαντα δικαίως οὕτω διορισθένθ’ ὑπὸ τῶν ἐξ ἀρχῆς νομοθετησάντων παρέβη γράφων τὸ ψήφισμ’ οὑτοσί. ταῦτα μὲν δὴ δύο τηλικαῦτα καὶ τοιαῦτα δικαστήρια καὶ νόμιμ’ ἐκ παντὸς τοῦ χρόνου παραδεδομένα οὕτως ἀναιδῶς ὑπερπεπήδηκεν. (74) Τρίτον δ’ ἕτερον πρὸς τούτοις δικαστήριον, ὃ πάντων ἁγιώτατα τούτων ἔχει καὶ φρικωδέστατα, ἄν τις ὁμολογῇ μὲν κτεῖναι, ἐννόμως δὲ φῇ δεδρακέναι. τοῦτο δ’ ἐστὶ τοὐπὶ Δελφινίῳ. δοκοῦσι γάρ μοι, ὦ ἄνδρες δικασταί, ζητῆσαι τοῦτο πρῶτον ἁπάντων οἱ περὶ τούτων ἐν ἀρχῇ τὰ δίκαι’ ὁρίσαντες, πότερ’ οὐδένα χρὴ φόνον ὅσιον εἶναι νομίζειν ἢ τινά γ’ ἔσθ’ ὅσιον νομιστέον, λογιζόμενοι δ’ ὅτι μητέρ’ Ὀρέστης ἀπεκτονὼς ὁμολογῶν θεῶν δικαστῶν τυχὼν ἀποφυγγάνει, νομίσαι δίκαιόν τιν’ εἶναι φόνον· οὐ γὰρ ἂν τά γε μὴ δίκαια θεοὺς ψηφίσασθαι. ὡς δὲ τοῦτ’ ἐνόμισαν, γράφουσιν ἤδη καὶ διορίζουσι σαφῶς ἐφ’ οἷς ἐξεῖναι ἀποκτιννύναι. (75) … ἀλλ’ ἀόριστον εἰπὼν αὐτὴν τὴν αἰτίαν, καὶ μετὰ ταῦτ’ εὐθὺς προσγράψας ἀγώγιμον εἶναι, τρίτον τουτὶ δικαστήριον καὶ τὰ τούτου νόμιμα παραβεβηκὼς φαίνει. (76) τέταρτον τοίνυν ἄλλο πρὸς τούτοις τοὐπὶ πρυτανείῳ. τοῦτο δ’ ἐστίν, ἐὰν λίθος ἢ ξύλον ἢ σίδηρος ἤ τι τοιοῦτον ἐμπεσὸν πατάξῃ, καὶ τὸν μὲν βαλόντ’ ἀγνοῇ τις, αὐτὸ δ’ εἰδῇ καὶ ἔχῃ τὸ τὸν φόνον εἰργασμένον, τούτοις ἐνταῦθα λαγχάνεται. εἰ τοίνυν τῶν ἀψύχων καὶ μὴ μετεχόντων τοῦ φρονεῖν οὐδέν ἐσθ’ ὅσιον, τοιαύτην ἔχον αἰτίαν, ἐᾶν ἄκριτον, ἦ που τόν γ’ ἀδικοῦντα μὲν οὐδέν, ἐὰν τύχῃ, θήσω δ’ ἀδικοῦντα, ἀλλ’ ἄνθρωπόν γ’ ὄντα καὶ μετειληφότα [τῇ τύχῃ] τῆς αὐτῆς ἡμῖν φύσεως, ἀνόσιον καὶ δεινὸν ἄνευ λόγου καὶ ψήφου ποιεῖν ἔκδοτον ἐπ’ αἰτίᾳ τοιαύτῃ. (77) Ἔτι τοίνυν πέμπτον δικαστήριον ἄλλο θεάσασθ’ οἷον ὑπερβέβηκε, τὸ ἐν Φρεαττοῖ. ἐνταῦθα γάρ, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, κελεύει δίκας ὑπέχειν ὁ νόμος, „ἐάν τις ἐπ’ ἀκουσίῳ φόνῳ πεφευγώς, μήπω τῶν ἐκβαλλόντων αὐτὸν ᾐδεσμένων, αἰτίαν ἔχῃ ἑτέρου φόνου ἑκουσίου.“ καὶ οὐχ, ὅτι δεῦρ’ οὐχ οἷόν τ’ ἐλθεῖν αὐτῷ, παρεῖδεν αὐτὸν ὁ ταῦθ’ ἕκαστα τάξας, οὐδ’, ὅτι καὶ πρότερόν τι τοιοῦτον ἐποίησε, (78) καὶ δὴ τὴν ὁμοίαν ἐποιήσατο πιστὴν αἰτίαν κατ’ αὐτοῦ, ἀλλὰ τό τ’ εὐσεβὲς εὗρεν ὅπως ἔσται, κἀκεῖνον οὐκ ἀπεστέρησε λόγου καὶ κρίσεως. τί οὖν ἐποίησεν; ἤγαγε τοὺς δικάσοντας οἷ προσελθεῖν οἷόν τ’ ἐκείνῳ, τῆς χώρας ἀποδείξας τόπον τιν’ ἐν Φρεαττοῖ καλούμενον ἐπὶ θαλάττῃ. εἶθ’ ὁ μὲν ἐν πλοίῳ προσπλεύσας λέγει τῆς γῆς οὐχ ἁπτόμενος, οἱ δ’ ἀκροῶνται καὶ δικάζουσιν ἐν τῇ γῇ· κἂν μὲν ἁλῷ, τὴν ἐπὶ τοῖς ἑκουσίοις φόνοις δίκην ἔδωκε δικαίως, ἂν δ’ ἀποφύγῃ, ταύτης μὲν ἀθῷος ἀφίεται, τὴν δ’ ἐπὶ τῷ πρότερον φόνῳ φυγὴν ὑπέχει. (79) … (80) Ἔτι τοίνυν ἔσθ’ ἕκτη τιμωρία πρὸς ἁπάσαις ταύταις, ἣν ὁμοίως παραβὰς γέγραφεν τὸ ψήφισμ’ οὑτοσί. εἰ πάντα ταῦτά τις ἠγνόηκεν, ἢ καὶ παρεληλύθασιν οἱ χρόνοι ἐν οἷς ἔδει τούτων ἕκαστα ποιεῖν, ἢ δι’ ἄλλο τι οὐχὶ βούλεται τούτους τοὺς τρόπους ἐπεξιέναι, τὸν ἀνδροφόνον δ’ ὁρᾷ περιιόντ’ ἐν τοῖς ἱεροῖς καὶ κατὰ τὴν ἀγοράν, ἀπάγειν ἔξεστιν εἰς τὸ δεσμωτήριον, οὐκ οἴκαδ’ οὐδ’ ὅποι βούλεται, ὥσπερ σὺ δέδωκας. κἀνταῦθ’ ἀπαχθεὶς οὐδ’ ὁτιοῦν, πρὶν ἂν κριθῇ, πείσεται, ἀλλ’ ἐὰν μὲν ἁλῷ, θανάτῳ ζημιωθήσεται, ἐὰν δὲ μὴ μεταλάβῃ τὸ πέμπτον μέρος τῶν ψήφων ὁ ἀπαγαγών, χιλίας.

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App. crit.: (65) περὶ secl. Blass; (66) δίκας ϕόνου θεοὶ S vulg., θεοὶ δίκας ϕόνου k v, θεοὶ δίκας Hermog. Rh. Gr. 3,313; Ποσειδῶν S vulg., Ποσειδῶ A, Ποσειδῶν’ Blass; οἱ … θεοί codd., τοὺς … θεοὺς Blass cum Hermog. 1. C; ἐνταυθοῖ codd., ἐνταυθὶ Weil, ἐνταῦθα Dindorf; (68) τιν’ ὅρκον τοῦτο SAYO, τιν’ ὅρκον τοῦτον vulg.: τρόπον τοῦτο Bodleianus apud Taylorum, Weil; [τοῦτο ποιήσει] secl. Butcher; ἐπενεγκάμενος k v pr. m.; (69) ταῦτα post προστέτακται add. vulg., om. S; (70) ἐν … τούτου secl. Rosenberg; παῤ ἑνὸς τούτου (τούτου τοῦ A) δικαστηρίου S, παῤ ἓν τοῦτο τὸ (om. τὸ F) δικαστήριον vulg., παῤ ἑνὸς τοῦτο τὸ δικαστηρίον Y; παρὰ secl. Reiske; νόμους om. S; τἄγραφα: ἄγραφα S; (71) οὐδὲ εἷς Blass; ὁ νόμος ante κελεύει om. A; (72) αἰδέσηταί τινα codd. Harpocr., αἰδέσηταί τις App. Francfurtana, marg. Lambini, corrector Weimaranus, ἀρέσηταί τινα Weidner, αἰδεσθῇ παρὰ coni. Blass; διείρηκεν codd., διῄρηκεν Dobree; (73) ὑπερβέβηκε F γρ.; (74) δικασταί SYO, Ἀθηναῖοι vulg.; ἒσθ’: ἒσεσθ’ A; ὁμολογῶν: εὐμενῶν Aristid. Rh. Gr. 9,345, om. schol. Hermog. Rh. Gr. 4,828; (76) ἤδῃ AYO; λαγχάνει AS γρ.; τῇ τυχῃ secl. Taylor; (77) ἄλλο om. S, add. cett. et. Harpocr. s. v. Ἐν φρεαττοῖ; εκβαλλότων S1 et Harpocr. cod. unus, ἐκβαλόντων vulg.; (78) ἐκεῖδε οἷ F; oἷόω τε ἦν AF; ἐπὶ θαλάττης Harpocr.; ἐπὶ τῆς γῆς Harpocr.; τῷ πρότερον SYO, τῷ προτέρῳ vulg.: ἑtέρῳ Harpocr.; φυγὴν: δίκην A: secl. Dobree.

(65) … Vieles findet sich bei uns [in Athen], was es anderswo nicht gibt, das eigentümlichste und ehrwürdigste von allem ist sicherlich der Gerichtshof (dikastḗrion) am Areopag, von dem sich Rühmlicheres als von irgendeinem Gerichtshof sonst erzählen lässt, teils was aus mythischen Zeiten überliefert ist, teils wofür wir selbst Zeugen sind. Es lohnt, davon als Beispiel das eine oder andere anzuhören. (66) So sollen, um mit den alten Mythen zu beginnen, wie sie uns überliefert sind, die Götter einzig und allein vor diesem Gerichtshof sich herabgelassen haben, in Fällen der Tötung Genugtuung zu leisten und zu fordern und als Urteilende (dikastaí) den streitenden Parteien gegenüber aufzutreten. Poseidon zum Beispiel forderte dort für die von Ares an seinem Sohn Halirrhothios verübte Tötung Genugtuung, und dort saßen im Streit der Eumeniden und des Orest die zwölf Götter zu Gericht. So viel aus alter Zeit. In späterer aber ist dieser Gerichtshof der einzige gewesen, dem kein Tyrann, nicht die Oligarchie, nicht die Demokratie die Tötungsklagen (phonikaí díkai) zu entziehen gewagt hat, und darüber sind alle einig, dass es nicht möglich sei, ein Recht zu finden, das besser ist als das dort geltende. Und überdies ist hier allein kein Angeklagter (pheúgōn) je verurteilt und kein Kläger (diṓkōn) abgewiesen worden, der hätte beweisen können, das gefällte Urteil sei ungerecht gewesen. (67) … Es ist euch allen ja bekannt, dass vor dem Areopag, wo das Gesetz (nómos) Tötungsklagen einzubringen gestattet und festlegt, derjenige, der einen anderen einer solchen Tat beschuldigt, zuerst einen Eid zu leisten hat (diomnýnai), worin er Verderben über sich selbst und seine Familie (génos) und sein Haus (oikía) beschwören muss [falls er nicht die Wahrheit bekundet], (68) und zwar unter Beobachtung von Gebräuchen, wie sie in keiner Sache sonst beim Eid (hórkos) üblich sind, indem er nämlich seine Hand auf die Opferstücke von einem Eber und einem Widder und einem Stier legt, die selbst von den dazu Berechtigten und an bestimmten Tagen geschlachtet sein müssen, so dass von Seiten der Zeit und der dabei tätigen Personen von alle dem, was Brauch ist, nichts versäumt wird. Und selbst wenn jemand einen solchen Eid (hórkos) geleistet hat, so glaubt man ihm deshalb noch nicht; stellt sich aber bei der Untersuchung die Unwahrheit seiner Aussage heraus, dann ist der [Fluch des] Meineids (epiorkía), den er auf seine Kinder und seine Familie gebracht, allein sein Lohn. (69) Erweist sich aber seine Anklage als begründet und kann er den Täter der Tötung überführen, so wird auch damit noch keineswegs der Verurteilte (hálōn) in seine Hände gegeben, sondern die Macht zu strafen ist bei den Gesetzen (nómoi) und bei denen, die damit beauftragt sind, ihm selbst ist nur gestattet, der Vollziehung der vom Gesetz angeordneten Strafe beizuwohnen und weiter nichts. Dies also obliegt dem Kläger (diṓkōn); der Angeklagte (pheúgōn) hat zwar denselben Eid (diōmosía) zu leisten, doch ist es ihm gestattet, noch nach der ersten Rede, [die

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er zu seiner Verteidigung gehalten hat,] das Land zu verlassen, und weder dem Kläger (diṓkōn) noch den Urteilenden (dikázontes) oder sonst irgendwem steht das Recht zu, ihn daran zu hindern. (70) … Dies ist der eine Gerichtshof, gegen dessen geschriebene Gesetze (gegramménoi nómoi) und ungeschriebenen Brauch (ágrapha nómima) der Antrag verstößt. (71) Nun wird sich aber zeigen, dass er [Aristokrates] sich auch an einem zweiten Gerichtshof (dikastḗrion), den der unabsichtlichen Tötungen (akoúsioi phónoi), vergriffen und die dort geltenden Gesetze (nómoi) übertreten hat, dem [Gerichtshof] beim Palladion. Auch dort nämlich ist zuerst der Eid von beiden Seiten (diōmosía) üblich, zweitens die mündliche Verhandlung (lógos) und drittens das Urteil (gnṓsis) des Gerichts, wovon in seinem Antrag nirgends die Rede ist. Ist aber dort jemand überführt und er der Tat für schuldig befunden worden, so hat weder der Kläger (diṓkōn) über den Täter eine Eigenmacht noch sonst wer, sondern das Gesetz allein. (72) Was aber ordnet das Gesetz an? Der einer unabsichtlichen Tötung (akoúsios phónos) Überführte (hálōn) soll innerhalb einer bestimmten Frist auf vorgeschriebenem Weg aus dem Land gehen und es meiden (pheúgein), bis einer von den Angehörigen des Getöteten mit ihm eine Aussöhnung vereinbart hat (aidésesthai). Erst dann erlaubt es ihm zurückzukehren, wenn auch unter bestimmten Bedingungen und nicht aufs Geratewohl; denn es schreibt ihm vor, zu opfern und sich zu reinigen (thýsai kaí katharthḗnai) und einiges andere, was nötig ist, zu tun, und all dies sagt das Gesetz zu Recht, ihr Athener. (73) Denn für unabsichtliche Taten (akoúsioi) eine geringere Strafe festzulegen als für absichtliche Tötungen (hekoúsioi [phó­ noi]) ist nicht mehr als billig; und ihn des Landes zu verweisen (pheúgein), indem man ihm sicheres Geleit gewährt, ist in Ordnung; und schließlich, dass sich der Täter bei seiner Reinigung und Sühnung gewissen Ritualen (hosioún kaí kathaíresthai nomímois tisí) unterzieht und die Gewalt über alles bei den Gesetzen ist, kurz: alles dies ist vortrefflich angeordnet. Und alle diese von den alten Gesetzgebern (hoi ex archḗs nomothetḗsantes) so rechtmäßig getroffenen Bestimmungen hat er, der den vorliegenden Antrag gestellt hat, übertreten. Diese zwei so hoch angesehenen Gerichtshöfe also samt ihren aus ältester Zeit stammenden Satzungen (nómima ek pantós toú chrónou) sind es zunächst, über die er frech genug war sich hinwegzusetzen. (74) Zu diesen aber kommt noch ein dritter Gerichtshof (dikastḗrion), der heiligste und schauerlichste unter all diesen, bestimmt für Fälle, in denen jemand zwar zugibt, getötet zu haben (kteínai), jedoch behauptet, er habe gesetzmäßig (ennómōs) gehandelt. Dies ist der [Gerichtshof] beim Delphinion. Es scheint mir nämlich, ihr Richter, unsere Vorfahren warfen bei Feststellung der hier eingeschlagenen Rechtspunkte zunächst die Frage auf, ob schlechthin keine Tötung als [von den Göttern] geboten (hósios) angesehen werden muss und ob nicht eine Art wenigstens als zulässig zu betrachten sei, und kamen dann bei der Überlegung, dass Orest, obgleich der an seiner Mutter begangenen Tat geständig, gleichwohl von den Göttern als Richtern (dikastaí) freigesprochen worden war, zu der Überzeugung, dass es auch eine Art gerechter Tötung (díkaios phónos) gebe; denn ein ungerechter Spruch sei den Göttern unmöglich zuzutrauen. Und dieser Überzeugung gemäß legten sie genau die Fälle fest, in denen zu töten (apoktinnýnai) erlaubt war. (75) … Indem du also die bloße Tat nennst, ohne sie näher zu bezeichnen, und gleich darauf den Täter abzuführen für berechtigt erklärst (agṓgimos eínai), hast du dich auch an diesem dritten Gerichtshof und dessen Satzungen (nómima) vergangen. (76) Neben den anderen ist ferner ein vierter [Gerichtshof] der beim Prytaneion. Dieser besteht [für folgende Fälle]: Wenn ein Stein oder ein Holz oder ein Gegenstand aus Eisen oder etwas dieser Art beim Herabfallen [jemanden] erschlägt und man den, der geworfen hat, nicht kennt, den Gegenstand aber, der den Tod verursacht hat, kennt und [ihn] hat, so wird dort

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Klage gegen diese geführt. Wenn selbst ein lebloser und nicht mit Verstand begabter Gegenstand, der solch ein Unheil angerichtet hat, dem Gericht nicht vorenthalten wird, so ist es erst recht gewissenlos und abscheulich, einen, der am Ende gar keine Schuld trägt, und selbst wenn er schuldig ist, doch immerhin ein Mensch und vernunftbegabt, ohne Verfahren und Urteil den Verfolgern auf eine bloße Anklage hin preiszugeben. (77) Noch ist ein fünfter Gerichtshof (dikastḗrion) zu betrachten übrig, den er [Aristokrates] übergangen hat, der in Phreattos. Dort nämlich, Athener, ordnet das Gesetz an, Recht zu sprechen, „wenn jemand, der aufgrund einer unabsichtlichen Tötung (akoúsios phónos) sich außer Landes befindet (pepheugṓs), weil diejenigen, die ihn zur Flucht zwangen (ekbállontes), sich mit ihm noch nicht ausgesöhnt haben (aideísthai), einer anderen, absichtlichen Tötung (hekoúsios phónos) beschuldigt wird“. Derjenige, der all dies festgelegt hat, übersah in Bezug auf ihn [den Täter] nicht, dass er nicht hierher zurückkehren darf; natürlich wurde auch nicht eine frühere gleichartige Tat als Beweis für seine Schuld vorgebracht, weil er das Gleiche verübt hatte, (78) vielmehr machte es [der Gesetzgeber] möglich, dennoch entsühnt (eusebḗs) zu werden, ohne jenem [dem Beschuldigten] Rede und Urteil (lógos kaí krísis) vorzuenthalten. Was also hat er getan? Er berief diejenigen, die gerichtet haben, dorthin, wohin auch jener kommen konnte, und bestimmte dazu auf dem Land einen bestimmten Ort im sogenannten Phreattō, das am Meer gelegen ist. Und da spricht der eine, der sich auf einem Boot nähert, ohne das Land zu berühren; die anderen aber hören ihn an und richten auf dem Land. Wird er verurteilt, erleidet er zurecht die Strafe für diejenigen, die absichtliche Tötungen (hekoúsioi phónoi) begangen haben; wird er dafür freigesprochen, nimmt er aber das Exil (phygḗ) für die frühere Tötung wieder auf sich. (79) … (80) Zu all diesen Rechtsverfahren kommt endlich noch ein sechstes, welches der Antragsteller ebenso wenig eingehalten hat. Hat nämlich jemand von alledem nichts gewusst oder auch die für jeden Fall angeordnete Frist verstreichen lassen oder aus einem anderen Grund keinen von diesen Wegen betreten wollen, so steht es ihm frei, den Täter (androphónos), wenn ein solcher sich in den Heiligtümern oder auf der Agora sehen lässt, in das Gefängnis (desmōtḗrion) abzuführen (apágein), nicht aber, wozu du ihn ermächtigst, in sein eigenes Haus oder wohin sonst es ihm beliebt. Auch dort geschieht dem Abgeführten (apachtheís), ehe das Verfahren stattgefunden hat, nichts; erst wenn er schuldig gesprochen ist, erleidet er den Tod; der hingegen, der ihn abgeführt hat (apagagṓn), hat, wenn er nicht den fünften Teil der Stimmen für sich hat, als Buße tausend [Drachmen] zu zahlen.331

F 22b: Aristoteles, Politik 4,16, 1300b 13–30 (320er Jahre) (13) λοιπὸν δὲ τῶν τριῶν τὸ δικαστικὸν εἰπεῖν. … (18) πρῶτον οὖν διαιρείσθω πόσα εἴδη δικαστηρίων. ἔστι δὲ τὸν ἀριθμὸν ὀκτώ: … (23) καὶ παρὰ ταῦτα τό τε φονικὸν καὶ τὸ ξενικόν. φονικοῦ μὲν οὖν εἴδη, ἄν τ᾽ ἐν τοῖς αὐτοῖς δικασταῖς ἄν τ᾽ ἐν ἄλλοις, περὶ τε τῶν ἐκ προνοίας καὶ περὶ τῶν ἀκουσίων, καὶ ὅσα ὁμολογεῖται μὲν, ἀμφισβητεῖται δὲ περὶ τοῦ δικαίου, τέταρτον δὲ ὅσα τοῖς φεύγουσι

331  Übersetzung nach A. Westermann (1868) und E. Ruschenbusch (2010). Vgl. auch Zajonz 2014, 254 f. zu Demosth. or. 23,80 und der Möglichkeit, den Täter abzuführen (ebd. 266–268). Sie geht indes von der Abführung nicht nur des Mörders, sondern auch des Mordverdächtigen aus. Da in Demosth. or. 23,80 jedoch vom androphónos gesprochen wird, wird damit der verurteilte Täter gemeint gewesen sein (siehe or. 23,29–31).

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φόνου ἐπὶ καθόδῳ ἐπιφέρεται, οἷον Ἀθήνησι λέγεται καὶ τὸ ἐν Φρεαττοῖ δικαστήριον· συμβαίνει δὲ τὰ τοιαῦτα ἐν τῷ παντὶ χρόνῳ ὀλίγα καὶ ἐν ταῖς μεγάλαις πόλεσιν. App. crit.: 13: εἰπεῖν τὸ δικαστικὸν περὶ δικαστηρίων Π1.

(13) Als drittes schließlich ist das Rechtswesen zu besprechen. … (18) Als erstes wiederum sei festgelegt, wie viele Arten von Gerichtshöfen (dikastḗria) es gibt. Es sind acht an der Zahl: … (23) und neben diesen noch ein [Gerichtshof] für Tötungsfälle und einen für Fremde. Jener für Tötung hat unterschiedliche Form, teils mit denselben Richtern (dikastaí), teils mit verschiedenen, und solche über [Tötung] aus Vorsatz (ek pronoías) und über unabsichtliche [Tötung] (akoúsios) sowie die, bei denen sie eingestehen [getötet zu haben], aber dies zu Recht getan zu haben für sich in Anspruch nehmen, ein vierter dann, wenn gegen die, die wegen einer Tötung geflohen sind (pheúgontes), bei der Rückkehr zusätzlich Klage erhoben wird, so wie in Athen dieser Gerichtshof ‚in Phreattō‘ genannt wird. Solche Fälle ereignen sich aber über einen langen Zeitraum – selbst in großen Poleis – selten.

F 22c: Aristoteles, Athenaion politeia 57,3–4 (320er Jahre) (3) εἰσὶ δὲ φόν[ου] δίκαι καὶ τραύματος, ἂν μὲν ἐκ προνοίας ἀποκτείνῃ ἢ τρώσῃ, ἐν Ἀρείῳ πάγῳ, καὶ φαρμάκων, ἐὰν ἀποκτείνῃ δούς, καὶ πυρκαϊᾶς· ταῦτα γὰρ ἡ βουλὴ μόνα δικάζει. τῶν δ’ ἀκουσίων καὶ βουλεύσεως, κἂν οἰκέτην ἀποκτείνῃ τις ἢ μέτοικον ἢ ξένον, οἱ ἐπὶ Παλλαδίῳ. ἐὰν δ’ ἀποκτεῖναι μέν τις ὁμολογῇ, φῇ δὲ κατὰ τοὺς νόμους, οἷον μοιχὸν λαβών, ἢ ἐν πολέμῳ ἀγνοήσας, ἢ ἐν ἄθλῳ ἀγωνιζόμενος, τούτ[ῳ] ἐπὶ Δελφινίῳ δικάζουσιν· ἐὰν δὲ φεύγων φυγὴν ὧν αἴδεσίς ἐστιν, αἰτίαν ἔχῃ ἀποκτεῖναι ἢ τρῶσαί τινα, τούτῳ δ’ ἐν Φρεάτου δικάζουσιν, ὁ δ’ ἀπολογεῖται προσορμισάμενος ἐν πλοίῳ. (4) δικάζουσι δ’ οἱ λαχόντες ταῦ[τ᾿ἐφέται], πλὴν τῶν ἐν Ἀρείῳ πάγῳ γιγνομένων, εἰσάγει δ’ ὁ βασιλεύς, καὶ δικάζο[υ]σιν ἐν ἱερ[ῷ] καὶ ὑπαίθριοι, καὶ ὁ βασιλεὺς ὅταν δικάζῃ περιαιρεῖται τὸν στέφανον. ὁ δὲ τὴν αἰτίαν ἔχων τὸν μὲν ἄλλον χρόνον εἴργεται τῶν ἱερῶν, καὶ οὐδ’ εἰς τὴν ἀγορὰν ν[όμος] ἐμβαλεῖν αὐτῷ. τότε δ’ εἰς τὸ ἱερὸν εἰσελθὼν ἀπολογεῖται. ὅταν δὲ μὴ εἰδῇ τὸν ποιήσαντα, τῷ δράσαντι λαγχάνει, δικάζει δ’ ὁ βασιλεὺς καὶ οἱ φυλοβασιλεῖς, καὶ τὰς τῶν ἀψύχων καὶ τῶν ἄλλων ζῴων. App. crit.: φαρμάκων Poll. 8,117; φαρμακον P.Lond.

(3) Klagen wegen Tötung und Körperverletzung (phónou díkai kaí traúmatos), wenn [jemand] aus Vorsatz (ek pronoías) getötet oder verwundet hat, gehen in den Areopag; und wegen Giftmittel, wenn einer getötet hat, indem er es [ihm] gab, und wegen Brandstiftung. Allein in diesen Fällen nämlich spricht der Rat (boulḗ) Recht (dikázein), solche aber wegen unabsichtlicher Tötungen (akoúsioi [phónoi]) oder Veranlassung (bzw. Beauftragung zur Tötung, boúleusis), und wenn jemand einen Sklaven (oikétēs) oder einen angesiedelten Fremden (métoikos) oder einen Fremden (xénos) tötet, die beim Palladion. Wenn aber jemand zugibt, getötet zu haben, jedoch behauptet, er habe gemäß den Gesetzen (katá toús nómous) gehandelt, weil er einen Ehebrecher (moichós) ergriffen oder einen [Mitbürger] im Krieg nicht erkannt oder an einem Wettkampf teilgenommen hat, urteilen sie über diesen beim Delphinion. Wenn jemand, der [wegen einer solchen Tötung aus Attika] geflohen ist, für die eine Aussöhnung (aídesis) möglich ist, Schuld trägt, jemanden [also eine weitere Person] getötet oder verletzt zu haben (trṓsai), urteilen sie über diesen im [Bezirk des] Phreatos (en Phreátou); er verteidigt sich von einem vor dem Ufer liegenden Boot aus. (4) Die diese [Fälle] erlosenden [ephétai] sprechen das Urteil – ausgenommen der im Areopag verhandelten Fälle –, der basileús bringt [die Kla-

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gen] ein, und sie urteilen an einem heiligen Ort und unter freiem Himmel; und der basileús, wenn er das Urteil spricht, legt seinen Kranz ab. Der, der die Schuld trägt, wird während der übrigen Zeit von den Heiligtümern ausgeschlossen und das G[esetz erlaubt] ihm nicht, den Markt zu betreten [oder: einen Antrag in die Volksversammlung (agorá) einzubringen]; aber dann geht er zu dem Heiligtum hin und verteidigt sich. Wenn man aber denjenigen, der die Tat begangen hat, nicht kennt, klagt man gegen den [unbekannten] Ausführenden. Es urteilen dann der [árchōn] basileús und die phylobasileís, und auch in Fällen über leblose Gegenstände und andere Lebewesen.

F 22d: Pausanias, Graeciae descriptio 1,28,5–11 (ca. 173 n. Chr.) (5) ἔστι δὲ Ἄρειος πάγος καλούμενος, ὅτι πρῶτος Ἄρης ἐνταῦθα ἐκρίθη, καί μοι καὶ ταῦτα δεδήλωκεν ὁ λόγος ὡς Ἁλιρρόθιον ἀνέλοι καὶ ἐφ’ ὅτῳ κτείνειε. κριθῆναι δὲ καὶ ὕστερον Ὀρέστην λέγουσιν ἐπὶ τῷ φόνῳ τῆς μητρός· καὶ βωμός ἐστιν Ἀθηνᾶς Ἀρείας, ὃν ἀνέθηκεν ἀποφυγὼν τὴν δίκην. τοὺς δὲ ἀργοὺς λίθους, ἐφ’ ὧν ἑστᾶσιν ὅσοι δίκας ὑπέχουσι καὶ οἱ διώκοντες, τὸν μὲν Ὕβρεως τὸν δὲ Ἀναιδείας αὐτῶν ὀνομάζουσι. (6) πλησίον δὲ ἱερὸν θεῶν ἐστιν ἃς καλοῦσιν Ἀθηναῖοι Σεμνάς, Ἡσίοδος δὲ Ἐρινῦς ἐν Θεογονίᾳ. πρῶτος δέ σφισιν Αἰσχύλος δράκοντας ἐποίησεν ὁμοῦ ταῖς ἐν τῇ κεφαλῇ θριξὶν εἶναι· τοῖς δὲ ἀγάλμασιν οὔτε τούτοις ἔπεστιν οὐδὲν φοβερὸν οὔτε ὅσα ἄλλα κεῖται θεῶν τῶν ὑπογαίων. κεῖται δὲ καὶ Πλούτων καὶ Ἑρμῆς καὶ Γῆς ἄγαλμα· ἐνταῦθα θύουσι μὲν ὅσοις ἐν Ἀρείῳ πάγῳ τὴν αἰτίαν ἐξεγένετο ἀπολύσασθαι, θύουσι δὲ καὶ ἄλλως ξένοι τε ὁμοίως καὶ ἀστοί. (7) ἔστι δὲ καὶ ἐντὸς τοῦ περιβόλου μνῆμα Οἰδίποδος, πολυπραγμονῶν δὲ εὕρισκον τὰ ὀστᾶ ἐκ Θηβῶν κομισθέντα· τὰ γὰρ ἐς τὸν θάνατον Σοφοκλεῖ πεποιημένα τὸν Οἰδίποδος Ὅμηρος οὐκ εἴα μοι δόξαι πιστά, ὃς ἔφη Μηκιστέα τελευτήσαντος Οἰδίποδος ἐπιτάφιον ἐλθόντα ἐς Θήβας ἀγωνίσασθαι. (8) ἔστι δὲ Ἀθηναίοις καὶ ἄλλα δικαστήρια οὐκ ἐς τοσοῦτο δόξης ἥκοντα. τὸ μὲν οὖν καλούμενον παράβυστον καὶ τρίγωνον, τὸ μὲν ἐν ἀφανεῖ τῆς πόλεως ὂν καὶ ἐπ’ ἐλαχίστοις συνιόντων ἐς αὐτό, τὸ δὲ ἀπὸ τοῦ σχήματος ἔχει τὰ ὀνόματα· βατραχιοῦν δὲ καὶ φοινικιοῦν ἀπὸ χρωμάτων [τὸ δὲ] καὶ ἐς τόδε διαμεμένηκεν ὀνομάζεσθαι. τὸ δὲ μέγιστον καὶ ἐς ὃ πλεῖστοι συνίασιν, ἡλιαίαν καλοῦσιν. ὁπόσα δὲ ἐπὶ τοῖς φονεῦσιν, ἔστιν ἄλλα· καὶ ἐπὶ Παλλαδίῳ καλοῦσι καὶ τοῖς ἀποκτείνασιν ἀκουσίως κρίσις καθέστηκε. καὶ ὅτι μὲν Δημοφῶν πρῶτος ἐνταῦθα ὑπέσχε δίκας, ἀμφισβητοῦσιν οὐδένες· ἐφ’ ὅτῳ δέ, διάφορα ἐς τοῦτο εἴρηται. (9) Διομήδην φασὶν ἁλούσης Ἰλίου ταῖς ναυσὶν ὀπίσω κομίζεσθαι, καὶ ἤδη τε νύκτα ἐπέχειν ὡς κατὰ Φάληρον πλέοντες γίνονται καὶ τοὺς Ἀργείους ὡς ἐς πολεμίαν ἀποβῆναι τὴν γῆν, ἄλλην που δόξαντας ἐν τῇ νυκτὶ καὶ οὐ τὴν Ἀττικὴν εἶναι. ἐνταῦθα Δημοφῶντα λέγουσιν ἐκβοηθήσαντα, οὐκ ἐπιστάμενον οὐδὲ τοῦτον τοὺς ἀπὸ τῶν νεῶν ὡς εἰσὶν Ἀργεῖοι, καὶ ἄνδρας αὐτῶν ἀποκτεῖναι καὶ τὸ Παλλάδιον ἁρπάσαντα οἴχεσθαι, Ἀθηναῖόν τε ἄνδρα οὐ προϊδόμενον ὑπὸ τοῦ ἵππου τοῦ Δημοφῶντος ἀνατραπῆναι καὶ συμπατηθέντα ἀποθανεῖν· ἐπὶ τούτῳ Δημοφῶντα ὑποσχεῖν δίκας οἱ μὲν τοῦ συμπατηθέντος τοῖς προσήκουσιν, οἱ δὲ Ἀργείων φασὶ τῷ κοινῷ. (10) ἐπὶ Δελφινίῳ δὲ κρίσις καθέστηκεν ἐργάσασθαι φόνον σὺν τῷ δικαίῳ φαμένοις, ὁποῖόν τι καὶ Θησεὺς παρεχόμενος ἀπέφυγεν, ὅτε Πάλλαντα ἐπαναστάντα καὶ τοὺς παῖδας ἔκτεινε· πρότερον δὲ πρὶν ἢ Θησεὺς ἀφείθη, καθειστήκει πᾶσι φεύγειν κτείναντα ἢ κατὰ ταὐτὰ θνήσκειν μένοντα. τὸ δὲ ἐν πρυτανείῳ καλούμενον, ἔνθα τῷ σιδήρῳ καὶ πᾶσιν ὁμοίως τοῖς ἀψύχοις δικάζουσιν, ἐπὶ τῷδε ἄρξασθαι νομίζω. Ἀθηναίων βασιλεύοντος Ἐρεχθέως, τότε πρῶτον βοῦν ἔκτεινεν ὁ βουφόνος ἐπὶ τοῦ βωμοῦ τοῦ Πολιέως Διός: καὶ ὁ μὲν ἀπολιπὼν ταύτῃ τὸν πέλεκυν ἀπῆλθεν ἐκ τῆς χώρας φεύγων, ὁ δὲ πέλεκυς παραυτίκα ἀφείθη κριθεὶς καὶ ἐς τόδε ἀνὰ πᾶν ἔτος κρίνεται. (11) λέγεται μὲν δὴ καὶ ἄλλα τῶν ἀψύχων αὐτόματα ἐπιθεῖναι σὺν τῷ δικαίῳ τιμωρίαν ἀνθρώποις: ἔργον δὲ κάλλιστον καὶ δόξῃ φανερώτατον ὁ Καμβύσου παρέσχετο ἀκινάκης. ἔστι δὲ τοῦ Πειραιῶς πρὸς θαλάσσῃ Φρεαττύς· ἐνταῦθα οἱ πεφευγότες, ἢν ἀπελθόντας ἕτερον ἐπιλάβῃ

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σφᾶς ἔγκλημα, πρὸς ἀκροωμένους ἐκ τῆς γῆς ἀπὸ νεὼς ἀπολογοῦνται· Τεῦκρον πρῶτον λόγος ἔχει Τελαμῶνι οὕτως ἀπολογήσασθαι μηδὲν ἐς τὸν Αἴαντος θάνατον εἰργάσθαι. τάδε μὲν οὖν εἰρήσθω μοι τῶνδε ἕνεκα, γνῶναι ὁπόσοις μέτεστι σπουδῆς ‹τὰ› ἐς τὰ δικαστήρια· App. crit.: (5) κριθῆναι – μητρός· καὶ βω om L; ἀργοὺς Goldhagen, ἀργυροῦς β; (6) θύουσι δὲ καὶ Clavier, τε καὶ β; (7) δὲ καὶ ἐντὸς V, δὲ ἐντὸς L1, P1; (8) τὰ μὲν οὖν καλούμενα Spiro; τὰ ὀνόματα: τὸ ὄνομα Wachsmuth; [τὸ δὲ] del. Clavier; καὶ τοῖς β, ἦ τοῖς Hitzig; ἀκουσίως Goldhagen, ὡς β; διάφορα V, L, διαφορὰ F, P1, (9) ἄλλην σποδάξαντας L; (10) φόνῳ F, P1; παρεχόμενος Pa2, παρερχόμενος β; ταὐτὰ R1, ταῦτα β, ἀφείϑη ‹ἐς θάλασσαν› Hitzig; (11) γνῶναι ὁπόσοις V, F, P, ὁπόσοις L.

(5) Dann ist da der so genannte Areshügel (áreios págos), weil hier über Ares zuerst gerichtet wurde. Ich habe das schon erzählt, wie er den Halirrhotios tötete und weshalb er ihn tötete. Und später soll hier über Orestes wegen des Muttermordes Gericht gehalten worden sein. Und ein Altar der Athena Areia ist da, den er weihte, als er freigesprochen wurde (apophygṓn tḗn díkēn). Von den beiden unbearbeiteten Felsblöcken, auf denen Angeklagte und Ankläger stehen, nennen sie den einen den [Stein] des Frevels (hýbris), den anderen den des Nichtverzeihens (anaideía). (6) In der Nähe ist das Heiligtum der Göttinnen, die die Athener Semnai nennen, Hesiod in der Theogonie Erinyen. Aischylos hat zuerst von Schlangen in ihrem Haar gedichtet. Weder an diesen Bildnissen ist etwas Furchtbares, ebensowenig was sonst von unterirdischen Göttern da aufgestellt ist. Es steht dort ein Bildnis des Pluton und des Hermes und der Ge. Hier opfern diejenigen, denen es im Areiopag gelang, von der Schuld freigesprochen zu werden, und zwar sowohl Fremde (xénoi) wie Bürger (astoí). (7) In dem Bezirk ist auch ein Grabmal des Ödipus; auf meine Fragen erfuhr ich, seine Gebeine seien von Theben dahin gebracht worden. Denn was Sophokles vom Tod des Ödipus gedichtet hat, ließ Homer mich nicht für wahr halten, der erzählt, daß Mekisteus zu den Leichenspielen des toten Ödipus nach Theben gekommen sei. (8) Die Athener haben noch andere Gerichtshöfe (dikastḗria), die nicht zum gleichen Ruhme gelangt sind: das sogenannte Parabyston und das Trigonon. Der eine liegt in einem unscheinbaren Stadtteil und entscheidet nur über die geringfügigsten Dinge. Der andere hat seinen Namen von seiner Gestalt. Die Benennung Batrachioun [‚froschgrün‘] und Phoinikioun [‚purpurrot‘] stammt von den Farben und hat sich bis heute gehalten. Den größten [Gerichtshof], an dem die meisten [Geschworenen] zusammenkommen, nennen sie [die Athener] (h)ēliaía. Für all diejenigen, die getötet haben, sind andere [Gerichtshöfe] da: Und einen nennen sie ‚beim Palladion‘, in dem das Urteil (krísis) über die gefällt wird, die unabsichtlich (akousíōs) getötet hatten. Daß Demophon zunächst hier vor Gericht gestanden hat, wird von niemandem bezweifelt; warum aber, darüber wird verschiedenes erzählt. (9) Man sagt, daß Diomedes nach der Eroberung Ilions mit seinen Schiffen zurückgekehrt und bei einfallender Nacht gegen die Bucht von Phaleron gekommen sei. Da seien die Argiver wie in ein feindliches Land ausgestiegen, da sie es bei Nacht für ein anderes und eben nicht für Attika hielten. Da sei ihnen Demophon entgegengerückt, weil er ebenfalls nicht wußte, daß die von den Schiffen Argiver seien. Einige Männer habe er getötet und sich mit dem geraubten Palladion zurückgezogen. Unvorhergesehenerweise sei ein attischer Krieger von dem Pferd des Demophon umgeritten und zu Tode getreten worden. Hierfür soll nun Demophon vor Gericht gezogen worden sein, teilweise für die Verwandten des Opfers, zum Teil auch, wie sie berichten, für die Gesamtheit der Argiver. (10) Beim Delphinion wird über die zu Gericht gesessen, welche behaupten, mit Recht eine Tötung begangen zu haben, was auch Theseus für sich anführte und damit freikam, als er den aufrührerischen Pallas und dessen Söhne tötete. Früher aber, bevor Theseus freigesprochen wurde, war es für alle Gesetz, daß der Täter [aus

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Attika] floh (pheúgein) oder, wenn er [im Land] blieb, zu Recht starb (thnḗskein). Der sogenannte [Gerichtshof] ‚im Prytaneion‘, wo man über den eisernen und alle anderen leblosen Gegenstände entscheidet, geht, wie ich glaube, auf folgenden Ursprung zurück: Als vormals Erechtheus König der Athener war, tötete der Ochsentöter (bouphónos) zum ersten Mal einen Ochsen auf dem Altar des Zeus Polieus. Zwar ließ er das Beil dort zurück und floh außer Landes, das Beil aber wurde sogleich durch ein Urteil freigesprochen, und auf diese Weise wird Jahr für Jahr gerichtet. (11) Es heißt nun, auch andere leblose Gegenstände hätten von selbst rechtmäßig eine Strafe über Menschen vollzogen. Das schönste und berühmteste Beispiel dafür gab das Krummschwert des Kambyses. Im Piräus liegt zum Meer hin Phreattys. Dort verteidigen sich diejenigen, die außer Landes gegangen sind (pepheugótes), wenn in ihrer Abwesenheit eine andere Anschuldigung gegen sie erfolgt ist, und zwar von einem Schiff aus gegenüber denjenigen, die vom Land aus ihn anhören. Als erster soll sich Teukros vor Telamon auf diese Weise verteidigt haben, dass er nichts zum Tode des Aias beigetragen habe. Dies sei um derentwillen gesagt, denen daran gelegen ist, sich eine Meinung über die Gerichtshöfe zu verschaffen.332

F 22e: Pollux, Onomastikon 8,117–120 (2. Jh. n. Chr.) (117) Δικαστήρια τὰ Ἀθήνησιν. Ἄρειος πάγος· ἐδίκαζε δὲ φόνου καὶ τραύματος ἐκ προνοίας, καὶ πυρκαϊᾶς, καὶ φαρμάκων, ἐάν τις ἀποκτείνῃ δούς. ἐγίνετο δὲ διωμοσία, καὶ μετὰ τὴν διωμοσίαν κρίσις· προοιμιάζεσθαι δὲ οὐκ ἐξῆν, οὐδ’ οἰκτίζεσθαι. μετὰ δὲ τὸν πρότερον λόγον ἐξῆν φυγεῖν, πλὴν εἴ τις γονέας εἴη ἀπεκτονώς. καθ’ ἕκαστον δὲ μῆνα τριῶν ἡμερῶν ἐδίκαζον ἐφεξῆς, τετάρτῃ φθίνοντος, τρίτῃ, δευτέρᾳ. (118) οἱ δ’ ἐννέα ἄρχοντες οἱ καθ’ ἕκαστον ἐνιαυτὸν μετὰ τὸ δοῦναι τὰς εὐθύνας ἀεὶ τοῖς Ἀρεοπαγίταις προσετίθεντο. ὑπαίθριοι δ’ ἐδίκαζον. φόνου δὲ ἐξῆν ἐπεξιέναι μέχρις ἀνεψιῶν, καὶ ἐν τῷ ὅρκῳ ἐπερωτᾶν τίς προσ­ ήκων ἐστὶ τῷ τεθνεῶτι· κἂν οἰκέτης ᾖ, ἐπισκήπτειν συγκεχώρηται. τὸ ἐπὶ Παλλαδίῳ. ἐν τούτῳ λαγχάνεται περὶ τῶν ἀκουσίων φόνων· μετὰ γὰρ Τροίας ἅλωσιν Ἀργείων τινὰς τὸ Παλλάδιον ἔχοντας Φαληρῷ προσβαλεῖν, ἀγνοίᾳ δὲ ὑπὸ τῶν ἐγχωρίων ἀναιρεθέντας ἀπορριφῆναι καὶ τῶν μὲν οὐδὲν προσήπτετο ζῷον, (119) Ἀκάμας δὲ ἐμήνυσεν ὅτι εἶεν Ἀργεῖοι τὸ Παλλάδιον ἔχοντες. καὶ οἱ μὲν ταφέντες ἀγνῶτες προσηγορεύθησαν τοῦ θεοῦ χρήσαντος, αὐτόθι δ’ ἱδρύθη τὸ Παλλάδιον, καὶ περὶ τῶν ἀκουσίων ἐν αὐτῷ δικάζουσιν. τὸ ἐπὶ Δελφινίῳ ἱδρῦσθαι μὲν ὑπὸ Αἰγέως λέγεται Ἀπόλλωνι Δελφινίῳ καὶ Ἀρτέμιδι Δελφινίᾳ, ἐκρίθη δὲ ἐν αὐτῷ πρῶτος Θησεὺς ἀφοσιούμενος τὸ ἄγος τῶν ὑπ’ αὐτοῦ ἀνῃρημένων λῃστῶν καὶ τῶν Παλλαντιδῶν, οὓς ὡμολόγει μὲν ἀποκτεῖναι, δικαίως δ’ ἔφη τοῦτο δεδρακέναι. (120) τὸ ἐπὶ πρυτανείῳ δικάζει περὶ τῶν ἀποκτεινάντων, κἂν ὦσιν ἀφανεῖς, καὶ περὶ τῶν ἀψύχων τῶν ἐμπεσόντων καὶ ἀποκτεινάντων. προειστήκεσαν δὲ τούτου τοῦ δικαστηρίου φυλοβασιλεῖς, οὓς ἔδει τὸ ἐμπεσὸν ἄψυχον ὑπερορίσαι. τὸ ἐμ Φρεαττοῖ. ἐν τούτῳ ἐκρίνετο εἴ τις τῶν φευγόντων ἐπ’ ἀκουσίου φόνου αἰτίᾳ δευτέραν αἰτίαν ἑκουσίου προσλάβοι. ἦν δ’ ἐπὶ θαλάττῃ τὸ δικαστήριον, καὶ τὸν ἐν αἰτίᾳ προσπλεύσαντα τῆς γῆς οὐ προσαπτόμενον ἀπὸ τῆς νεὼς ἐχρῆν ἀπολογεῖσθαι, μήτ’ ἀποβάθραν μήτ’ ἄγκυραν εἰς τὴν γῆν βαλλόμενον. App. crit.: (117) πλὴν add F; (118) ἀνεφιαδῶν Demosthenes.

332  Übersetzung nach E. Meyer.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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(117) Gerichtshöfe (dikastḗria) in Athen. Areopag: Geurteilt hat er über Tötung und Körperverletzung aus Vorsatz und über Brandstiftung und Giftmittel, wenn einer [einen anderen] getötet hat, indem er [sie] ihm verabreicht hat. Eide (diōmosía) wurden geleistet und nach der diōmosía wurde ein Urteil (krísis) gefällt. Eine eröffnende Rede zu halten oder [sein Schicksal] zu beklagen war aber nicht möglich.333 Nach der ersten Rede war es möglich zu entfliehen (pheúgein), außer wenn jemand die Eltern getötet hat. Sie haben in jedem Monat an drei aufeinanderfolgenden Tagen Recht gesprochen (dikázein), am vierten, dritten und zweiten Tag vor Monatsende [= an den letzten drei Tagen des Monats]. (118) Die neun Archonten eines jeden Jahres wurden, nachdem sie Rechenschaft (euthýnai) gegeben hatten, stets unter die Areopagiten aufgenommen. Unter freiem Himmel haben sie geurteilt. Bei einer Tötung war es denen bis zu Geschwisterkindern (anepsioí; Neffen, Vettern) möglich, [den Täter] zu verfolgen [bzw.: anzuklagen], und beim Eid (hórkos) konnte gefragt werden, wie man mit dem Getöteten verwandt war. Auch wenn er [der Getötete] ein Sklave (oikétēs) war, war gestattet, Klage zu erheben. Der [Gerichtshof] beim Palladion: In diesen gelangen [Fälle] wegen unabsichtlicher Tötungen (akoúsioi phónoi). Nach der Einnahme Troias nämlich waren einige Argeier, die das Palladion bei sich hatten, in Phaleron angelandet und von den Einheimischen getötet worden, da sie sie nicht erkannt hatten. Sie [ihre Leichen] waren weggeworfen worden, und kein Lebewesen rührte sie an. (119) Akamas [der Bruder Demophons] aber erkannte, dass es Argeier waren, weil sie das Palladion hatten. Und die, die sie, ohne zu wissen, wer sie waren, bestattet hatten, wurden auf Geheiß des Gottes angeklagt; an dieser Stelle wurde aber das Palladion aufgestellt, und sie urteilen in diesem [Heiligtum] über die unabsichtlichen (akoúsioi) [Tötungen]. Der [Gerichtshof] beim Delphinion: man sagt, er sei unter Aigeus dem Apollon Delphinios und der Artemis Delphinia eingerichtet worden; über Theseus aber wurde als dem ersten in diesem [Gerichtshof] ein Urteil gesprochen, der sich vom Fluch (ágos) wegen der von ihm getöteten Seeräuber und Pallantiden durch Sühneopfer gereinigt hatte; er gestand zwar zu, sie getötet zu haben, brachte aber vor, dass dies zu Recht geschehen sei. (120) Der [Gerichtshof] beim Prytaneion urteilt über diejenigen, die getötet haben, wenn sie [die Täter] unbekannt sind, und über die leblosen Gegenstände, die [das Opfer] getroffen und getötet haben. Es standen diesem Gerichtshof (dikastḗrion) phylobasileís vor, die den leblosen Gegenstand, der [ihn] getroffen hatte, über die Grenze schafften. Der [Gerichtshof] in Phreatto. In diesem wird geurteilt, wenn einer, der wegen der Schuld an einer unabsichtlichen Tötung (akoúsios phónos) geflüchtet ist (pheúgōn), zusätzlich Schuld an einer absichtlichen Tötung (hekoúsios [phónos]) auf sich geladen hat. Der Gerichtshof (dikas­ tḗrion) lag am Meer, und der Schuldige fuhr [mit dem Boot] ans Land heran, ohne mit ihm in Berührung zu kommen, und verteidigte sich vom Schiff aus, wobei er weder einen Landesteg noch einen Anker auf das Land warf.

333  Boegehold 1995, 120 (T 2). Nach Antiph. 6,9 und Aristot. rhet. 1,1,5, 1354a 21–24 hatten die Redner sich vor Gericht aller rednerischen Ausschmückung zu enthalten (Theodor Thalheim, Art. Ἄρειος πάγος, in: RE 2,1 1895, 628–633, hier 631).

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

F 22f: Harpokration ε 173 s. v. ἐφέται (2. Jh. n. Chr.) (= Suda ε 3878 s. v. ἐφέται)

Ἐφέται· Δημοσθένης ἐν τῷ κατ’ Ἀριστοκράτους. οἱ δικάζοντες τὰς ἐφ’ αἵματι κρίσεις ἐπὶ Παλλαδίῳ καὶ ἐπὶ Πρυτανείῳ καὶ ἐπὶ Δελφινίῳ καὶ ἐν Φρεατοῖ ἐφέται ἐκαλοῦντο. App. crit.: φρέατι FVM, φρεατοῖ Harpokr. ep. Phot.; καλοῦνται Harpokr.

ephétai: Demosthenes [nennt sie] in der Rede Gegen Aristokrates. Diejenigen, die die Urteile (kríseis) wegen einer Bluttat beim Palladion, beim Prytaneion, beim Delphinion und in Phreato fällen, wurden ephétai genannt.334

F 22g: Helladios, Chrestomathia (4. Jh. n. Chr.) (Phot. Bibl. cod. 279 [535a 22–34])

Ὅτι ἐν ταῖς Ἀθήναις καὶ οὗτος τέσσαρα δικαστήρια φονικὰ εἶναι λέγει, α´ τὸ ἐν Ἀρείῳ πάγῳ, ὃ δικάζει τοὺς ἐκ προνοίας τὸν φόνον δεδρακότας, β´ τὸ ἐπὶ Παλλαδίῳ, ὅπερ ἐτάζει τοὺς ἀκουσίους, γ´ τὸ δὲ ἐπὶ Δελφινίῳ, ὃ συνίσταται ἐπὶ τῶν λεγόντων δικαίως τὴν ἀναίρεσιν πεποιηκέναι, καὶ τέταρτον τὸ ἐν Φρεατοῖ, ὃ δικάζει τὸν χρόνον μέν τινα φεύγοντα ῥητόν, αἰτίαν δὲ πρότερον ἔχοντα φόνου· ὅς καὶ κρινόμενος ἐπὶ νηὸς ἒξωθεν τοῦ Πειραιῶς ἀπολογούμενος ἅγκυραν καθίει, διότι ὁ νόμος αὐτὸν οὐκ ἐδίδου τῆς γῆς ἐπιβῆναι. Ἀρεοπαγῖται μὲν οὖν ἐκαλοῦντο οἱ τὸν ἑκούσιον φόνον κρίνοντες, οἱ δὲ ἐν τοῖς ἄλλοις δικαστηρίοις κοινῶς ἐφέται. Er [Helladios] sagt, dass es in Athen vier Gerichtshöfe (dikastḗria) für Tötungen gibt, als erster den am Areopag, der die Täter, die aus Vorsatz (ek pronoías) getötet haben, verurteilt, als zweites den beim Palladion, welcher über die unabsichtlichen (akoúsioi) [Tötungen] entscheidet, als drittes den beim Delphinion, der zusammentritt bei denen, die behaupten, zu Recht (di­ kaíōs) die Tötung begangen zu haben, und als viertes den ‚in Phreato‘, der über den urteilt, der für eine festgelegte Zeit aus Attika geflohen ist, aber Schuld trägt für eine frühere Tötung. Der Angeklagte verteidigt sich auf einem außerhalb des Piräus ankernden Schiff, weil das Gesetz ihm nicht gestattet, das Land zu betreten. Areopagiten heißen die, die über die absichtliche Tötung (hekoúsios phónos) urteilen, die in allen anderen Gerichtshöfen hingegen ephétai.

F 22h: Lexeis rhetorikai s. v. ἐν ποίοις δικαστηρίοις τίνες λαγχάνονται δίκαι (Lexica Segueriana; Anecdota graeca p. 310,28–311,25 Bekker)

ἐπὶ Παλλαδίῳ. οἱ ἀκούσιοι φόνοι ἐν τούτῳ ἐκρίνοντο. φάσι γὰρ Δημοφῶντα, ἁρπάσαντα Διομήδους τὸ Παλλάδιον, φεύγειν ἐφ᾽ ἅρματος, πολλοὺς δὲ ἐν τῇ φυγῇ ἀνελεῖν, συμπατήσαντα τοῖς ἵπποις. ὅθεν πρῶτον γενέσθαι ταύτην δίκην ἀκουσίων φόνων ἐπὶ Παλλαδίῳ. δικάζουσι δὲ ἐν τούτῳ οἱ ἐφέται. περὶ Ἀρείου πάγου. αὕτη κρίνει τὰς φονικὰς δίκας καὶ φαρμάκων καὶ πυρκαϊᾶς. εἰς ταύτην ἀναβαίνουσιν οἱ καλῶς ἄρξαντες θεσμοθέται, ἀνυπεύθυνοι γενόμεοι. 334 Da ephétai in Demosth. or. 23 nur in dem eingelegten Gesetz in § 37 und in der Wiedergabe durch Demosthenes in § 38 genannt sind, kann sich die Erklärung Harpokrations allein darauf beziehen. Harpokration verband dies mit den in § 65 ff. genannten Gerichtsorten. Ein Missverständnis wird die Einbeziehung des Prytaneions sein; an diesem Gerichtshof urteilten die ephétai nicht (Hignett 1952, 306, vgl. 309).

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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ἐπὶ Δελφινίῳ ὁμολογούμενος φόνος ἔννομος δικάζεται. ἐπὶ Πρυτανείῳ. ἐὰν λίθος ἢ σίδηρος ἢ ξύλον φανῇ, τὸν δράσαντα ἀγνοῇ. Ἐν Ζέᾳ. τόπος ἐστὶ παράλιος. ἐνταῦθα κρίνεται ὁ ἐπ᾽ἀκουσίῳ μὲν φόνὼ φεύγων, αἰτίαν δὲ ἔχων ἐπὶ ἑκουσίῳ φόνῳ. Ἐν Φρεαττοῖ. οἱ ἐπ᾽ἀκουσίῳ φόνῳ φεύγοντες, ἐπ᾽ἄλλῳ δέ τινι κρινόμενοι· οἳ ἐπὶ πλοίῳ ἐστῶτες ἀπολογοῦνται. App. crit.: ἐφάμαρτος cod.

Beim Palladion: Über die unabsichtlichen Tötungen (akoúsioi phónoi) wurde in diesem [Gerichtshof] das Urtel gesprochen. Es heißt nämlich, dass Demophon, der dem Diomedes das Palladion geraubt hatte, auf einem Wagen geflohen sei und viele mit seinen Pferden niedergetrampelt und so auf seiner Flucht getötet habe. Deswegen wurde zum ersten Mal beim Palladion ein solches Rechtsverfahren wegen unabsichtlicher Tötung (akoúsios phónos) durchgeführt. Die ephétai sprechen dort Recht. Über den Areopag: Dieser verhandelt die Tötungsklagen (díkai phonikaí) und [Fälle] von Vergiftung und Brandstiftung. In diesen aufgenommen werden die Thesmoteten, die ihr Amt ordnungsgemäß ausgeübt und die Rechenschaftspflicht erbracht haben. Beim Delphinion: eine eingestandene, aber als rechtmäßig (énnomos) angesehene Tötung wird [dort] verhandelt. Beim Prytaneion: Wenn ein Stein oder ein eiserner oder hölzerner Gegenstand [als Ursache der Tötung] erkannt wurde, der Urheber aber unbekannt ist. In Zéa: Es ist eine Örtlichkeit an der Küste. Dort wird über den wegen unabsichtlicher Tötung (akoúsios phónos) Verbannten (pheúgōn), der einer absichtlichen Tötung (hekoúsios phónos) beschuldigt wird, gerichtet. In Phreatto: Diejenigen, die wegen unabsichtlicher Tötung (akoúsios phónos) außer Landes gegangen sind (pheúgontes), aber wegen einer anderen angeklagt werden, wobei sie sich auf einem Boot stehend verteidigen.

Für einen Kommentar siehe die den einzelnen Gerichtshöfen zugewiesenen Fragmente (F 23–31). F 23 vor dem Areopag verhandelte Tötungen (vorsätzliche Tat) (F 23a: F 4/1a Leão/Rhodes; F 23g: T 396 Martina; 23i: F 4/1b Leão/Rhodes; 23n: F 39 Ruschenbusch, Leão/Rhodes)

F 23a: Gesetz in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 22 (um 600 v. Chr. in der Revision des späten 5. Jh.) νόμος ἐκ τῶν φονικῶν νόμων τῶν ἐξ Ἀρείου πάγου: „δικάζειν δὲ τὴν βουλὴν τὴν ἐν Ἀρείῳ πάγῳ φόνου καὶ τραύματος ἐκ προνοίας καὶ πυρκαϊᾶς καὶ φαρμάκων ἐάν τις ἀποκτείνῃ δούς“. App. crit.: solum vocabulum νόμος in S rubro liquore scriptum est, verba ἐκ τῶν … πάγου om. cod. unus: suspectat Dindorf tamquam ex § sumpta.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Gesetz aus den Tötungsgesetzen (phonikoí nómoi) des Areopags: „Urteilen (dikázein) aber soll der Rat auf dem Areopag über Tötung (phónos) und Körperverletzung (traúma) aus Vorsatz (ek pronoías) sowie Brandstiftung (pyrkaïá) und Giftstoffe (phármaka), wenn jemand getötet hat, indem er es gegeben hat“.

F 23b: Hellanikos von Mytilene, FgrHist 323a F 1 (2. Hälfte 5. Jh. v. Chr.) (Synagoge lexeon chresimon s. v. Ἄρειος πάγος, Anecd. gr. I p. 444,1–11 Bekker; Etym. Gen. p. 41 Miller; Etym. M. 139,8; Suda α 3838 s. v. Ἄρειος πάγος)

Ἄρειος πάγος: δικαστήριον Ἀθήνησιν. ἦσαν οὖν Ἀθήνησιν βουλαὶ β´, ἡ μὲν τῶν φ´, καθ᾿ ἕκαστον ἐνιαυτὸν κληρουμένη βουλεύειν, ἡ δὲ εἰς βίον τῶν Ἀρεοπαγιτῶν. ἐδίκαζε δὲ τὰ φονικὰ, καὶ τὰ ἄλλα πολιτικὰ διῴκει σεμνῶς. ἐκλήθη δὲ Ἄρειος πάγος, ἤτοι ὅτι ἐν πάγῳ ἐστὶ καὶ ἐν ὕψει τὸ δικαστήριον. Ἄρειος δὲ, ἐπεὶ τὰ φονικὰ δικάζει, ὁ δὲ Ἄρης ἐπὶ τῶν φόνων· ἢ ὅτι ἔπηξε τὸ δόρυ ἐκεῖ ὁ Ἄρης ἐν τῇ πρὸς Ποσειδῶνα ὑπὲρ Ἁλιρροθίου δίκῃ, ὅτε ἀπέκτεινεν αὐτὸν βιασάμενον Ἀλκίππην, τὴν αὐτοῦ καὶ Ἀγραύλου τῆς Κέκροπος θυγατρέρα, ὥς φησιν Ἑλλάνικος ἐν α´. App. crit.: βίον Becker, μίαν cod.; Ἄρειος δὲ, ἐπεὶ τὰ φονικὰ δικάζει: ὁ δὲ ἄρης ἐπὶ τῶν φόνων Eudemos, Ἄρειος δὲ ἐπεὶ τὰ φονικὰ· δικάζει δὲ ὁ Ἄρης ἐπὶ τὸν φόνον Becker, Ἄρειος δὲ, ἐπεὶ τὰ φονικὰ δικάζει, ὁ δὲ Ἄρης ἐπὶ τῶν φόνων Jacoby; θυγατρὸς Becker, θυγατρέρα Jacoby.

Areopag: Gerichtshof (dikastḗrion) in Athen. Es gab nämlich in Athen 2 Räte, den der 500, deren Ratsmitglieder auf ein Jahr erlost wurden, wohingegen der der Areopagiten auf Lebenszeit bestimmt war. Er urteilte bei Tötungsdelikten (ta phoniká) und kümmerte sich um andere politische Angelegenheiten gewissenhaft. Er wurde deswegen Areopag genannt, weil er auf einem Felshügel (págos) lag und der Gerichtshof am höchsten Punkt, ‚Areios‘ aber [heißt er], weil er über Tötungen urteilte; Ares hat nämlich mit Tötungen zu tun. Oder weil er dort den Speer [in den Boden] heftete im Rechtsstreit mit Poseidon über Halirrhotios, den er [Ares] getötet hatte, weil dieser Alkippe, seine und der Agraulos’ Tochter, Enkelin des Kekrops, vergewaltigt hatte, wie Hellanikos im ersten Buch erzählt.335

F 23c: Hellanikos, FgrHist 323a F 22a–b (2. Hälfte 5. Jh. v. Chr.) (Schol. Eur. Or. 1648 und Schol. Eur. Or. 1651)

(Schol. Eur. Or. 1648) περὶ τῆς Ὀρέστου κρίσεως ἐν Ἀρείωι πάγωι ἱστορεῖ καὶ Ἑλλάνικος ταῦτα γράφων· „τοῖς ἐκ Λακεδαίμονος ἐλθοῦσι καὶ τῶι Ὀρέστηι οἱ Ἀθηναῖοι *** ἔφρασαν. τέλος δὲ ἀμφοτέρων ἐπαινούντων οἱ Ἀθηναῖοι τὴν δίκην ἐνέστησαν ἐννέα γενεαῖς ὕστερον μετὰ τὴν Ἄρει καὶ Ποσειδῶνι περὶ Ἁλιρροθίου δίκην, μετὰ δὲ τὴν Κεφάλου τοῦ Δηιονέως, ὅστις τὴν Πρόκριν τὴν Ἐρεχθέως ἔχων γυναῖκα καὶ ἀποκτείνας ἐξ Ἀρείου πάγου δίκην [ὡς δικασθεὶς] ἔφυγεν, ἓξ γενεαῖς ὕστερον. μετὰ δὲ τὴν Δαιδάλου δίκην Τάλω σοφίας πέρι ἀγωνιζόμενον ἀδελφιδοῦν ἀποκτείναντος

335  Ähnlich Maximus Confessor, Prolog des Kommentars zu Ps.-Dionysius Areopagita (Migne, Patrologia Graeca 4 p. 16f; F 36a): „Außerhalb der [Akro-]Polis lag der Gerichtshof unterhalb des áreios págos (tó katá áreion págon dikastḗrion), so bezeichnet (wie die Athener erzählen) wegen des im Streit zwischen Poseidon und Ares eingerichteten Gerichtshofs, der unterhalb der Kuppe des unterhalb der [Akro-]Polis liegenden Berges lag. Poseidon nämlich hat, so erzählen die alten athenischen Mythen, Ares an dieser Stelle angeklagt, indem er behauptete, dass sein eigener Sohn Halirrhotios von Ares getötet worden sei. Von daher wurde jener Hügel von Ares Areios genannt“.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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δολόεντι θανάτωι καὶ φυγόντος δίκην, τρισὶ γενεαῖς ὕστερον αὕτη ἡ τῆς Κλυταιμνήστρας τῆς Τυνδάρεω Ἀγαμέμνονα ἀποκτεινάσης ὑπὲρ Ὀρέστου δίκη ἐγένετο“. (Schol. Eur. Or. 1651) πάγοισιν ἐν Ἀρείοισιν] ἐνταῦθα πρῶτον μὲν Ἄρης καὶ Ποσειδῶν ἠγωνίσαν­ το, δεύτερον δὲ μετὰ τρεῖς γενεὰς Κέφαλος ‹ὁ› Δηιονέως ἐπὶ γυναικὶ Πρόκριδι, καὶ μετὰ τρεῖς Δαίδαλος ἐπὶ τῶι ἀδελφιδῶι Τάλωι, εἶτα μετὰ τρεῖς Ὀρέστης, ὡς Ἑλλάνικος. App. crit.: (Or. 1648) *** ἔφρασαν Schwartz, οἱ Ἀθηναῖοι ἐχρημάτισαν Kirchhoff; οἱ Ἀθηναῖοι ‹ἐν Ἀρείωι πάγωι› Schwartz, οἱ Ἀρεοπαγῖται Kirchhoff; ἐνέστησαν MTA, ἔστησαν B, ἔκριναν ** Kirchhoff; μετὰ τὴν Kirchhoff, δὲ μετὰ τῶ MT, δὲ τὴν A, δὲ B, ἢ τὴν Schwartz; Ἄρει τε A, ἄρης καὶ ποσειδῶν B; περὶ: ὑπερ? Jacoby; ἀλλιρόθου M, ἁλλιροθίου T, ἁλιρροθίας A; δίκην ‹γενομένην› Kirchhoff; μετὰ δὲ τὴν A, εις(τ) M, εἶτα TB; Κεφάλου τοῦ Δηιονέως v, κεφαλὴν τοῦ δηιόνος A, κέφαλος ὁ δηιονέως MB, κέφαλος δήιος ἕως T; τὴν om. B; [ὡς δικασθεὶς] Jacoby, καταδικασθεὶς Kirchhoff, [ὡς] δικασθεὶς Schwartz; γενεαῖς B, γενεὰς M, γενεᾶς T, γενέας A; Τάλω … τὸν ἀδελφιδοῦν (ὄντα ? Jacoby) Meursius, καλοσοφίας (κάλλος σοφίας T) περιαγομένου ἀδελφιδοῦν MAT, ἀδελφιδοῦν τάνταλον B, Τάλω τὸν ἀδελφιδοῦν etc. Schwartz; τῆς κλυταιμνήστρας τῆς τυνδάρεως ἀγαμέμνονα ἀποκτεινάσης A, κλυταιμνήστρα τῆς τυνδάρεως (-εω M) ἀγαμέμνονος ἀποκτεινάσης MT, κλυταιμνήστρα ἡ τυνδάρεως ἀγαμέμνονα ἀποκτείνασα B; ὕστερον. αὔτη Κλυταιμνήστραι τῆς Τυνδάρεω Ἀγαμέμνονα ἀποκτεινάσηι Kirchhoff; ὑπὲρ Jacoby, ὑπὸ ο ὑπὸ ὀρέστου δίκη ἐγένετο MTA; καὶ ὑπὸ ὀρέστου ἀποκτανθεῖσα συγκροτηθῆναι δίκην τωι ὀρέστηι ὑπὸ εὐμενίδων παρεσκεύασεν (scil. ἡ Κλυταιμνήστρα), ὃς μετὰ τὴν κρίσιν ἐπανελθὼν ἄργους ἐβασίλευσεν ἐδίκασεν δὲ ἀθηνᾶ καὶ ἄρης B; (Or. 1651) δὲ om. T; τρεῖς MT, τρίτης A; ‹ὁ› Δηιονέως Schwartz, δηιόνος o; τρεῖς MT, τρίτην A; ἐπὶ τῶι TA, ἐτῶ M; τάλλωι T, ταντάλω M; τρεῖς MT, τρίτην A.

(ad v. 1648) Vom Urteil über Orest im Areopag berichtet auch Hellanikos, indem er dies schreibt: „Den aus Lakedaimon Herbeigekommenen und dem Orest erteilten die Athener [diesen Bescheid]. Weil beide Seiten den Ausgang [des Falles] lobten, richteten die Athener das Rechtsverfahren [wegen Tötung dort] ein, neun Generationen nach dem Rechtsstreit zwischen Ares und Poseidon über Halirrhotios, sechs Generationen nach dem [Verfahren] gegen Kephalos, Sohn des Deioneus, der seine Frau, die Erechtheustochter Prokris, getötet hatte und deswegen, vom Areopag verurteilt, floh, und nach dem Verfahren gegen Daidalos, der seinen Neffen Talos, der mit ihm um die Erfindungsgabe wetteiferte, mit einer List getötet hatte und vor Gericht belangt wurde. Drei Generationen später fand dort das Verfahren gegen Orest wegen [der Tötung] der Tyndareostochter Klytaimnestra statt, die den Agamemnon getötet hatte“. (ad v. 1651) auf Areios’ Hügeln: hier stritten [vor Gericht] als erste Ares und Poseidon, als nächste drei Generationen später Kephalos, Sohn des Deioneus, wegen [der Tötung] seiner Frau Prokris und weitere drei [Generationen] später Daidalos wegen [der Tötung] seines Neffen Talos, schließlich nach weiteren drei [Generationen] Orest, wie Hellanikos [berichtet].

F 23d: Gesetz in Lysias, Gegen Eratosthenes (or. 1) 30 (= F 28a) und 50 (403–380 v. Chr.) (30) ἀνάγνωθι δέ μοι καὶ τοῦτον τὸν νόμον ‹τὸν› ἐκ τῆς στήλης τῆς ἐξ Ἀρείου πάγου. ΝΟΜΟΣ

Ἀκούετε, ὦ ἄνδρες, ὅτι αὐτῷ τῷ δικαστηρίῳ τῷ ἐξ Ἀρείου πάγου, ᾧ καὶ πάτριόν ἐστι καὶ ἐφ’ ἡμῶν ἀποδέδοται τοῦ φόνου τὰς δίκας δικάζειν, … (50) ἐγὼ γὰρ νῦν καὶ περὶ τοῦ σώματος καὶ περὶ τῶν χρημάτων καὶ περὶ τῶν ἄλλων ἁπάντων κινδυνεύω, ὅτι τοῖς τῆς πόλεως νόμοις ἐπειθόμην. App. crit.: (30) τὸν νόμον ‹τὸν› Westermann; ἀποδέδοται O, ἀποδίδοται cett.; (50) τῆς πόλεως om. C; ἐπιθόμην C, ἐπειθόμην rell.

212

Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

(30) Lies mir aber auch dieses Gesetz (nómos) von der Stele vom Areopag vor: Gesetz

Ihr hört also, Geschworene, dass dem Gerichtshof (dikastḗrion) des Areopags selbst, dem es dem Herkommen gemäß (pátrion) und bis in unsere eigene Zeit hinein obliegt, die Klagen wegen Tötung (phónou díkai) zu entscheiden, … (50) Ich nämlich riskiere jetzt mein Leben, mein Vermögen und alles andere, nur weil ich den Gesetzen der Stadt gehorcht habe [und den bei der Tat ergriffenen Ehebrecher getötet habe].

F 23e: Ps.-Lysias, Gegen Andokides (or. 6) 15 (399 v. Chr.) ἂν μέν τις ἀνδρὸς σῶμα τρώσῃ, κεφαλὴν ἢ πρόσωπον ἢ χεῖρας ἢ πόδας, οὗτος μὲν ‹κατὰ› τοὺς νόμους τοὺς ἐξ Ἀρείου ‹πάγου› φεύξεται τὴν τοῦ ἀδικηθέντος πόλιν {ἢ τραύματος ἐκ προνοίας}; καὶ ἐὰν {μὲν} κατίῃ, ἐνδειχθεὶς θανάτῳ ζημιωθήσεται. App. crit.: αὐτὸς L, οὗτος Dobree; κατὰ om. X et GKM; πάγου om. libri uno, ut videtur, K excepto; post πόλιν quae libri habent ἢ τραύματος ἐκ προνοίας Bekk. inclusit, Scheibe Tayloro monente cum Turr. omisit; ἐὰν κατίῃ C: ἐὰν μὲν κατίῃ X et cett.; ζημιώσεται Cobet.

Wenn jemand einen anderen körperlich verletzt, an Kopf, Gesicht, Händen oder Füßen, so wird er, entsprechend den Gesetzen vom Areopag aus der Stadt des Geschädigten verbannt {oder wegen Verletzung aus Vorsatz}; und wenn er zurückkommt, kann er angezeigt und zum Tode verurteilt werden.

F 23f: Demosthenes, Gegen Leptines (or. 20) 157 (355/54 v. Chr.) φέρε γὰρ πρὸς Διός, τί μάλιστ’ ἂν ἀπευξαίμεθα πάντες, καὶ τί μάλιστ’ ἐν ἅπασι διεσπούδασται τοῖς νόμοις; ὅπως μὴ γενήσονται οἱ περὶ ἀλλήλους φόνοι, περὶ ὧν ἐξαίρετος ἡ βουλὴ φύλαξ ἡ ἐν Ἀρείῳ πάγῳ τέτακται. Denn bei Zeus, was ist es, das wir alle am meisten wohl zu vermeiden wünschen und auf das alle Gesetze (nómoi) mit größter Mühe hinarbeiten? Dass nicht gegenseitige Tötungen (phó­ noi) begangen werden, über die der Rat auf dem Areopag als auserwählter Schützer (phýlax) eingesetzt worden ist.

F 23g: Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 65–70 (siehe F 22a) F 23h: Aristoteles, Politik 4,16, 1300b 24–26 (siehe F 22b) F 23i: Aristoteles, Athenaion politeia 57,3 (siehe F 22c) F 23j: Aristoteles, Athenaion politeia 47,2 (320er Jahre) οἱ πωληταὶ ῑ μέν εἰσι … καὶ τὰς οὐσίας τῶν ἐξ Ἀρείου πάγου φευγόντων καὶ τῶν ἄλλ[ων] ἐναντ[ίον τῆς β]ουλῆς πωλοῦσιν, κατακυροῦσι δ’ οἱ θʹ ἄρχοντες. App. crit.: πολησαὶ L, corr. L4; ἄλλων] lectio incerta sed probabilis

Die 10 pōlētaí … verkaufen auch das Vermögen derer, die [während eines Prozesses] aus dem Areopag ins Exil gehen (pheúgontes), und der anderen [Verurteilten] in Gegenwart des Rates; die 9 Archonten aber machen [den Verkauf] rechtskräftig.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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F 23k: Pausanias, Graeciae descriptio 1,28,5–6 (siehe F 22d) F 23l: Pollux, Onomastikon 8,117–118 (siehe F 22e) F 23m: Claudius Aelianus, Varia historia 5,15 (um 200 n. Chr.) Ὅτι δικαστήρια ἦν Ἀττικὰ περὶ μὲν τῶν ἐκ προνοίας ἀποκτεινάντων ἐν Ἀρείῳ πάγῳ, περὶ δὲ τῶν ἀκουσίως ἐπὶ Παλλαδίῳ. Gerichtsverhandlungen über die, die aus Vorsatz (ek pronoías) getötet hatten, fanden in Athen im Areopag, über die, die unabsichtlich (akousíōs) [getötet hatten], beim Palladion statt.

F 23n: Libanius, Declamationes 19,1,7 (VI p. 269,11 Förster) (4. Jh. n. Chr.) παρελθὼν γὰρ ἀναγνώσομαι μὲν τοὺς νόμους τοὺς Σόλωνος οἳ τὸν Ἀθηναῖον Ἀθήνησι κρίνουσιν, οὐκ ἄκριτον ἐγχειρίζουσιν ἀνομίᾳ τυράννων. App. crit.: τοὺς2 Förster: τοῦ codd.

Vortretend werde ich euch die Gesetze (nómoi) Solons vorlesen, die den Athener in Athen aburteilen und nicht ohne Urteil (ákritos) [zur Hinrichtung] aushändigen, nach Art der Tyrannen.

F 23o: Antike Lexikographen Lexeis Rhētorikai s. v. Ἄρειος πάγος (Anecd. gr. I, p. 197,22 f. Bekker): τὸ Ἀθήνησι δικαστήριον τῆς βουλῆς τῆς αὐτόθι. – Areopag: In Athen der Gerichtshof (dikastḗrion) des dortigen Rats. Hesychios s. v. Ἄρειος πάγος: ἐν Ἀθήναις δικαστήριον ἐν τῇ ἀκροπόλει. – Areopag: In Athen ein Gerichtshof (dikastḗrion) auf der Akropolis. Stephanos von Byzanz s. v. Ἄρειος πάγος: ἀκρωτήριον Ἀθήνησιν, ὡς Ἀπολλόδορος ἐν τῴ Περὶ θεῶν θ, ἐν ᾧ τὰς φονικὰς κρίσεις ἐδίκαζον διὰ τὰς ἀπὸ τοῦ σιδήρου γινομένας μιαιφονίας. – Areopag: Berg in Athen, wie Apollodor im 9. [Buch] Über die Götter (FgrH 244 F 94) sagt, auf dem die Tötungsdelikte wegen den mit der Waffe verursachten Mordbefleckungen entschieden wurden. Vgl. Plutarch, Solon 19,3 (= F 5): οἱ μὲν οὖν πλεῖστοι τὴν ἐξ Ἀρείου πάγου βουλήν, ὥσπερ εἴρηται, Σόλωνα συστήσασθαί φασι, καὶ μαρτυρεῖν αὐτοῖς δοκεῖ μάλιστα τὸ μηδαμοῦ τὸν Δράκοντα λέγειν μηδ’ ὀνομάζειν Ἀρεοπαγίτας, ἀλλὰ τοῖς ἐφέταις ἀεὶ διαλέγεσθαι περὶ τῶν φονικῶν. – Die meisten behaupten nun, wie gesagt, Solon habe den Areopagrat begründet, und ein Beleg dafür scheint zu sein, dass Drakon ihn nirgends erwähnt oder die Areopagiten nennt, sondern in Bezug auf die Tötungsgesetze (hoi phonikoí) immer nur von den ephétai spricht.

In den Fragmenten zum drakontischen Gesetz über die Tötung gibt es keine expliziten, sondern nur indirekte Hinweise darauf, wie bei einer vorsätzlichen Tötung zu verfahren sei. Denn Drakon ging es vermutlich darum, die Kette der Blutracheverfahren zu beenden, die sich aus dem kylonischen Putsch ergeben hatte, und bei diesen Tötungen handelte es sich um nicht vorsätzliche und durch Veranlassung (von Magistraten) geschehene. Der fehlende Vorsatz und die Schuldbeteiligung eines jeden einzelnen mussten aber in einem Verfahren unter Leitung des (árchon) basileús durch

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

die ephétai bestätigt werden, indem beide Parteien Eide leisteten. Anschließend sollte über eine Aussöhnung verhandelt werden. Da es sich um eine spezifische Regelung einer konkreten Reihe von Tötungsdelikten handelte, blieb wahrscheinlich die vorsätzliche Tötung aus dem Gesetz ausgeklammert und verlief in den Bahnen, in denen herkömmlicherweise die Blutrache bei vorsätzlicher Tat ablief. Solon schuf auf dieser gesetzlichen Grundlage ein nun systematisch angelegtes Gesetz und darauf abgestimmte Rechtsverfahren, beginnend mit der vorsätzlichen Tötung (F 23a). Dies entspricht auch der Reihenfolge, in der bei Demosthenes, in der Politik des Aristoteles, in der Athenaion politeia, bei Pausanias und Pollux (F 22a–e) die athenischen Gerichtshöfe für Tötungsdelikte vorgestellt werden. Verlief die Blutrache bei vorsätzlicher Tötung vorher in den üblichen Formen von Ankündigung und Verfolgung, forderte Solon – analog zum Gesetz Drakons – nun auch für die Tötung aus Vorsatz ein vorausgehendes Verfahren, wie Demosthenes und möglicherweise ihm folgend in der Spätantike noch Libanios hervorheben;336 über die Schuld an der Tötung und die Vorsätzlichkeit sollte der Areopag unter Leitung des basileús oder der ba­ sileís entscheiden, wenn Klage – eine díkē phónou (F 23d) – eingereicht worden war.337 Auffällig ist die Lage dieses Gerichtshofs, vermutlich unterhalb der höchsten Stelle des Areopaghügels, also am nordöstlichen Fuß der Anhöhe, vermutlich unter der späteren Kirche des hl. Dionysios Areopagita. Pausanias bezeugt, dass unmittelbar neben dem Gerichtshof in einer Felsspalte das Heiligtum der Semnai bzw. Erinyen lag, dort wo man den Schwur leistete und die Freigesprochenen opferten.338 Es mag also sein, 336  Für die klassische Zeit bestätigt Demosth. or. 23,25 ausdrücklich, dass der Gesetzgeber mit „wenn er getötet hat“ gleichwohl ein (Gerichts-)Urteil (krísis) vorgeschrieben hat, bevor der Täter erleidet, was notwendig ist. In declamatio 19 (F 23n), die sich mit Demosthenes auseinandersetzt, hebt Libanius hervor, dass sie in Athen keinen Athener ohne Urteil (ákritos) den Elfmännern zur Hinrichtung „in die Hände geben“ (ἐγχειρίζουσιν). Auch Eberhard Ruschenbusch (2010, 77 zu F 39) versteht die Aussage des Libanios so, dass Solon die Selbsthilfe zur Durchsetzung eines Anspruchs an ein vorgängiges Urteil des Gerichts band. Hatte durch die Satzung Drakons dies bereits für die unabsichtliche Tötung gegolten, wurde dies von Solon auch auf die absichtliche ausgedehnt. Leão/Rhodes 2015, 67 weisen zu Recht darauf hin, dass mit den verfahrensrechtlichen Regelungen bei Tötungsdelikten nicht jegliche Eigenmacht unterbunden war. 337  So auch Deinarch. 1,6. In seiner Kommentierung des in or. 23,22 (F 23a) eingelegten Gesetzes sagt der Sprecher in or. 23,26, dass der Gesetzgeber (in diesem Fall Solon) festgelegt habe, „wenn jemand einen getötet habe, solle der Rat urteilen“ (ἄν τις ἀποκτείνῃ τινά, τὴν βουλὴν δικάζειν), womit der Areopag gemeint ist. Ähnlich or. 23,215: ἄν τις ἀποκτείνῃ, τὴν βουλὴν δικάζειν. Zum Areopag als Gerichtshof bei vorsätzlichen Tötungen, allerdings ohne Berücksichtigung der atthidographischen Quellen, Charlotte Schubert, Der Areopag als Gerichtshof, in: ZRG Rom. Abt. 117, 2000, 103–132, hier 103–115. 338  Deinarch. 1,47; Paus. 1,28,6. Eur. Iph. T. 968 f.: Nach dem Freispruch des Orest hätten die Athener den Erinyen am Ort des Urteils „einen heiligen Bezirk abgegrenzt“ (ἱερὸν ὡρίσαντο). Die Altäre der Semnai bzw. Erinyen sind des Weiteren belegt in: Aischyl. Eum. 804 ff.; Soph. Oid. K. 89 f., 1590 f.; Aristoph. Thesm. 224.931.940; Deinarch. 1,64.87; Paus. 7,25,2; Val. Max. 5,3 ext. 3; Diog. Laert. 1,112; Kurt Wachsmuth, Theodor Thalheim, Art. Areopag, in: RE 2,1, 1895, 627–633. Wallace 1985, 215–218 hatte die Vermutung geäußert, dass die Versammlungsstätte des Areopags unter der heutigen Kirche des hl. Dionysios Areopagita lag, also unmittelbar neben den Altären der Semnai und direkt unterhalb der 115 m hohen Kuppe des Areopaghügels. Vage und ohne Berücksichtigung der von Wallace angeführten Quellen

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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dass das Gesetz Drakons das Ziel der Befriedung der athenischen Gesellschaft nicht erreicht hatte und sich die Stimmung weiter gegen die Verantwortlichen für die Tötung der Kylonanhänger aufgeladen hatte. Die an der Tötung Schuldigen sollten sich erneut für das ‚Abschlachten‘ an den Altären verantworten, und zwar an der Stätte bzw. in unmittelbarer Nachbarschaft zum Ort des Geschehens, neben dem Heiligtum der Semnai. Um eine höhere Akzeptanz der Urteile zu erreichen, sollten nicht nur einundfünfzig Urteilende, die ephétai, entscheiden, sondern dreihundert nach Vorzüglichkeit ausgesuchte Athener, welche von dieser Zeit an den Rat der Areopagiten als Gerichtshof bildeten. Solons ‚Gesetz über die Tötung‘ war auf einer Stele am Eingang zum Areopag aufgestellt (F 23d);339 in klassischer Zeit begegnet auch die Bezeichnung ‚Tötungsgesetze vom Areopag‘ (F 23a). Zur Systematisierung und genauen Verfahrensregelung Solons gehörte es auch, dass er nicht nur die vorsätzliche Tötung selbst, sondern auch die vorsätzliche Körperverletzung, vermutlich mit Todesfolge, Brandstiftung und Tötung durch verabreichte Giftmittel einbezog (F 23i und l).340 Die rechts- und althistorische Forschung ist vielfach davon ausgegangen, dass Solon die Gesetze über die Tötung revidiert und insbesondere die Strafe für die Tötung aus Vorsatz verschärft habe. Aus der inschriftlichen Wiederaufzeichnung des drakontischen Gesetzes aus dem Jahr 409/8 lässt sich erschließen, dass die vorsätzliche Tat ein ‚Fliehen‘ (pheúgein) aus Attika zur Folge hatte – so wie die nicht vorsätzliche Tat auch –, aber hinzutrat, dass eine Aussöhnung und damit eine Rückkehr nach Athen ausgeschlossen waren; außerdem war das Vermögen ‚öffentlich‘. Solon habe die Strafe für die vorsätzliche Tat verschärft, indem er für dieses Delikt die Todesstrafe angeordbleiben die Überlegungen von Boegehold 1995, 44 und 91 f., dass das Gericht irgendwo auf dem Hügel getagt hätte. Wo genau dies gewesen sei, sei – da jegliche Befunde fehlten – nicht ersichtlich. 339  Dort befand sich auch ein, angeblich von Orest errichteter, Altar der Athena Areia (Paus. 1,28,5). Die Neuaufzeichnung von Drakons Gesetz wurde nach F 2 im Jahr 409/8 hingegen auf einer Marmorstele vor der Stoa Basileia, also auf der Agora, aufgestellt. Zur Unterscheidung der beiden Satzungen über die Tötung siehe auch Flament 2009. 340  Das ἐκ προνοίας bezieht sich sowohl auf Tötungen als auch auf Körperverletzungen (Rhodes 1981, 641). Dieses in Demosth. or. 23,22 wörtlich zitierte Gesetz ist kurz darauf in leicht gekürzter Form von dem Sprecher aufgegriffen worden (23,24: τὴν βουλὴν δικάζειν φόνου καὶ τραύματος ἐκ προνοίας καὶ πυρκαϊᾶς καὶ φαρμάκων ἐάν τις ἀποκτείνῃ δούς; or. 23,30: ἐάν τις ἀποκτείνῃ, τὴν βουλὴν δικάζειν εἶπεν). Nach Canevaro 2013, 40–47 ist der eingelegte Gesetzestext sehr früh in das Manuskript eingefügt worden und war bereits im ‚Urexemplar‘ Bestandteil des Textes. Eng am wörtlichen Zitat bleiben auch Poll. 8,117 und Ath. pol. 57,3, wobei der Autor ἐάν τις ἀποκτείνῃ δούς allein auf φαρμάκων bezieht. Aufgenommen ist dies von Platon in den Nomoi, indem er nicht nur die eigenhändige oder durch ein Werkzeug ausgeführte Tötung regelte, sondern auch die „durch Darreichung eines Getränks oder einer Speise oder durch Anwendung von Feuer oder Frost“ (9, 865b: ἢ πώματος ἢ σίτου δόσει ἢ πυρὸς ἢ χειμῶνος προσβολῇ); auch in Antiph. 6,15 wehrt sich der beklagte Choreut gegen den Vorwurf, er habe dem Knaben das Gift „gegeben“: οὔτε ἐκέλευσα πιεῖν τὸν παῖδα τὸ φάρμακον οὔτ’ ἠνάγκασα οὔτ’ ἔδωκα καὶ οὐδὲ παρῆ ὅτ’ ἔπιεν. Mirko Canevaro ist der Ansicht, dass τραύμα ἐκ προνοίας deswegen einbezogen ist, weil auch für eine solche vorsätzliche Tat der Areopag zuständig gewesen sei, nicht aber weil eine Körperverletzung mit Todesfolge gemeint sei (2013, 43).

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

net habe. Dies muss allerdings stärker differenziert werden. Da Solon an den Bestimmungen Drakons festhielt und dessen an einem konkreten Erfordernis ausgerichtetes Recht erweiterte und systematisierte, ist eine solche grundlegende Neuerung als problematisch zu werten. Man wird davon ausgehen können, dass auch im solonischen Gesetz die vorsätzliche Tat mit (immerwährender) Verbannung und Vermögenskonfiskation geahndet wurde.341 Wie Antiphons Tetralogien zeigen und Demosthenes sowie Pollux ausdrücklich bezeugen, bestand das Verfahren in klassischer Zeit aus einem zweifachen Paar von Rede und Gegenrede, wobei der Täter vor der zweiten Rede (deuterología) noch aus Attika weichen konnte, ohne dass ihn jemand daran hindern durfte.342 Wurde der Angeklagte nach der zweiten Rede schuldig gesprochen, wurde er hingerichtet. Der basileús konnte dann unmittelbar nach der Entscheidung – unter Abnehmen des Kranzes – den Exekutionsbefehl erteilen.343 Wie es zu dieser Strafverschärfung kam, dafür hat Gerhard Thür eine überzeugende Erklärung vorgelegt. Denn bereits im Gesetz Drakons war die Möglichkeit angelegt, den nicht geflohenen Täter zu töten oder ihn abzuführen, was zweifelsohne die Abführung zur Hinrichtung meint (F 8). Insofern sei schon im Gesetz Drakons nicht nur die eigenhändig vollzogene Tötung durch die Angehörigen, sondern subsidiär auch „die staatliche Exekution des Bannbrüchigen“ vorgesehen.344 Die Praxis, dass der Angeklagte nach der ersten Verteidigungsrede ungehindert das Land verlassen konnte, aber, wenn er die zweite Möglichkeit der Verteidigung in Anspruch nehmen wollte, das Risiko einging, anschließend als Bannbrüchiger hingerichtet zu werden, war kein allzu großer Schritt in der Entwicklung des Verfahrensrechts.345 Nach der ersten Anklage- und Verteidigungsrede hatten die Angehörigen auch kein Recht mehr dazu, eine Aussöhnung herbeizuführen und ein Wergeld anzunehmen. Infolge der Systematisierung durch Solon wurden vor dem Areopag ausschließlich Fälle vorsätzlicher Tötung behandelt. Alle anderen Fälle oblagen in spätarchaischer und klassischer Zeit einem aus den Areopagiten oder aus den dikastai ausgewählten 341  Auch Platon schließt in seinen Gesetzen die Aussöhnung bei der vorsätzlichen Tat aus und belegt den Täter mit immerwährender Verbannung (leg. 9,871d: ἀειφυγία). 342  Antiph. 4δ 1; 5,13; 6,7 und 14; Demosth. or. 23,69; Poll. 8,99 und 117 (Ruschenbusch 1966 zu F 15a–b). Dazu Heitsch 1984b, 4 f.; ders. 1989, 74: Bei der nicht vorsätzlichen Tötung ist dem Täter nach dem Urteil die Möglichkeit der Flucht garantiert, bei der vorsätzlichen nur vor dem Urteil. Heitsch sieht die deuterología als spätere Einrichtung an (ebd. 80 f.). Hingewiesen sei an dieser Stelle auf den Auszug aus einem „alten“ solonischen Gesetz, der in der zehnten Rede des Lysias (or. 10,17; F 38a) allerdings ohne Zusammenhang überliefert ist („ἐπεγγυᾶν δ’ ἐπιορκήσαντα τὸν Ἀπόλλω. δεδιότα δὲ δίκης ἕνεκα δρασκάζειν“. – „Wer einen Eid leistet, soll den Apollon als Bürgen anrufen. Wer aber das Urteil fürchtet, soll entweichen.“ Sollte die Möglichkeit zu entweichen, wenn man wegen der díkē Furcht hat, auf die Flucht aus Attika vor der zweiten Rede in Fällen vorsätzlicher Tötung bezogen sein? 343  Nach Philochoros FgrH 328 F 64b (Lex. rhet. Cantabr. p. 351,10) gingen die Archonten, nach Phot. und Suda s. v. νομοφύλακες gingen die Thesmotheten bekränzt zum Areopag. 344  Auch nach Deinarch. 1,6 konnte der Areopag in Fällen vorsätzlicher Tötung den Täter verbannen oder – wenn er nicht außer Landes ging – mit dem Tod bestrafen. 345  Thür 1990, 143 f., 155 f.; siehe zu dieser Frage auch Hirayama 2003, 94–96.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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Gremium von 51 ephétai, wobei das Verfahren inzwischen als reguläres Gerichtsverfahren abgehalten, also durch eine Klage eingeleitet wurde. Bei den von Solon vorgesehenen Verfahren wegen Tötung vor dem Areopag werden die auch schon von Drakon geforderten Eide, die dem Kläger und dem Angeklagten auferlegt wurden, beibehalten worden sein (F 38). Der Eid bedeutet eine Verfluchung der eigenen Person, für den Fall, dass eine Behauptung im Eid nicht der Wahrheit entspricht (assertorischer Eid). Geleistet wurde der Eid von zwei Felsbrocken aus, einem der hýbris, auf dem der Angeklagte stand, der durch seine Tat einen Frevel begangen hatte, und einem der anaideía, auf dem der Kläger stand, der dem Täter eine Aussöhnung (aídesis) verweigerte.346 Insofern können all die vor dem Areopag verhandelten Fälle als solche verstanden werden, bei denen die Angehörigen eine Aussöhnung verweigerten, eben weil sie der Ansicht waren, bei der Tat handle es sich um eine vorsätzliche Tötung. Angaben zu den Prozesstagen, wie sie bei Pollux erscheinen, sind wahrscheinlich erst für die klassische Zeit vorauszusetzen. Die darauf folgenden Ausführungen des Pollux zur Verhandlung unter freiem Himmel und der Verfolgung des Täters sind vermutlich ältere, auf das drakontische Gesetz zurückgehende Bestimmungen.347 Gerichtsverfahren wegen Tötungsdelikten sind in mythischen Brechungen und durch Gerichtsreden des 5. und 4. Jh. belegt. Obwohl es sich bei der Tötung des Halirrhotios durch Ares um die Tötung eines bei der Tat ergriffenen Vergewaltigers handelt, schrieb die attische Tradition das Verfahren dem Areopag zu, vielleicht weil Poseidon behauptete, es sei eine vorsätzliche Tat gewesen.348 Ähnliches gilt für das Verfahren gegen Kephalos (F 23c), der versehentlich seine Frau, die Erechtheustochter Prokris, getötet hatte.349 Orest, von den Erinyen verfolgt, soll vom Areopag von der Tötung freigesprochen worden sein.350 Da Apollon die Tat angeordnet hatte, als 346  Zu den Felsbrocken, von denen aus der Eid geleistet wurde (Paus. 1,28,5), siehe auch Eur. Iph. T. 962 f. 347  Die Verhandlung unter freiem Himmel bezeugen Aristot. Ath. pol. 57,4 zumindest für die Ephetengerichte, Antiph. 5,11 ausdrücklich für „alle Gerichtshöfe“ bei díkai phónou. 348  Unter rechtlichen Aspekten betrachtet ist es ein Grenzfall, weil der Vergewaltiger bei der Tat und von einem nahen Verwandten der Frau ergriffen wurde. Es waren also genau die Bedingungen erfüllt, die das Gesetz über die straffreie Tötung voraussetzte, allerdings beim ‚Ehebrecher‘, dem moichós. Neben F 22a, 23b–c und 23k siehe auch Philochoros FgrHist 328 F 3 (= Steph. Byz. s. v. Ἄρειος πάγος); nach Eur. El. 1258–1262 und Apollodor. Bibl. 3,180 urteilten die zwölf Götter auf dem Areopag über Ares und sprachen ihn frei); vgl. Deinarch. 1,87; Paus. 1,21,4; Marmor Parium FgrH 239,3; Aristeid. Panath. 46; 13,170. Vgl. Eur. Iph. T. 945 f. 349  Siehe neben Hellanikos FgrH 323a F 22 noch Apollodor. Bibl. 1,86; 3,198: Kephalos tötete Prokris versehentlich mit einem Speer bei der Jagd und wurde deswegen vom Areopag zu ewiger Verbannung verurteilt. Zu Daidalos Diod. 4,76; Paus. 1,21,4; Apollodor. Bibl. 3,9 und 214 (wegen der Tötung musste er aus Attika fliehen). 350  Zum Freispruch durch den Areopag: Eur. Iph. T. 965 f.; Nikolaos von Dam. FgrH 90 F 25, vgl. 48. Die Erinyen bestrafen bereits in den homerischen Epen ungebührliches Verhalten innerhalb der Familie (Hom. Od. 2,134–136; vgl. Aischyl. Choeph. 1048–1062; Eum. 94–117). Der Medea drohte die Rache der Erinyen wegen der Tötung der eigenen Kinder (Eur. Med. 1389), den Alkmaion verfolgte eine Erinye wegen des Muttermordes (Apollodor. Bibl. 3,87).

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Rache für die Tötung des Agamemnon, kann auch dieser Fall als Grenzfall angesehen werden.351 Demosthenes argumentiert in or. 23,66 historisch korrekt, wenn er behauptet, kein Tyrann, keine Oligarchie und keine Demokratie habe die Rechte des Areopags, in Fällen vorsätzlicher Tötung zu urteilen, beschnitten. Denn der Tyrann Peisistratos soll sich einer Anklage wegen Tötung gestellt haben,352 Ephialtes hatte ihm mit seiner Reform viele Kompetenzen genommen, nicht aber die, über vorsätzliche Tötung zu urteilen, und auch während der oligarchischen Umstürze am Ende des 5. Jh. wurde der Areopag in seinen Rechten nicht geschmälert. Um Tötungsdelikte geht es in den Tetralogien Antiphons (or. 2–4), in seinen Reden Gegen die Stiefmutter (or. 1), Über die Tötung des Herodes (or. 5) und Für den Choreuten (or. 6) sowie in Lysias’ Rede Gegen Eratosthenes (or. 1). In der ersten Rede Antiphons Gegen die Stiefmutter – und in der Rede Für den Choreuten – geht es um eine Tötung durch Gift; denn der Stiefmutter wird vorgeworfen, den Ehemann und zugleich seinen Freund Philoneos getötet zu haben, indem sie der Sklavin des Philoneos einen Gifttrank ausgehändigt hatte. Vor welchem Gerichtshof der Fall verhandelt wurde, lässt sich aber aus der Rede nicht sicher entnehmen. Da Lysias in der Rede Gegen Eratosthenes (F 23d) entsprechende Klagen nennt und auf die Stele vom Areopag verweist, kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass er auf eine Bestimmung aus der solonischen Revision des Gesetzes über die Tötung rekurriert (und nicht auf die ursprüngliche Satzung Drakons).353 F 24 vorsätzliche Tötung und immerwährende Flucht aus Attika (F 24b: T 388 Martina; F 7 Ruschenbusch und F 7/153 Leão/Rhodes)

F 24a: Demosthenes, Gegen Meidias (or. 21) 43 (348/7 v. Chr.) (= F 6b, 27b) ἔπειθ’ οἱ φονικοὶ τοὺς μὲν ἐκ προνοίας ἀποκτιννύντας θανάτῳ καὶ ἀειφυγίᾳ καὶ δημεύσει τῶν ὑπαρχόντων ζημιοῦσι, τοὺς δ’ ἀκουσίως αἰδέσεως καὶ φιλανθρωπίας πολλῆς ἠξίωσαν. 351  Elektra und Orest leiten in Euripides’ Elektra (916) ihre Rechtfertigung, Aigisthos zu töten, daraus ab, dass Aigisthos nicht nur den Agamemnon getötet, sondern auch Ehebruch mit Klytaimestra, der Frau Agamemnons und Mutter des Geschwisterpaares, begangen habe. Mit der Tötung des Aigisthos stellen sie die Ehre des Agamemnon und die seines Hauses wieder her. Zum Verfahren gegen Orest Helmut Flashar, Orest vor Gericht, in: Walter Eder, Karl-Joachim Hölkeskamp (Hrsg.), Volk und Verfassung im vorhellenistischen Griechenland, Stuttgart 1997, 99–111. 352  Aristot. Ath. pol. 16,8; pol. 5,12, 1315b 21 f.; Plut. Solon 31,2. 353  Vielfach wird davon ausgegangen, dass der Prozess im Delphinion stattfand, da dort die berechtigte Tötung des Ehebrechers verhandelt wurde (so z. B. Todd 1993, 276). Möglicherweise wurde der Fall aber auch vor dem Areopag verhandelt, weil die Angehörigen des Eratosthenes den Euphiletos wegen vorsätzlicher Tötung angeklagt hatten. Lipsius 1905–15, 126 geht „unzweifelhaft“ davon aus, dass die Rede vor dem Areopag verhandelt wurde, obwohl die Geschworenen nicht mit ὦ βουλή, sondern mit ὦ ἄνδρες angeredet werden. Zur Rede siehe Emily Grace, Status Distinctions in the Draconian Law, in: Eirene 11, 1973, 5–30. Zu den in Gerichtsreden behandelten Fällen vorsätzlicher Tötung W. T. Loomis, The Nature of Premeditation in Athenian Homicide Law, in: JHS 92, 1972, 91 f.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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Sodann, die Gesetze über die Tötung (hoí phonikoí) bestrafen die, die aus Vorsatz (ek pronoías) getötet haben, mit dem Tod oder immerwährender Flucht (aeiphygía) und Einzug (dḗmeusis) des Vermögens, wohingegen sie denen, die unabsichtlich (akousíōs) [getötet haben] Aussöhnung (aídesis) und Milde (philanthropía) angedeihen lassen.

F 24b: Scholion zu Homer, Ilias 2,665 Ἑλληνικόν ἐστι τὸ μὴ φόνῳ φόνον λύειν, φυγαδεύειν δὲ τὸν ἅπαντα χρόνον· ὅθεν Σόλων ἔτη πέντε ὥρισεν. Hellenischer Brauch ist es, nicht Tötung durch Tötung zu vergelten, sondern [den Täter] für alle Zeit des Landes zu verweisen, von wo ausgehend Solon fünf Jahre festsetzte.

F 24a bestätigt ausdrücklich, dass bei der vorsätzlichen Tötung eine Aussöhnung ausgeschlossen war; der Täter hatte Attika für alle Zeit zu verlassen und sein angestammtes Vermögen (τὰ ὑπάρχοντα) ging an den Demos über, so dass er keine Lebensgrundlage in Attika mehr hatte. Die Formulierung „die Gesetze … bestrafen sie mit dem Tod oder mit immerwährender Verbannung und mit Einzug des Vermögens“ ist nicht so zu verstehen, dass die Areopagiten bei ihrer Entscheidung einen Spielraum hatten, ein Tötungsdelikt härter oder weniger hart zu bestrafen, sondern verweist auf die Möglichkeit, dass die Angehörigen den Täter dann straffrei töten konnten, wenn er Attika nicht verlassen hatte, bzw. in klassischer Zeit auf die Konsequenz, dass der Täter infolge des Urteils nach der zweiten Rede hingerichtet wurde.354 Auch Solons Gesetz über die Ehrlosigkeit (F 51a-b) bestätigt noch einmal die immerwährende Flucht als Strafe für die vorsätzliche Tötung. Nach der hier vertretenen Deutung des Gesetzes konnten diejenigen Personen nicht wieder ‚ehrbar‘ (epítimos) sein, die wegen einer Tötung Athen für immer hatten verlassen müssen. Da den Tätern eine Rückkehr nach Athen verwehrt war, blieben sie als átimoi von jeglicher politischer Partizipation ausgeschlossen. Das Scholion nimmt nicht auf Drakons Gesetz Bezug, sondern verweist auf den in ganz Griechenland verbreiteten Rechtsbrauch, dass ein der Tötung Schuldiger für alle Zeit aus dem Polisgebiet fliehen musste. Dieser Rechtsbrauch wird sich in erster Linie auf die vorsätzliche Tötung beziehen (vgl. F 23a).355 Dass Solon die Zeit der Verbannung auf fünf Jahre begrenzt habe, wird in den vorangegangenen Editionen als „eine unzulässige Verallgemeinerung aus F 108“ angesehen; das Fragment sei daher nach Eberhard Ruschenbusch „als falsch zu streichen“.356 F 108 in der Ausgabe von Ru-

354  S. o. S. 215 f. Die Einziehung des Vermögens bei vorsätzlicher Tötung belegen auch Lys. 1,50; Demosth. or. 23,44–46, Aristot. Ath. pol. 47,2 und Poll. 8,99. 355  Vgl. Hom. Od. 22,27 f.: Odysseus droht wegen der Tötung der Freier ein elender Tod, was durch das von Zeus und Athena angeordnete ‚Vergessen‘ verhindert wird (Od. 24,478–486). 356  Ruschenbusch 2010, 38 mit Berufung auf Heitsch 1984, 5 ff. Von einer zeitlichen Begrenzung geht Eck 2012, 218 aus.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

schenbusch bezieht sich auf die Einrede wegen Verjährung (prothesmía); das entsprechende Gesetz wurde in der Demosthenesrede Für Phormion zitiert, ist im Wortlaut aber nicht eingelegt. Aus der folgenden indirekten Wiedergabe lässt sich erschließen, dass für verschiedene Vergehen Verjährungsfristen von fünf Jahren galten, nach denen Klagen nicht mehr möglich waren. Für das Scholion zur Ilias ist ein Zusammenhang mit dem Gesetz wegen prothesmía aber auszuschließen. Auf Tötungsdelikte wird man den nómos tés prothesmías also nicht beziehen können.357 Ernst Heitsch hatte demgegenüber auf Demosth. or. 23,72 verwiesen, wonach die Flucht aus Attika solange währt, bis es zu einer Aussöhnung gekommen sei. Kam es dazu nicht, währte das Exil fort. Das Ergebnis weiterer Diskussionen zu zeitlichen Befristungen führt auch Heitsch zu der Meinung, dass das Gesetz unhistorisch sei.358 Leão/Rhodes schließen sich der Ansicht von Heitsch an: „There is no good evidence for a fixed period of exile in Athenian homicide cases“.359 Drakon sah keine zeitliche Befristung des Exils vor, sondern stellte nur eine aídesis bei nicht vorsätzlicher Tötung in Aussicht. Nicht gänzlich auszuschließen ist, dass Solon die Bereitschaft zu einer Aussöhnung bei den Angehörigen des Opfers erhöhen wollte, indem er das Exil der Täter bei einer nicht vorsätzlichen Tat auf fünf Jahre beschränkte, sie dann also auch ohne Aussöhnung zurückkehren konnten. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die von Photios überlieferte Notiz des Helladios, dass der Gerichtshof ‚in Phreato‘ über solche Täter urteilt, denen eine weitere Tötung vorgeworfen wird, während sie „für eine festbestimmte Zeit“ aus Attika verbannt sind.360 Da im Scholion aber ein Bezug zur vorherigen immerwährenden Flucht, also zur vorsätzlichen Tötung hergestellt ist, ist das Zeugnis in der Tat als problematisch anzusehen. 357  Demosth. or. 36,26 f.; Lipsius 1915, 852 f.: „Privatklagen sind, soviel wir sehen, in der Regel, und zwar meist nach fünf Jahren, verjährt. Diese Frist ist bezeugt für alle aus Schuldverhältnissen hervorgehenden Klagen, für Vormundschaftsklagen (…) und für die Erbschaftsklagen … Für Verbrechen endlich, die in den Bereich des sakralen Rechts fallen, scheint überhaupt keine Verjährung gegolten zu haben. Ausdrücklich wird das zwar nur für die Klage wegen Ausrodung eines heiligen Ölbaums bezeugt, kann aber danach auch für die Blutklagen angenommen werden, so wenig unzweideutig auch die darüber auf uns gekommenen Aussagen lauten“. 358  Heitsch 1984, 5–8. 359  Leão/Rhodes 2015, 196 (F 153). 360  Helladios in Phot. Bibl. cod. 279 (535a): τὸν χρόνον μέν τινα φεύγοντα ῥητόν (F 22g). Von einer Verbannung auf fünf Jahre im Zusammenhang mit Tötungsdelikten spricht Platon in leg. 9,866b, bei Metöken von einer Verbannung auf ein Jahr (leg. 9,866c: μέτοικος δὲ ὢν ἀπενιαυτησάτω), bei der unabsichtlichen Tötung eines Freien im Zorn auf zwei Jahre, bei der absichtlichen im Zorn auf drei Jahre (leg. 9,867c–d). Darauf beziehen sich vermutlich zwei Einträge in den Lexica Segueriana (Anecd. gr. p. 1,421,18 f. und 20–22 Bekker). Ἀπενιαυτίσαι („ein Jahr [oder: jahrelang] in der Verbannung sein“) ist erläutert mit „wegen irgendwelcher Vergehen aus der Vaterstadt auf ein Jahr (oder einen Zeitraum von mehreren Jahren) fliehen“ (ἐνιαυτῷ φυγεῖν τὴν πατρίδα ἐπί τισιν ἀδικήμασιν), ἀπενιαυτισμός mit „Flucht auf ein Jahr (oder einen Zeitraum von mehreren Jahren) wegen einer unabsichtlichen Tötung, oder gänzliche Abwesenheit in diesem Zeitraum wegen der Lösung von einer Befleckung oder eines Liebesverlangens“ (φυγὴ ἐπὶ ἐνιαυτὸν διὰ φόνον ἀκούσιον, καὶ ὅλως ἀποδημία τοῦ τοσούτου χρόνου ἀπαλλαγῆς ἕνεκα μύσους ἢ ἔρωτός τινος).

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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F 25 vor dem Palladion verhandelte Tötungen (nicht vorsätzliche Tat) F 25a: Aristophanes fr. 602 PCG (spätes 5./frühes 4. Jh. v. Chr.) (Eustathios, Comm. ad Hom. Od. 1,321 ff., p. 1419,52)

„ἄκων κτενῶ σε, τέκνον.“ ὁ δ᾽ ὑπεκρίνατο: „ἐπὶ Παλλαδίῳ τἄρ, ὦ πάτερ, δώσεις δίκην“. ἐδίκαζον δὲ κατὰ Παυσανίαν ἐκεῖ ἀκουσίους φόνους οἱ ἐφέται. „Unfreiwillig (ákōn) werde ich dich töten, mein Kind.“ Und der antwortete: „am Palladion dann, Vater, wirst du bestraft werden“. Nach Pausanias urteilten dort die ephétai über unabsichtliche Tötungen (akoúsioi phónoi).

F 25b: Kleidemos FgrH 323 F 20; Phanodemos FgrH 325 F 16 (4. Jh. v. Chr.) (Eustathios, Comm. ad Hom. Od. 1,321 ff., p. 1419,52–59; Suda ɛ 2505 s. v. ἐπὶ Παλλαδίωι)

[Suda: ἐπὶ Παλλαδίῳ.] ἐδίκαζον δὲ κατὰ Παυσανίαν ἐκεῖ ἀκουσίους φόνους οἱ ἐφέται. Ἀργεῖοι γὰρ ἀπὸ Ἰλίου πλέοντες, ἡνίκα προσέσχον Φαλήροις, ὑπὸ Ἀθηναίων ἀγνοούμενοι ἀνῃρέθησαν. ὕστερον δὲ Ἀκάμαντος γνωρίσαντος καὶ τοῦ ἱστορουμένου Παλλαδίου εὑρεθέντος, κατὰ χρησμὸν αὐτόθι τὸ δικαστήριον ἀπέδειξαν, [Suda: ὡς Φανόδημος]. Κλειτόδημος δέ φησιν, Ἀγαμέμνονος σὺν τῷ Παλλαδίῳ προσενεχθέντος ταῖς Ἀθήναις, Δημοφῶντα τὸ Παλλάδιον ἁρπάσαι καὶ πολλοὺς τῶν διωκόντων ἀνελεῖν· τοῦ δὲ Ἀγαμέμνονος δυσχεραίνοντος, κρίσιν αὐτοὺς ὑποσχεῖν ἐπὶ πεντήκοντα Ἀθηναίων καὶ τοσούτων Ἀργείων, οὓς ἐφέτας κληθῆναι, διὰ τὸ παρ᾽ ἀμφοτέρων ἐφεθῆναι αὐτοῖς περὶ τῆς κρίσεως.361 καὶ τὸ δικαστήριον ἐπώνυμον τῇ Παλλάδι γενέσθαι. [Suda: beim Palladion:] Nach Pausanias urteilten dort die ephétai über unabsichtliche Tötungen (akoúsioi phónoi). Als die Argeier nämlich von Troia lossegelten und nach Phaleron gelangten, wurden sie von den Athenern, die sie nicht erkannten, getötet. Als später Akamas [der Bruder Demophons] dies aufgedeckt hatte und das gesuchte Palladion gefunden worden war, haben sie dort gemäß Orakelspruch den Gerichtshof (dikastḗrion) eingerichtet, [Suda: wie Phanodemos sagt]. Kleitodemos aber berichtet: Als Agamemnon mit dem Palladion bei den Athenern gelandet war, habe Demophon das Palladion geraubt und viele der Verfolger getötet. Agamemnon aber forderte in seinem Zorn, sie gerichtlich zur Verantwortung zu zie361  Suda s. v. ἐπὶ Παλλαδίῳ: δικαστήριον Ἀθήνησιν, ἐν ᾧ οἱ ἐφέται ἀκουσίου φόνου ἐδίκαζον. Ἀργεῖοι γὰρ ἀπὸ Ἰλίου πλέοντες, … In ähnlichem Wortlaut auch in Harpokr. ε 107 s. v. ἐπὶ Παλλαδίῳ· … Ἀγαμέμνονος μετὰ τῶν Ἀργείων σὺν τῷ Παλλαδίῳ προσενεχθέντος Ἀθήναις ἐξ Ἰλίου Δημοφῶν ἁρπάζει τὸ Παλλάδιον καὶ πολλοὺς τῶν διωκόντων ἀναιρεῖ· Ἀγαμέμνων δὲ δυσχεράνας δίκην τὸν ἁρπάσαντα ἀπαιτεῖ, καὶ συνίσταται τὸ δικαστήριον ἐπὶ πεντήκοντα μὲν Ἀθηναίων, πεντήκοντα δὲ Ἀργείων, οὓς ἐφέτας ἐκάλεσαν διὰ τὸ ‹παρ᾽› ἀμφοτέρων ἐφεθῆναι αὐτοῖς τὰ τῆς κρίσεως. – „Als Agamemnon zusammen mit den Argeiern mit dem Palladion von Ilion aus in Athen landete, raubte Demophon das Palladion und tötete viele seiner Verfolger. Erzürnt darüber forderte Agamemnon ein Verfahren (díkē) gegen den Räuber und richtete einen Gerichtshof aus fünfzig Athenern und fünfzig Argeiern ein, die ephétai genannt wurden, da ihnen von beiden Seiten das Urteil anvertraut wurde (ephethḗnai)“. Etym. M. 362,43–50: ἐπὶ Παλλαδίῳ: δικαστήριον Ἀθήνησιν, ἐν ᾧ περὶ ἀκουσίου φόνου ἐδίκαζον. Κλειτόδημος φησὶν, ὅτι Ἀγαμέμνονος σὺν τῷ Παλλαδίῳ προσενεχθέντος Ἀθήναζε, Δημοφῶντα ἁρπάσαι τὸ Παλλάδιον∙ τοῦ δὲ Ἀγαμέμνονος δυσχεραίνοντος, κρίσιν ὑποσχεῖν ἐπὶ πεντήκοντα Ἀθηναίων καὶ ν′ Ἀργείων∙ οὓς ἐφέτας κληθῆναι, διὰ τὸ παρ᾽ ἀμφοτέρων ἐφεθῆναι αὐτοῖς περὶ τῆς κρίσεως. Zonaras p. 812,15 f.: ἐπὶ Παλλαδίῳ: δικαστήριον Ἀθήνησιν, ἐν ᾧ οἱ ἐφέται ἀκουσίου φόνου ἐδίκαζον. Zu Kleidemos Jeremy McInerney, Politicizing the Past: The Atthis of Kleidemos, in: ClAnt 13, 1994, 17–37; De Bruyn 1995, 94 f.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

hen vor fünfzig Athenern und ebensovielen Argeiern, die ephétai genannt wurden, da ihnen von beiden Seiten das Urteil anvertraut wurde (ephethḗnai). Und so wurde der Gerichtshof (dikastḗrion) nach Pallas benannt.

F 25c: Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 71–73 (siehe F 22a) F 25d: Isaios, Gegen Eukleides (fr. 62 S.; 22 Blass; XIV Thalheim) (4. Jh.) (Harpokr. β 20 s. v. βουλεύσεως; Suda β 429 s. v. βουλεύσεως)

βουλεύσεως: ἐγκλήματος (Suda: ἐστιν) ὄνομα ἐπὶ δυοῖν ταττόμενον πραγμάτοιν· τὸ μὲν γάρ ἐστιν, ὅταν ἐξ ἐπιβουλῆς τίς τινι κατασκευάσῃ θάνατον, ἐάν τε ἀποθάνῃ ὁ ἐπιβουλευθεὶς ἐάν τε μὴ, τὸ δ’ ἕτερον … τοῦ μὲν οὖν προτέρου μάρτυς Ἰσαῖος ἐν τῷ πρὸς Εὐκλείδην ἐπὶ Παλλαδίῳ λέγων εἶναι τὰς δίκας, Δείναρχος δὲ ἐν τῷ κατὰ Πιστίου ἐν Ἀρείῳ πάγῳ. Ἀριστοτέλης δ’ ἐν τῇ Ἀθηναίων πολιτείᾳ τῷ Ἰσαίῳ συμφωνεῖ. περὶ δὲ τοῦ ἑτέρου ἐγκλήματος …362 [Klage] wegen Nachstellung (eigentlich: Veranlassung): Bezeichnung einer Klage, die bei zwei verschiedenen Angelegenheiten erhoben werden kann. Die eine ist dabei die, wenn einer aus Hinterlist (epiboulḗ) den Tod eines anderen plant, [unabhängig davon] ob das Anschlagsopfer stirbt oder nicht, die andere … Für die erste ist Isaios ein Beleg, der in der Rede Gegen Eukleides sagt, dass die Verfahren (díkai) beim Palladion verhandelt werden, wohingegen Deinarch in der [Rede] Gegen Pistios sagt, [sie fnden] im Areopag [statt]. Aristoteles stimmt in der Athenaion politeia mit Isaios überein. Über die zweite Klage …

F 25e: Aristoteles, Athenaion politeia 57,3 (siehe F 22c) F 25f: Pausanias, Graeciae descriptio 1,28,8–9 (siehe F 22d) F 25g: Pollux, Onomastikon 8,118–119 (siehe F 22e) F 25h: Claudius Aelianus, Varia historia 5,15 (um 200 n. Chr.) Ὅτι δικαστήρια ἦν Ἀττικὰ περὶ μὲν τῶν ἐκ προνοίας ἀποκτεινάντων ἐν Ἀρείῳ πάγῳ, περὶ δὲ τῶν ἀκουσίως ἐπὶ Παλλαδίῳ. Gerichtsverhandlungen über die, die aus Vorsatz (ek pronoías) getötet hatten, fanden in Athen im Areopag, über die, die unabsichtlich (akousíōs) [getötet hatten], beim Palladion statt.

F 25i: Λέξεις μεθ᾽ ἱστοριῶν ἐκ τῶν Δημοσθένους καὶ Αἰσχίνου λόγων (Lexicon in Demosthenem et Aeschinem), ad Demosth. or. 23,37 (Lexicon Patmense ad Demosth. or. 23,37; Lexica Graeca Minora p. 147 Sakkelion)

Ἐφέται ἦσαν ἄνδρες τὸν ἀριθμὸν νʹ ἐξειλεγμένοι· ἐδίκαζον δὲ τοὺς ἀκουσίους φόνους, ἐὰν ξένος ἢ δοῦλος ἦν ὁ ἀναιρεθείς. Ἐκλήθησαν δὲ οὕτως ἀπὸ τοιαύτης αἰτίας. Εἰς Φάληρον τῆς Ἀττικῆς κατέπλευσαν ἀπὸ Τροίας πλέοντες οἱ μετὰ Διομήδους Ἀργεῖοι. Ἀγνοήσαντες δὲ αὐτοὺς τῶν ἐπι362  Suda β 429 s. v. βουλεύσεως· … καὶ Ἰσαῖος μὲν ἐπὶ Παλλαδίῳ λέγει εἰσάγεσθαι τῶν δύο τὸ πρῶτον ἔγκλημα· ὡσαύτως καὶ Ἀριστοτέλης, Δείναρχος δὲ ἐν Ἀρείῳ πάγῳ. περὶ δὲ τοῦ ἑτέρου ἐγκλήματος Δημοσθένης ἐν τῷ κατὰ Ἀριστογείτονος πρώτῳ λέγει. ὁ μέντοι Ὑπερίδης ἰδίως τὸ τῆς βουλεύσεως ὄνομα ἐπὶ ἐνέδρας καὶ ἐπιβουλῆς τῆς εἰς χρήματα λαμβάνει.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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χωρίων τινὲς καὶ ἐπιθέμενοι ὡς λῃσταῖς, νυκτὸς οὔσης, τοὺς πλείστους ἀπέκτειναν. Ἡμέρας δὲ γενομένης ἐνεκάλουν οἱ μετὰ Διομήδους ὡς δεινὰ πεπονθότες. Ἀθηναῖοι δὲ συνθήκας ἐποιήσαντο καθίσαι δικαστήριον ἔκ τε Ἀργείων καὶ Ἀθηναίων ἴσων. Καὶ τῆς δίκης γενομένης ἀφείθησαν οἱ τὸ ἔργον δεδρακότες, ὡς κατὰ ἄγνοιαν ποιήσαντες. Ἐπεὶ οὖν ἑκάτεροί τισιν ἐφῆκαν δικασταῖς περὶ τοῦ πράγματος, ἐφέται ἐκ τούτου ἐκλήθησαν οἱ τῷ ἀκουσίῳ δικάζοντες. Die ephétai waren an Zahl 50 ausgewählte Männer; sie entschieden die unabsichtlichen Tötungen (akoúsioi phónoi), wenn der Getötete ein Fremder oder ein Sklave (doúlos) war. Sie [die ephétai] wurden so aus folgendem Grund genannt: Die mit Diomedes von Troia zurücksegelnden Argeier landeten in Phaleron in Attika an. Einige der Einheimischen, die sie nicht erkannten, da es Nacht war, griffen sie, als ob sie Seeräuber wären, an und töteten die meisten. Als es Tag geworden war, beklagten sich die Gefährten des Diomedes, dass sie Schlimmes erlitten hätten. Die Athener trafen eine Übereinkunft, einen Gerichtshof gleichermaßen aus Argeiern und Athenern einzurichten. Und als der Fall entschieden war, wurden die, die die Tat begangen hatten, freigesprochen, weil sie unwissentlich gehandelt hatten. Weil beide Seiten die Angelegenheit Richtern (dikastaí) übertragen hatten (ephḗsai), wurden die über unabsichtliche [Tötung] Urteilenden ephétai genannt.

F 25j: Λέξεις μεθ᾽ ἱστοριῶν ἐκ τῶν Δημοσθένους καὶ Αἰσχίνου λόγων (Lexicon in Demosthenem et Aeschinem), ad Demosth. or. 23,71 (Lexicon Patmense ad Demosth. or. 23,71; Lexica Graeca Minora p. 148 Sakkelion)

Ἐπὶ Παλλαδίῳ· τοῦτο τὸ δικαστήριον ἱδρύσατο Δημοφῶν ὁ Θησέως, κατὰ μαντείαν τοῦ ἐν Δελφοῖς Ἀπόλλωνος. Μαθὼν γὰρ παρὰ Ἀλκμαίωνος Ἀργείου περὶ τῶν ἐν Φαλήρῳ ἀνῃρημένων, ἔθαψεν αὐτοὺς καὶ ἱδρύσατο τὸ δικαστήριον τοῦτο. Ἐκλήθη δὲ ἐπὶ Παλλαδίῳ, ὅτι τὸ Παλλάδιον τὸ ἐκ Τροίας κεκομισμένον ὑπὸ τῶν Ἀργείων τῶν περὶ Διομήδην λαβὼν ὁ Δημοφῶν καὶ καταγαγὼν ἐπὶ θάλατταν καὶ ἁγνίσας διὰ τοὺς φόνους ἱδρύσατο ἐν τοὐτῳ τῷ τόπῳ. Ὥρισται δὲ ἐπὶ τῷ δικαστηρίῳ τούτῳ φυγὴ καὶ αἲδεσις. Αἴδεσις δ᾽ ἔστι τὸ δυσωπῆσαι ἱκετείᾳ καὶ χρήμασι τοὺς οἰκείους τοῦ πεφονευμένου· τὰ δὲ χρήματα ταῦτα καὶ ὑποφόνια ἐκαλεῖτο. Οὐκ ἐξῆν μέντοι οὐδὲ τῷ δικαίως ἀνελόντι Ἀθήνησιν οἰκεῖν. Τοῖς γοῦν Μυρρίνην τὴν Πεισιστράτου θυγατέρα ἀνῃρηκόσι καὶ ἄλλους τινὰς ἐψηφίσαντο πολιτείαν καὶ δωρεάν· ἐκελεύσθησαν δὲ ὄμως ἐν Σαλαμῖνι οἰκεῖν, διὰ τὸ μὴ ἐξεῖναι τῆς Ἀττικῆς ἐπιβαίνειν τὸν ὅλως φονεύσαντα. Beim Palladion: Diesen Gerichtshof (dikastḗrion) hat Demophon, Sohn des Theseus, geschaffen, gemäß einem Orakelspruch des delphischen Apollon. Als er nämlich von dem Argeier Alkmaion von den in Phaleron Getöteten erfuhr, bestattete er diese und gründete diesen Gerichtshof. Er wurde ‚beim Palladion‘ genannt, weil Demophon das von den Argeiern unter Diomedon aus Troia mitgebrachte Palladion genommen, zum Meer hinuntergebracht und – von den Tötungen durch Sühneopfer gereinigt – es an diesem Ort aufgestellt hat. Entschieden wurde an diesem Gerichtshof über Flucht (phygḗ) oder Aussöhnung (aídesis). Aídesis bedeutet, die Angehörigen (oikeíoi) des Getöteten durch Schutzbitte (hiketeía) und Vermögenswerte [ein Wergeld] zu erweichen. Diese Vermögenswerte werden auch hypophónia genannt. Es war jedoch nicht möglich, dass der, der nicht zu Recht getötet hatte, in Athen wohnen blieb. Denen allerdings, die die Peisistratostochter Myrrhine getötet hatten und einige andere, gaben sie durch Volksbeschluss Bürgerrecht und Ehren. Gleichwohl wurden sie angewiesen, auf

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Salamis zu wohnen, weil es für den, der überhaupt getötet hatte, nicht möglich war, Attika zu betreten.

F 25k: Scholia in Aischinem 194 (ad orationem de falsa legatione or. 2,87) Ἐπὶ Παλλαδίῳ· ἐπὶ τοῦτῳ ἐκρίνοντο οἱ ἀκούσιοι φόνοι. οἱ δὲ ἐν τοῦτῳ τῳ δικαστηρίῳ δικάζοντες ἐκαλοῦντο ἐφέται, ἐδίκαζον δὲ ἀκουσίου φόνου καὶ βουλεύσεως καὶ οἰκέτην ἢ μέτοικον ἢ ξένον ἀποκτείναντι. ὠνομάσθη δὲ ἐντεῦθεν. Ἀργεῖοι τὸ Παλλάδιον ἔχοντες τὸ ἀπὸ Ἰλίου καὶ ἐκ Τροίας ἀνακομιζόμενοι ὡρμίσαντο Φαληροῖ, καὶ αὐτοὺς τῶν ἐγχωρίων τινὲς ἀκουσίως ἀναιροῦσιν. μενόντων δὲ ἐπὶ πολὺν χρόνον τῶν νεκρῶν ἀδιαφθόρων καὶ ἀψαύστων ὑπὸ θηρίων, πολυπραγμονήσαντες οἱ ἐγχώριοι ἔγνωσαν παρ᾽ Ἀκάμαντος ὅτι Ἀργεῖοι ἦσαν, καὶ τὸ Παλλάδιον εὑρόντες ἱδρύσαντό τε παρὰ τῇ Ἀθηνᾷ τῇ Φαληροῖ καὶ τοὺς νεκροὺς θάψαντες δικαστήριον ἐποίησαν ἐκεῖ τοῖς ἐπὶ ἀκουσίῳ φόνῳ φεύγουσιν. Beim Palladion: Bei diesem wurden die unabsichtlichen Tötungen (akoúsioi phónoi) verhandelt. Die in diesem Gerichtshof (dikastḗrion) Urteilenden wurden ephétai genannt; sie urteilten (dikázein) über unabsichtliche Tötung (akoúsios phónos) und Veranlassung (boúleusis) und über die, die einen Sklaven (oikétēs), Metöken oder Fremden getötet hatten. Seinen Namen hatte [der Gerichtshof] deswegen: Die Argeier, die von Ilion kommend das Palladion bei sich hatten und von Troia hinaufkamen, legten in Phaleron an; einige von den Einheimischen töteten sie unabsichtlich (akousiōs). Als die Toten über eine lange Zeit hin unverwest und von Tieren unberührt blieben, erfuhren die Einheimischen, die der Sache genau nachgingen, von Akamas, dass es Argeier waren, und als sie das Palladion fanden, stellten sie es bei der Athena von Phaleron auf und richteten dort, wo sie die Toten bestattet hatten, einen Gerichtshof für diejenigen ein, die wegen unabsichtlicher Tötung (akoúsios phónos) angeklagt wurden.

Vgl. weitere Einträge bei Lexikographen: Harpokr. ε 107 s. v. ἐπὶ Παλλαδίῳ· Δημοσθένης ἐν τῷ κατ’ Ἀριστοκράτους. δικαστήριόν ἐστιν οὕτω καλούμενον, ὡς καὶ Ἀριστοτέλης ἐν Ἀθηναίων πολιτείᾳ, ἐν ᾧ δικάζουσιν ἀκουσίου φόνου καὶ βουλεύσεως οἱ ἐφέται. ἔσχε δὲ καὶ τὸ δικαστήριον τὴν τοῦ Παλλαδίου ἐπωνυμίαν καὶ οἱ δικασταί τὴν τῶν ἐφετῶν ἐντεῦθεν (weiterer Text siehe Anm. 361). – Beim Palladion: so Demosthenes in der Rede Gegen Aristokrates [or. 23,71]. Ein Gerichtshof wird so genannt, wie auch Aristoteles [ihn] in der Verfassung der Athener [57,3] [aufführt], in dem die ephétai über unabsichtliche Tötung (akoúsios phónos) und Veranlassung (boúleusis) urteilen. Der Gerichtshof trägt den Namen vom Palladion und die Richter den der ephétai aus folgendem Grund: (weiterer Text siehe Anm. 361). Hesych. ε 5041 s. v. ἐπὶ Παλλαδίῳ· δικαστήριον, ἔνθα ἐδίκαζον οἱ ἐφέται τοῖς ἀκουσίων φόνων δικαζομέ­ νοις. – Beim Palladion: Gerichtshof, in dem die ephétai über die wegen unabsichtlicher Tötungen (akoúsioi phónoi) Angeklagten urteilen. Λέξεις ῥητορικαί s. v. ἐφέται καὶ ἐπὶ Παλλαδίῳ (Anecd. gr. 1, p. 257,23–25 Bekker): δικαστήριόν ἐστιν οὕτω καλούμενον, καὶ οἱ ἐν αὐτῷ κρίνοντες κριταὶ ἐφέται καλοῦνται. – ephétai und beim Palladion: ein Gerichtshof ist so benannt, und die in diesem [Gerichtshof] urteilenden Richter werden ephétai genannt. Lexeis rhetorikai s. v. ἐν ποίοις δικαστηρίοις τίνες λαγχάνονται δίκαι (Lexica Segueriana; Anecdota graeca I p. 311,3–8 Becker; siehe F 22h).

Übereinstimmend berichten alle einschlägigen Quellen, dass der Gerichtshof ‚beim Palladion‘ Fälle nicht vorsätzlicher Tötung entschied. Der früheste Beleg dafür ist ein Fragment des Aristophanes, das bei Eustathios überliefert ist, der des weiteren auf Pau-

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sanias den Attizisten verweist, wonach dort die ephétai urteilten.363 Das ἄκων κτενῶ („unfreiwillig werde ich dich töten“) könnte auf die Formulierung im solonischen Gesetz, ja bis auf die Satzung Drakons zurückgehen.364 Auch weitere Einzelheiten in den Quellen zum Palladion lassen darauf schließen, dass diese, vermittelt über die solonische Erweiterung und die phonikoí nómoi, auf die Satzung Drakons Bezug nehmen. Dies verwundert nicht, da in Drakons Satzung primär die nicht vorsätzliche Tat geregelt war, so dass die Verfahren ‚beim Palladion‘ seiner Satzung am nächsten stehen.365 In or. 23,73 verweist Demosthenes auf die „von den alten Gesetzgebern“ so umsichtig getroffenen Bestimmungen und auf die „aus ältester Zeit stammenden Satzungen“ zu den Gerichtshöfen (wobei Areopag und Palladion gemeint sind). Im Gesetz Drakons sind die eigenhändige und die veranlasste nicht vorsätzliche Tötung behandelt, beides Fälle, welche auch die Athenaion politeia 57,3 (ákōn, boúleusis) dem Palladion zuschreibt.366 Bestätigt wird dies durch das bei Harpokration überlieferte Fragment des Isaios und ein Scholion zur zweiten Rede des Aischines (F 25d und k).367 Auffällig ist, dass zahlreiche Quellen dem Gericht beim Palladion die unabsichtlichen Tötungen zuweisen, aber in ihrer Aitiologie368 einen Fall anführen, bei dem es um eine versehentliche Tötung eines Kriegsverbündeten beziehungsweise um eine berechtigte Tötung von vermeintlichen Seeräubern geht – oder um eine „auf dem Weg“

363  Andreas Bagordo, Aristophanes fr. 590–674. Übersetzung und Kommentar (FrC 10,9), Heidelberg 2016, 81–86. Nach Bagordo schöpften aus denselben attizistischen Quellen auch die Einträge ἐπὶ Παλλαδίῳ in Zonar. p. 812,15 (s. o. Anm. 361); Etym. M. p. 362,43 (s. o. Anm. 361); Suda ε 2505 (F 25b); Hesych. ɛ 5041; Lex. rhet. p. 257,23 (ad F 25k). 364  Zur Wiedergabe des ἄκων im Sinne von „unfreiwillig, unter Zwang“ siehe Bagordo ebd. 83: „Das tragische Zitat könnte seinerseits eine bereits im Drakonischen Gesetz kodifizierte Rechtsformel reproduziert haben“. Bagordo verweist dabei auf IG I3 104 Z. 16 (κτ]ένει δὲ ἄκο[ν), doch da dies im Aristophanesfragment mit dem Gerichtshof beim Palladion in Verbindung steht, wird eher die solonische Revision des drakontischen Blutrechts dahinter stehen. 365  Dies ist auch aus Demosth. or. 47,70–73 ersichtlich: Der Sprecher hatte eine Klage beim Palladion wegen der Tötung der früher unfreien, später aber freigelassenen Amme in Erwägung gezogen und lässt in diesem Zusammenhang Gesetzesbestimmungen Drakons verlesen. 366  Die These von Gerhard Thür, dass vor dem Areopag Fälle eigenhändiger Tötung und vor dem Palladion Fälle indirekter Tötung (bouleúein) verhandelt wurden und die Gerichtshöfe nach diesem Kriterium getrennt waren, überzeugt nicht (Thür 1991). Als nicht mit den Quellen vereinbar lehnt auch Robert W. Wallace, Response to Gerhard Thür, in: Symposion 1990. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Pacific Grove, California, 24.–26. September 1990), hrsg. von Michael Gagarin, Köln/Weimar/Wien 1991, 73–79 dessen These ab. 367  Allerdings liegt bei Harpokration ein falsches Verständnis von boúleusis zugrunde. Dass Deinar­ chos demgegenüber Fälle von boúleusis dem Areopag zuweist, könnte auf vorsätzliche Tötungen bezogen sein. Eine absichtlich geplante Tötung liegt der Rede Antiph. or. 1 zugrunde (1,26: ἑκουσίως καὶ βουλεύσασα τόν θάνατον; sie verdiene daher die Todesstrafe; vgl. Aristot. m. mor. 1188b 29–38). MacDowell 1963, 60–62 geht hingegen von einem Missverständnis Deinarchs aus, da es keinen weiteren Beleg dafür gebe, dass Fälle von boúleusis vor dem Areopag verhandelt worden seien. Zu dieser Diskussion siehe Rhodes 1981, 643 f. 368  Treffend definiert Christiane Sourvinou-Inwood, Athenian Myths and Festivals. Aglauros, Erech­ theus. Plynteria, Panathenaia, Dionysia, Oxford 2011, 226: „An aition is a myth created to explain a ritual“.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

begangene Tötung, wenn man den von Pausanias genannten, beim Rückzug des Demophon von seinem Pferd getöteten Athener mit einbezieht. Letzterer wurde sicherlich deswegen hinzugefügt, damit auf diese Weise Angehörige eines getöteten Athe­ ners Genugtuung von Demophon vor einem athenischen Gericht verlangen konnten. In jedem Fall aber handelt es sich um versehentliche oder (vermeintlich) berechtigte Tötungen, die eigentlich vor dem Delphinion verhandelt wurden.369 Diese hinsichtlich des Gerichtsorts unzutreffende Aitiologie legt nahe, dass in Drakons Satzung über die Tötung keine festen Gerichtsorte genannt waren (mit Ausnahme vielleicht des Gerichtshofs ‚in Phreatto‘)370 und dass es in seiner Satzung allein um die nicht vorsätzliche Tötung ging, im Rahmen derer auch geregelt war, dass die versehentliche und die berechtigte Tötung nicht die Flucht aus Attika zur Folge hatten.371 Auch wenn im Lexikon Patmense (F 25j) davon die Rede ist, dass beim Palladion Flucht und Aussöhnung (phygḗ und aídesis) verhandelt werden, hat dies seine Wurzeln in Drakons Satzung bzw. in der solonischen Revision des Gesetzes. Der Name Palladion leitet sich von einer Schutz gewährenden Statuette der bewaffneten Pallas Athena ab, die dem in mehreren leicht abweichenden Varianten überlieferten Mythos zufolge Diomedes bei der Rückkehr von Troja bei sich hatte, als er in der Bucht von Phaleron an Land ging, ohne zu wissen, wo er sich befand. Er habe es für ein feindliches Land gehalten, und der Athener Demophon, Sohn des Theseus, sei ihm entgegengerückt, auch er ohne Kenntnis, dass es verbündete Griechen waren. Er habe einige der Gefährten von Diomedes getötet und sich mit dem geraubten Palladion zurückgezogen. Dafür habe sich Demophon vor einem Gericht verantworten müssen, und dies sei der erste Fall gewesen, der ‚beim Palladion‘ verhandelt wurde.372 Die Gerichtsstätte wird südöstlich der Akropolis und westlich vom Tempel des olympischen Zeus, also in der Nähe des Delphinions, lokalisiert. John Travlos hatte einen archäologischen Befund mit dem Palladion identifziert, doch aufgrund der wenig spezifischen Gebäudereste muss dies Spekulation bleiben.373 Alan Boegehold hingegen 369  Für die berechtigte Tötung siehe die meisten der unter F 28 genannten Quellen. Ausdrücklich sind berechtigte und versehentliche Tötung in Ath. pol. 57,3 dem Delphinion zugewiesen. 370  Demgegenüber urteilen Leão/Rhodes 2015, 24: „We see no reason why the different locations for the different categories should not be ancient“. 371  Auch bei der Aufzählung der Gerichtshöfe im Werk des Pausanias (F 22d) fällt auf, dass dort die versehentliche und berechtigte Tötung unterschiedlichen Gerichtshöfen zugewiesen ist, Delikte, die in Drakons Satzung nicht getrennt sind. 372  Paus. 1,28,8–9. Leicht abweichende Versionen bei Phanodemos und Klei(to)demos, den Lexikographen und den Scholien zu Demosthenes (F 25b, i und j) sowie bei Konon FgrH 26 F 1,34. Nach Polyain. 1,5 hatte Diomedes das Palladion zur Aufbewahrung an Demophon gegeben, der es nach Athen geschickt habe. P. Demargne, Athena, in: LIMC 2,1, 1019, 1029, 1040. 373  Leão/Rhodes 2015, 24; John Travlos, The Lawcourt ἐπὶ Παλλαδίῳ, in: Hesperia 43, 1974, 500–511; ders., Bildlexikon zur Topographie des antiken Athen, Tübingen 1971, 412 f. mit Abb. 532–535; Rhodes 1981, 643. Aufgrund der geringen Befunde bleibt auch Travlos zurückhaltend, in dem großen öffentlichen Gebäude, das auf allen vier Seiten von Hallen umgeben ist, das Palladion zu sehen. In den Vertiefungen könnten nach Ansicht von Travlos Schranken eines Gerichtsgebäudes angebracht gewesen sein.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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widerspricht dieser Identifizierung und stützt sich dabei auf die Angaben der antiken und mittelalterlichen Lexika, wonach das Palladion an der Stelle errichtet worden sei, wo die Argeier getötet worden waren. Er mutmaßt daher, dass es zwei Heiligtümer mit dem Namen Palladion gegeben haben könnte, eines südöstlich der Akropolis, benannt nach der Epiklese Athena Pallas, das andere in Phaleron, dort wo die Argeier angelandet waren.374 Solon wahrte die durch das Gesetz Drakons angelegte Tradition auch in dem Punkt, dass Prozesse wegen eines getöteten Sklaven vor dem Gericht beim Palladion stattfanden, und er fügte dem die metoikízontes und die Fremden hinzu.375 Auch nach Antiph. 5,48 war es einem Herrn möglich, „gemäß den alten Gesetzen“ (κατὰ νόμους πατρίους) im Falle eines getöteten Sklaven Anklage zu erheben.376 Im späten 5. Jh. wurde das im Gesetz verwendete oikétēs im Sinne von Sklave verstanden, auch wenn dies in der Sache Verwunderung hervorrief, wie das ἂν δοκῇ zeigt. Vielleicht war ursprünglich mit diesem Wort der der Hausgewalt des Herrn unterstehende freie Knecht (oikeús) bzw. die freie Magd oder in Noxalhaftung befindliche Personen gemeint.377 Die Verfahren In Plut. De exilio 14 (mor. 605a) ist die Stätte als Ort einer philosophischen Schule neben dem Lykeion, der Akademie, der Stoa und dem Odeion genannt. Vgl. dazu Boegehold 1995, 140. 374  Boegehold 1995, 97 f.; 139: „Travlos’ proposed identification is best regarded as conjecture“ (98). Nach Phanodemos (F 25b) und Poll. 8,119 sei das Palladion an der Stelle aufgestellt worden, wo die Argeier getötet worden waren, und sei dort über diejenigen Recht gesprochen worden, die unabsichtlich getötet hatten. Ähnlich Lex. Patm. ad Demosth. or. 23,71 (F 25j). Boegehold 1995, 47 und 97 f. schließt daraus auf ein Heiligtum der Athena in Phaleron und lokalisiert dort auch die Gerichtsstätte. Nach Paus. 1,28,9 hatte Demophon allerdings die Verfolger bei seinem Rückzug getötet. Zur Herleitung von der Epiklese Pallas siehe Eustath. Comm. ad Hom. Od. 1,321, p. 1419,59 (F 25b). Der Lokalisierung des Palladion in Phaleron widersprechen allerdings die Ortsangaben in Kleidemos FgrH 323 F 18 (Plut. Theseus 27,3–5). Gegen Boegeholds These auch Sourvinou-Inwood 2011 (wie Anm. 46), 246–262, die an der Lokalisierung südöstlich der Akropolis festhält. Die Gründung einer Gerichtsstätte in Phaleron gehe auf Missverständnisse in den späten Quellen zurück. In diesem Zusammenhang sei noch einmal auf das Grab von siebzehn durch Kreuzigung Hingerichteten bei Phaleron erinnert, zu denen Kurt Latte, Todesstrafe, in: ders., Kleine Schriften zu Religion, Recht, Literatur und Sprache der Griechen und Römer, München 1968, 393–415, hier 400, bemerkt, dass es nahe liege, „an Seeräuber zu denken, die bei dem Versuch zu landen überwältigt und hingerichtet wurden“. 375  S. o. F 14. Aristot. Ath. pol. 57,3: κἂν οἰκέτην ἀποκτείνῃ τις ἢ μέτοικον ἢ ξένον, οἱ ἐπὶ Παλλαδίῳ. Damit stimmen weitere Belege überein: Die exēgētaí haben in Demosth. or. 47,70 und 72 von einer Anklage beim (árchōn) basileús wegen Tötung abgeraten, da die getötete Freigelassene weder eine Verwandte noch eine therápaina war. Zur prinzipiellen Möglichkeit, im Falle einer getöteten therápaina zu klagen, auch Isokr. 18,52 (im Falle einer Verletzung, traúma, mit Todesfolge). Nach der Aussage in Demosth. or. 47,72 musste man gemäß den Gesetzen Drakons schwören, „dass man (dem Getöteten) nahe stand (προσήκων), auch wenn er ein Sklave (οἰκέτης) war“. 376  Antiph. 5,48: καὶ τῷ δεσπότῃ, ἂν δοκῇ, ἐπεξελθεῖν ὑπὲρ δούλου. 377  Dafür könnte Antiph. 6,4 sprechen: Τοσαύτην γὰρ ἀνάγκην ὁ νόμος ἔχει ὥστε καὶ ἄν τις κτείνῃ τινὰ ὧν αὐτὸς κρατεῖ καὶ μὴ ἔστιν ὁ τιμωρήσων, τὸ νομιζόμενον καὶ τὸ θεῖον δεδιὼς ἁγνεύει τε ἑαυτὸν καὶ ἀφέξεται ὧν εἴρηται ἐν τῷ νόμῳ, ἐλπίζων οὕτως ἂν ἄριστα πράξειν. – „Einen solchen Zwang übt nämlich das Gesetz aus, dass, selbst wenn jemand von denen einen tötet, über den er Macht ausübt (krateín) und für den es keinen Rächer geben wird, er doch aus Furcht vor dem Gesetz und der Religion sich entsühnen und dessen enthalten wird, was das Gesetz bestimmt, in der Hoffnung, dass es ihm wohl so am besten ergeht“.

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wurden von dem (árchōn) basileús eingebracht,378 der den Angeklagten von den Heiligtümern und von der Agora ausschloss;379 die Verfahren fanden (gemäß Drakons Satzung) vor den ephétai statt, unter freiem Himmel,380 und begannen mit einem beiderseitigen Eid, auf den die Verhandlung und das Urteil folgten.381 Wurde der Angeklagte der nicht vorsätzlichen Tötung für schuldig befunden, durfte er – wiederum vermutlich gemäß Drakons Satzung (F 15) – innerhalb einer bestimmten Frist und auf vorgeschriebenem Weg Attika verlassen.382 Eine Rückkehr war erst nach einer Aussöhnung mit den Angehörigen möglich, und dann erst nach bestimmten Opfern und Reinigungen (F 15).383 Dass eine unmittelbare Tötung und ein Abführen zur Hinrichtung gemäß Drakons und Solons Gesetz dann erlaubt waren, wenn der Täter Attika nicht verließ, verschwieg Demosthenes in or. 23,71–73, da es seine Intention war aufzuzeigen, dass das Gesetz den Ablauf in sehr differenzierter Form vorgibt und unkontrollierte Eigenmacht unterbindet.384 Unklar ist, wie die Verfahren eingeleitet wurden. Vermutlich werden die Angehörigen des Opfers beim (árchōn) basileús im Prytaneion eine Klage eingereicht haben und dabei, so ist in vielen Fällen zu vermuten, die Tat als eine vorsätzliche dargestellt haben. Bei den Vorverhandlungen, den prodikasíai, wird hingegen der Täter die Tat als eine nicht vorsätzliche reklamiert haben, und es wird in der Entscheidung des basileús gelegen haben, den Fall entweder dem Areopag oder dem Palladion zuzuweisen.385 Hatten die Angehörigen des Opfers die Blutrache am Grab oder in der Volksversammlung angekündigt, könnte der Täter beim basileús um ein Verfahren nachgesucht haben oder er floh in ein Schutz gewährendes Heiligtum, um von dort aus bei einer nicht vorsätzlichen Tat als Schutzflehender (hikétēs) eine Aussöhnung mit den Angehörigen zu erreichen, wovon im Lexicon Patmense ausgegangen wird (F 25j). Dass auch noch im späten 5. und 4. Jh. Klagen wegen nicht vorsätzlicher Tötung und Klagen wegen der Tötung eines Sklaven oder einer Sklavin vom Gericht beim 378  Demosth. or. 47,69; Aristot. Ath. pol. 57,4. 379  Aristot. Ath. pol. 57,4. 380  Aristot. Ath. pol. 57,4; Poll. 8,118. 381  Demosth. or. 23,71. Zum Eid mit der Selbstverfluchung beim Palladium auch Demosth. or. 47,70; Aischin. 2,87. 382  Demosth. or. 23,72–73. 383  Demosth. or. 23,72–73. Die Möglichkeit der Aussöhnung kennzeichnet Demosthenes als mildere Strafe gegenüber der vorsätzlichen Tat (or. 23,73). 384  Demosth. or. 23,71. Bestritt der Betreffende nach apagogḗ vor den Thesmotheten die Tat, schloss sich ein Verfahren vor dem Volksgericht an (Heitsch 1984a, 47 f., 61). 385  Dazu ausführlich Heitsch 1989, bes. 86 f.; vgl. Loomis 1972 (wie Anm. 353), 86–95, hier 87. Wie weit die Vorverhandlungen zeitlich zurückreichen, lässt sich nicht bestimmen. Vgl. Phillips 2013, 8: „Between Solon’s grant of appeal of their decisions to the Assembly (…) and the middle of the fifth century, the archons’ role in judging lawsuits had been reduced to holding preliminary hearings, assigning cases to lawcourts and formally presiding over – but not voting in – those courts“ (vgl. 74–76). Auch nach Thür wurde die Verhandlung eines Tötungsdelikts je nach Tatumstand dem entsprechenden Gerichtshof übertragen.

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Palladion entschieden wurden, zeigen mehrere Belege: In Demosth. or. 47,70 war dem Kläger wegen der in seinem Haus gewaltsam ums Leben gekommenen früheren Amme geraten worden, von einer Klage wegen Tötung abzusehen, bei der er selbst, seine Frau und die Kinder beim Palladion hätten schwören und über sich und das Haus – für den Fall eines Meineids – einen Fluch aussprechen müssen. In der vermutlich in das Jahr 402 zu datierenden Rede des Isokrates Gegen Kallimachos greift der Sprecher einen früheren Rechtsstreit auf, bei dem ein Schwager des Kallimachos eine Sklavin versteckt und anschließend gegen Kratinos wegen Körperletzung mit Todesfolge beim Palladion Klage eingereicht hatte.386 Als die Klage eingereicht war und bezeugt wurde, dass die Sklavin tot sei, drang Kratinos mit Helfern in das Haus ein, in dem die Sklavin versteckt gehalten wurde, ergriff sie und präsentierte sie dem Gericht. Obwohl vierzehn Zeugen die Aussage des Kallimachos bestätigt hatten, entfiel auf den Kläger nicht eine von 700 Stimmen der Geschworenen.387 Die Zahl von 700 Geschworenen wird in der Regel damit erklärt, dass seit dem späten 5. Jh. Fälle nicht vorsätzlicher, versehentlicher oder berechtigter Tötung vor den Geschworenengerichten, den dikastḗria, verhandelt wurden.388 Allerdings ist dieser Schluss nicht zwingend, da auch möglich ist, dass Kratinos eine ‚Klage wegen falschen Zeugnisses‘, eine graphḗ pseudomartyriṓn, eingebracht und Kallimachos in diesem Verfahren keine Stimme erhalten hatte.389 Auch ein zweiter Fall erlaubt keine eindeutige Interpretation: In der Rede Gegen Neaira wirft Theomnestos dem Stephanos vor, er habe mit falschen Zeugnissen wegen der Tötung einer Sklavin eine Klage, eine díkē phónou, beim Palladion gegen Apollodoros eingebracht, um ihn aus seinem Vaterland zu vertreiben.390 Er soll die Sklavin so geschlagen haben, dass sie an den Folgen des Schlags gestorben sei. Stephanos habe durch einen Eid beteuert, Apollodoros habe die Frau mit eigener Hand getötet, und über sich, seine Familie und sein Haus einen Fluch ausgesprochen, für den Fall einer falschen Aussage. Er wurde aber des falschen Zeugnisses überführt, denn er war von den Gegnern Kephisophon und Apollophanes gegen Geld dazu gebracht worden, Sklaven als Männer aus Kyrene zu verkleiden und als Zeugen aussagen zu lassen. In der Klage erhielt er nur wenige der fünfhundert Stimmen der Geschworenen.391 Die Lesart „wenige von 500 Stimmen“ ist

386  Isokr. or. 18,52: ἐκ δὲ τοῦ τραύματος φάσκοντες ἀποθανεῖν λαγχάνουσιν αὐτῷ φόνου δίκην ἐπὶ Παλλαδίῳ. 387  Isokr. or. 18,52–54. 388  So z. B. Lipsius 1905–15, 41, 121. 389  So MacDowell 1963, 52–56; zustimmend Rhodes 1981, 647 und Carlier 1984, 344 Anm. 111. 390  Ps.-Demosth. or. 59,9: ἐκ τῆς πατρίδος … ἐκβαλεῖν; … προεῖπεν αὐτῷ ἐπὶ Παλλαδίῳ φόνου; 59,10: ὥστ᾽ ἐξελάσαι Ἀπολλόδωρον ἢ ἀτιμῶσαι. 391  Ps.-Demosth. or. 59,10: διομοσάμενος ὡς ἔκτεινεν Ἀπολλόδωρον τὴν γυναῖκα αὐτοχειρίᾳ. Die Klage wurde vermutlich 346 v. Chr. erhoben. Siehe dazu MacDowell 1963, 52–56; K. Kapparis, Apollodoros „Against Neaira“ [D. 59], Berlin 1999, 184, 187–189; Debra Hamel, Der Fall Neaira, Darmstadt 2004, 139–143.

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allerdings umstritten, da die meisten Handschriften „500 Drachmen“ (ἐκ πεντακοσίων δραχμῶν) überliefern, vielleicht als Bestechungssumme für die Geschworenen oder für Stephanos, um Klage zu erheben. Meist wird „Drachmen“ jedoch in den Textausgaben getilgt. Da dies die beiden einzigen Zeugnisse für die Zahl von Geschworenen in Verfahren, die mit Tötungsdelikten in Zusammenhang stehen, sind, ist es durchaus möglich, dass auch in klassischer Zeit Fälle nicht vorsätzlicher Tötung und Tötungen von Metöken, Fremden und Sklaven wie in archaischer Zeit vor den 51 ephétai verhandelt wurden.392 Auch in klassischer Zeit galt für die Körperverletzung mit Todesfolge bei einer Sklavin noch die Verbannung als Strafe, wie die Befürchtung des Apollodoros zeigt, im Falle eines Schuldspruchs sein Vaterland verlassen zu müssen.393 Wenn nach Kleidemos die Athener eingewilligt hatten, dass sich Demophon wegen der Tötung der Argeier vor einem Gericht verantworten musste, das aus fünfzig Athenern (und ebensovielen Argivern) bestehen sollte, könnte dies der Vorstellung entsprungen sein, dass diese fünfzig Urteilenden mit dem vorstehenden basileús zusammen die einundfünfzig ephétai der drakontischen Satzung bildeten. Die Ableitung des Namens der ephétai von dem Umstand, dass ihnen der Fall „übertragen“ worden sei (ephḗsai, ephethḗnai), könnte durchaus das Richtige treffen, wenn Drakon die schwelenden Blutracheverfahren nicht nur von wenigen Richtern entscheiden lassen wollte, sondern sie einem größeren Gremium von einundfünfzig Personen ‚übertragen‘ hat. F 26 Ankündigung der Blutrache und Verfolgung (F 26a: T 385 Martina; F 5b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 26c–d: T 386a–b Martina; F 5c–d Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 26a: Gesetz in Demosthenes, Gegen Makartatos (or. 43) 57 (345–340 v. Chr.) (vgl. F 6a) προειπεῖν τῷ κτείναντι ἐν ἀγορᾷ ἐντὸς ἀνεψιότητος καὶ ἀνεψιοῦ· συνδιώκειν δὲ καὶ ἀνεψιοὺς καὶ ἀνεψιῶν παῖδας καὶ γαμβροὺς καὶ πενθεροὺς καὶ φράτερας. App. crit.: προειπεῖν Reiske, προσειπεῖν codd.; καὶ ἀνεψιοὺς καὶ ἀνεψιῶν παῖδας καὶ γαμβροὺς καὶ πενθεροὺς καὶ φράτερας edd. (nach IG I3 104), καὶ ἀνεψιῶν παῖδας καὶ γαμβροὺς καὶ ἀνεψιοὺς καὶ πενθεροὺς καὶ ἀνεψιαδοῦς καὶ φράτερας codd., secl. Voemel; φράτερας, ες: φράτορας. ες codd.

Dem Täter [die Blutrache] auf der Agora ankündigen sollen [die Angehörigen] innerhalb der Vetternschaft, und [zwar] des Vetters. An der Verfolgung teilnehmen sollen aber auch Vettern und Kinder von Vettern und Schwiegersöhne und Schwiegerväter und Phratriemitglieder.

392  So MacDowell 1963, 52–57; zustimmend Boegehold 1995, 140. 393  Dazu passt, dass der Täter, der einen Metöken getötet hatte, nur mit Verbannung gestraft wurde; war hingegen das Opfer ein Bürger, drohte der Tod als Strafe (Anecd. gr. I p. 194,12 f. Bekker; Grace 1973; Rhodes 1981, 644; Heitsch 1984a, 53).

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F 26b: Ps.-Demosthenes, Gegen Euergos und Mnesiboulos (or. 47) 71 f. (356/53 v. Chr.) (= F 6d, 14b, 38b) (71) ταῦτα ἀκούσας ἐγὼ τῶν ἐξηγητῶν, καὶ τοὺς νόμους ἐπισκεψάμενος τοὺς τοῦ Δράκοντος ἐκ τῆς στήλης, ἐβουλευόμην μετὰ τῶν φίλων ὅ τι χρή με ποιεῖν. συμβουλευόντων δέ μοι ταὐτά, ἃ μὲν ὑπὲρ τῆς οἰκίας προσῆκεν μοι πρᾶξαι καὶ ἃ ἐξηγήσαντό μοι οἱ ἐξηγηταί, ἐποίησα, ἃ δ’ ἐκ τῶν νόμων οὐκέτι μοι προσῆκεν, ἡσυχίαν εἶχον. (72) κελεύει γὰρ ὁ νόμος, ὦ ἄνδρες δικασταί, τοὺς προσήκον­ τας ἐπεξιέναι μέχρι ἀνεψιαδῶν (καὶ ἐν τῷ ὅρκῳ διορίζεται ὅ τι προσήκων ἐστίν), κἂν οἰκέτης ᾖ, τούτων τὰς ἐπισκήψεις εἶναι. App. crit.: ταὐτά Schaefer, ταῦτα vulg.; ποιεῖν ταὐτά S; ἀνεψιαδῶν: ἀνεψιῶν F γρ. Q γρ., Pollux 8,118: ἀνεψιῶν παίδον Koehler, Beauchet; διορὶζεται: ἐπερωτᾶν F γρ. Q γρ., Pollux; ὅ τι D: ὅτι vulg.: τί Q γρ.: τίς Pollux: om. F γρ.; προσῆκον F γρ. Q γρ. ᾖ codd., Pollux: ‹τις› ᾖ Cobet; τούτων: τῶν κυρίων Rüger: τῶν δεσποτῶν Philippi.

(71) Als ich dies von den Rechtskundigen (exēgētaí) gehört und [daraufhin] die Gesetze (nó­ moi) Drakons von der Stele geprüft hatte, habe ich mich mit meinen Freunden beraten, was ich tun sollte. Da sie mir dasselbe rieten, habe ich getan, was bezüglich des Hauses angemessen war zu tun [also: eine Reinigung vorzunehmen] und was die Rechtskundigen mir als Auskunft erteilt hatten, und ich habe mich zufrieden gegeben damit, was nach den Gesetzen (nómoi) mir ganz und gar nicht zukam: (72) Das Gesetz nämlich ordnet an, Athener, dass die Angehörigen bis zu den Vetterssöhnen (anepsiadoί) [den Täter] verklagen (epexérchomai) und im Eid darlegen sollen, welcher Angehöriger man ist (vgl. F 38), und dass die Klagen (episkḗpseis) von diesen sein sollen, auch wenn er [der Getötete] ein Sklave (oikétēs) ist.

F 26c: Synagōgḗ lexéōn chrēsimōn s. v. ἀνεψιαδοῖ (= F 6f) (Lexica Segueriana, Anecdota graeca I p. 401,18 Bekker)

Ἀνεψιαδοῖ· […] καὶ Δημοσθένης ἐν τῷ περὶ τοῦ Ἁγνίου κλήρου παρατίθεται νόμον, ἐν ᾧ γέγραπ­ ται „καὶ πενθεροὺς καὶ ἀνεψιαδοῦς“. καὶ Λυσίας δέ λέγεται καὶ ἀνεψιότης. Δημοσθένης καὶ Σό­ λωνος νόμους παρατίθεται ἐν τῷ περὶ Ἁγνίου κλήρου, ἐν οἷς ἐστὶν ἡ ἀνεψιότης. App. crit. ἀνεψιάδαι cod.

Anepsiadoí (Großneffen/Großvettern): […] und Demosthenes setzt in der Rede Über das Erbe des Hagnias [or. 43,57] ein Gesetz (nómos) [zum Vergleich] daneben, in dem geschrieben steht „und Schwiegerväter und Großvettern“ (pentheroí, anepsiadoí). Lysias aber sagt „und Vetternschaft“ (anepsiótēs). Demosthenes setzt in der Rede Über das Erbe des Hagnias auch Gesetze Solons [zum Vergleich] daneben, in denen „Vetternschaft“ (anepsiótēs) steht.

F 26d: Pollux, Onomasticon 3,28 (2. Jh. n. Chr.) Δημοσθένης δὲ τῆς ἀνεψιότητος εἴρηκε, καὶ Σόλων. Demosthenes hat von „der Vetternschaft“ gesprochen, und auch Solon.

Demosthenes lässt in or. 43,57 den Sprecher Auszüge aus dem Gesetz über die Tötung und weitere Bestimmungen aus anderen Gesetzen verlesen, um daran Verpflichtungen der Familienangehörigen zu belegen. Mit Hilfe des hier und in F 27a angeführten Zitats ließen sich die Z. 13–20 und 20–23 in dem auf der Inschrift fragmentarisch er-

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

haltenen Text (F 2) rekonstruieren, wobei die Bestimmung von Z. 20–23 der Inschrift bei Demosthenes an den Anfang gesetzt ist. In dem verlesenen Gesetzestext sind also Aussöhnung und Ankündigung bzw. Verfolgung gegenüber der Inschrift vertauscht. Außerdem fällt der nur verkürzt herangezogene Auszug über die Aussöhnung (siehe F 27a) auf. Da Drakons Gesetz auf eine konkrete Situation bezogen war, sollten nach der Entscheidung der ephétai, wenn sie auf nicht vorsätzliche Tötung erkannt hatten, Verhandlungen über eine Aussöhnung beginnen. Scheiterte dies, wurde die Blutrache angekündigt und die Verfolgung aufgenommen. Bei der Revision des Gesetzes durch Solon oder am Ende des 5. Jh. scheint die ursprüngliche Reihenfolge bei der Blutrache wiederhergestellt worden zu sein, wobei zunächst die Ankündigung der Blutrache erfolgte, dann die Verfolgung einsetzte. Die Aussöhnung konnte anschließend vom Exil aus geführt werden. Folgt man der in or. 43,57 eingelegten Bestimmung sind die Verwandtschaftskreise voneinander getrennt: Die Ankündigung obliegt den Angehörigen bis zu den Vettern. Die ungewöhnliche Wortwahl „bis zur Vetternschaft und des Vetters“ kann als Präzisierung verstanden werden, in dem Sinne, dass zunächst eine Verwandtschaftsgruppe genannt ist, die rechtlich nicht genau genug gefasst ist. Durch explizite Hinzusetzung des anepsiós wird klargestellt, dass es alle Angehörigen bis zum vierten Grad sind, und zwar einschließlich.394 An der Verfolgung beteiligen soll sich ein größerer Kreis, der auch die Kinder der Vettern, die Schwiegersöhne und Schwiegerväter und die Phratriemitglieder umfasst. Die Überlieferung des Textes ist allerdings nicht gesichert. Die Handschriften nennen für die Verfolgung „auch Vetters Kinder und Schwiegersöhne und Vettern und Schwiegerväter und Großvettern und Phratriemitglieder“ (καὶ ἀνεψιῶν παῖδας καὶ γαμβροὺς καὶ ἀνεψιοὺς καὶ πενθεροὺς καὶ ἀνεψιαδοῦς καὶ φράτερας). Dies ist eine offensichtlich irrtümliche Dopplung. Die Synagōgḗ (F 26c) belegt für die demosthenische Rede „und Schwiegerväter und Großvettern“ und damit die letzten Verwandtschaftsgrade vor der Nennung der Phratriemitglieder.395 Dies spricht dafür, dass im Gesetz die korrekte Reihenfolge „auch Schwiegersöhne und Schwiegerväter und Nachfahren der Vettern und Phratriemitglieder“ lautete (καὶ γαμβροὺς καὶ πενθεροὺς καὶ ἀνεψιαδοῦς καὶ φράτερας) und – vielleicht aus dem Originaltext der drakontischen Satzung – καὶ ἀνεψιῶν παῖδας καὶ ἀνεψιοὺς in den überlieferten Text eingefügt wurde.396 Trifft dies zu, hätten wir es bei der Revision des Textes mit einer Präzisierung der Verwandtschaftskreise zu tun: Die Ankündigung der Blutrache vollzogen die Angehö394  Vgl. ähnlich Ruschenbusch 2010, 31 Anm. 1: es werde zum Ausdruck gebracht, „dass innerhalb des Kollektivs jedes Mitglied angesprochen ist, also etwa ‚bis hin zur Vetternschaft und zwar bis hin zu jedem einzelnen‘“. 395  In der Rede Gegen Makartatos ging es um das Erbe des Hagnias, so dass der Verweis auf or. 43,57 bezogen werden muss. In Bezugnahme auf das verlesene Gesetz nennt der Sprecher in or. 43,61 ἀνεψιοί und ἀνεψιῶν παῖδες. 396  IG I3 104 Z. 20–23: προειπεν� δ]ὲ το�ι κτέναν[τι ἐν ἀ]γορ[ᾶι μέχρ’ ἀνεφσιότετος καὶ ἀνεφσιο�· συνδιόκ] εν δὲ [κ]ἀνεφσ[ιὸς καὶ ἀνεφσιο�ν παῖδας καὶ γαμβρὸς καὶ πενθερὸ]ς καὶ φρ[ά]τ[ο]ρ[ας.

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rigen bis (einschließlich) zu den Vettern, an der Verfolgung beteiligten sich zusätzlich die Nachkommen der Vettern, die Schwiegerverwandten und die Phratriemitglieder. Da die Inschrift IG I3 104 stoichedon gesetzt ist, also pro Zeile 50 Zeichen enthält, wird in der Inschrift bei der Ankündigung der Rache in Z. 21 μέχρ᾽ ἀνεφσιότετος καὶ ἀνεφσιο� ergänzt.397 Auch hier könnte bei der Revision des Textes μέχρ᾽ durch ἐντός ersetzt worden sein, so wie es der Text des eingelegten Gesetzes in Demosthenes or. 43,57 aufweist. Es ist daher zu folgern, dass der in die Rede eingelegte Text nicht der Originaltext der drakontischen Satzung ist, sondern der Revision Solons oder im späten 5. Jh. entstammt, der sich allerdings eng an den Gesetzestext Drakons anlehnte. In dieser revidierten Form galten die Bestimmungen bis in das 4. Jh. Der Sprecher von Demosth. or. 47,71 f. (F 26b) bezieht sich ausdrücklich auf „die Gesetze Drakons auf der Stele“ und verwendet dementsprechend μέχρι, nennt aber statt „(bis) zur Vetternschaft und zwar zu den Vettern“ ἀνεψιαδῶν, also „bis zu Vetters Kindern“. Das συνδιώκειν δὲ καὶ ἀνεψιοὺς καὶ ἀνεψιῶν παῖδας wird in Demosth. or. 47,72 mit den Worten ἐπεξιέναι μέχρι ἀνεψιαδῶν wiedergegeben, wobei der Sprecher ἐπεξιέναι nicht mehr im Sinne von „verfolgen“, sondern im Kontext des 4. Jh. im Sinne von „verklagen“ versteht, wie die nachfolgend genannten „Klagen“ (episkḗpseis) erkennen lassen.398 Da es sich um eine Privatklage (díkē phónou) handelt, musste der Kläger im Eid darlegen, dass er wegen eines getöteten Angehörigen vor Gericht zog. Unter einem oikétēs wird man zu Beginn des 6. Jh. einen Hausgenossen verstanden haben, einen freien Knecht oder eine freie Magd, die der Hausgewalt des Hausvaters unterstand. Im 4. Jh. wurde der oikétēs mit einem Sklaven gleichgesetzt.399 Die Notiz des Pollux geht vermutlich auf den letzten Satz des Eintrags in den Lexica Segueriana zurück, bezieht sich also ebenfalls auf die Demosthenesrede Gegen Ma­ kartatos, in der es um das Erbe des Hagnias geht. Das Wort anepsiótēs begegnet in der Rede einmal in dem eingelegten Gesetz or. 43,57 über die Ankündigung der Blutrache und in Zusammenhang mit Bestattungsbräuchen (or. 43,63; im Gesetzestext in 43,62 heißt es hingegen ἀνεψιαδοῖ).

397  In Z. 21 ist die Wendung μέχρ’ ἀνεφ[σι]ότετος gesichert. Allerdings würde sich bei einem Verständnis von ἐντὸς als „innerhalb der Vetternschaft und der Vettern“ – im Sinne von ‚ohne die Vettern selbst‘ – eine klare Abgrenzung der beiden Kreise ergeben, der eine bis zu den Neffen, der andere von den Vettern an. Da jedoch Z. 22 weitgehend ergänzt ist, könnte die klare Abgrenzung auch zwischen den Verwandten bis (einschließlich) zu den Vettern und denen von den Nachkommen der Vettern an verlaufen sein. 398  Zu den exēgētaí J. H. Oliver, The Athenian Expounders of the Sacred and Ancestral Law, 1950; ders., Jacoby’s Treatment of the Exegetai, in: AJPh 75, 1954, 160–174. Siehe auch Emily Grace, Note on Dem. XLVII 72. Τούτων τὰς ἐπισκήψεις εἶναι, in: Eirene 13, 1975, 5–18. Zu den rechtlichen Aspekten in der 47. Rede des demosthenischen Corpus siehe Phillips 2008, 110–131. 399  Siehe S. 227 Anm. 377.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

F 27 Aussöhnung (aídesis) (F 27a: T 385 Martina; F 5b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 27a: Gesetz in Demosthenes, Gegen Makartatos (or. 43) 57 (6. Jh. v. Chr.) (vgl. F 6a) αἰδέσασθαι δέ, ἐὰν μὲν πατὴρ ᾖ ἢ ἀδελφὸς ἢ υἱεῖς, ἅπαντας ἢ τὸν κωλύοντα κρατεῖν. ἐὰν δὲ τούτων μηδεὶς ᾖ, κτείνῃ δὲ ἄκων, γνῶσι δὲ οἱ πεντήκοντα καὶ εἷς, οἱ ἐφέται, ἄκοντα κτεῖναι, ἐσέσθων οἱ φράτερες, ἐὰν ἐθέλωσι, δέκα· τούτους δὲ οἱ πεντήκοντα καὶ εἷς ἀριστίνδην αἱρείσθων. καὶ οἱ πρότερον κτείναντες ἐν τῷδε τῷ θεσμῷ ἐνεχέσθων. App. crit.: αἰδέσασθαι δέ, ἐὰν: ἐὰν αἰδέσασθαι δεῖ codd.; ἅπαντας IG I3 104: πάντας codd.; οἱ ἐφέται: ἢ οί (i. e. hοι) ἐφέται codd.; τούτους: τούτοις codd.

Sich aussöhnen sollen sie, wenn ein Vater da ist oder ein Bruder oder Söhne, alle zusammen oder der obsiege, der dies verweigert. Wenn es aber von diesen keinen gibt und er [der Täter] unabsichtlich (ákōn) getötet hat, sollen die Einundfünfzig, die ephétai, entscheiden, ob er unabsichtlich (ákōn) getötet hat, und die Phratriemitglieder ihn hineinlassen, wenn sie wollen, und zwar zehn. Diese sollen die Einundfünfzig nach Vorzüglichkeit (aristíndēn) wählen. Auch die, die früher getötet haben, sollen unter dieses Gesetz (thesmós) fallen.

F 27b: Demosthenes, Gegen Meidias (or. 21) 43 (348/7 v. Chr.) (= F 24a) ἔπειθ’ οἱ φονικοὶ τοὺς μὲν ἐκ προνοίας ἀποκτιννύντας θανάτῳ καὶ ἀειφυγίᾳ καὶ δημεύσει τῶν ὑπαρχόντων ζημιοῦσι, τοὺς δ’ ἀκουσίως αἰδέσεως καὶ φιλανθρωπίας πολλῆς ἠξίωσαν. Sodann bestrafen die Gesetze über die Tötung (phonikoí [nómoi]) diejenigen, die aus Vorsatz (ek pronoías) getötet haben, mit dem Tod und immerwährender Flucht und Einzug des Vermögens, wohingegen sie den unabsichtlich (akousíōs) Tötenden Aussöhnung (aídesis) und Milde (philanthropía) angedeihen lassen.

F 27b bestätigt ausdrücklich, dass bei der vorsätzlichen Tötung eine Aussöhnung ausgeschlossen ist. Die Bestimmungen zur Aussöhnung beziehen sich in der inschriftlich erhaltenen Satzung Drakons also allein auf die nicht vorsätzliche Tötung. Es mag sein, dass in den auf Solon zurückgehenden phonikoí nómoi die Strafen der vorsätzlichen und nicht vorsätzlichen Tötung in dieser Weise gegenübergestellt waren wie in F 27b. Der für die Aussöhnung erforderliche Personenkreis wurde im solonischen Gesetz aus der Satzung Drakons übernommen, möglicherweise mit kleineren sprachlichen Abweichungen.400 Zu erwägen ist auch, ob Solon eine Aussöhnung erleichtert hat, indem er dann, wenn der Vater, Bruder und Söhne des Getöteten nicht mehr lebten, die Entscheidung über eine Aussöhnung direkt den Phratriemitgliedern übertrug. Denn für den Sprecher der 43. demosthenischen Rede bestand keine Veranlassung, die in der Satzung dazwischen stehende Bestimmung auszulassen, wenn er mit den Gesetzen

400  Siehe den textkritischen Apparat.

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verwandtschaftliche Verpflichtungen darlegen wollte. Solon könnte also bei der Revision auf diese Bestimmung verzichtet haben.401 F 28 vor dem Delphinion verhandelte Tötungen (berechtigte und versehentliche Tat) F 28a: [Gesetz in] Lysias, Verteidigung im Mordfall Eratosthenes (or. 1) 30 f. (um 400/380 v. Chr.) (30) ἀνάγνωθι δέ μοι καὶ τοῦτον τὸν νόμον ‹τὸν› ἐκ τῆς στήλης τῆς ἐξ Ἀρείου πάγου. ΝΟΜΟΣ

Ἀκούετε, ὦ ἄνδρες, ὅτι αὐτῷ τῷ δικαστηρίῳ τῷ ἐξ Ἀρείου πάγου, ᾧ καὶ πάτριόν ἐστι καὶ ἐφ’ ἡμῶν ἀποδέδοται τοῦ φόνου τὰς δίκας δικάζειν, διαρρήδην εἴρηται τούτου μὴ καταγιγνώσκειν φόνον, ὃς ἂν ἐπὶ δάμαρτι τῇ ἑαυτοῦ μοιχὸν λαβὼν ταύτην τὴν τιμωρίαν ποιήσηται. (31) καὶ οὕτω σφόδρα ὁ νομοθέτης ἐπὶ ταῖς γαμεταῖς γυναιξὶ δίκαια ταῦτα ἡγήσατο εἶναι, ὥστε καὶ ἐπὶ ταῖς παλλακαῖς ταῖς ἐλάττονος ἀξίαις τὴν αὐτὴν δίκην ἐπέθηκε. καίτοι δῆλον ὅτι, εἴ τινα εἶχε ταύτης μείζω τιμωρίαν ἐπὶ ταῖς γαμεταῖς, ἐποίησεν ἄν. νῦν δὲ οὐχ οἷός τε ὢν ταύτης ἰσχυροτέραν ἐπ’ ἐκείναις ἐξευρεῖν, τὴν αὐτὴν καὶ ἐπὶ ταῖς παλλακαῖς ἠξίωσε γίγνεσθαι. App. crit.: ‹τὸν› add. Westermann; τούτου … φόνον Reiske, τοῦτον … φόνου codd.

(30) Lies mir aber auch dieses Gesetz (nómos) von der Stele vom Areopag vor: Gesetz

Ihr hört also, Geschworene, dass dem Gerichtshof (dikastḗrion) des Areopag selbst, dem es dem Herkommen (pátrion) gemäß und bis in unsere eigene Zeit hinein obliegt, die Klagen wegen Tötung (phónou díkai) zu entscheiden (dikázein), ausdrücklich vorgeschrieben wurde, denjenigen nicht wegen Tötung zu verurteilen (katagignṓskein), der einen Ehebrecher (moichós) bei seiner eigenen Ehefrau (dámar) ergriffen und diese Strafe für ihn gewählt hat. (31) Und der Gesetzgeber (nomothétēs) hielt dies im Falle der ehelichen Frauen (gametaí gynaíkes) für so sehr gerechtfertigt, dass er auch im Falle der pallakaí, die ja geringer gewertschätzt werden, [dem Ehebrecher] dieselbe Strafe auferlegte. Es ist doch offenbar, dass er, wenn er eine größere Strafe als diese gehabt hätte, sie im Falle der Ehefrauen eingesetzt hätte. Da er aber nun keine härtere Strafe als diese für jene Fälle finden konnte, erachtete er, dieselbe wie auch bei den pallakaí als angemessen.

In § 30 der Rede ist auf das Gesetz Drakons Bezug genommen, das Solon hat bestehen lassen und das auch bei der Revision am Ende des 5. Jh. v. Chr. in Kraft blieb. Als Bestandteil des Gesetzes über die Tötung konnte es als „Gesetz von der Stele vom Areopag“ bezeichnet werden.402 401  Auf der Inschrift lässt sich eine weitere Bestimmung ergänzen, nämlich dazu, mit wem eine Aussöhnung zu vereinbaren ist, wenn Vater, Bruder oder Söhne fehlen. In diesem Fall sollen [die Angehörigen] „bis zur Vetternschaft, und zwar den Vettern“ sich versöhnen, „wenn alle sich versöhnen wollen; andernfalls obsiegt der, der dies verweigert“ (Z. 14–16: ἐὰν δὲ μὲ] ḥοῦ|15τοι ο|σι ̣, μέχρ’ ἀνεφ[σι]ότετος καὶ ̣ [ἀνεφσιο�, ἐὰν hάπαντες αἰδέσ]α̣σθαι ἐθέλοσι, τὸν κο[λύ]οντ̣α [κ]ρα[τεν� ). Heitsch 1984, 8. 402  Es ist das Gesetz, das in Demosth. or. 23,53 eingelegt ist (= F 11a): Ἐάν τις ἀποκτείνῃ ἐν ἄθλοις ἄκων ἢ ἐν ὁδῷ καθελὼν ἢ ἐν πολέμῳ ἀγνοήσας ἢ ἐπὶ δάμαρτι ἢ ἐπὶ μητρὶ ἢ ἐπ’ ἀδελφῇ ἢ ἐπὶ θυγατρί ἢ ἐπὶ παλλακῇ,

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F 28b: Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 74 (siehe F 22a) F 28c: Aristoteles, Athenaion politeia 57,3 (siehe F 22c) F 28d: Pausanias, Graeciae descriptio 1,28,10 (siehe F 22d) F 28e: Pollux, Onomastikon 8,119 (siehe F 22e) F 28f: Claudius Aelianus, Varia historia 5,15 (ca. 200–235 n. Chr.) Ὅτι δικαστήρια ἦν Ἀττικὰ περὶ μὲν τῶν ἐκ προνοίας ἀποκτεινάντων ἐν Ἀρείῳ πάγῳ, περὶ δὲ τῶν ἀκουσίως ἐπὶ Παλλαδίῳ· περὶ δὲ τῶν κτεῖναι μὲν ὁμολογούντων, ἀμφισβητούντων δὲ ὅτι δικαίως, ἐπὶ Δελφινίῳ ἐγίνοντο αἱ εὐθύναι. Gerichtsverhandlungen über die, die aus Vorsatz (ek pronoías) getötet hatten, fanden in Athen im Areopag, über die, die unabsichtlich (akousíōs) [getötet hatten], beim Palladion statt. Über diejenigen, die zugaben, getötet zu haben (kteínein), aber behaupteten, es sei gerechtfertigt (di­ kaíōs) gewesen, fanden die gerichtlichen Untersuchungen (euthýnai) beim Delphinion statt.

F 28g: Λέξεις μεθ᾽ ἱστοριῶν ἐκ τῶν Δημοσθένους καὶ Αἰσχίνου λόγων (Lexicon in Demosthenem et Aeschinem), ad Demosth. or. 23,74 (Lexicon Patmense, ad Demosth. or. 23,74; Lexica Graeca Minora p. 149,1–7 Sakkelion)

Ἐπὶ Δελφινίῳ· τοῦτο τὸ δικαστήριον ἐγένετο μετὰ τὸ Ἀρεοπαγιτικὸν ἐπὶ Αἰγέως, ὃς καὶ ἱδρύσατο ἱερὸν Ἀρτέμιδος καὶ Ἀπόλλωνος Δελφινίου. Οὕτω δὲ ὁ θεὸς ἐκλήθη, ὅτι ὥφθη τοῖς ἀπὸ Κρήτης Κνιδίοις ἐπὶ μαντείαν πλέουσιν εἰς Δελφοὺς μεταβαλὼν τὴν μορφὴν εἰς δελφῖνα. Ἐκρίθη δὲ Θησεὺς ἐνταῦθα ὑπὲρ ὧν ἀπέκτεινεν ἐκ Τροιζῆνος εἰς Ἀθήνας πορευόμενος, καὶ ἐπὶ τοῖς Παλλαντίδαις· ἀπελογεῖτο δὲ ὁμολογῶν μὲν τὸν φόνον, δικαίως δὲ φάσκων δεδρακέναι. Ὅθεν καὶ οἱ ἑνταῦθα κρινόμενοι ἐπὶ φόνοις ὁμολογουμένοις μὲν, δικαίως δὲ γεγονόσι δικάζονται. Beim Delphinion: Dieser Gerichtshof (dikastḗrion) entstand nach dem areopagitischen unter Aigeus, der auch das Heiligtum von Artemis und Apollon Delphinios eingerichtet hat. So wurde der Gott benannt, weil er von den Knidiern, die von Kreta kommend für ein Orakel nach Delphi segelten, in Gestalt eines Delphins gesehen wurde. Verurteilt wurde dort auch Theseus, wegen der auf der Reise von Troizen nach Athen Getöteten und wegen der Pallantiden. Er brachte zu seiner Verteidigung vor, dass er zwar die Tötung eingestehe, behauptete aber, dies zu Recht (dikaíōs) getan zu haben. Daher werden dort die wegen eingestandener, aber zu Recht (dikaíōs) ausgeübter Taten angeklagten Personen vor Gericht gestellt.

Vgl. weitere Einträge bei Lexikographen: Harpokr. s. v. ἐπὶ Δελφινίῳ (2. Jh. n. Chr.): ἐπὶ Δελφινίῳ. δικαστήριόν ἐστιν οὕτω καλούμενον Ἀθήνησιν. δικάζονται δὲ ἐνταῦθα οἱ ὁμολογοῦντες μὲν ἀπεκτονέναι, δικαίως δὲ πεποιηκέναι τοῦτο λέγοντες, ὡς

ἣν ἂν ἐπ’ ἐλευθέροις παισὶν ἔχῃ, τούτων ἕνεκα μὴ φεύγειν κτείναντα. – „Wenn jemand einen tötet (apokteínein), unabsichtlich (ákōn) bei Wettkämpfen oder auf dem Weg entlangfahrend (en hodṓ kathelṓn) oder unerkannt im Krieg oder bei der Ehefrau (dámar) oder bei der Mutter oder bei der Schwester oder bei der Tochter oder bei der pallakḗ, die er um freier Kinder willen hat, muss derjenige, der getötet hat, wegen dieser Taten nicht außer Landes gehen (pheúgein)“.

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Δημοσθένης ἐν τῷ κατ’ Ἀριστοκράτους δηλοῖ καὶ Ἀριστοτέλης ἐν τῇ Ἀθηναίων πολιτείᾳ. – Beim Delphinion. Es gibt in Athen einen so bezeichneten Gerichtshof. Dort wird über die, die getötet zu haben eingestehen, aber behaupten, dies sei zu Recht (dikaíōs) geschehen, geurteilt, wie aus Demosthenes’ [Rede] Gegen Aristokrates (or. 23,74) ersichtlich ist und aus Aristoteles’ Athenaion politeia (Ath. pol. 57,3). Δίκων ὀνόματα s. v. ἐπὶ Δελφινίῳ (Anecdota graeca I p. 255 Bekker): δικαστήριον ἓν τῶν φονικῶν, ὅ φασιν Αἰγέα ἱδρύσασθαι αὐτὸ ἀπὸ Δελφῶν ἥκοντα Ἀπόλλωνι Δελφινίῳ καὶ Ἀρτέμιδι Δελφινίᾳ. – Beim Delphinion: einer der Gerichtshöfe für Tötungen, von dem man sagt, Aigeus, von den Delphern kommend, habe ihn für Apollon Delphinios und Artemis Delphinia eingerichtet. Lexeis Rhetorikai s. v. ἐν ποίοις δικαστηρίοις τίνες λαγχάνονται δίκαι (Anecdota graeca 1 p. 311,13 f. Bekker): ἐπὶ Δελφινίωι. ὁμολογούμενος φόνος ἔννομος δικάζεται. – Beim Delphinion. Eine eingestandene, aber als rechtmäßig (énnomos) angesehene Tötung wird [dort] verhandelt. Suda ε 2287 s. v. ἐπὶ Δελφινίῳ (10. Jh.). δικαστήριον Ἀθήνησιν ἐπὶ τῶν ὁμολογούντων μὲν δεδρακέναι φόνους, κατὰ νόμους δέ. – Beim Delphinion. Ein Gerichtshof in Athen für die, die die Tötungen eingestehen, aber [behaupten] den Gesetzen gemäß (katá nómous) gehandelt zu haben. Etymologicum Magnum s. v. ἐπὶ Δελφινίωι (12. Jh.). δικαστήριον Ἀθήνησιν, ἐπὶ τῶν ὁμολογούντων φόνους δεδρακέναι. οἱ δὲ φασίν, ὅτι Κρητῶν χειμαζομένων, εἰκασθεῖς δελφῖνι ὁ Ἀπόλλων ἔσωσεν αὐτοὺς εἰς τὴν Ἀττικὴν κομίσας. ἄνθ᾽ ὧν Ἀπόλλωνι Δελφινίωι ἱδρύσασθαι ἱερόν. δικαστήριον γενέσθαι τῶν φονικῶν, ἐν ὧι καὶ Θησέα κεκρίσθαι ὑπὲρ τῶν φόνων τῶν περὶ Σκείρωνα καὶ Σίνιν. – Beim Delphinion. Ein Gerichtshof in Athen für die, die zugestehen, Tötungen begangen zu haben. Man sagt, dass Apollon in Gestalt eines Delphins von einem Unwetter betroffene Kreter gerettet hätte, indem er sie nach Athen brachte. Als Dank dafür gründeten sie ein Heiligtum für Apollon Delphinios. Daraus entstand ein Gerichtshof für Tötungen, vor dem auch über Theseus wegen der Tötung von Skiron und Sinis das Urteil gesprochen worden war.

Der Tempel des Apollon Delphinios und der Artemis Delphinia wurde gemäß einer Angabe bei Pausanias südlich des Tempels für den olympischen Zeus lokalisiert, obwohl Pausanias für dieses „andere Heiligtum“ keine direkte Ortsangabe nennt. Neben Mauern und Keramik geometrischer Zeit ist durch Ausgrabungen ein archaischer Bau nachgewiesen worden, den John Travlos nach Form und Material als „bedeutendes öffentliches Gebäude“ angesehen hat. Er sah darin die Gerichtsstätte am Delphinion; zunächst hätten die Verhandlungen im Freien stattgefunden, dann sei der Fels soweit abgetragen worden, dass sich Raum für ein Gebäude ergab, das – um 500 errichtet – von hohen Felswänden abgeschirmt wurde. „Auf den übrigen Seiten scheint der Bau eine Umfassungsmauer gehabt zu haben, die vermutlich mit der von Plutarch (Theseus 12) als περίφρακτον bezeichneten Einfassung des Delphinions identisch ist“.403 Das Gebäude ist durch Mauern vom heiligen Bezirk des Tempels abgetrennt, so dass die Bezeichnung als ‚Gerichtshof beim Delphinion‘ zutreffen würde.404 Allerdings hat 403  Paus. 1,19,1. John Travlos, Bildlexikon zur Topographie des antiken Athen, Tübingen 1971, 83 mit Abb. 106–114. Nach Plut. Theseus 12,6 befand sich dort ein „eingehegter Bezirk“, in dem Aigeus wohnte. Vgl. Boegehold 1995, 135 f. 404  Nach Aristot. Ath. pol. 57,4 fanden die Prozesse zwar ἐν ἱερ[ῷ] καὶ ὑπαίθριοι, also „an heiligem Ort und unter freiem Himmel“ statt, doch spricht dies nicht dagegen, dass die Gerichtsstätten unmittelbar an Heiligtümer angrenzten. Rhodes 1981, 648: „Trials for homicide were held in a religious sanctuary but, because of the pollution with which a killer was tainted, out of doors“.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Alan Boegehold Zweifel daran geäußert, dass es sich bei diesem Gebäude um den Gerichtshof handelt.405 Übereinstimmend bezeugen die antiken Quellen, dass vor dem Gerichtshof beim Delphinion, also beim Tempel der delphischen Götter Apollon und Artemis, die Fälle verhandelt wurden, in denen der Täter zugab, getötet zu haben, aber behauptete, dies gemäß dem Gesetz (katá toús nómous, dikaíōs, ennómōs, nomistéos) getan zu haben.406 Auch in diesem Gerichtshof lag die Entscheidung bei den ephétai. Nach Demosth. or. 23,74 haben die frühen Gesetzgeber die Fälle „ganz genau festgelegt“ (διορίζουσι σαφῶς), in denen zu töten erlaubt war. Demosthenes verweist allerdings auf die von den Göttern als gerechtfertigt angesehene Tötung der Klytaimestra durch Orest, der damit im Auftrag des Apollon die Rache für den getöteten Vater Agamemnon vollzogen hatte. Damit wurde ein unmittelbarer mythologischer Bezug zum Ort, dem Heiligtum der delphischen Götter, hergestellt. Auffällig ist jedoch, dass bei der Auflistung der „genau festgelegten“ Fälle der gerechtfertigte Vollzug der Blutrache gerade nicht genannt ist. Dies erweist die Verbindung zur Bluttat des Orest (und damit auf den Gerichtsort am Delphinion) als spätere aitiologische Rechtfertigung. Tatsächlich knüpfte die Regelung der berechtigten Tötung an eine Bestimmung der drakontischen Satzung an, die Verfahren vor den ephétai nicht zuließ, wenn jemand einen anderen unabsichtlich bei Wettkämpfen oder auf dem Weg entlangfahrend, unerkannt im Krieg oder einen Ehebrecher bei der Tat getötet hatte, bzw. die für diese Fälle anordnete, dass der Täter Attika nicht verlassen musste (F 11).407 In Entsprechung dazu verweist Ulpian in seinem Kommentar de adulteriis auf Drakon und Solon (F 11e, 94e). Die Verbindung zwischen diesen Taten versehentlicher und berechtigter Tötung und dem Gerichtshof beim Delphinion stellt die Athenaion politeia (57,3) her, wobei die Reihenfolge gegenüber dem älteren Gesetz umgekehrt und der zweite Fall, die Tötung „auf dem Weg entlangfahrend“, ausgelassen ist.408 Möglicherweise hat die geänderte Reihenfolge damit zu tun, dass die Fälle berechtigter Tötung als relevanter eingestuft wurden, zumal bei der vermutlich auf Solon zurückgehenden Zuweisung dieser Fälle an das Delphinion. In allen anderen Belegen für das Delphinion ist nur von der zugegebenen, aber als gerechtfertigt angesehenen Tötung die Rede, nicht

405  Boegehold 1995, 91; vgl. 48 f. mit 135–139. 406  Zur berechtigten Tötung siehe MacDowell 1963, 70–81. 407  Welche Fälle als versehentliche oder berechtigte Tötung gewertet wurden, diskutiert Laura Pepe, Osservazioni su phonos akousios e phonos dikaios nell’ Atene del V e IV secolo a. C., in: Dike 11, 2008, 139–165 anhand der Belegstellen aus dem 5. und 4. Jh. v. Chr. 408  Auch in Demosthenes’ Kommentierung des eingelegten Gesetzes ist die Tötung des „auf dem Weg entlang Gehenden“ nicht einbezogen. Vgl. F 11f mit P. Berol. 5008 s. v. ὁδός, einem Kommentar zu Demosth. or. 23: ‚Ἐν ὁδῶι καθελών‘ … ἀντὶ τοῦ] ἐν λόχωι κ[αὶ ἐ]ν[έ]δρα[ι. τοιοῦτον δὲ εἶναι] καὶ τὸ Ὁ[μηρικὸν] δοκεῖ∙ ἢ [ὁδὸν] ἐλθέμε[ναι], ἢ ἀνδράσιν ἶφι μά[χεσθαι. – „auf dem Weg entlangfahrend“ … [wird gesagt] statt des „im Versteck und Hinterhalt“. Und dies scheint auch das Homerische [die Bedeutung bei Homer] zu sein: „Entweder einen Weg zu gehen oder gegen Männer mit Kraft zu kämpfen“.

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von Fällen versehentlicher Tötung.409 Solon wird also bei seiner Revision der Satzung über die Tötung die Bestimmung Drakons aufgegriffen haben, legte aber zusätzlich und explizit das Verfahren und den Gerichtshof fest, vor dem solche Fälle verhandelt werden sollten. Die Erklärung des Täters, er habe berechtigt oder versehentlich gehandelt, erfolgte bei der diōmosía, bei der Eidesleistung zu Beginn des Verfahrens. Weil Demosthenes in or. 23,53 das Gesetz aus den nómoi phonikoí zitiert, die auf Drakon und Solon zurückgehen, hatte diese Bestimmung bei der Revision Solons und der Gesetze am Ende des 5. Jh. seine Gültigkeit behalten.410 In der Lysiasrede ist auf das Gesetz Bezug genommen, das „von der Stele vom Areopag“ zitiert wird. Wenn dort ausdrücklich vorgeschrieben war, dass bei der Tötung des Ehebrechers der Täter nicht wegen Tötung verurteilt werden konnte, bedeutet dies, dass entweder der basileús solche Fälle dem Areopag nicht zuweisen durfte oder die Täter freizusprechen waren, wenn sich im Verfahren erwies, dass die Tat berechtigt oder versehentlich geschehen war. Ob bei einer versehentlichen Tötung eine Entschädigung zu zahlen war, muss unsicher bleiben. Die straffreie Tötung bezieht sich nicht nur auf den Ehebrecher im engeren Sinne, sondern auch auf denjenigen, der außer- oder vorehelichen Verkehr mit der Tochter oder Schwester, der Mutter oder Nebenfrau hatte. Nach David Cohen hingegen war nach diesem Gesetz der bei der Ehefrau ergriffene Ehebrecher (er allein sei ein moichos) sowie der bei der Vergewaltigung der Frau, Mutter, Schwester oder Tochter ergriffene Täter gemeint.411 Eine solche Erklärung wäre zwar vom Text her möglich, widerspricht aber eindeutig anderen Quellenzeugnissen, so besonders der Gegenüberstellung von moicheía und Vergewaltigung in Lys. 1,32 f. und Plut. Solon 23,1 (F 94d). Es ist daher mit Eva Cantarella als wahrscheinlicher anzusehen, dass in der Athenaion politeia (57,3, und in Plut. Solon 23,1) alle genannten Einzelfälle durch μοιχὸν λαβών verkürzend wiedergegeben sind, als dass nur der erste Fall (ἐπὶ δάμαρτι) aufgegriffen ist.412 Zudem wäre, wenn die These von David Cohen zuträfe, eine starke Rechtsunsicherheit zu unterstellen, denn auch er geht davon aus, dass vorehelicher Verkehr ein Verstoß – wenn auch ein minder schwerer Verstoß – gegen die sittliche Ordnung der Gemeinschaft darstellte. Dass Euphiletos in seiner Kommentierung dieses Gesetzes in

409  Dies gilt auch für den von Theseus getöteten Pallas. Nach dem Tod Pandions hatten die Brüder Aigeus, Pallas, Lykos und Nisos Attika unter sich aufgeteilt, wobei Aigeus König wurde. Als Pallas und seine fünfzig Söhne die Macht an sich reißen wollten, wurden sie von dem Aigeussohn Theseus getötet. 410  Das könnte erklären, warum der Text sowohl die Form kteínein als auch das Kompositum apokteí­ nein aufweist und die unabsichtliche Tötung mit dem Adverb ákōn statt mit akoúsios phónos benannt ist. Altertümlich ist auch das Wort dámar für die Ehefrau. 411  Seiner These folgt Raphael Sealey, Women and Law in Classical Greece, Chapel Hill/London 1990, 28. 412  Letzteres postuliert David Cohen, Law, Sexuality, and Society. The Enforcement of Morals in Classical Athens, Cambridge 1991, 106 Anm. 26. Auch Ruschenbusch 2010, 49 und Leão/Rhodes 2015, 32 sehen in der Bestimmung beide Delikte abgedeckt („the clause … refers both to rapists and to seducers“).

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Lys. 1,30 f. (F 11b) allein den Ehebruch mit der Ehefrau und der pallakḗ aufgreift, ist darauf zurückzuführen, dass im vorliegenden Fall die Tötung eines Ehebrechers verhandelt wird und Euphiletos beweisen will, dass der Gesetzgeber keine schwerere Strafe gefunden hat, obwohl der Ehebruch mit der Ehefrau eine schwerere Strafe als den Tod verdient hätte.413 Die Nichterwähnung der Mutter, Tochter und Schwester ist also kein Indiz dafür, dass außerehelicher geschlechtlicher Verkehr mit diesen Personen nicht als moicheía gewertet wurde.414 Das drakontische Gesetz gestattete also die Tötung des moichós, nicht des Vergewaltigers und zwar nicht durch explizite Unterscheidung beider Vergehen, sondern implizit durch die Einschränkung, dass die Tötung erstens nur erlaubt war, wenn der Täter bei der Tat ergriffen wurde (ἐπὶ …), und zweitens, wenn der, der den Täter ergriff, ein naher Verwandter der Frau war.415 Dies wird bei der Vergewaltigung vielfach nicht gegeben gewesen sein. Dass nur derjenige Ehebrecher getötet werden durfte, der bei der Tat ergriffen wurde, war im solonischen Gesetz explizit durch die Formulierung ἐν ἔργῳ (F 94e) definiert. Auch die Formulierung ἄρθρα ἐν ἄρθροις – „Glied in Glied“ bezeugt Lukianos für „den áxōn“, womit er wahrscheinlich die áxones Solons meint (F 94f). F 29 berechtigte Tötung des nächtlichen Diebs (T 378 Martina; F 113 Ruschenbusch und 23/1 Leão/Rhodes)

F 29: Demosthenes, Gegen Timokrates (or. 24) 113 (353/52 v. Chr.) (= F 12a, 112a) καίτοι γ’ ὁ Σόλων, ὦ ἄνδρες δικασταί, … νόμον εἰσήνεγκεν, εἰ μέν τις μεθ’ ἡμέραν ὑπὲρ πεντήκον­ τα δραχμὰς κλέπτοι, ἀπαγωγὴν πρὸς τοὺς ἕνδεκ’ εἶναι, εἰ δέ τις νύκτωρ ὁτιοῦν κλέπτοι, τοῦτον ἐξεῖναι καὶ ἀποκτεῖναι καὶ τρῶσαι διώκοντα καὶ ἀπαγαγεῖν τοῖς ἕνδεκα, εἰ βούλοιτο. τῷ δ’ ἁλόντι ὧν αἱ ἀπαγωγαί εἰσιν, οὐκ ἐγγυητὰς καταστήσαντι ἔκτισιν εἶναι τῶν κλεμμάτων, ἀλλὰ θάνατον τὴν ζημίαν. App. crit.: φήσειεν: φήσαι codd. und Dindorf

Und doch hat Solon, ihr Herren Richter, … ein Gesetz (nómos) eingeführt: Wenn einer am Tag [einen Gegenstand] über einem Wert von fünfzig Drachmen stiehlt, ist ein Abführen

413  Bei dem in Lysias 1,30 zitierten, aber im Manuskript nicht eingelegten Gesetz handelt es sich nicht um ein Ehebruchsgesetz, wie Hans Julius Wolff es bezeichnet hatte; darauf hat David Cohen zu Recht noch einmal aufmerksam gemacht. Als Ehebruchsgesetz haben es Walter K. Lacey, Die Familie im antiken Griechenland, Mainz 1983 (engl. 1968), 115 f. und Hans Julius Wolff, Die Grundlagen des griechischen Eherechts, in: Erich Berneker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, Darmstadt 1968, 642 („das bekannte drakontische Ehebruchsgesetz“) aufgefasst. Edward Harris, Did the Athenians Regard Seduction as a Worse Crime than Rape?, in: CQ 40, 1990, 370–377, hier 371 und Eva Cantarella, Moicheia. Reconsidering a Problem, in: Michael Gagarin (Hrsg.), Symposion 1990. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Pacific Grove, California, 24.–26. September 1990), Köln/Weimar/ Wien 1991, 289–296 folgen der Richtigstellung von Cohen. 414  So aber Cohen 1991 (wie Anm. 412) 106. 415  Cohen weist zu Recht darauf hin, dass das drakontische Gesetz den Zweck verfolgte, den Personenkreis zu definieren, der das Recht hatte, den Ergriffenen straflos zu töten (ebd. 105 f.).

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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(apagōgḗ) zu den Elfmännern gestattet, wenn aber einer irgendetwas nachts stiehlt, diesen kann jeder, der es will, entweder töten (apokteínein) oder bei der Verfolgung verletzen oder zu den Elfmännern abführen (apagageín). Dem für schuldig Befundenen ist, da wo ein Abführen (apagōgḗ) gestattet ist, nicht möglich, Bürgen (engyētaí) zu stellen und das Gestohlene zu ersetzen, sondern der Tod ist seine Strafe.

Solon übernahm aus Drakons Satzung Bestimmungen über die berechtigte Tötung, und zwar des Tyrannen und des Hochverräters, des Ehebrechers (bzw. derjenigen Personen, die vor- und außerehelichen Verkehr mit der Mutter, Schwester, Tochter oder der pallakḗ hatten), des gewalttätigen, ungerechtfertigt handelnden Angreifers und des nächtlichen Diebs.416 In der Rede Gegen Timokrates verweist Demosthenes ausdrücklich auf den Gesetzgeber Solon, dessen Gesetz gestattete, den nächtlichen Dieb zu töten, ihn bei der Verfolgung zu verletzen oder zu den Elfmännern abzuführen (F 12a).417 Blieb dem Abgeführten keine Möglichkeit, die Tat vor den Elfmännern zu leugnen, wurde er hingerichtet. Mit der Abführung war eine vorläufige Freilassung durch Stellung von Bürgen oder eine außergerichtliche Einigung durch eine Entschädigungszahlung nicht mehr gegeben.418 F 30 keine Befleckung bei berechtigter Tötung (F 30: T 402/416 Martina; F 21 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 30: Demosthenes, Dritte Rede gegen Philipp (or. 9) 43 f. (341 v. Chr.) (43) ἐκεῖνοι Ζελείτην τινά, Ἄρθμιον, δοῦλον βασιλέως (ἡ γὰρ Ζέλειά ἐστι τῆς Ἀσίας), ὅτι τῷ δεσπότῃ διακονῶν χρυσίον ἤγαγεν εἰς Πελοπόννησον, οὐκ Ἀθήναζε, ἐχθρὸν αὑτῶν ἀνέγραψαν καὶ τῶν συμμάχων αὐτὸν καὶ γένος, καὶ ἀτίμους. (44) τοῦτο δ’ ἐστὶν οὐχ ἣν οὑτωσί τις ἂν φήσειεν ἀτιμίαν· τί γὰρ τῷ Ζελείτῃ, τῶν Ἀθηναίων κοινῶν εἰ μὴ μεθέξειν ἔμελλεν; ἀλλ’ ἐν τοῖς φονικοῖς γέγραπται νόμοις, ὑπὲρ ὧν ἂν μὴ διδῷ δίκας φόνου δικάσασθαι, ἀλλ’ εὐαγὲς ᾖ τὸ ἀποκτεῖναι, „καὶ ἄτιμος“ φησὶν „τεθνάτω“. τοῦτο δὴ λέγει, καθαρὸν τὸν τούτων τιν’ ἀποκτείναντ’ εἶναι. App. crit.: ἀρίθμιον SA; ἀτίμους εἶναι FA; ἂν οὑτωσί τις FY; τί γὰρ τῷ Ζελείτῃ, τῶν Ἀθηναίων κοινῶν εἰ μὴ μεθέξειν ἔμελλεν; ἀλλ᾽ ἐν τοῖς … S1, Harpokr. s. v. ἄτιμος: τί γὰρ τῷ Ζελείτῃ τοῦτ᾽ ἔμελεν (ἔμελλεν Y1) εἰ τῶν Ἀθήνησι κοινῶν μὴ μεθέξειν ἔμελλεν; ἀλλ᾽ οὐ τοὐτο λέγει· ἐν τοῖς … S rec. FAY; ἂν μή: ἄν τις μή S rec.; δίκας om AY1, Harpokr. AF: δίκην, Harpokr.BC secl. Fuhr; δικᾶσθαι S1; ἀλλ᾽ … ἀποκτεῖναι om S1 Y1 Harpokr.; τὸν: τῶν A1Y1.

416  Zur berechtigten Tötung des Tyrannen: F 40–43, des Ehebrechers F 11 (da das Gesetz aus den nó­ moi phonikoí zitiert ist), des gewalttätigen Angreifers F 10a–b (ebenfalls aus den nómoi phonikoí zitiert). 417  Das Recht, den nächtlichen Dieb straflos töten zu können, wird Drakon zugeschrieben (Gell. 11,18,3). Es galt als Abmilderung, dass Solon in seinem Gesetz über den Diebstahl Geldstrafen und Schadenersatz festlegte. Es trifft aber nicht zu, dass Solon die Tötung des nächtlichen Diebs untersagt hätte; in seinem Gesetz über den Diebstahl ist auch die unmittelbare Tötung des bei der Tat ergriffenen nächtlichen Diebs gestattet, wie Demosth. or. 24,113 zeigt. 418  Zu Solons Gesetz über den Diebstahl (nómos klopḗs) siehe F 112–114.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

(43) Jene [die Athener] erklärten einen Mann aus Zeleia, Arthmios, einen Sklaven des Großkönigs (Zeleia liegt nämlich in Asien), weil er im Dienste seines Herrn Gold auf die Peloponnes und nicht nach Athen geschafft hat, zu ihrem Feind (echthrós) und dem ihrer Bundesgenossen, ihn selbst und seine Angehörigen (génos), und sie alle zu Ehrlosen (átimoi). (44) Dies ist aber nicht, was man gemeinhin Ehrlosigkeit (atimía) nennt. Denn was bedeutete es für einen Mann aus Zeleia, wenn er künftig an der athenischen Gemeinschaft nicht teilhaben könnte? In den Gesetzen über die Tötung (phonikoí nómoi) ist aber [bezüglich jener] geschrieben, deretwegen [der Gesetzgeber] keine Klagen wegen Tötung (díkai phónou) zugelassen hat, sondern die Tötung ohne Befleckung (euagés) bleibt: „und ehrlos“, so sagt er, „sei er getötet (átimos tethnátō)“. Dies bedeutet nun, wer einen von diesen tötet, solle rein (katharós) sein.

Der athenische Beschluss, der Arthmios aus Zeleia zum ‚Feind‘ (echthrós) erklärte, war auf einer bronzenen Stele auf der Akropolis aufgestellt worden (or. 9,41). Nach Demosth. or. 9,42 lautete der Text der Inschrift: „Arthmios, der Sohn des Pythonax, aus Zeleia sei ehrlos (átimos) und Feind (polémios) des Volkes der Athener und der Bundesgenossen, er selbst und seine Angehörigen (génos), weil er das persische Gold auf die Peloponnes geschafft hat“. Der Beschluss wird auch in anderen Quellen genannt.419 Da offenbar alle Überlieferungen von Demosthenes abhängen, ist die Historizität des Beschlusses jedoch umstritten,420 auch wenn der Verweis auf den in den 470er oder 460er Jahren zum Ehrlosen erklärten Arthmios immer wieder als historisches Beispiel angeführt wurde, um darzulegen, wie streng man in früherer Zeit gegen Verräter vorging.421 Die Ehrlosigkeit (atimía) meint den Ausschluss eines Atheners von jeglicher politischer Partizipation. Demosthenes merkt zu Recht an, dass dies den aus Zeleia stammenden Arthmios nicht treffen konnte. Arthmios von Zeleia ist deswegen zum átimos erklärt worden, weil er wahrscheinlich próxenos der Athener in seiner Heimatstadt Zeleia in der Propontis war.422 Die Athener entzogen ihm mit der Atimie zunächst den Schutz, den dieses Amt mit sich brachte, und konnten ihn damit zu einem ‚Feind‘ (ἐχθρός) der Athener erklären; als dem Volk der Athener gegenüber ‚feindlich gesinnte‘ Person (πολέμιος) konnte er straflos getötet werden. Erst in der Kombination, ihn auch zum Feind der Athener und der Bundesgenossen zu erklären, kann daraus das

419  Demosth. or. 19,271–272; Aischin. Ctes. 258; Deinarch. 2,24–25; Plut. Them. 6,3. 420  Christian Habicht, Falsche Urkunden zur Geschichte Athens im Zeitalter der Perserkriege, in: Hermes 89, 1961, 1–35, hier 16; 23–24; vgl. Heinrich Swoboda, Arthmios von Zeleia, in: Archäologisch-epigraphische Mitteilungen 16, 1893, 49–68. Von der Historizität des Beschlusses geht etwa Meiggs (1972, 508–512) aus. 421  Im Eid, den die Bürger der taurischen Chersones nach Beendigung des Bürgerkriegs leisteten, schworen diese, dem Hoch- und Landesverräter gegenüber „feind zu sein“ (IosPE I2 401, Z. 18: πολέμιος ἐσσοῦμαι) sowie keine Geschenke zu geben oder anzunehmen zum Schaden der Stadt (Z. 29–30). 422  Aischin. Ctes. 258. J. Michael Rainer, Zum Problem der Atimie als Verlust der bürgerlichen Rechte insbesondere bei männlichen homosexuellen Prostituierten, in: RIDA 32, 1986, 89–114, hier 105.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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Recht abgeleitet werden, ihn auch ungestraft töten zu können.423 Demosthenes will dies auch aus der Ehrlosigkeit selbst ableiten, indem er auf eine sprachliche Wendung in den Tötungsgesetzen verweist, das átimos tethnátō. Demosthenes nennt außerdem den Zusammenhang, in dem die Wendung in den Tötungsgesetzen (phonikoí nómoi) vorkam, nämlich Tötungen, bei denen keine Klage wegen Tötung zugelassen war, also bei der Tötung des Ehebrechers, des nächtlichen Diebs oder desjenigen, der ungerechtfertigt und mit Gewalt einen anderen angegriffen hatte. Die Wendung entspricht dem „bußlos sterben“ (νηποινεὶ τεθνάναι) in der Satzung Drakons (F 10b). Aus átimos tethnátō ergibt sich aber nicht die Folgerung, die Demosthenes zieht, dass auch áti­ mos ‚vogelfrei‘ bedeutet.424 Dass eine solche Tötung „fluchlos“ (εὐαγής) und der Täter „rein“ (καθαρός) sei, dürfte auf die drakontische Satzung zurückgehen.425 F 31 in Phreattō verhandelte Tötungen (gegen Täter, die aus Attika geflohen sind) (F 31a, c: F 21/2a–b Leão/Rhodes)

F 31a: Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 77–78 (352 v. Chr.) (77) … τὸ [δικαστήριον] ἐν Φρεαττοῖ. ἐνταῦθα γάρ, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, κελεύει δίκας ὑπέχειν ὁ νόμος, „ἐάν τις ἐπ’ ἀκουσίῳ φόνῳ πεφευγώς, μήπω τῶν ἐκβαλλόντων αὐτὸν ᾐδεσμένων, αἰτίαν ἔχῃ ἑτέρου φόνου ἑκουσίου.“ καὶ οὐχ, ὅτι δεῦρ’ οὐχ οἷόν τ’ ἐλθεῖν αὐτῷ, παρεῖδεν αὐτὸν ὁ ταῦθ’ ἕκαστα τάξας, οὐδ’, ὅτι καὶ πρότερόν τι τοιοῦτον ἐποίησε, καὶ δὴ τὴν ὁμοίαν ἐποιήσατο πιστὴν αἰτίαν κατ’ αὐτοῦ, (78) ἀλλὰ τό τ’ εὐσεβὲς εὗρεν ὅπως ἔσται, κἀκεῖνον οὐκ ἀπεστέρησε λόγου καὶ κρίσεως. τί οὖν ἐποίησεν; ἤγαγε τοὺς δικάσοντας οἷ προσελθεῖν οἷόν τ’ ἐκείνῳ, τῆς χώρας ἀποδείξας τόπον τιν’ ἐν Φρεαττοῖ καλούμενον ἐπὶ θαλάττῃ. εἶθ’ ὁ μὲν ἐν πλοίῳ προσπλεύσας λέγει τῆς γῆς οὐχ ἁπτόμενος, οἱ δ’ ἀκροῶνται καὶ δικάζουσιν ἐν τῇ γῇ· κἂν μὲν ἁλῷ, τὴν ἐπὶ τοῖς ἑκουσίοις φόνοις δίκην ἔδωκε δικαίως, ἂν δ’ ἀποφύγῃ, ταύτης μὲν ἀθῷος ἀφίεται, τὴν δ’ ἐπὶ τῷ πρότερον φόνῳ φυγὴν ὑπέχει.

423  So auch Theodor Thalheim, Art. ἄτιμος, in: RE Suppl. 3, 1918, 178 f. und Vleminck 1981, 260 f.: „Le châtiment décidé contre Arthmios était donc double: le peuple athénien, en le déclarant ἄτιμος, lui retirait les privilèges que lui avait valus sa situation antérieure; en le déclarant πολέμιος, il le mettait au ban de la société et invitait quiconque à supprimer ce coupable envers la patrie“. Serge Vleminck verweist in diesem Zusammenhang auf inschriftliche Belege aus Korkyra und Eretria, bei denen zur Strafe der Atimie ausdrücklich hinzugesetzt ist, dass das Vermögen konfisziert wird und die Betreffenden straflos getötet werden können (SIG I3 141, 12–13: αὐτὸς ἄτιμος καὶ τὰ ὑπάρχ]οντα δαμόσ[ια ἔστ]ω, ἀθῷο[ς δὲ ὁ ἀποκτείνας αὐτόν]; RIJ I 9, 32 f.: [ἄ]τι[μος] ἔστω καὶ τὰ χρήματα αὐτοῦ ἔστω ἱερὰ [τῆς Ἀρτέμιδος καὶ αὐτὸς καὶ γένος τὸ ἐξ αὐτοῦ] ὃ ἂν πάθει [ν]ηπ[οι]νεὶ πασχέτω; ähnlich Z. 56 f.). 424  So auch Rainer 1986 (wie Anm. 422), 104 f. 425  Leão/Rhodes 2015, 32: „We believe that pollution was already attached to homicide in the time of Draco. … As for homicide and pollution in general, earlier evidence is lacking, but the presumption must be that already in the time of Draco, while unlawful homicide was polluting, lawful was not.“ Phillips 2013, 59 geht von einem Zitat aus Drakons Gesetz aus. Zur Befleckung bei Tötungen s. o. S. 128–132.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

App. crit.: (77) εκβαλλόντων S1 et Harpocr. cod. unus, ἐκβαλόντων vulg.; (78) ἐκεῖσε οἷ F; oἷόν τε ἦν AF; ἐπὶ θαλάττης Harpocr.; ἐπὶ τῆς γῆς Harpocr.; τῷ πρότερον SYO, τῷ προτέρῳ vulg.; ἑtέρῳ Harpocr.; φυγὴν: δίκην A, secl. Dobree.

(77) … der [Gerichtshof] in Phreattos. Dort nämlich, Athener, ordnet das Gesetz (nómos) an, Recht zu sprechen, „wenn jemand, der aufgrund einer unabsichtlichen Tötung (akoúsios phónos) sich außer Landes befindet (pepheugṓs), weil diejenigen, die ihn zur Flucht zwangen (ekbállontes), sich mit ihm noch nicht ausgesöhnt haben (aideísthai), einer anderen, absichtlichen Tötung (hekoúsios phónos) beschuldigt wird“. Derjenige, der all dies festgelegt hat, übersah in Bezug auf ihn [den Täter] nicht, dass er nicht hierher zurückkehren darf; natürlich wurde auch nicht eine frühere gleichartige Tat als Beweis für seine Schuld vorgebracht, weil er das Gleiche verübt hatte, (78) vielmehr machte es [der Gesetzgeber] möglich, dennoch Reinheit [von Schuld] zu erreichen (tó eusebés heúrein), ohne jenem [dem Beschuldigten] Rede und Urteil (lógos kaí krísis) vorzuenthalten. Was also tat er? Er hieß die Richter sich an einen Ort begeben, wohin auch jener kommen durfte, und als solchen bezeichnete er eine am Strand gelegene Stätte des Landes (chṓra), die ‚in Phreattṓ‘ genannt wird. Er [der Angeklagte] kommt nun auf einem Boot heran und spricht ohne an Land zu gehen, sie [die Richter] aber hören von Land aus zu und sprechen das Urteil. Wenn er verurteilt wird, wird er – und dies zu Recht – wie bei absichtlichen Tötungen bestraft; wenn er aber freigesprochen wird, bleibt er zwar in dieser Sache straffrei, doch gilt die aus der früheren Tötung herrührende Flucht/Verbannung (phygḗ) weiterhin.

F 31b: Aristoteles, Politik 4,16, 1300b 27–30 (siehe F 22b)426 F 31c: Aristoteles, Athenaion politeia 57,3 (320er Jahre) (siehe F 22c) ἐὰν δὲ φεύγων φυγὴν ὧν αἴδεσίς ἐστιν, αἰτίαν ἔχῃ ἀποκτεῖναι ἢ τρῶσαί τινα, τούτῳ δ’ ἐν Φρεάτου δικάζουσιν, ὁ δ’ ἀπολογεῖται προσορμισάμενος ἐν πλοίῳ. Wenn jemand, der [wegen einer solchen Tötung aus Attika] geflohen ist, für die eine Aussöhnung (aídesis) möglich ist, Schuld trägt, jemanden [also eine weitere Person] getötet oder verletzt zu haben (trṓsai), urteilen sie über diesen im [Bezirk des] Phreatos (en Phreátou); er verteidigt sich von einem vor dem Ufer liegenden Boot aus.

F 31d: Theophrast, Über die Gesetze fr. 17 Hager (ca. 320–287 v. Chr.) (Harpokr. ε 61 s. v. ἐν Φρεάτου; Etym. M. p. 344,25 s. v. ἐν Φρεατοῖ; Suda ε 1080 s. v. Ἐμφρεάτοι)

Ἐν Φρεάτου· Δημοσθένης ἐν τῷ κατ’ Ἀριστοκράτους περὶ τοῦ ἐν Φρεάτου δικαστηρίου ἀκριβῶς διεξελήλυθε, λέγων οὕτως: … (wörtliches Zitat aus Demosth. or. 23,77 f.). ὠνομάσθαι δ’ ἔοικε τὸ δικαστήριον ἀπό τινος Φρεάττου ἥρωος, καθά φησι Θεόφραστος ἐν ις’ τῶν Νόμων. in Phreato: Demosthenes hat sich in der Rede Gegen Aristokrates ausführlich mit dem Gerichtshof in Phreato auseinandergesetzt, wobei er folgendes sagt: … (wörtliches Zitat aus Demosth. or. 23,77 f.). Es scheint, dass der Gerichtshof nach einem Heros namens Phreattos benannt wurde, wie Theophrast im 16. [Buch] der Gesetze sagt. 426  MacDowell 1963, 84 übersetzt ἐπὶ καθόδῳ überzeugend mit „with a view to their return“.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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Vgl. Lexicon Sabbaiticum p. 60,18–20 Papadopulos-Kerameus (Lexica Graeca Minora p. 60, 18–20) s. v. ἐν Φρεατοῖ: δικαστήριον. Δημοσθένης ἐν τῷ κατὰ Ἀριστογείτονος ἀκριβῶς διέρχεται περὶ αὐτοῦ. ὠνομάσθαι δὲ τὸ δικαστήριον ἔοικεν ἀπό τινος ἥρωος, ὡς Θεόφραστος ἐν ϛ’ Νόμων μαρτυρεῖ. – in Phreato: ein Gerichtshof. Demosthenes setzt sich mit ihm in der Rede Gegen Aristogeiton gründlich auseinander. Es scheint, dass der Gerichtshof nach einem Heros benannt wurde, wie Theophrast im [1]6. [Buch] der Gesetze bezeugt. Suda (10. Jh.), ε 1080 s. v. Ἐμφρεάτοι: δικαστήριον τῶν ἀκουσίων φόνων ἐν Ἀθήναις. Δημοσθένης ἐν τῷ κατὰ Ἀριστογείτονος ἀκριβῶς διέρχεται περὶ αὐτά. ὠνομάσθαι δὲ τὸ δικαστήριον ἔοικεν ἀπό τινος Φρεάτου ἥρωος, ὡς Θεόφραστος ἐν ιϛ’ νόμῳ μαρτυρεῖ. – „in Phreato: ein Gerichtshof für unabsichtliche Tötungen in Athen. Demosthenes setzt sich ausführlich mit demselben in der Rede Gegen Aristogeiton [richtig: Gegen Aristokrates] auseinander. Es scheint, dass der Gerichtshof nach einem Heros namens Phreatos benannt wurde, wie Theophrast im 16. [Buch] der Gesetze bezeugt“.

F 31e: Pausanias, Graeciae descriptio 1,28,11 (siehe F 22d) F 31f: Pollux 8,120 (siehe F 22e) F 31g: Harpokration s. v. ἐφέται (siehe F 22f) F 31h: Helladios, Chrestomathia (siehe F 22g) (Phot. Bibl. cod. 279 [535a])

F 31i: Lexeis rhetorikai s. v. ἐν Ζέᾳ und ἐν Φρεατοῖ (siehe F 22h) (Anecd. gr. 1 p. 311,17–22 Bekker)

ἐν Ζέᾳ: τόπος ἐστὶ παράλιος. ἐνταῦθα κρίνεται ὁ ἐπ᾽ἀκουσίῳ μὲν φόνὼ φεύγων, αἰτίαν δὲ ἔχων ἐπὶ ἑκουσίῳ φόνῳ. Ἐν Φρεαττοῖ. οἱ ἐπ᾽ἀκουσίῳ φόνῳ φεύγοντες, ἐπ᾽ἄλλῳ δέ τινι κρινόμενοι· οἳ ἐπὶ πλοίῳ ἐστῶτες ἀπολογοῦνται. In Zéa: Es ist eine Örtlichkeit an der Küste. Dort wird über den wegen unabsichtlicher Tötung (akoúsios phónos) Verbannten (pheúgōn), der einer absichtlichen Tötung (hekoúsios phónos) beschuldigt wird, geurteilt. In Phreatto: Diejenigen, die wegen unabsichtlicher Tötung (akoú­ sios phónos) außer Landes gegangen sind (pheúgontes), aber für eine andere angeklagt werden, wobei sie sich auf einem Boot stehend verteidigen. vgl. Hesychios (5. Jh. n. Chr.) ε 3450 s. v. ἐν Φρεάτου· ἐν τῷ δικαστηρίῳ, ἐν ᾧ ἐδικάζοντο ἐπὶ ἀκουσίῳ φόνῳ. – „In Phreato: In dem Gerichtshof, in dem über unabsichtliche Tötung gerichtet wurde“. Photios (9. Jh.), Lexicon s. v. ἐς Φρεάτου· Φρέατος τόπος τῆς Ἀττικῆς, ἐν ᾧ ἐδίκαζον περὶ φόνου. – „In Phreato: Phreatos [ist] eine Örtlichkeit in Attika, in dem sie über Tötung gerichtet haben“.

Weil die Schreibweise der Gerichtsstätte in der Überlieferung nicht einheitlich ist, kann der Name dieses Gerichtshofs nicht sicher rekonstruiert werden. Überliefert sind ἐν Φρεαττοῖ, ἐν Φρεάτου und bei Pausanias der Nominativ Φρεαττύς. Es spricht einiges für die Variante „Phreattō“, die bei Demosthenes belegt ist.427 Die Verwendung 427  Zu den unterschiedlichen Varianten in den Handschriften vgl. MacDowell 1963, 82–83; Rhodes 1981, 646 (der sich für ἐν Φρεάτου in Aristot. Ath. pol. 57,3 ausspricht); Heitsch 1984, 21 und jüngst Tino Shahin, Phreatto – Ein Gerichtsverfahren zwischen Land und Meer für Athener mit ‚Vorstra-fe‘, in: Klio

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

des Genetivs (ἐν) Φρεάτου bei Aristoteles (F 31b) und Harpokration (s. v. ἐν Φρεατοῖ, F 31d) deutet darauf hin, dass die Bezeichnung von einer Person abgeleitet ist; nach mehreren Lexikographen (F 31d), deren Angabe auf Theophrast beruhen, sei die Gerichtsstätte nach einem Heros Phreatos (bzw. Phreattos) benannt.428 Ἐν Φρεάτου wäre also der Gerichtshof „im (Heiligtum) des Phreatos“. Pausanias und Helladios lokalisieren den Gerichtshof im Piräus; wahrscheinlich lag er in dessen östlichem Teil in Zea, da in den Lexeis rhetorikai die Einträge ἐν Ζέᾳ und ἐν Φρεατοῖ (F 31i) aufeinander folgen und beiden die Fälle gegen Täter zugeschrieben werden, die sich außerhalb Attikas aufhielten.429 Vermutlich gibt Demosthenes in or. 23,77 einen Teil der Bestimmung, um die es hier geht, im Wortlaut wieder, wie die einführenden Worte „das Gesetz ordnet an“ (κελεύει ὁ νόμος) nahelegen und das einleitende eán, das sich mehrfach am Beginn einer neuen Bestimmung findet.430 Das Ende des Zitats ist durch die Erklärung des Logographen markiert, was mit der Regelung bezweckt wurde. Auch wenn die Bestimmung im Kern auf Drakon zurückgeht (s. u. und F 13), nehmen die Textstellen auf die spätere Fassung der solonischen Revision oder der der nómoi phonikoí vom Ende des 5. Jh. Bezug. Demosthenes nämlich hat all die in or. 23,22–82 eingelegten Gesetze aus den (auf Drakon und Solon zurückgehenden) nómoi phonikoí zitiert und verwendet in or. 23,77 die Begriffe phónos akoúsios und ekoúsios statt ek pronoías bzw. mḗ ek pronoías oder ákōn bzw. hḗkōn. Dass der in Ath. pol. 57,3 überlieferte Wortlaut nicht auf die Satzung Drakons zurückgeht, zeigt auch das verwendete ἀποκτεῖναι, wohingegen bei Drakon (nach F 2) nur das Simplex κτεῖναι begegnet. In Drakons Satzung ist zudem nur das Verb „sich aussöhnen“ (αἰδέσασθαι) gebraucht (so wie in Demosth. or. 23,77), nicht aber das Substantiv „Aussöhnung“ (αἴδεσις). Auch das Verb ἀπολογεῖσθαι im Sinne einer Verteidigung spricht für einen formalisierten Gerichtsprozess mit Anklage- und Verteidigungsrede, wie es ihn vermutlich in der Zeit Drakons noch nicht gab. Wenn nach Demosthenes dem Täter „Rede und Urteil“ nicht vorenthalten werden dürfe, ist von einem Prozess mit Anklage-, Verteidigungsrede

101, 2019, 57–76, hier 58 Anm. 6 (eine Zusammenstellung und Kommentierung aller Quellen ebd. 59– 64). 428  Rhodes 1981, 654 f. Wegen des Fundes von Resten innen geglätteter Felswannen („Feldtöpfe“) für die Gewinnung von Salz oder zum Trocknen von Fisch wurde auch vermutet, dass der Platz nach den Behältern φρέατα benannt worden sei, vgl. Walter Judeich, Topographie von Athen (HdA Abt. 3, Teil 2, Bd. 2), München 21931, 436; Boegehold 1995, 147. 429  Boegehold 1995, 147; zur unsicheren Lokalisierung ebd. 50. Alle Testimonia zu diesem Gerichtshof sind dort S. 146–148 zusammengestellt. Vgl. ders., Ten Distinctive Ballots. The Law Court in Zea, in: CSCA 9, 1974, 7–19. Heitsch 1989, 78: „vermutlich an einer unmittelbar östlich der Einfahrt zum Zeahafen gelegenen Stelle“. Die Nachricht aus Schol. Aristoph. Plut. 1166, wonach der Gerichtshof ‚in Phreatto‘ mit einem Delta (wohl irrtümlich für Φ) gekennzeichnet sei, beruht vermutlich auf gelehrter, aber unzutreffender Spekulation (Boegehold 1995, 156). 430  So auch in den in Demosth. or. 23,37.44.53.60.82 eingelegten Gesetzen. Rhodes (1981, 646) geht ebenfalls von einem Zitat aus, wenn er zu der Stelle schreibt „quoting the protasis of the law“.

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und anschließendem Urteil ausgegangen. Schließlich stellt die ‚Erweiterung‘ des Delikts um Verletzungen (mit Todesfolge) in Ath. pol. 57,3 einen Hinweis auf die spätere, vermutlich solonische Fassung dar. In der Forschung ist darüber spekuliert worden, was der historische Hintergrund für dieses Verfahren gewesen sein könnte.431 Es hing von mehreren Voraussetzungen ab: eine ohne Vorsatz ausgeübte Tat, die erfolgte Zuweisung der Schuld durch die ephétai und die Flucht beziehungsweise Verbannung aus Attika, die nicht gewährte Aussöhnung und eine weitere Tötung, über deren Vorsätzlichkeit entschieden werden sollte. Aufgrund des zweiten Vergehens drohte dem Täter ein Verlust der rechtlichen Vergünstigungen, die es nur im Falle einer nicht vorsätzlichen Tötung gab. Insofern hatte der Täter aller Wahrscheinlichkeit nach selbst ein großes Interesse daran, dass sein Fall in Phreattō verhandelt wurde. Nur wenn die ephétai darauf entschieden, dass der Beschuldigte auch die zweite Tat ohne Vorsatz, berechtigt oder versehentlich begangen hatte, blieb sein Vermögen geschützt und die Möglichkeit auf aídesis bestehen.432 Schon Aristoteles merkte an, dass diese Fälle selbst in großen Städten sehr selten gewesen sein dürften, und weder er noch andere Autoren nennen historische Beispiele für Taten, die vor diesen Gerichtshof gebracht wurden.433 Vermutungen gehen dahin, dass die betreffende Person in der ihr bis zur Flucht gesetzten Frist oder in der Zeit des Exils eine zweite Tötung begangen, z. B. eine andere Person aus Notwehr getötet haben könnte, die den Täter wegen der nicht vorsätzlichen Tat widerrechtlich verfolgt hatte.434 Alan Boegehold, der angesichts der vielen Eventualitäten die Aussage des Aristoteles noch für ein ‚understatement‘ hält, stellt die rhetorische Frage, ob überhaupt ein einziger Athener auf diese Weise verurteilt worden sei.435 Doch die Brisanz des Verfahrens wird vor dem Hintergrund des kylonischen Frevels, also der Tötung der Kylonanhänger, erklärlich. Es geht vermutlich nicht um Tötungen während der Frist, in der ein Täter Attika zu verlassen hatte, und nicht um Tötungen während des Exils, sondern um Athener, die beim Vorgehen gegen die Kylonanhänger mehrere Personen getötet hatten, in einem ersten Verfahren der nicht vorsätzlichen Tötung für schuldig

431  Zu den verschiedenen in der Forschung geäußerten Hypothesen Shahin 2019 (wie Anm. 427), 65–67. 432  Shahin 2019 (wie Anm. 427), 71 f. 433  Als einziger Autor nennt Pausanias (1,28,11; F 22d) einen Fall, der ‚in Phreato‘ verhandelt wurde: Teukros sei von seinem Vater Telamon aus Salamis verbannt worden, weil er den Tod seines Halbbruders Aias im Trojanischen Krieg nicht verhindert und nicht gerächt hatte. Wie beim Verfahren ‚in Phreatō‘ durfte Teukros das Land nicht betreten (Lykophr. 450–478). 434  Ruschenbusch 2010, 20. Vgl. Kurt Latte, Art. Mord, in: RE 16, 1933, 283; Heitsch 1984b, 22; Heitsch 1989, 77. Vermutet wurde auch, dass der Täter im Exil gefangen genommen und dann ausgeliefert wurde; oder dass er aus Sorge um seine Verwandten, die in Geiselhaft waren, zurückkehren musste. Ein Großteil der Forschung hat das sehr spezielle Rechtsverfahren auf die permanent drohende Blutrache und die wenig ausgebildete Staatlichkeit zurückgeführt (vgl. Latte 1941, 760; Heitsch 1984b, 21; Heitsch 1989, 82; Carawan 1990, 61–62; Carawan 1998, 106). 435  Boegehold 1995, 49; vgl. MacDowell 1963, 84.

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befunden worden waren und sich nun einem zweiten Verfahren stellen mussten, weil auch die Angehörigen des zweiten Opfers über eine mögliche Rückkehr und ein Wergeld entscheiden wollten. Dies ist ein wesentlich plausibleres Szenario und würde die Vermutung bestärken, dass Drakon in seiner Satzung dieses Verfahren ‚in Phreato‘ geregelt hat und diese Satzung ganz auf die Tötung der Kylonanhänger bezogen werden muss. Aus Respekt vor der alten Satzung Drakons haben Solon und die später redigierten phonikoí nómoi diesen Gerichtshof übernommen, obwohl solche Verfahren eine Generation bzw. 200 Jahre später ihre Bedeutung verloren hatten. Am Verfahren ‚in Phreatto‘ wird deutlich, wie wichtig die Athener die Befleckung eines Täters genommen haben.436 Der Täter durfte sich nur vom Wasser aus dem Heiligtum nähern, nicht Anker werfen oder einen Steg zum Land hin auslegen. Die ephétai befanden sich ihm gegenüber innerhalb des heiligen Bezirks, und das konnten sie in diesem Fall, weil der Täter auf dem Boot blieb. Auffällig ist nämlich, dass im Gegensatz zu den Gerichten ‚beim Palladion‘ und ‚beim Delphinion‘ dieses Gericht ‚in Phreatto‘ tagte, ohne dass dies eine Befleckung des Heiligtums darstellte. Dies war eben möglich, weil der befleckte Täter keinen Kontakt mit dem Heiligtum hatte. Auch Verfahren gegen den unbekannten Täter, der einen Stein, einen hölzernen oder metallenen Gegenstand geworfen hatte, konnten ‚im Prytaneion‘ stattfinden, da der wegen der Tat befleckte Täter nicht anwesend war. Das Wort eusebḗs in Demosth. or. 23,78 ist mit Rücksicht auf das beschriebene Verfahren als ‚entsühnt‘ zu verstehen. Neben dem Bedürfnis, über den Fall zu entscheiden, gab es die Sorge, dass der Blutschuldige athenischen Boden betrat und ein Heiligtum befleckte. Sich trotz dieses Verbots einem zweiten Verfahren zu stellen, bot dem Täter die Möglichkeit, im Falle einer als nicht vorsätzlich bewerteten Tat nach einer Aussöhnung und den vollzogenen Reinigungsriten ‚entsühnt‘ zu werden. F 32 vor dem Prytaneion verhandelte Tötungen (unbekannte Täter, Tiere und Gegenstände) (F 32a, c, f, h: F 21a–d Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 32a: Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 76 (siehe F 22a) F 32b: Aischines, Gegen Ktesiphon (or. 3) 244–245 (336 v. Chr.) (244) Καὶ γὰρ ἂν εἴη δεινόν, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, εἰ τὰ μὲν ξύλα καὶ τοὺς λίθους καὶ τὸν σίδηρον, τὰ ἄφωνα καὶ τὰ ἀγνώμονα, ἐάν τῳ ἐμπεσόντα ἀποκτείνῃ, ὑπερορίζομεν, καὶ ἐάν τις αὑτὸν διαχρήσηται, τὴν χεῖρα τὴν τοῦτο πράξασαν χωρὶς τοῦ σώματος θάπτομεν, (245) Δημοσθένην δέ, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, τὸν γράψαντα μὲν τὴν πανυστάτην ἔξοδον, προδόντα δὲ τοὺς στρατιώτας, τοῦτον ὑμεῖς τιμήσετε. App. crit.: διαχρήσῃ hkl, διαχειρίσηται Bz Laur. Flor.

436  Shahin 2019 (wie Anm 427), 73 f.

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(244) Fürwahr, es wäre arg, Athener, wenn wir die Hölzer und Steine und den eisernen Gegenstand, also Dinge ohne Stimme und Verstand, wenn sie durch Herabfallen jemanden getötet haben, über die Grenze schaffen, und wenn einer sich selbst das Leben nimmt, die Hand, die dies getan hat, getrennt vom Körper bestatten, (245) ihr aber den Demosthenes, Athener, der den letzten Feldzug beantragt und dann das Heer verraten hat, dafür ehrtet.

F 32c: Aristoteles, Athenaion politeia 57,4 (siehe F 22c) F 32d: Pausanias, Graeciae descriptio 1,28,10–11 (siehe F 22d) F 32e: Pausanias, Graeciae descriptio 6,11,6 (ca. 173 n. Chr.) (= F 3c) καὶ τὸν μὲν ὁ ἀνδριὰς ἐμπεσὼν ὕβρεως παύει, τοῦ ἀνθρώπου δὲ τοῦ ἀποθανόντος οἱ παῖδες τῇ εἰκόνι ἐπεξῄεσαν φόνου. καὶ οἱ Θάσιοι καταποντοῦσι τὴν εἰκόνα ἐπακολουθήσαντες γνώμῃ τῇ Δράκοντος, ὃς Ἀθηναίοις θεσμοὺς γράψας φονικοὺς ὑπερώρισε καὶ τὰ ἄψυχα, εἴγε ἐμπεσόν τι ἐξ αὐτῶν ἀποκτείνειεν ἄνθρωπον. App. crit.: τῇ γνώμῃ τοῦ Phral.

Aber die Statue fiel auf ihn und machte dadurch seinem Frevel ein Ende, und die Söhne des Verstorbenen strengten gegen die Statue eine Klage wegen Tötung an. Die Thasier versenkten die Statue, indem sie sich der Meinung Drakons anschlossen, der den Athenern Tötungsgesetze (thesmoí phonikoí) schrieb und darin auch die leblosen Dinge außer Landes verbannte, wenn eines von ihnen auf einen Menschen fiel und ihn tötete.

F 32f: Pollux, Onomastikon 8,120 (siehe F 22e) F 32g: Harpokration ε 110, s. v. ἐπὶ πρυτανείῳ (2. Jh. n. Chr.) ἐπὶ πρυτανείῳ· δικαστήριόν ἐστι καὶ τοῦτο φονικὸν, δικάζει δὲ ἄν τι τῶν ἀψύχων ἐμπεσὸν ἀποκτείνῃ τινὰ, τοῦτο δ’ ἐστὶν ἐὰν λίθος ἢ ξύλον ἢ σίδηρος ἤ τι τοιοῦτον, καὶ τὸν μὲν βαλόντα ἀγνοῇ, αὐτὸ δὲ εἰδῇ καὶ ἔχῃ τὸ τὸν φόνον εἰργασμένον. Beim Prytaneion: Auch dies ist ein Gerichtshof für Tötungen. Er urteilt, wenn ein lebloser Gegenstand auf jemanden fällt und ihn tötet, also ein Stein, ein hölzerner oder metallener Gegenstand oder dergleichen, und wenn man den, der ihn geworfen hat, nicht kennt, aber den Gegenstand kennt und hat, der den Tod herbeigeführt hat.

F 32h: Λέξεις μεθ᾽ ἱστοριῶν ἐκ τῶν Δημοσθένους καὶ Αἰσχίνου λόγων (Lexicon in Demosthenem et Aeschinem), ad Demosth. or. 23,76 (Lexicon Patmense ad Demosth. or. 23,76; Lexica Graeca Minora p. 149,1–7 Sakkelion)

ἐπὶ πρυτανείῳ· ἐν τούτῳ τῷ δικαστηρίῳ δικάζονται φόνου, ὅταν ὁ μὲν ἀνῃρημένος δῆλος ᾖ, ζητεῖται δὲ ὁ τὸν φόνον δράσας, καὶ ἀποφέρει τὴν γραφὴν πρὸς τὸν βασιλέα, καὶ ὁ βασιλεὺς διὰ τοῦ κήρυκος κηρύττει καὶ ἀπαγορεύει τόνδε τὸν ἀνελόντα τὸν δεῖνα μὴ ἐπιβαίνειν ἱερῶν καὶ χώρας Ἀττικῆς. Ἐν τῷ αὐτῷ δὲ τούτῳ δικαστηρίῳ κἄν τι ἐμπεσὸν πατάξῃ τινὰ καὶ ἀνέλῃ τῶν ἀψύχων, δικάζεται τούτῳ καὶ ὑπερορίζεται. beim Prytaneion: Vor diesem Gerichtshof wird die Tötung verhandelt, wenn zwar der Getötete bekannt ist, derjenige, der die Tötung begangen hat, aber gesucht wird. Man überbringt

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die Klageschrift dem [árchōn] basileús, und der basileús lässt derjenigen [unbekannten] Person, welche die Tat begangen hat, durch den Herold das Verbot bekannt geben, Heiligtümer und attisches Land zu betreten. In demselben Gerichtshof wird auch, wenn ein auftreffender lebloser Gegenstand jemanden erschlagen und getötet hat, über diesen entschieden und er über die Grenze geschafft.

Vgl. weitere Einträge bei Lexikographen: Lexeis rhetorikai s. v. ἐν ποίοις δικαστηρίοις τίνες λαγχάνονται δίκαι (Anecd. gr. p. 311,15 f. Bekker): ἐπὶ Πρυτανείῳ. ἐὰν λίθος ἢ σίδηρος ἢ ξύλον φανῇ, τὸν δράσαντα ἀγνοῇ. – Beim Prytaneion: Wenn ein Stein oder ein eiserner oder hölzerner Gegenstand [als Ursache der Tötung] erkannt wurde, der Täter aber unbekannt ist. Suda ε 2540 s. v. ἐπὶ πρυτανείῳ· δικαστήριον. ὅταν τὸ μὲν ἀποκτεῖναν βέλος ᾖ φανερὸν ἢ λίθος ἤ τι τοιοῦτον, ὁ δὲ δράσας μὴ ᾖ. ἀρχαῖον γὰρ ἔθος τὸ καὶ τὰ ἄψυχα κρίνειν, εἰ χρὴ ἐξορίζεσθαι. – Beim Prytaneion: ein Gerichtshof. Wenn bekannt ist, dass ein Pfeil oder ein Stein oder etwas Derartiges getötet hat, der Täter aber unbekannt ist. Alt ist der Brauch, auch das Leblose zu verurteilen, wenn es über die Grenze geworfen werden muss.

Demosthenes, Pausanias und Pollux nennen das Gericht ‚beim Prytaneion‘ (Pausa­ nias sagt ‚im Prytaneion‘), bevor sie auf das Gericht ‚in Phreatos‘ eingehen. In der Athenaion politeia ist die Reihenfolge eine andere, da dort zunächst die Gerichtshöfe genannt werden, in denen die ephétai die Entscheidung treffen; Verfahren gegen unbekannte Personen, leblose Gegenstände und Tiere sind am Ende der Passage angehängt, ohne das Prytaneion explizit zu nennen. Urteilende seien der (árchōn) ba­ sileús und die phylobasileís.437 Nach Pollux hingegen stehen die phylobasileís dem Gericht vor (προεστηκέναι), was in der Angabe Harpokrations eine Entsprechung fände, wenn auch in diesem Gericht die ephétai urteilen (F 22f). Man wird aber die Angaben der Athenaion politeia in diesem Fall vorziehen und Pollux und Harpokration Missverständnisse unterstellen.438 Denn da der Täter unbekannt war, konnten die ephétai nicht über eine Absicht des Täters oder die Rechtmäßigkeit der Tötung entscheiden. 437  Nach Poll. 8,111 waren die phylobasileís Eupatriden (ἐξ Εὐπατριδῶν ὄντες); nach Hesych. s. v. wurden sie von den Phylen gewählt. Dazu Carlier 1984, 353 f., der die Entscheidung über Tötungen im Prytaneion der Zeit Drakons oder bereits früherer Zeit zuweist. Das Urteil über leblose Dinge ist auch in Poll. 8,90 belegt: δικάζει δὲ καὶ τὰς τῶν ἀψύχων δίκας. Alle Belege zum Prytaneion sind zusammengestellt in: R. E. Wycherley, Literary and Epigraphical Testimonia (The Athenian Agora 3), Princeton N. J. 1957, 166–174 Nr. 541–571; S. G. Miller, The Prytaneion. Its Function and Architectural Form, Berkeley/Los Angeles/London 1978, 132–218; vgl. Homer A. Thompson, R. E. Wycherley, The Agora of Athens (The Athenian Agora 14), Princeton N. J. 1972, 46 f.; Boegehold 1995, 148–150. 438  So auch Hignett 1952, 306; Rhodes 1981, 649; Carlier 1984, 354, Boegehold 1995, 148 und Leão/ Rhodes 2015, 34. Nach Philipp Scheibelreiter habe der römische Jurist Gaius einen Komentar der solonischen Gesetze verwendet, wenn in Dig. 50,16,233,2 (Gaius libri ad legem XII tabularum 1) bei der Erklärung von telum auf lapis et lignum et ferrum verwiesen ist, mit dem das λίθος ἢ ξύλον ἢ σίδηρος aus Demosth. or. 23,76 aufgegriffen wurde. Die Parallele von griechischem und römischem Recht habe aber erst Gaius hergestellt. Beim griechischen Gesetz sei die Wiedergabe in Demosth. or. 23,76 näher am solonischen Gesetzestext als die Paraphrase bei Aischines (2019, 20–45; ders., Die Bestrafung von Speer und Stein. Beobachtungen zur objektiven Haftung im altgriechischen Recht, in: Athina Dimopoulou,

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Demosthenes geht in seinen Ausführungen davon aus, dass eine unbekannte Person den Stein, den hölzernen oder eisernen Gegenstand geworfen hat; dies ist auch im Lexicon Patmense vorausgesetzt, wenn dem unbekannten Täter durch den Herold der Aufenthalt in Heiligtümern und auf attischem Land untersagt wird. Erweitert ist dies in der Athenaion politeia und bei Pollux, nach deren Angaben das Gericht im Prytaneion auch über Gegenstände (und Tiere) urteilt und auch diese außer Landes geschafft werden.439 Die durch Pausanias überlieferte Aitiologie eines dort verhandelten ersten Falles, der mit einem Freispruch endete, setzt voraus, dass die Götter solche Taten zuließen, ja durch eine unbekannte Person bewusst geschehen ließen.440 Als unzutreffend wird die Angabe im Lexicon Patmense einzuschätzen sein, dass in solchen Fällen beim (árchōn) basileús eine Schriftklage (graphḗ) einzureichen war, da Klagen bei Tötungsdelikten generell ‚Privatklagen‘, díkai, waren. Unsicher muss bleiben, ob dieses Gericht identisch ist mit dem ‚Prytaneion‘ genannten Gericht, das in vorsolonischer Zeit Verbannungen aussprach, wie das solonische Amnestiegesetz belegt.441 Aus den wenigen Zeugnissen kann man die Hypothese ableiten, dass nach dem Tyrannisversuch Kylons dessen Anhänger zum Prytaneion abgeführt werden sollten, um sich dort einem Gericht zu stellen. Einige seien an den Altären der Semnai hingeschlachtet, andere dem Gericht zugeführt und mit Verbannung gestraft worden. Nachdem Drakon für die nicht vorsätzliche Tötung und die Anweisung zur Tötung der Kylonanhänger neuerliche Verhandlungen angeordnet hatte, die von den ephétai entschieden werden sollten, habe Solon die Fälle vorsätzlicher Tötung dem Areopag übertragen und ebenso die eisangelía zur Anzeige von Tyrannisherrschaften. Dem Prytaneion blieben damit nur noch die Verfahren gegen unbekann-

Andreas Helmis, Dimitris Karabelias [Hrsg.], Ἰουλίαν Βελισσαροπούλου ἐπαινέσαι. Studies in ancient Greek and Roman law, Athen 2020, 261–287). 439  Die Tötung durch Tiere ist allein in der Athenaion politeia hinzugefügt. Solche Verfahren sieht auch Platon in seinen Gesetzen vor: Hat ein Zugtier oder ein anderes Tier jemanden getötet, sollen die Angehörigen das Tier wegen Mordes verfolgen; entscheiden sollen den Fall die agronómoi, bei einem tötenden Gegenstand der nächste Nachbar. Im Fall eines Schuldspruchs soll das Tier getötet und das Tier bzw. der Gegenstand außer Landes geschafft werden (leg. 9,873e–874a). Zu Verfahren gegen den unbekannten Täter ebd. 874a–b. Dem unbekannten Täter soll man auch den Ausschluss von heiligen Stätten verkünden. 440  Vgl. dazu auch Plut. Per. 36. Das bei Pausanias (F 32d) genannte Verfahren ist auch bei Aelian belegt: Beim Fest der Dipolieia und Buphonia werde ein Stier geschlachtet und einer nach dem anderen des Mordes beschuldigt. Alle würden freigesprochen, verurteilt aber werde das Opfermesser, da dies den Stier getötet habe (Ael. var. hist. 8,3 und Porphyr. De abstinentia 2,10,2; 2,29–30 nach Theophr. Περὶ Εὐσεβείας [Bouffartigue/Patillon 2 p. 51 f.]). Dazu Carlier 1984, 355: „La condamnation de l’objet assure la purification de la communauté: elle est la contrepartie indispensable de l’acquittement des hommes.“ Zu den kultischen Funktionen der phylobasileís Carlier 1984, 355–359 mit weiteren, auch inschriftlichen Belegen. 441  Ruschenbusch hatte die Fragmente in seine Ausgabe zunächst nicht aufgenommen, in dem 2010 erschienenen Kommentar mit Übersetzungen deswegen hinzugefügt, weil das Prytaneion als Gerichtshof gemäß Solons Amnestiegesetz (F 1b) bereits in vorsolonischer Zeit existierte.

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te Täter, die einen anderen durch Gegenstände oder Tiere getötet hatten.442 Dabei ist durchaus denkbar, dass ebenso wie Verfahren ‚im Phreatos‘ auch Verfahren ‚im Prytaneion‘ in Drakons Gesetz genannt waren, so wie Pausanias dies behauptet (F 32e). Die Verfahren vor dem Prytaneion gegen unbekannte Täter sollten durchgeführt werden, um auch sie zu zwingen, Attika zu verlassen und um eine Befleckung der Heiligtümer zu verhindern.443 Umstritten ist auch, an welchem Ort das Prytaneion gelegen hat. Die frühere Forschung ging davon aus, dass das Prytaneion auf der Agora lag, die Anhänger Kylons also die Akropolis am Ort der später dort errichteten Propyläen verlassen hätten und auf dem Weg zur Agora an den am Fuß des Areopags gelegenen Altären der Semnai getötet worden seien. Alan L. Boegehold, Noel Robertson und Diane Harris-Cline gehen jedoch davon aus, dass das Prytaneion östlich der Akropolis anzusetzen sei, auf der Alten Agora. Die Kylonanhänger seien über einen Abstieg an der Nordseite von der Akropolis herabgeführt worden.444 Diane Harris-Cline stützt sich auf die Angabe des Pausanias, dass das Prytaneion, in dem die Gesetze Solons aufgezeichnet gewesen seien, in der Nähe des heiligen Bezirks der Aglauros liege.445 Durch eine in situ gefundene Inschrift werde erhärtet, dass der Bezirk der Aglauros und damit auch das Theseion und das Anakeion nordöstlich der Akropolis anzusetzen seien.446

442  Hirayama 2003, 99 geht davon aus, dass in der Zeit vor Drakons Satzung alle Tötungsdelikte vor das Prytaneion gebracht worden waren. Zu berücksichtigen ist auch, dass der (árchōn) basileús im Prytaneion die Klage entgegennahm und dort die Voruntersuchungen (προδικασίαι) abhielt, so dass er von diesem neutralen Ort aus den Fall an eines der Gerichte verweisen konnte (Boegehold 1995, 45 f.). 443  Nach Ruschenbusch gebe es für das beschriebene Verfahren keine anderen Gründe, „als auf diese Weise das Land vor einem Miasma zu bewahren“ (2010, 37; ähnlich Leão/Rhodes 2015, 34). Mit Bezug auf Gagarin, der keine Belege für eine Vorstellung von Miasma sieht, schreibt er: „Wie man bei dieser Sachlage die Existenz des Miasmagedankens für die drakontische Zeit bestreiten konnte (so Gagarin 1981, 165 f.) bleibt unerfindlich“ (2010, 51). Demgegenüber hatte Parker (1983, 117) geurteilt: „But the basis of the institution seems not to be fear of pollution but the urge to exact retribution, and be seen to exact it, for an injury that has been received“. Die Vorstellung von Miasma sei also nur eine Folge dieses frühen Bedürfnisses nach gerechter Bestrafung. Nach Carawan ist das Verfahren als symbolischer Akt zu verstehen, der durch die Verbreitung des Miasma-Glaubens in gewisser Weise rationalisiert wurde (Carawan 1998, 100; ähnlich auch Arnaoutoglou 1993, 129–130). 444  Boegehold 1995, 50 mit den Belegen zum Gerichtshof dort S. 148–150 (vgl. G. Kavvadias, A. P. Matthaiou, A New Attic Inscription of the fifth cent. B. C. from the East Slope of the Acropolis, in: Angelos Matthaiou, R. Pitt [Hrsg.], Ἀθηναίων ἐπίσκοπος. Studies in honour of Harold B. Mattingly, Athen 2014, 51–72); Noel Robertson, Solon’s Axones and Kyrbeis, and the Sixth-Century Background, in: Historia 35, 1986, 147–176, hier 159–168. 445  Paus. 1,18,3; vgl. 1,20,1. Zur Aufbewahrung der solonischen Gesetze im Prytaneion Plut. Solon 25,1; Poll. 8,128 und Harpokr. α 166 s. v. ἄξονι. 446  Problematisch scheint allerdings die Auffassung zu sein, dass die Altäre der Semnai, die im 7. Jh. auf der Alten Agora gelegen hätten, in einer Zeit kurz nach Kleisthenes’ Reformen an den Fuß des áreios págos verlegt worden seien, und zwar auf Veranlassung des Rats auf dem Areopag. Diane Harris-Cline, Archaic Athens and the Topography of the Kylon Affair, in: ABSA 94, 1999, 309–320, hier 314–318: „The Areopagus Council may have transferred the Altars of the Dread Goddesses from its original location in the Archaic agora to its new one on the Areopagos the better to establish its own authority, since the

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Philipp Scheibelreiter geht davon aus, dass das Gesetz, ein unbelebter Gegenstand, der eine Person getötet hatte, müsste nach Verurteilung durch das Prytaneion außer Landes verbracht werden, auf Drakon zurückgeführt werden könne, doch werde es unter Solon neu promulgiert und modifiziert worden sein.447 F 33 Verfahren bei Misshandlung und bei unrechtmäßigen Bußforderungen bei dem nicht aus Attika geflohenen oder ohne Aussöhnung zurückgekehrten Täter (F 33a: T 397 Martina; F 16a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 33b: T 404 Martina; F 3 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 33c–d: T 392–393 Martina; F 11–12 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 33a: Gesetz in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 28 (352 v. Chr.) (= F 8a, 60) καίτοι πάντα ταῦτ’ ἀπείρηκεν ἄντικρυς καὶ σαφῶς ὁ κάτωθεν νόμος μηδὲ τοὺς ἑαλωκότας καὶ δεδογμένους ἀνδροφόνους ἐξεῖναι ποιεῖν. λέγε δ’ αὐτοῖς αὐτὸν τὸν νόμον τὸν μετὰ ταῦτα ΝΟΜΟΣ·

„Τοὺς δ’ ἀνδροφόνους ἐξεῖναι ἀποκτείνειν ἐν τῇ ἡμεδαπῇ καὶ ἀπάγειν, ὡς ἐν τῷ ἄξονι ἀγορεύει, λυμαίνεσθαι δὲ μή, μηδὲ ἀποινᾶν, ἢ διπλοῦν ὀφείλειν ὅσον ἂν καταβλάψῃ. εἰσφέρειν δὲ ‹εἰς› τοὺς ἄρχοντας, ὧν ἕκαστοι δικασταί εἰσι, τῷ βουλομένῳ. τὴν δ’ ἡλιαίαν διαγιγνώσκειν“. App. crit.: δ’om. A; ἐν τῷ ἄξονι: ἐν τῷ ‹α'› ἄξονι add. Cobet; ἀπαγορεύει A; δὲ ‹εἰς› Dilts, δ’ ἐ‹ς› Schelling, δὲ codd., δ’ om YP1; ἡλιαναγινώσκειν S1, corr. S2; δ’ ἀναγινώσκειν Y.

Und doch hat all dies das von unten her [stammende] Gesetz (ho kátōthen nómos) das alles ausdrücklich und klar verboten und sogar überführten und anerkannten Tätern von Tötungsdelikten anzutun untersagt. Lies ihnen [den Geschworenen] das Gesetz vor, das darauf folgt: Gesetz

„Die verurteilten Täter (androphónoi) auf heimischem Gebiet zu töten oder abzuführen (ap­ ágein), ist zulässig, wie es auf dem áxōn bestimmt ist, sie zu misshandeln aber nicht und auch nicht, ein Bußgeld zu verlangen (apoinán). Andernfalls schulde man das Doppelte von dem, was man an Schaden angerichtet hat. [Klage] bei den Archonten einzubringen (eisphérein), die jeweils Richter (dikastaí) sind, ist jedem, der es will (boulómenos), erlaubt. Die (h)ēliaía aber soll entscheiden“.

F 33b: Photius, Lexicon s. v. ἀνδραφόνων (α 1753 Theodoridis) (9. Jh. n. Chr.) ἀνδραφόνων· οὕτως Σόλων ἐν τοῖς ἄξοσιν ‹ἀντὶ› τῶν ἀνδροφόνων ἀεί φησιν. App. crit.: ἄξοσιν b; ‹ἀντὶ› Reitzenstein

andraphónōn (wörtl. „Männertöter“): So spricht Solon in den áxones stets ‹anstelle von› androphónōn.

F 33c: Photius, Lexicon s. v. ποινᾶν καὶ ἀποινᾶν (π 1009 Theodoridis) (= F 8c) ποινᾶν καὶ ἀποινᾶν· τὸ λυτροῦν. Σόλων. shrine would now be overlooking the new Athenian Agora and would serve, from its higher perch, as a visual symbol of old religious authority“ (316). 447  Scheibelreiter 2019, 26, 46.

254

Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

App. crit.: ποίναν codd.; ἄποιναν codd.; λύτρον codd.

poinán und apoinán („büßen“ und „bußlos machen“): das (gegen Lösegeld) Freigeben. Solon.

F 33d: Synagoge lexeon chresimon s. v. ἄποινα (Lexica Segueriana, Anecd. gr. I p. 428,9 f. Bekker und Suda α 3716 s. v. ἄποινα)

ἄποινα: λύτρα, ἃ δίδωσί τις ὑπὲρ φόνου ἢ σώματος. οὕτως Σόλων ἐν νόμοις. ápoina („Bußgeld“, „Wergeld“): Lösegeld, das jemand für eine Tötung oder Körper[verletzung] zahlt. So Solon in den Gesetzen (nómoi).

Wie es auch bei Solons Bestimmung über die Atimie und beim Amnestiegesetz (F 1a–b) der Fall ist, wird auch in F 33a von Solon auf das ältere Gesetz Drakons verwiesen.448 In Drakons Gesetz war ausdrücklich zugelassen, den wegen unabsichtlicher Tötung verurteilten Täter zu töten oder abzuführen (F 8), wenn er Attika nicht verlassen hatte oder ohne Aussöhnung zurückgekehrt war. Auch die auf den Verweis „wie es auf dem áxōn [Drakons] bestimmt ist“449 folgende Regelung über das Verbot der Misshandlung des Täters sowie der Forderung einer Bußzahlung (durch Ausnutzen der Notlage) gehören aller Wahrscheinlichkeit nach zur Satzung Drakons (siehe den Kommentar zu F 8). Die drakontische Regelung hat Solon in seine Gesetze aufgenommen und das Verfahren bei Zuwiderhandlungen geregelt, was noch einmal auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen drakontischer und solonischer Satzung verweist: Solon hat die Rechtsverfahren systematisiert, indem er festgelegt hat, wer bei welcher Institution Klage einreichen konnte, um ein Gerichtsverfahren in Gang zu setzen.450 Das dieser Art erweiterte Gesetz wird deswegen von Demosthenes nicht als Gesetz der vor dem Areopag aufgestellten phonikoí nómoi ausgewiesen, sondern als „Gesetz von unten her“ (ho kátōthen nómos) verlesen.451 Bei dieser Klage um Schadenersatz handelt es sich um eine ‚Schriftklage‘ (graphḗ), weil sie von „jedem, der will“, eingereicht werden konnte. Das ‚Richter sein‘ (δικασταί εἰσι) der neun Archonten und die ‚Entscheidung‘ (das διαγιγνώσκειν) der (h)ēliaía in der solonischen Erweiterung der drakontischen Satzung stehen in direkter Parallele zum ‚Richten‘ (δ]ικάζεν) der basileís und dem ‚Ent448  Ruschenbusch 2010, 45 hält das Gesetz, so wie es in Demosth. or. 23,28 eingelegt ist, für nachsolonisch. Nur die ersten beiden Zeilen (bis ἀποινᾶν) gehen auf „die Zeit Drakons/Solons“ zurück. 449  ‹αʹ› ist Konjektur, was sich durch die Neulesung der Inschrift durch Stroud (das [δεύτ]ε̣ρος ̣ [ἄχσον] in Zeile 56) nach Meinung von Ruschenbusch als verfehlt erwiesen habe. Nach der unter F 8 vorgeschlagenen Einfügung dieser Bestimmung in Z. 30–32 der Inschrift wäre die Konjektur ‹αʹ› möglich, allerdings nicht notwendig, wenn áxōn allein für die Satzung Drakons steht. Canevaro 2013, 51 f. hält die Einfügung von αʹ für eine naheliegende Lösung. 450  So auch Leão/Rhodes 2015, 28: „The part referring to ho boulomenos and the eliaia must be Solonian or later, but reference to an axon guarantees the antiquity of the first part“. 451  In Plut. Solon 19,2 wird der Areopag als oberer Gerichtshof bezeichnet. Zur Unterscheidung eines „oberen“ von einem „unteren Gerichtshof “ siehe Lexeis Rhetorikai s. v. ἐπάνω δικαστήριον καὶ ὑποκάτω (Anecd. gr. 1,253,26–254,2 Bekker).

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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scheiden‘ (διαγν[ο�]ν[α]ι ̣) der ephétai.452 In der auf Solon zurückgehenden Verfahrensbestimmung wird das ὧν ἕκαστοι δικασταί εἰσι so zu verstehen sein, dass der boulómenos zwischen verschiedenen Klagen wählen konnte und sich gemäß der Zuständigkeit an den jeweiligen Archonten zu wenden hatte, der dann den Vorsitz vor dem Gerichtshof der (h)ēliaía übernahm.453 Der Umstand, dass die (h)ēliaía als die ‚entscheidende‘ Instanz festgeschrieben wurde, schließt aus, dass die verfahrensrechtliche Bestimmung von Drakon herstammt (wie ja auch schon der Verweis deutlich macht). Sie wird daher auf Solon zurückzuführen sein, der die (h)ēliaía als Gerichtshof eingerichtet hat.454 Bezeichnend ist auch, dass Solon für den Verstoß gegen das Verbot, den Täter zu misshandeln oder von ihm eine Bußzahlung zu verlangen, ein Verfahren vor der (h)ēliaía vorgesehen hat. Da es sich dabei nicht um ein Tötungsdelikt handelt, wurden solche Verstöße nicht vor dem Areopag oder einem der Ephetengerichte verhandelt. Die Strafe in Höhe des Doppelten des Schadens entspricht den für vorsätzlich angerichtete Schäden angesetzten Strafen.455 Nach Demosth. or. 23,29 f. bedient sich der Gesetzgeber an dieser Stelle des Ausdrucks androphónos (ἀνδροφόνος) als eines durch Abstimmung (ψῆφος) verurteilten Täters. Ein solcher konnte getötet oder abgeführt werden, wenn er Attika nicht verlassen oder ohne eine Aussöhnung zurückgekehrt war. Das Wort androphónos begegnet in den Fragmenten 7, 8a und 9a der drakontischen Satzung (in F 9a im Genitiv Plural τῶν ἀνδροφόνων), allerdings stets mit ‚ο‘ geschrieben.456 Nach Delfim F. Leão und P. J. Rhodes habe Demosthenes die Schreibweise der Neuedition der Gesetze am Ende des 5. Jh. übernommen, nicht die alte Solons.457 Nach Meinung von Eberhard Ruschenbusch stammt der Eintrag im Lexikon des Photios (F 33b) nicht direkt aus den áxones Solons, sondern aus späteren Kommentaren (dem des Aristoteles bzw. aus Schriften des Asklepiades oder Seleukos; dazu T 1–14 Ruschenbusch).458 Auch bei F 33c bezieht sich Photios auf die Gesetze Solons, ohne in Rechnung zu stellen, dass zumindest das Verb ἀποινᾶν auch in der Satzung Drakons (F 8) belegt ist. Das Substantiv ἄποινα bezeugt F 33d ebenfalls nur für die solonischen Gesetze.

452  So auch Canevaro 2013, 54, der diese Parallelität als Hinweis auf das hohe Alter wertet. Vermutlich gehe diese Erweiterung auf Solon zurück. 453  Zur Satzkonstruktion Canevaro 2013, 54 f.; zur Interpretation Mogens Herman Hansen, The Athe­ nian Heliaia from Solon to Aristotle, in: C&M 33, 1981/82, 9–49, hier 10–13, der darunter alle Archonten versteht, die die ἡγεμονία δικαστηρίου haben (mit Verweis auf lex apud Demosth. or. 43,71: τὰς δὲ δίκας εἶναι περὶ τούτων πρὸς τοὺς ἄρχοντας, ὧν ἕκαστοι δικασταί εἰσι). 454  Aristot. Ath. pol. 9,1. 455  Demosth. or. 21,43. 456  Vgl. auch Synagoge lexeon chresimon s. v. ἀνδροκόνοι: ἀνδροφόνοι (Anecdota graeca I, p. 594,20 Becker). 457  Leão/Rhodes 2015, 14. 458  Ruschenbusch 2010, 28–29. F 33b ist kein Beleg dafür, dass Solons Gesetze auf áxones aufgezeichnet waren; es könnte sich bei Photios um die in späterer Zeit übliche Nummerierung der solonischen Gesetze nach áxones handeln.

256

Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Bezeichnet ist damit das Wergeld, das bei einer Aussöhnung nach einer nicht vorsätzlichen, vielleicht auch nach einer versehentlichen Tötung gezahlt wurde.459 Sind Personen, z. B. nach einem gewaltsamen und ungerechtfertigten Angriff, straflos getötet worden, sind sie „bußlos getötet“ (νηποινεὶ τεθνάναι; F 10b). „Buße“, „Bußgeld“ und „bußlos“ (ποινή, ἄποινα, νηποινεὶ) sind vielfach in den homerischen Epen belegt.460 Es kann davon ausgegangen werden, dass in den Gesetzen Drakons und Solons das Wergeld mit ápoina bezeichnet wurde. Das Wort hypophónia im Sinne der „für eine Tötung gezahlten Gelder“ ist demgegenüber erst für spätere Zeit belegt.461 Die Verwendung in Theophrasts Nomoi könnte zwar dafür sprechen, dass das Wort auf frühe Gesetze zurückgeht, doch sicher ist das nicht. Das Wort ist des Weiteren in zwei Gerichtsreden des Deinarchos, aber ohne Kontext nachgewiesen.462 Bei hypophónia handelt es sich um Güter, die der Täter bei einer nicht vorsätzlichen oder versehentlichen Tötung den Angehörigen anbot, um eine Verfolgung oder Klage abzuwenden. Es kann aber auch eine Art Bestechungsgeld gemeint gewesen sein, mit dem die Angehörigen von einer Verfolgung oder Anklage des (vermeintlichen) Täters abgebracht werden sollten.463 Dies entspräche der Situation in Demosth. or. 58, bei der der Sprecher dem Sykophanten Theokrines vorwirft, er habe solange verkündet, den Demochares vor dem Areopag (wegen einer Tötung) anzuklagen, bis er sich mit den am Tod Schuldigen verglichen habe.464

459  Leão/Rhodes 2015, 25. 460  Ruschenbusch 2010, 40 mit den Belegstellen. Im Sinne von Wergeld in Hom. Il. 9,633 (ποινή); 18,498; 24,137 (ἄποινα); vgl. 13,658 f. Die Sühnung durch Wergeld bewirkt, dass der Täter in der Gemeinschaft bleiben kann, da der Zorn besänftigt ist (Il. 9,634: ἐν δήμῳ μένει). Aus dem Zusammenhang geht nicht hervor, dass es sich um eine nicht vorsätzliche Tat handelt, doch anzunehmen ist dies. Als ‚Rache‘, ‚Vergeltung‘ in: Il. 14,484 f.; vgl. 24,736–738; zu ἀποινᾶν siehe auch Thür IPArk 7,14. Erich Berneker, s. v. poiné, in: RE 21, 1951, 1213–1215; Julie Vellissaropoulos, Nḗpoineí tethnánai, in: Symposion 1990. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Pacific Grove, California, 24.–26. September 1990), hrsg. von Michael Gagarin, Köln/Weimar/Wien 1991, 93–105; vgl. Hans Julius Wolff, Beiträge zur Rechtsgeschichte Altgriechenlands und des hellenistisch-römischen Ägyptens, Weimar 1961, 10, 35. 461  Ruschenbusch und Leão/Rhodes haben das ursprüngliche F 9 aus der Liste der Gesetzesfragmente herausgenommen (T 390 Martina; als F/154 von Leão/Rhodes 2015, 196 unter die spuria eingeordnet). 462  Überliefert in Harpokr. υ 13 s. v. ὑποφόνια· τὰ ἐπὶ φόνῳ διδόμενα χρήματα τοῖς οἰκείοις τοῦ φονευθέντος, ἵνα μὴ ἐπεξίωσιν· Δείναρχος ἐν τῷ κατὰ Καλλισθένους καὶ ἐν τῷ κατὰ Φορμισίου, Θεόφραστος Νόμων ις‘. – „hypophónia: die den Angehörigen des Getöteten für eine Tötung gegebenen Güter, damit sie [den Täter] nicht verfolgen. [So] Deinarchos in der Rede gegen Kallisthenes und in der Gegen Phormi­ sios (fr. 10,5 und 19,13), Theophrast im 16. Buch der Gesetze (fr. 12 Szegedy-Maszak)“. ἐπεξίωσιν kann im Sinne von „verfolgen“, „sich rächen“ verstanden werden (dann wäre es sachlich mit dem Gesetz Drakons vereinbar) oder im späteren Sinne von „gerichtlich belangen“. Vgl. Soph. Trach. 839. 463  Von illegalen Zahlungen geht auch Phillips 2008, 81 f. aus. 464  Demosth. or. 58,29: φάσκων εἰς Ἄρειον πάγον Δημοχάρην προσκαλεῖσθαι.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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F 34 unberechtigte Klagen wegen Tötung (F 34: F 16b Leão/Rhodes)

F 34: Gesetz in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 51 (352 v. Chr.) (= F 61a) ΝΟΜΟΣ·

Φόνου δὲ δίκας μὴ εἶναι μηδαμοῦ κατὰ τῶν τοὺς φεύγοντας ἐνδεικνύντων, ἐάν τις κατίῃ ὅποι μὴ ἔξεστιν. Ὁ μὲν νόμος ἐστὶν οὗτος Δράκοντος, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, καὶ οἱ ἄλλοι δὲ ὅσους ἐκ τῶν φονικῶν νόμων παρεγραψάμην· Gesetz:

Tötungsklagen (díkai phónou) sollen nirgends [vor keinem Gericht] möglich sein gegen die, die Flüchtige zur Anzeige bringen (endeiknýntes), wenn jemand dort hingeht, wo ihm der Aufenthalt nicht gestattet ist. Dieses Gesetz (nómos) ist ein Gesetz Drakons, Athener, und ebenso alle anderen, die ich von den Gesetzen über die Tötung (phonikoí nómoi) angeführt habe.

Bei der Diskussion möglicher Inkonsistenzen im überlieferten Gesetzestext kommt Mirko Canevaro zu dem Ergebnis, dass dem Text eine hohe Zuverlässigkeit zuzumessen ist.465 Ungeachtet dessen kann für diesen in die Rede eingelegten Gesetzestext ausgeschlossen werden, dass er auf Drakons Satzung über die Tötung zurückgeht. Denn er setzt ein ausgebildetes Rechtsverfahren voraus, mit Klage (díkē phónou) sowie Anzeige (éndeixis) eines Vergehens bei einem Amtsträger, der dann die Klage aus seiner Amtsvollmacht heraus einbrachte. Das Gesetz kann also frühestens von Solon stammen, der auf Grundlage der drakontischen Satzung festgelegte Verfahrensregeln bestimmte, darunter auch Anzeige und Klageerhebung. Da die in or. 23,51 eingelegte Bestimmung aber zum gesamten Komplex des Tötungsrechts, der nómoi phonikoí, gehörte, gibt Demosthenes sie als eine solche Drakons aus. Dass im Gesetz von „denen, die geflohen sind,“ (φεύγοντες) und nicht von andro­ phónoi gesprochen wird, mag damit zusammenhängen, dass sowohl die verurteilten Täter, die androphónoi, als auch die ohne Urteil geflohenen Täter einbezogen waren.

465  Zur Frage nach der Authentizität der Gesetze in der Rede von Demosthenes Gegen Aristokrates vgl. Carawan 1998, 88–98; Schmitz 2001, 18; Flament 2009; Canevaro 2013, 62–64. In Demosth. or. 23,51 wird ein Teil des eingelegten Gesetzestextes in ähnlicher Formulierung wiederholt: „κατὰ τῶν ἐνδεικνύντων“ φησὶ „τοὺς κατιόντας ἀνδροφόνους ὅποι μὴ ἔξεστι δίκας φόνου μὴ εἶναι“; 23,52: „ἐάν τις κατίῃ“ φησί. Überliefert ist das Gesetz auch in einem auf Papyrus erhaltenen Auszug aus Demosth. or. 23 mit den § 51–54: νομος· φονου δε δικας μη [ειναι μηδαμου κατα των τους] [φευ]γοντας ενδεικνυντων [εαν τις κατιη οποι] [μη ε]ξεστιν. ο μεν νομος [εστιν ουτος Δρακοντος, ω ανδρες] [Αθην]αιοι, και οι αλλοι … (P. Mich. III 142; 2. Jh. n. Chr.).

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

Das Gesetz schützte die Personen, die einen Täter anzeigten, der ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrt war, womöglich an kultischen Handlungen teilnahm und sich an heiligen Orten aufhielt. Wurde eine solche Person angezeigt und für schuldig befunden, konnten dessen Angehörige keine Klage wegen Tötung (insbesondere wegen Veranlassung einer Tötung [boúleusis]) gegen den Anzeigenden einreichen. Die ‚Anzeige‘ schützte vor solchen Klagen, denn sie übertrug die Verantwortung für das weitere Vorgehen auf den Amtsträger. Die Bestimmung bestätigt, dass eine Person, die sich einer vorsätzlichen oder nicht vorsätzlichen Tötung schuldig gemacht hatte und aus Attika geflohen war, nicht oder nur nach Aussöhnung und vollzogener Reinigung an bestimmte Orte zurückkehren durfte. F 35 unberechtigte Klagen wegen Tötung des eigenen Kindes (F 35a: T 403 Martina; F 4d, 136 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 35b: T 499 Martina; F 122 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 35a: Sextus Empiricus, Grundriss der Lehre Pyrrhons 3,211 (2. Jh. n. Chr.) καὶ τοὺς ἑαυτοῦ παῖδας ὁ Κρόνος ἀναιρεῖν ἔκρινεν, καὶ ὁ Σόλων Ἀθηναίοις τὸν περὶ τῶν ἀκρίτων νόμον ἔθετο, καθ’ ὃν φονεύειν ἑκάστῳ τὸν ἑαυτοῦ παῖδα ἐπέτρεψεν. Auch Kronos hat entschieden, die eigenen Kinder zu töten, und auch Solon hat den Athenern das Gesetz (nómos) über die ohne Urteil Bleibenden gegeben, gemäß dem er jedem zugestanden hat, das eigene Kind zu töten.

F 35b: Ps.-Galen, An animal sit quod est in utero 5 (Bd. 19, p. 179 f. Kühn) (2. Jh. n. Chr.) ἐνομοθέτησε μέντοι Κρησὶν ὁ Ζεὺς καὶ Λακεδαιμονίοις ὁ Πύθιος καὶ Ἀθηναίοις ἡ Παλλάς. οἱ οὖν τούτων μαθηταὶ νομοθέται Λυκοῦργος καὶ Σόλων βεβαίως ἡμῖν δι’ ὧν προεῖπον κεφαλαίων δύο τὴν ὑπὲρ τῶν ἐμβρύων ἀναμφισβήτητον παρέσχον ὑπόθεσιν. εἰ γὰρ [ὅταν] μὴ ζῷα ἦν, οὐκ ἂν ἐκόλασαν τοῖς νόμοις φανερῶς τιμωρησάμενοι τοὺς αἰτίους τῆς ἐξαμβλώσεως, ἐπειδὴ δὲ ἔφασαν ζῷα εἶναι, τὴν τιμωρίαν ἐπήγαγον. App. crit.: ὅταν om. Ruschenbusch.

So hat Zeus den Kretern, der pythische Apollon den Spartanern und Pallas [Athene] den Athenern Gesetze gegeben (nomotheteín). Deren Schüler, die Gesetzgeber Lykurgos und Solon, haben uns unzweifelhaft die unbestreitbare Haltung gegenüber Embryos, wie ich sie in den zwei Kapiteln zuvor ausgeführt habe, dargelegt. Denn wenn sie keine lebenden Wesen waren, hätten sie diejenigen, die den Abort herbeigeführt haben, nicht bestraft und damit den Gesetzen offenbar Genüge getan; weil sie aber davon ausgingen, es seien lebende Wesen, führten sie eine Strafe ein.

Ein Hausvater konnte darüber entscheiden, ob er ein neugeborenes Kind in die Familie aufnahm oder es aussetzte. Die Aussetzung neugeborener Kinder ist für die griechische Antike häufig belegt, nicht aber die unmittelbare Tötung. Allein in Sparta hat der Gesetzgeber Lykurg in einem Gesetz über die Kinderzeugung festgelegt, dass Kinder

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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aus Verbindungen freigelassener Heloten mit Witwen gefallener Spartiaten getötet werden sollten, wenn sie schwächlich oder missgestaltet waren.466 Nur im Kontext der Aufnahme Neugeborener ließe sich das durch Sextus Empiricus belegte Gesetz Solons sinnvoll deuten, dass nämlich Solon verboten hat, Klagen gegen Personen einzureichen, die ohne Aussöhnung zurückgekehrte Mörder angezeigt hatten (F 34), und gegen Väter, die ihre neu geborenen Kinder getötet hatten. Diesbezügliche Klagen sollten „ohne Urteil“ (ákritos) bleiben. Wenn der Vater das Neugeborene durch einen Aufnahmeritus bereits in die Hausgemeinschaft aufgenommen hatte, hätte er sich der Tötung schuldig gemacht. Die Tötung eines heranwachsenden oder erwachsenen Sohnes konnte auf dieselbe Weise geahndet werden wie die Tötung des Vaters oder der Mutter und wie jede andere Tötung. Ein Bezug auf ‚ungeschriebene Gesetze‘ (ágrapha adikḗmata), der bei Eberhard Ruschenbusch oder Delfim F. Leão und P. J. Rhodes diskutiert wird, muss unsicher bleiben. Dass in Solons Verfahrensbestimmung neugeborene Kinder gemeint waren, gewinnt durch den Zusammenhang an Plausibilität. Dem Mythos nach soll Kronos aus Angst, dass er durch seine eigenen Söhne gewaltsam der Herrschaft beraubt werde, seine Kinder gleich nach deren Geburt verschlungen haben. Nur den jüngsten Sohn, Zeus, kann die Mutter durch eine List retten, nämlich indem sie Kronos einen in Windeln gewickelten Stein gibt. Zeus wächst heimlich auf Kreta auf. Ob Lykurg und Solon gesetzliche Bestimmungen über die Abtreibung erlassen haben, wie in der kaiserzeitlichen Schrift An animal sit quod est in utero behauptet wird, ist kaum glaubhaft.467 Es gibt jedenfalls keine Hinweise darauf, dass in den Rechtsordnungen griechischer Städte Abtreibungen generell verboten gewesen wären. Von einem Abtreibungsverbot auszugehen erscheint auch deswegen unwahrscheinlich, weil die Aussetzung eines neugeborenen Kindes nicht unter Strafe stand.468 Wenn also durch ein solonisches Gesetz verboten war, einen Fötus durch Abtreibung zu töten, kann sich dies nur aus dem väterlichen Anrecht auf Nachkommenschaft ableiten. Trotzdem wiegen die Bedenken gegen die Historizität einer solchen Bestimmung schwerer. Der Autor der medizinischen Schrift hat vermutlich die gesetzliche Bestimmung, dem un466  Plut. Lyk. 16,1–2; Winfried Schmitz, Die Gründung der Stadt Tarent und die Gesetze des Lykurg. Eine neue Sicht auf Spartas Geschichte in archaischer Zeit, in: Klio 99, 2017, 420–463, hier 452 f.; ders., Lykurgs Gesetz über die Kinderzeugung und seine zweite und dritte Rhetra, in: Chiron 2018, 107–141, hier 114 f. 467  Siehe dazu Leão/Rhodes 2015, 181 und ausführlich Konstantinos Kapparis, Abortion in the Ancient World, London 2002, 175 f., 178 (er hält Ps.-Galen nicht für eine zuverlässige Quelle) und Laura Pepe, Abortion in Ancient Greece, in: Symposion 2013. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Cambridge MA, 26.–29. August 2013), hrsg. von Michael Gagarin, Adriaan Lanni, Wien 2014, 39–64, hier 42 f. Eine mit Kommentaren versehene Übersetzung der Schrift bietet Kapparis ebd. 201–213. Vgl. Ewald Kislinger, Art. Abtreibung, in: Karl-Heinz Leven (Hrsg.), Antike Medizin. Ein Lexikon, München 2005, 5–8. 468  Als Einwand gegen die Historizität führen dieses Argument auch Kapparis 2002 (wie Anm. 467), 176, 188 und Pepe 2014, 43 an.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

geborenen Kind komme ein Recht am Erbe des vor der Geburt verstorbenen Vaters zu, in ein Verbot der Abtreibung umgedeutet, um einen weit zurückreichenden Beleg für die Strafwürdigkeit der Abtreibung vorlegen zu können.469 Aus dem frühen 4. Jh. sind mehrere Fragmente einer Gerichtsrede des Lysias Über die Abtreibung erhalten; allerdings ist die Autorschaft des Lysias umstritten.470 Folgt man der Rekonstruktion, die Konstantinos Kapparis aufbauend auf den überlieferterten Fragmenten der Rede vorgelegt hat,471 hatte ein gewisser Antigenes seine eigene Frau wegen Tötung angeklagt, weil sie vorsätzlich den Tod des Fötus herbeigeführt habe; dadurch habe sie verhindert, dass er als Vater des Kindes galt.472 Kapparis hält es durchaus für möglich, dass am Anfang des 4. Jh. Antigenes eine solche Klage, eine díkē phónou, eingebracht und der Areopag über diesen Fall geurteilt hat. Vermutlich wird der Areopag die Frau aber nicht verurteilt haben, da es keine spezielle gesetzliche Bestimmung gegen die Abtreibung gab; die Vorstellung, bereits im antiken griechischen Recht sei das Leben des ungeborenen Kindes besonders geschützt gewesen, sei anachronistisch.473 F 36 kein spezielles Gesetz gegen den Vatermörder (parricida) (F 36a–c: T 406a–c Martina; F 4a–c Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 36a: Cicero, Für Sextus Roscius (Pro Sexto Roscio Amerino) 70 (80 v. Chr.) eius porro civitatis sapientissimum Solonem dicunt fuisse, eum, qui leges, quibus hodie quoque utuntur, scripserit. is cum interrogaretur, cur nullum supplicium constituisset in eum, qui parentem necasset, respondit se id neminem facturum putasse.

469  Kapparis 2002 (wie Anm. 467), 178–180. Vom Recht des noch ungeborenen Kindes in Hinsicht auf Erbe und Nachfolge geht die Anekdote aus, der Spartaner Lykurg habe das Angebot der Frau seines verstorbenen Bruders abgelehnt, den Fötus abzutreiben, um Lykurg die Stellung als König zu sichern. Unmittelbar nach der Geburt habe Lykurg das Neugeborene den Spartanern als neuen König präsentiert und die Vormundschaft übernommen (Plut. Lykurg. 3). Zur Vermutung, Ps.-Galen habe das angebliche Gesetz des Lykurg aus der von Plutarch überlieferten Anekdote herausgesponnen, Kapparis ebd. 175 f.; Pepe 2014 (wie Anm. 467), 42 f. Anm. 18. 470  Harpokr. s. v. ἀμφιδρόμια (Lys. or. 11 fr. 22 Carey): Λυσίας ἐν τῷ περὶ τῆς ἀμβλώσεως, εἰ γνήσιος ὁ λόγος. Ebenso fr. 23 und 24 Carey. 471  Lys. or. 11 (περὶ τῆς ἀμβλώσεως) fr. 19–24a Carey. Dazu Kapparis 2002 (wie Anm. 467), 177 f., 185– 193; Pepe 2014 (wie Anm. 149), 44–53. Umstritten ist, ob fr. 19 zu einem anderen Rechtsfall gehört (so Kapparis ebd. 190 f.) oder zu dieser Rede. Letzteres vertritt Laura Pepe (ebd. 44–48), die darin einen Verweis auf ein früheres Verfahren sieht und sich gegen die Meinung von Stephen Todd (Lysias on Abortion, in: Symposion 1999. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte, hrsg. von Gerhard Thür, F. J. Fernández-Nieto, Köln/Weimar/Wien 2003, 235–256) ausspricht, die Fragmente gehörten zu einer graphḗ hýbreōs. 472  Lysias or. 11 fr. 20d Carey: Λυσίᾳ μεμελέτηται ἰατρικὸν πρόβλημα παράδοξον ῥητορικῶς μεθοδεύειν ‹ἐν τῷ› περὶ τοῦ ἀμβλωθριδίου, ἐν ᾦ Ἀντιγένης κατηγορεῖ τῆς ἑαυτοῦ γυναικὸς φόνον ἀμβλωσάσης ἑκουσίως, φάσκων ὡς ἐξήμβλωκε καὶ κεκώλυκεν αὐτὸν πατέρα κληθῆναι παιδός. Vgl. dazu auch H. King, Art. Abtreibung, in: DNP 1, 1996, 41–44, hier 42; David D. Leitao, The Pregnant Male as Myth and Meta­ phor in Classical Greek Literature, New York 2021, 233. 473  Kapparis 2002 (wie Anm. 467), 188 f.

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App. crit.: scripserit codd., scripsit Halm.

Doch der weiseste aus dieser Gemeinde [Athen], so sagt man, war Solon, der Mann, der die noch heute geltenden Gesetze schrieb. Als er gefragt wurde, warum er keine Strafe für den vorgesehen habe, der den Vater getötet hatte, habe er geantwortet, er habe geglaubt, dass niemand so etwas tun würde.

F 36b: Diogenes Laertius, Vitae philosophorum 1,59 (3. Jh. n. Chr.) ἐρωτηθεὶς διὰ τί κατὰ πατροκτόνου νόμον οὐκ ἔθηκε, διὰ τὸ ἀπελπίσαι εἶπεν. App. crit.: ποτὲ Stephanus, ὁτὲ aut ὅτε codd.

Als man ihn [Solon] fragte, weshalb er kein Gesetz (nómos) gegen den Vatermörder (patroktó­ nos) aufgestellt habe, sagte er, er habe gezweifelt, dass dies passiere.

F 36c: Orosius, Historiae adversus paganos 5,16,23–24 (ca. 400–420 n. Chr.) (23) Publicius siquidem Malleolus servis adnitentibus matrem suam interfecit, damnatus parricidii insutusque in culleum et in mare proiectus est; (24) inpleveruntque Romani et facinus et poenam, unde et Solo Atheniensis decernere non ausus fuerat, dum fieri posse non credit. App. crit.: Publius D; siquidem: quidam PR; inpleveruntque et L; discernere D; credet La, credidit vulg.

(23) Publicius Malleolus nämlich tötete mit Unterstützung von Sklaven seine Mutter. Wegen des Mordes an der Mutter (parricidium) verurteilt, wurde er in einen Sack eingenäht und ins Meer geworfen. (24) Die Römer regelten [gesetzlich] Verbrechen und Strafe, über das der Athener Solon zu bestimmen nicht gewagt hatte, da er nicht glaubte, dass es geschehen könne.

Erst vom römischen Recht aus gesehen, das ein spezielles Delikt und eine spezielle Strafe für den parricida kannte, der Vater, Mutter oder einen nahen Angehörigen getötet hatte, konnte es Erstaunen hervorrufen, dass das athenische Recht dies als spezielles Delikt nicht kannte.474 Die Quellen, die dem Ausdruck verleihen, stammen daher erst aus der Zeit der späten Republik und aus der Kaiserzeit. Im athenischen Recht galt die Tötung des eigenen Vaters oder der Mutter als ein Vergehen, das nach den Gesetzen über die Tötung verfolgt und geahndet werden konnte.475 Mit den Gesetzen Solons konnte der Sohn wegen vorsätzlicher oder nicht vorsätzlicher Tötung belangt werden bzw. sich der Sohn auf eine berechtigte oder versehentliche Tötung berufen. Da dí­

474  Besondere Bestimmungen für die Tötung von Vater, Mutter, Sohn oder Tochter sah auch Platon in seinen Gesetzen vor (leg. 9,868c–869c). Er verwendet dafür die Begriffe patrophónos und mētroktónos (869b). Zu den in Gerichtsreden für die klassische Zeit belegten Fällen von Tötungen innerhalb der Familie siehe Phillips 2008, 85–109. Nach Hom. Od. 3,193–198 sei es gut, wenn ein Vater einen Sohn hinterlasse, der den Mörder des Vaters (πατροφονεύς) büßen lasse. 475  Nach Poll. 8,117 wurde demjenigen, der Vater oder Mutter getötet hatte, nicht eingeräumt, nach der ersten Rede das Land zu verlassen. Allerdings wird die Glaubwürdigkeit dieser Aussage bezweifelt (Stephen C. Todd, Death and Religion in Athenian Law. Identifying Pollution?, in: Symposion 2015. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte [Coimbra, 1.–4. September 2015], hrsg. von Delfim F. Leão, Gerhard Thür, Wien 2016, 325–350, hier 335).

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

kai phónou allerdings ‚Privatklagen‘ waren, konnte die Klage nur von einem weiteren Sohn, also einem Bruder, oder sonstigen nahen Angehörigen eingebracht werden. Eingewendet wird häufig, dass dann die Tötung des Vaters durch den eigenen Sohn ungestraft bleiben musste, wenn es keine weiteren näheren Angehörigen aus väterlicher Familie gab.476 Dieses Problem stellte sich aber in gleicher Weise bei der Tötung einer Person, die keinen Sohn, keinen Bruder und keinen Vetter hatte. Delfim F. Leão und P. J. Rhodes verweisen zudem zu Recht darauf, dass in klassischer Zeit die Möglichkeit für Nichtfamilienangehörige bestand, den Täter mittels einer ‚Schriftklage‘ (graphḗ) zu belangen, die jeder Athener einreichen konnte, z. B. mittels graphḗ hýbeōs oder einer graphḗ asebeías. Im 4. Jh. war Diodoros der Tötung seines Vaters beschuldigt worden; ein Mann namens Androtion klagte Diodors Onkel in einer graphḗ asebeías – allerdings erfolglos – an, da er mit einem Vatermörder Umgang pflegte. Auf Androtion entfielen weniger als ein Fünftel der Geschworenenstimmen, so dass er eine Geldstrafe von tausend Drachmen zahlen musste.477 F 37 Geiselnahme (F 37a: T 394 Martina; F 13 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 37a: Gesetz in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 82 (352 v. Chr.) ΝΟΜΟΣ·

Ἐάν τις βιαίῳ θανάτῳ ἀποθάνῃ, ὑπὲρ τούτου τοῖς προσήκουσιν εἶναι τὰς ἀνδροληψίας, ἕως ἂν ἢ δίκας τοῦ φόνου ὑπόσχωσιν ἢ τοὺς ἀποκτείναντας ἐκδῶσι. τὴν δὲ ἀνδροληψίαν εἶναι μέχρι τριῶν, πλέον δὲ μή. Gesetz:

Wenn jemand eines gewaltsamen Todes stirbt, sind seinetwegen den Angehörigen Geiselnahmen (androlēpsíai) erlaubt, bis sie entweder Genugtuung (díkai) für die Tötung anbieten oder diejenigen, die getötet haben, ausliefern. Die Geiselnahme ist bis zu drei [Personen] zulässig, mehr aber nicht.

F 37b: Glossae rhetoricae s. v. ἀνδρολήψιον καὶ ἀνδροληψία (10. Jh. n. Chr.) (Anecd. graec. I p. 213,30–214,2 Bekker)

ἀνδρολήψιον καὶ ἀνδροληψία: ἀνδρολήψιόν ἐστι τὸ φόνου πραχθέντος ἔν τινι πόλει καὶ τοῦ φονέως μὴ ἐκδιδομένου ὑπὸ τῶν πολιτῶν, τρεῖς ἀντ᾽ αὐτοῦ τῶν ἐκείνου πολιτῶν ἄγειν εἰς δικαστήριον, δίκην ὑφέξοντας τοῦ φόνου. καὶ τοῦτο ἀνδρολήψιον καλεῖται. androlḗpsion und androlēpsía: androlḗpsion meint, wenn eine Tötung in irgendeiner Stadt geschehen ist und der Täter von den Bürgern nicht herausgegeben wird, statt seiner drei der Mit-

476  Dazu Eberhard Ruschenbusch, Δικαστήριον πάντων κύριον, in: Historia 6, 1957, 257–274, bes. 264 f. (= Erich Berneker [Hrsg.], Zur griechischen Rechtsgeschichte, Darmstadt 1968, 350–373; Ruschenbusch, Kleine Schriften 23 f.). 477  Demosth. or. 22,2 f.; 24,7. Leão/Rhodes 2015, 15.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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bürger vor einen Gerichtshof zu bringen, die sich einer Klage wegen der Tötung unterziehen müssen. Dies wird auch androlḗpsion genannt.

In der Bestimmung ist ausdrücklich von einem „gewaltsamen Tod“ (bíaios thánatos) die Rede; die Tat wird also nicht als vorsätzliche, nicht vorsätzliche, berechtigte oder versehentliche qualifiziert.478 Auffällig ist die Wendung δίκας τοῦ φόνου ὑπόσχωσιν im Sinne von ‚Recht, Genugtuung für eine Tötung geben‘.479 In den Glossae rhetoricae ist dies in einen Singular umgewandelt im Sinne von „sich einem Gerichtsverfahren wegen der Tötung unterziehen“. Die Geiselnahme wird in antiken Quellen, aber auch in der modernen Literatur mit Personen anderer Gemeinwesen in Verbindung gebracht, so dass diese Bestimmung auf die Tötung eines Atheners durch einen Nichtathener bezogen wird. Dafür gibt es aber keine hinreichenden Anhaltspunkte. Es ist durchaus vorstellbar, dass die Angehörigen des Täters diesen in ihrem Haus versteckten und sich weigerten, ihn auszuliefern.480 Zu erwägen ist, ob die ‚Geiselnahme‘ nicht auch im Sinne von ‚Bürgen stellen‘ verstanden werden kann oder sich die Bürgenstellung aus der Geiselnahme herleitet. Platon könnte sich in seinen Gesetzen zur vorsätzlichen Tötung auf das athenische Recht bezogen haben, wenn der Ankläger von dem Täter, den er anklagt, Bürgschaft verlangen soll (κατεγγυᾶν); drei zuverlässige Personen sollen sich dafür verbürgen, ihn

478  Auch in diesem Fall gibt Demosthenes das Gesetz in or. 23,83 passagenweise wieder: ἐάν τις βιαίῳ θανάτῳ ἀποθάνῃ; ὑπὲρ τούτου τοῖς προσήκουσιν εἶναι τὰς ἀνδροληψίας, ἕως ἂν ἢ δίκας τοῦ φόνου ὑπόσχωσιν ἢ τοὺς ἀποκτείναντας ἐκδῶσι; τὸ ἀνδρολήψιoν … εἶναι μέχρι τριῶν, πλέον δὲ μή. Die in or. 23,82 eingelegte Bestimmung wird auch in or. 23,217 f. noch einmal aufgegriffen: ἀνδρολήψιον, παρ᾽ οἷς ἂν ὁ δράσας ᾖ, ἂν μὴ διδῶσι δίκας, κελεύουσιν οἱ νόμοι μέχρι τριῶν εἶναι (218). Dort und in or. 23,83 f. wird das Recht ἀνδρολήψιον genannt, im Gesetz die Handlung ἀνδροληψία. 479  So auch in Demosth. or. 23,217 und in or. 51,13 in der Wendung δίκας δίδωσιν. Vgl. Ruschenbusch 2010, 41 mit Verweis auf Hdt. 2,118,3. 480  Ruschenbusch 2010, 40 referiert diese Meinung: „erlaubte das Gesetz den Verwandten eines Atheners, der auf fremdem Staatsgebiet von einem Bürger dieses Staates getötet worden ist, aus dessen Bürgern drei beliebige Geiseln zu greifen, solange dieser Staat die Täter nicht zur gerichtlichen Verantwortung zog oder sie nach Athen auslieferte“ (in diesem Sinne etwa auch Lipsius 1905–15, 267). Abgeleitet wird dies aus der Formulierung ἐὰν μήτε δίκας ὑπέσχωσι παρ᾽ οἷς ἂν τὸ πάθος γένηται, μήτε τοὺς δεδρακότας ἐκδιδῶσι in Demosth. or. 23,84; ähnlich 23,85. Übernommen ist dies von Harpokr. α 132: Ἀνδροληψία: τὸ ἁρπάζειν ἄνδρας ἔκ τινος πόλεως· ἠνεχύραζον γὰρ τὴν ἔχουσαν πόλιν τὸν ἀνδροφόνον καὶ μὴ προϊεμένην αὐτὸν εἰς τιμωρίαν. Δημοσθένης κατ’ Ἀριστοκράτους. λέγει δὲ καὶ οὐδετέρως τὸ ἀνδρολήψιον ἐν τούτῳ (vgl. Lex. Seguer. p. 393,33–394,3 Bekker und Suda s. v. ἀνδροληψία). Aber die Formulierung „in deren Bereich die Tat begangen wurde“ ist ein Zusatz des Demosthenes, der nicht ohne weiteres auf das ursprüngliche Gesetz übertragen werden kann. In Demosth. or. 51,13 allerdings geht es tatsächlich um Übergriffe in anderen Poleis, die Geiselnahmen (androlēpsíai) von Athenern und Kaperung nach sich ziehen. Trotzdem ist den Bedenken Ruschenbuschs (auch in: ‚Phonos‘. Zum Recht Drakons und seiner Bedeutung für das Werden des Athenischen Staates, in: Historia 9, 1960, 129–154, hier 140–142; ders. 2005, 41–43) gegen diese Interpretation zuzustimmen: bei den Geiseln wird es sich um Angehörige des Täters innerhalb Attikas gehandelt haben. Dem folgen auch Leão/Rhodes 2015, 26; anders Heitsch 1984a, 53.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

vor Gericht vorzuführen.481 Werden keine Bürgen gestellt, sollen die Amtsträger den Täter in Haft nehmen. Die Bestimmung zur ‚Geiselnahme‘ mag auf Drakons Satzung zurückgehen; das Kompositum apokteínein verweist jedoch auf eine spätere Fassung, die Demosthenes aus den nómoi phonikoí zitieren ließ.482 Antike und mittelalterliche Lexikographen haben die androlēpsía mit anderen Formen der öffentlichen Klagen zusammengestellt und als Klageverfahren bezeichnet, was unzutreffend ist.483 Die Grammatiker teilen darüber hinaus mit, dass in dem Falle, dass der Täter nicht ausgeliefert wurde, die Geiseln vor Gericht gestellt wurden, um für die Tat zu büßen (F 37b). War die androlēpsía hingegen ungerechterweise erfolgt, hatte dies rechtliche Folgen. F 38 Eid (F 38a: T 304 Martina, F 15b Ruschenbusch, F 95/1 Leão/Rhodes; F 38c: T 396 Martina, F 15a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 38d: T 389 Martina, F 8 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 38e–g: T 314, 481e–f Martina, F 43, 44a–b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 38a: Lysias, Gegen Theomnestos (or. 10) 11 und 17 (384/83 v. Chr.) (11) οὑτοσὶ γάρ μοι δοκεῖ ὑπὸ ῥᾳθυμίας καὶ μαλακίας οὐδ’ εἰς Ἄρειον πάγον ἀναβεβηκέναι. πάν­ τες γὰρ ἐπίστασθε ὅτι ἐν ἐκείνῳ τῷ χωρίῳ, ὅταν τὰς τοῦ φόνου δίκας δικάζωνται, οὐ διὰ τούτου τοῦ ὀνόματος τὰς διωμοσίας ποιοῦνται, ἀλλὰ δι’ οὗπερ ἐγὼ κακῶς ἀκήκοα· ὁ μὲν γὰρ διώκων ὡς ἔκτεινε διόμνυται, ὁ δὲ φεύγων ὡς οὐκ ἔκτεινεν. (15) Καί μοι ἀνάγνωθι τούτους τοὺς νόμους τοὺς Σόλωνος τοὺς παλαιούς. … (17) λέγε ἕτερον νόμον. ΝΟΜΟΣ

„ἐπεγγυᾶν δ’ ἐπιορκήσαντα τὸν Ἀπόλλω. δεδιότα δὲ δίκης ἕνεκα δρασκάζειν.“ τοῦτο τὸ ἐπιορκήσαντα ὀμόσαντά ἐστι, τό τε δρασκάζειν, ὃ νῦν ἀποδιδράσκειν ὀνομάζομεν. App. crit.: (15) τοῦ παλαιοῦ Reiske; (17) tit. om. X spatio relicto; Ἀπόλλωνα C; τοῦτο C quoque ὀμόσαντα; Harpocr. s. v. ἐπιορκήσαντα: ὀμόσαι L; δὲ C, τε O X.

(11) Denn dieser scheint mir aus lauter Leichtsinn und Trägheit nicht einmal auf den Areopag hinaufgestiegen zu sein. Ihr alle nämlich wisst, dass an jenem Ort, wenn Verfahren wegen Tötung (díkai phónou) entschieden werden, die Eide (diōmosíai) nicht unter diesem Namen [der ‚Tötung‘ (phónos)] geleistet werden, sondern unter dem, weswegen ich beschuldigt bin: Der Kläger (diṓkōn) nämlich schwört (diómnysthai), dass der andere getötet habe (kteínein), der Beklagte (pheúgōn), dass er nicht getötet habe (ouk kteínein). … (15) Lest mir diese Gesetze Solons vor, die alten. … (17) Lies ein anderes Gesetz!

481  Plat. leg. 9,871e: τρεῖς ἐγγυητὰς ἀξιόχρεως παρέξειν ἐγγυωμένους εἰς δίκην. 482  Canevaro 2013, 73 f. folgt der Ansicht von Michael Gagarin und David Phillips, die das Gesetz wegen der Formulierung βιαίῳ θανάτῳ nicht vor das 5. Jh. datieren. 483  Poll. 8,41.50 und Etym. M. p. 101,54 f.: Καὶ ἀνδροληψία, ἐγκλήματος εἶδος. Lipsius 1905–15, 266 f.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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Gesetz:

„Nachdem er bei Apollon geschworen hat (epiorkḗsas), soll er Bürgen stellen. Wer sich aber wegen eines Rechtsverfahrens (díkē) fürchtet, soll entlaufen (draskázein)“. Dieses „einen Eid leisten“ (epiorkḗsas) ist heute ‚schwören‘ (omósas), und das „Entlaufen“ (draskázein) nennen wir jetzt ‚weglaufen‘ (apodidráskein).

F 38b: Ps.-Demosthenes, Gegen Euergos und Mnesiboulos (or. 47) 71 f. (= F 6d, 14b, 26b) (356/53 v. Chr.) (71) ταῦτα ἀκούσας ἐγὼ τῶν ἐξηγητῶν, καὶ τοὺς νόμους ἐπισκεψάμενος τοὺς τοῦ Δράκοντος ἐκ τῆς στήλης, ἐβουλευόμην μετὰ τῶν φίλων ὅ τι χρή με ποιεῖν. συμβουλευόντων δέ μοι ταὐτά, ἃ μὲν ὑπὲρ τῆς οἰκίας προσῆκεν μοι πρᾶξαι καὶ ἃ ἐξηγήσαντό μοι οἱ ἐξηγηταί, ἐποίησα, ἃ δ’ ἐκ τῶν νόμων οὐκέτι μοι προσῆκεν, ἡσυχίαν εἶχον. (72) κελεύει γὰρ ὁ νόμος, ὦ ἄνδρες δικασταί, τοὺς προσήκον­ τας ἐπεξιέναι μέχρι ἀνεψιαδῶν, (καὶ ἐν τῷ ὅρκῳ διορίζεται ὅ τι προσήκων ἐστίν), τι προσήκων ἐστίν, κἂν οἰκέτης ᾖ, τούτων τὰς ἐπισκήψεις εἶναι. App. crit.: ταῦτα vulg., ταὐτά Schaefer; ἀνεψιαδῶν: ἀνεψιῶν F γρ. Q γρ., Poll. 8,118, ἀνεψιῶν παίδον Koehler, Beauchet; διορὶζεται: ἐπερωτᾶν F γρ. Q γρ., Poll; ὅ τι D, ὅτι vulg., τί Q γρ., τίς Poll., om. F γρ.; προσῆκον F γρ. Q γρ.; ᾖ codd., Poll., ‹τις› ᾖ Cobet; τούτων: τῶν κυρίων Rüger, τῶν δεσποτῶν Philippi.

(71) Als ich dies von den Rechtskundigen (exēgētaí) gehört und [daraufhin] die Gesetze (nó­ moi) Drakons von der Stele geprüft hatte, habe ich mich mit meinen Freunden beraten, was ich tun sollte. Da sie mir dasselbe rieten, habe ich getan, was bezüglich des Hauses angemessen war zu tun [also eine Reinigung vorzunehmen] und was die Rechtskundigen mir als Auskunft erteilt hatten, und ich habe mich zufrieden gegeben damit, was nach den Gesetzen (nómoi) mir ganz und gar nicht zukam: (72) Das Gesetz nämlich ordnet an, Athener, dass die Angehörigen bis zu den Vetterssöhnen (anepsiadoí) [den Täter] verklagen (epexérchomai) und im Eid (hórkos) darlegen sollen, welcher Angehöriger man ist, und dass die Klagen (episkḗpseis) von diesen sein sollen, auch wenn er [der Getötete] ein Sklave (oikétēs) ist.

F 38c: Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 67–69 (352 v. Chr.) (67) … ἴστε δήπου τοῦθ’ ἅπαντες, ὅτι ἐν Ἀρείῳ πάγῳ, οὗ δίδωσ’ ὁ νόμος καὶ κελεύει τοῦ φόνου δικάζεσθαι, πρῶτον μὲν διομεῖται κατ’ ἐξωλείας αὑτοῦ καὶ γένους καὶ οἰκίας ὅ τιν’ αἰτιώμενος εἰργάσθαι τι τοιοῦτον (68), εἶτ’ οὐδὲ τὸν τυχόντα τιν’ ὅρκον [τοῦτο ποιήσει] ἀλλ’ ὃν οὐδεὶς ὄμνυσ’ ὑπὲρ οὐδενὸς ἄλλου, στὰς ἐπὶ τῶν τομίων κάπρου καὶ κριοῦ καὶ ταύρου, καὶ τούτων ἐσφαγμένων ὑφ’ ὧν δεῖ καὶ ἐν αἷς ἡμέραις καθήκει, ὥστε καὶ ἐκ τοῦ χρόνου καὶ ἐκ τῶν μεταχειριζομένων ἅπαν, ὅσον ἔσθ’ ὅσιον, πεπρᾶχθαι. καὶ μετὰ ταῦθ’ ὁ τὸν τοιοῦτον ὅρκον ὀμωμοκὼς οὔπω πεπίστευται, ἀλλ’ ἐὰν ἐξελεγχθῇ μὴ λέγων ἀληθῆ, τὴν ἐπιορκίαν ἀπενεγκάμενος τοῖς αὑτοῦ παισὶν καὶ τῷ γένει πλέον οὐδ’ ὁτιοῦν ἕξει. (69) … καὶ τῷ μὲν διώκοντι ὑπάρχει ταῦτα, τῷ δὲ φεύγοντι τὰ μὲν τῆς διωμοσίας ταὐτά, τὸν πρότερον δ’ ἔξεστιν εἰπόντα λόγον μεταστῆναι, καὶ οὔθ’ ὁ διώκων οὔθ’ οἱ δικάζοντες οὔτ’ ἄλλος ἀνθρώπων οὐδεὶς κύριος κωλῦσαι. App. crit.: (68) τιν’ ὅρκον τοῦτο SAYO: τιν’ ὅρκον τοῦτον vulg: πρόπον τοῦτο Bodleianus apud Taylorum, Weil; [τοῦτο ποιήσει] secl. Butcher; ἐπενεγκάμενος k v pr. m.

(67) … Es ist euch allen ja bekannt, dass vor dem Areopag, wo das Gesetz (nómos) Tötungsklagen einzubringen gestattet und festlegt, derjenige, der einen anderen einer solchen Tat beschuldigt, zuerst einen Eid zu leisten (diomnýnai) hat, worin er Verderben über sich selbst

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

und seine Familie (génos) und sein Haus (oikía) beschwören muss [falls er nicht die Wahrheit bekundet], (68) und zwar unter Beobachtung von Gebräuchen, wie sie in keiner Sache sonst beim Eid üblich sind, indem er nämlich seine Hand auf die Opferstücke (tómia) von einem Eber und einem Widder und einem Stier legt, die selbst von den dazu Berechtigten und an bestimmten Tagen geschlachtet sein müssen, so dass von Seiten der Zeit und der dabei tätigen Personen von alle dem, was Brauch ist, nichts versäumt wird. Und selbst wenn jemand einen solchen Eid (hórkos) geleistet, so glaubt man ihm deshalb noch nicht; stellt sich aber bei der Untersuchung die Unwahrheit seiner Aussage heraus, dann ist der [Fluch des] Meineids (epi­ orkía), den er auf seine Kinder und seine Familie gebracht, allein sein Lohn. (69) … Dies also obliegt dem Kläger (diṓkōn); der Angeklagte (pheúgōn) hat zwar denselben Eid (diōmosía) zu leisten, doch ist es ihm gestattet, noch nach der ersten Rede (próteros lógos), die er zu seiner Verteidigung gehalten hat, das Land zu verlassen (metastḗnai), und weder dem Kläger (diṓkōn) noch den Urteilenden (dikázontes) oder sonst irgendwem steht das Recht zu, ihn daran zu hindern.

F 38d: Antiattikistes s. v. ἀνυποδήματος (2. Jh. n. Chr.) (Lexica Segueriana, Anecd. gr. I p. 82,17 Bekker)

ἀνυποδήματος· ἐν τοῖς Ἀθηναίων νόμοις καὶ τοῖς Ἀρεοπαγιτικοῖς. anhypodḗmatos („barfuß“): [Dieses Wort findet sich] in den Gesetzen (nómoi) der Athener, und zwar den areopagitischen.

F 38e: Pollux, Onomastikon 8,142 (2. Jh. n. Chr.) τρεῖς θεοὺς ὀμνύναι κελεύει Σόλων, ἱκέσιον καθάρσιον ἐξακεστῆρα. App. crit.: ὀμνύειν II; ἐξ ήριον II B.

Bei drei Göttern zu schwören ordnet Solon an, bei einer Schutzgottheit (hikésios), bei einer Reinigungsgottheit (kathársios) und bei einer Sühnegottheit (exakestḗros).484

F 38f: Hesychios, Lexicon τ 1298 s. v. τρεῖς θεοί (5. Jh. n. Chr.) τρεῖς θεοί· παρὰ Σόλωνι ἐν τοῖς ἄξοσιν ὅρκῳ τέτακται. ἔνιοι κατὰ τὸ Ὁμηρικόν. treís theoí (drei Götter): ist bei Solon in den áxones für den Eid (hórkos) festgesetzt. Doch manche führen das auf Homer zurück (Hom. Il. 15,367).485

484  Nach Apoll. Rhod. 4,699–717 bereitete Kirke für Jason und Medea, weil sie mordbefleckt waren, Opfer vor, mit denen sie die schuldbeladenen Schutzflehenden entsühnte. Denn sie achtete die Satzung (thémis) des Zeus Hikesios, der Tätern zwar grollt, ihnen als Schutzflehenden aber auch hilft. Kirke opferte ein Ferkel und andere Opfergaben und besänftigte damit „Zeus Katharsios, der Mörder entsühnt, wenn sie um Schutz bitten“ (708 f.: Καθάρσιον ἀγκαλέουσα Ζῆνα παλαμναίων τιμήορον ἱκεσίῃσι). Durch weitere Opfergaben und Gebete besänftigte sie auch die Erinyen. 485  Eid an Zeus, Helios, Gaia (und die Erinyen) in Hom. Il. 3,104, 3,276–278; 19,258–260. Helios wurde durch Apollon Patroos ersetzt (Schol. Plat. Euthyd. 302d; Philochoros FgrH 328 F 182).

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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F 38g: Hesychios, Lexicon α 907 s. v. ἀγχιστάδην ὀμνύων (5. Jh. n. Chr.) ἀγχιστίνδην ὀμνύων· ἐγγὺς τῶν βωμῶν· παρὰ Σόλωνι App. crit.: ἀγχιστίδην cod., Wilamowitz, ἀγχιστάδην Latte.

anchistíndēn omnýōn (‚der Verwandtschaft nach schwörend‘), nahe den Altären; bei Solon.

Wollte man in klassischer Zeit wegen einer Tötung klagen, musste man beim basileús eine díkē phónou registrieren lassen.486 Die Klage wurde zugelassen, wenn die verbleibende Amtszeit des basileús ausreichte, das Verfahren abzuschließen. Nach Zulassung der Klage wurde dem Angeklagten verkündet, sich wegen einer möglichen Befleckung von der Agora und heiligen Stätten fernzuhalten (prórrhēsis).487 Der basileús lud den Angeklagten und die notwendigen Zeugen vor.488 Im Vorverfahren, der prodikasía, mussten Kläger und Angeklagter einen speziellen Eid (diōmosía) leisten.489 Ein Eber, ein Widder und ein Stier wurden geopfert; sie legten die Hände auf die Opfertiere und leisteten den Eid: ἐξώλειαν αὑτῷ καὶ γένει καὶ οἰκίᾳ ἐπαρασάμενος – „einen Fluch aussprechend über sich, seine Familie (génos) und sein Haus (oikía)“, dass man nur die Wahrheit sage und sich auf die Sache selbst beschränken werde.490 Der Schwur beinhaltete auch die Zusicherung, dass man mit dem Opfer verwandt war, was ver-

486  Antiph. 6,41: ἀπογράφεσθαι τὴν δίκην. 487  Antiph. 6,4 (καὶ νόμῳ εἴργεσθαι πόλεως ἱερῶν ἀγώνων θυσιῶν, ἅπερ μέγιστα καὶ παλαιότατα τοῖς ἀνθρώποις) und 36 (ὁ γὰρ νόμος οὕτως ἔχει, ἐπειδάν τις ἀπογραφῇ φόνου δίκην, εἴργεσθαι τῶν νομίμων). 488  Antiph. 6,38 und 41. 489  Antiph. 5,12 (zum Eid unter Berührung der Opfertiere): Der wegen der Ermordung des Herodes angeklagte Euxitheos wendet ein, dass er wegen kakourgía angeklagt worden sei, eigentlich aber wegen Tötung hätte angeklagt werden müssen. Bei einer Tötungsklage hätten Kläger und Zeugen in besonderer Weise vereidigt werden müssen. Dies sei nicht geschehen, und so sollten die Geschworenen den widerrechtlich so nicht vereidigten Zeugen keinen Glauben schenken. Auch in 5,88 weist Euxitheos darauf hin, dass bei Mordprozessen „die Gesetze (nómoi), Eide (diōmosíai), Opfer (tómia) und Verkündungen (prorrhḗseis)“ andere sind als in sonstigen Prozessen (hinsichtlich der Eide auch 5,90). Vgl. dazu Zajonz 2014, 255–258. Zur diōmosía auch Antiph. 6,6 und 16; Demosth. or. 23,67; Poll. 8,117–118; vgl. Phot. Lex. s. v. διωμοσία. Aischin. 2,87: „Setzten unsere Väter bei den Tötungsklagen beim Palladion nicht mit Recht fest, dass beim Zerlegen der Opfer die, die durch Stimmenmehrheit gewinnen, einen Eid, der noch jetzt bei uns üblich ist, ablegen müssen?“. Belebt ist ein Eid auch schon im inschriftlich erhaltenen Text der drakontischen Satzung (IG I3 104, Z. 43: ὀμνύμ[ε|νος). Gerhard Thür, Art. Eid, in: DNP 3, 1997, 909: „In Athen, gewiß ab Drakon (7. Jh. v. Chr.), und in Mantineia wurde beiden Streitparteien ein Eid auferlegt (diōmosía), worauf ein Kollegium von Geschworenen (…) durch geheime Abstimmung den ‚besseren Eid‘ und damit den Sieger im Prozeß feststellten“. Vgl. auch ders., Oaths and Dispute Settlement, in: Lin Foxhall, Andrew D. E. Lewis (Hrsg.), Greek Law in its Political Setting. Justifications not Justice, Oxford 1996, 57 ff.; vgl. allgemein zu Eiden Michael Gagarin, Oaths and Oath-Challenges in Greek Law, in: Gerhard Thür, Julie Vélissaropoulos-Karakostas (Hrsg.), Symposion 1995. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Korfu, 1.–5. September 1995), Köln/Weimar/Wien 1997, 125–134; ders., Litigants’ Oaths in Athenian Law, in: Alan H. Sommerstein, Judith Fletcher (Hrsg.), Horkos. The Oath in Greek Society, Exeter 2007, 39–47. 490  Selbstverfluchung: Antiph. 5,11; Demosth. or. 24,151; 49,66; Ps.-Demosth. or. 59,10. Beschränkung auf die Sache: Antiph. 6,9.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

mutlich mit der Formulierung ἀγχιστίνδην ὀμνύων im Gesetz Solons gefordert war (F 38g).491 Da sich der Täter bei einer vorsätzlichen und bei einer nicht vorsätzlichen Tat befleckt hatte, musste er – wenn die Einträge bei Pollux und Hesychios darauf zu beziehen sind – bei „drei Göttern“ schwören, vermutlich einem schutzgewährenden und einem reinigenden sowie Zeus als sühnendem Gott.492 Zwei weitere prodikasíai schlossen sich innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten nach Einreichen der Klage an; im vierten kam der Fall vor den Areopag. Dort hielten beide Parteien jeweils zwei Reden; der Kläger konnte vor der zweiten Rede fliehen. Bei Lysias heißt es ausdrücklich, dass es die Gesetze Solons seien, die alten.493 Da es sich um die in der Zeit um 385 v. Chr. noch gültigen Gesetze handelt, wird das Tötungsrecht gemeint gewesen sein, das am Eingang zum Areopag aufgestellt war und das als besonders alt und ehrwürdig galt, weil es auf Drakon und Solon zurückging. Für das hohe Alter sprechen auch die altertümlich anmutenden Worte epiorkḗsas im Sinne von ‚schwören‘ (und nicht ‚einen Meineid schwören‘) und draskázein. Wenn der Auszug aus dem Gesetz auf Solon zurückgeht, ginge die Möglichkeit, Attika vor dem Urteil des Gerichts zu verlassen, auf ein von Solon eingeführtes Verfahren zurück. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass sich in Lys. 10,17 díkē nicht auf das abschließende Urteil, sondern auf das Rechtsverfahren als Ganzes bezieht und der Täter Attika verlassen konnte, bevor es überhaupt zu einem Verfahren kam. Das „Entlaufen“ (draskázein) entspräche dann dem „Fliehen“ (pheúgein) im Gesetz Drakons und ist möglicherweise begrifflich unterschieden, da das pheúgein eine vom Gericht festgelegte Strafe ist, das draskázein aber ein freiwilliges Entweichen vor dem Prozess. Möglich wäre, dass der bei Lysias belegte Eid gegenüber Apollon dann geleistet werden musste, wenn der Täter reklamierte, die Tötung sei berechtigt oder versehentlich geschehen; denn Verfahren wegen berechtigter oder versehentlicher Tötung fanden im Heiligtum des Apollon Delphinios statt.494 Der Täter konnte sich also entscheiden, ob er das Ver491  Demosth. or. 47,72 (F 38b). Da die bei einer rechtlich umstrittenen Beschlagnahmung ums Leben gekommene früher unfreie, später freigelassene Amme des Hausherrn mit diesem nicht verwandt und auch nicht (mehr) seine Sklavin gewesen war, war dem Kläger von den ‚Rechtskundigen‘ (exēgētaí) abgeraten worden, wegen der Tötung Klage zu erheben. 492  Vgl. Hesych. ε 3525 s. v. ἐξακεστήριος· ὁ Ζεύς. καὶ ἡ Ἥρα. 493  Dazu Stephen C. Todd, A Commentary on Lysias, Speeches 1–11, Oxford 2007, 677 f.: es sei als wahrscheinlicher anzusehen, dass „palaios … represent archaic legislation which is still valid“. 494  Nach Michael Hillgruber, Die zehnte Rede des Lysias. Enleitung, Text und Kommentar, Berlin/ New York 1988, 71 sei ἐπεγγυᾶν in Lys. 10,17 so zu verstehen, dass jemand Bürgen stellen soll, nachdem er einen Eid bei Apollon abgelegt hat; „zu übersetzen ‚der Schwörende soll den Apoll als Bürgen anrufen‘ (Partsch 91), ist sicher verkehrt“. Nach dem zweiten Satz zu urteilen, seien die Bürgen Gestellungsbürgen gewesen. Da sich die Stellung von Bürgen und die Flucht vor dem Prozess ausschlössen, geht Hillgruber vom Ausfall eines μή vor δρασκάζειν aus und übersetzt: „Nachdem der Angeklagte beim Apoll geschworen hat (nämlich, daß er die Tat nicht begangen hat), soll er Bürgen stellen, aus Angst vor dem Prozess aber nicht die Flucht ergreifen“ (ebd. 72; Todd 2007 [wie Anm. 493], 650 f. folgt dieser Konjektur nicht; vgl. aber 682). Bei dieser Deutung fragt man sich indes, warum im Gesetz überhaupt formuliert ist, dass man vor dem Prozess nicht die Flucht ergreifen dürfe, wenn man doch Bürgen gestellt hatte. Man kann

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fahren auf sich nehmen und einen Eid auf Apollon leisten oder dem Verfahren ausweichen wollte. Handelte es sich um ein Verfahren wegen vorsätzlicher Tötung vor dem Areopag, hatte der Angeklagte einen Eid unter Anrufung der Erinyen und „anderer Götter“ zu leisten, in dem er im Falle eines Meineids Verderben auf sich und seine Familie herabrief.495 In Demosth. or. 23,69 findet sich derselbe Zusammenhang wie im eingelegten Gesetz in Lys. 10,17: Eid und Flucht aus Attika, bei Lysias vermutlich bezogen auf die versehentliche oder berechtigte Tat, bei Demosthenes bezogen auf die vorsätzliche Tat. Als in der Mitte des 4. Jh. Stephanos mit falschen Zeugen Klage gegen Apollodoros einbrachte, weil er eine Sklavin so geschlagen haben sollte, dass sie daran gestorben war, bekräftigte Stephanos diese Aussage mit einem Eid und sprach einen Fluch über sich, seine Familie und sein Haus aus für den Fall, dass die Angabe unwahr sei. Die beim Palladion eingebrachte Klage zog die Ankündigung nach sich, dass sich der Angeklagte von heiligen Orten und auch der Agora fernhalten musste.496 Dieser sollte dadurch daran gehindert werden, seinerseits eine Klage gegen seine politischen Gegener einzureichen. Stephanos wurde jedoch des falschen Zeugnisses überführt. Da das Wort anhypodḗmatos in den Lexica Segueriana aus den „areopagitischen Gesetzen“ zitiert ist, liegt es nahe, auch dieses Fragment dem solonischen Gesetz über die Tötung zuzuweisen, in dem die Klage wegen vorsätzlicher Tötung in einem am Eingang zum Areopag aufgestellten Gesetzestext geregelt war.497 Ein kultischer Hintergrund ist zu vermuten, so dass das Zitat mit der Form des Eides, der diōmosía, in Verbindung gebracht werden kann, wie schon Eberhard Ruschenbusch vermutet hatte: Der Beschuldigte hatte bei einer Klage wegen vorsätzlicher Tötung am Anfang des Verfahrens unter Verfluchung seiner selbst, seines Geschlechts und seines Hauses einen Eid zu leisten, der nach Demosth. or. 23,67 f. auf den Eingeweiden eines rituell geschlachteten Ebers, Widders und Stieres zu vollziehen war.

sich als Kontext hingegen auch vorstellen: Wer sich dem Prozess stellt, muss bei Apollon schwören und Bürgen stellen; wer sich dem Prozess aus Angst vor einer Verurteilung nicht stellen will, solle (vor Beginn des Prozesses) entlaufen. 495  Lys. 10,11 (F 38a); Antiph. 1,28; 5,88; 6,14.16 („Sie haben geschworen, ich hätte den Diodotos getötet, indem ich seinen Tod veranlasst hätte, ich aber, dass ich ihn nicht getötet habe, weder mit eigener Hand, die ich darum gerührt, noch durch Veranlassung“). Vgl. Demosth. or. 23,63; zum Eid mit der Selbstverfluchung beim Palladion or. 23,71; or. 47,70; Aischin. 2,87. Zum Schwur bei den Erinyen Deinarch. 1,47: ἐπιωρκηκὼς μὲν τὰς σεμνὰς θεὰς ἐν Ἀρείῳ πάγῳ καὶ τοὺς ἄλλους οὓς ἐκεῖ διόμνυσθαι νόμιμόν ἐστι. – „der die Eide gebrochen hat, die im Areopag bei den Semnai und den anderen Göttern geschworen werden, bei denen dort zu schwören üblich ist“. Lipsius 1905–15, 830–834. 496  Ps.-Demosth. or. 59,9: … προεῖπεν αὐτῷ ἐπὶ Παλλαδίῳ φόνου; 59,10: διομοσάμενος ὡς ἔκτεινεν Ἀπολλόδωρον τὴν γυναῖκα αὐτοχειρίᾳ, ἐξώλειαν αὑτῷ καὶ γένει καὶ οἰκίᾳ ἐπαρασάμενος. 497  Nach Ephoros FgrH 70 F 139 (= Strab. 6,1,8 p. 260 C.) „hat Zaleukos seine Gesetze aus kretischen, lakonischen und areopagitischen Gesetzesbestimmungen zusammengestellt“ (Ζάλευκος συνέταξεν ἔκ τε τῶν Κρητικῶν νομίμων καὶ Λακωνικῶν καὶ ἐκ τῶν Ἀρεοπαγιτικῶν).

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

F 39 Abrogationsklausel (F 39a: T 407/415a Martina, F 22 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; 39b–c: T 415b–c Martina, F 93a–b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 39a: Gesetz in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 62 (352 v. Chr.) (= F 20b) λέγε τὸν μετὰ ταῦτα νόμον· „ὃς ἂν ἄρχων ἢ ἰδιώτης αἴτιος ᾖ τὸν θεσμὸν συγχυθῆναι τόνδε ἢ μεταποιήσῃ αὐτόν, ἄτιμον εἶναι καὶ παῖδας [ἀτίμους] καὶ τὰ ἐκείνου“. App. crit.: ἀτίμους del. Taylor.

Lies das nachfolgende Gesetz: „Wer als Amtsträger oder Privatmann veranlasst, dass dieses Gesetz (thesmós) aufgehoben wird, oder es abändert, der soll ehrlos (átimos) sein, seine Kinder und sein Besitz“.

F 39b: Dion Chrysostomos, oratio 80,6 (1./2. Jh. n. Chr.) καὶ τὴν ἀράν, ἣν Ἀθηναῖοι περὶ τῶν Σόλωνος ἔθεντο νόμων τοῖς ἐπιχειροῦσι καταλύειν, ἀγνοεῖτε κυριωτέραν οὖσαν ἐπὶ τοῖς ἐκείνου νόμοις. πᾶσα γὰρ ἀνάγκη τὸν συνχέοντα τὸν θεσμὸν ἄτιμον ὑπάρχειν, πλὴν παῖδας καὶ γένος οὐκ ἐπέξεισιν, ὡς ἐκεῖ, τῶν ἁμαρτανόντων, ἀλλ’ ἕκαστος αὑτῷ γίγνεται τῆς ἀτυχίας αἴτιος. App. crit.: συνχέοντα Casaubonus, συνέχοντα codd., von Arnim; τὸν θεσμὸν: τὸν δὲ θεσμὸν M, τὸνδε τὸν θεσμὸν Emperius, τὸ ‹πᾶν› θεσμὸν von Arnim; ἄτιμον ὑπάρχειν Emperius, Ἀθηναῖον ἐπάρχειν codd., ἀραῖον ὑπάρχειν von Arnim; αὐτῷ Reiske, αὐτῶν codd.

Ihr wisst nicht, dass dem Fluch (ará), den die Athener über diejenigen verhängt haben, die die Gesetze (nómoi) Solons aufzuheben versuchen, noch mehr Wirksamkeit zukommt, wenn es um jene Gesetze [des Zeus] geht. Denn unausweichlich wird jeder, der das Gesetz (thes­ mós) [des Zeus] aufhebt, ehrlos (átimos), mit dem Unterschied, dass er [Zeus] die Kinder und Nachkommen derjenigen, die sich vergangen haben, nicht mitbestraft, wie es dort [in Athen] der Fall ist, sondern jeder durch sein Verhalten sein eigenes Schicksal bestimmt.

F 39c: Aulus Gellius, Noctes Atticae 2,12,1 (2. Jh. n. Chr.) (vgl. F 46g) In legibus Solonis illis antiquissimis, quae Athenis axibus ligneis incisae sunt quasque latas ab eo Athenienses, ut sempiternae manerent, poenis et religionibus sanxerunt, … App. crit.: eo om. PVeR.

In jenen ältesten Gesetzen Solons, die in Athen auf hölzernen Achsen (axes) eingekerbt sind und die, von ihm gegeben, die Athener mit Strafen und religiösen Verfluchungen geschützt haben, damit sie ewig [in Geltung] blieben, …

Nachdem das Gesetz F 39a vom Gerichtsschreiber verlesen worden ist, lässt es Demosthenes den Sprecher der Rede noch einmal mit geringfügigen Änderungen – u. a. unter Wegfall des wiederholten ἀτίμους – zitieren.498 Er greift Aristokrates an, der sich

498  Demosth. or. 23,62: ὃς ἂν ἄρχων ἢ ἰδιώτης αἴτιος ᾖ τὸν θεσμὸν συγχυθῆναι τόνδε ἢ μεταποιήσῃ αὐτόν, ἄτιμον ἔστω καὶ οἱ παῖδες καὶ τὰ ἐκείνου. Zum Ausfall des ἀτίμους Canevaro 2013, 72 f.

Solons Satzung über die Tötung (F 19–39)

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einer solchen Änderung schuldig mache, wenn er in seinem Gesetzesantrag ohne jegliche Einschränkung einen Täter zu strafen gestatte, „ganz unabhängig von den festgelegten Gerichtshöfen und jenseits der Grenzen, von denen er sich fernzuhalten habe“.499 Es ist nicht sicher zu entscheiden, ob die Abrogationsklausel auf Drakons Satzung über die Tötung oder auf Solon (so F 39b–c) zurückgeht.500 Wäre sie Bestandteil der drakontischen Satzung, hätte für Solon die Gefahr bestanden, dass die Erweiterung der Bestimmungen und die Systematisierung des gesamten Tötungsrechts als eine Abänderung gewertet worden wären und man ihn und seine Nachkommen zu Ehrlosen hätte erklären können. Insofern scheint es plausibler, dass die Abrogationsklausel Solons Gesetz über die Tötung abschloss.501 Dies wiederum bedeutet, dass Solon das Gesetz über die Tötung als einzelne Satzung (als thesmós) aufgefasst hat, die in sich geschlossen war. Dass gerade eine Aufhebung oder Abänderung dieser Satzung mit harten Sanktionen belegt war, was auch die Atimie der Kinder und Nachkommen umfasste, könnte an der religiösen Bedeutung der Delikte gelegen haben; oder es galt als tyrannischer Akt, die Gesetzgebung über die Tötung aufzuheben.502 Bei der versuchten Aufhebung oder Abänderung spielte es keine Rolle, ob dies durch einen Amtsträger oder einen Bürger geschah; auch die Autorität eines Amtes reichte dafür nicht aus.503 Wie in dem inschriftlich erhaltenen Text Drakons über die Tötung wird auch in der Abrogationsklausel nicht nur dem Ausführenden selbst die Strafe angedroht, sondern auch dem, der eine Änderung bewirkt hat (αἴτιος ᾖ … ἢ μεταποιήσῃ), also z. B. einen entsprechenden Antrag in die Volksversammlung einbrachte.504 Nach Dion Chrysostomos und Aulus Gellius sei die Aufhebung der Gesetze Solons, also jeglicher von ihm gegebener Gesetze, mit einem Fluch belegt worden. Die 499  Demosth. or. 23,62: ἔξω τῶν τεταγμένων δικαστηρίων καὶ ὅρων ὧν εἴργεσθαι δεῖ. Vgl. F 21. 500  Ruschenbusch 2010, 52 spricht die Bestimmung Drakon zu. Ebenso Gagarin 1981, 23 und Carawan 1998, 79, allerdings aufgrund der Behauptung im Text, all die vor § 82 zitierten Gesetze in Demosth. or. 23 gingen auf Drakon zurück, was kein zwingendes Argument ist. Vgl. Leão/Rhodes 2015, 35, die eine nachdrakontische Entstehung nicht ausschließen. 501  Zu Abrogationsverboten in klassischer Zeit (z. B. Argos, um 550 v. Chr.: IG IV 506 Z. 1–4; Koerner 1993, Nr. 29; Elis, Mitte 6. Jh.: IvOl 9, Z. 7–10; Teos, um 470 v. Chr.: Syll.3 37 Z. 35–41; SGDI 5632; Koerner 1993, Nr. 78; Nomima I 104; Argos, um 475/25 v. Chr.: BCH 107, 1983, 243, Z. 5–9; Nomima I Nr. 110; Skillous, um 450/25 v. Chr.: IvOl 16 Z. 19 f.; Koerner 1993, Nr. 44; Nomima I, Nr. 56). David M. Lewis, Entrenchment-Clauses in Attic Decrees, in: Φόρος. Tribute to Benjamin D. Meritt, Locust Valley, NY 1974, 81–89 (= David M. Lewis, Selected Papers in Greek and Near Eastern History, Cambridge 1997, 136–149), der Demosth. or. 23,62 allerdings nicht einbezieht. Edward M. Harris, Solon and the Spirit of the Laws in Archaic and Classical Greece, in: Josine H. Blok, André P. M. H. Lardinois (Hrsg.), Solon of Athens. New Historical and Philological Approaches, Leiden/Boston 2006, 290–318, hier 309–312. 502  Diese Form der Atimie galt auch für den Tyrannen und seine Helfershelfer (F 1). 503  Leão/Rhodes 2015, 35 verweisen bei der Unterscheidung von Amtsträger und Privatmann auf IG II2 43 A 51–53; IG I3 63,1–5 (ergänzt) sowie IG I3 46,20–26. 504  Vgl. die Formulierung in Drakons Satzung über die Tötung (Z. 26 f.): ἐὰν δ]έ [τ]ις τὸ[ν ἀν] δρ[οφόνον κτένει ἒ αἴτιος ε \é φόνο … – „Wenn aber einer den verurteilten Täter tötet oder Schuld an ̣ seinem Tod trägt, …“.

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Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung

wörtlichen Anklänge an den bei Demosthenes überlieferten Gesetzestext (τὸν θεσμὸν συγχυθῆναι – τὸν συνχέοντα τὸν θεσμὸν) und die sich auch auf die Kinder und Nachkommen erstreckende Atimie lassen aber vermuten, dass sich Dion Chrysostomos auf diese bei Demosthenes überlieferte Gesetzesbestimmung bezieht. Die von der Athe­ naion politeia und Plutarch angegebene einhundertjährige Gültigkeit der solonischen Gesetze ist vermutlich als immerwährende Gültigkeit zu verstehen.505

505  Aristot. Ath. pol. 7,2 und Plut. Solon 25,1. Nach Hdt. 1,29 hätten die Athener geschworen, die Gesetze Solons für zehn Jahre unverändert zu bewahren. Peter Herrmann, Teos und Abdera im 5. Jahrhundert v. Chr., in: Chiron 11, 1981, 1–30, hier 14 Anm. 35; Leão/Rhodes 2015, 150.

III. Verfahren vor dem Areopag Abstract: In den antiken Quellen wird die Einrichtung des Areopags Solon zugeschrieben. Um den Konflikt zwischen den wiedererstarkten Anhängern Kylons und den Parteigängern des Megakles zu lösen, bestellte er einen Gerichtshof aus dreihundert Personen, der am Fuß des áreios págos unmittelbar neben dem Heiligtum der Semnai, an deren Altären die Kylonanhänger abgeschlachtet worden waren, tagte. Die Angeklagten wurden verbannt und verflucht. In seiner Gesetzgebung übertrug Solon diesem am Areopaghügel eingesetzten Gerichtshof die Aufgabe, über vorsätzliche Tötung zu urteilen. Außerdem konnten mittels eisangelía Klagen gegen solche Personen, denen die Errichtung einer Tyrannis oder Bestrebungen, die politische Ordnung außer Kraft zu setzen, vorgeworfen wurden, vor den Areopag gebracht werden (Eisangeliegesetz). Die bei solchen Verfahren urteilenden Areopagiten waren verpflichtet, sich (mittels óstraka) an der Abstimmung zu beteiligen (Stasisgesetz). Kleisthenes übertrug die Abstimmungen über Personen, die im Verdacht standen, eine Tyrannis einrichten zu wollen, vom Areopag auf das Volk (Gesetz über den Ostrakismos). Mittels eisangelía eingeleitete Verfahren wegen Auflösung der politischen Ordnung wurden von Kleisthenes oder von Ephialtes ebenfalls vom Areopag auf das Volk übertragen. Wegen der nach den oligarchischen Umstürzen 412/11 und 404/3 revidierten Gesetze gegen die Auflösung der politischen Ordnung lässt sich das ursprüngliche solonische Gesetz gegen die Tyrannis nur aus der ‚altehrwürdigen Satzung‘ (F 1), dem Amnestiegesetz und wiederaufgenommenen Formulierungen in den Gesetzen von 410/9 und nach 399 (sowie des Eukratesgesetzes von 337/6 v. Chr.) rekonstruieren. Als Richtende in Fällen von Tötung, Errichtung einer Tyrannis und Verrat waren die Areopagiten vereidigt; bei der Entmachtung des Areopags 462/1 v. Chr. diente der Eid als Vorbild für den Ratseid.

III 1 Die Entstehung des Areopags Historische Einordnung Plutarch berichtet in der Biographie Solons, dass diejenigen, die die Anhänger Kylons an den Altären der Semnai abgeschlachtet hatten, als Verfluchte bezeichnet wurden und in Athen verhasst waren, so dass die überlebenden Kylonanhänger wieder mäch-

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Verfahren vor dem Areopag

tig wurden und in ständigem Streit mit der Megaklespartei lebten (F 41a). Aufgrund der Spaltung habe Solon, der zu dieser Zeit bereits hohes Ansehen genoss, sich gemeinsam mit den ersten unter den Athenern darum bemüht, die Verfluchten dazu zu bewegen, sich einem Gericht zu unterwerfen, das aus dreihundert nach Vorzüglichkeit ausgesuchten (aristíndēn) Personen bestand. Myron von Phlya habe die Anklage geführt, und die der Tötung Schuldigen seien verurteilt worden. Die Lebenden hätten das Land verlassen, und die Leichname der Verstorbenen seien ausgegraben und über die Grenze geworfen worden.1 Der Areopag ist ein Gerichtshof, der wie das Delphinion und das Palladion seinen Namen der Stätte verdankt, an dem das Gericht zusammentrat. Da der áreios págos ein kahler Felshügel ist, auf dem keinerlei archäologische Spuren einer Bebauung festgestellt werden konnten, liegt die Annahme nahe, dass der Gerichtshof am Fuß des áreios págos tagte, an der Stelle, an der sich die Kirche des hl. Dionysios Areopagita befand. Von einer Lage unterhalb der Kuppe des áreios págos spricht Maximus Confessor, der sich auf Androtion beruft (F 40). Unmittelbar angrenzend lag das Heiligtum der Semnai bzw. der Erinyen, an deren Altäre sich die Kylonanhänger geflüchtet hatten und wo sie abgeschlachtet worden waren.2 Das Gericht, dem sich die Täter stellen sollten, lag also direkt neben dem Ort des Geschehens.3 Damit gewinnen diejenigen Quellen, die davon sprechen, Solon habe den Areopag eingerichtet, an Glaubwürdigkeit. Plutarch (F 41b) folgt zunächst dieser Überlieferung, wenn er davon spricht, dass Solon, nachdem er den Rat auf dem Areopag aus den ehemaligen Archonten errichtet hatte, einen zweiten, aus den Phylen zusammengesetzten Rat geschaffen habe.4 Anschließend diskutiert er aber, ob es tatsächlich Solon gewesen sein könne, der den Areopag ins Leben gerufen habe. „Die meisten Autoren“ (οἱ πλεῖστοι) gäben an, dass der Rat auf dem Areopag – „wie schon gesagt“ – von Solon ein-

1  Plut. Solon 12,2–4 (F 41a); die Altäre der Semnai sind ebd. 12,1 genannt. Zur Anklage Myrons auch Aristot. Ath. pol. 1. Zum Kontext s. o. S. 65–73. 2  Paus. 1,28,6; 7,25,1; Eur. El. 1270–1272; Iph. T. 969; Deinarch. 1,87; schol. Demosth. or. 21,115; vgl. Aristoph. Thesm. 224 mit Schol. Zur Gleichsetzung von Erinyen, Eumeniden und Semnai Theai siehe Hugh Lloyd-Jones, Erinyes, Semnai Theai, Eumenides, in: Elizabeth M. Craik (Hrsg.), ‚Owls to Athens‘: Essays on Classical Subjects Presented to Sir Kenneth Dover, Oxford 1990, 203–211 (wiederabgedruckt in: Hugh Lloyd-Jones, The Further Academic Papers of Sir Hugh Lloyd-Jones, Oxford 2005, 90–100). Nach Wallace 1989, 9 (vgl. 215–218) lag das Heiligtum der Semnai an der nordöstlichen Flanke des Areopaghügels bei einer tiefen Spalte; der Gerichtshof habe direkt neben dem Heiligtum getagt (ebenso Rhodes/ Osborne 2003, Nr. 79: „the ‚councilhouse‘ of the Areopagus, probably sited below the north cliff of the Areopagus“; vgl. Zelnick-Abramovitz 2011, 125). 3  Diane Harris-Cline, Archaic Athens and the Topography of the Kylon Affair, in: ABSA 94, 1999, 309– 320 geht indes davon aus, dass die Altäre um 500 v. Chr. von der Alten Agora an den Fuß des Areopags verlegt wurden. Diog. Laert. 1,112 zitiert Lobon aus Argos mit der Angabe, Epimenides habe das Heiligtum der ‚ehrwürdigen Götter‘ errichtet. Epimenides sei in der 46. Olympiade (596–593 v. Chr.) zur Reinigung der Stadt nach Athen gekommen (Diog. Laert. 1,110). Nach Eur. Iph. T. 968 f. sei nach dem Freispruch des Orest den Erinyen am Ort des Urteils „ein heiliger Bezirk abgegrenzt worden“ (ἱερὸν ὡρίσαντο; vgl. El. 1271 f.). 4  Plut. Solon 19,1.

Historische Einordnung – Die Entstehung des Areopags (F 40–42)

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gesetzt worden sei und dafür spreche, dass im Gesetz Drakons über die Tötung nirgends von den Areopagiten gesprochen werde, sondern stets nur von ephétai. Dann aber führt er als Gegenargument das Amnestiegesetz Solons an, wonach diejenigen ehrlos bleiben sollten, die durch den Areopag, die ephétai oder das Prytaneion wegen Tötung oder Abschlachtens an den Altären oder Errichtung einer Tyrannis verurteilt worden waren und sich in Verbannung befanden, als diese Satzung erlassen wurde. Plutarch schließt daraus zu Recht, dass der Rat auf dem Areopag bereits vor dem Archontat und der Gesetzgebung Solons bestanden haben muss.5 Auflösen lässt sich dieser Widerspruch, wenn man davon ausgeht, dass das von Solon vorgeschlagene Gericht aus dreihundert vornehmen Athenern einige Jahre vor Solons Archontat und Gesetzgebung zusammentrat, also die Geburtsstunde des Gerichts am áreios págos zeitlich (wenige Jahre) vor dem Amnestiegesetz lag. Zur Zeit der Abfassung des Amnestiegesetzes war das auf Antrag des Myron erfolgte Urteil bereits gesprochen und die Verfluchten verurteilt und verbannt worden. Im Amnestiegesetz wurde deren Verurteilung als gültig angesehen und eine Rückkehr der aus Athen ‚Geflohenen‘ ausgeschlossen. Androtion, die Athenaion politeia und Isokrates geben an, dass der „Rat auf dem Areopag“ – meist wird von einem „Rat“ (boulḗ) gesprochen und nicht der erst später aufgekommene Begriff dikastḗrion verwendet – aus ehemaligen Archonten gebildet wurde und damit sichergestellt war, dass die Areopagiten durch vornehme Geburt, Reichtum, Erfahrung und Besonnenheit hervorragten bzw. nach Vorzüglichkeit (aristíndēn) ausgewählt wurden (F 42a–d).6 Sie wurden zu Richtern, dikastaí, eingesetzt;7 die hohe Zahl sollte die Akzeptanz der von ihnen gesprochenen Urteile erhöhen, über das Maß hinaus, was das Prytaneion und die einundfünfzig ephétai für sich beanspruchen konnten. Literatur Peter J. Rhodes, The Athenian Boule, Oxford 1972 (21985); Stephen D. Lambert, Herodotus, the Cylonian Conspiracy and the prytanies ton naukraron, in: Historia 35, 1986, 105–112; Johannes Engels, Das Eukratesgesetz und der Prozess der Kompetenzerweiterung des Areopags in der Eubulos- und Lykurgära, in: ZPE 74, 1988, 181–209; G. L. Cawkwell, Νομοφυλακία and the Areopagus, in: JHS 108, 1988, 1–12; Robert W. Wallace, The Areopagus Council, to 307 B. C., Baltimore – London 1989; Phillip Harding, Androtion and the Atthis. The Fragments Translated with Introduction and Commentary, Oxford 1994; Odile De Bruyn, La compétence de l’Aréopage en matière de proces publics, Stuttgart 1995; Maximilian Braun, Die Eumeniden des Aischylos und der Areopag, Tübingen 1998; Charlotte Schubert, Der Areopag als Gerichtshof, in: ZRG Rom. Abt. 117, 2000, 103–132; Rachel Zelnick-Abramovitz, The Guardian of the Land: The Areopagos Council as a Symbol of Stability, in: Gabriel Herman (Hrsg.), Stability and Crisis in the Athenian Democracy, Stuttgart 2011, 103–126.

5  Plut. Solon 19,3–5. 6  Androtion FgrH 324 F 4a; Isokr. 7,37; Aristot. Ath. pol. 3,6; Plut. Solon 12,3. 7  Androtion FgrH 324 F 4a.

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Verfahren vor dem Areopag

Abb. 6 Der áreios págos in Athen und die im Nordosten unterhalb des höchsten Punktes liegende Kirche des hl. Dionysios Areopagita. An dieser Stelle wird das Ratsgebäude (bouleutḗrion) des Areopags vermutet, daneben das Heiligtum der Semnai (die Abbildung ist entnommen aus: Emanuele Greco et al., Topografia di Atene. Sviluppo urbano e monumenti dalle origini al III secolo d. C., Tomo 1: Acropoli – Areopago – Tra Acropoli e Pnice, Athen – Paestum 2010 [Ndr. 2015], S. 212 Abb. 112).

Die Entstehung des Areopags (F 40–42)

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Die Entstehung des Areopags als Gerichtshof (F 40–42) F 40 Lage des Gerichtshofs F 40: Androtion, FgrH 324 F 3 (Mitte 4. Jh.) und Philochoros, FgrH 328 F 20a (Anfang 3. Jh.) (Maximus Confessor, Prolog des Kommentars zu Ps.-Dionysius Areopagita [Migne, Patrologia Graeca 4 p. 17])

ἔξω δὲ τῆς πόλεως ἦν τὸ κατὰ ἄρειον πάγον δικαστήριον, κληθὲν οὕτω, (καθ᾽ ἂ μυθολογοῦσιν Ἀθηναῖοι) ἐκ τοῦ κατ᾽ αὐτὴν τὴν ἐξοχὴν τοῦ κατὰ τὴν πόλιν ὄρους συστάντος δικαστηρίου μεταξὺ Ποσειδῶνος καὶ Ἄρεως. ὁ γὰρ Ποσειδῶν δίκην εἶπε πρὸς Ἄρεα κατὰ τοὺς ἀρχαίους μύθους παρ᾽ Ἀθηναίοις ἐν τῷ τόπῳ τούτῳ, φάσκων ἀναιρεθῆναι τὸν ἴδιον υἱὸν Ἁλιρρόθιον ὑπ᾽ Ἄρεως. κἀκεῖθεν ἐξ Ἄρεως ὁ πάγος ἐκεῖνος Ἄρειος ἐκλήθη. ἐδίκαζον οὖν Ἀρεοπαγῖται περὶ πάντων σχεδὸν τῶν σφαλμάτων καὶ παρανομιῶν ὡς ἅπαντα φησιν Ἀνδροτίων ἐν πρώτηι καὶ Φιλόχορος ἐν δευτέραι καὶ τρίτηι τῶν Ἀτθίδων. Jenseits der (Akro-)Polis lag der Gerichtshof beim áreios págos (tó katá áreion págon dikastḗri­ on), so bezeichnet (wie die Athener erzählen) wegen des im Streit zwischen Poseidon und Ares eingerichteten Gerichtshofs, der bei der Kuppe des unterhalb der (Akro-)Polis liegenden Berges lag. Poseidon nämlich hat, so erzählen die alten athenischen Mythen, Ares an dieser Stelle angeklagt, indem er behauptete, dass sein eigener Sohn Halirrhotios von Ares getötet worden sei. Von daher wurde jener Hügel von Ares Áreios [págos] genannt. In der Tat urteilten (dikázein) die Areopagiten über nahezu alle Vergehen und Gesetzesverstöße (paranomíai), wie Androtion im ersten und Philochoros im zweiten und dritten Buch ihrer Athenischen Ge­ schichten (Atthides) bezeugen.

F 41 Die Einrichtung des Areopags als Gerichtshof (F 41a: T 259a Martina; F 41b: T 302a Martina, F 2, 70 Ruschenbusch, F 2, 22/1, 74/4b, 5b Leão/Rhodes)

F 41a: Plutarch, Solon 12,2–4 (um 100 n. Chr.) (2) ἐκ τούτου δὲ κληθέντες ἐναγεῖς ἐμισοῦντο, καὶ τῶν Κυλωνείων οἱ περιγενόμενοι πάλιν ἦσαν ἰσχυροί, καὶ στασιάζοντες ἀεὶ διετέλουν πρὸς τοὺς ἀπὸ τοῦ Μεγακλέους. (3) ἐν δὲ τῷ τότε χρόνῳ τῆς στάσεως ἀκμὴν λαβούσης μάλιστα, καὶ τοῦ δήμου διαστάντος, ἤδη δόξαν ἔχων ὁ Σόλων παρῆλθεν εἰς τὸ μέσον ἅμα τοῖς πρώτοις τῶν Ἀθηναίων, καὶ δεόμενος καὶ διδάσκων ἔπεισε τοὺς ἐναγεῖς λεγομένους δίκην ὑποσχεῖν καὶ κριθῆναι τριακοσίων ἀριστίνδην δικαζόντων. (4) Μύρωνος δὲ τοῦ Φλυέως κατηγοροῦντος ἑάλωσαν οἱ ἄνδρες, καὶ μετέστησαν οἱ ζῶντες, τῶν δ’ ἀποθανόντων τοὺς νεκροὺς ἀνορύξαντες ἐξέρριψαν ὑπὲρ τοὺς ὅρους. App. crit.: ἔχων om. U1; ὁ σόλων ἔχων M; τὸ om. ϒ; πρώτοις ST, ἀρίστοις Sm ϒ; μύρ+ωνος S; ἐξέρριψαν: ἐξ postea insertum, ut vid., S.

(2) Daraufhin wurden sie [die, die die Kylonanhänger an den Altären getötet hatten,] als Verfluchte (enageís) bezeichnet und waren allen verhasst, und die überlebenden Kylonanhänger wurden wieder mächtig und lebten in ständigem Streit mit den Anhängern des Megakles. (3)

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Verfahren vor dem Areopag

Da nun zur damaligen Zeit der Zwist auf der Höhe und das Volk in zwei Parteien gespalten war, stellte sich Solon, der schon hohes Ansehen genoss, gemeinsam mit den ersten (prṓtoi) der Athener zwischen sie und brachte die sogenannten Verfluchten (enageís) durch Bitten und Vorstellungen dahin, sich einem aus dreihundert nach Vorzüglichkeit ausgewählten (aristíndēn) Personen zu bildenden Gericht zu unterwerfen. (4) Myron von Phlya führte die Anklage, und die Männer wurden verurteilt. Die Lebenden verließen das Land, und die Leichname der Verstorbenen wurden ausgegraben und über die Grenzen geworfen.

F 41b: Plutarch, Solon 19,1–5 (um 100 n. Chr.) (1) Συστησάμενος δὲ τὴν ἐν Ἀρείῳ πάγῳ βουλὴν ἐκ τῶν κατ’ ἐνιαυτὸν ἀρχόντων, ἧς διὰ τὸ ἄρξαι καὶ αὐτὸς μετεῖχεν, ἔτι δ’ … δευτέραν προσκατένειμε βουλήν, … (2) τὴν δ’ ἄνω βουλὴν ἐπίσκοπον πάντων καὶ φύλακα τῶν νόμων ἐκάθισεν, οἰόμενος ἐπὶ δυσὶ βουλαῖς ὥσπερ ἀγκύραις ὁρμοῦσαν, ἧττον ἐν σάλῳ τὴν πόλιν ἔσεσθαι καὶ μᾶλλον ἀτρεμοῦντα τὸν δῆμον παρέξειν. (3) οἱ μὲν οὖν πλεῖστοι τὴν ἐξ Ἀρείου πάγου βουλήν, ὥσπερ εἴρηται, Σόλωνα συστήσασθαί φασι, καὶ μαρτυρεῖν αὐτοῖς δοκεῖ μάλιστα τὸ μηδαμοῦ τὸν Δράκοντα λέγειν μηδ’ ὀνομάζειν Ἀρεοπαγίτας, ἀλλὰ τοῖς ἐφέταις ἀεὶ διαλέγεσθαι περὶ τῶν φονικῶν. (4) ὁ δὲ τρισκαιδέκατος ἄξων τοῦ Σόλωνος τὸν ὄγδοον ἔχει τῶν νόμων οὕτως αὐτοῖς ὀνόμασι γεγραμμένον· … (F 44a). (5) ταῦτα δὴ πάλιν ὡς πρὸ τῆς Σόλωνος ἀρχῆς καὶ νομοθεσίας τὴν ἐξ Ἀρείου πάγου βουλὴν οὖσαν ἐνδείκνυται. τίνες γὰρ ἦσαν οἱ πρὸ Σόλωνος ἐν Ἀρείῳ πάγῳ καταδικασθέντες, εἰ πρῶτος Σόλων ἔδωκε τῇ ἐξ Ἀρείου πάγου βουλῇ τὸ κρίνειν; App. crit.: φύλακὴν ϒ; ἀρεοπαγίταις U; ἐπὶ τῶν βασιλέων Naber; ἢ τοῦ βασιλέως Reiske; φϑόνω Sgell.

(1) Nachdem er bereits den Rat (boulḗ) auf dem áreios págos aus den jährlich wechselnden Archonten – dem er als gewesener Archon ebenfalls angehörte – errichtet hatte, … schuf er einen zweiten Rat, … (2) Den oberen Rat [den Areopag]8 setzte er als Aufseher (epískopos) über alles und als Hüter (phýlax) der Gesetze (nómoi) ein in dem Glauben, dass die Polis, wenn sie auf diesen beiden Räten gleichsam fest verankert liege, geringeren Schwankungen ausgesetzt sein würde und er das Volk (dḗmos) leichter in Ruhe halten könnte. (3) Die meisten Autoren (hoi pleístoi) geben an, dass der Rat vom Areopag – wie schon gesagt – von Solon eingesetzt worden sei, und für sie scheint vor allem der Umstand zu zeugen, dass Drakon nirgends etwas von den Areopagiten sagt oder sie nennt, sondern hinsichtlich der Tötungen immer von den ephétai spricht. (4) Aber der dreizehnte áxōn Solons hat als achtes der Gesetze (nómoi) folgendes mit diesen Worten verzeichnet: … (F 44a). (5) Das beweist doch wiederum, dass vor dem Archontat und der Gesetzgebung Solons der Rat auf dem Areopag schon bestand. Denn wer waren diejenigen, welche vor Solon im Areopag verurteilt wurden, wenn erst Solon dem Rat vom Areopag die Gerichtsbarkeit (tó krínein) verlieh?

8  Zu denkbaren Möglichkeiten, einen „oberen“ von einem „unteren Gerichtshof “ zu unterscheiden, siehe Lexeis Rhetorikai s. v. ἐπάνω δικαστήριον καὶ ὑποκάτω (Anecd. gr. 1,253,26–254,2 Bekker).

Die Entstehung des Areopags (F 40–42)

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F 42 Die Zusammensetzung der Areopagiten (F 42d: T 298a Martina)

F 42a: Androtion, FgrH 324 F 4a (Mitte 4. Jh.) und Philochoros, FgrH 328 F 20b (Anfang 3. Jh.) (Maximus Confessor, Prolog des Kommentars zu Ps.-Dionysius Areopagita [Migne, Patrologia Graeca 4 p. 16])

χρὴ δὲ εἶδέναι, καθὰ προέφην, ὡς οὐ παντὸς ἀνδρὸς ἧν, εἰς τὴν ἐξ Ἀρείου πάγου βουλὴν τελεῖν· ἀλλ᾽ οἱ παρ᾽ Ἀθηναίοις πρωτεύοντες ἔν τε γένει καὶ πλούτῳ καὶ βίῳ χρηστῷ· καὶ κατὰ τοῦθ᾽ οἱ ἐπίσημοι καθεστῶτες ἐβούλευον εἰς τὴν ἐξ Ἀρείου πάγου βουλήν· ἐκ γὰρ τῶν ἐννέα καθισταμένων ἀρχόντων Ἀθήνησι τοὺς Ἀρεοπαγίτας ἔδει συνεστάναι δικαστάς, ὥς φησιν Ἀνδροτίων ἐν δευτέραι τῶν Ἀτθίδων. ὕστερον δὲ πλειόνων γέγονεν ἡ ἐξ Ἀρείου πάγου βουλή, τουτέστιν ἡ ἐξ ἀνδρῶν περιφανεστέρων πεντήκοντα καὶ ἑνός, πλὴν ἐξ εὐπατριδῶν, ὡς ἔφημεν, καὶ πλούτωι καὶ βίωι σώφρονι διαφερόντων ὡς ἱστορεῖ Φιλόχορος διὰ τῆς τρίτης τῶν αὐτοῦ Ἀτθίδων. Man muss verstehen, dass es nicht jedem – wie ich vorher schon gesagt habe – möglich war, dem Rat auf dem Areopag anzugehören, sondern nur denen unter den Athenern, die durch Geburt (génos), Reichtum (ploútos) und Lebensklugheit (bíos chrēstós) hervorragten; und die, die auf solche Weise hervorstachen, berieten gewöhnlich im Areopagrat. Aus den neun in Athen ins Amt eingesetzten Archonten nämlich sollen die Areopagiten als Richter (dikas­ taí) zusammentreten, wie Androtion im zweiten [Buch] der Athenischen Geschichten (Atthides) sagt. Später bestand der Rat vom Areopag aus mehr Personen, dies sind die aus hervorragenden Männern bestehenden Einundfünfzig, ausschließlich aus Eupatriden, wie wir [bereits] gesagt haben, die sich durch Reichtum (ploútos) und anständige Lebensführung (bíos sṓphrōn) auszeichneten, wie Philochoros im dritten [Buch] seiner Athenischen Geschichten (Atthides) berichtet.

F 42b: Androtion, FgrH 324 F 4b (Mitte 4. Jh.) und Philochoros, FgrH 328 F 20b (Anfang 3. Jh.) (Michael Synkellos, Encomium auf Dionysius Areopagita [Migne, Patrologia Graeca 4 p. 620])

τῶν ἐν Ἀρείωι πάγωι δικαστῶν ἐχρημάτιζε …, ὧν τὸ τοῦ γένους περίοπτον καὶ μεγαλόδοξον τοῖς τῶν Ἀτθίδων συγγραφεῦσιν Ἀνδροτίωνί τε καὶ Φιλοχόρωι κατὰ πλάτος ἱστόρηται. Er [Dionysius Areopagita] führt über die Richter (dikastaí) im Areopag aus …, über deren Hochachtung und großen Ruhm ihrer Familien (génos) Androtion und Philochoros als Verfasser der Athenischen Geschichten (Atthides) ausführlich berichten.

F 42c: Isokrates, Areopagitikos (or. 7) 37 (um 355 v. Chr.) Οὕτω γὰρ ἡμῶν οἱ πρόγονοι σφόδρα περὶ τὴν σωφροσύνην ἐσπούδαζον, ὥστε τὴν ἐξ Ἀρείου πάγου βουλὴν ἐπέστησαν ἐπιμελεῖσθαι τῆς εὐκοσμίας, ἧς οὐχ οἷόν τ’ ἦν μετασχεῖν πλὴν τοῖς καλῶς γεγονόσιν καὶ πολλὴν ἀρετὴν ἐν τῷ βίῳ καὶ σωφροσύνην ἐνδεδειγμένοις, ὥστ’ εἰκότως αὐτὴν διενεγκεῖν τῶν ἐν τοῖς Ἕλλησι συνεδρίων. App. crit.: σφόδρα Γ, om. cett.; εἰκότως αὐτὴν Γ1, εἰκότως αὐτὴν πάντων Γ2, πάντων αὐτὴν εἰκότως vulg.

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Verfahren vor dem Areopag

Unsere Vorfahren nämlich nahmen sich so sehr der vernünftigen Besonnenheit (sōphrosýnē) an, dass sie den Rat (boulḗ) vom Areopag einsetzten, damit er sich um die gute Ordnung (eu­ kosmía) kümmerte, an der teilzuhaben niemand so gut war außer denen, die vornehme Geburt, große Lebensklugheit und Besonnenheit aufzuweisen haben, so dass er unter den griechischen Ratsversammlungen mit Recht herausragt.

F 42d: Aristoteles, Athenaion Politeia 3,6 (320er Jahre) ἡ δὲ τῶν Ἀρεοπαγιτῶν βουλὴ τὴν μὲν τάξιν εἶχε τοῦ διατηρεῖν τοὺς νόμους, διῴκει δὲ τὰ πλεῖστα καὶ τὰ μέγιστα τῶν ἐν τῇ πόλει, καὶ κολάζουσα καὶ ζημιοῦσα πάντας τοὺς ἀκοσμοῦντας κυρίως. ἡ γὰρ αἵρεσις τῶν ἀρχόντων ἀριστίνδην καὶ πλουτίνδην ἦν, ἐξ ὧν οἱ Ἀρεοπαγῖται καθίσταντο. App. crit.: παντες L, superscr. M.1; γὰρ] δὲ Genn.

Der Rat der Areopagiten hingegen hatte die Aufgabe, die Gesetze (nómoi) genau zu überwachen, erledigte die meisten und wichtigsten Angelegenheiten der Polis und war befugt, alle, die die (politische) Ordnung verletzten (akosmoúntes), mit Strafen und Bußen zu belegen. Die Wahl der Archonten erfolgte nämlich nach Vorzüglichkeit (aristíndēn) und Reichtum (ploutíndēn); aus ihnen setzte sich der Areopag zusammen.

III 2 Der Areopag als Hüter über die Verfassung Historische Einordnung Solon hatte ein Gericht am Fuß des áreios págos eingerichtet, das erneut über die Fluchbeladenen befinden sollte. In seiner Gesetzgebung knüpfte Solon daran an und übertrug diesem aus ehemaligen Archonten, also den Angehörigen der führenden Familien zusammengesetzten Gericht, weitere rechtsprechende Funktionen, so die Verfahren wegen vorsätzlicher Tötung, Verletzung (mit Todesfolge), Brandstiftung und Vergiftung (F 23). Außerdem richtete Solon ein Eisangelieverfahren, also eine formelle Klage, ein, mittels derer Personen angeklagt werden konnten, die eine Tyrannis einzurichten versuchten und damit die bestehende politische Ordnung zerstörten (F 44). Auf diese dem Rat auf dem Areopag als dauerhaftem Gerichtshof übertragene Kompetenz zielen Aussagen in den Quellen, der Areopag habe sich um die eukosmía Athens gekümmert,9 sich der wichtigsten Angelegenheiten der Polis angenommen und diejenigen mit Strafen belegt, die die politische Ordnung, die politeía, angriffen,10 und darauf geachtet, dass die Amtsträger ihr Amt gemäß den Gesetzen ausübten (F 44b).11 Der Areopag sei Aufseher über die Polisordnung gewesen, hätte über diejenigen zu Gericht 9  Isokr. 7,37. 10  Aristot. Ath. pol. 3,6 (in Bezug auf die Zeit vor Drakon). 11  Aristot. Ath. pol. 4,4. Dazu wird auch gehört haben, darauf zu achten, dass Amtsträger das Amt nicht perpetuierten, wie Damasias dies getan hat.

Historische Einordnung – Der Areopag als Hüter über die Verfassung (F 43)

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gesessen, die sich zur „Auflösung der politischen Ordnung im dḗmos“, der katálysis toú dḗmou, zusammengetan hatten (F 43a, 44c).12 Um in solchen Verfahren entscheiden zu können, richtete Solon eine formelle Anklage – die eisangelía – ein,13 auch dies vermutlich nach dem Vorbild der Anklage Myrons gegen die Verfluchten, die die Kylonanhänger an den Altären getötet hatten. Ausgehend von den Verfahren wegen vorsätzlicher Tötung und Anklagen wegen Errichtung einer Tyrannis sowie „Auflösung des dḗmos“ wurde dem Areopag die Rolle zugesprochen, „Hüter“ (epískopos, phýlax) der politischen Ordnung und der Gesetze zu sein, wobei der (falsche) Eindruck erweckt wird, der Areopag habe damit über alle Gesetze gewacht und für nahezu alle Vergehen Strafen auferlegen können. Außerdem wurden ihm, um ihm ein in der Geschichte Athens weit zurückreichendes Alter zuschreiben zu können, später Urteile in mythischen Tötungsfällen zugesprochen. Dies mag zur Aussage in der Athenaion politeia geführt haben, der Areopag sei „auch früher schon“ Aufseher über die Polisordnung gewesen.14 Spätere Konstruktion ist es, wenn nach athenischen lokalhistorischen Mythen der Areopag seinen Namen von einem ersten Rechtsfall erhalten habe, der an diesem Ort, einem Hügel gegenüber der Akropolis, entschieden worden sei. Ares habe den Halirrhotios bei der Vergewaltigung seiner Tochter Alkippe ergriffen und erschlagen (F 40a). Um den daraus entstandenen Streit zwischen Ares und Poseidon, dem Vater des Halirrhotios, zu schlichten, sei ein Gerichtshof unterhalb des áreios págos eingesetzt worden, vor dem sich Ares wegen Tötung verantworten musste. Ares sei von der Tötung freigesprochen worden. Wegen dieses frühesten Verfahrens sei der Hügel (págos) nach Ares Áreios págos genannt worden.15 Außerdem habe sich Kephalos vor dem Areopag verantworten müssen, da er seine Frau Prokris versehentlich bei der Jagd getötet hatte, wie auch Daidalos, der aus Neid seinen Neffen Talos getötet hatte.16 In mythische Zeit zurück reicht auch das gegen Orest durchgeführte Verfahren. Die Erinyen verfolgten ihn, da er seine Mutter Klytaimestra sowie Aigisthos getötet hatte, aus

12  Aristot. Ath. pol. 8,4. Rachel Zelnick-Abramovitz urteilt daher: „The Areopagos was the most ancient of the Athenian institutions, always holding the most important role of judging homicide cases and religious crimes, frequently standing guard over the laws, and sometimes granted the authority to investigate and even punish crimes against the constitution“ (2011, 123). 13  Aristot. Ath. pol. 8,4; vgl. 4,4. 14  Aristot. Ath. pol. 8,4. Auch in pol. 2,12, 1273b 39–1274a 2 äußert Aristoteles die Meinung, dass der Areopag auf vorsolonische Zeit zurückgeht. Xen. mem. 3,5,20 zeigt, dass um 400 v. Chr. die wichtigsten Aufgaben des Areopags in der Rechtsprechung lagen. 15  Androtion FgrH 324 F 3; Philochoros FgrH 328 F 20a. Zum Verfahren gegen Ares siehe auch Eur. El. 1258–1272 (vgl. Iph. T. 945); Hellanikos FgrH 323a F 1; Demosth. or. 23,66; Deinarch. 1,87; Apollodor. FgrH 244 F 94; Nikolaos v. Dam. FgrH 90 F 25; Paus. 1,28,5; Lucian De Salt. 39; Apollod. Bibl. 3,14,2; Ps.-Aischin. ep. 11,8; Clem. Alex. Protrep. 2,35,3. 16  Siehe F 23c; vgl. Ovid. Metam. 7,795; Apollod. Bibl. 3,15. Daidalos, ein Urenkel des Erechtheus, der aus Neid seinen Neffen hinterlistig getötet hatte, sei wegen dieser Tat vom Areopag verurteilt worden und habe Attika verlassen müssen (Hellanikos FgrH 323a F 22; Diod. 4,76).

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Verfahren vor dem Areopag

Rache für den Mord an Agamemnon. Auch Orest, der die Tat im Auftrag des Apollon ausgeführt hatte, wurde freigesprochen. Mit diesen vier Verfahren war die Vorstellung verbunden, dass der Areopag in sehr frühe Zeit zurückreiche und in erster Linie Tötungsdelikte entschieden habe, ja dafür eingerichtet worden sei.17 Diese in Mythen überlieferten Fälle von Tötungsdelikten können jedoch nicht belegen, dass der Areopag in sehr frühe Zeit zurückreicht. Schon die Verbindung des Areopags mit Ares ist vermutlich eine konstruierte, denn für den Felshügel ist keine Verehrung des Ares nachgewiesen und sein Name wird eher von ἀρείων „tüchtiger, stärker“ abzuleiten sein als vom Kriegsgott Ares. Der áreios págos ist also ein ‚harter‘, ein ‚kahler Fels‘, nicht der Hügel des Ares.18 Die Fragmente des Androtion und Philochoros (F 40a, 42a) haben kontroverse Diskussionen um die Entstehung und Zusammensetzung des Areopags hervorgerufen. Forscher, die dafür eintreten, der Areopag sei ein weit in die Vergangenheit zurückreichender Adelsrat, in dem alle wichtigen Angelegenheiten beraten wurden,19 bewerten die Informationen dieser Autoren als ungenau und missverständlich. In der Tat ist wenig wahrscheinlich, dass der Areopag nahezu alle Vergehen und Gesetzesverstöße geahndet hätte, wie dort behauptet wird (F 40a). Denn erst Solon hat für alle Delikte, wie er ausdrücklich in einer seiner Elegien hervorhebt (F 20a) Satzungen (θεσμοί) erlassen und die (h)ēliaía zumindest für einige der Klagen als Gerichtshof geschaffen. 17  Diese Position stützt sich auf die Angaben der Atthidographen. Eine ausführliche Diskussion dieser mythischen Traditionen bei Felix Jacoby (FgrH III B Suppl. vol. 1,22–25 zu Hellanikos FgrH 323a F 1). Nach Jacobys Ansicht war Aischylos der erste, der das Verfahren gegen Orest vor dem Areopag hatte stattfinden lassen (ebd. 24). Die Tragödie nennt den Prozess gegen Ares wegen der Tötung des Halirrhotios nicht; der Hügel sei nach Ares benannt, weil die Amazonen dort dem Ares geopfert hätten (Aischyl. Eum 685–690). Zu Aischylos’ Orestie s. o. S. 99–103. 18  Viele Forscher sind der Ableitung ‚Hügel des Ares‘ gefolgt (so auch schon Aischyl. Eum. 685–690). Robert W. Wallace wendet dagegen zu Recht ein, dass auf dem Areopag keine Verehrung des Ares nachgewiesen ist und sich auch für die Tötungsverfahren kein Bezug zu Ares herstellen lässt. Von árai („Flüche“) lasse sich áreios etymologisch nicht herleiten; allerdings biete sich eine Herleitung von dem Komparativ ἀρείων „tüchtiger, stärker“ an, wie in der Verbindung Zeus Areios (Paus. 5,14,6) oder in der homerischen Formel τεῖχος ἄρειον „solid wall“, so dass der áreios págos ein ‚harter Fels‘ wäre (1989, 213 f.; zur Etymologie auch Phillip Harding, The Story of Athens, London 2008, 205–207; Zelnick-Abramovitz 2011, 123–126). 19  So Zelnick-Abramovitz 2011, 104 und Rhodes 1981, 106 f. und 155 („There may never have been a law giving the Areopagus probouleutic powers, but no doubt in pre-Solonian Athens on the occasions when an assembly was held the archons who (…) presided had been armed with the Areopagus’ advice“); Harding 1994, 85–87; Boegehold 1995, 126: „The Areopagos, the oldest and most revered council in Athens (possibly successor to a council of elders, the nobles who advised kings), was guardian of the laws and supervisor of morals and at times had great judicial and political powers“. Für eine frühe Entstehung des Areopags als Adelsrat haben sich ebenfalls ausgesprochen: Bonner/Smith 1939, 88 f.; H. T. Wade-Gery, Eupatridai, Archons and Areopagos, in: ders., Essays in Greek History, Oxford 1958, 86–115; MacDowell 1963, 39. Zu unterschiedlichen Positionen in dieser Frage Wallace 1989, 3–6. Einen Überblick über die Geschichte des Areopags bieten Charlotte Schubert (2000), allerdings ohne Berücksichtigung der atthidographischen Autoren, und Rachel Zelnick-Abramovitz (2011, 104–111).

Historische Einordnung – Der Areopag als Hüter über die Verfassung (F 43)

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Da darüber hinaus Plutarch bezeugt, dass die Areopagiten in Drakons Satzung nicht genannt sind, ist auszuschließen, dass zur Zeit Drakons der Areopag mit Fällen nicht vorsätzlicher, versehentlicher und berechtigter Tötung betraut war.20 Zu berücksichtigen ist, dass die Aussagen der Atthidographen, der Areopag habe eine umfassende Kompetenz in der Rechtsprechung gehabt, bei Maximus dem Bekenner (7. Jh. n. Chr.) im Kontext der Auseinandersetzung zwischen Poseidon und Ares überliefert ist.21 Die Äußerung, der Areopag habe über nahezu alle Gesetzesverstöße geurteilt, bezieht sich also konkret auf Tötungsdelikte und ist als Erklärung seitens der Autoren dafür zu werten, warum die Tötung des Halirrhotios vor dem Areopag verhandelt wurde. Da die Tötung des Halirrhotios, der von Ares „bei der Tat“, nämlich der Vergewaltigung der Alkippe, ergriffen und erschlagen worden war, eine mythische Erzählung darstellt, die aus spätarchaischer oder klassischer Zeit heraus konstruiert erscheint (s. o. F 23b–c),22 kommt der Aussage, der Areopag habe über nahezu alle Gesetzesverstöße geurteilt, keine hohe Glaubwürdigkeit zu. Aus dem Androtionfragment FgrH 324 F 4a (F 42a) hatte Robert W. Wallace eine Entwicklung herausgelesen, die von einem zahlenmäßig kleinen Richterkollegium über eine ausgeweitete Zahl von 51 Areopagiten, die dann bei Tötungsverfahren die Gruppe der ephétai bildeten, bis zu einem weiter angewachsenen Areopag reicht, dem durch Solon zusätzliche, über die Rechtsprechung hinausgehende Aufgaben übertragen worden seien. Wallace leitete daraus ab, dass der Areopag zu Anfang allein eine rechtsprechende Instanz war und er zu diesem Zweck geschaffen worden war.23 Für die 20  Dass Solon den Areopag den anderen Gerichtshöfen für Tötungsdelikte hinzugefügt habe, sagt ausdrücklich Poll. 8,125. 21  Zu Maximus siehe Harding 1994, 84; B. R. Suchla, Art. Maximus Confessor, in: Siegmar Döpp, Wilhelm Geerlings (Hrsg.), Lexikon der antiken christlichen Literatur, Freiburg/Basel/Wien 21999, 433–435. 22  Dass es sich um ein spätes Narrativ handelt, legen Inkonsistenzen nahe, so der Umstand, dass Ares den Halirrhotios bei der Vergewaltigung seiner Tochter (und nicht als moichós) ergriffen und getötet hatte sowie dass alle Fälle, auch die berechtigte Tötung des Ares und die versehentliche des Kephalos, vor dem Areopag verhandelt worden sein sollen. 23  Wallace 1989, 218: „Indeed, the Areopagos court owed its origin to the presence of this shrine [dem der Semnai], where defendants had fled for protection. It is easiest to assume that these men were tried, at the shrine, by a court that convened just beside it“. Wallace (ebd. 3–47) sieht die politische Macht allein bei den Archonten, wohingegen der Areopag nur ein Gerichtshof für Tötungsdelikte gewesen sei. Erst Solon hätte seine Zusammensetzung verändert und ihm eine auch politische Rolle gegeben. Er übersetzt F 42a: „For at Athens the Areopagite judges had to be constituted from the nine men who were appointed archons“ und setzt damit die Richter (dikastaí) mit den Areopagiten gleich (ebd. 14; vgl. MacDowell 1963, 51). Die Deutung von Felix Jacoby lehnt Wallace ab, die indes von der Sache her als die wahrscheinlichere anzusehen ist: „I do not quite understand the wording, but Maximus seems to state that the Areopagos (…) originally ‚appointed‘ the judges out of the nine archons“. Braun 1998, 20–24, 37–39 folgt weitgehend der Ansicht von Wallace: Vor Solon sei der Areopag allein ein Blutgericht und mit den ephétai identisch gewesen; der ‚Rat auf dem Areopag‘ im eigentlichen Sinne sei erst von Solon eingerichtet worden, so wie es die attische Tradition im 4. Jh. wiedergebe, Aristoteles und Plutarch dieser aber widersprechen. Solon habe den Areopag auch dadurch „fest definiert“, indem er bestimmte, er solle aus den ehemaligen Archonten gebildet werden (ebd. 39). Zur These von Wallace siehe die Gegen-

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Verfahren vor dem Areopag

These von Robert W. Wallace spricht die Tatsache, dass der Ort, an dem der Areopag tagte, gleich unterhalb des höchsten Punktes am Fuß des Areopaghügels lag (F 40), in unmittelbarer Nähe zu den Altären der Semnai. War dies die Stätte, an dem die Anhänger Kylons an den Altären ‚abgeschlachtet‘ worden waren, wird Solon gerade diesen Ort gewählt haben, um dort nach dem Wiedererstarken der Kylonanhänger und dem erneuten Aufflammen der Zwistigkeiten ein Gericht von 300 nach Vorzüglichkeit ausgewählten Richtern zusammentreten zu lassen, das erneut über die Schuld der Megaklesanhänger und den damit verbundenen Fluch urteilen sollte.24 Es wäre dies dann tatsächlich die Geburtsstunde des Areopags als Gerichtshof, nachdem bei den vorherigen Verfahren zunächst das Prytaneion, dann die von Drakon eingesetzten ephétai die Unruhen zu schlichten versucht hatten. Wenn 461 v. Chr. Ephialtes dem Areopag die „zusätzlichen Funktionen“ genommen und ihm allein die Befugnis, über Fälle vorsätzlicher Tötung zu urteilen, belassen haben sollte, dann spiegelt sich darin ebenfalls ein historisches Wissen wider, dem zufolge Solon den Gerichtshof am áreios págos wegen der Tötungen eingerichtet hatte, die im Kontext des Tyrannisversuchs Kylons begangen worden waren.25 Die Aussage Androtions in F 42a wäre dann so zu verstehen, dass Prozesse zunächst vor neun, dann vor einundfünfzig und schließlich vor allen Mitgliedern des Areopags stattfanden, wobei Androtion irrtümlich davon ausgeht, dass auch schon die neun dikastaí und die einundfünfzig ephétai Areopagiten gewesen seien.26 argumente von Harding 1994, 85–87. Er übersetzt: „For it was from the nine existing archons at Athens that it was necessary to constitute the Areopagites as judges, as Androtion says in the second (book) of the Atthis“ (ebd. 62); vgl. Boegehold 1995, 129: „At Athens the Areopagite judges had to be drawn from the nine men who were appointed archons“. Zu den Kompetenzen und Funktionen des Areopags siehe auch Ostwald 1993 (wie Anm. 28), 139–153. 24  Wallace folgt Eugene Vanderpool in der Vermutung, dass das Gebäude des Areopagrates nicht auf dem höchsten Punkt des Areopaghügels, sondern auf einer Terrasse direkt unterhalb, unter der Kirche des hl. Dionysios des Areopagiten lag, was durch die Angabe in Maximus’ Kommentar bestätigt wird (Wallace 1989, 215–218). Das Eukratesgesetz, das Strafen für ‚die Auflösung des Demos‘ erneuerte (siehe F 1), war auf zwei steinernen Stelen eingeschlagen worden, wobei eine am Eingang zur Pnyx, die andere „am Eingang zum Areopag für den in das bouleutḗrion Gehenden“ aufgestellt war (τὴμ μὲν ἐπὶ τῆς εἰσόδου τῆς εἰς Ἄρειον πάγον τῆς εἰς τὸ βουλευτήριον εἰσιόντι). Vgl. dazu Boegehold 1995, 134 f. 25  Aristot. Ath. pol. 25,2 (s. u. Anm. 51). Entsprechend beschränkt sich Xenophon in den Memorabilia weitgehend auf rechtsprechende Funktionen des Areopags: Er sei aus Personen bestellt, die in einem Dokimasieverfahren geprüft worden seien und mit umfassender Gesetzeskenntnis, Würde und Gerechtigkeit Recht sprechen und alles andere betreiben (mem. 3,5,20: Οἶσθα οὖν τινας, ἔφη, κάλλιον ἢ νομιμώτερον ἢ σεμνότερον ἢ δικαιότερον τάς τε δίκας δικάζοντας καὶ τἆλλα πάντα πράττοντας;). 26  Ein aus den neun árchontes bestehendes Gericht nennt auch Aristot. Ath. pol. 3,5: Die im Thesmotheteion zusammenkommenden árchontes seien berechtigt gewesen, rechtsverbindliche Urteile zu fällen (ἐπὶ δὲ Σόλωνος [ἅπ]αντες εἰς τὸ θεσμοθετεῖον συνῆλθον. κύριοι δ’ ἦσαν καὶ τὰς δίκας αὐτοτελεῖς [κρίν]ειν; vgl. Plut. Solon 18,3; Poll. 8,62). Anders als Androtion fassen die Athenaion politeia (57,3) und Plutarch (Solon 19,3) ephétai und Areopag als zwei unterschiedliche Institutionen auf (das hatte Harding 1994, 89 gegen Wallace 1989, 11–22 eingewandt, der die Meinung vertreten hatte, die Areopagiten seien mit den ephétai identisch). Boegehold 1995, 129 hält daher Androtions Zahl von 51 Areopagiten für „a confusion with the fifty-one ephetai“. Fritz R. Wüst, Zu den πρυτάνιες τῶν ναυκράρων, in: Historia 6, 1957, 177 f.

Historische Einordnung – Der Areopag als Hüter über die Verfassung (F 43)

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Ungelöst bleibt das Problem, wer die ephétai der drakontischen Satzung waren. Wenn es zutrifft, dass die im Zuge des Kylonputsches begangenen Tötungen sich nicht in den herkömmlichen Bahnen der Rechtspraxis befrieden ließen, könnte Drakon versucht haben, die Kette der Blutracheverfahren dadurch zu beenden, dass nicht nur ein einzelner dikastḗs oder wenige dikastaí über die Verantwortung und Schuld (ἄιτιος εἶναι) und die Frage, ob es sich im jeweiligen Fall um eine nicht vorsätzliche Tötung handelte, urteilen sollten. Er setzte stattdessen in einer Art von Appellation (ἔφεσις) ein größeres Gremium, nämlich die ephétai, ein, die vermutlich nach ‚Vorzüglichkeit‘ (ἀριστίνδην, so Pollux in 8,125) ausgewählt wurden und nach Androtion und Philochoros ausschließlich Mitglieder der in Attika ansässigen Adelsfamilien, der Eupatriden, waren.27 Wägt man die Argumente gegeneinander ab, bietet sich als überzeugendste Hypothese an, dass Solon, um die Auseinandersetzungen zwischen Kylon- und Megaklesanhängern zu beenden, ein Gericht mit dreihundert Personen bestellte, das am Fuß des áreios págos tagte und erneut über die vermeintlich Fluchbeladenen und das Abschlachten von Personen, die sich der Errichtung der Tyrannis schuldig gemacht hatten, urteilen sollte. In seiner einige Jahre später folgenden Gesetzgebung übertrug Solon dem von ihm eingerichteten Gerichtshof am Fuß des áreios págos dauerhaft die Kompetenz, über Fälle vorsätzlicher Tötung und Errichtung einer Tyrannis zu urteilen. Mit der Etablierung als Gerichtshof in Fällen vorsätzlicher Tötung und Errichtung

sieht in den 48 Naukraren einen vorsolonischen Rat, der mit den drei Archonten die 51 ephétai gebildet haben könnte. Gegen diese These wendet sich Lambert 1986, 106. Vgl. auch Rhodes 1981, 647, der sich dafür ausspricht, dass die ephétai (in klassischer Zeit) Areopagiten waren. 27  Eupatriden sind für Athen in Isokr. 16,25, Xen. symp. 8,40 und Aristot. Ath. pol. 13,2; 19,3 belegt. Der früheste Beleg stellt eine Grabinschrift aus den letzten Dezennien des 6. Jh. dar (IG I3 1516). Nach der Erläuterung in den Lexeis rhetorikai s. v. εὐπατρίδαι (Anecd. gr. 1, p. 257 Bekker) heißen Eupatriden „die in derselben Stadt Wohnenden, zur königlichen Familie gehören und für die Heiligtümer Sorge tragen“ (siehe auch Thomas J. Figueira, The Ten Archontes of 579/8 at Athens, in: Hesperia 53, 1984, 447–473). Einen Überblick über die Forschung und eine Diskussion der verschiedenen Hypothesen zu den athenischen Eupatriden bietet Jan Meister, ‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und frühklassischen Griechenland, Stuttgart 2020, 275–294: Es sei umstritten, welcher Personenkreis mit den Eupatriden gemeint sei, ob es sich um eine Bezeichnung des alteingesessenen Adels oder um ein bestimmtes Adelsgeschlecht handele, oder ob es eine erst in klassischer Zeit aufgekommene Benennung sei, mit der aus der Retrospektive ein früher athenischer Adel verbunden wurde. Nach Ansicht von Jan Meister hat sich die Wortbedeutung mit der Zeit verschoben; waren in der Frühzeit „Personen von guter Vaterstadt“ gemeint, verstanden Autoren aus klassischer Zeit unter ihnen „die von guten Vätern Abstammenden“. Gemäß Polemon (vgl. T 14a-b) sei das génos der Eupatriden (und der Eupatride Orest) von Opfern für die Eumeniden ausgeschlossen gewesen Polemon FGH III F 49 p. 130 f. (Schol. Soph. Oed. Col. 489): καθάπερ Πολέμων ἐν τοῖς πρὸς Ἐρατοσθένην φησὶν οὕτω „τὸ δὲ τῶν Εὐπατριδῶν γένος οὐ μετέχει τῆς θυσίας ταύτης“. εἶτα ἑξῆς· „τῆς δὲ πομπῆς ταύτης Ἡσυχίδαι, ὃ δὴ γένος ἐστὶ περὶ τὰς Σεμνὰς θεάς, καὶ τὴν ἡγεμονίαν ἔχει καὶ προθύονται πρὸ τῆς θυσίας κριὸν Ἡσύχῳ ἱερόν, ἥρω τοῦτον οὕτω καλοῦντες, διὰ γὰρ εὐφημίαν† οὗ τὸ ἱερόν ἐστι παρὰ τὸ Κυλώνειον ἐκτὸς τῶν ἐννέα πυλῶν“. Dazu Meister 2020 (wie oben), 288 f.

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Verfahren vor dem Areopag

einer Tyrannis ging die Ortsbezeichnung áreios págos auf den Areopag als Institution über. Insofern würde die Aussage, Solon habe den Areopag (als eine richtende Institution) erst geschaffen, zutreffen.28 Literatur siehe die Literatur zu III 1.

Der Areopag als Hüter über die Verfassung (F 43) (F 43a: T 419 Martina; †F 74/4a Leão/Rhodes; F 43b: T 301 Martina)

F 43a: Aristoteles, Athenaion Politeia 8,4 (320er Jahre) τὴν δὲ τῶν Ἀρεοπαγιτῶν ἔταξεν ἐπὶ [τὸ] νομοφυλακεῖν, ὥσπερ ὑπῆρχεν καὶ πρότερον ἐπίσκοπος οὖσα τῆς πολιτείας, καὶ τά τε ἄλλα τὰ πλεῖστα καὶ τὰ μέγιστα τῶν πολιτ‹ικ›ῶν διετήρει, καὶ τοὺς ἁμαρτάνοντας ηὔθυνεν κυρία οὖσα καὶ [ζη]μιοῦν καὶ κολάζειν, καὶ τὰς ἐκτίσεις ἀνέφερεν εἰς πόλιν, οὐκ ἐπιγράφουσα τὴν πρόφασιν δι’ ὃ [τὸ ἐ]κτ[ίν]εσθαι, καὶ τοὺς ἐπὶ καταλύσει τοῦ δήμου συνισταμένους ἔκρινεν, Σόλωνος θέντ[ος] νόμον εἰσα[γγ]ελ[ία]ς περὶ αὐτῶν. App. crit.: πολιτικῶν Richards; δι’ ὃ τὸ ἐκτίνεσθαι K, lectio dubia: τοῦ ἐκτίνεσθαι Tyrell.

Den [Rat] der Areopagiten ([boulḗ] tṓn Areopagitṓn) beauftragte er [Solon] mit der Überwachung der Gesetze (nomophylakeín), so wie dieser auch früher schon Aufseher (epískopos) über die Polisordnung (politeía) war; und auch sonst hat er [der Areopag] die meisten und wichtigsten Polisangelegenheiten kontrolliert und die Gesetzesbrecher zur Rechenschaft gezogen (euthýnein) und hatte die Befugnis, Bußen und Strafen zu verhängen; die Bußen ließ er auf die [Akro-]Polis bringen, ohne den Grund aufzuschreiben, aus dem jemand bestraft worden war. Er urteilte über diejenigen, die sich zur Auflösung des Volks (katálysis toú dḗmou) zusammengetan hatten: Denn Solon hatte ein Eisangeliegesetz (nómos eisangelías) gegen solche erlassen.

F 43b: Cicero, De officiis 1,22 (75) (1. Jh. v. Chr.) Hoc consilio leges Atheniensium, hoc maiorum instituta servantur. Durch diese Entscheidung [Solons, den Areopag einzurichten] werden die Gesetze der Athener, durch sie die Einrichtungen der Vorfahren bewahrt.

F 43c: Synagoge lexeon chresimon s. v. Ἄρειος πάγος (Anecdota graeca I p. 444,1–11 Bekker; ähnlich Etym. Gen. p. 41 Miller; Etym. M. 139,8; Suda α 3838 s. v. Ἄρειος πάγος; vgl. Hellanikos, FgrH 323a F 1 [= F 23b])

28  Auch Martin Ostwald, The Areopagus in the Ἀθηναίων Πολιτεία, in: Marcel Piérart (Hrsg.), Aristote et Athènes, Fribourg 1993, 139–153 sieht im Areopag allein einen Gerichtshof, der keine politischen Funktionen gehabt hatte, nicht einmal in der Zeit Solons und während des 5. Jh.

Der Areopag als Hüter über die Verfassung (F 43)

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Ἄρειος πάγος: δικαστήριον Ἀθήνησιν. ἐν αὐταῖς βουλαὶ β´, ἡ μὲν τῶν φ´ καθ᾿ ἕκαστον ἐνιαυτὸν κληρουμένη βουλεύειν, ἡ δὲ εἰς βίον τῶν Ἀρεοπαγιτῶν. ἐδίκαζε δὲ καὶ τὰ φονικὰ καὶ τὰ ἄλλα πολιτικὰ διῴκει σεμνῶς. ἐκλήθη δὲ Ἄρειος πάγος, ἤτοι ὅτι ἐν πάγῳ ἐστὶ καὶ ἐν ὕψει τὸ δικαστήριον: Ἄρειος δὲ, ἐπεὶ τὰ φονικὰ δικάζει, ὁ δὲ Ἄρης ἐπὶ τῶν φόνων. App. crit.: βίον Becker, μίαν cod.; ἤτοι] ἤ F Et.; Ἄρειος δὲ, ἐπεὶ τὰ φονικὰ δικάζει: ὁ δὲ ἄρης ἐπὶ τῶν φόνων Eudemos, Ἄρειος δὲ ἐπεὶ τὰ φονικὰ· δικάζει δὲ ὁ Ἄρης ἐπὶ τὸν φόνον Becker, Ἄρειος δὲ, ἐπεὶ τὰ φονικὰ δικάζει, ὁ δὲ Ἄρης ἐπὶ τῶν φόνων Jacoby.

Areopag: Gerichtshof (dikastḗrion) in Athen. Es gab nämlich bei ihnen zwei Räte, den der Fünfhundert, deren Ratsmitglieder auf ein Jahr erlost wurden, wohingegen der der Areopagiten auf Lebenszeit bestimmt war. Er urteilte bei Tötungsdelikten und kümmerte sich um andere politische Angelegenheiten gewissenhaft. Er wurde sicherlich deswegen Areopag genannt, weil er auf einem Felshügel (págos) lag und der Gerichtshof am höchsten Punkt, ‚Areios‘ aber [heißt er], weil er über Tötungen (tà phoniká) urteilte (dikázein); Ares hat nämlich mit Tötungen zu tun.

Vgl. Demosthenes, Gegen Leptines (or. 20) 157 (= F 23f) φέρε γὰρ πρὸς Διός, τί μάλιστ’ ἂν ἀπευξαίμεθα πάντες, καὶ τί μάλιστ’ ἐν ἅπασι διεσπούδασται τοῖς νόμοις; ὅπως μὴ γενήσονται οἱ περὶ ἀλλήλους φόνοι, περὶ ὧν ἐξαίρετος ἡ βουλὴ φύλαξ ἡ ἐν Ἀρείῳ πάγῳ τέτακται. Denn bei Zeus, was ist es, das wir alle am meisten wohl zu vermeiden wünschen und auf das alle Gesetze (nómoi) mit größter Mühe hinarbeiten? Dass nicht gegenseitige Tötungen (phónoi) begangen werden, über die der Rat (boulḗ) vom Areopag als auserwählter Schützer (phýlax) eingesetzt worden ist.

Die Aussagen über die Kompetenzen des Areopags lassen sich auf die Urteile bei vorsätzlichen Tötungen und der Errichtung einer Tyrannis zurückführen. Diese Vergehen zählten zweifelsohne zu den „wichtigsten Angelegenheiten in der Stadt“ (τὰ μέγιστα τῶν ἐν τῇ πόλει), und indem der Areopag über Tyrannen urteilte, „achtete er genau auf die Gesetze“ (Ath. pol. 3,6: διατηρεῖν τοὺς νόμους), insbesondere auf die altehrwürdige Satzung gegen Tyrannen (F 1).29 Man kann die Aussage in Ath. pol. 3,6 also in der Weise verstehen, dass der Areopag nicht gegen alle Gesetzesverstöße vorging, sondern nur die Befugnis hatte, „all diejenigen zu bändigen und zu strafen, die die (politische) Ordnung aufhoben“ (καὶ κολάζουσα καὶ ζημιοῦσα πάντες οἱ ἀκοσμοῦντες).30 Im selben Rahmen bewegt sich das Zeugnis in Ath. pol. 4,4 (in der angeblichen Verfassung Dra-

29  Rhodes 1981, 108: „here the participles suggest that the author is thinking primarily of judicial activity“. P. J. Rhodes (1981, 107) geht davon aus, dass der Areopag vor Ath. pol. 3,6 schon einmal genannt worden sei. Ausgeklammert bleiben hier diejenigen Quellen, die den Areopag als Gerichtshof für Fälle vorsätzlicher Tötung nennen und die in F 22 zusammengestellt sind. 30  Die aus den frühen Gesetzen abgeleitete Verallgemeinerung, der Areopag habe in früher Zeit die Gesetze überwacht und sei für nahezu alle Rechtsangelegenheiten zuständig gewesen (Ath. pol. 3,6; 4,4; 8,4), trifft in der Sache nicht zu; daher waren die Ausführungen in Ath. pol. 3,6 und 4,4 als nicht glaubwürdig zurückgewiesen worden (Wallace 1989, 3–7; Braun 1998, 13–16). Robert W. Wallace geht davon aus, dass der Areopag bis in die Zeit Solons hinein ein reiner Gerichtshof, insbesondere für Tötungsdelikte, war.

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Verfahren vor dem Areopag

kons): Auch ein Damasias, der das Archontenamt perpetuierte und im dritten Jahr aus dem Amt getrieben werden musste, setzte damit die politische Ordnung, den kósmos, außer Kraft und geriet in den Verdacht, eine Tyrannis anzustreben. Wenn also nach Ath. pol. 4,4 demjenigen, dem Unrecht geschah, die Möglichkeit gegeben war, beim Rat der Areopagiten Anklage zu erheben (εἰσαγγέλλειν), wobei er aufzeigen musste, gegen welches Gesetz verstoßen wurde, kann dies auf die von Solon geschaffene Möglichkeit bezogen werden, eine eisangelía gegen diejenigen einzubringen, „die sich zur Auflösung des Volkes zusammengetan hatten“ (F 43a: οἱ ἐπὶ καταλύσει τοῦ δήμου συνισταμένοι).31 Auf das Antityrannis- und das Eisangeliegesetz bezogen kann der Areopag tatsächlich als „mit der Überwachung der Gesetze betraut“ (F 43a: ἔταξεν ἐπὶ [τὸ] νομοφυλακεῖν) und als „Hüter der Polisordnung“ (ἐπίσκοπος τῆς πολιτείας) angesehen werden.32 Wenn die Strafen (bzw. die Bußen) auf die Akropolis gebracht wurden und dort zu sehen waren – auch wenn auf den Inschriften nicht verzeichnet war, aus welchem Grund die Verurteilung erfolgt war –, spricht vieles dafür, dass es sich bei den Verurteilten um Tyrannen und Hochverräter handelte, von deren Bestrafung Ächtersteine kündeten, wie der von Thukydides beschriebene zur Ächtung der Peisistratiden.33 Wohl ist dem Autor der Athenaion politeia vorzuwerfen, dass seine Ausführungen redundant sind, wenn in der scheinbaren „Aufzählung“ der Kompetenzen des Areopags tatsächlich stets ein und dasselbe Vergehen, die Errichtung einer Tyrannis und die Aufhebung der politischen Ordnung, gemeint ist.34 Die vielfach behaupteten Widersprüche zwischen den Ausführungen des Androtion (und Philochoros) und der Athenaion politeia würden sich jedoch weitgehend auflösen lassen, wenn man die dem Areopag zugeschriebenen Kompetenzen (allein) auf diese Vergehen bezieht, so

31  Anachronistisch bleibt freilich die Angabe in Ath. pol. 4,4, dies gehe auf die Zeit Drakons zurück. 32  In Ath. pol. 8,4 begegnen z. T. dieselben Formulierungen, die auch in Ath. pol. 3,6 und 4,4 gebraucht werden. Rhodes 1981, 108: „… it need not be doubted that what is said here of the Areopagus is essen­ tially correct.“ Rhodes ist der Ansicht, dass sich der Autor in seinen Aussagen über den Areopag auf den Areopagitikos des Isokrates bezieht (siehe insbes. Isokr. or. 7,37 und 46). Als Hüter der Ordnung ist der Areopag auch bereits in Aischyl. Eum. 704–706 genannt: „Als unbestechlich setz’ ich diesen hohen Rat (bouleutḗrion), ehrwürdig, strengen Sinnes, über Schlafende als ewig wache Hut des Landes (phroúrēma gḗs) stiftend ein“. Mit der Bezeichnung bouleutḗrion auch in Eum. 570, 684. Dazu Zelnick-Abramovitz 2011, 111 f. De Bruyn 1995, 18 bringt die Funktion als Wächter über die Polis in erster Linie mit der Rechenschaftspflicht der Amtsträger in Verbindung. Charlotte Schubert hingegen wertet die antiken Aussagen zum Areopag als Hüter der Ordnung als „später entwickelte Vorstellungen“ und „ordnungstheoretische, ganzheitlich ausgerichtete Konzeptionen“ vom Ende des 5. Jh. (2000, 114 f.). Cawkwell 1988 hatte sich dafür ausgesprochen, dass der Areopag vor 462/1 v. Chr. nicht nur Wächter über die Gesetze gewesen wäre, sondern ihm auch eine cura morum oblag. 33  Thuk. 6,55. 34  Auch ist zu berücksichtigen, dass der Text eine Begrifflichkeit des 5. und 4. Jh. verwendet, wenn in Aristot. Ath. pol. 8,4 vom Hochverrat im Sinne einer ‚Auflösung des dḗmos‘ (κατάλυσις τοῦ δήμου) statt der ‚Errichtung einer Tyrannis‘ gesprochen wird und das von Solon festgelegte Verfahren der ‚öffentlichen Anklage‘, der eisangelía, als nómos (eisangelías) bezeichnet wird (Wallace 1989, 65).

Historische Einordnung – Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis (F 44–46)

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wie es Demosthenes in or. 20,157 tut.35 Aus der späteren Rückschau heraus sind diese begrenzten Kompetenzen unzutreffend verallgemeinert worden, wenn dem Areopag eine Aufsicht über alle Gesetze und eine Kompetenz für alle Rechtsverletzungen zugeschrieben wird. Cicero und Plutarch (F 41b) nehmen Bezug auf diese älteren Quellen, wenn sie darauf hinweisen, die neun Archonten seien nach ihrer Amtszeit in den Areopag aufgenommen worden und Solon habe den Areopag als „Hüter von allem und Wächter der Gesetze“ (F 41b: ἐπίσκοπος πάντων καὶ φύλαξ τῶν νόμων) eingesetzt. III 3 Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis Historische Einordnung Eisangeliegesetz Die Athenaion politeia (8,4; F 44c) schreibt Solon einen nómos eisangelías zu, also eine Verfahrensregel, die bei Hochverrat angewandt wurde, wie der vorangehende Satz zeigt.36 Viele Wissenschaftler folgen dieser Angabe in der Quelle und gehen davon aus, dass Solon die eisangelía eingeführt hat, um auf diesem Wege Verfahren einzuleiten, die dann vor dem Areopag verhandelt wurden.37 Da es ausdrücklich um Hochverrat geht, lassen sich Solons Zitat der ‚altehrwürdigen Satzung‘ (F 1, 44a) und das Amnestiegesetz in der Sache damit verbinden, weil sich auch aus diesen Fragmenten ableiten lässt, dass Personen, die eine Tyrannis errichten oder dabei Unterstützung leisten – mithin die Verfassung auflösen (κατάλυσις τοῦ δήμου) –, angeklagt werden können.38 35  Das Vorgehen gegen Hochverräter kann durchaus als eine „constitutional control of the state“ gelten, wie es die Athenaion politeia in 3,6 und 8,2 formuliert (Harding 1994, 85–87). 36  Eberhard Ruschenbusch, Untersuchungen zur Geschichte des athenischen Strafrechts, Köln 1968, 73 f. sah in eisangéllein den ursprünglichen Begriff für eine mündliche Anzeige bei den Gerichtsmagistraten. Rhodes 1981, 156: „it may at any rate be true that the prosecutions which when written denunciation had become normal were called graphaí were earlier called εἰσαγγελία.“ Dies würde bedeuten, dass das Verfahren der eisangelía nicht nur für Hoch- und Landesverrat gegolten hätte, sondern auch für andere Delikte. 37  Lipsius 1905–15, 178; Busolt/Swoboda 1920–26, 848; Bonner/Smith 1930–38, 298; Hignett 1952, 90; Harrison 1968–71, 2,52; Rhodes 1972, 202 f. Hansen 1975, 17 stuft die Information der Athenaion politeia als nicht sehr zuverlässig ein. Worin sich die eisangelía, das ‚Hineinmelden‘ (Wallace 1989, 64: „a law on giving information“), von anderen Formen der Klageerhebung (in F 33a als eisphérein, ‚Einbringen‘, bezeichnet: εἰσφέρειν ‹εἰς› τοὺς ἄρχοντας) unterscheidet, lässt sich nicht bestimmen. Möglicherweise war mit der eisangelía geregelt worden, dass Anklagen nur namentlich erfolgen konnten. Zur eisangelía: Rhodes 1972, 162–171; ders. 1979; Raphael Sealey, Ephialtes, Eisangelia, and the Council, in: Classical Contributions. Studies in Honour of Malcolm Francis McGregor, New York 1981, 125–134; Hansen 1975 und ders., Eisangelia in Athens: A Reply, in: JHS 100, 1980, 89–95 sowie Hansen 1995, 221 f. Einen Überblick über die Forschungsmeinungen bietet Wallace 1989, 64–66. Er kommt zu dem Ergebnis: „We are left with the statement in Ath. pol. 8.4, which we have found no reason to reject“. 38  Zu weit geht daher die Skepsis von Hansen 1975, 18: „As far as we can judge from Solon’s poems it is most unlikely that he prescribed that the Areopagos should try cases of κατάλυσις τοῦ δήμου. This piece

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Verfahren vor dem Areopag

Thomas Lenschau glaubt, dass das in der ‚altehrwürdigen Satzung‘ (F 1) festgelegte und durch Solon ergänzte Verfahren gegen potenzielle Tyrannen mehrfach angewandt wurde, so gegen Damasias 582/1 v. Chr. und gegen Peisistratos bei dessen Vertreibung.39 Aufgrund zweier auf der Athener Agora gefundener Ostraka aus dem 6. Jh. v. Chr., die die Namen Peisistratos (Πισίσ‹τ›ρατος) und Aristion tragen,40 kann vermutet werden, dass Peisistratos nach seinem ersten Tyrannisversuch durch ein vor dem Areopag durchgeführtes Abstimmungsverfahren mittels Tonscherben, eine Vorform des Ostrakismos, aus Attika vertrieben wurde.41 Die Vertreibung schloss vermutlich die Konfiskation des Vermögens ein.42 Nach Ath. pol. 14,1 geschah die Besetzung der Akropolis durch Peisistratos im 32. Jahr „nach dem Erlass der Gesetze“ unter dem Archonten Komeas. Nimmt der Autor damit Bezug auf die Gesetzgebung Solons, der die ‚altehrwürdige Satzung‘ in seine Gesetzeskodifikation aufgenommen hatte, so dass Peisistratos gemäß Solons Eisangeliegesetz vor dem Areopag angeklagt werden konnte? Auch nach dem Sturz der Peisistratiden und der Vertreibung des Hippias aus Athen 511/10 v. Chr. könnte der ins Exil ausgewiesene Hippias wegen Errichtung einer Tyrannis angeklagt worden sein, denn Thukydides nennt als Beleg dafür, dass Hippias der erstgeborene Sohn des Peisistratos war, unter anderem „die Stele, die auf der Akropolis an das Unrecht der Tyrannen erinnert“.43 Darauf seien die Peisistratossöhne Thessalos und Hipparchos ohne Kinder verzeichnet, Hippias hingegen mit fünf Kindern von Myrrhine, der Tochter des Kallias, und dies an erster Stelle unmittelbar nach seinem Vater Peisistratos. Möglicherweise führte die Stele auch weitere, nicht rechtmäßige Kinder aus einer von Peisistratos nach dem Tod der ersten Frau eingegangenen zweiten Verbindung an, denn Thukydides entnahm der Stele auf der Akropolis, „dass von allen rechtmäßigen Brüdern Hippias allein offenbar Kinder gehabt hatte“.44 Es kann of information is presumably derived from the political propaganda for the patrios politeia and wider powers for the Areopagos“. Michael Gagarin, The Thesmothetai and the Earliest Athenian Tyranny Law, in: TAPhA 111, 1981, 71–77, hier 75 f. vermutet, dass Solon mit dem Eisangeliegesetz ein zweites mögliches Verfahren, gegen Hochverräter vorzugehen, neben das der ‚altehrwürdigen Satzung‘ gestellt habe. 39  Hdt. 1,59,4; Aristot. Ath. pol. 22,3; Plut. Solon 8,3–4. Peisistratos war nach seinem Amt als árchon polémarchos selbst Mitglied des Areopags. Braun 1998, 49–53 versucht hingegen die Inaktivität des Areopags in der Zeit zwischen Solon und den Perserkriegen zu erklären. 40  561/60 v. Chr. erlangte Peisistratos eine tyrannenähnliche Stellung. Er soll sich selbst verletzt haben, woraufhin ein Athener namens Aristion vor dem Volk den Antrag einbrachte, ihm eine Leibwache zuzuerkennen. Mit deren Hilfe besetzte Peisistratos die Akropolis (Hdt. 1,59,4–6; Plut. Solon 30,3–5; Aristot. Ath. pol. 14,1). Zu den Ostraka s. u. Anm. 120. 41  Als sich die Anhänger des Megakles und des Lykurgos gegen Peisistratos vereinigten, wurde dieser im sechsten Jahr nach dem Gewinn tyrannenähnlicher Macht (also im Jahr 556/55) vertrieben (Hdt. 1,60,1; Aristot. Ath. pol. 14,3). 42  Nach der Vertreibung des Peisistratos hatte Kallias, Sohn des Phainippos, das konfiszierte Vermögen erworben (Hdt. 6,121,2). Siehe dazu Seibert 1979, 14–16. 43  Thuk. 6,55,1: ἡ στήλη περὶ τῆς τῶν τυράννων ἀδικίας ἡ ἐν τῇ Ἀθηναίων ἀκροπόλει σταθεῖσα. Lenschau 1948, 1807; Seibert 1979, 16 f. 44  Thuk. 6,55,1: παῖδες γὰρ αὐτῷ μόνῳ φαίνονται τῶν γνησίων ἀδελφῶν γενόμενοι. Aus einer zweiten Ehe mit der Argiverin Timonassa, der Witwe des Kypseliden Archinos von Ambrakia, entstammten

Historische Einordnung – Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis (F 44–46)

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daher davon ausgegangen werden, dass kurz nach 511/10 v. Chr. Hippias und posthum Peisistratos gemäß dem Tyrannisgesetz durch Eisangelie angeklagt und vom Areopag geächtet und zu átimoi erklärt wurden, er selbst und seine gesamte Familie (génos). Andokides erläutert mit Bezug auf die gestürzten Tyrannen in Athen: „die einen haben sie getötet, bei anderen das Exil (phygḗ) verhängt, wieder anderen erlaubt, ungeehrt in der Stadt zu bleiben“.45 Diejenigen, die als átimoi in Athen bleiben durften, könnten die Helfershelfer gewesen sein, die gemäß der ‚altehrwürdigen Satzung‘ zu Ehrlosen erklärt wurden.46 Die Verurteilung hatte eine Verfluchung zur Folge, und die Verfluchten waren auf der an heiligem Ort – nämlich auf der Akropolis – aufgestellten Tafel namentlich aufgeführt, Peisistratos, seine rechtmäßigen und seine nicht rechtmäßigen Söhne sowie die von diesen abstammenden Enkel. Die Verfluchung schloss die Konfiskation des Familienvermögens ein; Personen, die einen der Verfluchten töten würden oder getötet hatten, waren ‚rein an den Händen‘ (F 45). Eine Verbannung soll auch gegen Isagoras, den Gegenspieler des Kleisthenes ausgesprochen worden sein, und zwar wegen Tyrannisversuchs.47 In den Ratseid von 501 v. Chr. wurde wenige Jahre später eine entsprechende Bestimmung eingefügt; auf diesen nahm in der Formulierung vermutlich Demophantos im Jahre 410 (s. u.) Bezug.48 Der Überlieferung kann also entnommen werden, dass nach dem Tyrannisversuch Kylons ein schriftlich abgefasstes Gesetz erlassen wurde, das die Strafen für Tyrannen

die nicht rechtmäßigen Söhne (Hdt. 5,94,1: nóthoi) Iophon und Hegesistratos (Aristot. Ath. pol. 17,3–4; Plut. Cato maior 24,8). Hegesistratos war von Peisistratos um 530 v. Chr. als Tyrann in Sigeion eingesetzt worden (Hdt. 5,94 f.). Traill PAA 537360 und 481600; Davies APF 11793. 45  And. 1,106: τοὺς μὲν ἀπέκτειναν, τῶν δὲ φυγὴν κατέγνωσαν, τοὺς δὲ μένειν ἐν τῇ πόλει ἐάσαντες ἠτίμωσαν. 46  Auch Kypselos, der Tyrann von Korinth, hatte nach Sturz und Vertreibung der Bakchiaden deren Vermögen konfisziert (Nikolaos v. Dam. FgrHist 90 F 57,6–7; vgl. Hdt. 5,92 ε 2). Nachdem die Tyrannen selbst gestürzt waren, der Neffe Perianders getötet und die Stadt ‚befreit‘ war (ἐλευθέρωσαν), wurden die Kypseliden verflucht, ihre Häuser gewüstet, ihre Besitztümer konfisziert, die Bestattung in Korinth verboten und die Gebeine der Vorfahren aus korinthischem Boden entfernt (Nikolaos v. Dam. FgrHist 90 F 60; vgl. Photios, Lex. κ 1280 s. v. Κυψελιδῶν ἀνάθημα ἐν Ὀλυμπίᾳ·… ἐξώλης εἴη Κυψελιδῶν γενέα). Mait Kο�iv, Ancient Tradition and Early Greek History. The Origins of States in Early-Archaic Sparta, Argos and Corinth, Tallinn 2003; Winfried Schmitz, Kypselos und Periandros. Mordende Despoten oder Wohltäter der Stadt, in: Bernhard Linke, Mischa Meier, Meret Strothmann (Hrsg.), Zwischen Monarchie und Republik. Gesellschaftliche Stabilisierungsleistungen und politische Transformationspotentiale in den antiken Stadtstaaten, Stuttgart 2010, 19–49, hier 27, 48. 47  Schol. Aristoph. Lys. 273: Die Häuser der mit König Kleomenes nach Eleusis Abgezogenen haben die Athener gewüstet, ihren Besitz konfisziert und sie mit Stimmsteinen zum Tode verurteilt. Ihre Namen haben sie auf eine bronzene Stele beim alten Tempel auf der Akropolis aufgezeichnet (τῶν δὲ μετὰ Κλεομένους Ἐλευσῖνα κατασχόντων Ἀθηναῖοι τὰς οἰκίας κατέσκαψαν καὶ τὰς οὐσίας ἐδήμευσαν, αὐτῶν δὲ θάνατον κατεψηφίσαντο. καὶ ἀναγράψαντες εἰς στήλην χαλκῆν ἔστησαν ἐν πόλει παρὰ τὸν ἀρχαῖον νεών). In Aristot. Ath. pol. 20,1 wird Isagoras als Freund der Peisistratiden bezeichnet. Seibert 1979, 17 f. 48  Johann Matthias Stahl (1891) erkannte in dem von Demophantos beantragten Eid gegen die Tyrannis eine ältere Eidesformel, nämlich die des Ratseids von 501 (Aristot. Ath. pol. 22,2; ihm folgen Usteri 1903, 16 f. und Friedel 1937, 39–46; vgl. Rhodes 1972, 191–193, 210; Bleicken 1984, 387). Zur Bedeutung des Eids für eine Integration und eine Stärkung der Identität der Athener Shear 2007.

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Verfahren vor dem Areopag

und ihre Helfershelfer festlegte (F 1). Solon regelte am Anfang des 6. Jh., dass das Verfahren mittels eisangelía einzuleiten war und bestimmte damit den Areopag als diejenige Instanz, die in Fällen von Tyrannis urteilen sollte. Damit setzte Solon den Areopag der Überlieferung nach als „Hüter der politischen Ordnung“ ein.49 Änderungen des Eisangelieverfahrens in klassischer Zeit Das Verfahren, mittels eisangelía Personen wegen Hochverrats anzuklagen, wurde in späterer Zeit geändert, vermutlich in der Zeit des Kleisthenes, spätestens aber im Zuge der Reformen des Ephialtes. Gemäß der Athenaion politeia habe Ephialtes dem Areopag Kompetenzen genommen und ihm nur die Verfahren wegen vorsätzlicher Tötung belassen.50 Durch den Mythos legitimiert galt der Areopag als diejenige Institution, die gegen Ares und gegen Orest die Urteile gesprochen hatte und der demnach von alters her die Befugnis zukam, in Fällen der Tötung zu urteilen (F 40). Diese von Solon dem Areopag übertragene Aufgabe wurde ihm nie streitig gemacht. Die ‚hinzugekommenen‘ Aufgaben habe Ephialtes dem Areopag hingegen genommen.51 Jedenfalls gibt es für die Zeit nach 462/1 keinen Beleg mehr für ein mittels eisangelía eingeleitetes Ver-

49  Ob dem Areopag im frühen 6. Jh. auch die Kompetenz zukam, über Fälle von Asebie zu urteilen, lässt sich nicht hinreichend belegen. Das Verfahren, das der Rede Über den Ölbaum des Lysias zugrunde liegt, fand vor dem Areopag statt. Da wilde Ölbäume der Athena heilig waren, galt deren Zerstörung als eine Form von Asebie. Lipsius 1905–15, 128 f. leitet aus dieser Rede ab, dass dem Areopag bis zur Reform des Ephialtes alle Asebieprozesse zugefallen waren. Dafür spreche auch die nach Lys. 7,3.25.32.41 dem Sprecher drohende Verbannung und die Konfiskation des Vermögens, bzw. der Tod als Strafe (Lys. 7,15), wenn er das Land nicht verließ. Dem Täter drohte vermutlich also eine Verfluchung. Siehe dazu auch De Bruyn 1995, 74–78. Braun 1998, 41–46 geht aufgrund dieser Kompetenzen davon aus, dass der Areopag tatsächlich im 6. Jh. eine umfassende Aufsicht über moralische Normen (nómoi) und Gesetze (thesmoí) ausgeübt habe. Ebenso Cawkwell 1988, 9–11. 50  Aristot. Ath. pol. 25,4: ἕως περιείλοντο αὐτῶν δύναμιν; Philochoros FgrH 328 F 64b (Lex. Cantabr. p. 351,10: ὅτε Ἐφιάλτης μόνα κατέλιπε τῆι ἐξ Ἀρείου πάγου βουλῆι τὰ ὑπὲρ τοῦ σώματος). Auf diese Weise sei der Areopag seiner Aufsichtsfunktion beraubt worden und in der Folgezeit habe sich die Polisordnung durch Demagogen weiter aufgelöst (Ath. pol. 26,1; ähnlich 26,2: Alle anderen Angelegenheiten verwalteten sie nicht mehr wie früher, als sie sich von den Gesetzen leiten ließen). Siehe dazu Wallace 1989, 56 und 83–87. 51  Aristot. Ath. pol. 25,2: ἔπειτα τῆς βουλῆς ἐπὶ Κόνωνος ἄρχοντος ἅπαντα περιείλετο τὰ ἐπίθετα δι᾿ ὧν ἦν ἡ τῆς πολιτείας φυλακή. „Hinzugekommene“ Kompetenzen sind auch schon in Lys. fr. 178 Sauppe (or. 69 fr. 158; = or. 101 fr. 224 Carey) belegt (ἐπιθέτους ἑορτάς· Ἰσοκράτης Ἀρεοπαγιτικῷ … ἐλέγετο δὲ παρ’ αὐτοῖς καὶ ἄλλα ἐπίθετά τινα, ὁπόσα μὴ πάτρια ὄντα ἡ ἐξ Ἀρείου πάγου βουλὴ ἐδίκαζεν, ὡς σαφὲς ποιεῖ Λυσίας ἐν τῷ πρὸς τὴν Μιξιδήμου γραφὴν). Da das nicht eindeutig von Lysias herstammende Fragment möglicherweise erst auf die Zeit um 340 zu beziehen ist, als eine erneute Diskussion um die Kompetenzen des Areopags einsetzte, kann das Fragment τὰ ἐπίθετα nicht als authentischen Begriff für 462/61 sichern (Raphael Sealey, Ath. Pol. 25.2 and Lys. fr. 178: ‚additional‘ functions of the Areopagite Council, in: JHS 111, 1991, 210; vgl. Engels 1988, 184 Anm. 9).

Historische Einordnung – Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis (F 44–46)

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fahren wegen Hochverrats vor dem Areopag.52 Die Entmachtung des Areopags hatte Ephialtes mit einem Gesetz vollzogen, das auf dem áreios págos aufgestellt wurde. Als 404/3 ein oligarchisches Regime von dreißig Männern die Herrschaft über Athen ausübte, entfernten sie die dort aufgestellten Gesetze des Ephialtes und des Archestratos.53 Doch könnten Verfahren wegen Verrats auch schon durch Kleisthenes dem Areopag entzogen und auf das Volk übertragen worden sein. Mogens Herman Hansen, der einen Katalog aller Eisangelieverfahren zusammengestellt hat, listet vier Fälle aus der ersten Hälfte des 5. Jh. auf.54 Im Jahr 493 wurde Miltiades angeklagt, auf der Chersones eine Tyrannis eingerichtet zu haben; die Klage fand nach Herodot vor einem dikastḗri­ on statt.55 Dieser allgemeine Begriff für einen Gerichtshof, der in klassischer Zeit auch für den Areopag verwendet wurde,56 lässt keine Entscheidung darüber zu, ob damit der Areopag oder ein mit Geschworenen besetztes (Volks-)Gericht gemeint ist. So bleibt auch unsicher, ob das Verfahren mittels eisangélia eingeleitet wurde.57 Miltiades wurde von dem Gericht freigesprochen. Der zweite Fall betrifft ebenfalls Miltiades, der 490/89 als Stratege die Insel Paros angegriffen hatte; die Aktion war aber ein Fehlschlag, und nach seiner Rückkehr nach Athen wurde der im Kampf verwundete Miltiades wegen Betrugs angeklagt. Er wurde für schuldig befunden. Die Todesstrafe wurde, wegen seiner Verdienste in den Perserkriegen, durch eine Zahlung von 50 Talenten abgewendet. Da er eine solch hohe Summe aber nicht aufbringen konnte, wurde er in Haft genommen, wo er an seinen Verletzungen starb. Laut Herodots Bericht wurde die Verhandlung vor dem Volk geführt, war also eingeleitet worden mittels eisangelía an das Volk.58 Als sicherer Beleg für die Übertragung solcher Verfahren vom Areopag auf das Volk vor 462/1 kann der Fall allerdings nicht gelten, da es sich nicht um ein Verfahren wegen Hochverrats, sondern wegen Bestechung (ἀπάτης εἴνεκεν) bzw. Landesverrats (proditio) durch Annahme von Geldern des Großkönigs handelte, was in der ‚altehrwürdigen Satzung‘ und in Solons Eisangeliegesetz nicht explizit mitgeregelt war.

52  Hansen 1975, 16. Er geht davon aus, dass vermutlich bis 462/1 Eisangelieverfahren vor dem Areopag verhandelt wurden (Mogens Herman Hansen, The Athenian Heliaia from Solon to Aristotle, in: C&M 33, 1981/82, 9–49, hier 38). 53  Aristot. Ath. pol. 35,2: καὶ τούς τ’ Ἐφιάλτου καὶ Ἀρχεστράτου νόμους τοὺς περὶ τῶν Ἀρεοπαγιτῶν καθεῖλον ἐξ Ἀρείου πάγο[υ]. 54  Hansen 1975, 69 f. Zu Fällen von Verrat in der zweiten Hälfte des 5. und im 4. Jh. siehe auch Lipsius 1905–15, 181, 377–380; Michael Ostwald, From Popular Sovereignty to the Sovereignty of Law, Berkeley/ Los Angeles/London 1986, 525–527. 55  Hdt. 6,104,2. Lenschau 1948, 1808. 56  Z. B. Demosth. or. 23,65. 57  Hdt. 6,104,2: … καὶ ὑπὸ δικαστήριον [αὐτὸν] ἀγαγόντες ἐδίωξαν τυραννίδος τῆς ἐν Χερσονήσῳ; Markellinos Vita Thuc. 13. Hansen 1975, 69 (Nr. 1). 58  Hdt. 6,136,1: ὑπαγαγὼν ὑπὸ τὸν δῆμον; Ephoros FgrH 70 F 64; Plat. Gorgias 516d–e; Demosth. or. 23,205 (mit unkorrekten Angaben); 26,6; Plut. Kimon 4,4; Corn. Nep. Milt. 7 (7,5: accusatus ergo est pro­ ditionis). Zur militärischen Aktion gegen Paros Hdt. 6,132–135.

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Verfahren vor dem Areopag

Vor dem Volk fand auch das Verfahren gegen Hipparchos von Kollytos statt. Angeklagt war er in den 470er oder 460er Jahren wegen Landesverrats, floh aber, bevor das Verfahren stattfand.59 In absentia wurde er zum Tode verurteilt. Aufgrund dieser Verurteilung sei eine Bronzestatue von ihm eingeschmolzen und eine Ächtertafel mit den Namen von Verrätern daraus gefertigt worden, die auch den Namen des Hipparchos einbezog.60 Schließlich ist ein Verfahren gegen Themistokles für die 460er Jahre bezeugt. Vor welcher Instanz die Klage des Alkmeoniden Leobotes gegen den ostrakisierten und nach Argos geflohenen Themistokles geführt wurde – ob vor dem Areopag oder vor dem Volk –, ist den überlieferten Quellen nicht sicher zu entnehmen.61 Da das von Krateros überlieferte Urteil wahrscheinlich in Form eines Volksbeschlusses gehalten war, geht Mogens Herman Hansen davon aus, dass das Verfahren vor dem Volk stattgefunden haben wird. Themistokles sei in absentia wegen Landesverrats angeklagt und verurteilt worden. Der Verurteilung zu Tod und Vermögenskonfiskation entzog sich Themistokles durch Flucht.62 Als verbanntem Verräter (ὡς ἐπὶ προδοσία φεύγων) war ihm die Bestattung in attischem Boden verwehrt.63 Auch ein bei Herodot und Lykurg überlieferter Fall ermöglicht keine sichere Entscheidung, ob der Areopag seine Kompetenzen bis 462/1 behalten hat: Als die Athener, die sich 479 nach Salamis geflüchtet hatten, darüber berieten, ob sie die Aufforderung der Perser zur Kapitulation annehmen sollten und sich der Ratsherr Lykides dafür aussprach, steinigten sie ihn; anschließend auch die Athenerinnen die Frau und die Kinder des Lykides. Herodot nährt den Verdacht, Lykides könnte sich vom persischen König bestechen lassen haben. Im Jahr 330 v. Chr. verweist Lykurg in seiner Rede Gegen Leokrates auf dieses historische Beispiel: Der Rat habe Lykides durch Beschluss zum Landesverräter erklärt, woraufhin die Ratsmitglieder ihre Kränze abgenommen und ihn eigenhändig getötet hätten.64 Lykurg nennt es ein vorbildliches psḗphisma, so dass der urteilende Rat der Rat der 500 gewesen sein dürfte. Alles in allem kann aufgrund dieser Fälle nicht eindeutig entschieden werden, ob Tyrannen und andere Hochverräter noch bis 462/1 vom Areopag abgeurteilt wurden, während Landesverräter mittels eisangelía vor dem Volk angeklagt wurden, bis durch 59  Lykurg. Leokr. 117: τὴν περὶ τῆς προδοσίας ἐν τῷ δήμῳ κρίσιν. 60  Die Stele war bis in die Zeit um 330 erhalten (Lykurg. Leokr. 118). Mit Atimie, Hauswüstung, der Aufstellung von Schandtafeln wurden auch die wegen Verrats verurteilten Antiphon und Archeptolemos bestraft (Ps.-Plut. Vitae decem orat. [Mor. 833f]). 61  Klage des Leobotes in Form der eisangelía Lex. Cantabr. s. v. εἰσαγγελία· ἡ κατὰ Θεμιστοκλέους εἰσαγγελία, ἣν εἰσήγγειλε κατὰ Κράτερον Λεωβώτης Ἀλκμέωνος Ἀργυλῆθεν (Krateros frg. 11). 62  Thuk. 1,135–138; 138,6: ἐπὶ προδοσία. Zu den weiteren Quellen Hansen 1975, 70. 63  Thuk. 1,138,6; vgl. Xen. hell. 1,7,22. Zum Verbot der Bestattung in heimischem Boden Stephen C. Todd, Death and Religion in Athenian Law. Identifying Pollution?, in: Symposion 2015. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Coimbra, 1.–4. September 2015), hrsg. von Delfim F. Leão, Gerhard Thür, Wien 2016, 325–350, hier 336–341. 64  Hdt. 9,5; Lykurg. Leokr. 1,122 (παραδιδόναι τὴν πόλιν). Nach Demosth. or. 18,204 hieß der Ratsherr Kyrsilos.

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einen nómos eisangeltikós Verfahren gegen Hochverräter, Landesverräter und wegen Bestechung zusammengefasst wurden,65 oder ob bereits durch Kleisthenes nicht nur der Ostrakismos vom Areopag auf das Volk übertragen wurde (dazu s. u. S. 309), sondern auch die Eisangelieverfahren gegen Hochverräter.66 Für die Beibehaltung der Kompetenz für Fälle von Tyrannis und Auflösung der politischen Ordnung spricht eine Überlieferung in der Athenaion politeia, wonach Themistokles, der nach seinem Archontat selbst Areopagite war, versucht haben soll, den Areopag aufzulösen, als ihm eine Verurteilung wegen medismós, also wegen Landesverrats an die Perser, drohte.67 Er soll dies mit einem geschickten Schachzug erreicht haben: Er spielte Ephialtes vor, der Areopag wollte ihn, Ephialtes, wegen seiner Angriffe gegen Areopagiten und wegen seiner Reformen gefangen nehmen; zu den Areopagiten aber sagte er, er werde ihnen „Personen anzeigen (δεικνύναι), die sich zur Auflösung der politischen Ordnung zusammengetan hätten“, und führte ausgewählte Ratsmitglieder dorthin, wo sich Ephialtes mit anderen aufhielt.68 Da Ephialtes die unmittelbare Festnahme wegen Verfassungsumsturzes fürchtete, flüchtete er sich als Schutzflehender, als hikétēs, an den Altar. Anschließend hätten Themistokles und Ephialtes vor dem Rat der 500 und der Volksversammlung so heftig gegen die Areopagiten agitiert, bis dem Areopag seine Macht genommen wurde.69 Dies wäre ein Beleg für die fortdauernde Kompetenz des Areopags für Fälle von Hochverrat bis 462/61, doch ist strittig, ob diese Überlieferung als historisch anerkannt werden kann. Vielleicht ist dies also nur eine an die Information in Ath. pol. 8,4 angelehnte Anekdote, die zwar ein mittels eisangelía eingeleitetes

65  Zusammen genannt sind Landes- und Hochverrat in Demosth. or. 24,144 und 146; Lykurg. Leokr. 147. Vgl. auch Demosth. or. 9,42: „Arthmios, der Sohn des Pythonax, aus Zeleia, ist ehrlos (átimos) und Feind des Volkes von Athen und seiner Verbündeten, er selbst und sein Geschlecht … weil er persisches Geld zur Peloponnes geschafft hat“. 66  Nach Bonner/Smith 1930–38, 299 konnten eisangelíai zwischen 507 und 462 sowohl von der Volksversammlung als auch vor dem Areopag verhandelt werden, nach Hignett 1952, 154 hätten in dieser Zeitspanne Entscheidungen des Areopag durch das Volk bestätigt werden müssen. Nach Braun 1998, 54–60 können die in den Quellen belegten Verfahren aus der ersten Hälfte des 5. Jh. nicht hinreichend belegen, dass Kleisthenes dem Areopag die Eisangelieverfahren genommen hätte. Zu berücksichtigen ist auch, dass durch den 488/87 auf das Volk übertragenen Ostrakismos Personen, die im Verdacht standen, eine Tyrannis einrichten oder die Verfassung grundlegend ändern zu wollen, verbannt werden konnten. Auf das spätere Verfahren wird man jedenfalls die Angabe in Poll. 8,53 beziehen, dass Solon für Eisangelieklagen tausend Geschworene vorgeschrieben habe, eine Zahl, die von Demetrios von Phaleron auf eintausendfünfhundert erhöht worden sei. 67  Aristot. Ath. pol. 25,3: καταλυθῆναι τὴν βουλήν. 68  Aristot. Ath. pol. 25,3: … ὅτι δείξει τινὰς συνισταμένους ἐπὶ καταλύσει τῆς πολιτείας. 69  Aristot. Ath. pol. 25,4. Allerdings berichtet Lykurgos von einem Verfahren wegen Landesverrats gegen Hipparchos, Sohn des Charmos, „vor dem Volk“ (Lykurg. Leokr. 117 f.: ἐν τῷ δήμῳ). Dieser Hipparchos war das erste Opfer des 488/87 umgestellten Ostrakismos (Aristot. Ath. pol. 22,4; Androtion FgrH 324 F 6 [= Harpokr. s. v. Hipparchos]). Zu diesem Fall liegen zu wenige Informationen vor, um entscheiden zu können, ob die Klage wegen Verrats in die Zeit nach 462/1 zu datieren ist oder Lykurgos fälschlich das Volk als richtende Instanz nennt. Johannes Engels, Lykurg. Rede gegen Leokrates, hrsg., eingel. und übers., Darmstadt 2008, 167.

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Verfahren vor dem Areopag

Rechtsverfahren, wie es durch Solon eingerichtet worden war, belegt, nicht aber dessen Fortbestand bis 462/1.70 Gesetze gegen den Umsturz der Verfassung im späten 5. und 4. Jh. v. Chr. Als 412/11 die demokratische Ordnung durch einen oligarchischen Umsturz beseitigt worden war, wurde unmittelbar nach der Wiederherstellung der Demokratie, in der ersten Prytanie des Jahres 410/9, auf Antrag des Demophantos ein Beschluss von Rat und Volk gefasst, dass derjenige als Feind der Athener betrachtet und ungestraft getötet werden könne (νηποινεὶ τεθνάτω), der die demokratische Ordnung in Athen beseitigt (ἐάν τις δημοκρατίαν καταλύῃ τὴν Ἀθήνησιν) oder als Beteiligter am oligarchischen Umsturz anschließend ein Amt ausübt; sein Besitz sei konfisziert und ein Zehntel solle der Göttin geweiht werden.71 Alle Athener sollten 410/09 unmittelbar vor dem Fest der Dionysien bei einem Opfer schwören, denjenigen zu töten, der die Demokratie stürzt oder als Beteiligter am Umsturz in der wiederhergestellten Demokratie ein Amt ausübt, der eine Tyrannis errichtet oder den Tyrannen dabei unterstützt (καὶ ἐάν τις τυραννεῖν ἐπαναστῇ ἢ τὸν τύραννον συγκαταστήσῃ).72 Bei diesem Beschluss war das 70  Zur Diskussion, ob die über die eisangelía entscheidende Institution in der Zeit des Kleisthenes oder Ephialtes geändert wurde, Hansen 1975, 15 f. (dagegen Braun 1998, 54–60). Zur Glaubwürdigkeit der Anekdote ebd. 19: „That some historians in despair have accepted Aristotle’s spurious anecdote about Themistokles is in my opinion the clearest indication of how impossible it is to produce any evidence proving that eisangeliai before 462 were brought before the Council of the Areopagos. Rejecting the account given in the Constitution of Athens 8,4 und 25,3–4 we are left with the trial of Themistokles as our oldest reliable source for the eisangelia“. Und: „Summing up, I admit that the original nomos eisangeltikos may have been introduced by Solon and that eisangeliai may originally have been brought before the Council of the Areopagos, but, on the basis of the scanty evidence, I am inclined to maintain that the eis­ angelia was a democratic institution introduced by Kleisthenes in 507 and that from the very beginning all eisangeliai were heard by the Assembly or by the court“. 71  And. 1,96: πολέμιος ἔστω Ἀθηναίων καὶ νηποινεὶ τεθνάτω, καὶ τὰ χρήματα αὐτοῦ δημόσια ἔστω, καὶ τῆς θεοῦ τὸ ἐπιδέκατον. Dazu Berneker 1956, 120 f. Das entspricht in etwa der Formulierung auf der Bronzestele, die auf der Akropolis aufgestellt war: Ihr zufolge wurde Arthmios aus Zeleia auf Antrag des Kimon in den 460er Jahren wegen Verrats geächtet (Demosth. or. 9,42: Ἄρθμιος Πυθώνακτος Ζελείτης ἄτιμος καὶ πολέμιος τοῦ δήμου τοῦ Ἀθηναίων καὶ τῶν συμμάχων αὐτὸς καὶ γένος; vgl. Demosth. or. 9,43; 19,271; Lenschau 1948, 1808). Russell Meiggs, The Athenian Empire, Oxford 1972, 508–512 weist die These von Christian Habicht zurück, der die Historizität von Arthmius’ atimía bestritten hatte. Dem schließt sich Sviatoslav V. Dmitriev, Athenian atimia and Legislation against Tyranny and Subversion, in: CQ 65, 2015, 35–50, hier 38 an: eine spätere Formulierung (polémios) müsse nicht bedeuten, dass die Verurteilung unhistorisch sei. Zu dem gegen Arthmios gefassten Beschluss siehe auch Maria S. Youni, Outlawry in Classical Athens: Nothing to Do with atimia, in: Symposion 2017. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Tel Aviv, 20.–23. August 2017), hrsg. von Gerhard Thür, Uri Yiftach, Rachel Zelnick-Abramovitz, Wien 2018, 137–155, hier 139–142. 72  And. 1,97. Nach dem Gesetz von 410 soll derjenige, der bei dem Versuch, den Tyrannen zu töten, ums Leben kommt, in derselben Weise geehrt werden wie Harmodios und Aristogeiton (Ehrungen von Tyrannenmördern durch Statuen nennt auch Xen. Hieron 4,3). Das Gesetz war auf einer Stele am Eingang zum Ratsgebäude (bouleutḗrion) aufgestellt (And. 1,95). Erwähnt ist der auf Antrag des Demophan-

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alte Gesetz gegen die Tyrannis also wieder aufgegriffen, aber um weitere Tatbestände erweitert worden. Eine Tyrannis alten Stils war im Jahr 410 nicht zu befürchten; deswegen stand die „Auflösung des dḗmos“ von oligarchischer Seite im Vordergrund des Gesetzes.73 Bewusst wurde die von oligarchischer Seite betriebene Verfassungsänderung im Eid aber mit der Errichtung einer Tyrannis gleichgesetzt. Die in das 7. Jh. zurückgehende ältere athenische Satzung gegen die Tyrannis sah Strafen vor, die vermutlich Vermögenskonfiskation und Verfluchung und damit auch die Verweigerung einer Bestattung in attischem Boden umfassten. J. F. McGlew sieht in dem von Demophantos beantragten Volksbeschluss eine Verschärfung gegenüber diesen frühen Gesetzen, denn Solon habe immer ein vorausgehendes Verfahren gefordert, während die späteren Gesetze die unmittelbare straffreie Tötung zuließen.74 Nach der hier vorgeschlagenen Rekonstruktion der frühen Antityrannengesetze war aber bereits zu dieser Zeit eine unmittelbare Tötung als straffrei ausgewiesen.75 Dass das spätere Gesetz aus dem Jahr 410/09 die straffreie Tötung und die Vermögenskonfiskation ausdrücklich nennt, findet eine Parallele in einem Gesetz gegen die Tyrannis der Stadt Eretria:76 Das auf Fragment A der Inschrift überlieferte ältere Gesetz richtet sich allein gegen die Tyrannis und spricht dem Tyrannenmörder Ehrungen zu; wer eine Tyrannis errichtet oder sie anstrebt, der sei ‚ehrlos‘ (ἄτιμος), er selbst

tos angenommene Beschluss in Demosth. or. 20,159. Zu dem von Demophantos beantragten Beschluss Ostwald 1955, 115–119; McGlew 1993, 185–187; Dössel 2003, 55–72; Julia L. Shear, Polis and Revolution: Responding to Oligarchy in Classical Athens, Cambridge 2011, 83 f.; Teegarden 2014, 30–37; Börm 2019, 242. Der Aufstellung der Stele auf der Agora kommt insofern eine prominente Bedeutung zu, da bis zu dieser Zeit nur zwei weitere Beschlüsse bekannt sind, die auf der Agora aufgestellt waren. 409/8 v. Chr. folgte das erneut aufgezeichnete Gesetz Drakons über die Tötung, das vor der Stoa Basileios aufgestellt wurde. Vorher waren Beschlüsse vielfach auf der Akropolis und in anderen Heiligtümern aufgestellt worden (Shear 2007, 160). 73  Dass die Tyrannengefahr am Ende des 5. Jh. keine akute war, zeigen die ironischen Anspielungen auf Antityrannengesetze in Aristoph. vesp. 488–499, aves 1074 f., Thesm. 335–339; vgl. Plut. 948–950. Stahl 1891; Friedel 1937, 56–58; McGlew 1993, 186. 74  McGlew 1993, 185 f. 75  Bei der Frage, wie die Athener im 6. Jh. mit Tyrannen umgingen, beruft sich der Autor der Athe­ naion politeia auf einen Auszug aus Solons Gesetz über átimoi (F 1). Er konnte sich nicht unmittelbar auf Solons Gesetz gegen die Errichtung einer Tyrannis berufen, weil dieses Gesetz beim oligarchischen Umsturz 412/11 zerstört und durch das Gesetz des Demophantos, das die Tatbestände erweiterte, ersetzt worden war. Dieses Gesetz war 404/3 erneut außer Kraft gesetzt und wiederum bestätigt worden, vermutlich erneut in revidierter Form. 76  IG XII 9, 190; SEG 51, 2001, Nr. 1105. Die Edition mit umfangreichem Kommentar bei Denis Knoepfler, Loi d’Érétrie contre la tyrannie et l’oligarchie, in: BCH 125, 2001, 195–238 und 126, 2002, 149–204. Zum historischen Kontext Teegarden 2014, 57–61, 66–71, 81–83; zum Gesetz ebd. 61–66, 71–80. Im Antityrannengesetz von Eresos wird demjenigen, der das Gesetz aufzuheben versucht, Tod bzw. Verbannung, Einziehung des Vermögens und Verfluchung angedroht (Lenschau 1948, 1808 f.; Christian Koch, Die Wiederherstellung der Demokratie in Ilion. Zum Wandel der Gesetzgebung gegen die Tyrannis in der griechisch-makedonischen Welt, in: ZRG 113, 1996, 32–63; hier 35 f.; Börm 2019, 259–268).

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Verfahren vor dem Areopag

und seine Familie (γένος) (A Z. 4–5).77 Das aus späterer Zeit stammende Gesetz auf Fragment B legt die Strafen für denjenigen fest, „der den Demos stürzt“ (ὁ τὸν δῆμον καταλύ[ω]ν; B Z. 6), eine Oligarchie einrichtet (B Z. 21) oder dies beantragt:78 Er sei ‚ehrlos‘, sein Vermögen konfisziert und der zehnte Teil davon solle der Artemis Amaryrie zufallen; er darf nicht in Eretria bestattet werden.79 Wie in dem von Demophantos beantragten athenischen Gesetz soll auch in Eretria die Tötung desjenigen, der eine Tyrannis errichtet oder die demokratische Ordnung umstürzt, straffrei bleiben – der Täter sei „rein an den Händen“ (B Z. 11: καθαρὸς ἔστω χεῖρας). Das ältere Gesetz wurde in den späteren Beschluss gegen die Tyrannis und die Einrichtung einer Oligarchie integriert, so wie man es sich bei dem athenischen Gesetz auch vorstellen kann, als vermutlich Solon sich auf das ältere Gesetz durch ein ‚Zitat‘ berief.80 Auch für Eretria gilt, dass das Gesetz nicht allein die Ehrlosigkeit (als Ausschluss von allen Ämtern) als Strafe festlegte, sondern zusätzlich die Vermögenskonfiskation, das Verbot der Bestattung und die straffreie Tötung.81 Der Antragsteller Demophantos, der nach der Wiederherstellung der Demokratie ein Mitglied derjenigen Kommission (der syngrapheís) war, die die Gesetze Drakons und Solons neu aufzeichnen sollte, nahm in der Formulierung seines Antrags deutlich Bezug auf das solonische Gesetz bzw. die im solonischen Gesetz zitierte ältere Satzung.82 Andokides verweist daher zu Recht in seinen einleitenden Sätzen (1,95) auf die Formulierung „der [einen Tyrannen] Tötende sei rein an den Händen“ im solonischen Gesetz (F 45),83 das den oligarchischen Umsturz fünf Jahre später, also 404/3, freilich nicht verhinderte. Nur diese kurze Wendung „der Tötende sei rein an den Händen“ geht auf das solonische Gesetz zurück, nicht das in or. 1,96 eingelegte Gesetz, das eindeutig als „Beschluss von Rat und Volk“ gekennzeichnet ist. Die Forschung hat demgegenüber – beginnend schon mit Johann Matthias Stahl – die Worte „gemäß

77  In Zeile A 6 ergänzt Denis Knoepfler [ἀποκτείνει τὸν τυραννίζοντα ἢ τὸ]ν τ[ύ]ραννον, so dass auch dieses Gesetz nicht nur den Tyrannen selbst, sondern auch dessen Helfer straft; vgl. Teegarden 2014, 73. 78  Zur Gleichsetzung von Tyrannis und ‚Auflösung der dḗmos‘ Teegarden 2014, 73. 79  Fragment B Z. 6–13. Astrid Dössel plädiert mit guten Argumenten dafür, dass es sich um zwei Gesetze unterschiedlicher Zeitstellung handelt (mit einem weiteren Zusatz B Z. 17–36; Astrid Dössel, Einige Bemerkungen zum „Gesetz gegen Tyrannis und Oligarchie“ aus Eretria, 4. Jahrhundert v. Chr., in: ZPE 161, 2007, 115–124 mit weiterer Literatur zu der Inschrift). Einen wichtigen Hinweis für diese Ansicht sieht sie in den unterschiedlichen Inhalten der Atimie (ebd. 118–120), einen weiteren in der Ausweitung der Delikte von der Errichtung einer Tyrannis auf unterschiedliche Formen eines Verfassungsumsturzes. 80  Dössel 2007 (wie Anm. 79), 119. Ähnlich Ostwald 1955, 114, der allerdings von unterschiedlichen Formen der Atimie ausgeht: „All these provisions are not much more than an older concept of ἀτιμία now expressed in the language of the fifth century“. 81  Teegarden 2014, 76. 82  Lipsius 1905–15, 375: „teilweise mit wörtlichem Anschluß an das solonische Gesetz gegen die Tyrannis“. Ebenso Ostwald 1955, 111–114; McGlew 1993, 114; Dössel 2003, 61. 83  And. 1,95 (F 94 Ruschenbusch; Leão/Rhodes): ὁ ἀποκτείνας σε καθαρὸς τὰς χεῖρας ἔσται.

Historische Einordnung – Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis (F 44–46)

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dem Gesetz Solons“ als spätere Einfügung angesehen, da das folgende, von der Stele verlesene Gesetz schlechterdings nicht von Solon sein könne.84 Nach dem zweiten, diesmal deutlich gewalttätigeren oligarchischen Umsturz von 404/3 wurde erneut im Zuge der Neuaufzeichnung der Gesetze eine entsprechende Bestimmung gegen Verfassungsumstürze erlassen.85 Das war notwendig geworden, weil man sich bei der Wiederherstellung der Demokratie auf eine Amnestie geeinigt hatte, die es verbot, gerichtlich gegen Mitschuldige am oligarchischen Umsturz vorzugehen. Ausgenommen waren von dieser Amnestie nur die Hauptschuldigen, die Dreißig, die Zehn, die Archonten im Piräus und die Elfmänner, die Hinrichtungen angeordnet hatten.86 Eine indirekte Wiedergabe der Neufassung des Gesetzes nach 404/3 findet sich in Lykurgs Rede Gegen Leokrates. Das Gesetz, das vermutlich vor dem Areopag aufgestellt war,87 sei in der Zeit „nach der Herrschaft der Dreißig“ (μετὰ τοὺς τριάκοντα) erlassen worden, unter der die Athener von ihren eigenen Mitbürgern Schlimmes hatten erdulden müssen. Sie fassten einen Volksbeschluss und beschworen ihn.88 Die Forschung unterstellt Lykurgos in der Regel einen groben historischen Fehler, da er das von Demophantos 410 v. Chr. beantragte Gesetz auf die Zeit nach dem oligarchischen Umsturz von 404/3 beziehe.89 Da wegen der Amnestie aber dieses Gesetz mindestens ausgesetzt gewesen war, ist es gut möglich, dass nach 404/3 im Rahmen der Revision der Gesetze Solons ein neues Gesetz abgefasst wurde, auf das sich Lykurgos bezieht. Dieses neue Gesetz der Zeit nach 404/3 (und nach 399 v. Chr.; siehe Anm. 86) umfasste neben der Errichtung einer Tyrannis und der „Auflösung des dḗmos“ jetzt auch den Verrat, der

84  And. 1,95: κατὰ γε τὸν Σόλωνος νόμον. Stahl 1891; Ruschenbusch 1966 hat das Gesetz als F 94 unter die spuria eingeordnet; ihm folgen Leão/Rhodes 2015, 151–153: „if it is authentic, it is manifestly not a law of Solon“. 85  Rhodes 1981, 221 f.; Edwin M. Carawan, The Athenian Amnesty and the ‚Scrutiny of the Laws‘, in: JHS 122, 2002, 1–23, hier 19. 86  And. 1,90; Aristot. Ath. pol. 39,6. Andokides sagt ausdrücklich (or. 1,99), dass das auf Antrag des Demophantos angenommene Gesetz von 410 im Jahr 399 nicht in Kraft war (Ostwald 1955, 117 f.). Daher urteilte auch schon Usteri 1903, 17: „Das Psephisma des Demophantos wurde 403 durch das Amnestiegesetz aufgehoben. Wahrscheinlich im Jahr des Eukleides oder in einem diesem naheliegenden wurde dann das Eisangeliegesetz erlassen, wodurch gegen κατάλυσις τοῦ δήμου das Eisangeliegesetz angeordnet wurde“. 87  Lykurg. Leokr. 124: ἡ στήλη ἡ ἐν τῷ βουλευτηρίῳ. Auch die Stele des Demophantosgesetzes war am Eingang des bouleutḗrion aufgestellt (s. o. Anm. 72). Es mag dies das Versammlungsgebäude des Areopag­rats gewesen sein, denn im Gesetz des Eukrates wird dies mit der Formulierung ἐπὶ τῆς εἰσόδου τῆς εἰς Ἄρειον πάγον τῆς εἰς τὸ βουλευτήριον εἰσιόντι bezeichnet (IG II3 320 [SEG 12,87] Z. 24–27). 88  Lykurg. Leokr. 125: ἐψηφίσαντο γὰρ καὶ ὤμοσαν. Auf das wieder in Kraft getretene, verschärfte Gesetz gegen Tyrannis und Hochverrat könnte sich die in Demosth. or. 46,26 überlieferte verfahrensrechtliche Bestimmung beziehen, dass bei der Bestechung von Personen in rechtlichen und politischen Institutionen und in dem Falle, in dem jemand „eine hetaireía zur Auflösung des Volkes bildet“, Klagen (graphaí) bei den Thesmotheten eingereicht werden sollen. 89  Dass Lykurgos Psephisma und Eid fälschlich in die Zeit nach dem Sturz der Dreißig Tyrannen gesetzt hätte (so z. B. Lipsius 1905–15, 375 Anm. 5), trifft also nicht zu. Siehe dazu auch Carawan 2002 (wie Anm. 85), 19; Shear 2007, 148–160, 251–254.

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Verfahren vor dem Areopag

bei dem Gesetzesantrag des Demophantos noch nicht explizit genannt war.90 Dass der Tyrann (ebenso wie der Landes- und Hochverräter) straflos getötet werden konnte und derjenige, der den Tyrannen tötete, „rein (an den Händen)“ sei, könnte wiederum auf entsprechende Bestimmungen im solonischen Gesetzescode zurückgehen.91 Kurz vor der Kapitulation Athens im Jahr 404 war Theramenes als Gesandter nach Sparta entsandt worden, um zu klären, ob Sparta darauf bestehen würde, dass die Mauern Athens eingerissen werden müssten. Zuvor hatte niemand gewagt, dazu einen Vorschlag vor das Volk zu bringen, weil er eine Anklage wegen Landesverrats fürchten musste. Archestratos hatte sich im Rat der 500 dafür ausgesprochen, zu den von den Spartanern vorgeschlagenen Bedingungen Frieden zu schließen und war schon allein dafür in Haft genommen worden. Wie wenig die Athener bereit waren, das Einreißen der langen Mauern als Friedensbedingung zu akzeptieren, zeigt der anschließende Volksbeschluss, niemandem solle gestattet sein, darüber einen Vorschlag zu machen.92 Es verwundert daher nicht, dass das von Lykurgos zitierte zweite Psephisma aus den Jahren nach 404/3 neben Tyrannis und ‚Auflösung des dḗmos‘ jetzt zusätzlich auch den Landesverrat (προδοσία) umfasste.93

90  Lykurg. Leokr. 124: ἡ στήλη περὶ τῶν προδοτῶν καὶ τῶν τὸν δῆμον καταλυόντων; 125: ἐψηφίσαντο γὰρ καὶ ὤμοσαν, ἐάν τις τυραννίδι ἐπιτιθῆται ἢ τὴν πόλιν προδιδῷ ἢ τὸν δῆμον καταλύῃ, τὸν αἰσθανόμενον καθαρὸν εἶναι ἀποκτείναντα. – „Sie haben nämlich beschlossen und beschworen: Wenn jemand eine Tyrannis errichtet oder die Polis verrät oder die demokratische Ordnung auflöst, sei derjenige, der dies bemerkt und ihn tötet, rein (von Befleckung)“. Das Psephisma lässt Lykurgos anschließend verlesen. Es muss sich also um ein offizielles Dokument gehandelt haben. Vgl. Leokr. 126 f., 147; Chambers 1990, 211. Mirko Canevaro und Edward Harris (The Documents in Andocides’ On the Mysteries, in: CQ 62, 2012, 98–129, hier 119–125) haben das bei Lykurgos überlieferte, in die Jahre nach 404/3 gehörende Gesetz als echt anerkannt, aber den bei Andokides überlieferten Volksbeschluss des Demophantos als Fälschung angesehen. Sie begründen dies mit Abweichungen vom üblichen Präskript eines Psephismas und mit Diskrepanzen zwischen den Angaben des Lykurgos und dem bei Andokides überlieferten Text des Psephismas. Die ungewöhnliche Form des Präskripts lässt sich aber damit erklären, dass ausdrücklich festgehalten werden sollte, dass der Beschluss von dem demokratisch gelosten Rat der 500 vorgelegt worden war und nicht von dem oligarchischen Rat der 400. Die Diskrepanzen bestehen vor allem aber deswegen, weil sich Lykurgos in Leokr. 124–126 auf das Psephisma der Jahre nach 404/3 bezieht und das Psephisma des Demophantos von 410/9 nur in Leokr. 127 kurz erwähnt. Als echt verteidigt wurde das Dekret von Alan H. Sommerstein, The Authenticity of the Demophantus Decree, in: CQ 64, 2014, 49–57, als unecht erneut von Edward M. Harris, The Document at Andocides On the Mysteries 96–98, in: Tekmeria 12, 2015, 121–153. Vgl. dazu auch Youni 2018 (wie Anm. 36), 146 f. 91  Auch gemäß Theognis 1181 f. forderten die Götter keine Vergeltung (νέμεσις) für denjenigen, der einen „volkaufzehrenden Tyrannen“ (δημοφάγος τύραννος) stürzte. 92  Xen. hell. 2,2,15–16. 93  Lykurg. Leokr. 125–126. Der Landesverrat konnte natürlich auch bereits vor 404/3 durch ein Rechtsverfahren geahndet werden. Als Phrynichos im Herbst 411 auf offenem Markt von Apollodoros und Thrasyboulos getötet wurde und Freunde des Phrynichos beide ergriffen und ins Gefängnis brachten, befreite sie das Volk wieder, weil sich herausstellte, dass Phrynichos Landesverrat begangen hatte und seine Mörder zu Unrecht ergriffen worden waren (Lykurg. Leokr. 112–115; vgl. Thuk. 8,48–51.54.68.92,2; Lys. 13,71; Plut. Alkibiades 25,6–13). Der ermordete Phrynichos wurde posthum wegen Verrats angeklagt und für schuldig befunden. Sein Vermögen wurde eingezogen und sein Haus gewüstet; seine Gebeine wurden außer Landes geschafft (Xen. hell. 1,7,22: νόμος ἐπὶ τοῖς ἱεροσύλοις καὶ προδόταις). Bei Landes-

Historische Einordnung – Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis (F 44–46)

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Da es in beiden Psephismata um die straflose Tötung der Hochverräter geht, sind rechtliche Verfahrensregeln – wie die eisangelía und ein Verfahren vor dem Areopag oder einem anderen Gerichtshof – nicht einbezogen. Im 4. Jh. konnte gemäß dem bei Hypereides, Theophrast und anderen Autoren überlieferten nómos eisangeltikós eine eisangelía gegen solche Personen eingebracht werden, die die Demokratie aufgelöst, Landesverrat begangen oder als Redner vor dem Volk Bestechungsgelder angenommen hatten.94 Diese von Hypereides und Theophrast bezeugte Fassung des Eisangeliegesetzes wurde teils in die 350er Jahre datiert, teils in die Zeit um 411/10, wofür Anspielungen in Lysiasreden herangezogen wurden; auch die Bildung von Hetairien mit dem Ziel, die demokratische Verfassung aufzulösen, würde am besten zu den Jahren kurz nach 411/10 passen.95 Die Beschlüsse von 410 und aus den Jahren nach 404/3 wurden 337/36 v. Chr. im Kontext der Bedrohung Athens durch Philipp II. auf Antrag des Eukrates noch einmal mit ähnlichen Formulierungen erneuert, diesmal zugespitzt gegen diejenigen, die als Angehörige des Areopags konspirativ tätig geworden waren. Auch dabei wurden Formulierungen des ältesten Gesetzes aufgegriffen.96 Ähnlich wie bei dem Antrag des

verrat galt also auch bereits vor 404/3 die straffreie Tötung des Verräters. Eine Schriftklage wegen Verrats (γραφὴ προδοσίας) bezeugt Poll. 8,40. Die um 470 v. Chr. verschrifteten Teorum Dirae und der Eid der kretischen Itanier umfassen ebenfalls sowohl den Hoch- als auch den Landesverrat (Dössel 2003, 21 f.; 27). Einer Verhaftung durch Bürgenstellung zu entgehen, war den Hoch- und Landesverrätern nicht gestattet (Demosth. or. 24,144; Berneker 1956, 118). 94  In Hyp. Euxen. (4) 7 f. werden die Fälle genannt, für die eisangelía in klassischer Zeit galt. Das Gesetz ist dort allerdings nicht in der vollständigen Fassung zitiert, lässt sich aber mithilfe von § 29 und 39 sowie weiterer Zitate aus Theophrasts Schrift Über die Gesetze (Lex. Canabr. s. v. εἰσαγγελία; Poll. 8,52) in folgendem Sinne ergänzen (Lipsius 1905–15, 192 f.; Hansen 1975, 12–14; vgl. ders. 1995, 220–226; Markus Stein, Anmerkungen zur Überlieferung des attischen Eisangeliegesetzes, in: ZPE 120, 1998, 19–22; Dössel 2003, 57): Wer die Demokratie in Athen auflöst oder sich dazu zusammenfindet oder eine Hetairie zu diesem Zweck bildet oder wer die Stadt oder Flotte oder Heer verrät oder wer als Redner (vor Volk oder Rat) den Interessen der Athener entgegenstehende Vorschläge vertritt, weil er Bestechungsgelder angenommen hat, kann durch eisangelía angeklagt werden (ἐάν τις τὸν δῆμον τὸν Ἀθηναίων καταλύῃ ἢ συνίῃ ποι ἐπὶ καταλύσει τοῦ δήμου ἢ ἑταιρικὸν συναγάγῃ, ἢ ἐάν τις πόλιν τινὰ προδῷ ἢ ναῦς ἢ πεζὴν ἢ ναυτικὴν στρατιάν, [[ἢ ἐάν τις εἰς τοὺς πολεμίους ἄνευ τοῦ πεμπφθῆναι ἀφικνῆται ἢ μετοικῇ παρ᾽ αὐτοῖς ἢ στρατεύηται μετ᾽ αὐτῶν ἢ δῶρα λαμβάνῃ ‹παρ᾽ αὐτῶν›,]] ἢ ῥήτωρ ὢν μὴ λέγῃ τὰ ἄριστα τῷ δήμῳ τῷ Ἀθηναίων χρήματα λαμβάνων). Im Eid der kretischen Itanier beschworen die Bürger, die Polis der Itanier nicht zu verraten, weder das Land noch die Inseln, die Feinde nicht heranzuführen und die Schiffe der Itanier nicht zu verraten (ICret III IV, 8 Z. 9–16; Börm 2019, 234–237). 95  Hansen 1975, 15 mit Verweis auf Lys. 20,5.10.13. Eine weitere Änderung sei dann zwischen 368 und 354 anzusetzen, da im Gesetz ein γραμματεὺς κατὰ πρυτανείαν genannt sei, der erst für diese Zeit belegt ist. Siehe dazu auch Bearzot 2007, 42: „scholars do not agree on the date of its enforcement (going back to Solon according to ancient tradition, but more probably dating to Kleisthenes’ time) nor on the amendments which were introduced afterwards (in the years 411/10, 403/2 and 360–355)“. 96  IG II3 320 Z. 7–10 (SEG 12,87; L. Braccesi, Il decreto ateniese del 337–36 contro gli attentati alla democrazia, in: Epigraphica 27, 1965, 110–126; Rhodes/Osborne 2003, Nr. 79; HGIÜ II 258): ἐάν τις ἐπαναστῆι τῶι δήμωι ἐπὶ τυραννίδι ἢ τὴν τυραννίδα συγκαταστήσηι ἢ τὸν δῆμον τὸν Ἀθηναίων ἢ τὴν δημοκρατίαν τὴν Ἀθήνησιν καταλύηι, ὃς ἂν τὸν τούτων τι ποιήσαντα ἀποκ‹τ›είνηι ὅσιος ἔστω. – „Wenn

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Verfahren vor dem Areopag

Demophantos könnte der zurückliegende oligarchische Umsturz bzw. eine befürchtete oligarchische, durch den Areopag herbeigeführte verfassungspolitische Änderung bewusst mit einer Tyrannis archaischer Form gleichgesetzt worden sein, um alle Versuche, die Demokratie aufzulösen, zu perhorreszieren.97 Das Eukratesgesetz war auf einer steinernen Stele am Eingang zum Ratsgebäude des Areopags und zur Pnyx aufgestellt.98 Eine eisangelía wegen Verrats war die Klage des Lykurgos gegen Leokrates im Jahr 330, bei der Lykurgos für Leokrates die Hinrichtung als Strafe forderte.99 In der Rede Gegen Leokrates nennt Lykurgos vier historische Beispiele für verurteilte Verräter, die straflos getötet oder zum Tode verurteilt, zu den Thesmotheten abgeführt und dem Henker übergeben worden waren, deren Vermögen eingezogen, deren Gebeine aus den Gräbern geholt und deren Häuser gewüstet worden waren.100 Kurzzeitig mag der Areopag nach der Schlacht bei Chaironeia die Kompetenz, Verfahren wegen Verrats zu entscheiden, wiedererlangt haben.101

sich jemand gegen das Volk zur Errichtung einer Tyrannis erhebt oder die Tyrannis mit einrichtet oder das Volk der Athener oder die Demokratie in Athen stürzt, dann soll der entsühnt sein, der eine Person tötet, die davon etwas tut“. Zum Kontext Ostwald 1955, 103, 119–128 (zu den sprachlichen Anknüpfungspunkten an das alte Gesetz des 7. Jh. ebd. 121, 123); P. J. Rhodes in: CQ 28, 1978, 89–90; Engels 1988; Hansen 1995, 306; Bearzot 2007, 40; Teegarden 2014, 85–99; vgl. Rainer 1986, 168 f. Nr. 3. Zum Relief auf der Inschriftstele Alastair J. L. Blanshard, Depicting Democracy: an Exploration of Art and Text in the Law of Eukrates, in: JHS 124, 2004, 1–15; Teegarden 2014, 106–110. 97  McGlew 1993, 112, 186; 2012, 92, 97 f. Ähnliche Gesetze gegen Tyrannen oder Personen, die einen Umsturz der Verfassung planen oder ins Werk setzen, gab es offenbar in vielen griechischen Städten (Xen. hell. 7,3,10 f.; Pol. 2,56,15). Inschriftlich erhalten ist ein Gesetz aus Ilion aus dem 3. Jh. (IvIlion 25; HGIÜ II 337; Lenschau 1948, 1810 f.; Koch 1996 [wie Anm. 76]; Bearzot 2007, 42 f.; Teegarden 2014, 173–214; Börm 2019, 244–254); vgl. den Beschluss zur Wiederherstellung der Statue des Tyrannenmörders im 3. Jh. aus Erythrai (IvErythrai II 503; HGIÜ II 338; Friedel 1937, 46–50; Rhodes/Osborne 2003, Nr. 503; Teegarden 2014, 142–172; Börm 2019, 254–258). Zu den Gesetzen gegen die Tyrannis insgesamt Dössel 2003; Teegarden 2014; Börm 2019, 241–268. 98  IG II3 320 (SEG 12,87) Z. 24–27: στῆσαι τὴμ μὲν ἐπὶ τῆς εἰσόδου τῆς εἰς Ἄρειον πάγον τῆς εἰς τὸ βουλευτήριον εἰσιόντι, τὴν δὲ ἐν τῆι ἐκκλησί‹α›ι. Dazu M. B. Richardson, The Date of Pnyx III: SEG XII 87, the Law of Eucrates on Tyranny (337/6 B. C.), in: Geoffrey W. Bakewell, James P. Sickinger (Hrsg.), Gestures. Essays in Ancient History, Literature, and Philosophy Presented to Alan L. Boegehold on the occasion of his retirement and his seventy-fifth birthday, Oxford 2003, 332–337. 99  Lykurg. Leokr. 110. Zur Rede Engels 2008 (wie Anm. 69). 100  Lykurg. Leokr. 111–122. Teegarden 2014, 95 f. 101  Aischin. 3,252 (330 v. Chr.): ἀνὴρ ἰδιώτης … ὡς προδότης τῆς πατρίδος … ὑπὸ τῆς ἐξ Ἀρείου πάγου βουλῆς θανάτῳ ἐζημιώθη. Lipsius 1905–15, 379; Boegehold 1995, 128. Ein zweiter Fall endete wegen Stimmengleichheit mit einem Freispruch, eine weitere Gegenstimme hätte Verbannung oder Tod zur Folge gehabt. Zum Machtzuwachs des Areopags in der zweiten Hälfte des 4. Jh. Engels 1988; Wallace 1989, 115 ff.; Zelnick-Abramovitz 2011, 109 f.; Teegarden 2014, 100–105.

Historische Einordnung – Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis (F 44–46)

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Die athenischen Gesetze über die Tyrannis 1. frühes Gesetz gegen die Tyrannis 2. Solons Gesetz gegen die Tyrannis

ca. 630 v. Chr. F 1 594 v. Chr. F 44–47

[oligarchischer Umsturz von 412/11 v. Chr.] 3. Gesetz gegen die Aufhebung der Demo- 410/9 kratie auf Antrag des Demophantos

And. 1,96–99; Demosth. or. 20,159; Lykurg. Leokr. 127

[Amnestie nach dem oligarchischen Umsturz von 404/3] 4. 5.

Gesetz gegen die Tyrannis und die kurz nach 399 Lykurg. Leokr. 124 f. Aufhebung der Demokratie Gesetz des Eukrates gegen die Tyrannis 337/6 IG II3 320 (SEG 12,87) und die Aufhebung der Demokratie Gesetz über die Abstimmung im Areopag (Stasisgesetz)

Das so genannte Stasisgesetz (F 46) ist eines der in seiner Deutung umstrittensten Gesetze Solons.102 Die Ursache dafür liegt im frühesten Beleg für dieses Gesetz in der aristotelischen Athenaion politeia. Nach Ansicht vieler Forscher habe Solon angeordnet, dass jeder Athener im Fall eines Bürgerkriegs, einer stásis, die Waffen (τὰ ὅπλα) für die eine oder andere Seite ergreifen müsse. Wer sich dem verweigere, der sei ehrlos (ἄτιμος) und solle keinen Anteil mehr an der Polis haben. Aufgrund dieses Verständnisses des Gesetzes ergaben sich zwei Interpretationsmöglichkeiten: Solon sei davon ausgegangen, dass mit dem Gesetz das Risiko für einen Zerfall der Polis in einem Bürgerkrieg so hoch anstieg, dass adelige Gruppierungen vor einem solchen Schritt zurückschrecken würden.103 Vertreter dieser Ansicht mussten aber eingestehen, dass Solon, der ansonsten als besonnener Gesetzgeber gilt, ein gefährliches Spiel getrieben 102  McGlew 1993, 115: „Ancient Scholars were baffled by the law“. 103  Welwei 1992, 171 f. sah im Stasisgesetz eine „potentielle Barriere gegen Usurpatoren und Tyrannen“. Solon habe offene Konfrontationen von Hetairien dadurch verhindern wollen, dass die Führer rivalisierender Gruppen mit einem starken Widerstand im Demos rechnen mussten. Vgl. auch Goldstein 1972; Bers 1975, 493–498; Christian Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt 31995, 209 Anm. 181; Alberto Maffi, De la loi de Solon à la loi d’Ilion ou comment defender la démocratie, in: Jean-Marie Bertrand (Hrsg.), La violence dans les mondes grec et romain. Actes du colloque international, Paris 2–4 mai 2002, Paris 2005, 137–162; Forsdyke 2005, 79, 98 f.; Kurt A. Raaflaub, The Breakthrough of Dēmokratia in Mid-Fifth-Century Athens, in: Kurt A. Raaflaub, Josiah Ober, Robert W. Wallace (Hrsg.), Origins of Democracy in Ancient Greece, Berkeley/Los Angeles/London 2007, 105–154, hier 143 und bereits Friedel 1937, 24. Ähnlich auch Fritz Gschnitzer, Griechische Sozialgeschichte von der mykenischen bis zum Ausgang der klassischen Zeit, Wiesbaden 1981, 80 f. (Stuttgart 22013, 108 f.).

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Verfahren vor dem Areopag

hätte, da bei einer Parteinahme aller Athener ein Bürgerkrieg schnell eskalieren konnte. Dies passe – so der berechtigte Einwand – nicht zu der in den Elegien Solons zum Ausdruck kommenden Einstellung Solons, der eine Tyrannis ablehnte und zu einer Befriedung der Gesellschaft beitragen wollte.104 Wem diese Interpretation des Gesetzes zu spekulativ war, wertete es als eine dem Solon später zugeschriebene Fälschung: In den oligarchischen Umstürzen am Ende des 5. Jh. hätte man Solon ein solches Gesetz zugesprochen, um die demokratischen Athener dazu zu bewegen, sich dem Widerstand gegen die oligarchischen Regime anzuschließen.105 Bedenkenswert ist demgegenüber die These von P. Evelyn van’t Wout, die in dem Gesetz die Verpflichtung erkennt, bei einer stásis neutral zu bleiben, indem sie die in dem überlieferten Gesetz enthaltene doppelte, aber getrennt voneinander stehende Verneinung in folgendem Sinne versteht: Wer, wenn in der Stadt eine stásis herrscht, nicht mit den Waffen zur Seite steht (sie also ruhen lässt), weder zugunsten der einen Seite noch zugunsten der anderen Seite, der sei ehrlos. Unter Strafe gestellt werde sowohl die Parteinahme für eine Seite, als auch die politische Abstinenz, um die neutrale, aber engagierte Mitte zu stärken.106 Dies setzt freilich voraus, dass alle späteren Gewährsmänner das Gesetz missverstanden hätten, Cicero und Aulus Gellius, Plutarch und Diogenes Laertius sowie die byzantinischen Autoren. In ähnliche Richtung wie P. Evelyn van’t Wout argumentiert Oliver Grote: Aus Solons Elegien werde hinreichend deutlich, dass er sich gegen Rivalitäten adeliger Gruppen richtete und eindringlich mahnte, das Wohl der gesamten Polis im Auge zu haben. Damit sei nicht vereinbar, dass Solon es den Athenern freigestellt haben sollte, sich der einen

104  Ruschenbusch 1966, 84; von Fritz 1977, 246; David 1984, 131. Ein weiterer Einwand gegen die Historizität des Gesetzes war, dass es nach Lys. 31,27 um 400 kein Gesetz gab, das es verbot, Attika während eines Bürgerkriegs, einer stásis, zu verlassen (Leão/Rhodes 2015 haben den Beleg als F 38/m aufgenommen). 105  So Bleicken 1986, 9–18; ders., Die athenische Demokratie, Paderborn 41995, 365 f.; 637 f. Als ein im politischen Tageskampf eingesetztes, Solon zugeschriebenes und fiktives Gesetz sehen es auch David 1984, Pecorella Longo 1988 und Gabba 1994 an. Jüngst wurde die Ansicht, das Gesetz sei unhistorisch, erneut von David A. Teegarden vertreten, der alle Argumente noch einmal einer kritischen Überprüfung unterzogen hat (2014). Eine gänzlich andere, aber von der Forschung abgelehnte Deutung hat Eberhard Ruschenbusch (1966, 83) vertreten: Das Gesetz sei gegen Kriegsdienstverweigerer gerichtet gewesen; stásis sei im Gesetz im Sinne eines auswärtigen Krieges gemeint. Dezidiert abgelehnt von Kurt von Fritz 1977, 247 Anm. 10 und von Peter Spahn, Mittelschicht und Polisbildung, Frankfurt a. M. 1977, 153 f., 224 f. Anm. 153. Allein Uwe Walter, An der Polis teilhaben. Bürgerstaat und Zugehörigkeit im Archaischen Griechenland, Stuttgart 1993, 195 mit Anm. 104 hat Ruschenbuschs These übernommen. Zu den bisherigen Deutungen und den Einwänden gegen die Historizität des Gesetzes siehe McGlew 1993, 115–120; van’t Wout 2010, 289–301; Schmitz 2011, 24–28; Grote 2017, 129 f. 106  van’t Wout 2010, 290: „The law should be read as one that requires citizens to play an active role in the resolution of a conflict on a basis of neutrality“. Sie übersetzt (S. 295) Ath. pol. 8,5: „whoever … does not ground his arms without allegiance to either party, shall be atimos“. Zum Missverständnis der späteren Autoren ebd. 296. Kritisch gegenüber der These von van’t Wout äußern sich Heftner 2012, 8–12 und Grote 2017, 131–133. McGlew 1993, 119 hatte sich dafür ausgesprochen, dass das Gesetz nur Appellcharakter gehabt habe: „the law could have only one purpose: to upset the Athenians’ conviction that mediation was a solution of political crisis“.

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oder der anderen Seite anzuschließen. Um eine Gefährdung der Polis zu verhindern, sollten die Bürger „ihre Waffen bereithalten“. Ein solches Verständnis ergebe sich, wenn μεθ᾽ ἑτέρων nicht im Sinne einer Hinwendung zu irgendeiner Seite verstanden werde, sondern wörtlich im Sinne von „zusammen mit anderen“, die sich gegen diejenigen wenden sollten, die die Stadt in eine Zwietracht brachten (στασιαζούσης τῆς πόλεως) und damit Andersgesinnte waren. Solon habe daher das Gesetz formuliert: „Diejenigen, die in einer von einigen Bürgern angezettelten Stasis nicht zusammen mit anderen, vernünftigen Bürgern Partei für die Polis ergriffen hatten, waren zu verurteilen“.107 Das Gesetz richtete sich damit „gegen passiv bleibende Bürger, die nicht bereit waren, aktiv für die Polis einzutreten“, und gehöre damit in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Gesetz gegen die Auflösung des Demos, das in der Athenaion politeia vorausgehend aufgeführt ist.108 Auch gegen die These von Oliver Grote gilt aber der Einwand, der gegen P. Evelyn van’t Wout geäußert wurde. Vorausgesetzt werden müsste, dass alle späteren Autoren die Wendung μηδὲ μεθ᾽ ἑτέρων falsch verstanden hätten.109 Nicht unmittelbar einsichtig ist auch, warum nicht ein jeder Einzelner hätte Verantwortung für das Wohl der Polis übernehmen sollen, sondern nur dann, wenn dies „mit anderen“ geschehe. Einige dieser Interpretationen beruhen auf einem doppelten Missverständnis. Die sich im Zustand einer stásis befindliche Polis (ἡ πόλις στασιάζουσα) ist nicht ein in bürgerkriegsartigen Zuständen versinkendes Gemeinwesen. Die semantische Bedeutung von stásis ist vielfältig, reicht vom einfachen ‚Redestreit‘ (στάσις λόγου)110 über politische Auseinandersetzungen bis hin zu schweren inneren Spaltungen, die bürgerkriegsartigen Charakter annehmen können.111 Eine stásis in Form einer politischen

107  Grote 2017, 139 und 141; er übersetzt das Stasisgesetz: „Wer nicht, wenn es zur Stasis gekommen ist, zusammen mit anderen Partei (für die Polis) ergreift, soll ehrlos sein und keinen Anteil mehr an der Polis haben“ (141). 108  Ebd. 142. Ähnlich hatte auch Heftner 2012, 11 f. argumentiert: „Hier ist m. E. die Überlegung entscheidend, dass ein Gesetzgeber, der die Bürgerschaft zum Eingreifen im Falle eines eskalierenden Parteienstreits verpflichten möchte, es mit Sicherheit nicht in das Belieben des Einzelnen stellen wird, welcher Seite er sich anschließen möchte, sondern den Adressaten des Gesetzes implizit oder explizit vorgeben wird, für welche – im Sinne des Gesetzgebers einzig legitime – Sache sie sich zu engagieren haben“ (11). 109  Cicero gibt dies mit non alterius utrius partis, Plutarch mit μηδετέρας μερίδος, μηδετέρᾳ μερίδι, μηδετέροις und μηδετέρῳ μέρει wieder, Aulus Gellius mit non alterutrae parti. Auch Diogenes Laertius und die byzantinischen Autoren setzen ein anderes Verständnis von μηδὲ μεθ᾽ ἑτέρων voraus. 110  Soph. Trach. 1179; OT 634. 111  Zu den verschiedenen Bedeutungen von stásis siehe Hans-Joachim Gehrke, Stasis. Untersuchungen zu den inneren Kriegen in den griechischen Staaten des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr., München 1985, 6 f. und Christian Meier, ‚Revolution‘ in der Antike, in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 5, Stuttgart 1984, 665–667. Erstmals begegnet das Wort in den solonischen Elegien, doch ist es dort dem „inneren Krieg“ gegenübergestellt, so dass man stásis als inneren Konflikt verstehen muss, der die Schwelle einer bewaffneten Auseinandersetzung noch nicht überschritten hat: „Schnell gerät sie [die Stadt Athen] in schlimme Knechtschaft, die stásis und inneren Krieg, den schlafenden (στάσιν ἔμφυλον πόλεμόν θ᾽εὕδοντ᾽), aufweckt, der die geliebte Jugendzeit vieler vernichtet“ (Solon fr. 4 West Z. 17–22; vgl. Z. 32–39; Schmitz 2011, 38). In den homerischen Epen kommt das Wort stásis noch nicht vor, wohl

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Zwietracht kann durch Diskussion und Abstimmung entschieden werden, und die Entscheidungen der Mehrheit werden durchaus von der unterlegenen Gruppe akzeptiert.112 Eine stásis kann – muss aber nicht – zu einem Bürgerkrieg eskalieren. Das zweite Missverständnis liegt in der Deutung von θῆται τὰ ὅπλα im Sinne von „zu den Waffen greifen“. In historiographischen Beschreibungen von Kriegszügen wird das Aufnehmen der Waffen im Griechischen mit λαμβάνειν oder ἀναλαμβάνειν τὰ ὅπλα wiedergegeben. Τίθεσθαι τὰ ὅπλα ist das „Hinstellen der Waffen“ und im metaphorischen Sinne „sich mit den Waffen an die Seite von jemandem stellen“, also „Partei ergreifen für jemanden“.113 Genau in diesem Sinne hat auch Cicero in seinem Brief an Atticus das Gesetz Solons verstanden, wenn er Solon zuschreibt, dass „er den Kopf darauf gesetzt habe, wenn einer bei einem Bürgerzwist – in seditione, und hier hat Cicero tatsächlich den gegenwärtigen Bürgerkrieg vor Augen – nicht für die eine oder andere Seite Partei ergreife“ (F 46b: alterius utrius partis fuisset). Dies deckt sich mit den Wiedergaben des Gesetzes in Schriften des Plutarch: Derjenige sei ehrlos, der sich bei einer stásis nicht zu einer der beiden Seiten bekenne (μηδετέρας μερίδος γενόμενος bzw. μηδετέρᾳ μερίδι προσθέμενος).114 Von ‚Waffen‘ ist weder bei Cicero noch bei Plutarch die Rede, und auch nicht in der späten Quelle des Diogenes Laertios, der die stásis auf die drei Parteiungen von Stadt-, Binnenland- und Küstenbewohnern bezieht. Cicero und Plutarch haben die metaphorische Bedeutung von θῆται τὰ ὅπλα richtig im Sinne von ‚Partei ergreifen für jemanden‘ verstanden.115 Einzig Gellius unterlegt dieser Formulierung eine militärische Komponente, gibt θῆται τὰ ὅπλα mit arma capientur wieder und spricht von pugnare, tut dies aber ausdrücklich mit Bezug auf die aristotelische

aber das Phänomen des inneren Krieges, der mit πόλεμος ἐπιδήμιος bezeichnet ist (Hom. Il. 9,63 f.; vgl. Alkaios fr. 70 Lobel/Page Z. 11: ἐμφύλω μάχας). Zur Argumentation im Einzelnen Schmitz 2011. 112  Vgl. z. B. Hdt. 7,2,1–3; 8,3,1; 9,27,6; Thuk. 4,84; 4,88; Xen. an. 6,1,29. Dazu Schmitz 2011, 37–42; 2013, 86 f. 113  Zu den Belegstellen für eine metaphorische Verwendung von τίθεσθαι τὰ ὅπλα siehe im Einzelnen Schmitz 2011. 114  Vgl. Forsdyke 2005, 98: „Whoever does not join the side of one faction or the other in a situation of civil war shall be an outlaw“. 115  Da in der Solonvita Plutarchs ebenfalls die Bemerkung mit dem Stasisgesetz verbunden ist, Solon habe erreichen wollen, dass sich niemand der Gemeinschaft gegenüber gleichgültig verhalte und sich nur um sein eigenes Haus kümmere (20,1), kann davon ausgegangen werden, dass er sich unmittelbar auf Aristot. Ath. pol. 8,5 bezieht, also μ[ὴ] θῆται τὰ ὅπλα μηδὲ μεθ’ ἑτέρων mit μηδετέρας μερίδος γενόμενον wiedergibt. Zum Verständnis von θῆται τὰ ὅπλα siehe Develin 1977b, 507: „What Solon’s law says is that each man should take a stance in a state of στάσις; there is no reference to actual military or paramilitary involvement, but the setting up of one’s position is a borrowing from military usage“; 508: „But it does recur exclusively in terms of taking sides with a cause“. So auch Rhodes 1981, 157 f.: θέσθαι τὰ ὅπλα bedeute „placing one’s arms, whether literally or metaphorically, at the disposal of one side against another“; „the basic meaning of the expression is ‚rest arms‘“. Ebenso Raphael Sealey, How Citizenship and the City Began in Athens, in: AJAH 8, 1983, 100–105; S. 101: „to take sides with someone“, „to join someone’s side in strife“. Vgl. auch van’t Wout 2010, 291–293, die die Wendung weder im Sinne von ‚to take up arms‘ noch im Sinne von ‚to take sides‘, sondern im Sinne von ‚setting down one’s arms‘ versteht. „This act constitutes a public display of readiness to use arms“.

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Athenaion politeia, so dass bei ihm nachweislich von einem Missverständnis auszugehen ist, einem Missverständnis, dem auch die moderne Forschung aufgesessen ist.116 Inhaltlich ist das Stasisgesetz also folgendermaßen zu verstehen: „Wer, wenn in der Polis ein innerer Konflikt besteht, nicht zugunsten einer Seite Partei ergreift, soll rechtlos (átimos) sein und keinen Anteil mehr an der Polis haben“. Zu klären bleibt, in welcher Form und an welchem Ort der innere Konflikt, die Zwietracht, ausgetragen wurde. Auch dabei hilft der Text der Athenaion politeia (F 46a) weiter. Denn die Athenaion politeia stellt das Stasisgesetz in einen Zusammenhang mit dem Areopag: Ihn habe Solon damit betraut, die Gesetze zu überwachen und die Aufsicht über die Polisordnung auszuüben, die meisten und wichtigsten Angelegenheiten der Polis in die Hand zu nehmen. Der Areopag konnte Strafen verhängen und Urteile fällen. Wenn die Strafgelder auf der Akropolis deponiert und die Namen der Gesetzesbrecher verzeichnet wurden sowie Urteile genannt werden, die über diejenigen gesprochen wurden, die sich „zur Auflösung des dḗmos zusammengetan hatten“,117 dann wird man bei diesen Verfahren an solche gegen Tyrannisaspiranten und Hochverräter zu denken haben, die straflos getötet werden konnten, deren Vermögen eingezogen wurde und deren Namen auf Stelen verzeichnet waren, die auf der Akropolis standen. Es handelt sich also beim Stasisgesetz um ein spezielles Gesetz (ἴδιος νόμος), ein Verfahrensgesetz, mit dem Solon Abstimmungen im Areopag regelte. Jeder Areopagit musste im Falle einer stásis, also wenn der Verdacht bestand, dass eine Gruppierung eine Tyrannis errichten und die politische Ordnung aushebeln wollte, Stellung beziehen, ob er den oder die mittels eisangelía Angeklagten für schuldig befand oder nicht. Ausdrücklich hat Solon nicht vorgegeben, welcher Position sich der Areopagit anschließen sollte, für wen er ‚Partei ergreife‘, sei es zugunsten oder gegen den oder die Angeklagten. Denn in vielen Fällen wird nicht eindeutig zu entscheiden gewesen sein, ob bestimmte Ambitionen einer adeligen Gruppe eine Gefährdung der politischen Ordnung darstellten oder nicht. Sich aber einer Entscheidung zu entziehen, gestattete Solon durch sein Stasisgesetz nicht. Wer nicht ‚Partei ergriff ‘, der sollte ehrlos sein und keinen Anteil mehr an der Polis haben, wurde also aus dem Areopag ausgeschlossen und konnte kein politisches Amt mehr wahrnehmen, ja war – wenn τῆς πόλεως μὴ μετέχειν zum originalen Gesetzestext gehört – von jeglicher politischer Teilhabe ausgeschlossen.118

116  Heftner 2012, 3 f. behält die Übersetzung „derjenige, der im Falle eines Bürgerkrieges nicht für eine der beiden Seiten zu den Waffen greife“ bei; ebenso S. Douglas Olson, Ryan Seaberg, Kratinos frr. 299–514. Translation and Commentary (FrC 3.6), Göttingen 2018, 21. Robin Osborne verweist auf das Problem, die Grenzen zwischen politischem Konflikt und einer außerordentlichen stásis-Situation klar zu ziehen, bleibt also bei dem herkömmlichen Verständnis (The Elasticity of Athenian Law, in: Chris Carey, Ifigeneia Giannadaki, Brenda Griffith-Williams [Hrsg.], Use and Abuse of Law in the Athenian Courts, Leiden/Boston 2019, 32–41, hier 34 f.). 117  Aristot. Ath. pol. 8,4: τοὺς ἐπὶ καταλύσει τοῦ δήμου σνυνισταμένους. 118  Auch Plutarch hat das Stasisgesetz in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Areopag gestellt.

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Dass sich das Stasisgesetz auf den Areopag bezieht und es nicht auf alle Athener und ihr Verhalten in einem Bürgerkrieg bezogen werden darf, macht auch der auf den Gesetzestext folgende Satz „mit den Ämtern verhielt es sich also in dieser Weise“ deutlich. Der Autor schließt damit seine Ausführungen zu den politischen Reformen, die die Institutionen und Ämter betreffen, ab und wendet sich anschließend den volksfreundlichen Charakteristika der solonischen Reformen und den sozioökonomischen Aspekten zu. Das Stasisgesetz gehört also in den Kontext der archaí und steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den vor dem Areopag verhandelten Gerichtsverfahren, die mit der eisangelía eingeleitet und mit der Abstimmung der Areopagiten abgeschlossen werden.119 Mit seinem Stasisgesetz bezweckte Solon – so darf man vermuten – eine höhere Akzeptanz der vom Areopag verhängten Urteile. Waren alle Areopagiten gezwungen, eine Stimme für oder gegen den Angeklagten abzugeben, stieg die Chance, eindeutige Mehrheiten für ein Urteil zu erzielen, und schwand die Aussicht für die Helfershelfer des Angeklagten, wenn sie erkennen mussten, dass eine große Mehrheit der athenischen Elite gegen sie stand. Angewandt wurde das Gesetz vermutlich gegen Peisistratos, der sich nach einem möglicherweise fingierten Angriff auf seine Person eine Leibwache aus jungen Männern hatte zubilligen lassen, mit denen er die Akropolis besetzte. 556/55 wurde er durch eine Allianz von Megakles und Lykurgos aus Athen vertrieben. Die Funde zweier Tonscherben (óstraka) mit den Namen Peisistratos und Aristion machen wahrscheinlich, dass dies über eine Anklage vor dem Areopag geschehen und die Abstimmung in diesem Verfahren im Areopag mittels óstraka durchgeführt worden war.120 Mit einer Abstimmung mittels óstraka konnte sichergestellt werden, dass tatsächlich alle Denn voran geht seine Diskussion, ob der Areopag auf vorsolonische Zeit zurückgeht oder erst von Solon geschaffen wurde. 119  Schmitz 2013, 88 f. Einwände gegenüber dieser These formulieren Heftner 2012, 7–12 und Grote 2017, 133–138, die aber nicht so schwer wiegen wie die Vorbehalte gegenüber anderslautenden Erklärungen des Gesetzes. 120  Develin 1977a, 13–17; Schmitz 2013, 93 f. Die Ostraka wurden 1934 und 1937 auf der Athener Agora gefunden. Die Scherbe mit dem linksläufig geschriebenen Namen Πισίσ‹τ›ρατος, vom Fuß einer geometrischen Schale vom Ende des 8./Anfang des 7. Jh., wurde in einer nicht datierbaren Verfüllung gefunden. Die Scherbe mit dem Namen Ἀριστίον, ein Bruchstück einer Amphora aus dem 7. oder Anfang des 6. Jh., wurde in einer Verfüllung zusammen mit weiteren Scherben aus dem 6. Jh. gefunden (Inv.-Nr. P 3629 und 10159; publiziert wurden die óstraka von Eugene Vanderpool, Some Ostraka from the Athenian Agora, in: Hesperia Suppl. 8, 1949, 394–412, hier 405–408 und Mabel Lang, Graffiti and Dipinti [The Athenian Agora Bd. 21], Princeton 1976, 17 Nr. D 1 und 19 D 22 Taf. 7 u. 8; Lilian H. Jeffery, Local Scripts of Archaic Greece, Oxford 21990, 70 Nr. 9e Taf. 2). Die óstraka machen die Annahme wahrscheinlich, dass bereits bei den im Areopag abgehaltenen stásis-Verfahren des 6. Jh. mittels Tonscherben abgestimmt wurde. Beide Scherben können auf die erste Vertreibung des Tyrannen bezogen werden, wie bereits Eugene Vanderpool 1949 vermutet hat. Siehe dazu ausführlich Schmitz 2014, 61–63. Zu Aristion s. o. Anm. 40. Zur Deutung der óstraka Vanderpool 1949, 407: „I should like to think that our sherd belongs to the mid-sixth century B. C. and refers to Peisistratos the tyrant. This Peisistratos went into exile on two occasions, and it may be that he was banished by a vote of the Areopagus, the voting being done on potsherds“ und Anm. 42: „The logical body to do it [scil. Peisistratos’ Exilierung] would appear to be the

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Areopagiten an der Abstimmung teilnahmen. Ein Beleg aus einer spätbyzantinischen Handschrift legt nahe, dass bei diesen Abstimmungen, bei denen es um das Schicksal von Personen aus den führenden athenischen Familien ging, ein Mindestquorum von 200 Stimmen für eine Verurteilung erforderlich war.121 Aufgrund der wenigen Quellen lässt sich nicht sicher entscheiden, ob mit den Verfahren vor dem „Rat“ (boulḗ) der Areopag, der solonische Rat der 400 oder der von Kleisthenes auf 500 Mitglieder vergrößerte Rat gemeint ist. Die Vermutung liegt nahe, dass es 200 von 400 Stimmen waren, so dass auch die in Aristot. Ath. pol. 8,4 überlieferte Zahl von 400 Mitgliedern des „Rats“ (βουλή) auf den Areopag zu beziehen sein wird.122 Setzt man den Ostrakismos in Beziehung zu Solons Stasisgesetz wäre dies ein weiteres Argument dafür, dass der byzantinische Autor den Areopag gemeint hat. Auch bei dieser Deutung lassen sich allerdings nicht alle Fragen klären, nämlich ob Kleisthenes ein vorher vor dem Areopag durchgeführtes Verfahren zunächst auf den probouleutischen, von ihm geschaffenen Rat der 500 übertragen hat, bis spätestens 488/87 die Entscheidung dem Volk anvertraut wurde, oder ob Kleisthenes ein vor dem Areopag verhandeltes Verfahren gleich auf das Volk übertragen hat.123

Areopagus, which was charged under the Solonian Constitution with the duty of guarding the laws and particularly with trying persons who conspired to overthrow the democracy“. 121  Codex Vaticanus Graecus 1144 fol. 222rv Nr. 213 Sternbach. Zur Glaubwürdigkeit der Quelle siehe die Diskussion bei Gustav Adolf Lehmann, Der Ostrakismos-Entscheid in Athen: Von Kleisthenes zur Ära des Themistokles, in: ZPE 41, 1981, 85–99 und Norman A. Doenges, Ostracism and the Boulai of Kleisthenes, in: Historia 45, 1996, 387–404, hier 387–389. Sehr kritisch steht Robert Develin (1977a) der Quelle gegenüber; da die Herkunft der Angaben nicht gesichert werden könne und der Text mit Fehlern behaftet sei, könne er ein zweistufiges Verfahren nicht wirklich belegen (ders., Bouleutic Ostracism Again, in: Antichthon 19, 1985, 7–15). Vgl. Siewert 2002, 31. 122  Doenges 1996 (wie Anm. 121) bestreitet, dass es einen solonischen Rat der 400 gegeben habe; im 6. Jh. habe allein der Areopag als Ratsgremium existiert. Da in den Jahren nach dem Sturz der Tyrannis dem Areopag mehrheitlich solche Adelige angehörten, die in der Zeit der Tyrannis Archontenämter innehatten, sich also mit den Tyrannen arrangiert hatten, habe Kleisthenes den Ostrakismos einem neu eingerichteten Rat übertragen. 487 v. Chr. sei dann der Ostrakismos von Themistokles auf das Volk übertragen worden. Vgl. Schmitz 2013, 92 f. Für den Rat der 500 plädierten Lehmann 1981 (wie Anm. 121) und Doenges 1996 (wie Anm. 121), für den Rat der 400 Develin 1977a, 11 f.; ders. 1977b 8 f. 123  Hans Taeuber, Herbert Heftner und Philipp Scheibelreiter sprechen sich für die Ansicht aus, dass das Gesetz über den Ostrakismos erst kurz vor 488/87 beschlossen wurde. Hans Taeuber, Androtion, FgrHist 324 F 42 (ca. 340 v. Chr.): Die Ostrakisierung des Hyperbolos (416 v. Chr.), in: Siewert 2002, 401–412; Herbert Heftner, Überlegungen zum athenischen Ostrakismos, in: Dike 11, 2008, 75–109 und Heftner 2012, 16; Philipp Scheibelreiter, Der περὶ τοῦ ὀστρακισμοῦ νόμος in einem Scholion zu Aristophanes equites 855b. Überlegungen zum Ostrakismos-Gesetz, in: Dike 11, 2008, 111–138, hier 126 f. Valerij Goušchin, Athenian Ostracism and Ostraka: Some Historical and Statistical Observations, in: Lynette Mitchell, Lene Rubinstein (Hrsg.), Greek History and Epigraphy. Essays in Honour of P. J. Rhodes, Swansea 2009, 225–250, hier 226–233 versucht hingegen plausibel zu machen, warum das Gesetz zwanzig Jahre lang nicht angewandt worden sei. Zur umstrittenen Datierung der Einführung des Ostrakismos vor dem Volk siehe auch Elke Stein-Hölkeskamp, Adelskultur und Polisgesellschaft. Studien zum griechischen Adel in archaischer und klassischer Zeit, Stuttgart 1989, 193–195. Zum Ostrakismos des 5. Jh.: Mabel Lang, Ostraka (The Athenian Agora 25), Princeton 1990; Stefan Brenne, F. Willemsen, Verzeichnis der Kerameikos-Ostraka, in: AM 106, 1991, 147–156; Doenges 1996 (wie Anm. 121), 387–404; Martin

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Dafür dass dem Ostrakismos, so wie er im 5. Jh. durchgeführt wurde, bereits im 6. Jh. eine Abstimmung im Areopag mittels óstraka vorausging, spricht auch die angebliche Verbannung des Theseus, die in verschiedenen Versionen in Fragmenten, Scholien und Lexikoneinträgen überliefert ist, die letztlich auf Theophrast zurückgehen.124 Danach sei Theseus von einem Athener namens Lykos verleumderisch angeklagt worden, er strebe nach der Tyrannis. Er wurde verurteilt und soll damit der erste gewesen sein, der durch Ostrakismos aus Athen vertrieben wurde. Theseus wandte sich nach Skyros, wo er von Lykomedes aus Furcht, er könne ihn aus seiner Herrschaft vertreiben, getötet wurde. Als später in Athen eine Seuche (bzw. eine Hungersnot) ausbrach, holten die Athener auf den Ratschlag Apollons die Gebeine des Theseus nach Athen zurück, errichteten ihm ein Heiligtum (das Theseion) und stifteten zu seinen Ehren das Fest der Theseen.125 In zwei anderen Quellenstellen wird das Vorgehen gegen Theseus ausdrücklich als gerichtliche Anklage bezeichnet.126 Da es bei dem Ostrakismos im 5. Jh. keine Ankläger gab, lassen sich die in den Belegen genannten Einzelheiten nicht mit dem bekannten Verfahren im 5. Jh. in Einklang bringen,127 wohl aber mit einer

Dreher, Verbannung ohne Vergehen. Der Ostrakismos (das Scherbengericht), in: Leonhard Burckhardt, Jürgen von Ungern-Sternberg (Hrsg.), Große Prozesse im antiken Athen, München 2000, 66–77; Stefan Brenne, Ostrakismos und Prominenz in Athen. Attische Bürger des 5. Jhs. v. Chr. auf den Ostraka, Wien 2001; Forsdyke 2005, 144–204; Heftner 2008 (wie oben), 75–109; James P. Sickinger, Ostraka from the Athenian Agora, in: John McK. Camp II, Craig A. Mauzy (Hrsg.), The Athenian Agora. New Perspectives on an Ancient Site, Athens 2009, 77–83 (in deutscher Fassung: Mainz 2009). Eine Zusammenstellung der óstraka-Funde und eine Kommentierung der literarischen Quellen zum Ostrakismos bietet der Band von Siewert 2002. Zur Forschungsgeschichte und zum Ablauf des Verfahrens sowie zu den Beischriften auf den óstraka: Stefan Brenne, Ostraka and the Process of Ostrakophoria, in: William D. F. Coulson u. a. (Hrsg.), The Archaeology of Athens and Attica under the Democracy, Oxford 1994, 13–24. 124  Suda α 4101 s. v. ἀρχὴ Σκυρία; nach Eustathios Comm. ad Hom. Il. 782,51–54 geht diese Nachricht auf den Lexikographen Pausanias Atticista und letztlich auf Theophrast zurück. Vgl. Euseb. Chron. p. 50 Schoene. Eine Zusammenstellung, Übersetzung und ausführliche Kommentierung der Belegstellen findet sich bei Herbert Heftner, Theophrast und die Vorstellung von Theseus als dem ersten Opfer des Ostrakismos in Athen, in: RhM 148, 2005, 128–164. 125  Schol. Arist. 46,241,9–11: Θησεὺς ὑπὸ Λύκου Ἀθήνησιν εἰς τυραννίδα συκοφαντηθεὶς ἐξωστρακίσθη τῆς πόλεως καὶ ἦλθεν εἰς Σκῦρον, …; Schol. Aristoph. Plut. 627 und Suda θ 368 s. v. Θησείοισιν: Λύκος τις συκοφαντήσας ἐποίησεν ἐξοστρακισθῆναι τὸν ἥρωα. Zu den Quellen, den Textvarianten, Abhängigkeiten und Wurzeln dieser Tradition Heftner 2005 (wie Anm. 124), 131 ff. 126  Schol. Aischin. 3,13: ὑπὸ Λύκου κατηγορηθείς; Chorikios rhetor 17,84. 127  Heftner 2005 (wie Anm. 124), 139 f.: „Die Verbindung von ὀστρακίζειν mit συκοφαντεῖν und die namentliche Nennung des Anklägers Λύκος zeigen, daß hier eher die Vorstellung eines Gerichtsverfahrens mit einer gegen die Person des Theseus gerichteten Anklage als das Bild einer Ostrakophorie, wie sie im 5. Jh. gehalten wurde, dahintersteht“. Heftner (ebd. 141–147) vertritt die Meinung, man könne Theophrast keinen so groben historischen Fehler und eine solch anachronistische Behauptung unterstellen, der Ostrakismos gehe bis in die Zeit des Theseus zurück. Theophrast habe durch die bewusste Wahl des Wortes ὀστρακισθῆναι die Verbannung des Theseus in Analogie zu den Ostrakisierungen des 5. Jh. setzen wollen. Dies habe bei den Lexikographen zu der verfälschenden Formulierung ὀστρακισθῆναι δὲ πρῶτον Ἀθήνησιν Θησέα geführt. Die Verbindungslinie von Theseus zu den Ostrakisierungen des 5. Jh. sei von Theophrast selbst gezogen worden oder gehe auf eine Vorlage in der Mitte des 5. Jh. zurück (ähnlich Martin Fell, Kimon und die Gebeine des Theseus, in: Klio 86, 2004, 16–54, hier 37–39).

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früheren Form, bei der Adelige unter dem Verdacht, eine Tyrannis errichten zu wollen, angeklagt – auch verleumderisch angeklagt – und verurteilt werden konnten.128 Es ist daher gut möglich, dass das Erzählmotiv, Theseus sei der erste gewesen, der in Athen ostrakisiert wurde, bereits auf das 6. Jh. zurückgeht. Die in der Geschichte des Theseus enthaltene Kritik am Ostrakismos passt jedenfalls am besten in eine Zeit, in der Adelige die Opfer ihrer eigenen Standesgenossen geworden waren und eine gegen sie ausgefallene Abstimmung der Areopagiten nicht zu akzeptieren gewillt waren, auch wenn eine so zustande gekommene Verurteilung in einem formellen Verfahren und von einer deutlichen Mehrheit ausgesprochen worden war. Aufgrund der Parteiungen und wechselnden Allianzen erwies sich das mittels ós­ traka durchgeführte Abstimmungsverfahren am Ende des 6. Jh. möglicherweise als ungeeignet, da es die Areopagiten selbst waren, die in Tyrannisversuche, die Unterstützung oder die Bekämpfung von Tyrannen wie Peisistratos, Hippias oder Hipparchos verstrickt waren.129 Kleisthenes soll im Zuge der Auseinandersetzungen mit Isagoras nach dem Sturz der Tyrannis einem Ostrakismos zum Opfer gefallen sein.130 Schließlich aber wurde Isagoras, dem eine Nähe zu den Tyrannen nachgesagt wurde, vertrieben und Kleisthenes konnte mit der Phylenreform eine grundlegende Neuordnung adeliger Machtausübung und Einflussnahme durchsetzen. Zu seinen Reformen gehörte auch ein „Gesetz über den Ostrakismos“, das dem Areopag die Abstimmungen in Verfahren gegen tatsächliche oder vermeintliche Tyrannisaspiranten nahm und auf die Volksversammlung übertrug.131 Beim Stasisgesetz und dem Verfahren des Ostrakismos, so wie es in den 480er und 470er Jahren durchgeführt wurde, fallen strukturelle Ähnlichkeiten unmittelbar ins Auge. Auch beim Ostrakismos liegt eine Stasissituation zugrunde, kein Bürgerkrieg, sondern eine Spaltung, eine politische Kontroverse, bei der verschiedene Adelige mit ihren Anhängerschaften für konträre Positionen eintraten, wobei in den 480er Jahren die Fragen, ob man den Persern Widerstand leisten sollte oder nicht und für welche militärische

128  Develin 1977a, 10–21, hat zwar zugestanden, dass man an einen metaphorischen Gebrauch von ὀστρακίζειν denken könne, wahrscheinlicher sei aber ein Bezug auf ein vor dem Rat der 400 im 6. Jh. durchgeführtes Verfahren. Er vermutet, dass die Theseus-Geschichte zu der Überlieferung in der spätbyzantinischen Quelle geführt habe, es gäbe ein vom Rat durchgeführtes Ostrakismos-Verfahren (ebd. 13, 16). 129  Schmitz 2013, 92. 130  Zur angeblichen Ostrakisierung des Kleisthenes Ail. var. 13,24. 131  Zu Kleisthenes als Urheber des Gesetzes über den Ostrakismos Aristot. Ath. pol. 22,1 und 4. Ebenso Philochoros FgrH 328 F 30; Ail. var. 13,24; vgl. Diod. 11,55,1. Lehmann 1981 (wie Anm. 121), 86 f. Der Grund für die Neuregelungen des Kleisthenes, zu denen die Athenaion politeia das „Gesetz über das Scherbengericht“ zählt, sei, dass in der Zeit der Tyrannis die Gesetze Solons nicht angewandt und außer Kraft gesetzt worden wären. Ist damit Solons Eisangeliegesetz gemeint? Zur Frage, auf wen der Ostrakismos zurückgeht und wann er eingeführt wurde, Hans Taeuber in: Siewert 2002, 401–414 und Forsdyke 2005, 281–284, die sich gegen die Ansicht von Taeuber ausspricht, dass der Ostrakismos erst 488/87 durch Themistokles eingeführt worden sei.

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Strategie man sich entscheiden sollte, besonders brisant waren. Das Mindestquorum von 200 Stimmen im Areopag wurde bei der Übertragung der Abstimmung auf das Volk in ein Mindestquorum von 6000 abgegebenen oder auf eine Person entfallenden óstraka umgewandelt.132 Der erste, der in diesem neu geregelten Verfahren bestimmt wurde, für zehn Jahre Attika zu verlassen, war 488/87 Hipparchos aus Kollytos, ein Angehöriger der 510 vertriebenen Tyrannenfamilie der Peisistratiden.133 Mit Kleisthenes’ „Gesetz über den Ostrakismos“ war das Stasisgesetz Solons, das als eine Vorform des bekannten Ostrakismos-Verfahrens angesehen werden kann, obsolet geworden.134 Angesichts dessen ist es gut möglich, dass im Zuge dieser Neuregelung des Verfahrens auch die eisangelía (an den Areopag) in Fällen von Tyrannis und Hochverrat eine Veränderung erfuhr.135 Ein weiterer Aspekt spricht schließlich dafür, dass die im 6. Jh. mittels Stasisgesetz durchgeführten Abstimmungen im Areopag mit dem Ostrakismos des 5. Jh. in Verbindung zu setzen sind. In der Athenaion politeia wird als Grund für die Einführung des Ostrakismos durch Kleisthenes genannt, das Verfahren sei aus Misstrauen gegenüber denjenigen, die Machtstellungen innehatten, eingerichtet worden, weil sich der Demagoge und Stratege Peisistratos zum Tyrannen aufgeschwungen hatte.136 Drei Jahre lang hätten die Athener „die Freunde der Tyrannen“ ostrakisiert, „deretwegen das Gesetz erlassen worden war“.137 Die Forschung hat diese Erklärung mit der Begründung verworfen, dass sie aus den ersten Opfern des Ostrakismos abgeleitet worden sei; authentische Informationen hätten dazu nicht vorgelegen. Als Maßnahme gegen die übergroße Macht einzelner sei der Ostrakismos sinnlos.138 Das Verfahren hätte

132  6000 abgegebene Stimmen: Plut. Aristeides 7,5 und Timaios, Lex. Plat. s. v. ἐξοστρακισμός. Nach Philochoros (und der spätbyzantinischen Quelle) hingegen mussten mindestens 6000 Voten auf die Person entfallen, die verbannt werden sollte (FgrH 328 F 30; Poll. 8,20; Etym. M. s. v. ἐξοστρακισμός). Nach Robert Develin, Philochoros on Ostracism, in: CCC 22, 1985, 25–31 sei dies auf ein Missverständnis des Philochoros zurückzuführen. Vgl. Schol. Aristoph. equ. 855b (nach Scheibelreiter ein Exzerpt aus Theophrasts Nómoi in enger Anlehnung an den Wortlaut des Gesetzes; er hält das Präsenzquorum für die wahrscheinlichere Variante; Scheibelreiter 2008 [wie Anm. 123], 131–134). 133  Aristot. Ath. pol. 22,3–4. 134  Zum Stasisgesetz als Vorform des Ostrakismos Schmitz 2013, 96–99. Dass der Sprecher in Lys. 31,27 ausdrücklich sagt, kein Gesetz verbiete es, sich im Falle eines Bürgerkriegs zu entfernen, kann also kein Einwand gegen die Historizität des solonischen Gesetzes sein. Als gewichtigen Einwand gegen die Authentizität des Gesetzes werteten die Stelle Chambers 1990, 180 und Gabba 1994. Vgl. demgegenüber Pecorella Longo 1988, 375 und Rhodes 1981, 157. 135  S. o. S. 292–296. 136  Aristot. Ath. pol. 22,3: ἐχρήσαντο τῷ νόμῷ τῷ περὶ τὸν ὀστρακισμόν, ὃς ἐτέθη διὰ τὴν ὑποψίαν τῶν ἐν ταῖς δυνάμεσιν, ὅτι Πεισίστρατος δημαγωγὸς καὶ στρατηγὸς ὢν τύραννος κατέση. Auch Androtion (FgrH 324 F 6) und Philochoros (FgrH 328 F 30) nennen die Verhinderung einer Tyrannis als Grund für die Einführung des Ostrakismos (vgl. auch Diod. 11,86,5 für Syrakus). Zu den verschiedenen Deutungen über den Zweck des Ostrakismos siehe Dreher 2000 (wie Anm. 123) 74 f. 137  Aristot. Ath. pol. 22,6: τοὺς τῶν τυράννων φίλους ὠστράκιζον, ὧν χάριν ὁ νόμος ἐτέθη. 138  Jochen Martin, Von Kleisthenes zu Ephialtes, in: Chiron 4, 1974, 5–42, hier 24 f. (wiederabgedruckt in: ders., Bedingungen menschlichen Handelns in der Antike. Gesammelte Beiträge zur Historischen Anthropologie, Stuttgart 2009, 389–426).

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die demokratische Ordnung nicht schützen können, denn wenn sich das Volk einem mächtigen Dynasten zuwandte, würde es ihn nicht gleichzeitig ostrakisieren, sondern ganz im Gegenteil seinen schärfsten Gegner.139 Dieser von der Sache her berechtigte Einwand wird hinfällig, wenn man den Ostrakismos in Verbindung mit dem Stasisgesetz sieht, das Solon unter anderem deswegen erlassen hat, um eine „Auflösung des dḗmos“ und damit die Etablierung einer Tyrannis zu verhindern. Die im Areopag vertretenen Adeligen mussten – mehr als das athenische Volk – ein Interesse daran haben, eine Tyrannis zu verhindern und eine adelige isonomía zu wahren. Diese ursprüngliche Intention ging an der Wende vom 6. zum 5. Jh. zwar auf das neue Verfahren des Ostrakismos über, verlor aber schnell ihren Sinn. Aus einem Instrument, das ursprünglich dazu diente, eine Tyrannis und eine zu große Machtstellung von Dynasten zu verhindern, war unter den neuen politischen Bedingungen ein Instrument geworden, den politischen Gegner auszuschalten und dadurch Richtungskämpfe zu entscheiden.140 Literatur Tyrannis und Hochverrat: Johann Matthias Stahl, Zum Psephisma des Demophantos, in: RhM 46, 1891, 614–617; Paul Usteri, Ächtung und Verbannung im griechischen Recht, Diss. Zürich, Berlin 1903; Lipsius 1905–15, 374–378; Hans Friedel, Der Tyrannenmord in Gesetzgebung und Volksmeinung der Griechen, Stuttgart 1937; Thomas Lenschau, Art. τυραννίδος γραφή, in: RE VII A,2, 1948, 1804–1811; Martin Ostwald, The Athenian Legislation against Tyranny and Subversion, in: TAPhA 86, 1955, 103–128; Erich Berneker, Hochverrat und Landesverrat im griechischen Recht, in: Symbolae Raphaeli Taubenschlag dedicatae (Eos 48 fasc. 1), Bratislava – Warschau 1956, 105–137; Jakob Seibert, Die politischen Flüchtlinge und Verbannten in der griechischen Geschichte, Darmstadt 1979; Rhodes 1981, 156, 220–223; Jochen Bleicken, Verfassungsschutz im demokratischen Athen, in: Hermes 112, 1984, 383–401; Chambers 1990, 210 f.; James F. McGlew, Tyranny and Political Culture in Ancient Greece, Ithaca – London 1993; Peter J. Rhodes, Robin Osborne, Greek Historical Inscriptions 404–323 BC, Oxford 2003, Nr. 79; Astrid Dössel, Die Beilegung innerstaatlicher Konflikte in den griechischen Poleis vom 5.–3. Jahrhundert v. Chr., Frankfurt a. M. etc. 2003, 55–146; Sara Forsdyke, Exile, Ostracism, and Democracy. The Politics of Expulsion in Ancient Greece, Princeton, N. J. etc. 2005; Michael Gagarin, Legal Procedure in Solon’s Laws, in: Josine H. Blok, André P. M. H. Lardinois (Hrsg.), Solon of Athens. New Historical and Philological Approaches, 139  Stein-Hölkeskamp 1989 (wie Anm. 123), 195 f.; Brenne 2001 (wie Anm. 123), 24–26. 140  Vgl. Martin 1974 (wie Anm. 138), 25: „Ich sehe auch sonst keine Möglichkeit, den Ostrakismos von den Notwendigkeiten einer Demokratie her zu interpretieren. Dagegen erhält die Institution einen guten Sinn, wenn man sie als Mittel der politischen Auseinandersetzungen zwischen Adligen unter den durch die kleisthenischen Reformen neugeschaffenen Bedingungen begreift. Da sich diese Auseinandersetzungen zunehmend vor der Volksversammlung abspielten, war der Ostrakismos ein geeignetes Mittel, den politischen Gegner für längere Zeit auszuschalten. Obwohl dabei die Volksversammlung gleichsam als Schiedsrichter fungierte, hatte das Verfahren ebenso wenig etwas mit Demokratie zu tun wie die Verbannung Ciceros durch die Volksversammlung in der späten römischen Republik“. Vgl. demgegenüber Goušchin 2009 (wie Anm. 123), 226: „I am sure that ostracism was a democratic institution by its character and procedure“.

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Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis (F 44–46)

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Gesetze über die Tyrannis und den Umsturz der politischen Ordnung (F 44–46) F 44 Eisangeliegesetz (nómos eisangelías). Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis (F 44a: T 324 Martina; F 37a, 70 Ruschenbusch; F 22/1, 37a Leão/Rhodes; F 44b: T 298b Martina; F 44c: T 419 Martina; F 37b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 40d: vgl. T 418b Martina; F 37c Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 44a: Plutarch, Solon 19,4 mit Aristoteles, Athenaion politeia 16,10 (um 600 v. Chr.) (= F 1) (Plut. Solon 19,4) ὁ δὲ τρισκαιδέκατος ἄξων τοῦ Σόλωνος τὸν ὄγδοον ἔχει τῶν νόμων οὕτως αὐτοῖς ὀνόμασι γεγραμμένον· „ἀτίμων· ὅσοι ἄτιμοι ἦσαν πρὶν ἢ Σόλωνα ἄρξαι ἐπιτίμους εἶναι, πλὴν ὅσοι ἐξ ᾽Αρείου πάγου ἢ ὄσοι ἐκ τῶν ἐφετῶν ἢ ἐκ πρυτανείου καταδικασθέντες ὑπὸ τῶν βασιλέων ἐπὶ φόνῳ ἢ σφαγαῖσιν ἢ ἐπὶ τυραννίδι ἔφευγον [Hss. ἔφυγον] ὅτε ὁ θεσμὸς ἐφάνη ὅδε“. … (Ath. pol. 16,10) „θέσμια τάδε ᾽Αθηναίων ἐστὶ καὶ πάτρια· ἐάν τινες τυραννεῖν ἐπανιστῶνται ἐπὶ τυραννίδι ἢ συγκαθιστῇ τὴν τυραννίδα, ἄτιμον εἶναι καὶ αὐτὸν καὶ γένος“. Zum textkritischen Apparat siehe F 1.

(Plut. Solon 19,4) Der dreizehnte áxōn Solons hat als achtes der Gesetze (nómoi) folgendes mit diesen Worten verzeichnet: „Über die Ehrlosen (átimoi): Diejenigen, die ehrlos (átimoi) waren, bevor Solon als Archont im Amt war, sollen ehrbar (epítimoi) sein, außer denjenigen, die vom Areopag, oder denjenigen, die von den ephétai oder vom Prytaneion – von den basileís wegen Tötung oder Abschlachtens oder wegen Errichtung einer Tyrannis abgeurteilt – [aus Attika] geflohen sind (épheugon), als diese Satzung (thesmós) erlassen wurde“. … (Ath. pol. 16,10) „Rechtlich festgesetzt (thésmia) und althergebracht (pátria) ist für die Athener dies: Wenn irgendwelche sich zur Errichtung einer Tyrannis erheben oder einer die Tyrannis miteinsetzt, der sei ehrlos (átimos), er selbst und seine Familie (génos)“.

Daraus abgeleitete Rekonstruktion des Gesetzes über die Tyrannis (siehe F 1): „Wenn irgendwelche sich zur Errichtung einer Tyrannis erheben, dann [können diese straflos getötet werden; ihr Vermögen sei öffentlich und ein Zehntel sei der Göttin geweiht. Wer jemanden, der eine Tyrannis errichtet, tötet, der sei rein an den Händen]. Und wer eine Tyrannis miteinsetzt, der sei ehrlos (átimos), er selbst und seine Familie (génos).“

F 44b: Aristoteles, Athenaion Politeia 4,4 (320er Jahre) ἡ δὲ βουλὴ ἡ ἐξ Ἀρείου πάγου φύλαξ ἦν τῶν νόμων καὶ διετήρει τὰς ἀρχάς, ὅπως κατὰ τοὺς νόμους ἄρχωσιν. ἐξῆν δὲ τῷ ἀδικουμένῳ πρὸ[ς τὴν τῶν] Ἀρεοπαγιτῶν βουλὴν εἰσαγγέλλειν, ἀποφαίνοντι παρ’ ὃν ἀδικεῖται νόμον. Der Rat vom Areopag war Wächter (phýlax) über die Gesetze (nómoi) und achtete darauf, dass die Amtsträger ihr Amt gemäß den Gesetzen ausübten. Wer Unrecht erlitten hatte, dem stand es frei, beim Rat der Areopagiten Anklage zu erheben (eisangéllein), sofern er dabei angab, gegen welches Gesetz verstoßen worden war.

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F 44c: Aristoteles, Athenaion politeia 8,4 (320er Jahre) βουλὴν … τὴν δὲ τῶν ᾽Αρεοπαγιτῶν ἔταξεν … τοὺς ἐπὶ καταλύσει τοῦ δήμου συνισταμένους ἔκρινεν, Σόλωνος θέντος νόμον εἰσαγγελίας περὶ αὐτῶν. Er [Solon] setzte den Rat der Areopagiten ein. … Er [der Areopag] urteilte über diejenigen, die sich zur Auflösung des Volks (katálysis toú dḗmou) zusammengetan hatten. Denn Solon hatte ein Eisangeliegesetz (nómos eisangelías) gegen solche erlassen.

F 44d: Plutarch, Comparatio Solonis et Poplicolae 25(2),4 (um 100 n. Chr.) Τὸ δὲ μισοτύραννον ἐν τῷ Ποπλικόλᾳ σφοδρότερον. εἰ γάρ τις ἐπιχειροίη τυραννεῖν, ὁ μὲν ἁλόντι τὴν δίκην ἐπιτίθησιν, ὁ δὲ καὶ πρὸ τῆς κρίσεως ἀνελεῖν δίδωσι. Der Tyrannenhass ist bei Poplicola stärker. Wenn nämlich einer es unternimmt, tyrannisch zu herrschen (tyranneín), verlangt der eine [Solon] eine Klage (díkē) gegen den Ergriffenen, wohingegen der andere [Poplicola] freigibt, ihn auch vor dem Urteil (krísis) zu töten.

In der Forschung ist umstritten, ob in vorsolonischer Zeit das Prytaneion oder der Areopag die Institution war, welche diejenigen zu ‚Ehrlosen‘ (átimoi) erklärte, die versucht hatten, eine Tyrannis zu errichten.141 Gemäß der hier vorgelegten Interpretation ist aber davon auszugehen, dass erst Solon den Areopag als Gerichtsstätte eingesetzt hat, die Kylonanhänger also zur Aburteilung zum Prytaneion geführt, einige von ihnen an die Altäre der Semnai geflüchtet und dort ‚abgeschlachtet‘ worden waren.142 In der Zeit um 600 v. Chr. drohte eine „Auflösung des dḗmos“ vor allem durch die Errichtung einer Tyrannis, so dass Fragment 44c auf das zeitlich vor Drakon erlassene und von Solon übernommene Gesetz F 44a bezogen werden kann, auch wenn die Formulierung späteren rechtlichen Bestimmungen entspricht.143 Die Neuerung Solons war vor allem eine verfahrensrechtliche: Eine Entscheidung im Areopag konnte nur herbeigeführt werden, wenn ein Athener (vermutlich nament-

141  Areopag: Lenschau 1948, 1805–1806; Berve 1967, 43, 540. 142  Vgl. Schol. Aristoph. equ. 445: οἱ συγκλεισθέντες τῷ Κύλωνι ἐν τῇ ἀκροπόλει εἰς τὴν κρίσιν καθέβησαν ἐν Ἀρείῳ πάγῳ. – „Die zusammen mit Kylon auf der Akropolis Eingeschlossenen stiegen für das Urteil zum áreios págos hinab“. Dies ist entweder als gelehrte Konstruktion anzusehen, die die spätere Zuständigkeit des Areopags auf die Zeit Kylons zurücktransponiert oder áreios págos ist als Ort gemeint, an den sich die Herabsteigenden flüchteten. Zu der Frage, ob auch das Prytaneion als Ort der Entscheidung gemeint sein kann, siehe den Kommentar zu Fragment 1 und Friedel 1937, 16 f. Berneker 1956, 114, 119 geht davon aus, dass Solon die Entscheidung über Hochverrat von einem Gericht des Archon Basileus und der Phylenkönige auf den Areopag übertragen hat (Kleisthenes habe dann die Entscheidung der Volksversammlung gegeben, die die Aburteilung dem Volksgericht überlassen konnte). 143  Leão/Rhodes 2015, 58 (gegen Hansen 1975, 17–19, vgl. 56–57): „in fr. 37b Ath. pol. is probably reporting Solon’s law but using the language of the author’s time rather than the language of the law“ (ebenso Gagarin 2006, 264). Vgl. dazu auch Ostwald 1955, 104; Bleicken 1984, 388 Anm. 8. Busolt/Swoboda 1926, 848 und Berneker 1956, 114 waren indes davon ausgegangen, dass schon Solon das Hochverratsgesetz um den Tatbestand der „Auflösung des Demos“ erweitert habe.

Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis (F 44–46)

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lich) ein entsprechendes Vergehen mittels eisangelía anzeigte; diese Form der Klage führte dann zu einem Verfahren vor dem Areopag.144 Eine Klage konnte vermutlich von jedem athenischen Bürger eingereicht werden.145 Wie in Fragment 44a wird auch in Fragment 44c davon ausgegangen, dass solche die politische Ordnung gefährdenden Akte von mehreren Personen gemeinsam ausgeführt wurden. Von der im Sommer 405 auf Antrag des Patrokleides beschlossenen Amnestie soll gemäß dem in And. 1,78 eingelegten Dokument unter anderem derjenige ausgenommen gewesen sein, „der vom Areopag oder von den ephétai oder vom Prytaneion oder vom Delphinion unter dem Vorsitz der basileís verurteilt oder gegen den wegen Tötung auf Flucht oder Tod erkannt worden war oder wegen Abschlachtens oder Tyrannis“.146 Dies ist kein Beleg dafür, dass auch noch an der Wende vom 5. zum 4. Jh. der Areopag über Tyrannen oder den Umsturz der politischen Ordnung urteilte, denn das Psephisma ist aus Versatzstücken zusammengestellt und hat dabei Formulierungen aus Solons Amnestiegesetz übernommen, diese aber sinnwidrig erweitert bzw. abgeändert. Der Verdacht liegt daher nahe, dass es sich nicht um ein echtes Psephisma vom Ende des 5. Jh. handelt. Die Bemerkung Plutarchs, die Tyrannengesetze der Römer seien härter als die athenischen (F 44d), kann als ein weiterer Beleg dafür gelten, dass Solon nach dem Verständnis Plutarchs ein Klageverfahren, eben das der eisangelía, gesetzlich geregelt

144  So auch Busolt/Swoboda 1926, 848; Friedel 1937, 17 und Ostwald 1955, 104: „presumably among the laws determining the functions of the Areopagites“ mit Verweis auf R. Schöll, Ueber attische Gesetzgebung, Sitzungsber. München, Philosophisch-philologische Classe 1886, 89–90 zur Systematik des solonischen Gesetzescodes. In dem Eid, den die Bürger der taurischen Chersones nach Ende des Bürgerkriegs leisteten, schworen sie, keinen Verrat zu üben und die Demokratie nicht zu stürzen. Wenn jemand Verrat begehe oder die Demokratie auflöse, werde man dies nicht verheimlichen, sondern den damiourgoí in der Stadt anzeigen (IosPE I2 401, Z. 16–18: ἐξαγγελῶ τοῖς δαμιοργοῖς τοῖς κατὰ πόλιν; vgl. 46 f. und 35 f.: ἀλλ᾿ εἰσαγγελ[ῶ] καὶ κρινῶ ψά[φωι] κατὰ τοὺς νόμους – „sondern ich werde es anzeigen [eisangéllein] und ein Urteil fällen nach den Gesetzen“; Dössel 2003, 182 f., 190 f.). Gagarin 2006, 264 vermutet, dass Solon das Rechtsverfahren erst nach den anderen Gesetzen erlassen habe, „when the threat of a coup by Pisistratus was becoming evident“. 145  Ruschenbusch 2010, 73; ders., Kleine Schriften zur griechischen Rechtsgeschichte, Wiesbaden 2005, 116 f. 146  And. 1,78 (F 4a): … πλὴν ὁπόσα ἐν στήλαις γέγραπται τῶν μὴ ἐνθάδε μεινάντων, ἢ ἐξ ᾽Αρείου πάγου ἢ τῶν ἐφετῶν ἢ ἐκ πρυτανείου ἢ Δελφινίου ἐδικάσθη [ἢ] ὑπὸ τῶν βασιλέων ἢ ἐπὶ φόνῳ τίς ἐστι φυγὴ ἢ θάνατος κατεγνώσθη, ἢ σφαγεῦσιν ἢ τυράννοις. – „… außer all denen, die – auf den Stelen aufgezeichnet – nicht hier bleiben durften, sei es wer vom Areopag oder den ephétai oder vom Prytaneion oder Delphinion verurteilt wurde [oder] unter dem Vorsitz der basileís, oder gegen den wegen Tötung auf Flucht oder Tod erkannt wurde oder gegen Schlächter oder Tyrannen“. Auch nach And. 1,79 hatte der Areopag Verbannungen aussprechen können (οἱ ἐξ Ἀρείου πάγου φεύγοντες). Die Nennung des Delphinion neben dem Gericht der ephétai ist eines der Indizien dafür, dass es sich nicht um ein echtes Psephisma handelt. Zum Psephisma siehe Alan L. Boegehold, Andokides and the Decree of Patrokleides, in: Historia 39, 1990, 149–162. Mirko Canevaro und Edward M. Harris haben in einer detaillierten Analyse gezeigt, dass es sich bei dem in die Rede eingelegten Psephisma um eine Fälschung handelt (The Authenticity of the Documents at Andocides’ On the Mysteries 77–79 and 83–84, in: Dike 19/20, 2016–17, 9–49, hier 10–33).

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Verfahren vor dem Areopag

hat. Dass damit die unmittelbare straffreie Tötung des Tyrannen untersagt war, wird hingegen als eine falsche Schlussfolgerung Plutarchs zu werten sein. Denn auch bei anderen Delikten (z. B. bei Ehebruch und beim nächtlichen Diebstahl) blieb die erlaubte Eigenmacht neben rechtlichen Verfahren bestehen. Die späteren Volksbeschlüsse gegen die Auflösung der Demokratie (s. o. S. 296–303) und F 45 weisen jedenfalls darauf hin, dass die Tötung eines Tyrannen erlaubt blieb. F 45 Die straffreie Tötung des Tyrannen (F 45: T 359b Martina; F 94 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 45: Andokides, Über die Mysterien (or. 1) 95 (399 v. Chr.) οὗτος γὰρ ἐβούλευεν ἐπὶ τῶν τριάκοντα· ὁ δὲ νόμος τί κελεύει, ὃς ἐν τῇ στήλῃ ἔμπροσθέν ἐστι τοῦ βουλευθηρίου; ὃς ἂν ἄρξῃ ἐν τῇ πόλει τῆς δημοκρατίας καταλυθείσης νηποινεὶ τεθνάναι, καὶ τὸν ἀποκτείναντα ὅσιον εἶναι καὶ τὰ χρήματα ἔχειν τοῦ ἀποθανόντος. ἄλλο τι οὖν, ὦ Ἐπίχαρες, ἢ νῦν ὁ ἀποκτείνας σε „καθαρὸς τὰς χεῖρας ἔσται“, κατά γε τὸν Σόλωνος νόμον; (96) καὶ μοι ἀνάγνωθι τὸν νόμον τὸν ἐκ τῆς στήλης. … App. crit.: νηποινει Blass, hic et 96: νηποινὶ.

Dieser [Epichares] nämlich war unter den Dreißig [den dreißig Tyrannen 404/3 v. Chr.] Ratsmitglied. Was aber ordnet das Gesetz an, das auf der Stele vor dem Ratsgebäude (bouleutḗrion) aufgestellt ist? Wer, wenn in der Stadt die Demokratie abgeschafft ist, als Amtsträger tätig ist, sei ungestraft getötet (nēpoineí tethnánai), und wer ihn tötet sei [vor den Göttern] rein (hósios) und bekomme den Besitz des Getöteten. Bedeutet dies nun aber, Epichares, etwas anderes als: Wer dich tötet, „sei rein an den Händen“ (katharós tás cheíras) gemäß dem Gesetz Solons? (96) Lies mir das Gesetz, das auf der Stele steht: …

In or. 1,95–98 zitiert Andokides das von Demophantos und den syngrapheís dem Rat und dem Volk vorgelegte und angenommene Gesetz gegen diejenigen, die die Demokratie stürzen oder in Zeiten, in denen die Demokratie gestürzt und eine oligarchische Verfassung eingerichtet ist, Ämter ausüben. Der Gesetzestext und der vorgeschriebene Eid ist in den Text der Rede eingefügt (or. 1,96–98). Der von Andokides genannte Verweis auf das Gesetz Solons bezieht sich aber einzig und allein auf die Worte „er sei rein an den Händen“, nicht auf die vorangehende Paraphrase und nicht auf den folgenden, eingelegten Gesetzestext des Jahres 410 v. Chr. In der Forschung ist der Hinweis des Andokides auf Solon mit dem Gesetzestext von 410 in Verbindung gebracht worden und das Zitat deswegen unter die ‚unechten‘ Fragmente, die falsa, subsumiert worden.147 147  F 94 Ruschenbusch; Leão/Rhodes. Lipsius 1905–15, 375: „teilweise mit wörtlichem Anschluß an das solonische Gesetz gegen die Tyrannis, so daß der zitierende Redner sich berechtigt glauben durfte, den Volksbeschluß als dessen Erneuerung anzusehen“. Ostwald 1955, 106, 111 sieht es als erwiesen an, dass Andokides’ Zuschreibung des Gesetzes an Solon nicht korrekt ist. Ruschenbusch 1966, 103 f. hat

Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis (F 44–46)

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Da Andokides die Wendung „rein an den Händen“ in Zusammenhang mit einem Gesetz des Jahres 410 v. Chr. über die Auflösung der Demokratie zitiert und in dem Eid, den alle Athener schwören sollen, auch die Errichtung einer Tyrannis und die Hilfe bei der Errichtung einer Tyrannis inbegriffen ist, liegt es nahe, dass die Formulierung „rein an den Händen“ nicht aus Drakons bzw. Solons Gesetz über die Tötung zitiert ist (Solons Gesetz über die Tötung enthielt möglicherweise einen ‚Verweis‘ auf die straffreie Tötung des Tyrannen), sondern aus dem Gesetz Solons, das das Verfahren gegen Tyrannen regelt. Es ist daher anzunehmen, dass Solon nicht nur die Anzeige (eisangelía) bei einem solchen Delikt gesetzlich festgelegt, sondern auch bestimmt hat, dass derjenige, der einen wegen Tyrannis Verurteilten oder einen offensichtlichen Tyrannen tötet, keine göttliche Schuld auf sich lädt, also „rein an den Händen“ ist.148 Diese Bestimmung wurde von Demophantos im Gesetzestext von 410 aufgenommen, wenn auch in etwas anderen Formulierungen.149 In Entsprechung dazu wurde auch in dem revidierten Gesetz aus den Jahren nach 404/3 derjenige für „rein“ erklärt, der einen Tyrannen, Landes- oder Hochverräter getötet hatte.150 „Rein an den Händen“ sind offenbar auch diejenigen, die einen Landesverräter getötet haben. In der Rede Gegen Aischines (De falsa legatione) stellt Demosthenes die rhetorische Frage, wie die Vorfahren mit solchen Leuten wie Aischines verfahren wären, der Schuld daran trage, dass die Phoker als Bundesgenossen Athens vernichtet worden seien. Sie hätten diejenigen, die solche Leute gesteinigt hätten, für „rein an den Händen“ gehalten.151 Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Eisangelieverfahren, die Solon für die Klagen vor dem Areopag vorschrieb, nicht nur für die Errichtung einer Tyrannis, sondern (möglicherweise später) auch für Landesverdie gesamte Passage And. 1,95–99 als F 94 unter die Rubrik „Falsches, Zweifelhaftes, Unbrauchbares“ gestellt. Ähnlich Martina T 359b (De Solonis legibus emendatis) und Leão/Rhodes 2015, 58: „Andoc. I. Myst. 95 quotes a law ‚on the stele in front of the bouleuterion’ as Solon’s law“. Vgl. James P. Sickinger, Public Records and Archives in Classical Athens, Chapel Hill 1999, 24 f.; Phillips 2013, 479 f. Nr. 372; Youni 2018 (wie Anm. 71), 148. 148  So auch Friedel 1937, 57: „Die Tötung eines Land- und Staatsfeindes wird schon 507 ganz selbstverständlich als eine Tat gegolten haben, die den Göttern nicht mißfällig ist“. Nach Demosth. or. 24,60 sind Verräter, diejenigen, die ihre Eltern misshandelt haben, und die „die keine reinen Hände haben“ von der Agora ausgeschlossen (πολὺ γὰρ δήπου μᾶλλον οἱ προδιδόντες τι τῶν κοινῶν, οἱ τοὺς γονέας κακοῦντες, οἱ μὴ καθαρὰς τὰς χεῖρας ἔχοντες, εἰσιόντες δ’ εἰς τὴν ἀγοράν, ἀδικοῦσιν). 149  And. or. 1,97: ὁ δὲ ἀποκτείνας τὸν ταῦτα ποιήσαντα καὶ ὁ συμβουλεύσας ὅσιον ἔστω καὶ εὐαγής. Ebd. (im Eid): καὶ ἐάν τις ἄλλος ἀποκτείνῃ ὅσιον αὐτὸν νομιῶ εἶναι καὶ πρὸς θεῶν καὶ δαιμόνων. Vgl. And. 1,95: καὶ τὸν ἀποκτείναντα ὅσιον εἶναι. Ostwald 1955, 114. 150  Lykurg. Leokr. 125: καθαρὸν εἶναι ἀποκτείναντα. S. o. S. 299 f. Auch das von Eukrates beantragte Gesetz könnte auf die Formulierung des frühen Gesetzes zurückgehen: ἐάν τις ἐπαναστῆι τῶι δήμωι ἐπὶ τυραννίδι ἢ τὴν τυραννίδα συγκαταστήσηι ἢ …, ὃς ἂν τὸν τούτων τι ποιήσαντα ἀποκ‹τ›είνηι ὅσιος ἔστω. – „Wenn sich jemand gegen das Volk zur Errichtung einer Tyrannis erhebt oder die Tyrannis mit einrichtet oder …, dann soll derjenige, der denjenigen tötet, der von diesen Dingen etwas tut, rein (hósios) sein“ (IG II3 320 Z. 7–10; SEG 12,87; Rhodes/Osborne 2003, Nr. 79). 151  Demosth. or. 19,66: ἐγὼ μὲν γὰρ οἶμαι κἂν καταλεύσαντες αὐτοὺς ταῖς ἑαυτῶν χερσὶ καθαροὺς ἔσεσθαι νομίζειν.

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Verfahren vor dem Areopag

rat galten. Da auf den Text von Fragment 44c in Aristot. Ath. pol. 8,5 unmittelbar das ‚Stasisgesetz‘ folgt, kann außerdem vermutet werden, dass der darin geregelte Abstimmungsmodus, nämlich dass jeder der Areopagiten in einem solchen Verfahren abstimmen muss, für oder gegen den Beschuldigten, zu diesem selben Gesetz Solons über das Verfahren bei Tyrannis und drohendem Bürgerkrieg gehört (siehe dazu F 46).152 F 46 Gesetz über die Abstimmung im Areopag (Stasisgesetz) (F 46a–m: T 350–357 Martina; F 38a–i Ruschenbusch; F 38a–m Leão/Rhodes)

F 46a: Aristoteles, Athenaion politeia 8,4–9,1 (320er Jahre) (8,4) β[ου]λὴν δ’ ἐποίησε τετρακοσίους, ἑκατὸν ἐξ ἑκάστης φυλῆς, τὴν δὲ τῶν Ἀρεοπαγιτῶν ἔταξεν ἐπὶ [τὸ] νομοφυλακεῖν, ὥσπερ ὑπῆρχεν καὶ πρότερον ἐπίσκοπος οὖσα τῆς πολιτείας, καὶ τά τε ἄλλα τὰ πλεῖστα καὶ τὰ μέγιστα τῶν πολιτ‹ικ›ῶν διετήρει, καὶ τοὺς ἁμαρτάνοντας ηὔθυνεν κυρία οὖσα καὶ [ζη]μιοῦν καὶ κολάζειν, καὶ τὰς ἐκτίσεις ἀνέφερεν εἰς πόλιν, οὐκ ἐπιγράφουσα τὴν πρόφασιν δι’ ὃ [τὸ ἐ]κτ[ίν]εσθαι, καὶ τοὺς ἐπὶ καταλύσει τοῦ δήμου συνισταμένους ἔκρινεν, Σόλωνος θέντ[ος] νόμον εἰσα[γγ]ελ[ία]ς περὶ αὐτῶν. (5) ὁρῶν δὲ τὴν μὲν πόλιν πολλάκις στασιάζουσαν, τῶν δὲ πολιτῶν ἐνίους διὰ τὴν ῥᾳθυμίαν [ἀγα]πῶντας τὸ αὐτόματον, νόμον ἔθηκεν πρὸς αὐτοὺς ἴδιον, ὃς ἂν στασιαζούσης τῆς πόλεως μ[ὴ] θῆται τὰ ὅπλα μηδὲ μεθ’ ἑτέρων, ἄτιμον εἶναι καὶ τῆς πόλεως μὴ μετέχειν. (9,1) Τὰ μὲν οὖν [περὶ τὰ]ς ἀρχὰς τ[οῦ]τον εἶχε τὸν τρόπον. App. crit.: πολιτικῶν Richards; δι’ ὃ [τὸ ἐ]κτ[ίν]εσθαι K, lectio dubia, τοῦ ἐκτίνεσθαι Tyrell; ἀγαπῶντας K-W, περιορῶντας Bury.

(8,4) Als Rat (boulḗ) setzte er [Solon] vierhundert [Männer] ein, hundert aus jeder Phyle; den [Rat] der Areopagiten ([boulḗ] tṓn Areopagitṓn) beauftragte er mit der Überwachung der Gesetze (nomophylakeín), so wie dieser auch früher schon Aufseher (epískopos) über die Polisordnung (politeía) war; und auch sonst hat er [der Areopag] die meisten und wichtigsten Polis­ angelegenheiten kontrolliert und die Gesetzesbrecher zur Rechenschaft gezogen (euthýnein) und hatte die Befugnis, Bußen und Strafen zu verhängen; die Bußen ließ er auf die [Akro-] Polis bringen, ohne den Grund aufzuschreiben, aus dem jemand bestraft worden war. Er saß auch über diejenigen zu Gericht (krínein), die sich zum Sturz der Verfassung (katálysis toú dḗmou) zusammentaten (synhistámenoi), denn Solon hatte gegen diese das Eisangeliegesetz

152  Auch in den um 470 v. Chr. verschrifteten Teorum Dirae (Syll.3 37/38; SGDI 5632; ML2 30; Koerner 1993, Nr. 78/79; Nomima 1, Nr. 104/105; SEG 31,984; dt. Übersetzung in HGIÜ I 47 und in Dössel 2003, 22) wurde derjenige verflucht, der eine tyrannenartige Stellung anstrebte oder Verrat an der Stadt begangen hatte: Ὅστις : Τηίων : ‹τ›[ῶι ξ]υνῶι ἢ αἰσυ[μ]νήτη‹ν› : [ἰσταί]η : ἢ ἐπανισταῖτο : ‹ἐπ᾽› αἰ[συμ] νηίηι : ἀπόλλυσθαι : καὶ αὐτὸν : καὶ γένος : τὸ κένο. Ὅστις : το� λοιπο� : αἰσυμνῶι : ἐν Τέωι : ἢ γῆι Τηίηι : … : προδο[ίη …] τὴ[ν πόλ[ιν … ] τὴν Τηίων : ἢ … (B Z. 3–14). – „Wer dem Gemeinwesen der Teier einen Aisymneten [einsetzt] oder einen Aufstand macht [zum Zweck] einer Aisymnetie, der soll zugrunde gehen, er selbst und seine Nachkommen. Wer in Zukunft in Teos oder im Gebiet von Teos Aisymnet ist […]. […] verrät die Stadt […] der Teier oder …“ (Übersetzung A. Dössel 2003, 22 mit dem Kommentar S. 27). Nicht die Demokratie zu stürzen und keinen Verrat zu üben, schworen auch die Bürger der taurischen Chersones in einem Eid, der den vorangehenden Bürgerkrieg beendete (IosPE I2 401; Dössel 2003, 181–196).

Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis (F 44–46)

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(nómos eisangelías) erlassen. (5) Weil er sah, dass die Polis häufig durch schwere Konflikte belastet war (pólis stasiázousa), während einige Bürger aus Leichtfertigkeit die Dinge lieber sich selbst überließen, erließ er gegen sie ein eigenes Gesetz (nómos ídios): Wer, wenn in der Polis ein innerer Konflikt besteht (stasiazoúsēs tḗs póleōs), nicht zugunsten einer Seite Partei ergreift, solle ehrlos (átimos) sein und keinen Anteil mehr an der Polis haben (tḗs póleōs mḗ metéchein). (9,1) Mit den Ämtern (archaí) verhielt es sich also in dieser Weise.

F 46b: Cicero, Ad Atticum 10,1,2 (49 v. Chr.) Ego vero Solonis popularis tui – ut puto, etiam mei – legem neglegam, qui capite sanxit, si quis in seditione non alterius utrius partis fuisset, et nisi si tu aliter censes, et hinc abero et illum. App. crit.: etiam] iamiam Gronovius; ilim Orelli, filii M.

Ich aber werde das Gesetz deines – und, wie ich meine, auch meines – Landsmannes Solon außer Acht lassen, der den Tod [als Strafe] darauf gesetzt hat, wenn einer bei einem Bürgerzwist (seditio) nicht für den einen oder anderen Partei ergreift, und werde mich, deine Zustimmung vorausgesetzt, von dieser und von jener Seite fernhalten.

F 46c: Plutarch, Solon 20,1 (um 100 n. Chr.) Τῶν δ’ ἄλλων αὐτοῦ νόμων ἴδιος μὲν μάλιστα καὶ παράδοξος ὁ κελεύων ἄτιμον εἶναι τὸν ἐν στάσει μηδετέρας μερίδος γενόμενον. βούλεται δ’ ὡς ἔοικε μὴ ἀπαθῶς μηδ’ ἀναισθήτως ἔχειν πρὸς τὸ κοινόν, ἐν ἀσφαλεῖ τιθέμενον τὰ οἰκεῖα καὶ τῷ μὴ συναλγεῖν μηδὲ συννοσεῖν τῇ πατρίδι καλλωπιζόμενον, ἀλλ’ αὐτόθεν τοῖς τὰ βελτίω καὶ δικαιότερα πράττουσι προσθέμενον συγκινδυνεύειν καὶ βοηθεῖν μᾶλλον ἢ περιμένειν ἀκινδύνως τὰ τῶν κρατούντων. App. crit.: ἴδιος ϒ, ὁ ἴδιος S; μὴ ϒ, μηδ’ S, μηδένα Ziegler; θέμενον ϒ; προθέμενον U1 A1.

Unter seinen [Solons] anderen Gesetzen ist das eigenartigste (ídios) und befremdlichste (parádoxos) das, welches den zum Ehrlosen (átimos) erklärt, der sich bei einem [politischen] Konflikt (stásis) zu keiner Seite bekennt. Er wollte, wie es scheint, dass niemand sich der Gemeinschaft gegenüber gleichgültig und unempfindlich verhalten soll, indem er, nur auf seine persönliche Sicherheit bedacht, sich auch noch mit seiner Uninteressiertheit an den Nöten des Vaterlandes brüstet, sondern dass jeder sich sogleich zu denen schlagen soll, die die bessere und gerechtere Sache vertreten, die Gefahr mit ihnen teilen und ihnen beistehen soll, statt in Sicherheit abzuwarten, wer die Oberhand behält.

F 46d: Plutarch, De sera numinis vindicta 4 (Moralia 550c) (um 100 n. Chr.) παραλογώτατον δὲ τὸ τοῦ Σόλωνος, ἄτιμον εἶναι τὸν ἐν στάσει πόλεως μηδετέρᾳ μερίδι προσθέμενον μηδὲ συστασιάσαντα. Höchst widersinnig aber ist das [Gesetz] Solons, derjenige sei ehrlos, der bei einem politischen Konflikt (stásis) weder der einen noch der anderen Seite zustimmt [= für keine Seite seine Stimme abgibt] und keinen Anteil an der stásis hat.

F 46e: Plutarch, Praecepta gerendae reipublicae 32 (Moralia 823f) (um 100 n. Chr.) ἀπορήσει δὲ καὶ θαυμάσει, τί παθὼν ἐκεῖνος ὁ ἀνὴρ ἔγραψεν ἄτιμον εἶναι τὸν ἐν στάσει πόλεως μηδετέροις προσθέμενον.

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Verfahren vor dem Areopag

App. crit.: προσιθέμενον Φ.

Er wird aber ratlos und verwundert darüber sein, warum jener Mann [Solon] [das Gesetz] gegeben hat, derjenige sei ehrlos (átimos), der in einem politischen Konflikt (stásis) nicht für eine der beiden Seiten stimmte.153

F 46f: Plutarch, De sollertia animalium 8 (Moralia 965d) (um 100 n. Chr.) πάλαι γὰρ ὁ Σόλωνος ἐκλέλοιπε νόμος, τοὺς ἐν στάσει μηδετέρῳ μέρει προσγενομένους κολάζων. App. crit.: νόμος ‹ὁ› τοὺς (aut v. 2 κολάζειν) ci. Herw.

Solons Gesetz (nómos) ist seit langem außer Gebrauch, wonach diejenigen bestraft werden, die sich bei einem Konflikt (stásis) für keine der beiden Seiten entscheiden.

F 46g: Aulus Gellius, Noctes Atticae 2,12,1 (2. Jh. n. Chr.) In legibus Solonis illis antiquissimis, quae Athenis axibus ligneis incisae sunt quasque latas ab eo Athenienses, ut sempiternae manerent, poenis et religionibus sanxerunt legem esse Aristoteles refert scriptam ad hanc sententiam: si ob discordiam dissensionemque seditio atque dis­ cessio populi fiet et ob eam causam irritatis animis utrimque arma capientur pugnabiturque, tum qui in eo tempore in eoque casu civilis discordiae non alterutrae parti sese adiunxerit sed solitarius separatusque a communi malo civitatis secesserit, is domo patria fortunisque omnibus careto exsul extorrisque esto. App. crit.: eo1 om. VP; esse VR, autem P, auctor Otho; fiet ς, fieret VPR2, uicet fieret R1; alterutrae parti Carrio, alterutra parte VPR.

Unter jenen ältesten von Solon erlassenen Gesetzen, welche in Athen auf hölzernen Achsen eingeschnitten sind und welche, weil sie von ihm herstammten, die Athener, damit sie fortdauernd gewahrt bleiben sollten, durch Strafen und Eide als unverbrüchlich verordneten, soll sich, wie Aristoteles berichtet (Ath. Pol. 8,5; F 46a), auch ein in folgendem Sinne abgefasstes Gesetz befunden haben: „Führen Zwietracht und Meinungsverschiedenheit unter dem Volk zu Aufruhr (seditio) und Spaltung (discessio), erhitzen sich aus diesem Anlass die Gemüter, werden von beiden Seiten Waffen ergriffen und wird gekämpft (arma capientur pugnabiturque), dann soll jeder, der in dieser Zeit und in diesem Fall bürgerlicher Zwietracht (civilis discordia) sich nicht einer der beiden Gruppen anzuschließen wagt, sondern sich als Einzelgänger diesem der gesamten Bürgerschaft drohenden Missgeschick zu entziehen versucht, auf Haus, Vaterstadt und sein gesamtes Vermögen verzichten müssen, verbannt und vertrieben soll er sein“.

153  Plutarch widmet in den Politischen Lehren (Praecepta gerendae reipublicae 32, Mor. 823f–825) dem Stasisgesetz eine längere Passage, in der er ausführt, dass derjenige, der die Leitung einer mit Vernunft und politischem Verstand ausgestatteten Gemeinschaft übernommen habe, nach einer ruhigen und maßvollen Sinnesart des Volkes streben müsse. Er werde mit Solon in allem einverstanden sein und ihm in seinen Maßnahmen folgen, nicht aber bei dessen Stasisgesetz. Denn ein Politiker dürfe bei einem Aufruhr nicht ruhig bleiben, solle zu beiden Parteien Kontakt aufbauen, ohne sich einer Seite anzuschließen. Die Krönung der Staatsführung liege aber darin, einem etwaigen Aufruhr von vornherein vorzubeugen.

Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis (F 44–46)

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F 46h: Diogenes Laertius, De vita et moribus philosophorum 1,58 (3. Jh.) … καὶ πρῶτος τὴν συναγωγὴν τῶν ἐννέα ἀρχόντων ἐποίησεν εἰς τὸ συνειπεῖν, ὡς Ἀπολλόδωρός φησιν ἐν δευτέρῳ Περὶ νομοθετῶν. ἀλλὰ καὶ τῆς στάσεως γενομένης οὔτε μετὰ τῶν ἐξ ἄστεως, οὔτε μετὰ τῶν πεδιέων, ἀλλ’ οὐδὲ μετὰ τῶν παράλων ἐτάχθη. App. crit.: συνδειπνεῖν Lipsius coll. Hyp. frg. 139 (Bl.), συνειπεῖν codd.

… und er [Solon] veranlasste zuerst die Zusammenkunft der neun Archonten zur gemeinsamen Besprechung [oder: zum gemeinsamen Mahl], wie Apollodoros im zweiten [Buch] Über die Gesetzgeber sagt. Als aber die Spaltung [der Bürgerschaft] (stásis) eintrat, stellte er sich nicht auf die Seite derer aus der Stadt, nicht auf die Seite der Bewohner der Ebene und auch nicht auf die Seite der Bewohner der Küste.

F 46i: Alexandros von Aphrodisias, Kommentar zu Aristoteles, Topica (In Aristotelis to­ picorum libros octo commentaria) 2,2, 109b 13 (3. Jh.) (Commentaria in Aristotelem Graeca 2,2, p. 139,33–140,3)

ὁμοίως καὶ τὸ „στάσεως οὐ μετέχει“ διττόν· ἢ γὰρ ὅτι ‹οὐ› χρὴ νοσούσῃ τῇ πατρίδι συννοσεῖν, καθὼς ἠξίου Σόλων· πολιτικοῦ γὰρ τὸ μὴ ἀπάγειν αὑτὸν τῆς κοινῆς συμφορᾶς καὶ οὕτως ἂν καταπαῦσαί τι τῆς στάσεως ἴσως, εἰ φαίνοιτο συνάγων καὶ ἐν τοῖς αὐτοῖς ὤν· ἢ πάλιν ὅτι κατάρχειν οὐ χρὴ τῆς στάσεως καὶ ἡγεμόνα γίνεσθαι. Gleichermaßen ist auch das ‚er nimmt an der stásis nicht Anteil‘ zweideutig: Entweder nämlich [heißt dies], dass man ‹nicht› an derselben Krankheit leiden muss wie die erkrankte Vaterstadt, wie Solon es einschätzte. [Pflicht eines] Staatsmannes [ist es] nämlich, sich selbst dem allgemeinen Geschick nicht zu entziehen; und auf diese Weise sollte man dazu beitragen, die stásis zu beschwichtigen, gleich wie wenn man als Versöhner und unter denselben Bedingungen Leidender erscheine. Oder umgekehrt, dass man nicht mit der stásis beginnen und eine Vormachtstellung anstreben darf.

F 46j: Nikephoros Gregoras, Historia Byzantina IX 7, I p. 427,6 Schop. (14. Jh.) (Corpus scriptorum historiae Byzantinae 25,1)

Εἰ δὲ καὶ ἡμεῖς τῷ γηραιῷ κατὰ τὸ εἰκὸς προσκείμενοι βασιλεῖ ῥοθίοις τισὶν ἐνετύχομεν τοῦ χειμῶνος ἐκείνου, καινὸν οὐδέν. οὔτε γὰρ δίκαιον ἦν, ἡμᾶς μηδεμιᾷ προσκεῖσθαι μερίδι, τοῦ Σόλωνος τοῦτο προτρέποντος· καὶ πρός γε τῶν εἰκότων αὖ, τοῦ ποιμένος παταχθέντος δεινὰ παθεῖν κατὰ τὸ ἀνάλογον ἅπαν τὸ ποίμνιον. Wenn nun aber auch wir, die wir, wie es sich gehört, Anhänger des alten Kaisers waren, die Brandung jenes Wintersturms ertragen haben, so ist dies nichts Neues. Es war nämlich nicht angemessen, uns keiner Seite anzuschließen, denn Solon hat dies gefordert. Und gemäß dem zu Erwartenden ist es wiederum so, dass, wenn der Hirte, der Furchtbares zu erleiden hat, verwundet ist, entsprechend auch die gesamte Herde [leidet].

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Verfahren vor dem Areopag

F 46k: Ioannis VI. Cantacuzenus, Historiae 4,13, III p. 87 Schop. (14. Jh.) (Corpus scriptorum historiae Byzantinae 2,3)

καὶ τῶν Λυκούργου νόμων πάντων ἀμελήσαντες, ἑνὸς μόνου τῶν Σόλωνος ἐξέχονται τοῦ Ἀθηναίου ἀκριβῶς, ὃς ἀτίμους ποιεῖ τῶν πολιτῶν τοὺς ἐν στάσει μηδεμιᾷ μερίδι προσκειμένους. Während sie alle Gesetze (nómoi) Lykurgs außer Acht ließen, hielten sie sich sorgfältig an ein einzelnes [Gesetz] des Atheners Solon, der diejenigen [Bürger] zu Ehrlosen (átimoi) machte, die bei einem Konflikt (stásis) sich keiner Seite anschließen.

In Ath. pol. 8,5 kann ídios nómos im Sinne von „ein auf diesen speziellen Fall ausgerichtetes Gesetz“ verstanden werden,154 aber auch in verfahrenstechnischem Sinne als ein „gegen eine Einzelperson gerichtetes Gesetz“. So sind im sog. Hybrisgesetz Verfahren gegen solche, die etwas Rechtswidriges gegen eine einzelne Person begangen haben (εἴς τινα; εἰς τούτων τινά), auch als graphaí ídiai bezeichnet.155 Im Gegensatz zur Athenaion politeia und Plutarch nennt Cicero als Strafe für eine ausbleibende Parteinahme die Todesstrafe. Aulus Gellius nennt Verbannung und Vertreibung und damit den Verzicht auf Haus, Vaterstadt und Vermögen. Dies ist entweder einer Dramatisierung zuzuschreiben oder einem Missverständnis, denn die wegen Tyrannis Verurteilten wurden unter Konfiskation des Vermögens verbannt und konnten, wenn sie Attika nicht verließen, getötet werden. Versteht man das θῆται τὰ ὅπλα in Aristot. Ath. pol. 8,5 (F 46a) metaphorisch im Sinne von „Stellung beziehen“, „sich anschließen“, „Partei ergreifen“, dann ist das solonische Gesetz dort, bei Cicero, bei Plutarch und bei Johannes Kantakuzenos weitgehend identisch und mitunter in denselben Formulierungen wiedergegeben.156 Die Ausführungen Alexanders von Aphrodisias (F 46i) zu der Wendung στάσεως οὐ μετέχει („er hat an der stásis keinen Anteil“) führen in der Sache nicht weiter. Unklar ist, wo dieses Zitat herstammt, zumal es sachlich nicht ganz zutreffend durch Kürzung verfälscht ist. Denn ursprünglich lautete das Gesetz: Wer bei einer stásis nicht Stellung bezieht, der sei ehrlos und habe keinen Anteil an der Polis (Aristot. Ath. pol. 8,5: τῆς πόλεως μὴ μετέχειν). Hinzu kommt, dass in dem Satz, in dem auf Solon verwiesen wird, in der Edition ein ‹οὐ› eingefügt wird. Der doppeldeutige Sinn des „keinen Anteil an der stásis nehmen“, den Alexander erklären will, liegt in den beiden Möglichkeiten, einmal einen solchen Bürgerkonflikt vom Zaun zu brechen und eine Vormachtstellung 154  Vgl. etwa F 46c (Plut. Solon 20,1). 155 F 93d; Demosth. or. 21,47. 156  Aristot. Ath. pol. 8,5: ὃς ἂν στασιαζούσης τῆς πόλεως μ[ὴ] θῆται τὰ ὅπλα μηδὲ μεθ’ ἑτέρων, ἄτιμον εἶναι καὶ τῆς πόλεως μὴ μετέχειν; Cic. Att. 10,1,2: qui capite sanxit, si quis in seditione non alterius utrius partis fuisset; Plut. Mor. 550c: ἄτιμον εἶναι τὸν ἐν στάσει πόλεως μηδετέρᾳ μερίδι προσθέμενον μηδὲ συστασιάσαντα; Plut. Mor. 823f: ἄτιμον εἶναι τὸν ἐν στάσει πόλεως μηδετέροις προσθέμενον; Plut. Mor. 965d: τοὺς ἐν στάσει μηδετέρῳ μέρει προσγενομένους κολάζων; Ioannis Cantacuzenus: ὃς ἀτίμους ποιεῖ τῶν πολιτῶν τοὺς ἐν στάσει μηδεμιᾷ μερίδι προσκειμένους.

Historische Einordnung – Eid der Areopagiten (F 47)

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für sich selbst anzustreben oder sich dafür zu engagieren, im Konflikt zu beschwichtigen. Wenn Solon sich für letzteres einsetzte, dann doch aus der Erkenntnis heraus, dass eine solche ‚Krankheit‘ in der Polis jeden einzelnen mitbefalle. Das ‹οὐ› einzufügen, verkennt diese Aussageabsicht. Der Satz ist also in folgendem Sinne zu verstehen: „jeder leidet notgedrungen an derselben Krankheit wie die erkrankte Vaterstadt, wie Solon es einschätzte“. Das Bild der erkrankten Stadt hat Alexander vermutlich den Ausführungen Plutarchs entnommen; in seinen Politischen Lehren begründet Plutarch seine Skepsis gegenüber dem Gesetz Solons, sich bei einem Aufruhr der einen oder anderen Seite anschließen zu müssen, damit, dass die Genesung eines kranken Körpers nicht von den in Mitleidenschaft gezogenen Teilen ausgehen kann, sondern die Mischung in den gesunden Teilen die Oberhand gewinnen und das Naturwidrige austreiben müsse.157 Auch in der Aussage, es sei die Pflicht eines Politikers, sich in einer solchen Situation nicht den politischen Erfordernissen zu entziehen, sondern als Versöhner aufzutreten und dabei mitzuwirken, den Konflikt beizulegen, fasst Alexander die in Plutarchs Schrift ausführlicher dargelegten Gedankengänge kurz zusammen.158 III 4 Eid der Areopagiten Historische Einordnung So wie Demosthenes den Geschworeneneid, den hórkos hēliastṓn, dem Gesetzgeber Solon zuschreibt, so soll nach Demosth. or. 24,144–148 auch der Ratseid auf ihn zurückgehen. Unsicher ist schon, ob Solon überhaupt ein vorberatendes Gremium von 400 Mitgliedern, mit je einhundert Mitgliedern pro Phyle, eingerichtet hat, da ein solcher Rat nur in der aristotelischen Athenaion politeia kurz genannt ist, worauf die Ausführungen in Plutarchs Solonbiographie beruhen werden.159 Zudem ist durch Ath. pol. 22,2 belegt, dass im fünften Jahr nach der Einrichtung der kleisthenischen Ordnung, also 501/0 v. Chr., für den Rat der Fünfhundert der Eid festgelegt wurde, den man auch zu Aristoteles’ Zeit noch schwor.160 Aufgrund dieses Eids gehen Delfim F. Leão und P. J. Rhodes davon aus, dass dem Rat der Fünfhundert erst mit den Reformen des Ephialtes in der Mitte des 5. Jh. jurisdiktionelle Kompetenzen verliehen worden waren. Wenn in der Athenaion politeia angegeben wird, der Rat habe „früher die Befugnis ge-

157  Plut. Praecepta gerendae reipublicae 32 (Moralia 824 A): οὔτε γὰρ σώματι νοσοῦντι γίγνεται μεταβολῆς ἀρχὴ πρὸς τὸ ὑγιαίνειν ἀπὸ τῶν συννοσούντων μερῶν, ἀλλ’ ὅταν ἡ παρὰ τοῖς ἐρρωμένοις ἰσχύσασα κρᾶσις ἐκστήσῃ τὸ παρὰ φύσιν. 158  S. o. Anm. 153. 159  Aristot. Ath. pol. 8,4; Plut. Solon 19,1–2. 160  Zu späteren Erweiterungen dieses Eids Rhodes 1972, 194–199. Zur Einsetzung des Eids in kleisthenischer Zeit Bonner/Smith 1930–38, 151; Rhodes 1972, 190–193.

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habt, Geldstrafen zu verhängen, Personen in Fesseln zu legen und zu töten“, sei dies ein sachlicher Fehler.161 Der Ratseid wird vermutlich mit der Bestimmung begonnen haben, die bestehenden Gesetze zu wahren.162 Auch verpflichtete sich in klassischer Zeit jedes Ratsmitglied, in dieser Funktion dem Volk der Athener am besten zu raten.163 P. J. Rhodes geht davon aus, dass dies mit Sicherheit Teile des ursprünglichen Eids gewesen waren, der möglicherweise keine weiteren Bestimmungen umfasste.164 Dass der Schwörende niemanden in Fesseln legen darf, mit Ausnahme derjenigen, die sich gemeinschaftlich des Landesverrats oder der „Auflösung des Demos“ schuldig gemacht hatten, wird in der Formulierung nachsolonisch sein, denn für die solonische Zeit würde man erwarten, dass auch das Verbot, eine Tyrannis zu unterstützen, einbezogen wäre. Auf relativ frühe Zeit könnte die Bestimmung zurückgehen, dass Bürgen aus derselben Schatzungsklasse gestellt werden mussten, denn die Schatzungsklassen verloren im Laufe des 5. Jh. nach und nach ihre Bedeutung.165 Es ist nicht ausgeschlossen, dass bereits Solon einen Eid für Ratsmitglieder festgeschrieben hat; doch dieser „Ratseid“ (hórkos bouleutikós) wird sich dann auf den Areopag bezogen haben. Denn es fällt auf, dass sich die in Demosth. 24,144–148 überlieferten Bestandteile des Eids auf Rechtsverfahren beziehen, auf Anzeige und Abführung, auf die Fesselung „in das Holz“ und auf Landes- und Hochverrat.166 Für die Zeit um 600 v. Chr. spricht die Athenaion politeia davon, dass Solon den Rat (boulḗ) der Areopagiten mit der Überwachung der Gesetze beauftragte, …; auch zog er [der Areopag] die [Amtsinhaber], die sich Vergehen haben zuschulden kommen lassen, zur Rechenschaft (euthýnein), wobei er die Befugnis hatte, Bußen und Strafen zu verhängen, … auch fällte er Urteile über diejenigen, die sich zur Aufhebung der Volksherrschaft zusammentaten, denn Solon hatte ein Gesetz erlassen, das die Anklage (eisangelía) gegen solche Leute regelte.167

161  Rhodes 1972, 194; Leão/Rhodes 2015, 156. Ebenso Bonner/Smith 1930–38, 151. 162  Plut. Solon 25,3 (κοινὸν μὲν οὖν ὤμνυεν ὅρκον ἡ βουλὴ τοὺς Σόλωνος νόμους ἐμπεδώσειν). Nach Xen. mem. 1,1,18 enthielt der Ratseid, der bouleutikós hórkos, die Bestimmung, gemäß den Gesetzen im Rat tätig zu werden. Sich auf den Eid berufend, hatte sich Sokrates als Vorsitzender (epistátēs) geweigert, die angeklagten Strategen in einer einzigen Abstimmung verurteilen zu lassen. 163  Lys. 31,1; Ps.-Demosth. or. 59,4. Eine Zusammenstellung aller möglichen, ursprünglichen und später hinzugekommenen Bestandteile des Ratseids hat P. J. Rhodes vorgenommen (1972, 194–199). 164  Rhodes 1972, 195. 165  In Antiph. 5,17 beklagt der Angeklagte in einem Tötungsprozess, entgegen den Gesetzen gefesselt worden zu sein; es sei ihm nicht gestattet worden, drei Bürgen zu stellen, wie das Gesetz es zulasse. 166  Vgl. dazu Hansen 1995, 236, 264. 167  Aristot. Ath. pol. 8,4: τὴν δὲ (scil. βουλὴν) τῶν Ἀρεοπαγιτῶν ἔταξεν ἐπὶ [τὸ] νομοφυλακεῖν … καὶ τοὺς ἁμαρτάνοντας ηὔθυνεν κυρία οὖσα καὶ [ζη]μιοῦν καὶ κολάζειν, … καὶ τοὺς ἐπὶ καταλύσει τοῦ δήμου συνισταμένους ἔκρινεν, Σόλωνος θέντ[ος] νόμον εἰσα[γγ]ελ[ία]ς περὶ αὐτῶν.

Historische Einordnung – Eid der Areopagiten (F 47)

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Angesichts dieser Ausführungen erscheint es durchaus plausibel, dass im 6. Jh. der Rat der Areopagiten Amtsträger zur Rechenschaft ziehen, ihnen Strafen auferlegen und athenische Bürger in Fesseln legen durfte, wenn es sich um Landes- und Hochverräter handelte oder wenn einzuziehende Abgaben unterschlagen wurden.168 Mit der Entmachtung des Areopags könnte diese Kompetenz samt diesbezüglichem Eid auf den Rat der Fünfhundert übergegangen sein, bis auch dessen Kompetenzen zu strafen später eingeschränkt wurden.169 Ein den Areopagiten auferlegter Eid kann auch deswegen nicht ausgeschlossen werden, da bereits in der Ilias ein ‚Ratsherreneid‘ (geroúsios hór­ kos) nachgewiesen ist.170 Und auch in dem auf Veranlassung Myrons durchgeführten Rechtsverfahren gegen diejenigen, die sich der Tötung der Kylonanhänger schuldig gemacht hatten, hatten die dreihundert zu Richtern bestimmten Athener einen Eid abgelegt.171 In den Eumeniden des Aischylos stiftet Athena den Areopag als Gerichtshof für Tötungsdelikte und fordert die Richter auf, „den Eid scheuend den Streitfall zu entscheiden“.172 Als der Rat der 500 im Jahr 462/1 v. Chr. die Dokimasie der Archonten übernahm, wird der Eid umformuliert und in den für diesen Rat bestehenden Ratseid integriert worden sein. Welche Bestimmungen also ein postulierter Eid der Areopagiten im 6. Jh. ursprünglich hatte, lässt sich nicht mehr sicher rekonstruieren. Dabei erscheint es durchaus möglich, dass die Areopagiten in ihrem Eid schworen, keinen Bürger zu binden, wenn er Bürgen stellt, mit Ausnahme derer, die Hoch- und Landesverrat begangen oder öffentliche Gelder unterschlagen hatten. In klassischer Zeit war es Sache des Rats der Fünfhundert, die Einziehung von Steuern und Abgaben zu kontrollieren.173 Welche Institution diese Kompetenz im 6. Jh. hatte, darüber schweigen die Quellen. Da das Gesetz über die Olivenernte (F 76) Hinweise darauf gibt, dass bereits im frühen 6. Jh. von landwirtschaftlichen Produkten, zumindest von den der Göttin Athena heiligen Olivenbäumen, Abgaben eingezogen wurden, wird es entsprechende Verfahren gegen diejenigen gegeben haben, denen die Einsammlung (eklégōn) übertragen worden war und die Eingezogenes unterschlagen hatten. Solche Personen könnten im Eid der Areopagiten von einem Verbot des „Bindens“ ausgenommen worden sein. Insgesamt lässt sich nicht zweifelsfrei nachweisen, von welchem Zeitpunkt an athenische Bürger in ihrer ‚körperlichen Unversehrtheit‘ geschützt waren. In der Décla­ 168  Rhodes 1972, 194 war davon ausgegangen, dass die Aussage in der Athenaion politeia (45,1), der Rat habe früher die Befugnis gehabt, Geldstrafen zu verhängen, Personen in Fesseln zu legen oder zu töten, für das 6. und frühe 5. Jh. nicht zuträfe. Vor Ephialtes’ Reform habe der Rat der 500 keine jurisdiktionellen Kompetenzen gehabt; erst Ephialtes habe für eine „limited jurisdiction“ die Grundlage gelegt. 169  Aristot. Ath. pol. 45,1. P. J. Rhodes geht davon aus, dass der Rat der 500 stets die Dokimasie über die nachfolgenden Ratsherren ausübte, er aber 462/1 zusätzlich die Dokimasie der Archonten vom Areopag übernahm (1972, 195). 170  Hom. Il. 22,119. Darüberhinaus sind zahlreiche weitere Eide sowohl in der Ilias als auch in der Odyssee belegt. 171  Aristot. Ath. pol. 1. 172  Aischyl. Eum. 709 f.: καὶ διαγνῶναι δίκην αἰδουμένους τὸν ὅρκον. 173  Aristot. Ath. pol. 47–48.

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ration des Droits de l’Homme et du Citoyen vom 26. August 1789 war in einem Katalog von Bürgerrechten festgeschrieben worden, dass alle Bürger persönlich oder durch ihre Vertreter und in vollständiger Freiheit an der Politik mitwirken konnten und dass kein Bürger vom Staat willkürlich „gefangen gehalten“ werden dürfe.174 Das durch Eid bekräftigte Verbot, keinen Athener „zu binden“, wenn er Bürgen stellt, es sei denn es handle sich um einen Verräter oder um jemanden, der Geld unterschlagen hat, kann ebenfalls als Ausdruck des Willens verstanden werden, den Bürger und seinen Körper vor unrechtmäßiger Gewalt und staatlicher Willkür zu schützen. Bereits das Verbot des Zugriffs auf die Person des säumigen Schuldners durch Solon kann als Schutz der ‚körperlichen Unversehrtheit‘ angesehen werden. Und schließlich kann auch die díkē aikeías und die díkē biaíōn in diesen Zusammenhang gestellt werden; es waren Privatklagen, die es ermöglichten, Personen, die unrechtmäßig Gewalt gegen Personen (díkē biaíōn) oder gegen Personen und Sachen (díkē aikeías) ausgeübt hatten, anzuklagen. Unabhängig davon, ob es sich um einen Teil einer fingierten Musterrede oder um einen Auszug aus einer tatsächlich vorgetragenen Gerichtsrede handelt, wird in Isokr. or. 20 dem Angeklagten Lochites vorgeworfen, er habe den Kläger unrechtmäßig geschlagen und dabei mit der Schlägerei begonnen.175 Angeklagt ist Lochites in einer díkē aikeías, doch wäre nach Ansicht des Klägers auch eine graphḗ hýbreōs mehr als angemessen gewesen, da Angriffe auf den Körper mit höheren Strafen belegt sein sollten als Eigentumsdelikte.176 Um den Schutz der Person zu gewährleisten, habe man Gesetze erlassen, kämpfe man um die Freiheit und strebe nach Demokratie, die diesen Schutz den Armen ebenso garantiere wie den Reichen.177 In der Zeit um 400 v. Chr. gilt dem Redner Isokrates also die Demokratie mit ihren Freiheitsrechten als diejenige politische Ordnung, die jeden einzelnen Bürger unabhängig von seiner sozialen Stellung in seiner körperlichen Unversehrtheit schützt. Literatur P. J. Rhodes, The Athenian Boule, Oxford 1972 (21985), 194–198.

174  Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen Art. 6: „Tous les citoyens ont droit de concourir personnellement, ou par leurs représentants, à sa formation. Elle doit être la même pour tous, soit qu’elle protège, soit qu’elle punisse“; Art. 7: „Nul homme ne peut être accusé, arrêté ni détenu que dans les cas déterminés par la loi, et selon les formes qu’elle a prescrites“. – „Keiner darf angeklagt, verhaftet oder in Haft gehalten werden, es sei denn in den durch Gesetz bestimmten Fällen und in den Formen, die es vorgeschrieben hat“. 175  Isokr. 20,1: ἄρχων χειρῶν ἀδίκων (in Anlehnung an den Wortlaut im Gesetz Drakons). 176  Isokr. 20,5: νῦν δ’ οὐχ ὑπὲρ τῆς ἄλλης βλάβης τῆς ἐκ τῶν πληγῶν γενομένης ἀλλ’ ὑπὲρ τῆς αἰκίας καὶ τῆς ἀτιμίας ἥκω παρ’ αὐτοῦ δίκην ληψόμενος; 20,15: τῆς δ’ εἰς τὰ σώματ’ αἰκίας. 177  Isokr. 20,1: καὶ τούς τε νόμους ἐθέμεθα καὶ περὶ τῆς ἐλευθερίας μαχόμεθα καὶ τῆς δημοκρατίας ἐπιθυμοῦμεν. Zur Gleichheit von Arm und Reich vor dem Gesetz Isokr. 20,19 f.

Eid der Areopagiten (F 47)

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Eid der Areopagiten (F 47) (F 47: T 306a/b Martina; F 96a Ruschenbusch, Leão/Rhodes)

F 47: Demosthenes, Gegen Timokrates (or. 24) 144–147 (353/52 v. Chr.) (144) Ἵνα δὲ καὶ περὶ ἐκείνου εἴπω τοῦ νόμου, ὦ ἄνδρες δικασταί, ᾧ ἀκούω μέλλειν παραδείγματι χρῆσθαι τοῦτον καὶ φήσειν ἀκόλουθον αὐτῷ τεθηκέναι, ἐν ᾧ ἔνι „οὐδὲ δήσω Ἀθηναίων οὐδένα, ὃς ἂν ἐγγυητὰς τρεῖς καθιστῇ τὸ αὐτὸ τέλος τελοῦντας, πλὴν ἐάν τις ἐπὶ προδοσίᾳ τῆς πόλεως ἢ ἐπὶ καταλύσει τοῦ δήμου συνιὼν ἁλῷ, ἢ τέλος πριάμενος ἢ ἐγγυησάμενος ἢ ἐκλέγων μὴ καταβάλῃ,“ … (146) … οὔτε γὰρ ἄν, ὦ ἄνδρες δικασταί, τιμᾶν ἐξῆν ὑμῖν ὅ τι χρὴ παθεῖν ἢ ἀποτεῖσαι (ἐν γὰρ τῷ παθεῖν καὶ ὁ δεσμὸς ἔνι· οὐκ ἂν οὖν ἐξῆν δεσμοῦ τιμῆσαι), οὔθ’ ὅσων ἔνδειξίς ἐστιν ἢ ἀπαγωγὴ προσεγέγραπτ’ ἂν ἐν τοῖς νόμοις „τὸν δ’ ἐνδειχθέντα ἢ ἀπαχθέντα δησάντων οἱ ἕνδεκα ἐν τῷ ξύλῳ“, εἴπερ μὴ ἐξῆν ἄλλους ἢ τοὺς ἐπὶ προδοσίᾳ τῆς πόλεως ἢ ἐπὶ καταλύσει τοῦ δήμου συνιόντας ἢ τοὺς τὰ τέλη ὠνουμένους καὶ μὴ καταβάλλοντας δῆσαι. (147) … ἔπειτα δ’, ὦ ἄνδρες δικασταί, τοῦτο τὸ γράμμα αὐτὸ μὲν καθ’ αὑτὸ οὐκ ἔστι νόμος, τὸ „οὐδὲ δήσω Ἀθηναίων οὐδένα,“ ἐν δὲ τῷ ὅρκῳ τῷ βουλευτικῷ γέγραπται, ἵνα μὴ συνιστάμενοι οἱ ῥήτορες οἱ ἐν τῇ βουλῇ δεσμὸν κατά τινος τῶν πολιτῶν λέγοιεν. (148) ἄκυρον οὖν τοῦ δῆσαι τὴν βουλὴν ποιῶν ὁ Σόλων τοῦτο πρὸς τὸν ὅρκον τὸν βουλευτικὸν προσέγραψεν, ἀλλ’ οὐ πρὸς τὸν ὑμέτερον. App. crit.: (144) τουτονὶ vulg.; φησὶν A; τι post τέλος add. AYO, om. SF; καταβάλῃ F, καταβάλλῃ SAYO; (146) ἄν om. SA, add. vulg., POxy II 133–134; τιμᾶν ante ἐξῆν ὑμῖν AFYO POxy, post ἐξῆν ὑμῖν S; prius παθεῖν] πα[ ]ησαι POxy; ἐστιν SF POxy, ἐστί τινι AYO.

(144) Ich will nun aber auch über jenes Gesetz einiges bemerken, welches der Gegner, wie ich höre, als Beispiel anführen und in dem seinigen nachgeahmt zu haben vorgeben will, ihr Richter, in welchem es heißt: „Ich werde keinen Athener in Fesseln legen (dḗsein), der drei Bürgen (engyētaí) von gleicher Schatzung (télos) stellt, ausgenommen dann, wenn er sich gemeinschaftlich des Verrats (prodosía) an der Polis oder der Aufhebung der Volksherrschaft (katály­ sis toú dḗmou) schuldig gemacht hat oder nicht bezahlt, wenn er eine Steuer (télos) gepachtet, Bürgschaft [für die Pacht] geleistet oder [eine Abgabe] einzutreiben übernommen hat.“ … (146) … Verhielte es sich nämlich in Wahrheit so, so würde es euch, ihr Richter, nicht einmal gestattet sein zu bestimmen, was als Strafe zu erleiden oder zu zahlen sei – denn unter ‚Strafe erleiden‘ wäre auch Fesselung (desmós) inbegriffen, und es [das Gesetz] würde die Fesselung dann nicht erwähnt haben dürfen –, und es wäre in den Gesetzen auch nicht hinzugeschrieben gewesen, gegen wen Anzeige (éndeixis) oder Abführung (apagōgḗ) möglich sei, nämlich [wenn es dort heißt]: „Denjenigen, der angezeigt (endeichthṓn) oder abgeführt (apachthṓn) worden war, sollen die Elfmänner in das Holz (xýlon) binden“, wenn wirklich nicht gestattet gewesen wäre, andere in Fesseln zu legen, nämlich die sich zum Verrat der Stadt oder zur Aufhebung der Volksherrschaft zusammengetan oder Steuern (télē) gepachtet, aber nicht entrichtet haben. (147) … Sodann ist, ihr Richter, das Verzeichnete an sich „ich werde keinen Athener in Fesseln legen“ kein wirkliches Gesetz, sondern nur im Ratseid (hórkos bouleutikós) festgeschrieben, damit die Redner im Rat sich nicht untereinander darauf verständigen, den einen oder den anderen Bürger (polítēs) in Fesseln zu legen. (148) Solon hat mithin, um dem Rat die Befugnis, [Bürger] in Fesseln zu legen, zu entziehen, diesen Zusatz beim Ratseid (hórkos bouleutikós) hinzugesetzt, nicht aber bei eurem Eid [dem Geschworeneneid; F 66b].

IV. Gesetze über die Amtsträger Abstract: Für die Bestellung der Amtsträger hat Solon Schatzungsklassen, abgestuft nach landwirtschaftlichen Ertragsmengen, festgelegt. Wer sich um ein Amt bewarb, hatte die dafür festgelegte Schatzungsklasse (und ein Mindestalter) anzugeben. Darauf beziehen sich antike Quellen, die davon sprechen, dass der Areopag habe prüfen können, wovon man lebte und was man tat. Eine solche dezidierte Befragung war insbesondere bei Personen angebracht, deren Einkünfte nicht aus landwirtschaftlicher Tätigkeit stammten. Ausgeschlossen werden sollte durch die Befragung auch, dass Personen, die unrechtmäßig Vermögen erworben hatten, Ämter bekleideten. Geregelt war all dies vermutlich in einem „Gesetz über die árchontes“. Geprüft wurden nicht alle Athener, sondern nur diejenigen, die sich um ein Amt bewarben. In klassischer Zeit entsprach dies der dokimasía der Kandidaten vor Antritt des Amts.

IV 1 Prüfung der Amtsfähigkeit Historische Einordnung Solon hat die Ausübung von politischen Ämtern von Zensusvoraussetzungen abhängig gemacht.1 In früherer Zeit hätte – so die Athenaion politeia – der Rat auf dem Areopag Kandidaten für das Archontenamt benannt, über sie in eigener Verantwortung geurteilt (krínein) und in jedes Amt den dafür geeignet Erscheinenden auf ein Jahr eingesetzt, bis Solon dem Rat dieses Recht genommen und die Bestellung der Amtsinhaber auf 1  Aristot. Ath. pol. 7,3. Zu den solonischen Schatzungsklassen Schmitz 1995; Foxhall 1997; van Wees 2006; Raaflaub 2006. Lin Foxhall hält die in der Athenaion politeia überlieferten Mengen an médimnoi für sehr hoch, da sie bereits für die Zeugiten Land in der Größe von 7 bis 11 ha, bei Berücksichtigung einer Brachezeit von mindestens 14 ha voraussetzten. Demnach hätten pentakosiomédimnoi von ihrem Land hundert, hippeís sechzig und zeugítai mehr als dreißig Personen ernähren können und wäre der Anteil der thḗtes sehr hoch gewesen. Siehe dazu auch Maria Noussia-Fantuzzi, Solon the Athenian, the Poetic Fragments, Leiden/Boston 2010, 24; Jan B. Meister, ‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und klassischen Griechenland, Stuttgart 2020, 72–74 mit einem Überblick über unterschiedliche Einschätzungen und Datierungen der Zensusklassen.

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das Volk übertragen habe.2 Dabei mussten aber die neun Archonten, die Tamiai, die Poleten, die Elf und die Kolakretai abgestuft aus den drei oberen Schatzungsklassen bestimmt werden;3 nicht amtsfähig, aber berechtigt, an den Versammlungen des Volkes teilzunehmen und als Geschworene in der (h)ēliaía tätig zu werden, waren Angehörige der untersten Schatzungsklasse, der Theten.4 Der Verfasser der Athenaion politeía nennt als Beleg dafür, dass die Schatzmeister (tamíai) aus den Pentakosiomedimnoi auszulosen waren, also aus denen, die mehr als fünfhundert Maßeinheiten (médimnoi) an Ernteerträgen erwirtschafteten, das „Gesetz über die Schatzmeister“ (ὁ περὶ τῶν ταμιῶν νόμος), das man auch zu seiner Zeit noch anwandte. Solon habe „Gesetze über die neun Archonten erlassen“ (ἐνομοθέτησεν περὶ τῶν ἐννέα ἀρχόντων), in denen die Voraussetzungen für die Bekleidung eines Amts festgeschrieben waren.5 Geprüft wurde die notwendige Voraussetzung durch eine Befragung (anákrisis, krínein) vor Antritt des Amts, ein Verfahren, das in klassischer Zeit der Dokimasie der Amtsträger entsprach.6 Für die spätklassische Zeit überliefert die Athenaion politeia den folgenden Fragekatalog: ‚Wer ist dein Vater, welcher der Demen gehört er an, und wer ist der Vater deines Vaters? Und wer ist deine Mutter, wer der Vater deiner Mutter und welcher der Demen gehört er an?‘ Danach, ob er einen Altar des Apollon Patroos und einen des Zeus Herkeios habe und wo diese Altäre seien; dann, ob er Familiengräber habe und wo sie lägen; sodann, ob er seine Eltern gut behandle, die [erforderliche] Schatzungsklasse teile und ob er die Feldzüge mitgemacht habe.7

2  Aristot. Ath. pol. 8,2. Dies würde freilich voraussetzen, dass der Areopag als Ratsversammlung auf vorsolonische Zeit zurückgeht. Nimmt man hingegen eine Einrichtung des Areopags durch Solon an, sollte mit einer solchen angeblich auf vorsolonische Zeit zurückgehenden Funktion das hohe Alter und die zentrale politische Bedeutung des Areopags demonstriert werden. 3  Aristot. Ath. pol. 7,3 (F 48d). 4  Aristot. Ath. pol. 7,3 und 7,4. Solon sagt in seinen Elegien, dass er dem Volk so viel an (Ämter-) Würde (γέρας) gegeben habe, wie genug sei, nichts von der Ehre (τιμή) genommen und auch nichts dazu begehrt habe (fr. 5 West Z. 1–2). Darauf nimmt vermutlich Aristoteles in pol. 2,12, 1274a 15–21 und 3,11, 1281b 32–34 Bezug. Die Einteilung der Athener in die vier Schatzungsklassen wird in der Forschung oft als eine erste Stufe zur Definition eines Bürgerrechts angesehen (Sviatoslav Dmitriev, The Birth of the Athenian Community. From Solon to Cleisthenes, London/New York 2018, 59, 128–143, bes. 132). 5  Aristot. Ath. pol. 8,1–2 (F 48e). In diesen Gesetzen ging es vermutlich nicht nur um die notwendigen Voraussetzungen für ein Amt, sondern auch eine Rechenschaftspflicht. Eine solche Rechenschaftspflicht nach Ausübung des Amts ist im Zusammenhang mit dem nómos argías überliefert (IV 4). 6  Eine umfassende Studie zur dokimasía in Athen und außerhalb Athens mit einer Prüfung alle literarischen und epigraphischen Belege hat Christophe Feyel vorgelegt (2009, 115–220 zur dokimasía im politischen Bereich in der Zeit der athenischen Demokratie). Die frühesten Belege für ein Dokimasieverfahren (und das Wort selbst) gehen auf die zweite Hälfte des 5. Jh. zurück, so dass es vermutlich vor der Mitte des 5. Jh. entstanden ist (ebd. 21–33). 7  Aristot. Ath. pol. 55,3: ἐπερωτῶσιν δ’, ὅταν δοκιμάζωσιν, πρῶτον μὲν „τίς σοι πατὴρ καὶ πόθεν τῶν δήμων, καὶ τίς πατρὸς πατήρ, καὶ τίς μήτηρ, καὶ τίς μητρὸς πατὴρ καὶ πόθεν τῶν δήμων“; μετὰ δὲ ταῦτα εἰ ἔστιν αὐτῷ Ἀπόλλων Πατρῷος καὶ Ζεὺς Ἑρκεῖος, καὶ ποῦ ταῦτα τὰ ἱερά ἐστιν, εἶτα ἠρία εἰ ἔστιν καὶ ποῦ ταῦτα, ἔπειτα γονέας εἰ εὖ ποιεῖ, [καὶ] τὰ τέλη ‹εἰ› τελεῖ, καὶ τὰς στρατείας εἰ ἐστράτευται. ταῦτα δ’ ἀνερωτήσας. Die dokimasíai wurden in klassischer Zeit direkt durch die Gerichte durchgeführt, unter Vorsitz der Thesmo-

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Gesetze über die Amtsträger

In dieser Form hat die Überprüfung der Kandidaten im frühen 6. Jh. sicherlich nicht stattgefunden, da erst mit den Reformen des Kleisthenes die Demen die Bedeutung erlangten, die im Fragenkatalog vorausgesetzt ist. Doch es ist davon auszugehen, dass auch seit solonischer Zeit bei den Kandidaten geprüft wurde, ob sie die Zensus- und Altersvoraussetzungen erfüllten und nicht ehrlos waren, was sie von Ämtern ausschloss.8 Die Angabe Herodots, Solon habe – angeblich einer ägyptischen Vorlage folgend – eine dem Gesetz des Amasis entsprechende Satzung erlassen, wonach jeder anzuzeigen habe, „wovon er lebe“ (ὅθεν βιοῦται), und einen „rechtmäßigen Lebenswandel vorweisen müsse“ (ἀποφαίνων δικαίην ζόην) (F 48a), wird auf diese Prüfung der Kandidaten zu beziehen sein, zumal er ausdrücklich hinzufügt, dass dieses Verfahren noch zu seiner Zeit angewandt wurde, da es sich als bewährt erwiesen habe. Dabei ist davon auszugehen, dass nicht – wie Herodot angibt – alle Athener jedes Jahr zu einer solchen Anzeige verpflichtet waren, wie mitunter aus dem Text herausgelesen wurde, sondern allein die Kandidaten für diejenigen Ämter, für die ein Zensus vorausgesetzt war.9 Dies wird auch für die Aussage des Isokrates im Areopagitikos gelten, dass in der Frühzeit Athens das Leben eines jeden geprüft und derjenige, welcher der politischen Ordnung zuwidergehandelt hatte, zur Verantwortung gezogen worden sei (F 48b). Dass Isokrates die Prüfung über ein untätiges und unrechtmäßiges Leben mit der Einteilung der attischen Bürgerschaft in Bauern, Händler und eine Oberschicht in Verbindung bringt und dabei dem Areopag die Kompetenz zuschreibt, den Lebenswandel zu prüfen, legt theten; nur die der Archonten zunächst vor dem Rat, dann vor Gericht (Ath. pol. 55,2; 59,4). Christophe Feyel hält es für gut möglich, dass einige der Fragen auf frühere Zeit zurückgehen (2009, 26). 8  Aufgrund des oligarchischen Umsturzes war jedenfalls die Dokimasie der Amtsträger neu geregelt worden (Lys. 26,9), so dass das Verfahren vor 404/3 v. Chr. kaum sicher rekonstruiert werden kann. Die vier erhaltenen Reden des Lysias, die in Dokimasieverfahren gehalten wurden, richten sich alle gegen Personen, denen eine Unterstützung des oligarchischen Regimes vorgeworfen wird. Hansen 1995, 227. Auch die Prüfung der Altersvoraussetzung (F 49) ist erst durch eine sehr späte Quelle bezeugt. Für die klassische Zeit wird vielfach von einer Altersvoraussetzung von 30 Jahren ausgegangen, die zumindest für die Geschworenen und die Ratsmitglieder galt (dazu Ulrich Kahrstedt, Untersuchungen zur Magis­ tratur in Athen, Stuttgart 1936, 18 f.). Nach Robert Develin könnten aber für manche Ämter, insbesondere militärische Ämter, auch niedrigere Voraussetzungen gegolten haben. Bei Mangel an geeigneten Kandidaten konnte von den gesetzten Regeln abgewichen werden. Develin geht aber davon aus, dass „in archaic Athens 30 may have been the required age“ (Age Qualifications for Athenian Magistrates, in: ZPE 61, 1985, 149–159, Zitat von 158; grundlegend dazu Jan Timmer, Altersgrenzen politischer Partizipation in antiken Gesellschaften, Berlin 2008, zu Athen 24–49). Beim árchōn basileús (und den Priestern) wurde außerdem geprüft, ob er körperlich unversehrt war (Etym. M. p. 176,14: ἀφελής: … Καὶ οἱ βασιλεῖς καὶ οἱ ἱερεῖς ἐδοκιμάζοντο Ἀθήνῃσιν, εἰ ἀφελεῖς καὶ ὁλόκληροι. Λέγεται καὶ ὁ ἁπλοῦς ἐν τῷ βίῳ). 9  Auch Eberhard Ruschenbusch hatte das Gesetz so interpretiert, dass bereits bei Herodot ein Missverständnis vorliege, der den Sinn einer „Abgabe einer Einkommenserklärung vor dem Areopag zum Zweck der Einteilung in die vier Schatzungsklassen“ verkannt und daraus eine Prüfung der Rechtschaffenheit der Arbeit konstruiert habe (1966, zu Solon F 78 a–c; akzeptiert von Dreizehnter 1978, 374 f.; abgelehnt von Leão/Rhodes 2015, 111). Vgl. Ruschenbusch F 78 a–c adn.: „Hdt. (Diod.) hat lediglich den Sinn der Einkommenserklärung verkannt und von dem Mißverständnis bei Hdt. her ist die Verwechslung mit dem νόμος ἀργίας bei Plut. naheliegend“. Laura Loddo (2015, 120–123) bezieht den Beleg bei Herodot auf den nómos argías und geht von einer glaubwürdigen Überlieferung aus.

Historische Einordnung – Prüfung der Amtsfähigkeit (F 48–49)

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nahe, dass es ursprünglich nicht um eine Kontrolle eines arbeitsamen und sittlichen Lebenswandels eines jeden Atheners ging, sondern allein um eine Prüfung von Kandidaten für die Ämter.10 Auch der Komödiendichter Diphilos spricht davon, dass in einer ‚Befragung‘ (anákrisis) angegeben werden musste, „wovon man lebt und was man tut“.11 Die Autoren der klassischen Zeit haben aus dieser Kompetenz des Areopags, die ihm mit den Reformen des Ephialtes genommen wurde, eine in archaischer Zeit bestehende strenge Sittenaufsicht konstruiert; der Areopag habe die Vorgeladenen ermahnen, bestrafen, ja sogar hinrichten lassen können. Solch harte Strafen sollten sicherlich nicht denjenigen treffen, welcher eine falsche Angabe hinsichtlich der Schatzungsklasse oder seines Alters abgegeben hatte, könnte aber denjenigen getroffen haben, der Gelder unterschlagen hatte oder sich hatte bestechen lassen oder wer als Verurteilter oder als ehrlos Erklärter dennoch politische Rechte ausübte. Die Kompetenz, Personen vorzuladen und gegebenenfalls zu bestrafen, die verschwenderisch und über ihre Verhältnisse lebten, schreiben jedenfalls auch der Historiker Phanodemos (um 340/30 v. Chr.) und Philochoros (frühes 3. Jh. v. Chr.) dem Areopag zu.12 Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu einer Schatzungsklasse waren landwirtschaftliche Ertragsmengen. Wenn in den antiken Quellen davon gesprochen wird, dass die Areopagiten den Kandidaten fragten, wovon er lebe und was er tue, wird dies vor allem auf Personen bezogen sein, die keinen entsprechend großen Landbesitz vorweisen konnten, sondern durch Handel und Gewerbe zu Vermögen gekommen waren, das sie zur Bekleidung des Amts befähigte. Dies führte Plutarch zu dem berechtigten Urteil, Solon habe auch den téchnai Ansehen verliehen. Da diese Kandidaten kein ‚sichtbares‘ Vermögen vorweisen konnten, war bei ihnen eine Prüfung der Voraussetzungen dringlicher als bei Angehörigen der landbesitzenden Schicht. Die Quellen legen also nahe, dass schon in solonischer Zeit nicht allein landwirtschaftliche Ertragsmengen als notwendige Voraussetzung für die Bekleidung eines Amts galten. 10  Nach Athenaios (F 48h) konnten Personen, die über ihre Verhältnisse lebten, vom Areopag „vorgeladen werden“. In Korinth soll Periandros einen Rat eingesetzt haben, dessen Mitglieder es verboten, Aufwand zu treiben, der die Einkünfte überstieg (Herakleides Lemb. 20 Dilts). 11  Auch eine gerichtliche Voruntersuchung hieß anákrisis, da sie weitgehend aus einer Befragung des Beschuldigten bestand. Sie stellt noch kein eigentliches Gerichtsverfahren dar, sondern war diesem vorgeschaltet, war Ausübung magistratischer Gewalt, wie sie vielen Amtsträgern erlaubt war, die vorladen und strafen, aber auch Beschuldigte vor Gericht bringen konnten (so in Aristot. Ath. pol. 56,6 für den árchōn epṓnymos belegt). Zu dieser Funktion der Archonten Michael Stahl, Aristokraten und Tyrannen im archaischen Athen. Untersuchungen zur Überlieferung, zur Sozialstruktur und zur Entstehung des Staates, Stuttgart 1987, 174. 12  Christophe Feyel diskutiert diese Zeugnisse als Belege für eine Prüfung von Kandidaten für ein Amt nicht, referiert lediglich, dass P. J. Rhodes und Robert Wallace von der Annahme ausgingen, dass bis 462/1 eine Prüfung der Kandidaten vor dem Areopag stattgefunden haben wird, auch wenn es dafür keine expliziten Belege gebe (2009, 25 f.). Sein Fazit, „Au total, rien ne permet d’imputer à Solon l’invention de la dokimasia. Du moins peut-on constater, que quatre examens préalables au moins existent à Athènes dès la fin du Ve siècle – ceux des vaisseaux, des jeunes gens, des orphelins et des magistrats“ (ebd. 33), scheint mir zu stark von Skepsis geprägt.

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Wenn die Athenaion politeia davon berichtet, dass unmittelbar nach dem Sturz der Tyrannen in Athen eine mit Stimmsteinen durchgeführte Überprüfung, ein diapsē­ phismós, durchgeführt worden sei, weil sich dem Peisistratos viele angeschlossen hatten, die durch die Reformen Solons schwere wirtschaftliche Einbußen erlitten hatten oder die aufgrund ihrer Abkunft fürchteten, als unrein angesehen zu werden, so weist auch dies auf eine Überprüfung von Kandidaten vor Antritt des Amtes und auf den Ausschluss von Ehrlosen hin.13 Neben der für das Amt notwendigen Schatzungsklasse musste ein Kandidat auch ein bestimmtes Alter vorweisen (F 49). Literatur Winfried Schmitz, Reiche und Gleiche: Timokratische Gliederung und demokratische Gleichheit der athenischen Bürger im 4. Jahrhundert v. Chr., in: Walter Eder (Hrsg.), Die athenische Demokratie im 4. Jahrhundert v. Chr. Vollendung oder Verfall einer Verfassungsform?, Stuttgart 1995, 573–597; Lin Foxhall, A View from the Top: Evaluating the Solonian Property Classes, in: Lynette Mitchell, P. J. Rhodes (Hrsg.), The Development of the Polis in Archaic Greece, London – New York 1997, 113–136; Hans van Wees, Mass and Elite in Solon’s Athens: The Property Classes Revisited, in: Josine H. Blok, André P. M. H. Lardinois (Hrsg.), Solon of Athens. New Historical and Philological Approaches, Leiden – Boston 2006, 351–389; Kurt A. Raaflaub, Athenian and Spartan Eunomia, or: What to do with Solon’s Timocracy?, in: ebd. 390–428; Christophe Feyel, Δοκιμασία. La place et le rôle de l’examen préliminaire dans les institutions des cités grecques, Nancy 2009; Laura Loddo, Crisi economica e valorizzazione delle risorse: una lettura del nomos arghias, in: Roberta Angiolillo et al. (Hrsg.), Crisi. Immagini, interpretazioni e reazioni nel mondo greco, latino e bizantino, Alessandria 2015, 111–129.

Prüfung der Amtsfähigkeit (F 48–49) F 48 Prüfung der Amtsfähigkeit in Hinsicht auf die Schatzungsklassen (F 48a, i: T 372a–c Martina; F 77, 78a–c, 148e Ruschenbusch, F 66/1a–c, 80/2 Leão/Rhodes; F 48d: T 344a Martina; F 74/1a Leão/Rhodes; F 48f: F 66 Ruschenbusch; F 149/1 Leão/Rhodes; F 48 g: T 344b Martina; F 74/1c Leão/Rhodes)

F 48a: Herodot, Historiae 2,177,2 (zweite Hälfte 5. Jh. v. Chr.) νόμον τε Αἰγυπτίοισι τόνδε Ἄμασίς ἐστι ὁ καταστήσας, ἀποδεικνύναι ἔτεος ἑκάστου τῷ νομάρχῃ πάντα τινὰ Αἰγυπτίων ὅθεν βιοῦται· μὴ δὲ ποιεῦντα ταῦτα μηδὲ ἀποφαίνοντα δικαίην ζόην ἰθύνε-

13  Aristot. Ath. pol. 13,5 (siehe F 51 adn.): προσεκεκόσμηντο δὲ τούτοις οἵ τε ἀφ[ῃ]ρημένοι τὰ χρέα διὰ τὴν ἀπορ[ί]αν, καὶ οἱ τῷ γένει μὴ καθαροὶ διὰ τὸν φόβον· σημεῖον δ’, ὅτι μετὰ τὴν [τῶν] τυράννων κατάλυσιν ἐποίησαν διαψηφισμόν, ὡς πολλῶν κοινωνούντων τῆς πολιτείας οὐ προσῆκον.

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σθαι θανάτῳ. Σόλων δὲ ὁ Ἀθηναῖος λαβὼν ἐξ Αἰγύπτου τοῦτον τὸν νόμον Ἀθηναίοισι ἔθετο· τῷ ἐκεῖνοι ἐς ‹τόδε› αἰεὶ χρέωνται, ἐόντι ἀμώμῳ νόμῳ. App. crit.: τε] δὲ aP1; Αἰγύπτιον RSV; βεβαιοῦται a, βεβίωται A2; ζωὴν RSV; τὸν om. C.

Amasis hat den Ägyptern folgendes Gesetz gegeben: Jeder Ägypter soll jedes Jahr dem Nomarchen anzeigen, wovon er lebe. Unterlässt er das oder kann er kein rechtmäßiges Leben nachweisen, soll er des Todes (thánatos) für schuldig befunden werden (ithýnesthai). Dieses Gesetz (nómos) übernahm der Athener Solon aus Ägypten und erließ es für die Athener. Diese wenden es noch heute an, da es sich als bewährt erwiesen hat. vgl. Diodor, Bibliotheke 1,77,5 (1. Jh. v. Chr.): προσετέτακτο δὲ καὶ πᾶσι τοῖς Αἰγυπτίοις ἀπογράφεσθαι πρὸς τοὺς ἄρχοντας ἀπὸ τίνων ἕκαστος πορίζεται τὸν βίον, καὶ τὸν ἐν τούτοις ψευσάμενον ἢ πόρον ἄδικον ἐπιτελοῦντα θανάτῳ περιπίπτειν ἦν ἀναγκαῖον. λέγεται δὲ τοῦτον τὸν νόμον ὑπὸ Σόλωνος παραβαλόντος εἰς Αἴγυπτον εἰς τὰς Ἀθήνας μετενεχθῆναι. Allen Ägyptern war es vorgeschrieben, bei den Amtsträgern (árchontes) verzeichnen zu lassen, wovon ein jeder seinen Lebensunterhalt bestritt. Wer dabei falsche Angaben machte oder keine rechtmäßigen Einkünfte angeben konnte, verfiel notwendigerweise dem Tod (thánatos). Dieses Gesetz, so sagt man, wurde von Solon, der nach Ägypten gereist war, nach Athen gebracht.

Eine jährliche Anzeige eines jeden Atheners gegenüber einem Amtsträger oder einem Gremium mit der verpflichtenden Angabe, wovon er lebe, hat es in Athen nicht gegeben. Aus den knappen Angaben Herodots ist jedoch nicht ersichtlich, welche Beziehung er zwischen dem ägyptischen und dem solonischen Gesetz sah. Es ist daher durchaus möglich, dass Herodot eine gesetzliche Bestimmung Solons über die Prüfung von Amtskandidaten in Parallele zu einer in Ägypten bestehenden Vorschrift setzte.14 Die Ausführung Herodots, einer der frühesten Belege für ein solonisches Gesetz überhaupt, wird daher auf eine gesetzliche Regelung bezogen sein, die von den Amtsträgern vor Antritt ihres Amtes Auskunft darüber verlangte, ob die erforderliche Zensusvoraussetzung (siehe F 48e) erfüllt und der Kandidat nicht átimos war. Die Nachricht Diodors ist aufgrund der angeblichen Herkunft des solonischen Gesetzes aus Ägypten sicherlich den Historien Herodots entnommen; sie bietet keine über Herodot hinausgehende Information.15 F 48b: Isokrates, Areopagitikos (or. 7) 44–46 (kurz nach 355 v. Chr.) (44) Ἅπαντας μὲν οὖν ἐπὶ τὰς αὐτὰς ἄγειν διατριβὰς οὐχ οἷόν τ’ ἦν, ἀνωμάλως τὰ περὶ τὸν βίον ἔχοντας· ὡς δὲ πρὸς τὴν οὐσίαν ἥρμοττεν, οὕτως ἑκάστοις προσέταττον. Τοὺς μὲν γὰρ ὑποδεέστερον πράττοντας ἐπὶ τὰς γεωργίας καὶ τὰς ἐμπορίας ἔτρεπον, εἰδότες τὰς ἀπορίας μὲν διὰ τὰς ἀργίας γιγνομένας, τὰς δὲ κακουργίας διὰ τὰς ἀπορίας· (45) ἀναιροῦντες οὖν τὴν ἀρχὴν τῶν κακῶν ἀπαλλάξειν ᾤοντο καὶ τῶν ἄλλων ἁμαρτημάτων τῶν μετ’ ἐκείνην γιγνομένων. Τοὺς δὲ βίον ἱκανὸν

14  Dass Solon das Gesetz von Amasis (570–526 v. Chr.) übernommen habe, ist auch aus chronologischen Gründen unwahrscheinlich (Robert Wallace, The Date of Solon’s Reforms in: AJAH 8, 1983, 86–89; Loddo 2015, 121). 15  Loddo 2015, 123 f. geht hingegen von weiteren Quellen aus, die Diodor zur Verfügung standen.

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κεκτημένους περί τε τὴν ἱππικὴν καὶ τὰ γυμνάσια καὶ τὰ κυνηγέσια καὶ τὴν φιλοσοφίαν ἠνάγκασαν διατρίβειν, ὁρῶντες ἐκ τούτων τοὺς μὲν διαφέροντας γιγνομένους, τοὺς δὲ τῶν πλείστων κακῶν ἀπεχομένους. (46) Καὶ ταῦτα νομοθετήσαντες οὐδὲ τὸν λοιπὸν χρόνον ὠλιγώρουν, ἀλλὰ διελόμενοι τὴν μὲν πόλιν κατὰ κώμας, τὴν δὲ χώραν κατὰ δήμους, ἐθεώρουν τὸν βίον τὸν ἑκάστου, καὶ τοὺς ἀκοσμοῦντας ἀνῆγον εἰς τὴν βουλήν. Ἡ δὲ τοὺς μὲν ἐνουθέτει, τοῖς δ’ ἠπείλει, τοὺς δ’ ὡς προσῆκεν ἐκόλαζεν. Ἠπίσταντο γὰρ ὅτι δύο τρόποι τυγχάνουσιν ὄντες οἱ καὶ προτρέποντες ἐπὶ τὰς ἀδικίας καὶ παύοντες τῶν πονηριῶν. App. crit.: (44) τὰς ἀπορίας μὲν ΓΕ Turr. Bs., τὰς μὲν ἀπορίας vulg. Cob.; (45) ἐκείνην Γ, ἐκείνων vulg.; περί τε τὴν Blass, περί τὴν Γ, περί τε vulg.; (46) νομοθετήσαντες οὐδὲ Γ, οὐ νομοθετήσαντες Λ vulg., οὖν νομοθετήσαντες οὐ Θ; ἀνῆγον Γ, ἦγον vulg.

(44) Alle freilich mit den gleichen Aufgaben zu beschäftigen war nicht möglich, da die Lebensverhältnisse ungleich waren. Wer aber hinsichtlich des Vermögens [mit anderen] übereinstimmte, denen wiesen sie auch dasselbe zu: Die wenig Bemittelten nämlich bestimmten sie für den Landbau und für den Handel, weil sie wussten, dass Mangel aus Untätigkeit (argía) hervorgehe, unrechte Handlungen aber aus dem Mangel. (45) Indem sie also das Übel an der Wurzel packten, glaubten sie auch die anderen daraus entspringenden Vergehen zu beseitigen. Diejenigen aber, welche ausreichendes Vermögen besaßen, nötigten sie, sich der Reitkunst, den körperlichen Übungen, der Jagd und der Philosophie zu widmen, weil sie sahen, dass die einen sich dadurch auszeichnen, die anderen der meisten schlechten Handlungen sich enthalten würden. (46) Und nachdem sie solche Gesetze gegeben hatten (nomotheteín), ließen sie auch in der Folgezeit nichts außer acht, sondern teilten die Stadt in Dörfer (kṓmai) und das Land in Gemeinden (dḗmoi) ein; auch beobachteten sie die Lebensweise (bíos) eines jeden einzelnen und führten die, welche die politischen Regeln missachteten (akosmoúntes), vor den Rat (boulḗ) [den Areopag]; dieser aber warnte die einen, anderen drohte er, und wieder andere bestrafte er nach Gebühr. Sie wussten nämlich, dass es zwei Verfahrensweisen gebe, von denen die eine zu unrechten Taten verleitet, die andere von schlechten Taten abhält.

Isokrates bezieht sich in seinen Ausführungen in or. 7,46 zu einer Aufsicht über die Lebensweise eines jeden einzelnen wahrscheinlich auf die Prüfung vor Antritt des Amts; mit der Vorladung desjenigen Amtsträgers vor den Areopag, der die politische und rechtliche Ordnung nicht einhält, wird die Rechenschaftspflicht nach Ausübung des Amts gemeint sein.16 Isokrates gibt in diesem Teil seiner Rede die allgemein verbreitete Vorstellung wieder, dass Untätigkeit rechtswidriges Handeln unweigerlich nach sich ziehe, da der Untätige nur durch Vergehen seinen Lebensunterhalt sichern könne. Isokrates verbindet diesen Gedanken mit der angeblich in früher Zeit gegebenen Aufsicht des Areopags über die Lebensweise eines jeden einzelnen und spricht dem Areopag eine Mahn- und Straffunktion zu, die die schlechten Menschen von unrechtmäßigen Taten abhielt. Herausgesponnen ist dies sicherlich aus der ursprünglichen Kompetenz des Areopags, 16  Isokr. or. 7,46: ἐθεώρουν τὸν βίον τὸν ἑκάστου (vgl. damit die Formulierung bei Hdt.) für die Prüfung vor Amtsantritt und τοὺς ἀκοσμοῦντας ἀνῆγον εἰς τὴν βουλήν für die Rechenschaftspflicht nach dem Ende der Amtszeit.

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Kandidaten zu prüfen, ob sie der geforderten Schatzungsklasse angehörten, und aus der Kompetenz, Amtsträger im Falle von Untätigkeit im Amt oder rechtswidriger Amtshandlungen zur Rechenschaft zu ziehen. Isokrates idealisiert in diesen Ausführungen eine bis zu den Reformen des Ephialtes 462/1 v. Chr. geltende und angeblich streng ausgeübte Prüfung der Voraussetzungen für ein öffentliches Amt und die vom Areopag ausgeübte Rechenschaftspflicht am Ende des Amtsjahres.17 F 48c: Phanodemos, Atthis FgrH 325 F 10 (um 340/30 v. Chr.) und Philochoros, Atthis FgrH 328 F 196 (frühes 3. Jh. v. Chr.) (Athen. 4,64–65; p. 167e–168b)

(64) εἰς τοσοῦτον δ’ ἀσωτίας ἐληλύθει καὶ Δημήτριος ὁ Δημητρίου τοῦ Φαληρέως ἀπόγονος, ὥς φησιν Ἡγήσανδρος, ὥστε Ἀρισταγόραν μὲν ἔχειν τὴν Κορινθίαν ἐρωμένην, ζῆν δὲ πολυτελῶς. ἀνακαλεσαμένων δ’ αὐτὸν τῶν Ἀρεοπαγιτῶν καὶ κελευόντων βέλτιον ζῆν, „ἀλλὰ καὶ νῦν“, εἶπεν, „ἐλευθερίως ζῶ. καὶ γὰρ ἑταίραν ἔχω τὴν καλλίστην καὶ ἀδικῶ οὐδένα καὶ πίνω Χῖον οἶνον καὶ τἄλλ’ ἀρκούν τως παρασκευάζομαι, τῶν ἰδίων μου προσόδων εἰς ταῦτα ἐκποιουσῶν, οὐ καθάπερ ὑμῶν ἔνιοι δεκαζόμενος ζῶ καὶ μοιχεύων“. καὶ τῶν τὰ τοιαῦτα πραττόντων καὶ ἐπ’ ὀνόματός τινας κατέλεξε. ταῦτα δ’ ἀκούσας Ἀντίγονος ὁ βασιλεὺς θεσμοθέτην αὐτὸν κατέστησεν. … (65) ὅτι δὲ τοὺς ἀσώτους καὶ τοὺς μὴ ἔκ τινος περιουσίας ζῶντας τὸ παλαιὸν ἀνεκαλοῦντο οἱ Ἀρεοπαγῖται καὶ ἐκόλαζον, ἱστόρησαν Φανόδημος καὶ Φιλόχορος ἄλλοι τε πλείους. Μενέδημον γοῦν καὶ Ἀσκληπιάδην τοὺς φιλοσόφους νέους ὄντας καὶ πενομένους μεταπεμψάμενοι ἠρώτησαν πῶς ὅλας τὰς ἡμέρας τοῖς φιλοσόφοις συσχολάζοντες, κεκτημένοι δὲ μηδέν, εὐεκτοῦσιν οὕτω τοῖς σώμασι· καὶ οἳ ἐκέλευσαν μεταπεμφθῆναί τινα τῶν μυλωθρῶν. ἐλθόντος δ’ ἐκείνου καὶ εἰπόντος ὅτι νυκτὸς ἑκάστης κατιόντες εἰς τὸν μυλῶνα καὶ ἀλοῦντες δύο δραχμὰς ἀμφότεροι λαμβάνουσι, θαυμάσαντες οἱ Ἀρεοπαγῖται διακοσίαις δραχμαῖς ἐτίμησαν αὐτούς. App. crit.: μου] μοι C; ζῶ del. Wilamowitz.

(64) Demetrios, Enkel des Demetrios von Phaleron, trieb – wie Hegesandros (FHG IV 415) erzählt – seine Zügellosigkeit so weit, dass er die korinthische Hetäre Aristagora aushielt und äußerst aufwendig lebte. Die Areopagiten (Areopagítai) luden ihn vor und befahlen ihm, ein anständiges Leben zu führen, worauf er erwiderte: „Ich lebe doch ganz anständig [wörtlich: ‚nach Art eines Freien‘, aber auch ‚freimütig‘]. Ich habe die schönste Hetäre, tue keinem Menschen Unrecht, trinke Chioswein und bin mit allem angemessen versorgt, wie mir meine Einkünfte es gestatten, und jedenfalls lebe ich nicht wie manche von euch als bestechlicher Richter und als Ehebrecher“. Und dann nannte er einige entsprechende Personen mit Namen. Als König Antigonos davon erfuhr, ernannte er ihn zum Gesetzgeber (thesmothétēs). … (65) Dass die Areopagiten in alten Zeiten Leute, die verschwenderisch und über ihre Mittel lebten, vorluden und bestraften, bezeugen Phanodemos (FgrH 325 F 10), Philochoros (FgrH 328 F 196) und noch weitere Autoren. So wurden auch die Philosophen Menedemos [von Eretria] und

17  In klassischer Zeit wurden Klagen gegen Kandidaten für ein öffentliches Amt von den Thesmotheten vor das Gericht gebracht, ebenso wie die vom Rat ausgesprochenen Verurteilungen (Aristot. Ath. pol. 59,4: εἰσάγουσιν δὲ καὶ τὰς δοκιμασίας ταῖς ἀρχαῖς ἁπάσαις, καὶ …, καὶ τὰς καταγνώσεις τὰς ἐκ τῆς βουλῆς).

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Asklepiades [von Phlious], als sie noch jung und arm waren, vorgeladen und befragt, wieso sie alle Tage bei den Philosophen verbringen könnten. Sie hätten doch keinen Groschen in der Tasche und wirkten körperlich durchtrainiert. Sie baten, man möge einen bestimmten Müller holen. Der erschien und sagte aus, dass sie jede Nacht in seine Mühle hinabstiegen und den Mühlstein drehten, wofür sie zwei Drachmen bekämen. Die Areopagiten waren beeindruckt und machten ihnen ein Ehrengeschenk von zweihundert Drachmen.18

Mit Berufung auf die Atthidographen Phanodemos, Philochoros und andere Autoren nennt Athenaios im Zuge seiner Ausführungen über Verschwendungssucht Fälle, in denen „die Areopagiten in alten Zeiten Bürger, die verschwenderisch und über ihre Verhältnisse lebten, vorluden und bestraften“. Da es die Areopagiten waren, die die Prüfung durchführten, ist erneut davon auszugehen, dass sich die Atthidographen auf die Prüfung der Voraussetzungen zur Bekleidung eines Amts bezogen. Die Anekdote über die beiden Philosophen Menedemos und Asklepiades, die ganz ähnlich von dem Philosophen Kleanthes berichtet wird,19 ist daraus herausgesponnen. Die von Athe­ naios überlieferte Anekdote greift den von Isokrates im Areopagitikos formulierten Gedanken auf, aus der Rückschau des 4. Jh. dem Areopag umfassende Kompetenzen und eine allgemeine Aufsicht über die Gesetze und eine sittliche Lebensweise zuzuschreiben, die er tatsächlich so nicht gehabt hatte.20 F 48d: Aristoteles, Athenaion politeia 7,3–4 (320er Jahre) (3) … καὶ τὰς με[γίστ]ας ἀρχὰς ἀπένειμεν ἄρχειν ἐκ πεντακοσιομεδίμνων καὶ ἱππέων καὶ ζευγιτῶν, τοὺς ἐννέα ἄρχοντας καὶ τοὺς ταμίας καὶ τοὺς πωλητὰς καὶ τοὺς ἕνδεκα καὶ τοὺς κωλακρέτας, ἑκάστοις ἀνάλογον τῷ μεγέθει τοῦ τιμήματος ἀποδιδοὺς τὴν ἀρχήν· τοῖς δὲ τὸ θητικὸν τελοῦσιν ἐκκλησίας καὶ δικαστηρίων μετέδωκε μόνον. (4) … τοὺς δ’ ἄλλους θητικόν, οὐδεμιᾶς μετέχοντας ἀρχῆς. διὸ καὶ νῦν ἐπειδὰν ἔρηται τὸν μέλλοντα κληροῦσθαί τιν’ ἀρχήν, ποῖον τέλος τελεῖ, οὐδ’ ἂν εἷς εἴποι θητικόν. App. crit.: με[γίστ]ας B1, μὲ[ν ἄλλ]ας Diels.

(3) … Die hohen Ämter auszuüben, also die neun Archonten, die Tamiai, die Poleten, die Elf und die Kolakretai, wies er Personen aus den Pentakosiomedimnoi, Hippeis und Zeugiten zu,

18  Übersetzung nach Ursula und Max Treu. 19  Zeitlich ist die Anekdote in der zweite Hälfte des 4. Jh. anzusetzen (Odile De Bruyn, La compétence de l’Aréopage en matière de procès publics, Stuttgart 1995, 79). Zu Kleanthes Diog. Laert. 7,168. 20  Dass dem Areopag eine Aufsichtsfunktion über die Hausvermögen zugesprochen wurde und er diejenigen hätte zur Ordnung rufen können, die verantwortungslos mit diesem Vermögen umgingen, findet für das späte 4. Jh. eine Parallele darin, dass ebenfalls nach Philochoros (FgrH 328 F 65 [= Athen. 6,245c]) die gynaikonómoi zusammen mit den Areopagiten die Zahl der Gäste bei Hochzeiten und anderen häuslichen Opferfesten kontrollierten. Gynaikonómoi sind seit dem Ende des 4. Jahrhunderts in Athen belegt und sollten über das Auftreten der Frauen in der Öffentlichkeit wachen. Auch in diesen Fällen tritt der Areopag als eine Aufsichtsbehörde in Erscheinung, die gegen die Verschwendung des Hausvermögens einschreiten sollte.

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wobei er das Amt einem jeden entsprechend der Höhe seiner Schatzung (tímēma) zuteilte. Denen, die das thētikón schatzten [der Thetenklasse angehörten], aber gab er nur Anteil an der Volksversammlung und den Gerichten. (4) … Die übrigen aber zählten zum thētikón [zur Thetenklasse] und durften kein Amt übernehmen; deshalb wird auch heute noch keiner, der als Kandidat bei der Auslosung eines Amts gefragt wird, welcher Schatzungsklasse er angehöre (poíon télos teleí), das thētikón angeben.

F 48e: Aristoteles, Athenaion politeia 8,1–2 (320er Jahre) (1) … σημεῖον δ’ ὅτι κληρωτὰς ἐποίησεν ἐκ τῶν τιμημάτων ὁ περὶ τῶν ταμιῶν νόμος, ᾧ χρώμενοι δια[τελ]οῦσιν ἔτι καὶ νῦν· κελεύει γὰρ κληροῦν τοὺς ταμίας ἐκ πεντακοσιομεδίμνων. (2) [Σόλ]ων μὲν οὖν οὕτως ἐνομοθέτησεν περὶ τῶν ἐννέα ἀρχόντων· τὸ γὰρ ἀρχαῖον ἡ ἐν Ἀ[ρεί]ῳ [πάγῳ βου] λή, ἀνακαλεσαμένη καὶ κρίνασα καθ’ αὑτήν, τὸν ἐπιτήδειον ἐφ’ ἑκάστῃ τῶν ἀρχῶν ἐπ’ [ἐν]ια[υτ] ὸν [διατάξα]σα ἀπέστελλεν. (1) … Ein Beweis dafür, dass er nach den Schatzungsklassen (timḗmata) auslosen ließ, ist das Gesetz (nómos) über die Schatzmeister (tamíai), das man unablässig noch bis jetzt anwendet; denn es bestimmt, die tamíai aus Pentakosiomedimnoi auszulosen. (2) Auf diese Weise also erließ Solon Gesetze (nomotheteín) über die neun Archonten. In früherer Zeit hingegen lud der Rat am Areopag Kandidaten vor, urteilte über sie in eigener Verantwortung und teilte den dafür geeignet erscheinenden Kandidaten jeweils in eines der Ämter auf ein Jahr ein und übertrug es ihm.

F 48f: Aristoteles, Politik 2,7, 1266b 14–21 (320er Jahre) διότι μὲν οὖν ἔχει τινὰ δύναμιν εἰς τὴν πολιτικὴν κοινωνίαν ἡ τῆς οὐσίας ὁμαλότης, καὶ τῶν πάλαι τινὲς φαίνονται διεγνωκότες, οἷον καὶ Σόλων ἐνομοθέτησεν, καὶ παρ’ ἄλλοις ἔστι νόμος ὃς κωλύει κτᾶσθαι γῆν ὁπόσην ἂν βούληταί τις, ὁμοίως δὲ καὶ τὴν οὐσίαν πωλεῖν οἱ νόμοι κωλύουσιν, ὥσπερ ἐν Λοκροῖς νόμος ἐστὶ μὴ πωλεῖν ἐὰν μὴ φανερὰν ἀτυχίαν δείξῃ συμβεβηκυῖαν, ἔτι δὲ τοὺς παλαιοὺς κλήρους διασῴζειν. App. crit.: ὁπόσην Haπ2, ὁπόστην P2P3π3.

Dass die Gleichheit (homalótēs) der Vermögen einen gewissen Einfluss auf die Polisgemeinschaft hat, scheinen auch einige von den Alten erkannt zu haben, wie denn auch Solon [entsprechend] gesetzgeberisch gewirkt hat (nomotheteín), und es bei anderen ein Gesetz (nómos) gibt, das es verbietet, Land zu erwerben, soviel man will. Ebenso verbieten Gesetze, den Besitz zu verkaufen, wie etwa bei den Lokrern ein Gesetz besteht, dass man nicht verkaufen darf, wenn man nicht eine offensichtliche Notlage nachweisen kann; auch [gibt es Gesetze, die gebieten,] die alten Landlose (klḗroi) zu bewahren. vgl. Aristoteles, Politik 6,4, 1319a 6–14: πρὸς δὲ τὸ κατασκευάζειν γεωργικὸν τὸν δῆμον τῶν τε νόμων τινὲς τῶν παρὰ τοῖς πολλοῖς κειμένων τὸ ἀρχαῖον χρήσιμοι πάντως, ἢ τὸ ὅλως μὴ ἐξεῖναι κεκτῆσθαι πλείω γῆν μέτρου τινὸς ἢ ἀπό τινος τόπου πρὸς τὸ ἄστυ καὶ τὴν πόλιν (ἦν δὲ τό γε ἀρχαῖον ἐν πολλαῖς πόλεσι νενομοθετημένον μηδὲ πωλεῖν ἐξεῖναι τοὺς πρώτους κλήρους· ἔστι δὲ καὶ ὃν λέγουσιν Ὀξύλου νόμον εἶναι τοιοῦτόν τι δυνάμενος, τὸ μὴ δανείζειν εἴς τι μέρος τῆς ὑπαρχούσης ἑκάστῳ γῆς), … Um das Volk (dḗmos) aber zu einem ackerbauenden (geōrgikós) zu machen, gibt es einige unter den in alter Zeit bei den meisten vorhandenen Gesetzen (nómoi), die äußerst nützlich sind, etwa dass man

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überhaupt nicht mehr als ein bestimmtes Maß an Land besitzen darf oder nur in einer bestimmten Distanz von der Stadt (ásty) oder der Polis. In alter Zeit war es in vielen Poleis gesetzlich bestimmt (nenomothetēménos), dass man die ersten Landlose nicht verkauften durfte. Ähnliches bewirkt auch ein Gesetz, das das Gesetz des Oxylos genannt wird und verbietet, auf einen bestimmten Teil (méros) des jedem zugehörigen Landes Darlehen zu geben (daneízein).

Die Angaben des Aristoteles bleiben vage. Historische Beispiele heranzuziehen, ist von Aristoteles’ Bestreben geleitet, in einer wohl geordneten Idealpolis einen gewissen Ausgleich in den Vermögensverhältnissen, insbesondere beim Landbesitz, herzustellen. Da es nach seiner Ansicht durchaus Besitzunterschiede geben sollte, ist homalótēs nicht im Sinne einer absoluten Gleichheit zu verstehen, sondern im Sinne einer ‚angemessenen Gleichheit‘, einer ‚Gleichmäßigkeit‘, einer ‚(Verhältnis-)Mäßigkeit‘ (mit Bezug auf Athen vielleicht auch ‚Vergleichbarkeit‘). Da es sonst keine Zeugnisse über ein Gesetz Solons gibt, wonach der Erwerb von Land über ein bestimmtes Maß hinaus verboten gewesen wäre, sind Zweifel angebracht, ob die Äußerungen des Aristoteles in diesem Sinne verstanden werden dürfen, zumal im frühen 6. Jh. kaum Land zum Kauf wird angeboten worden sein.21 Da es Aristoteles darum geht, anhand konkreter Beispiele den Einfluss der homalótēs der Vermögen auf die Polisgemeinschaft darzulegen, könnte der Hinweis auf Solons Schatzungsklassen gerichtet sein, deren Einführung ohne Zweifel einen unmittelbaren Einfluss auf die Besetzung der öffentlichen Ämter hatte. Die im darauf folgenden Text genannte Begrenzung des Landerwerbs bezieht sich dann auf andere Poleis, nicht auf Athen. Und in der Tat lassen die weiteren Ausführungen vermuten, dass Aristoteles sich bei den angeführten Verboten, die alten Landlose (aus der ersten Verteilung) zu verkaufen oder Teile mit Hypotheken zu belasten, auf solche Poleis bezieht, in denen Land den Bürgern nicht als Eigentum, sondern nur zur Nutzung übertragen wurde, wie dies in Messenien, in kretischen Städten und in Herakleia am Pontos des Fall war.22

21  Leão/Rhodes 2015, 195 weisen das angebliche Gesetz zur Beschränkung des Grundbesitzes als Fiktion zurück und folgen den von Harrison 1968–71, Bd. 1, 237 und A. Andrewes (CAH2 III 3, 384) geäußerten Zweifeln, die darauf gründen, dass es auch im 4. Jh. keine Beschränkungen gab (Demosth. or. 13,30; 23,208). 22  Siehe dazu Winfried Schmitz, Dependent Rural Populations in Archaic and Classical Greece. Free, slave, or between free and slave?, in: Jeannine Bischoff, Stephan Conermann (Hrsg.), Slavery and Other Forms of Strong Asymmetrical Dependencies, Berlin/Boston 2022, 99–126. Für das Verbot, auf einen bestimmten Teil des Landes Darlehen zu geben, nennt Aristoteles das Gesetz des Oxylos. Der einäugige Oxylos soll Dorier über die Peloponnes geführt, Elis gegründet und der erste König von Elis gewesen sein (Ephoros FgrH 70 F 115; Paus. 5,3,6–5,4,5). Allein bei Aristoteles ist er als Gesetzgeber genannt. Es wird sich um ein späteres, dem Gründer Oxylos zugeschriebenes Gesetz gehandelt haben (Franz Kiechle, Lakonien und Sparta. Untersuchungen zur ethnischen Struktur und zur politischen Entwicklung Lakoniens und Spartas bis zum Ende der archaischen Zeit, München 1963, 210 f. hält es für ein Gesetz aus dem 7. oder 6. Jh., Stefan Link, Landverteilung und sozialer Frieden im archaischen Griechenland, Stuttgart 1991, 145–149, 167 für ein Gesetz, das dem Oxylos zugesprochen worden war, um der deutlich späteren gesetzlichen Maßnahme Autorität zu verleihen). Vgl. Karl-Joachim Hölkeskamp, Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland, Stuttgart 1999, 50, 97–99.

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Dafür, dass es in Athen eine solche rechtliche Bestimmung gab, sprechen spätere Klauseln in Volksbeschlüssen. Hinsichtlich der Athener, die auf der Insel Lemnos angesiedelt wurden, hatte das Volk beschlossen, dass der Inhaber eines solchen Landloses (κλῆρος) das Land nicht verkaufen, verpachten, tauschen oder durch Hypotheken belasten darf.23 Diese Regelung nimmt vermutlich Bezug auf ähnliche Bestimmungen in dem frühesten inschriftlich erhaltenen athenischen Volksbeschluss zur Ansiedlung von Athenern auf Salamis aus der Zeit um 500 v. Chr.24 F 48 g: Aristoteles, Politik 2,12, 1274a 15–21 (320er Jahre) ἐπεὶ Σόλων γε ἔοικε τὴν ἀναγκαιοτάτην ἀποδιδόναι τῷ δήμῳ δύναμιν, τὸ τὰς ἀρχὰς αἱρεῖσθαι καὶ εὐθύνειν (μηδὲ γὰρ τούτου κύριος ὢν ὁ δῆμος δοῦλος ἂν εἴη καὶ πολέμιος), τὰς δ’ ἀρχὰς ἐκ τῶν γνωρίμων καὶ τῶν εὐπόρων κατέστησε πάσας, ἐκ τῶν πεντακοσιομεδίμνων καὶ ζευγιτῶν καὶ τρίτου τέλους τῆς καλουμένης ἱππάδος· τὸ δὲ τέταρτον τὸ θητικόν, οἷς οὐδεμιᾶς ἀρχῆς μετῆν. App. crit.: τε Γ; ὢν ὁ δῆμος κύριος MaP1; ἐμπόρων P2P3π3; πεντακοσίων μεδίμνων HaMaΓ; τὸ2 om. Π2.

Solon hingegen scheint dem Volk nur die notwendigste Macht gegeben zu haben, die Amtsträger zu wählen und sie zur Rechenschaft zu ziehen (euthýnein) (wenn nämlich das Volk nicht einmal darüber bestimmt, wäre es ein Sklave und ein Feind [der politischen Ordnung]), die Amtsträger ließ er alle aus den Angesehenen und Reichen bestellen, von den pentakosiomédim­ noi, den zeugítai und der dritten Schatzungsklasse des sogenannten hippás; die vierte war die thetische [Schatzungsklasse], denen keinerlei Anteil an einem Amt zukam.

F 48h: Diphilos, Emporos F 31 PCG Z. 1–18 (ca. 320–275 v. Chr.) (Athen. 6,12, p. 227e–228b)

Δίφιλος δ’ ἐν Ἐμπόρῳ καὶ νόμον εἶναί φησι παρὰ Κορινθίοις τινὰ τοιοῦτον A: νόμιμον τοῦτ’ ἐστί, βέλτιστ’, ἐνθάδε Κορινθίοισιν, ἄν τιν’ ὀψωνοῦντ’ ἀεὶ λαμπρῶς ὁρῶμεν, τοῦτον ἀνακρίνειν πόθεν ζῇ καὶ τί ποιῶν· κἂν μὲν οὐσίαν ἔχῃ, ἧς αἱ πρόσοδοι λύουσι τἀναλώματα, ἐᾶν ἀπολαύειν τοῦτον ἤδη τὸν βίον. ἐὰν δ’ ὑπὲρ τὴν οὐσίαν δαπανῶν τύχῃ, ἀπεῖπον αὐτῷ τοῦτο μὴ ποιεῖν ἔτι, ὃς ἂν δὲ μὴ πίθητ’ ἐπέβαλον ζημίαν. ἐὰν δὲ μηδ’ ὁτιοῦν ἔχων ζῇ πολυτελῶς, τῷ δημίῳ παρέδωκαν αὐτόν. Β. Ἡράκλεις. Α. οὐκ ἐνδέχεται γὰρ ζῆν ἄνευ κακοῦ τινος τοῦτον· συνιεῖς; ἀλλ’ ἀναγκαίως ἔχει 23  IG II2 30 (SEG 3, 1929, 73b/c) Z. 3 ff. 24  IG I3 1; Koerner 1993, Nr. 1; Nomima I Nr. 6; Meiggs/Lewis GHI Nr. 14. Dazu Hölkeskamp 1999, 98 f.

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Gesetze über die Amtsträger

ἢ λωποδυτεῖν τὰς νύκτας ἢ τοιχωρυχεῖν, ἢ τῶν ποιούντων ταῦτα κοινωνεῖν τισιν, ἢ συκοφαντεῖν κατ’ ἀγοράν, ἢ μαρτυρεῖν ψευδῆ. τὸ τοιοῦτον ἐκκαθαίρομεν γένος. Β. ὀρθῶς γε νὴ Δί’. App. crit.: Κορινθίοις, ἵν᾿ ἐάν AC, corr. Cas.; ἤδη τοῦτον AC, corr. Cas., νὴ Δία τοῦτον Hemst; ἐπέβαλλον A, corr. c.

Diphilos sagt im Emporos, in Korinth gebe es ein solches Gesetz (nómos): A: „Hier in Korinth, mein Freund, ist dies Gesetz (nómimon): Wenn wir jemanden stets die teuersten Speisen kaufen sehen, soll man diesen verhören (anakrínein), wovon er lebt und was er tut. Und wenn er Vermögen hat, dessen Einkünfte alle Unkosten [der Prasserei] decken, dann lassen sie diesen sein Leben weiter genießen. Wenn er aber über seine Verhältnisse lebt, verbietet man ihm, dies weiterhin so zu treiben. Wer sich aber nicht daran hält, dem legen sie eine Strafe auf. Wer aber nicht das Geringste besitzt und auf großem Fuß lebt, der wird dem Henker übergeben“. B: „Beim Herakles!“ A: „Ein solcher Mensch kann unmöglich ohne irgendeine Untat leben. Verstehst du? Notgedrungen muß er entweder ein nächtlicher Kleiderdieb oder ein Einbrecher sein, oder mit solchen Leuten unter einer Decke stecken, ein Sykophant auf der Agora oder ein falscher Zeuge sein. Von solcher Brut reinigen wir uns“. B: „Mit Recht, beim Zeus“!25

Die Handlung der Komödie Emporos des Diphilos spielt in Korinth, und bereits Athenaios, der das Fragment überliefert, hat das rechtliche Verfahren, das dem Dialog zugrunde liegt, auf Korinth bezogen (Z. 1). Die Forschung ist ihm darin gefolgt,26 doch ist zu beachten, dass die Komödie in Athen aufgeführt wurde, so dass es plausibler erscheint, dass ein den athenischen Zuschauern vertrautes Verfahren nur auf der Bühne auf Korinth übertragen ist. Daher lässt sich das Fragment auf die Prüfung von Kandidaten für die Bekleidung von Ämtern in Athen beziehen, die eine ‚Befragung‘ (anákri­ sis) darstellt, wenn jemand ungewöhnlich viel ausgibt: „Wovon lebst du und was tust

25  Übersetzung nach Ursula und Max Treu. 26  Mit Bezug auf Korinth bei John B. Salmon, Wealthy Corinth. A History of the City to 338 BC, Oxford 1984, 200 und Karl-Joachim Hölkeskamp, Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland, Stuttgart 1999, 157 Anm. 40.

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du?“ (πόθεν ζῇ καὶ τί ποιῶν).27 Waren die Antworten nicht befriedigend, konnte der Kandidat gemahnt, ihm aber auch eine Buße auferlegt werden. Ihn unmittelbar zu den Elfmännern zur Hinrichtung abzuführen, war vermutlich nicht möglich.28 F 48i: Plutarch, Solon 22,3 und 23,2–3 (um 100 n. Chr.) (= F 59i, 81a) (22,3) Σόλων δὲ τοῖς πράγμασι τοὺς νόμους μᾶλλον ἢ τὰ πράγματα τοῖς νόμοις προσαρμόζων, καὶ τῆς χώρας τὴν φύσιν ὁρῶν γλίσχρως τοῖς γεωργοῦσι διαρκοῦσαν, ἀργὸν δὲ καὶ σχολαστὴν ὄχλον οὐ δυναμένην τρέφειν, ταῖς τέχναις ἀξίωμα περιέθηκε, καὶ τὴν ἐξ Ἀρείου πάγου βουλὴν ἔταξεν ἐπισκοπεῖν ὅθεν ἕκαστος ἔχει τὰ ἐπιτήδεια, καὶ τοὺς ἀργοὺς κολάζειν. … (23,2) τὸ δ’ αὐτὸ πρᾶγμα ποτὲ μὲν πικρῶς καὶ ἀπαραιτήτως κολάζειν, ποτὲ δ’ εὐκόλως καὶ παίζοντα, πρόστιμον ζημίαν τὴν τυχοῦσαν ὁρίσαντα, ἄλογόν ἐστι· πλὴν εἰ μὴ σπανίζοντος τότε τοῦ νομίσματος ἐν τῇ πόλει μεγάλας ἐποίει τὰς ἀργυρικὰς ζημίας τὸ δυσπόριστον. (3) εἰς μέν γε τὰ τιμήματα τῶν οὐσιῶν λογίζεται πρόβατον καὶ δραχμὴν ἀντὶ μεδίμνου. App. crit.: (22,3) τοῖς γεωργοῦσι γλίσχρως U; δὲ S, τε ϒ; σχολὴν U; ἀξιώματα S; (23,2) ὁρίζοντα ϒ, ὁρίσαντα τὴν τυχοῦσαν Lindskog; (23,3) θυσιῶν codd.: οὐσιῶν Wilcken.

(22,3) Solon passte eher die Gesetze den Gegebenheiten an als die Gegebenheiten an die Gesetze. Er sah, dass das Land von der Natur her kaum für die Bauern ausreichte und nicht imstande war, eine untätige und müßige Menge (argós kaí scholastḗs óchlos) zu ernähren. Deshalb verlieh er gewerblichen Tätigkeiten (téchnai) Ansehen und ordnete an, der Rat vom Areopag (boulḗ ex Areíou págou) solle prüfen (episkopeín), wovon jeder seinen Lebensunterhalt beziehe, und die Untätigen (argoí) bestrafen. (23,2) Denn dieselbe Tat bald hart und unerbittlich zu bestrafen, bald milde und wie zum Scherz, indem man eine mäßige Geldbuße darauf setzt, das ist doch widersinnig; es sei denn, dass bei der damaligen Seltenheit des Geldes in der Stadt die Schwierigkeit der Beschaffung desselben die Geldstrafen schwer machte. (3) So rechnet er zwar bei der Schatzung (timḗma­ ta) der Vermögen [oder: der Opfer] ein Schaf und eine Drachme gleich einem médimnos.

Ähnlich wie Isokrates im Areopagitikos (F 48b) und Aristoteles (F 48 g) verbindet Plutarch in Solon 22,3 die Prüfung der Amtsvoraussetzungen (er „solle prüfen, wovon jeder seinen Lebensunterhalt beziehe“) mit der Rechenschaftspflicht nach Ausübung des Amts („und die Untätigen bestrafen“); beides lag in der Hand des Areopags. Da 27  Auch Lucia Cecchet, Poverty in Athenian Public Discourse from the Eve of the Peloponnesian War to the Rise of Macedonia, Stuttgart 2015, 190 f. sieht Bezüge des Diphilosfragments zu Athen; ebenso Jan B. Meister, ‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und klassischen Griechenland, Stuttgart 2020, 92. 28  In Analogie zu anderen Verfahren ist davon auszugehen, dass derjenige mittels éndeixis ‚angezeigt‘ oder mittels apagōgḗ zu den Thesmotheten ‚abgeführt‘ werden konnte, der als Verurteilter oder als ehrlos Erklärter dennoch politische Rechte ausübte. Dem Fragment des Diphilos an die Seite gestellt werden kann ein weiteres des Komödiendichters Alexis: „Sobald irgendjemand seiner Kleider beraubt wurde, ist notwendigerweise der, der arm ist und viel Fisch kauft, ein Verbrecher, der des nachts denen, denen er begegnet, die Kleider stiehlt“ (Alexis F 78 PCG; = Athen. 6,227d–e). Auch in dieser Quelle wird der (wegen Untätigkeit) Arme, der auf großem Fuß lebt, mit einem nächtlichen Dieb gleichgestellt, der unmittelbar zur Hinrichtung abgeführt werden konnte.

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Gesetze über die Amtsträger

die den Kandidaten für ein Amt gestellten Fragen, wovon man lebe und was man tue, vor allem auf diejenigen ausgerichtet waren, die nicht von landwirtschaftlicher Tätigkeit lebten, liegt es nahe, dass Solon für die „Schatzung der Vermögen“ eine Äquivalenz angegeben hat, nach welcher der médimnos, also eine Menge von etwa 52 Litern an landwirtschaftlichen Erzeugnissen, einem Schaf (oder auch einer Ziege) und einer Drachme an Silber entspricht.29 F 49 Prüfung der Altersvoraussetzung (F 49: T 182, 343 Martina, F 96b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 49: Stobaios, Florilegium ecl. 4,50,27 (V p. 1026 Hense; 4,72 Meineke) (5. Jh. n. Chr.)

καὶ δὴ παρίσταταί μοι μάρτυς τῶν λεγομένων Ἀθηναῖος Σόλων, νομοθετήσας μήτε ἄρχειν τὸν σφόδρα νέον μήτε ξυμβουλεύειν, εἰ καὶ ἄριστα δοκοίη γνώμης ἔχειν. Und als Zeuge dafür, was ich gesagt habe, stehe mir der Athener Solon bei, der das Gesetz gegeben hat (nomotethḗsas), dass ein sehr junger [Mann] weder ein Amt ausüben (árchein) noch Ratsmitglied sein soll (symbouleúein), auch wenn er vortreffliche Ansichten zu haben scheint.

IV 2 Atimie und Ausschluss vom Rednerplatz Abstract: Ausgeschlossen von allen Ämtern waren ‚Ehrlose‘ (átimoi). Auch wer durch eine Verurteilung in einem Verfahren wegen Misshandlung der Eltern oder Feigheit im Kampf ehrlos geworden war, konnte kein Amt übernehmen. Diese Personen und auch solche, die einen unsittlichen Lebenswandel führten (die hētairekótes), waren bei den Volksversammlungen vom Rednerplatz ausgeschlossen. Wer ungeachtet dessen Rechte des Bürgers für sich beanspruchte, konnte angezeigt und abgeführt werden. Von jeglicher politischer Partizipation ausgeschlossen waren nach dem ‚Bürgerrechtsgesetz‘ Solons auch diejenigen, die wegen Tötung aus Vorsatz auf ewig aus Attika verbannt waren, aber auch die, welche zur Ausübung eines Gewerbes nach Attika übergesiedelt waren.

29  Zur Diskussion, ob in Plut. Solon 23,3 οὐσιῶν zu lesen ist (nur dann kann die Bestimmung auf die Schatzungsklassen gezogen werden) oder θυσιῶν, siehe F 81a. Da die Richtgröße aber der médimnos war, zu dem das Schaf und die Drachme in Relation gestellt wurde, liegt die Lesung οὐσιῶν näher.

Historische Einordnung –Atimie (F 50–55)

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Historische Einordnung Atimie als Ausschluss von einer Amtsfähigkeit Einer gesetzlichen Regelung unterzogen wurde die Ehrlosigkeit vor allem deswegen, weil Solon die Bestellung der Amtsträger neu geregelt hatte: Sie wurden fortan durch die Volksversammlung gewählt, abgestuft nach Schatzungsklassen. Ausgeschlossen von den Ämtern waren einerseits diejenigen, die die erforderliche Schatzung nicht erbrachten, andererseits diejenigen, welche ehrlos waren. Insofern war auch eine Regelung vonnöten, wer als átimos ausgeschlossen war. Wie die ‚Überschrift‘ ἀτίμων vermuten lässt, waren mehrere gesetzliche Bestimmungen unter diesem Begriff zusammengestellt worden, nämlich bezüglich derjenigen, die wieder zu Ehrbaren geworden waren (F 50), und derjenigen, die als Tyrannen und Totschläger átimoi bleiben sollten (F 51). Vermutlich schlossen daran weitere Bestimmungen an bezüglich derjenigen, die aus anderen Gründen mit Ehrlosigkeit bestraft worden waren und deswegen (zumindest zeitweilig) keinen Anteil an der Polis haben sollten, also von einer politischen Partizipation ausgeschlossen waren (F 53). Die Zusammenstellung der unterschiedlichen Bestimmungen hinsichtlich der Atimie unter der Rubrik ἀτίμων könnte späteren Datums sein. Wer waren zunächst diejenigen Ehrlosen (átimoi), die Solon in seinem Amtsjahr als Archont wieder zu Ehrbaren (epítimoi) machte? Die antiken Quellen geben dazu keine expliziten Hinweise, und so kann nur indirekt erschlossen werden, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach in Schuldknechtschaft geratene sowie von Schuldknechtschaft bedrohte und deswegen aus Attika geflohene Athener waren oder solche, die aufgenommene Schulden nicht hatten zurückzahlen können und deswegen in die Sklaverei verkauft worden waren.30 Durch seine seisáchtheia ermöglichte ihnen Solon die Rückkehr nach Attika, ohne dass sie fürchten mussten, als zahlungsunfähige Schuldner ergriffen zu werden.31 Die im ‚Amnestiegesetz‘ Solons vorgesehenen Ausnahmen sind von der Anordnung im Text vermutlich so zu verstehen, dass von dieser Amnestie erstens diejenigen ausgenommen waren, die jüngst durch den von Solon neu eingerichteten Areopag, zweitens diejenigen, die bereits zuvor (ab 621 v. Chr.) von den ephétai infolge Drakons Satzung, und drittens diejenigen, die bereits in früherer Zeit (nach 640/30 v. Chr.) vom Prytaneion wegen Tötung oder Abschlachtens (an Altären) oder der Errichtung einer

30  Siehe dazu F 102–109 mit den Kommentaren und der historischen Einordnung. 31  Als Kypselos in Korinth die herrschenden Bakchiaden gestürzt hatte und als basileús (oder Tyrann) eine Alleinherrschaft ausübte, soll er die Flüchtlinge nach Korinth zurückgeführt und diejenigen, die unter den Bakchiaden für rechtlos (átimoi) erklärt worden waren, wieder als ‚Ehrbare‘ (epítimoi) anerkannt haben (Nikolaos Dam. FgrH 90 F 57,7). Auch in diesem Fall fehlen Angaben dazu, aus welchen Gründen die Geflohenen zu átimoi geworden waren.

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Gesetze über die Amtsträger

Tyrannis abgeurteilt worden waren und Attika hatten verlassen müssen. Begründet hat Solon letzteres durch den Verweis auf ein altüberkommenes Gesetz, wonach ehrlos sei, wer eine Tyrannis errichtet oder wer dabei Unterstützung geleistet hatte (F 51a–b). Atimie bezeichnet die Ehrlosigkeit und damit die Amtsunfähigkeit. Die in der Literatur weit verbreitete Unterscheidung zwischen einer frühen Form der Atimie in dem Sinne, dass der Ehrlose vogelfrei war und straffrei getötet werden konnte, und einer späteren, abgemilderten Form der Atimie im Sinne einer Amtsunfähigkeit ist nicht überzeugend, weil in Rechnung zu stellen ist, dass den Tyrannen und den wegen Tötung Verurteilten – zumindest wenn sie ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrt waren – neben der Atimie weitere Strafen und auch die straffreie Tötung drohten.32 Da es in dem von Plutarch wörtlich zitierten „achten Gesetz“ allein um den Ausschluss von der Amtsfähigkeit ging, waren diese weiteren Strafen unter der Rubrik ἀτίμων nicht aufgeführt worden (siehe F 1). Quellen aus dem 4. Jh. und aus späterer Zeit nennen explizit weitere Personengruppen, die ehrlos und von politischer Teilhabe ausgeschlossen waren. Es waren vor allem die Schuldner gegenüber der öffentlichen Kasse, wobei unterschieden wurde zwischen solchen, die bei der Rechenschaft für ihre Amtstätigkeit, und solchen, die infolge von Strafklagen oder anderen Rechtsverfahren mit Geldstrafen belegt worden waren, sowie Steuerpächtern, welche die Pachtsummen nicht entrichtet hatten, und schließlich solchen, die für diese Pachtsummen gebürgt hatten. Ihre Atimie endete, sobald sie die ausstehenden Beträge an die öffentliche Kasse bezahlt hatten. Kamen sie dem bis zum Beginn der neunten Prytanie jedoch nicht nach, schuldeten sie das Doppelte und ihr Vermögen wurde versteigert. Der Tod des öffentlichen Schuldners schützte die Nachkommen nicht; bevor diese nicht die Schuld beglichen hatten, konnten auch sie keine Ämter übernehmen.33 Átimos und von der politischen Teilhabe ausgeschlossen waren

32  In diesem Sinne urteilen auch Vleminck 1981 und Rainer 1986a. Zu den älteren Positionen, die von einer zeitlichen Entwicklung von einer ‚Friedloslegung‘ zu einer ‚Amtsunfähigkeit‘ ausgingen, Rainer 1986b, 90 f. (so auch noch vertreten von Miriam Valdés Guía, Peur et contrainte des dépendants ratifiées par des pratiques judiciaires et religieuses : les paysans atimoi de l’Attique archaïque, in: Fear of Slaves – Fear of Enslavement in the Ancient Mediterranean [Actes des colloques du GIREA 29], Besançon 2007, 99–114, hier 100–105 und Laura Loddo, Crisi economica e valorizzazione delle risorse: una lettura del nomos arghias, in: Roberta Angiolillo et al. [Hrsg.], Crisi. Immagini, interpretazioni e reazioni nel mondo greco, latino e bizantino, Alessandria 2015, 111–129, hier 125 f.); M. Johannes Rainer setzt dem seine Position entgegen, wonach die Atimie im 6. Jh. nichts mit ‚Friedlosigkeit‘ oder ‚Rechtlosigkeit‘ zu tun habe. Es war vielmehr die „Beschränkung staatsbürgerlicher Rechte“, verbunden mit Ehrlosigkeit. „Erst bei Zuwiderhandeln gegen diese Beschränkungen wurde der ἄτιμος mit schwereren Strafen belegt, wie der Einkerkerung“ (ebd. 96). „Die Atimie ist geradezu die Strafe des Bürgers als Zurücksetzung in seinen bürgerlichen Rechten“ (ebd. 103). Jüngst ist diese These mit überzeugenden Argumenten (trotz der Einwände von Alberto Maffi, 2018) erneut von Maria S. Youni (2018) vertreten worden. 33  And. 1,73 (F 53a). Auch nach dem in Ps.-Demosth. or. 43,58 eingelegten Gesetz waren die Schuldner, die Pachtsummen heiligen Landes nicht entrichtet hatten, ehrlos, sie selbst, ihre Familie und deren Erben, solange bis sie die Schuld bezahlt hatten (τοὺς δὲ μὴ ἀποδιδόντας τὰς μισθώσεις τῶν τεμενῶν τῶν τῆς θεοῦ καὶ τῶν ἄλλων θεῶν καὶ τῶν ἐπωνύμων ἀτίμους εἶναι καὶ αὐτοὺς καὶ γένος καὶ κληρονόμους τοὺς

Historische Einordnung –Atimie (F 50–55)

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auch diejenigen, die wegen Diebstahls oder Bestechung für schuldig befunden worden waren. Da nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Nachkommen mit Atimie belegt wurden, wie Andokides ausdrücklich sagt, werden vermutlich Diebstahl im Amt, also Unterschlagung, und Bestechung während der Amtszeit gemeint sein, Vorwürfe, die bei Ablegen der Rechenschaft erhoben und über die in einem Verfahren vor Gericht entschieden wurde (s. u. F 53a).34 Von einer Übertragung der Atimie auf die Nachkommen ist abgesehen, wenn es sich um Atimie infolge einer Verurteilung wegen Feigheit, also in einer graphḗ deilías, handelt.35 Dasselbe gilt auch für diejenigen, die sich dreimal wegen falschen Zeugnisses (pseudomartyría) oder falscher Zeugnisse bei der Vorladung (pseudoklēteía) schuldig gemacht hatten.36 In diesen Fällen ist vorauszusetzen, dass die Betreffenden angeklagt und verurteilt worden waren. Über die eigentliche Strafe hinaus wurden sie mit der Atimie belegt; ihr Vermögen wurde jedoch nicht konfisziert. Welche von diesen Personengruppen in einem auf Solon zurückgehenden Gesetz „Über die átimoi“ genannt und damit von Ämtern ausgeschlossen waren, dafür gibt es keine Hinweise in den Quellen. Folgende Fälle von Atimie wurden also in klassischer Zeit unterschieden: – die vom Prytaneion, von den ephétai oder vom Areopag Verurteilten, die getötet oder eine Tyrannis zu errichten versucht hatten. Sie durften nicht nach Attika zurückkehren; ihr Vermögen war konfisziert worden.37 – Schuldner gegenüber der öffentlichen Kasse oder Steuerpächter, die die geforderten Beträge nicht bis zum Beginn der neunten Prytanie bezahlt hatten. Ihr Vermögen wurde konfisziert.

τούτων, ἕως ἂν ἀποδῶσιν). Die Übertragung der Atimie auf die Söhne, wenn die Schuld an die öffentliche Kasse nicht beglichen wurde, ist auch durch Demosth. or. 22,34; 24,201; 28,2; 58,17 und Ps.-Demosth. or. 59,6 belegt. Siehe Lipsius 1905–15, 573; Hansen 1976, 67–70 (Atimie der Schuldner), 71 f. (erbliche Atimie). 34  Zur Bestechung von Rednern schon Thuk. 3,43. 35  Zumindest in klassischer Zeit fielen unter das Delikt der Feigheit (deilía) auch die Delikte, die Schlachtordnung zu verlassen, sich dem Kriegsdienst oder dem Flottendienst zu entziehen oder den Schild wegzuwerfen (And. 1,74; Aischin. Tim. 29; F 90, 91a, c). Vgl. Lys. 14,5 und 7. 36  Hansen 1976, 72–74. So wie derjenige átimos wurde, der dreimal in einer díkē pseudomartyrías schuldig gesprochen war, so auch derjenige, der dreimal in einer graphḗ paranómōn unterlegen war (Demosth. or. 51,12). Hermann Wankel, Demosthenes 51,12 und die partielle Atimie, in: ZPE 85, 1991, 37–39 hat für die Lesung des Textes vorgeschlagen: ἔτι τοίνυν ἔμοιγε δοκεῖ κἀκεῖν’ ἀλόγως ἔχειν, τὸν μὲν εἰπόντα τι μὴ κατὰ τοὺς νόμους, ἐὰν ἁλῷ τὸ τρίτον, [μέρος] ἠτιμῶσθαι [τοῦ σώματος], τοὺς δὲ μὴ λόγον, ἀλλ’ ἔργον παράνομον πεποιηκότας μηδεμίαν δοῦναι δίκην. Die Worte [μέρος] und [τοῦ σώματος] müssten aus dem Text getilgt werden. Die Stelle sei also – so Wankel zu Recht – kein Beleg für eine partielle Atimie, sondern eine Strafe, die nach dreimaliger Verurteilung erfolge. Zu Formen partieller Atimie And. 1,75; Hansen 1976, 61–66; Michael Weißenberger, Die Dokimasiereden des Lysias (orr. 16, 25, 26, 31), Frankfurt a. M. 1987, 16. 37  Dies galt auch für die verurteilten Verräter Archeptolemos und Antiphon aus Rhamnus, die zum Tode verurteilt wurden, deren Vermögen eingezogen und deren Häuser gewüstet wurden. Ihre Leichname durften nicht in attischem Boden bestattet werden. Sie und alle ihre Nachkommen sollten ehrlos sein (Ps.-Plut. vit. X orat. 1 [mor. 834a–b]).

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Gesetze über die Amtsträger

Amtsträger, die sich der Unterschlagung oder der Bestechung schuldig gemacht hatten; vermutlich auch diejenigen, die dreifach wegen Untätigkeit im Amt (ar­ gía) zur Verantwortung gezogen worden waren. Die Atimie erstreckte sich auch über die Nachkommen. Personen, die sich der Feigheit vor dem Feind oder der Entziehung vom Kriegsdienst, sich dreimal eines falschen Zeugnisses oder eines falschen Zeugnisses bei der Vorladung schuldig gemacht hatten. Sie waren als Personen átimoi, behielten aber ihr Vermögen. Das gleiche galt für jene, die ihre Eltern misshandelt oder das väterliche Erbe zugrundegerichtet hatten.38

Aischines führt die Atimie nach einer Verurteilung wegen Feigheit (F 91a), Lysias die Atimie nach dreifacher Untätigkeit im Amt auf Solon zurück (F 59a). Es scheint daher plausibel, dass auch Verurteilungen in einer graphḗ asebeías oder einer graphḗ hýbreōs die Ehrlosigkeit zur Folge haben konnte, zumindest wer nicht ein Fünftel der Stimmen erhielt. Ehrlos waren jedenfalls alle in einer graphḗ Verurteilten so lange, bis die Schuld bezahlt war (F 53a). Die Ausführungen des Andokides in der Rede Über die Mysterien zur Amnestie für Ehrlose, die kurz vor der Kapitulation Athens im Jahr 404 beschlossen wurde, lassen vermuten, dass der Antragsteller Patrokleides auf Solons Amnestiegesetz Bezug nahm. Zwar halten Mirko Canevaro und Edward M. Harris den in die Rede eingelegten Text des Volksbeschlusses für ein späteres, fingiertes Dokument, doch die einleitenden Worte des Andokides geben Formulierungen wieder, die Solons Amnestiegesetz entnommen sein werden: So sei es Patrokleides darum gegangen, „die Ehrlosen wieder zu Ehrbaren zu machen“ (§ 73: τοὺς ἀτίμους ἐπιτίμους ποιῆσαι; vgl. 80). Dabei hätte weder Patrokleides beantragt, noch das Volk beschlossen, dass die aus Attika Verbannten zurückkehren konnten; erst nach den Friedensvereinbarungen mit Sparta und der Zerstörung der Mauern hatten die Verbannten nach Athen zurückkehren dürfen.39 Es kann also davon ausgegangen werden, dass um 400 v. Chr. das Amnestiegesetz Solons in der Weise verstanden wurde, dass die átimoi – und dies seien in erster Linie Schuldner gegenüber der öffentlichen Kasse gewesen – wieder zu epítimoi geworden wären, mit Ausnahme der aus Attika Verbannten.40

38  Zu weiteren Fällen der Atimie siehe die Aufzählung bei And. 1,73–76 (dazu Douglas MacDowell, Andokides. On the Mysteries, Oxford 1989, 106–113) und die Liste bei Hansen 1976, 72–74 sowie Rainer 1986b, 96–100. 39  And. 1,80: Κατὰ μὲν τὸ ψήφισμα τουτὶ τοὺς ἀτίμους ἐπιτίμους ἐποιήσατε· τοὺς δὲ φεύγοντας οὔτε Πατροκλείδης εἶπε κατιέναι οὔθ’ ὑμεῖς ἐψηφίσασθε. Ἐπεὶ δ’ αἱ σπονδαὶ πρὸς Λακεδαιμονίους ἐγένοντο, καὶ τὰ τείχη καθείλετε, καὶ τοὺς φεύγοντας κατεδέξασθε. 40  Lucia Cecchet vermutet, dass sich die Schuldenaufhebung Solons allein auf öffentliche Schulden bezogen habe (Poverty in Athenian Public Discourse from the Eve of the Peloponnesian War to the Rise of Macedonia, Stuttgart 2015, 192 mit Berufung auf Filippo Cassola, Solone, la terra e gli ectemori, in: PP 19, 1964, 26–68).

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Solons Gesetz über die nach Athen Umsiedelnden In seiner Solonbiographie (24,4, F 52a) nennt Plutarch ein „Gesetz über die Einbürgerungen“ (nómos tṓn dēmopoiḗtōn). So wie Plutarch das Gesetz wiedergibt, gestattete es nur denjenigen, die für immer aus der eigenen Stadt verbannt waren oder die mit ihrem gesamten Hausstand zur Ausübung eines Gewerbes nach Athen übersiedelten, Bürger in Athen zu werden. In diesem Sinne gibt auch die Forschung das Gesetz Solons wieder.41 Das Ziel Solons sei es dabei gewesen, die Bürgerschaft Athens zu stabilisieren und die Wirtschaft zu fördern; daher hätte er nur diejenigen als Bürger Athens aufnehmen wollen, die langfristig blieben, wohingegen er diejenigen Fremden hätte ausschließen wollen, die sich nur vorübergehend in Attika aufhielten.42 Athina Papachrysostomou kommt daher zu der Schlussfolgerung, Solon hätte auf das Problem reagiert, dass in früherer Zeit viele Menschen in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen nach Attika geströmt seien.43 Solon hätte also Fremde nicht ermuntern wollen, nach Attika zu kommen, sondern restriktiv die Zuwanderung und Aufnahme ins Bürgerrecht auf diejenigen beschränkt, die für immer in Athen bleiben wollten.44 Plutarch allerdings bekennt selbst seine Ratlosigkeit, warum Solon den aus anderen Städten verbannten Mördern und Tyrannen und nach Athen übersiedelnden Fremden das Bürgerrecht angeboten habe.45 Trotz der aporía, der Schwierigkeit im Verständnis des Gesetzes, führt Plutarch eine Erklärung an, mit aller Vorsicht, wie das „man meint“ (φασιν) zeigt: „Dies aber, meint man, habe er nicht getan, um auf diese Weise andere (álloi) abzuhalten [nach Athen überzusiedeln], als vielmehr diejenigen nach Athen herbeizurufen, in der sicheren Erwartung auf Teilhabe an der politischen Ordnung (po­ liteía), und die für zuverlässige [Menschen] zu halten, die entweder ihrer Stadt durch Zwang beraubt waren oder sie aus eigenem Entschluss verlassen hatten.“ Überzeugend

41  Ruschenbusch 2010, 145; ebenso Loddo 2018, 680 f. (wobei Plutarch das Gesetz mit einer ana­ chronistischen Begrifflichkeit wiedergebe, da er es vor dem Hintergrund der klassischen Zeit sah); Papa­ chrysostomou 2019, 3 und 8; Jan B. Meister, ‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und klassischen Griechenland, Stuttgart 2020, 309. 42  Papachrysostomou 2019, 3–5. Als Maßnahme zur Förderung der wirtschaftlichen Prosperität durch Anziehung von Fremden wertete das Gesetz Aymard 1958, 127 Anm. 2: „On doit penser qu’il voulait mettre fin à une pratique trop généreuse, mais l’exception en faveur des travailleurs s’harmonise fort bien avec ce qu’on aperçoit de la politique économique de Solon.“ Insbesondere habe Solon diejenigen Fremden anziehen wollen, auf die man sich habe vollständig verlassen können (Baslez 1984, 80). Ähnlich Victor Ehrenberg, Aristophanes und das Volk von Athen. Eine Soziologie der altattischen Komödie, Zürich/München 1968, 169; Whitehead 1977, 142 f.; Jochen Bleicken, Die athenische Demokratie, Paderborn etc. 1986, 41995, 86; Manville 1990, 122 f. („measure to restrict immigration“ mit Ausnahmen für die auf ewig Verbannten und die gewerbetreibenden Umsiedler); Spahn 1995, 47 f. (wegen des großen Bedarfs an qualifizierten Handwerkern); Németh 2001, 332. Nach Meinung von Raphael Sealey habe Solon schlichtweg den Umgang mit Fremden geregelt (1983, 114). 43  Plut. Solon 22,1. 44  Papachrysostomou 2019 5 f. 45  Plut. Solon 24,4: Παρέχει δ’ ἀπορίαν …

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ist diese Erklärung nicht; denn wer sollten „die anderen“ gewesen sein, die durch das Gesetz abgehalten würden. Fremde, die nicht nach Athen übersiedelten, konnten sich keinerlei Hoffnungen auf das athenische Bürgerrecht machen. Aber das verstand sich von selbst und bedurfte keiner gesetzlichen Regelung. Auch dass Personen abgehalten werden sollten, die aufgrund anderer Delikte, nicht wegen Mordes oder einer Tyrannisherrschaft, nach Athen kommen wollten, ist auszuschließen. So liegt es daher nahe anzunehmen, dass Plutarch seine Quelle missverstanden oder bereits der Autor, auf den sich Plutarch stützte, das Gesetz falsch wiedergegeben hat. Denn das Gesetz steht, so wie es Plutarch wiedergibt, in Widerspruch zu dem von Plutarch wörtlich zitierten Amnestiegesetz Solons. Danach sollten Ehrlose (ἄτιμοι) wieder zu Ehrbaren (ἐπίτιμοι) werden, außer denjenigen, die von Areopag, ephétai oder Prytaneion wegen Tyrannis oder Tötung verurteilt worden waren (F 51). Sollte Solon tatsächlich Athenern, die wegen solcher Delikte aus Athen verbannt waren, die Rückkehr verwehrt haben, aber wegen gleicher Delikte Verbannte aus anderen Städten mit offenen Armen aufgenommen haben? Verwunderlich ist zudem, dass Solon nur solchen Verbannten das athenische Bürgerrecht gewährt haben soll, die mit immerwährender Flucht (aeiphygía) belegt waren, also Tyrannen und die, die aus Vorsatz getötet hatten. Warum sollte er nicht auch diejenigen aufgenommen haben, die nicht vorsätzlich getötet hatten? Dass die Aufnahme von Tyrannen und Mördern ein säkulares Pendant zur Hikesie sei, wie Delfim F. Leão und P. J. Rhodes meinen,46 ist auszuschließen, denn Zuflucht in einem Heiligtum konnte berechtigterweise nur der finden, der geltend machen konnte, zu Unrecht von einem Dritten verfolgt zu werden. Wer eine Tyrannis errichtet oder einen anderen Menschen vorsätzlich getötet hatte, konnte vom Grundsatz her eigentlich keine Hikesie für sich beanspruchen. Versteht man das Gesetz in dem von Plutarch wiedergegebenen Sinne, müsste man zudem einen grundlegenden politischen Wandel voraussetzen, von einer großzügigen Aufnahme von Fremden unter Solon zu einer äußerst restriktiven Vergabe des Bürgerrechts im 5. und 4. Jh., wofür direkte Hinweise in den Quellen fehlen.47 46  Leão/Rhodes 2015, 133: „An offer to citizenship to men exiled from their own state, perhaps for homicide or for involvement in political strife (…) can be seen as a secular equivalent of showing pity to suppliants; encouragement of men coming to ply a craft (…) can be seen as an economic measure to make Athens more diverse than a community of subsistence farmers“. 47  Von einem solchen Wandel geht Edward E Cohen, The Athenian Nation, Princeton/New Jersey 2000, 63 f. aus. James Watson hat die These vertreten, dass ein mit bestimmten Rechten und Pflichten verbundener Metökenstatus erst in den Jahren zwischen 460 und 450 entstanden sei. Bis etwa 450 v. Chr. wären alle zugezogenen Fremden athenische Bürger geworden, weil andernfalls ein so starker Anstieg der athenischen Bürgerschaft nicht zu erklären sei (Watson 2010). Die These von Geoffrey Bakewell, dass die Etablierung des Metökenstatus das beherrschende Thema der Hiketiden des Aischylos und darin deren aitiologische Relevanz zu sehen sei, überzeugt nicht, zumal dann das Thema der Hikesie weitgehend, der Asylie gänzlich ausgeblendet wäre (Geoffrey W. Bakewell, Aeschylus’s Suppliant women. The Tragedy of Immigration, Madison 2013). Zur restriktiven Praxis in Athen, Fremden das Bürgerrecht zu verleihen, siehe auch Kostas Kapparis, The Social and Legal Position of Metics, Foreigners, and Slaves, in: Gunther Martin (Hrsg.), The Oxford Handbook of Demosthenes, Oxford 2019, 221–231, hier 226 f. Auffällig ist auch, dass im späten 6./frühen 5. Jh. die Mörder der Peisistratostochter Myrrhine und ei-

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Angesichts dessen, dass in griechischen Poleis nur selten und in Ansätzen eine zielgerichtete Wirtschaftspolitik nachgewiesen werden kann, muss mit Skepsis betrachtet werden, wenn behauptet wird, Solon habe mit der Aufnahme fremder Gewerbetreibender ins Bürgerrecht die Wirtschaft in Attika fördern wollen. Auch die Formulierungen Plutarchs erwecken Verdacht: Wenn das Gesetz „Bürger zu werden nicht gestattet außer denjenigen, die …“ (νόμος, ὅτι γενέσθαι πολίτας οὐ δίδωσι πλὴν τοῖς …), fragt man sich in der Tat, wer diejenigen waren, denen Bürger zu werden tatsächlich nicht gestattet war. Und was war mit den átimoi, die gmäß Amnestiegesetz wieder zu epítimoi werden sollten. Es werden dies Athener gewesen sein, die wegen nicht zurückgezahlter Schulden oder einer anderen Schädigung der Noxalhaftung unterlagen, vom Gläubiger oder Geschädigten ergriffen und abgeführt worden waren, den Schaden abarbeiten mussten oder in die Sklaverei verkauft worden waren. Damit hatten sie ihre persönliche Freiheit verloren, waren also átimoi.48 In Solon 24,4 nennt Plutarch diese Gruppe von Personen nicht, obwohl die Aufhebung aller Schuldverpflichtungen und das Verbot des Zugriffs auf die Person des Schuldners genau darauf zielten, diese Personen wieder als Bürger Athens, als epítimoi, aufzunehmen. Auffällig ist darüberhinaus, dass bei den von Plutarch genannten Personengruppen – den auf ewig aus der Stadt Verbannten und den mit ihrem gesamten Hausstand nach Athen Umsiedelnden – das Ἀθήναζε erst bei der zweiten Gruppe genannt ist, so dass naheliegt, dass die Verbannten, die „auf ewig ihre [Stadt]“ verlassen haben, aus Athen verbannt waren. Es ist also davon auszugehen, dass dem Text, den Plutarch bietet, ein falsches Verständnis des Gesetzes zugrunde liegt, hervorgerufen vermutlich durch die Formulierung οὐ δίδωσι πλὴν τοῖς … Berücksichtigt man, dass während der klassischen Zeit kein Fremder, der zur Ausübung eines Gewerbes nach Athen übergesiedelt war, in Athen das Bürgerrecht erhielt49 und dass die Ehrung der Metöken und freigelassenen Sklaven, die die siegreichen Demokraten nach dem Sturz der Oligarchen 404/3 angestrebt hatten, durch eine graphḗ paranómōn zu Fall gebracht wurde, wird man davon ausgehen können, dass in dem „Gesetz über die Einbürgerungen“ das Gegenteil von dem festgelegt war, was Plutarch sagt. Der missverstandene Gesetzestext lässt sich nicht niger anderer Angehöriger des Tyrannen angeblich mit dem Bürgerrecht geehrt wurden, sie aber nicht in Attika selbst, sondern auf Salamis Land erhielten (Lexicon Patmense ad Demosth. or. 23,71, Lexica Graeca Minora p. 148 Sakkelion; F 25j). 48  Siehe dazu VIII B 1 mit den F 102–109. 49  Zur restriktiven Vergabe des Bürgerrechts in griechischen Städten siehe Philippe Gauthier, Métèques, périèques et paroikoi: bilan et points d’interrogation, in: ders., Études d’histoire et d’institutions grecques. Choix d’écrits, Genf 1992, 55–77, hier 77. Zu den wenigen Ausnahmen einer Bürgerrechtsverleihung (z. B. die Attentäter des Phrynichos, Thrasybulos von Kalydon und Apollodoros aus Megara [Lys. 13,73]) Nick Fisher, Citizens, Foreigners and Slaves in Greek Society, in: Konrad H. Kinzl (Hrsg.), A Companion to the Classical World, Oxford 2006, 327–349, hier 327, 339 f. Möglicherweise wurden Freigelassene (ἀπελεύθεροι) rechtlich von den Metöken geschieden. Jedenfalls waren sie nicht ἐπὶ τέχνῃ nach Athen übergesiedelt.

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mehr rekonstruieren, da Plutarch keine Angaben über seine Quelle macht. Inhaltlich aber muss das Gesetz über die Einbürgerungen besagt haben, dass „es Bürger zu werden nur denen nicht gestattet, die in immerwährender Flucht aus Attika verbannt sind oder die mit ihrem gesamten Hausstand zur Ausübung eines Gewerbes nach Athen übersiedeln“.50 Plutarch bemerkt abschließend, dass diejenigen als vertrauenswürdige Bürger gelten können, die entweder aus Zwang (διὰ τὴν ἀνάγκην) oder aus freiem Willen (διὰ τὴν γνώμην) die eigene Stadt verlassen hatten. Damit meint er die auf immer Verbannten und die zur Ausübung eines Gewerbes nach Athen Übersiedelnden. Ursprünglich wird sich dies aber auf die der Noxalhaftung unterliegenden Athener bezogen haben, die von ihren Gläubigern in die Sklaverei verkauft worden waren oder aus freiem Willen aus Athen geflohen waren, um diesem Schicksal zu entgehen.51 Waren im „Gesetz über die Einbürgerungen“ diejenigen vom Bürgerrecht ausgeschlossen, die auf ewig verbannt waren und die zur Ausübung eines Gewerbes nach Athen übersiedelten, deckt sich das Gesetz weitgehend mit dem Amnestiegesetz.52 Da Plutarch in seiner indirekten Wiedergabe des Gesetzes eine spätere Begrifflichkeit verwendet – so wenn er von einem „Gesetz über die Einbürgerungen“ (ὁ τῶν δημοποιήτων νόμος) und von „Bürgern“ (πολῖται) spricht –, ist nicht auszuschließen, dass allein das Amnestiegesetz auf Solon zurückgeht, wohingegen das „Gesetz über die Einbürgerungen“ in späterer Zeit erlassen wurde und dabei die nach Athen Umsiedelnden als Gruppe einbezogen wurden, die nicht in die Bürgerschaft aufgenommen werden sollten. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass eine Abgrenzung zu den wegen eines Gewerbes nach Athen Umsiedelnden dann eine sinnvolle, wenn nicht gar notwendige Bestimmung war, wenn Solon vielen anderen aus Athen geflohenen Schuldnern oder in die Skla-

50  Konrat Ziegler übersetzt ὁ τῶν δημοποιήτων νόμος, ὅτι γενέσθαι πολίτας οὐ δίδωσι πλὴν τοῖς φεύγουσιν ἀειφυγίᾳ τὴν ἑαυτῶν ἢ πανεστίοις Ἀθήναζε μετοικιζομένοις ἐπὶ τέχνῃ zutreffend mit: „das Gesetz über die Aufnahme von Neubürgern, weil es nur denen gestattet, Bürger zu werden, die für immer aus ihrem Vaterlande verbannt oder mit ihrem ganzen Hause nach Athen übersiedeln wollen, um ein Gewerbe zu betreiben“. Dabei zieht er οὐ … πλὴν zusammen und gibt es mit „nur“ wieder. 51  Dabei wird die Elegie Solons zugrund gelegen haben, in der Solon seine Maßnahmen damit rechtfertigte, dass er „viele nach Athen, ins Land der Väter, gottgeschenkt, zurückgeführt [habe], die man verkauft, den einen wider’s Recht, den andern rechtens, ferner die, die – gezwungen aus der Not – geflüchtet sind, gar nicht Attisch mehr beherrschten, weil sie vielerorts weit weg umhergeirrt“ (Solon fr. 36 West, 30 Gentili/Prato Z. 8–12; F 103a). Eine uneingeschränkte Aufnahme Fremder in die Bürgerschaft hat auch Cosimo Pagliara (1964) angezweifelt. Das Gesetz Solons, wie es Plutarch in Solon 24,4 überliefert, hätte sich allein auf die geflohenen Athener bezogen, von denen Solon in seiner Elegie (fr. 36 Z. 8–12 West) spricht. Diejenigen hätten zurückkommen können, die mit ihren Familien zur Ausübung einer téchnē nach Attika zurückkehren wollten, sowie diejenigen, die für immer verbannt waren. Dieses auf spezielle Fälle eingeschränkte Angebot sei am Ende des 5. Jh. von oligarchischer Seite in polemischer Weise verzerrt aufgegriffen worden, um Solon als einen radikaldemokratischen Reformer darzustellen. Gegen eine solche Kritik habe sich die Rechtfertigung in Plutarchs Biographie gerichtet. 52  Plut. Solon 19,4: πλὴν ὅσοι ἐξ ᾽Αρείου πάγου ἢ ὄσοι ἐκ τῶν ἐφετῶν ἢ ἐκ πρυτανείου καταδικασθέντες … ἔφευγον.

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verei Verkauften die Teilhabe an der politeía durch Rückkehr nach Athen wieder habe ermöglichen wollen. Solon wollte also allen aus Attika geflohenen Schuldnern die Rückkehr ermöglichen – auch den Tätern bei einer nicht vorsätzlichen Tötung nach einer Aussöhnung –, nicht aber den wegen schwerster Vergehen Verurteilten (denn sie hatten eine Teilhabe an der politeía in Athen für immer verwirkt) und nicht denen, die aus anderen Gründen, eben zur Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit, nach Athen übersiedelten.53 Solon hätte dann mit seinem Gesetz den Status des Metöken erst begründet, indem er die zur Ausübung eines Gewerbes ‚Übersiedelnden‘, aber vom Bürgerrecht Ausgeschlossenen als metoikizómenoi bezeichnete, mit der Folge, dass solche in Athen ansässigen Fremden auch in späterer Zeit kein Bürgerrecht erhielten.54 Ihre Position in Athen hätte damit derjenigen entsprochen, die die metanástai – fremde Handwerker oder Flüchtlinge – in den homerischen Epen hatten, die als „ehrlose metanástai“ bezeichnet werden.55 Solon hat mit seinem Gesetz und den Gesetzen über die epítimoi bzw. átimoi die Grundlage gelegt für eine Definition des Bürgerstatus und eines Bürgerrechts.56 53  Eine ähnlich restriktive Handhabe bei der Aufnahme von Fremden bestand auch in der kretischen Stadt Lyttos (SEG 37,752; Koerner 1993, Nr. 87; Nomima I Nr. 12; Gagarin/Perlman 2016, Lyktos1A S. 486–492): Die Lyttier hatten verboten, den „Stadtfremden“ (ἀλοπολιάτας) aufzunehmen, wenn nicht derjenige, der ihn aufnimmt, Herr über ihn ist (κρατει� ) oder es sich um einen Itanier handelt. Die Aufnahme von freien und unfreien abhängig Arbeitenden scheint also gestattet gewesen zu sein. Zur Unsicherheit der Lesung und zur Frage, in welcher Form die Stadtfremden aufgenommen wurden oder ihre Aufnahme verboten wurde, siehe Gagarin/Perlman 2016, 491. 54  Der Begriff métoikos ist im späten 6. Jh. zum ersten Mal für Athen bezeugt, in einem Grabepigramm für eine Person namens Anaxilas aus Naxos, der als metáoikos (μετάοικος) wegen seiner Besonnenheit und Tapferkeit geehrt wurde (IG I3 1357). Ansonsten sind Metöken erstmals in Aischyl. Pers. 319; Suppl. 609, 994 belegt (vgl. Soph. Antig. 852, 890; IG I3 244 von ca. 460 v. Chr.); Mustafa Adak, Metöken als Wohltäter Athens. Untersuchungen zum sozialen Austausch zwischen ortsansässigen Fremden und der Bürgergemeinde in klassischer und hellenistischer Zeit (ca. 500–150 v. Chr.), München 2003, 41. Da nach den attischen Tötungsgesetzen vor dem Palladion auch Fälle verhandelt wurden, bei denen Fremde, Metöken oder Sklaven getötet worden waren (F 25e und k, vgl. 25i), ist nicht auszuschließen, dass Solon den Begriff métoikos auch bereits in diesem Zusammenhang gebraucht hat. David Whitehead (1986, 148) war davon ausgegangen, dass es erst seit der Zeit des Kleisthenes einen offiziellen Metökenstatus gab (zur Kontroverse siehe auch Loddo 2018, 678 Anm. 36, 680 f., die die Worte τοῖς μετοικιζομένοις in Plut. Solon 24,4 für anachronistisch für die Zeit Solons hält). ‚Met-oikos‘ bezeichnet denjenigen, der sein Haus, seinen Wohnort (oíkos) von einem zu einem anderen Ort (metá) verlegt (Whitehead 1977, 6–10; Lévy 1988, 47–53). 55  Hom. Il. 9,648 und 16,59: ὡς εἴ τιν’ ἀτίμητον μετανάστην. 56  So sieht Athina Papachrysostomou trotz einer anderen Deutung des ‚Einbürgerungsgesetzes‘ zu Recht die Relevanz des Gesetzes in einer solchen Grenzziehung: „After all, it is a truism that in order for any given political community to exist and be able to define itself, there has to be a clear-cut principle of exclusion lying at its very root, whereby some people are to be excluded from joining in“ (2019, 7). Der Ausschluss der ‚Übergesiedelten‘ von Bürgerrecht und politischer Teilhabe könnte sich auch in den Lobreden des 4. Jh. niedergeschlagen haben, mit dem Topos, die Athener seien autochthon und stets unvermischt geblieben, z. B. Isokr. 4,24: „Denn wir bewohnen dieselbe Stadt nicht etwa, nachdem wir andere daraus vertrieben oder sie als leerstehende in Besitz genommen haben, und auch nicht als aus vielen Völkern zusammengelesene Vermischte (οὐδ’ ἐκ πολλῶν ἐθνῶν μιγάδες συλλεγέντες), sondern wir sind von so edler und reiner Abkunft (οὕτω καλῶς καὶ γνησίως γεγόναμεν), dass wir das Land, aus wel-

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Weitere Hinweise in den Quellen können diese Interpretation des Gesetzes untermauern. So könnte sich der Athener Archinos am Ende des 5. Jh. auf das Gesetz Solons in dem hier vorgelegten Sinne berufen haben. Nachdem das oligarchische Regime von 404/3 in einer regelrechten Schlacht niedergerungen war, hatte der die siegreichen Demokraten führende Thrasybulos beantragt, „all denen, die vom Piräus zurückgekehrt waren, das Bürgerrecht zu verleihen“.57 Archinos brachte diesen Volksbeschluss zu Fall, indem er dagegen ein „Verfahren wegen gesetzwidrigen Antrags“ (eine graphḗ paranómōn) einbrachte.58 Die Athenaion politeia gibt zwar an, dass unter den Zurückgekehrten „offensichtlich“ (φανερῶς) einige Sklaven waren, doch dies konnte kaum den rechtlichen Einwand gegen das psḗphisma begründen. Demgegenüber scheint es plausibel, dass sich Archinos in seiner Klage wegen gesetzwidrigen Antrags auf das Gesetz Solons berief, metoikizómenoi von der Verleihung des Bürgerrechts auszuschließen – wiewohl die Intention Solons am Anfang des 6. Jh. eine ganz andere war, als die Situation sie am Ende des 5. Jh. erforderte. Thrasybulos musste das anerkennen, und so konnte er den auf demokratischer Seite mitkämpfenden Metöken nur die steuerliche Gleichbehandlung mit den Bürgern (Isotelie), das Recht auf Grunderwerb (Enktesis) und die rechtmäßige Ehe mit athenischen Frauen (Epigamie) verleihen lassen.59 chem wir abstammen, stets und ohne Unterbrechung besessen haben, da wir autochton sind und unsere Stadt mit demselben Namen wie unsere engsten Verwandten belegen dürfen“. 57  Aristot. Ath. pol. 40,2: τὸ ψήφισμα …, ἐν ᾧ μετεδίδου τῆς πολιτείας πᾶσι τοῖς ἐκ Πειραιέως συγκατελθοῦσι. 58  Ebd. Ἀρχῖνος … γραψάμενος τὸ ψήφισμα τὸ Θρασυβούλου παρανόμων. Vgl. Aischin. Ktes. 187 mit Schol.; P. Oxy. 15,1800, fr. 6–7 (Fragmente aus einer Biographie des Thrasybulos). 59  So beschreibt Xenophon in hell. 2,4,25, vermutlich aus der Rückschau, dass die im Piräus versammelten Demokraten sich bewaffneten und den am Kampf Teilnehmenden, selbst wenn sie Fremde (xé­ noi) waren, die Steuergleichheit (Isotelie) versprachen. Umfangreichere Fragmente des Beschlusses zu Ehren der mitkämpfenden Fremden sind erhalten (IG II2 10 und II2 2403; SEG 62,50 f.; 66,107; Tod, GHI II Nr. 100; mit weiteren Fragmenten publiziert in Rhodes/Osborne Nr. 4 [mit engl. Übersetzung und weiteren Editionen]). Umstritten ist allerdings, welche Ehren den Metöken zuerkannt wurden, die sich bereits in Phyle den Demokraten angeschlossen hatten, welche denen, die bei Munichia mitgekämpft hatten, und welche die Unterstützer der Demokraten im Piräus, ob sie das athenische Bürgerrecht oder die Isotelie erhielten. Der fragmentarisch erhaltene Text lässt keine sichere Entscheidung zu. Rhodes und Osborne sowie Michel Austin und Pierre Vidal-Naquet (Gesellschaft und Wirtschaft im alten Griechenland, München 1984, 240 f. Nr. 70) gehen von der Verleihung des Bürgerrechts für diejenigen aus, die sich bereits in Phyle den Demokraten angeschlossen hatten, und von der Verleihung der Isotelie für die am Kampf bei Munichia und im Piräus Beteiligten (ebenso David Phillips, Avengers of Blood. Homicide in Athenian Law and Custom from Draco to Demosthenes, Stuttgart 2008, 197; zu abweichenden Meinungen siehe den Kommentar von Rhodes und Osborne). Es ist also nicht eindeutig zu entscheiden, ob das Ehrendekret eine Ausnahme darstellt oder die beteiligten Metöken, Fremden und Freigelassenen tatsächlich nur die Isotelie (und andere Rechte) verliehen bekommen haben. Auch Lysias, der nach der sizilischen Katastrophe aus Sizilien verbannt worden und als Metöke nach Athen zurückgekehrt war, hatte 403 aktiv die Demokraten unterstützt und sollte aufgrund des Antrags von Thrasybulos Bürgerrecht erhalten. Wegen der Aufhebung des Beschlusses lebte Lysias – vom Bürgerrecht ausgeschlossen – bis zu seinem Tod als Metöke mit Isotelie in Athen (Ps.-Plut., Vit. X orat. Lysias 1–43, mor. 835c–836a). Angeblich sei der Beschluss aufgehoben worden, weil der Antrag ohne vorherige Beratung im Rat unmittelbar in der Volksversammlung eingebracht worden war. Zur Interpretation der

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Ähnliches scheint sich fünfundsechzig Jahre später wiederholt zu haben. Nach der Schlacht von Chaironeia hatte Hypereides im Jahr 338 v. Chr., um alle Kräfte Athens zu mobilisieren, den Antrag gestellt, Tausende Sklaven freizulassen, den Schuldnern gegenüber der öffentlichen Kasse die Schulden zu erlassen, die mit Ehrlosigkeit Belegten und bei einer diapsḗphisis Ausgeschlossenen wieder ins Bürgerrecht aufzunehmen und Metöken zu Bürgern zu machen, wohl wissend dass Anträge auf Freilassung von Sklaven und Rückkehr von Exilierten gesetzlich verboten waren.60 Die Aussagen, die in den wenigen erhaltenen Fragmenten der Rede dazu erhalten sind, werden durch Angaben in den Leben der zehn Redner bestätigt, wonach Hypereides von Aristogeiton wegen Gesetzwidrigkeit angeklagt worden war, weil er nach der Schlacht von Chaironeia den Antrag gestellt hatte, die Metöken zu Bürgern zu machen und den Sklaven die Freiheit zu geben.61 Hypereides wurde allerdings freigesprochen. Ein weiteres Zeugnis ist in diesem Zusammenhang zu diskutieren. Denn das „Gesetz Solons über Einbürgerungen“ wurde vermutlich in dem Rechtsstreit zwischen Euxitheos und Eubulides herangezogen. Bei einer Überprüfung des Bürgerrechts (διαψήφισις) war dem Euxitheos bei der Abstimmung in der Gemeinde das Bürgerrecht bestritten worden;62 Euxitheos klagte gegen diesen Beschluss der Demoten vor dem Gericht in Athen. Weil die Mutter des Euxitheos in den Notzeiten des Peloponnesischen Krieges als Amme gedient hatte und die Familie vom Verkauf von Bändern auf dem Markt lebte, hatte der Dorfvorsteher Eubulides dies als Argumente vorgebracht, um dem Euxitheos das Bürgerrecht streitig zu machen. Demgegenüber verweist Euxitheos zunächst auf einen Volksbeschluss (ψήφισμα) und auf Gesetze (νόμοι), die denjenigen der Verleumdung (kakēgoría) für schuldig befinden, der einem Bürger oder einer Bürgerin das auf dem Markt (agorá) betriebene Gewerbe (ergasía) zum Vorwurf macht. Euxitheos verweist also auf den nómos kakēgorías, das Gesetz gegen Beleidigung, das diejenigen verbalen Schmähungen unter Strafe stellte, welche dazu führen konnten, dass ein Bürger aus der Volksversammlung abgeführt wurde, weil er sich als Nichtbürger bürgerliche Rechte angemaßt hätte. Denn wenn man ihm das Gewerbe auf dem Markt „zum Vorwurf macht“ (oneidízein), impliziert dies, dass er nicht von der Landwirtschaft leben konnte, eben weil er kein Bürgerrecht hatte. Dass in dieInschrift und zum historischen Kontext siehe auch Astrid Dössel, Die Beilegung innerstaatlicher Konflikte in den griechischen Poleis vom 5.–3. Jahrhundert v. Chr., Frankfurt a. M. etc. 2003, 127–135 (eine Übersicht über die verschiedenen Meinungen ebd. 130) und Philipp Scheibelreiter, Atheniensium vetus exemplum: Zum Paradigma einer antiken Amnestie, in: Kaja Harter-Uibopuu, Fritz Mitthof (Hrsg.), Vergeben und Vergessen? Amnestie in der Antike, Wien 2013, 95–126, hier 117 f. 60 Hyp. Gegen Aristogeiton (fr. 18 Blass, 27–29 Jensen); vgl. Lykurg. Leokr. 36 f. 61  Ps.-Plut. vit. X orat. 9 (Hyp.) (mor. 848f–849a): κριθεὶς δ’ ὑπὸ τοῦ Ἀριστογείτονος παρανόμων ἐπὶ τῷ γράψαι μετὰ Χαιρώνειαν τοὺς μετοίκους πολίτας ποιήσασθαι τοὺς δὲ δούλους ἐλευθέρους, ἱερὰ δὲ καὶ παῖδας καὶ γυναῖκας εἰς τὸν Πειραιᾶ ἀποθέσθαι, ἀπέφυγεν. 62 Zum diapsephismós (bzw. zur diapsḗphisis) Ugo Fantasia, Cristina Carusi, Revisioni e controlli delle liste dei cittadini. La diapsephisis del 346 a. C., in: Silvio Cataldi (Hrsg.), Poleis e politeiai. Esperienze politiche, tradizioni letterarie, progetti costituzionali, Alessandria 2004, 187–216; Loddo 2018, 668.

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sem Gesetz über Beleidigungen von „Bürgern und Bürgerinnen“ (ἢ τῶν πολιτῶν ἢ τῶν πολιτίδων) gesprochen wird, weist auf eine Entstehung dieser gesetzlichen Regelung in klassischer Zeit hin. Solonisch ist das Gesetz nicht, und Euxitheos behauptet dies auch nicht. Die beiden folgenden in or. 57,32 zitierten Gesetze haben jedoch mit der Klage wegen Beleidigung nichts zu tun. Euxitheos gesteht ein, dass er und seine Familie von dem Verkauf von Bändern nur notdürftig leben konnten, doch wendet er gegen Eubulides ein, dies könne nicht als Beweis dafür gelten, dass er kein Athener sei.63 Als Beleg dafür lässt Euxitheos zunächst ein Gesetz Solons verlesen, das zeige, „dass es einem Fremden nicht erlaubt sei, auf der Agora tätig zu werden (ergázesthai)“.64 Solon habe damit ein so vortreffliches und dem Volk dienliches Gesetz erlassen, dass die Athener beschlossen hätten, es zu erneuern. Diese Revision des Gesetzes gehe auf Aristophon zurück, und nach Verlesung auch dieses Gesetzes fordert Euxitheos die Geschworenen auf, „nicht die Gewerbetreibenden für Fremde, sondern die böswilligen Ankläger für Schurken anzusehen“.65 Außerdem könne man aus den Marktbüchern ermitteln, ob ein auf der Agora Handel treibender Mann oder eine Frau Standgeld (das xenikón) zahle oder nicht.66 Nur die Metöken, denen die Isotelie verliehen war, waren wie die athenischen Bürger von Standgebühren befreit. Die Argumentation ist also: Auch wenn es in Solons Gesetz um fremde Gewerbetreibende ging, die, weil sie als Fremde kein Land erwerben durften, nur ein Gewerbe ausüben konnten, könne aus dem Gesetz und der Revision durch Aristophon nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass jeder Gewerbetreibende ein Fremder sein müsse. Das Gesetz Solons ist in der Rede nicht eingefügt, und Euxitheos gibt es nur indirekt wieder: Es sei einem Fremden nicht erlaubt, auf der Agora tätig zu sein (ἐν τῇ ἀγορᾷ ἐργάζεσθαι). Doch dies wird kaum der Wortlaut des Gesetzes gewesen sein. Wenn Solon Fremden die agorá verbot, wird sich dies ursprünglich auf die politische Partizipation, insbesondere auf die Teilnahme an der Volksversammlung, bezogen haben und agorá in der Bedeu63  Demosth. or. 57,31: τοῦτο σημεῖον, ὦ Εὐβουλίδη, τοῦ μὴ Ἀθηναίους εἶναι [ἡμᾶς]. 64  Ebd. ὅτι οὐκ ἔξεστι ξένῳ ἐν τῇ ἀγορᾷ ἐργάζεσθαι. Eberhard Ruschenbusch hatte diese Äußerung, ein solonisches Verbot für Fremde, auf der Agora zu arbeiten, als F 117 unter die spuria aufgenommen. Susan Lape geht davon aus, dass das Gesetz, dass die Ehre der Bürger hat schützen sollen, Solon irrtümlich zugeschrieben worden sei (2010, 206–208). Nach Whitehead 1977, 77 f., ders., The Political Career of Aristophon, in: CPh 81, 1986, 313–319, hier 315 f. und Manville 1990, 134 sei das solonische Verbot für Fremde, auf dem Markt einer Tätigkeit nachzugehen, durch das Gesetz des Aristophon verändert worden; Fremde hätten seitdem eine spezielle Marktabgabe (ξενικόν) entrichten müssen. Leão/Rhodes 2015, 179 vermuten, dass das Gesetz, das Fremden eine Arbeit auf der Agora verbiete, aus der Zeit vor dem Peloponnesischen Krieg stamme und zwar aus der Zeit zwischen ca. 450 und 430, im Krieg selbst aber wie das perikleische Bürgerrechtsgesetz außer Kraft gewesen und nach dem Krieg wieder bekräftigt worden sei. 65  Demosth. or. 57,32: μὴ τοὺς ἐργαζομένους ξένους νομίζειν, ἀλλὰ τοὺς συκοφαντοῦντες πονηροὺς; Loddo 2018, 671. Zur Frage, welche Gesetze in or. 57,32 gemeint waren, siehe die Diskussion vorausgegangener Ansichten bei Loddo 2018, 671–674. 66  Demosth. or. 57,34: τὰ τέλη ἐξετάσαντες τὰ ἐν τῇ ἀγορᾷ, εἰ ξενικὰ ἐτέλει.

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tung ‚Volksversammlung‘ gebraucht worden sein.67 Euxitheos wandelte dies leicht ab, indem er die Worte ἐν τῇ ἀγορᾷ ἐργάζεσθαι wählt und damit den Eindruck erweckt, auch eine gewerbliche Tätigkeit von Fremden auf dem ‚Markt‘ sei inbegriffen gewesen. Das verlesene Gesetz Solons wird also dasjenige gewesen sein, dass Plutarch in Solon 24,4 nennt, allerdings in der korrekten Form, also mit der Bestimmung, dass diejenigen, welche mit ihrem gesamten Hausstand zur Ausübung eines Gewerbes (téchnē) nach Athen übersiedeln (metoikizómenoi), keine Bürger werden und nicht an der agorá teilnehmen können. Wenn der Autor Karystios angibt, dass Aristophon – der nach Aussage des Euxitheos dieses solonische Gesetz erneuerte – das perikleische Bürgerrechtsgesetz wieder in Kraft gesetzt hat, nachdem es im Peloponnesischen Krieg zeitweilig aufgehoben war, spricht auch dies dafür, dass die von Euxitheos verlesenen Gesetze sich mit dem athenischen Bürgerrecht befassten, nicht mit dem Warenverkehr auf dem Markt.68 Auch die 57. Rede des Demosthenes kann also als Indiz dafür gewertet werden, dass Solon ein Gesetz erlassen hat, wonach die wegen einer téchnē nach Attika Übergesiedelten nicht an der Polis teilhaben, sie keine politischen Rechte haben sollten.69 Schließlich ist ein bisher nicht beachteter Beleg aus den Antiquitates des Dionysios von Halikarnass anzuführen (F 52c), in dem es um die unterschiedliche Abstammung der Bürger Albas und Roms ging: In einer Rede behauptet der Albaner Mettius Fufetius, die Bürger Albas seien sich immer gleich geblieben, wohingegen die Römer durch Zuwanderung von Fremden verdorben worden seien; über die rechtmäßigen

67  Ergázesthai im Sinne einer politischen Tätigkeit ist in F 59a (Lysias, Gegen Ariston, fr. or. 19; fr. 40a–b Carey) belegt. 68  Karystios FgrH 358 F 11 (= Athen. 13,577b–c). Eumelos (FgrH 77 F 2; = Schol. Aischin. 1,39) nennt hingegen Nikomenes als denjenigen, der das perikleische Bürgerrechtsgesetz wieder in Kraft setzte. Zu Aristophon siehe Whitehead 1986 (wie Anm. 64); Loddo 2018, 675–680. 69  Da dies nur für die zur Ausübung einer téchnē nach Athen Übergesiedelten galt, wäre eine Bürgerrechtsverleihung an einen freigelassenen Sklaven (wie es bei Pasion geschah) möglich, da unter rechtlichen Aspekten apeleútheroi von Metöken unterschieden wurden (Rachel Zelnick-Abramovitz, Kabeiroi, Manumitted Slaves and Xenoi: The Manumission Inscriptions from Lemnos, in: Dike 21, 2018, 87–115, hier 102 f.; dies., Mapping Inequality in Ancient Greece, in: O. Cerasuolo (Hrsg.), The Archaeology of Inequality. Tracing the Archaeological Record, Albany/NY 2021, S. 242–245 Anm. 20). Laura Loddo geht von falschen Voraussetzungen aus, wenn sie annimmt, dass Solon ein Gesetz gegeben habe, dass Fremden den Zugang zum Markt untersagte (2018, 680). Solon habe eine doppelte Strategie verfolgt, einerseits eine Öffnung Athens für diejenigen, welche mit der Familie zur Ausübung einer téchnē nach Attika übersiedelten und vollständig in die Bürgerschaft integriert werden sollten, andererseits eine verstärkte Kontrolle über den Markt, wie sie auch an Solons Exportverbot zum Ausdruck komme. Aristophon habe das in der Zwischenzeit außer Gebrauch gekommene Verbot für Fremde, auf dem Markt tätig zu sein, erneuert, nun aber den Zugang durch eine Abgabe (xenikón) geregelt (ebd. 679–683). Demgegenüber ist hier davon ausgegangen, dass ein Exportverbot Solon nicht existiert hat (F 76) und die in Demosth. or. 57,31 f. verlesenen Gesetze den übergesiedelten Fremden die politische Partizipation nicht einräumten. Auch wenn Loddos Beschreibung zutrifft, es sei „un’antica legge soloniana che regolava la presenza di stranieri, presumibilmente mercanti“, ging es Solon bei diesem Gesetz nicht um eine „riorganizzazione economica“ (so ebd. 682).

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Nachkommen dürften nicht Bastarde und über die Einheimischen nicht Zuwanderer herrschen. Hostilius Tullus, der dritte König der Römer, widersprach vehement: Man habe all denen, die wollten, die Stadt Rom als gemeinsamen Wohnort angeboten, und darauf sei man stolz, denn man habe sich ein Beispiel an der Stadt Athen genommen, die unter den Griechen den höchsten Ruhm genossen und zwar auch deswegen, weil sie gerade diesem politischen Grundsatz gefolgt seien.70 Tullus spielt damit auf das Bürgerrechtsgesetz des Perikles an, der mit dem Gesetz, athenischer Bürger könne nur sein, wer väter- und mütterlicherseits von Athenern abstamme, verhinderte, dass Kinder aus nicht rechtmäßig geschlossenen Ehen das Bürgerrecht erhielten. Damit also haben die Athener vermieden, dass Bastarde über die rechtmäßigen Kinder herrschten. Das Verdienst, dass nicht Zuwanderer über Einheimische herrschten, wird hingegen Solon zugekommen sein, eben weil er Fremden zwar gestattete, für die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit mit ihrem ganzen Haus nach Athen überzusiedeln, ohne ihnen aber Teilhabe an der Volksversammlung zuzugestehen. Im Laufe des 4. Jh. wurde das Gesetz gegen metoikizómenoi verschärft. Wer als Metöke mit einer athenischen Frau oder als Metökin mit einem athenischen Mann in Ehegemeinschaft zusammenlebte und bürgerliche Rechte beanspruchte, konnte mittels „Fremdenklage“ (graphḗ xenías) angeklagt werden. Dem Metöken drohte der Verkauf in die Sklaverei und die Konfiskation seines Vermögens, dem Athener eine Strafe von 1000 Drachmen.71 Ausschluss vom Rednerplatz Diejenige Person, welcher in einem Prozess für ein bestimmtes Vergehen nicht nur eine Strafe auferlegt worden war, sondern die zusätzlich mit der Atimie belegt worden war, war von der politischen Teilhabe und insbesondere von der Bekleidung eines Amts ausgeschlossen. Wer als átimos dennoch ein Amt bekleidete, konnte angeklagt werden und wurde mit dem Tod bestraft. Darüberhinaus scheint Solon aber weitere Personen vom Rednerplatz ausgeschlossen zu haben, auch in den Fällen, in denen keine formelle Verurteilung vorlag. Davon betroffen waren diejenigen, die ihre alten Eltern misshandelt, das väterliche Erbe zugrundegerichtet, sich im Krieg als feige erwiesen oder ein unsittliches Leben geführt hatten (F 53b). Aischines konkretisiert, was Misshandlung der Eltern meinte: „wer seinen Vater oder seine Mutter schlägt oder sie nicht ernährt oder ihnen keine Wohnstätte bietet“ (F 54e).72 Dieser Ausschluss von der

70  Dion. Hal. Ant. 3,11,3–4. Von einer restriktiven Praxis der Bürgerrechtsverleihung in Sparta, Theben und Athen spricht Dion. Hal. auch in Ant. 2,17,1. 71  Ps.-Demosth. 59,16. Siehe dazu Elke Hartmann, Heirat, Hetärentum und Konkubinat im klassischen Athen, Frankfurt a. M. 2002, 57 f. 72  Aischin. Tim. 28.

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Rede vor dem Volk kann als eine Art ‚Teilatimie‘ verstanden werden; sie unterscheidet sich von der Atimie wesentlich jedoch dadurch, dass keine Verurteilung erfolgt war.73 Wer durch Verurteilung zum átimos geworden war und dennoch Rechte eines epítimos für sich in Anspruch nahm, konnte mittels éndeixis oder apagōgḗ vor Gericht gebracht werden. Wollte hingegen eine Person, die die Eltern misshandelt, im Krieg sich als feige erwiesen oder ein unsittliches Leben geführt hatte, vor dem Volk sprechen, ohne dass eine Verurteilung wegen dieser Vergehen vorlag, konnte jeder, der wollte, Einspruch mittels epangelía erheben. Der Sprecher wurde damit an der Rede gehindert, und er musste sich einer ‚Überprüfung‘ (dokimasía) unterziehen, bei der die gegen ihn erhobenen Vorwürfe geprüft wurden. Stellte sich einer der Vorwürfe als zutreffend heraus, war er an der Rede vor dem Volk endgültig gehindert, war also mit einer Teilatimie belegt.74 Da das Vergehen nun offensichtlich war, war die Strafe, wenn der Betreffende ungeachtet dessen trotzdem ein Amt übernahm, deutlich härter. Es sind also unterschiedliche Vorgehensweisen und Strafen zu unterscheiden: Wer die Eltern misshandelte, sich dem Kriegsdienst entzogen hatte, ein unsittliches Leben führte oder das väterliche Erbe vergeudet hatte, war ehrlos und konnte durch einen Antrag auf Überprüfung daran gehindert werden, vor dem Volk zu sprechen. Da es sich um eine Überprüfung, eine dokimasía, nicht um eine Verurteilung durch ein Gericht handelte, und der Betreffende frühzeitig daran gehindert worden war, vor dem Volk zu sprechen, war durch die dokimasía nur das Vergehen bestätigt worden; die Atimie, die zuvor nur als Anschuldigung bzw. de facto bestand, war nun offiziell bestätigt. Erst wer ungeachtet dessen ein Amt ausübte oder vor dem Volk redete, der konnte angeklagt und verurteilt werden; ihm drohte nun die Todesstrafe.75 Die von der Rede vor dem Volk Ausgeschlossenen sollten auch keine Ämter bekleiden. Da keine Verurteilung vorausging, sie also nicht formell zu átimoi erklärt worden waren, wurde bei der Prüfung vor Übernahme des Amts der Kandidat nicht nur gefragt, ob er die dafür vorausgesetzte Schatzungsklasse aufweisen konnte, sondern auch ob er die Eltern gut behandelt und die Feldzüge mitgemacht hatte.76 Konnte der Kandidat keine zufriedenstellende Antwort geben, konnte er das Amt nicht übernehmen. Auch in diesem Fall ist die Atimie nur bestätigt; die Todesstrafe drohte dem Kandidaten (in der Regel) nicht.77

73  Dazu Wallace 1998, der von „unconvicted or potential atimoi“ spricht, und MacDowell 2005, 85. Diese galt nach 404/3 v. Chr. auch für diejenigen, die während des oligarchischen Regimes in der Stadt geblieben waren. Sie blieben Bürger, durften aber nicht vor dem Volk sprechen oder Ratsmitglied werden (And. 1,75). 74  Gagliardi 2005, 93 f. spricht von einer „preventive procedure (examination)“. So z. B. bei Feigheit im Krieg: And. 1,74; Aischin. Ktes. 175 f.; Demosth. or. 15,32; 21,103; Ps.-Demosth. or. 59,27. 75  Ich folge dabei der Ansicht von Gagliardi 2005. 76  Aristot. Ath. pol. 55,3. 77  Gemäß Hdt. 2,177,2 (daraus Diod. 1,77,5; F 48a) und Diphilos F 31 PCG (F 48h) konnte auch die Hinrichtung erfolgen, dies jedoch vermutlich nur, wenn der Betreffende trotz Verurteilung zur Atimie politische Rechte ausübte.

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Ausschluss des hētairēkṓs vom Rednerplatz Mehrfach wird in den Quellen Solon die gesetzliche Bestimmung zugeschrieben, die den hētairēkṓs, also denjenigen, der ein unsittliches Leben geführt und sich gegen Geld zu päderastischem Verkehr hergegeben hat, vom Rednerplatz ausschließt. So lobt Demosthenes in seiner Rede Gegen Androtion den Gesetzgeber Solon dafür, wie umsichtig er die Gesetze konzipiert habe, auch durch die Bestimmung, dass der hētairēkṓs nicht als Redner (und Antragsteller) in der Volksversammlung auftreten dürfe (F 54d). Belege für ein solches Gesetz reichen bis in die 420er Jahre zurück, also in die Zeit vor der Revision der solonischen Gesetze 409–399 v. Chr. Aristophanes spielt in der 424 v. Chr. aufgeführten Komödie Ritter auf rechtliche Bestimmungen hinsichtlich eines unsittlichen Lebenswandels an. Im Konkurrenzkampf mit dem paphlagonischen Sklaven, hinter dem das Publikum den Demagogen Kleon sehen soll, erwirbt der noch dreistere Wursthändler die Gunst des personifizierten Demos damit, dass er ihm ein Paar Schuhe schenkt, eine Wohltat, zu der Kleon, obwohl Inhaber einer Gerberei, nie bereit gewesen wäre. Entrüstet hält der Paphlagonier dem Volk vor, es werde sich doch nicht durch ein einziges Paar Schuhe so um den Finger wickeln lassen. Man solle vielmehr daran denken, was der Demos ihm, also Kleon, zu verdanken habe; er nämlich habe „den Hurern (binoúmenoi) das Handwerk gelegt und den Grypos ausgestrichen“.78 Bineín im Sinne von ‚penetrieren‘ (inire, coire) meint den unsittlichen, gegen den Willen des Hausvaters eingegangenen Geschlechtsverkehr, im Gegensatz zu opuíein (ὀπυίειν), dem ehelichen geschlechtlichen Verkehr.79 Binoúmenoi sind also diejenigen, die sich zu unsittlichem Geschlechtsverkehr hergeben, die sich prostituieren.80 Vermutlich war also Kleon gegen einen gewissen Grypos (oder Gryttos) wegen unsittlichen Lebenswandels erfolgreich eingeschritten, so dass Grypos aus der Liste derer, die an der Volksversammlung teilnehmen – und damit auch vor dem Volk sprechen – durften, gestrichen wurde.81 Der Wursthändler kontert den Einwand mit der Bemerkung: Was sei der Paphlagonier doch für ein toller Kerl, „als Hinternvisitator denen, die sich prostituierten, das Handwerk zu legen, aus purem Neid, damit sie ja

78  Aristoph. equ. 868–877; 876 f.: ὅστις ἔπαυσα τοὺς βινουμένους, τὸν Γρῦπον ἐξαλείψας. 79  Solon in Hesych. β 466 s. v. βινεῖν· παρὰ Σόλωνι τὸ βίᾳ μίγνυσθαι. τὸ δὲ κατὰ νόμον ὀπύειν; vgl. ο 1068 s. v. ὀπυίειν· γαμεῖν. Da Aristophanes in den Rittern diejenigen, die sich prostituieren, binoúmenoi nennt, könnte sich der Verweis des Hesychios auf das Gesetz beziehen, das denjenigen, die einen unsittlichen Lebenswandel führen, untersagt, als Redner aufzutreten. τὸ βίᾳ μίγνυσθαι muss nicht im Sinne von „gewaltsam verkehren“, sondern kann auch im Sinne von „gegen den Willen [des Hausvaters] verkehren“ verstanden werden. In den Fröschen urteilt der Sklave Xanthias über seinen Herrn, dieser verstehe sich am besten auf ‚Saufen und Huren‘ (ran. 740: πίνειν … καὶ βινεῖν); vgl. equ. 1242; aves 560. 80  Schol. Aristoph. equ. 877b: βινουμένους] πορνευομένους. 81  Vgl. Schol. Aristoph. equ. 877a und c. Dies ist nicht mit der Strafe der Atimie gleichzusetzen (Kapparis 2018, 162).

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nie Redner werden können“.82 Damit greift Aristophanes eine gesetzliche Bestimmung auf, dass diejenigen, die sich prostituieren, vom Rednerplatz ausgeschlossen sind. Da die Strafe bei einer graphḗ hetairḗseōs eine sehr harte war (s. F 99–101), nämlich die Todesstrafe, wenn ein durch Verurteilung erwiesener hētairēkṓs dennoch als Redner auftrat, kann Grypos nicht mittels graphḗ hetairḗseōs angeklagt worden sein. Kleon hatte aber dafür gesorgt, dass Grypos wegen seines offensichtlich unsittlichen Lebenswandels aus dem pínax ekklēsiastikón, dem Verzeichnis der zur Teilnahme an der Volksversammlung Berechtigten, gestrichen worden war, vermutlich aufgrund der solonischen Bestimmung, die solche Personen vom Rednerplatz ausschlossen. In späterer Zeit gab es dafür die formalisierte dokimasía rhētórōn, die „Überprüfung der Redner (vor Rat und Volk)“.83 Diogenes Laertios schreibt mit Verweis auf den Logographen Lysias, dass Drakon das Gesetz gegen argía, Solon aber auch dasjenige erlassen habe, das den hētairēkṓs vom Rednerplatz ausschließt (F 54a). Und auch in der Rede Gegen Timarchos wirft Aischines diesem vor, trotz seines unsittlichen Lebenswandels als Redner vor das Volk getreten zu sein.84 Spätere Lexikographen haben diese Informationen aufgenommen, wenn sie schreiben, dass nicht nur beim átimos, sondern auch bei demjenigen, der als Schuldner der öffentlichen Kasse ein Amt ausüben oder Geschworener werden will, ‚Anzeige‘ (éndeixis) durch jeden, der will, möglich war; gleichermaßen gelte dies auch für diejenigen, denen Handlungen auszuführen oder Orte zu betreten verwehrt sind, so wie für den hētairēkṓs Agora und die Rede vor dem Volk verboten seien oder demjenigen, der Toten Übles nachsagt.85 Alle Quellen berichten übereinstimmend, dass es in dem solonischen Gesetz zunächst um den Ausschluss vom Rednerplatz ging. Im Unterschied zu den átimoi ist von be-

82  Aristoph. equ. 878–880: οὔκουν σε ταῦτα δῆτα δεινόν ἐστι πρωκτοτηρεῖν παῦσαί τε τοὺς βινουμένους; κοὐκ ἔσθ’ ὅπως ἐκείνους οὐχὶ φθονῶν ἔπαυσας, ἵνα μὴ ῥήτορες γένωνται. – „Ein sauberes Amt, das Bubenpack (binouménoi) als Hinternvisitator zu kujonieren und aus Neid das Handwerk ihm zu legen, aus purem Neid, damit sie ja nie Redner werden können“ (Übersetzung Ludwig Seeger / Hans-Joachim Newiger). 83  Auch Kapparis 2018, 162 f. bestreitet, dass sich equ. 876–880 auf die graphḗ hetairḗseōs beziehen lasse, denn ἐξαλείψας in v. 877 meine nicht „to disfranchise“, wie Kenneth Dover meinte, sondern „remove from the register of citizens“. Die Stelle können also kein Beleg für die Existenz einer graphḗ hetairḗseōs im 5. Jh. sein. 84  Aischin. Tim. 1: Timarchos sei „als Redner den Gesetzen zuwider aufgetreten“ (δημηγοροῦντος παρὰ τοὺς νόμους); Tim. 2: Aischines habe ihn „zu der Prüfung gefordert“ (ἐπήγγειλα αὐτῷ τὴν δοκιμασίαν ταυτηνί); Tim. 3: denn „die Gesetze verbieten dem, der unsittlich lebt, als Redner aufzutreten“ (oἱ μὲν γὰρ νόμοι προεῖπον αὐτῷ αἰσχρῶς βεβιωκότι μὴ δημηγορεῖν). 85  Phot. lex. ε 859 (= Lex. Sabbaiticum ε p. 59): ἔνδειξις· ἐάν τις ἄτιμος ὢν ἢ ὠφληκὼς τῷ δημοσίῳ καὶ μὴ ἐκτετικὼς ἄρχειν ἢ δικάζειν ἐπιχειροίη, τοῦτον ἐνδείκνυσιν ὁ βουλόμενος τῶν πολιτῶν· ὁμοίως καὶ τὸν ἀντιποιούμενον πράξεων ἢ τόπων ἀπηγορευμένων τοῖς νόμοις, οἷον τὸν ἡταιρηκότα τῆς ἀγορᾶς καὶ τοῦ λέγειν ἐν τῷ δήμῳ, ἔτι τὸν κακῶς λέγοντα τοὺς τετελευτηκότας ἀδίκως· ἔπειτα τοῖς ἁλοῦσι τούτων τινὸς τιμῶσιν οἱ δικασταί, τί χρὴ παθεῖν ἢ ἀποτῖσαι.

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reits verurteilten Personen nicht die Rede.86 Bei den vom Rednerplatz Ausgeschlossenen konnte jeder Athener, wenn eine betreffende Person bei der Volksversammlung das Wort ergriff, dagegen einschreiten und mittels epangelía ‚ankündigen‘, dass er gegen den Sprecher gerichtlich vorgehen, ihn also zu einer dokimasía zwingen würde.87 Bei dieser dokimasía rhētórōn wurden dem Vorgeladenen vermutlich die Fragen vorgelegt, die auch ein Kandidat für ein Amt zu beantworten hatte, also ob er die Eltern gut behandelte, an den Feldzügen teilgenommen habe und ein sittliches Leben führe, auch wenn das in der Rede des Aischines eingelegte Dokument zur Dokimasie der Redner nicht auf die solonische Zeit zu beziehen ist.88 Aus dem Gesetz über die Prüfung der Redner vor dem Volk zitiert Aischines ausführlich (F 53c), schreibt es aber nur allgemein einem „Gesetzgeber“ zu.89 Der bei Aischines überlieferte Wortlaut wird daher sicherlich der Fassung des Gesetzes entnommen worden sein, die in der zweiten Hälfte des 4. Jh. gültig war. In welche Zeit eine mögliche frühere Fassung zurückreicht, lässt sich kaum sagen. Es ist nicht auszuschließen, dass die spätere dokimasía rhētórōn auf solonischen Bestimmungen beruhte.90 Wurde der Redner in einer dokimasía rhētórōn schuldig gesprochen, wurde er mit dauernder Atimie bestraft.91 In schweren Fällen konnte auch die Todesstrafe verhängt werden.92 Auch das Verfahren der graphḗ hetairḗseōs, der öffentlichen Klage wegen unsittlichen Lebenswandels, wird auf spätere Zeit zurückgehen. Der nómos hetairḗseōs aus klassi-

86  So zu Recht auch MacDowell 2005, 84: „Certainly when Aiskhines accused Timarkhos by dokimasia there was no previous court verdict that Timarkhos was a prostitute“. 87  Aischin. Tim. 32: δοκιμασίαν μέν … ἐπαγγειλάτω Ἀθηναίων ὁ βουλόμενος, οἷς ἔξεστιν. 88  Aischin. Tim. 28–32: δοκιμασία ῥητόρων. Die Zitate aus dem Gesetz sind mit Ergänzungen und Erklärungen des Aischines versehen. Zur dokimasía rhētórōn siehe Lipsius 1905–15, 278–282; Hansen 1995, 277. Chris Carey, Bridging the Divide between Public and Private: dike exoulēs and Other Hybrids, in: Chris Carey, Ifigeneia Giannadaki, Brenda Griffith-Williams (Hrsg.), Use and Abuse of Law in the Athenian Courts, Leiden/Boston 2019, 75–92, hier 91 datiert die dokimasía rhētórōn ins späte 5. Jh., da seit dieser Zeit rhḗtōr zum üblichen Begriff für den politisch aktiven Bürger geworden war (allerdings ohne auf Aristoph. equ. 878–880 hinzuweisen; s. o. Anm. 82). Nach Ansicht von Leão/Rhodes 2015, 169 sei die dokimasía rhētórōn vermutlich im späten 5. Jh. eingeführt worden, um auch die Redner vor dem Volk einer Kontrolle zu unterziehen, die nicht gleichzeitig Amtsträger waren. Vgl. Kapparis 2018, 168: „Thus 4b [Aischin. Tim. 28–30] came into effect at some point in the 4th century, putting under the same heading a number of existing provisions with the intention of providing some safeguards intended to ensure that the city would not be led by unsuittable persons“. 89  Auch MacDowell 2005, 80 ist der Meinung, dass damit nicht Solon gemeint sein muss. 90 Zur dokimasía rhētórōn siehe auch Poll. 8,45: δοκιμασία δὲ τοῖς ἄρχουσιν ἐπηγγέλλετο, …, καὶ τοῖς δημαγωγοῖς, εἰ ἡταιρηκότες εἶεν ἢ τὰ πατρῷα κατεδηδοκότες ἢ τοὺς γονέας κεκακωκότες ἢ ἄλλως κακῶς βεβιωκότες· ἀτίμους γὰρ αὐτοὺς ἐχρῆν εἶναι καὶ μὴ λέγειν. – „Dokimasía wurde von den Amtsträgern gefordert, …, und von den Rednern vor dem Volk, wenn sie hētairēkótes waren oder den väterlichen Besitz verschwendet, die Eltern misshandelt oder ein anderes Vergehen begangen hatten. Denn zwangsläufig wurden sie ehrlos (átimoi) und durften nicht [vor dem Volk] reden“; vgl. Harpokr. δ 74 s. v. δοκιμασθείς. Kapparis 2018, 166. 91  Aischin. Tim. 134; Demosth. or. 19,284. Zu Aischin. Tim. 27–32 ausführlich MacDowell 2005, zur Strafe der Atimie ebd. 84 f. 92  MacDowell 2005, 86 mit Berufung auf Lys. 13,91.

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scher Zeit belegt – vermutlich in Einklang mit der solonischen Bestimmung – explizit den Ausschluss des hētairēkṓs auch von allen Ämtern und vor Gericht. In diesem aus klassischer Zeit stammenden eigenen Gesetz gegen die Prostitution war geregelt, dass demjenigen, der sich gegen Geld zur Unzucht hatte hergeben lassen (hetairízein), es nicht gestattet sei, Archont zu werden oder ein Priesteramt zu bekleiden, im Rat oder vor dem Volk zu reden, vor Gericht als Zeuge aufzutreten oder Geschworener zu werden und anderes mehr; und wer trotz dieses Verbots sich in dieser Weise betätige, werde mit dem Tod bestraft (s. u. F 99).93 Die Strafe ist in diesem Fall härter, weil es sich um einen bereits verurteilten hētairēkṓs handelt. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass mit hētairēkṓs ursprünglich nicht (nur) derjenige bezeichnet wurde, der sich eines unsittlichen Lebenswandels schuldig gemacht hatte, sondern auch derjenige, der durch ein Agieren mit oder zugunsten von hetaíroi politische oder rechtliche Verfahren unrechtmäßig beeinflusst hatte, „der sich als Gefährte (hetaíros) betätigt hatte“. Dafür gibt das in der Rede des Apollodoros Ge­ gen Stephanos eingelegte Gesetz gegen Bestechungen einen Hinweis. Es heißt darin: „Wenn einer [sich zum Sturz der Verfassung] mit anderen zusammenschließt oder gemeinschaftlich die (h)ēliaía oder einen der Gerichtshöfe (dikastēria) in Athen besticht oder den Rat [auf dem Areopag], indem er Geld zur Bestechung gibt oder nimmt, oder gemeinschaftlich eine hetaireía zur Auflösung der Demokratie bildet oder als synḗgoros Geld für private oder öffentliche Klagen nimmt, dann gehen diese öffentlichen Klagen (graphaí) an die Thesmotheten“.94 Redner sollten also aus eigener Überzeugung ihren Standpunkt vor dem Volk darlegen, nicht gemeinschaftlich auf eine Aufhebung der politischen Ordnung hinwirken, so wie es Kylon mit seinen hetaíroi getan hatte.95

93  Aischin. Tim. 19 f. (F 103 Ruschenbusch; Leão/Rhodes); es ist gut möglich, dass der hētairēkṓs deshalb nicht in dem in Demosth. or. 24,105 eingefügten Gesetz genannt ist, weil in diesem Fall die Todesstrafe drohte. Zum Verbot, selbst Klage zu erheben: And. 1,100. Zur graphḗ hetairḗseōs Lipsius 1905–15, 436 f.; Cohen 1991, 176. Möglicherweise hatte das in Diod. 12,21 genannte Verhalten von Frauen und Männern ebenfalls eine Atimie und damit einen Ausschluss von öffentlichen und heiligen Orten zur Folge. Ob der hētairēkṓs auch vom Besuch der Volksversammlung ausgeschlossen war, ist umstritten (Rainer 1986b, 106–113; Stephen C. Todd, Some Notes on the Regulation of Sexuality in Athenian Law, in: Symposion 2003. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte [Rauschholzhausen, 30. September – 3. Oktober 2003], hrsg. von Hans-Albert Rupprecht, Wien 2006, 93–111, hier 99) 94  Ps.-Demosth. or. 46,26: ΝΟΜΟΣ. Ἐάν τις συνιστῆται, ἢ συνδεκάζῃ τὴν ἡλιαίαν ἢ τῶν δικαστηρίων τι τῶν Ἀθήνησιν ἢ τὴν βουλὴν ἐπὶ δωροδοκίᾳ χρήματα διδοὺς ἢ δεχόμενος, ἢ ἑταιρείαν συνιστῇ ἐπὶ καταλύσει τοῦ δήμου, ἢ συνήγορος ὢν λαμβάνῃ χρήματα ἐπὶ ταῖς δίκαις ταῖς ἰδίαις ἢ δημοσίαις, τούτων εἶναι τὰς γραφὰς πρὸς τοὺς θεσμοθέτας. 95  So warnte auch Solon in einer seiner Elegien davor, dass die Stadt Athen zerrieben werde „in Zusammenschlüssen, den Verbrechern lieb“ (Solon fr. 4 West Z. 22: ἐν συνόδοις τοῖς ἀδικοῦσι φίλαις). Auch im Demophantos-Dekret von 410 v. Chr. war angeordnet, dass Schwurgemeinschaften aufgelöst werden müssten (And. 1,96–98). Ähnliches ist im Eid belegt, den die Bürger der taurischen Chersones nach Beendigung des Bürgerkriegs leisteten. Sie schworen, weder Verrat zu üben noch die Demokratie aufzulösen und „keine Schwurgemeinschaft (synōmosía) gegen die Gemeinschaft der Chersonesiten noch gegen einen der Bürger zu bilden“ (IosPE I2 401, Z. 36–39: οὐδὲ συνωμο[σί]αν συνομοῦμαι οὔτε κατὰ τοῦ κοιν[οῦ]

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Gesetze über die Amtsträger

Folgen der Atimie In klassischer Zeit war gegen átimoi, die ungeachtet der von einem Gericht ausgesprochenen Ehrlosigkeit ein Amt anstrebten, sich als Geschworene betätigten, Klage einreichten oder Gesetze beantragten oder überhaupt vor der Volksversammlung als Redner auftrat, éndeixis, also ‚Anzeige‘, möglich.96 Nachdem der Betreffende mittels éndeixis bei den Thesmotheten97 angezeigt worden war, wurde er in Haft genommen bzw. gegen Stellung von Bürgen wieder freigelassen.98 Die Thesmotheten leiteten anschließend ein Verfahren gegen den Angezeigten ein.99 Spätere Lexikographen bestätigen, dass eine ‚Anzeige‘, éndeixis, gegen denjenigen möglich war, der ein Amt auszuüben oder zu richten anstrebte, obwohl er ehrlos war oder der öffentlichen Kasse Geld schuldete. Eine solche Anzeige habe jedem Bürger zugestanden. Möglicherweise hatte sich im 6. Jh. an die Anzeige ein Verfahren vor dem Areopag angeschlossen, eine Kompetenz, die dem Areopag vermutlich durch die Reformen des Ephialtes genommen wurde. Einen sicheren Beleg dafür gibt es aber nicht.100 Es ist nicht auszuschließen, dass die gesetzliche Bestimmung, wie mit denjenigen verfahren werden sollte, die wegen Misshandlung der Eltern oder Feigheit vor dem Feind verurteilt worden und deswegen von Volksversammlung, Gerichtsverfahren und Ämtern ausgeschlossen waren, aber dem zuwiderhandelten, auf Solon zurückgeht. Das in Demosth. or. 24,105 eingelegte Gesetz, das von Demosthenes in or. 24,103 als solonisch bezeichnet wird, sieht vor, dass Personen, die trotz Atimie Rechte eines ehrbaren Bürgers für sich in Anspruch nahmen, zu den Elfmännern abgeführt werden konnten. Jeder, der wollte, konnte Klage erheben. Vermutlich war in diesen Fällen auch ‚Anzeige‘ (éndeixis) möglich, doch ist in dem Gesetz or. 24,105 nur von der apagōgḗ die Rede, vielleicht weil das Gesetz nicht von Beginn an zitiert wurde.101 Bei einem Schuldspruch

τοῦ Χερσονασιτᾶν οὔτε κατὰ τῶμ [πο]λιτᾶν οὐδενὸς, …; Astrid Dössel, Die Beilegung innerstaatlicher Konflikte in den griechischen Poleis vom 5.–3. Jahrhundert v. Chr., Frankfurt a. M. etc. 2003, 191, 194 f.). 96  Ausschluss von der Tätigkeit als Geschworener: Aristot. Ath. pol. 63,3; Ausschluss von der Möglichkeit, Strafklage einzureichen oder Personen mittels éndeixis anzuzeigen: Ps.-Demosth. or. 58,45. 97  Aristot. Ath. pol. 52,1. 98  Demosth. or. 24,144 u. 146; Lipsius 1905–15, 331. 99  Gesetz in Demosth. or. 24,22: καὶ ἔνδειξις αὐτῶν ἔστω πρὸς τοὺς θεσμοθέτας, καθάπερ ἐάν τις ἄρχῃ ὀφείλων τῷ δημοσίῳ· οἱ δὲ θεσμοθέται τοὺς ἐνδειχθέντας εἰσαγόντων εἰς τὸ δικαστήριον κατὰ τὸν νόμον, ἢ μὴ ἀνιόντων εἰς Ἄρειον πάγον, ὡς καταλύοντες τὴν ἐπανόρθωσιν τῶν νόμων. – „Und éndeixis gegen sie ist bei den Thesmotheten einzureichen möglich, so wie wenn einer ein Amt innehat, obwohl er der öffentlichen Kasse Geld schuldet. Die Thesmotheten sollen die Angezeigten in den Gerichtshof gemäß dem Gesetz einführen, andernfalls wird der Zuwiderhandelnde nicht in den Areopag aufgenommen, als einer, der die Wiederinkraftsetzung der Gesetze hintertrieben hat“. 100  Das in Demosth. or. 23,51 eingelegte Gesetz (F 34) könnte, wenn es Solon zuzuschreiben ist, ein frühes Verfahren der éndeixis (hier bei androphónoi) belegen. 101 Die éndeixis ist durch die Athenaion politeia für ein vergleichbares Verfahren belegt, nämlich für Athener, die trotz Atimie als Geschworene tätig werden wollen. Aristot. Ath. pol. 63,3: δικάζειν δ’ ἔξεστιν τοῖς ὑπὲρ λʹ ἔτη γεγονόσιν, ὅσοι αὐτῶν [μ]ὴ ὀφείλουσιν τῷ δημοσίῳ ἢ ἄτιμοί εἰσιν. ἐὰν δέ τι[ς] δικάζῃ οἷς

Historische Einordnung –Atimie (F 50–55)

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wurde eine körperliche Strafe oder eine Geldstrafe verhängt. War er zu einer Geldstrafe verurteilt worden, musste er in Haft bleiben, bis die Strafe bezahlt war (F 55). Auch wenn der Quellenbefund nicht eindeutig ist, lassen sich folgende Verfahren unterscheiden: 1. Vor Antritt des Amts: – Kandidaten für ein Amt wurden gefragt, ob sie die erforderliche Schatzung und das notwendige Alter aufwiesen. Kandidaten konnten vom Areopag vorgeladen und befragt werden, wovon sie leben und was sie tun. – Ausgeschlossen von Ämtern waren diejenigen, die durch Verurteilung zu Ehrlosen (átimoi) geworden oder Schuldner gegenüber der öffentlichen Kasse waren. – Nicht als Redner auftreten durfte derjenige, welche die Eltern misshandelt, das väterliche Vermögen zugrunde gerichtet, die Schlachtreihe verlassen oder sich als hētairēkṓs eines unsittlichen Lebenswandels schuldig gemacht hatte. Wer dennoch als Redner auftrat oder Anträge in der Volksversammlung stellte, gegen den konnte mittels epangelía eingeschritten werden. Er musste sich dann einer Überprüfung (dokimasía) stellen. Auch wenn die oben genannten Personengruppen nicht formell zu átimoi erklärt worden waren, konnten sie kein Amt übernehmen. – Wer wegen Feigheit (deilía), hetaírēsis oder Misshandlung der Eltern verurteilt und im Zuge dessen mit Atimie belegt worden war, aber dennoch an Volksversammlungen teilnahm, eine (öffentliche) Klage einreichte oder ein Amt übernehmen wollte, konnte abgeführt werden; er wurde zu einer Geldoder Körperstrafe verurteilt. 2. Am Ende der Amtszeit: – Wer sich der Untätigkeit im Amt, der argía, schuldig gemacht hatte, musste bei einer Verurteilung einhundert Drachmen Strafe zahlen; bei dreimaligem Schuldspruch wurde er átimos. Unterschlagung und Bestechung im Amt wurden wahrscheinlich härter bestraft; die Atimie erstreckte sich dann auch auf die Nachkommen.

μὴ ἔξεστιν, ἐνδείκνυται καὶ εἰς τὸ δικαστήριον εἰσάγετ[αι]· ἐὰν δ’ ἁλῷ, προστιμῶσιν αὐτῷ οἱ δικασταί, ὅ τι ἂν δοκῇ ἄξιος εἶναι παθεῖν ἢ ἀποτεῖσαι. ἐὰν δὲ ἀργυρίου τιμηθῇ, δεῖ αὐτὸν δεδέσ[θαι], ἕως ἂν ἐκτείσῃ τό τε πρότερον ὄφλημα ἐφ’ ᾧ ἐνεδείχθη, καὶ ὅ τι ἂν αὐτῷ προστιμήσῃ τ[ὸ δικ]αστήριον. – „Als Geschworene tätig werden können [alle Athener] über 30 Jahren, sofern sie gegenüber der öffentlichen Kasse keine Schulden haben und nicht ehrlos (átimoi) sind. Wenn ein Unbefugter als Geschworener tätig wird, wird er angezeigt (endeíknytai) und vor Gericht gebracht. Wird er verurteilt, legen die Richter nach ihrem Ermessen als zusätzliche Strafe fest (prostimán), was er zu erleiden oder zu bezahlen verdient hat. Wenn er mit einer Geldbuße (argýrion) belegt wird, soll man ihn in Haft nehmen, bis er sowohl die frühere Schuld, aufgrund derer er angezeigt wurde (endeichthḗnai), als auch die Buße, die das Gericht ihm zusätzlich auferlegte, bezahlt hat“.

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Gesetze über die Amtsträger

Literatur Atimie: Mogens Herman Hansen, Apagoge, Endeixis and Ephegesis against Kakourgoi, Atimoi and Pheugontes. A Study in the Athenian Administration of Justice in the Fourth Century B. C., Odense 1976; Serge Vleminck, La valeur de ἀτιμία dans le droit grec ancien, in: Les Études Classiques 49, 1981, 251–265; J. Michael Rainer, Über die Atimie in den griechischen Inschriften, in: ZPE 64, 1986a, 163–172; J. Michael Rainer, Zum Problem der Atimie als Verlust der bürgerlichen Rechte insbesondere bei männlichen homosexuellen Prostituierten, in: RIDA 32, 1986b, 89–114; Robert W. Wallace, Unconvicted or potential ‚atimoi‘ in Ancient Athens, in: Dike 1, 1998, 63–78; Maria S. Youni, Outlawry in Classical Athens: Nothing to Do with atimia, in: Symposion 2017. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Tel Aviv, 20.–23. August 2017), hrsg. von Gerhard Thür, Uri Yiftach, Rachel Zelnick-Abramovitz, Wien 2018, 137–155; Alberto Maffi, Out­ lawry and atimia: Response to Maria Youni, in: ebd. 157–161. Gesetz über die nach Attika Umsiedelnden: A. Aymard, Les étrangers dans les cités grecques aux temps classiques, in: L’étranger (Recueils de la société Jean Bodin 9), Brüssel 1958, 119–139; Cosimo Pagliara, Il νόμος τῶν δημοποιήτων di Solone, in: Annali della Facoltà di Lettere di Lecce 2, 1964–65, 5–19; Philippe Gauthier, Générosité romaine et avarice grecque, in: Andreas Alföldi (Hrsg.), Mélanges d’histoire ancienne offerts à William Seston, Paris 1974, 207–215; David Whitehead, The Ideology of the Athenian Metic, Cambridge 1977; Philippe Gauthier, La citoyenneté en Grèce et à Rome; participation et intégration, in: Ktèma 6, 1981, 167–179; Raphael Sealey, How Citizenship and the City began in Athens, in: AJAH 8, 1983, 97–129; Marie Françoise Baslez, L’étranger dans la Grèce antique, Paris 1984; David Whitehead, The Ideology of the Athenian Metic: Some Pendants and a Reappraisal, in: PCPhS 212, 1986, 145–158; Edmond Lévy, Métèques et droit de résidence, in: Raoul Lonis (Hrsg.), L’étranger dans le monde grec. Actes du colloque organisé par l’Institut d’Études Anciennes, Nancy 1988, 47–67; Philip B. Manville, The Origins of Citizenship in Ancient Athens, Princeton N. J. 1990; Nicole Loraux, The children of Athena: Athenian Ideas about Citizenship and the Division between the Sexes, Princeton NJ 1993; Peter Spahn, Fremde und Metöken in der athenischen Demokratie, in: Alexander Demandt (Hrsg.), Mit Fremden leben. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995, 37–56; György Németh, Metics in Athens, in: Acta Ant. Hung. 41, 2001, 331–348; James Watson, The Origin of Metic Status at Athens, in: Cambridge Classical Journal 56, 2010, 259–278; Susan Lape, Race and Citizen Identity in the Classical Athenian Democracy, Cambridge – New York 2010; Laura Loddo, La legge ateniese sull’interdizione degli stranieri dal mercato: da Solone ad Aristofonte di Azenia, in: Klio 100, 2018, 667–687; Athina Papachrysostomou, Solon’s Citizenship Law (Plu. Sol. 24.4), in: Historia 68, 2019, 2–10. Ausschluss des hētairēkṓs und anderer von der Rede vor dem Volk: J. Michael Rainer, Zum Problem der Atimie als Verlust der bürgerlichen Rechte insbesondere bei männlichen homosexuellen Prostituierten, in: RIDA 32, 1986, 89–114, hier 106–114; David Cohen, Law, Sexuality, and Society, Cambridge 1991, 176–182; Douglas M. MacDowell, The Athenian Procedure of Dokimasia of Orators, in: Symposion 2001. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Evanston, Illinois, 5.–8. September 2001), Wien 2005, 79–87; Lorenzo Gagliardi, The Athenian Procedure of Dokimasia of Orators. A Response to Douglas M. MacDowell, in: ebd. 89–97; Konstantinos Kapparis, Prostitution in the Ancient World, Berlin – Boston 2018, 161–171. Folgen der Atimie: C. Carey, Offence and Procedure in Athenian Law, in: Edward M. Harris, Lene Rubinstein (Hrsg.), The Law and the Courts in Ancient Greece, London 2004, 111–136; Adele Scafuro,

Atimie und Ausschluss vom Rednerplatz (F 50–55)

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Parent Abusers, Military Shirkers, and Accused Killers. The Authenticity of the Second Law Inserted at Dem. 24.105, in: Michael Gagarin, Robert Wallace (Hrsg.), Symposion 2001. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Evanston, Illinois, September 5–8, 2001), Wien 2005, 51–70 (mit David C. Mirhady, Response to A. Scafuro, in: ebd. 71–78); Edward M. Harris, Democracy and the Rule of Law in Classical Athens. Essays on Law, Society, and Politics, Cambridge – New York 2006; Mirko Canevaro, Thieves, Parent Abusers, Draft Dodgers … and Homicides? The Authenticity of Dem. 24.105, in: Historia 62, 2013, 25–47.

Atimie und Ausschluss vom Rednerplatz (F 50–55) F 50 Amnestie für Ehrlose, die wieder zu Ehrbaren wurden (F 50: T 418b Martina, F 70 Ruschenbusch, F 22/1 Leão/Rhodes)

F 50: Plutarch, Solon 19,4 (um 100 n. Chr.) ὁ δὲ τρισκαιδέκατος ἄξων τοῦ Σόλωνος τὸν ὄγδοον ἔχει τῶν νόμων οὕτως αὐτοῖς ὀνόμασι γεγραμμένον· „ἀτίμων· ὅσοι ἄτιμοι ἦσαν πρὶν ἢ Σόλωνα ἄρξαι ἐπιτίμους εἶναι, πλὴν ὅσοι …“ Der dreizehnte áxōn Solons hat als achtes der Gesetze (nómoi) folgendes mit diesen Worten verzeichnet: „Über die Ehrlosen (átimoi): Diejenigen, die ehrlos (átimoi) waren, bevor Solon als Archont im Amt war, sollen ehrbar (epítimoi) sein, außer denjenigen, … (F 51a).“

Bei der Angabe Plutarchs, das wörtliche Zitat sei das achte der solonischen Gesetze, lässt sich nicht entscheiden, ob es sich um das achte Gesetz auf dem 13. áxōn handelt102 oder um das achte Gesetz aller solonischen Gesetze, dasjenige, das sich auf dem 13. áxōn befindet.103 An den Anfang des Gesetzes ist ἀτίμων („über die Ehrlosen“) gesetzt, als eine Art Überschrift. F 51 Atimie wegen Errichtung einer Tyrannis und wegen Tötung (siehe F 1)

F 51a–b: Plutarch, Solon 19,4 und Aristoteles, Athenaion politeia 16,10 (F 1) Plutarch, Solon 19,4: ὁ δὲ τρισκαιδέκατος ἄξων τοῦ Σόλωνος τὸν ὄγδοον ἔχει τῶν νόμων οὕτως αὐτοῖς ὀνόμασι γεγραμμένον·

„ἀτίμων· ὅσοι ἄτιμοι ἦσαν πρὶν ἢ Σόλωνα ἄρξαι ἐπιτίμους εἶναι, πλὴν ὅσοι ἐξ ᾽Αρείου πάγου ἢ ὄσοι ἐκ τῶν ἐφετῶν ἢ ἐκ πρυτανείου καταδικασθέντες ὑπὸ τῶν βασιλέων ἐπὶ φόνῳ ἢ σφαγαῖσιν ἢ ἐπὶ τυραννίδι ἔφευγον [Hss. ἔφυγον] ὅτε ὁ θεσμὸς ἐφάνη ὅδε“.

102  Da Plutarch ein weiteres Gesetz vom 16. áxōn nennt, wäre in diesem Falle mit mindestens 150 bis 200 Gesetzen (bzw. gesetzlichen Bestimmungen) zu rechnen. Harpokration verweist auf das „21. der Gesetze“, was in der Literatur in aller Regel als „21. áxōn“ verstanden wird (siehe T 35a–b). 103  Als offene Frage bezeichnet dies auch Meyer 2016, 354 Anm. 126.

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Gesetze über die Amtsträger

Plutarch, Solon 19,4: Der dreizehnte áxōn Solons hat als achtes der Gesetze (nómoi) folgendes mit diesen Worten verzeichnet:

„Über die Ehrlosen (átimoi): Diejenigen, die ehrlos (átimoi) waren, bevor Solon als Archont im Amt war, sollen ehrbar (epítimoi) sein, außer denjenigen, die vom Areopag, oder denjenigen, die von den ephétai oder vom Prytaneion – von den basileís wegen Tötung oder Abschlachtens oder wegen Errichtung einer Tyrannis abgeurteilt – [aus Attika] geflohen sind (épheugon), als diese Satzung (thesmós) erlassen wurde“. Aristoteles, Athenaion politeia 16,10: ἦσαν δὲ καὶ τοῖς Ἀθηναίοις οἱ περὶ τῶν τυράννων νόμοι πρᾷοι κατ᾽ ἐκείνους τοὺς καιροὺς οἵ τε ἄλλοι καὶ δὴ καὶ ὁ μάλιστα καθήκων πρὸς τὴν τῆς τυραννίδος ‹κατάστασιν›. νόμος γὰρ αὐτοῖς ἦν ὅδε·

„θέσμια τάδε ᾽Αθηναίων ἐστὶ καὶ πάτρια· ἐάν τινες τυραννεῖν ἐπανιστῶνται ἐπὶ τυραννίδι ἢ συγκαθιστῇ τὴν τυραννίδα, ἄτιμον εἶναι καὶ αὐτὸν καὶ γένος“. Aristoteles, Athenaion politeia 16,10: Und bei den Athenern waren die Gesetze (nómoi) über Tyrannen in jenen Zeiten [zur Zeit des Peisistratos] milde und unter anderen ganz besonders dasjenige gegen die Errichtung einer Tyrannis. Bei ihnen bestand nämlich Folgendes als Gesetz (nómos):

„Rechtlich festgesetzt (thésmia) und althergebracht (pátria) ist für die Athener dies: Wenn irgendwelche sich zur Errichtung einer Tyrannis erheben oder einer die Tyrannis miteinsetzt, der sei ehrlos (átimos), er selbst und seine Familie (génos)“.

Zum weiteren Kommentar und zum textkritischen Apparat s. o. F 1. vgl. Aristot. Ath. pol. 13,5: προσεκεκόσμηντο δὲ τούτοις οἵ τε ἀφ[ῃ]ρημένοι τὰ χρέα διὰ τὴν ἀπορ[ί]αν, καὶ οἱ τῷ γένει μὴ καθαροὶ διὰ τὸν φόβον· σημεῖον δ’, ὅτι μετὰ τὴν [τῶν] τυράννων κατάλυσιν ἐποίησαν διαψηφισμόν, ὡς πολλῶν κοινωνούντων τῆς πολιτείας οὐ προσῆκον. „Diesen [den Anhängern des Peisistratos] hatten sich aufgrund ihrer Mittellosigkeit diejenigen, die ihre Schuldforderungen eingebüßt hatten, und aufgrund von Furcht diejenigen, die von den Vorfahren her (génei) als befleckt (mḗ katharoí) galten, angeschlossen. Ein Beweis dafür ist, dass man nach dem Sturz der Tyrannen eine Überprüfung (diapsēphismós) durchführte, weil viele an der politischen Ordnung teilhatten, denen dies nicht zustand“.

Nach Ath. pol. 13,5 hätten sich Nachfahren derjenigen, die am Tyrannisversuch Kylons oder an der Tötung der Kylonanhänger beteiligt gewesen und die deswegen verflucht worden waren, Peisistratos angeschlossen, weil sie befürchteten, von allen Ämtern ausgeschlossen zu sein, da sie als ‚befleckt‘ (μὴ καθαροί) galten. Bei der anderen Gruppe von Unterstützern (οἵ τε ἀφῃρημένοι τὰ χρέα) ist nicht sicher, ob es diejenigen Mitglieder einer reichen Oberschicht waren, die durch die Aufhebung aller Schulden viel Vermögen verloren hatten und damit keinen Anteil mehr an der politischen Teilhabe beanspruchen konnten, weil sie die notwendige Schatzungsvoraussetzung nicht erfüllten, oder ob es Angehörige der niederen Schichten waren, die zwar von den Schulden entlastet, aber aus Armut de facto von einer politischen Teilhabe ausgeschlossen waren.104 Da beide Gruppen in syntaktisch paralleler Formulierung genannt sind, er-

104  Zu beiden Möglichkeiten der Übersetzung Chambers 1990, 197.

Atimie und Ausschluss vom Rednerplatz (F 50–55)

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scheint ersteres wahrscheinlicher; der Autor gäbe damit einen weiteren Hinweis dafür, dass für die Bekleidung eines Amts geprüft wurde, ob der Zensus erbracht war, und áti­ moi von Ämtern ausgeschlossen waren. Wie nach dem Sturz der Tyrannis eine Überprüfung in Form eines diapsēphismós durchgeführt wurde, bleibt unklar, auch hinsichtlich der Frage, ob Personen, die sich ins athenische Bürgerrecht eingeschlichen hatten, oder solche Athener überprüft wurden, die ungerechtfertigterweise Ämter bekleidet hatten.105 Nach dem Sturz der Tyrannis waren jedenfalls Personen, die als befleckt galten und weitere Anhänger des Tyrannen als átimoi erneut von einer politischen Partizipation ausgeschlossen worden. Aristoteles wirft in der Politik dem Kleisthenes vor, er habe seinerseits nach der Vertreibung der Tyrannen „viele aus der Fremde kommende und von Sklaven abstammende Metöken in die Phylen aufgenommen.“ Aristoteles stellt in Frage, ob diese Personen mit Recht Bürger seien, und spielt damit möglicherweise auf das Gesetz Solons an, dass metoikizómenoi keine Teilhabe an der politeía haben sollten, Kleisthenes sie also rechtswidrig in die Phylen habe einschreiben lassen.106 F 52 Gesetz über die wegen Tötung aus Attika Verbannten und über die nach Attika übersiedelnden Fremden (F 52a: T 332 Martina, F 75 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 52b: T 480 Martina; F 117 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 52a: Plutarch, Solon 24,4 (um 100 n. Chr.) (= F 103d) Παρέχει δ’ ἀπορίαν καὶ ὁ τῶν δημοποιήτων νόμος, ὅτι γενέσθαι πολίτας οὐ δίδωσι πλὴν τοῖς φεύγουσιν ἀειφυγίᾳ τὴν ἑαυτῶν ἢ πανεστίοις Ἀθήναζε μετοικιζομένοις ἐπὶ τέχνῃ. τοῦτο δὲ ποιῆσαί φασιν αὐτὸν οὐχ οὕτως ἀπελαύνοντα τοὺς ἄλλους, ὡς κατακαλούμενον Ἀθήναζε τούτους ἐπὶ βεβαίῳ τῷ μεθέξειν τῆς πολιτείας, καὶ ἅμα πιστοὺς νομίζοντα τοὺς μὲν ἀποβεβληκότας τὴν ἑαυτῶν διὰ τὴν ἀνάγκην, τοὺς δ’ ἀπολελοιπότας διὰ τὴν γνώμην.

105  Wegen dieser Unklarheiten wird häufig an der Historizität des diapsēphismós gezweifelt [im Übrigen gibt der Papyrus die Lesung δ(ια)ψημισμό(ν)]; siehe dagegen allerdings Karl-Wilhelm Welwei, Der „Diapsephismos“ nach dem Sturz der Peisistratiden, in: Gymnasium 74, 1967, 423–437 (= ders., Polis und Arché. Kleine Schriften zu Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen in der griechischen Welt, Stuttgart 2000, 155–169); ders. 1992, 222 f.; zweifelnd Chambers 1990, 198. Rhodes 1981, 188 und Edward E. Cohen, The Athenian Nation, Princeton/New Jersey 2000, 63 f. beziehen die Prüfung auf eine unrechtmäßige Einbürgerung neuer polítai. 106  Aristot. pol. 3,2, 1275b 34–39: ἀλλ’ ἴσως ἐκεῖνο μᾶλλον ἔχει ἀπορίαν, ὅσοι μετέσχον μεταβολῆς γενομένης πολιτείας, οἷον ‹ἃ› Ἀθήνησιν ἐποίησε Κλεισθένης μετὰ τὴν τῶν τυράννων ἐκβολήν· πολλοὺς γὰρ ἐφυλέτευσε ξένους καὶ δούλους μετοίκους. τὸ δ’ ἀμφισβήτημα πρὸς τούτους ἐστὶν οὐ τίς πολίτης, ἀλλὰ πότερον ἀδίκως ἢ δικαίως. – „Aber vielleicht stellt dies eine größere Schwierigkeit dar, wenn Personen infolge eines Umsturzes Teilhabe an der politeía erhalten, wie es in Athen Kleisthenes nach der Vertreibung der Tyrannen getan hat. Denn er nahm viele fremde und [ehemals] unfreie Metöken in die Phylen auf. Bei diesen ist nicht strittig, wer Bürger ist, sondern ob sie es rechtswidrig oder rechtmäßig sind“. Vgl. dazu Nick Fisher, Athletics and Citizenship, in: Alain Duplouy, Roger Brock (Hrsg.), Defining Citizen­ ship in Archaic Greece, Oxford 2018, 189–225, hier 210 f.

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Gesetze über die Amtsträger

App. crit.: πολίταις ϒ; φησὶν ϒ.

Probleme beim Verständnis (aporía) bereitet auch das Gesetz über die Einbürgerungen (nó­ mos tṓn dēmopoiḗtōn), weil es Bürger (polítēs) zu werden nur denen gestattet, die in immerwährender Flucht (aeiphygía) die eigene [Stadt] verlassen haben (pheúgontes) oder die mit ihrem gesamten Hausstand (panhéstioi) zur Ausübung eines Gewerbes (téchnē) nach Athen übergesiedelt sind (metoikizómenoi). Dies aber, meint man, habe er nicht getan, um auf diese Weise andere (álloi) abzuhalten [nach Athen überzusiedeln], als vielmehr diejenigen nach Athen herbeizurufen, in der sicheren Erwartung auf Teilhabe an der politischen Ordnung (politeía), und die für zuverlässige [Menschen] zu halten, die entweder ihrer Stadt durch Zwang beraubt waren oder sie aus eigenem Entschluss verlassen hatten.

F 52b: Demosthenes, Gegen Eubulides (or. 57) 30–32 (346/45 v. Chr.) (30) καίτοι, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, οὐ μόνον παρὰ τὸ ψήφισμα τὰ περὶ τὴν ἀγορὰν διέβαλλεν ἡμᾶς Εὐβουλίδης, ἀλλὰ καὶ παρὰ τοὺς νόμους, οἳ κελεύουσιν ἔνοχον εἶναι τῇ κακηγορίᾳ τὸν τὴν ἐργασίαν τὴν ἐν τῇ ἀγορᾷ ἢ τῶν πολιτῶν ἢ τῶν πολιτίδων ὀνειδίζοντά τινι. (31) … καὶ εἴ σοί ἐστιν τοῦτο σημεῖον, ὦ Εὐβουλίδη, τοῦ μὴ Ἀθηναίους εἶναι [ἡμᾶς], ἐγώ σοι τούτου ὅλως τοὐναντίον ἐπιδείξω, ὅτι οὐκ ἔξεστιν ξένῳ ἐν τῇ ἀγορᾷ ἐργάζεσθαι. καί μοι λαβὼν ἀνάγνωθι πρῶτον τὸν Σόλωνος νόμον. ΝΟΜΟΣ.

(32) Λαβὲ δὴ καὶ τὸν Ἀριστοφῶντος· οὕτω γάρ, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, τοῦτον ἔδοξεν ἐκεῖνος καλῶς καὶ δημοτικῶς νομοθετῆσαι, ὥστ’ ἐψηφίσασθε πάλιν ἀνανεώσασθαι. ΝΟΜΟΣ.

Προσήκει τοίνυν ὑμῖν βοηθοῦσι τοῖς νόμοις μὴ τοὺς ἐργαζομένους ξένους νομίζειν, ἀλλὰ τοὺς συκοφαντοῦντας πονηρούς. … App. crit.: (30) τὸ ψήφισμα Blass, τὰ ψηφίσματα codd.; διέβαλεν D; κακηγορίᾳ Wolf, κατηγορίᾳ codd.; ἢ ante τῶν πολιτῶν om. A1; ὀνειδίζοντι SQ; (31) τοῦ μὴ: τοῦ om. A; ἡμᾶς εἶναι A, [ἡμᾶς] Rosenberg; (32) ψηφίσασθαι SFQD; πάλιν SFQ, πάλιν τὸν αὐτὸν AF γρ. Q γρ., πάλιν αὐτὸν D.

(30) Der Vorwurf nämlich, welchen Eubulides sich gegen uns erlaubt hat, Athener, steht nicht allein mit dem den Marktverkehr betreffenden Beschluss (psḗphisma), sondern auch mit den Gesetzen (nómoi) in Widerspruch, die denjenigen der Verleumdung (kakēgoría) für schuldig befinden, der einem Bürger oder einer Bürgerin das auf dem Markt (agorá) betriebene Gewerbe (ergasía) zum Vorwurf macht. (31) … und wenn dir dies als Beweis gilt, Eubulides, dass wir keine Athener sind, so will ich dir das genaue Gegenteil aufzeigen, dass es nämlich einem Fremden (xénos) nicht möglich ist, sich auf der Agora zu betätigen (ergázesthai). Nimm mir zunächst das Gesetz Solons und lies es vor. Gesetz

(32) Nimm nun auch das [Gesetz] des Aristophon. Denn es schien, Athener, dass jener [Solon] ein so vortreffliches und volkfreundliches Gesetz erlassen hat, dass ihr beschlossen habt, es zu erneuern. Gesetz

An euch ist es also, den Gesetzen Geltung zu verschaffen und nicht die, die ein Gewerbe betreiben, als Fremde (xénoi) anzusehen, sondern die Sykophanten als Schurken. …

Atimie und Ausschluss vom Rednerplatz (F 50–55)

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F 52c: Dionysios von Halikarnass, Antiquitates 3,11,3–4 (um Chr. Geburt) (3) … ἐπειδὴ δὲ καὶ τοὺς βίους τῶν πόλεων ἀντιπαρεξετάζειν ἀλλήλοις ἐπεχείρεις, ὦ Φουφέττιε, λέγων ὅτι τὸ μὲν Ἀλβανῶν εὐγενὲς ὅμοιον ἀεὶ διαμένει, τὸ δ’ ἡμέτερον ἐξέφθαρται ταῖς ἐπιμιξίαις τοῦ ἀλλοφύλου, καὶ οὐκ ἠξίους ἄρχειν τῶν γνησίων τοὺς νόθους οὐδὲ τῶν αὐθιγενῶν τοὺς ἐπήλυδας, μάθε καὶ κατὰ τοῦτο ἁμαρτάνων μάλιστα τὸ δικαίωμα. (4) ἡμεῖς γὰρ τοσούτου δέομεν αἰσχύνεσθαι κοινὴν ἀναδείξαντες τὴν πόλιν τοῖς βουλομένοις, ὥστε καὶ σεμνυνόμεθα ἐπὶ τούτῳ μάλιστα τῷ ἔργῳ, οὐκ αὐτοὶ τοῦ ζήλου τοῦδε ἄρξαντες, παρὰ δὲ τῆς Ἀθηναίων πόλεως τὸ παράδειγμα λαβόντες, ἧς μέγιστον κλέος ἐν Ἕλλησίν ἐστι, καὶ διὰ τοῦτο οὐχ ἥκιστα εἰ μὴ καὶ μάλιστα τὸ πολίτευμα. App. crit.: (3) ἐπεχείρεις B, ἐπεχειρεῖς R; διέφθαρται Cobet; (4) τοσοῦτο B; εἰ μὴ καὶ A, καὶ om. B, εἰ μὴ καὶ μάλιστα del. Cobet.

(3) Da du auch die Lebensart der Städte miteinander zu vergleichen unternommen hast, Fufetius, und behauptetest, die ursprüngliche Abstammung (tó eugenés) der Bürger Albas bleibe immer dieselbe, unsere aber sei verdorben durch Beimischungen mit Fremdstämmigem (allóphylon), und über die rechtmäßig Geborenen (gnḗsioi) dürften nicht Bastarde (nóthoi), über die Einheimischen (authigeneís) nicht Einwanderer (epḗlydes) herrschen, so wisse, dass du auch bei dieser Behauptung vollkommen in die Irre gehst. (4) Weit entfernt davon, uns dafür zu schämen, all denen, die es wollen, unsere Stadt als gemeinsamen Wohnsitz angezeigt zu haben, sind wir darauf sogar am meisten stolz: Wir haben dieses ehrgeizige Unterfangen ja gar nicht als erste unternommen, sondern uns ein Beispiel an der Stadt der Athener genommen, die unter den Griechen den höchsten Ruhm hat, und zwar nicht zum wenigsten, vielleicht sogar hauptsächlich, wegen dieses politischen Grundsatzes (políteuma).

Diese dem dritten römischen König Tullus in den Mund gelegte Argumentation lässt sich unterschiedlich deuten. Weist Tullus die Behauptung des Fufetius zurück, weil es nicht stimmte, dass Rom ‚Fremdstämmige‘ in die Bürgerschaft aufgenommen und dadurch zugelassen habe, dass Nachfahren aus Ehen von Römern und Fremden die Oberhand gewonnen hätten, oder ist er der Meinung, dass eine solche Aufnahme von Fremden in die Bürgerschaft keine nachteiligen Folgen gehabt hätte? Nennt Tullus als Beispiel die Stadt Athen dafür, dass die Athener durch die Aufnahme vieler Fremder in die Bürgerschaft groß geworden und zu höchstem Ruhm gelangt seien, oder dafür, dass sie zwar viele Zuwanderer in die Stadt aufgenommen, aber ihnen nicht das Bürgerrecht verliehen hatten und damit verhinderten, dass nóthoi und Zuwanderer die Einheimischen dominierten? Da Dionysios in Ant. 2,17,1 die Griechen und insbesondere Spartaner, Thebaner und Athener kritisiert, dass sie niemanden oder nur sehr wenige in ihre Bürgerschaft integriert, sie dadurch aber den größten Schaden erlitten hatten – nämlich in der Niederlage von Chaironeia 338 v. Chr. –, ist auch in 3,11,4 davon auszugehen, dass Athen als Beispiel für eine Stadt angeführt wird, die zwar viele Fremde aufnahm, es aber nicht zuließ, dass Kinder aus nicht rechtmäßigen Ehen oder Zuwanderer das politische System dominierten. Die Zurückweisung von nóthoi wird auf das Bürgerrechtsgesetz des Perikles bezogen sein, durch das Kinder athenischer Väter und fremder Mütter, aber auch athenischer Mütter und fremder Väter vom athenischen Bürgerrecht ausgeschlossen wurden; das Ziel, es nicht zuzulassen, dass

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Gesetze über die Amtsträger

die Zuwanderer über die Einheimischen herrschten (árchein), könnte Dionysios von Halikarnass aus dem Gesetz Solons herausgelesen haben, Personen, „die mit ihrem gesamten Hausstand zur Ausübung eines Gewerbes nach Athen übergesiedelt sind (metoikizómenoi)“ nicht in die Bürgerschaft aufzunehmen, ein Gesetz, das verhinderte oder zumindest erschwerte, dass Metöken nach der Wiederherstellung der Demokratie im Jahr 404/3 v. Chr. oder nach der Schlacht von Chaironeia 338 v. Chr. zu Bürgern wurden. F 53 weitere Fälle von Atimie (F 53b: T 424a Martina; F 104b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 53c: F 110 Ruschenbusch; F 110/a Leão/Rhodes)

F 53a: Andokides, Über die Mysterien (or. 1) 73–74 (399 v. Chr.) (73) Ἐπεὶ γὰρ αἱ νῆες διεφθάρησαν καὶ ἡ πολιορκία ἐγένετο, ἐβουλεύσασθε περὶ ὁμονοίας, καὶ ἔδοξεν ὑμῖν τοὺς ἀτίμους ἐπιτίμους ποιῆσαι, καὶ εἶπε τὴν γνώμην Πατροκλείδης. Οἱ δὲ ἄτιμοι τίνες ἦσαν, καὶ τίνα τρόπον ἕκαστοι; ἐγὼ ὑμᾶς διδάξω. Οἱ μὲν ἀργύριον ὀφείλοντες τῷ δημοσίῳ, ὁπόσοι εὐθύνας ὦφλον ἄρξαντες ἀρχάς, ἢ ἐξούλας ἢ γραφὰς ἢ ἐπιβολὰς ὦφλον, ἢ ὠνὰς πριάμενοι ἐκ τοῦ δημοσίου μὴ κατέβαλον τὰ χρήματα, ἢ ἐγγύας ἠγγυήσαντο πρὸς τὸ δημόσιον· τούτοις ἡ μὲν ἔκτεισις ἦν ἐπὶ τῆς ἐνάτης πρυτανείας, εἰ δὲ μή, διπλάσιον ὀφείλειν καὶ τὰ κτήματα αὐτῶν πεπρᾶσθαι. (74) Εἷς μὲν τρόπος οὗτος ἀτιμίας ἦν, ἕτερος δὲ ὧν τὰ μὲν σώματα ἄτιμα ἦν, τὴν δ’ οὐσίαν εἶχον καὶ ἐκέκτηντο· οὗτοι δ’ αὖ ἦσαν ὁπόσοι κλοπῆς ἢ δώρων ὄφλοιεν· τούτους ἔδει καὶ αὐτοὺς καὶ τοὺς ἐκ τούτων ἀτίμους εἶναι· καὶ ὁπόσοι λίποιεν τὴν τάξιν ἢ ἀστρατείας ἢ δειλίας ἢ ἀναυμαχίου ὄφλοιεν ἢ τὴν ἀσπίδα ἀποβάλοιεν, ἢ τρὶς ψευδομαρτυρίων ἢ τρὶς ψευδοκλητείας ὄφλοιεν, ἢ τοὺς γονέας κακῶς ποιοῖεν· οὗτοι πάντες ἄτιμοι ἦσαν τὰ σώματα, τὰ δὲ χρήματα εἶχον. App. crit.: (73) ὤφειλον: ὦφλον Reiske; ἄρξαντας: ἄρξαντες Ald.; ἐπιβουλὰς: ἐπιβολὰς Estienne; ἐγγυήσαντες Sluiter, ἐγγυησάμενοι R. Schöll; ἔκτισις: ἔκτεισις Blass; (74) ἔσχον: εἶχον Bekker.

(73) Denn als sie die Schiffe zerstört und mit der Belagerung der Stadt begonnen hatten, habt ihr über die Eintracht [in der Stadt] beraten und beschlossen, die Ehrlosen (átimoi) wieder zu Ehrbaren (epítimoi) zu machen. Patrokleides hat den Antrag gestellt. Wer aber waren die átimoi und auf welche Weise war jeder einzelne ehrlos geworden? Ich werde es euch aufzeigen. Die einen schuldeten der öffentlichen Kasse Geld, weil sie es nach Ausübung von Ämtern infolge der Rechenschaftslegung (eúthynai) schuldeten oder infolge von exoúlai oder graphaí oder epibolaí [Strafzahlungen], oder weil diejenigen, die das Eintreiben von Steuern und Abgaben gepachtet hatten, die Gelder nicht entrichteten, oder weil sie Bürgen [für diese Zahlungen] gegenüber der öffentlichen Kasse waren. Dafür galt eine Zahlung bis zur neunten Prytanie; zahlten sie nicht, schuldeten sie das Doppelte und ihr Vermögen wurde verkauft. (74) Dies war eine Form der atimía [bei Schuldnern gegenüber der öffentlichen Kasse], eine zweite die, bei denen die Personen (sṓmata) zwar átimoi waren, sie ihr Vermögen aber in Besitz behielten. Dazu gehörten auch diejenigen, die des Diebstahls oder der Bestechung schuldig waren. Bei diesen galt, dass sie selbst und ihre Nachkommen átimoi waren. Und die, die die Schlachtordnung verlassen hatten, sich der Entziehung des Kriegsdienstes (astrateía), der Feigheit (deilía), der Entziehung vom Flottendienst (anaumachía) schuldig gemacht oder den Schild weggeworfen oder sich dreimal wegen falschen Zeugnisses oder eines falschen Zeugnisses bei der Vorladung

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schuldig gemacht oder die Eltern misshandelt hatten. Alle diese waren átimoi hinsichtlich der Person (sṓma), behielten aber ihr Vermögen.

F 53b: Lysias, Gegen Nikides (fragmenta or. 113) fr. 246 Carey (100 Thalheim, 48 Blass) (Anfang 4. Jh.) (= F 54b, 59b) (Diog. Laert. 1,55)

Δοκεῖ δὲ καὶ κάλλιστα νομοθετῆσαι· ἐάν τις μὴ τρέφῃ τοὺς γονέας, ἄτιμος ἔστω· ἀλλὰ καὶ ὁ τὰ πατρῷα κατεδηδοκὼς ὁμοίως. καὶ ὁ ἀργὸς ὑπεύθυνος ἔστω παντὶ τῷ βουλομένῳ γράφεσθαι. Λυσίας δ’ ἐν τῷ κατὰ Νικίδου Δράκοντά φησι γεγραφέναι τὸν νόμον, Σόλωνα δὲ τεθηκέναι τὸν ἡταιρηκότα εἴργειν τοῦ βήματος. App. crit.: Νικίδου Roeper, νεικείδου B, νικώδου Fac, Νικίου P.

Er [Solon] hat, wie es scheint, in der Gesetzgebung aufs Beste gewirkt. Wenn einer die Eltern nicht ernährt, sei er ehrlos (átimos). Und auch derjenige sei gleichermaßen [ehrlos], der das väterliche Erbe zugrunde gerichtet hat. Und der Untätige (argós) kann, da er rechenschaftspflichtig (hypeúthynos) ist, von jedem Beliebigen (pás ho boulómenos) mittels Schriftklage angeklagt werden (gráphesthai) (F 59b). Lysias sagt in der [Rede] Gegen Nikides, dass Drakon das Gesetz (nómos) erlassen, Solon aber auch dasjenige aufgestellt habe, das den hētairēkṓs vom Rednerplatz ausschließt (F 54b).

F 53c: Aischines, Gegen Ktesiphon (or. 3) 175 f. (336 v. Chr.) (175) Ὁ γὰρ Σόλων ὁ παλαιὸς νομοθέτης ἐν τοῖς αὐτοῖς ἐπιτιμίοις ᾤετο δεῖν ἐνέχεσθαι τὸν ἀστράτευτον καὶ τὸν λελοιπότα τὴν τάξιν καὶ τὸν δειλὸν ὁμοίως· εἰσὶ γὰρ καὶ δειλίας γραφαί. Καίτοι θαυμάσειεν ἄν τις ὑμῶν εἰ εἰσὶ φύσεως γραφαί. Εἰσίν. Τίνος ἕνεκα; ἵν’ ἕκαστος ἡμῶν τὰς ἐκ τῶν νόμων ζημίας φοβούμενος μᾶλλον ἢ τοὺς πολεμίους, ἀμείνων ἀγωνιστὴς ὑπὲρ τῆς πατρίδος ὑπάρχῃ. (176) Ὁ μὲν τοίνυν νομοθέτης τὸν ἀστράτευτον καὶ τὸν δειλὸν καὶ τὸν λιπόντα τὴν τάξιν ἔξω τῶν περιραντηρίων τῆς ἀγορᾶς ἐξείργει, καὶ οὐκ ἐᾷ στεφανοῦσθαι, οὐδ’ εἰσιέναι εἰς τὰ ἱερὰ τὰ δημοτελῆ. App. crit.: γὰρ] δὲ el; εἰσὶ … γραφαί del. Bake W.; καίτοι … γραφαί om. A; ἡμῶν A; ἀμείνων] μάλ᾽ ἀμείνων c C; ὑπάρχοι a C, γίγνηται A W; περιρραντηρίων codd.

(175) Denn der alte Gesetzgeber (nomothétēs) Solon hielt es für angebracht, dass der Feige gleichermaßen wie der, der sich dem Kriegsdienst entzieht oder die Schlachtordnung verlässt, denselben zusätzlichen Strafen (epitímia) unterliegt. Für sie nämlich gibt es die Klagen wegen Feigheit (deilías graphaí). Der ein oder andere von euch mag sich jedoch wundern, ob es [tatsächlich] solche graphaí phýseōs gibt. Es gibt sie. Weswegen? Damit ein jeder von euch die in den Gesetzen festgelegten Strafen (zēmíai) mehr fürchtet als die Feinde und ein besserer Kämpfer für das Vaterland sein kann. (176) Deshalb hat der Gesetzgeber den Feigen, den, der sich dem Kriegsdienst entzogen oder die Schlachtordnung verlassen hat, von den geweihten Stätten (perirhantḗria) der Agora ausgeschlossen und nicht zugelassen, dass er bekränzt wird oder an den aus öffentlichen Mitteln bestrittenen Kultfeiern (hierá dēmotelḗ) betritt.

‚Ehrlos‘, átimos, wurde ein Athener, wenn er sich dem Kriegsdienst entzogen, während des Kampfes die Schlachtordnung verlassen oder sich im Kampf als feige erwiesen hatte, was insbesondere darin zum Ausdruck kam, dass er den Schild weggeworfen

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Gesetze über die Amtsträger

hatte.107 In der Rede des Aischines Gegen Ktesiphon (F 53c) sind genau diese drei Fälle von Feigheit vor dem Feind als strafwürdige Fälle genannt, für die Solon eine graphḗ deilías vorgesehen hat. Aischines teilt nicht mit, welche Strafen in diesen Fällen verhängt wurden; als Zusatzstrafe galt aber die Atimie unter Beibehaltung des eigenen Besitzes, aber mit Ausschluss von den geweihten Stätten auf der Agora. Im Laufe der Zeit wird der Katalog der Vergehen, die eine Atimie zur Folge hatten, angewachsen sein, so dass nicht mit Sicherheit zu klären ist, welche für ehrlos erklärte Personen bereits von Solon von politischer Tätigkeit ausgeschlossen wurden. F 54 Ausschluss des hētairēkṓs und anderer Personen vom Rednerplatz (F 54b: T 424a Martina; F 104b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 54d: T 413 Martina; F 104c Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 54e: T 375 Martina; F 104a Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 54a: Lysias, Gegen Theomnestos (or. 10) 1 (ca. 403–380 v. Chr.) πολλοὺς γὰρ ὑμῶν ὁρῶ δικάζοντας τῶν τότε παρόντων, ὅτε Λυσίθεος Θεόμνηστον εἰσήγγελλε τὰ ὅπλα ἀποβεβληκότα, οὐκ ἐξὸν αὐτῷ, δημηγορεῖν· ἐν ἐκείνῳ γὰρ τῷ ἀγῶνι τὸν πατέρα μ’ ἔφασκεν ἀπεκτονέναι τὸν ἐμαυτοῦ. App. crit.: ἐπήγγελλε Gernet – Bizos.

Denn ich sehe, dass viele von euch schon damals als Geschworene dabei waren, als Lysitheos gegen Theomnestos Anklage erhob (eisangéllein), dass es diesem nicht gestattet sei, vor dem Volk zu reden, weil er die Waffen weggeworfen hatte. Schon in jenem Prozess (agṓn) behauptete er, ich hätte meinen eigenen Vater getötet.

Michael Hillgruber und Douglas M. MacDowell sprechen sich dafür aus, die im Text überlieferte Lesung εἰσήγγελλε beizubehalten, das sich aber nicht in spezifischem Sinne auf die Klageform der eisangelía beziehe, sondern im allgemeinen Sinne von ‚(eine Klage) einreichen‘.108 In dem Dokimasieverfahren haben sich die Kontrahenten gegenseitig vorgeworfen, nicht berechtigt zu sein, vor dem Volk zu sprechen. F 54b: Lysias, Gegen Nikides (fragmenta or. 113) fr. 246 Carey (100 Thalheim, 48 Blass) (ca. 403–380 v. Chr.) (= F 53b, 59b) (Diog. Laert. 1,55)

Λυσίας δ’ ἐν τῷ κατὰ Νικίδου Δράκοντά φησι γεγραφέναι τὸν νόμον, Σόλωνα δὲ τεθηκέναι τὸν ἡταιρηκότα εἴργειν τοῦ βήματος.

107  Aischin. Tim. 28 (F 54e). 108  Michael Hillgruber, Die zehnte Rede des Lysias, Berlin 1988, 31; MacDowell 2005, 83; vgl. auch Gagliardi 2005, 93. Zur Frage, ob εἰσήγγελλε in ἐπήγγελλε zu verbessern ist, auch Fisher 2001 (wie Anm. 110), 158.

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App. crit.: Νικίδου Roeper, νεικείδου B, νικώδου Fac, Νικίου P.

Lysias sagt in der [Rede] Gegen Nikides, dass Drakon das Gesetz (nómos) erlassen, Solon aber auch dasjenige aufgestellt habe, das den hētairēkṓs vom Rednerplatz ausschließt.

F 54c: Andokides, Über die Mysterien 100 (399 v. Chr.) Ἀλλ’ ὅμως οὗτος ἑτέρων τολμᾷ κατηγορεῖν, ᾧ κατὰ τοὺς νόμους τοὺς ὑμετέρους οὐδ’ αὐτῷ ὑπὲρ αὑτοῦ ἔστιν ἀπολογεῖσθαι. App. crit.: ἑτέρων Reiske, ἑταιρῶν codd.

Aber ungeachtet dessen, dass ihm gemäß euren Gesetzen nicht einmal erlaubt ist, sich selbst zu verteidigen [wegen seines schändlichen Lebenswandels], scheut er sich nicht, andere anzuklagen.

F 54d: Demosthenes, Gegen Androtion (or. 22) 29–30 (355/54 v. Chr.) (29) τὸν αὐτὸν δὴ τρόπον, Ἀνδροτίων, καὶ σὺ μὴ διὰ ταῦτ’ οἴου σοι προσήκειν μὴ δοῦναι δίκην εἰ γράφεις ἡταιρηκώς, ὅτι καὶ πρὸς τοὺς θεσμοθέτας ἔσθ’ ἡμῖν ἐπαγγελία· ἀλλ’ ἢ δεῖξον οὐ πεποιηκότα ταῦτα σεαυτόν, ἢ δίκην ὕπεχ’ ὧν γέγραφας τοιοῦτος ὤν· οὐ γὰρ ἔξεστί σοι. … (30) Ἄξιον τοίνυν, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, καὶ τὸν θέντα τὸν νόμον ἐξετάσαι Σόλωνα, καὶ θεάσασθαι ὅσην πρόνοιαν ἐποιεῖτο ἐν ἅπασιν οἷς ἐτίθει νόμοις τῆς πολιτείας, καὶ ὅσῳ περὶ τούτου μᾶλλον ἐσπούδαζεν ἢ περὶ τοῦ πράγματος οὗ τιθείη τὸν νόμον. πολλαχόθεν μὲν οὖν ἄν τις ἴδοι τοῦτο, οὐχ ἥκιστα δ’ ἐκ τούτου τοῦ νόμου, μήτε λέγειν μήτε γράφειν ἐξεῖναι τοῖς ἡταιρηκόσιν. App. crit.: (29) διδόναι A; ὧν γέγραφας Schaefer, ὧν γέγραφάς τι S L; εἰ γέγραφάς τι vulg.; (30) τῆς πολιτείας om L1.

(29) Gerade so, Androtion, darfst auch du dir nicht einbilden, du seiest für die Anträge, die du als hētairēkṓs [also trotz des unsittlichen Lebenswandels] gestellt hast, deshalb nicht verantwortlich, weil wir auch bei den Thesmotheten Klage (epangelía) hätten einreichen sollen; weise vielmehr entweder nach, dass du nicht so gelebt hast oder büße für alle Anträge, die du gestellt hast; denn das ist dir nicht erlaubt. … (30) Bemerkenswert ist überdies, Männer von Athen, wie sorgfältig der Urheber des Gesetzes, Solon, bei allen seinen Verordnungen auf die Verfassung Rücksicht nahm und wie viel mehr Gewicht er hierauf legte als auf den Gegenstand des jedesmaligen Gesetzes selbst. Aus vielem lässt sich das ersehen, vornehmlich aber aus eben diesem Gesetz, welches den hētairēkótes [denen, die einen unsittlichen Lebenswandel geführt haben] untersagt, als Sprecher oder Antragsteller aufzutreten.109

F 54e: Aischines, Gegen Timarchos (or. 1) 27–32 (346/45 v. Chr.) (27) Ἃ συνιδὼν ὁ νομοθέτης διαρρήδην ἀπέδειξεν οὓς χρὴ δημηγορεῖν καὶ οὓς οὐ δεῖ λέγειν ἐν τῷ δήμῳ. … (28) Τίνας δ’ οὐκ ᾤετο δεῖν λέγειν; τοὺς αἰσχρῶς βεβιωκότας· τούτους οὐκ ἐᾷ δημηγορεῖν. Καὶ ποῦ τοῦτο δηλοῖ; „δοκιμασία“, φησί, „ῥητόρων· ἐάν τις λέγῃ ἐν τῷ δήμῳ τὸν πατέρα τύπ­ των ἢ τὴν μητέρα, ἢ μὴ τρέφων, ἢ μὴ παρέχων οἴκησιν.“ τοῦτον οὐκ ἐᾷ λέγειν. Νὴ Δία καλῶς γε, ὡς ἔγωγέ φημι. Διὰ τί; ὅτι εἴ τις, οὓς ἐξ ἴσου δεῖ τιμᾶν τοῖς θεοῖς, εἰς τούτους ἐστὶ φαῦλος, τί ποτε,

109  Übersetzung nach A. Westermann.

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Gesetze über die Amtsträger

φησίν, ὑπ’ αὐτοῦ πείσονται οἱ ἀλλότριοι καὶ ἡ πόλις ὅλη; (29) Καὶ τίσι δεύτερον ἀπεῖπε μὴ λέγειν; „ἢ τὰς στρατείας“, φησί, „μὴ ἐστρατευμένος, ὅσαι ἂν αὐτῷ προσταχθῶσιν, ἢ τὴν ἀσπίδα ἀποβεβληκώς“, δίκαια λέγων. Τί δή ποτε; ἄνθρωπε, τῇ πόλει ὑπὲρ ἧς τὰ ὅπλα μὴ τίθεσαι ἢ διὰ δειλίαν μὴ δυνατὸς εἶ ἐπαμῦναι, μηδὲ συμβουλεύειν ἀξίου. Τρίτον τίσι διαλέγεται; „ἢ πεπορνευμένος“, φησίν, „ἢ ἡταιρηκώς“· τὸν γὰρ τὸ σῶμα τὸ ἑαυτοῦ ἐφ’ ὕβρει πεπρακότα, καὶ τὰ κοινὰ τῆς πόλεως ῥᾳδίως ἡγήσατο ἀποδώσεσθαι. (30) Τέταρτον τίσι διαλέγεται; „ἢ τὰ πατρῷα“, φησί, „κατεδηδοκώς, ἢ ὧν ἂν κληρονόμος γένηται“· τὸν γὰρ τὴν ἰδίαν οἰκίαν κακῶς οἰκήσαντα, καὶ τὰ κοινὰ τῆς πόλεως παραπλησίως ἡγήσατο διαθήσειν, … (32) … „δοκιμασίαν μέν“, φησίν, „ἐπαγγειλάτω Ἀθηναίων ὁ βουλόμενος, οἷς ἔξεστιν“, ὑμᾶς δ’ ἤδη κελεύει περὶ τούτων ἐν τῷ δικαστηρίῳ διαγιγνώσκειν. App. crit.: (27) δεῖ … δήμῳ del. W; (28) δοκιμασία, Harpokr. δοκιμασθείς; ἔγωγέ A; ἐγώ (Fr.); φησίν del. Ham.; (29) ἢ] εἰ f.; στρατευόμενος Aq; αἳ A; τί] διὰ τι Aq; τίθεσαι] Harpokr. θέμενος; ἢ] Bdf2V; τὸ post σῶμα om. Aq; κοινὰ A, κοινὰ τὰ (Fr.); (30) ἢ] εἰ df2 Barb.; ὁ τὰ BV; τῆς πόλεως del. Cob.; διαθεῖναι mq Fr.; (32) φησίν in mg. f.

(27) Der Gesetzgeber (nomothétēs) sah dies ein und erklärte daher ausdrücklich, welche zum Volk reden (dēmēgoreín) und welche nicht in der Volksversammlung (dḗmos) sprechen durften. … (28) Welche aber, meinte er, sollten nicht sprechen? Die, die schändlich gelebt haben. Diese lässt er nicht zum Volk sprechen (dēmēgoreín). Und wo wird dies offenbar? „Prüfung der Redner (dokimasía rhētórōn)“, nennt er es: „Wenn einer vor dem Volk (dḗmos) sprechen will, der seinen Vater oder seine Mutter schlägt oder sie nicht ernährt oder ihnen keine Wohnstätte (oíkēsis) bietet,“ diesen lässt er nicht zum Volk reden. Beim Zeus, mit Recht, wie ich sage. Warum? Weil wenn einer gegen die, die man genauso wie die Götter ehren soll, sich geringschätzig zeigt, was werden dann die anderen und die ganze Stadt zu gewärtigen haben? (29) Und welchen verbietet er zweitens zu reden? „Oder wer sich den Feldzügen“, sagt er, „entzogen, zu denen er verpflichtet wurde, oder den Schild weggeworfen hat (tḗn aspída apobeblēkṓs).“ Mit Recht sagt er das. Warum? Mensch, weil du aus Feigheit (deilía) nicht in der Lage bist, der Stadt, für die du die Waffen nicht hälst (tá hópla mḗ títhesai), beizustehen und dann auch nicht würdig, ihr guten Rat zu geben. Drittens, von wem spricht er? „Wer sich prostituiert hat (peporneuménos)“, sagt er, „oder Unzucht getrieben (hētairēkṓs)“. Denn er glaubte, wer seinen eigenen Körper zur Schändung (hýbris) verkauft hat, werde auch die gemeinsamen [Gelder] der Stadt leichtfertig veräußern. (30) Von wem spricht er viertens? „Oder wer das väterliche Erbe verschwendet hat“, sagt er, „oder das, worüber er zum Erben eingesetzt wurde“. Denn er glaubte, dass, wer sein eigenes Haus (oikía) schlecht verwaltet, auch gegen die gemeinsamen [Güter] der Stadt auf ähnliche Weise verfahren wird. … (32) [Wer trotzdem als Redner vor dem Volk spricht,] „den fordere (epangéllein) ein jeder Athener, der will (boulómenos) und es darf, zur Prüfung (dokimasía) auf.“ Euch aber gebietet er zugleich, darüber vor Gericht (dikas­ tḗrion) zu entscheiden.

In klassischer Zeit gab es das Verfahren der dokimasía rhētórōn, der „Überprüfung der Redner“, wie es Aischines in seiner Rede Gegen Timarchos beschreibt. Danach war die Ankündigung einer Überprüfung, eine epangelía dokimasías, dann möglich, wenn der Betreffende erstens Vater oder Mutter misshandelte oder ihnen keinen Unterhalt oder keine Unterkunft gewährte, wenn er sich zweitens der astrateía oder des Wegwerfens des Schildes oder drittens der porneía oder der hetaírēsis oder viertens der Verschwendung des väterlichen oder eines ererbten Vermögens schuldig gemacht

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hatte.110 Klagen dieser Art waren in der Volksversammlung anzukündigen, wurden deswegen epangelíai genannt.111 Um 400 v. Chr. hatte ein gewisser Lysitheos Anklage gegen Theomnestos erhoben (eisangéllein bzw. epangéllein), dass es ihm nicht gestattet sei, vor dem Volk zu sprechen, weil er im Kampf seine Waffen weggeworfen habe.112 F 54f: Isokrates, Panathenaikos (or. 12) 139–141 (342 v. Chr.) (139) Ἃ μαθὼν ὁ δῆμος οὐκ ἐπελάθετο διὰ τὴν μεταβολὴν, ἀλλὰ μᾶλλον τούτῳ προσεῖχεν ἢ τοῖς ἄλλοις ὅπως λήψεται τοὺς ἡγεμόνας δημοκρατίας μὲν ἐπιθυμοῦντας, τὸ δ’ ἦθος τοιοῦτον ἔχοντας οἷόν περ οἱ πρότερον ἐπιστατοῦντες αὐτῶν, καὶ μὴ λήσουσι σφᾶς αὐτοὺς κυρίους ἁπάντων τῶν κοινῶν καταστήσαντες, οἷς οὐδεὶς ἂν οὐδὲν τῶν ἰδίων ἐπιτρέψειεν, (140) μηδὲ περιόψονται πρὸς τὰ τῆς πόλεως προσιόντας τοὺς ὁμολογουμένως ὄντας πονηροὺς, μηδ’ ἀνέξονται τὴν φωνὴν τῶν τὰ μὲν σώματα τὰ σφέτερ’ αὐτῶν ἐπονειδίστως διατιθεμένων, συμβουλεύειν δὲ τοῖς ἄλλοις ἀξιούν­ των ὃν τρόπον τὴν πόλιν διοικοῦντες σωφρονοῖεν ἂν καὶ βέλτιον πράττοιεν, μηδὲ τῶν ἃ μὲν παρὰ τῶν πατέρων παρέλαβον εἰς αἰσχρὰς ἡδονὰς ἀνηλωκότων, ἐκ δὲ τῶν κοινῶν ταῖς ἰδίαις ἀπορίαις βοηθεῖν ζητούντων, μηδὲ τῶν πρὸς χάριν μὲν ἀεὶ λέγειν γλιχομένων, εἰς πολλὰς δ’ ἀηδίας καὶ λύπας τοὺς πειθομένους ἐμβαλλόντων, (141) ἀλλὰ τούς τε τοιούτους ἅπαντας ἀπείργειν ἀπὸ τοῦ συμβουλεύειν ἕκαστος οἰήσεται δεῖν, καὶ πρὸς τούτοις ἐκείνους τοὺς τὰ μὲν τῶν ἄλλων κτήματα τῆς πόλεως εἶναι φάσκοντας, τὰ δὲ ταύτης ἴδια κλέπτειν καὶ διαρπάζειν τολμῶντας, καὶ φιλεῖν μὲν τὸν δῆμον προσποιουμένους, ὑπὸ δὲ τῶν ἄλλων ἁπάντων αὐτὸν μισεῖσθαι ποιοῦντας, … App. crit.: (139) ἅ μαθὼν Γ, ἧς cett.; ἂν οὐδὲν τῶν ἰδίων Γ, οὐδὲ τῶν ἰδίων τι (om. Λ1) Λ vulg. (140) διοικοῦντες Γ, διοικήσουσι καὶ ὅπως vulg.

(139) Dies hatte das Volk erkannt und vergaß es nicht nach dem Umschwung [der Königszeit zu einer Verfassung], sondern richtete seine Aufmerksamkeit mehr als auf das andere darauf, dass es sich Führern anvertraute, welche ganz der Demokratie anhingen, deren Sinnesart aber 110  Nicolas R. E. Fisher, Aeschines, Against Timarchos, Oxford 2001, 40 f.; Josine Blok, Citizenship in Classical Athens, Cambridge 2017, 229. Der Aischinesrede entnommen sind die Erläuterungen der Lexikographen. Harpokr. δ 74 s. v. δοκιμασθείς verweist auf Aischines’ Rede Gegen Timarchos sowie Lykurgs Rede Περὶ τῆς διοικήσεως (F 18 Conomis). Danach gab es drei Dokimasieverfahren, eines in Bezug auf die Redner. Ebenso Poll. 8,45 δοκιμασία δὲ … καὶ τοῖς δημαγωγοῖς, εἰ ἡταιρηκότες εἶεν ἢ τὰ πατρῷα κατεδηδοκότες ἢ τοὺς γονέας κεκακωκότες ἢ ἄλλως κακῶς βεβιωκότες· ἀτίμους γὰρ αὐτοὺς ἐχρῆν εἶναι καὶ μὴ λέγειν. Vgl. Lexeis rhetorikai (Lex. Seguer.) s. v. δοκιμασία (Anecd. gr. p. 235,11 Bekker). 111  Aischin. Tim. 81: τὰ δὲ ἐν αὐτῇ τῇ ἐκκλησίᾳ γενόμενα, ὅτε ἐγὼ τὴν ἐπαγγελίαν ταύτην Τιμάρχῳ ἐπήγγειλα, ταῦθ’ ὑμᾶς ἀναμνῆσαι βούλομαι. – „Was aber in der Volksversammlung selbst geschah, als ich diese Anklage (epangelía) gegen den Timarchos vorbrachte, das muss ich euch in Erinnerung bringen“; vgl. 64: Aristophon hatte Hegesandros von Sounion dieselbe Anklage vor dem Volk angedroht (ἐπαγγελίαν ἐπαγγελεῖν) wie Aischines dem Timarchos. Siehe auch Harpokr. ε 74 s. v. ἐπαγγελία· σημαίνει μὲν καὶ ἄλλα, ἰδίως δὲ λέγεται ἐπὶ τῶν ἐγκαλούντων τινὶ δημηγορεῖν καὶ πολιτεύεσθαι οὐκ ἐξόν, καὶ ἔστιν οἷον παραγγελία· Αἰσχίνης Κατὰ Τιμάρχου. Poll. 8,43: ἑταιρήσεως δ’ ἦν γραφὴ καὶ δοκιμασία καὶ ἐπαγγελία· καὶ ταῦτα τῆς κατὰ τῶν ἑταιρηκότων κατηγορίας τὰ ὀνόματα. Vgl. Δικῶν ὀνόματα (Lex. Segueriana) Anecd. gr. p. 185,32 Bekker, wo δοκιμασίαν ἐπαγγεῖλαι erläutert ist mit τὸ καταγγεῖλαι δίκην ἑταιρήσεώς τινα. Lipsius 1905–15, 278 f. hatte die Textverbesserung dokimasías epangelía bei Pollux und in Schol. Aischin. or. 1,2 vorgeschlagen. Es war dies die Ankündigung während der Volksversammlung, in einer dokimasía zu prüfen, ob der Sprecher vor dem Volk reden durfte. Vgl. auch Lexeis rhetorikai (Lex. Segueriana) s. v. ἐπαγγεῖλαι (Anecd. gr. p. 256,5 Bekker; = Etym. M. p. 353,14). 112  Lys. 10,1 (F 54a).

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der der früheren Vorsteher glich, und dass es nicht etwa aus Unbedacht Leute über das Gemeinwesen setzte, denen niemand das geringste von seinen eigenen Angelegenheiten anvertraut haben würde, (140) noch es geschehen lasse, anerkannt schlechte Menschen Anteil an den Angelegenheiten der Polis zu geben noch die Stimme derjenigen anzuhören, die ihren eigenen Körper der Schande preisgeben, den andern aber raten wollen, auf welche Weise die Polis verwaltend sie ihre innere und äußere Wohlfahrt befördern würden; noch von denen, die ihr väterliches Erbteil in schändlichen Lüsten verschwendet haben und ihrem eigenen Mangel mit dem öffentlichen Vermögen aufzuhelfen versuchen; noch auch von solchen, welche immer danach trachten, Angenehmes zu sagen, aber denen, welche ihnen Glauben schenken, viele Unannehmlichkeiten und Widerwärtigkeiten bereiten. (141) Vielmehr achtete es jeder für seine Pflicht, alle solche Menschen von der Beratung auszuschließen und ebenso diejenigen, welche das Vermögen anderer für Athens Eigentum erklären, aber Athens eigenen Besitz zu bestehlen und zu berauben wagen, welche Liebe zum Volk heucheln, es aber nach außen allgemein verhasst machen, …113

F 54 g: Scholia in Aeschinem, argumentum ad orationem in Timarchum 2 Tοῦτον τὸν λόγον ὁ Αἰσχίνης γέγραφε δοκιμασίαν κατὰ Τιμάρχου. ἦν δὲ ὁ Τίμαρχος τῶν ἐπὶ τὸ βῆμα προσιόντων, καὶ αὐτὸν τὸν Αἰσχίνην σεσυκοφαντηκώς. νόμοι δέ εἰσι περὶ τῶν ῥητόρων κείμενοι, οὕστινας χρὴ εἴργεσθαι ‹τοῦ› λέγειν, οἷον τοὺς τὰ πατρῷα κατεδηδοκότας, τοὺς ἡταιρηκότας· εἰ δὲ μὴ πείθοιντο, ἐξεῖναι τὸν βουλόμενον αὐτοῖς δοκιμασίαν ἐπαγγεῖλαι, ὥστε δοκιμάζεσθαι, εἰ ἐπιτήδειοί εἰσι λέγειν. δύο δὲ ἐγκαλῶν Τιμάρχῳ Αἰσχίνης, καὶ ὅτι ἡταίρηκε καὶ ὅτι τὰ πατρῷα κατεδήδοκε· περὶ ἑταιρήσεως ἐπιγράφεται ὁ λόγος, ὅτι τὸ πλέον τῆς κατηγορίας διὰ ταύτην ἐστί. φαίνεται δὲ νενικηκὼς τὸν ἀγῶνα, ὥς φασιν οἱ παλαιοί. δοκοῦσι δέ μοι οἱ λόγοι μετὰ τὰς δίκας γεγράφθαι. App. crit.: τῶν om L; σεσυκοφαντηκώς V, συκοφαντηκώς LD; εἰργᾶσθαι VL, εἰργέσθαι xS; οἷον] οἳ VxS, οἱ L; καταδηδοκότας L; ἀπαγγεῖλαι mL; ἐγγαλῶν V; τὰ πατρῷα om. D; κατεδήδωκε (-δίδ- V) VS; ‹τῆς› ἑταιρήσεως D; ὁ om. V; τῆς om. xL; φησιν V; γράφεσθαι codd., corr. B.

Diese Dokimasierede Gegen Timarchos hat Aischines geschrieben. Timarchos war einer derjenigen, die auf die Rednerbühne traten [und vor dem Volk redeten] und den Aischines verleumderisch angeklagt haben. Gesetze bezüglich der Redner legen fest, dass diejenigen von einer [öffentlichen] Rede auszuschließen sind, die das väterliche Erbe zugrunde gerichtet haben oder hētairēkótes waren. Gegen die, die [das Gesetz] missachten, kann jeder, der will (boulómenos), eine Prüfung (dokimasía) einfordern (epangéllein), so dass er überprüft wird, ob er die Voraussetzungen zur Rede erfüllt. Aischines wirft dem Timarchos zwei Dinge vor, dass er sowohl unsittlichen Verkehr gehabt (hetaireín) als auch das väterliche Erbe zugrunde gerichtet habe. Die Rede trägt den Titel Über unsittlichen Verkehr (hetaírēsis), weil der größte Teil der Klage diesem Punkt gewidmet ist. Er scheint das Rededuell gewonnen zu haben, wie die Alten sagen. Mir scheinen die Reden erst nach den Klagen geschrieben zu sein.

113  Übersetzung nach R. Rauchenstein und Theodor Flathe.

Atimie und Ausschluss vom Rednerplatz (F 50–55)

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F 55 Folgen der Atimie (F 55: T 454 Martina; F 23d, 111–114 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 55: Gesetz in Demosthenes, Gegen Timokrates (or. 24) 105 (353/2 v. Chr.) (103) λεγόντων γὰρ τῶν νόμων οὓς ἔθηκε Σόλων, οὐδὲν ὅμοιος ὢν τούτῳ νομοθέτης, ἄν τις ἁλῷ κλοπῆς καὶ μὴ τιμηθῇ θανάτου, προστιμᾶν αὐτῷ δεσμόν, κἄν τις ἁλοὺς [τῆς] κακώσεως τῶν γονέων εἰς τὴν ἀγορὰν ἐμβάλλῃ, δεδέσθαι, κἂν ἀστρατείας τις ὄφλῃ καί τι τῶν αὐτῶν τοῖς ἐπιτίμοις ποιῇ καὶ τοῦτον δεδέσθαι. … ΝΟΜΟΙ ΚΛΟΠΗΣ, ΚΑΚΩΣΕΩΣ ΓΟΝΕΩΝ, ΑΣΤΡΑΤΕΙΑΣ.

(105) … Ἐὰν δέ τις ἀπαχθῇ, τῶν γονέων κακώσεως ἑαλωκὼς ἢ ἀστρατείας, {ἢ} προειρημένον αὐτῷ τῶν νόμων εἴργεσθαι, εἰσιὼν ὅποι μὴ χρή, δησάντων αὐτὸν οἱ ἕνδεκα καὶ εἰσαγόντων εἰς τὴν ἡλιαίαν, κατηγορείτω δὲ ὁ βουλόμενος οἷς ἔξεστιν. ἐὰν δ’ ἁλῷ, τιμάτω ἡ ἡλιαία ὅ τι χρὴ παθεῖν αὐτὸν ἢ ἀποτεῖσαι. ἐὰν δ’ ἀργυρίου τιμηθῇ, δεδέσθω τέως ἂν ἐκτείσῃ. App. crit.: (105) ἀπαχθῇ Sud.; γενεῶν S; ἀστρατίος Fa; προειρημένων SYP; τῶν νόμων εἴργεσθαι codd.: τῶν νομίμων εἴργεσθαι Salmasius; εἴργασθαι Aa; ὅποι χρή (μὴ om.) A; εἰσαγόντων AP: εἰσαγόντων αὐτὸν SFY; ἀποτεῖσαι et ἐκτείσῃ Blass: ἀποτῖσαι et ἐκτίσῃ codd.

(103) Die Gesetze (nómoi), die Solon erlassen hat, ein diesem [dem Timokrates] in keiner Weise gleichender Gesetzgeber (nomothétēs), besagen: Wenn jemand wegen Diebstahls (klopḗ) ergriffen und nicht mit dem Tod bestraft worden ist, so sei ihm zusätzlich die Fesselung (des­ mós) als Strafe auferlegt (protimán); und wenn jemand der Misshandlung der Eltern überführt worden ist und in der Volksversammlung einen Antrag einbringt, solle er in Haft genommen werden, und wenn er der Entziehung vom Kriegsdienst schuldig ist und etwas tut, was nur den Ehrbaren (epítimoi) zusteht, so solle auch dieser in Haft genommen werden. Gesetze über Diebstahl, Misshandlung der Eltern, Entziehung vom Kriegsdienst

(105) [F 113b zum Diebstahl] … Wenn aber einer abgeführt worden ist, der wegen Misshandlung (kákōsis) der Eltern oder Verweigerung des Kriegsdiensts (astrateía) verurteilt worden war {oder} ‹und› dem öffentlich verkündet worden war, er sei von den Gesetzen (nómoi) ausgeschlossen, und der an Orte ging, wohin [zu gehen] er nicht darf, sollen die Elf (héndeka) ihn in Haft nehmen, vor die (h)ēliaía bringen und jeder, der will, soll ihn anklagen. Wenn er verurteilt wird, soll die (h)ēliaía ihn bestrafen zu dem, was zu erleiden oder abzuzahlen er verpflichtet wird. Wenn er zu einer Geldstrafe verurteilt wird, soll er in Haft bleiben, bis er sie abbezahlt hat.

Es geht in dem in or. 24,105 eingelegten Gesetz um die Abführung (apagōgḗ) eines wegen Misshandlung der Eltern oder Entziehung vom Kriegsdienst Verurteilten (ἑαλωκὼς), der sich trotz der ihm verkündeten Atimie an einem Ort aufhält, an dem er sich nicht aufhalten darf. Geregelt ist in dem Gesetzesauszug also nicht die ‚Ehrlosigkeit‘ als solche, sondern geregelt sind die Folgen für denjenigen, der trotz der von einem Gericht ausgesprochenen Atimie Handlungsmöglichkeiten für sich in Anspruch nimmt, von denen er rechtlich ausgeschlossen ist.114 Wer dabei angetroffen wird, den

114  So auch Mirhady 2005, 75 f.: „It is clear from the passages discussed already that the wrongdoers of

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Gesetze über die Amtsträger

sollen die Elfmänner in Haft nehmen und vor die (h)ēliaía bringen. Jeder, der will, kann die Anklage führen, und wenn er verurteilt wird, soll die (h)ēliaía ihn zu einer peinlichen Strafe oder zu einer Geldstrafe verurteilen. Wird ihm eine Geldstrafe auferlegt, bleibt er in Haft, bis er die Strafe beglichen hat. Die Folgen, die einem átimos drohten, z. B. dem, der wegen Misshandlung der Eltern oder Verweigerung des militärischen Dienstes verurteilt worden war, nennt auch die Athenaion politeia, und zwar in Übereinstimmung mit dem in or. 24,105 eingelegten Gesetz.115 Ein Unterschied besteht allein darin, dass das in Demosth. or. 24,105 eingelegte Gesetz die apagōgḗ eines Schuldigen regelt, wohingegen die Athenaion politeia von der éndeixis, der ‚Anzeige‘ eines solchen Schuldigen ausgeht.116 Nach Mogens Herman Hansen sei es aber gut möglich, dass das Gesetz in or. 24,105 lediglich eine zweite Bestimmung zur apagōgḗ wiedergibt, eine erste zur éndeixis dem vorausging.117 Dass bei Zuwiderhandlungen zwei Möglichkeiten bestanden, dagegen einzuschreiten, mag damit zusammenhängen, dass man nicht ohne weiteres eine Person eigenmächtig aus einer heiligen Stätte heraus abführen durfte. Zur umstrittenen Frage, ob es sich bei dem eingelegten Gesetzestext um eine Fälschung handelt, siehe den Kommentar zu F 63a. IV 3 Naukrarie und Speisung der Prytanen im Prytaneion Abstract: Das „Gesetz über die árchontes“ könnte auch Bestimmungen über die gemeinsame Speisung des vorsitzenden Ratsausschusses im Prytaneion und die Ein- und Auszahlung von Geldern in die Kasse der naúkraroi enthalten haben. Folgt man der Ansicht, dass sich der Name der Naukrarien von naús (‚Schiff ‘) ableitet, waren die Naukrarien lokal festgelegte Bezirke für die Ausrüstung von Kriegsschiffen und die Finanzierung militärischer Aufgaben, die naúkra­ roi deren Vorsteher. Die Aufgaben der naúkraroi und die Funktion der Naukrarien werden aber noch darüber hinausgegangen sein.

24,105 have already been sentenced but that imprisonment was not part of their basic punishment. They were free to move about but not to go into places that were prohibited, like the agora“ (75). 115  Aristot. Ath. pol. 63,3 (s. o. 364 Anm. 101): nämlich eine verhängte Strafe zu erleiden oder zu bezahlen und solange in Haft zu bleiben, bis die Strafe bezahlt ist. 116  Siehe dazu Canevaro 2013, 41 mit Anm. 64. 117  Hansen 1976, 94 f. Dagegen wendet Canevaro (ebd. 42) ein: „Apagoge against atimoi without any mention of endeixis is unparalleled in our sources, and its presence here speaks against the authenticity of the document“. Für die Ansicht von Hansen spricht Harpokr. ε 48 s. v. Ἔνδειξις· εἶδος δίκης δημοσίας, ὑφ’ ἣν τοὺς ἐκ τῶν νόμων εἰργομένους τινῶν ἢ τόπων ἢ πράξεων, εἰ μὴ ἀπέχοιντο αὐτῶν, ὑπῆγον. πολλοὶ μὲν οὖν εἰσὶ λόγοι ἐνδείξεως, γνωριμώτατοι δὲ οἱ κατ’ Ἀριστογείτονος Δημοσθένους. Danach ist also éndeixis möglich bei denen, die „von den Gesetzen ausgeschlossen sind“ (οἱ ἐκ τῶν νόμων εἰργομένοι). Daraus Suda ε 1171 s. v. ἔνδειξις; Etm. M. p. 338,49; vgl. Suda ε 1170 s. v. ἔνδειξις; Phot. lex. ε 859 (= Lex. Sabbaiticum ε p. 59) s. v. ἔνδειξις (siehe S. 361 Anm. 85).

Historische Einordnung – Naukrarie und Speisung der Prytanen (F 56–57)

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Historische Einordnung Naukraríai und naúkraroi Der antiken Tradition zufolge war Attika in solonischer Zeit in vier Phylen, zwölf ‚Drittteile‘ (Trittyen) und 48 naukraríai eingeteilt (F 56b).118 Für administrative Aufgaben war eine systematische Ordnung geschaffen worden, wie sich insbesondere an der Bezeichnung tríttys zeigt.119 Wenn es Aufgabe einer jeden naukraría war, ein Schiff, zwei Reiter und ein Kontingent von Bewaffneten zu stellen, wie Pollux angibt, wird es sich auch bei den naukraríai um künstlich geschaffene Einheiten handeln, um über sie Lasten gleichmäßig verteilen zu können.120 Allerdings ist in der Forschung umstritten, ob die naukraríai zu dem Zweck eingerichtet worden waren, ein Schiff (ναῦς) mit Besatzung (und Reiter) zu stellen oder ob sie zunächst ganz unabhängig von der Flottenfinanzierung und militärischer Aufgebote geschaffen worden waren.121 Verwiesen sei in diesem Zusammenhang aber auch darauf, dass in kretischen Poleis startoí als administrative Untereinheiten belegt sind, vermutlich analog zu den pýla, den Phylen; ταρτός bzw. στάρτος hat einen militärischen Charakter und umfasst diejenigen, die Waffen zu tragen in der Lage waren.122 In ähnlicher Weise könnte also auch in Athen eine ‚Schiffsführerschaft‘, die militärische Kontingente zu stellen hatte, eine adminis­ trative Untereinheit der Phylen gewesen sein. Wenn eine jede naukraría ein Schiff stellen musste, liegt nahe, dass mit dem Schiffbau ein reicher Athener beauftragt worden

118  Überblicke über die Forschung zu den Naukrarien bieten Hommel 1935; Gabrielsen 1985, 21–24; Welwei 1992, 123–127; Wallinge 2000, 133–138; Schubert 2008, 39 f. und van Wees 2013, 44–61. 119  Die Einteilung der vier Phylen in jeweilige ‚Drittteile‘ geschah möglicherweise in Anlehnung an frühe zwölf Gemeinden Attikas. Nach Philochoros (FgrH 328 F 94; Strab. 9,1,20–397 C) habe Kekrops das athenische Volk in zwölf Gemeinden (póleis) innerhalb Attikas angesiedelt, bis Theseus diese zwölf zu einer Polis vereinigt habe. Nach Thuk. 2,15,1–4 hätten die Gemeinwesen (póleis) unter Kekrops jeweils eigene Amtsträger (árchontes) gehabt. 120  Poll. 8,108 (F 56c). Aus Lexeis rhetorikai s. v. Κωλιάς (Anecdota graeca 1, p. 275,20 f. Bekker) geht hervor, dass die Naukrarien vermutlich auf einer lokalen Gliederung beruhten. Zu der Kontroverse, ob die naukraríai lokale oder personale Einheiten waren, siehe Gabrielsen 1985, 30–32. 121  Für einen engen Bezug zur Flotte haben sich Hommel 1935, 1941–1945; Figueira 1986, 271; Welwei 1992, 123–127; Kienast 2005, 78 und van Wees 2013, 44–61 ausgesprochen (weitere Vertreter dieser Position sind bei Gabrielsen 1985, 21 f. genannt). Dagegen Harding 1994, 136 („the anachronistic equation of these men with the liturgical system“, die schon auf die Zeit des Kleidemos zurückgehe), Gabrielsen 1985 und 1994, 21, Harris 1995, 11–14 sowie Schubert 2008, 43, 47 f.: Die naúkraroi hätten mit der Verwaltung der Finanzen zu tun, aber keine Verbindung zur Finanzierung oder Ausrüstung der Flotte. Auch Paulin Ismard, La cité des réseaux. Athènes et ses associations VIe–Ier siècle av. J.-C., Paris 2010, 299–305 sieht die naukraríai in erster Linie als Verwaltungseinheiten für die Einziehung öffentlicher Einnahmen. 122  Rorby K. Kristensen, On the Gortynian »pyla« and »startos« of the 5th Century BC, in: C&M 53, 2002, 65–80; Gunnar Seelentag, Das archaische Kreta. Institutionen im frühen Griechenland, Berlin 2015, 353–360: „So mag der Schluss naheliegen, dass es sich beim Startos um die Teilgruppe einer Phyle handelte, nämlich allein um die Menge ihrer waffentragenden Männer“ (357).

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Gesetze über die Amtsträger

war, der es auf eigene Kosten instandhalten und befehligen musste.123 Diese reichen Athener könnten daher als naúkraroi, als ‚Schiffsführer‘ (gebildet aus naús und *kra­ ros) bezeichnet worden sein.124 Von der Bedeutung her entspräche naúkraros also dem späteren trierárchos, dem ‚Führer eines dreirudrigen Kriegsschiffs‘ (gebildet aus triḗrē und árchein).125 Die Einteilung in 48 ‚Schiffsführerschaften‘ – die Ableitung von ναῦς, ‚Schiff ‘ vorausgesetzt – legt nahe, dass Athen im frühen 6. Jh. über eine entsprechend große Flotte an Fünfzigruderern verfügte. Um die damit verbundenen Aufwendungen zu leisten, aber auch andere Ausgaben zu finanzieren, bestanden in den naukraríai Kassen, und der naúkraros war berechtigt, „Gelder einzufordern“ und „Kosten aus der naukrarischen Kasse zu bestreiten“, wie es in der aristotelischen Athenaion politeia bezeugt ist.126 Die Formulierung „wenn jemand eine naukraría streitig macht“ bei Photios (F 56f) legt nahe, dass naukraría nicht nur die Bezeichnung für die Untereinheit der Phyle war, sondern auch für das Amt an der Spitze der Naukrarie, mit dem eine Liturgiepflicht verbunden gewesen sein könnte. „Eine naukraría streitig machen“ kann in diesem Zusammenhang bedeuten, dass derjenige, der ein Schiff stellte, aus politisch-militärischen Ambitionen heraus die Stellung als naúkraros gegen einen anderen für sich beanspruchte oder – in Analogie zum späteren Antidosisverfahren – einen anderen reichen Athener benannte, der aufgrund seiner Einkünfte eher in der Lage war, die Verpflichtung zu tragen.127 Nach Hildebrecht Hommel gehe die Notiz des Photios darauf, „daß einer sich der Liturgiepflicht der naukraría – … – zu entziehen sucht und

123  So auch Welwei 1992, 125. Noch bei der Seeschlacht am Artemision war Kleinias, der Sohn des Alkibiades, mit eigenem Schiff in die Schlacht gezogen (Hdt. 8,17). Herman Wallinga (2000) geht davon aus, dass es sich bei den Schiffen der Naukrarien nicht um Schiffe der Polis, sondern um Schiffe handelt, die durch einzelne Athener finanziert wurden und einen Küstenschutz gewährleisteten. 124  Zur Etymologie und Bedeutung im Sinne von ‚Schiffshaupt‘, ‚Schiffsoberster‘ Hommel 1935, 1938 f.; Wallinga 2000, 133. Leão/Rhodes 2015, 136 halten diese Ableitung für „most likely“; die Aufgabe der Naukrarie habe dann darin bestanden, Schiffe bereitzustellen. Erwogen wurden auch Herleitungen von naós (‚Tempel‘) oder von naíein (‚leben‘). Dazu Billigmeier/Dusing 1981, 13–16, die die naúkraroi als „guardians of temple treasuries“ ansehen. Als Schatzmeister seien sie älter als die kōlakrétai und seien in sekundärer Funktion auch für die Verteilung von Lasten und die Einziehung von Mitteln für militärische Zwecke zuständig gewesen. Aufgrund der umstrittenen Herleitung von naúkraros könne nach Gabrielsen 1985, 23 f. (zur These von Billigmeier und Dusing ebd. 47–49) die Etymologie keine Beweiskraft für einen engen Zusammenhang mit der Flotte haben. Ausführlich dazu Wallinga 2000, 133 f.; van Wees 2013, 44–61. 125  Glossae rhetoricae s. v. ναύκραροι (Lexica Segueriana, Anecd. gr. I 283,20 f. Bekker). 126  Aristot. Ath. pol 8,3: ‚τοὺς ναυκράρους εἰσπράττειν‘ καὶ ‚ἀναλίσκειν ἐκ τοῦ ναυκραρικοῦ ἀργυρ[ίο] υ‘. Siehe neben Ath. pol. 8,3 auch Poll. 8,108 (F 56c). Ähnlich Ptolemaios Gramm., De differentia vocabulorum 402,18 s. v. ναύκληροι und Ammonios Gramm., De adfinium vocabulorum differentia 330,1; Hesych. ν 118 s. v. ναύκλαροι (F 56e). Dazu Hommel 1935, 1940 (zu den fiskalischen Befugnissen ebd. 1941–1945); Welwei 1992, 126 und van Wees 2013, 45. 127  So auch Gabrielsen 1985, 38 f. Zu den solonischen Naukrariegesetzen insgesamt Hommel 1935, 1946 f. Zur amphisbḗtēsis im Sinne von „ein Amt streitig machen“, „Einspruch gegen eine Wahl erheben“ siehe Plat. leg. 6,756b.

Historische Einordnung – Naukrarie und Speisung der Prytanen (F 56–57)

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seine Eignung bzw. Leistungsfähigkeit anficht (ἀμφισβητῇ)“. Dies würde dem späteren Antidosisverfahren entsprechen, das in Ps.-Demosth. or. 42,1 auf Solon zurückgeführt wird.128 Über welches Verfahren die naúkraroi in ihre Funktion eingesetzt wurden, entzieht sich unserer Kenntnis.129 Als institutionalisierte Organisationseinheit der Polis Athen waren die naukraríai ebensowenig im ‚Vertragsgesetz‘ Solons (F 117) genannt wie die Phylen und Trittyen. Das Vertragsgesetz geht also auf eine Zeit zurück, bevor die dḗmoi an die Stelle der naukraríai getreten waren. Durch die Reformen des Kleisthenes im Jahr 508/7 v. Chr. war die Binnengliederung der attischen Bürgerschaft umgestellt worden. Die von ihm vorgenommene ‚Mischung‘ der Bürgerschaft beruhte auf zehn Phylen und dreißig Trittyen. Gemäß der Athenaion politeia (21,5) setzte Kleisthenes Dorfvorsteher (dḗmarchoi) ein, die dieselben Aufgaben wie die früheren naúkraroi gehabt hätten, und „an die Stelle der naukraríai“ seien die Dorfgemeinden, die dḗmoi, getreten.130 Mit der Einrichtung der 139 regionalen Dorfgemeinden, die von einem Dorfvorsteher (δήμαρχος) und Schatzmeistern (ταμίαι) geleitet wurden und in denen Verzeichnisse der Gemeindemitglieder (ληξιαρχικὰ γραμματεῖα) und Listen zur militärischen Dienstpflicht (κατάλογοι) geführt wurden, waren viele administrative, finanzielle und auch militärische Aufgaben auf die Dorfgemeinden übergegangen. Weitere Veränderungen in den militärischen Organisationsstrukturen traten hinzu. 483/82 v. Chr. hatte Themistokles aus den Einkünften des attischen Silberbergbaus Gelder für den Bau von Kriegsschiffen zur Verfügung gestellt. Die Verantwortung dafür lag bei den damit beauftragten reichen Athenern. Mit der Einrichtung des Strategenamtes in den 470er Jahren schließlich – die zehn stratēgoí der neuen zehn Phylen unterstanden dem árchōn polémarchos – verloren die naúkraroi und deren Vorsteher, die prytánies tṓn naukrárōn, endgültig ihre Funktionen. Strategen und Trierarchen – die Trierarchie war 483/2 eingerichtet worden – hatten im 5. und 4. Jh. die Aufgaben der naúkraroi und ihrer Vorsteher inne, und die Finanzierung diesbezüglicher Aufwendungen war den symmoríai übertragen worden, so dass für die Zeit nach den Perserkriegen „naukrarische Gelder“ sowie finanzielle Forderungen oder Zahlungen aus der naukrarischen Kasse nicht mehr belegt sind.131

128  Ps.-Demosth. or. 42,1: „… Solon, welcher der Urheber des Gesetzes über den Gütertausch ist“. Zur angeblichen Einführung des Antidosisverfahrens durch Solon siehe Appendix 1b. 129  Chronologisch zusammengestellt sind die Quellenbelege für die Naukrarien von Wallinga 2000, 131–133; Schubert 2008, 39–48; Ismard 2010 (wie Anm. 121), 300 f. Eine eingehende Diskussion der Quellen hat auch Gabrielsen 1985, 24–47 vorgelegt. 130  Vgl. Lys. or. 106 fr. 237 Carey: τούτους δέ φησιν Ἀριστοτέλης ἐν Ἀθηναίων πολιτείᾳ (21,5) ὑπὸ Κλεισθένους κατασταθῆναι, τὴν αὐτὴν ἔχοντας ἐπιμέλειαν τοῖς πρότερον ναυκράροις. Ähnlich Poll. 8,108. Vgl. Schol. Aristoph. nub. 37c (Schol. vet.): οἱ δήμαρχοι παρὰ τοῖς Ἀθηναίοις οἱ πρώην ναύκραροι καλούμενοι. οἱ ἐνεχυριάζοντες. 131  Über das Ende der naukraríai Hommel 1935, 1948–1950; Wallinga 2000, 144 f. Zur umstrittenen Frage, wann und für welchen Zweck die Symmorien eingerichtet wurden, siehe auch die Diskussion bei Gabrielsen 1985, 32–38.

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Gesetze über die Amtsträger

Weil die naukraríai, die naúkraroi und die Vorsteher der naúkraroi im Zuge der Reformen und Neuorganisationen eines Kleisthenes und Themistokles ihre Bedeutung verloren hatten und diese Institutionen schließlich aufgelöst worden waren, konnten die Autoren des 4. Jh. und späterer Zeit deren Bedeutung in archaischer Zeit nur mittels der Belege in den solonischen Gesetzen rekonstruieren. Die Einteilung der attischen Bürgerschaft in vier Phylen, zwölf Trittyen und 48 Naukrarien war vermutlich nicht in einem eigenständigen Gesetz festgelegt; denn die Bedeutung der Naukrarien ließ sich von den späteren Autoren nur indirekt erschließen, aus Formulierungen wie „die naúkraroi sollen eintreiben“ oder „bezahlen soll man aus naukrarischem Silber“. Dabei ist nicht mehr ersichtlich, in welchem rechtlich relevanten Zusammenhang diese Formulierungen „häufig“ (πολλαχοῦ; F 56b) begegneten. Angesichts der spärlichen Quellen muss unsicher bleiben, ob die bei Herodot im Zusammenhang mit dem Tyrannisversuch Kylons genannten „Vorsteher der Naukraren“ (οἱ πρυτάνιες τῶν ναυκράρων) vorwiegend militärische Aufgaben hatten; nachdem die Archonten das athenische Volk gegen die Tyrannisaspiranten aufgeboten hatten, wäre die weitere Belagerung der Akropolis den (vier oder zwölf?) Vorstehern der Naukraren anvertraut worden, als den für militärische Angelegenheiten zuständigen nächsthöheren Funktionsträgern in Athen.132 Die prytánies tṓn naukrárōn könnten aber auch als Vorsteher der Tempelkasse tätig geworden sein, da Kylon und seinen Anhängern vorgeworfen wurde, das Heiligtum der Athena geplündert zu haben.133 Es ist also gut möglich, dass die Naukrarien sowohl militärische Funktionen hatten, nämlich ausreichende Kontingente für eine Kriegführung zu Land und zu Wasser zu stellen, als auch administrative Aufgaben wie die Verpachtung öffentlichen Landes, wobei die Pachtsumme in die Kasse der naúkraroi flossen und die naúkraroi Aufwendungen aus der „naukrarischen Kasse“ bestritten wie z. B. die Speisungen im Prytaneion. Möglicherweise waren die naúkraroi auch dazu befugt, Sicherheiten zu nehmen, vermutlich

132  Hdt. 5,71,2. Harpokration verweist in seinem Lexicon auf Herodot: bei der Erwähnung von χρήματα Ναυκρατιτικά in Demosthenes’ Rede Gegen Timokrates (or. 24,11) sei umstritten, ob es sich um Gelder aus dem ägyptischen Naukratis handle oder um „naukrarische“, öffentliche Gelder (s. v. ναυκραρικά· Δημοσθένης ἐν τῷ κατὰ Τιμοκράτους· … ἐὰν δὲ ᾖ ναυκραρικά, εἴη ἂν τὰ τῶν ἀρχόντων· ναυκράρους γὰρ τὸ παλαιὸν τοὺς ἄρχοντας ἔλεγον, ὡς καὶ ἐν τῇ εʹ Ἡρόδοτος δηλοῖ … – „Demosthenes in der Rede Gegen Timokrates … Wenn es aber ‚naukrarisches‘ war, handelt es sich um [Gelder] von Amtsträgern (árchon­ tes); naúkraroi nämlich zählten in früherer Zeit zu den árchontes, wie aus dem 5. [Buch] Herodots hervorgeht“; ähnlich Phot. lex. ν 38 s. v. †ναυκραρία† und Suda s. v. ναυκραρία. Lambert 1986 vertritt die Ansicht, ‚damals‘ meine die Zeit, als die Archonten wegen der Olympischen Spiele abwesend waren (Schubert 2008, 40 f. folgt dem). Überzeugender ist indes die Hypothese von Hans van Wees, dass die Archonten diese militärische Aufgabe den Vorstehern der Naukraren übertragen hätten (2013, 52). Zu den naúkraroi als Schatzmeistern siehe auch Valentina Mussa, The College of Treasurers of Athena on the Acropolis During the Archaic Period, in: Constanze Graml, Annarita Doronzio, Vincenzo Capozzoli (Hrsg.), Rethinking Athens Before the Persian Wars, München 2019, 251–264, hier 252–254. 133  Schol. Aristoph. equ. 445a II und III: ἐλήφθη ποτὲ συλῶν τὸ ἱερὸν τῆς Ἀθηνᾶς.

Historische Einordnung – Naukrarie und Speisung der Prytanen (F 56–57)

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als Pfand bei der Verpachtung öffentlichen Landes auf lokaler Ebene.134 Nicht auszuschließen ist, dass die naúkraroi eine Art Rat bildeten und die prytánies tṓn naukrárōn der in der Stadt Athen ständig anwesende Ausschuss dieses Rats waren. Da im 5. und 4. Jh. naukraríai als administrative Untereinheiten jegliche Bedeutung verloren hatten, muss es den Atthidographen möglich gewesen sein, auf entsprechende Texte der solonischen Gesetze vor der Revision zurückzugreifen.135 Die Speisung der Prytanen im Prytaneion Im 5. und 4. Jh. wurden Personen, die sich Verdienste um die Polis erworben hatten, zu öffentlicher Speisung ins Prytaneion geladen. Ein Anrecht auf solche Speisungen hatten z. B. die Nachfahren der Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton.136 Aber auch andere Personen konnten durch Speisung im Prytaneion geehrt werden. Wenn Solon, wie Plutarch angibt, denjenigen bestrafte, der nicht an der Speisung teilnahm, obwohl sie ihm zukam, oder häufiger teilnahm, als ihm zugesprochen war, deutet dies darauf hin, dass es in diesem Gesetz nicht um außergewöhnliche Speisungen im Prytaneion ging, sondern um die öffentliche Speisung von Amtsträgern oder des Ratsausschusses, der im Prytaneion ständig anwesend sein sollte, um seinen Pflichten nachzukommen (F 57a–b).137 Solon hat für diese, vermutlich annähernd täglich stattfindenden Speisungen Gerstenfladen (máza) und an Festtagen zusätzlich Weizenbrot vorgesehen. Schon in den homerischen Epen hatten die ‚Ältesten‘, die gérontes, als Ausgleich für ihre öffentliche Tätigkeit bei den Ratsversammlungen Speisung aus öffentlichen Mitteln erhalten.138 Im 4. Jh. speisten die Prytanen, die den vorsitzenden Ausschuss des Rats der 500 bildeten, gemeinsam im Prytaneion und erhielten für die Verpflegung einen Obolos ausbezahlt.139 Auf diese öffentliche Speisung der im Rat Versammelten 134  Der früheste Beleg dafür findet sich bei Harpokration (F 56c adn.). Sein Verweis auf eine Rede des Lysias und eine Komödie des Aristophanes sichern diese Aufgabe allerdings erst für die Demarchen, die durch die Reformen des Kleisthenes an die Stelle der naúkraroi traten. 135  So auch Leão/Rhodes 2015, 136. 136  Demosth. or. 19,280; 20,18.127; vgl. Aristot. Ath. pol. 58,1. 137  So Ludwig Ziehen, Art. Παράσιτοι, in: RE 18,2, 1949, 1377–1381, hier 1380, der das Gesetz nicht auf die sítēsis als Belohnung für besondere Verdienste, sondern auf die Prytanen bezog, die bei den wichtigen Opfern, die täglich der Hestia darzubringen waren, als Vertreter der Gemeinde zum parasiteín verpflichtet waren. Michael H. Jameson geht mit Bezug auf das solonische Gesetz davon aus, dass bei den Opfern für die Dioskuren im Prytaneion kein Weizenbrot bereitgestellt werden musste (Michael H. Jameson, Theoxenia, in: Robin Hägg [Hrsg.], Ancient Greek Cult Practice from the Epigraphical Evidence, Stockholm 1994, 35–57 [wiederabgedruckt in: Michael H. Jameson, Cults and Rites in Ancient Greece. Essays on Religion and Society, Cambridge 2014, 145–176, hier 162]). Zu parásitoi im Kult siehe F 80. 138  Dazu Fritz Gschnitzer, König, Rat und Volk bei Homer, in: ders., Kleine Schriften zum griechischen und römischen Altertum, Bd. 1, hrsg. von Catherine Trümpy, Tassilo Schmitt, Stuttgart 2001 (zuerst 1980), 182–198, hier 187 f. mit Verweis auf Hom. Il. 4,343–346; 4,259; 17,249. 139  Aristot. Ath. pol. 43,3; 62,2.

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Gesetze über die Amtsträger

oder auf Amtsträger könnte sich auch ein Zitat aus den Biographien des Aristotelesschülers Klearchos von Soloi beziehen, wonach parásitoi in früheren Zeiten diejenigen waren, die „zum Zusammenleben“ (εἰς τὸ συμβιοῦν) ausgewählt worden waren.140 Waren es diejenigen, die im Prytaneion ständig anwesend waren, also dort auch speisten und schliefen? Im Gegensatz zur Ehe – auch der Ehepartner konnte ein σύμβιος sein – war dieses Zusammenleben ein politisch geregeltes. Gemäß ihren alten Gesetzen, den palaioí nómoi, so Klearchos weiter, wählten die meisten Städte immer noch die pará­ sitoi für die ehrenvollsten Ämter aus. Dabei wird es sich um Gehilfen der Amtsträger handeln, die in Athen páredroi hießen.141 Unter diesen Voraussetzungen ist unmittelbar einleuchtend, dass Solon unter Strafe stellte, wenn die Gewählten sich dem symbioún und dem parasiteín entzogen oder die Speisung auf öffentliche Kosten in Anspruch nahmen, obwohl sie ihnen nicht zustand.142 Literatur zu den naukraríai und den naúkraroi: Hildebrecht Hommel, Naukraria, Naukraros, in: RE 16,2, 1935, 1938–1952; Borimir Jordan, Herodotus V,71,2 and the Naukraroi of Athens, in: CSCA 3, 1970, 153–175; Julie Vélissaropoulos, Les nauclères grecs. Recherches sur les institutions maritimes en Grèce et dans l’Orient hellénisé, Genf 1980, 12–21; Jon-Christian Billigmeier, Ann S. Dusing, The Origin and Function of the Naukraroi at Athens. An Etymological and Historical Explanation, in: TAPhA 111, 1981, 11–16; Vincent Gabrielsen, The naukrariai and the Athenian Navy, in: C&M 36, 1985, 21–51; Thomas J. Figueira, Xanthippos, Father of Perikles, and the Prutaneis of the Naukraroi,

140  Mit Berufung auf Apollodoros’ zweites Buch über die Gesetzgeber berichtet Diogenes Laertios (1,58) davon, dass zuerst Solon die Zusammenkunft der neun Archonten zur gemeinsamen Beratung veranlasst habe. Justus Hermann Lipsius hatte aufgrund von Hyp. fr. 139 Blass (B 32,1 Burtt) für das in den Codices überlieferte συνειπεῖν (‚gemeinsam besprechen‘) συνδειπνεῖν (‚gemeinsam speisen‘) gesetzt (… καὶ πρῶτος τὴν συναγωγὴν τῶν ἐννέα ἀρχόντων ἐποίησεν εἰς τὸ συνειπεῖν, ὡς Ἀπολλόδωρός φησιν ἐν δευτέρῳ Περὶ νομοθετῶν). Das Hypereidesfragment stammt aus Pollux 4,122: „Die neun Archonten speisten (εἱστιῶντο) in der Stoa, wobei sie einen Teil mit einem Vorhang abgetrennt hatten“. 141  Gemäß der aristotelischen Verfassung der Methonaier (fr. 551 Rose3, 562 Gigon) hätten die Archonten in Methone je zwei parásitoi, der polémarchos jedoch nur einen gehabt; sie erhielten ihre Zuteilungen unter anderem von den Fischern (Ἀριστοτέλης δ’ ἐν τῇ Μεθωναίων πολιτείᾳ „παράσιτοι“, φησί, „τοῖς μὲν ἄρχουσι δύο καθ’ ἕκαστον ἦσαν, τοῖς δὲ πολεμάρχοις εἷς· τεταγμένα δὲ ἐλάμβανον παρ’ ἄλλων τέ τινων καὶ τῶν ἁλιέων ὄψον“). In Athen hatten der árchōn epṓnymos, polémarchos und basileús je zwei páredroi zur Unterstützung, die vor dem Amt geprüft wurden und nach dem Amt Rechenschaft ablegen mussten (Aristot. Ath. pol. 56,1); es gab aber auch páredroi der aus Ratsmitgliedern bestellten eúthynoi (Ath. pol. 48,4). 142  Zu den Gehilfen des basileús siehe Krates (FgrH 362 F 7) in Athen. 6,27 p. 235b-d: „früher (πρότερον) bezeichnete man als parásitoi diejenigen, die für die Einsammlung des heiligen Getreides ausgewählt wurden, und es bestand ein Amtssitz der parásitoi. Deswegen steht auch im Gesetz des ba­ sileús (ἐν τῷ τοῦ βασιλέως νόμῳ): ‚der basileús soll dafür sorgen, dass die Archonten eingesetzt und die parásitoi aus den Demen gemäß den schriftlich festgelegten Statuten ausgewählt werden‘ (ἐπιμελεῖσθαι δὲ τὸν βασιλεύοντα τῶν τε ἀρχόντων ὅπως ἂν καθιστῶνται καὶ τοὺς παρασίτους ἐκ τῶν δήμων αἱρῶνται κατὰ τὰ γεγραμμένα)“.

Naukrarie und Speisung der Prytanen im Prytaneion (F 56–57)

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in: Historia 35, 1986, 257–279; David Whitehead, The Demes of Attica, 508/7–ca. 250 B. C. A Politi­ cal and Social Study, Princeton/New Jersey 1986; Stephen D. Lambert, Herodotus, the Cylonian Conspiracy and the πρυτάνιες τῶν ναυκράρων, in: Historia 35, 1986, 105–112; Tracey E. Rihll, The Attic ναυκραρίαι, in: LCM 12, 1987, 10; Vincent Gabrielsen, Financing the Athenian Fleet. Public Taxation and Social Relations, Baltimore – London 1994; Phillip Harding, Androtion and the Atthis. The Fragments Translated with Introduction and Commentary, Oxford 1994, 136–138; Diane Harris, The Treasurers of the Parthenon and Erechtheion, Oxford 1995; Herman T. Wallinga, The Athenian Naukraroi, in: Heleen Sancisi-Weerdenburg (Hrsg.), Peisistratos and the Tyranny: A Reappraisal of the Evidence, Amsterdam 2000, 131–146; Dietmar Kienast, Die Funktion der attischen Demen von Solon bis Kleisthenes, in: Chiron 35, 2005, 69–100; Charlotte Schubert, Die Naukrarien: Zur Entwicklung der attischen Finanzadministration, in: Historia 57, 2008, 38–64; Hans van Wees, Ships and Silver, Taxes and Tribute. A Fiscal History of Archaic Athens, London – New York 2013, 44–61.

Naukrarie und Speisung der Prytanen (F 56–57) F 56 Gesetzliche Bestimmungen über Einnahmen und Ausgaben der naúkraroi (F 56a: T 340 adn. Martina; F 79adn. Ruschenbusch; †Fr. 79/b Leão/Rhodes; F 56b: T 339a Martina; F 79 Ruschenbusch; F 79a Leão/Rhodes; F 56c: T 341b Martina; F 56f: T 341a Martina; F 80 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 56 g: T 340 Martina)

F 56a: Androtion, Atthis FgrH 324 F 36 (ca. 340 v. Chr.) (Schol. Aristoph. aves 1541)

… ὡς Ἀνδροτίων γράφει οὕτως „τοῖς δὲ ἰοῦσι Πυθῶδε θεωροῖς τοὺς κωλακρέτας διδόναι ἐκ τῶν ναυκληρικῶν ἐφόδιον ἀργύρια, καὶ εἰς ἄλλο ὅ τι ἂν δέῃ ἀναλῶσαι“. ταμίαι δὲ ἦσαν, καὶ προεστῶτες τῆς δημοσίας σιτήσεως. App. crit.: ἐκ τῶν ναυκραρικῶν Hommel 1935.

… wie Androtion folgendermaßen schreibt: „Den nach Pytho [Delphi] gehenden Festgesandten (theōroí) sollen die Kassenbeamten (kōlakrétai) aus den nauklēriká einen Silberbetrag als Zehrgeld zahlen, und für anderes, was sie [für die Reise] aufwenden müssen“. Es waren Schatzmeister (tamíai), die der öffentlichen Speisung vorstanden.

Delfim F. Leão und P. J. Rhodes haben diesen Text als †Fr. 79/b aufgenommen, den Antonio Martina als Testimonium zu T 340 (F 56 g) und Eberhard Ruschenbusch zu F 79 abgedruckt hatte. Zwar wird in dem Text nicht unmittelbar auf ein Gesetz Solons verwiesen, doch legt die Auszahlung des Zehrgeldes „aus den nauklēriká“ nahe, dass die hier genannten ἀργύρια ἐκ τῶν ναυκληρικῶν mit den Mitteln „aus dem naukrarischen Silber“ (ἐκ τοῦ ναυκραρικοῦ ἀργυρίου) in Aristot. Ath. pol. 8,3 (F 56b) identisch sind.143

143  Harding 1994, 136, 137 f. Zur Ähnlichkeit in der Begrifflichkeit Lambert 1993, 386 f.

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Gesetze über die Amtsträger

Da ‚naukrarische Kassen‘ seit Beginn des 5. Jh. nicht mehr belegt sind und vermutlich seit den 470er Jahren nicht mehr existierten, geht Hans van Wees davon aus, dass die Bestimmung auf solonischen Ursprung zurückgeht.144 Das ἀργύρια ἐκ τῶν ναυκληρικῶν, wie in den Codices überliefert, wird in ἀργύρια ἐκ τῶν ναυκραρικῶν zu verbessern sein, wie es Hildebrecht Hommel vorgenommen hat.145 Androtion fasst die kōlakrétai als Schatzmeister auf, die Gelder für die Verpflegung aus öffentlichen Mitteln bereitstellten; dies könnte nicht nur auf die nach Delphi ent­ sandten theōroí bezogen sein, sondern auch auf die im Prytaneion speisenden Ratsmitglieder, die gleichfalls aus öffentlichen Mitteln verköstigt wurden (siehe F 57). Waren dies Vertreter der vier Phylen, zwölf Trittyen und 48 Naukrarien, war es angemessen, deren Speisung aus der naukrarischen Kasse zu finanzieren. F 56b: Aristoteles, Athenaion politeia 8,3 (320er Jahre) φυλαὶ δ’ ἦσαν δʹ καθάπερ πρότερον, καὶ φυλοβασιλεῖς τέτταρες. [ἐκ] δὲ [τῆς] φυ[λῆ]ς ἑκάστης ἦσαν νενεμημέναι τριττύες μὲν τρεῖς, ναυκραρίαι δὲ δώδεκα καθ’ ἑκάστην· ἦν δ’ ἐπὶ τῶν ναυκραριῶν ἀρχὴ καθεστηκυῖα ναύκραροι, τεταγμένη πρός τε τὰς εἰσφορὰς καὶ τὰς δαπ[άνας] τὰς γιγνομένας· διὸ καὶ ἐν τοῖς νόμοις τοῖς Σόλωνος οἷς οὐκέτι χρῶνται πολλαχο[ῦ γέ]γραπται, ‚τοὺς ναυκράρους εἰσπράττειν‘ καὶ ‚ἀναλίσκειν ἐκ τοῦ ναυκραρικοῦ ἀργυρ[ίο]υ‘. Wie früher gab es 4 Phylen und vier phylobasileís. Aus jeder Phyle waren drei Trittyen gebildet worden, und ebenso zwölf naukraríai in jeder [Phyle]. Zur Verwaltung der naukraríai gab es ein Amt (archḗ), nämlich die naúkraroi, zuständig für die jeweils fälligen Einnahmen (eispho­ raí) und Ausgaben (dapánai); deshalb steht auch in den Gesetzen (nómoi) Solons, die nicht mehr angewandt werden, häufig geschrieben: „die naúkraroi sollen eintreiben (eispráttein)“ und „bezahlen soll man aus naukrarischem Silber (naukrarikón argýrion)“.

Charlotte Schubert bezieht argýrion auf gemünztes Silber, so dass kaum wahrscheinlich sei, dass die in der Athenaion politeia zitierten Bestimmungen aus der Zeit Solons

144  Van Wees 2013, 41 (mit der Lesung: ἐκ τῶν ναυκραρικῶν ἐφόδιον ἀργύρια): „Since neither the ko­ lakretai nor the naukrarika existed any longer in Androtion’s own day, he was evidently citing an obsolete law, probably in his discussion of Cleisthenes’ reform of the Ham-Collectors (…). An archaic date seems certain, and a Solonian origin probable“. Bereits Hommel 1935, 1945 hatte die kōlakrétai als Unterbeamten der naúkraroi angesehen. Vgl. dazu auch Gabrielsen 1985, 42 f.; zur Finanzierung von Festgesandtschaften siehe Ian Rutherford, State Pilgrims and Sacred Observers. A Study of Theōriā and Theōroi, Cambridge 2013, 215–217. 145  Allerdings sind in Inschriften aus dem 5. Jh. Gelder belegt, die „von den Schiffseignern (naúklēroi)“ geleistet wurden. Nach Lipsius 1905–15, 769 seien die nauklēriká, die Androtion nennt, Abgaben einer „Handelsgilde“ der Händler, der naúklēroi und émporoi, die eine bedeutsame Einnahmequelle für die Polis ausmachten (mit Verweis auf IG I3 130 und 133 und auf Schol. Aristoph. aves 1541). Bei einer solchen Deutung stellt sich aber die Frage, warum Zahlungen aus einer solchen ‚Vereinskasse‘ von den kōlakrétai geleistet worden sein sollten. Die kōlakrétai sind für das 5. Jh. inschriftlich häufiger belegt (Schubert 2008, 42 mit den Inschriften).

Naukrarie und Speisung der Prytanen im Prytaneion (F 56–57)

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stammten.146 Dieser Einwand ist aber nicht zwingend, da es sich auch um ungemünztes Silber handeln kann.147 Dem kurzen Zitat ist auch nicht zu entnehmen, ob es die naúkraroi selbst waren, die Gelder aus dem naukrarischen Silber auszahlten, sie also als Schatzmeister aufgefasst werden können, oder ob die kōlakrétai in deren Auftrag handelten. Diane Harris und Elisavet P. Sioumpara sind der Ansicht, dass naúkraroi im archaischen Athen die Schatzmeister der gemeinsamen Kasse Athens und der Athena waren, die später tamíai hießen; sie wären für die Einziehung der Steuern zuständig gewesen, die in dieser Zeit aus den Zehnten der Ernteerträge bestanden und in Naturalien oder ungemünztem Silber entrichtet wurden. Aus diesen Erträgen seien die Kosten für die öffentlichen Opfer und die Festgesandtschaft nach Delphi bestritten worden.148 Es ist gut möglich, dass die Auszahlungen durch die kōlakrétai getätigt wurden.149 Möglicherweise hat die Phylenreform des Kleisthenes dazu geführt, dass die Gesetze über die Tätigkeiten der naúkraroi nicht mehr angewandt wurden.150 F 56c: Pollux, Onomasticon 8,108 (2. Jh. n. Chr.) δήμαρχοι οἱ κατὰ δήμους ἄρχοντες. ἐκαλοῦντο δὲ τέως ναύκραροι ὅτε καὶ οἱ δῆμοι ναυκραρίαι. ναυκραρία δ’ ἦν τέως φυλῆς δωδέκατον μέρος, καὶ ναύκραροι ἦσαν δώδεκα, τέτταρες κατὰ τριττὺν ἑκάστην. τὰς δ’ εἰσφορὰς τὰς κατὰ δήμους διεχειροτόνουν οὗτοι, καὶ τὰ ἐξ αὐτῶν ἀναλώματα. ναυκραρία δ’ ἑκάστη δύο ἱππέας παρεῖχε καὶ ναῦν μίαν, ἀφ’ ἧς ἴσως ὠνόμαστο. App. crit.: ναυκράριοι A, om. ὅτε … ναυκράριοι (ita enim vulgo); ναύκληροι BC corr. Leopardus; ἐχείριζον F.

Die dḗmarchoi sind die Vorsteher in den Dorfgemeinden (dḗmoi). Vorher wurden sie naú­ kraroi genannt, als auch die dḗmoi naukraríai hießen. Naukraría war vorher der zwölfte Teil einer Phyle, und naúkraroi gab es zwölf, vier in jeder Trittys. Diese entschieden [durch Abstimmung] über die Einkünfte (eisphoraí) in den dḗmoi und die aus diesen getätigten Auf-

146  Schubert 2008, 43 Anm. 38. 147  Rhodes 1981, 152 f.; Harding 1994, 138. 148  Elisavet P. Sioumpara, Constructing Monumentality at the Athenian Acropolis in the Early 6th Century B. C., in: Constanze Graml, Annarita Doronzio, Vincenzo Capozzoli (Hrsg.), Rethinking Athens Before the Persian Wars, München 2019, 149–166, hier 164 f. Neben Abgaben auf Land und Ernteerträgen hätten sie im 6. Jh. auch das Öl der heiligen Olivenbäume für die Panathenäen eingezogen. Allerdings ist in den frühen inschriftlichen Belegen, auf die sie hinweist (IG I3 510, eine Bronzeinschrift von der Akropolis von ca. 550 v. Chr., und IG I3 4 von 485 v. Chr., eine Abschrift eines Originals aus dem 6. Jh.), nur von „Schatzmeistern“ (tamíai) und einer Rechenschaftspflicht die Rede. Möglicherweise lässt sich der Text in IG I3 4 Z. 23–25 ergänzen zu: „der Vorsteher (prýtanis) soll den tamíai die Vergehen, die auf Stein geschrieben sind, anzeigen“ (εὐθ[ύνεσ]θαι ⁞ φα[ί]νεν δὲ ⁞ τὸ π[ρύτανιν ⁞ τὰ ἀδικέματα] το[ῖς] ταμίασι ⁞ τὰ ἐν το�ι λί[θοι γεγραμμένα]). Ähnlich urteilte Diane Harris: „The Treasurers of the Athenian state and of Athena were one board in archaic Athens. Their earliest name may have been naukraroi; rather than tamiai as they later came to be called“ (1995, 11). Vgl. Patricia A. Butz, The Art of the Hekatompedon Inscription and the Birth of the Stoikhedon Style, Leiden 2010, 163 f. 149 Harding 1994, 138. 150  Nach Aristot. Ath. pol. 22,1 hätte Kleisthenes neue Gesetze gegeben, zu denen auch das über den Ostrakismos gehört habe.

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wendungen. Jede naukraría stellte zwei Reiter und ein Schiff (naús) bereit, weswegen sie so bezeichnet wurde. vgl. Harpokr. δ 27 s. v. Δήμαρχος· Λυσίας ἐν τῷ Κατὰ Μόσχου. ἄρχων τις ἦν ὁ δήμαρχος· … τούτους δέ φησιν Ἀριστοτέλης ἐν Ἀθηναίων πολιτείᾳ (21,5) ὑπὸ Κλεισθένους κατασταθῆναι, τὴν αὐτὴν ἔχοντας ἐπιμέλειαν τοῖς πρότερον ναυκράροις. ὅτι δὲ ἠνεχυρίαζον οἱ δήμαρχοι δηλοῖ Ἀριστοφάνης ἐν Σκηνὰς καταλαμβανούσαις. Dḗmarchos: Lysias in der Rede Gegen Moschos (or. 106 fr. 237 Carey). Der Demarch war ein Amtsträger; … Aristoteles sagt in der Athenaion politeia (21,5), dass sie unter Kleisthenes eingesetzt wurden und dieselben Aufgaben wie die früheren naúkraroi hatten. Dass die Demarchen Pfand nahmen, macht Aristophanes in den Frauen in Zelten (Skēnas katalambanoúsai) deutlich. Hesych. δ 824 s. v. δήμαρχοι· οἱ πρότερον καλούμενοι ναύκραροι· ἄρχοντες δὲ ἦσαν καὶ ἠνεχύραζον οὗτοι τοὺς ὀφείλοντας. Dḗmarchoi: die vorher naúkraroi genannt wurden; es waren Amtsträger und diese nahmen führten Pfandnahmen bei den Schuldner durch. Suda δ 421 s. v. δήμαρχοι (T 341e Martina): ὄνομα δὲ πολιτείας οἱ δήμαρχοι παρὰ τοῖς Ἀθηναίοις, οἱ πρώην ναύκραροι καλούμενοι· οἷς ἐξῆν ἐνεχυράζειν. καὶ Φερεκράτης· ὑπέλυσε δήμαρχός τις ἐλθὼν εἰς χορόν. οἱ κατὰ δῆμον ἄρχοντες. οὗτοι δὲ διεκόσμουν τὴν ἑορτὴν τῶν Παναθηναίων. Dḗmarchoi: Als verfassungspolitische Bezeichnung [gab es] die Demarchen bei den Athenern; sie wurden zuvor naúkraroi genannt; ihnen war es gestattet, Pfand zu nehmen. Pherekrates [sagt]: „ausgelöst hat ihn irgendein dḗmarchos, als er in die Orchestra trat“. Die Vorsteher eines jeden dḗmos. Diese haben auch das Fest der Panathenäen ausgerichtet. Thomas Magister, Ecloga nominum et verborum Atticorum p. 246,9 (13./14. Jh.) s. v. Ναύκληροι ἐπὶ νηῶν· ναύκραροι δὲ παρ’ Ἀττικοῖς οἱ εἰσπραττόμενοι τὰ δημόσια χρήματα. καὶ ναυκραρεῖα οἱ τόποι, ἐν οἷς ἀπέκειντο τὰ τοιαῦτα χρήματα ἢ κτήματα. ἐλέγοντο δὲ ὁμοίως ναύκραροι καὶ οἱ μισθωτοί. Naúklēroi [leitet sich ab] von nēṓn (‚Schiffen‘). Naúkraroi hingegen [waren] in Athen die, die öffentliche Gelder eintrieben. Und naukrareía [waren] die Bezirke, an denen solche Gelder und Besitztümer aufbewahrt wurden. Gleichermaßen wurden naúkraroi auch die Pächter [für die Einziehung offentlicher Gelder] so genannt.

Vincent Gabrielsen zweifelt den historischen Wert der Angaben des Pollux an, da sie aus der Athenaion politeia abgeleitet und – möglicherweise missverständlich – interpretiert worden seien; denn aus Ath. pol. 8,3 gehe nicht zwingend hervor, dass jeder Naukrarie nur ein naúkraros vorstand (und nicht mehrere).151 Auch das in Ath. pol. 8,3 folgende τεταγμένη πρός τε τὰς εἰσφορὰς καὶ τὰς δαπ[άνας] τὰς γιγνομένας werde von Pollux mit τὰς δ’ εἰσφορὰς τὰς κατὰ δήμους διεχειροτόνουν οὗτοι, καὶ τὰ ἐξ αὐτῶν ἀναλώματα ungenau wiedergegeben, denn es wird sich nicht um „Einkünfte aus den dḗmoi“ handeln, sondern um „Einkünfte aus den naukraríai“. Die Angaben bei den Lexikographen könnten also nicht als verlässlich angesehen werden.152 Unsicher muss auch

151  Siehe dazu auch F 56f mit dem Kommentar. 152  Gabrielsen 1985, 40, 44 f.

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bleiben, ob bereits die naúkraroi Besitz von Schuldnern (gegenüber der öffentlichen Kasse) pfänden konnten oder erst die dḗmarchoi in klassischer Zeit.153 F 56d: Glossae rhetoricae s. v. ναύκραροι (Lexica Segueriana, Anecdota graeca I 283,20 f. Bekker) ναύκραροι: οἱ τὰς ναῦς παρασκευάζοντες, καὶ τριηραρχοῦντες, καὶ τῷ πολεμάρχῳ ὑποτεταγμένοι. naúkraroi: diejenigen, die die Schiffe bereitstellen, als Trierarchen fungieren und dem Polemar­ chen unterstellt sind.

F 56e: Ps.-Ptolemaios, De differentia vocabulorum 402,18 s. v. ναύκληροι (2. Jh. v. Chr.– 2. Jh. n. Chr.) ναύκληροι μὲν οἱ ναῦς κεκτημένοι· ναύκραροι δὲ οἱ εἰσπρασσόμενοι τὰ δημόσια κτήματα· ναυκράρια οἱ τόποι ἐν οἷς ἀνέκειτο τὰ κτήματα· ἐλέγοντο δὲ ὁμοίως ναύκληροι καὶ οἱ μισθωτοὶ τῶν συνοικιῶν. Naúklēroi sind diejenigen, die ein Schiff [oder: Schiffe] besitzen, naúkraroi hingegen diejenigen, die die öffentlichen Gelder einfordern, und naukrária die Bezirke, in denen die Gelder erhoben wurden. Gleichfalls naúklēroi werden auch die Pächter der [Einnahmen aus den] syn­ oikíai genannt. vgl. Ammonius Gramm., De adfinium vocabulorum differentia ν 330 s. v. ναύκληροι (1./2. Jh. n. Chr.) ναύκληροι καὶ ναύκραροι διαφέρουσιν. ναύκληροι μὲν γάρ εἰσιν οἱ ναῦς κεκτημένοι, ναύκραροι δὲ οἱ εἰσ­ πρασσόμενοι τὰ δημόσια κτήματα. καὶ ναυκράρια οἱ τόποι ἐν οἷς ἀνέκειτο τὰ κτήματα. ἐλέγοντο δὲ ὁμοίως ναύκληροι καὶ οἱ μισθωτοὶ τῶν συνοικιῶν. Naúklēroi und naúkraroi unterscheiden sich. Denn naúklēroi sind diejenigen, die ein Schiff [oder: Schiffe] besitzen, naúkraroi hingegen diejenigen, die die öffentlichen Gelder einfordern, und naukrária die Bezirke, in denen die Gelder erhoben wurden. Gleichfalls naúklēroi werden auch die Pächter der [Einnahmen aus den] synoikíai genannt.154 Hesych. ν 118 s. v. ναύκλαροι (T 341f Martina) δήμαρχοι. [ἐπηρέται. ναύκληροι δὲ ἐρέται.] τινὲς δὲ ἀφ’ ἑκάστης φυλῆς δώδεκα, οἵτινες ἀφ’ ἑκάστης χώρας τὰς εἰσφορὰς ἐξέλεγον. ὕστερον δὲ δήμαρχοι ἐκλήθησαν. naúklaroi: dḗmarchoi. [Ruderer. Naúklēroi aber sind Ruderer.] Einige aber [geben an, es seien] zwölf in jeder Phyle, die die Einnahmen (eisphoraí) von einem jeden Gebiet eintreiben. In späterer Zeit wurden dḗmarchoi gelost.

F 56f: Photios, Lexicon p. 288 s. v. ναύκραροι und ναυκραρία Porson (ν 39 und 40 Theodoridis) (9. Jh.) (39) ναύκραροι· τὸ παλαιὸν Ἀθήνησιν οἱ νῦν δήμαρχοι· καὶ οἱ ἐκμισθοῦντες τὰ δημόσια. (40) ναυκραρία: τὸ πρότερον οὕτως ἐκάλουν ναυκραρία καὶ ναύκραρος· ναυκραρία μὲν ὁποῖόν τι ἡ συμμορία καὶ ὁ δῆμος· ναύκραρος δὲ ὁποῖόν τι ὁ δήμαρχος, Σόλωνος οὕτως ὀνομάσαντος, ὡς

153  David Whitehead versteht unter dem ἠνεχυρίαζον „seized the property of debtors“, wobei es um Schuldner gegenüber der öffentliche Kasse gehen konnte, aber auch um Unterstützung, wenn ein Gläubiger bei einem Schuldner in der Dorfgemeinde Pfand nehmen wollte (1986, 125 f.). 154  Siehe dazu Hommel 1935, 1940.

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καὶ Ἀριστοτέλης φησί· καὶ ἐν τοῖς νόμοις δὲ „ἄν τις ναυκραρίας ἀμφισβητῇ“ καὶ „τοὺς ναυκράρους τοὺς κατὰ ‹τὴν› ναυκραρίαν“· ὕστερον δὲ ἀπὸ Κλεισθένους δῆμοι εἰσίν· καὶ δήμαρχοι ἐκλήθησαν· ἐκ τῆς Ἀριστοτέλους Πολιτείας, ὃν τρόπον διέταξε τὴν πόλιν ὁ Σόλων· „φυλαὶ δὲ ἦσαν τέσσαρες καθάπερ πρότερον καὶ φυλοβασιλεῖς τέσσαρες· ἐκ δὲ τῆς φυλῆς ἑκάστης ἦσαν νενεμημέναι, τριττύες μὲν τρεῖς, ναυκραρίαι δὲ δώδεκα καθ’ ἑκάστην“. ὁ Κλείδημος ἐν τῆι τρίτη φησὶν, ὅτι Κλεισθένους δέκα φυλὰς ποιήσαντος, ἀντὶ τῶν τεσσάρων, συνέβη καὶ εἰς πεντήκοντα μέρη διαταγῆναι· αὐτοὺς δὲ ἐκάλουν ναυκράρια· ὥσπερ νῦν εἰς τὰ ἑκατὸν μέρη διαιρεθέντα καλοῦσι συμμορίας. App. crit.: κατὰ ναυκραρίαν cod., κατὰ τὴν ναυκραρίαν Naber; διαταγῆναι· αὐτοὺς δὲ ἐκάλουν ναυκράρια· ὥσπερ νῦν εἰς τὰ ἑκατὸν μέρη διαιρεθέντα καλοῦσι συμμορίας cod., διαταγῆναι αὐτοὺς, ἃ ἐκάλουν ναυκραρία‹ς›· ὥσπερ νῦν εἰς τὰ ἑκατὸν μέρη διαιρεθέντα‹ς› καλοῦσι συμμορίας Jacoby und Theodoridis.

(39) naúkraroi: In früherer Zeit in Athen die jetzt dḗmarchoi [genannten Amtsträger]; sie verpachten öffentlichen [Besitz]. (40) naukraría: früher verwendeten sie [die Athener] [die Begriffe] naukraría und naúkraros; eine naukraría entspricht in etwa der symmoría und dem dḗmos, ein naúkraros in etwa dem dḗmarchos. Solon hat sie so bezeichnet, wie es auch Aristoteles sagt (Ath. pol. 8.3). Und in den Gesetzen (nómoi) heißt es: „wenn jemand eine naukraría streitig macht (amphisbēteín)“ und „die naúkraroi in der naukraría“. Später bestanden [dafür] die von Kleisthenes [eingerichteten] dḗmoi; und [die naúkraroi] wurden [seit dieser Zeit] dḗmarchoi genannt. Aus der [Athenaion] politeia des Aristoteles [geht hervor], in welcher Weise Solon die Stadt gegliedert hat: „Wie früher bestanden vier Phylen und vier phylobasileís; die vier Phylen waren jeweils in drei Trittyen und zwölf naukraríai unterteilt“. Kleidemos (FgrH 323 F 8) sagt aber im dritten [Buch], dass, als Kleisthenes zehn Phylen statt der [vorherigen] vier eingerichtet hat, sich daraus ergab, sie auch in fünfzig Teile zu teilen. Diese aber wurden naukrária genannt, gerade so wie sie jetzt die in hundert Teile geteilten [Einheiten] symmoríai nennen.

Vincent Gabrielsen geht davon aus, dass Photios’ Zitate aus den solonischen Gesetzen auf Androtion beruhen.155 Samuel A. Naber gibt in seiner Edition des Lexikons von 1864 die Lesung τοὺς ναυκράρους τοὺς κατὰ τὴν ναυκραρίαν, also „die naúkraroi in der naukraría“, was bedeuten würde, dass jede naukraría mehrere naúkraroi gehabt hätte. In der neuen Ausgabe vertritt Christos Theodoridis die in den Manuskripten enthaltene Überlieferung κατὰ ναυκραρίαν ohne den Artikel; dies erlaubt ein Verständnis im Sinne von: „die naúkraroi, die in ihrer jeweiligen naukraria,“ [verantwortlich für die Einziehung der Einkünfte waren]. Hans van Wees geht daher davon aus, dass jede naukraría einen naúkraros als Vorsteher hatte.156 Photios folgt der Athenaion politeia darin, dass die ursprünglichen naukraríai den späteren dḗmoi und die naúkraroi als Vorsteher den späteren dḗmarchoi entsprachen. Aus der bei Photios zitierten Angabe des Kleidemos kann allerdings geschlossen werden, dass

155  Gabrielsen 1985, 38. 156  Lambert 1993, 253 Anm. 36, dem van Wees 2013, 160 Anm. 25 folgt. Ebenso Welwei 1992, 124. Nach Kleidemos seien die Untereinheiten der Phylen naukrária genannt worden; er leitete das Wort also von einem Singular naukrárion ab, bzw. von einem feststehenden Neutrum Plural τὰ ναυκράρια. Felix Jacoby hat dies in FgrH in naukraríai korrigiert.

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mit den Reformen des Kleisthenes die naukraríai im Jahre 508/7 nicht gänzlich aufgelöst wurden, sondern einen Teil ihrer Funktionen behielten und ihre Zahl deswegen auf fünfzig erhöht wurde, um sie der Zahl der neuen zehn Phylen anzupassen. Da die 139 dḗmoi von ganz unterschiedlicher Größe waren, ließen sich Pflichten wie die Stellung eines militärischen Kontingents oder eines Schiffs nicht ohne weiteres auf die dḗmoi übertragen.157 Für diese Funktion könnten die naukraríai beibehalten worden sein,158 bis sie in späterer Zeit – Leão und Rhodes vermuten, dass dies im frühen 5. Jh. geschehen sei, vermutlich im Zuge des Aufbaus der Flotte durch Themistokles – durch die symmoríai ersetzt wurden, in denen Athener von einem bestimmten Vermögen an in Gruppen zusammengestellt wurden, die finanzielle und persönliche Lasten für den Krieg zu tragen hatten.159 Für die Zeit nach 500 v. Chr. sind keine Naukrarien mehr belegt. F 56 g: Scholia in Aristophanem, nubes (editionis Aldinae) 37 (fr. 397 Rose) Ἀριστοτέλης δὲ περὶ Κλεισθένους φησί· „κατέστησε καὶ δημάρχους τὴν αὐτὴν ἔχοντας ἐπιμέλειαν τοῖς πρότερον ναυκλάροις· καὶ γὰρ τοὺς δήμους αὐτῶν ναυκλαριῶν ἐποίησεν“. οἱ πρότερον ναύκλαροι, εἴτε ὑπὸ Σόλωνος κατασταθέντες εἴτε καὶ πρῶτον (lac.) οὗτοι δὲ τὴν πομπὴν τῶν Παναθηναίων ἐκόσμουν Κλεισθένους καταστήσαντος ἀντὶ ναυκλάρων. ἔστι δὲ δήμαρχος ὁ τὴν ἐπώνυμον ἀρχὴν ἄρχων· καὶ Ἀσκληπιάδης ὁ Ἀλεξανδρεὺς τοὺς κατὰ δῆμον ἄρχοντάς φησι. Δημήτριος δὲ ὁ Φαληρεὺς οὕτω φησί· „καὶ δημάρχους οἱ περὶ Σόλωνα καθίσταντο ἐν πολλῇ σπουδῇ, ἵνα οἱ κατὰ δῆμον ἄρχοντες διδῶσι καὶ λαμβάνωσι τὰ δίκαια παρ’ ἀλλήλων“. ἔδει οὖν τὸν δήμαρχον ἀγαγεῖν εἰς τοὺς οἴκους τοὺς ἐνεχυριαζομένους. App. crit.: αὐτῶν ναυκλαριῶν: Ath. pol. 21,5: ἀντὶ τῶν ναυκραριῶν.

Aristoteles sagt über Kleisthenes: „Er [Kleisthenes] hat auch Dorfvorsteher (dḗmarchoi) eingesetzt, die dieselbe Aufgabe wie die früheren naúklaroi hatten; denn er hat die Dorfgemeinden (dḗmoi) ‹an die Stelle› der nauklaríai gesetzt“ (Ath. pol. 21,5). Die früheren naúklaroi, seien sie nun von Solon eingerichtet worden, seien sie früher … Diese aber, die Kleisthenes an die Stelle der naúklaroi gesetzt hatte, haben den Umzug bei den Panathenäen durchgeführt. Es ist der Dorfvorsteher (dḗmarchos), der das [dem Jahr] namengebende Amt [in der Dorfgemeinde] ausübt. Und auch Asklepiades von Alexandria nennt so die Vorsteher in den dḗmoi. Demetrios von Phaleron [FgrH 228 F 31; F 145 Wehrli] hingegen sagt Folgendes: „Und die Anhänger Solons haben mit großem Eifer Dorfvorsteher (dḗmarchoi) eingesetzt, damit die Vorsteher in den dḗmoi Recht sprachen“. Man muss daher den Dorfvorsteher (dḗmarchos) zu den gepfändeten Häusern führen [bevor man die Pfändung vollzieht].

157  Van Wees 2013, 45: „the naukrariai must have been artificially defined administrative regions which covered on average about three demes“. Auch Hommel 1935, 1948–1950 hat die Anpassung in der Zahl der Naukrarien von 48 auf 50 als durchaus denkbar angesehen; in diesem Falle seien sie erst durch die themistokleische Flottenreform aufgelöst worden. Gabrielsen 1985, 37 hält es indes für möglich, dass Kleidemos aufgrund der Erhöhung der Zahl der Phylen selbst die Schlussfolgerung gezogen habe, Kleisthenes hätte im Zuge dessen auch die Zahl der Naukrarien von 48 auf 50 erhöht. 158  So Kienast 2005, 75–81. 159  Leão/Rhodes 2015, 136.

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Auf sehr unsicherer Grundlage steht die Vermutung, die naúkraroi hätten in ihren Bezirken eine lokale Gerichtsbarkeit ausgeübt. Denn die Angabe des Demetrios von Phaleron ist so, wie sie überliefert ist, aufgrund der Nennung der dḗmarchoi ana­ chronistisch.160 Aber ob Demetrios bei dieser Nachricht die dḗmarchoi an die Stelle der dem Leser möglicherweise nicht geläufigen naúkraroi gesetzt hat, muss Spekulation bleiben. F 57 Die öffentliche Speisung im Prytaneion (F 57a: T 491 Martina; F 87 Ruschenbusch, Leão/Rhodes; F 57b: T 493 Martina; F 89 Ruschenbusch, Leão/Rhodes)

F 57a: Plutarch, Solon 24,5 (um 100 n. Chr.) Ἴδιον δὲ τοῦ Σόλωνος καὶ τὸ περὶ τῆς ἐν δημοσίῳ σιτήσεως, ὅπερ αὐτὸς παρασιτεῖν κέκληκε. τὸν γὰρ αὐτὸν οὐκ ἐᾷ σιτεῖσθαι πολλάκις, ἐὰν δ’ ᾧ καθήκει μὴ βούληται, κολάζει, τὸ μὲν ἡγούμενος πλεονεξίαν, τὸ δ’ ὑπεροψίαν τῶν κοινῶν. App. crit.: κολάζειν S.

Eigentümlich ist auch Solons [Gesetz] über die öffentliche Speisung, wofür er selbst den Ausdruck parasiteín verwendet. Er lässt es nämlich nicht zu, dass jemand mehrfach an der Speisung teilnimmt (siteísthai); wenn aber jemand nicht wollte, dem es zukam, bestrafte er ihn. Denn er sah das eine [also: mehrfach teilzunehmen] als ungebührliche Anmaßung, das andere als Missachtung gemeinschaftlicher Angelegenheiten.161

F 57b: Athenaios, Deipnosophistai 4,14, p. 137e (um 200 n. Chr.) Σόλων δὲ τοῖς ἐν πρυτανείῳ σιτουμένοις μᾶζαν παρέχειν κελεύει, ἄρτον δὲ ταῖς ἑορταῖς προσπαρατιθέναι, μιμούμενος τὸν Ὅμηρον. App. crit.: fort. ἄρτον δ’ ἐν Kaibel.

Solon ordnet an, denen, die im Prytaneion öffentlich speisen (sitoúmenoi), Gerstenfladen (máza) vorzusetzen, an Festtagen (heortaí) aber zusätzlich Weizenbrot, womit er Homer nachahmt. vgl. Klearchos in Athen. 6,26 p. 234f: Κλέαρχος δ’ ὁ Σολεύς, εἷς δ’ οὗτος τῶν Ἀριστοτέλους ἐστὶ μαθητῶν, ἐν τῷ πρώτῳ τῶν βίων τάδε γράφει: ἔτι δὲ παράσιτον νῦν μὲν τὸν ἕτοιμον, τότε δὲ τὸν εἰς τὸ συμβιοῦν κατειλεγμένον. ἐν γοῦν τοῖς παλαιοῖς νόμοις … αἱ πλεῖσται τῶν πόλεων ἔτι καὶ τήμερον ταῖς ἐντιμοτάταις ἀρχαῖς συγκαταλέγουσι παρασίτους. Klearchos von Soloi, einer der Schüler des Aristoteles, schreibt im ersten Buch der Biographien: „pará­ sitos nennt man jetzt einen Unterhalter, damals aber war es jemand, der zum Zusammenleben (sym­

160  Whitehead 1986, 12 f., 37. 161  Nach Ludwig Ziehen, Art. Παράσιτοι, in: RE 18,2, 1949, 1377–1381, hier 1380 bezog sich das Gesetz nicht auf die sítēsis als Belohnung für besondere Verdienste, sondern auf die Prytanen, die bei den wichtigen Opfern, die täglich der Hestia darzubringen waren, als Vertreter der Gemeinde zum parasiteín verpflichtet waren.

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bioún) ausgewählt wurde. In ihren alten Gesetzen (palaioí nómoi) wählen die meisten Städte auch heute noch parásitoi für die ehrenvollsten Ämter aus“. Moeris π 65 p. 208,2 Bekker: παρασίτους τοὺς τὰ δημόσια σιτουμένους ἐν πρυτανείῳ Ἀττικοί. – „parásitoi sind im Attischen diejenigen, die bei öffentlichen Mahlzeiten im Prytaneion speisen“.

Den Verweis auf Homer hat Eberhard Ruschenbusch auf die Nennung von Weizenbrot in Hom. Od. 17,343 und 18,120 bezogen; eher wird der Verweis jedoch auf die Speisung der Ratsmitglieder zu beziehen sein, die von der Gemeinde gestellt wurde. IV 4 Prüfung der Amtsführung Abstract: Am Ende der Amtszeit mussten die Amtsträger Rechenschaft über ihre Tätigkeit ablegen. Jeder Athener, der wollte, konnte einen Amtsträger wegen Untätigkeit im Amt (argía), wegen Unterschlagung oder Bestechung anklagen. Wer schuldig befunden worden war, wurde ehrlos (átimos), konnte fortan kein Amt mehr übernehmen. In Fällen von Unterschlagung und Bestechung galt dies auch für die Nachkommen. Die Verfahren führte der Areopag durch und hatte damit die Kontrolle, ob die Archonten des abgelaufenen Jahres ihrerseits in den Areopag aufgenommen wurden.

Historische Einordnung Zum herkömmlichen Verständnis des nómos argías Der nómos argías, das ‚Gesetz über die Untätigkeit‘, ist in der Forschung unterschiedlich beurteilt worden. Bereits Adolf Philippi akzeptierte das Gesetz als eines der ältesten Bestandteile der athenischen Gesetzgebung, als drakontisches Gesetz, das von Solon abgeändert worden war. Die von Lysias dem Solon zugeschriebene Fassung sei die zu Lysias’ Zeit geltende gewesen.162 Auch Justus H. Lipsius und Ulrich Kahrstedt hatten die von den Quellen dem Areopag zugeschriebene Funktion akzeptiert: Der Areopag habe gegen Müßiggänger und Übeltäter vorgehen können und die Verschwender, die ohne einen Überschuß zu erwirtschaften von einem Gewerbe lebten, gemahnt, um so die Bettelei niederzuhalten, bis ihm diese Befugnis 462/1 v. Chr. genommen wurde.163 162  Adolf Philippi, Der Areopag und die Epheten. Eine Untersuchung zur athenischen Verfassungsgeschichte, Berlin 1874, 163 f.; vgl. 167–170. Zum nómos argías als Kennzeichen einer république commerçante bereits Montesquieu, L’Esprit des Lois V 6. Einen kurzen Überblick über verschiedene Interpretationen des Gesetzes gibt Laura Loddo (2015, 118–120). 163  Lipsius 1905–15, 59 f.; 340 (aus staatlichen Interessen an der Erhaltung der Häuser; Familienbesitztum sollte durch Untätigkeit nicht in Verfall geraten); 353–355; Ulrich Kahrstedt, Untersuchungen zu den athenischen Behörden, in: Erich Berneker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, Darmstadt

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Ähnlich urteilt Hendrik Bolkestein, der das Gesetz gegen arbeitsunwillige Bettler gerichtet sieht.164 Johannes Engels hingegen meldete grundsätzliche Zweifel an: Vor dem Jahr 322 v. Chr. habe es eine Aufsicht des Areopags über die Erziehung und das sittliche Verhalten der Bürger nicht gegeben. Auch der angebliche nómos argías und die Zuständigkeit des Areopags über die Aufsicht untätiger Bürger seien für die Verfassungswirklichkeit Athens anachronistisch.165 In einem weiteren Aufsatz akzeptiert er (stillschweigend) die Existenz eines athenischen nómos argías und vermutet, aufbauend auf den Arbeiten von Alois Dreizehnter und Raymond Descat, dass es ein Gesetz „der bürgerlichen Demokratie gegen (vorwiegend aristokratische) Verschwender des Vermögens der Oikoi“ gewesen sei.166 Herbert Graßl sieht die Ursache dafür, dass im 7. und 6. Jahrhundert mehrfach gesetzliche Maßnahmen gegen argía erlassen wurden, in einem sozialen Wandel: Im 7. Jahrhundert hätte sich in der öffentlichen Meinung ein neues Arbeitsethos herausgebildet. Dieses neue Arbeitsethos als Antwort auf den sozioökonomischen Umbruch hätte bewirkt, dass sich eine Kluft von neuem Reichtum und Arbeit aufgetan hätte. Man habe dem Wandel, dass viele Reiche nicht mehr arbeiten mussten, dadurch zu begegnen versucht, dass man die Pflicht zur Arbeit festgeschrieben habe.167 Ausführlicher hatte sich Alois Dreizehnter mit dem nómos argías auseinandergesetzt. Der nómos argías stehe in Zusammenhang mit weiteren Rechtsverfahren, die den Bestand des Oikos schützen sollten. So schritt der árchōn epṓnymos nicht nur gegen denjenigen ein, der die alten Eltern, Waisen und epíkleroi schlecht behandelte oder ihm zur Verwaltung anvertrautes Vermögen veruntreute, sondern sei auch zuständig für Anträge wegen paranoía und argía gewesen.168 Beide Verfahren hätten dazu

1968, 196–262, hier 206–209 (= Klio 30, 1937, 10–33 und 31, 1938, 1–32). Akzeptiert auch bei Bonner/Smith 1930, 1,2 (als Gesetz gegen Bürger, die keiner Beschäftigung nachgingen); 2,261; MacDowell 1978, 155. Weitere Hinweise auf die ältere Literatur bei Dreizehnter 1978, 372 und Cecchet 2015, 189 f. 164  Bolkestein 1939, 283–286. 165  Engels 1988, bes. 184: „Hinweise auf die Aufsicht des Areopages über das Erziehungswesen oder eine Rolle als ‚Sittenpolizei‘ dürften für die Zeit bis 322 nur den Wünschen bestimmter Publizisten, nicht der Verfassungswirklichkeit entstammen“. So hatte auch schon Lipsius 1905–15, 354 f. geurteilt. Ruschenbusch 1966 hatte die Belege für einen nómos argías als F 148 den spuria zugewiesen. – Vgl. noch Herman Hager, Theophrastus περὶ νόμων, in: Journal of Philology 6, 1876, 1–27, hier 24, und Eberhard Ruschenbusch, ‚Phonos‘. Zum Recht Drakons und seiner Bedeutung für das Werden des Athenischen Staates, in: Historia 9, 1960, 129–154, hier 152 Anm. 120 (ders. 2005, 32–53). 166  Engels 1989, 140. Engels stellt dies in einen Zusammenhang mit weiteren gesetzlichen Regelungen, die das Ziel verfolgten, „aristokratische Beleidigungen auf der Agora arbeitender Bürger und Bürgerinnen … zu unterbinden“. 167  Graßl 1990, 72 f. 168  In diesem Zusammenhang ist eine graphḗ argías in den Glossae rhetoricae belegt (Lexica Segueriana, Anecd. gr. I p. 310,1 Bekker): s. v. τίνες ποίων δικαστηρίων εἶχον τὴν ἡγεμονίαν: πρὸς τὸν ἄρχοντα κακώσεως ἐλαγχάνοντο γραφαὶ καὶ τῶν γονέων, εἰ τούτους τις αἰτίαν ἔχοι κακοῦν, καὶ τῶν ὀρφανῶν· ἔτι δὲ παρανοίας καὶ ἀργίας ἐπιδικασίαι καὶ ἐπικλήρων γυναικῶν. ἁπάσας ταύτας ἦγεν ὁ ἄρχων εἰς τὸ δικαστήριον, ἡγεμονίαν αὐτῶν ἔχων. Harrison 1968–71, 1,80 Anm. 1 erwägt die Umstellung καὶ ἐπιδικασίαι ἐπικλήρων γυναικῶν. In der überlieferten Form ergibt der zweite Satzteil keinen Sinn. Insofern wird man ἔτι δὲ παρανοίας καὶ ἀργίας als Ergänzung zu κακώσεως ἐλαγχάνοντο γραφαί verstehen wollen, woran sich die

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gedient, das Hausvermögen im Interesse der folgenden Generationen zu schützen, in dem einen Fall, wenn der Vater aufgrund altersbedingter Krankheit das Hausvermögen verschwendete, in dem anderen Fall, wenn der Vater (oder auch der Sohn) durch Untätigkeit und Faulheit die Felder brach liegen ließ, die Ernte nicht einholte oder Hausvermögen veräußerte und den dabei erzielten Erlös aufzehrte.169 Das Gesetz habe sich also nicht gegen Untätigkeit als solche gerichtet, sondern gegen die durch Untätigkeit hervorgerufene Vernachlässigung des Hausvermögens, nicht gegen Besitzlose und Bettler, sondern gegen Bauern, die ihre Felder aus Faulheit nicht bestellten.170 In diesem Sinne war das Gesetz auch von Winfried Schmitz interpretiert worden: Im nó­ mos argías habe Solon das Delikt der Untätigkeit geregelt, um der Nachkommenschaft, aber auch den Nachbarn in der Dorfgemeinschaft eine Möglichkeit zu geben, einen untätigen Bauern zur Arbeit zu zwingen, damit für die Kinder eine Lebensgrundlage gesichert blieb und die Nachbarn, die sich ebenfalls in einer prekären Lage befanden, vor unnötigen Hilfeleistungen geschützt wurden.171 Jüngst hat sich Lucia Cecchet mit dem Gesetz gegen Untätigkeit im Zusammenhang mit Armutsdiskursen im klassischen Griechenland auseinandergesetzt. Sie stellt das Gesetz in den Kontext der Reformen, mit denen Solon auf die Agrarkrise reagierte; Solon habe die Bauern von ihren Schulden befreit, ihnen damit ermöglicht, öffentliches Land erneut zu pachten, sie aber auch zu gewissenhafter Arbeit angehalten.172 Bereits in den Werken und Tagen Hesiods spielt die bäuerliche Arbeitsamkeit und die Rechtschaffenheit der Arbeit eine große Rolle, und Hesiod mahnt seinen Bruder davon getrennte Information καὶ ἐπιδικασίαι ἐπικλήρων γυναικῶν anschließt. Allerdings ist in Aristot. Ath. pol. 56,6 bei den Kompetenzen des árchōn epṓnymos von einer graphḗ argías nicht die Rede; ebenso fehlt sie in Poll. 8,89: ὁ δὲ ἄρχων διατίθησι μὲν Διονύσια καὶ Θαργήλια μετὰ τῶν ἐπιμελητῶν, δίκαι δὲ πρὸς αὐτὸν λαγχάνονται κακώσεως, παρανοίας, εἰς διαιτητῶν αἵρεσιν, ἐπιτροπῆς ὀρφανῶν, ἐπιτρόπων καταστάσεις, κλήρων καὶ ἐπικλήρων ἐπιδικασίαι. ἐπιμελεῖται δὲ καὶ τῶν γυναικῶν αἳ ἂν φῶσιν ἐπ’ ἀνδρὸς τελευτῇ κύειν, καὶ τοὺς οἴκους ἐκμισθοῖ τῶν ὀρφανῶν. ἔστι δ’ ἐπώνυμος οὗτος, καὶ ἀπ’ αὐτοῦ ὁ χρόνος ἀριθμεῖται. Die Erläuterungen in den Glossae rhetoricae können also nicht als verlässlicher Beleg dafür gelten, dass eine graphḗ argías in die Zuständigkeit des árchōn epṓnymos fiel. 169  Vgl. Collectio verborum utilium e differentibus rhetoribus et sapientibus multis α 21,23 Bachmann, α 264 Cunningham (Lexica Segueriana, Anecd. gr. I p. 336,22 Bekker; Phot. Lex. α 159) s. v. ἀγεωργίου δικάζεσθαι: … σημαίνει δέ, ἐπειδάν τις χωρίον παραλαβὼν ἀγεώργητον καὶ ἀνέργαστον ἐάσῃ, ἔπειτα ὁ δεσπότης δικάζηται τῷ παραλαβόντι. 170  Dreizehnter 1978, 371–386; bes. 377; 379–381; 385: „Der athenische νόμος ἀργίας war weder gegen reiche noch arme Müßiggänger gerichtet, sondern verpflichtete den Hausherrn, seine Landwirtschaft ordentlich zu bestellen. Es war ein Gesetz zur Sicherung der ökonomischen Basis der einzelnen οἶκοι und damit der Ernährung und Erhaltung der Polis“. Justus Hermann Lipsius (1905–15, 340) und Raymond Descat vertreten ebenfalls diese Position: „On s’explique depuis Lipsius la γραφὴ ἀργίας comme une action qui vise la protection de la famille et du patrimoine“ (L’acte et l’effort. Une idéologie du travail en Grèce ancienne VIIIe–Ve siècle av. J.-C., Besançon 1986, 209). 171  Schmitz 2004, 190–202; danach Jan B. Meister, ‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und klassischen Griechenland, Stuttgart 2020, 92. Zu den unterschiedlichen Interpretationen des Gesetzes in der Forschung siehe auch Cecchet 2015, 188–194, die ein Verbot gegen Bettelei wieder stärker in den Vordergrund rückt. 172  Cecchet 2015, 185–194.

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Perses, nicht zu ruhen, sondern sich im Frühmorgen zur Arbeit aufzumachen, die Knechte zur Arbeit anzuhalten und nicht untätig zu sein. Erst wenn im Herbst die Ernte sicher in der Scheuer verwahrt ist, solle man den Gliedern Ruhe gönnen und auch den Rindern und Knechten eine Pause gewähren. Die Arbeitsamkeit selbst ist eng verbunden mit der Rechtschaffenheit der Arbeit: Der Untätige steht in der Gefahr und im Verdacht, unrechtmäßig, nämlich mit Diebstahl, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Argía ist für Hesiod nicht Untätigkeit als solche, sondern die Vernachlässigung des eigenen Hofes. Wer das Ackerland brachliegen ließ, Bäume und Sträucher nicht pflegte oder die Ernte nicht rasch und rechtzeitig einbrachte, ist ἀεργός. Hesiod mahnt, der Hunger sei treuer Kumpan dem trägen Gesellen.173 Wer aber den Hunger spürt und von den Nachbarn abgewiesen wird, weil er seine Not selbst verschuldet hat und nicht alle Anstrengungen auf sich genommen hat, dies zu verhindern, der suche andere Wege, sich sein Brot zu holen. „Oft hat ein müßiger Mann, auf nichtige Hoffnung bauend, missend das tägliche Brot, sein Herz zum Bösen gewendet“.174 Dieselbe Denkweise findet sich im 4. Jahrhundert in Isokrates’ Areopagitikos (F 48b) wieder: Im Mangel liege die Ursache für Straftaten und in der Untätigkeit die Ursache des Mangels.175 Argía als Untätigkeit im Amt An der Existenz eines Gesetzes über die Untätigkeit ist nicht zu zweifeln, denn Zitate aus zwei Gerichtsreden des Lysias stammen aus Prozessen in Fällen von argía, nämlich die Reden Gegen Ariston (F 59a) und Gegen Aristogeiton.176 In einer dritten Rede, Gegen Nikides (F 59b), ist auf Verfahren gegen Untätige verwiesen. Danach konnte „jeder, der will“ Klage einreichen: „und auch gegen den Untätigen (ἀργός) konnte, da er rechen-

173  Hes. erg. 302: Λιμὸς γάρ τοι πάμπαν ἀεργῷ σύμφορος ἀνδρί. Vgl. erg. 44; 311–313 und die bei Stob. ekl. I 172,4 (III p. 119 Hense) überlieferten Sprichwörter: „Beschwerlich ist die Untätigkeit“; „Sei nicht untätig, selbst wenn du reich bist“. 174  Hes. erg. 498 f. 175  Isokr. 7,44; ähnlich der Spruch in Ps.-Phok. 153 f.: „Der untätige Mann (ἀεργὸς ἀνήρ) ernährt sich vom Diebstahl“. Vgl. Cecchet 2015, 185 sowie Braun 1998, 46: Ziel des Gesetzes sei es gewesen, „Müßiggang und Verschwendung zu unterbinden, da diese notwendig zu Armut und Verbrechen führten und die Stabilität der Gesellschaft gefährdeten“. Einen solchen Zusammenhang stellten auch Wallace 1989, 64, De Bruyn 1995, 80 und Braun 1998, 46 her. Laura Loddo stellt das Gesetz in den Kontext einer Neubewertung der Arbeit, wie sie bereits bei Hesiod zu erkennen sei (Loddo 2015, 116 f.: „l’arghia può essere interpretata, in accordo alla sua etimologia, come ‚non lavoro‘, come negazione del contributo individuale alla communità mediante l’esercizio di un’attività produttiva“). Unentschieden in der Frage der Historizität eines solches Gesetzes sind Leão/Rhodes 2015, 111 f.: „If it is authentic, we should perhaps think of a possibility of denouncing alleged offenders to the Areopagus, rather than an inquisition from time to time, or even once, into the livelihood of each of the citizens“ (112). 176 F 59a (die unter or. 19 laufende Rede aus den Fragmenten des Lysias wird daher κατ’ Ἀρίστωνος ἀργίας betitelt; allerdings ist dieser Titel aus dem Zitat erschlossen, nicht überliefert). Dasselbe gilt für or. 16 der Fragmenta: κατ’ Ἀριστογείτονος ἀργίας.

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schaftspflichtig (ὑπεύθυνος) war, jeder, der will, klagen“.177 Der Umstand, dass der Untätige einer Rechenschaftspflicht unterlag, gibt indes einen Hinweis darauf, dass eine graphḗ argías auch in einem anderen Sinne verstanden werden kann, nämlich gerichtet gegen die Untätigkeit von Amtsträgern, die sich weigerten, ihre Amtsfunktionen auszuüben, insbesondere Anklagen anzunehmen und die Klagen vor ein Gericht zu bringen. Nach der Niederlegung des Amts war der Amtsinhaber verpflichtet, Rechenschaft zu geben, und waren die Aussagen nicht zufriedenstellend, konnte eine Schriftklage, eben eine graphḗ argías, folgen.178 Wie durch F 59b und 59k bezeugt wird, war die Klage wegen Untätigkeit eine Schriftklage (graphḗ), die jeder Athener einreichen konnte. Argías díkē im Lexicon Rhetoricum Cantabrigiense ist also im allgemeinen Sinne als „Klage wegen Untätigkeit“, nicht im speziellen Sinne als ‚Privatklage‘ zu verstehen. Nach Lysias fr. 40a Carey (F 59a) war Ariston wegen dieses Delikts angeklagt. Ihm drohte eine Strafe von einhundert Drachmen, doch konnte offensichtlich eine weitere Person eine zusätzliche Strafe beantragen, vermutlich die Atimie, nämlich in dem Falle, dass dem Angeklagten nicht nur einmal die Schuld daran gegeben wurde, sein Amt nicht korrekt ausgeübt zu haben, sondern ihm von mehreren Personen dieses Vergehen während seiner Amtszeit zur Last gelegt wurde. Solche Zusatzstrafen waren in mehreren Verfahren in Athen möglich; einen Antrag auf sie zu stellen, wird vom Richter mit prostimásthai (προστιμᾶσθαι), vom Gerichtshof mit prostimán (προστιμᾶν) bezeichnet, die Zusatzstrafe selbst mit prostímēma (προστίμημα) und próstimon (πρόστιμον).179 Dass es sich bei der Rede Gegen Nikides um eine Amtspflichtverletzung handelte, wird durch den Überlieferungskontext nahegelegt. Nach dem vorausgeschickten Inhaltsverzeichnis im Codex Palatinus stand die Rede zwischen der „Verteidigungsrede wegen Auflösung der Demokratie“ (or. 25: δήμου καταλύσεως ἀπολογία) und der Rede wegen Prüfung der Amtsvoraussetzungen des Euandros (or. 26: περὶ τῆς Εὐάνδρου δοκιμασίας), ist aber wegen eines Ausfalls von Blättern selbst nicht überliefert.180 Insgesamt gesehen ist es plausibler, das Gesetz gegen Untätigkeit mit Amtspflichtsverletzungen in Verbindung zu bringen. Denn entsprechende gesetzliche Bestimmungen sind inschriftlich aus mehreren griechischen Städten belegt, die eine Verweige-

177  Auf reguläre Gerichtsverfahren wegen argia deutet auch der Wortlaut bei Nikolaos von Damaskus (FgrH 90 F 103b) und die Anekdote bei Diog. Laert. 7,168 hin. 178  Fröhlich 2004, 443 setzt eine Rechenschaftspflicht von Amtsträgern in Athen erst „sehr spät“ an. Zur Rechenschaftspflicht nach Ausübung des Amts in klassischer Zeit Hansen 1995, 230–232; Fröhlich ebd. 15–76, 331–362; Michele Faraguna, Magistrates’ Accountability and Epigraphic Documents: the Case of Accounts and Inventories, in: Kaja Harter-Uibopuu (Hrsg.), Symposion 2019. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Hamburg, 26.–28. August 2019), Wien 2021, 239–254, der Lysias’ Rede Gegen Nikides in den Kontext einer Rechenschaftspflicht stellt. 179  Demosth. or. 24,2.79.90.102.105.191; Lys. 10,16. Lipsius 1905–15, 255 f. 180  Codex Palatinus X 88 Index (Lys. editio maior p. IV Thalheim); S. P. Lampros, Mittheilungen über den Codex Palatinus X 88, in: Hermes 10, 1876, 257–280, hier 259 f.; Lipsius 1905–15, 353.

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rung, Amtshandlungen durchzuführen, mit harten Strafen versehen, wie in Gesetzen aus dem kretischen Gortyn bezeugt. So wird z. B. ein für die Fremden und Freigelassenen zuständiger Amtsträger, der xénios kósmos, bestraft, wenn er bei den in Latosion angesiedelten Freigelassenen zulässt, dass sie erneut versklavt oder beraubt werden. Die títai sollen einhundert Statere von jedem Amtsträger eintreiben und das Doppelte als Buße dem Geschädigten zurückgeben. Wenn die títai ihrerseits nicht tun, was im Gesetz geschrieben ist, soll jeder von ihnen dem Kläger die doppelte Strafe erstatten und der Stadt erlegen.181 Gesetze gegen säumige Amtsträger sind auch für die kretischen Städte Axos und Dreros inschriftlich überliefert, außerdem aus Pheneos in Arkadien, aus Olympia und Eretria, so dass Karl-Joachim Hölkeskamp davon ausgeht, dies sei „eine Strafvorschrift, die in archaischen Gesetzen geradezu regelmäßig vorkommt“.182 Je nach Kontext ist das Strafmaß unterschiedlich. Ähnliches gilt auch für Bestimmungen gegen Untätigkeit, die es in Teos, Abdera, Korinth und Seriphos gab.183 Lysias, Plutarch und Pollux schreiben die Bestimmung über die Untätigkeit Drakon zu (F 59a–b, h, k).184 Geht man davon aus, dass Drakon allein ein ‚Gesetz über die 181  ICret 4,78 (Gesetz aus dem frühen 5. Jh.); Koerner 1993, Nr. 153; Nomima I 16; Gagarin/Perlman 2016, Nr. G78: αἰ δ᾽ τίται μὲ ϝέρκσιεν ἆι ἔγραται, … Dabei entspricht das μὲ ϝέρκσιεν („nicht handeln“) begrifflich der argía, ein Wort, das sich aus ἀ-ϝεργία herleitet. Übersetzt und kommentiert ist die Inschrift von Gunnar Seelentag, Der Xenios Kosmos und die Freigelassenen von Latosion, in: Hermes 145, 2017, 275–287, bes. 279–282 mit dem Fazit: „Es geht hier … vorrangig … um die für die politische Ordnung des Gemeinwesens ungleich brisantere Frage, wie das Nichtstun eines Funktionsträgers zu ahnden sei; um dann auch noch Vorkehrungen für den Fall zu treffen, dass die handlungsunwilligen Funktionsträger sich darüber hinaus auch noch weigerten, die ihnen dafür auferlegte Strafe zu zahlen. … Unsere Inschrift trifft sogar noch Vorkehrungen für den Fall, dass auch die Mitglieder des Titas sich zu handeln weigerten“ (282; vgl. ders., Das archaische Kreta. Institutionalisierung im frühen Griechenland, Berlin/Boston 2015, 187–189, 298–301; zu weiteren inschriftlichen Belegen für Strafen in Fällen, in denen Amtsträger nicht tätig werden, ebd. 278 Anm. 8). Vgl. auch ICret 4,79; Koerner 1993, Nr. 154 sowie Koerner 1993, Nr. 106, 121 (= ICret 4,14) und 129 (= ICret 4,42B). 182  Karl-Joachim Hölkeskamp, Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland, Stuttgart 1999, 120; ähnlich Koerner 1993, Nr. 37 (hier S. 109) und Leao/Rhodes 2015, 109 mit Verweis auf die Hekatompedon-Inschrift (IG I3 4 B Z. 15–17; 485/4 v. Chr.). Axos: ICret II v, 9; LSCG Suppl. 113 Z. 1 ff., 9 ff.; Koerner 1993, Nr. 106–107; Dreros: Koerner 1993, Nr. 91; Nomima I Nr. 64; Olympia: IvOlympia 1, 2 und 4; Koerner 1993, Nr. 36, 37 und 39; Pheneos: Hölkeskamp ebd. 71 f.; Eretria: ebd. 115–117. Reinhard Koerner, Beamtenvergehen und deren Bestrafung nach frühen griechischen Inschriften, in: Klio 69, 1987, 450–498. 183  Teos: Koerner 1993, Nr. 78; Nomima I 104; Astrid Dössel, Die Beilegung innerstaatlicher Konflikte in den griechischen Poleis vom 5.–3. Jahrhundert v. Chr., Frankfurt a. M. etc. 2003, 22 f., 28, 30–32 mit der Strafe der Verfluchung. Vgl. Athen. 4,168b zu Abdera; Heraclid. Lemb. 20 Dilts (= Aristot. F 611 p. 376 Rose) zu Korinth; Plut. De exilio 7 (Mor. 602a) zu Seriphos; Theopomp FgrH 115 F 227 zu Methymna. Bolkestein 1939, 283–286. Zu Amtsvergehen in Platons Nomoi siehe leg. 6, 761c–762b.767e (ohne dass allerdings auf argía in diesem Sinne eingegangen wird). Ein Gesetz gegen asōtía und argía soll es auch bei den Lukanern (Nikolaos von Damaskus FgrH 90 F 103b; aus Stob. flor. XLIV 25 [IV p. 155 Hense]) und bei den Sarden (Ail. var. 4,1) gegeben haben (vgl. Loddo 2015, 120). Zur Verurteilung des Flavius Clemens wegen inertia unmittelbar nach Ende seines Konsulats Suet. Dom. 15,1; Konrad Vössing, Kaiser Domitian – Der Kampf um seine Nachfolge und um seine Göttlichkeit, Paderborn 2020, 68 f. 184  Für drakontisch halten das Gesetz Ronald S. Stroud, Drakon’s Law on Homicide, Berkeley etc. 1968, 79 f. und De Bruyn 1995, 80 („sans doute draconienne“); vgl. Salmon 1984 (wie S. 342 Anm. 26),

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Tötung‘ gegeben hat, wäre die Zuweisung des Gesetzes an Drakon als unzutreffend abzulehnen, wenn man es als ein gegen Müßiggänger und Bettler gerichtetes Gesetz auffassen würde.185 Es kann aber durchaus sein, dass seine Satzung (F 2) im weiteren Text eine gegen den árchon basileús gerichtete Regelung enthielt, für den Fall, dass er eine an der Tötung der Kylonanhänger beteiligte Person nicht vor die ephétai brachte (F 17). Da man bereits in klassischer Zeit fälschlicherweise davon ausging, Drakon habe alle Tötungsdelikte mit dem Tod geahndet wissen wollen, schloss man daraus, dass auch die in der Satzung genannte Untätigkeit mit dem Tod bestraft worden sei. Vermutlich enthielt die Satzung eine Formulierung, dass der Untätige (also der untätig bleibende árchōn basileús) „unter dieselben Bestimmungen fiel“ wie der Täter selbst.186 Solon wird in seinen Gesetzen ebenfalls entsprechende Strafen für untätige Amtsträger festgelegt haben, nämlich einhundert Drachmen bei einfachem Verstoß, zusätzlich die Atimie bei dreifachem Verstoß (F 59a, k).187 Da es zur Zeit Solons noch keine ausgeprägten Münzen gab, sind die einhundert Drachmen vermutlich als Gewichtsangabe ungeprägten Silbers zu verstehen.188 Die in den Gesetzen Solons integrierte Bestimmung belegt also eine frühe Rechenschaftspflicht von Amtsträgern: Bei schwerwiegenden Vorwürfen konnte „jeder, der will“ eine Schriftklage (graphḗ) einreichen (F 59b).189 Auch die Klageform der graphḗ spricht eher für ein Vergehen während der Amtstätigkeit, nicht für eine Klage gegen die Vernachlässigung des eigenen Hofes. Die Möglichkeit für „jeden, der will“, Klage bei Untätigkeit im Amt einzureichen, war es vermutlich, die Aristoteles zu der Aussage brachte, Solon habe dem Volk die Macht gegeben, die Amtsträger zu wählen und zur Rechenschaft zu ziehen.190

200 f.; Hölkeskamp 1999 (wie Anm. 182), 157 Anm. 41. Zum Problem der Datierung des Gesetzes siehe auch Cecchet 2015, 185–188. 185  Vielfach wird die Zuschreibung eines Gesetzes gegen Müßiggang an Drakon als Argument dafür genannt, dass auf Drakon nicht nur ein Gesetz gegen die Tötung, sondern ein umfassenderer Gesetzescode zurückgehe. Solon habe mit der Übernahme dieses Gesetzes den Areopag mit der Durchsetzung beauftragt (De Bruyn 1995, 80; Braun 1998, 45 f.; vgl. Loddo 2015, 125–129). 186  IG I3 104 Z. 26–29: „Wenn jemand den Täter (androphónos) (eigenhändig) tötet oder an dessen Tötung Schuld trägt, obwohl er sich von einer agorá ephoría und von Wettkämpfen und Festen der Amphiktyonen fernhielt, so soll er unter dieselben Bestimmungen fallen, wie wenn er einen Athener getötet hätte“. Vgl. And. 1,94 (F 5b). In Is. 4,28 ist ein Fall genannt, bei dem ein bei der Tat ergriffener Dieb und andere, die in Haft genommen waren, von den Elfmännern freigelassen worden waren. Daraufhin waren die Elfmänner hingerichtet worden. 187  Nach Ps.-Xen. Ath. pol. 3,13 hätten die Athener diejenigen, die Ämter nicht rechtmäßig ausgeübt und weder das Rechte gesagt noch das Rechte getan hätten, mit Atimie bestraft. Die Atimie wird also keine Abmilderung der als allzu hart empfundenen Strafe Drakons sein (so Loddo 2015, 124–126), da Solons Strafe für ‚Untätigkeit im Amt‘ Bestandteil anderer Gesetze gewesen sein wird. 188  So Leao/Rhodes 2015, 109. Gil Davis, Dating the Drachmas in Solon’s Laws, in: Historia 61, 2012, 127–158 weist dies allerdings zurück und hält alle Wertangaben in Drachmen für nachsolonisch. Geldstrafen seien erst im Laufe der zweiten Hälfte des 6. Jh. hinzugefügt worden. 189  Zu einer früh belegten Rechenschaftspflicht IvOlympia 2; Koerner S. 109 Nr. 37. 190  Aristot. pol. 2,12, 1274a 15–17; 3,11, 1281b 31–34. Dazu Martin Ostwald, From Popular Sovereignty to the Sovereignty of Law, Berkeley 1986, 40–42; Fröhlich 2004, 39, 443 f.

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Eine Bemerkung in der zweiten demosthenischen Rede Gegen Aristogeiton gibt einen Hinweis darauf, dass die Rechenschaft unmittelbar nach dem Ende der Amtszeit abzulegen war und Klagen gegen den Amtsträger direkt anschließend erfolgen mussten (F 58a). Der Areopag als prüfende Instanz Kontrovers wird die Frage diskutiert, welche Institution mit den Anzeigen und Klagen befasst war. Plutarch zufolge habe Solon die Aufgabe, Untätige zu strafen, dem Areopag übertragen. Auch im Areopagitikos geht Isokrates davon aus, dass der Areopag gegen argía vorgegangen sei. Dagegen wurde eingewandt, dass es keine genügende Grundlage für den Nachweis einer umfassenden Kontrollfunktion des Areopags über das sittliche und moralische Leben der Bürger gebe. Der Areopagitikos sei als Programm des Isokrates aufzufassen, der sich für eine politische und moralische Erneuerung einsetze, bei der der Areopag eine zentrale Funktion übernehmen sollte. Der späte Beleg bei Plutarch biete keine Gewähr, dass der Areopag bereits vor 322 v. Chr. eine solche umfassende Aufsichtsfunktion gehabt hätte. Allerdings sei möglich, dass der Areopag diese Funktion durch die Reformen am Ende des 4. Jahrhunderts erhalten habe, wobei die neuen Aufgaben auf die solonische Zeit zurückprojiziert und damit legitimiert worden seien.191 Andere sind der Meinung, dass der Areopag ursprünglich eine solche Funktion wahrgenommen habe, die ihm allerdings durch die Reformen des Ephialtes im Jahre 462/61 v. Chr. genommen wurde.192 Eine im Sinne eines Amtsvergehens verstandene ‚Untätigkeit‘ kann plausibel erklären, warum nach späteren Quellen Solon den Areopag mit der Ahndung solcher Vorwürfe betraut hat. Denn schließlich rückten die Archonten, die richterliche Tätigkeiten ausübten, nach ihrem Amtsjahr in das Gremium der Areopagiten auf. Wer als Archont seine Pflichten in dieser Hinsicht nicht erfüllt hatte, sollte in dieses wichtige Richtergremium nicht aufgenommen werden, das seit der Zeit Solons über vorsätzliche Tötung und die Errichtung einer Tyrannis entschied. Folgerichtig wäre auch, dass derjenige, der sich dreifach der Untätigkeit (vermutlich innerhalb einer Amtszeit gegenüber drei verschiedenen Personen) schuldig gemacht hatte, mit der Atimie belegt wurde, also kein Amt mehr übernehmen konnte und vom Areopag ausgeschlossen blieb. Da es sich bei den Amtsträgern in aller Regel um Personen aus der athenischen 191  So Engels 1988. 192  Vgl. Harrison 1968–71, 1,80 Anm. 1: „Plut., Sol. 22, asserts that under Solon this action was before the Areopagus; this would have meant that it was not the concern of the archon, so that we must either suppose that a change had taken place between the time of Solon and the classical period or, preferably, reject Plutarch on this point“. Vgl. auch Cecchet 2015, 192 f. Zur Entmachtung des Areopags durch die Reformen des Ephialtes 462/61: Elke Stein-Hölkeskamp, Kimon und die athenische …, 222 f.; dies., Kimon und die athenische Demokratie, in: Hermes 127, 1999, 145–164.

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Oberschicht handelte, scheint eine Strafe von einhundert Drachmen bei Vergehen in nur einem Falle nicht zu hoch.193 Ein untätiger Bauer hingegen hätte eine solche Summe, die in etwa die Hälfte seines Jahresertrags ausmachte, wohl nicht aufbringen können. Berücksichtigt werden sollte bei dieser Kontroverse auch, dass in der zwischen 373 und 339 v. Chr. entstandenen Rede Gegen Neaira eine ähnliche Kontrollfunktion des Areopags belegt ist.194 Ein Athener namens Theogenes war zum árchon basileús gelost worden. Er war mit der Tochter des Stephanos verheiratet, bei der der Verdacht bestand, dass sie keine rechtmäßige Tochter des Stephanos aus erster Ehe war, sondern die Tochter der Hetäre Neaira. Da die Frau des árchon basileús kultische Riten vollzog, wurde Theogenes vom Areopag vorgeladen. Theogenes beteuerte, von diesem Verdacht nichts gewusst und Phano im guten Glauben geheiratet zu haben, sie sei die rechtmäßige Tochter des Stephanos. Er versprach den Areopagiten, die Ehe mit dieser Frau unverzüglich aufzulösen. Da er dies tat, verzichtete der Areopag darauf, eine Buße zu verhängen, und unternahm keine weiteren Schritte gegen Theogenes. Die Rede bezeugt damit, dass der Areopag bereits vor 322 die Vollmacht hatte, einen Archonten vorzuladen und nach einer Untersuchung und Befragung eine Ermahnung auszusprechen oder eine Geldbuße aufzuerlegen.195 Es ist gut möglich, dass der Areopag diese Kompetenz aus einer solonischen Bestimmung ableitete, die ihm das Recht verlieh, Amtsträger, die sich unrechtmäßiger Handlungen schuldig gemacht hatten, zur Verantwortung zu ziehen. Dies würde auch für Demetrios, den Enkel des Demetrios von Phaleron, gelten, falls er ein Amt innehatte. Er wurde, so berichtet Athenaios, da er sehr verschwenderisch lebte und eine korinthische Hetäre aushielt, vor die Areopagiten geladen, die ihm befahlen, fortan ein anständiges Leben zu führen. Er verteidigte sich damit, dass er, im Gegensatz zu manch anderen Areopagiten, die bestechliche Richter und Ehebrecher seien, kein Unrecht begangen habe (F 48c). Literatur Lipsius 1905–15, 340, 353–355; Hendrik Bolkestein, Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum. Ein Beitrag zum Problem ‚Moral‘ und ‚Gesellschaft‘, Utrecht 1939; Alois Dreizehnter, Nómos argías. Ein Gesetz gegen Müßiggang?, in: AAntHung 26, 1978, 371–386; Johannes Engels, Das Eukratesgesetz und der Prozeß der Kompetenzerweiterung des Areopages in der Eubulos- und Lykurgära, in: ZPE 74, 1988, 181–209; ders., „Mit der Hände Arbeit“. Zeugnisse über die Wertschätzung eigener Arbeit im demokratischen Athen, in: Hans-Joachim Drexhage, Julia

193  In Gortyn waren im frühen 5. Jh. hundert Statere für die Untätigkeit im Amt als Strafe angesetzt. 194  Ps.-Demosth. or. 59,80–83. 195  Ps.-Demosth. or. 59,80. Zu den Ordnungsfunktionen des Areopags siehe auch Hyp. fr. 138 Jensen. Lucia Cecchet vertritt demgegenüber die Meinung, dass der Areopag Stephanos vorgeladen habe, weil es sich um ein religiöses Vergehen gehandelt habe (2015, 193).

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Gesetze über die Amtsträger

Sünskes (Hrsg.), Migratio et commutatio. Studien zur Alten Geschichte und deren Nachleben. Festschrift Thomas Pekáry, St. Katharinen 1989, 136–156; Robert W. Wallace, The Areopagus Council, to 307 B. C., Baltimore – London 1989; Herbert Graßl, Die Arbeitswelt in der antiken Volksliteratur, in: Eckart Olshausen (Hrsg.), Mensch und Arbeit, Stuttgart 1990, 69–89; Luigi Gallo, Un’ipotesi sul nomos arghias, in: Salvatore Alessandrì (Hrsg.), Ἱστορίη. Studi offerti dagli allievi à Giuseppe Nenci in occasione del suo settantesimo compleanno, Galatina 1994, 211–223; Odile De Bruyn, La compétence de l’Aréopage en matière de procès publics, Stuttgart 1995; Maximilian Braun, Die Eumeniden des Aischylos und der Areopag, Tübingen 1998; Delfim Leão, No­ mos Argias, in: Revista de Retórica y Teoría de la Comunicación 1, 2001, 103–108; Pierre Fröhlich, Les cités grecques et le contrôle des magistrats (IVe–Ier siècle avant J.-C.), Genf 2004; Laura Loddo, Crisi economica e valorizzazione delle risorse: una lettura del nomos arghias, in: Roberta Angiolillo et al. (Hrsg.), Crisi. Immagini, interpretazioni e reazioni nel mondo greco, latino e bizantino, Alessandria 2015, 111–129; Lucia Cecchet, Poverty in Athenian Public Discourse from the Eve of the Peloponnesian War to the Rise of Macedonia, Stuttgart 2015, 185–194.

Prüfung der Amtsführung (Gesetz über die Untätigkeit – nómos argías) (F 58–59) F 58 Klagen gegen Amtsträger (F 58a: T 412 Martina; F 105 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 58b: T 317 Martina; F 74/1c Leão/Rhodes)

F 58a: Ps.-Demosthenes, Gegen Aristogeiton II (or. 26) 3 f. (zwischen 338 und 324 v. Chr.) (3) … ὡσαύτως τὰ μὲν τῶν ἰδιωτῶν ἁμαρτήματα οὐκ εἰς τὸ πλῆθος, εἰς δ’ αὐτοὺς ἤνεγκε τὰς βλάβας, τὰ δὲ τῶν ἀρχόντων καὶ πολιτευομένων εἰς ἅπαντας ἀφικνεῖται. (4) διὸ καὶ τὰς τιμωρίας ὁ Σόλων τοῖς μὲν ἰδιώταις ἐποίησε βραδείας, ταῖς δ’ ἀρχαῖς καὶ τοῖς δημαγωγοῖς ταχείας, ὑπολαμβάνων τοῖς μὲν ἐνδέχεσθαι καὶ παρὰ τὸν χρόνον τὸ δίκαιον λαβεῖν, τοῖς δ’ οὐκ ἐνεῖναι περιμεῖναι· τὸ γὰρ τιμωρησόμενον οὐχ ὑπέσται τῆς πολιτείας καταλυθείσης. App. crit.: (3) post ἅπαντας add. ὑμᾶς FO, ὑμῶν A; (4) post Σόλων septem octove litterae erasae in S; βραδείας ante ἐποίησε F Apsines; post τὸ duae litterae erasae in S; ἐνεῖναι SYO, εἴναι vulg.

(3) So bringen auch die Vergehen der Einzelnen nicht für die Menge einen Schaden, sondern allein diesen selbst, wohingegen sich die Schädigungen aus den [Verfehlungen] der Amtsträger (árchontes) und politisch Tätigen (politeuómenoi) auf euch alle erstreckt. (4) Daher hat denn auch Solon für die Einzelnen erst spät ein Recht zu strafen eingeräumt, für Amtsträger (archaí) und dēmagōgoí hingegen eine schnelle Bestrafung angeordnet, weil er der Meinung war, erstere könnten dies hinnehmen und mit der Zeit ihr Recht einfordern, bei letzteren aber solle es nicht möglich sein abzuwarten. Genugtuung zu erlangen wird nämlich nicht mehr zu Gebote stehen, wenn die Verfassung einmal aufgehoben ist.

F 58b: Aristoteles, Politik 2,12, 1274a 15–18; 3,11, 1281b 31–34 (320er Jahre) (2,12) ἐπεὶ Σόλων γε ἔοικε τὴν ἀναγκαιοτάτην ἀποδιδόναι τῷ δήμῳ δύναμιν, τὸ τὰς ἀρχὰς αἱρεῖσθαι καὶ εὐθύνειν (μηδὲ γὰρ τούτου κύριος ὢν ὁ δῆμος δοῦλος ἂν εἴη καὶ πολέμιος).

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(3,11) διόπερ καὶ Σόλων καὶ τῶν ἄλλων τινὲς νομοθετῶν τάττουσιν ἐπί τε τὰς ἀρχαιρεσίας καὶ τὰς εὐθύνας τῶν ἀρχόντων, ἄρχειν δὲ κατὰ μόνας οὐκ ἐῶσιν. App. crit.: (2,12) τε Γ; ὢν ὁ δῆμος κύριος MaP1.

(2,12) Solon hingegen scheint dem Volk nur die notwendigste Macht gegeben zu haben, die Amtsträger zu wählen und sie zur Rechenschaft zu ziehen (euthýnein) (wenn nämlich das Volk nicht einmal darüber bestimmt, wäre es ein Sklave und ein Feind [der politischen Ordnung]). (3,11) Deswegen übertrugen sowohl Solon als auch einige der anderen Gesetzgeber ihnen [den Armen] die Wahl und die Rechenschaftsabnahme (eúthynai) der Amtsträger; aber selbständig Ämter übernehmen ließen sie sie nicht.

In der Rede Gegen Aristogeiton wird aus dem weiteren Zusammenhang deutlich, dass der Sprecher sich auf die Rechenschaftspflicht von Amtsträgern bezieht.196 Verfahren gegen Amtsträger, denen Vergehen vorgeworfen werden, müssen also unmittelbar nach dem Ende der Amtszeit bei Rechenschaftslegung eingebracht werden. Dadurch werden die Amtsträger vor späteren Anklagen, die aus persönlichen Feindschaften eingereicht werden könnten, geschützt. Es muss sich dabei nicht um eine explizite Gesetzesbestimmung handeln; aber wenn Solon eine Rechenschaftspflicht von Amtsträgern festgelegt hat, ergibt sich zwangsläufig, dass diesbezügliche Klagen, z. B. wegen Untätigkeit im Amt oder Bestechung, unmittelbar darauf zu erfolgen hatten.197 Das neben den árchontes auch politeuómenoi und neben archaí auch dēmagōgoí genannt sind, verweist noch einmal darauf, dass Solon auch eine gesetzliche Bestimmung über die Voraussetzungen zugesprochen wird, wer vor dem Volk sprechen darf. Wenn Aristoteles Solon zuschreibt, dass das Volk nicht nur die Amtsträger wählen, sondern von ihnen auch Rechenschaft fordern konnte, meinte er vermutlich die Möglichkeit, dass jeder Athener eine graphḗ (argías) einreichen konnte. Über die Klage entschied im 6. Jh. der Areopag.

196  Er führt nämlich aus, dass sich Amtsträger und politisch Tätige an die Entscheidungen des Volkes und der Gerichte halten würden (Ps.-Demosth. or. 26,4); sie würden nach einer Abwahl (apocheirotonía) von ihrem Amt zurücktreten und den Kranz ablegen und Thesmotheten, die nicht in den Areopag aufgenommen würden, enthielten sich jeder Art von Gewalt und nähmen die Entscheidung hin (ebd. 26,5). 197  Nach Aristot. Ath. pol. 48,3–5 erlosten die Ratsmitglieder in klassischer Zeit für die Rechenschaftslegung zehn eúthynoi und zwanzig Beisitzer, die bei den Statuen der eponymen Phylenheroen „innerhalb von drei Tagen“ nach Rechenschaftslegung der Amtsträger Beschwerden gegen diese entgegennahmen. Hielt der eúthynos den Beklagten für schuldig, leitete er die öffentlichen Klagen schriftlich an die Thesmotheten weiter, die sie vor Gericht brachten.

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Gesetze über die Amtsträger

F 59 Prüfung der Amtsführung (gesetzliche Bestimmung gegen Untätigkeit – nómos argías) (F 59a: T 424b Martina; F 148c Ruschenbusch; F 66/1f Leão/Rhodes; F 59b: T 424a Martina; F 148b Ruschenbusch; F 66/1e Leão/Rhodes; F 59e: T 419 Martina; F 74/4a Leão/Rhodes; F 59f: F 148a Ruschenbusch; F 66/1d Leão/Rhodes; F 59i: T 423 Martina; F 78c, 148e Ruschenbusch; F 66/1c Leão/Rhodes; F 59k: T 424c Martina; F 148d Ruschenbusch; F 66/1 g Leão/Rhodes)

F 59a: Lysias, Gegen Ariston (fragmenta or. 19) fr. 40a–b Carey (F 17 Thalheim, 47 Blass) (ca. 403–380 v. Chr.) (= F 17a) (Lexicon Rhetoricum Cantabrigiense 665,19 [Lexica Graeca minora p. 72 Latte/Erbse])

(fr. 40a) ἀργίας πρόστιμον· Λυσίας ἐν τῷ κατὰ Ἀρίστωνος αὐτοῦ κατηγορῶν φησίν· καὶ δραχμὰς ἑκατὸν ζημιωθησόμενος· Ἀρίστων πείσεται μὲν οὐδὲν δεινόν, ἐργάσεται δὲ καὶ παύσεται καλλωπιζόμενος. (fr. 40b) ἀργίας δίκη· Λυσίας ἐν τῷ κατὰ Ἀρίστωνός φησιν ὅτι Δράκων ἦν ὁ θεὶς τὸν νόμον, αὖθις δὲ καὶ Σόλων ἐχρήσατο, θάνατον οὐχ ὁρίσας ὥσπερ ἐκεῖνος, ἀλλ’ ἀτιμίαν, ἐάν τις ἁλῷ τρίς, ἐὰν δ’ ἅπαξ, ζημιοῦσθαι δραχμὰς ἑκατόν. App. crit.: (fr. 40b) ἐάν τις ἁλῷ τρίς τίσαι· ἂν δ’ ἅπαξ cod.; ἐάν τις ἁλῷ τρίς, ἐὰν δ’ ἅπαξ Dobraeus, Houtsma.

(fr. 40a) Zusatzstrafe bei Untätigkeit (argías próstimon): Lysias gebraucht [diese Wendung] in der [Rede] Gegen Ariston, den er wegen dieses [Delikts] angeklagt hat; und dass er zu einhundert Drachmen verurteilt werden soll. Ariston wird zwar nicht durch eine schlimme [Strafe] überzeugt werden, aber tätig werden und aufhören, damit zu prahlen. (fr. 40b) Klage wegen Untätigkeit (argías díkē): Lysias sagt in der [Rede] Gegen Ariston, dass Drakon es war, der das Gesetz (nómos) gegeben hat, aber auch Solon es erneut eingesetzt hat, indem er nicht den Tod [als Strafe] bestimmt hat wie jener; vielmehr wird der mit Ehrlosigkeit (atimía) bestraft, wenn er dreifach für schuldig befunden wurde, mit einhundert Drachmen aber, wenn einmal.

F 59b: Lysias, Gegen Nikides (fragmenta or. 113) fr. 246 Carey (100 Thalheim, 48 Blass) (ca. 403–380 v. Chr.) (= F 53b, 54b) (Diog. Laert. 1,55)

… καὶ ὁ ἀργὸς ὑπεύθυνος ἔστω παντὶ τῷ βουλομένῳ γράφεσθαι. Λυσίας δ’ ἐν τῷ κατὰ Νικίδου Δράκοντά φησι γεγραφέναι τὸν νόμον, Σόλωνα δὲ τεθηκέναι τὸν ἡταιρηκότα εἴργειν τοῦ βήματος. App. crit.: Νικίδου Roeper: νεικείδου B: νικώδου Fac: Νικίου P.

… Und der Untätige (argós) kann, da er rechenschaftspflichtig (hypeúthynos) ist, von jedem Beliebigen (pás ho boulómenos) mittels Schriftklage angeklagt werden (gráphesthai). Lysias sagt in der [Rede] Gegen Nikides, dass Drakon das Gesetz (nómos) erlassen, Solon aber auch dasjenige aufgestellt habe, das den hētairēkṓs vom Rednerplatz ausschließt.

Wie das hypeúthynos zeigt, beziehen sich dieser Satz des Diogenes Laertios und das folgende Zitat aus der Lysiasrede, wonach Drakon das Gesetz erlassen habe, auf die

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Rechenschaftspflicht nach Ausübung des Amts.198 Zum weiteren Kommentar siehe F 53b. F 59c: Isokrates, Areopagitikos (or. 7) 46 (kurz nach 355 v. Chr.) (= F 48b) Καὶ ταῦτα νομοθετήσαντες οὐδὲ τὸν λοιπὸν χρόνον ὠλιγώρουν, ἀλλὰ διελόμενοι τὴν μὲν πόλιν κατὰ κώμας, τὴν δὲ χώραν κατὰ δήμους, ἐθεώρουν τὸν βίον τὸν ἑκάστου, καὶ τοὺς ἀκοσμοῦντας ἀνῆγον εἰς τὴν βουλήν. Ἡ δὲ τοὺς μὲν ἐνουθέτει, τοῖς δ’ ἠπείλει, τοὺς δ’ ὡς προσῆκεν ἐκόλαζεν. Ἠπίσταντο γὰρ ὅτι δύο τρόποι τυγχάνουσιν ὄντες οἱ καὶ προτρέποντες ἐπὶ τὰς ἀδικίας καὶ παύον­ τες τῶν πονηριῶν. App. crit.: νομοθετήσαντες οὐδὲ Γ, οὐ νομοθετήσαντες Λ vulg., οὖν νομοθετήσαντες οὐ Θ; ἀνῆγον Γ, ἦγον vulg.

Und nachdem sie solche Gesetze gegeben hatten, ließen sie auch in der Folgezeit nichts außer acht, sondern teilten die Stadt in Dörfer (kṓmai) und das Land in Gemeinden (dḗmoi) ein; auch beobachteten sie die Lebensweise (bíos) eines jeden einzelnen und führten die, welche die politischen Regeln missachteten (akosmoúntes), vor den Rat (boulḗ) [den Areopag]; dieser aber warnte die einen, anderen drohte er, und wieder andere bestrafte er nach Gebühr. Sie wussten nämlich, dass es zwei Verfahrensweisen gebe, die entweder zu unrechten Taten antreiben oder von schlechten Taten abhalten.

Zum Kommentar siehe F 48b. F 59d: Demosthenes, Gegen Eubulides (or. 57) 32–34 (um 345 v. Chr.) (32) Λαβὲ δὴ καὶ τὸν Ἀριστοφῶντος· οὕτω γάρ, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, τοῦτον ἔδοξεν ἐκεῖνος καλῶς καὶ δημοτικῶς νομοθετῆσαι, ὥστ’ ἐψηφίσασθε πάλιν ἀνανεώσασθαι. ΝΟΜΟΣ.

Προσήκει τοίνυν ὑμῖν βοηθοῦσι τοῖς νόμοις μὴ τοὺς ἐργαζομένους ξένους νομίζειν, ἀλλὰ τοὺς συκοφαντοῦντας πονηρούς. ἐπεί, ὦ Εὐβουλίδη, ἔστι καὶ ἕτερος περὶ τῆς ἀργίας νόμος, ᾧ αὐτὸς ἔνοχος ὢν ἡμᾶς τοὺς ἐργαζομένους διαβάλλεις. (33) ἀλλὰ γὰρ τοσαύτη τις ἀτυχία ἐστὶν περὶ ἡμᾶς νῦν, ὥστε τούτῳ μὲν ἔξεστιν ἔξω τοῦ πράγματος βλασφημεῖν καὶ πάντα ποιεῖν, ὅπως μηδενὸς τῶν δικαίων ἐγὼ τύχω· ἐμοὶ δ’ ἐπιτιμήσετ’ ἴσως, ἐὰν λέγω ὃν τρόπον οὗτος ἐργάζεται περιιὼν ἐν τῇ πόλει, καὶ εἰκότως· ἃ γὰρ ὑμεῖς ἴστε, τί δεῖ λέγειν; σκοπεῖτε δή· νομίζω γὰρ ἔγωγε τὸ ἐν τῇ ἀγορᾷ ἡμᾶς ἐργάζεσθαι μέγιστον εἶναι σημεῖον τοῦ ψευδεῖς ἡμῖν αἰτίας τοῦτον ἐπιφέρειν. (34) ἣν γάρ φησιν ταινιόπωλιν εἶναι καὶ φανερὰν πᾶσιν, προσῆκεν δήπουθεν εἰδότας αὐτὴν πολλοὺς ἥτις ἐστὶ μαρτυρεῖν, καὶ μὴ μόνον ἀκοήν, ἀλλ’ εἰ μὲν ξένη ἦν, τὰ τέλη ἐξετάσαντας τὰ ἐν τῇ ἀγορᾷ, εἰ ξενικὰ ἐτέλει, καὶ ποδαπὴ ἦν ἐπιδεικνύντας· εἰ δὲ δούλη, μάλιστα μὲν τὸν πριάμενον, εἰ δὲ μή, τὸν ἀποδόμενον ἥκειν καταμαρτυροῦντα, εἰ δὲ μή, τῶν ἄλλων τινά, ἢ ὡς ἐδούλευσεν ἢ ὡς ἀφείθη ἐλευθέρα. νῦν δὲ τούτων μὲν ἀπέδειξεν οὐδέν, λελοιδόρηκεν δέ, ὡς ἐμοὶ δοκεῖ, οὐδὲν ὅ τι οὔ. τοῦτο γάρ ἐστιν ὁ συκοφάντης, αἰτιᾶσθαι μὲν πάντα, ἐξελέγξαι δὲ μηδέν. App. crit.: (32) ψηφίσασθαι SFQD; πάλιν SFQ, πάλιν τὸν αὐτὸν AF γρ. Q γρ., πάλιν αὐτὸν D; ἀρτίας S; (33) ἐγὼ post δικαίων SFQD, post μηδενὸς A; περιὼν SFQ; δή codd., δὲ Blass; (34) εἶναι ταινιόπωλιν A;

198  Zur Bedeutung von hypeúthynos Fröhlich 2004, 56–63; in klassischer Zeit habe hypeúthynos die Bedeutung „soumis à reddition de comptes“.

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Gesetze über die Amtsträger

προσήκει A1; μὲν om. A1; ἐξετάσαντες SQD; ἀφέθη SQ; μὲν om. A1; ουδέναελοιδορηκεν S; ὅ τι οὐ A, τι SFQ; αἰτιᾶσθαι A, αἰτιάσασθαι vulg.; πάντας A1.

(32) Nimm nun auch das [Gesetz] des Aristophon. Denn, Athener, so vortrefflich und volksfreundlich schien auch jenes Gesetz erlassen worden zu sein, dass ihr beschlossen habt, es zu erneuern: Gesetz

An euch ist es also, den Gesetzen Geltung zu verschaffen und nicht die ehrlich Arbeitenden für Fremde zu halten, sondern die böswilligen Ankläger [Sykophanten] für Schurken. Denn es gibt, Eubulides, noch ein anderes Gesetz, das gegen Untätigkeit (argías nómos), gegen das du dich selbst vergehst, während du uns als ehrlich Arbeitende verleumdest. (33) Ich freilich befinde mich jetzt in der schlimmen Lage, dass, während es ihm erlaubt ist, mir alles Schlechte nachzusagen, auch wenn es zur Sache nicht gehört, und alle Mittel zu meinem Nachteil aufzubieten, mir Vorwürfe gemacht werden, wenn ich erwähne, in welcher Weise er tätig ist, wenn er sich in der Stadt herumtreibt. Und das nicht ohne Grund: Denn wozu von Dingen reden, die euch bekannt sind? Erwäget also; meiner Meinung nach ist nämlich unser Gewerbe auf der Agora der sichere Beweis, dass seine Beschuldigung unbegründet ist. (34) Denn wenn er sagt, dass meine Mutter mit Bändern handle, sei aller Welt bekannt, so wäre es doch angebracht gewesen, dass eine Anzahl Leute, die sie persönlich kannten, dies bezeugten (mar­ tyreín), und zwar nicht bloß vom Hörensagen, sondern so, dass, wenn sie hier fremd war, man aus den Marktbüchern ermittelte, ob sie Standgeld (télē xeniká) zahlte, und nachwies, wo sie her sei, galt sie jedoch als Sklavin (doúlē), vor allen derjenige, der sie gekauft hatte, und wenn nicht dieser, doch der, der sie verkauft hatte, in Ermangelung beider aber irgendwer sonst als Zeuge dafür auftrat (katamartyreín), dass sie entweder [als Sklavin] diente (douleúein) oder freigelassen war. So aber hat er, scheint es mir, anstatt das zu beweisen, nur so ins Blaue hinein geschimpft. Denn das ist die Art von Sykophanten, jegliche Beleidigung auszusprechen und keine zu begründen.

Aufgrund des Kontextes lag es nahe, das Gesetz als ein gegen ein müßiges Leben gerichtetes Gesetz aufzufassen. Während die Familie des Euxitheos in ihrer Not sich abmühte, mit dem Verkauf von Bändern auf dem Markt und mit Ammendiensten der Mutter ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, habe Eubulides – so der Vorwurf – keine anständige Tätigkeit ausgeübt, sondern durch Androhung von Prozessen versucht, andere Personen einzuschüchtern und zu Geldzahlungen zu veranlassen, damit er von einer Klageerhebung absehe. Sich als ein solcher Sykophant zu betätigen, verstoße gegen das Gesetz gegen Untätigkeit, weil man keinem rechtmäßigen Gewerbe nachgehe.199 Doch man kann den Kontext auch in anderem Sinne verstehen; denn Eubulides war, als das Gemeinderegister abhanden gekommen war und eine Überprüfung aller Gemeindemitglieder in Hinsicht auf ihr Bügerrecht durchgeführt werden musste, Demarch, also Vorsteher der Dorfgemeinde, gewesen. Seine Amtspflicht als Demarch wäre es gewesen, so argumentiert Euxitheos, einem Angehörigen des Demos nicht auf 199  So geht auch Lucia Cecchet davon aus, dass Euxitheos dem Eubulides einen Verstoß gegen den nómos argías vorwirft, weil er mit ungerechtfertigten Anklagen, also als Sykophant, seinen Unterhalt bestreite (2015, 188).

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eine bloße Anschuldigung hin und ohne Zeugen das Bürgerrecht zu entziehen. Sich darum nicht gekümmert zu haben, stattdessen dubiosen Tätigkeiten in der Stadt nachzugehen, sei eine Pflichtverletzung und konnte deswegen als Verstoß gegen das Gesetz über Untätigkeit im Amt angeprangert werden, weil er sich nicht um Zeugen bemüht habe. Einem Kläger und Angeklagten war es bei ihren Reden nicht erlaubt, nicht zur Sache gehörende Dinge vorzubringen (§ 33) und den Prozessgegner dadurch vor den Geschworenen herabzusetzen.200 F 59e: Aristoteles, Athenaion politeia 8,4 (320 er Jahre) … τὴν δὲ τῶν Ἀρεοπαγιτῶν ἔταξεν ἐπὶ [τὸ] νομοφυλακεῖν, ὥσπερ ὑπῆρχεν καὶ πρότερον ἐπίσκοπος οὖσα τῆς πολιτείας, καὶ τά τε ἄλλα τὰ πλεῖστα καὶ τὰ μέγιστα τῶν πολιτ‹ικ›ῶν διετήρει, καὶ τοὺς ἁμαρτάνοντας ηὔθυνεν κυρία οὖσα καὶ [ζη]μιοῦν καὶ κολάζειν, καὶ τὰς ἐκτίσεις ἀνέφερεν εἰς πόλιν, οὐκ ἐπιγράφουσα τὴν πρόφασιν δι’ ὃ [τὸ ἐ]κτ[ίν]εσθαι. App. crit.: πολιτικῶν Richards; δι’ ὃ τὸ ἐκτίνεσθαι K, lectio dubia: τοῦ ἐκτίνεσθαι Tyrell.

… Den Rat der Areopagiten beauftragte er mit der Überwachung der Gesetze (nomophyla­ keín), wie ihm auch früher schon zukam, Aufseher (epískopos) über die politische Ordnung zu sein, und der auch sonst die meisten und wichtigsten politischen Angelegenheiten kontrolliert hatte; auch zog er die, die sich eines Vergehens schuldig gemacht hatten, zur Rechenschaft (euthýnein) und hatte die Befugnis, Bußen und Strafen zu verhängen; die Zahlungen ließ er auf die [Akro-]Polis bringen, ohne den Grund aufzuschreiben, aus dem jemand verurteilt wurde.

F 59f: Theophrast, Nomoi fr. 99 Wimmer, fr. 27 Hager, fr. 23 Szegedy-Maszak (spätes 4./frühes 3. Jh.) (Plut. Solon 31,5)

ὡς δ’ ὁ Θεόφραστος ἱστόρηκε, καὶ τὸν τῆς ἀργίας νόμον οὐ Σόλων ἔθηκεν, ἀλλὰ Πεισίστρατος, ᾧ τήν τε χώραν ἐνεργοτέραν καὶ τὴν πόλιν ἠρεμαιοτέραν ἐποίησεν. App. crit.: δ’ ὁ S, δὲ ϒ; ἐνεργεστέραν ϒ et s. s. S.

Wie Theophrast [in den Gesetzen] berichtet hat, hat nicht Solon das Gesetz gegen Untätigkeit (argías nómos) gegeben, sondern Peisistratos; er hat damit das Land ertragreicher und die Stadt ruhiger gemacht.

Es ist nicht auszuschließen, dass auch der Tyrann Peisistratos Gesetze erlassen und dabei für Amtsträger Strafen festgelegt hat für den Fall, dass sie ihre Amtspflichten nicht erfüllten oder rechtswidrig handelten.201 Dies kann aber die zahlreichen Bele200  Adriaan Lanni, Law and Justice in the Courts of Classical Athens, Cambridge 2006, 41–74. 201  Wallace 1989, 63: „As for Theophrastos’ attribution to Peisistratos, Theophrastos was a reputable scholar and must have had a reason for rejecting the communis opinio. But the reason may have simply been that his view of the law’s purpose coincided precisely with the purpose of Peisistratos’ other activ­

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ge, rechtliche Bestimmungen über untätige Amtsinhaber seien bereits Bestandteil des drakontischen und solonischen Rechts gewesen, nicht entkräften. Skepsis gegenüber den Ausführungen Theophrasts ruft auch seine Erklärung hervor; denn er setzt ‚Untätigkeit‘ mit einem müßigen Lebenswandel gleich. Er hat also die Bestimmung gegen Untätigkeit im Amt zu einem Gesetz gegen Müßiggang umgedeutet und das Gesetz in den Kontext einer verbreiteten Tyrannentopik gestellt; angeblich habe Peisistratos wie andere Tyrannen auch ein Interesse daran gehabt, arme und arbeitssuchende Leute der Stadt zu verweisen, um Anschläge gegen die eigene Person durch aufrührerische Elemente zu verhindern.202 Bei dem Verbot der Untätigkeit und des Aufenthalts in der Stadt, das dem korinthischen Tyrannen Periandros zugeschrieben wird, geht es darum zu verhindern, dass das auf den bäuerlichen Höfen arbeitende freie Gesinde in die Stadt Korinth zog und dort vergeblich versuchte, den Unterhalt durch Gelegenheitsarbeiten, Kleinhandel und -gewerbe zu bestreiten, während gekaufte Sklaven auf den Feldern eingesetzt wurden. Periandros hat daher ein Gesetz erlassen, dass den Erwerb von Sklaven verbot und ebenso den Aufenthalt des unterbäuerlichen Gesindes in der Stadt, um diese Personen zurück auf die Höfe zu bringen.203 Wenn Theophrast ausführt, dass auch Peisistratos das Gesetz erlassen habe, ity as Ath. Pol. 16 recorded them.“ Wallace tritt dafür ein, dass das Gesetz auf Drakon zurückgeht und Solon es beibehalten habe; ähnlich Loddo 2015; zur Frage der Zuschreibung des Gesetzes an Drakon, Solon oder Peisistratos siehe auch die Diskussion bei Leão 2001. 202  Dreizehnter 1978, 381–384, 385 plädierte – allerdings mit wenig stichhaltigen Argumenten – ebenfalls für eine Zuschreibung des Gesetzes an Peisistratos. So auch Charlotte Schubert, Der Areopag als Gerichtshof, in: ZRG Rom. Abt. 117, 2000, 103–132. Eine Zuschreibung an Peisistratos lag insofern nahe, als auch andere Maßnahmen von Peisistratos bekannt waren, die die bäuerliche Arbeit fördern sollten. So habe der Tyrann Darlehen an Bedürftige gegeben, damit sie sich als Bauern ihren Unterhalt verdienen konnten (Aristot. Ath. pol. 16,2–3). Bei Aelian findet sich diese Geschichte ausgeschmückt: Peisistratos habe alle Müßiggänger vom Markt zu sich kommen lassen und sie nach dem Grund für ihre Untätigkeit gefragt. Er habe ihnen Zugvieh und Saatgut angeboten, da er fürchtete, dass ihr Müßiggang zu gefährlichen Plänen führen könnte (Ail. var. 9,25). Gerade die letzte Bemerkung zeigt, dass das Gesetz gegen den Müßiggang in eine Tyrannentypologie eingebunden wurde. 203  Nikolaos von Damaskus FgrH 90 F 58,1. Dazu Salmon 1984 (wie S. 342 Anm. 26), 199–201. John B. Salmon hält die Begründung für eine spätere, anachronistische Erklärung und glaubt, dass das Gesetz gegen argia mit anderen Gesetzen zur Luxusbeschränkung des Tyrannen in Verbindung zu bringen sei, die von Herakleides bezeugt sind. So habe Periander den Bürgern nicht erlaubt, in der Stadt zu wohnen, und den Besitz von Sklaven und jeglichen Luxus verboten (Heraclid. Lemb. 20 Dilts; = Aristot. F 611 p. 375 Rose). Das Verbot, in der Stadt zu wohnen, kennt auch Ephoros von Kyme (FgrH 70 F 149; = Diog. Laert. 1,98). Dion Chrysostomos 25,3 berichtet für Athen, unter der Herrschaft des Peisistratos seien die Leute nicht in die Stadt gezogen, sondern auf dem Land als Landarbeiter geblieben. Ein Zusammenhang zwischen Untätigkeit und dem Verweis aus der Stadt ist auch bei Plut. regum et imp. apophth. Gelon 2 (mor. 175a) hergestellt: Gelon habe die Syrakusaner häufig zum Feldbau hinausgeführt wie zu einem Feldzug, so dass das Land besser beackert wurde, sie selbst aber durch Müßiggang nicht schlechter wurden. Auch für Methymna ist das Unterbinden des Müßiggangs einem Tyrannen zugeschrieben (Theopomp FgrH 115 F 227). Eine solche Deutung liegt auch Plut. Mulierum virtutes 26 (mor. 262 B) zugrunde. Vgl. Hölkeskamp 1999 (wie Anm. 182), 157. Zu den Gesetzen Perianders Winfried Schmitz, Kypselos und Periandros. Mordende Despoten oder Wohltäter der Stadt?, in: Bernhard Linke, Mischa Meier, Meret Strothmann (Hrsg.), Zwischen Monarchie und Republik. Gesellschaftliche Stabi-

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„damit das Land ertragreicher und die Stadt ruhiger werde“, könnte dies auf einen ähnlichen Zusammenhang hinweisen.204 F 59 g: Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia 2,6,3 (1. Jh. n. Chr.) Athenienses …, apud quos inertia e latebris suis languore marcens in forum perinde ac delictum aliquod protrahitur, fitque ut ‹non› facinorosae ita erubescendae rea culpae. App. crit.: inaertiae (inertiae L) latebris LA1; non Perisonius, om. LA.

… die Athener, bei denen Untätigkeit (inertia), die durch Trägheit die Kräfte verzehrt, gleich einem Verbrechen aus seinen Schlupfwinkeln aufs Forum hervorgezogen und wie ein mutwilliges und schimpfliches Vergehen behandelt wird.

F 59h: Plutarch, Solon 17,1–2 (um 100 n. Chr.) (1) Πρῶτον μὲν οὖν τοὺς Δράκοντος νόμους ἀνεῖλε πλὴν τῶν φονικῶν ἅπαντας διὰ τὴν χαλεπότητα καὶ τὸ μέγεθος τῶν ἐπιτιμίων. (2) μία γὰρ ὀλίγου δεῖν ἅπασιν ὥριστο ζημία τοῖς ἁμαρτάνουσι θάνατος, ὥστε καὶ τοὺς ἀργίας ἁλόντας ἀποθνῄσκειν, καὶ τοὺς λάχανα κλέψαντας ἢ ὀπώραν ὁμοίως κολάζεσθαι τοῖς ἱεροσύλοις καὶ ἀνδροφόνοις. App. crit.: ἐπιτιμίων: κολάσεων Sm; τοῖς ἁμαρτάνουσι ζημία ϒ.

(1) Zuerst hat er [Solon] alle Gesetze Drakons aufgehoben mit Ausnahme derer über Tötungsdelikte, wegen der Härte und der Strenge der Strafen. (2) Denn beinahe auf alle Delikte war nur eine Strafe (zēmía) gesetzt, der Tod (thánatos), so dass auch die wegen Untätigkeit (argía) Verurteilten sterben mussten und, wer Gemüse oder Feldfrüchte stahl, ebenso bestraft wurde wie die, die Heiligtümer beraubt oder Menschen getötet hatten.

F 59i: Plutarch, Solon 22,3 (um 100 n. Chr.) Σόλων … τὴν ἐξ Ἀρείου πάγου βουλὴν ἔταξεν ἐπισκοπεῖν ὅθεν ἕκαστος ἔχει τὰ ἐπιτήδεια, καὶ τοὺς ἀργοὺς κολάζειν. Solon … ordnete an, der Rat vom Areopag (boulḗ ex Areíou págou) solle prüfen (episkopeín), wovon jeder seinen Lebensunterhalt beziehe, und die Untätigen (argoí) bestrafen.

Zum Kommentar siehe F 48i. F 59j: Plutarch, Solon 24,1–2 (um 100 n. Chr.) (= F 76a) (1) Τῶν δὲ γινομένων διάθεσιν πρὸς ξένους ἐλαίου μόνον ἔδωκεν, ἄλλα δ’ ἐξάγειν ἐκώλυσε, καὶ κατὰ τῶν ἐξαγόντων ἀρὰς τὸν ἄρχοντα ποιεῖσθαι προσέταξεν, ἢ τίνειν αὐτὸν ἑκατὸν δραχμὰς εἰς

lisierungsleistungen und politische Transformationspotentiale in antiken Stadtstaaten, Stuttgart 2010, 19–49; ders., Überlegungen zur Verbreitung der Sklaverei in der griechischen Landwirtschaft, in: Peter Mauritsch, Christoph Ulf (Hrsg.), Kultur(en) – Formen des Alltäglichen in der Antike. Festschrift für Ingomar Weiler zum 75. Geburtstag, Teil 2, Graz 2013, 535–552. 204  Cecchet 2015, 187 übersetzt „the lawgiver made the land more productive (ἐνεργοτέραν) and the city less populated (ἠρεμαιοτέραν)“. Die Erläuterungen in Aristot. Ath. pol. 16,2–4 gehen in eine ähnliche Richtung.

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Gesetze über die Amtsträger

τὸ δημόσιον· (2) καὶ πρῶτος ἄξων ἐστὶν ὁ τοῦτον περιέχων τὸν νόμον. οὐκ ἂν οὖν τις ἡγήσαιτο παντελῶς ἀπιθάνους τοὺς λέγοντας, ὅτι καὶ σύκων ἐξαγωγὴ τὸ παλαιὸν ἀπείρητο, καὶ τὸ φαίνειν ἐνδεικνύμενον τοὺς ἐξάγοντας κληθῆναι συκοφαντεῖν. App. crit. ἄλλα δ’ Ruschenbusch: ἀλλὰ δ’; ἐκτίνειν Y et ἐκ s. s. S; ἀπιθάνως Etym. M.; συκοφάντην Sm Y.

(1) Einen Kontrakt (diáthesis) über [landwirtschaftliche] Erträge mit Fremden [abzuschließen] ließ er nur bei Olivenöl zu, es (her-)auszuführen (exágein) aber verbot er. Und gegen die, die es (her-)ausführten, hat er angeordnet, dass der árchōn Flüche (araí) aussprechen oder er selbst einhundert Drachmen an die öffentliche Kasse entrichten soll. (2) Und es ist der erste áxōn, der dieses Gesetz enthält. Man darf also auch die Nachricht nicht für ganz unglaubwürdig halten, dass auch die Ausfuhr (exagōgḗ) von Feigen in der alten Zeit verboten war und dass die Tat, als Anzeigender (endeiknýmenos) gegen die (Her-)Ausführenden aufzutreten, syko­ phanteín genannt wird.

In diesem Gesetz ist eine Strafe in Höhe von einhundert Drachmen für den árchōn, wahrscheinlich den árchōn basileús, festgelegt, wenn er den gegen das Gesetz Verstoßenden nicht verflucht, also ‚untätig‘ bleibt. Dies könnte eines der Gesetze sein, die Solon gegen ‚Untätigkeit‘ erlassen und bei dem er bei einmaligem Vergehen eine Strafe von einhundert Drachmen festgelegt hat.205 F 59k: Pollux, Onomastikon 8,41–43 (2. Jh. n. Chr.) (41) … ἐκαλοῦντο γὰρ αἱ γραφαὶ καὶ δίκαι, οὐ μέντοι καὶ αἱ δίκαι γραφαί. ἐξῆν τῷ βουλομένῳ γράφεσθαι, καὶ ἐπὶ μὲν πασῶν τούτων ὁ μὴ μεταλαβὼν τὸ πέμπτον μέρος τῶν ψήφων προσωφλίσκανε χιλίας· ὁ δὲ τῆς ἀσεβείας γραψάμενος καὶ οὐχ ἑλὼν ἐθανατοῦτο. (42) καὶ τῆς μὲν ὕβρεως τὸ τίμημα οὐκ ἦν τοῦ παθόντος ἀλλὰ δημόσιον, δώρων δὲ κατὰ τοῦ ἐπὶ δώροις δικάσαντος ἦν ἡ γραφή, δε­ κασμοῦ δὲ κατὰ τοῦ διαφθείραντος· καὶ ὁ μὲν δεκάζεσθαι ὁ δὲ δεκάζειν ἐλέγετο. τῆς δὲ ἀργίας ἐπὶ μὲν Δράκοντος ἀτιμία ἦν τὸ τίμημα· ἐπὶ δὲ Σόλωνος, εἰ τρίς τις ἁλῴη, ἠτιμοῦτο. καὶ λιποναυτίου μὲν ἐκρίνετο ὁ τὴν ναῦν ἐκλιπών, (43) ὥσπερ ὁ τὴν τάξιν λιποταξίου, ἀναυμαχίου δὲ ὁ τὴν ναῦν μὲν μὴ λιπών, μὴ μέντοι ναυμαχήσας. ἑταιρήσεως δ’ ἦν γραφὴ καὶ δοκιμασία καὶ ἐπαγγελία· καὶ ταῦτα τῆς κατὰ τῶν ἑταιρηκότων κατηγορίας τὰ ὀνόματα. (41) … Die graphaí heißen nämlich auch díkai [im allgemeinen Sinne], nicht jedoch die díkai [im speziellen Sinne von ‚Privatklagen‘] graphaí. [ Jedem Bürger,] der wollte, war es möglich, eine graphḗ einzureichen, und bei all diesen [Klagen] hatte der, der nicht den fünften Teil der Stimmen erhielt, tausend [Drachmen] zu bezahlen. Wer wegen religiösen Frevels (asébeia) eine graphḗ eingereicht hat, wurde getötet, wenn [der Täter] nicht verurteilt wurde. (42) Und die Strafsumme für Frevel (hýbris) ging nicht an den Geschädigten, sondern an die öffentliche Kasse; [graphḗ] dṓrōn war die Klage (graphḗ) gegen den, der wegen Annahme von Geschenken angeklagt wurde, [graphḗ] dekasmoú die gegen den Bestechenden. Und der eine wurde der

205  In der Hekatompedon-Inschrift waren ebenfalls einhundert Drachmen festgelegt, möglicherweise weil diese Summe in Übereinstimmung stand mit den von Solon für dieses Vergehen festgesetzten Strafen (IG I3 4 B Z. 15–17).

Prüfung der Amtsführung (F 58–59)

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‚Bestochene‘ genannt, der andere ‚Bestechender‘. Für Untätigkeit (argía) war unter Drakon Ehrlosigkeit (atimía) die Strafe, unter Solon hingegen wurde nur derjenige ehrlos, der dreifach der Tat überführt wurde. Und bei einer [graphḗ] liponautíou wurde der verurteilt, der [bei einer Seeschlacht] vom Schiff desertiert war, (43) so wie der, der die Schlachtordnung verlassen hat, durch eine [graphḗ] lipotaxíou. Bei einer [graphḗ] anaumachíou wer zwar das Schiff nicht verlassen, jedoch nicht an der Seeschlacht teilgenommen hatte. Es gab wegen hetaírēsis eine graphḗ, eine dokimasía und eine epangelía. Und dies sind die Bezeichnungen für die Klage gegen die hētairēkótes.

Pollux listet in dieser Aufzählung in Athen bestehende Schriftklagen (graphaí) auf. Bemerkenswert ist, dass es sich in allen Fällen um schwerwiegende Vergehen gegen die politische, religiöse und militärische Ordnung der bürgerlichen Gemeinschaft handelt. Der Zusammenhang spricht daher dafür, die Klage wegen Untätigkeit (graphḗ argías) nicht auf den (müßigen) Lebenswandel eines jeden Bürgers zu beziehen, sondern auf den Amtsträger, der seiner Pflicht nicht nachkommt, indem er untätig bleibt oder bei seiner Tätigkeit gesetzliche Bestimmungen missachtet. Durch die Frage „wovon lebst du und was machst du?“ sollte wahrscheinlich auch geklärt werden, ob der Amtsinhaber möglicherweise Geschenke und Bestechungsgelder angenommen hatte oder die Gefahr bestand, dass er solche annehmen könnte; insofern ergibt sich eine enge Verbindung zwischen graphḗ argías und graphḗ dṓrōn bzw. dekasmoú. Herodot, Diodor und Lysias zufolge hatte Solon, Plutarch (Solon 17,2) zufolge hatte Drakon den Tod als Strafe für Amtsvergehen festgelegt; Pollux geht hingegen wie Lysias (F 59a) von der Atimie aus, weil er Solon eine Abmilderung der Strafen zuschreibt: nur derjenige werde átimos, der sich nicht nur einmal, sondern dreifach des Vergehens schuldig gemacht hatte. Pollux kann also nicht als Beleg dafür herangezogen werden, dass bereits Drakon für Untätigkeit im Amt die Atimie als Strafe bestimmt hatte. Möglich ist, dass Drakons Gesetz eine Bestimmung enthielt, dass der untätige oder das Recht beugende Amtsträger „unter dieselben Bedingungen fiel“ wie der wegen einer Tötung Angeklagte. Solon wird vermutlich für Amtsträger generell festgelegt haben, dass sie bei einfachem Verstoß mit einhundert Drachmen bestraft, bei dreifachem Verstoß ehrlos wurden und kein weiteres Amt übernehmen konnten.

V. Verfahrensrecht Abstract: In Drakons und Solons Gesetzen über die Tötung war zugelassen, Täter mittels apagōgḗ ‚abzuführen‘, wenn sie ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrt waren, oder sie Amtsträgern mittels éndeixis ‚anzuzeigen‘, wenn sie sich an Orten aufhielten, an denen ihnen der Aufenthalt untersagt worden war (V 1). Dies könnte auch für exilierte Verräter gegolten haben. Angezeigt oder abgeführt werden konnten auch diejenigen, denen bestimmte oder alle politischen Partizipationsrechte entzogen waren, die sie aber dennoch für sich beanspruchten. Ob auch dieses Gesetz auf solonische Zeit zurückgeht, wie Demosthenes behauptet, bleibt unsicher. ‚Popularklage‘ bezeichnet die Möglichkeit, dass nicht nur der unmittelbar Geschädigte, sondern jeder Athener, „der wollte“, eine ‚Schriftklage‘ (graphḗ) einreichen konnte (V 2). Bei schweren religiösen Vergehen war die Klage beim árchōn basileús, bei Feigheit vor dem Feind beim árchōn polémarchos einzureichen; war eine Einzelperson betroffen, konnte jedermann eine ‚Klage wegen Frevels oder gesetzwidriger Handlung‘ bei den Thesmotheten einbringen. Damit hat Solon die Möglichkeit geschaffen, dass sich ein ambitionierter Angehöriger der sozialen Elite mittels graphḗ hýbreōs schützend vor eine andere Person aus einer der unteren Schichten stellte, um auf diese Weise eine Anhängerschaft zu gewinnen. Urteile der Archonten verloren mit Einführung der éphesis ihre rechtsverbindliche Wirkung (V 3). Wer ein solches magistratisches Urteil oder einen Schiedsspruch der diaitētaí nicht zu akzeptieren bereit war, konnte ‚Überweisung‘ (éphesis) des Streitfalls an ein Gericht fordern. Solon schuf also Möglichkeiten, Streitfälle entweder unmittelbar über den Weg einer öffentlichen Klage (graphḗ) oder mittelbar über die éphesis vor die in Athen tagenden, zentralen Gerichtshöfe zu bringen. Demosthenes und Autoren späterer Zeit schreiben dem Gesetzgeber Solon einen „Eid der Heliasten“ zu (V 4). Unsicher ist aber, welche der im Eid der klassischen Zeit enthaltenen Bestandteile auf archaische Zeit zurückgehen. Dazu mögen die eidlichen Selbstverpflichtungen gehören, dass die Geschworenen beiden Parteien gleichermaßen und ohne Voreingenommenheit zuhören und gemäß den Satzungen abstimmen sollten; sie durften nur über den Gegenstand der Klage urteilen. Vermutlich musste der Eid vor Zeus, Apollon und Demeter abgelegt werden. Der in der Rede Gegen Timokrates eingelegte Text des Heliasteneids ist – zumindest in großen Teilen – unecht. Wie die Heliasten selbst mussten auch die mit dem Gerichtswesen betrauten Thesmotheten einen Eid schwören, der in späterer Zeit auf alle Archonten ausgeweitet worden sein könnte.

Historische Einordnung – Apagōgḗ und éndeixis (F 60–63)

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V 1 Abführung (apagōgē )́ und Anzeige (éndeixis) Historische Einordnung Apagōgḗ und éndeixis bei Tötung und Verrat in archaischer Zeit Schon für das Gesetz Drakons ist nachgewiesen, dass man Personen, die wegen einer Tötung schuldig gesprochen worden waren und Attika verlassen hatten oder die unmittelbar aus dem Land geflohen waren und sich damit schuldig bekannt hatten, ‚töten‘ (apokteínein) oder ‚abführen‘ (apágein) konnte, wenn sie ohne eine Aussöhnung zurückkehrten; sie zu misshandeln oder ein Wergeld von ihnen zu erpressen, war hingegen nicht gestattet (F 60 = F 8a, 30). Diese Bestimmung aus dem Gesetz Drakons über die Tötung war von Solon übernommen und um das Verfahren erweitert worden, wie bei Zuwiderhandlungen vorzugehen war: Jeder, der wollte, konnte bei Misshandlungen Klage bei den Archonten einreichen und den Zuwiderhandelnden wegen Schadensersatzes anklagen. Die (h)ēliaía sollte darüber entscheiden. Mit diesem Verfahren auf Schadenersatz, das nicht unmittelbar in den Kontext der Tötungsgesetze gehört und deshalb als ein „von unten kommendes Gesetz“ (also ein auf der Agora aufgestelltes Gesetz) bezeichnet ist, bestätigte Solon das Recht, den ohne Aussöhnung zurückgekehrten Täter töten oder abführen zu können.1 ‚Abführen‘ zur Hinrichtung war vermutlich auch bei Personen möglich, die eine Tyrannis anstrebten; so hatten die Athener die Anhänger des Isagoras, die mit ihm und dem spartanischen König Kleomenes die Akropolis besetzt hatten, festgenommen und „in Fesseln gebunden“ (dedeménoi) hinrichten lassen.2 Aus dem in Demosth. or. 23,28 eingelegten Gesetz (F 60) geht nicht hervor, wohin oder zu wem der Ergriffene abgeführt werden konnte. Erläutert ist dies in or. 23,31 mit der rhetorischen Frage: „Aber wie?“ und der Antwort mit dem Zitat: „Wie im áxōn bestimmt ist“. Demosthenes fährt in der für Euthykles geschriebenen Rede dann fort: „Und was ist dies? Ihr wisst es alle. Die Thesmotheten sind befugt, diejenigen, die wegen Tötung angeklagt sind, mit dem Tod zu bestrafen“ und verweist auf einen aktuellen, ein Jahr zurückliegenden Fall, bei dem sie eine Person aus der Volksversammlung

1 Zur apagōgḗ bei Tötungsdelikten Evjen 1970, der die apagōgḗ für ein frühes Verfahren hält. Ebenso Michael Gagarin, Early Greek Law, Berkeley etc. 1986, 75; 112–115; Todd 1993, 275 f. und Edwin M. Carawan, Rhetoric and the Law of Draco, Oxford 1998, 337 ff. Phillips 2013, 47 hingegen hält die apagōgḗ bei Tötungsdelikten für eine Erweiterung aus der Zeit des späten 5. Jh.; ebenso Volonaki 2000, 149, 153, 164, 171–173. Dabei geht es ihr allerdings nicht nur um die apagōgḗ im Falle des ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrten Täters, sondern um die Möglichkeit, die bei der Tat ergriffenen Täter abführen zu können, um eine apagōgḗ phónou. Hansen 1976, 99–108 unterscheidet vier unterschiedliche Varianten der apagōgḗ und éndeixis bei Tötungsdelikten (ihm folgt Scafuro 2005, 52–56). 2  Hdt. 5,72,4–73,1: τοὺς δὲ ἄλλους Ἀθηναῖοι κατέδησαν τὴν ἐπὶ θανάτῳ, … οὗτοι μέν νυν δεδεμένοι ἐτελεύτησαν.

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Verfahrensrecht

abgeführt haben.3 Diesen Ausführungen kann entnommen werden, dass der Verfahrensregelung bei Misshandlungen nur zu entnehmen war, dass der ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrte Täter abgeführt werden durfte, „wie im áxōn bestimmt ist“. Für das weitere verweist Demosthenes auf das Wissen aller; dies stand also nicht im Gesetz Drakons und auch nicht in der verfahrensrechtlichen Erweiterung Solons. Der ein Jahr zurückliegende Fall bezog sich auch nicht auf einen ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrten Täter, sondern kann sich nur auf eine wegen Tötung angeklagte Person beziehen. Dem wegen eines Tötungsdelikts Angeklagten wurde bis zum Beginn des Prozesses der Ausschluss von Heiligtümern und von der Agora verkündet. Einen solchen hatten die Thesmotheten abgeführt – vermutlich auf eine Anzeige hin – und mit dem Tod bestraft.4 Dass bei Tötungsdelikten Personen abgeführt werden konnten, die heilige Stätten oder die Agora betreten hatten, obwohl sie vom basileús von diesen Stätten ausgeschlossen worden waren, wird häufig auch aus dem in Demosth. or. 24,105 eingelegten Gesetz (F 63a) erschlossen, allerdings zu Unrecht, da es in dem Gesetz allein um Personen geht, die die Eltern misshandelt oder sich dem Kriegsdienst entzogen hatten und die wegen einer Verurteilung in diesen Fällen von bestimmten Stätten ausgeschlossen waren.5 Nach dem in Demosth. or. 23,51 eingelegten und im Anschluss wiedergegebenen Gesetz (F 61a) konnten keine Klagen wegen Tötung gegen diejenigen eingebracht werden, die Personen ‚angezeigt‘ hatten, welche dorthin gegangen waren, wo ihnen der Aufenthalt nicht gestattet war. Hielt sich ein Täter also an diesen Stätten auf, war ‚Anzeige‘ (éndeixis) möglich. Es ist also als wahrscheinlich anzusehen, dass nach den Tötungsgesetzen Drakons und Solons die Abführung (apagōgḗ) des ohne Aussöhnung 3  Demosth. or. 23,31: δὲ τί; „ἐξεῖναι ἀποκτείνειν καὶ ἀπάγειν“. … ἀλλὰ πῶς; „ὡς ἐν τῷ ἄξονι εἴρηται“ φησίν. τοῦτο δ’ ἐστὶν τί; ὃ πάντες ἐπίστασθ’ ὑμεῖς. οἱ θεσμοθέται τοὺς ἐπὶ φόνῳ φεύγοντας κύριοι θανάτῳ ζημιῶσαί [εἰσι], καὶ τὸν ἐκ τῆς ἐκκλησίας πέρυσιν πάντες ἑωρᾶθ’ ὑπ’ ἐκείνων ἀπαχθέντα. ὡς τούτους οὖν ἀπάγειν λέγει. 4  Lipsius 1905–15, 76 Anm. 97 geht davon aus, dass die Thesmotheten den Ergriffenen an die Elfmänner übergaben, um ihn in Haft zu nehmen. 5  Nach dem in Demosth. or. 23,105 eingelegten Gesetz kann „der wegen Misshandlung der Eltern oder wegen Entziehung vom Kriegsdienst Verurteilte, dem der Ausschluss von den Gesetzen verkündet worden war und der dennoch hinging, wohin er nicht gehen durfte,“ abgeführt werden (τῶν γονέων κακώσεως ἑαλωκὼς ἢ ἀστρατείας {ἢ} προειρημένον αὐτῷ τῶν νόμων εἴργεσθαι, εἰσιὼν ὅποι μὴ χρή). Das προειρημένον αὐτῷ τῶν νόμων εἴργεσθαι bezieht sich nicht auf Täter, denen aufgrund einer Tötung der Ausschluss von heiligen Stätten verkündet worden war. Von letzterem waren indes Hansen 1976, 99– 103, Gagarin 1979, 315–321 und Scafuro 2005, 52 f. sowie Canevaro 2013 ausgegangen; sie diskutieren das eingelegte Gesetz als Beleg für die apagōgḗ einer Person, der eine Tötung vorgeworfen oder die wegen Tötung angeklagt und der deswegen der Zutritt zu heiligen Stätten untersagt worden war. Da allerdings Demosth. or. 24,105 nicht in Einklang zu bringen sei mit den Informationen zur apagōgḗ von Mördern in or. 23,80 (so Hansen 1976, 101; Scafuro 2005, 60), könne das in 24,105 eingelegte Gesetz nicht authentisch sein. Die Einwände sind gegenstandslos, wenn sich die Formulierung nicht auf Mörder bezieht. Einen neuen Vorschlag zur Lösung dieses Widerspruchs hat Sandra Zojonz vorgelegt, die aber ebenfalls davon ausgeht, dass sich Demosth. or. 24,105 auch auf Mörder erstreckt (2014, zur Forschungsdiskussion ebd. 260–266).

Historische Einordnung – Apagōgḗ und éndeixis (F 60–63)

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nach Attika zurückgekehrten Täters (F 60) sowie die Anzeige (éndeixis) desjenigen gestattet war, der sich an Stätten aufhielt, die er nach dem verkündeten Ausschluss von diesen Orten (prórrhēsis) nicht betreten durfte (F 61). Mogens Herman Hansen hat zu Recht darauf hingewiesen, dass éndeixis und apagōgḗ zwei eng miteinander verknüpfte Verfahren sind und auf die ‚Anzeige‘ hin das ‚Abführen‘ folgen kann (aber nicht muss). Dass beim Mörder, der dorthin gegangen war, wo ihm ein Aufenthalt untersagt war, in F 61 nur die ‚Anzeige‘ belegt ist, könnte darauf zurückzuführen sein, dass ein Täter nicht ohne weiteres von einem heiligen Ort abgeführt werden durfte, da dies ein Bruch der Hikesie gewesen wäre. In solchen Fällen musste man sich vermutlich mit einer ‚Anzeige‘ begnügen, die den Thesmotheten ein ‚Abführen‘ erlaubte, sobald der Täter das schutzgewährende Heiligtum verließ. Demosthenes kommt in or. 23,80 noch einmal auf die apagōgḗ zurück (F 61b). Bei einem Tötungsdelikt könne ein Täter, „wenn er sich in den Heiligtümern oder auf der Agora sehen lässt, in das Gefängnis abgeführt werden“.6 Dort verbleibe er bis zum Prozess, und wenn er für schuldig befunden werde, erleide er den Tod. Der Kläger trete als öffentlicher Ankläger auf und müsse, wenn er nicht den fünften Teil der Stimmen erhielt, tausend Drachmen Strafe zahlen.7 Es ist davon auszugehen, dass der Kläger derjenige war, der den Täter ergriffen und abgeführt, beziehungsweise ihn bei den Thesmotheten angezeigt hatte. Auch in diesem Fall handelt es sich um einen der Tötung Verdächtigen oder Angeklagten, dem durch prórrhēsis das Betreten von heiligen Stätten und der Agora verboten worden war.8 Éndeixis und apagōgḗ sind also in frühe Zeit zurückreichende Verfahren; die ‚Abführung‘ eines ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrten Täters war sicherlich jedem möglich. Darüberhinaus konnten diejenigen, denen der Ausschluss von Heiligtümern und der Agora verkündet worden war, den Thesmotheten angezeigt werden, wenn sie an den betreffenden Orten angetroffen wurden.9 6  Scafuro 2004, 52 f. bezeichnet die Form der apagōgḗ in Anlehnung an Hansen 1976, 100 f. als apagōgḗ phónou. 7  Vermutlich ist das κατὰ τὴν ἀγοράν auf die Volksversammlung zu beziehen, die in früher Zeit auf der Agora, noch nicht auf der Pnyx tagte. Agorá im Sinne von Volksversammlung z. B. Hom. Il. 2,93; 18,246; Od. 2,69; 9,112; Alkaios F 130 Z. 18 L-P; Xen. an. 5,7,3; in attischen Demen: Demosth. or. 44,36. Explizit Harpokr. π 10 (T 460b Martina) s. v. Πάνδημος Ἀφροδίτη· … Ἀπολλόδωρος ἐν τῷ Περὶ θεῶν φησιν Ἀθήνησι κληθῆναι τὴν ἀφιδρυθεῖσαν περὶ τὴν ἀρχαίαν ἀγορὰν διὰ τὸ ἐνταῦθα πάντα τὸν δῆμον συνάγεσθαι τὸ παλαιὸν ἐν ταῖς ἐκκλησίαις, ἃς ἐκάλουν ἀγοράς. – „Aphrodite Pandemos: … Apollodoros (FgrH 244 F 113) sagt im [Buch] Über die Götter, dass in Athen [die Göttin], die in die Nähe der alten Agora versetzt wurde, so genannt wurde, weil dort das gesamte Volk seit alters zu Versammlungen zusammenkam, die agoraí hießen“. Dazu Christine Schnurr, Die alte Agora Athens, in: ZPE 105, 1995, 131–138. 8  So auch Hansen 1976, 100; Scafuro 2005, 60–63. 9 Zur apagōgḗ in klassischer Zeit Volonaki 2000, mit der Annahme, dass in klassischer Zeit zwei Formen der apagōgḗ bei Tötungsdelikten möglich gewesen seien, die apagōgḗ phónou und die apagōgḗ ka­ koúrgōn (ebd. 153). Der Verteidigungsrede Antiphons im Falle der Tötung des Herodes (or. 5) lag eine apagōgḗ (nach Meinung von Hansen 1976, 14 éndeixis mit folgender apagōgḗ) zugrunde, ebenso der Anklage des Lysias Gegen Agoratos (or. 13) und der dem Deinarchos zugeschriebenen Rede Gegen Menekles.

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Verfahrensrecht

Aus dem späten 5. Jh. ist zudem ein Beschluss des Volkes bekannt, der die apagōgḗ vorsieht (F 62). Nach dem Peloponnesischen Krieg wurde der Beschluss gefasst, wonach derjenige, der sich während des Krieges zu den Spartanern nach Dekeleia begeben und damit Landesverrat begangen hatte, durch „jeden, der will,“ bei der Rückkehr ergriffen und zu den Thesmotheten abgeführt werden konnte, die ihn festsetzen und dem Henker übergeben sollten.10 Nicht zu entscheiden ist, ob dieses Verfahren der apagōgḗ dem in Tötungsfällen üblichen nachgebildet war und ebenfalls auf frühe Zeit zurückgeht11 oder ob die Thesmotheten erst unmittelbar im Anschluss an den Peloponnesischen Krieg diesbezügliche Kompetenzen erhielten. Im 4. Jh. jedenfalls waren sowohl die Thesmotheten als auch die Elfmänner in das Verfahren der apagōgḗ involviert.12 Und auch gemäß Athenaion politeia wurden ‚Anzeigen‘ (endeíxeis) von den Elfmännern vor Gericht gebracht, einige aber von den Thesmotheten.13 Mogens Herman Hansen vertritt die plausible Ansicht, dass die Thesmotheten die Fälle vor Gericht brachten, bei denen der Täter angezeigt, aber nicht in Haft genommen worden war, wohingegen die Elfmänner diejenigen Täter vor Gericht brachten, die ihnen übergeben und in Haft genommen worden waren.14 Apagōgḗ und éndeixis bei anderen Vergehen Das Verfahren der apagōgḗ war auch zulässig gegen solche, die politische Partizipationsrechte auszuüben versuchten, die ihnen nicht zustanden: So konnten diejenigen, die für schuldig befunden worden waren, sich dem Kriegsdienst entzogen zu haben, ‚abgeführt‘ werden, wenn sie politische Partizipationsrechte für sich in Anspruch nahDazu Lipsius 1905–15, 318, 323 f.; Volonaki 2000, 153–160 (Antiph. 5) und 160–167 (Lys. 13). Ich folge allerdings der Ansicht von Lipsius, dass im Prozess um die Tötung des Herodes Antiphon zu Recht einwendet, Euxitheos hätte in einer díkē phónou angeklagt werden müssen, nicht durch éndeixis mit folgender apagōgḗ. Denn die apagōgḗ war nur gegenüber dem Täter möglich, der ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrt war. Möglicherweise haben sich die Kläger darauf berufen, Euxitheos sei ein solcher ohne Aussöhnung zurückgekehrter Mörder. 10  Lykurg. Leokr. 121. 11  Nach Lipsius 1905–15, 80 handelt es sich bei der Abführung zu den Thesmotheten bei der Rückkehr von Mördern und Hochverrätern um „ein Überbleibsel älterer Gesetzgebung“. 12  Nach Lipsius 1905–15, 319 oblag in Fällen von Tötung und Hochverrat, bei denen die nach Attika zurückgekehrten Täter zu den Thesmotheten abgeführt wurden, den Elfmännern nur die Vollstreckung der Strafe. 13  Aristot. Ath. pol. 52,1. Lipsius ebd. bezieht die endeíxeis bei den Thesmotheten auf Fälle von Tötung und Hochverrat. 14  Hansen 1976, 20 f. Nach Ansicht von Hansen waren éndeixis und apagōgḗ zwei Schritte ein und desselben Verfahrens. Auf die ‚Anzeige‘ konnte die Haft durch apagōgḗ an die Elfmänner folgen; wenn Bürgen gestellt wurden, konnte der Täter aber auch in Freiheit bleiben (1976, 13–17, 26). Kypselos soll in Korinth hohes Ansehen gewonnen haben, weil er Personen, die zu ihm als polémarchos abgeführt wurden (apágesthai), nicht einsperren und binden ließ, sondern sie bei Stellung von Bürgen freigab (Nikolaos Dam. FgrH 90 F 57,5).

Historische Einordnung – Apagōgḗ und éndeixis (F 60–63)

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men, die nur Ehrbaren (epítimoi) zustanden.15 Und auch diejenigen, die wegen Misshandlung der Eltern verurteilt worden waren und ungeachtet dessen in der Volksversammlung einen Antrag einbrachten, konnten ‚abgeführt werden‘ (F 63a). Auch dieses Gesetz über die apagōgḗ und die éndeixis, in dem geregelt war, wen die Amtsträger „in das Holz binden konnten“, wird in der Rede des Demosthenes Gegen Timokrates dem Gesetzgeber Solon zugeschrieben. Ob diese Zuschreibung an Solon zutrifft, muss unsicher bleiben, da weitere Quellen dazu fehlen. Den ‚Abgeführten‘ sollten die Elfmänner in Fesseln legen und vor die (h)ēliaía bringen, die auch über die Art und Höhe der Strafe entschied (F 63a–b). Kläger in dieser öffentlichen Klage ist der boulómenos, vermutlich derjenige, der den Betreffenden abgeführt hatte. Apagōgḗ konnte in klassischer Zeit schließlich auch dann angewandt werden, wenn Räuber oder Diebe bei der Tat ergriffen wurden oder das Vergehen offensichtlich war.16 Es ist dies die apagōgḗ kakoúrgōn, die ‚Abführung von Übeltätern‘.17 Dazu zählten Diebe (κλέπται), Menschenräuber (ἀνδραποδισταί) und Räuber (λωποδύται), daneben wahrscheinlich auch Einbrecher (τοιχωρύχοι) und Beutelschneider (βαλαντιοτόμοι).18 Solche ‚Übeltäter‘ konnten zu den Elfmännern abgeführt werden. Die apagōgḗ trat – genauso wie die ‚Anzeige‘ (éndeixis) – an die Stelle der Vorladung vor Gericht, der próklēsis. Nach der Athenaion politeia führten die Elfmänner die Aufsicht über das Gefängnis, das desmotḗrion,19 wurden daher auch als ‚Aufseher über die Übeltäter‘ (ἐπιμεληταὶ τῶν κακούργων) oder als ‚Gefängniswärter‘ (δεσμοφύλακες) bezeichnet.20 15  Harpokr. ε 48 s. v. Ἔνδειξις· εἶδος δίκης δημοσίας, ὑφ’ ἣν τοὺς ἐκ τῶν νόμων εἰργομένους τινῶν ἢ τόπων ἢ πράξεων, εἰ μὴ ἀπέχοιντο αὐτῶν, ὑπῆγον. πολλοὶ μὲν οὖν εἰσὶ λόγοι ἐνδείξεως, γνωριμώτατοι δὲ οἱ κατ’ Ἀριστογείτονος Δημοσθένους (= Suda ε 1171 s. v. ἔνδειξις); daraus Suda ε 1171 s. v. ἔνδειξις; Schol. Demosth. or. 25,7. Zur apagōgḗ desjenigen, der sich die ihm entzogenen Rechte anmaßte, Lipsius 1905–15, 324–327, desjenigen, der sich als Ehrloser (átimos) die Rechte der Ehrbaren (epítimoi) anmaßte, ebd. 327–329, Hansen 1976, 54–98, bes. 59 f. Die éndeixis gegen Andokides gründete auf dem Vorwurf, dass er als átimos die Heiligtümer besucht und an der Feier der Mysterien teilgenommen hatte. Hansen 1976, 26 zu apa­ gōgḗ, éndeixis und ephḗgesis als drei Varianten eines im Prinzip ähnlichen Verfahrens. 16  Zum Nachweis, dass auch die offensichtliche Tat ein Abführen rechtfertigte, weil die Voraussetzung ἐπ᾽αὐτοφώρῳ gegeben war, Harris 1994. 17  Lipsius 1905–15, 320 f.; Hansen 1976, 36–48. 18  Aristot. Ath. pol. 52,1: καὶ τοὺς ἀπαγομένους κλέπτας καὶ τοὺς ἀνδραποδιστὰς καὶ τοὺς λωποδύτας, ἂν μὲν [ὁμολογῶ]σι, θανάτῳ ζημιώσοντας, ἂν δ’ ἀμφισβητῶσιν, εἰσάξοντας εἰς τὸ δικαστήριον; Antiph. 5,9; Isokr. 15,30; Hyp. Athenog. 12; toichōrýchoi sind aus Ps.-Demosth. or. 35,47 hinzugefügt, balantiotómoi aus Xen. Mem. 1,2,62; Plat. rep. 9, 575b; 8, 552d. Lys. 10,10 bezeugt für das Gesetz über das Abführen an die Elfmänner die Worte λωποδύτης und ἀνδραποδιστής, zitiert diese aber nicht aus den „alten Gesetzen Solons“ wie die Zitate, die in 10,15–19 folgen. Bei Diebstahl war die apagōgḗ auf den nächtlichen Diebstahl sowie den Diebstahl aus einem Gymnasium bzw. auf einen Wert von über fünfzig Drachmen und auf über zehn Drachmen bei Diebstahl in den Häfen beschränkt (Demosth. or. 24,113 f.). Aischin. Tim. 91.113 nennt λωποδύται, κλέπται, μοιχοί und ἀνδροφόνοι; ἀνδροφόνοι werden verurteilte ‚Mörder‘ sein, die ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrt waren. Hansen 1976, 36–48. Harris 1994, 181 f. hat aber zu Recht eingewandt, dass Ehebrecher nicht zu den kakoúrgoi gehörten, bei denen eine apagōgḗ kakoúr­ gōn möglich war. 19  Belegt ist das Gefängnis auch in Demosth. or. 22,68; 24,208 f. 20  Antiph. 5,17; Schol. Demosth. 22,80; 24,170.

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Verfahrensrecht

Voraussetzung für ein ‚Abführen‘ der kakoúrgoi war, dass die Täter bei der Tat ergriffen worden waren.21 Waren die Abgeführten geständig, wurden sie mit dem Tod bestraft und zur Hinrichtung geführt. Bestritten sie ihre Schuld, sollten die ‚Elfmänner‘ sie vor Gericht bringen; wurden sie schuldig gesprochen, folgte ebenfalls die Hinrichtung.22 In klassischer Zeit nahmen sie auch Anträge auf Konfiskationen (apographaí) an, vermutlich weil die Todesstrafe mit der Konfiskation verbunden war.23 Schuldner öffentlicher Gelder wurden von ihnen direkt nach Bezahlung der Schuld in Freiheit gesetzt;24 sie führten auch entsprechende Verzeichnisse über die von den Schuldnern zu leistenden Beträge. Sie überwachten die Vollstreckung der Todesurteile und führten Folterungen durch.25 Die Hinrichtungen selbst nahm der Henker (dḗmios, dēmókoinos) vor. Die ‚Elfmänner‘ waren eine alte Einrichtung des attischen Rechtswesens, wobei unklar ist, auf welch frühe Zeit sie zurückgehen.26 Für ein hohes Alter spricht auch, dass sie aus den höheren Schatzungsklassen bestellt wurden.27 Da es sich um ein Kollegium aus elf Männern handelt, lag die ‚richterliche‘ Entscheidung über die Hinrichtung der bei der Tat ergriffenen Täter anfangs vermutlich allein bei ihnen.28 Aufgrund der Zahl stimmten sie wie die einundfünfzig Epheten nach Mehrheit ab. In klassischer Zeit lag die letzte Entscheidung über die Hinrichtung des Abgeführten, wenn er die Tat nicht eingestand, beim Gericht. Literatur Lipsius 1905–15, 74–81 (die ‚Elfmänner‘), 317–338 (apagōgḗ und éndeixis); Harold D. Evjen, Ἀπαγωγή and Athenian Homicide Procedures, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 38, 1970, 403–415; Mogens Herman Hansen, Apagoge, Endeixis and Ephegesis against Kakourgoi, Atimoi and Pheugontes. A Study in the Athenian Administration of Justice in the Fourth Century B. C., Odense 1976 (dazu die Rezension von Gerhard Thür, in: Gnomon 55, 1983, 605–609); Edward M. Harris, In ‚the art‘ or ‚red-handed‘? Apagoge to the Eleven and Furtum manifestum. In: Symposion 1993. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Graz – Andritz, 12.–16. September 1993), hrsg. von Gerhard Thür, Köln – Weimar – Wien 1994, 169–184 (wiederabgedruckt in Harris 2006, 373–390); Eleni Volonaki, ‚Apagoge‘ in Homicide Cases, in: Dike 3, 2000, 147–176;

21  Hansen 1976, 9–11, 48–53. 22  Aristot. Ath. pol. 52,1: εἰσάξοντας εἰς τὸ δικαστήριον, κἂν μὲν ἀποφύγωσιν, ἀφήσοντας, εἰ δὲ μή, τότε θανατώσοντας. Hansen 1976, 17–21. 23  Aristot. Ath. pol. 52,1. 24  Demosth. or. 22,49.52 f. Apagōgḗ eines Schuldners gegenüber der öffentlichen Kasse: Dein. 2 (Arist.),13; éndeixis bei den Thesmotheten, wenn ein Schuldner öffentlichen Geldes ein Amt wahrnimmt, ist belegt in Demosth. or. 24,22. Vgl. Poll. 8,50: μάλιστα δὲ τοὺς ὀφείλοντας τῷ δημοσίῳ ἐνεδείκνυσαν (daraus Suda ε 1170 s. v. ἔνδειξις; Etm. M. p. 338,49). Phot. lex. ε 859 (= Lex. Sabbaiticum ε p. 59): ἔνδειξις. 25  Xen. hell. 2,3,54. Zu Folterungen Lipsius 1905–15, 76 f. 26  Zu den Elfmännern Lipsius 1905–15, 74–81. 27  Aristot. Ath. pol, 7,3. 28  So auch Lipsius 1905–15, 77.

Abführung (apagōgḗ) und Anzeige (éndeixis) (F 60–63)

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Adele Scafuro, Parent Abusers, Military Shirkers, and Accused Killers. The Authenticity of the Second Law Inserted at Dem. 24.105, in: Michael Gagarin, Robert Wallace (Hrsg.), Symposion 2001. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Evanston, Illinois, September 5–8, 2001), Wien 2005, 51–70 (David C. Mirhady, Response to A. Scafuro, in: ebd. 71–78); Mirko Canevaro, Thieves, Parent Abusers, Draft Dodgers … and Homicides? The Authenticity of Dem. 24.105, in: Historia 62, 2013a, 25–47 (mit einigen Veränderungen erneut publiziert in: Mirko Canevaro, The Documents in the Attic Orators: Laws and Decrees in the Public Speeches of the Demosthenic Corpus, Oxford 2013b, 157–173); Sandra Zajonz, Apagoge bei Tötungsvorwurf. Ein neuer Vorschlag zum Verständnis von Dem. 23,80, in: RhM 157, 2014, 251–271.

Abführung (apagōgḗ) und Anzeige (éndeixis) (F 60–63) F 60 Abführen des nach Attika zurückgekehrten Täters bei Tötungen (F 60: T 397 Martina; F 16 Ruschenbusch; F 16/a Leão/Rhodes)

F 60: Gesetz in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 28 (352 v. Chr.; Gesetz von 594 v. Chr.) (= F 8a, 33a) ΝΟΜΟΣ·

Τοὺς δ’ ἀνδροφόνους ἐξεῖναι ἀποκτείνειν ἐν τῇ ἡμεδαπῇ καὶ ἀπάγειν, ὡς ἐν τῷ ἄξονι ἀγορεύει, λυμαίνεσθαι δὲ μή, μηδὲ ἀποινᾶν, ἢ διπλοῦν ὀφείλειν ὅσον ἂν καταβλάψῃ. εἰσφέρειν τοὺς ἄρχοντας, ὧν ἕκαστοι δικασταί εἰσι, τῷ βουλομένῳ. τὴν δ’ ἡλιαίαν διαγιγνώσκειν. App. crit.: δ’om. A; ἀπαγορεύει A; δὲ ‹εἰς› Dilts, δ’ ἐ‹ς› Schelling, δὲ codd., δ’ om ϒP1; ἡλιαναγινώσκειν S1, corr. S2, δ’ ἀναγινώσκειν ϒ. Gesetz

Die verurteilten Täter (androphónoi) auf heimischem Gebiet zu töten (apokteínein) oder abzuführen (apágein), ist zulässig, wie es auf dem áxōn bestimmt ist, sie zu misshandeln aber nicht und auch nicht, ein Wergeld zu verlangen (apoinán). Andernfalls schulde man das Doppelte von dem, was man an Schaden angerichtet hat. [Klage] bei den Archonten einzubringen (eis­ phérein), die jeweils Richter (dikastaí) sind, ist jedem, der es will (boulómenos), erlaubt. Die (h)ēliaía aber soll entscheiden.

F 61 Anzeige und Abführen des Täters, der sich an Orten aufhält, die ihm zu betreten untersagt sind (F 61a: F 16b Leão/Rhodes)

F 61a: Gesetz in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 51 (352 v. Chr., Gesetz von 594 v. Chr.) (= F 34) ΝΟΜΟΣ·

Φόνου δὲ δίκας μὴ εἶναι μηδαμοῦ κατὰ τῶν τοὺς φεύγοντας ἐνδεικνύντων, ἐάν τις κατίῃ ὅποι μὴ ἔξεστιν. Ὁ μὲν νόμος ἐστὶν οὗτος Δράκοντος, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, καὶ οἱ ἄλλοι δὲ ὅσους ἐκ τῶν φονικῶν νόμων παρεγραψάμην·

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Verfahrensrecht Gesetz

Tötungsklagen (díkai phónou) sollen nirgends [vor keinem Gericht] möglich sein gegen die, die Verbannte zur Anzeige bringen (endeiknýntes), wenn jemand dort hingeht, wo ihm der Aufenthalt nicht gestattet ist. Dieses Gesetz (nómos) ist ein Gesetz Drakons, Athener, und ebenso alle anderen, die ich von den Gesetzen über die Tötung (phonikoí nómoi) angeführt habe.

F 61b: Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 80 (352 v. Chr.) Ἔτι τοίνυν ἔσθ’ ἕκτη τιμωρία πρὸς ἁπάσαις ταύταις, ἣν ὁμοίως παραβὰς γέγραφεν τὸ ψήφισμ’ οὑτοσί. εἰ πάντα ταῦτά τις ἠγνόηκεν, ἢ καὶ παρεληλύθασιν οἱ χρόνοι ἐν οἷς ἔδει τούτων ἕκαστα ποιεῖν, ἢ δι’ ἄλλο τι οὐχὶ βούλεται τούτους τοὺς τρόπους ἐπεξιέναι, τὸν ἀνδροφόνον δ’ ὁρᾷ περιιόντ’ ἐν τοῖς ἱεροῖς καὶ κατὰ τὴν ἀγοράν, ἀπάγειν ἔξεστιν εἰς τὸ δεσμωτήριον, οὐκ οἴκαδ’ οὐδ’ ὅποι βούλεται, ὥσπερ σὺ δέδωκας. κἀνταῦθ’ ἀπαχθεὶς οὐδ’ ὁτιοῦν, πρὶν ἂν κριθῇ, πείσεται, ἀλλ’ ἐὰν μὲν ἁλῷ, θανάτῳ ζημιωθήσεται, ἐὰν δὲ μὴ μεταλάβῃ τὸ πέμπτον μέρος τῶν ψήφων ὁ ἀπαγαγών, χιλίας προσοφλήσει. Zu all diesen Rechtsverfahren kommt endlich noch ein sechstes, welches der Antragsteller [Aristokrates] gleichermaßen missachtet hat. Hat nämlich jemand von alledem nichts gewusst oder auch die für jeden Fall angeordnete Frist verstreichen lassen oder aus einem anderen Grund keinen von diesen Wegen betreten wollen, so steht es ihm frei, den Täter (androphó­ nos), wenn ein solcher sich in den Heiligtümern oder bei der Agora sehen lässt, in das Gefängnis (desmōtḗrion) abzuführen (apágein), nicht aber, wozu du ihn ermächtigst, in sein eigenes Haus oder wohin sonst es ihm beliebt. Auch dort geschieht dem Abgeführten (apachtheís), ehe er verurteilt wurde, nichts; erst wenn er schuldig gesprochen ist, erleidet er den Tod; der hingegen, der ihn abgeführt hat (apagagṓn), hat, wenn er nicht den fünften Teil der Stimmen für sich hat, als Buße tausend Drachmen zu zahlen.

F 62 Anzeige und Abführen des Verräters F 62: Lykurgos, Gegen Leokrates 121 (330 v. Chr.) Ἀκούετε, ὦ ἄνδρες, καὶ τούτου τοῦ ψηφίσματος, ὅτι τῶν ἐν τῷ πολέμῳ μεταστάντων εἰς Δεκέλειαν κατέγνωσαν, καὶ ἐψηφίσαντο, ἐάν τις αὐτῶν ἐπανιὼν ἁλίσκηται, ἀπαγαγεῖν Ἀθηναίων τὸν βουλόμενον πρὸς τοὺς θεσμοθέτας, παραλαβόντας δὲ παραδοῦναι τῷ ἐπὶ τοῦ ὀρύγματος. App. crit.: παραλαβόντ.. Apr, -ας scr. A1; δὲ ‹τούτους› Reiske, fort. δ’ ‹αὐτοὺς› Blass, δὲ ‹τοὺς ἕνδεκα› Paoli; τῷ ὀρύγματι Taylor.

Ihr hört auch diesen Beschluss, Männer, dass sie die verurteilten, die sich während des Krieges nach Dekeleia begeben hatten, und beschlossen, dass, wenn einer von ihnen bei der Rückkehr gefasst wurde, ihn jeder der Athener, der will, zu den Thesmotheten abführen kann (apaga­ geín), diese ihn in Gewahrsam nehmen, um ihn dem öffentlichen Henker zu übergeben.

Abführung (apagōgḗ) und Anzeige (éndeixis) (F 60–63)

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F 63 Abführen von Personen, die Stätten betreten hatten, obwohl ihnen dies aufgrund einer Verurteilung verwehrt war (F 63a: T 377, 454 Martina; F 23d 111 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 63b : T 306a, b Martina; vgl. F 96a Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 63a: Gesetz in Demosthenes, Gegen Timokrates (or. 24) 103, 105 f. (353/2 v. Chr.) (103) λεγόντων γὰρ τῶν νόμων οὓς ἔθηκε Σόλων, οὐδὲν ὅμοιος ὢν τούτῳ νομοθέτης, ἄν τις ἁλῷ κλοπῆς καὶ μὴ τιμηθῇ θανάτου, προστιμᾶν αὐτῷ δεσμόν, κἄν τις ἁλοὺς [τῆς] κακώσεως τῶν γονέων εἰς τὴν ἀγορὰν ἐμβάλλῃ, δεδέσθαι, κἂν ἀστρατείας τις ὄφλῃ καί τι τῶν αὐτῶν τοῖς ἐπιτίμοις ποιῇ, καὶ τοῦτον δεδέσθαι, Τιμοκράτης ἅπασι τούτοις ἄδειαν ποιεῖ, τῇ καταστάσει τῶν ἐγγυητῶν τὸν δεσμὸν ἀφαιρῶν. … ΝΟΜΟΙ ΚΛΟΠΗΣ, ΚΑΚΩΣΕΩΣ ΓΟΝΕΩΝ, ΑΣΤΡΑΤΕΙΑΣ

(105) … Ἐὰν δέ τις ἀπαχθῇ, τῶν γονέων κακώσεως ἑαλωκὼς ἢ ἀστρατείας {ἢ} προειρημένον αὐτῷ τῶν νόμων εἴργεσθαι, εἰσιὼν ὅποι μὴ χρή, δησάντων αὐτὸν οἱ ἕνδεκα καὶ εἰσαγόντων εἰς τὴν ἡλιαίαν, κατηγορείτω δὲ ὁ βουλόμενος οἷς ἔξεστιν. ἐὰν δ’ ἁλῷ, τιμάτω ἡ ἡλιαία ὅ τι χρὴ παθεῖν αὐτὸν ἢ ἀποτεῖσαι. ἐὰν δ’ ἀργυρίου τιμηθῇ, δεδέσθω τέως ἂν ἐκτείσῃ. (106) Ὅμοιός γ’, οὐ γάρ; ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, Σόλων νομοθέτης καὶ Τιμοκράτης. ὁ μέν γε καὶ τοὺς ὄντας βελτίους ποιεῖ καὶ τοὺς μέλλοντας ἔσεσθαι· ὁ δὲ … App. crit.: (103) ἂν AY, ἐὰν Ruschenbusch; δεσμόν S vulg., δεσμοῦ YP; κἄν A; καὶ ἐάν Ruschenbusch; ἁλλοὺς Y1; ἐμβάλῃ AYP; ὄφλῃ: ἁλῶι A; ποιεῖ A; δ᾽ἅπασι AYP1; τῇ τῶν ἐγγυητῶν A; (105) ἀπαχθῇ Sud.; γενεῶν S; ἀστρατίος Fa; alterum ἢ om. F; προειρημένων SYP; τῶν νόμων εἴργεσθαι codd.: τῶν νομίμων εἴργεσθαι Salmasius; εἴργασθαι Aa; ὅποι χρή (μὴ om.) A; εἰσαγόντων AP: εἰσαγόντων αὐτὸν SFY; ἀποτεῖσαι et ἐκτείσῃ Blass: ἀποτῖσαι et ἐκτίσῃ codd.; τέως vulg. τὲ ἕως A, ἕως S; (106) οὐ γάρ add. S, corr. in marg., om. codd.; ὁ ante νομοθέτης add. AYP.

(103) Denn die Gesetze (nómoi), die Solon erlassen hat, ein diesem [dem Timokrates] in keiner Weise gleichender Gesetzgeber (nomothétēs), besagen: Wenn jemand wegen Diebstahls (klopḗ) ergriffen und nicht [unmittelbar] mit dem Tod bestraft worden war, kann er zusätzlich mit Fesselung (desmós) bestraft werden (prostimán); und wenn jemand, der der Misshandlung der Eltern (kákōsis gonéōn) für schuldig befunden wurde, einen Antrag in die Volksversammlung einbringt (eis tḗn agorán embállein), kann er gebunden werden, und wenn er der Entziehung vom Kriegsdienst (astrateía) schuldig ist und etwas tut, was nur den Ehrbaren (epítimoi) zusteht, kann auch dieser gebunden werden. Timokrates gibt all diesen Straffreiheit, indem er sie durch die Stellung von Bürgen der Fesselung (desmós) entzieht. … [Gesetze über Diebstahl, Misshandlung der Eltern und Entziehung vom militärischen Dienst]

(105) … Wenn aber jemand abgeführt wurde (apachthḗnai), der der Misshandlung der Eltern (kákōsis gonéōn) für schuldig befunden wurde oder der Entziehung vom Kriegsdienst (ast­ rateía) {oder} ‹und› [zu einem Ort] hingegangen war, wohin er nicht gehen darf, weil ihm verkündet war, dass er von den Gesetzen (nómoi) ausgeschlossen sei, sollen die Elfmänner ihn binden und vor die (h)ēliaía bringen. Anklagen soll ihn von denen, die zur Anklage berechtigt sind, jeder, der will. Wenn er aber für schuldig befunden wird, soll die (h)ēliaía bestimmen, was er als Strafe erleiden oder bezahlen muss. Wenn er mit einer Geldstrafe belegt wird, soll er, bis er sie entrichtet hat, gebunden werden.

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Verfahrensrecht

(106) Ha, wie gleicht doch, ihr Athener, Timokrates dem Gesetzgeber (nomothétēs) Solon, oder? Er [Solon] sucht sowohl die Lebenden als auch die kommenden Generationen besser zu machen, dieser [Timokrates] hingegen …

Das in or. 24,105 eingelegte Gesetz wird von Mirko Canevaro als Fälschung angesehen, die von einem späteren Bearbeiter in den Text eingefügt wurde, da der Text nicht mit der indirekten Wiedergabe des Gesetzes in der Rede (or. 24,103) übereinstimme, eine ungewöhnliche Begrifflichkeit zeige, die in inschriftlichen Texten fehle, und in Widerspruch zu anderen Überlieferungen zur apagōgḗ stehe.29 Doch Canevaros Argumente gegen die Historizität des Gesetzes überzeugen nicht. Er führt aus, dass an anderen Stellen der Rede, an denen auf das Gesetz verwiesen ist, von drei Kategorien von Vergehen gesprochen wird, von Diebstahl, Misshandlung der Eltern und Verweigerung des Kriegsdienstes, beziehungsweise von ähnlichen Vergehen wie der Feigheit (auf dem Schlachtfeld), des Verlassens der Schlachtordnung (lipotáxion), der Flucht aus der Flotte und des Wegwerfen des Schildes, die als Unterkategorien der astrateía aufgefasst werden können. In dem eingelegten Gesetz seien aber neben Diebstahl (F 112– 114) nicht nur die Misshandlung der Eltern und die Entziehung vom Kriegsdienst genannt, sondern ein weiteres Vergehen, und zwar mit den Worten ἢ προειρημένον αὐτῷ τῶν νόμων εἴργεσθαι, eine Formulierung, die sich nur auf Mörder beziehen könne, da sich alle anderen Belege für den Ausschluss von heiligen Stätten auf Tötungsdelikte bezögen.30 Dies führt aber zu grammatikalischen Schwierigkeiten des Textes, so wie er überliefert ist: Der Abgeführte, τις im Nominativ, ist näher bezeichnet mit τῶν γονέων κακώσεως ἑαλωκὼς ἢ ἀστρατείας, wobei sich ἑαλωκὼς auf τις bezieht und das Vergehen, dessen er überführt wurde, im Genitiv hinzugefügt ist. Geht man von einem dritten Vergehen aus, würde man erwarten, dass auch dies im Genitiv angefügt ist; man würde also ἢ ἀνδροφονίας oder Ähnliches erwarten. Der Struktur des Satzes nach sollte man eher von drei aneinandergereihten Partizipien ausgehen, wobei sich ἑαλωκὼς (als zurückliegendes Geschehen) und εἰσιὼν auf τις beziehen, bei προειρημένον aber ein

29  Canevaro 2013, 25–47. Auch Scafuro 2005 hat das in Demosth. or. 24,105 eingelegte Gesetz über die apagōgḗ verworfen und vertritt die Ansicht, dass es aus Versatzstücken, die verschiedenen Gesetzen entnommen sind, zusammengefügt wurde (ebd. 51, 56–60). 30  Canevaro 2013, 43: „Likewise, εἴργεσθαι τῶν νόμων (or νομίμων) is never used for generic atimoi or outside the context of homicide charges. The expression ἢ προειρημένον αὐτῷ τῶν νόμων εἴργεσθαι must be interpreted as referring to homicides and is therefore out of place here“. Vgl. ebd. 41. Siehe demgegenüber aber Lys. fr. 246 Carey (= Diog. Laert. 1,55) (F 54b): εἴργειν τοῦ βήματος. Auf Personen, die sich eines Tötungsdelikts schuldig gemacht hatten, beziehen auch Hansen 1976, 99–103 und Scafuro 2005 diese Formulierung. Mirhady 2005, 73 f. geht hingegen davon aus, dass προειρημένον αὐτῷ τῶν νόμων εἴργεσθαι nicht exklusiv auf Tötung bezogen werden muss. Sandra Zajonz folgt der Ansicht, dass in or. 24,105 neben Misshandlung der Eltern und Verweigerung des Militärdienstes auch Mörder einbezogen seien, weist aber darauf hin, dass in der Handschrift F das zweite ἢ fehle und diese Variante „nicht ganz abwegig“ sei, „da in der Paraphrase des Gesetzes 24,103 nur zwei Gruppen von Atimen genannt werden“ (2014, 253 mit Anm. 4).

Abführung (apagōgḗ) und Anzeige (éndeixis) (F 60–63)

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Subjektwechsel vorliegt zu einem Neutrum, nämlich zu τῶν νόμων εἴργεσθαι im Sinne von „ausgeschlossen zu sein von den Gesetzen ist ihm öffentlich verkündet worden“.31 Gemeint sind im Gesetz also diejenigen, die wegen Misshandlung der Eltern oder der Verweigerung des militärischen Dienstes schuldig gesprochen worden waren und sich ungeachtet dessen an Orte begeben hatten, von denen sie aufgrund der Verurteilung ausgeschlossen waren. Betroffen sind also nach dem Gesetzestext nur zwei Gruppen von Personen, nämlich die, welche sich entweder der Misshandlung der Eltern oder der Entziehung vom Kriegsdienst schuldig gemacht haben, so wie Demosthenes in der Rede selbst mehrfach auf genau diese Bezug nimmt, so auch unmittelbar vorher in § 103 der Rede.32 Der Sache nach wird auch durch or. 24,103 bezeugt, dass Solon Gesetze gegeben haben soll, in welchen Fällen ‚Fesselung‘ (desmós, dedésthai) zulässig war. Demosthenes’ Ausführungen zeigen, dass er sich auf einen Eid bezieht, den die Mitglieder des Rats (vor 462/1 v. Chr. vermutlich des Areopags) leisteten. Im Eid wurde beschworen, dass bei einem Athener eine Fesselung und ein Festsetzen im Gefängnis grundsätzlich verboten waren, zumindest wenn Bürgen gestellt wurden. Einzelne Gesetze definierten aber Ausnahmen, die von unterschiedlicher Natur waren.33 Diese Ausnahmen betrafen den bei der Tat ergriffenen (nächtlichen) Dieb, der vom Hausvater straflos getötet und auf Antrag eines jeden Atheners – zusätzlich zu der Geldstrafe – für mehrere Tage ‚in den Stock‘ gebunden werden konnte. Dies erfolgte vermutlich direkt nach dem Schuldspruch, so dass eine apagōgḗ nicht erforderlich war. Dann aber geht es im weiteren Text von § 103 um die Fesselung auch desjenigen, der in einem Prozess der Misshandlung der Eltern für schuldig befunden worden war und trotz der Verurteilung wegen eines Delikts, das ihn als Redner vor dem Volk ausschloss, einen Antrag in die Volksversammlung einbrachte. Schließlich konnte derjenige, der sich der Entziehung vom Kriegsdienst schuldig gemacht hatte und die bürgerlichen Rechte eines Ehrbaren (epítimos) wahrnehmen wollte, gebunden werden.34 31  Am nächsten kommt dem die Formulierung in Antiph. 6,40: ἐπειδὴ ἐπύθετο προειρημένον μοι εἴργεσθαι τῶν νομίμων ὑπὸ τούτων οὓς ἑώρων μοι τῇ προτεραίᾳ συνόντας καὶ διαλεγομένους. – „da er [der Rat] erfahren hatte, dass von allen Gebräuchen ausgeschlossen zu sein mir verkündet sei, durch die, welche er [der Rat] am Tag zuvor mit mir verkehren und sprechen sah“. Darauf weist auch Mirhady 2005, 73 hin. 32  In dieser Weise hatte auch Lipsius 1905–15, 79 mit Anm. 107 den Text verstanden, nämlich gerichtet gegen átimoi, die an verbotenen Stätten angetroffen worden waren. 33  Gemäß den Ausführungen in Demosth. or. 24,144 war die Stellung von Bürgen nur in Fällen des Landes- und Hochverrats oder rückständiger Steuerpacht nicht zulässig. Vgl. Ps.-And. 4,3. Peter Herrmann, Teos und Abdera im 5. Jahrhundert v. Chr., in: Chiron 11, 1981, 1–30, hier 16 Anm. 45. 34  In § 105 ist dies mit προειρημένον αὐτῷ τῶν νόμων εἴργεσθαι allgemeiner formuliert, da derjenige, der wegen Misshandlung der Eltern verurteilt worden war, keine Anträge in die Versammlung einbringen durfte, wohingegen der wegen Entziehung vom Kriegsdienst Verurteilte von allen Rechten des epíti­ mos ausgeschlossen war. Beide aber waren von ‚Rechten‘ (nómoi) ausgeschlossen. Da es in dem Gesetz um die apagōgḗ ging, nicht um den Entzug der Rechte als solche, war nur das ‚Abführen‘ von bestimmten Orten geregelt, die den Verurteilten verwehrt waren.

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Verfahrensrecht

In den beiden letzten Fällen kann vorausgesetzt werden, dass der Zuwiderhandelnde angezeigt oder abgeführt werden konnte, auch wenn éndeixis und apagōgḗ nicht expressis verbis genannt sind. Der eingelegte Gesetzestext steht also sachlich nicht in Widerspruch zu den Worten des Demosthenes in or. 24,103. Gemeint waren aber zwei unterschiedliche Aspekte, in § 103 die Frage, wann ein Bürger in Fesseln gelegt, und in § 105 die Frage, wann ein Bürger ergriffen und abgeführt werden durfte. Das direkte Zitat in Demosth. or. 24,146 (F 63b) „Denjenigen, der angezeigt (endeichthṓn) oder abgeführt (apachthṓn) worden war, sollen die Elfmänner in das Holz (xýlon) binden“ bezieht sich auf das Recht der Fesselung einer bei den genannten Delikten angezeigten oder abgeführten Person. Dass dabei nicht derselbe Wortlaut begegnet wie in dem eingelegten Gesetz, mag damit zusammenhängen, dass nicht nur vom ‚Abgeführten‘, sondern auch vom ‚Angezeigten‘ die Rede ist, wobei eine Anzeige bei weiteren Delikten ein zulässiges Verfahren gewesen sein mag. Verfahrensregeln für die ‚Anzeige‘ könnten im Gesetz denen für die apagōgḗ vorausgegangen sein. Diese Ausführungen in § 103 decken sich also in der Sache weitgehend mit dem in § 105 eingelegten Gesetzestext, nur dass es in § 103 um Bestandteile eines Eids, in § 105 um ein Gesetz bezüglich apagōgḗ geht und Demosthenes in § 103 darauf verzichtete zu erwähnen, dass dem verurteilten Täter der Ausschluss von bestimmten Orten ausdrücklich verkündet worden war. Wenn diese und andere Textstellen in der Rede stets nur von solchen, die ihre Eltern misshandelt oder sich dem Kriegsdienst entzogen haben, sprechen, sollte man davon ausgehen, dass auch im Gesetzestext nur diese beiden Delikte (und der Diebstahl) genannt waren, so wie es der Bearbeiter mit seiner Überschrift νόμοι κλοπῆς, κακώσεως γονέων, ἀστρατείας auch verstanden hat.35 Wenn aber mit der Formulierung προειρημένον αὐτῷ τῶν νόμων εἴργεσθαι nicht diejenigen gemeint sind, die einen anderen Menschen getötet hatten, dann verwundert auch nicht, dass die apagōgḗ von verurteilten Personen, die die Eltern misshandelt oder sich dem Kriegsdienst entzogen hatten, andere Folgen hatte als die apagōgḗ von Personen, die sich einer Tötung schuldig gemacht hatten. Letztere wurden, wenn sie für schuldig be-

35  Auch in Demosth. or. 24,102 ist nur von den genannten drei Vergehen die Rede, wenn man in den kakoúrgoi Diebe und in den patraloíai solche sieht, die die Eltern misshandeln: ἀλλὰ καὶ τοῖς κακούργοις καὶ τοῖς πατραλοίαις καὶ τοῖς ἀστρατεύτοις βοηθοῦντα τέθηκε τὸν νόμον – „sondern er [Timokrates] hat ein den Verbrechern (kakoúrgoi), den ‚Vaterschlägern‘ (patraloíai) und Verweigerern des Kriegsdiensts (astráteutoi) Schutz gewährendes Gesetz gegeben“. Ebenso in or. 24,107: περὶ πλείονος φαίνει τοὺς κλέπτας καὶ τοὺς κακούργους καὶ τοὺς ἀστρατεύτους τῆς πατρίδος ποιούμενος – „er [Timokrates] achtet die Diebe, Übeltäter (kakoúrgoi) und die, die sich dem Kriegsdienst entziehen (astráteutoi), höher als das Vaterland“. In or. 24,119 sind zusätzlich zu den Dieben noch solche genannt, die Diebstahl aus Heiligtümern begangen haben, zusätzlich zu denen, die die Eltern misshandelt haben, diejenigen, welche die Eltern getötet haben, und zusätzlich zu denen, die sich dem Kriegsdienst entzogen haben, diejenigen, die aus der Schlachtordnung geflohen sind (καὶ ταῦτα τίσιν; τοῖς κλέπταις, τοῖς ἱεροσύλοις, τοῖς πατραλοίαις, τοῖς ἀνδροφόνοις, τοῖς ἀστρατεύτοις, τοῖς λιποῦσι τὰς τάξεις). Demosthenes bauscht mit dieser Ausweitung die Vergehen auf (Canevaro 2013, 40).

Abführung (apagōgḗ) und Anzeige (éndeixis) (F 60–63)

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funden wurden, mit dem Tod bestraft,36 erstere mit Körper- oder Geldstrafen.37 Waren die Personen, die eine andere Person getötet hatten, wegen ihrer Befleckung von allen heiligen Orten ausgeschlossen,38 so waren Verurteilte, die ihre Eltern misshandelt oder sich dem Kriegsdienst entzogen hatten, möglicherweise nur davon ausgeschlossen, vor dem Volk zu sprechen, Ämter zu übernehmen, Klage zu erheben oder als Geschworener tätig zu werden; denn befleckt hatten sie sich nicht.39 Möglicherweise waren sie also tatsächlich „von den Gesetzen (nómoi) ausgeschlossen“ (τῶν νόμων εἴργεσθαι), so wie die Codices den Text überliefern, nicht „von den Gebräuchen (nómima) ausgeschlossen“ (εἴργεσθαι τῶν νομίμων), so die Konjektur von Salmasius.40 Denn letztere umfassten auch alle heiligen Handlungen und heiligen Stätten. Für schuldig Befundene, denen verkündet worden war, sie seien „von den Gesetzen“ und „von der Agora ausgeschlossen“, durften also nicht die Gebäude von verfahrensleitenden Amtsträgern betreten, um dort eine Klage einzureichen, und durften nicht zum Gerichtsgebäude gehen, um sich als Geschworener auslosen zu lassen.41 Die Überlieferung in dem eingelegten Gesetz – auch wenn sie eine späte ist – könnte also korrekt sein. Dies hatte auch David Mirhady gegen die Bedenken von Adele Scafuro, es handle sich um eine Fälschung, die inhaltlich anderen Quellen zur apagōgḗ widerspreche, ins Feld geführt: Wenn man προειρημένον αὐτῷ τῶν νόμων εἴργεσθαι nicht auf Tötung beziehe, könne der Text – so wie er überliefert ist – bestehen bleiben.42

36  Demosth. or. 23,80. 37  Diese Strafen drohten auch demjenigen, der als Ehrloser oder Staatsschuldner Geschworener war (Aristot. Ath. pol. 63,3); solche Personen konnten aber auch zum Tode verurteilt werden (Demosth. or. 21,182; Ps.-Demosth. or. 25,92). Vgl. Demosth. or. 58,47. 38  Antiph. 6,34 (καὶ προαγορεύειν εἴργεσθαι τῶν νομίμων), 35 und 36 (εἴργεσθαι τῶν νομίμων); zu 6,40 s. o. Anm. 31; Demosth. or. 23,42; Lykurg. Leokr. 65 (εἶργον τῶν νομίμων); Aristot. Ath. pol. 57,2 (προαγορεύων εἴργεσθαι τῶν νομίμων); ebenso Plat. leg. 871a (ὃς ἂν ἐκ προνοίας τε καὶ ἀδίκως ὁντιναοῦν τῶν ἐμφυλίων αὐτόχειρ κτείνῃ, πρῶτον μὲν τῶν νομίμων εἰργέσθω, μήτε ἱερὰ μήτε ἀγορὰν μήτε λιμένας μήτε ἄλλον κοινὸν σύλλογον μηδένα μιαίνων); 873b (προρρήσεις μὲν τὰς περὶ τῶν νομίμων εἴργεσθαι); vgl. Poll. 8,90. Nur in den Lexeis rhetorikai (Lex. Segueriana) p. 310,8 Bekker ist mit Bezug auf Tötungsdelikte von εἴργεσθαι τῶν νόμων die Rede: Ὁ βασιλεὺς εἰσάγει τὰς φονικὰς ἁπάσας, ἐπεὶ καὶ προαγορεύει τὸν ἀνδροφόνον εἴργεσθαι τῶν νόμων. Ausschluss von der Agora in Antiph. 5,10 (οὗ τοῖς ἄλλοις εἴργεσθαι προαγορεύουσι τοῖς τοῦ φόνου φεύγουσι τὰς δίκας, ἐνταυθοῖ πεποιήκασι τὴν κρίσιν, ἐν τῇ ἀγορᾷ· – … „das Verfahren, das an dem Ort stattfindet, von dem die, die wegen Tötung angeklagt sind, durch Ankündigung ausgeschlossen sind: der Agora“); Demosth. or. 20,158 (F 16a): Ausschluss des verurteilten Täters (androphónos) von geweihtem Wasser (chérnibes), von Opferspenden, Opfergefäßen, Heiligtümern und der Agora. 39  In or. 24,60 weist Demosthenes darauf hin, dass Verräter und die, welche die Eltern misshandeln, sowie die Befleckten von der Agora ausgeschlossen sind. Demnach ruft Verrat und Misshandlung der Eltern keine Befleckung hervor. 40  Salmasius hatte wegen der in Anm. 38 genannten Parallelen (die sich allerdings alle auf Tötungsdelikte beziehen) νόμων zu νομίμων emendiert und viele sind ihm darin gefolgt. 41  Die wegen Feigheit in einer graphḗ deilías Verurteilten waren „von den geweihten Stätten (peri­ rhantḗria) der Agora“ ausgeschlossen; sie durften nicht bekränzt werden oder an den öffentlichen Festen teilnehmen (Aischin. Ktes. 176: τῶν περιραντηρίων τῆς ἀγορᾶς ἐξείργει, καὶ οὐκ ἐᾷ στεφανοῦσθαι, οὐδ’ εἰσιέναι εἰς τὰ ἱερὰ τὰ δημοτελῆ). Es ist auffällig, dass es speziell die perirhantḗria der Agora waren. 42  Mirhady 2005, 74: „Most of the phraseology and idioms of 105 are consistent with Athenian law“.

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Verfahrensrecht

Da an zwei Stellen des Gesetzes die (h)ēliaía als Gerichtshof genannt ist, kann es sich durchaus um ein frühes, vielleicht solonisches Gesetz handeln, wie Demosthenes in or. 24,103 und 106 behauptet.43 F 63b: Demosthenes, Gegen Timokrates (or. 24) 144–148 (353/2 v. Chr) (144) Ἵνα δὲ καὶ περὶ ἐκείνου εἴπω τοῦ νόμου, ὦ ἄνδρες δικασταί, ᾧ ἀκούω μέλλειν παραδείγματι χρῆσθαι τοῦτον καὶ φήσειν ἀκόλουθον αὐτῷ τεθηκέναι, ἐν ᾧ ἔνι „οὐδὲ δήσω Ἀθηναίων οὐδένα, ὃς ἂν ἐγγυητὰς τρεῖς καθιστῇ τὸ αὐτὸ τέλος τελοῦντας, πλὴν ἐάν τις ἐπὶ προδοσίᾳ τῆς πόλεως ἢ ἐπὶ καταλύσει τοῦ δήμου συνιὼν ἁλῷ, ἢ τέλος πριάμενος ἢ ἐγγυησάμενος ἢ ἐκλέγων μὴ καταβάλῃ,“ … (146) … οὔτε γὰρ ἄν, ὦ ἄνδρες δικασταί, τιμᾶν ἐξῆν ὑμῖν ὅ τι χρὴ παθεῖν ἢ ἀποτεῖσαι (ἐν γὰρ τῷ παθεῖν καὶ ὁ δεσμὸς ἔνι· οὐκ ἂν οὖν ἐξῆν δεσμοῦ τιμῆσαι), οὔθ’ ὅσων ἔνδειξίς ἐστιν ἢ ἀπαγωγὴ προσεγέγραπτ’ ἂν ἐν τοῖς νόμοις „τὸν δ’ ἐνδειχθέντα ἢ ἀπαχθέντα δησάντων οἱ ἕνδεκα ἐν τῷ ξύλῳ“, εἴπερ μὴ ἐξῆν ἄλλους ἢ τοὺς ἐπὶ προδοσίᾳ τῆς πόλεως ἢ ἐπὶ καταλύσει τοῦ δήμου συνιόντας ἢ τοὺς τὰ τέλη ὠνουμένους καὶ μὴ καταβάλλοντας δῆσαι. (147) … ἔπειτα δ’, ὦ ἄνδρες δικασταί, τοῦτο τὸ γράμμα αὐτὸ μὲν καθ’ αὑτὸ οὐκ ἔστι νόμος, τὸ „οὐδὲ δήσω Ἀθηναίων οὐδένα,“ ἐν δὲ τῷ ὅρκῳ τῷ βουλευτικῷ γέγραπται, ἵνα μὴ συνιστάμενοι οἱ ῥήτορες οἱ ἐν τῇ βουλῇ δεσμὸν κατά τινος τῶν πολιτῶν λέγοιεν. (148) ἄκυρον οὖν τοῦ δῆσαι τὴν βουλὴν ποιῶν ὁ Σόλων τοῦτο πρὸς τὸν ὅρκον τὸν βουλευτικὸν προσέγραψεν, ἀλλ’ οὐ πρὸς τὸν ὑμέτερον. App. crit.: (144) παραδείγματι: πράγματι S; τουτονὶ FAYP; φησὶν A; καθίστη SY; ἁλῷ, ἢ: ἁλωσῃ A; τέλος τι πριάμενος AYP; καταβάλῃ F; (146) ἄν om. SA, add. vulg. POxy 2,133–134; τιμᾶν ante ἐξῆν ὑμῖν AFYP Pap., post ἐξῆν ὑμῖν S; prius παθεῖν πα[ ]ησαι Pap.; ἐστιν SF Pap., ἐστί τινι AYP; (148) ὁ om. S.

(144) Ich will nun aber auch über jenes Gesetz einiges bemerken, welches der Gegner, wie ich höre, als Beispiel anführen und in dem seinigen nachgeahmt zu haben vorgeben will, ihr Richter, in welchem es heißt: „Ich werde keinen Athener in Fesseln legen (deín), der drei Bürgen von gleicher Schatzung (télos) stellt, ausgenommen dann, wenn er sich gemeinschaftlich des Verrats (prodosía) an der Polis oder der Aufhebung der Volksherrschaft (katálysis toú dḗmou) schuldig gemacht hat oder nicht bezahlt, wenn er eine Steuer (télos) gepachtet, Bürgschaft [dafür] geleistet oder [eine Abgabe] einzutreiben übernommen hat.“ … (146) … Verhielte es sich nämlich in Wahrheit so, so würde es euch, ihr Richter, nicht einmal gestattet sein zu bestimmen, was als Strafe zu erleiden oder zu zahlen sei – denn unter ‚Strafe erleiden‘ wäre auch Fesselung inbegriffen, und es [das Gesetz] würde die Fesselung dann nicht erwähnt haben dürfen –, und es wäre in den Gesetzen auch nicht hinzugeschrieben gewesen, gegen wen Anzeige (éndeixis) oder Abführung (apagōgḗ) möglich sei, nämlich: „Denjenigen, der angezeigt (endeichthṓn) oder abgeführt (apachthṓn) worden war, sollen die Elfmänner in das Holz (xýlon) binden“, wenn wirklich nicht gestattet gewesen wäre, auch andere in Fesseln zu legen, nämlich die sich zum Verrat der Stadt oder Aufhebung der Volksherrschaft zusammengetan 43  Mogens Herman Hansen hat allerdings gezeigt, dass in Gesetzestexten selbst häufig das Wort (h)ēliaía verwendet wurde, und dies bis ins 3. Jh. v. Chr. hinein, wohingegen die Gerichtsredner in der Regel von dikastḗria sprechen (Mogens Herman Hansen, The Athenian Heliaia from Solon to Aristotle, in: C&M 33, 1981/82, 9–49, hier 14 f.: „The conclusion seems to be that heliaia, when referring to an institution, is an old word surviving in the conservative official language rather than in regular prose, including forensic speeches. It is significant that the legal term heliaia, when a law is paraphrased, is replaced with the common word dikasterion“ [ebd. 14]).

Historische Einordnung – Popularklage (F 64)

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oder Steuern (télē) gepachtet, aber nicht entrichtet haben. (147) … Sodann ist das Verzeichnete an sich „ich werde keinen Athener in Fesseln legen“ kein wirkliches Gesetz, sondern nur im Ratseid festgeschrieben, damit die Redner im Rat sich nicht untereinander verständigen, den einen oder den anderen Bürger (polítēs) in Fesseln zu legen. (148) Solon hat mithin, um dem Rat die Befugnis, [Bürger] in Fesseln zu legen, zu entziehen, diesen Zusatz beim Ratseid (hórkos bouleutikós) hinzugesetzt, nicht aber bei eurem Eid [dem Geschworeneneid; F 66b].

Demosth. or. 24,146 zeigt, dass ‚Anzeige‘ und ‚Abführen‘ parallele Verfahren waren, die dazu führten, dass eine Person in Haft genommen werden konnte. Eventuell war in einigen Fällen nur die éndeixis möglich (z. B. wenn sich der Täter an heiliger Stätte befand), in anderen nur die apagōgḗ (z. B. wenn der Täter bei der Tat ergriffen worden war), in wieder anderen éndeixis bei den Thesmotheten mit anschließender apagōgḗ an die Elfmänner. V 2 Popularklage Historische Einordnung ‚Popularklage‘ wird in der rechtshistorischen Forschung diejenige Klage genannt, die von jedem athenischen Bürger eingebracht werden konnte, von jedwedem, „der [klagen] will“ (ὁ βουλόμενος). Diese Möglichkeit, dass nicht nur die unmittelbar geschädigte Person Klage einreichen konnte, sondern „derjenige, der will“, der boulómenos, stand den Athenern in verschiedenen Rechtsbereichen offen. Belegt ist sie bereits in einer von Solon vorgenommenen Erweiterung zu Drakons Gesetz über die Tötung (F 33a): Drakon hatte in seiner Satzung festgelegt, dass derjenige, der einen anderen Menschen getötet hatte und ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrt war, auf heimischem Boden getötet oder zur Hinrichtung abgeführt werden konnte (F 60); verboten war es jedoch, den Ergriffenen zu misshandeln oder ein Wergeld von ihm zu verlangen. Solon hat in Ergänzung dazu das Verfahren für den Fall geregelt, dass der ohne Aussöhnung nach Attika zurückgekehrte Täter dennoch misshandelt oder ein Wergeld von ihm verlangt worden war. In solchen Fällen sei ein jeder der árchontes Richter (dikastḗs), bei dem es „einem jeden, der will,“ erlaubt war, Klage einzureichen. Der die Klage annehmende árchōn musste den Fall vor die (h)ēliaía bringen, die darüber entschied.44 Das in dieser Bestimmung angewandte Prinzip wurde auch bei anderen Klagen festgeschrieben, die einzelnen árchontes als gerichtsleitenden Amtsträgern oblagen. So

44  Gesetz in Demosth. or. 23,28 (F 33a, 60): … εἰσφέρειν δὲ ‹εἰς› τοὺς ἄρχοντας, ὧν ἕκαστοι δικασταί εἰσι, τῷ βουλομένῳ. τὴν δ’ ἡλιαίαν διαγιγνώσκειν.

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Verfahrensrecht

war es bei vielen, ja prinzipiell allen Klagen, die die Thesmotheten entgegennahmen, möglich, nicht nur eine ‚Privatklage‘ (δίκη) wegen gewalttätiger Angriffe, Diebstahl oder Beleidigung einzureichen, sondern auch eine ‚Schriftklage‘ (γραφή), bei der die Strafen höher waren und nicht nur der Geschädigte, sondern „jeder, der will,“ klagen konnte (F 93c, d, h).45 Nach den Ausführungen in Demosthenes’ Rede Gegen Androti­ on und in der Athenaion politeia (F 64b, 65a) zu urteilen, waren Klagen des boulómenos nicht auf diejenigen Delikte beschränkt, in denen im Gesetzestext ausdrücklich festgehalten war, dass „jeder, der will,“ klagen konnte, also für dieses Verfahren die graphḗ (und nur die graphḗ) vorgeschrieben war. Beide Texte sprechen vielmehr davon, dass jeder in allen Fällen öffentlich klagen könne, wenn er von einem Unrecht erfahre und dieses gestraft wissen wolle. Auch Plutarch nennt in der Biographie Solons (F 47h,) die Möglichkeit für „jeden“, schriftlich Klage einzureichen zugunsten einer Person, der Unrecht zugefügt worden war. So habe es jedem freigestanden, Klage zu erheben, wenn ein anderer geschlagen, gewaltsam angegriffen oder geschädigt worden war. Klagen wegen Gewaltanwendung oder Schadensklagen (díkē biaíōn, díkē blábēs) waren in der Regel díkai, ‚Privatklagen‘. Denn der Geschädigte wollte für sich eine Entschädigung erzielen. Er konnte aber auch – wie Plutarch sagt – in diesen Fällen eine ‚Schriftklage‘ (graphḗ) einreichen und damit eine höhere Strafe durchsetzen, die dann jedoch, da er im Namen der Polis Klage führte, an die öffentliche Kasse ging.46 An dieser prinzipiellen Möglichkeit der Klage durch „jedermann“ in allen Fällen, in denen Unrecht geschehen war, ist vielfach gezweifelt worden. Die Einwände lassen sich jedoch ausräumen, wenn man in der bei Aristophanes, Isokrates, Demosthenes, der Athenaion politeia und Plutarch genannten Möglichkeit für den boulómenos, Klage zugunsten einer einzelnen Person einzureichen, die Unrecht erlitten hatte, die graphḗ

45  Das attische Recht kannte neben einigen besonderen Klageformen die grundsätzliche Trennung in ‚Privatklagen‘ (díkai) und ‚Strafklagen‘ bzw. ‚Schriftklagen‘ (graphaí). Zu den verfahrensrechtlichen Unterschieden zwischen ‚Privat‘- und ‚Strafklagen‘ siehe Lipsius 1905–15, 237–246; Harrison 1968–71, Bd. 2, 74–78; Gagarin 1979, 235 f.; Hansen 1995, 199, 211 (mit den entsprechenden Quellenbelegen); Todd 1993, 98–112, bes. 109–112; Schmitz 2004, 245–248; van Wees 2011, hier 130 f.; Leão/Rhodes 2015, 69; Carlo Pelloso, Protecting the Community. Public Actions and Forms of Punishment in Ancient Athens, in: Edward M. Harris, Mirko Canevaro (Hrsg.), Oxford Handbook of Ancient Greek Law (forthcoming); vgl. Thür 1998, 1207 f. 46  Eberhard Ruschenbusch, der in dem von Aristoteles (Ath. pol. 9,1) genannten zweiten Punkt die Einführung der Popularklage sah, die seiner Ansicht nach ursprünglich nur eine Anzeige eines beliebigen Bürgers an den Magistraten war, hält die Formulierung Plutarchs für eine „unzulässige Verallgemeinerung“, da die Popularklage nur bei bestimmten Tatbeständen zulässig gewesen sei – und gerade nicht bei den von Plutarch in der Solonbiographie genannten Beispielen (Ruschenbusch 1966, zu F 40 a–b; ders. 2010, 77–79; so auch schon George M. Calhoun, The Growth of Criminal Law in Ancient Greece, Berkeley 1927 [Ndr. Westport 1977], 74 Anm. 6; ähnlich Hansen 1995, 198, der in den díkai eine Beschränkung der Klagen auf diejenigen sieht, die direkt betroffen waren). Solon habe nur in den Fällen, in denen der Verletzte rechtlich oder faktisch nicht imstande war, selbst sein Recht durchzusetzen, eine Verfolgung des Unrechtstäters ermöglichen wollen (Ruschenbusch 2010, 78; ähnlich Leão/Rhodes 215, 69 f.).

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hýbreōs sieht.47 Dabei wendet sich die graphḗ hýbreōs nicht nur gegen eine in bestimmter Weise definierte ‚Freveltat‘, sondern ausdrücklich gegen jede Art gesetzwidrigen Handelns.48 Im attischen Recht standen dem Geschädigten also mehrere Möglichkeiten offen, gegen ein Unrecht vorzugehen.49 Bei Gewalttätigkeiten z. B. konnte er gegen den Täter eine díkē biaíōn, eine ‚Privatklage wegen Gewaltanwendung‘, einbringen und auf Schadenersatz klagen. War er aber der Meinung, die Tat sei so schwerwiegend oder unter solchen Umständen geschehen, dass sie eine weitaus schärfere Strafe verdiente, konnte er eine ‚Schriftklage wegen hýbris und Gesetzwidrigkeit‘ bei den Thesmotheten einreichen, musste der (h)ēliaía aber hinreichend deutlich machen, dass Umstände der Art vorlagen, dass eine einfache díkē biaíōn und die dabei festgelegten Strafen nicht angemessen waren.50 Dies dürfte in vielen Fällen schwer gefallen sein, und außerdem fiel die Strafe nach einer Verurteilung bei einer graphḗ nicht an ihn, sondern an die Polis. Wollte er also eine hohe Strafe für den Täter durchsetzen, musste er selbst auf eine Entschädigung verzichten. Mechanismen dieser Art werden dazu geführt haben, dass ‚Strafklagen wegen hýbris und unrechtmäßigen Handelns‘ auf Ausnahmefälle beschränkt blieben. Tatsächlich wurde in Gerichtsreden häufiger als Argument geäußert, dass die Tat des Prozessgegners eine ‚Schriftklage‘ gerechtfertigt hätte, man als friedfertiger Bürger aber darauf verzichtet habe.51 Keine der erhaltenen Gerichtsreden ist sicher auf eine graphḗ hýbreōs zu beziehen.52 47  Diese Vermutung ist mehrfach geäußert worden (z. B. von Fisher 1995, 62 f.), zuletzt von van Wees 2011, 122 f., 132, was ihm als zusätzliches Argument (neben denen von Nicolas Fisher genannten) dient, das Gesetz als solonisch anzuerkennen. 48 Zur graphḗ hýbreōs siehe die Literatur in VIII A 1. 49  Dazu Gagarin 1979; Robin Osborne, Law in Action in Classical Athens, in: JHS 105, 1985, 40–58; Hansen 1995, 290; Christ 1998, 131. Zur ‚open texture‘ des attischen Rechtswesens siehe jetzt auch Christopher Carey, Offence and Procedure in Athenian Law, in: Edward M. Harris, Lene Rubinstein (Hrsg.), The Law and the Courts in Ancient Greece, London 2004, 111–136: Grundsätzlich habe zwar der Kläger häufig die Möglichkeit, zwischen mehreren Verfahren zu wählen, doch hängen diese mitunter von bestimmten Voraussetzungen ab. Auch sei nicht bei jedem Delikt eine solche Wahlmöglichkeit gegeben, wie sie Demosthenes in or. 22,25–27 suggeriere. 50  Zur Zuständigkeit der Thesmotheten siehe Demosth. or. 37,33; 45,4; Isokr. 20,2. Rhodes 1981, 160, denkt bei der solonischen (h)ēliaía an eine „judicial session of the whole assembly“. Ebenso van Wees 2011, 133. Doch Hansen 1981/82 hatte sich mit gewichtigen Argumenten gegen diese Ansicht gestellt; wäre die (h)ēliaía gleichbedeutend mit der ekklēsía als Gerichtshof gewesen, hätten die Quellen nicht von einer neu geschaffenen Institution gesprochen. Die Heliasten seien vermutlich einmal im Jahr aus allen Bürgern über 30 Jahren erlost worden; sie hätten einen Eid abgelegt. Die ekklēsía hingegen stand allen Athenern ab 18 Jahren offen und dort leistete man keinen Eid. 51  Lys. 3,5; Isokr. 20,5–6; Demosth. or. 21,28.32; 45,4; 54,1; Ps.-Demosth. or. 53,16. Dazu Fisher 1992, 38– 43. Zu den Gründen, warum wenige Kläger den Weg einer graphḗ hýbreōs gingen, Christ 1998, 122–124, 130. 52  Todd 1993, 107, 270. Bei der Rede des Demosthenes Gegen Meidias ist umstritten, ob ihr eine probolḗ oder eine graphḗ hýbreōs zugrunde lag (Christ 1998, 131–133; Canevaro 2018, 102). Zu den nicht erhaltenen Gerichtsreden, denen eine graphḗ hýbreōs zugrunde lag, Lipsius 1905–15, 420 f.; Fisher 1992, 38–53; van Wees 2011, 126–127, 131 f.

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In der Frage, welche Gründe für die Einrichtung der Popularklage ausschlaggebend waren, gehen die Meinungen in der Forschung auseinander.53 Die Notwendigkeit einer Popularklage ist in Fällen evident, in denen es keine unmittelbar geschädigte Einzelperson gab, z. B. bei Diebstahl aus einem Heiligtum, bei der Unterschlagung öffentlicher Gelder oder bei Hoch- und Landesverrat, da es andernfalls nicht zu einem Prozess hätte kommen können. Eberhard Ruschenbusch hat solche Fälle dem ‚öffentlichen Strafrecht‘ zugewiesen, da die Gemeinschaft insgesamt geschädigt war, und nach diesem Modell habe Solon die Popularklage auch im ‚Privatstrafrecht‘ eingerichtet. Weil auch in diesen Fällen jeder klagen konnte, seien Popularklagen im ‚Privatstrafrecht‘ formal dem Strafrecht zuzuweisen, obwohl sie von der Sache Angelegenheiten des Privatrechts waren, etwa wenn es um Ehebruch oder das Vermögen eines Mündels ging und der Geschädigte eine Einzelperson war.54 Seiner Meinung nach wollte der Gesetzgeber auch in den Fällen, in denen der Verletzte rechtlich oder faktisch nicht imstande war, sich selbst sein Recht zu suchen, eine Verfolgung des Unrechts ermöglichen, und zwar ausschließlich im Interesse des Verletzten. Vorbild war dabei – wie schon Bonner und Smith gesehen haben – die Popularklage des öffentlichen Strafrechts.55

Der Betroffene war an einer Klage gehindert, wenn es sich z. B. um ein Waisenkind handelte, das seinen eigenen Vormund wegen Veruntreuung des Waisenvermögens anklagen wollte, aber gleichzeitig nur durch ihn gerichtlich vertreten werden konnte.56 Auch Personen, die ihre bürgerlichen Rechte verloren hatten, die átimoi, oder Personen, die wegen angeblichen Ehebruchs im Haus des betrogenen Ehemannes festgehalten wurden, seien nicht in der Lage gewesen, durch eine Klage für ihr Recht einzutreten. Die Popularklage im ‚Privatstrafrecht‘ sei also, so Ruschenbusch, als Schutzmaßnahme für diejenigen eingerichtet worden, die sich nicht selbst an ein Gericht wenden konnten.57 Ruschenbusch widerspricht damit der Meinung, ein verletztes öffentliches 53  Vielfach wird die Ansicht vertreten, dass es im attischen Recht anfangs nur Privatklagen gegeben habe, also nur die geschädigte Seite das Recht hatte, einen Fall vor Gericht zu bringen; erst Solon habe dann die Möglichkeit zur Popularklage geschaffen (so z. B. Hansen 1995, 198 mit Berufung auf Bonner/ Smith 1930–38, Bd. 2, 7 ff.; Rhodes 1981, 159 f.: „Previously [scil. in vorsolonischer Zeit] the right to initiate proceedings had in all cases been limited to the injured party (and where necessary his next of kin); Solon distinguished a category of cases in which any citizen in full possession of his rights might initiate proceedings“); Leão/Rhodes 2015, 69. Über die in vorsolonischer Zeit bestehenden Möglichkeiten zu klagen, gibt es aber keine Hinweise in den Quellen. Zur Klage wegen Tyrannis siehe Gerhard Thür, Tyrannidos graphe (τυραννίδος γραφή), in: DNP 12,1, 2002, 946–947. 54  Eberhard Ruschenbusch, Das Vergehen und dessen Ahndung im griechischen Recht, in: Gymnasium 95, 1988, 369–374, hier 370 f. 55  Ruschenbusch 1968, 53. Vgl. Calhoun 1927 (wie Anm. 46), 73 ff. und Bonner/Smith 1930–38, Bd. 1, 167 ff. Weitere Vertreter dieser Position nennt van Wees 2011, 141 Anm. 39. 56  Zu den Pflichten von Vormündern von Waisen siehe Richard V. Cudjoe, The Social and Legal Position of Widows and Orphans in Classical Athens, Athen 2010, 204–213. 57  Ruschenbusch 1968, 47–53. Zustimmend Hansen 1995, 198, 211. Vgl. Thür 1998, 1207: „Speziell in Athen wurde g(raphé) im eigentlichen Sinne von ‚Schriftklage‘ gebraucht, die jeder unbescholtene Bür-

Historische Einordnung – Popularklage (F 64)

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Rechtsempfinden sei der Grund für die Einführung der Schriftklage im ‚Privatstrafrecht‘ gewesen.58 Es lassen sich jedoch mehrere Klagen nachweisen, bei denen es nicht oder zumindest nicht allein um den Schutz von Personen ging, die rechtlich oder faktisch nicht in der Lage waren zu klagen, sondern bei denen auch Interessen der Gemeinschaft tangiert waren. Sie sprechen gegen Ruschenbuschs Ansicht, dass die Übertragung der Popularklage auf das Privatstrafrecht allein dem Schutz hilfebedürftiger Personen dienen sollte. Wenn ein Hausvater seinen bäuerlichen Hof zugrunde richtete, war dies nicht nur eine Angelegenheit des unmittelbar betroffenen Sohnes, sondern der gesamten bäuerlichen Gemeinschaft, denn in der Not wurden die Nachbarn von diesem Hausvater um Unterstützung durch Nahrungsmittel und Saatgut angegangen. Es lag daher nicht nur im Interesse eines (möglicherweise noch unmündigen) Sohnes, gegen den eigenen Vater zu klagen, sondern auch im Interesse der bäuerlichen Nachbarn, eine Klage wegen paranoía, also eine graphḗ paranoías wegen Unzurechnungsfähigkeit des Hausvaters, einzureichen.59 Ehebruch gefährdete die Grundlage der Gemeinschaft, da von der Rechtmäßigkeit der Ehe und der daraus resultierenden Rechtmäßigkeit der Kinder die Zugehörigkeit zur bürgerlichen Gemeinschaft und das Recht der Kinder, Haus, Land und Vieh vom Vater zu erben, abhingen. Die Gemeinschaft hatte zudem ein Auge darauf, an wen strategischer Besitz in Form von Haus, Land und Vieh überging, an eheliche oder uneheliche Söhne, und wer als Angehöriger dieser Gemeinschaft aufgenommen wurde.60 Dies erklärt, warum beim Ehebruch nicht nur der geschädigte Ehemann, sondern „jedermann“ Klage gegen den Ehebrecher erheben konnte, also das Verfahren der graphḗ, der Schriftklage, angewandt wurde.61 Gerade beim Ehebruch ist zudem nicht nachvollziehbar, warum der Ehemann, der Vater oder der Bruder der ger (ὁ βουλόμενος, ‚jeder, der will‘) gegen Personen erheben konnte, welche bestimmte öffentliche Interessen verletzten. … Durch g(raphaí) geschützt waren auch hilfsbedürftige Personen gegen Übergriffe naher Angehöriger (Eltern, Waisen, Erbtöchter)“. 58  Ruschenbusch 1968, 49: Für die Entstehung der Popularklage sei nicht „der Gedanke, daß durch bestimmte Vergehen das Interesse des Staates verletzt wird, bestimmend gewesen“. Vielmehr habe allen Popularklagen des ‚Privatstrafrechts‘ zugrunde gelegen, „dass der Verletzte rechtlich oder, wie hier, physisch nicht imstande war, selbst zu klagen“ (2010, 23). Vgl. dagegen die Position von Nicolas Fisher 1990, 123–138 und Fisher 1992, 36–82, mit der nach van Wees (2011, 118) „convincing interpretation of this law and procedure [is] that it served to make hybris a ‚public‘ matter, an offence which concerned the entire community, not just to provide protection for certain types of victim who could not defend themselves in court“. 59  Anders die Einschätzung von Todd 1993, 112: Bei der Klage wegen Misshandlung der Eltern, der graphḗ argías und paranoías „the community has only the marginal interest of preserving social harmony by enabling the protection of those who are too old, too young, or too weak to defend themselves“. 60  Todd 1993, 110 stellt der graphḗ moicheías daher die graphḗ xenías und die graphḗ aprostasíou gegen Fremde bzw. Metöken an die Seite. 61  Zum Gesetz über den Ehebruch Winfried Schmitz, Der nómos moicheías. Das athenische Gesetz über den Ehebruch, in: ZRG Rom. Abt. 114, 1997, 45–140; Schmitz 2004, 239–241; David D. Phillips, Moicheia and the Unity of Greek Law, in: Symposion 2019. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Hamburg, 26.–28. August 2019), hrsg. von Kaja Harter-Uibopuu, Werner Rieß, Wien 2021, 3–28.

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Verfahrensrecht

Ehebruch begehenden Frau rechtlich oder faktisch nicht in der Lage gewesen sein sollte, gegen den Ehebrecher zu klagen. Es sind eben damals wie heute diejenigen Delikte, die aus der Sicht der Gesellschaft nicht nur einen Einzelnen schädigen, sondern das Funktionieren und die normative Grundlage der gesamten Gemeinschaft in Frage stellen. Insofern hatte Justus Hermann Lipsius zu Recht die Meinung vertreten, dass für die Einführung der Popularklage der Gedanke entscheidend gewesen sei, dass durch diese Vergehen das Interesse der Gemeinschaft mittelbar oder unmittelbar verletzt wurde.62 In einer Szene der 388 v. Chr. aufgeführten Komödie Plutos macht sich Aristophanes über einen boulómenos lustig, der die Möglichkeit ausnutzt, als unbeteiligter Dritter Klage gegen andere zu erheben (F 64a). Der boulómenos behauptet, der Polis damit einen wichtigen Dienst zu erweisen, da er Übeltäter zur Verantwortung ziehe, die sonst unbehelligt blieben. Doch weil die Popularklage auch die Gelegenheit bot, Unschuldige durch Androhung von Klagen in Angst und Schrecken zu versetzen, wird der in der Komödie auftretende boulómenos als Sykophant beschimpft, der nur zu eigenem finanziellen Vorteil Klagen anzettelt, um von den Betroffenen Geld dafür zu erpressen, damit er von einer Klage absehe.63 Aristophanes spielt in dieser Szene mit den beiden Facetten der Popularklage: Auf der einen Seite konnte sie einen Geschädigten schützen, wenn dieser nicht den Mut hatte, gegen das Unrecht mittels einer Klage vorzugehen, oder ein Unrecht aufdecken, bei dem es keine geschädigte Einzelperson gab, z. B. bei Diebstahl aus öffentlichen Gebäuden. Auf der anderen Seite bot die Klage Gelegenheit, persönliche Feindschaften durch ungerechtfertigte Klagen auszutragen oder Geld durch die Androhung solcher Klagen zu erpressen. Als boulómenos kam dem Ankläger eine wichtige Bedeutung für ein funktionierendes Rechtssystem zu, da es keine einer Staatsanwaltschaft vergleichbare Einrichtung gab;64 sich als Sittenwächter aufzuspielen und jeglichen Verstößen nachzuspüren war jedoch die Kehrseite dieses Verfahrens. Dass in dieser Szene an die Popularklage der graphḗ hýbreōs gedacht ist, zeigen die unmittelbar vorausgehenden Verse: Denn gelebt habe der Sykophant von Anklagen, und gleich droht er dem dabeistehenden Sklaven Karion an, ihn auf die 62  Lipsius 1905–15, 240; ähnlich Kurt Latte, Beiträge zum griechischen Strafrecht I. Die Entstehung der Popularklage, in: Hermes 66, 1931, 30–48 (= ders., Kleine Schriften zu Religion, Recht, Literatur und Sprache der Griechen und Römer, hrsg. von Olof Gigon, Wolfgang Buchwald, Wolfgang Kunkel, München 1968, 252–267); Kurt Latte, Der Rechtsgedanke im archaischen Griechentum, in: A&A 2, 1946, 63–76 (= Berneker, Erich [Hrsg.], Zur griechischen Rechtsgeschichte, Darmstadt 1968, 77–98, hier 96); Georg Busolt, Griechische Staatskunde (HdA Bd. 4,1,1), München 1920–26, 852 und in der jüngeren Forschung Todd 1993, 110. 63  Zum Auftritt des Sykophanten im Plutos Ephraim David, Aristophanes and Athenian Society of the Early Fourth Century B. C., Leiden 1984. 37. Zu dem in diesen Versen genannten Diebstahl mittels Durchbrechen der Mauern (τοιχωρυχία) David Cohen, Theft in Athenian Law, München 1983, 72–79. 64  Das Argument begegnet auch in Lykurgs Rede Gegen Leokrates (or. 1,4): „Daher sind sowohl das Gesetz als auch der Stimmstein der Geschworenen ohne einen Ankläger, der ihnen die Übeltäter übergibt, machtlos.“

Historische Einordnung – Popularklage (F 64)

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Agora zu schleppen, auf das Rad binden und foltern zu lassen, denn er wittert bei ihm und seinem freien Begleiter „große hýbris“.65 Wenn es sich bei der graphḗ hýbreōs um die Schädigung einer Einzelperson handelte, waren die Thesmotheten diejenige Institution, bei der die Klage einzureichen war. Handelte es sich hingegen um Feigheit vor dem Feind, waren Klagen an den árchōn polémarchos zu richten; im Falle religiöser Vergehen, also bei asébeia, war der árchōn ba­ sileús zuständig (F 74, 90–92).66 Auch bei Asebie kamen grundsätzlich mehrere Klageverfahren in Frage, nämlich den ergriffenen Täter „abzuführen“ (apágein), eine graphḗ (asebeías) einzureichen oder eine ‚Privatklage‘, die vor den Angehörigen des eleusinischen Priestergeschlechts der Eumolpiden verhandelt wurde.67 Es gab also mehrere graphaí, bei denen jeweils geregelt war, an welchen der Archonten sich der Betroffene oder ein Dritter schriftlich zu wenden hatte. Die graphḗ asebeías entspricht dabei der graphḗ hýbreōs insofern, als asébeia jede Form norm- und gesetzwidriger Akte gegen die Götter, also hýbris mit religiöser Konnotation, meint.68 Ebenso allgemein formuliert wie bei der graphḗ hýbreōs ist die Verfahrensregel, dass bei „hýbris oder gesetzwidrigem Handeln“ gegenüber Witwen, Waisen oder Erbtöchtern der árchōn epṓnymos einschreiten sollte: Der árchōn soll Sorge tragen für Waisen, Erbtöchter (epíkleroi), verödete Häuser und Frauen, die [als Witwen] in den Häusern ihrer verstorbenen Männer bleiben und angeben, schwanger zu sein. Für all diese soll er Sorge tragen und nicht zulassen, dass jemand hýbris gegen sie begeht. Wenn aber einer hýbris verübt oder etwas Gesetzeswidriges (ti pará­ monon) tut, soll der árchōn befugt sein, eine vom Gesetz festgelegte Buße aufzuerlegen.69

Auch in diesem Fall steht nicht ein bestimmtes Delikt, sondern das Verfahren im Mittelpunkt, dass jedermann ein Unrecht gleich welcher Art bei dem Archonten anzeigen konnte und in diesen Fällen der Anzeigende nicht einmal das Risiko einging, bei Nichterreichen der erforderlichen Stimmen eine hohe Strafe zahlen zu müssen, weil der Archont selbst unmittelbar Bußen auferlegte oder ein Verfahren vor Gericht

65  Aristoph. Plut. 886: ἆρ’ οὐχ ὕβρις ταῦτ’ ἐστὶ πολλή. 66  Aristot. Ath. pol. 57,2. 67  Demosth. or. 22,27: τῆς ἀσεβείας κατὰ ταὔτ’ ἔστ’ ἀπάγειν, γράφεσθαι, δικάζεσθαι πρὸς Εὐμολπίδας, φαίνειν πρὸς τὸν βασιλέα. – „Ebenso ist es möglich, bei einem religiösen Frevel (asébeia) [zur Hinrichtung] abzuführen (apágein), eine Schriftklage einzubringen (gráphesthai) oder eine vor den Eumolpiden zu verhandelnde Privatklage (dikázesthai) bei dem [árchōn] basileús einzubringen“. Dazu Carey 2004 (wie Anm. 49), 127 f. 68  Nach Cairns 1996, 17–22 können auch Vergehen gegen Götter als Akte der hýbris bezeichnet werden. 69  Gesetz in Ps.-Demosth. or. 43,75: Ὁ ἄρχων ἐπιμελείσθω τῶν ὀρφανῶν καὶ τῶν ἐπικλήρων καὶ τῶν οἴκων τῶν ἐξερημουμένων καὶ τῶν γυναικῶν, ὅσαι μένουσιν ἐν τοῖς οἴκοις τῶν ἀνδρῶν τῶν τεθνηκότων φάσκουσαι κυεῖν. τούτων ἐπιμελείσθω καὶ μὴ ἐάτω ὑβρίζειν μηδένα περὶ τούτους. ἐὰν δέ τις ὑβρίζῃ ἢ ποιῇ τι παράνομον, κύριος ἔστω ἐπιβάλλειν κατὰ τὸ τέλος. Ähnlich, allerdings nicht mit dieser Formulierung Aristot. Ath. pol. 56,7: Statt von hýbris und „etwas Gesetzwidrigem“ ist hier allgemein von adikía die Rede.

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Verfahrensrecht

brachte.70 Daher reichte es aus, ein Unrecht beim Archonten mittels ‚Anzeige‘ kund zu tun, so dass der Anzeigende, anders als der boulómenos im Hybrisgesetz, keinerlei rechtliches Risiko trug. Diese Strafkompetenz, also unmittelbar eine Strafe zu verhängen, sei Hans van Wees zufolge später eingeschränkt worden und durch eine vor dem Volksgericht verhandelte graphḗ kakṓseōs in nachsolonischer Zeit ersetzt worden.71 Für das attische Recht der klassischen Zeit lässt sich eine klare Systematik öffentlicher Klagen rekonstruieren. Wer als direkt oder aber auch nicht direkt Betroffener sich zum Anwalt der Polis aufschwingen wollte, konnte bei religiösen Vergehen eine graphḗ asebeías beim basileús, bei Feigheit vor dem Feind eine graphḗ deilías bei den Strategen (ursprünglich beim árchōn polémarchos) und bei Unrechtstaten gegen Einzelpersonen eine graphḗ hýbreōs bei den Thesmotheten einreichen. Waren Witwen, Erbtöchter und Waisen betroffen, konnten Vergehen dem árchōn epṓnymos angezeigt werden, der unmittelbar strafen oder Verfahren einleiten konnte.72Auf diese allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften folgten Detailregelungen hinsichtlich hýbris gegen Frauen, Kinder und Sklaven, bezüglich moicheía und anderer Delikte. Die Verwendung bestimmter Termini wie doúlos für Sklaven oder dikastḗrion (statt (h)ēliaía) für den Gerichtshof lässt darauf schließen, dass zumindest einige der Detailregelungen nicht auf Solon zurückgehen, sondern auf die Revision der Gesetze in den Jahren 409–399 oder auf Ergänzungen und Änderungen uns unbekannter Zeit. Zumindest das Grundprinzip, dass der boulómenos auch in Fällen, in denen er nicht selbst betroffen war, in schriftlicher Form Klage bei einem der Archonten einreichen und einen Fall unmittelbar vor das Volk als (h)ēliaía einbringen konnte, wird wohl – in Einklang mit Demosthenes, der Athenaion politeia und Plutarch – Solon zuzusprechen sein.73 Für die detaillierten Einzelregelungen ist die Frage, ob sie auf Solon oder spätere Zeit zurückgehen, vielfach nicht zu klären. Wer werden diejenigen gewesen sein, die von den neuen, von Solon geschaffenen rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machten? War ein Bauer mit geringem oder

70 Beim árchon epṓnymos konnten vermutlich keine graphaí eingereicht werden, da der árchon sich um die Unversehrtheit dieser Personen und ihres Besitzes qua Amt unmittelbar kümmerte (Aristot. Ath. pol. 56,6; Fisher 1992, 62–81; van Wees 2011, 129, 132). Zur Bedeutung des Verfahrensrechts gegenüber dem substanziellen Recht in den Gesetzen Solons siehe Laura Loddo, Crisi economica e valorizzazione delle risorse: una lettura del nomos arghias, in: Roberta Angiolillo et al. (Hrsg.), Crisi. Immagini, interpretazioni e reazioni nel mondo greco, latino e bizantino, Alessandria 2015, 111–129, hier 116. 71  Van Wees 2011, 129 f., 132 f. 72  Fremde, Metöken und Freigelassene konnten bei dem zuständigen árchōn polémarchos nur Privatklagen einreichen, bei denen Einzelpersonen betroffen waren (díkai ídiai). Der árchōn polémarchos konnte selbst Klage führen, teilte die bei ihm eingereichten Klagen indes den zehn Phylen zu, die sie den Schiedsrichtern übergaben (Aristot. Ath. pol. 58,2–3). Metöken und Fremde hatten demnach keine Möglichkeit, unmittelbar an das Volk zu appellieren. 73  Prinzipiell war eine solche Möglichkeit schon in der ‚homerischen Gesellschaft‘ angelegt, wenn das Volk auch in solchen Fällen einberufen werden konnte, bei denen es um Angelegenheiten eines Hauses ging, wie bei der Versammlung im zweiten Buch der Odyssee.

Historische Einordnung – Popularklage (F 64)

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Vergehen

Klage

Magistrat

Gericht

Unrechtstat gegen die Götter

(graphḗ asebeías)

graphḗ

árchōn basileús

hēliaía/ Areopag

Feigheit im Krieg

graphḗ

árchōn polémarchos

hēliaía

graphḗ

Thesmotheten

hēliaía

graphḗ

árchōn epṓnymos

hēliaía

graphḗ

Thesmotheten

hēliaía

graphḗ

Archont, der jeweils dikastḗs ist

hēliaía

Unrechtstat gegen eine Einzelperson (εἴ σ τινα)

Unrechtstat gegen Waisen, Witwen, Erbtöchter etc. Antrag auf Erlass eines Gesetzes, das in Widerspruch zu einem bestehenden Gesetz steht Unrechtstat gegen jemanden, der wegen eines Tötungsdelikts ergriffen wurde.

(graphḗ deilías) (ὑβρίζειν ἢ παράνομόν τι ποιεῖν; kurz: graphḗ hýbreōs, auch: graphaí ídiai) (graphḗ kakṓseōs)

(graphḗ paranómōn)

(später stratēgós)

mittlerem Landbesitz, ein kleiner Handwerker oder gar ein Tagelöhner dazu in der Lage, schriftlich Klage einzureichen, aus seiner ländlichen Gemeinde, möglicherweise weitab von Athen, in die Stadt zu ziehen, um vor einer größeren Volksmenge das von ihm erlittene Unrecht darzulegen und für sein Recht und das der Polis einzutreten?74 Das ist nicht zu erwarten. Vorstellbar ist jedoch, dass sich ein ortsansässiger Adeliger einer solchen Person annahm und als boulómenos für die geschädigte Person bei den Thesmotheten Klage einreichte, die zwar ein gewisses Risiko für den boulómenos barg, nicht aber für den geschädigten Klienten. Für den ortsansässigen Adeligen aber boten sich Möglichkeiten, sich zu profilieren, Anhängerschaften unter den Angehörigen niederer Schichten und damit Stimmen bei Bewerbungen um Ämter in Athen zu gewinnen. Und gleichzeitig unterwarf Solon das Agieren von mächtigen Athenern insbesondere mit der graphḗ hýbreōs einer Kontrolle. Wer aggressiv versuchte, kleinere Bauern in eine Verschuldung zu treiben, um sich deren Land anzueignen, musste nun damit rechnen, dass ihn ein ambitionierter áristos als boulómenos anklagte und sich schützend

74  Die Popularklage wird daher mitunter eher als wichtiger Schritt zur Förderung eines politischen Bewusstseins angesehen denn als rechtlich wirksames Mittel (Bonner/Smith 1930–38, Bd. 1, 170); als vorausschauende Rechtsinstitution werten sie Ruschenbusch 1968, 47 und Peter Spahn, Mittelschicht und Polisbildung, Diss. Köln, Frankfurt a. M. 1977, 143 f. Vgl. dagegen die Einwände bei Schmitz 2004, 234–236.

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Verfahrensrecht

vor die bedrängte Person stellte.75 Gewiss förderte die Einführung der Popularklage die Entwicklung hin zur Demokratie, da das Volk als richtende und strafende Instanz an Bedeutung gewann, doch auch die Adeligen könnten von den ihnen sich neu bietenden Möglichkeiten profitiert haben.76 Damit gewinnt die Aussage in den Quellen, dass die Popularklage diejenigen schützen sollte, die Unrecht erlitten hatten und ihr Recht andernfalls nicht durchsetzen konnten, an Plausibilität. Es waren aber nicht vorrangig die Waisen, Witwen und Erbtöchter, sondern viele arme Bauern, vielleicht auch Tagelöhner und kleine Gewerbetreibende, die des Schutzes gegen die Mächtigen bedurften. Insgesamt sei, so urteilt Hans van Wees, die Einrichtung der Popularklage durch Solon ein in seiner Bedeutung unterschätzter Aspekt seiner Reformen, der die Entwicklung hin zur Demokratie begünstigt habe:77 Durch sie erhielt das Volksgericht, die (h)ēliaía, eine eigenständige und weitreichende jurisdiktionelle Kompetenz, zu der wahrscheinlich auch gehörte, Strafen festzusetzen bis hin zur Todesstrafe.78 Literatur Eberhard Ruschenbusch, Ὕβρεως γραφή. Ein Fremdkörper im athenischen Recht des 4. Jahrhunderts v. Chr., in: ZRG 82, 1965, 302–309 (= der. 2005, 67–74); Eberhard Ruschenbusch, Untersuchungen zur Geschichte des athenischen Strafrechts, Köln – Graz 1968, 47–53; Harrison 1968–71, Bd. 2, 72–74, 190 f.; Nicolas R. E. Fisher, Hybris and Dishonour I, in: G&R 2. Ser. 23, 1976, 177–193; Michael Gagarin, The Athenian Law against Hybris, in: Glen W. Bowersock, Walter Burkert, Michael C. J. Putnam (Hrsg.), Arktouros. Hellenic Studies presented to B. M. W. Knox, Berlin – New York 1979, 229–236; Nicolas R. E. Fisher, The Law of Hybris in Athens, in: Paul Cartledge, Paul Millett, Stephen C. Todd (Hrsg.), Nomos. Essays in Athenian Law, Politics and Society, Cambridge etc. 1990, 123–138; Oswyn Murray, The Solonian Law of ‚hubris‘, in: ebd. 139–145; David Cohen, 75  Darin hatten auch Harrison 1968–71, Bd. 2, 74–78, Sally Humphreys, The Discourse of Law in Archaic and Classical Greece, in: Law and History Review 6, 1988, 465–493, hier 470 und Christ 1998, 122 eine historische Bedingung für die Einführung der Popularklage gesehen. 76  So auch Christ 1998, 122, der zu Recht betont, dass die Einführung der Klage keine demokratische Maßnahme war, sondern der Sicherung der aristokratischen Macht und der sozialen Strukturen diente. 77  Zur Einführung der eisangelíai und graphaí durch Solon siehe Sviatoslav Dmitriev, The Birth of the Athenian Community. From Solon to Cleisthenes, London/New York 2018, 61 f. 78  Van Wees 2011, 132–137: „… the ‚law of hybris‘ represented a radical innovation: it transformed the people’s court into a sovereign body with extensive powers which conducted its business according to new democratic procedures“ (136); „the judicial power which the ‚law of hybris‘ granted to the hēliaía did indeed constitute a great advance not only in state-formation but also, as Aristotle remarked, in democratization“ (137). Nicht überzeugen kann die These von Alexandra Bartzoka, wonach die (h)ēliaía erst von Kleisthenes eingerichtet worden sei. Der Ort, an dem das Gericht tagte, ist allerdings unbekannt; das häufig in der Südwestecke der Agora postulierte Gebäude als Stätte der (h)ēliaía zu deuten, sei unwahrscheinlich. Es wird sich eher um das Aglaureion handeln (Alexandra Bartzoka, Being a Heliast during the 6th Century B. C.? Remarks on the Existence of the People’s Court in Archaic Athens, in: Constanze Graml, Annarita Doronzio, Vincenzo Capozzoli [Hrsg.], Rethinking Athens before the Persian Wars, München 2019, 225–238; zur Heliaia als Ort der Gerichtsstätte siehe ausführlich Mogens Herman Hansen, The Athenian Heliaia from Solon to Aristotle, in: C&M 33, 1981/82, 9–47, hier 15–27).

Popularklage (F 64)

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Sexuality, Violence, and the Athenian Law of Hubris, in: G&R 2. Ser. 38, 1991, 171–188; Nicolas R. E. Fisher, Hybris. A Study in the Values of Honour and Shame in Ancient Greece, Warminster 1992; Nicolas R. E. Fisher, Hybris, Status and Slavery, in: Anton Powell (Hrsg.), The Greek World, London 1995, 44–84; Douglas L. Cairns, Hybris, Dishonour, and Thinking Big, in: JHS 116, 1996, 1–32; Gerhard Thür, Art. Graphe (γραφή), in: DNP 4, 1998, 1207 f.; Matthew R. Christ, The Liti­gious Athenian, Baltimore – London 1998, 118–159; Nicolas R. E. Fisher, Aeschines, Against Timarchos, Oxford 2001; Hans van Wees, The ‚Law of Hybris‘ and Solon’s Reform of Justice, in: Stephen D. Lambert (Hrsg.), Sociable Man. Essays on Ancient Greek Social Behaviour in Honour of Nick Fisher, Swansea 2011, 117–144; Phillips 2013, 91–101; Mirko Canevaro, The Documents of the Attic Orators. Laws and Decrees in the Public Speeches of the Demosthenic Corpus, Oxford 2013, 224–231; Mirko Canevaro, The Public Charge for Hubris against Slaves: The Honour of the Victim and the Honour of the Hubristēs, in: JHS 138, 2018, 100–126.

Popularklage (F 64) (F 64b: T 379 Martina; F 106 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 64c: T 330 Martina; F 40b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 64a: Aristophanes, Plutos 906–919 (388 v. Chr.) Δι. πῶς οὖν διέζης ἢ πόθεν μηδὲν ποιῶν; Συ. τῶν τῆς πόλεώς εἰμ’ ἐπιμελητὴς πραγμάτων καὶ τῶν ἰδίων πάντων. Δι. σύ; τί μαθών; Συ. βούλομαι. Δι. πῶς οὖν ἂν εἴης χρηστός, ὦ τοιχωρύχε, εἴ σοι προσῆκον μηδὲν εἶτ’ ἀπεχθάνει; Συ. οὐ γὰρ προσήκει τὴν ἐμαυτοῦ μοι πόλιν εὐεργετεῖν, ὦ κέπφε, καθ’ ὅσον ἂν σθένω; Δι. εὐεργετεῖν οὖν ἐστι τὸ πολυπραγμονεῖν; Συ. τὸ μὲν οὖν βοηθεῖν τοῖς νόμοις τοῖς κειμένοις καὶ μὴ ’πιτρέπειν ἐάν τις ἐξαμαρτάνῃ. Δι. οὔκουν δικαστὰς ἐξεπίτηδες ἡ πόλις. ἄρχειν καθίστησιν; Συ. κατηγορεῖ δὲ τίς; Δι. ὁ βουλόμενος. Συ. οὔκουν ἐκεῖνός εἰμ’ ἐγώ; ὥστ’ εἰς ἔμ’ ἥκει τῆς πόλεως τὰ πράγματα. App. crit.: 908 τί παθών; Brunck; 910 μηδὲν: δεινὸν R; 917 ἄρχειν: κἀρχὰς Herwerden.

Gerechter: Wovon hast du denn gelebt, ohne Arbeit? Sykophant: Um Angelegenheiten der Polis und aller Dinge einzelner Personen (ídioi) habe ich mich gekümmert. Gerechter: Du? Wieso? Sykophant: Ich will’s (boúlomai)!

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Verfahrensrecht

Gerechter: Wie wärest du ein Ehrenmann, du Gauner (toichōrýchos), Der nichts, als was ihn gar nichts angeht, treibt? Sykophant: Nichts angehn soll es mich, dem Vaterland, So gut ich kann, zu dienen? O du Gimpel! Gerechter: Heißt Händel stiften denn dem Staate dienen? Sykophant: Ist’s doch Verdienst, als Stütze der Gesetze (nómoi) Zu sorgen, daß niemand sie übertritt. Gerechter: Setzt denn der Staat zu diesem Zweck nicht eigens die Richter (dikastaí) ein? Sykophant: Allein, wer soll denn klagen (katagoreúein)? Gerechter: Wer will (ho boulómenos)! Sykophant: Und der, der klagen will, bin ich! Und so liegt mir das Wohl der Stadt am Herzen!79

F 64b: Demosthenes, Gegen Androtion (or. 22) 25–27 (355 v. Chr.) (25) Καὶ μὴν κἀκεῖνό γε δεῖ μαθεῖν ὑμᾶς, ὅτι τοὺς νόμους ὁ τιθεὶς τούτους Σόλων καὶ τῶν ἄλλων τοὺς πολλούς, οὐδὲν ὅμοιος ὢν τούτῳ νομοθέτης, οὐχ ἑνὶ ἔδωκε τρόπῳ περὶ τῶν ἀδικημάτων ἑκάστων λαμβάνειν δίκην τοῖς βουλομένοις παρὰ τῶν ἀδικούντων, ἀλλὰ πολλαχῶς. ᾔδει γάρ, οἶμαι, τοῦθ’ ὅτι τοὺς ἐν τῇ πόλει γενέσθαι πάντας ὁμοίως ἢ δεινοὺς ἢ θρασεῖς ἢ μετρίους οὐκ ἂν εἴη. εἰ μὲν οὖν, ὡς τοῖς μετρίοις δίκην ἐξαρκέσει λαβεῖν, οὕτω τοὺς νόμους θήσει, μετ’ ἀδείας ἔσεσθαι πολλοὺς πονηροὺς ἡγεῖτο· εἰ δ’ ὡς τοῖς θρασέσιν καὶ δυνατοῖς λέγειν, τοὺς ἰδιώτας οὐ δυνήσεσθαι τὸν αὐτὸν τούτοις τρόπον λαμβάνειν δίκην. (26) δεῖν δ’ ᾤετο μηδέν’ ἀποστερεῖσθαι τοῦ δίκης τυχεῖν, ὡς ἕκαστος δύναται. πῶς οὖν ἔσται τοῦτο; ἐὰν πολλὰς ὁδοὺς δῷ διὰ τῶν νόμων ἐπὶ τοὺς ἠδικηκότας οἷον τῆς κλοπῆς. ἔρρωσαι καὶ σαυτῷ πιστεύεις· ἄπαγε· ἐν χιλίαις δ’ ὁ κίνδυνος. ἀσθενέστερος εἶ· τοῖς ἄρχουσιν ἐφηγοῦ· τοῦτο ποιήσουσιν ἐκεῖνοι. (27) φοβεῖ καὶ τοῦτο· γράφου. καταμέμφει σεαυτὸν καὶ πένης ὢν οὐκ ἂν ἔχοις χιλίας ἐκτεῖσαι· δικάζου κλοπῆς πρὸς διαιτητὴν καὶ οὐ κινδυνεύσεις. [οὐδέτερον βούλει τούτων· γράφου. κατοκνεῖς καὶ τοῦτο· ἐφηγοῦ.] τούτων οὐδέν ἐστι ταὐτό. τῆς ἀσεβείας κατὰ ταὔτ’ ἔστ’ ἀπάγειν, γράφεσθαι, δικάζεσθαι πρὸς Εὐμολπίδας, φαίνειν πρὸς τὸν βασιλέα. περὶ τῶν ἄλλων ἁπάντων τὸν αὐτὸν τρόπον σχεδόν. App. crit.: (25) νομοθέτης secl. Blass; ἑνὶ ἔδωκε τρόπῳ SLFY, ἑνὶ δέδωκε τρόπῳ al., ἕν᾿ ἔδωκε τρόπον Blass; γενέσθαι πάντας ὁμοίως SYO, γενέσθαι πάντας ὁμοίους L vulg., πάντας ὁμοίους γενέσθαι A; καὶ θρασεῖς Dobree; (27) φοβηι S; καταμεμφηι S; οὐδέτερον … ἐφηγοῦ del. Taylor, οὐδέτερον … ταὐτό secl. Weil; φαίνειν Weil (so auch der Scholiast), φράζειν codd.

(25) Aber auch das fürwahr ist euch zu wissen nötig, dass Solon als Urheber dieser und der meisten anderen Gesetze, der freilich ein ganz anderer Gesetzgeber (nomothétēs) als dieser Mensch da war, nicht bloß auf eine, nein auf vielfache Weise jedwedem (boulómenos) gestattete für irgendwelche Verbrechen den Täter zur Verantwortung zu ziehen. Denn er wusste, meine ich, wohl, dass unmöglich alle in der Stadt insgesamt in gleichem Maße geschickt und tatkräftig oder maßvoll sein könnten. Passte er also seine Gesetze dem Rechtsbedürfnis der Gemäßigten an, so glaubte er, würden viele Übelgesinnte ungestraft ihr Wesen treiben, richtete er sie aber für die Tatkräftigen und Redegewandten ein, dann würde der gemeine Mann (idiṓtēs) ebenso wie diese sich Recht verschaffen können. (26) Gleichwohl war er der Meinung, es dür79  Übersetzung nach Ludwig Seeger / Hans-Joachim Newiger.

Historische Einordnung – Ephesis (F 65)

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fe niemandem die Möglichkeit genommen werden, nach besten Kräften zu seinem Recht zu gelangen. Wie also konnte das geschehen? Wenn er in seinen Gesetzen verschiedene Wege offen hielt, dem Verbrecher beizukommen, zum Beispiel beim Diebstahl. Bist du stark und vertraust du auf dich selbst, so führe ihn [zur Hinrichtung] ab (apágein): dabei riskierst du aber tausend Drachmen. Bist du dazu zu schwach, liefere ihn an die Amtsträger (ephēgeísthai); jene werden das weitere in die Hand nehmen. (27) Scheust du auch dazu dich, dann reiche eine Schriftklage ein (gráphesthai) [also eine graphḗ hýbreōs]. Traust du dir das nicht zu, weil du arm bist und nicht tausend Drachmen zu erlegen imstande bist, dann reiche die vor einem Schiedsrichter (diaitētḗs) verhandelte Privatklage wegen Diebstahls (dikázein klopḗs) ein und du läufst keine Gefahr. [Nichts von diesen willst du; dann stelle Schriftklage (gráphou). Hast du dabei Bedenken: dann zeige an (ephēgoú).] Keins dieser Verfahren ist dem anderen gleich. Ebenso kann man bei einem Religionsfrevel (asébeia) den Gegner [zur Hinrichtung] abführen (apágein), eine Schriftklage einreichen (gráphesthai) [also eine graphḗ asebeías] oder eine vor den Eumolpiden verhandelte Privatklage beim [árchōn] basileús einreichen, und ebenso fast in allen anderen Fällen.80

F 64c: Plutarch, Solon 18,6–7 (um 100 n. Chr.) (siehe F 93h) Zu den Fragmenten, die allein auf die graphḗ hýbreōs bezogen sind, siehe F 93. V 3 Ephesis Historische Einordnung Nach der Einschätzung des Autors der Athenaion politeia waren die drei Maßnahmen Solons, von denen das Volk am meisten profitierte, das Verbot von Darlehen, für die mit dem eigenen Körper gehaftet wurde, das Recht, dass jeder zugunsten desjenigen klagen konnte, der Unrecht erlitten hatte, und schließlich die éphesis an den Gerichtshof. Letzteres habe die Macht des Volks am meisten gestärkt (F 65a). In der althistorischen und in der rechtshistorischen Forschung ist das Verfahren der éphesis teils als ‚Berufung‘, teils als ‚Überweisung von Amts wegen‘ und teils als eine von einer der beiden Parteien geforderte ‚Überweisung‘ oder ‚Übertragung‘ an ein Gericht verstanden worden. Einen auf der Durchsicht früherer Positionen beruhenden konzisen Überblick über das Verständnis der éphesis und ihrer unterschiedlichen Ausformungen hat 2016 Carlo Pelloso vorgelegt.81 Die von den meisten Forschern vertretene Deutung der

80  Übersetzung nach A. Westermann. 81  Pelloso 2016 mit dem Kommentar von Dreher 2016. Eine Auflistung unterschiedlicher Spielarten von éphesis mit den entsprechenden Belegstellen auch schon bei Thalheim 1905, 2773 und Ruschenbusch 1961. Mit ‚Überweisung von Amts wegen‘ gibt Martin Dreher Pellosos Bezeichnung als ‚mandatory ref­ erence‘ (Pelloso 2016, 34) wieder; Bonner/Smith 1930–38, Bd. 2, 232 ff. sprachen von ‚obligatory ref­ erence‘; Ruschenbusch nannte es „pflichtgemäße Überweisung“. Gagarin 2006, 263 f. hatte von einem

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Verfahrensrecht

éphesis ist die der ‚Überweisung‘, wobei auch diejenigen, die von ‚Berufung‘ oder ‚Appellation‘ (‚appeal‘) sprechen, dies in der Regel nicht im streng juristischen Sinne der Aufhebung eines erstinstanzlichen Urteils durch eine zweite gerichtliche Instanz verstehen, sondern als Widerspruch gegen magistratische Amtsgewalt, indem ein Gericht angerufen wurde.82 Da eine vorgängige Entscheidung – entweder eines Amtsträgers oder eines Schiedsrichters – vorausgegangen war, ist die éphesis als Einspruch zu verstehen, mit dem die Entscheidung unwirksam wurde.83 Aufgrund der dezidierten Aussage in der Athenaion politeia (9,1; F 65a) gilt die éphesis weitgehend als ein von Solon eingerichtetes Verfahren.84 Da von den dort genannten drei für das Volk wichtigsten Maßnahmen als zweites die Popularklage und als drittes die éphesis an das Dikasterion genannt wird, darf die éphesis nicht mit der Popularklage gleichgesetzt werden.85 Vielmehr ist die éphesis ein zweiter Weg, um Streitfälle vor einen in Athen tagenden Gerichtshof zu bringen:86 Der eine Weg ist, in besonders schweren Fällen von Angriffen auf eine einzelne Person eine graphḗ hýbreōs einzureichen (das ist das, was gemeinhin mit Popularklage gemeint ist),87 der andere ist, den bei einer ‚Privatklage‘ (díkē) ergangenen Schiedsspruch nicht anzunehmen oder eine von einem (oder mehreren) Amtsträgern gefällte Entscheidung oder eine auferlegte Strafe nicht zu akzeptieren und auch in diesen Fällen dann ein Gericht in

„transfer of a case from the authority of a magistrate to the popular court rather than an ‚appeal‘ to a court“ gesprochen. 82  So z. B. bei Thalheim 1905, 2773; Lipsius 1905–15, 954; Rhodes 1981, 160 f.; Thür 2005, 156. Schon Eberhard Ruschenbusch hatte es 1961 (ebenso ders. 1965), als erwiesen angesehen, dass éphesis nie Appellation, sondern nur Überweisung, Übertragung des Streitfalls an das Volksgericht meint. Durch Gesetz war die Anfechtung eines Gerichtsurteils vor Gericht untersagt (Demosth. or. 24,54). 83  Pelloso 2016; Dreher 2016, 51 mit Hinweis auf die Ausführungen von A. Steinwenter und M. Just. Steinwenter 1925, 71: die éphesis sei „nichts anderes als die Erklärung der Partei, daß sie den Beamtenspruch als nicht bindend anerkenne, sondern die Entscheidung des ordentlichen, des Geschworenengerichts verlange“. Zustimmend Hans Julius Wolff in: ZRG 84, 1967, 404–410, hier 406 f., 410. Auch Ugo E. Paoli, La ἔφεσις εἰς τὸ δικαστήριον en droit attique, in: RIDA 5, 1950, 325–337 (= Ugo E. Paoli, Altri studi di diritto greco e romano, Milano 1976, 211–220) spricht von einem Veto der Parteien (vgl. MacDowell 1978, 209–211; Aicher-Hadler 1989, 62). 84  So z. B. bei Ruschenbusch 1961; MacDowell 1978, 30–32; Charlotte Schubert, Solon, Tübingen 2012, 21; Pelloso 2016, 33–36, 42–44; Dreher 2016, 52; vgl. P. J. Rhodes, The Reforms and Laws of Solon: An Optimistic View, in: Josine H. Blok, André P. M. H. Lardinois (Hrsg.), Solon of Athens. New Historical and Philological Approaches, Leiden/Boston 2006, 248–260, hier 255 mit Hinweisen auf weitere Stimmen. 85  So jedoch Schubert 2012 (wie Anm. 4), 20; vgl. auch Kurt A. Raaflaub, Josiah Ober, Robert W. Wallace, Origins of Democracy in Ancient Greece, Berkeley etc. 2007, 55 (Wallace) und 143 (Raaflaub) bzgl. der éphesis als Möglichkeit „to appeal to the people“. 86  Abgesehen von Verfahren wegen Tötung oder Hochverrats, die vor dem Areopag oder den ephétai verhandelt wurden. 87  Vgl. R. K. Sinclair, Democracy and Participation in Athens, Cambridge etc. 1988, 31; Welwei 1992, 170, 174, 176 f.

Historische Einordnung – Ephesis (F 65)

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Athen anrufen zu können.88 Die von Solon eingerichtete éphesis wird man also als ‚Überweisung‘ an ein Gericht mit deutlich höherer Zahl von Richtern zu verstehen haben, – so wie bei den Tötungen im Zuge des kylonischen Frevels die Fälle von Drakon den ephétai, einundfünfzig Personen, als Urteilenden (erneut) vorgelegt wurden, um eine höhere Akzeptanz der Urteile zu erreichen. Mit der Einführung der graphaí und der éphesis hat Solon Möglichkeiten geschaffen, nahezu jeden Streitfall vor ein Gericht in Athen zu bringen, entweder unmittelbar durch eine graphḗ oder mittelbar durch éphesis nach einem nicht angenommenen Schiedsspruch bei einer ‚Privatklage‘ oder einem Urteil eines einzelnen oder eines Gremiums von Amtsträgern.89 Als Appellationsinstanz gegen die Entscheidungen eines Archonten, eines Archontengerichts oder eines Schiedsrichters schuf Solon die (h)ēliaía, bei dem Personen aus dem Volk über Rechtsstreitigkeiten zwischen Menschen aus dem Volk entschieden. Den Bedeutungsverlust der Entscheidungen des Archontengerichts und der Schiedsrichter zugunsten denen eines Volksgerichts bewog den Autor der Athenaion politeia zu seiner kritischen Einstellung.90 Ob beide Optionen – die Anrufung eines Gerichts nach Ablehnung des Schiedsspruchs und die Klage gegen eine Entscheidung eines Amtsträgers – bereits auf die Zeit Solons zurückgehen, lässt sich aus den knappen Angaben der Quellen nicht entnehmen. In klassischer Zeit existierten darüber hinaus weitere Spielarten der éphesis nebeneinander, die Pollux in seinem Onomastikon (8,62; F 65d) auflistet: Éphesis ist, wenn jemand [einen Streitfall] von den Schiedsrichtern (diaitētaí) oder den árchontes oder den Gemeindemitgliedern an den gerichtsleitenden Amtsträger (dikastḗs) verweist (ephiénai), oder vom Volk an den Gerichtshof oder von den Richtern an den Gerichtshof für Fremde.91

88  Pelloso 2016, 42–44: „The Solonian ἔφεσις is an ‚act of any dissatisfied citizen‘ affected by a formal ‚authoritative decision‘ pronounced by a magistrate (as well as by a public body or by an arbitrator, in later times); … [and] brings about a new legal procedure before the people, without being neither a proper ‚statement of claim‘ at first instance, nor a formal ‚appeal‘ from a lower judge to a higher one“. Zustimmend Dreher 2016, 52. 89  Aus Aristot. Ath. pol. 3,5 (F 65a) geht nicht eindeutig hervor, ob die im Thesmotheteion zusammenkommenden árchontes gemeinsam oder jeweils einzeln Urteile fällten, die bis zur Einführung der éphesis rechtsverbindlich waren. Auch Plut. Solon 18,2–3, Comp. Solonis et Publicolae 2,2 und Poll. 8,62 erlauben keine eindeutige Entscheidung; Androtion FgrH 324 F 4a (F 42a) hingegen geht von einem Gericht aus, das sich aus den neun Archonten zusammensetzt. 90  Aristot. Ath. pol. 9,1. Zur éphesis: Rhodes 1981, 159–162; van Wees 2011, 133 f.: „… that appeals against magistrates’ verdicts were not the only cases which came to the people’s court. We may infer that the hēliaía also judged cases in which the litigants made direct ‚referrals‘ to it by means of a graphē, bypassing magistrates and oligarchic councils altogether“ (134). Gegen Entscheidungen des Areopags war keine éphesis möglich, was konsequent war, wenn mit éphesis eine (erneute) Entscheidung vor einem größeren Geschworenengericht bedeutet. 91  Thalheim 1905, 2773; Ruschenbusch 1961, 57. Zur éphesis gegen die Aberkennung des Bürgerrechts durch die Gemeindemitglieder und gegen die Verweigerung, eine Person in die Liste der Demenmitglieder einzutragen, weil sie unfrei sei: Aristot. Ath. pol. 42,1; Liban. hypoth. Demosth. 57; Todd 1993, 180;

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Verfahrensrecht

Vergehen

Verfahren graphḗ asebeías

Unrechtstat gegen die Götter

hēliaía

graphḗ deilías

Feigheit im Krieg schwerwiegende Unrechtstat gegen eine Einzelperson (εἴσ τινα)

hēliaía

graphḗ hýbreōs

Unrechtstat

Unrechtstat gegen eine Einzelperson

Gericht

Entscheidung eines Amtsträgers díkē

Schiedsrichter

(diaitētaí)

hēliaía

éphesis

éphesis

hēliaía

hēliaía

In klassischer Zeit ging den meisten Privatklagen ein Schiedsverfahren voraus. Durch Los wurden die ‚vierzig Männer‘, vier aus jeder Phyle (vor 404/3 waren es dreißig Männer), bestimmt, die von Dorfgemeinde zu Dorfgemeinde zogen, um Recht zu sprechen. Bis zu einem Streitwert von zehn Drachmen entschieden sie eigenständig; Fälle, die diesen Wert überstiegen, übergaben sie den Schiedsrichtern (diaitētaí).92 Wenn beide Parteien mit dem Schiedsspruch einverstanden waren, war der Fall abgeschlossen. Eine der beiden Parteien konnte aber auch die ‚Überweisung‘ des Falles an das Gericht verlangen;93 die beim Schiedsverfahren vorgebrachten Zeugnisse, Vorladungen und zitierten Gesetze wurden in Tongefäßen getrennt voneinander verwahrt; die versiegelten und mit der Entscheidung des Schiedsrichters versehenen Tongefäße wurden dann den vier Demenrichtern aus der Phyle des Beklagten übergeben. Diese

Pelloso 2016, 38–40. Zu Verfahren nach einem nicht akzeptierten Spruch eines Schiedsrichters Harrison 1968–71, 66–68, 73 f.; MacDowell 1978, 209–211; Todd 1993, 128 f.; Adele C. Scafuro, The Forensic Stage. Settling Disputes in Graeco-Roman New Comedy, Cambridge 1997, 35–38, 383–399; Pelloso 40–42. 92  Aristot. Ath. pol. 53,1–2. Pausanias nennt in 1,28,8 neben den Gerichtshöfen, vor denen Tötungen verhandelt werden, das Parabyston und das Trigonon, wobei der eine nur über die geringfügigsten Dinge entscheide, der andere seinen Namen von seiner Gestalt habe. 93  Aristot. Ath. pol. 53: ἂν δ’ ὁ ἕτερος ἐφῇ τῶν ἀντιδίκων εἰς τὸ δικαστήριον, … (53,2). Vgl. Ps.-Demosth. or. 40,17.31.55. Zur gnṓsis des Schiedsrichters als „unverbindlicher Erledigungsvermerk“ ohne Urteilscharakter Aicher-Hadler 1989. Lipsius 1905–15, 28–30 weist die Kritik der älteren Forschung mit überzeugenden Argumenten zurück, dass erst nach den Reformen des Kleisthenes oder Perikles so weit reichende Befugnisse des Volkes als gegeben angesehen werden könnten.

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übernahmen den Fall und brachten ihn vor Gericht.94 Auch konnte man Anzeige erstatten, wenn jemand durch einen Schiedsrichter Unrecht erlitten hatte. Wurde der Schiedsrichter schuldig gesprochen, wurde er ehrlos, doch konnte auch er dagegen vorgehen und Überweisung an das Gericht verlangen.95 Auch wenn jemand bei der Prüfung der Amtsträger (dokimasía) vom Rat abgelehnt wurde, fand in klassischer Zeit ‚Überweisung an das Gericht‘ statt.96 Das in der Athenaion politeia (45,1) genannte Verfahren, dass die vom Rat der 500 ausgesprochenen Urteile und Strafen von den Thesmotheten dem Gericht vorgelegt wurden, wertet Martin Dreher zu Recht – der Sache nach – als eine éphesis, auch wenn der Begriff nicht fällt, und zwar als eine éphe­ sis, bei der die Überweisung ex ufficio erfolgte.97 Grundsätzlich stimmt er aber Carlo Pelloso zu, dass es in der Regel die Parteien waren, die die Möglichkeit hatten, einen Gerichtshof anzurufen.98 Möglicherweise wurden in klassischer Zeit Streitfälle, die einen bestimmten Streitwert überstiegen, unmittelbar an das dikastḗrion überwiesen. Umstritten ist jedoch, ob es eine solche Verfahrensänderung tatsächlich gegeben hat, und wenn ja, ob dies im Zuge der Reformen des Ephialtes 462/1 geschehen war.99 Literatur Theodor Thalheim, Ephesis, in: RE 5,2, 1905, 2773; Lipsius 1905–15, 28–30, 220–233; Artur Steinwenter, Die Streitbeendigung durch Urteil, Schiedsspruch und Vergleich, München 1925 (21971); Eberhard Ruschenbusch, Ἔφεσις. Ein Beitrag zur griechischen Rechtsterminologie, in: ZRG 78, 1961, 386–390 (= ders. 2005, 54–58); ders., Ἡλιαία. Die Tradition über das solonische Volksgericht, in: Historia 14, 1965, 381–384; Harrison 1968–71, Bd. 2, 72–74, 190 f.; MacDowell 1978, 30–32, 209–211; Gabriele Aicher–Hadler, Das ‚Urteil‘ des amtlichen Diaiteten, in: RIDA 36, 1989, 57–73; Gerhard Thür, Art. Ephesis, in: DNP 3, 1997, 1077; Carlo Pelloso, Ἔφεσις εἰς τὸ δικαστήριον. Remarks and

94  Aristot. Ath. pol. 53,2–3: οἱ δὲ παραλαβόντες εἰσάγουσιν εἰς τὸ δικαστήριον (53,3); vgl. 58,2; Demosth. or. 39,17; Poll. 8,126 (ἡ δ’ ἔφεσις αὐτῶν εἰ εἰς δικαστήριον γένοιτο, εἰς ἐχῖνον τὰς ψήφους ἐμβαλόντες ἰδίᾳ ἑκατέρας τὰς τοῦ φεύγοντος καὶ διώκοντος κατεσημαίνοντο). Zugrunde lag ein in den Gerichtsreden erwähntes Diaitetengesetz, das unter Eukleides die Rechte und Pflichten der öffentlichen Schiedsrichter neu geregelt hat (Demosth. or. 21,94). Hans Julius Wolff in: ZRG 84, 1967, 405; Rhodes 1981, 589–591, 595 f.; Aicher-Hadler 1989; Gerhard Thür, Art. Diaitetai (2), in: DNP 3, 1997, 512. 95  Aristot. Ath. pol. 53,6: ἔστιν δὲ καὶ εἰσαγγέλλειν εἰς τοὺς διαιτητάς, ἐάν τις ἀδικηθῇ ὑπὸ τοῦ διαιτητοῦ, κἄν τινος καταγνῶσιν, ἀτιμοῦσθαι κελεύουσιν οἱ νόμοι. ἔφεσις δ’ ἔστι καὶ τούτοις. 96  Aristot. Ath. pol. 45,3: καὶ πρότερον μὲν ἦν ἀποδοκιμάσαι κυρία, νῦν δὲ τούτοις ἔφεσίς ἐστιν εἰς τὸ δικαστήριον; 55,2. 97  Dreher 2016, 51. Von solchen pflichtgemäßen Überweisungen (neben der Möglichkeit, dass eine der beiden Parteien den Streit überweisen wollte,) waren auch Ruschenbusch 1961, 56 f. und MacDowell 1978, 30–32 ausgegangen. 98  Pelloso 2016, 42; zustimmend Dreher 2016, 51. 99  Rhodes 1981, 318 f. Bezweifelt wird eine solche Veränderung von Raphael Sealey, Ephialtes, in: CPh 59, 1964, 11–22, hier 14–18 (= Essays in Greek Politics, New York 1976, 46–52) und von MacDowell 1978, 32 f.

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Verfahrensrecht

Speculations on the Legal Nature of the Solonian Reform, in: Symposion 2015. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Coimbra, 1.–4. September 2015), hrsg. von Delfim F. Leão, Gerhard Thür, Wien 2016, 33–48; Martin Dreher, Jenseits von Berufung und Überweisung. Antwort auf Carlo Pelloso, in: ebd. 49–53.

Ephesis (F 65) (F 65a: T 322 Martina; F 40a Ruschenbusch und †39/1a, 40a Leão/Rhodes; F 65b: 138a Ruschenbusch; †39/1b Leão/Rhodes; F 65c: F 138b Ruschenbusch; F †39/1c Leão/Rhodes)

F 65a: Aristoteles, Athenaion politeia 3,5 und 9,1 (320er Jahre) (3,5) ἐπὶ δὲ Σόλωνος [ἅπ]αντες εἰς τὸ θεσμοθετεῖον συνῆλθον. κύριοι δ’ ἦσαν καὶ τὰς δίκας αὐτοτελεῖς [κρίν]ειν, καὶ οὐχ ὥσπερ νῦν προανακρίνειν. (9,1) δοκεῖ δὲ τῆς Σόλωνος πολιτείας τρία ταῦτ’ εἶναι τὰ δημοτικώτατα· πρῶτον μὲν καὶ μέγιστον τὸ μὴ δανείζειν ἐπὶ τοῖς σώμασιν, ἔπειτα τὸ ἐξεῖναι τῷ βουλομένῳ τιμωρ[εῖ]ν ὑπὲρ τῶν ἀδικουμένων, τρίτον δὲ ‹ᾧ καὶ› μάλιστά φασιν ἰσχυκέναι τὸ πλῆθος, ἡ εἰς τὸ δικαστή[ριον] ἔφε[σι]ς· κύριος γὰρ ὢν ὁ δῆμος τῆς ψήφου, κύριος γίγνεται τῆς πολιτείας. App. crit.: (3,5) κρίνειν Kaibel; (9,1) ‹ᾧ καὶ› Wilamowitz-Kaibel, ᾧ add. van Herwerden/von Leeuwen.

(3,5) Zur Zeit Solons kamen sie alle [die árchontes] im Thesmotheteion zusammen. Sie waren auch berechtigt, rechtsverbindliche Urteile (díkai) zu fällen (krínein) und nicht nur, wie jetzt, die Voruntersuchungen zu führen (proanakrínein). (9,1) An der politischen Ordnung (politeía) Solons gelten folgende drei [Maßnahmen] als überaus günstig für das Volk (dēmotikṓtata): als erste und wichtigste das Verbot, auf den Leib (sṓmata) ein Darlehen zu geben (= F 107a), sodann es jedem, der will (ho boulómenos), zu ermöglichen, zugunsten derjenigen, die Unrecht erlitten hatten, Vergeltung zu fordern (timōreín), und drittens, wodurch – wie man sagt – die Menge am meisten gestärkt worden ist, die éphesis an den Gerichtshof (dikastḗrion). Denn wenn das Volk (dḗmos) Herr über den Stimmstein (psḗphos) ist, wird es auch Herr über die politische Ordnung (politeía).

F 65b: Plutarch, Solon 18,2–3 (um 100 n. Chr.) (2) οἱ δὲ λοιποὶ πάντες ἐκαλοῦντο θῆτες, οἷς οὐδεμίαν ἄρχειν ἔδωκεν ἀρχήν, ἀλλὰ τῷ συνεκκλησιάζειν καὶ δικάζειν μόνον μετεῖχον τῆς πολιτείας. (3) ὃ κατ’ ἀρχὰς μὲν οὐδέν, ὕστερον δὲ παμμέγεθες ἐφάνη· τὰ γὰρ πλεῖστα τῶν διαφόρων ἐνέπιπτεν εἰς τοὺς δικαστάς· καὶ γὰρ ὅσα ταῖς ἀρχαῖς ἔταξε κρίνειν, ὁμοίως καὶ περὶ ἐκείνων εἰς τὸ δικαστήριον ἐφέσεις ἔδωκε τοῖς βουλομένοις. (2) Alle übrigen wurden thḗtes genannt. Er [Solon] hat ihnen keinerlei Amt auszuüben gestattet; sie hatten nur insoweit Anteil an der politischen Ordnung, dass sie an der Volksversammlung mit teilnehmen und Richter sein konnten. (3) Das hatte anfänglich keine, später aber eine sehr große Bedeutung, weil die meisten Streitigkeiten vor die Richter (dikastaí) kamen. Denn auch in den Sachen, über die er die Amtsträger (árchontes) hat urteilen (krínein) lassen, gestattete er denen, die das wollten, die Überweisung (éphesis) an das Gericht (dikastḗrion).

Ephesis (F 65)

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F 65c: Plutarch, Comparatio Solonis et Publicolae 2,2 (um 100 n. Chr.) Ποπλικόλα … νόμοις δὲ πολλοῖς ἐχρήσατο τῶν ἐκείνου. καὶ γὰρ ἀρχόντων καταστάσεως κυρίους ἐποίησε τοὺς πολλούς, καὶ τοῖς φεύγουσι δίκην ἐπικαλεῖσθαι τὸν δῆμον, ὥσπερ ὁ Σόλων τοὺς δικαστάς, ἔδωκε. Publicola … übernahm auch viele Gesetze von ihm [Solon]: denn er gab dem Volk das Recht, die Amtsträger zu bestellen, und gestattete den Angeklagten (pheúgontes), mit einer Klage (díkē) das Volk anzurufen, so wie Solon [es gestattet hatte], die Richter (dikastaí) anzurufen.

F 65d: Pollux, Onomastikon 8,62 (2. Jh. n. Chr.) ἔφεσις δέ ἐστιν ὅταν τις ἀπὸ διαιτητῶν ἢ ἀρχόντων ἢ δημοτῶν ἐπὶ δικαστὴν ἐφῇ, ἢ ἀπὸ βουλῆς ἐπὶ δῆμον, ἢ ἀπὸ δήμου ἐπὶ δικαστήριον, ἢ ἀπὸ δικαστῶν ἐπὶ ξενικὸν δικαστήριον. Éphesis ist, wenn jemand [einen Streitfall] von den Schiedsrichtern (diaitētaí) oder den árchon­ tes oder den Gemeindemitgliedern an den gerichtsleitenden Amtsträger (dikastḗs) verweist (ephiénai), oder vom Rat an das Volk (dḗmos) oder vom Volk an den Gerichtshof oder von den Richtern (dikastaí) an den Gerichtshof für Fremde.

Nach den Vorstellungen des 4. Jh. waren in vorsolonischer Zeit Urteile, die durch ein Gericht der neun árchontes gefällt worden waren, rechtlich bindend gewesen, ohne dass es eine Möglichkeit gab, dagegen vorzugehen (F 65a).100 Sollte der Verfasser der Athenaion politeia diesen Gedanken in 9,1 wieder aufgegriffen haben, wäre die in 9,1 genannte éphesis vorrangig auf Einsprüche gegen Urteile des Archontengerichts zu beziehen. So wie Drakon Urteile über Tötungen vor das erweiterte Gremium der ephétai gebracht hatte, hätte Solon dann analog dazu fünfundzwanzig Jahre später auch bei anderen Delikten die Möglichkeit eingeräumt, mittels éphesis ein größeres Gericht, nämlich die (h)ēliaía, anzurufen. Dafür spricht auch die kritische Stellungnahme in der Athenaion politeia, dass durch die auf solche Einsprüche erfolgten Abstimmungen im Gerichtshof das Volk „Herr über die politeía“ geworden sei. Plutarch scheint die Aussage ebenfalls in diesem Sinne verstanden zu haben, wenn er die éphesis auf Verfahren bezieht, über die die Archonten entschieden hätten.101 Für die auf einen Schiedsspruch der diaitētaí folgende éphesis gibt es also keinen frühen dezidierten Beleg, wenn man nicht auch die diaitētaí unter die árchontes in Plutarchs Solonbiographie subsumiert oder in den pheúgontes in seinem Vergleich von Solon und Puplicola (F 65b–c) die vor Schiedsrichtern „angeklagten“ Personen sieht.

100  MacDowell 1978, 30–32 hält es für möglich, dass auch in klassischer Zeit die Archonten minder schwere Fälle rechtsverbindlich hätten entscheiden können, ohne dass dagegen eine éphesis möglich gewesen wäre. 101  MacDowell 1978, 31 f. hält die Ansicht für zu skeptisch, dass Plutarchs Aussage allein auf der Athe­ naion politeia beruhe (also keinen eigenen Quellenwert besäße), da er auch andere Quellen des 4. Jh. v. Chr. herangezogen habe.

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Verfahrensrecht

V 4 Eid der Heliasten und der Thesmotheten Historische Einordnung Demosthenes schreibt in den Reden Gegen Timokrates und Über den Kranz Solon einen Geschworeneneid zu. Doch der in den Text in or. 24,149–151 eingefügte promissorische Eid ist sicherlich nicht der der solonischen Zeit. Er wurde später in die Rede eingefügt und ist wahrscheinlich ein aus Bestandteilen anderer Eide zusammengesetzter fingierter Text.102 Ein historisches Urteil über den von Solon eingerichteten Eid muss also zunächst von den demosthenischen Reden selbst ausgehen, und daraus lässt sich nur entnehmen, dass Demosthenes den Heliasteneid, den hórkos hēliastṓn,103 auf Solon zurückführte (F 66b und c) und sich jeder Geschworener im Eid verpflichtete, „sich beiden Parteien gleichgesinnt zu erweisen“, also beiden „mit Wohlwollen“ (εὐνοϊκῶς) und ohne Voreingenommenheit zuzuhören, bevor er sein Urteil fällte.104 Nur dies wurde auch von dem kaiserzeitlichen Lukian und dem spätantiken Redner Libanios als Bestandteil des Eids aufgegriffen und wird durch Isokrates bestätigt, ohne dass allerdings dort der Eid Solon zugeschrieben wird.105 Zu einem frühen Eid wird vermutlich ein weiterer Bestandteil gehört haben: Mehrfach ist bezeugt, dass die Geschworenen eidlich bekräftigten, in Fällen, in denen keine schriftlichen Gesetze als Grundlage dienen konnten, nach bestem Wissen und Gewissen zu urteilen.106 Dass dies in dem in or. 24,149–151 eingelegten Text nicht enthalten ist, bestätigt noch einmal, dass dieser Text fingiert ist. Es muss aber unsicher bleiben, ob Solon den Geschworenen in der (h)ēliaía bereits um 600 v. Chr. überhaupt einen Eid auferlegt hat, und wenn es einen solchen Eid 102  Lipsius 1905–15, 153 Anm. 56; Bonner/Smith 1930–38, Bd. 2, 153; Mirko Canevaro, The Documents in the Attic Orators. Laws and Decrees in the Public Speeches of the Demosthenic Corpus, Oxford 2013, 173–180. Für authentisch gehalten hatte Drerup 1898, 256–264 den eingelegten Eid. 103 Den hórkos hēliastṓn nennt auch Hypereides in or. 3 (Eux.), 40. Zum Heliasteneid Hansen 1995, 188. Bonner/Smith 1930–38, Bd. 2, 152 gehen davon aus, dass der Eid der (h)ēliaía auf Solon zurückgeht (vgl. Bd. 1, 162). 104  Antiph. 5,4: εἰκὸς γὰρ ἐν ἀνδράσι γε ἀγαθοῖς καὶ ἄνευ τῆς αἰτήσεως τὴν ἀκρόασιν ὑπάρχειν τοῖς φεύγουσιν, οὗπερ καὶ οἱ διώκοντες ἔτυχον ἄνευ αἰτήσεως. – „So ist es doch bei anständigen Männern üblich, ohne diese Bitte den Angeklagten Gehör zu schenken, wie solches auch die Kläger ohne Bitte zu erlangen pflegen“; Demosth. or. 18,7 (F 66c). Auch in or. 18,1 bittet Demosthenes um das Wohlwollen (eúnoia) der Geschworenen. 105  Isokr. 15,21 (F 66a). Auch am Anfang der Rede Über den Frieden spricht Isokrates den Vorwurf aus, die Athener würden den Rednern „nicht gleichermaßen Gehör schenken, sondern den einen Aufmerksamkeit widmen, bei anderen aber nicht einmal deren Stimme aushalten“ (8,3). 106  Demosth. or. 20,118 f. (καὶ περὶ ὧν ἂν νόμοι μὴ ὦσι, γνώμῃ τῇ δικαιοτάτῃ κρινεῖν); vgl. or. 23,96; 39,40; 57,63; Aischin. Ktes. (or. 3), 6. Poll. 8,122: ὤμνυσαν δὲ ἐν Ἀρδήττῳ δικαστηρίῳ Ἀπόλλω πατρῷον καὶ Δήμητρα καὶ Δία βασιλέα· ὁ δὲ Ἄρδηττος Ἰλισσοῦ μέν ἐστι πλησίον, ὠνόμασται δὲ ἀπό τινος ἥρωος, ὃς στασιάζοντα τὸν δῆμον ὑπὲρ ὁμονοίας ὥρκισεν. ὁ δ’ ὅρκος ἦν τῶν δικαστῶν, περὶ μὲν ὧν νόμοι εἰσί, κατὰ τοὺς νόμους ψηφιεῖσθαι, περὶ δὲ ὧν μὴ εἰσί, γνώμῃ τῇ δικαιοτάτῃ· ὀμοσάντων δὲ καὶ τῶν δικαζομένων, τὸ πᾶν ἐκαλεῖτο ἀμφιορκία. Dazu Adriaan Lanni, Law and Justice in the Courts of Classical Athens, Cambridge 2006, 70–74.

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gegeben haben sollte, welche Eidesformeln er im Einzelnen enthielt. Möglicherweise wurde der Eid nur deswegen Solon zugeschrieben, weil der Tradition gemäß Solon die (h)ēliaía als Gerichtshof eingerichtet haben soll.107 Ob es sich in dieser Zeit aber bereits um eine fest umrissene Institution handelte, bei der die Abstimmungsberechtigten einmal im Jahr oder vor jedem Prozess einen Schwur leisteten, ist unklar.108 Die Geschworenen legten ihren Eid auf dem Ardettos ab, einem außerhalb der Stadt am Ilissos gelegenen Hügel, bevor dieser Usus, wie Theophrast für die Zeit um 300 v. Chr. bezeugt, abgeschafft wurde.109 Da Lysias in der Rede Gegen Elpine auf den Eid auf dem Ardettos einging, kann der dort abgelegte Eid bis in die Zeit um 400 v. Chr. zurückverfolgt werden.110 Auch die Archonten leisteten in klassischer Zeit bei der Aufnahme ihrer Amtstätigkeit einen Eid, das Amt gemäß den Gesetzen auszuüben und keine Geschenke aufgrund ihres Amts anzunehmen.111 Nach der Athenaion politeia ging dieser Eid ebenfalls auf Solon, wenn nicht sogar bis auf den mythischen ersten Archonten Akastos zurück.112 Plutarch überliefert dies ganz ähnlich, bezieht den Eid aber nur auf die Thes107  So Aristot. pol. 2,12, 1273b 41–1274a 7. Als von Solon eingerichtete Institution Hansen 1981/82, 27–39. 108  Leão/Rhodes 2010, 159. Rhodes 1981, 160, denkt bei der solonischen (h)ēliaía an eine „judicial session of the whole assembly“. Ebenso van Wees 2011, 133. Doch Hansen 1981/82, 28–38 hatte sich mit gewichtigen Argumenten gegen diese Ansicht gestellt; wäre die (h)ēliaía gleichbedeutend mit der ek­ klēsía als Gerichtshof gewesen, hätten die Quellen nicht von einer neu geschaffenen Institution gesprochen. Die Heliasten seien vermutlich einmal im Jahr aus allen Bürgern über 30 Jahren erlost worden. Die ekklēsía hingegen stand allen Athenern ab 18 Jahren offen, und dort leisteten die Teilnehmer keinen Eid. Die Quellenbelege für die (h)ēliaía als Institution hat Hansen ebd. 10–12 zusammengestellt. 109  Harpokr. α 229 s. v. Ἀρδηττός (siehe die folgende Anm.) und Suda α 3807 s. v. Ἀρδήττης, Ἀρδήττου: καὶ Ἀρδηττὸς τόπος ἐστὶν Ἀθήνησιν, ἐν ᾧ πάντες Ἀθηναῖοι δημοσίᾳ ὤμνυον τὸν ὅρκον τὸν ἡλιαστικόν. Θεόφραστος δὲ ἐν τοῖς περὶ νόμων καταλελύσθαι τὸ ἔθος τοῦτο λέγει. Zur Lokalisierung des Ardettoshügels Walther Judeich, Topographie von Athen (HdA Abt. 3, Bd. 2,2), München 21905, 42. 110  Harpokr. α 229 s. v. Ἀρδηττός· Λυσίας ἐν τῷ Πρὸς Ἐλπίνην. τόπος Ἀθήνησιν ὑπὲρ τὸ στάδιον τὸ Παναθηναϊκόν, πρὸς τῷ δήμῳ τῷ ὑπένερθεν Ἀγρυλέων. ἐν τούτῳ, φασί, δημοσίᾳ πάντες ὤμνυον Ἀθηναῖοι τὸν ὅρκον τὸν ἡλιαστικόν. ὠνομάσθη δὲ ἀπὸ Ἀρδήττου ἥρωος ἀρχαίου, ὃς Ἀθηναίους πρῶτος ἐξώρκισεν. Θεόφραστος δ’ ἐν τοῖς Περὶ νόμων δηλοῖ ὡς κατελέλυτο τὸ ἔθος τοῦτο. 111 F 67b–c. Dazu Bonner/Smith 1930–38, 150 f. Nach Lykurgs Ausführungen in der Rede Gegen Leo­ krates sei es der Eid (hórkos), der die Demokratie zusammenhalte. Die politische Ordnung sei aus drei Elementen zusammengesetzt, dem Amtsträger, dem Richter und dem Bürger. Jeder von ihnen leiste ein Treueversprechen (pístis), und die Götter straften denjenigen, der den Eid gebrochen habe (Leokr. 79: Καὶ μὴν ὦ ἄνδρες καὶ τοῦθ’ ὑμᾶς δεῖ μαθεῖν, ὅτι τὸ συνέχον τὴν δημοκρατίαν ὅρκος ἐστί. τρία γάρ ἐστιν ἐξ ὧν ἡ πολιτεία συνέστηκεν, ὁ ἄρχων, ὁ δικαστής, ὁ ἰδιώτης. τούτων τοίνυν ἕκαστος ταύτην πίστιν δίδωσιν, εἰκότως. … τοὺς δὲ θεοὺς οὔτ’ ἂν ἐπιορκήσας τις λάθοι). Zum Eid der Geschworenen vgl. auch Leokr. 146. 112 F 67a (Ath. pol. 7,1). Ath. pol. 3,3: ο]ἱ μὲν γὰρ πλείους ἐπὶ Μέδοντος, ἔνιοι δ’ ἐπὶ Ἀκάστου φασὶ γενέσθαι [ταύ]την· τεκμήριον δ’ ἐπιφέρουσιν, ὅτι οἱ ἐννέα ἄρχοντες ὀμνύουσι[ν] ἢ ‹μὴν› τὰ ἐπὶ Ἀκάστου ὅρκια ποιήσειν, ὡς ἐπὶ τούτου τῆς βασιλείας παραχωρησάντων τῶν Κοδ[ρι]δ[ῶν] ἀντὶ τῶν δοθεισῶν τῷ ἄρχοντι δωρεῶν. τοῦτο μὲν οὖν ὁποτέρως ποτ’ ἔχει, μικρὸν ἂν παραλλάττοι τοῖς χρόνοις. – „Die meisten meinen nämlich, es [das Amt des árchōn epṓnymos] sei unter Medon entstanden, einige behaupten aber, unter Akastos. Als Beweis führen sie an, dass die neun Archonten schwören, wie unter Akastos ihren eidlichen Verpflichtungen nachzukommen, da unter seiner Amtstätigkeit die Kodriden ihre Königsherrschaft aufgegeben hätten zugunsten der Rechte, die man den Archonten übertrug.“ Zu diesem Wider-

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motheten. Für eine glaubwürdige Überlieferung spricht, dass jeder einzeln schwören musste, „die Satzungen“ (thesmoí) einzuhalten. Es erscheint daher durchaus plausibel, dass Solon nicht nur den Mitgliedern des Rats der Areopagiten und den Angehörigen der (h)ēliaía einen Eid auferlegte, sondern auch den mit dem Gerichtswesen betrauten Thesmotheten, die als eine sehr alte Institution einen solchen Eid schon in früherer Zeit geleistet hatten.113 Es mag sein, dass Plutarch auf der Überlieferung aufbaut, die auch in den Auszügen aus den aristotelischen Verfassungen bei Herakleides Lembos zu fassen ist, der – obwohl es sich um einen Auszug aus der Athenaion politeia handelt – einen Eid nur für die Thesmotheten nennt (F 67c).114 Literatur Max Fränkel, Der attische Heliasteneid, in: Hermes 13, 1878, 452–466; Lipsius 1905–15, 151–153; Bonner/Smith 1930–38, Bd. 2, 152–156; Mogens Herman Hansen, The Athenian Heliaia from Solon to Aristotle, in: C&M 33, 1981/82, 9–49; Hansen 1995, 188; Adele C. Scafuro, The Forensic Stage: Settling Disputes in Graeco-Roman New Comedy, Cambridge 1997, 50 f.; Steven Johnstone, Disputes and Democracy: The Consequences of Litigation in Ancient Athens, Austin 1999, 35–42.

Der Eid der Heliasten und der Thesmotheten (F 66–67) F 66 Eid der Heliasten (F 66b: T 306b Martina; F 97a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 66c: T 307 Martina; F 97b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 66d: T 311 Martina; F 97d Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 66e: T 312a Martina; F 97c Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 66a: Isokrates, Antidosis (or. 15) 21 f. (354/53 v. Chr.) … ἀλλ’ ὀμνύναι μὲν καθ’ ἕκαστον τὸν ἐνιαυτὸν ἦ μὴν ὁμοίως ἀκροάσεσθαι τῶν κατηγορούντων καὶ τῶν ἀπολογουμένων, (22) τοσοῦτον δὲ τὸ μεταξὺ ποιεῖν ὥστε τῶν μὲν αἰτιωμένων ὅ τι ἂν

spruch Rhodes 1981, 100. P. J. Rhodes (ebd. 101) hält es für möglich, dass in der zweiten Hälfte des 4. Jh. „wie unter Akastos“ zum Eid gehörte und dies schon ein sehr früher Bestandteil war, auch wenn ein Archont Akastos eher in das 7. oder 6. Jh. anzusetzen ist als in das 11. Jh. 113  Auch im Recht von Gortyn ist mehrfach belegt, dass in Streitfällen „der Richter unter Eid entscheiden soll“ (ICret IV 72 col. 1, Z. 13 f., 23 f.; col. 2, Z. 55 – col. 3, Z. 1; col. 5,42–44: τὸν δικαστὰν ὀμνύντα κρίνεν). Von einer weit zurückreichenden Tradition der durch Eide gebundenen Rechtsprechung geht auch Aristot. pol. 3,14, 1285b 10–12 aus. Bonner/Smith 1930–38, Bd. 2, 145 f., 152. 114  Das Exzerpt ist allerdings nicht zuverlässig, da er von den neun Archonten nur die sechs Thesmotheten und den basileús nennt und die kriegerischen Angelegenheiten dem basileús statt dem polémar­ chos zuspricht. Allerdings könnte es sich bei den „kriegerischen Angelegenheiten“ (τὰ πολέμια) um die Opfer vor und während eines Kriegs handeln.

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λέγωσιν ἀποδέχεσθαι, τῶν δὲ τούτους ἐξελέγχειν πειρωμένων ἐνίοτε μηδὲ τὴν φωνὴν ἀκούοντας ἀνέχεσθαι, … App. crit.: τούτους om. Γ1.

… aber wir schwören zu Beginn eines jeden Jahres, Kläger und Angeklagte gleichermaßen Gehör zu schenken, (22) missachten dies aber in der Praxis, dass ihr von allen, die Beschuldigungen vorbringen, akzeptiert, was immer sie sagen, bei denen aber, die diese zu widerlegen suchen, nicht einmal ertragt, ihre Stimme zu hören. …

F 66b: Demosthenes, Gegen Timokrates (or. 24) 148–151 (353/2 v. Chr.) (148) ἄκυρον οὖν τοῦ δῆσαι τὴν βουλὴν ποιῶν ὁ Σόλων τοῦτο πρὸς τὸν ὅρκον τὸν βουλευτικὸν προσέγραψεν, ἀλλ’ οὐ πρὸς τὸν ὑμέτερον· ἁπάντων γὰρ κυριώτατον ᾤετο δεῖν εἶναι τὸ δικαστήριον, καὶ ὅ τι γνοίη, τοῦτο πάσχειν τὸν ἁλόντα. ἀναγνώσεται δ’ ὑμῖν αὐτοῦ τούτου ἕνεκα τὸν τῶν ἡλιαστῶν ὅρκον. λέγε σύ. (149) ΟΡΚΟΣ ΗΛΙΑΣΤΩΝ.

[Ψηφιοῦμαι κατὰ τοὺς νόμους καὶ τὰ ψηφίσματα τοῦ δήμου τοῦ Ἀθηναίων καὶ τῆς βουλῆς τῶν πεντακοσίων. καὶ τύραννον οὐ ψηφιοῦμαι εἶναι οὐδ’ ὀλιγαρχίαν· οὐδ’ ἐάν τις καταλύῃ τὸν δῆμον τὸν Ἀθηναίων ἢ λέγῃ ἢ ἐπιψηφίζῃ παρὰ ταῦτα, οὐ πείσομαι· οὐδὲ τῶν χρεῶν τῶν ἰδίων ἀποκοπὰς οὐδὲ γῆς ἀναδασμὸν τῆς Ἀθηναίων οὐδ’ οἰκιῶν· οὐδὲ τοὺς φεύγοντας κατάξω, οὐδὲ ὧν θάνατος κατέγνωσται, οὐδὲ τοὺς μένοντας ἐξελῶ παρὰ τοὺς νόμους τοὺς κειμένους καὶ τὰ ψηφίσματα τοῦ δήμου τοῦ Ἀθηναίων καὶ τῆς βουλῆς οὔτ’ αὐτὸς ἐγὼ οὔτ’ ἄλλον οὐδένα ἐάσω. (150) οὐδ’ ἀρχὴν καταστήσω ὥστ’ ἄρχειν ὑπεύθυνον ὄντα ἑτέρας ἀρχῆς, καὶ τῶν ἐννέα ἀρχόντων καὶ τοῦ ἱερομνήμονος καὶ ὅσοι μετὰ τῶν ἐννέα ἀρχόντων κυαμεύονται ταύτῃ τῇ ἡμέρᾳ, καὶ κήρυκος καὶ πρεσβείας καὶ συνέδρων· οὐδὲ δὶς τὴν αὐτὴν ἀρχὴν τὸν αὐτὸν ἄνδρα, οὐδὲ δύο ἀρχὰς ἄρξαι τὸν αὐτὸν ἐν τῷ αὐτῷ ἐνιαυτῷ. οὐδὲ δῶρα δέξομαι τῆς ἡλιάσεως ἕνεκα οὔτ’ αὐτὸς ἐγὼ οὔτ’ ἄλλος ἐμοὶ οὔτ’ ἄλλη εἰδότος ἐμοῦ, οὔτε τέχνῃ οὔτε μηχανῇ οὐδεμιᾷ. (151) καὶ γέγονα οὐκ ἔλαττον ἢ τριάκοντα ἔτη. καὶ ἀκροάσομαι τοῦ τε κατηγόρου καὶ τοῦ ἀπολογουμένου ὁμοίως ἀμφοῖν, καὶ διαψηφιοῦμαι περὶ αὐτοῦ οὗ ἂν ἡ δίωξις ᾖ. ἐπομνύναι Δία, Ποσειδῶνα, Δήμητρα, καὶ ἐπαρᾶσθαι ἐξώλειαν ἑαυτῷ καὶ οἰκίᾳ τῇ ἑαυτοῦ, εἴ τι τούτων παραβαίνοι, εὐορκοῦντι δὲ πολλὰ κἀγαθὰ εἶναι.] App. crit.: (148) ὁ om. S; ἡλιαστῶν vulg., δικαστῶν S solus; (149) ΟΡΚΟΣ ΗΛΙΑΣΤΩΝ om. S; τὸν S, τῶν cett.; μὲν ὄντας S; (150) ὅσοι S, ὅσαι vulg.; ταύτῃ τῇ codd., τῇ αὐτῇ Blass; (151) τε om. S solus; ἀεὶ ψηφιοῦμαι coni. Weil; ἐπομνύναι Bekker, ἐπόμνυμαι S al., ἐπόμνυμι S γρ., ὄμνυμι F.

(148) Nun aber hat Solon, um dem Rat (boulḗ) die Befugnis, [Bürger] in Fesseln zu legen, zu entziehen, diesen Zusatz beim Ratseid hinzugesetzt, nicht aber bei eurem Eid [= der Geschworenen]. Denn er meinte, dass das Gericht (dikastḗrion) im größten Ansehen von allen [Institutionen] stehen und der Verurteilte die ihm zuerkannte Strafe wirklich erleiden sollte. Darum mag man euch den Heliasteneid vorlesen. Lies! (149) Heliasteneid

[Ich will abstimmen gemäß den Gesetzen (nómoi) und Beschlüssen (psēphísmata) des Volkes der Athener und des Rats der Fünfhundert. Und ich werde nicht für einen Tyrannen noch für eine Oligarchie durch Abstimmung eintreten, und mich auch nicht überzeugen lassen, wenn irgendeiner die Demokratie (dḗmos) der Athener auflöst oder in dieser Absicht spricht oder etwas zur Abstimmung bringt, genauso wenig wie zu dem Zweck einer Aufhebung (apokopaí) der privaten Schulden oder einer Aufteilung (anadasmós) des athenischen Landes oder der

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Häuser. Und ich werde keine Verbannten oder die zum Tod Verurteilten zurückführen, noch auch die, welche hier wohnhaft sind, gegen die bestehenden Gesetze und die Beschlüsse des Volks der Athener und des Rats (boulḗ) vertreiben. Ich werde dies weder selbst tun, noch auch einem anderen dies zu tun gestatten. (150) Und ich werde den, der wegen eines Amts noch Rechenschaft schuldig ist, nicht zur Ausübung eines anderen Amts einsetzen, sei es das der neun Archonten oder des hieromnḗmōn oder seien es solche, die mit den neun Archonten am selben Tag durch Bohnenlos bestimmt werden, oder sei es das eines Herolds oder einer Gesandtschaft oder von Beisitzern (sýnhedroi). Und ich werde nicht dieselbe Person zweimal dasselbe Amt oder zwei Ämter im gleichen Jahr innehaben lassen. Ich werde keine Geschenke wegen eines Rechtsverfahrens vor der Heliaia annehmen, nicht ich selbst, nicht ein anderer für mich und nicht eine andere mit meinem Wissen, nicht durch Trug oder List. (151) Ich bin nicht unter dreißig Jahre alt. Ich werde den Ankläger und den Angeklagten in gleicher Weise anhören und nur darüber abstimmen, was Gegenstand der Anklage ist. Ich schwöre bei Zeus, Poseidon und Demeter, und stelle mich unter den Fluch des Verderbens, mich und mein Haus, wenn ich dies übertrete, aber zu reichem Gut [möge es mir ausschlagen], wenn ich den Eid halte.]

Der Text des in Demosth. or. 24,149–151 eingelegten Eides ist in mehrfacher Hinsicht unglaubwürdig: Zwar ist der Schwur, gemäß den Gesetzen und Beschlüssen des Volks der Athener und des Rats der Fünfhundert abzustimmen, für die Geschworenen und auch für andere Institutionen nachgewiesen,115 aber für die solonische Zeit wird man voraussetzen dürfen, dass die Heliasten in ihrem Eid allein an die Satzungen Solons gebunden waren.116 Sich bei einer Abstimmung nicht für einen Tyrannen oder eine Oligarchie zu erklären und sich von niemandem überreden zu lassen, der die Demokratie zu stürzen beabsichtigt oder darauf abzielend vor Rat und Volk spricht oder Anträge zur Abstimmung stellt, kann sich vom Inhalt her nur auf Ratsmitglieder oder auf die Bürger in der Volksversammlung beziehen, also auf die Institutionen, in denen hochverräterische Anträge zur Abstimmung gebracht werden könnten. Dies gilt ebenso für Anträge, eine Neuverteilung des Landes und von Häusern vorzunehmen, Verbannte oder zum Tode Verurteilte nach Attika zurückzuführen oder Athener unrechtmäßig in die Verbannung zu treiben.117 Wenn zu dieser Bestimmung hinzugesetzt 115  Für die Geschworenen Demosth. or. 21,179: „ihr habt geschworen, gemäß den Gesetzen und den Beschlüssen des Volks und des Rats der Fünfhundert abzustimmen“. So auch Demosth. or. 19,179: ὀμωμόκατε ψηφιεῖσθαι κατὰ τοὺς νόμους καὶ τὰ ψηφίσματα τὰ τοῦ δήμου καὶ τῆς βουλῆς τῶν πεντακοσίων; ähnlich Demosth. or. 21,42; Deinarch. 1,84; Aischin. Ktes. 6. Dazu Hansen 1995, 176. Zum Ratseid s. o. F. 47. Auch die Archonten schworen, gemäß den Gesetzen zu handeln und keine Geschenke anzunehmen (Aristot. Ath. pol. 55,5). 116  Antiph. 5,8 zumindest nennt nur die Gesetze: κἂν ἀνωμότοις ὑμῖν καὶ μὴ κατὰ νόμον μηδένα – „auch wenn ihr nicht an euren Eid und an kein Gesetz gebunden wäret, …“. Ähnlich Poll. 8,122: ὁ δ’ ὅρκος ἦν τῶν δικαστῶν, περὶ μὲν ὧν νόμοι εἰσί, κατὰ τοὺς νόμους ψηφιεῖσθαι, περὶ δὲ ὧν μὴ εἰσί, γνώμῃ τῇ δικαιοτάτῃ. Da der Polluxtext aber Fehler enthalte, folgt ihm Fränkel (1878, 463) in diesem Punkt nicht. 117  Zusammengebunden sind entsprechende Bestandteile in dem Eid, den die Athener 446/5 v. Chr. gegenüber den Chalkidiern leisteten, allerdings als gemeinsamer Eid von Rat und Richtern (IG I3 40, Z. 4–16).

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ist, dass man solches weder selbst tun wird noch einem anderen dies zu tun gestattet, kann auch damit nur eine Rats- oder Volksversammlung gemeint sein, bei der man einem diesbezüglich vorgelegten Antrag mit einer Gegenrede entgegentreten konnte, nicht aber eine Gerichtsverhandlung, bei dem man einem Mitgeschworenen schlechterdings nicht in den Arm fallen konnte, wenn er seinen Stimmstein in die Amphore warf. Auch ist es Sache des Volkes und dazu bestellter Offizieller, Amtsträger wählen zu lassen und Losverfahren durchzuführen. Der Eid, keine Geschenke (dṓra) „wegen der Rechtsprechung“ (τῆς ἡλιάσεως ἕνεκα) anzunehmen, zielt vermutlich eher auf den gerichtsleitenden Amtsträger als auf die mehreren Hundert Geschworenen.118 Von dem in Demosth. or. 24,149–151 eingelegten Text mögen allenfalls die am Schluss genannten Eidesformeln für einen Geschworeneneid reklamiert werden, wobei die Angabe, über 30 Jahre alt zu sein, für Amtsträger und Geschworene gleichermaßen galt.119 Die Formulierung, als Geschworener solle man dem Kläger und dem Angeklagten gleichermaßen zuhören, ist der in Demosth. or. 18,7 (F 66c) ähnlich, stimmt aber nicht wörtlich überein.120 Da diese und die folgende Bestimmung, nur darüber abzustimmen, was Gegenstand der Klage war, allein auf Geschworene bezogen werden kann, mag darin authentisches Material, zumindest für die klassische Zeit, vorliegen.121 Dies mag auch für den abschließenden mit einer Selbstverfluchung versehene Eid bei

118  Allerdings ist in dem in Demosth. or. 46,26 eingelegten Gesetz eine Verfahrensregel überliefert, die sich gegen Bestechung von Angehörigen der (h)ēliaía, eines Gerichtshofs und des Rats richtet. Es könnte aber auch sein, dass die Bestimmung in Demosth. or. 24,150 der Formulierung bei den Archonten nachgebildet ist (vgl. Ath. pol. 55,5: δῶρα μὴ λήψεσθαι τῆς ἀρχῆς ἕνεκα). Ἡἡλίασις begegnet sonst nur in späteren Lexika (Harpokr. η 9 s. v. ἡλιαία καὶ ἡλίασις [= Suda η 218 s. v. ἡλιάζεσθαι δὲ καὶ ἡλίασίς ἐστι τὸ ἐν Ἡλιαίᾳ δικάζειν; Etym. M. 427,38; Suda η 219 s. v. ἡλιαία καὶ ἡλίασις]) und in den Geoponica (7,1,3). 119  Für die Geschworenen Aristot. Ath. pol. 63,3. Auch in diesem Fall würde man erwarten, dass im Heliasteneid auch die weitere Bestimmung enthalten wäre, nämlich kein Staatsschuldner und nicht ehrlos zu sein (δικάζειν δ’ ἔξεστιν τοῖς ὑπὲρ λʹ ἔτη γεγονόσιν, ὅσοι αὐτῶν [μ]ὴ ὀφείλουσιν τῷ δημοσίῳ ἢ ἄτιμοί εἰσιν; ebenso Poll. 8,122: ἐδίκαζον δ’ οἱ ὑπὲρ τριάκοντα ἔτη ἐκ τῶν ἐπιτίμων καὶ μὴ ὀφειλόντων τῷ δημοσίῳ). 120  Demosth. or. 24,151: καὶ ἀκροάσομαι τοῦ τε κατηγόρου καὶ τοῦ ἀπολογουμένου ὁμοίως ἀμφοῖν gegenüber Demosth. or. 18,7: παρασχὼν αὑτὸν ἴσον καὶ κοινὸν ἀμφοτέροις ἀκροατὴν. 121  Diese Bestandteile des Eids könnten aber auch aus den Gesetzen über die Tötung entnommen sein; bei Tötungsdelikten waren spezielle Eide vorgeschrieben. Der wegen der Ermordung des Herodes angeklagte Euxitheos wendet ein, dass er wegen kakourgía angeklagt worden sei, eigentlich aber wegen Tötung hätte angeklagt werden müssen. Bei einer Tötungsklage hätten Kläger und Zeugen in besonderer Weise vereidigt werden müssen, unter Berührung der Opfertiere, mit einer Selbstverfluchung der eigenen Person, der Familie und des Hauses und mit der Verpflichtung, keine anderen Punkte vorzubringen als die, die sich auf die Tötung beziehen. Dies sei nicht geschehen, und so sollten die Geschworenen den widerrechtlich nicht in dieser Weise vereidigten Zeugen keinen Glauben schenken (Antiph. 5,11 f.: τοῦτο δὲ δέον σε διομόσασθαι ὅρκον τὸν μέγιστον καὶ ἰσχυρότατον, ἐξώλειαν σαυτῷ καὶ γένει καὶ οἰκίᾳ τῇ σῇ ἐπαρώμενον, ἦ μὴν μὴ ἄλλα κατηγορήσειν ἐμοῦ ἢ εἰς αὐτὸν τὸν φόνον, … – „Andererseits musstest du den heiligsten und feierlichsten Eid schwören, indem du Verderben auf dich, deine Familie und dein Haus herabwünschst, dass du keine anderen Punkte in der Klage gegen mich vorbringen wirst als die, die sich auf den Mord selbst beziehen“). Zur Verpflichtung, zur Sache zu sprechen, siehe Peter J. Rhodes, Keeping to the Point, in: Edward Harris, Lene Rubinstein (Hrsg.), The Law and the Courts in Ancient Greece, London 2004, 137–158.

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Zeus, Poseidon (oder eher Apollon) und Demeter gelten.122 Zudem könnte die Bezeichnung hórkos hēliastṓn auf frühe Zeit zurückgehen.123 Auch die Selbstverfluchung der eigenen Person und der Angehörigen mag Bestandteil eines frühen Eids gewesen sein.124 Im Anschluss an Max Fränkel rekonstruierte Justus Hermann Lipsius für die klassi­ sche Zeit folgenden Eid: Ich will meine Stimme abgeben gemäß den Gesetzen und den Beschlüssen des Volkes von Athen und des Rates der Fünfhundert, in Fällen aber, über die es keine Gesetze gibt, nach gerechtester Überzeugung. Ich will Geschenke in meinem Richteramte weder selbst annehmen noch ein anderer oder eine andere für mich mit meinem Wissen, auf keinerlei Art und Weise. Ich will den Kläger und den Beklagten beide auf gleiche Weise anhören und mein Urteil nur auf den Gegenstand der Klage selbst richten. Das schwöre ich bei Zeus, bei Apollon, bei Demeter und wünsche Verderben auf mich und mein Haus herab, wenn ich etwas gegen meinen Eid tue, wenn ich ihm aber treu bleibe, werde mir viel Segen zuteil.125

122  Der eingelegte Text nennt als Schwurgötter Zeus, Poseidon und Demeter. Für glaubwürdiger gilt allerdings die Überlieferung bei Poll. 8,122, der Apollon patrṓos, Demeter und Zeus basileús nennt. So auch Demosth. or. 52,9, Schol. Aischin. Tim. 114: τοὺς ὁρκίους] Ἀπόλλωνα πατρῷον καὶ Δήμητραν καὶ Δία, ὥς φησι Δείναρχος ὁ ῥήτωρ (fr. 29), Schol. Aristoph. equ. 941 und Collectio verborum utilium e differentibus rhetoribus et sapientibus multis (Lex. Segueriana) p. 443,24 Bekker, α 2113 Cunningham: Ἄρδηττος: τόπος ἐστὶν Ἀθήνῃσιν, ἐν ᾧ πάντες Ἀθηναῖοι δημοσίᾳ ὤμνυον τὸν ὅρκον τὸν ἡλιαστικόν. Θεόφραστος δὲ ἐν τοῖς περὶ νόμων καταλελύσθαι τὸ ἔθος τοῦτο λέγει. εἴρηται δὲ Ἄρδηττος ἀπὸ Ἀρδήττου ἥρωος, ὃς Ἀθηναίους στασιάζοντας εἰς ὁμόνοιαν συνῆψεν. ἐν τούτῳ δὴ τῷ χωρίῳ ὤμνυον οἱ δικασταὶ τὸν δικαστικὸν ὅρκον. τρεῖς δὲ θεοὺς ὤμνυον, Δία, Δήμητραν καὶ Ἥλιον (mit Helios anstelle von Apollon). Ohne Spezifizierung sind ‚Schwurgötter‘ (οί ὅρκιοι θεοί) außer in Aischin. Tim. 114 in Thuk. 1,78,4 genannt. Dazu Fränkel 1878, 459–461; Lipsius 1905–15, 152 f. Zeus, Poseidon und Demeter begegnen als Schwurgötter in einem Beschluss des Demos Aixone, in dem es um Schlichtungsverfahren bezüglich der Verpachtung von Weiderechten geht; kam es zu einem Verfahren vor einem Gerichtshof, wurde der Demos durch den Demarchen und sýndikoi vertreten (IG II2 1196 von 326/5 v. Chr.; David Whitehead, The Demes of Attica, 508/7 – ca. 250 B. C. A Political and Social Study, Princeton/New Jersey 1086, 113 f., 129). 123  Lipsius 1905–15, 150 gibt zu bedenken, dass in den Gerichtsreden stets nur von den Geschworenen als dikastaí gesprochen wird. Hēliastaí sind nur in Demosth. or. 24,148 und Hyp. Eux. (or. 3), 40 belegt sowie in dem in Demosth. or. 24,21 eingelegten Gesetz, also nur in der Wendung ὁ τῶν ἡλιαστῶν ὅρκος bzw. ἡλιαστικὸς ὅρκος (vgl. Harpokr. α 229 s. v. Ἀρδηττός; Anecd. gr. p. 443,24 Bekker, α 2113 Cunningham; Schol. Demosth. or. 24,63.288a.296). Vgl. demgegenüber Aischin. Ktes. 6 (καὶ ὁ νομοθέτης τοῦτο πρῶτον ἔταξεν ἐν τῷ τῶν δικαστῶν ὅρκῳ, „ψηφιοῦμαι κατὰ τοὺς νόμους,“) und spätere Lexika, z. B. Anecd. gr. (Lexica Segueriana) p. 142,18; 184,10, p. 207,5 Bekker: δικαστικὸς ὅρκος. 124  So auch Hansen 1995, 188. Lipsius 1905–15,152 f. Anm. 56 weist darauf hin, dass die Form ἐπομνύναι nicht die gesprochene Eidesformel gewesen sein kann, sondern allenfalls ein Volksbeschluss, der den Geschworenen einen solchen Eid auferlegt. 125  Lipsius 1905–15, 152 nach Fränkel 1878: Ψηφιοῦμαι κατὰ τοὺς νόμους καὶ τὰ ψηφίσματα τοῦ δήμου τοῦ Ἀθηναίων καὶ τῆς βουλῆς τῶν πεντακοσίων. περὶ ὧν δ᾽ ἂν νόμοι μὴ ὦσι, γνώμῃ τῇ δικαιοτάτῃ. … οὐδὲ δῶρα δέξομαι τῆς ἡλιάσεως ἕνεκα οὔτ’ αὐτὸς ἐγὼ οὔτ’ ἄλλος ἐμοὶ οὔτ’ ἄλλη εἰδότος ἐμοῦ, οὔτε τέχνῃ οὔτε μηχανῇ οὐδεμιᾷ. καὶ ἀκροάσομαι τοῦ τε κατηγόρου καὶ τοῦ ἀπολογουμένου ὁμοίως ἀμφοῖν, καὶ διαψηφιοῦμαι περὶ αὐτοῦ οὗ ἂν ἡ δίωξις ᾖ. ἐπομνύναι Δία, Ἀπόλλωνα, Δήμητρα, καὶ ἐπαρᾶσθαι ἐξώλειαν ἑαυτῷ καὶ οἰκίᾳ τῇ ἑαυτοῦ, εἴ τι τούτων παραβαίνοι, εὐορκοῦντι δὲ πολλὰ κἀγαθὰ εἶναι. Max Fränkel hatte zusätzlich noch aus

Historische Einordnung – Der Eid der Heliasten und der Thesmotheten (F 66–67)

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F 66c: Demosthenes, Über den Kranz (or. 18) 2, 6–7 (330 v. Chr.) (2) … καὶ τὸν ὅρκον, ἐν ᾧ πρὸς ἅπασι τοῖς ἄλλοις δικαίοις καὶ τοῦτο γέγραπται, τὸ ὁμοίως ἀμφοῖν ἀκροάσασθαι. τοῦτο δ’ ἐστὶν οὐ μόνον τὸ μὴ προκατεγνωκέναι μηδέν, οὐδὲ τὸ τὴν εὔνοιαν ἴσην ἀποδοῦναι, ἀλλὰ τὸ καὶ … (6) περὶ τούτων δ’ ὄντος τουτουὶ τοῦ ἀγῶνος ἀξιῶ καὶ δέομαι πάντων ὁμοίως ὑμῶν ἀκοῦσαί μου περὶ τῶν κατηγορημένων ἀπολογουμένου δικαίως, ὥσπερ οἱ νόμοι κελεύουσιν, οὓς ὁ τιθεὶς ἐξ ἀρχῆς Σόλων, εὔνους ὢν ὑμῖν καὶ δημοτικός, οὐ μόνον τῷ γράψαι κυρίους ᾤετο δεῖν εἶναι, ἀλλὰ καὶ τῷ τοὺς δικάζοντας ὀμωμοκέναι, (7) οὐκ ἀπιστῶν ὑμῖν, ὥς γ’ ἐμοὶ φαίνεται, ἀλλ’ ὁρῶν ὅτι τὰς αἰτίας καὶ τὰς διαβολάς, αἷς ἐκ τοῦ πρότερος λέγειν ὁ διώκων ἰσχύει, οὐκ ἔνι τῷ φεύγοντι παρελθεῖν, εἰ μὴ τῶν δικαζόντων ἕκαστος ὑμῶν τὴν πρὸς τοὺς θεοὺς εὐσέβειαν φυλάττων καὶ τὰ τοῦ λέγοντος ὑστέρου δίκαια εὐνοϊκῶς προσδέξεται, καὶ παρασχὼν αὑτὸν ἴσον καὶ κοινὸν ἀμφοτέροις ἀκροατὴν οὕτω τὴν διάγνωσιν ποιήσεται περὶ ἁπάντων. App. crit.: (2) ἀκροάσασθαι S, ἀκροᾶσθαι cett., ἀκροάσεσθαι Spengel; ἀμφοτέροις post ἴσην add. vulg. S γρ., om. SL1; τὸ καὶ SL, καὶ τὸ vulg. (6) τιθεὶς: θεὶς Dobree; (7) φυλάττων SL1, διαφυλάττων vulg.; ὑστέρου S1L2A, ὕστερον L1 vulg.

(2) … und den Eid (hórkos), in dem über alle anderen zuträglichen [Bestimmungen] hinaus auch dies festgeschrieben ist, gleichermaßen beiden Seiten Gehör zu schenken. Dies bedeutet aber nicht nur, keine Vorverurteilung zu hegen, und auch nicht nur, beiden das gleiche Wohlwollen (eúnoia) entgegenzubringen, sondern auch … (6) Da es aber in diesem Prozess eben darum geht, so bitte ich euch alle inständig, meine Verteidigung gegen die erhobenen Anklagen mit gerechtem Sinn anzuhören, so wie die Gesetze (nómoi) es anordnen, denen ihr Stifter Solon, wohlgesinnt gegen euch und ein Mann des Volkes, nicht allein dadurch höchste Geltung zu verschaffen suchte, dass er sie schriftlich niederlegte, sondern auch dadurch, dass die Richter (hoi dikázontes) einen Eid ablegten, (7) nicht etwa aus Misstrauen euch gegenüber, wie mir scheint, sondern weil er erkannte, dass der Angeklagte die Beschuldigungen und die Verleumdungen, welchen der Kläger dadurch, dass er als erster redet, großes Gewicht verleiht, unmöglich entkräften könne, wenn nicht jeder von euch [Geschworenen], eingedenk der frommen Pflicht (eusébeia) den Göttern gegenüber, die Argumente auch des später Sprechenden mit Wohlwollen (eunoïkṓs) aufnimmt, und so, sich beiden Parteien als gleichgesinnt erweisend, sein entscheidendes Urteil über das Ganze fällt.126

F 66d: Lukianos von Samosata, Calumniae non temere credendum 8 (2. Jh. n. Chr.) ἐσχάτης ἀδικίας τὸ τοιοῦτον, ὡς φαῖεν ἂν καὶ οἱ ἄριστοι τῶν νομοθετῶν, οἷον ὁ Σόλων καὶ ὁ Δράκων, ἔνορκον ποιησάμενοι τοῖς δικασταῖς τὸ ὁμοίως ἀμφοῖν ἀκροᾶσθαι καὶ τὸ τὴν εὔνοιαν ἴσην τοῖς κρινομένοις ἀπονέμειν, ἄχρι ἂν ὁ τοῦ δευτέρου λόγος παρατεθεὶς θατέρου χείρων ἢ ἀμείνων φανῇ· πρὶν δέ γε ἀντεξετάσαι τὴν ἀπολογίαν τῇ κατηγορίᾳ, παντελῶς ἀσεβῆ καὶ ἀνόσιον ἡγήσαν­ το ἔσεσθαι τὴν κρίσιν.

Demosth. or. 57,64 καὶ οὔτε χάριτος ἕνεκ’ οὔτ’ ἔχθρας als echt anerkannt, dafür aber die Bestimmung zu den Bestechungen als unecht abgelehnt und die Schwurformel in anderem Wortlaut rekonstruiert. Siehe dazu die kritische Stellungnahme von Bonner/Smith 1930–38, 153–154. 126  Übersetzung nach Walter Zürcher.

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Verfahrensrecht

Dies [Verleumdungen sich anzuhören, aber nicht die darauf geäußerten Erwiderungen] ist ein schweres Unrecht, wie es den besten Gesetzgebern (nomothétai) schien, so wie Solon oder Drakon, die die Richter in einem Eid verpflichteten, jeder Partei, über die geurteilt wird, gleichermaßen zuzuhören und beiden Wohlwollen (eúnoia) entgegenzubringen, solange bis auch der zweite seine Argumente vorgelegt hat und schlechter oder besser als der andere erscheint. Bevor nicht die Verteidigung als Antwort auf die Anschuldigungen geprüft worden war, hielten sie es für unheilig und ungerecht, ein Urteil zu fällen.

F 66e: Libanios, Declamationes 1,9 (V p. 18,10 Förster) (4. Jh. n. Chr.) ταῦτα γὰρ δήπου καὶ ὁ Σόλων εἰδὼς καὶ νομίζων τῶν ἀγωνιουμένων τοὺς μὲν ἐν φίλοις τοῖς δικάζουσι δώσειν λόγον, τοὺς δὲ ἐν χαλεπῶς ἔχουσιν, ἵνα μηδετέρωθεν καταβλάπτοιτο τὸ δίκαιον, ὅρκον ἔταξεν οὐκ ἐῶντα χάριν ἢ δυσμένειαν ἤ τινα πρόφασιν ἄλλην ἄδικον ἐνοχλῆσαι τῇ κρίσει. App. crit.: ὁ inseruit Förster ex Ath.UB, om. cett.; λόγον δώσειν Ath; μηδ᾽ ἑτέρωθεν AthVa, μὴ δ᾽ ἑτέρωθεν UB; ἐνοχλήσειν UVaB.

Solon war sich dessen bewusst und meinte, dass nicht wenige von denen, die sich einem Prozess zu stellen haben, ihre Rede entweder vor ihnen zugewandten oder ihnen feindlich gesonnenen Geschworenen halten würden. Damit das Recht nicht durch Einseitigkeit beeinträchtigt werde, forderte er einen Eid (hórkos), der weder eine Gunst noch einen Unwillen oder andere unangemessene Voreingenommenheit zuließ, um das Urteil nicht zu beeinträchtigen.

F 67 Eid der Thesmotheten (F 67a: T 305 Martina; F 65d: T 309 Martina)

F 67a: Aristoteles, Athenaion politeia 7,1–2 (320er Jahre) (1) ἀναγράψαντες δὲ τοὺς νόμους εἰς τοὺς κύρβεις ἔστησαν ἐν τῇ στοᾷ τῇ βασιλείῳ καὶ ὤμοσαν χρήσεσθαι πάντες. οἱ δ’ ἐννέα ἄρχοντες ὀμνύντες πρὸς τῷ λίθῳ κατεφάτιζον ἀναθήσειν ἀνδριάντα χρυσοῦν, ἐάν τινα παραβῶσι τῶν νόμων· ὅθεν ἔτι καὶ νῦν οὕτως ὀμνύουσι. (2) κατέκλεισεν δὲ τοὺς νόμους εἰς ἑκατὸν ἔτη καὶ διέταξε τὴν πολιτείαν τόνδε ‹τὸν› τρόπον. … App. crit.: κατεκληισεν PLond; τὸν suppl. Blass, cet.

(1) Man schrieb die Gesetze (nómoi) auf die kýrbeis, stellte sie in der stoá basíleios auf, und alle schworen, sie einzuhalten. Die neun Archonten beteuerten in ihrem Eid vor dem Stein feierlich, ein goldenes Standbild zu weihen, wenn sie eines der Gesetze überträten. Daher schwören sie auch jetzt noch in gleicher Weise. (2) Er [Solon] bestimmte, dass seine Gesetze hundert Jahre lang unverändert gelten sollten und richtete die politische Ordnung (politeía) folgendermaßen ein: …

F 67b: Aristoteles, Athenaion politeia 55,5 (320er Jahre) δοκιμασθέν‹τες› δὲ τοῦτον τὸν τρόπον, βαδίζουσι πρὸς τὸν λίθον ἐφ’ ο[ὗ] τὰ τόμι’ ἐστίν, ἐφ’ οὗ καὶ οἱ διαιτηταὶ ὀμόσαντες ἀποφαίνονται τὰς διαίτας, καὶ οἱ μάρτυρες ἐξόμνυνται τὰς μαρτυρίας· ἀναβάντες δ’ ἐπὶ τοῦτον ὀμνύουσιν δικαίως ἄρξειν καὶ κατὰ τοὺς νόμους, καὶ δῶρα μὴ λήψεσθαι τῆς ἀρχῆς ἕνεκα, κἄν τι λάβωσι ἀνδριάντα ἀναθήσειν χρυσοῦν. ἐντεῦθεν δ’ ὀμόσαντες εἰς ἀκρόπολιν βαδίζουσιν καὶ πάλιν ἐκεῖ ταὐτὰ ὀμνύουσι, καὶ μετὰ ταῦτ’ εἰς τὴν ἀρχὴν εἰσέρχονται.

Historische Einordnung – Der Eid der Heliasten und der Thesmotheten (F 66–67)

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App. crit.: δοκιμασθεν PLond, δοκιμασθέντες Rutherford, edd.; εφ potius quam υφ PLond et ο[υ] potius quam ω, ᾧ Poll., Blass, Kaibel et Wilamowitz

Sind die Kandidaten auf diese Weise geprüft, gehen sie zu dem Stein, auf dem das Opferfleisch liegt; dort leisten auch die Schiedsrichter (diaitētaí) einen Eid, bevor sie ihre Schiedssprüche fällen, und die Zeugen weisen dort ihnen zugeschriebene Zeugnisse mit einem Eid zurück. Auf diesen Stein treten die Amtsträger und schwören, ihr Amt gerecht und gemäß den Gesetzen auszuüben, keine Geschenke aufgrund ihres Amts anzunehmen und, falls sie doch etwas annähmen, ein goldenes Standbild zu weihen. Nach diesem Schwur gehen sie von da aus zur Akropolis und legen dort noch einmal den gleichen Eid ab, und danach treten sie ihr Amt an.

F 67c: Herakleides Lembos, Excerpta politiarum 8 (2. Jh. v. Chr.) εἰσὶ δὲ καὶ θʹ ἄρχοντες, θεσμοθέται ϛʹ, οἱ δοκιμασθέντες ὀμνύουσι δικαίως ἄρξειν καὶ δῶρα μὴ λήψεσθαι ἢ ἀνδριάντα χρυσοῦν ἀναθήσειν. ὁ δὲ βασιλεὺς τὰ κατὰ τὰς θυσίας διοικεῖ καὶ τὰ πολέμια. App. crit.: πολέμια Vda, πολέμ g, πολέμου b.

Es gibt auch neun Archonten, sechs Thesmotheten, die, wenn sie auf ihre Amtsfähigkeit geprüft werden, schwören, das Amt gerecht auszuüben, keine Geschenke anzunehmen oder [bei Zuwiderhandlungen] ein goldenes Standbild aufzustellen. Der ‚König‘ (basileús) aber kümmert sich um die Angelegenheiten, die die Opfer betreffen, und um die kriegerischen Angelegenheiten.

F 67d: Plutarch, Solon 25,3 (um 100 n. Chr.) κοινὸν μὲν οὖν ὤμνυεν ὅρκον ἡ βουλὴ τοὺς Σόλωνος νόμους ἐμπεδώσειν, ἰδίως δ’ ἕκαστος τῶν θεσμοθετῶν ἐν ἀγορᾷ πρὸς τῷ λίθῳ, καταφατίζων, εἴ τινα παραβαίη τῶν θεσμῶν, ἀνδριάντα χρυσοῦν ἰσομέτρητον ἀναθήσειν ἐν Δελφοῖς. App. crit.: ἴδιον ϒ; τινα: Aristot. Ath. pol. 7,1: τι.

Der Rat schwur einen gemeinschaftlichen Eid (koinós hórkos), die Gesetze (nómoi) Solons einzuhalten, ein jeder der Thesmotheten aber einzeln (idíōs) auf der Agora vor dem Stein, indem er feierlich gelobte, wenn er eine der Satzungen (thesmoí) überträte, ein goldenes, lebensgroßes Standbild in Delphi zu weihen.

Der Stein, auf dem die Amtsträger ihren Schwur leisteten, ist bei den Ausgrabungen auf der Agora vor der Stoa Basileios freigelegt worden.127 Bei dem Eid auf der Akropolis könnte es sich um den ursprünglichen Eid handeln, da möglicherweise die Gesetze zu127  Rhodes 1981, 135 f., 620. In Demosth. or. 54,26 geht es um den Schwur beim Schiedsverfahren (díai­ ta); um das Verfahren zu behindern habe Konon die Zeugnisse nicht vorgelegt, das Verfahren in die Länge gezogen und die anwesenden Zeugen einzeln „an dem Stein“ den Eid ablegen lassen; dazu erläutert Harpokration, dass die Athener die Eide „an dem Stein“ ablegen ließen, wie Aristoteles in der Athenaion politeia (fr. 416 Rose; vgl. 7,1; 55,5 allerdings mit Bezug auf die Archonten) und Philochoros im dritten Buch (FgrH 328 F 21) erwähnen (λ 20 s. v. λίθος [T 310 Martina]· Δημοσθένης ἐν τῷ Κατὰ Κόνωνος: „τῶν τε παρόντων καθ’ ἕνα ἡμῖν οὑτωσὶ καὶ πρὸς τὸν λίθον ἄγοντες καὶ ἐξορκοῦντες“. ἐοίκασι δ’ Ἀθηναῖοι πρός τινι λίθῳ τοὺς ὅρκους ποιεῖσθαι, ὡς Ἀριστοτέλης ἐν τῇ Ἀθηναίων πολιτείᾳ καὶ Φιλόχορος ἐν τῷ γʹ ὑποσημαίνουσιν).

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nächst auf der Akropolis aufgestellt waren und die Stoa Basileios erst in nachsolonischer Zeit errichtet worden war.128 Ungewiss muss bleiben, ob der Schwur, die Gesetze einzuhalten, von allen Athenern geleistet wurde (so in der Athenaion politeia 7,1) oder nur von den Amtsinhabern und den Richtern in den unterschiedlichen Gerichtshöfen. P. J. Rhodes verweist auf die literarisch und inschriftlich überlieferten Eide in Athen der Jahre 410 und 403 und in Megara, Kyrene, Mytilene und Tegea sowie der taurischen Chersones und Kalymnos, die tatsächlich allen Bürgern auferlegt waren. Vor den Reformen des Kleisthenes hätten die Eide in den Phratrien abgenommen werden können.129 Die Verpflichtung, ein goldenes Standbild zu weihen, bestand vermutlich für das Vergehen, Bestechungsgelder angenommen zu haben (so in F 67b), nicht auf Gesetzesübertretungen allgemein.130 Denn bei Untätigkeit im Amt, argía, war die Strafsumme auf einhundert Drachmen festgelegt, bei dreifach nachgewiesener Untätigkeit drohte die Atimie. V 5 Eid und Beweismittel im Prozess Historische Einordnung Bereits Drakon hat für die Verfahren bei Tötungsdelikten beiden Prozessparteien einen Eid (diōmosía) auferlegt. Vermutlich richtete sich die Entscheidung der ephétai vorrangig danach, wer den besseren Eid geschworen hatte.131 In den Lexeis Rhetorikai ist die Überlieferung bewahrt, dass Solon dem Beklagten und dem, der einen anderen zur Rechenschaft zog, einen Eid auferlegt hat, allerdings für den Fall, dass keine schriftlichen Abmachungen (symbólaia) vorgelegt noch Zeugen (mártyres) beigebracht wurden (F 68b).132 Dieser lexikalische Eintrag verweist auch darauf, dass neben dem Eid der Parteien Verträge und Zeugen die wichtigsten Beweismittel im Prozess waren.133 128  Rhodes 1981, 621. 129  Rhodes 1981, 135. Ein allen Trojanern auferlegter Eid ist bereits in der Ilias bezeugt (Hom. Il. 22,111 ff.); vgl. dazu Fritz Gschnitzer, König, Rat und Volk bei Homer, in: ders., Kleine Schriften zum griechischen und römischen Altertum, Bd. 1, Stuttgart 2001, 182–198 (zuerst 1980), hier 188 f. 130  Rhodes 1981, 135. 131  Latte 1930, 2037: „Sowohl vor dem Areopag wie am Palladion beschwören die Zeugen nicht den Inhalt ihrer Aussage, sondern ihre Überzeugung von der Schuld oder Unschuld des Angeklagten. … Der Inhalt ihres Eids deckt sich völlig mit dem der Parteien bei Mordprozessen (…). Daraus ergibt sich, daß die Zeugen hier ursprünglich als Eidhelfer zu verstehen sind“. 132  Zu den symbólaia zählten nicht nur Verträge, sondern nach Isai. 4,12 auch Testamente. In engerem Sinne konnten Darlehensverträge gemeint sein (Lys. 12,98; Demosth. or. 27,27). Eine Gruppe von Reden des Lysias war unter der Bezeichnung λόγοι τῶν συμβολαίων zusammengefasst (Athen. 13,93, p. 611d). Auch in Aristot. pol. 3,1, 1275b 9 f. sind – für Sparta – αἱ τῶν συμβολαίων δίκαι den φονικαί an die Seite gestellt. Vgl. Plut. apophthegm. Lac. Eurykratidas (mor. 221b). 133  Aristoteles listet in rhet. 1,15, 1375a 24 f. als Beweismittel vor Gericht Gesetze, Zeugen, Verträge, Folter (bei Sklaven) und Eide auf (νόμοι, μάρτυρες, συνθῆκαι, βάσανοι, ὅρκοι). Dazu Gerhard Thür, Beweisführung vor den Schwurgerichtshöfen Athens. Die Proklesis zur Basanos, Wien 1977, 9–13.

Historische Einordnung – Eid und Beweismittel im Prozess (F 68–73)

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In Entsprechung dazu haben antike Quellen Solon eine gesetzliche Bestimmung zugeschrieben, die vertraglichen Vereinbarungen Rechtskraft verlieh. Der römische Jurist Gaius verweist auf das Zwölftafelrecht bei der Bestimmung, dass jeder Vertrag (pactio) rechtsgültig sei, wenn er nicht öffentlichem Recht entgegenstehe, und meint, diese Bestimmung hätten die Römer aus dem solonischen Recht übernommen, wo es wörtlich heiße: Was aber eine Dorfgemeinde (dḗmos) oder phrátores oder Künder orgiastischer Bräuche (mēnytaí hierṓn orgíōn) oder Teilnehmer eines Gastmahls (sýssitoi) oder Besitzer einer gemeinsamen Grabstätte (homótaphoi) oder Kultgenossen (thiasṓtai) oder Seeleute, die um Beute [zu gewinnen] oder Handel [zu treiben] aussegeln, untereinander abmachen, das soll Gültigkeit haben, wenn es nicht durch öffentliche Verordnung (dēmósia grámmata) untersagt ist. (F 69)

Abmachungen dieser Art hatten Rechtskraft, konnten also im Prozess als Beweismittel vorgelegt werden. Auch Zeugen waren – neben den Angehörigen der Familie, wenn es sich um Erbschaftsangelegenheiten handelte, – vielfach Nachbarn, Phratriemitglieder und Demos­ angehörige, die als ‚Wissende‘ vor Gericht Zeugnis ablegten.134 Nach Aelius Dionsyius (F 70b) soll nicht nur Solon, sondern auch schon Drakon das Wort idyíoi (ἰδυῖοι; im Akkusativ Plural idýous, wörtlich ‚Wissenden‘) im Sinne von ‚Zeugen‘ (mártyres) verwendet haben. In der Rede des Lykurgos Gegen Leokrates bezeugen Nachbarn und an der Küste Wohnende, dass Leokrates im Krieg geflohen sei und Athen zu Schiff verlassen habe. Er soll seine Habe zusammengepackt und auf einen Kahn geladen haben; er selbst habe spät am Abend mit seiner Hetäre das Schiff bestiegen. All dies blieb den Nachbarn nicht verborgen.135 In diesem Fall treten Nachbarn als ‚zufällige Zeugen‘ auf, die ein einmaliges Vorkommnis bezeugen sollen.136 In vielen anderen Fällen – z. B. bei 134  Ps.-Lysias 20,23: ὡς συνειδότες ἂν εἴποιεν οἱ δημόται. Ähnlich Lys. 17,8: ἔπειτα τοῦ Κικυννοῖ τοὺς γείτονας, οἳ ἴσασιν … Eine Zusammenstellung aller Belege für die in Prozessen vorgelegten Zeugnisse und eine Auswertung hinsichtlich der Unterschiede in Privat- und Strafverfahren sowie zu den jeweiligen Beziehungen zwischen Zeugen und Klägern bzw. Angeklagten siehe Lene Rubinstein, Main Litigants and Witnesses in the Athenian Courts: Procedural Variations, in: Symposion 2001. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Evanston, Illinois, 5.–8. September 2001), hrsg. von Robert W. Wallace, Michael Gagarin, Wien 2005, 99–120; vgl. auch Gerhard Thür, Response to Lene Rubinstein, in: ebd. 121–124; Sarah C. Humphreys, Social Relations on Stage. Witnesses in Classical Athens, in: History and Anthropology 1, 1985, 313–369; Stephen C. Todd, The Purpose of Evidence in Athenian Courts, in: Paul A. Cartledge, Paul Millett, Stephen C. Todd (Hrsg.), Nomos. Essays in Athenian Law. Politics and Society, Cambridge 1990, 19–39. 135  Lykurg. Leokr. 17; 19: τὰς (scil. μάρτυρας) τῶν γειτόνων καὶ τῶν ἐν τῷ τόπῳ τούτῳ κατοικούντων, οἳ τοῦτον ἴσασιν ἐν τῷ πολέμῳ φυγόντα καὶ ἐκπλεύσαντα Ἀθήνηθεν. 136  Zur umstrittenen Frage, ob im Recht von Gortyn ‚zufällige Zeugen‘ zugelassen waren, Michael Gagarin, The Function of Witnesses at Gortyn, in: Symposion 1985. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Ringberg, 24.–26. Juli 1985) hrsg. von Gerhard Thür, Köln/Wien 1989, 29–54 (er plädiert gegen Kurt Latte für die Zulassung solcher Zeugen).

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Verfahrensrecht

dem Nachweis der Rechtmäßigkeit einer Ehe, der ehelichen Abstammung, der Adoption, der Eintragung in das Gemeinderegister oder der Ausübung politischer Rechte – handeln sie als ‚Gemeindezeugen‘ bzw. ‚Nachbarzeugen‘.137 So ließ sich der Sohn des Teisias, der sich in einer díkē blábēs zu verantworten hatte, von Dorfbewohnern berichten, aus welchem Anlass sein Vater vor über fünfzehn Jahren sein Gut durch eine Mauer eingefriedet hatte. Vor den Geschworenen trägt er vor, „wie ich es von Wissenden gehört habe“,138 und lässt deren Zeugenaussagen verlesen.139 Als ‚gezogene‘ bzw. ‚Sollemnitätszeugen‘ werden solche Zeugen bezeichnet, „die bei der Vornahme einer Rechtshandlung zur Beurkundung hinzugezogen werden müssen“.140 Belegt sind solche Zeugen bei der Veräußerung von Grundbesitz. In griechischen Poleis waren Kauf und Verkauf von solch strategischem Besitz rechtlich geregelt und unter öffentliche Kontrolle gestellt. Der Verkauf von Land musste vorher durch einen Herold bekannt gegeben werden, oder eine Behörde mit Aufsichtspflicht wurde eingeschaltet. So sorgten im thrakischen Ainos Eid und Opfer für die Bekanntmachung; mit Eid und Opfer war der Vollzug des Kaufs rechtsgültig. Durch solche Kontrollmaßnahmen sollte es jedem möglich sein, Ansprüche auf das betreffende Haus oder Grundstück zu erheben. Aus Gortyn ist ein Beschluß über die Pfändung von Grund und Boden inschriftlich erhalten, der Nachbarn als Sollemnitätszeugen fordert. Wenn der Schuldner behauptet, die zu pfändenden Bäume und Häuser gehörten nicht ihm, sollen „neun der Nachbarn, die die nächstgelegenen Grundstücke besitzen“ (τῶν ὀμόρον ἐννέα οἰ ἐπάνκιστα πεπαμένοι), schwören, dass der Grund nicht dem zu Pfändenden gehört, sondern einem Dritten. Drei der neun Nachbarn müssen schwören, ob der Schuldner in dem Haus wohnt, aus dem gepfändet werden soll.141 Bei Stobaios ist ein längeres Fragment des Theophrast, vielleicht aus seinen Nomoi, erhalten, das in einem Kapitel „Über Verträge“ (περὶ συμβολαίων) ähnliche Regelungen behandelt.142 Besonders aufschlußreich ist die von Theophrast aufgegriffene Bestimmung aus dem 443 neugegründeten Thurioi. Kauf und Verkauf von Land vollziehe 137  Als solche werden in der Rechtsgeschichte ‚Wissende‘ bezeichnet, „die aufgrund ihrer Lebensstellung, insbesondere in ihrer Eigenschaft als Nachbarn und Gemeindegenossen, über orts- und gemeindekundige Verhältnisse Zeugnis geben und in der Regel ihre Aussage beschwören“. Dabei handelt es sich stets „um Fälle, die den Beweis sachen- oder personenrechtlicher Zustände von gewisser Dauer zum Gegenstand haben“ (W. Sellert, Art. Gemeindezeugen, Gemeindezeugnis, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte 1, 1971, 1499–1503, hier 1500; K. Mencke, Art. Nachbarzeugen, Nachbarzeugnis, in: ebd. 3, 1984, 819 f.). 138  Demosth. or. 55,11: ὡς ἐγὼ τῶν εἰδότων ἀκούω. 139  Demosth. or. 55,12.14. Auch in Ps.-Demosth. or. 43,35–46 wird immer wieder auf das ἀκούειν und das εἰδέναι hingewiesen. 140  Latte 1920, 28; ders. 1930, 2033 f. 141  ICret IV 81 Z. 1–3. Dazu Josef Kohler, Erich Ziebarth, Das Stadtrecht von Gortyn und seine Beziehungen zum gemeingriechischen Rechte, Göttingen 1912, 83; 86; Latte 1920, 12–15; ders. 1930, 2033; Gagarin/Perlman 2016, G81, S. 448 f. 142  Eine ausführliche Erörterung dieses Fragments bei Partsch 1921. Vgl. Otto Regenbogen, Art. Theophrastos, in: RE Suppl. VII, 1940, 1354–1562, hier 1520, und Herbert Bloch, Studies in Historical Litera-

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sich nicht auf der Agora wie bei Verkäufen anderer Art, also nicht unter der Kontrolle der gesamten Öffentlichkeit, sondern Käufer und Verkäufer müssten den drei nächsten der Nachbarn einen geringen Geldbetrag geben.143 Die gesamte Kaufsumme müsse noch am selben Tag beigebracht werden. Die Nachbarn sind Zeugen des Rechtgeschäfts und machen sich schuldig, wenn sie die Annahme des ‚Zeugengeldes‘ verweigern, den Betrag zweimal vom selben Verkäufer annehmen (dieser also ein und dasselbe Grundstück an zwei verschiedene Personen verkaufen will) oder den Erhalt des Betrags verleugnen.144 Die Nachbarn sind in diesem Falle die einzige, aber notwendig geforderte Publizitätsform für den Grundstückskauf. Sie sind Vertreter der Gesamtgemeinde, die durch ihren angrenzenden Besitz und ihre Kenntnisse am besten beurteilen können, wem der zu verkaufende Besitz gehört, ob er verschuldet ist, ob also der Kontrakt rechtmäßig zustande kommt. Ähnliche Bestimmungen, die Nachbarn als Sollemnitätszeugen bei Eigentumsübertragungen forderten, gab es in Olymos und Mylasa.145 Eberhard Ruschenbusch sieht in den idýoi als ‚Wissende‘ solche Sollemnitätszeugen, die bei Rechtsakten wie der Errichtung eines Testaments oder bei Verträgen hinzugezogen werden müssen.146 In klassischer Zeit leisteten die Zeugen keinen Eid; nur bei Tötungsdelikten leisteten sie denselben Eid wie Kläger und Angeklagter auf Schuld oder Unschuld des Beklagten.147 Literatur Lipsius 1905–15, 568–570, 683 f. (symbólaia), 876–879, 885–888 (Zeugen); Kurt Latte, Heiliges Recht. Untersuchungen zur Geschichte der sakralen Rechtsformen in Griechenland, Tübingen 1920; Josef Partsch, Die griechische Publizität der Grundstücksverträge im Ptolemäerrechte, in: Festschrift für Otto Lenel, Leipzig 1921, 77–137; Kurt Latte, Art. μαρτυρία, in: RE 14, 1930, 2032– 2039; Harrison 1968–71, Bd. 2, 145–147; Schmitz 2004, 426–431.

ture of the Fourth Century B. C., in: Athenian Studies Presented to William Scott Ferguson, Cambridge 1940, 355–376, hier 359 f. 143  Siehe Theodor Thalheim, Lehrbuch der griechischen Rechtsaltertümer, Freiburg/Leipzig 41895, 147: „man solle gemeinschaftlich den drei nächsten Nachbarn eine geringe Münze geben“; und: „Wer die Münze giebt, ob Käufer oder Verkäufer erscheint bei der Geringfügigkeit ihres Werts ohne Belang“. Wichtig sei, dass sich beide Parteien des Zeugnisses der Nachbarn versichern. 144  Theophrast F 97 Wimmer (von Hager den Nomoi zugeschrieben [F 21 Hager]; aus Stob. Flor. 44,20 [IV p. 128,8–15 Hense]). Partsch 1921, 88–98; 88: Angesichts des mangelhaften Urkundenwesens haben die Nachbarn die Rolle des lebenden Grundbuchs. Sie kennen die Eigentümer und sollen das Verfügungsrecht des Veräußerers erhärten. 145  Latte 1920, 29. Zu Nachbarzeugen in Mylasa und Olymos Wolfgang Blümel, Die Inschriften von Mylasa 1–2 (Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 34–35), Bonn 1987–88, Nr. 217 Z. 19; vgl. Nr. 204 Z. 13; 214 Z. 4 f., 14; 217 Z. 1 f.; 805 Z. 3; 836 Z. 2; 841 Z. 4; 903 Z. 16; 19. 146  Ruschenbusch 2010, 81. 147  Gerhard Thür, Art. Martyria, in: DNP 7, 1999, 966 f.

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Verfahrensrecht

Eid und Beweismittel im Prozess (F 68–73) F 68 Eid der Parteien (F 68a: T 312b Martina; F 68b: T 313 Martina; F 42 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 68a: Libanios, epistulae 103,3 (X p. 104,6 Förster) (4. Jh. n. Chr.) ὅτι μὲν γὰρ ἐμοῦ ταῦτα ἐγνωκότος περὶ τῶν ἐμαυτοῦ σὺ ψηφιζόμενος ἐκεῖνα τοὺς πειθομένους ἐξαπατᾷς, δῆλον· ἃ δὲ τῷ Σόλωνι δοκεῖ περὶ τῶν φενακιζόντων, οἶσθα. Es ist klar, dass nämlich du, weil ich diesbezüglich das meine erkannt habe, darüber abstimmend die Gehorsamen betrügst. Du weißt, was dem Solon gut schien hinsichtlich derer, die betrügen [nämlich sie einen Eid schwören zu lassen].

F 68b: Lexeis Rhetorikai s. v. δοξασταί (Anecdota graeca 1 p. 242,19–22 Bekker) (5.–7. Jh. n. Chr.) Δοξασταί: κριταί εἰσιν οἱ διαγινώσκοντες, πότερος εὐορκεῖ τῶν κρινομένων. κελεύει γὰρ Σόλων τὸν ἐγκαλούμενον, ἐπειδὰν μήτε συμβόλαια ἔχῃ μήτε μάρτυρας, ὀμνύναι, καὶ τὸν εὐθύνοντα δὲ ὁμοίως. doxastaí: dies sind Richter (kritaí), die entscheiden (diagignṓskein), welche der beiden Parteien wahrheitsgemäß geschworen hat (euorkeín). Denn Solon schreibt dem Beklagten vor zu schwören (omnýnai), wenn er weder schriftliche Abmachungen (symbólaia) noch Zeugen (mártyres) hat, und dem Kläger (euthýnōn) ebenfalls.

In den Lexeis Rhetorikai wird der von Antiphon verwendete Begriff doxastaí erläutert, allerdings unzutreffend. Ein gewisser Euxitheos war wegen des Todes des Herodes angeklagt worden, allerdings nicht in einer díkē phónou. Er war als kakoúrgos abgeführt (apagōgeín) und als solcher vor Gericht gebracht worden. Dagegen wendet er ein, dass das Verfahren vor dem Areopag hätte verhandelt werden müssen, für das es einen besonderen Verfahrensweg gebe. Er fordert die Geschworenen daher auf, das Verfahren zu prüfen und erst in einem weiteren, ordnungsgemäßen Verfahren über die Schuld des Angeklagten zu befinden. Er fasst dies am Ende der Rede mit dem Satz zusammen: „Entscheidet also zunächst über die Klage, dann erst urteilt als Richter über die Zeugen; macht euch jetzt ein Bild von der Wahrheit und urteilt später über sie“.148 Die doxastaí (über die Wahrheit) sind also den kritaí (über die Wahrheit und die Zeugen) gegenübergestellt, wobei es aber letztlich, als Geschworene in zwei Prozessen, dieselben Per-

148  Antiph. 5,94: Νῦν μὲν οὖν γνωρισταὶ γίγνεσθε τῆς δίκης, τότε δὲ δικασταὶ τῶν μαρτύρων· νῦν μὲν δοξασταί, τότε δὲ κριταὶ τῶν ἀληθῶν. – „Werdet also zunächst ‚Entscheider‘ (gnōristaí) über die [Form der] Klage, dann Richter über die Zeugen. Seid jetzt ‚Einschätzer‘ (doxastaí), dann ‚Urteiler‘ (kritaí) über die Wahrheit.“ τῶν μαρτύρων wird in vielen Ausgaben getilgt oder nach δοξασταί gestellt.

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sonen sind. Der Lexikograph gibt dies verkürzend wieder, doch da die Geschworenen jetzt doxastaí, später kritaí über die Zeugen sein sollen, fügt er die Vorschrift Solons hinzu, wonach Kläger und Angeklagter schwören sollten, wenn keine vertraglichen Abmachungen vorlagen und keine Zeugen vorhanden waren. Dies deutet darauf hin, dass es um Kontrakte, Erbstreitigkeiten oder auch um schadensrechtliche Ansprüche ging.149 F 69 Vertragsrecht (F 69a: T 342a Martina; F 76a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 69c: T 342b Martina; F 76b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 69a: Gaius, libri ad legem XII tabularum (Digesta 47,22,4) (2. Jh. n. Chr.) (siehe F 117a) F 69b: Scholia in Basilicorum libros I–XI, 60,32,3,1 (9. Jh. n. Chr.) (siehe F 117b) F 69c: Seleukos, Kommentar zu Solons áxones fr. 35 Müller (FgrH 341 F 1) (1. Jh. n. Chr.) (siehe F 117c) (Phot. Lex. ο 439 Theodoridis; Suda ο 511 Adler s. v. ὀργεῶνες)

Aus dem Gesetzestext ist nicht zu erkennen, in welchem rechtlichen Zusammenhang es stand. Es könnte eine Bestimmung aus dem Beweisrecht oder aus dem Vertragsrecht sein, für das wir sonst keine frühen Zeugnisse haben. Möglich wäre indes auch, dass die Bestimmung bei den Schadensklagen eingefügt war, in dem Sinne, dass auf Schädigung (blábē) geklagt werden konnte, wenn Vertragsbedingungen nicht eingehalten worden waren. Durch die Bestimmung wäre dann sichergestellt, dass nicht nur Einzelpersonen andere Einzelpersonen wegen Schädigung anklagen konnten, sondern auch sodales verschiedener Vereinigungen klagen, aber auch verklagt werden konnten.150 Zum weiteren Kommentar der Fragmente siehe F 117a–c. F 70 ‚Wissende‘ als Zeugen (F 70a–d: T 481a–d Martina; F 41a–c Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 70a: Aristophanes, Daitales F 233 PCG (spätes 5. Jh. v. Chr.) (Galenus, Linguarum seu dictionum exoletarum Hippocratis explicatio [= gloss. Hippocr. prooem. Bd. 19 p. 66 Kühn)

νομίζω δή σοι τὰ ὑπὸ Ἀριστοφάνους ἀρκέσειν τὰ ἐκ τῶν Δαιταλέων, ὧδέ πως ἔχοντα. „A: πρὸς ταῦτα σὺ λέξον Ὁμηρείους ‹ἐμοὶ› γλώττας· τί καλοῦσι κόρυμβα;“ προβάλλει γὰρ ἐν ἐκείνῳ τῷ δράματι ὁ ἐκ τοῦ δήμου τῶν Δαιταλέων πρεσβύτης τῷ ἀκολάστῳ υἱεῖ πρῶτον μὲν τὰ κόρυμβα τί

149  So in den Eiden in Demosth. or. 39,3 f.; 40,10 f. Harrison 1971, Bd. 2, 151. 150  Nach Aristot. Ath. pol. 52,2 sollten fünf eisagōgeís Klagen bei Gericht einbringen, die innerhalb eines Monats entschieden werden sollten, darunter auch Klagen bezüglich Eranos-Darlehen und Vereinigungen (koiná) (δίκας … καὶ ἐρανικὰς καὶ κοινωνικὰς).

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ποτ’ ἐστὶν ἐξηγήσασθαι, μετὰ δὲ τοῦτο „τί καλοῦσιν ἀμενηνὰ κάρηνα;“ κἀκεῖνος μέντοι ἀντιπροβάλλει τὴν ἐν τοῖς Σόλωνος ἄξοσι γλῶτταν, εἰς δίκας διαφέρουσας ὡδί πως· „B. ὁ μὲν οὖν σὸς, ἐμὸς δὲ οὗτος ἀδελφὸς, φρασάτω τί καλοῦσιν ἰδυίους.“ εἶτ᾿ ἐφεξῆς προβάλλει· „τί ποτέ ἐστι τὸ ὀπυίειν“. ἐξ ὧν δῆλον ὡς ἡ γλῶττα παλαιόν ἐστιν ὄνομα τῆς συνηθείας ἐκπεπτωκός. App. crit.: ταῦτα σὺ: ταύτας Poll. 2,109; σὺ λέξον: σοὶ λέξον Galen Ald., σὺ λέξων Junt.; Ὁμηρείους Dindorf: ὅμηρε Mosq., Ald., Basil., Ὁμήρου Poll., Ὁμήρου ἐμοὶ Bergk; γλώττας, τί Seidler, γλώττά τι καὶ Mosq., γλώτταστικὰ Ald., γλώττῃ τινί Basil.; καλοῦσι Gal., καλεῖται Poll.; κόρυμβα Poll., κόρυβα Gal., Mosq.; καλοῦσιν: καλοῦσ’ Seidler; ἐμὸς: ἐμοὶ D; ἰδυίους Seidler, ἰδουσι τε vel potius ἰδουσ (nam ιτε. ἐφεξής scriptum est pro εἶτα ἐφεξῆς, Seidler); τὸ ὀπυίειν (τοὐπύειν) Dindorf (Dobree), τὸ εὐποιεῖν Gal., ἀποινᾶν Bergk.

Ich glaube, dir könnten wohl [Verse] aus den Daitales des Aristophanes gefallen. Sie lauten etwa wie folgt: „A.: Und jetzt sage du die [aus dem Gebrauch gekommenen] Ausdrücke (glṓt­ tai) aus dem Homer! Was heißt kórymba?“ (Hom. Il. 9,241). Der alte Mann aus dem Demos der Daitaleis gibt in diesem Drama seinem verkommenen Sohn auf, zunächst zu erklären, was kórymba ist. Anschließend: „Was heißt: amenēná kárēna?“ (Hom. Od. 10,521 u. ö.) Dieser [der Sohn] allerdings fragt nun seinerseits nach Wörtern aus der Rechtssprache in den áxones Solons, die auch außer Gebrauch gekommen sind, etwa so: „B.: Dein Sohn, mein Bruder hier, soll erklären, was idyíous bedeutet.“ Dann fragt er weiter: „Was ist denn opyíein?“ Aus all dem wird deutlich, dass eine Glosse ein außer Gebrauch gekommenes altes Wort ist.

F 70b: Aelius Dionysius, Attika onomata ε 12 s. v. εἰδύοι und ι 4 s. v. ἰδύους (2. Jh. n. Chr.) (ε 12) εἰδύοι· μάρτυρες. (ι 4) ἰδύους· τοὺς μάρτυρας. οὕτω Δράκων καὶ Σόλων. (ε 12) eidýoi: Zeugen (mártyres). (ι 4) idýous: die Zeugen (mártyres). So Drakon und Solon. Vgl. Pausanias Atticista (2. Jh. n. Chr.), Ἀττικῶν ὀνομάτων συναγωγή ι 1 s. v. ἰδύους: μάρτυρας, συνίστορας. – „idýous: Zeugen (mártyres), Mit-Wissende (synístores). Hesych. (5. Jh. n. Chr.) ι 243 s. v ἰδυῖοι· μάρτυρες. ἢ οἱ τὰς φονικὰς δίκας κρίνοντες. οἱ δὲ συνίστορας – „idyíoi: Zeugen (mártyres). Oder diejenigen, die die Tötungsklagen entscheiden. Andere: Mit-Wissende (synístores)“ und ι 249 s. v. *ἰδυίους· μάρτυρας. συνίστορας ‹παρὰ Ἀθηναίοις›. – „idyíous: Zeugen (mártyres). Mit-Wissende (syn­ ístores) ‹bei den Athenern›“.

F 70c: Photios, Lexikon ι 36 s. v. ἰδύους (Theodoridis) (9. Jh.) ἰδύους· τοὺς μάρτυρας· οὕτως Σόλων. idýous: die Zeugen (mártyres): so Solon.

F 70d: Eustathios, Commentarium ad Homeri Iliadem 18,501 (p. 1158,19; 4 p. 236,4–9 van der Valk) (12. Jh.) Ἰστέον δὲ ὅτι ὁ Ὁμηρικὸς ἴστωρ καὶ ἰδύος ἐλέγετο παρὰ τοῖς παλαιοῖς ἐν διφορουμένη γραφῇ. Παυσανίας γοῦν ἐν οἷς ἔγραψε κατὰ στοιχεῖον, ἐν μὲν τῷ ε στοιχείῳ γράφει εἰδύοι· μάρτυρες, ἐν δὲ τῷ ι ἰδύους· μάρτυρας, συνίστορας. δῆλον δὲ ὅτι ὁ συνίστωρ σύστοιχόν ἐστι τῷ ἴστορι. εἰ δὲ διφορεῖ τὴν γραφὴν καὶ αὐτός, καινὸν οὐδέν. ὅτι δὲ ἰδύους καὶ Δράκων καὶ Σόλων τοὺς μάρτυράς φησιν, Αἴλιος Διονύσιος ἱστορεῖ. Man muss wissen, dass der homerische ístōr bei den Alten auch idýos genannt wird, in zwei verschiedenen Schreibweisen. Pausanias [Atticista] jedenfalls, der ein alphabetisch angeordnetes Werk geschrieben hat, schreibt unter dem Buchstaben ε: „eidýoi: Zeugen (mártyres)“,

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unter dem Buchstaben ι „idýous: Zeugen (mártyres), Mit-Wissende (synístores)“ (vgl. F 70b). Offensichtlich ist, dass der synístōr dem ístōr entspricht. Wenn er selbst die Schreibweise unterscheidet, ist dies nicht ungewöhnlich. Dass auch Drakon und Solon die Zeugen (mártyres) idýous nennen, berichtet Ailios Dionysios (F 70b). vgl. 4, p. 219,6: ὅθεν καὶ ἰδύους οἱ παλαιοὶ τοὺς μάρτυρας ἔλεγον, οἱ παλαιοὶ παραδιδόασι. 4, p. 263,9: ἰδύους τοὺς ἴδμονας μάρτυρας φασὶν οἱ παλαιοὶ ὡς γέγραπται ἀλλαχοῦ. – „Weswegen die Alten die Zeugen (mártyres) auch idýous genannt haben; die Alten überliefern [es so]. 4 p. 263,9: idýous nennen die Alten, wie hier und da geschrieben ist, die wissenden Zeugen (ídmones mártyres)“. Scholia in Homeri Iliadem (scholia vetera) 22,254c: ἐπιδώμεθα: ἢ δῶμεν ἑαυτοῖς μάρτυρας καὶ ἀναδόχους, ἢ … ἢ μαρτυροποιησώμεθα· τοὺς γὰρ μάρτυρας Ἀττικοὶ ἰδύους φασίν. – „zu Il. 22,254: „Lass uns die Götter dazunehmen: sie werden die besten Zeugen (mártyroi) sein und Hüter des Übereinkommens“]: ‚dazunehmen‘: oder ‚wir sollen uns selbst Zeugen oder Bürgen geben‘, oder … oder ‚wir sollen uns Zeugen einsetzen (martyropoieísthai)‘: die Zeugen (mártyres) nämlich nennen die Athener idýous.

Bei Aristophanes und vermutlich darauf bezugnehmend in späteren Glossaren und Lexika ist das Wort idyíous bzw. idýous für die solonischen Gesetze, bei Aelius Dionysius für Solon und Drakon belegt (siehe F 18b).151 Gleichgesetzt wird das Wort mit mártyres, ‚Zeugen‘, oder synístores, ‚Mit-Wissende‘. Da idyíous bzw. idýous nur in den aufgenommenen Fragmenten belegt ist, scheint es bei der Revision am Ende des 5. Jh. durch das geläufigere mártyres ersetzt worden zu sein.152 Abgeleitet ist ἰδυῖοι bzw. ἰδῦοι wahrscheinlich von ἴδμεναι (zu εἴδω ‚wissen‘). In klassischer Zeit war gesetzlich vorgeschrieben, dass die Zeugen nur das vor Gericht vorbringen durften, was sie selbst wussten, nicht was sie nur durch Hörensagen erfahren hatten.153 Dinge zu bezeugen, die man nur durch Hörensagen kannte, war nur erlaubt, wenn derjenige, von dem man etwas gehört hatte, bereits verstorben war (F 71).154 F 71 Zeugnisse vom Hörensagen (†Fr. 44/1 Leão/Rhodes)

F 71: Ps.-Demosthenes, Gegen Stephanos II (or. 46) 6–8 (350/48 v. Chr.) (6) οἱ δέ γε νόμοι οὐ ταῦτα λέγουσιν, ἀλλ’ ἃ ἂν εἰδῇ τις καὶ οἷς ἂν παραγένηται πραττομένοις, ταῦτα μαρτυρεῖν κελεύουσιν ἐν γραμματείῳ γεγραμμένα, ἵνα μήτ’ ἀφελεῖν ἐξῇ μηδὲν μήτε προσθεῖναι τοῖς γεγραμμένοις. (7) ἀκοὴν δ’ οὐκ ἐῶσι ζῶντος μαρτυρεῖν, ἀλλὰ τεθνεῶτος, τῶν δὲ ἀδυνάτων

151  Dafür, dass die Einträge in den Glossaren und Lexika auf Aristophanes’ Komödie Daitales zurückgehen, spricht, dass das Wort durchgehend im Akkusativ Plural erscheint. Einen Auszug aus dem Aristophaneszitat bietet Pollux in seinen Ausführungen zu glṓttai: ἀλλὰ καὶ τὰς ποιητικὰς φωνὰς γλώττας ἐκάλουν, ὡς Ἀριστοφάνης· πρὸς ταύτας δ’ αὖ λέξον Ὁμήρου γλώττας, τί †καλεῖται† κόρυμβα (2,109). 152  Latte 1930, 2032. Bereits in den homerischen Epen (Hom. Il. 1,338; 2,302; 3,280; 14,274; 22,255; Od. 1,273; 14,394) und bei Hesiod (scut. 20) sind Zeugen als mártyroi belegt. 153  Ps.-Demosth. or. 46,6 f.; 57,4. 154  Isai. 6,53; 8,14 und 29. Lipsius 1905–15, 886 f.

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Verfahrensrecht

καὶ ὑπερορίων ἐκμαρτυρίαν γεγραμμένην ἐν τῷ γραμματείῳ· καὶ ἀπὸ τῆς αὐτῆς ἐπισκήψεως τήν τε μαρτυρίαν καὶ ἐκμαρτυρίαν ἀγωνίζεσθαι ἅμα, ἵν’ ἐὰν μὲν ἀναδέχηται ὁ ἐκμαρτυρήσας, ἐκεῖνος ὑπόδικος ᾖ τῶν ψευδομαρτυρίων, ἐὰν δὲ μὴ ἀναδέχηται, οἱ μαρτυρήσαντες τὴν ἐκμαρτυρίαν. (8) … καὶ ταῦθ’ ὅτι ἀληθῆ λέγω, αὐτὸν ὑμῖν τὸν νόμον ΝΟΜΟΣ

Ἀκοὴν εἶναι μαρτυρεῖν τεθνεῶτος, ἐκμαρτυρίαν δὲ ὑπερορίου καὶ ἀδυνάτου. App. crit.: (6) ἃ ἂν: ἃ om. S1D1, ἃν Bekker; κελεύουσιν del. Naber; (7) τῷ del. Reiske; μαρτυρήσαντες Reiske, ἐκμαρτυρήσαντες codd.; (8) leges et testimonia in hac oratione om. S.

(6) Die Gesetze aber gebieten dies nicht, sondern was jemand weiß, wenn er bei dessen Vorgang zugegen gewesen ist, das gebieten sie in einem Dokument (grammateíon) schriftlich zu bezeugen (martyreín), damit es nicht möglich sei, etwas wegzulassen, noch zu dem Geschriebenen etwas hinzuzutun. (7) Sie gestatten aber nicht, etwas bloß nach dem Hörensagen von einem Lebenden zu bezeugen (martyreín), sondern nur von einem Gestorbenen. Über Sachen, bei denen man nicht selbst zugegen sein kann oder welche außer Landes geschehen sind, muss das auf der Angabe Abwesender beruhende Zeugnis (ekmartyría) in ein Dokument eingetragen werden, und mit demselben Klagerecht (epískēpsis) das eigentliche Zeugnis und auch das auf der Angabe Abwesender beruhende Zeugnis (martyría kaí ekmartyría) vor Gericht gebracht werden, damit, wenn derjenige, der als Abwesender das Zeugnis abgelegt hat, die Verantwortung dafür auf sich nimmt, dieser für ein falsches Zeugnis verantwortlich sei, und wenn er sie nicht auf sich nimmt, derjenige, welcher das Zeugnis des Abwesenden bestätigt hat. (8) … Damit klar ist, dass ich die Wahrheit sage, soll man euch das Gesetz selbst verlesen: Gesetz

Etwas von einem Verstorbenen Gehörtes soll als Zeugnis vorgelegt werden können (marty­ reín), ein schriftliches Zeugnis (ekmartyría) [nur] von einem Abwesenden oder Gehinderten [persönlich zugegen sein zu können].

F 72 Zeugnispflicht (†Fr. 44/2 Leão/Rhodes)

F 72: Ps.-Demosthenes, Gegen Stephanos II (or. 46) 9–10 (350/48 v. Chr.) (9) Ὡς τοίνυν καὶ παρ’ ἕτερον νόμον μεμαρτύρηκεν, ἐπιδεῖξαι ὑμῖν βούλομαι, … μαρτυρεῖν γὰρ οἱ νόμοι οὐκ ἐῶσιν αὐτὸν αὑτῷ οὔτ’ ἐπὶ ταῖς γραφαῖς οὔτ’ ἐπὶ ταῖς δίκαις οὔτ’ ἐν ταῖς εὐθύναις. ὁ τοίνυν Φορμίων αὐτὸς αὑτῷ μεμαρτύρηκεν, ὁπότε φασὶν οὗτοι ἀκούσαντες ἐκείνου ταῦτα μεμαρτυρηκέναι. (10) ἵνα δὲ εἰδῆτε ἀκριβῶς, αὐτὸν τὸν νόμον μοι ἀνάγνωθι. ΝΟΜΟΣ

Τοῖν ἀντιδίκοιν ἐπάναγκες εἶναι ἀποκρίνασθαι ἀλλήλοις τὸ ἐρωτώμενον, μαρτυρεῖν δὲ μή. App. crit.: leges et testimonia in hac oratione om. S.

(9) Ich will euch aber auch darlegen, dass er noch gegen ein anderes Gesetz gezeugt hat (mar­ tyreín), … Es gestatten die Gesetze nämlich nicht, dass jemand für sich selbst Zeugnis ablege (martyreín), weder bei Schriftklagen (graphaí) noch bei Privatklagen (díkai) noch in Rechenschaftsverfahren (eúthynai). Behaupten aber diese Leute, dass sie bezeugt haben, was sie von jenem gehört hätten, so hat Phormion allerdings für sich selbst Zeugnis abgelegt. (10) Damit ihr die Sache genau erkennen möget, so lies mir das Gesetz selbst vor:

Eid und Beweismittel im Prozess (F 68–73)

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Gesetz

Die Prozessgegner müssen einer dem anderen auf seine Fragen Antwort geben, aber nicht Zeugnis ablegen (martyreín).

Der Rede Gegen Stephanos lässt sich nicht entnehmen, dass das Gesetz zur Zeugnisablegung vor Gericht auf Solon zurückgeht. Eberhard Ruschenbusch meinte, dass die in Ps.-Demosth. or. 46,8 und 10 eingelegten Gesetze „wohl unter die Soloniana gehören“ und Delfim F. Leão und P. J. Rhodes haben sie als Fragmente †Fr. 44/1 und 2 aufgenommen. Eine definitive Entscheidung darüber ist mangels weiterer Anhaltspunkte nicht möglich. Auf das Verbot, Zeugnisse vom Hörensagen vorzubringen, wird auch in anderen Gerichtsreden verwiesen.155 In Demosth. or. 45,44 ist belegt, dass eine Zeugenaussage schriftlich eingereicht werden muss, damit nichts zu dem Geschriebenen hinzugefügt oder davon weggelassen werden könne.156 Nicht zu entscheiden ist, ob dies verkürzend wiedergegeben wird oder ob in der Mitte des 4. Jh. von allen Zeugnissen gefordert war, dass sie schriftlich vorgelegt wurden, nicht nur diejenigen, die von Verstorbenen, außerhalb Attikas sich Aufhaltenden oder sonstwie Verhinderten vorgelegt wurden.157 Zumindest in klassischer Zeit gab es eine Zeugnispflicht. Der Prozessgegner war allerdings nicht zur Zeugnisleistung verpflichtet. Die ihm vorgelegten Fragen musste er hingegen beantworten. Verwandte des Prozessgegners konnten zu einer Zeugnisleistung verpflichtet werden.158 F 73 Abstimmung (T 519 Martina; F 45 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 73: Scholia in Homeri Iliadem (scholia vetera et recentiora e cod. Genevensi gr. 44) 21,260 τοῦ μέν τε] οὐχ ὑφ’ Ὁμήρου αἱ ψηφίδες πεποίηνται, ἀλλ’ ἔστιν ἡ λέξις Ἀττική· οὕτως γὰρ καὶ ἐν τοῖς ἄξοσιν.

155  Demosth. or. 44,55: ὁ δέ γε νόμος ἀκοὴν τῶν τετελευτηκότων κελεύει διαμαρτυρεῖν, ‹οὐ› ζῶντος τοῦ πατρὸς τὰ ὑπ’ ἐκείνου πραχθέντα; or. 57,4: οὐδὲ μαρτυρεῖν ἀκοὴν ἐῶσιν οἱ νόμοι, οὐδ’ ἐπὶ τοῖς πάνυ φαύλοις ἐγκλήμασιν, εἰκότως. Isai. 6,53: Οἷς μὲν γάρ τις παρεγένετο, δίκαιον, ὦ ἄνδρες, μαρτυρεῖν, οἷς δὲ μὴ παρεγένετο, ἀλλ’ ἤκουσέ τινος, ἀκοὴν μαρτυρεῖν. Zu Zeugnissen Verstorbener siehe Isai. 8,14 und 29; Ps.-Demosth. or. 43,36 f.42.44; Latte 1930, 2037. 156  Demosth. or. 45,44: ὅτι διὰ ταῦθ’ ὁ νόμος μαρτυρεῖν ἐν γραμματείῳ κελεύει, ἵνα μήτ’ ἀφελεῖν ἐξῇ μήτε προσθεῖναι τοῖς γεγραμμένοις μηδέν. 157 Zur ekmartyría, dem außergerichtlichen Zeugnis, siehe vor allem Isai. 3,18–21, außerdem Aischin. leg. 19; Ps.-Demosth. or. 35,20.33 f. Das römische Zwölftafelrecht kennt eine Bestimmung, dass der Prozesstermin verschoben wird, wenn eine schwere Krankheit (morbus sonticus) oder ein mit einem Fremden vereinbarter Gerichtstermin (aut status dies cum hoste) vorliegt (Lex XII tab. 2,2; Festus s. v. sonticum morbum, p. 372,2–4 Lindsay und Cic. off. 1,37; Dieter Flach, Die Gesetze der frühen römischen Republik, Darmstadt 1994, 122 f.). 158  Demosth. or. 29,15.20.

468

Verfahrensrecht

App. crit.: τοῦ μέντοι cod.

Nicht von Homer stammt der Ausdruck psēphídes (Steine), sondern es ist ein attisches Wort. So nämlich [findet es sich] auch auf den áxones.

Das für die áxones Solons belegte Wort wird sich auf Abstimmungen beziehen, entweder auf solche im Areopag bei Tötungsdelikten oder auf solche in der von Solon eingerichteten (h)ēliaía.159 Anfangs werden die psēphídes Steinchen gewesen sein; die späteren bronzenen durchbohrten oder massiven Scheiben wurden als psḗphoi bezeichnet. Skeptisch gegenüber solchen von Solon eingeführten Abstimmungen ist Gil Davis.160

159  Eine Abstimmung mit Stimmsteinen im Areopag ist in Aischyl. Eum. 709–753 geschildert. Für die Gerichte Aristoph. vesp. 332, 349, 987–994; Aristot. Ath. pol. 68,2–69. Harrison 1968–71, Bd.2, 164–166; Alan L. Boegehold, Toward a Study of Athenian Voting Procedure, in: Hesperia 32, 1963, 366–374. 160  Gil Davis, Axones and kurbeis: A New Answer to an Old Problem, in: Historia 60, 2011, 1–35, hier S. 33 Anm. 92.

Inhaltsverzeichnis Band 1 Abgekürzt zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Testimonia Testimonia. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Testimonia (T 1–35). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Gesetzesfragmente I..

Frühes Gesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Gesetz gegen die Tyrannis (F 1). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

II..

Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Drakons Satzung über die Tötung (F 2–18). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Solons Satzung über die Tötung (F 19–39) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

II 1. II 2. III.. III 1.

Verfahren vor dem Areopag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Die Entstehung des Areopags. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Die Entstehung des Areopags als Gerichtshof (F 40–42) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

VI III 2. III 3.

III 4.

IV.. IV 1. IV 2. IV 3. IV 4.

Inhaltsverzeichnis

Der Areopag als Hüter über die Verfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Der Areopag als Hüter über die Verfassung (F 43). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Der Areopag als Gerichtsstätte gegen die Tyrannis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Gesetze über die Tyrannis und den Umsturz der politischen Ordnung (F 44–46). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Eid der Areopagiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Eid der Areopagiten (F 47). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Gesetze über die Amtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Prüfung der Amtsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Prüfung der Amtsfähigkeit (F 48–49) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Atimie und Ausschluss vom Rednerplatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Atimie und Ausschluss vom Rednerplatz (F 50–55). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Naukrarie und Speisung der Prytanen im Prytaneion. . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Naukrarie und Speisung der Prytanen (F 56–57). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Prüfung der Amtsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Prüfung der Amtsführung (Gesetz über die Untätigkeit – nómos argías) (F 58–59). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404

V..Verfahrensrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 V 1. Abführung (apagōgḗ ) und Anzeige (éndeixis). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Abführung (apagōgḗ) und Anzeige (éndeixis) (F 60–63) . . . . . . . . . . . . . . . . 421 V 2. Popularklage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Popularklage (F 64). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 V 3. Ephesis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Ephesis (F 65). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 V 4. Eid der Heliasten und der Thesmotheten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 Der Eid der Heliasten und der Thesmotheten (F 66–67) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450

Inhaltsverzeichnis

V 5.

VII

Eid und Beweismittel im Prozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 Eid und Beweismittel im Prozess (F 68–73). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462

Band 2 VI.. VI 1. VI 2. VI 3. VI 4.

VII..

Gesetze, den archōn basileús und religiöse Angelegenheiten betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Asebie und Hierosylie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 Asebie und Hierosylie (F 74–78). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 Opferkalender und Kultvorschriften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Opferkalender und Kultvorschriften (F 79–87) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 Prämien für Sieger in sportlichen Wettkämpfen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 Prämien für Sieger bei den olympischen und isthmischen Spielen (F 88). . . . . 544 Gesetz über die Bestattung der Toten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 Gesetz über die Bestattung der Toten (F 89). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 Verfahren vor dem árchōn polémarchos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 Klage wegen Feigheit vor dem Feind (graphḗ deilías) (F 90–92). . . . . . . . . . . 575

VIII.. Verfahren vor den Thesmotheten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 VIII A. Schriftklagen (graphaí). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 VIII A 1. Klage wegen hýbris und gesetzwidriger Tat (graphḗ hýbreōs). . . . . . . . . . . . 581 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 Klage wegen hýbris (graphḗ hýbreōs) (F 93) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 VIII A 2. Gesetz gegen außerehelichen Verkehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596 Gesetz gegen außerehelichen Verkehr (nómos moicheías) (F 94–98). . . . . . 612 VIII A 3. Der nómos hetairḗseōs. Das Gesetz gegen unsittliche sexuelle Beziehungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 Der nómos hetairḗseōs (F 99–101). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634

VIII

Inhaltsverzeichnis

VIII B. Privatklagen (díkai). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 VIII B 1. Schuldverpflichtungen und Zins. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 Schuldverpflichtungen und Zins (F 102–109). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665 VIII B 2. Schadensklage (díkē blábēs) und díkē exoúlēs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 680 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 Schadensklage (díkē blábēs) und díkē exoúlēs (F 110–111) . . . . . . . . . . . . . . . 684 VIII B 3. Gesetz gegen Diebstahl (nómos klopḗs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 Historische Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 Gesetz gegen Diebstahl (F 112–114). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695 VIII B 4. Gesetz gegen tätliche Angriffe (díkē aikeías). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712 Gesetz gegen tätliche Angriffe (díkē aikeías) (F 115). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717 VIII B 5. Üble Nachrede (Verbalinjurien). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719 Gesetz gegen üble Nachrede (Verbalinjurien) (F 116). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723 VIII B 6. Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727 Vertragsrecht (F 117) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 VIII B 7. Nachbarrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735 Nachbarrecht (F 118–120). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 IX.. IX 1. IX 2. IX 3. IX 4. IX 5.

Verfahren vor dem árchōn epōń ymos (Erbrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745 Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745 Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder (F 121–126). . . . . . . . . . . . . 752 Erbtochterrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775 Erbtochterrecht (F 127–131). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779 Adoption und Testament. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 800 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 800 Adoption und Testament (F 132–136). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 808 Intestaterbfolge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 829 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 829 Intestaterbfolge (F 137) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835 Mitgift und Ausstattung der Braut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 844 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 844 Mitgift und Ausstattung der Braut (F 138–139). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 848

Inhaltsverzeichnis

IX

IX 6.

Unterhaltsregelungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852 Historische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852 Unterhaltsregelungen (F 140–143). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857

X.. X 1.

Appendices. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 866 Die zu Unrecht Solon zugeschriebenen Gesetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 866 a) Gesetzgebungsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 866 b) Das Gesetz über den Vermögenstausch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 870 Solonische Gesetze in den Reden des Aischines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 873

X 2.

XI..Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 885 XII..Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 903 Konkordanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 903 Quellenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 926 Namen- und Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 937

VI. Gesetze, den archōn basileús und religiöse Angelegenheiten betreffend

Abstract: Die graphḗ asebeías ist die öffentliche Klage, die bei Vergehen gegen die Götter eingereicht werden konnte. Vom Verfahren her ist bestimmt, dass jeder, der will, Klage beim árchōn basileús und zwar in schriftlicher Form einreichen kann. In klassischer Zeit konnte auch die Missachtung von Opfern (katálysis tás thysías), die Misshandlung der alten Eltern, Vergehen gegen Verstorbene und der Umgang mit Vatermördern Frevel gegen die Götter, also asébeia, sein. Die Rechtsverfahren fanden vor dem Areopag, später auch vor der (h)ēliaía statt. Bei der Asebieklage wurde die Strafe vom Kläger beantragt; belegt sind Hinrichtung, Verbannung und Vermögenskonfiskation sowie Geldbußen, außerdem Verfluchung und Atimie. Unter Asebie oder Diebstahl aus einem Heiligtum (hierosylía) fiel auch, heilige Olivenbäume zu fällen oder Ölbaumstümpfe zu entfernen, unerlaubtes Abernten heiliger Bäume und vermutlich auch die Unterschlagung von Anteilen aus der Oliven-, Wein- und Feigenernte, die der Gott­ heit zustanden, sowie die Entnahme anderer Dinge aus heiligen Bezirken. Spätere Gesetze und Strafverfahren lassen darauf schließen, dass entsprechende gesetzliche Regelungen auf frühe, vermutlich solonische Zeit zurückgehen. Es war daher nicht zulässig, Teile der Ernte oder andere Dinge wegzuschaffen (exágein oder ekphérein), bevor der den Göttern zustehende Anteil bemessen war. Dass Solon ein Verbot des Exports aller landwirtschaftlichen Produkte mit Ausnahme des Olivenöls erlassen habe, wie in der Forschung durchweg angenommen, könnte auf einem falschen Verständnis Plutarchs beruhen. Das würde bedeuten, dass es in solonischer Zeit kein Exportverbot für landwirtschaftliche Güter gegeben hat.

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Gesetze, den archōn basileús und religiöse Angelegenheiten betreffend

VI 1 Asebie und Hierosylie Historische Einordnung Asebieklage (graphḗ asebeías) Aussagen antiker Autoren, Solon habe bei allen Vergehen, bei Gewalttaten und Beleidigungen, die Möglichkeit eröffnet, dass nicht nur der Betroffene, sondern jeder, der wollte, klagen konnte, sind auf die graphḗ hýbreōs (F 93) zu beziehen. Es ist davon auszugehen, dass die Popularklage in Form der graphḗ hýbreōs denjenigen öffentlichen Klagen, bei denen es einen unmittelbar Betroffenen nicht gab,1 nachgebildet war, also auch den Klagen, mit denen Akte religiösen Frevels verfolgt werden konnten. Die Ausführungen des Demosthenes in der Rede Gegen Androtion (F 74a) sind die einzigen, die die graphḗ asebeías zumindest indirekt mit Solon in Verbindung bringen, wenn er diesem Gesetzgeber zuschreibt, verschiedene Verfahrenswege nicht nur bei Delikten wie dem Diebstahl, sondern auch bei Freveltaten gegen die Götter eingerichtet zu haben. Hypereides führt in der Rede Für Euxenippos knapp aus: „Wer gegen das Heilige frevelt (asebeín) – [dafür gibt es die] graphaí asebeías an den basileús“ (F 74b).2 Wie die graphḗ hýbreōs auch wird man die graphḗ asebeías primär als Verfahrensregel ansehen müssen, wonach der boulómenos Klagen wegen religiöser Vergehen aller Art (asébeia) beim árchōn basileús schriftlich einreichen musste.3 Bei Asebie galt also ebenfalls Popularklage (dazu F 64). Anders als bei der graphḗ hýbreōs ist für die graphḗ asebeías ein Gesetzestext über das grundsätzliche Verfahren nicht erhalten und kann daher nur in Parallelität zur graphḗ hýbreōs postuliert werden; vermutlich wird er gelautet haben: „Wenn irgendeiner asébeia begeht, kann jeder, der will, eine Schriftklage beim basileús einbringen“.4 Es ist nicht davon auszugehen, dass das Delikt Asebie im Gesetz näher

1  Deswegen kann bei den graphaí hýbreōs im allgemeinen Sinne auch von díkai ídiai gesprochen werden, da bei diesen Klagen Einzelpersonen betroffen waren. 2  Lipsius 1905–15, 359: „Ἀσέβεια als Gegenstand der Anklage ist Frevel wider die Religion“ mit Verweis auf Ps.-Aristot. De virtutibus et vitiis 7, 1251a 30–33 und Pol. 36,9,15 (F 74d–e). 3  MacDowell 1978, 197–200. 4  MacDowell 1978, 199: „My guess is that the law about impiety, which is not preserved, was probably similar to the law about hýbris (…) and said something like ‚If anyone commits impiety, let anyone who wishes submit a graphe …‘ without offering any definition of impiety“. Ebenso Parker 2005, 65, Trampedach 2001, 154 Anm. 62 und Matthias Haake, Asebie als Argument. Zur religiösen Fundierung politischer Prozesse im klassischen und frühhellenistischen Griechenland: das Beispiel der athenischen Philosophenprozesse, in: Daniela Bonanno, Peter Funke, Matthias Haake (Hrsg.), Rechtliche Verfahren und religiöse Sanktionierung in der griechisch-römischen Antike – Procedimenti giuridici e sanzione religiosa nel mondo greco e romano, Stuttgart 2016, 207–222, hier 215.

Historische Einordnung – Asebie und Hierosylie (F 74–78)

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definiert war,5 und so konnten in klassischer Zeit sehr unterschiedliche religiöse Delikte mittels einer graphḗ asebeías verfolgt werden. Kai Trampedach nennt als mögliche Delikte: ein Vergreifen an Tempeln, Altären, Bildern und heiligen Gegenständen; die Verspottung von Festen, Riten, Opfern und die Profanation von Mysterien; der Besuch von Tempeln und die Teilnahme an heiligen Handlungen durch Personen, denen dies verwehrt war; hinzu kommen Atheismus, die Missachtung der Polis-Götter und die Einführung neuer Götter oder Dämonen.6 Auch bei einer Missachtung von Opfern, einer katálysis tás thysías, konnte wegen Asebie geklagt werden.7 Dass bei all diesen Delikten wegen Asebie geklagt werden konnte, legen auch die Ausführungen in der Athenaion politeia nahe; denn für den árchōn basileús sind nur die graphaí ase­ beías (und keine weiteren Schriftklagen) genannt; in seine Kompetenz fallen allerdings noch Streitigkeiten um die Übernahme eines Priesteramts und zwischen Priestergeschlechtern in kultischen Angelegenheiten.8 Derjenige, dem Frevel gegen die Götter vorgeworfen wurde, konnte mittels apagōgḗ unmittelbar zur Hinrichtung abgeführt oder beim basileús mittels eisangelía oder graphḗ angeklagt werden; bei minder schweren Delikten bot sich eine bei den Eumolpiden einzureichende Privatklage an (F 74a).9 Der árchōn basileús, der die graphaí ase­ beías entgegennahm, wies die Verfahren den Gerichtshöfen zu. Die graphḗ wegen Entfernung von heiligen Ölbäumen und Ölbaumstümpfen wurde – vermutlich aus alter Tradition – vor dem Areopag verhandelt.10

5  Jean Rudhardt (1960) hat demgegenüber die These vertreten, dass in klassischer Zeit eine Eingrenzung durch Regelungen zu einzelnen Tatbeständen wie Diebstahl aus einem Heiligtum, die Einführung neuer Götter, nicht an die herkömmlichen Götter zu glauben, sich mit Dingen über der Erde zu beschäftigen, vorgenommen worden sei. Dies kann jedoch nicht belegen, dass im Gesetz über die graphḗ asebeías Asebie enger definiert war. Auch Fischer 1967, 74–77 leitet aus den in den Quellen belegten Asebieverfahren ab, welche Delikte asébeia im Einzelnen umfassen konnte, geht aber davon aus, dass es keinen fest umrissenen Delikttatbestand gab, sondern es letztlich den Geschworenen oblag, darüber zu urteilen, ob es sich um asébeia handelte oder nicht (ebd. 91 f.). Vgl. auch Phillips 2013, 408. 6  Trampedach 2001, 151 f.; ähnlich Derenne 1930, 9 ff.; Parker 2005, 63–68; Phillips 2013, 411 mit Nr. 343–357. Personen, die sich eines militärischen Vergehens schuldig gemacht hatten, waren von den geweihten Stätten (perirhantḗria) der Agora und von öffentlichen Kultfeiern ausgeschlossen (Aischin. Ktes. 176; Lykurg. Leokr. 5; F 91a–b). Wer dagegen verstieß, konnte wegen Asebie angeklagt werden. 7  Lys. 30,17 mit dem gegen den Sprecher gerichteten Vorwurf: ὡς ἀσεβῶ καταλύων τὰς θυσίας; vgl. ἀσεβεῖν λέγοντα ὡς χρὴ θύειν τὰς θυσίας τὰς ἐκ τῶν κύρβεων. 8  Aristot. Ath. pol. 57,2. Danach Poll. 8,90. 9  Demosth. or. 22,27. ‚Anzeige‘, éndeixis, lag beim Verfahren gegen Andokides vor (Ps.-Lys. or. 6; And. 1,111), eisangelía ist durch Plut. Per. 32,2 belegt: Diopeithes hatte um 430 v. Chr. den Antrag vor das Volk gebracht, wegen Asebie seien diejenigen „anzuzeigen“ (eisangéllesthai), die nicht an die Götter glaubten und sich in öffentlicher Form mit den Dingen über der Erde befassten (Rudhardt 1960, 90–92; MacDowell 1978, 200; Strothmann 2003, 169; Parker 2005, 66 f.). Die Klage gegen Alkibiades wegen Mysterienfrevels lautete nach Plut. Alk. 22,4: Θεσσαλὸς Κίμωνος Λακιάδης Ἀλκιβιάδην Κλεινίου Σκαμβωνίδην εἰσήγγειλεν ἀδικεῖν περὶ τὼ θεώ, … Zu den verschiedenen Wegen, Verfahren wegen Asebie einzuleiten, Phillips 2013, 408. 10  Lys. or. 7.

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Graphaí wegen Frevels gegenüber den Göttern waren ‚Schätzklagen‘ (τίμητοι), d. h. dass die Strafe bei der Klageerhebung beantragt werden musste.11 Bei den wegen des Hermokopiden- und Mysterienfrevels Verurteilten und bei Sokrates war die Todesstrafe beantragt und vollstreckt worden;12 dem Sprecher der siebten Rede des Lysias drohten Vermögenskonfiskation und Verbannung.13 Gesetzlich festgelegt war bei einem Verstoß gegen die Entnahme (bzw. den Export) von Olivenöl die Verfluchung (F 76a). Auch den Alkibiades haben die Priesterinnen und Priester wegen des Mysterienfrevels, „nach Westen gewandt verflucht und die purpurfarbenen Gewänder ausgeschüttelt, gemäß dem alten und ehrwürdigen Brauch“.14 Aber auch Geldbußen waren möglich. Wer wegen Asebie verurteilt worden war, war außerdem ehrlos und von Heiligtümern ausgeschlossen.15 Asebieverfahren in klassischer Zeit Auch bei der graphḗ asebeías ist vermutlich zu berücksichtigen, dass durch Ephialtes dem Areopag jurisdiktionelle Kompetenzen genommen wurden, die er am Ende des 4. Jh. unter Demetrios von Phaleron zeitweilig wieder zugesprochen erhielt. In diese späte Zeit gehören die Prozesse gegen die Philosophen Stilpon, Theodoros und Theophrast, die vor dem Areopag stattgefunden haben sollen.16 Diese Verfahren können

11  Lipsius 1905–15, 262; Fischer 1967, 97; Phillips 2013, 408. 12  Sokrates: Diog. Laert. 2,40 (in der Klageschrift hieß es: τάδε ἐγράψατο καὶ ἀντωμόσατο Μέλητος … τίμημα θάνατος); vgl. Xen. mem. 1,1,1; Plat. Apol. 26b. Zum Hermokopiden- und Mysterienfrevel (der allerdings mittels eisangelía, nicht über eine graphḗ asebeías vor Gericht gebracht wurde): Plut. Alk. 22,4; Ps.-Lys. 6,12 f.; MacDowell 1978, 197–200; Strothmann 2003, 181–184; Phillips 2013, 410 mit Nr. 334–338. 13  Theodoros soll Amphikrates zufolge mit dem Tod bestraft worden sein (Diog. Laert. 2,101; Athen. 6,92, p. 611a). Stilpon soll vom Areopag der Stadt verwiesen, also vermutlich verbannt worden sein (Diog. Laert. 2,116). Nach einem Komödienfragment des Alexis hätten die Nomotheten Philosophen aus Attika verjagt (Alexis F 327 Kock; = Athen. 13,92, p. 610e). Diagoras aus Melos war wegen Mysterienfrevels zum Tod verurteilt worden, soll sich aber durch Flucht entzogen haben (Schol. Aristoph. Av. 1073; vgl. Athen. 6,92, p. 611a; Diod. 13,6,7; Schol. Aristoph. ran. 320). Zu den unterschiedlichen Strafen Lipsius 1905–15, 367 Anm. 40 mit den Belegen und Parker 2005, 65. 14  Ps.-Lys. 6,51. Nach Diod. 13,69,2 waren die Flüche von den Eumolpiden ausgesprochen worden. Alkibiades war zum Tode verurteilt worden (Plut. Alk. 22,3), außerdem war sein Vermögen eingezogen und eine Stele, auf der die Verurteilung verzeichnet war, aufgestellt worden (Diod. ebd.). Für Fischer 1967, 98 ist dies „ein einmalig dastehender Einzelakt“. Siehe aber auch Ps.-Plut. vit. X orat. Antiphon (mor. 834a–b). 15  Zum Verbot, die Tempel zu betreten (And. 1,33); Fischer 1967, 7. Durch das Psephisma des Isotimides wurde noch einmal eingeschärft, dass diejenigen, die sich der Asebie schuldig gemacht hatten, ehrlos (átimoi) sein sollten und Heiligtümer und Agora nicht betreten durften. Andokides wurde nach seiner Rückkehr nach Athen aufgrund dieses Psephismas angeklagt. Er verteidigte sich damit, dass er keine Asebie begangen habe und das von Isotimides eingebrachte Gesetz aufgrund der Amnestie von 403 außer Kraft gesetzt war (Astrid Dössel, Die Beilegung innerstaatlicher Konflikte in den griechischen Poleis vom 5.–3. Jahrhundert v. Chr., Frankfurt a. M. etc. 2003, 56 f.). 16  Ail. var. 8,12; Diog. Laert. 2,101.116; 5,37. In vielen Fällen ist der Gerichtshof unbekannt, so z. B. im Fall des Hierophanten und Eumolpiden Archias (Ps.-Demosth. or. 59,116 f.). Fischer 1967, 58 f. Zur Übertragung von Asebieprozessen auf die (h)elaía Fischer ebd. 19.

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aber kein sicherer Beleg dafür sein, dass auch im 6. und 5. Jh. solche graphaí asebeías vor dem Areopag verhandelt wurden. Wie bei anderen graphaí galt die Bestimmung, dass der Kläger tausend Drachmen zahlen musste, wenn er die Klage fallen ließ oder nicht ein Fünftel der Stimmen erhielt.17 Nach Pollux drohte dem Kläger in diesen Fällen sogar die Todesstrafe (F 74c), was in Widerspruch zu den demosthenischen Reden steht.18 In der Überlieferung sind zahlreiche Verfahren wegen Asebie nachgewiesen, die in ihrer Historizität nicht immer unumstritten sind und vielfach politische Hintergründe hatten, wie die zahlreichen Vorwürfe gegen Philosophen, denen die Einführung neuer Götter oder eine agnostische oder atheistische Lehre vorgeworfen wurde. Der früheste bekannte Prozess wegen Asebie war der gegen Aischylos;19 prominent waren die Prozesse wegen des Hermokopiden- und Mysterienfrevels, insbesondere gegen Alkibiades, sowie die gegen Anaxagoras, Protagoras, Diagoras von Melos, Sokrates, Stilpon, Theodoros, Theophrast und schließlich Aspasia.20 Wegen der Durchführung neuer, mit Orgien und Mysterien verbundener Kulte wurden in der Mitte des 4. Jh. Asebieverfahren gegen Ninos, Theoris und Phryne durchgeführt, die mit der Hinrichtung der drei Frauen endeten.21 Aristoteles soll von Demophilos wegen Asebie angeklagt worden sein.22 17  Demosth. or. 22,3; 24,7; 57,8. 18  Lipsius 1905–15, 368 Anm. 42 wertet diese Angabe des Pollux als Missverständnis, das aus And. 1,33 erwachsen sei. Tatsächlich drohten dem leichtsinnigen Ankläger 1000 Drachmen Buße und das Verbot, zukünftig öffentliche Klagen einzureichen und die Tempel zu betreten. 19  Aristot. Nik. eth. 3,2, 1111a 9 f. 20  Athen. 6,92, p. 611a; Plut. Per. 32,1–2 (hier ist die Klage gegen Aspasia wegen Asebie untechnisch mit δίκη ἀσεβείας bezeichnet). Dem Phidias wurde hierosylía, die Unterschlagung von Gold und Elfenbein, vorgeworfen (Plut. Per. 31; Philochoros FgrH 328 F 121). Zur Frage der Historizität dieser Prozesse und der politischen Motivation siehe Derenne 1930; Nilsson 31967, 769–771, 791 f.; Fischer 1967, 20–57, 60– 65; Robert Garland, Introducing New Gods. The Politics of Athenian Religion, Ithaca 1992, 136–151; Robert W. Wallace, Private Lives and Public Enemies. Freedom of Thought in Classical Athens, in: Alan L. Boegehold, Adele C. Scafuro (Hrsg.), Athenian Identity and Civic Ideology, Baltimore – London 1994, 127–155; Kurt Raaflaub, Den Olmpier herausfordern? Prozesse im Umkreis des Perikles, in: Leonhard Burckhardt, Jürgen von Ungern-Sternberg (Hrsg.), Große Prozesse im antiken Athen, München 2000, 96–113; Strothmann 2003, 168–172; Aikaterini Lefkla, Liberty versus Religious Tradition. Some ‚Impious‘ Thinkers in Ancient Greece, in: David Engels, Peter van Nuffelen (Hrsg.), Religion and Competition in Antiquity, Brüssel 2014, 96–111; Haake 2016 (wie Anm. 4). 21  Zum Todesurteil gegen Theoris in einer graphḗ asebeías Philochoros FgrH 328 F 60 (= Harpokr. θ 19 s. v. Θεωρίς· … μάντις ἦν ἡ Θεωρίς, καὶ ἀσεβείας κριθεῖσα ἀπέθανεν, ὡς καὶ Φιλόχορος ἐν ζʹ). Dazu Fischer 1967, 17–20, der von einem Verfahren vor dem Areopag ausgeht. Trampedach 2001; Parker 2005, 67 f. Zu Asebieverfahren im 4. Jh. auch Fischer 1967, 57–68; MacDowell 1978, 197 f.; L.-L. O’Sullivan, Athenian Impiety Trials in the Late Fourth Century B. C., in: CQ 47, 1997, 136–152; Esther Eidinow, Patterns of Persecution: ‚Witchcraft‘ Trials in Classical Athens, in: P&P 208, 2010, 9–35; dies., Envy, Poison, and Death. Women on Trial in Classical Athens, Oxford 2016. 22  Athen. 15,51, p. 696a und Diog. Laert. 5,5: der hieróphantos Eurymedon habe gegen Aristoteles eine Klage wegen Asebie eingebracht (δίκην ἀσεβείας γραψαμένου); Favorin überliefere hingegen, der Ankläger sei Demophilos gewesen; vgl. Ail. var. 3,36. Dazu Fischer 1967, 67–69; Haake 2016 (wie Anm. 4), 208 f.

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Am Ende der aristophanischen Komödie Die Wolken fragt der Titelheld Strepsiades den Gott Hermes, ob er mittels eines Verfahrens wegen Asebie, also mit einer gra­ phḗ asebeías, gegen Sokrates vorgehen soll; doch Hermes rät ihm, sich nicht lange mit einem Gerichtsverfahren aufzuhalten, sondern kurzen Prozess zu machen und dem Sokrates wie beim Rügebrauch des Dachabdeckens das Dach über dem Kopf anzustecken.23 Doch was auf der Bühne des Theaters möglich war, war in der Praxis gesetzlich untersagt. Wer gegen Sokrates vorgehen wollte, musste eine Klage wegen religiösen Frevels, eine graphḗ asebeías, beim zuständigen Amtsträger einreichen. Erhalten haben sich aus dieser Kategorie von Klagen die fünfte Rede des Lysias (Für Kallias in einer graphḗ hierosylías), die nicht von Lysias verfasste sechste Rede (Gegen Andokides, eingebracht durch éndeixis) und die siebte Rede (Über den heiligen Ölbaum); nicht erhalten sind die Reden des Hypereides (Für Phryne gegen Euthias) und des Deinarchos (Gegen Phormisios). Späten Quellen (F 74d–e) ist zu entnehmen, dass ebenfalls wegen Asebie gegen diejenigen geklagt werden konnte, die ihre alten Eltern misshandelt oder Verstorbene beleidigt hatten. Dies verweist einmal mehr darauf, dass es in den athenischen Gesetzen keine Definitionen der Delikte gab. So war es einem Ankläger überlassen, eine andere Person wegen Misshandlung der Eltern mittels einer graphḗ kakṓseōs gonéōn oder wegen Beleidigung mittels einer díkē kakēgorías anzuklagen oder eben mittels graphḗ asebeías; vor Gericht musste er aber plausibel darlegen, warum ihm eine graphḗ ase­ beías angebracht zu sein schien.24 Eine graphḗ asebeías konnte auch denjenigen treffen, der den eigenen Vater getötet oder mit einem Vater- oder Muttermörder Umgang gehabt hatte. Ein Beleg für eine graphḗ asebeías wegen Umgangs mit einem Vatermörder liegt in der Demosthenesrede Gegen Androtion vor. Im Jahr 354 klagten Euktemon und Diodoros den Historiographen und politisch tätigen Androtion wegen Gesetzwidrigkeit, also in einer graphḗ pa­ ranómōn, an, weil dieser den Antrag gestellt hatte, die Mitglieder des Rats des vergangenen Jahres sollten durch einen Kranz geehrt werden, obwohl sie ihre Aufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllt hätten. Außerdem sei der Antrag rechtswidrig unmittelbar vor das Volk gebracht worden. Bei der Klage handelte es sich um eine Vergeltungsaktion für vorausgehende Anklagen, die Androtion seinerseits gegen Euktemon und einen Verwandten des Diodoros eingebracht hatte: gegen Euktemon, da er seiner Steuerpflicht nicht nachgekommen sei (or. 22,48), gegen den Onkel des Diodoros wegen Asebie (or. 22,1–2). Androtion hatte den Prozess verloren, aber diese Ehrverletzung

23  Aristoph. nub. 1478–1511. Dazu Schmitz 2004, 375, 378; Winfried Schmitz, Menschliche und göttliche Gerechtigkeitsvorstellungen im archaischen und klassischen Griechenland, in: Heinz Barta, Robert Rollinger, Martin Lang (Hrsg.), Recht und Religion. Menschliche und göttliche Gerechtigkeitsvorstellungen in den antiken Welten, Wiesbaden 2008, 155–167. 24 Eine graphḗ gonéōn kakṓseōs war beim árchōn epṓnymos einzureichen (F 140).

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war der Anlass dafür, dass nun Euktemon und Diodoros ihrerseits Klage gegen Androtion erhoben. In der für Diodoros geschriebenen Rede verweist Demosthenes zu Anfang auf die Ehrverletzung: Hätte die aus der Luft gegriffene Anschuldigung, Diodoros sei ein Vatermörder, vor Gericht Glauben gefunden, hätte niemand den Diodoros noch bei sich aufgenommen.25 Androtion habe eine graphḗ asebeías gegen den Onkel eingebracht, weil dieser angeblich einen Frevel am Heiligen beginge (asebeín), indem er vertrauten Umgang mit Diodoros pflegte.26 In dem Verfahren habe Androtion nicht den fünften Teil der Stimmen der Geschworenen erhalten und sei zu einer Strafe von tausend Drachmen verurteilt worden.27 In der Rede Gegen Timokrates, gehalten in einer weiteren graphḗ paranómōn des Euktemon und Diodoros, kam Demosthenes auf diesen Prozess zurück, durch den Diodoros, hätte er den Prozess verloren, nicht nur sein Vermögen, sondern auch sein Leben verloren hätte.28 Diese Ausführungen zeigen, dass nicht nur der Vatermord als Tötungsdelikt in einem Rechtsverfahren geahndet werden konnte, sondern auch Umgang mit einer dadurch befleckten Person Grundlage für eine graphḗ asebeías hätte sein können. Um sich gegen diesbezügliche unbegründete Anschuldigungen zu wehren, war es dem Angegriffenen möglich, mit einer Klage wegen übler Nachrede dagegen vorzugehen. Klagen wegen des Umgang mit einem befleckten Täter konnten vor den árchōn basileús gebracht werden; Klagen wegen übler Nachrede, man sei ein Vatermörder, fielen hingegen in die Kompetenz der Thesmotheten und wurden vor der (h)ēliaía verhandelt. Diebstahl aus Heiligtümern (hierosylía) Hierosylía meint den Diebstahl gottgeweihter Gegenstände aus einem Heiligtum. In der Rede Gegen Androtion wirft Demosthenes dem Redner und Historiographen Androtion in polemischer Art und Weise vor, sich gleichermaßen des Tempelraubs, der Asebie und des Diebstahls schuldig gemacht und deswegen nicht nur einmal, sondern dreimal den Tod verdient zu haben.29 Denn als Schatzmeister habe er veranlasst, eine Anzahl von goldenen Ehrenkränzen einzuschmelzen, um aus dem Erlös neue Festgeräte zu beschaffen; Opferschalen habe er neu anfertigen und mit seinem Namen ver-

25  Demosth. or. 22,1: ἐμὲ δ’ οὐδ’ ἂν ἐδέξατο τῶν ὄντων ἀνθρώπων οὐδὲ εἷς. Ähnlich 22,2: τίς γὰρ ἂν ἢ φίλος ἢ ξένος εἰς ταὐτό ποτ’ ἐλθεῖν ἠθέλησεν ἐμοί; τίς δ’ ἂν εἴασε πόλις που παρ’ ἑαυτῇ γενέσθαι τὸν τὸ τοιοῦτ’ ἀσέβημα δοκοῦντ’ εἰργάσθαι; οὐκ ἔστιν οὐδὲ μία. 26  Demosth. or. 22,2: αἰτιασάμενος γάρ με, …, τὸν πατέρ’ ὡς ἀπέκτον’ ἐγὼ τὸν ἐμαυτοῦ, καὶ κατασκευάσας ἀσεβείας γραφὴν οὐκ ἐπ’ ἐμέ, ἀλλ’ ἐπὶ τὸν θεῖόν μου, γράψας ἀσεβεῖν ἐμοὶ συνιόντ’ εἰς ταὐτὸν ὡς πεποιηκότι ταῦτα, εἰς ἀγῶνα κατέστησεν. Zu dieser Klage Fischer 1967, 59 mit Hinweis auf Plat. leg. 868b–e. 27  Demosth. or. 22,3; 24,7. Phillips 2013, Nr. 349a. 28  Demosth. or. 24,7. 29  Demosth. or. 22,69. Diebstahl von in einen Tempel geweihten Waffen und anderen Gegenständen: Isokr. 18,57; Demosth. or. 57,64; Aristot. pol. 5,4, 1304a 3; polemisch gewendet in Lykurg. Leokr. 136.

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sehen lassen.30 Diese Tat, so behauptet Demosthenes, hätte also über drei verschiedene Rechtsverfahren geahndet werden können, so dass davon auszugehen ist, dass es unterschiedliche Klagen wegen Asebie und wegen Hierosylie gab.31 Darüberhinaus ist eine „Klage wegen Diebstahls heiligen Besitzes“ (graphḗ klopḗs hierṓn chrēmátōn) belegt; es ist dies vermutlich die Diebstahlsklage, für die Demosthenes ebenfalls den Tod als angemessene Strafe nennt. Unsicher muss bleiben, wodurch sich die Klagen unterschieden, ob die graphḗ hierosylías bei in den Tempel geweihten Gegenständen gegriffen hat, wohingegen die graphḗ klopḗs hierṓn chrēmátōn die Ahndung minder schwerer Diebstähle ermöglichte. In Parallele zur graphḗ klopḗs dēmosíōn chrēmátōn könnte die graphḗ klopḗs hierṓn chrēmátōn aber auch gegen Amtsinhaber, also Schatzmeister in Heiligtümern, gerichtet sein, die Tempelvermögen veruntreut hatten.32 Ob die graphḗ hierosylías sich auch dadurch von der graphḗ asebeías unterschied, dass sie bei den Thesmotheten eingereicht wurde, ist unsicher;33 Grundlage dafür ist der fiktive Prozess in den Wespen des Aristophanes, in dem der Hund von Kydathen den Hund Labes mittels graphḗ anklagt, einen Käse allein gefressen zu haben; dieser Prozess findet unter dem Vorsitz des Thesmotheten statt. Der Strafantrag lautet, der Hund Labes solle mit dem Holz totgeprügelt werden.34 Es ist aber nicht sicher, ob es sich um eine graphḗ hierosylías oder eine graphḗ klopḗs hierṓn chrēmátōn handelt. Andere Hinweise lassen vermuten, dass graphaí hierosylías in die Zuständigkeit des basileús fallen.35 30  Demosth. or. 22,69–74; 24,177. 31  Darauf deutet auch Poll. 8,40 (γραφαὶ δὲ φόνου καὶ τραύματος ἐκ προνοίας … καὶ ὕβρεως, ἱεροσυλίας, ἀσεβείας, …). So auch Phillips 2013, 408. In or. 24,120 f. wirft Demosthenes dem Timokrates vor, er habe zugunsten von Androtion ein Gesetz zum Schutze der Diebe und Tempelräuber (κλέπται καὶ ἱερόσυλοι) eingebracht, die das Heilige (ἱερά) geraubt hätten, nämlich die Abgabe des Zehnten an die Göttin Athena und des Fünfzigsten an die anderen Götter, indem sie diese Gelder behalten, statt übergeben hätten. Sie hätten sich damit der Beraubung des Gottes, der hierosylía, schuldig gemacht und verdienten, als Schuldner gegenüber den heiligen und öffentlichen Kassen den zehnfachen Betrag als Strafe zu zahlen. 32  Zur Hierosylie Cohen 1983, 93–115; Trampedach 2005; Phillips 2013, 335 f. Zum Unterschied zwischen der graphḗ hierosylías und der graphḗ klopḗs hierṓn chrēmátōn Cohen 1983, 93–95; 102 f. Auch wenn in den Gesetzen die Delikte nie definiert seien, habe doch eine klare Vorstellung darüber geherrscht, was unter hierosylía zu verstehen sei (ebd. 97–98; zu Belegen für hierosylía aus anderen griechischen Städten ebd. 103–111). 33  Davon gehen Lipsius 1905–15, 362 Anm. 20, 401 mit Anm. 99, 443 und Gerhard Thür, Art. Hierosylia, in: DNP 5, 1998, 554 aus. Vgl. hingegen Cohen 1983, 110: „That hierosulia and asebeia were not necessarily clearly distinguished is not only apparent from the earliest inscriptional evidence of hierosulia (…), but also imminently natural, as appeared in the discussion of Against Timocrates above“. 34  Aristoph. vesp. 891–898. Von Hierosylie ist in v. 845 die Rede; der Thesmothet ist in v. 935 belegt. 35  Nach Sokolowski, LSG 37 soll der Name des Übeltäters dem basileús und dem Rat angegeben werden. Nach einer Inschrift aus Samothrake (Syll.3 372) soll der basileús gegen Tempelräuber vorgehen, „die religiösen Frevel an dem Heiligtum begehen“ – τοὺς ἀσεβήσαντας εἰς τὸ ἱερόν; gemäß einer Inschrift aus Kyrene soll der der hierosylía für schuldig Befundene das erleiden, was für Asebie angeordnet ist (Sokolowski Supp. 117; Cohen 1983, 105–107). Nach Cicero (de divin. 1,25 [54]) wurde der Sophokles im Traum offenbarte Tempelraub vor dem Areopag (unter dem Vorsitz des basileús) verhandelt. Siehe demgegenüber aber die Version in Vita Sophoclis 12 (dazu Phillips 2013, 338). Phillips 2013, 335: „Hiero­

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Hierosylía wurde mit dem Tod bestraft, war also mit einer härteren Strafe als Asebie versehen, bei der eine Todesstrafe beantragt werden konnte, aber nicht musste.36 In den Quellen wird hierosylía als schweres Verbrechen genannt, das dem Hochverrat an die Seite gestellt ist,37 vermutlich deswegen, weil nach Xen. hell. 1,7,22 die Strafen für beide Delikte in einem einzigen Gesetz geregelt waren. Möglicherweise geht das Gesetz also auf ein Ereignis zurück, bei dem Verräter sich geweihter Gegenstände (z. B. erbeuteter Waffen) aus Heiligtümern bedient hatten. In diesem Gesetz war festgelegt, dass das Urteil über hierósyloi und Verräter in einem dikastḗrion gesprochen werden sollte und den Verurteilten die Bestattung innerhalb Attikas verweigert sowie ihr Vermögen konfisziert wurde.38 Fällen und Ausroden von heiligen Olivenbäumen Häufig gehörte zu einem Heiligtum – jenseits des heiligen Bezirks im engeren Sinne, in dem der Gottheit Opfer am Altar dargebracht, Tempel erbaut und Weihegaben gestiftet wurden, – auch Tempelland und ein heiliger Hain, die zur landwirtschaftlichen Nutzung verpachtet wurden.39 In Athen war es der basileús, der die Verpachtungen von Land, das zu Heiligtümern gehörte, auf geweißte Tafeln schrieb und sie dem Rat der 500 vorlegte. Die Pachtdauer betrug zehn Jahre, und die Pachtzahlungen mussten jeweils in der neunten Prytanie entrichtet werden; erfolgten die Zahlungen, wurde die Eintragung auf der geweißten Tafel ausgewischt.40 Inschriften geben Auskunft darüber, dass unter Strafe gestellt war, Bäume in Heiligtümern zu fällen oder Holz oder Wassylia (…) constituted a special substantive category of theft (it could equally be treated as a special type of impiety)“. 36  Todesstrafe für hierosylía: Xen. mem. 1,2,62; Lykurg. Leokr. 65; Demosth. or. 57,64; Plut. Solon 17,2; Apol. 25; vgl. Plat. leg. 9, 854e (zu diesen und weiteren Quellen Cohen 1983, 101) und Liban. hyp. Ps.-Demosth. or. 25,1–2. 37  Aristoph. vesp. 953; Antiph. 5,10; Demosth. or. 23,26; vgl. Plat. leg. 9, 854e. 38  Phillips 2013, 353 Nr. 287. Zur Strafe des Fluchs bei diesen Delikten Erich Ziebarth, Der Fluch im griechischen Recht, in: Hermes 30, 1895, 57–70, hier 57 f. 39  Diederich Behrend, Attische Pachturkunden. Ein Beitrag zur Beschreibung der μίσθωσις nach den griechischen Inschriften, München 1970; Marietta Horster, Landbesitz griechischer Heiligtümer in archaischer und klassischer Zeit, Berlin – New York 2004, 139–191; Papazarkadas 2011, 16–98, zur Verpachtung von heiligem und öffentlichem Land durch Phylen, Demen und Kultvereinen ebd. 99–211. Zu „heiligen Herden“, also Tieren, die zu einem Heiligtum gehörten, Michael H. Jameson, Sacrifice and Animal Husbandry in Ancient Greece, in: Charles R. Whittaker (Hrsg.), Pastoral Economies in Classical Antiquity, Cambridge 1988, 87–119; wiederabgedruckt in: Michael H. Jameson, Cults and Rites in Ancient Greece. Essays on Religion and Society, Cambridge 2014, 198–231, hier 221. 40  Aristot. Ath. pol. 47,4–5; Papazarkadas 2011, 51–75, vgl. 34–38. Auch für die Verpachtung der ‚Heiligen Au‘ (orgás) in Eleusis war der basileús zuständig (IG II3 1, 292 Z. 25 f.; I.Eleusis 144; LSCG 32; HGIÜ II 246 von 352/1 v. Chr.; Papazarkadas 2011, 30–41). Zur Finanzierung der Eleusinien, eines der ältesten sportlichen Wettkämpfe in Attika durch den in Naturalien eingezogenen Anteil an der Ernte der rharía Papazarkadas 2011, 39 f.

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ser aus dem Heiligtum herauszuholen.41 Zuwiderhandlungen wurden mit Geldstrafen belegt.42 Hohe Geldstrafen wurden gegen einige reiche Korkyraier ausgesprochen, denen vorgeworfen wurde, sie hätten unrechtmäßigerweise Rebstöcke aus dem heiligen Bezirk des Zeus und des Alkinoos geschnitten. Für jeden Rebstock sollten sie einen (Gold?-)Stater als Buße entrichten.43 Ähnlich war es in einem Gesetz aus Kos aus dem späten 5. Jh. bestimmt: „Wenn jemand die Zypressen, die innerhalb oder außerhalb des heiligen Bezirks (témenos) stehen, fällt oder aus dem Heiligtum Zypressenholz herausbringt (ekphérein), soll er tausend Drachmen Strafe zahlen und des Vergehens der Asebie hinsichtlich heiliger Dinge schuldig sein“.44 Auch wenn in klassischer Zeit die graphḗ hierosylías von der graphḗ asebeías geschieden war, so wurde das Ausroden von heiligen Ölbäumen (μορίαι) jedenfalls der Asebie zugerechnet.45 Bei Olivenbäumen lag eine besondere Situation vor, weil der Olivenbaum der Göttin Athena heilig war. Einige dieser ‚heiligen Olivenbäume‘, die auf den Baum der Athena auf der Akropolis zurückgingen, befanden sich im Hain der Akademie.46 In diesem Hain sollte es, so bezeugt Apollodoros, einen Altar des Zeus Kataibatos geben, den man auch ‚Morios‘ nannte, weil er über die heiligen Ölbäume dort wachte.47 Insbesondere die ‚heiligen Ölbäume‘, moríai genannt, standen also unter einem besonderen Schutz und durften nicht gefällt werden.48 Selbst den Stumpf

41  Unter Strafe stand, wenn jemand Wasser aus einem Heiligtum stahl (φέρηι ἢ ἄγηι), Bäume in Heiligtümern fällte oder Holz aus dem Heiligtum holte (φέρων). Sokolowski, LSG 178 (Attika, ca. 400 v. Chr.), LSG 37 (Attika, 4. Jh.), LSG 36 (Piräus, 4. Jh.; Regelungen bezüglich des Thesmophorion; bei Zuwiderhandlungen sollen die Bestimmungen der „alten Gesetze“ [archaíoi nómoi] angewendet werden); vgl. LSG 91. Ausführlich dazu Horster 2004 (wie Anm. 39), 107–120. 42  Cohen 1983, 99, 102 weist auf die relativ geringen Strafen hin, die für diese Delikte bestimmt waren. Man wird daher davon ausgehen dürfen, dass solche weniger gravierenden Delikte nicht mit einer graphḗ asebeías geahndet wurden, sondern mit einer graphḗ klopḗs hierṓn chrēmátōn. 43  Thuk. 3,70,4: φάσκων τέμνειν χάρακας ἐκ τοῦ τε Διὸς τοῦ τεμένους καὶ τοῦ Ἀλκίνου· ζημία δὲ καθ’ ἑκάστην χάρακα ἐπέκειτο στατήρ. 44  Sokolowski, LSG 150; Rudolf Herzog, Heilige Gesetze von Kos, Berlin 1928, 32 f. Nr. 11; Günther Klaffenbach in: Gnomon 6, 1930, 212–214; Cohen 1983, 111 f. Ähnlich Sokolowski, LSG 116. 45  Die siebte Rede des Lysias über die Entfernung eines Ölbaumstumpfs ist unter die λόγοι τῆς ἀσεβείας eingeordnet. Das Wort ἀσέβεια fällt in der Rede selbst nicht. 46  Schol. Soph. Oid. K. 701, Phot. lex. μ 529 s. v. μορίαι (siehe Anm. 48) und Suda μ 1248 s. v. μορίαι (siehe Anm. 54; vgl. Schol. Aristoph. nub. 1005a, b, g). Daneben wird es vermutlich weitere ‚heilige Ölbäume‘ gegeben haben. Kurt Latte, Art. μορία, in: RE 16,1, 1933, 302 f.; Bentz 1998, 24; Papazarkadas 2011, 261. 47  Apollodoros FgrH 244 F 120 (Schol. Soph. Oid. K. 705): Μορίου Διός: Μόριον Δία εἶπεν τὸν ἐπόπτην τῶν μοριῶν ἐλαῶν· καὶ ἔστιν ὁ λεγόμενος Μόριος Ζεὺς, ὥς φησι Ἀπολλόδωρος, ‹περὶ Ἀκαδήμειαν›· „Περὶ Ἀκαδήμειάν ἐστιν ὅ τε τοῦ Καταιβάτου Διὸς βωμός, ὃν καὶ Μόριον καλοῦσι, τῶν ἐκεῖ μοριῶν παρὰ τὸ τῆς Ἀθηνᾶς ἱερὸν ἱδρυμένων ‹ἐπόπτην›.“ Zeus und Athena, die über die heiligen Ölbäume wachen, sind in Soph. Oid. K. 700–706 genannt. Papazarkadas 2011, 277 f. 48  Hesych. μ 1655 s. v. μορίαι· ἐλαῖαι ἱεραὶ τῆς Ἀθηνᾶς; ebenso Glossae rhetoricae s. v. μορίαι (Lexica Segueriana, Anecd. gr. p. 280 Bekker); Phot. lex. μ 529 (p. 275, 3 Pors.) s. v. μορίαι: ἐλαῖαι ἱεραὶ τῆς Ἀθηνᾶς, ἐξ ὧν τὸ ἔλαιον ἔπαθλον ἐδίδοτο τοῖς νικῶσι τὰ Παναθήναια. Die Bezeichnung moríai geht vermutlich auf den ‚Anteil‘ (moíra) zurück, der von den Bäumen entrichtet werden musste (Etym. M. p. 590,47: Μορίαν: Οἱ μὲν πᾶσαν ἐλαίαν οὕτω καλοῦσιν· οἱ δὲ, τὰς ἱερὰς τῷ θεῷ, ὅτι δημοσίαν μοῖραν ἐκ τῶν καρπῶν

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(sēkós) eines solchen heiligen Ölbaums aus dem Boden zu entfernen, stand unter Strafe; umstritten ist allerdings, ob sēkós den Stumpf eines heiligen Ölbaums bezeichnet oder die Einfriedung, die die heiligen Ölbäume von anderen abgrenzt, also eine Art eigenes témenos bildete, das nicht verletzt werden durfte.49 Wenn die Lakedaimonier bei ihren Einfällen in Attika zwar das übrige Land verwüsteten, aber einerseits das der Tetrapolis im Nordosten Attikas wegen der Herkliden, andererseits das der heiligen Ölbäume (moríai) „wegen der Flüche (araí)“ verschonten, dann wird dies auf eine alte Tradition zurückgehen, gemäß der das unrechtmäßige Fällen und Zerstören von heiligen Olivenbäumen hart bestraft wurde.50 Aus der 7. Rede des Lysias (Verteidigungsrede vor dem Areopag wegen Beseitigung eines sēkós) geht hervor, dass zwischen eigenen und heiligen Ölbäumen unterschieden wurde und es für die Früchte der heiligen Ölbäume (moríai) Aufkäufer gab, die den Kauf registrierten, was Überprüfungen über unrechtmäßig entfernte Ölbäume zuließ.51 Der Areopag hatte eine Aufsichtspflicht über die heiligen Bäume (τῶν μοριῶν ἐλαιῶν ἐπιμέλεια) und entsandte Inspektoren (ἐπιγνώμονες) zur Kontrolle.52 Vermutlich war auch eine ‚Anzeige‘ bei dem zuständigen Amtsträger möglich.53 Heilige Ölbäume waren also geschützt, auch weil das Öl bei den seit Mitte des 6. Jh. gefeierten großen Panathenäen als Siegespreis vergeben wurde. Zudem durfte der Boden unmittelbar

ἐλάμβανον· … Σέλευκος, μορίαι, τῆς Ἀθηνᾶς ἱεραὶ ἐλαῖαι). So auch Papazarkadas 2011, 261 („the moriai were part of Athena’s property“). 49  Zur Bedeutung von sēkós in Lys. 7 siehe Horster 2006, 172 f.; Papazarkadas 2011, 282 f.; Phillips 2013, 408 f. („Customarily, a sacred olive tree (moria; …) was surrounded by a fence (sêkos) that served to advertise its status; whether the word sêkos came by extension to be applied to the tree it enclosed is a matter of continuing scholarly debate“). Phot. lex. ς 168: Σηκός: σημαίνει μὲν τὸ περίφραγμα καὶ τὴν ἔπαυλιν τῶν προβάτων· σημαίνει δὲ καὶ τὸ ἡρῷον· ἔτι δὲ καὶ ἐλαίαν οὐ μονοστέλεχον, ἀλλὰ πολύκλαδον· ὥστε καὶ καλάμην ἔξωθεν ἔχειν περικεχυμένην καὶ πολλὴν καὶ πυκνήν· ἔνεστι γὰρ ὑπὸ ταῖς τοιαύταις ἐλαίαις καὶ σηκάζεσθαι· (= Pausanias Attizista ς 11: ἔτι δὲ … καὶ σηκάζεσθαι). ὥστε τρία εἴδη ἐλαίας· καὶ αἱ μὲν γὰρ ἁπλῶς ἐλαῖαι καλοῦνται· αἱ δὲ μορίαι· ὅσαι καὶ ἱεραὶ τῆς Ἀθηνᾶς ἦσαν· αἱ δὲ σηκοὶ, αἱ πολύκλαδοι καὶ κομήτριαι· οὐκ ἐξῆν δὲ οὔτε τὰς σηκοὺς, οὔτε τὰς μορίας ἐκκόπτειν· ἢ γὰρ θάνατος ἦν, ἢ ζημία. 50  Schol. Soph. Oid. K. 701: δι’ ὃ Λακεδαιμόνιοι τὴν λοιπὴν γῆν δῃοῦντες τῆς μὲν Τετραπόλεως ἀπέσχοντο διὰ τοὺς Ἡρακλείδας, τῶν δὲ μοριῶν διὰ τὰς ἀράς. 51  Lys. 7,7 (ἴδιαι καὶ μόριαι ἐλαίαι; vgl. 7,10). Die Anklage lautete zunächst, der Angeklagte habe einen Ölbaum von seinem Land verschwinden lassen (Lys. 7,2); bei den „Käufern der Früchte der heiligen Ölbäume (moríai)“ konnte man aber keine Unregelmäßigkeit feststellen, so dass dann die Anklage lautete, der Kläger habe einen sēkós beseitigt (Lys. 7,2: πρὸς τοὺς ἐωνημένους τοὺς καρποὺς τῶν μοριῶν πυνθανόμενοι προσῇσαν· ἐπειδὴ δ’ ἐκ τούτου τοῦ τρόπου ἀδικοῦντά με οὐδὲν εὑρεῖν ἐδυνήθησαν, νυνί με σηκόν ‹φασιν› ἀφανίζειν). Zu der Klage Lipsius 1905–15, 128 f.; Horster 2006, 167–172; Papazarkadas 2011, 263–268. 52  Lys. 7,25: ἐπιμελουμένους μὲν ἑκάστου μηνός, ἐπιγνώμονας δὲ πέμποντας καθ’ ἕκαστον ἐνιαυτόν; 7,29: οἷς ὑπὸ τῆς πόλεως τὸν ἅπαντα χρόνον προστέτακται τῶν μοριῶν ἐλαιῶν ἐπιμελεῖσθαι. Harpokr. ε 87 s. v. ἐπιγνώμονας mit Hinweis auf die Lysiasrede; vgl. Glossae rhetoricae (Lexicon Segueriana, Anecd. gr. p. 228,23 Bekker) s. v. Γνώμονας: ἄρχοντάς τινας εἶναι τοὺς ἐπισκεπτομένους καθ’ ἕκαστον ἐνιαυτὸν τὰ χωρία πάντα, μή πώς τις ἐξέκοψε τὰς μορίας. 53  Lys. 7,16 (s. u. Anm. 94).

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um die heiligen Ölbäume zum Schutz der Erträge nicht bebaut werden.54 Der árchōn trieb das von den heiligen Ölbäumen gewonnene Öl von denjenigen ein, die das Land besaßen, auf dem die heiligen Bäume standen, und zwar drei halbe Kotylen von jedem Baum.55 In der Athenaion politeia ist ein früheres von einem späteren Verfahren unterschieden: Früher nämlich hätte die Polis die Einnahme verpachtet, und wenn jemand einen heiligen Ölbaum ausgrub oder fällte, hätte der Areopag über ihn das Urteil gesprochen. Wurde er für schuldig befunden, bestraften ihn die Areopagiten mit dem Tod.56 Ausdrücklich heißt es in der Schrift, dass es dieses Gesetz (in den 320er Jahren) zwar noch gebe, aber das Verfahren nicht mehr.57 Der Angeklagte, für den Lysias in den ersten Jahren des 4. Jh. die siebte Rede schrieb, musste sich wegen Entfernens eines Ölbaumstumpfes (sēkós) vor dem Areopag verteidigen; ihm drohte bei einer Verurteilung, dass er Attika verlassen musste und sein Besitz konfisziert wurde.58 Zu dieser Zeit galt offensichtlich noch das frühere Verfahren. Umstritten ist, wann die Änderung im Verfahren, wie das Öl eingezogen wurde, vorgenommen wurde und ob dabei die Strafe verschärft oder abgemildert wurde.59 Nach der Umstellung des Verfahrens musste der Landbesitzer das Öl nicht mehr für jeden einzelnen heiligen Baum an den Pächter der ‚Steuer‘ entrichten, sondern einen Anteil der Ernte aus dem Gesamtbesitz (der heili54  Lys. 7,25.29. Suda μ 1248 s. v. μορίαι: ἐλαῖαι ἱεραὶ τῆς Ἀθηνᾶς, ἐξ ὧν τὸ ἔλαιον ἔπαθλον ἐδίδοτο τοῖς νικῶσι τὰ Παναθήναια. ἦσαν δὲ πρῶται ιβʹ τὸν ἀριθμόν, αἱ μεταφυτευθεῖσαι ἐκ τῆς ἀκροπόλεως εἰς Ἀκαδημίαν. 55  Aristot. Ath. pol. 60,2: συλλέγεται δὲ τὸ ἔλαιον ἀπὸ τῶν μοριῶν· εἰσπράττει δὲ τοὺς τὰ χωρία κεκτημένους ἐν οἷς αἱ μορίαι εἰσὶν ὁ ἄρχων, τρί’ ἡμικοτύλια ἀπὸ τοῦ στελέχους ἑκάστου. Vgl. Schol. Soph. Oed. Col. 701 (Aristot. fr. 383 Rose): ὁ δὲ Ἀριστοτέλης καὶ τοῖς νικήσασι τὰ Παναθήναια ἐλαίου τοῦ ἐκ τῶν μορίων γινομένου δίδοσθαί φησιν. Zur Zuständigkeit des árchōn siehe auch Lys. 7,22. 56  Aristot. Ath. pol. 60,2: πρότερον δ’ ἐπώλει τὸν καρπὸν ἡ πόλις· καὶ εἴ τις ἐξορύξειεν ἐλαίαν μορίαν ἢ κατάξειεν, ἔκρινεν ἡ ἐξ Ἀρείου πάγου βουλή, καὶ εἴ [τ]ου καταγνοίη, θανάτῳ τοῦτον ἐζημίουν. Vgl. dazu Mommsen 1898, 78. Der vor dem Areopag stattfindende Prozess und die Todesstrafe, die in klassischer Zeit auf Verbannung hinauslief, beweisen Kurt Latte das hohe Alter der Bestimmung (1933 [wie Anm. 46]). Zur Kompetenz des Areopags in Hinsicht auf die heiligen Ölbäume siehe auch Etym. Gen. 590,42–50 mit Papazarkadas 2011, 279 f. 57  Ebd.: ὁ μὲν νόμος ἔστιν, ἡ δὲ κρίσις καταλέλυται. Nach Ansicht von Mommsen 1898, 80 habe es „der jüngeren Zeit genügt(e), die Quote zu erhalten, mochte sie von heiligen oder profanen Bäumen herrühren“. Diese Deutung des Satzes vertreten auch Horster 2006, 173–179 und Leppin 2006. 58  Die dem Angeklagten vorgeworfene Entfernung des Stumpfs soll sich 397/6 zugetragen haben. 59  Der Wechsel zum späteren Verfahren wird nach Meinung von Martin Bentz durch den Beginn der Archon-Beischriften auf den Preisamphoren in den späten 390er Jahren markiert (Bentz 1998, 26). Als Strafen genannt sind Todesstrafe (Aristot. Ath. pol. 60,2), Verbannung und Konfiskation des Besitzes (Lys. 7,3.15.41) sowie Verfluchung (F 76a). Wenn eine Verfluchung ausgesprochen wurde, kann der Tod als Strafe (oder Flucht) und Besitzkonfiskation impliziert sein (so Lipsius 1905–15, 128 Anm. 24). Die Todesstrafe belegt auch Pausanias Attizista ς 11: ὥστε τρία εἴδη ἐλαίας· [καὶ] αἱ μὲν γὰρ ἁπλῶς ἐλαῖαι καλοῦνται, αἱ δὲ μορίαι, ὅσαι καὶ ἱεραὶ τῆς Ἀθηνᾶς ἦσαν, αἱ δὲ σηκοί, αἱ πολύκλαδοι καὶ κομῶσαι. οὐκ ἐξῆν δὲ οὔτε τοὺς σηκοὺς οὔτε τὰς μορίας ἐκκόπτειν· ἢ γὰρ θάνατος ἦν ἡ ζημία. Ebenso Phot. lex. ς 168: Σηκός. Zu der umstrittenen Frage, warum in Ath. pol. 60,2 und Lys. 7 unterschiedliche Strafen genannt sind, Horster 2006, die der Ath. pol. eine Fehlinformation unterstellt (ebd. 184); dagegen Leppin 2006. Phillips 2013, 409 geht davon aus, dass die ursprüngliche Todesstrafe in den 390er Jahren durch Exil und Vermögenskonfiskation ersetzt wurde.

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gen und der eigenen Olivenbäume) dem árchōn abliefern.60 Anschließend musste der árchōn das eingesammelte Olivenöl den Schatzmeistern auf der Akropolis übergeben, und er wurde nicht eher in den Areopag aufgenommen, bevor er nicht alles Olivenöl übergeben hatte. An den Panathenäen maßen die Schatzmeister es den Athlotheten zu, diese wiederum überreichten es den siegreichen Wettkämpfern.61 Und so galten im 4. Jh. v. Chr. auch für die auf Privatbesitz angepflanzten Olivenbäume gesetzliche Beschränkungen: In der demosthenischen Rede Gegen Makartatos ist ein Gesetz eingelegt, das unter Androhung einer Strafe von einhundert Drachmen verbietet, einen Olivenbaum auszugraben, wenn er nicht für ein öffentliches oder ein von der lokalen Gemeinde geführtes Heiligtum gedacht war oder (jährlich beschränkt auf zwei Bäume pro Jahr) zum eigenen Gebrauch oder für eine Brandbestattung verwendet werden sollte. Die Strafsumme, einhundert Drachmen für jeden Baum, ging an die öffentliche Kasse, ein Zehntel davon an den Schatz der Athena; zusätzlich je Baum gingen weitere einhundert Drachmen an den, der die Tat dem zuständigen Archonten („den Archonten, von denen ein jeder Richter war“) angezeigt hatte. Die Höhe der Schuld soll den staatlichen Geldeintreibern schriftlich mitgeteilt werden, ebenso den Schatzmeistern der Athena. Unterlassen die Amtsträger die schriftliche Anzeige an diese, bleiben also ‚untätig‘, sollen sie selbst die Summe zu bezahlen haben, was der im Gesetz über die Untätigkeit (F 59) festgelegten Strafe entspricht (einhundert Drachmen bei einfachem, Atimie bei dreifachem Verstoß).62 Mit den detaillierten Bestimmungen und Verfahrensvorschriften geht dieses Gesetz wahrscheinlich nicht auf solonische Zeit zurück,63 sondern vermutlich auf die Zeit nach der Umstellung des Einzugsverfahrens, weil dadurch nicht nur die heiligen, sondern auch die anderen Olivenbäume unter Schutz gestellt wurden. Doch ist davon auszugehen, dass es ein

60  Aristot. Ath. pol. 60,2: τὸ δὲ ἔλα[ιον] ἐκ τοῦ κτήματος, οὐκ ἀπὸ τῶν στελεχῶν ἐστι τῇ πόλει. Zur Umstellung des Verfahrens, das Olivenöl einzuziehen, von der Verpachtung auf die direkte Eintreibung durch den Archonten, Rhodes 1981, 672–674. Er sieht in der Ölknappheit nach dem Peloponnesischen Krieg die Ursache für die Umstellung, Valavanis 1986 in der deutlichen Vermehrung der vergebenen Siegespreise. Zu Einwänden dagegen Bentz 1998, 27, der eine einfachere Einziehung des Olivenöls als Ursache in Erwägung zieht. Vgl. Papazarkadas 2011, 262–269, der die Umstellung 391/0 v. Chr. ansetzt. 61  Aristot. Ath. pol. 60,3. 62  Demosth. or. 43,71: Ἐάν τις ἐλάαν Ἀθήνησιν ἐξορύττῃ, ἐὰν μὴ εἰς ἱερὸν Ἀθηναίων δημόσιον ἢ δημοτικόν, ἢ ἑαυτῷ χρῆσθαι μέχρι δυοῖν ἐλάαιν τοῦ ἐνιαυτοῦ ἑκάστου, ἢ ἐπὶ ἀποθανόντα δέῃ χρήσασθαι, ὀφείλειν ἑκατὸν δραχμὰς τῷ δημοσίῳ τῆς ἐλάας ἑκάστης, τὸ δὲ ἐπιδέκατον τούτου τῆς θεοῦ εἶναι. ὀφειλέτω δὲ καὶ τῷ ἰδιώτῃ τῷ ἐπεξιόντι ἑκατὸν δραχμὰς καθ’ ἑκάστην ἐλάαν. τὰς δὲ δίκας εἶναι περὶ τούτων πρὸς τοὺς ἄρχοντας, ὧν ἕκαστοι δικασταί εἰσι. πρυτανεῖα δὲ τιθέτω ὁ διώκων τοῦ αὑτοῦ μέρους. ὅτου δ’ ἂν καταγνωσθῇ, ἐγγραφόντων οἱ ἄρχοντες, πρὸς οὓς ἂν ᾖ ἡ δίκη, τοῖς πράκτορσιν, ὃ τῷ δημοσίῳ γίγνεται· ‹ὃ δὲ τῇ θεῷ γίγνεται›, τοῖς ταμίαις τῶν τῆς θεοῦ. ἐὰν δὲ μὴ ἐγγράφωσιν, αὐτοὶ ὀφειλόντων. Siehe dazu Horster 2006, 181; Papazarkadas 2011, 275 f. 63  Mario Manfredini, Luigi Piccirilli, Plutarco. La vita di Solone, Mailand 1977, 249 f. halten es für „estremamente probabile“, dass auch dieses Gesetz auf Solon zurückgeht. Zu dieser Diskussion siehe auch Horster 2006, 182.

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frühes Gesetz gab, das zumindest die der Athena heiligen Olivenbäume schützte und die Nutzung regelte.64 Unterschlagung von Ernteanteilen, die der Gottheit zustehen Man wird also voraussetzen können, dass in archaischer Zeit der Göttin Athena der Ertrag der heiligen Ölivenbäume sowie der Bäume zustand, die in einem heiligen Hain standen.65 In diesen Zusammenhang wird ein weiteres Gesetz Solons zu stellen sein, das Unterschlagung von Olivenöl und Diebstahl aus heiligen Bezirken unter Strafe stellte, ein Delikt, das der hierosylía gleichkam und mit den gleichen harten Strafen (Tod, Konfiskation des Vermögens) geahndet wurde. Gemäß einem inschriftlich erhaltenen Gesetz aus Smyrna aus dem 1. Jh. v. Chr. war verboten, den der Gottheit geweihten ‚heiligen Fisch‘ „durch Diebstahl aus dem Heiligtum herauszubringen“ (ἐκφέρειν ἐκ τοῦ ἱεροῦ ἐπὶ κλοπήν) oder heilige Gerätschaften zu profanieren. Zuwiderhandelnde sollten verflucht und den Fischen vorgeworfen werden.66 Auch einige Verse aus den Rittern des Aristophanes (F 75a) zeigen, dass die Unterschlagung von Ernteerträgen, die einer Gottheit zustanden, unter Strafe stand. Die „heiligen Gedärme“ (ἱεραὶ κοιλίαι), die der Wursthändler „unverzehnt“ verkauft haben soll, sind eine Anspielung auf die heiligen Ölbäume (ἱεραὶ ἐλαῖαι), von deren Ertrag ein Zehntel der Göttin Athena gebührte.67 In einer späten Quelle ist die unrechtmäßige Entnahme von Früchten heiliger Ölbäume dann auch mit dem Vergehen der hierosylía in Verbindung gebracht.68 Dass nicht nur der Ertrag der wild gewachsenen ‚heiligen 64  Leão/Rhodes 2015, 146 f.: „The information provided by Pollux [scil. F 75c] might derive from Solon’s legislation about agriculture or from the norms dealing with religion, because the act of damaging a moria was considered a serious crime“. 65  Zur Unterscheidung von moríai und Ölbäumen in heiligen Hainen Papazarkadas 2011, 281. Zumindest in klassischer Zeit musste darüber hinaus auch ein Anteil an der Ernte der auf privatem Land angepflanzten Olivenbäume und dem daraus gewonnenen Öl an Athena entrichtet werden. Zur Verarbeitung der Oliven Marie-Claire Amouretti, Le pain et l’huile dans la Grèce antique. De l’araire au moulin, Paris 1986; dies., Les sous-produits de la fabrication de l’huile et du vin, in: dies., Jean-Pierre Brun (Hrsg.), La production du vin et de l’huile en Méditerranée, Athen – Paris 1993, 463–476; Lin Foxhall, Oil Extrac­ tion and Processing Equipment in Classical Greece, in: ebd. 183–199. 66 Syll.3 997; Charles Michel, Recueil d’inscriptions Grecques, Brüssel 1900. Paul Stengel, Opferbräuche der Griechen, Leipzig 1910, 201 f. 67  Entsprechend ist in F 75e von „heiligen Feigen“ (ἱερὰ σῦκα) die Rede. 68  Michael Apostolios cent. 11,75: Μοριῶν μὴ θίγγανε: ἐπὶ τῶν ἱεροσύλων· μορίαι γὰρ ἐλέγοντο αἱ ἐλαῖαι, αἳ ἦσαν ἱεραὶ τῆς Ἀθηνᾶς· ἐξ ὧν τὸ ἔλαιον ἔπαθλον ἐδίδοντο τοῖς νικῶσι τὰ Παναθήναια· ἦσαν δὲ πρῶται δώδεκα τὸν ἀριθμὸν, αἱ μεταφυτευθεῖσαι ἐκ τῆς ἀκροπόλεως εἰς Ἀκαδήμιαν. ἤτοι ἀπὸ μόρου καὶ τοῦ φόνου τοῦ Ἁλιῤῥοθίου ὀνομασθεῖσαι οὕτως, ἢ ὅτι ἐνέμοντο καὶ ἐμερίζοντο τὸ ἔλαιον τὸ ἐξ αὐτῶν Ἀθηναῖοι ἅπαντες. – „Lass die Finger von den heiligen Ölbäumen (moríai). [Dieses Sprichwort ist] auf die Tempelräuber (hierósyloi) [gerichtet]. Denn moríai nennen sie die Ölbäume, die der Athena heilig waren. Das aus diesen [Bäumen gewonnene] Olivenöl wurde den Siegern bei den panathenäischen Spielen als Siegespreis gegeben. Es waren zunächst zwölf an der Zahl, die von der Akropolis in [den Hain der] Aka-

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Ölbäume‘ der Göttin Athena zustand, sondern auch ein Anteil der angepflanzten, kultivierten Ölbäume, dafür spricht die Verwendung des Wortes stoichádes für die in Reihe gesetzten Ölbäume in den Gesetzen Solons.69 Bei seiner Erläuterung, dass sich dieses Wort bei Solon finde, bezog sich Pollux (F 75c) vermutlich auf Philochoros (F 75b). Unter die solonischen Bestimmungen hinsichtlich der Nutzung gottgeweihter Bäume fielen auch weitere auf heiligem Land wachsende Bäume, die orgádes (F 77a–b). Dass es gesetzliche Bestimmungen Solons hinsichtlich der Olivenernte und der Verpflichtung gab, Anteile der Ernte der Gottheit Athena zukommen zu lassen, dafür spricht schließlich auch ein um 125 n. Chr. erlassenes Gesetz Kaiser Hadrians über den Ölverkauf in Athen.70 Spätantike Chronisten geben an, dass die Athener Hadrian gebeten hätten, Gesetze nach der Vorlage Drakons, Solons und anderer Gesetzgeber zusammenzustellen.71 Eines dieser Gesetze betrifft den Verkauf von Olivenöl. Der Indemie umgepflanzt wurden. Sie wurden so genannt vom Verhängnis (móros) und Tod des Halirrothios, oder weil alle Athener von dem aus diesem [aus den Ölbäumen gewonnenen] Olivenöl einen Anteil erhielten und unter sich aufteilten (merízesthai)“. Die Angaben decken sich teilweise mit denen in Etym. Gen. 590,42–50 (Papazarkadas 2011, 279 f.). 69  Leão/Rhodes 2015, 147 gehen davon aus, dass auch Philochoros (F 75b) das Wort aus den solonischen Gesetzen entnommen hat, so wie es ebenfalls bei dem Hinweis auf die Genesien der Fall war (F 83). Auffällig ist auch, dass bei den Regelungen zum Grenzabstand bei Oliven- und Feigenbäumen neun Fuß Abstand eingehalten werden mussten, nicht nur fünf, wie bei den anderen Bäumen und Pflanzen (F 118), vielleicht weil der Grundstücksbesitzer die Verantwortung dafür trug, dass ein Zehntel der Ernte an Athena ging. Sollte sich auch die Steuer in Höhe eines Zehntels, die Peisistratos eingeführt haben soll (Aristot. Ath. pol. 16,4), auf die Ernte der Olivenbäume beziehen? Nach Dion Chrysostomos (or. 25,3) hätten die Athener auf Peisistratos’ Anweisung hin Ölbäume angepflanzt. Er erwähnt dies in Zusammenhang mit dem Verbot, in die Stadt zu ziehen, wovon die Athenaion politeia in 16,3 berichtet. Auch in Korinth ließ Kypselos für Zeus ein Zehntel der Einkünfte erheben (Ps.-Aristot. oik. 1346a 32–b 6). Zu der von den Tyrannen Athens erhobenen zehn- oder fünfprozentigen Abgabe siehe Heleen Sancisi-Weerdenburg, Solon’s hektēmoroi and Pisistratid dekatēmoroi, in: dies., R. J. van der Spek, H. C. Teitler, H. T. Wallinga (Hrsg.), De agricultura: In memoriam Pieter Willem de Neeve (1945–1990), Amsterdam 1993, 13–30, hier 25–30. 70  IG II/III2 1100 (SEG 21, 501); E. Mary Smallwood, Documents illustrating the Principates of Nerva, Trajan and Hadrian, Cambridge 1966, Nr. 443; James H. Oliver, Greek Constitutions of Early Roman Emperors from Inscriptions and Papyri, Philadelphia 1989, Nr. 92 Z. 1; Helmut Freis, Historische Inschriften zur römischen Kaiserzeit von Augustus bis Konstantin, Darmstadt 1984, Nr. 85 (dt. Übersetzung). Zur Datierung Paul Graindor, Athènes sous Hadrien, Kairo 1934, 32–35 (zum Ölgesetz selbst ebd. 74–79) und Simone Follet, Athènes au IIe et au IIIe siècle. Études chronologiques et prosopographiques, Paris 1976, 116. 71  Vers. Arm., ab Abr. 2137; Hieron., ab Abr. 2138 (Eus. chron. 198 Helm): Hadrianus Atheniensibus leges petentibus ex Draconis et Solonis reliquorumque libris iura composuit; Syncell. chron. I, p. 659,9 Niebuhr und IG II2 1075, Z. 4–5: --- τοῖς Ἀθηναίοις χρῆσθαι τ]οῖς παλαιοῖς τῆς πόλε[ως νόμοις. Die Quellenbelege sind zusammengestellt bei Wilhelm Weber, Untersuchungen zur Geschichte des Kaisers Ha­ drianus, Leipzig 1907, 165; Graindor 1934 (wie Anm. 70), 30. Nach Anthony B. Birley, Hadrian, the Restless Emperor, London 1997, 177 gingen die Bitten der Athener auf Annius Pythodoros zurück. Kostas Buraselis, Zum hadrianischen Regierungsstil im griechischen Osten oder vom kaiserlichen Agieren und Reagieren, in: Hans-Ulrich Wiemer (Hrsg.), Staatlichkeit und politisches Handeln in der römischen Kaiserzeit, Berlin – New York 2006, 41–54, bes. 47–49 der darüber urteilt: „Man kann nicht wissen, ob diese athenische Wunschäußerung je eine offizielle und spezifische Form angenommen hat; die Inschrift gibt auf jeden Fall wieder eher das Bild einer energischen Intervention des Kaisers, nach seinem

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schriftstein, der das Gesetz trug, war am Haupteingang zum ‚Römischen Markt‘ aufgestellt und trug die Überschrift κε(φάλαια) νο(μοθεσίας) θε(οῦ) Ἁδριανοῦ („Kapitel aus der Gesetzgebung des vergöttlichten Hadrian“).72 Danach sollten die Olivenbauern den dritten Teil des Olivenöls auf den Markt bringen; zu Beginn der Ernte sollten sie das Öl gemäß ihrer Schätzung den städtischen Ölkäufern (ἐλεώναι) geben, die für den öffentlichen Bedarf Vorsorge trafen. Unter Eid sollte angegeben werden, wieviel jeder Bauern geerntet hatte oder durch seine Sklaven und Freigelassenen hatte ernten lassen. Wer die Ernte für den Export (ἐπ᾽ἐξαγωγῇ) aufkaufte, sollte bei den Amtsträgern eintragen lassen, wieviel es war, wem er die Ernte verkaufte und wohin das Schiff fuhr. Es folgen Strafen für den Fall, dass jemand falsche Erklärungen abgab, über das Ernteaufkommen oder über den Export, und Verfahrensregeln, bei wem Vergehen ‚anzuzeigen‘ (mēnýein) war. Der Export von Olivenöl war ausdrücklich erlaubt, wurde aber einer strengen Kontrolle unterzogen, offensichtlich um den öffentlichen Bedarf der Stadt zu decken. In welchem Maße Hadrian mit diesem Gesetz tatsächlich auf Bestimmungen eines solonischen Gesetzes zurückgriff, ist kaum zu entscheiden.73 Das Gesetz zeigt jedenfalls eine lange Tradition bei der Reglementierung der Olivenernte und des Ölverkaufs. Gesetz über die Verpachtung der Olivenernte (sog. Exportverbot) Um die soziale und wirtschaftliche Krise zu bewältigen und eine Eskalation der auf einen Bürgerkrieg zusteuernden Entwicklung zu verhindern, hatte Solon eine Aufhebung bestehender Schuldverpflichtungen durchgesetzt und in Ergänzung dazu ein Verbot des Zugriffs auf die Person des Schuldners erlassen. Fortan war es untersagt, Darlehen zu gewähren, für die der Schuldner mit seinem Körper haftete. Ins Ausland geflohene Schuldner konnten nach Attika zurückkehren, ohne das Risiko einzugehen, ergriffen zu werden, und wurden wieder ‚Ehrbare‘ (epítimoi) (F 102–109). Die Forschung geht davon aus, dass Solon, als unterstützende Maßnahme der durch die freien Ermessen und im eigentlichen Ediktstil, zur Behebung eines aktuellen Mißstands im Funktionieren der Stadt, d. h. des Mangels an ausreichenden Olivenölreserven“ (48). 72  Oder: κε(φάλαια) νο(μο)θε(σίας) Ἁδριανοῦ. Zu dieser und weiteren möglichen Ergänzungen der Abkürzungen Follet 1976 (wie Anm. 70), 117 Anm. 4 sowie SEG 46,144: κε(φάλαιον) νό(μου) θε(ωρικοῦ) Ἁδριανοῦ. 73  Buraselis 1998 (wie Anm. 71), 48: Hadrian scheint „hier schon bestehende, vielleicht in der Praxis nicht mehr angewendete athenische Vorschriften zur Bildung einer städtischen Olivenölreserve eingeschärft und um ein genaues Kontrollverfahren ergänzt zu haben“. Das „neue bzw. erneuerte und und ergänzte Gesetz“ sei gegen ein Verschulden vieler athenischer Bürger gerichtet gewesen, die am Ölexport mehr verdienten als am Verkauf auf den heimischen Märkten. Birley 1997 (wie Anm. 71), 177: „This echoed a famous law of Solon“. Ähnlich Follet 1976 (wie Anm. 70), 117. Vgl. auch Kaja Harter-Uibopuu, Hadrian and the Athenian Oil Law, in: Richard Alston, Onno M. van Nijf (Hrsg.), Feeding the Ancient Greek City, Leuven 2008, 127–141.

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Realteilung gefährdeten Bauern und um die Ernährung der attischen Bevölkerung zu sichern, ein Exportverbot von landwirtschaftlichen Produkten in seine Gesetzgebung aufgenommen habe, auch weil Attika bereits zu dieser Zeit auf den Import von Getreide angewiesen war.74 Das Exportverbot habe sich auf alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse außer auf das reichlich vorhandene Olivenöl bezogen.75 Raymond Descat zufolge sei es Solon darum gegangen, mit dem Gesetz eine stärkere Kontrollmöglichkeit über den Handel zu erreichen; so habe er durch das Gesetz verhindert, dass die Produzenten ihre Produkte direkt verkaufen konnten. Überschüsse sollten nur kontrolliert exportiert werden.76 Nach Victor Davis Hanson habe das Gesetz auf eine Begrenzung des Getreideexports und einen Anreiz zum Handel mit Olivenöl abgezielt; das Gesetz sei eine populistische Maßnahme gewesen, um aristokratische Landbesitzer zu kontrollieren und gleichzeitig Bauern zu ermutigen, in Frucht- und Weinanbau zu investieren.77 Doch diese Interpretationen sind sehr weitreichend und setzen einen Willen zur bewussten Lenkung der Wirtschaft voraus, der für diese frühe Zeit kaum angenommen werden kann.78

74  Stefan Link, Landverteilung und sozialer Frieden im archaischen Griechenland, Stuttgart 1991, 33 wertet das Exportverbot als Maßnahme zur Sicherung des Kleinbauerntums. Häufig wird als Argument genannt, dass die Landbesitzer das Getreide wegen der höheren Verkaufspreise außerhalb Attikas veräußern wollten. So z. B. Peter D. A. Garnsey, Famine and Food Supply in the Graeco-Roman World, Cambridge 1988, 75, 110–112, der bei diesem „mysterious law“ an eine „ad hoc measure issued in the context of a food crisis“ denkt. Ebenso Harter-Uibopuu 2008 (wie Anm. 73), 131. Die Aufnahme des Exportverbots als Gesetz spricht allerdings gegen eine Maßnahme zur Behebung einer kurzfristigen Nahrungsmittelkrise. 75  So Ziebarth 1895 (wie Anm. 38), 57–70, hier 64; J. G. Milne, The Economic Policy of Solon, in: Hesperia 14, 1945, 230–245, hier 233; Victor Ehrenberg, From Solon to Socrates. Greek History and Civilization During the 6th and 5th Centuries B. C., London 1968, 73; Manfredini/Piccirilli 1977 (wie Anm. 63), 249; Robert J. Hopper, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, München 1982, 49; Robin Osborne, Classical Landscape with Fidures. The Ancient Greek City and its Countryside, London 1987, 98; Welwei 1992, 166 (mit weiterer Literatur); Descat 1993; Helmuth Schneider, Art. Speiseöle, in: DNP 12,2, 2002, Sp. 1119; L’Homme-Wéry 2004, 151–153; Gil Davis, Dating the Drachmas in Solon’s Laws, in: Historia 61, 2012, 127–158, hier 147, 149 f. 76  Descat 1993, bes. 153 f.: „L’interdiction d’exporter les produits attiques veut dire que désormais chaque propriétaire est dans l’obligation de vendre en Attique même, par conséquent dans des lieux définis, les agoras, où les étrangers sont ou non admis selon la décision de la cité“. Ähnlich Sara Forsdyke, Land, Labor and Economy in Solonian Athens: Breaking the Impasse Between Archaeology and History, in: Josine H. Blok, André P. M. H. Lardinois (Hrsg.), Solon of Athens. New Historical and Philological Approaches, Leiden – Boston 2006, 334–350, hier 336; auch Laura Loddo, La legge ateniese sull’interdizione degli stranieri dal mercato: da Solone ad Aristofonte di Azenia, in: Klio 100, 2018, 667–687, hier 681 und Papazarkadas 2011, 260 folgen der Interpretation von Descat. 77  Victor Davis Hanson, The Other Greeks. The Family Farm and the Agrarian Roots of Western Civi­ lization, New York etc. 1995, 122 f.; ähnlich Bissa 2009, 179 („as an encouragement towards greater production of oil and the creation of an oil-related industry in Athens“ und „an export ban on agricultural products was bound to encourage manufacture“). 78  Lin Foxhall, Olive Cultivation in Ancient Greece: Seeking the Ancient Economy, Oxford 2007, 17 f. fragt danach, wie man das Gesetz habe durchsetzen wollen. Im Gegensatz zu den einfachen Tafeloliven wäre Olivenöl kein Hauptnahrungsmittel gewesen. Und in der Zeit zwischen dem 5. und 3. Jh. gebe es

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Hinweise darauf, dass Solon ein Exportverbot für landwirtschaftliche Erzeugnisse erlassen hätte, könnten Parallelen aus anderen Städten geben.79 In Teos leisteten die Bürger einen Eid, in dem sich ein jeder selbst verfluchte, wenn er sich bestimmter Vergehen schuldig gemacht hatte. Eine dieser Selbstverfluchungen lautete: „Wer in das Gebiet von Teos Getreide einzuführen (síton eságesthai) verhindert, mit irgendwelchen Tricks oder Machenschaften, sei es zur See, sei es auf dem Landweg, oder wer eingeführtes [Getreide] abweist (anōtheín), soll zugrunde gehen, sowohl er selbst als auch seine Familie (génos)“.80 Eine ähnliche Bestimmung ist im Bürgereid der Chersonesiten enthalten, in dem ein jeder bei den Göttern der Stadt schwören sollte, keinen Verrat zu üben und die Demokratie nicht zu stürzen: „und ich werde kein aus der Ebene abzugebendes Getreide (sítos apagṓgimos) weggeben noch aus der Ebene anderswohin ausführen (exágein) [als nach] Chersonasos. Zeus und Ga und Halios und Parthenos und olympische Gottheiten: Wenn ich [am Schwur] festhalte, möge es mir gut ergehen, mir selbst und meiner Familie und meiner Habe“.81 Auffällig ist, dass diese Bestimmungen unmittelbar in Zusammenhang mit weiteren Bestimmungen gegen die Einrichtung einer tyrannisartigen Stellung und gegen Landesverrat stehen. Astrid Dössel und Henning Börm gehen davon aus, dass dem in Stein gemeißelten Eid eine Stasissituation vorausging, bei der eine Parteiung die Stadt verlassen und die Kontrolle über einen Teil der Chora ausgeübt hatte. Gerade in einer solchen Situation konnten Maßnahmen, eine Einfuhr von Getreide zu verhindern, eskalierende Wirkung haben.82 keine aussagekräftigen Belege für eine in großem Maßstab betriebene, spezialisierte Produktion attischer Oliven oder eines Olivenölhandels (ebd. 78). 79  Auf sie hat Latte 1920, 68, 71 aufmerksam gemacht. In der späteren Diskussion blieben diese Belege aber weitgehend unbeachtet. 80  Auszug aus den sog. Teiorum Dirae (Syll.3 37/38; SGDI 5632; ML2 30; Koerner 1993, Nr. 78/79; Nomima 1, Nr. 104/105; SEG 31,984; dt. Übersetzung in HGIÜ I 47 und in Dössel 2003, 22) aus der Zeit um 470 v. Chr.: ὅστις : ἐς γῆν : τὴν Τήιην : κωλύοι : σῖτον : ἐσάγεσθαι : ἢ τέχνηι : ἢ μηχανῆι : ἢ κατὰ θάλασσαν : ἢ κατ᾽ ἤπειρον : ἤ ἐσαχθέντα : ἀνωθεοίη : κε�νον : ἀπόλλυσθαι : καὶ αὐτὸν : καὶ γένος . τὸ κένο (Z. 6–12). Dössel 2003, 24 f. macht indes gegen einen Vergleich dieses Fluchs mit dem Gesetz Solons geltend, dass sich in Teos der Fluch gegen Personen wandte, die die Einfuhr verhinderten und bereits eingeführtes Getreide „zurückstießen“, also den Rücktransport erzwangen, ohne dass das Getreide zum Verkauf angeboten werden konnte. Ziel sei es gewesen, das eigene Getreide günstig verkaufen zu können. Sie folgt damit Benedetto Bravo, Le commerce des céréals chez les Grecs de l’époque archaïque, in: Peter Garnsey, C. R. Whittaker (Hrsg.), Trade and Famine, Cambridge 1983, 17–29, hier 22–23. 81  IosPE I2 401 Z. 47–50; Syll.3 360 (ca. 300 v. Chr.); dt. Übersetzung in HGIÜ II 339 und bei Dössel 2003, 183 f.: οὐδὲ σῖτον ἀπὸ τοῦ πεδίου ἀ[πα]γώγιμον ἀποδωσοῦμαι οὐδὲ ἐξ[α]ξῶ ἀλλᾶι ἀπὸ τοῦ πεδίου [ἢ εἰς] Χερσόνασον. Ζεῦ καὶ Γᾶ καὶ Ἅλιε [καὶ] Παρθένε καὶ θεοὶ Ὀλύμπιοι, ἐμμένο[ν]τι μέμ μοι εὖ εἴη ἐν τούτοις καὶ αὐτ[ῶι] καὶ γένει καὶ τοῖς ἐμοῖς. Siehe dazu Dössel 2003, 179–196, bes. 195 f., die sich skeptisch gegenüber der Ansicht von J. G. Vinogradov und A. I. Šceglov, Die Entstehung des chersonesischen Territorialstaates, in: J. G. Vinogradov, Pontische Studien, Mainz 1997, 421–483, hier 459–461 äußert, die Bestimmung sei hauptsächlich aus fiskalischen Interessen erlassen worden. 82  Henning Börm, Mordende Mitbürger. Stasis und Bürgerkrieg in griechischen Poleis des Hellenismus, Stuttgart 2019, 228–234, der vermutet, dass man in der Stadt gefürchtet habe, die Ernte aus der Chora könnte an die Aufständischen statt an die Stadt geliefert werden (232). Er verweist auch auf die Annahme von A. Kocevalov, dass mit σῖτος ἀπὸ τοῦ πεδίου ἀ[πα]γώγιμος „das von der Ebene abzuliefern-

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Da sich beide Eide speziell auf die Ein- und Ausfuhr von Getreide beziehen, wäre auch für das solonische Gesetz vorauszusetzen, dass sich das Verbot der Ausfuhr landwirtschaftlicher Produkte vorrangig auf Getreide bezog.83 In Teos und auf der taurischen Chersones war der Eid mit einer Selbstverfluchung verbunden. Da auch in Athen das exágein mit einem Fluch belegt war (F 76a), wird der im Gesetz genannte árchōn der basileús gewesen sein, was erklären könnte, warum das Gesetz auf dem ersten áxōn verzeichnet war.84 Dennoch ist zu berücksichtigen, dass die Eide von Teos und der taurischen Chersones situationsgebunden waren.85 Auch für die Stadt Selymbria lässt sich ein Exportverbot für Getreide erschließen.86 Trotz dieser Parallelen für Exportverbote von Getreide ist jedoch auch eine andere Interpretation des solonischen Gesetzes in Erwägung zu ziehen. Auffällig ist, dass Plutarch für den (häufig so verstandenen) „Verkauf an Fremde“ (διάθεσις πρὸς ξένους) das ungewöhnliche διάθεσις verwendet und nicht πώλησις. Diáthesis kann ‚Verkauf ‘ bedeuten, aber auch im Sinne von ‚Vereinbarung‘, ‚Vertrag‘ verwendet werden. Man kann daher διάθεσις τῶν γινομένων auch als „Vereinbarung über landwirtschaftliche Produkte“, als „Kontrakt über die Ernte“ verstehen. Das Gesetz hätte dann geregelt: „Einen

de Getreide“ gemeint sein kann, es also um Pachtabgaben an die Polis ging, die in Naturalien geleistet wurden (Beiträge zu den euxeinischen Inschriften, in: WüJb 3, 1948, 163–174; vgl. ähnlich Vladimir F. Stolba, The Oath of Chersonesos and the Chersonesean Economy in the Early Hellenistic Period, in: Zofia H. Archibald, John K. Davies, Vincent Gabrielsen [Hrsg.], Making, Moving and Managing. The New World of Ancient Economies, 323–31 BC, Oxford 2005, 298–321, der ebenfalls von einer Stasissituation ausgeht; zu früheren Deutungen der Bestimmung ebd. 298–301). 83  Leao/Rhodes 2015, 109: „This law can be seen as an attempt to prevent the export of home-grown grain which might sometimes sell for higher prices elsewhere and/or as an attempt to encourage a move from aspirations to self-sufficiency towards concentrating on what grew well in Attica and being willing to import other foodstuffs“. Ebenso Dieter Flach, Solons volkswirtschaftliche Reformen, in: RSA 3, 1973, 13–27, hier 13–17, Manfredini/Piccirilli 1977 (wie Anm. 63), 250 und Phillips 2013, 375 mit Nr. 322, die das Gesetz auf ein Ausfuhrverbot für Getreide gerichtet sehen (siehe dagegen jedoch Bissa 2009, 178 f.). Zumindest für weitere landwirtschaftliche Produkte sei das Gesetz in klassischer Zeit nicht mehr in Kraft gewesen. Nach Dieter Flach sollte der Export des Getreides nach Aigina oder Korinth verhindert und der Inlandsmarkt von Schwankungen der ausländischen Getreidezufuhr unabhängig gemacht werden. Ein solch weitreichendes ökonomisches Denken kann aber für das frühe 6. Jh. nicht vorausgesetzt werden. 84  Zur Zuständigkeit des basileus, die Erträge heiliger Bezirke zu verpachten, siehe Papazarkadas 2011, 256: „Leasing out sacred property seems to have been a regular obligation oft he basileus“. 85  In ihrem Bürgereid schworen die Chersonesiten, Eintracht zu halten im Interesse des Wohls (sōtēría) und der Freiheit (eleuthería) der Stadt und der Bürger. Sie richteten sich damit auch gegen jede Form der Tyrannis. Es folgt der Eid, keinen Landesverrat zu begehen, die Demokratie nicht zu stürzen (katalýein tàn damokratían) oder einen anderen dabei zu unterstützen und sich an keiner Verschwörung zu beteiligen (synkrýptein). 86  In der Zeit einer Hungersnot, als aber viel altes Getreide übriggeblieben war, gab die Stadt die an­ sonsten verbotene Ausfuhr frei (Ps.-Aristot. oik. 2,17, 1348b 33–1349a 2; dazu Descat 1993, 150 f.). Im 2. Jh. v. Chr. ehrte die Stadt Chorsiai einen Bürger der Stadt Thisbe, weil er in einer Zeit, in der Getreidemangel herrschte und alle Städte die Ausfuhr von Getreide verboten hatten, der Stadt Weizen zur Verfügung gestellt hatte (IG VII 2383; SEG 22,410: [σ]πανοσιτίας γενομένας περὶ [τὰν χώρ]αν, κὴ τᾶν πολίων πασ[ά] ων ἀπεψαφισμέ[νων τ]ὰν τῶ [σ]ίτω [ἀπο]στ[ο]λάν, …).

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Erntekontrakt mit Fremden abzuschließen, ließ Solon nur bei Olivenöl zu; anderes (aus dem heiligen Bezirk) herauszunehmen aber verbot er“. Solche Erntekontrakte finden sich in mehreren Mustervorlagen in Catos Werk De agricultura, ebenfalls mit dem Verbot, keine Oliven oder Olivenöl vorzeitig und ohne Einwilligung des Besitzers zu entnehmen.87 Für ein solches Verständnis des solonischen Gesetzes spricht, dass in einem anderen Gesetz Solons, nämlich im so genannten Vereinsgesetz, διαθῶνται πρὸς ἀλλήλους im Sinne von „(vertraglich) untereinander abmachen“ belegt ist.88 Wenn das Gesetz regelte, dass Erntekontrakte mit Fremden nur bei Olivenöl erlaubt waren, anderes (aus dem heiligen Bezirk) herauszunehmen aber verboten war, lässt sich das Gesetz neben andere Fragmente stellen, die den Einzug von Olivenöl regelten: Es sollte bei der Abgabe an die Göttin kein Olivenöl unterschlagen werden, und ein exágein anderer Dinge sollte vertraglich ausgeschlossen sein.89 Ein solcher Diebstahl aus heiligen Bezirken wäre als Vergehen an der Gottheit angesehen und mit einer Verfluchung geahndet worden. Dass mit Fremden eingegangene Erntekontrakte ausschließlich bei Olivenkulturen erlaubt waren, könnte darin begründet gewesen sein, dass Solon den Angehörigen der unterbäuerlichen Schicht deren Erwerbsmöglichkeiten als jeweils auf ein Jahr beschäftigte Landarbeiter oder Erntehelfer nicht nehmen wollte.90 Doch Solon hatte auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Olivenanbau in Attika ein Ausmaß angenommen hatte, bei dem zur Erntezeit im Herbst ein hoher Arbeitskräftebedarf bestand, der nur über zusätzliche auswärtige Saisonarbeiter gedeckt werden konnte.91

87  So über das Ausdreschen des Getreides, die Anpflanzung von Reben und die Olivenernte: Cato agr. 136: politionem quo pacto dari oportet – „mit welchem Kontrakt (pactus) die politio vergeben werden sollte“; 137; 144: oleam legendam hoc modo locare oportet. In dem Kontrakt über die Kelterung der Oliven, also die Herstellung des Olivenöls (agr. 145: lex oleae faciundae), ist vorgesehen, dass der mit der Quetschung der Oliven Beauftragte das Olivenöl nicht anrühre oder stehle, wenn der Aufseher oder der Eigentümer dies nicht bewilligt hätte. Alle mit der Kelterung Beauftragten sollen dem Eigentümer oder Aufseher schwören, kein Olivenöl oder Oliven vom Gut heimlich entwendet zu haben. 88 Gaius, libri ad legem XII tabularum in: Digesta 47,22,4 (F 117a). 89  Die Bestimmung könnte einem νόμος περὶ τῶν τεμενῶν entnommen sein (siehe dazu Papazardakas 2011, 74 f.). 90  Dazu s. u. S. 643 mit Anm. 163. Sollte wegen dieses Gesetzes die Zahl der Pachtverträge, die mit Metöken abgeschlossen wurden, so gering gewesen sein? Vgl. dazu Papazarkadas 2011, 323–325. 91  Victor Ehrenberg weist darauf hin, dass in den Komödien des Aristophanes Getreideanbau wesentlich seltener erwähnt ist als der Anbau von Wein, Oliven und Feigen (Aristophanes und das Volk von Athen. Eine Soziologie der altattischen Komödie, Zürich – Stuttgart 1968 [engl. 1962], 83). Auch die bei Aristoteles überlieferte Anekdote, Thales hätte, da er eine reiche Olivenernte vorhergesehen hätte, bereits im Winter sämtliche Olivenpressen in Milet und Chios für einen niedrigen Preis gemietet, wobei ihn niemand überboten hätte, spricht dafür, dass bereits früh Kontrakte über die Weiterverarbeitung der Oliven geschlossen wurden (DK 11 A 10; Aristot. pol. 1,11, 1259a 9 ff.). Es ist möglich, dass in klassischer Zeit auch die Ernte anderer Produkte über Kontrakte vergeben wurde; so weisen die Verkaufslisten der wegen des Hermokopiden- und Mysterienfrevels zum Tode Verurteilten nicht nur Häuser und Landgüter, landwirtschaftliche Produkte und Gerätschaften auf, sondern separat auch Ernten (IG I3 421, Z. 20–23.29 f.).

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Diese Situation könnte dazu geführt haben, dass allein beim Olivenöl – also Oliven zu ernten, zu quetschen und zu pressen – Kontrakte auch mit Fremden zugelassen waren, dabei aber darauf zu achten war, dass Fremde während der Arbeiten auf dem zum Heiligtum gehörenden Land keine anderen Dinge, z. B. Früchte oder Holz, mitnahmen. Dass das Gesetz Solons sich gegen den Diebstahl von Holz, Früchten und anderen Erträgen heiligen Landes richtete, dafür spricht auch die Strafe der Verfluchung, die Plutarch nennt. Der Atthidograph Istros bezeugt ebenfalls Flüche gegen solche Personen, die heilige Ölbäume (moríai) abschlagen.92 Die Verfluchung bedeutete vermutlich, dass der Betroffene straflos getötet werden konnte, wenn er Attika nicht verließ, sein Vermögen konfisziert und sein Haus gewüstet wurde. Ernteerträge von heiligen Feigenbäumen Wahrscheinlich war ein bestimmter Ernteanteil nicht nur von der Olivenernte abzugeben, sondern auch von Wein und Feigen, etwa in Form der ‚Erstlingsfrüchte‘ (ἀπαρχαί). Der kaiserzeitliche Autor Philomnestos (F 75e) spricht von Bußen (epizḗmia) und von Abgaben (eisphoraí) in Form von Feigen, Wein und Öl, mittels derer öffentliche Ausgaben (koiná) bestritten wurden.93 Da es in solonischer Zeit noch kein ausgemünztes Geld gab, ist es gut möglich, dass im frühen 6. Jh. die in den Gesetzen festgesetzen Bußen und Abgaben anderer Art aus diesen Naturalien (oder aus bestimmten Mengen an Rohsilber) bestanden und erst später in Drachmen gerechnet wurden. Diejenigen, die die Abgaben einzogen und Zuwiderhandelnde anzeigten, seien aus den vertrauenswürdigsten Bürgern ausgewählt und sykophántai, ‚Feigen-Anzeiger‘, genannt worden. Möglicherweise war auch gegen ungerechtfertigte Forderungen ‚Anzeige‘ (phá­ sis) möglich, wenn man die Eintragung in Pollux 8,47 in diesem Sinne verstehen darf. Neben der phásis genannten ‚Anzeige‘ solcher Vergehen wird auch von mēnýein in der

92  Istros (oder: Ister) FgrH 334 F 30 (Schol. Soph. Oid. K. 701 und mit leicht abweichender Lesung die Hypothesis-Scholien Oid. K. 701): ὁ δ’ Ἴστρος καὶ τὸν ἀριθμὸν αὐτῶν (τῶν μορίων) δεδήλωκε, γράφων οὕτως· *** [vgl. dazu Suda μ 1248 s. v. μορίαι; s. o. Anm. 54]. Ἔνιοι κλάδον τὸν τῆς ἐν Ἀκαδημίᾳ ἐλαίας, ἀπὸ τῆς ἐν ἀκροπόλει φυτευθῆναί φασιν, ἐπάρατον δὲ ποιῆσαι τοὺς ἐμβαλόντας αὐτὰς ‹εἰ› ἐκκόψειε φίλος ἢ πολέμιος δι’ ὃ Λακεδαιμόνιοι τὴν λοιπὴν γῆν δῃοῦντες τῆς μὲν Τετραπόλεως ἀπέσχοντο διὰ τοὺς Ἡρακλείδας τῶν δὲ μορίων διὰ τὰς ἀράς. – „Istros aber weist auf die Anzahl der heiligen Ölbäume hin, wenn er folgendes schreibt: ‚Einige behaupten, der Spross der Ölbäume in der Akademie sei von dem auf der Akropolis gepflanzt worden. Verflucht werden die, die gegen sie [die heiligen Ölbäume] vorgehen, sollte jemand sie abschlagen, sei er Freund oder Feind, weswegen die Lakedaimonier das übrige Land verwüstet haben, aber einerseits das der Tetrapolis wegen der Herakliden, andererseits das der moríai wegen der Flüche gemieden haben“. Von der Rücksichtnahme der Lakedaimonier auf die heiligen Ölbäume berichteten auch Androtion FgrH 324 F 39 und Philochoros FgrH 328 F 125 (in Schol. Soph. Oid. K. 698). Vgl. dazu Papazarkadas 2011, 278 f. 93  Zu gesetzlich festgelegten Opfermengen an Gerste, Wein und Honig siehe Noel Robertson, Solon’s Axones and Kyrbeis, and the Sixth-Century Background, in: Historia 35, 1986, 147–176, hier 152.

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Bedeutung von ‚anzeigen‘ gesprochen.94 Hinzu kommen Angaben in antiken Lexika, wonach epignṓmones Kontrolleure hinsichtlich der an die öffentliche Kasse zu entrichtenden Abgaben waren. Dabei ist vorauszusetzen, dass auch in diesen Fällen eine Unterschlagung mit Strafen belegt war.95 Wenn auch von ‚heiligen Feigen‘ die Ernte oder zumindest Ernteanteile an die Gottheit zu entrichten waren, dann konnten ‚Sykophanten‘ tatsächlich anfangs ‚Feigen-Anzeiger‘ gewesen sein, die eine Unterschlagung dieses Anteils anzeigten.96 Antike Quellen bieten unterschiedliche Erklärungen, wie es zur Bildung des Begriffs ‚Sykophanten‘ gekommen sei. Die einen berufen sich darauf, dass durch die ‚Feigen-Anzeiger‘ Personen angezeigt wurden, die versucht hatten, (trotz des Ausfuhrverbots) Feigen auszuführen (ἐκφέρειν), und dabei entdeckt worden waren. Diese Deutung hat noch im 12. Jh. Johannes Tzetzes übernommen, der die Bezeichnung ‚Sykophant‘ mit der Erklärung versieht, dies seien ursprünglich Personen gewesen, die andere angezeigt hatten, weil sie Feigen auszuführen versucht hatten. Denn Solon hatte ein Gesetz erlassen, wonach Feigen nicht aus Attika ausgeführt (exágein, ekphérein) und nicht verkauft (pipráskein) werden durften (F 78g).97 Es erscheint indes fraglich, ob das ekphérein von Feigen sich auf ein Ausfuhrverbot bezieht oder nicht eher auf eine unerlaubte Entnahme von Ernteerträgen aus heiligen Hainen, so wie ekphérein auch in 94  Das Wort ‚Syko-phant‘ weist darauf hin, dass ein Vergehen durch ‚Anzeige‘ (phásis) verfolgt wurde. Darauf bezieht sich möglicherweise Pollux, wenn er hinsichtlich der phásis ausführt, dass damit Vergehen in Bezug auf die Abgaben (télē) geahndet werden konnten (F 76d; zur phásis Lipsius 1905–15, 309–316). Nach Bockisch 1981 (wie Anm. 96), 12 stehe (συκο-)φάντης für das ältere μηνυτής. In Lys. 7,16, Athen. 3,6 (p. 74e), Plut., De curiositate 16 (mor. 523b) und im Etym. M. s. v. συκοφαντεῖν begegnet in der Tat μηνύειν für „anzeigen“. Plutarch bezeichnet in Sol. 24,2 den ‚Anzeigenden‘ als endeiknýmenos. Aristophanes hingegen spricht in equ. 300 (F 75a) von phaínein (bei den Prytanen), ebenso Demosthenes in or. 22,27 (beim árchōn basileús; F 74a). Anzeige war vermutlich auch gegenüber einem Areopagiten möglich (Lys. 7,22). 95  Lexicon Vindobonense ε 279 s. v. ἐπιγνώμονες ἐλέγοντο ὅσον εἰσφέρει τις καὶ ὅσον ὀφείλει εἰς δημόσιον; Ps.-Zonaras ε 791 s. v. ἐπιγνώμονας. ἐπισκόπους. ἐπιγραφέας· τοὺς καθεστηκότας ἐπὶ τῷ γράφειν ἑκάστῳ, ὅσον εἰσφέρειν ὀφείλουσιν εἰς τὸ δημόσιον. 96  Sykophant (aus σῦκον ‚Feige‘ und φαίνειν ‚zeigen, anzeigen‘) ist der ‚Feigen-Anzeiger‘. Zuerst belegt ist der Begriff in einem Fragment des Aristophanes (fr. 228; 427 v. Chr.) sowie bei Kratinos und Eupolis. In Komödien sind Sykophanten Personen, die mit Prozessen drohen, um Geld zu erpressen (aves 1410–69; Plut. 850–959; dazu Gabriele Bockisch, Sykophanten, in: Elisabeth Ch. Welskopf [Hrsg.], Soziale Typenbegriffe im alten Griechenland und ihr Fortleben in den Sprachen der Welt, Berlin 1981, Bd. 4, 13–15; Matteo Pellegrino, La maschera comica del sicofante, Brescia – Lecce 2010). Als solche werden sie auch in Gerichtsreden genannt bzw. wird der Gegner als Sykophant verunglimpft, um gegenüber den Geschworenen zu behaupten, der Ankläger habe Geld dafür erhalten, um Unschuldige anzuklagen (Lys. 25,3; Demosth. or. 57,34; Isokr. 21,5). In klassischer Zeit gab es Anklagen wegen Sykophantentums (Aristot. Ath. pol. 43,5; 59,3; Isokr. or. 15,313–315; dazu Matthew R. Christ, Ostracism, Sycophancy and Deception of the Demos: Aristot. Ath. pol. 43,5, in: CQ 42, 1992, 336–346). 97  Johannes Tzetzes hat diese Informationen vermutlich aus Plut. Solon 24,1–2 entnommen, wobei er Plutarchs Erklärung zur Herkunft des Begriffes ‚Sykophant‘ übernommen hat. Auffällig ist auch, dass Johannes Tzetzes davon ausgeht, dass nicht nur das exágein von Feigen verboten war, sondern auch das pipráskein; er nimmt damit das exágein bei Plutarch auf und versteht die diáthesis tṓn ginoménōn als ‚Verkauf landwirtschaftlicher Erträge‘, der nur bei Olivenöl erlaubt gewesen wäre.

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den inschriftlich erhaltenen Gesetzen aus Kos und Smyrna verwendet ist (s. o. S. 482). Angeführt wird nämlich auch die Erklärung, die Sykophanten hätten diejenigen Personen angezeigt, die unrechtmäßigerweise in Heiligtümern stehende Feigenbäume geerntet hätten.98 Diese Erklärungen sind in der Regel von der modernen Literatur abgelehnt worden.99 David Harvey hält die antiken Herleitungen, sowohl als Verbot eines Feigenexports, als auch als illegales Ernten von Feigen oder die Zahlung von Strafen und Abgaben in Form von Feigen, Wein und Oliven, für nicht überzeugend.100 Ihm folgt in einer neueren Untersuchung Matthew R. Christ, der die Herleitung des Begriffs bei dem Atthidographen Istros, Sykophanten hießen diejenigen, die Personen anzeigten, die das Verbot des Exports von Feigen übertreten hatten, für suspekt hält.101 Angesichts der hier zusammengestellten Belege halte ich es indes für gut möglich, dass in archaischer Zeit von Feigenbäumen (zumindest von heiligen) Anteile an die Götter entrichtet werden mussten, ein ‚Herausnehmen‘ deswegen untersagt war und Zuwiderhandelnde von epignṓmones angezeigt wurden, die in diesen Fällen ‚Sykophanten‘ waren.102 Die Sykophanten wären also ursprünglich nicht diejenigen, die die verbotene Ausfuhr von Feigen offenlegten, sondern als Beauftragte der Polis Unterschlagungen verhindern sollten. Weil sich auch bei den Feigenbäumen die Art und Weise, wie die Erträge eingezogen wurden, geändert haben werden, konnte der Begriff ‚Sykophant‘ diejenige Bedeutung annehmen, die er in klassischer Zeit hat, nämlich eine Person bezeichnen, die ungerechtfertigt Anklage erhob oder androhte, um dadurch Geld von den Opfern zu erpressen.103 98  In einem Scholion zu Aristophanes Plutos (v. 31) und in der Suda (ς 1331 s. v. συκοφάντης) ist die Bezeichnung als Sykophant damit erklärt, dass dieser andere Personen angeklagt hätte, die in Zeiten einer Hungersnot heimlich den Göttern geweihte Feigen geerntet hätten (τινὲς λάθρα τὰς συκᾶς τὰς ἀφιερωμένας τοῖς θεοῖς ἐκαρποῦντο). Vgl. Suda ς 3567 s. v. ἀποσυκάζεις: … ἐπεὶ τοίνυν συκάζειν λέγεται καὶ τὸ συκοφαντεῖν καὶ τὸ σῦκα κλέπτειν, und zur Anzeige desjenigen, der Feigen stahl, ebendort: τὸ γὰρ παλαιὸν τίμια παρὰ τοῖς Ἀθηναίοις ἦν τὰ σῦκα, καὶ εἴ τις διεβλήθη κλέπτων σῦκα ἐκολάζετο. φαίνειν δὲ ἔλεγον καὶ τὸ κατηγορεῖν. 99  Schon August Boeckh urteilte in Die Staatshaushaltung der Athener, Berlin 31886, 55: „Was das Verbot der Feigenausfuhr betrifft, so bin ich vollkommen überzeugt, daß ein solches in den Zeiten, aus welchen man sichere Kunde hatte, nicht bestand. Was darüber in den Schriftstellern vorkommt, dient immer nur, um den Namen der Sykophanten zu erklären: Plutarch selbst wagt höchstens von sehr frühen Zeiten es anzunehmen: hätten die Alten aber eine zuverlässige Nachricht von einem solchen Gesetze gehabt, so würden sie nicht so unbestimmt über den Ursprung jener Benennung sprechen“. Vgl. Manfredini/Piccirilli 1977 (wie Anm. 63), 251: „Non è chiaro se anche l’esportazione dei fichi fosse stata proibita da Solone“. 100  David Harvey, The Sykophant and Sykophancy: Vexatious Redefinition?, in: Paul Cartledge et al. (Hrsg.), Nomos. Essays in Athenian Law, Politics and Society, Cambridge 1990, 103–121, hier 105. 101  Matthew R. Christ, The Litigious Athenian, Baltimore – London 1998, 49. Siehe auch die Ausführungen von Kurt Latte, Art. Συκοφάντης, in: RE 4A,1, 1931, 1028–1031 und Bockisch 1981 (wie Anm. 96), 11–25 zur Etymologie und Semantik des Wortes; Gabriele Bockisch geht von einer Wortschöpfung der Komödie aus (ebd. 12). 102  In Aristoph. Plut. 30 f. sind hierósyloi und sykophántai in einem Atemzug genannt. 103  Zu Sykophanten im attischen Gerichtswesen MacDowell 1978, 62–64. Robin G. Osborne, Vexatious Litigation in Classical Athens: Sykophancy and the Sykophant, in: P. Cartledge et al. (Hrsg.),

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Einbezogen werden sollte bei diesen Überlegungen ein inschriftlich, allerdings nur fragmentarisch erhaltenes Gesetz aus Gortyn, bei dem zu Beginn Mengen eines unbekannten Produkts, dann an frischen Feigen und Most (---]o, διεροσύκον δύο, γλεύκιος τ[ρίι]νς) angegeben sind. Wenn die karpodaístai, also ‚Fruchtverteiler‘, solche gestohlenen oder nicht verteilten Produkte finden, sollen sie sie an sich nehmen und für diese Beschlagnahmung nicht rechtlich belangt werden können. Die Täter sollen eine Summe in Höhe des einfachen Werts und zusätzliche Strafen (epitímia) zahlen. Das Gesetz ist entweder in den Zusammenhang der Speisegemeinschaften zu stellen, wobei die karpodaístai dafür sorgen sollten, dass keine Abgaben an die Speisegemeinschaften von den Teilnehmern oder den Verteilern bei den andreía unterschlagen wurden, oder im Zusammenhang von Abgaben an die Polis zu sehen, aus denen Zahlungen bestritten werden sollten.104 Beide Annahmen decken sich mit einer Bemerkung des Aristoteles zur Verfassung kretischer Städte: „Denn von der gesamten öffentlichen Feldfrucht und dem Vieh und von den Abgaben (phóroi), die die Periöken zu leisten haben, wird ein Teil für die Götter und die öffentlichen Ausgaben, der andere aber für die Speisegemeinschaften ausgeschieden, so dass alle, Frauen, Kinder und Männer, aus gemeinschaftlichen Mitteln ernährt werden“.105 Wenn es in Gortyn auf Kreta karpodaístai als Amtsträger gab, die ‚polizeiliche‘ Funktionen hatten und über die Einkünfte und Abgaben von landwirtschaftlichen Produkten, unter anderem auch Feigen, wachten, ist auch für Athen nicht auszuschließen, dass sykophántai Abgaben an Feigen überprüften und das ‚Herausnehmen‘ von Feigen aus heiligen Bezirken mit Strafen belegt war.

Nomos. Essays in Athenian Law, Politics and Society, Cambridge 1990, 83–102 verweist auf die Doppelgesichtigkeit der Sykophanten, die als öffentliche Ankläger ein funktionaler Teil des Gerichtswesens waren, als bezahlte Strohmänner aber negativ bewertet worden seien. Demgegenüber hat Harvey 1990 (wie Anm. 100) aufgrund einer Zusammenstellung aller Belegstellen für Sykophanten nachgewiesen, dass mit Sykophantie immer nur die negative Seite der ungerechtfertigten Anklage gemeint gewesen sei und Sykophanten erpresserische, gegen Geld gedungene Ankläger seien. Funktional für das System sei allein der als boulómenos Bezeichnete. Ihm folgt weitgehend Christ 1998, 48–71. 104  ICret IV 77B (Kohler/Ziebarth Nr. 9; Koerner 1993, Nr. 152; Nomima I Nr. 49; Gagarin/Perlman 2016, G77 von ca. 450–400 v. Chr.). Michael Gagarin und Paula Perlman begründen ihre Ansicht, es könnte sich um Abgaben an die Polis handeln, mit einem Verweis auf die Inschrift G79, die Bezahlungen an Arbeiter auflistet und möglicherweise zu G77 gehört. „This text [scil. G77] implies that the inhabitants (presumably only those with land) had an obligation to contribute a fixed share, or half a share if a full share was too much, perhaps because of a poor harvest“ (Gagarin/Perlman 2016, 436). Für einen Bezug zu den Speisegemeinschaften spricht sich Koerner 1993, 430–433 aus. 105  Aristot. pol. 2,10, 1272a 16–21: ἀπὸ πάντων γὰρ τῶν γινομένων καρπῶν τε καὶ βοσκημάτων δημοσίων, καὶ ἐκ τῶν φόρων οὓς φέρουσιν οἱ περίοικοι, τέτακται μέρος τὸ μὲν πρὸς τοὺς θεοὺς καὶ τὰς κοινὰς λειτουργίας, τὸ δὲ τοῖς συσσιτίοις, ὥστ’ ἐκ κοινοῦ τρέφεσθαι πάντας, καὶ γυναῖκας καὶ παῖδας καὶ ἄνδρας. Letzteres deckt sich mit Ephoros FgrH 70 F 149 (Strab. 10,4,20–483 C): τρέφονται δὲ δημοσίᾳ.

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Literatur zu Asebieklagen: Lipsius 1905–15, 358–368; Eudore Derenne, Les procès d’impiété intentés aux philosophes à Athènes au Vme et au IVme siècle a. J.-Chr., Liège 1930; Jean Rudhardt, La définition du délit d’impiété d’après la législation attique, in: MH 17, 1960, 87–105; Peter Fischer, Die Asebieklage des attischen Rechts, Diss. Erlangen, Nürnberg 1967; Harrison 1968–71, Bd. 2, 59–64, 218–221; MacDowell 1978, 192–202; David Cohen, Theft in Athenian Law, München 1983; David Cohen, The Prosecution of Impiety in Athenian Law, in: Gerhard Thür (Hrsg.), Symposion 1985. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte, Köln – Wien 1989, 99–107; Robert Parker, Miasma. Pollution and Purification in Early Greek Religion, Oxford 1983; David Cohen, Law, Sexuality, and Society. The Enforcement of Morals in Classical Athens, Cambridge 1991, 201–217; Todd 1993, 307–315; Kai Trampedach, Gefährliche Frauen. Zu athenischen Asebie-Prozessen im 4. Jh. v. Chr., in: Ralf von den Hoff, St. Schmidt (Hrsg.), Konstruktionen von Wirklichkeit. Bilder im Griechenland des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr., Stuttgart 2001, 137–155; Meret Strothmann, Asebie und die Athener Jugend im 5. Jh. v. Chr., in: Tyche 18, 2003, 167–187; Robert Parker, Law and Religion, in: Michael Gagarin, David Cohen (Hrsg.), The Cambridge Companion to Ancient Greek Law, Cambridge 2005, 61–81, hier 63–68; C. Pecorella Longo, Il reato di empietà nel diritto attico, in: Giovanni A. Cecconi, Chantal Gabrielli (Hrsg.), Politiche religiose nel mondo antico e tardoantico. Poteri e indirizzi, forme del controllo, idee e prassi di tolleranza, Bari 2011, 43–55; H. Bowden, Impiety, in: Esther Eidinow, Julia Kindt (Hrsg.), The Oxford Handbook of Ancient Greek Religion, Oxford 2015, 325–338. zur hierosýlia, den Bestimmungen über die heiligen Ölbäume und zum sog. Exportverbot: August Mommsen, Feste der Stadt Athen im Altertum, Leipzig 1898; Kurt Latte, Heiliges Recht, Tübingen 1920; MacDowell 1978, 62–66; Panos D. Valvanis, Les amphores panathénaïques et le commerce athénien de l’huile, in: Recherches sur les amphores grecques. Actes du colloque international, Athènes 1984 (BCH Suppl. 13), 1986, 453–460; Raymond Descat, La loi de Solon sur l’interdiction d’exporter les produits attiques, in: Alain Bresson, Pierre Rouillard (Hrsg.), L’emporion, Paris 1993, 145–161; Martin Bentz, Panathenäische Preisamphoren. Eine athenische Vasengattung und ihre Funktion vom 6.–4. Jahrhundert v. Chr., Basel 1998; Astrid Dössel, Die Beilegung innerstaatlicher Konflikte in den griechischen Poleis vom 5.–3. Jahrhundert v. Chr., Frankfurt a. M. etc. 2003; Louise-Marie L’Homme-Wéry, La législation de Solon: une solution à la crise agraire d’Athènes?, in: Pallas 64, 2004, 145–155; Kai Trampedach, Hierosylia. Gewalt in Heiligtümern, in: Günter Fischer, Susanne Moraw (Hrsg.), Die andere Seite der Klassik. Gewalt im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., Stuttgart 2005, 143–165; Marietta Horster, Die Olivenbäume der Athena und die Todesstrafe, in: Symposion 2003. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Rauschholzhausen, 30. Sept.–3. Okt. 2003), hrsg. von Hans-Albert Rupprecht, Wien 2006, 167–185; Hartmut Leppin, Antwort auf Marietta Horster, in: ebd. 187–190; Errietta M. A. Bissa, Governmental Intervention in Foreign Trade in Archaic and Classical Greece, Leiden – Boston 2009; Nikolaos Papazarkadas, Sacred and Public Land in Ancient Athens, Oxford – New York 2011; Phillips 2013, 408 f. mit Nr. 329–331.

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Asebie und Hierosylie (F 74–78) F 74 Klage wegen Asebie (graphḗ asebeías) (F 74a: T 379 Martina; F 106 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 74a: Demosthenes, Gegen Androtion (or. 22) 25–27 (354 v. Chr.) (= F 64b) (25) Καὶ μὴν κἀκεῖνό γε δεῖ μαθεῖν ὑμᾶς, ὅτι τοὺς νόμους ὁ τιθεὶς τούτους Σόλων καὶ τῶν ἄλλων τοὺς πολλούς, οὐδὲν ὅμοιος ὢν τούτῳ νομοθέτης, οὐχ ἑνὶ ἔδωκε τρόπῳ περὶ τῶν ἀδικημάτων ἑκάστων λαμβάνειν δίκην τοῖς βουλομένοις παρὰ τῶν ἀδικούντων, ἀλλὰ πολλαχῶς. ᾔδει γάρ, οἶμαι, τοῦθ’ ὅτι τοὺς ἐν τῇ πόλει γενέσθαι πάντας ὁμοίως ἢ δεινοὺς ἢ θρασεῖς ἢ μετρίους οὐκ ἂν εἴη. εἰ μὲν οὖν, ὡς τοῖς μετρίοις δίκην ἐξαρκέσει λαβεῖν, οὕτω τοὺς νόμους θήσει, μετ’ ἀδείας ἔσεσθαι πολλοὺς πονηροὺς ἡγεῖτο· εἰ δ’ ὡς τοῖς θρασέσιν καὶ δυνατοῖς λέγειν, τοὺς ἰδιώτας οὐ δυνήσεσθαι τὸν αὐτὸν τούτοις τρόπον λαμβάνειν δίκην. (26) δεῖν δ’ ᾤετο μηδέν’ ἀποστερεῖσθαι τοῦ δίκης τυχεῖν, ὡς ἕκαστος δύναται. πῶς οὖν ἔσται τοῦτο; ἐὰν πολλὰς ὁδοὺς δῷ διὰ τῶν νόμων ἐπὶ τοὺς ἠδικηκότας οἷον τῆς κλοπῆς. … (27) … τούτων οὐδέν ἐστι ταὐτό. τῆς ἀσεβείας κατὰ ταὔτ’ ἔστ’ ἀπάγειν, γράφεσθαι, δικάζεσθαι πρὸς Εὐμολπίδας, φαίνειν πρὸς τὸν βασιλέα. περὶ τῶν ἄλλων ἁπάντων τὸν αὐτὸν τρόπον σχεδόν. App. crit.: (25) νομοθέτης secl. Blass; ἑνὶ ἔδωκε τρόπῳ SLFY, ἑνὶ δέδωκε τρόπῳ al., ἕν᾿ ἔδωκε τρόπον Blass; γενέσθαι πάντας ὁμοίως SYO, γενέσθαι πάντας ὁμοίους L vulg., πάντας ὁμοίους γενέσθαι A; καὶ θρασεῖς Dobree; (27) φαίνειν Weil (so auch der Scholiast), φράζειν codd.

(25) Aber auch das fürwahr ist euch zu wissen nötig, dass Solon als Urheber dieser und der meisten anderen Gesetze, der freilich ein ganz anderer Gesetzgeber (thesmothétēs) als dieser Mensch da war, nicht bloß auf eine, nein auf vielfache Weise jedwedem (boulómenos) gestattete, für irgendwelche Verbrechen den Täter zur Verantwortung zu ziehen. Denn er wusste, meine ich, wohl, dass unmöglich alle in der Stadt insgesamt in gleichem Maße geschickt und tatkräftig oder maßvoll sein könnten. Passte er also seine Gesetze dem Rechtsbedürfnis der Gemäßigten an, so glaubte er, würden viele Übelgesinnte ungestraft ihr Wesen treiben, richtete er sie aber für die Tatkräftigen und Redegewandten ein, dann würde der gemeine Mann (idiṓtēs) sich ebenso wie diese sich Recht verschaffen können. (26) Gleichwohl war er der Meinung, es dürfe niemandem die Möglichkeit genommen werden, nach besten Kräften zu seinem Recht zu gelangen. Wie also konnte das geschehen? Wenn er in seinen Gesetzen verschiedene Wege offen hielt, den Verbrechern beizukommen, zum Beispiel beim Diebstahl. … (27) … Keins dieser Verfahren ist dem anderen gleich. Ebenso kann man bei einem Religionsfrevel (asébeia) [zur Hinrichtung] abführen (apágein), eine Schriftklage einreichen (grá­ phesthai), bei den Eumolpiden Privatklage einreichen (dikázesthai) oder ihn beim [árchōn] basileús anzeigen (phaínein), und ebenso fast in allen anderen Fällen.106

Die in or. 22,27 genannte Möglichkeit, den Frevler gegenüber den Göttern unmittelbar zur Hinrichtung abzuführen, erscheint insbesondere bei der hierosylía ein angemessenes Verfahren, wenn der Täter beim Diebstahl von heiligen und geweihten Gegenstän-

106  Übersetzung nach A. Westermann.

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den bei der Tat ergriffen wurde. Die Klagen bei den Eumolpiden werden, aufgrund des Wortes dikázesthai und der Gegenüberstellung zu gráphesthai, Privatklagen im engeren Sinne gewesen sein.107 Das in den Codices überlieferte φράζειν ist nach dem Scholiasten (zu Demosth. or. 24,22) zu φαίνειν korrigiert worden. Demnach wäre auch die Einleitung eines Rechtsverfahrens mittels phásis zulässig gewesen.108 Über die in or. 22,27 genannten Klagen hinaus, gab es zusätzlich noch die Möglichkeit der éndeixis oder (bis 403) in außergewöhnlichen Fällen die eisangelía.109 F 74b: Hypereides, Für Euxenippos (or. 4) 5–6 (fr. Ar col. 21 Jensen) (drittes Viertel 4. Jh. v. Chr.) (5) … διὰ τοῦτο γὰρ ὑμεῖς ὑπὲρ ἁπάντων τῶν ἀδικημάτων, ὅσα ἔστιν ἐν τῇ πόλει, νόμους ἔθεσθε χωρὶς περὶ ἑκάστου αὐτῶν. (6) ἀσεβεῖ τις περὶ τὰ ἱερά· γραφαὶ ἀσεβείας πρὸς τὸν βασιλέα. φαῦλός ἐστι πρὸς τοὺς ἑαυτοῦ γονεῖς· ὁ ἄρχων ἐπὶ τούτου κάθητ̣α̣ι. παράνομά τις ἐν τῇ πόλει γράφει· θεσμοθετῶν συνέδριον ἔστι. ἀπαγωγῆς ἄξια ποιεῖ· ἀρχὴ τῶν ἕνδεκα καθέστηκε. App. crit.: γραφαιβασεβειας P; εἰδὶν desid. Bab.

(5) … Denn deswegen habt ihr für jedes einzelne in der Stadt vorkommende Vergehen gesondert Gesetze gegeben: (6) Wer gegen Heiligtümer frevelt (asebeín) – [dafür gibt es die] gra­ phaí asebeías an den basileús. Wer sich gegen die eigenen Eltern vergeht – dafür ist der árchōn [epṓnymos] eingesetzt. Wer in der Stadt Gesetzwidriges beantragt – dafür ist der Rat (synhédri­ on) der Thesmotheten zuständig. Wer abzuführen für wert befunden wird – die Behörde der Elfmänner ist dafür eingesetzt.

F 74c: Pollux, Onomastikon 8,41–42 (2. Jh. n. Chr.) (41) … ἐκαλοῦντο γὰρ αἱ γραφαὶ καὶ δίκαι, οὐ μέντοι καὶ αἱ δίκαι γραφαί. ἐξῆν τῷ βουλομένῳ γράφεσθαι, καὶ ἐπὶ μὲν πασῶν τούτων ὁ μὴ μεταλαβὼν τὸ πέμπτον μέρος τῶν ψήφων προσωφλίσκανε χιλίας· (42) ὁ δὲ τῆς ἀσεβείας γραψάμενος καὶ οὐχ ἑλὼν ἐθανατοῦτο. καὶ τῆς μὲν ὕβρεως τὸ τίμημα οὐκ ἦν τοῦ παθόντος ἀλλὰ δημόσιον. (41) … Die graphaí heißen nämlich auch díkai [im allgemeinen Sinne], nicht jedoch die dí­ kai [im speziellen Sinne von ‚Privatklagen‘] graphaí. [ Jedem Bürger,] der wollte, war es möglich, eine graphḗ einzureichen, und bei all diesen [Klagen] hatte der, der nicht den fünften Teil der Stimmen erhielt, tausend [Drachmen] zu bezahlen. (42) Wer wegen religiösen Frevels (asébeia) eine graphḗ eingereicht hat, wurde getötet, wenn [der Täter] nicht verurteilt wurde. Und die Strafsumme für Frevel (hýbris) ging nicht an den Geschädigten, sondern an die öffentliche Kasse.

107  Derenne 1930, 239 f.; Fischer 1967, 112–114; Phillips 2013, 453 (Nr. 349b). 108  So neben Lipsius auch Derenne 1930, 237 f. und Fischer 1967, 111 f.; zu éndeixis (And. 1,33) und eisangelía ebd. 82, 103–106. 109  Zu den verschiedenen Klagemöglichkeiten Fischer 1967, 9 f., 109–112; zur Klage bei den Eumolpiden ebd. 112–114.

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F 74d: Ps.-Aristoteles, De virtutibus et vitiis 7, 1251a 30–33 ἀδικίας δ’ ἐστὶν εἴδη τρία, ἀσέβεια πλεονεξία ὕβρις. ἀσέβεια μὲν ἡ περὶ θεοὺς πλημμέλεια καὶ περὶ δαίμονας ἢ καὶ περὶ τοὺς κατοιχομένους, καὶ περὶ γονεῖς καὶ περὶ πατρίδα. Es gibt drei Erscheinungsformen von Unrecht: asébeia, Habsucht und hýbris. Asébeia ist das falsche Verhalten gegenüber den Göttern und göttlichen Mächten (daímones) oder auch gegen die Dahingeschiedenen (katoichómenoi), gegen die Eltern (goneís) und das Vaterland (patrís).

F 74e: Polybios, Historien 36,9,15 (Mitte 2. Jh. v. Chr.) ἀσέβημα μὲν γὰρ εἶναι τὸ περὶ τοὺς θεοὺς καὶ τοὺς γονεῖς καὶ τοὺς τεθνεῶτας ἁμαρτάνειν, παρασπόνδημα δὲ τὸ παρὰ τὰς ἐνόρκους καὶ τὰς ἐγγράπτους ὁμολογίας πραττόμενον, ἀδίκημα δὲ τὸ παρὰ τοὺς νόμους καὶ τοὺς ἐθισμοὺς ἐπιτελούμεν(ον). App. crit.: περι Β W pro εἰς; τὰς ἐνόρκους Ge, τους ενορκουσ M secundum Bo, τοὺς ἐωοικους legit Hey, τοὺς δρκους Hey vulgo; νόμους καὶ Hey, πρὸς (… Bo) τὸν … M secundum Hey; ἐπιτελοῦμεν … M

Denn Asebie ist, sich gegen die Götter, die Eltern (goneís) oder die Verstorbenen (tethneṓtai) zu vergehen, Vertragsbruch eine Verletzung von Eiden und schriftlichen Verträgen, Unrecht ein Tun gegen die Gesetze und die überlieferten Gebräuche.

Bei Vergehen gegen die alten Eltern boten sich verschiedene Verfahrenswege an, nämlich die Möglichkeit, den Betreffenden wegen Asebie beim árchōn basileús anzuklagen (F 74d–e) oder ihn wegen Misshandlung dem árchōn epṓnymos anzuzeigen beziehungsweise bei ihm Klage einzureichen (F 74b). Peter Fischer geht hingegen davon aus, dass die in der Schrift De virtutibus et vitiis von den unter asébeia subsumierten Vergehen nur diejenigen „gegen die Götter“ einklagbar gewesen wären, so dass die Definition juristisch ohne Aussagewert sei.110 Da jedoch die Vergehen in den Gesetzen nicht definiert waren, hing es letztlich von den Geschworenen ab, wie sie über eine Klage wegen Asebie entscheiden würden, wenn wegen Misshandlung geklagt worden war. Die Angabe von Pollux, der Kläger würde bei einer graphḗ asebeías getötet, wenn der Angeklagte nicht verurteilt würde, scheint ein Missverständnis des Autors zu sein. Da bei den Partizipia γραψάμενος καὶ οὐχ ἑλὼν ein Subjektwechsel vorauszusetzen ist, könnte auch ein Überlieferungsfehler vorliegen. F 75 Gesetz über (heilige) Olivenbäume (F 75b: F †90/b Leão/Rhodes; F 75c: T 514 Martina; F 90 Ruschenbusch; F 90/a Leão/Rhodes)

F 75a: Aristophanes, equites 299–301 (424 v. Chr.) ἀλλότρια τοίνυν σοφίζει. καί σε φαίνω τοῖς πρυτάνεσιν ἀδεκατεύτους τῶν θεῶν ἱερὰς ἔχοντα κοιλίας.

110  Fischer 1967, 74.

Asebie und Hierosylie (F 74–78)

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App. crit.: καί σε φανῶ codd.; corr. Pors. [Der Paphlagonier wirft dem Wursthändler vor:]

Andern pfuschst du ins Handwerk! Aber bei den Prytanen zeige ich dich an (phaínein): Dass du den Göttern heilige Gedärme (hierá koilíai) unverzehnt (adekáteutoi) hälst!

F 75b: Philochoros, FgrH 328 F 180 (spätes 4./frühes 3. Jh. v. Chr.) (Harpokr. π 63 s. v. περίστοιχοι Keaney; Suda π 1313; Phot. Lex. π 776 Theodoridis)

Περίστοιχοι· Δημοσθένης ἐν τῷ Πρὸς Νικόστρατον περὶ τῶν Ἀρεθουσίου ἀνδραπόδων: „φυτευτήρια ἐλαῶν περιστοίχων κατέκλασεν.“ Δίδυμος δέ τι γένος ἐλαιῶν περιστοίχους καλεῖ, ἃς Φιλόχορος στοιχάδας προσηγόρευσε. μήποτε δὲ περίστοιχον κέκληκεν ὁ ῥήτωρ τὰς κύκλῳ περὶ τὸ χωρίον ἐν στοίχῳ πεφυκυίας. App. crit.: ἀρεθουσίας C; ἐλαῶν C, vulgo ἐλαιῶν; κατέκλασαν B; Δίδυμος … καλεῖ om. A; Δίδυμος …, ἃς om. BC; δὲ νῦν B, om. A; τὰς κύκλῳ … πεφυκυίας N, τῶν … πεφυκότων ceteri.

perístoichoi [in Reihen darumherum gepflanzt]: Demosthenes sagt in der [apographḗ] Gegen Nikostratos bezüglich der Sklaven des Arethusios (or. 53,15): „er hat die Setzlinge der darum herumgepflanzten Ölbäume (eláai perístoichoi) abgebrochen“. Didymos nennt eine Art der Ölbäume (elaíai) perístoichoi, die Philochoros stoichádes benennt. An keiner [anderen] Stelle aber hat der Redner die im Kreis um das Landgut herum in Reihe (en stoíchō) gesetzten Pflanzen perístoichos genannt.

Weil Arethusios eine aus einer Klage resultierende Geldstrafe nicht bezahlt hatte, sollte sein Vermögen konfisziert werden. Nikostratos, der Bruder des Arethusios, griff die abgegebene Vermögensaufstellung (apographḗ) als unzutreffend an, weil zwei ihm gehörende Sklaven in der apographḗ mit aufgeführt waren. Dagegen richtet sich wiederum Apollodoros mit der (pseudo-demosthenischen) Rede or. 53.111 Im Prozess wirft Apollodoros dem Gegner vor, nachts auf sein Landgut eingedrungen zu sein, alle Schösslinge von jungen Bäumen und die an Bäumen gezogenen Weinstöcke abgeschlagen und die Setzlinge von den um das Landgut herumgepflanzten Ölbäumen abgebrochen zu haben.112 111 Zur apographḗ Lipsius 1905–15, 305. 112  Ps.-Demosth. or. 53,15: ἐλθὼν εἰς τὸ χωρίον τῆς νυκτός, ὅσα ἐνῆν φυτὰ ἀκροδρύων γενναῖα ἐμβεβλημένα καὶ τὰς ἀναδενδράδας ἐξέκοψε, καὶ φυτευτήρια ἐλαῶν περιστοίχων κατέκλασεν, οὕτως δεινῶς ὡς οὐδ’ ἂν οἱ πολέμιοι διαθεῖεν. – „so begab sich dieser nachts auf mein Landgut (chōríon) und hieb alles ab, was er an veredelten Schösslingen fruchttragender Bäume und an Bäumen gezogenen Weinreben vorfand, und brach die Setzlinge darumherumgepflanzter Ölbäume (eláai peristoíchoi) ab“. Philipp Scheibelreiter übersetzt „und wieviel darinnen war an eingepfropften Pflanzen veredelter Obstbäume und Weinranken, schlug er ab, und zerbrach die Setzlinge ringsherum gepflanzter Oliven“ (‚Ein ‚großer Wurf ‘? Gaius trifft Demosthenes. Überlegungen zu D. 50,16,233,2 [Gai. I leg. 12 tab.], in: ZRG Rom. Abt. 136, 2019, 1–46, hier 40 f.). ἀκρόδρυα sind Bäume, die Früchte mit harter Schale tragen, wie z. B. Eicheln oder Kastanien (dazu Scheibelreiter ebd. 40 f.). Im Kreis um ein Landgut herum gepflanzte Ölbäume nennt auch Aristophanes in Ach. 998.

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Gesetze, den archōn basileús und religiöse Angelegenheiten betreffend

F 75c: Pollux, Onomastikon 5,36 (2. Jh. n. Chr.) Σόλων δὲ καὶ στοιχάδας τινὰς ἐλάας ἐκάλεσε, ταῖς μορίαις ἀντιτιθείς, ἴσως τὰς κατὰ στοῖχον πεφυτευμένας. App. crit.: ἐλαίας B, ελας (in ras.) ας C; ἀντιθείς ? Bekker.

Solon nannte aber auch bestimmte Ölbäume (eláai) stoichádes, im Unterschied zu den ‚heiligen Ölbäumen‘ (moríai), und meint damit diejenigen, die in Reihe (katá stoíchon) gepflanzt sind.

F 75d: Pollux, Onomastikon 8,47 (2. Jh. n. Chr.) φάσις δὲ ἦν τὸ φαίνειν τοὺς περὶ τὰ μέταλλα ἀδικοῦντας, ἢ περὶ τὸ ἐμπόριον κακουργοῦντας ἢ περὶ τὰ τέλη, ἢ τῶν δημοσίων τι νενοσφισμένους, ἢ συκοφαντοῦντας. Phásis aber war [das Verfahren], diejenigen, die Vergehen in Bezug auf die Bergwerke begehen, anzuzeigen (phaínein) oder die, die in Bezug auf den Handelsplatz Verstöße begehen oder bei den Steuern (télē), oder die, die etwas, was der Öffentlichkeit gehört, entwendet haben oder ungerechtfertigt anklagen (sykophantoúntes). vgl. Etym. M. p. 590,47 s. v. μορίαν: Οἱ μὲν πᾶσαν ἐλαίαν οὕτω καλοῦσιν· οἱ δὲ, τὰς ἱερὰς τῷ θεῷ, ὅτι δημοσίαν μοῖραν ἐκ τῶν καρπῶν ἐλάμβανον. – „die moría: Die einen nennen so jeden Olivenbaum, die anderen hingegen nur die der Gottheit heiligen Olivenbäume (elaíai hieraí), weil sie von deren Früchten einen öffentlichen Anteil (dēmosía moíra) einnehmen.

F 75e: Philomnestos, Über das Smintheus-Fest auf Rhodos (FgrH 527) F 1 (3. Jh. n. Chr.) (Athen. 3,6; p. 74d–75a)

(74d) σῦκα: … δῆλον δὲ τοῦτο ἐκ τοῦ καλεῖν τοὺς Ἀθηναίους ἱερὰν μὲν συκῆν τὸν τόπον ἐν ᾧ πρῶτον εὑρέθη, τὸν δ’ ἀπ’ αὐτῆς καρπὸν ἡγητηρίαν διὰ τὸ πρῶτον εὑρεθῆναι τῆς ἡμέρου τροφῆς. … (74f–75a) Φιλόμνηστος δ’ ἐν τῷ περὶ τῶν ἐν Ῥόδῳ Σμινθείων φησίν· „ἐπεὶ καὶ ὁ συκοφάντης ἐντεῦθεν προσηγορεύθη, διὰ τὸ εἶναι τότε τὰ ἐπιζήμια καὶ τὰς εἰσφορὰς σῦκα καὶ οἶνον καὶ ἔλαιον, ἀφ’ ὧν τὰ κοινὰ διῴκουν, καὶ τοὺς ταῦτα εἰσπράττοντας καὶ φαίνοντας ἐκάλουν, ὡς ἔοικε, συκοφάντας, αἱρούμενοι τοὺς ἀξιοπιστοτάτους τῶν πολιτῶν“. App. crit.: (74d) ἡγητορίαν CE; (75a) πράττοντας καὶ εἰσφαίνοντας ACE, corr. Kaibel.

(74d) Sýka (Feigen): … Das sieht man daran, dass die Athener den Ort, an dem er zuerst aufgefunden worden ist, ‚Heiligen Feigenbaum‘ (hierá sykḗ) und dessen Frucht, weil sie als erstes der angebauten Nahrungsmittel gezüchtet worden ist, ‚Anführerin‘ (hēgētēría) nennen. … (74f–75a) In seiner Schrift Über das Smintheus-Fest auf Rhodos sagt Philomnestos: „Der Sykophant erhielt seinen Namen daher, weil damals die Strafen (epizḗmia) und Steuern (eispho­ raí) in Feigen, Wein und Öl zu entrichten waren, womit sie die öffentlichen Ausgaben (koiná) bestritten haben. Diejenigen, die diese einzogen und anzeigten (eispráttontes kaí phaínontes), nannte man, wie es scheint, Sykophanten, und man wählte sie unter den vertrauenswürdigsten Bürgern aus“.

Asebie und Hierosylie (F 74–78)

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F 76 Gesetz über Erntekontrakte (sog. Exportverbot) (F 76a: T 487 Martina; F 65 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 76a: Plutarch, Solon 24,1–2 (um 100 n. Chr.) (1) Τῶν δὲ γινομένων διάθεσιν πρὸς ξένους ἐλαίου μόνον ἔδωκεν, ἄλλα δ’ ἐξάγειν ἐκώλυσε, καὶ κατὰ τῶν ἐξαγόντων ἀρὰς τὸν ἄρχοντα ποιεῖσθαι προσέταξεν, ἢ τίνειν αὐτὸν ἑκατὸν δραχμὰς εἰς τὸ δημόσιον· (2) καὶ πρῶτος ἄξων ἐστὶν ὁ τοῦτον περιέχων τὸν νόμον. οὐκ ἂν οὖν τις ἡγήσαιτο παντελῶς ἀπιθάνους τοὺς λέγοντας, ὅτι καὶ σύκων ἐξαγωγὴ τὸ παλαιὸν ἀπείρητο, καὶ τὸ φαίνειν ἐνδεικνύμενον τοὺς ἐξάγοντας κληθῆναι συκοφαντεῖν. App. crit.: ἄλλα δ’ Leão/Rhodes et al.; ἀλλὰ δ’ Ruschenbusch; ἐκτίνειν Y et ἐκ s. s. S; ἀπιθάνως Etym. M.; συκοφάντην Sm Y.

(1) Einen Erntekontrakt (diáthesis) mit Fremden ließ er [Solon] allein bei Olivenöl (élaion) zu, anderes aber zu entnehmen [oder: auszuführen] (exágein) verbot er. Und gegen die, die es entnahmen (exágontes), hat er angeordnet, dass der árchōn Flüche (araí) aussprechen oder er selbst einhundert Drachmen an die öffentliche Kasse entrichten soll. (2) Und es ist der erste áxōn, der dieses Gesetz enthält. Man darf also auch die Nachrichten nicht für ganz unglaubwürdig (pantelṓs apíthana) halten, dass auch die Entnahme [oder: Ausfuhr] (exagōgḗ) von Feigen (sýka) in früher Zeit verboten war. Und dass der, welcher diejenigen, die [Feigen] entnahmen [oder: ausführten] (exágontes), zur Anzeige brachte (endeiknýmenos), Sykophant genannt wurde.

F 76b: Scholia in Pindarum, Nemeische Ode 10,64b Ἥρας δὲ εὐάνορα λαὸν τὸ Ἄργος· ὁ γὰρ Θειαῖος Ἀργεῖος. οὐκ ἔστι δὲ ἐξαγωγὴ ἐλαίου ἐξ Ἀθηνῶν, εἰ μὴ τοῖς νικῶσι. φησὶν οὖν τὴν ὑδρίαν πλήρη ἐλαίου κεκομικέναι ἐξ Ἀθηνῶν εἰς Ἄργος τὸν Θειαῖον νικήσαντα. τοῖς γὰρ ἀθληταῖς τοῖς τὰ Παναθήναια νενικηκόσι δίδοται ὑδρία ἐλαίου πλήρης. zu „Argos ist Heras mannhaftes Volk“: [der Wettkampfsieger] Theiaios ist nämlich Argiver. Die Ausfuhr von Olivenöl (exagōgḗ elaíou) aus Athen ist nicht möglich, außer für die Sieger [in den Wettkämpfen]. Er [Pindar] sagt also, dass Theiaios nach seinem Sieg die Hydria voller Öl von Athen mit nach Argos gebracht hat. Den Athleten nämlich, die bei den Panathenäen gesiegt haben, wird eine Hydria voller Olivenöl gegeben.113

Das von Plutarch in Solon 24,1 wiedergegebene Gesetz kann in unterschiedlicher Weise verstanden werden. In der Regel wird das Gesetz als Exportverbot landwirtschaftlicher Produkte verstanden und übersetzt: „Ein Verkauf landwirtschaftlicher Produkte an Fremde hat er [Solon] nur bei Olivenöl erlaubt, anderes auszuführen aber verboten“.114 Auffällig ist, dass Plutarch für den (häufig so verstandenen) „Verkauf an Frem113  Die 10. Nemeische Ode hat Pindar für Theiaios von Argos für seinen Sieg im Ringkampf gedichtet. 114  Ruschenbusch 2010, 130 übersetzt das διάθεσιν πρὸς ξένους sehr frei „bei landwirtschaftlichen Produkten erlaubte er nur die Ausfuhr [Hervorhebung W. S.] von Öl, …“; zurückhaltender sind Leão/

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de“ (διάθεσις πρὸς ξένους) das ungewöhnliche διάθεσις verwendet und nicht πώλησις. Der früheste Beleg für diáthesis im Sinne von ‚Verkauf ‘ sind Ausführungen des Isokrates im Enkomion auf den mythischen König Ägyptens, Busiris, bei denen er die Vorteile des Nildeltas in Hinsicht auf den Verkauf der Überschüsse und die Einfuhr fremder Waren rühmt.115 Das Verb diatíthesthai im Sinne von ‚verkaufen‘ ist bereits früher bezeugt, so in den Historien Herodots.116 Versteht man diáthesis aber zunächst im allgemeinen Sinne von ‚Anordnung‘, ‚Vereinbarung‘, ‚Disposition‘ kann es sich bei einer διάθεσις τῶν γινομένων um einen ‚Erntekontrakt‘ handeln, bei einer τῶν γινομένων διάθεσις πρὸς ξένους demnach um einen ‚Erntekontrakt mit Fremden‘.117 Demnach regelte das Gesetz: „Einen Erntekontrakt mit Fremden abzuschließen, ließ Solon nur bei Olivenöl zu, …“ Solche Erntekontrakte finden sich in mehreren Mustervorlagen in Catos Werk De agricultura, z. B. über das Ausdreschen des Getreides, die Anpflanzung von Reben und die Olivenernte118 Eine Parallele zu einem solchen Verständnis von diáthesis bietet Solons Gesetz über vertragliche Abmachungen. Der römische Jurist Gaius zitiert dieses Gesetz Solons wörtlich, in dem es heißt, dass das, „was eine Dorfgemeinde oder phrátores, orgeṓnes oder Teilnehmer eines Gastmahls (sýssitoi), Besitzer einer gemeinsamen Grabstätte (homótaphoi) oder Kultgenossen (thiasṓtai) oder Rhodes 2015, 109: „Of natural products Solon allowed disposal to foreigners [Hervorhebung W. S.] only of olive oil“. 115  Isokr. 11,14: Εἰς τοσαύτην δ’ ὑπερβολὴν εὐδαιμονίας ἥκουσιν ὥστε τῇ μὲν ἀρετῇ καὶ τῇ φύσει τῆς χώρας καὶ τῷ πλήθει τῶν πεδίων ἤπειρον καρποῦνται, τῇ δὲ τῶν περιόντων διαθέσει καὶ τῇ τῶν ἐλλειπόντων κομιδῇ διὰ τὴν τοῦ ποταμοῦ δύναμιν νῆσον οἰκοῦσιν. – „Sie [die Ägypter] genießen ein solches Übermaß an Glück, dass sie wegen der Güte und der natürlichen Beschaffenheit des Landes und wegen der Vielzahl der Ebenen dort [im Nildelta] die Vorteile eines Festlandes haben, aber auf Grund der günstigen Voraussetzungen, die der Fluss bietet, durch den Verkauf (diáthesis) ihres Überschusses und durch Einfuhr der Waren, an denen sie Mangel haben, Bewohner einer Insel sind.“ Auf diese Belegstelle verweist auch Harpokration in δ 42 s. v. διάθεσις· ἀντὶ τοῦ πρᾶσις Ἰσοκράτης Βουσίριδι. Ebenso in Plut. Lykurg. 9,4; διάθεσις als Ausstellung (des durch Piraterie gewonnenen Raubguts) zum Verkauf in Strab. 11,2,12: ἔχοντες ὑφόρμους χορηγοῦντες καὶ ἀγορὰν καὶ διάθεσιν τῶν ἁρπαζομένων. 116  So stellen z. B. in Hdt. 1,1,2 Phönizier ihre Ware zum Verkauf aus. Descat 1993, 147: „Le substantif diáthesis, qui est très important dans la compréhension du texte, n’apparaît pas avant le début du IVe siècle (Isocrate XI, 14), mais la forme verbale avec le même sens existe chez Herodote“. Zu den Belegen für diatíthesthai in der Bedeutung ‚verkaufen, zum Verkauf anbieten‘ siehe Descat 1993, 152 f. 117  Diáthesis kann auch als Bezeichnung für den letzten Willen oder ein Testament verwendet werden (LSJ s. v. διάθεσις (3): „disposition of property, will, testament, = διαθήκη“). Im Sinne von ‚einen Vertrag schließen‘ ist διάθωνταί γ’ οἵδε διαθήκην in Aristoph. Av. 439 gebraucht (vgl. Nan Dunbar, Aristophanes. Birds, with Introduction and Commentary, Oxford 1995, 304). Leão und Rhodes 2015, 109 übersetzen daher διάθεσις πρὸς ξένους in Plut. Solon 24,1 zurückhaltender mit „disposal to foreigners“. Zur Bedeutung von diatíthesthai im Sinne von „testamentarisch vermachen“, aber auch in einem allgemeinen Sinne eines Austauschs, bei dem das Besitzrecht von einer auf eine andere Person übergeht, Arnaldo Biscardi, Osservazioni critiche sulla terminologia diathēkē – diatithesthai, in: Symposion 1979. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte, Köln 1983, 23–35, hier 33 und Paulin Ismard, Associations and Citizenship in Attica from Solon to Cleisthenes, in: Alain Duplouy, Roger Brock (Hrsg.), Defining Citizenship in Archaic Greece, Oxford 2018, 145–159, hier 148. 118  Cato agr. 136: politionem quo pacto dari oportet – „mit welchem Kontrakt (pactus) die politio vergeben werden sollte“; 137; 144: oleam legendam hoc modo locare oportet). S. o. Anm. 87.

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die, die um Beute [zu gewinnen] oder Handel [zu treiben] aussegeln, untereinander abmachen (διαθῶνται πρὸς ἀλλήλους), Gültigkeit haben soll, wenn es nicht durch öffentliche Verordnung (dēmósia grámmata) untersagt ist“.119 Auch in diesem Gesetz geht es um vertragliche Abmachungen, formuliert mit der Wendung διατίθεσθαι πρὸς … Außerdem wäre die Formulierung bei einem angenommenen Exportverbot („Verkauf an Fremde“) in einem verbindlichen Gesetzestext zumindest missverständlich, denn auch in Attika lebende Fremde mussten die Möglichkeit haben, die dort erzeugten landwirtschaftlichen Produkte – und nicht nur Olivenöl – für ihren Unterhalt zu kaufen. Verboten werden können hätte korrekterweise nur „der Verkauf in die Fremde/ nach auswärts“.120 Für den zweiten Satzteil gibt Eberhard Ruschenbusch die Lesung ἀλλὰ δ’ ἐξάγειν ἐκώλυσε an, übersetzt aber: „anderes auszuführen verbot er“ (was ἄλλα δ’ im griechischen Text voraussetzt).121 Da in den auf Papyri geschriebenen antiken Texten keine Akzente gesetzt waren, lässt sich vom überlieferten Text her prinzipiell nicht entscheiden, ob zu Beginn des zweiten Satzteils ἄλλα oder ἀλλά zu lesen ist, also entweder „an­ deres auszuführen verbot er“ oder „[es] aber auszuführen verbot er“. Bei der Lesung ἄλλα wäre das ἐξάγειν aller Produkte mit Ausnahme des Olivenöls verboten, bei ἀλλά wäre das ἐξάγειν nur des Olivenöls verboten. Bemerkenswert ist, dass der byzantinische Gelehrte, der zu v. 64 der zehnten Nemeischen Ode Pindars den Kommentar hinzufügte, davon ausging, dass die Ausfuhr von Olivenöl aus Attika verboten war (F 76b). Es ist gut möglich, dass er dabei auf die Ausführungen Plutarchs zurückgriff, diese aber in dem Sinne verstand, dass Solon bei Olivenöl zwar Erntekontrakte mit Fremden erlaubt, aber die Ausfuhr des Olivenöls (ἐξαγωγὴ ἐλαίου) verboten hatte (also das αλλα als ἀλλά verstand). Von dem Verbot ausgenommen seien nach dem Scholion nur die Siegespreise der Athleten bei den Panathenäen gewesen, die 566/65 v. Chr. neu organisiert wurden. Da außerhalb Athens zahlreiche in Attika hergestellte Amphoren für Öl gefunden wurden und Funde panathenäischer Preisamphoren im Mittelmeerraum weit verbreitet sind, ist die Forschung entweder von einem Missverständnis des Scho-

119 Gaius, libri ad legem XII tabularum in: Digesta 47,22,4 (F 117a). 120  Im Eid der Chersonesiten heißt es daher präziser: οὐδὲ ἐξ[α]ξῶ ἀλλᾶι. 121  Eberhard Ruschenbusch hat in seiner Edition der solonischen Gesetze in F 65 (Plut. Solon 24,1) ἀλλὰ δ’ gesetzt, gibt dem Gesetz aber ungeachtet dessen die Überschrift „Sicherung der Ernährung durch ein Ausfuhrverbot für alle Nahrungsmittel“. Dies ist auch in der Neuedition von 2010 beibehalten, mit der Übersetzung „anderes auszuführen verbot er“ (Ruschenbusch 1966, 93; 2010, 130). Ebenso Michael Gagarin, Legal Procedure in Solon’s Laws, in: Josine H. Blok, André P. M. H. Lardinois (Hrsg.), Solon of Athens. New Historical and Philological Approaches, Leiden – Boston 2006, 261–275, hier 267, der trotz der Übernahme von ἀλλὰ δ’ übersetzt: „and he prevented the export of other things“. Manfredini/ Piccirilli 1977 (wie Anm. 63) übersetzen: „Dei prodotti della terra premise la vendita ai foretieri soltanto dell’olio, mentre vietò di esportarne altri“, Leão und Rhodes 2015, 109: „Of natural products Solon allowed disposal to foreigners only of olive oil, and forbade the export of others“; R. Flacelière, E. Chambry und M. Juneaux hatten in der Edition Budé übersetzt: „De tous les produits indigènes, il ne permit de vendre aux étrangers que l’huile et défendit l’exportations des autres“.

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liasten ausgegangen oder hat angenommen, dass das Exportverbot von allen landwirtschaftlichen Produkten außer Olivenöl (so das herkömmliche Verständnis der Angabe Plutarchs) später auch auf das von Solon zu Anfang noch ausgenommene Olivenöl ausgeweitet worden sei (so das Scholion).122 Eine solche Ausweitung könnte zwar mit der Neuorganisation der Panathenäen in Zusammenhang gestanden haben, da für die Siegespreise enorme Mengen von Olivenöl benötigt wurden, das aus den moríai gewonnen wurde,123 doch lassen sich die Quellenzeugnisse besser miteinander in Einklang bringen, wenn man davon ausgeht, dass der Scholiast den Text Plutarchs kannte, ihn aber so verstanden hat, dass die Ausfuhr von Olivenöl durch Solon verboten worden war; er hat also im Text Plutarchs ἀλλὰ gelesen, nicht ἄλλα.124 Gegen eine Lesung ἀλλὰ δ’ ist allerdings einzuwenden, dass mit ἀλλὰ und δὲ ein doppeltes „aber“ vorläge. Bei antiken Autoren ist lediglich ἄλλα δὲ („anderes aber“) oder allein ἀλλὰ („aber“) bezeugt. Auch das im ersten Satzteil vorausgehende μόνον legt einen Anschluss mit ἄλλα δὲ nahe. Als wahrscheinliche Deutung ist also von folgendem Verständnis auszugehen: „Einen Erntekontrakt (τῶν γινομένων διάθεσις) mit Fremden abzuschließen, hat er [Solon] allein bei Olivenöl gestattet, anderes aber (ἄλλα δ’) [aus dem heiligen Bezirk] herauszunehmen (ἐξάγειν) hat er verboten“.125 Ähnliche Verbote enthalten die Mus122  Alessandro Baccarin, Olivicultura in Attica fra VII e V sec. a. C. Trasformazioni e crisi, in: Dialoghi di Archeologia 8, 1990, 30 zieht die Aussage des Scholisten zu Pindars zehnter nemeischer Ode in Zweifel, da Olivenöl seit dem 6. Jh. verstärkt zum Tausch gegen das notwendig zu importierende Getreide eingesetzt wurde. Nikolaos Papazarkadas (2011, 272 f.) hält das Gesetz für authentisch, geht aber davon aus, dass es in klassischer Zeit nicht mehr in Kraft war. Auch Valavanis 1986, 456 hält das Verbot für echt und sah im Aufkauf panathenäischen Olivenöls die einzige Möglichkeit, Olivenöl aus Attika zu exportieren. Descat 1993, 151 schließt aus dem Scholion, dass das Exportverbot bald auf Öl ausgeweitet wurde, so dass dann grundsätzlich verboten war, Nahrungsmittel zu exportieren. In der neueren Forschung hat die Ansicht von August Mommsen, dass sich das Exportverbot bei Olivenöl allein auf das aus heiligen Olivenbäumen gewonnene Öl bezog, keine Berücksichtigung mehr gefunden (Mommsen 1898, 78f: „Außer den siegreichen Agonisten war kein Privatmann in der Lage Morienöl verkaufen zu können“). 123  Suda s. v. μορίαι. Valavanis 1986, 454 f. Bentz 1998, 89 folgt Raymond Descat in dessen Ansicht, dass das Verbot des Exports von Agrargütern „etwas später“ auf Olivenöl ausgeweitet wurde. Descat (1993, 159) setzt dies bereits vor der Neuorganisation der Panathenäen 566 v. Chr. an. Bentz 1998, 89: „Die Glaubwürdigkeit des Scholions wurde zwar auch schon bestritten, aber die Tatsache, dass die SOS-Amphoren, in denen das attische Öl seit geometrischer Zeit gehandelt wurde, spätestens ab 580 nicht mehr auftreten und durch andere, weitaus weniger verbreitete Amphoren ersetzt werden, zeigt einen deutlichen Bruch im athenischen Ölhandel“ (ähnlich L’Homme-Wéry 2004, 150–153). Ausgenommen davon sei das Öl in den panathenäischen Preisamphoren gewesen, da diese Amphoren an vielen Stätten im Mittelmeerraum gefunden wurden und einige mit Handelsmarken versehen sind (ebd. 92–116; vgl. Valavanis 1986, 454, 457–460). Foxhall 2007 (wie Anm. 78), 17 f. geht indes davon aus, dass die SOS-Amphoren Mehrzweckgefäße waren, die auch zum Transport von Wein genutzt worden sein könnten. 124  Zu dem angeblichen Ausfuhrverbot von Olivenöl nach Schol. Pind. N. 10,64b und dem vermeintlichen Widerspruch zu Plut. Solon 24,1 Papazarkadas 2011, 272–274. 125  Zu (ἐξ)άγειν und (ἐκ)φέρειν im Sinne von ‚herausbringen‘ und ‚entnehmen‘ s. o. S. 478 mit Anm. 41. Vgl. auch das Tempelgesetz aus Arkesine auf Amorgos aus dem 4. Jh. v. Chr., wonach es keinem Fremden erlaubt sei, „in das Heraion hinabzuführen“ (IG XII 7, 2, Z. 9 f.: μὴ ἐξεῖναι κατά|[γ]εσθαι εἰς τὸ Ἡραῖ[ον] ξένωι μηδενί). Der neōkóros solle die Aufsicht darüber führen und Verstöße verhindern; komme er dem

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terverträge Catos: „Vom Gut soll er [der redemptor] kein Brennholz und keine Oliven abfahren lassen (ne deportato)“.126 In diesem Sinne verstanden, lässt sich das Gesetz neben andere Fragmente stellen, die den Einzug von Olivenöl regeln: Es sollte beim Abernten heiliger Bäume und bei Erntekontrakten, die sich auf heilige Bezirke bezogen, kein Olivenöl unterschlagen und keine anderen Produkte herausgebracht werden. Solche Vergehen an der Gottheit seien mit einer Verfluchung zu ahnden. Zu berücksichtigen ist auch, dass Plutarch an das vermeintliche ‚Exportverbot‘ Solons die Erläuterung anfügt, als ‚Sykophanten‘ seien vermutlich diejenigen bezeichnet worden, die Personen anzeigten (phaínein), die sich der ‚Ausfuhr‘ von Feigen (σύκων ἐξαγωγή) schuldig gemacht hatten. Auch dabei wird es sich um die ‚Entnahme‘ von ‚heiligen Feigen‘ aus den Göttern geweihten Bezirken gehandelt haben; dieser Diebstahl oder die Unterschlagung von Früchten durch Erntehelfer konnte angezeigt werden, und daraus leitete sich das sykophanteín her. Die ursprünglich verbotene Entnahme anderer Produkte beim Abschluss von Erntekontrakten wurde wegen des exágein in späterer Zeit als Exportverbot missverstanden.127 Für die klassische Zeit gibt es jedenfalls keinen Hinweis auf ein bestehendes Verbot des Exports von landwirtschaftlichen Produkten.128 F 77 Gesetz über orgádes (F 77a: F 91 Leão/Rhodes; F 77b: T 515 Martina)

F 77a: Photios, Lexicon α 808 s. v. ἀκοῦσαι ὀργῶ Theodoridis (9. Jh. n. Chr.) ἀκοῦσαι ὀργῶ: … ὀργάδες καλοῦνται πάντα τὰ ἀνειμένα εἰς ὕλην καὶ ἀνημέρωτα καὶ ἀργά, ὡς καὶ Σόλων φησίν. Ich bin gespannt es zu hören: … orgádes heißen alle für die Holznutzung überlassenen [oder: geweihten] Areale, [in denen die Bäume] nicht veredelt und unbeschnitten sind, wie auch Solon sagt.129

nicht nach, solle er selbst für jeden Tag zehn Drachmen Strafe zahlen, die der Hera geweiht seien. Sollte es sich um ein Verbot für Fremde handeln, Vieh auf heiligem Land weiden zu lassen? 126  Cato agr. 144,3; vgl. 144,2: „Alle, die Oliven gelesen haben, sollen vor dem Eigentümer oder vor dem Aufseher schwören, weder hätten sie während dieser Olivenernte Oliven vom Gut des Lucius Manlius heimlich entwendet noch jemand, den sie aus Arglist dazu angestiftet hätten. Wer von ihnen diesen Eid nicht leistet, dem wird niemand für das, was er im ganzen gelesen hat, Geld geben und auch keines geschuldet werden“ (Übersetzung Dieter Flach). 127  So hat Johannes Tzetzes in seinem Kommentar zur Komödie Plutos des Aristophanes (F 78g) die σύκων ἐξαγωγή aus Plutarchs Solonbiographie im Sinne einer Ausfuhr von Feigen verstanden. 128  Zahlreiche Quellen belegen deren Ausfuhr aus Attika (Descat 1993, 148 f.). Deswegen wurde das Gesetz häufig für unecht erklärt oder angenommen, es sei bald außer Kraft gesetzt worden. 129  Vgl. Schol. in Apollonii Rhodii Argonautica p. 79b ὄργια: … ὀργάδες δὲ οἱ σύμφυτοι τόποι καὶ ὑγροί. – „orgádes sind die wild bewachsenen und nassen [sumpfigen] Gebiete“. Siehe demgegenüber Hesych. ο 1105 s. v. ὀργάδες· γεγεωργημένοι τόποι.

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Gesetze, den archōn basileús und religiöse Angelegenheiten betreffend

F 77b: Photios, Lexicon ο 440 s. v. ὀργάδες Theodoridis (p. 344 f. Porson) ὀργάδες: τὰ ἱερὰ χωρία· ἤτοι ἀπὸ τῶν ὀργίων ἢ τῶν μυστηρίων· ἢ παρὰ τὸ ὀργᾶν· ὅ ἐστιν ἐπιθυμεῖν· καὶ γὰρ ἐπιθυμοῦντες τρυγᾶν τὰ ἱερὰ φυτὰ, οὐ τολμῶσι, διὰ τὸ ἐπάρατα εἶναι. orgádes: den Göttern geweihtes Land; [das Wort leitet sich her] von heiligen Handlungen (ór­ gia) oder von den Mysterien (mystḗria); oder von [dem Verb] orgán [‚schwellen‘, ‚strotzen‘], was epithymeín [‚streben‘, ‚begehren‘] meint. Denn sie streben danach, die den Göttern geweihten Pflanzungen (hierá phytá) abzuernten, wagen es aber nicht, weil ein Fluch darauf gesetzt war. vgl. Schol. in Euripidis Rhesum 282–285 Schwartz: ὀργάδες εἰσὶν οἱ ἱεροὶ τῶν θεῶν τόποι δι’ ἧς αἱ ἅμαξαι πορεύονται οὐ ῥᾴδιον. – „orgádes sind den Göttern geweihte Areale (hieroí tópoi), durch die die Wagen nicht leicht hindurchgeführt werden können“. Schol. in Euripidis Rhesum 282 Dindorf: ὀργάδας: ὀργάδες κυρίως οἱ ἱεροὶ τῶν θεῶν τόποι. – orgádas: orgádes sind genau genommen die den Göttern geweihten Areale (hieroí tópoi).

Es scheint sich bei den orgádes um solche Gebiete zu handeln, die Teil des den Göttern geweihten Landes waren. Die auf diesen Arealen wachsenden Bäume und Pflanzen waren offenbar nicht kultiviert, durften aber dennoch nicht – zumindest nicht ohne ausdrückliche Erlaubnis – abgeerntet werden. Eines dieser Gebiete lag an der Grenze zu Megara und war den eleusinischen Gottheiten Demeter und Persephone geweiht. In der Zeit des Perikles wurde den Megarern vorgeworfen, sie hätten die den Göttern geweihte orgás unrechtmäßig in Besitz genommen; Perikles habe gefordert, gegen sie Klage zu erheben.130 In der Mitte des 4. Jh. v. Chr. hatten die Athener beim delphischen Apollon angefragt, ob man einem Vorschlag der Ratsversammlung folgend ein Stück Land, das mit der heiligen orgás bei Eleusis verbunden ist, bebauen darf.131

130  Thuk. 1,139,2 (ἐπικαλοῦντες ἐπεργασίαν Μεγαρεῦσι τῆς γῆς τῆς ἱερᾶς καὶ τῆς ἀορίστου); Plut. Per. 30,2 (ἀποτέμνεσθαι τὴν ἱερὰν ὀργάδα); vgl. Aristoph. Ach. 524–534, pax 605 ff. Dazu Philip A. Stadter, A Commentary on Plutarch’s Pericles, Chapel Hill – London 1989, 277: „The orgas was fertile but uncultivated territory, sacred to the Eleusinian goddesses, but on the border with Megara“. Nach Meinung von Louise-Marie L’Homme-Wéry beziehe sich die Aussage Solons (fr. 36 Z. 5–7 West), er habe die vorher versklavte schwarze Erde befreit und die zahlreichen Grenzsteine (hóroi) aus dem Boden gerissen, auf die Rückeroberung des zu Megara hin gelegenen Grenzgebiets, das von dieser Zeit an wieder heiliges Land in athenischem Besitz gewesen sei (L’Homme-Wéry 2004). König Kleomenes von Sparta hatte später dieses heilige Land in der Grenzregion verwüstet, weswegen er dem Wahnsinn verfiel (Hdt. 6,75,3; Paus. 3,4,2). Leão/Rhodes 2015, 147 stellen den für die Gesetze belegten Begriff orgádes in diesen Kontext und gehen von den Göttern geweihtem Land aus. Siehe auch die ausführliche Diskussion dieser antiken Quellen und der Lokalisierung der orgás Papazarkadas 2011, 244–259, der die orgás von dem bei Herodot genannten heiligen Land unterscheidet. 131  IG II2 204; LSCG 32; Rhodes/Osborne Nr. 58; Ian Rutherford, State Pilgrims and Sacred Observ­ ers. A Stuy of Theōriā and Theōroi, Cambridge 2013, 97, 99, 107.

Asebie und Hierosylie (F 74–78)

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F 78 Gesetz über Feigenbäume (F 78g: T 315b Martina)

F 78a: Istros von Kyrene, Attika (FgrH 334) F 12 (um 200 v. Chr.) (Athen. 3,6; p. 74d–f)

(74d) σῦκα: … δῆλον δὲ τοῦτο ἐκ τοῦ καλεῖν τοὺς Ἀθηναίους ἱερὰν μὲν συκῆν τὸν τόπον ἐν ᾧ πρῶτον εὑρέθη, τὸν δ’ ἀπ’ αὐτῆς καρπὸν ἡγητηρίαν διὰ τὸ πρῶτον εὑρεθῆναι τῆς ἡμέρου τροφῆς. τῶν δὲ σύκων ἐστὶ γένη πλείονα. Ἀττικὸν μέν, οὗ μνημονεύει Ἀντιφάνης ἐν Ὁμωνύμοις· ἐπαινῶν δὲ τὴν χώραν τὴν Ἀττικὴν τάδε λέγει (F 177 PCG)· οἷα δ’ ἡ χώρα φέρει (74e) διαφέροντα πάσης, Ἱππόνικε, τῆς οἰκουμένης, τὸ μέλι, τοὺς ἄρτους, τὰ σῦκα. Β. σῦκα μέν, νὴ τὸν Δία, πάνυ φέρει.

Ἴστρος δ’ ἐν τοῖς Ἀττικοῖς οὐδ’ ἐξάγεσθαί φησι τῆς Ἀττικῆς τὰς ἀπ’ αὐτῶν γινομένας ἰσχάδας, ἵνα μόνοι ἀπολαύοιεν οἱ κατοικοῦντες· καὶ ἐπεὶ πολλοὶ ἐνεφανίζοντο διακλέπτοντες, οἱ τούτους μηνύοντες τοῖς δικασταῖς ἐκλήθησαν τότε πρῶτον συκοφάνται. Ἄλεξις δ’ ἐν Ποιητῇ φησιν (F 187 PCG)· ὁ συκοφάντης οὐ δικαίως τοὔνομα (74f) ἐν τοῖσι μοχθηροῖσίν ἐστι κείμενον. ἔδει γὰρ ὅστις χρηστὸς ἦν ἡδύς τ’ ἀνήρ, τὰ σῦκα προστεθέντα δηλοῦν τὸν τρόπον· νυνὶ δὲ πρὸς μοχθηρὸν ἡδὺ προστεθὲν. ἀπορεῖν πεποίηκε διὰ τί τοῦθ’ οὕτως ἔχει.

Φιλόμνηστος δ’ ἐν τῷ περὶ τῶν ἐν Ῥόδῳ Σμινθείων φησίν· … (F 74e). App. crit.: (74d) ἡγητορίαν CE; πλείω CE.

(74d) Sýka (Feigen): … Das sieht man daran, dass die Athener den Ort, an dem er zuerst aufgefunden worden ist, ‚Heiligen Feigenbaum‘ (hierá sykḗ) und dessen Frucht, weil sie als erstes der angebauten Nahrungsmittel gezüchtet worden ist, ‚Anführerin‘ (hēgētēría) nennen. Die Sorten von Feigen sind ziemlich zahlreich. Über die attische, die Antiphanes in den Namens­ vettern in einem Lob auf das Land Attika erwähnt, sagt er: A.: Wie vieles bringt das Land, Hipponikos, (74e) das besser ist, als alles in der Welt: Honig, Weizenbrote und die Feigen (sýka). B.: Feigen, ja, beim Zeus, die bringt es reichlich …

Istros bezeugt in der Geschichte Attikas, dass die getrockneten Feigen (ischádes), die bei ihnen selbst wachsen, nicht aus Attika ausgeführt werden (exágesthai), da sie allein den dortigen Bewohnern (katoikoúntes) zugute kommen sollten. Und als herauskam, dass viele sie heimlich beiseite schafften (diakléptein), wurden diejenigen, die die Schuldigen bei Gericht anzeigten (mēnýontes), damals zum erstenmal Sykophanten genannt. Alexis sagt in der Komödie Der Dichter: Der Name Sykophant wird nicht zu Recht (74f) den üblen Denunzianten beigelegt.

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Gesetze, den archōn basileús und religiöse Angelegenheiten betreffend Die süße Feige sollte den Charakter des guten, braven Mannes nur bezeichnen. Nun aber bringt man Bös und Gut zusammen und weckt Erstaunen, wie das möglich ist.

In seiner Schrift Über das Smintheus-Fest auf Rhodos sagt Philomnestos … (F 75e).

F 78b: Plutarch, De curiositate 16 (Moralia 523b) (um 100 n. Chr.) ὁμοίως δὲ καὶ τῷ συκοφάντῃ τοὔνομα γενέσθαι· κεκωλυμένου γὰρ ἐκφέρειν τὰ σῦκα μηνύοντες καὶ φαίνοντες τοὺς ἐξάγοντας ἐκλήθησαν συκοφάνται. App. crit.: γενέσθαι ΓJ, γεγενῆσθαι cet.; φαίνοντες: φέροντες WAY1.

Auf die gleiche Weise soll der Sykophant seinen Namen erhalten haben; als es nämlich verboten war, Feigen (sýka) auszuführen (ekphérein), wurden diejenigen Sykophanten genannt, die diejenigen, welche sie [trotzdem] ausführten (exágontes), anzeigten (mēnýontes kaí phaínon­ tes).

Auch bei den Angaben von Istros von Kyrene und Plutarch ist vorauszusetzen, dass sich das exágein (und das ekphérein bei Plutarch) auf das (vorzeitige) ‚Entnehmen‘ oder den Diebstahl von Feigen bezieht, die an Feigenbäumen auf heiligem Land wuchsen. Wer Feigen von solchen Feigenbäumen stahl, konnte mittels mḗnysis oder phásis angezeigt werden; die Anzeigenden wurden Sykophanten genannt.132 F 78c: Pollux, Onomastikon 8,47 (2. Jh. n. Chr.) φάσις δὲ ἦν τὸ φαίνειν τοὺς περὶ τὰ μέταλλα ἀδικοῦντας, ἢ περὶ τὸ ἐμπόριον κακουργοῦντας ἢ περὶ τὰ τέλη, ἢ τῶν δημοσίων τι νενοσφισμένους, ἢ συκοφαντοῦντας. Phásis aber war [das Verfahren], diejenigen, die Vergehen in Bezug auf die Bergwerke begehen, anzuzeigen (phaínein) oder die, die in Bezug auf den Handelsplatz Verstöße begehen oder bei den Steuern (télē), oder die, die etwas, was der Öffentlichkeit gehört, entwendet haben oder ungerechtfertigt anklagen (sykophantoúntes).

Wenn Vergehen „bei den Steuern“ (περὶ τὰ τέλη) mittels phásis angezeigt werden konnten, könnte sich dies auf Abgaben beziehen, die von der Ernte (heiliger) Oliven- und Feigenbäume oder aus der Pacht öffentlichen Landes zu entrichten waren.133

132  Auch in 2,18 p. 43b-c rühmt Athenaios attische Feigen, wobei er sich auf den Komödiendichter Antiphanes beruft. „Heilige Feigen“ sind für das Eleusionion in der Inschrift IG I3 386 Z. 163 f. belegt. 133  Vgl. die in Schol. Thuk. 2,13,3 genannten Arten öffentlicher Einkünfte (τῆς ἄλλης προσόδου: οἷον τῆς εὐφορίας τῆς γῆς καὶ τῶν καταδικαζομένων καὶ τῶν λιμένων καὶ μετάλλων καὶ ἄλλων). Nicht auszuschließen ist, dass sich das solonische Verbot des exágein und ekphérein von heiligen Feigen auf die Pfändung bei Schuldnern bezog.

Asebie und Hierosylie (F 74–78)

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F 78d: Suda ς 1331 s. v. συκοφάντης (10. Jh. n. Chr.) Συκοφάντης: λιμοῦ γενομένου ἐν τῇ Ἀττικῇ, τινὲς λάθρα τὰς συκᾶς τὰς ἀφιερωμένας τοῖς θεοῖς ἐκαρποῦντο· μετὰ δὲ ταῦτα εὐθηνίας γενομένης, κατηγόρουν τούτων τινές. ἐκεῖθεν οὖν συκοφάν­ της λέγεται. ζήτει ἐν τῷ ἀποσυκάζεις. App. crit.: δὲ om. A; γινομένης V; τούτων om. GM; συκοφάνται GM; λέγονται G cp. AM.

Sykophántēs: Als in Attika eine Hungersnot eintrat, haben einige heimlich den Göttern geweihte Feigen geerntet. Als anschließend die Ernte wieder reichlich ausfiel, klagten einige diese an, und deswegen werden sie Sykophanten genannt. Siehe auch unter dem Lemma aposykázeis. vgl. Suda ς 3567 s. v. ἀποσυκάζεις: συκοφαντεῖς, … τὸ γὰρ παλαιὸν τίμια παρὰ τοῖς Ἀθηναίοις ἦν τὰ σῦκα, καὶ εἴ τις διεβλήθη κλέπτων σῦκα ἐκολάζετο. – aposykázeis: für sykophanteís, … In früher Zeit waren die Feigen bei den Athenern hoch angesehen, und bestraft wurde der, der gesehen wurde, wie er Feigen stahl. vgl. Scholia in Aristophanem, In Plutem 31 (siehe F 78f).

F 78e: Etymologicum Magnum p. 733, 38 s. v. συκοφαντία und συκοφαντεῖν (12. Jh. n. Chr.) Συκοφαντία: Ἡ ψευδὴς κατηγορία· καὶ συκοφαντεῖν, τὸ ψευδῶς κατηγορεῖν. Κεκλῆσθαι δὲ τοῦτο φασὶ παρὰ τοῖς Ἀθηναίοις, πρῶτον ἐκεῖσε εὑρεθέντος τοῦ φυτοῦ τῆς συκῆς τῆς ἐφημέρου τροφῆς. Καλλίστων δὲ ὄντων τῶν Ἀθήνῃσι σύκων, καὶ διὰ τοῦτο κωλυόντων ἐξάγειν αὐτὰ, ἔκλεπτον αὐτὰ τινὲς, καὶ ἐξῆγον ἔξω· τοὺς δὲ μηνύοντας καὶ φαίνοντας τοὺς ἐξάγοντας ἀπεδέχοντο μὲν, ἐξ ὦν δὲ ἔπραττον, συκοφάντας ὠνόμαζον. Συνέβη δὲ καὶ τοὺς ὁπωσοῦν κατηγοροῦντας τινὸς φιλαπεχθημόνως οὕτω προσαγορεύεσθαι. Λαμβάνεται δὲ καὶ ἄλλως τὸ συκοφαντεῖν παρὰ Πλάτωνι καὶ Μενάνδρῳ, οἷον κνίζειν ἐρωτικῶς. Καὶ Πλούταρχος ἐν Σόλωνι, „Οὐκ ἂν οὖν τις ἡγήσαιτο παντελῶς ἀπιθάνους τοὺς λέγοντας, ὅτι καὶ σύκων ἐξαγωγὴ τὸ παλαιὸν ἀπείρητο· καὶ τὸ φαίνειν ἐνδεικνύμενον τοὺς ἐξάγοντας, κληθῆναι συκοφάντην“. App. crit.: κεκλῆσθαι: κέκληται V; φιλαπεχθήμονας V; οὖν om. M; ἀπείρητο … τὸ: ἀπείρηται … τὸν V; καλεῖσθαι M.

Sykophantía: die falsche Anklage. Und sykophanteín [meint] ungerechtfertigt anklagen. Man sagt, bei den Athenern wurde dies so genannt, als zuerst dort der Feigenbaum als tägliches Nahrungsmittel entdeckt wurde. Da die athenischen Feigen die schönsten sind, haben sie verboten, diese auszuführen (exágein); einige haben sie aber gestohlen (kleptein) und nach auswärts gebracht (exágein). Diejenigen, die die Ausführenden anzeigten (mēnýontes kaí phaínontes), wurden offenbar wegen dieser Handlungen sykophántai genannt. Das führte dazu, dass auch die, die streitsüchtig wegen was auch immer Anklage erhoben, so genannt wurden. Übernommen ist das sykophanteín auch in anderem Sinne bei Platon und Menander, nämlich im Sinne von ‚erotisch reizen‘. Und Plutarch [schreibt] im Solon (24,2): „Man darf also auch die Nachricht nicht für ganz unglaubwürdig halten, dass auch die Ausfuhr (exagōgḗ) von Feigen in früher Zeit verboten war. Und dass der, welcher diejenigen, die [Feigen] ausführten, zur Anzeige brachte (endeiknýmenos), Sykophant genannt wurde“. Vgl. Photius, Lexicon σ 687 s. v. συκοφαντεῖν Theodoridis (= Suda σ 1330 s. v. συκοφαντεῖν): τὸ ψευδῶς τινος κατηγορεῖν. κεκλῆσθαι δέ φασι τοῦτο παρ’ Ἀθηναίοις πρῶτον εὑρεθέντος τοῦ φυτοῦ τῆς συκῆς καὶ διὰ τοῦτο κωλυόντων ἐξάγειν τὰ σῦκα. τῶν δὲ φαινόντων τοὺς ἐξάγοντας συκοφαντῶν κληθέντων, συνέβη καὶ τοὺς ὁπωσοῦν κατηγοροῦντάς τινων [Suda: κατηγοροῦντας τινῶν] φιλαπεχθημόνως οὕτως [Suda: οὕτω] προσαγορευθῆναι.

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Gesetze, den archōn basileús und religiöse Angelegenheiten betreffend

Sykophanteín: einen anderen fälschlich anklagen. Man sagt, bei den Athenern sei diese Bezeichnung zunächst verwendet worden, als der Feigenbaum [als Frucht tragender Baum] entdeckt wurde und sie deswegen Feigen auszuführen (exágein) verboten haben. Diejenigen, welche die dem Ausfuhrverbot Zuwiderhandelnden anzeigten (phaínein), wurden Sykophanten genannt, und das führte dazu, dass auch die wegen irgendwelchen anderen Dingen streitsüchtig Klage Führenden so bezeichnet wurden. Ähnlich Scholia in Platonem, Res publica 340d: συκοφάντης. συκοφάντης λέγεται ὁ ψευδῶς τί τινος κατηγορῶν, κεκλῆσθαι δ’ οὕτω παρ’ Ἀθηναίοις πρῶτον … οὕτως προσαγορευθῆναι. – „Sykophántēs: Sykophant wird der genannt, der einen anderen ungerechtfertigt anklagt. Bei den Athenern sei diese Bezeichnung zunächst verwendet worden, …“.

F 78f: Scholia in Aristophanem, In Plutum 31 (Scholia vetera et fort. recentiora sub auctore Moschopulo) καὶ συκοφάνται: Λιμοῦ γενομένου … [wie F 78d], καὶ ἐκεῖθεν συκοφάνται λέγονται. Ἄλλως. ἀπείρητο Ἀθήνῃσι μὴ ἐξάγειν ἐντεῦθεν ἄλλοσέ που σῦκα· βουλομένων οὖν τινων ἐξενεγκεῖν, ἱστάμενοι ἐν ταῖς τῶν πυλῶν ἐξόδοις ἄνδρες πανοῦργοι τὸ τούτων ἐξήλεγχον τέχνασμα, ὃ περὶ τὴν ἐξαγωγὴν ἐποίουν. ἐκαλοῦντο οὖν οὗτοι συκοφάνται, ὡς τὰ σῦκα φαίνοντες. ἐπεκράτησεν οὖν ἐξ ἐκείνου τοὔνομα πρὸς πάντας τοὺς πανούργους. – εὕρηται δὲ περὶ τούτου καὶ ἑτέρα ἱστορία πάνυ ψυχρά. Und sykophántai: Als in Attika eine Hungersnot eintrat, … [wie F 78d], und deswegen werden sie Sykophanten genannt. Anders [erklärt]: Es war in Athen verboten, von hier aus irgendwo anders hin Feigen auszuführen (exágein). Als einige sie dennoch ausführen wollten, haben Schurken, die an den Ausgängen der Stadttore standen, deren List ans Licht gebracht, mit der sie die Ausfuhr (exagōgḗ) bewerkstelligen wollten. Daher wurden diese Leute Sykophanten genannt, weil sie Feigen ans Licht brachten (phaínontes). Die Bezeichnung ging von dort her auf alle Schurken über. – Auch eine andere Erklärung dafür erweist sich als völlig aus der Luft gegriffen.

F 78g: Johannes Tzetzes, Commentarium in Plutum (recensio 2) (Scholia recentiora Tzetzae in Aristophanem) 873 (12. Jh. n. Chr.) ‚συκοφάντης‘ δὲ νῦν παραχρηστικῶς πᾶς καλεῖται διαβολεύς· κυρίως δέ, μάνθανε. ὁ ἀθηναῖος Σόλων ὁ νομοθέτης πολλοὺς ἐν Ἀθήναις ἐξέθετο νόμους, ὧν εἷς ἦν καὶ ὃς ἐθεσμοθέτει σῦκα ἐξ Ἀθηνῶν μὴ ἐξάγειν μηδὲ πιπράσκειν ἑτέρωσε διὰ τὸ ὡραῖον καὶ σπάνιον τοῦ καρποῦ· ὃς οὖν ἥλω σῦκα πιπράσκων ἐκτὸς Ἀττικῆς, ἐκ τοῦ νόμου κειμένην τιμωρίαν ὑφίστατο καὶ ὁ τοῦτον φαίνων πιπράσκοντα σῦκα συκοφάντης ἐλέγετο· νῦν δέ, ὡς εἶπον, παραχρηστικῶς πάντα διαβολέα συκοφάντην καλοῦσιν. ‚Sykophant‘ wird nun aber [in der Zeit des Aristophanes] im allgemeinen Gebrauch [des Wortes] jeder Verleumder genannt. Verstehe es aber genau: Der Athener Solon hat als Gesetzgeber (nomothétēs) viele Gesetze in Athen erlassen, von denen eines das war, das er als Thesmothete erlassen hat, nämlich wegen der [schlechten] Ernte und der Knappheit an Früchten Feigen nicht aus Athen anderswohin auszuführen (exágein) noch zu verkaufen (pipráskein). Wer nun ertappt wurde, Feigen außerhalb Attikas zu verkaufen, dem wird die im Gesetz angeordnete Strafe (timōría) auferlegt, und der, der einen solchen anzeigt (phaínein), welcher Feigen verkauft, wurde Sykophant genannt. Nun aber [in der Zeit des Aristophanes] heißt, wie ich bereits gesagt habe, im allgemeinen Gebrauch [des Wortes] jeder Verleumder ‚Sykophant‘.

Historische Einordnung – Opferkalender und Kultvorschriften (F 79–87)

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vgl. Johannes Tzetzes, Commentarium in Plutum (recensio 2) 31a: πόθε λέγεται συκοφάντης; πόθε δὲ συκοφάντης λέγεται, μάνθανε· ὁ σχολιογράφος γὰρ οὐ καλῶς τοῦτό φησιν. ὁ Σόλων νομογραφῶν ἐν Ἀθήναις περὶ πολλῶν θεσμοὺς ἔθετο, καὶ τοῦτο δὲ σὺν ἄλλοις ἐνομοθέτησε σῦκα ἐξ Ἀθηνῶν μὴ ἐκφέρεσθαι καὶ πιπράσκεσθαι διὰ τὸ σπάνια καὶ ὡραῖα παρ’ αὐτοῖς γίνεσθαι σῦκα. ὃς δ’ οὖν τινας ἤλεγχε σῦκα πιπράσκοντας, συκοφάντης ἐλέγετο. ὕστερον δὲ παραχρηστικῶς ἐξ αὐτοῦ πᾶς ψευδῶς λέγων κατά τινων συκοφάντης καλεῖται. Warum wird jemand ‚Sykophant‘ genannt? Warum jemand ‚Sykophant‘ genannt wird, das ersehe aus Folgendem: Denn der Scholiograph hat dies nicht gut erklärt. Der Gesetzgeber Solon hat in Athen über viele Dinge Satzungen (thesmoí) erlassen. Unter anderen hat er auch dieses [Gesetz] erlassen, dass man Feigen aus Athen nicht ausführen (exphéresthai) und nicht verkaufen darf (pipráskesthai), weil bei ihnen Feigen knapp und die Ernten schlecht waren. Wer nun aber solche überführte, welche Feigen verkauften, wurde Sykophant genannt. Später wurde deswegen jeder, der verleumderisch irgendwelche Leute anklagte, im uneigentlichen Gebrauch [des Wortes] Sykophant genannt.

Spätere Lexikographen und Scholiographen verstanden das exágein und ekphérein durchweg im Sinne einer Ausfuhr von Feigen aus Attika. VI 2 Opferkalender und Kultvorschriften Abstract: Die in der Lysiasrede Gegen Nikomachos genannten „Opfer von den kýrbeis“ gehen vermutlich auf einen solonischen Opferkalender zurück, der Gesetzescharakter hatte. Bei der Revision der Gesetze im späten 5. Jh. wurden die Opfer von verschiedenen älteren Kalendern und Beschlüssen zusammengetragen, aber deren Herkunft kenntlich gemacht. Dabei werden die Opfer unter den Rubriken ἐκ τῶν φυλοβασιλικῶν mindestens auf das 6. Jh., wenn nicht auf solonische Zeit zurückgehen. Der auf Solon zurückgeführte Opferkalender enthielt in chrono­ logischer Anordnung die Opferfeste, die zu opfernden Tiere (darunter „ausgewählte Tiere“) und weitere Opfergaben sowie Speisungen für Kultpersonal, möglicherweise auch Preise für siegreiche Athleten (siehe VI 3).

Historische Einordnung Opferkalender Zitate aus und Verweise auf solonische Gesetze legen nahe, dass Solon nicht nur das Deliktrecht mit den einzuhaltenden Verfahren und den Strafen festgelegt, sondern auch einen Opferkalender und Kultvorschriften erlassen hat.134 Dabei lässt sich nicht sicher entscheiden, ob diese in die Gesetze Solons integriert waren oder ob ein Opfer-

134  Religiöse Regelungen waren in vielen Städten gesetzlich festgelegt (Parker 1996, 54).

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kalender separat aufgezeichnet worden war.135 Manche – der meist späten – Quellen behaupten, dass das Deliktrecht auf den viereckigen áxones, die Opferbestimmungen hingegen auf dreieckigen kýrbeis verzeichnet waren. Doch die zahlreichen dazu vorliegenden Nachrichten sind widersprüchlich; außerdem ist zu berücksichtigen, dass bis ins 2. Jh. v. Chr. hinein allein von den solonischen kýrbeis, nicht von áxones gesprochen wird. In der Lysiasrede und bei Theophrast sowie in der Versöhnungsvereinbarung der Salaminioi aus dem Jahr 363/62 v. Chr. (F 79a–c) ist nur unspezifisch auf kýrbeis Bezug genommen. Aus der Rede des Lysias Gegen Nikomachos geht aber hervor, dass die ‚Schreiber‘ (anagrapheís) 410/9 und erneut nach dem zweiten oligarchischen Umsturz 403/2 v. Chr. bei der Revision der Gesetze den Auftrag erhalten hatten, dafür Sorge zu tragen, dass „die Opfer von den kýrbeis und von den Stelen gemäß den Anweisungen vollzogen werden“, wobei vorausgesetzt werden kann, dass die kýrbeis auf frühere Zeit zurückgehen, während die Opferkalender „auf den Stelen“ jüngeren Datums waren.136 Bei der revidierten Fassung waren, so zeigen die erhaltenen Inschriftenfragmente, Einträge unterschiedlicher Herkunft zusammengestellt worden, Opfer aus der Liste „derer der phylobasileís“, der „monatlichen“, der „ohne festgelegten Tag“ und der Opfer „von den Stelen“.137 Mit guten Gründen vermutet die Forschung, dass die Einträge in dem 403–399 v. Chr. revidierten Opferkalender, die unter der Überschrift ἐκ τῶν φυλοβασιλικῶν aufgelistet sind, auf einen alten Opferkalender zurückgehen. Denn Phylenkönige gab es vier, und ihre Zahl wurde bei der kleisthenischen Phylenreform nicht auf zehn erhöht, so dass die Opfer ἐκ τῶν φυλοβασιλικῶν auf das 6. Jh. v. Chr. und

135  Robert Parker geht davon aus, dass der Opferkalender Solons zu den ersten überhaupt gehörte (vgl. aber Anm. 144); wenn er nicht auf Solon selbst zurückgehe, werde er vermutlich im Laufe des 6. Jh. v. Chr. zusammengestellt worden sein (1996, 43; zu anderen frühen Opferkalendern außerhalb Athens ebd. Anm. 1, zu athenischen Opferkalendern des frühen 5. Jh. siehe IG I3 230–234 [SEG 52,48; 57,64] mit Parker ebd. 44). 136  Lys. 30,17: θύειν τὰς θυσίας τὰς ἐκ τῶν κύρβεων καὶ τῶν στηλῶν κατὰ τὰς συγγραφάς. Der Verweis auf die Vorfahren (30,18 und 30,19 f.), die die Opfer in Übereinstimmung mit den kýrbeis vollzogen hätten, legt nahe, dass sie als die alten, die auf den Stelen verzeichneten als neuere Vorschriften galten. Jan-Mathieu Carbon im Kommentar zu CGRN 45: „the instructions (συγγραφαί) mentioned appear to have been formal orders to the commission (…). The kyrbeis which provided one of the sources of authority for the laws were thought to be the code of Solon, which was notably concerned with sacrifices. … The other sources were stelai, containing official enactments of the city of Athens. As they are preserved, the fragments on [scil. CGRN 45] Face A indeed contain explicit references to these sources of authority: one of the many rubrics of the documents is ἐκ τῶν στ̣[ηλῶν], Face A, fr. 3, cols. 1–2, line 77 (cf. also Face A, fr. 2, line 8; but no such rubrics as yet appear on Face B)“. 137  Parker 1994, 45: ἐκ τῶν φυλοβασιλικῶν; ἐκ τῶν κατὰ μῆνα; ἐκ τῶν μὴ ῥητῇ; ἐκ τῶν σ[τηλῶν (oder: ἐκ τῶν σ[υγγραφῶν), zu den Opfern ἐκ τῶν φυλοβασιλικῶν siehe F 80. Unklar ist dabei, ob die zweite und dritte Kategorie Unterkategorien der ersten waren. Nach Parker könnten diese älteren Kategorien auf Solon zurückgehen (ebd. 45 f.; ebenso Lambert 2002, 357). Sokolowski in LSCG Suppl. Nr. 10 S. 29 und Lambert 2002, 356 f. folgen Sterling Dow darin, dass die Angaben ἐκ τῶν … nicht die Kasse bezeichnen, aus der die Opfer finanziert wurden, sondern die Vorlagen, denen die Auflistung entnommen war.

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damit möglicherweise auf solonische Zeit zurückgehen werden.138 Jedenfalls wurden die kýrbeis zu der Zeit, als die solonischen Gesetze am Ende des 5. Jh. revidiert wurden, als solonisch betrachtet, unabhängig davon ob der Opferkalender tatsächlich von Solon erlassen worden war oder nicht. Antiken Angaben zufolge waren auf den kýrbeis die „Opfer“ (θυσίαι) verzeichnet. Allerdings weisen nicht wenige Handschriften statt θυσίαι das Wort οὐσίαι auf. Da aber Lysias und Theophrast in Zusammenhang mit den kýrbeis von thysíai sprechen und in der Versöhnungsvereinbarung der Salaminioi Opfertiere mit deren Wert aufgelistet sind und dabei auf die kýrbeis Bezug genommen wird, wird die Lesung θυσίαι vorzuziehen sein.139 Hinzu kommt, dass Plutarch sich auf Autoren beruft, wonach „auf den kýrbeis die Feste (hierá) und die Opfer (thysíai) verzeichnet“ waren (F 79f), während die áxones die anderen Gesetze enthielten. Plutarch mag dies von Aristophanes von Byzanz (F 79d) übernommen haben. Das Etymologicum Gudianum, das Etymologicum Magnum und das Lexikon der Suda sprechen von „kýrbeis, die die Opferfeste (he­ ortaí) der Götter verzeichnen“; die Bezeichnung stamme aber „von kýrbis her, der die Vermögen festlege“ (F 79e: ἀπὸ κύρβεως τοῦ τὰς οὐσίας ὁρίσαντος), wobei sich die Lexikographen dabei auf Asklepiades berufen. Die von Asklepiades gegebene Erklärung wird wohl kaum im Sinne von Markierungen in Form dreieckiger Stelen (kýrbeis) zur Kennzeichnung von Grundstücksgrenzen zu verstehen sein (bei der Lesung ousíai), sondern in dem Sinne, dass auf den kýrbeis Art, Menge und Wert der Opfergaben (mit der Lesung thysíai) festgelegt waren. Der Scholiast zu Aristophanes’ Vögeln gibt an, dass auf den kýrbeis „die öffentlichen (= die aus öffentlichen Mitteln bestrittenen) Opferfeste“ genannt seien (F 79i: αἱ δημοσίαι ἱεροποιίαι). Alles in allem kann also davon ausgegangen werden, dass auf den als kýrbeis bezeichneten Stelen die aus öffentlichen Mitteln bestrittenen Opferfeste mit der Bezeichnung und dem Wert der Opfertiere und anderer Opfergaben verzeichnet waren. Meist nur fragmentarisch erhaltene Inschriften aus dem 5. und 4. Jh. v. Chr. zeigen, dass es in dieser Zeit einen zentralen Opferkalender für die Polis Athen gab, daneben aber lokale Opferkalender einzelner Dorfgemeinden und von Kultverbänden, so den der marathonischen Tetrapolis oder den des génos der Salaminioi. Erhalten geblieben

138  Zur Frage, auf welche Zeit die phylobasileís als Funktionsträger zurückgehen Carlier 1984, 359. Die phylobasileís waren nach Pollux eupatrídai und wurden von den Phylen bestellt; sie hätten sich vor allem um den Kult (hierá), so Pollux, bzw. um die Opfer (thysíai), so Hesychios, gekümmert (Poll. 8,111; Hesych. s. v. φυλοβασιλεῖς). Pierre Carlier (1984, 355) hält es für möglich, dass die Phylenkönige auch in dem Opferkalender aus Eleusinion aus der Zeit 510–480 v. Chr. genannt waren (IG I3 232 Aa Z. 43; LSCG Suppl. Nr. 2 Aa Z. 13; CGRN 7 [AIO] Z. 43). 139  Zu den im Opferkalender der Salaminioi (SEG 21,527; CGRN 84; T 7, F 79c) genannten kýrbeis der Polis Athen, auf denen Opfer verzeichnet waren, siehe Osborne 1994, 154–159. Zum thysía-Opfer siehe Timo Klär, Das griechische Göttermahl. Fleisch als Medium der göttlich-menschlichen Interaktion, in: Eike Faber, Timo Klär (Hrsg.), Zwischen Hunger und Überfluss. Antike Diskurse über die Ernährung, Stuttgart 2020, 329–346 mit weiterer Literatur.

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sind Fragmente des zentralen Kalenders, der in der Stoa Basileios in einer früheren Fassung (vermutlich der Jahre 410 bis 404), dann in einer späteren Fassung der Jahre zwischen 403 und 399 öffentlich aufgestellt war.140 Durch weitere Inschriften sind Teile der Opferkalender der Demen Teithras, Eleusis, Thorikos, Erchia und der marathonischen Tetrapolis bekannt.141 Die lokalen und der zentrale Opferkalender waren insofern aufeinander abgestimmt, als vermutlich an den Tagen wichtiger zentraler Kulte wie der eleusinischen Mysterien, der Panathenäen, der Anthesterien oder der Pyanopsien keine lokalen Kultfeiern mit Opfern stattfanden; doch lassen sich auch Ausnahmen feststellen.142 Die Demen und Kultverbände waren aber auch dadurch mit den zentralen Kultfeiern verbunden, dass sie einige der Kosten für zentrale, weitgehend aus öffentlichen Mitteln bestrittene Kultfeiern übernahmen, z. B. für das Holz zum Verbrennen der Opfertiere oder Mahlzeiten für die Abgesandten der Demen, die an den zentralen Kultfeiern teilnahmen.143 Entsprechende Posten wurden in den lokalen

140  Teile der früheren Fassung: IG I3 237bis–241; Teile der späteren Fassung: IG II2 1357; LSCG Suppl. Nr. 10; LSCG Nr. 17 B, C. Eine vollständige Neuausgabe in Lambert 2002, CGRN 45 A–B und AIO 1185 und 1189. Dazu Parker 1996, 43–55; Lambert 2002, 355. Siehe auch P. J. Rhodes, The Athenian Code of Laws, 410–399 B. C., in: JHS 111, 1991, 87–100, hier 94; Noel Robertson, The Laws of Athens, 410–399 B. C. The Evidence for Review and Publication, in: JHS 110, 1990, 43–75, hier 59; 65–71. Skeptisch hinsichtlich der Zusammengehörigkeit der Fragmente und des Bezugs von IG I3 237bis–241 auf die Revision sind Mirko Canevaro, Edward M. Harris, The authenticity of the documents at Andocides’ On the Mysteries 77–79 and 83–84, in: Dike 19, 2016/17, 9–49, hier 43: „they could be attributed to calendars or financial records that have nothing to do with the revision of the laws between 410 and 400 BCE.“ Siehe dagegen wiederum Jan-Mathieu Carbon im Kommentar zu CGRN 45: „Yet the unity of most of the fragments appears difficult to doubt: first, on the basis of the consistency of the letterforms employed by the cutters of each face (…); second, because of the form of the stelai themselves: the thicknesses of frs. 1–3, 5, and 7 (cf. Lambert’s „group A“), are perfectly coherent (ca. 12 cm), those of frs. 8–9 equally so (ca. 9 cm; cf. Lambert’s „group B“, …); finally, and perhaps most importantly, due to their format (two faces in Attic and Ionic script, respectively), content, and formulary. Concerning the presence of the two faces, Lambert argues (p. 355) that the „simplest hypothesis“ is that face B contains remains of the work of the commission including Nikomachos in ca. 410–404 BC; this may later have been set against a wall to obscure the text; face A seems to be inscribed (perhaps over erased text) and therefore contains the revision of the sacrificial calendar in the second term of the commission (ca. 403–399 BC).“ Ein neues Fragment bei L. Gawlinski, The Athenian Calendar of Sacrifices. A New Fragment from the Athenian Agora, in: Hesperia 76, 2007, 37–55. 141  Dazu ausführlich Mikalson 1977; Whitehead 1986, 185–208. 142  Whitehead 1986, 187–189; vgl. Paulin Ismard, La cité des réseaux. Athènes et ses associations VIe – Ier siècle av. J.-C., Paris 2010, 224–243 (http://books.openedition.org/psorbonne). In einigen Fällen lässt sich nachweisen, dass zentrale Feste auch lokal gefeiert wurden. Eine Auflistung aller nachgewiesenen Feste im attischen Kalender bietet in kalendarischer Form Mikalson 1975; eine kalendarische Auflistung der auf den revidierten Opferkalendern belegten Feste bei Lambert 2002, 392–395. Vgl. auch Robert Parker, Polytheism and Society at Athens, Oxford 2005, 192–217. 143  Die auf Kosten der lokalen Demen vollzogenen Opfer hießen δημοτικά, die auf Kosten der Polis vollzogenen δημοτελῆ (Whitehead 1986, 178 Anm. 8). Zu den Beziehungen zwischen lokalen Opferkalendern und zentralem Opferkalender Mikalson 1977, 426–431; Whitehead 1986, 178–180; Rutherford 2013, 312–316. Bestritten wurden die Kosten aus denjenigen Einkünften, die durch die Verpachtung von Land oder die Gewährung von Darlehen erzielt worden waren. In einem Beschluss wiesen die Myrrhinusier die Priester an, Darlehen zu gewähren, Land und Häuser als Hypothek zu belasten und hóroi dort

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Kultkalender aufgenommen. In einer Eintragung im Opferkalender der Salaminioi ist ein Betrag von zehn Drachmen für Holz ausgewiesen, sowohl für lokale Opfer als auch für diejenigen Opfer, „die die pólis aus den kýrbeis vorschreibt“ (F 79b: ξύλα ἐφ’ ἱεροῖς καὶ οἷς ἡ πόλις δίδωσιν ἐκ κύρβεω(ν) Δ).144 Es ist dies ein unmittelbarer Bezug auf den zentralen Opferkalender Athens, der in seinem Ursprung vermeintlich solonisch war. Jon D. Mikalson geht davon aus, dass die überlieferten Fragmente des Opferkalenders von Eleusis, auf denen in zwei Kolumnen einer Stele die Ausgaben für die Opfer des gesamten Jahres verzeichnet waren, nicht der eigentliche Opferkalender des Demos Eleusis war, sondern nur die Ausgaben aufführte, die die Eleusinier für Kultfeiern zu leisten hatten, die von Athen vorgeschrieben oder in Athen vollzogen wurden.145 Es ist gut möglich, dass den Abgesandten des lokalen Demos in diesen Fällen eine Mahlzeit zustand.146 Ein Ineinandergreifen zentraler Bestimmungen und lokaler Regelungen geht auch aus dem solonischen ‚Gesetz über die Vereinsautonomie‘ (F 117) hervor, wonach Kultvereinigungen, Phratrien und Demen rechtsverbindliche Satzungen erlassen konnten, die jedoch nicht in Widerspruch mit den schriftlichen Vorgaben der Polis stehen durften, und geht – für die Zeit um 400 v. Chr. – auch aus der delphischen Labyadeninschrift hervor, wonach der Vorsteher (tágos) der Labyaden einen Eid ablegen musste, sein Amt hinsichtlich des Fests der Apellaia, der Opfer und der Einnahmen „gemäß den Gesetzen der Polis und der Labyaden“ korrekt auszuüben.147 Ähnlich wie die späteren inschriftlich erhaltenen Opferkalender wird auch der (vermeintlich) solonische die Feste in monatlicher Reihenfolge aufgeführt haben, unter denen dann in der Abfolge der Tage die Gottheit oder der Heros, zu dessen Ehre das Opfer vollzogen wurde, das Opfertier oder andere Opfergaben wie Olivenöl, Wein oder Getreide und deren Wert verzeichnet waren (F 79b), mitunter auch der Ort, an

aufzustellen, die anzeigten, welcher Gottheit die Einkünfte zukamen (IG II2 1183 Z. 27–32; Whitehead 1986, 182). 144  Dazu Osborne 1994, 159, der die Ursprünge der Salaminioi in die Zeit um 700 v. Chr. setzt: „When Solon established the first Sacrificial Calendar for the Athenians he would simply have been formalizing established practice“. Zum génos der Salaminioi siehe auch Nikolaos Papazarkadas, Sacred and Public Land in Ancient Athens, Oxford – New York 2011, 171–181. 145  I.Eleusis 175; Mikalson 1977. Dassselbe gilt für eine Anzahl von Opfern im Kalender des Demos Plotheia (IG I3 258), die im Namen des Demos von der Polis vollzogen wurden. 146  Nicht speziell aufgeführt ist hingegen der Anteil, den die Festteilnehmer bei der Opferung eines Tieres erhielten; im Opferkalender von Erchia war offenbar festgelegt, dass diese Anteile nicht mitgenommen werden durften (Graf 1985, 28; Whitehead 1986, 201 f.). 147  CID I, Paris 1977, 26–85 Nr. 19; Syll.2 438; SGDI 2561; LSCG Nr. 77 (nur Seiten C und D); Koerner 1995, Nr. 46 Seite A Z. 1–12; Rhodes/Osborne GHI, 2–12. Zu der Frage, ob es sich bei den Labyaden um eine phratría, um eine syngéneia oder eine andere Form einer kultisch-familialen Gemeinschaft handelte, siehe Violaine Sébillotte, Les Labyades: Une phratrie à Delphes?, in: Cahiers du Centre Gustave Glotz 8, 1997, 39–49.

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dem das Fest begangen wurde.148 Hinzutreten konnten genauere Angaben zum Opfertier, nämlich zu dessen Geschlecht, Alter oder Farbe des Fells.149 Bei mehreren der Fragmente des in den Jahren zwischen 410 und 399 revidierten Opferkalenders (F 80) gibt es Bezüge zu literarisch bezeugten Fragmenten solonischer Gesetze, was nicht verwunderlich ist, wenn die Revision auf dem solonischen oder auf einem Kalender fußte, den man an der Wende vom 5. zum 4. Jh. für solonisch hielt. Doch handelt es sich nicht um eine unveränderte Wiederveröffentlichung, da in einem Fragment der älteren Fassung (IG I3 238 Z. 4) syngraphaí genannt sind, also auf die aktuelle Zusammenstellung Bezug genommen wird.150 Die Einträge eines älteren Opferkalenders waren bei der Revision übernommen und durch weitere Einträge ergänzt worden. In Fragmenten der älteren und der neueren Fassung sind auserlesene Opfertiere aufgeführt, was mit der Angabe Plutarchs zusammenpasst, dass Solon auf dem sechzehnten áxōn „Wertangaben für auserlesene Opfertiere“ genannt habe.151 In den Fragmenten der jüngeren Fassung des Opferkalenders sind Opfer am fünften Tag des Monats Boedromion aufgeführt, an dem Tag, an dem die Genesien gefeiert wurden (vgl. dazu F 83), und Beträge für die Speisung der kḗrykes. Dies entspricht der Sache nach Fragmenten aus den solonischen kýrbeis bezüglich der Deliasten, in denen vom parasiteín der beiden Herolde aus dem Kerykengeschlecht die Rede ist (F 85).152 Kultvorschriften Wenn Plutarch (F 81a) darauf hinweist, dass Solon ein Gesetz (nómos) für den Auszug der Frauen, für Totenklagen und Kultfeiern erlassen hat, spricht dies dafür, dass es neben einem Opferkalender ein weiteres Gesetz gab, das mehr umfasste als die

148  So in CGRN 45 B fr. 11 Z. 5; Sterling Dow, The Athenian Law Code of 411–401 B. C., in: Hesperia 10, 1941, 31–37 (fr. B Z. 10): [..]𐅂𐅂 Λετõι : ἐμ Π[υθίο .. (Dow: Λετõιι : ἐμ π[όλει ..). Vgl. auch IG I3 234 Z. 10: ἐμ π[όλει .. und 12: ἐμ π[ ---. Die Wertangaben zeigen, dass die Opfertiere in aller Regel gekauft wurden und nicht Tiere aus ‚heiligen Herden‘ im Besitz eines Heiligtums gewesen sein werden. 149  Zur Struktur des Kalenders, in dem unter den Rubriken ein-, zwei- und mehrjährliche Feste die Opfer in chronologischer Reihenfolge aufgelistet waren, Lambert 2002, 357 f. 150  Parker 1996, 43 f. Zu den syngraphaí in Lys. 30,17 s. o. Anm. 136. 151  CGRN 45 B und AIO 1185 fr. 11 Z. 2–3; Dow 1941 (wie Anm. 148) fr. B Z. 7–8 (LSCG Suppl. Nr. 9): [.. ? ..] hῦν κριτέ[ν] | [..?..] οἶν κριτέν; CRGN 45 A und AIO 1189 fr. 2 Z. 6: [κρ?]ιτ[ήν?; fr. 3 col. 1 Z. 21 f. (LSCG Suppl. Nr. 10 A): [ἐκ τῶν κα]τὰ μῆνα | [..?..] [Ἀθηνά]αι βõς κριτή und col. 3 Z. 69 f.: Θρεπτῶι [..?..] | Δ𐅃𐅂𐅂 κριτός und Plut. Solon 23,4: τιμὰς τῶν ἐκκρίτων ἱερείων. Vgl. bereits IG I3 234 Z. 18 von 480–460 v. Chr.: ἔριφος : κριτὸς : [---. Zu höheren Wertangaben bei erlesenen Opfertieren Ziehen 1939, 592; Lambert 2002, 373 Anm. 11; 396 f. 152  Nach Aristot. Ath. pol. 62,2 speisten die Athlotheten während des Monats Hekatombaion, in dem die Panathenäen stattfanden, im Prytaneion, und zwar vom vierten Tag an. Möglicherweise war dies im Opferkalender vermerkt, um die dafür notwendigen Ausgaben in die Gesamtkosten einzubeziehen. Die Kosten für die nach Delos gesandten Amphiktyonen, die pro Tag eine Drachme erhielten, wurden von Delos bestritten.

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kalendarische Auflistung der Opfer an bestimmte Gottheiten. Die delphische Labyadeninschrift der Zeit um 400 v. Chr. kann als Beispiel dafür gelten, dass in ein und demselben ‚Gesetz‘ Bestimmungen zu Opferhandlungen und Bestattungen verbunden waren. Denn dort sind Pflichten des tágos, des Vorstehers der Phratrie bzw. des Kultverbands, aufgeführt: Er soll einen Eid schwören, dass er das Amt „gemäß den Gesetzen der Polis und der Labyaden hinsichtlich der (Opfer im Monat) Apellaion und der (aus Anlass einer Hochzeit oder Geburt dargebrachten) Opfer“ ausübe, die Gelder eintreibe und darüber Rechenschaft leiste.153 Darauf folgen in der Inschrift ein Beschluss der Labyaden über die Annahme von Opfern aus Anlass von Hochzeit und Geburt bei der Aufnahme von Frauen und Kindern in die Kultgemeinschaft durch den tágos154 und Bestimmungen, wie bei Streitfällen und Verstößen gegen die erlassenen Vorschriften vorzugehen sei, dann auf Seite C des Inschriftensteins aber auch Vorschriften über Bestattungen. Die Labyadeninschrift – auch wenn sie aus deutlich späterer Zeit stammt – legt nahe, dass auch Solon den Phratrien und den Kult- und Dorfgemeinschaften verschiedene religiöse Pflichten auferlegt und Vorschriften erlassen hat, z. B. dass sie bei Festen bestimmte Opfergaben darzubringen und Rituale durchzuführen haben. Auf diese Weise könnte Solon das erreicht haben, was ihm Plutarch zuschreibt, nämlich die Opferhandlungen einfach zu halten und bei den Trauerklagen Maß zu zeigen, so wie er es von dem Kreter Epimenides übernommen haben soll (F 82a), auch und gerade bei solchen Festen, die von Frauen in Heiligtümern außerhalb des Hauses und zum Teil nachts begangen wurden. Dabei könnte Solon auch den Kultgemeinschaften die Durchführung der genésia zur Pflicht gemacht haben, eine Feier zu Ehren der Verstorbenen, die gemäß einer Glosse im Antiattikistes (F 83) auf den solonischen áxones genannt gewesen sei, als ein am fünften Tag des Monats Boedromion aus öffentlichen Mitteln zu begehendes Fest. Da in den Opferkalendern selbst nicht die Namen der Feste (z. B. der Synoikia, der Pyanopsia oder der Mysterien), sondern nur die Tage aufgeführt sind, an denen die Opfer stattfinden sollten, und die Gottheiten genannt sind, denen das Opfer zukam, wird der Hinweis im Antiattikistes auf die genésia in den áxones Solons vermutlich nicht einem Opferkalender entnommen sein.155 Dasselbe 153  Koerner 1995, Nr. 46 Z. 1–7: ταγε[υ]σέω δι[κ]α[ίως κ]α[τ]ὰ τοὺν νόμους [τ]ᾶς [π]ό[λι]ος καὶ το[ὺ]ς τῶν Λαβυαδ[ᾶν] πὲρ τῶν Ἀ[π]ελ[λ]αίων καὶ [τᾶ]ν δαρατᾶν· καὶ τὰ χρήμ[α]τ[α] συμπραξέ[ω] κ[ἀ]ποδειξέω [δι]καίως τοῖς Λαβυάδαις … mit der Übersetzung „Ich werde das Tagosamt gerecht führen gemäß den Gesetzen der Polis und der Labyaden hinsichtlich der Apellaia-Opfertiere und der Opferkuchen. Und ich werde die Gelder eintreiben und den Labyaden redlich darüber Rechenschaft ablegen“. 154  Zu diesen Opfern bei der Aufnahme in die Phratrie am Apellaia-Fest Koerner 1995, S. 146. 155  Allerdings ist in der Versöhnungsvereinbarung der Salaminioi ein Opfer für Zeus Phratrios „an den Apatourien“ genannt (SEG 21,527; CGRN 84 Z. 92 f.). Siehe Jan-Mathieu Carbon im Kommentar zu CGRN 45: „Lambert [2002, 356] claims that festivals as a general rule seem to have remained unnamed in the calendar, which may indeed have been a general principle of composition for Face A (cf. fr. 8 for an apparent exception, which is probably to be discarded). But there seem to be numerous exceptions as far as Face B seems to be concerned: frs. 1, 4, 5“.

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gilt für die Nachricht, die Stephanos von Byzanz überliefert hat, „wenn in Agnous für Leos das Opfer stattfindet“ (F 84). Leos soll ein Herold aus diesem Demos Hagnous gewesen sein, der dem Theseus den Anschlag der Pallantiden verraten habe.156 Auch in diesem Fall wäre eine (wenn auch nicht vollständige) Satzstruktur für einen Opferkalender ungewöhnlich. Schließlich könnte dies auch für Speisungen gelten, auf die kultische Funktionsträger Anspruch hatten, wenn dies im Interesse der Polis Athen lag. Diese für einen Opferkalender ungewöhnlichen Angaben weisen darauf hin, dass Solon nicht nur ein chronologisch angeordneter Opferkalender, sondern auch darüber hinausgehende Kultvorschriften zugesprochen wurden. Solche mögen auch bei der Revision der solonischen Gesetze in den Jahren 410 bis 399 aufgenommen worden sein. Denn unter die Kolumnen 1–3 von A fr. 1 Z. 26–30 (F 80) ist, abgetrennt durch eine Linie, ein andersartiger Text bezüglich der Pythais und der dabei stattfindenden Festgesandtschaft gesetzt.157 Neben den Kosten für die zu opfernden Tiere, die Getreideopfer und das für den Vollzug des Opfers benötigte Holz waren in den Opferkalendern auch die Kosten für Speisungen aufgeführt. Im Opferkalender des Demos Eleusis schlägt eine Mahlzeit für die Hierophanten und den (hiero)kḗryx am Tag ihrer Reise zur Stadt Athen, am 5. Pyanopsion, für die Ankündigung des Fests der Proerosia mit eineinhalb Drachmen zu Buche.158 Im Kalender von Thorikos sind ähnlich hohe Kosten für eine Mahlzeit am Morgen (ἄριστον) für das Kultpersonal ausgewiesen, auch in diesem Fall möglicherweise für eine Reise von Thorikos nach Athen.159 Es ist daher gut möglich, dass entweder der Opferkalender der Tetrapolis um Marathon oder der zentrale Kalender Athens eine Eintragung enthielt, der eine bestimmte Summe auswies für die Speisung der beiden Herolde aus dem Geschlecht der Keryken.160 Doch wenn die kýrbeis bezüg156  Plut. Thes. 19,2–3. 157  Lambert 2002, 370 f. Nach Stephen Lambert und Jan-Mathieu Carbon sei auch die Zuweisung zweier weiterer Fragmente (fr. 12 und 13) zu der älteren Revision des Opferkalenders (IG I3 237bis–241; AIO 1185 und CGRN 45 B) unsicher, da Vokabular und Anlage dieser Texte nicht mit denen der Opferkalender übereinstimmten (vgl. Lambert 2002, 354 Anm. 8; 390). Es handle sich daher entweder um nicht kalendarisch angeordnete Teile des Textes oder um ein weiteres Gesetz mit religiösen Vorschriften aus dem solonischen Gesetzescode, das im Rahmen der Revision mit aufgezeichnet wurde. 158  IG II2 1363 (SEG 23,80) Z. 3–7. Whitehead 1986, 188. 159  AIO 847; Georges Daux, Le calendrier de Thorikos au Musée J. Paul Getty, in: AC 52, 1983, 150–174, Z. 3–4 und 15–16: τῶι φύλ]ακι καὶ τοῖ[ς ἀκολούθοις; Robert Parker, Fstivals of the Attic Demes, in: T. Linders, G. Nordquist (Hrsg.), Gifts to the Gods, Uppsala 144–147. Whitehead 1986, 189, 194 Anm. 101, 196 f. 160  In den Opferkalendern ist weiteres Kultpersonal genannt, das Mahlzeiten erhielt, so im Kalender von Eleusis akólouthoi, in dem von Thorikos páredroi (Daux 1983 [wie Anm. 159], 150–174, Z. 57–62). Gemäß dem Opferkalender der Demos Erchia sollte der Herold (kḗryx) besondere Rationen als Ehrengaben (γέρα) erhalten, „so wie der Demarch“, was bedeuten würde, dass der Demarch sie bei jeder Mahlzeit erhielt (AIO 593; LSCG Nr. 18 Z. 47–58; Jameson 1965, 154; Whitehead 1986, 202). Pierre Carlier (1984, 355) erwägt, ob nicht bereits im Opferkalender von Eleusinion (510–480 v. Chr.) γέρα für die Phylobasileis ausgewiesen sind, vielleicht für ein Opfer für Zeus Polieus. Sie könnten den Ehrengaben an die Seite gestellt werden, die den basileís bereits in den homerischen Epen zugestanden wurden (ebd. 357 Anm. 197). Zu den gemeinsamen Mahlzeiten bei Opferfeiern und den den Göttern auf Tischen dar-

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lich der Deliasten auch die Bestimmung enthielt (F 85), dass die beiden Herolde für ein Jahr im Delion parásitoi sein sollten, wird auch dies über eine Eintragung in einem Opferkalender hinausgehen und wird eher einer Kultvorschrift entnommen sein, in der umfassende Regelungen hinsichtlich der Deliasten niedergelegt waren und die deswegen kýrbeis perí tṓn Dēliastṓn hießen. parásitoi in kultischen Funktionen In der Mittleren und Neuen Komödie traten vielfach parásitoi, ungebetene und ungeladene Gäste, bei Speisegesellschaften auf; sie trugen mit Kunststücken zur Unterhaltung der Gäste bei.161 In der früheren Zeit nahmen parásitoi jedoch offizielle Funktionen in verschiedenen Kulten, zu Ehren der Athena, des delischen Apoll oder des Herakles, wahr, brachten mit dem Priester monatliche Opfer dar oder richteten Festmahlzeiten aus.162 Einige wurden von den lokalen Dorfgemeinden (dḗmoi) gewählt; parásitoi konnten – zumindest im späten 5. Jh. – vor Gericht gebracht werden, wenn sie ihre Pflichten nicht erfüllten.163 Athenaios hat im 3. Jh. n. Chr. Belege für solche parásitoi im religiösen Kontext zusammengetragen.164 Danach war „die Bezeichnung parásitos in alten Zeiten ehrenvoll und hatte religiösen Charakter“, denn gemäß Polemons Schrift Über Parasiten fände man „bei den Alten“ den Parasiten als ein heiliges Gut, einem Teilnehmer eines Festmahls (sýnthoinos) ähnlich.165 Weiterhin Polemon

gebrachten Speisen sowie den Ehrengaben (γέρα) Jameson 1994 (2014, bes. 153, 174 f.) und Klär 2020 (wie Anm. 139). 161  Zu den parásitoi in der griechischen und römischen Komödie: Cynthia Damon, The Mask of the Parasite. A Pathology of Roman Patronage, Ann Arbor 1997; Tim Whitmarsh, The Politics and Poetics of Parasitism: Athenaeus on Parasites and Flatterers, in: David Braund, John Wilkins (Hrsg.), Athenaeus and his World, Exeter 2000, 304–315, hier 308 ff.; Elizabeth I. Tylawsky, Saturio’s Inheritance. The Greek Ancestry of the Roman Comic Parasite, New York etc. 2002; Andrea Antonsen-Resch, Von Gnathon zu Saturio. Die Parasitenfigur und das Verhältnis der römischen Komödie zur griechischen, Berlin – New York 2004. 162  Bruit Zaidman 1995. 163  Athen. 6,26 (p. 234e): ὃς δ’ ἂν μὴ θέλῃ παρασιτεῖν, εἰσαγέτω καὶ περὶ τούτων εἰς τὸ δικαστήριον. 164  Athen. 6,26–27 (p. 234c–235e). Möglicherweise gehen alle diese Informationen über die parási­ toi bei Athenaios auf Polemon zurück. So Ziehen 1949, 1377. Parásitoi gab es nach Athen. 6,26 und 27, p. 234f–235b im Kult des Herakles zu Kynosarges, im Kult des Herakles in Marathon (belegt durch Philochoros’ Schrift ἐν τετραπόλει), im Kult der Athena in Pallene und des Apollon in Acharnai sowie im Kult der Anakes. Ziehen 1949, 1378; Jameson 1994 (2014, 163–165). 165  Athen. 6,26, p. 234c: ὁ μὲν Πλούταρχος ἔφη· „τὸ δὲ τοῦ παρασίτου ὄνομα πάλαι μὲν ἦν σεμνὸν καὶ ἱερόν.“ Πολέμων γοῦν (…) γράψας περὶ παρασίτων φησὶν οὕτως· „τὸ τοῦ παρασίτου ὄνομα νῦν μὲν ἄδοξόν ἐστι, παρὰ δὲ τοῖς ἀρχαίοις εὑρίσκομεν τὸν παράσιτον ἱερόν τι χρῆμα καὶ τῷ συνθοίνῳ παρόμοιον“. In Eur. El. 638 ist Orest als synthoinátōr bei einem Opfermahl bezeichnet; vgl. auch Xen. Ages. 5,1 und 8,7. In der Labyadeninschrift in Delphi ist festgelegt, dass die Phratriemitglieder an wichtigen Festtagen verpflichtet sind, an den Festmahlzeiten (thoínai) teilzunehmen (CID I 9 D 1–17; Koerner 1995, S. 152). Siehe dazu Bruit Zaidman 1995, 197.

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folgend verweist Athenaios auf Stelen aus dem 5. Jh. v. Chr. im Heiligtum des Herakles von Kynosarges und auf Weihgeschenke aus dem Heiligtum der Athena in Pallene, die mit Inschriften versehen waren. Der amtliche Charakter der parásitoi wird daran deutlich, dass die Weihungen nach der jeweils amtierenden Priesterin und den parási­ toi datiert waren.166 Auch Zeugnisse des Klearchos aus Soloi, des Atheners Kleidemos und des Themison bezeugten das hohe Ansehen dieser für den gemeinsamen Dienst im Kult ausgewählten Personen.167 Nach Krates von Mallos (2. Jh. v. Chr.) hatten die parásitoi ein eigenes Amtsgebäude, in das das eingesammelte heilige Getreide gebracht werden sollte;168 aus diesem Zitat lässt sich auch entnehmen, dass die ordnungsgemäße Bestellung der parásitoi und die Erfüllung ihrer Aufgaben, der Opfer und Mahlzeiten in die Kompetenz des árchōn basileús fielen.169 166  Athen. 6,26, p. 234e: ἐν δὲ Παλληνίδι τοῖς ἀναθήμασιν ἐπιγέγραπται τάδε· „ἄρχοντες καὶ παράσιτοι ἀνέθεσαν οἱ ἐπὶ Πυθοδώρου ἄρχοντος στεφανωθέντες χρυσῷ στεφάνῳ. ἐπὶ Διφίλης ἱερείας παράσιτοι Ἐπίλυκος …“. 167  Athen. 6,26, p. 234f–235a (Klearchos F 37 Wehrli; Kleidemos FHG F 11; Themison FgrH 374 F 1). Für das Heiligtum in Pallene nennt Themison kultische Aufgaben des basileús, der Archonten, der aus den Demen gewählten parásitoi, der Alten und derjenigen Frauen, die mit ihrem ersten Ehemann zusammenleben. Bestätigt werden diese parásitoi durch eine Inschrift aus den 350er Jahren, die eine Liste der árchontes und parásitoi des Heiligtums enthält. An diesem von den Demen Gargettos, Acharnai, Pallene, Paiania und anderen getragenen Kult waren parásitoi aus vielen Teilen Attikas beteiligt. Dazu Robert A. Schlaifer, The Cult of Athena Pallenis (Athenaeus VI 234–235), in: HSCPh 54, 1943, 35–67; G. R. Stanton, Some Attic Inscriptions, in: ABSA 79, 1984, 289–306; Whitehead 1986, 13; Jones 1999, 239–241; Duane A. March, Kleisthenes and the League of Athena Pallenis, in: Historia 57, 2008, 134–141. 168  Krates (FgrH 362 F 7) in Athen. 6,27 (p. 235b–d): „früher (πρότερον) bezeichnete man parásitoi als diejenigen, die für die Einsammlung des heiligen Getreides ausgewählt wurden, und es bestand ein Amtssitz der parásitoi (οἱ ἐπὶ τὴν τοῦ ἱεροῦ σίτου ἐκλογὴν αἱρούμενοι καὶ ἦν ἀρχεῖόν τι παρασίτων). Deswegen steht auch im Gesetz des basileús (ἐν τῷ τοῦ βασιλέως νόμῳ): ‚der basileús soll dafür sorgen, dass die Archonten eingesetzt und die parásitoi aus den Demen gemäß den schriftlich festgelegten Statuten ausgewählt werden (ἐπιμελεῖσθαι δὲ τὸν βασιλεύοντα τῶν τε ἀρχόντων ὅπως ἂν καθιστῶνται καὶ τοὺς παρασίτους ἐκ τῶν δήμων αἱρῶνται κατὰ τὰ γεγραμμένα). Die parásitoi aber sollen im Amtssitz des basi­ leús (boukolía) jeder aus seinem Anteil einen Hekteus Gerste herausnehmen und nach hergebrachtem Brauch für die Athener, die sich im Heiligtum befinden, eine Festmahlzeit zubereiten. Den Hekteus sollen die parásitoi der Acharner nach der Einsammlung der Gerste in den Amtssitz (εἰς τὰ ἀρχεῖα) bringen und dem Apollon weihen‘.“ Auf ein weiteres Zitat gestützt, folgert Athenaios, dass das Gebäude, in das die parásitoi die ersten Gaben des heiligen Getreides (ἀπαρχαί τοῦ ἱεροῦ σίτου) brachten, als parasítion bezeichnet wurde. Für die Einsammlung, Lagerung und Verteilung des heiligen Getreides durch die parásitoi verweist Bruit Zaidman 1995, 198 auf die ‚Gerstensammler‘ (krithológoi) bei den Opunthiern, die bei Plut. quaest. graec. 6 (mor. 292b–c) belegt sind: In frühen Zeiten hätten die meisten Griechen für die Opfer Gerste verwendet, die von den Erstlingsfrüchten stammten; derjenige, der für das Opfer eingesetzt war und die Erstlingsfrüchte einsammelte, sei krithológos genannt worden. Sie geht davon aus, dass das Gebäude (das archeíon bzw. parasítion), in dem das eingesammelte Getreide gelagert wurde, im Heiligtum lag (ebd. 199). Auch in der delphischen Labyadeninschrift ist der vorstehende tágos verpflichtet, „die Gelder einzutreiben und Rechenschaft darüber zu leisten“ (s. o. Anm. 153). 169  Aus den „Gesetzen des basileús“ zitiert Athenaios die Bestimmung: „Die parásitoi der Acharner sollen dem Apollon opfern“ (Athen. 6,26, p. 234 f.; Acharnai gehörte zu den Demen, die für den Kult der Athena in Pallene sorgten; s. o. Anm. 167). Vgl. Poll. 3,39: ἡ δ’ ἐκ παρθενίας τινὶ γημαμένη πρωτόποσις ἐκαλεῖτο· γέγραπται δὲ τοὔνομα ἐν τῷ τοῦ βασιλέως νόμῳ. Zu den von einzelnen Magistraten aufbewahrten Gesetzen siehe James Sickinger, The Laws of Athens: Publication, Preservation, Consultation, in:

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Die von Polemon zusammengetragenen Belege sowie die vermutlich ebenfalls auf Polemon zurückgehenden Einträge bei Pollux, Hesychios und Photios lassen erkennen, dass den Göttern nicht nur von heiligem Olivenöl und Feigen ein Teil zustand, sondern auch von heiligem Getreide, für dessen Einsammlung die parásitoi zu sorgen hatten.170 Im Zusammenhang mit den Mengen an Opfergaben und Opfertieren, die aus öffentlichen Mitteln bestritten wurden, waren vielleicht auch die aus öffentlichen Mitteln bestrittenen Siegespreise für Olympioniken und Sieger bei den Isthmischen Spielen fixiert worden (F 88), später – nach der Stiftung der Panathenäen – wohl auch die Mengen an Olivenöl, die die Sieger bei den sportlichen und hippischen Agonen aus den Erträgen der heiligen Ölbäume erhielten. Ob auch orgeṓnes im (vermeintlich) solonischen Opferkalender genannt waren, muss unsicher bleiben. Möglicherweise geht deren Bezeugung im Kommentar des Seleukos zu den áxones Solons auf das ‚Vertragsgesetz‘ (F 117) zurück, wobei Seleukos das ungewöhnliche ἱερῶν ὀργίων μηνυταί in das den Zeitgenossen gängigere ὀργεῶνες übertragen haben könnte.171 Orgeṓnes waren Mitglieder einer Vereinigung, die sich um den Kult eines Heros oder einer Gottheit kümmerte; eine wichtige Rolle kam dabei dem hestiátōr zu, der die Speisung der Versammelten ausrichtete.172 Die Solon zugeschriebenen Fragmente zu Opfer und Kult sind dem Kapitel über die vom árchōn basileús geleiteten Verfahren zugeordnet, auch wenn dies in den Quellen nicht explizit bezeugt ist. Doch prinzipiell war für die Kultangelegenheiten der árchōn basileús zuständig.173 Ob die Bestimmungen „der Alten“, „aus den Gesetzen des basi­ leús“ oder „von den kýrbeis der Deliasten“ aber letztlich auf die solonische Gesetzgebung zurückgehen, bleibt unsicher, auch weil nicht nur die Gesetze Solons auf Stelen

Edward M. Harris, Lene Rubinstein (Hrsg.), The Law and the Courts in Ancient Greece, London 2004, 93–109, hier 102. 170  Poll. 6,35: παρασιτεῖν καὶ παρὰ τοῖς νεωτέροις παράσιτος ἔστι δὲ καὶ παρὰ τοῖς παλαιοῖς τοὔνομα, οὐ μὴν ἐφ’ οὗ νῦν, ἀλλ’ ἱερᾶς ὑπηρεσίας τοὔνομα, ὁ ἐπὶ τὴν τοῦ ἱεροῦ σίτου ἐκλογὴν αἱρούμενος· καὶ ἀρχεῖόν τι Ἀθήνησι παρασίτιον καλούμενον, ὡς ἐν τῷ νόμῳ τοῦ βασιλέως ἔστιν εὑρεῖν; Hesych. π 665 s. v. παράσιτοι· ἀρχὴ ἐπὶ τὴν τοῦ ἱεροῦ σίτου ἐκλογήν; Phot. π 297 s. v. παράσιτοι· οἱ ἐπὶ τὴν τοῦ σίτου ἐκλογὴν αἱρούμενοι· κεῖται ἡ λέξις ἐν τῷ τοῦ βασιλέως νόμῳ. 171  Zu den orgeṓnes in klassischer Zeit grundlegend William S. Ferguson, The Attic Orgeones, in: Harvard Theological Review 37, 1944, 73–79; Yulia Ustinova, Orgeones in Phratries: A Mechanism of Social Integration in Attica, in: Kernos 9, 1996, 227–242; Jones 1999, 249–267; vgl. Robert C. T. Parker, s. v. Orgeones in: OCD 1996, 1074 und unten S. 729 Anm. 418. 172  Jones 1999, 250. Inschriftlich ist ein Beschluss von orgeṓnes erhalten, in dem der hestiátōr angewiesen wird, die Opfer am 17. und 18. Hekatombaion zu vollziehen (Hesperia 1942, 282–287 Nr. 55; Mikalson 1979, 31). 173  Siehe insbesondere Aristot. Ath. pol. 57,1: ὡς δ’ ἔπος εἰπεῖν καὶ τὰς πατρίους θυσίας διοικεῖ οὗτος πάσας. – „Und man kann sagen, dass er [der árchōn basileús] alle altüberkommenen Opfer verwaltet“. Louise Bruit Zaidman, Pauline Schmitt Pantel, Die Religion der Griechen. Kult und Mythos, München 1994 (franz. Originalausgabe 1991), 49: „Schließlich ist er [der árchōn basileús], wie es scheint, für den religiösen Kalender verantwortlich“.

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in Form eines kýrbis aufgezeichnet waren.174 Eine unzulässige Veränderung der Opferbestimmungen, ein καταλύειν τὰς θυσίας, konnte als Asebie gewertet werden, wie in der 30. Rede des Lysias (F 79a) anklingt, also über eine graphḗ asebeías (F 74) verfolgt werden.175 Vor Gericht gebracht werden konnten in klassischer Zeit auch Personen, die zu parásitoi gewählt worden waren, aber den daraus erwachsenen Pflichten nicht nachkamen. Dies könnte dafür sprechen, dass die parásitoi nicht zum Kultpersonal im engeren Sinne gehörten, sondern gewählte Vertreter waren, die für den ordnungsgemäßen Vollzug der Opfer zuständig waren. Literatur Ludwig Ziehen, Art. Opfer, in: RE 18,1, 1939, 579–627; Ludwig Ziehen, Art. Παράσιτοι, in: RE 18,2, 1949, 1377–1381; Michael Jameson, Notes on the Sacrificial Calendar from Erchia, in: BCH 89, 1965, 154–172; Martin P. Nilsson, Geschichte der griechischen Religion, Bd. 1: Die Religion Griechenlands bis auf die griechische Weltherrschaft (HdA 5,2), München 31967; Jon D. Mikalson, Religion in the Attic Demes, in: AJPh 98, 1977, 424–435; Jon D. Mikalson, The Sacred and Civil Calendar of the Athenian Year, Princeton/N. J. 1975; Pierre Carlier, La royauté en Grèce avant Alexandre, Strasbourg 1984, 353–359 (les phylobasileis); Fritz Graf, Nordionische Kulte. Religionsgeschichtliche und epigraphische Untersuchungen zu den Kulten von Chios, Erythrai, Klazomenai und Phokaia, Vervey 1985; David Whitehead, The Demes of Attica, 508/7 – ca. 250 B. C. A Political and Social Study, Princeton/N. J. 1986; Robin Osborne, Archaeology, the Salaminioi, and the Politics of Sacred Space in Archaic Athens, in: Susan E. Alcock, Robin Osborne (Hrsg.), Placing the Gods. Sanctuaries and Sacred Space in Ancient Greece, Oxford 1994, 143–160; Michael H. Jameson, Theoxenia, in: Robin Hägg (Hrsg.), Ancient Greek Cult Practice from the Epigraphical Evidence, Stockholm 1994, 35–57 (wiederabgedruckt in: Michael H. Jameson, Cults and Rites in Ancient Greece. Essays on Religion and Society, Cambridge 2014, 145–176); Louise Bruit Zaidman, Ritual Eating in Archaic Greece. Parasites and Paredroi, in: John Wilkins, David Harvey, Mike Dobson (Hrsg.), Food in Antiquity, Exeter 1995, 196–203; Robert Parker, Athenian Religion. A History, Oxford 1996; Nicholas F. Jones, The Associations of Classical Athens: The Response to Democracy, Oxford 1999; Stephen D. Lambert, The Sacrificial Calendar of Athens, in: ABSA 97, 2002, 353–399; Ian Rutherford, State Pilgrims and Sacred Observers. A Study of Theōriā and Theōroi, Cambridge 2013; Jan-Mathieu Carbon, CGRN 45 A und B (http://cgrn.ulg. ac.be 2021); Stephen D. Lambert, Attic Inscriptions Online 2012 ff. (AIO; https://www.atticin scriptions.com).

174  Die in And. 1,111 für den Tag nach den Mysterien belegten Sitzungen des Rats im Eleusinion, die Andokides einer Regelung Solons zuschreibt, werden in der Forschung nicht als solonisch anerkannt (F 86; F 95 Ruschenbusch; Leão/Rhodes). 175  Darüberhinaus ist möglich, dass gegen Priester Flüche ausgesprochen oder Geldstrafen verhängt werden konnten, wenn sie ihre Pflichten bezüglich der festgelegten Opfer versäumten. So ist es in späteren leges sacrae festgelegt, z. B. in Tegea oder Telmessos. Dazu Erich Ziebarth, Der Fluch im griechischen Recht, in: Hermes 30, 1895, 57–70, hier 59.

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Opferkalender und Kultvorschriften (F 79–87) F 79 Athens zentraler Opferkalender auf kýrbeis (F 79a: T 471 Martina; F 86 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 79b: T 570 Martina; F 79c: T 536 Martina; F 85a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 79d: T 558 Martina; F 79e: T 558 Martina; T 2 Ruschenbusch; F 79f: T 541 Martina; T 13 Ruschenbusch; F 79g: T 551 Martina; T 18b Ruschenbusch; F 79h: T 566a Martina; F 79i: T 531 Martina; vgl. F 85c Ruschenbusch, Leão/Rhodes)

F 79a: Lysias, Gegen Nikomachos (or. 30) 17–20 (399/8 v. Chr.) (17) πυνθάνομαι δὲ αὐτὸν λέγειν ὡς ἀσεβῶ καταλύων τὰς θυσίας. ἐγὼ δ’ εἰ μὲν νόμους ἐτίθην περὶ τῆς ἀναγραφῆς, ἡγούμην ἂν ἐξεῖναι Νικομάχῳ τοιαῦτα εἰπεῖν περὶ ἐμοῦ· νῦν δὲ τοῖς κοινοῖς καὶ κειμένοις ἀξιῶ τοῦτον πείθεσθαι. θαυμάζω δὲ εἰ μὴ ἐνθυμεῖται, ὅταν ἐμὲ φάσκῃ ἀσεβεῖν λέγοντα ὡς χρὴ θύειν τὰς θυσίας τὰς ἐκ τῶν κύρβεων καὶ τῶν στηλῶν κατὰ τὰς συγγραφάς, ὅτι καὶ τῆς πόλεως κατηγορεῖ· ταῦτα γὰρ ὑμεῖς ἐψηφίσασθε. ἔπειτα εἰ ταῦτα νομίζεις δεινά, ἦ που σφόδρα ἐκείνους ἡγῇ ἀδικεῖν, οἳ τὰ ἐκ τῶν κύρβεων μόνον ἔθυον. (18) καίτοι, ὦ ἄνδρες δικασταί, περὶ εὐσεβείας οὐ παρὰ Νικομάχου ‹χρὴ› μανθάνειν, ἀλλ’ ἐκ τῶν γεγενημένων σκοπεῖν. οἱ τοίνυν πρόγονοι τὰ ἐκ τῶν κύρβεων θύοντες μεγίστην καὶ εὐδαιμονεστάτην τῶν Ἑλληνίδων τὴν πόλιν παρέδοσαν. … (19) πῶς δ’ ἄν τις εὐσεβέστερος γένοιτο ἐμοῦ, ὅστις ἀξιῶ πρῶτον μὲν κατὰ τὰ πάτρια θύειν, ἔπειτα ἃ μᾶλλον συμφέρει τῇ πόλει, ἔτι δὲ ἃ ὁ δῆμος ἐψηφίσατο καὶ δυνησόμεθα δαπανᾶν ἐκ τῶν προσιόντων χρημάτων; σὺ δέ, ὦ Νικόμαχε, τούτων τἀναντία πεποίηκας· ἀναγράψας γὰρ πλείω τῶν προσταχθέντων αἴτιος γεγένησαι τὰ προσιόντα χρήματα εἰς ταῦτα μὲν ἀναλίσκεσθαι, ἐν δὲ ταῖς πατρίοις θυσίαις ἐπιλείπειν. (20) αὐτίκα πέρυσιν ἱερὰ ἄθυτα τριῶν ταλάντων γεγένηται τῶν ἐν ταῖς κύρβεσι γεγραμμένων. καὶ οὐχ οἷόν τε εἰπεῖν ὡς οὐχ ἱκανὰ ἦν ἃ προσῆλθε τῇ πόλει. App. crit.: (17) στηλῶν Taylor, εὔπλων X, ὅπλων C; (20) ἱκανὰ εἶναι codd.

(17) Ich höre, dass er behauptet, ich habe einen Frevel gegen die Götter begangen (asebeín), weil ich die Opfer[bestimmungen] aufheben würde (katalýōn tás thysías). Hätte ich nun Gesetze (nómoi) zur Aufzeichnung [der Opfer] festgesetzt [wie es Nikomachos getan hat], dann würde ich meinen, dass Nikomachos mit einer solchen Behauptung über mich im Recht ist. Nun fordere ich aber nur, dass er die allgemeinen und gültigen Bestimmungen befolgt. Ich wundere mich doch sehr, dass er nicht bedenkt, dass er die Polis als ganze anklagt, wenn er mich beschuldigt, gegen die Götter gefrevelt zu haben (asebeín), weil ich gefordert habe, die Opfer (thysíai), die auf den kýrbeis und den Stelen [verzeichnet sind], gemäß den dort zusammengestellten Bestimmungen zu vollziehen. Dies nämlich habt ihr durch Abstimmung beschlossen (psēphízesthai). Wenn du dies als verwerflich ansiehst, wie musst du dann diejenigen für Übeltäter halten, die allein die auf den kýrbeis [verzeichneten] Opfer vollziehen. (18) Allein, ihr Richter, wir müssen uns über religiöse Pflichten (eusébeia) nicht von Nikomachos belehren lassen, sondern allein die gegebenen Dinge beachten. Unsere Vorfahren, die [in Übereinstimmung] mit den kýrbeis die Opfer vollzogen, hinterließen uns die Polis als bedeutendste und wohlhabendste aller griechischen Städte. … (19) Wie könnte jemand gewissenhafter beim Befolgen der heiligen Gebräuche sein als ich, der ich für richtig halte, dass man vor allem gemäß der väterlichen Tradition opfert, danach gemäß solchen, die unserer Stadt besonderen Nutzen bringen, und schließlich entsprechend dem, was das Volk beschloss und was wir aus

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den Einkünften an Aufwand bestreiten können? Du aber, Nikomachos, hast von all dem das Gegenteil getan. Dadurch, dass du mehr aufgezeichnet hast, als tatsächlich verordnet worden war, bist du schuld daran, dass die Einkünfte für diese [neuen Gebräuche] verwendet wurden, für die althergebrachten Opfer (pátrioi thysíai) aber dann nicht ausreichten. (20) Beispielsweise wurden im letzten Jahr Opfer im Wert dreier Talente, die auf den kýrbeis verzeichnet waren, nicht vollzogen. Und man kann nicht sagen, dass etwa die Einkünfte der Polis unzureichend gewesen wären.176

F 79b: Beschluss der Salaminier Z. 80–88 (SEG 21,527) (363/62 v. Chr.)177 Ἀρχένεως εἶπεν· ὅπως ἂν Σαλαμίνιοι τὰ ἱερὰ θύωσι αἰεὶ τοῖς θεοῖς καὶ τοῖς ἥρωσι κατὰ τὰ πάτρια καὶ γίγνητα[ι] ἐφ’ οἷς διήλλαξαν οἱ διαλλακταὶ ἀμφοτέρους καὶ οἱ αἱρεθέντες ὤμοσαν, ἐψηφίσθαι Σαλαμινίοις τὸν ἄρχοντα Ἀρίσταρχον ἐγγράψαι τὰς θυσίας ἁπάσας καὶ τὰς τιμὰς τῶν ἱερέων εἰς τὴν στηλὴν ἐν εἷ αἱ διαλλαγαί εἰσιν, ὅπως ἂν οἱ ἄρχοντες αἰεὶ παρ’ ἀνφοτέρων εἰδῶσι ὅ τι δεῖ ἀργύριον συνβάλλεσθαι εἰς τὰ[ς] θυσίας ἁπάσας ἑκατέρους ἀπὸ τῆς μισθώσεως τῆς γῆς τῆ̣ς ἐφ’ Ἡρακλείωι, καὶ στῆ̣σαι τὴν στή̣λη̣ν ἐν τῶι Εὐρυσακείωι. Μουνιχιῶνος. ἐπὶ Πορθμῶι· Κουροτρόφωι αἶγα Δ, Ἰόλεωι οἶν ὁλόκαυτον ΔΓ: Ἀλκμήνει οἶν ΔͰͰ, Μαίαι οἶν ΔͰͰ, Ἡρακλεῖ βοῦν 𐅄ΔΔ, ἥρωι ἐπὶ τεῖ ἁλεῖ οἶν ΔΓ, ἥρωι ἐπ’ Ἀντισάραι χοῖρον ͰͰͰΙΙΙ, ἥρωι Ἐπι- πυργιδ̣ίωι χοῖρον ͰͰͰΙΙΙ, Ἴον⟨ι⟩ οἶν θύειν ἐναλλὰξ παρ’ ἔτος· ξύλα ἐφ’ ἱεροῖς καὶ οἷς ἡ πόλις δίδωσιν ἐκ κύρβεω(ν) Δ. ὀγδόει ἐπὶ δέκα Εὐρυσάκε̣ι ̣ ὗν ΔΔΔΔ· ξύλα ἐφ’ ἱεροῖ⟨ς⟩ καὶ ε̣ἰς ̣ τἄλλα ͰͰͰ. Ἑκατονβαιῶνος. … App. crit.: Text nach AIO (nach Rhodes/Osborne, GHI 37, die wiederum SEG 21,527 und den Ergänzungen von Stephen D. Lambert, The Attic Genos Salaminioi and the Island of Salamis, in: ZPE 119, 1997, 85–106 Nr. 1 [SEG 47,165/1] and dems., in: ZPE 125, 1999, 100 n. 7 [SEG 47,165/3] folgen. Ἀρχέλεως Ferguson; ἁλε�ι Ferguson; ἐπὶ Πυργιλίωι Ferguson; Ἴων(ι) Ferguson.

Archeneos hat beantragt: Damit die Salaminier den Göttern und den Heroen stets gemäß der väterlichen Tradition die Opfer (hierá) darbringen und ausgeführt werde, was die Schiedsleute beiden Seiten zur Aussöhnung auferlegt und worauf die ausgewählten Personen einen Eid geleistet haben, sollen die Salaminier beschließen, dass der árchōn Aristarchos alle Opfer (thysíai) und den Wert (timaí) der Opfertiere (hieréa) auf die Stele schreibe, auf der die Bestimmungen der Aussöhnung verzeichnet sind, damit die árchontes von jeweils beiden Seiten für alle Zukunft wissen, welcher Betrag für alle Opfer (thysíai) jede der beiden Seiten aus der Verpachtung des Landes beim Herakleion beisteuern muss, und er [Aristarchos] die Stele im Eurysakeion aufstelle. [Im Monat] Munichion: in Porthmos: für Kurotrophos eine Ziege [im Wert von] 10 [Drachmen]; für Ioleos ein Schaf als Brandopfer (holókautos) [im Wert von] 15 [Dr.]; für Alkmene ein Schaf [im Wert von] 12 [Dr.]; für Maia ein Schaf [im Wert von] 12 [Dr.]; für Herakles ein Ochse [im Wert von] 70 [Dr.]; für den bei der Saline verehrten Heros ein Schaf [im Wert von] 15 [Dr.]; für den bei Antisara verehrten Heros ein Ferkel [im Wert von] 3 [Dr.] und 3 [Obolen]; für den Heros Epipyrgidios ein Ferkel [im Wert von] 3 [Dr.] und 3 [Ob.]; für Ion ist abwechselnd jedes zweite Jahr ein Schaf zu opfern. Holz für die Opfer und für die, die die pólis aus den kýrbeis vorschreibt, [im Wert von] 10 [Dr.]. Am achtzehnten [dieses

176  Deutsche Übersetzung nach Ingeborg Huber. 177  Agora XIX L 4a; Rhodes/Osborne, GHI 37 (AIO). Siehe auch die Online-Edition CGRN 84 (http://cgrn.ulg.ac.be/file/45 mit Kommentar).

Opferkalender und Kultvorschriften (F 79–87)

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Monats]: für Eurysakes ein Schwein [im Wert von] 40 [Dr.]; Holz für diese Opfer und anderes 3 [Dr.]. [Im Monat] Hekatonbaion: …

F 79c: Theophrast, Über die religiösen Pflichten (de pietate) fr. 12 Pötscher (fr. 30 Hager, p. 155 Nauck2; aus Porphyrios, de abstinentia 2,20–21)

(20) διὰ πολλῶν δὲ ὁ Θεόφραστος ‹ἐκ› τῶν παρ’ ἑκάστοις πατρίων ἐπιδείξας, ὅτι τὸ παλαιὸν τῶν θυσιῶν διὰ τῶν καρπῶν ἦν ἔτ’ εἰπὼν πρότερον τῆς πόας λαμβανομένης, καὶ τὰ τῶν σπονδῶν ἐξηγεῖται τοῦτον τὸν τρόπον τὰ μὲν ἀρχαῖα τῶν ἱερῶν νηφάλια παρὰ πολλοῖς ἦν, νηφάλια δ’ ἐστὶν τὰ ὑδρόσπονδα, τὰ δὲ μετὰ ταῦτα μελίσπονδα· τοῦτον γὰρ ἕτοιμον παρὰ μελιττῶν πρῶτον ἐλάβομεν τὸν ὑγρὸν καρπόν· εἶτ’ ἐλαιόσπονδα· (21) τέλος δ’ ἐπὶ πᾶσιν τὰ ὕστερον γεγονότα οἰνόσπονδα. μαρτυρεῖται δὲ ταῦτα οὐ μόνον ὑπὸ τῶν κύρβεων, αἳ τῶν Κρήτηθέν εἰσι Κορυβαντικῶν ἱερῶν οἷον ἀντίγραφα ἄττα πρὸς ἀλήθειαν … App. crit.: ‹ἐκ› Nauck; μελιττῶν Herscher, μελίττων codd., τῶν μελιττῶν B; εἶτ’ Hercher, εἴτ᾽ codd.; τῶν κύρβεων Ruhnken, τῶν ἐν κύρβεων στηλῶν codd.; ἄττα vel τινα Ruhnken, τὰ codd.

(20) Theophrast zeigt an vielen in einzelnen Gemeinwesen geübten althergebrachten Bräuchen, dass man in früher Zeit Feldfrüchte (karpoí) opferte, wobei er hinzufügt, dass man noch früher Gras (póa) genommen habe. Und das [Aufkommen] der Trankopfer erklärt er folgendermaßen: In früher Zeit wurden bei vielen ‚weinlose Opfer‘ (nēphália) gespendet (nēphália sind Wasserspenden), anschließend Honigspenden. Denn Honig bekamen wir als erstes von den Bienen bereitet als flüssigen Ertrag. Daraufhin [kam] Olivenöl als Opferspende [auf]. (21) Am Ende nach all diesen [kamen] Weinspenden. Dies wird nicht nur von den [solonischen?] kýrbeis bezeugt, die geradezu getreue Abschriften der korybantischen Opfer aus Kreta sind … vgl. Photius, Lexicon κ 1234 s. v. κύρβεις (T 556 Martina; F 85b Ruschenbusch und Leão/ Rhodes)· … Θεόφραστος δὲ ἀπὸ τῶν Κρητικῶν Κορυβάντων· τῶν γὰρ Κορυβαντικῶν ἱερῶν οἷον ἀντίγραφα αὐτοὺς εἶναι. – „kýrbeis: … Theophrast [leitet das Wort] von den kretischen Korybanten ab. Sie sind nämlich geradezu Abschriften der Opfer der Korybanten“. Ebenso Lexicon Patmense (= Lexicon in Demosthenem et Aeschinem; T 531 Martina) p. 160 (Sakkelion) s. v. Κύρβεις; vgl. Schol. Aristoph. aves 1354: … ἢ ἀπὸ τῶν κορυβάντων. ἐκείνων γὰρ εὕρημα, ὥς φησι Θεόφραστος ἐν τῷ περὶ εὐσεβείας. – „… oder von den Korybanten, deren Erfindung sie [die kýrbeis] nämlich sind, wie Theophrast im Buch Über die religiösen Pflichten sagt.“

Während Theophrast nēphália als Wasserspenden definiert, sind in anderen Quellen alle Opfer so bezeichnet, bei denen Honig, Öl oder Wasser gespendet wurde, jedenfalls der Wein fehlte. Sie spielten im Totenkult und bei Opfern an chthonische Gottheiten eine wichtige Rolle.178

178  Theophrastos περὶ εὐσεβείας. Griechischer Text, hrsg., übers. und eingeleitet von Walter Pötscher, Leiden 1964. Zu θυσίαι νηφάλιοι siehe Philochoros FgrH 328 F 194 und Krates FgrH 362 F 4 (Schol. Soph. Oed. Col. 100). Paul Stengel, Opferbräuche der Griechen, Leipzig 1910, 181 f.; Ludwig Ziehen, Art. Νηφάλια, in: RE 16,2, 1935, 2481–2489; Nilsson 31967, Bd. 1, 180; Graf 1985, 26–31; Bruit Zaidman/ Schmitt Pantel 1994 [wie Anm. 173], 43; Vinciane Pirenne-Delforge (Hrsg.), Les Panthéons des cités, Liège

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Gesetze, den archōn basileús und religiöse Angelegenheiten betreffend

F 79d: Aristophanes von Byzanz, fr. 76 Nauck (2. Hälfte 3. Jh.) (= T 16) (Etymologicum Gudianum s. v. κῦρβες p. 355, 38–52 Sturz; Etymologicum Magnum p. 547 s. v. κύρβεις; Epimerismi Homerici κ 122 s. v. Σελεύκου κύρβεις [FgrH 341 F 2])

Κῦρβες: … Ἀριστοφάνης δὲ φησὶν, ὁμοίας εἶναι τοῖς ἄξοσι, πλὴν ὅτι οἱ μὲν ἄξονες νόμους, αἱ δὲ κύρβεις θυσίας ἔχουσιν [Suda κ 2745 s. v. κύρβεις: οὐσίας εἶχον]· ἀμφοτέρων δὲ τετραγώνων τὸ κατασκεύασμα … App. crit.: οὐσίας codd.

Kýrbes: … Aristophanes aber sagt, sie [die kýrbeis] seien den áxones gleich, außer dass die áxones die Gesetze (nómoi), die kýrbeis hingegen die Opfer (thysíai) [oder: die Besitztümer (ousíai)] verzeichnen. Die Konstruktion sei aber in beiden Fällen viereckig …

F 79e: Asklepiades, Exegesis ton axonon FgrH 339 F 1 (um 200 v. Chr.) (= T 17) (Etymologicum Gudianum s. v. κῦρβες p. 355, 38–52 Sturz; Etymologicum Magnum p. 547, 45 s. v. κύρβεις)

Κῦρβες, αἱ τὰς τῶν θεῶν ἑορτὰς ἔχουσαι, ἤτοι ἀπὸ τῆς κατασκευῆς … Ἀσκληπιάδης δὲ ἐν τοῖς τῶν ἀξόνων ἐξηγητικοῖς, ἀπὸ κύρβεως τοῦ τὰς οὐσίας ὁρίσαντος, ὡς φησὶ Φανίης ὁ Ἐρέσιος, ‹ἢ› ἀπὸ τοῦ ταῦτα κυρωθῆναι τοῖς γράμμασιν … App. crit.: Etym. M.; Ἀσκληπιάδης δὲ ἀπὸ Κύρβεως τοῦ τὰς οὐσίας ὁρίσαντος, ὥς φησι Φανίας ὁ Ἐφέσιος.

Kýrbes: Sie enthalten die Feste (heortaí) der Götter, [kýrbeis], sicherlich [so genannt] von der [äußeren] Form her … Asklepiades [erläutert] in seinem Kommentar (exēgētiká) der áxones: [das Wort kommt] von kýrbis [oder: von Kyrbis], der die Opfer (thysíai) festgelegt hat [oder: der die Besitztümer begrenzt hat], [oder] wie Phanias aus Eresos sagt, weil diese durch die schriftliche Abfassung Gültigkeit erlangt haben (kyrōthḗnai) … vgl. Suda κ 2745 s. v. κύρβεις: αἱ τὰς τῶν θεῶν ἑορτὰς ἔχουσαι· κρύβιές τινες οὖσαι, ἐν αἷς τὰ τῶν θεῶν ἀποκρυπτόμενα ἔδει εἶναι. Ἀσκληπιάδης, ὅτι ἀπὸ Κύρβεως τοῦ τὰς οὐσίας ὁρίσαντος, … – „kýrbeis: Sie verzeichnen die Feste (heortaí) der Götter; krýbies sind nämlich solche [Dinge], in denen das von den Göttern Verborgene sein soll. Asklepiades [sagt], dass [das Wort] von kýrbis [hergeleitet sei], der die Opfer (thysíai) festgelegt hat [oder: die Besitztümer begrenzt hat]“.

F 79f: Plutarch, Solon 25,1–2 (um 100 n. Chr.) (1) Ἰσχὺν δὲ τοῖς νόμοις πᾶσιν εἰς ἑκατὸν ἐνιαυτοὺς ἔδωκε, καὶ κατεγράφησαν εἰς ξυλίνους ἄξονας ἐν πλαισίοις † περιέχουσι στρεφομένους, ὧν ἔτι καθ’ ἡμᾶς ἐν Πρυτανείῳ λείψανα μικρὰ διεσῴζετο, καὶ προσηγορεύθησαν, ὡς Ἀριστοτέλης φησί, κύρβεις. (2) … ἔνιοι δέ φασιν ἰδίως, ἐν οἷς ἱερὰ καὶ θυσίαι περιέχονται, κύρβεις, ἄξονας δὲ τοὺς ἄλλους ὠνομάσθαι. App. crit.: περιέχουσι κνώδαξι vel περόνῃ Salmasius; περὶ ἥλους Reiske; στρεφομένοις Salmasius.

1998, 165–193. Nach Polemon Hist. 42 haben die Athener weinlose Opfer (νηφάλια ἱερὰ) den Gottheiten Mnemosyne, der Muse, Eos, Helios, Selene, den Nymphen, Aphrodite und Urania geopfert. Weinlose Opfer sind auch im revidierten Opferkalender von 410–399 belegt (F 80, IG II2 1357a A fr. 1 col. 3 Z. 10; Lambert 2002, 398). In CGRN 54 B–D (ca. 400–350 v. Chr.) sind mehrfach „weinlose Altäre“ (νηφάλ[ι]οι τρε̑ ς βωμοί) genannt (http://cgrn.ulg.ac.be/54 von 2021).

Opferkalender und Kultvorschriften (F 79–87)

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(1) Allen Gesetzen (nómoi) gab er [Solon] Rechtskraft für hundert Jahre, und sie [die Athener] haben sie auf hölzerne, drehbar in Kästen (plaísia) montierte Achsen (áxones) geschrieben, von denen geringe Überbleibsel noch zu meiner Zeit im Prytaneion aufbewahrt wurden. Man nannte sie, wie Aristoteles (Ath. pol. 7,1) sagt, kýrbeis. (2) … Manche sagen aber, dass insbesondere diejenigen [Tafeln], auf denen die [Bestimmungen] über Götterfeste (hierá) und Opfer (thysíai) standen, kýrbeis, die anderen aber áxones genannt wurden.

F 79g: Pollux, Onomastikon 8,128 (2. Jh. n. Chr.)

δέλτοι χαλκαῖ, αἷς ἦσαν πάλαι ἐντετυπωμένοι οἱ νόμοι οἱ περὶ τῶν ἱερῶν καὶ τῶν πατρίων. κύρβεις δὲ τρίγωνοι σανίδες πυραμοειδεῖς, οἷς ἦσαν ἐγγεγραμμένοι οἱ νόμοι. … Bronzene déltoi (Tafeln), auf denen früher die Gesetze (nómoi) über die Opfer (hierá) und die altüberkommenen Bräuche (pátria) eingeprägt waren. Kýrbeis aber sind dreieckige, pyramidenförmige Tafeln (sanídes), auf denen die Gesetze geschrieben waren. …

F 79h: Scholia in Apollonii Rhodii Argonautica 279–281b und Scholia in Aristophanis nubem 447 κύρβιας· … Ἀπολλόδωρος δέ φησι …; ὕστερον δὲ ‹εἰς› ξύλα λελευκωμένα γράφοντες ὁμοίως ἐκάλεσαν. κύρβις οὖν ἡ περιέχουσα τὰς ἱερὰς ἀναγραφάς ἐστιν. App. crit.: τὰ ξύλα Schol. Aristoph. nub. 447; τὰς ἱερὰς γραφὰς στήλη Schol. Aristoph. nub. 447.

die kýrbeis: … Apollodoros aber sagt, … (T 19e); später aber haben sie geweißte Hölzer zum Schreiben ebenso benannt. Kýrbis ist also die die Aufzeichnung der Opfer (hieraí) tragende [Stele].

F 79i: Scholia in Aristophanis aves 1354a ἐν ταῖς τῶν πελαργῶν κύρβεσιν: κύρβεις χαλκαῖ σανίδες ἔνθα τοὺς νόμους γράφουσιν. κατὰ δὲ ἐνίους ἄξονες τρίγωνοι ἐν οἷς ἦσαν οἱ τῶν πόλεων νόμοι γεγραμμένοι καὶ αἱ δημοσίαι ἱεροποιίαι, καθάπερ καὶ Ἀριστοτέλης ἐν τῇ τῶν Ἀθηναίων πολιτείᾳ φησὶ καὶ Ἀπολλόδωρος. … (T 19f). auf den kýrbeis der Störche: kýrbeis [sind] bronzene Tafeln (sanídes), auf die sie die Gesetze schreiben. Einigen zufolge waren die áxones dreieckig, auf denen die Gesetze der Städte geschrieben waren und auch die öffentlichen Opferfeste (hieropoiíai), so wie auch Aristoteles in der Athenaion politeia und Apollodoros sagen. …

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Gesetze, den archōn basileús und religiöse Angelegenheiten betreffend

F 80 Der zentrale Opferkalender in der revidierten Fassung der Jahre 403/2 bis 400/399 v. Chr. F 80: Inscriptiones Graecae II2 1357a und LSCG Suppl. 10 A Z. 30–58179 A fr. 1 col. 3 Z. 1–25: - – – – – – - – – – – – [. . . .]Η[- – -] … [. . .]∆[.]𐅂̣ Σε[μνῶν θεῶ?]ν̣ der Se[mnai ?]. πέμπτηι Am fünften (Tag). ἐκ τῶν κατὰ μῆ̣να [Wert] Von der Liste der monatlichen (Opfer): 5 [- – -] Ἐρεχθεῖ ἄρνεως Für Erechtheus vom Lamm. ἐκ τῶν φυλο- Von den (Listen) der Phylen βασιλικῶν könige: φυλοβασιλε̣ῦσ̣ ̣ι für die Phylenkönige [. . . 6 . . .]̣ι ̣[- – 2–3 -] [Wert] … 10 [---] [νηφά]λ̣ι ̣ο̣ν vacat eine weinlose Opfergabe (nēphálion). [---] [. . ἡμεδαπῶ?]ν̣ ὗ̣ς ̣ [Wert] eine heimische (?) Sau. [---] [. . . . 7 . . .] [- – -] … [---] [. . ἡμε]δ̣απῶ̣ ν ὗς [Wert] eine heimische Sau. … …. [- – – – – -] … 15 …. [. . . . 7 . . .].ι[- – – ?] … …. [. . . . 7 . . .]Σ vacat … vacat? [. . . . 8 . . . .]Λ[- – – ?] … . .𐅁 [- – – – – -] … …. [- – – – – -] … 20 …. [. . . 5 . . π]εντ𐅂[- – – ?] Fünfzigstel (?) … [. .]𐅁 [. . . . 7 . . .] vacat? … 𐅂 οἴνο πεντηκ̣[- – -] 1 (Dr.) ein Fünfzigstel (?) Wein. ἕκτηι vacat Am sechsten (Tag). vacat ἐκ τῶμ μὴ ῥητῆι vacat Von der Liste der kalendarisch nicht 25 Ἀθηναίαι vacat. festgelegten Opfer. vacat Für Athena vacat … (A fr. 3 col. 2 Z. 30–58) τάδε τὸ ἕτερον ἔτος θυέται Α[..?..] Diese (Opfer) werden ein über das andere Jahr geopfert. Ἑκατομβαιῶνος (Im Monat) Hekatombaion. πέμπτηι ἐπὶ δέκα Am fünfzehnten (Tag).

179  CGRN 45 A (http://cgrn.ulg.ac.be/file/45) und AIO 1189 (www.atticinscriptions.com/inscription/ AIO/1189) fr. 1 col. 3 Z. 1–25 (LSCG 17 B Z. 1–18) und fr. 3 col. 2 Z. 31–58 (jeweils mit Übersetzungen; aufgrund der Autopsie von Lambert 2002 [SEG 52,48]). Vgl. Carlier 1984, 355–357.

Opferkalender und Kultvorschriften (F 79–87)

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ἐκ τῶν φυλο- Aus (der Liste) der Phylen βασιλικῶν könige. 35 Γλεόντων φυλῆι Für die Phyle der Gleontes, Λευκοταινίων die Trittys der Leukotainioi: τριττύϊ οἶν 𐅂𐅂𐅂𐅂 λειπογνώμονα 4 (Dr.) ein Schaf, das die Milchzähne verloren hat. 𐅂𐅂𐅂𐅂ΙΙ ἱερεώσυνα 4 (Dr.) 2 (Ob.) Fälligkeiten für den Priester. 40 φυλοβ[α]σιλεῦσι Für die Phylenkönige. 𐅂 νώτο 1 (Dr.) vom Rückenstück. κήρυκι ὤμο Für den Herold von IIII ποδῶν κεφαλῆς. 4 (Ob.) Schulter, Füßen, Kopf. ἕκτηι ἐπὶ δέκα Am sechzehnten (Tag). 45 ἐκ τῶν φυλο- Aus (der Liste) der Phylen βασιλικῶν könige. Γλεόντων φυλῆι Für die Phyle der Gleontes. Διὶ Φρατρίωι καὶ Für Zeus Phratrios und Athena Ἀθηναίαι Φρα- Phratria: 50 τρίαι βόε δύο 𐅄 [λ]ειπογνώμονα 50 (Dr.) zwei Rinder, die die Milchzähne verloren haben. :Δ𐅃𐅂 ἱερεώσυνα 16 (Dr.) Fälligkeiten für den Priester. φυλοβασιλεῖ Für die Phylenkönige σκέλος ein Schenkel, 55 κήρυ[κ]ι χέλυος für den Herold von Brust, Füßen und Kopf 𐅂𐅂ΙΙΙ ποδ[ῶν] κεφαλῆς (im Wert von) 2 (Dr.) 3 (Ob.). τ[..4..]ει κριθῶν Für … einen médimos Gerste. vacat μ[έδιμ]νο[.]. (A fr. 7 Z. 1–4) [..?..] [Wert] […6…] ἱσ[ταμένο] [Wert] [ἐκ τ]ῶν φ[υλο]- [β]ασιλι[κῶν] φ[υ]λοβ[ασιλεῦσι] [..?..] [Wert]

… am [---] Aus (der Liste) der Phylenkönige Für die Phylenkönige …

Nach der Wiederherstellung der Demokratie im Jahr 410/9 v. Chr. hatten die Athener einer aus zehn Männern bestehenden Kommission von ‚Schreibern‘ (anagrapheís) den Auftrag erteilt, die Gesetze Athens, die von den Oligarchen zum Teil zerstört worden waren, in einer revidierten Form wieder herzustellen. Die ‚Schreiber‘ hatten angeblich den Auftrag erhalten, „die Gesetze Solons innerhalb von vier Monaten neu auf-

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zuzeichnen“.180 Dem Nikomachos, einem der anagrapheis, war 399/98 v. Chr. in einem Gerichtsverfahren vorgeworfen worden, er habe diese Tätigkeit auf sechs Jahre (von 410/9 bis 405/4) ausgedehnt. Zum endgültigen Abschluss kam die Neuaufzeichnung der Gesetze vor dem neuerlichen oligarchischen Umsturz 404 nicht mehr. Von der Revision des Opferkalenders sind inschriftlich Teile einer älteren Fassung und einer jüngeren Fassung, die die ältere ersetzte, aus den Jahren 404/3 bis 399/98 erhalten geblieben, die auf Vorder- und Rückseite der Stelen aufgezeichnet waren. Die Stelen gehen nicht unmittelbar auf die solonischen kýrbeis zurück, doch könnten die als ἐκ τῶν φυλοβασιλικῶν ausgewiesenen Opfer auf einigen Fragmenten der späteren Fassung von den älteren kýrbeis übernommen sein, wobei die Wertangaben für die Opfertiere und andere Opfergaben vermutlich angepasst worden waren.181 Die Einträge der Opfer aus der Liste der Phylenkönige werden auf das 6. Jh. v. Chr. zurückgehen, auf eine Zeit bevor Kleisthenes die Zahl der Phylen auf zehn erhöhte. Dafür spricht auch, dass die Trittys der Leukotainioi zu einer der vier vorkleisthenischen Phylen gehörte, nämlich zu der der G(e)leontes.182 Die in Zeilen 3 ff. auf Fragment 1 genannten Opfer am fünften Tag des Monats könnten nach Ansicht von Stephen Lambert auf die Genesien bezogen sein.183 Auch das in Zeile 2 genannte Opfer für die Semnai wird (wenn die Ergänzung zutrifft) auf alte

180  Lys. 30,2: προσταχθὲν γὰρ αὐτῷ τεττάρων μηνῶν ἀναγράψαι τοὺς νόμους τοὺς Σόλωνος. Zum zeitlichen Rahmen Robertson 1990 (wie Anm. 140) 52–56. 181  Stroud 1979, 9. So auch Parker 1994, 47 Anm. 15: „One substantial section of the revised code (LSS 10 A 31–58 [IG II2 1357], from the tribe-kings’ list) comes from a ‚Solonian‘ source; but it must have been retouched in detail (to revise prices, for instance) and so is not a sure guide“. Ähnlich Lambert 2002, 381 zu fr. 7 Z. 2–4: „It would seem that sacrifices funded from this authority source were specific to archaic groups and officials in a way that differed from other authority sources“. 182  Vgl. Stephen Lambert in: AIO 1189 Anm. 8: „This column listed biennial provisions for the (most likely annual) festival celebrating the union of Attica, the Synoikia, which took place on 16 Hekatombaion (Plut. Thes. 24.4, cf. Thuc. 2.15). The provisions, patently archaic in origin, involve the structures into which Athenians were organised before Cleisthenes’ reforms of 508 BC: the tribe-kings, heads of the four pre-Cleisthenic tribes; one of those tribes, Gleontis (the only appearance of an individual Ionian tribe in the historical record after Cleisthenes), an old trittys, Leukotainioi (attested only here, cf. for another old trittys, IG I3 258), and Zeus Phratrios and Athena Phratria, the patrons of the phratries, groups into which Athenians were organised both before and after Cleisthenes and which were particularly concerned with regulating access to rights based on descent, including inheritance and citizenship (cf. IG II2 1237)“. Lambert 2002, 376 f. erwägt, ob das Fest der Synoikia und der Genesien durch die Nikomachos-Kommission zu einem zweijährlichen umgestaltet wurde, wogegen sich der Sprecher in Lys. 30,19–21 richtete. 183  Lambert 2002, 367 und in: AIO 1189 Anm. 2: Die Genesien wurden in Attika am fünften Tag des Monats Boedromion gefeiert (Philochoros FgrH 328 F 168); die Opfer könnten in einer gewissen Beziehung zu F 84 Ruschenbusch (= F 83) stehen. Vgl. Stephen Lambert, Parerga III: The Genesia, Basile and Epops Again, in: ZPE 139, 2002, 75–82. Auch die in den Zeilen 11 und 13 genannten Opferschweine, die „aus heimischer Zucht“ sein sollten (ἐξ oder ἀφ᾽ ἡμεδαπῶν), werden von Lambert auf die Genesien bezogen.

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Traditionen zurückgehen, ebenso wie das Opfer an Erechtheus.184 Fragment 3 nennt in Zeile 31 ff. für den 15. und 16. Hekatombaion Opfer aus der Liste der phylobasileís, die in Zusammenhang mit dem Fest der synoikía standen, die am 16. Hekatombaion abgehalten wurden.185 Gemäß Thukydides waren die synoikía ein aus öffentlichen Mitteln finanziertes Fest (ἑορτὴ δημοτελῆς).186 An den Festtagen sollten Phylenkönig und Herold beim Opfermahl bestimmte Teile des Opfertiers erhalten (Z. 40–43, 53–56).187 F 81 Opfer und Opferpreise (F 81a: T 486 Martina; F 81, 92 Ruschenbusch; F 80/2, 81, 92 Leão/Rhodes; F 81b: T 475 Martina; F 82 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 81c: T 524 Martina; F 61 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 81a: Plutarch, Solon 23,2–4 (um 100 n. Chr.) (2) τὸ δ’ αὐτὸ πρᾶγμα ποτὲ μὲν πικρῶς καὶ ἀπαραιτήτως κολάζειν, ποτὲ δ’ εὐκόλως καὶ παίζοντα, πρόστιμον ζημίαν τὴν τυχοῦσαν ὁρίσαντα, ἄλογόν ἐστι· πλὴν εἰ μὴ σπανίζοντος τότε τοῦ νομίσματος ἐν τῇ πόλει μεγάλας ἐποίει τὰς ἀργυρικὰς ζημίας τὸ δυσπόριστον. (3) εἰς μέν γε τὰ τιμήματα τῶν οὐσιῶν λογίζεται πρόβατον καὶ δραχμὴν ἀντὶ μεδίμνου, τῷ δ’ Ἴσθμια νικήσαντι δραχμὰς ἑκατὸν ἔταξε δίδοσθαι, τῷ δ’ Ὀλυμπιονίκῃ πεντακοσίας, λύκον δὲ τῷ κομίσαντι πέντε δραχμάς, λυκιδέα δὲ μίαν, ὧν φησιν ὁ Φαληρεὺς Δημήτριος (fr. 147 Wehrli) τὸ μὲν βοὸς εἶναι, τὸ δὲ προβάτου τιμήν. (4) ἃς γὰρ ἐν τῷ ἑκκαιδεκάτῳ τῶν ἀξόνων ὁρίζει τιμὰς τῶν ἐκκρίτων ἱερείων, εἰκὸς μὲν εἶναι πολλαπλασίας, ἄλλως δὲ κἀκεῖναι πρὸς τὰς νῦν εὐτελεῖς εἰσιν. App. crit.: ὁρίζοντα ϒ, ὁρίσαντα τὴν τυχοῦσαν Lindskog; θυσιῶν codd., οὐσιῶν Wilcken; ἔταξεν ἑκατὸν ϒ; ὀλυμπιονίκῃ Sτ, ὀλύμπια Sm ϒ; post δραχμάς add. ἔδωκε ϒ; λυκίδα ϒ et post ras. S; ὧν Steph., ὡς libri, sed supra lin. S (fort. igitur [ὡς] φησὶ δ᾽ὁ?); ἐκκρίτων, punctum sub τ et τ in ras. S; ἱερείων, ει ut vid. ex ε corr. S; τὰς νῦν Steph., τὰ νῦν.

(2) Denn dieselbe Tat bald hart und unerbittlich zu bestrafen, bald milde und wie zum Scherz, indem man eine mäßige Geldbuße darauf setzt, das ist doch widersinnig; es sei denn, dass bei der damaligen Seltenheit des Geldes in der Stadt die Schwierigkeit der Beschaffung desselben die Geldstrafen schwer machte. (3) So rechnet er zwar bei der Schatzung (timḗmata) der Vermögen [oder: der Opfer] ein Schaf und eine Drachme gleich einem médimnos [Getreide], aber dem Sieger bei den Isthmien sollten einhundert Drachmen gegeben werden, so setzte er fest, dem Olympioniken fünfhundert; und wer einen Wolf brachte, bekam fünf Drachmen, wer einen Jungwolf eine Drachme, von denen der eine – so sagt Demetrios von Phaleron (F 147 Wehrli) – der Wert (timḗ) eines Ochsen, der andere der eines Schafes ist. (4) Die Wertanga-

184  Dazu Lambert 2002, 368 und in: AIO 1189 Anm. 3. Zu den in den Opferkalendern genannten Fälligkeiten (ἱερειώσυνα) für die Priester Whitehead 1986, 188 Anm. 64, 193 und Lambert 2002, 398 f. Karikierend nimmt Aristophanes in Plut. 676–681 darauf Bezug. 185  Mikalson 1979, 29–31, 29: „No source suggests that the Synoikia were a two-day festival, but the above sacrifice establishes that there was at the least a pre-festival day for the Synoikia“. Vgl. Carlier 1984, 357. 186  Thuk. 2,15,2. Vgl. Plut. Thes. 24,4 (mit dem Namen Metoikia); Schol. Aristoph. pax 1019. Zur Bedeutung der synoikía siehe auch Jan B. Meister, ‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und klassischen Griechenland, Stuttgart 2020, 315 f. 187  Dazu Lambert 2002, 398–399.

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ben, die er auf der sechzehnten der Gesetzestafeln (áxones) für auserlesene Opfertiere (ékkrita hiereía) ansetzt, sind aber im Vergleich zu den heutigen auch noch niedrig.

Es ist in der Forschung umstritten, ob die Äquivalenz in der Wertmessung (timḗma­ ta) auf Opfer (thysíai) zu beziehen ist oder, wie Ulrich Wilcken vorgeschlagen hatte, auf Vermögenswerte (ousíai).188 Für Vermögenswerte spricht, dass nicht vom (Opfer-) Schaf, sondern vom médimnos als dem Grundwert ausgegangen ist, dem ein Schaf und eine Drachme gleichgesetzt sind, und im darauffolgenden Text zunächst Angaben zu den ausgesetzten Preisen bei den isthmischen und olympischen Spielen und zu gefangenen Wölfen folgen, die keine Opfertiere waren.189 Erst in 23,4 geht Plutarch auf den Wert von Opfertieren ein, die nun als hiereía bezeichnet sind und für die erst jetzt auf den sechzehnten áxōn verwiesen ist. Auch der Aufbau des Textes deutet also darauf hin, dass τιμήματα τῶν οὐσιῶν zu lesen ist und nicht τιμήματα τῶν θυσιῶν und damit die Vermögensschatzung gemeint ist, gemäß der die Athener in Pentakosiomedimnoi, Hippeis, Zeugiten und Theten eingeteilt waren. Dafür spricht auch, dass in den erhaltenen Fragmenten der attischen Opferkalender zwar stets eine Wertangabe für das Opfertier oder andere Opfergaben aufgeführt ist, aber eine Gleichsetzung im Wert von Schaf und médimnos unnötig ist. Auffällig ist auch, dass Plutarch bei der Wertrelation von Rind und Schaf auf Demetrios von Phaleron verweist und nicht unmittelbar auf eine Angabe im Opferkalender Solons.190 Wenn Schaf und Drachme im Gesetz in 188  Für das in den Manuskripten überlieferte θυσιῶν setzt Ulrich Wilcken, Zu Solons Schatzungsklassen, in: Hermes 63, 1928, 236–238 οὐσιῶν. Verteidigt haben das θυσιῶν C. M. A. van den Oudenrijn, Solon’s System of Property-Classes Once More, in: Mnemosyne 5, 1952, 19–27 und Geoffrey E. M. de Ste. Croix, Athenian Democratic Origins and Other Essays, Oxford 2004, 45 f.; vgl. 39 f. Leão/Rhodes 2015, 139 führen an, dass es keine Hinweise dafür gebe, dass die solonischen Schatzungsklassen auf anderen Maßeinheiten beruhten außer landwirtschaftlichen Produkten, wenn dies nicht sogar nur für die Pentakosiomedimnoi gegolten habe. Die Angabe Plutarchs sollte also auf den Wert von Opfern bezogen werden. Vgl. auch K. H. Waters, Solon’s ‚Price-Equalisation‘, in: JHS 80, 1960, 181–190. 189  Zu Wildtieren bei Opfern Stengel 1910 (wie Anm. 178), 197–202; Ziehen 1939, 589 f. (zu Hunden und Pferden ebd. 591 f.); Michael H. Jameson, Sacrifice and Animal Husbandry in Ancient Greece, in: Charles R. Whittaker (Hrsg.), Pastoral Economies in Classical Antiquity, Cambridge 1988, 87–119; wiederabgedruckt in: Michael H. Jameson, Cults and Rites in Ancient Greece. Essays on Religion and Society, Cambridge 2014, 198–231, hier 200 Anm. 9. 190  Die Wertangaben – fünf Drachmen für ein Rind und eine Drachme für ein Schaf – liegen deutlich unter den Werten, die die revidierten Opferkalender aufweisen. Auf diesen sind Rinder mit Werten von 50 und 100 Dr., Schafe mit Werten von 12, 15 oder 17 Dr. angegeben. Nur die Wertrelation ist in etwa die gleiche (und entspricht ungefähr der Menge an Fleisch). Die Angaben des Demetrios von Phaleron könnten einem seiner historischen Werke entstammen (perí tṓn Athḗnēsi politeiṓn, perí tḗs Athḗnēsi nomo­ thesías oder perí nómōn) und sich auf den solonischen Opferkalender beziehen. So auch Lambert 2002, 396–398: „If Plutarch can be believed, in the original Solonian kalendar prices were 5 dr. for a (select?) bovine, 1 dr. for a (select?) sheep“ (397). Übersichten über die Wertangaben bei Opfertieren geben Jameson 1988/2014 (wie Anm. 189), 205–220 (zu den Wertangaben in Solons Gesetzen ebd. 229 f.); F. T. van Straten, Hiera kala. Images of Animal Sacrifice in Archaic and Classical Greece, Leiden etc. 1995, 171–186; zu den Wertangaben bei Opfertieren und zur Relation von Drachme und Rohsilber Josine H. Blok, Solon’s Funerary Laws: Questions of Authenticity and Function, in: Josine H. Blok, André P. M. H.

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Relation zu einem médimnos gestellt worden wären, um Opfergaben zu taxieren, wa­ rum war dann der Wert eines Rindes nicht direkt hinzugesetzt worden? Wenn die parásitoi für das Einsammeln des heiligen Getreides zuständig waren,191 ist allerdings auch denkbar, dass das abzugebende Getreide in médimnoi gemäß der Größe des Landbesitzes eingefordert wurde, aber auch in Opfertieren oder Drachmen entrichtet werden konnte. Auch unter dieser Voraussetzung wäre die Lesung τιμήματα τῶν οὐσιῶν vorzuziehen. Auf Wertangaben bei Opfern geht Plutarch in Solon 23,4 ein: Auf dem sechzehnten áxōn seien deutlich höhere Werte genannt, da es sich um „auserlesene Opfertiere“ (ék­ kritoi hiereía) handelte. Bezieht sich dies auf Angaben zu Alter, Fellfarbe oder andere Präzisierungen, wie sie in den erhaltenen Fragmenten der Opferkalender erscheinen?192 Bemerkenswert ist, dass Plutarch bei den Wertangaben für die auserlesenen Opfertiere ausdrücklich auf den sechzehnten áxōn Solons verweist, nicht auf die kýrbeis. F 81b: Pollux, Onomastikon 1,29 (2. Jh. n. Chr.) προσακτέον δὲ θύσιμα ἱερεῖα ἄρτια, ἄτομα, ὁλόκληρα, ὑγιῆ, ἄπηρα, παμμελῆ, ἀρτιμελῆ, μὴ κολοβὰ μηδὲ ἔμπηρα μηδὲ ἠκρωτηριασμένα μηδὲ διάστροφα. Σόλων δὲ τὰ ‹ἄ›πηρα καὶ ἀφελῆ ὠνόμασε. προσακτέον μέντοι καὶ βοῦς ἄζυγας. ἰστέον δ’ ὅτι τὰ ἐκ τῶν ἱερείων κρέα θεόθυτα καλεῖται. App. crit.: τὰ δὲ προσακτέα A, προσακτέα δὲ II; θύματα AB, θύμα καὶ V, θύμα M; ἔμπηρα codd., ‹ἄ›πηρα Ruschenbusch, Leão/Rhodes.

Darzubringende, zum Opfer taugliche Opfertiere (hiereía) sind willfährige,193 unzerteilte, unversehrte, gesunde, unverstümmelte (ápēra), ganz schwarze [Tiere] und solche mit gesunden Gliedern, nicht jedoch solche mit gestutzten Hörnern, nicht verstümmelte (émpēra), nicht mit abgestoßenen Hörnern, nicht mit verrenkten Gliedern. Solon nannte die ‚unverstümmelten‘ (‹á›pēra) [Opfertiere] auch ‚schlichte‘ (aphelḗ). Aber auch nicht für das Joch geeignete Kühe können dargebracht werden. Man muss aber wissen, dass das Fleisch von Opfertieren theóthy­ ta (‚gottgeweihtes‘) genannt wird.

Das zweite ἔμπηρα („verstümmelte“) in den Handschriften wird in der Regel zu ἄπηρα („unverstümmelte“) geändert, da ἄπηρα dem ἀφελῆ entspräche. Zu beziehen sei ἀφελής also auf Opfertiere, die unversehrt sein mussten.194 Möglicherweise stand

Lardinois (Hrsg.), Solon of Athens. New Historical and Philosophical Approaches, Leiden 2006, 197– 247, hier 220–222. 191  Zu Krates (FgrH 362 F 7) in Athen. 6,27 (p. 235b–d) s. o. Anm. 168. 192  S. o. Anm. 151. Zu Tieropfern Ziehen 1939, 588–597; zu Angaben von Geschlecht, Farbe des Fells und Alter ebd. 594–597. 193  Nach dem Text von Bekker: „Die darzubringenden Opfertiere sind willfährige …“. 194  Ziehen 1939, 592. Statt der Konjektur ἄπηρα wäre auch τὰ ‹μὴ› ἔμπηρα möglich. Eine ähnliche Regelung für Delphi in Plut. de defectu oraculorum 49 (mor. 437a–b), wonach ein Opfertier rein an Leib und Leben, unverletzt und unverdorben sein muss (δεῖ γὰρ τὸ θύσιμον τῷ τε σώματι καὶ τῇ ψυχῇ καθαρὸν εἶναι καὶ ἀσινὲς καὶ ἀδιάφθορον). Vgl. Hesych. α 8593 s. v. ἀφελής· ἀσινής. καθαρός. ὁλόκληρος, ὁ μήτε

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aber tatsächlich das überlieferte ἔμπηρα (im Sinne von „schwach, geschwächt“) für ἀφελῆ („schlicht, einfach“) im Text, zumal Plutarch für die von Solon festgeschriebenen Opferhandlungen „einfache Opfer“ nennt. Diese mögen in Gegensatz zu den von Plutarch genannten „auserlesenen Opfertieren“ stehen.195 Angeblich hätten sich die Lakedaimonier geringschätzig gegen die Götter verhalten; denn sie hätten „verstümmelte Tiere“ geopfert und sich auch in jeglicher anderer Hinsicht dürftiger in ihrer Verehrung der Götter erwiesen.196 F 81c: Hesychios π 3643 s. v. προπτόρθια (5. Jh. n. Chr.) προπτόρθια· ἐν τοῖς ἄξοσιν ἡ λέξις φέρεται proptórthia. Dieses Wort findet sich in den áxones.

Πτόρθος ist im Griechischen im allgemeinen ein ‚Sproß‘, ein ‚junger Ast‘. Eberhard Ruschenbusch und Delfim F. Leão / P. J. Rhodes haben daher proptórthia als ‚überhängender Ast‘ verstanden und das Wort in den Kontext der Gesetze über die Nachbarschaft gesetzt. Jan-Mathieu Carbon und Saskia Peels jedoch ziehen in der Edition der Inschrift in CGRN die Erklärung vor, dass das Wort in einen kultischen Zusammenhang zu stellen ist.197 In attischen Opferkalendern sei mit dem Adjektiv πτόρθιον ein junges Opfertier bezeichnet worden, wahrscheinlich ein männliches Zicklein, bei dem die Hörner zu wachsen beginnen.198 Προπτόρθιον könnte im Gegensatz zu πτόρθιον ein Zicklein bezeichnen, bevor sich die Hörner ausgebildet haben oder bei dem sie gerade erst im Ansatz erscheinen.199 Auffällig ist allerdings, dass Hesychios auf die áxones Solons verweist, nicht auf die kýrbeis, die den Opferkalender Solons getragen haben sollen.200

πλεονάζων μήτε δέων τι τοῦ σώματος. Etym. M. p. 176,14: ἀφελής: Ὁ ὑγιὴς τὸ σῶμα καὶ ὁλόκληρος. Οὕτω παρὰ Ἀθηναίοις· παρὰ τὸ μηδενὸς ἀφαιρεῖσθαι μέρους τοῦ σώματος, ἀλλ’ ὑγιὴς εἶναι. Λέγεται δὲ ἀφελὴς καὶ ὁ εὔκολος, ὃν ἄν τις ἕλοι διὰ τὴν εὐκολίαν. … 195  Siehe dazu Jan N. Bremmer, Art. Opfer. III. Griechenland, in: DNP 8, 2000, 1240 f.; Jameson 1988/2014 (wie Anm. 189), 198 f.: „Imperfect animals were normally regarded as inappropriate but the standards by which they were rejected would have been a matter of judgement“. Zum Verbot, Pflugrinder zu opfern, siehe Ail. v. h. 5,14 (F 89g). 196  Ps.-Plat. Alk. II 149a: ἀνάπηρα θύουσιν. Ziehen 1939, 593 f. 197  Im Kommentar zu CGRN 21 von ca. 475–450 (http://cgrn.ulg.ac.be 2021). 198  CGRN 21; IG I3 234 Z. 12 f. Jan-Mathieu Carbon und Saskia Peels verweisen auf ἔριφος προπ|τόρθι(ον) in einem Opferkalender des Demos Erchia (SEG 21,541; LSCG Nr. 18; AIO 593, CGRN 52, col. 3 Z. 46–47) und das Opfer an Poseidon in CGRN 26, Z. 28 (Ποσειδõνι πτόρθι[ον]). 199  Dem folgt die Übersetzung von Stephen Lambert und Jan-Mathieu Carbon in AIO 1303 (https:// www.atticinscriptions.com/inscription/IGI3/234-add-p-956). Wird eine ausgewachsene Ziege geopfert, ist sie αἶξ oder τράγος genannt. 200  Jedoch spricht auch Plutarch davon, dass auf der sechzehnten der Gesetzestafeln (áxones) Wertangaben für auserlesene Opfertiere (hiereía) verzeichnet seien.

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F 82 Kultvorschriften F 82a: Plutarch, Solon 12,8 (um 100 n. Chr.) ἐλθὼν δὲ καὶ τῷ Σόλωνι χρησάμενος φίλῳ, πολλὰ προϋπειργάσατο καὶ προωδοποίησεν αὐτῷ τῆς νομοθεσίας. καὶ γὰρ εὐσταλεῖς ἐποίησε ταῖς ἱερουργίαις καὶ περὶ τὰ πένθη πρᾳοτέρους, … (F 89e) App. crit.: προυπειργάσατο σ supra υ scr. S, προσπειργάσατο ϒ; εὐσταθεῖς van Herwerden; ταῖς ἱερουργίαις (fort. ex τὰς ἱερουργίας corr.) S, τὰς ἱερουργίας ϒ.

Er [Epimenides] kam, schloss mit Solon Freundschaft und diente ihm als Vorläufer und Wegbereiter für seine Gesetzgebung (nomothesía). Denn er veranlasste [die Athener], die Opferhandlungen (hierourgíai) einfach zu halten und bei den Trauerklagen (pénthē) noch mäßiger zu sein. … (F 89e)

F 82b: Plutarch, Solon 21,5 (um 100 n. Chr.) (5) Ἐπέστησε δὲ καὶ ταῖς ἐξόδοις τῶν γυναικῶν καὶ τοῖς πένθεσι καὶ ταῖς ἑορταῖς νόμον ἀπείργοντα τὸ ἄτακτον καὶ ἀκόλαστον, ἐξιέναι μὲν ἱματίων τριῶν μὴ πλέον ἔχουσαν κελεύσας, μηδὲ βρωτὸν ἢ ποτὸν πλείονος ἢ ὀβολοῦ φερομένην, μηδὲ κάνητα πηχυαίου μείζονα, μηδὲ νύκτωρ πορεύεσθαι πλὴν ἁμάξῃ κομιζομένην λύχνου προφαίνοντος. … (F 89f) App. crit.: ἐχούσας ϒ; βροτὸν U; ἢ2 om. S.

(5) Er [Solon] erließ aber auch für die Ausgänge (éxodoi) der Frauen, [insbesondere] für Trauerklagen (pénthē) und Feiern (heortaí), ein Gesetz (nómos), das Ungeregeltes und Maßloses einschränken sollte. Er bestimmte, dass eine Fau, wenn sie ausging, nicht mehr als drei Kleider (himátia) bei sich haben, nicht mehr Essen und Trinken als für einen Obolos und keinen über eine Elle großen Korb mitnehmen, auch nicht bei Nacht unterwegs sein sollte, außer zu Wagen mit vorgetragener Fackel.

Wie Plutarch in Solon 21,5 ausführt, hat Solon ein Gesetz bezüglich der éxodoi der Frauen erlassen, und der Text ist vermutlich so zu verstehen, dass solche ‚Ausgänge von Frauen‘ insbesondere bei Trauerfeiern vorkamen. Die Bestimmungen zu den Bestattungsbräuchen (F 89) zeigen, dass sich viele diesbezügliche Vorschriften speziell an Frauen richteten. Das Verbot, bei der Bestattung einen Pflugochsen zu opfern, lässt erkennen, dass bei Bestattungen Opfer dargebracht wurden. Plutarch wird also mit seinem Hinweis, Solon habe ein Gesetz über éxodoi von Frauen gegeben, éxodoi zur Teilnahme an einer Bestattung mit Opferfeier, also Solons Gesetz über die Bestattung, gemeint haben. Da die weiteren Fragmente zu Opfertieren und Opferfesten (F 81a–c und F 83–85, 87) Bestandteil des Opferkalenders gewesen sein werden, lassen sich darüber hinausgehende Kultgesetze Solons nicht mit Sicherheit nachweisen.

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F 83 Das Fest der Genesien (F 83: T 560 Martina; F 84 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 83: Antiattikistes γ 5 s. v. γενέσια (2. Jh. n. Chr.) (Lexica Segueriana, Anecd. gr. I p. 86,20 Bekker)

γενέσια· „οὔσης τε ἑορτῆς {τῆς} δημοτελοῦς ‹ἐν› Ἀθήναις, Βοηδρομιῶνος πέμπτῃ, Γενέσια καλουμένης“, καθότι φησὶ Φιλόχορος· καὶ Σόλων ἐν τοῖς ἄξοσι, καὶ τῆς τοῦ ὀνόματος χρήσεως οὔσης Ἑλληνικῆς, τί κωλύει μὴ μόνον ἐπὶ τῆς δημοτελοῦς ἑορτῆς, ἀλλὰ καὶ ἐπὶ τῆς ἰδίας ἑκάστου τάσσεσθαι; App. crit.: ἑορτῆς τῆς δημοτελοῦς cod.; πέμπτῃ Ruschenbusch, πέμητῃ Schaefer, πέμπτης cod.

Genesia: „In Athen gab es am fünften Tag [des Monats] Boedromion ein Fest aus öffentlichen Mitteln, Genesia genannt“, wie es Philochoros (FgrH 328 F 168) sagt; und Solon auf den áxo­ nes. Und die Verwendung dieses (Fest-)Namens ist allen Griechen gemein; was hindert denn daran, dass [die Genesia] nicht nur unter die öffentlichen Feste, sondern auch unter die eines jeden einzelnen gerechnet werden?

Die Genesien waren ursprünglich ein in den Häusern begangener Kult zu Ehren der Toten.201 Mit der Übernahme dieser Feier in den öffentlichen Festkalender wird Solon die Absicht zugesprochen, die Kultfeiern aristokratischer Familien, aber auch der Phratrien stärker kontrollieren zu wollen.202 Eine so weit reichende Schlussfolgerung wird aber vom Text nicht gedeckt. Das für den fünften Tag des Monats eingetragene Opfer in Z. 3–5 von IG II2 1357 fr. 1 col. 3 (F 80,1) könnte auf die Genesien bezogen sein.203 Alllerdings fällt dabei der Name Genesien nicht, wie überhaupt in der jüngeren Fassung des revidierten Opferkalenders nie die Namen der Feste genannt sind.204 F 84 Opfer für Leos in Hagnous (F 84: T 473, 554 Martina; F 83 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 84: Stephanos von Byzanz, Ethnica 1,37 s. v. Ἀγνοῦς (6. Jh. n. Chr.) Ἀγνοῦς: […] τὸ τοπικὸν Ἀγνουντόθεν, καὶ ἐν τόπῳ Ἀγνοῦντι ἐν τοῖς ἄξοσιν „ἐπειδὴ Ἀγνοῦντι θυσία ἐστὶ τῷ Λεῷ“. εἰς τόπον Ἀγνουντάδε.

201  Hdt. 4,26,2; Hesych. γ 377 s. v. γενέσια· ἑορτὴ πένθιμος Ἀθηναίοις. οἱ δὲ τὰ νεκύσια. καὶ ἐν ᾗ ἡμέρᾳ τῇ γῇ θύουσι. Stella Georgoudi, Commémoration et célébration des morts dans les cités grecques : les rites annuels, in: Philippe Gignoux (Hrsg.), La Commémoration, Leuven – Paris 1988, 73–89. 202  So Felix Jacoby, Atthis: The Local Chronicles of Ancient Athens, Oxford 1949, 36–41; dazu Parker 1996, 48 f. mit gewisser Skepsis und Leão/Rhodes 2015, 142 f. 203  S. o. Anm. 183. 204  S. o. Anm. 155.

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App. crit.: Ἀγνουστόθεν ante W., ἀναγνοῦντι RV; Λεῷ M, λεῷ vulgo.

Agnous: Die Ortsbezeichnung [lautet] Agnountóthen [von Hagnous her], und ‚in dem Ort‘ [heißt] Agnoúnti (in den áxones heißt es „wenn in Agnous für Leos das Opfer stattfindet“); ‚zu dem Ort hin‘ [heißt] Agnountáde.

Die Versöhnungsvereinbarung der Salaminioi (F 79b) zeigt, dass in den in der Stadt Athen aufgestellten kýrbeis auch außerhalb Athens zu vollziehende Opfer aufgeführt waren. Es könnte sich bei diesem Fragment um einen der Einträge handeln, der im zentralen Festkalender Athens eingetragen war und für die Dorfgemeinschaft Hagnous – nach der Demen- und Phylenreform des Kleisthenes ein Demos in der Phyle Akamantis – ein Opfer festlegte. Der Opferkalender des Demos Erchia, der fast vollständig erhalten ist, unterscheidet sich von Opferkalendern anderer Demen und Kultverbände dadurch, dass darin durchgehend der Ort angegeben ist, an dem das Opfer stattfinden soll. In den Listen sind sechs Opfer aufgeführt, die außerhalb des Demos Erchia vollzogen wurden; aber auch bei den im eigenen Demos vollzogenen Opfern ist vielfach „in Erchia“ (Ἐρχιᾶσι; auch Ἐρχι., Ἐρχιᾶ und Ἐρχιᾶσιν), „auf der Akropolis“ (ἐμ Πόλε(ι)) oder ein bestimmtes Heiligtum innerhalb des Demos hinzugefügt.205 Die Ortsangabe Agnoúnti könnte also einem Opferkalender des Demos entnommen sein und darin könnte der Ort für ein Opfer, das im Opferkalender Athens vorgeschrieben war, verzeichnet gewesen sein; wahrscheinlicher aber ist, dass Agnoúnti unmittelbar auf den athenischen Opferkalender zurückgeht. Ungewöhnlich ist allerdings die regelrechte Satzstruktur des Zitats, die in solcher Form in den fragmentarischen Opferkalendern nicht vorkommt, sondern allein für Bestimmungen, die an den Opferkalender angehängt sind. Auch Stephanos von Byzanz zitiert die Bestimmung aus den áxones, nicht aus den kýrbeis, so wie auch in Plut. Solon 23,4 (F 81a), im Antiattikistes (F 83) und bei Hesychios (F 81c) in Hinsicht auf die Opfertiere auf die áxones verwiesen ist. F 85 Bestimmungen über parásitoi (F 85: T 492 Martina; F 88 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 85: Polemon, Gegen Eratosthenes, FHG fr. 78 (Ende 3./Anfang 2. Jh.) (Athenaios 6,26, p. 234d, e–f)

(D) Πολέμων γοῦν – … – γράψας περὶ παρασίτων φησὶν οὕτως· (E–F)… „Ἐν δὲ τοῖς κύρβεσι τοῖς περὶ τῶν Δηλιαστῶν οὕτως γέγραπται· ‚Καὶ τὼ κήρυκε ἐκ τοῦ γένους τῶν κηρύκων τοῦ τῆς μυστηριώτιδος. Τούτους δὲ παρασιτεῖν ἐν τῷ Δηλίῳ ἐνιαυτόν‘“. (D) Polemon hat über die parásitoi Folgendes geschrieben: (E–F) „… Auf den kýrbeis bezüglich der Deliasten [der Festgesandten nach Delos] ist zu lesen: ‚… und die beiden Herolde aus 205  SEG 21,541 (CGRN 52). Dazu Whitehead 1986, 199 f.

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dem Kerykengeschlecht (génos tṓn kērýkōn), dem der Mysterien. Diese sollen ein Jahr lang im Delion [Apollonheiligtum] parásitoi sein‘“.

Die Formulierung ἐν δὲ τοῖς κύρβεσι τοῖς περὶ τῶν Δηλιαστῶν spricht dafür, dass die alten, vermeintlich solonischen kýrbeis gemeint waren, die in der Stadt Athen aufgestellt waren; die revidierte Fassung des Opferkalenders der Jahre 403–399 v. Chr. nennt auf Seite A fr. 8 Opfer, die in Zusammenhang mit der Festgesandtschaft (theōría) nach Delos standen, zunächst solche, die im attischen Delion vor dem Auszug, anschließend solche für Apollon, Poseidon und Leto, die auf der Insel Delos selbst vollzogen wurden.206 Ian Rutherford geht davon aus, dass die Tradition dieser nach Delos entsandten theōríai bis auf solonische oder frühere Zeit zurückgeht.207 Außerdem ist auf Seite A fr. 12 der Inschrift fragmentarisch eine Eintragung hinsichtlich der beiden kḗrykes erhalten.208 Stephen Lambert vermutet in seinem Kommentar zu dem Fragment, dass die beiden kḗrykes diejenigen sein werden, die in F 85 erwähnt sind.209 Welche Aufgaben die Herolde aus der Familie der Keryken im Delion hatten, geht aus dem Zitat nicht hervor.210 Die Altäre des pythischen Apollon und das Delion lagen in Marathon. Von dort aus wurde, eingeleitet von einem vorgeschriebenen Opfer, die Festgesandtschaft 206  Lambert 2002, 382 und in AIO 1189 Anm. 12. IG II2 1357; AIO 1189; CGRN 45 A fr. 8 col. 2: ∆𐅂𐅂 ἱ ̣[ερὸν τέλεον?] | Ἀ̣ π̣[ό]λ̣[ λωνι epithet?] | ∆𐅂𐅂 ἱερὸν τέ[λεον] | ἐν Δήλωι τάδ̣[ε? – – -] | Ἀπόλλωνι [epithet?] | [∆𐅂𐅂] ἱερὸν τέλ̣[εον] | Ποσειδῶν[ι epithet?] | [∆Γ𐅂𐅂] κριός vacat | [Λ]η̣τo[ῖ] ἱερ[ὸν] | [∆𐅂𐅂?] ̣ [τέλεον] – – – – – – – „12 [Dr.] ein vollwertiges Opfer. Für Apollon … 12 [Dr.] ein vollwertiges Opfer. In Delos folgendes: Für Apollon [12 Dr.?] ein vollwertiges Opfer. Für Poseidon … [17 Dr.?] ein Widder. Für Leto [12 Dr.?] ein vollwertiges Opfer …“. Zu den Fragmenten, die auf die Pythaïs, die Festgesandtschaft nach Delphi, Bezug nehmen, siehe Rutherford 2013, 312 f.; zur Festgesandtschaft nach Delos ebd. 313 f. A fr. 2 Z. 10 könnte sich auf eine Festgesandtschaft nach Nemea beziehen (ebd. 314). 207  Rutherford 2013, 304 f. Zu den angeblichen Reisen Solons zum Zwecke der theōriā (Hdt. 1,29,1; 1,30,1; Aristot. Ath. pol. 11,1; vgl. Plut. Solon 2,1; 25,6; Rutherford ebd. 149, 324, 334–336). Vgl. auch die ausführliche Beschreibung einer solchen Festgesandtschaft in Plut. Nikias 3,5–8; Rutherford ebd. 339– 341. 208  CGRN 45 A fr. 12 Z. 2–3: [.] κηρύκ̣οιν [- – -]- | [- – – ?] ο Ἐλευσιν[- – -]. 209  Lambert 2002, 365 und in AIO 1189 Anm. 13. Ihm folgen Rutherford 2013, 314 und Jan-Mathieu Carbon im Kommentar zu CGRN 45A: „The ‚two heralds‘ who are cited here (line 2), probably as the recipients of a stipend or perquisite, are perhaps those of the genos of the Kerykes, mentioned in a fragment of the kyrbeis of Solon ‚concerning the Deliastai‘ and as having ‚the right to dine publicly (παρασίτειν) in the Delion for the year‘. … Lambert additionally hypothesises that the Delion mentioned in the Solonian law may have been one at Marathon (cf. Philochoros, FGrH 328 F 75), which would imply that the heralds also exercised ritual functions there. Moreover, both Artemis and Athena demonstrate connections with the Oinoe of the Tetrapolis: Artemis at Oinoe (line 4) appears to be Artemis Oinaia whose priestess had a place in the theatre of Dionysos, next to Demeter Achaia (IG II2 5116), … In apparent association to these figures, but as part of a celebration that remains wholly obscure, Zeus Morios is also convoked. This was the god who protected the sacred olive trees in Attica“. In Entsprechung zu den Bestimmungen hinsichtlich der Deliasten wird es gleichartige für die Pythaistai gegeben haben, die zu dem Festzug nach Delphi entsandt wurden. 210  In Athen leiteten die Eumolpiden und die Kerykes die Mysterien von Eleusis, wobei die Kerykes eines der beiden wichtigsten génē von Eleusis waren. IG I3 6; Lambert in AIO 1189 Anm. 13. Zu den Aufgaben des kḗryx allgemein siehe Poll. 8,103. Bereits in den homerischen Epen fungieren kḗrykes als

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(theōría) nach Delphi und zur Insel Delos ausgeschickt. Auch bei diesem Anlass wird es Mahlzeiten für die Teilnehmer der Festgesandtschaft gegeben haben, bevor sie sich auf den Weg nach Delphi und Delos machten.211 Unmittelbar zuvor zitiert Athenaios von einer Tafel im Heiligtum des Herakles in Kynosarges, in dessen Kult es ebenfalls parásitoi als ‚Tischgenossen‘ der zum Mahl geladenen Gottheit gab,212 und anschließend aus Inschriften auf Weihgeschenken im Heiligtum der Athena in Pallene. Zum parasiteín als öffentliche Speisung im Prytaneion siehe F 57a–b (Plut. Solon 24,5 und Athen. 4,14, p. 137e). F 86 Die eleusinischen Mysterien (F 86: T 476 Martina; F 95 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 86: Andokides, Über die Mysterien (or. 1) 111 (399 v. Chr.) Ἐπειδὴ γὰρ ἤλθομεν Ἐλευσινόθεν καὶ ἡ ἔνδειξις ἐγεγένητο, προσῄει ὁ βασιλεὺς περὶ τῶν γεγενημένων Ἐλευσῖνι κατὰ τὴν τελετήν, ὥσπερ ἔθος ἐστίν, ‹τοῖς πρυτάνεσιν›, οἱ δὲ [πρυτάνεις] προσάξειν ἔφασαν αὐτὸν πρὸς τὴν βουλήν, ἐπαγγεῖλαί τ’ ἐκέλευον ἐμοί τε καὶ Κηφισίῳ παρεῖναι εἰς τὸ Ἐλευσίνιον· ἡ γὰρ βουλὴ ἐκεῖ καθεδεῖσθαι ἔμελλε κατὰ τὸν Σόλωνος νόμον, ὃς κελεύει τῇ ὑστεραίᾳ τῶν μυστηρίων ἕδραν ποιεῖν ἐν τῷ Ἐλευσινίῳ. App. crit.: ‹τοῖς πρυτάνεσιν› add. Koepke; πρυτάνεις post οἱ δὲ del. Lipsius; ἀπαγγεῖλαι Bekker; κηφησίῳ apogr.

Als wir nämlich aus Eleusis zurückgekehrt waren, und die éndeixis eingereicht war, begab sich der basileús [zu den Prytanen], um, wie es Sitte ist, über die religiöse Feier in Eleusis zu berichten. Die Prytanen sagten daraufhin, sie würden ihn vor den Rat führen, und trugen ihm zugleich auf, mich und den Kephisios aufzufordern, im Eleusinion zu erscheinen. Denn der Rat (boulḗ) wollte dort tagen, gemäß Solons Gesetz, welches gebietet, am folgenden Tag nach den Mysterienfeiern im Eleusinion Sitzung zu halten.

Opferdiener (Hom. Il. 3,116–120). Robert Mondi, The Functions and Social Position of κῆρυξ in Early Greece, in: HCSPh 83, 1979, 405 f. 211  Das Privileg der öffentlichen Speisung im Delion bezieht sich auf das Heiligtum des delischen Apollon in Marathon; dort fanden die Opfer in Zusammenhang mit der Festgesandtschaft nach Delos statt (Philochoros FgrH 328 F 75 in Schol. Soph. Oed. K. 1047; Stroud 1979, 24 f., 36). Auch im Scholion sind vermutlich kḗrykes aus einem der Geschlechter genannt, allerdings in einem unverständlichen Kontext: ἱστορεῖ περὶ τούτων Φιλόχορος ἐν τῇ Τετραπόλει, γράφων οὕτως· „ὅταν δὲ σημεῖα γένηται ‹τὰ› παραδεδομένα ἐν τοῖς ἱεροῖς, τότε ἀποστέλλουσι τὴν θεωρίαν οἱ ἐκ τοῦ γένους … Πυθιάδα καὶ Δηλιάδα, ὁποτέρα ἂν καθήκῃ αὐτοῖς. Zu solchen Festgesandtschaften siehe Rutherford 2013, insbes. 1–16, 213–222; zu den von der marathonischen Tetrapolis und Athen ausgeschickten Festgesandtschaften nach Delphi ebd. 221–223 (in hellenistischer Zeit 223–230); nach Delos und Delphi ebd. 304–308, 312–316 und 323. 212  Athen. 6,26 (p. 234d): „bei den Alten jedoch finden wir den parásitos als etwas Heiliges (hierón ti), und er wird mit dem sýnthoinos gleichgesetzt. Im Heiligtum des Herakles in Kynosarges befindet sich eine Tafel (stḗlē), auf der ein Beschluss des Alkibiades steht; …: ‚Der Priester soll die monatlichen Opfer zusammen mit den parásitoi darbringen. … Wer aber nicht als parásitos Dienst tun will, den soll man deswegen vor Gericht bringen‘“.

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P. J. Rhodes geht davon aus, dass es in solonischer Zeit einen Rat der 400 gegeben hat; er hält es aber für unwahrscheinlich, dass nach solonischem Gesetz der Rat am Tag nach den Mysterien im Eleusinion getagt habe.213 Der Anlass für die Sitzung im Eleusinion könnte gewesen sein, dass die an der Durchführung der Eleusinien beteiligten Personen Rechenschaft leisten mussten. F 87 orgeṓnes (F 87: T 342b Martina; F 76b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 87: Seleukos, Kommentar zu Solons áxones, FgrH 341 F 1 (1. Jh. n. Chr.) (Phot. Lex. ο 439 s. v. ὀργεῶνες Theodorides; Suda ο 511 s. v. ὀργεῶνες)

Ὀργεῶνες: οἱ τοῖς ἰδίαι ἀφιδρυμένοις θεοῖς ὀργιάζοντες· ὀργιάζειν δέ ἐστι τὰ τῶν θεῶν ὄργια τελεῖν· τουτέστι μυστήρια καὶ νόμιμα· Νόμων δʹ· μὴ κεκτῆσθαι ἔσω ἐν ἰδίαις οἰκίαις ἱερά· τὸν δὲ φανέντα κεκτημένον ἕτερα καὶ ὀργιάζοντα πλὴν τὰ δημόσια· Σέλευκος δὲ ἐν τῶι ὑπομνήματι τῶν Σόλωνος ἀξόνων· ὀργεῶνας φησὶ καλεῖσθαι τοὺς συνόδους ἔχοντας περί τινας ἥρωας ἢ θεούς· ἤδη δὲ μεταφέροντες καὶ τοὺς ἱερέας οὕτως καλοῦσιν· ὁ γ’ οὖν Ἀντίμαχος ἐν τῆι Λυδῆι· …· περὶ δὲ τῶν ὀργεώνων γέγραφεν καὶ Φιλόχορος· τοὺς δὲ φράτορας ἐπάναγκες δέχεσθαι καὶ τοὺς ὀργεῶνας καὶ τοὺς ὁμογάλακτας, App. crit.: ‹Πλάτων› Ruschenbusch; δεκάτῳ Ruhnken, δ Phot., Sud.; ἔσω: θεῶν Plat.; τοῦ Σόλωνος SudaA; συνόδους Coraes und Porson, συνόλους Phot., vermutlich daraus συλλόγους Suda; συλλόχους SudaA; τὰς ὀργεῶνας SudaA.214

orgeṓnes: diejenigen, die für die in den Häusern verehrten Götter orgiastische Feste begehen. orgiázein aber meint, die den Göttern gebührenden heiligen Handlungen (órgia) [also: die Riten] zu vollziehen, also die Mysterien (mystḗria) und [religiösen] Bräuche (nómima). [Platon sagt] im 10. [Buch] der Gesetze (912c): „Niemand darf drinnen in eigenen Häusern Heiligtümer besitzen; wer aber offensichtlich andere als die öffentlichen Kulte besitzt und daran heilige Handlungen vollzieht (orgiázein), …“. Seleukos sagt im Kommentar (hypómnēma) zu den áxones Solons, orgeṓnes heißen diejenigen, welche die Festversammlungen (sýnhodoi bzw. sýllogoi) bei bestimmten Heroen oder Göttern abhalten. Dann heißen durch Übertragung [dieses Begriffes] auch die Priester so. So [sagt] Antimachos in [seinem Werk] Lyde: … Über die orgeṓnes hat auch Philochoros (FgrH 328 F 35a) geschrieben: „Die Phratriemitglieder müssen sowohl die orgeṓnes als auch die homogálaktes aufnehmen“.

Wenn Seleukos im Kommentar zu Solons áxones erläuterte, wer die in den solonischen Gesetzen genannten orgeṓnes waren, nämlich diejenigen, die Festversammlungen bei bestimmten Heroen und Gottheiten abhielten, dann lässt sich dieser recht vagen Er-

213  Leão/Rhodes 2015, 154. Der solonische Rat der 400 ist nur in Aristot. Ath. pol. 8,4 und Plut. Solon 19,1–2 belegt. Zu den unterschiedlichen Positionen der Forschung hinsichtlich der Existenz dieses Rates siehe Meister 2020 (wie Anm. 186), 301 f. 214  Zur Textüberlieferung Christos Theodoridis, Eine unbeachtete Buchangabe zum Bruchstück des Philochoros über die attischen Orgeonen, in: ZPE 138, 2002, 40–42.

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klärung entnehmen, dass sich in den Gesetzen selbst keine genauen Angaben fanden. Es kann daher sehr gut sein, dass Seleukos sich nicht auf den solonischen Opferkalender oder auf ein solonisches Kultgesetz bezog, sondern mit orgeṓnes die ἱερῶν ὀργίων μηνυταί aus dem Vertragsgesetz (F 117) meinte und die ungewöhnliche Formulierung in einen den Zeitgenossen geläufigeren Begriff übertrug.215 VI 3 Prämien für Sieger in sportlichen Wettkämpfen Abstract: Antike Quellen belegen die Auszahlung von Prämien an Sieger bei den Olympischen und Isthmischen Spielen sowie an diejenigen, die einen – vermutlich getöteten – Wolf oder ein Wolfjunges ablieferten. Beides wird Solon zugeschrieben. Wenn diese Regelungen Bestandteil der solonischen Gesetze gewesen sein sollten, werden sie in Zusammenhang mit dem Opferka­ lender und dessen Revision am Ende des 5. Jh. gestanden haben. Auf ihnen waren die Wertangaben der verschiedenen Opfertiere und anderer Opfergaben aufgelistet und zusammengerechnet, unterteilt nach jährlichen, zwei- und vierjährlichen Opfern. Entsprechend den ebenfalls ausgewiesenen Summen für Holz zum Verbrennen der Opfer und Speisungen für das Kultpersonal könnten im zentralen Kultkalender Athens auch die Prämien für die alle vier Jahre statt­ findenden Olympischen und die alle zwei Jahre stattfindenden Isthmischen Spiele aufgeführt worden sein. Möglich ist auch, dass die Prämien auf einer einzelnen Stele, einem kýrbis, aufgeführt waren, so wie auch die Ehren für die Tyrannenmörder auf einer solchen dreiseitigen hoch aufragenden Stele publiziert worden waren. Im 5. Jh. waren die aus öffentlichen Geldern finanzierten Speisungen im Prytaneion geschlossen auf eine steinerne Stele zusammengestellt worden, die unter anderen den Nachfahren der Tyrannenmörder und den Siegern bei den vier panhellenischen Spielen gewährt wurden. Die Gewährung hoher Prämien hatte vermutlich zum Ziel, die Stadt an dem Erfolg partizipieren zu lassen und die Sieger in die Polis einzubinden.

Historische Einordnung Antike Quellen berichten davon, dass Solon Prämien für die Sieger in panhellenischen Spielen festgelegt habe. Sieger bei den Isthmischen Spielen sollten einhundert Drachmen, bei den Olympischen Spielen fünfhundert Drachmen erhalten. Die Historizität dieser Regelung ist häufig bestritten worden, da erstens die Prämien in Drachmen angegeben sind, Münzgeld aber vermutlich erst in nachsolonischer Zeit aufgekommen ist, zweitens die festgelegten Beträge sehr hoch scheinen und drittens der Überlieferung nach die Isthmischen Spiele erst zwischen 581 und 570 v. Chr. eingerichtet worden 215  Nach Theodoridis 2002 (wie Anm. 214) hat Philochoros die orgeṓnes in seinem dritten Buch genannt, also in dem Buch, in dem er auch auf die solonischen Reformen eingegangen sein wird. Die Nennung der gennḗtai gehöre hingegen ins vierte Buch, in dem das 5. Jh. behandelt wurde.

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sein sollen. Christian Mann hat in einer ausführlichen Auseinandersetzung mit diesen Argumenten überzeugend nachgewiesen, dass all dies nicht gegen die Authentizität der Regelung spreche. Die Isthmischen Spiele werden vermutlich auf eine frühere Tradition zurückgehen, so dass es sich bei der angeblichen Stiftung der Spiele um eine Neuordnung handeln wird.216 Außerdem sei nicht auszuschließen, dass es zu der Zeit, in der Solon die Gesetze erlassen hat, bereits gemünztes Geld gegeben habe, und auch wenn dies nicht der Fall war, könnte eine entsprechende Menge an ungemünztem Silber gemeint gewesen sein.217 Durch eine 1965 im Gebiet des süditalienischen Sybaris aufgefundene Inschrift auf einer Bronzetafel aus der ersten Hälfte des 6. Jh. sei zudem belegt, dass die Stadt dem Sieger in einem panhellenischen Wettbewerb eine hohe Summe gewährt hatte. Ein gewisser Kleomrotos (oder Kleombrotos) weihte nach seinem Sieg in Olympia der Göttin Athena ein lebensgroßes Standbild aus dem Zehnten seines Siegespreises.218 Wenn sich aus dem Zehnten eine so kostbare Weihegabe

216  Mann 2001, 74. 217  Mann 2001, 73 f. Peter G. van Alfen, The Coinage of Athens, Sixth to First Century B. C., in: William E. Metcalf (Hrsg.), The Oxford Handbook of Greek and Roman Coinage, Oxford 2012, 88–104: „Monetization began before the first coin was struck in Athens. The laws of Solon (…) suggest that by the early sixth century the Athenians were accustomed to using silver, likely in the form of miscellaneous pieces of cut silver (‚Hacksilber‘) for a variety of monetary payments and collections involving the state“ (88). Ebenso G. Davis, Dating the Drachmas in Solon’s Laws, in: Historia 61, 2012, 127–158. Colin M. Kraay, Archaic and Classical Greek Coins, Berkeley – Los Angeles 1976, 56–63, hatte aufgrund des historischen Hintergrunds – eines wirtschaftlichen Aufschwungs unter den Peisistratiden – den Beginn der Prägung von Wappenmünzen in das 6. Jh. gesetzt. Vgl. ders., The Archaic Owls of Athens. Classification and Chronology, in: NC 16, 1956, 43–68. Darin folgten ihm die meisten Forscher, so z. B. John H. Kroll, From Wappenmünzen to Gorgoneia to Owls, in: The American Numismatic Society. Museum Notes 26, 1981, 1–32; ders., Nancy M. Waggoner, Dating the Earliest Coins of Athens, Corinth and Aegina, in: AJA 88, 1984, 325–340; Alain Bresson, The Athenian Money Supply in the Late Archaic and Early Classical Period, in: Journal of Ancient Civilizations 34, 2019, 135–153, hier 137 (die Wappenmünzen begannen ca. 545–535 v. Chr.). Herbert A. Cahn, Zur frühattischen Münzprägung, in: MH 3, 1946, 133–143 und ders., Dating the Early Coinages of Athens, in: Kleine Schriften zur Münzkunde und Archäologie, Basel 1975, 81–97 hat den Beginn aufgrund einer ikonographischen und stilistischen Einordnung hingegen um 600 angesetzt (so auch Donad Kagan, The Date of the Earliest Greek Coins, in: AJA 86, 1982, 343–360). Vgl. Robert J. Hopper, Observations on the Wappenmünzen, in: Colin M. Kraay, G. K. Jenkins (Hrsg.), Essays in Greek Coinage presented to Stanley Robinson, Oxford 1968, 16–39; E. J. P. Raven, Problems of the Earliest Owls of Athens, in: ebd. 40–58. Alexander Mlasowsky, Art. Eulenprägung, in: DNP 4, 1998, 247 setzt die ersten Münzen mit dem Motiv der Eule ab etwa 575 v. Chr. an, die als incusum quadratum in Elektron und Silber geprägt worden seien. Überblicke über die unterschiedlichen Datierungen und eine Kontextualisierung bieten Mann 2001, 73 f., Loretana de Libero, Die archaische Tyrannis, Stuttgart 1996, 83 f. und van Alfen 2012 (wie oben), 89–92 (Beginn der Münzprägung in Athen in der Mitte des 6. Jh.). Zu Solons Maß- und Gewichtsreform Raymond Descat, La loi de Solon sur l’interdiction d’exporter les produits attiques, in: Alain Bresson, Pierre Rouillard (Hrsg.), L’emporion, Paris 1993, 145–161, hier 155–157. 218  SEG 27, 702; 29, 1017; 35, 1053; CEG 394; Joachim Ebert, Griechische Epigramme auf Sieger in gymnischen und hippischen Agonen, Berlin 1972, 251–255: ΔΟ Κλεόμ[β]ροτος | ὁ Δεξιλάϝο | ‹Ὀλυμπίαι | νικάσας ἀνέθεκ[ε]› | ϝίσο(μ) μᾶκός τε πάχος τε | τἀθάναι ἀϝέθλον | εὐξάμενος δεκάταν. – „DO. Kleomrotos, der Sohn des Dexilawos, hat nach seinem Sieg in Olympia [dieses Standbild] geweiht, [ihm] gleich an Größe und kräftiger Gestalt; hatte er doch der Athana den zehnten [Teil] seines Kampfpreises gelobt.“ Dazu

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finanzieren ließ, musste der Siegespreis der Stadt entsprechend hoch gewesen sein.219 Des Weiteren bezeugt Xenophanes von Kolophon für das 6./frühe 5. Jh. Auszeichnungen für Athleten, die im Lauf und im Fünfkampf, als Ringer und Faustkämpfer sowie im Pankration in Olympia gesiegt hatten: Sie erhielten einen Ehrenplatz (προεδρίη) bei den Wettkämpfen, Speisung aus öffentlicher Hand oder eine Kostbarkeit als Geschenk. Bei einem Sieg mit dem Wagen erhalte der Sieger all dies zusammen.220 Für eine Historizität öffentlicher Ehrungen von Siegern in Wettkämpfen spricht auch, dass aus der Zeit um 440–430 v. Chr. ein auf einer fragmentarisch erhaltenen Inschrift aufgezeichneter Beschluss der Athener überliefert ist, gemäß dem die Sieger und auch künftige Sieger der Spiele in Olympia, Delphi, Isthmia und Nemea mit öffentlich finanzierten Mahlzeiten im Prytaneion und mit weiteren Zuwendungen geehrt werden sollten.221 Der Beschluss beruft sich dabei ausdrücklich auf Regelungen, die gemäß Tradition (κ]ατὰ τὰ πάτρια) gültig waren, und andere, die auf einer Stele im Prytaneion aufgezeichnet waren. Durch den vom Volk angenommenen Beschluss wurden offensichtlich alle Personengruppen, die Anrecht auf öffentliche Speisung Mann 2001, 71 f. mit weiterer Literatur. Jeffery hat die Inschrift hingegen in die zweite Hälfte des 6. Jh. datiert (21990, 456 Nr. 1a; 458). Vgl. Joseph W. Day, Archaic Greek Epigram and Dedication. Representation and Reperformance, Cambridge 2010, 219; Ewen Bowie, Epigram as Narration, in: Manuel Baumbach, Andrej Petrovic, Ivana Petrovic (Hrsg.), Archaic and Classical Greek Epigram, Cambridge 2010, 325 f. 219  Mann 2001, 71–73. Von einem hohen Preisgeld geht auch Weiler 1983, 576 f. aus. Eberhard Ruschenbusch hatte die Beträge der Siegespreise für die solonische Zeit für zu hoch angesehen und die Fragmente daher unter die Falsa eingeordnet (1966, 43, 46). 220  Xenophanes F 2 Gentili-Prato (2 West, VS 21 B 2 Diels-Kranz), Z. 7–11: καί κε προεδρίην φανερὴν ἐν ἀγῶσιν ἄροιτο, καί κεν σῖτ’ εἴη δημοσίων κτεάνων ἐκ πόλεως, καὶ δῶρον ὅ οἱ κειμήλιον εἴη· εἴτε καὶ ἵπποισιν· ταῦτά κε πάντα λάχοι, οὐκ ἐὼν ἄξιος ὥσπερ ἐγώ. – „und er erhielt den Ehrenplatz, deutlich erkennbar, bei Festen, und auch die Speisung wohl fiele ihm zu aus Gemeindebesitz: staatlicher Lohn! ein Geschenk noch dazu, das ein Kleinod ihm wäre; siegte er gar mit dem Wagen, dann hätt’ er das alles zugleich – und wär’ doch dessen nicht so wert wie ich!“ (Übersetzung J. Latacz). 221  Sog. Prytaneion-Dekret (IG I3 131): „[Rat und Volk haben beschlossen:] (die Phyle) Erechtheis hat die P[rytanie, ---] war Sekretär, [--]thippos war Vorstand [der Volksversammlung], [--]ikles [hat den Antrag gestellt: Die Mahlzeiten] im Prytaneion sind traditionsgemäß (κ]ατὰ τὰ πάτρια) zunächst [für ---- (wahrscheinlich bestimmte Priester)]; dann für die Nachkommen von Harm[odios und Aristogei] ton, welche ihnen der Geburt nach am nächsten stehen, [wenn es keine ehelichen Söhne gibt]; für alle, die in der Vergangenheit von den Athenern [mit freien Mahlzeit]en (σίτεσ]ιν) belohnt wurden; auch [Personen], die Apollo in seinen Dienst genommen hat, [---] haben in derselben Art und Weise Recht auf Mahlzeiten (σίτεσιν), genau so wie diejenigen, die er in Zukunft noch [in Dienst nehmen wird]. [Diejenigen, die in Olympia,] Delphi, Isthmia oder Neme[a gesiegt haben oder in Zukunft siegen werden, haben ein Recht] auf Mahlzeiten (σίτεσιν) im Rathaus [und auf alle anderen Zuwendungen,] zusätzlich zur Mahlzeit (π]ρὸς τε�ι σιτέσει), entsprechend den [auf der] im Rathaus [aufgestellten Stele geschriebenen Bestimmungen]. Diejenigen, die [mit einem Gespann oder einem Reitpferd] in Olymp[ia, Delphi, Isthmia oder Nemea] gesiegt haben oder in Zukunft siegen werden, haben [auch ein Recht auf Mahlzeiten entsprechend den auf] der Stele geschriebenen Bestimmungen“ (Übersetzung aus: Quellen zum antiken Sport, griechisch, lateinisch und deutsch, hrsg., eingeleitet und erläutert von Peter Mauritsch, Werner Petermandl, Harry Willy Pleket, Ingomar Weiler, Darmstadt 2012, 293–295 Q210). Speisungen für siegreiche Athleten in hippischen Agonen in Olympia bezeugt auch Plat. Apol. 36d; parásitoi im Dienst des Apollon bezeugt Polemon in Athen. 6,26, p. 234e–f (F 85). Vgl. zur Inschrift auch Kyle 1987, 145–147; Papakonstantinou 2019, 70 f.

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hatten, noch einmal systematisch zusammengestellt, zu denen es frühere, an verschiedenen Orten aufgestellte Bestimmungen gab. Wie weit die Ehrungen für die Sieger in Wettkämpfen bei panhellenischen Spielen zeitlich zurückgehen, lässt sich an der Inschrift aber nicht erkennen. Fraglich ist indes, ob die Gewährung von Prämien für den Sieg in panhellenischen Wettkämpfen ein Bestandteil der solonischen Gesetze war.222 Bei Plutarch, der wichtigsten Quelle, steht die Regelung in Zusammenhang mit der Frage, welchen Wert die Drachme in solonischer Zeit hatte. Plutarch hatte sich darüber gewundert, dass der ergriffene Ehebrecher mit harten Strafen belegt war – er konnte eigenmächtig getötet werden, wenn er bei der Tat ergriffen worden war –, der Raub und die Vergewaltigung einer Frau dagegen mit hundert Drachmen, die dabei gewährte Unterstützung mit zwanzig Drachmen bestraft wurde. Diese Geldstrafen erscheinen ihm sehr milde zu sein, und er erwägt, ob dies an der damaligen Seltenheit des Geldes gelegen habe, so dass nur ihm die Geldstrafe gering erschien, die in der Zeit Solons viel schwerer wog. Um dies zu überprüfen, verweist er auf die Wertbemessung von Vermögen (τιμήματα τῶν οὐσιῶν), bei der ein Schaf und eine Drachme einem médimnos Getreide gleichgesetzt seien, sodann auf die Prämien für die Sieger in Wettkämpfen und für einen abgelieferten Wolf und einen jungen Wolf, den Wert eines Ochsen und eines Schafs nach Angaben des Demetrios von Phaleron und schließlich auf Wertangaben für auserlesene Opfertiere auf der sechzehnten Gesetzestafel Solons.223 Plutarch hat also offenbar Wertangaben aus unterschiedlichen Kontexten zusammengetragen. Die Wertäquivalenz könnte sich auf die Einziehung des Zehnten der Getreideernte beziehen, für den statt Getreide auch Schafe oder Drachmen entrichtet werden konnten. Aus dem Gesamtzusammenhang ist zu erschließen, dass alle Angaben aus solonischen, beziehungsweise vermeintlich solonischen Gesetzen oder aus späteren Kommentaren stammten. Für ein hohes Alter der Bestimmung über die Siegesprämien spricht, dass Plutarch allein solche für die isthmischen und die olympischen Spiele nennt – wobei auch die Reihenfolge auffällig ist224 –, wohingegen das inschriftlich erhaltene Gesetz aus dem 5. Jh. alle vier als panhellenisch etablierte Feste anführt.225 Da das inschriftlich erhaltene Gesetz auch die Ehrungen für die Nachfahren des Harmodios und Aristogeiton einbezieht, Ehrungen, die ursprüng-

222  Meister 2020, 270 schließt sich den Ausführungen von Christian Mann an und geht von einem Gesetz aus der ersten Hälfte des 6. Jh. aus. 223  Zur Relation von Drachme und Rohsilber Josine H. Blok, Solon’s Funerary Laws: Questions of Authenticity and Function, in: Josine H. Blok, André P. M. H. Lardinois (Hrsg.), Solon of Athens. New Historical and Philosophical Approaches, Leiden 2006, 197–247, hier 220–222. 224  Der spätere Diogenes Laertios nennt hingegen zuerst Olympioniken, anschießend die Sieger bei den isthmischen Spielen. 225  Dass Solon in der Diskussion bei Lukan. Anacharsis 9–13 als Gesprächspartner über die Sieges­ preise von panhellenischen Spielen auftritt, geht vermutlich auf die Tradition zurück, Solon habe für Athen die Prämien für Sieger in den olympischen und isthmischen Spielen festgelegt. Im Dialog werden alle vier panhellenischen Spiele und die Panathenäen genannt.

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lich auf einer spitz zulaufenden, hoch aufragenden Stele, einem kýrbis, festgehalten waren,226 und auch die Bestimmungen über die parásitoi im Dienst des Apollon auf den kýrbeis bezüglich der Deliasten (F 85) verzeichnet waren, ist gut möglich, dass auch die Ehrungen für die Wettkampfsieger ursprünglich auf den kýrbeis festgehalten waren. Ob diese kýrbeis auf Solon zurückgehen oder nur an der Wende vom 5. zum 4. Jh. für solonisch gehalten wurden, lässt sich nicht sicher bestimmen.227 Christian Mann war davon ausgegangen, dass die Prämien für Wettkampfsieger sicher nicht in den áxones aufgezeichnet waren. Delfim F. Leão und P. J. Rhodes haben die Fragmente unter F 89/1a–c in ihre Edition aufgenommen und zu den Bestimmungen über das parasiteín (F 85) gestellt. Da die panhellenischen Spiele in einem kultischen Kontext standen, ist es durchaus möglich, dass auf dem solonischen Opferkalender, zumindest in dessen revidierter Fassung, bei der auch weitere den Kult betreffenden Gesetze zusammengestellt worden waren, die Siegesprämien aufgeführt waren. Die erhaltenen Fragmente des revidierten Opferkalenders lassen erkennen, dass die kalendarisch aufgeführten Opfer unterteilt waren nach denjenigen, die jährlich, zweijährlich und vierjährlich zu vollziehen waren. Da sich in den Opferkalendern auch Wertangaben für das benötigte Holz und für die Speisungen des Kultpersonals finden, ist nicht auszuschließen, dass auch Siegesprämien aufgeführt waren.228 Ob in einem solchen Zusammenhang auch die Prämien für getötete Wölfe gehören, muss offen bleiben. Weil Wölfe Schafe und Ziegen rissen, waren sie von Bauern und Hirten gefürchtet. Hirten halfen sich gegenseitig bei der Abwehr von Wölfen und hielten dafür schnelle und starke Hunde.229 Finanziert wurden die Prämien vermutlich aus Einkünften aus dem Zehnten der Ernteerträge, die Siegesprämien eventuell auch aus den Erträgen heiliger Ölbäume, so wie es später bei den Panathenäischen Spielen üblich war.230

226  Auf einer attischen Vase mit dem Bild der Tyrannenmörder ist neben diesen eine hoch aufragende, spitz zulaufende Stele dargestellt, auf der vermutlich die Ehrungen verzeichnet waren (s. o. S. 26 f. mit Anm. 45). 227  Mann 2001, 76. 228  Als Bestandteil der solonischen Gesetze akzeptieren Hönle 1972, 56–59; Pleket 1974, 62 f.; Kyle 1987, 22; Gygax 2016, 89 und Papakonstantinou 2019, 70 die Gewährung von Prämien (nach Papakonstantinou seien die Beträge in Drachmen im späten 6. Jh. festgelegt worden); vgl. ebenso Bronisław Biliński, L’agonistica sportiva nella Grecia antica. Aspetti sociali e ispirazione letterarie, Roma 1961, 34 f.; Horst Buhmann, Der Sieg in Olympia und in den anderen Spielen, München 1972, 106; Thompson 1978; Marie-Madelaine Mactoux, Lois de Solon sur les esclaves et formation d’une société esclavagiste, in: Toru Yuge, Masaoki Doi (Hrsg.), Forms of Control and Subordination in Antiquity, Leiden 1988, 331– 354, hier 341 und Donald G. Kyle, Sport and Spectacle in the Ancient World, Malden 22014, 162. 229  Hom. Il. 11,72; 16,156–164; 16,352–355; 22,263 f.; Plat. rep. 415e; Xen. mem. 2,7,14; hipp. 4,8. Der Gott Apollon (Lykeios) galt als Wolfstöter (Soph. El. 6; Aristarch. bei Hesych. λ 1390 s. v. λυκοκτόνου θεοῦ: … ἔστι γὰρ ὁ λύκος ἱερὸν Ἀπόλλωνος). Dazu Fritz Graf, Nordionische Kulte. Religionsgeschichtliche und epigraphische Untersuchungen zu den Kulten von Chios, Erythrai, Klazomenai und Phokaia, Vervey 1985, 220–226. Ob dazu eine Beziehung bestand, bleibt aber fraglich. 230  S. o. F 76.

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Literatur C. M. Bowra, Xenophanes and the Olympic Games, in: AJP 59, 1938, 263–266; Augusta Hönle, Olympia in der Politik der griechischen Staatenwelt, Bebenhausen 1972; Henri W. Pleket, Zur Soziologie des antiken Sports, in: MNIR 36, 1974, 57–87; James G. Thompson, Solon on Athletics, in: Journal of Sport History 5, 1978, 23–29; Ingomar Weiler, Einige Bemerkungen zu Solons Olympionikengesetz, in: Paul Händel, Wolfgang Meid (Hrsg.), Festschrift für Robert Muth, Innsbruck 1983, 573–582; Donald G. Kyle, Solon and Athletics, in: AncW 19, 1984, 91–105; ders., Athletics in Ancient Athens, Leiden 1987, 21 f.; ders., Gifts and Glory. Panathenaic and other Greek Athletic Prizes, in: J. Neils (Hrsg.), Worshipping Athena. Panathenaia and Parthenon, Madison – London 1996, 106–136; Christian Mann, Athlet und Polis im archaischen und frühklassischen Griechenland, Göttingen 2001, 70–81; Marc Domingo Gygax, Benefaction and Rewards in the Ancient Greek City. The Origins of Euergetism, London 2016, 88–90; Zinon Papakonstantinou, Sport and Identity in Ancient Greece, London – New York 2019, 69–71; Jan B. Meister, ‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und klassischen Griechenland, Stuttgart 2020, 268–271.

Prämien für Sieger bei den olympischen und isthmischen Spielen (F 88) F 88 Prämien für Wettkampfsieger (F 88a: T 483 Martina; F 143c Ruschenbusch; F 89/1c Leão/Rhodes; F 88b: T 484a Martina; F 143a Ruschenbusch; F 89/1a Leão/Rhodes; F 88c: T 484b Martina; F 143b Ruschenbusch; F 89/1b Leão/Rhodes)

F 88a: Diodor, Bibliotheke 9,2,5 (augusteische Zeit) Ὅτι ὁ Σόλων ἡγεῖτο τοὺς μὲν πύκτας καὶ σταδιεῖς καὶ τοὺς ἄλλους ἀθλητὰς μηδὲν ἀξιόλογον συμβάλλεσθαι ταῖς πόλεσι πρὸς σωτηρίαν, τοὺς δὲ φρονήσει καὶ ἀρετῇ διαφέροντας μόνους δύνασθαι τὰς πατρίδας ἐν τοῖς κινδύνοις διαφυλάττειν. App. crit.:

Solon meinte, dass die Faustkämpfer, Stadionläufer und die anderen Athleten für die Sicherheit der Städte keinen bedeutenden Nutzen stifteten, sondern nur diejenigen, die durch Einsicht (phrónēsis) und Tüchtigkeit (aretḗ) hervorragten, um ihre Heimatstädte in Gefahren zu schützen.

F 88b: Plutarch, Solon 23,3 (um 100 n. Chr.) (2) τὸ δ’ αὐτὸ πρᾶγμα ποτὲ μὲν πικρῶς καὶ ἀπαραιτήτως κολάζειν, ποτὲ δ’ εὐκόλως καὶ παίζοντα, πρόστιμον ζημίαν τὴν τυχοῦσαν ὁρίσαντα, ἄλογόν ἐστι· πλὴν εἰ μὴ σπανίζοντος τότε τοῦ νομίσματος ἐν τῇ πόλει μεγάλας ἐποίει τὰς ἀργυρικὰς ζημίας τὸ δυσπόριστον. (3) εἰς μέν γε τὰ τιμήματα τῶν οὐσιῶν λογίζεται πρόβατον καὶ δραχμὴν ἀντὶ μεδίμνου, τῷ δ’ Ἴσθμια νικήσαντι δραχμὰς ἑκατὸν ἔταξε δίδοσθαι, τῷ δ’ Ὀλυμπιονίκῃ πεντακοσίας, λύκον δὲ τῷ κομίσαντι πέντε δραχμάς, λυκιδέα δὲ μίαν, ὧν φησιν ὁ Φαληρεὺς Δημήτριος (fr. 147 Wehrli) τὸ μὲν βοὸς εἶναι, τὸ δὲ προβάτου τιμήν. (4) ἃς γὰρ ἐν τῷ ἑκκαιδεκάτῳ τῶν ἀξόνων ὁρίζει τιμὰς τῶν ἐκκρίτων ἱερείων, εἰκὸς μὲν εἶναι πολλαπλασίας, ἄλλως δὲ κἀκεῖναι πρὸς τὰς νῦν εὐτελεῖς εἰσιν.

Prämien für Sieger in sportlichen Wettkämpfen (F 88)

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App. crit.: θυσιῶν codd.: οὐσιῶν Wilcken

(2) Denn dieselbe Tat bald hart und unerbittlich zu bestrafen, bald milde und wie zum Scherz, indem man eine mäßige Geldbuße darauf setzt, das ist doch widersinnig; es sei denn, dass bei der damaligen Seltenheit des Geldes in der Stadt die Schwierigkeit der Beschaffung desselben die Geldstrafen schwer machte. (3) So rechnet er bei der Wertmessung (timḗmata) der Dinge [oder: der Opfer] ein Schaf und eine Drachme gleich einem médimnos [Getreide]. Dem Sieger bei den Isthmien sollten einhundert Drachmen gegeben werden, so setzte er fest, dem Olympioniken fünfhundert; wer einen Wolf brachte, bekam fünf Drachmen, wer einen Jungwolf eine Drachme, von denen der eine – so sagt Demetrios von Phaleron – der Wert (timḗ) eines Ochsen, der andere der eines Schafes ist. (4) Die Wertangaben, die er auf der sechzehnten der Gesetzestafeln (áxones) für auserlesene Opfertiere (hiereía) ansetzt, sind aber im Vergleich zu den heutigen auch noch niedrig (F 81a).

F 88c: Diogenes Laertios, Vitae philosophorum 1,55 (3. Jh. n. Chr.) συνέστειλε δὲ καὶ τὰς τιμὰς τῶν ἐν ἀγῶσιν ἀθλητῶν, Ὀλυμπιονίκῃ μὲν τάξας πεντακοσίας δραχμάς, Ἰσθμιονίκῃ δὲ ἑκατόν, καὶ ἀνὰ λόγον ἐπὶ τῶν ἄλλων· ἀπειρόκαλον γὰρ τὸ ἐξαίρειν τὰς τούτων τιμάς, ἀλλὰ μόνων ἐκείνων τῶν ἐν πολέμοις τελευτησάντων, ὧν καὶ τοὺς υἱοὺς δημοσίᾳ τρέφεσθαι καὶ παιδεύεσθαι. App. crit.: ἀγῶσιν rg, ἀγῶνι a.

Auch die Auszeichnungen (timaí) der Athleten in Wettkämpfen beschränkte er [Solon], indem er für den Olympioniken fünfhundert, für den Sieger bei den Isthmien hundert Drachmen festlegte und in gleichem Verhältnis für die anderen. Denn es sei unangemessen, deren Auszeichnungen noch höher anzusetzen als für allein jene, die im Krieg gefallen sind; auch deren Söhne sollen ja auf öffentliche Kosten (dēmosía) unterhalten und erzogen werden.

Diodor verweist zwar nicht ausdrücklich auf ein Gesetz Solons, doch der negative Tenor gegenüber Athleten prägt auch die Ausführungen des Diogenes Laertios, so dass eine gemeinsame Quelle vorausgesetzt werden kann. Diogenes führt dies in 1,56 noch weiter aus, wenn er mit Polyzelos, Kynaigeiros, Kallimachos und allen anderen Marathonkämpfern, mit Harmodios und Aristogeiton sowie Miltiades Personen nennt, die sich in Kriegen oder beim Sturz der Tyrannen verdient gemacht hatten. Demgegenüber erfordere das Training der Athleten einen großen Aufwand der Stadt, und sie würden mehr zum Nachteil als zum Vorteil des Vaterlands mit Kränzen geehrt. Deswegen habe Solon bei ihrer Ehrung Zurückhaltung geübt. Mit ihrer kritischen Haltung gegenüber Athleten und den Siegern in panhellenischen Spielen folgen diese Autoren dem Xenophanes von Kolophon, der einen Sieg in Olympia für weniger wert erachtet als seine eigene Leistung. Denn die Athleten hätten sich allein durch eigene körperliche Kraft oder die ihrer Pferde ausgezeichnet, er aber durch Geisteskraft (σοφίη). Unangemessen und ungerecht sei es, wenn Sieger beim Laufen, Ringen, Boxen oder im Fünfkampf mit Ehrenplätzen, öffentlichen Speisungen und Geschenken allein für ihre Kraft geehrt würden, damit aber keinen Beitrag dazu leisten würden, die

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Stadt zu einer guten Ordnung zu bringen.231 Daher hätte die Stadt nur geringen Grund, sich über einen Sieg eines Athleten in Olympia zu freuen; die Vorratskammern der Stadt mache dies nicht voll.232 Es ist nicht auszuschließen, dass Diodor und Diogenes Laertios dieses Gedicht des Xenophanes vor Augen hatten und vor diesem Hintergrund die Festsetzung von Prämien durch Solon als Beschränkung der Siegesprämien werteten.233 Dass es Solon aber um eine Beschränkung der Prämien ging, ist wenig wahrscheinlich; es ist vielmehr davon auszugehen, dass durch die Regelung die Sieger gebührend geehrt, sie gleichzeitig in die Polis eingebunden werden sollten.234 Die Festlegung von Prämien könnte damit eine Reaktion auf den Versuch des Olympiasiegers Kylon sein, der dieses Prestige dazu genutzt hatte, die Akropolis zu besetzen und eine Tyrannis zu errichten.235 Dies würde implizieren, dass erst von Solon entsprechende Ehrungen eingeführt wurden.236 Die These von D. C. Young und Karl-Wilhelm Weeber, wonach durch die ausgesetzten Prämien sportliche Talente der Unterschicht hätten gefördert werden sollen, ist von Christian Mann zu Recht als anachronistisch zurückgewiesen worden, da aus vorhellenistischer Zeit keine Sportförderung zugunsten nicht der Oberschicht angehöriger Personen von Seiten der Polis belegt sei. Die Prämien seien vielmehr ein offizielles Ehrengeschenk, ein géras, gewesen, mit dem die Polisgemeinschaft die Verdienste des einzelnen Athleten gewürdigt habe.237

231  Xenophanes F 2 Gentili-Prato (2 West, VS 21 B 2 Diels-Kranz) Z. 11–19: ἐν εὐνομίηι πόλις εἴη (Z. 19). 232  Ebd. Z. 20–22: σμικρὸν δ’ ἄν τι πόλει χάρμα γένοιτ’ ἐπὶ τῶι, εἴ τις ἀεθλεύων νικῶι Πίσαο παρ’ ὄχθας· οὐ γὰρ πιαίνει ταῦτα μυχοὺς πόλεως. 233  Vgl. Mann 2001, 75 f. zur Frage, ob sich in den Äußerungen Diodors und Diogenes’ eine hellenistisch-römische Kritik am griechischen Sport zeige: „Außerdem ist durch die Gedichte des Tyrtaios und des Xenophanes hinlänglich belegt, daß Kritik an übergroßen Ehren für Olympiasieger auch in vorhellenistischer Zeit keine Rarität darstellt“ (76; vgl. Gygax 2016, 88; Papakonstantinou 2019, 70; Meister 2020, 270 f.). Vgl. mit ähnlichem Tenor auch Plat. Apol. 36d–e. 234  Zu dieser Frage siehe die Diskussion bei Mann 2001, 74–80 (vgl. Hönle 1972, 56–59; Thompson 1978, 25–27; Kyle 1987, 22, 30; Gygax 2016, 89–91, 136; Meister 2020,270). Ich folge dabei nicht der These von Christian Mann, dass Plutarch die Prämien in einem Zusammenhang mit „‚finanziellen Sparmaßnahmen‘“ aufgeführt hat und daher die höhere Plausibilität dafür spreche, von einer Beschränkung der Prämie durch das solonische Gesetz auszugehen (77; ebenso Thompson 1978, 26; Meister 2020, 268 f.). Dass mit dem Sieger in einem panhellenischen Agon auch die Stadt geehrt wird, bezeugt Xen. in mem. 3,7,1. 235  So auch Hönle 1968, 58; Ebert 1972, 10 f.; Pleket 1974, 62 f. und Kyle 1987, 22, dem Mann 2001, 78–80 und Gygax 2016, 89–91 weitgehend folgen. Ein Zusammenhang mit der angeblichen solonischen ‚Luxusgesetzgebung‘, wie ihn Thompson 1978, 25 ff. und ihm folgend Mann 2001, 79 f. postuliert, sehe ich hingegen nicht. 236  Dies hatte Weiler 1983 in Zweifel gezogen. Für eine erste Festsetzung durch Solon sprechen sich Hönle 1968, 58 und Kyle 1987, 22 aus. 237  Mann 2001, 77 f. (ebenso Weiler 1983, 578 f.) gegen Karl-Wilhelm Weeber, Die unheiligen Spiele. Das antike Olympia zwischen Legende und Wirklichkeit, München – Zürich 1991, 81 und David C. Young, The Olympic Myth of Greek Amateur Athletics, Chicago 1984, 130 ff.

Historische Einordnung – Gesetz über die Bestattung der Toten (F 89)

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VI 4 Gesetz über die Bestattung der Toten Abstract: Bestattungsgesetze in vielen griechischen Städten und auch in Rom zielten auf eine Mäßigung, um die Lebensgrundlage der Überlebenden nicht über Gebühr zu beeinträchtigen. In dieser Mäßigung erkennt man noch das Bedürfnis, dem Toten seine Trauer zu zeigen, um ihn zufrieden zu stellen und eine schädigende Wirkung aus dem Jenseits heraus zu verhindern. Eine übertrieben zur Schau gestellte Trauer aber konnte die Angehörigen in existenzielle Schwierigkeiten bringen, wenn sie den Pflugochsen am Grab oder landwirtschaftliche Flächen opferten oder Erzeugnisse des Hauses zerstörten oder dem Verstorbenen mit ins Grab gaben. Diese Mäßigung sollten die Angehörigen außerdem bei anderen Trauerformen an den Tag legen, denn eine Angst vor dem Toten sei unbegründet. So sollten sich Frauen nicht Wangen oder Brüste zerkratzen, sich keine Wunden schlagen. Man sollte zwar um den Toten klagen, aber keine kunstvollen Trauergesänge aufführen lassen. Die frühen athenischen Bestattungsgesetze richten sich also mehr auf die Mäßigung und Angemessenheit der Trauergesten und -formen im Verhältnis zwischen Lebenden und Toten und nicht so sehr auf eine Aufwandsbeschränkung, mit der soziale Konkurrenz und ein demonstratives Zurschaustellen von Reichtum unterbunden werden sollten

Historische Einordnung Charakteristisch für Bestattungen im antiken Griechenland sind die Aufbahrung des Toten im Haus, die próthesis, und das feierliche Hinausbringen des Leichnams zum Grab, die ekphorá, an die sich ein Totenmahl am Grab anschloss. Bereits auf geometrischen Vasen des 10.–8. Jh. sind próthesis und ekphorá häufig dargestellt; denn es handelt sich vielfach um Gefäße, die am Grab aufgestellt oder ins Grab gegeben wurden: Der Tote ist auf eine Bahre gebettet, von Männern und Frauen umgeben, die im Trauergestus die Hände erhoben haben. Die Totenklage wird angestimmt, vorrangig von Frauen, die mit rituellen Schreien, der ololygḗ, den Toten hinausbegleiten. Klagefrauen reihen sich in den Zug ein, zerkratzen sich Gesicht, Hals und Brüste. Auf Vasen der archaischen Zeit ist das Wundenschlagen (κοπετός), das Zerkratzen von Wangen, Hals und Brüsten und das Haareraufen deutlich zu erkennen. Man sieht, wie Blut aus den Wunden fließt, und selbst noch auf den weißen Lekythen des 5. Jh., die auf dem Grab aufgestellt waren, sind unüberwindbar scheinende Trauer, Wehklagen der Frauen und Entstellungen der körperlichen Schönheit dargestellt.238

238 Zu próthesis und ekphorá und den Darstellungen auf Artefakten Manolis Andronikos, Totenkult. Archaeologia Homerica III W, Göttingen 1968, 7–9; 18; 43–51; Gudrun Ahlberg, Prothesis and Ekphora in Greek Geometric Art, Göteborg 1971; Alexiou 1974, 10–12; Garland 1981, 71–76; Wickert-Micknat 1982, 18–22; Kurtz/Boardman 1985; Siurla-Theodoridou 1989, 14–67; 196–228; Luca Giuliani, Tragik, Trauer und Trost. Bildervasen für eine apulische Totenfeier, Berlin 1995; Wilhelm Kierdorf, Art. Bestattung, in:

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Die Bestattungsgesetze Athens und anderer griechischer Poleis, wie sie aus archaischer und klassischer Zeit überliefert sind, teils in literarischen Quellen, teils auf Inschriften, sind in unterschiedlicher Weise interpretiert worden.239 Am häufigsten findet sich die Erklärung, dass es sich dabei um Gesetze zur Beschränkung des Aufwands, um ‚Luxusbeschränkungsgesetze‘ handle.240 In der angespannten politischen Lage in solonischer Zeit hätten kostspielige Beerdigungsfeiern mit reichen Grabbeigaben Zündstoff für neue Konflikte sein können. Der durch die Aufhebung der Schuldhaftung und durch das Verbot des Zugriffs auf die Person des Schuldners erreichte Neuanfang sollte nicht durch demonstrativ zur Schau gestellten Reichtum gefährdet werden.241 Die Bestattungsgesetzgebung habe daher einen antiaristokratischen Charakter, eine Meinung, die von vielen Forschern geteilt wird.242 Einen Schritt weiter geht Margaret Alexiou, die das Gesetz von Iulis auf ein konkretes historisches Ereignis beziehen möchte, nämlich auf das offene Zutagetreten antioligarchischer Bestrebungen, die zum Exil der Bakchyliden von Keos im Jahre 468 führten. Das Gesetz sei Teil der antioligarchischen Agitation gewesen. Robert Garland wandte dagegen ein, dass sich mehrere Klauseln des Gesetzes damit nicht erklären lassen.243 Ein anderer Erklärungsansatz geht dahin, Solon habe als Gesetzgeber einen übertriebenen Grabluxus verboten, um zu verhindern, dass sich viele Familien selbst rui-

DNP 2, 1997, 589–590. Eindrucksvoll sind die Schilderungen von Trauersitten in der Ilias, so die Trauer Achills um den Tod des Freundes Patroklos und die des Priamos um seinen gefallenen Sohn Hektor (Hom. Il. 24,613; 618–620; 639–642). Als Achill von Patroklos’ Tod erfährt, nimmt er mit beiden Händen rußigen Staub vom Boden auf und schüttet ihn sich über das Haupt. Seine Kleidung bedeckt er mit schwarzer Asche. Er wirft sich in den Staub und rauft sich das Haar. Die Mägde laufen herbei und schreien auf, schlagen sich die Brüste. Thetis, Achills Mutter, schreit hell auf und beginnt mit den Nereïden des Meeres die Totenklage. Auch sie entstellten ihre Körper durch Wunden (Hom. Il. 18,22–51). Andere enthalten sich in der Trauer der Aufnahme von Speise und Trank (Hom. Il. 19,209 f.; 304–308; 319 f.; 24,129; 641 f.) oder vernachlässigen die Körperpflege (Hom. Il. 23,40–48), scheren sich das Haar (Hom. Il. 23,46; 135; 141; 151 f.), rufen Sänger herbei, die kunstvolle Klagelieder vortragen (Hom. Il. 24,720–722), und reihum stimmen die Versammelten die Totenklage an. Annie Schnapp-Gourbeillon, Les funérailles de Patrocle, in: Gherardo Guoli, Jean-Pierre Vernant (Hrsg.), La mort, les morts dans les sociétés anciennes, Cambridge 1982, 77–88. 239  Ein Überblick bei Schmitz 2004, 169–189. 240  Eine Zusammenstellung der in der Literatur diskutierten Ziele der Gesetzgebung bei Siurla-Theodoridou 1989, 330–335; Seaford 1994, 78–86; Engels 1998, 21–47 und Blok 2006, 197–199. 241  Will 1955, 513 f.; Nilsson 1967, 1,714; Donna C. Kurtz, Athenian White Lekythoi, Oxford 1975, XIX– XX; 136. Garland 1981, 79 versteht gerade die Beschränkung auf tria recinia bzw. ἱμάτια τρία als „sumptuary provisions“ (siehe bes. S. 84 ff. mit Hinweis auf die Beschränkungen der Kosten für die Leichentücher in Iulis und Delphi); Siurla-Theodoridou 1989, 300. Als Gesetze zur Beschränkung von Luxus und Prachtentfaltung auch Ampolo 1984; Stein-Hölkeskamp 1989, 117; de Schutter 1989, 55; 61; Ilias Arnaoutoglou, Ancient Greek Laws. A Sourcebook, London – New York 1998, 143; Hölkeskamp 1999, 65; 222; 263 f. 242  Harry W. Pleket, The Archaic Tyrannis, in: Talanta 1, 1969, 19–61, hier 49 f.; Stupperich 1977, 73; David B. Small, Monuments, Laws, and Analysis: Combining Archaeology and Text in Ancient Athens, in: ders. (Hrsg.), Methods in the Mediterranean. Historical and Archaeological Views on Texts and Archaeology, Leiden 1995, 143–174, hier 166. 243  Alexiou 1974, 14–23, bes. 15; Garland 1989, 13.

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nierten, indem sie mit aufwendigen Bestattungen und Grabstatuen eine soziale Stellung darstellen wollten, die ihre wirtschaftliche Grundlage eigentlich nicht zuließ. Das Gesetz wäre in diesem Fall in seiner Tendenz nicht antiaristokratisch, sondern erfüllte zunächst ein Eigeninteresse der Aristokraten, zumindest einer mittleren und unteren Schicht von Aristokraten, und wohl auch eines aufstrebenden Bauerntums.244 In eine ähnliche Richtung geht die Interpretation von Walter Eder: Ziel der Bestattungsgesetze sei es gewesen, die Homogenität der aristokratischen Gruppe zu stärken, indem eine Gelegenheit, durch ostentativen Aufwand politischen Einfluss zu gewinnen, beschnitten wurde.245 Anderen zufolge sei es das Ziel der Gesetze gewesen, insgesamt Gewalttätigkeiten und Unruhen einzudämmen: War eine Person gewaltsam getötet worden, konnte durch eine demonstrativ zur Schau gestellte Trauer der Wille zur Rache gestärkt werden. Begräbnisse und Trauerriten könnten so Spaltungen und Faktionsbildungen innerhalb der Bürgerschaft oder innerhalb der Aristokratie gefördert haben.246 Das Gesetz habe also zur Befriedung von Spannungen zwischen einzelnen Familien beigetragen und damit eine Aussöhnung z. B. durch Leistung einer Bußzahlung gefördert. Ein weiterer Erklärungsansatz stellt die Gesetze in einen religiös-politischen Zusammenhang. Sie hätten nämlich zum Ziel gehabt, die Entstehung eines starken privaten Ahnenkultes einzudämmen.247 Damit wird eine Verbindung hergestellt zu Maßnahmen des Tyrannen Peisistratos und des Kleisthenes, die lokale Kulte und solche einzelner Familien zurückgedrängt oder in zentrale Kulte der Polis Athen umgewandelt haben sollen mit der Absicht, den Einfluss reicher Aristokraten zu mindern.248 Josine H. Blok schließlich lehnt eine solch politisch motivierte Gesetzgebung Solons ab 244  Garland 1989, 8 (vgl. 1 f.), glaubt, dass dies nicht als eine zentrale Ursache der Gesetzgebung anzusehen ist: „Demetrios’ legislation, at least in the form in which it has come down to us, is the only example of its kind to which the description ‚sumptuary‘ can legitimately be applied, its primary aim in Ferguson’s somewhat colourful phrasing being ‚to save the middle-class Athenian citizens from ruining themselves‘.“ 245  Eder 1986, 293 mit Anm. 69; 296 mit Anm. 79. 246  Bereits Plutarch hatte die athenischen Bestattungsgesetze in einen engen Zusammenhang mit dem kylonischen Frevel gestellt. Dies als eine von mehreren möglichen Ursachen bei Alexiou 1974, 21 f.; Garland 1989, 1 f.; 4 f.: „The clear implication behind Plutarch’s remark is that funerals were being used to foment jealous rivalries between kin groups“. Vgl. Seaford 1994, 78–92; 164–166. Garland 1981, 99: „Clearly the danger that lies at the heart of the matter is this: the emotional effect of women’s traditional mourning might be to inspire crowds of partisans to spontaneous disturbances during the funerals of controversial figures. Traditional mourning by women could have significant political effects in these cases“. 247  So Alexiou 1974, 18 f.; Garland 1981, 90 bzgl. des Gesetzes von Thasos: „The first step in the development of a private cult, would have been the magnificant spectacle associated with the burial of an important man“; ebenso 98 f. Garland sieht darin eines der Hauptziele der Gesetze. 248  Z. B. Aristot. pol. 6,4, 1319b 19–27. Dazu Frank J. Frost, Peisistratos, the Cults and the Unification of Attica, in: AncW 21, 1990, 3–9. Auf einer allgemeinen Ebene bleibt der Interpretationsansatz, dass Solon die Bestattung zu einer alleinigen Angelegenheit des Oikos machen wollte, um so den Oikos als Grundeinheit der Polis zu stärken (Siurla-Theodoridou 1989, 326 f.; 331–333; vgl. MacDowell 1978, 109).

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und fasst die Gesetze als Regelungen auf, die die Beziehungen zwischen den Toten und den Lebenden regulierten, indem sie bei der Bestattung eine Mäßigung auferlegten und verhindern sollten, dass eine mit dem Tod verbundene Befleckung der Angehörigen auf die Polis übergeht. Die Welt der Toten sollte von der Welt der Lebenden getrennt werden.249 Vielen Erklärungen ist gemeinsam, dass es letztendlich politische Motive sein sollen, die zu der Gesetzgebung geführt haben: Vorherrschend sei stets das Bestreben gewesen, politische Spannungen, die in dieser Zeit besonders virulent waren, abzubauen oder die Polis gegenüber partikularen Interessen zu stärken und so den sozialen Frieden zu sichern.250 Diese Erklärungen bleiben aber insofern unbefriedigend, als immer nur einzelne Bestimmungen der Gesetze damit sinnvoll gedeutet werden können; andere Bestandteile bleiben dabei unberücksichtigt. Wurde eine bestimmte Farbe der Trauerkleidung wirklich deswegen vorgeschrieben, um kostspielige buntgeschmückte Kleidung zu unterbinden? Warum hatte die Kleidung sauber zu sein? Warum sollte nach dem Gesetz von Iulis der tote Körper nicht vollständig mit dem Leichentuch bedeckt sein, sondern der Kopf frei bleiben?251 Wie erklärt sich die Ambivalenz in den Gesetzen, dass auf der einen Seite bestimmte Trauersitten vorgeschrieben, auf der anderen Seite andere Trauersitten verboten wurden? Robert Garlands Zusammenstellung griechischer Bestattungsgesetze mündet denn schließlich in eine Aporie. Für einige Gesetze können politische Motive, für andere kultische Gründe herangezogen werden. Bestimmte Reinigungsriten waren einzuhalten, aber auch Aberglaube und Vorstellungen über Seelenwanderungen und hygienische Gründe werden eine Rolle gespielt haben.252 Trotzdem hält Garland daran fest, dass letztendlich politische Motive ausschlaggebend waren, die zu den Bestattungsgesetzen führten.253 Bedenklich

249  Blok 2006, 199 und 230–240. Für eine politisch motivierte Gesetzgebung hinsichtlich der Bestattung sieht sie keine hinreichenden Belege in den antiken Quellen. Auch seien es keine Luxusbeschränkungsgesetze gewesen (ebd. 226–229). 250  Garland 1989, 12: „The primary intention behind the Iulis law, like the Solonian legislation, seems to have been to prevent the death of a member of one’s family from being exploited for political effect.“ Ebenso Engels 1998, 96. Nach Stefan Link, Zur archaischen Gesetzgebung in Katane und im epizephyrischen Lokroi, in: Hans-Joachim Gehrke (Hrsg.), Rechtskodifizierung und soziale Normen im interkulturellen Vergleich, Tübingen 1994, 165–177 hingegen würden beide Deutungsmuster, das ‚aristokratische‘ und das ‚demokratische‘, dem Anspruch auf allgemeine Gültigkeit nicht gerecht. Das Motiv für die frühen Gesetzeskodifikationen war kein herrschafts- oder sozialpolitisches, sondern das gemeinsame Wohl aller und eine gemeinsame Identität. 251  So die überzeugende Deutung dieser Zeile bei Sokolowski 1969, 97 Z. 7; missverstanden bei Mary R. Lefkowitz, Maureen B. Fant, Women’s Life in Greece and Rome. A Source Book in Translation, Baltimore 21992, Nr. 77. 252  Garland 1989, 13: „What we seem to be dealing with in clauses 7, 11 and 13 [des Gesetzes von Iulis] is a quite separate, apolitical legislative drive intended to outlaw certain burial practices which for reasons that are wholly obscure were judged to be improper or antisocial. Further than that it is impossible to go, …“. 253  Garland 1989, 15.

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gegenüber diesen Deutungen stimmt allerdings der Beitrag von Mark Toher, der sich in einem neueren Aufsatz über die römischen Bestattungsgesetze gegen eine politische Interpretation solcher Gesetze gewandt hat. Es gäbe in den Gesetzen selbst keine Hinweise auf politische Intentionen, und es falle auf, dass weder Platon noch Cicero bei ihren Ausführungen zu den Bestattungsgesetzen solche Überlegungen in Betracht ziehen.254 Vergleichende, ethnologische Untersuchungen zeigen, dass Trauersitten vielfach aus dem Bedürfnis gespeist sind, dem Toten die Trauer zu demonstrieren.255 Dies bringt Praktiken einer künstlich übersteigerten Trauer hervor, der es an innerer Anteilnahme fehlt, wie es zum Beispiel bei gemieteten Klagefrauen der Fall ist. Auch laute Trauerklagen und lange Trauerzeiten sind Hinweise auf eine übersteigerte Trauer, die dem Toten gegenüber zur Schau gestellt wird.256 Die verschiedenen Formen der rituellen, künstlichen, übersteigerten und demonstrativen Trauer verfolgen vorrangig das Ziel, dem Verstorbenen den Schmerz der Angehörigen über dessen Tod zu beweisen, aus der Angst heraus, die man vor der zerstörerischen Macht des Toten und den Unterweltsmächten hatte.257 Deshalb entstellte man sein Äußeres, bewarf sich mit Schmutz und Asche, verzichtete auf Speise, Trank und Schlaf, zerschlug das Geschirr, war bereit, dem Vater oder dem Freund in den Tod zu folgen, weil das Leben keinen Sinn mehr hatte. So war man bereit, den Pflugochsen zu opfern, den man doch für den Hof so dringend benötigte. Die schriftlich fixierten Regeln zu Tod und Bestattung weisen darauf hin, dass die Angst vor dem Toten abgebaut wurde; die als übertrieben empfundenen Trauerformen wurden untersagt.258 Die Ambivalenz in den Bestattungsgesetzen erklärt sich also 254  Toher 1986, 306: „It is the thesis of this paper that ancient funerary and sumptuary laws must be seen as related, but clearly different, categories. Their function and purpose were not necessarily identical. Practically all the political explanations of funerary legislation mentioned above are unwarranted and unsupported by any ancient evidence. A close examination of the content, context, and circumstances of all the relevant funerary laws in the Graeco-Roman world reveals that they had little, if anything, to do with political considerations“. Ähnlich ebd. 312; 320; in Bezug auf Platon und Cicero ebd. 315 f.: „Plato’s Nomoi and Cicero’s De legibus provide a good deal of material for speculation about the motivation behind such funerary legislation, but in no place do they provide good evidence that, either in their own time or in the archaic period, political factors entered into the issue. The predominant considerations were religious scruple and ancestral precedent.“ Ablehnend steht auch Jevons 1895, 247, einer Erklärung als Luxusbeschränkungsgesetze gegenüber. Ebenso Toher 1991, 160. 255  Dazu Schmitz 2004, 175–185. 256  Siehe dazu vor allem Meuli 1946, 91–109 (= ders., Schriften 1,333–351); Seaford 1994, 86–92. 257  Schon Jevons 1895 suchte den Sinn der Bestattungsgesetze in einer Änderung im Brauchtum, das ursprünglich darauf gerichtet war, die Rückkehr des Toten zu verhindern. Ähnlich auch Meuli 1946, 109 (ders., Schriften 1,350); ders., Drei Grundzüge des Totenglaubens, in: ders., Schriften 1,303–331; Alexiou 1974, 9; Stupperich 1977, 57 f.; Garland 1985, 4–6, und Siurla-Theodoridou 1989, 145. Für Rom: Hugh Lindsay, Death-Pollution and Funerals in the City of Rome, in: Valerie M. Hope, Eireann Marshall (Hrsg.), Death and Disease in the Ancient City, London – New York 2000, 152–173, hier 152. 258  Die Überwindung der Angst vor dem Toten zeigt sich z. B. in der Bestimmung des Spartaners Lykurg, der Bestattungen innerhalb der Stadt und die Errichtung von Grabmalen bei den Heiligtümern

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dadurch, dass auf der einen Seite die Trauer der Angehörigen, die eine echte und wahrhaft empfundene war oder doch sein sollte, als sittliche Verpflichtung festgeschrieben wurde, auf der anderen Seite jegliche Übertreibung und zur Schau gestellte unechte Trauer von Nichtbeteiligten als unangemessen abgelehnt wurde. Dass es dabei von Stadt zu Stadt unterschiedliche Ansichten gab, wo die Grenze des rechten Maßes lag, wird nicht erstaunen.259 Die einzelnen Bestimmungen der Bestattungsgesetze lassen sich in diesen Zusammenhang gut einordnen. Da die próthesis innerhalb des Hauses stattfand, war dieser Teil der Bestattung für demonstrative Trauerbezeugungen von Nichtangehörigen wenig geeignet. Bei der próthesis wurde der Tote allein im Kreis der Familie betrauert. Daher war die próthesis von einer gesetzlichen Regelung ausdrücklich nicht erfasst. Der entscheidende Punkt bei dieser Bestimmung des athenischen Gesetzes ist nicht, dass die Totenklage bei der próthesis in das Innere des Hauses verwiesen wurde, um eine öffentliche Klage zu unterbinden. Die próthesis fand auch vorher innerhalb des Hauses statt: Priamos beging die Trauerklage um Hektor „innerhalb der Umzäunung des Hofes“, „in den Hallen“.260 Es ging auch nicht darum, die Dauer der próthesis gegenüber der ‚homerischen Trauersitte‘ auf einen Tag zu begrenzen, indem für den nächsten Tag die ekphorá vorgeschrieben wurde. Die langen Trauerzeiten für Hektor und Achill sind schon in der homerischen Gesellschaft Ausnahmen für basileís, wie sie in Sparta und Megara bis in klassische Zeit weiterbestanden. Patroklos wurde in der Nacht nach seinem Tod auf das Totenbett gelegt, am folgenden Tag und in der folgenden Nacht aufgebahrt und am dritten Tag bestattet. Während der próthesis hielt man Totenwache, verzichtete also auf Essen, Trinken und Schlaf und zeigte so dem Toten seine Trauer durch Vernachlässigung der körperlichen Bedürfnisse.261 Die eintägige ausdrücklich erlaubte. Plutarch schreibt diesem Gesetz bereits den Sinn zu, dass Lykurgos damit alle Dämonenangst (δεισιδαιμονία) beseitigte. Sich in die Nähe eines Grabes zu begeben, brachte keine Befleckung (Plut. Lykurg. 27,1–2; inst. Lac. 18 [mor. 238d]; zu den spartanischen Bestattungsgesetzen Noethlichs 1979/80, 109; Garland 1989, 13 f.; Toher 1991, 169–173). 259  Zusammengestellt sind die Quellen zu Bestattungsgesetzen bei Garland 1981, 1–7, 71–105; Toher, 1986, 306–309, 316–318; ders. 1991; Seaford 1994, 74–78, und umfassend bei Garland 1989, 1–15; Engels 1998 und Blok 2006, 200–210. Vgl. Jevons 1895, 247–250; William R. Halliday, The Greek Questions of Plutarch, Oxford 1928, 121; Alexiou 1974, 14–23; Garland 1985, 21–47; Ampolo 1984; Siurla-Theodoridou 1989, 328–330; de Schutter 1989; Loraux 1992, 36–45; Hölkeskamp 1999, 146 f. Siehe auch die Bibliographie von Herfort-Koch 1992. 260  Hom. Il. 24,640; 664 (siehe auch die folgende Anm.). Für die archaische Zeit geben die Vasendarstellungen Hinweise auf die Aufbahrung des Toten im Haus (Siurla-Theodoridou 1989, 14 f.; 61–64; 228). Auch in Plat. leg. 12, 959a ist die Dauer der próthesis begrenzt. Dabei wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie innerhalb des Hauses stattfindet. Als Verbot der vorher üblichen próthesis außerhalb des Hauses fassen Alexiou 1974, 5, und Engels 1998, 25, 30, 85 das Gesetz auf. So auch schon Schol. Aristoph. Lys. 611: Τοὺς νεκροὺς γὰρ οἱ ἀρχαῖοι προετίθεσαν πρὸ τῶν θυρῶν καὶ ἐκόπτοντο. 261  Trauerzeiten: Il. 18,231–242; 314–355; 19,1–6; 210–213 (próthesis innerhalb des Hauses); 23,3 ff. Für die klassische Zeit Antiph. 6,34. Von einer Begrenzung der Trauerzeit geht hingegen Blok 2006, 211 aus. Verzicht auf Schlaf als Trauerbekundung in Hom. Il. 23,69; 24,635–638. Dazu Meuli 1946, 101 (ders., Schriften 1,342 f.).

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Aufbahrung des Toten im Haus, der Abschied der Verwandten und Freunde ist der als angemessen angesehene Rahmen, den das Brauchtum setzte. Da dies keinen Raum bot für übertriebene, künstliche Trauer Nichtbeteiligter, enthält das athenische Gesetz die merkwürdig anmutende Bestimmung: „den Verstorbenen soll man im Innern aufbahren, so wie man es will“ (F 89a).262 Allein thrḗnoi waren als unangemessen empfundene Trauerbekundung grundsätzlich untersagt. Schon in den homerischen Epen ist begrifflich zwischen góos, der spontanen, ehrlichen Trauerklage der Verwandten oder Gefährten, und thrḗnos, der ausgearbeiteten Kunstform, die von professionellen Sängern vorgetragen wurde, unterschieden. Die Trauerklagen, die die Musen zu Ehren des toten Achill anstimmen, sind thrḗnoi, und auch Hektor wird mit thrḗnoi betrauert, die von bezahlten Sängern vorgetragen werden.263 Die Trauerklage des Angehörigen (góos) ist in keinem der Bestattungsgesetze erwähnt. Das athenische Gesetz hat also nicht die aufrichtige Trauer des Betroffenen, sondern die kunstvoll komponierten Trauergesänge verboten.264 Mit der ekphorá beginnt der Teil der Bestattung, der außerhalb des Hauses vollzogen wurde. Vorgeschrieben war in Athen, dass der Leichenzug vor Sonnenaufgang aufbrechen musste. Dies trug dazu bei, die künstliche Trauerbezeugung durch unbeteiligte Personen zurückzudrängen. Sich blutende Wunden zu schlagen wurde überhaupt verboten. Da es traditionell Frauen waren, die als Klageweiber die Trauerklage anstimmten und sich Gesicht und Brust zerkratzten, war die Beteiligung gerade von Frauen bei der ekphorá und der Rückkehr ins Trauerhaus auf den Kreis der weiblichen Mitglieder des Hauses eingeschränkt, wohingegen eine gesetzliche Regelung über die Teilnahme von Männern in weit geringerem Maße notwendig schien.265 Es war meist die Trauer von Unbeteiligten, die zurückgedrängt wurde, wobei das Gesetz des Pittakos, der generell die Teilnahme am Begräbnis eines Nichtverwandten verbot, be-

262  Gesetz in Demosth. or. 43,62: Τὸν ἀποθανόντα προτίθεσθαι ἔνδον, ὅπως ἂν βούληται. Auch Platon hält es für unangemessen, die Trauer bei der próthesis gesetzlich zu regeln (leg. 12,959e–960a). Die Bestattungsgesetze von Iulis und die Labyadeninschrift lassen ebenfalls die próthesis ausgespart. Einer Regelung unterworfen sind also nur die außerhalb des Hauses vollzogenen Trauerbräuche. Vgl. die ähnlich vage Bestimmung im Gesetz von Iulis (Syll.3 1218 Z. 12: προσφαγίωι [χ]ρῆσθαι κατὰ τὰ π[άτρια]). 263  Od. 24,60 f.; Il. 24,720–722. 264  Plut. Solon 21,6: τὸ θρηνεῖν. Zur Unterscheidung von θρῆνος und γόος Alexiou 1974, 11–14; 102 f.; Garland 1985, 29 f.; Engels 1998, 86 f.; Blok 2006, 216 f. Ausgenommen von diesem Verbot waren Bestattungen von Königen und von den im Krieg für die Polis Gefallenen wie in Thasos. In Athen bewahrt der Epitaphios, die von einem hervorragenden Rhetoren gehaltene Festrede zu Ehren der Gefallenen im Krieg, die Tradition der thrḗnoi, wenn auch in veränderter literarischer Form (zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden Alexiou 1974, 65–68; 108; Stupperich 1977, 225 f.). 265  Dass sich viele der Bestimmungen in den Bestattungsgesetzen auf die Frau beziehen, heben ebenfalls hervor: Humphreys 1980, 100 („Convention required that men should maintain self-control in mourning, whereas women were encouraged to display wild grief; therefore to restrict female partcipation in prothesis and funeral procession [ekphora] to kin and women over sixty markedly reduced both the aural and the visual impact of the procession“); Garland 1989, 3–5, 12; Siurla-Theodoridou 1989, 26, 32, 38 f., 99–104, 223; Engels 1998, 45–47.

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sonders strikt war. Im athenischen Gesetz war nicht die Teilnahme an sich, sondern nur die Trauerklage am Grab eines Fremden verboten.266 Darüber hinaus schrieb das Gesetz vor, dass niemand zu fremden Grabmalen gehen sollte außer bei der Bestattungsfeier selbst. In Bestattungsgesetzen anderer Städte gab es die Anordnung, graue oder weiße Trauerkleidung zu tragen, also auf alle festliche Farbe zu verzichten, und sich „nicht (mit Asche oder Staub) zu überschütten“ (μὴ καταρρυποῦσθαι). Auch die Tücher für den Toten waren reglementiert: ein Bahrtuch, ein Leichentuch und eine Decke, also drei Tücher, so wie es den Darstellungen bereits auf geometrischen Vasen entspricht.267 Kostbares Geschirr sollte nicht am Grab zerschlagen und als Ausdruck tiefer Trauer dort liegengelassen werden, sondern Totenbahre, Decken und Gefäße, in denen man Wein und Öl zum Grab gebracht hatte, mussten nach der Beerdigung wieder mitgenommen werden; die Lebensgrundlage der Lebenden durfte nicht zerstört werden.268 Besonders wichtig für die Existenz des bäuerlichen Hofes war der Pflugochse. Als unerlässliche Grundlage für die soziale Existenz und die Sicherung der Ernährung war der Pflugochse wie kein anderes Tier geeignet, als Totenopfer dem Verstorbenen die tiefe Trauer zu beweisen.269 Solon soll in einem Gesetz verboten haben, den Pflugochsen bei der Bestattungsfeier zu opfern (F 89f). Die Beschränkungen des Aufwands waren also zunächst keine Verbote, den eigenen Reichtum zur Schau zu stellen, sondern sollten verhindern, dass Wertvolles und Lebenswichtiges am Grab zerstört, die eigene wirtschaftliche Grundlage vernichtet wurde, um den Toten zu besänftigen.270 Auch die Trauerzeit wurde begrenzt, und durch Rituale der Trauerlösung sollten die Angehörigen in das normale Leben zurückgeführt werden: man pflegte wieder den eigenen Körper, wusch sich den Trauerschmutz ab und beendete den Verzicht auf Speise und Trank.271 Platon reicht in seinen Ausführungen zur Bestattung der Toten nahe an die ursprüngliche Zielsetzung der Bestattungsgesetze heran.272 Er verbot in seinem Entwurf,

266  Plut. Solon 21,6: τὸ κωκύειν ἄλλον. Zum Gesetz des Pittakos Engels 1998, 50 f. 267  Ahlberg 1971 (wie Anm. 238). 268  In diese Richtung interpretieren auch Sokolowski und RIJ die Bestimmung im Gestz von Iulis („pour des raisons d’économie“ bzw. „un gaspillage inutile“). 269  Zu archäologischen Belegen von Tieropfern bei Bestattungen Andronikos 1968 (wie Anm. 238), 84–91; Kurtz/Boardman 1985, Taf. 1a. Nach Eur. Hel. 1258 sei es bei den Barbaren Sitte, ein Pferd oder einen Stier als Totenopfer zu schlachten. Stieropfer auch in Hom. Od. 11,30; 24,66; Eur. Hel. 1581; Hec. 261; Plut. Arist. 21,3; 21,5. 270  Plut. Solon 21,6. Nach Varro rust. 2,5,4 war es in einigen griechischen Poleis verboten, den Pflugochsen zu töten (Engels 1998, 91). Meuli 1946, 107 (ders., Schriften 1,349): „Die Sitte [Hausrat kaputtzuschlagen] ist ungemein verbreitet; die ungeheuren Wertvernichtungen solcher Totenfeiern führen mancherorts zu eigentlichen wirtschaftlichen Kalamitäten oder verhindern weitgehend die Ansammlungen von Reichtum“. 271  Schmitz 2004, 183 f. 272  Nach leg. 12,958d sollen die Ausleger (exēgētaí) über alle religiösen Gebräuche (τὰ περὶ τὰ θεῖα

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Gräber auf anbaufähigem Land anzulegen, so klein das Grab auch sei. Es sollten vielmehr Plätze ausgewählt werden, die ausschließlich dazu geeignet waren, den Leichnam aufzunehmen. Platon wollte also eine absichtliche Zerstörung landwirtschaftlich nutzbarer Böden untersagt wissen. Ausdrücklich geschieht es „zur geringstmöglichen Beeinträchtigung der Lebenden“.273 Es ist bezeichnenderweise gerade das Verhältnis zwischen Toten und Lebenden, auf das Platon im Zusammenhang mit den Bestattungsgesetzen eingeht. Die veränderte Einstellung zum Toten ist möglich, weil eine andere Vorstellung vom Tod Platz gegriffen hatte. Platon unterscheidet strikt zwischen Leib und Seele, und der Leib ist nur eine bloß äußere Erscheinung, ein bloßes Abbild des Verstorbenen. Die Seele, das wahre Selbst, enteile zu den „anderen Göttern“. „Da sich das so verhält, soll niemand seinen Besitz ruinieren …; und man muss aus dem, was man hat, das Beste machen, indem man nur einen maßvollen Betrag aufwendet wie für einen unbeseelten Altar der Unterirdischen“.274 Platon legt folgerichtig in seinen Gesetzen Summen für die Bestattung fest, die nach den Schatzungsklassen abgestuft sind. Auch die folgenden Anordnungen richten sich auf die Einhaltung des rechten Maßes (τὸ μέτριον) und entsprechen in vieler Hinsicht der realen Gesetzgebung. Die próthesis und alles Weitere solle nach dem üblichen Herkommen geschehen. Denn das Beweinen könne man weder befehlen noch verbieten. Auch bei Platon sind also die Trauersitten bei der próthesis aus der Gesetzgebung ausdrücklich ausgeklammert. Außerhalb des Hauses solle man keine laute Totenklage erheben. Die ekphorá solle schweigend den Weg zum Grab nehmen und der Leichenzug vor Tagesanbruch außerhalb der Stadt sein. Gesetzeswächter sollen darüber wachen, ob die Bestattung „schön und maßvoll“ (καλῶς καὶ μετρίως) vonstatten gehe.275 Platon verfolgte mit seinem Entwurf offenbar keine vordergründigen politischen Absichten, sondern reagierte auf eine grundlegende Veränderung in den Trauersitten: die Abkehr von der äußerlich zur Schau gestellten Trauer hin zu einem dem Toten würdigen Begräbnis. In De legibus verfolgt Cicero dasselbe Ziel: Er fordert Pietät, nicht Darstellung des Reichtums. Aufrichtigkeit gefalle den Göttern, nicht aber großer Pomp. Die äußerliche, übertriebene Trauer sei für die Götter der Unterwelt beleidigend.276 Die Gesetze zeugen davon, dass man bemüht war, die Toten und die Unterweltsgötter würdig zu verehren. Dieselbe

νόμιμα) bezüglich der Verstorbenen Auskunft geben, die zu Ehren der unterirdischen Götter und der Götter oben zu vollziehen sind. 273  Plat. leg. 12,958e: τὰ τῶν τετελευτηκότων σώματα μάλιστα ἀλυπήτως τοῖς ζῶσι δεχομένη κρύπτειν. 274  Plat. leg. 12,959c (Übersetzung von Klaus Schöpsdau nach Hieronymus Müller). Einfachheit und Mäßigung waren auch nach Plut. Solon 12,8 die Ziele der athenischen Opfer- und Bestattungsgesetze. 275  Plat. leg. 12,959e. 276  Cic. de leg. 2,23 (59); 25 (62). Angeblich soll bereits der griechische Gesetzgeber Charondas ein solches Gesetz gegeben haben: Der Tote solle nicht mit Tränen und Trauerklagen geehrt werden, sondern mit einem guten Gedenken und der jährlichen Darbringung von Feldfrüchten. Denn es sei ein Zeichen von Verachtung gegenüber den chthonischen Göttern, wenn die Trauer über ein angemessenes Maß hinausgehe (Stob. flor. 44,40, IV p. 153 Hense).

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Tendenz findet sich in Kultgesetzen, in denen ebenfalls – wiederum besonders auf die Frau bezogen – übermäßiger Aufwand als unangemessen abgelehnt wurde.277 Die Bestattungsgesetze, wie sie in vielen griechischen Städten und mit dem Zwölftafelgesetz in Rom bestanden, zielten also auf eine Mäßigung, um die Lebensgrundlage der Überlebenden nicht über Gebühr zu beeinträchtigen. In dieser Mäßigung erkennt man noch das Bedürfnis, dem Toten seine Trauer zu zeigen, um ihn zufrieden zu stellen und eine schädigende Wirkung aus dem Jenseits heraus zu verhindern. Eine übertrieben zur Schau gestellte Trauer aber konnte die Angehörigen in existenzielle Schwierigkeiten bringen, wenn sie den Pflugochsen am Grab opferten, eine zu große Fläche an Grund und Boden für die Anlage von Gräbern statt zum landwirtschaftlichen Anbau nutzten oder Erzeugnisse des Hauses zerstörten oder dem Verstorbenen mit ins Grab gaben. Diese Mäßigung sollten die Angehörigen außerdem bei anderen Ausdrucksformen der Trauer an den Tag legen, auch wenn sie nicht unmittelbar die wirtschaftliche Grundlage der Hinterbliebenen gefährdeten. Und so sollten sich Frauen nicht Wangen oder Brüste zerkratzen, man sich keine Wunden schlagen, zwar um den Toten klagen, aber keine kunstvollen Trauergesänge aufführen lassen. Die frühen athenischen Bestattungsgesetze richten sich mehr auf die Mäßigung und Angemessenheit der Trauergesten und -formen im Verhältnis zwischen Lebenden und Toten und nicht so sehr auf eine Aufwandsbeschränkung, mit der soziale Konkurrenz und ein demonstratives Zurschaustellen von Reichtum unterbunden werden sollten.278 Eine kritische Einstellung gegenüber der künstlichen Trauer gedungener Klagefrauen zeigt sich z. B. in der Fabel vom Reichen und den Klagefrauen.279 Und auch bei Herodot finden wir ein weiteres Indiz dafür, dass die Veränderung der Trauersitten in frühe Zeit zurückreicht. Er beschreibt die beim Tod des Königs in Sparta verordnete öffentliche Trauer von Bürgern, Periöken und Heloten; es seien Bräuche „wie bei den Barbaren in Asien“.280 Demnach gehörte bereits im 5. Jahrhundert die künstliche, rituelle Klage in den griechischen Poleis nicht mehr zu den gebräuchlichen Trauersitten. Karl Meuli hatte vermutet, dass die Gesetze, die die Bestattung der Toten regelten, nicht radikal mit den bestehenden Trauersitten brachen. Gesetze konnten ein Unterdrücken der Angst vor dem Toten nicht verordnen. Sie werden vielmehr dem bereits

277  So z. B. im Gesetz der Stadt Andania in Messenien mit Vorschriften über Kleidung, Schmuck und Schminke (Ziehen 1906, 58; Syll.3 736; IG V 1,1390; Sokolowski 1969, 65; Garland 1981, 141–149; Hölkeskamp 1999, 147 f.). 278  Schmitz 2004, 202–233; ähnlich Blok 2006, 199; vgl. Jan B. Meister, ‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und klassischen Griechenland, Stuttgart 2020, 92. 279  Aes. fab. 221 Hausrath (369 Halm): Ein reicher Mann hatte zwei Töchter. Als eine von ihnen starb, mietete er Klagefrauen. Da sprach die andere zur Mutter: „Weh’ uns, die wir, die vom Leid betroffen sind, uns kaum etwas anmerken lassen, während jene, die unversehens ins Haus kamen, so laut jammern und weinen“. Die Mutter erwiderte, sie solle sich darüber nicht wundern, denn diese Frauen täten es ja des Geldes wegen. 280  Hdt. 6,58,2.

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vollzogenen Wandel der Bestattungsbräuche gefolgt sein. Das heißt, dass wahrscheinlich auch in Athen bereits sehr früh gesellschaftliche Normen darauf ausgerichtet waren, die künstliche, übersteigerte Trauer zurückzudrängen.281 Von dem Ziel her, die Trauer auf ein rechtes, ein aufrichtiges Maß zu beschränken, lassen sich die einzelnen Regelungen der Bestattungsgesetze, die Solon, Charondas und anderen zugesprochen werden, in einem umfassenderen Sinne erklären als von politischen Bestrebungen her. Der Charakter einer Luxusbeschränkung trat erst im Laufe der Zeit stärker ins Bewußtsein, je mehr man sich von früher üblichen, dann aber fremd gewordenen Trauerformen gelöst hatte. In ihrer Zielsetzung sind aber die frühen Bestattungsgesetze deutlich von den späteren attischen Gesetzen zu unterscheiden, die stärker den Charakter von Aufwands- bzw. Luxusbeschränkungsgesetzen tragen.282 Bezeichnend ist, dass für das solonische Gesetz keine Bestimmung überliefert ist, die die Größe und das Aussehen der Grabmäler festlegte.283 Mit einer kostspieligen Grabstatue konnte man nicht direkt dem Toten die eigene Trauer demonstrieren; ein aufwendiges Grabmal ist nicht Zerstörung von Vermögen, sondern Investition in Ruhm und Ansehen der Familie, besonders der aristokratischen Familie. Das nachsolonische, bei Cicero überlieferte Gesetz, das aufwendige Grabmäler untersagt, wird von der Forschung in die Zeit des Kleisthenes oder des Themistokles datiert, weil sich nach dieser Zeit aufwendige Grabstatuen auf Gräbern von Adeligen nicht mehr nachweisen lassen. Dieses Gesetz verfolgte aber wie das des Demetrios von Phaleron am Ende des 4. Jh. v. Chr. ein anderes Ziel, auch wenn sich Demetrios auf das solonische Bestattungsgesetz berief und dies nun im Sinne von Luxusbeschränkungsgesetzen interpretierte.284 Die nachsolonischen Gesetze tragen daher wesentlich stärker das Merkmal einer antiaristokratischen Tendenz als diejenigen Solons.

281  Ähnlich Wickert-Micknat 1982, 19; 21 f.: „Nicht erst die solonische Gesetzgebung mit ihren einschränkenden Bestimmungen für den Totenkult ist die Ursache für diese Veränderung [der Trauersitten in den Epen], sie wirkt nur in einer bereits vorhandenen Richtung weiter“ (S. 22). Toher 1986, 322 f., wies darauf hin, dass in Latium aufwendige Bestattungen um 580 v. Chr. aufhören. „One could speculate with Cornell and others that this demonstrates that the tenth table was only codifying what had been the practice at Rome for over a century before the Decemvirate“. Eine umfassende Neuregelung durch Solon postuliert hingegen Takabatake 1992. 282  Zu den Kosten einer Bestattung in klassischer Zeit de Schutter 1989. 283  So ausdrücklich Cic. de leg. 2,26 (64). Auch Blok 2006, 219 lehnt eine Intention, Aufwand zu beschränken, für die solonischen Gesetze ab. 284  Zur Datierung des ‚post-aliquanto-Gesetzes‘ Friis Knud Johansen, The Attic Grave Reliefs of the Classical Period, Kopenhagen 1951, 120 f. Anm. 1; Gisela M. Richter, Archaic Gravestones of Attica, New York 1961, 37 ff.; 53; Stupperich 1977, 71–86, 219–224; Garland 1989, 6 f.; Siurla-Theodoridou 1989, 339 f.; Stein-Hölkeskamp 1989, 148 f.; Engels 1998, 97–106 (mit weiterer Literatur). Vgl. de Schutter 1989, 61. Garland 1989, 6 nimmt an, dass gerade das Verbot aufwendiger Bestattungsformen durch Solon dazu geführt habe, dass Adelige ihren Reichtum statt in einem aufwendigen Begräbnis nun in einem kostbaren Grabmonument darstellten (ebenso Engels 1998, 93–95). Zum Gesetz des Demetrios Cic. de leg. 2,26 (66); Garland 1989, 5–8; Engels 1998, 121–154.

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Ob die in der Rede Gegen Makartatos und die von Cicero, Plutarch und Aelian genannten Gesetze tatsächlich auf die solonische Gesetzgebung zurückgehen oder auf die in den Jahren 409–399 revidierte Fassung eines ursprünglich solonischen Gesetzes, lässt sich nicht entscheiden.285 Für ein solonisches Gesetz spricht, dass Cicero frühe Bestimmungen ausdrücklich von späteren trennt, die nach den archäologischen Befunden in die Zeit um 500 v. Chr. angesetzt werden. Zumindest für die Zeit nach der Revision gewinnt man den Einduck eines sehr detaillierten Gesetzes, das zunächst próthesis und ekphorá (F 89a), dann Beisetzung in der Erde und Totenmahl am Grab, die Zahl der Tücher und die Totenklage bei der Beisetzung (F 89c) regelte und schließlich die Beschädigung und Zerstörung von Grab und Grabdenkmal (F 89c) verbot, wobei Letzteres mit Strafe (poena) bewehrt war. Ob es eine Regelung über Leichenreden für verstorbene bedeutende Persönlichkeiten gab, ist aufgrund der vagen Hinweise in den Quellen als unwahrscheinlich anzusehen (F 85c mit adn.). Literatur Frank B. Jevons, Greek Law and Folk Lore, in: CR 9, 1895, 247–250; Ludwig Ziehen, Johannes von Prott, Leges graecorum sacrae e titulis collectae, Bd. 2, Leipzig 1906; Karl Meuli, Entstehung und Sinn der Trauersitten, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 43, 1946, 91–109 (= ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, hrsg. von Thomas Gelzer etc., Basel – Stuttgart 1975); Édouard Will, Korinthiaka, Paris 1955; Martin P. Nilsson, Geschichte der griechischen Religion (HdA V 2,1), München 31967; Franciszek Sokolowski, Lois sacrées des cités grecques, Paris 1969; Margaret Alexiou, The Ritual Lament in Greek Tradition, Cambridge 1974; Reinhard Stupperich, Staatsbegräbnis und Privatgrabmal im klassischen Athen, Münster 1977; Douglas M. MacDowell, The Law in Classical Athens. Aspects of Greek and Roman Life, London 1978; Karl Leo Noethlichs, Griechisch-römischer Totenkult und seine staatliche Reglementierung, in: Alma mater Aquensis 17, 1979/80, 106–118; Sarah C. Humphreys, Family Tombs and Tomb Cult in Ancient Athens: Tradition or Traditionalism?, in: JHS 100, 1980, 96–126; Billie J. Garland, Gynaikonomoi: An Investigation of Greek Censors of Women, Diss. Baltimore, Ann Arbor 1981; Gisela Wickert-Micknat, Die Frau (Archaeologia Homerica III R), Göttingen 1982; Carmine Ampolo, Il lusso nelle società arcaiche. Note preliminari sulla posizione del problema, in: Opus 3, 1984, 469–476; Robert Garland, The Greek Way of Death, Ithaca – New York 1985; Donna C. Kurtz, John Boardman, Thanatos. Tod und Jenseits bei den Griechen, Mainz 1985; Walter Eder, The Political Significance of the Codification of Law in Archaic Societies: An Unconventional Hypothesis, in: Raaflaub, Kurt A. (Hrsg.), Social Struggles in Archaic Rome. New Perspectives on the Conflict of the Orders, Berkeley/Los Angeles – London 1986, 262–300; Mark Toher, The Tenth Table and the Conflict of the Orders, in: ebd. 301–326; Robert Garland, The Well-Ordered Corpse: An Investigation into the Motives Behind Greek Funerary Legislation, in: BICS 36, 1989, 1–15; Xavier de Schutter, Rituel funéraire et coût des obsèques en Grèce à l’époque classique, in: Kernos 2, 1989, 53–66; 285  Billie Garland hält das bei Demosthenes eingelegte Gesetz für eine spätere Revision eines früheren, angeblich solonischen Gesetzes, das bei Plutarch und Cicero vorliegt (1981, 80; vgl. ebenso 85; 98). Blok 2006, 212 f. geht von einem solonischen Kern des Gesetzes aus.

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Gesetz über die Bestattung der Toten (F 89) (F 89a: T 466 und 467 Martina; F 109 Ruschenbusch; F 72/d Leão/Rhodes; F 89b: T 468 Martina; F 72b Ruschenbusch, Leão/Rhodes; F 89c: T 469 Martina; F 72a Ruschenbusch, Leão/Rhodes; F 89f: T 470 Martina; F 72c Ruschenbusch, Leão/Rhodes; F 89h: ad T 469 Martina; F 151 Ruschenbusch, Leão/Rhodes; F 89i: T 462 Martina)

F 89a: Demosthenes, Gegen Makartatos (or. 43) 62–67 (345–340 v. Chr.) (62) Ἔτι δὲ σαφέστερον γνώσεσθε, ὦ ἄνδρες δικασταί, καὶ ἐκ τοῦδε τοῦ νόμου, ὅτι Σόλων ὁ νομοθέτης σπουδάζει περὶ τοὺς οἰκείους, καὶ οὐ μόνον δίδωσιν τὰ καταλειφθέντα, ἀλλὰ καὶ προστάγματα ποιεῖται τὰ δυσχερῆ ἅπαντα τοῖς προσήκουσι. λέγε τὸν νόμον. ΝΟΜΟΣ.

Τὸν ἀποθανόντα προτίθεσθαι ἔνδον, ὅπως ἂν βούληται. ἐκφέρειν δὲ τὸν ἀποθανόντα τῇ ὑστεραίᾳ ᾗ ἂν προθῶνται, πρὶν ἥλιον ἐξέχειν. βαδίζειν δὲ τοὺς ἄνδρας πρόσθεν, ὅταν ἐκφέρωνται, τὰς δὲ γυναῖκας ὄπισθεν. γυναῖκα δὲ μὴ ἐξεῖναι εἰσιέναι εἰς τὰ τοῦ ἀποθανόντος μηδ’ ἀκολουθεῖν ἀποθανόντι, ὅταν εἰς τὰ σήματα ἄγηται, ἐντὸς ἑξήκοντ’ ἐτῶν γεγονυῖαν, πλὴν ὅσαι ἐντὸς ἀνεψιαδῶν εἰσι· μηδ’ εἰς τὰ τοῦ ἀποθανόντος εἰσιέναι, ἐπειδὰν ἐξενεχθῇ ὁ νέκυς, γυναῖκα μηδεμίαν πλὴν ὅσαι ἐντὸς ἀνεψιαδῶν εἰσίν. (63) Οὐκ ἐᾷ εἰσιέναι οὗ ἂν ᾖ ὁ τετελευτηκώς, οὐδεμίαν γυναῖκα ἄλλην ἢ τὰς προσηκούσας μέχρι ἀνεψιότητος, καὶ πρὸς τὸ μνῆμα ἀκολουθεῖν τὰς αὐτὰς ταύτας. Φυλομάχη τοίνυν ἡ Πολέμωνος ἀδελφὴ τοῦ πατρὸς τοῦ Ἁγνίου οὐκ ἀνεψιὰ ἦν Ἁγνίᾳ, ἀλλὰ τηθίς· ἀδελφὴ γὰρ ἦν Πολέμωνος τοῦ πατρὸς τοῦ Ἁγνίου. Εὐβουλίδης δὲ ὁ υἱὸς ταύτης τῆς γυναικὸς ἀνεψιὸς ἦν πρὸς πατρὸς Ἁγνίᾳ, οὗ ἐστιν ὁ κλῆρος. (64) τοῦ δ’ Εὐβουλίδου ἦν θυγάτηρ ἡ τούτου τοῦ παιδὸς μήτηρ. ταύτας κελεύει τὰς προσηκούσας καὶ παρεῖναι τῇ προθέσει τοῦ τετελευτηκότος καὶ ἐπὶ τὸ μνῆμα ἀκολουθεῖν, οὐ τὴν Μακαρτάτου μητέρα οὐδὲ τὴν Θεοπόμπου γυναῖκα· οὐδὲν γὰρ προσήκουσα Ἁγνίᾳ αὕτη, ἀλλ’ ἐξ ἑτέρας φυλῆς, Ἀκαμαντίδος, καὶ ἐξ ἑτέρου δήμου, Προσπαλτόθεν, ὥστε τὸ παράπαν οὐδ’ ᾔσθε-

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το, ὅτε ἦν τετελευτηκὼς Ἁγνίας. (65) … (66) Ἀνάγνωθι δέ μοι τὰ ἐκ τῆς μαντείας τῆς ἐκ Δελφῶν κομισθείσης παρὰ τοῦ θεοῦ, ἵνα αἴσθησθε ὅτι ταὐτὰ λέγει περὶ τῶν προσηκόντων τοῖς νόμοις τοῖς τοῦ Σόλωνος. … (67) Ἀκούετε, ἄνδρες δικασταί, ὅτι ταὐτὰ λέγει ὅ τε Σόλων ἐν τοῖς νόμοις καὶ ὁ θεὸς ἐν τῇ μαντείᾳ, κελεύων τοῖς κατοιχομένοις ποιεῖν τοὺς προσήκοντας ἐν ταῖς καθηκούσαις ἡμέραις. App. crit.: (62) καὶ om. A; ὁ Σόλων A; ‹τὰ› προστάγματα Blass; legem om. SFQD; (63) ὁ υἱὸς A, οὗτος cett.; (64) τουτουὶ A; οὐδὲν] οὐδὲ A1; προσήκουσα … αὕτη, ἀλλ’ Rennie, προσήκουσιν … αὗται, ἀλλ’ ἦσαν codd., προσῆκεν … αὗτη, ἀλλ’ ἦν Blass; ᾔσθετο SFQD, ᾔσθοντο A; ὁ Ἁγνίας A; (65) οἴεσθε F1Q; ὄντα οἴκου A; (66) δὴ AF; ἵνα δὲ S; ταῦτα SD; (67) ἄνδρες S, ὦ ἄνδρες cett.

(62) Ihr werdet nun aus diesem Gesetz (nómos) noch deutlicher ersehen, ihr Richter, welche Sorge Solon, der Gesetzgeber (nomothétēs), den Angehörigen der Familie (oikeíoi) gewidmet hat, und dass er nicht nur den Nachlass ihnen übergibt, sondern auch alle möglichen verpflichtenden Aufgaben denen auferlegt, denen das Erbe zukommt. Lies das Gesetz Gesetz

„Den Verstorbenen soll man innen aufbahren (protíthesthai), wie man will. Heraustragen (ek­ phérein) aber soll man den Verstorbenen am nächsten Tag, nachdem er aufgebahrt war, noch vor Sonnenaufgang.286 Es sollen beim Hinaustragen die Männer vorneweg gehen; die Frauen aber hinten. Einer Frau aber soll es nicht gestattet sein, in [das Haus] eines Verstorbenen hineinzugehen, und auch nicht, den Verstorbenen zu begleiten, wenn er zum Grab gebracht wird, wenn sie noch nicht das sechzigste Jahr erreicht hat, mit Ausnahme derer innerhalb [eines Verwandtschaftsgrads von] Vetters Kindern (entós anepsiadṓn). Auch soll keine Frau in [das Haus] des Verstorbenen hineingehen, wenn der Tote bestattet ist, mit Ausnahme derer innerhalb [eines Verwandtschaftsgrads von] Vetters Kindern (entós anepsiadṓn)“. (63) Er [Solon] lässt also den Ort, wo der Gestorbene sich befindet, von keiner Frau betreten, ausgenommen von denen, die bis zur Vetternschaft (méchri anepsiótētos) verwandt sind, und gestattet nur diesen, ihm zum Grab zu folgen. Es war nun aber Phylomache die Schwester von Hagnias’ Vater Polemon, nicht Hagnias’ Geschwisterkind (anepsiá), sondern dessen Tante (tēthís). Denn sie war die Schwester des Polemon, des Vaters des Hagnias, und ihr Sohn Eubulides war der Vetter (anepsiós) des Hagnias von väterlicher Seite, von welchem die Erbschaft (klḗros) herkommt. (64) Und die Tochter des Eubulides aber war die Mutter dieses jungen Menschen. Allen solchen nah verwandten Frauen befiehlt aber [das Gesetz] bei der Aufbahrung (próthesis) des Verstorbenen anwesend zu sein und ihm zum Grab zu folgen, nicht aber der Mutter dieses Makartatos, nicht der Frau des Theopompos, eben weil sie mit Hagnias nicht verwandt ist. Sie war ja aus einer anderen Phyle, Akamantis, und aus einer anderen Gemeinde, nämlich aus Prospalta, so dass sie nicht einmal etwas davon erfuhr, als Hagnias gestorben war. (65) … (66) Lies mir aus jenem von Delphi hergebrachten Orakelspruch des Gottes [Apollon] jene Stelle vor, damit ihr euch überzeugt, er sage dasselbe über die Verwandten, was in den Gesetzen Solons darüber enthalten ist. … (67) Ihr hört, Richter, dass der Gott in dem Orakelspruch gerade dasselbe sagt, was Solon in den Gesetzen (nómoi) verordnet hat, dass

286  Heinrich August Pabst übersetzt: „noch vor Sonnenuntergang“. Plat. leg. 12, 960a (καὶ πρὸ ἡμέρας ἔξω τῆς πόλεως εἶναι) legt aber nahe, dass mit πρὶν ἥλιον ἐξέχειν „noch vor Sonnenaufgang“ gemeint ist. So auch Cicero in leg. 2,25 (66): ante lucem enim iussit efferri.

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die Verwandten den Verstorbenen an den angegebenen Tagen die ihnen gebührenden Ehren erweisen sollen.287

In der demosthenischen Rede Gegen Makartatos verweist der Kläger auf den engen Zusammenhang zwischen dem Erbrecht der nächsten Angehörigen und ihrer Verpflichtung, den Verstorbenen zu bestatten und die üblichen Bestattungsrituale zu vollziehen. Diese den Verwandten auferlegten Pflichten habe Solon (or. 43,62.66 f.) durch ein Gesetz über die Bestattung festgeschrieben. Das in den Text eingelegte Gesetz (or. 43,62), das in einigen Punkten mit der folgenden indirekten Wiedergabe übereinstimmt, wird vielfach als späterer Gesetzestext angesehen. Auf die Formulierung ἐντὸς ἑξήκοντ’ ἐτῶν γεγονυῖαν, πλὴν ὅσαι ἐντὸς ἀνεψιαδῶν εἰσι könnte eine dem Solon zugeschriebene Sentenz aus dem Gnomologium Vaticanum bezogen sein: Solon habe angeordnet, dass eine Frau unter fünfzig Jahren nicht in der Öffentlichkeit erscheinen sollte. Als er gefragt wurde, warum er dies festgelegt habe, soll er geantwortet haben: Damit man sich nicht erkundige, wessen Frau, sondern wessen Mutter sie sei.288 Die Wendung ἐντὸς ἀνεψιαδῶν im Gesetz, die in der indirekten Wiedergabe in der Form μέχρι ἀνεψιότητος erscheint, könnte für eine solche später sprachlich angepasste jüngere Fassung des eingelegten Gesetzes sprechen.289 In or. 43,67 kann mit ἐν ταῖς καθηκούσαις ἡμέραις der im Gesetz genannte Tag der próthesis und der darauffolgende Tag der ekphorá gemeint sein, möglicherweise aber auch weitere Totengedenktage am neunten oder dreißigsten Tag nach der Bestattung. Dem im Gesetz vorgesehenen Ablauf einer Bestattung folgt in den Grundzügen auch die öffentliche Bestattung der Gefallenen eines Krieges. Während der Zeit der Aufbahrung, so berichtet Thukydides aus Anlass der Beisetzung der Gefallenen im ersten Jahr des Peloponnesischen Krieges brachte ein jeder den verstorbenen Angehörigen Spenden dar, „wie er wollte“.290 Am Trauerzug zum Grab, der ekphorá, nahmen Bürger und Fremde teil; auch verwandte Frauen (hai prosḗkousai gynaíkes) zogen mit zum Grab und stimmten Klagen an.291 F 89b: Cicero, de legibus 2,23 (59) (um 50 v. Chr.) Iam cetera in XII minuendi sumptus sunt lamentationisque funebris, translata de Solonis fere legibus. „Hoc plus“, inquit, „ne facito. Rogum ascea ne polito.“ Nostis quae sequuntur. Discebamus enim pueri XII ut carmen necessarium, quas iam nemo discit. Extenuato igitur sumptu 287  Übersetzung nach Heinrich August Pabst. 288  Gnom. Vat. 504 (p. 186 Sternbach; T 462 Martina): Ὁ αὐτὸς [Solon] ἔγραψεν ἐντὸς πεντήκοντα ἐτῶν γυναῖκα εἰς τὸ δημόσιον μὴ προιέναι· ἐρωτώμενος δὲ „διὰ τί τοῦτο ἐποίησας;“ εἶπεν· „ἵνα μήτις πυνθάνηται, τίνος γυνή, ἀλλὰ τίνος μήτηρ“. 289  Zur Bedeutung des ἐντὸς ἀνεψιαδῶν MacDowell 1989, 19. Vgl. auch Is. 8,25 f. 290  Thuk. 2,34,2: καὶ ἐπιφέρει τῷ αὑτοῦ ἕκαστος ἤν τι βούληται. 291  Thuk. 2,34,4: ξυνεκφέρει δὲ ὁ βουλόμενος καὶ ἀστῶν καὶ ξένων, καὶ γυναῖκες πάρεισιν αἱ προσήκουσαι ἐπὶ τὸν τάφον ὀλοφυρόμεναι.

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tribus reciniis et tunicula purpurae et decem tibicinibus, tollit etiam lamentationem: „mulieres genas ne radunto neve lessum funeris ergo habento.“ Hoc veteres interpretes Sex. Aelius L. Acilius non satis se intellegere dixerunt, sed suspicari vestimenti aliquod genus funebris, L. Aelius lessum quasi lugubrem eiulationem, ut vox ipsa significat. Quod eo magis iudico verum esse, quia lex Solonis id ipsum vetat. App. crit.: lamentationesque ABH; funeris ABH, funebris Davisius; reciniis A2B2, viciniis A1B1H; etuimcla B, etuincla AH, et tunicula Turnebus; purpure H; funebris: funeris ABH; Laelius AB, Laelus H, L. Aelius Turnebus.

Weiterhin dienen die übrigen Bestimmungen im Zwölftafelgesetz dem Zweck, Aufwand (sumptus) und Klage (lamentatio) bei Bestattungen einzuschränken; sie wurden im Großen und Ganzen aus den Gesetzen Solons übernommen: „Mehr als das“, heißt es, „darf man nicht tun: Das Holz für den Scheiterhaufen darf man nicht mit der Axt glätten.“ Ihr wisst, was folgt. Denn wir haben als Kinder die Zwölf Tafeln wie ein unentbehrliches Gedicht auswendig gelernt; heutzutage lernt sie niemand mehr. Nachdem also der Aufwand auf drei Tücher (reci­ nia), eine kleine purpurfarbene Tunika und zehn Flötenspieler begrenzt worden war, beseitigte es [das Gesetz] auch die Totenklage (lamentatio): „Die Frauen sollen sich die Wangen nicht zerkratzen und keinen lessus während der Bestattung haben.“ Die alten Ausleger Sex. Aelius und L. Acilius sagen, sie verständen dies nicht hinlänglich, vermuteten aber, es handle sich [bei lessus] um irgendeine Art von Trauerkleid. L. Acilius meinte, lessus sei so etwas wie ein Wehklagen aus Trauer, wie es auch das Wort selbst ausdrückt. Diese Erklärung halte ich deshalb für eher richtig, weil das Gesetz Solons genau dies verbietet.292

Den Ausführungen Ciceros lässt sich nicht zweifelsfrei entnehmen, welche Bestimmungen aus dem Zwölftafelrecht tatsächlich mit solchen Solons übereinstimmten. Wenn Cicero auf das erste direkte Zitat folgen lässt nostis quae sequuntur und darauf verweist, dass früher Kinder die Gesetze der Zwölftafeln auswendig gelernt hätten, ist die Bestimmung, man dürfe das Holz auf dem Scheiterhaufen nicht mit der Axt glätten, als eine aus den Zwölftafeln stammende anzusehen.293 Auch eine über die drei recinia hinausgehende purpurne tunicula oder ein purpurnes Band (vinclo purpurae) kann nur auf römischen Bestattungsbrauch zurückgeführt werden.294 Dies gilt auch für die zehn Flötenspieler (tibicines), denn für das antike Athen sind nur Flötenspielerinnen belegt, und diese nicht bei Bestattungen. Aus Ciceros Ausführungen lässt sich also nur soviel als (angeblich) solonische Bestimmung sichern, dass von „drei Tüchern“ die 292  Übersetzung nach Rainer Nickel. 293  Zu den römischen Bestattungsgesetzen und -bräuchen Toher 1986; ders. 1991, 166–168; Engels 1998, 155–187; Valerie M. Hope, Contempt and Respect. The Treatment of the Corpse in Ancient Rome, in: dies., Eireann Marshall (Hrsg.), Death and Disease in the Ancient City, London-New York 2000, 104–127; Hugh Lindsay, Death-Pollution and Funerals in the City of Rome, in: ebd. 152–173. 294  In Ruschenbusch 2010, 140 Anm. 1 verweist Klaus Bringmann auf die Textverbesserung von Dieter Flach, Das Zwölftafelgesetz. Leges XII Tabularum, Darmstadt 2004, 147, der das in den Handschriften überlieferte vincla purpurae als vinclo purpurae liest, so dass ein Purpurstirnband gemeint sei, wie es auf einem Wandgemälde in Ruvo bei trauernden Frauen bildlich dargestellt ist.

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Rede ist und es ein Verbot für die Frauen gab, sich die Wangen zu zerkratzen und Klagegesänge anzustimmen.295 Dies entspricht genau dem, was Cicero in den folgenden Abschnitten (64) als solonisch reklamiert, die drei recinia, auf die er nur indirekt Bezug nimmt, und das fast wörtlich übereinstimmende Verbot für die Frauen, sich die Wangen zu zerkratzen und Klagegesänge anzustimmen. Möglicherweise hat Lucius Acilius das lateinische lessus mit thrḗnoi im Griechischen gleichgesetzt. F 89c: Cicero, de legibus 2,25 (63–66) (um 50 v. Chr.) (63) Nec haec a sapientissimis legum scriptoribus neglecta sunt. Nam et Atheniensium in more a Cecrope, ut aiunt, permansit hoc ius terra humandi, quod quom proxumi fecerant obductaque terra erat, frugibus obserebatur, ut sinus et gremium quasi matris mortuo tribueretur, solum autem frugibus expiatum ut vivis redderetur. Sequebantur epulae, quas inibant propinqui coronati, apud quos de mortui laude, quom siquid veri erat, praedicatum – nam mentiri nefas habebatur –, iusta confecta erant. (64) Postea quom, ut scribit Phalereus Demetrius, sumptuosa fieri funera et lamentabilia coepissent, Solonis lege sublata sunt, quam legem eisdem prope uerbis nostri Xviri in decimam tabulam coniecerunt. Nam de tribus reciniis et pleraque illa Solonis sunt. De lamentis vero expressa verbis sunt: „Mulieres genas ne radunto neve lessum funeris ergo habento.“ De sepulcris autem nihil est apud Solonem amplius quam „ne quis ea deleat neve alienum inferat“, poenaque est, „si quis bustum – nam id puto appellari τύμβον – aut monimentum“ inquit „aut columnam violarit deiecerit fregerit“. Sed post aliquanto propter has amplitudines sepulcrorum, quas in Ceramico videmus, lege sanctum est, „ne quis sepulcrum faceret operosius quam quod decem homines effecerint triduo“, (65) neque id opere tectorio exornari, nec hermas hos, quos vocant, licebat inponi, nec de mortui laude nisi in publicis sepulturis, nec ab alio nisi qui publice ad eam rem constitutus esset, dici licebat. Sublata etiam erat celebritas virorum ac mulierum, quo lamentatio minueretur; auget enim luctum concursus hominum. (66) Quocirca Pittacus omnino accedere quemquam vetat in funus aliorum. Sed ait rursus idem Demetrius increbuisse eam funerum sepulcrorumque magnificentiam, quae nunc fere Romae est. Quam consuetudinem lege minuit ipse. Fuit enim hic vir, ut scitis, non solum eruditissimus, sed etiam civis de re publica maxime meritus tuendaeque civitatis peritissimus. Is igitur sumptum minuit non solum poena, sed etiam tempore: ante lucem enim iussit efferri. Sepulcris autem novis finivit modum; nam super terrae tumulum noluit quidquam statui nisi columellam tribus cubitis nec altiorem aut mensam aut labellum, et huic procurationi certum magistratum praefecerat. App. crit.: (63) ille mos A2B2H, illo mores A1B1H, illud moris Ziegler; Athenis ‹nostis› iam illos mores, a Cecrope Vahlen corpus Stephanus; hoc ius ABH Vahlen, adhuc vel hucusque Ziegler; quod Turnebus; quam ABH Vahlen [ut] Huschke; inibant Camerarius, inirant B1H, inirent AB2; quos Madvig, quas AB, quaq H; siquid Turnebus, niquid AB, uiquid H, quicquid Madvig; iusta confecta Manutius, adiusta coniecta A1H, adiuxta coniecta A2B; ‹sepultura vel discedebant› ac iusta confecta Vahlen; (64) postea A2,

295  Auch in griechischen Bestattungsgesetzen ist von drei Tüchern die Rede, womit aber das Bahrtuch, das Leichentuch und eine Decke gemeint sind. Ein recinium (oder: ricinium) ist hingegen ein kleines Kopftuch (vgl. rica). Siehe dazu auch Klaus Bringmann in Ruschenbusch 2010: „richtig wohl eher: drei Schleier und ein Purpurstirnband“. Zur Vorsicht hinsichtlich einer Übertragung auf athenische Bestattungsbräuche mahnt auch Blok 2006, 213–215.

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poste A1BH; Xviri Stephanus, suiri ABH; τύμβον aut: tumbona ut ABH; iacerit AH, acerit B, vitiaverit Vahlen, laeserit Feldhügel; vidimus A1; (65) textorio AH, textario B; hermas hos quos Stephanus, hermasosquos A, ermasos quos B, ernam hos quos H; auget ‚e codice‘ Ursinus; huc A1H, hunc A2, huic B; (66) ali‹en›orum Bake, alienum Ziegler; idem dett. eidem ABH; quicquam Lambinus, quod ABH.

(63) Gerade das ist von den weisesten Gesetzgebern (legum scriptores) nicht übersehen worden. Denn auch bei den Bräuchen (mos) der Athener hat sich von Kekrops her, wie sie sagen, die rechtliche Pflicht (ius) der Bestattung in der Erde erhalten. Sobald die nächsten Angehörigen (proxumi) [das Erforderliche] getan hatten und die Erde [den Toten] bedeckt hatte, wurde diese mit Getreidekörnern besät, damit dem Toten gewissermaßen Brust und Schoß der Mutter zuteil, der Boden aber, mit Getreidekörnern entsühnt, den Lebenden zurückgegeben wurde. Darauf folgte ein Totenmahl (epulae), an welchem die Verwandten (propinqui) bekränzt teilnahmen. In ihrer Gegenwart wurden über die lobenswerten Taten des Verstorbenen, wenn es etwas Wahres zu berichten gab, Reden gehalten – denn die Unwahrheit zu sagen hielt man für ruchlos. Damit war das [dem Toten] Gebührende (iusta) erfüllt. (64) Als man später begonnen hatte, wie Demetrios von Phaleron schreibt, die Begräbnisse aufwendiger zu gestalten und mit Trauerklagen (lamentabilia) zu begleiten, wurde dies durch das Gesetz Solons aufgehoben, das unsere Zehnmänner (decemviri) mit fast denselben Worten als Gesetz auf die zehnte Tafel gesetzt haben. Denn [die Anweisung] über die drei Tücher (recinia) stammt wie das meiste andere von Solon. [Die Bestimmung] über die Totenklage (lamen­ ta) ist sogar wörtlich übernommen: „Die Frauen sollen sich die Wangen nicht zerkratzen und keine Totenklage (lessus funeris) anstimmen.“ Über die Gräber steht bei Solon allerdings nichts anderes, als „dass niemand sie zerstören oder einen anderen (alienus) darin begraben soll“, und es wird bestraft, „wenn jemand eine Grabstätte (bustum)“ – denn dies wird, wie ich glaube, mit [dem griechischen Wort] týmbos gemeint sein – „oder ein Grabmal (monimen­ tum)“, so heißt es, „oder eine Grabstele (columna) beschädigt, umstürzt oder zerbricht“. Aber erheblich später wurde, wegen der riesigen Grabanlagen, die wir im Kerameikos sehen, durch ein Gesetz bestimmt, „dass niemand ein Grabmal (sepulcrum) bauen dürfe, das so aufwendig sei, dass es zehn Männer nicht in drei Tagen fertigstellen können,“ (65) und es war auch nicht erlaubt, es mit Stuck [oder: einem Relief, opus tectorium] auszuschmücken oder Hermen, wie sie sie nennen, daraufzustellen, und über die ruhmvollen Taten des Verstorbenen durfte nur bei öffentlichen Bestattungen (publicae sepulturae) und dann nur von jemandem, der dazu öffentlich beauftragt worden war, eine Rede gehalten werden. Auch der große Zulauf von Männern und Frauen wurde unterbunden, damit die Totenklage (lamentatio) vermindert wurde; denn ein großer Zulauf von Menschen vergrößert die Trauer. (66) Deshalb verbietet Pittakos überhaupt, am Begräbnis fremder Leute teilzunehmen. Weiterhin sagt der oben genannte Demetrios, es habe sich dann bei Begräbnissen (funera) und bei Gräbern (sepulcra) eine solche Pracht entwickelt, wie sie jetzt etwa in Rom herrscht. Diese Gewohnheit schränkte er selbst durch ein Gesetz ein. Dieser Mann war nämlich, wie ihr wisst, nicht nur hochgebildet, sondern auch ein Bürger, der sich um die res publica ganz besonders verdient gemacht hatte und sehr erfahren war in der Sorge um die Bürgerschaft (civitas). Dieser Mann schränkte also den Aufwand (sumptus) nicht nur durch die Androhung einer Strafe (poena), sondern auch durch zeitliche Begrenzung ein: Er ordnete nämlich an, dass [Bestattungen nur] vor Tagesanbruch stattfinden durften. Für neue Gräber (sepulcra) legte er aber ein Maß fest; denn er wollte nicht, dass auf dem Grabhügel (tumulus) etwas aufgestellt wurde außer einer kleinen Stele (columella), die nicht höher als drei Ellen sein durfte, oder einem kleinen Altar (mensa)

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oder einem Opferbecken (labellum), und die Aufsicht darüber übertrug er einem bestimmten Amtsträger.296 vgl. Anaximenes von Lampsakos (4. Jh. v. Chr.) FgrH 72 F 13 (= Plut. Poplicola 9,11): ἀπεδέξαντο δὲ τοῦ Οὐαλερίου καὶ τὰς εἰς τὸν συνάρχοντα τιμάς, αἷς ἐκκομιζόμενον καὶ θαπτόμενον ἐκόσμησε, καὶ λόγον ἐπ’ αὐτῷ διεξῆλθεν ἐπιτάφιον, ὃς οὕτως ὑπὸ Ῥωμαίων ἠγαπήθη καὶ τοσαύτην ἔσχε χάριν, ὥστε πᾶσι τοῖς ἀγαθοῖς καὶ μεγάλοις ὑπάρχειν ἐξ ἐκείνου τελευτήσασιν ὑπὸ τῶν ἀρίστων ἐγκωμιάζεσθαι. λέγεται δὲ καὶ τῶν Ἑλληνικῶν ἐπιταφίων ἐκεῖνος γενέσθαι πρεσβύτερος, εἴγε μὴ καὶ τοῦτο Σόλωνός ἐστιν, ὡς Ἀναξιμένης ὁ ῥήτωρ ἱστόρηκεν. Auch die Ehren, die Valerius dem Kollegen bei dem feierlichen Leichenbegängnis erwies, nahm man beifällig auf, und dass er ihm eine Grabrede (epitáphios) hielt, welche von den Römern so begrüßt und bei ihnen so beliebt wurde, dass seitdem allen großen und verdienten Männern nach ihrem Tod von den Vornehmsten Lobreden gehalten wurden. Auch soll diese Sitte bei den Römern früher aufgekommen sein als bei den Griechen, falls nicht auch diese Einrichtung – wie der Redner Anaximenes behauptet – von Solon stammt.

Cicero unterscheidet bei den Bestattungsgesetzen der Athener mehrere zeitliche Phasen, eine vorsolonische, die bis in die Zeit des mythischen Königs Kekrops zurückreicht, eine durch Solons Gesetze geprägte und eine spätere, die den Bau von großen Grabdenkmälern verbot, und schließlich das durch Demetrios von Phaleron erlassene Gesetz. Woher Cicero Kenntnis über vorsolonische Regelungen hat bekommen können, ist nicht nachvollziehbar.297 Vielleicht stammen diese Informationen aus dem solonischen Gesetz selbst, das ähnlich wie die Bestimmung über die Teilnahme von Angehörigen bei próthesis und ekphorá zunächst den geltenden Totenbrauch und erst anschließend Einschränkungen nannte, die nahelegten, dass dadurch vorher Zugelassenes unterbunden wurde. So könnte Cicero das Aussäen von Getreidekörnern und das gemeinschaftliche Totenmahl der bekränzten Angehörigen am Grab als fortgeltenden Totenbrauch aufgefasst haben, auf den dann das Verbot, dass Frauen sich die Wangen zerkratzten und Trauergesänge anstimmten, folgte.298 Ob sich Cicero tatsächlich auf ein frühes Gesetz Solons bezieht oder auf eine spätere revidierte Fassung eines solchen solonischen Gesetzes, kann nicht entschieden werden, da Cicero Regelungen nennt, die sich an die in or. 43,62 genannten anschließen könnten; nach Bestimmungen zu próthesis und ekphorá hätten weitere zu Trauergesängen bei der Bestattung selbst und zum Schutz des Grabs und der Grabdenkmäler folgen können. Als Beleg für das Verbot, an Bestattungen fremder Leute teilzunehmen, nennt Cicero den Tyrannen Pittakos, nicht Solon, obwohl dies gemäß dem eingelegten Gesetzestext und der indirekten Wiedergabe in or. 43,63–65 auch in Athen verbo296  Übersetzung nach Rainer Nickel. 297  Bereits Cicero war davon überzeugt, dass das römische Recht vom athenischen Recht direkt beeinflusst war; die Forschung folgt ihm in diesem Punkt (Toher 1986, 302 mit der Literatur in Anm. 2 und 4; 309 f.). Kritisch dagegen zu Recht Engels 1998, 168 und Blok 2006, 213. 298  Das Aussäen von Getreidekörnern und die Bewirtschaftung des Bodens entsprechen den Ausführungen Platons, man dürfe Gräber nicht auf anbaufähigem Land anlegen, um die wirtschaftliche Grundlage der Angehörigen nicht zu beeinträchtigen (s. o. S. 554 f.).

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ten war. Dies gilt auch für die Anordnung, Leichenzüge müssten vor Tagesanbruch stattfinden. Sie ist im eingelegten Gesetzestext enthalten, wird aber von Cicero dem Demetrios von Phaleron zugeschrieben.299 F 89d: Varro, Res rusticae 2,5,3–4 (37 v. Chr.) (3) Hic socius hominum in rustico opere et Cereris minister, (4) ab hoc antiqui manus ita abstineri voluerunt, ut capite sanxerint, siquis occidisset. Qua in re testis Attice, testis Peloponnesos. App. crit.: ministri c; ad hoc cod. Vind., m; et capite c; sanxerunt m; testis actice m, testis Attice omisit c; testis pelloponessos cod. Vind., testis peloponensos A, testis peloponenses c, testes poloponenses m.

(3) Bei diesem Gefährten der Menschen [gemeint ist das Rind] in der Feldarbeit und Diener der Ceres (4) wünschten die Alten so sehr, es würden von ihm die Hände gelassen, dass sie die Todesstrafe verhängten, wenn ihn jemand tötete. Zeuge dafür ist Attika, Zeuge die Peloponnes.

Varro wird sich dabei auf das auch von Plutarch (F 85f) überlieferte Verbot beziehen, einen Ochsen bei der Bestattung zu opfern. In ähnlichem Sinne wie Varro hat sich später Aelian geäußert (F 85g). F 89e: Plutarch, Solon 12,8 (um 100 n. Chr.) ἐλθὼν δὲ καὶ τῷ Σόλωνι χρησάμενος φίλῳ, πολλὰ προϋπειργάσατο καὶ προωδοποίησεν αὐτῷ τῆς νομοθεσίας. καὶ γὰρ εὐσταλεῖς ἐποίησε ταῖς ἱερουργίαις καὶ περὶ τὰ πένθη πρᾳοτέρους, θυσίας τινὰς εὐθὺς ἀναμείξας πρὸς τὰ κήδη, καὶ τὸ σκληρὸν ἀφελὼν καὶ τὸ βαρβαρικόν, ᾧ συνείχοντο πρότερον αἱ πλεῖσται γυναῖκες. App. crit.: προυπειργάσατο σ supra υ scr. S; προσπειργάσατο ϒ; εὐσταθεῖς van Herwerden; ταῖς ἱερουργίαις (fort. ex τὰς ἱερουργίας corr.) S, τὰς ἱερουργίας ϒ.

Er [Epimenides] kam, schloss mit Solon Freundschaft und diente ihm als Vorläufer und Wegbereiter für seine Gesetzgebung (nomothesía). Denn er veranlasste die Athener, die Opferhandlungen (hierourgíai) einfach zu halten und bei den Trauerklagen (pénthē) noch mäßiger zu sein, indem er sogleich bestimmte Opfer (thysíai) mit den Begräbnisfeiern (kḗdē) verband und die rohen, ungriechischen Sitten aufhob, denen die meisten Frauen bis dahin huldigten.

Die sehr allgemein gehaltenen Äußerungen können erneut auf die Regelungen bezogen werden, dass bei einer Bestattung kein Ochse geopfert werden darf und die Frauen sich nicht die Wangen zerkratzen und keine Klagegesänge anstimmen dürfen.

299  Insofern ist nicht ganz ausgeschlossen, dass ein Redaktor das in or. 43,62 zitierte Gesetz eingefügt hat, das erst am Ende des 4. Jh. erlassen worden war.

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F 89f: Plutarch, Solon 21,5–7 (um 100 n. Chr.) (5) Ἐπέστησε δὲ καὶ ταῖς ἐξόδοις τῶν γυναικῶν καὶ τοῖς πένθεσι καὶ ταῖς ἑορταῖς νόμον ἀπείργοντα τὸ ἄτακτον καὶ ἀκόλαστον, ἐξιέναι μὲν ἱματίων τριῶν μὴ πλέον ἔχουσαν κελεύσας, μηδὲ βρωτὸν ἢ ποτὸν πλείονος ἢ ὀβολοῦ φερομένην, μηδὲ κάνητα πηχυαίου μείζονα, μηδὲ νύκτωρ πορεύεσθαι πλὴν ἁμάξῃ κομιζομένην λύχνου προφαίνοντος. (6) ἀμυχὰς δὲ κοπτομένων καὶ τὸ θρηνεῖν πεποιημένα καὶ τὸ κωκύειν ἄλλον ἐν ταφαῖς ἑτέρων ἀφεῖλεν. ἐναγίζειν δὲ βοῦν οὐκ εἴασεν, οὐδὲ συντιθέναι πλέον ἱματίων τριῶν, οὐδ’ ἐπ’ ἀλλότρια μνήματα βαδίζειν χωρὶς ἐκκομιδῆς. (7) ὧν τὰ πλεῖστα κἀν τοῖς ἡμετέροις νόμοις ἀπηγόρευται· πρόσκειται δὲ τοῖς ἡμετέροις ζημιοῦσθαι τοὺς τὰ τοιαῦτα ποιοῦντας ὑπὸ τῶν γυναικονόμων, ὡς ἀνάνδροις καὶ γυναικώδεσι τοῖς περὶ τὰ πένθη πάθεσι καὶ ἁμαρτήμασιν ἐνεχομένους. App. crit.: κωκύειν A, κωλύειν SUM; κἀν S, καὶ ϒ; τὰ τοιαῦτα S, ταῦτα ϒ; πένθη S, γένη ϒ et s. s. S; ἐνεχομένοις U1.

(5) Er [Solon] erließ aber auch für die Ausgänge (éxodoi) der Frauen, [insbesondere] für Trauerklagen (pénthē) und Feiern (heortaí), ein Gesetz (nómos), das Ungeregeltes und Maßloses einschränken sollte. Er bestimmte, dass eine Fau, wenn sie ausging, nicht mehr als drei Kleider (himátia) bei sich haben, nicht mehr Essen und Trinken als für einen Obolos und keinen über eine Elle großen Korb mitnehmen, auch nicht bei Nacht unterwegs sein sollte, außer zu Wagen mit vorgetragener Fackel. (6) Sich Wunden zu schlagen, Klagelieder anzustimmen (thrēneín) und anderes Jammern (kōkýein) an Gräbern anderer stellte er ab. Er erlaubte nicht, einen Ochsen als Totenopfer darzubringen (enagízein), mehr als drei Kleider (himátia) hinzuzulegen und fremde Gräber zu besuchen außer bei der Bestattung. (7) Das meiste davon ist auch in unseren Gesetzen verboten, denen noch die Bestimmung hinzugefügt ist, dass diejenigen, die derartiges tun, von den gynaikonómoi bestraft werden, weil sie sich unmännlicher und weibischer Leidenschaften und Vergehen bei der Trauer schuldig gemacht haben.

Folgt man Plutarch, hat Solon ein Gesetz über Frauen bei éxodoi, Trauerklagen und Kultfeiern erlassen. Es ist auszuschließen, dass es ein spezielles Gesetz Solons hinsichtlich des Verhaltens von Frauen gegeben hat. Der Text ist also so zu verstehen, dass Frauen vor allem dann in die Öffentlichkeit traten, wenn sie an Begräbnisfeiern teilnahmen. Wie das Verbot, bei der Bestattung einen Pflugochsen zu opfern, zeigt, wurden bei den Totenfeiern auch Tiere geopfert. Éxodoi, pénthē und heortaí sind also auf ein und dieselbe Situation zu beziehen, auf eine Beerdigungsfeier, zumal regelrechte Kultgesetze Solons, die über einen Opferkalender hinausgehen, nicht nachzuweisen sind. Auch Plut. Solon 12,8 belegt die enge Verbindung von Bestattung und Opfern, die aus diesem Anlass dargebracht wurden. Nicht gänzlich auszuschließen ist, dass mit éxodos der Auszug der Frau am Tag der Hochzeit gemeint war; sie wurde an diesem Tag in einem Hochzeitszug zum Haus des Mannes geleitet. Dafür könnte Solon die Regelung getroffen haben, dass die Frau nicht mehr als drei Tücher, nicht mehr Essen und Trinken als für einen Obolos und keinen über eine Elle großen Korb mitnehmen sollte. Letzteres könnte auch für Kultfeiern gegolten haben; da solche Kultfeiern auch über Nacht stattfanden, hat Solon

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bestimmt, die Frau dürfe nicht bei Nacht reisen, außer in einem Wagen mit vorgetragener Fackel.300 Hinsichtlich der Trauerklagen ist bei Plutarch erneut das aufgeführt, was auch in Ciceros de legibus als solonisch angegeben wird: das Verbot für Frauen, sich Wunden zu schlagen und Klagegesänge anzustimmen, sowie eine Regelung bezüglich dreier hinzuzulegender Tücher.301 Das συντιθέναι muss dabei nicht bedeuten, dass dem Toten drei Gewänder mit ins Grab gegeben wurden; vielmehr wird es sich um Bahrtuch, Leichentuch und Decke handeln. Hinzu kommt das Verbot, einen Ochsen am Grab zu opfern (auf das auch Varro anspielt), darüber hinaus aber auch die Bestimmung, dass Frauen nicht „an Gräbern anderer“ Klagelieder anstimmen dürfen und man Gräber anderer nur bei der Bestattung besuchen dürfe. Damit wird auch eine Brücke geschlagen zu den in der Rede Gegen Makartatos überlieferten Bestimmungen. Das thrēneín und kōkýein wird von Plutarch auf die Trauerklage am Grab, nicht auf die während der próthesis im Haus bezogen. Bei dem Gesetz über die Bestattung ist also zwischen Regelungen zu unterscheiden, die sich mit der Aufbahrung im Haus, mit dem Leichenzug vom Haus zum Friedhof, mit den Bräuchen während der Beisetzung (Opfer und Totenmahl am Grab) und mit dem Schutz von Grab und Grabdenkmal befassen. F 89g: Claudius Aelianus, Varia historia 5,14 (um 200 n. Chr.) Νόμος καὶ οὗτος Ἀττικός. ὃς ἂν ἀτάφῳ περιτύχῃ σώματι ἀνθρώπου, πάντως ἐπιβάλλειν αὐτῷ γῆν, θάπτειν δὲ πρὸς δυσμὰς βλέποντας. καὶ τοῦτο δὲ ἦν φυλαττόμενον παρ’ αὐτοῖς. βοῦν ἀρότην καὶ ὑπὸ ζυγὸν πονήσαντα σὺν ἀρότρῳ ἢ καὶ σὺν τῇ ἁμάξῃ, μηδὲ τοῦτον θύειν, ὅτι καὶ οὗτος εἴη ἂν γεωργὸς καὶ τῶν ἐν ἀνθρώποις καμάτων κοινωνός. Gesetz (nómos) ist auch dies in Attika: Wer den unbestatteten Leichnam eines Menschen findet, soll ihn vollständig mit Erde bedecken und ihn zum Sonnenuntergang gerichtet begraben. Ferner wurde folgendes bei ihnen beachtet: Ein Ackerrind (boús arótēs), das unterm Joch den Pflug oder den Wagen zieht, soll man nicht opfern; ist es gewissermaßen doch auch ein Landarbeiter (geōrgós) und hat Teil an den Mühen der Menschen.

F 89h: Claudius Aelianus, De natura animalium 2,42 (um 200 n. Chr.) νεκρὸν δὲ ἄνθρωπον ἰδὼν ἱέραξ, ὡς λόγος, πάντως ἐπιβάλλει γῆς τῷ ἀτάφῳ (καὶ τοῦτο μὲν αὐτῷ οὐ κελεύει Σόλων, ὡς Ἀθηναίους ἐπαίδευσε δρᾶν). εἰ δὲ σώματος ἅψεται, μένει ἄγευστος, καὶ ποτοῦ, ἐὰν εἰς αὔλακα ἐποχετεύῃ εἷς ἄνθρωπος.

300  Alexiou 1974, 15; MacDowell 1978, 109; Garland 1989, 3 f. und Toher 1986, 306 f. haben auch diese Bestimmungen auf Begräbnisse bezogen. Zu Recht zurückhaltender Seaford 1994, 75 und Blok 2006, 215–217. 301  Cicero und Plutarch beziehen sich also auf dasselbe Gesetz. So auch Garland 1981, 76–80. Siehe auch die Gegenüberstellung bei Blok 2006, 217 f. Toher 1986, 318–320 beurteilt die Versuche, die einzelnen athenischen Gesetze voneinander zu trennen und zu datieren, kritisch.

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App. crit.: [ὡς Ἀθηναίους ἐπαίδευσε δρᾶν] Hercher; εἰ δὲ codd.; οὐδὲ Jacobs, Ruschenbusch, Leão/Rhodes.

Ein Habicht, der einen toten Menschen sieht, bedeckt gewiss den Unbestatteten, wie erzählt wird, mit Erde (und dies ordnet Solon ihm nicht an, wie er die Athener es zu tun unterwiesen hat) und berührt den Körper dabei nicht. Auch kostet er nicht von einem Trank, wenn auch nur ein einziger Mensch in die Mulde Wasser gelassen hat.

F 89i: Gnomologium Vaticanum p. 186, 504 Sternbach (cod. Vat. Gr. 743) Ὁ αὐτὸς ἔγραψεν ἐντὸς πεντήκοντα ἐτῶν γυναῖκα εἰς τὸ δημόσιον μὴ προιέναι· ἐρωτώμενος δὲ „διὰ τί τοῦτο ἐποίησας;“ εἶπεν· „ἵνα μήτις πυνθάνηται, τίνος γυνή, ἀλλὰ τίνος μήτηρ.“ Derselbe [Solon] legte gesetzlich fest, dass ein Frau bis zum fünfzigsten Lebensjahr nicht in die Öffentlichkeit gehen sollte. Als er aber gefragt wurde, „Warum hast du das getan?“, erwiderte er, „damit niemand fragt, wessen Frau, sondern nur, wessen Mutter sie sei.“

Da sich die in den Quellen belegten speziellen Gesetze über die Frauen stets auf Regelungen zur Bestattung beziehen, ist bei diesem Zeugnis davon auszugehen, dass es sich auf die Teilnahme von Frauen an einem Begräbnis bezieht, auch wenn die Altersangabe nicht mit der des Gesetzes übereinstimmt, das in Demosth. or. 43,62 (F 89a) eingefügt ist.

VII. Verfahren vor dem árchōn polémarchos Abstract: So wie schwere Vergehen gegen Einzelpersonen mit einer graphḗ hýbreōs und religiöse Vergehen mit einer graphḗ asebeías verfolgt werden konnten, so konnten auch militärische Vergehen, insbesondere Feigheit im Krieg, mit einer graphḗ deilías geahndet werden. Bevor die Kompetenz dafür im frühen 5. Jh. an die Strategen überging, hatte die Zuständigkeit für diese Klagen vermutlich beim árchōn polémarchos gelegen. Verfolgt werden konnten über diese Klage nicht nur das Wegwerfen des Schildes im Kampf, sondern auch die Verweigerung des Dienstes in Heer und Flotte sowie das Verlassen der Kampflinie.

Historische Einordnung So wie es für schwere religiöse Vergehen die graphḗ asebeías und für schwere profane Vergehen die graphḗ hýbreōs gab, bestand für schwere Vergehen im Kampf eine Schriftklage wegen Feigheit, die graphḗ deilías. In der Rede Gegen Ktesiphon aus dem Jahr 330 v. Chr. schreibt Aischines dem Gesetzgeber Solon eine entsprechende Schriftklage (graphḗ deilías) zu, die bei militärischen Vergehen eingereicht werden konnte, vermutlich ursprünglich beim árchōn polémarchos, später bei den Strategen. Delfim F. Leão und P. J. Rhodes gehen wegen der Zuständigkeit der Strategen davon aus, dass die graphḗ deilías erst einige Zeit nach der Einrichtung des Strategenkollegiums vermutlich im Jahr 501/0 geschaffen wurde.1 Es ist aber keineswegs ausgeschlossen, dass die Strafklage wegen Feigheit auf Solon zurückgeht und zunächst dem polémarchos übertragen war;2 denn Solon soll auch unter Strafe gestellt haben, ungerechtfertigt einem 1  Leão/Rhodes 2015, 174. Eberhard Ruschenbusch hatte das Gesetz als F 110 unter die falsa subsumiert. In klassischer Zeit waren mit den Anklagen militärischer Vergehen die Strategen betraut (Lys. 15,1; Lipsius 1905–15, 113; Hamel 1998a, 63; Whitehead 2008, 23 f.; Rhodes 2008, 37). 2  In klassischer Zeit hatte der Polemarchos nur noch den Vorsitz in denjenigen Verfahren, bei denen Kläger oder Beklagter ein Metöke, ein steuerrechtlich mit den Bürgern gleichgestellter Metöke (isotelḗs) oder ein Fremder war (Aristot. Ath. pol. 58,2). Außerdem gingen an sie alle Klagen, die die Übernahme der Trierarchie und Eisphora betrafen, und damit auch alle Antidosisverfahren (darauf bezieht sich Ps.-Demosth. or. 42; vgl. Demosth. or. 35,48; Lipsius 1905–15, 113)

Historische Einordnung – Klage wegen Feigheit vor dem Feind (graphḗ deilías) (F 90–92)

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anderen nachzusagen, er habe seinen Schild weggeworfen (F 116), weil dieser Vorwurf implizierte, dass der Betreffende ehrlos war, also kein Amt übernehmen durfte. Dem ‚Schildwegwerfer‘ (ῥίψασπις) war außerdem nicht erlaubt, als Redner vor die Volkversammlung zu treten.3 Als mit der Einrichtung des Strategenkollegiums die Klage an die Strategen überging, könnte auch eine stärkere Ausdifferenzierung der Klagen erfolgt sein: Denn in klassischer Zeit wurden drei Vergehen unterschieden, die Entziehung vom Kriegsdienst, das Verlassen der Kampflinie und das Wegwerfen des Schildes. Daraus ergaben sich die Klageformen der graphḗ astrateías, der graphḗ lipotaxíou und der graphḗ apobeblēkénai tḗn aspída (γραφὴ ἀστρατείας, λιποταξίου, ἀποβεβληκέναι τὴν ἀσπίδα).4 Darüber hinaus richtete sich eine weitere Klage gegen diejenigen, die sich dem Flottendienst entzogen hatten (graphḗ anaumachíou).5 Erhalten haben sich zwei unterstützende Reden des Lysias Gegen Alkibiades wegen Verlassens der Schlachtordnung und wegen Entziehung vom Kriegsdienst aus dem Jahr 395 v. Chr.;6 zahlreiche weitere Klagen bzw. Vorwürfe, sich eines solchen militärischen Vergehens schuldig gemacht zu haben, sind belegt.7 Justus Hermann Lipsius äußerte Skepsis, ob es neben der graphḗ astrateías, der graphḗ lipotaxíou und der graphḗ apobeblēkénai tḗn aspída noch eine separate graphḗ deilías, eine Klage wegen Feigheit, gegeben habe;8 es ist aber zu bedenken, dass die graphḗ deilías eine frühere Form der Klage gewesen sein könnte, die vorrangig gegen denjenigen gerichtet war, der den Schild weggeworfen und nach hinten die Kampfrei3  Auch van Wees 2018, 107–120, bes. 113 und 116 geht von einem solonischen Ursprung der Gesetze wegen militärischer Vergehen aus. Zum Vergehen des Schildwegwerfers (ῥίψασπις) vgl. Aristoph. nub. 352; Poll. 6,151 und Plat. leg. 12,944b; Demosth. or. 24,119. Bei der dokimasía rhētórōn wird der von der Rednerbühne ausgeschlossen, der sich dem Kriegsdienst entzogen oder beim Feldzug seinen Schild weggeworfen hat (Aischin. Tim. 29: ἢ τὰς στρατείας … μὴ ἐστρατευμένος … ἢ τὴν ἀσπίδα ἀποβεβληκώς); zu Demosth. or. 24,103 siehe F 55 und 92. 4  Nach Lys. 14,7 habe sich Alkibiades sowohl der astrateía und des lipotáxion als auch der ‚Feigheit‘ (deilía) schuldig gemacht. Euktemon hat eine graphḗ lipotaxíou gegen Demosthenes eingebracht (Demosth. or. 21,103). Zu lipotáxion Hamel 1998b; van Wees 2018, 111–114. 5  Siehe die Aufzählung der graphaí in Poll. 8,40: γραφαὶ δὲ φόνου καὶ … λιποστρατίου, λιποταξίου, ἀστρατείας, λιποναυτίου, ἀναυμαχίου, τοῦ ῥῖψαι τὴν ἀσπίδα, ἀφ’ οὗ ῥίψασπις Κλεώνυμος. Lexeis rhetorikai α s. v. ἀναυμαχίου (Anecdota graeca I 217,21 Bekker): ἀναυμαχίου: εἶδος ἐγκλήματος· καὶ ζημίας. ὥσπερ γὰρ τοῦ μὴ στρατεύεσθαι καὶ τοῦ λιπεῖν τὴν τάξιν καὶ τοῦ τὰ ὅπλα ἀποβαλεῖν ζημίαι ἦσαν ὡρισμέναι ἐκ τῶν νόμων, οὕτω καὶ τοῦ μὴ ναυμαχῆσαι. καὶ τοῦτο τὸ ὄφλημα ἀναυμαχίου ἐκαλεῖτο. – „anaumachíou: eine Form der Klage; und der Strafe: so wie nämlich Strafen (zēmíai) dafür, nicht Kriegsdienst zu leisten, die Schlachtordnung zu verlassen oder die Waffen wegzuwerfen, in den Gesetzen festgelegt waren, so auch dafür, nicht zu Schiff zu kämpfen. Und dieses Vergehen wird anaumachíou genannt“ (ebenso Suda α 2115 s. v. ἀναυμαχίου). Pritchett 1974, 233 f.; Hamel 1998a, 63; Couvenhes 2005, 442 f. 6  Lys. 14 (κατὰ Ἀλκιβιάδου λιποταξίου) und Lys. 15 (κατὰ Ἀλκιβιάδου ἀστρατείας). Die graphḗ astrateías ist auch in Aristoph. equ. 443 und Ps.-Demosth. or. 59,27 belegt, ein in dieser Sache Verurteilter in Demosth. or. 21,58. Vgl. Pritchett 1974, 233 f. 7  Siehe die Belege bei Lipsius 1905–15, 453 Anm. 5. Viele Belege für Feigheit vor dem Feind und disziplinarische Maßnahmen und Strafen bis hin zur Tötung nicht nur für Athen hat Pritchett 1974, 239–243 zusammengetragen. 8  Lipsius 1905–15, 453.

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Verfahren vor dem árchōn polémarchos

he verlassen und damit den linken Nebenmann in der Phalanx ungeschützt gelassen hatte.9 Mit der Ausdifferenzierung der Klagen könnte dieser spezielle Vorwurf durch die graphḗ apobeblēkénai tḗn aspída abgedeckt worden sein. Allerdings ist davon auszugehen, dass diese drei (und mehr) Möglichkeiten der Klage in einem einzigen nómos deilías geregelt waren. So weist Edward M. Harris darauf hin, dass in Aischin. Ktes. 175 (F 91a) mehrere militärische Vergehen genannt seien, die durch deilías graphaí zur Anklage gebracht werden könnten. Auch der Sprecher in der Rede des Lysias Gegen Alkibiades (or. 14,4–5) berufe sich bei mehreren militärischen Vergehen, Desertion und Feigheit, nur auf ein einziges Gesetz, das ausdrücklich (so 14,6) beides abdecke.10 Daher bestand auch keine Schwierigkeit, einem Angeklagten mehrfache militärische Vergehen vorzuwerfen und in der Anklage zusammenzufassen. In Analogie zur graphḗ hýbreōs (und zur graphḗ asebeías) wird daher der Inhalt einer graphḗ deilías vor allem ein verfahrensrechtlicher gewesen sein, dass nämlich eine Klage wegen Feigheit von jedem, der will, beim árchōn polémarchos und in schriftlicher Form einzureichen war. Nicht auszuschließen ist dabei, dass in Lys. 14,5 eine der Bestimmungen aus dem Gesetz wortwörtlich zitiert ist (F 90). Trifft dies zu, wird die Bestimmung dem revidierten Gesetzescode entnommen sein. Auffällig ist jedoch, dass der ‚Fahnenflüchtige‘ „wegen Feigheit (deilía)“ verurteilt werden sollte, wobei zunächst nur „das Verlassen der Kampfreihe nach hinten“ als Vergehen genannt ist. Wenn es die Soldaten sind, die das Urteil gegen diese Personen sprechen sollen, deutet dies darauf hin, dass ein solches Verfahren noch während des Feldzugs oder unmittelbar danach durchgeführt wurde. Es könnte sich also um eine frühe, vielleicht solonische Bestimmung handeln, die bei der Revision der Gesetze mehr oder weniger wörtlich übernommen und in nachsolonischer Zeit um weitere Delikte – die Entziehung vom Kriegs- und Flottendienst – erweitert und im Verfahren umgestellt worden war. Ähnlich wie in anderen Rechtsbereichen auch gab es bei militärischen Delikten mehrere mögliche Verfahrenswege, die alternativ oder je nach den Umständen eingeschlagen werden konnten. Bei besonders schweren Vergehen, z. B. bei Verrat der eigenen Truppen, konnten Verräter auf Anweisung des Feldherrn direkt getötet oder vor ein aus den Soldaten zusammengesetztes Gericht gestellt werden; ihnen wird die Todesstrafe gedroht haben.11 So soll vor der Schlacht bei Plataiai der Stratege Aristeides

9  Deilía als Delikt nennt neben And. 1,74 (s. u. Anm. 15) und Aischin. Ktes. 175 auch Aristophanes in Ach. 1129 und equ. 368. 10  Dazu Harris 2013, 217: „The Athenians had one main law concerning military discipline, which punished various forms of cowardice (deilia). The law contained several provisions, each of which dealt with a specific offence under the general rubric of ‚cowardice‘“. Ebenso Couvenhes 2005, hier 443 Anm. 70, Leão/Rhodes 2015, 174: „deilia, ‚cowardice‘, is a collective term applicable to all three“ und van Wees 2018, 110. 11  Lys. 13,67: der älteste der Brüder des Agoratos wurde, weil er beim Sizilienfeldzug den Feinden in verräterischer Weise ein Feuerzeichen gegeben haben sollte, vom Strategen Lamachos totgeschlagen (ἀπετυμπανίσθη). Alkibiades soll sogar vor der Seeschlacht bei Kyzikos 410 v. Chr. dem Trierarchen

Historische Einordnung – Klage wegen Feigheit vor dem Feind (graphḗ deilías) (F 90–92)

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eine Verschwörung aufgedeckt haben, die einige Männer aus angesehenen Familien in einem Haus in Plataiai unmittelbar vor dem Kampf verabredet hatten. Wenn es ihnen nicht gelänge, die Verfassung zu stürzen (13,1: καταλύσειν τὸν δῆμον), würden sie Verrat begehen (τοῖς βαρβάροις προδώσειν). Als Aristeides davon erfuhr, hätten diese bereits viele im Lager für sich gewonnen. Um die Verschwörung im Keim zu ersticken, ließ er zur Abschreckung der anderen nur acht Personen in Haft nehmen (13,3: ὀκτὼ δή τινας ἐκ πολλῶν συνέλαβε). Die beiden Rädelsführer, Aischines von Lamptrai und Agasias von Acharnai, denen zuerst der Prozess gemacht werden sollte (οἷς πρώτοις ἡ κρίσις προεγράφη), entflohen aus dem Lager; die anderen soll Aristeides wieder freigelassen haben mit dem Verweis darauf, der Krieg werde für sie ein großes Gericht (ὡς μέγα δικαστήριον) sein, vor dem sie sich von ihrer Schuld dem Vaterland gegenüber reinigen könnten.12 Für die 320er Jahre bezeugt die Athenaion politeia disziplinarische Maßnahmen, die die strategoí bei militärischen Verstößen anwenden konnten: Während ihres Komandos seien sie befugt, jeden, der gegen die militärische Ordnung verstößt, in Haft zu nehmen (deín), aus der Truppe auszustoßen oder mit einer Geldstrafe zu belegen.13 All dies sind Maßnahmen, die bei einem offensichtlichen Vergehen unmittelbar während des Feldzugs ergriffen werden konnten. Sollte die zu verhängende Strafe von einem ‚Gericht‘ verhängt werden, waren es die Soldaten des Feldzugs, die das Urteil sprachen, so wie es in der Rede des Lysias (F 90) bezeugt ist. Es war bei schweren militärischen Vergehen aber auch möglich, dass nach Abschluss des Feldzugs und der Rückkehr der Soldaten nach Athen jeder Athener, der wollte, eine Schriftklage wegen Feigheit oder Entziehung vom Kriegsdienst, eine graphḗ deilías einbrachte. Wer wegen eines militärischen Vergehens in einer graphḗ deilías schuldig gesprochen worden war, wurde mit Atimie belegt; möglicherweise konnten zusätzlich Körden Tod angedroht haben, wenn er sich bei der Überfahrt ans jenseitige Ufer ertappen ließe (Xen. hell. 1,1,15). Aristoteles verweist darauf, dass in Sparta die Könige während des Kriegszuges das Recht hatten, Personen wegen Feigheit zu töten, so wie bei den Alten nach dem Gesetz der bewaffneten Hand, wie dies Homer zeige (pol. 3,14, 1285a 8–14 mit Verweis auf Hom. Il. 2,391–393: κτεῖναι γὰρ οὐ κύριος, εἰ μὴ ἕνεκα δειλίας, καθάπερ ἐπὶ τῶν ἀρχαίων ἐν ταῖς πολεμικαῖς ἐξόδοις, ἐν χειρὸς νόμῳ. δηλοῖ δ’ Ὅμηρος· ὁ γὰρ Ἀγαμέμνων … ἐξελθόντων δὲ καὶ κτεῖναι κύριος ἦν· λέγει γοῦν „ὃν δέ κ’ ἐγὼν ἀπάνευθε μάχης .., οὔ οἱ ἄρκιον ἐσσεῖται φυγέειν κύνας ἠδ’ οἰωνούς· πὰρ γὰρ ἐμοὶ θάνατος“). Dazu Pritchett 1974, 238; Hamel 1998a, 60 f.; Couvenhes 2005, 443–451, der davon ausgeht, dass die Strategen das Recht, bei offensichtlichen schweren militärischen Vergehen einen Soldaten töten zu können, auch noch im 4. Jh. ausüben konnten; zur weiteren Strafgewalt der Feldherren während des Feldzugs ebd. 442 f. Für eine Einschränkung der Strafkompetenz hatten sich Pritchett 1974, 238 und Hamel 1998a, 60 f. ausgesprochen. Debra Hamel verweist außerdem darauf, dass Strategen nur selten zu so harten Strafen gegen Mitbürger gegriffen hätten, zumal sie selbst rechenschaftspflichtig waren und auf eine Wiederwahl hofften (ebd. 61–63). 12  Plut. Aristeides 13. Dazu Fernández Nieto 1990, 121 f. Aristeides war zum στρατηγὸς αὐτοκράτωρ gewählt worden (11,1). Zu Verfahren während eines Feldzugs vgl. auch Xen. an. 5,7,34; Polyainos 3,9,56. 13  Geldstrafen würden üblicherweise aber nicht verhängt. Aristot. Ath. pol. 61,2: κύριοι δέ εἰσιν ὅταν ἡγῶνται καὶ δῆσαι τὸν ἀτακτοῦντα καὶ ‹ἐκ›κ[η]ρῦξαι καὶ ἐπιβολὴν ἐπιβάλλειν· οὐκ εἰώθασι δὲ ἐπιβάλλειν. Zum Ausstoß aus der Truppe Lys. 3,45; vgl. Xen. an. 3,1,31 f.; Polyainos 3,9,56; zur Haft Ps.-Demosth. or. 50,51. Dazu Pritchett 1974, 238; Hamel 1998a, 59 f.; Couvenhes 2005, 442; zu den Geldstrafen Lipsius 1905–15, 113.

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per- oder Geldstrafen verhängt werden.14 Folgt man den Ausführungen des Andokides, blieben die, die die Kampflinie verlassen, sich der Entziehung des Heeres oder Flottendienstes oder der Feigheit (deilía) schuldig gemacht oder den Schild weggeworfen hatten und zur Ehrlosigkeit verurteilt worden waren, aber im Besitz ihrer Vermögen.15 Wer wegen Feigheit verurteilt und damit ehrlos war, durfte an öffentlichen Kultfeiern nicht teilhaben, keine geweihten Stätten auf der Agora betreten und keine Anträge vor die Volksversammlung bringen (F 91). Wer aber ungeachtet dessen diese Rechte ausübte, die nur den ‚Ehrbaren‘ vorbehalten waren, konnte abgeführt und in Haft genommen werden (F 92).16 In Entsprechung zu diesen Regelungen hat auch Platon seine Gesetzgebung hinsichtlich Feigheit konzipiert: Wer sich ohne Erlaubnis der Strategen dem Kriegsdienst entzieht, soll wegen Kriegsdienstverweigerung vor den militärischen Amtsträgern mittels graphḗ astrateías angeklagt werden; Richter über ihn sollen die Teilnehmer des Feldzugs sein.17 Platon zieht also zwei ursprünglich getrennte Elemente zusammen, die Soldaten als Richter während des Feldzugs und die nach dem Feldzug eingereichte graphḗ. Wer schuldig gesprochen wurde, sollte nach Platons Ansicht keine Auszeichnungen mehr erhalten, keine Klage gegen andere wegen Entziehung vom Kriegsdienst erheben können und darüberhinaus das erleiden oder bezahlen, wozu ihn das Gericht zusätzlich bestraft hat (προστιμᾶν).18

14  Lys. 14,9: καὶ ἄτιμος εἶναι [καὶ τὰ χρήματ’ αὐτοῦ δημευθῆναι] καὶ πάσαις ταῖς κειμέναις ζημίαις ἔνοχος γενέσθαι. – Er hätte es eher auf sich genommen, „ehrlos zu werden, [seinen Besitz zu verlieren] und mit allen möglichen Strafen belegt zu werden“. Καὶ τὰ χρήματ’ αὐτοῦ δημευθῆναι wird vielfach, so z. B. von Thalheim (RE 4,2, 1901, 2384 s. v. Δειλίας γραφή), getilgt, weil dies And. 1,74 widerspricht; es wird eine Erklärung der folgenden Worte gewesen sein. Aus der Textstelle geht aber hervor, dass die Verurteilten nicht nur mit der Atimie belegt wurden (so auch Suda α 2115 s. v. ἀναυμαχίου), sondern auch andere Strafen verhängt werden konnten. Atimie für diese Vergehen ist auch in Isokr. 8,143; Demosth. or. 15,32 und Ps.-Demosth. or. 59,27 belegt. 15  And. 1,74: Εἷς μὲν τρόπος οὗτος ἀτιμίας ἦν, ἕτερος δὲ …· καὶ ὁπόσοι λίποιεν τὴν τάξιν ἢ ἀστρατείας ἢ δειλίας ἢ ἀναυμαχίου ὄφλοιεν ἢ τὴν ἀσπίδα ἀποβάλοιεν, ἢ …· οὗτοι πάντες ἄτιμοι ἦσαν τὰ σώματα, τὰ δὲ χρήματα εἶχον. 16  Van Wees 2018, 117. 17  Ob aus dem platonischen Konzept auf die Realität in Athen zurückgeschlossen werden kann, ist umstritten. Bertazzoli 2001 und Whitehead 2008, 30–35 lehnen dies ab; Rhodes 2008, 37 f. hingegen zieht die Schlussfolgerung, dass im 4. Jh. ein aus Soldaten zusammengesetzter Gerichtshof zumindest denkbar war. Buis 2018, 217 hält beide Übersetzungen für möglich: „it is sufficient to note that the phrase τοὺς στρατιώτας δικάζειν (tous stratiotas dikazein), which is usually translated as ‚let the soldiers judge it,’ could also be translated as ‚let them judge the soldiers.’ If the accusative is the object of the infinitive rather than its subject, then this passage in Lysias makes no reference to specialized courts“. 18  Plat. leg. 12, 943a: γραφὰς ἀστρατείας εἶναι πρὸς τοὺς πολεμικοὺς ἄρχοντας, ὅταν ἔλθωσιν ἀπὸ στρατοπέδου, δικάζειν δὲ τοὺς στρατεύσαντας ἑκάστους χωρίς; 943b: ἐὰν δέ τις ὄφλῃ, ὑπάρχειν μὲν αὐτῷ μήποτε τῆς ὅλης ἀριστείας ἀγωνιστῇ γενέσθαι μηδὲ ἀστρατείας ἄλλον γράψασθαί ποτε μηδὲ κατηγόρῳ τούτων πέρι γενέσθαι, πρὸς τούτοις δ’ ἔτι προστιμᾶν αὐτῷ τὸ δικαστήριον ὅτι χρὴ παθεῖν ἢ ἀποτίνειν. Dasselbe gelte bei graphaí lipotaxíou (943d); und auch, wer seinen Schild weggeworfen habe, könne angeklagt werden (943e). Zu Geldstrafen auch Plat. leg. 12, 945a. Siehe dazu Jean-Marie Bertrand, Platon et les lois sur la

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Literatur Lipsius 1905–15, 452–456; Mac Dowell 1978, 160; Harrison 1971, 32; W. Kendrick Pritchett, Greek Military Discipline, in: ders., The Greek State at War, Bd. 2, Berkeley – Los Angeles – London 1974, 232–245; Francisco J. Fernández Nieto, La competencia penal de los estrategos, in: Symposion 1988. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Siena – Pisa, 6.–8. Juni 1988), hrsg. von Giuseppe Nenci, Gerhard Thür, Köln – Wien 1990, 111–122; Todd 1993, 106; Leonhard Burckhardt, Art. Deilías graphe, in: DNP 3, 1997, 367; Debra Hamel, Athenian Generals. Military Authority in the Classical Period, Leiden – Boston – Köln 1998a; Debra Hamel, Coming to terms with lipotaxion, in: GRBS 39, 1998b, 361–405; Lene Rubinstein, Litigation and Cooperation: Supporting Speakers in the Courts of Classical Athens, Stuttgart 2000, 27; Monica Bertazzoli, Tribunali militari in Atene?, in: Aevum 75, 2001, 57–70; Jean-Christophe Couvenhes, De disciplina Graecorum: les relations de violence entre les chefs militaires grecs et leurs soldats, in: Jean-Marie Bertrand (Hrsg.), La violence dans les mondes grec et romain, Paris 2005, 431–454; David Whitehead, Athenian Juries in Military Graphai, in: Symposion 2007. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Durham, 2.–6. September 2007), hrsg. von Edward Harris, Gerhard Thür, Wien 2008, 23–36 und P. J. Rhodes ebd., 37–40; Edward M. Harris, The Rule of Law in Action in Democratic Athens, Oxford 2013, 217–222; Emiliano J. Buis, Taming Ares: War, Interstate Law, and Humanitarian Discourse in Classical Greece, Boston 2018, 214–217; Hans van Wees, Citizens and Soldiers in Archaic Athens, in: Alain Duplouy, Roger Brock (Hrsg.), Defining Citizenship in Archaic Greece, Oxford 2018, 103–143.

Klage wegen Feigheit vor dem Feind (graphḗ deilías) (F 90–92) F 90 Verurteilung militärischer Vergehen während des Feldzugs F 90: Lysias, Gegen Alkibiades (or. 14) 5 (395 v. Chr.) τολμῶσι γάρ τινες λέγειν ὡς οὐδεὶς ἔνοχός ἐστι λιποταξίου οὐδὲ δειλίας· μάχην γὰρ οὐδεμίαν γεγονέναι, τὸν δὲ νόμον κελεύειν, „ἐάν τις λίπῃ τὴν τάξιν εἰς τοὐπίσω δειλίας ἕνεκα, μαχομένων τῶν ἄλλων, περὶ τούτου τοὺς στρατιώτας δικάζειν“. ὁ δὲ νόμος οὐ περὶ τούτων κελεύει μόνον, ἀλλὰ καὶ ὁπόσοι ἂν μὴ παρῶσιν ἐν τῇ πεζῇ στρατιᾷ. ἀνάγνωθί μοι τὸν νόμον. [ΝΟΜΟΣ]

Denn manche (tines) wagen zu sagen, dass in diesem Fall niemand des Verlassens der Kampflinie (lipotáxion) noch der Feigheit (deilía) schuldig sei, weil nämlich keine Schlacht stattgefunden habe, das Gesetz aber befiehlt: „Wenn einer die Kampflinie nach hinten aus Feigheit (deilía) verlässt, während die anderen kämpfen, sollen die Kämpfenden (stratiṓtai) über ihn das Urteil sprechen (dikázein).“ Das Gesetz sieht aber nicht nur diesen Fall vor, sondern auch denjenigen, dass jemand im Feldheer nicht erscheint. Man lese mir das Gesetz vor: [Gesetz]

discipline militaire, in: Quaderni del dipartimento di filologia linguistica e tradizione classica Augusto Rostagni (Turin) 2001, 9–27.

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Bestätigt wird der Inhalt des Gesetzes noch einmal in § 6.19 Während Debra Hamel in der genannten Bestimmung ein direktes Zitat aus dem Gesetz sieht, bezweifelt David Whitehead dies:20 Es könne zwar ein Zitat sein, es lasse sich aber nicht sagen, welche Worte noch zum Zitat gehörten, ja ob es überhaupt ein Zitat sei, zumal es vom Sprecher mit den Worten eingeleitet werde „manche (τινες) wagen zu sagen, dass …“. Whitehead zieht daher in Zweifel, dass περὶ τούτου τοὺς στρατιώτας δικάζειν Wortlaut des Gesetzes sei und dass es in klassischer Zeit ein Gerichtsverfahren bei militärischen Verstößen gegeben habe, bei denen nur Soldaten (aus dem vorangegangenen Kriegszug oder generell) als Geschworene zugelassen waren. Das ausgefeilte Losverfahren der Geschworenen, wie es die Athenaion politeia beschreibt, und das für die Geschworenen vorgeschriebene Mindestalter seien mit einer Zusammensetzung der Geschworenen nur aus Soldaten kaum vereinbar. Mit guten Gründen hat P. J. Rhodes dem widersprochen; er hält einen solchen Gerichtshof unter Vorsitz eines der Strategen und mit Soldaten als Geschworenen für die ersten Jahre des 4. Jh. v. Chr. für durchaus möglich.21 Fand das Verfahren noch während des Feldzugs statt, so wie es für die Anklage gegen Aischines von Lamptrai und Agasias von Acharnai im Jahr 479 v. Chr. bezeugt ist, lösen sich die Widersprüche auf.22 Dafür, dass das Gesetz auf Solon zurückgeht, sprechen aber allein indirekte Hinweise, nämlich Solons Klage wegen Beleidigung, wenn jemandem ungerechfertigterweise vorgeworfen wurde, er habe die Kampflinie verlassen, und die Bestimmung, dass der wegen Feigheit Verurteilte nicht als Redner vor dem Volk auftreten dürfe. F 91 Klagen wegen Feigheit (graphḗ deilías) (F 91a: T 376 Martina; F 110 Ruschenbusch, F 110/a Leão/Rhodes)

F 91a: Aischines, Gegen Ktesiphon (or. 3) 175 f. (330 v. Chr.) (175) Ὁ γὰρ Σόλων ὁ παλαιὸς νομοθέτης ἐν τοῖς αὐτοῖς ἐπιτιμίοις ᾤετο δεῖν ἐνέχεσθαι τὸν ἀστράτευτον καὶ τὸν λελοιπότα τὴν τάξιν καὶ τὸν δειλὸν ὁμοίως· εἰσὶ γὰρ καὶ δειλίας γραφαί. Καίτοι θαυμάσειεν ἄν τις ὑμῶν εἰ εἰσὶ φύσεως γραφαί. Εἰσίν. Τίνος ἕνεκα; ἵν’ ἕκαστος ἡμῶν τὰς ἐκ τῶν νόμων ζημίας φοβούμενος μᾶλλον ἢ τοὺς πολεμίους, ἀμείνων ἀγωνιστὴς ὑπὲρ τῆς πατρίδος ὑπάρ-

19  Lys. 14,6: ἀκούετε, ὦ ἄνδρες δικασταί, ὅτι περὶ ἀμφοτέρων κεῖται, καὶ ὅσοι ἂν μάχης οὔσης εἰς τοὐπίσω ἀναχωρήσωσι, καὶ ὅσοι ἂν ἐν τῇ πεζῇ στρατιᾷ μὴ παρῶσι. – „Ihr hört, ihr Herren Richter, dass [das Gesetz] für beide Fälle gilt, sowohl für die, die sich während des Kampfes nach hinten zurückziehen, als auch für die, die nicht in der Fußtruppe dabei sind“. 20  Hamel 1998b, 364; Whitehead 2008, 26 f. 21  Ebenso Hamel 1998a, 63 f. 22  Verfahren unmittelbar nach dem Feldzug, bei denen die Soldaten als Geschworene fungierten, sind auch für Argos bezeugt. Nach dem umstrittenen Friedensschluss zwischen Sparta und Argos im Jahr 418 sollte der argivische Stratege Thrasylos auf dem Rückzug beim Charadros, „wo sie Prozesse aus dem Feldzug vorm Einzug [in die Stadt] zu richten pflegen (οὗπερ τὰς ἀπὸ στρατείας δίκας πρὶν ἐσιέναι κρίνουσιν), gesteinigt werden; er aber flüchtete an den Altar und konnte sich so retten; doch sein Vermögen wurde eingezogen (Thuk. 5,60,6).

Klage wegen Feigheit vor dem Feind (graphḗ deilías) (F 90–92)

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χῃ. (176) Ὁ μὲν τοίνυν νομοθέτης τὸν ἀστράτευτον καὶ τὸν δειλὸν καὶ τὸν λιπόντα τὴν τάξιν ἔξω τῶν περιραντηρίων τῆς ἀγορᾶς ἐξείργει, καὶ οὐκ ἐᾷ στεφανοῦσθαι, οὐδ’ εἰσιέναι εἰς τὰ ἱερὰ τὰ δημοτελῆ. App. crit.: γὰρ: δὲ el [εἰσὶ … δειλίας γραφαί] Bake; καίτοι … γραφαί om. A; ἡμῶν A, ὑμῶν; μαλ’ ἀμείνων c C; ὑπάρχοι a C V: ὑπάρχει el Barb.1: γίγνηται.

(175) Denn der alte Gesetzgeber (nomothétēs) Solon hielt es für angebracht, dass der, der sich dem Kriegsdienst entzieht (ho astráteutos), und der, der die Kampflinie verlassen hat (ho le­ loipṓs tḗn táxin), und gleichermaßen der, der sich als feige erweist (ho deilós), denselben zusätzlichen Strafen (epitímia) unterliegt. Für sie nämlich gibt es die Schriftklagen wegen Feigheit (deilías graphaí). Der ein oder andere von euch mag sich jedoch wundern, ob es [tatsächlich] solche, die Natur [des Menschen] betreffenden Klagen (graphaí phýseōs) gibt. Es gibt sie. Weswegen? Damit ein jeder von euch die in den Gesetzen festgelegten Strafen (zēmíai) mehr fürchtet als die Feinde und ein besserer Kämpfer für das Vaterland sein kann. (176) Deshalb hat der Gesetzgeber den Feigen (ho deilós), den, der sich dem Heeresdienst entzogen oder die Kampflinie verlassen hat, von den geweihten Stätten (perirhantḗria) der Agora ausgeschlossen und nicht zugelassen, dass er bekränzt wird oder an den aus öffentlichen Mitteln bestrittenen Kultfeiern (hierá dēmotelḗ) teilnimmt.

Die aus klassischer Zeit stammenden Quellenbelege zeigen, dass insbesondere das Wegwerfen des Schildes den Tatbestand der Feigheit (deilía) erfüllte. Die frühesten Belege dafür sind Äußerungen in der Lysiasrede Gegen Theomnestos (or. 10) § 9 und 12 (F 108a), wonach es eine strafwürdige Beleidigung darstellt, wenn man wahrheitswidrig von einem anderen behauptet, er habe „seinen Schild weggeworfen“ (τὴν ἀσπίδα ἀποβεβληκέναι). Weil der ‚Schildwegwerfer‘ bei einer Verurteilung zusätzlich zu der auferlegten Strafe zum ‚Ehrlosen‘ wurde, wäre er von jeglicher politischer Partizipation ausgeschlossen gewesen. Er war von geweihten Stätten auf der Agora und von allen öffentlichen Kultfeiern ausgeschlossen.23 Nahm er politische Rechte wahr, drohten ihm die Abführung und gegebenenfalls die Todesstrafe (F 92).

23  Da allein der Vorwurf, man habe seinen Schild weggeworfen, als strafwürdige Beleidigung genannt ist, bezog sich eine solonische graphḗ deilías möglicherweise zunächst vor allem auf dieses Vergehen. Denn auffällig ist, dass Platon in seinen Gesetzen nach der graphḗ astrateías und der graphḗ lipotaxíou (leg. 12, 943a–d) auf das Wegwerfen des Schildes zu sprechen kommt, es ihm dabei aber in erster Linie um die ungerechtfertigte Beschimpfung als Schildwegwerfer geht (943d–945b). Ein durch die Umstände erzwungenes Wegwerfen des Schildes dürfe nicht Grund zu einer Anklage abgeben. Rafał Matuszewski, Räume der Reputation. Zur bürgerlichen Kommunikation im Athen des 4. Jh. v. Chr., Stuttgart 2019, 56 geht davon aus, dass derjenige, der sich der Desertion schuldig gemacht hatte, nicht von der gesamten Agora ausgeschlossen war, sondern nur von dem Teil, der durch Wasserbecken (perirrhantḗria) für die kultische Reinigung abgegrenzt war, also einem Bereich im Westen der Agora in der Nähe von Tholos und Bouleuterion.

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F 91b: Lykurgos, Gegen Leokrates 5 (330 v. Chr.) ἐγὼ δ’ ὦ Ἀθηναῖοι, εἰδὼς Λεωκράτην φυγόντα μὲν τοὺς ὑπὲρ τῆς πατρίδος κινδύνους, ἐγκαταλιπόντα δὲ τοὺς αὑτοῦ πολίτας, προδεδωκότα δὲ πᾶσαν τὴν ὑμετέραν δύναμιν, ἅπασι δὲ τοῖς γεγραμμένοις ἔνοχον ὄντα, ταύτην τὴν εἰσαγγελίαν ἐποιησάμην, … αἰσχρὸν εἶναι νομίσας τοῦτον περιορᾶν εἰς τὴν ἀγορὰν ἐμβάλλοντα καὶ τῶν κοινῶν ἱερῶν μετέχοντα, τῆς τε πατρίδος ὄνειδος καὶ πάντων ὑμῶν γεγενημένον. Weil ich jedoch wusste, ihr Athener, dass Leokrates vor den Gefahren geflohen ist, die dem Vaterland drohten, dass er seine Mitbürger im Stich gelassen hat, dass er eure gesamte Macht verraten hat und dass er daher schuldig ist in allen Punkten der Anklageschrift, deswegen habe ich Anklage (eisangelía) eingereicht, … weil ich glaubte, dass es eine Schande sei, darüber hinwegzusehen, dass dieser Anträge in die Agora einbringt (eis tḗn agorán embállōn) und an den gemeinsamen Opfern teilnimmt, nachdem er für das Vaterland und für euch alle ein Schandfleck ist.24

F 91c: Lykurgos, Gegen Lysikles fr. 77 (or. 12,1) Conomis (Diod. 16,88,2)

Ἐστρατήγεις, ὦ Λυσίκλεις, καὶ χιλίων μὲν πολιτῶν τετελευτηκότων, δισχιλίων δ’ αἰχμαλώτων γεγονότων, τροπαίου δὲ κατὰ τῆς πόλεως ἑστηκότος, τῆς δ’ Ἑλλάδος ἁπάσης δουλευούσης, καὶ τούτων ἁπάντων γεγενημένων σοῦ ἡγουμένου καὶ στρατηγοῦντος, τολμᾷς ζῆν καὶ τὸ τοῦ ἡλίου φῶς ὁρᾶν καὶ εἰς τὴν ἀγορὰν ἐμβάλλειν, ὑπόμνημα γεγονὼς αἰσχύνης καὶ ὀνείδους τῇ πατρίδι. Stratege warst du, Lysikles, und nachdem tausend Bürger gefallen und zweitausend in Gefangenschaft gerieten, ein Siegesdenkmal gegen die Stadt errichtet und ganz Griechenland geknechtet ist, nachdem das alles unter deiner Führung und deinem Oberbefehl geschehen ist, wagst du noch zu leben und das Licht der Sonne zu sehen und Anträge in die Agora einzubringen (eis tḗn agorán embállein), du, das lebende Denkmal der Schande und Schmach für das Vaterland.

Lykurg prangert in seinen Reden Gegen Leokrates und Gegen Lysikles die Feigheit der Prozessgegner an, die sich in der Flucht aus der Stadt in bedrohlicher Lage und in einer verheerenden Niederlage manifestiere. Er hält also den Leokrates hinsichtlich des Vergehens der astrateía für schuldig und des Verrats während eines Feldzugs, der mit unmittelbarer Tötung hätte bestraft werden können. Allerdings war Leokrates nicht wegen Feigheit verurteilt worden, so dass er, wenn er einen Antrag in die Volksversammlung einbrachte, nicht hätte abgeführt werden dürfen. Beide Belege zeigen aber, dass der wegen Feigheit Verurteilte von den öffentlichen Kultfeiern ausgeschlossen war und ihm nicht gestattet war, „Anträge in die Agora einzubringen“. Lykurg verwendet dafür die Wendung εἰς τὴν ἀγορὰν ἐμβάλλειν, die im Gesetz über den Ausschluss

24  Die Übersetzung folgt weitgehend der von Johannes Engels.

Klage wegen Feigheit vor dem Feind (graphḗ deilías) (F 90–92)

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von Athenern von der Rede vor dem Volk genannt ist, wenn auch dort zunächst auf diejenigen bezogen, die ihre Eltern misshandelt haben (F 92). F 92 Apagōgḗ und ‚Binden‘ desjenigen, der sich der astrateía schuldig gemacht hat (F 92: T 377 Martina; F 111 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 92: Demosthenes, Gegen Timokrates (or. 24) 103, 105 (353 v. Chr.) (= F 63a) (103) λεγόντων γὰρ τῶν νόμων οὓς ἔθηκε Σόλων, οὐδὲν ὅμοιος ὢν τούτῳ νομοθέτης, „ἄν τις ἁλῷ κλοπῆς καὶ μὴ τιμηθῇ θανάτου, προστιμᾶν αὐτῷ δεσμόν, κἄν τις ἁλοὺς [τῆς] κακώσεως τῶν γονέων εἰς τὴν ἀγορὰν ἐμβάλλῃ, δεδέσθαι, κἂν ἀστρατείας τις ὄφλῃ καί τι τῶν αὐτῶν τοῖς ἐπιτίμοις ποιῇ, καὶ τοῦτον δεδέσθαι“. … (105) ΝΟΜΟΙ ΚΛΟΠΗΣ, ΚΑΚΩΣΕΩΣ ΓΟΝΕΩΝ, ΑΣΤΡΑΤΕΙΑΣ … Ἐὰν δέ τις ἀπαχθῇ, τῶν γονέων κακώσεως ἑαλωκὼς ἢ ἀστρατείας {ἢ} προειρημένον αὐτῷ τῶν νόμων εἴργεσθαι, εἰσιὼν ὅποι μὴ χρή, δησάντων αὐτὸν οἱ ἕνδεκα καὶ εἰσαγόντων εἰς τὴν ἡλιαίαν, κατηγορείτω δὲ ὁ βουλόμενος οἷς ἔξεστιν. ἐὰν δ’ ἁλῷ, τιμάτω ἡ ἡλιαία ὅ τι χρὴ παθεῖν αὐτὸν ἢ ἀποτεῖσαι. ἐὰν δ’ ἀργυρίου τιμηθῇ, δεδέσθω τέως ἂν ἐκτείσῃ. App. crit.: (103) ἂν AY, ἐὰν Ruschenbusch; δεσμόν S vulg., δεσμοῦ YP; κἄν A, καὶ ἐάν Ruschenbusch; ἁλλοὺς Y1; ἐμβάλῃ AYP; ὄφλῃ: ἁλῶι A; ποιεῖ A; (105) ἀπαχθῇ Sud.; γενεῶν S; ἀστρατίος Fa; alterum ἢ om. F; προειρημένων SYP; τῶν νόμων εἴργεσθαι codd., τῶν νομίμων εἴργεσθαι Salmasius, εἴργασθαι Aa; ὅποι χρή (μὴ om.) A; εἰσαγόντων AP: εἰσαγόντων αὐτὸν SFY; ἀποτεῖσαι et ἐκτείσῃ Blass, ἀποτῖσαι et ἐκτίσῃ codd.; τέως vulg., τὲ ἕως A, ἕως S.

(103) Denn die Gesetze (nómoi), die Solon erlassen hat, ein diesem [dem Timokrates] in keiner Weise gleichender Gesetzgeber (nomothétēs), besagen: Wenn jemand wegen Diebstahls (klopḗ) ergriffen und nicht [unmittelbar] mit dem Tod bestraft worden war, kann er zusätzlich mit Fesselung (desmós) bestraft werden (prostimán); und wenn jemand, der der Misshandlung der Eltern (kákōsis gonéōn) für schuldig befunden wurde, einen Antrag in die Volksversammlung einbringt (eis tḗn agorán embállein), kann er gebunden werden, und wenn er der Entziehung vom Kriegsdienst (astrateía) schuldig ist und etwas tut, was nur den Ehrbaren (epítimoi) zusteht, kann auch dieser gebunden werden (dedésthai). … (105) [Gesetze über Diebstahl, Misshandlung der Eltern und Entziehung vom militärischen Dienst] … „Wenn jemand abgeführt wurde (apachthḗnai), der der Misshandlung der Eltern (kákō­ sis gonéōn) für schuldig befunden wurde oder der Entziehung vom Kriegsdienst (astrateía) {oder} ‹und› [zu einem Ort] hingegangen war, wohin er nicht gehen darf, weil ihm verkündet war, dass er von den Gesetzen ausgeschlossen sei, sollen die ‚Elfmänner‘ ihn binden und vor die (h)ēliaía bringen. Anklagen soll ihn von denen, die zur Anklage berechtigt sind, jeder, der will. Wenn er aber für schuldig befunden wird, soll die (h)ēliaía bestimmen, was er als Strafe erleiden oder bezahlen muss. Wenn er mit einer Geldstrafe belegt wird, soll er, bis er sie entrichtet hat, gebunden werden“.

Das (ἀστρατείας) ὀφλισκάνειν lässt keine sichere Entscheidung zu, ob sich der betreffende „schuldig gemacht“ hatte, weil er sich dem Kriegsdienst entzogen hatte und

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dieses Vergehen offensichtlich war, oder ob er in einer graphḗ astrateías für schuldig befunden und „verurteilt“ worden war.25 Durch das Delikt waren jedenfalls seine bürgerlichen Rechte eingeschränkt. Man wird das Gesetz so verstehen dürfen, dass unter τι τῶν αὐτῶν τοῖς ἐπιτίμοις ποιῇ („etwas von den Dingen tut, die nur den Ehrbaren zukommen“) insbesondere meint, keine Anträge einbringen zu können, aber darüberhinaus auch all der Rechte verlustig zu sein, die Ehrbaren zustehen, also z. B. Klage führen. Verstößt er gegen die Einschränkung seiner bürgerlichen Rechte, kann er abgeführt werden; die Elfmänner sollen ihn in Haft nehmen und vor Gericht bringen. Über die Höhe der Strafe entscheiden die Geschworenen. Es handelt sich um ein Gesetz, in dem die Delikte aufgeführt sind, bei denen ein „Binden“ zulässig ist, also ein Abführen (apágein) zu den zuständigen Magistraten; die Elfmänner können den Betreffenden in Haft nehmen. Es handelt sich um die Regelung eines Rechtsverfahrens, nicht um ein Gesetz gegen Misshandlung der Eltern oder Entziehung vom Kriegsdienst.26 Die Wendung εἰς τὴν ἀγορὰν ἐμβάλλῃ mit der Bezeichnung ἀγορά für die Volksversammlung spricht für ein hohes Alter der Bestimmung.27 Wenn ihn das Gericht zu einer Geldstrafe verurteilte, musste er solange in Haft bleiben, bis die Strafe bezahlt war.

25  Leão/Rhodes 2015, 175 übersetzen „if a man is convicted of theft … and if anybody convicted of maltreating his parents … and if anybody is sentenced for shirking military service“. 26  Vgl. Demosth. or. 24,107: τοὺς κλέπτας καὶ τοὺς κακούργους καὶ τοὺς ἀστρατεύτους. Diese Aufzählung spricht dafür, dass Demosthenes in § 105 ein Gesetz hat verlesen lassen, das ein Verfahren regelte, das gleichermaßen Diebe, ‚Übeltäter‘ und solche betraf, die sich dem Kriegsdienst entzogen hatten. 27  Leão/Rhodes 2015, 175 übersetzen „intrudes into the agora“. Unter ἐμβάλλειν das „Sich-Hineinwerfen, Eindringen“ in die Agora zu verstehen, halte ich für wenig plausibel. Gerade wenn es sich um einen Gesetzestext handelt, wäre eine neutrale Formulierung für das Verbot zu erwarten, die Agora zu betreten. Es scheint mir daher terminus technicus zu sein für „zur Beratung vorlegen, beantragen“. Εἰς τὴν ἀγορὰν ἐμβάλλειν verwendet Aischines als Vorwurf gegen Demosthenes, der seinen Ankläger Nikodemos mit Geld bestochen hatte, um die Anklage zu verhindern, und der später den Nikodemos zusammen mit Aristarchos getötet habe; wegen dieser Tat stelle er „nicht mit reinen Händen Anträge in der Agora“ (Aischin. leg. 148: καὶ οὐ καθαρὸς ὢν τὰς χεῖρας εἰς τὴν ἀγορὰν ἐμβάλλεις).

VIII. Verfahren vor den Thesmotheten VIII A Schriftklagen (graphaí) VIII A 1 Klage wegen hýbris und gesetzwidriger Tat (graphē ́ hýbreōs) Abstract: Der nómos hýbreōs hat kein substanzielles Recht zum Gegenstand, sondern regelt ein Rechtsverfahren. Die Klage der graphḗ hýbreōs kann eingereicht werden, wenn eine einzelne Person, Mann, Frau oder Kind, frei oder unfrei, angegriffen wurde. In diesem Fall konnte sich ein Dritter schützend vor den Geschädigten stellen und Klage erheben. Im nómos hýbreōs war bestimmt, dass solche Klagen schriftlich bei den thesmothétai einzureichen waren. Der Kläger musste der (h)ēliaía darlegen, dass der Vorfall so gravierend war, dass eine Privatklage dem nicht gerecht werden konnte. In klassischer Zeit gab es im nómos hýbreōs Detailbestimmungen, zum Beispiel hinsichtlich der hýbris an Kindern. Inwieweit diese auf solonische Zeit zurückgehen, lässt sich nicht bestimmen.

Historische Einordnung Eine ‚Schrift‘- oder ‚Strafklage‘ (graphḗ) war ein Klageverfahren, durch das ein jeder, der wollte (boulómenos), Klage erheben konnte, wenn von dem Vergehen die Gemeinschaft als Ganze betroffen und der unmittelbar Geschädigte die Polis oder eine Gottheit war. Zulässig waren daher graphaí bei Asebie und insbesondere bei Diebstahl aus Heiligtümern, bei der Entziehung vom Kriegsdienst oder dem Verlassen der Schlachtreihe oder der Flotte. Schriftklage war aber auch möglich, wenn eine Einzelperson geschädigt, also zum Beispiel gewaltsam angegriffen, bestohlen oder beleidigt worden war. Handelte es sich um besonders schwerwiegende Fälle, konnte sich eine dritte Person schützend vor den Betroffenen stellen und Klage einreichen. Diese Möglichkeit, dass ein Dritter zugunsten einer geschädigten Person Klage erhob, wird als Popularkla-

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ge im engeren Sinne bezeichnet.1 Von der Verfahrensregel her war nicht ausgeschlossen, dass auch der Geschädigte selbst als öffentlicher Ankläger auftrat. In der rechtshistorischen Forschung ist viel darüber diskutiert worden, was unter hýbris zu verstehen ist und ob es eine zwingende Voraussetzung für solche Klagen war, dass die Ehre des Betroffenen verletzt worden war.2 Dabei stellt sich das Problem, wie vor Gericht nachgewiesen werden konnte, ob der Täter eine Ehrminderung des Angegriffenen beabsichtigt hatte. Eine überzeugende Lösung hat Michael Gagarin vorgelegt: Da der Nachweis einer absichtlichen Entehrung kaum möglich gewesen sei, müsse man davon ausgehen, dass die graphḗ hýbreōs viele Delikte abdeckte, die auch mittels einer Privatklage hätten verfolgt werden können; dem einzelnen war es also freigestellt, im eigenen Interesse eine díkē klopḗs, eine díkē biaíōn oder eine díkē aikeías einzubringen oder im öffentlichen Interesse eine graphḗ wegen hýbris oder gesetzwidriger Handlung.3 Die graphḗ war also immer dann eine gangbare Option, wenn es sich nach Ansicht des Klägers um eine die Gemeinschaft schädigende Tat handelte, so wie es Isokrates expressis verbis bezeugt: „Bei hýbris ist es, weil es eine gemeinschaftliche Angelegenheit (koinón prágma) ist, jedem von den Bürgern erlaubt, bei den Thesmotheten eine Schriftklage einzureichen und vor euch zu bringen“.4 Vermutlich wird man die Geschworenen insbesondere in den Fällen überzeugt haben können, bei denen der 1  Zur Popularklage insgesamt siehe Kap. V 2 (F 64). Die alexandrinischen Dikaiomata enthalten ebenfalls Bestimmungen die hýbris betreffend, doch handelt es sich dabei um eine privatrechtliche díkē hýbreōs mit einer Generalklausel, die im attischen Recht fehlt (Alessandro Hirata, Die Generalklausel zur Hybris in den alexandrinischen Dikaiomata, in: ZRG 125, 2008, 675–681). 2  Gagarin 1979, 230–233. Die umfassendste Analyse des Begriffs hýbris stammt aus der Feder von Nicolas Fisher, der dem Thema mehrere Aufsätze und eine umfangreiche Monographie gewidmet hat (Fisher 1976, 1990, 1992, 36–82 zur graphḗ hýbreōs; zu früheren Forschungspositionen 53–62): „… that the necessary criterion for hybris is the presence of an intention to insult and cause dishonour“ (1990, 37) und: „It is now generally agreed that its essence in legal and social uses is to describe and condemn intentional, serious attacks on the honour of others, which typically (though not inevitably) suggest a mental state of excessive self-importance and self-indulgence (the hybrizon enjoys his actions, and cares little or nothing for the shame inflicted on others)“ (2001, 138). Ähnlich definieren hýbris in rechtlichem Kontext Murray 1991, 140, Omitowoju 2002, 29–32 und Kapparis 2018, 159 („to punish the attitude and intention of the criminal, not the crime itself “). Hirata 2005 (wie Anm. 1), 677 leitet aus den athenischen Belegen für die graphḗ hýbreōs die Bedeutung „Gewaltäußerung“ ab. Zuletzt dazu van Wees 2011, 117 f. (nach Fisher): Hýbris sei eine „unprovoked aggression designed to humiliate and dishonour the victim“) und, in kritischer Auseinandersetzung mit der Deutung von Fisher, Cairns 1996, 1 f.: „My position is that this view must be modified; for I do not believe that the act is prior to the disposition in the definition of hybris, nor that hybris must be defined in terms of an intention to insult a specific victim“. Zum Zusammenhang zwischen hýbris und sexueller Gewalt Cohen 1991; ders., Law, Violence, and Community in Classical Athens, Cambridge 1995, 143–161; Omitowoju 2002, 32–50. 3  Gagarin 1979, bes. 234–236; seine These übernommen hat Osborne 1985, 40–44, 48, 50. Auch van Wees (2011, 127) sieht in der in Demosth. or. 22,26–27 genannten Möglichkeit, bei Diebstahl nicht nur eine díkē klopḗs, sondern auch eine graphḗ einzureichen, die graphḗ hýbreōs gemeint, die in einem solchen Fall untechnisch auch graphḗ klopḗs hätte heißen können. In allen Fällen von Schädigungen oder Gewaltanwendungen sei prinzipiell eine graphḗ hýbreōs möglich gewesen (ebd. 130). 4  Isokr. 20,2: περὶ δὲ τῆς ὕβρεως, ὡς κοινοῦ τοῦ πράγματος ὄντος, ἔξεστιν τῷ βουλομένῳ τῶν πολιτῶν γραψαμένῳ πρὸς τοὺς θεσμοθέτας εἰσελθεῖν εἰς ὑμᾶς. Auf diesen Beleg weist auch van Wees 2011, 119 in

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bürgerliche Status des Geschädigten angegriffen worden war, er seinen Status als énti­ mos verloren hätte.5 Eine solche Argumentation bot sich vor allem dann an, wenn der Angriff auf den Körper (sṓma) gerichtet war, also z. B. mit physischer Gewalt verbunden war (F 93a). Legt man die Deutung Michael Gagarins zugrunde, sind die Ausführungen des Demosthenes, in der Athenaion politeia und von Plutarch zur Popularklage nicht als „unzutreffende Verallgemeinerungen“ (so Eberhard Ruschenbusch), sondern als zutreffende Aussagen zu werten. Und diese Möglichkeit der ‚Klage wegen hýbris und gesetzwidriger Handlung‘ hat Demosthenes dem Gesetzgeber Solon zugeschrieben (F 64b).6 Das Gesetz gegen hýbris ist also keine Bestimmung des substanziellen Rechts, sondern regelt ein Rechtsverfahren. Hýbris ist nicht ein spezifisches, dem Diebstahl oder Raub an die Seite zu stellendes Delikt, sondern ὑβρίζειν und παράνομόν τι ποιεῖν sind als weitgehend synonyme Begriffe aufzufassen und schließen jede Form von adikía, von iniuria, ein.7 In einer Gesellschaft, die so stark von Ehrvorstellungen geprägt war wie die griechische, konnte ein Angriff jedweder Form, sei es eine Gewalttat, eine Beleidigung, ein Diebstahl oder ein Angriff auf die Frau des Hauses, eine Ehrverletzung bedeuten.8 Solon kam es nicht darauf an, hýbris und jedwede rechtswidrige Tat von anderen Delikten abzugrenzen, sondern die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen zu definieren, unter denen dieser Weg einer öffentlichen Klage beschritten werden konnte.9 Entscheidend war dabei, dass es sich um ein an einer Einzelperson verübtes Unrecht handelte; diesem Zusammenhang hin. Nach Demosth. or. 21,45 ist eine Gewalttat ein „öffentliches Unrecht“, hýbris gegenüber der Stadt, nicht nur gegenüber dem Opfer. 5  Dies klingt bei Aristot. rhet. 1,13,10, 1374a 13–15 und 2,2,5, 1378b 23–30 an (dazu Fisher 1992, 7–11 und Cairns 1995, 2–8). Todd 1993, 111: hýbris „scheine“ ein Angriff zu sein, der sich nicht allein gegen die angegriffene Person richtet, sondern auch gegen deren Ehre, ihre Ehre als polítēs und damit gegen die Polis, deren Mitglied sie ist (ähnlich Omitowoju 2002, 50). Insbesondere richte sich das Gesetz gegen Personen, die ein öffentliches Amt innehaben, wie Demosth. or. 21,31–35 zeige. 6  Aufgrund der Formulierung παράνομόν τι ist die graphḗ hýbreōs in der Regel in das letzte Drittel des 5. Jh. datiert worden (Gagarin 1979, 234). Ruschenbusch 1968, 53 geht davon aus, dass die graphḗ hýbreōs nicht solonisch ist, sondern aus der Zeit zwischen ca. 450 und 422 stammt. Für eine Einführung durch Solon hingegen treten Harrison 1968–71, Bd. 2, 74–78, Murray 1991, 139–145 und Fisher 1976, 178; 1990, 36–82; 1992, 37, 68–81; 1995, 48, 63, sowie mit überzeugenden Argumenten van Wees 2011, 118, 132, ein. Auch Christ 1998, 120 f. hält die Angaben Plutarchs für durchaus glaubwürdig. 7  Van Wees 2011, 120: „Whether παράνομον means ‚illegal‘ or ‚improper‘, the phrase seems either ‚pointlessly tautologous‘ if it broadens the law to include every conceivable offence committed by one individual against another“. Ähnlich Fisher 2001, 139. Sie verweisen auf die gleiche Formulierung in der Bestimmung Ps.-Demosth. or. 43,75, bei der neben Waisen und Erbtöchtern auch Häuser genannt sind, bei denen es keine direkten Erben gab und gegen die kaum entehrende Aktionen denkbar scheinen (ebd. 120 f.). 8  Zur hohen Bedeutung der Ehre siehe Cohen 1991, 143, 161; Cohen 1995 (wie Anm. 2), 171, 185 f.; Christel Brüggenbrock, Die Ehre in den Zeiten der Demokratie. Das Verhältnis von athenischer Polis und Ehre in klassischer Zeit, Göttingen 2006 (zu hýbris 163–180). Zu Prozessen, in denen wegen hýbris öffentliche Klage eingereicht worden war, siehe Kapparis 2018, 160 mit Anm. 23. 9  Van Wees 2011, 122: „So for Plutarch the law which classical orators called the ‚law of hybris‘ was not just a law which instituted the graphē for hybris, but the law by which Solon established the graphē-pro-

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deswegen heißt es im Gesetzestext ausdrücklich „wenn irgendeiner hýbris verübt an einem anderen“ (ἐάν τις ὑβρίζῃ εἴς τινα) und verdeutlichend wird hinzugesetzt „sei es ein Kind, eine Frau oder ein Mann“ (ἢ παῖδα ἢ γυναῖκα ἢ ἄνδρα).10 Solon legte also im Hybrisgesetz fest, dass man sich in Fällen, in denen Einzelpersonen betroffen waren, erstens an die Thesmotheten zu wenden und zweitens bei ihnen als zentraler Instanz die Klage schriftlich einzureichen hatte (F 93d). Da es sich bei der graphḗ hýbreōs um ein Klageverfahren handelte, das bei einem Unrecht gegen Einzelpersonen Anwendung finden sollte, konnte auch von graphaí ídiai gesprochen werden.11 Ausgenommen waren von einer graphḗ hýbreōs nur Tötungsdelikte, für die aus Gründen der Rechtstradition Klagen beim árchōn basileús einzureichen waren.12 Bei den graphaí war eine Strafe von 1000 Drachmen für den Ankläger festgelegt, wenn er nicht ein Fünftel der Stimmen erhielt, um einen Missbrauch durch offensichtlich ungerechtfertigte Klagen zu verhindern.13 Auch bei der Verfahrensregel, dass bei „hýbris oder gesetzwidrigem Handeln“ (ὑβρίζῃ ἢ ποιῇ τι παράνομον) gegenüber Witwen, Waisen oder Erbtöchtern der árchōn epṓnymos einschreiten sollte,14 steht nicht ein bestimmtes Delikt, sondern das Verfahren im Mittelpunkt, dass jedermann ein Unrecht bei dem Archonten anzeigen konnte

cedure for a whole range of offences“, ähnlich sein Fazit S. 124 f.: „In short, the ‚law of hybris‘ was not primarily a law of hybris at all, but a general procedural law“. 10  Die Formulierung lässt also nicht zwingend darauf schließen, dass vor allem schutzbedürftige Personen, Kinder, Frauen und Sklaven, vor Unrecht bewahrt werden sollten (so Theodor Thalheim, Hyb­ reos graphe, in: RE IX 1, 1914, 31–32). Die Einschränkung des Gesetzes auf Einzelpersonen betont auch Gagarin 1979, 230, 234. Zur Möglichkeit, Popularklage zu erheben im Falle eines anderen geschädigten Individuums, auch Osborne 1985; Christ 1998, 119. 11  Aristoph. Plut. 907 f. (F 64a); Demosth. or. 21,45 (F 93d) und or. 21,32. In Tim. 7–8 stellt Aischines Regelungen bezüglich Einzelpersonen (ἰδιῶται) solchen hinsichtlich öffentlicher Redner gegenüber; unter die ersten subsumiert er die graphḗ hetairḗseōs, die graphḗ hýbreōs und die graphḗ proagogeías, unter letztere die dokimasía rhētórōn. Ich halte die hier vorgeschlagene Deutung für naheliegender als die Lösung von Lipsius 1905–15, 429 Anm. 39 (der van Wees 2011, 131 folgt), wonach graphaí ídiai diejenigen Klagen seien, bei denen das Opfer eines Unrechts selbst als boulómenos klagt; nur in diesen Fällen hätte ein Kläger die Strafsumme von 1000 Drachmen zahlen müssen, wenn er nicht ein Fünftel der Stimmen erhalten hätte. Andere hatten die Wendung graphaí ídiai aus dem Gesetzestext emendiert (Fisher 1992, 36 Anm. 1), doch weisen alle Manuskripte das Wort auf, worauf Edward M. Harris verweist. Er vertritt die Meinung, graphaí ídiai „makes no sense: a γραφή was a public charge, and the word ἰδίας is used to apply to private charges“ (2013, 228). Wenn man aber ἰδίας im Sinne von „auf eine Einzelperson bezogen“ versteht, ist die Wendung graphaí ídiai durchaus sinnvoll. Auch der Sykophant im Plutos des Aristophanes hatte von Popularklagen gelebt, mit denen er Unrechtstaten gegen die Polis und gegen Einzelpersonen vor Gericht brachte (Plut. 907 f.: τῶν τῆς πόλεώς εἰμ’ ἐπιμελητὴς πραγμάτων καὶ τῶν ἰδίων πάντων). Der árchōn polémarchos konnte in Bezug auf Metöken und Fremde nur díkai ídiai annehmen (Aristot. Ath. pol. 58,2). Zu díkai ídiai und díkai dēmósiai im Sinne von graphaí siehe Demosth. or. 18,210; 21,25–28; vgl. Poll. 8,41. 12  Van Wees 2011, 123. In Aristot. Ath. pol. 57,2 heißt es daher ausdrücklich, dass der árchōn basileús die graphaí asebeías und die Tötungsklagen entgegennimmt. 13  Demosth. or. 21,47; 22,26 f.; vgl. 21,45 (F 93c–d). Kapparis 2018, 160 f. sieht daher in der graphḗ hýbreōs eher eine theoretische Klagemöglichkeit, die wegen des hohen Risikos für den Kläger kaum angewandt wurde. 14  Gesetz in Ps.-Demosth. or. 43,75 (s. o. S. 435 Anm. 69).

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und in diesen Fällen der Anzeigende nicht einmal das Risiko einging, bei Nichterreichen der erforderlichen Stimmen eine hohe Strafe zahlen zu müssen, weil der Archont selbst unmittelbar Bußen auferlegte oder ein Verfahren vor Gericht brachte.15 Prinzipiell war es also möglich, in schweren Fällen von Gewaltanwendung, Beleidigung oder bei anderen Unrechtstaten nicht den Weg einer Privatklage einzuschlagen, sondern den einer graphḗ hýbreōs. Dies belegt auch Demosth. or. 22,27 (F 64b), da der Sprecher dort die unterschiedlichen Möglichkeiten bei einem Diebstahlsdelikt darlegt, darunter die Aufforderung „klage öffentlich“ (γράφου), also sich mittels graphḗ hýbreōs direkt an die Thesmotheten in Athen zu wenden, oder eine Privatklage wegen Diebstahls einzureichen und sich damit an einen Schiedsrichter (diaitētḗs) zu wenden (δικάζου κλοπῆς πρὸς διαιτητήν).16 Die graphḗ hýbreōs war eine Appellation unmittelbar an das Volk, an die (h)ēliaía, die Solon geschaffen hatte.17 Bereits vor Aristophanes (F 64a) und Isokrates (F 93a) könnte Thukydides auf die graphḗ hýbreōs angespielt haben, wenn er im Epitaphios den Perikles sagen lässt, dass die Athener sich durch Gehorsam gegenüber den jährlich wechselnden Amtsträgern auszeichneten und gegenüber den Gesetzen, insbesondere denen, die zum „Nutzen derer, die Unrecht erlitten hatten,“ erlassen worden seien.18 Da die graphḗ hýbreōs im Kern eine verfahrensrechtliche Bestimmung war, ist es gut möglich, dass im Anschluss an die grundsätzliche Regelung, dass nämlich jeder zugunsten einer geschädigten Einzelperson schriftlich bei den Thesmotheten Klage einreichen konnte und diese Klage binnen dreißig Tagen der (h)ēliaía vorzulegen war, detaillierte Regelungen folgten, die spezielle Delikte behandelten, also z. B. wenn ein anderer „geschlagen, gewaltsam angegriffen oder geschädigt“ worden war.19 Diese von Plutarch im Zusammenhang mit der graphḗ hýbreōs gebrauchten Worte könnten eine

15 Beim árchon epṓnymos konnten vermutlich keine graphaí eingereicht werden, da der árchon sich um die Unversehrtheit dieser Personen und ihres Besitzes qua Amt unmittelbar kümmerte (Aristot. Ath. pol. 56,6; Fisher 1992, 62–81; van Wees 2011, 129, 132). Diese Strafkompetenz sei Hans van Wees zufolge später eingeschränkt worden und durch eine vor dem Volksgericht verhandelte graphḗ kakṓseōs in nachsolonischer Zeit ersetzt worden (van Wees 2011, 129 f., 132 f.). 16  Möglicherweise musste die graphḗ schriftlich eingereicht werden, weil die Klage – anders als die díkē – nicht auf lokaler Ebene verhandelt wurde. 17  Auffällig ist, dass bei den Belegen für die graphḗ hýbreōs, bei der Klage des boulómenos bei Misshandlung eines nach Attika zurückgekehrten Täters gemäß Tötungsrecht (F 33a) und bei der graphḗ asebeías stets die (h)ēliaía belegt ist, nicht ein (Teil-)Gerichtshof (dikastḗrion). Dies spricht für das hohe Alter der Bestimmungen. Auf der anderen Seite deute nach Jakov A. Lencman die Verwendung der Worte ἀποτεῖσαι (im Sinne von ‚eine Geldstrafe entrichten müssen‘) und παράνομον für eine spätere Textfassung (Raby v zakonach Solona. K voprosu o dostovernosti antičnoj tradicii [= Die Sklaven in Solons Gesetzen. Zur Frage nach der Glaubwürdigkeit der antiken Tradition], in: VDI 63,4, 1958, 51–69, hier 65). 18  Thuk. 2,37,3: τῶν τε αἰεὶ ἐν ἀρχῇ ὄντων ἀκροάσει καὶ τῶν νόμων, καὶ μάλιστα αὐτῶν ὅσοι τε ἐπ’ ὠφελίᾳ τῶν ἀδικουμένων κεῖνται. 19  Plut. Solon 18,6: καὶ πληγέντος ἑτέρου καὶ βιασθέντος ἢ βλαβέντος. Auf einen gewalttätigen Angriff bezieht sich die Rede des Isokrates Gegen Lochites (F 93a).

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indirekte Wiedergabe von (auf Solon zurückgehende oder spätere) Detailbestimmungen sein für besonders gravierende Fälle eines gewaltsamen Angriffs oder einer Beleidigung. Dass es solche ‚Ausführungsbestimmungen‘ gab, dafür spricht auch das in der Rede des Aischines Gegen Timarchos eingelegte Gesetz, das nicht die in § 15 paraphrasierte (einleitende) Bestimmung des Hybrisgesetzes wiedergibt, sondern eine spezielle, auf Kinder bezogene, gefolgt von dem Hinweis, dass dies auch für die Sklaven gelte. Dazu passt, dass Aischines einleitend bemerkt, dass das Gesetz unter einem Begriff (kephálaion), nämlich dem der hýbris, alle Formen von Misshandlungen in sich schließe.20 Dass das Gesetz in § 16 nicht von einem Redaktor der Rede falsch eingesetzt wurde, zeigt der weitere Text mit dem Hinweis des Aischines, wonach der Gesetzgeber nicht von dem Kind selbst spreche (das noch nicht rechtsfähig ist), sondern von denjenigen, die „bei dem Knaben sind“, also Vater, Bruder, Vormund, Lehrer oder die, die über ihn die väterliche Gewalt ausüben, also kýrioi sind. Damit greift Aischines eine Formulierung aus dem eingelegten Gesetz auf.21 Nick Fisher hatte die Echtheit des eingelegten Gesetzes auch deswegen bestritten, weil bei der graphḗ hýbreōs „jeder, der will“ klagen konnte, hier aber der kýrios als Kläger bestimmt ist.22 Das ist aber kein zwingendes Argument, da es um Personen geht, die der hausväterlichen Gewalt unterstehen; bei ihnen konnten möglicherweise keine Dritten über den Kopf des kýrios hinweg Klage einreichen. Für angehängte Einzelbestimmungen bei schweren und ehrverletzenden Akten von hýbris, bei Schlägen und verbalen Beleidigungen sprechen auch Hinweise in den Scholien und in der Hypothesis zur demosthenischen Meidiasrede: hýbris habe eine doppelte, wenn nicht dreifache Bedeutung, was Demosthenes prozesstaktisch geschickt ausgenutzt habe; hýbris bezeichne sowohl das „durch Zügellosigkeit“ (διὰ 20  Aischin. Tim . 15: τὸν [νόμον] τῆς ὕβρεως, ὃς ἑνὶ κεφαλαίῳ πάντα τὰ τοιαῦτα συλλαβὼν ἔχει. 21  Aischin. Tim. 18: ἀλλὰ τοῖς περὶ τὸν παῖδα, πατρί, ἀδελφῷ, ἐπιτρόπῳ, διδασκάλοις καὶ ὅλως τοῖς κυρίοις; vgl. Tim. 16: Ἐάν τις Ἀθηναίων ἐλεύθερον παῖδα ὑβρίσῃ, γραφέσθω ὁ κύριος τοῦ παιδὸς πρὸς τοὺς θεσμοθέτας, τίμημα ἐπιγραψάμενος. Im gesamten Abschnitt, beginnend mit § 11, geht es um Gesetze, die Knaben betreffen. Die eingelegten Gesetze in Aischin. Tim. 16 und Demosth. or. 21,47 werden von Edward M. Harris und Mirko Canevaro als Fälschungen angesehen, da Demosth. or. 21,47 im ‚Urexemplar‘ nicht enthalten sei und nicht in allen Fällen wegen hýbris geklagt werden konnte, sondern nur wenn Vorsätzlichkeit und Gewaltanwendung vorlägen (Harris 2013; Canevaro 2018, 100 Anm. 1). Die Formulierung ἢ παράνομόν τι ποιήσῃ εἰς τούτων τινά sei eine erweiternde Bemerkung des Aischines zum Hybrisgesetz gewesen, die der Fälscher irrtümlich in den Gesetzestext übernommen habe (Harris 2013, 227). Ich halte diese Argumente gegen die Echtheit für nicht stichhaltig. Vgl. Fisher 2001, 139 f., der gegen den Einwand, die Formulierung παράνομόν τι sei zu vage, vorbringt, dass sie auch in dem in Ps.-Demosth. or. 43,75 eingelegten Gesetz hinsichtlich des Schutzes von Waisen, Erbtöchtern und Witwen belegt sei. Er kommt daher zu dem Ergebnis: „Hence it may be best to accept the essential genuineness of the quotation of the law in Dem. 21.47, and also that in Ps. Dem. 43.75, and suppose that the addition of the paranomon clause was probably intended to reinforce the generally anti-social nature of a serious act of hýbris.“ Den in § 16 eingelegten Gesetzestext hält Fisher hingegen für eine unfachmännische Erfindung eines Lesers, „based on a casual reading of the speech and his own ideas“ (139). Vgl. dazu auch Adele C. Scafuro, The Forensic Stage. Settling Disputes in Graeco-Roman New Comedy, Cambridge 1997, 206 f. 22  Fisher 2001, 139.

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αἰσχρουργίας), als auch das „durch Schläge“ und Gewalt (διὰ πληγῶν), als auch das „durch beleidigende Worte“ (διὰ λόγων) verübte Unrecht.23 Diese Indizien weisen darauf hin, dass zumindest in nachsolonischer Zeit die allgemeine Verfahrensregel, bei schweren Unrechtstaten könne jedermann über die Thesmotheten unmittelbar das Volk anrufen, durch Einzelbestimmungen ergänzt war.24 In klassischer Zeit wurden dann weitere graphaí als Popularklagen eingerichtet, die spezielle Delikte regelten; Kataloge solcher graphaí sind in der Athenaion politeia und bei Pollux erhalten.25 Dass beim nómos hýbreōs neben Kindern und Frauen ausdrücklich auch Sklaven einbezogen waren, die als Unfreie keine Ehre für sich beanspruchen konnten und denen gegenüber deswegen auch keine hýbris im Sinne von ehrverletzenden Handlungen möglich war, ist immer wieder als Problem formuliert worden.26 Die Forschung hat vor allem daran Anstoß genommen, dass bei einem so weitreichenden Gesetz der Herr eines Sklaven nicht nur die Möglichkeit gehabt haben sollte, Klage einzureichen, sondern die Angelegenheit mittels graphḗ auch direkt vor das Volk in Athen zu bringen. Nicolas Fisher, der sich mit dieser Frage intensiv auseinandergesetzt hat, vertritt die Ansicht, dass die Athener ihren Sklaven in gewissem Maße Respekt und Menschlichkeit entgegengebracht, ihnen ein Mindestmaß an moralischen und intellektuellen Fähigkeiten zugesprochen und Autoren ihren Lesern diesbezügliche Ratschläge zur Behandlung von Sklaven erteilt hätten, so dass vorstellbar sei, dass Solon auch in Form eines Gesetzes die Sklaven vor hýbris habe schützen wollen. Er belegt dies mit Quel23  Hypothesis zu Demosth. or. 21 (p. 513, 11–13); Scholia Demosthenica in or. 21,46 (142 Dilts): ὥστε κἂν εἰς δοῦλον ὑβρίζῃ τις] τῇ ὁμωνυμίᾳ σοφίζεται. ὕβρις μὲν γὰρ καὶ ἡ τῶν πληγῶν, ὕβρις δὲ καὶ ἡ αἰσχρὰ ‹συνουσία› περὶ ἧς ὁ νομοθέτης λέγει. οὕτω γὰρ εἴρηκεν Αἰσχίνης ἐν τῷ κατὰ Τιμάρχου οὐδὲ κατὰ τῶν οἰκετῶν τὰς αἰσχρὰς γίνεσθαι μίξεις. τὸ γοῦν ὄνομα τῆς ὕβρεως ἐπ’ ἀμφοτέρων λεγόμενον ἄδειαν τῷ ῥήτορι τοῦ χρῆσθαι τῷ σοφίσματι δέδωκεν. Lipsius hatte den dritten Fall, die beleidigende Rede, als unkorrekt zurückgewiesen, da Beleidigungen über Privatklagen verfolgt würden; doch dies ist ein angesichts der oben geführten Diskussion nicht stichhaltiger Einwand. In der Hypothesis ist die Entehrung durch zügelloses Verhalten als „öffentliches Unrecht“ (δημόσιον ἀδίκημα) bezeichnet. 24  Dass die vorliegende Fassung des Gesetzes in Aischin. Tim. 16 eine spätere ist, dafür spricht der Gebrauch des Wortes dikastḗrion für ‚Gerichtshof ‘. 25  Aristot. Ath. pol. 59,2–5: Klagen wegen gesetzwidrigen Antrags und Beantragung eines schädlichen Gesetzes (γραφαὶ παρανόμων καὶ νόμον μὴ ἐπιτήδειον θεῖναι), wegen Amtspflichtverletzungen der Prohedroi und der Vorsitzenden sowie bei der Rechenschaftslegung der Strategen (προεδρικὴν καὶ ἐπιστατικὴν καὶ στρατηγοῖς εὐθύνας), Klagen wegen Anmaßung des Bürgerrechts, Bestechung in einem Bürgerrechtsprozess (γραφαὶ ξενίας καὶ δωροξενίας), Sykophantentum, Bestechung, falscher Eintragung als Schuldner gegenüber der öffentlichen Kasse, falscher Bezeugung einer Vorladung zur Prozesseröffnung und wegen ungerechtfertigter Aufnahme oder Streichung (in der Liste der öffentlichen Schuldner) (γραφαὶ συκοφαντίας καὶ δώρων καὶ ψευδεγγραφῆς καὶ ψευδοκλητείας καὶ βουλεύσεως καὶ ἀγραφίου) sowie wegen Ehebruchs (γραφαὶ μοιχείας). Sie führen außerdem die díkai ídiai ein, sowie Klagen in Handelsangelegenheiten und den Bergbau betreffend und die gegen Sklaven, wenn einer einen Freien verleumdet (5: εἰσάγουσι δὲ καὶ δίκας ἰδίας, ἐμπορικὰς καὶ μεταλλικάς, καὶ δούλων, ἄν τις τὸν ἐλεύθερον κακῶς λέγῃ). Da die graphḗ hýbreōs in diesem Katalog nicht direkt genannt ist, wird dies unter díkai ídiai subsumiert sein, als (Schrift-)Klagen bei Vergehen gegen Einzelpersonen. 26  Siehe dazu jetzt Canevaro 2018; vgl. Todd 1993, 111; Harris 2013, 225.

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lenstellen aus den homerischen Epen, der antiken Ökonomik, bei Platon und Aristoteles, die auf der einen Seite harte und unmenschliche Bestrafungen an Sklaven bezeugen, auf der anderen Seite ein vertrauensvolles Verhältnis beschrieben, für die in den Epen Eumaios und Eurykleia, in der Ökonomik der Verwalter und die Verwalterin des Landguts stehen. In archaischer und klassischer Zeit seien die Athener den Sklaven mit einer zwiespältigen Ideologie entgegengetreten, mit einem Nebeneinander von scharfer Abgrenzung und harter Bestrafung auf der einen und einem engen persönlichen Verhältnis und milder Behandlung auf der anderen Seite. Allerdings gesteht Fisher zu, dass andere Gesetze die Grenzen zwischen Freien und Sklaven schärfer zogen; das Entgegenkommen gegenüber den Sklaven im Hybrisgesetz könne als Kompensation einer ansonsten schärferen Abgrenzung gewertet werden. Zu berücksichtigen sei auch, dass in klassischer Zeit Zahl und Anteil der nichtgriechischen Sklaven angestiegen seien, denen in geringerem Maße Vertrauen und Respekt entgegengebracht wurde, so dass die im Gesetz den Sklaven gegenüber bezeugte Philanthropie und philotimía die Athener im späten 4. Jh. selbst erstaunte. Darauf verweist jedenfalls die Argumentation von Demosthenes und Aischines, die der Verletzung der Ehre aus naheliegenden prozesstaktischen Gründen eine ungeheuer große Bedeutung zumessen wollten, um eine hohe Strafe durchzusetzen, indem sie darauf verwiesen, dass in Athen selbst Sklaven vor hýbris geschützt seien; um wieviel schwerer wiege das Delikt also, wenn ein athenischer Bürger davon betroffen sei (F 93d, e, f).27 Die Einbeziehung von Sklaven als Opfer von hýbris und gesetzwidrigem Handeln ließe sich schließlich auch damit erklären, dass ein Sklavenaufstand verhindert und das System der Sklavenherrschaft stabilisiert werden sollte. In der Praxis werde, so Fisher, das Gesetz keine Bedeutung gehabt haben; Fälle, in denen Sklavenherren oder Dritte einen anderen angeklagt hätten, weil er hýbris an einem Sklaven verübt hätte, sind nicht bekannt.28 Berücksichtigt werden sollte allerdings auch, dass durch das Hybrisgesetz nicht nur der unmittelbare gewalttätige Angriff auf den freien Bürger verhindert werden sollte, sondern auch der mittelbare, der die Ehre des Hausherrn dadurch in Mitleidenschaft zog, dass die Frau des Hauses (z. B. durch Eindringen in die gynaikonítis) oder die Kin27  So auch Canevaro 2018, 101. 28  Fisher 1995; Fisher 2001, 141 mit einer kurzen Zusammenfassung seines Standpunktes. Van Wees 2011, 120 stimmt Nicolas Fisher insoweit zu, als auch er davon ausgeht, dass durch das Gesetz Sklaven vor hýbris geschützt werden sollten und in diesem Gesetz Standesunterschiede nicht zum Tragen kamen. „One might explain this by stressing again that hybris was seen as such a severe threat to social order that it could not be tolerated even when inflicted upon mere slaves“ (ebd. 120 mit Berufung auf Fisher). Ähnlich auch schon Marie-Madelaine Mactoux, Lois de Solon sur les esclaves et formation d’une société esclavagiste, in: Toru Yuge, Masaoki Doi (Hrsg.), Forms of Control and Subordination in Antiquity, Leiden 1988, 331–354, hier 337, die die Sklaven als „membres d’une communauté élargie, débordant la communauté civique“ ansieht. Ja. Lencman (1958 [wie Anm. 17], 65–68) lässt die Frage letztlich offen. Einen einzigen möglichen Fall von hýbris gegenüber einem Sklaven könnte der in Deinarch 1,23 genannte sein, wonach ein gewisser Themistios zum Tode verurteilt worden war, weil er sich der hýbris an einem rhodischen Lyraspieler bei den Eleusinien schuldig gemacht hatte (dazu Canevaro 2018, 100).

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der angegriffen wurden. Auch ein Angriff auf einen Sklaven konnte indirekt auf dessen Herrn gezielt haben, so dass eine dagegen vorgehende Klage in erster Linie nicht die Wahrung der Ehre eines Sklaven, sondern der seines Herrn zum Ziel hatte.29 Es sollte aber schließlich auch in Erwägung gezogen werden, ob nicht das solonische Gesetz ursprünglich Anklagen bei Angriffen auf den Hausvater und alle Personen erlaubte, die seiner Hausgewalt unterstanden, den Frauen, den Kindern und den abhängig Arbeitenden im Haus, den dmṓes, die in archaischer Zeit Gesindedienst leisteten (thēteúein). Männliche Bedienstete wurden auch als oikeús, weibliche als doúlē bezeichnet.30 Bei der Revision des Gesetzes könnte ein unspezifisches Wort für diese abhängig Arbeitenden durch doúlos ersetzt worden sein.31 Vermutlich folgten also wie bei den Bestimmungen zur graphḗ asebeías und zur graphḗ deilías auch im Rahmen der graphḗ hýbreōs auf die allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften Detailregelungen hinsichtlich hýbris gegen Frauen, Kinder und Sklaven. Die Verwendung bestimmter Termini wie doúlos für Sklaven oder dikastḗrion für den Gerichtshof lassen darauf schließen, dass zumindest einige der Detailregelungen nicht auf Solon zurückgehen, sondern auf die Revision der Gesetze in den Jahren 409– 399 v. Chr. oder auf Ergänzungen und Änderungen uns unbekannter Zeit. Zumindest das Grundprinzip, dass der boulómenos auch in Fällen, in denen er nicht selbst betroffen war, für eine andere Person in schriftlicher Form Klage bei einem der Archonten einreichen und den Fall unmittelbar vor das Volk als (h)ēliaía einbringen konnte, wird wohl mit Demosthenes, der Athenaion politeia und Plutarch Solon zuzusprechen sein.32 Für die detaillierten Einzelregelungen ist die Frage, ob sie auf Solon oder spätere Zeit zurückgehen, nicht zu klären.

29  Mit der Zielsetzung der graphḗ hýbreōs hat sich erneut Canevaro 2018 auseinandergesetzt, der zu dem Ergebnis kommt, dass irgendein Anspruch auf Ehre durch das Gesetz den Sklaven jedenfalls nicht zuerkannt worden sei. „Thus, if the law contemplates hubris against slaves, then either slaves are accorded some timē, or hubris must in reality be directed against someone else“ (105). Der Kläger hatte nachzuweisen, dass das begangene Vergehen „an episode of a more general hybristic conduct and the manifestation of a hybristic disposition“ war. „The primary consideration in the charge was therefore the disposition of the perpetrator vis-à-vis the assessment of the community, and not the dishonour of the victim“ (ebd. 117) und: „Because such acts are expressions of a disposition, they are forbidden because the disposition is forbidden“ (ebd. 118). 30  Siehe den Kommentar zu F 110a. 31  Zu freiem, aber abhängigem Gesinde im archaischen Griechenland siehe Winfried Schmitz, Überlegungen zur Verbreitung der Sklaverei in der griechischen Landwirtschaft, in: Peter Mauritsch, Christoph Ulf (Hrsg.), Kultur(en) – Formen des Alltäglichen in der Antike. Festschrift für Ingomar Weiler zum 75. Geburtstag, Teil 2, Graz 2013, 535–552; ders., Art. Gesinde, freies, in: Heinz Heinen (Hrsg.), Handwörterbuch der antiken Sklaverei, Stuttgart 2017, 1178–1181. 32  So auch Mactoux 1988 (wie Anm. 28) 336–338. Als solonisch anerkannt auch von Fisher 2001, 37, 129, 138–140.

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Verfahren vor den Thesmotheten

Literatur Lipsius 1905–15, 420–429; Eberhard Ruschenbusch, Ὕβρεως γραφή. Ein Fremdkörper im athenischen Recht des 4. Jahrhunderts v. Chr., in: ZRG 82, 1965, 302–309; Eberhard Ruschenbusch, Untersuchungen zur Geschichte des athenischen Strafrechts, Köln – Graz 1968; Nicolas R. E. Fisher, Hybris and Dishonour I, in: G&R 2. Ser. 23, 1976, 177–193; Michael Gagarin, The Athenian Law against Hybris, in: Glen W. Bowersock, Walter Burkert, Michael C. J. Putnam (Hrsg.), Arktouros. Hellenic Studies presented to B. M. W. Knox, Berlin – New York 1979, 229–236; Robin Osborne, Law in Action in Classical Athens, in: JHS 105, 1985, 40–58; Nicolas R. E. Fisher, The Law of Hyb­ ris in Athens, in: Paul Cartledge, Paul Millett, Stephen C. Todd (Hrsg.), Nomos. Essays in Athenian Law, Politics and Society, Cambridge etc. 1990, 123–138; Oswyn Murray, The Solonian law of ‚hubris‘, in: ebd. 139–145; David Cohen, Sexuality, Violence, and the Athenian Law of Hubris, in: G&R 2. Ser. 38, 1991, 171–188; Nicolas R. E. Fisher, Hybris. A Study in the Values of Honour and Shame in Ancient Greece, Warminster 1992; Nicolas R. E. Fisher, Hybris, Status and Slavery, in: Anton Powell (Hrsg.), The Greek World, London 1995, 44–84; Douglas L. Cairns, Hybris, Dishonour, and Thinking Big, in: JHS 116, 1996, 1–32; Gerhard Thür, Art. Graphe (γραφή), in: DNP 4, 1998, 1207 f.; Matthew R. Christ, The Litigious Athenian, Baltimore – London 1998, 118–159; Nicolas R. E. Fisher, Aeschines, Against Timarchos, Oxford 2001; Rosanna Omitowoju, Rape and the Politics of Consent in Classical Athens, Cambridge 2002, 29–50; Hans van Wees, The ‚Law of Hybris‘ and Solon’s Reform of Justice, in: Stephen D. Lambert (Hrsg.), Sociable Man. Essays on Ancient Greek Social Behaviour in Honour of Nick Fisher, Swansea 2011, 117–144; Edward M. Harris, The Against Meidias (Dem. 21), in: Mirko Canevaro, The Documents in the Attic Orators: Laws and Decrees in the Public Speeches of the Demosthenic Corpus, Oxford 2013, 224–231; Mirko Canevaro, The Documents of the Attic Orators. Laws and Decrees in the Public Speeches of the Demosthenic Corpus, Oxford 2013; Mirko Canevaro, The Public Charge for Hubris against Slaves: The Honour of the Victim and the Honour of the Hubristēs, in: JHS 138, 2018, 100–126; Konstantinos Kapparis, Prostitution in the Ancient Greek World, Berlin – Boston 2018, 158–161.

Klage wegen hýbris (graphḗ hýbreōs) (F 93) (F 93c: T 379 Martina; F 106 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 93g: T 322 Martina; F 40a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 93h: T 330 Martina; F 40b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 93a: Isokrates, Gegen Lochites (or. 20) 2 (390er Jahre) (1) Ὡς μὲν τοίνυν ἔτυπτέ με Λοχίτης ἄρχων χειρῶν ἀδίκων, ἅπαντες ὑμῖν οἱ παρόντες μεμαρτυρήκασιν. Τὸ δ’ ἁμάρτημα τοῦθ’ οὐχ ὅμοιον δεῖ νομίζειν τοῖς ἄλλοις οὐδὲ τὰς τιμωρίας ἴσας ποιεῖσθαι περί τε τοῦ σώματος καὶ τῶν χρημάτων, ἐπισταμένους ὅτι τοῦτο πᾶσιν ἀνθρώποις οἰκειότατόν ἐστι καὶ τούς τε νόμους ἐθέμεθα καὶ περὶ τῆς ἐλευθερίας μαχόμεθα καὶ τῆς δημοκρατίας ἐπιθυμοῦμεν καὶ τἄλλα πάντα τὰ περὶ τὸν βίον ἕνεκα τούτου πράττομεν. Ὥστ’ εἰκὸς ὑμᾶς ἐστὶν τοὺς περὶ τοῦτ’ ἐξαμαρτάνοντας, ὃ περὶ πλείστου ποιεῖσθε, τῇ μεγίστῃ ζημίᾳ κολάζειν. (2) Εὑρήσετε δὲ καὶ τοὺς θέντας ἡμῖν τοὺς νόμους ὑπὲρ τῶν σωμάτων μάλιστα σπουδάσαντας. Πρῶτον μὲν γὰρ περὶ μόνου τούτου τῶν ἀδικημάτων καὶ δίκας καὶ γραφὰς ἄνευ παρακαταβολῆς ἐποίησαν, ἵν’ ὅπως ἂν ἕκαστος ἡμῶν τυγχάνῃ δυνάμενος καὶ βουλόμενος, οὕτως ἔχῃ τιμωρεῖσθαι τοὺς ἀδικοῦντας. Ἔπειτα τῶν

Klage wegen hýbris und gesetzwidriger Tat (graphḗ hýbreōs) (F 93)

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μὲν ἄλλων ἐγκλημάτων αὐτῷ τῷ παθόντι μόνον ὁ δράσας ὑπόδικός ἐστιν· περὶ δὲ τῆς ὕβρεως, ὡς κοινοῦ τοῦ πράγματος ὄντος, ἔξεστιν τῷ βουλομένῳ τῶν πολιτῶν γραψαμένῳ πρὸς τοὺς θεσμοθέτας εἰσελθεῖν εἰς ὑμᾶς. App. crit.: (1) δεῖ om. Γ; καὶ περὶ … μαχόμεθα om. Γ1; (2) ἕκαστος ἡμῶν ΓΕ, ἡμῶν ἕκαστος vulg.; δυνάμενος ΓΕ, καὶ δυνάμενος cett. codd.; τῷ παθόντι μόνον ΓΕ, μόνῳ τῷ παθόντι κακῶς vulg.; ὄντος om. ΓΕ.

(1) Dass also Lochites mich schlug und die Schlägerei anfing (árchōn cheirṓn adíkōn), haben euch alle, die dabei waren, bezeugt. Dieses Vergehen aber dürft ihr nicht den anderen gleich achten und gegen den Körper gerichtete [Gewalttätigkeiten] nicht mit derselbe Strafe belegen wie Eigentumsdelikte, da ihr wisst, dass er [der Körper] allen Menschen das Nächste ist, und dass wir uns [zum Schutze dessen] Gesetze gaben, für die Freiheit kämpfen und die Demokratie wünschen, und alles andere, was das Leben angeht, um seinetwillen tun. Daher ist es nur recht und billig, dass ihr diejenigen, welche sich an dem vergehen, was ihr am höchsten schätzt, mit der größten Strafe belegt. (2) Ihr werdet aber auch finden, dass die, welche uns die Gesetze (nómoi) gaben, für den Schutz der Person (sṓmata) am meisten sorgten. Zuerst nämlich ordneten sie für dieses Vergehen allein sowohl Privatklagen (díkai) als auch öffentliche Klagen (graphaí) an, ohne die Auflage, eine parakatabolḗ zu hinterlegen; damit jeder von uns, wie er eben konnte und wollte (dynámenos kaí boulómenos), von denen, die ihm Unrecht zufügten, Vergeltung fordern könne; dann wird bei den anderen Klagen nur von dem, welchem [Unrecht] geschah, der Täter angeklagt, bei hýbris aber, als einer alle angehenden Sache, ist es jedem Bürger, der will (ho boulómenos), erlaubt, eine Klageschrift bei den Thesmotheten einzureichen (gráphesthai) und vor euch zu erscheinen.33

Möglicherweise spielt Isokrates mit den ersten Worten auf das Tötungsgesetz Drakons an, wonach vermutlich derjenige, der einen gewaltsamen Angreifer tötete, ohne Strafe sein sollte, wenn der andere den ersten Schlag versetzt hatte.34 Lochites könne also von Glück sagen, für die von ihm begonnene Schlägerei nur vor Gericht angeklagt worden zu sein. Mit der Aussage, bei Vergehen gegen den Körper hätte der Gesetzgeber sowohl Privat- als auch Strafklagen zugelassen, bestätigt Isokrates die Ausführungen Plutarchs (F 93h), Solon habe es jedem, der wollte und konnte, freigestellt, zugunsten eines Geschädigten, der geschlagen (plēgeís), gewaltsam angegriffen (biastheís) oder geschädigt (blabeís) worden war, Schriftklage zu erheben.35 Die parakatabolḗ war eine Gebühr in Höhe des zehnten Teils vom Wert eines beanspruchten Erbes, das hinterlegt werden musste und verloren war, wenn man im Rechtsstreit unterlag. Bei den graphaí verfiel die parakatabolḗ, wenn der Kläger nicht den fünftel Teil der Stimmen gewann.36

33  Übersetzung nach Christine Ley-Hutton. 30 35 34  F 2; IG I3 104 Z. 33–35: ἄρχον]τ̣α χερο͂ν̣ ̣ ἀ[δίκον … … χερ]ο͂ν ἀδίκον κ| τέ[νει … 35  Auch in der Formulierung ἐξῆν τῷ δυναμένῳ καὶ βουλομένῳ γράφεσθαι τὸν ἀδικοῦντα καὶ διώκειν stimmt Plutarch mit der des Isokrates in or. 20,2 teilweise überein: ἵν’ ὅπως ἂν ἕκαστος ἡμῶν τυγχάνῃ δυνάμενος καὶ βουλόμενος, οὕτως ἔχῃ τιμωρεῖσθαι τοὺς ἀδικοῦντας. 36  Lipsius 1905–15, 580, 824, 857, 933–937.

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Verfahren vor den Thesmotheten

F 93b: Aristophanes, Plutos 906–919 (388 v. Chr.) (siehe F 64a) F 93c: Demosthenes, Gegen Androtion (or. 22) 25–28 (355 v. Chr.) (= F 64b) F 93d: Demosthenes, Gegen Meidias (or. 21) 45–47 (349 v. Chr.) (45) … τοὺς δὲ νόμους ἁπάντων εἶναι, καὶ τὸν μὲν πεισθέντ’ ἰδίας, τὸν δὲ βιασθέντα δημοσίας δεῖσθαι βοηθείας. διόπερ καὶ τῆς ὕβρεως αὐτῆς τὰς μὲν γραφὰς ἔδωκεν ἅπαντι τῷ βουλομένῳ, τὸ δὲ τίμημ’ ἐποίησεν ὅλον δημόσιον· τὴν γὰρ πόλιν ἡγεῖτ’ ἀδικεῖν, οὐ τὸν παθόντα μόνον, τὸν ὑβρίζειν ἐπιχειροῦντα, καὶ δίκην ἱκανὴν τὴν τιμωρίαν εἶναι τῷ παθόντι, χρήματα δ’ οὐ προσήκειν τῶν τοιούτων ἐφ’ ἑαυτῷ λαμβάνειν. (46) καὶ τοσαύτῃ γ’ ἐχρήσαθ’ ὑπερβολῇ, ὥστε κἂν εἰς δοῦλον ὑβρίζῃ τις, ὁμοίως ἔδωκεν ὑπὲρ τούτου γραφήν. οὐ γὰρ ὅστις ὁ πάσχων ᾤετο δεῖν σκοπεῖν, ἀλλὰ τὸ πρᾶγμ’ ὁποῖόν τι τὸ γιγνόμενον· ἐπειδὴ δ’ εὗρεν οὐκ ἐπιτήδειον, μήτε πρὸς δοῦλον μήθ’ ὅλως ἐξεῖναι πράττειν ἐπέτρεψεν. οὐ γὰρ ἔστιν, οὐκ ἔστιν, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, τῶν πάντων οὐδὲν ὕβρεως ἀφορητότερον, οὐδ’ ἐφ’ ὅτῳ μᾶλλον ὑμῖν ὀργίζεσθαι προσήκει. ἀνάγνωθι δ’ αὐτόν μοι λαβὼν τὸν τῆς ὕβρεως νόμον· οὐδὲν γὰρ οἷον ἀκούειν αὐτοῦ τοῦ νόμου. ΝΟΜΟΣ.

(47) Ἐάν τις ὑβρίζῃ εἴς τινα, ἢ παῖδα ἢ γυναῖκα ἢ ἄνδρα, τῶν ἐλευθέρων ἢ τῶν δούλων, ἢ παράνομόν τι ποιήσῃ εἰς τούτων τινά, γραφέσθω πρὸς τοὺς θεσμοθέτας ὁ βουλόμενος Ἀθηναίων οἷς ἔξεστιν, οἱ δὲ θεσμοθέται εἰσαγόντων εἰς τὴν ἡλιαίαν τριάκοντα ἡμερῶν ἀφ’ ἧς ἂν γραφῇ, ἐὰν μή τι δημόσιον κωλύῃ, εἰ δὲ μή, ὅταν ᾖ πρῶτον οἷόν τε. ὅτου δ’ ἂν καταγνῷ ἡ ἡλιαία, τιμάτω περὶ αὐτοῦ παραχρῆμα, ὅτου ἂν δοκῇ ἄξιος εἶναι παθεῖν ἢ ἀποτεῖσαι. ὅσοι δ’ ἂν γράφωνται γραφὰς ἰδίας κατὰ τὸν νόμον, ἐάν τις μὴ ἐπεξέλθῃ ἢ ἐπεξιὼν μὴ μεταλάβῃ τὸ πέμπτον μέρος τῶν ψήφων, ἀποτεισάτω χιλίας δραχμὰς τῷ δημοσίῳ. ἐὰν δὲ ἀργυρίου τιμηθῇ τῆς ὕβρεως, δεδέσθω, ἐὰν ἐλεύθερον ὑβρίσῃ, μέχρι ἂν ἐκτείσῃ. App. crit.: (47) legem om. A; ὑβρίσῃ Lamb.; ἡλιαίαν FPc; ἂν ‹ᾗ› ἡ γραφή Markland; καταγνῶτε SFYP, καταγνῷ Lamb., καταγνωσθῇ Wolf; ἀποτίσαι SFYPc, ἀποτεῖσαι Blass; γραφὰς ἰδίας del. MacDowell; ἀποτισάτω SFYP, ἀποτεισάτω Blass; τῆς ὕβρεως del. Taylor; δὲ post ἐὰν secl. Oporinus; ἐκτίσῃ SFYP, ἐκτείσῃ Blass.

(45) … die Gesetze (nómoi) aber erstrecken sich auf alle, und man muss dem, der [Übles] erlitten hat (peisthṓn), einzeln, aber dem, der mit offener Gewalt angegriffen wurde (biasthṓn), gemeinschaftliche Unterstützung (idía und dēmosía boētheía) angedeihen lassen. Deshalb hat er denn auch die Schriftklagen (graphaí) gerade bei hýbris jedwedem (boulómenos) einzureichen erlaubt, die Strafe dagegen ungeteilt der öffentlichen Kasse zugesprochen. Denn er ging davon aus, dass der Polis Unrecht geschehen sei und nicht allein dem Betroffenen, für den es eine hinreichende Genugtuung sei, dass man gegen den, der hýbris begangen hat, in einem Prozess einschreite, und dem es nicht zukomme für solche [Angriffe] für sich selbst Geld sich auszahlen zu lassen. (46) Ja er ging noch weit darüber hinaus, indem er gleichermaßen eine Schriftklage (graphḗ) zugunsten eines Sklaven (doúlos) zuließ, gegen den jemand hýbris begangen hatte. Denn nach seiner Ansicht sollte nicht der [Status des] Beleidigten den Ausschlag geben, sondern die Umstände der Tat, und da er sie denn unzulässig fand, so hat er nicht an einem Sklaven (doúlos) bloß, sondern schlechthin dergleichen zu verüben untersagt. Denn nichts, Männer von Athen, nichts ist unerträglicher als hýbris und nichts was euren Mutwillen in höherem Maße verdient. So nimm denn das Hybrisgesetz (hýbreōs nómos) zur Hand und lies es vor; denn nichts geht über das Anhören des Gesetzes selbst.

Klage wegen hýbris und gesetzwidriger Tat (graphḗ hýbreōs) (F 93)

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Gesetz

(47) Wenn irgendeiner gegen einen anderen (eís tina), sei es ein Kind, eine Frau oder ein Mann, seien sie Freie oder Sklaven (doúloi), hýbris oder irgendetwas Gesetzwidriges (pará­ nomón ti) gegen einen von diesen begeht, so kann ihn jeder Athener, der will (ho boulóme­ nos), mittels einer bei den Thesmotheten einzureichenden Schriftklage anklagen (gráphesthai); die Thesmotheten aber müssen die Sache binnen dreißig Tagen, von dem Tag an als die graphḗ eingereicht wurde, vor die (h)ēliaía bringen, sofern nicht irgendeine öffentliche Angelegenheit dies verhindert; und wenn doch, sobald es möglich ist. Verurteilt ihn die (h)ēliaía, so soll er sofort die Strafe schuldig sein, in welchem Maße auch immer er sie erleiden oder entrichten soll.37 Bei denjenigen, die gemäß Gesetz auf Einzelpersonen gerichtete Schriftklagen (graphaí ídiai) eingereicht haben, soll der, wenn er die Klage nicht [weiter-]verfolgt oder bei deren Verfolgung nicht den fünften Teil der Stimmen erhält, tausend Drachmen an die öffentliche Kasse zahlen. Wird der Angeklagte wegen hýbris aber zu einer Geldbuße (argýri­ on) verurteilt, so soll er, falls er hýbris an einem Freien verübt hat, in Haft genommen werden, bis dass er zahlt.38

F 93e: Aischines, Gegen Timarchos (or. 1) 15–16 (346 v. Chr.) (15) Καὶ ποῖον ἄλλον; τὸν τῆς ὕβρεως, ὃς ἑνὶ κεφαλαίῳ πάντα τὰ τοιαῦτα συλλαβὼν ἔχει· ἐν ᾧ διαρρήδην γέγραπται, ἐάν τις ὑβρίζῃ εἰς παῖδα – ὑβρίζει δὲ δή που ὁ μισθούμενος – ἢ ἄνδρα ἢ γυναῖκα, ἢ τῶν ἐλευθέρων τινὰ ἢ τῶν δούλων, καὶ παράνομόν τι ποιῇ εἰς τούτων τινά, γραφὰς ὕβρεως εἶναι πεποίηκεν καὶ τίμημα ἐπέθηκεν, ὅ τι χρὴ παθεῖν ἢ ἀποτεῖσαι. Λέγε τὸν νόμον. Νόμος

(16) Ἐάν τις Ἀθηναίων ἐλεύθερον παῖδα ὑβρίσῃ, γραφέσθω ὁ κύριος τοῦ παιδὸς πρὸς τοὺς θεσμοθέτας, τίμημα ἐπιγραψάμενος. Οὗ ‹δ’› ἂν τὸ δικαστήριον καταψηφίσηται, παραδοθεὶς τοῖς ἕνδεκα τεθνάτω αὐθημερόν. Ἐὰν δὲ εἰς ἀργύριον καταψηφισθῇ, ἀποτεισάτω ἐν ἕνδεκα ἡμέραις μετὰ τὴν δίκην, ἐὰν μὴ παραχρῆμα δύνηται ἀποτίνειν· ἕως δὲ τοῦ ἀποτεῖσαι εἱρχθήτω. Ἔνοχοι δὲ ἔστωσαν ταῖσδε ταῖς αἰτίαις καὶ οἱ εἰς τὰ οἰκετικὰ σώματα ἐξαμαρτάνοντες. App. crit.: (15) ἅπαντα Bf VFr.; καὶ παράνομόν τι A, ἢ ἐὰν παράνομόν τι cet., κἂν W; πεποίηκεν del. Weidner; ἀποτῖσαι omnes; τοὺς νόμους. ΝΟΜΟΙ scr., τὸν νόμον. ΝΟΜΟΣ, cf. v. 19 adiectum τῷ τῆς ὕβρεως; (16) legem om. df; uncis incl. Turr. Fr.; ἐὰν q Barb.; οὗ δ’ ἂν Dobr., οὗ ἂν V Fr., ᾧ ἂν plerique; καταψηφίσηται h V Fr., καταψηφισθῇ. Sed deesse vid. θάνατον; καταψηφι .. V.

(15) Und was für ein anderes [Gesetz]? Das der hýbris, das unter einem einzigen Begriff (kephá­ laion) alle [Vergehen] solcher Art zusammengenommen hat. In diesem steht ausdrücklich geschrieben, wenn einer ein Kind misshandelt (hybrízein) – es misshandelt aber ja wohl der, der [einen anderen für eine erotische Beziehung] mietet – oder einen Mann oder eine Frau, seien sie Freie oder Sklaven (doúloi), oder wenn jemand sonst etwas Gesetzwidriges (paránomón ti) gegen einen von diesen (eis toútōn tiná) ausführt, so hat er [der Gesetzgeber] Klagen wegen hýbris (graphaí hýbreōs) eingerichtet und eine Strafe (tímēma) bestimmt, die er erleiden oder entrichten muss. Lies das Gesetz!

37  Eine ganz ähnliche Bestimmung liegt in dem Gesetz vor, das in Demosth. or. 24,63 eingelegt ist. Edward M. Harris (2013, 227) geht davon aus, dass der Fälscher des Dokuments or. 21,47 diese Bestimmung gekannt habe. 38  Übersetzung nach A. Westermann.

594

Verfahren vor den Thesmotheten Gesetz

(16) „Wenn ein Athener einen freien Knaben misshandelt (hybrízein), so soll ihn der kýrios des Knaben bei den Thesmotheten anklagen (gráphesthai) und die [beantragte] Strafe (tímēma) in der Schriftklage hinzusetzen (epigráphesthai). Wozu auch immer das Gericht (dikastḗrion) ihn verurteilt, soll er am gleichen Tag den Elfmännern [übergeben und] hingerichtet werden; wird er aber zu einer Geldstrafe (argýrion) verurteilt, so soll er sie in elf Tagen nach dem Urteil zahlen, wenn er sie nicht sogleich zu zahlen imstande ist. Bis zur Bezahlung soll er aber festgehalten werden. Diesen Anschuldigungen unterliegen sollen aber auch diejenigen, die sich gegen die Körper der Sklaven (oiketiká sṓmata) vergehen“.39

Aischines nimmt in Tim. 15 Bezug auf den nómos hýbreōs, das Hybrisgesetz, so wie es in Demosth. or. 21,47 überliefert ist, und zitiert daraus indirekt (was ihm die Umstellung Kind, Mann, Frau statt Kind, Frau, Mann erlaubt) den ersten, einleitenden Satz. Das in Tim. 16 eingelegte Gesetz muss daher keine Fälschung sein, sondern wird ein Auszug aus den im Gesetz folgenden Detailbestimmungen sein, nämlich denen, die sich mit hýbris gegenüber Kindern beschäftigen (deswegen ist in Tim. 15 das Kind an den Anfang gesetzt). Auch bei dieser Detailbestimmung geht es nicht um substanzielles Recht, sondern um den Verfahrensweg. Die Nennung des dikastḗrion weist darauf hin, dass es eine Erweiterung nachsolonischer Zeit ist, wenn nicht die Begrifflichkeit im Zuge der Revision angepasst wurde. F 93f: Hypereides, fr. 120 Jensen und Lykurgos, fr. 12 Conomis (ca. 350–325 v. Chr.) (Athen. 6,92, p. 266f–267a)

Ἀθηναῖοι δὲ καὶ τῆς τῶν δούλων προνοοῦντες τύχης ἐνομοθέτησαν καὶ ὑπὲρ δούλων γραφὰς ὕβρεως εἶναι. Ὑπερείδης γοῦν ὁ ῥήτωρ ἐν τῷ κατὰ Μαντιθέου αἰκίας φησίν· „ἔθεσαν οὐ μόνον ὑπὲρ τῶν ἐλευθέρων, ἀλλὰ καὶ ἐάν τις εἰς δούλου σῶμα ὑβρίσῃ γραφὰς εἶναι κατὰ τοῦ ὑβρίσαντος“. τὰ ὅμοια εἴρηκε καὶ Λυκοῦργος ἐν τῷ κατὰ Λυκόφρονος πρώτῳ καὶ Δημοσθένης ἐν τῷ κατὰ Μειδίου. Die Athener trugen Sorge auch für das Wohlergehen ihrer Sklaven (doúloi) und legten gesetzlich fest (nomotheteín), dass graphaí hýbreōs auch hinsichtlich der Sklaven möglich waren. So sagt der Redner Hypereides in seiner Rede Gegen Mantitheos wegen tätlichen Angriffs (aikía): „Sie setzten fest, dass nicht nur im Falle von Freien, sondern auch wenn einer gegen den Körper eines Sklaven (doúlou sṓma) hýbris begeht, gegen den Betreffenden Schriftklagen (graphaí) möglich seien“. Ähnlich äußerten sich Lykurgos in der ersten Rede Gegen Lykophron und Demosthenes in der Rede Gegen Meidias (or. 21,46).

Sṓma doúlou greift das oiketiká sṓmata in dem Gesetz auf, das in Aischin. Tim. 16 eingelegt ist.

39  Übersetzung nach Johann Heinrich Bremi.

Gesetz gegen außerehelichen Verkehr

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F 93g: Aristoteles, Athenaion politeia 9,1 (320er Jahre) (siehe F 65a) F 93h: Plutarch, Solon 18,6–7 (um 100 n. Chr.) (6) ἔτι μέντοι μᾶλλον οἰόμενος δεῖν ἐπαρκεῖν τῇ τῶν πολλῶν ἀσθενείᾳ, παντὶ λαβεῖν δίκην ὑπὲρ τοῦ κακῶς πεπονθότος ἔδωκε. καὶ γὰρ καὶ πληγέντος ἑτέρου καὶ βιασθέντος ἢ βλαβέντος, ἐξῆν τῷ δυναμένῳ καὶ βουλομένῳ γράφεσθαι τὸν ἀδικοῦντα καὶ διώκειν, ὀρθῶς ἐθίζοντος τοῦ νομοθέτου τοὺς πολίτας ὥσπερ ἑνὸς μέρη ‹σώματος› συναισθάνεσθαι καὶ συναλγεῖν ἀλλήλοις. (7) τούτῳ δὲ τῷ νόμῳ συμφωνοῦντα λόγον αὐτοῦ διαμνημονεύουσιν. ἐρωτηθεὶς γὰρ ὡς ἔοικεν ἥτις οἰκεῖται κάλλιστα τῶν πόλεων, „ἐκείνην“ εἶπεν „ἐν ᾗ τῶν ἀδικουμένων οὐχ ἧττον οἱ μὴ ἀδικούμενοι προβάλλονται καὶ κολάζουσι τοὺς ἀδικοῦντας“. App. crit.: λαβεῖν: λαχεῖν Salmasius; καὶ γὰρ καὶ S: καὶ γὰρ Y; βλαβέντος καὶ βιασθέντος Y; ἐκείνη Y; εἰπεῖν S.

(6) Doch in der Überzeugung, er müsse der Ohnmacht der Menge noch mehr abhelfen, stellte er es jedem (pás) frei, zugunsten eines Geschädigten Klage zu erheben (díkēn labeín). Denn wenn irgendein anderer geschlagen (plēgeís), gewaltsam angegriffen (biastheís) oder geschädigt (blabeís) worden war, so stand es jedem, der das konnte und wollte (ho dynámenos kaí boulómenos), frei, gegen denjenigen, der rechtswidrig gehandelt hatte, Schriftklage einzureichen (gráphesthai) und ihn gerichtlich zu verfolgen (diṓkein), womit der Gesetzgeber (nomo­ thétēs) mit Recht die Bürger gewöhnen wollte, sich gleichsam als Glieder eines ‹Körpers› zu fühlen und füreinander Mitleid zu empfinden. (7) Man überliefert auch von ihm einen Ausspruch, der zu diesem Gesetz passt. Denn als er gefragt wurde, wie ihm scheine, in welcher Stadt es am besten bestellt sei, antwortete er: „In jener, in der diejenigen, die kein Unrecht erlitten hatten, ebenso eifrig wie diejenigen, denen Unrecht geschehen war, die Übeltäter verfolgen und bestrafen“.

VIII A 2 Gesetz gegen außerehelichen Verkehr Abstract: Plutarch schreibt Solon ein Gesetz gegen moicheía zu, wobei moicheía sowohl den Ehebruch als auch den vorehelichen Geschlechtsverkehr mit Frauen umfasst, die der hausväterlichen Gewalt unterstehen. Schon Drakon hatte in seinem Gesetz die Tötung des bei der Ehefrau, Mutter, Schwester, Tochter oder pallakḗ ergriffenen moichós straffrei gelassen. Im nómos moicheías hat Solon die straffreie Tötung des bei der Tat ergriffenen moichós beibehalten, darüber hinaus aber die Möglichkeit geschaffen, gegen den moichós mittels Schriftklage gerichtlich vorzugehen, wenn er den moichós nicht eigenhändig töten wollte oder er ihn nicht bei der Tat ergriffen hatte. Außerdem war es dem Hausvater möglich, sich außergerichtlich mit dem Ergriffenen auf eine Bußzahlung zu einigen. Hatte der Hausvater den Ehebrecher getötet, eine Bußzahlung von ihm erhalten oder war der moichós in einem Prozess verurteilt worden, musste sich der Ehemann von der Frau trennen. Tat er dies nicht, wurde er ehrlos. Die Frau durfte an öffentlichen Festen nicht teilnehmen. Schwestern oder Töchter, die vor der Ehe Geschlechtsverkehr hatten, konnte der Hausvater ‚verkaufen‘.

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Verfahren vor den Thesmotheten

Historische Einordnung Die straffreie Tötung des moichós Drakon hatte in seinem Gesetz über die Tötung bestimmt, dass eine berechtigte Tötung straflos bleiben sollte: „Wer jemanden … bei der Ehefrau (dámar), der Mutter, Schwester, Tochter oder pallakḗ, die er um freier Kinder willen hat, getötet hat, so muss er wegen Tötung in diesen Fällen nicht außer Landes gehen (pheúgein)“.40 Die Bestimmung umfasst sowohl den Ehebruch als auch den vorehelichen Verkehr mit der Schwester oder der Tochter als auch sexuelle Beziehungen mit einer freien Frau, die als pallakḗ im Haus lebte, also in einer dauerhaften Beziehung zum Hausvater stand, ohne mit ihm rechtsgültig verheiratet zu sein.41 Starben die Kinder aus der ersten (rechtmäßigen) Ehe des Hausvaters, konnten die von der pallakḗ geborenen freien Kinder in das Erbe eingesetzt werden.42 Was in Drakons Gesetz über die Tötung durch Aufzählung der vom Gesetz betroffenen Frauen genau angegeben war, fassten spätere Autoren, wie z. B. Pausanias, in dem Begriff moichós für den ‚Ehebrecher‘ zusammen, für dessen Tötung Straflosigkeit (ádeia) gelte.43 Der außer- oder voreheliche Geschlechtsverkehr war deswegen mit einer so harten Strafe belegt, weil es sich nicht nur um ein ‚Sittlichkeitsdelikt‘ hanelte. Die Tat war in der Regel im Haus desjenigen geschehen, in dessen Hausgewalt die Frau stand, so dass diesem die eigenmächtige Tötung ebenso zustand wie die des nächtlichen Diebs. Die Härte der gegen den ertappten moichós zulässigen Strafe (die nicht zwingend voll-

40 F 11a; lex apud Demosth. or. 23,53: Ἐάν τις ἀποκτείνῃ … ἐπὶ δάμαρτι ἢ ἐπὶ μητρὶ ἢ ἐπ’ ἀδελφῇ ἢ ἐπὶ θυγατρί ἢ ἐπὶ παλλακῇ, ἣν ἂν ἐπ’ ἐλευθέροις παισὶν ἔχῃ, τούτων ἕνεκα μὴ φεύγειν κτείναντα. 41  So das in der Forschung einmütige Verständnis des Begriffs moichós, weitgehend auf Grundlage des drakontischen Gesetzes (z. B. Paoli 1976, 253–265; Kenneth Dover, Greek Popular Morality, Oxford 1974, 209; David M. Schaps, Economic Rights of Women in Ancient Greece, Edinburgh 1979, 80; Cole 1984, 98; Blundell 1995, 125; Schmitz 1997, 124–132). David Cohen hatte die Meinung vertreten, dass ähnlich wie in vielen anderen Rechtssystemen auch im attischen Recht zwischen außerehelichem und vorehelichem Verkehr unterschieden wurde und moicheía nur den Ehebruch, nicht aber den vorehelichen Verkehr bei unverheirateten Töchtern und Schwestern bezeichne. Das Gesetz in Demosth. or. 23,53 habe die Tötung dessen erlaubt, der die Tochter, Schwester oder Mutter vergewaltigt habe; der voreheliche Geschlechtsverkehr sei als solcher nicht strafbar gewesen (1984; 1990, 147; 1991, 99–109). Diese Ansicht ist jedoch von der Forschung übereinstimmend zurückgewiesen worden (Cantarella 1991, 289–296; Foxhall 1991, 297–304; Kapparis 1996, 63; Schmitz 1997, 49–54; Ogden 1997, 27; Patterson 1998, 121–125; Omitowoju 2002, 73–91). 42  Dazu Edwin Carawan, Pericles the Younger and the Citizenship Law, in: CJ 103, 2008, 383–406; Winfried Schmitz, Den Normenkonflikt aushalten. Euripides’ Andromache und das Bürgerrechtsgesetz des Perikles, in: Karl-Joachim Hölkeskamp, Julia Hoffmann-Salz, Katharina Kostopoulos, Simon Lentzsch (Hrsg.), Die Grenzen des Prinzips. Die Infragestellung von Werten durch Regelverstöße in antiken Gesellschaften, Stuttgart 2019, 63–79, hier 70 f. 43 F 11d (Paus. 9,36,8). Eine Definition dessen, was unter moicheía subsumiert wurde, ist im Gesetz nicht zu erwarten, wie David Cohen am Beispiel von Diebstahlsdelikten gezeigt hat (1991, 126 f.; vgl. demgegenüber Cole 1984).

Historische Einordnung – Gesetz gegen außerehelichen Verkehr (nómos moicheías) (F 94–98)

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streckt werden musste) resultiert wie beim Dieb zu einem guten Teil daraus, dass der moichós in ein fremdes Haus eingedrungen war, und zwar in der Regel bei Nacht, und der Hausvater fürchten musste, dass der moichós gegen ihn Gewalt anwendete.44 Hinzu kam, dass der moichós das Ansehen der Frau und der Familie insgesamt zerstörte45 und die ehelichen Kinder dem Verdacht aussetzte, dass sie nicht ehelich gezeugt waren, was die patrilineare Erbfolge gefährdete.46 Dies galt auch für den vorehelichen Geschlechtsverkehr der Tochter oder Schwester, die ‚Erbtochter‘ sein oder werden konnte, über die dann das Hausvermögen weitergegeben wurde. Solon hat die straffreie Tötung des bei der Tat ergiffenen moichós aus dem drakontischen Gesetz übernommen.47 Im ‚Gesetz über den außerehelichen Geschlechtsverkehr‘, dem nómos moicheías, waren jedoch auch andere Möglichkeiten geregelt, wie gegen einen ‚Ehebrecher‘ vorgegangen werden konnte. Die straffreie Tötung war eine dieser Möglichkeiten, wurde aber von Solon begrifflich genauer gefasst; statt des einfachen „bei der Ehefrau, der Mutter, der …“ (ἐπὶ δάμαρτι ἢ ἐπὶ μητρὶ ἢ ἐπ’ …) hieß es nun präziser „wenn Geschlechtsteil in Geschlechtsteil ist“ (ἄρθρα ἐν ἄρθροις ἔχων).48 Nach Lukian stand diese Formulierung im áxōn, und damit meint er vermutlich, wie viele späte Autoren auch, die áxones Solons, nicht den drakontischen áxōn. 44  Zu dieser Gefahr Erdmann 1934, 287; Cohen 1991, 112 f. Zum Haus als besonders geschütztem Friedensbereich Schmitz 2004, 277 ff. Auch im römischen Recht spielte das Hausrecht eine große Rolle; denn die Tötung war dem Vater nur im eigenen Haus und in dem des Schwiegersohnes erlaubt (Dig. 48,5,23[22],2; 24[23],2–3). 45  Hippomenes tötete den moichós, den er bei der Tochter ergriffen hatte, zusammen mit der Tochter, um die Ehre der Familie wieder herzustellen (Heraclid. Lemb. 1 Dilts; = Aristot. F 611 p. 371 Rose). Phillips 2013, 103. 46  In Lys. or. 1 rechtfertigt Euphiletos mit eben diesen Argumenten die Tötung des Ehebrechers Eratosthenes: Er habe durch die Tat seine Frau zugrunde gerichtet und seine Kinder geschändet, da sie nun dem Verdacht ausgesetzt seien, unrechtmäßige Kinder zu sein, und auch an ihm selbst habe er gefrevelt, weil er in sein Haus eingedrungen sei (Lys. 1,4: τὴν γυναῖκα τὴν ἐμὴν καὶ ἐκείνην τε διέφθειρε καὶ τοὺς παῖδας τοὺς ἐμοὺς ᾔσχυνε καὶ ἐμὲ αὐτὸν ὕβρισεν εἰς τὴν οἰκίαν τὴν ἐμὴν εἰσιών; ähnlich 1,25.26.33). Lacey 1983, 116 f.; Cole 1984, 106; 111; vgl. Fridolf Kudlien, Wie erkannte der antike Ehemann einen Bankert?, in: RhM 132, 1989, 204–214 und Cohen 1991, 61 f.; 67; 1995, 148. Auf die Bedeutung der Rechtmäßigkeit der Kinder beim Gesetz über den Ehebruch weisen auch Reinsberg 1989, 18, Doblhofer 1994, 15 f.; 106 (mit weiterer Literatur), Blundell 1995, 126, Patterson 1998, 149 und Gagliardi 2006, 116 hin. Über die „geradezu obsessive Angst“ vor Ehebruch in mediterranen Gesellschaften, die in keinem Verhältnis zur Häufigkeit des Delikts stehe, und deren Ursache siehe Christine Schnurr-Redford, Frauen im klassischen Athen. Sozialer Raum und reale Bewegungsfreiheit, Berlin 1996, 268–270; vgl. Cantarella 1987, 29. 47  Die Tötung des bei der Tat ergriffenen Ehebrechers blieb auch in vielen anderen griechischen Städten straffrei (Lys. 1,2; Xen. Hiero 3,3). Zur straffreien Tötung des moichós in den Gesetzen Drakons und Solons Kapparis 1995, 99 f., 105–110; Schmitz 1999, 49–66; Sviatoslav Dmitriev, The Birth of the Athenian Community. From Solon to Cleisthenes, London – New York 2018, 275–280. 48  Nach Cohen 1991, 117 habe Solon das Recht, den Ehebrecher selbst zu ergreifen und zu töten an bestimmte Voraussetzungen gebunden und damit eingeschränkt. Von einer Verschärfung gehen auch Latte 1932, 2446 und Ruschenbusch 2010, 60 f. aus. Doch die Formulierung ἐπὶ δάμαρτι ἢ ἐπὶ μητρὶ ἢ ἐπ’ … im Gesetz Drakons setzt das Ergreifen bei der Tat voraus, und bereits antike Kommentatoren haben dies bzw. das entsprechende in filia im römischen Recht mit ἐν ἔργῳ inhaltlich gleichgesetzt (Schmitz 1997, 59–61).

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Verfahren vor den Thesmotheten

Sowohl die Bestimmung Drakons als auch das Gesetz Solons ließ Euphiletos in dem gegen ihn gerichteten Prozess zitieren (F 94a). Er war wegen Tötung des Eratosthenes angeklagt worden, den er beim Ehebruch mit seiner Frau ergriffen und im Beisein von Zeugen eigenhändig getötet hatte. Der im Bett der Frau angetroffene Eratosthenes soll sich zu der Tat bekannt, um sein Leben gefleht und Geld als Entschädigung angeboten haben. Doch Euphiletos schlug dies aus und verwies vor Gericht auf das Gesetz, das den Eratosthenes für sein Vergehen richtete.49 Euphiletos ließ zunächst die entsprechende Bestimmung aus dem (solonischen) nómos moicheías verlesen und anschließend zur Bestätigung einen Auszug aus dem „Gesetz von der Stele des Areopag“; es ist dies die in Demosth. or. 23,53 wiedergegebene Bestimmung, die auf Drakons Gesetz zurückgeht.50 Dieses Gesetz sage ausdrücklich – so führt Euphiletos aus –, dass derjenige nicht wegen Tötung verurteilt werden dürfe, der einen Ehebrecher bei seiner eigenen Ehefrau (dámar) ertappt und derartig an ihm Rache genommen habe. Bei der pallakḗ habe das Gesetz dieselbe harte Strafe vorgesehen. Aber nicht nur das Gesetz Drakons ließ die Tötung des bei der Tat ergriffenen ‚Ehebrechers‘ straffrei, sondern auch die kurz zuvor zitierte Bestimmung aus dem nómos moicheías; denn Euphiletos beruft sich ausdrücklich darauf mit der Behauptung, diesem Gesetz sei er gefolgt, als er Eratosthenes tötete.51 Und schließlich führt Euphiletos noch eine weitere Bestimmung an, weil es in dieser einen Verweis auf die straffreie Tötung des Ehebrechers gab.52 Dreifach wird also durch Gesetz bestätigt, dass die eigenmächtige Tötung des bei der Tat ergriffenen moichós straffrei bleibe. Die Annahme, das solonische Gesetz über den ‚Ehebruch‘ habe die Eigenmacht gegenüber dem älteren Gesetz Drakons eingeschränkt oder, wie Eva

49  Lys. 1. Zu dieser Rede Gabriel Herman, Honour, Revenge and the State in Fourth-Century Athens, in: Walter Eder (Hrsg.), Die athenische Demokratie im 4. Jahrhundert v. Chr., Stuttgart 1995, 43–66, hier 51–54; Christopher Carey, Rape and Adultery in Athenian Law, in: CQ 45, 1995, 407–417; ders., Trials from Classical Athens, London – New York 1997, 27–36; John R. Potter, Adultery by the Book: Lysias I (On the Murder of Eratosthenes) and Comic Diegesis, in: EMC 41, 1997, 421–453 (= in: Edwin Carawan [Hrsg.], Oxford Readings in the Attic Orators, Oxford 2007, 60–88); Ulrich Manthe, Die Tötung des Ehebrechers, in: Leonhard Burckhardt, Jürgen von Ungern-Sternberg (Hrsg.), Große Prozesse im antiken Athen, München 2000, 219–233; Andrew Wolpert, Lysias 1 and the Politics of the Oikos, in: CJ 96, 2001, 415–424; Stephen Todd, A commentary on Lysias, speeches 1–11, Oxford 2007. 50  So Arnaldo Biscardi, Diritto greco antico, Varese 1982, 167 und Cohen 1984, 149; 1991, 100 f. (zustimmend Cantarella 1991, 291). Da nur das zweite Gesetz „von der Stele des Areopag“ zitiert wurde, kann es sich bei dem ersten verlesenen Gesetz nur um ein solches handeln, das nicht den Tötungsgesetzen entnommen war. Es wird deswegen ein Auszug aus dem nómos moicheías gewesen sein. So außer David Cohen auch schon Lipsius 1905–15, 431 Anm. 45, Cantarella 1972, 85 Anm. 19 und Kapparis 1995, 99. 51  An der eigenmächtigen Tötung des moichós gehindert war der Hausvater dann, wenn dieser sich an den Altar hatte flüchten können. Außerdem durfte der Getötete nicht durch eine List in das Haus gelockt worden sein. Darauf bauten offenbar die Kläger im Verfahren gegen Euphiletos auf (Lys. 1,27; vgl. 1,4.37; so auch Cohen 1991, 125 und Foxhall 1991, 297). 52  Lys. 1,32: ἐὰν δὲ γυναῖκα, ἐφ’ αἷσπερ ἀποκτείνειν ἔξεστιν, … – „wenn aber jemand eine Frau [vergewaltigte], bei denen zulässig war, [den ‚Ehebrecher‘] zu töten, …“ Obwohl also gegen den Ehebrecher sogar die Tötung zulässig war, galten bei einer Vergewaltigung der Frau keine höheren Strafen als bei der Vergewaltigung eines Mannes oder eines Kindes, wie man hätte erwarten können.

Historische Einordnung – Gesetz gegen außerehelichen Verkehr (nómos moicheías) (F 94–98)

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Cantarella vermutet hatte, sogar ausgeweitet, beruht auf falschen Voraussetzungen.53 Auch Plutarch bestätigt noch einmal, dass es Solon war, der „Gesetze über die Frauen“ gegeben und darin die Tötung des ergriffenen ‚Ehebrechers‘ gestattet habe (F 94d). Im Fall des als Ehebrecher ertappten Eratosthenes hätte Euphiletos möglicherweise auch die Möglichkeit gehabt, ihn zu den Elfmännern abzuführen, wenn er ihn nicht eigenhändig hätte töten wollen. Konnte der ‚Ehebrecher‘ angesichts dessen, dass er bei der Tat ergriffen worden war, vor den Elfmännern nichts anderes tun als die Tat einzugestehen, wurde er zur Hinrichtung geführt. Bestritt er die Tat, brachten ihn die Elfmänner vor Gericht. Allerdings lässt sich nicht sicher belegen, dass beim ergriffenen moichós die Möglichkeit der apagōgḗ bestand und dies explizit im Gesetz geregelt war, wie es bei anderen ‚Übeltätern‘ (kakoúrgoi) der Fall war.54 Denn der Beleg in Aischines’ Rede Gegen Timarchos wird kontrovers beurteilt, da er die einzige Quelle ist, in der die moichoí zu den kakoúrgoi gerechnet werden.55 Es ist daher nicht sicher zu entscheiden, ob tatsächlich eine gesetzlich geregelte Möglichkeit bestand, ergriffene moichoí Amtsträgern zu überstellen. Die außergerichtliche Streitbeilegung Die Ausführungen des Euphiletos vor Gericht zeigen, dass der betrogene Ehemann mit dem ergriffenen Ehebrecher auch eine außergerichtliche Streitbeilegung hätte vereinbaren können. Euphiletos hatte das Angebot des Eratosthenes ausgeschlagen.

53  Von einer Einschränkung des drakontischen Gesetzes geht Cohen 1985; 1991, 110–122, von einer Ausweitung Cantarella 1991, 291 aus (siehe dagegen die von Foxhall 1991, 299 formulierten Bedenken). Eine eingehende Diskussion der Forschungsmeinungen und eine ausführliche Begründung der hier vorgetragenen Position in Schmitz 1997. 54 Zur apagōgḗ des ‚Ehebrechers‘ Hansen 1976, 9–35; Schmitz 1997, 66–69; Ogden 1997, 28; Phillips 2013, 104; zur apagōgḗ anderer kakoúrgoi Hansen 1976, 36–53. Vgl. Edwin M. Carawan, Akriton Apokteinai: Execution without Trial in Fourth-Century Athens, in: GRBS 25, 1984, 111–113; 116–121. 55  Aischin. Tim. 91: Τίς γὰρ ἢ τῶν λωποδυτῶν ἢ τῶν κλεπτῶν ἢ τῶν μοιχῶν ἢ τῶν ἀνδροφόνων, ἢ τῶν τὰ μέγιστα μὲν ἀδικούντων, λάθρᾳ δὲ τοῦτο πραττόντων, δώσει δίκην; καὶ γὰρ τούτων οἱ μὲν ἐπ’ αὐτοφώρῳ ἁλόντες, ἐὰν ὁμολογῶσι, παραχρῆμα θανάτῳ ζημιοῦνται, οἱ δὲ λαθόντες καὶ ἔξαρνοι γενόμενοι κρίνονται ἐν τοῖς δικαστηρίοις. – „Denn wer von den Räubern oder Dieben oder Ehebrechern (moichoí) oder Mördern oder denen, die die größten Verbrechen begehen, es aber heimlich tun, wird so bestraft werden? Von diesen werden nämlich die, welche auf frischer Tat (ep’ autophṓrō) ertappt werden, gleich mit dem Tod bestraft, wenn sie die Tat gestehen; die aber, welche es heimlich getan haben und die Tat ableugnen, werden von den Gerichten abgeurteilt.“ Bereits Paoli 1976, 278–281 hatte eine apagōgḗ der moichoí vertreten. Dem widersprach Harrison 1968–71, Bd. 1, 35 Anm. 1. Hansen 1976, 44 f. hat die apagōgḗ der moichoí erneut anerkannt, und Cohen 1991, 111 f. folgt ihm darin (zum Verfahren bei moichoí ebd. 111–113; 119; 125). Gegen die These von Hansen hat sich Michael Gagarin, The Prosecution of Homicide in Athens, in: GRBS 20, 1979, 317–322 gewandt, dem Mogens Herman Hansen, The Prosecution of Homicide in Athens: A Reply, in: GRBS 22, 1981, 21–30 seine These erneut entgegenstellte (zu Aischin. Tim. 90 f. ebd. 22–26, 30: „In sum, I can found no reason to strike moichoi from the list of criminals regularly treated as kakourgoi in the legal sense“ [25]). Harris 1990, 376 f. lehnt die apagōgḗ der moichoí ab; er bezieht Aischin. Tim. 90 f. auf die erlaubte unmittelbare Tötung durch den Hausvater.

600

Verfahren vor den Thesmotheten

Stephanos hingegen forderte von Epainetos, den er bei seiner Tochter ergriffen hatte, eine Zahlung in Höhe von dreißig Minen, was genau der Summe entsprach, die der erste Ehemann der Tochter als Mitgift erhalten und bei der Trennung der Ehe nicht zurückgezahlt hatte.56 Bei einer solchen außergerichtlichen Einigung wurden, bevor der ergriffene moichós freigegeben wurde, Bürgen für die Zahlung gefordert.57 Anders als in Gortyn konnte in Athen die Höhe der Zahlung frei vereinbart werden.58 Konnte der moichós die geforderte Summe aufbringen oder waren die Angehörigen bereit, ihn auszulösen, verzichtete der Geschädigte in der Regel auf weitere Schritte.59 Der Spott des Bauern Chremylos im Plutos des Aristophanes, dass der moichós um der Bereicherung willen ‚gerupft‘, also einer peinlichen und entehrenden Strafe ausgesetzt werde, verweist darauf, dass eine außergerichtliche Einigung und der zu erhoffende Gewinn verlockend sein konnten.60 Zwar hat offenbar der nómos moicheías eine solche außergerichtliche Einigung nicht direkt geregelt; wenn er aber demjenigen eine rechtliche Handhabe bot, der sich zu Unrecht als moichós festgehalten glaubte, verweist dies darauf, dass das Gesetz in Rechnung stellte, man könne den Ergriffenen im Haus festsetzen und eine Entschädigung von ihm verlangen. Eine ‚Klage wegen unrechtmäßigen Festhaltens als moichós‘, eine graphḗ adíkōs heirchthḗnai hōs moichón, musste bei den Thesmotheten eingereicht werden.61 Epainetos hatte eine solche Schriftklage gegen Stephanos eingereicht, weil dieser ihn unter dem Vorwand eines Opferfestes aufs Land eingeladen habe, ihn dann aber als angeblichen moichós, der mit der Tochter Geschlechtsverkehr gehabt hatte, festgehalten und eine Zahlung von ihm verlangt. Als Epainetos Bürgen gestellt hatte und frei gekommen war, reichte er bei den Thes-

56  Zur außergerichtlichen Einigung Schmitz 1997, 71–75. Angespielt ist darauf in Aristoph. Plut. 168 und Kratinos F 81 PCG; vgl. Schol. Aristoph. av. 283; 285. Auch der als moichós ertappte Agoratos hatte offenbar eine Buße gezahlt (Lys. 13,66). Vgl. Ps.-Demosth. or. 59,41; Plaut. Bacch. 865 ff.; Miles 1420; Alciphr. 3,62(26),4. 57 F 94c. Einen frühen Beleg für eine außergerichtliche Einigung enthält die Odyssee (Hom. Od. 8,266 ff.): Ares war beim Ehebruch mit Aphrodite von Hephaistos in dessen Haus ergriffen worden; durch die von ihm geschmiedeten Fesseln hielt Hephaistos Ares im Haus fest und rief die anderen Götter als Zeugen der Tat herbei. Er verlangte vom Vater der Aphrodite die Brautgeschenke zurück (8,317–320), löste also die Ehe und forderte von Ares eine Ehebruchsbuße (8,332: μοιχάγρια). Poseidon bat Hephaistos, Ares freizugeben, für den er als Bürge eintreten wolle (8,344–356; vgl. Suda μ 1354 und Hesych. μ 1558 s. v. μοιχάγρια). Dazu Mauritsch 1992, 62–67; zum Ehebruch in den Epen insgesamt ebd. 61–104. 58  Lipsius 1905–15, 431; Latte 1932, 2446. 59  Ob eine solche außergerichtliche Einigung das Risiko barg, dass nach der Einigung ein Dritter eine graphḗ moicheías gegen den ‚Ehebrecher‘ einreichte, wie Susan G. Cole meint, muss offen bleiben. In Gortyn war gesetzlich festgelegt, dass der Geschädigte den ergriffenen moichos fünf Tage gegen eine festgesetzte Summe dessen Angehörigen zur Auslösung anbieten musste (ICret IV 72, col. 2,28–31; die Summen in col. 2,20–28). Für Boiotien siehe Laon F 2 PCG (= Heraclid. De urb. Graec. 1,22 [de Boiotis]). 60  Darauf gemünzt ist auch die sprichwörtliche Redensart „Gewinn ist besser als Schande. Ziehe den moichós in das Innere des Hauses“ (Kallias F 1 PCG; = Zenob. 4,67; Paroem. gr. I p. 103 Leutsch-Schneidewin; Karl Rupprecht, Apostolis, Eudem und Suidas. Studien zur Geschichte der griechischen Lexica, Leipzig 1922, 16 Anm. 2). 61  Ps.-Demosth. or. 59,66 f.; dazu Lipsius 1905–15, 434.

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motheten eine Schriftklage ein, weil es nicht die Tochter des Stephanos war, mit der er Geschlechtsverkehr gehabt hatte, sondern die Tochter der Neaira, die gewerblich Hetären anbot (F 94c). Bei all diesen Verfahrensweisen, der unmittelbaren Tötung, der (durch Quellen letztlich nicht ganz gesicherten) apagōgḗ und der außergerichtlichen Streitbeilegung, war Voraussetzung, dass der Inhaber der hausväterlichen Gewalt den moichós auf frischer Tat ertappt hatte. Genau wie beim Diebstahl gehörte das Ergreifen bei der Tat zum Delikttatbestand, d. h. das Gesetz über moicheía differenzierte die Verfahren und Strafen danach, ob ein Ergreifen bei der Tat gegeben war oder nicht. Nur in diesem Fall war die Tat offenkundig und die Schuld des Täters, von einigen Grenzfällen abgesehen, erwiesen; der moichós konnte vom Hausvater direkt (oder nach apagōgḗ von einer Institution der Polis) getötet werden. Bei Leugnung der Tat kam es zu einem Gerichtsverfahren. Tötung, apagōgḗ und außergerichtliche Einigung durch Bußzahlung waren außerdem nur einem bestimmten, genau festgelegten Personenkreis gestattet, nämlich dem Ehemann, dem Vater, Bruder und Sohn der Frau. Dritten war eine solche Eigenmacht untersagt.62 Die Schriftklage gegen den moichós Der Geschädigte konnte, wenn er vor einer eigenhändigen Tötung des moichós zurückschreckte oder wenn er ihn nicht bei der Tat ergriffen hatte, den (vermeintlichen) Ehebrecher mittels graphḗ moicheías anklagen.63 An dieser prinzipiellen Möglichkeit, wegen Ehebruchs Schriftklage einzureichen, ist nicht zu zweifeln. Denn bereits in einem Fragment des Komödiendichters Kratinos ist die Rede davon, dass Kallias als Ehebrecher bei der Frau des Phokos ergriffen worden war und drei Talente gezahlt 62  Zu den unterschiedlichen Möglichkeiten, gegen den moichós vorzugehen (einschließlich der graphḗ moicheías) siehe Kapparis 1995; vgl. 1996, 63–65, 73–77. 63  Dazu Lipsius 1905–15, 431–433; Paoli 1976, 281 f.; Schmitz 1997, 79–85. In mehreren Beiträgen hat Eva Cantarella die rechtliche Behandlung des Ehebruchs im antiken Griechenland untersucht. Aufbauend auf einem grundlegenden Aufsatz von Ugo E. Paoli untermauerte sie die Positionen, die weitgehend als communis opinio gelten können: Der Begriff moicheia umfasse sowohl den außerehelichen Verkehr der Ehefrau als auch den vorehelichen Verkehr der Tochter und Schwester; die eigenmächtige Tötung des bei der Tat ergriffenen moichos sei stets straffrei geblieben; war der Täter nicht bei der Tat ergriffen worden, könne der Geschädigte, aber auch eine dritte Person eine graphḗ moicheías gegen den Ehebrecher einreichen. Neben Tötung und Geldbußen könne der moichós mit körperlichen Strafen belegt werden. Zum Recht der eigenmächtigen Tötung siehe insbesondere Cantarella 1976; einen Überblick gibt sie in Cantarella 1987, 40 f. Zum nómos moicheías auch Cohen 1984, 155–157; 1991, 100, 103–105, 110. David Cohen (1991, 122–125) hat bestritten, dass es neben der Möglichkeit der unmittelbaren Tötung des bei der Tat ergriffenen Ehebrechers eine Schriftklage wegen Ehebruchs (graphḗ moicheías) überhaupt gegeben habe. Diese bei Aristoteles erwähnte Klage sei mit der anderweitig belegten graphḗ adíkōs heirchthḗnai hōs moichón gleichzusetzen (ihm folgt Sealey 1994, 110 Anm. 33; dagegen hat sich Todd 1993, 278 Anm. 22 ausgesprochen; ebenso Schmitz 1997, 81).

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habe, „damit er nicht verurteilt werde“.64 Solche Klagen gab es also schon im 5. Jh. Auch in Quellen des 4. Jh. v. Chr. ist die graphḗ moicheías mehrfach belegt, so in der aristotelischen Athenaion politeia, wo sie in einer Auflistung von Klagen genannt ist, die bei den Thesmotheten einzureichen waren und bei denen eine Kaution (parástasis) zu leisten war.65 Von einer Rede des Lysias mit dem Titel Gegen Autokrates wegen moicheía sind nur wenige kurze Fragmente erhalten.66 Aber auch das nach § 28 der ersten Rede des Lysias verlesene Gesetz ist ein Zitat aus dem nómos moicheías. Photios und das Lexikon der Suda berufen sich mit der Angabe, dass Klagen wegen moicheía (moicheías graphaí) nur am fünftletzten Tag eines jeden Monats eingereicht werden konnten, auf den Komödiendichter Menander.67 Eine Liste von Klagen hat auch Pollux in sein Ono­ mastikon aufgenommen, die die graphḗ moicheías umfasst.68 Über Art und Höhe der Strafe entschied das Gericht auf Antrag des Klägers;69 wer in einem Prozess wegen moicheía verurteilt wurde, dem konnte die Todesstrafe drohen, nämlich wenn der Kläger eine solche Strafe beantragt hatte.70 In der Regel wird das Gericht aber eine Geldstrafe oder eine Schandstrafe verhängt haben. Dies lässt sich aus Apollodoros’ Rede Gegen Neaira erschließen: Als Stephanos den bei der (angeblichen) Tochter ergriffenen Epainetos gegen Stellung von Bürgen freigegeben hatte, reichte Epainetos Schriftklage gegen Stephanos ein. Da Stephanos angesichts dessen auf eine Entschädigung verzichtete, waren Epainetos und die Bürgen frei. Wäre er hingegen als moichós vom Gericht bestätigt worden, hätten die Bürgen ihn dem geschädigten Hausvater wieder übergeben müssen. Der status quo ante wäre also wieder hergestellt gewe-

64  Kratinos F 81 PCG: εἰς τὸ μὴ κριθῆναι Vgl. ähnlich Lukian. de morte Peregr. 9. 65  Aristot. Ath. pol. 59,3. 66  Lys. F 18–21 Scheibe (κατὰ Αὐτοκράτους μοιχείας; or. 27 fr. 58–61 Carey). Nach Lipsius 1905–15, 429 lag dieser Rede eine graphḗ moicheías zugrunde. Auch Aischin. Tim. 91 (s. o. Anm. 55) kann als Beleg für Klagen herangezogen werden, die eingereicht wurden, wenn der moichós nicht bei der Tat ergriffen worden war. 67  Phot. Lex. π 568 und Suda π 960 s. v. πέμπτῃ φθίνοντος: ἐν ταύτῃ αἱ τῆς μοιχείας γραφαὶ ἐδίδοντο. Μένανδρος Χαλκίδι (= Men. fr. 403 PCG). Klagen wegen moicheía gab es auch in Herakleia und Theben (Aristot. pol. 5,6, 1306a 36–b 3). 68  Poll. 8,40; die Auflistung entspricht nicht der der Athenaion Politeia. Die Liste der graphaí bei Pollux ist mit Skepsis beurteilt bzw. als falsch zurückgewiesen worden, da zu Anfang der Liste graphaí phónou kaí traúmatos ek pronoías kaí pyrkaias kaí pharmákōn genannt sind. Die rechtshistorische Forschung geht davon aus, dass Tötungsdelikte allein durch Privatklagen verfolgt werden konnten. Mogens Herman Hansen hat aber mehrere Belegstellen für eine graphḗ traúmatos ek pronoías zusammengetragen (Hansen 1976, 108–112; dagegen Gagarin 1979 (wie Anm. 55); verteidigt von Hansen 1981 (wie Anm. 55). Die Frage ist nach wie vor umstritten. Zu berücksichtigen ist aber, dass die weiteren bei Pollux genannten Klagen als graphaí nachgewiesen sind. 69  Erdmann 1934, 292 f.; Lipsius 1905–15, 432. Cole 1984, 103 f. geht davon aus, dass dem in der graphḗ moicheías Verurteilten eine Strafe drohte, wie sie gegen den angeordnet war, der in der graphḗ adíkōs heirchthḗnai hōs moichón als moichós bestätigt worden war. Zur unsicheren Quellenlage Phillips 2013, 104. 70  Davon geht auch Ogden 1997, 28 aus. Für die prinzipielle Möglichkeit, die Todesstrafe zu beantragen, spricht auch von bei Aischines (Tim. 14, 184) belegte Todesstrafe bei Kupplerinnen und Kuppler, die eine uneheliche Verbindung vermittelt hatten.

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sen. Außerdem durfte der Hausvater bei einer gerichtlichen Verurteilung ausdrücklich mit dem moichós machen, „was er wollte“; allerdings war es ihm verboten, dabei einen Dolch zu gebrauchen.71 Er durfte ihn also nicht töten oder verstümmeln.72 Dies muss keine Einschränkung der Eigenmacht sein, die der Hausvater ausüben durfte; denn Stephanos hatte Epainetos als ergriffenen moichós ja zunächst im Haus festgehalten und von ihm eine Zahlung verlangt. Damit hatte er aber auf die Tötung des moichós (oder eine mögliche Überstellung an die Elfmänner zur Hinrichtung) verzichtet. Bei einer gerichtlichen Verurteilung wäre der moichós dem Hausvater wieder übergeben worden, damit dieser eine Bußzahlung fordern oder eine Schandstrafe vollziehen konnte. Die Übergabe des moichós an den Hausvater garantierte jedenfalls, dass die vereinbarte Zahlung an den Geschädigten fiel und nicht, wie bei einer graphḗ sonst üblich, an die Polis. Mit der Überstellung des verurteilten moichós an den Hausvater wurde diesem zugestanden, den moichós vor dem Gericht (also vermutlich auf der Agora) durch eine peinliche Strafe zu entehren; solche Strafen werden also auch bei einer außergerichtlichen Einigung nicht unüblich gewesen sein. Konstantinos Kapparis hatte daher aus Lys. 1,49 und Demosth. or. 59,66 geschlossen, dass zum Gesetz Solons die Bestimmung gehörte: ἐάν τις μοιχὸν λάβῃ, (ἄνευ ἐγχειριδίου) ὅ τι ἂν οὖν βούληται χρῆσθαι. – „Wenn einer den moichós ergriffen hat, kann er ihm antun, was immer er will, (ohne aber einen Dolch zu gebrauchen)“.73 Eine Privatklage (díkē) wegen moicheía gab es nicht; bei einer Klage musste der Geschädigte wie jeder andere, nicht unmittelbar betroffene Athener als öffentlicher Ankläger auftreten.74 Als Schandstrafen sind für Athen das Kahlscheren des Ehebrechers (und der Ehebrecherin), das Ausrupfen der Schamhaare (paratilmós) und die rhaphanídōsis, das gewaltsame Einführen eines Rettichs in den Anus, belegt. Vermutlich konnte der Verurteilte auch auf das Rad gebunden oder an den Pranger (kýphōn) gestellt werden, wie es für andere griechische Städte belegt ist.75 Es ist davon auszugehen, dass Schandstrafen 71 F 94c (Ps.-Demosth. or. 59,66). 72  Die Frage, ob das Verbot, ein Messer zu gebrauchen, das Verbot zu töten impliziert, kann nicht mit Sicherheit entschieden werden. Paoli 1976, 275 f. hält es für möglich, dass der verurteilte moichós im Gericht zu Tode geprügelt werden konnte. Als Verbot der Tötung und Verstümmelung haben die Bestimmung Latte 1932, 2448, Cole 1984, 104 und Kapparis 1995, 115; 1996, 65 aufgefasst. Siehe bes. Cohen 1991, 116–119: „The purpose of the condition that the husband [may] not use an instrument is obscure. It may have to do with preventing the shedding of blood before the court, or it may just mean ‚any abuse short of death‘, as for the adulteress“ (ebd. 115 Anm. 55). Das Verbot, ein Messer zu gebrauchen, sollte vielleicht auch eine Kastration unterbinden, wie sie dem als moichós ergriffenen miles Pyrgopolynices angedroht wurde (Plaut. Miles 1397 ff.). 73  Kapparis 1996, 64 f. Dabei habe die Entehrung im Vordergrund gestanden, nicht jedoch eine qualvolle Folterung. 74  Auch im römischen Recht war die Klage wegen Ehebruchs eine Popularklage (Dig. 48,5,14[13] pr, 4 u. 6; 15[14],2; 30[29],8; 40[39],1). Der Ehemann musste, wenn er seine Frau anklagen wollte, dies in einem „öffentlichen Verfahren“ (publico iudicio) tun (Dig. 48,5,2,5). 75  In allgemeinen Formulierungen sind solche peinlichen Strafen in Isai. 8,44 und Xen. Mem. 2,1,5 (für die Ehebrecherin in lex apud Ps.-Demosth. or. 59,87) belegt. Zu solchen Schandstrafen gegen moi­

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vor allem dann angewandt wurden, wenn der ergriffene Ehebrecher nicht in der Lage war, eine hohe Buße zu zahlen und ein geringer Betrag nicht als adäquate Strafe angesehen wurde, wohingegen reiche Ehebrecher durch eine entsprechend hohe Buße eine solche Strafe abwenden konnten.76 Gesetz über den Brautraub (‚Vergewaltigung‘) Nach einer weiteren Bestimmung im nómos moicheías konnte auch derjenige Täter zur Verantwortung gezogen werden, der eine freie Frau „raubte und ihr Gewalt antat“: ἐὰν δ’ ἁρπάσῃ τις ἐλευθέραν γυναῖκα καὶ βιάσηται (F 97d). Das der Gewalthandlung vorausgehende ἁρπάζειν (‚rauben‘) legt nahe, dass im solonischen Gesetz ein Braut­ raub gemeint war. Der Brautraub ist nicht als frühe Stufe in einer historischen Entwicklung vom Brautraub über den Brautkauf zur Brautwerbung anzusehen, sondern ihm kommt eine Ventilfunktion zu, wenn es bei der Brautwerbung zu Konflikten kam. Der Brautraub lässt sich also in all jenen Gesellschaften antreffen, in denen der Brautwerber beim Brautvater um dessen Tochter (oder Schwester) werben, bei ihm das Einverständnis zur Ehe einholen muss. Wird der Brautwerber aus Gründen, die aus seiner Sicht nicht angemessen sind, abgelehnt, raubt er die Braut, was vielfach mit Hilfe von Gefährten umgesetzt wird (und oft mit Zustimmung der Braut geschieht). Der vollzogene Geschlechtsverkehr stellt den Brautvater vor die Alternative, nachträglich in die Eheschließung einzuwilligen oder die Tochter zu verlieren.77 Stellt man die von Plutarch wiedergegebene Bestimmung in den historischen Kontext des Braut­ raubs, wird nachvollziehbar, warum Solon beim Ehebruch die Tötung des bei der Tat ergriffenen Ehebrechers gestattete, beim Brautraub der unverheirateten Tochter oder Schwester hingegen eine Buße festsetzte. Und es wird unmittelbar einsichtig, dass eine choí siehe Phillips 2013, 106 f.; ausführlich Schmitz 1997, 91–107 (außerhalb Athens ebd. 107–115). Nach David Cohen (1985, 387; 1995, 148 Anm. 19) könne nicht entschieden werden, ob es sich bei den in Komödien des Aristophanes genannten Schandstrafen gegen Ehebrecher um eine literarische Fiktion, um spektakuläre Einzelfälle oder brauchtumsmäßig geregelte, also häufig bei Ehebruch angewandte Strafen handelt (ähnlich das Urteil von J. Roy, Traditional Jokes about the Punishment of Adulterers in Ancient Greek Literature, in: LCM 16, 1991, 73–76). Dies ist aber eine zu skeptische Einstellung (so auch Kapparis 1996, 66 f.). Vielleicht war bei dem ergriffenen moichós auch die Möglichkeit gegeben, ihn zu einem Amtsträger abzuführen, der – nach Eingeständnis der Tat – peinliche Strafen vollzog. So konnte in Gortyn der ergriffene Ehebrecher zu einem Amtsträger geführt werden, der ihn zur Schande mit Wolle bekränzte und ihm eine Geldstrafe auferlegte. In Thespiai war ein ergriffener moichós gebunden und über die Agora geführt worden; von hetaíroi wurde er befreit, was zu einer blutigen Stasis führte (Ail. var. 11,6; dazu Schmitz 1997, 69–71). 76  So Johannes Tzetzes in den Scholien zu Aristoph. Plut. 168 (Bd. 4,1 p. 52 Positano) und zu nub. 1083a (Bd. 4,2 p. 632 Holwerda). Dem folgt auch Kapparis 1995, 112. 77  Siehe dazu Winfried Schmitz, Die geschorene Braut. Kommunitäre Lebensformen in Sparta?, in: Historische Zeitschrift 274, 2002, 561–602, hier 567–569. Vgl. auch schon Rudolf Köstler, Raub- und Kaufehe bei den Hellenen, in: ZRG Rom. Abt. 64, 1944, 206–232.

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solche Bestimmung Bestandteil des nómos moicheías war, weil beim Brautraub die Entscheidungsgewalt des Hausvaters verletzt wurde.78 Rosanna Omitowoju hat in einer Studie über Vergewaltigungen und die Bedeutung des Einverständnisses der Frau bei außerehelichen Beziehungen nachgewiesen, dass bía (‚Gewalt‘) nicht zwingend physische Gewalt voraussetzt. Bía kann auch im Sinne von „gegen den Willen“ (im Gegensatz zu peíthein) gebraucht werden. Da sich in den Quellen zur klassischen Zeit das Einverständnis der Frau zu einem außerehelichen Geschlechtsverkehr als irrelevant erweist, wird sich der Zwang durch ein biázesthai nach dem Brautraub auf das fehlende Einverständnis des kýrios der Frau beziehen.79 Das von Plutarch zitierte ἐὰν δ’ ἁρπάσῃ τις ἐλευθέραν γυναῖκα καὶ βιάσηται meint also „wenn einer eine freie Frau raubt und gegen den Willen des Hausvaters mit ihr verkehrt;“ gegen denjenigen habe Solon eine Strafe von einhundert Drachmen angesetzt. Hatte Drakon bei der straffreien Tötung des bei der Tat ergriffenen moichós keinen Unterschied gemacht zwischen Ehefrau, Mutter, pallakḗ und unverheirateter Tochter oder Schwester, so galten in Solons nómos moicheías unterschiedliche Strafen, je nachdem ob es sich um moicheía oder Brautraub handelte. Nicht sicher zu entscheiden ist, ob die Bestimmung, die Euphiletos in der Verteidigung im Mordfall Eratosthenes nach § 31 verlesen lässt, demselben Gesetz entnommen ist, das er bereits in § 28 herangezogen hat, also dem nómos moicheías. Der knappe Rückverweis ἐφ’ αἷσπερ ἀποκτείνειν ἔξεστιν (Frauen, „bei denen [den moichós] zu töten möglich ist“) spricht dafür, weil der Rückverweis sonst kaum verständlich wäre, wenn die Tötung des Ehebrechers in einem ganz anderen Gesetz geregelt war.80 Da Plutarch Solons Bestimmungen zum Ehebruch und zur ‚Vergewaltigung‘ in einem Atemzug nennt, könnte es sich um ein und dasselbe Gesetz handeln, auch wenn der Schadenersatz über ein díkē blábēs oder eine díkē biaíōn einzuklagen war, ähnlich wie

78  Insbesondere die Untersuchung von Rosanna Omitowoju (2002) zum Verständnis von bía bei sexuellen Beziehungen hat gezeigt, dass die Delikte rape and seduction eng miteinander verbunden sind. 79  Omitowoju 2002, 52–54, 175; dies gelte z. B. für die sexuellen Beziehungen zwischen den Freiern im Haus des Odysseus und den Mägden; bíaios impliziert nicht sexuelle Gewalt, sondern die Verletzung der hausväterlichen Gewalt (Hom. Od. 22,37: ὅτι μοι … δμῳῇσίν τε γυναιξὶ παρευνάζεσθε βιαίως – „ und dass ihr … bei den dienenden Frauen lagt und das Hausrecht bracht“; Übersetzung W. Schadewaldt). „There has been no indication that the suitors used violence to achieve their ends, and in fact it is stressed that they did not, but Odysseus uses the word biaios because what they have done is to violate his right to dispose of the sexual commodities of the females of his household and because they have gone against his will“ (ebd. 55). Zur Bedeutung von bía in Zusamenhang mit sexuellen Beziehungen insgesamt ebd. 51–71. 80  Omitowoju 2002, 63–70 und Todd 2006, 107 beziehen hingegen das dritte verlesene Gesetz auf die díkē biaíōn. Nach Harpokr. β 12 s. v. βιαίων war bei einer Vergewaltigung auch eine díkē biaíōn möglich (βιαίων· ὄνομα δίκης κατὰ τῶν βίᾳ πραττόντων ὁτιοῦν· … καὶ δῆλον ὅτι οὐκ ἐπὶ φθορᾷ παρθένων μόνον οὔτε τὸ ὄνομα οὔτε ἡ δίκη ἐλέγετο, ἀλλὰ καὶ ἐπ’ ἄλλων. – „Bezeichnung einer Klage gegen die, die wobei auch immer mit Gewalt handeln. … Und es ist klar, dass sowohl Name als auch Klage nicht allein bei der Schändung von unverheirateten Frauen gebraucht werden, sondern auch in anderen Fällen“.

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bei dem Verbot, ohne Aussöhnung zurückgekehrte Täter zu misshandeln oder ein Wergeld von ihnen zu fordern, andernfalls man den doppelten Ersatz schulde (F 110b).81 Es ist also davon auszugehen, dass im Gesetz zunächst die straffreie Tötung (und evtl. auch die apagōgḗ) des bei der Tat ergriffenen ‚Ehebrechers‘ aufgeführt war. Es wird eine Bestimmung gefolgt sein, dass bei ‚Ehebruch‘ Schriftklage bei den Thesmotheten einzureichen und dabei eine Strafe zu beantragen war, wobei auf Tod beantragt werden konnte. Bei einem Schuldspruch wird der ‚Ehebrecher‘ in der Regel aber in die Gewalt des Hausvaters gegeben worden sein, der dann eine Zahlung von ihm verlangen oder eine Schandstrafe an ihm vollziehen konnte. Schriftklage bei den Thesmotheten konnte aber auch der ergriffene moichós oder ein anderer zu seinen Gunsten einreichen, wenn er Opfer eines Hinterhalts geworden war. Nach der moicheía wandte sich das Gesetz dem Brautraub zu und setzte als Strafe bei freien Frauen hundert Drachmen fest. Wollte der Hausvater auf Entschädigung bei Brautraub oder gewaltsam durchgesetzten Geschlechtsverkehr klagen, reichte er bei den Thesmotheten eine díkē blábēs oder eine díkē biaíōn ein; bei gewaltunterworfenen Personen, also in archaischer Zeit bei denen, welche als Knechte oder Mägde auf den Höfen dienten und der Hausgewalt des Hausvaters unterstellt waren, war die Strafe in einfacher, bei vollfreien Personen war sie in doppelter Höhe zu bezahlen: „Wenn jemand einen freien Erwachsenen oder ein Kind mit Gewalt schändet (aischýnein bía), schulde er den Schaden doppelt (diplḗn tḗn blábēn opheílein), wenn aber eine Frau, bei denen zugestanden war, [den moichós] zu töten, sei er denselben Strafen unterworfen“ (er schulde den Schaden also ebenfalls in doppelter Höhe).82 Aus der Bestimmung über die in Abhängigkeit stehenden Mitglieder des Hauses, bei denen vermutlich der Schaden nur in einfacher Höhe geschuldet wurde, überliefert Lysias in der ersten Rede Gegen Theomnestos die Worte „οἰκῆος † καὶ βλάβης τὴν δούλην εἶναι † ὀφείλειν“, die aber fehlerhaft überliefert sind. Es könnte sich um die Regelung handeln, dass derjenige, der den oikeús oder die doúlē mit Gewalt schändet, den Schaden (in einfacher Höhe) schulde (οἰκῆος καὶ δούλης τὴν βλάβην ὀφείλειν).83 Mit der Einbeziehung von Vollfreien und Abhängigen, von freien Männern, Kindern und Frauen steht die Bestimmung über Entschädigungen bei αἰσχύνειν βίᾳ der graphḗ hýbreōs nahe, die eingereicht werden konnte, wenn jemand hýbris „an einem Mann, einer Frau oder einem Kind, seien es Freie, seien es Sklaven“ verübt hatte.

81  Auch im großen Gesetz von Gortyn sind Vergewaltigung und Ehebruch direkt verbunden (ICret IV 72 col. 2 Z. 2–20 zur Vergewaltigung, col. 2 Z. 20–45 zum ‚Ehebruch‘. Bei Vergewaltigung waren stets auch Männer als Opfer einbezogen. 82  Umstritten ist die Frage, ob ein bei der Tat ergriffener Vergewaltiger direkt getötet werden konnte (siehe dazu die Diskussion bei Schmitz 1997, 116–123). 83  Den Begriff οἰκεύς belegt auch Ammonios (De adfinium vocabulorum differentia ed. Nickau 345 s. v. οἰκότριψ καὶ οἰκέτης; F 97c) für die solonischen áxones. Er mag aber in mehreren Gesetzen verwendet worden sein.

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Schließlich war an den nómos moicheías die Ausnahme angehängt, dass keine Strafe zu zahlen ist, wenn es Frauen waren, „die sich offensichtlich feilbieten“ (ὅσαι δὲ πεφασμένως πωλοῦνται) oder dieses Gewerbe in einem ergastḗrion ausüben.84 Diese Ausnahmeregelung, auf die sich Epainetos berief, führte zu der späteren Überlieferung, Solon habe Frauen gekauft, die als Dirnen in einem öffentlichen Haus untergebracht waren und sich den jungen Männern feilboten. Nikandros von Kolophon fügt hinzu, dass Solon die von diesen Einrichtungen geforderten Steuern dazu verwendet habe, der Aphrodite Pandemos einen Tempel zu errichten.85 Kuppelei Der nómos moicheías enthielt wahrscheinlich eine weitere Bestimmung, die sich mit Kuppelei beschäftigte. So wie Solon die Strafen bei moicheía differenziert hatte, so tat er es auch bei Kuppelei: Konnte gegenüber dem moichós bei Ehebruch mit der Ehefrau der Tod gefordert werden, so auch bei diesbezüglicher Kuppelei. Aischines zitiert diese Bestimmung in der Rede Gegen Timarchos im Anschluss an die Strafen für die Ehebrecherin: Solon habe angeordnet, Kupplerinnen und Kuppler, die für einen Ehebruch den Weg ebneten, anzuklagen (gráphesthai) und sie, wenn sie überführt wurden, mit dem Tod zu bestrafen.86 Handelte es sich hingegen um eine Unterstützung beim Brautraub, konnten die Helfershelfer auf zwanzig Drachmen verklagt werden.87 Strafen für die ‚Ehebrecherin‘ War der bei der Tat ergriffene Ehebrecher getötet, von den Elfmännern hingerichtet oder in einer graphḗ moicheías verurteilt worden, musste sich der betrogene Ehemann von seiner Frau trennen, auch um dem Verdacht vorzubeugen, der Ehebrecher sei in

84  Lys. 10,19; Ps.-Demosth. or. 59,67: ὁπόσαι ἂν ἐπ’ ἐργαστηρίου καθῶνται ἢ πωλῶνται ἀποπεφασμένως; Plut. Solon 23,1: πλὴν ὅσαι πεφασμένως πωλοῦνται, λέγων τὰς ἑταίρας. Dies wurde bereits in früher Zeit als Ausnahmefall angesehen. Denn nach einem Fragment des Hipponax (fr. 41 Degani) war bei käuflichen Frauen der Delikttatbestand der moicheia nicht erfüllt. Dieselbe Ausnahme galt auch im römischen Recht (Angelika Mette-Dittmann, Die Ehegesetze des Augustus. Eine Untersuchung im Rahmen der Gesellschaftspolitik des Princeps, Stuttgart 1991, 35). 85 F 98c. Zu der Steuer für Prostituierte (πορνικὸν τέλος) Todd 2006, 105 f.; Phillips 2013, 121 f. Dieser Tradition folgt auch Dion Chrysostomos in der Euböischen Rede (or. 7) 140, wonach „weise Gesetzgeber“ für ausschweifende Laster „öffentliche und unverschlossene Häuser“ (τὰ φανερὰ ταῦτα καὶ ἄκλειστα οἰκήματα) geschaffen hätten. Halperin 1990, 100 f. bezeichnet diese späten Nachrichten zu Recht als unglaubhaft. 86  Aischin. Tim. 184: Καὶ τὰς προαγωγοὺς καὶ τοὺς προαγωγοὺς γράφεσθαι κελεύει, κἂν ἁλῶσι, θανάτῳ ζημιοῦν. Ruschenbusch sieht dieses Fragment (F 116) als unecht an. 87  Plut. Solon 23,1.

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eine Falle gelockt worden.88 Trennte sich der Ehemann nicht von der Frau, drohte ihm die Strafe der Ehrlosigkeit, der atimía.89 Die Frau, die die Ehe gebrochen hatte, kehrte in der Regel in ihren Herkunftsoikos zurück. Der Ehefrau drohten ehrbeschneidende Schandstrafen, sollte sie an kultischen Feiern teilnehmen. Wenn sie dieses Verbot, das auch für Hetären galt, missachtete, „hatte sie straflos zu erleiden, was immer ihr angetan wurde, nur getötet werden durfte sie nicht“.90 Eine indirekte und ausgeschmückte Wiedergabe desselben Gesetzes bei Aischines lässt darauf schließen, dass es in diesen Fällen üblich war, die Ehebrecherin zu schlagen und ihr den Schmuck oder die festliche Kleidung vom Leib zu reißen.91 ‚Verkauf‘ von Töchtern und Schwestern Plutarch belegt für Solon ein gesetzliches Verbot, Töchter und Schwestern „zu verkaufen“; dies sei nur dann erlaubt gewesen, wenn sie sich als parthénoi auf einen vorehelichen Verkehr eingelassen hatten.92 Dem Hausvater war mit dem ‚Verkauf ‘ die Möglichkeit gegeben, sich in solchen Fällen von der Schande zu lösen. Unklar dabei bleibt, ob der Verkauf in die Sklaverei gemeint ist oder ein ‚Verkauf ‘ an den Mann, der die Schwester oder die Tochter zu vorehelichem Verkehr gedrängt hatte und sich durch eine Entschädigung (und die Zusicherung, die entehrte Frau zu heiraten) weiteren

88  Eine Klage gegen eine Ehebrecherin konnte nicht erhoben werden (Lipsius 1905–15, 434; Latte 1932, 2447; Paoli 1976, 289 f.; Cantarella 1985, 21 f.; Schmitz, 1997, 85). Zur Diskussion, ob der betrogene Ehemann mit dem Ehebrecher auch seine Frau töten konnte, siehe Schmitz 1997, 85–87. 89  Lex apud Ps.-Demosth. or. 59,87 (F 96b). Erdmann 1934, 294 f.; Cantarella 1985, 22 f.; Ogden 1997, 28–30; Phillips 2013, 104. Eva Cantarella ist der Auffassung, dass nicht nur die ehebrecherische Ehefrau, sondern auch die anderen im Gesetz Drakons genannten Frauen bei moicheía das Haus verlassen mussten. Auch im römischen Recht war der Ehemann verpflichtet, sich von der Ehefrau, die beim Ehebruch ergriffen worden war, zu trennen (Dig. 48,5,12 [11]; 13 [12]; 25 [24],1; 40 [39],4). Tat er es nicht, galt er als Kuppler (Dig. 48,5,2,2; 2,6; 12 [11]; 13 [12]; 27 [26]; 30 [29] pr; 34 [33],1). Mette-Dittmann 1991 (wie Anm. 84), 36; 38 f.; 53–58; 65–67; 145. 90  Lex apud Ps.-Demosth. or. 59,87 (F 96b). Vgl. auch or. 59,85 f.113. 91  Aischin. Tim. 183 (F 96a). Vgl. auch Eur. Troiad. 1022; 1025–28. Robert Parker, Miasma. Pollution and Purification in Early Greek Religion, Oxford 1983, 94–96; Schmitz 1997, 89–91; Patterson 1998, 130–132; Phillips 2013, 111. 92  Plut. Solon 23,2. Der Hausvater musste aber diese Strafe nicht vollziehen. Einem Athener namens Lykophron, der angeblich viele Frauen verführt hatte, wurde vorgeworfen, dass er diesen Frauen die Hoffnung auf eine Heirat genommen habe und sie nun gezwungen seien, unverheiratet im Haus des Vaters zu bleiben (Hyp. Lykophr. F 4b, 12). Stephanos hat versucht, seine Tochter, die er beim Geschlechtsverkehr mit Epainetos ertappt hatte, in eine Ehe zu geben. Schließlich lebte er selbst mit einer Hetäre zusammen, die im Haus des Stephanos junge Hetären in der Kunst der Liebe unterwies. Auch in den homerischen Epen gibt es mehrfach Belege dafür, dass Töchter, die uneheliche Kinder zur Welt gebracht hatten, eine Ehe, mitunter sogar eine standesgemäße Ehe mit beachtlicher Brautgabe eingehen konnten. In diesen Fällen galten häufig Götter als Väter der Kinder. Vgl. Reinsberg 1989, 22 f.

Historische Einordnung – Gesetz gegen außerehelichen Verkehr (nómos moicheías) (F 94–98)

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Strafen entzog.93 Konkrete Belege für einen Verkauf der Tochter oder Schwester gibt es nicht, und es bleibt angesichts zahlreicher vergleichbarer Vorfälle in anderen Gesellschaften zweifelhaft, ob solche Normen und Gesetze in ihrer Schärfe angewandt wurden. David Cohen verweist auf zahlreiche Beispiele in mediterranen Gesellschaften, in denen der Ehemann der konsequenten Anwendung des Gesetzes ausweicht oder sich unwissend stellt.94 Das dem Solon zugesprochene Gesetz gegen außerehelichen Verkehr regelte also die verschiedenen möglichen Verfahrensweisen gegen den moichós, die straffreie Tötung und eventuell die apagōgḗ des bei der Tat ergriffenen Täters, die Schriftklage wegen moicheía ebenso wie die Schriftklage wegen unrechtmäßigen Festhaltens als moichós und die Kuppelei.95 Im nómos moicheías war die straffreie Tötung auf den Fall eingegrenzt, dass der Täter ἄρθρα ἐν ἄρθροις ἔχων und damit ἐν ἔργῳ ergriffen worden war, was implizit bereits im drakontischen Gesetz vorausgesetzt war. Bei den Strafen unterschied Solon zwischen Ehebruch mit der Ehefrau oder der pallakḗ und dem Brautraub. Im engeren Sinne erlaubte nur der Ehebruch mit der Ehefrau und der pallakḗ eine graphḗ moicheías; Schadenersatz bei Brautraub musste über eine díkē blábēs oder eine díkē biaíōn eingefordert werden. All dies war nicht möglich, wenn es sich um Frauen handelte, die sich öffentlich feilboten. Folgende Elemente lassen sich also dem nómos moicheías zuweisen:96 1. Der bei der Tat ergriffene moichós konnte eigenmächtig getötet werden (Lys. 1,26 f.29; 13,66; Plut. Solon 23,1; Dig. 48,5,24). Möglicherweise konnte er auch als ka­ koúrgos zu den Elfmännern zur Hinrichtung abgeführt werden (Aischin. Tim. 91). 2. Ohne dass es explizit geregelt war, setzte der nómos voraus, dass ein bei der Tat ergriffener moichós im Haus festgehalten und eine Entschädigung von ihm ver-

93  Diese Möglichkeit ist in Eur. El. 921–924 belegt. Eine solche ‚Lösung‘ des Konflikts halten auch Kapparis 1995, 111, Ogden 1997, 26 und Harris 2004 für gut möglich. Zu zahlreichen Belegen aus der Neuen Komödie Harrison 1968–71, Bd. 1, 19, Doblhofer 1994, 54 f.; 59–62 und Harris 2004. Nach Phillips 2013, 104 hätte das Gesetz Solons den Verkauf in die Sklaverei zugelassen. Allison Glazebrook zufolge soll das Gesetz den Vätern und Brüdern verboten haben, Tochter oder Schwester zu sexuellem Verkehr zu vermieten, ausgenommen dann, wenn sie sich auf außerehelichen Verkehr eingelassen hatte (Allison Glazebrook, Prostituting Female Kin (Plut. Sol. 23,1–2), in: Dike 8, 2005, 33–53). 94  Cohen 1991, 29; 131 f.; vgl. Cole 1984, 107. Die Diskrepanz zwischen dem Druck der Öffentlichkeit auf Bestrafung der schuldigen Frau und der Nachsicht der Familienangehörigen zeigt sich deutlich in Pind. Ol. 6,29–49. Uneheliche Kinder als Kinder aus geschlechtlichem Verkehr mit Göttern auszugeben, trägt diesem Bemühen um Nachsicht Rechnung. 95  Da bereits die homerischen Epen eine Bußzahlung des Ehebrechers an den Ehemann kennen, ist davon auszugehen, dass es bereits in früher Zeit mehrere alternative Möglichkeiten gab, mit dem moichós umzugehen. Nach Lys. 1,49 gestattete das Gesetz, „mit dem moichós zu verfahren, wie man wolle“ (ἢ ὑπὸ τῶν νόμων τοὺς πολίτας ἐνεδρεύεσθαι, οἳ κελεύουσι μέν, ἐάν τις μοιχὸν λάβῃ, ὅ τι ἂν οὖν βούληται χρῆσθαι). 96  Eine Zusammenstellung der Quellenbelege zur straffreien Tötung, Kompensationszahlungen, Schandstrafen, der Klage wegen unrechtmäßigen Festhaltens als moichós, den Ausnahmebestimmungen, der Strafen für die Ehebrecherin und die graphḗ moicheía bei Kapparis 1995, 99–105.

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langt werden konnte (Lys. 1,29). Gegen Stellung von Bürgen wurde er freigelassen (Ps.-Demosth. or. 59,65); möglicherweise musste der Ergriffene eine Schandstrafe über sich ergehen lassen. 3. Der Ergriffene durfte nicht durch Hinterlist ist Haus gelockt worden sein. War er zu Unrecht im Haus festgehalten worden, konnte er oder ein Dritter Schriftklage erheben. Wurde er als moichós bestätigt, wurde er dem kýrios der Frau übergeben, der mit ihm vor Gericht machen konnte, was er wollte (Ps.-Demosth. or. 59,66). 4. Bei moicheía konnte jeder, der wollte, eine graphḗ bei den Thesmotheten einreichen. Er konnte gegen den moichós die Todesstrafe beantragen. Wurde der moichós nicht zum Tode verurteilt, wurde er dem kýrios der Frau übergeben. Er musste Entschädigung leisten, vielleicht (darüber hinaus) eine Schandstrafe über sich ergehen lassen (siehe 3). 5. Schriftklage war auch gegen denjenigen möglich, der den Ehebruch eingefädelt und ihn ermöglicht hatte, gegen die ‚Kupplerin‘ oder den ‚Kuppler‘ (Aischin. Tim. 14 und 184). Ihr oder ihm drohte die Todesstrafe. 6. Ausgenommen waren Frauen, die sich offensichtlich selbst feilboten oder ihre Dienste in entsprechenden Häusern anboten (Lys. 10,19; Ps.-Demosth. or. 59,66 f.; Plut. Solon 23,1). 7. Der kýrios, der den bei der Tat ergriffenen moichós getötet oder im Haus festgehalten und eine Entschädigung von ihm erhalten hatte, musste sich von der Ehebrecherin trennen. Tat er dies nicht, galt er als átimos (Aischin. Tim. 183; Ps.-Demosth. or. 59,85–87). 8. Frauen, die sich auf außerehelichen Verkehr eingelassen hatten, durften an Opferfesten nicht teilnehmen. Taten sie es dennoch, durfte man ihnen den Schmuck und die Kleidung vom Leib reißen, sie aber nicht töten (Aischin. Tim 183; Ps.-Demosth. or. 59,87). 9. Der kýrios konnte die Tochter oder Schwester nach einem vorehelichen Geschlechtsverkehr ‚verkaufen‘ (Plut. Solon 23,2). Möglicherweise meint dies die Übergabe der Tochter oder Schwester gegen eine Entschädigung an den moichós, der sie zu heiraten gezwungen war. Oder es meint, dass der kýrios nicht angeklagt werden konnte, der eine solche Tochter oder Schwester zu sexuellen Beziehungen gegen Geld vermietete, im Gegensatz zu demjenigen, der ein unter seiner Hausgewalt stehendes Kind zu sexuellen Beziehungen vermietete; gegen diesen konnte geklagt werden (zum nómos hetairéseōs siehe F 99–101). Auf eine díkē blábēs oder díkē biaíōn war verwiesen durch die Bestimmungen: 10. Brautraub, durch den die Entscheidung des Hausvaters über die Ehe der Tochter oder Schwester umgangen wurde, wurde mit einhundert Drachmen bestraft; wer dabei half, musste zwanzig Drachmen zahlen (Plut. Solon 23,1). 11. Wer einen oikeús oder eine doúlē „mit Gewalt (gegen den Willen des Hausherrn) schändete“, musste eine Buße zahlen (Lys. 10,19). Wer einen freier Mann oder ein

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Kind „mit Gewalt schändete“, musste eine Buße in doppelter Höhe zahlen; dieselbe Buße galt auch bei einer freien Frau (Lys. 1,32). Die eigenmächtige Tötung des moichós (Nr. 1), die Schriftklage gegen Kupplerinnen und Kuppler (Nr. 5), der Ausschluss der betroffenen Frauen von Opferfesten (Nr. 8), Bußzahlungen bei sexuellem Verkehr mit einer freien Frau, der dem Willen des Hausvaters entgegenstand (Nr. 10) und bei gewaltsamem sexuellen Verkehr mit oikeús oder doúlē (Nr. 11) sowie die Regelung bezüglich der davon ausgenommenen Frauen (Nr. 6) sind in den Quellen auf Solons Gesetzgebung zurückgeführt (Nr. 6 durch Philemon fr. 3 PCG und Nikandros von Kolophon FgrH 271/2 F 9). In seinen wichtigsten Bestandteilen wird der nómos moicheías mit den unterschiedlichen Verfahrensweisen, gegen den moichós und die betroffene Frau vorzugehen, also auf Solon zurückgehen.97 Literatur Kurt Latte, Art. μοιχεία, in: RE XV 2, 1932, 2446–2449; Lipsius 1905–15, 429–437; Walter Erdmann, Die Ehe im alten Griechenland, München 1934; Ugo E. Paoli, Il reato di adulterio (moicheia) in diritto attico, in: ders., Altri studi di diritto greco e romano, Milano 1976, 252–307 (zuerst in: SDHI 16, 1950, 123–170); Harrison 1968–71, Bd. 1, 32–38; Walter K. Lacey, Die Familie im antiken Griechenland, Mainz 1983 (engl. 1968); Eva Cantarella, Moicheia e omicidio legittimo in diritto attico, in: Labeo 18, 1972, 78–88; Eva Cantarella, L’omicidio legittimo e l’uccisione del μοιχός nel diritto attico, in: dies., Studi sull’omicidio in diritto greco e romano, Milano 1976, 129–159; Mogens H. Hansen, Apagoge, Endeixis and Ephegesis against Kakourgoi, Atimoi and Pheugontes, Odense 1976; Susan G. Cole, Greek Sanctions Against Sexual Assault, in: CPh 79, 1984, 97–113; David Cohen, The Athenian Law of Adultery, in: RIDA 3. Ser. 31, 1984, 147–165; David Cohen, A Note on Aristophanes and the Punishment of Adultery in Athenian Law, in: ZRG Rom. Abt. 102, 1985, 385–387; Eva Cantarella, Donne di casa e donne sole: sedotte e seduttrici? Fatto e diritto nella Grecia arcaica, in: dies., Le donne e la città. Per una storia della condizione femminile. Testi per i seminari romanistici, Como 1985, 9–26; Eva Cantarella, Pandora’s Daughters. The Role and Status of Women in Greek and Roman Antiquity, Baltimore – London 1987 (ital. Roma 21985); Carola Reinsberg, Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland, München 1989; Edward Harris, Did the Athenians Regard Seduction as a Worse Crime than Rape?, in: CQ 40, 1990, 370–377 (wiederabgedruckt in Harris 2006, 283–295); David Cohen, The Social Context of Adultery at Athens, in: Paul Cartledge, Paul Millett, Stephen Todd (Hrsg.), Nomos. Essays in Athenian Law, Politics and Society, Cambridge etc. 1990, 147–165; Raphael Sealey, Women and Law in Classical Greece, Chapel Hill – London 1990; Eva Cantarella, Moicheia. Reconsidering a Problem, in: Michael Gagarin (Hrsg.), Symposion 1990. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte

97  Nach Kapparis 1995 gingen die straffreie Tötung (dies bereits drakontisch), der Vollzug einer Schandstrafe, die Ausnahmeregelung bei erwerbsmäßiger Prostitution auf Solon zurück, die graphḗ moi­ cheías für den Fall, dass der moichós nicht bei der Tat ergriffen worden war, die graphḗ adíkōs heirchthḗnai hōs moichón und das Gesetz über die Bestrafung der Ehebrecherin, die zuvor dem kýrios oblag, hingegen auf klassische Zeit.

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(Pacific Grove, California, 24.–26. September 1990), Köln – Weimar – Wien 1991, 289–296; Lin Foxhall, Response to Eva Cantarella, in: ebd. 297–304; David Cohen, Sexuality, Violence, and the Athenian Law of Hubris, in: G&R 2. Ser. 38, 1991, 171–188; David Cohen, Law, Sexuality, and Society. The Enforcement of Morals in Classical Athens, Cambridge 1991; Peter Mauritsch, Sexualität im frühen Griechenland. Untersuchungen zu Norm und Abweichung in den homerischen Epen, Wien etc. 1992; Todd 1993; Georg Doblhofer, Vergewaltigung in der Antike, Stuttgart – Leipzig 1994; Raphael Sealey, The Justice of the Greeks, Ann Arbor 1994; David Cohen, Law, Violence, and Community in Classical Athens, Cambridge 1995; Sue Blundell, Women in Ancient Greece, London 1995; Konstantinos Kapparis, When Were the Athenian Adultery Laws Introduced?, in: RIDA 42, 1995, 97–122; Konstantinos Kapparis, Humiliating the Adulterer: The Law and the Practice in Classical Athens, in: RIDA 43, 1996, 63–77; Daniel Ogden, Rape, Adultery and the Protection of Bloodlines in Classical Athens, in: Susan Deacy, Karen F. Pierce (Hrsg.), Rape in Antiquity, London 1997, 25–41; Winfried Schmitz, Der nomos moicheias – Das athenische Gesetz über den Ehebruch, in: ZRG Rom. Abt. 114, 1997, 45–140; Cynthia B. Patterson, The Family in Greek History, Cambridge/MA 1998, 70–179; Rosanna Omitowoju, Rape and the Politics of Consent in Classical Athens, Cambridge 2002; Edward M. Harris, Did Rape Exist in Classical Athens?, in: Dike 7, 2004, 41–83 (wiederabgedruckt in Harris 2006, 297–332); Stephen C. Todd, Some Notes on the Regulation of Sexuality in Athenian Law, in: Symposion 2003. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Rauschholzhausen, 30. September – 3. Oktober 2003), hrsg. von Hans-Albert Rupprecht, Wien 2006, 93–111; Lorenzo Gagliardi, Risposta a Stephen Todd, in: ebd. 113–120; Phillips 2013, 102–115.

Gesetz gegen außerehelichen Verkehr (nómos moicheías) (F 94–98) F 94 Tötung (oder Festsetzen) des bei der Tat ergriffenen moichós (F 94c: T 457 Martina; F 29a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 94d: T 461 Martina; F 28a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 94e–f: T 459, 458b Martina, F 28b–c Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 94a: Lysias, Verteidigung im Mordfall Eratosthenes (or. 1), 26–32 (ca. 400/380 v. Chr.) (26) ἐγὼ δ’ εἶπον ὅτι „οὐκ ἐγώ σε ἀποκτενῶ, ἀλλ’ ὁ τῆς πόλεως νόμος, ὃν σὺ παραβαίνων περὶ ἐλάττονος τῶν ἡδονῶν ἐποιήσω, καὶ μᾶλλον εἵλου τοιοῦτον ἁμάρτημα ἐξαμαρτάνειν εἰς τὴν γυναῖκα τὴν ἐμὴν καὶ εἰς τοὺς παῖδας τοὺς ἐμοὺς ἢ τοῖς νόμοις πείθεσθαι καὶ κόσμιος εἶναι“. (27) οὕτως, ὦ ἄνδρες, ἐκεῖνος τούτων ἔτυχεν ὧνπερ οἱ νόμοι κελεύουσι τοὺς τὰ τοιαῦτα πράττοντας, … (28) … πρῶτον μὲν οὖν ἀνάγνωθι τὸν νόμον. ΝΟΜΟΣ

(29) οὐκ ἠμφεσβήτει, ὦ ἄνδρες, ἀλλ’ ὡμολόγει ἀδικεῖν, καὶ ὅπως μὲν μὴ ἀποθάνῃ ἠντεβόλει καὶ ἱκέτευεν, ἀποτίνειν δ’ ἕτοιμος ἦν χρήματα. ἐγὼ δὲ τῷ μὲν ἐκείνου τιμήματι οὐ συνεχώρουν, τὸν δὲ τῆς πόλεως νόμον ἠξίουν εἶναι κυριώτερον, καὶ ταύτην ἔλαβον τὴν δίκην, ἣν ὑμεῖς δικαιοτάτην εἶναι ἡγησάμενοι τοῖς τὰ τοιαῦτα ἐπιτηδεύουσιν ἐτάξατε. Καί μοι ἀνάβητε τούτων μάρτυρες. ΜΑΡΤΥΡΕΣ

(30) ἀνάγνωθι δέ μοι καὶ τοῦτον τὸν νόμον ‹τὸν› ἐκ τῆς στήλης τῆς ἐξ Ἀρείου πάγου.

Gesetz gegen außerehelichen Verkehr (F 94–98)

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ΝΟΜΟΣ

Ἀκούετε, ὦ ἄνδρες, ὅτι αὐτῷ τῷ δικαστηρίῳ τῷ ἐξ Ἀρείου πάγου, ᾧ καὶ πάτριόν ἐστι καὶ ἐφ’ ἡμῶν ἀποδέδοται τοῦ φόνου τὰς δίκας δικάζειν, διαρρήδην εἴρηται τούτου μὴ καταγιγνώσκειν φόνον, ὃς ἂν ἐπὶ δάμαρτι τῇ ἑαυτοῦ μοιχὸν λαβὼν ταύτην τὴν τιμωρίαν ποιήσηται. (31) καὶ οὕτω σφόδρα ὁ νομοθέτης ἐπὶ ταῖς γαμεταῖς γυναιξὶ δίκαια ταῦτα ἡγήσατο εἶναι, ὥστε καὶ ἐπὶ ταῖς παλλακαῖς ταῖς ἐλάττονος ἀξίαις τὴν αὐτὴν δίκην ἐπέθηκε. καίτοι δῆλον ὅτι, εἴ τινα εἶχε ταύτης μείζω τιμωρίαν ἐπὶ ταῖς γαμεταῖς, ἐποίησεν ἄν. νῦν δὲ οὐχ οἷός τε ὢν ταύτης ἰσχυροτέραν ἐπ’ ἐκείναις ἐξευρεῖν, τὴν αὐτὴν καὶ ἐπὶ ταῖς παλλακαῖς ἠξίωσε γίγνεσθαι. ἀνάγνωθι δέ μοι καὶ τοῦτον τὸν νόμον. ΝΟΜΟΣ

(32) ἀκούετε, ‹ὦ› ἄνδρες, ὅτι κελεύει, ἐάν τις ἄνθρωπον ἐλεύθερον ἢ παῖδα αἰσχύνῃ βίᾳ, διπλῆν τὴν βλάβην ὀφείλειν· ἐὰν δὲ γυναῖκα, ἐφ’ αἷσπερ ἀποκτείνειν ἔξεστιν, ἐν τοῖς αὐτοῖς ἐνέχεσθαι· οὕτως, ὦ ἄνδρες, τοὺς βιαζομένους ἐλάττονος ζημίας ἀξίους ἡγήσατο εἶναι ἢ τοὺς πείθοντας· τῶν μὲν γὰρ θάνατον κατέγνω, τοῖς δὲ διπλῆν ἐποίησε τὴν βλάβην. App. crit.: (26) ἡδέων C; ἐποιήσω P, ἐποίησας rell.; (29) ἠμφισβήτει L; ἀποθάνοι Cobet; ἠντιβόλει L; ἕτοιμος + ἦν X; (30) ‹τὸν› add. Westermann; ἐν Ἀρείῳ πάγῳ Mc; ὑφ’ M; ἡμῶν Reiske, ὑμῶν L; ἀποδίδοται Pc(1); τούτου … φόνον Reiske, τούτον μὴ καταγιγνώσκειν φόνου L; (31) γενέσθαι O; δή C; (32) ‹ὦ› Mc et marg. Ald., om. rell.; ἄνθρωπον: ἄνδρα Dobree; διπλοῦν N.

(26) Ich [Euphiletos] aber sagte: „Nicht ich werde dich töten, sondern das Gesetz (nómos) der Stadt, das du übertreten und geringer als dein Vergnügen geachtet hast. Und du hast es vorgezogen, eine solche Verfehlung gegenüber meiner Frau und meinen Kindern zu begehen, anstatt den Gesetzen zu gehorchen und ein ordentlicher Bürger zu sein.“ (27) So erlangte jener, ihr Herren, was die Gesetze (nómoi) für Menschen, die derartiges tun, vorschreiben … (28) … Zuerst lies also das Gesetz (nómos) vor! Gesetz

(29) Er bestritt es nicht, ihr Herren, sondern gab zu, Unrecht zu tun, und bat und flehte darum, nicht sterben zu müssen. Ja, er war bereit, Geld zu zahlen. Ich ließ mich aber auf sein Angebot nicht ein, glaubte, das Gesetz der Stadt sei höherrangig, und bestrafte ihn mit der Strafe, die ihr für die gerechteste hieltet, als ihr sie für Menschen, die derartiges tun, bestimmtet. Und jetzt sollen Zeugen meiner Behauptungen auftreten! Zeugen

(30) Lies mir aber auch dieses Gesetz (nómos) von der Stele vom Areopag vor: Gesetz

Ihr hört also, ihr Herren, dass dem Gerichtshof (dikastḗrion) des Areopag selbst, dem es dem Herkommen (pátrion) gemäß und bis in unsere eigene Zeit hinein obliegt, die Klagen wegen Tötung (phónou díkai) zu entscheiden (dikázein), ausdrücklich vorgeschrieben wurde, denjenigen nicht wegen Tötung zu verurteilen (katagignṓskein), der einen ‚Ehebrecher‘ (moichós) bei seiner eigenen Ehefrau (dámar) ergriffen und diese Strafe (timōría) für ihn gewählt hat. (31) Und der Gesetzgeber (nomothétēs) hielt dies im Falle der ehelichen Frauen (gametaí gynaíkes) für so sehr gerechtfertigt, dass er sogar im Falle der pallakaí, die ja geringer gewertschätzt werden, [dem Ehebrecher] dieselbe Strafe auferlegte. Und es ist doch klar, dass er, wenn er eine härtere Strafe als diese gehabt hätte, sie im Falle der Ehefrauen (gametaí) eingesetzt hätte. Da er aber nun keine härtere Strafe als diese für jene Fälle finden konnte, erachtete er dieselbe wie auch bei den pallakaí als angemessen. Lies mir aber auch noch dieses Gesetz vor!

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Verfahren vor den Thesmotheten Gesetz

(32) Ihr hört, ihr Herren, was dieses Gesetz gebietet: Wenn jemand einen freien Erwachsenen oder ein Kind mit Gewalt schändet (aischýnein bía), schulde er den Schaden doppelt (diplḗn tḗn blábēn opheílein), wenn aber eine Frau, bei denen [den moichós] zu töten zugestanden ist, sei er denselben Strafen unterworfen. So glaubte er [der Gesetzgeber] also, ihr Herren, bei denen, die Gewalt anwenden (biazómenoi), sei eine geringere Strafe angemessen als bei denen, die mit Überredung vorgehen. Denn diese verurteilte er zum Tode, jenen legte er den doppelten Schadenersatz (diplḗn … tḗn blábēn) auf.98

David Cohen hatte die Ansicht vertreten, dass sich die Verlesung des Gesetzes in Lys. 1,29 auf die apagōgḗ des kakoúrgos beziehe und daher die eigenmächtige Tötung des bei der Tat ergriffenen ‚Ehebrechers‘ durch den nómos moicheías nicht eindeutig gedeckt wäre.99 Als wahrscheinlicher ist aber davon auszugehen, dass alle drei verlesenen gesetzlichen Bestimmungen die unmittelbare Tötung des bei der Tat ergriffenen ‚Ehebrechers‘ zuließen.100 Eva Cantarella hatte die Tatsache, dass Euphiletos so viel Wert auf das Eingeständnis des Ehebrechers Eratosthenes legte, überzeugender damit erklärt, dass er den Ehebrecher zwar im Bett der Frau, aber nicht beim Geschlechtsverkehr selbst ergriffen habe. Er sei also nur in ‚quasi flagranza‘ ergriffen worden, und erst das Eingeständnis der Tat stellt Eratosthenes den Tätern gleich, die in flagranti ergriffen worden waren.101 F 94b: Lysias, Gegen Agoratos (or. 13) 66 (ca. 398 v. Chr.) γυναῖκας τοίνυν τῶν πολιτῶν τοιοῦτος ὢν μοιχεύειν καὶ διαφθείρειν ἐλευθέρας ἐπεχείρησε, καὶ ἐλήφθη μοιχός· καὶ τούτου θάνατος ἡ ζημία ἐστίν. Er, ein solcher Mensch, versuchte sodann, freie Frauen unserer Bürger zum ‚Ehebruch‘ zu verführen (moicheúein) und zu vernichten (diaphtheírein), und er wurde als ‚Ehebrecher‘ (moichós) ergriffen. Auch dafür ist die Strafe (zēmía) der Tod.

F 94c: Apollodoros, Gegen Neaira (Ps.-Demosth. or. 59) 65–68 (343/339 v. Chr.) (65) ἐπιβουλεύσας Στέφανος οὑτοσί, μεταπεμψάμενος εἰς ἀγρὸν ὡς θύων, λαμβάνει μοιχὸν ἐπὶ τῇ θυγατρὶ τῇ Νεαίρας ταυτησί, καὶ εἰς φόβον καταστήσας πράττεται μνᾶς τριάκοντα, καὶ λαβὼν ἐγγυητὰς τούτων Ἀριστόμαχόν τε τὸν θεσμοθετήσαντα καὶ Ναυσίφιλον τὸν Ναυσινίκου τοῦ ἄρξαντος υἱόν, ἀφίησιν ὡς ἀποδώσοντα αὑτῷ τὸ ἀργύριον. (66) ἐξελθὼν δὲ ὁ Ἐπαίνετος καὶ αὐτὸς αὑτοῦ κύριος γενόμενος γράφεται πρὸς τοὺς θεσμοθέτας γραφὴν Στέφανον τουτονί, ἀδίκως εἱρχθῆναι ὑπ’ αὐτοῦ, κατὰ τὸν νόμον ὃς κελεύει, ἐάν τις ἀδίκως εἵρξῃ ὡς μοιχόν, γράψασθαι πρὸς τοὺς θεσμοθέτας ἀδίκως εἱρχθῆναι, καὶ ἐὰν μὲν ἕλῃ τὸν εἵρξαντα καὶ δόξῃ ἀδίκως ἐπιβεβουλεῦσθαι,

98  Übersetzung nach Georg Wöhrle und Ingeborg Huber. 99  Cohen 1991, 111 f., 118: „… there does seem to have been some conflict between the newer law of kakourgoi and the older statute concerning justifiable homicide“; ebenso ders. 1984, 156–161. 100  So Schmitz 1997, 61–64. 101  Cantarella 1972, 84 f.; 1976, 143–145.

Gesetz gegen außerehelichen Verkehr (F 94–98)

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ἀθῷον εἶναι αὐτὸν καὶ τοὺς ἐγγυητὰς ἀπηλλάχθαι τῆς ἐγγύης· ἐὰν δὲ δόξῃ μοιχὸς εἶναι, παραδοῦναι αὐτὸν κελεύει τοὺς ἐγγυητὰς τῷ ἑλόντι, ἐπὶ δὲ τοῦ δικαστηρίου ἄνευ ἐγχειριδίου χρῆσθαι ὅ τι ἂν βουληθῇ, ὡς μοιχῷ ὄντι. (67) κατὰ δὴ τοῦτον τὸν νόμον γράφεται αὐτὸν ὁ Ἐπαίνετος, καὶ ὡμολόγει μὲν χρῆσθαι τῇ ἀνθρώπῳ, οὐ μέντοι μοιχός γε εἶναι· οὔτε γὰρ Στεφάνου θυγατέρα αὐτὴν εἶναι ἀλλὰ Νεαίρας, τήν τε μητέρα αὐτῆς συνειδέναι πλησιάζουσαν αὑτῷ, ἀνηλωκέναι τε πολλὰ εἰς αὐτάς, τρέφειν τε ὁπότε ἐπιδημήσειεν, τὴν οἰκίαν ὅλην· τόν τε νόμον ἐπὶ τούτοις παρεχόμενος, ὃς οὐκ ἐᾷ ἐπὶ ταύτῃσι μοιχὸν λαβεῖν ὁπόσαι ἂν ἐπ’ ἐργαστηρίου καθῶνται ἢ πωλῶνται ἀποπεφασμένως, ἐργαστήριον φάσκων καὶ τοῦτο εἶναι, τὴν Στεφάνου οἰκίαν, καὶ τὴν ἐργασίαν ταύτην εἶναι, καὶ ἀπὸ τούτων αὐτοὺς εὐπορεῖν μάλιστα. (68) τούτους δὲ τοὺς λόγους λέγοντος τοῦ Ἐπαινέτου καὶ τὴν γραφὴν γεγραμμένου, γνοὺς Στέφανος οὑτοσὶ ὅτι ἐξελεγχθήσεται πορνοβοσκῶν καὶ συκοφαντῶν, δίαιταν ἐπιτρέπει πρὸς τὸν Ἐπαίνετον αὐτοῖς τοῖς ἐγγυηταῖς, ὥστε τῆς μὲν ἐγγύης αὐτοὺς ἀφεῖσθαι, τὴν δὲ γραφὴν ἀνελέσθαι τὸν Ἐπαίνετον. App. crit.: (65) Στέφανος Sauppe, ὁ Στέφανος codd.; θύσων Naber; τῇ Νεαίρας Schaefer, τῇς codd.; θεσμοθέτην YrD; (66) ερχθηναι S et sic deinceps; ἀδίκως δόξῃ YrD; (67) αὐτὴν om. YrD; ‹τὸν› ἐπὶ Hude; ταύτῃσι Blass, ταύτης Sr Harpokr., ταύταις vulg.; λαβεῖν: ἑλεῖν D, sed λαβεῖν D γρ.; post καθῶνται ἢ add. ἐν τῇ ἀγορᾷ codd. Harpokr. s. v. πωλῶσι, del. Francke; πωλῶνται Heraldus, πωλοῦνται Harpokr. s. v. ἀποπεφασμένως, πωλῶσί τι codd., Harpokr. s. v. πωλῶσι; ἀποπεφασμένως codd., Harpokr. s. v., πεφασμένως Lys. 10,19, Plut. Solon 23; ‹καὶ› ἐργαστήριον Schaefer; τὴν ante ἐργασίαν del. Dobree; (68) αὐτοὺς Reiske, αὐτὸν codd.

(65) [Dem Epainetos] stellte nun dieser Stephanos hier eine Falle, lud ihn unter dem Vorwand eines Opferfestes aufs Land ein, ergriff ihn dann als moichós bei der Tochter dieser Neaira hier und wollte von ihm durch Drohung dreißig Minen erpressen, wofür er als Bürgen (engyētaí) den ehemaligen Thesmotheten Aristomachos und den Nausiphilos, Sohn des ehemaligen Archon Nausinikos, annahm und ihn dann frei ließ, da er ja das Geld bezahlen werde. (66) Sobald aber dieser Epainetos freigekommen und wieder sein eigener Herr geworden war, reichte er bei den Thesmotheten eine Schriftklage (graphḗ) gegen diesen Stephanos hier ein, weil er von ihm rechtswidrig festgenommen worden sei (adíkōs heirchthḗnai), und berief sich dabei auf das Gesetz, das anordnet, wenn jemand einen anderen rechtswidrig als moichós ergreife, so solle bei den Thesmotheten wegen rechtswidriger Festnahme darüber eine Schriftklage erhoben werden (gráphesthai), damit, wenn der Ankläger gegen den, der ihn ergriffen hat, gewinne und es sich zeige, dass ein rechtswidriger Hinterhalt angewendet wurde, er selbst für unschuldig erklärt werde und die Bürgen von aller Bürgschaft entbunden würden. Wenn der Ankläger aber als moichós erwiesen werde, so sollen die Bürgen ihn dem, der den Prozess gewonnen habe, übergeben, der ihn dann vor Gericht, wenn auch ohne Anwendung eines Dolchs, auf welche Weise auch immer er wolle, behandeln dürfe, da er ein moichós ist. (67) Diesem Gesetz gemäß also verklagte (gráphesthai) ihn Epainetos, wobei er zwar eingestand, mit dieser Frauensperson geschlafen zu haben, ohne jedoch ein moichós zu sein. Diese sei nämlich nicht die Tochter des Stephanos, sondern der Neaira, und ihre Mutter habe gewusst, dass er mit jener schlafe, und er habe viel Geld auf beide Frauen verwendet – ja, er sei, wann immer er hier [in Athen] gewesen sei, für das ganze Haus aufgekommen. Zugleich führte er das Gesetz an, das nicht gestattet, jemanden als moichós bei Personen zu ergreifen, die sich in einem Gewerbebetrieb (ergastḗrion) befinden oder sich öffentlich verkaufen (pōleísthai apopephasménōs), wobei er das Haus des Stephanos auch für einen solchen Gewerbebetrieb erklärte und behauptete, dass man dort ein solches Gewerbe treibe und dass diese Leute davon hauptsächlich ihren Gewinn erzielten. (68) Als Epainetos diese Behauptung aufgestellt und auch die Schriftklage

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Verfahren vor den Thesmotheten

(graphḗ) eingereicht hatte, da erkannte dieser Stephanos hier, dass er in Gefahr sei, als ein Zuhälter (pornoboskṓn) und Sykophant überführt zu werden, und überließ daher die Schlichtung (díaita) mit Epainetos den Bürgen selbst mit dem Antrag, dass sie ihrer Bürgschaft enthoben würden und dass Epainetos auf die Schriftklage (graphḗ) verzichte.

Der Ausschnitt aus der Rede Gegen Neaira bezeugt, dass es möglich war, einen ‚Ehebrecher‘ (moichós) zu ergreifen, auch wenn es sich um eine unverheiratete Tochter handelt. Statt der Tötung wurde außergerichtlich eine Bußzahlung vereinbart. Der Ergriffene erhob, nachdem er für die Zahlung Bürgen gestellt hatte und freigegeben worden war, Strafklage (graphḗ). Wahrscheinlich enthielt der nómos moicheías eine Bestimmung, dass der Ergriffene nicht durch List in das Haus gelockt worden sein durfte.102 F 94d: Plutarch, Solon 23,1 (um 100 n. Chr.) (= F 98d) (1) Ὅλως δὲ πλείστην ἔχειν ἀτοπίαν οἱ περὶ τῶν γυναικῶν νόμοι τῷ Σόλωνι δοκοῦσι. μοιχὸν μὲν γὰρ ἀνελεῖν τῷ λαβόντι δέδωκεν· ἐὰν δ’ … (1) In höchstem Maße widersinnig sind, wie es scheint, Solons Gesetze (nómoi) über die Frauen. Denn den Ehebrecher (moichós) zu töten, gestattete er dem, der ihn ergriffen hatte; wenn jemand hingegen …

F 94e: Ulpian, Labeo und Pomponius in Digesta 48,5,24 (um 200 n. Chr.) (= F 11e) Ulpianus libro primo de adulteriis. quod ait lex „in filia adulterum deprehenderit“, non otiosum videtur. voluit enim ita demum hanc potestatem patri competere, si in ipsa turpitudine filiam de adulterio deprehendat. Labeo quoque ita probat et Pomponius scripsit in ipsis rebus Veneris deprehensum occidi. et hoc est, quod Solo et Draco dicunt ἐν ἔργῳ. Ulpian im ersten Buch über unerlaubten Geschlechtsverkehr (adulterium): Wenn das Gesetz sagt, „wenn er bei der Tochter den Ehebrecher (adulter) ertappt“, dann wird das nicht beliebig [so formuliert] sein. Es wollte nämlich, dass dem Vater dieses Recht (potestas) [ihn zu töten] gerade dann zukomme, wenn er die Tochter beim unerlaubten Geschlechtsverkehr bei der Schandtat selbst ertappt. Auch Labeo meint das so, und Pomponius schrieb, dass [nur] derjenige, der beim [unerlaubten] Geschlechtsverkehr auf frischer Tat (in ipsis rebus Veneris) gestellt worden sei, getötet werden könne. Und das ist es, was bei Solon und Drakon „bei der Tat“ (en érgō) heißt.

Im Gesetz Drakons (F 11a) ist die Formulierung ἐν ἔργῳ nicht belegt; es ist gut möglich, dass die Worte ἐπὶ δάμαρτι ἢ ἐπὶ … im Sinne von ἐν ἔργῳ verstanden wurden. ἐν ἔργῳ könnte dem solonischen nómos moicheías entnommen sein.103

102  So im Gesetz von Gortyn ICret IV 72 col. 2 Z. 36–38: αἰ δέ κα πονε͂ι δολόσαθθαι, ὀμόσαι τὸν ἐλόντα … (vgl. Z. 44 f.). 103  Dem ἐν ἔργῳ entspricht im römischen Recht manufesto, wie es in der lateinischen Komödie gebraucht ist (Plaut. Bacch. 858; 867; vgl. 860). Ulpian nennt als Zitat von Labeo und Pomponius in ipsis rebus Veneris, das dem ἄρθρα ἐν ἄρθροις ἔχων bei Lukian entspricht.

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F 94f: Lukianos, Eunuch 10 (zweite Hälfte 2. Jh. n. Chr.) καὶ μοιχὸς ἑάλω ποτέ, ὡς ὁ ἄξων φησίν, ἄρθρα ἐν ἄρθροις ἔχων. Und er wurde einmal als ‚Ehebrecher‘ (moichós) ertappt, wie der áxōn sagt, „Geschlechtsteil in Geschlechtsteil“ (árthra en árthrois).

F 95 Klagen gegen Kuppler bei moicheía (F 95a: F 30/c Leão/Rhodes; F 95b: T 458a Martina; F 116 Ruschenbusch; F 30/d Leão/Rhodes)

F 95a: Aischines, Gegen Timarchos (or. 1) § 14 (346/5 v. Chr.) Καὶ τίνα ἕτερον νόμον ἔθηκε φύλακα τῶν ὑμετέρων παίδων; τὸν τῆς προαγωγείας, τὰ μέγιστα ἐπιτίμια ἐπιγράψας, „ἐάν τις ἐλεύθερον παῖδα ἢ γυναῖκα προαγωγεύῃ“. App. crit.: ἡμετέρων Amp.

Und welches weitere Gesetz hat er [Solon] zum Schutz eurer Kinder erlassen? Das über die Kuppelei, indem er die härtesten Strafen dafür festschrieb: „Wenn einer ein freies Kind oder eine Frau [einem anderen zu außer- oder vorehelichem Geschlechtsverkehr] vermittelt, …“.

F 95b: Aischines, Gegen Timarchos (or. 1) § 184 (346/5 v. Chr.) Καὶ τὰς προαγωγοὺς καὶ τοὺς προαγωγοὺς γράφεσθαι κελεύει, κἂν ἁλῶσι, θανάτῳ ζημιοῦν. App. crit.: τὰς προαγωγοὺς καὶ om. Aldin. Reiske, Frank.

Und er ordnete an, die Kupplerinnen und die Kuppler mittels Schriftklage anzuklagen (gráphesthai), und wenn sie verurteilt wurden, mit dem Tod zu bestrafen.

Aus einer gesetzlichen Bestimmung zur ‚Kuppelei‘ nennt Aischines in Tim. 14 nur einen Halbsatz; danach konnten die härtesten Strafen gegen denjenigen verhängt werden, der ein freies Kind oder eine Frau einem anderen ‚zuführt‘ (proagōgeúein).104 Die in § 14 erwähnte Bestimmung greift Aischines in § 184 noch einmal auf: Kupplerinnen und Kuppler konnten mittels graphḗ angeklagt werden; wurden sie für schuldig befunden, sollten sie mit dem Tod bestraft werden. Dieselbe Strafe wie für den Ehebruch mit der Ehefrau galt also auch für Kupplerinnen und Kuppler, weil sie – so Aischines’ Erklärung – unsittlichen Menschen ihre Schamlosigkeit gegen Lohn anbieten.105 Das an diesen Stellen genannte proagōgeúein meint also die Vermittlung eines außerehelichen Verkehrs bei Ehefrauen und unverheirateten Mädchen. Dies legt auch der Kontext von § 184 nahe, denn die Erwähnung der Bestimmung steht dort in Zusammenhang

104  Nach Poll. 3,27 war Hypereides’ Rede Gegen Patrokles (Hyp. F 138–145 Jensen), vielleicht auch seine Rede Gegen Timandra, in einem Verfahren proagōgeías gehalten worden. 105  Aischin. Tim. 184: … ὅτι τῶν ἐξαμαρτάνειν ἐπιθυμούντων ὀκνούντων καὶ αἰσχυνομένων ἀλλήλοις ἐντυγχάνειν, αὐτοὶ τὴν αὑτῶν ἀναίδειαν παρασχόντες ἐπὶ μισθῷ τὸ πρᾶγμα εἰς διάπειραν καὶ λόγον κατέστησαν. Vgl. Tim. 51: ἡταιρηκέναι … ἐπὶ μισθῷ.

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Verfahren vor den Thesmotheten

mit einer Geschichte über die harsche Bestrafung einer unsittlichen Tochter, die ihre sexuelle Unberührtheit nicht bis zur Hochzeit hatte bewahren können und deswegen sterben musste, und mit dem Gesetz Solons, wonach eine Frau, bei der ein Ehebrecher (moichós) ergriffen worden war, ehrlos sei, also keinen Schmuck tragen und an keinen öffentlichen Opfern teilnehmen dürfe (F 96a).106 Das proagōgeúein, mit dem Aischines unmittelbar darauf fortfährt, ist in diesem Zusammenhang also als ein ‚Zuführen‘ zur moicheía, zum Ehebruch mit einer freien Frau oder zum vorehelichen Verkehr mit einer ‚Jungfrau‘ zu verstehen, wobei sich die Kupplerin oder der Kuppler dafür bezahlen lässt.107 Dafür spricht auch der Umstand, dass nicht nur Kuppler (proagōgoí) bestraft werden sollten, sondern auch Kupplerinnen, und diese sogar zuerst genannt sind (F 95b).108 Die unterschiedliche Strafe, die Aischines auf der einen Seite und Plutarch auf der anderen Seite nennt, ist durch das unterschiedliche Delikt bedingt. Denn Plutarch meint ein anderes proagōgeúein, wenn er auf das Gesetz Solons verweist, dass derjenige, der eine freie Frau raubt und gegen den Willen des Hausvaters mit ihr verkehrt, hundert Drachmen Strafe zahlen muss, derjenige, der einem anderen eine Frau zuführt (προαγωγεύῃ), zwanzig Drachmen (F 97d). Es handelt sich dabei um eine Bestimmung, die ursprünglich gegen den Brautraub gerichtet war. Wegen des Risikos, beim Brautraub ergriffen zu werden, griff der abgelehnte Brautwerber häufig auf Helfershelfer zurück, die ihm die junge Frau ‚zuführten‘ (προαγωγεῖν). Für den Brautraub galten also mildere Strafen als für den Ehebruch, und beide Textstellen sind auf verschiedene Bestimmungen zu beziehen. Vielfach wurde hingegen der (vermeintliche) Widerspruch in der Höhe der Strafe mit einer späteren Verschärfung des Gesetzes erklärt.109 Geht man indes von zwei verschiedenen Delikten aus, löst sich dieser Widerspruch auf. Die unterschiedliche Strafe für Kuppelei bei moicheía und Hilfe beim 106  Aischin. Tim. 182; 183. 107  Zu erwägen ist daher, ob in Aischin. Tim. 14 statt ἐλεύθερον παῖδα ἢ γυναῖκα nicht ἐλευθέραν παῖδα ἢ γυναῖκα („ein freies unverheiratetes Mädchen oder eine Frau“) gelesen werden muss. Auch in den Digesta ist Verkupplung zum Ehebruch zusammen mit dem Ehebruch in Dig. 48,5 behandelt. Wer sich als Kuppler betätigt hat oder bei einer Verführung oder einem Ehebruch behilflich war (z. B. durch Bereitstellen eines Hauses) oder für den Ehebruch seiner eigenen Frau Geld genommen hat, der soll wie ein Ehebrecher gestraft werden (Dig. 48,5,9–11 [8–12]; vgl. 48,5,2,2; 2,6). Schmitz 1997, 119. 108  Sklavinnen der Ehefrau als Kupplerinnen: Aristoph. Thesm. 340–345; vgl. Aristoph. ran. 1078/79; Plat. Theait. 150a. Die Todesstrafe für Kupplerinnen, die freie Frauen verführten, belegt Theopomp FgrHist 115 F 227 für Methymna, Hermippos (Athen. 10,443a) und Heracleides Lembos (20 Dilts, Aristot. F 611 p. 376 Rose) für Korinth. Die Verkupplung von Sklaven durch Bordellbetreiber war dagegen nicht strafbar (Diog. Laert. 10,4). 109  Lipsius 1905–15, 435 f.; A. Hug, Art. Proagogeia, in: RE 23,1, 1957, 29: „Im Widerspruch zu Aischines steht die Bemerkung bei Plut. Sol. 23, Solon habe eine Strafe von 100 Drachmen für den Entführer einer Frau und für den Kuppler eine solche von 20 Drachmen festgelegt. Nach Meier-Schömann-Lipsius, Der att. Prozeß 410 f. war wahrscheinlich die Strafe später verschärft worden und diese Verschärfung dem Solon zugeschrieben, …“. Ebenso Michael Hillgruber, Die zehnte Rede des Lysias. Einleitung, Text und Kommentar, Berlin – New York 1988, 78 f. und Fisher 2001, 138. Nach Kapparis 2018, 156–158 habe Aischines Gesetze herangezogen, die er als solonische und zu seiner Zeit gültige ausgab, die tatsächlich aber seit über einem Jahrhundert obsolet waren. Die Tatsache, dass in Athen Bordelle existierten und es

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Brautraub entspricht der unterschiedlichen Wertung von moicheia und Brautraub (siehe auch F 97).110 F 96 Strafen für die Frau, die sich der moicheía schuldig gemacht hat (F 96a: T 458a Martina; F 115 Ruschenbusch und F 115/a Leão/Rhodes; F 96b: T 458c Martina; ad F 115/116 Ruschenbusch; F 115/b Leão/Rhodes)

F 96a: Aischines, Gegen Timarchos (or. 1) § 183 (346/5 v. Chr.) Ὁ δὲ Σόλων ὁ τῶν νομοθετῶν ἐνδοξότατος γέγραφεν ἀρχαίως καὶ σεμνῶς περὶ τῆς τῶν γυναικῶν εὐκοσμίας. Τὴν γὰρ γυναῖκα ἐφ’ ᾗ ἂν ἁλῷ μοιχὸς οὐκ ἐᾷ κοσμεῖσθαι, οὐδὲ εἰς τὰ δημοτελῆ ἱερὰ εἰσιέναι, ἵνα μὴ τὰς ἀναμαρτήτους τῶν γυναικῶν ἀναμειγνυμένη διαφθείρῃ· ἐὰν δ’εἰσίῃ ἢ κοσμῆται, τὸν ἐντυχόντα κελεύει καταρρηγνύναι τὰ ἱμάτια καὶ τὸν κόσμον ἀφαιρεῖσθαι καὶ τύπτειν, εἰργόμενον θανάτου καὶ τοῦ ἀνάπηρον ποιῆσαι, ἀτιμῶν τὴν τοιαύτην γυναῖκα καὶ τὸν βίον ἀβίωτον αὐτῇ παρασκευάζων. App. crit.: ἀρχαίως: Sud. v. ἀρχαῖον; ἐνδοξότατος: μάλιστα εὐδοκιμῶν Sud.; ἀναμιγνυμένη scribebatur (μιγνυμένη Ah); περιρρηγνύναι Cobet; ἀτιμάζων Cobet, Frank; παρασκευάζων Frank, κατασκευάζων l.

Solon aber, der berühmteste unter den Gesetzgebern (nomothetaí), hat gemäß der für die Alten ehrwürdigen Weise über die guten Sitten (eukosmía) der Frauen Bestimmungen erlassen. Denn der Frau, bei der ein moichós ergriffen wurde, gestattete er nicht, sich zu schmücken, auch nicht an den öffentlichen Opfern (dēmotelḗ hierá) teilzunehmen, damit sie nicht mit denjenigen Frauen zusammenkommt und sie verführt, die keiner Vergehen schuldig sind. Wenn sie dennoch teilnimmt oder sich schmückt, so erlaubt er jedem, der sie trifft, ihr die Kleider vom Leib zu reißen, ihr den Schmuck wegzunehmen und sie zu schlagen, ohne sie aber zu töten oder zu verstümmeln. So machte er eine solche Frau ehrlos (atimṓn) und ihr Leben zu einem nicht mehr lebenswerten.

F 96b: Gesetz in Apollodoros, Gegen Neaira (Ps.-Demosth. or. 59) § 87 (343/339 v. Chr.) ΝΟΜΟΣ ΜΟΙΧΕΙΑΣ.

Ἐπειδὰν δὲ ἕλῃ τὸν μοιχόν, μὴ ἐξέστω τῷ ἑλόντι συνοικεῖν τῇ γυναικί· ἐὰν δὲ συνοικῇ, ἄτιμος ἔστω. μηδὲ τῇ γυναικὶ ἐξέστω εἰσιέναι εἰς τὰ ἱερὰ τὰ δημοτελῆ, ἐφ’ ᾗ ἂν μοιχὸς ἁλῷ· ἐὰν δ’ εἰσίῃ, νηποινεὶ πασχέτω ὅ τι ἂν πάσχῃ, πλὴν θανάτου. App. crit.: ἱερὰ: ἱερὰ ταῦτα Bekk. Anecd. gr. p. 140,3; τὰ δημοτελῆ … θανάτου om. DSrY1; εἰσίῃ Y mg., εἴη FQ. Gesetz über den ‚Ehebruch‘

Wenn jemand den moichós ergriffen hat, so soll es dem, der ihn ergriffen hat, nicht gestattet sein, mit der Frau [weiter] in einer Ehe zu leben (synoikeín). Wenn er aber mit ihr [weiter] in einer Ehe lebt (synoikeín), sei er ehrlos (átimos). Der Frau, bei der ein moichós ergriffen wurde, soll es nicht gestattet sein, an den öffentlichen Opfern (hierá dēmotelḗ) teilzunehmen. Wenn

einen großen „market of prostitution“ gab, beweise seiner Ansicht nach, dass ein Gesetz gegen Kuppelei im 4. Jh. keine Bedeutung mehr hatte. 110  Siehe dazu Schmitz 1997, 118–120.

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Verfahren vor den Thesmotheten

sie dennoch teilnimmt, soll sie straflos das erleiden, was immer ihr angetan wird, außer der Tötung.

Der Inhalt des in or. 59,87 eingelegten Gesetzes ist durch die §§ 85 und 86 gedeckt. Danach solle sich die Frau, die sich auf außerehelichen Verkehr eingelassen hat, von den Opferfesten fernhalten (ἀπέχεσθαι τῶν ἱερῶν τούτων), sich „des Schauens, Opferns und der Verrichtung der herkömmlichen Zeremonien im Namen der Stadt“ enthalten (τοῦ ὁρᾶν καὶ θύειν καὶ ποιεῖν τι τῶν νομιζομένων ὑπὲρ τῆς πόλεως πατρίων). Denn „einer Frau, bei der ein moichós ergriffen wurde, sei es nicht gestattet, an öffentlichen Opfern teilzunehmen“ (ἐφ’ ᾗ γὰρ ἂν μοιχὸς ἁλῷ γυναικί, οὐκ ἔξεστιν αὐτῇ ἐλθεῖν εἰς οὐδὲν τῶν ἱερῶν τῶν δημοτελῶν). „Wenn sie dennoch teilnehmen und gegen das Gesetz verstoßen, sollen sie von jedem, der will, straflos erleiden, was ihnen angetan wird, außer der Tötung“;111 bei solchen Vergehen sollen sie sowohl aus dem Haus des Mannes verstoßen als auch von den Heiligtümern ausgeschlossen sein.112 F 97 Gesetz über den Brautraub (und die Vergewaltigung) (F 97b: T 457 Martina; F 29b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 97c: T 510; F 34b neu Ruschenbusch, Leão/Rhodes; F 97d: T 461 Martina; F 26 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 97e: T 448 Martina, F 27 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 97a: Lysias, Verteidigungsrede im Mordfall Eratosthenes (or. 1) 32 (400/380 v. Chr.) (= F 94a) (31) … ἀνάγνωθι δέ μοι καὶ τοῦτον τὸν νόμον. ΝΟΜΟΣ

(32) ἀκούετε, ‹ὦ› ἄνδρες, ὅτι κελεύει, ἐάν τις ἄνθρωπον ἐλεύθερον ἢ παῖδα αἰσχύνῃ βίᾳ, διπλῆν τὴν βλάβην ὀφείλειν· ἐὰν δὲ γυναῖκα, ἐφ’ αἷσπερ ἀποκτείνειν ἔξεστιν, ἐν τοῖς αὐτοῖς ἐνέχεσθαι· οὕτως, ὦ ἄνδρες, τοὺς βιαζομένους ἐλάττονος ζημίας ἀξίους ἡγήσατο εἶναι ἢ τοὺς πείθοντας· τῶν μὲν γὰρ θάνατον κατέγνω, τοῖς δὲ διπλῆν ἐποίησε τὴν βλάβην. App. crit.: ‹ὦ› Mc et marg. Ald.; om. rell.; ἄνθρωπον: ἄνδρα Dobree; διπλοῦν N.

(31) … Lies mir aber auch noch dieses Gesetz vor! Gesetz

(32) Ihr hört, ihr Herren, was dieses Gesetz gebietet: Wenn jemand einen freien Erwachsenen oder ein Kind mit Gewalt schändet (aischýnein bía), schulde er den Schaden doppelt (diplḗn tḗn blábēn opheílein), wenn aber eine Frau, bei denen [den moichós] zu töten zugestanden ist, sei er denselben Strafen unterworfen. So glaubte er [der Gesetzgeber] also, ihr Herren, bei denen, die Gewalt anwenden (biazómenoi), sei eine geringere Strafe angemessen als bei denen,

111  Ps.-Demosth. or. 59,86: ἀλλὰ μόναις ταύταις ἀπαγορεύουσιν οἱ νόμοι ταῖς γυναιξὶ μὴ εἰσιέναι εἰς τὰ ἱερὰ τὰ δημοτελῆ, ἐφ’ ᾗ ἂν μοιχὸς ἁλῷ, ἐὰν δ’ εἰσίωσι καὶ παρανομῶσι, νηποινεὶ πάσχειν ὑπὸ τοῦ βουλομένου ὅ τι ἂν πάσχῃ, πλὴν θανάτου, καὶ ἔδωκεν ὁ νόμος τὴν τιμωρίαν ὑπὲρ αὐτῶν τῷ ἐντυχόντι, διὰ τοῦτο δ’ ἐποίησεν ὁ νόμος, πλὴν θανάτου, … 112  Ebd. ἅμα ἐκ τε τῆς οἰκίας τοῦ ἀνδρὸς ἐκβεβλημένη ἔσται καὶ ἐκ τῶν ἱερῶν τῶν τῆς πόλεως.

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die mit Überredung vorgehen. Denn diese verurteilte er zum Tode, jenen legte er den doppelten Schadensersatz (diplḗn … tḗn blábēn) auf.

Die indirekte Wiedergabe des Gesetzes lehnt sich offensichtlich eng an den Gesetzestext an, wie der Aufbau, beginnend mit ἐάν τις, und die Strafformel am Ende zeigen. In der Rede ist aber nicht ausdrücklich bezeugt, dass das Gesetz auf Solon zurückgeht. F 97b: Lysias, Gegen Theomnestos I (or. 10) 19 (384/3 v. Chr.) (15) … Καί μοι ἀνάγνωθι τούτους τοὺς νόμους τοὺς Σόλωνος τοὺς παλαιούς. … (18) … ἐπανάγνωθι τουτουὶ τοῦ νόμου τὸ τελευταῖον. (19) „ὅσαι δὲ πεφασμένως πωλοῦνται“, καὶ „οἰκῆος † καὶ βλάβης τὴν δούλην εἶναι † ὀφείλειν“. πρόσεχε τὸν νοῦν. τὸ μὲν πεφασμένως ἐστὶ φανερῶς, πωλεῖσθαι δὲ βαδίζειν, τὸ δὲ οἰκῆος θεράποντος. πολλὰ δὲ τοιαῦτα καὶ ἄλλα ἐστίν, ὦ ἄνδρες δικασταί. App. crit.: (18) ἐπανάγνωθι codd., ἔτι δ᾽ἀνάγνωθι Müller; τουτουὶ Markland, τουτὶ codd.; (19) ὅσαι: ὅσοι codd.; πωλοῦνται X (mox etiam πωλεῖσθαι XK), πολοῦνται C; οἰκῆος καὶ βλάβης τὴν δούλην εἶναι ὀφείλειν codd.; οἰκῆος καὶ δούλης τὴν βλάβην εἶναι ὀφείλειν Schott, Lencman; καὶ οἰκῆος βλάβης τὴν διπλῆν εἶναι ὀφείλειν Schelling, Hude; οἰκῆος καὶ δούλης διπλῆν (ἁπλῆν) τὴν βλάβην ὀφείλειν Frohberger (Blass); πρόσεχετε codd., πρόσεχε Müller.

(15) … Und [nun] lies mir diese Gesetze Solons vor, die alten … (18) … Lies außerdem noch den Schluss dieses Gesetzes: ‹Gesetz› (19) „Diejenigen, die sich offensichtlich feilbieten“ und „er schulde den Schaden an dem Hausangehörigen (oikeús) oder der Magd (doúlē) [in einfacher Höhe]“. Passt auf! Das ‚offensichtlich‘ (pephasménōs) bedeutet ‚für alle sichtbar‘ (pha­ nerṓs), das ‚sich feilbieten‘ (pōleísthai) bedeutet ‚auf den Strich gehen‘ (badízein), das ‚eines Hausangehörigen‘ (oikḗos) aber ‚eines Bediensteten‘ (therápontos). (20) Noch viele andere Beispiele dieser Art gibt es, Geschworene.

F 97c: Ammonios, De adfinium vocabulorum differentia 345 s. v. οἰκότριψ καὶ οἰκέτης (ed. Nickau) (1./2. Jh. n. Chr.?) οἰκότριψ καὶ οἰκέτης διαφέρει. οἰκότριψ μὲν γὰρ ὁ ἐν τῇ οἰκίᾳ διατρεφόμενος ὃν ἡμεῖς θρεπτὸν καλοῦμεν, οἰκέτης δὲ καὶ δοῦλος ὁ ὠνητός. παρὰ δὲ Σόλωνι ἐν τοῖς ἄ†ζω†σιν οἰκεὺς κέκληται ὁ οἰκότριψ. App. crit.: ἄ†ζω†σιν: ἄζωσιν β; ἄξοσιν edd. inde a Steph.; οἰκεὺς β: οἰκέτης coni. Va., sed cf. Lys. 10,19.

Es besteht ein Unterschied zwischen oikótrips (‚der im Haus geborene Sklave‘) und oikétēs (‚Haussklave‘). Oikótrips ist nämlich der gänzlich im Haus (oikía) [aufgezogene und] verpflegte, den wir threptós nennen, oikétēs aber und doúlos ist der gekaufte [Sklave]. Bei Solon in den áxones aber heißt der oikótrips oikeús.

F 97d: Plutarch, Solon 23,1 (um 100 n. Chr.) (F 94d) (1) Ὅλως δὲ πλείστην ἔχειν ἀτοπίαν οἱ περὶ τῶν γυναικῶν νόμοι τῷ Σόλωνι δοκοῦσι. μοιχὸν μὲν γὰρ ἀνελεῖν τῷ λαβόντι δέδωκεν· ἐὰν δ’ ἁρπάσῃ τις ἐλευθέραν γυναῖκα καὶ βιάσηται, ζημίαν ἑκατὸν δραχμὰς ἔταξε· κἂν προαγωγεύῃ, δραχμὰς εἴκοσι, πλὴν ὅσαι πεφασμένως πωλοῦνται, λέγων τὰς ἑταίρας· αὗται γὰρ ἐμφανῶς φοιτῶσι πρὸς τοὺς διδόντας. (2) ἔτι δ’ οὔτε θυγατέρας πωλεῖν οὔτ’ ἀδελφὰς δίδωσι, πλὴν ἂν μὴ λάβῃ παρθένον ἀνδρὶ συγγεγενημένην.

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Verfahren vor den Thesmotheten

App. crit.: ἐλευθέραν: ἀλλοτρίαν Sm; πεφασμένω U; λέγων Reiske, λέγω δὲ von Wilamowitz-Möllendorf; ἂν καταλάβῃ van Herwerden, μὴ del. Hartman.

(1) In höchstem Maße widersinnig sind, wie es scheint, Solons Gesetze (nómoi) über die Frauen. Denn den Ehebrecher (moichós) zu töten, gestattete er dem, der ihn ergriffen hatte; wenn jemand hingegen eine freie Frau raubte (harpázein) und ihr Gewalt antat [im Sinne von: und dabei gegen den Willen des Hausvaters handelte] (biázesthai), so setzte er als Strafe einhundert Drachmen fest; und wer sie einem anderen zuführte (proagōgeúein), zwanzig Drachmen; ausgenommen diejenigen, die sich offensichtlich selbst feilbieten (pephasménōs pōleísthai), womit er die Hetären meint. Denn die gehen ja ganz offen (emphanṓs) zu dem, der sie bezahlt. (2) Ferner gestattet er nicht, Töchter oder Schwestern feilzubieten (pōleín), außer wenn er eine ertappt, die sich als unverheiratete Frau (parthénos) mit einem Manne eingelassen hat.

F 97e: Hesychios β 466 s. v. βινεῖν (5. Jh. n. Chr.) βινεῖν· παρὰ Σόλωνι τὸ βίᾳ μίγνυσθαι. τὸ δὲ κατὰ νόμον ὀπύειν. App. crit.: βεινεῖν H; σμιγνυσθαι –σοπυειν H.

bineín: bei Solon ‚Geschlechtsverkehr mit Gewalt zu haben‘. Gesetzeskonform [Geschlechtsverkehr zu haben] ist opýein. Vgl. ο 1068 s. v. ὀπυίειν· γαμεῖν. – „opyíein: (ehelich) heiraten“.

Susan G. Cole hat hervorgehoben, dass im athenischen Recht – wie im Recht von Gortyn auch – sehr genau zwischen moicheia als dem mit Einverständnis der Frau eingegangenen vor- oder außerehelichen Geschlechtsverkehr und Vergewaltigung unterschieden worden sei.113 Spätestens mit dem Gesetz über den Ehebruch, das in den antiken Quellen Solon zugeschrieben wird, seien für beide Delikte unterschiedliche Gesetze und Verfahren zur Anwendung gekommen. Bemerkenswert sei, dass in archaischer und klassischer Zeit Ehebruch wesentlich härter bestraft wurde als eine Vergewaltigung.114 Die Gegenüberstellung von Ehebruch und Vergewaltigung, die Plutarch vornimmt, findet sich auch bereits in Lys. 1,29–32.

113  Siehe auch die knappen Bemerkungen bei Kenneth J. Dover, Classical Greek Attitudes to Sexual Behaviour, in: Arethusa 6, 1973, 59–73 (= Andreas K. Siems [Hrsg.], Sexualität und Erotik in der Antike [Darmstadt 1988] 270 f.); David M. Schaps, Economic Rights of Women in Ancient Greece (Edinburgh 1979) 83; Richard Garner, Law and Society in Classical Athens (London – Sydney 1987) 84 f.; 86 f.; Reinsberg, Ehe 18–23; 38 f.; Roger Just, Women in Athenian Law and Life (London – New York 1989) 68–70; Blundell 1995, 70; 125 f.; Schmitz 1997, 115–123. 114  Patterson 1998, 170 f. Dies ist von Edward M. Harris bestritten worden, der sich dabei auf die gesetzliche Bestimmung im drakontischen Gesetz und die erste Rede des Lysias beruft (Einwände dagegen bei Schmitz 1997, 118–120). Auch Ogden 1997, 32–36 hat die Unterschiede im rechtlichen Umgang mit Ehebruch und Vergewaltigung relativiert. Unzutreffend ist die Ansicht von Susan G. Cole, das von Plutarch zitierte Gesetz Solons sei das in Demosth. or. 23,53 eingelegte Gesetz Drakons über straffreie Tötung (1984, 100); denn Plutarch hat das Gesetz ausdrücklich Solon zugeschrieben. Er bezieht sich also auf den solonischen nómos moicheías.

Gesetz gegen außerehelichen Verkehr (F 94–98)

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Allerdings ist in Rechnung zu stellen, dass das harpázein kaí biázesthai ursprünglich auf den Brautraub ausgerichtet war und deswegen vermutlich Bestandteil des nómos moicheías (und nicht eines eigenständigen Gesetzes über die Vergewaltigung) war. Der Brautraub war gegenüber dem ‚Ehebruch‘ mit einer milderen Strafe belegt, nämlich mit einhundert Drachmen für den abgelehnten Brautwerber und zwanzig Drachmen für seine Helfershelfer. Die Worte οἰκῆος καὶ βλάβης τὴν δούλην εἶναι ὀφείλειν in Lys 10,19 (F 97b) ergeben in der überlieferten Form keinen Sinn. Verschiedene Korrekturen wurden vorgeschlagen, wobei die Bestimmung häufig in den Kontext von Schadensklagen gestellt wurde; strittig ist in diesem Fall auch, ob der von einem oikeús angerichtete Schaden vom Herrn in doppelter Höhe zu zahlen war115 oder es um die Schädigung des oikeús ging.116 Aufgrund des Zusammenhangs mit ὅσαι δὲ πεφασμένως πωλοῦνται „am Ende dieses Gesetzes“ wird es aber eher um eine Strafsumme bei außerehelichem sexuellen Verkehr mit einem der Hausgewalt unterstehenden Knecht oder einer Magd gegangen sein. Zu lesen wäre dann οἰκῆος καὶ δούλης τὴν βλάβην ὀφείλειν (oder: οἰκῆος καὶ δούλης ἁπλῆν (oder: διπλῆν) τὴν βλάβην ὀφείλειν). An diese Regelung, dass ein Schädiger bei abhängigen Personen im Haus den Schaden in einfacher Höhe zahlen muss, wird sich eine entsprechende Regelung angeschlossen haben, dass bei freien Personen der Schaden in doppelter Höhe gezahlt werden musste (διπλῆν τὴν βλάβην ὀφείλειν), so wie es in Lysias’ Rede in § 32 überliefert ist. Auch David Phillips geht davon aus, dass sich die von Lysias in or. 10 herangezogenen Zitate auf Prostitution und Vergewaltigung beziehen und damit vermutlich auf die Verfahren einer díkē biaíōn oder einer dikē blábēs. Es sei eher davon auszugehen, dass „male or female slave“ in diesen Worten Opfer einer Vergewaltigung seien, als dass der Herr für Vergehen seiner Sklaven einstehen musste.117 Bei einer Vergewaltigung eines

115  So Eberhard Ruschenbusch (F 15, 34a) und Leão/Rhodes 2015, 53 f. „that the owner of a slave (either man or woman) is responsible for the damage caused by the slave“. Zu den verschiedenen vorgeschlagenen Möglichkeiten der Textrestitution Ja. A. Lencman, Raby v zakonach Solona. K voprosu o dostovernosti antičnoj tradicii (= Die Sklaven in Solons Gesetzen. Zur Frage nach der Glaubwürdigkeit der antiken Tradition), in: VDI 63,4, 1958, 51–69, hier 58–60. Es lässt sich nicht entscheiden, ob οἰκῆος (und δούλης) genitivus subiectivus oder obiectivus ist, also der vom oikeús oder der an einem oikeús angerichtete Schaden gemeint war. Aufgrund von Hyp. 3,22 (F 110d) und Plat. leg. 11, 936d sowie Aristot. Ath. pol. 52,2 hält Lencman einen genitivus subiectivus für die wahrscheinlichere Lösung hält (1958, 61). 116  Stephen C. Todd (2007 [wie Anm. 49], 684 f.) folgt der Lesung von Ch. Carey (οἰκῆος καὶ δούλης τὴν βλάβην εἶναι ὀφείλειν) und übersetzt „let it be permitted to owe the damage of an oikeus and of a doulē.“ Zu den Textvarianten und dem Kontext siehe auch Marie-Madelaine Mactoux, Lois de Solon sur les esclaves et formation d’une société esclavagiste, in: Toru Yuge, Masaoki Doi (Hrsg.), Forms of Control and Subordination in Antiquity, Leiden 1988, 331–354, hier 332 f., die darin eine Regelung hinsichtlich der Schädigung an einem Sklaven sieht. Nach Michael Hillgruber bleibe die Bestimmung unklar, und so solle es bei den überlieferten Worten in cruces bleiben (Hillgruber 1988 [wie Anm. 109], 78 f.). 117  Phillips 2013, 105 f.

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Verfahren vor den Thesmotheten

Sklaven – so wurde das Gesetz in klassischer Zeit sicherlich verstanden – hätte also die Strafe in einfacher Höhe bezahlt werden müssen.118 Oἰκῆος ist ein hapax legomenon und wird nur von dem mittelalterlichen Grammatiker Gregorius Pardus in De di­ alectis aufgegriffen.119 Analog zu dem wesentlich weiter verbreiteten βασιλῆος ist es ein Genitiv Singular zu οἰκεύς, ‑έως, wie auch der erklärende Genitiv θεράποντος zeigt.120 Die Kombination οἰκῆος mit δούλη erscheint zunächst ungewöhnlich; allerdings ist zu berücksichtigen, dass in den homerischen Epen und bei Theognis allein die weibliche Form δούλη, nicht aber δοῦλος bezeugt ist.121 So könnte die Kombination von οἰκεύς und δούλη gerade dafür sprechen, dass im ursprünglichen solonischen Gesetz Ersatzansprüche für einen Schaden geregelt waren, der an Hausangehörigen angerichtet worden war, womit nicht (oder nicht nur) der Sklave oder die Sklavin gemeint war, sondern in erster Linie der vom Hausvater abhängige Knecht oder die Magd.122 F 98 geschlechtlicher Verkehr ist straffrei, wenn es Frauen sind, die sich öffentlich feilbieten (F 98a: T 457 Martina; F 29b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F98b: ad T 457 Martina; F 29a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 98c: T 460a Martina; F 98d: T 461 Martina; F 30a Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 98a: Lysias, Gegen Theomnestos I (or. 10) 19 (384/3 v. Chr.) (s. o. F 97b) F 98b: Apollodoros, Gegen Neaira (Ps.-Demosth. or. 59) 66–67 (343/339 v. Chr.) (s. o. F 94c)

118  So auch schon Lipsius 1905–15, 639, der das Gesetz ebenfalls in Zusammenhang mit der díkē biaíōn stellt; οἰκῆος καὶ δούλης ἀπλῆν τὴν βλάβην ὀφείλειν regle den einfachen Schadensersatz bei Vergewaltigung eines Sklaven oder einer Sklavin. 119  Gregorius Pardus, De dialectis 4,288 (11./12. Jh.) (G. H. Schäfer, Gregorii Corinthii et aliorum grammaticorum Graecorum libri de dialectis linguae Graecae, Leipzig 1811): Ἀπορήσειε δ’ ἄν τις, πῶς τὰς γενικάς, τὰς ἀπὸ τῶν εἰς υς εὐθειῶν, οὐ προφέρουσι διὰ τοῦ ηος, οἷον ἡδῆος, ὀξῆος, ὥσπερ βασιλῆος, οἰκῆος. 120  Phillips 2013, 106 transkribiert oikeôs (= οἰκέως). 121  Hom. Il. 3,409; Od. 4,12; Theogn. 538. Tassilo Schmitt, Art. Sklaventerminologie, in: Heinz Heinen [Hrsg.], Handwörterbuch der antiken Sklaverei, Stuttgart 2017, 2690–2698, hier 2692 geht davon aus, dass δούλη in den Epen „nur in der Spezialbedeutung ‚unfreie Gefährtin und Bettgenossin‘ bezeugt“ ist, auch weil die Epen die der Rechtssprache angehörenden Worte δοῦλος und δούλη gattungsspezifisch gemieden haben. In Il. 3,409 und Od. 4,12 „war in Kontexten, in denen es um Abstammung und zugleich um elementare Rechtsverhältnisse (…) geht, die offizielle Terminologie kaum zu vermeiden.“ Dies gilt auch für Theogn. 538. Zum Problem, dass antike Begriffe für freie und unfreie Abhängige oft nicht eindeutig sind, Ellen Meiksins Wood, Agricultural Slavery in Classical Athens, in: AJAH 8, 1983, 1–47, hier 2–6. 122  Dabei ist wahrscheinlich, dass spätestens bei der Revision am Ende des 5. Jh. oikeús in oikétēs umgewandelt wurde und darunter der Sklave verstanden wurde. Mit oikétēs ist stets der Sklave gemeint (David M. Lewis, Greek Slave Systems in their Eastern Mediterranean Context, c. 800–146 BC, Oxford 2018, 295–305). Bezeichnend ist aber auch, dass in Lys. 10,19 οἰκῆος mit θεράποντος erklärt ist, nicht mit δούλου. Ja. Lencman geht wie viele andere davon aus, dass es sich bei den unterschiedlich benannten Personen durchgehend um Sklaven handelt (1958, 58–65).

Gesetz gegen außerehelichen Verkehr (F 94–98)

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F 98c: Philemon, Adelphoi fr. 3 PCG (spätes 4./frühes 3. Jh. v. Chr.) und Nikandros von Kolophon, Kolophoniaka FgrH 271/2 F 9 (2. Hälfte 2. Jh. v. Chr.) (Athen. 13,25, p. 569d–f)

καὶ Φιλήμων δὲ ἐν Ἀδελφοῖς προσιστορῶν ὅτι πρῶτος Σόλων διὰ τὴν τῶν νέων ἀκμὴν ἔστησεν ἐπὶ οἰκημάτων γύναια πριάμενος, καθὰ καὶ Νίκανδρος ὁ Κολοφώνιος ἱστορεῖ ἐν τρίτῳ Κολοφωνιακῶν φάσκων αὐτὸν καὶ πανδήμου Ἀφροδίτης ἱερὸν πρῶτον ἱδρύσασθαι ἀφ’ ὧν ἠργυρίσαντο αἱ προστᾶσαι τῶν οἰκημάτων. ἀλλ’ ὅ γε Φιλήμων οὕτως φησί· σὺ δ’ εἰς ἅπαντας εὗρες ἀνθρώπους, Σόλων· σὲ γὰρ λέγουσιν τοῦτ’ ἰδεῖν πρῶτον, μόνον δημοτικόν, ὦ Ζεῦ, πρᾶγμα καὶ σωτήριον, (καί μοι λέγειν τοῦτ’ ἐστὶν ἁρμοστόν, Σόλων) μεστὴν ὁρῶντα τὴν πόλιν νεωτέρων τούτους τ’ ἔχοντας τὴν ἀναγκαίαν φύσιν ἁμαρτάνοντάς τ’ εἰς ὃ μὴ προσῆκον ἦν, στῆσαι πριάμενόν τοι γυναῖκας κατὰ τόπους κοινὰς ἅπασι καὶ κατεσκευασμένας. ἑστᾶσι γυμναί, μὴ ’ξαπατηθῇς· πάνθ’ ὅρα. App. crit.: ἐν δελφοῖς A, corr. Casaubonus; προσιστορῶν Meineke; τῶν νέων ἀνάγκην Kaibel; ἐν ς΄ Harpokr. (s. u.); μόνον Kaibel, νόμον A; κἀμοὶ Meineke; ὁρῶντι A, corr. Grot; τούτους δ’ Kaibel; τότε (pro τοι) Meineke; fortasse στῆσαι ‹σε› πριάμενον γυναῖκας.

Philemon berichtet in den Brüdern, dass zuerst Solon wegen des Liebesdrangs der jungen Männer Dirnen (gýnaia) kaufte und in [besonderen] Häusern (oikḗmata) bereithielt, wie auch Nikandros aus Kolophon im dritten [Buch] seiner Kolophoniaka überliefert. Es heißt dort, er [Solon] ließ als erster der Aphrodite Pandemos ein Heiligtum errichten, und zwar von dem Geld, dass die Frauen einnahmen, die jene Häuser führten (prostásai tṓn oikēmátōn). Philemon jedenfalls dichtet folgendermaßen: „Du hast es, Solon, doch für alle Menschen eingeführt; sie sagen ja, du habest dies zuerst gesehen; die Sache ist allein fürs Volk, bei Zeus, und tut ihm gut (und dies zu sagen, Solon, steht mir zu). Du sahst die Stadt mit jungem Volk erfüllt, und daß die jungen Männer in der Not, mit der sie die Natur bedrängt, sich gegen das vergingen, was als schicklich galt, und kauftest Frauen (gynaíkes), stelltest sie, wohl ausstaffiert, für alle (koinaí) zum Gebrauch an öffentlichen Orten auf. Sie stehen nackt, damit man nicht betrogen wird; sieh alles an!“123 vgl. Harpokr. π 10 (T 460b Martina): s. v. Πάνδημος Ἀφροδίτη· … Νίκανδρος ἐν ϛʹ Κολοφωνιακῶν Σόλωνά φησι σώματα ἀγοράσαντα εὐπρεπῆ ἐπὶ στέγης στῆσαι διὰ τοὺς νέους, καὶ ἐκ τῶν περιγινομένων χρημάτων ἱδρύσασθαι Ἀφροδίτης πανδήμου ἱερόν. ἔστι δὲ τὸ πάνδημον πάγκοινον.

123  Übersetzung nach Claus Friedrich.

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Verfahren vor den Thesmotheten

Aphrodite Pandemos: … Nikandros sagt im ‹3›. [Buch] der Kolophoniaka, Solon habe Personen (sṓmata) gekauft, um sie in anständiger Weise den jungen Männern in einem [eigens dafür erbauten] Haus anzubieten und aus den daraus eingehenden Geldern ein Heiligtum der Aphrodite Pandemos zu errichten; pándēmos heißt ‚allen gemeinsam‘ (pánkoinos).

F 98d: Plutarch, Solon 23,1 (um 100 n. Chr.) (s. o. F 94d) ́ VIII A 3 Der nómos hetairēseōs Das Gesetz gegen unsittliche sexuelle Beziehungen Abstract: In der Rede Gegen Androtion schreibt Demosthenes Solon ein Gesetz zu, welches besagte, dass derjenige nicht als Redner in der Volksversammlung auftreten durfte, der unsittliche sexuelle Beziehungen eingegangen war, der hētairēkṓs. Auch andere antike Autoren weisen ein solches Gesetz Solon zu: Der hētairēkṓs gelte als ehrlos und könne in klassischer Zeit durch eine ‚Überprüfung der Redner‘ (dokimasía rhētórōn) ausgeschlossen werden. Im 4. Jh. v. Chr. gab es darüber hinaus in Athen eine spezielle Klage, die graphḗ hetairḗseōs, mittels derer derjenige bei den Thesmotheten angeklagt werden konnte, der ein seiner hausväterlichen Gewalt unterstehendes Kind zu sexuellem Verkehr gegen Geld vermietete. Dieselbe Anklage und dieselbe Strafe drohten demjenigen, der das Kind gemietet hatte. Wer in einem Prozess verurteilt worden war und sich ungeachtet dessen politisch oder in einem Prozess betätigte, dem drohte die Todesstrafe. Der Ausschluss des hētairēkṓs vom Rednerplatz wurde Solon zugeschrieben; ob auch der nómos hetairḗseōs – zumindest in seinem Kern – auf solonische Zeit zurückgeht, lässt sich nicht zweifelsfrei klären. Einen Hinweis darauf könnte die dem Solon zugesprochene Bestimmung geben, er habe Sklaven päderastische Beziehungen verboten, doch diesbezügliche Aussagen in Aischines’ Rede Gegen Timarchos lassen keine sichere Entscheidung zu, ob Solon mit dem ‚Gesetzgeber‘ identifiziert werden kann, auf den Aischines verweist.

Historische Einordnung Der nómos hetairḗseōs – ein solonisches Gesetz? In seiner Rede Gegen Androtion lobt Demosthenes den Gesetzgeber Solon dafür, wie umsichtig er die Gesetze in Einklang mit der Ordnung Athens konzipiert habe. Dies gelte auch für die Bestimmung, dass derjenige, der unsittliche sexuelle Beziehungen eingegangen war (der hētairēkṓs), nicht als Redner in der Volksversammlung auftreten durfte (F 54b). Euktemon und Diodoros, für die Demosthenes die Klagerede geschrieben hat, werfen dem Redner und Historiker Androtion vor, trotz seines unsittlichen Lebenswandels als Redner aufgetreten zu sein. Androtion werde sich – so führt Demosthenes aus – gegen diesen Vorwurf mit dem Argument verteidigen, dies sei doch nur eine üble Verleumdung, denn wenn seine Gegner der Meinung seien, Androtion

Historische Einordnung – Der nómos hetairḗseōs (F 99–101)

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hätte tatsächlich ein unsittliches Leben geführt und sei ungeachtet dessen als Redner aufgetreten, hätten sie ihn bei den Thesmotheten in einer graphḗ hetairḗseōs anklagen und damit das Risiko eingehen müssen, nicht den fünften Teil der Stimmen zu erhalten und tausend Drachmen Strafe zahlen zu müssen (F 99a).124 Da seine Gegner dieses Risiko nicht hätten eingehen wollen, sei der Vorwurf des unsittlichen Lebenswandels doch offensichtlich aus der Luft gegriffen. Eine graphḗ hetairḗseōs hätte, da es eine Schriftklage war, jeder Athener, der wollte, einbringen können, und dies bei den Thesmotheten. In or. 22,29–30 wiederholt Demosthenes seinen Vorworf gegen Androtion: Auch wenn Euktemon und Diodoros den Androtion nicht in einer graphḗ hetairḗseōs angeklagt hatten – das attische Recht hätte eine solche bei den Thesmotheten eingebrachte Anklage erlaubt –, sondern sie sich statt dessen für eine graphḗ paranómōn entschieden hatten, müsse sich Androtion dennoch für seinen unsittlichen Lebenswandel und die ungeachtet dessen vor das Volk eingebrachten Anträge verantworten.125 Erst im Anschluss daran geht Demosthenes auf die Umsicht des Gesetzgebers Solon ein, denn er habe diejenigen, die einen unsittlichen Lebenswandel führten, die hētairēkótes, nicht als Redner zugelassen (F 99b). Allein dies wird Solon als Gesetz zugeschrieben, nicht aber der nómos hetairḗseōs als solcher. In welche Zeit der nómos hetairḗseōs zurückreicht, lässt sich nicht bestimmen.126 Bestandteil des solonischen Gesetzes oder des nómos hetairḗseōs war außerdem, dass der hētairēkṓs Heiligtümer nicht betreten durfte.127 Das Gesetz Solons, das den hētairēkṓs vom Rednerplatz ausschließt, war im 4. Jh. integriert in die dokimasía rhētórōn, wie sie Aischines in seiner Rede Gegen Timarchos beschreibt. Danach war eine Klage, eine epangelía dokimasías dann möglich, wenn der Betreffende erstens Vater oder Mutter misshandelte oder ihnen keinen Unterhalt oder keine Unterkunft gewährte, wenn er sich zweitens der astrateía oder des Wegwerfens des Schildes oder drittens der porneía oder der hetaírēsis oder viertens der Verschwendung des väterlichen oder eines ererbten Vermögens schuldig gemacht hatte.128 Ein Gesetz „gegen unziemliche Verhaltensweisen“ (πράττεσθαί τιν’ ὧν οὐ προσῆκεν) schreibt Aischines in seiner Rede Gegen Timarchos (Tim. 13–14) unspezifisch „den Alten“ (παλαιοί) zu. Dies ist vielfach auf Solon bezogen worden. Denn in § 6 weist er die 124  Demosth. or. 22,21: περὶ τοῦ τῆς ἑταιρήσεως νόμου. In Poll. 8,40 ist die graphḗ hetairḗseōs als eine der graphaí aufgelistet. Zur graphḗ hetairḗseōs Fisher 2001, 36–53, 136–138. Da es um ein Verbot der politischen Betätigung ging, richtete sich das Gesetz vornehmlich an athenische Bürger (Tim. 19; Ps.-Demosth. or. 45,79). Vgl. Thalheim 1913. Zur Alternative zwischen graphḗ hetairḗseōs und dokimasía rhētórōn Fisher ebd. 40. 125  Vgl. Demosth. or. 22,23. Halperin 1990, 96–99, 104; Kapparis 2018, 163–165. 126  Auch Kapparis 2018, 169 f. hält es für unwahrscheinlich, dass der nómos hetairḗseōs auf solonische Zeit zurückgehe, weil hetaireín und hetaírēsis erst vom 4. Jh. an belegt sind; das Gesetz werde daher aus den 380er oder 370er Jahren stammen. 127  Demosth. or. 22,73: καὶ οὗ τὸ σῶμ’ ἡταιρηκότος οὐκ ἐῶσιν οἱ νόμοι εἰς τὰ ἱέρ’ εἰσιέναι. 128  Aischin. Tim. 28 ff. (F 54e); zur Klage wegen porneía siehe auch Demosth. or. 19,200. Fisher 2001, 160 sieht im Vorwurf der porneía oder der hetaírēsis zwei unterschiedliche Delikte.

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Verfahren vor den Thesmotheten

im Folgenden vorgelegten Gesetze, die mit Weitsicht erlassen worden seien, „jenem Solon zu, dem alten Gesetzgeber (palaiós nomothétēs), und Drakon und den Gesetzgebern in jener Zeit“. Doch die unspezifische Zuschreibung des Gesetzes an „die Alten“ reicht nicht aus, das in Tim. 13–14 herangezogene Gesetz als solonisch zu erweisen. Das Gesetz der ‚Alten‘ sei gegen schwerste Vergehen gerichtet, die sich dennoch nicht unterdrücken ließen: Wenn ein Vater, Bruder, Onkel, Vormund, oder wer sonst die Hausgewalt ausübt,129 ein Kind zur Unzucht vermietet (ἐκμισθώσῃ ἑταιρεῖν), ist keine Klage (γραφή) gegen das Kind, sondern nur gegen den Vermietenden und den Mietenden zulässig, und gegen beide sollen gleich hohe Strafen verhängt werden.130 Sei das Kind herangewachsen (παῖς ἡβήσων), sei es nicht verpflichtet, den Vater zu ernähren oder ihm Wohnung zu gewähren, aber begraben müsse er ihn und die Totenrituale vollziehen.131 Der Gesetzgeber habe also den Hausvorstand des Nutzens, Kinder gezeugt zu haben, bis auf den der Bestattung beraubt, so wie er den Sohn des Rechts beraubt habe, öffentlich aufzutreten (ὥσπερ ἐκεῖνος ἐκείνου τὴν παρρησίαν).132 Auffällig ist, dass Aischines mit der Bemerkung, der Gesetzgeber habe dem Sohn das Recht der parrhēsía, der freien Rede vor dem Volk, genommen, über den hier zitierten Gesetzestext hinausgeht. Er greift auf später zitierte Gesetze vor, die eine solche Bestimmung enthalten, nämlich auf die des nómos hetairḗseōs (§ 19 f.) und der dokimasía rhētórōn (§ 28). Unter Strafe gestellt war nicht die homoerotische oder päderastische Beziehung als solche, sondern nur die gegen Lohn eingegangene, zum Schaden eines der hausväterlichen Gewalt unterstehenden Kindes.133 129  Darauf ist in Aischin. Tim. 18 noch einmal Bezug genommen mit der Formulierung τοῖς περὶ τὸν παῖδα, πατρί, ἀδελφῷ, ἐπιτρόπῳ, διδασκάλοις καὶ ὅλως τοῖς κυρίοις; die dadáskaloi sind zusätzlich einbezogen, da sie in der vorher angeführten ‚Schulordnung‘ genannt sind. 130  Zumindest in klassischer Zeit war offenbar stets hinzugefügt, gegen wen die Klage zu richten war. Jedenfalls ist diese Angabe bei den graphaí, die beim árchōn epṓnymos einzureichen waren, in Aristot. Ath. pol. 56,6 als einzige weiterführende Information hinzugesetzt. 131  Aischin. Tim. 13. Noch einmal als direktes Zitat aufgegriffen in Tim. 72: ἐάν τις μισθώσηταί τινα Ἀθηναίων ἐπὶ ταύτην τὴν πρᾶξιν, ἢ ἐάν τις ἑαυτὸν μισθώσῃ, ἔνοχον εἶναι τοῖς μεγίστοις καὶ τοῖς ἴσοις ἐπιτιμίοις. Vgl. Tim. 87: ἐάν τις μισθώσηταί τινα Ἀθηναίων ἐφ’ ὕβρει, καὶ πάλιν ἐάν τις Ἀθηναίων ἐπὶ τῇ τοῦ σώματος αἰσχύνῃ ἑκὼν μισθαρνῇ. Nach Plut. Solon 22,4 (= Herakleides Pontikos fr. 146 Wehrli) mussten auch die von einer Hetäre geborenen Kinder den Vater nicht im Alter ernähren. Dies ergibt sich aber auch daraus, dass mit einer Hetäre keine rechtmäßige Ehe geschlossen werden konnte, der biologische Vater also rechtlich nicht der Vater war. Das Verbot, einen der Bürger zu unsittlichem Verkehr (ἑταιρεῖν) zu vermieten, bestätigt Demosth. or. 45,79. 132  Aischin. Tim. 14. 133  Carola Reinsberg, Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland, München 21993, 163, 200 f.; Edward M. Harris, Aeschines and Athenian Politics, New York – Oxford 1995, 102; Fisher 2001, 39–42; Todd 2006, 99; Cohen 2016, 369 f.; Kapparis 2018, 153–156. Cohen 1991, 175 (zu den Gesetzen bezüglich homosexueller Prostitution ebd. 176–182); David Cohen macht allerdings geltend, dass auch einvernehmlicher homosexueller Verkehr, auch wenn er nicht durch ein spezielles Gesetz unter Strafe gestellt war, mittels einer graphḗ hýbreōs zur Anklage gebracht werden konnte, insbesondere wenn minderjährige Kinder betroffen waren. Zu Fragmenten solonischer Elegien, die von einer Hochschätzung homoerotischer Liebe zeugen (fr. 24 und 25 West; dazu Hermias in Plat. Phaedr. 231e [T 735 Martina]), Fisher ebd. 37.

Historische Einordnung – Der nómos hetairḗseōs (F 99–101)

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Mit § 19 geht Aischines zu einem neuen Abschnitt über, da sich – so führt er aus – die vorher zitierten Gesetze auf das Kind als Gegenstand des Rechts gerichtet hätten, die folgenden aber auf die jungen Männer, die eigenverantwortlich handelten und selbst für Gesetzesübertretungen hafteten. Erneut sind es zunächst Auszüge aus dem nómos hetairḗseōs, die nun aber nicht die paídes, sondern die Heranwachsenden betreffen.134 Er beginnt mit dem indirekt zitierten Gesetz, dass es einem Athener nicht möglich sei, eines der neun Archontenämter auszuüben, wenn er sich des hetaireín, unsittlicher sexueller Beziehungen, schuldig gemacht habe, denn die Amtswürde werde bekränzt ausgeübt. Er könne auch kein Priesteramt wahrnehmen (bzw. keine heiligen Gelder verwalten), da er keinen reinen Körper habe, noch für einen anderen in einem öffentlichen Prozess vor Gericht auftreten, noch irgendein anderes Amt jemals ausüben, weder in Attika, noch auswärts, sei es gelost, sei es gewählt.135 Er fungiere nicht als Herold oder Gesandter und betätige sich auch nicht als Richter gegen Gesandte, lasse sich nicht verdingen, als Sykophant verleumderische Anklagen vorzubringen, und könne nicht seine Meinung vorbringen, nicht im Rat, nicht vor dem Volk, selbst wenn er der geschickteste Redner wäre. Um gegen den Zuwiderhandelnden vorzugehen, habe der Gesetzgeber die graphaí hetairḗseōs erlassen und die härtesten Strafen darauf gesetzt.136 In § 21 ist der Gesetzestext in die Rede eingelegt.137 Wenn im Gesetz bestimmt ist, dass der hētairēkṓs weder in Attika, noch auswärts ein Amt ausüben darf, also auch nicht im Gebiet des Attischen Seebunds, dann kann diese Ausformulierung des Gesetzes nur auf das 5. Jh. oder auf die Zeit des Zweiten Attischen Seebunds zurückgehen und

134  Der Vorwurf des hetaireín traf vor allem denjenigen, der sich in eine päderastische Beziehung begeben hatte, und dies für Lohn (Aischin. Tim. 29, 51: ἐπὶ μισθῷ, 72, 87; vgl. bereits Aristoph. Plut. 153–159 und Demosth. or. 22,58). Zu den nach Altersgruppen gegliederten Zitaten von Gesetzen siehe Todd 2006, 101–105. 135  Aischin. Tim. 19 (F 103 Ruschenbusch; Leão/Rhodes). Auch in eigener Sache darf er nicht vor Gericht auftreten (Tim. 100). 136  Aischin. Tim. 20, 72. Die hier genannten μέγιστα ἐπιτίμια werden die ἐπιτίμια sein, über die Aischines auch in Tim. 13 gesprochen hat (dies müsse aber nicht die Todesstrafe sein, so Kapparis 2018, 167). Hinsichtlich der Klage gegen den hētairēkṓs wird von Lexikographen und Grammatikern stets auf die Rede des Aischines Gegen Timarchos verwiesen: Sopater, Scholia ad Hermogenis status seu artem rhetoricam (Chistian Walz, Rhetores Graeci, vol. 5, Stuttgart 1833, 1–211) 82; 114; vgl. Syrianus, Commentarium in Hermogenis librum περὶ στάσεων (Hugo Rabe, Syriani in Hermogenem commentaria, vol. 2, Leipzig 1893, 1–203) 158; Anonymus in Hermogenem, Commentarium in librum περὶ στάσεων (Chistian Walz, Rhetores Graeci, vol. 7.1, Stuttgart 1834, 104–696), p. 622. 137  Zu den eingelegten Gesetzestexten in der Rede Gegen Timarchos Fisher 2001, 68: „In the case of this speech, the decision is easy: all the documents included are universally and rightly condemned as spurious. The general reasons are that these documents are only found in the set of later manuscripts grouped under the collective label β, not in the oldest manuscript, f; that documents are found only in the first part of Aeschines’ speech 1 (the last comes at 1.68); and that there is no room for any documents in the surviving papyri“. Auch Thalheim 1913 folgt der Wertung von Engelbert Drerup, dass der eingelegte Gesetzestext in Tim. 21 unecht sei. Ebenso Josine Blok, Citizenship in Classical Athens, Cambridge 2017, 229 Anm. 157; Kapparis 2018, 167.

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nicht auf solonische Zeit.138 Die graphḗ hetairḗseōs richtet sich also gegen zwei Delikte, gegen die Vermietung bzw. Miete gewaltunterworfener Knaben und gegen politische Betätigungen derer, die sich prostituiert hatten. Aischines nimmt in den §§ 25 und 26 erneut Bezug auf den Gesetzgeber Solon, von dem ein Standbild mit verhüllter Hand auf der Agora der Salaminier stehe. Und der Gesetzgeber habe durch die – in § 28 folgende – dokimasía der Redner bestimmt, wer als Sprecher auftreten dürfe und wer nicht.139 Und die, die unsittlich gelebt haben, denen soll dieses Recht entzogen sein.140 Mit der Zusammenstellung derjenigen Personengruppen, die nicht vor dem Volk reden durften, verweist Aischines also auf die dokimasía der Redner, nicht auf den nómos hetairḗseōs.141 Aischines beendet seine Ausführungen mit der Bemerkung, dass dies schon lange Gesetz sei,142 und fügt ein „neues Gesetz“ an, nämlich das über die Losung der Phyle, die jeweils den Vorsitz bei der Volksversammlung führt, und weitere, die das Verhalten von Rednern im Rat und in der Volksversammlung regeln. Der Quellenbefund ist eindeutig. Lysias, Demosthenes, Apollodoros und Aischines weisen Solon ein Gesetz zu, das den hētairēkótes untersagte, vor dem Volk zu sprechen. Durch die Anspielung in der Komödie Ritter lässt sich die Bestimmung dem Inhalt nach bereits für die 420er Jahre sichern (F 54). Es ist gut möglich, dass eine solche gesetzliche Regelung tatsächlich auf Solon zurückgeht. Für die graphḗ hetairḗseōs gibt es hingegen in den Quellen keine expliziten Bezeugungen, dass eine solche Klage durch Solon eingerichtet wurde. Ob Solon ein Gesetz des Inhalts gegeben hat, dass bei der ‚Vermietung‘ eines gewaltunterworfenen Knaben nicht der Knabe, sondern der Vermietende und der Mietende angeklagt werden müssten und der Knabe, wenn er herangewachsen sei, den Hausvater nicht ernähren und ihm keine Wohnung bieten müsse, ist sicherlich nicht ganz auszuschließen, aber einen positiven Beweis dafür gibt es nicht.143 Die darüber hinausgehende, in §§ 20–21 von Aischines zitierte Bestimmung ist sicherlich nicht solonisch, aber es könnte dies eine Erweiterung einer solonischen 138  Aischin. Tim. 20–22. Auch Fisher 2001, 144 geht davon aus, dass das Gesetz nicht auf das 6. Jh. zurückgehen könne. Der eingelegte Gesetzestext stimmt mit Aischines’ Ausführungen in § 19 (als F 103 Ruschenbusch und Leão/Rhodes den falsa zugeordnet) überein; nur die erläuternden Ergänzungen fehlen im Gesetzestext. Vgl. Kapparis 2018, 166 f. 139  Aischin. Tim. 27. 140  Aischin. Tim. 28–32 (F 54e; = F 104a Ruschenbusch; Leão/Rhodes). 141  Es sind zwei miteinander in Verbindung stehende, aber zu trennende Verfahren (Todd 2006, 97– 100). 142  Aischin. Tim. 33: Ταῦτα μὲν οὖν πάλαι νενομοθέτηται. 143  Delfim F. Leão und P. J. Rhodes haben die Bestimmung als †F 57/b aufgenommen, bemerken dazu aber, dass sie nicht sicher auf die Zeit Solons zurückgeht (S. 97); doch sie mag durch ein solonisches Gesetz inspiriert sein, da Solon die Prostitution eines Oikosmitglieds durch den Hausvater als unrechtmäßig verurteilte. Vgl. Fisher 2001, 137 und 158, der es für möglich hält, dass zunächst ein nómos hetairḗseōs bestand und spätestens vom Ende des 5. Jh. an höhere sittliche Anforderungen an die Redner vor dem Volk gestellt wurden, unter anderem dass er kein hētairēkṓs sei. Dabei sei nicht das hetaireín selbst strafwürdig, sondern nur der Anspruch, in öffentlicher Funktion aufzutreten (so auch Thalheim 1913).

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Verfahrensregelung sein, so wie es auch bei anderen Gesetzen zu beobachten ist. Für das 4. Jh. belegen zumindest die Zeugnisse des Apollodoros und Aischines eine enge inhaltliche Nähe von nómos hetairḗseōs, der die Vermietung und Mietung eines Knaben gegen Geld unter Strafe stellte, und der Klage im Rahmen der dokimasía rhētórōn. Wenn eine wegen hetaírēsis verurteilte Person sich politisch oder in einem Rechtsverfahren betätigte, drohten ihr „schwerste Strafen“.144 Das Verbot für Sklaven, päderastische Beziehungen einzugehen oder sich zu salben Ein solonischer nómos hetairḗseōs lässt sich also nicht stichhaltig belegen. Dasselbe gilt auch für Überlieferungen, die ein Gesetz bezüglich päderastischer Beziehungen von Sklaven auf Solon zurückführen; auch dabei handelt es sich wahrscheinlich um eine falsche Zuschreibung. Der Vorwurf des hetaireísthai traf vor allem denjenigen, der sich in eine päderastische Beziehung begeben hatte, so dass ein Gesetz, das Sklaven solche Beziehungen verbot, Bestandteil eines nómos hetairḗseōs gewesen sein könnte. Die frühesten Zeugnisse sind Zitate des Aischines in der Rede Gegen Timarchos. Das Gesetz sage, „ein Sklave (doúlos) soll nicht im Gymnasion Sport treiben und sich nicht in den Palästren mit Öl salben (ξηραλοιφεῖν)“ und „ein Sklave (doúlos) soll einen freien Knaben (eleútheros país) nicht ‚lieben‘ (erán) und ihm nicht nachfolgen (epakoloutheín) oder er soll mit der öffentlichen Peitsche fünfzig Schläge erhalten“ (F 100a).145 Aischines weist das Gesetz einem ‚Gesetzgeber‘ (nomothétēs) zu, ohne allerdings Solon zu nennen.146 Auffällig ist, dass von Palästren auch in der von Aischines in Tim. 9–10 genannten ‚Schulordnung‘ die Rede ist, in dem in § 12 eingelegten Gesetz 144  Dies sind die in Aischin. Tim. 20 und 72 genannten mégista epitímia (vgl. Tim. 21). Todesstrafe: Lipsius 1905–15, 437; Thalheim 1913; Halperin 1990, 95. Fisher hingegen hält die Todesstrafe für unangemessen hoch; vermutlich habe der Kläger eine Strafe beantragen und dabei bis hin zur Todesstrafe gehen können (2001, 136 f.; ähnlich Kapparis 2018, 167). Aber da es um die Ausübung öffentlicher Tätigkeiten nach einer Verurteilung in einer graphḗ hetairḗseōs geht, nicht um die Verurteilung wegen hetaírēsis selbst, ist die Todesstrafe durchaus möglich. 145  Bethe 1907, 458 folgt im Tenor der Erläuterung von Aischines: Der Sklave sei solcher sportlicher Tätigkeit nicht wert und solle nicht durch ein Liebesverhältnis einen schlechten Einfluss auf Freie ausüben. Mactoux 1988, 340–344 macht auf die ungewöhnliche Kombination von gymnázesthai und xēra­ loipheín aufmerksam; obwohl das Einölen zu Beginn der sportlichen Betätigung erfolge, sei es dem gymnázesthai nachgestellt, und es sei als Einzelhandlung nur das „Trockensalben“ explizit genannt. Sie erwägt, dass durch das Verbot der ersten Handlung die Unbedingtheit des Verbots, im Gymnasion Sport zu treiben, betont werden sollte. Ähnlich verhalte es sich bei dem Verbot des erán und dem freien Kind „zu folgen“ (epakoloutheín). Relativ früh belegt sei gymnázesthai in Verbindung mit jugendlicher Liebe bei Theogn. 1335 f. Im Gegensatz zum Einölen des nassen Körpers nach dem Baden, das mit χρίεσθαι (ἀλείφεσθαι) ἐλαίῳ bezeichnet wurde, hieß das Einölen in der Palaistra vor den Übungen „trocken salben“ (Siegfried Laser, Medizin und Körperpflege. Archaeologia Homerica III S), Göttingen 1983, 162; Emmerich Paszthory, Salben, Schminken und Parfüme im Altertum [Antike Welt], Mainz 1990, 44). 146  Vgl. Aischin. Tim. 139: Ἀλλ’ οὐ τὸν ἐλεύθερον ἐκώλυσεν ἐρᾶν καὶ ὁμιλεῖν καὶ ἀκολουθεῖν, οὐδὲ βλάβην τῷ παιδί, ἀλλὰ μαρτυρίαν σωφροσύνης ἡγήσατο συμβαίνειν. – „Dem Freien aber hat er weder ein ‚Lieben‘

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dann vom Gymnasion und dem Gymnasiarchen.147 Auch vom Inhalt her ist man geneigt, die Zitate einer solchen, sicherlich nachsolonischen ‚Schulordnung‘ zuzuweisen; darauf deutet auch die öffentliche Auspeitschung.148 In drei seiner Schriften hat Plutarch die Bestimmung, dass es Sklaven untersagt sei, zu ‚lieben‘ und sich mit Öl zu salben, auf Solon zurückgeführt; erst Plutarch also ist es, der das Gesetz explizit Solon zuschreibt.149 Da die verwendeten Wörter ἐρᾶν und ξηραλοιφεῖν in den von Aischines genannten Zitaten vorkommen, liegt der Verdacht nahe, dass Plutarch seine Information der Rede Gegen Timarchos unmittelbar oder mittelbar entnommen hat.150 Plutarch oder die Zwischenquelle hat den von Aischines genannten ‚Gesetzgeber‘ vorschnell mit Solon identifiziert, und auch Hermias folgt dem in seinem Kommentar zu Platons Phaidros, wobei er die Regelung hinzufügt, in welchem Abstand der Liebende (erastḗs) dem Geliebten (erómenos) folgen solle.151 Dass die Information, Solon habe den Sklaven verboten, päderastische Beziehungen einzugehen und sich mit Öl zu salben, auf die Aischinesrede zurückgeht, legt auch die Hinzufügung bei Hermias nahe, dass auch demjenigen verboten sei, zu ‚lieben‘ und sich mit Öl zu salben, der sich dem Kriegsdienst entzogen oder die Schlachtreihe verlassen habe, seinen Eltern keinen Unterhalt gewährt oder sie nicht begraben oder seinen Wachtposten verlassen habe. Hermias nennt also genau die Verhaltensweisen, die einen Athener von der öffentlichen Rede ausschließen, Verhaltensweisen, die in ähnlicher Formulierung auch in der Rede Gegen Timarchos begegnen.152 Wenn auch diesen Personengruppen das ‚Lieben‘ und Salben mit Öl tatsächlich untersagt war, könnte sich die ‚Schulordnung‘, die auf eine soziale Abgrenzung von Freien und Sklaven abzielte, an den Regelungen der dokimasía rhētórōn orientiert haben.153

(erán), ein ‚Zusammenkommen‘ (homileín), noch ein ‚Begleiten‘ (akoloutheín) untersagt; auch glaubte er nicht, dass es dem Kind schade, sondern er hielt es für ein Zeugnis der Selbstbeherrschung“. 147  Zur Frage einer fehlenden präzisen Abgrenzung von Gymnasion und Palaistra Christian Mann, Krieg, Sport und Adelskultur. Zur Entstehung des griechischen Gymnasions, in: Klio 80, 1998, 7–21, hier 8. 148  Auch Mactoux 1988, 346 sieht in der Strafe von fünfzig Peitschenhieben einen Hinweis für eine späte Regelung. Die Mysterieninschrift von Andania enthielt ein entsprechendes Verbot (Syll.3 736 Z. 109: δοῦλος δὲ μηδεὶς ἀλειφέσθω). Zur ‚Schulordnung‘ vgl. auch Marrou 1957, 537; Cohen 1991, 176, 181 f.; Todd 2006, 101–105. 149  Auch Johannes Chrysostomos spricht zunächst von νομοθέτης τις; kurz danach bezieht er dies aber auf Solon (F 100f). 150  In Solon 1,6 hat Plutarch das eindeutigere paiderasteín statt des neutraleren erán verwendet. Zu ξηραλοιφεῖν verweisen Harpokration ξ 4 s. v., Photios Lex. ξ 29, p. 309 s. v. und Suda ξ 61 s. v. auf Aischines’ Rede Gegen Timarchos. 151  Hermias Alex. in Plat. Phaidr. 231e. Dirk Baltzly, Michael Share, Hermias. On Plato ‚Phaedrus‘ 227a–245e (Ancient Commentators on Aristotle), London etc. 2018. 152  Aischin. Tim. 28–30, 154, 194 f. 153  Auch Mactoux 1988, 339–344 vertritt die Ansicht, dass das Verbot für Sklaven, im Gymnasion Sport zu treiben und sich zu salben, zum Ziel hatte, bürgerliche Identität zu stärken; denn Gymnasion und Palaistra seien die Schule des zukünftigen Bürgers gewesen. Sie stellt den Ausschluss der Sklaven von

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Die antiken Zeugnisse, die dem Gesetzgeber Solon ein Verbot zuschreiben, Sklaven dürften nicht im Gymnasion Sport treiben und keine päderastischen Beziehungen eingehen, beruhen also wahrscheinlich auf einer falschen Auslegung von Angaben in Aischines’ Rede Gegen Timarchos.154 Sie können daher auch nicht als Beleg dafür dienen, dass ein nómos hetairḗseōs auf Solon zurückgeht. Verbot des Salbenverkaufs Möglicherweise steht in Zusammenhang mit dem Verbot, dass der hētairēkṓs nicht als Redner auftreten dürfe, auch das dem Gesetzgeber Solon zugeschriebene Gesetz, dass es Männern verbietet, Salben zu verkaufen. Auch der Verkauf von Salben könnte für Männer ehrenrührig gewesen sein, wenn sie Rollen von Frauen übernahmen155 oder sich dem Verdacht aussetzten, unsittliche homoerotische Beziehungen zu pflegen. Die Angaben bei Athenaios sind aber zu spärlich, um die Bestimmung in einen bestimmten Kontext stellen zu können (F 101b).156

diesen Stätten dem Ausschluss der Mörder von amphiktyonischen Wettkämpfen und Kultfeiern und dem der Ehebrecherinnen von Heiligtümern an die Seite (ebd. 341 f.). Auch in kretischen Städten waren die auf dem Land lebenden Unfreien, die klarṓtai (die Aristoteles períoikoi nennt), von den Gymnasien ausgeschlossen (Aristot. pol. 2,5, 1264a 20–22; Klees 1998, 227). Das Öl des Gymnasions als Zeichen des freien Bürgers: Xen. Symp. 2,4. 154  Einen solonischen Ursprung des Gesetzes (ebenso wie das über den Diebstahl aus Gymnasien, F 114 Ruschenbusch, Leão/Rhodes; T 378 Martina) lehnt Christian Mann, Athlet und Polis im archaischen und frühklassischen Griechenland, Göttingen 2001, 81 (ebenso ders., 1998 [wie Anm. 147], 7 Anm. 4) ab. Ebenso Donald G. Kyle, Athletics in Ancient Athens, Leiden 1987, 22. Klees 1998, 226 hält hingegen eine solonische Provenienz des Gesetzes für durchaus möglich. Das Verbot habe bereits bestehen können, als es Gymnasien als feste bauliche Einrichtungen noch nicht gegeben habe (mit Verweis auf Jakov A. Lencman, Raby v zakonach Solona [Die Sklaven in Solons Gesetzen], in: VDI 1958,4, 68 f.). Als solonisch sehen das Gesetz auch Golden 1984, 318 und Mactoux 1988, 338–344 an. Marie-Madelaine Mactoux sieht darin eine Reglementierung moralischen Verhaltens, so wie es auch in den Aufwandsbeschränkungsgesetzen zum Ausdruck komme. Entsprechende bauliche Anlagen könnten bis in sehr frühe Zeit zurückgereicht haben (ebd. 341 f.). Wegen des Gebrauchs des Wortes doúlos, das in archaischer Zeit und auch in solonischen Gesetzen nicht bezeugt ist, geht Mactoux von einer Neuformulierung des Gesetzes in späterer Zeit aus. Leão/Rhodes halten das recht seltene Verb ξηραλοιφεῖν für „possibly archaic, thus reinforcing the authenticity of the law“ (2010, 124). Ebenso hatten Lencman ebd. 68 f., Fisher 2001, 37, 129 und Alain Duplouy, The Making of the Greek City: An Athenian Case Study, in: Constanze Graml, Annarita Doronzio, Vincenzo Capozzoli (Hrsg.), Rethinking Athens Before the Persian Wars, München 2019, 207–216, hier 215 geurteilt. 155  Leão/Rhodes 2015 zu F 73a–b. 156  Eberhard Ruschenbusch hat das Verbot der Parfümherstellung und des Parfümhandels mit der Sicherung der Ernährung begründet, da die Parfümherstellung große Mengen an Rosenblättern erfordert hätte, für die wertvolle Anbaufläche hätte geopfert werden müssen (2010, 142). Dies erscheint aber wenig wahrscheinlich.

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Literatur Lipsius 1905–15, 436 f.; Erich Bethe, Die dorische Knabenliebe. Ihre Ethik und ihre Idee, in: RhM 62, 1907, 438–475; Theodor Thalheim, Art. ἑταιρήσεως γραφή, in: RE 8,2, 1913, 1372 f.; Henri-Irénée Marrou, Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum, Freiburg – München 1957 (franz. Paris 31955), 47–60, 520–523; Jakov A. Lencman, Raby v zakonach Solona. K voprosu o dostovernosti antičnoj tradicii (= Die Sklaven in Solons Gesetzen. Zur Frage nach der Glaubwürdigkeit der antiken Tradition), in: VDI 63,4, 1958, 51–69; Mark Golden, Slavery and Homosexuality at Athens, in: Phoenix 38, 1984, 308–324; Johannes Michael Rainer, Zum Problem der Atimie als Verlust der politischen Rechte insbesondere bei männlichen homosexuellen Prostituierten, in: RIDA 33, 1986, 89–114; Marie-Madelaine Mactoux, Lois de Solon sur les esclaves et formation d’une société esclavagiste, in: Toru Yuge, Masaoki Doi (Hrsg.), Forms of Control and Subordination in Antiquity, Leiden 1988, 331–354, hier 338–344; David M. Halperin, One Hundred Years of Homosexuality and Other Essays on Greek Love, New York – London 1990, 94–101; David Cohen, Law, Sexuality, and Society, Cambridge 1991, 176–182; Carola Reinsberg, Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland, München 21993, 212; Hans Klees, Sklavenleben im klassischen Griechenland (Forschungen zur antiken Sklaverei, Bd. 30), Stuttgart 1998, 225–229; Douglas M. MacDowell, Athenian Laws about Homosexuality, in: RIDA 42, 2000, 13–27; Nicolas R. E. Fisher, Aeschines, Against Timarchos, Oxford 2001; Stephen C. Todd, Some Notes on the Regulation of Sexuality in Athenian Law, in: Symposion 2003. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Rauschholzhausen, 30. September – 3. Oktober 2003), hrsg. von Hans-Albert Rupprecht, Wien 2006, 93–111; Phillips 2013, 116–121; Edward E. Cohen, Athenian Legislation Limiting Male Prostitutes’ Political Rights, in: Symposion 2015. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Coimbra, 1.–4. September 2015), hrsg. von Delfim F. Leão, Gerhard Thür, Wien 2016, 365–382; Konstantinos Kapparis, Prostitution in the Ancient Greek World, Berlin – Boston 2018, 161–171.

Der nómos hetairḗseōs (F 99–101) F 99 Gesetz gegen unsittliche sexuelle Beziehungen (F 99b: T 413 Martina; F 104c Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 99d: T 449 Martina; F 102 Ruschenbusch; F 102 und 30/c Leão/Rhodes; F 99e: T 325 Martina; F 103 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 99a: Demosthenes, Gegen Androtion (or. 22) 21 (355/54 v. Chr.) Ἔτι τοίνυν ἐπιχειρεῖ λέγειν περὶ τοῦ τῆς ἑταιρήσεως νόμου, ὡς ὑβρίζομεν ἡμεῖς καὶ βλασφημίας οὐχὶ προσηκούσας κατ’ αὐτοῦ ποιούμεθα. καὶ φησὶ δεῖν ἡμᾶς, εἴπερ ἐπιστεύομεν εἶναι ταῦτ’ ἀληθῆ, πρὸς τοὺς θεσμοθέτας ἀπαντᾶν, ἵν’ ἐκεῖ περὶ χιλιῶν ἐκινδυνεύομεν, εἰ καταψευδόμενοι ταῦτ’ ἐφαινόμεθα. App. crit.: φύσει S L1.

Was ferner den hetairḗseōs nómos anbelangt, so ist er [Androtion] mit der Ausrede bei der Hand, dass wir hýbris ihm gegenüber an den Tag legen und uns ungebührliche Schmähungen (blasphḗmiai) gegen ihn erlauben. Wir hätten, sagt er, wenn wir unserer Sache sicher waren,

Der nómos hetairḗseōs. Das Gesetz gegen unsittliche sexuelle Beziehungen (F 99–101)

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bei den Thesmotheten gegen ihn klagen müssen, um für den Fall, dass diese unsere Aussagen als unbegründet sich erwiesen, das Risiko einer Strafe von tausend Drachmen einzugehen.

F 99b: Demosthenes, Gegen Androtion (or. 22) 29–30 (355/54 v. Chr.) (29) τὸν αὐτὸν δὴ τρόπον, Ἀνδροτίων, καὶ σὺ μὴ διὰ ταῦτ’ οἴου σοι προσήκειν μὴ δοῦναι δίκην εἰ γράφεις ἡταιρηκώς, ὅτι καὶ πρὸς τοὺς θεσμοθέτας ἔσθ’ ἡμῖν ἐπαγγελία· ἀλλ’ ἢ δεῖξον οὐ πεποιηκότα ταῦτα σεαυτόν, ἢ δίκην ὕπεχ’ ὧν γέγραφας τοιοῦτος ὤν· οὐ γὰρ ἔξεστί σοι. … (30) Ἄξιον τοίνυν, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, καὶ τὸν θέντα τὸν νόμον ἐξετάσαι Σόλωνα, καὶ θεάσασθαι ὅσην πρόνοιαν ἐποιεῖτο ἐν ἅπασιν οἷς ἐτίθει νόμοις τῆς πολιτείας, καὶ ὅσῳ περὶ τούτου μᾶλλον ἐσπούδαζεν ἢ περὶ τοῦ πράγματος οὗ τιθείη τὸν νόμον. πολλαχόθεν μὲν οὖν ἄν τις ἴδοι τοῦτο, οὐχ ἥκιστα δ’ ἐκ τούτου τοῦ νόμου, μήτε λέγειν μήτε γράφειν ἐξεῖναι τοῖς ἡταιρηκόσιν. App. crit.: (29) διδόναι A; ὧν γέγραφας Schaefer, ὧν γέγραφάς τι S L; εἰ γέγραφάς τι vulg.; (30) τῆς πολιτείας om L1.

(29) Gerade so, Androtion, darfst auch du dir nicht einbilden, du seiest für die Anträge, die du als hētairēkṓs [also trotz unsittlicher sexueller Beziehungen] gestellt hast, deshalb nicht verantwortlich, weil wir auch bei den Thesmotheten Klage (epangelía) hätten einreichen sollen; weise vielmehr entweder nach, dass du nicht so gelebt hast oder büße dafür, dass du trotzdem als Antragsteller aufgetreten bist; denn das ist dir nicht erlaubt. … (30) Bemerkenswert ist überdies, Athener, wie sorgfältig der Urheber des Gesetzes, Solon, bei allen seinen Verordnungen auf die Verfassung Rücksicht nahm und wie viel mehr Gewicht er hierauf legte als auf den Gegenstand des jedesmaligen Gesetzes selbst. Aus vielem lässt sich das ersehen, vornehmlich aber aus eben diesem Gesetz, welches den hētairēkótes untersagt, als Sprecher oder Antragsteller aufzutreten.157

F 99c: Ps.-Demosthenes (Apollodoros), Gegen Stephanos I (or. 45) 79 f. (um 351 v. Chr.) (79) ἀλλὰ τίν’, ὦ Φορμίων, τῶν πολιτῶν ἑταιρεῖν, ὥσπερ σύ, μεμίσθωμαι; δεῖξον. τίνα τῆς πόλεως, ἧς αὐτὸς ἠξιώθην, καὶ τῆς ἐν αὐτῇ παρρησίας ἀπεστέρηκα, ὥσπερ σὺ τοῦτον ὃν κατῄσχυνας; τίνος γυναῖκα διέφθαρκα, ὥσπερ σὺ πρὸς πολλαῖς ἄλλαις ταύτην, ᾗ τὸ μνῆμ’ ᾠκοδόμησεν ὁ θεοῖς ἐχθρὸς οὗτος πλησίον τοῦ τῆς δεσποίνης, ἀνηλωκὼς πλέον ἢ τάλαντα δύο; … (80) … μεθ’ ἡμέραν εἶ σὺ σώφρων, τὴν δὲ νύκτ’ ἐφ’ οἷς θάνατος ἡ ζημία, ταῦτα ποιεῖς. (79) Aber, Phormio, welchen der Bürger habe ich zu unsittlichem sexuellen Verkehr (hetaireín) gemietet, so wie du es getan hast? Geb’ mir auch nur einen an. Wen habe ich um das Bürgerrecht gebracht, dessen ich selbst für würdig erachtet wurde, und wem das Recht der parrhēsía [in Rat und Volk zu reden] entzogen, wie du jenem Menschen, den du entehrt hast? Wessen Ehefrau habe ich verführt, so wie du außer vielen anderen diejenige, welche … (80) … Bei Tage bist du anständig, aber bei Nacht treibst du solche Dinge, worauf der Tod als Strafe gesetzt ist.

F 99d: Aischines, Gegen Timarchos (or. 1) 6 und 13–14 (346/5 v. Chr.) (6) Σκέψασθε γάρ, ὦ Ἀθηναῖοι, ὅσην πρόνοιαν περὶ σωφροσύνης ἐποιήσατο ὁ Σόλων ἐκεῖνος, ὁ παλαιὸς νομοθέτης, καὶ ὁ Δράκων καὶ οἱ κατὰ τοὺς χρόνους ἐκείνους νομοθέται. … (13) Μετὰ

157  Übersetzung nach A. Westermann.

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Verfahren vor den Thesmotheten

ταῦτα τοίνυν, ὦ Ἀθηναῖοι, νομοθετεῖ περὶ ἀδικημάτων μεγάλων μέν, γιγνομένων δ’ οἶμαι ἐν τῇ πόλει· ἐκ γὰρ τοῦ πράττεσθαί τιν’ ὧν οὐ προσῆκεν, ἐκ τούτου τοὺς νόμους ἔθενθ’ οἱ παλαιοί. Διαρρήδην γοῦν λέγει ὁ νόμος, ἐάν τινα ἐκμισθώσῃ ἑταιρεῖν πατὴρ ἢ ἀδελφὸς ἢ θεῖος ἢ ἐπίτροπος ἢ ὅλως τῶν κυρίων τις, κατ’ αὐτοῦ μὲν τοῦ παιδὸς οὐκ ἐᾷ γραφὴν εἶναι, κατὰ δὲ τοῦ μισθώσαντος καὶ τοῦ μισθωσαμένου, τοῦ μὲν ὅτι ἐξεμίσθωσε, τοῦ δὲ ὅτι, φησίν, ἐμισθώσατο. Καὶ ἴσα τὰ ἐπιτίμια ἑκατέρῳ πεποίηκε, καὶ μὴ ἐπάναγκες εἶναι τῷ παιδὶ ἡβήσαντι τρέφειν τὸν πατέρα μηδὲ οἴκησιν παρέχειν, ὃς ἂν ἐκμισθωθῇ ἑταιρεῖν· ἀποθανόντα δὲ θαπτέτω καὶ τἆλλα ποιείτω τὰ νομιζόμενα. (14) Σκέψασθε δὴ ὡς καλῶς, ὦ Ἀθηναῖοι, ζῶντος μὲν αὐτοῦ ἀφαιρεῖται τὴν ὄνησιν τῆς παιδοποιίας, ὥσπερ ἐκεῖνος ἐκείνου τὴν παρρησίαν, τελευτήσαντα δὲ αὐτόν, ἡνίκα ὁ μὲν εὐεργετούμενος οὐκέτι αἰσθάνεται ὧν εὖ πάσχει, τιμᾶται δὲ ὁ νόμος καὶ τὸ θεῖον, θάπτειν ἤδη κελεύει καὶ τἆλλα ποιεῖν τὰ νομιζόμενα. App. crit.: (6) γάρ: δὲ Saupp.; ὁ om. d Barb.; ὁ παλαιὸς νομοθέτης del. Hamak. W.; Δράκων Harpokr. δ 78 s. v.: Δράκων· οὗτος ἐπιφανέστατος νομοθέτης, ὡς Αἰσχίνης; τοὺς καιροὺς A; del. W.; (13) ἔθεντο df W., ἔθηκαν (Fr.); δ᾿οὖν Bk., οὖν V Sch., γοῦν cett. Fr.; λέγει del. Herw.; secl. ὁ νόμος; γραφὴν Am, γραφὰς (Fr.); φησίν ante ὅτι Aq, post ὅτι aV (Fr.), post ἐμισθώσατο m; ἐκμισθώσῃ m; αὐτὸν post δὲ add. aV Fr.; post νομιζόμενα ΝΟΜΟΣ f1 Abb.; (14) δὴ: δὲ q Bk.; post Ἀθηναῖοι plene interpunxit Blass ut § 24; ἐκείνου Aq1, τοῦ παιδὸς (Fr.); οὐκ af (Fr.): οὐκέτι.

(6) Denn erwägt einmal, Athener, welche Vorsorge Solon, euer alter Gesetzgeber (nomo­ thétēs), für die Selbstbeherrschung (sōphrosýnē) getroffen hat, und auch Drakon und die Gesetzgeber in jener Zeit. … (13) Dann, ihr Athener, stellt er [der Gesetzgeber] Gesetze auf hinsichtlich schwerster Vergehen, die aber trotzdem – wie ich denke – in der Polis geschehen. Denn wenn jemand etwas getan hat, was sich nicht geziemte, so erließen die Alten (palaioí) Gesetze (nómoi) darüber. Wenigstens sagt das Gesetz ausdrücklich: „Wenn ein Vater oder Bruder oder Onkel oder Vormund oder, wer sonst die hausväterliche Gewalt ausübt, einen zu sexuellen Beziehungen (hetaireín) vermietet, so gestattet er zwar nicht, gegen diesen Knaben eine Klage (graphḗ) einzureichen, wohl aber gegen den Vermietenden und den Mietenden, gegen den einen, weil er vermietete, und gegen den anderen, weil er mietete, wie er sagt. Und er bestimmte für beide gleiche Strafen (epitímia). Und wenn der Knabe, der zu sexuellen Beziehungen (hetaireín) vermietet worden war, herangewachsen ist, so sei er nicht verpflichtet, den Vater zu ernähren, noch ihm Wohnung zu geben, nur bei dessen Tod soll er ihn begraben und die übrigen Gebräuche erfüllen.“ (14) Seht also, Athener, wie zweckmäßig er ihn zu Lebzeiten des Vorteils der Vaterschaft beraubt, ebenso wie den Sohn des Rechts der öffentlichen Rede (parrhēsía). Für den Fall seines Todes aber, wo der, welcher die Wohltat erhält, sie nicht mehr empfindet, befiehlt er [der Gesetzgeber], dem Gesetz und der Gottheit zu Ehren, ihn zu begraben und die übrigen Gebräuche zu erfüllen.

F 99e: Aischines, Gegen Timarchos (or. 1) 19–21 (346 v. Chr.) (19) Καὶ πῶς λέγει; ἄν τις Ἀθηναίων, φησίν, ἑταιρήσῃ, μὴ ἐξέστω αὐτῷ τῶν ἐννέα ἀρχόντων γενέσθαι, ὅτι οἶμαι στεφανηφόρος ἡ ἀρχή, μηδ’ ἱερωσύνην ἱεράσασθαι, ὡς οὐδὲ καθαρῷ τῷ σώματι, μηδὲ συνδικησάτω, φησί, τῷ δημοσίῳ, μηδὲ ἀρξάτω ἀρχὴν μηδεμίαν μηδέποτε, μήτ’ ἔνδημον μήτε ὑπερόριον, μήτε κληρωτὴν μήτε χειροτονητήν· (20) μηδὲ κηρυκευσάτω, μηδὲ πρεσβευσάτω, μηδὲ τοὺς πρεσβεύσαντας κρινέτω, μηδὲ συκοφαντείτω μισθωθείς, μηδὲ γνώμην εἰπάτω μηδέποτε μήτε ἐν τῇ βουλῇ μήτε ἐν τῷ δήμῳ, μηδ’ ἂν δεινότατος ᾖ λέγειν. Ἐὰν δέ τις παρὰ ταῦτα πράττῃ, γραφὰς ἑταιρήσεως πεποίηκε καὶ τὰ μέγιστα ἐπιτίμια ἐπέθηκεν. Λέγε αὐτοῖς καὶ τοῦτον τὸν νόμον, ἵν’ εἰδῆτε οἵων νόμων ὑμῖν κειμένων, ὡς καλῶν καὶ σωφρόνων, τετόλμηκε Τίμαρχος δημηγορεῖν ὁ τοιοῦτος τὸν τρόπον οἷον ὑμεῖς ἐπίστασθε.

Der nómos hetairḗseōs. Das Gesetz gegen unsittliche sexuelle Beziehungen (F 99–101)

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Νόμος

(21) [Ἐάν τις Ἀθηναῖος ἑταιρήσῃ, μὴ ἐξέστω αὐτῷ τῶν ἐννέα ἀρχόντων γενέσθαι, μηδ’ ἱερωσύνην ἱεράσασθαι, μηδὲ συνδικῆσαι τῷ δήμῳ, μηδὲ ἀρχὴν ἀρχέτω μηδεμίαν, μήτε ἔνδημον μήτε ὑπερόριον, μήτε κληρωτὴν μήτε χειροτονητήν, μηδ’ ἐπὶ κηρυκείαν ἀποστελλέσθω, μηδὲ γνώμην λεγέτω, μηδ’ εἰς τὰ δημοτελῆ ἱερὰ εἰσίτω, μηδ’ ἐν ταῖς κοιναῖς στεφανηφορίαις στεφανούσθω, μηδ’ ἐντὸς τῶν τῆς ἀγορᾶς περιραντηρίων πορευέσθω. Ἐὰν δέ τις ταῦτα ποιῇ, καταγνωσθέντος αὐτοῦ ἑταιρεῖν θανάτῳ ζημιούσθω.] App. crit.: (19) ἐὰν f Barb.; ἱερώσασθαι mV; ὃς mVSch. Fr.1; οὐδὲ καθαρεύοντι Fr.1, οὐδὲ καθαρῷ διαλέγεται (διαλ. del. Scheibe); συνδικήσῃ f1 schol.; ἀρξάτω φησὶν Aq; (20) πρεσβευσάτω οὗτος Aq; ὁ μισθωθείς συκοφαντείτω BV, it. del. ὁ Fr.; μήτε ἐν τῷ δήμῳ μήτε ἐν τῇ βουλῇ Aq; λέγειν: Ἀθηναίων add. A; ἐπιτέθεικεν (debebat -τέθηκεν) Herw.; ἡμῖν (Fr.); νόμων post κειμένων A; τὸν τρόπον in mg. hab. f; (21) legem om. f, uncis incl. Turr. Fr.; ἐξέστω: ἐξ BV; ἱερωσύνην om. BhqVFr. (hab. d Barb.); ἱερώσασθαι a1mqV: ἱεράσασθαι; τῆς ἀγορᾶς del. W., τῆς ἀγορᾶς περὶ τῶν ῥαντηρίων gmVBarb., om. τῶν hq, τῶν τῆς ἀγορᾶς περιραντηρίων Wolf al. Aut μηδὲ τῆς ἀγορᾶς ἐντὸς τῶν περιραντηρίων; ‹παρὰ› ταῦτα, παρὰ add. R.; καταγνωσθὲν mal. Bk.

(19) Und was sagt er denn? Wenn ein Athener, sagt er, sich zu unsittlichen sexuellen Beziehungen hergegeben hat (hetaireísthai), so soll es ihm nicht gestattet sein, einer der neun Archonten zu werden; wahrscheinlich weil dieses Amt bekränzt ausgeübt wird; noch soll er ein Priesteramt bekleiden, da er nicht einmal mit reinem Leibe spricht, auch nicht als Beistand vor Gericht in einem öffentlichen Verfahren auftreten, noch je irgendein Amt ausüben, sei es im Lande oder außerhalb des Landes, durch Los oder Wahl; (20) er soll weder Herold noch Gesandter, noch Richter der Gesandten sein; ebensowenig soll er sich dingen lassen, um verläumderische Anklagen vorzubringen; nie soll er seine Meinung sagen, weder vor dem Volk noch im Rat, selbst wenn er der geschickteste Redner unter den Athenern wäre. Handelt aber einer dagegen, so hat das Gesetz ihn der Anklagen unsittlicher sexueller Beziehungen (graphaí hetairḗseōs) unterworfen und die größten Strafen (mégista epitímia) darauf gesetzt. Lies ihnen auch dies Gesetz, damit ihr euch überzeugt, dass, ungeachtet so gute und weise Gesetze bei euch aufgestellt sind, Timarchos es dennoch gewagt hat, als Redner aufzutreten (dēmēgoreín), er dessen Charakter ihr kennt. Gesetz

(21) [Wenn ein Athener sich zu unsittlichen sexuellen Beziehungen hergegeben hat (hetaireísthai), so soll es ihm nicht gestattet sein, einer der neun Archonten zu werden, noch ein Priesteramt zu bekleiden, noch als Gerichtsbeistand vor dem Volk aufzutreten, noch je irgendein Amt auszuüben, weder im Lande noch außerhalb des Landes, weder durch Los noch durch Wahl. Er soll auch nicht zum Herold eingesetzt werden, noch seine Meinung [vor dem Volk] kundtun noch den öffentlichen Opferfeiern beiwohnen, noch bei den gemeinschaftlichen Festzügen bekränzt sein, noch innerhalb der geweihten Schranken (perirrhantḗria) der Agora treten dürfen. Wenn aber einer dies tut, über den das Urteil ergangen ist, er habe sich zur Unzucht brauchen lassen, so soll er mit dem Tod bestraft werden.]

Rafał Matuszewski geht davon aus, dass der hētairēkṓs, der von den Opferfeiern und Festzügen sowie von dem durch Reinigungsbecken eingehegten, geweihten Bereich der Agora ausgeschlossen war, andere Bereiche der Agora durchaus hätte betreten können. Nur der Bereich im Westen der Agora mit Tholos und Bouleuterion war ihm

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Verfahren vor den Thesmotheten

verwehrt, der durch Wasserbecken für die kultische Reinigung (perirrhantḗria) abgegrenzt war.158 F 100 Verbot päderastischer Beziehungen für Sklaven (F 100a: T 464c adn. Martina; F 74e* Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 100b–d: T 464a–c Martina; F 74b–d Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 100e: T 35 Martina; F 74a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 100f–g: †F 74/f–g Leão/Rhodes)

F 100a: Aischines, Gegen Timarchos (or. 1) 138–139 (346 v. Chr.) (138) Οἱ γὰρ πατέρες ἡμῶν, ὅθ’ ὑπὲρ τῶν ἐπιτηδευμάτων καὶ τῶν ἐκ φύσεως ἀναγκαίων ἐνομοθέτουν, ἃ τοῖς ἐλευθέροις ἡγοῦντο εἶναι πρακτέα, ταῦτα τοῖς δούλοις ἀπεῖπον μὴ ποιεῖν. „Δοῦλον“, φησὶν ὁ νόμος, „μὴ γυμνάζεσθαι μηδὲ ξηραλοιφεῖν ἐν ταῖς παλαίστραις“. Καὶ οὐκέτι προσέγραψε· τὸν δ’ ἐλεύθερον ἀλείφεσθαι καὶ γυμνάζεσθαι. Ὁπότε γὰρ οἱ νομοθέται τὸ καλὸν τὸ ἐκ τῶν γυμνασίων κατιδόντες ἀπεῖπον τοῖς δούλοις μὴ μετέχειν, τῷ αὐτῷ νόμῳ ἡγοῦντο, ᾧ ἐκείνους ἐκώλυον, τοὺς ἐλευθέρους προτρέπειν ἐπὶ τὰ γυμνάσια. (139) Πάλιν ὁ αὐτὸς εἶπε νομοθέτης· „δοῦλον ἐλευθέρου παιδὸς μήτ’ ἐρᾶν μήτ’ ἐπακολουθεῖν, ἢ τύπτεσθαι τῇ δημοσίᾳ μάστιγι πεντήκοντα πληγάς.“ Ἀλλ’ οὐ τὸν ἐλεύθερον ἐκώλυσεν ἐρᾶν καὶ ὁμιλεῖν καὶ ἀκολουθεῖν, οὐδὲ βλάβην τῷ παιδί, ἀλλὰ μαρτυρίαν σωφροσύνης ἡγήσατο συμβαίνειν. App. crit.: μὴ ἐρᾶν AhqW; μήδ’ ἐπακολουθεῖν fhBarbW

(138) Denn eure Väter verboten, als sie über die Lebensweise und natürlichen Bedürfnisse Gesetze aufstellten, das, wovon sie glaubten, dass es die Freien tun sollten, den Sklaven zu tun. „Ein Sklave (doúlos)“, sagt das Gesetz, „soll nicht in den Palästren Sport treiben (gymnázesthai) und sich nicht trocken [nur mit Öl] salben (xēraloipheín).“ Und dabei hat er nicht mehr dazugeschrieben: Der Freie solle sich salben (aleíphesthai) und Sport treiben (gymnázesthai). Denn indem die Gesetzgeber, die das Schöne, das aus den gymnastischen Übungen herrührt, erkannten, den Sklaven (doúloi) verboten, daran Anteil zu nehmen, glaubten sie durch dasselbe Gesetz, durch welches sie jene davon abhielten, die Freien zu den gymnastischen Übungen zu ermuntern. (139) Ferner sagte derselbe Gesetzgeber: „Ein Sklave (doúlos) soll einen freien Knaben nicht ‚lieben‘ (erán) und auch nicht ihm nachfolgen (epakoloutheín) oder er soll mit der öffentlichen Peitsche fünfzig Hiebe erhalten“. Dem Freien aber hat er weder ein ‚Lieben‘ (erán), noch ein ‚Zusammenkommen‘ (homileín), noch ein ‚Begleiten‘ (akoloutheín) untersagt; auch glaubte er nicht, dass es dem Kind schade, sondern er hielt es für ein Zeugnis der Selbstbeherrschung (sōphrosýnē).

F 100b: Plutarch, Solon 1,6 (um 100 n. Chr.) ὅτι δὲ πρὸς τοὺς καλοὺς οὐκ ἦν ἐχυρὸς ὁ Σόλων οὐδ’ ἔρωτι θαρραλέος ἀνταναστῆναι „πύκτης ὅπως ἐς χεῖρας“, ἔκ τε τῶν ποιημάτων αὐτοῦ λαβεῖν ἔστι, καὶ νόμον ἔγραψε διαγορεύοντα δούλῳ μὴ

158 Rafał Matuszewski, Räume der Reputation. Zur bürgerlichen Kommunikation im Athen des 4. Jh. v. Chr., Stuttgart 2019, 56; Johannes M. Rainer sieht in der mit der homosexuellen Prostitution verbundenen Unreinheit den eigentlichen Grund für die gesellschaftliche Herabstufung, durch die der Betreffende aber allein von politischen Rechten ausgeschlossen war (1986, 106–113).

Der nómos hetairḗseōs. Das Gesetz gegen unsittliche sexuelle Beziehungen (F 99–101)

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ξηραλοιφεῖν μηδὲ παιδεραστεῖν, εἰς τὴν τῶν καλῶν μερίδα καὶ σεμνῶν ἐπιτηδευμάτων τιθέμενος τὸ πρᾶγμα. App. crit.: δοῦλον Y

Dass Solon für schöne [ Jünglinge] eine Schwäche hatte und der Liebe (éros) zu ihnen nicht widerstehen konnte „wie ein Boxer den Fäusten des Gegners“ (Soph. Trach. 441), kann man an seinen Gedichten sehen. Und er gab ein Gesetz, das es dem Sklaven (doúlos) verbietet, sich trocken zu salben (xēraloipheín) und Jünglinge zu lieben (paiderasteín), womit er [weil er es nur den Sklaven verbot] diese Praxis als etwas Schönes und Edles erklärt.

F 100c: Plutarch, Septem sapientium convivium 7 (mor. 152d) (um 100 n. Chr.) „Σὺ γάρ“, ἔφη ὁ Αἴσωπος, „οὔπω γέγραφας ὅ τι ὅμοιον ἦν, οἰκέτας μὴ μεθύειν, ὡς ἔγραψας Ἀθήνησιν οἰκέτας μὴ ἐρᾶν μηδὲ ξηραλοιφεῖν“. App. crit.: [ὅτι ὅμοιον] Reiske

„Du [Solon]“, sagte Äsop, „hast hier noch nicht ein Gesetz gegeben, dass die Sklaven (oikétai) sich nicht betrinken dürfen, so wie du in Athen [ein Gesetz] gegeben hast, dass die Sklaven (oikétai) nicht ‚lieben‘ (erán) und sich nicht trocken salben dürfen (xēraloipheín)“.

F 100d: Plutarch, Amatorius 4 (moralia 751b) (um 100 n. Chr.) ὡς καὶ Σόλων κατέβαλε· δούλοις μὲν γὰρ ἐρᾶν ἀρρένων παίδων ἀπεῖπε καὶ ξηραλοιφεῖν, χρῆσθαι δὲ συνουσίαις γυναικῶν οὐκ ἐκώλυσε· … wie auch Solon es getan hat, indem er den Sklaven (doúloi) verbot, männliche Knaben zu lieben (erán) und sich trocken zu salben (xēraloipheín), aber ihnen nicht [ausdrücklich] untersagte, mit Frauen zu verkehren.

F 100e: Hermeias von Alexandreia, In Platonis Phaedrum scholia 231e (um 100 n. Chr.) Ὁ δὲ Σόλων ἐν τοῖς νόμοις καὶ πόσους πήχεις ἀπέχοντα ἀκολουθεῖν δεῖ τὸν ἐραστὴν τῷ ἐρωμένῳ δεδήλωκε, καὶ τοῖς ἐλευθέροις τὸ ἐπιτήδευμα τετήρηκε, δοῦλον κωλύσας ἐρᾶν ξηραλοιφεῖν τε, καὶ τὸν ἀστράτευτον καὶ τὸν λιπόντα τὴν τάξιν καὶ τὸν μὴ θρέψαντα τοὺς γονεῖς μηδὲ θάψαντα καὶ τὸν φρούριον προδεδωκότα. Καὶ ἐν τοῖς ποιήμασιν ὡς καλοῦ τοῦ ἐρᾶν μνημονεύει λέγων· … [Solon fr. 17 und 24 Gentili/Prato, 23 und 26 West]. App. crit.: πηχης BC; δεῖ om. BM; τὸν ex τῶν ut. vid. A; κολυσας C; τε: δὲ codd.; γονεῖς C

Solon hat in seinen Gesetzen dargelegt, mit wieviel Ellen Abstand der Liebende dem Geliebten folgen darf, und den Freien das sittlich Gebotene gewährt, wohingegen er dem Sklaven (doúlos) verbot, zu lieben (erán) und sich trocken zu salben (xēraloipheín), und ebenso demjenigen, der sich dem Militärdienst entzogen oder die Schlachtordnung verlassen hat, und demjenigen, der seinen Eltern keinen Unterhalt gewährt oder sie nicht begraben hat, und demjenigen, der seinen Wachtposten verlassen hat. Und in seinen Werken erwähnt er [Solon] das Lieben (erán) als etwas Schönes, indem er sagt: … [Solon fr. 17 und 24 Gentili/Prato, 23 und 26 West].159 159  Vgl. Hermeias von Alexandrien. Kommentar zu Platons „Phaidros“, deutsch von Hildegund Bernard, Tübingen 1997, 122.

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Verfahren vor den Thesmotheten

F 100f: Johannes Chrysostomos, In epistulam ad Romanos 5. Homilie Kap. 1 v. 26 und 27 (Migne PG 60, p. 418–419; BKV Bd. 39 p. 55) (um 400 n. Chr.) ἐπεὶ τό γε παλαιὸν καὶ νόμος εἶναι τὸ πρᾶγμα ἐδόκει, καὶ νομοθέτης τις παρ’ αὐτοῖς οἰκέτας ἐκέλευσε μήτε ξηραλοιφεῖν μήτε παιδεραστεῖν, τοῖς ἐλευθέροις τῆς προεδρείας παραχωρήσας ταύτης, μᾶλλον δὲ τῆς ἀσχημοσύνης. Ἀλλ’ ὅμως οὐκ ἐνόμισαν ἀσχημοσύνην εἶναι τὸ πρᾶγμα, ἀλλ’ ὡς σεμνὸν καὶ μεῖζον ἢ κατ’ οἰκετῶν ἀξίωμα, τοῖς ἐλευθέροις ἐπέτρεψαν· καὶ τοῦτο ὁ σοφώτατος τῶν Ἀθηναίων δῆμος, καὶ ὁ μέγας παρ’ αὐτοῖς Σόλων. App. crit.: alius καὶ τοῦτο ἐπέτρεψεν ὁ σοφώτατος

In frühen Zeiten indes [bei den Griechen] schien diese Praxis sogar Gesetz gewesen zu sein; hatte doch einer ihrer Gesetzgeber (nomothétēs) den Sklaven (oikétai) verboten, sich trocken zu salben (xēraloipheín) und Knaben zu lieben (paiderasteín), und dieses Vorrecht, oder vielmehr diese Schändlichkeit, nur den Freien zugestanden. Sie sahen diese Praxis nicht als eine Schändlichkeit an, sondern im Gegenteil als ehrenhaft, zu gut für die Sklaven (oikétai) und nur für Freie angemessen. Und so dachte das so kluge Volk der Athener und auch der große Solon bei ihnen.

F 100g: Johannes Chrysostomos, In epistulam ad Titum 5. Homilie Kap. 4 (Migne PG 62, p. 693; BKV Bd. 74, p. 478) (um 400 n. Chr.) Ἐπαιδεράστουν· καὶ παρ’ αὐτοῖς φιλόσοφός τις ἐνομοθέτει, δούλῳ ἐξεῖναι μήτε παιδεραστεῖν, μήτε ξηραλοιφεῖν, ὡς ἐναρέτου τοῦ πράγματος ὄντος καὶ πολλὴν ἔχοντος τιμήν. Es gab die, die Knaben liebten (paiderasteín): Einer der [griechischen] Philosophen erließ als Gesetz (nomotheteín), dass einem Sklaven (doúlos) weder erlaubt sei, Knaben zu lieben (pai­ derasteín) noch sich trocken zu salben (xēraloipheín), gleich als ob diese Praxis tugendhaft sei und eine Sache hoher Ehre.

F 101 Verbot des Salbenhandels für Männer (F 101a–b: T 500–501 Martina; F 73a–b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 101a: Chrysippos, fragmenta 12 (Stoicorum veterum fragmenta) (Athen. 15,34, p. 686f–687a)

καὶ ὁ θαυμασιώτατος δὲ Χρύσιππος τὴν ὀνομασίαν φησὶ λαβεῖν τὰ μύρα ἀπὸ τοῦ μετὰ πολλοῦ μόρου καὶ πόνου ματαίου γίνεσθαι. Λακεδαιμόνιοί τε ἐξελαύνουσι τῆς Σπάρτης τοὺς τὰ μύρα κατασκευάζοντας ὡς διαφθείροντας τοὔλαιον, καὶ τοὺς τὰ ἔρια δὲ βάπτοντας ὡς ἀφανίζοντας τὴν λευκότητα τῶν ἐρίων. (687a) Σόλων τε ὁ σοφὸς διὰ τῶν νόμων κεκώλυκε τοὺς ἄνδρας μυροπωλεῖν. App. crit.: πόνου E, ποτου A.

(686 F) Der so bewundernswerte Chrysippos meint, dass die Duftöle (mýra) ihre Bezeichnung davon bekommen haben, dass sie mit reichlich Ungemach (móros) und vergeblichen Mühen verbunden sind. Die Lakedaimonier treiben diejenigen, die Duftöle (mýra) herstellen, aus Sparta aus, mit der Begründung, dass sie das Olivenöl verdürben. Ebenso diejenigen, die

Der nómos hetairḗseōs. Das Gesetz gegen unsittliche sexuelle Beziehungen (F 99–101)

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die Wolle färben, weil sie die weiße Reinheit der Wolle zerstören. (687 A) Der weise Solon verbot durch seine Gesetze, dass Männer Salben verkaufen (myropōleín).160

F 101b: Athenaios, Deipnosophistai 13,94 p. 612a (2. Jh. n. Chr.) καλόν γε τὸ τέλος τῆς εὐδαιμονίας τῷ φιλοσόφῳ ἡ μυρεψικὴ τέχνη ἀκόλουθός τε τῇ Σωκράτους φιλοσοφίᾳ, ἀνδρὸς τοῦ καὶ τὴν [τοιαύτην] χρῆσιν τῶν μύρων ἀποδοκιμάσαντος, Σόλωνος δὲ τοῦ νομοθέτου οὐδ’ ἐπιτρέποντος ἀνδρὶ τοιαύτης προίστασθαι τέχνης. App. crit.: fort. ἀκόλουθόν τε; fort. ἀνδρὸς ‹σωφρονεστάτου› τοῦ; τοιαύτην del. K.

Ein schönes Ziel auf dem Weg zur Glückseligkeit für den Philosophen, das Gewerbe mit Düften (myrepsikḗ téchnē), und so ganz im Sinne der Philosophie des Sokrates, des Mannes, der den Gebrauch von Duftölen (mýra) verworfen hat, und der Gesetzgeber (nomothétēs) Solon es nicht gestattete, dass ein Mann ein solches Gewerbe (téchnē) betrieb.

In beiden Textstellen ist angegeben, dass die Herstellung und der Verkauf von wohlriechenden Salben ausdrücklich Männern verboten war,161 was darauf hindeutet, dass dies in Zusammenhang mit öffentlichen Funktionen stand, die Männern vorbehalten waren. Möglicherweise standen Parfümverkäufer im Verdacht, hētairēkótes zu sein bzw. mit hētairēkótes häufig Umgang zu pflegen. Ähnlich wie die hētairēkótes könnten sie sich damit für ein öffentliches Amt oder als Antragsteller vor dem Volk disqualifiziert haben. Nach Xenophon komme es nur einer Frau zu, ein mýron als Wohlgeruch aufzutragen, wohingegen der Mann den Duft des Olivenöls aus den Gymnasien bevorzugen solle.162

160  Dasselbe auch bei Eustathios, Commentarii ad Homeri Iliadem 4, p. 708: … καὶ ὡς μυρίσασθαι μὲν Ἀλκαῖος λέγει, τὸ δ’ ὄνομα μύρωμα καὶ οὐ μύρισμα, καὶ ὅτι Σόλων ἐκώλυεν ἐν νόμοις τοὺς ἄνδρας μυροπωλεῖν, καὶ ὅτι Λάκωνες ἐξήλαυνον τοὺς μύρα σκευάζοντας καὶ τοὺς ἔρια βάπτοντας, … Rolf Hurschmann, Art. Kosmetik, in: DNP 6, 1999, 767–769: „Seit dem 8. Jh. v. Chr. wurden kostbare Öle, Duftstoffe und Salben aus dem Orient importiert, was im 6. Jh. v. Chr. dazu führte, daß man in Athen und Sparta – wenn auch vergebens – den Verkauf bzw. die Herstellung von Salben zu unterbinden suchte“ (768). Dies wird jedoch nicht der Grund für das Verbot gewesen sein. 161  Athenaios verweist gleich im Anschluss an das solonische Gesetz auf ein Fragment des Pherekrates (Φερεκράτης ἐν Ἰπνῷ ἢ Παννυχίδι φησίν; I 162 K), in dem parfümverkaufende Männer verspottet werden, denn man sähe ja auch keine Frauen, die Fleisch oder Fisch verkauften. Denn die Geschlechter sollten jeweils Gewerbe betreiben, die ihnen zukämen (612a: ἑκάστῳ γὰρ γένει ἁρμόζοντα δεῖν εἶναι καὶ τὰ τῆς τέχνης). Da sich im Quellenmaterial klassischer Zeit kaum Belege für die Annahme fänden, dass die Herstellung oder der Handel von Parfüm eine verbotene oder unwürdige Tätigkeit gewesen sei, hält Rafał Matuszewski die dem Solon zugeschriebenen Gesetze für verdächtig, Resultat einer späteren Erfindung zu sein (Räume der Reputation. Zur bürgerlichen Kommunikation im Athen des 4. Jh. v. Chr., Stuttgart 2019, 71 f.; zu Parfümerien in Athen ebd. 69–77). 162  Xen. symp. 2,3–4: ἐλαίου δὲ τοῦ ἐν γυμνασίοις ὀσμὴ. Zur Einstellung archaischer und klassischer griechischer Autoren zum Salben mit Öl Paszthory 1990 (wie Anm. 145), 43–45.

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Verfahren vor den Thesmotheten

VIII B Privatklagen (díkai) VIII B 1 Schuldverpflichtungen und Zins Abstract: In archaischer Zeit existierten verschiedene Formen abhängiger landwirtschaftlicher Arbeit. Personen, die kein oder nur wenig Land besaßen, gingen als Knechte oder Mägde zu reicheren Landbesitzern. Sie schlossen einen mündlichen Vertrag auf ein Jahr, lebten und arbeiteten auf dem Hof, wurden aus den Erträgen ernährt und erhielten am Ende des Jahres einen Lohn. Daneben gab es die auf die Erntezeit beschränkte Saisonarbeit. Es waren dies vermutlich die pelátai, die bei Nachbarbauern solche Arbeiten übernahmen. Das langfristig beschäftigte Gesinde und die Erntearbeiter kamen aus der unterbäuerlichen Schicht, waren Theten (thḗtes). Wurden Ernte oder Verarbeitung der Früchte durch Kontrakt vergeben, erhielt der Kontraktor einen Anteil an den geernteten Feldfrüchten; war es ein Sechstel, hießen diese Personen hek­ tḗmoroi, das Land hieß entsprechend epímortos gḗ (das ‚auf Anteil bearbeitete Land‘). Von diesen landwirtschaftlichen Organisationsformen zu unterscheiden sind Abhängigkeiten solcher Personen, die eine andere geschädigt hatten. Sie waren agṓgimoi, d. h. der Geschädigte konnte sie ‚wegführen‘. Als Gewaltunterworfener hatte der agṓgimos gemäß archaischem Schuldrecht entweder bei dem Geschädigten zu arbeiten oder konnte als Sklave verkauft werden. Offenbar waren in solonischer Zeit viele Athener aufgrund einer Schuldverpflichtung unter die Gewalt eines anderen geraten und hatten damit ihre politischen Partizipationsrechte als Freie verloren. Solon rühmt sich in seinen Elegien, Athener, die innerhalb Attikas in eine solche Abhängigkeit geraten waren, befreit und geflohene oder in die Sklaverei verkaufte Athener zurückgeholt zu haben. Er bewerkstelligte dies durch eine Aufhebung aller Schuldverpflichtungen, die seisáchtheia. Außerdem verbot er durch Gesetz, Darlehen auf die Person aufzunehmen; säumige Schuldner waren dadurch nicht mehr agṓgimos. Allein Sklaven und Tiere, die Schädigungen verursacht hatten, mussten ausgeliefert werden, wenn der Schaden nicht ersetzt wurde. Darüber hinaus beschränkte Solon den Zinssatz bei Naturaldarlehen vermutlich auf einen tríteus pro médimnos; bei geldlichen Darlehen gab es keine Beschränkung.

Historische Einordnung ‚Auf Anteil bewirtschaftetes Land‘ (epímortos gḗ), hektḗmoroi und pelátai In archaischer Zeit existierten verschiedene Formen abhängiger landwirtschaftlicher Arbeit. Wer kein oder nur wenig eigenes Land und damit keine ausreichende Lebensgrundlage besaß, trat in den Dienst eines besser situierten Landbesitzers. Auf Grundlage eines mündlichen Vertrags arbeitete er das Jahr über auf dem Hof, lebte dort und wurde von den erwirtschafteten Erträgen mit ernährt; am Ende des landwirtschaftlichen Jahres erhielt das Gesinde einen Lohn, zum Beispiel Kleidung oder Schuhe. Nach Ablauf des Jahres konnte der Knecht auf einen anderen bäuerlichen

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Hof wechseln oder, wenn der Landbesitzer mit seiner Arbeit zufrieden war, ein weiteres Jahr bleiben. Frauen dienten unter ähnlichen Bedingungen als Mägde innerhalb des Hauses. Diese Personen aus der unterbäuerlichen Schicht hießen Theten (θῆτες), ihre Tätigkeit thēteúein. Gesindedienst verrichteten die Theten häufig über ein Alter von vierzig Jahren hinaus. Eine Heirat und ein Zusammenleben mit der Frau, ein synoikeín, erfolgten oft erst nach der Geburt von (vielfach unehelichen) Kindern. Die Familie lebte fortan von dem bescheidenen Besitz der Eltern und von Saisonarbeit. Anders als die durch den einjährigen Vertrag gesicherten Knechte und Mägde war die Lebenssituation dieser Personen nach Ausscheiden aus dem Gesindedienst deutlich prekärer.163 Darüber hinaus können für die Zeit um 600 v. Chr. Pachtverhältnisse vorausgesetzt werden. Bei der Verpachtung von heiligem oder öffentlichem, aber auch privatem Land hatte der Pächter festgelegte Ertragsmengen als Pacht zu entrichten. Verpachtet werden konnte aber auch allein die Ernte oder – bei Oliven und Wein – die Verarbeitung der Früchte. Der Pächter erhielt in diesem Fall einen Anteil an der Ernte. In einem Gesetz Solons (dem vermeintlichen Exportverbot landwirtschaftlicher Produkte) sind vermutlich ‚Erntekontrakte‘ (τῶν γινομένων διάθεσεις) dieser Art belegt. Durch das Gesetz hatte Solon bei heiligem Land untersagt, solche Kontrakte mit Fremden abzuschließen. Nur bei der Ernte und dem Pressen von Oliven war dies gestattet (F 76a). Pollux führt in seinem Onomastikon das Wort epímortos an, das er den Gesetzen Solons oder seinen Elegien entnommen hat. Es sei das Land, das für einen Teil (epí mérei) der Ernte bestellt wird; mórtē heiße der Anteil von denen, die das Land bebauten. Land für ein Viertel zu bebauen, heiße tetrachízein (F 102). Wenn in Ergänzung dazu Hesychios in seinem im 5. Jh. n. Chr. verfassten Lexikon epímortos mit ‚Saatland‘ (spórimos gḗ) erklärt, könnte es sich um Land handeln, das nicht mit Weinreben oder Olivenbäumen bepflanzt war und auf dem die Saat bereits ausgebracht war, die Feldfrüchte aber von einem Kontraktor geerntet wurden, der dafür einen Anteil an der Ernte erhielt. Der Kontraktor, der ebenfalls epímortos heiße, war in Entsprechung dazu „der für einen Anteil Arbeitende“ (ὁ ‹ἐπὶ› μέρει ἐργαζόμενος). Auch Hesychios erklärt den ungewöhnlichen, offenbar altertümlichen Begriff mortḗ mit 163  Ein solcher wechselnder Gesindedienst, bei dem die Knechte und Mägde in das Haus der Bauern aufgenommen und aus den Erträgen ernährt wurden sowie zusätzlich Kleidung und Schuhe als Lohn am Ende des landwirtschaftlichen Jahres erhielten, ist nachgewiesen in Hom. Il. 21, 443–457 (dieselbe Geschichte in Agatharchides F 7 Woelk, = Phot. p. 442,29b–444,19b); Hes. erg. 600–608; Hdt. 8, 137; vgl. Eur. Alk. 6 f.; Poll. 3,82. Die Quellen zur Lohnarbeit im archaischen Griechenland sind bei Stanisław Mrozek, Lohnarbeit im klassischen Altertum, Bonn 1989, 13–17 und Alison Burford, Land and Labour in the Greek World, Baltimore – London 1993, 182–193 zusammengetragen. Zu den Lebensverhältnissen bäuerlichen Gesindes in der Antike Schmitz 2004, 33–38; ders., Art. Gesinde, freies, in: Heinz Heinen (Hrsg.), Handwörterbuch der antiken Sklaverei, Stuttgart 2017, 1178–1181; ders., Day Labourers and Servants. Poverty in Archaic Greece, in: Richard Bussmann, Tobias Helms (Hrsg.), Poverty and Inequality in Early Civilisations. Proceedings of the International Conference November 17–18, 2017, University of Cologne, Bonn 2020, 27–37.

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‚Anteil‘ (μέρος) und, so führt er fort, hektḗmoroi seien diejenigen, die den sechsten Teil erzielten (ἑκτήμοροι οἱ τὸ ἕκτον τελοῦντες) (ad F 102). Oἱ τὸ ἕκτον τελοῦντες können diejenigen gewesen sein, die den sechsten Teil ‚entrichteten‘ (teleín im Sinne von ‚steuern‘), oder diejenigen, die den sechsten Teil ‚erzielten‘ (teleín im Sinne von ‚vollenden‘, ‚erreichen‘).164 Teleín im Sinne von ‚erzielen‘ zu verstehen, liegt auch deswegen näher, weil bei der solonischen Einteilung in die vier Schatzungsklassen von teleín bei denjenigen die Rede ist, die über 500, über 300 oder über 200 Maßeinheiten als Ertrag ‚erwirtschafteten‘.165 Erhielt der hektḗmoros den sechsten Teil der Ernte, handelte es sich um einen Kontraktor, wobei ein Sechstel in etwa dem entsprach, was auch im republikanischen Rom dem Erntenden überlassen wurde. So empfahl Cato für die Ernte des Getreides den Anteil eines Achtels, eines Siebtels oder eines Sechstels, je nach Güte des Bodens und Qualität des Getreides; bei sehr guter Qualität sollte der Anteil nur ein Neuntel betragen. Waren die Ähren gedroschen, bemaß Cato die Anteile nach modii, ohne die Höhe des Anteils nach der Güte des Bodens abzustufen. Am Ausdrusch sollte der politor zu einem Fünftel beteiligt werden.166 Der Autor der Athenaion politeia sah in den hektḗmoroi Pächter, offenbar Pächter von Land, nicht nur der Ernte, wenn sie mit der Zahlung der Pachtsummen in Verzug geraten konnten; dabei setzt der Autor – irrtümlich – Verhältnisse voraus, wie er sie von Pächtern in seiner Zeit kannte. Eustathios hingegen, der sich auf ein anonymes rhetorisches Lexikon beruft, sagt explizit, dass der in Attika verbreitete, traditionelle Begriff mórtē der Anteil der Früchte sei, der den hektēmórioi gegeben wurde (adn. F 102) – und dann wird es sich um Personen gehandelt haben, die die Erntearbeit verrichteten und dafür den Anteil eines Sechstels erhielten. Je nachdem, ob die gesamte Bewirtschaftung eines Feldes, lediglich die Ernte oder die Weiterverarbeitung von Getreide, Oliven oder Trauben vergeben wurde, wird der Anteil, den der Pächter oder Kontraktor erhielt, unterschiedlich bemessen gewesen sein. Wenn es neben den hektḗmoroi, die das Land für ein Sechstel bewirtschafteten, auch solche gab, die für ein Viertel der Ernte arbeiteten (tetrachízein), dann waren offensichtlich auch im Attika der archaischen Zeit die Anteile unterschiedlich bemessen.167 Erhielt hingegen ein Pächter, der unbebautes Land pachtete und alle landwirtschaftlichen Arbeiten – Pflügen, Säen, Unkraut Jäten und Ernten – zu verrichten hatte, vom Landbesitzer nur ein Sechstel der Ernte, wird der Pächter davon kaum hat leben 164  Siehe LSJ s. v. τελέω I. fulfil, accomplish, execute, perform und II. pay. 165  Aristot. Ath. pol. 7,3–4. Die Kandidaten für die öffentlichen Ämter wurden entsprechend gefragt, ποῖον τέλος τελει. 166  Cato agr. 136 mit der überzeugenden Interpretation von Dieter Flach, Römische Agrargeschichte (HdA 3,9), München 1990, 131–134. 167  Neben Poll. 7,152 siehe Hesych. τ 639, Phot. Lex. τ 196, Ps.-Zonaras, Lex. p. 1725, Etym. M. p. 754 s. v. τετραχίζειν. οἷον ἐπὶ τετάρτου μέρους τι ποιεῖν. οὕτως Ἀριστοφάνης (F 900 K.-A.). – „tetrachízein: das heißt, etwas zu verrichten für ein Viertel [des Ertrags]. So Aristophanes.“ Aufgrund des sehr allgemeinen τι ποιεῖν könnte ein Kontrakt über die Lese oder Pressung von Öl oder Wein gemeint sein. Andreas

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können. Die hektḗmoroi werden also keine Personen gewesen sein, die, um eine Schuld abzuzahlen, ein Sechstel von den Einkünften ihres Landes an den Gläubiger abtreten mussten, sondern – und damit lassen sich die Quellen wesentlich besser in Einklang bringen – waren Personen ohne eigenes oder mit nur geringem eigenen Land, die das Einbringen der Ernte oder deren Weiterverarbeitung gegen Überlassung eines Sechstels der Feldfrüchte von den Landbesitzern pachteten.168 Waren die hektḗmoroi (oder hektēmórioi169) solche Erntepächter, konnten Autoren klassischer und nachklassischer Zeit das Wort den Gesetzen Solons entnommen haben, zum Beispiel seinen Regelungen zu Erntekontrakten heiligen Landes.170 Die hektḗmoroi wären in diesem Falle im wörtlichen Sinne pelátai (F 103b), die sich – in den Erntezeiten – zu den Landbesitzern begaben, sich ihnen ‚näherten‘ (von pélas ‚nahe‘), um ihre Arbeitskraft für die Einbringung der Ernte anzubieten.171 Mit Schuldverpflichtungen hatten diese Formen landwirtschaftlicher Arbeit – sowohl der auf ein ganzes Jahr eingegangene Gesindedienst als auch Erntearbeiten gegen fest vereinbarte Anteile – zunächst nichts zu tun. Es waren diejenigen Tätigkeiten, die armen Athenern, die kein oder nur wenig Land besaßen, Möglichkeiten eröffneten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.172 Insofern

Bagordo, Aristophanes fr. 821–976 (Fragmenta Comica, Bd. 10,11), Göttingen 2018, 91 f. spricht das Zitat nicht dem Komödiendichter, sondern Aristophanes von Byzanz zu, der sich auch an anderen Stellen mit Gesetzen Solons beschäftigt habe (siehe T 16). Zu anderen Anteilen vgl. Poll. 4,165: πολλοστημόριον, τριτημόριον, τεταρτημόριον, πεμπτημόριον ὡς οἱ περὶ τὸν Πλάτωνα (leg 12, 956c)· ἑκτήμοροι δ’ οἱ πελάται παρὰ τοῖς Ἀττικοῖς. – „ein winziger Bruchteil, ein Drittel, ein Viertel, ein Fünftel, wie die [Gesetze] bei Platon; Sechstelteiler aber [waren] bei den Athenern die pelátai.“ Vgl. auch Astrologica. De mansionibus Lunae p. 147 (Catalogus Codicum Astrologorum Graecorum 9.1. Brüssel 1951), wonach die Inder sagten, dass bei einem bestimmten Stand des Mondes die Zeit günstig sei, zu säen und Bäume zu pflanzen und „Land gegen einen Ernteanteil (epí mortḗn) zu pachten“ (οἱ Ἰνδοὶ λέγουσιν· ὅταν ἡ Σελήνη ᾖ εἰς τὴν μονὴν ταύτην, καλὸν κτίζειν καὶ ἐπὶ μορτὴν μισθοῦσθαι γῆν, σπείρειν καὶ δένδρα φυτεύειν καὶ συνάλλαγμα γαμικὸν ποιεῖν καὶ καινούργια φορεῖν καὶ στολίζεσθαι· καὶ ταξιδεύειν εἰς τὴν πρώτην καὶ τρίτην ὥραν τῆς ἡμέρας αὐτῆς). Zu verschiedenen Deutungsmöglichkeiten dieses „share-cropping system“ Sancisi-Weerdenburg 1993, 15 f. 168  Zur Diskussion, ob die hektḗmoroi ein Sechstel oder fünf Sechstel entrichten mussten, siehe Sancisi-Weerdenburg 1993, 14 f. 169  So bei Plut. Solon 13,4, Poll. 4,165 und Eustathios. 170  Zu trennen sind solche Erntekontrakte mit der Überlassung eines Anteils an der Ernte von Abgaben, die an ‚heiligem Öl‘, ‚heiligen Feigen‘ oder ‚heiligen Tieren‘ zu entrichten waren, wobei diese Abgaben einem Zehntel, der dekátē, der Erntemenge entsprachen. Auch Sancisi-Weerdenburg 1993, 16 geht davon aus, dass der Begriff hektḗmoroi auf das frühe 6. Jh. zurückgehe, auch wenn er in den Fragmenten der solonischen Elegien nicht belegt sei. 171  Pausanias der Attizist π 15 s. v. πελάται (adn. F 103c). In diesem Sinne hat auch Platon den Begriff in Euthyphr. 4c verwendet: Euthyphron hatte einen pelátēs von ihm getötet; als er auf Naxos das Feld bearbeitete, hatte der pelátēs bei ihm Lohndienst verrichtet (thēteúein) (ἐπεὶ ὅ γε ἀποθανὼν πελάτης τις ἦν ἐμός, καὶ ὡς ἐγεωργοῦμεν ἐν τῇ Νάξῳ, ἐθήτευεν ἐκεῖ παρ’ ἡμῖν). Nach dem Scholion zu dieser Stelle sei pelátēs jemand, der sich wegen Bedürftigkeit zu einem anderen begibt, um gegen Lohn als Gehilfe (ho hypēretṓn) zu dienen (Schol. Plat. Euthyphr. 4c (2): πελάτης. ἀπὸ τοῦ πέλας καὶ ἐγγὺς ἐκαλεῖτο· ὁ δι’ ἔνδειαν προσιών, μίσθιος δὲ ὁ ὑπηρετῶν). Zur Bedeutung von pelátēs siehe Rhodes 1981, 90 f. 172  Solche Erntearbeiter waren z. B. Apfelpflücker, wie sie in Sappho fr. 105a Voigt/Lobel-Page (fr. 224 LGS) genannt sind. Dazu Anne Sieverling, Zu Tisch bei Eumaios. Ernährung im homerischen und ar-

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trifft es zu, wenn Plutarch die hektēmórioi mit thḗtes gleichsetzt, also mit Personen aus der unterbäuerlichen Schicht, und Pollux pelátai und thḗtes ausdrücklich als Freie bezeichnet (adn. F 103b). Plutarch unterscheidet – genauer als die Athenaion politeia – verschiedene Formen landwirtschaftlicher Arbeit und Abhängigkeit, wobei seine Angaben vermutlich einem Atthidographen entnommen sind (F 103c).173 Hektēmórioi und thḗtes leisteten landwirtschaftliche Arbeiten (ἐγεώργουν) für die Reichen, standen also nur insofern in einer Abhängigkeit, als sie als Bedürftige auf Arbeitsangebote und Verdienstmöglichkeiten angewiesen waren. Auch Plutarch verwendet die Formulierung ἕκτα τῶν γινομένων τελοῦντες und wird damit diejenigen meinen, die von der Ernte ein Sechstel ‚erzielten‘. Jedenfalls sind hektēmórioi und thḗtes durch das „entweder … oder“ (ἢ … ἢ) von den anschließend genannten Personen unterschieden, die Schulden auf den Körper aufgenommen hatten und deswegen den Darlehensgebern gegenüber agṓgi­ moi waren, also von ihnen ‚weggeführt‘ werden konnten. Die Darstellung Plutarchs erlaubt also ein Verständnis, dem gemäß hektēmórioi und thḗtes bei reicheren Bauern arbeitende Angehörige der unterbäuerlichen Schicht, nicht aber schuldverpflichtet waren. Dies ist erst bei den anschließend genannten ‚Weggeführten‘ der Fall, wobei von diesen „die einen“ (οἱ μὲν) in Abhängigkeit Dienste leisten mussten, eine Tätigkeit, die Plutarch nun statt mit geōrgeín mit douleúein bezeichnet, wohingegen „andere“ (οἱ δ’) in die Fremde verkauft wurden.174 Damit entspricht die Situation, die Plutarch für das frühe Athen beschreibt, genau den Verhältnissen, wie man sie aus dem römischen Schuldrecht kennt: Bei nicht zurückgezahlten Schulden und bei Schädigungen fiel die verantwortliche Person an den Geschädigten, der die Wahl hatte, ob er die nun seiner Gewalt unterworfene Person für den Schaden arbeiten ließ oder sie als Sklave verkaufte, um aus dem Verkauf entschädigt zu werden.

chaischen Griechenland im Spiegel der historischen und archäologischen Quellen, in: Eike Faber, Timo Klär (Hrsg.), Zwischen Hunger und Überfluss. Antike Diskurse über die Ernährung, Stuttgart 2020, 43–90, hier 59. 173  In Solon 15,3 verweist Plutarch auf Androtion. Auch Eberhard Ruschenbusch wertet das Zeugnis Plutarchs als das zuverlässigere, da er zwischen hektḗmoroi und Schuldnern, die dem Zugriff auf ihre Person ausgesetzt waren, unterschied; die Athenaion politeia habe beides vermengt (2010, 133). Ähnlich Laura Loddo, Crisi economica e valorizzazione delle risorse: una lettura del nomos arghias, in: Roberta Angiolillo et al. (Hrsg.), Crisi. Immagini, interpretazioni e reazioni nel mondo greco, latino e bizantino, Alessandria 2015, 111–129, hier 111 f. Anm. 1, die ebenfalls der Darstellung Plutarchs den Vorzug vor der der Athenaion politeia gibt. Vgl. Rhodes 1981, 90; Wagner-Hasel 2018, 296 f.; Valdés 2021, 5–10. 174  Noussia-Fantuzzi 2010, 467: douleúein sei erstmals in den solonischen Elegien, dann vielfach in den Tragödien belegt; außerdem dreimal bei Herodot. Es sei wahrscheinlich ein Attizismus.

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Plutarch unterscheidet also folgende Personen voneinander: – Die hektēmórioi aus der unterbäuerlichen Schicht (thḗtes), die von reichen Landbesitzern die Ernte pachteten und dafür ein Sechstel der Erträge erhielten. – Die Schuldner, die den Darlehensgebern gegenüber agṓgimoi waren, weil sie Schulden auf ihren Körper aufgenommen hatten und sie nicht zurückzahlen konnten; aufgrund der Noxalhaftung konnten die Darlehensgeber wählen, – ob sie die an sie gefallenen, abgeführten Schuldner auf ihrem Land Dienste verrichten ließen, – oder ob sie diese als Sklaven in die Fremde verkauften. – Konnten Haussöhne Schulden nicht zurückzahlen oder hatten sie einen Schaden verursacht, fielen sie an den Gläubiger beziehungsweise Geschädigten; auch sie konnten verkauft werden. Folgt man also den Ausführungen Plutarchs waren die hektēmórioi und thḗtes als solche keine Schuldner, sondern lediglich Bedürftige. Als Bedürftige leisteten sie abhängige Arbeit, sei es als Saisonarbeiter (pelátai, hektēmórioi), sei es als längerfristig auf den Hof geholtes Gesinde. Die hektḗmoroi in der althistorischen Forschung Über die hektḗmoroi oder hektēmórioi gibt es eine intensive Forschungsdebatte. Sie wurden als Teil- und Kleinbauern, Hörige, Pächter, Lohnarbeiter oder abgabepflichtige Schuldner aufgefasst.175 Thomas W. Gallant zufolge seien die hektḗmoroi Kleinbauern gewesen, die auf öffentlichem Land, das unter der Kontrolle der aristokratischen Elite stand, Dienste zu leisten hatten, wofür sie ein Sechstel der Erträge erhielten. Mit diesem Sechstel konnten sie die geringen Erträge aus ihrem eigenen Land aufstocken – eine Ansicht, die nahe bei der hier vorgetragenen liegt.176 Tracey E. Rihll sieht in den

175  Überblicke über die verschiedenen Forschungsmeinungen geben Rhodes 1981, 92–97; Noussia-Fantuzzi 2010, 29–37; Wagner-Hasel 2018 und Meister 2020, 295–310. 176  Thomas W. Gallant, Agricultural Systems, Land Tenure, and the Reforms of Solon, in: ABSA 77, 1982, 111–124: „If, moreover, the Hektemoroi are envisaged as peasants living mainly off their own land and then obtaining one-sixth of the produce of a crop that they worked on seasonally, some of the difficulties disappear. In other words, the obligation was fulfilled by working on the land of the rich during periods of peak labour. The élite would perpetuate their lien by reforming the obligation through giving one-sixth of the crop. … Both parties benefit economically: the large élite farmer has a secure source of seasonal labour and he still retains the lion’s share of the crop, the lower-down farmer receives one-sixth of the crop he seasonally works, supplementing the produce of his own land, and he secures the right to obtain aid from the élite in case of unforeseen difficulties, a drought or a bad harvest for example“ (123 f.). Thomas W. Gallant geht allerdings davon aus, dass die hektḗmoroi in diesem System ungleicher Reziprozität in Schwierigkeiten geraten seien und Solon die Verpflichtung zu abhängiger Arbeit gegen Überlassung eines Sechstels der Ernte unterbunden habe. Dagegen Welwei 1992, 157 Anm. 52, der u. a.

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hektḗmoroi Pächter öffentlichen Landes, das unter der Aufsicht der Polis stand und durch die Verpachtung regelmäßige Einnahmen einbrachte.177 In diesem Falle käme eine „Aufhebung aller Schulden“ einem Verzicht rückständiger Pachtabgaben gleich, eine Maßnahme, die Solon als Schlichter und Aussöhner eher durchsetzen konnte als einen Verzicht privater Gläubiger auf die ihnen zustehenden Pachtsummen. Heleen Sancisi-Weerdenburg hatte sich dafür ausgesprochen, dass die hektḗmoroi karges Land in den Randzonen bearbeiteten und daher in den antiken Quellen als grundsätzlich arm bezeichnet werden konnten. Wenn sie das Sechstel der Ernteerlöse nicht an die Landbesitzer zahlen konnten, gerieten sie in Schuldknechtschaft. Die Entfernung der Grenzsteine bewirkte, dass die hektḗmoroi fortan nicht mehr ein Sechstel der Erträge an reiche Athener entrichten mussten. Ihre Lage verbesserte sich deswegen, und die Bezeichnung ‚Sechstelteiler‘ verschwand, weil Solon denjenigen, die vorher unbebautes Land kultiviert hatten, dieses Land zusprach.178 Nach Meinung von Phillip V. Stanley seien die hektḗmoroi Pächter, die ein Sechstel der Pachtsumme im Voraus zu zahlen hatten, vermutlich in Silber. Schlechte Ernten hätten sie in Schwierigkeiten gebracht, bis hin zur drohenden Sklaverei.179 Hiromu Ando vergleicht die hektḗmoroi mit den spartanischen Heloten und rückt sie in die Nähe von Sklaven.180 Karl-Wilhelm Welwei sieht in ihnen Bauern, die aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten ihr Land verloren hatten und unter der Schuldenlast litten. Um einer drohenden Überschuldung und der Gefahr einer Versklavung zu entgehen, hätten sie sich einem Gläubiger gegenüber verpflichtet, ihnen in Zukunft oder für einen bestimmten Zeitraum einen Teil der Ernteerträge abzuliefern. Diese Verpflichtung sei mit „Markierungssteinen“ (hóroi) kenntlich gemacht worden. Der Status des hektḗmoros sei also eine Alternative zur Personalexekution nach dem Schuldrecht gewesen, weil der Schuldner die Möglichkeit erhielt, seine Schulden langfristig durch regelmäßige Abgaben abzutragen. Durch Solons Reformen seien alle Schulden annulliert und die Abgabenpflicht der hektḗmoroi aufgehoben worden.181 Michele Faraguna geht davon aus, dass die hektḗmoroi vorher

einwendet, dass Gallants Annahme, freie Bauern seien versklavt worden, wenn sie ihre Arbeitspflicht auf den großen Gütern nicht erfüllt hätten, unbewiesen bleibe. 177  Tracey E. Rihll, Ἑκτήμοροι. Partners in Crime?, in: JHS 111, 1991, 101–127. 178  Sancisi-Weerdenburg 1993 mit ihrem Fazit ebd. 24 f. 179  Phillip V. Stanley, The Hektemoroi and land usage in ancient Greece, in: Laverna 9, 1998, 19–45. 180  Hiromu Ando, A Study of Servile Peasantry of Ancient Greece: Centering around Hektemoroi of Athens, in: Toru Yuge, Masaoki Doi (Hrsg.), Forms of Control and Subordination in Antiquity, Leiden etc. 1988, 323–330. 181  Welwei 1992, 156; ders. 2005, 35–39; vgl. Sancisi-Weerdenburg 1993, 22. Dass sich die Beseitigung der hóroi auf die hektḗmoroi bezieht, postuliert auch Luigi Gallo, Solone, gli „hektemoroi“ e gli „horoi“, in: Annali di archeologia e storia antica n. s. 6, 1999, 59–71. P. J. Rhodes fasst die hektḗmoroi als Personen auf, die von den Reichen abhängig warn, ein Sechstel ihrer Ernte an diese abgeben mussten und versklavt werden konnten, wenn sie diese Verpflichtung nicht erfüllten (The Reforms and Laws of Solon: An Optimistic View, in: Josine H. Blok, André P. M. H. Lardinois [Hrsg.], Solon of Athens. New Historical and Philological Approaches, Leiden – Boston 2006, 248–260, hier 252 f.).

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unbebautes Land bewirtschaftet hätten, welches sich die Reichen rechtswidrig angeeignet hätten und von den hektḗmoroi gegen Abgabe eines Sechstels der Ernte hätten bewirtschaften lassen. Aufgrund dieser harschen Bedingungen hätten sie Schulden aufnehmen müssen. Die seisáchtheia habe die rechtswidrige Aneignung des Landes beendet und damit erträglichere Bedingungen für die hektḗmoroi geschaffen.182 Nach Sara Forsdyke wiederum seien hektḗmoroi „sharecroppers“ gewesen, „who were required to turn over one-sixth of the product of their labors to the elites who controlled the land“, wobei die „curiously small ‚rent‘ of one sixth“ damit erklärt werden könnte, dass sie wenig fruchtbares Land in Randzonen bewirtschafteten.183 Mischa Meier hat die These vertreten, dass dem Verfasser der Athenaion politeia oder seiner Quelle ein Lesefehler unterlaufen sei und der Begriff hektḗmoros nicht die Bezeichnung von abhängigen Bauern oder Landarbeitern sei, sondern versehentlich abgeleitet sei, vielleicht aus ἔκτημ᾿ ὅρους.184 Delfim F. Leão und P. J. Rhodes schließlich sehen in den hektḗmoroi „men in a quasi-feudal state of dependence rather than as formerly free men who had fallen into debt once“. Man habe ihnen eine zweite Chance eingeräumt; doch in der Forschung sei man sich nicht einig, ob die seisáchtheia auch den hektḗmoroi zugute gekommen wäre.185 Nach Julien Zurbach hätten sich die hektḗmoroi in die Abhängigkeit eines Reichen begeben; ihnen sei ein Stück Land anvertraut worden, das sie in Teilpacht bewirtschafteten.186 Die Landbesitzer und die hektḗmoroi hätten sich in der Weise arrangiert, dass die hektḗmoroi ihre Arbeitskraft eingebracht und ein Sechstel der Ernte erhalten hätten, wohingegen die Reichen im Besitz des Landes waren und die notwendigen Arbeits-

182  Michele Faraguna, Hektemoroi, isomoiria, seisachtheia. Ricerche recenti sulle riforme economiche di Solone, in: Dike 15, 2012, 171–193. Miriam Valdés Guía sieht in den hektḗmoroi verschuldete und unterjochte Bauern, die durch die Verschuldung zu ehrlosen, átimoi, geworden seien (Peur et contrainte des dépendants ratifiées par des pratiques judiciaires et religieuses : les paysans atimoi de l’Attique archaïque, in: Fear of Slaves – Fear of Enslavement in the Ancient Mediterranean [Actes des colloques du Groupe de Recherche sur l’Esclavage dans l’Antiquité 29], Besançon 2007, 99–114, hier 99 f.). 183  Sara Forsdyke, Land, Labor and Economy in Solonian Athens: Breaking the Impasse Between Archaeology and History, in: Blok/Lardinois 2006, 334–350: pelátai seien „hired laborers who worked lands controlled by the rich in return for pay“ (338). Vgl. Hunt 2017, 61, der in den hektḗmoroi Personen sieht, „who seem to be a class of peasants subject to some sharecropping or rent agreement (…). That they or their lands were „liberated“ may suggest that they were „bound peasants,“ which, as I shall argue below, is the best definition for serfs“. 184  Mischa Meier, Die athenischen Hektemoroi – eine Erfindung?, in: HZ 294, 2012, 1–29. Auch T. Ito zweifelt grundsätzlich an der Existenz von hektḗmoroi in vorsolonischer Zeit (Did the „hektemoroi“ exist?, in: PP 59, 2004, 241–247). 185  Leão/Rhodes 2015, 112. Miriam Valdés Guía, die die Verschuldung als zentrales Problem solonischer Zeit ansieht (2019, 394–402; ebenso Zurbach 2013, 969) geht von der Annahme aus, „the thetes / hektemoroi … might be tenant farmers rather than landowners“ (ebd. 394). 186  Julien Zurbach, Les hommes, la terre et la dette en Grèce c. 1400–c. 500 a. C., Bordeaux 2017, 327, 346–348. Ähnlich Zurbach 2013, 970, der Moses I. Finley darin folgt, dass die Schuldknechtschaft für die Reichen eine Möglichkeit gewesen wäre, Arbeitskraft zu kontrollieren. Ebd. 971: „Ces deux formes se comprennent en effet dans le cadre d’une exploitation directe, alors que l’hectémorat est une forme de métayage, avec une parcelle confiée à l’hectémore“.

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mittel zur Verfügung stellten.187 Beate Wagner-Hasel geht bei den hektḗmoroi von einer abgabenpflichtigen ländlichen Bevölkerung aus – vergleichbar den spartanischen Heloten und den kretischen Klaroten –, die durch Solons Reformen zu Bürgern wurden; die in die Fremde Verkauften seien Menschen gewesen, die geraubt worden waren, wie dies für Hirten häufiger überliefert ist.188 Ausgehend von den (vermutlich) auf Androtion beruhenden Aussagen bei Plutarch ist demgegenüber jedoch davon auszugehen, dass die hektḗmoroi Personen ohne ausreichende Einkünfte und Angehörige der unterbäuerlichen Schicht, der Theten, waren, die wahrscheinlich Erntearbeiten verrichteten, für die sie ein Sechstel der geernteten Früchte erhielten.189 Es waren aber keine Schuldner, die ein Sechstel der eigenen Erträge abgeben mussten, um Schulden abzuzahlen. Schuldverpflichtungen: weggeführt in schmachvolle Abhängigkeit Wenn die hektḗmoroi Angehörige der unterbäuerlichen Schicht, also Freie waren, die bei größeren Landbesitzern Ernten pachteten und mit einem Sechstel entlohnt wurden, ist es folgerichtig, dass Solon in seiner Elegie (F 103a) nur auf diejenigen Personen Bezug nahm, welche wegen einer Schuldforderung weggeführt worden waren, für andere arbeiten mussten, außerhalb Attikas verkauft worden waren oder geflohen waren; es ging ihm darum, diese zu ‚befreien‘.190 An den herkömmlichen Möglichkeiten etwas zu verändern, sich als Knecht oder Magd zu verdingen oder Erntearbeiten gegen Überlassung eines Anteils an der Ernte zu übernehmen, bestand keine Veranlassung.191 In den Zeilen 13–15 geht Solon auf diejenigen ein, die „hier am Ort“ (ἐνθάδ’)

187  Zurbach 2013, 971: „En outre, le nom des hectémores fait référence à un partage des fruits de la terre en six parts, dont l’hectémore ne conserve probablement qu’une part. Ce type de partage caractérise nombre de formes de métayage, où chaque part correspond à un apport. On peut supposer par exemple que le propriétaire apporte la terre, les outils, les animaux de trait, les semences et l’accès à l’eau ou les moyens de stockage, tandis que l’hectémore et sa famille apportent leur travail“. 188  Wagner-Hasel 2018, 295 f., 299–304. 189  Zu Androtion als Quelle Plutarchs in den Kapiteln Solon 13,4–6 siehe N. G. L. Hammond, The Seisachtheia and the Nomothesia of Solon, in: JHS 60, 1940, 71–83, hier 76–78. Sancisi-Weerdenburg (1993, 14) verweist auf die Untersuchung von Woodhouse, der aus linguistischen Gründen der Ansicht ist, die hektḗmoroi hätten nur ein Sechstel für sich behalten, „just as the word isomoros, used by Poseidon in the Iliad to describe his own relation to Zeus means ‚having or taking equal share‘“ (Hom. Il. 15,209); vgl. dazu Welwei 1992, 157 Anm. 52. 190  Zu unterschiedlichen Interpretationen von fr. 36 West siehe Mülke 2002, 361–397; Noussia-Fantuzzi 2010, 455–474; Meister 2020, 304–308. 191  Auch die Verpachtung von öffentlichem und heiligem Land bestand bis in klassische Zeit fort, wie Pachtverträge aus Attika und anderen Poleis belegen (Diederich Behrend, Attische Pachturkunden. Ein Beitrag zur Beschreibung der μίσθωσις nach den griechischen Inschriften, München 1970; Marietta Horster, Landbesitz griechischer Heiligtümer in archaischer und klassischer Zeit, Berlin – New York 2004, 139–191).

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„schmachvolle Sklaverei“ (δουλίη ἀεικέα) ertragen, also wegen ihre Schuld bei dem Geschädigten arbeiten mussten. Diese Form der Abhängigkeit, der Gewalt eines Herrn (δεσπότης) zu unterstehen und ihm Dienste verrichten zu müssen, wurde als doulíē verstanden, aus der man wieder zum ‚Freien‘ (ἐλεύθερος) werden konnte.192 In den Zeilen 8–12 meint Solon diejenigen, die außerhalb Attikas verkauft worden waren, vielfach rechtens, da der Geschädigte beziehungsweise der Gläudiger das Recht hatte, die ihm übertragene Person zu verkaufen, wenn er sie nicht für den verursachten Schaden bei sich arbeiten lassen wollte.193 Angesichts dieser rechtlich zulässigen Möglichkeit waren offenbar nicht wenige Betroffene vorzeitig aus Attika geflohen.194 Die sozialen (und rechtlichen) Zustände, die Solon in seiner Elegie anprangert, lassen sich in gewissem Sinne mit der Situation der durch die Spartaner besiegten Messenier vergleichen, für deren Unterwerfung der Dichter Tyrtaios ganz ähnliche Worte gebraucht: „Eseln vergleichbar, gebeugt unter drückenden Lasten (megáloi áchthē), müssen sie ihren Herren (despósynoi), schmählich gezwungen, die Hälfte geben von allem Ertrag, der aus dem Acker erwächst“.195 Auch die den besiegten Messeniern auferlegten ‚Lasten‘ (áchthē) konnten als extreme Form der Abhängigkeit, vergleichbar mit der Sklaverei, gewertet werden. Mussten auch sie, weil sie gegenüber den Spartanern schwere Schädigungen verursacht hatten, für die Spartaner das Land bearbeiten, das man ihnen genommen hatte, ohne Hoffnung auf eine seis-áchtheia? Zumindest hatten sie von den Spartanern die Zusicherung erhalten, dass diese nicht zu der zweiten

192  Wirkliche Sklaverei bestand hingegen noch nicht, sondern erst dann, wenn der Herr sich entschied, die ihm übergebene Person zu verkaufen. Vgl. demgegenüber Noussia-Fantuzzi 2010, 473, die die sicherlich an eine Sklaverei anklingenden Worte als tatsächliche Beziehung zwischen „(debt) slaves and their owners“ ansieht. Ebenso Edward M. Harris in Bezug auf Plut. Solon 13,4–5: „Before Solon’s reform men contracted debts on the security of their bodies (…) and thus could be seized by their creditors (…). Some of these became slaves (δουλεύοντες) while others were sold abroad“ (2002, 420). Zu unbestimmt bleibt die Deutung von δουλίη bei Mülke 2002, 384 f. 193  Noussia-Fantuzzi 2010, 471 geht davon aus, dass ἐκδίκως/ἀδίκως und δικαίως der Rechtssprache entnommen sind: Wie in Gerichtsreden des späten 5. Jh., „also δίκαιος and ἔκδικος (…) likely focus here on the formal aspect of justice, … mean ‚legally‘/‚illegally‘, in formal terms.“ Folge man dem Berliner Papyrus, sei ἀναγκαίης ὑπὸ χρεῶν im Sinne von „because of the necessity/pressure of debts“ zu verstehen. Sie folgt aber den neueren Editionen mit der Lesung ἀναγκαίης ὑπὸ χρειοῦς, dass sie also „gezwungen aus der Not“ geflohen seien (ebenso Harris 2002, 428; Lewis 2004, 28 f.). Dies könne sich auf Schulden beziehen (und so verstand es Plutarch, der davon spricht, dass sie διὰ τὴν χαλεπότητα τῶν δανειστῶν aus Attika geflohen waren), müsse aber nicht darauf bezogen werden, da auch andere Notlagen in Betracht gezogen werden könnten (ebd. 38 f.). Dies würde sich mit dem archaischen Schuldrecht gut verbinden lassen, da nicht nur der Gläubiger auf die Person des Schuldners zugreifen konnte, sondern dem Geschädigten auch dann der Verursacher des Schadens übergeben werden musste, wenn eine Schädigung anderer Art entstanden oder eine Strafe nicht bezahlt worden war. 194  Noussia-Fantuzzi 2010, 469 ersetzt, da es sich bei Verkauften und Geflohenen um zwei verschiedene Gruppen handelt, τοὺς δ’ ἀναγκαίης durch τοὺς τ’ ἀναγκαίης. 195  Tyrtaios fr. 6 West: ὥσπερ ὄνοι μεγάλοις ἄχθεσι τειρόμενοι, δεσποσύνοισι φέροντες ἀναγκαίης ὕπο λυγρῆς ἥμισυ πάνθ’ ὅσσων καρπὸν ἄρουρα φέρει.

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Möglichkeit greifen würden, die das Schuldrecht bot, nämlich dem Verkauf als Sklaven nach auswärts. Die Athenaion politeia ist in ihrer Darstellung gegenüber der Plutarchs deutlich ungenauer (F 103b): Wenn Athener selbst, ihre Kinder und Frauen den Reichen in Abhängigkeit Dienste leisteten (douleúein), kann er damit nur die den Gläubigern übertragenen Personen meinen, die aufgrund nicht zurückgezahlter Schulden oder eines Schadens für diese arbeiten mussten. Dann aber benennt die Schrift diese Personen unzutreffend als pelátai und hektḗmoroi; zwar waren die hektḗmoroi, wenn man von der Annahme ausgeht, dass sie die Erntearbeit ‚pachteten‘ und dafür ein Sechstel des Ertrags erhielten, tatsächlich Personen, die für diese ‚Pacht‘ (místhōsis) die Felder der Reichen bewirtschafteten (ergázesthai), doch Plutarch zufolge waren diese Personen von denen zu trennen, die in Schuldknechtschaft oder Schuldsklaverei geraten waren. Diese Unterscheidung verwischt der Autor. Dass das gesamte Land in Attika in den Händen weniger war, wie der Autor der Athenaion politeia fortfährt,196 wird eine (unzutreffende) Ausdeutung der solonischen Elegien gewesen sein; tatsächlich lässt sich dies für die solonische Zeit nicht verifizieren. Skepsis ist allein schon deswegen angebracht, weil Solon eine Neuverteilung des Landes ausdrücklich abgelehnt hatte.197 Unzutreffend ist auch die Schlussfolgerung, sie selbst – die pelátai und hektḗmoroi – und ihre Kinder seien abgeführt worden (waren agṓgimoi), wenn sie ihre Pachtsummen (misthṓseis) nicht abführten. Die Athenaion politeia setzt dabei Pachtverhältnisse voraus, wie sie im 4. Jh. v. Chr. üblich waren. Wenn jedoch pelátai und hektḗmoroi als Erntepächter ein Sechstel der Ernte erhielten, konnten sie keine Pachtsummen schuldig bleiben.198 Dem Autor sind also Fehler unterlaufen, die zu einer unzutreffenden Beschreibung der Situation geführt haben. Demgegenüber ergibt sich in der Zusam-

196  Ebenso in Ath. pol. 4,5. 197  Solon fr. 34 West, 29b Gentili/Prato Z. 8 f.; Aristot. Ath. pol. 11,2; 12,3; Plut. Solon 16,1. So auch Anonymus in Hermogenem, Commentarium in librum περὶ στάσεων 7,146: οξʹ. Ἰστέον, ὅτι ἐπράχθη τι τοιοῦτον Ἀθήνησιν ἀληθῶς· πολλῶν γὰρ πενήτων δανεισαμένων παρὰ τῶν πλουσίων καὶ ὑποτιθεμένων γῆν, ἣν εἶχεν ἕκαστος, ἐνίων δὲ καὶ πιπρασκομένων ὁ δῆμος ἐβουλεύετο τὴν πᾶσαν γῆν ἀναδάσασθαι τῶν Ἀθηναίων, ὡς μὴ μόνον ἀποστερηθῆναι τοὺς ἰδίους, ἃ ἦσαν δεδανεικότες, ἀλλὰ καὶ τῆς πολλῆς, ἧς ἐκέκτηντο γῆς, τὸ πλέον προσλαβεῖν· οὐ μὴν ἀπέβη. Σόλων γὰρ ὑπ’ ἀμφοτέρων αἱρεθεὶς τῶν μερίδων χρεῶν ἀποκοπὰς ποιησάμενος κατέλυσε τὴν στάσιν· καὶ ἐκλήθη τὸ τοιοῦτον σεισάχθεια παρὰ τὸ ἀποσείσασθαι τὸ ἄχθος τοὺς πένητας. – „Man muss wissen, dass etwas solcher Art in Athen wirklich eintrat. Als nämlich viele Arme bei den Reichen Darlehen aufgenommen hatten und das Land, das ein jeder hatte, verpfändet war, einige es schon verkaufen mussten, beriet das Volk darüber, das ganze Land der Athener neu aufzuteilen, so dass die Gläubiger nicht allein dessen beraubt worden wären, was sie als Darlehen gegeben hatten, sondern auch einen großen Teil des Landes, das sie selbst besaßen. Dies trat aber nicht ein. Denn Solon, von beiden Seiten [zum Aussöhner] gewählt, hat eine Aufhebung der Schulden angeordnet und die stásis beendet. Dies wurde seisáchtheia genannt, weil die Armen eine drückende Last abgeschüttelt haben“. Dazu L’Homme-Wéry 2005, 180–185. 198  Sancisi-Weerdenburg 1993, 17 urteilt über die Aussage in Ath. pol. 2,2: „The most plausible meaning of the word [scil. místhōsis] in this context would be ‚rent‘, paid by tenants to the owners of the land“. Über solche Pachtverhältnisse fehlten aber für solonische Zeit weitere Belege (ebd. 17 f.).

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menschau der Angaben in Solons Elegie und in Plutarchs Solonbiographie ein in sich stimmiges Bild, das zudem erkennen lässt, wie der Autor der Athenaion politeia diese Angaben unzutreffend vermischt hat. Von der abhängigen, aber freien Arbeit der Theten und pelátai zu unterscheiden sind also Schuldverpflichtungen, die in der Zeit um 600 v. Chr. offenbar viele Athener in eine ausweglose Lage gebracht hatten. Solon hat das bis dahin geltende Schuldrecht grundlegend geändert; dieses bis zur Zeit Solons geltende Schuldrecht lässt sich durch Relikte aus klassischer Zeit und durch einen Vergleich mit dem römischen Noxalrecht rekonstruieren. Bis in klassische Zeit hinein bestand für den Besitzer eines Tieres die Verpflichtung fort, das Tier, das einen Schaden verursacht hatte, zu übergeben. Aus einem solonischen Gesetz ist überliefert, dass ein bissiger Hund, zum Beispiel wenn er Schafe oder Ziegen gerissen hatte, an einem drei Ellen langen Halseisen oder einer Leine ausgeliefert werden musste (F 104).199 Auch für den Schaden, den ein Sklave oder eine Sklavin verursacht hatte, haftete der Herr; konnte oder wollte der Herr nicht für den Schaden aufkommen, ging der Sklave oder die Sklavin an den Geschädigten über. Beim Noxalanspruch war im Falle einer Schädigung die Auslieferung des Tieres oder des Sklaven das primäre; eventuell konnte die Auslieferung durch eine Entschädigung abgewendet werden.200 Platon sah später in den Gesetzen ausdrücklich vor, dass dem Geschädigten die Wahl zwischen Auslieferung und Schadenersatz gelassen war, und dies galt auch im römischen Recht.201 Die Pflicht zur Auslieferung und Übereignung galt ebenso für Sachen, von denen ein Schaden ausgegangen war.202 Der 55. Rede des Demosthenes Gegen Kallikles liegt ein Fall der Schädigung durch abgeleitetes Wasser zugrunde. Ein Athener namens Kal-

199  Phillips 2013, 286 erkennt das Gesetz als solonisch an. Wahrscheinlich bezog sich auf die Haftung des Tierhalters die Rede des Lysias Über den Hund (Lys. fr. 58 Scheibe; or. 94 fr. 206 Carey; Phillips 2013, Nr. 243). Zum Motiv bissiger Hunde in antiken Fabeln siehe Hedwig Schmalzgruber, Cave canem. Bissige Hunde in antiken Fabeln (Aes. 64 und 120 [Perry], Phaedr. 2,3, Babr. 104, Avian. 7), in: Hermes 149, 2021, 83–103 (zum Gesetz Solons ebd. 91 Anm. 42). 200  Meyer-Laurin 1979, 263: Nach dem auch in griechischen Städten bestehenden Noxalrecht „haftete der Halter für alle Delikte, die seine Sklaven – entsprechendes gilt für die Tierhaltung – einem Dritten zufügten. Wie Partsch … gezeigt hat, wurde primär die Herausgabe geschuldet, während die Auslösung des Sklaven durch Zahlung einer Buße nur subsidiär an ihre Stelle treten konnte“. 201  Plat. leg. 11, 936c–e. In leg. 879a geht es um zugefügte Verletzungen (traúmata), und dabei soll vorrangig Auslieferung, nur ausnahmsweise Schadenersatz erfolgen (Meyer-Laurin 1979, 280 f.). Eine ähnliche Regelung findet sich in der Inschrift von Andania aus dem Jahr 92/91 (oder 91/90) v. Chr., die die Bestimmung enthält: „Es soll der Herr den Sklaven (oikétēs) dem Geschädigten zur Abarbeitung [des Schadens] ausliefern; andernfalls zahle er das Doppelte“ (Syll.3 736 Z. 77; zur Inschrift und ihrer Datierung Hans-Ulrich Wiemer, Neue Feste – neue Geschichtsbilder? Zur Erinnerungsfunktion städtischer Feste im Hellenismus, in: Hans Beck [Hrsg.], Feiern und Erinnern. Geschichtsbilder im Spiegel antiker Feste, Berlin 2009, 83–102, hier 97–100). Zum römischen Recht Benöhr 1980, 274. 202  Zur Noxalhaftung für Sklaven, Tiere und Land siehe auch Phillips 2013, 287 f. mit den Nr. 237 f., 248 f., 256, 262.

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likles hatte wegen Schädigung (blábē) geklagt,203 weil eine errichtete Schutzvorrichtung gegen das von der Straße in das Grundstück eindringende Regenwasser Schäden auf dem benachbarten Grundstück verursacht hatte. Hans Julius Wolff hat überzeugend dargelegt, dass das im Gesetz vorgesehene Verfahren eine auf frühe Zeit zurückgehende Form der Haftung darstellt. Denn der Geschädigte bekam das Grundstück, von dem die Schädigung ausgegangen war, übertragen. Der Schädiger konnte dies nur dann abwehren, wenn er eine gesetzlich festgelegte Buße von tausend Drachmen zahlte, obwohl der entstandene Schaden deutlich geringer war. Bei dieser Regelung komme, so Hans Julius Wolff, die Vorstellung von einer Verantwortlichkeit und Haftung unbelebter Gegenstände zum Tragen, wie sie auch bei anderen Verfahren zu beobachten sei. Dieses Verfahren wegen Wasserschadens unterscheide sich demnach von anderen Schadensklagen, bei denen lediglich der Schaden selbst zu ersetzen war. Im Gesetzesentwurf Platons sei dieses frühe Verfahren beseitigt und ein differenziertes und ausgewogenes Procedere an seine Stelle getreten; es gebe aber keine Anhaltspunkte dafür, dass das athenische Recht in dieser Hinsicht jemals revidiert worden sei.204 Zu unterscheiden ist also die Noxalhaftung, bei der die Forderung zur Auslieferung und Übertragung des Sklaven, Tiers oder Objekts erhoben wurde, die gegebenfalls durch eine Geldsumme abgewendet werden konnte, und Schadensklagen, bei denen von vornherein auf Entschädigung geklagt wurde (dazu F 110–111).205 Für das 7. Jh. v. Chr. ist davon auszugehen, dass das Prinzip, diejenige Person oder Sache, welche die Schädigung verursacht hat, müsse an den Geschädigten übertragen werden, auch bei freien Personen Anwendung fand. Dabei wird es unerheblich gewesen sein, ob es sich um eine absichtliche oder unabsichtliche Schädigung handelte, ob um eine gerichtlich festgesetzte Buße, die nicht gezahlt werden konnte, um einen Vertragsbruch oder um ein nicht zurückgezahltes Darlehen.206 Einen Hinweis darauf, dass um 600 v. Chr. die Noxalhaftung auch für freie Personen galt, gibt die Bestimmung im Tötungsrecht, dass den Angehörigen eines Getöteten das Recht gibt, aus der Familie des Täters bis zu drei Personen als Geiseln zu nehmen, bis die Familie entweder „Genugtuung für die Tötung anbietet oder denjenigen, der getötet hat, ausliefert“.207 Diese 203  Demosth. or. 55,20: ὡς ἀδικοῦντος ἐμοὶ βλάβης εἴληχε δίκην; vgl. 55,28 und 25. 204  Wolff 1943/1961, bes. 98 f.; zustimmend Mummenthey 1971, 83 f., Klingenberg 1976, 58; 95–106 und Phillips 2013, 301 f. Vorschriften zur Reinigung und baulichen Instandsetzung öffentlicher Straßen enthält die Astynomeninschrift aus Pergamon. Dazu gehört auch das Verbot, auf den Straßen Anschüttungen oder Steine aufzugraben oder offene Rinnen anzulegen; an der Grenze verlaufende Mauern und Gräben sollen Besitzer auf ihren Grundstücken nur anlegen, wenn sie damit den Nachbarn keinen Schaden zufügen (OGIS 483; SEG 13, 521; HGIÜ III 488; Ilias Arnaoutoglou, Ancient Greek Laws. A Sourcebook, London – New York 1998, 123–127 Nr. 99). 205  Meyer-Laurin 1979, 277. 206  Vgl. Gaius inst. 4,80: „So weit über diejenigen Personen, die in Hausgewalt (potestas) stehen, ganz gleich, ob es ein Streit wegen eines von ihnen geschlossenen Vertrages (ex contractu) oder wegen eines von ihnen begangenen Vergehens (ex maleficio) ist“. 207  Gesetz in Demosth. or. 23,82 (F 37): ἢ δίκας τοῦ φόνου ὑπόσχωσιν ἢ τοὺς ἀποκτείναντας ἐκδῶσι.

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Bestimmung könnte sich auf den Fall beziehen, dass eine Aussöhnung vereinbart, die vereinbarte Buße aber nicht entrichtet worden war. In diesem Fall war die Geiselnahme erlaubt, bis die Buße gezahlt oder der Täter übergeben worden war. Dieser musste dann die vereinbarte Buße abarbeiten oder er konnte, um die Angehörigen zu entschädigen, in die Sklaverei verkauft werden. Nach Darstellung in der Athenaion politeia und in Plutarchs Solonbiographie waren insbesondere diejenigen, die Schulden nicht zurückgezahlt oder eine Schädigung verursacht hatten, agṓgimoi, konnten also ‚weggeführt werden‘.208 Sie hafteten für die verursachten Schädigungen gegenüber den Landbesitzern mit ihrer Person. Der Geschädigte konnte die ihm übergebene Person für sich arbeiten lassen oder sie verkaufen. Hatten hektḗmoroi nur die Ernte gegen Überlassung eines Sechstels gepachtet, entstanden daraus eo ipso noch keine Schuldverpflichtungen. Nur wer Schäden verursacht oder Schulden nicht zurückgezahlt hatte, konnte ‚weggeführt‘ werden. Dass auch in Attika der Geschädigte wie im römischen Recht die Wahl hatte, ob er die an ihn gefallene Person für sich arbeiten ließ oder sie veräußerte, zeigt fr. 36 West der solonischen Elegien.209 Offenbar war die Zahl derer, die agṓgimoi waren und von den Geschädigten ‚weggeführt‘ wurden, so groß, dass Solon glaubte, dagegen einschreiten zu müssen. Ausdrücklich spricht er von „vielen“ (polloí), die betroffen waren. Solon änderte das Haftungsrecht und legte durch Gesetz fest, dass bei Schädigungen ein Freier – Mann, Frau oder Kind – nicht mehr agṓgimos war. Die antiken Quellen sprechen davon, dass bis in die Zeit Solons hinein Darlehen (daneismoí) unter der Bedingung gegeben worden seien, dass die Schuldner mit ihrem Körper dafür hafteten (F 103b). Doch die beschränkte Sicht allein auf Schulden trifft kaum zu. Betroffen waren auch andere Personen, die Schädigungen verursacht hatten und dann ‚rechtens‘ weggeführt werden konnten. Auf diese Weise wurden aus ihnen gewaltunterworfene Personen, die nicht mehr Personen eigenen Rechts waren; sie galten als átimoi. Handelte es sich bei der Person, die den Schaden verursacht hatte, um den Haussohn, konnte auch dieser in die Gewalt des Geschädigten übergehen.210 Daraus leitete der Autor der Athenaion po­ liteia ab, bis in die Zeit Solons hinein hätten „die Armen den Reichen in Abhängigkeit Dienste leisten müssen (ἐδούλευον), sie selbst, ihre Kinder und ihre Frauen“.211 Diese

208  Zur Bedeutung von agṓgimos Valdés 2021, 18–20. 209  Nach römischem Recht verschafft die mancipatio dem Geschädigten die rechtliche Möglichkeit, die Person, die den Schaden verursacht hat, für sich arbeiten zu lassen oder sie zu veräußern (Gaius inst. 4,79). Benöhr 1980, 284. 210  Vgl. für das römische Recht Gaius inst. 4,75–80. 211  Aristot. Ath. pol. 2,2. Vgl. auch Ath. pol. 4,4 f. und Etym. Gud. σ 498 s. v. Σεισάχθεια, χρέων ἀποκοπή· οἱ Ἀθηναίων παῖδες δανεισάμενοι ποτὲ παρὰ τῶν πλουσίων, καὶ ἀποροῦντες ἠναγκάσθησαν μισθοῖς αὐτοὶ διαπελάζειν καὶ ἀγωνίαν. – „seisáchtheia: Aufhebung der Schulden (chréōn apokopḗ). Die Kinder der Athener, die damals bei den Reichen Darlehen aufnahmen, waren, wenn sie keine Mittel [zur Rückzahlung] hatten, gezwungen, sich selbst bei ihnen gegen Lohn zu verdingen (misthoís diapelázein) und sich abzumühen“.

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Verfahren vor den Thesmotheten

Abhängigkeit als eine Form der douleía zu bezeichnen, ist insofern gerechtfertigt, als der Geschädigte auch das Recht hatte, die an ihn gefallene Person in die Sklaverei zu verkaufen. Solons seisáchtheia Folgt man der Darstellung Plutarchs, ist als wahrscheinlich anzusehen, dass die hektḗmoroi freie Personen ohne ausreichende Einkünfte waren und daher Erntearbeiten verrichteten, für die sie ein Sechstel der Ernte erhielten. Unabhängig davon gerieten nicht wenige Athener wegen Schuldverpflichtungen unterschiedlicher Art in eine sklavenartige Abhängigkeit und mussten für den Geschädigten arbeiten oder wurden von ihm in die Sklaverei verkauft. In diesen Kontext des archaischen Schuldrechts ist die Rechtfertigung Solons (F 103a) zu stellen. Indem Solon alle bestehenden Schuldverpflichtungen durch die seisáchtheia aufhob, wurden die gewaltunterworfenen Personen aus der Abhängigkeit entlassen und wieder zu epítimoi, wie es in Solons ‚Amnestiegesetz‘ heißt (F 106).212 Die seisáchtheia, als ‚Lastenabschüttelung‘ verstanden, wird in den antiken Quellen mit der ‚Aufhebung aller Schulden‘ (chreṓn apokopaí) gleichgesetzt.213 Dabei nahm Solon auch die unter der väterlichen Hausgewalt stehenden Söhne vom Recht des Gläubigers oder Geschädigten aus, sie abzuführen, eine Regelung, die im römischen Recht erst deutlich später hinzutrat.214 Solons weiterreichender Schutz verleitete spätere Autoren zu der Aussage,

212  Zur Erklärung des Wortes seisáchtheia vgl. Etym. M. p. 710,32 (adn. F 105d) und Ps.-Zonaras, Lex. p. 1635 σ s. v. σεισάχθεια; Mülke 2002, 375 f.; Noussia-Fantuzzi 2010, 31 f.: „It is more possible that seisachtheia is a Solonian word, because of the metaphorical quality of both parts of the compound, ἄχθος ‚burden‘/‚toil‘, and σείειν ‚shake off ‘, here ‚get rid of ‘, which could potentially belong to the realm of poetic language“. 213  Plut. Solon 15,2–6. Die Athenaion politeia (12,4) interpretiert die Elegie Solons (fr. 36 West) als Zeugnis „über die Aufhebung aller Schulden“ (περὶ τῆς ἀπ[οκ]οπῆς τῶν χ[ρε]ῶν) und „über die früher Knechtsdienst Leistenden“, „die durch die seisáchtheia befreit wurden“ (καὶ τῶν δουλευόντων μὲν πρότερον, ἐλευθερωθέντων δὲ διὰ τὴν σεισάχθειαν). Der Autor hat zweifelsohne die Entfernung der hóroi als Aufhebung aller Schulden gedeutet, in den hóroi also Schuldsteine gesehen, die – auf die Felder gesetzt – anzeigten, dass dieses Land mit einer Hypothek belastet war. Zur Zuverlässigkeit der Überlieferung der Fragmente solonischer Elegien Meister 2020, 297, zu den unterschiedlichen Deutungen der seisáchtheia Noussia-Fantuzzi 2010, 29–37. Zu Schuldenerlass, Begrenzung der Zinsen und Aufhebung von Schuldsklavereiverhältnissen im Alten Orient siehe Gerhard Ries, Der Erlass von Schulden im Alten Orient als obrigkeitliche Maßnahme zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, in: Kaja Harter-Uibopuu (Hrsg.), Vergeben und Vergessen? Amnestie in der Antike, Wien 2013, 3–15. 214  Gaius inst. 4,75: „Wegen eines Vergehens von Haussöhnen und Sklaven, z. B. wenn sie einen Diebstahl (furtum) begangen oder jemandem etwas Gesetzwidriges (iniuria) zugefügt haben, sind Klagen auf Haftung für Schädigungen (actiones noxales) eingeführt worden, so dass der Vater oder Herr entweder den Schätzwert des Streitgegenstandes bezahlen oder den Gewaltunterworfenen wegen Schädigung ausliefern darf. Es wäre nämlich unbillig, wenn deren Schlechtigkeit den Hausvätern oder Herren mehr schadete, als der Sachwert der betreffenden Person überhaupt ist“ (Übersetzung nach U. Manthe).

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in vorsolonischer Zeit hätte ein Hausvater seine Kinder ‚verkaufen‘ können, bis Solon dies unterbunden habe (F 106). Bei Schädigungen waren also fortan nur noch Sklaven und Tiere agṓgimoi; und auch Sachen, von denen eine Schädigung ausging, konnten noch bis in das 4. Jh. hinein an den Geschädigten übergehen. Der Schutz der in Not Geratenen wurde zusätzlich durch eine gesetzliche Bestimmung gestärkt, die einen nicht rechtmäßigen Zugriff auf Personen oder Sachen unterband; wer unrechtmäßig Zugriff genommen hatte und bei der Abwehr getötet worden war, galt als bußlos getötet.215 Diese Veränderungen im Schuldrecht lassen sich ebenfalls für das römische Recht nachvollziehen. Auch im römischen Recht unterlagen Personen eigenen Rechts (zumindest in der durch Quellen belegten Zeitspanne) nicht dem Noxalanspruch. Noxalklage konnte also nur bei Delikten von Sklaven oder bei Schädigungen durch ein vierfüßiges Tier (quadrupes) eingebracht werden,216 wobei auch bei der actio de pauperie die Wahl zwischen Schadensersatzleistung und Auslieferung des Tieres bestand.217 In den Institutionen Iustinians ist dabei noxa definiert als „der Körper, der geschädigt hat, das heißt der Sklave; noxia das Delikt selbst, zum Beispiel Diebstahl, Sachbeschädigung, Raub, Personenverletzung“.218 Da gewaltunterworfene Personen einer fremden Gewalt unterstanden, konnte der Geschädigte seine Ansprüche nur gegen den Gewalthaber richten, der entweder Buße leisten (noxam sarcire) oder den Verursacher herausgeben

215  Lex apud Demosth. or. 23,60 (F 10b): Καὶ ἐὰν φέροντα ἢ ἄγοντα βίᾳ ἀδίκως εὐθὺς ἀμυνόμενος κτείνῃ, νηποινεὶ τεθνάναι. – „Auch wenn [jemand] einen sofort bei der Abwehr tötet, der mit Gewalt und unrechtmäßig wegträgt (phérein) oder wegführt (ágein), der sei bußlos (nēpoineí) umgekommen“. Dies galt auch dann, wenn der Bedrängte Attika wegen einer nicht vorsätzlichen Tötung verlassen hatte (or. 23,44): Ἐάν τίς τινα τῶν ἀνδροφόνων τῶν ἐξεληλυθότων, ὧν τὰ χρήματα ἐπίτιμα, πέρα ὅρου ἐλαύνῃ ἢ φέρῃ ἢ ἄγῃ, τὰ ἴσα ὀφείλειν ὅσα περ ἂν ἐν τῇ ἡμεδαπῇ δράσῃ. – „Wenn jemand einen der [aus dem Land] herausgegangenen verurteilten Täter, deren Besitz ehrbar (epítimon) [also ihr eigen] bleibt, jenseits der Grenze verfolgt, beraubt (phérein) oder greift (ágein), so soll er dasselbe schulden, als wenn er es im eigenen Land getan hätte“. Die Personen, die ‚abgeführt‘ worden waren (ἄγεσθαι oder ἀπάγεσθαι), wurden von Solon ‚zurückgeführt‘ (fr. 36 West Z. 9: ἀνάγεσθαι; Plut. Solon 15,6). 216  Inst. Iust. 4,8 pr.: „Wegen der Delikte (maleficia) von Sklaven – zum Beispiel wenn sie einen Diebstahl begangen, Sachen geraubt, einen Schaden zugefügt oder eine Personenverletzung begangen haben – sind Noxalklagen geschaffen worden, bei denen dem verurteilten Eigentümer gestattet wird, entweder den Schätzwert des Streitgegenstandes zu leisten oder den Sklaven als den Schädiger auszuliefern (noxae dedere)“; 4,9 pr.: „Hinsichtlich der Lebewesen, die der Vernunft entbehren, hat das Zwölftafelgesetz eine Noxalklage eingeführt, wenn sie durch Mutwillen, Triebhaftigkeit oder Wildheit einen Tierschaden anrichten (werden diese Tiere als Schädiger ausgeliefert [noxae dedantur], führt das für den Beklagten zur Befreiung, weil das Zwölftafelrecht es so vorgeschrieben hat)“. 217  XII tab. 8,6 nach Ulpianus in Dig. 9,1,1, pr.: si quadrupes pauperiem fecisse decitur, actio ex lege duodecim tabularum descendit; quae lex voluit aut dari id, quod nocuit, id est id animal, quod noxiam commisit, aut aestimationem noxiae offerri. – „Wenn ein vierfüßiges Tier Schaden (pauperies) angerichtet hatte, folgt die Klage (actio) nach dem Zwölftafelrecht; dieses Gesetz will, dass entweder das, was die Schädigung verursacht hat, und dies ist das Tier, das die Schädigung begangen hat, übergeben wird oder dass [dem Geschädigten] die Schadenssumme angeboten wird.“ Als pauperies wurden Schäden eingestuft, weil sie weder schuldhaft noch vorsätzlich angerichtet worden waren. 218  Inst. Iust. 4,8,1.

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musste (noxae deditio). Bis in die römische Kaiserzeit hatte der Gewalthaber bei einer Schadensklage (noxalis actio) die Wahl, ob er den Schaden ersetzen oder den Verursacher ausliefern wollte.219 Entschied er sich für die Auslieferung, ging der Sklave in das Eigentum des Geschädigten über; beim Sklaven verhinderte die noxae deditio eine Haftung über den Wert des Sklaven hinaus.220 Ausdrücklich ist gestattet, den Schädiger auszuliefern, „denn es wäre ungerecht, wenn die Schlechtigkeit eines Sklaven dem Eigentümer über den Wert seines Körpers hinaus nachteilig wäre“.221 Mit der Auslieferung ist der Herr des Sklaven von allen weiteren Ansprüchen befreit.222 Hatte der Sklave hingegen auf Anweisung oder Wissen des Gewalthabers gehandelt, haftete dieser unbeschränkt.223 Noxae deditio trat auch ein, wenn der Gewalthaber die Bußleistung aufgrund eines Vergehens (crimen) verweigerte. Voraussetzung der Noxalhaftung war ein beim Prozess bestehendes Gewaltverhältnis.224 Ursprünglich unterlagen auch der Hausgewalt unterstehende Kinder der Noxalhaftung, so dass der pater familias, wenn der filius oder die filia eine Schädigung verursacht hatten, diese in die Hausgewalt des Geschädigten übergeben konnte.225 Allerdings kehrte der Haussohn, nachdem er die Schuld abgearbeitet hatte, in die väterliche Gewalt zurück.226 Nachdem die Übergabe des Haussohnes bereits längere Zeit nicht mehr praktiziert wurde, meinte Kaiser Iustinian, eine solche Härte endgültig unterbinden zu müssen.227 219  Gaius in Dig. 9,4,1. Vgl. Fest. p. 181 Lindsay s. v. noxia. 220  Gaius inst. 4,75 (s. o. Anm. 214). Dazu Benöhr 1980, 274. 221  Inst. Iust. 4,8,2. Vgl. Dig. 9,4,14 pr.; 9,4,14,20. 222  Inst. Iust. 4,8,3. Vgl. Dig. 42,1,6,1 und Inst. Iust. 4,17,1: Der iudex habe den Eigentümer so zu verurteilen: „Ich verurteile Publius Maevius, an Lucius Titius zehn Goldstücke zu zahlen oder den Schädiger auszuliefern (noxam dedere)“. 223  Ulpian in Dig. 9,4,2. In dem der 55. demosthenischen Rede zugrunde liegenden Rechtsstreit hatte Kallikles zunächst Klage gegen Kallaros, einen Sklaven des Grundstücksbesitzers, geführt, was nach Ansicht des Sprechers die feindlichen Machenschaften der Gegner aufzeige, da kein Sklave ohne Anweisung des Herrn eine Mauer um das Grundstück errichten würde (or. 55,31 f.). 224  Gaius inst. 4,77: „Alle Schadensklagen (noxales actiones) aber haften an der Person. Denn wenn dein Sohn oder Sklave jemandem eine Schädigung zugefügt hat, so ist die Klage gegen dich zu richten, solange er in deiner Hausgewalt ist; ist er aber in die Hausgewalt eines anderen übergegangen, so richtet sich von da an die Klage gegen diesen“. 225  Gaius inst. 4,75, vgl. 4,77. Der Haussohn kam durch mancipatio in die Gewalt des Geschädigten (inst. 4,79). 226  Papin. Coll. 2,3,1. 227  Inst. Iust. 4,8,7: „Die alten Juristen haben dies alles zwar auch auf männliche und weibliche Hauskinder angewendet. Aber mit der neuen Lebensweise der Menschen hat sich zutreffend die Auffassung gebildet, daß eine solche Härte entschieden abgelehnt werden muß, und so ist dieses Recht überall völlig außer Gebrauch gekommen. Wer nämlich erträgt es, seinen Sohn oder gar seine Tochter als Schädiger einem anderen auszuliefern? … Es hat sich deshalb die Meinung durchgesetzt, daß Noxalklagen nur für Sklaven vorzusehen sind, zumal da wir bei den alten Interpreten der Gesetze öfters gesagt finden, daß Hauskinder wegen ihrer Delikte selbst verklagt werden können“. Alle Übersetzungen nach Okko Behrends, Rolf Knütel, Berthold Kupisch, Hans Hermann Seiler, Corpus Iuris Civilis. Die Institutionen. Text und Übersetzung, Heidelberg 21999. Zur Noxalhaftung im römischen Recht: Benöhr 1980, 273–287; Max Kaser, Römisches Privatrecht (HdA Abt. 10 Teil 3 Bd. 3), Bd. 1, 162–165, 630–633; Richard Gamauf, Art. Noxa, in: DNP 8, 2000, 1037 f. und ders., Art. Noxalis actio, in: ebd. 1038 f.; Martin Pennitz,

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Solon war mit seinen Reformen und seinen Gesetzen darum bemüht, Abhängigkeiten dieser Art aufzuheben und Personen, die wegen Schädigung eines anderen ihre Freiheit verloren hatten und zu Gewaltunterworfenen geworden waren, wieder zu epítimoi werden zu lassen; seine Reformen waren also primär soziopolitisch, nicht wirtschaftlich ausgerichtet.228 Er erreichte dies durch die Aufhebung aller bestehenden Schuldverpflichtungen (seisáchtheia) (F 105) und durch das grundsätzliche Verbot, in Zukunft Zugriff auf freie Personen zu nehmen, die eine Schädigung verursacht hatten (F 107–108).229 Mit dem Verbot, Schulden aufzunehmen, für die man mit dem eigenen Körper haftete, beendete Solon Schuldknechtschaft und Schuldsklaverei.230 Begrenzung des Zinssatzes bei Naturaldarlehen Hinzu kommt, dass Solon bei Nahrungsmitteln und Saatgut die Zinsen auf ein bestimmtes Maß begrenzte, wahrscheinlich auf einen triteús pro médimnos, also auf weniger als ein Prozent (pro Monat?). Bei Darlehen in Geld (argýrion) konnte der

Art. Noxalhaftung, in: Heinz Heinen (Hrsg.), Handwörterbuch der antiken Sklaverei, Stuttgart 2017, 2074–2079. 228  Noussia-Fantuzzi 2010, 40 f.; Wagner-Hasel 2018, 305. Auch nach Meister 2020, 310 zielten Solons Bemühungen beim Verbot der Schuldknechtschaft auf die Statuswahrung der freien Athener. Zu geringe Beachtung schenkt John Lewis der seisáchtheia und dem Verbot der Übertragung einer freien Person durch Gesetz (Lewis 2004). Dass diese Aspekte in Solons Elegien fehlen, ist der literarischen Gattung zuzuschreiben. Sicherlich appellierte Solon an die Athener, hýbris zu unterlassen und das Recht zu wahren, aber damit allein konnte er die Krise nicht lösen. 229  So konnte Demosthenes in der Rede Gegen Androtion (or. 22,55) den Unterschied hervorheben, dass nur Sklaven mit ihrer Person (sṓma) für alle Vergehen (adikḗmata hápanta) hafteten, wohingegen Freie, auch wenn ihnen größtes Unglück widerfahre, unverletzlich seien, denn bei ihnen habe man sich an das Vermögen zu halten. 230  So zu Recht auch Leonhard Schumacher, Sklaverei in der Antike. Alltag und Schicksal der Unfreien, München 2001, 26–28. Edward Harris, Did Solon Abolish Debt-Bondage?, in: CQ 52, 2002, 415–430, hat hingegen die Meinung vertreten, Solon habe allein die Schuldsklaverei (‚enslavement for debt‘) abgeschafft, nicht aber die Schuldknechtschaft (‚debt-bondage‘), für die es in der Neuen Komödie Belege gäbe (z. B. Men. Heros 28–39); auch die Theten könnte man in späterer Zeit noch als Schuldknechte auffassen (vgl. L’Homme-Wéry 2005, 184; Valdés 2021, 16–20). Siehe dagegen die Kritik von Blok/Krul 2017, 615–619 und Julien Zurbach, Entre libres et esclaves dans l’Athènes classique, in: Catherine Apicella, Marie-Laurence Haack, François Lerouxel (Hrsg.), Les affaires de Monsieur Andreau. Économie et société du monde romain, Paris 2014, 273–285, der zu Recht darauf hinweist, dass die Theten gegen Lohn arbeiteten. Peter Hunt kritisiert zu Recht die von Orlando Patterson geäußerte Meinung, in vorsolonischer Zeit seien die Theten Sklaven gewesen (2017, 59–61, 75). Auch nach Meinung von Welwei 1992, 161–163 war mit dem Verbot des Zugriffs auf die Person des Schuldners und seine Familie die Institution der Schuldsklaverei und der Schuldknechtschaft beseitigt. Wenn Solon die Übergabe an den Gläubiger unterband, der Schädiger nicht mehr agṓgimos war, dann hob er damit zwangsläufig sowohl die Schuldknechtschaft als auch die Schuldsklaverei auf. Men. Heros 28–39 ist kein Gegenbeleg: Zwei Kinder arbeiteten ein vom Vater aufgenommenes Darlehen in Höhe zweier Minen beim Darlehensgeber ab, haben dies aber offenbar von sich aus angeboten; sie waren nicht dem Gläubiger aufgrund einer Noxalhaftung übergeben worden.

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Zinssatz hingegen frei vereinbart werden (F 109a–c). Die Kenntnis von einem Gesetz, mit dem Solon die Zinsen auf Darlehen in Form landwirtschaftlicher Produkte auf eine bestimmte Höhe beschränkte, wird der Anlass für die bereits in antiken Quellen geäußerte Hypothese gewesen sein, dass Solon die wirtschaftliche Krise nicht durch eine Aufhebung der Schulden gelöst habe, sondern durch eine „Ermäßigung der Zinsen“ (tókōn metriótēs), die eine spürbare Erleichterung gebracht habe, zumal sie mit einer Heraufsetzung der Maße und des Geldwerts verbunden gewesen sei; dies sei als seisáchtheia bezeichnet worden. In diesem Sinne äußerte sich Androtion (F 109b), immerhin die früheste Quelle zu dieser Frage, und Plutarch nahm diese Diskussion auf, begegnete dieser Angabe aber mit Skepsis.231 Die Skepsis ist angebracht; denn die Elegie fr. 36 West F 8–15 ist ein sicherer Beleg dafür, dass Solon die Noxalhaftung bei freien Athenern unterband, was nur durch Aufhebung der Schuldverpflichtungen, nicht durch Senkung der Zinsen möglich war. Unabhängig davon aber ist F 109c ein Beleg dafür, dass Solon auch durch eine Begrenzung der Zinsen bei Darlehen in Naturalien darum bemüht war, die Bauern nicht erneut in Existenznot zu bringen. Die wirtschaftliche und soziale Krise um 600 v. Chr. und die Reformen Solons Aufbauend auf den vorangegangenen Analysen ist daher die wirtschaftliche und soziale Krise in der Zeit um 600 v. Chr. neu zu bewerten. Es waren nicht die hektḗmoroi, die in eine langfristige Abhängigkeit geraten waren; Angehörige der unterbäuerlichen Schicht verrichteten als pelátai Erntearbeiten oder längerfristig Gesindedienst und konnten damit ihre prekären Lebenssituation absichern. Aus der Aufhebung aller bestehenden Schuldverpflichtungen, der seisáchtheia, jedoch kann zurückgeschlossen werden, dass in der Zeit, in der Solon seine Reform durchsetzte, „viele“ aufgrund nicht zurückgezahlter Schulden oder anderer Schädigungen in eine sklavenartige Abhängigkeit geraten oder in die Sklaverei verkauft worden waren.232 Die seisáchtheia war ein Eingriff in bestehende Abhängigkeitsverhältnisse, den Solon nicht ohne Grund vorgenommen haben wird. Welche Bedeutung diese Maßnahme hatte, zeigt der Umstand, dass durch Stiftung eines religiösen Fests, dem der Seisáchtheia, an die Aufhebung aller

231  Androtion FgrH 324 F 34 (= Plut. Solon 15,3). Auch nach Meinung von Zurbach 2013, 969 liege bei Androtion eine unzutreffende Angabe vor. Aineias Taktikos gibt den Rat, zur Vermeidung eines inneren Krieges und zur Herstellung einer homónoia die Zinsen zu beschränken oder ganz entfallen zu lassen und, wenn die Gefahr groß sei, einen Teil der Schulden selbst oder sie in ihrer Gesamtheit aufzuheben (Ain. Takt. 14,1; dazu Aloys Winterling, Polisbegriff und Stasistheorie des Aeneas Tacticus. Zur Frage der Grenzen der griechischen Polisgesellschaften im 4. Jahrhundert v. Chr., in: Historia 40, 1991, 193–229, hier 208 f., 219 f.). 232  Dies führte vermutlich den Autor der aristotelischen Athenaion politeia zu der Aussage, dass zu jener Zeit das Volk („die vielen“) von den Reichen („den wenigen“) geknechtet gewesen sei (Ath. pol. 5,1: καὶ τῶν πολλῶν δουλευόντων τοῖς ὀλίγοις, ἀντέστη τοῖς γνωρίμοις ὁ δῆμος).

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Schuldverpflichtungen erinnert wurde.233 Mit dem Verbot, künftig eine freie Person abzuführen, die für eine Schädigung verantwortlich war, und mit der Begrenzung der Zinsen gelangte Solon zu einer langfristigen Lösung, und es verwundert nicht, dass für die folgende Zeit Nachrichten über weitere schwere wirtschaftliche und soziale Probleme dieser Art fehlen.234 Der politische, wirtschaftliche und soziale Hintergrund um 600 v. Chr. wird durch einige der Elegien Solons näher beleuchtet. In ihnen prangert Solon die Raffgier der Reichen an, die sich nicht zu zügeln wüssten und sich heiligen und gemeinschaftseigenen Besitz aneigneten.235 Auf der anderen Seite wiegelten Führer des Volkes, denen es an Weitsicht fehle, die Menge auf, so dass der Stadt Zwietracht (stásis), ja sogar innerer Krieg (émphylos pólemos), Tyrannis und damit eine in politischem Sinne verstandene Knechtung (doulosýnē) drohe.236 Solon rechtfertigt seine Maßnahmen damit, dass er viele wieder zu Freien (eleútheroi) gemacht habe, die innerhalb Attikas in schmachvolle Abhängigkeit (doulíē aeikḗs) geraten waren und ihre Herren (despótai) gefürchtet hatten.237 Da er dafür bestehendes Recht brechen musste, war er gezwungen, die Macht, die ihm als Aisymnet verliehen worden war, auszuüben und „Gewalt und Recht zu

233  Plutarch (Solon 16,5) berichtet, dass die Athener nach Beilegung des Streits ein gemeinsames Opferfest gefeiert hätten, das sie ‚Lastenabschüttelungsfest‘ nannten (ἔθυσάν τε κοινῇ, Σεισάχθεια τὴν θυσίαν ὀνομάσαντες). Daraufhin sei Solon zum Aussöhner (τῆς πολιτείας διορθωτής) und Gesetzgeber (νομοθέτης) gewählt worden. 234  Demgegenüber war die frühere Forschung von einer tiefgreifenden Agrarkrise ausgegangen, die auf verschiedene Ursachen, einen Bevölkerungsanstieg, eine Veränderung in den Beziehungen zwischen Ober- und Unterschicht, Missernten und die Parzellierung der Böden durch die Realteilung, zurückgeführt wurde: Rhodes 1981, 89–97, 125–127; Gallant 1982 (wie Anm. 176); Joseph A. Almeida, Justice as an Aspect of the Polis Idea in Solon’s Political Poems, Leiden 2003, 26–57; Welwei 2005, 29–43; vgl. Ruschenbusch 2010, 131. Ein starker Anstieg der Bevölkerung und Landmangel als Ursachen sind aufgrund von archäologischen Surveys auszuschließen (Harris 2002, 427; Welwei 2005, 41–43; John Bintliff, Solon’s Reforms: An Archaeological Perspective, in: Blok/Lardinois 2006, 321–333; Zurbach 2013, 970; Blok/Krul 2017, 613; Wagner-Hasel 2018, 295). Als Ursache für eine zunehmende Abhängigkeit armer Bevölkerungsgruppen wird auch der Übergang von einer Extensivierung zu einer Intensivierung der Landwirtschaft angeführt, der zu einem deutlichen höheren Arbeitskräftebedarf geführt habe. Einen guten Überblick über die daraus entstandenen Folgen bietet Forsdyke 2006 (wie Anm. 183), 340–346. 235  Solon fr. 4 West (3 Gentili-Prato) Z. 12 f.: οὔθ’ ἱερῶν κτεάνων οὔτε τι δημοσίων φειδόμενοι κλέπτουσιν ἀφαρπαγῆι ἄλλοθεν ἄλλος. Zu Solons Elegien Mülke 2002; Irwin 2005, 83–198; Lewis 2006; André P. M. H. Lardinois, Have we Solon’s Verses?, in: Blok/Lardinois 2006, 15–35; Fabienne Blaise, Poetics and Politics: Tradition Re-worked in Solon’s ‚Eunomia‘ (Poem 4), in: ebd. 114–134; zu fr. 4 West Meister 2020, 299–303. 236  Solon fr. 4 West Z. 18 f.: ἐς δὲ κακὴν ταχέως ἤλυθε δουλοσύνην, ἣ στάσιν ἔμφυλον πόλεμόν θ’ εὕδοντ’ ἐπεγείρει. – „… und schnell gerät sie [die Stadt] in schlimme Knechtschaft, die Aufruhr und inneren Krieg, den schlafenden, aufweckt“. Zur drohenden Tyrannis und einer ‚Versklavung‘ der Stadt Solon fr. 9 West (12 Gentili-Prato); fr. 11 West (15 Gentili-Prato) Z. 4: κακὴ δουλοσύνη; vgl. auch fr. 5 West (7 Gentili-Prato). Dazu Welwei 1992, 152; Mülke 2002, 131 f., 223 f.; Irwin 2005, 96–100; Lewis 2006, 108–130. 237  Solon fr. 36 West (30 Gentili-Prato) Z. 13–15 (F 103a). Wenn Solon in fr. 36 West Z. 18–20 seine thesmoí rühmt, die gleichermaßen für Reiche und Arme gelten, könnte er also speziell an das Verbot der Übertragung des Schuldners an den Gläubiger und die Beschränkung des Zinssatzes gedacht haben (θεσμοὺς δ’ ὁμοίως τῶι κακῶι τε κἀγαθῶι εὐθεῖαν εἰς ἕκαστον ἁρμόσας δίκην ἔγραψα).

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vereinen“ und neues Recht – gerade im Bereich des Schuldrechts – zu setzen.238 Solon bezieht sich damit ausdrücklich auf diejenigen Athener, die von den Geschädigten weggeführt worden waren und als Gewaltunterworfene arbeiteten mussten. Weil der Geschädigte aber auch nach bisherigem Schuldrecht die Möglichkeit hatte, den Weggeführten zu verkaufen, beklagte Solon, dass von den „Armen“ viele (polloí) in ein ihnen völlig fremdes Land gelangt seien, „verkauft und in schmachvollen Fesseln gebunden“.239 Er habe viele Athener nach Athen zurückgeführt, die – sei es gemäß dem geltenden Schuldrecht, sei es rechtswidrig – verkauft worden waren.240 Darüber hinaus habe er „das geknechtete“ (douleúousa) zu „freiem Land“ (gḗ eleuthéra) gemacht, indem er die vielfach darin eingerammten hóroi herausgerissen habe. Dafür seien ihm die olympischen Götter und Gaía mélaina, die schwarze (Mutter) Erde, Zeugen. Es lässt sich nicht mehr zweifelsfrei klären, worauf sich Solon dabei bezieht: Hatten die Darlehensgeber hóroi, Schuldsteine, in die Felder ihrer Schuldner eingerammt, um kenntlich zu machen, dass der Boden Pfand für eine noch nicht zurückgezahlte Schuld war und nicht ein zweites Mal als Pfand eingesetzt werden konnte?241 Da aber solche Schuldsteine erst für deutlich spätere Zeit belegt sind, werden die bei Solon genannten hóroi Grenzsteine gewesen sein.242 Es könnte sich um Grenzsteine gehandelt haben, die auf öffentliches oder heiliges Land gesetzt worden waren, als sich reiche Athener diese Areale aneigneten, oder Grenzsteine, die das Gebiet abgegrenzt hatten, das die Megarer besetzt hielten und das Solon in seinen Feldzügen den Megarern wieder genommen hatte.243 Auch in diesem Sinne konnte Solon 238  Solon fr. 36 West Z. 15–21: βίην τε καὶ δίκην ξυναρμόσας (Z. 16); Plut. Solon 14,3. 239  Solon fr. 4 West Z. 23–25: τῶν δὲ πενιχρῶν ἱκνέον ται πολλοὶ γαῖαν ἐς ἀλλοδαπὴν πραθέντες δεσμοῖσί τ’ ἀεικελίοισι δεθέντες. 240  Solon fr. 36 West (30 Gentili-Prato) Z. 8–10; vgl. Plut. Solon 15,6. Wenn Athener „rechtmäßig“ oder „rechtswidrig“ verkauft worden waren, könnte dies auf eine strittige Verfahrensfrage gerichtet sein. Martin Pennitz geht davon aus, dass in der Zeit vor dem Zwölftafelrecht der Geschädigte in Rom unmittelbar auf den Schädiger Haftungszugriff nehmen konnte, wohingegen das Zwölftafelrecht (in tab. XII 12,2) in Abkehr von der Selbsthilfe ein Verfahren forderte, um eine behördliche Prüfung sicherzustellen (2017 [wie Anm. 227], 2075). Diederich Behrend geht davon aus, dass auch nach griechischer Rechtsvorstellung der Sklave, der die Schädigung verursacht hatte, der noxae deditio direkt verfallen war, so dass die Übertragung des Eigentums nicht gerichtlich eingeklagt werden musste, sondern es um die Ausübung des dem Begünstigten zustehenden Rechts ging (in Meyer-Laurin 1979, 280). 241  Solon fr. 36 West (30 Gentili-Prato) Z. 5–7; Mülke 2002, 374. Plutarch hat die Verse so verstanden, dass „aus der verpfändeten Erde“ (τῆς ὑποκειμένης γῆς) die hóroi herausgezogen worden seien (Solon 15,6). Welwei 2005, 29–43, hier 35 f. hatte die Meinung vertreten, bei den hóroi könnte es sich um ‚Markierungssteine‘ handeln, die ein durch Abgaben belastetes Land kennzeichneten; mit der Entfernung dieser Steine hätte Solon seiner Ansicht nach die Abgabenpflicht der hektḗmoroi aufgehoben. 242  Es ist dies der häufig genannte Haupteinwand gegen die Deutung der hóroi als Schuldsteine, dass solche erst aus dem 4. Jh. bekannt sind. So auch Weerdenburg 1993, 21 f., Mülke 2002, 376–379 und Noussia-Fantuzzi 2010, 468, die sich ebenfalls für Grenzsteine ausspricht, die Reiche unrechtmäßig auf öffentlichem oder heiligem Land aufgestellt hätten (ebenso 39 mit Hinweis auf weitere Literatur). 243  Plut. Thes. 10; nach Thes. 25,4 habe Theseus das Gebiet von Megara fest an Attika gebunden und auf dem Isthmos eine Stele aufgestellt, auf der, in Trimetern verfasst, Inschriften die Landesgrenzen zwischen der Peloponnes und Ionien kennzeichneten.

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von einer „Befreiung des Landes“ gesprochen haben.244 Schließlich ist von Edward Harris ein metaphorischer Gebrauch des Begriffs zur Diskussion gestellt worden, und Josiah Ober hat vorgeschlagen, die Entfernung von hóroi mit einer Einung der Athener in Verbindung zu bringen: Zerfiel vorher Attika in mehrere geographische Räume, die durch landmarks, Höhenzüge oder Grenzsteine abgetrennt waren, habe Solon sich dafür eingesetzt, solche Spaltungen zu überwinden und Attika als Einheit zu betrachten.245 Mit der Aufhebung aller Schuldverpflichtungen und dem Verbot, eine freie Person zu ergreifen, auch wenn sie eine Schädigung verursacht hatte, hat Solon den aus Attika Geflohenen und den in die Sklaverei Verkauften die Rückkehr ermöglicht, ohne dass sie das Risiko eingingen, erneut als Schuldner ergriffen zu werden; diejenigen, die in Attika auf den Feldern der Reichen arbeiten mussten und keine Personen eigenen Rechts mehr waren, hat Solon aus der sklavenartiger Abhängigkeit befreit. Dadurch konnten all diese an der politischen und sozialen Ordnung wie zuvor partizipieren, wurden wieder zu epítimoi (F 106). Durch das generelle gesetzliche Verbot, einen Schuldner zur Arbeit auf den Feldern wegzuführen oder ihn zu verkaufen, sicherte Solon vielen Athenern die Freiheit und schuf damit eine unabdingbare Voraussetzung für die spätere Entstehung der Demokratie.246

244  Louise-Marie L’Homme-Wéry hat sich, aufbauend auf einer These von Henri van Effenterre (Solon et la terre d’Éleusis, in: RIDA 24, 1977, 91–130, hier 103), dafür ausgesprochen, dass in fr. 36 West Z. 1–7 ein Grenzgebiet zu Megara gemeint war, das Solon für Athen zurückgewonnen hatte; die von Megara gesetzten Grenzsteine wären aus dem Boden gerissen worden (La perspective éleusinienne dans la politique de Solon, Liège 1996; dies., Eleusis and Solon’s Seisachtheia, in: GRBS 40, 1999, 109–133; dies., La législation de Solon: une solution à la crise agraire d’Athènes?, in: Pallas 64, 2004, 145–155 und dies. 2005, 183–185; wiederaufgegriffen wurde diese These von Wagner-Hasel 2018, 298 f.; ablehnend dazu stehen Mülke 2002, 378 f. und Lewis 2004, 34). Forschungsüberblicke zu dieser Kontroverse bei Mülke 2002, 376–379; Josiah Ober, Solon and the horoi: Facts on the Ground in Archaic Athens, in: Blok/Lardinois 2006, 441–456; Noussia-Fantuzzi 2010, 37–41, 455. 245 Edward M. Harris, A New Solution to the Riddle of the Seisachtheia, in: Lynette P. Mitchell, P. J. Rhodes (Hrsg.), The Development of the Polis in Archaic Greece, London – New York 1997, 103–112; Ober 2006 (wie Anm. 244) (auch mit kritischer Stellungnahme zur These von Harris). Siehe dazu auch die Bedenken von Meister 2020, 308. 246  Kurt Raaflaub, Die Entdeckung der Freiheit. Zur historischen Semantik und Gesellschaftsgeschichte eines politischen Grundbegriffs der Griechen, München 1985, 54–65, hier 62–65; Michael Stahl, Solon F 3D. Die Geburtsstunde des demokratischen Gedankens, in: Gymnasium 99, 1992, 385–408. Moses I. Finley und andere sind davon ausgegangen, dass die Abschaffung der Schuldsklaverei und der Schuldknechtschaft zu einem deutlichen Anstieg der Kaufsklaven geführt hätte (Moses I. Finley, Economy and Society in Ancient Greece, London 1981, 166; Marie-Madelaine Mactoux, Lois de Solon sur les esclaves et formation d’une société esclavagiste, in: Toru Yuge, Masaoki Doi [Hrsg.], Forms of Control and Subordination in Antiquity, Leiden 1988, 331–354, hier 331; Paul Cartledge, The Political Economy of Greek Slavery, in: ders., Edward Cohen, Lin Foxhall [Hrsg.], Money, Labour and Land, London – New York 2002, 156–166, hier 163).

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Verfahren vor den Thesmotheten

Literatur Hinrich Mummenthey, Zur Geschichte des Begriffs βλάβη im attischen Recht, Diss. Freiburg 1971; Harald Meyer-Laurin, Die Haftung für den noxa non solutus beim Sklavenkauf nach griechischem Recht, in: Symposion 1974. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Gargnano am Gardasee, 5.–8. Juni 1974), hrsg. von Arnaldo Biscardi, Panayotis Dimakis, Köln – Wien 1979, 263–282; Hans-Peter Benöhr, Zur Haftung für Sklavendelikte, in: ZRG Rom. Abt. 97, 1980, 273–287; Welwei 1992, 150–163; Heleen Sancisi-Weerdenburg, Solon’s hektēmoroi and Pisistratid dekatēmoroi, in: dies., R. J. van der Spek, H. C. Teitler, H. T. Wallinga (Hrsg.), De agricultura: In memoriam Pieter Willem de Neeve (1945–1990), Amsterdam 1993, 13–30; Christoph Mülke, Solons politische Elegien und Iamben (Fr. 1–13; 32–7 West). Einleitung, Text, Übersetzung, Kommentar, Leipzig 2002, 361–397; Edward M. Harris, Did Solon Abolish Debt-Bondage?, in: CQ 52, 2002, 415–430 (wiederabgedruckt in Harris 2006, 249–269); John Lewis, Slavery and Lawlessness in Solonian Athens, in: Dike 7, 2004, 19–40; Louise-Marie L’Homme-Wéry, Le rôle de la loi dans la pensée politique de Solon, in: Pierre Sineux (Hrsg.), Le législateur et la loi dans L’Antiquité. Hommage à Françoise Ruzé, Caen 2005, 169–185; Elizabeth Irwin, Solon and Early Greek Poetry. The Politics of Exhortation, Cambridge 2005, 83–198; Karl-Wilhelm Welwei, Ursachen und Ausmaß der Verschuldung attischer Bauern um 600 v. Chr. In: Hermes 133, 2005, 29–43; Josine H. Blok, André P. M. H. Lardinois (Hrsg.), Solon of Athens. New Historical and Philological Approaches, Leiden – Boston 2006 (insbesondere die Beiträge von Hans-Joachim Gehrke, John Bintliff, Sara Forsdyke und Josiah Ober); John Lewis, Solon the Thinker. Political Thought in Archaic Athens, London 2006; Maria Noussia-Fantuzzi, Solon the Athenian, the Poetic Fragments, Leiden – Boston 2010; Phillips 2013, 286–331; Julien Zurbach, La formation des cités grecques: Statuts, classes et systèmes fonciers, in: Annales (HSS) 68, 2013, 957–998; Winfried Schmitz, Art. Solon, in: Heinz Heinen (Hrsg.), Handwörterbuch der antiken Sklaverei, Stuttgart 2017, 2861–2865; Peter Hunt, Slaves or Serfs? Patterson on the Thetes and Helots of Ancient Greece, in: John Bodel, Walter Scheidel (Hrsg.), On Human Bondage: After Slavery and Social Death, Oxford 2017, 55–80; Josine Blok, Julia Krul, The Near Eastern Background to Solon’s Seisachtheia, in: Hesperia 86, 2017, 607–643; Beate Wagner-Hasel, Hektemoroi. Kontraktbauern, Schuldknechte oder abgabenpflichtige Bauern?, in: Kai Ruffing, Kerstin Droß-Krüpe (Hrsg.), Emas non quod opus est, sed quod necesse est. Beiträge zur Wirtschafts-, Sozial-, Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte der Antike. Festschrift für Hans-Joachim Drexhage zum 70. Geburtstag, Wiesbaden 2018, 295–308; Miriam Valdés Guía, The Social and Cultural Background of Hoplite Development in Archaic Athens: Peasants, Debts, zeugitai and Hoplethes, in: Historia 68, 2019, 388–412; Jan B. Meister, ‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und frühklassischen Griechenland, Stuttgart 2020, 295–310; Miriam Valdés Guía, Atimoi and agogimoi. Reflections on Debt Slavery in Archaic Athens, in: Dike 24, 2021, 5–32.

Schuldverpflichtungen und Zins (F 102–109)

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Schuldverpflichtungen und Zins (F 102–109) F 102 epímortos gḗ – das für einen Ernteanteil bewirtschaftete Land (F 102: T 296 Martina; F 67 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 102: Pollux, Onomastikon 7,151–152 (2. Jh. n. Chr.) ἐπίμορτος δὲ γῆ παρὰ Σόλωνι ἡ ἐπὶ μέρει γεωργουμένη, καὶ μόρτη τὸ μέρος τὸ ἀπὸ τῶν γεωργῶν· (152) τὸ δ’ ἐπὶ τετάρτῳ μέρει νέμεσθαι τετραχίζειν. App. crit.: ἐπίμορτος: ἐπιμοργός Il.; μόρτη: μοργή Il.

Epímortos [heißt] bei Solon das Land, das gegen Abgabe eines Teils (epí mérei) [der Ernte] bestellt wird, und mórtē der Anteil (méros) von denen, die es bebauen (geōrgoí). (152) Für den vierten Teil zu bewirtschaften [heißt] tetrachízein. vgl. Hesychios, Lexicon (5. Jh. n. Chr.) ε 4985 s. v. ἐπίμορτος· σπόριμος γῆ. ἢ ἐπιμεριστή. λέγεται οὕτω καὶ ὁ ‹ἐπὶ› μέρει ἐργαζόμενος. Μορτὴ γὰρ τὸ μέρος ἐκαλεῖτο καὶ ἑκτήμοροι οἱ τὸ ἕκτον τελοῦντες. – „Epí­ mortos: Saatland oder auf Anteil bebautes Land (epimeristḗ [gḗ]). Auch der für einen Anteil (epí mérei) [das Land] Bewirtschaftende heißt so. Mortḗ hieß nämlich der Anteil (méros), und hektḗmoroi waren die, die den sechsten Teil erzielten [oder: entrichteten]“. Eustathios, Commentarii ad Homeri Odysseam (12. Jh.) 19,28 (II p. 189): ἐθνικὴ δὲ λέξις καὶ ἡ μόρτη, τὸ ἕκτον, φασὶ, μέρος τῶν καρπῶν, ἣ ἐδίδοτο τοῖς ἑκτημορίοις, ὡς ἐν ἀνωνύμῳ κεῖται λεξικῷ ῥητορικῷ. – „Auch mórtē ist ein volkstümlicher Begriff: Der sechste [Teil], sagt er, [ist] der Anteil der Früchte, der den hektēmórioi gegeben wurde, wie in einem anonymen rhetorischen Lexikon dargelegt ist“. Anonymus Lexicographus, Fragmenta quattuor apud Eustathium 3: μορτή· τὸ ἕκτον μέρος τῶν καρπῶν, ἣ ἐδίδοτο τοῖς ‹πλουσίοις ὑπὸ τῶν› ἑκτημορίων. – „mortḗ: der sechste Teil der Früchte, der den ‹Reichen von den› hektēmórioi gegeben wurde“.

Die Forschung geht in der Regel davon aus, dass die Abhängigkeit der hektḗmoroi, „der auf ein Sechstel“ verpflichteten Bauern, mit der Aufhebung aller Schulden, der seisáchtheia, beendet worden sei.247 Es wird sich aber bei den hektḗmoroi um Personen gehandelt haben, die sich während der Erntezeit zu reicheren Landbesitzern begaben, um gegen ein Sechstel der geernteten Früchte die Ernte einzubringen. Der Text in dem anonymen Lexikon, auf das sich Eustathios beruft, sollte also in der überlieferrten Form beibehalten werden und das ἐδίδοτο τοῖς ἑκτημορίοις nicht durch Konjektur zu einer Abgabepflicht der hektēmórioi umgedeutet werden.

247  Leão/Rhodes 2015, 112: „It is likely that Pollux’ epimortos ge was the land which these men [die hektḗmoroi] farmed. … The land will have belonged to these men, and will have been passed to their heirs, as long as they made their payments, but if they were unable to make their payments the overlord might take over their land and enslave them. … What Ath. pol. and Plutarch see as a cancellation of debts will have been primarily the abolition of the obligations of the hektemoroi, who thereby became the unencumbered owners of their land. To prevent the continuation or revival of this system, Solon may well have enacted a law which mentioned epimortos ge and the morte“.

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Verfahren vor den Thesmotheten

F 103 Zugriffsrecht auf den säumigen Schuldner oder die Person, die eine Schädigung verursacht hatte (F 103b: T 260 Martina; F 103c: F 31b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 103d: T 332 Martina, F 75 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 103a: Solon, Elegien fr. 36 West, 30 Gentili/Prato Z. 8–15 (um 600 v. Chr.) (Aristot. Ath. pol. 12,4; Aelius Aristides, or. 28,138 p. 185,5–186,21 Keil; Plut. Solon 15,5–6)

πολλοὺς δ’ Ἀθήνας πατρίδ’ ἐς θεόκτιτον, ἀνήγαγον πραθέντας, ἄλλον ἐκδίκως, ἄλλον δικαίως, τοὺς δ’ ἀναγκαίης ὑπὸ χρειοῦς φυγόντας, γλῶσσαν οὐκέτ’ Ἀττικὴν ἱέντας, ὡς δὴ πολλαχῆι πλανωμένους· τοὺς δ’ ἐνθάδ’ αὐτοῦ δουλίην ἀεικέα ἔχοντας, ἤθη δεσποτέων τρομεομένους, ἐλευθέρους ἔθηκα. App. crit.: ἀπήγαγεν: ἀπῆγεν Plut.; χρειουςφυγοντας Aristot. pap. Lond., χρεωνφυγοντα Aristot. pap. Berol., χρησμὸν λέγοντας Aelius Arist.; δουλίην Aristot., δουλείην Plut. cod. S, δουλείης Aelius Arist.; τρομεομένους West, τρομευμένους codd.

Und viele hab’ ich nach Athen, ins Land der Väter, gottgeschenkt, zurückgeführt, die man verkauft (prathéntes), den einen wider’s Recht (ekdíkōs), den andern rechtens (dikaíōs), ferner die, die – gezwungen aus der Not – geflüchtet sind (phygóntes)248, gar nicht Attisch mehr beherrschten, weil sie vielerorts weit weg umhergeirrt. Und die, die hier am Ort schmachvolle Sklaverei (doulíē) ertrugen, zitternd vor den Launen ihrer Herren (despótai), die hab’ ich frei (eleútheroi) gemacht!249 vgl. Solon fr. 4 West Z. 23–25: ταῦτα μὲν ἐν δήμωι στρέφεται κακά· τῶν δὲ πενιχρῶν ἱκνέον ται πολλοὶ γαῖαν ἐς ἀλλοδαπὴν πραθέντες δεσμοῖσί τ’ ἀεικελίοισι δεθέντες. Das sind Missstände hier bei uns im Volk. Doch von den Armen (penichroi) gelangen viele in ein Land, das ihnen völlig fremd, für Geld verkauft (prathéntes), in Fesseln voller Schmach gebunden.

248  J. Latacz übersetzt „unterm harten Zwang der Schuldenlast geflüchtet“, wobei er die Lesung ἀναγκαίης ὑπὸ χρεῶν zugrunde legt. Vorzuziehen ist aber die Lesung ἀναγκαίης ὑπὸ χρειοῦς mit der Übersetzung „gezwungen aus der Not“ (s. o. Anm. 193). Diese Not konnte, musste aber nicht durch Schulden verursacht worden sein. Nach Mülke 2002, 381 müsse ekdíkōs im Sinne von „außerhalb der díkē“, nicht „ohne die díkē“ (dies wäre ádikos) verstanden werden. 249  Übersetzung nach J. Latacz. Siehe dazu auch William Allan, Solon the Peacemaker, in: E. P. Moloney, Michael Stuart Williams (Hrsg.), Peace and Reconciliation in the Classical World, London – New York 2017, 15–26.

Schuldverpflichtungen und Zins (F 102–109)

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F 103b: Aristoteles, Athenaion politeia 2,2 (320er Jahre) … καὶ δὴ καὶ ἐδούλευον οἱ πένητες τοῖς πλουσίοις καὶ αὐτοὶ καὶ τὰ τέκνα καὶ αἱ γυναῖκες· καὶ ἐκαλοῦντο πελάται καὶ ἑκτήμοροι· κατὰ ταύτην γὰρ τὴν μίσθωσιν [ἠ]ργάζοντο τῶν πλουσίων τοὺς ἀγρούς (ἡ δὲ πᾶσα γῆ δι’ ὀλίγων ἦν), καὶ εἰ μὴ τὰς μισθώσεις ἀποδιδοῖεν, ἀγώγιμοι καὶ αὐτοὶ καὶ οἱ παῖδες ἐγίγνοντο· καὶ οἱ δανεισμοὶ πᾶσιν ἐπὶ τοῖς σώμασιν ἦσαν μέχρι Σόλωνος. … und insbesondere leisteten die Armen den Reichen in Abhängigkeit Dienste (douleúein), sie selbst, ihre Kinder und Frauen. Sie hießen pelátai und Sechstler (hektḗmoroi); denn für diese Pacht (místhōsis) bewirtschafteten sie (ergázesthai) die Felder der Reichen (das gesamte Land war in den Händen weniger); und wenn sie ihre Pachtsummen (misthṓseis) nicht abführten, konnten sie selbst und ihre Kinder abgeführt werden (waren agṓgimoi). Die Darlehen (daneismoí) waren bis zu Solons Zeit auf den Körper (sṓmata) aller gegeben. Vgl. Pollux 4,165: ἑκτημόριοι δὲ οἱ πελάται παρὰ τοῖς Ἀττικοῖς – „hektēmórioi aber [hießen] bei den Athenern die pelátai“ und Pollux 3,82: πελάται δὲ καὶ θῆτες ἐλευθέρων ἐστὶν ὀνόματα διὰ πενίαν ἐπ’ ἀργυρίῳ δουλευόντων. – „pelátai und thḗtes sind Bezeichnungen von Freien, die aus Armut für (Silber-)Geld in Abhängigkeit Dienste leisten (douleúontes)“ (= Aristot. fr. 389 Rose). Photios, Lexicon (9. Jh. n. Chr.) π 545 s. v. πελάται· οἱ μισθῷ δουλεύοντες· ἐπεὶ τὸ πέλας ἐγγύς· οἷον ἔγγιστα διὰ πενίαν προσιόντες. Ἀριστοτέλης. – „pelátai: die um Lohn (misthós) abhängige Dienste leisten (douleúontes); weil der Nahebei[wohnende] pélas [heißt]; weil sie aus Armut aus der unmittelbaren Umgebung [als Arbeitskräfte] herankommen. Aristoteles [verwendet das Wort in Ath. pol. 2,2]. Photios, Lexicon π 546 s. v. πελάτης· ὁ ἀντὶ τροφῶν {καὶ} ὑπηρετῶν καὶ προσπελάζων. – „pelátēs: der gegen Unterhalt (trophaí) Dienst Leistende (hypēretṓn) und der [zu einem Bauern] nahebei geht“.

F 103c: Plutarch, Solon 13,4–6 (um 100 n. Chr.) (4) … ἢ γὰρ ἐγεώργουν ἐκείνοις ἕκτα τῶν γινομένων τελοῦντες, ἑκτημόριοι προσαγορευόμενοι καὶ θῆτες, ἢ χρέα λαμβάνοντες ἐπὶ τοῖς σώμασιν, ἀγώγιμοι τοῖς δανείζουσιν ἦσαν, οἱ μὲν αὐτοῦ δουλεύοντες, οἱ δ’ ἐπὶ τὴν ξένην πιπρασκόμενοι. (5) πολλοὶ δὲ καὶ παῖδας ἰδίους ἠναγκάζοντο πωλεῖν – οὐδεὶς γὰρ νόμος ἐκώλυε – καὶ τὴν πόλιν φεύγειν διὰ τὴν χαλεπότητα τῶν δανειστῶν. (6) οἱ δὲ πλεῖστοι καὶ ῥωμαλεώτατοι συνίσταντο καὶ παρεκάλουν ἀλλήλους μὴ περιορᾶν, ἀλλ’ ἑλομένους ἕνα προστάτην ἄνδρα πιστὸν ἀφελέσθαι τοὺς ὑπερημέρους, καὶ τὴν γῆν ἀναδάσασθαι, καὶ ὅλως μεταστῆσαι τὴν πολιτείαν. App. crit.: (4) ἐπὶ τῇ ξένῃ ϒ; (6) τὴν1 om. ϒ.

(4) … entweder nämlich leisteten sie für jene [die Reichen] landwirtschaftliche Arbeiten (geōrgeín), erzielten (teleín) den Sechsten der Erträge und hießen hektēmórioi und thḗtes; oder sie waren den Darlehensgebern gegenüber agṓgimoi [konnten abgeführt werden], weil sie Schulden (chréa) auf ihren Körper (sṓmata) aufgenommen hatten, und einige leisteten ihnen in Abhängigkeit Dienste (douleúontes), andere wurden in die Fremde verkauft. (5) Viele waren auch gezwungen, ihre eigenen Kinder zu verkaufen (pōleín) – denn kein Gesetz verbot das – oder wegen der Hartherzigkeit der Gläubiger aus der Stadt zu fliehen. (6) Die Menge und mit ihnen die Entschlossensten jedoch taten sich zusammen und machten sich gegenseitig Mut, dem nicht länger zuzusehen, sondern einen vertrauenswürdigen Mann zum Vorsteher zu wählen, um die säumigen Schuldner (hyperḗmeroi) [aus der Abhängigkeit] auszulösen, das Land neu aufzuteilen und die politische Ordnung grundlegend zu verändern.

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Verfahren vor den Thesmotheten

vgl. Pausanias der Attizist (2. Jh. n. Chr.) π 15 s. v. πελάται· οἱ παρὰ τοῖς πλησίον ἐργαζόμενοι καὶ θῆτες· οἱ αὐτοὶ δὲ καὶ ἑκτήμοροι, ἐπεὶ τῷ ἕκτῳ μέρει τῶν καρπῶν εἰργάζοντο τὴν γῆν (fast gleichlautend: Phot. Lex. π 544 s. v. πελάται· οἱ παρὰ τοῖς πλησίον ἐργαζόμενοι· καὶ θῆτες οἱ αὐτοὶ καὶ ἑκτήμοροι· ἐπειδὴ ἕκτῳ μέρει τῶν καρπῶν εἰργάζοντο τὴν γῆν). – „pelátai: die bei den Nachbarbauern (hoí plēsíon) Arbeitenden (ergazómenoi), auch thḗtes. Diese [heißen auch] hektḗmoroi, weil sie das Land für den sechsten Teil der Feldfrüchte bearbeiteten (ergázesthai)“. Hesychios, Lexicon (5. Jh. n. Chr.) ε 1716 s. v. ἑκτήμοροι· οἱ ἕκτῳ μέρει τὴν γῆν γεωργοῦντες. Phot. Lex. ε 504 s. v. ἑκτήμοροι· οἱ ἐφ’ ἕκτῳ μέρει ἐργαζόμενοι τὴν γῆν. – „Hektḗmoroi: die für den sechsten Teil das Land bewirtschaften (geōrgoúntes/ergazómenoi)“.

F 103d: Plutarch, Solon 24,4 (um 100 n. Chr.) (= F 52a) Παρέχει δ’ ἀπορίαν καὶ ὁ τῶν δημοποιήτων νόμος, ὅτι γενέσθαι πολίτας οὐ δίδωσι πλὴν τοῖς φεύγουσιν ἀειφυγίᾳ τὴν ἑαυτῶν ἢ πανεστίοις Ἀθήναζε μετοικιζομένοις ἐπὶ τέχνῃ. τοῦτο δὲ ποιῆσαί φασιν αὐτὸν οὐχ οὕτως ἀπελαύνοντα τοὺς ἄλλους, ὡς κατακαλούμενον Ἀθήναζε τούτους ἐπὶ βεβαίῳ τῷ μεθέξειν τῆς πολιτείας, καὶ ἅμα πιστοὺς νομίζοντα τοὺς μὲν ἀποβεβληκότας τὴν ἑαυτῶν διὰ τὴν ἀνάγκην, τοὺς δ’ ἀπολελοιπότας διὰ τὴν γνώμην. App. crit.: πολίταις ϒ; φησὶν ϒ.

Probleme beim Verständnis (aporía) bereitet auch das Gesetz über die Einbürgerungen (nó­ mos tṓn dēmopoiḗtōn), weil es Bürger (polítēs) zu werden nur denen gestattet, die in immerwährender Flucht (aeiphygía) die eigene [Stadt] verlassen haben (pheúgontes) oder die mit ihrem gesamten Hausstand (panhéstioi) zur Ausübung eines Gewerbes (téchnē) nach Athen übergesiedelt sind (metoikizómenoi). Dies aber, meint man, habe er nicht getan, um auf diese Weise andere (álloi) abzuhalten [nach Athen überzusiedeln], als vielmehr diejenigen nach Athen herbeizurufen, in der sicheren Erwartung auf Teilhabe an der politischen Ordnung (politeía), und die für zuverlässige [Menschen] zu halten, die entweder ihrer Stadt durch Zwang beraubt waren oder sie aus eigenem Entschluss verlassen hatten.

Weil Plutarch und Pollux die Schreibweise ἑκτημόριοι (statt ἑκτήμοροι in Ath. pol. 2,2) bieten, kann dies die ursprüngliche Schreibweise gewesen sein. Pausanias der Attizist und andere Lexikographen gebrauchen bei den pelátai und Theten und auch bei den hektḗmoroi wie Plutarch in Solon 13,4 das neutrale geōrgeín und ergázesthai, nicht dou­ leúontes, so dass sie von Freien auszugehen scheinen. Pollux erläutert in 3,82 (F 103b adn.) zutreffend pelátai und thḗtes als Freie, die aus Armut in Abhängigkeit Dienste leisten. Das douleúein bei Pollux (3,82) und Photios (π 545) kann nur im Sinne von „als Gehilfe/in Abhängigkeit dienen“ gemeint sein, denn es geschieht „gegen Geld“ bzw. „gegen Lohn“ (ἐπ’ ἀργυρίῳ und μισθῷ; Phot.: ἀντὶ τροφῶν), setzt also keine extreme Abhängigkeit in Form der Sklaverei voraus. In Solon 24,4 gibt Plutarch das solonische „Gesetz über die Einbürgerungen“ wieder, allerdings in falschem Verständnis des Gesetzes, wie er es vermutlich seiner Quelle entnommen hat (siehe oben S. 349–353 mit F 52a). Ursprünglich waren mit der Formulierung, Solon habe diejenigen nach Athen zurückgerufen – in der sicheren Erwartung der politischen Teilhabe –, die entweder aus Zwang oder aus eigenem Entschluss die Stadt hatten verlassen müssen, die der Noxalhaftung unterliegenden

Schuldverpflichtungen und Zins (F 102–109)

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Personen gemeint, die als Ergriffene in die Sklaverei verkauft worden waren oder geflohen waren, um diesem Schicksal zu entgehen, so wie es Solon in einer seiner Elegien beklagt hatte (fr. 36 Z. 8–12 West; F 103a). F 104 Tierschäden (F 104: T 488 Martina; F 35 Ruschenbusch, Leão/Rhodes)

F 104: Plutarch, Solon 24,3 (um 100 n. Chr.) Ἔγραψε δὲ καὶ βλάβης τετραπόδων νόμον, ἐν ᾧ καὶ κύνα δάκνοντα παραδοῦναι κελεύει κλοιῷ τριπήχει δεδεμένον. App. crit.: δάκνοντα S: δακόντα Y et s. s. S.

Er [Solon] gab auch ein Gesetz (nómos) über den von Vierfüßlern [angerichteten] Schaden (blábē tetrapódōn), in dem er anordnet, dass ein bissiger Hund übergeben werden muss, gebunden an einer Fessel (kloiós) von drei Ellen Länge [ca. 1,50 m].

Der bei Plutarch überlieferte Gesetzestext ist nahezu wortgleich bei Xenophon überliefert. Bei der Aussöhnung der Bürgerkriegsparteien im Jahr 403 beriefen die Strategen die Volksversammlung ein, bei der Thrasybulos den Anhängern des oligarchischen Regimes vorwarf, die Spartaner wären mit ihnen so verfahren, „wie man mit bissigen Hunden umgeht, die man erst ausliefert, nachdem man ihnen ein Halseisen angelegt hat“ (ὥσπερ τοὺς δάκνοντας κύνας κλοιῷ δήσαντες παραδιδόασιν). In gleicher Weise hätten die Spartaner die Anhänger der Oligarchen dem Volk ausgeliefert und seien selbst auf und davon gegangen.250 Platon orientierte sich in seinen Gesetzen bei der Regelung von Tierschäden offensichtlich an dieser Bestimmung: „Und wenn ein Zugtier oder ein Pferd oder ein Hund oder sonst ein Haustier beim Nachbarn Schaden anrichtet, so soll man den Schaden wie vorstehend regeln“, also vollständig ersetzen oder den Schädiger ausliefern.251

250  Xen. hell. 2,4,41: πῶς, οἵγε ὥσπερ τοὺς δάκνοντας κύνας κλοιῷ δήσαντες παραδιδόασιν, οὕτω κἀκεῖνοι ὑμᾶς παραδόντες τῷ ἠδικημένῳ τούτῳ δήμῳ οἴχονται ἀπιόντες; vgl. auch Epolis F 172,16 PCG und Aristoph. vesp. 894–897. Nach Leão/Rhodes 2015, 55 sei κλοιός entweder „as a wooden dog-collar“ zu verstehen „that prevented the animal from biting, or as a kind of fetter intended to control the movement of the dog“. 251  Plat. leg. 11, 936e: … καὶ ἐὰν ὑποζύγιον ἢ ἵππος ἢ κύων ἤ τι τῶν ἄλλων θρεμμάτων σίνηταί τι τῶν πέλας, κατὰ ταὐτὰ ἐκτίνειν τὴν βλάβην (vgl. leg. 9, 879a). Zum Schadensrecht bei Platon Mummenthey 1971, 57–62, 83; zur noxalen Rechtsfolge bei bissigen Hunden ebd. 50, 83. Eberhard Ruschenbusch leitet aus dieser Parallelstelle ab, dass beide Regelungen, also die Entschädigung für die durch Sklaven und für die durch Tiere verursachten Schäden, zusammengehören.

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Verfahren vor den Thesmotheten

F 105 Die Aufhebung der Schuldverpflichtungen (seisáchtheia) (F 105a: T 276 Martina; F 69b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 105b: T 292 Martina; F 105c: T 286 Martina; F 105d: T 282 Martina; F 69c Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 105e: T 288 Martina; F 105g: T 292 adn. Martina)

F 105a: Aristoteles, Athenaion politeia 6,1 (320er Jahre) Κύριος δὲ γενόμενος τῶν πραγμάτων Σόλων τόν τε δῆμον ἠλευθέρωσε καὶ ἐν τῷ π[α]ρόντι καὶ εἰς τὸ μέλλον, κωλύσας δ[ανε]ίζειν ἐπὶ τοῖς σώμασιν, καὶ νόμους ἔθηκε καὶ χρεῶν ἀπ[ο]κοπὰς ἐποίησε, καὶ τῶν ἰδίων καὶ τῶν δ[η]μοσίων, ἃς σεισάχθειαν καλοῦσιν, ὡς ἀποσεισάμενοι τὸ βάρος. Nachdem Solon Herr über alle Angelegenheiten geworden war, hat er das Volk (dḗmos) für die Gegenwart und die Zukunft befreit (eleutheroún), indem er verbot, Darlehen auf die Person (sṓmata) zu geben (daneízein); und er erließ Gesetze und verfügte einen Erlass der Schulden (chreṓn apokopaí), sowohl der privaten als auch der öffentlichen, den sie seisáchtheia nannten, weil sie eine drückende Last abschüttelten (aposeíesthai). Vgl. Aristot. Ath. pol. 12,4: [πάλιν] δὲ καὶ περὶ τῆς ἀπ[οκ]οπῆς τῶν χ[ρε]ῶν καὶ τῶν δουλευόντων μὲν πρότερον, ἐλευθερωθέντων δὲ διὰ τὴν σεισάχθειαν: (es folgt Solon fr. 36 West). –„Dann wieder [sagt Solon] über den Erlass der Schulden (apokopḗ chreṓn) und über die, die früher geknechtet waren (dou­ leúontes), aber durch die seisáchtheia befreit wurden: …“ (es folgt Solon fr. 36 West). Heraklid. Lemb. 1,3 Dilts (= Aristot. fr. 611,3 Rose): Σόλων νομοθετῶν Ἀθηναίοις καὶ χρεῶν ἀποκοπὰς ἐποίησε, τὴν σεισάχθειαν λεγομένην. ὡς δὲ διώχλουν αὐτῷ τινὲς περὶ τῶν νόμων, ἀπεδήμησεν εἰς Αἴγυπτον. – „Als Solon den Athenern Gesetze gab (nomotheteín), setzte er auch eine Aufhebung der Schulden (chreṓn apokopaí) durch, die so genannte seisáchtheia. Als einige ihm wegen seiner Gesetze Schwierigkeiten bereiteten, ging er fort nach Ägypten“.

F 105b: Philochoros, Atthis FgrH 328 F 114 (spätes 4./frühes 3. Jh. v. Chr.) (Phot. Lex. σ 126 s. v. σεισάχθεια; ebenso Apostolios cent. 15,39; Suda σ 289 s. v. σεισάχθεια)

σεισάχθεια: χρεωκοπία δημοσίων καὶ ἰδιωτικῶν· ἣν εἰσηγήσατο Σόλων· εἴρηται δὲ παρ’ ὅσον ἔθος ἦν Ἀθήνηισι τοὺς ὀφείλοντας τῶν πενήτων σώματι ἐργάζεσθαι τοῖς χρήσταις· ἀποδόντας δὲ οἱονεὶ τὸ ἄχθος ἀποσείσασθαι· ὡς Φιλόχορος δὲ δοκεῖ, ἀποψηφισθῆναι τὸ ἄχθος. App. crit.: χρεοκοπίαι cod.

Seisáchtheia: Aufhebung der öffentlichen und privaten Schulden (chreōkopía), die Solon durchgesetzt hat; man sagt, dass es in Athen durchaus üblich war, dass diejenigen von den Armen, die Schulden auf den Körper (sṓma) aufgenommen hatten, für die Begüterten arbeiten mussten. Sie freizugeben bedeutete gewissermaßen die drückende Last (áchthos) abzuschütteln (aposeíesthai). Wie Philochoros (FgrH 328 F 114) jedoch meint, sei die drückende Last durch Beschluss [und nicht durch Gesetz] beseitigt worden.

Die Richtigstellung des Philochoros, die seisáchtheia sei durch Volksbeschluss erfolgt, deckt sich mit der Angabe Plutarchs, dass dies die erste politische Aktion Solons war.

Schuldverpflichtungen und Zins (F 102–109)

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F 105c: Diodor, Bibliotheke 1,79,3–5 (1. Jh. v. Chr.) (= Hekataios FgrH 264 F 25)

(3) τῶν δὲ ὀφειλόντων τὴν ἔκπραξιν τῶν δανείων ἐκ τῆς οὐσίας μόνον ἐποιήσατο, τὸ δὲ σῶμα κατ’ οὐδένα τρόπον εἴασεν ὑπάρχειν ἀγώγιμον, ἡγούμενος δεῖν εἶναι τὰς μὲν κτήσεις τῶν ἐργασαμένων ἢ παρὰ κυρίου τινὸς ἐν δωρεαῖς λαβόντων, τὰ δὲ σώματα τῶν πόλεων, ἵνα τὰς καθηκούσας λειτουργίας ἔχωσιν αἱ πόλεις καὶ κατὰ πόλεμον καὶ κατ’ εἰρήνην· ἄτοπον γὰρ τὸ στρατιώτην εἰς τὸν ὑπὲρ τῆς πατρίδος προϊόντα κίνδυνον, εἰ τύχοι, πρὸς δάνειον ὑπὸ τοῦ πιστεύσαντος ἀπάγεσθαι, καὶ τῆς τῶν ἰδιωτῶν πλεονεξίας ἕνεκα κινδυνεύειν τὴν κοινὴν ἁπάντων σωτηρίαν. (4) δοκεῖ δὲ καὶ τοῦτον τὸν νόμον ὁ Σόλων εἰς τὰς Ἀθήνας μετενεγκεῖν, ὃν ὠνόμασε σεισάχθειαν, ἀπολύσας τοὺς πολίτας ἅπαντας τῶν ἐπὶ τοῖς σώμασι πεπιστευμένων δανείων. (5) μέμφονται δέ τινες οὐκ ἀλόγως τοῖς πλείστοις τῶν παρὰ τοῖς Ἕλλησι νομοθετῶν, οἵτινες ὅπλα μὲν καὶ ἄροτρον καὶ ἄλλα τῶν ἀναγκαιοτάτων ἐκώλυσαν ἐνέχυρα λαμβάνεσθαι πρὸς δάνειον, τοὺς δὲ τούτοις χρησομένους συνεχώρησαν ἀγωγίμους εἶναι. App. crit.: (3) ἰδίων D; (4) ὠνόμασεν εἰσάχθειαν CF; ὠνόμασε μὲν σεισάχθειαν D.

(3) Die Eintreibung der Darlehen (dáneia) durfte [in Ägypten] allein aus dem Besitz der Schuldner erfolgen, die Person (sṓma) hingegen war in keiner Weise agṓgimon [sie konnte nicht abgeführt werden]. Denn es galt die Ansicht, dass zwar die Besitztümer denen gehören sollten, die sie sich erarbeitet oder von einem anderen Eigentümer als Geschenk erhalten hatten, die Personen (sṓmata) hingegen den Poleis, damit die Poleis in Krieg und Frieden die nötigen Dienste (leitourgíai) einfordern können. Denn es wäre sonderbar, dass der Soldat, der den Kampf für das Vaterland wagte, nicht sicher sein konnte, wegen eines Darlehens (dáneion) vom Gläubiger abgeführt zu werden (apágesthai), und dass wegen der Habsucht einzelner das Wohlergehen aller in Gefahr gerate. (4) Auch dieses Gesetz (nómos) scheint Solon nach Athen übertragen zu haben, indem er alle Bürger von den auf die Person (sṓmata) gegebenen Darlehen (dáneia) befreite, was er seisáchtheia nannte. (5) Einige aber werfen nicht ohne Grund den meisten griechischen Gesetzgebern (nomothétai) vor, dass sie verbieten, die Waffen, den Pflug, und was man sonst am notwendigsten braucht, als Pfand (enéchyra) für ein Darlehen zu nehmen, aber zulassen, diejenigen, die [dieser Dinge für ihren Lebensunterhalt] bedürfen, abführen zu können (agōgímous eínai).

F 105d: Plutarch, Solon 15,2–3 und 5 (um 100 n. Chr.) (2) … καλοῦντας, πρώτου Σόλωνος ἦν ὡς ἔοικε σόφισμα, τὴν τῶν χρεῶν ἀποκοπὴν σεισάχθειαν ὀνομάσαντος. τοῦτο γὰρ ἐποιήσατο πρῶτον πολίτευμα, γράψας τὰ μὲν ὑπάρχοντα τῶν χρεῶν ἀνεῖσθαι, πρὸς δὲ τὸ λοιπὸν ἐπὶ τοῖς σώμασι μηδένα δανείζειν. (3) καίτοι τινὲς ἔγραψαν, ὧν ἐστιν Ἀνδροτίων, οὐκ ἀποκοπῇ χρεῶν, ἀλλὰ τόκων μετριότητι κουφισθέντας ἀγαπῆσαι τοὺς πένητας, καὶ σεισάχθειαν ὀνομάσαι τὸ φιλανθρώπευμα τοῦτο καὶ τὴν ἅμα τούτῳ γενομένην τῶν τε μέτρων ἐπαύξησιν καὶ τοῦ νομίσματος τιμῆς. … (5) οἱ δὲ πλεῖστοι πάντων ὁμοῦ φασι τῶν συμβολαίων ἀναίρεσιν γενέσθαι τὴν σεισάχθειαν, καὶ τούτοις συνᾴδει μᾶλλον τὰ ποιήματα. App. crit.: (3) τῶν τε μέτρων ϒ, τῶν μετρίων S; τιμῆς: τιμήν Sintenis; (5) συνᾴδειν em. Bryan.

(2) … benannten, das scheint ein zuerst von Solon angewandter Kunstgriff zu sein, indem er die Aufhebung der Schulden (chreṓn apokopḗ) seisáchtheia genannt hat. Denn dies war seine erste politische Aktion, dass er festschrieb, dass alle bestehenden Schulden erlassen sein und

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Verfahren vor den Thesmotheten

in Zukunft niemand auf den Körper (sṓmata) ein Darlehen geben kann (daneízein). (3) Einige freilich, unter ihnen Androtion (FgrH 324 F 34), haben geschrieben, nicht durch Aufhebung der Schulden (apokopḗ chreṓn), sondern nur durch Ermäßigung der Zinsen (tókōn metriótēs) habe er den Armen Erleichterung geschaffen, und diese seien damit zufrieden gewesen und hätten diese menschenfreundliche Tat und die gleichzeitige Heraufsetzung der Maße und des Geldwerts als seisáchtheia bezeichnet. … (5) Die meisten Autoren aber sagen, die seisáchtheia sei eine Aufhebung (anhaíresis) aller vertraglichen Verpflichtungen (symbólaia) gewesen, und damit sind die Gedichte Solons besser im Einklang. Plutarch, Comparatio Solonis et Poplicolae 26(3),1: Ἴδιον δὲ τοῦ Σόλωνος ἡ τῶν χρεῶν ἄνεσις, ᾗ μάλιστα τὴν ἐλευθερίαν ἐβεβαίωσε τοῖς πολίταις. οὐδὲν γὰρ ὄφελος νόμων ἰσότητα παρεχόντων, ἣν ἀφαιρεῖται τὰ χρέα τοὺς πένητας. – „Eine besondere Leistung Solons ist der Erlass der Schulden (chreṓn ánhesis), durch den er den Bürgern die Freiheit am meisten sicherte. Denn ohne jeden Nutzen sind Gesetze, welche eine Gleichheit (isótēs) einführen, die die Schulden (chréa) den Armen wieder nehmen“. Plutarch, De Alexandri magni fortuna aut virtute (Moralia 343c–d): Σόλων χρεῶν ἀποκοπὴν ἐν Ἀθήναις ἐποίησε, σεισάχθειαν προσαγορεύσας· (D) Ἀλέξανδρος δὲ τὰ χρέα τοῖς δανείσασιν ὑπὲρ τῶν ὀφειλόντων αὐτὸς ἐξέτισε. – „Solon setzte in Athen eine Aufhebung der Schulden (chreōn apokopḗ) durch, die er seisáchtheia nannte; (D) Alexander dagegen bezahlte den Darlehensgebern alle Schulden seiner Leute selbst“. Plutarch, Praecepta gerendae reipublicae (Moralia 807d): ἐπεὶ γὰρ ἐν νῷ λαβὼν τὰ ὀφλήματα κουφίσαι καὶ τὴν σεισάχθειαν (τοῦτο δ’ ἦν ὑποκόρισμα χρεῶν ἀποκοπῆς) εἰσενεγκεῖν ἐκοινώσατο τοῖς φίλοις. – „Nachdem er [Solon] sich nämlich vorgenommen hatte, die Schulden (ophlḗmata) zu mindern und die seisáchtheia (so nannte er beschönigend die Aufhebung der Schulden [chreōn apokopḗ]) einzuführen, teilte er den Gedanken seinen Feunden mit“. vgl. Etymologicum Magnum p. 710,32 s. v. σεισάχθεια: Σημαίνει τὸ ἀποσείεσθαι τὸ ἄχθος· [τὸ δὲ,] παρὰ τὸ σείω. Οὕτω Χοιροβοσκός. Πλούταρχος ἐν Σόλωνι, Ἡ σεισάχθεια χρεῶν ἦν ἀποκοπὴ παρὰ Ἀθηναίοις. Τινὲς δέ φασι τόκων μετριότητα εἶναι, καὶ μέτρων ἐπαύξησιν, καὶ τιμὴν τοῦ νομίσματος. Ἐγὼ ἀνέγνων. – „seisáchtheia: Dies bezeichnet das Abschütteln (aposeíesthai) der drückenden Last (áchthos), abgeleitet von seíō (‚schütteln‘). So Choiroboskos. Plutarch [schreibt] im Solon: Die seisáchtheia war die Aufhebung der Schulden (chreṓn apokopḗ) bei den Athenern. Einige aber sagen, es sei eine Ermäßigung der Zinsen (tókōn metriótēs) gewesen, und eine Heraufsetzung der Maße und des Geldwerts. Ich weiß es nicht“.

F 105e: Diogenes Laertios, Vitae philosophorum 1,45 (3. Jh. n. Chr.) Σόλων Ἐξηκεστίδου Σαλαμίνιος πρῶτον μὲν τὴν σεισάχθειαν εἰσηγήσατο Ἀθηναίοις· τὸ δὲ ἦν λύτρωσις σωμάτων τε καὶ κτημάτων. καὶ γὰρ ἐπὶ σώμασιν ἐδανείζοντο καὶ πολλοὶ δι’ ἀπορίαν ἐθήτευον. ἑπτὰ δὴ ταλάντων ὀφειλομένων αὑτῷ πατρῴων συνεχώρησε πρῶτος καὶ τοὺς λοιποὺς τὸ ὅμοιον προὔτρεψε πρᾶξαι. καὶ οὗτος ὁ νόμος ἐκλήθη σεισάχθεια· φανερὸν δὲ διὰ τί. Ἔπειτα τοὺς λοιποὺς νόμους ἔθηκεν, οὓς μακρὸν ἂν εἴη διεξιέναι, καὶ ἐς τοὺς ἄξονας κατέθετο. App. crit.: τοῖς Ἀθηναίοις F.

Der Salaminier Solon, der Sohn des Exekestides, brachte als erstes bei den Athenern die seisáchtheia ein. Das war eine Auslösung (lýtrōsis) der Personen (sṓmata) und der Besitztümer. Denn man nahm Darlehen auf den Körper (sṓmata) auf und viele leisteten aus Armut Lohndienst (thēteúein). Und als erster leistete er Verzicht, obgleich ihm väterlicher Besitz in Höhe von sieben Talenten geschuldet wurde, und die übrigen forderte er auf, ebenso zu handeln. Das diesbezügliche Gesetz wurde seisáchtheia genannt, wobei offensichtlich ist warum. Dann gab er seine übrigen Gesetze, die im einzelnen aufzuzählen zu weit führen würde, und ließ sie auf áxones öffentlich aufstellen.

Schuldverpflichtungen und Zins (F 102–109)

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vgl. Anonymus Paradoxographus, De incredibilibus 23 (Festa): Περὶ σεισαχθείας. Ὅτι Σόλων ὁ Σαλαμίνιος πρῶτον Ἀθηναίοις τὴν σεισάχθειαν εἰσηγήσατο. τὸ δὲ ἦν λύτρωσις σωμάτων· καὶ γὰρ ἐπὶ σώμασιν ἐδανείζοντο καὶ ἀποροῦντες ἐθήτευον. – „Über die seisáchtheia: Weil der Salaminier Solon als erstes bei den Athenern die seisáchtheia einbrachte. Es war aber eine Auslösung (lýtrōsis) der Personen (sṓmata). Sei hatten nämlich Darlehen auf den Körper (sṓmata) aufgenommen und leisteten, da sie mittellos waren, Lohndienst (thēteúein).“

F 105f: Dion Chrysostomos, Orationes 31,69 (4./5. Jh. n. Chr.) καίτοι τὸ μὲν τῶν χρεῶν γεγονὸς εὕροι τις ἂν καὶ ἐν ἄλλῳ χρόνῳ καὶ Σόλωνα λέγεται παρὰ Ἀθηναίοις ποτὲ ποιῆσαι. δίχα γὰρ τοῦ πολλάκις ἀναγκαίως αὐτὸ συμβαίνειν ἐκ τῆς ἀπορίας τῶν δεδανεισμένων ἔσθ’ ὅτε οὐδὲ ἀδίκως γίγνεται διὰ τὸ μέγεθος τῶν τόκων, ὅταν τινὲς πολλάκις ὦσιν ἐν τούτοις τὰ ἀρχαῖα κεκομισμένοι. Allerdings findet man eine Aufhebung der Schulden (chréa) auch sonst in der Geschichte, und auch Solon soll sie bei den Athenern durchgeführt haben. Abgesehen davon, dass sich eine solche [Aufhebung der Schulden] wegen der Bedürftigkeit (aporía) der Darlehensnehmer oft nicht vermeiden lässt, ist sie mitunter wegen der Höhe der Zinsen (tókoi) auch durchaus berechtigt, wenn sie nämlich schon ein Mehrfaches der ursprünglichen Summe hereinbekommen haben.

F 105g: Hesychios σ 355 s. v. σεισάχθεια (5. Jh. n. Chr.) σεισάχθεια· Σόλων χρεῶν ἀποκοπὴν δημοσίων καὶ ἰδιωτικῶν ἐνομοθέτησεν, ἥνπερ σεισάχθειαν ἐκάλεσε, παρὰ τὸ ἀποσείσασθαι τὰ βάρη τῶν δανείων. seisáchtheia: Solon hat einen Erlass der öffentlichen und privaten Schulden (chreṓn apokopḗ) gesetzlich festgelegt (nomotheteín), der seisáchtheia genannt wurde, abgeleitet von dem Abschütteln (aposeíesthai) der drückenden Last der Darlehen.

Auch aus anderen Städten sind gesetzliche Regelungen bekannt, die die Haftung bei Darlehen betrafen. Diodor kritisiert, dass in vielen Städten zwar bestimmte Dinge wie die Waffen oder der Pflug von einer Pfändung ausgenommen waren, aber der Zugriff auf die Person des Schuldners gestattet war.252 Aus Gortyn ist inschriftlich ein Gesetz überliefert, wonach unter anderem die Pfändung der Waffen, des Webstuhls und der eisernen Werkzeuge, des Pflugs, des Ochsengespanns und der Mühlsteine verboten war.253

252  Aineias Taktikos gibt in 10,7 den Ratschlag, dass es während einer Bedrohungssituation verboten sein soll, Waffen als Sicherheit für Darlehen zu geben. In Athen war dies offenbar nicht verboten (Aristoph. Plut. 449–451). 253  ICret IV 75a–d (Koerner 1993, Nr. 147–149, 155; Nomima II 46; Gagarin/Perlman 2016, G75). Gagarin 2008, 139–142; 259 f.; Gunnar Seelentag, Das archaische Kreta. Institutionalisierung im frühen Griechenland, Berlin – Boston 2015, 326–330. Auch die Bemerkung in Aristoph. Plut. 147 f., Lys. 12,98 und Isokr. 14,48 lassen darauf schließen, dass die Schuldknechtschaft in anderen griechischen Städten fortbestand. In pol. 6,4, 1319a 12–14 verweist Aristoteles auf ein Gesetz des Oxylos, das verbiete, auf einen bestimmten Teil (méros) des jedem zugehörigen Landes Darlehen zu geben (daneízein); auch dadurch

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Verfahren vor den Thesmotheten

Diogenes Laertios folgt der Darstellung der Athenaion politeia und Plutarchs darin, dass Solon zunächst die seisáchtheia durchgesetzt habe, der die Gesetze gefolgt seien. Seine Ausführungen weisen indes darauf hin, dass es bei der seisáchtheia nicht in erster Linie um eine Aufhebung der Schulden ging, sondern um die Auslösung (lýtrōsis) der Personen (sṓmata) aus der Noxalhaftung. Ähnlich wie der Autor der Athenaion politeia hat Diogenes Laertios die Lohnarbeit der Theten mit den Schuldverpflichtungen der ‚Weggeführten‘ vermischt. F 106 ‚Weggeführte‘ werden wieder epítimoi (Amnestiegesetz) (F 106: T 418b Martina; F 70 Ruschenbusch; F 22/1 Leão/Rhodes)

F 106: Plutarch, Solon 19,4 (um 100 n. Chr.) ὁ δὲ τρισκαιδέκατος ἄξων τοῦ Σόλωνος τὸν ὄγδοον ἔχει τῶν νόμων οὕτως αὐτοῖς ὀνόμασι γεγραμμένον· „ἀτίμων· ὅσοι ἄτιμοι ἦσαν πρὶν ἢ Σόλωνα ἄρξαι ἐπιτίμους εἶναι, πλὴν ὅσοι … Der dreizehnte áxōn Solons hat als achtes der Gesetze (nómoi) folgendes mit diesen Worten verzeichnet: „Über die Ehrlosen (átimoi): Diejenigen, die ehrlos (átimoi) waren, bevor Solon als Archont im Amt war, sollen wieder ehrbar (epítimoi) sein, außer denjenigen, die …“.

Mit Ausnahme derjenigen, die Attika wegen einer Tötung oder der Errichtung einer Tyrannis verlassen hatten, sollten alle Athener vom Archontat Solons an wieder ehrbar sein und politische Partizipationsrechte haben. Durch Solons seisáchtheia wurden all diejenigen, die wegen Schädigung oder nicht zurückgezahlter Darlehen abgeführt worden und zu Gewaltunterworfenen des Geschädigten oder Gläubigers geworden waren, wieder freigesetzt. Auch derjenige, der vor dem Zugriff des Gläubigers aus Attika geflohen war, konnte damit gefahrlos nach Athen zurückkehren und auch der in die Sklaverei Verkaufte, sofern ihm die Flucht aus der Sklaverei gelang. Skeptisch zu einem unmittelbaren Zusammenhang des Gesetzes mit der seisáchtheia äußern sich hingegen Delfim F. Leão und P. J. Rhodes, da Personen auch wegen anderer Delikte zu átimoi erklärt worden sein könnten.254 Geht man jedoch von den Prinzipien des archaischen Schuldrechts aus, nach denen die Person, die eine Schädigung verursacht hat, an sollte offenbar eine minimale Lebensgrundlage gesichert bleiben. Weitere Quellen zur seisáchtheia sind bei Martina unter T 274–296 zusammengestellt. 254  Leão/Rhodes 2015, 36: „Atimoi are not the same as slaves and this fragment is better not linked with the seisachtheia“. Auch in der Endphase des Peloponnesischen Krieges hatten die Athener, um alle verfügbaren Kräfte zu mobilisieren, auf den Antrag des Patrokleides hin im Herbst 405 mit Atimie belegte Personen wieder mit vollen Rechten in die Polis aufgenommen. Darunter waren diejenigen, die der öffentlichen Kasse Geld schuldeten, bei der Rechenschaftspflicht nach Verwaltung eines Amtes oder nach einer Klage wegen Hinderung des (berechtigten) Zugriffs (exoúlē) oder einer Schriftklage (graphḗ) für schuldig befunden worden waren (And. 1,73: καὶ ἔδοξεν ὑμῖν τοὺς ἀτίμους ἐπιτίμους ποιῆσαι, καὶ εἶπε τὴν γνώμην Πατροκλείδης. Οἱ δὲ ἄτιμοι τίνες ἦσαν, καὶ τίνα τρόπον ἕκαστοι; ἐγὼ ὑμᾶς διδάξω. Οἱ μὲν ἀργύριον ὀφείλοντες τῷ δημοσίῳ, ὁπόσοι εὐθύνας ὦφλον ἄρξαντες ἀρχάς, ἢ ἐξούλας ἢ γραφὰς ἢ ἐπιβολὰς ὦφλον, …).

Schuldverpflichtungen und Zins (F 102–109)

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den Geschädigten fällt, wenn der Schaden nicht beglichen wird, und der Geschädigte die Person abführen und als eine seiner Gewalt unterworfene Person für sich arbeiten lassen oder ihn in die Sklaverei verkaufen kann, lässt sich das so genannte Amnestiegesetz mit der Aufhebung aller Schuldverpflichtungen gut in Verbindung bringen.255 Um 600 v. Chr. wird es Solon dabei vor allem darum gegangen sein, für Kriegszüge in ausreichender Zahl freie Bürger zur Verfügung zu haben. F 107 Verbot des Zugriffs auf die Person des Schuldners (F 107a: T 322 Martina; F 69b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 107b: T 286 Martina; F 69a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 107c: T 282 Martina; F 69c Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 107a: Aristoteles, Athenaion politeia 6,1 und 9,1 (320er Jahre) (= F 105a) (6,1) Κύριος δὲ γενόμενος τῶν πραγμάτων Σόλων τόν τε δῆμον ἠλευθέρωσε καὶ ἐν τῷ π[α]ρόντι καὶ εἰς τὸ μέλλον, κωλύσας δ[ανε]ίζειν ἐπὶ τοῖς σώμασιν, καὶ νόμους ἔθηκε καὶ χρεῶν ἀπ[ο]κοπὰς ἐποίησε, καὶ τῶν ἰδίων καὶ τῶν δ[η]μοσίων, ἃς σεισάχθειαν καλοῦσιν, ὡς ἀποσεισάμενοι τὸ βάρος. (9,1) δοκεῖ δὲ τῆς Σόλωνος πολιτείας τρία ταῦτ’ εἶναι τὰ δημοτικώτατα· πρῶτον μὲν καὶ μέγιστον τὸ μὴ δανείζειν ἐπὶ τοῖς σώμασιν, ἔπειτα … (6,1) Nachdem Solon Herr über alle Angelegenheiten geworden war, hat er das Volk (dḗmos) für die Gegenwart und die Zukunft befreit (eleutheroún), indem er verbot, Darlehen auf den eigenen Körper zu geben (daneízein); er gab Gesetze und verfügte einen Erlass der Schulden (chreṓn apokopaí), sowohl der privaten als auch der öffentlichen, den sie seisáchtheia nannten, weil sie eine drückende Last abschüttelten (aposeíesthai). (9,1) Von der politischen Ordnung Solons scheinen folgende drei [Maßnahmen] das Volk am meisten begünstigt zu haben: als erstes und wichtigstes das Verbot, Darlehen auf den Körper zu geben (daneízein), sodann …

F 107b: Diodor, Bibliotheke 1,79,3–5 (1. Jh. v. Chr.) (= F 105c) (= Hekataios FgrH 264 F 25)

F 107c: Plutarch, Solon 15,2 (um 100 n. Chr.) (= F 105d) τοῦτο γὰρ ἐποιήσατο πρῶτον πολίτευμα, γράψας τὰ μὲν ὑπάρχοντα τῶν χρεῶν ἀνεῖσθαι, πρὸς δὲ τὸ λοιπὸν ἐπὶ τοῖς σώμασι μηδένα δανείζειν. Denn dies [die Aufhebung der Schulden (chreṓn apokopḗ)] war seine erste politische Maßnahme, dass er festschrieb, dass alle bestehenden Schulden erlassen sein und in Zukunft niemand auf den Körper (sṓmata) ein Darlehen geben kann (daneízein).

In den antiken Quellen wird die Aufhebung der Schulden, die seisáchtheia, mehrfach mit dem Gesetz verbunden, das es verbot, Darlehen zu geben, für die der Darlehensnehmer mit der Person haftete.

255  So auch L’Homme-Wéry 2005, 182 f.

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Verfahren vor den Thesmotheten

F 108 Verbot der Übereignung der unter der Hausgewalt stehenden Kinder (F 108: F 31b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 108: Plutarch, Solon 13,5 (um 100 n. Chr.) (= 103c) (4) … ἢ χρέα λαμβάνοντες ἐπὶ τοῖς σώμασιν, ἀγώγιμοι τοῖς δανείζουσιν ἦσαν, οἱ μὲν αὐτοῦ δουλεύοντες, οἱ δ’ ἐπὶ τὴν ξένην πιπρασκόμενοι. (5) πολλοὶ δὲ καὶ παῖδας ἰδίους ἠναγκάζοντο πωλεῖν – οὐδεὶς γὰρ νόμος ἐκώλυε – καὶ τὴν πόλιν φεύγειν διὰ τὴν χαλεπότητα τῶν δανειστῶν. App. crit.: ἑκτήμοροι Coraces; ἐπὶ τῇ ξένῃ ϒ.

(4) … oder sie waren den Darlehensgebern gegenüber agṓgimoi [konnten abgeführt werden], weil sie Schulden auf ihren Körper (sṓmata) aufgenommen hatten, und einige leisteten ihnen in Abhängigkeit Dienste (douleúontes), andere wurden in die Fremde verkauft. (5) Viele waren auch gezwungen, ihre eigenen Kinder zu verkaufen (pōleín) – denn kein Gesetz verbot das – oder wegen der Hartherzigkeit der Gläubiger aus der Stadt zu fliehen.

Da es in vorsolonischer Zeit nach Aussage Plutarchs kein Gesetz gab, das den Verkauf der eigenen Kinder verbot, ist davon auszugehen, dass Solon ein solches Verbot erließ. Wie der Kontext zeigt, geht es um den ‚Verkauf ‘ der Kinder säumiger Schuldner. Bis zur Zeit Solons galt, dass ein unter der Hausgewalt stehendes Kind, wenn es eine Schädigung verursacht hatte, ebenso dem Zugriff und der Verpflichtung der ‚Übereignung‘ unterlag wie der Hausvater selbst (so auch Aristot. Ath. pol. 2,2). Das Verbot Solons, Zugriff auf den säumigen Schuldner zu nehmen, erstreckte sich auch auf die unter der hausväterlichen Gewalt stehenden Kinder, so dass fortan nur noch Sklaven und Tiere, die eine Schädigung verursacht hatten, oder Sachen, von denen eine Schädigung ausging, an den Gläubiger oder Geschädigten übergeben werden mussten (F 104, 110).256 Solon ging damit weiter als das römische Recht, das nicht nur die Übereignung von Sklaven, sondern auch von Kindern, die unter der väterlichen Gewalt standen, zuließ.257 F 109 Beschränkung des Zinssatzes (F 109a: T 477 Martina; F 68 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 109b: T 282 Martina; F 64/1b Leão/Rhodes; F 109c: T 525 Martina; F 46 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 109a: Lysias, Gegen Theomnestos I (or. 10) § 18 (384/3 v. Chr.) (15) Καί μοι ἀνάγνωθι τούτους τοὺς νόμους τοὺς Σόλωνος τοὺς παλαιούς. 256  Ausgenommen waren vermutlich Töchter und Schwestern, die sich auf außerehelichen Verkehr eingelassen hatten. Allerdings ist die diesbezügliche Regelung in den Quellen in den Kontext sexueller Vergehen gestellt (Plut. Solon 23,2; siehe F 94d). Eberhard Ruschenbusch hatte die Ausnahme als F 31a den ‚Sittlichkeitsdelikten‘ zugeordnet und dann auch das Verbot, die eigenen Kinder zu verkaufen, als F 31b in diesen Kontext eingeordnet. Delfim F. Leão und P. J. Rhodes haben die Fragmente in diesem Kontext belassen. 257  S. o. Anm. 214, 227.

Schuldverpflichtungen und Zins (F 102–109)

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(16) ΝΟΜΟΣ …

(18) „τὸ ἀργύριον στάσιμον εἶναι ἐφ’ ὁπόσῳ ἂν βούληται ὁ δανείζων“. τὸ στάσιμον τοῦτό ἐστιν, ὦ βέλτιστε, οὐ ζυγῷ ἱστάναι ἀλλὰ τόκον πράττεσθαι ὁπόσον ἂν βούληται. ἐπανάγνωθι τουτουὶ τοῦ νόμου τὸ τελευταῖον: … App. crit.: (18) εἶναι codd., θεῖναι Francken, τιθέναι Zakas; ἐπανάγνωθι codd., ἔτι δ᾽ἀνάγνωθι Müller; τουτουὶ Markland, τουτὶ codd.

(15) Verlese mir also diese Gesetze Solons, die alten: (16) Gesetz …

(18) „Das Geld (argýrion) sei wägbar (stásimos) [= verleihbar] zu dem [Zinssatz], den der Darlehensgeber will“. Dieses stásimon, mein Bester, bedeutet nicht ‚auf die Waage gelegt‘, sondern ‚Zins (tókos) nehmen‘, soviel man will. Lies schließlich noch den Schluss dieses [nun folgenden] Gesetzes hier: … (= F 97b).

Dem Theomnestos wird vorgehalten, er wähne sich unschuldig, nur weil die Gesetze es als strafwürdig ansehen, jemanden ungerechtfertigterweise einen ‚Mörder‘ (andro­ phónos) zu nennen, er aber seinem Gegner vorgehalten habe, er habe seinen Vater getötet.258 Es komme aber nicht darauf an, nur das Wort ‚Mörder‘ zu vermeiden, sondern es sei eine gleich schwerwiegende Beleidigung, dies mit anderen Worten zum Ausdruck zu bringen. Im Zuge dieser Argumentation weist der Sprecher auf andere Gesetze Solons hin, die ausdrücklich als ‚die alten‘ bezeichnet sind und altertümliche Formulierungen aufweisen. Dazu gehört auch das Wort stásimos, das im Gesetz nicht im klassischen Sinne von ‚auf die Waage gelegt‘ verwendet ist, sondern in Sinne von ‚(auf Zins) festgelegt‘; da es in der Zeit Solons noch kein ausgemünztes Geld gab, lässt sich entgegen der Behauptung des Sprechers stásimos also durchaus im Sinne von ζυγῷ ἱστάναι („auf die Waage gelegt“) verstehen.259 Da ausdrücklich von ‚Silber‘ (argýrion) die Rede ist, lässt sich die Bestimmung nicht ohne weiteres auf Darlehen in Form von Nahrungsmitteln und Saatgut beziehen. Offenbar war nur bei den in Silber ausgegebenen Darlehen die Zinshöhe freigegeben, während für geliehenes Saatgut oder Nahrungsmittel andere Regeln galten.260 Aus der 258  Lys. 10,1.6. 259  Stásis im Sinne von Waage z. B. in Aristoph. batr. 1401. Paul Millett, Lending and Borrowing in Ancient Athens, Cambridge 1992, 50 weist darauf hin, dass stásimos im Kontext von Krediten allein an dieser Stelle belegt ist. Nach Michael Hillgruber, Die zehnte Rede des Lysias. Einleitung, Text und Kommentar, Berlin – New York 1988, 74 leitet sich das Adjektiv stásimos von ἱστάναι in der Bedeutung ‚wägen‘ ab und hat entgegen der Erklärung des Lysias doch mit ζυγῷ ἱστάναι zu tun. Siehe dort auch zur Beibehaltung des überlieferten εἶναι statt θεῖναι. S. C. Todd, A Commentary on Lysias, Speeches 1–11, Oxford 2007, 682 f. 260  In aller Regel war das Gesetz als generelle Freigabe des Zinssatzes verstanden worden (etwa Paul Millett, Lending and Borrowing in Ancient Athens, Cambridge etc. 1991, 50). Dagegen hatte Hillgruber 1988, 75 zu Recht argumentiert, dass in dem Zitat ein ganz bestimmtes Darlehen gemeint sei, bei dem, anders als sonst, der Zinssatz keiner Beschränkung unterlag. Die ausdrückliche Erlaubnis allgemein freier Zinsen passe auch nicht zu den Bemühungen Solons, die Bauern zu entschulden. Da Hillgruber

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Verfahren vor den Thesmotheten

Erläuterung des Hesychios zu triteús, ein Wort, das er in den Gesetzen Solons belegt fand, geht in der Tat hervor, dass Solon für Naturalien den Zinssatz beschränkt hat (F 109c). F 109b: Androtion, Atthis FgrH 324 F 34 (Mitte des 4. Jh. v. Chr.) (= F 105d) (Plut. Solon 15,3)

(3) καίτοι τινὲς ἔγραψαν, ὧν ἐστιν Ἀνδροτίων, οὐκ ἀποκοπῇ χρεῶν, ἀλλὰ τόκων μετριότητι κουφισθέντας ἀγαπῆσαι τοὺς πένητας, καὶ σεισάχθειαν ὀνομάσαι τὸ φιλανθρώπευμα τοῦτο καὶ τὴν ἅμα τούτῳ γενομένην τῶν τε μέτρων ἐπαύξησιν καὶ τοῦ νομίσματος τιμῆς. App. crit.: τῶν τε μέτρων ϒ, τῶν μετρίων S; τιμῆς: τιμήν Sintenis.

(3) Einige freilich, unter ihnen Androtion, haben geschrieben, nicht durch Aufhebung der Schulden (apokopḗ chreṓn), sondern nur durch Ermäßigung der Zinsen (tókōn metriótēs) habe er den Armen Erleichterung geschaffen, und diese hätten sich damit begnügt und diese menschenfreundliche Tat und die gleichzeitige Heraufsetzung der Maße und des Geldwerts als seisáchtheia bezeichnet. vgl. Etymologicum Magnum p. 710,32 s. v. σεισάχθεια: … Πλούταρχος ἐν Σόλωνι, Ἡ σεισάχθεια χρεῶν ἦν ἀποκοπὴ παρὰ Ἀθηναίοις. Τινὲς δέ φασι τόκων μετριότητα εἶναι, καὶ μέτρων ἐπαύξησιν, καὶ τιμὴν τοῦ νομίσματος. Ἐγὼ ἀνέγνων. – „seisáchtheia: … Plutarch [schreibt] im Solon, die seisáchtheia war die Aufhebung der Schulden (chreṓn apokopḗ) bei den Athenern. Einige aber sagen, es sei eine Ermäßigung der Zinsen (tókōn metriótēs) gewesen, und eine Heraufsetzung der Maße und des Geldwerts. Ich weiß es nicht“.

F 109c: Hesychios, Lexicon τ 1437–1438 s. v. τριτέα (5. Jh. n. Chr.) 1437 s. v. τριτέα· παρὰ Σόλωνι μὴ πλείω εἶναι τριτέως τὴν κτιστήν· 1438 s. v. τριτεὺς γὰρ †χοίνικος οὗτος† App. crit.: τριταία … τριταίας H: ordo, ut agnovit Schmidt 1858–68 (sed reicit); ex numeralibus corruptum esse et ad glossam τ 1438 pertinere suspicatus est Schmidt, tum pro γὰρ ci. γ′ (τρίτον) ‹   ›; κτιστήν: κρίσιν Musurus, ἔκτισιν Ruschenbusch und Leão/Rhodes; χοίνικες ιϛ′ (ἐκκαίδεκα) Pearson 664.

tritéa: bei Solon soll die †ktístē† [der Zinssatz?] nicht mehr als ein triteús sein. Dabei ist nämlich der dritte Teil (triteús) eines choínix [gemeint].

Eberhard Ruschenbusch folgt Manuskript H und legt als Text τριταία· παρὰ Σόλωνι μὴ πλείω εἶναι τριταίας τὴν ἔκτισιν zugrunde;261 er schlug für κτιστήν die Lesung ἔκτισιν ‚Ablösung‘, ‚Bezahlung‘, ‚Buße‘ vor und übersetzt: „tritaia (der dritte Tag). Bei Solon soll die Zahlung (der Ablösungssumme) nicht länger dauern als bis zum dritten Tag

einen Zusammenhang mit dem Diebstahlsdelikt sieht (dazu s. u. F 113a), erwägt er, ob es sich um ein Notdarlehen zur Begleichung einer Geldstrafe handelt, die nach einem Diebstahl verhängt worden war. Ein solcher Zusammenhang ist aber wenig wahrscheinlich (so auch Todd 2007 [wie Anm. 259], 682 f.). 261  Martina gibt in T 525 die Lesung τριταία· παρὰ Σόλωνι μὴ πλείω εἶναι τριταίας τὴν κτιστήν.

Schuldverpflichtungen und Zins (F 102–109)

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(beziehungsweise nicht länger dauern als drei Tage)“. Delfim F. Leão und P. J. Rhodes folgen dieser Lesung.262 Beide Editionen stellen das Fragment also in einen Zusammenhang mit Strafzahlungen oder der Erfüllung von rechtlich durchgefochtenen Ansprüchen. War der Angeklagte im Prozess unterlegen, war ihm zur Zahlung der Strafe oder zur Erfüllung eines Anspruchs eine bestimmte Frist gesetzt, prothesmía genannt. Kam der Unterlegene dem nicht innerhalb der Frist nach, war er ὑπερήμερος, und Zwangsmittel konnten gegen ihn angewandt werden.263 Solon soll eine Frist von drei Tagen eingeräumt haben, doch ist nicht sicher, worauf sich die Frist bezogen haben soll. Ruschenbuschs Lesung beruht auf dem Manuskript H, dem codex Marcianus; die neueste Edition des Lexikons von Peter Allan Hansen und Ian C. Cunningham folgt jedoch den Codices, die die Lesung τριτέα aufweisen, also τριτέα im Sinne von „den dritten Teil“ oder „einen triteús“ (Akk. zu ὁ τριτεύς ‚Drittelmaß‘). Nach dem Hinweis auf Solon folgt die Erläuterung: τριτεὺς γὰρ †χοίνικος οὗτος†, zu verstehen offenbar im Sinne von: „[gemeint] ist nämlich der triteús (dritte Teil) eines choínix“ und nicht der dritte Teil eines médimnos.264 Das γὰρ zeigt an, dass τ 1438 kein eigenständiger Eintrag ist, sondern als Erläuterung zu τ 1437 gehört.265 In dem Fragment des solonischen Gesetzes ging es also nicht um eine zeitliche Frist, sondern um die Begrenzung eines Maßes. Hesychios stellt mit seiner Erläuterung klar, dass es sich bei dem von Solon genannten triteús nicht um das ‚Drittel‘ eines médimnos, sondern um den dritten Teil einer choínix handelt, also eines 48sten Teils eines médimnos. Das bei Solon angegebene Hohlmaß war somit ein Drittel eines choínix, demnach der 144ste Teil (oder 0,7 Prozent) eines médimnos, nicht ein Drittel eines médimnos (also sechzehn choínikes).266 Wovon und wofür etwa 0,7 Prozent pro médimnos zu entrichten waren, lässt sich dem Fragment nicht entnehmen. Als Pachtabgabe wäre ein solcher Anteil unter einem Prozent zu gering. Es könnte sich um eine öffentliche Abgabe handeln, so dass κτίστη eine altertümliche Bezeichnung für ἐκτίσις ‚Bezahlung‘, ‚Buße‘ sein könnte, wie Eberhard Ruschenbusch angenommen hat. Gegen eine solche öffentliche

262  Leão/Rhodes 2015, 74: „If Ruschenbusch’s attractive emendation is right, …“. 263  Harpokr. υ 7 s. v. ὑπερήμεροι· οἱ δίκην ὀφλόντες ὁποιανοῦν καὶ τὰ ἐπιτίμια τοῖς ἑλοῦσι μὴ ἀποδιδόντες ἐν ταῖς τακταῖς προθεσμίαις ὑπερήμεροι ἐκαλοῦντο, καὶ τὸ πρᾶγμα ὑπερημερία, ὡς ὑποσημαίνεται ἐν τῷ Κατὰ Στρατοκλέους Ἰσαίου, εἰ γνήσιος ὁ λόγος ἐστίν. Vgl. Lexeis rhetorikai s. v. ὑπερήμεροι καὶ ὑπερημερία τί ἐστιν: ἐγκλήματος εἶδος. οἱ δίκην ὀφλόντες ὁποιανοῦν, καὶ τὰ ἐπιτίμια μὴ ἀποδιδόντες τοῖς ἑλοῦσιν ἐν ταῖς αὐταῖς προθεσμίαις, ὑπερήμεροι ἐκαλοῦντο, καὶ τὸ πρᾶγμα ὑπερημερία. Lipsius 1905–15, 948. 264  Der dritte Teil eines choínix ist in Hippokr. De natura muliebri 46 als Maß genannt (τριτέα χοίνικος). 265  So auch in der Edition von Peter Allan Hansen, Ian C. Cunningham, Hesychii Alexandrini Lexicon, Bd. 4, Berlin – New York 2009, 76 τ 1437–8: τριτέα· παρὰ Σόλωνι μὴ πλείω εἶναι τριτέως τὴν κτιστήν· τριτεὺς γὰρ †χοίνικος οὗτος†. 266  Vgl. Photius, Lex. τ 604 s. v. τριτεύς: τὸ τρίτον τοῦ μεδίμνου. Poll. 4,168: ὁ δὲ μέδιμνος χοίνικες ὀκτὼ καὶ τεσσαράκοντα, ὁ δ’ ἡμιμέδιμνος τέσσαρες καὶ εἴκοσιν, ὁ δὲ τριτεὺς ἑκκαίδεκα, ἑκτεὺς δ’ ὀκτώ, ἡμίεκτον τέτταρες. – „Der médimnos hat achtundvierzig choínikes, der hemimédimnos vierundzwanzig, der triteús sechzehn, der hekteús acht, das hemíhekton vier“.

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Verfahren vor den Thesmotheten

Abgabe spricht aber, dass gemäß Solon die Höhe einen triteús nicht überschreiten dürfe, offenbar aber niedriger angesetzt werden konnte. Dies spricht für eine Begrenzung des Zinssatzes, wie er zwischen Darlehensgeber und -nehmer vereinbart wurde und der dann bei Naturalien bis zu einem triteús pro médimnos betragen durfte, bei Geld (argýrion) hingegen frei aushandelbar war. Einen Hinweis darauf, dass Solon ein Gesetz zur Beschränkung der Zinsen gegeben hat, gibt die auf Androtion zurückgehende Angabe, Solon habe die Armen nicht durch eine Aufhebung der Schulden (apokopḗ chreṓn), sondern durch Ermäßigung der Zinsen (tókōn metriótēs) entlastet. Dies und die gleichzeitige Heraufsetzung der Maße und des Geldwerts habe man als seisáchtheia bezeichnet.267 Auch wenn diese Deutung der seisáchtheia unwahrscheinlich ist, wie es bereits Plutarch einschätzte, spricht dies dennoch dafür, dass Solon die Zinsen (für Kredite in Naturalien) beschränkt hat. VIII B 2 Schadensklage (díkē blábēs) und díkē exoúlēs Abstract: Bei rechtswidriger Schädigung konnte eine Schadensklage (díkē blábēs) eingereicht werden. War die Schädigung absichtlich geschehen, musste der Schaden doppelt ersetzt werden, war sie unabsichtlich geschehen, einfach. Bestimmungen aus dem Gesetz über rechtswidrige Schädigungen werden erst in Reden des demosthenischen Corpus und des Hypereides zitiert, doch wird es ein entsprechendes Verfahren bereits in solonischer Zeit gegeben haben. Denn Solon hatte durch Gesetz verboten, bei Schädigungen Zugriff auf freie Personen zu nehmen, die einen Schaden verursacht hatten. Fortan blieb die Forderung der Übereignung nur bei Sklaven, die Schäden gegenüber Dritten verursacht hatten, und bei Tieren bestehen. Hatten freie, aber der Hausgewalt unterstehende Personen eine Schädigung verursacht, konnte der Gewalthaber mittels díkē blábēs angeklagt werden, da er für diese Schädigungen haftete. Solche Klagen waren auch bei Schädigungen durch Sklaven möglich. Wegen Schädigung konnte vermutlich auch im Falle eines Diebstahls, eines tätlichen Angriffs (aikeía) oder einer Beleidigung geklagt werden und auch dann, wenn Nachbarn die im Gesetz festgelegten Abstände für Bauten, Pflanzungen oder auch Bienenstöcke nicht einhielten oder unrechtmäßig Wasser entnahmen (F 112 ff.). Widersetzte sich ein Verurteilter der Inbesitznahme oder Pfändung, konnte der Geschädigte dagegen mittels díkē exoúlēs klagen.

267  Die Heraufsetzung der Maße und Gewichte und des Geldes bezeugt auch Aristot. Ath. pol. 10,1. Zur Frage, ob Androtion im 4. Jh. eine politische Absicht mit seiner Darstellung verfolgte, und zu textlichen Varianten in F 34 siehe Phillip Harding, Androtion’s View of Solon’s Seisachtheia, in: Phoenix 28, 1974, 282–289, hier 282 Anm. 1.

Historische Einordnung – Schadensklage (díkē blábēs) und díkē exoúlēs (F 110–111)

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Historische Einordnung Das attische Recht der klassischen Zeit kannte die díkē blábēs als Privatklage wegen Schädigung des Eigentums. Weil Solon durch Gesetz das Recht auf Übertragung des Schädigers aufgehoben hatte, wenn es sich um eine freie Person handelte (F 103–108), gewannen Schadensklagen an Bedeutung. Zahlreichen erhaltenen oder nur durch Fragmente bekannten Gerichtsreden des 4. Jh. v. Chr. liegen Klagen wegen Schädigung zugrunde. Blábē meint jede rechtswidrige Schädigung, nach Justus Hermann Lipsius „jede Schädigung des Vermögens oder sonstigen Interesses, die von einem anderen durch sein Handeln oder auch durch Unterlassung einer Handlung herbeigeführt wird“, also auch Vertragsbruch oder das Unterlassen eines versprochenen Zeugnisses.268 Bei absichtlicher Tat war der zugefügte Schaden doppelt, bei unabsichtlicher einfach zu ersetzen. Im Gesetz Drakons war bei Tötungsdelikten festgelegt, dass ein nach Attika ohne Aussöhnung zurückgekehrter Täter getötet oder zur Hinrichtung abgeführt, aber nicht misshandelt oder ein Wergeld von ihm verlangt werden durfte; auf ein Gesetz Solon geht die Bestimmung zurück, dass der, welcher dagegen verstieß, das Doppelte des zugefügten Schadens schuldete.269 Auch ein Gläubiger konnte gegen den säumigen Schuldner wegen blábē klagen.270 Für den Schaden, den ein Sklave oder ein vierfüßiges Tier verursacht hatte (βλάβη ἀνδραπόδων; βλάβη τετραπόδων), haftete der Herr beziehungsweise Besitzer.271 Der Herr eines Sklaven hatte die Wahl, für den Schaden aufzukommen oder den Sklaven dem Geschädigten auszuhändigen (F 110d). Platon jedenfalls sah in den Gesetzen eine solche Wahl zwischen Schadensersatz und Auslieferung vor.272 Voraussetzung der Klage war im römischen Recht ein beim Prozess bestehendes Gewaltverhältnis.273 Dem entspricht im attischen Recht die bei Hypereides überlieferte Bestimmung, „dass für die Schäden (zēmíai), die die Sklaven (oikétai) verursacht haben, und für die Verstöße (adikḗmata) derjenige Herr (despótēs) aufkommen muss, bei dem die Sklaven (oiké­ 268  Lipsius 1905–15, 653; ähnlich Wolff 1943/1961, 101; im Gegensatz zu blábē ist blábos „der materielle Schaden im Sinne einer abschätzbaren Vermögensminderung“ (ebd. 101 Anm. 24). Zu den verschiedenen Formen der Schädigung, auch durch Diebstahl, Vertragsbruch und Schädigung des Nachbarn, Phillips 2013, 286 f. Möglicherweise waren im Gesetz über Schädigung manche dieser Delikte (und die dafür vorgesehene Strafhöhe) ausdrücklich genannt, andere nicht (siehe Lexeis rhetorikai ε [Anecd. gr. p. 251,31 Bekker] s. v. ἔνθεσμος βλάβη: ἡ ἐν τοῖς νόμοις ὡρισμένη und Synagoge α [Anecd. gr. p. 38,1–3 Bekker] s. v. ἄθεσμος βλάβη: ἦσάν τινες ἄθεσμοι καλούμεναι βλάβαι, περὶ ὧν νόμος οὐκ ἦν κείμενος. τὸ δὲ αὐτὸ ἐκαλεῖτο καὶ ἄθεσμος δίκη). Dazu Phillips 2013, 331. Zum Vertragsbruch siehe ebd. Nr. 256, 259, 263. 269  Demosth. or. 23,28 (F 33a): διπλοῦν ὀφείλειν ὅσον ἂν καταβλάψῃ. 270  So Demosth. or. 36,20. 271  Ps.-Demosth. or. 53,19 f. 272 Dazu s. o. S. 642–663. 273  Gaius inst. 4,77: „Alle Schadensklagen (noxales actiones) aber haften an der Person. Denn wenn dein Sohn oder Sklave jemandem eine Schädigung zugefügt hat, so ist die Klage gegen dich zu richten, solange er in deiner Hausgewalt ist; ist er aber in die Hausgewalt eines anderen übergegangen, so richtet sich von da an die Klage gegen diesen“.

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Verfahren vor den Thesmotheten

tai) gearbeitet haben“ (F 110d).274 Im attischen Recht ist die Ersatzpflicht des Herrn bei dem vom Sklaven verursachten Schaden erst durch Demosthenes und Hypereides bezeugt.275 Eine vollzogene Übereignung, die bei Sklaven und Tieren nach wie vor möglich war, ist für klassische Zeit nicht nachgewiesen. Schadensklagen waren bei den Thesmotheten einzureichen. Der Kläger musste den erlittenen Schaden abschätzen und gleich in der Klageschrift einen Entschädigungsantrag stellen, dem der Beklagte für den Fall seiner Verurteilung einen Gegenantrag entgegenstellen konnte. Darüber und über die Absicht des Schädigers hatten die Geschworenen zu entscheiden.276 Wegen Schädigung konnte vermutlich auch im Falle eines Diebstahls, eines tätlichen Angriffs (aikeía) oder einer Beleidigung geklagt werden, oder auch in den Fällen, in denen Nachbarn ein Feld über die Besitzgrenzen hinaus bewirtschaftet oder die im Gesetz festgelegten Abstände für Bauten, Pflanzungen oder auch Bienenstöcke nicht eingehalten oder unrechtmäßig Wasser entnommen hatten.277 War der Angeklagte im Prozess unterlegen, war ihm zur Zahlung der Strafe oder zur Erfüllung eines Anspruchs eine bestimmte Frist gesetzt, prothesmía genannt.278 Kam der Unterlegene dem nicht innerhalb der Frist nach, war er ὑπερήμερος, und Zwangsmittel konnten gegen ihn angewandt werden.279 Ging der Rechtsstreit um einen beweglichen Gegenstand, konnte sich der Kläger nach dem Urteil dessen bemächtigen, war es eine Immobilie, konnte er sich mittels embáteusis in den Besitz setzen. Wurde er daran gehindert, konnte er eine Klage exoúlēs einbringen oder eine Pfändung vorneh-

274  In Gortyn galt: Wenn jemand auf der Agora einen Sklaven gekauft und den Kauf nicht innerhalb von sechzig Tagen rückgängig gemacht hatte, sollte für den Fall, dass der Sklave vor dem Kauf jemandem Unrecht zugefügt oder es später getan hatte, der neue Besitzer haften (ICret IV 72 col. 7,11–15). 275  Ps.-Demosth. or. 53,19 f.; Hyp. 3,22 (F 110d). Eine συνηγορία Παρμένοντι ὑπὲρ ἀνδραπόδου βλάβης erwähnt Dionysios von Halikarnass auch unter den Reden des Deinarch (Dion. Dinarch. 12). 276  Lipsius 1905–15, 661; Phillips 2013, 287. 277  Vgl. Gaius inst. 4,76: „Geschaffen worden aber sind die Schadensklagen (noxales actiones) teils durch Gesetze, teils durch das Edikt des Prätors: durch Gesetze, wie beispielsweise bei Diebstahl durch das Zwölftafelgesetz, bei rechtswidriger Schädigung durch die lex Aquilia, durch das Edikt des Prätors, wie beispielsweise bei Verletzung (iniuria) und Raub“. 278  Eberhard Ruschenbusch hatte in Hesych. τ 1437–1438 s. v. τριτέα ein Gesetz über die festgelegte Zahlungsfrist gesehen. Statt τριτέα· παρὰ Σόλωνι μὴ πλείω εἶναι τριτέως τὴν κτιστήν vertritt er die Lesung τριταία· παρὰ Σόλωνι μὴ πλείω εἶναι τριταίας τὴν ἔκτισιν und übersetzt: „tritaia (der dritte Tag). Bei Solon soll die Zahlung (der Ablösungssumme) nicht länger dauern als bis zum dritten Tag (beziehungsweise nicht länger dauern als drei Tage)“. Delfim F. Leão und P. J. Rhodes folgen dieser Lesung (Leão/Rhodes 2015, 74). Beide Editionen stellen das Fragment also in einen Zusammenhang mit Strafzahlungen oder der Erfüllung von rechtlich durchgefochtenen Ansprüchen. Ähnlich auch Martina in T 525. Siehe dazu den Kommentar zu F 109c). 279  Harpokr. υ 7 s. v. ὑπερήμεροι· οἱ δίκην ὀφλόντες ὁποιανοῦν καὶ τὰ ἐπιτίμια τοῖς ἑλοῦσι μὴ ἀποδιδόντες ἐν ταῖς τακταῖς προθεσμίαις ὑπερήμεροι ἐκαλοῦντο, καὶ τὸ πρᾶγμα ὑπερημερία, ὡς ὑποσημαίνεται ἐν τῷ Κατὰ Στρατοκλέους Ἰσαίου, εἰ γνήσιος ὁ λόγος ἐστίν. Vgl. Lexeis rhetorikai s. v. ὑπερήμεροι καὶ ὑπερημερία τί ἐστιν: ἐγκλήματος εἶδος. οἱ δίκην ὀφλόντες ὁποιανοῦν, καὶ τὰ ἐπιτίμια μὴ ἀποδιδόντες τοῖς ἑλοῦσιν ἐν ταῖς αὐταῖς προθεσμίαις, ὑπερήμεροι ἐκαλοῦντο, καὶ τὸ πρᾶγμα ὑπερημερία. Lipsius 1905–15, 948.

Historische Einordnung – Schadensklage (díkē blábēs) und díkē exoúlēs (F 110–111)

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men.280 Wurden die gepfändeten Gegenstände nicht innerhalb einer bestimmten Frist eingelöst, konnten sie verkauft werden.281 Auch wenn der Gläubiger an der Pfändung gehindert wurde, stand ihm eine díkē exoúlēs offen.282 Literatur Lipsius 1905–15, 652–663; Hans Julius Wolff, Die dike blabes in Demosthenes, or. LV, in: ders., Beiträge zur Rechtsgeschichte Altgriechenlands und des hellenistisch-römischen Ägypten, Weimar 1961, 91–101 (zuerst in: Journal of Philology 64, 1943, 316 ff.); Ja. A. Lencman, Raby v zakonach Solona. K voprosu o dostovernosti antičnoj tradicii (= Die Sklaven in Solons Gesetzen. Zur Frage nach der Glaubwürdigkeit der antiken Tradition), in: VDI 63,4, 1958, 51–69; Hinrich Mummenthey, Zur Geschichte des Begriffs βλάβη im attischen Recht, Diss. Freiburg 1971; Harald Meyer-Laurin, Die Haftung für den noxa non solutus beim Sklavenkauf nach griechischem Recht, in: Symposion 1974. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Gargnano am Gardasee, 5.–8. Juni 1974), Köln – Wien 1979, 263–282; Eberhard Klingenberg, Platons νόμοι γεωργικοί und das positive griechische Recht, Berlin 1976; MacDowell 1978, 136 f.; Todd 1993, 279–282; Gerhard Thür, Sachverfolgung und Diebstahl in den griechischen Poleis (Dem. 32, Lys. 23, IC IV 72 I, IPArk 32 u. 17), in: Symposion 1999. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Pazo de Mariñán, La Coruña, 6.–9. September 1999), Köln – Weimar – Wien 2003, 57–96; Phillips 2013, 286–331; Chris Carey, Bridging the Divide between Public and Private: dike exoulēs and Other Hybrids, in: Chris Carey, Ifigeneia Giannadaki, Brenda Griffith-Williams (Hrsg.), Use and Abuse of Law in the Athenian Courts, Leiden – Boston 2019, 75–92.

280  Lipsius 1905, 664–673. „Weiter ist die Klage in den Fällen zulässig, in denen jemand an Ausübung des vom Gesetze gewährten Rechtes zur Besitzergreifung gehindert wird, so der heres suus, der ohne weiteres sich in den Besitz seines Erbes durch ἐμβάτευσις setzen darf (…), und der Pfandgläubiger, der, wenn der Schuldner seinen Verbindlichkeiten nicht nachkommt, das ihm verpfändete Grundstück sofort in Besitz nehmen darf.“ Die Klage sei ein wirksamer Ersatz für die Selbsthilfe gewesen (ebd. 667). Nach Carey 2019, 87 kann das Verfahren mindestens bis ins 5. Jh. zurückverfolgt werden, da der Komödiendichter Phrynichos darauf anspiele. Aufgrund der präzisen Angabe des áxōn schließt Carey, „that the ultimate authority may be from the classical period and (unless we have an elegant bluff) well informed“. Für eine frühe Entstehung mindestens im frühen 5. oder im 6. Jh. sprächen auch die nicht in Münzgeld angegebenen Strafen und die altertümlichen Begriffe ἐξούλη und ἐξίλλειν. 281  Vgl. dazu den in Ps.-Demosth. or. 35,10–13 überlieferten Vertrag über ein Seedarlehen, der auch die Pfandnahme regelte. Dazu Michael Austin, Pierre Vidal-Naquet, Gesellschaft und Wirtschaft im alten Griechenland, München 1984, 312–314 Nr. 121. 282  Lipsius 1905–15, 948–952, hier 951; Harrison 1968–71, Bd. 2, 185–190. Zur díkē exoúlēs siehe die Darlegung von Max Kaser, Der altgriechische Eigentumsschutz, in: ZRG Rom. Abt. 64, 1944, 134–205, hier 191–201: „Die δίκη ἐξούλης ist eine ‚Deliktsklage zum Schutze berechtigter Selbsthilfe‘, aber von vornherein auf bestimmte Tatbestände beschränkt. Nach der Überlieferung sind zu ihr berechtigt: ‚1. der Inhaber eines urteilsmäßig festgestellten Rechts an einem Grundstück und der pfändungsberechtigte Gläubiger, 2. der Pfandgläubiger, 3. der suus heres (γνήσιος), 4. der Pächter und Käufer vom Staat‘. Der Tatbestand des Delikts besteht, wie schon der Name der Klage sagt, in einem Verstoßen, Vertreiben, Hinausführen aus einem Grundstück, auf dem der Berechtigte vollstrecken wollte, sei es daß er das Grundstück selbst besetzen, sei es daß er sich den Besitz dort liegender beweglicher Sachen verschaffen wollte“ (191).

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Verfahren vor den Thesmotheten

Schadensklage (díkē blábēs) und díkē exoúlēs (F 110–111) F 110 Schadensklage (díkē blábēs) (F 110a: F 34a Ruschenbusch, Leão/Rhodes, T 457 Martina; F 110b: T 397 Martina; F 16 Ruschenbusch; F 16/a Leão/Rhodes; F 110d: T 409 Martina; F 119 Ruschenbusch, F 34/c Leão/Rhodes)

F 110a: Lysias, Gegen Theomnestos I (or. 10) § 19 (384/3 v. Chr.) (15) Καί μοι ἀνάγνωθι τούτους τοὺς νόμους τοὺς Σόλωνος τοὺς παλαιούς. (16) ΝΟΜΟΣ …

(18) … ἐπανάγνωθι τουτὶ τοῦ νόμου τὸ τελευταῖον. (19) „ὅσαι δὲ πεφασμένως πολοῦνται“, καὶ „οἰκῆος † καὶ βλάβης τὴν δούλην εἶναι † ὀφείλειν“. πρόσεχετε τὸν νοῦν. τὸ μὲν πεφασμένως ἐστὶ φανερῶς, πωλεῖσθαι δὲ βαδίζειν, τὸ δὲ οἰκῆος θεράποντος. (20) πολλὰ δὲ τοιαῦτα καὶ ἄλλα ἐστίν, ὦ ἄνδρες δικασταί. App. crit.: (18) ἐπανάγνωθι codd., ἔτι δ᾽ἀνάγνωθι Müller; τουτουὶ Markland, τουτὶ codd. (19) ὅσαι: ὅσοι codd.; πωλοῦνται X (mox etiam πωλεῖσθαι XK), πολοῦνται C; οἰκῆος καὶ βλάβης τὴν δούλην εἶναι ὀφείλειν codd.; οἰκῆος καὶ δούλης τὴν βλάβην εἶναι ὀφείλειν Schott, Lencman; καὶ οἰκῆος βλάβης τὴν διπλῆν εἶναι ὀφείλειν Schelling, Hude; οἰκῆος καὶ δούλης διπλῆν (ἀπλῆν) τὴν βλάβην ὀφείλειν Frohberger (Blass); πρόσεχετε codd., πρόσεχε Müller.

(15) Verlese mir also diese Gesetze Solons, die alten: (16) Gesetz …

(18) … Lies schließlich noch den Schluss dieses Gesetzes hier: (19) „diejenigen, die sich öffentlich feilbieten“ und „den Schaden eines Hausangehörigen (oikeús) schuldet man ‹in doppelter Höhe›“. Passt auf! Das ‚offensichtlich‘ (pephasménōs) bedeutet ‚für alle sichtbar‘ (pha­ nerṓs), das ‚sich feilbieten‘ (pōleísthai) bedeutet ‚auf den Strich gehen‘ (badízein), das ‚eines Hausangehörigen‘(oikḗos) aber ‚eines Bediensteten‘ (therápontos). (20) Noch viele andere Beispiele dieser Art gibt es, Geschworene.

Mit dem ἐπανάγνωθι am Ende von Lys. 10,18 nimmt der Sprecher das ἀνάγνωθι in § 15 wieder auf und lässt nach einer Bestimmung über die Zinshöhe bei Darlehen in § 18 (F 109a) zwei weitere Zitate aus anderen alten Gesetzen Solons (τουτὶ τοῦ νόμου τὸ τελευταῖον) verlesen. Sie stammen, wie das erste Zitat zeigt, aus dem Gesetz über außerehelichen Geschlechtsverkehr; am Ende dieses Gesetzes war festgelegt, dass Tötung, apagōgḗ, die Klage wegen moicheía und peinliche Strafen nicht zulässig waren, wenn es sich bei der Frau um eine Hetäre oder Prostituierte handelte; daran schloss sich eine Bestimmung vermutlich über Entschädigungen an, die bei außerehelichem Verkehr mit gewaltunterworfenen Personen zu zahlen waren (F 97b).283 Das Zitat οἰκῆος † καὶ βλάβης τὴν δούλην εἶναι † ὀφείλειν in Lys. 10,19 wird also nicht auf Stra-

283  So auch Lipsius 1905–15, 639, der es als Bestandteil der díkē biaíōn ansieht, durch die einfacher Schadensersatz bei Vergewaltigung eines Sklaven oder einer Sklavin geregelt war.

Schadensklage (díkē blábēs) und díkē exoúlēs (F 110–111)

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fen für Schäden zu beziehen sein, die von Unfreien verursacht worden waren.284 Dafür spricht auch die Nennung der doúlē im Zitat; da eine Sklavin vorwiegend im Haus arbeitete, wird sie kaum Gelegenheit gehabt haben, Schaden am Eigentum einer anderen Person zu verursachen. Ein Gesetz, wonach der Herr für die von seinem Sklaven (oikétēs) verursachten Strafen und begangenen Vergehen aufkommen musste, lässt sich also durch Hyp. 3,22 (F 110d) erst für die zweite Hälfte des 4. Jh. v. Chr. nachweisen, obgleich eine solche Bestimmung sicherlich wesentlich älter gewesen sein dürfte. Dasselbe gilt auch für die Bestimmung, dass bei einer absichtlich herbeigeführten Schädigung der in einer díkē blábēs schuldig Gesprochene den Schaden doppelt, bei unabsichtlich herbeigeführter Schädigung einfach ersetzen musste.285 Dem würde entsprechen, dass bei der Vergewaltigung eines Sklaven oder einer Sklavin der Schaden doppelt zu entrichten wäre, da in diesen Fällen Absicht zu unterstellen war. Allerdings ist διπλῆν im verderbt überlieferten Text nicht enthalten. Οἰκεύς könnte sich in solonischer Zeit auf den freien Knecht, δούλη auf die freie Magd beziehen, wohingegen in klassischer Zeit darunter Sklave und Sklavin verstanden wurden. F 110b: Gesetz in Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 28 (352/1 v. Chr.) (= F 8a, 33a) καίτοι πάντα ταῦτ’ ἀπείρηκεν ἄντικρυς καὶ σαφῶς ὁ κάτωθεν νόμος μηδὲ τοὺς ἑαλωκότας καὶ δεδογμένους ἀνδροφόνους ἐξεῖναι ποιεῖν. λέγε δ’ αὐτοῖς αὐτὸν τὸν νόμον τὸν μετὰ ταῦτα ΝΟΜΟΣ

Τοὺς δ’ ἀνδροφόνους ἐξεῖναι ἀποκτείνειν ἐν τῇ ἡμεδαπῇ καὶ ἀπάγειν, ὡς ἐν τῷ ἄξονι ἀγορεύει, λυμαίνεσθαι δὲ μή, μηδὲ ἀποινᾶν, ἢ διπλοῦν ὀφείλειν ὅσον ἂν καταβλάψῃ. App. crit.: δ’ om. A; ‹αʹ› ante ἄξονι add. Cobet; ἀπαγορεύει A.

Und doch hat all dies das von unten her [stammende] Gesetz (ho kátōthen nómos) das alles ausdrücklich und klar verboten und sogar überführten und anerkannten Tätern von Tötungsdelikten anzutun untersagt. Lies ihnen [den Geschworenen] das Gesetz vor, das darauf folgt 284  Daher ist auch Ammonios, De adfinium vocabulorum differentia 345 s. v. οἰκότριψ καὶ οἰκέτης (ed. Nickau) mit dem Beleg οἰκεύς für die áxones Solons wie Lys. 10,19 als F 97c den Sexualdelikten zugeordnet; Eberhard Ruschenbusch und Delfim F. Leão / P. J. Rhodes haben das Fragment hingegen mit Lys. 10,19 den Schadensklagen zugewiesen (F 34b neu Ruschenbusch, F 34b Leão/Rhodes). 285  Demosth. or. 21,43: πρῶτον μὲν τοίνυν οἱ περὶ τῆς βλάβης οὗτοι νόμοι πάντες, ἵν’ ἐκ τούτων ἄρξωμαι, ἂν μὲν ἑκὼν βλάψῃ, διπλοῦν, ἂν δ’ ἄκων, ἁπλοῦν τὸ βλάβος κελεύουσιν ἐκτίνειν – „Zuerst also die wegen Schädigung (blábē) erlassenen Gesetze, um mit diesen zu beginnen, die allesamt anordnen, dass, wer absichtlich (hékōn) Schaden verursacht, ihn doppelt, wer unabsichtlich (ákōn), ihn einfach zu ersetzen habe“; vgl. or. 23,28 und 23,50 (F 110b–c); Ps.-Demosth. or. 56,27: ἀποτίνειν κελεύει διπλάσια τὰ χρήματα und Deinarch. 4 (Gegen Demosthenes), 60: ἀλλ’ οἱ νόμοι περὶ μὲν τῶν ἄλλων ἀδικημάτων τῶν εἰς ἀργυρίου λόγον ἀνηκόντων διπλῆν τὴν βλάβην ὀφείλειν κελεύουσι. In der pseudo-demosthenischen Rede Gegen Kallippos ging der Kläger gegen den Bankier Pasion mit einer Schadensklage auf den doppelten Betrag vor (or. 52,26, vgl. 52,14; dazu Hans Julius Wolff, Grundlagen des griechischen Vertragsrechts, in: ZRG Rom. Abt. 74, 1957, 26–72, hier 44–51; Phillips 2013, 287). Gemäß dem Beschluss der Athener über die eleusinischen Mysterien war die Strafe bei nicht absichtlicher Schädigung einfach, bei absichtlicher doppelt zu entrichten (IG I3 6; Osborne/Rhodes 106; I.Eleusis 19 B Z. 4–8: [τὰ] μὲν ℎακόσι[α] [ℎ]απλε͂ι, τὰ δὲ [ℎε]κόσια διπλε�̣[ι). Lipsius 1905–15, 654.

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Verfahren vor den Thesmotheten Gesetz

„Die verurteilten Täter (androphónoi) auf heimischem Boden zu töten oder abzuführen (apágein), ist zulässig, wie es auf dem áxōn bestimmt ist, sie zu misshandeln aber nicht und auch nicht, ein Wergeld zu verlangen. Andernfalls schulde man das Doppelte (diploún opheílein) von dem, was man an Schaden angerichtet hat (katablápsai)“.

F 110c: Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) § 50 (352/1 v. Chr.) „ἄν τις καταβλάψῃ τινά … ἑκὼν ἀδίκως, …“ „Wer einen anderen schädigt, … absichtlich und unrechtmäßig, …“.

Demosthenes stellt in or. 23,50 zwei Zitate aus Drakons Gesetz über die Tötung anderen Zitaten gegenüber, wobei eines der beiden Zitate aus dem Gesetz über Schädigungen entnommen ist. Bei absichtlicher Schädigung war der Schaden in doppelter Höhe zu zahlen. Nach David Phillips stammt das Zitat möglicherweise aus einem solonischen Gesetz.286 F 110d: Hypereides, Gegen Athenogenes (or. 3) § 21–22 (col. 10) (330–324 v. Chr.) (21) … διαιτητὴς ἡμῖν γενέσθω ὁ νόμος, ὃν οὐχ̣ οἱ ἐρῶντε̣[ς ο]ὐδ’ οἱ ἐπιβουλεύοντες τοῖς [ἀλλ] οτρίοις ἔθεσαν ἀλλ’ ὁ δημοτικώτα[τος] Σόλων· (22) ὃς εἰδὼς ὅτι πολλαὶ ὠναὶ [γίγνον̣]ται ἐν τῇ πόλει, ἔθηκε νόμον δίκαι[ον, ὡς] παρὰ πάντων ὁμολογ[ε]ῖται, τὰς ζη[μίας ἃς ἂ̣ν] ἐργάσωνται οἱ οἰκέται κατὰ τὰ ἀ[δικήμ]ατα διαλύειν τὸν δεσπότην παρ’ ὧι [ἂν ἐργάσ]ωνται οἱ οἰκέται. εἰκότως. App. crit.: ἀ[δικήμ]ατα Wyse, Jensen (originally), Whitehead; ἀ[ναλώμ]ατα Revillout, Jensen (addenda); ἁ[μαρτήμ]ατα Weil; κατὰ τὰ ἀ[δικήμ]ατα Meyer-Laurin, καὶ τὰ ἀ[ναλώμ]ατα Jensen.

(21) Das Gesetz soll uns ein Schiedsrichter (diaitētḗs) sein, das nicht die Liebhaber (erṓntes) und nicht diejenigen gegeben haben, die es auf fremden Besitz abgesehen haben, sondern der dem Volk so zugetane Solon. (22) Da er wusste, dass in der Stadt (pólis) viele Käufe (ōnaí) getätigt wurden, gab er ein gerechtes Gesetz (nómos), wie von allen übereinstimmend geurteilt wird, dass für die Schäden (zēmíai), die die Sklaven (oikétai) verursacht haben, derjenige Herr (despótēs) gemäß Vergehen (adikḗmata) aufkommen muss, bei welchem die Sklaven (oikétai) gearbeitet haben. Und das mit Recht.

Zēmía in Hyp. 3,22 ist im Sinne von ‚Schäden‘ zu verstehen;287 unterschiedlich ergänzt wird die Lesung ἀ[δικήμ]ατα (‚Verstöße‘) oder ἀ[ναλώμ]ατα (‚Aufwendungen‘).288 286  Phillips 2013, 291 Nr. 240. 287  J. O. Burtt (LCL) übersetzt „stating that any offences or crimes committed by a slave shall be the responsibility of the master who owns him at the time“ und bemerkt: „ζημία̣ν ἐργάζεσθαι, which appears to be an old legal phrase, is variously understood. Other interpretations than that adopted in the translation are: (1) to incur loss, (2) to incur a fine“. 288  Leão/Rhodes 2015, 54 ziehen die Lesung ἀ[ναλώμ]ατα vor, übersetzen aber „that the crimes perpetrated by slaves and their offences shall be discharged by the owner for whom they work“; Phillips 2013, 327 Nr. 262 übersetzt: „whatever losses [zêmias] and expenses [analômata] slaves cause shall be

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Das von Hypereides indirekt wiedergegebene Gesetz bezieht sich auf den oikétēs, also den Sklaven. Dies mag auf die Gesetzesrevision am Ende des 5. Jh. zurückgehen; denn in dem solonischen Gesetz in Lys. 10,19, in dem bei Vergewaltigung eines Abhängigen Schadenersatz festgelegt war, und bei Ammonios (F 97b–c) ist nicht oikétēs, sondern oikeús überliefert.289 Die Bestimmung, wenn sie auf solonische Zeit zurückgeht, wird sich also auf den ‚Hausangehörigen‘ beziehen, womit ein Familienmitglied oder ein freier Knecht gemeint war.290 Freies Gesinde arbeitete in der Regel aufgrund eines mündlich abgeschlossenen Vertrags; Knechte und Mägde stellten für ein Jahr ihre Arbeitskraft dem Herrn zur Verfügung, konnten dafür auf dem Hof wohnen, erhielten aus den Erträgen ihren Lebensunterhalt und nach Ablauf eines Jahres Lohn in Form von Kleidung und Schuhen. War der Herr mit ihnen zufrieden, konnten sie ein weiteres Jahr bleiben; ansonsten suchten sie sich eine neue Anstellung. Der letzte Satz bei Hyp. or. 3,22 könnte auf einen solchen ‚wechselnden Gesindedienst‘ hinweisen und das Gesetz ursprünglich geregelt haben, dass der dominus für solche Schäden des Gesindes aufkommen musste, die entstanden waren, während der Knecht oder die Magd in seinem Dienst gestanden hatte, gemäß Vergehen (also ob es absichtlich oder unabsichtlich geschehen war); in klassischer Zeit war das Gesetz hingegen auf Sklaven bezogen worden, die – wie der bei Hypereides vorangehende Kontext zeigt – an einen anderen Herrn verkauft worden waren.291 Geht man bei dem Gesetz von einem direkten Zitat aus, würde dies heißen, dass im attischen Recht die Haftungsverpflichtung nicht an den Käufer des Sklaven überging, sondern bei dem Herrn blieb, der ihn besaß, als die Schädigung eintrat. Damit stünde das attische Recht im Gegensatz zu anderen antiken Rechtskulturen. Harald Meyer-Laurin hat dies mit einem Hinweis auf das nur indirekt wiedergegebene Gesetz und damit auszuräumen versucht, dass

discharged by the master for whom the slaves are working“. Meyer-Laurin 1979, 264 Anm. 10 zu ἀ[δικήμ] ατα: „Diese, auf Jensen, gefolgt von Wyse, … zurückgehende Ergänzung berücksichtigt, dass für Delikte auch sonst in noxalrechtlichen Bestimmungen der Ausdruck ἀδικήματα begegnet und geradezu technisch verwendet worden zu sein scheint, … Viele Autoren übernehmen noch das von Blass und Revillout ergänzte ἀ[ναλώμ]ατα, weil so verstanden die Vorschrift dem Sachverhalt am nächsten käme, bei dem es um die Haftung für von Sklaven eingegangene geschäftliche Verbindlichkeiten ging. … Das würde, …, voraussetzen, dass der Eigentümer nicht nur für Delikte, sondern auch für vertragliche Schulden seiner Sklaven noxal haftbar gewesen sei“. Vgl. ebd. 281 f. 289  Denn diese wurden, wie Ammonius erläutert, „gänzlich im Haus verpflegt“. Tassilo Schmitt, Art. Sklaventerminologie, in: Heinz Heinen [Hrsg.], Handwörterbuch der antiken Sklaverei, Stuttgart 2017, 2690–2698, hier 2694: „Auch das ältere oikeús (οἰκεύς) […] und das jüngere oikétes (οἰκέτης) erinnern zunächst an die Rolle als Dienstperson im Haus (oíkos, οἴκος), verengen sich aber tendenziell auf Sklaven und werden schließlich von doúlos verdrängt“. 290  J. A. Lencman und E. Ruschenbusch (F 119) haben das bei Hypereides überlieferte Gesetz nicht als solonisch anerkannt. Marie-Madelaine Mactoux, Lois de Solon sur les esclaves et formation d’une société esclavagiste, in: Toru Yuge, Masaoki Doi (Hrsg.), Forms of Control and Subordination in Antiquity, Leiden 1988, 331–354, hier 334–336 ist dafür eingetreten, das Gesetz, das sie ICret IV 72 col. 6,15–20 an die Seite stellt, als solonisch anzusehen; ebenso Leão/Rhodes 2010, 53 f. F 34/c. 291  Letzteres befürwortet Lencman 1958, 63 mit Verweis auf Demosth. or. 53,20.

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Verfahren vor den Thesmotheten

der noxal belastete Sklave an den Verkäufer hätte zurückgegeben werden können, so dass er letztlich doch den Schaden zu tragen hatte.292 Allerdings besteht keine Notwendigkeit, das in der Hypereidesrede wiedergegebene Gesetz mit der Noxalhaftung in Verbindung zu bringen, wenn es ursprünglich um Schäden ging, die abhängig arbeitende, freie Personen verursacht hatten, die der Hausgewalt eines anderen unterworfen waren. Platon wird sich bei seinem Gesetz über Schäden in den Nomoi an dem attischen Recht orientiert haben, wenn er formuliert: „Richtet ein Sklave (doúlos) oder eine Sklavin (doúlē) an fremdem Gut Schaden an, ohne dass der Geschädigte (blabeís) selber durch Unerfahrenheit oder sonst ein unbedachtes Vorgehen daran mitschuldig (synaítios) geworden ist, so soll der Herr (despótēs) des Schädigers den Schaden (blábē) vollständig ersetzen oder den Schädiger selbst ausliefern“.293 F 111 Gesetz über den Zugriff auf Sachen (nómos exoúlēs) (F 111a: T 569a Martina; F 36a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 111b: T 569b Martina; F 36b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 111a: Krates in Scholia vetera in Homeri Iliadem 21, 282e (= T 18a) (H. Erbse, Scholia Graeca in Homeri Iliadem [scholia vetera], Berlin 1969–1988)

ἐρχθέντ’ ἐν μεγάλῳ: … Κράτης· „εἰλθέντ’ ἐν μεγάλῳ“· εἴλλειν γάρ φησιν εἶναι τὸ εἴργειν, ὥστε τὴν τῆς κωλύσεως δίκην ἐξουλῆς καλεῖσθαι, καὶ παρατίθεται Σόλωνος ἐν ε ἄξονι· „ἐξουλῆς· ἐάν τις ἐξίλλῃ, ὧν ἄν τις δίκην νικήσῃ, ὁπόσου ἂν ἄξιον ᾖ, εἰς δημόσιον ὀφλανεῖ/ὀφείλειν καὶ τῷ ἰδιώτῃ, ἑκατέρῳ ἴσον“. App. crit.: ἰαλειν cod., corr. Lipsius; ἐκ ε ἄξονος Pap.; εννεαξονι cod. Genf, corr. Ruschenbusch; ἐάν τις … ὁπόσου post δίκην ἐξουλῆς habet cod.; ἐξηλμάτων ἀντὶ cod., corr. Ruschenbusch; δίκανικῆς ἤ cod., corr. Ruschenbusch; ὀφλανῆ cod., corr. Ruschenbusch.

„eingeschlossen im Großen“ (erchthént’ en megálō): … Krates: „eilthént’ en megálō“. Denn eíl­ lein [‚hindern‘] ist nach ihm dasselbe wie eírgein, weshalb man auch die Klage wegen Hinderung [des Zugriffsrechts] exoulḗs nannte. Und als Beleg führt er ein Gesetz Solons auf dem 5. áxōn an: „exoulḗs: Wenn jemand [einen] am Zugriff auf das hindert (exíllein), was er erfolgreich bei Gericht erstritten hat, dann soll er der öffentlichen Kasse und dem Geschädigten, jedem gleich, soviel schulden, was es wert war“.

292  Meyer-Laurin 1979, 264–267 schließt die Haftung für einen Sklaven, den ein Herr früher in Besitz gehabt hatte, aus, weil bei der Noxalhaftung im Grundsatz die Herausgabepflicht primär war, aber der ursprüngliche Besitzer nach dem Verkauf keinen Zugriff auf den Sklaven mehr hatte. 293  Plat. leg. 11, 936c–e: δοῦλος δ’ ἂν ἢ δούλη βλάψῃ τῶν ἀλλοτρίων καὶ ὁτιοῦν, μὴ συναιτίου τοῦ βλαβέντος αὐτοῦ γενομένου κατ’ ἀπειρίαν ἤ τιν’ ἑτέραν χρείαν μὴ σώφρονα, ὁ τοῦ βλάψαντος δεσπότης ἢ τὴν βλάβην ἐξιάσθω μὴ ἐνδεῶς, ἢ τὸν βλάψαντ’ αὐτὸν παραδότω. Zum Schadensrecht in Platons Nomoi Mummenthey 1971, 57–62.

Schadensklage (díkē blábēs) und díkē exoúlēs (F 110–111)

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F 111b: Krates in Scholia in Homeri Iliadem 21 (= T 18b) (POxy 2 Nr. 211 col. 14, Z. 9–13; ähnlich in P. Genf I p. 202)

Κράτης [δὲ „εἰλθέ]ντα“, ἵν᾽ ᾖ ἐρχθέντα· καὶ τὴν [ἐξουλῆς] δίκην ἐντεῦθεν· ἐπιτίθη[σι δὲ καὶ Σ] όλωνος ἐκ ε ἄξονος „ἐξου[λῆς· ἐάν τι]ς ἐξείλλῃ, ᾧν ἄν ‹τις› δίκην [νικήσῃ, ὁπόσ]ου ἂν ἄκιον ᾖ, εἰς δημόσι[ον ὀφείλε]ιν καὶ τῷ ἰδιώτῃ, ἑκατέρῳ [ἴσον“. App. crit.: ἐκτίθη[σι Grenfell-Hunt, ἐπιτίθη[σι Ruschenbusch; ἐξειιλλπι pap., con. Grenfell-Hunt; ‹τις› vgl. F 111a; ὅσ]ου Grenfell-Hunt, ὁπόσ]ου Ruschenbusch; ὀφλε]ῖν Grenfell-Hunt, corr. Ruschenbusch.

Krates aber eilthénta, womit erchthénta [gemeint] ist. Und daher die Klage wegen Hinderung des Zugriffs (exoulḗs díkē); er setzt auch Solons [Gesetz] vom 5. áxōn hinzu: „exoulḗs: wenn jemand [einen] am Zugriff auf das hindert (exeíllein), was man vor Gericht erstritten hat, dann soll er an die öffentliche Kasse und dem Geschädigten, jedem gleich, soviel schulden, was es wert war“.

Die díkē exoúlēs ist eine Klage wegen ‚Verdrängung‘, ‚Hinderung‘.294 Wer sein Recht gegen einen Besitzer vollziehen wollte, drang mit der Behauptung, das Grundstück gehöre ihm, in den Besitz ein. Bestritt der Besitzer das Recht und führte ihn wieder hinaus (ἐξείλλειν), konnte sich dagegen der Eindringling mit einer ‚Vertreibungsklage‘ zur Wehr setzen. Er klagte gegen denjenigen, welcher das Grundstück in Besitz hatte. Nach der Erklärung des Scholiasten ist eine erfolgreich durchgeführte Klage Voraussetzung dafür, dass der Zugriff auf die Sache, zum Beispiel zur Eintreibung einer Strafe, eines Schadenersatzes, von Geld aus einem Darlehen oder einer Erbschaft zulässig ist.295 Wird der Anspruchsberechtigte am Zugriffsrecht gehindert, kann er Klage einreichen und muss derjenige, der dies zu verantworten hat, dem Geschädigten den Wert

294  Bei Hesychios (ε 3963 s. v. ἐξουλῆς δίκη· ἐξουλῆς δικάζεταί τις, ὅταν φάσκῃ κατέχεσθαι αὐτοῦ κτῆμά τι ἐπιβάλλον αὐτῷ· ὅπερ ἐξίλλειν λέγεται, τουτέστιν ἐκβάλλειν) und den Homerscholien geben die Editionen ἐξουλῆς δίκη, sonst δίκη ἐξούλης. Exoulḗ ist von dem altattischen Verb ἐξείλλειν oder ἐξείλειν ‚verdrängen, hindern‘ abgeleitet. Ἀπίλλειν im Sinne von ‚verriegeln, verschließen‘ ist als erklärungsbedürftiges, altertümliches Wort in Lys. 10,17 für eine gesetzliche Bestimmung Solons belegt. In dem Gesetz in Demosth. or. 37,35 ist es im Sinne von ἐξωθεῖν oder ἐκβάλλειν verwendet (Lipsius 1905–15, 666). Zur exoúlēs díkē Todd 1993, 144 f.; M. Gagarin, Legal Procedure in Solon’s Laws, in: Blok/Lardinois 2006, 265 f. und Carey 2019, 75–92. 295  Zum Anspruch des Gläubigers gegen den Schuldner: Harpokr. s. v. ἐξούλης. Zur Voraussetzung der Klage, die dem Betreffenden den Zugang zur díkē exoúlēs gibt, Suda (= Etym. M. p. 348) s. v. ἐξούλης δίκη. Thür 2003, 58 f.; vgl. auch Kaser 1944 (wie Anm. 282), 197: „Stieß er bei dem mit Handanlegung begonnenen Sachzugriff auf den Widerstand des Besitzers, dann mußte er, um jeder Gefahr einer eigenen Deliktshaftung auszuweichen, sein Recht zunächst unbestreitbar machen, also regelmäßig auf Feststellung seines Eigentums klagen, sofern ihm nicht ohne Urteil ein unbestreitbarer Titel zukam, wie kundbarer Kauf, kundbare Verpfändung, die immer kundbare Stellung des Hauserben usw. Vor allem bei den persönlichen Klagen hatte der Gläubiger zwar vielleicht in alter Zeit das Recht, auch schon ohne Urteil kraft seiner Forderung eingenmächtig zu pfänden, er haftete aber, wenn die Pfändung unberechtigt war, aus der δίκη βιαίων. Die Möglichkeit, sich ohne diese Gefahr über den Widerstand des Gegners, die Pfandwehr, hinwegzusetzen und diesen wegen des unberechtigten Widerstandes mit der δίκη ἐξούλης zu verfolgen, stand ihm daher erst nach siegreichem Urteil über seine Forderung zu“.

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Verfahren vor den Thesmotheten

erstatten und zusätzlich die gleiche Summe an die öffentliche Kasse zahlen.296 Der gesetzlichen Bestimmung ist zu entnehmen, dass Solon zwar den Zugriff auf die Person (sṓma) verboten hat, aber der Zugriff auf Sachen, wenn er durch eine Klage bestätigt worden war, möglich war. Díkai exoúlēs waren die Klagereden des Demosthenes gegen Onetor sowie zwei verlorene Reden des Lysias und des Isaios.297 ́ VIII B 3 Gesetz gegen Diebstahl (nómos klopēs) Abstract: Im Gesetz Drakons war die Tötung des bei der Tat ergriffenen nächtlichen Diebs straffrei gelassen. Möglicherweise war in dieser frühen Zeit auch die Verletzung des flüchtenden Diebs straffrei und eine Abführung (apagōgḗ) zu den Elfmännern zulässig. Solon hat diese rechtlichen Verfahrensmöglichkeiten bestehen lassen, in einem nómos klopḗs zusätzlich aber geregelt, bei welchem Amtsträger eine ‚Klage wegen Diebstahls‘ eingereicht werden konnte. Die Strafe war auf das Doppelte des Werts festgelegt, bei schwerem Diebstahl wie beim Diebstahl öffentlichen oder heiligen Eigentums auf das Zehnfache des Werts. Fragmente und Zitate aus dem solonischen Gesetz gegen den Diebstahl sind in Reden des Lysias und Demosthenes erhalten. Das in Demosth. or. 24,105 eingelegte Gesetz ist keine Fälschung, sondern wahrscheinlich ein Bestandteil der am Ende des 5. Jh. v. Chr. revidierten Fassung des Gesetzes.

Historische Einführung Die straffreie Tötung des bei der Tat ergriffenen Diebs und seine Abführung Plutarch führt Solons Aufhebung der Gesetze Drakons, mit Ausnahme des Gesetzes über die Tötung, auf die übergroße Härte der Strafen zurück. Denn Drakon habe die des Müßiggangs Überführten und die, die Gemüse oder Feldfrüchte stahlen, ebenso mit dem Tod bestraft wie Tempelräuber und Totschläger.298 Da auf Drakon allein ein

296  Darauf verweist auch Demosthenes in der Rede Gegen Meidias (or. 21,44): ἄν τις ὀφλὼν δίκην μὴ ἐκτίνῃ, οὐκέτ’ ἐποίησ’ ὁ νόμος τὴν ἐξούλην ἰδίαν, ἀλλὰ προστιμᾶν ἐπέταξε τῷ δημοσίῳ. – „Wenn einer, der [Geld] schuldig ist und die gerichtlich anerkannte Zahlung verweigert, behandelt das Gesetz die Widersetzlichkeit (exoúlē) nicht mehr als Privatsache, sondern ordnet noch eine zusätzliche Strafe zugunsten der öffentlichen Kasse an“. 297  Dazu und zu Solons Gesetz Lipsius 1905–15, 664–673. 298 F 19c. Plut. Solon 17,2: ὥστε καὶ τοὺς ἀργίας ἁλόντας ἀποθνῄσκειν, καὶ τοὺς λάχανα κλέψαντας ἢ ὀπώραν ὁμοίως κολάζεσθαι τοῖς ἱεροσύλοις καὶ ἀνδροφόνοις. Tatsächlich konnten Amtsträger, die ihre Amtspflicht nicht erfüllt hatten und wegen argía verurteilt worden waren, nicht unmittelbar getötet werden, sondern nur dann, wenn sie átimos geworden waren und als Ehrlose Rechte beansprucht hatten, die ihnen nicht zustanden. In diesen Fällen konnten sie zur Hinrichtung abgeführt werden. Diejenigen,

Historische Einordnung – Gesetz gegen Diebstahl (F 112–114)

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Gesetz über die Tötung zurückgeht, ist davon auszugehen, dass Drakon die Tötung des bei der Tat ergriffenen Diebs straffrei gelassen hat – wie wir aus anderen Quellen wissen, unter der Bedingung, dass der Diebstahl nachts begangen worden war.299 Bei der Tötung des nächtlichen Diebs konnten also die Angehörigen des Getöteten den Täter nicht vor ein Ephetengericht bringen und keine Blutrache ankündigen. Eine solche Bestimmung im Gesetz Drakons bedeutet aber nicht, dass er jedweden Diebstahl mit dem Tod bestraft wissen wollte. Plutarchs Gegenüberstellung der Strafen in den Gesetzen Drakons und Solons ist also irreführend. Die wichtigste Grundlage für die Rekonstruktion des Gesetzes über den Diebstahl bietet die 24. Rede des Demosthenes Gegen Timokrates.300 Timokrates hatte ein Gesetz beantragt, dem gemäß ein Schuldner gegenüber der Polis der Haft entgehen konnte, wenn er Bürgen stellte. Ein gewisser Diodoros brachte dagegen um 354/53 v. Chr. eine graphḗ paranómōn ein, und Demosthenes verfasste für ihn die Rede der Anklage. Der Ankläger Diodoros versuchte, die Geschworenen davon zu überzeugen, dass bereits ein Diebstahl privaten Eigentums den Tod als Strafe verdiene oder zumindest eine entehrende Zusatzstrafe.301 Jeder Athener nämlich könne fordern, den Dieb fünf Tage und fünf Nächte ‚in den Block‘ binden zu lassen. Wie könne angesichts dessen, dass Solon den Dieb privaten Eigentums fünf Tage binde, Timokrates ein Gesetz beantragen, wodurch öffentliche Schuldner – also gleichsam Diebe öffentlichen Eigentums – freigegeben werden, wenn sie Bürgen stellen. Den §§ 102–115 der Rede können die unterschiedlichen Verfahren bei Diebstahl entnommen werden (F 112a und 113b),302 und in Demosth. or. 24,103, 106 und 113 sind diese auf den Gesetzgeber Solon zurückgeführt. Ein Auszug aus dem nómos klopḗs ist in § 105 eingelegt (zusammen mit weiteren Bestimmungen über die apagōgḗ von Personen, die der Misshandlung der Eltern und der Entziehung vom militärischen Dienst überführt sind). Es besteht kein Grund, diese eingefügte Gesetzesbestimmung als Fälschung anzusehen; denn entgegen anderslautender Meinungen steht sie nicht in Widerspruch zum Text des Demosthenes in den §§ 102–115. Der in § 105 eingefügte Text stellt aber sicherlich nicht das solonische Gesetz über den Diebstahl dar, sondern ist ein Auszug aus dem am Ende des 5. Jh. v. Chr. revidierten Gesetzestext. die (nachts?) Gemüse (aus dem Garten am Haus, λάχανα) oder Ernteertrag vom Feld (ὀπώρα) stahlen, konnten sogleich getötet werden, wenn sie bei der Tat ergriffen wurden. 299  S. o. zu F 12 Anm. 286. 300  Zum Kontext MacDowell, Demosthenes. The Orator, Oxford 2009, 181–196. 301  Demosth. or. 24,103. Nach attischem Recht war es aber nur möglich, den nächtlichen und bei der Tat ergriffenen Dieb unmittelbar zu töten (siehe F 12). 302  Grundlegend zum Gesetz über den Diebstahl Cohen 1983, bes. 40–44; 62–68. Vgl. Kurt Latte, Beiträge zum griechischen Strafrecht II. Die Strafen, in: Hermes 66, 1931, 129–158, hier 145 (= ders., Kleine Schriften zu Religion, Recht, Literatur und Sprache der Griechen und Römer, hrsg. von Olof Gigon, Wolfgang Buchwald, Wolfgang Kunkel, München 1968, 268–293); Hillgruber 1988, 54 f.; 71 f.; 73 f.; Saunders 1991, bes. 75 f.; Todd 1993, 283 f.; Moneti 1995; Secondo 2008. Zu Rechtsverfahren bei Diebstahl außerhalb Athens Thür 1999.

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Verfahren vor den Thesmotheten

Das von Demosthenes in den §§ 113–114 wiedergegebene Gesetz (F 112a) zeigt, welche Möglichkeiten sich dem Geschädigten bei einem Diebstahl je nach den Tat­ umständen boten:303 Hatte er den Täter nachts bei der Tat ergriffen, konnte er ihn straflos töten, bei der Verfolgung verwunden oder zu den Elfmännern abführen. Den Dieb auf frischer Tat zu ertappen gehört mit zum Tatbestand des schweren Diebstahls hinzu und ist entscheidend für das darauf folgende Verfahren. Der Tod als zulässige unmittelbar vollstreckte Strafe resultiert aus dem objektiven Beweis der Straftat.304 Demosthenes schreibt das Gesetz Solon zu, und dies wird zutreffen, weil Solon das Gesetz Drakons respektierte und diese bereits in Drakons Gesetz enthaltene Bestimmung über die straffreie Tötung des nächtlichen Diebs übernahm.305 So mag die Reihenfolge der in Demosth. or. 24,113 f. angegebenen Möglichkeiten der des solonischen Gesetzes entsprechen: Im nómos klopḗs nämlich gestattete Solon, den Dieb zu den Elfmännern abzuführen, die ihn bei einem Eingeständnis der Schuld hinrichten ließen, wenn (εἰ μέν) das Gestohlene einen Wert von fünfzig Drachmen überstieg. Erst anschließend werden die darüberhinausgehenden Möglichkeiten beim nächtlichen Dieb (εἰ δέ) genannt, wie sie Solon aus Drakons Gesetz übernommen hat. Es wird also erneut ein Zitat aus dem älteren Gesetz vorliegen: Beim nächtlichen Dieb konnte der Ergriffene getötet oder bei der Verfolgung verletzt oder zu den Elfmännern abgeführt werden.306 Die Tötung des nächtlichen Diebs oder seine Abführung zur Hinrichtung blieb auch

303  Wahrscheinlich handelte es sich nicht nur um ein, sondern um mehrere Gesetze. Die unmittelbare Tötung des nächtlichen, bei der Tat ergriffenen Diebs wird im Gesetz über die Tötung, die Abführung zu den Elfmännern in einem Gesetz über die apagōgḗ festgelegt gewesen sein. Im nómos klopḗs war darauf Bezug genommen. Zur Ausdifferenzierung verschiedener Formen des Diebstahls nach ihrer Begrifflichkeit und den Tatumständen Phillips 2013, 333. 304  Die Todesstrafe für ergriffene Diebe, Kleiderräuber (lōpodýtai), Beutelschneider (ballantiotómoi), Einbrecher (toichōrýchoi), Entführer (andrapodizómenoi) und Templeräuber (hierósyloi) bestätigt Xen. mem. 1,2,62. Lipsius 1905–1915, 438; Cohen 1983, 58–61; Harris 1994, 181; Pelloso 2008, 70 f.; Phillips 2013, Nr. 283. Zu den toichōrýchoi Ursula M. Lagger, Ging der toixorychos durch die Wand? Überlegungen zum Einbruchsdiebstahl im klassischen Athen, in: Antike Lebenswelten. Konstanz – Wandel – Wirkungsmacht. Festschrift für Ingomar Weiler zum 70. Geburtstag, hrsg. von Peter Mauritsch, Werner Petermandl, Robert Rollinger und Christoph Ulf, Wiesbaden 2008, 475–502. Dass der von den Elfmännern Hingerichtete auf frischer Tat (ἐπ᾿αὐτοφώρῳ) ertappt sein musste, zeigt Lys. 13,86 f. Zur Bedeutung von ἐπ᾿αὐτοφώρῳ Mogens Herman Hansen, The Prosecution of Homicide in Athens: A Reply, in: GRBS 22, 1981, 27–30; Cohen 1983, 52–57. Harris 1994 hat nachgewiesen, dass auch dann ein Abführen zu den Elfmännern möglich war, wenn die Tat offensichtlich, also z. B. der Täter im Besitz des Gestohlenen war. 305  Lipsius 1905–15, 438 folgt der Zuschreibung an Solon. Thür 1999 schreibt die Unterscheidung zwischen einfachem und schwerem Diebstahl mit unterschiedlichen Strafen Solon zu; siehe auch Pelloso 2008, 72–74. 306  Die Formulierung εἰ δέ τις νύκτωρ ὁτιοῦν κλέπτοι τοῦτον ἐξεῖναι καὶ ἀποκτεῖναι … in Demosth. or. 24,113 deckt sich mit derjenigen des Aulus Gellius in NA 11,18,3 (F 12d): furem cuiusmodicumque furti supplicio capitis poeniendum esse – „dass ein Dieb, gleichgültig was immer er stiehlt, mit dem Tode zu bestrafen sei.“ Aulus Gellius schreibt diese Bestimmung Drakon zu. Die Verwendung von ἀποκτεῖναι (statt des Simplex κτεῖναι) zeigt, dass die Formulierung später angepasst wurde.

Historische Einordnung – Gesetz gegen Diebstahl (F 112–114)

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dann straffrei, wenn der Ergriffene Entschädigung und Bürgenstellung anbot, der Geschädigte dies aber ablehnte.307 Entschieden die Elfmänner gegen eine Hinrichtung des ergriffenen Diebs, wurde er nach Ableistung eines Eids freigegeben. Wollte sich der Ergriffene aus Furcht vor einer Verurteilung zum Tod dem folgenden Gerichtsverfahren entziehen, konnte er das Land verlassen (F 113a). Klagen wegen Diebstahls (díkē klopḗs) Verzichtete der Geschädigte auf die unmittelbare Tötung oder die Abführung zur Hinrichtung oder lag der Wert des bei Tag gestohlenen Guts unter einem Wert von fünfzig Drachmen, konnte der Bestohlene wegen Diebstahls klagen. Erhielt er das Gestohlene zurück, betrug die Strafe das Doppelte des Werts; erhielt er sie nicht zurück und handelte es sich um einen gemeinschaftlich verübten (schweren) Diebstahl, betrug die Strafe wie bei Unterschlagung öffentlicher oder heiliger Gelder das Zehnfache des Werts (F 113b).308 Eine Schriftklage gab es bei Diebstahl privaten Eigentums nicht.309 Darüberhinaus konnte der Gerichtshof, die (h)ēliaía,310 eine Zusatzstrafe verhängen, vermutlich in den Fällen, in denen der Täter sich bereits mehrfach dieses Delikts schuldig gemacht hatte. Gemäß dem in Demosth. or. 24,105 eingefügten Gesetz war die Zusatzstrafe auf fünf Tage und fünf Nächte begrenzt, an denen der Täter mit den Füßen in einen Block, die podokákē (oder podokákkē) gebunden wurde. Die Bestimmung über diese Zusatzstrafe entspricht im Wortlaut weitgehend der Formulie307  Ruschenbusch 2010, 54. 308  Die verschiedenen Möglichkeiten, gegen Diebe vorzugehen, sind auch in Demosth. or. 22,26 (F 106 Ruschenbusch; Leão/Rhodes) aufgezählt, allerdings ohne Nennung der Tatumstände: apagōgḗ, ephḗgesis, graphḗ (hýbreōs), díkē klopḗs über einen Schiedsmann (diaitētḗs); zur apagōgḗ des Diebs vgl. auch Theophr. char. 6,6. Dazu Cohen 1983, 38–40; Moneti 2001, 105 f.; Pelloso 2008, 62–72, 74 f. Leão/ Rhodes 2015, 171 halten es für glaubhaft, dass die Verfahren von apagōgḗ, éndeixis und ephḗgesis bereits in solonischer Zeit existierten. Zur Möglichkeit der apagōgḗ und der ephḗgesis bei offensichtlicher Tat Harris 1994, 129–146 (= in: ders., Democracy and the Rule of Law in Classical Athens, Cambridge 2006, 373–390); Phillips 2013, 334 f. 309  Cohen 1983, 47 f. hat Demosth. or. 22,26 als einzigen Beleg für eine graphḗ klopḗs im Falle eines Diebstahls aus privatem Besitz diskutiert. Da eine solche Klage in Listen von graphaí aber nie enthalten ist, verwarf Cohen dieses Zeugnis. Die Stelle sei zu summarisch und ungenau, um allein damit die Existenz einer graphḗ klopḗs für privaten Besitz behaupten zu wollen (unabhängig davon sei aber zu vermuten, dass es eine öffentliche Klage wegen Diebstahls öffentlichen Vermögens gab; ebd. 49–51; vgl. 69–72; Todd 1993, 104; 283 f. Siehe dazu auch die Diskussion bei Christopher Carey, Offence and Procedure in Athenian Law, in: Edward M. Harris, Lene Rubinstein [Hrsg.], The Law and the Courts in Ancient Greece, London 2004, 111–136, hier 126, der eine graphḗ klopḗs für nicht ausgeschlossen hält). Die Inkonsistenz besteht hingegen nicht, wenn man die bei Demosth. or. 22,26 genannte graphḗ als graphḗ hýbreōs versteht. 310  Inschriften zeigen, dass das Wort ἠλιαία nicht aspiriert ausgesprochen wurde (Hillgruber 1988, 67; Todd 2007, 680 Anm. 40; Leão/Rhodes 2015, 39).

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Verfahren vor den Thesmotheten

rung, die Lysias in der Rede Gegen Theomnestos wiedergibt. Da Lysias ausdrücklich darauf hinweist, dass er aus den „alten Gesetzen“ Solons zitiert,311 ist es gut möglich, dass bei der Revision der Gesetze am Ende des 5. Jh. die ursprüngliche Formulierung δεδέσθαι δ’ ἐν τῇ ποδοκάκκῃ ἡμέρας δέκα τὸν πόδα (Lys. 10,16) leicht abgewandelt wurde zu δεδέσθαι δ’ ἐν τῇ ποδοκάκκῃ τὸν πόδα πένθ’ ἡμέρας καὶ νύκτας ἴσας (Demosth. or. 24,105). Damit war sichergestellt, dass der Täter nicht entfliehen konnte, bevor er nicht die Zusatzstrafe vollständig verbüßt hatte. Der Umstand, dass er auch nachts in den Block eingesperrt blieb, mag dazu geführt haben, die Strafe auf fünf Tage (und ebensoviele Nächte) zu reduzieren.312 Vollstreckt wurde die Zusatzstrafe durch die Elfmänner (F 113a). Die Zusatzstrafe hatte ehrmindernden Charakter; sie wurde an öffentlichem Ort vollzogen.313 Dies verbindet eine solche von einem Gericht verhängte Zusatzstrafe mit den in bäuerlichen Gesellschaften vielfach belegten Rügebräuchen und Schandstrafen. Diebstahl war ein häufig vorkommendes und das friedliche Zusammenleben beeinträchtigendes Delikt; dementsprechend war jeder berechtigt, eine solche Zusatzstrafe zu beantragen. Offenbar entsprach diese Strafe gerade den Bedürfnissen und dem Rechtsempfinden der bäuerlichen Schicht.314 Neben der erlaubten Eigenmacht des Geschädigten gab es also auch ein gemeinschaftliches Interesse an der Wahrung der Ordnung und des inneren Friedens. Da Solon in seinen Gesetzen die Möglichkeit, den bei der Tat ergriffenen (nächtlichen) Dieb zu töten oder ihn zur Hinrichtung abzuführen, aus dem Gesetz Drakons übernommen hatte und zusätzlich Privatklagen wegen Diebstahls einführte, bei denen die Höhe der Strafe und eine mögliche Zusatzstrafe festgelegt waren, konnte Demosthenes in or. 22,25 von solonischen Gesetzen sprechen, auch wenn das Verfahren vor einem öffentlichen Schiedsrichter (or. 22,27) erst in späterer Zeit hinzutrat.315

311  Dazu Todd 2007, 677 f.: es sei als wahrscheinlich anzusehen, dass „palaios … represent archaic legislation which is still valid“. 312  Andere hatten aus der abweichenden Zahl von Tagen geschlossen, dass sich das Gesetzeszitat in Lys. 10,16 nicht auf das Delikt des Diebstahls, sondern auf ein anderes Delikt bezieht. Siehe dazu Cohen 1983, 62–68. 313  Zur Frage, ob die podokákkē zur öffentlichen Entehrung auf offenem Platz oder im Gefängnis (so Harpokr. π 76 s. v. ποδοκάκκη; s. u. Anm. 323) stand, siehe Hillgruber 1988, 67; Todd 2007, 680 f. Zu Ehrenstrafen dieser Art Schmitz 2004, 380–392. 314  Vgl. dazu Latte 1931 (wie Anm. 302) 138 f.; 145; Schmitz 2004, 236–242. Auch die äsopsche Fabel 175 Hausrath (240 Chambry) zeigt, dass es beim Diebstahl in der Regel um Diebe aus dem eigenen Dorf ging, die zum Beispiel Feldfrüchte stahlen. 315  Zur Datierung des Verfahrens der díkē klopḗs über einen Schiedsmann (diaitētḗs) siehe Moneti 2001 und David Whitehead, Athenian Laws and Lawsuits in the Late Fifth Century B. C., in: MH 49, 2002, 71–96, hier 83 f. (nach 400/399 v. Chr.); Phillips 2013, 334.

Gesetz gegen Diebstahl (nómos klopḗs) (F 112–114)

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Literatur Lipsius 1905–15, 399–401 (Unterschlagung öffentlicher oder heiliger Gelder), 438–442; Theodor Thalheim, Klopes graphe und dike, in: RE 11,1, 1921, 877 f.; Max Kaser, Der altgriechische Eigentumsschutz, in: ZRG Rom. Abt. 64, 1944, 134–205 (hier 144–158); David Cohen, Theft in Athenian Law, München 1983; Michael Hillgruber, Die zehnte Rede des Lysias. Einleitung, Text und Kommentar, Berlin – New York 1988; Trevor J. Saunders, Plato and the Athenian Law of Theft, in: Paul Cartledge, Paul Millett, Stephen Todd (Hrsg.), Nomos. Essays in Athenian Law, Politics and Society, Cambridge 1991, 63–82; Edward M. Harris, In ‚the art‘ or ‚red-handed‘? Apagoge to the Eleven and Furtum manifestum. In: Symposion 1993. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Graz-Andritz, 12.–16. September 1993), hrsg. von Gerhard Thür, Köln – Weimar – Wien 1994, 169–184; Gerhard Thür, Klope, der Diebstahl, in: DNP 6, 1999, 607; Ilario Moneti, La δίκη κλοπῆς nel diritto attico del IV sec. A. C., in: Simblos. Scritti di storia antica 3, 2001, 99–109; Gerhard Thür, Sachverfolgung und Diebstahl in den griechischen Poleis (Dem. 32, Lys. 23, IC IV 72 I, IPark32 u. 17), in: Symposion 1999. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Pazo de Mariñán, La Coruña, 6.–9. September 1999), hrsg. von Gerhard Thür, Francisco J. F. Nieto, Köln – Weimar – Wien 2003, 57–96; Schmitz 2004, 236–242, 386 f.; Laura Pepe, Furto e giustizia privata nelle XII Tavole e nel diritto attico: un’ indagine comparativa, in: Scritti in ricordo di Barbara Bonfiglio, Mailand 2004, 273–309; dies., Ricerche sul furto nelle XII Tavole e nel diritto attico, Mailand 2004; Stephen C. Todd, A Commentary on Lysias, Speeches 1–11, Oxford 2007, 679–685; Carlo Pelloso, Studi sul furto nell’antichità mediterranea, Mailand 2008, 33–123; Edward M. Harris, Theft, in: The Encyclopedia of Ancient History 12, 2013, 6663 f.; Mirko Canevaro, Thieves, Parent Abusers, Draft Dodgers … and Homicides? The Authenticity of Dem. 24.105, in: Historia 62, 2013a, 25–47 (mit einigen Veränderungen erneut publiziert in: Mirko Canevaro, The Documents in the Attic Orators: Laws and Decrees in the Public Speeches of the Demosthenic Corpus, Oxford 2013b, 157–173); Phillips 2013, 332–369.

Gesetz gegen Diebstahl (F 112–114) F 112 Töten und Abführen (apagōgḗ) des ergriffenen Diebs (F 112a: T 378 Martina; F 113 Ruschenbusch, F 23/1, 113 Leão/Rhodes)

F 112a: Demosthenes, Gegen Timokrates (or. 24) 113 (353/2 v. Chr.) (113) καίτοι γ’ ὁ Σόλων, ὦ ἄνδρες δικασταί, ᾧ οὐδ’ ἂν αὐτὸς Τιμοκράτης φήσειεν ὅμοιος νομοθέτης εἶναι, οὐχ ὅπως ἀσφαλῶς κακουργήσουσι φαίνεται παρασκευάζων τοῖς τοιούτοις, ἀλλ’ ὅπως ἢ μὴ ἀδικήσουσιν ἢ δώσουσι δίκην ἀξίαν, καὶ νόμον εἰσήνεγκεν, „εἰ μέν τις μεθ’ ἡμέραν ὑπὲρ πεντήκοντα δραχμὰς κλέπτοι, ἀπαγωγὴν πρὸς τοὺς ἕνδεκ’ εἶναι, εἰ δέ τις νύκτωρ ὁτιοῦν κλέπτοι, τοῦτον ἐξεῖναι καὶ ἀποκτεῖναι καὶ τρῶσαι διώκοντα καὶ ἀπαγαγεῖν τοῖς ἕνδεκα, εἰ βούλοιτο. τῷ δ’ ἁλόντι ὧν αἱ ἀπαγωγαί εἰσιν, οὐκ ἐγγυητὰς καταστήσαντι ἔκτισιν εἶναι τῶν κλεμμάτων, ἀλλὰ θάνατον τὴν ζημίαν“. (114) … [siehe F 113b] App. crit.: καίτοι ὅ γε Cobet; φήσειεν Weil, φήσαι codd.; οὐχ ὅπως … τοιούτοις: φαίνεται τούτοις οὐχ ὅπως ἀσφαλῶς κακουργήσουσι παρασκευάζων A; καὶ ἀποκτεῖναι τοῦτον ἐξεῖναι καὶ διώκοντα τρῶσαι A.

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Verfahren vor den Thesmotheten

(113) Übrigens ist es klar, Geschworene, dass Solon, mit dem Timokrates selbst sich als Gesetzgeber (nomothétēs) in keiner Weise vergleichen kann, nicht solche Einrichtungen getroffen hat, wodurch Menschen ungestraft Vergehen zu tun Gelegenheit erhalten sollten; sondern um sie entweder von Vergehen abzuhalten oder ihnen eine angemessene Strafe (díkē axía) aufzuerlegen, hat derselbe auch ein Gesetz (nómos) gegeben: „Wenn jemand bei Tage [an Wert] mehr als fünfzig Drachmen stiehlt, so soll Abführung (apagōgḗ) zu den Elfmännern (héndeka) vollzogen werden; wenn aber einer bei Nacht irgendetwas stiehlt, so soll zulässig sein, diesen zu töten (apokteínai) oder bei der Verfolgung zu verwunden (trṓsai) oder zu den Elfmännern abzuführen (apagageín), wie es einem beliebt. Demjenigen aber, der dessen überführt wurde, was Abführung (apagōgaí) rechtfertigt, soll es nicht gestattet sein, unter Stellung von Bürgen (engyētaí) das Gestohlene (klémmata) zu ersetzen, sondern der Tod soll die Strafe sein“. (114) … [siehe F 113b]

F 112b: Aristoteles, Athenaion politeia 52,1 (320er Jahre) Καθ[ισ]τᾶσι δὲ καὶ τοὺς ἕνδεκα κλήρῳ, τοὺς ἐπιμελησομένους τῶν ἐν τῷ δεσμωτηρ[ί]ῳ, καὶ τοὺς ἀπαγομένους κλέπτας καὶ τοὺς ἀνδραποδιστὰς καὶ τοὺς λωποδύτας, ἂν μὲν [ὁμολογῶ]σι, θανάτῳ ζημιώσοντας, ἂν δ’ ἀμφισβητῶσιν, εἰσάξοντας εἰς τὸ δικαστήριον, κἂν μὲν ἀποφύγωσιν, ἀφήσοντας, εἰ δὲ μή, τότε θανατώσοντας. App. crit.: Καθιστᾶσι … δεσμωτηρίῳ cit. Heraclid. Lemb. (omisso κλήρῳ); κληρωτοὺς S, Thalheim, Hude; κληρωτοὺς τοὺς Rutherford; ὁμολογῶ]σι restitutum e Lex. Bekk. quint. et Aeschin. 1,113; ζημωθησοντας εν δαμφιβητωσιν L corr. K.

Sie [die Athener] setzen auch die Elfmänner (héndeka) durch Los ein, die die Aufsicht über die im Gefängnis [Gebundenen] führen und die abgeführten Diebe, Menschenräuber und Wegelagerer, wenn sie geständig sind, mit dem Tod bestrafen sollen, sie hingegen vor einen Gerichtshof (dikastḗrion) bringen sollen, wenn sie ihre Schuld bestreiten. Und wenn sie freigesprochen werden, sollen sie sie freilassen, wenn aber nicht, sie dann hinrichten.

Eberhard Ruschenbusch hatte das von Demosthenes wiedergegebene Gesetz unter die falsa (als F 113) aufgenommen, da es ein späteres Gesetz sei, das fälschlicherweise als solonisch ausgegeben werde.316 Delfim F. Leão und P. J. Rhodes hingegen haben das Gesetz als solonisch akzeptiert, da sie das Verfahren der apagōgḗ für die solonische Zeit anerkennen. Dem ist aufgrund des Gesetzes bezüglich der Abführung des nach Attika zurückgekehrten Täters, der sich einer vorsätzlichen oder nicht vorsätzlichen Tötung schuldig gemacht hatte, zuzustimmen. Beim nächtlichen Diebstahl konnte der Geschädigte auf eine unmittelbare Tötung oder die Abführung zu den Elfmännern verzichten, da zumindest in der solonischen Übernahme der drakontischen Bestimmung diese Verfahren lediglich als „zulässig“ (ἐξεῖναι) bezeichnet sind. Mit der Regelung einer díkē klopḗs durch Solon konnte der Ge316  Eberhard Ruschenbusch ist davon ausgegangen, dass erst in der Zeit nach Solon die Tötung als erlaubte Eigenmacht durch eine staatlich vollzogene Todesstrafe ersetzt und beim Diebstahl am Tage die Todesstrafe auf den Fall beschränkt worden sei, dass das gestohlene Gut mehr als 50 Drachmen wert sei (2010, 54).

Gesetz gegen Diebstahl (nómos klopḗs) (F 112–114)

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schädigte bei einem solchen Verzicht – so wie bei Diebstählen von Werten unter fünfzig Drachmen vorgesehen – eine Privatklage (díkē) einbringen. Für welches Verfahren sich der Geschädigte entschied, hing seither davon ab, welches Risiko er bereit war einzugehen, wenn er für die von ihm ausgeübte Eigenmacht zur Rechenschaft gezogen wurde.317 In der Athenaion politeia (F 112b) findet sich die Abführung des (bei der Tat ergriffenen) Diebs sowie die Zuständigkeit der Elfmänner bestätigt. Es ist davon auszugehen, dass auch in archaischer Zeit die Hinrichtung durch die Elfmänner nur erfolgte, wenn der Abgeführte seine Schuld eingestand.318 F 113 Klage wegen Diebstahls (díkē klopḗs) (F 113a: T 411 Martina, F 23c und 25 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 113b: T 377 Martina, F 23d*, 111–112 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 113c: T 383 Martina; F 23a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 113d: T 516 Martina; F 23b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 113e: T 405, 517 Martina; F 24 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 113a: Lysias, Gegen Theomnestos I (or. 10) 15–17 (384/3 v. Chr.) (15) Καί μοι ἀνάγνωθι τούτους τοὺς νόμους τοὺς Σόλωνος τοὺς παλαιούς. (16) ΝΟΜΟΣ

„δεδέσθαι δ’ ἐν τῇ ποδοκάκκῃ ἡμέρας δέκα τὸν πόδα, ἐὰν {μὴ} προστιμήσῃ ἡ ἠλιαία“. ἡ ποδοκάκκη αὕτη ἐστίν, ὦ Θεόμνηστε, ὃ νῦν καλεῖται ἐν τῷ ξύλῳ δεδέσθαι. εἰ οὖν ὁ δεθεὶς ἐξελθὼν ἐν ταῖς εὐθύναις τῶν ἕνδεκα κατηγοροίη ὅτι οὐκ ἐν τῇ ποδοκάκκῃ ἐδέδετο ἀλλ’ ἐν τῷ ξύλῳ, οὐκ ἂν ἠλίθιον αὐτὸν νομίζοιεν; λέγε ἕτερον νόμον. (17) ΝΟΜΟΣ

„ἐπεγγυᾶν δ’ ἐπιορκήσαντα τὸν Ἀπόλλω. δεδιότα δὲ δίκης ἕνεκα δρασκάζειν“. τοῦτο τὸ ἐπιορκήσαντα ὀμόσαντά ἐστι, τό τε δρασκάζειν, ὃ νῦν ἀποδιδράσκειν ὀνομάζομεν. „ὅστις δὲ ἀπίλλει τῇ θύρᾳ, ἔνδον τοῦ κλέπ{τ}ου ὄντος“. τὸ ἀπίλλειν τοῦτο ἀποκλῄειν νομίζεται. καὶ μηδὲν διὰ τοῦτο διαφέρου. App. crit.: (15) τοῦ παλαιοῦ Reiske; (16) νόμοι O X; ποδοκάκκη O, Harpokr., Demosth. AFYO, ποδοκάκη cet. et Demosth.S; πέντε Demosth. (= F 113b), δέκα L; μὴ del. Auger; ἐὰν μὴ προστιμήσῃ XC, προτιμήση μηλιαια O X; αὕτη: αὐτὸ Harpokr., ταὐτὸ Scheibe; καλεῖται C, Harpokr., καλεῖ O X; νομίζοιμεν Naber; (17) Ἀπόλλωνα C; τοῦτο C quoque; ὀμόσαντα Harpokr. s. v. ἐπιορκήσαντα, ὀμόσαι L; ἀπίλλει codd., ἀπείλλει Lipsius; τοῦτο Marland, τὸ L; ἀποκλῄειν: ἀποκλείειν L.

(15) … Verlese mir also diese Gesetze Solons, die alten: (16) Gesetz

„gebunden werden (dedésthai) soll sein Fuß in den Block (podokákkē) für zehn Tage, wenn die (h)ēliaía diese Strafe zusätzlich verhängt“. Dieser Fußblock (podokákkē) ist das, Theo-

317  Vgl. Robin Osborne, Law in Action in Classical Athens, in: JHS 105, 1985, 40–58, hier 42 f.: Die Wahl des Verfahrens sei von Faktoren bestimmt, die stärker „to the nature and relative status of victim and offender than to the nature of the breach of the law“ ausgerichtet war. „Graphai are open trials of strength“ (ebd. 53). Ebenso Todd 1993, 160 f., 284 und Christopher Carey, Offences and Procedure in Athenian Law, in: Edward M. Harris, Lene Rubinstein (Hrsg.), The Law and the Courts in Ancient Greece, London 2004, 111–136. 318  Vgl. Heraclid. Lemb. 8 Dilts. Dies hat Isokrates unzulässig verallgemeinert, wenn er in or. 20,6 behauptet, jeglicher Diebstahl sei mit der Todesstrafe geahndet worden.

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Verfahren vor den Thesmotheten

mnestos, was heute „in das Holz (xýlon)“ gebunden werden heißt. Wenn nun der Gebundene freikommt und die Elfmänner (héndeka) bei der Rechenschaftsablegung (eúthynai) deswegen anklagt, weil er nicht in dem Fußblock (podokákkē), sondern in dem Holz (xýlon) gefesselt gewesen sei, würde er da nicht für töricht gehalten werden? Man verlese ein anderes Gesetz. (17) Gesetz

„Wer einen Eid leistet, soll den Apollon als Bürgen anrufen (epengyán). Wer aber die Strafe fürchtet, soll entweichen“. Dieses „einen Eid leisten“ (epiorkḗsanta) bedeutet „schwören“ (omósanta), und das „entweichen“ (draskázein) nennen wir jetzt „fliehen“ (apodidráskein). „Wer die Tür verriegelt, während das Diebesgut (‹klépos›) drinnen ist.“ Dieses „verriegeln“ (apíllein) ist dasselbe wie „verschließen“ (apoklḗein). Das ist unstrittig.

Nachdem der Sprecher bereits in or. 10,14 ein Gesetz hat verlesen lassen (das nicht in die Rede eingefügt ist), weist er vor der Verlesung dreier weiterer gesetzlicher Bestimmungen in or. 10,16 ausdrücklich darauf hin, dass diese aus den „alten Gesetzen Solons“ stammen. In den 380er Jahren waren also die Gesetze, die in der Zeit vor der Revision galten, in ihrem Wortlaut bekannt, und so konnten ursprüngliche Formulierungen der solonischen Gesetze, die bei der Revision am Ende des 5. Jh. verändert worden waren, trotzdem zitiert werden.319 Die aus den alten solonischen Gesetzen entnommenen Formulierungen haben zu kontroversen Diskussionen und Wiederherstellungen des Textes geführt. Ausgangspunkt sind die Anweisungen an den Gerichtsdiener, „diese Gesetze Solons, die alten,“ zu verlesen (Lys. 10,15). Nach dem ersten Zitat und den Ausführungen zu darin enthaltenen altertümlichen Formulierungen fordert der Sprecher den Gerichtsdiener auf: „Lies ein anderes Gesetz“ (λέγε ἕτερον νόμον). Es folgen eine Bestimmung über den Eid, erneut Hinweise zu darin enthaltenen altertümlichen Formulierungen und eine Bestimmung über den Diebstahl mit ebensolchen Ausführungen. In Lys. 10,18 schließt eine Bestimmung über den Zins mit weiteren Erläuterungen an (F 113a). Auf die Aufforderung hin, „das Ende dieses Gesetzes“ vorzulesen, folgen in Lys. 10,19 zwei weitere Zitate über außereheliche sexuelle Beziehungen. Zitate aus solonischen Gesetzen in Lysias or. 10,15–19: 1. 2. 3.

„Gebunden werden soll sein Fuß in den Block für zehn Tage, wenn die (h)ēliaía diese Strafe zusätzlich verhängt“ (10,16). „Wer einen Eid leistet, soll den Apollon als Bürgen anrufen. Wer aber die Strafe fürchtet, soll entweichen“ (10,17). „Wer die Tür verriegelt, während das Diebesgut (klépos) drinnen ist“ (10,17).

319  Leão/Rhodes 2015, 41, vgl. 39: „Lysias cites this and other laws to illustrate wording which is archaic but not problematic in his own time, and we may assume that this was an ancient law (…), and could well have been a law of Solon“.

Gesetz gegen Diebstahl (nómos klopḗs) (F 112–114)

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4.

„Das Geld sei wägbar (verleihbar) zu dem [Zinssatz], den der Darlehensgeber will“ (10,18). 5–6. „Diejenigen, die sich offensichtlich feilbieten“ und „er schulde den Schaden an dem Hausangehörigen (oikeús) oder der Magd (doúlē) [in einfacher Höhe]“ (10,19).

Der Sprecher hat also kurze Auszüge aus den alten solonischen Gesetzen zusammengestellt und den Gerichtsdiener aufgefordert, erstens Bestimmungen aus dem Gesetz über den Diebstahl (Zitate 1–3), zweitens eine aus dem Gesetz über den Zins bei der Verleihung von Silbergeld (Zitat 4) und drittens zwei Bestimmungen aus dem Gesetz über außereheliche sexuelle Beziehungen (Zitat 5 und 6) zu verlesen. Dabei hat der Sprecher mit den Zitaten 1–3 das Gesetz über den Diebstahl nicht von Anfang an verlesen lassen, sondern beginnt mit der Zusatzstrafe, den Dieb in die podokákē binden zu lassen. Dass diesem Satz mindestens ein weiterer Satz im Gesetz vorangegangen sein muss, zeigt der Aufbau des Satzes. Denn da im ersten Zitat der Konditionalnebensatz ans Ende gesetzt ist, ging eine weitere Regelung voran, die eine „wenn-dann“-Konstruktion mit einem Konditionalnebensatz zu Beginn enthielt; vermutlich war dies der in Demosth. or. 24,105 (F 113b) vorhergehende Satz, der eine solche „wenn-dann“-Bestimmung enthält: „Wenn jemand etwas verloren [oder: liegengelassen] hat, soll man, wenn er es zurückerhalten hat, [durch Urteil] das Zweifache, wenn aber nicht, das Zehnfache gegen die Schuldigen (epaítioi) verhängen (katadikázein).“ Nach der in Lys. 10,16 überlieferten Gesetzesbestimmung sollte der Täter „zehn Tage“ in den Block gebunden werden. In vielen Editionen ist die Zahl der Tage zu „fünf “ abgeändert worden, in Anlehnung an die Überlieferung in Demosth. or. 24,105 (F 113b), die von einer Fesselung in die podokák(k)ē von fünf Tagen und fünf Nächten spricht.320 Es kann aber am überlieferten Text festgehalten werden, wenn man von einer Abänderung im Zuge der Revision der Gesetze am Ende des 5. Jh. ausgeht.321 320  Die in der Lysiasrede zitierte Bestimmung ist häufig auf das in Demosth. or. 24,105 eingelegte Diebstahlsgesetz bezogen worden, wobei der als geringfügig angesehene Unterschied – hier zehn Tage, dort fünf Tage und fünf Nächte – auf Überlieferungsvarianten zurückgeführt wird (Cohen 1983, 62). Michael Hillgruber hat dagegen Einwände erhoben. Da der Sprecher um Verlesung eines „anderen“ Gesetzes bittet und die darauf folgende dritte Gesetzesbestimmung expressis verbis den Diebstahl behandle, könne das vorangehend zitierte Gesetz gerade nicht dem nómos klopḗs entnommen gewesen sein. Es sei daher davon auszugehen, dass es nicht nur bei der díke klopḗs, sondern auch bei anderen Klagen möglich war, eine peinliche Zusatzstrafe zu beantragen (1988, 66 f.; zustimmend Canevaro 2013, 36; kritisch dagegen Todd 2007, 679, 680). Außerdem sei das eingelegte Gesetz „höchstwahrscheinlich das Werk eines Interpolators“. 321  Das in den Manuskripten überlieferte μὴ in Lys. 10,16 ist hingegen zu tilgen, auch deswegen, weil es in Demosth. or. 24,105 fehlt; es ist vermutlich bei der Abschrift aus der vorangehenden Zeile irrtümlich übernommen worden, denn Lys. 10,15 enthält ein solches μὴ : ἄν πως ἀλλὰ νῦν ἐπὶ τοῦ βήματος παιδευθῇ καὶ τὸ λοιπὸν ὑμῖν μὴ παρέχῃ πράγματα. … Michael Hillgruber erwägt, ob das aus dem Text in Lys. 10,16 getilgte μὴ nicht beibehalten werden müsse, im Sinne von: „er soll mit dem Fuß 10 Tage in die ποδοκάκη gebunden werden, wenn die Heliaia nicht eine höhere Strafe verhängt“ (Hillgruber 1988, 66 f.). Auch Carey hat in der OCT-Edition das μὴ beibehalten, und Todd 2007, 680 stimmt dem zu, allerdings unter

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Verfahren vor den Thesmotheten

Vermutlich konnte „jeder, der will,“ die Zusatzstrafe beantragen, wie aus Demosth. or. 24,105 hervorgeht.322 Die podokák(k)ē bestand aus zwei waagerecht angebrachten Balken mit jeweils halbrunden Vertiefungen, die – übereinander gelegt – runde Löcher bildeten. Die Balken enthielten fünf solche nebeneinanderliegende Löcher, so dass die Beine unterschiedlich stark auseinandergespreizt werden konnten.323 Insgesamt gesehen liegt nahe, dass es sich bei den drei Zitaten in Lys. 10,16–17 um solche aus ein und demselben Gesetz handelt, nämlich aus dem alten, solonischen über den Diebstahl.324 Das erste nennt die Zusatzstrafe, die von der (h)ēliaía verhängt werden konnte, das zweite einen Eid, den der ergriffene Täter leisten musste, und das dritte die Suche nach dem Diebesgut. Wenn es im zweiten Zitat heißt „wer einen Eid leistet, soll den Apollon als Bürgen anrufen. Wer aber die Strafe fürchtet, soll entweichen (δεδιότα δὲ δίκης ἕνεκα δρασκάζειν)“, geht es um Personen, denen ein Gerichtsverfahren bevorstand, dem sie sich durch Flucht außer Landes entziehen konnten. Dies lässt darauf schließen, dass ein Täter gemeint war, der zu den Elfmännern zur Hinrichtung abgeführt worden war, ihnen gegenüber aber die Schuld bestritten hatte. Er wurde nur dann von den Elfmännern freigegeben, wenn er im Eid, sich einem Verfahren zu stellen, Apollon als Bürgen anrief.325 Schien ihm das Risiko einer Verurteilung mit anschließender Hinrichtung zu groß, blieb ihm noch, Attika zu verlassen.326

der Voraussetzung, dass beide dem Diebstahl zugeschriebenen Bestimmungen in Lys. 10,16–17 voneinander zu trennen sind. Siehe dazu auch Leão/Rhodes 2015, 38. 322  Nach Lipsius 1905–15, 440 hätte jeder von den Geschworenen die zusätzliche Strafe beantragen können. 323 Zur podokák(k)ē siehe Harpokr. π 76 s. v. ποδοκάκκη· Δημοσθένης Κατὰ Τιμοκράτους. τὸ ξύλον τὸ ἐν τῷ δεσμωτηρίῳ οὕτως ἐκαλεῖτο, ἤτοι παρεμβεβλημένου τοῦ ἑτέρου κ, ποδῶν τις κάκωσις οὖσα, ἢ κατὰ συγκοπήν, ὥς φησι Δίδυμος, οἷον ποδοκατοχή. Λυσίας δ’ ἐν τῷ Κατὰ Θεομνήστου, εἰ γνήσιος, ἐξηγεῖται τοὔνομα· φησὶ γὰρ: „ἡ ποδοκάκκη αὐτό ἐστιν ὃ νῦν καλεῖται ἐν τῷ ξύλῳ δεδέσθαι“. Ähnlich Glossae rhetoricae (Lexica Segueriana) s. v ποδοκάκκη (Anecd. gr. p. 292 Beckker); Συναγωγὴ λέξεων χρησίμων π 510 s. v. ποδοκάκκη (I. C. Cunningham, Συναγωγὴ λέξεων χρησίμων, Berlin – New York 2003); Hesych. π 2679 s. v. ποδοκάκ‹κ›η; Schol. Demosth. 24,208 s. v. ποδοκάκκῃ; Schol. Aristoph. in epuites 367a, c; vgl. auch Poll. 8,72. Hillgruber 1988, 68 folgt der etymologischen Erläuterung von Didymos, wonach podokákkē aus ποδοκατοχή entstanden sei; Evangelos Karabélias, La peine dans Athènes classique, in: La peine – Punishment 1. Antiquité – Antiquity (Recueils de la Société Jean Bodin 55,1), Bruxelles 1991, 77–132, hier 113, 124; Schmitz 2004, 386 f. mit weiteren Quellen. 324  So auch das Verständnis bei Phillips 2013, 337 Nr. 267. 325  Auch Platon hat z. T. Götter vorgeschrieben, bei denen der Eid zu leisten war: Um keine Feindschaft aufkommen zu lassen, ordnete Platon in den Gesetzen an, dass keine Grenzsteine von Nachbarn verrückt werden dürfen und, weil die Grenze durch Eide geheiligt sei, beim Eid Zeus Homophylos, bei Fremden Zeus Xenios als Zeuge (mártys) diene (Plat. leg. 8, 843a). 326  In Isai. 4,28 wird einem Mann namens Chariades vorgehalten, er sei als Dieb bei der Tat ergriffen und ins Gefängnis abgeführt, aber mit einigen anderen von den Elfmännern freigelassen worden. Als die Elfmänner deswegen zum Tode verurteilt wurden und Chariades beim Rat der 500 angezeigt wurde, floh er und stellte sich dem Gericht nicht (Οὗτος γάρ, ὅτ’ ἐπεδήμει ἐνθάδε, πρῶτον μὲν εἰς τὸ δεσμωτήριον ὡς κλέπτης ὢν ἐπ’ αὐτοφώρῳ ἀπήχθη, τότε δὲ ἀφεθεὶς μεθ’ ἑτέρων τινῶν ὑπὸ τῶν ἕνδεκα, οὓς δημοσίᾳ ἅπαντας ὑμεῖς ἀπεκτείνατε, πάλιν ἀπογραφεὶς εἰς τὴν βουλὴν κακουργῶν, ὑποχωρῶν ᾤχετο καὶ οὐχ ὑπήκουσεν).

Gesetz gegen Diebstahl (nómos klopḗs) (F 112–114)

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Das zweite Zitat bezieht sich also auf die apagōgḗ des ergriffenen Diebs. Freilich muss dieser rekonstruierte Kontext des Zitats unsicher bleiben. Das dritte Zitat bezieht sich schließlich auf das Aufspüren des Diebesguts. Dabei ist τοῦ κλέπτου, wie es die Handschriften überliefern, wahrscheinlich in τοῦ κλέπου zu ändern.327 Klépos ist ein alter Ausdruck für ‚Diebesgut‘; gemäß einer Notiz des Pollux (F 113e) habe Solon diesen Begriff in seinen Gesetzen verwendet. Da klépos sonst nicht belegt ist, liegt es nahe, dass Pollux ihn der Lysiasrede mit dem Bezug auf Solon entnommen hat.328 Wer in einem fremden Haus ein ihm gestohlenes Gut vermutete, durfte eine Haussuchung vornehmen, aber nur im Unterkleid das Haus betreten, um zu verhindern, dass dem Hausbewohner Diebesgut untergeschoben wurde.329 Wer durch Abschließen des Hauses eine Durchsuchung verhinderte, hatte wahrscheinlich eine Strafe im Wert des Doppelten zu zahlen.330 Ob auf frühe Tradition zurückgeht, dass man dabei entdecktes Diebesgut dem Dieb auf den Rücken band und ihn als einen bei der Tat ergriffenen Täter abführen konnte, muss offen bleiben.331 Das ungewöhnliche ἀπίλλει in Lys. 10,17 ist möglicherweise dem ἐξίλλειν im Gesetz über den Zugriff auf Sachen (nómos exoúlēs) an die Seite zu stellen. Danach sei derjenige zu bestrafen, der einem anderen den rechtmäßigen Zugriff auf ein Gut „verwehrt“ (exíllein).332 F 113b: Demosthenes, Gegen Timokrates (or. 24) 103, 105 f., 114 f. (353 v. Chr.) (103) λεγόντων γὰρ τῶν νόμων οὓς ἔθηκε Σόλων, οὐδὲν ὅμοιος ὢν τούτῳ νομοθέτης, ἄν τις ἁλῷ κλοπῆς καὶ μὴ τιμηθῇ θανάτου, προστιμᾶν αὐτῷ δεσμόν, κἄν τις ἁλοὺς [τῆς] κακώσεως τῶν γονέων …

327  Kaser 1944, 145 Anm. 32 erwog die Lesung κλεπτοῦ (‚Gestohlenes‘), hielt aber den Bezug auf eine Haussuchung beim vermeintlichen Dieb für wenig wahrscheinlich. 328  Nach Stephen Todd, der von der Lesung τοῦ κλέπτου ausgeht, habe die in der Lysiasrede zitierte Bestimmung den Hintergrund gehabt, dass der bei der Tat ergriffene Dieb im Haus eingesperrt wurde, damit er von Komplizen nicht befreit werden konnte (Todd 2007, 682). Hillgruber 1988, 73 spricht sich gegen den Bezug der Bestimmung auf die Haussuchung aus, auch mit Verweis auf eine ähnliche Bestimmung, den Ehebrecher einzusperren und Geld von ihm zu erpressen (Ps.-Demosth. or. 59,41: ὡς μοιχὸν ἐπ’ αὐτῇ ἔνδον ἀποκλείων καὶ ἀργύριον πραττόμενος πολύ; ähnlich auch Kaser 1944, 145 f. Anm. 32). Wenn der Bestohlene den Dieb im verriegelten Haus festhielt, komme dies, so Michael Hillgruber, vom Verfahren her einer ephḗgesis gleich, bei der der Täter nicht zu den Amtsträgern abgeführt, sondern der Amtsträger zum Tatort geführt werde (Hillgruber 1988, 73 f. mit Hinweis auf Schol. Demosth. or. 22,26). 329  Auf die Aufforderung des Sokrates „leichtbekleidet trete ein“, repliziert Strepsiades „Ich kam ja nicht, um Diebesgut zu suchen“ (Aristoph. nub. 498 f. mit den Scholia). In Isai. 6,42 wird „Haussuchung gemäß dem Gesetz“ gefordert. 330  Das ἀποκλῄειν, mit dem Lysias das altertümliche Wort ἀπίλλειν erklärt, begegnet auch in Isai. 6,40: den Angehörigen des Euktemon, die das Erbe sichern wollten, wurde die Türe „versperrt“. Eine Durchsuchung des Hauses, in dem gestohlenes Gut vermutet wird, auch in Plat. leg. 12, 954a–b. Lipsius 1905– 15, 440. Max Kaser (1944, 145–147) bezeichnet die Haussuchung als „Überbleibsel aus der Frühzeit“. 331  Demosth. or. 45,81; Kaser 1944, 144 f.; Cohen 1983, 36 f., 57. 332 F 111a-b (Krates in Scholia vetera in Homeri Iliadem 21,282e und in POxy 2 Nr. 211 col. 14, II).

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Verfahren vor den Thesmotheten (105) ΝΟΜΟΙ ΚΛΟΠΗΣ, ΚΑΚΩΣΕΩΣ ΓΟΝΕΩΝ, ΑΣΤΡΑΤΕΙΑΣ

Ὅ τι ἄν τις ἀπολέσῃ, ἐὰν μὲν αὐτὸ λάβῃ, τὴν διπλασίαν καταδικάζειν, ἐὰν δὲ μή, τὴν δεκαπλασίαν πρὸς τοῖς ἐπαιτίοις. δεδέσθαι δ’ ἐν τῇ ποδοκάκκῃ τὸν πόδα πένθ‘ ἡμέρας καὶ νύκτας ἴσας, ἐὰν προστιμήσῃ ἡ ἠλιαία. προστιμᾶσθαι δὲ τὸν βουλόμενον, ὅταν περὶ τοῦ τιμήματος ᾖ. … (106) Ὅμοιός γ‘, οὐ γάρ; ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, Σόλων νομοθέτης καὶ Τιμοκράτης. ὁ μέν γε καὶ τοὺς ὄντας βελτίους ποιεῖ καὶ τοὺς μέλλοντας ἔσεσθαι· ὁ δὲ … (113) … [siehe F 112a] (114) … εἰ δέ τις ἰδίαν δίκην κλοπῆς ἁλοίη, ὑπάρχειν μὲν αὐτῷ διπλάσιον ἀποτεῖσαι τὸ τιμηθέν, προστιμῆσαι δ‘ ἐξεῖναι τῷ δικαστηρίῳ πρὸς τῷ ἀργυρίῳ δεσμὸν τῷ κλέπτῃ, πένθ‘ ἡμέρας καὶ νύκτας ἴσας, ὅπως ὁρῷεν ἅπαντες αὐτὸν δεδεμένον. καὶ τούτων ὀλίγῳ πρότερον ἠκούσατε τῶν νόμων. (115) ᾤετο γὰρ δεῖν τόν γε τὰ αἴσχρ‘ ἔργ‘ ἐργαζόμενον μὴ ἃ ὑφείλετο μόνον ἀποδόντ‘ ἀπηλλάχθαι (πολλοὶ γὰρ [ἂν] αὐτῷ ἐδόκουν οὕτω γ‘ οἱ κλέπται ἔσεσθαι, εἰ μέλλοιεν λαθόντες μὲν ἕξειν, μὴ λαθόντες δ‘ αὐτὰ μόνον καταθήσειν), ἀλλὰ ταῦτα μὲν διπλάσια καταθεῖναι, δεθέντα δὲ πρὸς τούτῳ τῷ τιμήματι ἐν αἰσχύνῃ ζῆν ἤδη τὸν ἄλλον βίον. ἀλλ‘ οὐ Τιμοκράτης, ἀλλ‘ ὅπως ἁπλᾶ μέν, ἃ δεῖ διπλάσια, καταθήσουσιν παρεσκεύασε, μηδ‘ ὁτιοῦν δ‘ ἐπιτίμιον ἔσται πρὸς τούτοις. App. crit.: (103) δεσμόν S vulg., δεσμοῦ YO; τῆς del. Dobree, servat Blass; (105) αὐτὸ λάβῃ codd., ἀπολάβῃ Taylor, Dobree, Bernard; δεκαπλασίαν codd., διπλασίαν Heraldus; ποδοκάκκῃ AFYO, Harpokr., Lys.O, ποδοκάκῃ S al. Lys.XC; (106) οὐ γάρ add. S corr. in marg.; ὁ ante νομοθέτης add. AYO; (114) ἴσας om. S solus; (115) γε om. AF; ἔργα om. AF, add. S YO; ἂν codd., del. Cobet; ἃ ὑφείλετο post καταθήσειν add. AF, om. S YO (in marg. ponit Y); ἤδη post ζῆν A, ante ζῆν S vulg.; διπλάσια: διπλᾶ AYO.

(103) Denn die Gesetze (nómoi), die Solon erlassen hat, ein diesem [dem Timokrates] in keiner Weise gleichender Gesetzgeber (nomothétēs), besagen, dass demjenigen, der wegen Diebstahls (klopḗ) ergriffen und nicht mit dem Tod bestraft worden war, zusätzlich die Fesselung als Strafe auferlegt sei; und wenn jemand der Misshandlung der Eltern überführt wurde, … (105) Gesetze über Diebstahl, Misshandlung der Eltern und Entziehung vom militärischen Dienst

„Wenn jemand etwas verloren [oder: liegengelassen] hat, soll man, wenn er es zurückerhalten hat, [durch Urteil] das Zweifache, wenn aber nicht, das Zehnfache gegen die Schuldigen (epaí­ tioi) verhängen (katadikázein). Gebunden werden soll aber sein Fuß in den Block (podokákkē) fünf Tage und ebensoviele Nächte, wenn die (h)ēliaía diese Strafe zusätzlich verhängt. Jeder, der will (boulómenos), kann die Zusatzstrafe dann verhängen lassen (prostimásthai), wenn es um die Bemessung [der Strafe] geht. …“. (106) Ha, wie gleicht doch, ihr Athener, Timokrates dem Gesetzgeber (nomothétēs) Solon, oder? Er [Solon] sucht sowohl die Lebenden als auch die kommenden Generationen besser zu machen, dieser [Timokrates] hingegen … (113) … [siehe F 112a]. (114) … Wenn aber jemand bei der den Einzelnen betreffenden Klage wegen Diebstahls (idía díkē klopḗs) für schuldig befunden wird, soll er das Doppelte (diplá­ sion) des geschätzten Werts zahlen, aber dem Gerichtshof (dikastḗrion) soll es möglich sein, zusätzlich zu dem Geldbetrag den Dieb mit Fesselung zu bestrafen, fünf Tage und ebenso viele Nächte, damit alle ihn als Gefesselten sehen können. Auch diese Gesetze habt ihr kurz zuvor gehört. (115) Er [= der Gesetzgeber] hielt es für angemessen, dass der, der die schändliche Tat verübt hatte, nicht mit dem bloßen Ersatz des Gestohlenen davonkomme; (er dachte vielmehr, dass die Diebe sehr zahlreich werden würden, wenn sie, bliebe die Tat verborgen, im Besitz des Gestohlenen blieben, und wenn sie je entdeckt würden, nur gezwungen wären, ebensoviel zu ersetzen, wie sie entwendet hätten). [Sondern er hielt es für angemessen,] dass der Dieb

Gesetz gegen Diebstahl (nómos klopḗs) (F 112–114)

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das Doppelte (diplásia) bezahlte, und noch zusätzlich zu dieser Bemessung gebunden werden sollte, damit er sein ganzes weiteres Leben in Schimpf und Schande verbringe. Nicht so Timokrates! Denn dieser hat angeordnet, dass statt des doppelten Betrags nur der einfache erlegt wird und dass keine andere Strafe (epitímion) weiter hinzukommt.

Michael Hillgruber hält das in § 105 eingelegte Gesetz für das Werk eines Interpolators, der aus dem folgenden Text der Rede Gesetzesformeln zusammengestellt habe.333 Auch Mirko Canevaro hat in einer ausführlichen Diskussion der in § 105 eingelegten Gesetze über den Diebstahl, die Misshandlung der Eltern und die Entziehung vom militärischen Dienst auf Widersprüche hingewiesen, die seiner Ansicht nach belegen, dass die Gesetze nicht als authentische Zeugnisse aufgefasst werden dürfen, sondern als Fälschungen späterer Zeit anzusehen seien. Da die in die Rede eingelegten Gesetze nicht in die Stichometrie einbezogen seien, werden sie im ursprünglichen Text der Rede nicht enthalten gewesen und erst nach dem 3. Jh. v. Chr. eingefügt worden sein.334 Canevaro sieht im eingelegten Gesetzestext Widersprüche zu den indirekten Wiedergaben des Demosthenes, die als zuverlässige Überlieferung anzusehen seien.335 So nenne der Redner in seiner Wiedergabe des Gesetzes nur eine Entschädigung in zweifacher Höhe. Für eine zehnfache Entschädigung und zusätzliche epaítia gebe es hingegen keine Hinweise in der Rede. Eine Strafe in Höhe des Zehnfachen sei aus anderen Quellen allein für den Diebstahl aus Heiligtümern bekannt und bei Amtsträgern, die bei einem Rechenschaftsverfahren verurteilt wurden.336 Suspekt sei auch die Klausel, dass „jeder, der will,“ die entehrende Zusatzstrafe beantragen könne. Da Diebstahl von Gegenständen aus eigenem Besitz nur über eine ‚Privatklage‘, eine díkē klopḗs, verfolgt werden könne, schließe dies die Beantragung einer Zusatzstrafe durch „jeden, der will,“ aus. Daher müsse davon ausgegangen werden, dass ein Fälscher das Gesetz aus den Informationen, die die Rede selbst enthielt, zusammengestellt und, um den Schein von Authentizität vorzutäuschen, erfundene Details hinzugefügt habe.337 Die 333  Hillgruber 1988, 66 f.; ebenso Leão/Rhodes 2015, 40, 176; Phillips 2013, 355 f. Michael Gagarin und David Cohen haben den eingelegten Gesetzestext hingegen als authentisch angesehen. Siehe auch Moneti 2001, 99 Anm. 3 zu § 105: „Quest‘ ultima versione sembra usare un linguaggio più arcaico“. 334  Canevaro 2013a, 27: „This is clear evidence that the document was not present in the earliest editions of the speech and not present in the very ancient edition to which stichometry was applied, which was in all probability produced at the beginning of the 3rd century BCE. It must have been added at a later date“. 335  Ebenso Phillips 2013, 355. 336  Demosth. or. 24,111 f.121 Das Zehnfache als Strafe bei Unterschlagung (κλοπή) im Amt auch in Demosth. or. 24,127; Aristot. Ath. pol. 54,2. Martin Dreher, Ein athenischer Synhedros im Zweiten Athenischen Seebund. ‚Klope‘ in Dem. 24,127, in: Symposium 1988. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Siena – Pisa,6.–8. Juni 1988), hrsg. von Giuseppe Nenci und Gerhard Thür, Köln – Wien 1990, 149–172; Phillips 2013, 335, 356. 337  Canevaro 2013a, 28–30. Das Argument ist aber wenig stichhaltig: Canevaro behauptet, dass die Informationen des Fälschers der Rede selbst entnommen seien und keine unabhängige Überlieferung vorliege; die Informationen aus dieser und anderen Gerichtsreden habe er mit erfundenen Details angereichert. Die Wendung πρὸς τοῖς ἐπαιτίοις ist sonst nicht belegt und gehört damit Canevaros Meinung

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Verfahren vor den Thesmotheten

Rekonstruktion des Gesetzes über den Diebstahl könne sich also allein auf die Äußerungen des Demosthenes selbst, nicht auf das in § 105 eingelegte Gesetz stützen. Delfim F. Leão und P. J. Rhodes folgen Mirko Canevaro darin, dass nur die Informationen, die Demosthenes in der Rede selbst gibt (die Zusatzstrafe des Bindens in § 103, das Duplum als Strafe und die Zusatzstrafe in § 114), für eine Rekonstruktion des solonischen Gesetzes gesichert seien.338 Die Einwände gegen die Authentizität des eingelegten Gesetzestextes beruhen allerdings auf Argumenten, die entkräftet werden können. In der gesamten Passage geht es Demosthenes darum nachzuweisen, dass die Gesetze Athens bei bestimmten Vergehen Haft vorsehen, eine Haft, die in den Händen der Elfmänner lag. Dabei sind zwei Formen zu unterscheiden: Bei Diebstahl konnte die Haft als zusätzliche Strafe durch das Gericht verhängt werden, und der Täter wurde dann fünf Tage und fünf Nächte in den ‚Block‘ gebunden. Bei der zweiten Form wurde Haft angewendet, wenn derjenige, der der Misshandlung der Eltern oder der Entziehung vom militärischen Dienst für schuldig befunden worden war und sich dennoch an einen Ort begab, von dem sich fernzuhalten ihm verkündet worden war, von dort zu den Elfmännern abgeführt wurde; wurde er in dem anschließenden Verfahren für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe verurteilt, musste er so lange in Haft bleiben, bis die Strafe bezahlt war. Auf die erste Form nimmt Demosthenes in § 103 Bezug: „Wenn jemand wegen Diebstahls (klopḗ) verurteilt und nicht mit dem Tod bestraft wurde, soll er zusätzlich mit Haft (desmós) bestraft werden“. Der vor Gericht gestellte Dieb konnte also, wenn es sich um schweren Diebstahl handelte, mit dem Tod bestraft werden; bei minder schwerem Diebstahl aber drohte ihm das entehrende Binden in den ‚Block‘.339 Das zweite Gesetz, das in § 105 eingelegt ist, zitiert nicht Bestimmungen aus dem nómos kakṓseōs gonéōn und dem nómos astrateías (wie die eingefügte Überschrift glauben machen will), sondern es sind Auszüge aus einem Gesetz über die apagōgḗ. Es gibt also zwischen der indirekten Wiedergabe der Gesetze in § 103 und den eingelegten Gesetzestexten in § 105 sachlich keinen Widerspruch. An beiden Stellen ist für den Diebstahl ein anderes ‚Binden in den Stock‘ gemeint, nämlich nicht die Haft nach einer apagōgḗ, wie sie gegen den angeordnet wurde, der, obwohl er wegen Misshandlung der Eltern oder Entziehung vom militärischen Dienst verurteilt worden war, politische Rechte für sich beansprucht hatte. Solche Personen wurden in Haft genommen, zunächst bis zur Gerichtsverhandlung und dann erneut nach zu den erfundenen Details. Warum aber sollte der Fälscher eine so ungewöhnliche, sonst nirgends belegte Wendung eingefügt haben, um unabhängige Informationen vorzutäuschen? 338  Leão/Rhodes 2015, 40. Die Strafe des Bindens ‚in das Holz‘ als Zusatzstrafe spreche für ein hohes Alter des Gesetzes, so dass es Leão/Rhodes F 23d/112 als solonisch anerkennen, ebenso wie das Verfahren der apagōgḗ in F 23/1 (= F 113 Ruschenbusch). 339  Wenn man nicht davon ausgeht, dass es sich bei dem eingelegten Gesetzestext um eine Fälschung handelt, wird das von Demosthenes indirekt zitierte ἄν τις ἁλῷ κλοπῆς καὶ μὴ τιμηθῇ θανάτου Bezug auf καταδικάζειν im eingefügten Gesetz nehmen; ἁλῷ meint daher „überführt“, nicht „ergriffen“ werden.

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bis zur Begleichung der Strafzahlung. Beim ergriffenen Dieb hingegen war es eine von den Geschworenen im Prozess auferlegte Zusatzstrafe. Dass Demosthenes in § 114 nur das Duplum als Strafe für den Diebstahl nennt (ὑπάρχειν μὲν αὐτῷ διπλάσιον ἀποτεῖσαι τὸ τιμηθέν) und dann gleich zur Zusatzstrafe übergeht, muss nicht heißen, dass es im Gesetz über den Diebstahl keine Strafe in Höhe des Zehnfachen gab. Das Fehlen dieser Klausel in der indirekten Wiedergabe kann nämlich auch damit zusammenhängen, dass im 4. Jh. v. Chr. nicht zuverlässig zu klären war, was die Bestimmung ἐὰν δὲ μή, τὴν δεκαπλασίαν πρὸς τοῖς ἐπαιτίοις besagte. Ähnliches lässt sich bei der Wiedergabe der drakontischen Gesetzesbestimmung über die versehentliche und damit straffreie Tötung des bei einem Kriegszug, beim Wettkampf oder „auf dem Weg“ getöteten Atheners feststellen. In dem bei Demosthenes or. 23,53 eingelegten Gesetz ist der Wortlaut angegeben mit: „Wenn jemand einen tötet, unabsichtlich (ákōn) bei Wettkämpfen oder auf dem Weg entlangfahrend (en hodṓ kathelṓn) oder unerkannt im Krieg oder bei der Ehefrau (dámar) …“. In der indirekten Wiedergabe des eingelegten Gesetzes geht Demosthenes auf die versehentliche Tötung im Krieg, beim Wettkampf und auf die berechtigte Tötung des Ehebrechers ein – und dies eng an den eingefügten Gesetzestext angelehnt –, nicht aber auf die Bestimmung „auf dem Weg entlangfahrend“, vermutlich weil sie ihm rätselhaft erschien.340 In antiken Lexika wird die Formulierung ἐν ὁδῷ καθελών, weil sie eine Erklärung erforderte, erläutert, aber statt des wohl korrekten „auf dem Weg entlangfahrend“ (also infolge eines ‚Verkehrsunfalls‘) gehen die antiken und byzantinischen Gelehrten von einer Tötung aus dem Hinterhalt aus. Genau derselbe Fall könnte bei Demosth. or. 24,105 vorliegen: Um die Geschworenen nicht zu verwirren, gibt Demosthenes in seiner indirekten Wiedergabe des Gesetzes in § 114 nur die leicht verständlichen Bestimmungen wieder, die Strafe des Duplum und die Zusatzstrafe, nicht aber das schwer zu deutende τὴν δεκαπλασίαν πρὸς τοῖς ἐπαιτίοις.341 Dies hat Pollux später aufgegriffen und zu erklären versucht, indem er epaítia als ein Neutrum Plural auffasst und mit ‚Zusatzstrafen‘ (prostimḗmata) wiedergibt.342 Das Wort epaítion ist im antiken Schrifttum sonst nicht bezeugt; es liegt daher nahe anzunehmen, dass Pollux das Wort aus dem bei Demosthenes eingelegten Gesetzestext heraus erklärt hat; denn dort folgt auf πρὸς

340  Demosth. or. 23,53–57: ἄν τις ἐν ἄθλοις ἀποκτείνῃ τινά (§ 54); ἂν ἐν πολέμῳ ἀγνοήσας (§ 55); ἢ ἐπὶ δάμαρτι ἢ ἐπὶ μητρὶ ἢ ἐπ‘ ἀδελφῇ ἢ θυγατρί ἢ ἐπὶ παλλακῇ, ἣν ἂν ἐπ‘ ἐλευθέροις παισὶν ἔχῃ (§ 55). 341  Dass es sich um eine indirekte Wiedergabe handelt, zeigt auch die Verwendung von dikastḗrion statt der (h)ēliaía, die in Lys. 10,16 und Demosth. or. 24,105 genannt ist. 342  Als Zusatzstrafe fassen auch Max Kaser, Der altgriechische Eigentumsschutz, in: ZRG 64, 1944, 134–205, hier 146 Anm. 34 und Cohen 1983, 62 f. epaítia auf. Ruschenbusch F 23d übersetzt: „und dazu zur Rückgabe des Streitgegenstandes (epaitia)“; er folgt dabei Johann Jacob Reiske. Leão/Rhodes 2015, 37: „it seems to mean the property in question (Lipsius, A. R. 440–1 n. 79, after Reiske), though in that case it misrepresents the Athenian law, and if that is what it means Pollux has misunderstood it (thus Ruschenbusch)“. Zu den unterschiedlichen Deutungen siehe auch die bei Canevaro 2013a, 26 Anm. 4 genannte Literatur und ebd. 35.

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τοῖς ἐπαιτίοις die Bestimmung über die entehrende Zusatzstrafe, und dies wird Pollux dazu gebracht haben, epaítia als ‚Zusatzstrafen‘ zu deuten. Dieser Deutung kommt also keine Beweiskraft zu.343 Trotzdem sollte, wie David Cohen und Mirko Canevaro fordern, von der Textüberlieferung ἐὰν δὲ μή, τὴν δεκαπλασίαν πρὸς τοῖς ἐπαιτίοις ausgegangen werden. Man dürfe, so Canevaro zu Recht, δεκαπλασίαν nicht zu διπλασίαν emendieren, nur um eine Konformität mit dem folgenden Text der Rede herzustellen.344 Das δεκαπλασία ist dann plausibel, wenn man davon ausgeht, dass für den einfachen Diebstahl eine Strafe in Höhe des Zweifachen, bei schwerem, gemeinschaftlich verübtem Diebstahl aber in Höhe des Zehnfachen festgesetzt war.345 Platon hat in den Nomoi bei Diebstahl das Duplum als Strafe vorgesehen, auch für Diebstahl öffentlichen Guts (κλοπὴ δημοσίᾳ);346 für den Diebstahl von „Liegengelassenem“ in der Obhut der Göttin der Wege (ἐνοδία δαίμων) hingegen sei die Strafe das Zehnfache.347 Es handelt sich bei diesem Delikt nicht um Diebstahl aus einem Heiligtum, sondern von „auf dem Weg Liegengelassenem“ (ἄν τις τῶν αὑτοῦ τι καταλείπῃ που). Dies entspricht in etwa der Formulierung ὅ τι ἄν τις ἀπολέσῃ in dem in § 105 eingefügten Gesetz. Es ist also durchaus möglich, dass Platon in seinem theoretischen Entwurf die Abstufungen der Strafen bei Diebstahl – Duplum und Zehnfaches – in Anlehnung an das solonische Gesetz vorgenommen hat. Um die hohe Strafe des Zehnfachen bei „Liegengelassenem“ zu legitimieren, nimmt er Zuflucht zu der Erklärung, dass die Göttin der Wege über solche Gegenstände wache und sie dieser Gottheit geweiht seien.348 Bei πρὸς τοῖς ἐπαιτίοις hat Pollux das epaítia als Neutrum Plural aufgefasst; es ist aber eher von einem Maskulinum auszugehen, so dass unter den epaítioi die „Beschuldigten“ zu verstehen sind, so wie in anderen Quellen die metaítioi oder synaítioi als

343  Zur unsicheren Bedeutung von τὰ ἐπαίτια Moneti 2001, 101 f.: „Se τὰ ἐπαίτια corrispondesse effettivamente a τὰ προστιμήματα, il legislatore, a mio parere, avrebbe scritto: τὴν δεκαπλασίαν καὶ τὰ ἐπαίτια. Queste considerazioni inducono a supporre che τὰ ἐπαίτια facesse piuttosto riferimento a ciò che precedeva la sanzione principale (τὴν δεκαπλασίαν), ovvero la definizione del valore della refurtiva“ (102). Ilario Moneti versteht daher τὰ ἐπαίτια als „la richiesta di indennizzo avanzata dall‘ accusa“, also als die vor der Anklage vorgebrachte Forderung auf Schadenersatz (103). 344  Zur Emendation Canevaro 2013a, 26 mit Anm. 5, 34. 345  Auch Ilario Moneti plädiert dafür, den Text so zu belassen, wie er überliefert ist (2001, 101). 346  Plat. leg. 9, 857a–b. 347  Plat. leg. 11, 914b–c. Eberhard Klingenberg, Eigentumserwerb durch Fund, in: Symposion 1988. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Siena – Pisa, 6.–8. Juni 1988), Köln – Wien 1990, 101–110. 348  Nach leg. 12, 941c–942a soll derjenige, der ein „öffentliches Gut“ (δημόσιον) stiehlt dann, wenn er der gewaltsamen Aneignung überführt wird (ἂν πατρίδα συλῶν ἢ βιαζόμενος ἁλίσκηται), mit dem Tod bestraft werden. Vgl. dazu Saunders 1991. Canevaro 2013a, 34 (= 2013b, 162) hält hingegen Plat. leg. 11, 914b für keinen relevanten Beleg, um eine Differenzierung der Strafen, Duplum und das Zehnfache, zu rechtfertigen.

Gesetz gegen Diebstahl (nómos klopḗs) (F 112–114)

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die „Mitbeschuldigten“ belegt sind.349 Denn auffällig ist, dass in dem Konditionalsatz ἐὰν μὲν αὐτὸ λάβῃ nicht vom Täter ausgegangen wird, wie in vielen anderen Gesetzen, sondern von dem Geschädigten (ebenso wie in ὅ τι ἄν τις ἀπολέσῃ); entsprechend ist καταδικάζειν aktivisch, nicht mit Bezug auf den Täter passivisch gebraucht. Die Einbeziehung der Täter folgt erst am Schluss des Satzes, so dass sich folgendes Verständnis des Textes ergibt: „wenn einer etwas verliert (oder: liegen lässt), soll man, wenn er es zurückerhält, (durch Urteil) das Doppelte, wenn nicht, das Zehnfache gegen die Schuldigen (epaítioi) verhängen“.350 Gerade bei Viehraub liegt nahe, dass an dem Diebstahl mehrere Personen beteiligt waren.351 ‚Schuldige‘ konnten auch diejenigen sein, die ein offensichtlich gestohlenes Tier gekauft oder versteckt hatten. Schließlich wird durch Lys. 29,11 bestätigt, dass gemäß Diebstahlsgesetz solche Komplizen dieselbe Strafe erleiden sollten wie der Dieb selbst.352 Epaítia in § 105 im Sinne von ‚Zusatz349  In Aichyl. Eum. 467 bezeichnet Orest die Schuldigen an der Tötung des Agamemnon als ἐπαίτιοι; in Choeph. 134 ist Aigisthos als „Mitschuldiger“ an Klytaimestras Tötung des Agamemnon genannt (φόνου μεταίτιος), nach v. 190 trage die Schicksalgöttin, Moira, „Mitschuld“ (παραιτία); in den Eume­ niden wirft die Chorführerin Apollon vor, er sei an der Tötung Klytaimestras „nicht mitschuldig“ (οὐ μεταίτιος), sondern er trage allein die Schuld dafür (παναίτιος; Eum. 199 f.); vgl. auch Soph. Antig. 537. Während des Bürgerkriegs in Korinth am Anfang des 4. Jh. seien, so berichtet Xenophon, angesehene Bürger, die sich zu Götterstatuen und Altären geflüchtet hatten, ohne Rücksicht auf diesen religiösen Schutz bei den Heiligtümern abgeschlachtet worden (Xen. hell. 4,4,3). „Die Täter und die Mitschuldigen (metaítioi) an jener Tat“ (οἱ μὲν σφαγεῖς καὶ οἱ μεταίτιοι τοῦ ἔργου) hätten später Korinth aus eigenem Entschluss verlassen (Xen. hell. 5,1,34). „Mitschuldige“ (metaítioi) sind auch in Hdt. 4,202,2 (Mitschuldige an einer Tötung), 8,101,2 und Plat. pol. 10, 615b (vgl. Stob. flor. 1,49,64; Mitschuldige am Verrat) belegt; „Mitschuldige“ an einer Tötung auch in Paus. 4,3,8 (τοῦ φόνου παραίτιοι). In Lys. 29,11 sind die Mitwisser eines Diebstahls als τοῖς κλέπταις συνειδότες bezeichnet. Nach Plat. leg. 12, 955b unterliege der gleichen Strafe wie der Dieb derjenige, der wissentlich Diebesgut (klemmádion) bei sich aufnimmt; vgl. Ps.-Demosth. or. 59,45. Mitschuldige im Gesetz einzubeziehen, lag nahe, da Diebe das Diebesgut häufig veräußerten oder bei anderen versteckten. Zu Diebstahlsklagen gegen Mitwisser Lipsius 1905–15, 440; vgl. Phillips 2013, 334. 350  Vgl. Aischyl. Prom. 974: (Hermes:) ἦ κἀμὲ γάρ τι συμφορᾶς ἐπαιτιᾶι; – (Hermes:) „Auch mir wohl gar an deinem Schicksal gibst du Schuld (epaitiáomai)?“; Soph. Oid. T. 644 f.: (Kreon:) μή νυν ὀναίμην, ἀλλ‘ ἀραῖος, εἴ σέ τι δέδρακ‘, ὀλοίμην, ὧν ἐπαιτιᾷ με δρᾶν. – (Kreon:) „Nicht wohlergehen soll es mir, sondern verflucht will ich zugrunde gehen, wenn ich dir irgend etwas getan, wie du mir schuld gibst (epai­ tiáomai), daß ich es getan“; epaitiáomai im Sinne von ‚beschuldigen‘ auch in Hdt. 2,121,3β; Plat. leg. 6, 767e, 11, 914c; Demosth. or. 23,25.27. 351  Insbesondere bei Verfahren wegen aikeía (díkē aikeías) lässt sich nachvollziehen, dass das attische Recht gegen so genannte Rügebräuche einschritt. Solche von der ledigen Dorfjugend ausgeführte Strafaktionen wurden gegen Devianten vollzogen, denen durch Einschlagen der Tür, Verunreinigen des Brunnens, Zerstörung des Herds oder Abdecken des Dachs Grundbedürfnisse des Lebens symbolisch entzogen wurden. Zu solchen Strafaktionen zählt auch das ‚Viehauslassen‘, wie es in anderen bäuerlichen Gesellschaften geübt wurde (dazu Schmitz 2004, 66 f. mit Anm. 179 f.; zum verbreiteten Viehdiebstahl siehe die bei Schmitz 2004, 80 Anm. 239 angegebenen Quellenstellen). An solchen Strafaktionen waren stets mehrere Personen beteiligt, hätte es also auch ‚Mitschuldige‘ gegeben. 352  Lys. 29,11: καὶ γὰρ ἂν καὶ δεινὸν εἴη, εἰ οἱ μὲν τὰ τῶν ἰδιωτῶν ἀπολλύμενα τοῖς κλέπταις συνειδότες τοῖς αὐτοῖς ἐνέχοιντο, οὗτος δὲ τὰ τῆς πόλεως Ἐργοκλεῖ συνειδὼς κλέπτοντι καὶ ἐπὶ τοῖς ὑμετέροις δωροδοκοῦντι μὴ τῆς αὐτῆς τιμωρίας τυγχάνοι. – „Und es wäre doch schlimm, wenn die, die Kenntnis haben (syneidótes) von dem, was Privatleute eingebüßt haben, wie die Diebe selbst unter die gleichen Strafen fallen, dieser aber, der Mitwisser des Ergokles am Diebstahl gegenüber der Stadt und an der Bestech-

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strafen‘ zu verstehen (die im Folgesatz näher erläutert werden), beinhaltet zudem die Schwierigkeit, dass epaítia in der Pluralform erscheint, aber nur eine Zusatzstrafe als zulässig genannt ist. Mirko Canevaro vermisst in dem seiner Ansicht nach gefälschten Gesetzestext über den Diebstahl das Verfahren der apagōgḗ, das in Demosth. or. 22,26 und in Ath. pol. 52,1 für Diebstahl belegt ist.353 Doch mit dem eingelegten Auszug aus dem nómos klopḗs soll genau das belegt werden, was Demosthenes in § 103 ausgeführt hatte, „wenn einer des Diebstahls überführt (also deswegen verurteilt) und nicht mit dem Tod bestraft wird, soll man ihn zusätzlich mit Fesselung bestrafen“ (ἄν τις ἁλῷ κλοπῆς καὶ μὴ τιμηθῇ θανάτου, προστιμᾶν αὐτῷ δεσμόν). Genau dies wird durch den Auszug aus dem Gesetz auch belegt. Ob eine apagōgḗ vorausgegangen war, ist dabei unerheblich und deswegen – auch wenn sie im Gesetz als zulässig aufgeführt war – nicht genannt. Der in die Rede eingefügte Gesetzestext kann also plausibel erklärt werden, wenn der überlieferte Text ὅ τι ἄν τις ἀπολέσῃ, ἐὰν μὲν αὐτὸ λάβῃ, τὴν διπλασίαν καταδικάζειν, ἐὰν δὲ μή, τὴν δεκαπλασίαν πρὸς τοῖς ἐπαιτίοις beibehalten wird.354 Das Gesetz beginnt mit der Wendung „wenn jemandem eine Sache abhanden gekommen ist“; David Cohen hat darauf aufmerksam gemacht, dass auch in Hesiods Werken und Tagen in v. 348 nicht explizit vom Diebstahl eines Ochsen die Rede ist, sondern sich eine gute Nachbarschaftsbeziehung dadurch auszeichne, dass „kein Ochse verloren gehe (apollýnai)“.355 Hatte man den Viehdieb nicht auf frischer Tat ergriffen, war der Nachweis kaum zu erbringen, ob das Tier aus der Umhegung ausgebrochen oder gestohlen worden war, wenn man es auf dem Grund und Boden eines anderen fand. Das Gesetz habe also zwei Tatbestände abgedeckt: den des Diebstahls und den der Nichtrückgabe. In den Scholien zu erg. 346–348 wird darauf hingewiesen, dass in griechischen Städten „alte Gesetze“ festlegten, dass die Nachbarn den Wert abhanden gekommener

lichkeit bei der Erledigung eurer Angelegenheiten, nicht dieselbe Strafe erleiden sollte.“ Dazu Moneti 2001, 104 f. 353  Canevaro 2013a, 33 (= 2013b, 161): „It is also possible, and more likely since the document has been inserted later, that the editor chose to insert only the section of the law concerned with imprisonment. However, it is implausible that a later editor who had access to the original law decided to insert only a small portion of it, neglecting to mention the provisions that Demosthenes discusses extensively.“ Siehe auch die Belege in Lys. 10,10; Demosth. or. 45,81; Isai. 4,28; bei Diebstahl öffentlichen Eigentums Aischin. Ktes. 10; vgl. dazu Kaser 1944, 144 f. 354  Da diese Strafe sehr hoch erschien, hat Heraldus die Emendation von δεκαπλασίαν in διπλασίαν vorgenommen. Ihm ist Eberhard Ruschenbusch gefolgt, auch mit Verweis auf Demosth. or. 24,114 und 115, weil an diesen Stellen lediglich von einer Strafe in Höhe des Duplums die Rede ist. So findet es sich auch in Ps.-Aristot. probl. 29,14, 952a und Aulus Gellius (F 113c). Lipsius 1905–15, 439. 355  Hes. erg. 348: οὐδ‘ ἂν βοῦς ἀπόλοιτ‘, εἰ μὴ γείτων κακὸς εἴη. Ähnlich Lys. 29,11 (τὰ τῶν ἰδιωτῶν ἀπολλύμενα), Heraclid. Lemb. 38 Dilts und Exodus 23,4. Klingenberg 1990 (wie Anm. 50), 101 spricht bei dem in Demosth. or. 24,105 genannten Delikt von „Fundunterschlagung“. Schol. Hes. erg. 346–348: πρὸς ἃ καὶ οἱ παλαιοὶ νόμοι βλέποντες ἐδικαίωσαν τῶν ἀπολλυμένων τοὺς γείτονας τὴν τιμὴν συνεισάγειν.

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Dinge (τῶν ἀπολλυμένων … τὴν τιμὴν) ersetzen mussten.356 Die Strafhöhe in Athens Gesetz über den Diebstahl habe sich – so Cohen – danach gerichtet, wie offensichtlich das Delikt war. Erhielt also der Geschädigte das Verlorene (oder: Liegengelassene) zurück, wurden die Schuldigen (zusätzlich?) zum Zweifachen des Werts verurteilt. Erhielt er es nicht zurück (z. B. weil das Tier geschlachtet oder verkauft worden war), war offensichtlich, dass die Beschuldigten nicht die Absicht hatten, das fremde Gut zurückzugeben; die Schuldigen wurden dann zum Zehnfachen verurteilt.357 Bei Wiederholungstätern oder wenn der Verdacht bestand, dass der Beklagte auch für andere Diebstähle verantwortlich war, konnte die (h)ēliaía zusätzlich eine entehrende Strafe verhängen (προστιμᾶν); „jeder, der will,“ konnte die Zusatzstrafe beantragen, wenn über den Wert des Gestohlenen entschieden wurde. Dass der Antrag erst zum Abschluss des Verfahrens gestellt werden konnte, stellte sicher, dass die Strafsumme an den Geschädigten ging. Wäre das ganze Verfahren eine graphḗ gewesen, die jedermann einbringen konnte, wäre die Strafe an die öffentliche Kasse gegangen. In or. 24,114 ist der Gesetzestext nicht wörtlich, sondern indirekt wiedergegeben. Zugrunde gelegt ist sicherlich der am Ende des 5. Jh. revidierte Text des solonischen Gesetzes, denn die entehrende Strafe, in den Block gebunden zu werden, ist auf fünf Tage und fünf Nächte begrenzt, nicht wie vermutlich im ursprünglichen solonischen Gesetzestext auf zehn Tage (F 113a). Auch ist statt des in offiziellen Dokumenten gebrauchten Begriffs (h)ēliaía vom dikastḗrion die Rede.358 Auf das späte 5. Jh. werden auch die Bestimmungen bezüglich des Diebstahls aus dem Lykeion, der Akademeia und dem Kynosarges, einem dem Herakles heiligen Gymnasion im Nordosten Athens, sowie von Schiffszubehör aus den Häfen zurückgehen, die in F 113b deswegen nicht mit aufgenommen sind.359

356  Schol. Hes. erg. 346–348: πρὸς ἃ καὶ οἱ παλαιοὶ νόμοι βλέποντες ἐδικαίωσαν τῶν ἀπολλυμένων τοὺς γείτονας τὴν τιμὴν συνεισάγειν. 357  Cohen 1983, 64–67; zustimmend Thür 2003, 57–96, hier 93. Im Gegensatz dazu kommt Canevaro 2013a, 45 zu dem Ergebnis: „In cases of dike klopes, no distinction was drawn between cases in which the stolen goods were recovered and cases in which they were not. In all cases, the penalty for theft was giving back twice the amount stolen (not twice the amount in addition to the stolen goods)“. 358 (H)ēliaía ist in Lys. 10,16 und in lex apud Demosth. or. 24,105 verwendet. Die (h)ēliaía ist aber auch noch in späterer Zeit im Gesetz des Timokrates belegt, das in Demosth. or. 24,63 eingelegt ist. Mogens Herman Hansen hat gezeigt, dass in Gesetzestexten bis ins 4. Jh. und darüber hinaus (h)ēliaía verwendet wird, bei den Rednern hingegen meist dikastḗrion (The Athenian Heliaia from Solon to Aristotle, in: C&M 33, 1981, 27–39; vgl. Todd 2007, 680 und Leão/Rhodes 2015, 39). Umstritten ist, ob es sich bei der (h)ēliaía um eine Volksversammlung in Ausübung rechtsprechender Tätigkeit handelt (MacDowell, Law 30; Todd 2007, 680) oder um einen speziellen Gerichtshof (so Hansen ebd. und Raphael Sealey, The Athenian Courts for Homicide, in: CPh 78, 1983, 294–296). 359  Demosth. or. 24,114 (F 114 Ruschenbusch; Leão/Rhodes; T 378 Martina). Lipsius 1905–15, 439; Phillips 2013, 356. Die drei in der Regelung genannten gymnásia sind vermutlich erst im Laufe des 6. Jh. gegründet worden (Leão/Rhodes 2015, 177 mit den Belegen). Als nicht auf Solon zurückgehend sieht auch Christian Mann das Gesetz an (Krieg, Sport und Adelskultur. Zur Entstehung des griechischen Gymnasions, in: Klio 80, 1998, 7–21, hier 7 Anm. 4). Siehe dazu Cohen 1983, 69–72.

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F 113c: Aulus Gellius, Attische Nächte 11,18,5 (2. Jh. n. Chr.) Solo … sua lege in fures non, ut Draco antea, mortis sed dupli poena vindicandum existimavit. App. crit.: duplici Q2 Π X2.

Solon hielt es in seinem Gesetz gegen Diebe für angemessen, sie nicht, wie Drakon vorher, mit dem Tod, sondern mit dem Doppelten (duplum) [des Werts] zu bestrafen.

F 113d: Pollux, Onomastikon 8,22–23 (2. Jh. n. Chr.) (22) οὐ χρὴ δ‘ ἀγνοεῖν ὅτι ζημίαν οὐ τὴν εἰς χρήματα μόνον ἐκάλουν, ἀλλὰ καὶ τὴν εἰς τὸ σῶμα. τὰ μέντοι προστιμήματα Σόλων ἐπαίτια καλεῖ. App. crit.: ἐπάτεια II.

(22) Man sollte wissen, dass sie [mit dem Wort] ‚Strafe‘ (zēmía) nicht allein die Geldstrafe bezeichnen, sondern auch die peinliche Strafe [= körperliche Strafe]. Die Zusatzstrafen (pros­ timḗmata) jedoch nennt Solon epaítia. Vgl. Hesych. ε 4258 s. v. ἐπαίτια· ἐπιτίμια. – „epaítia. Strafe“.

Pollux unterscheidet bei den von Gerichtshöfen direkt verhängten Strafen zwischen Geldstrafen und Körperstrafen. Das folgende μέντοι zeigt, dass ‚Zusatzstrafen‘ (prostimḗmata) davon geschieden sind. Dass Pollux den Begriff epaítia mit ‚Zusatzstrafen‘ gleichsetzt, wird aus dem in Demosth. or. 24,105 eingelegten Gesetz abgeleitet sein.360 Dies führte allerdings zu einer unzutreffenden Deutung, die Hesychios später übernahm. F 113e: Pollux, Onomastikon 8,34 (2. Jh. n. Chr.) Σόλων μέντοι τὸ κλέμμα κλέπος ἐν τοῖς νόμοις ὠνόμασεν. Solon jedoch nannte in den Gesetzen (nómoi) das Diebesgut (klémma) klépos. vgl. Hesych. κ 2930 s. v. κλέπος· […] φώριον, κλέμμα – klépos: … Gestohlenes, klémma; Phot. Lex. κ 769 s. v. κλέπος· φώριον. – klépos: Gestohlenes.

Die Bezeichnung klépos ist nur bei Pollux (und in späteren Lexika) für ‚Diebesgut‘ mit Hinweis auf Solons Gesetze bezeugt. Dies spricht dafür, dass Pollux das Wort der Lysiasrede Gegen Theomnestos entnahm (F 113a).

360  Da Ruschenbusch F 23b davon ausgeht, dass ἐπαίτια den Streitgegenstand meine, hält er die Erläuterung des Pollux für eine Fehldeutung, die durch das folgende προστιμᾶν veranlasst sei.

Gesetz gegen tätliche Angriffe (díkē aikeías) (F 115)

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F 114 Wegnahme von Dung (F 114: T 502a–b Martina; F 64a/b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 114: Appendix proverbiorum Bodleiana, Vaticana, Coisliniana I 58 (Corpus Paroemiographorum Graecorum I p. 388) s. v. βολίτου δίκην (Suda β 367 s. v. βολίτου δίκην ex Schol. Aristoph. equ. 658)

(Schol. Aristoph. equ. 658: καὶ παροιμία,) βολίτου δίκην· πρὸς τοὺς ἀξίους καὶ ἐπὶ μικροῖς τιμωρίαν ὑπέχειν· ἐν γὰρ τοῖς Σόλωνος ἄξοσιν ὁ νόμος καὶ τοὺς βόλιτον ὑφελομένους κολάζει. (Und es gibt eine sprichwörtliche Redensart,) ‚Klage auf Mist‘ (díkē bolítou), [gemünzt] auf diejenigen, die verdienen, auch wegen Geringfügigkeiten Strafe zu zahlen. Denn in den áxones Solons bestraft das Gesetz (nómos) auch diejenigen, die Mist weggenommen haben.

Nach Eberhard Ruschenbusch handelt es sich hier nicht um den Diebstahl von Dung überhaupt, da dies sowieso unter das Diebstahlsgesetz fiel, sondern um das Recht am Dünger im Rahmen des Wegerechts oder der Viehtrift.361 βόλιτον meint vor allem den Dung von Rindern.362 VIII B 4 Gesetz gegen tätliche Angriffe (díkē aikeías) Abstract: Klagen wegen aikeía waren gegen Personen gerichtet, die eine andere Person tätlich angegriffen und dabei Schaden verursacht hatten. Das Gesetz richtet sich vor allem gegen ritualisierte Strafaktionen, die so genannten Rügebräuche. Derjenige, welcher gegen Verhaltenserwartungen der Gemeinschaft verstoßen hatte, hatte mit gewalttätigen Angriffen gegen sich oder sein Haus zu rechnen, die an Festtagen nach Einbruch der Dunkelheit von der ledigen Jugend in Form eines Schandaufzugs (kṓmos) durchgeführt wurden. Der Deviant wurde aus dem Haus ‚herausgefordert‘, ihm wurde die Türe eingeschlagen, der Brunnen oder die Herdstelle unbrauchbar gemacht, in schweren Fällen auch das Dach abgedeckt; ihm wurden also symbolisch der ansonsten respektierte Schutz des Hauses und die Grundbedürfnisse des Lebens entzogen. Da es keine adäquate Möglichkeit gab, sich gegen ungerechtfertigte Angriffe dieser Art zur Wehr zu setzen, wurden solche Rügebräuche gesetzlich verboten. Über entsprechende Klagen konnte Schadenersatz gefordert werden. Zwar ist nicht direkt bezeugt, dass die Klage wegen aikeía von Solon geschaffen wurde, doch Rügebräuche dieser Art und vermutlich auch deren Eindämmung gehen auf eine frühe Zeit zurück. Durch die gewaltsamen und auf eine Entehrung der Person zielenden Aktionen steht die Klage wegen aikeía der graphḗ hýbreōs nahe, mit dem Unterschied, dass die díkē aikeías dem Kläger die Möglichkeit der Entschädigung bot.

361  Ruschenbusch 2010, 130. David Phillips hat das Gesetz hingegen den Diebstahlsdelikten zugeordnet (2013, 338 Nr. 268). 362  Poll. 5,91; Schol. Aristoph. equ. 658.

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Verfahren vor den Thesmotheten

Historische Einordnung Klagen wegen aikeía waren gegen Personen gerichtet, die eine andere tätlich angegriffen und dabei Schaden verursacht hatten. Die díkē aikeías stand also gewissermaßen zwischen der Klage wegen Gewaltanwendung (díkē biaíōn) und der Schadensklage (díkē blábēs) und vereinigte beide Delikte in einer einzigen Klage. Ein Beleg bei dem hellenistischen Dichter Herodas weist darauf hin, dass die díkē aikeías die mit Partialwüstungen verbundenen Rügebräuche unter Strafe stellte, was auf ein hohes Alter der Klage hindeutet.363 Allerdings findet sich bei den Belegen für eine díkē aikeías in Athen kein expliziter Hinweis darauf, dass die Klage auf Solon zurückgeht. Rügebräuche sind ritualisierte Strafaktionen, die vor allem in bäuerlich geprägten Dorfgemeinschaften verbreitet waren. Durch sie wurde das deviante Verhalten eines Dorfangehörigen gerügt. Wer sich nicht an die Heiratsregeln im Dorf gehalten, sich sexuellen Fehlverhaltens schuldig gemacht, Schulden nicht zurückgezahlt oder Vieh gestohlen hatte, gegen den konnte sich ein solches Strafritual richten. Ziel der Aktion war es, das deviante Verhalten öffentlich zu machen und den Gerügten durch den eingetretenen oder drohenden Ehrverlust zu einem normkonformen Verhalten zu zwingen. Strafrituale dieser Art waren anlass- und zeitgebunden: Es waren die ledigen Burschen im Dorf, die an einem Festtag nach einer ausgelassenen Feier und oft unter Einfluss von Alkohol lärmend zum Haus des Devianten zogen und ihn ‚aus dem Haus herausforderten‘. Er sollte sich und seine Ehre mit den Fäusten verteidigen; tat er dies nicht, bekannte er sich des Fehlverhaltens für schuldig.364 Diese kṓmoi genannten nächtlichen Umzüge, begleitet von schrillen Flöten, konnten mit Schmähungen und Partialwüstungen einhergehen; dem Bescholtenen wurde die Türe eingetreten, die jungen Männer drangen in das Haus und – als besonders ehrenrührig – in die Frauenräume ein.365 Bei schwerem Fehlverhalten konnte auch der Brunnen im Hof unbrauchbar gemacht, der Ofen zerstört, ja das Dach abgedeckt werden.366 Gab die oder der Bescholtene das deviante Verhalten nicht auf, konnte das Haus solange ‚heimgesucht‘ und ‚ausgefressen‘ werden, bis es ruiniert war.367 In besonders schweren Fälen, bei Hoch- und Landesverrat, bestanden solche Strafrituale lange fort; das Haus des Verrä363  Herod. 2,41–54 (ad F 115). Zu frühen Belegen für Rügebräuche Schmitz 2004, 277–280, 281 f. 364  Dazu ausführlich und mit weiterer Literatur Schmitz 2004, 259–272. Zu den Belegen für Rügebräuche in der Antike ebd. 277–329. 365  Theogn. 1043–1046; Pratinas 708 Page (1 Diehl) Z. 8–9; Aristoph. vesp. 1253–1255; Antiphanes F 236 PCG. Schmitz 2004, 280–305. 366  Aischyl. Suppl. 647–650; Aristoph. nub. 1468–1510; aves 1238–1248.1260 f.; Teles 2,15 Z. 11–14 (Stob. ekl. 3,1,98 [3, p. 46,6–8 Hense]); Athen. 13,585a. Zerstörung des Ofens: ICret IV 46. Zum Rügebrauch des Dachabdeckens Schmitz 2004, 289, 375–380, vgl. 269. 367  Zum Rügebrauch der ‚Heimsuchung‘ und des ‚Ausfressens‘ und zum Verhalten der Freier in der Odyssee, das als Rügebrauch gegen Penelope verstanden werden kann, Schmitz 2004, 320–329. Vgl. Egon Flaig, Tödliches Freien. Penelopes Ruhm, Telemachs Status und die sozialen Normen, in: Historische Anthropologie 3, 1995, 364–388.

Historische Einordnung – Gesetz gegen tätliche Angriffe (díkē aikeías) (F 115)

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ters wurde vollständig gewüstet und Ächtersteine wurden auf dem Grundstück aufgestellt.368 Bei Strafritualen dieser Art agierten die Rügenden im Namen einer Gottheit und trugen mitunter Masken, eben weil sie nicht in eigenem Namen straften, sondern in dem der Allgemeinheit. Deshalb ereigneten sich diese Rügebräuche an Festtagen, die eine kultische Reinheit der Gemeinschaft erforderten, die der Deviant beeinträchtigte und dadurch eine mögliche Strafe der Götter provozierte, unter der die gesamte Gemeinschaft leiden würde. Da dem Bescholtenen Möglichkeiten fehlten, sich wirksam gegen die Vorwürfe zu wehren und seine Ehre wieder herzustellen, ein Bedürfnis, das vor allem dann bestand, wenn ein Voraussetzungsirrtum, also ein Fehlverhalten nur vermeintlich vorlag, stellten Rechtsordnungen und – in der Neuzeit – landesherrschaftliche Obrigkeiten, solche ‚spontanen‘ Strafrituale durch Gesetze und Verordnungen unter Strafe. Damit sollte die öffentliche Ordnung sichergestellt werden, denn nicht selten wurden persönliche Rachefeldzüge als solche Strafrituale inszeniert, um sich vor Strafen zu schützen. Denn die Strafenden kamen in Gruppen nach Einbruch der Dunkelheit, zwar lärmend und begleitet von ‚Katzenmusik‘, aber die Gesichter unter Masken verborgen.369 Sicherlich verstieß ein gewaltsames Eindringen in ein fremdes Haus oder gar das Abdecken des Dachs gegen die Ordnung und den ansonsten respektierten Schutz des Hauses, doch am nächsten Tag hatte von den Dorfbewohnern niemand etwas gehört oder gesehen. Denn diese deckten das Agieren der Ledigen buchstäblich an der Grenze des Erlaubten, da die Aktionen deviantes Verhalten offenbar machen und unterbinden sollten. In einem Mimiambos des Herodas ist ein Auszug aus dem nómos aikeías erhalten, der im Stück dem Gesetzgeber Charondas zugeschrieben wird. Wenn in diesem Auszug Strafen in Höhe von einhundert oder eintausend Drachmen gegen solche verhängt werden, die eine Türe einschlagen, mit der Faust schlagen, das Haus in Brand setzen oder die Hausschwelle überschreiten, so lassen sich diese Strafen auf ein spezielles Delikt beziehen, nämlich auf gewaltsam ausgeübte Rügebräuche, die durch den Gesetzgeber unter Strafe gestellt wurden.370 In Sparta waren solche Umzüge grundsätzlich verboten.371 Auch in Thurioi soll ein ‚Verspotten‘ (κωμῳδεῖσθαι), gemeint ist wohl die namentliche Verspottung in der Komödie, vielleicht aber auch durch einen kṓmos, verboten gewesen sein, allerdings mit Ausnahme von Ehebrechern (μοιχοί) und Prozesshanseln (πολυπράγμονες).372 Es ist sicher kein Zufall, dass eine öffentliche Beschel368  Walter R. Connor, The Razing of the House in Greek Society, in: TAPhA 115, 1985, 79–102; Schmitz 2004, 354–370. 369  Schmitz 2004, 265, 268 f.; zu persönlichen Konflikten, die als Rügebräuche inszeniert wurden, siehe Schmitz 2004, 290–298, 300 f. 370  Schmitz 2004, 307–309. 371  Plat. leg. 1,636e–637b. Allerdings erwähnt Athen. 14,664e für Sparta einen πότος ἐπικωμασάντων, ein „Gelage von Umherschweifenden“. 372  Plut. de curiositate 8 (mor. 519b). Mit polyprágmones waren offenbar Personen gemeint, die zahlreiche Prozesse ohne entsprechende Grundlage anzettelten, also Sykophanten.

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tung gerade bei solchen Personen erlaubt war, die häufig Opfer von Rügebräuchen wurden. In einem fragmentarisch erhaltenen Gesetz aus Gortyn ist festgelegt, „[wenn einer dieses oder jenes] herausstößt oder zerbricht, oder den Rauchabzug des Hauses, soll er zehn Statere erlegen, wenn es ein Zeuge aussagt“.373 In Athen war durch einen Gesetzesbeschluss an bestimmten Festtagen, an denen Umzüge durch die Stadt und Aufführungen von Tragödien und Komödien stattfanden, untersagt, Schulden einzutreiben, also säumige Schuldner mit Rügebräuchen unter Druck zu setzen.374 Dass in klassischer Zeit die mit Angriffen auf das Haus und Partialwüstungen verbundenen Schandaufzüge (kṓmoi) durch Gesetz verboten waren, zeigen auch Fragmente aus attischen Komödien, in denen parásitoi den tüchtig Zechenden eines Symposions ihre Fähigkeiten anpreisen, nämlich Türen einzuschlagen und auf Dächer zu steigen; nach den Gelagen und dem reichlichen Genuss von Wein drohten aber Prozesse und Strafen.375 Das Einschlagen der Türe war weder hier noch bei Herodas eine Sachbeschädigung im eigentlichen Sinne, sondern der Angriff auf den Hausbewohner, der sich den dörflichen Normen nicht untergeordnet hatte und dessen Haus deswegen gewüstet worden war.376 In späterer Zeit kam ein Gesetz hinzu, das die Zahl der Teilnehmer bei Symposien auf maximal dreißig Personen beschränkt haben soll.377 Die Polis war 373  ICret. IV 46; Koerner 1993, Nr. 136; Gagarin/Perlman 2016, G46 (Anfang 5. Jh. v. Chr.). 374  Lex apud Demosth. or. 21,10. ΝΟΜΟΣ. [Εὐήγορος εἶπεν· ὅταν ἡ πομπὴ ᾖ τῷ Διονύσῳ ἐν Πειραιεῖ καὶ οἱ κωμῳδοὶ καὶ οἱ τραγῳδοί, καὶ ‹ἡ› ἐπὶ Ληναίῳ πομπὴ καὶ οἱ τραγῳδοὶ καὶ οἱ κωμῳδοί, καὶ τοῖς ἐν ἄστει Διονυσίοις ἡ πομπὴ καὶ οἱ παῖδες καὶ ὁ κῶμος καὶ οἱ κωμῳδοὶ καὶ οἱ τραγῳδοί, καὶ Θαργηλίων τῇ πομπῇ καὶ τῷ ἀγῶνι, μὴ ἐξεῖναι μήτε ἐνεχυράσαι μήτε λαμβάνειν ἕτερον ἑτέρου, μηδὲ τῶν ὑπερημέρων, ἐν ταύταις ταῖς βάνειν ἕτερον ἑτέρου, μηδὲ τῶν ὑπερημέρων, ἐν ταύταις ταῖς ἡμέραις. ἐὰν δέ τις τούτων τι παραβαίνῃ, ὑπόδικος ἔστω τῷ παθόντι, καὶ προβολαὶ αὐτοῦ ἔστωσαν ἐν τῇ ἐκκλησίᾳ τῇ ἐν Διονύσου ὡς ἀδικοῦντος, καθὰ περὶ τῶν ἄλλων τῶν ἀδικούντων γέγραπται.] – [Euegoros hat beantragt, dass dann, wenn der Umzug (pompḗ) zu Ehren des Dionysos im Piräus und die Komödien und Tragödien, wenn der Umzug (pompḗ) im Lenaion und die Tragödien und Komödien und wenn der Umzug (pompḗ) an den Dionysien in der Stadt, der Wettkampf der Kinderchöre, der kṓmos und die Tragödien und Komödien stattfinden, und beim Umzug (pompḗ) und beim Wettkampf der Thargelien, dass es an eben diesen Tagen nicht gestattet ist, weder Sicherheiten zu nehmen, noch irgendetwas für anderes in Beschlag zu nehmen, auch nicht von denen, die mit ihren Zahlungen in Verzug sind. Wenn einer eine dieser Bestimmungen überschreitet, der sei gegenüber dem Betroffenen schuldig, und Klagen (probolaí) gegen ihn als Angreifer seien bei der Versammlung des Volkes im Dionysosheiligtum anhängig zu machen, ebenso wie bei den anderen, die ein Vergehen begangen haben]. 375  Epicharm F 118 Kaibel; Aristoph. vesp. 1255; Antiphanes F 193, 236 PCG; Aristophon F 5 PCG. Zum gesetzlichen Verbot von solchen Schandaufzügen durch die díkē aikeías Schmitz 2004, 306–310. 376  Als Gesetz gegen Sachbeschädigung nimmt es Max Mühl, Untersuchungen zur altorientalischen und althellenischen Gesetzgebung, Leipzig 1933, 31, der die unterschiedliche Höhe des Schadenersatzes danach bemessen sieht, ob im Affekt bzw. in angetrunkenem Zustand Eigentum zerstört wurde oder in böswilliger Absicht wie bei der Brandstiftung. Vgl. Stefan Link, Zur archaischen Gesetzgebung in Katane und im epizephyrischen Lokroi, in: Hans-Joachim Gehrke (Hrsg.), Rechtskodifizierung und soziale Normen im interkulturellen Vergleich, Tübingen 1994, 165–177, hier 166, und Karl-Joachim Hölkeskamp, Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland, Stuttgart 1999, 134 f.; 159–161. 377  Athen. 6,245a; vgl. Timokles F 34 PCG (= Athen. 6,245b). Auch Nicholas R. E. Fisher, Drink, Hybris and the Promotion of Harmony in Sparta, in: Anton Powell (Hrsg.), Classical Sparta. Techniques

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also darum bemüht, Rügebräuche zu unterbinden, sicherlich auch deswegen, weil die meisten kṓmoi späterer Zeit in Gewalttaten endeten und keine eigentlichen Rügebräuche mehr waren, die auf gesellschaftliche Akzeptenz hätten stoßen können, sondern aus privater Rache hervorgegangene Gewalttaten von Personen, denen es in keiner Weise darum ging, die gemeinschaftliche Ordnung zu verteidigen. Überlieferte Fälle von Prozessen wegen aikeía betreffen die (vermeintlich unrechtmäßige) gewaltsame Pfändung und Schlägereien.378 Für schuldig befunden werden soll derjenige – so fordern die Sprecher in den Prozessreden –, der mit der Schlägerei begonnen hatte. In Demosth. or. 37,33 wirft Pantainetos dem Nikoboulos vor, er habe sich bei der gewaltsamen Pfändung der aikeía, der hýbris, der Gewaltanwendung und eines Vergehens gegen Erbtöchter schuldig gemacht. Wollte Pantainetos wegen der gewaltsamen Pfändung allerdings gegen Nikoboulos tatsächlich klagen, musste er sich entscheiden, welche rechtlichen Schritte er gegen ihn einleiten wollte, denn für die genannten Vergehen galten unterschiedliche Verfahren. Klagen wegen aikeía und Gewaltanwendung mussten bei den vierzig Phylenrichtern eingereicht werden, die den Fall an die Schiedsrichter (diaitētaí) und – wenn dort keine Einigung erzielt wurde – an die Dikasterien weiterverwiesen. In solchen Verfahren gehaltene Prozessreden sind die des Isokrates Gegen Lochites (or. 20,5) und des Demosthenes Gegen Konon (or. 54,1); die Rede Gegen Euergos und Mnesiboulos war eine Klage wegen falschen Zeugnisses, das in einem Verfahren wegen aikeía vorgelegt worden war.379 Nur in Fragmenten erhalten sind die Reden des Lysias Gegen Theopompos und Gegen Teisis sowie die Gegen Isokrates,380 von Hypereides Gegen Mantitheos und von Deinarchos die beiden Reden Gegen Kleomedon.381 Seit der Mitte des 4. Jh. v. Chr. gehörte die díkē aikeías zu den Klagen, die binnen Monatsfrist entschieden sein mussten.382 Behind Her Success, London 1989, 26–50, hier 29 sieht einen gewissen Bedarf der Gesetzgeber, Symposien wegen der mit den kṓmoi verbundenen Unruhen zu reglementieren. Die Anekdote, die Athenaios dazu erzählt, und ein dabei zitiertes Fragment des Menander zeigen, dass dieses Gesetz zum Beispiel bei Hochzeitsfeiern angewandt wurde (Athen. 6,245a–c). Billie J. Garland, Gynaikonomoi: An Investigation of Greek Censors of Women, Ann Arbor 1981, 170–176; Schmitz 2004, 310–312. Zu ähnlichen Verboten im Mittelalter Neithard Bulst, Feste und Feiern unter Auflagen. Mittelalterliche Tauf-, Hochzeits- und Begräbnisordnungen in Deutschland und Frankreich, in: Detlef Altenburg, Jörg Jarnut, Hugo Steinhoff (Hrsg.), Feste und Feiern im Mittelalter, Sigmaringen 1991, 39–51, hier 39; 41. 378  Pfändung: Demosth. or. 37,33; Schlägerei: Isokr. or. 20,5; Demosth. or. 54,1. 379  Ps.-Demosth. or. 47,45 f. Zur Rede Schmitz 2004, 299. 380  Gegen Theopompos: Lysias fr. 178 Carey (Suda s. v. ὕβρις; Phillips 2013, Nr. 37); Gegen Teisis (in einem Verfahren wegen aikeía oder hýbris): Lysias fr. 279 Carey (Dionys. Hal. Demosth. 11 f.; Phillips 2013, Nr. 38); Gegen Isokrates: Poll. 8,46; Phot. Lex. (s. u. Anm. 383), Suda, Etym. M. s. v. ὕβρις. 381  Siehe die Zusammenstellungen bei Lipsius 1905–15, 643 f. und bei Robin G. Osborne, Law in Ac­ tion in Classical Athens, in: JHS 105, 1985, 40–58, hier 56. 382  Aristot. Ath. pol. 52,2 (Phillips 2013, Nr. 46). Nach einer Notiz in den Lexica Segueriana musste die Klage sogar innerhalb von vier Tagen vor den Gerichtshof gebracht werden, bevor die Spuren der Schläge verheilt waren (Anecd. gr. p. 360,23 Bekker). Im fiktiven Prozeß gegen Thales hat Battaros unmittelbar nach der Tat geklagt; im Prozess forderte er Myrtale auf, ihre noch sichtbaren Verletzungen den Richtern zu zeigen (Herod. 2,65–71). Die Strafhöhe musste vom Kläger beantragt werden (Harpokr. s. v. αἰκίας).

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Nach Ps.-Demosth. or. 47,40 (F 115) zu urteilen, handelt es sich bei aikeía um Gewalthandlungen. Eine diesbezügliche Klage war vor allem dann möglich, wenn der Angreifer zu Unrecht zuerst die Fäuste gebraucht hatte.383 Der in der Rede Gegen Eu­ ergos und Mnesiboulos auftretende Kläger hat wahrscheinlich die Worte ἄρξῃ χειρῶν ἀδίκων πρότερος nicht ohne Grund gewählt; indem er damit auf das Gesetz Drakons anspielt,384 suggeriert er, dass er als Angegriffener auch das Recht gehabt hätte, Theophemos unmittelbar zu töten. Aikeía ist aber nicht allein die Gewalthandlung, die über eine díkē biaíōn verfolgt werden könnte, sondern auch eine damit verbundene Entehrung, auch in Form sexueller Gewalt. So wertet Aristophanes aikeía als Akt der hýbris, der nach reichlichem Gelage unter Alkohol verübt wurde. Direkt spricht dies Herodas an: Wenn ein Freier eine Sklavin (doúlē) (beim Gelage?) tätlich angreift (aikízein) und sie raubt, zahle er die Strafe in doppelter Höhe; darauf folgen weitere Strafen, die sich auf mit Partialwüstungen verbundene kṓmoi nach dem Gelage beziehen. Durch die gewalttätigen und auf eine Entehrung der Person abzielenden Aktionen steht die Klage wegen aikeía also der graphḗ hýbreōs sehr nahe, mit dem Unterschied, dass die díkē aikeías dem Kläger die Möglichkeit der Entschädigung bot, da er in eigener Sache klagte. Literatur Lipsius 1905–15, 643–646; Todd 1991, 268–271; Schmitz 2004, 306–312; Phillips 2013, 71 f. Nr. 17, 73 f. Nr. 19, 91–101 Nr. 35–49; Edward M. Harris, The Nature of Self-Defense in Draco‘s Homicide Law: The Restoration of IG I3 104, Lines 33–35, in: Hyperboreus 22, 2016, 203–216.

So hatte der Kläger in Ps.-Demosth. or. 47 an Theophemos wegen gewaltsamen Eindringens in dessen Haus, der zwischen ihnen entstandenen Prügelei und des Schadens eine Strafe von 1313 Drachmen und zwei Obolen zu zahlen. 383  So auch Ps.-Demosth. or. 47,7 und Isokr. 20,5. Dies sei nach Lipsius 1905–15, 645 das wesentliche Merkmal der aikeía. Siehe dazu auch Harris 2016. Vgl. Harpokr. α 53 s. v. αἰκίας: εἶδος δίκης ἐστὶν ἰδιωτικῆς ἐπὶ πληγαῖς λαγχανομένης, …; Phot. Lex. und Suda υ 16 s. v. ὕβρις: ἡ μετὰ προπηλακισμοῦ καὶ ἐπηρείας, αἰκία δὲ πληγαὶ μόνον. Λυσίας ἐν τῷ Περὶ αἰκίας πρὸς Ἰσοκράτην· καίτοι τίς οὐκ οἶδεν ὑμῶν, ὅτι τὴν μὲν αἰκίαν χρημάτων ἔστι μόνον τιμῆσαι, τοὺς δὲ ὑβρίζειν δόξαντας ἔξεστιν ὑμῖν θανάτῳ ζημιοῦν. 384  Demosth. or. 23,50 (F 10a): (50) ὁρᾶτε γὰρ ὡς ἐπὶ πάντων, οὐκ ἐπὶ τῶν φονικῶν μόνον, οὕτω τοῦτ‘ ἔχει. „ἄν τις τύπτῃ τινά“ φησὶν „ἄρχων χειρῶν ἀδίκων“, ὡς, εἴ γ‘ ἠμύνατο, οὐκ ἀδικεῖ. – „(50) Ihr seht ja, dass in allen Fällen, und nicht in Fällen von Tötung allein, dies gilt. So sagt es [das Gesetz]: ‚Wer einen anderen schlägt, und dabei unrechtmäßig die ersten Schläge versetzt (árchōn xeirṓn adíkōn);‘ denn im Falle der Notwehr begeht er kein Unrecht“.

Gesetz gegen tätliche Angriffe (díkē aikeías) (F 115)

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Gesetz gegen tätliche Angriffe (díkē aikeías) (F 115) F 115: Ps.-Demosthenes, Gegen Euergos und Mnesiboulos (or. 47) 40 (356/353 v. Chr.) ἐπειδὴ τοίνυν τὴν ἄνθρωπον οὐ παραδιδόασιν, ἣν αὐτοὶ ἔφασαν προκαλέσασθαι, βούλομαι ὑμῖν καὶ τοὺς μάρτυρας παρασχέσθαι, οἳ εἶδόν με πρότερον πληγέντα ὑπὸ τοῦ Θεοφήμου (ἡ δὲ αἴκεια τοῦτ‘ ἔστιν, ὃς ἂν ἄρξῃ χειρῶν ἀδίκων πρότερος) ἄλλως τε καὶ κατὰ τὸν νόμον καὶ κατὰ τὰ ψηφίσ­ ματα τὰ ὑμέτερα εἰσπράττοντα. App. crit.: ἴδον S; τοῦτ‘ ἔστιν post ἄρξῃ S sed cum notis transponendi; πρότερος post ἀδίκων S D (hic πρότερα), ante χειρῶν vulg., secl. Blass.

Weil jene die Frau nicht ausliefern, die sie doch selbst [als Zeugin] angeboten zu haben vorgeben, so will ich euch jetzt die Zeugen vorführen, welche gesehen haben, dass ich zuerst von Theophemos geschlagen worden bin (plēgṓn) – aikeía aber besteht darin, wenn jemand zuerst unrechtmäßig [und gewalttätig] Hand an einen anderen legt (árchein cheirṓn adíkōn). Zumal wenn man dies gegen einen tut, der dem Gesetz und euren Beschlüssen gemäß [das, was die Leute schuldig sind,] eintreiben will. Vgl. Aristophanes, Ekklesiazusen 662 bis–664: τουτὶ τοίνυν φρασάτω μοι, (662,bis) τὴν ᾀκείας οἱ τύπτοντες πόθεν ἐκτείσουσιν, ἐπειδὰν (663) εὐωχηθέντες ὑβρίζωσιν; τοῦτο γὰρ οἶμαί σ‘ ἀπορήσειν. Nun möcht‘ ich nur dieses noch fragen: Woher denn [wenn es kein Geld gibt] werden die Raufbolde (týptontes) die [Strafe] der aikeía abzahlen, wenn die, die reichlich bewirtet werden, hýbris begehen? Dies nämlich, so glaube ich, wird dich ratlos machen. Lysias, Gegen Simon (or. 3) 23 (der Sprecher war mit einem gewissen Simon in Streit geraten um die Gunst eines Knaben): … ὑβρίζων δὲ καὶ τύπτων {ἅμ‘} ἀμφοτέρους ἡμᾶς καὶ κωμάζων καὶ τὰς θύρας ἐκβάλλων καὶ νύκτωρ εἰσιὼν ἐπὶ γυναῖκας ἐλευθέρας. Er [Simon] aber wurde übergriffig (hybrízein), schlug uns beide nieder, machte sich zu einem kṓmos auf, schlug Türen ein und drang nachts in die Räume freier Frauen ein. Herodas, Pornoboskos (Mimiambos 2) 41–43, 46–54 (3. Jh. v. Chr.): κ̣αίτοι λαβών μοι, γραμματεῦ, τῆς αἰκείης (41) τὸν νόμον ἄνειπε, καὶ σὺ τὴν ὀπὴν βῦσον τῆς κλεψύδρης, βέλτιστε, … ἐπὴν δ‘ ἐλεύθερός τις αἰκίσηι δούλην (46) ἢ ἔ‹λ›κων ἐπίσπηι, τῆς δίκης τὸ τίμημα διπλοῦν τελείτω. ΒΑ. ταῦτ‘ ἔγραψε Χαιρώνδης, ἄνδρες δικασταί, καὶ οὐχὶ Βάτταρος χρήιζων Θαλῆν μετελθεῖν. ἢν θύρην δέ τις κόψηι, (50) μν̣ῆν τινέτω, φησί· ἢν δὲ πὺξ ἀλοιήσηι, ἄ̣ λ̣λ̣η̣ν πάλι μνῆν· ἢν δὲ τὰ οἰκί‘ ἐμπρήσ̣η̣ι ἢ ὄ̣ρους ὐπερβῆι, χιλίας τὸ τίμημα ἔν̣ει ̣με, κἢν βλάψηι τι, διπλόον τίνειν. Gerichtsschreiber, zitier‘ mir das Gesetz (nómos) betreffend Überfall (aikeíē), und du, mein Bester, stopf der Wasseruhr das Loch, solang er redet, …

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Verfahren vor den Thesmotheten [Gerichtsschreiber:] „Dann wenn ein Freier (eleútheros) eine Sklavin (doúlē) tätlich angreift (aikízein) oder mit bestimmter Absicht (hékōn) verfolgt,385 zahle er die festgesetzte Srafe (tímēma) doppelt“, [Battaros:] Dies hat Charondas [als Gesetz] erlassen, ihr Herren Richter, nicht der Battaros, um Thales anzuklagen. Wenn einer die Tür einschlägt, zahle er eine Mine, heißt’s, und wenn einer mit der Faust schlägt, noch eine Mine. Wenn einer das Haus ansteckt, die Grenze übertritt, kriegt tausend Drachmen Strafe (tímēma), und was er an Schaden zufügt, hat er doppelt zu ersetzen.

Wie bei moicheía und bei Diebstahl auch, so muss bei dem Delikt der aikeía zwischen Drakons Gesetz über die Tötung und solonischen Gesetzen unterschieden werden. In Drakons Gesetz war die Tötung des bei der Tat ergriffenen moichós und des (nachts) bei der Tat ergriffenen Diebs als straffrei ausgewiesen, und ebenso die Tötung desjenigen, der zuerst und unrechtmäßig mit den Fäusten zugeschlagen hatte. Das Gesetzeszitat in Demosth. or. 23,50 (F 10a) ist mitunter als direktes Zitat aus dem nómos aikeías gewertet worden,386 doch der Kontext zeigt, dass zweimal ein kurzer Auszug aus den Tötungsgesetzen mit Zitaten aus anderen Gesetzen verglichen wird, die ähnliche Bestimmungen aufweisen. Da sich die in or. 23,50 zitierten Worte in die inschriftlich überlieferte Satzung Drakons gut einfügen lassen, wird es sich dabei eher um ein Zitat aus dem Tötungsrecht und nicht aus dem nómos aikeías handeln. Im nómos aikeías war vermutlich die unmittelbare Tötung des angreifenden Gewalttäters noch einmal als straffrei bestätigt gewesen, darüber hinaus aber die Möglichkeit der díkē aikeías geregelt. Im Falle eines Schuldspruchs drohte eine Geldstrafe. Über eine díkē aikeías konnte wahrscheinlich auch in Athen eine Strafe für die gegenüber einer Sklavin gebrauchte Gewalt und deren Verführung oder Vergewaltigung eingeklagt werden. Im Pornoboskos des Herodas tritt ein Bordellwirt (pornobóskos) namens Battaros auf, der den jungen Thales vor einem Gericht in Kos anklagt. Thales, ein reicher junger Mann, liebte eines der Mädchen des Battaros. Battaros klagt Thales an, dass er des Nachts vor seinem Haus erschienen sei, ihn mit der Faust zu Boden gestreckt, die Türe seines Hauses herausgeschlagen, mit einer Fackel den Türsturz in Brand gesteckt und das Mädchen mit Gewalt entrissen und sie misshandelt habe.387 385  Oder: „oder fortschleppt (élkōn) und verführt“. 386  Phillips 2013, 97 f. Nr. 43 (unter der Überschrift „Aikeia (Battery) and Hubris“; es mag die „opening clause of the law on aikeia“ sein). 387  Herod. 2,24 f. (εἰ δ’ … βίηι τιν’ ἄξει τῶν ἐμῶν ἔμ’ οὐ πείσας, καὶ ταῦτα νυκτός, – „wenn er … deshalb mit Gewalt eine von meinen [Mädchen] entführen darf (ágein), ohne mein Einverständnis, und das bei Nacht“). Ihn, den Fremden in der Stadt, habe kein Bürger jemals verdroschen, niemals wäre ihm jemand nachts vor seine Türen gekommen oder habe mit Fackeln das Haus in Brand gesteckt oder ihm mit Gewalt eine der Dirnen (pornaí) geraubt und sei davongegangen (33–37: … κἠμὲ τὸν ξεῖνον οὐδεὶς πολίτης ἠλόησεν οὐδ’ ἦλθεν πρὸ̣̣ ς τὰς θύρας μευ νυκτὸς οὐδ’ ἔχων δᾶιδας τὴν ο̣ἰκίην ὐφῆ̣ψ̣εν οὐδὲ τῶν πορνέων β[ί]-

Historische Einordnung – Gesetz gegen üble Nachrede (Verbalinjurien) (F 116)

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VIII B 5 Üble Nachrede (Verbalinjurien) Abstract: Durch Gesetz hat Solon üble Nachrede gegenüber Verstorbenen generell verboten. Verboten war außerdem die Beleidigung von lebenden Personen bei Opferfeiern und Wett­ kämpfen, in der Volksversammlung und vor Gericht. Darüberhinaus galten nicht zutreffende Beschimpfungen eines anderen als ‚Mörder‘ (andraphónos), ‚Vater-‘ oder ‚Mutterschläger‘ (patraloías, mētraloías) oder ‚Schildwegwerfer‘ als ‚unsagbare Worte‘ (apórrhēta) und berech­ tigten zu einer ‚Klage wegen Beleidigung‘ (díkē kakēgorias). Denn die genannten Personen waren von einer politischen Partizipation und von heiligen Orten ausgeschlossen; wurden sie dennoch dort angetroffen, konnten sie zu den Elfmännern abgeführt werden.

Historische Einordnung In seinen Gesetzen hat Solon nicht jegliche Beleidigung verboten, sondern – so Justus Hermann Lipsius treffend – „nur die, welche durch die Person, gegen die sie gerichtet, oder durch den Ort, an dem sie gefallen, oder endlich durch ihren Inhalt als qualifiziert erschien“.388 So durften Verstorbene überhaupt nicht, Lebende nicht in Heiligtümern, vor Gericht und in Amtsgebäuden durch üble Nachrede beleidigt werden und auch nicht, wenn festliche Wettkämpfe stattfanden (F 116e).389 Klagen wegen übler Nachrede gegen einen Verstorbenen waren selbst dann zulässig, wenn die Kinder des Verstorbenen mit der Schmähung (in diesem Fall aber gegen einen Lebenden) begonnen hatten (F 116b).390 Durch Gesetz Solons oder spätere rechtliche Bestimmungen waren besonders ehrverletzende Schmähworte prinzipiell und gegen jedermann untersagt;

ηι λαβὼν οἴχωκεν). In 2,63–65 wiederholt Battaros noch einmal seine Vorwürfe: Mit der Faust sei er zugerichtet worden, die Tür des Hauses war ihm eingeschlagen, für das er ein Drittel an Miete zahle, und der Türsturz in Brand gesetzt worden (πὺξ ἐπλήγην, ἠ θύρη κατήρακται τῆς οἰκίης μευ, τῆς τελέω τρίτην μισθόν, τὰ ὐπέρθυρ’ ὀπτά); das Mädchen, Myrtale, habe Thales wie seine Beute gerupft, mit sich geschleift und vergewaltigt (70 f.: ὠς λεῖα ταῦτ’ ἔτιλλεν ὠναγὴς οὖτος, ὄτ’ εἶλκεν αὐτ̣ὴν κἀβιάζετ’). Das βίηι ἄξει in Z. 24 und das β[ί]ηι λαβὼν οἴχωκεν in Z. 37 und das εἶλκεν αὐτ̣ὴν κἀβιάζετ’ in Z. 71 geben das αἰκίσηι ἢ ἔ‹λ›κων ἐπίσπηι im zitierten Gesetzestext wieder. 388  Lipsius 1905–15, 647; vgl. Wallace 1994, 110. 389  Daran orientiert sich offensichtlich Plat. in leg. 11, 935b–c: ὧν δὴ χάριν ἐν μὲν ἱερῷ τὸ παράπαν μηδεὶς τοιοῦτον φθέγξηται μηδέποτε μηδὲν μηδ’ ἔν τισι δημοτελέσι θυσίαις, μηδ’ αὖ ἐν ἄθλοις μηδ’ ἐν ἀγορᾷ μηδ’ ἐν δικαστηρίῳ μηδ’ ἐν συλλόγῳ κοινῷ μηδενί. – „Darum soll sich niemand jemals an einem heiligen Ort solche Reden erlauben, weder bei öffentlichen Opfern (dēmoteleís thysíai) noch bei Wettkämpfen (áthla) oder auf der Agora (agorá) oder vor Gericht (dikastḗrion) oder bei irgendeiner allgemeinen Versammlung (sýllogos)“. Dazu Jan N. Bremmer, Verbal Insulting in Ancient Greek Culture, in: Acta Ant. Hung. 40, 2000, 61–72, hier 66, 68. Ein Gesetz gegen Beleidigung wird auch dem Gesetzgeber Zaleukos zugeschrieben (Stob. flor. 44,21). 390  Auch in Demosth. or. 40,49 ist belegt, dass die Gesetze Schmähungen gegen verstorbene Väter verbieten (ὥστε τῶν νόμων ἀπαγορευόντων μηδὲ τοὺς τῶν ἄλλων πατέρας κακῶς λέγειν τεθνεῶτας).

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Verfahren vor den Thesmotheten

sie galten als apórrhēta, als ‚unsagbar‘ (F 116a).391 Als solche galten, einen anderen als ‚Mörder‘ (androphónos), als jemanden, der Vater oder Mutter misshandelt (patraloías, mētraloías) oder seinen Schild weggeworfen hat, zu beschimpfen. Auch konnte wegen Verleumdung (kakēgoría) geklagt werden, wer einem Bürger oder einer Bürgerin das auf dem Markt betriebene Gewerbe zum Vorwurf machte.392 In klassischer Zeit war gegen solche Beleidigungen eine díkē kakēgorías möglich, die zunächst vor einem Schiedsrichter (diaitētḗs) verhandelt wurde (F 116a) und, wenn keine Einigung erzielt wurde, anschließend an das Volksgericht ging.393 Um eine solche handelt es sich bei der Rede des Lysias Gegen Theomnestos (or. 10; F 116a). Im 5. Jh. wurden zusätzlich zu Schmähungen gegen Verstorbene auch solche gegen die Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton unter Strafe gestellt.394 Als strafwürdig galten diese Beleidigungen wohl vor allem deswegen, weil ihnen eine religiöse Komponente innewohnte. Nach Plut. Solon 21,1 wurden die Verstorbenen für ‚heilig‘ (hieroí) gehalten; Beleidigungen waren in Heiligtümern und bei Wettkämpfen aus Anlass von Kultfeiern verboten, und ‚Mörder‘ (androphónoi) galten als befleckt und durften keine Heiligtümer betreten.395 Platon kennzeichnet in seinen Gesetzen die Misshandlung der Eltern als ein besonders schweres Vergehen, das den Ausschluss des ‚Gottlosen‘ aus der Gemeinschaft nach sich ziehe.396 Ehrverletzende 391  Lys. 10,2; Isokr. 20,3; Demosth. or. 18,123; 58,40; Harpokr. α 201 s. v. ἀπόρρητα· τὰ ἀπειρημένα ἐν τοῖς νόμοις. Vgl. Soph. OT 301: διδακτά τε ἄρρητα; 465: ἄρρητ’ ἀρρήτων; Demosth. or. 21,79; 23,61: ῥητὰ καὶ ἄρρητα κάκα. Phillips 2013, 124 f. und Nr. 75–80. Nach Aristot. Nic. eth. 4,8, 1128a 30 f. verbieten die Gesetzgeber (nomothétai) gewisse Schmähungen (οἱ δὲ νομοθέται ἔνια λοιδορεῖν κωλύουσιν). 392  Demosth. or. 57,30 (Phillips 2013, Nr. 76): …, ἀλλὰ καὶ παρὰ τοὺς νόμους, οἳ κελεύουσιν ἔνοχον εἶναι τῇ κακηγορίᾳ τὸν τὴν ἐργασίαν τὴν ἐν τῇ ἀγορᾷ ἢ τῶν πολιτῶν ἢ τῶν πολιτίδων ὀνειδίζοντά τινι. Eberhard Ruschenbusch hat or. 57,30 als F 117 unter die falsa subsumiert. Delfim F. Leão und P. J. Rhodes datieren das dort genannte Gesetz wegen Beleidigung nach ca. 450 v. Chr. und vor den Peloponnesischen Krieg; es sei während des Krieges aufgehoben und nach dem Krieg erneut bestätigt worden. Dazu ausführlich Laura Loddo, La legge ateniese sull’interdizione degli stranieri dal mercato: da Solone ad Aristofonte di Azenia, in: Klio 100, 2018, 667–687. Allerdings ist dieses Gesetz gegen Beleidigungen von Markthändlern und -händlerinnen in der 57. Rede Gegen Euboulides nicht als solonisches Gesetz ausgegeben. Das in or. 57,31 f. verlesene Gesetz Solons bezieht sich, wie das von Aristophon erneuerte Gesetz, auf das Bürgerrecht (s. o. S. 356 f. und F 52b). 393  Der früheste Beleg ist Aristophanes’ Komödie Die Wespen (422 v. Chr.), v. 1206 f.: ὅτε τὸν δρομέα Φάυλλον ὢν βούπαις ἔτι εἷλον διώκων λοιδορίας ψήφοιν δυοῖν. – „Phayllos, den Läufer, verfolgt ich einst und kriegt ihn für sein Schimpfen (loidoríai) auch richtig – mit zwei Stimmen mehr vorm Richter“. In or. 20,3 nennt Isokrates das „Gesetz wegen übler Nachrede“ (… καὶ περὶ τῆς κακηγορίας νόμον ἔθεσαν ὃς κελεύει τοὺς λέγοντάς τι τῶν ἀπορρήτων πεντακοσίας δραχμὰς ὀφείλειν). Siehe dazu Wallace 1994, 115–118. 394  Hyp. 2 (Phil), 3 col. 2. Wallace 1994, 114. 395  Robert W. Wallace hält das Gesetz für solonisch (1994, 111). Es ist dann davon auszugehen, dass Solon mit dem Begriff androphónos den verurteilten Täter meinte. Die religiöse Befleckung desjenigen, der die Eltern misshandelt hatte, geht auch aus lex apud Demosth. or. 24,105 (F 140d) hervor; in dem Gesetz geht es um die Möglichkeit, Personen abzuführen, die wegen Misshandlung der Eltern (kákōsis gonéōn) oder Entziehung vom militärischen Dienst (astrateía) verurteilt worden waren und ungeachtet dessen Orte betreten hatten, die sie als verurteilte Täter nicht hätten betreten dürfen. 396  Plat. leg. 9, 880e–881e: wer sich an Vater oder Mutter oder deren Vorfahren zu vergreifen wagt und sie gewaltsam misshandelt (πατρὸς γὰρ ἢ μητρὸς ἢ τούτων ἔτι προγόνων ὅστις τολμήσει ἅψασθαί ποτε

Historische Einordnung – Gesetz gegen üble Nachrede (Verbalinjurien) (F 116)

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Beleidigungen waren auch solche, die die politischen Partizipationsrechte einschränken konnten: Wer den Schild weggeworfen hatte, galt als átimos.397 Vermutlich galten nur Beleidigungen in Form des ‚Unsagbaren‘, von apórrhēta (androphónos, patraloías, mētraloías, Wegwerfen des Schilds) als strafwürdig und fielen unter das Delikt der kakēgoría, nicht hingegen jegliches Schmähen, das in der Regel mit loidoreín oder blas­ phēmeín bezeichnet wurde.398 Die ‚freie Rede‘ war in Athen also nur unter bestimmten Bedingungen eingeschränkt, nämlich dann, wenn die öffentliche Ordnung gefährdet schien.399 Warum es gerade diese Worte waren, die als ‚unsagbar‘ galten, ist umstritten: Robert W. Wallace spricht sich in einer eingehenden Erörterung dieser Frage dahingehend aus, dass in Athen in erster Linie solche Beleidigungen unter Strafe gestellt wurden, die die Ausübung politischer Partizipationsrechte, insbesondere des Rederechts in der Volksversammlung, in Frage stellten.400 Wer sich einer rechtswidrigen Beleidigung schuldig gemacht hatte, musste eine Strafe von fünf Drachmen zahlen, von denen zwei an die öffentliche Kasse, drei an den Geschädigten gingen (F 116e). Für die klassische Zeit ist hingegen eine Strafe von fünfhundert Drachmen im Falle übler Nachrede gegenüber Lebenden überliefert, von denen vermutlich dreihundert an den Geschädigten gingen.401 Bei übler Nachrede gegen Verstorbene waren es tausend Drachmen.402 Ob die Bestimmung, dass nicht nur bei hýbris, sondern auch bei übler Nachrede gegenüber einem Thesmotheten im Amt die Atimie als Strafe festgesetzt war, bereits auf solonisches Recht zurückgeht, muss offen bleiben.403 Einem Thesmotheten vorzuwerfen, er sei ein ‚Mörder‘ oder jemand, der βιαζόμενος αἰκίᾳ τινί), gelte als ‚Ruchloser‘ (ἀνόσιος), sei für immer aus der Stadt verbannt und von allen heiligen Stätten ausgeschlossen; niemand solle mit ihm Umgang haben, noch ihn auch nur berühren. 397  Ein gewisser Lysitheos hatte gegen Theomnestos Anklage erhoben, weil dieser nicht vor dem Volk sprechen durfte. Denn Theomnestos hätte seine Waffen weggeworfen. Lysitheos hatte also eine epangelía dokimasías gegen ihn eingebracht (Lys. 10,1). 398  Lipsius 1905–15, 649; möglicherweise wurde bei einer Revision des Gesetzes die Liste der ‚nicht sagbaren‘ Worte erweitert (Wallace 1993, 116 f. mit Anm. 27; Phillips 2013, 128 f.). 399  Darin sieht Wallace 1994, 110–112 die Zielsetzung des solonischen Gesetzes. 400  Wallace 1994, 117–124. Bereits Bianchetti 1981 hatte eine enge Verbindung zu den Fragen bei der dokimasía vor Bekleidung eines Amts gesehen, doch wendet Wallace ein, dass es eine nur teilweise Übereinstimmung sei. 401  Lys. 10,12 (500 Drachmen im Falle eines apórrhēton bei einem Lebenden); ebenso ist vermutlich Isokr. 20,3 (s. o. Anm. 6) zu verstehen. Das τριάκοντα in F 116f ist wahrscheinlich zu τριακοσίας zu korrigieren. Die niedrigen Strafen von zwei und drei Drachmen wertet Wallace als Indiz für die frühe Entstehung dieses Gesetzes (1994, 110 f.; ebenso Phillips 2013, 125 und Nr. 68). 402  Hyp. fr. 100 Jensen (F 116f). Justus Hermann Lipsius geht davon aus, dass dies die Strafe für ein apórrhēton gegenüber einem Toten war (1905–15, 651). Die Strafe von tausend Drachmen in Demosth. or. 21,88 bezieht sich vermutlich auf die Beleidigung von zwei Personen (oder des verstorbenen Vaters Demosthenes). 403  Bei Beleidigung eines Thesmotheten im Amt drohte die Atimie (Demosth. or. 21,32: ἂν μὲν τοίνυν ἰδιώτην ὄντα τιν’ αὐτῶν ὑβρίσῃ τις ἢ κακῶς εἴπῃ, γραφὴν ὕβρεως καὶ δίκην κακηγορίας ἰδίαν φεύξεται, ἐὰν δὲ θεσμοθέτην, ἄτιμος ἔσται καθάπαξ. – „Wenn also jemand gegen einen von ihnen [den Thesmotheten] als Privatperson hýbris begeht oder ihn beleidigt (kakṓs eípein), so wird er mittels graphḗ hýbreōs oder mittels einer Privatklage wegen Beleidigung (díkē kakēgorías idía) angeklagt, wenn aber [gegen einen von ihnen]

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Verfahren vor den Thesmotheten

Vater oder Mutter misshandelt oder den Schild weggeworfen hätte, würde bedeuten, dass er dieses Amt nicht hätte wahrnehmen dürfen. In der Regel geht die Forschung davon aus, dass die niedrigen Strafen zu Beginn des 6. Jh. bei der Revision der Gesetze am Ende des 5. Jh. auf das Hundertfache angehoben wurden.404 In besonders gravierenden Fällen bestand eventuell auch die Möglichkeit, wegen übler Nachrede gegenüber einem Verstorbenen ebenso wegen angeblicher Misshandlung der Eltern eine graphḗ asebeías einzureichen.405 Auch bei der Klage wegen Hinderung des gerichtlich festgestellten Zugriffsrechts auf Sachen (díkē exoulḗs) musste der Verurteilte eine Hälfte der Strafsumme an die öffentliche Kasse, die andere an den Kläger und Zugriffsberechtigten zahlen (F 111). Ebenso gingen bei der Klage wegen widerrechtlicher Hinderung des Zugriffs auf die Person (aph­ hairéreōs eis eleutherían)406 und bei der Klage wegen Gewaltanwendung (díkē biaíōn),407 die Eberhard Ruschenbusch beide für solonisch hält, Strafzahlungen sowohl an die öffentliche Kasse als auch an den Geschädigten. In allen vier Fällen handele es sich um díkai, die Strafzahlungen an die Geschädigten ermöglichen. Ruschenbusch erklärt die Strafzahlung an die öffentliche Kasse mit dem öffentlichen Interesse, da der Beschuldigte den Gegner an gehegter Stätte beleidigt oder ein Gerichtsurteil missachtet hatte. Literatur Lipsius 1905–15, 646–651; MacDowell 1978, 126–129; Serena Bianchetti, La normativa ateniese relativa al κακῶς λέγειν da Solone al IV secolo, in: Studi e Ricerche dell’Istituto di Storia, Università di Firenze 1, 1981, 65–87; Todd 1993, 258–262; Robert W. Wallace, The Athenian Laws Against Slander, in: In: Symposion 1993. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Graz – Andritz, 12.–16. September 1993), hrsg. von Gerhard Thür, Köln – Weimar – Wien 1994, 109–124; Phillips 2013, 124–136, Nr. 68–82.

als Thesmotheten [im Amt], dann sei er schlechthin ehrlos (átimos)“. Phillips 2013, 125. Vgl. Ps.-Lys. 9,6 und 9 (ca. 390 v. Chr.): „(6) Darauf zeigte mich jemand an, dass ich Ktesikleos beschimpft habe (loidoreín), und dessen Amtsgenossen entschieden widerrechtlich, mich zu bestrafen – das Gesetz straft nämlich nur, wenn jemand einen Amtsträger im Amtsgebäude [oder: in einer Versammlung] (synhédrion) beschimpft (loi­ doreín). Sie legten mir eine Geldstrafe auf, … (9) [Gesetz.] Ihr habt gehört, dass das Gesetz ausdrücklich befiehlt, diejenigen zu bestrafen, die im Amtsgebäude [oder: in der Versammlung] (synhédrion) beschimpfen (loidoreín)“. Bezeichnenderweise verwendet der Sprecher der Rede nicht den terminus technicus kakē­ goría, sondern das allgemeinere loidoreín. Siehe auch Aristot. Probl. 29,14, 952b 26–32: „Ferner zeigt sich, dass es viele gesetzliche Bestimmungen gibt, die diesen ähnlich sind, z. B. wenn jemand einen Amtsträger verleumdet (kakṓs eípein), ist die Strafe (epitímia) groß, verleumdet er aber einen Privatmann, wird er überhaupt nicht bestraft, und zwar mit Recht: man glaubt nämlich, dass der Übeltäter in jenem Falle nicht nur den Amtsträger verleumdet (kakēgoreín), sondern auch hýbris gegenüber der Stadt begeht“. Zur Beleidigung von Amtsträgern siehe Wallace 1994, 113; Phillips 2013, 125 f. und Nr. 70. 404  So Ruschenbusch 2010, 64; Phillips 2013, 125. 405  Ps.-Aristoteles, De virtutibus et vitiis 7, 1251a 30–33 (F 74d); Pol. 36,9,15 (F 74e). 406  Demosth. or. 58,21; Ruschenbusch 2005, 90 ff. 407  Demosth. or. 21,44.

Üble Nachrede (Verbalinjurien) (F 116)

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Gesetz gegen üble Nachrede (Verbalinjurien) (F 116) (F 116a: T 479 Martina; F 32b Ruschenbusch, Leão/Rhodes; F 116b: T 465a Martina; F 118a Ruschenbusch, Leão/Rhodes; F 116e: T 465c; F 32a, 33a Ruschenbusch, Leão/Rhodes; F 116f: T 465e Martina; F 33b Ruschenbusch, Leão/Rhodes; F 116 g: T 465d Martina; F 118c Ruschenbusch, Leão/Rhodes; F 116h: T 465b Martina; F 118b Ruschenbusch, Leão/Rhodes)

F 116a: Lysias, Gegen Theomnestos (or. 10) 6–9, 12, 30 (384/3 v. Chr.) (6) ἴσως τοίνυν, ὦ ἄνδρες δικασταί, περὶ τούτων μὲν οὐδὲν ἀπολογήσεται, ἐρεῖ δὲ πρὸς ὑμᾶς ἅπερ ἐτόλμα λέγειν καὶ πρὸς τὸν διαιτητήν, ὡς οὐκ ἔστι τῶν ἀπορρήτων, ἐάν τις εἴπῃ τὸν πατέρα ἀπεκτονέναι· τὸν γὰρ νόμον οὐ ταῦτ’ ἀπαγορεύειν, ἀλλ’ ἀνδροφόνον οὐκ ἐᾶν λέγειν. (7) ἐγὼ δὲ οἶμαι ἡμᾶς, ὦ ἄνδρες δικασταί, οὐ περὶ τῶν ὀνομάτων διαφέρεσθαι ἀλλὰ τῆς τούτων διανοίας, καὶ πάντας εἰδέναι ὅτι, ὅσοι ‹ἀπεκτόνασί τινας, καὶ ἀνδροφόνοι εἰσί, καὶ ὅσοι› ἀνδροφόνοι εἰσί, καὶ ἀπεκτόνασί τινας. πολὺ γὰρ ‹ἂν› ἔργον ἦν τῷ νομοθέτῃ ἅπαντα τὰ ὀνόματα γράφειν ὅσα τὴν αὐτὴν δύναμιν ἔχει· ἀλλὰ περὶ ἑνὸς εἰπὼν περὶ πάντων ἐδήλωσεν. (8) οὐ γὰρ δήπου, ὦ Θεόμνηστε, εἰ μέν τίς σε εἴποι πατραλοίαν ἢ μητραλοίαν, ἠξίους ἂν αὐτὸν ὀφλεῖν σοι δίκην, εἰ δέ τις εἴποι ὡς τὴν τεκοῦσαν ἢ τὸν φύσαντα ἔτυπτες, ᾤου ἂν αὐτὸν ἀζήμιον δεῖν εἶναι ὡς οὐδὲν τῶν ἀπορρήτων εἰρηκότα. (9) ἡδέως γὰρ ἄν σου πυθοίμην (…)· εἴ τίς σε εἴποι ῥῖψαι τὴν ἀσπίδα, ἐν δὲ τῷ νόμῳ εἴρηται „ἐάν τις φάσκῃ ἀποβεβληκέναι, ὑπόδικον εἶναι“, οὐκ ἂν ἐδικάζου αὐτῷ, ἀλλ’ ἐξήρκει ἄν σοι ἐρριφέναι τὴν ἀσπίδα, λέγοντι ‹ὅτι› οὐδέν σοι μέλει; οὐδὲ γὰρ τὸ αὐτό ἐστι ῥῖψαι καὶ ἀποβεβληκέναι. … (12) οὐκ οὖν ἄτοπον ἂν εἴη τὸν δράσαντ’ ἀφεῖναι φάσκοντα ἀνδροφόνον εἶναι, ὅτι ὁ διώκων ὡς ἔκτεινε τὸν φεύγοντα διωμόσατο; τί γὰρ ταῦτα, ὧν οὗτος ἐρεῖ, διαφέρει; καὶ αὐτὸς μὲν ‹Λυσι›Θέωνι κακηγορίας ἐδικάσω εἰπόντι σε ἐρριφέναι τὴν ἀσπίδα. καίτοι περὶ μὲν τοῦ ῥῖψαι οὐδὲν ‹ἐν› τῷ νόμῳ εἴρηται, ἐὰν δέ τις εἴπῃ ἀποβεβληκέναι τὴν ἀσπίδα, πεντακοσίας δραχμὰς ὀφείλειν κελεύει. (30) ὑμεῖς δ’ ἐνθυμεῖσθε, ὦ ἄνδρες δικασταί, ὅτι ὁ νομοθέτης οὐδεμίαν ὀργῇ συγγνώμην δίδωσιν, ἀλλὰ ζημιοῖ τὸν λέγοντα, ἐὰν μὴ ἀποφαίνῃ ὡς ἔστιν ἀληθῆ τὰ εἰρημένα. App. crit.: (6) τῷ διαιτητῇ P, Müller; (7) ‹δεῖν› ἡμᾶς add. Scheibe coll. XI 3; ‹ἀπεκτόνασί … ὅσοι› add. Auger; γὰρ ‹ἂν› Turr.; (8) εἴπη L; ὀφλεῖν sic L; εἴπη C; (9) γὰρ] δ᾿ Frohberger; εἴρηται Dobree, εἴρητο L; ἐρριφέναι τὴν ἀσπίδα del. Dobree; μέλειν Stephanus, μέλει C, μέλλει X; ἐστι] εἶναι; (12) δράσαντ’ ἀφεῖναι Dobson coll. Demosth. or. 37,59, δείξαντα κτεῖναι L, δόξαντα κτεῖναι (ἀποφεύγειν) Reiske; ἀνδραφόνον C; τὸν φεύγοντα del. Schottus; Λυσιθέῳ Frohberger, Θέωνι L; κατηγορίας X; εἰπόντι σε Taylor, εἶπε τίς σε X, ὅτι σε εἶπεν C; ‹ἐν› add. Markland; (30) οὐδεμίαν Brulart coll. XI 11, οὐδεμιᾶ L.

(6) Vielleicht, Geschworene, wird er [Theomnestos] nun dazu nicht Stellung nehmen, sondern wird euch das sagen, was er auch schon zum Schiedsrichter (diaitētḗs) zu sagen wagte, dass es nämlich nicht zu den ‚unsagbaren Worten‘ (apórrhēta) gehöre zu sagen, jemand habe den [eigenen] Vater getötet. Denn das Gesetz verbiete dies nicht, sondern lasse nur nicht zu, ihn ‚Mörder‘ (androphónos) zu nennen. (7) Ich hingegen glaube, ihr Geschworene, dass ihr nicht um Wörter streiten sollt, sondern um ihre Bedeutung, und dass ihr alle wisst, dass diejenigen, ‹die jemanden getötet haben, Mörder (androphónoi) sind, und dass› Mörder (andro­ phónoi) die sind, die jemanden getötet haben. Da hätte ja der Gesetzgeber (nomothétēs) viel zu tun, wenn er alle Benennungen verzeichnen wollte, die dieselbe Bedeutung haben. Indem er einen Ausdruck aufführt, hat er sich betreffs aller anderen erklärt. (8) Du würdest doch wohl, Theomnestos, nicht erwarten, dass jemand dafür zu büßen habe, wenn er dich ‚Vaterschläger‘ (patraloías) oder ‚Mutterschläger‘ (mētraloías) nennt, aber straflos davonkommt, wenn er sagt, du habest ‚die, die dich geboren‘ oder ‚den, der dich gezeugt‘ erschlagen – dann hätte er ja keine ‚unsagbaren Worte‘ (apórrhēta) ausgesprochen. (9) Gerne möchte ich von dir erfahren …:

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Verfahren vor den Thesmotheten

Wenn jemand von dir sagt, du habest deinen Schild weggeschmissen (rhípsai), im Gesetz aber heißt es: „Wenn jemand behauptet, man habe [den Schild] fortgeworfen (apobeblēkénai), so ist er straffällig (hypódikos),“ würdest du dann nicht gerichtlich gegen ihn vorgehen? Würde es dir genügen, diesem Menschen, der gesagt hat, „du hast deinen Schild weggeschmissen (errhiphénai)“, zu erwidern, dass dich das nicht kümmert, weil weggeschmissen (rhípsai) und fortgeworfen (apobeblēkénai) nicht dasselbe ist? … (12) Wäre es nun nicht unsinnig, einen Täter freizulassen, weil er sagt, er sei ein Mörder (androphónos), während der Ankläger geschworen hat, der Beklagte habe getötet? Wodurch unterscheidet sich dieses Beispiel von dem, was dieser da vorbringt? Du hast doch auch selbst den (‹Lysi›)Theos wegen Verleumdung (kakēgoría) verklagt, weil er sagte, du habest deinen Schild weggeschmissen (errhiphénai). Gleichwohl steht im Gesetz nichts von ‚wegschmeißen‘ (rhípsai), sondern es ordnet an: „Wenn jemand [von einem anderen fälschlich] sagt, er habe seinen Schild fortgeworfen (apobeblēkénai), schulde er eine Buße von fünfhundert Drachmen“. (30) Bedenkt aber, Geschworene, dass der Gesetzgeber (nomothétēs) für Zorn keine Nachsicht gewährt, sondern Strafe verlangt, wenn jemand nicht nachweisen kann, dass das wahr ist, was er gesagt hat.408

F 116b: Demosthenes, Gegen Leptines (or. 20) 104 (355/4 v. Chr.) καὶ μὴν κἀκεῖνος τῶν καλῶς δοκούντων ἔχειν νόμων Σόλωνός ἐστι, μὴ λέγειν κακῶς τὸν τεθνεῶτα, μηδ’ ἂν ὑπὸ τῶν ἐκείνου τις ἀκούῃ παίδων αὐτός· σὺ δὲ ποιεῖς, οὐ λέγεις κακῶς τοὺς τετελευτηκότας τῶν εὐεργετῶν, τῷ δεῖνι μεμφόμενος καὶ τὸν δεῖν’ ἀνάξιον εἶναι φάσκων, ὧν οὐδὲν ἐκείνοις προσῆκεν. ἆρ’ οὐ πολὺ τοῦ Σόλωνος ἀποστατεῖς τῇ γνώμῃ; App. crit.: εὖ τετελευτηκότας S; τῆς γνώμης Sγρ.

Zu den geachtetsten Gesetzen Solons gehört auch jenes, dass man einem Verstorbenen (teth­ neṓs) nichts Böses nachsagt (légein kakṓs), selbst wenn man von den Kindern desselben [Übles] gehört hat. Du aber schmähst (légein kakṓs) nicht, du misshandelst geradezu unsere verstorbenen Wohltäter, indem du Leute beschimpfst (mémphesthai) und für unwürdig erklärst, für deren Tun jene doch nicht verantwortlich sind. Ist also deine Einstellung nicht weit von der Solons weg?

F 116c: Demosthenes, Gegen Aristokrates (or. 23) 50 (352/1 v. Chr.) φησὶν … „ἄν τις κακῶς ἀγορεύῃ“, „τὰ ψευδῆ“ προσέθηκεν, ὡς, εἴ γε τἀληθῆ, προσῆκον. So sagt [das Gesetz], …, „wenn jemand einem Schlechtes nachsagt (kakṓs agoreúein)“, mit dem Zusatz „das unbegründet ist“; denn wenn es wahr ist, hat er es verdient.

F 116d: Ps.-Demosthenes, Gegen Boiotos II (or. 40) 49 (nach 348/7 v. Chr.) οὗτος δ’, ὃν ἠνάγκασεν αὑτῷ πατέρα γενέσθαι, τοῦτον οὐκ αἰσχύνεται ψέγων ἐναντίον ὑμῶν, ἀλλ’ εἰς τοῦτο ἀμαθίας ἥκει, ὥστε τῶν νόμων ἀπαγορευόντων μηδὲ τοὺς τῶν ἄλλων πατέρας κακῶς

408  Übersetzung nach Ingeborg Huber. Wallace 1994, 120 f. spricht sich gegen die Emendation Frohbergers von Θέωνι in Λυσιθέωνι aus.

Üble Nachrede (Verbalinjurien) (F 116)

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λέγειν τεθνεῶτας, οὗτος, οὗ φησιν υἱὸς εἶναι, τοῦτον λοιδορήσει, ᾧ προσῆκεν καὶ εἴ τις ἄλλος ἐβλασφήμει περὶ αὐτοῦ ἀγανακτεῖν. App. crit.: αὑτῷ] ἑαυτοῦ S.

Dagegen schämt dieser sich nicht, denjenigen, den er gezwungen hat, ihn als seinen Sohn anzuerkennen, euch gegenüber herabzusetzen. Doch er geht so weit in seiner Dummheit, dass, obgleich die Gesetze es geradezu verbieten, verstorbene Väter von anderen Leuten zu verleumden (kakṓs légein), er diesen sogar, für dessen Sohn er sich selbst ausgibt, beleidigt (loidoreín), dem es doch eigentlich zukäme, wütend darüber zu sein, wenn irgend ein anderer ihn zu verleumden versuchte.

F 116e: Plutarch, Solon 21,1 (um 100 n. Chr.) (1) Ἐπαινεῖται δὲ τοῦ Σόλωνος καὶ ὁ κωλύων νόμος τὸν τεθνηκότα κακῶς ἀγορεύειν. καὶ γὰρ ὅσιον τοὺς μεθεστῶτας ἱεροὺς νομίζειν, καὶ δίκαιον ἀπέχεσθαι τῶν οὐχ ὑπαρχόντων, καὶ πολιτικὸν ἀφαιρεῖν τῆς ἔχθρας τὸ ἀίδιον. (2) ζῶντα δὲ κακῶς λέγειν ἐκώλυσε πρὸς ἱεροῖς καὶ δικαστηρίοις καὶ ἀρχείοις καὶ θεωρίας οὔσης ἀγώνων, ἢ τρεῖς δραχμὰς τῷ ἰδιώτῃ, δύο δ’ ἄλλας ἀποτίνειν εἰς τὸ δημόσιον ἔταξε. App. crit.: (1) τὸν τεθνηκότα ϒ, τοὺς τεθνηκότας S; τὸ ἴδιον U1.

(1) Gepriesen wird auch das Gesetz Solons, das einem Verstorbenen (tethnēkṓs) Böses nachzusagen (kakṓs agoreúein) verbietet. Denn es ist gottesfürchtig, die Dahingeschiedenen als heilig (hieroí) zu achten, gerecht, von Abwesenden abzulassen, und der Gemeinschaft dienlich, die Verstetigung der Feindschaft zu verhindern. (2) Einen Lebenden zu verleumden (kakṓs légein), verbot er an Heiligtümern (hierá), Gerichten (dikastḗria), Amtsgebäuden (archeía) und wenn festliche Wettkämpfe (theōríai agṓnōn) stattfanden. Oder man musste drei Drachmen an den Geschädigten und weitere zwei in die öffentliche Kasse zahlen.

Als die Orte, an denen man Lebende nicht beleidigen durfte, nennt Plutarch Heiligtümer, Gerichte und ‚Amtsgebäude‘ (archeía). Er wird damit die Begrifflichkeit an die spätere Zeit angepasst haben. Mit dēmoteleís thysíai und agorá wird sich Platon enger an den ursprünglichen Text gehalten haben, wobei mit agorá die Volksversammlung gemeint gewesen sein wird, wenn darüberhinaus noch das auf der Agora gelegene Gerichtsgebäude genannt ist. F 116f: Lexicon rhetoricum Cantabrigiense 671,7 s. v. κακηγορίας δίκη (byzantinisch) (Lexica Graeca minora p. 79)

Κακηγορίας δίκη. ἐάν τις κακῶς εἴπῃ τινὰ τῶν κατοιχομένων, κἂν ὑπὸ τῶν ἐκείνου παίδων ἀκούσῃ κακῶς, πεντακοσίας καταδικασθεὶς ὦφλε τῷ δημοσίῳ, τριάκοντα δὲ τῷ ἰδιώτῃ. Ὑπερείδης δὲ ἐν τῷ κατὰ Δωροθέου χιλίαις μὲν ζημιοῦσθαι τοὺς τοὺς κατοιχομένους κακηγορήσαντάς φησι, πεντακοσίαις δὲ τοὺς τοὺς ζῶντας. App. crit.: ὦφλε τῷ δημοσίῳ, τριάκοντα δὲ τῷ ἰδιώτῃ codd., ὦφλε τῷ δημοσίῳ διακοσίας, τριακοσίας δὲ τῷ ἰδιώτῃ Lipsius; τοὺς τοὺς] ἐὰν τοὺς Lipsius.

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Verfahren vor den Thesmotheten

Klage wegen übler Nachrede (díkē kakēgorías): Wenn jemand einem Verstorbenen (katoichó­ menos) Böses nachsagt (kakṓs eipeín), dann soll er, auch wenn er von dessen Kindern Böses zu hören hatte (akoúein kakṓs), zu fünfhundert [Drachmen] verurteilt werden, und er schulde der öffentlichen Kasse ‹zweihundert› [Drachmen], dreißig (‹dreihundert›) aber dem Geschädigten. Hypereides (fr. 100 Jensen) aber sagt in der Rede Gegen Dorotheos, diejenigen seien mit tausend [Drachmen] bestraft worden, die Verstorbene (katoichómenoi) beleidigt haben, aber die, die Lebende beleidigt haben, mit fünfhundert [Drachmen].

F 116 g: Aristeides, Πρὸς Πλάτωνα ὑπὲρ τῶν τεττάρων (III Quattuor), or. 46 p. 302 Jebb (2. Jh. n. Chr.) Ἐνθυμηθῶμεν δὴ καὶ τὸν τοῦ Σόλωνος νόμον ὡς ἥμερος, μὴ λέγειν κακῶς τὸν τελευτήσαντα, μηδ’ ἂν αὐτὸς ἀκούσῃ ὑπὸ τῶν αὐτοῦ παίδων. App. crit.: ἥμερος] δίκαιος E.

Wir wollen auch bedenken, wie nachsichtig das Gesetz Solons ist, dem Verstorbenen (teleutḗsas) nichts Böses nachzusagen (légein kakṓs), auch nicht wenn derjenige von dessen Kindern [Schlimmes] gehört hat.

F 116h: Scholion zu Demosthenes, Gegen Leptines (or. 20) 104 (239b Dilts) ὁ Σόλωνος νόμος ἀπηγόρευσε τοὺς τεθνεῶτας ἅπαντας λέγειν κακῶς, κἂν ἐρεθίζηταί τις ὑπὸ τῶν παίδων τοῦ τεθνηκότος ὑβριζόμενος. Das Gesetz Solons verbot, jeglichen Verstorbenen (tethneṓtes) Böses nachzusagen (légein kakṓs), auch wenn jemand durch eine Freveltat, die er von den Kindern des Verstorbenen erlitt, aufgereizt war.

Der Hinweis in der Rede Gegen Leptines, dass man auch dann dem Verstorbenen nichts Böses nachsagen darf, wenn man von dessen Kindern beleidigt wurde, wird nicht zum ursprünglichen Gesetzestext gehört haben, sondern diente der Hervorhebung, wie streng dieses Gesetz einzuhalten war. Von den späten Quellen wurde dies aus der demosthenischen Rede als angeblicher Bestandteil des Gesetzes übernommen.409

409  Daher sind die Belege Demosth. or. 20,104 mit Schol. und Aristid. III Quattuor p. 302 Jebb von Ruschenbusch und Leão/Rhodes als F 118a–c unter die spuria subsumiert worden. Vgl. Scholia in Aelium Aristidem 302,9: μὴ λέγειν κακῶς τὸν τελευτήσαντα, μηδ’ ἂν αὐτὸς ἀκούσῃ ὑπὸ τῶν αὐτοῦ παίδων] ἐν τῷ πρὸς Λεπτίνην (Demosth. or. 20,104).

Historische Einordnung – Vertragsrecht (F 117)

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VIII B 6 Vertragsrecht Abstract: Der römische Jurist Gaius hat in seinem Kommentar zum Zwölftafelrecht vertragliche Abmachungen römischer collegia mit solchen griechischer Vereinigungen verglichen. Der aus dem Kommentar des Gaius in den Digesta fehlerhaft überlieferte griechische Text kann durch die aus dem 9. Jh. n. Chr. stammenden Basiliken und den dazu überlieferten Scholien wieder hergestellt werden. Das Gesetz, nach dem Demen und Phratrien, Kult-, Speise- und Grabgemeinschaften sowie Seefahrer und Seehändler rechtswirksame Abmachungen treffen können, wenn diese öffentlichen Gesetzen nicht widersprechen, schreibt Gaius dem Gesetzgeber Solon zu.

Historische Einordnung Der römische Jurist Gaius hat in seinem Kommentar zum Zwölftafelrecht vertragliche Abmachungen von römischen collegia mit solchen griechischer Vereinigungen verglichen. Der Gesetzestext lässt nicht erkennen, in welchen rechtlichen Kontext er eingebunden war. Es könnte eine Bestimmung aus dem Beweisrecht oder aus dem Vertragsrecht sein, für das wir sonst keine frühen Zeugnisse haben.410 Möglich wäre indes auch, dass die Bestimmung bei den Schadensklagen eingefügt war, in dem Sinne, dass auf Schädigung (blábē) geklagt werden konnte, wenn Vertragsbedingungen nicht eingehalten worden waren. Durch die Bestimmung wäre so sichergestellt gewesen, dass nicht nur Einzelpersonen andere Einzelpersonen wegen Schädigung anklagen konnten, sondern auch hetaíroi verschiedener Vereinigungen klagen, aber auch angeklagt werden konnten.411 Nach dem Gesetz sollten untereinander getroffene Abmachungen rechtliche Gültigkeit haben, wenn sie gesetzlichen Bestimmungen der Polis nicht widersprechen. Als solche Vereinigungen werden genannt: der dḗmos, die Phratriemitglieder, Teilnehmer an Gastmählern, Besitzer gemeinsamer Grabstätten, Kultgemeinschaften und Personen, die um Beute zu gewinnen oder Handel zu treiben zur See fahren. Nach den phrátores heißt es in dem bedeutenden Florentiner Manuskript F ἢ ἱερῶν ὀργιῶν

410  Vgl. Pol. 36,9,15 (F 74e): ἀσέβημα μὲν γὰρ εἶναι τὸ περὶ τοὺς θεοὺς καὶ τοὺς γονεῖς καὶ τοὺς τεθνεῶτας ἁμαρτάνειν, παρασπόνδημα δὲ τὸ παρὰ τὰς ἐνόρκους καὶ τὰς ἐγγράπτους ὁμολογίας πραττόμενον, ἀδίκημα δὲ τὸ παρὰ τοὺς νόμους καὶ τοὺς ἐθισμοὺς ἐπιτελούμεν(ον). – „Denn Asebie ist, sich gegen die Götter, die Eltern oder die Verstorbenen zu vergehen, Vertragsbruch (paraspóndēma) eine Verletzung von Eiden und Verträgen (éngraptoi homologíai), Unrecht ein Handeln gegen die Gesetze und die überlieferten Gebräuche“. 411  Nach Aristot. Ath. pol. 52,2 sollten fünf eisagōgeís Klagen bei Gericht einbringen, die innerhalb eines Monats entschieden werden sollten, darunter auch Klagen bezüglich Eranos-Darlehen und Vereinigungen (koiná) (δίκας … καὶ ἐρανικὰς καὶ κοινωνικὰς). Radin 1910, 44 setzt die sýssitoi mit éranoi gleich (1910, 44). Beispiele für Abmachungen einzelner Vereinigungen führt Jones 1999, 37–40 auf; Verstöße gegen die Statuten konnten vor Gericht gebracht werden.

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Verfahren vor den Thesmotheten

ἢ ναῦται, wobei sich der Genitiv ἱερῶν ὀργιῶν syntaktisch nicht einordnen lässt. Anstoß erregt bei dieser Lesung auch die unsystematische Reihenfolge, wenn Seefahrer (ναῦται) hier und erneut – umschreibend – am Schluss der Aufzählung genannt werden. Daher sind verschiedene Verbesserungen vorgeschlagen worden, aufgrund derer mal gennḗtai (Mitglieder einer Kultvereinigung), mal hērṓōn orgeṓnes (Mitglieder einer Vereinigung, die den Opferkult für Heroen durchführten), mal naukraríai (Schiffsführerschaften) in die Aufzählung eingefügt wurden.412 Als möglich erscheint auch, dass der Abschreiber bei ἱερῶν ὀργιῶν ἢ ναῦται in der Zeile verrutscht ist, so dass zu lesen wäre: δῆμος ἢ φρατόρες ἢ σύσσιτοι ἢ ὁμόταφοι ἢ θιασῶται ἢ ἱερῶν ὀργιῶν‹ες› ἢ ναῦται ἐπὶ λείαν οἰχόμενοι ἢ εἰς ἐμπορίαν. Stärkere Beachtung sollte aber die Lesung finden, die die Scholien zu den Basiliken bieten (F 117b).413 Die Basiliken, eine im 9. Jh. zusammengestellte griechischsprachige Sammlung des byzantinischen Rechts, beruhen auf dem Corpus iuris civilis und enthalten in den Scholien an zwei Stellen das solonische Gesetz über vertragliche Vereinbarungen ebenfalls als wörtliches Zitat. Bei ihnen lautet die Aufzählung: δῆμος ἢ φράτορες ἢ ἱερῶν ὀργίων μηνυταὶ ἢ σύσσιτοι ἢ ὁμόταφοι ἢ θιασῶται ἢ ἐπὶ λείαν ἐρχόμενοι ἢ ἐμπορίαν. Dabei ist gut nachvollziehbar, dass aus dem ursprünglichen μηνυται in den Codices der Digesta η ναυται wurde. Μηνυταί sind Personen, die Dinge ‚anzeigen‘, ‚(Verborgenes) verkünden/kundtun‘.414 Vergleichbar von der Bedeutung sind theōroí, Festgesandte nach Delos und Delphi, die wörtlich ‚Schauer‘ (von θεωρεῖν – ‚schauen, anschauen‘) sind, und Hierophanten, die wörtlich die sind, „die heilige Gegenstände zeigen“.415 Es wird sich also bei den ἱερῶν ὀργίων μηνυταὶ um Personen handeln, die sich zusammengefunden haben, um heilige Handlungen in Kulten zu begehen, die den Eingeweihten vorbe-

412  Sollten im Text auch γεννῆται genannt gewesen sein, wären dies Mitglieder erblicher Geschlechter, aus denen Priester und Priesterinnen bestellt wurden (Robert B. Parker, Athenian Religion. A History, Oxford 1996, 56–66). Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Textvorschlägen bei Radin 1910 36 f., Lambert 1993, 250 f. und Jones 1999, 311–320 (mit der Lesung ἐὰν δὲ δῆμος ἢ φρατόρες ἢ ὀργεῶνες ἢ ναυκραρία ἢ …; ἱερῶν ὀργίων sei vermutlich eine in den Text geratene Glosse, die das im Text stehende ὀργεῶνες erklären soll). Max Radin (1910, 40–43) schlägt die Lesung ἢ ἱεροὶ ὀργειῶνες ἢ σύσσιτοι etc. vor; Paulin Ismard (2010, 45; 2018, 146) bleibt bei der Lesung ἢ ἱερῶν ὀργιῶν ἢ ναῦται und übersetzt „or participants in sacred orgia, or sailors“. Vgl. auch Blok 2017, 109 Anm. 31 und Jan B. Meister, ‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und klassischen Griechenland, Stuttgart 2020, 229. 413  Douwe Holwerda, Herman Jan Scheltema, Nicolaas van der Wal, Basilicorum libri LX, Series B, vols. 1–9 (Scripta Universitatis Groninganae), Groningen 1953–1985. 414  Hesych. φ 846 s. v. φραστῆρες· μηνυταί. Nach Gerhard Thür, Art. Menysis (μήνυσις), in: DNP 7, 1999, 1268 ist mḗnysis im attischen Recht eine ‚Anzeige‘ oder ‚Meldung‘ in bestimmten Strafverfahren, die aber von der eisangelía unterschieden werden müsse. Der mēnytḗs verschaffe den Behörden erst die Möglichkeit, ein förmliches Rechtsverfahren zu eröffnen, wohingegen die eisangelía die unmittelbare Klage eines dazu berechtigten Bürgers sei. Mittels mḗnysis konnte jeder, auch ein Sklave, einen anderen denunzieren. 415  Ian Rutherford, State Pilgrims and Sacred Observers. A Stuy of Theōriā and Theōroi, Cambridge 2013, 5.

Historische Einordnung – Vertragsrecht (F 117)

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halten waren.416 Bei dieser Lesung ergäbe sich auch eine klare Systematik: zunächst die Dorfgemeinschaft und phrátores, dann orgeṓnes und Teilnehmer von Speise- und Grabgemeinschaften sowie weitere Kult- und Festgesellschaften und schließlich solche, die gemeinschaftlich zu einem Beutezug oder einem Handelsunternehmen aufbrechen. Dabei gehören phrátores und mēnytaí hierṓn orgíōn zusammen, da sie beide Kultvereinigungen bildeten, die Opferfeiern zu Ehren eines lokalen Heroen oder Gottes durchführten.417 Auf die Nähe von mēnytaí hierṓn orgíōn bzw. orgeṓnes einerseits und phrátores andererseits weist auch das – vermutlich aus dem 5. Jh. v. Chr. stammende – Gesetz hin, das die Phratrien dazu verpflichtete, orgeṓnes und homogálaktes, also Mitglieder von génē, aufzunehmen.418 Eine in diese Richtung gehende Deutung wird unterstützt durch eine Passage in der Nikomachischen Ethik. Aristoteles beschreibt darin die Bedeutung der Freundschaft (philía) für eine Gemeinschaft (koinōnía), die denselben Stellenwert haben sollte wie das Recht. Denn „Gefährten einer Seereise, Kriegsgenossen und wer in sonst einer Gemeinschaft steht“ redeten sich als Freunde an.419 Jenseits der Polisgemeinschaft (koinōnía politikḗ) verfolgten andere Gemeinschaften partikulare Interessen. Als solche zählt Aristoteles auf: Schifffahrtsgenossen (plōtḗres), die nach Gewinn streben, der 416 Solche órgia im Sinne von Kulthandlungen, die Eingeweihten vorbehalten waren, sind für Demeter, Bacchus, Kybele und die Kabiren bezeugt. Paulin Ismard, der allerdings allein von ἱερῶν ὀργίων ausgeht, versteht unter den „communautés d’orgéons de l’époque archaïque“ „exécutants de rites sacrés ou, plus littéralment, des détenteurs d’orgia sacrés“ (2010, 46). 417 Zu orgeṓnes Yulia Ustinova, Orgeones in Phratries: A Mechanism of Social Integration in Attica, in: Kernos 9, 1996, 227–242: „The combination of sacrificing and banqueting was a normal component of both pious and polite behaviour“ (231) und „There were hosts (hestiatores) and priests in all the associations, and in a number of them, treasurers. The host was the most important person in all the corporations. In many associations not only was he the only magistrate, he had to prepare everything necessary for the sacrifice, and he was also the life and the soul of the banquets“ (ebd. 233). Zu vertraglichen Vereinbarungen mit orgeṓnes siehe ebd. 232 f. Zu den sýssitoi siehe Jones 1999, 316 mit Quellenbelegen; nach Jones seien es „more or less formally organized ‚messes‘ contemporary with the law’s formulation“. 418  Philochoros FgrH 328 F 35a: τοὺς δὲ φράτορας ἐπάναγκες δέχεσθαι καὶ τοὺς ὀργεῶνας καὶ τοὺς ὁμογάλακτας, οὓς γεννήτας καλοῦμεν. Zu dem möglicherweise Perikles zuzuschreibenden Gesetz (vgl. F 87) A. Andrewes, Philochoros on phratries, in: JHS 81, 1961, 1–15; Jones 1999, 249 f. Orgeṓnes sind neben phráteres und dēmótai als Zeugen in Isai. 2,17 genannt. Siehe auch Phot. Lex. p. 345 (T 342b (c) Martina): Ὀργεῶνες: σύνταγμά τι ἀνδρῶν· ὡς τῶν γεννητῶν καὶ φρατόρων· ὀνομασθὲν ἀπὸ τοῦ κοινῆι ὀργιάζειν· οἷον θύειν καὶ εὔχεσθαι (= Etym. M.). Vgl. Ps.-Zonaras (1466) Ὀργιῶνες. οἱ θύται. παρὰ τὰ ὄργια, ὅ ἐστι τὰ θεῖα μυστήρια; Timaios Gramm. Ἱεράτω. κατὰ νόμον ὀργιαζέτω καὶ θυέτω. Ὀργεῶνες γὰρ οἱ θύται. Eine Zusammenstellung von antiken Quellenbelegen zu den orgeṓnes bei Martina ad T 342b. Zu den orgeṓnes und phrátores Emily Kearns, The Heroes of Attica, London 1989, 73–77; Robin Osborne, The Demos and its Subdivisions in Classical Athens, in: Oswyn Murray, S. Price (Hrsg.), The Greek City, Oxford 1991, 270–275; Lambert 1993, 250 mit Anm. 27; Robert B. Parker, Athenian Religion. A History, Oxford 1996, 104–108 (zu Phratrien), 109–111, 337–340 (zu orgeṓnes); Jones 1999, 33–45, 195–220, 249–267. Siehe auch W. S. Ferguson, The Attic Orgeones, in: Harvard Theological Review 37, 1944, 61–140, hier 64–68; ders., Orgeonika, in: Commemorative Studies in Honor of Theodore Leslie Shear (Hesperia Suppl. 8), Princeton/N. J. 1949, 130–163. 419  Aristot. eth. Nic. 8,11, 1159b 27–29: προσαγορεύουσι γοῦν ὡς φίλους τοὺς σύμπλους καὶ τοὺς συστρατιώτας, ὁμοίως δὲ καὶ τοὺς ἐν ταῖς ἄλλαις κοινωνίαις. Vgl. Jones 1999, 34 f. und Ismard 2010, 13 f.

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aus der Seefahrt erwächst, Kriegsgenossen (systratiṓtai), die nach Gewinnen aus Beute, nach Siegen und Stadteroberungen streben, sowie Angehörige einer Phyle (phylé­ tai) oder eines Demos (dēmótai). Andere Gemeinschaften bestehen des Vergnügens wegen, wie die Kult- und Gastmahlsverbände (koinōnía thiasōtṓn kaí eranistṓn), die Opfer darbringen und der Geselligkeit dienen. „Von allen diesen Verbindungen kann man aber sagen, dass sie der Polisgemeinschaft unterstehen“.420 Da Aristoteles Demen- und Phylenangehörige, Kult- und Speisegemeinschaften sowie Seehändler und Beutegenossen als Gemeinschaften nennt und zudem den Hinweis gibt, diese Vereinigungen unterstünden der Polisgemeinschaft, kann davon ausgegangen werden, dass sich Aristoteles bei seinen Ausführungen an dem athenischen Gesetz orientiert hat. Daraus lässt sich folgern, dass neben den genannten Gemeinschaften keine weiteren im Gesetz aufgeführt waren, Aristoteles also unter den Kult- und Gastmahlverbänden die ἱερῶν ὀργίων μηνυταὶ ἢ σύσσιτοι ἢ ὁμόταφοι ἢ θιασῶται zusammengefasst hat.421 Unsicherheit herrscht in der Forschung darüber, ob es sich um ein Gesetz Solons handeln kann. Dḗmoi im Sinne organisierter Dorfgemeinden werden von der Forschung erst für die Zeit nach den Reformen des Kleisthenes angesetzt. Doch sicher ist, dass Kleisthenes bei seiner Reform von gewachsenen Strukturen ausging, also von unterschiedlich großen und über ganz Attika unregelmäßig verstreuten Dörfern, die relativ gleichmäßig auf die Trittyen verteilt wurden. Es ist daher durchaus vorstellbar, dass es bereits zur Zeit Solons solche Dörfer gab, deren Bewohner übereinkamen, z. B. gemeinschaftlich Land zu verpachten oder Abgaben für die Benutzung von Weideflächen zu fordern. Phrátores sind die Mitglieder einer Phratrie, die bereits im Gesetz Drakons über die Tötung belegt sind, als eine Art fiktiver Verwandtschaftsverband, der über den Verwandtschaftsgrad von Vettern und Großvettern hinausging.422 Sýssi­ toi als Mitglieder einer Speisegemeinschaft sind in der demosthenischen Rede Gegen Konon bezeugt.423 Begräbnisvereine sind zwar erst in römischer Zeit weiter verbreitet; Plutarch kennzeichnet aber die Nähe zum Bruder dadurch, dass man mit ihm Op-

420  Aristot. eth. Nic. 8,11, 1160a 14–21: αἱ μὲν οὖν ἄλλαι κοινωνίαι κατὰ μέρη τοῦ συμφέροντος ἐφίενται, οἷον πλωτῆρες μὲν τοῦ κατὰ τὸν πλοῦν πρὸς ἐργασίαν χρημάτων ἤ τι τοιοῦτον, συστρατιῶται δὲ τοῦ κατὰ τὸν πόλεμον, εἴτε χρημάτων εἴτε νίκης ἢ πόλεως ὀρεγόμενοι, ὁμοίως δὲ καὶ φυλέται καὶ δημόται. [ἔνιαι δὲ τῶν κοινωνιῶν δι’ ἡδονὴν δοκοῦσι γίνεσθαι, θιασωτῶν καὶ ἐρανιστῶν· αὗται γὰρ θυσίας ἕνεκα καὶ συνουσίας.] πᾶσαι δ’ αὗται ὑπὸ τὴν πολιτικὴν ἐοίκασιν εἶναι. Der in Klammern gesetzte Text wird in einigen Ausgaben im Anschluss an 1160a 23 gesetzt. Dort folgt auf eine als verderbt angesehene Textstelle θυσίας τε ποιοῦντες καὶ περὶ ταύτας συνόδους mit der Erläuterung, dass man dadurch gleichzeitig die Götter ehre und sich selbst Vergnügen und Erholung verschaffe. 421  Allerdings ist zu konstatieren, dass Aristoteles in der Nikomachischen Ethik „phylétai und dēmótai“ nennt statt „dḗmos oder phrátores“, wie es im Gesetz heißt. Vgl. auch in knapper Wiedergabe Aristot. eth. Eud. 7,9, 1241b 24–26: αἱ δ’ ἄλλαι κοινωνίαι εἰσὶν [ἢ] μόριον τῶν τῆς πόλεως κοινωνιῶν, οἷον ἡ τῶν φρατέρων ἢ τῶν ὀργίων, ἢ αἱ χρηματιστικαὶ ἔτι πολιτεῖαι. 422  Jones 1999, 313 weist darauf hin, dass im attischen Griechisch φράτερες das Gängigere ist, so in Demosth. or. 43,57 (F 6a). 423  Demosth. or. 54,4.

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fer, Feste und das Grab gemeinsam habe, mit ihm zusammen oder zumindest in der Nachbarschaft wohne.424 Da Gräber vielfach Familiengräber waren, ergaben sich durch die Weitergabe und Aufteilung des Erbes nahezu zwangsläufig Grabgemeinschaften miteinander verwandter Personen. Thiasṓtai als Angehörige eines bestimmten Kultes sind für die klassische Zeit mehrfach bezeugt.425 Bei den Personen, „die um Beute [zu gewinnen] oder Handel [zu treiben] aussegeln“ (ἐπὶ λείαν ἐρχόμενοι ἢ ἐμπορίαν), denkt die Forschung einhellig an Händler und Piraten und setzt damit voraus, dass auch die Kaperung fremder Waren und Schiffe gesetzlich anerkannt war, wenn entsprechende vertragliche Vereinbarungen Gültigkeit vor Gericht haben sollten.426 Solon hätte mit dieser Bestimmung Wirtschaft und Wohlergehen Athens befördern wollen.427 Letztendlich lässt sich nicht zweifelsfrei nachweisen, dass der Gesetzestext auf Solon zurückgeht.428 Für ein hohes Alter der Bestimmung spricht aber, dass in der Aufzählung keine Institutionen genannt sind, keine Phylen, Trittyen oder Naukrarien (und auch keine gennḗtai); vertragliche Vereinbarungen, die von diesen Institutionen ergangen waren, galten offensichtlich als dēmósia grámmata. Da die Dorfgemeinschaft, der dḗmos, hingegen in das Gesetz aufgenommen ist, waren die Demen noch keine öffentlichen Institutionen, hatten also als formalrechtliche Unterabteilungen der Tritty-

424  Plut. De fraterno amore 7 (mor. 481d): … ἀδελφόν, ᾧ θυσιῶν τε κοινωνεῖν ἀνάγκη καὶ ἱερῶν πατρῴων ὁμόταφόν τε γενέσθαι καί που σύνοικον ἢ γείτονα χωρίων. Ein gemeinsames Grab konnte es auch mit einem Gefährten geben, so wie bei Achill und Patroklos (Aischin. Tim. 149; Hermogenes, Περὶ μεθόδου δεινότητος 30). Zu homótaphoi Radin 1910, 45 f.; Jones 1999, 316 f. 425  Isai. 9,30: Εἰς τοίνυν τὰ ἱερὰ ὁ πατὴρ ὁ ἐμὸς τὸν Ἀστύφιλον ‹ὄντα› παῖδα ἦγε μεθ’ ἑαυτοῦ ὥσπερ καὶ ἐμὲ πανταχῇ· καὶ εἰς τοὺς θιασώτας τοὺς Ἡρακλέους ἐκεῖνον [αὐτὸν] εἰσήγαγεν ἵνα μετέχοι τῆς κοινωνίας. Αὐτοὶ δ’ ὑμῖν οἱ θιασῶται μαρτυρήσουσιν. – „Ferner, zu den heiligen Handlungen nahm mein Vater den Astyphilos, wie er noch ein Knabe war, regelmäßig überall mit, ebenso wie mich; und bei den thiasṓtai für den Kult des Herakles führte er jenen ein, damit er am Vereinsleben (koinōnía) teilnehme. Die thiasṓtai selbst werden es euch bezeugen.“ Thiasṓtai des Eros in Xen. symp. 8,1. Zur Verbindung von thiasṓtai und Mitgliedern einer Mahlgemeinschaft siehe Pausanias Attic. δ 3* und Phot. Lex. δ 27 s. v. δαιταλεῖς· δαιτυμόνες καὶ θιασῶται καὶ συμπόται καὶ οἷον συνδαιταλεῖς. οὕτως Ἀριστοφάνης (PCG III 2 p. 122); vgl. Phot. Lex. θ 180 und Suda θ 380 s. v. θίασος· … θιασῶται δὲ ἐκαλοῦντο οἱ κοινωνοῦντες τῶν θιάσων. οὕτως Ἰσαῖος (Isai. 9,30). Nach Jones 1999, 317 f. und Leão/Rhodes 2015, 134 waren thíasoi Untergruppen der Phratrien. 426  Auch Leão/Rhodes 2015, 134 denken an Piraten („pirats and traders are surprising components of the list“), was besser in archaische Zeit passe als in klassische. Verwunderung äußert auch Whitehead 1986 (wie Anm. 428), 14. 427  Jones 1999, 318 f., der diesbezüglich von „apparently temporary ad hoc associations“ spricht. Radin 1910, 48 f. geht von Personen aus, die gemeinsam ein Kriegsschiff für die Flotte gestellt haben. 428  Nach Leão/Rhodes 2015, 134 enthält das Gesetz eine Mischung von solonischen und späteren In­ stitutionen. Da sich δῆμος auf lokale Gemeinden beziehen werde, könne deren Nennung nicht solonisch sein (ebenso David Whitehead, The Demes of Attica, 508/7 – ca. 250 B. C. A Political and Social Study, Princeton/N. J. 1986, 14). Auch die Formulierung δημόσια γράμματα halten Leão/Rhodes nicht für solonisch, denn sie weisen darauf hin, dass Abmachungen solcher Vereinigungen nicht nur den Gesetzen Drakons und Solons, sondern auch anderen schriftlich abgefassten religiösen Vorschriften entsprechen mussten.

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en die Naukrarien noch nicht ersetzt.429 Das Gesetz wird also in vorkleisthenische Zeit zurückgehen.430 Wie bereits von Aristoteles in der Nikomachischen Ethik ausgeführt, impliziert das Gesetz, dass das Recht der Polis über den Vereinbarungen einzelner Vereinigungen steht. In verschiedenen literarischen und epigraphischen Quellen des 4. und 3. Jh. wird auf rechtliche Rahmenbedingungen bei Vereinigungen Bezug genommen, wobei es sich dabei um das Gesetz Solons, möglicherweise in einer späteren revidierten Form, handeln könnte.431 Literatur Lipsius 1905–15, 568–570, 683 f. (symbólaia); Max Radin, The Legislation of the Greeks and Romans on Corporation, Diss. Columbia University 1910, 36–51; Harrison 1968–71, Bd. 2, 145–147; Christos Hadzopoulos, Personae collectivae nach attischem Recht, Diss. Freiburg i. Br. 1975; Stephen D. Lambert, The Phratries of Attica, Ann Arbor 1993 (21998); Nicholas F. Jones, The Associations of Classical Athens: The Response to Democracy, Oxford 1999, 33–45, 311–320 (Solon’s Law on Associations); Paulin Ismard, La cité des réseaux. Athènes et ses associations, VIe – Ier siècle av. J.-C., Paris 2010, 44–84 (DOI: 10.4000/books.psorbonne.10160); Josine Blok, Citizen­ ship in Classical Athens, Cambridge 2017, 109 f.; Paulin Ismard, Associations and Citizenship in Attica from Solon to Cleisthenes, in: Alain Duplouy, Roger Brock (Hrsg.), Defining Citizenship in Archaic Greece, Oxford 2018, 145–159.

Vertragsrecht (F 117) (F 117a: T 342a Martina; F 76a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 117c: T 342b Martina; F 76b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 117a: Gaius, libri ad legem XII tabularum (Digesta 47,22,4) (2. Jh. n. Chr.) Gaius libro quarto ad legem XII tabularum. sodales sunt, qui eiusdem collegii sunt, quam Graeci ἑταιρείαν vocant. his autem potestatem facit lex pactionem quam velint sibi ferre, dum ne quid ex publica lege corrumpant. sed haec lex videtur ex lege Solonis tralata esse. nam illuc ita est: „ἐὰν δὲ δῆμος ἢ φράτορες ἢ †ἱερῶν ὀργιῶν ἢ ναῦται† ἢ σύσσιτοι ἢ ὁμόταφοι ἢ θιασῶται ἢ

429  Die von Lambert und Jones (1999, 315 f.) vorgeschlagene Lesung ναυκραρίαι bzw. ναυκραρία halte ich daher für unwahrscheinlich. 430  Jones 1999, 311–313 sieht in δῆμος eine Bezeichnung für ‚village‘ in untechnischem Sinne oder die dēmótai als die männlichen erwachsenen Bewohner des Landes. Leão/Rhodes hingegen hatten wie Whitehead 1986, 14 die Einbeziehung des dḗmos als einer organisierten Dorfgemeinde als Beleg für einen späteren Zusatz angesehen. Als solonisch sehen Radin 1910, 37–39 und Ismard 2010, 44 f.; ders. 2018, 146–148 das Gesetz an. Keine Zustimmung hat die Meinung von Ilias N. Arnaoutoglou gefunden, dass das Gesetz auf hadrianische Zeit zurückgehe (Thusias heneka kai sunousias. Private Religious Associations in Hellenistic Athens, Athen 2003, 44–57). 431  Jones 1999, 40–45, der daran die „validating and regulatory functions“ des Gesetzes sieht.

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ἐπὶ λείαν οἰχόμενοι ἢ εἰς ἐμπορίαν, ὅτι ἂν τούτων διαθῶνται πρὸς ἀλλήλους, κύριον εἶναι, ἐὰν μὴ ἀπαγορεύσῃ δημόσια γράμματα.“ App. crit.: corrupant F; tranlata F; ἱερῶν ὀργιῶν ἢ ναῦται F, ὀργεῶνες ἢ γεννῆται Wilamowitz; ἡρώων ὀργεῶνες ἢ γεννῆται Ferguson, ἢ ναυκραρίαι Lambert, ἱερῶν ὀργίων μηνύται Bas.; θύται Mommsen, τούτων ‹τινες› Wilamowitz; λίαν F.

Gaius im vierten Buch [seines Kommentars] zum XII-Tafel-Gesetz: Mitglieder (sodales) sind diejenigen, die derselben Vereinigung (collegium) angehören, die die Griechen hetaireía nennen. Diesen gab das Gesetz [das Zwölftafelrecht, Lex XII tab. 8,27] aber die Befugnis, eine vertragliche Abmachung (pactio) zu treffen, so wie sie es wollen, sofern sie kein öffentliches Recht (publica lex) verletzen. Dieses Gesetz aber dürfte aus dem Gesetz Solons übernommen sein. Denn dort heißt es: „Was aber eine Dorfgemeinschaft (dḗmos) oder phrátores oder † … † oder Teilnehmer eines Gastmahls (sýssitoi) oder Besitzer einer gemeinsamen Grabstätte (homóta­ phoi) oder Kultgenossen (thiasṓtai) oder diejenigen, die um Beute [zu gewinnen] oder Handel [zu treiben] aussegeln, untereinander abmachen, das soll Gültigkeit haben (kýrion eínai), wenn es nicht durch Gesetze (dēmósia grámmata) untersagt ist“.

Ähnlich wie bei den gesetzlichen Bestimmungen zum Grenzabstand zitiert Gaius das Gesetz Solons nur als mögliches Vorbild, wie das videtur zeigt.432 F 117b: Scholia in Basilicorum libros I–XI, 60,32,3,1 (9. Jh. n. Chr.) Ταῦτα δὲ τὰ συνέδρια καλοῦσιν Ἕλληνες ἑταιρείας. Καὶ δοκεῖ οὗτος ὁ νόμος ἐκ τῶν τοῦ Σόλωνος μετενεχθῆναι, καὶ †παρὰ τοῦ† συμφωνεῖν θεμιτῶς ἃ βούλονται, ἐν οἷς φησιν· ἐὰν δῆμος ἢ φράτορες ἢ ἱερῶν ὀργίων μηνυταὶ ἢ σύσσιτοι ἢ ὁμόταφοι ἢ θιασῶται ἢ ἐπὶ λείαν ἐρχόμενοι ἢ ἐμπορίαν διαθῶνταί τι πρὸς ἀλλήλους, κύριον εἶναι, ἐὰν μὴ ἀπαγορεύῃ δημόσια πράγματα, τουτέστι μετὰ τοῦ μὴ παραφθείρειν τι τοῦ δημοσίου νόμου. Diese Vereinigungen (synhédria) nennen die Griechen hetaireíai. Und dieses Gesetz scheint aus denen Solons übernommen zu sein und in Hinsicht darauf, was [beide] wollen, rechtlich darin übereinzustimmen, wenn er [Solon] in diesen [Gesetzen] sagt: „Was eine Dorfgemeinschaft (dḗmos) oder phrátores oder Künder heiliger Opferhandlungen (mēnytaí hierṓn orgíōn) oder Teilnehmer eines Gastmahls (sýssitoi) oder Besitzer einer gemeinsamen Grabstätte (homótaphoi) oder Kultgenossen (thiasṓtai) oder Personen, die um Beute [zu gewinnen] oder Handel [zu treiben] aussegeln, untereinander abmachen, das soll Gültigkeit haben (kýrion eínai), wenn es nicht durch Gesetze (dēmósia grámmata) untersagt ist,“ das heißt, dadurch in keiner Weise dem öffentlichen Gesetz (dēmósios nómos) zuwider zu handeln.433

432  G. Ciulei, D. 47.22.4, in: ZRG Rom. Abt. 84, 1967, 371–375; Franz Wieacker, Solon und die XII Tafeln, in: Studi in onore di Edoardo Volterra, Bd. 3, Mailand 1971, 757–784, hier 770 f. Zu Zitaten aus griechischen Gesetzen in römischen Rechtskommentaren siehe Philipp Scheibelreiter, Ein ‚großer Wurf ‘? Gaius trifft Demosthenes. Überlegungen zu D. 50,16,233,2 (Gai. I leg. 12 tab.), in: ZRG Rom. Abt. 136, 2019, 1–46, zu Dig. 47,22,4 ebd. 19 und 30. 433  Vgl. 60,32,4,1: Ἐπιτρέπει ταῖς θεμιταῖς ἑταιρείαις ὁ νόμος ἤτοι τοῖς νόμοις ἐγνωσμέναις σύμφωνα ἃ βούλονται ἑαυτοῖς ποιεῖν μετὰ τοῦ μὴ παραφθείρειν τι τοῦ δημοσίου νόμου. Δοκεῖ δὲ οὗτος ὁ νόμος ἐκ τῶν

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Verfahren vor den Thesmotheten

F 117c: Seleukos, Kommentar zu Solons áxones fr. 35 Müller (FgrH 341 F 1) (1. Jh. n. Chr.) (F 87) (Phot. Lex. ο 439 Theodoridis; Suda ο 511 Adler s. v. ὀργεῶνες)

ὀργεῶνες· Σέλευκος δὲ ἐν τῷ ὑπομνήματι τῶν Σόλωνος ἀξόνων ὀργεῶνάς φησι καλεῖσθαι τοὺς συνόδους ἔχοντας περί τινας ἥρωας ἢ θεούς· App. crit.: τῶν Σόλωνος: τοῦ Σόλωνος Sud. A; συνόδους Coraes, συλλόγους Suda, συλλόχους Sud. A, συνόλους Phot. MS.

orgeṓnes: Seleukos sagt im Kommentar (hypómnēma) zu den áxones Solons: orgeṓnes heißen die, welche die Festversammlungen (sýnhodoi bzw. sýllogoi) bei bestimmten Heroen oder Göttern abhalten.

Die mēnytaí hierṓn orgíōn konnten offenbar auch als orgeṓnes bezeichnet werden434 Daher lässt sich mit dem Gesetz Solons über das Vertragsrecht ein Fragment aus Seleukos’ Kommentar zu Solons áxones (F 87) verbinden.435 VIII B 7 Nachbarrecht Abstract: Bei rechtswidriger Schädigung konnte díkē blábēs, ‚Schadensklage‘, eingereicht werden. Wegen Schädigung konnte wahrscheinlich auch dann geklagt werden, wenn Nachbarn die im Gesetz festgelegten Abstände für Bauten, Pflanzungen oder auch Bienenstöcke nicht einhielten oder unrechtmäßig Wasser entnahmen.

παρὰ Σόλωνος νομοθετηθέντων μετενεχθῆναι, ἐν οἷς οὕτως κεῖται· ἐὰν δὲ δῆμος ἢ φράτορες ἢ ἱερῶν ὀργίων μηνυταὶ ἢ σύσσιτοι ἢ ὁμόταφοι ἢ θιασῶται ἢ ἐπὶ λείαν ἐρχόμενοι ἢ εἰς ἐμπορίαν, ὅτι ἂν τούτων διαθῶνται πρὸς ἀλλήλους, κύριον εἶναι, ἐὰν μὴ ἀπαγορεύῃ δημόσια πράγματα. – „Das Gesetz gestattet den rechtmäßigen Vereinigungen (hetaireíai), jedenfalls wenn sie die Gesetze anerkennen, untereinander Übereinkünfte zu schließen, wie sie wollen, wenn sie dadurch nicht dem öffentlichen Gesetz (dēmósios nómos) zuwiderhandeln. Dieses Gesetz scheint aus den von Solon erlassenen Gesetzen übernommen zu sein, in denen es heißt: „Wenn …“ (der Gesetzestext selbst ist mit dem in 60,32,3,1 identisch). 434  Ὀργιόναι sind schon in Hom. h. ad Apollinem 389 belegt. Vgl. Aischyl. fr. 144 Radt, Nauck2. 435  Dig. 47,22,4 (F 117a) und Schol. Basilic. 60,32,3,1 und 60,32,4,1 (F 117b) weisen die Lesung φράτορες auf; auch in IG I3 104 Z. 18 und 23 ist die Form φράτορες ergänzt, nach den codd. von Demosth. or. 43,57. Paulin Ismard (2010, 45; ebenso Radin 1910, 37) geht hingegen davon aus, dass in den frühesten Belegen die Verwendung φράτερες bevorzugt worden sei. „Ce n’est qu’à partir de la fin du ve siècle que le terme de phratores semble couramment usité.“ Er wertet dies als Hinweis auf eine spätere redaktionelle Bearbeitung des Gesetzes (ebd. 45 f.), das in seinem Grundbestand aber auf archaische Zeit zurückgeht (2010, 44–57). Er bietet auch eine Zusammenstellung früher Belege für die im Gesetz genannten Vereinigungen (vgl. auch Hadzopoulos 1975).

Historische Einordnung – Nachbarrecht (F 118–120)

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Historische Einordnung Solons Regelungen zum Nachbarrecht stehen mit denen zur Schadenshaftung in enger Beziehung.436 Aus den alexandrinischen Dikaiomata und aus Plutarchs Solonbiographie lassen sich Regelungen über einzuhaltende Abstände beim Bau von Mauern und bei Anpflanzungen von Bäumen sowie die Aufstellung von Bienenstöcken entnehmen, die auf die solonische Gesetzgebung zurückgehen. Wer keinen Zugang zu Wasser hatte, durfte eine festgesetzte Menge Wasser privaten Brunnen bei Nachbarn entnehmen. Die Tatsache, dass minutiöse Regelungen zum Grenzabstand von Pflanzungen und Baulichkeiten Bestandteil des athenischen Rechts wie des römischen Zwölftafelrechts waren, zeigt, wie stark das Leben im Dorf durch Nachbarschaftskonflikte ebenso geprägt wurde wie durch die Hilfe der Dorfgemeinschaft bei Feuer oder Raub.437 Ein ausführliches Nachbarrecht (unter der Bezeichnung νόμοι γεωργικοί) hat wiederum Platon in den Gesetzen entwickelt, das dem Vorbild des athenischen Rechts folgt.438 Abgehandelt hat er dabei Verbote, einen Grenzstein zu verrücken und ein fremdes Grundstück zu bebauen, abzuernten oder abzuweiden, sich fremde Bienenschwärme anzueignen und den Nachbarn durch Feldfeuer zu schädigen. Es folgen Regelungen zu Grenzabständen, zum Recht der Wasserentnahme, zu Regenwasserschäden und der Verunreinigung von Brunnen sowie das Wegerecht beim Einbringen der Ernte.439 Im Zusammenhang mit angemessenen Abständen zu den Besitzungen des Nachbarn weist Platon darauf hin, dass „viele Gesetzgeber“ entsprechende Bestimmungen vorgeschrieben hätten. Zur Regelung der vielen Kleinigkeiten seien indes viele Gesetzgeber befähigt.440 Es könnte dies ein indirekter Hinweis auf Regelungen zu Grenzabständen in den Gesetzen Solons, der unter den Gesetzgebern herausragt, sein. 436  Zur Nähe von Schadensklagen und Nachbarrecht Hans Julius Wolff, Die dike blabes in Demosthenes, or. LV, in: ders., Beiträge zur Rechtsgeschichte Altgriechenlands und des hellenistisch-römischen Ägypten, Weimar 1961, 91–101 (zuerst in: Journal of Philology 64, 1943, 316 ff.). 437  Ulrich Planck, Joachim Ziche, Land- und Agrarsoziologie. Eine Einführung in die Soziologie des ländlichen Siedlungsraumes und des Agrarbereiches, Stuttgart 1979, 117: „Ein Teil der Verhaltensregeln für nachbarliche Beziehungen ist in das Nachbarrecht eingegangen. Dieses regelt allerdings ausschließlich die konfliktträchtigen Seiten des Beieinanderwohnens wie die Einhaltung von Grenzabständen und die Beschränkung der Lärmbelästigung“. 438  Ein Gesetz über Schädigungen (blábē) hat Platon hingegen an anderer Stelle entworfen (leg. 11, 936c–e). 439  Plat. leg. 8, 842e–845e. Zu Platons Entwurf Klingenberg 1976, 56–61; Eberhard Ruschenbusch, Ein altgriechisches Gesetzbuch aus dem Kontext von Platons Gesetzen, München 2001, 7 f. Zum Wasserrecht in Platons Schriften Michele Faraguna, Water Rights in Archaic and Classical Greek Cities: Old and New Problems revisited, in: Symposion 2015. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Coimbra, 1.–4. september 2015), hrsg. von Delfim F. Leão, P. J. Rhodes, Wien 2016, 387–408, bes. 387–396. 440  Plat. leg. 8, 843e: πολλοί νομοθέται. Die Formulierung καὶ ἐὰν φυτεύων μὴ ἀπολείπῃ τὸ μέτρον τῶν τοῦ γείτονος χωρίων, … – „Und wenn er beim Pflanzen nicht den angemessenen Abstand zu den Besitzungen seines Nachbarn einhält, …“ kann allenfalls als indirekte Übernahme aus dem solonischen Gesetz gelten.

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Verfahren vor den Thesmotheten

Eberhard Ruschenbusch und Delfim F. Leão / P. J. Rhodes haben dem Nachbarrecht ein weiteres Fragment zugeordnet, nämlich die Erläuterung von proptórthia im Lexikon des Hesychios, der dabei auf die áxones Solons verweist.441 Πτόρθος ist im Griechischen im allgemeinen ein ‚Sproß‘, ein ‚junger Ast‘, so dass proptórthia als ‚überhängender Ast‘ verstanden und das Wort in den Kontext des Nachbarrechts gesetzt wurde. Jan-Mathieu Carbon und Saskia Peels setzen das Wort jedoch in einen kultischen Kontext.442 In attischen Opferkalendern sei mit dem Adjektiv πτόρθιον ein junges Opfertier bezeichnet worden, wahrscheinlich ein männliches Zicklein, bei dem die Hörner zu wachsen beginnen.443 Προπτόρθιον könnte im Gegensatz zu πτόρθιον ein Zicklein in einem Alter sein, bevor sich die Hörner ausgebildet haben oder bei dem sie gerade erst im Ansatz erscheinen. Literatur Lipsius 1905–15, 652–663; Dikaiomata. Auszüge aus alexandrinischen Gesetzen und Verordnungen in einem Papyrus des Philologischen Seminars der Universität Halle (Pap. Hal. 1), Berlin 1913; Josef Partsch, Die alexandrinischen Dikaiomata, in: APF 6, 1920, 34–76; Ugo-Enrico Paoli, La loi de Solon sur les distances, in: Revue historique de droit français et étranger 27, 1949, 505–542; Reinhard Koerner, Zu Recht und Verwaltung der griechischen Wasserversorgung nach den Inschriften, in: APF 22/23, 1974, 156–202; Eberhard Klingenberg, Platons νόμοι γεωργικοί und das positive griechische Recht, Berlin 1976; MacDowell 1978, 136 f.; Todd 1993, 247; Phillips 2013, 289 f.

Nachbarrecht (F 118–120) F 118 Grenzabstand und Überhang (F 118b: T 498a Martina; F 60a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 118c: T 498b Martina; F 60b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 118d: T 512 Martina; F 60c Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 118a: Papyrus Halensis 1, Z. 84–105 (Mitte 3. Jh. v. Chr.) (aus dem alexandrinischen politikós nómos; Dikaiomata 1913, 64 f.)

[ἐάν τι]ς ὀφρύγην [παρὰ] ἀλλότριον χω[ρίον οἰ]κοδομῆι, τὸν [ὅρον μὴ π]αρα‹β›αινέτω· ἐ[ὰν δ]ὲ τειχίον ἢ οἴκ[ημα] ἔξω τοῦ ἄστ[ε]ω[ς], ἐ[ὰ]μ μὲν τειχ[ίο]ν, πόδα [ἀπολειπέτω, ἐὰν δὲ οἴκημα], δύο πόδας· [ἐ]ὰν δὲ ἐντὸς τοῦ ἄστεως οἰκοδ[ομῆι …]θω […] τῶν ἀναλισκ[ο]μένων ἢ ἀπολειπέτω τὸ ἥμυσ[υ ὧν γέγραπ]ται [ἀπολείπειν τοὺς ἔξω τοῦ] ἄστεως οἰκοδομοῦντας. Ἐὰν δὲ τάφρον {ὀρύσ-

441  Hesychios π 3643 s. v. προπτόρθια (F 81c): προπτόρθια· ἐν τοῖς ἄξοσιν ἡ λέξις φέρεται. – „proptórthia. Dieses Wort findet sich in den áxones“. 442  Im Kommentar zu CGRN 21 von ca. 475–450 (http://cgrn.ulg.ac.be 2021). 443  Zu den Belegen s. o. bei F 81c.

Nachbarrecht (F 118–120)

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σηι} ἢ [βόθυνον ὀρ]ύσσηι, [ὅσον ἂν τὸ βάθος ἦι, τοσοῦτον ἀπ]ολείπειν, ἐὰν δὲ φρέαρ, ὀργυάν, ἐλάαν δὲ καὶ [συκῆν φυτεύοντ]α ἐ[ννέα πόδας φυτεύειν ἀπὸ τοῦ ἀλλ]οτρίου, τ[ὰ δ᾿] ἄλλα δένδρη πέντε [πό]δας. Ἐὰ[ν δὲ παρὰ ταῦτα] φυτ[εύσηι, ἐξορυσσέτω πέντε ἡμερ]ῶν, ἀφ᾽ ἧ[ς] ἂν π[ρο]είπηι ὁ ἀδικούμενος, ἐ[ὰν] δὲ ὀρύ[ξη]ι, ἀνομοιού[τω]· ὁ δὲ μ[ὴ ποιῶν κατὰ τὰ γεγραμ]μένα ὑπόδικο[ς ἔσ]τω τοῦ βλάβους, ἐξέστω δὲ [τ]ῶι ἀδικουμέν[ω]ι κ[αθαιρεῖν τὰ ὠικοδομημέ]να [[η]] καὶ πεφυτ[ευ]μένα καὶ ἀνομοιοῦν τὰ ἐωρ[υγμέ]να ἀζημίωι [ὄ]ντι. App. crit.: zu den Ergänzungen im Text siehe Dikaiomata 64–76.

„Wenn jemand eine Erdaufschüttung an einem fremden Grundstück entlang baut, soll er die Grenze nicht überschreiten. Baut er eine Mauer oder ein Gebäude außerhalb der Stadt, so soll er, wenn es eine Mauer ist, einen Fuß, wenn ein Gebäude, zwei Fuß Abstand halten. Wenn er innerhalb der Stadt baut, soll er entweder von den Baukosten … oder aber die Hälfte desjenigen Abstandes halten, der für die außerhalb der Stadt Bauenden vorgeschrieben ist. Wenn er aber einen Graben oder eine Grube gräbt, soll er soviel Abstand halten, wie die Tiefe beträgt, wenn aber einen Brunnen, einen Klafter [6 Fuß]; einen Ölbaum oder einen Feigenbaum soll man [mit] neun Fuß [Abstand] vom fremden Grundstück pflanzen, die anderen Bäume [mit] fünf Fuß [Abstand]. Wenn jemand entgegen diesen [Vorschriften] Pflanzungen angelegt hat, soll er sie beseitigen innerhalb fünf Tage von dem Tage an gerechnet, an dem der Geschädigte das Verlangen gestellt hat, und wenn er gegraben hat, soll er es wieder einebnen. Wer aber nicht nach den Vorschriften handelt, soll für den Schaden (blábos) haftbar sein, und es soll dem Geschädigten freistehen, straflos die Bauten und die Pflanzungen zu entfernen und das Aufgegrabene einzuebnen“.444

F 118b: Gaius, Liber quartus ad legem XII tabularum (Digesta 10,1,13) (2. Jh. n. Chr.)

Gaius libro quarto ad legem XII tabularum. sciendum est in actione finium regundorum illud observandum esse, quod ad exemplum quodammodo eius legis scriptum est, quam Athenis Solonem dicitur tulisse. nam illic ita est: ἐάν τις αἱμασίαν παρ᾽ ἀλλοτρίω χωρίω ὀρύγη τὸν ὅρον μὴ παραβαίνειν· ἐὰν τειχίον πόδα ἀπολείπειν, ἐᾱ δὲ ὀίκημα δύο πόδας, ἐὰν δὲ τάφον ἢ βόθρον ὀρύττη, ὅσον τὸ βάθος ἢ, τοσοῦτον ἀπολίπειν· ἐὰν δὲ φρέαρ, ὀργυϊάν· ἐλέαν δὲ καὶ συκῆν ἐννέα πόδας ἀπὸ τοῦ ἀλλοτρίου φυτεύειν, τὰ δὲ ἄλλα δένδρη πέντε πόδας. Vgl. die Überlieferung des Gesetzes in den Basiliken (58,9,13): Ἐὰν αἱμασίαν τις παρὰ χωρίῳ ἀλλοτρίῳ ὀρύγῃ, τὸν ὅρον μὴ παραβαινέτω· ἐὰν τειχίον, ἀπολιμπανέτω πόδα· ἐὰν οἴκημα, δύο· ἐὰν τάφον ἢ βόθρον ὀρύγῃ, ὅσον τὸ βάθος ᾖ, τοσοῦτον ἀπολειπέτω· ἐὰν φρέαρ, ὀργυιάν. Ἐλαῖαν καὶ συκῆν ἐννέα πόδας ἀπὸ τοῦ ἀλλοτρίου φυτευέτω, τὰ δὲ ἄλλα δένδρα πέντε πόδας.

Der in den Digesta enthaltene Text weist für das spätantike Griechisch typische Veränderungen auf. In einer detaillierten Analyse hat Ugo-Enrico Paoli den ursprünglichen

444  Übersetzung nach Dikaiomata 65.

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Verfahren vor den Thesmotheten

solonischen Gesetzestext unter Heranziehung des Papyrus Halensis zu rekonstruieren versucht. Moderne Herausgeber folgen in der Regel dieser Rekonstruktion: ἐάν τις αἱμασιὰν παρ᾽ ἀλλότριον χωρίον οἰκοδομῇ ἢ ὀφρύην, τὸν ὅρον μὴ παραβαινέτω· ἐὰν τειχίον ‹ἢ οἴκημα ἐν ἀγρῷ, ἐὰν μὲν τειχίον,› πόδα ἀπολειπέτω, ἐὰν δὲ οἴκημα, δύο πόδας, ‹ἐὰν δὲ ἐν ἄστει οἰκοδομῇ, ἢ χρήσθω τοῖς οὖσιν ἀποδοὺς τὸ ἥμισυ τῶν ἀναλισκομένων, ἢ ἀπολειπέτω τὸ ἥμισυ ὧν γέγραπται.› ἐὰν δὲ τάφρον ἢ βόθυνον ὀρύσσῃ, ὅσον ἂν τὸ βάθος ᾖ, τοσοῦτον ἀπολείπειν· ἐὰν δὲ φρέαρ, ὀργυάν· ἐλάαν δὲ καὶ συκῆν ‹φυτεύοντα› ἐννέα πόδας ἀπὸ τοῦ ἀλλοτρίου {φυτεύειν}, τὰ δὲ ἄλλα δένδρη πέντε πόδας. App. crit.: οἰκοδομῇ Dikaiomata, ‹οἰκοδομῇ ἢ› ὀφρύγην Paoli secutus P.Hal. 1 Z. 86, ὀρύττη libri, ὀρύγη FG; ἀπολιπειν FG; τάφρον Leunclaius (nach Plut. Sol. 23,7 und P.Hal. 1 Z. 97), τάφον FG; βόθυνον P.Hal. (in lac.), βόθρον FG; ‹ἂν› Mommsen; ὀργυάν ἐλάαν … δένδρη P.Hal., ὀργυιάν ἐλαίαν … δένδρα FG. [FG = Überlieferung des Florentinus und des jüngeren Gromatikercorpus p. 278,25 ff. Lachmann]. Zur Diskussion um die Herstellung des Textes siehe insbesondere Dikaiomata 64–76.

Gaius im vierten Buch [seines Kommentars] zum Zwölftafelrecht. Bei der actio finium re­ gundorum (Klage auf Grenzregulierung) muss man wissen, dass darauf zu achten ist, was [im Zwölftafelrecht] gewissermaßen nach dem Vorbild jenes Gesetzes geschrieben steht, das angeblich Solon den Athenern gegeben haben soll. Denn dort heißt es: „Wenn einer eine Feldsteinmauer an einem fremden Grundstück entlang ‹errichtet oder eine Erdaufschüttung›, soll er die Grenze nicht überschreiten; wenn ein Mäuerchen ‹oder ein Gebäude auf dem Land, dann soll er bei einem Mäuerchen› einen Fuß wegbleiben, wenn aber ein Gebäude, dann zwei Fuß; ‹wenn er [solches] aber in der Stadt (ásty) baut, soll er entweder die Besitztümer nutzen, indem er die Hälfte der Kosten entrichtet, oder die Hälfte dessen, was festgeschrieben ist›. Wenn er aber einen Graben oder eine Grube aushebt, dann soll er soviel Abstand halten, wie die Tiefe beträgt; wenn aber einen Brunnen, dann einen Klafter [6 Fuß]. Einen Öl- oder Feigenbaum soll man [mit] neun Fuß [Abstand] vom fremden Grundstück pflanzen; die anderen Bäume aber [mit] fünf Fuß [Abstand]“.

F 118c: Plutarch, Solon 23,7–8 (um 100 n. Chr.) (7) ὥρισε δὲ καὶ φυτειῶν μέτρα μάλ’ ἐμπείρως, τοὺς μὲν ἄλλο τι φυτεύοντας ἐν ἀγρῷ πέντε πόδας ἀπέχειν τοῦ γείτονος κελεύσας, τοὺς δὲ συκῆν ἢ ἐλαίαν ἐννέα· πορρωτέρω γὰρ ἐξικνεῖται ταῦτα ταῖς ῥίζαις καὶ οὐ πᾶσι γειτνιᾷ τοῖς φυτοῖς ἀσινῶς, ἀλλὰ καὶ τροφὴν παραιρεῖται καὶ βλάπτουσαν ἐνίοις ἀπορροὴν ἀφίησι. (8) βόθρους δὲ καὶ τάφρους τὸν βουλόμενον ἐκέλευσεν ὀρύσσειν, ὅσον ἐμβάλλει βάθος ἀφιστάμενον μῆκος τἀλλοτρίου, … (F 120). App. crit.: μάλ’: μᾶλλον U; ἐκέλευσεν Y, ἐκέλευεν S.

(7) Die Abstände der Pflanzungen bestimmte er [Solon] sehr sachverständig, und zwar ordnete er an, dass diejenigen, die etwas anderes auf ihrem Feld anpflanzen vom Nachbarn fünf Fuß, die, die einen Feigen- oder Ölbaum [anpflanzen], neun Fuß Abstand halten sollen. Denn diese greifen mit ihren Wurzeln weiter aus und sind nicht für alle Pflanzen unschädliche Nachbarn, sondern entziehen ihnen die Nahrung und verbreiten eine für manche schädliche (bláptousa) Ausdünstung. (8) Gruben und Gräben auszuheben erlaubte er nach Belieben, und zwar so tief, wie der Abstand vom fremden [Grundstück] betrug, … (F 120).

Nachbarrecht (F 118–120)

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F 118d: Antiattikistes s. v. βόθυνον (Anecdota graeca I p. 85,1 Bekker) (2. Jh. n. Chr.)

βόθυνον οὔ φασι δεῖν λέγειν. ἀλλὰ Σόλων ἔφη ἐν τοῖς νόμοις. … [Die Attizisten sagen,] das Wort bóthynos (Grube) solle man nicht gebrauchen. Solon aber verwendet es in den Gesetzen (nómoi). …

Der Vergleich des römischen Zwölftafelrechts mit den Gesetzen Solons geht auf den römischen Juristen Gaius zurück.445 Da keine völlige Übereinstimmung besteht, äußert sich Gaius in seinem Kommentar entsprechend vorsichtig zu einer direkten Abhängigkeit.446 Denn die römischen Bestimmungen entsprechen nur „gewissermaßen“ (quodammodo) dem griechischen Vorbild, und dieses soll in Athen Solon gegeben haben (dicitur tulisse). Unterschiede zum Zwölftafelrecht sind Gaius aufgefallen, denn bei Gebäuden war in Athen ein Grenzabstand von zwei Fuß vorgeschrieben, in Rom mussten zwischen Hauswand und Grundstücksgrenze zweieinhalb Fuß freibleiben.447 Gaius zitiert das Gesetz Solons weitgehend wortwörtlich, doch Ugo-Enrico Paoli hat auf Veränderungen des spätantiken Griechisch und der im Byzantinischen üblichen Betonungen hingewiesen, die – will man den ursprünglichen Text rekonstruieren – wieder in attisches Griechisch zurückverwandelt werden müssten.448 Umstritten ist insbesondere die Wiederherstellung der korrupt überlieferten ersten Bestimmung.449 Die Handschriften bieten ἐάν τις αἱμασίαν παρ᾽ ἀλλοτρίω χωρίω ὀρύγη. Antonio Martina, Rudolf Düll und Dieter Flach folgen in ihren Editionen des Zwölftafelrechts der zurückhaltenden Konjektur ὀρύττῃ für ὀρύγῃ und übersetzen „errichtet jemand … 445  Philipp Scheibelreiter, Ein ‚großer Wurf ‘? Gaius trifft Demosthenes. Überlegungen zu D. 50,16,233,2 (Gai. I leg. 12 tab.), in: ZRG Rom. Abt. 136, 2019, 1–46. 446  Siehe dazu Franz Wieacker, Solon und die XII Tafeln, in: Studi in onore di Edoardo Volterra, Bd. 3, Mailand 1971, 757–784; Eberhard Ruschenbusch war davon ausgegangen, dass das Zitat des Gaius auf einen Vergleich der solonischen Gesetze in der Ausgabe des Asklepiades von Myrlea und des Zwölftafelgesetzes in der Ausgabe des Servius Sulpicius Rufus zurückgeht (Die Zwölftafeln und die römische Gesandtschaft nach Athen, in: Historia 12, 1963, 250–252; ders. 2010, 129). 447  Lex XII tab. 7,2. Dieter Flach, Die Gesetze der frühen römischen Republik. Text und Kommentar, Darmstadt 1994, 159 f.; zur römischen actio finium regundorum und dem Verweis auf Solons Gesetz im Kommentar des Gaius Scheibelreiter 2019 (wie Anm. 445), 29 f. 448  In der Version der Littera Florentina ist das Iota subscriptum entfallen und ἐᾱ statt ἐὰν gesetzt; außerdem sind itazistische Formen verwendet (ἀπολίπειν für ἀπολείπειν). Veränderungen in den Betonungen gibt es bei αἱμασία und ἐλέαν (Paoli 1949, 503 f.). Dies könnte auch für τάφον (‚Grab‘) statt des ursprünglichen τάφρον (‚Graben‘) gelten. Zur Überlieferung von Dig. 10,1,13 siehe Wolfgang Kaiser, Spätantike Rechtstexte in agrimensorischen Sammlungen, in: ZRG Rom. Abt. 130, 2013, 273–347, hier 340–342: danach ist davon auszugehen, dass der Digestentext bei seiner Publikation den Wortlaut ἐὰν δὲ τάφον ἢ βόθρον ὀρύττῃ aufwies, die richtige Lesart für das solonische Gesetz hingegen τάφρον (‚Graben‘) sei. 449  Nach Mario Manfredini, Luigi Piccirilli, Plutarco. La vita di Solone, Mailand 51998, 248 f. lag Gaius nicht der originale Text vor, sondern nur eine Abweichungen aufweisende Abschrift; siehe dazu jetzt grundlegend Scheibelreiter 2019 (wie Anm. 445).

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Verfahren vor den Thesmotheten

einen Zaun“ bzw. „zieht jemand … einen Zaun“.450 Da (Holz-)Zäune im antiken wie modernen Griechenland selten sind, ist bei dem Wort αἱμασιά sicherlich an eine lose geschichtete Feldsteinmauer zu denken, durch die gleichzeitig die zu pflügenden Felder von Steinen gesäubert und die Pflanzen vor Austrocknung durch den Wind geschützt wurden. Solche Feldsteinmauern durften direkt an der Grenze entlang errichtet werden, wohingegen bei einem mit Mörtel verbundenen Mäuerchen (τειχίον) ein Abstand von einem Fuß einzuhalten war.451 ὀρύττειν meint indes ‚graben‘, ‚aufgraben‘, und so haben die Herausgeber des Halenser Papyrus die gut begründete Ansicht vertreten, dass das in Solons Gesetz ursprünglich enthaltene οἰκοδομῇ durch eine Glosse zu αἱμασιά verdrängt worden sei,452 so dass der ursprüngliche Gesetzestext lautete: ἐάν τις αἱμασιὰν παρ᾽ ἀλλοτρίῳ χωρίῳ οἰκοδομῇ.453 Es ist wohl an eine dahinter stehende Realität zu denken, wie sie Homer in der Odyssee beschreibt: Als Odysseus, als Bettler verkleidet, in sein Haus zurückkehrt, verhöhnt ihn Eurymachos mit dem Angebot, dass er sich als Knecht verdingen solle (θητεύειν), um auf abgelegenem Feld gegen Lohn Feldsteine (αἱμασιαί) aufzulesen und große Bäume zu pflanzen.454 Im alexandrinischen Stadtgesetz entfiel αἱμασιά und wurde durch ὀφρύγη ersetzt, da im steinarmen

450  Rudolf Düll, Das Zwölftafelgesetz. Texte, Übersetzungen und Erläuterungen, München – Zürich 6 1989, 42 f. 451  Für die Deutung von αἱμασιά als ‚Feldsteinmauer‘ und τειχίον als einer mit Mörtel verbundenen Mauer siehe Dikaiomata 67, 69; Paoli 1949, 507–511 (αἱμασιά als „un mur sec“); Schmitz 2004, 161; Phillips 2013, 290. 452  Dikaiomata 67 f. und Paoli 1949, 510 f. mit Verweis auf Demosth. or. 55,11, wonach der Grundstücksbesitzer sein Land mit einer umlaufenden Mauer geschützt hat (τὴν αἱμασιὰν περιῳκοδόμησε). Ähnlich Men. Dysk. 376: αἱμασιὰν ἐποικοδομήσω. In der Hesychglosse ist ὀφρύγη u. a. mit αἱμασιά erklärt. 453  Dikaiomata 64–76 mit Text, Übersetzung und Kommentar, sowie Partsch 1920, 34–76. Auch die Herausgeber des Halenser Papyrus (ebd. 67 f.) sehen das Verb dem Sinne nach als unpassend an, da eine Feldsteinmauer nicht gegraben, sondern gebaut werde. Das auf dem Papyrus aus der Mitte des 3. Jh. v. Chr. erhaltene Gesetz (P.Hal. 1 Z. 84–99) gehe unzweifelhaft auf das solonische Gesetz zurück und biete einen „greifbaren und durch nichts abzuschwächenden Beweis für die unmittelbare Herübernahme attischer Gesetze in das alexandrinische Recht“ (Dikaiomata 66). In § 1 seien einige beabsichtigte Änderungen gegenüber dem bei Gaius überlieferten Originaltext vorgenommen worden, um ihn an die ägyptischen Verhältnisse anzupassen, so z. B. die Unterscheidung von Einrichtungen innerhalb und außerhalb der Stadt (Dikaiomata 69). Da παρά in der Bedeutung „an … entlang“ mit dem Akkusativ verbunden ist, übernimmt Paoli für das rekonstruierte solonische Gesetz die Version des Halenser Papyrus: παρὰ ἀλλότριον χωρίον (1949, 507). Ruschenbusch 2010, 127 übersetzt: „Wenn jemand an einem fremden Grundstück eine Einfriedung aus Dornsträuchern oder Steinen baut, …“; Leão und Rhodes 2015, 103: „If someone builds a wall or a landfill bordering the land of another, …“. 454  Hom. Od. 18,357–359: ἀγροῦ ἐπ᾿ ἐσχατιῆς … αἱμασιάς τε λέγων καὶ δένδρεα μακρὰ φυτεύων. Als Odysseus zu dem Landgut seines Vaters kam, suchte er dort vergeblich den Knecht Dolios und dessen Söhne in dem großen Obstgarten, denn sie waren hinausgegangen, „um Feldsteine zu sammeln, als Umfriedung für die Pflanzung“ (Od. 24,224: αἱμασιὰς λέξοντες ἀλωῆς ἔμμεναι ἕρκος). Als aufgeschichtete Feldsteinmauer ist αἱμασιά wohl auch in Hdt. 2,69,3 (und Theokr. 7,22) zu verstehen. Vgl. Hdt. 1,180,2; 1,191,5; 2,138,3; Theokr. 1,47. αἱμασιά kann auch eine terrassierte Fläche an Hängen abstützen; so in Thuk. 4,43,3 und im ‚Liegenschaftsregister‘ von Tenos (IG XII 5,872 Z. 32; auch in Z. 66 ist αἱμασιά keine Feldsteinmauer, sondern wohl eine Ackerterrasse). Vgl. Michael H. Jameson, Agriculture and Slavery in Classical Athens, in: CJ 73, 1977/78, 122–145, hier 128.

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Ägypten die Felder nicht mit Feldsteinmauern, sondern mit Erdaufschüttungen abgegrenzt wurden.455 Ugo-Enrico Paoli ist der Meinung, dass im ursprünglichen Text beides genannt war, die Trockenmauer und der aufgeschüttete Erdwall: ἐάν τις αἱμασιὰν παρ᾽ ἀλλότριον χωρίον οἰκοδομῇ ἢ ὀφρύην; mit dem Wegfall von οἰκοδομῇ ἢ sei ὀφρύην in ὀρύγη verändert worden. Sehr weitreichend ist allerdings Paolis Ergänzung des ursprünglichen Textes mit der Unterscheidung von Baulichkeiten auf dem Land und in der Stadt. Nach Paolis Meinung sei diese Unterscheidung im Text der Digesta entfallen, da es in diesem Kapitel allein um Grenzabstände im ländlichen Bereich gehe.456 Die Verwendung von ἐν ἀγρῷ im Text Plutarchs ist für die Rekonstruktion einer umfangreichen Textauslassung aber kaum eine hinreichende Grundlage, da Plutarch sich seinerseits nur auf den Abstand von Pflanzungen bezieht. Oἴκημα ist nicht nur ein Haus im Sinne eines Wohnhauses, sondern eine Baulichkeit im weiteren Sinne, umfasst also auch Ställe und Schuppen für landwirtschaftliche Geräte. Die Emendation τάφρον (‚Graben‘) statt τάφον (‚Grab‘) gilt aufgrund der Parallelüberlieferung bei Plutarch als sicher, ebenso die Emendation βόθυνον statt βόθρον (‚Grube‘) aufgrund des Zeugnisses im antiattizistischen Lexikon.457 βόθυνος ist bei Xenophon im Sinne von ‚Löcher für Setzlinge‘ belegt.458 Bei ὀργυάν und ἐλάαν hat der Papyrus die attische Form bewahrt, gegenüber der veränderten Form ὀργυιάν und ἐλαίαν bei Gaius.459 Für den größeren Abstand beim Setzen von Öl- und Feigenbäumen bietet Plutarch eine nachvollziehbare Erklärung, wenn er darauf hinweist, dass die weit ausgreifenden Wurzeln dem Boden des Nachbarn Wasser und Nährstoffe entziehen, ein Problem, das in ähnlicher Weise bei der Anlage eines Brunnens bestand. Solons Regelungen erweisen sich dadurch, wie Plutarch es bereits aufgefasst hat, als kenntnisreich. Plutarchs Text ist, wie der kommentierende Duktus, die Umstellung bei den Aufzählungen (συκῆν ἢ ἐλαίαν; βόθρους δὲ καὶ τάφρους), die Verwendung des Plurals und des Gebrauchs von γείτων (‚Nachbar‘) statt der neutraleren Wendung „fremdes Grundstück“ zeigen, als eher indirekte Überlieferung zu werten.460 Das Wort ‚Nachbar‘ ist für die solonischen Gesetze nicht nachweisbar, vermutlich deswegen, weil im

455  Dikaiomata 68. 456  Dig. 10,1,2: haec actio pertinet ad praedia rustica, quamvis aedificia interveniant. Paoli 1949, 513. 457  Paoli 1949, 513 f. 458  Xen. oik. 19,3. Siehe auch Kratinos F 219 PCG und Harpokr. β 15 s. v. βόθυνος· τόπος τις ἰδίως οὕτω καλούμενος ἐν τῇ ἱερᾷ ὁδῷ. Ἰσαῖος ἐν τῷ Πρὸς Ἕρμωνα περὶ ἐγγύης μνημονεύει τοῦ τόπου καὶ Καλλισθένης (FgrH 124 F 45). 459  Dikaiomata 68 f. 460  Auch nennt Plutarch zuerst die „anderen Pflanzen“, dann Feigen- und Ölbäume. Bei „Graben und Grube“ (Gaius: τάφρον ἢ βόθρον) ist ein Singular eher angebracht als ein Plural (Plutarch: βόθρους δὲ καὶ τάφρους), denn auch alle anderen Formen von Abgrenzungen sind im Singular genannt (so auch im antiattizistischen Lexikon (F 118d). Zu Plutarchs Quellen siehe die Überlegungen von Ruschenbusch 1966 (21983), 46 f.

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frühen 6. Jh. mit dem Wort γείτων nicht der unmittelbare Hausnachbar, sondern alle Mitbauern in der Dorfgemeinschaft bezeichnet wurden.461 Die Herausgeber des Halenser Papyrus gehen davon aus, dass auch die anschließenden Regelungen hinsichtlich einer Übertretung des Gesetzes (Z. 99–102) auf das solonische Gesetz zurückgehen. Einen stichhaltigen Beweis dafür aber gibt es nicht.462 Da eine Vereinheitlichung der Maße und Gewichte auf Solon zurückgehen könnte, kann als wahrscheinlich gelten, dass die im Gesetz genannten Streckenmaße denen des 4. Jh. entsprechen. In dieser Zeit umfasste das stádion mit 600 Fuß knapp 185 m, was einer Fußlänge von 31 cm und einem Klafter (ὀργυά; sechs Fuß) von 1,85 m entspricht. F 119–120 nómoi geōrgikoí (Brunnenbau, Bienenstöcke) (F 119–120: T 497, 498a Martina; F 62–63 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 119: Plutarch, Solon 23,6 (um 100 n. Chr.) νόμον ἔγραψεν, ὅπου μέν ἐστι δημόσιον φρέαρ ἐντὸς ἱππικοῦ, χρῆσθαι τούτῳ· (τὸ δ’ ἱππικὸν διάστημα τεσσάρων ἦν σταδίων·) ὅπου δὲ πλεῖον ἀπέχει, ζητεῖν ὕδωρ ἴδιον· ἐὰν δ’ ὀρύξαντες ὀργυιῶν δέκα βάθος παρ’ ἑαυτοῖς μὴ εὕρωσι, τότε λαμβάνειν παρὰ τοῦ γείτονος, ἑξάχουν ὑδρίαν δὶς ἑκάστης ἡμέρας πληροῦντας· App. crit.: ἀπεῖχε Y.

Er [Solon] gab das Gesetz (nómos), wo sich ein öffentlicher Brunnen innerhalb [einer Entfernung] eines hippikón befindet, soll man diesen gebrauchen (ein hippikón [Pferdelaufbahn] war eine Strecke von vier Stadien [ca. 740 m]), wo er weiter weg ist, soll man eigenes Wasser suchen. Wenn sie aber zehn Klafter [ca. 18 m] tief gegraben haben und es bei sich nicht finden, dann sollen sie es beim Nachbarn (geítōn) holen und sich zweimal am Tag einen Krug (hýdria) mit sechs Maß (chóes) füllen [= zweimal 19,5 l].

F 120: Plutarch, Solon 23,8 (um 100 n. Chr.) … καὶ μελισσῶν σμήνη καθιστάμενον, ἀπέχειν τῶν ὑφ’ ἑτέρου πρότερον ἱδρυμένων πόδας τριακοσίους.

461  Dazu Schmitz 2004, 52–60. Pollux’ Onomastikon (6,156) enthält den Eintrag τὸ δ’ ὁμοερκὴς σκληρόν, εἰ καὶ παρὰ Σόλωνι – „das Wort homoherkḗs sollte man nicht benutzen, auch wenn es sich bei Solon findet“, doch da es unmittelbar auf eine Erklärung des attischen Wortes ὁμογάλακτες folgt, ist ὁμοερκής nicht im Sinne von ‚die gleichen Mauern habend‘, ‚angrenzend‘, sondern von ‚in den gleichen Mauern lebend‘ zu verstehen (LSJ gibt für das Adjektiv die Bedeutung „within the same house“). Darauf weist auch die Erklärung von Phot. Lex. ο 296 s. v. ὁμοερκής· ὁμό{σ}τοιχος· ἐκ τοῦ αὐτοῦ γένους. – „homoherkḗs (‚die gleiche Mauer (hérkos) habend‘): die gleiche Mauer (toíchos) habend; aus derselben Familie“ (T 522 Martina). 462  Dikaiomata 71: „§ 2 (Z. 99 ff.) regelt das Verfahren bei Übertretungen der in § 1 gegebenen Vorschriften und hängt mit diesen als sanctio so eng und untrennbar zusammen, daß wir auch für diesen Absatz Entlehnung aus dem solonischen Gesetze anzunehmen berechtigt sind“ und ebd. 72: „Beachtenswert ist der wohl sicher aus Solon entnommene Gebrauch von ἀνομοιοῦν im Sinne von ‚wieder einebnen‘“. Dazu Partsch 1920, 45–51; Klingenberg 1976, 56–61, hier 57 f. (mit weiterer Literatur).

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Und wer einen Bienenstock aufstellt, soll von den von einem anderen vorher aufgestellten [Stöcken] dreihundert Fuß [ca. 90 m] Abstand halten.

Sauberes Trinkwasser von Quellen oder aus Brunnen gehört zu den unverzichtbaren Grundlagen des Lebens. Auch für die Sicherung einer guten Ernte war die Wasserversorgung unabdingbare Voraussetzung.463 Weil es anscheinend häufiger zu Konflikten kam, bedurfte es auch für diesen Bereich verbindlicher Regelungen. So finden sich in vielen Gesellschaften dementsprechende Bestimmungen zur Reinhaltung des fließenden Wassers, das häufig unter göttlichen Schutz gestellt war, zu Möglichkeiten, Wasser aus einem Wasserlauf über fremde Grundstücke auf das eigene Land zu leiten, aus privaten Brunnen anderer zu schöpfen oder freien Zugang zu öffentlichen Wasseranlagen zu erhalten.464 Ein solonisches Gesetz über die Benutzung privater Brunnen ist allein bei Plutarch überliefert,465 wobei auch bei diesem Gesetz der Sprachgebrauch Plutarchs unpräzise ist.466 Es verwundert auch, dass zwar die Wassermenge genau angegeben ist, nicht aber die exakte Definition der zur Hilfe Verpflichteten. Waren „Nachbarn“ (γείτονες) nur die direkt an das Haus Angrenzenden? In Anbetracht der Tatsache, dass Plutarch auch bei den Bestimmungen zum Grenzabstand die Terminologie seiner Zeit angepasst und παρ᾽ ἀλλοτρίῳ χωρίῳ durch ἀπέχειν τοῦ γείτονος ersetzt hat, bestehen Zweifel, ob das von Plutarch gebrauchte γείτων im ursprünglichen Gesetzestext gestanden hat. Die Auflage, selbst nach Wasser zu graben und erst dann das Recht zu haben, Wasser aus anderen privaten Brunnen zu schöpfen, wenn keine öffentlichen Brunnen in

463  Zur Unberechenbarkeit der monatlichen und jährlichen Niederschläge und den daraus erwachsenden Auswirkungen für die Landwirtschaft Robin Osborne, Classical Landscape with Figures. The Ancient Greek City and its Countryside, London – Dobbs Ferry 1987, 31–34. Zu verschiedenen Möglichkeiten der Wasserversorgung auf den Höfen und Feldern Victor Davis Hansen, The Other Greeks. The Family Farm and the Agrarian Roots of Western Civilization, New York etc. 1995, 60–63 (mit entsprechenden Quellenbelegen). 464  Hes. erg. 737–741; 757–759; Hdt. 1,138,2; Plut. de Stoicorum repugnantiis 22 (mor. 1045a). Robert Parker, Miasma. Pollution and Purification in Early Greek Religion, Oxford 1983, 293; Koerner 1974, 156–202; Franz Glaser, Antike Brunnenbauten (κρῆναι) in Griechenland (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Phil.-Hist. Kl. Denkschrift 161), Wien 1983, hier 165–180; Herbert Graßl, Die Arbeitswelt in der antiken Volksliteratur, in: Eckart Olshausen (Hrsg.), Mensch und Arbeit, Stuttgart 1990, 69–89, hier 84 f.; vgl. John McKesson Camp II, Drought and Famine in the Fourth Century BC, in: Hesperia Suppl. 20, 1982, 9–17; Lucile F. Newman et al., Agricultural Intensification, Urbanization, and Hierarchy, in: dies. (Hrsg.), Hunger in History. Food Shortage, Poverty, and Deprivation, Oxford 1990, 101–125, hier 110; Schmitz 2004, 163. 465  Siehe dazu Klingenberg 1976, 81–84. Auch nach mittelalterlichem Recht war Wasser ein allgemeines Gut, so dass private Brunnen den Nachbarn zugänglich sein mussten (Günter Heine, Umweltbezogenes Recht im Mittelalter, in: Bernd Herrmann [Hrsg.], Umwelt in der Geschichte, Göttingen 1989, 111–128, hier 114). 466  So der Wechsel von Singular und Plural. Nach Eberhard Ruschenbusch (2010, 129) gehen die durch Plutarch überlieferten Fragmente auf eine authentische Überlieferung, vermittelt durch den Axoneskommentar des Didymos, zurück.

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zumutbarer Entfernung vorhanden waren, zeugt von einer Einstellung, die auch bei Hesiod zu beobachten ist. Zunächst hatte jeder Grundbesitzer für seine Bedürfnisse selbst zu sorgen; erst wenn dieser eigene Einsatz fruchtlos war, konnte die Hilfe der Nachbarschaft in Anspruch genommen werden. Außerdem hatten bereits in relativ früher Zeit Institutionen der Polis (oder auch Tyrannen) mit der Einrichtung und dem Unterhalt öffentlicher Brunnen eine ausreichende Wasserversorgung zu sichern versucht. Auch die Brunnen und Quellen, die in einem Heiligtum lagen, waren wahrscheinlich frei zugänglich. Für die Quelle Halykos im Heiligtum der Nymphen, das wahrscheinlich zum attischen Demos Lamptrai gehörte, war durch Publikation auf einer Inschrift öffentlich bekannt gemacht worden, dass derjenige, der dieses Wasser nutzen wollte, eine jährliche Abgabe zu zahlen hatte. Dies waren vermutlich Personen aus der unmittelbaren Umgebung. Wer Wasser aus dem Heiligtum herausbrachte, musste pro Amphore einen Obolos bezahlen.467 Das solonische Gesetz über die Wassernutzung war wahrscheinlich Ausgangspunkt für den entsprechenden Entwurf Platons in den Gesetzen. Es sind insgesamt vier Einzelbestimmungen, die nach Meinung Platons als „alte und bewährte Gesetze“ nicht verdienten, in Vergessenheit zu geraten. Dem bei Plutarch zitierten Gesetz Solons kommt die zweite Bestimmung Platons am nächsten, in der er den Grundstücksbesitzer in wasserarmen Gegenden verpflichtet, selbst nach Wasser zu graben, und zwar bis auf die Tonschicht hinab. Stößt er dabei nicht auf Wasser, kann er es von den Nachbarn holen (παρὰ τῶν γειτόνων ὑδρευέσθω), so viel, wie für sein Haus notwendig ist. Wenn aber auch bei den Nachbarn das Wasser knapp ist, solle man bei den agronómoi eine Anweisung für die Wasserversorgung einholen und sich dementsprechend jeden Tag bei den Nachbarn Wasser holen.468 Die drei anderen Gesetze regeln das Recht, Wasser aus öffentlichen Bächen über die Grundstücke anderer auf das eigene Grundstück zu leiten, die Wiedergutmachung von Schäden durch abfließendes Wasser bei starken Regenfällen und Verbote, Wasser zu entziehen oder zu vergiften.469

467  IG I3 256 (440/30); LSCG 178. Festgelegt sind in dem Statut Strafen für den, der dabei Gewalt übt oder Wasser aus dem Heiligtum stiehlt. Koerner 1974, 173 f.; Klingenberg 1976, 80; David Whitehead, The Demes of Attica 508/7 – ca. 250 B. C. A Political and Social Study, Princeton 1986, 383; David Cohen, Theft in Athenian Law, München 1983, 99; 112 Anm. 46. 468  Plat. leg. 8, 844b. Dazu Pärtel Haliste, Das Servitut der Wasserleitung in Platons Gesetzen, in: Eranos 48, 1950, 142–149; Klingenberg 1976, 77–81. 469  Plat. leg. 8, 844a und c sowie 845d–e. Über das Wasser gebe es „alte und schöne Gesetze“ (844a: παλαιοὶ καὶ καλοὶ νόμοι). Dazu Haliste 1950 (wie Anm. 468); Partsch 1920, 52; Klingenberg 1976, 62–117. In einer kretischen Inschrift des 5. Jahrhunderts ist geregelt, unter welchen Bedingungen Wasser vom Grundstück des Nachbarn geschöpft und auf das eigene Grundstück hinübergeleitet werden darf oder nach einer abweichenden Deutung, welche Schadensersatzpflicht besteht, wenn ein Grundstückseigentümer Regenwasser auf ein Nachbargrundstück ableitet (ICret IV 73 A). Siehe Haliste 1950 (wie Anm. 468); Koerner 1974, 174 f. (ders. 1993, 417–421 Nr. 145); Klingenberg 1976, 84; Gagarin/Perlman 2016, G73 A.

IX. Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht) IX 1 Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder Abstract: In Athen trat der Sohn oder traten die Söhne zu Lebzeiten des Vaters in die Hausgewalt ein; es herrschte also die Hausübergabe inter vivos vor. Hatte der Hausvater eheliche, also rechtmäßige Söhne oder zu Lebzeiten adoptierte Söhne, gab es keine formelle Übergabe des Erbes. Als rechtmäßig galten diejenigen Kinder, deren Mutter durch ein ‚Eheversprechen‘ (engýe) des Vaters, Bruders oder Großvaters väterlicherseits in die Ehe gegeben worden war oder die als ‚Erbtochter‘ (epíklēros) den nächstberechtigten Erben geheiratet hatte. Auch Kinder einer Ehe unter Halbgeschwistern, die vom selben Vater abstammten, waren erbberechtigt. Freie Kinder einer zweiten Frau, mit der der Vater nach dem Tod der ersten Frau in einer eheähnlichen, aber nicht durch engýe eingegangenen Verbindung zusammenlebte (pallakḗ), konnten vom Vater als rechtmäßige Kinder angenommen werden, wenn die Söhne aus der ersten Ehe verstorben waren. Ansonsten aber waren nicht eheliche Kinder vom Erbe ausgeschlossen. Solons Gesetze scheinen auch Regelungen enthalten zu haben, ob leibliche, nicht eheliche und mit im Haus aufgezogene Kinder, z. B. Waisen, unter die Mitglieder der Phratrie aufgenommen wurden.

Historische Einordnung Antike Quellen schreiben Solon Gesetze über die Rechtmäßigkeit der Ehe und der aus einer solchen Ehe hervorgehenden Kinder zu. Diese gesetzlichen Bestimmungen waren vermutlich Teil des Erbrechts, des ‚Gesetzes über Erbschaften und Erbtöchter‘ (F 121: ὁ [νόμος] τῶν περὶ κλήρων καὶ ἐπικλήρων).1 Wie bereits aus Homers Odyssee und Hesiods Erga kai hemerai hervorgeht, übernahmen die Söhne häufig bereits zu Lebzeiten des Vaters die Hausgewalt. Bei der Hofübergabe inter vivos wechselte der Vater im Alter von etwa sechzig Jahren auf das Altenteil und die Söhne traten in die Hausgewalt

1  Die in Aristot. Ath. pol. 9,2 (F 121) verwendete Bezeichnung entspricht allerdings der des 4. Jh.

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ein.2 Zur Übergabe der Hausgewalt an die folgende Generation gab es – soweit das die Quellen erkennen lassen – keine explizite gesetzliche Regelung, wohl aber Bestimmungen darüber, welche Kinder als rechtmäßige galten, nämlich nur diejenigen, die aus einer rechtmäßigen Ehe hervorgegangen waren, deren Mutter also von ihrem Vater, Bruder oder Großvater väterlicherseits mittels engýe in die Ehe versprochen worden war (F 122a). Das in klassischer Zeit nicht mehr gebräuchliche Wort dámar für ‚Ehefrau‘ (F 122a) und die Bezeichnung des Erbrechtsgesetzes als thesmós (F 122b) sind Hinweise darauf, dass die Bestimmung über die Rechtmäßigkeit der Kinder mindestens in das 6. Jh. v. Chr. zurückreicht und es vermutlich Solon war, der nicht rechtmäßige Kinder vom Erbe ausschloss – zumindest wenn eheliche Kinder vorhanden waren. Nicht rechtmäßige Kinder waren im Erbrecht zurückgesetzt. Die Bestimmung Drakons über die rechtmäßige Tötung des bei der Ehefrau ergriffenen Ehebrechers, aber auch des bei der pallakḗ ergriffenen, „die der Hausvater um freier Kinder willen hat“ (F 11a–b), lässt darauf zurückschließen, dass bereits im späten 7. Jh. freie Kinder einer pallakḗ zu erbberechtigten Kindern werden konnten, wenn die Kinder aus der ehelichen Verbindung des Hausvaters gestorben waren. Durch das Bürgerrechtsgesetz des Perikles aus dem Jahr 451/50 v. Chr. wurden jedoch uneheliche Kinder (nóthoi) grundsätzlich vom Erbe ausgeschlossen. Nachdem dieses Gesetz infolge der tödlichen Seuche 430/29, bei der viele Athener ihre Kinder verloren hatten, aufgehoben worden war und die Athener zeitweilig zu der Regelung, die bereits in drakontischer Zeit gegolten hatte, zurückgekehrt waren, galt seit dem Archontat des Eukleides 403/2 v. Chr. wieder die strikte Regel, dass uneheliche Kinder grundsätzlich vom Erbe ausgeschlossen waren (F 124a–c).3 Das in Ps.-Demosth. or. 46,18 eingefügte Gesetz gibt zunächst die Bestimmung wieder, dass rechtmäßige Kinder nur diejenigen waren, deren Mütter mittels engýe verheiratet worden waren.4 Wenn daraufhin die weitere Bestimmung folgt, dass der kýrios die Tochter des Erblassers heiraten soll, wenn sie als Erbtochter (epíklēros) keine direkten Angehörigen hat, dass aber dann, wenn sie keine Erbtochter ist, derjenige ihr kýrios sei, wem immer sie sich geben will, dann ist zu folgern, dass auch diese Eheschließungen und die aus dieser Ehe hervorgehenden Kinder als rechtmäßige und damit erbberechtigte anerkannt waren. Rechtmäßig anerkannt waren darüber hinaus diejenigen Kinder, die einer Ehe zwischen Halbgeschwistern väterlicherseits entstammten; eine Ehe unter Halbgeschwistern mütterlicherseits war hingegen nicht zulässig (F 123a–d). Ausschlaggebend dafür

2  Dazu Schmitz 2004, 94–98. 3  Dazu Carawan 2008 und Schmitz 2019. Zum Ausschluss von Bastarden vom Erbe in solonischen Gesetzen siehe auch Jan B. Meister, ‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und klassischen Griechenland, Stuttgart 2020, 112 mit Anm. 333. 4  Bestätigt wird dies für die klassische Zeit durch Demosth. or. 36,32.

Historische Einordnung – Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder (F 121–126)

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waren keine Vorbehalte wegen Inzests, sondern erbrechtliche Erwägungen.5 Auch diese Bestimmung wird daher Teil des Erbrechts gewesen sein. Halbgeschwister vom selben Vater traten in das Erbe ihres Vaters ein und erhielten zusätzlich von zwei Müttern die Mitgift, die aber kein strategisches Vermögen (Haus, Land, Vieh) umfasste. Halbgeschwister von derselben Mutter hätten hingegen, wenn die Halbschwester epíklēros war oder wurde, zwei Vermögen geerbt sowie die Mitgift der gemeinsamen Mutter. Mit dem Verbot einer Heirat unter Halbgeschwistern zweier verschiedener Väter verhinderte Solon die Zusammenführung zweier oíkoi in einer Hand. In einigen Quellenbelegen sind für konkrete Personen Ehen mit der Halbschwester belegt, wobei es sich – entsprechend der gesetzlichen Bestimmung – um Halbgeschwister mit demselben Vater gehandelt haben wird, wie es bei Kimon und Elpinike der Fall war (F 123a).6 Ehen zwischen Halbgeschwistern väterlicherseits hatten zudem den Vorteil, dass die Tochter nicht mit einer Mitgift versorgt werden musste und Besitz und Vermögen so ungeteilt blieben. Ehen zwischen Tochter und Adoptivsohn waren möglich, ja sogar gesetzlich geboten, denn sie konnten als Halbgeschwister väterlicherseits gelten, da der Adoptivsohn die Verbindung zu seiner leiblichen Mutter beibehielt [vgl. IX 6].7 Ehen unter Vollgeschwistern gab es, anders als im antiken Ägypten, in Griechenland nicht. Ein explizites Verbot ist für die Gesetzgebung Solons allerdings nicht belegt.8

5  Vgl. Karabélias 2005, 84–86, 95–98; Humphreys 2018, 107; zum Inzestverbot weiterführend ebd. 84– 98. Hingegen hatte Jérôme Wilgaux, Consubstantiality, Incest, and Kinship in Ancient Greece, in: Beryl Rawson (Hrsg.): A Companion to Families in the Greek and Roman Worlds, Oxford 2011, 217–220, hier 228 f., das Gesetz als Inzestverbot gedeutet und das Heiratsverbot zwischen mütterlichen Halbgeschwistern damit erklärt, dass diese als näher verwandt galten, da sie aus demselben Mutterleib stammten. 6  Möglicherweise hatte Kimon seine Halbschwester Elpinike geheiratet, da sein Vater eine festgesetzte Geldstrafe nicht bezahlen konnte und nach seinem Tod Kimon selbst in Haft genommen wurde. Unter diesen Umständen war eine Ausstattung Elpinikes mit einer Mitgift nicht möglich. Der durch Bergwerkstätigkeit reich gewordene Kallias soll dann die Schulden beglichen und Elpinike geheiratet haben (Nepos, Kimon 1). Zu Kimon und Elpinike auch Plut. Kimon 4,4–8; vgl. 15,3–4 (= Eupolis F 221 PCG). Beispiele für weitere solche Geschwisterehen in Demosth. or. 57,20–21; Plut. Themistokles 32,2; dazu Lipsius 1905–15, 476 f. Anm. 24. Zu Ehen unter Halbgeschwistern auch Erdmann 1972 [zuerst 1934], 120, 182–185; Ludovic Beauchet, Histoire du droit privé de la République Athénienne, Bd.1. Le droit de famille, Amsterdam 1969, 173; Schmitz 2004, 225 f.; Karabélias 2005, 95–100. 7  Beauchet 1969 (wie Anm. 6), 176; Claudine Leduc, L’adoption dans la cité des Athéniens, VIe–IVe siècle av. J.-C., in: Pallas 48, 1998 [wieder veröffentlicht in: Pallas 85, 2011, 175–201], 175–202, hier 199. Auch Molly Broadbent geht davon aus, dass die solonische Bestimmung Teil des Gesetzes über die Testierfreiheit war und den Fall betraf, dass ein Adoptivsohn die Tochter des Adoptivvaters heiratete, wozu er gesetzlich gezwungen war (Molly Broadbent, Studies in Greek Genealogy, Leiden 1968, 153 f.). Als Bestandteil des Gesetzes über die Testierfreiheit ist es auch von Claudine Leduc aufgefasst, die aber von einer generellen Regelung ausgeht (Claudine Leduc, Ego et ses trois soeurs (germaine, utérine, consanguine). Athènes et Sparte, VIe s.–IVe s. av. J.-C., in: Histoire, espaces et marges de l’Antiquité. Hommages à Monique Clavel-Lévêque, Besançon 2003, Bd. 1, 249–292 [wieder veröffentlicht in: Pallas 85, 2011, 237–270], hier 275–279). 8  Aufgrund mythischer Belege und der Heirat von Kimon und seiner Schwester Elpinike war Ernst Hruza (1894 [1979], 165–170) davon ausgegangen, dass Ehen zwischen Vollgeschwistern erlaubt gewe-

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Von erbrechtlichen Erwägungen geleitet ist auch das Gesetz des Spartaners Lykurg zu interpretieren. Seine Gesetze bezogen sich auf Verbindungen von Witwen, deren Ehemänner im Messenischen Krieg gefallen waren, mit freigelassenen Heloten. Diese eheähnlichen Verbindungen sollten nicht mittels engýe eingegangen werden, waren also keine rechtmäßigen Ehen; denn nur dann folgten die aus diesen Verbindungen hervorgehenden Kinder dem Status der Mutter und konnten spartanische Bürger werden. Bei der Geburt erhielt das Neugeborene von den Phylenältesten ein Landlos, von dem der Vater, der als freigelassener Helote kein Bürgerrecht hatte, die spartanische Mutter und das Kind leben konnten.9 Starb der Vater und ging die Mutter eine neue Verbindung mit einem freigelassenen Heloten ein, durften die beiden von der gemeinsamen Mutter abstammenden Halbgeschwister nicht heiraten, da sonst zwei Landlose in einer Hand zusammengeführt worden wären.10 Dass die Gesetze Solons und Lykurgs darauf abzielten, die Zusammenführung zweier oíkoi zu verhindern, zeigt sich auch beim athenischen Intestaterbrecht. Waren keine Verwandten väterlicherseits vorhanden, folgten die nächsten Verwandten mütterlicherseits, so dass auch hier das Problem hätte auftreten können, dass im Erbfall zwei oíkoi verschmolzen worden wären. Auffällig ist die unterschiedliche Wortwahl für die Übernahme des Erbes bei Verwandten väterlicher- und mütterlicherseits. Im Falle der anchisteía der väterlichen Seite (bis zu den Enkeln des Bruders) wird lan­ chánein (‚erhalten‘) gebraucht, für die Verwandten mütterlicherseits und alle über die anchisteía hinausreichenden Verwandtschaftsgrade dagegen kýrios eínai (‚die Entscheidung haben‘). Daran wird ersichtlich, dass die väterlichen Verwandten das Erbe als Besitz erhielten und mit ihrem Besitz verschmelzen konnten; denn in der vorangehenden Generation waren beide Besitzhälften ebenfalls in einer Hand gewesen. Die übrigen Verwandten erhielten das Erbe jedoch nur zur Verwaltung. Ein dem Erblasser posthum eingesetzter Sohn wurde im entsprechenden Alter Erbe des Besitzes und führte den oíkos des Erblassers, seines Adoptivvaters, fort.11 Wichtige Hinweise über den Ausschluss unrechtmäßiger Kinder vom Erbe gibt die Komödie Die Vögel des Aristophanes (F 124a). In der 414 v. Chr., also vor der Revision der Gesetze aufgeführten Komödie bezeichnet Peithetairos das von ihm zitierte

sen seien. Der Kontext, in dem Cornelius Nepos von der Heirat Kimons berichtet, spricht jedoch dafür, dass Elpinike die Halbschwester vom selben Vater war. Zu Recht geht das Gros der Forschung davon aus, dass Heiraten zwischen Vollgeschwistern nicht möglich waren (gegen Hruza: Beauchet 1969 (wie Anm. 6), 170–174; Lipsius 1905–15, 476 f. Anm. 24; Erdmann 1972 [zuerst 1934], 183 f.; Harrison 1968, 22 f. Anm. 3; Karabélias 2005, 93 f.; vgl. dazu auch Erdmann 1972 [zuerst 1934], 186; Beauchet 1969 (wie Anm. 6), 166–168; Karabélias 2005, 93; Leão/Rhodes 2015, 76; Humphreys 2018, 107). 9  Plut. Lykurg. 16,1. 10  Zu den eheähnlichen Verbindungen von Witwen gefallener Spartaner und freigelassenen Heloten und den diesbezüglichen Gesetzen Lykurgs siehe ausführlich Winfried Schmitz, Lykurgs Gesetz über die Kinderzeugung und seine zweite und dritte Rhetra, in: Chiron 48, 2018, 107–141. 11  Schmitz 2004, 225 f.

Historische Einordnung – Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder (F 121–126)

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Gesetz als solonisch.12 Die Forschung geht davon aus, dass Peithetairos keinen fortlaufenden Gesetzestext zitiert, sondern zwei zu trennende Bestimmungen.13 Die erste Bestimmung, ein Kind aus nicht rechtmäßig geschlossener Ehe hat kein Erbrecht, wenn rechtmäßige Kinder vorhanden sind, lässt darauf schließen, dass uneheliche Kinder dann ein Erbrecht haben konnten, wenn es keine rechtmäßigen Kinder gab. Dass ein Hausvater dann, wenn eheliche Kinder verstorben waren oder seine Ehefrau keine Kinder geboren hatte, Kinder einer pallakḗ, einer zweiten Frau, mit der er nicht rechtmäßig verheiratet war, zu Erben einsetzen konnte, legt bereits die Regelung Drakons nahe, dass man einen Ehebrecher nicht nur dann straflos töten konnte, wenn man ihn bei der Ehefrau, der Mutter, der Schwester oder der Tochter, sondern auch dann, wenn man ihn bei der pallakḗ ergriffen hatte, „mit der man freie Kinder zeugen wollte“ (F 11a). Der Gesetzestext vermeidet den Begriff „rechtmäßige Kinder“, weil die pallakḗ keine rechtlich angetraute Ehefrau ist, fordert aber „freie Kinder“, um zu vermeiden, dass von einer Sklavin geborene Kinder in das Erbrecht und damit gleichberechtigt in die Gemeinschaft eingesetzt werden. Die „freien Kinder“ hatten eine Anwartschaft auf das Erbe, aber eben nur dann, wenn keine rechtmäßigen Kinder (mehr) vorhanden waren. Diese Regelung, die Solon wahrscheinlich in seine Gesetze über das Erbrecht einbezog, galt bis zum Bürgerrechtsgesetz des Perikles 451/50 v. Chr. Durch die Forderung, dass beide Elternteile athenische Bürger sein mussten, wurden fortan Kinder athenischer Väter und fremder Frauen, die nur pallakaí sein konnten, vom Erbe (und vom Bürgerrecht) prinzipiell ausgeschlossen.14 Auf Antrag des Perikles, der beide ehe12  Ruschenbusch 2010, 105. 13  Die Zweiteilung des Textes in zwei Gesetze ist Forschungskonsens; Deutung und Datierung werden dagegen kontrovers diskutiert: Wolff 1961, 230–232; Sarah C. Humphreys, The Nothoi of Kynosarges, in: JHS 94, 1974, 88–95, 89 Anm. 5; Ogden 1996, 35–37; Ogden 2009, 108; Nan Dunbar, Aristophanes – Birds. Edition with Translation, Oxford 1995, 733; Carawan 2008, 397 f. 14  Zum Bürgerrechtsgesetz des Perikles, das nach der Athenaion politeia „wegen der Menge der Bürger“ erlassen worden sei: Aristot. Ath. pol. 26,4; Plut. Perikles 37,3; Ail. var. 6,10; 13,24; eine Parodie darauf in Lukian. Deor. Conc. Nach Plut. Perikles 37,2 war es ein „Gesetz über die Bastarde“ (τὸ περὶ τῶν νόθων νόμον). Dazu Ogden 1996, 62 f. Eine Zusammenstellung der Quellenbelege bei Josine H. Blok, Perikles’ Citizenship Law: A New Perspective, in: Historia 58, 2009, 141–170, hier 142 f.; Altay Coşkun, Weitere Überlegungen zu den Voraussetzungen und Folgen des Perikleischen Bürgerrechtsgesetzes: Naturalisierung und Epigamie im Klassischen Athen, in: Klio 95, 2013, 391–404, hier 391 f. Ein Rückgang der Bürgerzahl war sicherlich die Folge, nach Josine H. Blok aber sicherlich nicht die Intention des Gesetzes ( Josine H. Blok, Becoming Citizens. Some Notes on the Semantics of „Citizen“ in Archaic Greece and Classical Athens, in: Klio 87, 2005, 7–14; hier 18; Blok 2009 [wie oben], 155). Zum perikleischen Bürgerrechtsgesetz siehe des weiteren Cynthia Patterson, Athenian Citizenship Law, in: Michael Gagarin, David Cohen (Hrsg.), The Cambridge Companion to Ancient Greek Law, Cambridge – New York 2005, 267–289; Ogden 1996, 59–81; Anthony J. Podlecki, Pericles and his Circle, London – New York 1998, 159–161; Hartmann 2002, 52–57; Susan Lape, Race and Citizen Identity in the Classical Athenian Democracy, Cambridge 2010, 19–25, 110 f.; zur Diskussion über die Gründe der Einführung des Gesetzes siehe auch Alan L. Boegehold, Perikles’ Citizenship Law of 451/0 B. C., in: ders., Adele C. Scafuro (Hrsg.), Athenian Identity and Civic Ideology, Baltimore – London 1994, 57–66, hier 57–60; Ogden 1996, 64–69; Podlecki 1998 (wie oben), 160 f.; Carawan 2008, 389–393. Einen kurzen Überblick über die Veränderungen des athenischen Bürgerrechts vom 6. zum 4. Jh. v. Chr. gibt Patterson 2005 (wie oben).

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liche Söhne verloren hatte, wurde das Gesetz zu Beginn des Peloponnesischen Krieges ausgesetzt, und der Sohn, den Perikles mit Aspasia gezeugt hatte, unter dem Namen Perikles in die Phratrie eingeschrieben.15 Diese Rücknahme des Perikleischen Bürgerrechtsgesetzes kann keine Einzelfallentscheidung gewesen sein, da viele Athener in einer ähnlichen Situation waren, sondern muss generelle Geltung gehabt haben.16 Nach möglichen weiteren Lockerungen wurde nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges unter dem Archontat des Eukleides das Perikleische Bürgerrechtsgesetz wieder in Kraft gesetzt.17 Von 403/2 v. Chr. an waren uneheliche Kinder (nóthoi) also wieder von jeglichem Erbrecht ausgeschlossen, auch dann wenn keine ehelichen Kinder vorhanden waren. Die für die Gesetze Solons bezeugten Wörter homoerkḗs (‚im gleichen Haus [Aufwachsender]‘) und hómaimos (‚des gleichen Bluts‘) können den Bestimmungen über das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder zugeordnet werden (F 125a–b). Nicht auszuschließen ist jedoch, dass sie in einem Gesetz vorkamen, das die Aufnahme von Kindern unter die Mitglieder der Phratrie regelte (F 125c). Solon hat in seinem Gesetz über die Testierfreiheit dem Erblasser zugestanden, letztwillig über das Erbe zu verfügen. Der Adoptivsohn durfte seinerseits aber nicht erneut das Erbe über eine Adoption weitergeben. Diese Einschränkung der Testierfreiheit bestand hingegen nicht, wenn der Adoptivsohn sich bereits in der Zeit vor Solons Archontat vom Adoptivvater losgesagt hatte (F 134d). Wenn für den Adoptivsohn die Möglichkeit bestand, sich loszusagen, wird man davon ausgehen können, dass um 600 v. Chr. auch für den Vater die Möglichkeit gegeben war, sich von einem ehelichen oder adoptierten Sohn loszusagen und ihn damit zu enterben, wie es Dionysios von Halikarnassos und Claudius Aelianus überliefern (F 126a–b).18 Ähnlich wie die Geset15  Plut. Perikles 37,2 und 5 f.; vgl. Ail. var. 6,10; 13,24. Dass der Sohn der Aspasia den Namen Perikles erhielt, deutet auf eine Adoption durch den Vater Perikles bei der Aufnahme in die Phratrie hin; vermutlich trug er vorher einen anderen Namen (dazu Carawan 2008, 395). Die Phratrie hatte zu prüfen, ob Perikles der Jüngere von einem athenischen Vater abstammte. 16  Das perikleische Bürgerrechtsgesetz wurde in den ersten Jahren des Peloponnesischen Krieges vermutlich nicht außer Kraft gesetzt, sondern – so vertritt Edwin Carawan mit gewichtigen Argumenten – 430/29 um die Bestimmung erweitert (oder auf die seit Solon und bis 451/50 geltende Praxis zurückgeführt), dass ein unrechtmäßiges Kind, ein nóthos, dann adoptiert und zum Erben gemacht werden könne, wenn Söhne aus einer rechtmäßigen Ehe eines Atheners und einer Athenerin, zweier astoí, fehlten (Carawan 2008, 383–393). Zur Interpretation weiterer Belegstellen (Krateros FgrH 342 F 5b [= Ps.-Plut. mor. 833d–834b]; Eupolis fr. 110 PCG; Demosth. or. 57,30; Lys. 13,58–60; Diog. Laert. 2,26) siehe Carawan 2008, 394–403. Die Möglichkeit zur Adoption eines unrechtmäßigen Sohnes bestand nach Meinung von Carawan 2008, 403 dann nicht, wenn eine epíklēros aus rechtmäßiger Ehe vorhanden war. 17  Bei der Wiedereinführung wurde ausdrücklich bestimmt, dass das Gesetz keine rückwirkende Kraft habe. Nach dem Antrag des Nikomenes sollte „niemand der nach dem Archontat des Eukleides (Geborenen) an der Polis Anteil haben, der nicht von zwei Bürgern abstammte; die vor Eukleides (Geborenen) bleiben aber ungeprüft“ (Schol. Aischin. 1,39 [= Eumelos FgrH 77 F 2]: … τοὺς δὲ πρὸ Εὐκλείδου ἀνεξετάστως ἀφεῖσθαι). 18 Zur apokḗryxis Strauss 1993, 64 f.; Delfim F. Leão, Gerotrophia. Response to Eva Cantarella, in: Symposion 2015. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Coimbra, 1.–4. September

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ze über das Erbtochterrecht (Kap. IX 2), zum Intestaterbrecht (IX 4) und zu Adoption und Testament (IX 3) wird auch das Gesetz über die Möglichkeit der Enterbung dem früheren Rechtsbrauch weitgehend entsprochen haben; doch die schriftliche Abfassung gewährleistete eine größere Rechtssicherheit in Streitfällen. Literatur Ernst Hruza, Beiträge zur Geschichte des griechischen und römischen Familienrechts. Bd. 1. Die Ehebegründung nach attischem Rechte, Erlangen – Leipzig 1892 [Ndr. New York 1979]; Lipsius 1905–15; Walter Erdmann, Die Ehe im alten Griechenland, München 1934 [Ndr. New York 1972]; Hans Julius Wolff, Marriage Law and Family Organization in Ancient Athens: A Study on the Interrelation of Public and Private Law in the Greek City, in: Traditio 2, 1944, 43–95 [wiederabgedruckt unter dem Titel: „Eherecht und Familienverfassung in Athen“, in: ders., Beiträge zur Rechtsgeschichte Altgriechenlands und des hellenistisch-römischen Ägyptens, Weimar 1961, 155–242]; Detlef Lotze, Zwischen Politen und Metöken. Passivbürger im klassischen Athen?, in: Walter Ameling, Klaus Zimmermann (Hrsg.), Bürger und Unfreie im vorhellenistischen Griechenland. Ausgewählte Aufsätze, Stuttgart 2000, 283–309 [zuerst in: Klio 63, 1981, 159–178]; Eberhard Ruschenbusch, ΔΙΚΑΣΤΗΡΙΟΝ ΠΑΝΤΩΝ ΚΥΡΙΟΝ, in: Historia 6, 1957, 257–274; Harrison 1968–71; MacDowell 1978; Rhodes 1981; Cynthia B. Patterson, Those Athenian Bastards, in: Classical Antiquity 9, 1990, 40–73; Cynthia B. Patterson, Marriage and the Married Woman in Athenian Law, in: Sarah B. Pomeroy (Hrsg.), Women’s History and Ancient History, Chapel Hill – London 1991, 48–72; Todd 1993; Barry S. Strauss, Fathers and Sons in Athens. Ideology and Society in the Era of the Peloponnesian War, London 1993, 62–66; Virginia Hunter, Policing Athens. Social Control in the Attic Lawsuits 420–320 B. C., Princeton 1994; Daniel Ogden, Greek Bastardy in the Classical and Hellenistic Periods, Oxford 1996; Elke Hartmann, ‚Bastards‘ in Classical Athens, in: Karla Pollmann (Hrsg.), Double Standards in the Ancient and Medieval World, Göttingen 2000, 43–53; Elke Hartmann, Heirat, Hetärentum und Konkubinat im klassischen Athen, Frankfurt – New York 2002; Schmitz 2004, 202–230; Eva Cantarella, Gender, Sexuality, and Law, in: Michael Gargarin, David Cohen (Hrsg.), The Cambridge Companion to Ancient Greek Law, Cambridge – New York 2005, 236–253; Alberto Maffi, Family and Property Law, in: ebd. 2005, 254–266; Evangélos Karabélias, Études d’histoire juridique et sociale de la Grèce ancienne. Recueil d’études, Athen 2005; Elke Hartmann, Heirat und Bürgerstatus in Athen, in: Thomas Späth (Hrsg.), Frauenwelten in der Antike. Geschlechterordnung und weibliche Lebenspraxis, Stuttgart – Weimar 2006, 16–31; Eftychia Stavrianopoulou, Gruppenbild mit Dame. Untersuchungen zur rechtlichen und sozialen Stellung der Frau auf den Kykladen im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit, Stuttgart 2006; Edwin Carawan, Pericles the Younger and the Citizenship Law, in: CJ 103, 2008, 383–406; Daniel Ogden, Bastardy and Fatherlessness in Ancient Greece, in: Sabine R. Hübner, David M. Ratzan (Hrsg.), Growing up Fatherless in Antiquity, Cambridge – New York 2009, 105–119; Phillips 2013, 137–151; Sarah C. Humphreys, Kinship in Ancient Athens. An Anthropological Analysis, Oxford 2018; Winfried Schmitz, Den

2015), hrsg. von Delfim F. Leão, Gerhard Thür, Wien 2016, 67–74. Zur apokḗryxis in Bezug auf die Namengebung Demosth. or. 39,39 (dazu Eva Cantarella, Gerotrophia. A Controversial Law, in: ebd. 55–66, hier 56, 71).

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Normenkonflikt aushalten. Euripides’ Andromache und das Bürgerrechtsgesetz des Perikles, in: Karl-Joachim Hölkeskamp, Julia Hoffmann-Salz, Katharina Kostopoulos, Simon Lentzsch (Hrsg.), Die Grenzen des Prinzips. Die Infragestellung von Werten durch Regelverstöße in antiken Gesellschaften, Stuttgart 2019, 63–79.

Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder (F 121–126) F 121 ‚Gesetz über Erbschaften und Erbtöchter‘ – nómos tṓn klḗrōn kaí epiklḗrōn (F 121: T 436, 599a Martina, F 47a Ruschebusch und Leão/Rhodes)

F 121: Aristoteles, Athenaion politeia 9,2 (320er Jahre) ἔτι δὲ καὶ διὰ τὸ μὴ γεγράφθαι τοὺς νόμους ἁπλῶς μηδὲ σαφῶς, ἀλλ’ ὥσπερ ὁ τῶν περὶ κλήρων καὶ ἐπικλήρων, ἀνάγκη πολλὰς ἀμφισβητήσεις γίγνεσθαι καὶ πάντα βραβεύειν καὶ τὰ κοινὰ καὶ τὰ ἴδια τὸ δικαστήριον. οἴονται μὲν οὖν τινες ἐπίτηδες ἀσαφεῖς αὐτὸν ποιῆσαι τοὺς νόμους, ὅπως ᾖ τῆς κρίσεως ὁ δῆμος κύριος. οὐ μὴν εἰκός, ἀλλὰ διὰ τὸ μὴ δύνασθαι καθόλου περιλαβεῖν τὸ βέλτιστον· οὐ γὰρ δίκαιον ἐκ τῶν νῦν γιγνομένων ἀλλ’ ἐκ τῆς ἄλλης πολιτείας θεωρεῖν τὴν ἐκείνου βούλησιν. App. crit.: περὶ om. Oppermann.

Ferner, weil die Gesetze (nómoi) nicht klar und verständlich abgefasst waren, so wie das [Gesetz] über die Erbschaften (klḗroi) und Erbtöchter (epíklēroi), gab es zwangsläufig viele Rechtsstreitigkeiten (amphisbētḗseis) und entschied das Gericht (dikastḗrion) über alle Fälle, sowohl öffentliche als auch einzelne Personen betreffende. Einige glauben nämlich, dass er [Solon] die Gesetze absichtlich undeutlich abgefasst habe, damit das Volk Herr über das Urteil ist. Aber das ist unwahrscheinlich; vielmehr [liegt es daran], dass es ihm im Allgemeinen nicht gelang, die beste Formulierung zu finden. Es ist nämlich nicht gerecht, seine Absicht von den heutigen Verhältnissen her zu betrachten; vielmehr muss man sie von den übrigen Zügen seiner Verfassung her beurteilen.

Ὁ τῶν περὶ κλήρων καὶ ἐπικλήρων [νόμος] ist vermutlich keine auf das solonische Gesetz zurückgehende, sondern eine spätere Formulierung.19 Lin Foxhall glaubt, dass sie nicht auf das solonische Erb- und Erbtochterrecht zu beziehen ist, sondern auf die Revision der solonischen Gesetze im späten 5. Jh.20 Da Aristoteles aber ausdrücklich auf Solon Bezug nimmt, ist zumindest davon auszugehen, dass die Gesetze über die Erbschaften und die Erbtöchter im Kern auf Solon zurückgehen und der Eindruck unklar und unverständlich abgefasster Gesetze zumindest teilweise auf den großen zeitlichen Abstand zurückzuführen sein wird. Den Einwand, die Gesetzgeber hätten nicht alle 19  Vgl. IG I3 104 Z. 4 f.: τὸ[ν] Δράκοντος νόμον τὸμ περὶ τõ φό[ν]ο. 20 Lin Foxhall, Female Inheritance in Athenian Law, paper presented at: Women and Property in Ancient, Near Eastern and Mediterranean Societies (Harvard Centre for Hellenic Studies, 2003), 9.

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denkbaren Fälle regeln können, wiederholt Aristoteles auch in anderen Schriften; er begegnet auch bei Platon.21 Diese in der Athenaion politeia aufgegriffene Kritik an den solonischen Gesetzen kann jedoch erst im 5. Jh. vor dem Hintergrund einer stark gestiegenen Zahl von Prozessen aufgekommen sein. Solons Gesetze wurden erst von dieser Zeit an als nicht detailliert und genau genug wahrgenommen, sodass die Geschworenen im Volksgericht, der (h)ēliaía, bei ihren Urteilen einen gewissen Entscheidungsspielraum hatten. Zudem waren einige archaische Ausdrücke in ihrer Bedeutung inzwischen fremd geworden. Aristoteles steht der Entscheidungsfreiheit der Geschworenen, die sich daraus ergab, kritisch gegenüber. Allerdings lehnt Aristoteles die verbreitete Ansicht ab, Solon habe absichtlich unpräzise Formulierungen gebraucht, um die Macht des Volkes zu stärken; vielmehr sei es Unvermögen gewesen, eindeutige Formulierungen zu finden.22 An anderer Stelle, in Ath. pol. 35,2 (F 134 g), ist erwähnt, die ‚Dreißig Tyrannen‘ in Athen hätten 404/3 v. Chr. Gesetze Solons aufgehoben, weil sie aufgrund von Widersprüchlichkeiten Anlass zu Rechtsstreitigkeiten gegeben hätten; außerdem hätten sie die bei den Geschworenen liegende Machtbefugnis einschränken wollen. Beim Erb­ recht wurde die Testierfreiheit zugestanden und die Klausel entfernt, die die Errichtung eines gültigen Testaments an den freien Willen und die geistige Zurechnungsfähigkeit des Erblassers band und die Anlass zu vielen Testamentsanfechtungen gab (vgl. F 134).23 Da auch in Ath. pol. 35,2 (F 134 g) von amphisbētḗseis die Rede ist, werden Streitigkeiten vor Gericht und nicht bloß Meinungsverschiedenheiten gemeint gewesen sein.24 Auch Plutarch kennt den gegen Solon geäußerten Vorwurf, dieser habe einige Gesetze absichtlich unklar und zweideutig formuliert, um die Macht des Volksgerichts zu stärken. Aufgrund der ähnlichen Wortwahl wird die Athenaion politeia die Quelle Plutarchs gewesen sein.25 Plutarch deutet zudem an – allerdings in anekdotenhafter Form –, dass bereits Zeitgenossen von Solon Präzisierungen und Erläuterungen gewünscht hätten.26 Ebenso zeigt Plutarch selbst Befremden über einige Bestimmungen des Erbtochterrechts, das aber seinen Ursprung in einem falschen Verständnis der Gesetze hat.27

21  Aristot. rhet. 1,1, 1354a 27–30; ähnlich 1354b 11–16; pol. 2,12, 1274a 2–7; Plat. polit. 294a–295a; vgl. David Cohen, Crime, Punishment, and the Rule of Law in Classical Athens, in: Michael Gargarin (Hrsg.), The Cambridge Companion to Ancient Greek Law, Cambridge 2005, 211–235, hier 232. 22  Harrison 1968, 215 f.; Rhodes 1981, 162; Todd 1993, 62; Hartmann 2002, 48; Leão/Rhodes 2015, 75; zur Kritik am griechischen Gerichtssystem: Ruschenbusch 1957, 258, 264–271; Hartmann diskutiert die Frage, ob und inwieweit die Geschworenen des Volksgerichtes an die bestehenden Gesetze gebunden waren: Hartmann 2002, 49; vgl. dazu Todd 1993, 62. 23  Ruschenbusch 1957, 261–263; Cohen 2005 (wie Anm. 21), 211–235, hier 232. 24  Vgl. Ruschenbusch 1957, 259–261; Rhodes 1981, 162; Leão/Rhodes 2015, 75. 25  Plut. Sol. 18,3. 26  Plut. Sol. 25,4. 27  Plut. Sol. 20,2–3 (F 128b).

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Auch Diodor nennt Solons Gesetz über die Erbtöchter ὁ περὶ τῶν ἐπικλήρων [νόμος], eine vermutlich verbreitete Bezeichnung des Gesetzes.28 F 122 Gesetz über engýesis und rechtmäßige Kinder (F 122a: T 440 adn. Martina, F 48b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 122b–c: –; 122d: T 447 Martina)

F 122a: Gesetz in Apollodoros (Ps.-Demosthenes), Gegen Stephanos II (or. 46) 18–19 (350/48 v. Chr.) (18) Σκέψασθε τοίνυν καὶ τοὺς νόμους, παρ’ ὧν κελεύουσι τὰς ἐγγύας ποιεῖσθαι, ἵν’ εἰδῆτε καὶ ἐκ τούτων ὡς κατεσκευασμένης διαθήκης ψευδὴς μάρτυς γέγονε Στέφανος οὑτοσί. ΝΟΜΟΣ

Ἣν ἂν ἐγγυήσῃ ἐπὶ δικαίοις δάμαρτα εἶναι ἢ πατὴρ ἢ ἀδελφὸς ὁμοπάτωρ ἢ πάππος ὁ πρὸς πατρός, ἐκ ταύτης εἶναι παῖδας γνησίους. ἐὰν δὲ μηδεὶς ᾖ τούτων, ἐὰν μὲν ἐπίκληρός τις ᾖ, τὸν κύριον ἔχειν, ἐὰν δὲ μὴ ᾖ, ὅτῳ ἂν ἐπιτρέψῃ, τοῦτον κύριον εἶναι. (19) Οὗτος μὲν τοίνυν ὁ νόμος οὓς ἐποίησε κυρίους εἶναι, ἀκηκόατε· App. crit.: (18) ‹λέγε› ΝΟΜΟΣ Dindorf, Gernet, Bekker; ᾖ del. Turr.; (19) ἐποίησεν Rennie, Gernet.

Nehmt darum auch die Gesetze zur Kenntnis und schaut, wem sie gestatten, Eheversprechen (engýai) zu geben, damit ihr auch aus diesen [Gesetzen] wisst, dass dieser Stephanos lügnerischer Zeuge für ein falsches Testament (diathḗkē) wurde. Gesetz

Von der Frau (dámar), welche der Vater oder der Bruder vom selben Vater oder der Großvater von der Vaterseite rechtmäßig in die Ehe versprochen hat (engyán), sollen die Kinder rechtmäßige (eheliche, gnḗsioi) sein. Wenn aber keiner von diesen [Angehörigen] da ist, dann soll, wenn sie eine Erbtochter (epíklēros) ist, der kýrios sie [zur Frau] haben; wenn sie aber keine [Erbtochter] ist, dann soll derjenige ihr kýrios sein, wem immer sie sich geben will. (19) Ihr habt nun gehört, wen dieses Gesetz zu kýrioi bestimmt.

F 122b: Ps.-Demosthenes, Gegen Leochares (or. 44) 49 (nach 330 v. Chr. ?) (48) … καὶ γέγραφεν ἐν τῇ διαμαρτυρίᾳ „ὄντων παίδων“, ἕνα φάσκων αὑτὸν εἶναι. (49) ἀλλὰ μὴν „γνησίων“ γ’ ὅταν λέγῃ καὶ „κυρίως κατὰ τὸν θεσμόν“, παρακρούεται παρὰ τοὺς νόμους. τὸ μὲν γὰρ γνήσιόν ἐστιν, ὅταν ᾖ γόνῳ γεγονός· καὶ ὁ νόμος ταῦτα μαρτυρεῖ λέγων, „ἣν ἂν ἐγγυήσῃ πατὴρ ἢ ἀδελφὸς ἢ πάππος, ἐκ ταύτης εἶναι παῖδας γνησίους“. τὸ δὲ „κυρίως“ κατὰ τῶν ποιήσεων ὁ νομοθέτης ἔλαβεν, ὑπολαμβάνων δεῖν, ὅταν τις ὢν ἄπαις καὶ κύριος τῶν ἑαυτοῦ ποιήσηται υἱόν, ταῦτα κύρια εἶναι. οὗτος τοίνυν γόνῳ μὲν οὐδένα φησὶν Ἀρχιάδῃ γενέσθαι υἱόν, διαμεμαρτύρηται δὲ „γνησίων ὄντων“, ἐναντίαν τῷ πράγματι τὴν διαμαρτυρίαν ποιησάμενος. App. crit.: γεγονός S Q D, γεγονώς A F; ὅταν: ἂν A; οὐδένα post Ἀρχιάδῃ ponit A; γενέσθαι: εἶναι A; διαμεμαρτύρηται codd., διαμεμαρτύρηκε Blass.

(48) … Er hat außerdem in der Einrede (diamartyría) geschrieben „da Kinder vorhanden sind“, und meint damit, dass er selbst eines [der Kinder] ist. (49) Wenn er aber von „rechtmä-

28  Diod. 12,18,3 (F 129c).

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ßigen [Kindern] (gnḗsioi [paídes])“ spricht und „rechtsgültig (kyríōs) gemäß der Satzung (thes­ mós)“, begeht er Betrug und handelt den Gesetzen zuwider. Rechtmäßig (gnḗsios) ist nämlich nur der, der wirklich vom leiblichen Vater (gónos) abstammt. Auch das Gesetz (nómos) bezeugt dies, wenn es besagt, „dass von der [Frau], welche der Vater oder Bruder oder Großvater in die Ehe versprochen hat (engyán), die Kinder rechtmäßige (eheliche, gnḗsioi) sein sollen“. Das Wort „rechtsgültig“ (kyríōs) aber hat der Gesetzgeber (nomothétēs) bei den Adoptionen gebraucht, indem er meinte, dass, wenn einer kinderlos und Herr seines Vermögens ist und eine Person als Sohn adoptiert, ein solcher Akt als rechtsgültig (kýrion) betrachtet werden muss. Dieser hier erklärt jedoch, dass der Vater (gónos) Archiades keinen leiblichen Sohn gehabt habe, und hat trotzdem in der Einrede gerade das Gegenteil dieses Tatbestands angeführt, indem er sagt, „da rechtmäßige Kinder vorhanden sind“.

F 122c: Hypereides, Gegen Athenogenes (or. 5) 16 (3,16 Kenyon; 4 col. 7 Colin) (330– 324 v. Chr.) οἶσθα γὰρ δήπου καὶ σὺ καὶ ‹οἱ› ἄλ[λ]οι πάντες, ὅτι οἱ ἐκ τῶν ἐγγυητῶν γυναικῶν πα̣ῖ ̣δ̣ες, οὗτοι γνήσιοί εἰσ[ι]ν. ἀλ[λὰ] μ[ὴ̣ν ̣ ο̣ὐκ ἀπ̣]έ̣[χρ]ησε τῶι νομοθ[έτηι] τὸ ἐγγ[υηθῆ]ναι τὴν γυναῖκα ὑπὸ [τοῦ πατ]ρὸς [ἢ̣ τοῦ ἀδ]ελφοῦ, ἀλλ’ ἔγραψε δι[α̣ρρή]δην ἐν [τῶι νόμ]ωι· [ἣν̣] ἂν ἐγγυήσηι τ[ις ἐπὶ δικαίοις δάμαρτα], ἐκ ταύτης εἶνα̣[ι παῖδας γνησίους, καὶ οὐ]κ̣· ἐάν τις ψευσ̣[άμενος ὡς θυγατέρα ἐγ]γυήσηι ἄλ[λην τινά. ἀλλὰ τὰς μὲν δι]καίας ἐγγύας κ̣[υρίας, τὰς δὲ μὴ δικαίας ἀκύρους]̣ καθ­ ίστη[σιν. App. crit.: οἱ addidit Blass, qui antea ἄλλοι scripserat; ἀπ̣]έ̣[χρ]ηισε Pantazidis; pro ἣν̣ ἂν (Revillout ex Demosth. or. 44,49), ἐ]ὰν Reinach; παῖδ[ας γνησίους εἶναι non recte Revillout (cf. Demosth.); εἶνα̣ι etc. Weil; καὶ δὴ οὐ]κ Diels, Revillout, ἀλλ’ οὐ]κ Weil, Kenyon, καὶ οὐ]κ Blass; ψευσ. τινα παρὰ τὰ δικ. ἐγγ. Revillout, ψευσ. μὴ ἐπὶ δικαίοις ἐγγ. Kenyon, [ὡς αὑτοῦ θυγατέρα ἐγ]γυήσηι Blass contra spatium; τὴν γυναῖκα ἐ. Kenyon, ὡς θυγατέρα Fuhr; ἀλ[λὰ τότε τοὺς τε παῖδας νόθους] καὶ ἃς ἐγγύας ἠ[γγύησεν ἀκύρους ̣ πάσας ταύτας] καθ. Revillout, ἀλ[λοθεν οὖσαν, ἀλλὰ τὰς μὲν δι]καίας ἐγγύας κ[υρίας, τὰς δὲ μὴ δικαίας ἀκύρους] καθίστησιν ὁ νόμος Blass, ἀλ[λ᾿ οὕτως ὁ νόμος τὰς μὲν …] καθίστη[σιν Kenyon, ἄλλην τινά. ἀλλὰ τὰς μὲν … Fuhr.

Denn sowohl du als auch ihr anderen wisst alle, dass die Kinder von [rechtmäßig] in die Ehe versprochenen Frauen (engyētaí gynaíkes) rechtmäßige (eheliche, gnḗsioi) sind. Dem Gesetzgeber (nomothétes) genügte es jedoch nicht, dass die Frau (gynḗ) von dem Vater oder dem Bruder in die Ehe versprochen wurde (engyásthai), sondern schrieb ausdrücklich im Gesetz, „dass von der Frau (dámar), die jemand [rechtmäßig] in die Ehe gegeben hat (engyán), die Kinder rechtmäßige (eheliche, gnḗsioi) sein sollen“, und nicht, „wenn jemand eine andere Frau in die Ehe versprochen hat und dabei vortäuscht, sie sei seine Tochter“. Er [der Gesetzgeber] legte stattdessen fest, dass die gesetzmäßigen Eheversprechen (dikaíai engýai) rechtsgültig (kyríai) und die nicht gesetzmäßigen nicht rechtsgültig (ákyrai) sein sollten.

F 122d: Theophilus, Ad Autolycum 3,6 (spätes 2. Jh. n. Chr.) (= F 123c) Ἐπίκουρος δὲ καὶ αὐτὸς σὺν τῷ ἀθεότητα διδάσκειν συμβουλεύει καὶ μητράσι καὶ ἀδελφαῖς συμμίγνυσθαι, καὶ πέρα τῶν νόμων τῶν τόδε κωλυόντων. ὁ γὰρ Σόλων καὶ περὶ τούτου σαφῶς ἐνομοθέτησεν, ὅπως ἐκ τοῦ γήμαντος οἱ παῖδες νομίμως γίνωνται, πρὸς τὸ μὴ ἐκ μοιχείας τοὺς γεννωμένους εἶναι, ἵνα μὴ τὸν οὐκ ὄντα πατέρα τιμήσῃ τις ὡς πατέρα, ἢ τὸν ὄντως πατέρα ἀτιμάσῃ τις ἀγνοῶν ὡς μὴ πατέρα.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

App. crit.: καὶ περί τῶν νόμων τῶν τότε κωλυόντων V B P, καὶ πέρα τῶν νόμων τῶν τόδε κωλυόντων Otto, Grant; Σολομῶν V B P A, Σόλων Wolf, Otto, Grant.

Aber Epikur rät dazu – zugleich mit seiner Lehre über die Gottlosigkeit –, sich mit Müttern und Schwestern zu vereinigen, auch unter Verletzung der bestehenden Gesetze. Solon nämlich hatte auch darüber ein weises Gesetz erlassen, damit die Kinder rechtmäßig (nomímōn) in der Ehe gezeugt würden und die gezeugten Kinder nicht aus ehebrecherischen Beziehungen stammten, damit nicht jemand einen als Vater verehre, der es nicht ist, oder seinen wahren Vater beschimpfe, weil er meint, dass er nicht sein Vater sei.

Der in Ps.-Demosth. or. 46,18 (F 122a) eingelegte Gesetzestext gibt die Bestimmung über die Rechtmäßigkeit der Kinder vollständig wieder, zumindest in der Form, wie sie bis in die Mitte des 4. Jh. v. Chr. bestand. In Ps.-Demosth. or. 44,49 und Hyp. 5,16 (F 122b–c) war der Gesetzestext nicht vom Gerichtsschreiber verlesen, sondern vom Sprecher selbst zitiert worden. Der Gesetzestext ist dort leicht verkürzt, ansonsten aber wortgetreu wiedergegeben. Die verkürzte Wiedergabe in Ps.-Demosth. or. 44,49 erklärt sich daraus, dass es dort vor allem um die Rechtmäßigkeit von Nachkommen geht. Die antiken Autoren haben das Gesetz nicht direkt Solon zugeschrieben; Hypereides weist das Gesetz nur allgemein einem Gesetzgeber (nomothétēs) zu. Für das Alter des Gesetzes spricht die Verwendung des archaischen Begriffs dámar für die Ehefrau in Ps.-Demosth. or. 46,18. Er wird auch im drakontischen Tötungsrecht (F 11a) gebraucht und findet sich ansonsten bei den klassischen Dichtern Aischylos, Sophokles, Euripides und Eupolis. Im Corpus Demosthenicum wird er nur innerhalb der genannten Gesetzeszitate verwendet, außerdem in der von Lysias indirekt zitierten Bestimmung über die rechtmäßige Tötung des bei der Tat ergriffenen moichós, die auf Drakon zurückgeht und die Solon im Gesetz über die Tötung übernommen hat.29 Die Verwendung der Begriffe gnḗsioi und nóthoi in den Fragmenten 122a–c sowie den Fragmenten 134h, 136 a, 136c und 143a setzt nach Eberhard Ruschenbusch ihre Definition an früherer Stelle voraus.30 Demgegenüber ist aber einzuwenden, dass Gesetze archaischer und klassischer Zeit keine Definitionen kennen.31 Eberhard Ruschenbusch sieht außerdem den Ausdruck epíklērós tis als Beleg für die Echtheit des Gesetzes. Von Pollux (F 127) wird Solon die Verwendung des Begriffs epiklērítis zugeschrieben. Es wird sich dabei aber um einen Lesefehler der Formulierung epíklērós tis handeln, da epiklērítis ein Hapaxlegomenon ist.

29  Lys. 1,30 (F 23d). Harrison 1968, 5; Raphael Sealey, Women and Law in Classical Greece, London 1990, 25; Ogden, 1996, 38; Schmitz 2004, 152; Ruschenbusch 2010, 94; Leão/Rhodes 2015, 77; Josine Blok, Citizenship in Classical Athens, Cambridge 2017, 108 Anm. 26. 30  Ruschenbusch 2010, 94. 31  David Cohen, Theft in Athenian Law, München 1983, 6 f.

Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder (F 121–126)

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Dass die in Ps.-Demosth. or. 46,18 angehängte Bestimmung über den kýrios der epíklēros mit ἐὰν δὲ beginnt, entspricht der für Gesetze typischen Satzstruktur. Die Formulierung ἐὰν δὲ μὴ … τοῦτον κύριον εἶναι am Ende der Bestimmung entspricht derjenigen im Gesetz über die Intestaterbfolge F 137b: ἐὰν δὲ μή, τούσδε κυρίους εἶναι τῶν χρημάτων. In or. 44,48 f. (F 122b) wirft der Sprecher der Gegenseite vor, sie habe einen Eid geleistet, wonach das Erbe des Archiades keinem magistratischen Zuspruch unterliege, nicht epídikos sei, weil es „rechtmäßige Kinder gebe und dies gemäß Gesetz (thesmós) rechtsgültig sei“.32 Dies sei aber keine dem Gesetz genau entsprechende Formulierung, da zwar paídes gnḗsioi im Gesetz über die Rechtmäßigkeit der Kinder vorkomme, nicht aber kyríōs, das dem Gesetz über Adoptionen entnommen sei.33 Der auf Papyrus nicht vollständig erhaltene Text von Hyp. 5,16 (F 122c) wurde anhand von Ps.-Demosth. or. 46,18 und 44,49 (F 122a–b) ergänzt. Die Editoren stimmen insbesondere in der Ergänzung des archaischen Begriffs dámar überein.34 In der vorangestellten inhaltlichen Zusammenfassung des Gesetzes wird dagegen die in späterer Zeit geläufige Bezeichnung gynḗ verwendet. In der verkürzt wiedergegebenen Bestimmung wurde das Subjekt ἢ πατὴρ ἢ ἀδελφὸς ὁμοπάτωρ ἢ πάππος ὁ πρὸς πατρός durch das Indefinitpronomen tis ersetzt. Im vorausgehenden Satz werden jedoch Vater und Bruder als kýrioi, welche die Frau in die Ehe versprechen – allerdings in einer Passivkonstruktion –, genannt. Der zweite Satzteil entspricht dagegen der Formulierung in Ps.-Demosth. or. 46,18 vollständig. In der Apologie Ad Autolycum nimmt Theophilus auf das Gesetz Solons über die Rechtmäßigkeit der Kinder Bezug, ohne es direkt zu zitieren. Ps.-Demosth. or. 46,18 beginnt mit der rechtlichen Bestimmung, welche Nachkommen als rechtmäßig (gnḗsioi) anerkannt sind und bestimmt, dass diese nur von einer rechtmäßig in die Ehe versprochenen Frau geboren werden können. Damit gelten vor- und uneheliche Kinder, ebenso wie freie Kinder einer pallakḗ (in dem Falle, dass rechtmäßige Kinder vorhanden sind) sowie Kinder aus einer Verbindung, in der die Braut geraubt war, als illegitim.35 Die rechtmäßige Heirat wird durch einen Rechtsakt hergestellt, bei dem der Vormund (kýrios) der Frau diese dem Bräutigam im Beisein von Zeugen in die Ehe verspricht. Dies wird in den Quellen als engýē oder engýēsis (bzw. mit dem Verb engyán) bezeichnet. Mit der engýē, dem vor Zeugen geleisteten Eheversprechen, war eine gewisse Öffentlichkeit bei der ‚Vermählung‘ hergestellt, wie 32  Ps.-Demosth. or. 44,46: Οὐκοῦν δήπου διαμεμαρτύρηκεν οὑτοσί, ὡς ἀκηκόατε, „μὴ ἐπίδικον εἶναι τὸν κλῆρον τὸν Ἀρχιάδου, ὄντων αὐτῷ παίδων γνησίων κυρίως κατὰ τὸν θεσμόν“. 33  Ps.-Demosth. or. 44,49. 34  Christian Jensen (Ed.), Hyperides: Orationes sex cum ceterarum fragmentis, Leipzig 1917, 77; Gaston Colin (Ed.), Hypéride: discours, Paris 1946, 205 f.; Vittorio De Falco, Iperide: Le orazioni in difesa di Eussenippo e contro Atenogene, Napoli 1947, 177. 35  Wolff 1944 [1961]; MacDowell 1978, 91; Patterson 1991, 52; Cantarella 2005, 245 f.; Maffi 2005, 255.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

sie auch bei der Übergabe der Braut (ékdosis) und der Mitgift (proíx), der Hochzeitsfeier (gámos) und der Bekanntgabe der Hochzeit in der Kultgemeinschaft der Phratrie sowie der dabei vollzogenen Opfer (gamelía) zum Ausdruck kam. In den Gerichtsreden des 4. Jh. v. Chr. werden vor allem die Mitgift und die bezeugte engýē als Beweise für eine rechtsgültige Ehe angeführt.36 In den Komödien des Menander sind Formeln der Übergabe überliefert, die die Zeugung rechtmäßiger Kinder als Ziel der Ehe in den Vordergrund rücken.37 Das Gesetz regelt weiterhin, wer die Vormundschaft über die Frau innehat. Vormund ist demnach zunächst der Vater; ist dieser bereits verstorben, übernimmt der Bruder oder Halbbruder vom selben Vater die Rolle des kýrios und nach diesem der Großvater väterlicherseits. Demnach war der Vormund einer Frau bis zu ihrer Hochzeit ihr nächster männlicher Verwandter väterlicherseits.38 In Anlehnung an dieses Gesetz zählt Platon in den Gesetzen ebenfalls diese drei Verwandten – allerdings in veränderter Reihenfolge – als potentielle kýrioi auf, erweitert ihren Kreis jedoch noch auf dieselben Verwandten mütterlicherseits.39 Mit der Hochzeit wurde der Ehemann der neue kýrios der Frau. Er hatte die rechtliche Gewalt über sie und vertrat sie vor Gericht.40 Als besonderen Fall führt das Gesetz den der Erbtochter (epíklēros) an. Da die oben aufgezählten Verwandten als verstorben vorauszusetzen sind – sie könnte noch illegitime Brüder gehabt haben –, muss ein anderer Verwandter als kýrios bestellt werden.41 Alick R. W. Harrison hat allerdings darauf hingewiesen, dass das Fehlen oder 36  Harrison 1968, 3–9; Patterson 1991, 49–52; Hunter 1994, 18f; Patterson 1998, 109; Cantarella 2005, 246; Maffi 2005, 254; Hartmann 2006, 17; Stavrianopoulou 2006, 35–39; weiterführend zu Hochzeitsritualen: Hartmann 2002, 79–95; dies. 2006, 18–21; Stavrianopoulou 2006, 41–44; zu den Gerichtsreden: Patterson 1991, 52; Hartmann 2002, 84. Neben der Eheschließung wurde mit engýē auch eine Bürgschaft bezeichnet; dazu ausführlich Wolff 1944, 51–53; Harrison 1968, 3–5; Patterson 1991, 49 f.; Ruschenbusch 2010, 91. Die engýē ist auch für die Kykladen belegt: Stavrianopoulou 2006, 38–41. 37  Men. Pk. 1013 f.: ταύτην γνησίων / παίδων ἐπ’ ἀρότωι σοι δίδωμι. – „diese gebe ich dir zur Zeugung rechtmäßiger Kinder“; Men. Dysk. 842–844: (Κα) ἀλλ’ ἐγγυῶ παίδων ἐπ’ ἀρότωι γνησίων / τὴν θυγατέρ’ ἤδη μειράκιόν σοι προῖκά τε / δίδωμ’ ἐπ’ αὐτῆι τρία τάλαντα. – „die Tochter aber verspreche ich dir zur Zeugung rechtmäßiger Kinder und gebe für sie drei Talente Mitgift, junger Freund.“ Men. Sam. 725–727: μαρτύρων ἐναντίον σοι τήνδ’ ἐγὼ δίδωμ’ ἔχειν / γνησίων παίδων ἐπ’ ἀρότωι, προῖκα τἀμὰ πάνθ’ ὅταν … – „Hier vor Zeugen gebe ich sie dir zur Frau zur Zeugung rechtmäßiger Kinder und als Mitgift all mein Gut …“ Dazu Patterson 1991, 52; Ogden 1996, 38. 38  Sealey 1990 (wie Anm. 29), 25; Gerhard Thür, Armut. Gedanken zu Ehegüterrecht und Familienvermögen in der griechischen Polis, in: Dieter Simon (Hrsg.), Eherecht und Familiengut in Antike und Mittelalter, München 1992, 121–132, hier 125; Schmitz 2004, 213 f.; Cantarella 2005, 245. 39  Plat. leg. 6, 774e; dazu Ruschenbusch 2010, 90; aufgrund der veränderten Reihenfolge der kýrioi bei Platon vermutet Louis Gernet, dass es keine festgelegte Hierarchie der Verwandten gab (Louis Gernet, Sur l’épiclerat, in: REG 35, 1921, 337–383, hier 340). 40  MacDowell 1978, 84; Hunter 1994, 10, 18. In der Forschung wird diskutiert, inwiefern der ursprüngliche kýrios auch nach der Hochzeit noch Autorität über die Frau behielt; dazu Wolff 1944, 46–51; Thür 1992 (wie Anm. 38), 125; Hunter 1994, 16, insb. 18 f.; Cantarella 2005, 245 f.; weiterführend zum kýrios: Wolff 1944, 45–51, 72 f.; Harrison 1968, 30–32, 108–115; MacDowell 1978, 84–89. 41  MacDowell 1978, 84.

Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder (F 121–126)

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Vorhandensein eines Großvaters keine Auswirkung auf den Status der Tochter hatte. Sie ist epíklēros, sofern sie weder Brüder noch Vater hat.42 Die Formulierung ἐὰν μὲν ἐπίκληρός τις ᾖ, τὸν κύριον ἔχειν („und wenn sie eine Erbtochter ist, dann soll der kýrios [sie zur Frau] haben“) ist in dieser Hinsicht wenig eindeutig. Aus anderen Gesetzesfragmenten (vgl. IX 2 Erbtochterrecht, IX 4 Gesetz über die Intestaterbfolge) ist die Regelung aber hinreichend bekannt: Die Erbtochter war verpflichtet, ihren nächsten männlichen Verwandten zu heiraten, der damit ihr kýrios wurde. Die engýē/engýēsis entfiel. Der Verwandte musste einen Antrag auf Zuweisung der Erbtochter beim Archon stellen und bekam, wenn er legitime Ansprüche hatte, die Erbtochter und den Besitz von dem Amtsträger zugesprochen (epidikasía). Daniel Ogden hat zu Recht darauf hingewiesen, dass auch die Kinder einer Erbtochter als rechtmäßig galten, obwohl diese ohne engýē/engýēsis in die Ehe gegeben worden war. Er diskutiert die Frage, ob es eine weitere Klausel des Gesetzes gegeben habe, in der auch die epidikasía einbezogen war, plädiert aber eher für die Annahme, dass die epidikasía als Unterkategorie der engýē/engýēsis verstanden oder aber erst viel später als diese eingeführt wurde.43 Insbesondere über die Bedeutung des letzten Satzteils herrscht in der Forschung keine Einigkeit. Kern des Problems ist die Frage, wie das Verb epitrépein zu verstehen ist und wer oder was das zugehörige Subjekt ist. Mervin Dilts und Louis Gernet ergänzen in ihren Demostheneseditionen patḗr als Subjekt. Auch Evangélos Karabélias und Alick R. W. Harrison schlagen den Vater – letzterer alternativ auch den zuständigen Archon – als Subjekt vor, während John E. Karnezis Vater, Großvater oder Bruder als Subjekt annimmt.44 Auch Ernst Hruza plädiert für den Archon als Subjekt.45 Justus H. Lipsius, William Wyse, Walter Erdmann und Walter Lacey dagegen deuten das Gesetz so, dass der zuletzt verstorbene kýrios den neuen Vormund bestimmt.46 Da der Fall, dass eine Frau die betreffenden Verwandten (Großvater, Vater, Bruder) hat, im ersten Teil des Gesetzes bereits abgehandelt worden ist, muss sich der letzte Teil mit der zusätzlichen Bedingung ἐὰν δὲ μὴ ᾖ („wenn sie aber keine [Erbtochter] ist“) auf den Fall 42  Harrison 1968, 136 f.; vgl. Gernet 1921 (wie Anm. 39), 339–345. 43  Ogden 1996, 38; vgl. Wolff 1944, 75 f.; MacDowell 1978, 86; 95; Raphael Sealey, On Lawful Concubinage in Athens, in: Classical Antiquity 3, 1984, 111–133, hier 119 f.; Ruschenbusch 2005, 193; Thür 1992 (wie Anm. 38), 125; Hunter 1994, 17; Schmitz 2004, 223; Cantarella 2005, 249; dagegen Richard Cudjoe, The Purpose of the ‚Epidikasia‘ for an ‚Epikleros‘ in Classical Athens, Dike 8, 2006, 55–88. 44  Mervin Dilts (Ed.), Demosthenis Orationes, Bd. 2, Oxford 2005, 100; Louis Gernet, Demosthéne: Plaidoyers civils, Bd. 2 (Discours XXXIX – XLVIII), Paris 1957, 191; vgl. Louis Gernet, Note sur les parents de Démosthène, in: REG 31, 1918, 185–196, hier 193 Anm. 2; Harrison 1968, 20 f. Anm. 3; Evangélos Karabélias, L’épiclérat attique. Recherches sur la condition juridique de la fille épiclère athénienne, Athens 2002, 77 Anm. 82; John E. Karnezis, The Law of Engye in Demosthenes XLVI 18, 20, 22, in: Apollinaris 49, 1976, 278–285, hier 284 f. 45  Hruza 1892 [1979], 65–67. 46  Lipsius 1905–15, 536; William Wyse, The Speeches of Isaeus, with Critical and Explanatory Notes, Cambridge 1904 (Ndr. Hildesheim 1967), 285 f.; Erdmann 1972 [zuerst 1934], 42; ebenso Walter K. Lacey, The Family in Classical Greece, London – Ithaca – New York 1968, 270 Anm. 21; vgl. Karabélias 2002 (wie Anm. 44), 77 Anm. 82.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

einer Frau beziehen, der diese Verwandten fehlen, die aber dennoch keine Erbtochter ist. Insofern ist die Ergänzung eines Vaters oder anderer Verwandter widersinnig, zumal es keine Notwendigkeit für eine Ergänzung an dieser Stelle zu geben scheint.47 Eberhard Ruschenbusch nimmt bei seiner Übersetzung zwei Ergänzungen vor: „… wenn sie aber keine Erbtochter ist, soll derjenige, dem (das Gesetz) es aufträgt, befugt sein, (sie zu heiraten)“.48 Die Ergänzung des Heiratens in beiden Fällen erscheint überflüssig. Delfim F. Leão / P. J. Rhodes übersetzen wörtlicher: „but if she is not [epikleros], then the man entitled shall act as her kyrios“.49 Doch auch hier wird ein Subjekt zu ἐπιτρέψῃ ergänzt. Ähnlich ergänzt David D. Phillips in seiner Übersetzung ein unbestimmtes ‚he‘ und übersetzt: „and if she is not [an epikleros], whoever he entrusts her to shall be her kyrios“.50 Übersehen wurde vielfach, dass mit der Frau, die keine Erbtochter ist, ein Subjekt vorliegt, womit die Notwendigkeit unnötiger Ergänzungen wegfällt. Die wörtliche Übersetzung lautet demnach: „wenn sie aber keine [Erbtochter] ist, dann soll derjenige ihr kýrios sein, wem immer sie sich geben will“. Allerdings scheint die Aussage, die Frau dürfe sich selbst ihren kýrios wählen, in der Forschung für Unbehagen gesorgt zu haben, so dass diese Übersetzung, obwohl die wörtlichste und einfachste, ausgeschlossen wurde.51 Von Alick R. W. Harrison und Justus H. Lipsius wurde vorgeschlagen, dass es sich bei der Frau, die keine Erbtochter ist, um eine Frau ohne Vater (und Großvater) handelt, deren verstorbener Bruder einen oder mehrere Söhne hat. In diesem Fall würden die Neffen (oder bei deren Minderjährigkeit der nächste männliche Verwandte) Vormund über sie und (mit Erreichen der Volljährigkeit) das Erbe antreten. Walter Erdmann nimmt an, es handle sich um eine bruderlose Tochter ohne nahe männliche Verwandte, deren kýrios vom Vater testamentarisch bestimmt bzw. schon zu Lebzeiten adoptiert wurde. Hans Julius Wolff dagegen plädiert dafür, dass es sich um die jüngere Schwester einer Erbtochter handelt. Wenn die Erbtochter mit einem Adoptivbruder verheiratet wäre, verlöre die jüngere Schwester ihren Status als Erbtochter. John E. Karnezis dagegen glaubt, dass es sich um eine bereits verheiratete Frau mit Nachkommen handelt. Louis Gernet schließlich vermutet, dass die Frau, die keine Erbtochter ist, verstorben ist.52 Diesen Deutungen ist gemein, dass sie der Übersetzung nicht Rechnung tragen und die Bestimmung mit überflüssigen Ergänzungen versehen.

47  Lipsius 1905–15, 536; vgl. Hruza 1892 [1979], 65. 48  Ruschenbusch 2010, 90. 49  Leão/Rhodes 2015, 77. 50  Phillips 2013, 142. 51  So hält Harrison diese Übersetzung zunächst für die wörtlich korrekte, schließt sie jedoch später aus: „But it is difficult to believe that a woman would have been allowed to choose her own κύριος …“ Harrison 1968, 20; vgl. auch: Hruza 1892 [1979], 65; Wyse 1967 [zuerst 1904] (wie Anm. 46), 286; Erdmann 1972 [zuerst 1934], 41 f. 52  Harrison 1968, 20 f. Anm. 3; Lipsius 1905–15, 536; Erdmann 1972 [zuerst 1934], 42; Hans Julius Wolff, Die Grundlagen des griechischen Eherechts, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 20, 1952, 1–29, hier

Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder (F 121–126)

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Winfried Schmitz führt eine recht einfache Erklärung für die wörtlliche Variante an, die ohne komplizierte Ergänzungen auskommt: Bei der Frau, die keine epíklēros ist und der die nächsten Verwandten fehlen, wird es sich um eine Witwe handeln, die bereits Kinder von ihrem verstorbenen Mann hat. Diese Kinder sind – auch wenn sie noch minderjährig sind – die Erben des großväterlichen Vermögens. Die Witwe hat die Wahl, ob sie im Haus ihres verstorbenen Mannes verbleibt – in diesem Fall wurde einer ihrer Söhne ihr kýrios – oder ob sie zu ihrer natürlichen Familie zurückkehrt und sich dem kýrios dieses Hauses unterstellt oder ob sie eine neue Ehe eingehen will. In beiden Fällen, bei einem Verbleiben im Haus oder bei einer Rückkehr in ihre natürliche Familie, konnte die Witwe für eine neue Ehe ihren Ehemann und damit einen neuen kýrios selbst auswählen (oder von ihrem kýrios erneut verheiratet werden).53 Im Gesetz von Gortyn gibt es, wie Eberhard Ruschenbusch zeigen konnte, sogar die Möglichkeit, dass die Witwe, sofern sie Kinder hat, die die Nachfolge ihres Vaters antreten, entscheiden kann, ob sie einen vom Vater testamentarisch bestimmten Mann oder den nächsten Verwandten heiraten will.54 Der Kontext von Ps.-Demosth. or. 46,18 (F 122a) erweckt zunächst den Eindruck, dass das Gesetz vornehmlich Fragen der Vormundschaft über eine Frau regelt. Dagegen haben aber Wolff und Patterson überzeugend dargelegt, dass es sich um ein Gesetz handelt, dass vorrangig die Rechtmäßigkeit von Kindern regelt und den Rechtsstatus der Ehe nur insofern tangiert, als dies für die Frage nach der Legitimität der Kinder von Bedeutung ist.55 F 123 Ehen unter Halbgeschwistern (F 123b: T 443 Martina, F 47b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 123c: T 447 Martina)

F 123a: Cornelius Nepos, Praefatio 4 und Cimon 1,2 (1. Jh. v. Chr.) (praef. 4) neque enim Cimoni fuit turpe, Atheniensium summo viro, sororem germanam habere in matrimonio, quippe cum cives eius eodem uterentur instituto. 25 Anm. 70; Karnezis 1976 (wie Anm. 44), 278–285; Gernet 1921 (wie Anm. 39), 351; die verschiedenen Möglichkeiten werden von William Wyse (1967 [zuerst 1904] (wie Anm. 46), 286 f.) diskutiert. 53  Es wäre dies ein Fall analog zu Penelope in der Odyssee, die als (vermeintliche) Witwe selbst entscheiden konnte, welchen der Freier sie auswählte: Schmitz 2004, 214; vgl. Erdmann 1972 [zuerst 1934], 43–47. Nach Diod. 12,18,1 bestand bei den Thuriern das von dem Gesetzgeber Charondas erlassene Gesetz, dass eine Frau nach der Scheidung heiraten konnte, wen sie wollte. Diese Möglichkeit der eigenen Entscheidung war ihr vermutlich ebenfalls durch Gesetz eingeräumt, weil im Haus ihres Mannes von ihr geborene Kinder vorhanden waren. 54  ICret IV 72 col. 3 Z. 17–20: αἰ ἀνὲρ ἀποθάνοι τέκνα καταλιπόν, αἴ κα λε͂ι ἀ γυνά, τὰ ϝὰ αὐτᾶς ἔκονσαν ὀπυίεθθαι … „Wenn ein Mann stirbt und Kinder zurücklässt, soll die Frau, wenn sie möchte, ihre Habe bekommen und sich erneut verheiraten, …“ Eberhard Ruschenbusch, Die verheiratete Frau als Erbtochter im Recht von Gortyn?, in: ZRG Rom. Abt. 108, 1991, 287–289. 55  Wolff 1944, 75 f.; Patterson 1991, 52 f. Die – vermutlich untechnische – Bezeichnung des Gesetzes als Gesetz über die engýēsis ([ὁ] περὶ τῆς ἐγγυήσεως τῆς γυναικός [νόμος]) in einer Rede des Isaios (3,53) ist kein gewichtiges Gegenargument. Das Gesetz wurde im Prozess verlesen, ist jedoch nicht eingefügt.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

(Cimon 1,2): Habebat autem in matrimonio sororem germanam suam, nomine Elpinicen, non magis amore quam more ductus: namque Atheniensibus licet eodem patre natas uxores ducere. App. crit.: nomine: om. u; Elpinicen u, Helpicenem Dan. P, Delpicenem A B, delphicenem θ, helpenicem R λ varie alii; namque Dan. P R, nam rell.

(praef. 4) Beispielsweise war es für Kimon, einen hoch angesehenen Athener, durchaus keine Schande, mit einer leiblichen Schwester verheiratet zu sein, da dies unter seinen Mitbürgern Brauch war. (Cimon 1,2) Nun hatte er mehr aus Tradition (mos) als aus Liebe seine leibliche Schwester mit Namen Elpinike zur Frau genommen (in matrimonio … ductus). Denn bei den Athenern ist es erlaubt, vom gleichen Vater stammende Schwestern (eodem patre natae) zur Frau zu nehmen.

F 123b: Philon, De specialibus legibus 3,22 (erste Hälfte 1. Jh. n. Chr.) Ἑξῆς ἐστι παράγγελμα μηδ’ ἀδελφὴν ἐγγυᾶσθαι, πάνυ σπουδαῖον καὶ συντεῖνον εἰς ἐγκράτειαν ὁμοῦ καὶ εὐκοσμίαν. ὁ μὲν οὖν Ἀθηναῖος Σόλων ὁμοπατρίους ἐφεὶς ἄγεσθαι τὰς ὁμομητρίους ἐκώλυσεν, ὁ δὲ Λακεδαιμονίων νομοθέτης ἔμπαλιν τὸν ἐπὶ ταῖς ὁμογαστρίοις γάμον ἐπιτρέψας τὸν πρὸς τὰς ὁμοπατρίους ἀπεῖπεν· App. crit.: Ἀθηναίων νομοθέτης Arm.; ὁμοπατρίους … ἄγεσθαι om. Arm.; ἐφεὶς F, ἐφιείς cet.; τὰς: τοὺς A.

Es folgt das Verbot, die Schwester zu heiraten (engyásthai), ein vortreffliches Gesetz und darauf gerichtet, Selbstbeherrschung und Sittlichkeit zu fördern. Der Athener Solon erlaubte es, (Halb-)Schwestern vom selben Vater (homopátrioi), verbot jedoch, (Halb-)Schwestern von derselben Mutter (homomḗtrioi) zu heiraten. Der Gesetzgeber der Lakedaimonier [Lykurg] dagegen gestattete umgekehrt die Ehe (gámos) mit den leiblichen Schwestern [den Halbschwestern] von derselben Mutter (homogástrioi), verbot aber die mit denen [den Halbschwestern] vom selben Vater.

F 123c: Theophilus, Ad Autolycum 3,6 (spätes 2. Jh. n. Chr.) (= F 122d) (6) … Ἐπίκουρος δὲ καὶ αὐτὸς σὺν τῷ ἀθεότητα διδάσκειν συμβουλεύει καὶ μητράσι καὶ ἀδελφαῖς συμμίγνυσθαι, καὶ πέρα τῶν νόμων τῶν τόδε κωλυόντων. ὁ γὰρ Σόλων καὶ περὶ τούτου σαφῶς ἐνομοθέτησεν, ὅπως ἐκ τοῦ γήμαντος οἱ παῖδες νομίμως γίνωνται, πρὸς τὸ μὴ ἐκ μοιχείας τοὺς γεννωμένους εἶναι, ἵνα μὴ τὸν οὐκ ὄντα πατέρα τιμήσῃ τις ὡς πατέρα, ἢ τὸν ὄντως πατέρα ἀτιμάσῃ τις ἀγνοῶν ὡς μὴ πατέρα. App. crit.: καὶ περί τῶν νόμων τῶν τότε κωλυόντων V B P, καὶ πέρα τῶν νόμων τῶν τόδε κωλυόντων Otto, Grant; Σολομῶν V B P A, Σόλων Wolf, Otto, Grant.

Aber Epikur rät dazu – zugleich mit seiner Lehre über die Gottlosigkeit –, sich mit Müttern und Schwestern zu vereinigen, auch unter Verletzung der bestehenden Gesetze. Solon nämlich hatte auch darüber ein weises Gesetz erlassen, damit die Kinder rechtmäßig (nomímōs) in der Ehe gezeugt würden und die gezeugten Kinder nicht aus ehebrecherischen Beziehungen stammten, damit nicht jemand einen als Vater verehre, der es nicht ist, oder seinen wahren Vater beschimpfe, weil er meint, dass er nicht sein Vater sei.

Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder (F 121–126)

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F 123d: Scholia in Aristophanis Nubes v. 1371 ἐπεὶ παρ’ Ἀθηναίοις ἔξεστι γαμεῖν τὰς ἐκ πατέρων ἀδελφάς, εἰς αὔξησιν δὲ τοῦ κακοῦ τὴν ὁμομητρίαν προσέθηκεν. App. crit.: ὁμομητρίαν ἀδελφὴν M9.

Bei den Athenern ist es erlaubt, (Halb-)Schwestern vom selben Vater zu heiraten (gameín), wobei er zur Steigerung der Untat noch die homomētría (die Schwester von derselben Mutter) hinzugefügt hat.

Die von Philon aus Solons Gesetz entnommenen Begriffe homopátrios und homomḗtrios sind im Sinne von ‚Halbschwester von demselben Vater‘ und ‚Halbschwester von derselben Mutter‘ zu verstehen. Im Gegensatz dazu übersetzt Eberhard Ruschenbusch homomḗtrios mit ‚Vollschwester‘, homopátrios mit ‚Halbschwester väterlicherseits‘ und verweist auf Quellenstellen, in denen sowohl homomḗtrios als auch homopátrios Vollgeschwister bezeichnen. Er gesteht allerdings ein, dass die Begriffe sowohl auf Halbgeschwister als auch auf Vollgeschwister angewendet werden können. Eindeutig wären die Bezeichnungen ‚vom selben Vater, aber nicht von derselben Mutter stammend‘ für Halbgeschwister und umgekehrt ‚vom selben Vater und derselben Mutter stammend‘ für Vollgeschwister.56 Während die Heirat zwischen Halbgeschwistern väterlicherseits erlaubt sei und sich dafür auch historische Belege fänden, sei die Heirat zwischen Geschwistern mütterlicherseits nach Ruschenbuschs Ansicht nicht gesetzlich geregelt gewesen, da die Geschwister verschiedenen Familien angehörten und rechtlich nicht verwandt gewesen wären.57 Philon von Alexandria verweist nicht nur auf die umgekehrte Regelung im Gesetz Lykurgs, sondern auch auf die Ägypter, die eine Ehe sogar zwischen Vollgeschwistern erlaubt hätten. Sofie Remijsen und Willy Clarysse haben für das römische Ägypten nachweisen können, dass dort tatsächlich Ehen unter Vollgeschwistern geschlossen wurden, und die These zurückgewiesen, solche Ehen seien nur zwischen Tochter und Adoptivsohn eingegangen worden. Vor diesem Hintergrund sind Heiraten unter Halbgeschwistern auch für das antike Athen durchaus denkbar.58 Der Apologet Theophilus verweist in seiner Schrift Ad Autolycum darauf, dass im Gegensatz zu einem unsittlichen Hedonismus eines Epikur Solon ein Gesetz erlassen habe, das den Geschlechtsverkehr mit Müttern und Schwestern verbiete; damit bezieht er sich auf Solons Verbot, die Halbschwester mütterlicherseits zu heiraten, verschweigt aber, dass erlaubt war, die Halbschwester väterlicherseits zu heiraten. Mit der vagen Angabe, Solon habe in seinem Gesetz auch die Schwester von derselben Mutter, 56  Ruschenbusch 2010, 87; vgl. Hdt. 6,38,1. 57  Ruschenbusch 2010, 87 f.; vgl. zu den Begriffen Hruza 1894 [1979], 169. 58  Sofie Remijsen, Willy Clarysse, Incest or Adoption? Brother-Sister Marriage in Roman Egypt Revisited, in: JRS 98, 2008, 53–61.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

die homomētría, erwähnt, erweckt der Scholiast in seiner Erläuterung zu v. 1371 der Wolken des Aristophanes den falschen Eindruck, auch solche Ehen seien im antiken Athen geschlossen worden.59 F 124 Gesetz über das Erbrecht nicht rechtmäßiger Kinder (F 124a: T 426 Martina, F 50a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 124b: T 427a; F 50b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 124a: Aristophanes, Die Vögel (aves) 1660–1666 (414/13 v. Chr.) (= F 137a) ἐρῶ δὲ δὴ καὶ τὸν Σόλωνός σοι νόμον· „νόθῳ δὲ μὴ εἶναι ἀγχιστείαν παίδων ὄντων γνησίων· ἐὰν δὲ παῖδες μὴ ὦσι γνήσιοι, τοῖς ἐγγυτάτω γένους μετεῖναι τῶν χρημάτων“.

1660 1665

Ich will dir also das Gesetz (nómos) Solons zitieren: „Für den Bastard (nóthos) aber besteht keine verwandtschaftliche Beziehung (anchisteía) [zum Vater], wenn es rechtmäßige (eheliche, gnḗsioi) Kinder gibt. Wenn aber keine rechtmäßigen (ehelichen, gnḗsioi) Kinder vorhanden sind, dann haben die nach Familienzugehörigkeit (génos) am nächsten Stehenden Anteil am Besitz.“

F 124b: Gesetz in Demosthenes, Gegen Makartatos (or. 43) 50–51 (345–340 v. Chr.) (= F 137b) οἷς γὰρ δίδωσιν ὁ νομοθέτης τὴν ἀγχιστείαν καὶ τὴν κληρονομίαν, τούτους ἀναγνώσεται ὑμῖν τοὺς νόμους. ΝΟΜΟΣ

(51) … ἐὰν δὲ μηδετέρωθεν ᾖ ἐντὸς τούτων, τὸν πρὸς πατρὸς ἐγγυτάτω κύριον εἶναι. νόθῳ δὲ μηδὲ νόθῃ μὴ εἶναι ἀγχιστείαν μήθ’ ἱερῶν μήθ’ ὁσίων ἀπ’ Εὐκλείδου ἄρχοντος. App. crit.: ᾖ Reiske, ἦν codd.

Wem nämlich der Gesetzgeber (nomothétēs) das Recht der Verwandtschaft (anchisteía) und das Recht der Erbschaft (klēronomía) gewährt, um das zu zeigen soll euch [der Schreiber] die Gesetze vorlesen. Gesetz

(51) … Wenn es aber von beiden Seiten her niemanden innerhalb dieser [Verwandtschaftsgrade] gibt, dann soll der nächste [männliche] Verwandte auf der väterlichen Seite kýrios sein. Für einen unehelichen Sohn (nóthos) und eine uneheliche Tochter (nóthē) besteht kein Recht der Verwandtschaft (anchisteía), weder in religiöser noch in rechtlicher Hinsicht seit dem Archontat des Eukleides.

59  In Aristoph. nub. 1371 f. ist auf Euripides’ Tragödie Aiolos verwiesen, in der Makareus seine mütterliche Halbschwester verführte (vgl. Phillips 2013, 148–149).

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F 124c: Isaios, Über das Erbe des Philoktemon (or. 6) 47 (um 364/3 v. Chr.) Τοὐναντίον τοίνυν συμβέβηκεν ἢ ὡς ὁ νόμος γέγραπται· ἐκεῖ μὲν γὰρ ἔστι νόθῳ μηδὲ νόθῃ ‹μὴ› εἶναι ἀγχιστείαν μήθ’ ἱερῶν μήθ’ ὁσίων ἀπ’ Εὐκλείδου ἄρχοντος … App. crit.: μὴ add. Sauppe (nach Demosth. or. 43,51).

Nun ist das Gegenteil von dem geschehen, was das Gesetz (nómos) festschreibt: Denn dort besteht für einen unehelichen Sohn (nóthos) und eine uneheliche Tochter (nóthē) ‹kein› Recht der Verwandtschaft (anchisteía), weder in religiöser noch in rechtlicher Hinsicht seit dem Archontat des Eukleides …

Der bei Aristophanes überlieferte Text ist durch die Einleitung als Gesetz gekennzeichnet. Da nach Ansicht von Eberhard Ruschenbusch die áxones bis zur Gesetzesrevision 403/2 v. Chr. der „geltende Gesetzescode waren“, handele es sich wahrscheinlich um ein Gesetz Solons.60 Für die Authentizität des Gesetzestextes spricht zudem die vom übrigen Text abweichende Metrik. Daneben wurde von der Forschung angeführt, dass sich die Partikel δὲ im ersten Teil des Gesetzes auf eine vorangegangene Passage desselben Gesetzes bezogen haben muss, da sie sich nicht auf den vorherigen aristophanischen Text beziehen lässt.61 Der Text bei Demosthenes wird zwar nur allgemein einem ‚Gesetzgeber‘ (nomo­ thétēs) zugeordnet. Nach Eberhard Ruschenbusch sprächen aber stilistische Besonderheiten für ein archaisches Gesetz, denn μηδὲ finde sich in der attischen Prosa, anders als in diesem Fragment, nur nach einem vorangegangenen negativen Glied. Auch sei die Formulierung κρατεῖν τοὺς ἄρρενας καὶ τοὺς ἐκ τῶν ἀρρένων in Demosth. or. 43,78 (F 137f) Solon zugeschrieben, die in dem eingelegten Gesetzestext in or. 43,51 (F 137b) ebenfalls vorkommt.62 Isaios gibt den Gesetzestext dagegen nur indirekt wieder, jedoch in weitgehend wörtlicher Übereinstimmung mit Demosth. or. 43,51. Beide Fragmente werden durch den Verweis auf das Archontat des Eukleides auf das Jahr 403/2 v. Chr. datiert. Aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmungen mit Aristoph. Av. 1600–1666 (F 124a) wird aber das 403/2 revidierte Gesetz weitgehend dem solonischen Gesetz entsprochen haben.63 Die Komödie Die Vögel handelt von der Errichtung eines utopischen Vogelstaats durch den Athener Peisetairos, der die Herrschaft über Götter und Menschen erringt. In der Szene verhandelt Peisetairos mit einer göttlichen Gesandtschaft, bestehend aus Poseidon, Herakles und Triballos über die Abdankung der Götter. Da Herakles den Forderungen des Peisetairos nachgeben will, versucht Poseidon ihn davon zu überzeugen, dass er selbst mit der Abdankung des Zeus sein Erbe (tá chrḗmata) verlieren 60  61  62  63 

Ruschenbusch 2010, 105. Wolff 1944 [1961], 89; Patterson 1990, 51; Ogden 1996, 36; Ogden 2009, 108. Ruschenbusch 2010, 108 f. Wolff 1944 [1961], 76; Phillips 2013, 230.

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würde. Peisetairos hält dagegen, dass Herakles den väterlichen Besitz sowieso nicht erben könne, da er ein Bastard (nóthos) und kein rechtmäßiger Nachkomme (gnḗsios) sei. Seine Mutter nämlich sei eine fremde Frau (xénē gynḗ) gewesen. Seine Schwester, Athene, dagegen sei als Erbtochter (epíklēros) erbberechtigt, da sie keine Brüder aus rechtmäßiger Ehe habe. Auf die Frage des Herakles, ob Zeus ihm nicht das Erbe als ‚Nebenkindsteil‘ (notheía) vermachen könnte, zitiert Peisetairos das Gesetz Solons, wonach Bastarde gänzlich vom Erbe ausgeschlossen sind. Außerdem sei Herakles nicht von Zeus den Mitgliedern seiner Phratrie vorgestellt worden. Die Verse 1660–1666 gehen auf den Status und das Erbrecht von Bastarden (nóthoi) ein, also von Kindern, die in nicht rechtmäßiger Ehe vom Vater mit einer Sklavin oder pallakḗ gezeugt worden waren. Seit dem Bürgerrechtsgesetz des Perikles 451/50 v. Chr. konnten Kinder eines Atheners und einer Nicht-Athenerin – Pollux nennt sie mētróxe­ noi – keine athenischen Bürger sein und waren vom Erbrecht ausgeschlossen: καὶ γνήσιος μὲν ὁ ἐκ γυναικὸς ἀστῆς καὶ γαμετῆς – ὁ δ’ αὐτὸς καὶ ἰθαγενής – νόθος δ’ ὁ ἐκ ξένης ἢ παλλακίδος· ὑπ’ ἐνίων δὲ καλεῖται μητρόξενος. „Ein rechtmäßiger Sohn wird von einer Bürgerin und rechtmäßig verheirateten Frau geboren – dieser selbst [heißt] auch ithagenḗs –, ein Bastard dagegen von einer Fremden oder pallakís. Von einigen aber wird [ein solcher Bastard] mētróxenos genannt“.64

Es ist also davon auszugehen, dass bereits durch ein solonisches Gesetz nur Kinder, die einer rechtmäßigen Ehe entstammten, erbberechtigt waren; unehelich geborene Kinder (nóthoi) waren hingegen vom Erbe ausgeschlossen. Als solche galten seit dem perikleischen Bürgerrechtsgesetz auch Kinder aus Verbindungen eines Atheners mit einer fremden Frau. Eine Sonderstellung hatten hingegen Kinder einer pallakḗ. Pallakaí, wie sie in Drakons Gesetz über die rechtmäßige Tötung des bei der Tat ergriffenen Ehebrechers genannt sind, waren Frauen, mit denen ein Mann nach dem Tod der Ehefrau eine Verbindung einging, die rechtlich geschützt war, aber nicht auf engýē beruhte. Vermutlich wurde eine durch engýē eingegangene Ehe vermieden, um den Erbanspruch der Kinder aus erster Ehe nicht zu schmälern.65 Starben allerdings die Kinder aus der ersten Ehe, konnte der Hausvater die von der pallakḗ geborenen freien Kinder als sei-

64  Poll. 3,21. Vgl. dazu Ogden 1996, 15–19, 32 f., 44, 63; Hartmann 2002, 224. Patterson argumentiert hingegen dafür, dass unter nothoi nur illegitime Kinder, die von ihrem Vater anerkannt wurden, zu verstehen seien (1990, 41; 52; 57; 61; dagegen Ogden 1996, 15). Zum Bürgerrechtsgesetz: Lotze 2000 [zuerst 1981], 284; Patterson 1990, 61; Hartmann 2002, 70; Hartmann 2006, 26; Carawan 2008, 387. 65  MacDowell 1978, 89 f.; Patterson 1990, 60; Hartmann 2000, 51; Hartmann 2002, 223–225; 235; Schmitz 2004, 223 f.; Carawan 2008, 387; Schmitz 2019. Bereits in der Ilias kommen nóthoi als freie, vom Vater anerkannte Kinder vor, die er nicht mit seiner Ehefrau gezeugt hat. Sie sind in der Regel Teil des Haushalts, den rechtmäßigen Nachkommen (gnḗsioi) aber nicht gleichgestellt.

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ne Kinder anerkennen und ihnen damit einen Erbanspruch verschaffen.66 Deswegen ließ Drakon die straffreie Tötung des Ergriffenen nicht nur beim ‚Ehebruch‘ mit der Ehefrau, der Mutter, der Tochter und der Schwester zu, sondern auch mit der pallakḗ (F 11a).67 Schon im späten 7. Jh. war also anerkannt, dass der Hausvater Kinder einer pallakḗ als Erben einsetzen konnte, wenn er keine ehelichen Kinder hatte oder diese gestorben waren. Waren jedoch Kinder aus einer rechtmäßigen Ehe vorhanden, hatten Kinder der pallakḗ, wie Solons Gesetz (F 124a–c) besagt, keine Erbansprüche gemäß Verwandtschaft (anchisteía).68 In der Forschung wird diskutiert, ob die Verse 1664–1666 in den Vögeln zu einem oder zu zwei verschiedenen Gesetzen gehören. Der erste Teil suggeriert, dass ein Bastard im Falle des Fehlens legitimer Kinder vom Vater als Erbe eingesetzt werden konnte, was vermutlich auch den rechtlichen Bestimmungen entspricht. Die Hoffnungen, die die erste Bestimmung bei Herakles geweckt haben könnte, werden aber durch die zweite Bestimmung enttäuscht, woraus ein komisches Moment entsteht: Der zweite Teil schließt jedenfalls die Möglichkeit aus, weil den nächsten Verwandten das Erbe zugesprochen wird, wenn legitime Kinder fehlen.69 Die ältere Forschung ging von zwei Gesetzen aus unterschiedlichen Zeiten aus, Zeiten, in denen Bastarde einen jeweils anderen Rechtsstatus hatten – wobei keine Einigkeit über die Datierung der beiden Gesetze besteht.70 Nach Ansicht von Edwin Carawan habe Aristophanes aus zwei Gesetzen zitiert, die jedoch gleichzeitig bestanden, aber verschiedene Sujets behandelten: Der erste Teil schließt nóthoi dann, wenn eheliche Kinder vorhanden sind, ganz allgemein von den Rechten und Pflichten der engeren Familienmitglieder aus. Damit deckt sich das von Plutarch in Solon 22,4 (F 143a) genannte Gesetz, wonach Kinder einer hetaíra – nach gängiger Forschungsmeinung seien Kinder einer pallakḗ gemeint – von der Pflicht, den Vater zu ernähren, befreit

66  Patterson 1990, 47–50. 67  Ogden 1996, 33 f. 68 Zur anchisteía gehörten die direkten, rechtmäßigen Nachkommen sowie die kollateralen Seitenverwandten auf der väterlichen und mütterlichen Seite bis zu den Kindern des Cousins ersten Grades (Demosth. or. 43,50–51; F 137b). Sie hatten das Recht der Teilnahme an Familienkulten sowie Erbrecht nach einer festen Reihenfolge, aber auch die Pflicht, den Verstorbenen ordnungsgemäß zu bestatten; zudem gehörten sie mit zum Kreis derer, denen im Tötungsgesetz Drakons die Verfolgung des Täters oder die Aussöhnung mit ihm oblag (F 2). Wolff 1944 [1961], 84 f.; Lacey 1968 (wie Anm. 46), 30 f.; Harrison 1971, 143; MacDowell 1978, 98 f.; Sealey 1990 (wie Anm. 29), 15 f.; Patterson 1998, 88 f., 97 f.; Hunter 1994, 13; Maffi 2005, 256; Stavrianopoulou 2006, 49 f. 69  Wolff 1944 [1961], 88 f.; Ogden 1996, 35 f.; Carawan 2008, 397 f.; Ogden 2009, 108. 70  Wolff hält den ersten Teil des Gesetzes für solonisch, den zweiten für eine Verschärfung durch Kleisthenes (1944 [1961], 88–90). Dagegen schreibt Ogden den ersten Teil Drakon, den zweiten Solon zu (Ogden 1996, 36 f.; Ogden 2009, 108; ähnlich: Deborah Kamen, Status in Classical Athens, Princeton – Oxford 2013, 67). Humphrey hält die Aussage παίδων ὄντων γνησίων für eine spätere Hinzufügung von Aristophanes, um zu verschleiern, dass es sich um zwei verschiedene Gesetze (desselben Zeitraums) handelte, eines über Bastarde und eines über die Intestat-Erbfolge (Humphreys 1974 [wie Anm. 13], 89 Anm. 5; dazu Dunbar 1995 [wie Anm. 13], 733; dagegen Carawan 2008, 397 f.).

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sind. Im zweiten Gesetz dagegen sei es um die Intestat-Erbfolge eines Mannes ohne rechtmäßige Kinder gegangen. Es erbten dann die nächsten Verwandten (Demosth. or. 43,50–51; F 137b).71 Detlef Lotze hingegen lehnt die Hypothese zweier Gesetze ab und argumentiert, dass Aristophanes die letzten Sätze des bei Demosthenes zitierten Gesetzes (or. 43,51) lediglich umgekehrt habe.72 Dann würde die Stelle damit jeglicher Komik entbehren. Außerdem weicht die Formulierung in Demosth. or. 43,51 (F 124b) stark von dem Text bei Aristophanes ab; nur in der Textaussage ähneln sie sich. Außerdem ist die Bestimmung zu den nóthoi bei Demosthenes (F 124b) und Isaios (F 124c) explizit auf das Archontat des Eukleides datiert, entspricht also der revidierten Fassung, nicht dem ursprünglichen solonischen Gesetz.73 Ausgehend von Plutarchs Periklesvita hat Edwin Carawan eine überzeugende Deutung für die Aussetzung des perikleischen Bürgerrechtsgesetzes vorgelegt: Plutarch berichtet, dass die Volksversammlung Perikles 430/429 v. Chr. erlaubt habe, seinen nóthos, Sohn der Milesierin Aspasia, in seine Phratrie unter dem Namen Perikles einzuschreiben, da seine beiden rechtmäßigen Söhne gestorben waren. Damit galt dieser als adoptiert.74 Während das Gros der Forschung von einer Ausnahme allein für Perikles ausgeht, hat Carawan überzeugend dargelegt, dass es sich um eine generelle Änderung für alle Athener gehandelt haben muss: Das Bürgerrechtsgesetz des Perikles aus dem Jahr 451/50 v. Chr. sei infolge der Pest und wegen der großen Zahl der Gefallenen 430/29 v. Chr. gelockert worden und habe erlaubt, einen nóthos zu adoptieren und zum Erben einzusetzen und so den Fortbestand ihres oíkos zu sichern, wenn rechtmäßige Kinder fehlten oder verstorben waren.75 Dies sei möglich gewesen, da das Bürgerrechtsgesetz kein eigentliches Verbot der Ehe von Athenern und Nicht-Athenern beinhaltete, sondern nur die Grundlage dafür geschaffen habe, dass die Aufnahme von Kindern fraglicher Abkunft in die Phratrie angefochten werden konnte und ihre rechtmäßige Abkunft fortan bewiesen werden musste. Plutarch nennt dieses Gesetz bezeichnenderweise auch ‚Gesetz über die nóthoi‘ (ὁ περὶ τῶν νόθων νόμος).76 Die Mitgliedschaft in der Phratrie aber war Voraussetzung für das Bürgerrecht. Das peri­ kleische Bürgerrechtsgesetz sei 430/29 nicht gänzlich außer Kraft gesetzt, aber auf die Praxis des vorherigen solonischen Gesetzes bzw. der zur Zeit Drakons gültigen Rechts-

71  Carawan 2008, insb. 396 f.; vgl. Humphreys 1974 (wie Anm. 13), 89 Anm. 5. 72  Lotze 2000 [zuerst 1981], 288 f. mit Anm. 14–15; vgl. Sviatoslav Dmitriev, The Birth of the Athenian Community. From Solon to Cleisthenes, London – New York 2018, 25. 73  Wolff 1944 [1961], 76. 74  Plut. Perikles 37,2.5–6; vgl. Ail. var. 6,10; 13,24; Carawan 2008, 387, 395. 75  Carawan 2008, 390, 398; undifferenzierter MacDowell 1978, 90; Ruschenbusch 2010; von einer Ausnahme für Perikles gehen aus: Wolff 1944 [1961], 88 f.; Hartmann 2000, 44; Hartmann 2002, 54; Ogden 2009, 111. 76  Plut. Perikles 37,2.

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praxis zurückgeführt worden, das die Adoption von nóthoi erlaubte, wenn rechtmäßige Nachkommen fehlten.77 Einen weiteren Hinweis auf eine Gesetzesänderung liefert Isokrates in seiner Rede Über den Frieden, in der er an die Zeit des Peloponnesischen Krieges erinnert: τελευτῶντες δ᾽ ἔλαθον σφᾶς αὐτοὺς τοὺς μὲν τάφους τοὺς δημοσίους τῶν πολιτῶν ἐμπλήσαντες, τὰς δὲ φρατρίας καὶ τὰ γραμματεῖα τὰ ληξιαρχικὰ τῶν οὐδὲν τῇ πόλει προσηκόντων. „Schließlich hatten die Athener, ohne es zu merken, einerseits die öffentlichen Gräber mit Bürgern, andererseits aber die Phratrien und die Demenregister mit Menschen angefüllt, die keine Beziehung zur Polis hatten“.78

Da nach dem Bürgerrechtsgesetz des Perikles auch Kinder aus der Verbindung eines Atheners und einer Fremden als nóthoi galten, waren sie bis zur Gesetzesänderung 430/29 v. Chr. vom Bürgerrecht und von der Erbfolge ausgeschlossen. Nachdem das Erbrecht nach den hohen Verlusten der Sizilischen Expedition 413 noch einmal gelockert worden war – jetzt konnten nóthoi auch adoptiert und in die Bürgerschaft aufgenommen werden, wenn sie rechtmäßige Geschwister hatten –, wurde das Bürgerrechtsgesetz des Perikles 403/2 v. Chr. wieder in seiner strikten Form in Kraft gesetzt, galt aber nicht rückwirkend, wie die Gesetzestexte bei Demosthenes und Isaios (F 124b–c) zeigen; denn das wieder in Kraft gesetzte Bürgerrechtsgesetz sollte erst von dem Archontat des Eukleides an gelten.79 Vor diesem Hintergrund ist auch die oben wiedergegebene Szene bei Aristophanes zu deuten: Dort wird das athenische Recht auf die Götter übertragen. Demnach ist Herakles (nach dem perikleischen Bürgerrechtsgesetz) aufgrund der Herkunft seiner Mutter, die keine Athenerin war, ein Bastard.80 Nach der Gesetzesänderung von 430/29 könnte er wiederum von seinem Vater als Erbe eingesetzt werden; da er jedoch eine legitime Schwester, Athene, hat, ist dies nicht möglich, denn sie ist Erbtochter

77  Carawan 2008, 383–393; 398; 403; zustimmend Schmitz 2019, 68–72; vgl. Wolff 1944 [1961], 87 f.; zur Bedeutung der Phratrien ebd. 78–85. Zugrunde gelegt ist diese seit archaischer Zeit geltende Praxis in Euripides’ Andromache: Hermione, die rechtmäßige, aber kinderlose Ehefrau des Neoptolemos, fühlt sich von Andromache, die als Sklavin im Haushalt lebt und von Neoptolemos einen Sohn hat, in ihrer Stellung bedroht. Andromache dagegen argumentiert mit dem zeitgenössischen Recht, dass ihr Sohn als illegitimes Kind keine Erbansprüche habe (Eur. Andr. 147–231; dazu William Allan, The Andromache and Euripidean Tragedy, Oxford 2000, 167–169, 172 f., 180 f.; ausführlich Schmitz 2019). Auch Ruschenbusch vermutet eine zeitweise Aufhebung des perikleischen Bürgerrechtsgesetzes vor 403/2 v. Chr. (2010, 108). 78  Isokr. or. 8,88 (Übersetzung nach Ley-Hutton); vgl. Patterson 1990, 56. 79  Lotze 2000 [zuerst 1981], 285 f.; Ogden 1996, 72–77; Hartmann 2002, 55 f.; Carawan 2008, 393–403; vgl. Schol. Aischin. 1,39 (= Eumelos FgrH 77 F 2). 80  MacDowell 1978, 87; Patterson 1990, 43, 59; Dunbar 1995 (wie Anm. 13), 730 f.; nach Lotze, Ogden und Phillips dagegen gilt er als Bastard, weil seine Mutter eine Sterbliche war (Lotze 2000 [zuerst 1981], 289; Ogden 1996, 36; Phillips 2013, 235).

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

(epíklēros).81 Das Nebenkindsteil eines Bastards war nach den Scholiasten auf maximal 1000 oder 500 Drachmen beschränkt, wobei diese Beträge wahrscheinlich erst in klassischer Zeit festgesetzt wurden.82 Das bei Demosthenes und Isaios zitierte Gesetz galt erst ab 403/2 v. Chr. Die wörtlichen Übereinstimmungen mit dem Zitat bei Aristophanes zeigen jedoch, dass der Gesetzestext nur unwesentlich verändert worden war. Nóthoi waren von 403/2 an (erneut) vollständig von der anchisteía ausgeschlossen. F 124a stellt den frühesten Beleg für das Gesetz dar. Der Wortlaut ist jedoch durch die Fokussierung auf den Einzelfall des Herakles und wegen des Metrums verändert:83 So fehlen das feminine Objekt νόθῃ sowie die Negation μηδὲ. Die Formulierung mit μηδὲ ohne vorangehendes negatives Glied wurde von Eberhard Ruschenbusch als archaisch identifiziert, so dass sie sehr wahrscheinlich Bestandteil des ursprünglichen Gesetzes war. Aufgrund der übereinstimmenden Verwendung der Partikel in F 124a und F 124b kann der Anfang des ursprünglich solonischen Gesetzes folgendermaßen rekonstruiert werden: νόθῳ δὲ μηδὲ νόθῃ μὴ εἶναι ἀγχιστείαν

Die Rekonstruktion des zweiten Teils des Gesetzes ist hingegen problematischer, da der Wortlaut des Fragments 124a von dem in Fragment 124b–c stark abweicht. Die Frage, ob die Formulierung μήθ’ ἱερῶν μήθ’ ὁσίων Teil des ursprünglichen Gesetzes war oder ob es sich um eine spätere Einfügung handelt, die um 403/2 v. Chr. die Bestimmungen des Gesetzes konkretisieren sollte, lässt sich nicht sicher klären.84 Einerseits könnte Aristotphanes den Gesetzestext verkürzt wiedergegeben haben, andererseits belegt die Athenaion politeia (F 134 g) Schwierigkeiten beim Verständnis des solonischen Erbrechts. Die Formulierung paídōn óntōn dürfte, folgt man der bisher schlüssigsten Erklärung des bei Aristophanes zitierten Gesetzes durch Edwin Carawan, ebenfalls Bestandteil des ursprünglichen solonischen Gesetzes sein, die mit dem (erneuten) Inkrafttreten des perikleischen Bürgerrechtsgesetzes 403/2 gestrichen wurde.85 Folglich könnte der Gesetzestext folgendermaßen formuliert gewesen sein: 81  Carawan 2008, 396–398. Dem athenischen Recht nach müsste sie ihren nächsten männlichen Verwandten, in der Komödie Poseidon, heiraten, um das Erbe an ihren aus dieser Ehe hervorgehenden Sohn, weiterzugeben. Davon schweigt Aristophanes jedoch, da der Gedanke einer Heirat der jungfräulichen Athene vielleicht zu skandalös war. Es wird lediglich darauf verwiesen, dass Poseidon das Erbe des Herakles anfechten würde. Andere legitime Kinder des Zeus, Ares und Hephaistos, die er mit seiner Gattin Hera zeugte, oder Apollon, sein Sohn mit der Göttin Leto, finden keine Erwähnung (Dunbar 1995 (wie Anm. 13), 731 f.). 82  Harpokr. ν 18 s. v. νοθεῖα; Suda s. v. νοθεία (ν 448 Adler), s. v. ἐπίκληρος (ε 2385 Adler); vgl. Dunbar (wie Anm. 13), 732; Ogden 1996, 38 f., 108. 83  Wolff 1944 [1961], 89. 84  Zur Formulierung hierá kaí hósia ausführlich Ogden 1996, 42. 85  Humphreys nimmt an, dass bereits Solon die nóthoi vollständig von der anchisteía ausgeschlossen hätte. Wolff datiert hingegen diesen rechtlichen Schritt in die kleisthenische Zeit; Patterson hat dagegen

Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder (F 121–126)

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νόθῳ δὲ μηδὲ νόθῃ μὴ εἶναι ἀγχιστείαν (μήθ’ ἱερῶν μήθ’ ὁσίων) παίδων ὄντων γνησίων. „Für einen unehelichen Sohn und eine uneheliche Tochter besteht kein Recht der Verwandtschaft (weder in religiöser noch in rechtlicher Hinsicht), wenn es rechtmäßige Kinder gibt“.

F 125 Bestimmungen über die Nachkommen (F 125a: T 518 Martina, F 59 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 125b: T 526 Martina; F 59a (neu) Ruschenbusch; F 59a Leão/Rhodes; F 125c: T 451 Martina)

F 125a: Pollux, Onomastikon 6,156 (2. Jh. n. Chr.) οἱ γὰρ ὁμογάλακτες ἴδιον τῶν Ἀττικῶν, τὸ δ’ ὁμοερκὴς δὲ σκληρόν, εἰ καὶ παρὰ Σόλωνι. ὁμοπτέρους δὲ τοὺς ὁμότριχας εἰπόντος Εὐριπίδου [El. 530], Στράττις τοὺς ὁμήλικας εἴρηκεν ὁμοπτέρους. App. crit.: τὸ δ’: καὶ II.

Denn die homogálaktes (‚Milchbrüder‘) sind eine Eigentümlichkeit des Attischen; das Wort homoerkḗs (‚im gleichen Haus‘) hingegen ist [stilistisch] hölzern, auch wenn es bei Solon [vorkommt]. Euripides aber nennt die homótriches (‚die von selbem Haar‘) homópteroi (‚gleich gefiedert‘, ‚verwandt‘), Strattis die homḗlikes (‚die Gleichaltrigen‘) homópteroi.

F 125b: Aristophanes von Byzanz fr. 7 Nauck (= Anecdota Oxoniensia III p. 193,18 und 195,27 Cramer) (2. Hälfte 3. Jh. v. Chr.) (p. 193,18) τοῦ δὲ ὁμαίμου ἢ καὶ ὁμαίμονος ἀπό τε τῶν βίβλων Ἀριστοφάνους τοῦ γραμματικοῦ καὶ Σόλωνος τοῦ νομοθέτου καὶ τῶν ἄλλων σοφῶν ποιήσομαί σοι τὰς μαρτυρίας, … (p. 195,27) Σόλων ὁ νομοθέτης ἐν τοῖς ἄξοσι … ὁμαίμονας … (p. 193,18) für das Wort hómaimos und homaímonos werde ich dir sowohl aus den Büchern des Grammatikers Aristophanes als auch des Gesetzgebers Solon und anderer Weisen Belege beibringen. … (p. 195,27) Der Gesetzgeber Solon [sagt] auf den áxones … homaímones (‚Personen gleichen Bluts‘).

F 125c: Proklos, In Platonis Timaeum Commentaria 27a (Bd. 1 p. 203 Diehl) (5. Jh. n. Chr.) εἰσάγονται δὲ ὑπὸ Κριτίου κατὰ τὸν Σόλωνος νόμον τε καὶ λόγον, ὅτι καὶ ἱστόρησε Σόλων Ἀθηναίους οὕτω πολιτεύεσθαί ποτε καὶ νόμους ἔθηκεν, ὅπως εἰσάγεσθαι δεῖ τοὺς παῖδας εἰς τὴν πολιτείαν, ὅπως εἰς τοὺς φράτερας, ὅπως εἰς τὸ ληξιαρχικὸν γραμματεῖον, ἐπὶ ποίων κριτῶν, ὅπου μὲν φρατέρων, ὅπου δὲ ἄλλων τῶν προσηκόντων. θέμενος οὖν καὶ αὐτὸς Ἀθηναίους εἶναι τοὺς ὑπὸ

eingewendet, dass ein eindeutiger Beleg für die Änderung des Status von nóthoi erst mit dem perikleischen Bürgerrechtsgesetz vorliege; sie geht von einem langen Prozess, beginnend mit Solon aus, während dessen die nóthoi zunehmend ihre Rechte in der Familie und ihre öffentlichen Rechte als Bürger verloren, ein Prozess, der 403/2 weitgehend abgeschlossen war (Humphreys 1974 [wie Anm. 13], 89 Anm. 5; Wolff 1944 [1961], 90 f.; Patterson 1990, 57–59).

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

Σωκράτους παιδευθέντας τῷ τε λόγῳ τῷ Σόλωνος ἕπεται καὶ τῷ νόμῳ, καθ’ ὃν εἰσάγονταί τινες εἰς τὴν πολιτείαν. App. crit.: φράτορας et φρατόρων C.

Gemäß dem Gesetz und dem Wort Solons werden sie von Kritias eingeführt, denn Solon fragte die Athener, wie sie denn in Zukunft ihre Verfassung ausgestalten wollten, und erließ daraufhin Gesetze, wie man die Kinder in die Bürgerschaft (politeía) einführen solle, wie unter die phráteres, wie in die Bürgerliste (lēxiarchikón grammateíon) und von wem dies geprüft werde, ob von den phráteres oder anderen, denen es zukommen soll. Indem er selbst also die von Sokrates Ausgebildeten als Athener anerkennt, fügt er sich dem Wort und dem Gesetz Solons, demgemäß man in die Bürgerschaft aufgenommen wird.

Der Zusammenhang, in dem Pollux das Wort homoerkḗs unter den Wörtern nennt, denen homo- vorangestellt ist, spricht dafür, dass damit Personen gemeint sind, die im selben Haus aufwachsen oder wohnen, auch wenn sie nicht zur Kernfamilie aus Vater, Ehefrau und ehelichen Kindern gehören.86 Es könnte sich dabei also um Geschwister handeln, die nicht von derselben Mutter abstammen, im Gegensatz zu den homogálak­ tes, die von derselben Mutter abstammen und von ihr gestillt worden waren. Erstere konnten eine Ehe eingehen, letztere nicht.87 Für die Bedeutung des Wortes homogálak­ tes – das nicht für die solonischen Gesetze bezeugt ist – geben antike Autoren unterschiedliche Erklärungen. Vielfach werden sie mit gennḗtai gleichgesetzt, wiederum ein Begriff verschiedener Bedeutung; denn bei den gennḗtai kann es sich um Mitglieder einer Familie oder um Mitglieder einer kultischen Gemeinschaft handeln, als Teil einer Trittys und Phyle.88 Wenn nach Auskunft von Philochoros die Phratrien neben or­ geṓnes auch homogálaktes aufnehmen mussten, könnte es sich bei den homogálaktes um

86  Vgl. Phot. Lex. ο 296 s. v. ὁμοερκής· ὁμό{σ}τοιχος· ἐκ τοῦ αὐτοῦ γένους. – „homoerkḗs: homótoichos (‚der in denselben Mauern wohnt‘); aus derselben Familie“ (vgl. Hesych. ο 784) und ο 289 s. v. ὁμοερκές· Δείναρχος ἀντὶ τοῦ ὑφ’ ἓν ἕρκος· τουτέστιν ὑπὸ τὸν αὐτὸν περίβολον. – „homoerkés: Deinarchos für den, der im selben Haus [wohnt], d. h. wer in derselben Einfriedung [lebt]“. Einen möglichen Bezug auf die Bestimmung über die Ehen zwischen Halbgeschwistern oder die Rechtmäßigkeit der Kinder ziehen auch Delfim F. Leão und P. J. Rhodes in Erwägung (2015, 101). 87  Nach Hesych. o 740 s. v. ὁμογάλακτες sind homogálaktes Personen aus derselben Familie oder Geschwister (οἱ ἐκ τοῦ αὐτοῦ γένους. ἢ ἀδελφοί). Vgl. α 262 s. v. ἁγάλακτες· σύγγονοι, ἥλικες, ὁμογάλακτοι. – „hagálaktes: Verwandte, Altersgenossen, ‚Milchbrüder‘ (homogálaktoi)“. Ps.-Zonaras, Lex. p. 14 s. v. ἀγάλακτοι. οἱονεὶ ὁμογάλακτοί τινες ὄντες ἢ οἱ τὸ αὐτὸ γάλα σπάσαντες· λέγει δὲ τοὺς ὁμαίμους ἀδελφούς. ἄλλοι δὲ τοὺς ἱερείων κοινωνοὺς καὶ συγγενεῖς. οἱ δὲ συντρόφους. – „agálaktes: die, die gewissermaßen homogálaktoi sind oder mit derselben Milch gesäugt; Geschwister hingegen nennt man ‚Blutsverwandte‘ (hómaimoi). Andere aber [bezeichnen mit agálaktes] die Teilnehmer an Opfern oder die Verwandten; wieder andere die gemeinsam Aufgezogenen“. 88  Die Suda gibt Erklärungen sowohl für gennētaí als auch für gennḗtai, wobei die gennētaí keine Blutsverwandten waren, sondern Untereinheiten der Phratrien (γ 146 s. v. γεννηταί und 147 s. v. γεννῆται), wohingegen das Wort gennḗtai gemäß Isaios auch blutsverwandte Mitglieder derselben Familie bezeichnen kann (γ 147 s. v. γεννῆται: … Ἰσαῖος μέντοι τοὺς γεννήτας ἁπλῶς τοὺς ἐξ αἵματος συγγενεῖς ὀνομάζει (ähnlich Harpokr. γ 5 s. v. γεννῆται). Vgl. auch Suda ο 261 s. v. ὁμογάλακτας.

Das Erbrecht ehelicher und nicht ehelicher Kinder (F 121–126)

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die im Haus lebenden Kinder handeln, die als nicht eheliche Kinder galten.89 Sicher ist dies jedoch nicht; möglich wäre auch, dass eine mit im Haus lebende Person so heißt, z. B. ein Waisenkind. Dann könnte die Glosse auch auf Bestimmungen über den Unterhalt bezogen werden. Der Gegenbegriff zu homoerkḗs – im Sinne von Personen, die im Haus aufwachsen, aber nicht die ehelichen Kinder sind – könnte das Wort hómai­ mos (‚vom selben Blut‘) gewesen sein, das der Grammatiker Aristophanes in seinem Buch über Verwandtschaft im Kontext der „Unterschiede zwischen Geschwistern“ für die Gesetze Solons bezeugt.90 Folgt man Proklos’ Kommentar zu Platons Timaios, hat Solon auch Bestimmungen darüber erlassen, wie Kinder in die Bürgerschaft aufgenommen werden sollten. Eine regelrechte Bürgerliste, ein lēxiarchikón grammateíon, wird es zur Zeit Solons noch nicht gegeben haben; doch könnte Solon Bezug genommen haben auf die Aufnahme von Kindern in die Gruppe der phráteres. Auch in einem solchen Zusammenhang könnten die Bezeichnungen gnḗsios, homopátrios, homomḗtrios, homoerkḗs und hómai­ mos verwendet worden sein. F 126 Die Lossagung vom Sohn (apokḗryxis) (F 126a: T 450 Martina, F 142 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 125b: T 456b Martina; F 152 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 126a: Dionysios von Halikarnass, Antiquitates Romanae 2,26,2–3 (um die Zeitenwende) οἱ μὲν γὰρ τὰς Ἑλληνικὰς καταστησάμενοι πολιτείας βραχύν τινα κομιδῇ χρόνον ἔταξαν ἄρχεσθαι τοὺς παῖδας ὑπὸ τῶν πατέρων, οἱ μὲν ἕως τρίτον ἐκπληρώσωσιν ἀφ’ ἥβης ἔτος, οἱ δὲ ὅσον ἂν χρόνον ἠίθεοι μένωσιν, οἱ δὲ μέχρι τῆς εἰς τὰ ἀρχεῖα τὰ δημόσια ἐγγραφῆς, ὡς ἐκ τῆς Σόλωνος καὶ Πιττακοῦ καὶ Χαρώνδου νομοθεσίας ἔμαθον, οἷς πολλὴ μαρτυρεῖται σοφία· τιμωρίας τε κατὰ τῶν παίδων ἔταξαν, ἐὰν ἀπειθῶσι τοῖς πατράσιν, οὐ βαρείας ἐξελάσαι τῆς οἰκίας ἐπιτρέψαντες αὐτοὺς καὶ χρήματα μὴ καταλιπεῖν, περαιτέρω δὲ οὐδέν. App. crit.: τρίτον: δεύτερον c. Bücheler; νομοθεσίας post Σόλωνος B; φιλοσοφία B; περαιτέρωι B.

Denn die, welche die griechischen Verfassungen eingerichtet haben, haben festgelegt, dass die Kinder nur eine sehr kurze Zeit unter der Hausgewalt der Väter stehen, die einen bis sie das

89  Philochoros FGrH 3b, 328 F 35a: „die Phratriemitglieder mussten sowohl die orgeṓnes als auch die homogálaktes aufnehmen, die sie gennḗtai nennen“ (… καὶ Φιλόχορος· „τοὺς δὲ φράτορας ἐπάναγκες δέχεσθαι καὶ τοὺς ὀργεῶνας καὶ τοὺς ὁμογάλακτας, οὓς γεννήτας καλοῦμεν“). Vgl. Phot. Lex. s. v. ο 294 ὁμογάλακτες· οἱ τοῦ αὐτοῦ γάλακτος· οὓς καὶ γεννήτας ἐκάλουν. – „homogálaktes: die mit derselben Milch [Aufgezogenen]; sie nannten diese auch gennḗtai“ und Poll. 8,111: καὶ οἱ μετέχοντες τοῦ γένους γεννῆται καὶ ὁμογάλακτες, γένει μὲν οὐ προσήκοντες, ἐκ δὲ τῆς συνόδου οὕτω προσαγορευόμενοι. – „Und die am gé­ nos Teilhabenden [heißen] gennḗtai und homogálaktes; denen, die keinen Anteil am génos haben, wurde dies von der Festversammlung [der Phratriemitglieder?] verkündet.“ Nach Aristot. pol. 1,2, 1252b 16–18 nennen einige die oikíai auch homogálaktes, die Kinder und Kindeskinder umfassen. Die Forschung folgt in der Regel der Angabe von Philochoros, homogálaktes und gennḗtai seien synonym und als Untereinheiten der Phratrie aufzufassen; siehe dazu Dmitriev 2018 (wie Anm. 72), 34. 90  Anecdota Oxoniensia III p. 194,16: ἐν τῷ Συγγενικῷ περὶ διαφορᾶς τῶν ἀδελφῶν διαλαμβάνων.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

dritte Jahr von der Reife (hḗbē) an vollendet haben, die anderen solange sie ledig (ēítheos) bleiben, wieder andere bis zu ihrer Einschreibung in die öffentlichen Bürgerlisten (archeía dēmó­ sia), wie man es aus den Gesetzgebungen (nomothesíai) eines Solon, Pittakos oder Charondas weiß, die großer Weisheit gerühmt werden. Und die Strafen, die sie gegen die ihren Eltern gegenüber ungehorsamen Kinder festlegten, waren nicht schwer: sie aus dem Hause zu jagen und ihnen das Vermögen (chrḗmata) zu entziehen, erlaubten sie – weiter nichts!

F 126b: Claudius Aelianus, De natura animalium 6,61 (um 200 n. Chr.) ἐπαΐουσι γοῦν τὸ τῶν ἐλεφάντων γένος, ὦ Λυκοῦργοί τε καὶ Σόλωνες καὶ Ζάλευκοι καὶ Χαρῶνδαι, ὧνπερ οὖν ὑμεῖς νομοθετεῖτε οὐδὲ τὴν ἀρχήν, καὶ ὅμως δρῶσι τοιαῦτα, καὶ τροφῆς ἀφίστανται τοῖς πρεσβυτέροις οἱ νέοι, καὶ γήρᾳ φῆς ἀφίστανται τοῖς πρεσβυτέροις οἱ νέοι, καὶ γήρᾳ παρειμένους θεραπεύουσιν αὐτούς, καὶ κινδύνων ῥύονται, καὶ ἐς ὀρύγματα ἐμπεσόντας οἳ δὲ ἀνάγουσι, φρυγάνων τινὰς ἀγκαλίδας καὶ φακέλους ἐμβαλόντες, οἷσπερ οὖν ὡς ἀναβαθμοῖς χρώμενοι ἐκεῖνοι εἶτα ἀνίασι γήρᾳ βαρεῖς ὄντες. ποῦ δαὶ ἠλόησε πληγαῖς πατέρα ἐλέφας; ποῦ δαὶ ἀπεκήρυξεν ὁ πατὴρ ὁ ἐν τούτοις τὸν υἱόν; App. crit.: πῶς Hercher, ποῦ cod.; φακέλους Hercher, φακέλλους cod.; δαὶ: δέ Reiske.

Die Elephanten, o ihr Gesetzgeber der Art eines Lykurg, Solon, Zaleukos oder Charondas, wissen nicht das Geringste von den Gesetzen, die ihr gebt; und doch handeln sie dementsprechend. Die Jungen überlassen den Älteren das Futter, die Jungen pflegen die von Alter Entkräfteten, retten sie aus Gefahren, und wenn sie in eine Grube fallen, helfen sie ihnen heraus, indem sie Reisigbündel und eine Armvoll Äste hineinwerfen, die ihnen als Stufen dienen, auf denen die von Jahren belasteten aufsteigen können. Wo hat je ein Elephant seinen Vater mit Schlägen traktiert? Wo hat je ein Vater seinen Sohn öffentlich verstoßen (apokērýttein)?

IX 2 Erbtochterrecht Abstract: Hatte der Hausvater keine Söhne als Erben, aber eine Tochter, gingen Erbe (klḗros) und ‚Erbtochter‘ (epíklēros) an den nächsten Verwandten väterlicherseits, der die Erbtochter heiratete. Gab es bis zu Vetters Kindern keinen Verwandten, wurde von den Verwandten mütterlicherseits oder entfernteren Verwandten väterlicherseits durch posthume Adoption ein Erbe eingesetzt. Der Erbe war gesetzlich verpflichtet, eine Ehe mit der Erbtochter einzugehen. War er zu alt, sollte die Erbtochter mit einem anderen Verwandten väterlicherseits geschlechtlich verkehren, wobei der Verwandte mindestens dreimal im Monat mit ihr schlafen musste, damit aus der Verbindung Kinder hervorgehen würden. Handelte es sich um eine Erbtochter ohne Vermögen, die der Schatzungsklasse der Theten angehörte, konnte der nächste Verwandte väterlicherseits sie mit einem anderen Mann verheiraten, war in diesem Fall aber verpflichtet, ihr eine dem eigenen Vermögen angemessene Mitgift mit in die Ehe zu geben.

Historische Einordnung – Erbtochterrecht (F 127–131)

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Historische Einordnung Fehlten rechtmäßige Söhne als natürliche, legitime Erben, war die Kontinuität des oíkos – auch in sakraler Hinsicht – gefährdet.91 Für den Fall, dass der Erblasser eine rechtmäßige Tochter hinterließ, wurde diese Erbtochter. Die athenische Bezeichnung epíklēros – im wörtlichen Sinne „die zum Erbe (klḗros) (dazu-)gehörende (Tochter)“ – verweist bereits darauf, dass die Erbtochter nicht selbst das Erbe erhielt, sondern es lediglich an ihre Nachkommen vermittelte.92 Die Solon durch Pollux (F 127) zugeschriebene Bezeichnung der Erbtochter als epiklērítis – eine weibliche Form zu epíklēros – bleibt in ihrer Authentizität umstritten. Regelungen zur Erbtochter finden sich in verschiedenen griechischen Poleis, unterscheiden sich jedoch im Detail.93 In Athen war die Erbtochter verpflichtet, ihren nächsten Verwandten zu heiraten, der auch ihr kýrios wurde. Die Ansprüche der Verwandten auf die Heirat mit der Erbtochter und damit die Übernahme des Vermögens folgten dem Grad der väterlichen Verwandtschaft. Damit war gewährleistet, dass der Besitz in der Familie (génos) des Verstorbenen verblieb (vgl. F 137b).94 Nach Louis Gernet diente diese Verwandtenehe aber auch der Konfliktvermeidung; die konkurrierenden Erbansprüche von Verwandten und Enkeln des Verstorbenen seien aufgelöst worden, indem sie nacheinander Ansprüche auf das Erbe erheben konnten, zunächst der nächste männliche Verwandte väterlicherseits, bis die Kinder der epíklēros in der Reife waren.95 Ebenso hatte der nächste Verwandte und Ehemann der Erbtochter die Pflicht, den Verstorbenen ordnungsgemäß zu bestatten.96

91  Gernet 1921, 358; Todd 1993, 230 f.; Schmitz 2004, 232 f.; Eftychia Stavrianopoulou, Gruppenbild mit Dame. Untersuchungen zur rechtlichen und sozialen Stellung der Frau auf den Kykladen im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit, Stuttgart 2006, 145. 92  U. a. Asheri 1963, 16 f.; MacDowell 1978, 95; David M. Schaps, Economic Rights of Women in Ancient Greece, Edinburgh 1979, 53; Sealey 1994, 18; Karabélias 2002, 10; Schmitz 2004, 222 f.; Cudjoe 2010, 83. 93  Asheri 1963, 17–19; zur Erbtochter im antiken Griechenland und speziell im Gesetz von Gortyn: Hans Julius Wolff, Die Grundlagen des griechischen Eherechts, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 20, 1952, 2 Teile, 1–29, 157–181, hier 159–162; Stefan Link, Versprochene Töchter? Noch einmal zur Ehefrau als Erbtochter im Gesetz von Gortyn, in: ZRG Rom. Abt. 111, 1997, 378–391 und ausführlich: Evangélos Karabélias, Recherches sur la condition juridique et sociale de la fille unique dans le monde grec ancien excepté Athènes, Athen 2004; zur Erbtochter in anderen Epochen und Kulturen: Gernet 1921, 358–360. 94  Asheri 1963, 16; Harrison 1968, 132 f.; MacDowell 1978, 95; Sealey 1994, 16; Alberto Maffi, Family and Property Law, in: Michael Gargarin, David Cohen (Hrsg.), The Cambridge Companion to Ancient Greek Law, Cambridge – New York 2005, 254–266, hier 265; Ruschenbusch 1990 [2005], 15 f.; Leão/ Rhodes 2015, 90. 95  Gernet 1921, 357, 368–377, insb. 376 f.; dazu Hinnerk Bruhns, Verwandtschaftsstrukturen, Geschlechterverhältnisse und Max Webers Theorie der antiken Stadt, in: Christian Meier (Hrsg.), Die Okzidentale Stadt nach Max Weber. Zum Problem der Zugehörigkeit in Antike und Mittelalter, München 1994, 60–94, hier 78. 96  Asheri 1963, 16; Cynthia B. Patterson, The Family in Greek History, Cambridge/Mass. – London 1998, 99.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

In klassischer Zeit wurde die Erbtocher dem nächsten Verwandten väterlicherseits durch den zuständigen árchōn mittels epidikasía zugesprochen. Die männlichen Verwandten des Erblassers konnten beim árchōn Anspruch auf die Erbtochter erheben, der dies in der nächsten Volksversammlung publik machte. Gab es nur einen Anwärter auf die Erbtochter, so wurde diese ihm zuerkannt. Bei Ansprüchen mehrerer Verwandter wurde in einem Gerichtsverfahren (diadikasía) unter Vorsitz des árchōn über die Zuweisung der Erbtochter entschieden.97 Auch auf eine bereits zugewiesene Erbtochter konnte Anspruch erhoben werden. Es ist unklar, ob es dafür eine Verjährungsfrist gab, doch ist davon auszugehen, dass die Frau, wenn bereits Kinder aus ihrer Ehe hervorgegangen waren, nicht neu zugesprochen werden konnte. War die Erbtochter beim Tod ihres Vaters bereits verheiratet, hatte aber noch keine Kinder in dieser Ehe geboren und war auch nicht schwanger, konnte der nächste Verwandte die Scheidung von ihrem Ehemann durchsetzen.98 Die meisten Forscher plädieren dafür, dass ein Sohn aus einer Ehe mit einem Nichtverwandten als Erbe eingesetzt werden konnte.99 Die Erbtochter konnte nicht vom Erbe getrennt werden. Der nächste Verwandte musste sie heiraten, wollte er das Erbe erhalten.100 War er bereits verheiratet, musste er sich scheiden lassen, um die Erbtochter heiraten zu können. Die sonst übliche engýe entfiel; dennoch waren die Kinder als rechtmäßige anerkannt und erbberechtigt.101 War die Erbtochter beim Tod ihres Vaters noch zu jung für eine Heirat, wurde wahrscheinlich ein Vormund für sie eingesetzt, bis sie das entsprechende Alter von 14 Jahren erreicht hatte.102 In der Forschung ist wiederholt darauf hingewiesen worden, dass es sich bei der Erbtochterregelung um eine Ausnahmeregel handelte. War schon vor dem Tod des Erblassers abzusehen, dass rechtmäßige männliche Erben ausblieben, konnte dieser bereits zu Lebzeiten einen Adoptivsohn annehmen, der mit der Tochter verheiratet wurde und das Erbe erhielt (vgl. IX 3), oder er konnte die Tochter verheiraten, in der Erwartung, dass sie bei seinem Tod bereits männliche Kinder geboren hatte. Starben rechtmäßige Söhne frühzeitig und war die Tochter noch zu jung für eine Heirat, fand das Gesetz über die Erbtochter Anwendung.103

97  Harrison 1968, 10 f.; 132 f.; Todd 1993, 228 f.; Sealey 1994, 65; Foxhall 2003, 4. 98  Harrison 1968, 11 f.; MacDowell 1978, 96, 98; Foxhall 2003, 6; Ruschenbusch 1990 [2005], 17 f.; Cudjoe 2010, 61. 99  Harrison 1968, 11 f.; MacDowell 1978, 96–98; Ruschenbusch 1990 [2005], 17 f.; dagegen Foxhall 2003, 6. 100  Todd 1993, 229; Schmitz 2004, 222 f.; Cudjoe 2010, 60 f., 81. 101  Daniel Ogden, Greek Bastardy in the Classical and Hellenistic Periods, Oxford 1996, 38; vgl. Wolff 1944, 75 f.; Raphael Sealey, On Lawful Concubinage in Athens, in: Classical Antiquity 3, 1984, 111–133, hier 119 f. 102  Aristot. Ath. pol. 56,7. 103  Raphael Sealey, Women and Law in Classical Greece, London 1990, 95; Rubinstein 1993, 94; Patterson 1998 (wie Anm. 96), 96 f.

Historische Einordnung – Erbtochterrecht (F 127–131)

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Nach F 128b (Plut. Solon 20,2–5) konnte die Erbtochter mit einem anderen Verwandten geschlechtlich verkehren, wenn ihr nächster Verwandter und Ehemann nicht in der Lage war, mit ihr Geschlechtsverkehr zu haben. Aber auch für den Fall, dass der nächste Verwandte sie nicht heiraten wollte, konnte – so setzt die Forschung voraus – der Nächstverwandte nachrücken und Anspruch auf sie erheben.104 Eine unbemittelte Erbtochter konnte von ihrem nächsten Verwandten mit einer festgesetzten Mitgift auch außerhalb der Familie verheiratet werden, eine Regelung, die möglicherweise schon in die solonische Zeit zurückreicht.105 Regelungen zum sexuellen Kontakt zwischen Ehemann und Erbtochter, wie sie in F 128b und F 128e festgelegt sind, sollten sicherstellen, dass aus der Ehe Kinder hervorgingen, die den oíkos des mütterlichen Großvaters fortführen konnten.106 Der kýrios verwaltete den Besitz, bis der aus der Verbindung hervorgegangene Sohn alt genug war, um das Erbe anzutreten.107 Bis zu diesem Zeitpunkt konnte er jedoch finanziell von dem Erbe profitieren. Mit der gesetzlich vorgeschriebenen Weitergabe des Vermögens an den Sohn der epíklēros wurde verhindert, dass der kýrios zusätzlich zu seinem väterlichen Erbe weiteren Besitz über die Erbtochter erhielt und so Land akkumuliert wurde. Gleichzeitig wurde sichergestellt, dass der oíkos des Erblassers bestehen blieb.108 Der Erbe, also der Enkel des Erblassers, nahm eine dem Adoptivsohn vergleichbare Stellung ein und hatte nur die Pflicht, seine Mutter, nicht aber den Vater im Alter zu versorgen (F 141).109 Folgt man der Argumentation von Winfried Schmitz, lässt sich die strittige Frage lösen, ob alle Söhne der Erbtochter das großväterliche Erbe mütterlicherseits erhielten oder nur der erstgeborene, während die folgenden Söhne das väterliche Erbe übernahmen. Das Gesetz über das Intestaterbrecht (F 137b) zeigt, dass das Vermögen des Erb­ lassers mit dem des nächsten Verwandten väterlicherseits bis zum Grad des Bruderenkels verschmolz; denn dieser Besitz war in der vorausgehenden Generation ebenfalls eine Einheit gewesen. Die Verschmelzung des Vermögens zweier oder mehrerer Brüder in der darauffolgenden Generation stellte daher keine Besitzakkumulation dar. Die aus der Ehe mit der Erbtochter hervorgehenden Söhne konnten daher, wenn der Ehemann der epíklēros der Bruder ihres verstorbenen Vaters war, sowohl dessen Ver104  MacDowell 1978, 95; Sealey 1994, 17; Ruschenbusch 2005 [zuerst 1990], 193 f.; Eva Cantarella, Gender, Sexuality, and Law, in: Michael Gargarin, David Cohen (Hrsg.), The Cambridge Companion to Ancient Greek Law, Cambridge – New York 2005, 236–253, hier 249. 105  Zu der Frage, ob das Gesetz als solonisch anzusehen ist, siehe Jan B. Meister, ‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und klassischen Griechenland, Stuttgart 2020, 281 mit Anm. 21. 106  MacDowell 1978, 97–99; Ruschenbusch 2005 [zuerst 1990], 193 f. 107  MacDowell 1978, 100; Todd 1993, 129; Patterson 1998 (wie Anm. 96), 97; Schmitz 2004, 222 f. 108  Gernet 1921, 358; Asheri 1963, 16f; MacDowell 1978, 95; Sealey 1994, 17. 109  Asheri 1963, 17; Rubinstein 1993, 98–103; Todd 1993, 229–231; Karabélias 2002, 179; Foxhall 2003, 4. MacDowell 1979, 100 geht allerdings davon aus, dass der Erbe einer anderen Phratrie angehörte; dagegen Schmitz 2004, 225 f.

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mögen als auch das des mütterlichen Großvaters erben. Die Verwandten mütterlicherseits erhielten das Erbe hingegen nur in Verwaltung, solange bis die Nachkommen der Erbtochter alt genug waren, um das Erbe anzutreten.110 Hatte der Verwandte bereits Kinder aus einer ersten Ehe, die sein Erbe antreten konnten, konnten alle Söhne der Erbtochter als Erben ihres mütterlichen Großvaters eingesetzt werden. Für den Fall, dass der Verwandte nur Kinder mit der Erbtochter hatte, wäre es auch denkbar, dass nur einer der Söhne das Erbe seines mütterlichen Großvaters antrat und die anderen Söhne als Erben ihres Vaters eingesetzt wurden. In diesem Fall würde der in das Erbe des mütterlichen Großvaters eingesetzte Sohn vom Erbe seines Vaters ausgeschlossen und wäre daher auch nur verpflichtet, seine Mutter im Alter zu versorgen. In der Forschung wird außerdem diskutiert, ob sich in archaischer Zeit der nächste Verwandte die Erbtochter auch als Nebenfrau, zusätzlich zu seiner Ehefrau, zusprechen lassen konnte und die beiden oíkoi formal getrennt blieben. Für diese Annahme gibt es allerdings keine direkten Belege.111 In der Forschung werden häufig Altersangaben für den Zeitpunkt genannt, zu dem die Kinder der Erbtochter in das Erbe des Großvaters eingesetzt werden. Die im Gesetz gegebene Angabe, zwei Jahre nach Erreichen der hḗbē, zeigt, dass kein spezifisches Alter, sondern die biologische Reife angesetzt wurde. Literatur Louis Gernet, Sur l’épiclerat, in: REG 35, 1921, 337–383; Hans Julius Wolff, Marriage Law and Family Organization in Ancient Athens: A Study on the Interrelation of Public and Private Law in the Greek City, in: Traditio 2, 1944, 43–95 [wiederabgedruckt unter dem Titel: Eherecht und Familienverfassung in Athen, in: Ders.: Beiträge zur Rechtsgeschichte Altgriechenlands und des hellenistisch-römischen Ägyptens, Weimar 1961, 155–242]; David Asheri, Laws of Inheritance, Distribution of Land and Political Constitutions in Ancient Greece, in: Historia 12, 1963, 1–21; MacDowell 1978; Eberhard Ruschenbusch, Bemerkungen zum Erbtochterrecht in den solonischen Gesetzen, in: Symposion 1988. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Siena – Pisa, 6.–8. Juni 1988), hrsg. von Giuseppe Nenci, Gerhard Thür, Köln – Wien 1990, 15–20 [wiederabgedruckt in: Eberhard Ruschenbusch, Kleine Schriften zur griechischen Rechtsgeschichte, Wiesbaden 2005, 193–196]; Lene Rubinstein, Adoption in IV. Century Athens, Kopenhagen 1993; Raphael Sealey, The Justice of the Greeks, Ann Arbor 1994; Evangélos Karabélias, L’épiclérat attique. Recherches sur la condition juridique de la fille épiclère athénienne, Athen 2002; Lin Foxhall, Female Inheritance in Athenian Law, Paper presented at: Women and Property in Ancient, Near Eastern and Mediterranean Societies (Harvard Centre for Hellenic Studies, 2003); Schmitz 2004, 218–227; Richard V. Cudjoe, The Social and Legal Position of Widows and Orphans in Classical Athens, Athen 2010; Phillips 2013, 232–243.

110  Schmitz 2004, 225. 111  Harrison 1968, 11; Schmitz 2004, 223 f.; Cudjoe 2010, 62.

Erbtochterrecht (F 127–131)

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Erbtochterrecht (F 127–131) F 127 Bezeichnung der Erbtochter (F 127: T 440 Martina, F 48a Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 127: Isaios, fr. 91 Tur (erste Hälfte 4. Jh.) (Poll. 3,33)

καὶ ἡ μὲν ἐπὶ παντὶ τῷ κλήρῳ τρεφομένη μόνη θυγάτηρ ἐπίκληρος, περιόντος τε τοῦ πατρὸς καὶ ἀποθανόντος· ἐκάλεσαν δέ τινες αὐτὴν καὶ πατροῦχον, Ἰσαῖος δὲ καὶ ἐπικληρῖτιν, ὥσπερ καὶ Σόλων. ὁ δὲ ταύτῃ προσήκων κατὰ γένος ἀγχιστεύς. ἐπίδικος δὲ ἡ ἐπίκληρος, ὑπὲρ ἧς ἀμφισβητοῦσί τινες ἀλλήλοις ὡς μᾶλλον εἰς αὐτοὺς τῆς ἀγχιστείας καθηκούσης· ἀνεπίδικος δὲ ἧς οὐκ ἠμφισβήτησάν τινες. ἡ μέντοι κλῆρον οὐκ ἔχουσα πατρῷον θῆσσα καλεῖται, ἣν ὁ ἀγχιστεὺς ἐκδίδωσιν, ἂν ἑτέρᾳ συνοικῇ, ἢ πάντως γαμεῖ. App. crit.: περιληρῖτις A.

… und die mit dem gesamten Erbe (klḗros) aufwachsende alleinige Tochter [ist] epíklēros, die, deren Vater noch lebt, und die, [deren Vater] verstorben ist; einige aber nannten diese auch patrοúchos, Isaios aber auch epiklērítis, genauso wie Solon. Der, welcher auf diese gemäß Verwandtschaftsgrad (katá génos) Anspruch hat, [heißt] anchisteús. Epídikos aber [ist] die Erbtochter (epíklēros), über die mehrere miteinander darüber streiten, dass ihnen das Recht der nächsten Verwandtschaft (anchisteía) eher zukomme [als den anderen], anepídikos hingegen diejenige, um die nicht gestritten wird. Diejenige jedoch, die kein väterliches Erbe hat, nennt man thḗssa, die der nächste Verwandte (anchisteús) verheiratet (ekdidónai), wenn er selbst mit einer anderen [Frau] in einer Ehe zusammenlebt (synoikeín), oder die er ansonsten selbst heiratet.

Der Verweis auf Solon bezieht sich allein auf das Wort epiklērítis, als alternative Form zu epíklēros. Abgesehen von Solon und Isaios finden sich Belege für diesen Wortgebrauch nur bei spätantiken Lexiographen: So kennt auch Harpokration epiklērítis als Synonym zu epíklēros, wobei er allerdings nur die Rede des Isaios Gegen Lysibios als Beleg anführt; ein Verweis auf Solon fehlt.112 Des Weiteren wird der Begriff bei Photios und Pseudo-Zonaras aufgeführt.113 In den anderen erhaltenen solonischen Gesetzesfragmenten wird jedoch durchweg die Bezeichnung epíklēros gebraucht;114 und auch in den übrigen erhaltenen Reden und

112  Harpokr. s. v. ἐπίδικος (ε 95 Keaney; ε 79,12 Bekker; = Deinarchos 60 Frg. 3 Conomis): ὁ δὲ Ἰσαῖος ἐν τῷ Πρὸς Λυσίβιον τὴν ἐπίκληρον ἐπικληρῖτιν κέκληκεν. – „Isaios aber hat die epíklēros in der Rede Gegen Lysibios (fr. XXVI 25 Thalheim) epiklērítis genannt.“ 113  Photios Lex. s. v. ἐπίδικος (ε 1530 Theodoridis) und Pseudo-Zonaras s. v. ἐπίκληρος (801,18 Tittmann): Ἐπίκληρος. ἡ ἐπὶ παντὶ τῷ κλήρῳ ὀρφανὴ καταλελειμμένη, μὴ ὄντος αὐτῇ ἀδελφοῦ· ἡ δὲ αὐτὴ καὶ ἐπικληρίτης. – „Epíklēros: Die mit dem ganzen Erbe (klḗros) zurückgebliebene Waise, die keinen Bruder hat. Dieselbe [heißt] auch epiklērítis.“ 114  F 121; F 122a; F 128b; F 129a, c; F 131b–e.

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Fragmenten des Isaios wird durchweg epíklēros, niemals epiklērítis verwendet.115 Da es auch in den übrigen Quellen des 4. Jahrhunderts zum Erbtochterrecht und bei Plutarch keinen Hinweis auf die Verwendung der Form epiklērítis gibt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die solonischen Gesetze den Begriff epiklērítis verwendet haben, da in diesem Fall häufigere Bezugnahmen auf diesen ungewöhnlichen Begriff zu erwarten wären.116 Eberhard Ruschenbusch geht davon aus, dass es sich um ein ‚ghostword‘ handelt, das aus einer falschen Lesung der Wendung epíklēros tis entstanden ist, wie sie sich in F 131d findet. Aus den Fragmenten der Isaiosrede Gegen Lysibios, die unter anderem bei Harpokration überliefert sind, lässt sich erschließen, dass es in dieser Rede um die Zuweisung einer epíklēros ging. Eines der Fragmente findet sich bei Harpokration unter dem Stichwort ‚notheía‘ und verweist darauf, dass in der Rede der Status der betreffenden Erbtochter als rechtmäßige Tochter von den Prozessgegnern in Frage gestellt wurde. Wahrscheinlich wurde in diesem Zusammenhang auch das Gesetz über die engýēsis und rechtmäßige Kinder (F 131d) zitiert, das die Wendung epíklēros tis enthält, was zur falschen Lesung epiklērítis führte.117 F 128 Schwangerschaft der epíklēros (F 128a: T 481a Martina, F 52c Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 128b: T 444a Martina, F 51a/52a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 127a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 128c: T 444b Martina, F 127b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 128d: T 444c Martina, F 127c Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 128e: T 444d Martina, F 51b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 128f: T 448 Martina; F 27, 52b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 128a: Aristophanes, Daitaleis F 233 PCG (spätes 5. Jh. v. Chr.) (Galenus, Linguarum seu dictionum exoletarum Hippocratis explicatio [= gloss. Hippocr. prooem.] Bd. 19 p. 66 Kühn)

νομίζω δή σοι τὰ ὑπὸ Ἀριστοφάνους ἀρκέσειν τὰ ἐκ τῶν Δαιταλέων, ὧδέ πως ἔχοντα. … κἀκεῖνος μέντοι ἀντιπροβάλλει τῶν ἐν τοῖς Σόλωνος ἄξοσι γλωττῶν εἰς δίκας διαφερούσας ὡδί πως· … [F 70a]. εῖτ’ ἐφεξῆς προβάλλει „τί ποτ’ ἐστί ὀπύειν. ἐξ ὧν δῆλον ὡς ἡ γλῶττα παλαιόν ἐστιν ὄνομα τῆς συνηθείας ἐκπεπτωκός. App. crit.: εῖτ’ pro ἐφεξῆς om. Kühn; τί ποτέ ἐστι τὸ εὖ ποιεῖν Kühn, τὸ ὀπυίειν (aus τοὐπύειν) Dindorf (Dobree), Hall/Geldart, Hendersen, ἀποινᾶν Bergk.

Ich glaube, dir könnten wohl [Verse] aus den Daitaleis des Aristophanes gefallen. Sie lauten etwa wie folgt: … Jener [der Sohn] allerdings fragt nun nach Begriffen auf den áxones Solons, die so vor Gericht verwendet wurden, etwa so: „… [F 70a].“ Darauf fragt er weiter: „Was ist 115  Isai. 3,46.48.74; 6,46.57; 8,40; 10,4.12.21; fr. IX 6 Thalheim. 116  Ausführlich mit Aufzählung der einzelnen Nennungen von epíklēros in den solonischen Gesetzesfragmenten und überlieferten Isaiosreden: Ruschenbusch 2010, 88 f.; vgl. auch Leão/Rhodes 2015, 76. Karabélias dagegen glaubt an eine Verwendung von epiklērítis, wenn auch in sehr begrenztem Rahmen. Die Form epíklēros hält er für solonisch (Karabélias 2002, 16–18). 117  Vgl. Isai. fr. XXVI 24–25 (Thalheim, = Pollux 10,15; Suda τ 322 s. v. τέως; Harpokr. ε 95 s. v. ἐπίδικος und Harpokr. ν 18 s. v. νοθεῖα); dazu Ruschenbusch 2010, 88 f.

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denn opýein?“ Aus all dem wird deutlich, dass die Bezeichnung ein veralteter Begriff ist, der aus dem Sprachgebrauch verschwunden ist.

Plutarch verwendet das Verb opýein in der Form ὀπύεσθαι bei der indirekten Wiedergabe der Bestimmung, wonach die epíklēros, die zusammen mit dem Erbe einem nicht zeugungsfähigen Mann zukam, mit einem anderen Mann aus derselben väterlichen Familie Geschlechtsverkehr haben soll, den sie bevorzugt (F 128b). Es liegt daher nahe, das Aristophanesfragment auf dieses Gesetz zu beziehen.118 F 128b: Plutarch, Solon 20,2–5 (um 100 n. Chr.) (20,2) Ἄτοπος δὲ δοκεῖ καὶ γελοῖος ὁ τῇ ἐπικλήρῳ διδούς, ἂν ὁ κρατῶν καὶ κύριος γεγονὼς κατὰ τὸν νόμον αὐτὸς μὴ δυνατὸς ᾖ πλησιάζειν, ὑπὸ τῶν ἔγγιστα τοῦ ἀνδρὸς ὀπύεσθαι. καὶ τοῦτο δ’ ὀρθῶς ἔχειν τινές φασι πρὸς τοὺς μὴ δυναμένους συνεῖναι, χρημάτων δ’ ἕνεκα λαμβάνοντας ἐπικλήρους καὶ τῷ νόμῳ καταβιαζομένους τὴν φύσιν. (3) ὁρῶντες γὰρ ᾧ βούλεται τὴν ἐπίκληρον συνοῦσαν, ἢ προήσονται τὸν γάμον, ἢ μετ’ αἰσχύνης καθέξουσι, φιλοπλουτίας καὶ ὕβρεως δίκην διδόντες. εὖ δ’ ἔχει καὶ τὸ μὴ πᾶσιν, ἀλλὰ τῶν συγγενῶν τοῦ ἀνδρὸς ᾧ βούλεται διαλέγεσθαι τὴν ἐπίκληρον, ὅπως οἰκεῖον ᾖ καὶ μετέχον τοῦ γένους τὸ τικτόμενον. (4) εἰς τοῦτο δὲ συντελεῖ καὶ τὸ τὴν νύμφην τῷ νυμφίῳ συγκαθείργνυσθαι μήλου κυδωνίου [συγ]κατατραγοῦσαν, καὶ τὸ τρὶς ἑκάστου μηνὸς ἐντυγχάνειν πάντως τῇ ἐπικλήρῳ τὸν λαβόντα. (5) καὶ γὰρ εἰ μὴ γένοιντο παῖδες, ἀλλὰ τιμή τις ἀνδρὸς αὕτη πρὸς σώφρονα γυναῖκα καὶ φιλοφροσύνη, πολλὰ τῶν συλλεγομένων ἑκάστοτε δυσχερῶν ἀφαιροῦσα καὶ ταῖς διαφοραῖς οὐκ ἐῶσα παντάπασιν ἀποστραφῆναι. App. crit.: (2) αὐτῆς S; συνιέναι Anon. (4) συγκατατραγοῦσαν: em. Coraes ex mor. (5) γίγνοιντο ϒ.

(20,2) Sonderbar aber und lächerlich scheint [das Gesetz], welches der Erbtochter (epíklēros) erlaubt, wenn derjenige, der nach dem Gesetz (nómos) ihr Herr und kýrios wird, selbst nicht in der Lage ist, mit ihr [geschlechtlich] zu verkehren (plēsiázein), sich von einem der nächsten Verwandten ihres Mannes beschlafen zu lassen (opýesthai). Einige aber erklären dies für richtig gegenüber solchen, welche nicht [mit ihr] verkehren (syneínai) können, aber des Geldes wegen Erbtöchter (epíklēroi) nehmen und mithilfe des Gesetzes der Natur Gewalt antun. (3) Denn wenn sie sehen, dass die Erbtochter sich, mit wem sie will, verbinden darf (syneínai), dann werden sie entweder die Ehe (gámos) aufgeben oder sie nur mit Schimpf und Schande beibehalten und so für ihre Habsucht und Schamlosigkeit büßen. Gut ist aber auch, dass die Erbtochter (epíklēros) sich nicht mit jedem, sondern nur mit einem der Verwandten (syn­ geneís) ihres Mannes, mit dem sie es will, verbinden darf, damit das Geborene (tiktómenon) zur Hausgemeinschaft gehört (oikeíon eínai) und Anteil an der Familie (génos) hat. (4) Dazu gehört auch, dass die Braut (nýmphē) sich zusammen mit dem Bräutigam (nymphíos) einschließen lässt, nachdem sie einen kydonischen Apfel gegessen hat, und dass derjenige, der die Erbtochter (epíklēros) bekommt, auf jeden Fall dreimal in jedem Monat mit ihr zusammentrifft (entynchánein). (5) Denn auch wenn daraus keine Kinder hervorgehen, ist dies [ein Zeichen von] Wertschätzung und liebevoller Behandlung des Mannes der ehrbaren Frau ge-

118  Da die Verwendung opýein durch F 128b und f als solonisch nachgewiesen ist, ist diese Lesart auch in F 128a am wahrscheinlichsten.

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genüber, was jedes Mal viele der üblicherweise entstehenden Schwierigkeiten beseitigt und verhindert, dass sie sich durch Differenzen [voneinander] abwenden.

F 128c: Plutarch, Coniugalia praecepta 1 (Moralia 138d) (um 100 n. Chr.) Ὁ Σόλων ἐκέλευε τὴν νύμφην τῷ νυμφίῳ συγκατακλίνεσθαι μήλου κυδωνίου κατατραγοῦσαν, αἰνιττόμενος ὡς ἔοικεν ὅτι δεῖ τὴν ‹πρώτην› ἀπὸ στόματος καὶ φωνῆς χάριν εὐάρμοστον εἶναι [πρῶτον] καὶ ἡδεῖαν. App. crit.: ‹πρώτην› Hercher; πρῶτον Ov, del. Hercher.

Solon ordnete an, dass die Braut (nýmphē), bevor sie sich mit dem Bräutigam (nymphíos) zu Bett legt, einen kydonischen Apfel verzehren soll; damit deutete er offenbar an, dass die ‹erste› Zuneigung, die von Mund und Stimme ausgeht, harmonisch und lieblich sein solle.

F 128d: Plutarch, Quaestiones Romanae 65 (Moralia 279e–f) (um 100 n. Chr.) „Διὰ τί τῇ νύμφῃ τὸ πρῶτον οὐκ ἐντυγχάνει μετὰ φωτὸς ὁ ἀνὴρ ἀλλὰ διὰ σκότους;“ πότερον ὅτι αἰδεῖται πρὶν ἢ συνελθεῖν ἀλλοτρίαν νομίζων, ἢ καὶ πρὸς ἰδίαν προσιέναι μετ’ αἰδοῦς ἐθιζόμενος; ἤ, καθάπερ ὁ Σόλων ἔγραψε μήλου κυδωνίου τὴν νύμφην ἐντραγοῦσαν εἰς τὸν θάλαμον βαδίζειν, ὅπως τὸ πρῶτον ἄσπασμα μὴ δυσχερὲς γένηται μηδ’ ἀχάριστον, οὕτως ὁ Ῥωμαῖος νομοθέτης, εἰ δή τι προσῆν ἄτοπον τῷ σώματι καὶ δυσχερές, ἔκρυψεν; App. crit.: ὁ add. E.

„Warum kommt der Mann beim ersten Mal nicht bei Licht, sondern im Dunkeln mit der Braut (nýmphē) zusammen?“ (279f) Etwa aus Scheu, weil er sie vor dem ersten Zusammenkommen (synérchesthai) für eine Fremde hält, oder um sich daran zu gewöhnen, sich auch der eigenen Frau mit Scham zu nähern? Oder wollte der römische Gesetzgeber (nomothétēs), so wie Solon angeordnet hat, dass die Braut (nýmphē) einen kydonischen Apfel verzehren soll, ehe sie ins Schlafgemach gehe, damit die ersten Zärtlichkeiten nicht unangenehm und widerwärtig werden, dass, wenn denn irgendetwas Ungewöhnliches und Unangenehmes an ihrem Körper wäre, sie dies verberge?

F 128e: Plutarch, Amatorius 23 (Moralia 769a–b) (um 100 n. Chr.) (A) ἀλλὰ γυναιξί γε γαμέταις ἀρχαὶ ταῦτα φιλίας … καὶ τὸ τῆς ἡδονῆς μικρόν, ἡ δ’ ἀπὸ ταύτης ἀναβλαστάνουσα καθ’ ἡμέραν τιμὴ καὶ χάρις καὶ ἀγάπησις ἀλλήλων καὶ πίστις … τόν τε Σόλωνα μαρτυρεῖ γεγονέναι τῶν γαμικῶν ἐμπειρότατον νομοθέτην, κελεύσαντα μὴ ἔλαττον ἢ τρὶς κατὰ μῆνα τῇ γαμετῇ πλησιάζειν, οὐχ ἡδονῆς ἕνεκα δήπουθεν, ἀλλ’ ὥσπερ αἱ πόλεις διὰ χρόνου σπονδὰς (B) ἀνανεοῦνται πρὸς ἀλλήλας, οὕτως ἄρα βουλόμενον ἀνανεοῦσθαι τὸν γάμον ἐκ τῶν ἑκάστοτε συλλεγομένων ἐγκλημάτων ἐν τῇ τοιαύτῃ φιλοφροσύνῃ. App. crit.: ἀλλὰ Stephanus, ἅμα EB; γε: τε EB; ‹καὶ› γαμέταις Pohlenz; τὸ ‹μεν› τῆς ἡδονῆς Reiske; δήπουθεν Leonardus (δήποθεν iam Xylander), ποθεν E, πόθεν B; βουλόμενοι EB, corr. Reiske (-νος Xylander); ἐγκλημάτων Apelt, Pohlenz probab., ὀχλημάτων ci. Bernardakis, σχισμάτων G, Hermann, †σχημάτων† Pohlenz.

Aber bei verheirateten Frauen (gynaíkes gametaí) ist diese [die geschlechtliche Liebe] der Beginn der Zuneigung … Und die Lust dauert nur kurz, aber die täglich aus ihr wachsende Wertschätzung, Gunst, gegenseitige Liebe und Treue … bezeugt, dass Solon ein Gesetzge-

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ber (nomothétēs) war, der sich sehr genau mit Eheangelegenheiten auskannte, da er anordnete, dass man nicht weniger als dreimal in einem Monat mit der Ehefrau [geschlechtlich] verkehren soll (plēsiázein). Aber keineswegs wegen des Vergnügens [ordnete er dies an], sondern er wollte, dass, wie die Städte ihre gegenseitigen Verträge nach einiger Zeit erneuern, so also sich auch die Ehe, nach den jedes Mal üblicherweise entstehenden Ärgernissen, durch diese Liebe erneuern soll.

F 128f: Hesychios β 466 s. v. βινεῖν (5. Jh. n. Chr.) βινεῖν· παρὰ Σόλωνι τὸ βίᾳ μίγνυσθαι. τὸ δὲ κατὰ νόμον ὀπύειν. App. crit.: βεινεῖν H; σμιγνυσθαι – σοπυειν H.

Bineín bei Solon [in der Bedeutung von] ‚sich mit Gewalt vereinigen‘. Sich gemäß dem Gesetz [vereinigen] hingegen opýein.

Das in der Solonbiographie zitierte Gesetz (F 128b) sollte gewährleisten, dass Kinder der epíklēros das Erbe ihres mütterlichen Großvaters übernehmen konnten. Dass Solon verhindern wollte, dass der nächste Verwandte, obwohl er wegen Alters, Krankheit oder aus anderen Gründen keine Kinder mit der Erbtochter zeugen konnte, diese für sich beanspruchte, um an das Erbe zu gelangen, wird man als Erklärung späterer Zeit ansehen müssen. Solon ging es darum, dass im oíkos des Vaters Enkelkinder geboren wurden, die das Haus weiterführen konnten. Die ungewöhnliche Begrifflichkeit (opýesthai, plēsiázein, syneínai) könnte darauf hindeuten, dass zu Beginn des 6. Jh. der nächste Verwandte, der die epíklēros in die Ehe erhielt, ihr kýrios blieb, doch eine andere Person der nächsten Verwandtschaft mit ihr Geschlechtsverkehr haben sollte, um eine Schwangerschaft herbeizuführen. Auffällig ist jedenfalls, dass Worte einer rechtsgültigen Ehe (engyásthai, ekdidónai, synoikeín) vermieden sind und das von der epíklēros geborene Kind als das „Geborene“ (tiktó­ menon) bezeichnet wird. Dies könnte darauf hindeuten, dass der kýrios der Ehemann der epíklēros blieb, deren väterliches Vermögen verwaltete, wohingegen sein nächster Verwandter eine Art Nebenmann der epíklēros war. Opýein ist bei Homer, Hesiod und Pindar, außerdem im Recht von Gortyn häufig belegt, und zwar in der Bedeutung (rechtmäßig) ‚heiraten‘.119 In klassischer Zeit begegnet opýein allerdings in literarischen Werken aus Athen, nämlich bei Aristophanes und Aristoteles, mit der Bedeutung ‚Geschlechtsverkehr haben‘, ‚geschlechtlich verkehren‘.120 Diese Bedeutung scheint auch im Gesetz Solons und in Plutarchs Wiedergabe

119  Hom. Od. 2,207; 4,798; 6,63; 15,21; 16,386; Il. 8,304; 13,379.429; 14,268; 16,178; 18,383; Hes. theog. 819; scut. 356; Pind. I. 3/4,59; ICret IV 72 3,19; 3,55; 4,19; 4,50; 6,44; 7,1; 7,16; 7,20; 7,23; 7,26; 7,30; 7,35–37; 7,40; 7,42–43; 7,46–47; 7,52; 7,54; 8,5; 8,12; 8,14; 8,17–19; 8, 22–23; 8,26; 8,28; 8,32; 8,35; 8,37; 8,39; 8, 53; 12,17. 120  Aristoph. Ach. 255; Aristot. eth. Nic. 7,6, 1148b 32; vgl. dazu Molly Broadbent, Studies in Greek Genealogy, Leiden 1968, 186; Karabélias 2002, 163 f.; Ruschenbusch 2010, 114 f., der in beiden Belegen einen Rückgriff auf das solonische Gesetz sieht.

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zugrunde zu liegen. Die Angabe im Lexikon des Hesychios (F 128f) stellt klar, dass opýein für den rechtlich zulässigen Geschlechtsverkehr verwendet wird, im Gegensatz zu bineín, das einen unrechtmäßigen, erzwungenen oder einen gegen den Willen des kýrios eingegangenen Geschlechtsverkehr bezeichnet. Bei bineín bezieht sich Hesychios vermutlich auf Solons Gesetz über den Brautraub (F 97d). Eberhard Ruschenbusch geht demgegenüber davon aus, dass bineín noch in klassischer Zeit als neutrale Bezeichnung für den Geschlechtsverkehr diente,121 und beide Erklärungen des Hesychios unzutreffend seien, beruhend auf einer Fehldeutung von Plut. Solon 23,1.122 Als wahrscheinlicher ist hingegen anzusehen, dass sich Hesychios in beiden Fällen auf solonische Gesetze bezieht und die Bedeutung korrekt erläutert, dass also opýein im Sinne von (rechtmäßig) ‚geschlechtlich verkehren‘ zu verstehen ist, ohne dass eine Ehe vorliegen muss.123 Das Gesetz ist allerdings auch in der Weise interpretiert worden, dass der nächste Verwandte die Erbtochter freiwillig an seinen Bruder oder Sohn weitergeben konnte, wenn er selbst sie nicht heiraten und seine bestehende Ehe nicht lösen wollte.124 Eberhard Ruschenbusch folgt Plutarch darin, dass sich die Erbtochter aussuchen durfte, mit welchem der nächsten Verwandten sie geschlechtlich verkehren wollte;125 wahrscheinlicher ist jedoch, dass sie, um Erbstreitigkeiten zu vermeiden, nur mit dem nächsten Verwandten des kýrios geschlechtlich verkehren konnte. Die Reihenfolge der Verwandten richtete sich vermutlich nach dem in Demosth. or. 43,50–51 eingefügten Gesetz (F 137b).126 Die Kinder, die der nächste Verwandte der Erbtochter mit dieser zeugte, sollten in das Erbe ihres Großvaters mütterlicherseits eintreten. In dieselbe Richtung der Sicherung von Nachkommenschaft im Haus der epíklēros zielt auch die Vorgabe, dreimal im Monat mit der Erbtochter zu verkehren (F 128b, e).127 Kam der Ehemann der Verpflichtung nicht nach, weil er keinen Nachwuchs mit der Erbtochter zeugen wollte, konnte gegen ihn Klage eingereicht werden (siehe F 130; nómos agamíou). Plutarch verweist in drei seiner Schriften auf das Gesetz Solons, demgemäß die Braut in der Hochzeitsnacht vor dem Beischlaf einen kydonischen Apfel verzehren soll. Die Formulierungen in F 128b und c stimmen wörtlich überein (τὴν νύμφην τῷ 121  Ruschenbusch 2010, 114 f. mit Berufung auf Aristoph. Lys. 954; Ekkl. 228, 525; unter Eheleuten: Aristoph. Lys. 934. 122  Ruschenbusch 2010, 115; vgl. auch Ruschenbusch 1966, 46 f. 123  Von einer rechtsgültigen Ehe gehen hingegen Leão und Rhodes (2015, 91) aus: „The solution would be to marry her to the next nearest of kin“. „The term ὀπύεσθαι used in fr. 52a (…) to define a legitimate marriage is Solonian and occurred in the axones, as is clearly stated by frs. 52b–c (…), but seems to have been misunderstood by Plutarch“. 124  MacDowell 1978, 97; Karabélias 2002, 163–165; Ruschenbusch 1990 [2005]; vgl. hingegen Walter K. Lacey, The Family in Classical Greece, London – Ithaca – New York 1968, 89. 125  Ruschenbusch 1990 [2005], 15. 126  Leão/Rhodes 2016, 91. 127  MacDowell 1978, 97.

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νυμφίῳ συγκαθείργνυσθαι/συγκατακλίνεσθαι μήλου κυδωνίου κατατραγοῦσαν), wohingegen in F 128d eine alternative Formulierung verwendet wird. Dies könnte auf ein direktes Zitat des Gesetzestextes verweisen, doch ist auch ein Eigenzitat des Autors nicht auszuschließen.128 Der Sinn, vor dem Geschlechtsverkehr einen kydonischen Apfel zu essen, habe nach Plutarch (F 128c) darin gelegen, dass Mund und Stimme der Braut angenehm sein sollten. In der Forschung wurde dies mit den positiven Auswirkungen der Frucht auf den Atem erklärt. Dies wird allerdings nicht der ursprüngliche Sinn des Rituals gewesen sein, denn dann bleibt unverständlich, warum nur die Braut und nicht auch der Mann die Frucht verspeisen sollte.129 Es handelte sich wahrscheinlich um ein Fruchtbarkeitsritual, und der Verzehr – wahrscheinlich handelte es sich um eine Quitte130 – sollte die Fruchtbarkeit der Frau fördern.131 Der Brauch, vor dem ersten Geschlechtsverkehr eine Quitte zu verzehren, war vermutlich kein allgemeiner, sondern von Solon nur dann gesetzlich vorgeschrieben, wenn die Person, der die Erbtochter zugesprochen wurde, nicht zeugungsfähig war und die epíklēros mit einem anderen Verwandten geschlechtlich verkehrte. Denn in diesem Kontext überliefert Plutarch in der Biographie Solons die Verpflichtung, dass der Mann dreimal im Monat mit der Erbtochter Geschlechtsverkehr haben und sie zuvor eine Quitte essen solle. Es ging also darum, in diesen Fällen sicherzustellen, dass die Erbtochter schwanger wurde und Kinder gebar, die das Erbe des mütterlichen Großvaters übernehmen konnten.132 In der Forschung wird mitunter angezweifelt, dass es sich um ein solonisches Gesetz handelt.133 Die Darstellung einer Braut mit einer 128  Der zweifache Beleg von opýein in den Gesetzen Solons (bei Aristophanes und Hesychios) spricht dafür, dass sich Plutarch in Solon 20,2 eng an den originalen Wortlaut des Gesetzes hält. Aus der Komödie Daitaleis des Aristophanes geht hervor, dass bereits im späten 5. Jh. Unklarheit über die exakte Bedeutung einzelner Begriffe archaischer Zeit bestand (vgl. dazu auch Aristot. Ath. pol. 9,2, F 121). Ruschenbusch 2010, 114 f. 129  Siegmar Döpp, Melon Kydonion (malum Cydonium) – Quitte oder Apfel? in: Hermes 123, 1995, 341–345, hier 344 f.; Manfred Lugauer, Untersuchungen zur Symbolik des Apfels in der Antike, Erlangen – Nürnberg 1967, 77 Anm. 15. 130  Plin. NH 15,10 (37): „Quitten, die von den Griechen kydonische Äpfel genannt werden und von der Insel Kreta stammen“; Jürgen Trumpf, Kydonische Äpfel, in: Hermes 88, 1960, 14–22. 131  Lugauer 1967 (wie Anm. 129), 60 f.; Broadbent 1968 (wie Anm. 120), 156 f.; vgl. Vérilhac/Vial 1998, 344. Als Symbol der Fruchtbarkeit und der Rechtsgültigkeit der Ehe Manfredini und Piccirilli (1977, 226 f.). Döpp 1995 plädiert dafür, dass es sich um eine zuvor gekochte Quitte handelte: diese sei in den Hochzeitsmonaten erntereif und verfügbar gewesen und hätte einen positiven Effekt auf den Atem gehabt, wie von Plutarch beschrieben. Es ist jedoch nicht sicher, dass im ursprünglichen Gesetzestext eine Quitte gemeint war. 132  So Karabélias 2002, 139 f.: Bei der Ehe der Erbtochter, insbesondere bei der mit einem älteren Verwandten, sei von besonderer Bedeutung gewesen, dass aus der Verbindung Nachwuchs hervorging, um den oíkos des mütterlichen Großvaters fortzuführen. Darauf war auch die Vorschrift gerichtet, dass der Mann dreimal im Monat mit der Erbtochter Geschlechtsverkehr haben musste. Molly Broadbent hat hingegen vermutet, dass damit die Zustimmung der Braut zu der Heirat offen zum Ausdruck komme (1968 [wie Anm. 120], 157). 133  Ruschenbusch und Leão/Rhodes führen die Fragmente unter „Falsches, Zweifelhaftes, Unbrauchbares“ auf (Ruschenbusch 1966, 120; Leão/Rhodes 2015, 91, 186 f.).

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Frucht, wie sie eine attische Loutrophore des 5. Jh. v. Chr. zeigt, legt jedoch nahe, dass es den Brauch tatsächlich gegeben hat.134 F 129 Verheiratung einer unbemittelten Erbtochter (F 129a: T 437 Martina, F 126a-c adn. Ruschenbusch, F 51/1 Leão/Rhodes; F 129c: T 439 Martina, F 126b Ruschenbusch, F 51/3 Leão/Rhodes; F 129d: T 442 Martina, F 126a Ruschenbusch, F 51/2 Leão/Rhodes)

F 129a: Demosthenes, Gegen Makartatos (or. 43) 53–54 (345/40 v. Chr.) (53) Οὐ τοίνυν, ὦ ἄνδρες δικασταί, ταῦτα μὲν ἔδωκεν ὁ νομοθέτης τοῖς προσήκουσιν, ἕτερα δὲ οὐ προσέταξεν πολλὰ πάνυ ἐν τῷ νόμῳ, ἃ δεῖ ποιεῖν τοὺς προσήκοντας ἐπάναγκες· ἀλλὰ πολλὰ πάνυ ἐστὶν ἃ προστάττει ποιεῖν τοῖς προσήκουσιν, καὶ πρόφασιν οὐδεμίαν δίδωσιν, ἀλλ’ ἐξ ἀνάγκης δεῖ ποιεῖν. μᾶλλον δὲ λέγε αὐτὸν τὸν νόμον τὸν πρῶτον. ΝΟΜΟΣ

(54) Τῶν ἐπικλήρων ὅσαι θητικὸν τελοῦσιν, ἐὰν μὴ βούληται ἔχειν ὁ ἐγγύτατα γένους, ἐκδιδότω ἐπιδοὺς ὁ μὲν πεντακοσιομέδιμνος πεντακοσίας δραχμάς, ὁ δ’ ἱππεὺς τριακοσίας, ὁ δὲ ζευγίτης ἑκατὸν πεντήκοντα, πρὸς οἷς αὐτῆς. ἐὰν δὲ {μὴ} πλείους ὦσιν ἐν τῷ αὐτῷ γένει, τῇ ἐπικλήρῳ πρὸς μέρος ἐπιδιδόναι ἕκαστον. ἐὰν δ’ αἱ γυναῖκες πλείους ὦσι, μὴ ἐπάναγκες εἶναι πλέον ἢ μίαν ἐκδοῦναι τῷ γ’ ἑνί, ἀλλὰ τὸν ἐγγύτατα {δεῖ} ἐκδιδόναι ἢ αὐτὸν ἔχειν. ἐὰν δὲ μὴ ἔχῃ ὁ ἐγγυτάτω γένους ἢ μὴ ἐκδῷ, ὁ ἄρχων ἐπαναγκαζέτω ἢ αὐτὸν ἔχειν ἢ ἐκδοῦναι. ἐὰν δὲ μὴ ἐπαναγκάσῃ ὁ ἄρχων, ὀφειλέτω χιλίας δραχμὰς ἱερὰς τῇ Ἥρᾳ. ἀπογραφέτω δὲ τὸν μὴ ποιοῦντα ταῦτα ὁ βουλόμενος πρὸς τὸν ἄρχοντα. App. crit.: (53) πολλὰ … ἐπάναγκες del. Reiske; πάνυ πολλὰ A; (54) legem om. S F Q D; ζυγίτης codd., corr. Wolf; οἷς codd., τοἷς Wolf; δὲ Wolf, δὲ μὴ codd.; τῷ γ’ ἑνί Herrmann, τῷ γένει codd., τῷ ἑνί Drerup; δεῖ codd., ἀεὶ Blass, del. Dobree.

Also, Geschworene, hat der Gesetzgeber (nomothétēs) dieses [Gesetz] den Verwandten nicht erlassen, ohne eine große Zahl anderer Pflichten in dem Gesetz festzusetzen, welche die Verwandten notwendigerweise erfüllen müssen: es gibt nämlich viele Pflichten, die er den Verwandten zu tun auferlegte, und er ließ keine Ausflüchte zu, denn man muss sie notwendigerweise erfüllen. Aber lies vielmehr das Gesetz, und zwar das erste: Gesetz

Die von den Erbtöchtern (epíklēroi), die das thētikón schatzen [zur Schatzungsklasse der Theten gehören], muss, wenn der nächste Verwandte (ho engýtata génous) sie nicht [zur Frau] nehmen will, der Fünfhundertscheffler (pentakosiomédimnos) [einem anderen] in die Ehe geben (ekdidónai) und ihr fünfhundert Drachmen [als Mitgift] dazugeben (epididónai), der Reiter (hippeús) dreihundert und der Zeugite (zeugítēs) einhundertfünfzig, zuzüglich zu ihrem [Besitz]. Wenn es aber mehrere [Verwandte] mit demselben Verwandtschaftsgrad gibt, soll ein jeder der Erbtochter (epíklēros) seinen Anteil [an der Mitgift] dazugeben (epi­ didónai).135 Wenn es aber mehrere Frauen gibt, soll es für einen einzigen [Verwandten] nicht 134  Schmitz 2004, 218; Lacey 1968 (wie Anm. 124), 45 Abb. 24; vgl. zu weiteren Darstellungen: Vérilhac/Vial 1998, 137–140. 135  Ist ἐὰν δὲ μὴ πλείους ὦσιν ἐν τῷ αὐτῷ γένει … die richtige Lesung, wäre zu übersetzen: „ … fünfhundert Drachmen …, dreihundert und … einhundertfünfzig, zuzüglich zu ihrem [Besitz], wenn es

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notwendig sein, mehr als eine in die Ehe zu geben (ekdidónai), sondern der nächste [Verwandte] (ho engýtata) soll sie in die Ehe geben oder sie selbst [zur Frau] haben. Wenn der nächste Verwandte (ho engytátō génous) sie aber weder [zur Frau] nimmt noch in die Ehe gibt (ekdidónai), soll der árchōn ihn dazu zwingen, dass er sie entweder selbst [zur Frau] nimmt oder in die Ehe gibt (ekdidónai). Wenn der árchōn ihn aber nicht dazu gezwungen hat, soll er eintausend Drachmen an das Heiligtum der Hera zahlen. Es soll aber jeder, der will (boulóme­ nos), denjenigen [Verwandten], der seiner Pflicht nicht nachkommt, beim árchōn eintragen (apographeín).

F 129b: Isaios, Über das Erbe des Kleonymos (or. 1) 39 (erste Hälfte 4. Jh.) Καὶ εἰ μὲν … Κλεώνυμος ἐτελεύτησε θυγατέρας ἀπορουμένας καταλιπών, ἡμεῖς ἂν διὰ τὴν ἀγχιστείαν καὶ τὸν πάππον γηροτροφεῖν ἠναγκαζόμεθα καὶ τὰς Κλεωνύμου θυγατέρας ἢ λαβεῖν αὐτοὶ γυναῖκας ἢ προῖκα ἐπιδόντες ἑτέροις ἐκδιδόναι, καὶ ταῦθ’ ἡμᾶς καὶ ἡ συγγένεια καὶ οἱ νόμοι καὶ ἡ παρ’ ὑμῶν αἰσχύνη ποιεῖν ἠνάγκαζεν ἄν, ἢ ταῖς μεγίσταις ζημίαις καὶ τοῖς ἐσχάτοις ὀνείδεσι περιπεσεῖν. App. crit.: ἐπιδόντες Cobet, Roussel, ἐπιδιδόντες Thalheim.

Und wenn … Kleonymos bei seinem Tod mittellose Töchter hinterlassen hätte, wären wir aufgrund der Verwandtschaft (anchisteía) gezwungen, sowohl den Großvater im Alter zu ernähren als auch die Töchter des Kleonymos entweder selbst zu Frauen zu nehmen oder sie mit einer Mitgift (proíx) auszustatten (epididónai) und anderen in die Ehe zu geben (ekdidónai); und dies zu tun würden uns die Verwandtschaft (syngéneia), die Gesetze (nómoi) und die Scham euch gegenüber zwingen, oder wir würden den schlimmsten Strafen und der größten Schande verfallen.

F 129c: Diodor, Bibliothḗké 12,18,3 (1. Jh. v. Chr.) τρίτος δὲ νόμος διωρθώθη ὁ περὶ τῶν ἐπικλήρων, ὁ καὶ παρὰ Σόλωνι κείμενος. ἐκέλευε γὰρ τῇ ἐπικλήρῳ ἐπιδικάζεσθαι τὸν ἔγγιστα γένους, ὡσαύτως δὲ καὶ τὴν ἐπίκληρον ἐπιδικάζεσθαι τῷ ἀγχιστεῖ, ᾧ ἦν ἀνάγκη συνοικεῖν ἢ πεντακοσίας ἐκτῖσαι δραχμὰς εἰς προικὸς λόγον τῇ πενιχρᾷ ἐπικλήρῳ. App. crit.: τῇ P1, τῶ P2; τὸν: τῶ (eraso ν) P; τῆ* ἐπικλήρω* (bis eraso ν) P; ᾧ: ὃν Hert.; πενιχρᾶ P.

Das dritte Gesetz, das geändert wurde, war das über die Erbtöchter (epíklēroi); es liegt auch bei Solon vor. Er [Charondas] ordnete nämlich an, dass sich der nahe Familienangehörige (én­ gista génous) die Erbtochter (epíklēros) zusprechen lasse (epidikázesthai), so wie sich auch die Erbtochter (epíklēros) dem Nächstverwandten (anchisteús) zusprechen lasse (epidikázesthai); dem oblag es, entweder selbst in einer Ehe [mit ihr] zusammenzuleben (synoikeín) oder ihr als armer Erbtochter (penichrá epíklēros) zum Zweck der Mitgift (proíx) fünfhundert Drachmen auszuzahlen.

nicht mehrere [Verwandte] mit demselben Verwandtschaftsgrad gibt, wobei dann ein jeder der Erbtochter seinen Anteil [an der Mitgift] dazugeben soll“.

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F 129d: Aristophanes von Byzanz s. v. θῆσσα (fr. 39 Nauck) (Eustath., Comm. ad Hom. Il. 21,450, p. 1246, 13–15 [Rom]; 4, p. 536, 10–15 v. d. Valk)

θῆσσα γάρ, φησίν, ἣν πατὴρ καταλέλοιπε πένης ὤν. αὕτη δέ, φησίν, ἐπὶ τὸν πλησίον τοῦ γένους πορεύεται κατὰ νόμον ἀναγκάζοντα τοῦτο· καὶ ὁ μὴ αἱρούμενος γῆμαι πέντε μνᾶς ἀποτίνει, ὡς ἔταξε Σόλων. ἐν δὲ τοῖς ἐπικαινισθεῖσι νόμοις μετέδοξε τοῦτο ὡς μικρόν, καὶ ἐγένοντο δέκα μναῖ. Eine Thetin (thḗssa) nämlich, sagt er [Aristophanes von Byzanz], ist die [Tochter], die von ihrem mittellosen Vater zurückgelassen worden ist. Diese, sagt er, wird gemäß Gesetz (nómos), das dies verlangt, zu dem nächsten Verwandten (plēsíos toú génous) gebracht; und wenn er sie nicht heiraten will, zahlt er fünf Minen, wie Solon festlegte. In den revidierten Gesetzen änderte man dies, weil [der Betrag] zu gering war, und er wurde auf zehn Minen festgesetzt. vgl. Aristoph. Byz. Nomina aetatum (fragmentum Parisinum) p. 278,11 (Miller) s. v. Θῆσσα· ἣν ὁ πατὴρ καταλέλοιπε πένης ὢν, ἄκληρον. Ἀναγκάζει δὲ τοὺς συγγενεῖς ὁ Σόλωνος νόμος πέντε μνᾶς, ἔπειτα δὲ μετέδοξε δέκα ταύτῃ διδόναι, πρὸς τὸ ληφθῆναι εἰς γάμον. – „thḗssa: die der mittellose Vater zurückgelassen hat, ohne Erbe. Solons Gesetz (nómos) zwingt die Verwandten (syngeneís) zu fünf Minen. Später hat man dies geändert, so dass ihr in die Ehe zusätzlich zum Erbe zehn zu geben waren“.

In der Forschung besteht keine einheitliche Ansicht darüber, ob diese detaillierte Regelung, die die solonischen Schatzungsklassen voraussetzt und zunächst eine magistratische Amtsgewalt anführt, bevor es zu einer öffentlichen Klage, einer graphḗ, kommt, als solonisch anzusehen ist.136 Eberhard Ruschenbusch führt das Gesetz unter der Kategorie „Falsches, Zweifelhaftes, Unbrauchbares“ auf; Delfim F. Leão und P. J. Rhodes sowie Sviatoslav Dmitriev erkennen es hingegen als solonisches Gesetz an.137 Nach Alick R. W. Harrison spreche die Formulierung ὁ καὶ παρὰ Σόλωνι κείμενος (νόμος) bei Diodor für ein Zitat von einem áxōn.138 Allerdings zitiert Diodor das Gesetz nicht wörtlich und verbindet es nur indirekt mit Solon. In Demosth. or. 43,54 (F 129a) ist der Gesetzestext im Wortlaut eingefügt, aber nicht mit Solon verbunden. Aristophanes von Byzanz (F 129d) zitiert den Gesetzestext ebenfalls nicht direkt und gibt den Inhalt leicht abgewandelt und lückenhaft wieder, wobei die Wortwahl kaum Übereinstimmung mit F 129a und F 129c aufweist. Dennoch schreibt Aristophanes das Gesetz explizit Solon zu. 136  Die Schatzungsklassen verloren nach den Reformen des Kleisthenes an Bedeutung, blieben aber bis ins 4. Jh. v. Chr. bestehen: Winfried Schmitz, Reiche und Gleiche. Timokratische Gliederung und demokratische Gleichheit der athenischen Bürger im 4. Jahrhundert v. Chr., in: Walter Eder (Hrsg.), Die athenische Demokratie im 4. Jahrhundert v. Chr. Vollendung oder Verfall einer Verfassungsform?, Stuttgart 1995, 573–597; Hans van Wees, Mass and Elite in Solon’s Athens. The Property Classes Revisited, in: Josine H. Block, André P. M. H. Lardinois (Hrsg.), Solon of Athens. New Historical and Philological Approaches, Leiden – Boston 2006, 351–389, hier 351–389; Kurt A. Raaflaub, Athenian and Spartan Eunomia, or: What to do with Solon’s Timocracy?, in: Michael Gargarin, David Cohen (Hrsg.), The Cambridge Companion to Ancient Greek Law, Cambridge – New York 2005, 390–428. 137  Ruschenbusch 1966, 120; Leão/Rhodes 2016, 88; Sviatoslav Dmitriev, The Birth of the Athenian Community. From Solon to Cleisthenes, London – New York 2018, 63 f. 138  Harrison 1968, 46 Anm. 2.

Erbtochterrecht (F 127–131)

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Einige wörtliche Parallelen verbinden das Gesetz über die Erbtöchter mit anderen Gesetzen des Erbrechts, so die Bezeichnung des nächsten Verwandten als ὁ ἐγγύτατα γένους, ὁ ἐγγύτατα und ὁ ἐγγυτάτω γένους (F 129a; vgl. F 124a–b, 137 g) und die Verwendung von epidikázein im Erbtochter- und Adoptionsrecht (F 129c; 131b; vgl. F 135a).139 Für den Begriff anchisteús ist hingegen keine Parallelstelle überliefert. Die Bezeichnung des Gesetzes bei Diodor als ὁ περὶ τῶν ἐπικλήρων [νόμος] ähnelt derjenigen in der Athen­ aion politeia mit ὁ τῶν (περὶ) κλήρων καὶ ἐπικλήρων [νόμος] (F 121). Sehr wahrscheinlich handelt es sich aber um keine solonische, sondern eine spätere Formulierung. Das bei Diodor überlieferte Fragment enthält eine Bestimmung, nach der die Erbtochter dem nächsten Verwandten zugesprochen wird (epidikázein). Die Zuweisung von Erbe und Erbtochter, die epidikasía, erfolgte durch den árchōn epṓnymos oder, wenn es sich um die Tochter eines Metöken handelte, durch den árchōn polémarchos. Gab es Ansprüche mehrerer Verwandter auf eine Erbtochter, wurde der Fall durch ein Gerichtsverfahren (diadikasía), dem der árchōn vorsaß, entschieden.140 Der nächste Verwandte war verpflichtet, mit der Erbtochter in einer Ehe zusammenzuleben (synoikeín), wenn er das Erbe erhalten wollte. Dafür ließ er sich – dies war die Praxis zumindest in klassischer Zeit – von seiner Ehefrau scheiden, wenn er bereits verheiratet war. Die sonst übliche engýē entfiel, da er als nächster Verwandter selbst kýrios der Erbtochter war, aber die Kinder aus der Verbindung waren trotz fehlender engýē dennoch erbberechtigt.141 Auch wurde die Erbtochter, wenn sie bereits verheiratet war und noch keine Kinder geboren hatte oder schwanger war, von ihrem Ehemann geschieden, um den nächsten Verwandten zu heiraten, wie Isaios belegt.142 Der nächste Verwandte der Erbtochter war, folgt man dem Gesetz über die Erbfolge der Verwandten F 137b, ihr Onkel väterlicherseits und nach diesem einer der übrigen Verwandten der väterlichen Seite bis zu den Kindern des Cousins ersten Grades, danach ein Verwandter der mütterlichen Seite nach derselben Reihenfolge.143 Diese Verwandten gehörten zur anchisteía, zur nächsten Verwandtschaft (vgl. dazu IX 4). Die Ausführungen in Isai. 3,74 sprechen dafür, dass diese Reihenfolge auch für den

139  Vgl. auch Isai. 3,64.74. 140  Harrison 1968, 132 f.; Todd 1993, 229; Foxhall 2003, 4; Phillips 2013, 233. 141  Wolff 1944, 75 f.; Sealey 1984 (wie Anm. 101) 119 f.; Ogden 1996 (wie Anm. 101) 38. 142  Isai. 3,64: Τὰς μὲν ὑπὸ τῶν πατέρων ἐκδοθείσας καὶ συνοικούσας ἀνδράσι γυναῖκας – περὶ ὧν τίς ἂν ἄμεινον ἢ ὁ πατὴρ βουλεύσαιτο; – καὶ τὰς οὕτω δοθείσας, ὰν ὁ πατὴρ αὐτῶν τελευτήσῃ μὴ καταλιπὼν αὐταῖς γνησίους ἀδελφούς, τοῖς ἐγγύτατα γένους ἐπιδίκους ὁ νόμος εἶναι κελεύει, καὶ πολλοὶ συνοικοῦντες ἤδη ἀφῄρηνται τὰς ἑαυτῶν γυναῖκας. – „Die Frauen, die von ihren Vätern in die Ehe gegeben wurden (ek­ dotheísai) und mit ihren Männern in einer Ehe zusammenleben (synoikoúsai) – für die wohl niemand besser gesorgt haben dürfte als ihr Vater –, auch diese [Frauen], die so in die Ehe gegeben wurden (do­ theísai), bestimmt das Gesetz zum Gegenstand eines gerichtlichen Zuspruchs (epídikoi) an die nächsten Verwandten, wenn ihr Vater verstorben ist, ohne ihnen rechtmäßige Brüder (gnḗsioi adelphoí) zu hinterlassen, und vielen in einer Ehe zusammenlebenden Männern wurden ihre Frauen schon [auf diese Weise] genommen“. Dazu MacDowell 1978, 96; Schmitz 2004, 223. 143  Harrison 1968, 132 f.; Sealey 1994, 16; Cudjoe 2010, 191; Leão/Rhodes 2015, 90.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

Anspruch auf die Erbtochter galt.144 Auch Platon gibt in seinen Gesetzen eine ähnliche Reihenfolge vor.145 Nach F 129a mussten mehrere Verwandte desselben Verwandtschaftsgrades zu gleichen Anteilen zur Mitgift für die mittellose Erbtochter beitragen. War die Erbtochter keine θῆσσα, gehörte sie also nicht der Schatzungsklasse der Theten an, wurde sie wahrscheinlich dem ältesten von ihnen zugewiesen. Weiterhin sei ein Verwandter nur verpflichtet gewesen, eine einzige mittellose Erbtochter mit einer Mitgift auszustatten. Hinterließ ein Erblasser, der einer der drei höheren Schatzungsklassen angehörte, mehrere Erbtöchter, wurde der väterliche Besitz auf diese aufgeteilt und sie verschiedenen Verwandten, dem Alter und Verwandtschaftsgrad entsprechend, in die Ehe gegeben.146 Die Erbtochter konnte nicht vom Erbe getrennt werden. Unsicher ist, ob die letzte Bestimmung, nach der der nächste Verwandte die Erbtochter heiraten oder mit einer festgelegten Mitgift einem anderen in die Ehe geben kann, solonisch ist. Sie findet sich in allen vier Fragmenten: – Das in Demosth. or. 43,54 eingefügte Gesetz (F 129a) referiert die Bestimmung am ausführlichsten. Hier variiert die Höhe der Mitgift und richtet sich nach der Schatzungsklasse des nächsten Verwandten, der 500, 300 oder 150 Drachmen zahlen musste, wenn er pentakosiomédimnos, hippeús oder zeugítēs war. Darüber hinaus macht F 129a Angaben zu verschiedenen Szenarien: Für den Fall mehrerer gleichberechtigter Verwandter, für den Fall mehrerer Erbtöchter sowie Angaben zur Durchsetzung der Regelung durch den árchōn. – F 129b und c geben die Bestimmung verkürzt wieder; nach F 129c muss der nächste Verwandte die Erbtochter mit einer Mitgift von 500 Drachmen verheiraten. – In F 129d ist der Betrag auf 5 bzw. 10 Minen festgelegt, wobei stillschweigend vorausgesetzt ist, dass der nächste Verwandte die Erbtochter verheiraten muss und es sich bei der zu zahlenden Summe um die Mitgift für die Erbtochter handelt. – Hinweise auf das Gesetz, allerdings ohne direkten Verweis auf Solon, finden sich in anderen, überwiegend lexikographischen Quellen. Am häufigsten werden fünf

144  Isai. 3,74: Δῆλον μὲν γὰρ ὅτι ἐπίκληρον [μὲν] καταλιπὼν ἀκριβῶς ἂν ᾔδει ὅτι δυοῖν θάτερον ἔμελλεν ὑπάρχειν αὐτῇ· ἢ γὰρ ἡμῶν τινα τῶν ἐγγύτατα γένους ἐπιδικασάμενον ἕξειν γυναῖκα, ἢ εἰ μηδεὶς ἡμῶν ἐβούλετο λαμβάνειν, τῶν θείων τινὰ τούτων τῶν νῦν μαρτυρούντων, εἰ δὲ μή, τῶν ἄλλων τινὰ συγγενῶν τὸν αὐτὸν τρόπον ἐπὶ πάσῃ τῇ οὐσίᾳ ἐπιδικασάμενον κατὰ τοὺς νόμους ἕξειν ταύτην γυναῖκα. – „Denn klar ist, dass er, wenn er eine Erbtochter hinterließe, ganz genau gewusst hätte, dass einer von zwei Fällen auf diese zutreffen musste: Entweder müsste einer von uns, den nächsten Verwandten, [beim árchōn] Anspruch auf sie erheben (epidikázesthai) und sie zur Frau nehmen oder, wenn keiner von uns sie nehmen wollte, einer von diesen Onkeln, die jetzt als Zeugen aufgetreten sind, und wenn auch [von diesen] nicht [einer sie nehmen wollte], müsste einer von den übrigen Verwandten gemäß den Gesetzen (nómoi) auf dieselbe Weise Anspruch auf diese mit dem ganzen Vermögen (ousía) erheben und diese zur Frau nehmen“. 145  Plat. leg. 11, 923e–925a; Platon bezieht allerdings auch die Onkel des Erblassers mit ein, die bei Demosthenes (or. 43,51) (F 137b) nicht genannt werden. 146  Harrison 1968, 134; MacDowell 1978, 95; Foxhall 2003, 3; Cantarella 2005 (wie Anm. 104), 249.

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Minen als Höhe der zu zahlenden Mitgift angegeben.147 Darüber hinaus wird das Gesetz auch bei Pollux (F 127) erwähnt. Allerdings fehlt hier der Hinweis auf die zu zahlende Mitgift. Eberhard Ruschenbusch hält das Gesetz nicht für solonisch, da er die Höhe der festgesetzten Mitgift, die in etwa einem Jahreseinkommen entspricht, für die solonische Zeit für unrealistisch hält.148 Allerdings besteht trotz dieses Einwands die Möglichkeit, dass es sich um eine revidierte Fassung eines solonischen Gesetzes handelt. Die Höhe der Mitgift kann später angepasst worden sein, wie Evangélos Karabélias vermutet.149 Nach F 129d sei vielleicht die Höhe der Mitgift zumindest einmal geändert worden, um dem veränderten Geldwert Rechnung zu tragen. Es kann sich bei der Angabe aber auch um ein Missverständnis handeln; denn das in Demosth. or. 43,54 eingelegte Gesetz nennt eine Strafe von 1000 Drachmen für den árchōn epṓnymos, wenn er den Nächstberechtigten nicht verpflichtet hat, die mittellose epíklēros zu heiraten oder mit einer Mitgift auszustatten. Die Strafhöhe bemisst sich vermutlich nach der doppelten Höhe der für einen pentakosiomédimnos angesetzten Mitgift. Nach Eberhard Ruschenbusch brachte eine Heirat mit einer Erbtochter ohne oder mit geringem Vermögen große Nachteile für den Mann, da er sich entweder von seiner Frau und damit ihrer Mitgift trennen musste oder ihm die Möglichkeit zu einer vorteilhafteren Heirat verschlossen blieb. Das Gesetz sollte die Verheiratung der Erbtochter außerhalb der Verwandtschaft erschweren, indem für diesen Fall eine hohe Mitgift von dem nächsten Verwandten zu stellen war.150 Die Fragmente legen nahe, dass die Erbtochter in einem solchen Fall auch außerhalb des Verwandtenkreises verheiratet werden konnte. Da die Verpflichtung der Verwandten zur Ausstattung einer besitzlosen Erbtochter nur für die drei oberen Schatzungsklassen geregelt ist, kann vermutet werden, dass bei Heiraten unter Angehörigen der unterbäuerlichen Schicht Mitgiften nicht üblich waren.151 Ob bereits in solonischer Zeit gegen den árchōn eine Strafe von 1000 Drachmen verhängt werden konnte, wenn er seiner Verpflichtung, die nächsten Verwandten zur Einhaltung des Gesetzes zu zwingen, nicht nachkam (F 129a), muss unsicher bleiben.

147  Fünf Minen werden bei folgenden Autoren angegeben: Harpokr. ε 95 s. v. ἐπίδικος; θ 23 Keaney s. v. θῆτες καὶ θητικόν (= Poseidippos F 38 PCG); Phot. Lex. θ 197 s. v. θητεὺς καὶ θητικόν (Theodoridis); Ter. Phorm. 410; Suda θ 372 s. v. θῆττα (fünfhundert Drachmen). 148  Ruschenbusch 1990 [2005], 16 f. 149  Karabélias 2002, 220–223; das Gesetz für solonisch hält außerdem Robin Lane Fox, Aspects of Inheritance in the Greek World, in: Paul A. Cartledge, F. D. Harvey (Hrsg.), Crux. Essays Presented to G. E. M. de Ste. Croix on his 75th Birthday, London 1985, 208–232, hier 225 f. 150  Ruschenbusch 1990 [2005], 16 f. 151  Schmitz 2004, 221 Anm. 230. Auch Harrison und Karabélias gehen davon aus, dass ein der Schatzungsklasse der Theten angehörender Verwandter die Erbtochter ohne Mitgift einem anderen in die Ehe geben konnte (Harrison 1968, 136 mit Anm. 2; Karabélias 2002, 217 f.).

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

Die gesetzliche Bestimmung gegen Untätigkeit im Amt (argía) (F 59) zeigt jedoch, dass auch schon um 600 v. Chr. mit entsprechenden Strafen gegen Amtsträger zu rechnen ist. F 130 Pflicht zur Ehe mit der Erbtochter (F 130: T 421, 445 Martina, F 139 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 130: Plutarch, De amore prolis 2 (Moralia 493e) (um 100 n. Chr.) Ὅρα περὶ τοὺς γάμους ὅσον ἐστὶν ἐν τοῖς ζῴοις τὸ κατὰ φύσιν. πρῶτον οὐκ ἀναμένει νόμους ἀγαμίου καὶ ὀψιγαμίου, καθάπερ οἱ Λυκούργου πολῖται καὶ Σόλωνος, οὐδ’ ἀτιμίας ἀτέκνων δέδοικεν, οὐδὲ τιμὰς διώκει τριπαιδίας, ὡς Ῥωμαίων πολλοὶ γαμοῦσι καὶ γεννῶσιν, οὐχ ἵνα κληρονόμους ἔχωσιν ἀλλ’ ἵνα κληρονομεῖν δύνωνται. App. crit.: τοῖς om. y; ἀγάμου καὶ ὀψιγάμου Döhner, τρίπαδας Döhner.

Sieh, wie sehr sich die Tiere bei der Begattung (gámoi) an die Natur halten. Zunächst warten sie nicht, wie die Bürger eines Lykurg und Solon, auf die Gesetze über die nicht eingegangene oder verspätete Ehe (nómoi agamíou kaí opsigamíou), fürchten weder die Schmach wegen Kinderlosigkeit, noch streben sie nach dem Dreikinderrecht (timaí tripaidías [ius trium libe­ rorum]), so wie viele Römer [nur deswegen] heiraten (gameín) und Kinder zeugen, nicht um Erben (klēronómoi) zu erhalten, sondern um [selbst] erben zu können (klēronomeín). vgl. Pollux 3,48: ἦσαν δὲ καὶ ἀγαμίου δίκαι πολλαχοῦ, καὶ ὀψιγαμίου καὶ κακογαμίου ἐν Λακεδαίμονι. – „In vielen Städten aber gab es Klagen wegen einer nicht eingegangenen Ehe (agamíou díkai), in Lakedaimon sogar wegen später Heirat und schlechter Heiratsverbindung (opsigamíou kaí kakogamíou)“. Pollux 8,40: γραφαὶ δὲ φόνου καὶ τραύματος ἐκ προνοίας, καὶ πυρκαϊᾶς καὶ φαρμάκων καὶ μοιχείας καὶ ὕβρεως, ἱεροσυλίας, ἀσεβείας, προδοσίας, δώρων, δεκασμοῦ, λιποστρατίου, λιποταξίου, ἀστρατείας, λιποναυτίου, ἀναυμαχίου, τοῦ ῥῖψαι τὴν ἀσπίδα, ἀφ’ οὗ ῥίψασπις Κλεώνυμος, ἀγαμίου, παρὰ δὲ Λακεδαιμονίοις καὶ ὀψιγαμίου καὶ κακογαμίου, ἀργίας, ἑταιρήσεως, ψευδεγγραφῆς, ψευδοκλητείας, ξενίας, δωροξενίας, παρανόμων, παραπρεσβείας. – „öffentliche Klagen (graphaí) wegen Tötung und Verletzung aus Vorbedacht, Brandstiftung und Vergiftung, Ehebruchs und Hybris, Diebstahls aus Heiligtümern, Asebie, Verrats, aktiver und passiver Bestechung, Verlassen des Heeres oder der Schlachtreihe, Verweigerung des Heeres- oder Flottendienstes, Wegwerfens des Schildes, weswegen Kleonymos als rhípsaspis [beschimpft wurde], nicht eingegangener Ehe (agamíou), bei den Lakedaimoniern auch wegen später Heirat und schlechter Heiratsverbindung (opsigamíou kaí kakogamíou), wegen Untätigkeit, hetaírēsis, falscher öffentlicher Anklage, falschen Zeugnisses bei der Klageerhebung, Fremdheit, Bestechung zur Erlangung des Bürgerrechts, wegen gesetzwidrigen Antrags vor der Volksversammlung oder Vergehens während einer Gesandtschaft. Stobaios, flor. 67,64 (Bd. 4 caput 22a 16 p. 497): Ἐκ τῶν Ἀρίστωνος (fr. 26 Wehrli). Σπαρτιατῶν νόμος τάττει ζημίας, τὴν μὲν πρώτην ἀγαμίου, τὴν δευτέραν ὀψιγαμίου, τὴν τρίτην καὶ μεγίστην κακογαμίου. – „Aus den [Schriften] Aristons: Ein Gesetz der Spartiaten ordnet Strafen an, die erste für nicht eingegangene (zēmía agamíou), die zweite für zu spät eingegangene Ehe (opsigamíou) und die dritte und höchste für zu Unrecht eingegangene Ehe (kakogamíou)“.

Belege für ein auf Solon zurückgehendes Gesetz über eine nicht eingegangene Ehe und entsprechende Klagen (díkai, graphaí) stammen erst aus der römischen Kaiserzeit. In seiner Schrift De amore prolis führt Plutarch das Gesetz auf Solon zurück, spielt außerdem in der Solonbiographie mit einer Anekdote auf das Gesetz an: Als Solon nach

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Milet kam, habe er Thales gefragt, warum er nicht an Heirat und Zeugung von Kindern gedacht habe. Thales täuschte Solon mit der Nachricht, in Athen sei sein Sohn verstorben, worauf Solon in tiefe Trauer verfiel. Daraufhin beruhigte Thales ihn mit der Nachricht, dies sei erfunden gewesen, aber Solons Verhalten hätte nachvollziehbar gemacht, was Thales von Heirat und Kinderzeugung abgebracht habe.152 Ergänzt werden diese Nachrichten durch Pollux, der für viele Städte (also auch für Athen) ‚Klagen wegen nicht eingegangener Ehe‘ (díkai bzw. graphaí agamíou) bezeugt. Nómos agamíou, díkē agamíou und graphḗ agamíou folgen in der Wortbildung anderen im attischen Recht nachgewiesenen Klagen.153 Zweifel an der Historizität einer solchen Klage lassen sich ausräumen, wenn man davon ausgeht, dass eine Ehe eingeklagt werden konnte, nämlich dann, wenn sie nach Gesetz vorgeschrieben war.154 Damit kann eine gesetzliche Regelung, die sich gegen ‚Ehelose‘ (agámioi) richtet, nur Teil der Gesetzgebung über die epíklēros gewesen sein: Der nächstberechtigte Verwandte der epíklēros beziehungsweise der Adoptivsohn des Erblassers war, wollte er das Erbe übernehmen, verpflichtet, die epíklēros zu heiraten.155 Testat- und Intestaterbrecht haben dies sehr kurz dadurch zum Ausdruck gebracht, dass das Erbe nur „mit diesen“ (sýn taútais) übergeben werden konnte; daraus wird sich ein mögliches rechtliches Vorgehen ergeben haben, Klage beim árchōn epṓnymos einreichen zu können – falls dieser nicht von sich aus tätig wurde –, um den Erben zu zwingen, die Heirat zu vollziehen. Und tatsächlich bezeugt das in Demosth. or. 43,54 eingelegte Gesetz (F 129a) Klagen durch „jeden, der will“ gegen denjenigen, der das Erbe einer epíklēros übernehmen will, aber

152  Plut. Solon 6. 153  Siehe die Erläuterung von Photios zur Klage ἀγεωργίου, bei der er auch auf die γραφὴ ἀγαμίου verweist: Phot. Lex. α 159 Theodoridis s. v. ἀγεωργίου δικάζεσθαι und Συναγωγὴ λέξεων χρησίμων s. v. ἀγεωργίου δικάζεσθαι (Anecd. gr. I p. 336,22–25 Bekker): Ἀγεωργίου δικάζεσθαι· εἴρηται μὲν ὡς λειποταξίου, ἀγαμίου, ἀλογίου, σημαίνει δέ, ἐπειδάν τις χωρίον παραλαβὼν ἀγεώργητον καὶ ἀνέργαστον ἐάσῃ, ἔπειτα ὁ δεσπότης δικάζηται τῷ παραλαβόντι. 154  In der Forschung wurde das Gesetz über die Ehelosigkeit als unhistorisch zurückgewiesen, wobei die Anekdote bei Stobaios (flor. 68,64, IV p. 521 Hense; T 181 Martina) als Argument diente; entsprechende Gesetze für Sparta wurden hingegen akzeptiert. Theodor Thalheim, s. v. Ἀγαμίου δίκη, in: RE 1,1, 1893, 729–730; Lipsius 1905–15, 341 f., 481; Walter Becker, Platons Gesetze und das griechische Familienrecht. Eine rechtsvergleichende Untersuchung, München 1932, 37–40; Walter Erdmann, Die Ehe im alten Griechenland, München 1934 [Ndr. New York 1972], 113–116; Harrison 1986, 18 f. Eberhard Ruschenbusch hat Plut. De amore prolis (mor. 493e) als F 139 unter die falsa aufgenommen (1966, 122; ebenso Leão/Rhodes 2015, 189 f. F 139). 155  Es ist zwar davon auszugehen, dass in frühen Gesellschaften in der bäuerlichen Schicht nahezu alle Männer und Frauen verheiratet waren, da aufgrund der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ein bäuerlicher Hof nur unter dieser Voraussetzung bewirtschaftet werden konnte. Außerdem erlangten Mann und Frau erst durch die Ehe die ihnen angemessene gesellschaftliche Stellung und wurde erst durch rechtmäßige Nachkommen die Fortexistenz des oíkos gewährleistet. Allerdings wird dies nicht zu einer gesetzlichen Verpflichtung einer Ehe geführt haben; davon war Schmitz 2004, 211 f., 476 noch ausgegangen. Das Gesetz in den Kontext der Ehe mit der epíklēros zu stellen, ist jedoch weitaus wahrscheinlicher.

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die Ehe mit ihr nicht vollzieht.156 Ein solcher Rechtsbruch konnte nur über eine graphḗ geahndet werden, da der rechtliche Vertreter der epíklēros genau derjenige war, der das Erbe übernommen, aber die damit verbundene Verpflichtung nicht erfüllt hatte. Das Gesetz Lykurgs hinsichtlich Klagen wegen nicht oder zu spät eingegangener Ehe (agamíou, opsigamíou) und zu Unrecht eingegangener Ehe (kakogamíou) wird in einen entsprechenden Kontext zu stellen sein:157 Wer als nächster Verwandter der Verpflichtung nicht nachkam, die Erbtochter zu heiraten, konnte offenbar nicht nur wegen der Verweigerung einer Ehe, sondern auch wegen zu später Heirat angeklagt werden, vermutlich um einen Ausgleich für die Zeitspanne einzuklagen, in der die Erbtochter ungesichert geblieben war. Entsprechende Bestimmungen gibt es auch im großen Gesetz von Gortyn. Danach soll die Erbtochter (πατροιõκος) mit dem Bruder des Vaters verheiratet werden, und wenn mehrere Brüder des Vaters vorhanden sind, mit dem ältesten, wenn er keine Brüder hat, mit dem Sohn des ältesten Bruders und die nächstältere bruderlose Tochter mit dem Sohn des nächstältesten Bruders des Vaters. Nach weiteren Regelungen, wie im Fall von unmündigen oder nicht volljährigen Erbtöchtern oder Nächstberechtigten zu verfahren sei, folgt die Bestimmung, dass die Verwandten der Erbtochter vor Gericht gehen sollen, wenn der Nächstberechtigte volljährig ist, die mündige und zur Ehe bereite Erbtochter aber nicht heiratet. Der Richter (dikastás) soll dann verfügen, dass die Ehe innerhalb von zwei Monaten eingegangen wird. Geschieht dies nicht, soll die Erbtochter das ganze Vermögen haben und den Nächstberechtigten heiraten.158 Nach weiteren detaillierten Regelungen folgt schließlich die Bestimmung: „Wenn aber jemand die Erbtochter gegen die Bestimmungen des Gesetzes heiratet, sollen die Anspruchsberechtigten dies dem kósmos anzeigen“.159 Auch in Gortyn waren also Klagen

156  F 129a: „Wenn der nächste Verwandte (engytátō génous) sie aber weder zur Frau nimmt noch in die Ehe gibt (ekdidónai), soll der árchōn ihn dazu zwingen, dass er sie entweder selbst [zur Frau] nimmt oder in die Ehe gibt (ekdidónai). Wenn der árchōn ihn aber nicht dazu gezwungen hat, soll er eintausend Drachmen an das Heiligtum der Hera zahlen. Es soll aber jeder, der will (boulómenos), denjenigen [Verwandten], der seiner Pflicht nicht nachkommt, Anklage beim árchōn einreichen (apographeín)“. Dazu Inés Calero Secall, Plutarco y su interpretación de algunas leyes griegas concernientes a la familia y propiedad, in: José Ribeiro Ferreira u. a. (Hrsg.), Nomos, Kosmos & Dike in Plutarch, Coimbra 2012, 53–65, hier 54 f. 157  Plut. Lysandros 30,5; vgl. Clemens Al. strom. 2,23,141,4: αὐτίκα ὁ τῶν Λακώνων νομοθέτης οὐκ ἀγαμίου μόνον ἐπιτίμιον ἔστησεν, ἀλλὰ κακογαμίου καὶ ὀψιγαμίου καὶ μονοδιαιτησίας. Anders als bei Athen akzeptiert Walter Erdmann für Sparta solche Klagen (1934, 113–115). 158  ICret IV 72 col. 7,15–8,42.: τὰμ πα[τ]ροι[õ]κον̣ ὀπυίεθαι ἀδελπιõι τõ πατρὸς τõν ἰόντον τõι πρειγ[ί] στοι (7,15–18). … αἰ δέ καδρομεὺς ἰὸν ὀ ἐπιβάλλον ἐβίονσαν λείονσαν ὀπυίεθαι μὲ λε͂ι ὀπυίεν, μολὲν τὸς καδεστὰνς τὸς τᾶς πατροιόκο, ὀ δὲ δικασ̣τὰ̣[ς] δικ[α]κ̣σ̣[ά]το ὀπυίεν ἐν τοῖς δ[υ]οῖς μενσί. αἰ δέ κα μὲ ὀπυίει ἆι ἔγραται, τὰ κρέματα πάντ’ ἔκονσαν, αἴ κ’ ἐ͂ι ἄλλος, τõι ἐπιβάλλοντι (7,40–50). Gagarin/Perlman 2016, 389–394 (G72.7.15–8.20). 159  ICret IV 72, col. 8,53–55: αἰ δέ τις ὀπυίοι τὰν πατροιõκον, ἀλλᾶι δ’ [ἔγ]ρατται, πεύ̣θεν̣ [πορ]τ̣ὶ ̣ κ̣όσ̣ ̣μο̣ ν̣ ̣ τὸνς ἐπιβά̣[ λλοντανς. Πεύ̣θεν̣ sei von πυνθάνομαι abzuleiten; Gagarin/Perlman 2016, 397–400 (G72.8.36– 9.1) übersetzen daher „the claimants are to inform the kosmos“.

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möglich, wenn der nächste Verwandte, der Anspruch auf das Erbe erhob, sich weigerte, die Erbtochter zu heiraten, oder eine andere Person, die keinen Anspruch auf das Erbe hatte, die Erbtochter heiratete (und damit auch das Erbe in seine Hand bringen wollte). In einer seiner Elegien nennt Solon die fünfte Hebdomade, also ein Alter zwischen 28 und 35 Jahren als das für die Heirat und die Zeugung von Kindern angemessene Alter, was dem von Hesiod empfohlenen Alter von etwa 30 Jahren entspricht.160 F 131 Erbfolge der Kinder und Versorgung der Mutter (F 131d: T 438 Martina, F 53 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 131a: Isaios, Über das Erbe des Kiron (or. 8) 30–31 (ca. 385–365 v. Chr.) … καὶ ἐξ αὐτῶν τῶν νόμων ἀκριβέστερον διδάξομεν. (31) Εἰ γὰρ ἔζη μὲν ἡ ἐμὴ μήτηρ, θυγάτηρ δὲ Κίρωνος, μηδὲν δὲ ἐκεῖνος διαθέμενος ἐτελεύτησεν, ἦν δὲ ἀδελφὸς οὗτος αὐτῷ, μὴ ἀδελφιδοῦς, συνοικῆσαι μὲν ἂν τῇ γυναικὶ κύριος ἦν, τῶν δὲ χρημάτων οὐκ ἄν, ἀλλ’ οἱ γενόμενοι παῖδες ἐκ τούτου καὶ ἐξ ἐκείνης, ὁπότε ἐπὶ δίετες ἥβησαν· οὕτω γὰρ οἱ νόμοι κελεύουσιν. App. crit.: ἀλλ’ οἱ corr. 2, ἄλλοι pr., ἀλλ’ ἢ οἱ Schoemann; ἐκ corr. 2, οἱ pr.; διαίταις pr., corr 2; ἡβήσειαν Scal.

… und infolgedessen werden wir [euch dies] noch genauer aus den Gesetzen (nómoi) nachweisen. (31) Denn wenn meine Mutter, die Tochter des Kiron, noch lebte und jener ohne zu testieren (diathésthai) gestorben wäre, [und wenn] dieser sein Bruder wäre und nicht sein Brudersohn, wäre er zwar berechtigt (kýrios), mit der Frau in einer Ehe zusammenzuleben (synoi­ keín), nicht aber ihr Vermögen [zu haben], das vielmehr den von ihm und ihr [der Erbtochter] geborenen Kindern [zusteht], sobald sie zwei Jahre in der Reife sind (hḗban); denn so schreiben es die Gesetze (nómoi) vor.

F 131b: Isaios, Über das Erbe des Aristarchos (or. 10) 12 (370er Jahre v. Chr.) Καὶ μὲν δή, ὦ ἄνδρες, οὐδὲ Ἀριστομένει γε οὐδὲ Ἀπολλοδώρῳ, οἷς προσῆκε τῆς ἐμῆς μητρὸς ἐπιδικάσασθαι, οὐδὲ τούτοις ἐξῆν. Θαυμαστὸν γὰρ ἂν εἴη, εἰ τὴν ἐμὴν μητέρα ἔχοντι Ἀπολλοδώρῳ ἢ Ἀριστομένει οὐκ ἂν οἷόν τε ἦν τῶν ἐκείνης κυρίῳ γενέσθαι, κατὰ τὸν νόμον ὃς οὐκ ἐᾷ τῶν τῆς ἐπικλήρου κύριον εἶναι, ἀλλ’ ἢ τοὺς παῖδας ἐπὶ δίετες ἡβήσαντας κρατεῖν τῶν χρημάτων … App. crit.: προσήκει Rosenberg; ἦν Gebauer; ἂν del. Naber; ἀλλὰ τοὺς Sauppe; τῶν χρημάτων del. Hirschig, κρατεῖν τῶν χρημάτων del. Herwerden.

In der Tat, ihr Männer, weder dem Aristomenes noch dem Apollodoros, die Anspruch darauf haben, sich meine Mutter gerichtlich zuerkennen zu lassen (epidikázesthai) – auch diesen war dies nicht erlaubt. Denn es wäre wohl verwunderlich, wenn Apollodoros oder Aristomenes meine Mutter [zur Frau] hätte, es [ihnen] aber doch nicht möglich war, über ihren [Besitz] 160  Solon fr. 27 West, 23 Gentili/Prato Z. 9–10; Hes. erg. 695–697; Noussia-Fantuzzi 2010, 383; Leão/ Rhodes 2016, 190; zum empfohlenen Heiratsalter vgl. auch: Plat. rep. 5, 460e; leg. 4, 721b–d, 772d, 785b; Aristot. pol. 7,16, 1335a 29. Platon legt in seinen Gesetzen eine Geldbuße für unverheiratete Männer über 35 Jahren fest (leg. 4, 721 A–B; 6,774 A; vgl. Schmitz 2004, 212 f.). Auch in der römischen Republik soll es ein Gesetz wegen Ehelosigkeit gegeben haben (Val. Max. 2,9,1; Dion. Hal. Ant. 9,22).

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

Herr (kýrios) zu werden, nach dem Gesetz (nómos), das nicht gestattet, Herr (kýrios) über den [Besitz] der Erbtochter (epíklēros) zu sein, sondern stattdessen die Kinder, wenn sie zwei Jahre in der Reife gewesen sind (hēbḗsantes), das Vermögen in Besitz haben (krateín) …

F 131c: Isaios, fr. XXVI 25 (Thalheim) (erste Hälfte 4. Jh. v. Chr.) (Suda τ 322 s. v. τέως Adler; mit geringen Abweichungen auch in Suda η 19 s. v. ἡβήσαντες)

Ἰσαῖος ἐν τῷ πρὸς Ἀνσίβιον· ἡγούμεθα γὰρ ἐκείνῃ μὲν τὸν ἐγγύτατα γένους συνοικεῖν δεῖν, τὸ δὲ χρῆμα τέως τῆς ἐπικλήρου εἶναι· ἐπειδὰν δὲ ἡβήσωσιν, ἐκείνους αὐτῶν κρατεῖν. App. crit.: ἡγούμεθα γὰρ] ἐνηγόμεθα μὲν Suda p. 802 Bernhardy; ἐγγυτάτω Suda p. 802: ἐγγύτατον V, ἐγγύτατα reliqui Suda p. 1074 Bernhardy; τὸ δὲ χρήματα Suda p. 802; παῖδες ἐπὶ δίετες add. p. 802; ἡβῶσιν p. 802.

Isaios in [der Rede] Gegen Ansibios [= Lysibios]. Wir meinen nämlich, dass ihr nächster Verwandter (engýtata génous) mit ihr in einer Ehe zusammenleben (synoikeín) müsse, der Besitz aber einstweilen der der Erbtochter (epíklēros) sei; wenn aber [ihre Söhne] in der Reife sind (hēbán), sollen jene ihn in Besitz haben (krateín).

F 131d: Apollodoros (Ps.-Demosthenes), Gegen Stephanos II (or. 46) 19–20 (ca. 351 v. Chr.) τῆς τοίνυν ἐπικλήρου σκοπεῖτε τίνας κελεύουσιν οἱ νόμοι κυρίους εἶναι. (20) λέγε τὸν νόμον. ΝΟΜΟΣ

Καὶ ἐὰν ἐξ ἐπικλήρου τις γένηται καὶ ἅμα ἡβήσῃ ἐπὶ δίετες, κρατεῖν τῶν χρημάτων, τὸν δὲ σῖτον μετρεῖν τῇ μητρί. Οὐκοῦν ὁ μὲν νόμος κελεύει τοὺς παῖδας ἡβήσαντας κυρίους τῆς μητρὸς εἶναι, τὸν δὲ σῖτον μετρεῖν τῇ μητρί. App. crit.: post χρημάτων addi καὶ κύριον εἶναι τῆς μητρὸς voluit Blass.

Nun aber seht, wen die Gesetze (nómoi) zu kýrioi über die Erbtochter (epíklēros) bestimmen. (20) Lies das Gesetz (nómos) vor. Gesetz

„Und wenn von der Erbtochter (epíklēros) ein [Sohn] geboren wurde und dazu dieser seit zwei Jahren in der Reife ist (hēbán), soll er das Vermögen (chrḗma) in Besitz haben (krateín), seiner Mutter aber das Getreide (sítos) zumessen“. Folglich bestimmt das Gesetz (nómos), dass Kinder in der Reife kýrioi über ihre Mutter sein und ihr das Getreide zumessen sollen.

F 131e: Hypereides, Gegen Chares fr. 192 ( Jensen) (4. Jh. v. Chr.) (Harpokr. ε 94 s. v ἐπίδιετὲς ἡβῆσαι Keaney)

ἐπεὶ δὲ ἐνεγράφην ἐγὼ καὶ ὁ νόμος ἀπέδωκε τὴν κομιδὴν τῶν καταλειφθέντων τῇ μητρί, ὃς κελεύει κυρίους εἶναι τῆς ἐπικλήρου καὶ τῆς οὐσίας ἁπάσης τοὺς παῖδας, ἐπειδὰν ἐπιδιετὲς ἡβῶσιν. App. crit.: παῖδας Valesius, ἄπαιδας libri; πρώτους παῖδας mg. Naber.

Als ich aber [in die Bürgerliste] eingetragen worden war und das Gesetz, das bestimmt, dass die Kinder kýrioi über die Erbtochter (epíklēros) sein und ihren ganzen Besitz haben sollen,

Erbtochterrecht (F 127–131)

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sobald sie zwei Jahre in der Reife sind (hēbán), mir die Sorge (komidḗ) für den Besitz gegeben hatte, der meiner Mutter hinterlassen worden war.

In Ps.-Demosth. or. 46,20 (F 131d) ist das Gesetz im Wortlaut eingefügt und anschließend mit ähnlichem Wortlaut wiedergegeben; es wird aber nicht als Gesetz Solons bezeichnet. Harpokration ordnet allerdings ein Gesetz über den Unterhalt für Frauen und Waisen vermutlich dem einundzwanzigsten áxōn zu (T 35a–b; F 142).161 Es muss sich um das in or. 46,20 zitierte Gesetz handeln, da nur der Sohn einer Erbtochter, der in das Erbe seines mütterlichen Großvaters eingesetzt wurde, ausschließlich für die Mutter und nicht für den Vater unterhaltspflichtig war. Hinzu kommt, dass in der Athenaion politeia das Erb- und Erbtochterrecht auf Solon zurückgeführt wird (F 121). Die Wendung „seit zwei Jahren in der Reife sein“ (ἐπὶ δίετες ἡβᾶν) ist in archaische Zeit zu datieren, da seit den Reformen des Kleisthenes die offizielle Prüfung junger Männer mit dem vollendeten achtzehnten Lebensjahr (dokimasía) und die daran anschließende Einschreibung in die Demenliste, mit der die Anerkennung als Bürger einherging, die entscheidenden Voraussetzungen für die Volljährigkeit waren.162 Auch die Angabe eines biologischen Alters spricht für ein in archaische Zeit zurückgehendes Gesetz. Dies gilt auch für die Formulierung „das Getreide zumessen“ (τὸν σῖτον μετρεῖν), womit wörtlich die Zuteilung von Naturalien, seit dem 5. Jh. v. Chr. metaphorisch der Unterhalt im Allgemeinen gemeint war. Auch der ungewöhnliche Gebrauch von háma als Adverb zum finiten Verb (statt Konjunktion) scheint ebenfalls archaisch zu sein.163 Bei Isaios (F 131a–c) und Hypereides (F 131e) ist der Gesetzestext nur indirekt wiedergegeben und nicht mit Solon verbunden. Außerdem ist dort die Bestimmung zur Unterhaltspflicht für die Mutter ausgelassen. Die Parallelen in der Wortwahl zu dem in Ps.-Demosth. or. 46,20 (F 131d) eingefügten Gesetz sprechen aber dafür, dass auf dasselbe Gesetz Bezug genommen wird. In F 131e ist ἐπὶ δίετες ἥβησαν zu ἐπιδιετὲς ἡβῶσιν zusammengezogen. Während im Gesetzestext das Indefinitpronomen tis von einem Sohn der Erbtochter ausgeht, ist bei Isaios und Hypereides ausdrücklich von mehreren Söhnen die Rede, die in das Erbe des Großvaters eintreten.

161  Harpokr. σ 18 s. v. σῖτος (Keaney) in der Lesung und Übersetzung von Eberhard Ruschenbusch (2010, 118): σῖτος καλεῖται ἡ διδομένη πρόσοδος εἰς τροφὴν ταῖς γυναιξὶν ἢ τοῖς ὀρφανοῖς, ὡς ἐξ ἄλλων μαθεῖν ἔστι καὶ ἐκ τοῦ Σόλωνος α‘ ἄξονος … – „sitos (= Getreide) nennt man die Unterhaltsleistung für Frauen und Waisen, wie u. a. zu ersehen ist aus den Bestimmungen des ersten … Axon …“. Wahrscheinlich ist aber zu lesen: πρώτου καὶ ‹εἰκοσ›τοῦ ἄξονος – „auf dem einundzwanzigsten áxōn“ (siehe T 35b). 162  Aristot. Ath. pol. 42,1.5; Hyp. fr. 192 ( Jensen); Demosth. or. 30,15.17; 19,230; Lys. 21,1; Ruschenbusch 2010, 117; vgl. Schmitz 2004, 223 Anm. 237. Ἐπὶ δίετες ἡβᾶν findet sich außerdem in dem in Demosth. or. 46,24 eingelegten Gesetz, bei Aischines (Tim. 103; Schol. Aischin. s. v. ὅσοι ἐπὶ δίετες ἡβῶσι [1,22 Schultz; 3, 273a Dilts]) und mit Bezug auf Waisen in Scholien zu Lukian (Schol. Lukian. 21,6 Rabe). 163  Ruschenbusch 2010, 117 f.; Phillips 2013, 234.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

Das Gesetz, wie es in der Rede des Apollodoros (F 131d) zitiert ist, bestimmt, dass der Sohn einer Erbtochter zwei Jahre nach Erreichen der Reife das Erbe des großväterlichen Besitzes antrat, das ihm durch die Mutter vermittelt wurde, und zum Unterhalt der Mutter verpflichtet war, nicht aber des Vaters. Die Position des Erben war die eines Adoptivsohns. Denn er schied, zumindest erbrechtlich, aus der Familie seines leiblichen Vaters aus und trat die Nachfolge in einem anderen oíkos, dem seines mütterlichen Großvaters, an; er wurde auch nicht in die Phratrie des Vaters, sondern in die des mütterlichen Großvaters eingeschrieben, wie auch der Adoptivsohn mit der Adoption in die Phratrie seines Adoptivvaters eintrat. Auch die Praxis, den Sohn der Erbtochter nach dem mütterlichen Großvater zu benennen, passt in dieses Bild, denn auch der Adoptivsohn nahm mit der Adoption in der Regel den Namen seines Adoptivvaters oder dessen Vaters an oder benannte einen Sohn nach diesem.164 Insbesondere die Einführung in die Phratrie verweist darauf, dass der Sohn der Erbtochter tatsächlich posthum als Adoptivsohn des Großvaters eingesetzt wurde.165 Bis der eigentliche Erbe herangewachsen war, verwaltete der Ehemann der epíklēros den Besitz, konnte in der Zwischenzeit allerdings die daraus erwirtschafteten Erträge nutzen.166 Die Frage, ob nur ein Sohn oder alle Söhne der Erbtochter den Besitz des mütterlichen Großvaters erbten, ist in der Forschung umstritten: Während ein Teil der Forschung davon ausgeht, dass alle Söhne Erben des mütterlichen Großvaters wurden, plädiert der andere Teil dafür, dass meist nur ein Sohn aus dieser Ehe in das Erbe des mütterlichen Großvaters eintrat und weitere Söhne den Besitz ihres Vaters erbten.167 Der Umstand, dass der Erbe eine dem Adoptivsohn vergleichbare Stellung einnahm, spräche dafür, dass nicht alle Söhne Erben des Großvaters wurden. David Schaps vertritt hingegen die Meinung, dass alle Nachkommen der Erbtochter posthum von ihrem mütterlichen Großvater adoptiert wurden.168 Hatte der nächste Verwandte der Erbtochter zu der Zeit, als ihm die Erbtochter zufiel, allerdings bereits Kinder aus einer ersten Ehe, konnten alle Kinder der Erbtochter zu gleichen Teilen das Erbe ihres mütterlichen Großvaters antreten, da für eine Fortexistenz des väterlichen oíkos gesorgt war. Die Kinder aus erster Ehe übernahmen das väterliche Erbe wahrscheinlich erst mit der Hofübergabe, wohingegen die Nachkommen aus der zweiten Ehe mit der Erbtochter das Erbe des mütterlichen Großvaters zwei Jahre nach der Reife erhielten und damit aus dem oíkos und dem Erbe ihres Vaters ausschieden. Da der Sohn das Erbe des mütterlichen Großvaters erhielt und erbrechtlich aus dem väterlichen Besitz ausschied, hatte er nur die Pflicht, seine Mutter im Alter zu versorgen (F 131d).

164  Asheri 1963, 17; Todd 1993, 229–231; Foxhall 2003, 4 f.; Schmitz 2004, 223, 225 f., 231. 165  Harrison 1968, 92; Rubinstein 1993, 33–45, insb. 35, 41–44; Sarah C. Humphreys, Kinship in Ancient Athens. An Anthropological Analysis, Oxford 2018, 63–68. 166  MacDowell 1978, 100; Schmitz 2004, 222 f. 167  Asheri 1963, 17; Harrison 1968, 135; Schmitz 2004, 223. 168  Schaps 1979 (wie Anm. 92), 32 f.; dazu Todd 1993, 230.

Erbtochterrecht (F 127–131)

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Die in F 131b-d gebrauchte Formulierung „das Vermögen in Besitz haben“ (κρατεῖν τῶν χρημάτων) spricht dafür, dass der von der Erbtochter geborene Sohn das Erbe mit vollen Rechten übertragen bekommt. Die Formulierung κύριον εἶναι in Isai. 10,12 (F 131b) hebt demgegenüber darauf ab, dass Aristomenes und Apollodoros keinen Anspruch darauf haben, bindende Entscheidungen in Hinsicht auf das Vermögen zu treffen, also z. B. eine andere Person in das Erbe einzusetzen, da das Gesetz das Vermögen der Erbtochter deren Sohn bzw. deren Söhnen zuweist. Eberhard Ruschenbusch hat sich dagegen ausgesprochen, dass im Gesetz auch die Vormundschaft der Söhne über die Erbtochter festgeschrieben war, da sich die Formulierung κύριος τῆς μητρὸς εἶναι in F 131d („kýrios über die Mutter sein“) nicht in den Fragmenten F 131a und c findet.169 Die Angabe in F 131d könnte aber durchaus zutreffen, da die Mutter als Erbtochter in einer Ehe besonderer Form gebunden war, so dass nicht unmittelbar vorausgesetzt werden kann, dass ihr Ehemann nach Übergabe des Erbes ihr kýrios blieb. Das Verb hēbán, bzw. das Substantiv hḗbē, bezeichnet ein biologisches Alter, den Beginn der Pubertät, erkennbar an äußerlichen Merkmalen wie Bartwuchs und Schambehaarung sowie der Zeugungsfähigkeit.170 Die hḗbē als Zeit vor dem Mannesalter beginnt nach verschiedenen Quellen in Athen mit vierzehn, sechzehn oder achtzehn Jahren.171 Die Ephebie als zweijährige militärische Ausbildung junger athenischer Bürger, die im Alter von 18 Jahren begann, ist in organisierter Form allerdings erst ab der zweiten Hälfte des 4. Jh. v. Chr. belegt. Eberhard Ruschenbusch plädiert für ein Alter von 18 Jahren für die politische und rechtliche Mündigkeit, da sich das Alter der Reife seit der Zeit Solons bis ins 4. Jh. kaum verändert haben wird.172 Nach der Athenaion politeia war der árchōn epṓnymos in Athen verpflichtet, die Häuser von Waisen und Erbtöchtern bis zu deren 14. Lebensjahr zu verpachten, was für den Beginn der Reife in diesem Alter sprechen würde, wobei unklar bleibt, ob dieses Alter für männliche und weibliche Waisen gleichermaßen galt.173 Allerdings spricht der Bezug auf die biologische Reife und die Zeugungsfähigkeit, die mit keinem spezifischen Alter verbunden war, dafür, dass im Gesetz kein spezifisches Alter vorgegeben war. Nach bäuerlichen Vorstellungen archaischer Zeit sollten Frauen vier bis fünf Jahre nach dem Erreichen der Reife (hēbán) heiraten.174 Ähnlich wie im bäuerlichen Spruch sollten vermutlich

169  Ruschenbusch 2010, 116 f. 170  Wilhelm Pape, Handwörterbuch der griechischen Sprache, Bd. 1, Braunschweig 21864, 1148 f. s. v. ἥβη. 171  Henry George Liddell, Robert Scott, Henry Stuart Jones (Hrsg.), A Greek-English Lexicon, Bd. 1, Oxford 1940 (Ndr. Oxford 1951), 762 s. v. ἥβη. 14 Jahre: Etym. m. 359,17; 16 Jahre: Lexeis rhetorikai s. v. ἐπι διετὲς ἡβῆσαι (Anecd. gr. 255,15 Bekker); 14, 16 oder 18 Jahre: Harpokr. ε 94 s. v. ἐπιδιετὲς ἡβῆσαι (Keaney); Poll. 1,58. Ruschenbusch 2010, 115 f. 172  Ruschenbusch 2010, 116; ähnlich Foxhall 2003, 3; vgl. Phillips 2013, 234. 173  Aristot. Ath. pol. 56,7; MacDowell 1979, 98. 174  Hes. erg. 695–698; Schmitz 2004, 97 f.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

auch die zwei Jahre in der gesetzlichen Altersbestimmung als eine Art ‚Sicherheitsfrist‘ gewährleisten, dass der Sohn tatsächlich in der Lage war, den Besitz eigenständig zu verwalten. In klassischer Zeit kann sich dann ein festes Alter mit 18 Jahren für die Übernahme des Erbes in der Praxis durchgesetzt haben, da die Einschreibung in die Demenlisten an dieses Alter gebunden war,175 so wie es der Text bei Hypereides (F 131e) nahelegt. IX 3 Adoption und Testament Abstract: Um die Kontinuität eines oíkos zu sichern, bestand bereits in vorsolonischer Zeit die Möglichkeit, eine Person zu adoptieren, wenn man keine rechtmäßigen Kinder hatte. Gesichert werden sollten durch eine Adoption auch die Versorgung im Alter und die angemessene Bestattung. Solon bestätigte in seinen Gesetzen, dass eine Adoption nur möglich war, wenn keine rechtmäßigen Söhne (gnḗsioi huioí) vorhanden waren. Gegen eine Adoption (insbesondere per testamentum) konnten Verwandte Klage erheben, wenn der Erblasser infolge hohen Alters, Heilmittel oder Krankheit nicht zurechnungsfähig war, wenn er durch eine Frau (eine pallakḗ oder eine Hetäre) überredet worden war oder aufgrund eines Vergehens in Haft war. War eine Erbtochter vorhanden, erhielt der Adoptivsohn das Erbe „mit der Erbtochter“, musste sie also heiraten (möglicherweise konnte er sie auch mit einer Mitgift in eine Ehe geben). Der Adoptivsohn war verpflichtet, den Adoptivvater (und seine leibliche Mutter) im Alter zu ernähren und nach dem Tod zu bestatten. Zurückkehren in das Haus des leiblichen Vaters konnte er nur, wenn er im Haus des Adoptivvaters einen rechtmäßigen Sohn zurückließ, damit die Fortexistenz dieses Hauses gesichert blieb. Ein Adoptivsohn konnte, wenn er keine ehelichen Kinder hatte, seinerseits keine Adoption vornehmen. Umstritten ist, ob gemäß solonischem Gesetz neben der Adoption inter vivos und per testamentum auch über den Besitz letztwillig verfügt werden konnte, ohne eine Adoption vorzunehmen.

Historische Einordnung Neben der Intestaterbfolge und der Erbtochterregelung gab es im attischen Recht die Möglichkeit, das Erbe an einen Adoptivsohn weiterzugeben. Durch Adoption konnte der Erblasser seine Erbfolge bewusst regeln, wohingegen beim Intestaterbrecht die nächsten Verwandten beziehungsweise die Nachkommen der Erbtochter in das Erbe eintraten. Mit der Adoption verlor der Adoptivsohn alle Pflichten und Rechte gegenüber seinem natürlichen Vater und dessen Verwandtschaft. Dazu gehörten unter anderem Erb-

175  Aristot. Ath. pol. 42,1.

Historische Einordnung – Adoption und Testament (F 132–136)

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ansprüche und die Pflicht, den Vater im Alter zu ernähren, ihn zu bestatten sowie die Bestattungsbräuche zu vollziehen und den Familienkult fortzuführen.176 Im Gegenzug hatte er nun Rechte und Pflichten eines Sohnes gegenüber seinem Adoptivvater.177 Wie ein natürlicher Sohn erbte er auch die Schulden des Adoptivvaters oder eine zeitweise oder dauernde αtimía.178 Der Adoptierte verlor aber keineswegs die Verbindung zu seiner Mutter und deren Verwandten und konnte ihnen gegenüber weiterhin Erbansprüche (z. B. auf die Mitgift der Mutter) geltend machen. Entsprechend bestanden keine Rechte und Pflichten gegenüber der Ehefrau des Adoptivvaters oder deren Verwandtschaft.179 Die ältere Forschung vertrat die Meinung, das Adoptionsgesetz habe zum Ziel gehabt, die Macht adliger Familienclans (génē) zu brechen. Dies ist von der jüngeren Forschung revidiert worden.180 Vielmehr stand die Kontinuität des oíkos im Fokus. Durch die Annahme eines Nachfolgers und Erben an Sohnes statt wurde die Auflösung des oíkos verhindert, die erfolgt wäre, wenn das Erbe nach Intestaterbrecht an einen Verwandten der väterlichen Seite gefallen wäre (vgl. IX 4). In der Regel wurde ein bereits erwachsener Mann aus der nahen Verwandtschaft als Adoptivsohn ausgewählt, dessen Eignung der Adoptivvater einschätzen konnte. Für gewöhnlich hatte der Adoptivsohn einen rechtmäßigen Bruder, der den oíkos seines leiblichen Vaters fortführen konnte.181 Außerdem konnte die Adoption auch dazu dienen, einen von mehreren gleichqualifizierten Verwandten als Erben auszuwählen und so eine zu große Zersplitterung zu verhindern.182 Der Adoptivsohn musste aber nicht zwingend ein Verwandter sein. Aus dem 4. Jh. v. Chr. sind wenige Fälle bekannt, in denen Personen adoptiert wurden, die nicht zur erbberechtigten Verwandtschaft gehörten.183 Im Falle von Familienkonflik176  Lipsius 1905–15, 508 f., 574 f.; Thompson 1981, 19; Humphreys 2018, 67. 177  Lipsius 1905–15, 505, 517; Thompson 1981, 19–21. 178  Lipsius 1905–15, 517. 179  Lipsius 1905–15, 516; Harrison 1968, 93 f.; Rubinstein 1993, 45; Ruschenbusch 2005 [zuerst 1962], 62; vgl.: Isai. 7,25: „Aber die Verbindung zur Mutter verliert niemand durch Adoption, sondern es bleibt gleichermaßen so, dass jemand dieselbe Mutter hat, ob er im Haus seines Vaters bleibt oder [aus dem Haus in ein anderes] adoptiert wird.“ 180  Vgl. u. a. Ruschenbusch 2005 [zuerst 1962]; Rubinstein 1993, 68 f.; Leduc 1998, 181 f.; Ruschenbusch 2010, 100; die Bedeutung des génos betonten u. a. Louis Gernet, La création du testament. Observation sur un loi de Solon, in: REG 23, 1920a, 123–168, hier 131–135; Richard Maschke, Die Willenslehre im griechischen Recht. Zugleich ein Beitrag zur Frage der Interpolationen in den griechischen Rechtsquellen, Berlin 1926 (Ndr. Darmstadt 1968), 192; Fausto Brindesi, La famiglia attica. Il matrimonio e l’adozione, Firenze 1961; David Asheri, Laws of Inheritance, Distribution of Land and Politial Constitutions in Ancient Greece, in: Historia 12, 1963, 1–21, hier 7 f.; Walter K. Lacey, The Family in Classical Greece, London – Ithaca – New York 1968, 88 f. 181  MacDowell 1978, 100; Cataudella 1972, 54; Rubinstein 1993, 22–26; Gagliardi 2002, 19; Schmitz 2004, 233; Humphreys 2018, 89. 182  Humphreys 2002, 344; Schmitz 2004, 233; Humphreys 2018, 89; vgl. auch die Regelung beim Intestaterbrecht: Demosth. or. 43,51 (F 137b): τὴν τοῦ πατρὸς μοῖραν λαγχάνειν. 183  U. a. Isai. 2; 8,40 f.; Plut. Vitae decem oratorum 4. Isokr. (mor. 838a–c; 839b); Demosth. or. 41,3–5; vgl. die Auflistung von Quellenstellen bei Rubinstein 1993, 117–125.

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ten konnten missliebige Verwandte vom Erbe ausgeschlossen werden, indem entferntere Verwandte oder Nicht-Verwandte adoptiert wurden.184 Die Regel dürfte aber die Adoption eines Verwandten, die so genannte präferenzielle Adoption, gewesen sein.185 Erst für das 4. Jh. v. Chr. sind Fälle belegt, in denen eine Frau adoptiert wurde. In diesem Fall hatte sie die Stellung einer Erbtochter inne und wurden ihre Söhne Nachfolger des Adoptivvaters.186 Isaios (or. 2,10) nennt die Versorgung im Alter, die Bestattung des Adoptivvaters und die Sorge für dessen Grabkult als Gründe für eine Adoption. In der Forschung wird insbesondere die Bedeutung des Grab- und Familienkults hervorgehoben.187 Die Adoption inter vivos war die übliche Form, mit der dies erreicht werden konnte, denn sie stellte bereits zu Lebzeiten des Erblassers ein Vater-Sohn-Verhältnis mit dem Adoptierten her.188 Eine testamentarische Adoption wurde hingegen häufig vor gefährlichen Unternehmungen, wie Reisen oder Kriegseinsätzen, oder kurz vor dem Tod vorgenommen und konnte zurückgenommen oder geändert werden.189 Der Erblasser gab – in der Regel im Beisein von Zeugen – eine mündliche oder schriftlich verfasste Willensbekundung ab, in der er einen Erben bestimmte, der nach seinem Tod in das Erbe eintreten sollte. Vor dem Erbantritt musste dieser zunächst das Erbe durch den árchōn epṓnymos oder einen Gerichtsentscheid offiziell zugesprochen bekommen (epidiká­ zesthai), was auch dem Vorgehen bei der Intestaterbfolge entsprach (vgl. IX 2 und 4). Der inter vivos Adoptierte konnte dagegen wie ein rechtmäßiger Sohn direkt ins Erbe eintreten (embateúein).190 Während ein Testament nur dann gültig war, wenn der Erblasser bis zu seinem Tod keine legitimen Nachkommen hatte, konnte eine Adoption inter vivos nur in Übereinkunft beider Parteien wieder gelöst werden.191 Der inter vivos Adoptierte blieb im oíkos seines Adoptivvaters, auch wenn dieser nachgeborene Kinder haben sollte, und erbte zu gleichen Teilen mit ihnen. Wahrscheinlich konnte der

184  Thompson 1981, 20; Rubinstein 1993, 77 f. 185  Harrison 1986, 89; Rubinstein 1993, 76–85; Humphreys 2002, 344; Humphreys 2018, 63 f. 186  Isai. 7,9; 11,8.41; vgl. Lipsius 1905–15, 513; Harrison 1968, 88; MacDowell 1978, 100; Rubinstein 1993, 19; Leduc 1998, 179; Stavrianopoulou 2006, 144 f. 187  Rubinstein 1993, 30 f., 63, 69–73; vgl. Lipsius 1905–15, 574 f.; Asheri 1963 (wie Anm. 5), 7; Harrison 1968, 82 f., 93; MacDowell 1978, 99 f.; Sarah C. Humphreys, Family Tombs and Tomb Cult in Ancient Athens: Tradition or Traditionalism?, in: JHS 100, 1980, 96–126; Thompson 1981, 19–21; Karabélias 1992, 66–68; vgl. Schmitz 2004, 233; Stavrianopoulou 2006, 145; Leão/Rhodes 2015, 82. Zu Grabkult und Bestattung ausführlich Humphreys 1980 (wie oben), 99–101. 188  MacDowell 1978, 100; Leduc 1998, 176. 189  Thompson 1981, 16, 18; Rubinstein 1993, 56 f.; Leduc 1998, 176 f.; Humphreys 2002, 343 f.; Humphreys 2018, 64, 68; zur Änderung von Testamenten: Harrison 1968, 153–155; Rubinstein 1993, 56. 190  Harrison 1968, 90, 95, 156; MacDowell 1978, 100; Rubinstein 1993, 36, 40, 46, 53; Gagliardi 2002, 43; Ruschenbusch 2010, 101. Zur epidikasía: Harrison 1968, 158 f.; MacDowell 1978, 102; Humphreys 2002, 344. 191  Lipsius 1905–15, 518; vgl. Harrison 1968, 94.

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Adoptivvater sich aus triftigen Gründen von seinem Adoptivsohn lossagen, so wie er sich auch von einem rechtmäßigen Sohn lossagen konnte (apokḗryxis).192 In der Forschung herrschte lange die Meinung vor, die Adoption werde zu Lebzeiten durch die private Übereinkunft zwischen Adoptivvater und Adoptivsohn oder – bei Minderjährigkeit – dessen kýrios konstituiert, die testamentarische Adoption dagegen durch die epidikasía.193 Lene Rubinstein hat aber überzeugend nachweisen können, dass erst die Einführung in die Phratrie des Adoptivvaters einer Adoption Rechtsgültigkeit verlieh. Die Einschreibung in das Register der Demoten, die dieser folgte, war wahrscheinlich nicht konstituierend für die Adoption, da Frauen nicht in das Register eingetragen wurden, wohl aber Mitglied der Phratrie ihres (Adoptiv-) Vaters wurden. Außerdem steht die Einführung in die Phratrie auch im Fokus der Gerichtsreden, während die Einführung in den Demos des Adoptivvaters häufig stillschweigend übergangen wird.194 Da der inter vivos Adoptierte bereits zu Lebzeiten des Erblassers eingeführt wurde, konnte er ohne Formalitäten die Nachfolge antreten. Ein per testamentum Adoptierter musste sich hingegen erst das Erbe offiziell zusprechen lassen, bevor er sich in Phratrie (und Demos) des Erblassers einschreiben lassen konnte.195 Sarah C. Humphreys hat eingewendet, dass die Einführung nur nötig war, wenn der Adoptivsohn nicht ohnehin schon in Phratrie und Demos des Adoptivvaters eingeschrieben war, wie bei Verwandten väterlicherseits üblich. Aufgrund des konstituierenden Charakters der Einführung und der Öffentlichkeit, die damit hergestellt wurde, ist es aber eher wahrscheinlich, dass in solchen Fällen ebenfalls eine offizielle Einschreibung oder Vorstellung des Adoptivsohns in der Phratrie stattfand, zumal Adoptivsöhne mit neuem Patronym in die Phratrieverzeichnisse eingetragen wurden.196 Mit der Einschreibung in den Demos erhielt der Adoptivsohn eine neue Bürgeridentität und versah seine Bürgerpflichten fortan im Demos des Adoptivvaters.197 Nach der Einschreibung in Phratrie und Demos des Adoptivvaters unterschied sich der Status eines Adoptivsohns, ob nun inter vivos oder per testamentum adoptiert, im Wesentlichen nicht mehr von der eines rechtmäßig geborenen Sohnes.198 Er konnte Klagen von Verwandten auf das Erbe abwehren, indem er per diamartyría feststellen 192  Lipsius 1905–15, 511, 517; Harrison 1968, 85; Leduc 1998, 178. Im Gesetz von Gortyn erhielt der Adoptivsohn dagegen einen geringeren Anteil als die rechtmäßigen Söhne: Maffi 1991, 222. Vgl. zur apokḗryxis: Lipsius 1905–15, 518; Harrison 1968, 94. 193  U. a. Louis Gernet, Droit et société dans la Grèce ancienne, Paris 1955, 138; Harrison 1968, 87–89, 95; Ruschenbusch 2010, 101. 194  Rubinstein 1993, 48 f. 195  Rubinstein 1993, 18, 33–39, 47–49. 196  Humphreys 2002, 344 f.; Leduc 1998, 190 vermutet, dass bei der Adoption eines Erwachsenen lediglich die Registereinträge in den Phratrien geändert worden seien. Vgl. Isai. or. 7,16–17, 27–28: Der Adoptivsohn des Apollodoros wird unter dem Namen Θράσυλλος Ἀπολλοδώρου in die Verzeichnisse der Phratrie und des Demos seines Adoptivvaters aufgenommen. 197  Harrison 1968, 91 f.; Rubinstein 1993, 48, 55. 198  Rubinstein 1993, 55.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

ließ, dass das Erbe nicht Gegenstand gerichtlicher Zuweisung (epidikasía) war, da ein rechtmäßiger beziehungsweise rechtmäßig adoptierter Sohn vorhanden war. Dem konnte zwar mit einer Klage wegen falschen Zeugnisses (pseudomartyrías díkē) begegnet werden, was aber ein finanzielles Risiko für die Kläger barg.199 Neben den beiden beschriebenen Formen der Adoption existierte eine dritte Form, die posthume Adoption, die unabhängig vom Willen des Erblassers durchgeführt wurde. Der nach der Intestaterbfolge berechtigte Erbe wurde posthum zum Adoptivsohn des verstorbenen Erblassers gemacht. Das Vorgehen entsprach weitgehend der testamentarischen Adoption. Der Einschreibung in Phratrie und Demos musste die epidi­ kasía vorausgehen. Obwohl der Adoptivsohn Rechte und Pflichten gegenüber seinem Vater und dessen Verwandtschaft verlor, hatte die posthume Adoption für ihn den Vorteil, dass er das Erbe leichter gegen die Ansprüche anderer Verwandter verteidigen konnte.200 Die Nachkommen der Erbtochter und eines Verwandten mütterlicherseits wurden in der Regel als posthume Adoptivsöhne des Großvaters eingesetzt und in dessen Phratrie und Demos eingeführt (vgl. IX 2).201 Im Einzelfall ist nur schwer zu entscheiden, welche der Praktiken und Bestimmungen zur Adoption auf solonische Zeit zurückgehen. Ein dem Solon zugeschriebenes Gesetz erlaubte es dem Erblasser, beim Fehlen rechtmäßiger Söhne einen Adoptivsohn anzunehmen (F 132a–b). Nicht adoptieren durfte, wer selbst adoptiert war (F 135a–c), wer infolge hohen Alters, Heilmittel (phármaka) oder Krankheit nicht zurechnungsfähig war, wer durch eine Frau überredet worden war oder wer infolge eines Vergehens in Haft war oder unter Zwang stand (F 134a–i). Der Ausschluss der Überredung durch eine Frau sollte vermutlich verhindern, dass ein Mann die Verwandten seiner Ehefrau, einer pallakḗ oder einer Hetäre adoptierte.202 Nach dem Intestaterbrecht (F 137b) und F 133a–c musste eine rechtmäßige Tochter als epíklēros berücksichtigt werden. Wahrscheinlich ist, dass der Adoptivsohn eine Ehe mit der Erbtochter eingehen musste. Einer weiteren Regelung zufolge konnte der Adoptivsohn unter der Bedingung in den oíkos seines Vaters zurückkehren, dass er einen rechtmäßigen Sohn als Erben im Haus seines Adoptivvaters hinterließ, womit der Fortbestand beider Häuser gesichert werden sollte; ansonsten fiel das Erbe an die nächsten Verwandten (F 136a–c). In der Forschung ist umstritten, welche Formen der Adoption das solonische Gesetz behandelt und welche möglicherweise bereits in vorsolonischer Zeit bestanden. 199  Harrison 1968, 91 f., 157, 161; Maffi 1991, 227; Rubinstein 1993, 40, 45 f., 55; Humphreys 2018, 63 f. Klagen waren während der gesamten Lebenszeit des Erben bis fünf Jahre nach seinem Tod zulässig: Harrison 1968, 161; Cataudella 1972, 56; MacDowell 1978, 103. 200  MacDowell 1978, 101. Zur posthumen Adoption allgemein Harrison 1968, 90–93; Rubinstein 1993, 35, 41–44, 55; Humphreys 2018, 68. 201  David M. Schaps, Economic Rights of Women in Ancient Greece, Edinburgh 1979, 32 f.; Todd 1993, 230 f.; Leduc 1998, 178 f., 200 f.; Schmitz 2004, 225 f. 202  Zum Ersteren vgl. Isai. 2,19; zum Letzteren Schmitz 2004, 227 Anm. 252.

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Während ein Teil der Forschung Solons Gesetz als Gesetz über die testamentarische Adoption auffasst,203 plädiert ein anderer Teil dafür, dass lediglich die Adoption inter vivos gemeint sei.204 Dass die inter vivos Adoption die ältere Form ist, darüber herrscht weitgehend Einigkeit.205 Louis Gernet und Alick R. W. Harrison argumentieren dafür, dass Solon die Adoption inter vivos nicht neu einführte, sondern lediglich gesetzlich fixiert und um die Wahlfreiheit des Erben, auch außerhalb der Verwandtschaft einen Adoptivsohn annehmen zu können, erweitert habe. Nach Harrison wurde das solonische Gesetz erst im 4. Jh. v. Chr. als Testamentsgesetz missinterpretiert.206 Dagegen plädiert ein Teil der Forschung dafür, dass vor Solon die inter vivos Adoption existiert, er aber das Testamentsgesetz neu eingeführt habe. Nach Arnaldo Biscardi und Pietro Cobetto Ghiggia war auch das Testament vor Solon bereits bekannt; dieser habe lediglich die freie Verfügung über den Besitz, ohne Adoption, eingeführt.207 Nach Eberhard Ruschenbusch behandelte das solonische Gesetz nur das Testament, das von Solon neu eingeführt wurde. Die bereits zuvor bestehende Adoption inter vivos sei dagegen

203  U. a. Theodor Thalheim, Rezension zu: Bruck 1909b (wie Anm. 204), in: BPhW 28, 1909, 877–881; Thalheim, Rezension zu: Bruck 1909a (wie Anm. 204), in: BPhW 12, 1910a, 369–372; Theodor Thalheim, Testament, Adoption und Schenkung auf den Todesfall, in: ZRG 31, 1910b, 398–401; Lipsius 1905–15, 561–64; Walter Erdmann, Die Ehe im alten Griechenland, München 1934 (Ndr. New York 1972), 78 f.; Ruschenbusch 2005 [zuerst 1962]; Cataudella 1972; MacDowell 1978, 99 f.; Maffi 1991, 224; Karabélias, 1992; Cobetto Ghiggia 1999, 39; Humphreys 2002, 344; zuletzt Ruschenbusch 2010, 97–102; ein Überblick bei Gagliardi 2002, 7. 204  U. a. Eberhard F. Bruck, Zur Geschichte der Verfügungen von Todeswegen im altgriechischen Recht, Breslau 1909a, insb. 9–30; Eberhard F. Bruck, Die Schenkung auf den Todesfall im griechischen Recht bis zum Beginn der hellenistischen Epoche; zugleich ein Beitrag zur Geschichte des Testaments, Breslau 1909b, insb. 51–56; Eberhard F. Bruck, Die Entstehung des griechischen Testaments und Platos Nomoi, in: ZRG 32, 1911, 353–359, hier 354 f.; Lipsius 1905–15, 514; Gernet 1920a (wie Anm. 180), 128 f.; Gernet, La création du testament. Deuxième partie, in: REG 23, 1920b, 249–290, hier 254, 257; Eberhard F. Bruck, Totenteil und Seelgerät im Griechischen Recht. Eine entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zum Verhältnis von Recht und Religion mit Beiträgen zur Geschichte des Eigentums und des Erbrechts, München 1926, 181 f., 271 f. Anm. 3; Walter Becker, Platons Gesetze und das griechische Familienrecht. Eine rechtsvergleichende Untersuchung, München 1932, 264 Anm. 4; John V. A. Fine, Horoi. Studies in Mortgage, Real Security, and Land Tenure in Ancient Athens (Hesperia, Suppl. 9), Princeton 1951, 187–188; Gernet 1955 (wie Anm. 193), 121–149; Harrison 1968, 149 f.; Maschke 1968 [zuerst 1926] (wie Anm. 180), 191 f. 205  Bruck verweist darauf, dass das Gesetz von Gortyn keine testamentarische Adoption kennt (Bruck 1911 [wie Anm. 204], 354; Humphreys 2002, 342). 206  Gernet 1920a (wie Anm. 180), 139–142; Harrison 1968, 82 f., 89; dem folgt Fine 1951 (wie Anm. 204), 190. 207  Erstere Meinung vertreten u. a.: Brindesi 1961 (wie Anm. 180), 34; Maffi 1991, 224; Cobetto Ghiggia 1999, 39; die zweite Meinung vertreten u. a.: Cataudella 1972, 65; Molly Broadbent, Studies in Greek Genealogy, Leiden 1968, 182; Arnaldo Biscardi, Diritto greco antico, Mailand 1982, 123; Arnaldo Biscardi, Osservazioni critiche sulla terminologia διαθήκη – διατίθεσθαι, in: Symposion 1979. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte, hrsg. von Panayotis Dimakis, Köln – Weimar – Wien 1983, 23–35 (wiederabgedruckt in: Arnaldo Biscardi, Scritti di diritto greco, Mailand 1999, 199–214), 24 f.; vgl. auch Gagliardi 2002, 7 f., 49–51.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

nie rechtlich fixiert worden; das solonische Testamentsgesetz sei aber – zumindest im 4. Jh. v. Chr. – auch auf diese Adoptionsform bezogen worden.208 Auf die Argumentation Eberhard Ruschenbuschs sei hier etwas ausführlicher eingegangen: Danach wurde die Adoption inter vivos mit dem Begriff poíēsis klar von der Adoption per testamentum geschieden, auf die sich der Begriff diathḗkē ausschließlich beziehe. Insbesondere betont Ruschenbusch, dass sich die Formulierung diatíthesthai tá heautoú („den eigenen [Besitz] vermachen“) nicht auf eine „personelle Regelung“, sondern nur auf eine testamentarische Verfügung über den Besitz beziehen könne.209 Gegen diese Auffassung muss allerdings eingewendet werden, dass auch das Testament keine freie Verfügung über den Besitz darstellte – dies ist in Ansätzen erst im späten 5. und 4. Jh. v. Chr. der Fall –, sondern die Adoption eines Universalerben vorsah, wie Ruschenbusch selbst schreibt, und somit ebenfalls eine „personelle Regelung“ darstellte.210 Außerdem wurden sowohl diatíthesthai als auch poíesthai, zumindest im 4. Jh. v. Chr., bei beiden Adoptionsformen verwendet, was u. a. durch Fragment F 135a belegt ist.211 Als weiteres Argument sieht Ruschenbusch die Bestimmung über die Zurechnungsfähigkeit an, die impliziere, dass im Angesicht des Todes oder einer bevorstehenden Gefahr über das Erbe verfügt wird. Dieser Deutung wurde in der Forschung allerdings widersprochen.212 Während Plutarch überliefert (F 134h), dass es vor Solon keine diathḗkē gegeben habe, ist die Forschung sich weitgehend einig, dass Solon das Adoptionsgesetz nicht neu geschaffen, sondern die bestehenden Regelungen festgeschrieben habe, um Unklarheiten und Probleme zu beheben. Darauf verweist einerseits F 134d, die von Adoptionen vor Solon ausgeht, und andererseits die Zurechnungsformel, die voraussetzt, dass bereits vor der Gesetzgebung Solons Erfahrungen mit der Adoption bestanden.213

208  Ruschenbusch 2005 [zuerst 1962], 59–62; Ruschenbusch 2010, 96–102; ähnlich jüngst Gagliardi 2014, 27; vgl. Rubinstein 1993, 17. 209  Ruschenbusch 2005 [zuerst 1962], 60–62; Ruschenbusch 2010, 99; ähnlich Biscardi 1982 (wie Anm. 207), 121 f.; vgl. Humphreys 2002, 342 f. 210  Lipsius 1905–15, 563–566; Ugo E. Paoli, Note giuridiche sul Dyskolos di Menandro, in: MH 18, 1961, 53–62, hier 53–56; Asheri 1963 (wie Anm. 180), 8–10; Ruschenbusch 2005 [zuerst 1962], 62; Thompson 1981, 18 f.; Karabélias 1992, 54–58; Rubinstein 1993, 81–86; Gagliardi 2002, 12–16; Ruschenbusch 2010, 100 f.; Gagliardi 2014, 34 f. Aus dem 4. Jh. v. Chr. sind Testamente bekannt, in denen neben der Festlegung des Erben auch Anordnungen zur Vormundschaft über minderjährige Kinder, die Verheiratung von Tochter und Ehefrau und die dafür aufzuwendende Mitgift gemacht wurden. Außerdem konnte auch beim Vorhandensein rechtmäßiger Söhne testiert werden; das Testament war aber nur rechtskräftig, wenn diese minderjährig starben; vgl. u. a. Lys. 32,5 f.; Demosth. or. 45 und or. 46; Isaios (or. 5,6) liefert ein Beispiel dafür, dass ein Adoptivsohn nur mit einem Drittel des Besitzes adoptiert worden sein soll. Es ist aber unklar, ob dieses Vorgehen rechtsgültig war; dazu Harrison 1968, 96. 211  Vgl. Gagliardi 2002, 10, 14 f.; Gagliardi 2014, 24 f. 212  Ruschenbusch 2010, 100; dagegen Maffi 1991, 228 f. vgl. auch MacDowell 1978, 101. 213  Harrison 1968, 149–55; Cataudella 1972, 51; Gagliardi 2002, 5–59; Leão/Rhodes 2015, 82; mit Bezug auf ein Testamentsgesetz: Ruschenbusch 2005 [zuerst 1962], 59–62; Ruschenbusch 2010, 99 f.; dagegen will Gagliardi der Plutarchstelle Glauben schenken (Gagliardi 2014, 38).

Historische Einordnung – Adoption und Testament (F 132–136)

807

Lorenzo Gagliardi hat eine interessante alternative Interpretation des Gesetzes vorgelegt. Er kritisiert den Fokus der Forschung auf die Unterschiede von testamentarischer und inter vivos Adoption und plädiert dafür, dass Solons Gesetz beide Formen betraf, da das Gesetz auch im 4. Jh. v. Chr. auf beide bezogen worden sei.214 Seiner Meinung nach richtete sich das Gesetz nicht auf die rechtlichen Unterschiede, die sich aus den verschiedenen Adoptionsformen für den Adoptierten ergaben, sondern darauf, die Anforderungen für Adoptivvater und Adoptivsohn festzulegen, die für beide Adoptionsformen identisch waren. Es legte fest, unter welchen Umständen jemand seinen Besitz durch Adoption an einen Nachfolger vermachen konnte.215 Er vermutet, dass der Gesetzestext ursprünglich umfangreicher gewesen und sich ein Teil ausführlicher auf die Adoption inter vivos bezogen haben könnte.216 Weiterhin plädiert er dafür, dass Solon weder die inter vivos Adoption, noch die Adoption per testamentum neu eingeführt, sondern lediglich reformiert habe, indem er erlaubte, auch Personen außerhalb der an­ chisteía und sogar außerhalb der Familie zu adoptieren. Dafür spreche, dass beispielsweise noch im Gesetz von Gortyn die Adoption (inter vivos) nur innerhalb der Familie erlaubt war.217 Mit der Ausweitung der Testierfreiheit auch auf Personen außerhalb der Verwandtschaft sei das Erbrecht der nächsten Verwandten beschnitten worden (vgl. F 134h). Solon hätte außerdem die Einschränkung eingebracht, dass kein Adoptivsohn adoptieren dürfe, damit das Erbe nicht an Personen außerhalb des oíkos des Verstorbenen vermacht werden konnte, womit das Erbe bei Kinderlosigkeit des Adoptivsohns zurück an die Verwandten fiel (F 135a–c).218 Gagliardi ist allerdings in jüngster Zeit wieder von seiner These abgerückt und hat sich der Argumentation Ruschenbuschs angeschlossen, die aus mehreren, oben genannten, Gründen problematisch ist.219 Weder der Wortlaut noch der Inhalt der Fragmente verweist eindeutig auf eine der beiden Adoptionsformen. Die Form diathésthai tá heautoú lässt sich zunächst einmal nur mit „das Eigene vermachen“ übersetzen.220 F 134d lässt vermuten, dass beide Formen schon in der vorsolonischen Zeit existierten. Die inter vivos Adoption war die 214  Gagliardi 2002, 42 f. 215  Gagliardi 2002, 43. 216  Gagliardi 2002, 41. 217  Gagliardi 2002, 46–50; vgl. Cataudella 1972, 64 f. 218  Gagliardi 2002, 51 f. 219  Gagliardi 2014, 36–40. Seine wichtigsten Argumente sind die, dass nur ein Testamentsgesetz die spätere Erweiterung um die Möglichkeit erlaube, ein Testament im Beisein von Söhnen zu erstellen, das bei deren frühzeitigem Tod in Kraft trat (Ps.-Demosth. or. 46,24). Eine Adoption inter vivos war, wenn Söhne vorhanden waren, nicht möglich. Die Klausel, Haft verhindere die Aufstellung eines gültigen Testaments, schließe aus, dass eine feierliche Einführung in Phratrie und Demos vom Adoptivvater durchgeführt werden konnte. Die Regelung, dass der Adoptivsohn für die Töchter sorgen musste, sei nur im Falle eines Testaments nötig, da der inter vivos Adoptierte automatisch ihr kýrios würde (Gagliardi lehnt eine Heiratspflicht zwischen Adoptivsohn und Erbtochter ab). Gagliardis Argumentation schließt allerdings nicht aus, dass das Gesetz Solons neben der testamentarischen Adoption nicht auch zusätzlich die Adoption inter vivos behandelte. 220  Cataudella 1972, 51, 54.

808

Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

ältere Form und bestand sicher bereits in vorsolonischer Zeit.221 Die testamentarische Adoption kann ebenfalls als Annahme eines Universalerben an Sohnes statt durch Willensbekundung des Erblassers bereits zur Zeit Solons bestanden haben. Es ist aber fraglich, ob sie bereits in der Form eines schriftlichen Testaments vorgelegen hat, denn im 6. Jh. v. Chr. war die Schriftlichkeit wenig verbreitet. Als mündliche Willensbekundung vor Zeugen ist sie aber denkbar. Literatur William Wyse, The Speeches of Isaeus. With Critical and Explanatory Notes, Cambridge 1904 [Ndr. Hildesheim 1967]; Lipsius 1905–15, 499–520; Eberhard Ruschenbusch, Διατίθεσθαι τὰ ἑαυτοῦ. Ein Beitrag zum sogenannten Testamentsgesetz des Solon, in: ZRG Rom. Abt. 79, 1962, 307–311 [wiederabgedruckt in: ders. 2005, 59–62]; Harrison 1968–1971, Bd. 1, 149–155; Michele Cataudella, Intorno alla legge di Solone sul testamento, in: IVRA 23, 1972, 50–66; MacDowell 1978, 99–103; Wesley E. Thompson, Athenian Attitudes Toward Wills, in: Prudentia 13, 1981, 13–23; Alberto Maffi, Adozione e strategie successorie a Gortina e ad Atene, in: Symposion 1990. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Pacific Grove, California, 24.–26. September 1990), hrsg. von Michael Gagarin, Köln – Weimar – Wien 1991, 205–237; Evangélos Karabélias, L’acte à cause de mort (διαθήκη) dans le droit attique, in: Actes à cause de mort – Acts of Last Will, I. Antiquité, Brüssel 1992, 47–121; Lene Rubinstein, Adoption in IV. Century Athens, Kopenhagen 1993; Todd 1993, 221–225; Claudine Leduc, L’adoption dans la cité des Athéniens (VIe–IVe siècles av. J.–C.), in: Pallas 48, 1998, 175–202; Pietro Cobetto Ghiggia, L’adozione ad Atene in epoca classica, Alexandria 1999; Lorenzo Gagliardi, Per un’interpretazione della legge di Solone in materia successoria, in: Dike 5, 2002, 5–59; Sarah C. Humphreys, Solon on Adoption and Wills, in: ZRG Rom. Abt. 119, 2002, 340–347; Schmitz 2004, 202–213, 218–222; Phillips 2013, 251–264; Ruschenbusch 2010, 124–126; Lorenzo Gagliardi, Das solonische Gesetz über Erbschaft: Vorschrift über Testament oder Adoption?, in: ZRG Rom. Abt. 131, 2014, 23–40; Leão/Rhodes 2015, 97–99; Sarah C. Humphreys, Kinship in Ancient Athens. An Anthropological Analysis, 2 Bde., Oxford 2018; Rosalia Hatzilambrou, Isaeus’ On the Estate of Pyrrhus (Oration 3), Cambridge 2018.

Adoption und Testament (F 132–136) F 132 Testierfreiheit (F 132a: T 428 Martina, F 121c Ruschenbusch, F 49/g Leão/Rhodes; F 132b: T 427e Martina)

F 132a: Demosthenes, Gegen Leptines (or. 20) 102–103 (355/54 v. Chr.) (102) Ἐμοὶ δ’, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, δοκεῖ Λεπτίνης … ἢ οὐκ ἀνεγνωκέναι τοὺς Σόλωνος νόμους ἢ οὐ συνιέναι. εἰ γὰρ ὁ μὲν Σόλων ἔθηκεν νόμον ἐξεῖναι δοῦναι τὰ ἑαυτοῦ ᾧ ἄν τις βούληται, ἐὰν

221  Bruck verweist darauf, dass das Gesetz von Gortyn keine testamentarische Adoption kennt (Bruck 1911 [wie Anm. 204], 354; Humphreys 2002, 342).

Adoption und Testament (F 132–136)

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μὴ παῖδες ὦσι γνήσιοι, οὐχ ἵν’ ἀποστερήσῃ τοὺς ἐγγυτάτω γένει τῆς ἀγχιστείας, ἀλλ’ ἵν’ εἰς τὸ μέσον καταθεὶς τὴν ὠφέλειαν ἐφάμιλλον ποιήσῃ τὸ ποιεῖν ἀλλήλους εὖ, (103) σὺ δὲ τοὐναντίον εἰσενήνοχας μὴ ἐξεῖναι τῷ δήμῳ τῶν αὑτοῦ δοῦναι μηδενὶ μηδέν, πῶς σέ τις φήσει τοὺς Σόλωνος ἀνεγνωκέναι νόμους ἢ συνιέναι; App. crit.: post μοι add. πρὸς Διὸς L vulg, om. S Y.

(102) Mir aber scheint, Männer von Athen, dass Leptines … entweder die Gesetze (nómoi) Solons nicht gelesen oder nicht verstanden hat. Denn wenn Solon ein Gesetz (nómos) gegeben hat, das erlaubt, das Eigene [den eigenen Besitz] zu geben (doúnai), wem man will (boúles­ thai), wenn es keine rechtmäßigen (ehelichen, gnḗsioi) Kinder gibt, [und dies erlassen hat,] nicht um den nächsten Verwandten (hoi engytátō génei) das Recht der Verwandtschaft (anchis­ teía) zu entziehen, sondern um das Gut dem Wettbewerb zu öffnen [wörtlich: um das Gut als Wettkampfpreis in die Mitte zu legen], sich gegenseitig Gutes zu tun, (103) aber du dagegen [ein Gesetz] eingeführt hast, dass dem Volk (dḗmos) nicht erlaubt, irgendetwas von dem eigenen [Besitz] irgendjemandem zu geben (doúnai), wie kann so jemand behaupten, er habe die Gesetze Solons gelesen oder verstanden?

F 132b: Isaios, Über das Erbe des Menekles (or. 2) 13 (ca. 354/53 v. Chr.) ὡς οὖν κατὰ τοὺς νόμους ἐγένετο ἡ ποίησις, τοῦτο ὑμᾶς βούλομαι διδάξαι. καί μοι τὸν νόμον ἀνάγνωθι, ὃς κελεύει τὰ ἑαυτοῦ ἐξεῖναι διαθέσθαι ὅπως ἂν ἐθέλῃ, ἐὰν μὴ παῖδες ἄρρενες ὦσι γνήσιοι. ὁ γὰρ νομοθέτης, ὦ ἄνδρες, διὰ τοῦτο τὸν νόμον ἔθηκεν οὕτως, ὁρῶν μόνην ταύτην καταφυγὴν οὖσαν τῆς ἐρημίας καὶ παραψυχὴν τοῦ βίου τοῖς ἄπαισι τῶν ἀνθρώπων, τὸ ἐξεῖναι ποιήσασθαι ὅντινα ἂν βούλωνται. App. crit.: ὡς ‹μὲν› Naber; ἐγένετο Tychsen, ἐπεγένετο A Q; βούλεται Q; τὸν νόμον αὐτὸν Qbr; ὃς διαγορεύει vel λέγει Cobet; αὐτοῦ Q; ὁρῶν μόνον Q; τὸ ἐξεῖναι … βούλωνται del. Vollert; ἂν: ἐὰν A.

Dass allerdings die Adoption (poíēsis) den Gesetzen (nómoi) gemäß vorgenommen wurde, dies will ich euch zeigen. Lies mir auch das Gesetz (nómos) selbst vor, das bestimmt, dass man das Eigene [den eigenen Besitz] vermachen (diathésthai) darf, wem man will (ethélein), wenn es keine männlichen rechtmäßigen (ehelichen, gnḗsioi) Kinder gibt. Der Gesetzgeber (nomothétēs) hat nämlich, ihr Männer, aus dem Grund das Gesetz so erlassen, weil er gesehen hat, dass dies die einzige Flucht vor der Einsamkeit und der einzige Trost des Lebens für die kinderlosen Menschen war, wenn es ihnen erlaubte, [als Sohn] anzunehmen (poieísthai), wen immer sie wollen (boúlesthai).

F 132c: Isaios, Über das Erbe des Astyphilos (or. 9) 13 (nach 371 v. Chr.) ἀλλὰ μὴν οὐδ’ αἰσχυνθῆναι οὐδενὶ προσήκει ἐπὶ τοιαύταις διαθήκαις ὡς πλείστους μάρτυρας παρ­ ίστασθαι, νόμου γε ὄντος ἐξεῖναι ὅτῳ βούλοιτο δοῦναι τὰ ἑαυτοῦ. App. crit.: οὕτω pr., υ eras.

Aber es muss sich gewiss niemand schämen, weil er zu solchen letztwilligen Verfügungen (di­ athḗkai) möglichst viele Zeugen hinzuzieht, denn das Gesetz (nómos) erlaubt, wem man will (boúlesthai) das Eigene [den eigenen Besitz] zu geben (doúnai).

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

vgl. Apollodoros (Ps.-Demosth.), Gegen Stephanos II (or. 46) 24 σκέψασθε δὴ καὶ τονδὶ τὸν νόμον, ὃς κελεύει τὴν διαθήκην, ἣν ἂν παίδων ὄντων γνησίων ὁ πατὴρ διαθῆται ἐὰν ἀποθάνωσιν οἱ παῖδες πρὶν ἡβῆσαι, κυρίαν εἶναι. Νόμος „ὅ τι ἂν γνησίων ὄντων υἱέων ὁ πατὴρ διαθῆται ἐὰν ἀποθάνωσιν οἱ υἱεῖς πρὶν ἐπὶ δίετες ἡβᾶν, τὴν τοῦ πατρὸς διαθήκην κυρίαν εἶναι“. Betrachtet nun auch das folgende Gesetz, welches anordnet, dass ein Testament (diathḗkē), das ein Vater, auch wenn rechtmäßige Kinder (paídes gnḗsioi) vorhanden waren, aufgesetzt hat (diathḗsai), gültig ist, wenn die Kinder vor Erreichen der Reife gestorben sind. Gesetz „Hat der Vater, wenn rechtmäßige Söhne (gnḗsioi hyioí) vorhanden sind, letztwillig verfügt (diathés­ thai), dann soll, wenn die Söhne sterben, bevor sie zwei Jahre in der Reife waren, das Testament (dia­ thḗkē) des Vaters gültig sein.“

Das Gesetz schreibt die Testierfreiheit fest, beschränkt es aber auf Erblasser ohne legitime Nachkommen. Demosthenes (F 132a) zitiert das Gesetz indirekt, weist es Solon jedoch direkt zu.222 Ebenfalls indirekt zitiert Isaios das Gesetz in seiner Rede Über das Erbe des Menekles (F 132b), in welcher der zu Lebzeiten adoptierte Nachfolger des Erblassers das Erbe gegen dessen Bruder verteidigt. Das Gesetz wird einem Gesetzgeber zugewiesen und kann aufgrund der wörtlichen Übereinstimmungen mit F 132a sicher als das von Demosthenes als solonisch bezeichnete Gesetz identifiziert werden.223 Die Formulierung τὰ ἑαυτοῦ ἐξεῖναι διαθέσθαι ὅπως ἂν ἐθέλῃ, ἐὰν μὴ παῖδες ἄρρενες ὦσι γνήσιοι ist präziser als die in F 132a, weicht ansonsten aber nur geringfügig ab: Insbesondere wird die Testierfreiheit hier nur durch männliche Nachkommen eingeschränkt. Der Text wird außerdem in einer weiteren Isaiosrede (F 132c) verkürzt paraphrasiert, ausgerichtet auf die Testierfreiheit. Die Fragmente F 133a–c verweisen darauf, dass die Testierfreiheit auch besteht, wenn eine epíklēros vorhanden ist. Auffällig ist die alternative Verwendung von diatíthesthai und didónai sowie von ethélein und boúlesthai. In der Forschung wurde diathésthai überwiegend als die ursprüngliche Formulierung des solonischen Gesetzes angesehen und didónai als Synonym dazu; diathésthai wird im Übrigen in den Fragmenten doppelt so häufig verwendet.224 Dass diathésthai in insgesamt vier Fragmenten mit ethélein kombiniert wird (F 132b, 133a, 134d, 135b), aber nur einmal mit boúlesthai (F 134f), spricht dafür, dass im Gesetzestext ethélein verwendet wurde.

222  Eberhard Ruschenbusch (1966, 120) führt das Fragment unter der Kategorie „Falsches, Zweifelhaftes, Unbrauchbares“ auf, Antonio Martina sowie Leão/Rhodes erkennen es aber als solonisches Gesetz an (Martina 1968, T 428; Leão/Rhodes 2015, F 49 g). 223  Es wird von Antonio Martina unter die solonischen Gesetze gezählt (T 427e Martina; vgl. Wyse 1967 [zuerst 1904], 248 f.; Broadbent 1968 [wie Anm. 120], 228 f.). 224  Vgl. u. a. Harrison 1968, 150 mit Anm. 3; Rubinstein 1993, 86 mit Anm. 59; Ruschenbusch 2010, 96 f.

Adoption und Testament (F 132–136)

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Weitgehend einig ist sich die Forschung darin, dass das Gesetz nicht auf eine schriftliche Festlegung zur Aufteilung des Erbes, sondern auf die Einsetzung eines Adoptivsohnes, in der Regel eines jungen Mannes, abzielte, der als legitimer Nachfolger den oíkos des Erblassers fortführte und rechtlich einem rechtmäßigen Sohn weitgehend gleichgestellt war. Durch die Adoption wurde verhindert, dass das Erbe nach Intestaterbrecht an die nächsten Verwandten fiel und gegebenenfalls aufgeteilt wurde.225 Umstritten ist, ob das solonische Gesetz eine Adoption inter vivos, per testamentum oder beide Formen behandelte (siehe die historische Einordnung). Überzeugend erscheint die Argumentation Lorenzo Gagliardis, nach der das Gesetz Solons sowohl die inter vivos Adoption als auch die Adoption per testamentum behandelte, Solon diese aber nicht neu eingeführt, sondern lediglich erweitert habe, indem er erlaubt habe, auch Personen außerhalb der anchisteía zu adoptieren.226 Die Formulierung τὰ ἑαυτοῦ διαθέσθαι verweist zunächst nicht auf eine spezifische Form der Adoption und wurde im 4. Jh. auf beide Adoptionsformen angewendet.227 Die vielfach in der Forschung vertretene Hypothese, dass auch beim Vorhandensein rechtmäßiger Kinder ein Testament erstellt werden konnte, das allerdings nur im Falle ihres frühen Todes in Kraft trat, wird vom Gesetzestext nicht gedeckt. Bei dem von Apollodoros (Ps.-Demosth. or. 46,24) genannten Gesetz wird es sich um eine nachsolonische Regelung handeln, die erst im späten 5. und 4. Jh. belegt ist.228 Ruschenbusch hat weiterhin die These vertreten, dass das Gesetz über die Testierfreiheit dem Intestaterbrecht unmittelbar voranstand, da in Letzterem ein Verweis auf das Fehlen rechtmäßiger Söhne fehlte, der ein Bestandteil der Bestimmung über die Testierfreiheit war.229

225  Rubinstein 1993, 22–26, 55; Schmitz 2004, 233; Humphreys 2018, 89. 226  Gagliardi 2002, 46–50; diese These hat Gagliardi allerdings jüngst zugunsten der These Ruschenbuschs revidiert (Gagliardi 2014, 36–40). 227  Harrison 1968, 90, 150; Gagliardi 2002, 51, 54. 228  Vgl. Gagliardi 2002, 10–16; für diese Hypothese haben sich u. a. ausgesprochen: Biscardi 1982 (wie Anm. 207), 121–127; Biscardi 1983 [1999] (wie Anm. 207), 23–25; Karabélias 1992, 59–65; Gagliardi 2014, 35; Hatzilambrou 2018, 170; dagegen: Ugo E. Paoli, s. v. Sucessioni (Diritto greco), in: Antonio Azara, Ernesto Eula, Novissimo Digesto Italiano 18, Torino 1971, 701–704, hier 703; Remo Martini, Testamento e adozione ad Atene (e Roma), in: Symposion 1999. Vorträge zur griechischen Rechtsgeschichte (Pazo de Mariñàn, La Coruña, 6.–9. September 1999), hrsg. von Gerhard Thür und Francisco J. F. Nieto, Köln – Weimar – Wien 2003, 273–295, hier 281 f.; Beispiele für Testamente im Beisein rechtmäßiger Kinder: Lys. 19,39–41; Demosth. or. 27,5.42–46; 28,15–16; 36,34–35; 45,28. 229  Ruschenbusch 2010, 100, 106.

812

Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

F 133 Einschränkung der Testierfähigkeit durch die epíklēros (F 133a: T 427d Martina, F 50b adn. Ruschenbusch; F 133b: T 427f Martina; F 133c: T 427 g Martina)

F 133a: Isaios, Über das Erbe des Pyrrhos (or. 3) 67–68 (ca. 389 v. Chr. ?) (67) … ὡς δ᾽ ἦν ἐπίδικος ἡ γυνή, εἴ περ γνησία κατελείφθη, ἐκ τῶν νόμων σαφέστατα μαθεῖν ἔστι τοῦτο. (68) ὁ γὰρ νόμος διαρρήδην λέγει ἐξεῖναι διαθέσθαι ὅπως ἂν ἐθέλῃ τις τὰ αὑτοῦ, ἐὰν μὴ παῖδας γνησίους καταλίπῃ ἄρρενας· ἐὰν δὲ θηλείας καταλίπῃ, σὺν ταύταις. οὐκοῦν μετὰ τῶν θυγατέρων ἔστι δοῦναι καὶ διαθέσθαι τὰ αὑτοῦ· ἄνευ δὲ τῶν γνησίων θυγατέρων οὐχ οἷόν τε οὔτε ποιήσασθαι οὔτε δοῦναι οὐδενὶ οὐδὲν τῶν ἑαυτοῦ. App. crit.: (67) καταλείφθη cod., κατελείφθη Ald; (68) καταλίπῃ pr.br; ἐὰν: ἄν Wyse, Thalheim, Forster; καταλείπῃ pr., ras. corr.

(67) … Dass aber die Frau (gynḗ) epídikos war [gerichtlichem Zuspruch unterlag], wenn sie als rechtmäßige (eheliche, gnēsía) [Tochter] hinterlassen wurde, dies ist aus den Gesetzen (nó­ moi) eindeutig zu erkennen. (68) Denn das Gesetz (nómos) sagt ausdrücklich, dass es erlaubt ist, das Eigene [den eigenen Besitz] zu vermachen (diathésthai), wie man will (ethélein), wenn man keine rechtmäßigen (ehelichen, gnḗsioi) männliche Kinder hinterlässt; wenn man aber weibliche hinterlässt, [nur] mit diesen. Folglich darf man das Eigene zusammen mit den Töchtern geben (doúnai) und vermachen (diathésthai); ohne die rechtmäßigen (ehelichen, gnḗsiai) Töchter aber ist es weder möglich jemanden zu adoptieren (poiḗsasthai) noch etwas von dem Eigenen zu geben (doúnai).

F 133b: Isaios, Über das Erbe des Pyrrhos (or. 3) 42 (ca. 389 v. Chr. ?) οὔτε γὰρ διαθέσθαι οὔτε δοῦναι οὐδενὶ οὐδὲν ἔξεστι τῶν ἑαυτοῦ ἄνευ τῶν θυγατέρων, ἐάν τις καταλιπὼν γνησίας τελευτᾷ. γνώσεσθε δὲ αὐτῶν ἀκούσαντες τῶν νόμων ἀναγιγνωσκομένων. ἀναγίγνωσκε τούσδε αὐτοῖς. Denn es ist nicht erlaubt, jemandem etwas von dem Eigenen [dem eigenen Besitz] zu vermachen (diathésthai) oder zu geben (doúnai) ohne die Töchter [zu berücksichtigen], wenn jemand stirbt und rechtmäßige (eheliche, gnḗsiai) [Töchter] hinterlässt. Ihr werdet dies erkennen, wenn ihr diese Gesetze verlesen hört. Lies sie ihnen vor: …

F 133c: Isaios, Für Xenainetos über das Erbe des Aristarchos (or. 10) 13 (378–371 v. Chr. ?) καὶ τῷ μὲν πατρὶ αὐτῆς, εἰ παῖδες ἄρρενες μὴ ἐγένοντο, οὐκ ἂν ἐξῆν ἄνευ ταύτης διαθέσθαι· κελεύει γὰρ ὁ νόμος σὺν ταύταις κύριον εἶναι δοῦναι, ἐάν τῳ βούληται, τὰ ἑαυτοῦ· App. crit.: τω2 corr. 1, του pr.; ὅτῳ βούλοιτο Scheibe, ὅτῳ ἂν βούληται Hirschig.

Und ihrem Vater wäre es, wenn es keine männlichen Kinder gab, nicht möglich, ohne diese [die epíklēros] [den eigenen Besitz] zu vermachen (diathésthai). Denn das Gesetz (nómos) schreibt vor, dass man (nur) befugt ist, mit diesen [den epíklēroi] das Eigene [den eigenen Besitz] zu geben (doúnai), wem man will (boúlesthai).

Adoption und Testament (F 132–136)

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Isaios verbindet das Gesetz nicht mit Solon.230 In Isai. 3,67–68 (F 133a) ist die Regelung zur Testierfreiheit um die Bestimmung ergänzt, dass das Erbe, wenn eheliche Töchter vorhanden sind, nur mit diesen an den Adoptivsohn vermacht werden darf. Der zweite Teil des Fragments gibt die Bestimmung noch einmal in Negation wieder. Auffällig sind die wörtlichen Übereinstimmungen der Formulierung ἐὰν δὲ θηλείας καταλίπῃ, σὺν ταύταις mit dem Beginn des Gesetzes über die Intestaterbfolge (F 137b), so dass Eberhard Ruschenbusch zu dem Ergebnis kommt, dass es sich um ein Zitat aus diesem Gesetz handle, die Klausel also nicht Bestandteil des Gesetzes über die Testierfreiheit gewesen sei.231 Dafür spricht auch die Verwendung von kataleípein anstelle von eínai in der Klausel zum Fehlen männlicher Nachkommen; denn kataleípein weicht in der Formulierung von den übrigen Fragmenten des Gesetzes über die Testierfreiheit ab, entspricht aber dem Gesetz zur Intestaterbfolge (F 137b). Ruschenbuschs Annahme ist in Bezug auf den ersten Teil des Fragments schlüssig. Auffällig ist jedoch, dass die Wiederholung der Bestimmung in Negation sich nicht im Intestaterbrecht findet, dafür aber durch zwei weitere Isaiosstellen belegt ist, in Isai. 3,42 in verkürzter Form. Die wörtlichen Übereinstimmungen mit F 133a machen es sehr wahrscheinlich, dass Isaios sich an beiden Stellen auf dasselbe Gesetz bezieht.232 Weiterhin nimmt Isaios auf das Gesetz in seiner Rede Über das Erbe des Aristarchos Bezug (F 133c), in der das Erbrecht des Bruders eines posthum Adoptierten gegen das des Sohnes einer angeblichen Erbtochter verhandelt wird. Das Fragment beginnt mit der Bestimmung in Negation. Diese wird im zweiten Teil noch einmal positiv formuliert, wobei mit σὺν ταύταις κύριον εἶναι wieder auf die Formulierung des Gesetzes über die Intestaterbfolge zurückgegriffen wird (F 137b).233 Auffällig ist die Verwendung von δοῦναι καὶ διαθέσθαι in F 133a, was im letzten Satz zu οὔτε ποιήσασθαι οὔτε δοῦναι abgewandelt wird. In F 133b wird wiederum οὔτε γὰρ διαθέσθαι οὔτε δοῦναι verwendet, während Isiaos in or. 10,13 (F 133c) von diathésthai im ersten Teil zu doúnai im zweiten Teil wechselt. Insgesamt bezeugen die Fragmente die teilweise synonyme Verwendung von diathésthai und doúnai.234 Unklar ist, ob die Verwendung von poieísthai und didónai auf eine deutliche Abgrenzung der Begriffe abzielt. Dagegen spricht, dass beide Formen auch im ausführlichsten Fragment des Gesetzes zur Testierfreiheit F 134d verwendet werden. Poieísthai wird hier augenscheinlich auf beide Adoptionsformen angewendet, im Falle von diatíthesthai wird dies nicht genau 230  Eberhard Ruschenbusch nennt die Stellen in seinem Kommentar; Antonio Martina hat sie unter die Testimonia zu Solon aufgenommen (Ruschenbusch 2010, 96 im Kommentar zu F 49 und als Testimonium zu F 50b; Martina T 427d–g); vgl. Hatzilambrou 2018, 169 f. 231  Ruschenbusch 2010, 96 f. Cataudella dagegen sieht die Formulierung als Teil des Gesetzes über die Testierfreiheit (1972, 57 f.; vgl. auch Hatzilambrou 2018, 170). 232  Vgl. Wyse 1967 [zuerst 1904], 325–327. 233  Zu F 133c ausführlich Wyse 1967 [zuerst 1904], 325–327. 234  U. a. Wyse 1967 [zuerst 1904], 325–327; Harrison 1968, 150 mit Anm. 3; Rubinstein 1993, 16 f.; Hatzimlabrou 2018, 171.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

spezifiziert.235 Somit scheint mehr auf eine synonyme Verwendung der Verben hinzudeuten, wobei poieísthai auf den Akt der Adoption ausgerichtet ist, diatíthesthai und didónai dagegen auf die Übernahme des Erbes. Die Formulierung mit didónai könnte der Regelung über die Schenkung (bzw. Schenkung auf den Todesfall) entnommen worden sein; darauf weist zumindest ein Fragment bei Plutarch (F 134i) hin, in dem er auch die letztwillige Verfügung als dósis (bzw. dóseis im Plural) bezeichnet.236 Insgesamt scheint Isaios in allen drei Fragmenten Bezug auf das solonische Gesetz zur Testierfreiheit zu nehmen und dessen Formulierungen direkt zu zitieren. Insbesondere die Formulierung ἄνευ (δὲ) τῶν (γνησίων) θυγατέρων … διαθέσθαι scheint direkt aus dem Gesetzestext zitiert zu sein. Die Bestimmung kann als Beleg dafür genommen werden, dass im Gesetz Solons nur eine personelle Regelung der Nachfolge durch Adoption festgeschrieben war und keine freie testamentarische Veräußerung des Besitzes.237 In den Gesetzen Platons wird ebenfalls eine Regelung zur Heirat der Erbtochter mit dem Adoptivsohn aufgeführt.238 In der Forschung ist umstritten, ob der Adoptivsohn die Erbtochter heiraten musste oder ob er sie mit einem Teil des Erbes als Mitgift einem anderen zur Frau geben konnte. F 133a wurde häufig als Beleg für eine Heiratspflicht genommen. Auch deutet die Regelung in Platons Gesetzen in diese Richtung.239 Aus dem 4. Jh. sind jedoch aus den attischen Reden und dem Dyskolos des Menander Beispiele für Erbtöchter bekannt, die nicht vom Adoptivsohn geheiratet wurden, so dass einige Forscher von einer Wahlfreiheit des Adoptivsohns, zumindest im 4. Jh., ausgehen.240 Es ist jedoch unsicher, ob das Vorgehen rechtskonform war. Michele Cautadella plädiert dafür, dass allein der inter vivos Adoptierte die Möglichkeit hatte, die Erbtochter anderweitig zu verheiraten. Er setzt allerdings voraus, dass sich der Rechtsstatus der Adoptierten je nach Adoptionsform stark unterschied, was Lene Rubinstein widerlegen konnte. Sie hat nachgewiesen, dass sich der Status eines Adoptivsohns unabhängig von der Form 235  Rubinstein folgt dagegen Ruschenbuschs Annahme, dass diatíthesthai und poieísthai sich auf die unterschiedlichen Adoptionsformen beziehen und ihre synonyme Verwendung im 4. Jh. v. Chr. ein rhetorischer Trick war (Ruschenbusch 2005 [zuerst 1962], 60 f.; ders. 2010, 98 f.; Rubinstein 1993, 85 f.); diese Ansicht ist von Gagliardi zurückgewiesen worden (2002, 10, 12 f. mit Anm. 24). Vgl. zur synonymen Verwendung der Verben Ruschenbusch 2010, 98; Hatzilambrou 2018, 170 f.; Gagliardi 2014, 24–26. 236  Hatzilambrou 2018, 171; zur Schenkung auf den Todesfall ausführlich Bruck 1909b (wie Anm. 204). 237  Fine 1951 (wie Anm. 204), 188. 238  Plat. leg. 11, 923e. 239  Für die Heiratspflicht u. a. Thalheim 1910b (wie Anm. 203), 400; Lipsius 1905–15, 512 Anm. 43; Fine 1951 (wie Anm. 204), 188; Harrison 1968, 82–85, 151; Schaps 1979 (wie Anm. 201), 32; Todd 1993, 222 f., 226 f. mit Anm. 28; Schmitz 2004, 233 mit Anm. 233, 235; gegen die Heiratspflicht MacDowell 1978, 100; Hatzilambrou vertritt die These, dass das Gesetz zwar die Heiratspflicht vorsah, sie aber im 4. Jh. v. Chr. nicht mehr beachtet wurde (2018, 170). 240  Vgl. u. a.: Isai. 3,45–51; Men. Dysk. 731–739: Da im Dyskolos Adoptivsohn und Erbtochter Halbgeschwister mütterlicherseits sind, würde eine Heirat einem anderen solonischen Gesetz widersprechen; vgl. F 123b; MacDowell 1978, 100; Raphael Sealey, Women and Law in Classical Greece, Chapell Hill – London 1990, 30; Gagliardi 2014, 33.

Adoption und Testament (F 132–136)

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der Adoption nach der Einführung in die Phratrie im Wesentlichen nicht mehr von der eines rechtmäßig geborenen Sohnes unterschied.241 Rubinstein verweist auf die fehlende Quellengrundlage zur Heiratspflicht. Diese könnte nach ihrer Meinung eine spätere Interpretation des Gesetzes im 4. Jh. v. Chr. gewesen sein. Vier Fragmente des Erbtochterrechts bringen Solon mit einer Regelung zur Verheiratung einer mittellosen Erbtochter außerhalb der Verwandtschaft in Verbindung, wobei eine festgelegte Mitgift, die sich nach der Schatzungsklasse des nächsten Verwandten richtet, erbracht werden musste (F 129a–d). Insgesamt ist unsicher, ob die Regelung Teil des ursprünglichen solonischen Gesetzes war.242 F 134 Einschränkung der Testierfreiheit (F 134a: T 427c Martina; F 134c: 427h Martina; F 134d: T 429 Martina; F 49a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 134e: T 430 Martina; F 121b Ruschenbusch; F 49/f Leão/Rhodes; F 134f: T 429adn. Martina; F 134 g: T 433 Martina, F 49d Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 134h: T 434 Martina, F 49b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 134i: T 435 Martina, F 49c Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 134a: Isaios, Über das Erbe des Philoktemon (or. 6) 9 (365–363 v. Chr.) ΝΟΜΟΣ

οὑτοσὶ ὁ νόμος, ὦ ἄνδρες, κοινὸς ἅπασι κεῖται, ἐξεῖναι τὰ ἑαυτοῦ διαθέσθαι, ἐὰν μὴ παῖδες ὦσι γνήσιοι ἄρρενες, ἐὰν μὴ ἄρα μανεὶς ἢ ὑπὸ γήρως ἢ δι’ ἄλλο τι τῶν ἐν τῷ νόμῳ παρανοῶν [oder: παρανόμων] διαθῆται. Gesetz

Eben dieses Gesetz (nómos), ihr Männer, gilt unterschiedslos für alle und erlaubt, das Eigene [den eigenen Besitz] zu vermachen (diathésthai), wenn keine rechtmäßigen (ehelichen, gnḗsi­ oi) männlichen Kinder vorhanden sind und wenn er nicht etwa testiert hat (diathésthai), als er infolge hohen Alters (gḗras) geistig verwirrt war (maínesthai) oder aus einem anderen der im Gesetz [genannten Gründe] unzurechnungsfähig war (paranoṓn) [oder: wegen etwas anderem von den im Gesetz genannten rechtswidrigen Dingen (paranómōn)].

F 134b: Isaios, Über das Erbe des Menekles (or. 2) 19 u. 38 (354/53 v. Chr. ?) (19) Ὅτι δὲ οὐ παρανοῶν οὐδὲ γυναικὶ πειθόμενος ὁ Μενεκλῆς ἐποιήσατο, ἀλλ’ εὖ φρονῶν, ἐνθένδε ἐστὶν ὑμῖν ῥᾴδιον ἐπιγνῶναι. (38) Ὅτι τοίνυν ὁ Μενεκλῆς, ὦ ἄνδρες, ἐποιήσατό με οὐ παρανοῶν οὐδὲ γυναικὶ πειθόμενος, βούλομαι ὑμῖν καὶ αὐτοὺς τούτους μάρτυρας παρασχέσθαι. App. crit.: (19) πιθόμενος Wyse, Thalheim, Roussel; πειθόμενος ἐμὲ ἐποιήσατο Naber; ῥᾴδιον ὑμῖν Q; (38) ἐποιήσατό με om. Q; πιθόμενος Wyse, Thalheim, Roussel.

241  Cataudella 1972, 58–60; Rubinstein 1993, 55. 242  Rubinstein 1993, 95 f.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

(19) Dass Menekles aber weder, weil er unzurechnungsfähig (paranoeín), noch weil er von einer Frau überredet war (gynaikí peithómenos), die Adoption vorgenommen hat, sondern bei gutem Verstand war, ist euch hieraus leicht ersichtlich. (38) Dass nun Menekles, ihr Männer, mich nicht adoptiert hat, weil er unzurechnungsfähig (paranoeín) oder von einer Frau überredet war (gynaikí peithómenos), dafür will ich euch diese selbst als Zeugen präsentieren.

F 134c: Isaios, Über das Erbe des Nikostratos (or. 4) 16 (ca. 350 v. Chr.) δοῦναι μὲν γὰρ ὁ νόμος οὐδενὶ ἐᾷ τὰ ἑαυτοῦ, ἐὰν ὑπὸ γήρως ἢ ὑπὸ νόσου ἢ ὑπὸ τῶν ἄλλων ἃ καὶ ὑμεῖς ἴστε παρανοήσῃ App. crit.: οὐδενὶ Bekker, οὐδένα cod.

Denn das Gesetz [erlaubt] es nicht, irgendjemandem das Eigene [den eigenen Besitz] zu geben (doúnai), wenn man infolge hohen Alters (gḗras) oder Krankheit (nósos) oder einer der anderen [Einschränkungen], die auch ihr kennt, unzurechnungsfähig ist (paranoeín).

F 134d: Apollodoros (Ps.-Demosthenes), Gegen Stephanos II (or. 46) 14–16 (350– 348 v. Chr.) (14) ἀλλὰ μὴν αὐτῶν τῶν νόμων ἀκούσαντες γνώσεσθε, ὡς οὐ κύριος ἦν διαθέσθαι. λέγε τὸν νόμον. ΝΟΜΟΣ.

Ὅσοι μὴ ἐπεποίηντο, ὥστε μήτε ἀπειπεῖν μήτ’ ἐπιδικάσασθαι, ὅτε Σόλων εἰσῄει τὴν ἀρχήν, τὰ ἑαυτοῦ διαθέσθαι εἶναι ὅπως ἂν ἐθέλῃ, ἂν μὴ παῖδες ὦσι γνήσιοι ἄρρενες, ἂν μὴ μαίνων ἢ γήρως ἢ φαρμάκων ἢ νόσου ἕνεκα ἢ γυναικὶ πειθόμενος, ὑπὸ τούτων του παρανόμων, ἢ ὑπ’ ἀνάγκης ἢ ὑπὸ δεσμοῦ, καταληφθείς. … (16) σκέψασθε δὲ καὶ διότι οὐδ᾽ ἂν ἄπαις τις ᾖ, κύριός ἐστι τὰ αὑτοῦ διαθέσθαι, ἐὰν μὴ εὖ φρονῇ: νοσοῦντα δὲ ἢ φαρμακῶντα ἢ γυναικὶ πειθόμενον ἢ ὑπὸ γήρως ἢ ὑπὸ μανιῶν ἢ ὑπὸ ἀνάγκης τινὸς καταληφθέντα ἄκυρον κελεύουσιν εἶναι οἱ νόμοι. App. crit.: (14) μανιῶν codd.; γήρων Kaibel; ἕνεκα Rennie, ἕνεκεν codd.; πιθόμενος Kaibel, Rhodes 1981, 444; του παρανοῶν Wesseling cf. Isai. 6,9; του παρανόμων codd.

Ihr werdet aber ferner, wenn ihr die Gesetze (nómoi) hört, erkennen, dass er [Pasion] nicht berechtigt war zu testieren (diathésthai). Lies das Gesetz. Gesetz

Diejenigen, die nicht [selbst] adoptiert waren (poieísthai), sich folglich weder [von ihrem Vater] lossagen (apologeín) noch [beim árchōn] einen Antrag auf Zuerkennung des Erbes stellen konnten (epidikázesthai), als Solon in sein Amt eintrat, können über das Eigene [den eigenen Besitz] letztwillig verfügen (diathésthai), wie ein jeder will (ethélein), wenn nicht rechtmäßige (eheliche, gnḗsioi) männliche Kinder vorhanden sind, und er nicht aufgrund hohen Alters (gḗras), Heilmittel (phármaka) oder Krankheit (nósos) geistig verwirrt ist (maínōn), von einer Frau überredet wurde (peithómenos) oder durch irgendetwas Rechtswidriges (ti paranómōn), durch Zwang oder durch Fesselung, unselbständig geworden ist. … (16) Betrachtet deshalb auch, dass auch ein Mann ohne Kinder nicht das Recht hat, das Eigene [den eigenen Besitz] zu vermachen (diathésthai), wenn er nicht bei klarem Verstand ist (eú phroneín): Wenn er krank ist (noseín) oder unter Pharmaka steht (pharmakán) oder

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von einer Frau überredet war (gynaikí peithómenos) oder betroffen ist von hohem Alter (gḗras) oder Wahnsinn (maníai) oder irgendeinem Zwang (anánkē), bestimmen die Gesetze (nómoi), dass er [dazu] unberechtigt (ákyros) ist.

F 134e: Ps.-Demosthenes, Gegen Olympiodoros (or. 48) 56 (343–341 v. Chr.) Ὀλυμπιόδωρος μὲν οὑτοσὶ τοιοῦτός ἐστιν ἄνθρωπος, οὐ μόνον ἄδικος, ἀλλὰ καὶ μελαγχολᾶν δοκῶν ἅπασιν τοῖς οἰκείοις καὶ τοῖς γνωρίμοις τῇ προαιρέσει τοῦ βίου, καὶ ὅπερ Σόλων ὁ νομοθέτης λέγει, παραφρονῶν ὡς οὐδεὶς πώποτε παρεφρόνησεν ἀνθρώπων, γυναικὶ πειθόμενος πόρνῃ. καὶ ἄκυρά γε ταῦτα πάντα ἐνομοθέτησεν εἶναι ὁ Σόλων, ὅ τι ἄν τις γυναικὶ πειθόμενος πράττῃ, ἄλλως τε καὶ τοιαύτῃ. App. crit.: οὑτοσὶ τοιοῦτός Blass, τοιουτοσί SFQD, τοιοῦτός A, τοίνυν F γρ. Q γρ., τοίνυν τοιουτοσί editt. plerique; δοκῶν om. S1, in mg. add. ead. m.; παρενόησεν Gernat; ὁ2 om. FD, ὅ τι ἄν vulg., ὅταν S, ὅσ᾿ ἂν Blass; ἄλλως … τοιαύτῃ om. S.

Olympiodoros ist ein Mensch von dieser Art, der nicht nur ungerecht, sondern auch nach Meinung all seiner Verwandten und Bekannten hinsichtlich seiner Lebensweise wahnsinnig ist (melancholán) und – wie der Gesetzgeber (nomothétēs) Solon sagt –nicht bei Verstand (pa­ raphroneín), wie kein anderer Mensch es jemals war, weil er von einer Frau, die eine Prostituierte (pórnē) ist, überredet war (gynaikí peithómenos). Und dies alles ist nicht rechtsgültig (ákyra), wie Solon gesetzlich festgelegt hat (nomotheteín), was jemand von einer Frau überredet (gynaikí peithómenos) vollzieht, besonders einer solchen.

F 134f: Hypereides, Gegen Athenogenes (or. 5) 17 (330–324 v. Chr.) Ἔτι δὲ καὶ ὁ περὶ] τῶν̣ διαθηκῶν νόμος παραπλήσιος τούτοι ̣ς ἐστίν· κελεύε[ι ̣ γὰρ ἐξε̣ ῖν]αι τὰ ἑαυτοῦ [δ̣ια]τίθεσθα[ι ὅπως ἄν] τις βούληται, πλὴν [ἢ γή]ρως ̣ ἕνε[κεν] ἢ νόσου ἢ μανιῶν ἢ γυ[ναικὶ] πειθόμ̣[ενο]ν ἢ [ὑπὸ] δεσμοῦ ἢ ὑ[πὸ ἀνά]γκης κ[ατ]αληφθ[έντ]α. Ὅπου δὲ οὐδὲ [π̣ερὶ] τῶν αὑτοῦ ἰδίων αἱ μ̣[ὴ δ]ίκαιαι διαθῆκαι κύριαί εἰσιν, πῶς Ἀθηνογέν̣ει γε, κα[τ̣ά τῶ]ν̣ ἐμῶν συνθεμένῳ, τοιαῦτα δε̣ῖ ̣ [κύρι]α εἶναι; App. crit.: Ἔτι δὲ καὶ Revillout, Weil; τούτωι D; οι ̣ς τουτοι ̣ς; κελεύε[ι ̣ γὰρ Babington, Weil, Revillout; ὡς ἄν Revillout, Kenyon; ὅπως ἄν Fuhr et Vogt, quod cum spatio convenit; ἢ [γή]ρως ̣ Revillout; ἢ ὑ[πὸ τινος ἀνά]γκης Weil, contra spatium, quod est 5 litterarum, ἢ ὑ[πὸ ἀνά]γκης Babington; αἱ ἐ[γγύα]ι καὶ αἱ Revillout, corr. Babington.

Außerdem ähnelt diesen das Gesetz über die Testamente (ho perí tṓn diathēkṓn nómos): Denn es bestimmt, dass man das Eigene [den eigenen Besitz] vermachen kann (diatíthesthai), wem man will (boúlesthai), außer infolge hohen Alters (gḗras), Krankheit (nósos) oder Wahnsinns (maníai), wer von einer Frau überredet (gynaikí peithómenos) oder von Fesselung (desmós) oder Zwang (anánkē) betroffen ist. Da aber unrechtmäßig [aufgestellte] Testamente (diathḗkai) über den [Besitz] des Einzelnen nicht rechtsgültig sind (kýriai eínai), wie kann da, wenn Athenogenes sich meinen [Besitz] verschafft, dies rechtsgültig (kýrios) sein?

F 134 g: Aristoteles, Athenaion politeia 35,2 (320er Jahre) τὸ μὲν οὖν πρῶτον μέτριοι τοῖς πολίταις ἦσαν καὶ προσεποιοῦντο διώκειν τὴν πάτριον πολιτείαν, καὶ τούς τ’ Ἐφιάλτου καὶ Ἀρχεστράτου νόμους τοὺς περὶ τῶν Ἀρεοπαγιτῶν καθεῖλον ἐξ Ἀρείου πάγο[υ], καὶ τῶν Σόλωνος θεσμῶν ὅσοι διαμφισβητήσεις ἔσχον καὶ τὸ κῦρος ὃ ἦν ἐν τοῖς δικασταῖς

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κατέλυσαν, ὡς ἐπανορθοῦντες καὶ ποιοῦντες ἀναμφισβήτητον τὴν πολιτείαν· οἷον ‹τὸν› περὶ τοῦ δοῦναι τὰ ἑαυτοῦ ᾧ ἂν ἐθέλῃ κύριον ποιήσαντες καθάπαξ, τὰς δὲ προσούσας δυσκολίας, ἐὰν μὴ μανιῶν ἢ γηρῶν ἢ γυναικὶ πειθόμενος, ἀφεῖλον ὅπως μὴ ᾖ τοῖς συκοφάνταις ἔφοδος. App. crit.: διώκειν Kontos; διοικειν Kenyon, Mathieu/Haussoulier, Rackham; εἶσχον Blass, Kenyon, Rackham; ‹τὸν› περὶ τοῦ δοῦναι add. Wilamowitz-Kaibel; γηρῶς Ruschenbusch (2010), γηρῶς ‹ἕνεκα› Blass, Wyse; πιθόμενος L, πειθόμενος Blass, Wyse, Ruschenbusch.

Zunächst allerdings waren sie [die Dreißig] den Bürgern gegenüber maßvoll und gaben vor, dass sie der althergebrachten Verfassung (pátrios politeía) folgten, und sie entfernten vom áreios págos die Gesetze (nómoi) des Ephialtes und Archestratos über die Areopagiten. Die Gesetze (thesmoí) Solons, soweit sie Widersprüche enthielten, und die Machtbefugnis (kýros), die bei den Richtern (dikastaí) lag, hoben sie auf, um die [althergebrachte] Verfassung wieder herzustellen und unbestreitbar zu machen. So gaben sie [jedem] unbedingt die Vollmacht, das Eigene [den eigenen Besitz] zu geben (doúnai), wem man wollte (ethélein), hoben aber die dazugehörende Einschränkung, wenn nicht unter [dem Einfluss von] Wahnsinn (maníai) oder hohem Alter (gḗras) oder von einer Frau überredet (gynaikí peithómenos), auf, so dass sie den Sykophanten die Möglichkeit [zur Klage] nahmen.

F 134h: Plutarch, Solon 21,3–4 (um 100 n. Chr.) (3) Εὐδοκίμησε δὲ καὶ τῷ περὶ διαθηκῶν νόμῳ. πρότερον γὰρ οὐκ ἐξῆν, ἀλλ’ ἐν τῷ γένει τοῦ τεθνηκότος ἔδει τὰ χρήματα καὶ τὸν οἶκον καταμένειν· ὁ δ’ ᾧ βούλεταί τις ἐπιτρέψας, εἰ μὴ παῖδες εἶεν αὐτῷ, δοῦναι τὰ αὑτοῦ, φιλίαν τε συγγενείας ἐτίμησε μᾶλλον καὶ χάριν ἀνάγκης, καὶ τὰ χρήματα κτήματα τῶν ἐχόντων ἐποίησεν. (4) οὐ μὴν ἀνέδην γε πάλιν οὐδ’ ἁπλῶς τὰς δόσεις ἐφῆκεν, ἀλλ’ εἰ μὴ νόσων οὕνεκεν ἢ φαρμάκων ἢ δεσμῶν ἢ ἀνάγκῃ κατασχεθεὶς ἢ γυναικὶ πειθόμενος … App. crit.: (3) δὲ om. U; καὶ S, κἀν ϒ; (4) οὐδ’ om. S; μή ‹τις› Bern.; ἕνεκεν ϒ; [ἢ] ἀνάγκῃ Ziegler; πιθόμενος Cobet, Bern.

(3) Er erhielt aber auch Lob für sein Gesetz über das Testament (hó perí diathēkṓn nómos). Denn zuvor war es nicht möglich [ein Testament zu errichten], sondern der Besitz und das Haus mussten in der Familie (génos) des Verstorbenen verbleiben. Indem er [Solon] gestattete, dass jeder, wenn er keine Kinder hat, das Eigene [den eigenen Besitz] geben konnte (doúnai), wem er wollte (boúlesthai), schätzte er die Freundschaft höher als die Verwandtschaft (syn­ géneia) und die Zuneigung höher als den Zwang und machte das Vermögen zum Eigentum der Besitzenden. (4) Allerdings gestattete er die Vermächtnisse (dóseis) nicht uneingeschränkt und generell, sondern nur für den Fall, dass sie nicht durch Krankheiten (nósoi), Heilmittel (phármaka), Gefangenschaft (desmoí) oder Zwang (anánkē) daran gehindert oder von einer Frau dazu überredet worden waren (gynaikí peithómenos) …

F 134i: Plutarch, Quaestiones Romanae 7 (Moralia 265e–f) (um 100 n. Chr.) Διὰ τί δὲ δῶρον λαβεῖν ἀνδρὶ παρὰ γυναικὸς καὶ γυναικὶ παρ’ ἀνδρὸς ἀπείρηται; Πότερον, ὡς Σόλων γράψας τὰς δόσεις κυρίας εἶναι τῶν τελευτώντων, πλὴν εἰ μή τις ἀνάγκῃ συνεχόμενος ἢ γυναικὶ πειθόμενος τὴν μὲν ἀνάγκην ὡς βιαζομένην ὑπεξείλετο, (F) τὴν δ’ ἡδονὴν ὡς παραλογιζομένην, οὕτως ὑπενοήθησαν αἱ γυναικῶν καὶ ἀνδρῶν δόσεις; Warum ist es dem Mann verboten, eine Schenkung (dṓron) von der Frau anzunehmen, und der Frau vom Mann? Sollte dieses Verbot der Schenkungen zwischen Mann und Frau einen

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ähnlichen Grund haben wie Solons Verordnung, dass die Vermächtnisse (dóseis) der Verstorbenen gültig sein sollen, außer wenn jemand unter Zwang (anánkē) steht oder durch eine Frau überredet war (gynaikí peithómenos), womit er [Solon] den Zwang als Gewalt (F) und die Schmeichelei als Täuschung ausschloss?

In seiner Rede Gegen Athenogenes bezeichnet Hypereides das Gesetz über die Testierfreiheit (F 134f) als ὁ περὶ τῶν διαθηκῶν νόμος, Plutarch in der Vita Solons als ὁ περὶ διαθηκῶν νόμος. In der demosthenischen Rede Gegen Olympiodoros, der aristotelischen Athenaion politeia und von Plutarch ist es als Gesetz Solons aufgefasst, auch wenn die Bezeichnung als ‚Gesetz über das Testament‘ allein schon wegen der Benennung als nómos eine spätere Formulierung ist. Das Gesetz deckt sehr wahrscheinlich beide Adoptionsformen ab, die zu Lebzeiten und die post mortem vollzogene. Auszugehen hat eine Rekonstruktion der gesetzlichen Regelung, in welchen Fällen ein Testament nicht rechtsgültig ist, von dem in Ps.-Demosth. or. 46,14 eingefügten Gesetzestext. Dieser ist in seiner Struktur klar aufgebaut und macht die Rechtsgültigkeit von zwei Voraussetzungen abhängig. Gültig war ein Testament: 1. wenn keine rechtmäßigen, männlichen Kinder vorhanden waren (ἂν μὴ παῖδες ὦσι γνήσιοι ἄρρενες) und 2. wenn das Testament in freier Entscheidung abgefasst war, der Testator also: – nicht geistig verwirrt war infolge hohen Alters, phármaka oder Krankheit (ἂν μὴ μαίνων ἢ γήρως ἢ φαρμάκων ἢ νόσου ἕνεκα), – nicht von einer Frau überredet war (ἢ γυναικὶ πειθόμενος) – und nicht unselbständig geworden war (wörtlich: ‚ergriffen‘, ‚festgehalten‘) durch solcherart Gesetzwidriges, was Zwang oder Fessel [zur Folge hatte] (ὑπὸ τούτων του παρανόμων ἢ ὑπ’ ἀνάγκης ἢ ὑπὸ δεσμοῦ καταληφθείς). Die zweite Voraussetzung – dass der Testator aus eigenem Willen gehandelt hat – kommt in drei aneinandergereihten Partizipia zum Ausdruck (μαίνων, πειθόμενος und καταληφθείς). Da ‚Alter‘, ‚Heilmittel‘ und ‚Krankheit‘ als solche die eigene Willensentscheidung nicht einschränken müssen, wird μαίνων (als Partizip Präsenz Aktiv von μαίνειν) zu lesen sein, statt des überlieferten μανιων.243 Eingeschränkt ist die freie Willensentscheidung auch dann, wenn der Testator wegen einer gesetzwidrigen Tat in Haft genommen wurde; bei diesem dritten Punkt ist daher an der Überlieferung ὑπὸ τούτων του παρανόμων festzuhalten (statt des von Wesseling konjizierten παρανοῶν, was eine unsinnige Dopplung zu μαίνων wäre). Mit dieser geringfügigen Konjektur

243  In den Texteditionen wird – auch wegen der Parallelüberlieferungen z. B. in Hyp. 5,17 und Aristot. Ath. pol. 35,2 – μανιῶν als Genitiv Plural zu μανία verstanden. Es ist gut möglich, dass der solonische Gesetzestext (γυναικὶ) πιθόμενος statt πειθόμενος aufwies (so bei Isai. 2,19.38 in der Edition von Pierre Roussel 1922, 41, 46; vgl. Wyse 1967 [zuerst 1904], 25, 31 und die textkritischen Apparate zu Aristot. Ath. pol. 35,2 und Plut. Solon 21,4).

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von μανιων zu μαινων und der Rücknahme der Konjektur von παρανομων zu παρανοων ergibt sich eine klare Gliederung der einschränkenden Voraussetzungen, ein gültiges Testament abzufassen, nämlich geistige Verwirrtheit, Beeinflussung durch eine Frau und Haft infolge eines Vergehens.244 Eberhard Ruschenbusch hat zu Recht darauf hingewiesen, dass bei der zweiten einschränkenden Voraussetzung gynḗ (‚Frau‘) statt dámar (‚Ehefrau‘) verwendet ist, und zieht daraus den Schluss, dass nicht die Ehefrau des Erblassers, sondern eine beliebige Frau gemeint ist.245 Ps.-Demosth. or. 48,56 (F 134e) stützt diese Auffassung, denn dort ist das Gesetz auf die Überredung durch eine Prostituierte bezogen.246 Nach Winfried Schmitz sollte mit dieser Regelung vor allem verhindert werden, dass ein Erblasser die Kinder oder nahe Verwandte seiner pallakḗ adoptierte.247 Die letzte Klausel, ὑπὸ τούτων του παρανόμων, ἢ ὑπ’ ἀνάγκης ἢ ὑπὸ δεσμοῦ, καταληφθείς, ist nicht auf den Fall zu beziehen, dass der Erblasser z. B. von seinen Verwandten unter Druck gesetzt wurde, ein Testament zu ihren Gunsten abzufassen, sondern auf Verpflichtungen oder Inhaftierung infolge eines rechtlichen Vergehens. War eine Person mittels apagōgḗ abgeführt, in Haft genommen oder verurteilt worden, konnte er über sein Vermögen nicht mehr letztwillig verfügen, um einer Strafzahlung zu entgehen und den Angehörigen das Vermögen zu sichern. Nach Darstellung der Athenaion politeia (F 134 g) hatten die Oligarchen nach Auflösung der Demokratie im Jahr 404/3 v. Chr. die Gesetze Solons, soweit sie Widersprüche enthielten, aufgehoben.248 Als Beispiel angeführt wird das Gesetz über das Testament, bei dem die Oligarchen jedem die freie Entscheidung beließen, den eigenen Besitz einem anderen zu vermachen; die Einschränkungen hingegen hätten sie aufgehoben, um ungerechtfertigte Anklagen zu unterbinden.249 Nimmt man die indirekten Wiedergaben dieser Einschränkungen in Gerichtsreden des 4. Jh. v. Chr. und bei Plut244  Vergleiche auch die Einschränkungen bei einem Kaufvertrag, wie sie Theophrast in seiner Abhandlung Über die Verträge (Περὶ συμβολαίων) forderte (Stob. flor. 44,20 [IV 2,20 Hense/Wachsmuth]; fr. 97 Wimmer): Gültig soll ein Vertrag nur dann sein, wenn Käufer und Verkäufer nicht betrunken sind, noch in Zorn, Streit oder geistiger Verwirrung (paranoṓn), sondern bei gesundem Verstand und überhaupt ehrlich gehandelt hätten (ἐὰν μὴ παρὰ μεθύοντος μηδ’ ἐξ ὀργῆς μηδὲ φιλονεικίας, μηδὲ παρανοοῦντος, ἀλλὰ φρονοῦντος, καὶ τὸ ὅλον δικαίως). Die Manuskripte weisen auch hier παρανομοῦντος auf, eine Lesung, die von Nauck in παρανοοῦντος geändert wurde. 245  Ruschenbusch 2010, 102. 246  Eberhard Ruschenbusch führt das Fragment unter „Falsches, Zweifelhaftes, Unbrauchbares“ als F 121b auf; Antonio Martina (T 430) sowie Delfim F. Leão und P. J. Rhodes (F 49f) fassten es hingegen als solonisches Gesetz auf. 247  Schmitz 2004, 227 Anm. 252. 248  Dazu Asheri 1963 (wie Anm. 180), 11; Rubinstein 1993, 62; Gagliardi 2002, 36–38; Leão/Rhodes 2015, 82; Humphreys 2018, 68; Lene Rubinstein, The Athenian Amnesty of 403/2 and the ‚Forgotten‘ Amnesty of 405/4, in: Werner Riess (Hrsg.), Colloquia Attica. Neuere Forschungen zur Archaik, zum athenischen Recht und zur Magie, Stuttgart 2018, 123–144, hier 135 f. 249  Auch in Aristot. Ath. pol. 9,2 (F 121) ist darauf verwiesen, dass das solonische Erb- und Erbtoch­ terrecht in klassischer Zeit als unklar und unverständlich (μὴ … ἁπλῶς μηδὲ σαφῶς) wahrgenommen wurde (Eberhard Ruschenbusch, Δικαστήριον πάντων κύριον, in: Historia 6, 1957, 257–274, hier 261–263; Rhodes 1981, 162, 442–444; David Cohen, Law, Sexuality, and Society, Cambridge 1991, 232).

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arch in den Blick, ist nachvollziehbar, dass die drei im Gesetz genannten Voraussetzungen als widersprüchlich empfunden wurden. Schon die indirekte Wiedergabe durch Apollodoros in Ps.-Demosth. or. 46,16 (F 134d), also gleich im Anschluss an die Verlesung des Gesetzes, bringt die drei nach sachlichen Gesichtspunkten zu trennenden Voraussetzungen durcheinander, indem er zunächst geistige Verwirrtheit nennt (ἐὰν μὴ εὖ φρονῇ), die über allen anderen Punkten als Erklärung steht: Geistig verwirrt sei der, welcher unter Krankheit leide, unter phármaka stehe oder einer Frau hörig sei, wer hochbetagt, verrückt oder unter irgendeinem Zwang stehe (νοσοῦντα δὲ ἢ φαρμακῶντα ἢ γυναικὶ πειθόμενον ἢ ὑπὸ γήρως ἢ ὑπὸ μανιῶν ἢ ὑπὸ ἀνάγκης τινὸς καταληφθέντα). Folgerichtig lässt er ὑπὸ τούτων του παρανόμων und ὑπὸ δεσμοῦ aus, da sich dies kaum unter ‚geistig verwirrt‘ (μὴ εὖ φρονῇ) subsumieren ließ. Genauer als die Wiedergabe durch Apollodoros ist die des Isaios in der Rede Über das Erbe des Philoktemon (F 134a). Er nennt die erste Voraussetzung für ein gültiges Testament, keine rechtmäßigen männlichen Kinder zu haben, in wörtlicher Übereinstimmung mit dem Gesetzestext (τὰ ἑαυτοῦ διαθέσθαι, ἐὰν μὴ παῖδες ὦσι γνήσιοι ἄρρενες) und fügt den Beginn der zweiten Voraussetzung relativ eng am Gesetzestext an, indem er das Partizip Präsenz Aktiv μαίνων durch das Partizip Passiv des Aorist ersetzt, aber – wie der Gesetzestext selbst – auch vom Verb μαίνειν/μαίνεσθαι ausgeht, an das ἢ ὑπὸ γήρως angeschlossen ist (ἐὰν μὴ ἄρα μανεὶς ἢ ὑπὸ γήρως). Der folgende Satzteil weicht deutlicher vom Gesetzestext ab und ersetzt – vermutlich wegen des falsch gelesenen (oder im Gesetzestext verschriebenen?) παρανοῶν – das καταληφθείς durch διαθῆται (ἢ δι’ ἄλλο τι τῶν ἐν τῷ νόμῳ παρανοῶν διαθῆται). Das paranoeín begegnet erneut zweimal in Isaios’ Rede Über das Erbe des Menekles (F 134b), allerdings dort anstelle des maínein, nämlich vor der zweiten Klausel, dass der Testator nicht von einer Frau überredet worden sein darf. Auch die indirekte Wiedergabe der Klausel in Isai. 4,16 (F 134c) spricht dafür, dass der Gesetzestext μαίνων, nicht μανιῶν, aufwies, da or. 4,16 mit ὑπὸ γήρως ἢ ὑπὸ νόσου beginnt (ohne einen vorangehenden Genitiv Plural μανιῶν) und erneut παρανοήσῃ an die Stelle des μαίνων tritt.250 Hypereides übergeht bei der freien Entscheidung, wer als Erbe eingesetzt werden soll, die erste Bedingung, dass es keine rechtmäßigen Söhne gibt. Die zweite, im Gesetzestext mit ἂν μὴ eingeleitete Voraussetzung wird in Hyp. 5,17 mit πλὴν angeschlossen; aus dem Partizip μαίνων mit der Spezifizierung ἢ γήρως ἢ φαρμάκων ἢ νόσου ἕνεκα wird bei Hypereides ἢ γή] ρω ̣ ς ἕνε[κεν] ἢ νόσου ἢ μανιῶν. In der letzten Klausel folgt Hypereides wieder weitgehend dem Gesetzestext (ὑπὸ τούτων του παρανόμων, ἢ ὑπ’ ἀνάγκης ἢ ὑπὸ δεσμοῦ, καταληφθείς), lässt jedoch ὑπὸ τούτων του παρανόμων aus und ändert die Reihenfolge 250  Vgl. dazu Wyse 1967 [zuerst 1904], 494 f., 325–327. Ps.-Demosth. or. 48,56 bietet keinen weiteren Anhaltspunkt, denn das Partizip παραφρονῶν war vermutlich im Gesetzestext selbst nicht verwendet worden. Ungenau ist auch die Wiedergabe in Aristot. Ath. pol. 35,2, da μανιῶν ἢ γηρῶν (ἢ γυναικὶ πειθόμενος) syntaktisch nicht eingebunden ist.

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bei ἢ [ὑπὸ] δεσμοῦ ἢ ὑ[π’ ἀνά]γκης κ[ατ]αληφθ[έντ]α. Auch seine Wiedergabe erweist sich dadurch als eine indirekte.251 Plutarch hat die im Gesetz genannten zwei Voraussetzungen – es sind keine rechtmäßigen Söhne vorhanden und der Erblasser hat aus freiem Willen entschieden – auseinandergezogen, um sie getrennt kommentieren zu können (F 134h). Bei den möglichen Einschränkungen des freien Willens sind der erste und dritte Aspekt zusammengezogen – vermutlich wegen der Lesung παρανοων statt παρανομων –, und ist der zweite Aspekt ans Ende gerückt (εἰ μὴ νόσων οὕνεκεν ἢ φαρμάκων ἢ δεσμῶν ἢ ἀνάγκῃ κατασχεθεὶς ἢ γυναικὶ πειθόμενος). Nach Plutarchs Auffassung hatte Solon mit dem Gesetz die Neuerung eingeführt, dass das Erbe fortan nicht mehr innerhalb des génos des Erblassers verbleiben musste, sondern auch an nichtverwandte Personen vermacht werden konnte. Außerdem habe es vor Solon keine diathḗkē gegeben. Die Forschung ist sich hingegen weitgehend darin einig, dass Solon das Gesetz über die Testierfreiheit nicht neu eingeführt hat, und verweist diesbezüglich auf den einleitenden Satz des Gesetzes (F 134d). Außerdem implizieren die im Gesetz genannten Einschränkungen des freien Willens, dass man bereits in der Zeit Solons auf Erfahrungen mit der Adoption zurückgreifen konnte.252 Sehr selektiv ist die Wiedergabe der Einschränkungen einer freien Willensentscheidung in Plutarchs Quaestiones Romanae (F 134i). Trotz der vielfach ungenauen Wiedergaben lassen sich alle hier aufgeführten Fragmente auf das Gesetz über das Testament beziehen.253 Eine Klausel bezüglich geistiger Verwirrtheit infolge hohen Alters und Krankheit findet sich auch in Platons Nomoi.254

251  Das gilt auch für die verkürzte Wiedergabe in Aristot. Ath. pol. 35,2 (F 134 g); darin ist τὰ ἑαυτοῦ διαθέσθαι εἶναι ὅπως ἂν ἐθέλῃ aufgrund des Kontextes leicht abgewandelt zu περὶ τοῦ δοῦναι τὰ ἑαυτοῦ ᾧ ἂν ἐθέλῃ κύριον ποιήσαντες [die Oligarchen] καθάπαξ. Das ἂν μὴ μαίνων ἢ γήρως ἢ φαρμάκων ἢ νόσου ἕνεκα ἢ γυναικὶ πειθόμενος des Gesetzestextes ist verkürzt zu ἐὰν μὴ μανιῶν ἢ γηρῶν ἢ γυναικὶ πειθόμενος; die im Gesetz letztgenannte Einschränkung bleibt in Ath. pol. 35,2 gänzlich unberücksichtigt. Lorenzo Gagliardi (2002, 36 f.) diskutiert, ob nur die von Aristoteles genannten Einschränkungen (Wahnsinn, Alterssenilität und Überredung durch eine Frau) oder alle entsprechenden Klauseln aus dem Gesetz entfernt wurden. Die gegenüber dem Gesetzestext stark verkürzte Wiedergabe spricht aber eher dafür, dass die gesamte Klausel mit allen Einschränkungen abgeschafft und nach 403 wieder in Kraft gesetzt wurde. 252  Harrison 1968, 149–55; Cataudella 1972, 51; Gagliardi 2002, 5–59; Leão/Rhodes 2015, 82; mit Bezug auf ein Testamentsgesetz Ruschenbusch 2005 [zuerst 1962], 59–62; Ruschenbusch 2010, 99 f. Gagliardi hingegen spricht dem Kommentar Plutarchs größere Glaubwürdigkeit zu (2014, 38). 253  Nach Eberhard Ruschenbusch (2010, 100, ähnlich Gagliardi 2014, 35) können sich die Klauseln bezüglich der freien Willensentscheidung nur auf die Abfassung eines Testaments beziehen, was jedoch von einem Teil der Forschung zurückgewiesen wird (MacDowell 1978, 101; Maffi 1991, 228 f. verwirft Ruschenbuschs Argumentation insgesamt). 254  Plat. leg. 11, 922c–e.

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F 135 Einschränkung der Testierfreiheit des Adoptivsohns (F 135a: T 429 Martina, F 49a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 135b: T 431 Martina, F 121a Ruschenbusch, F 49/e, 58c Leão/Rhodes; F 135c: F 49a adn. [S. 102] Ruschenbusch; F 49h Leão/Rhodes)

F 135a: Apollodoros (Ps.-Demosthenes), Gegen Stephanos II (or. 46) 14–15 (350– 348 v. Chr.) ἀλλὰ μὴν αὐτῶν τῶν νόμων ἀκούσαντες γνώσεσθε, ὡς οὐ κύριος ἦν διαθέσθαι. λέγε τὸν νόμον. ΝΟΜΟΣ

Ὅσοι μὴ ἐπεποίηντο, ὥστε μήτε ἀπειπεῖν μήτ’ ἐπιδικάσασθαι, ὅτε Σόλων εἰσῄει τὴν ἀρχήν, τὰ ἑαυτοῦ διαθέσθαι εἶναι ὅπως ἂν ἐθέλῃ, ἂν μὴ παῖδες ὦσι γνήσιοι ἄρρενες, ἂν μὴ μαίνων ἢ γήρως ἢ φαρμάκων ἢ νόσου ἕνεκα ἢ γυναικὶ πειθόμενος, ὑπὸ τούτων του παρανόμων, ἢ ὑπ’ ἀνάγκης ἢ ὑπὸ δεσμοῦ, καταληφθείς. (15) Τοῦ μὲν νόμου τοίνυν ἀκηκόατε, ὃς οὐκ ἐᾷ διαθήκας διαθέσθαι, ἐὰν παῖδες ὦσι γνήσιοι. App. crit.: (14) μανιῶν codd.; γήρων Kaibel; ἕνεκα Rennie, ἕνεκεν codd.; πιθόμενος Kaibel, Rhodes 1981, 444; του παρανοῶν Wesseling cf. Isai. 6,9; του παρανόμων codd.

(14) Ihr werdet aber ferner, wenn ihr die Gesetze (nómoi) hört, erkennen, dass er [Pasion] nicht berechtigt war zu testieren (diatíthesthai). Lies das Gesetz. Gesetz

Diejenigen, die nicht [selbst] adoptiert waren (poieísthai), sich folglich weder [von ihrem Vater] lossagen (apologeín) noch [beim árchōn] einen Antrag auf Zuerkennung des Erbes stellen konnten (epidikázesthai), als Solon in sein Amt eintrat, können über das Eigene [den eigenen Besitz] letztwillig verfügen (diathésthai), wie ein jeder will (ethélein), wenn nicht rechtmäßige (gnḗsioi) männliche Kinder vorhanden sind, und er nicht aufgrund hohen Alters (gḗras), Heilmittel (phármaka) oder Krankheit (nósos) geistig verwirrt ist (maínōn), von einer Frau überredet wurde (peithómenos) oder durch irgendetwas Rechtswidriges (ti paranómōn), durch Zwang oder durch Fesselung, unselbständig geworden ist. (15) Ihr habt das Gesetz nun gehört, das nicht erlaubt, Testamente zu errichten (diathḗkas diathéstai), wenn es rechtmäßige (eheliche, gnḗsioi) Kinder gibt.

F 135b: Ps.-Demosthenes, Gegen Leochares (or. 44) 67–68 (nach 330 v. Chr.?) (67) τὸ δὲ πάντων μέγιστον καὶ γνωριμώτατον ὑμῖν· ὁ γὰρ τοῦ Σόλωνος νόμος οὐδὲ διαθέσθαι τὸν ποιητὸν ἐᾷ τὰ ἐν τῷ οἴκῳ, οἷ ἂν ποιηθῇ. εἰκότως, οἶμαι· τῷ γὰρ κατὰ νόμον εἰσποιηθέντι ἐπὶ τὰ ἑτέρου οὐχ οὕτως ὡς περὶ τῶν ἰδίων κτημάτων βουλευτέον ἐστίν, ἀλλὰ τοῖς νόμοις ἀκολούθως, περὶ ἑκάστου τῶν γεγραμμένων ὡς ὁ νόμος λέγει. (68) „ὅσοι μὴ ἐπεποίηντο“ φησίν „ὅτε Σόλων εἰσῄει εἰς τὴν ἀρχήν, ἐξεῖναι αὐτοῖς διαθέσθαι ὅπως ἂν ἐθέλωσιν“, ὡς τοῖς γε ποιηθεῖσιν οὐκ ἐξὸν διαθέσθαι … App. crit.: οἷ ἂν Blass, ὅταν codd., ὅτῳ ἂν Reiske; ἐπὶ τὰ: επει τα S, εἰς τα A; ὡς περὶ A, ὥσπερ SFQ, ὥσπερ περὶ D; ὡς τοῖς γε Q γρ., Schaefer, τοῖς γε SFQ, τοῖς δέ γε A.

(67) Aber was am bedeutendsten und euch bestens bekannt ist: Das Gesetz (nómos) Solons erlaubt nämlich nicht, dass ein Adoptivsohn (poiēthós) den Besitz des oíkos, in den er adoptiert wurde (poieísthai), vermacht (diathéstai). Dies zu Recht, wie ich meine: Denn wenn der nach dem Gesetz Adoptierte (eispoiēthṓn) den Besitz eines anderen erhält, sollte er nicht darüber

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frei entscheiden können, als wäre es sein eigener, sondern er sollte den Gesetzen entsprechend jeder einzelnen Bestimmung folgen, wie sie das Gesetz (nómos) enthält. (68) „Diejenigen, die nicht adoptiert worden waren (poieísthai), als Solon in sein Amt eintrat“, so besagt es [das Gesetz], „können [ihren Besitz] vermachen (diathéstai), wie sie es wollen (ethélein)“, so dass es den Adoptivsöhnen (poiēthéntes) nicht erlaubt ist, letztwillig zu verfügen (diathéstai) …

F 135c: Photios, Lexikon s. v. ἀπειπεῖν (α 2316 Theodoridis) (9. Jh. n. Chr.) Ἀπειπεῖν· τὸ καμεῖν καὶ ἀπαγορεῦσαι. σημαίνει δὲ καὶ τὸ ἀποκηρῦξαι παῖδα. καὶ δῆλον τοῦτο ἐκ τοῦ νόμου Σόλωνος τοῦ λέγοντος· „μήτ’ ἀπειπεῖν †μήτε πείθεσθα醓, τουτέστιν μήτε ἀποκηρῦξαι μήτ’ ἄλλον ἐπ’ αὐτοῖς θεῖναι. App. crit.: μήτε πείθεσθαι: μήτ’ ἐπιθέσθαι Tsantsanoglou.

Lossagen (apeipeín): Etwas leid sein oder verzichten (apagoreúein). Es bedeutet aber auch, sein Kind öffentlich loszusagen (apokērýssein). Und dies ist aus dem Gesetz (nómos) Solons ersichtlich, das bestimmt: „sich weder [vom Adoptivvater] lossagen (apeipeín) noch sich [vom árchōn ein Erbe] zuerkennen zu lassen (epidikázesthai)“, das heißt, sich weder öffentlich loszusagen (apokērýssein) †noch einen anderen über diese [Kinder oder Erbtöchter] einzusetzen†.

Der erste Satz des in die Rede Gegen Stephanos II eingefügten Gesetzes – der umfangreichste Auszug aus dem Gesetz über die Testierfreiheit – schließt Adoptivsöhne von der Testierfreiheit aus. Als Adoptivsöhne konnten sie ihrerseits nicht erneut eine andere Person an Sohnes statt annehmen, vermutlich deswegen, weil damit die Gefahr drohte, dass das Vermögen des Adoptivvaters letztlich an einen anderen oíkos überging. Denn eine Besitzakkumulation über Vererbung sollte verhindert werden.255 Die Neuregelung trat mit dem Jahr in Kraft, in dem Solon sein Amt innehatte, also für all diejenigen, die zu diesem Zeitpunkt adoptiert waren. Ausgenommen von dieser Regelung waren diejenigen Adoptierten, die zuvor bereits in ihre Herkunftsfamilie zurückgekehrt waren.256 Dies war auf zwei Wegen möglich: 255  Gagliardi 2002, 29–34, insbes. 50 f., 54; Gagliardi 2014, 30. 256  Ὥτε μήτε … μήτ’ ist daher im Sinne von „unter der Bedingung, dass nicht …“ zu verstehen. Übersetzung und Deutung des ὥστε μήτε ἀπειπεῖν μήτ’ ἐπιδικάσασθαι sind in der Forschung kontrovers diskutiert worden. Molly Broadbent und Sarah C. Humphreys haben apeipeín auf die Lossagung durch den Adoptivsohn bezogen, in Entsprechung zum Recht der apokḗryxis, der öffentlichen Lossagung des Vaters von seinem rechtmäßigen Sohn (Broadbent 1968 [wie Anm. 120], 230; Humphreys 2002, 340 f.). Broadbent geht allerdings von einer vorsolonischen strikten Form der Adoption aus, die weder durch apokḗryxis gelöst, noch vor Gericht bestritten (epidikázesthai) werden konnte. Alberto Maffi übersetzt apeipeín mit „verhindern“ (1991, 225 f.; dagegen Ruschenbusch 2010, 101), Lorenzo Gagliardi mit „verzichten“ (Gagliardi 2002, 24 f.; 2014, 28 f.; ähnlich Leduc 1998, 181). Eberhard Ruschenbusch hat apeipeín auf die Lösung des Adoptierten von seinem natürlichen Vater und das Zurücktreten von allen damit verbundenen Rechten und Pflichten bezogen, was wenig wahrscheinlich ist (Ruschenbusch 2010, 101; vgl. Lipsius 1905–15, 510 f. mit Anm. 41; Harrison 1968, 85 f. mit Anm. 2; 90). Lorenzo Gagliardi hält die Worte ὥστε μήτε ἀπειπεῖν μήτ’ ἐπιδικάσασθαι für eine spätere Einfügung hellenistischer Zeit (2014, 28, 31). Vgl. auch die Übersetzung von Philipp Scheibelreiter, Ein „großer Wurf “? Gaius trifft Demosthenes, in: ZRG Rom. Abt. 136, 2019, 1–46, hier 43: „Diejenigen, die nicht adoptiert waren und folglich weder

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indem sich der Adoptivsohn vom Adoptivvater lossagte. Diesen Schritt könnte der Adoptivsohn z. B. dann gewählt haben, wenn dem Adoptivvater die Strafe der Ehrlosigkeit drohte, die sich auch auf die Nachkommen erstreckte, oder eine Strafe, die das Vermögen des Adoptivvaters überstieg. indem er sich ein Erbe vom Archonten zusprechen ließ. Dies konnte vorteilhaft für den Adoptivsohn sein, wenn er in seiner Herkunftsfamilie der nächste erbberechtigte Verwandte war und sich dadurch das Erbe (und möglicherweise die Erbtochter) zusprechen lassen konnte. Voraussetzung dafür aber war, dass die Adoption rückgängig gemacht und er damit rechtlich in seine Herkunftsfamilie zurückgekehrt war.

Da im Gesetzestext selbst mit der Angabe des Zeitpunkts, von dem an die Neuregelung in Kraft trat, Bezug auf Solon genommen ist, muss es sich um ein in die Zeit Solons zurückgehendes Gesetz handeln. Auch wenn der Gesetzestext in seiner sehr knapp gehaltenen Formulierung komplex erscheint, ist er doch logisch stringent aufgebaut: Bis zu Solons Archontat konnte auch der Adoptierte, wenn er keine rechtmäßigen männlichen Kinder hatte, seinerseits eine Adoption vornehmen. Dies unterband Solon mit dem Gesetz. Unverändert bestand aber für den Adoptierten die Möglichkeit, in bestimmten Fällen die Adoption rückgängig zu machen und in seine Herkunftsfamilie zurückzukehren. In der Rede Gegen Leochares ist der Gesetzestext verkürzt, der Sache nach aber korrekt wiedergegeben, nämlich dass mit dem Archontatsjahr Solons der Adoptivsohn seinerseits nicht mehr testieren durfte. Photios (F 135c) zitiert bei seiner Erläuterung zu ἀπειπεῖν aus diesem Gesetz Solons über die Testierfreiheit, gibt aber statt ἐπιδικάσασθαι versehentlich πείθεσθαι wieder, vielleicht wegen des wenige Zeilen später folgenden πειθόμενος.257 Auffällig ist in Ps.-Demosth. or. 46,14 der Wechsel vom Plural in ὅσοι μὴ ἐπεποίηντο zum Singular in τὰ ἑαυτοῦ διαθέσθαι εἶναι ὅπως ἂν ἐθέλῃ, ἂν μὴ …, ἂν μὴ μαίνων … ἢ γυναικὶ πειθόμενος, … καταληφθείς. Korrekt angeglichen ist dies in Ps.-Demosth. or. 44,68 (F 135b): διαθέσθαι ὅπως ἂν ἐθέλωσιν. Die Verwendung des Singulars in der Klausel zur Testierfreiheit (ὅπως ἂν ἐθέλῃ) und bei den Einschränkungen der freien Willensentscheidung (ἂν μὴ μαίνων … ἢ γυναικὶ πειθόμενος, … καταληφθείς) wird dagegen

sich (als inter vivos Adoptierte) von ihrem Vater losgesagt noch (als testamentarisch Adoptierte) einen Antrag beim Archon auf Zuteilung der Erbschaft gestellt hatten, als Solon sein Amt als Archont antrat, kann (sic!) auf den Todesfall über sein (sic!) Vermögen verfügen, wie er will, …“. 257  Πείθεσθαι kann schon deswegen nicht korrekt sein, weil alle anderen Infinitive im Aorist stehen. Auch Eberhard Ruschenbusch (2010, 102) geht davon aus, dass die Stelle korrupt zitiert ist. Delfim F. Leão und P. J. Rhodes haben es trotzdem als echtes Fragment (F 49/h) unter die solonischen Gesetze aufgenommen (Leão/Rhodes 2015, 81). Dem Adoptivvater wird es auch seinerseits möglich gewesen sein, sich mittels apokḗryxis vom Adoptivsohn loszusagen, auch wenn dies nicht ausdrücklich im Gesetz festgeschrieben war; denn der Adoptivsohn wurde rechtlich wie ein rechtmäßiger Sohn behandelt; eine Sonderregelung für den Adoptivsohn war überflüssig (Lipsius 1905–15, 518, 517 f.; Harrison 1968, 94; Leduc 1998, 178).

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

durch die entsprechenden Parallelstellen (F 134a–i) bestätigt. Lorenzo Gagliardi erklärt den Wechsel vom Plural in den Singular in F 135a damit, dass „der hellenistische Herausgeber der Rede“ sich zunächst an Ps.-Demosth. or. 44,68 orientiert hätte, wo das Gesetz im Plural zitiert und auf mehrere Adoptivsöhne bezogen wird, das Gesetz danach aber „korrekt“ weiterzitiert hätte.258 Uneinigkeit besteht in der Forschung darüber, ob ausnahmslos alle Adoptivsöhne oder nur die inter vivos oder nur die per testamentum Adoptierten vom Testierrecht ausgeschlossen waren.259 Da das in Ps.-Demosth. or. 46,14 eingefügte Gesetz (F 135a) dazu keine explizite Regelung enthält, sollte davon ausgegangen werden, dass es beide Adoptionsformen einbezieht, zumal sich der Status der Adoptivsöhne nach der Aufnahme in die Phratrie des Adoptivvaters nicht mehr voneinander unterschied. F 136 Rückkehr des Adoptivsohns in seine Familie (F 136a: T 452 adn. Martina, F 58b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 136c: T 452 Martina, F 58a Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 136a: Ps.-Demosthenes, Gegen Leochares (or. 44) 63 f., 68 (nach 330 v. Chr.?) (63) ἔπειτα οὐ δίκαιον δήπου τὸν ποιητὸν υἱὸν ποιητοὺς ἑτέρους εἰσάγειν, ἀλλ’ ἐγκαταλείπειν μὲν γιγνομένους, ὅταν δὲ τοῦτ’ ἐπιλίπῃ, τοῖς γένεσιν ἀποδιδόναι τὰς κληρονομίας· ταῦτα γὰρ οἱ νόμοι κελεύουσιν. ἐπεὶ πῶς οὐκ ἐκκλείεται εἷς ἕκαστος ὑμῶν τῆς κατὰ γένος ἀγχιστείας, ὅταν τοῖς ποιητοῖς ἡ ἄδεια αὕτη δοθῇ; ὁρᾶτε γὰρ ὅτι ταῖς κολακείαις οἱ πλεῖστοι ψυχαγωγούμενοι καὶ ταῖς πρὸς τοὺς οἰκείους διαφοραῖς πολλάκις φιλονικοῦντες ποιητοὺς υἱεῖς ποιοῦνται· εἰ δ’ ἔσται τῷ εἰσποιηθέντι παρὰ τὸν νόμον εἰσποιεῖν ὃν ἂν βούληται, οὐδέποτε τοῖς γένεσιν αἱ κληρονομίαι δοθήσονται. (64) ἃ καὶ προνοηθεὶς ὁ νομοθέτης ἀπεῖπεν τῷ ποιητῷ αὐτῷ ὄντι ποιητὸν υἱὸν μὴ ποιεῖσθαι, τίνα τρόπον διορίσας περὶ τούτων; ὅταν εἴπῃ „υἱὸν γνήσιον ἐγκαταλιπόντα ἐπανιέναι“, δηλοῖ δήπου φανερῶς ὅτι οὐ δεῖ ποιεῖσθαι· ἀδύνατον γάρ ἐστιν υἱὸν γνήσιον ἐγκαταλιπεῖν, ἐὰν μὴ γόνῳ γεγονὼς ᾖ τινι. (68) „ὅσοι μὴ ἐπεποίηντο“ φησίν „ὅτε Σόλων εἰσῄει εἰς τὴν ἀρχήν, ἐξεῖναι αὐτοῖς διαθέσθαι ὅπως ἂν ἐθέλωσιν“, ὡς τοῖς γε ποιηθεῖσιν οὐκ ἐξὸν διαθέσθαι, ἀλλὰ ζῶντας ἐγκαταλιπόντας υἱὸν γνήσιον ἐπανιέναι, ἢ τελευτήσαντας ἀποδιδόναι τὴν κληρονομίαν τοῖς ἐξ ἀρχῆς οἰκείοις οὖσι τοῦ ποιησαμένου. 258  Gagliardi 2014, 34 Anm. 25. Möglicherweise liegt aber auch eine Inkonsistenz im Gesetz vor: In der Regel bevorzugt der Gesetzestext den Singular; in diesem Fall sollte aber klargestellt werden, dass alle zur Zeit Solons Adoptierten von der Testierfreiheit ausgenommen waren. 259  Gagliardi 2002, 25; Gagliardi 2014, 30. Von einem ausschließlich auf die inter vivos Adoptierten abzielendes Testierverbot gehen aus: Thalheim 1910a, 371 f.; Harrison 1968, 86 mit Anm 2; 87; Cataudella 1972, 54 f.; Rubinstein 1993, 16 f.; gegen diese Deutung argumentieren: Maffi 1991, 225 f.; Gagliardi 2002, 28. Von einem ausschließlich auf posthum Adoptierte abzielenden Testierverbot gehen aus: Wyse 1967 [zuerst 1904], 248 f.; Lipsius 1905–15, 510 f. Anm. 41. Cobetto Ghiggia bezieht das Testierverbot nur auf den kýrios und Ehemann der epíklēros, der nicht hätte adoptieren dürfen, da die Nachkommen der epíklēros für die Nachfolge vorgesehen waren (Cobetto Ghiggia 1999, 36–38); Humphreys bestreitet insgesamt das Adoptionsverbot für den Adoptivsohn; das solonische Gesetz habe lediglich verboten, dass ein Mann, der bereits einen Sohn adoptiert hatte, ein dem widersprechendes Testament errichtete (Humphreys 2002, 340 f.; Humphreys 2018, 64). Einen Überblick über die Forschungspositionen gibt Gagliardi 2002, 21–25.

Adoption und Testament (F 132–136)

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App. crit.: (64) ποιητῷ: εἰσποιητῷ A; ποιητὸν del. Reiske; ἀπεῖπε Bekker; ἐγκαταλειπόντα S; (68) ὡς τοῖς γε Q γρ., Schaefer, τοῖς γε SFQ, τοῖς δέ γε A, Bekker; τελευτήσαντας SFQD, τελευτήσαντος A, τελευτήσαντας ‹ἄπαιδας› Hirschig.

(63) Es ist ferner nicht rechtens, dass der Adoptivsohn (poiētós huiós) seinerseits wieder andere Adoptivsöhne einsetze, sondern er soll eigene Kinder [im Haus] zurücklassen, und wenn solche fehlen, sollen die Erbschaften (klēronomíai) den Verwandten (génē) gegeben werden. Dies nämlich ordnen die Gesetze an. Wie würde denn auch nicht fast jeder von euch das Recht der nächsten Anverwandtschaft (anchisteía katá génos) verlieren, wenn den Adoptivsöhnen (poiētoí) diese Art von Nachsicht gestattet würde? Ihr seht ja, dass sehr viele – durch Schmeicheleien verlockt und durch Streitigkeiten unter den Verwandten (oikeíoi) bewogen – [andere] zu Adoptivsöhnen einsetzen. Wenn aber dem, der selbst ein Adoptivsohn ist, zugestanden wird, rechtswidrig an Sohnes statt einzuführen, wen er will, werden die Erbschaften (klēronomíai) nie an die Familienmitglieder (génē) gegeben werden. (64) Dies sah auch der Gesetzgeber (nomothétēs) klug voraus und verbot dem, der selbst ein Adoptierter (poiētós) ist, einen {adoptierten} Sohn ({poiētós} huiós) zu adoptieren (poieísthai). Auf welche Art und Weise hat er dies formuliert? Er tat dies so, dass er sagte: „er darf [in die Familie] zurückkehren (epaniénai), wenn er einen rechtmäßigen (ehelichen, gnḗsios) Sohn [im oíkos des Adoptivvaters] zurückgelassen hat (enkataleípein)“; das heißt ja offenbar, dass er [der Adoptierte] nicht adoptieren darf (poieísthai). Denn es ist ja unmöglich, einen rechtmäßigen (ehelichen; gnḗsios) Sohn [im Haus des Adoptivvaters] zurückzulassen, wenn er keinen [ihm] geborenen Sohn hat. (68) „Diejenigen, die nicht adoptiert worden waren (poieísthai), als Solon in sein Amt eintrat“, so besagt es [das Gesetz], „können [ihren Besitz] vermachen (diathéstai), wie sie es wollen (ethélein)“, so dass es den Adoptivsöhnen (poiēthéntes) nicht erlaubt ist, letztwillig zu verfügen (diathéstai), aber sie zu Lebzeiten [in ihre Familie] zurückkehren können (epaniénai), wenn sie einen rechtmäßigen (ehelichen, gnḗsios) Sohn [im oíkos des Adoptivvaters] zurücklassen (enkataleípein), oder das Erbe (klēronomía) mit dem Tod den ursprünglichen Verwandten (oi­ keíoi) des Adoptivvaters (poiēsámenos) übergeben müssen.

F 136b: Isaios, Über das Erbe des Philoktemon (or. 6) 44 (365–363 v. Chr.) καίτοι οὐδ’ εἰ γνήσιοι ἦσαν, εἰσποίητοι δέ, ὡς οὗτοι ἔφασαν, οὐδ’ οὕτως προσῆκεν αὐτοὺς Εὐκτήμονος εἶναι· ὁ γὰρ νόμος οὐκ ἐᾷ ἐπανιέναι, ἐὰν μὴ ὑὸν ‹ἐγ›καταλίπῃ γνήσιον. App. crit.: γνήσιοι ‹μὲν› Reiske; ἐκποίητοι vel οἷς οὗτοι Dobraeus; ἐγκαταλίπῃ Herwerden.

Aber auch wenn sie rechtmäßige (eheliche; gnḗsioi), adoptierte [Söhne des Euktemon] wären, wie diese behaupten, dürften sie dann nicht mehr die [Söhne] des Euktemon sein: Denn das Gesetz (nómos) erlaubt es nicht, [in die Familie] zurückzukehren (epaniénai), wenn man keinen rechtmäßigen (ehelichen, gnḗsios) Sohn [im oíkos des Adoptivvaters] hinterlässt.

F 136c: Harpokration s. v. ὅτι οἱ ποιητοὶ παῖδες (ο 43 Keaney; p. 140,30 Bekker) = Photios, Lexicon s. v. ὅτι οἱ ποιητοὶ παῖδες (ο 384 Theodoridis) Ὅτι οἱ ποιητοὶ παῖδες ἐπανελθεῖν εἰς τὸν πατρῷον οἶκον οὐκ ἦσαν κύριοι, εἰ μὴ παῖδας γνησίους καταλίποιεν ἐν τῷ οἴκῳ τοῦ ποιησαμένου, Ἀντιφῶν Ἐπιτροπικῷ ‹Κατὰ› Καλλιστράτου καὶ Σόλων ἐν καʹ νόμων.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

App. crit.: ποιηταὶ C; κατέλιπον BC; ‹κατά› Sauppe; pro νόμων: ἀξόνων Ruschenbusch.

Dass Adoptivsöhne nicht befugt sind, in den väterlichen oíkos zurückzukehren (epaneltheín), wenn sie keine rechtmäßigen (ehelichen, gnḗsioi) Kinder im oíkos des Adoptivvaters (poiēsá­ menos) hinterlassen (kataleípein), sagt Antiphon in der Rede Über die Vormundschaft gegen Kal­ listratos und Solon auf dem 21. [áxōn] der Gesetze (nómoi).

Die Bestimmung, dass ein Adoptierter nur dann in den väterlichen oíkos zurückkehren kann, wenn er im oíkos des Adoptivvaters rechtmäßige Kinder hinterlässt, wird – wie Ps.-Demosth. or. 44,68 (F 136a) zeigt – Teil des Gesetzes gewesen sein, das in or. 46,14 (F 135a) eingefügt ist.260 Die Lexikographen Harpokration und Photios führen das Gesetz explizit auf Solon zurück und geben den 21. áxōn als Quelle an (T 35a). Der Rede Gegen Leochares (or. 44,64) lässt sich als wörtliches Zitat υἱὸν γνήσιον ἐγκαταλιπόντα ἐπανιέναι entnehmen, dem die indirekte Wiedergabe wenig später (or. 44,68) weitgehend entspricht (F 136a). Dort ist ergänzt, dass das Erbe, wenn der Adoptivsohn keinen rechtmäßigen Sohn hat, an die Verwandten des Erblassers fällt, da ja der Adoptivsohn selbst nicht adoptieren kann.261 Die Partizipialkonstruktion υἱὸν γνήσιον ἐγκαταλιπόντα ist die des Gesetzestextes; in den indirekten Wiedergaben bei Isaios und Harpokration (F 136b–c) ist dies in eine Verbform umgesetzt.262 Das Gesetz soll das Fortbestehen des oíkos des Erblassers gewährleisten, wenn der Adoptivsohn in den oíkos seines natürlichen Vaters zurückkehren will. Adoptiert wurde in der Regel einer von mehreren Söhnen, so dass die im väterlichen oíkos verbleibenden diesen fortführen konnten. Verstarben die Söhne jedoch kinderlos, ergab sich die Notwendigkeit, dass der aus dem oíkos in einen anderen adoptierte Sohn zurückkehren und die Nachfolge im oíkos seines leiblichen Vaters übernehmen musste. Eine Parallele findet dies im inschriftlich erhaltenen Gesetz über die Ansiedlung der Lokrer in Naupaktos: Nach Lokroi zurückkehren darf nur, wer einen erwachsenen Sohn oder Bruder in seinem Haus in Naupaktos zurücklässt.263 260  Während Delfim F. Leão und P. J. Rhodes das Fragment unter die solonischen Gesetzesfragmenten aufnehmen, führt Eberhard Ruschenbusch es in der Kategorie „Falsches, Zweifelhaftes, Unbrauchbares“ auf (Leão/Rhodes 2015, 80f; Ruschenbusch 1966, 117). 261  Lipsius 1905–15, 516–519; Harrison 1968, 85, 94 f.; Rubinstein 1993, 57–8; Gagliardi 2002, 51 f.; Ruschenbusch 2010, 125 f.; Leão/Rhodes 2015, 99. In der Forschung wird kontrovers diskutiert, ob der Adoptivsohn, wenn er in das Haus seines Vaters zurückkehrte, in Phratrie (und in späterer Zeit auch in den Demos) des Adoptivvaters eingeschrieben blieb oder erneut in die seines Vaters eingeschrieben wurde (für den ersten Fall plädiert Rubinstein 1993, 58 f.; für den zweiten Edward M. Harris, A Note on Adoption and Deme Registration, in. Tyche 11, 1996, 123–127 [wiederabgedruckt in: ders., Democracy and the Rule of Law in Classical Athens. Essays on Law, Society, and Politics, Cambridge 2006, 365–370]). 262  Die Partizipialkonstruktion wird durch zahlreiche Belegstellen bestätigt (vgl. Ruschenbusch 2010, 125; vgl. u. a. Isai. 10,11.26; Ps.-Demosth. or. 44 passim). Der Zusatz εἰς τὸν πατρῷον οἶκον bei Harpokration, der durch Parallelquellen bestätigt werde, entstamme laut Ruschenbusch einem vorangehenden Nebensatz, den er folgendermaßen rekonstruiert: ὅστις ἂν ποιητὸς ὢν ἐπανιέναι ἐθέλῃ εἰς τὸν πατρῷον οἶκον υἱὸν γνήσιον κτλ. (2010, 125). 263  IG IX 12 3,718 Z. 6–8 (Syll.3 47; Meiggs-Lewis, GHI 20; HGIÜ I 30); vgl. Ruschenbusch 2010, 125 f.

Historische Einordnung – Intestaterbfolge (F 137)

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IX 4 Intestaterbfolge Abstract: Verstarb der Hausvater ohne direkte Nachfahren und hatte keine andere Person adoptiert oder ein Testament aufgesetzt, hatten die nächsten Angehörigen Anspruch auf das Erbe. Die Reihenfolge der Anspruchsberechtigten war im Gesetz, das wahrscheinlich auf Solon zurückgeht, festgelegt: zunächst die Brüder väterlicherseits des Verstorbenen, deren Söhne und Enkel; gab es solche nicht, dann die Söhne und Enkel der Schwestern väterlicherseits. Gab es auch solche nicht, folgten zunächst die Verwandten mütterlicherseits in derselben Reihenfolge, dann die nächsten über diese Verwandtschaftsgrade hinausgehenden Verwandten väterlicherseits. Brüder väterlicherseits und deren Nachkommen kamen in den Besitz des Erbes, da dieses und ihr eigener Erbanteil in der vorangehenden Generation zu einem einzigen Besitz gehört hatten. Die Verwandten mütterlicherseits und die entfernteren Verwandten hatten „Anspruch auf das Erbe“, wahrscheinlich aber in der Form, dass ein Verwandter posthum als Adoptivsohn des Verstorbenen eingesetzt wurde. Damit wurde verhindert, dass insbesondere Landbesitz über eine Erbschaft akkumuliert wurde.

Historische Einordnung Verstarb der Hausvater, erbten dessen rechtmäßige Söhne das Vermögen. War der alte Vater in höherem Alter verstorben, hatten die Söhne in der Regel schon zu seinen Lebzeiten die Hausgewalt übernommen. Es bestand Realteilung unter den Söhnen, wobei jeder Sohn denselben Anteil erhielt. Der oíkos musste nicht direkt nach der Hausübergabe aufgeteilt werden; insbesondere, wenn einer der Söhne noch minderjährig war, verwalteten die Söhne das väterliche Haus vielfach gemeinsam und nahmen erst später eine Teilung vor. Nur wenn der Hausvater keine Söhne hatte, konnte er eine Adoption vornehmen oder ein Testament aufsetzen, da in diesem Falle die Kontinuität des oíkos bedroht war.264 In der Regel konnten rechtmäßige Söhne nicht vom Erbe ausgeschlossen werden. Töchter waren vom Erbe ausgenommen und konnten nur für den Fall, dass sie Erbtöchter wurden, also keine rechtmäßigen Brüder hatten, das Erbe an ihre Nachkommen vermitteln. Im Gegensatz zu rechtmäßigen Söhnen oder zu Lebzeiten angenommenen Adoptivsöhnen erhielten die nächsten Verwandten das Erbe erst nach dem Tod des Erblassers.265 Die Verwandtschaftsgruppe, die nach dem Intestaterbrecht das Vermögen erhielt und bis zu den ‚Bruderenkeln‘ (anepsiṓn paídes) reichte, wurde als anchisteía bezeich-

264  Louis Gernet, Sur l’épiclerat, in: REG 35, 1921, 337–383, hier 358; Todd 1993, 230 f.; Schmitz 2004, 232 f.; Stavrianopoulou 2006, 225 f.; Lucy OKell, Inheritance and the Athenian Nature of Sophoclean Tragedy, in: David M. Carter (Hrsg.), Why Athens? A Reappraisal of Tragic Politics, Oxford 2011, 209– 235, hier 211. 265  Harrison 1968, 130 f.; Todd 1993, 216 f., 220 f.; Schmitz 2004, 205 mit Anm. 163, 164.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

net.266 Neben dem Erbfolgerecht hatten die anchisteís das Recht, am Familienkult teilzunehmen, und die Pflicht zur Blutrache.267 Nach Ansicht von John C. Miles umfassten die anepsiṓn paídes auch die Vettern zweiten Grades. Diese hätten, so folgert Miles aufgrund von Indizien aus Prozessen um das Erbe des Hagnias, auch zur anchisteía gehört.268 Dagegen ist aber einzuwenden, dass der Sprecher der Isaiosrede, ein Vetter zweiten Grades des Erblassers, die Verwandtschaftsverhältnisse in den Prozessen bewusst verschleierte, um das Erbe gegen den Anspruch näherer Verwandter, nämlich der Halbbrüder mütterlicherseits des Erblassers, der Tochter seines Vetters ersten Grades bzw. deren Sohn sowie gegen den Sohn seines eigenen Bruders zuerkannt zu bekommen.269 Dementsprechend hat sich Alick R. W. Harrison gegen diese Auffassung gewendet, und auch Justus Hermann Lipsius zählt nur die Kinder der Vettern ersten Grades zur anchisteía.270 Nach William Wyse gab es für Vettern zweiten Grades mit dem Begriff exanépsios eine eigenständige Bezeichnung, die allerdings erst bei Menander nachgewiesen werden kann.271 Nach Meinung von Stephen C. Todd müssten, wenn Vettern zweiten Grades zur anchisteía gehörten, folglich auch Großonkel und Großtanten samt ihrer Nachkommen dazu zählen.272 Wahrscheinlich haben daher nur die Vettern ersten Grades und ihre Kinder zur anchisteía gehört. Todd geht auch davon aus, dass Tanten und Onkel des Erblassers noch vor Vettern und Basen erbberechtigt waren.273 Diese Annahme beruht auf einem Vergleich mit dem Erbtochterrecht und einer Passage in Platons Nomoi: νόμος τοίνυν εἰς δύναμιν ὅδε περὶ τῶν τοιούτων κείσθω· Ἐὰν ὁ μὴ διαθέμενος θυγατέρας λείπῃ, τοῦδε ἀποθανόντος, ἀδελφὸς ὁμοπάτωρ ἢ ἄκληρος ὁμομήτριος ἐχέτω τὴν θυγατέρα καὶ τὸν κλῆρον τοῦ τελευτήσαντος· ἐὰν δὲ μὴ ᾖ ἀδελφός, ἀδελφοῦ δὲ παῖς, ὡσαύτως, ἐὰν ἐν ἡλικίᾳ πρὸς ἀλλήλους ὦσιν· ἐὰν δὲ μηδὲ εἷς τούτων, ἀδελφῆς δὲ παῖς ᾖ, κατὰ ταὐτά· τέταρτος δὲ πατρὸς ἀδελφός, πέμπτος δὲ τούτου παῖς, ἕκτος δὲ ἀδελφῆς πατρὸς ἔκγονος. ὡσαύτως δὲ τὸ

266  So in Demosth. or. 43,50 und in der Bestimmung zu den nóthoi in 43,51 (F 137b) sowie in Isai. 11,1–3 (F 137c) und 11,11–12 (F 137d). 267  Wolff 1944, 84 f.; Harrison 1968, 143; MacDowell 1978, 98 f.; Todd 1993, 217; Cynthia B. Patterson, The Family in Greek History, Cambridge/Mass. – London 1998, 88 f., 97 f.; Alberto Maffi, Family and Property Law, in: Michael Gagarin, David Cohen (Hrsg.), The Cambridge Companion to Ancient Greek Law, Cambridge – New York 2005, 254–266, hier 256. 268  Isaios or. 11, vgl. auch Demosth. or. 43. Miles 1968 [1950], 658 f.; vgl. Todd 1993, 217. 269  Karl Münscher, Isaios, in: Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft, 37, 1920, 32–328, hier 287 f. 270  Alick R. W. Harrison, A Problem in the Rules of Intestate Succession at Athens, in: CR 61, 1947, 41–43, hier 43 mit Anm. 3; Lipsius 1905–15, 556 f. mit Anm. 44. 271  Wyse 1967 [zuerst 1904], 567. 272  Todd 1993, 217 f. mit Anm. 18. 273  Todd 1993, 217 f.; ähnlich Wyse 1967 [zuerst 1904]; Lipsius 1905–15, 555 f. Anm. 43, 679 f.; Ugo E. Paoli, L’ἀγχιστεία nel diritto successorio attico, in: Studia et Documenta Historiae et Iuris 2,1, 1936, 77–119 (wiederabgedruckt in: Altri studi di diritto Greco e romano, Mailand 1976, 323–361), hier 106 f.; Harrison 1968, 139–142 und Just 1989, 87; vgl. auch Karabélias 1990, 70; Leão/Rhodes 2015, 84.

Historische Einordnung – Intestaterbfolge (F 137)

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γένος ἀεὶ πορευέσθω κατ’ ἀγχιστείαν, ἐάν τις παῖδας θηλείας καταλείπῃ, δι’ ἀδελφῶν τε καὶ ἀδελφιδῶν ἐπανιόν, ἔμπροσθε μὲν τῶν ἀρρένων, ὕστερον δὲ θηλειῶν ἑνὶ γένει.274

Platons Ausführungen betreffen allerdings ein fiktives Gesetz, das zwar an vielen Stellen dem solonischen Erbtochterrecht ähnelt, in seinen Einzelbestimmungen aber von ihm abweichen kann. Nach Eberhard Ruschenbusch gibt das Erbtochterrecht keine Hinweise auf ein Erbrecht der Onkel und Tanten des Erblassers. Denn der Onkel der Erbtochter, dem zunächst die Pflicht zukommt, diese zu heiraten, ist der Bruder des Erblassers und nicht dessen Onkel. Ruschenbusch folgert aus Fragment 137c, das auf die Kürze des solonischen Gesetzes verweist und Tanten und Onkel nicht aufführt, dass in die vermeintliche Lücke lediglich die Ergänzung ‹ἀνεψιοὺς πρὸς πατρὸς καὶ παῖδας› einzusetzen sei und nicht ‹ἀδελφάς ὁμοπατρίας καὶ παῖδας ἐξ αὐτῶν λαγχάνειν· ἐὰν δὲ μὴ ἀδελφαὶ ὦσιν ἢ παῖδες ἐξ αὐτῶν ἀδελφοὺς τοῦ πατρὸς καὶ ἀδελφὰς καὶ παῖδας›, wie häufig in der Forschung als Ergänzung vorgeschlagen wurde.275 Die in klassischer Zeit Solon zugewiesenen Fragmente zum Erbrecht zeigen, dass die gesetzlichen Vorschriften nur Personen in der gleichen Generation oder deren Deszendenten umfassen, nicht aber die Aszendenten. Insofern mussten Streitfälle, in denen Verstorbene nur Aszendenten hinterließen, von den Gerichten entschieden werden.276 Streitfälle konnten auch aus der unklaren Begrifflichkeit erwachsen. Nach dem Gesetz Solons waren zunächst die Brüder (adelphoí), dann die rechtmäßigen Geschwisterkinder (paídes ex adelphṓn) und schließlich die ‚Geschwisterenkel‘ (anepsiadoí), also Verwandte bis zu „Kindern von Geschwisterkindern“ (anepsiṓn paídes) erbbe-

274  Plat. leg. 11, 924e: „Daher soll unter Beschränkung auf das Mögliche hierüber folgendes Gesetz erlassen sein. Wenn jemand, der kein Testament gemacht hat, nur Töchter hinterläßt, so soll nach seinem Tod ein Bruder vom selben Vater oder ein Bruder von derselben Mutter, der ohne Landlos ist, die Tochter und das Landlos des Verstorbenen erhalten; wenn aber kein Bruder vorhanden ist, wohl aber ein Sohn des Bruders, so soll es ebenso gehalten werden, sofern beide altersmäßig zusammenpassen; und wenn auch von diesen keiner da ist, wohl aber ein Sohn einer Schwester, ebenso; der vierte sei ein Bruder des Vaters, der fünfte dessen Sohn, der sechste der Sohn einer Schwester des Vaters. Und in dieser Weise soll stets die Reihe der Familienmitglieder nach dem Grad der Verwandtschaft vorrücken, wenn jemand nur weibliche Kinder hinterläßt, indem sie also über die Brüder und die Geschwistersöhne aufwärts steigt, und zwar zuerst die Verwandten von männlicher Seite, dann die von weiblicher Seite in einer Generation“ (Übersetzung K. Schöpsdau und H. Müller). 275  Ruschenbusch 2010, 105 f.; für die lange Ergänzung plädieren u. a. Lipsius 1905–15, 555 f. Anm. 43; Wyse 1967 [zuerst 1904], 679 f.; Harrison 1968, 144 Anm. 2. 276  Harrison (1968, 139 f.) hat darauf hingewiesen, dass das Erbrecht eines Onkels oder einer Tante des Erblassers irrational sei, wenn man davon ausgeht, dass bereits der Vater des Erblassers von der Erbfolge ausgeschlossen war, ist aber bereit, diese Irrationalität zu akzeptieren. Das attische Erbrecht schließt den Vater des Erblassers von der Erbfolge aus, denn es soll das Fortbestehen des oíkos gewährleisten. Der Vater des Erblassers hat, sofern er noch lebt, bereits das Erbe zu Lebzeiten an seine Nachkommen übergeben und ein Alter erreicht, in dem er den oíkos nicht mehr alleine verwalten kann (Harrison 1968, 138–142; Schmitz 2004, 205–209). Er könnte lediglich durch Adoption einen neuen Erben erhalten. Tanten und Onkel des Erblassers gehören derselben Generation wie dessen Vater an, können aber durchaus viele Jahre jünger als dieser sein.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

rechtigt. Weitere Regelungen bis in die vierte Generation wurden nicht explizit getroffen, da unter den antiken demographischen Bedingungen kaum ein Urenkel als Erbe seines Urgroßvaters in Betracht kam. Es wird sich in allen Fällen – abgesehen von den Brüdern selbst – um Nachkommen der Brüder oder Schwestern des Verstorbenen handeln. In klassischer Zeit wurden aber unter anepsioí vermutlich auch die Vettern und unter anepsiṓn paídes auch Vetterssöhne verstanden. Nach Isaios 11,11–12 (F 137d) waren Kinder von anepsiṓn paídes von der Erbfolge ausgeschlossen, da das Gesetz den Erbanspruch (väter- und mütterlicherseits) nur „bis zu anepsiṓn paídes“ regelte. Der Sprecher der elften Isaiosrede vertritt diese Deutung, da er selbst ein Vetterssohn mütterlicherseits des Erblassers war, und damit ein anepsiṓn país, sein Prozessgegner hingegen der Enkel eines Vetters väterlicherseits. Obwohl sie im Gesetz nicht explizit erwähnt werden, ist es jedoch möglich, dass paídes im Sinne von Nachkommenschaft nicht nur die Kinder der Geschwisterkinder, sondern auch deren Nachkommen einschließen sollte.277 Gab es mehrere Verwandte desselben Verwandtschaftsgrades, wurde das Erbe gleichmäßig auf diese aufgeteilt. War einer von ihnen bereits verstorben, erhielten seine Nachkommen seinen Anteil am Erbe.278 Das Erbe wurde ungeachtet der Anzahl der Söhne, die ein erbberechtigter Bruder hatte, d. h. per stirpes, auf diese aufgeteilt.279 Umstritten ist, ob auch weibliche Verwandte den Besitz erben konnten, wenn keine näherverwandten männlichen Familienmitglieder vorhanden waren. John C. Miles ist der Meinung, dass Frauen vollkommen von der Erbfolge ausgeschlossen waren und die im Gesetz genannten adelphoí und anepsioí nur die männlichen Verwandten bezeichneten, denn ansonsten wäre der Besitz nicht innerhalb der Familie verblieben. Aus demselben Grund seien auch Halbbrüder mütterlicherseits vom Erbrecht ausgeschlossen gewesen.280 Er diskutiert aber die Möglichkeit, dass zumindest Schwestern in späterer Zeit, ähnlich wie Erbtöchter, den Besitz an ihre Söhne vermitteln konnten.281 Auch Eberhard Ruschenbusch hält ein Erbrecht der Halbgeschwister mütterlicherseits, wie es von Justus Hermann Lipsius, Ugo E. Paoli und Alick R. W. Harrison vertreten wurde, für unwahrscheinlich, spricht aber weiblichen Verwandten ein direktes Erbrecht zu. Mit der Heirat traten diese allerdings in einen anderen oíkos ein, auch wenn die Verbindung zum väterlichen oíkos nie ganz abbrach.282 Ein Erbrecht der weiblichen Angehörigen der anchisteía ist von dem Gros der Forschung angenommen 277  Diese Verwandten werden vom Gros der Forschung als erbberechtigt angenommen, denn es gebe kaum Einwände gegen ihr Erbrecht (Todd 1993, 218; Stavrianopoulou 2006, 127 f.). 278  Demosth. or. 43,51: τὴν τοῦ πατρὸς μοῖραν λαγχάνειν. 279  Harrison 1968, 144 f. mit Anm. 2; vgl. Isai. 7,19; 22. 280  Miles 1968 [zuerst 1950], 656 f., 663. 281  Miles 1968 [zuerst 1950], 664. 282  Ruschenbusch 2010, 106; vgl. Paoli 1936 [1976] (wie Anm. 273), 104; Harrison 1968, 146; zur Verbindung von Frauen zu ihrer natürlichen Familie: Wolff 1944 [1961], 47 f.; Karabélias 1990, 64; Virginia Hunter, Agnatic Kinship in Athenian Law and Athenian Family Practice: Its Implications for Women, in:

Historische Einordnung – Intestaterbfolge (F 137)

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worden, denn nach dem Wortlaut des Gesetzes haben weibliche nach den männlichen Verwandten ein nachgeordnetes Erbrecht.283 Das bedeute, dass die Schwester des Verstorbenen durch den Sohn des Bruders von der Erbfolge ausgeschlossen werde, sie aber, wenn ein solcher fehle, das Erbe erhalte.284 Nach Stephen C. Todd war das athenische Erbfolgerecht „male-orientated but not agnatic“.285 Der Vorzug der männlichen Verwandten hatte nach Todd das Ziel, eine Übertragung des Erbes an einen anderen oíkos durch weibliche Verwandte zu verhindern.286 Damit kann er aber nicht die Frage beantworten, warum die Verwandten mütterlicherseits nicht ganz vom Erbrecht ausgeschlossen wurden. Roger Just argumentiert, dass weibliche Verwandte zwar erben konnten, aber, da sie das Erbe rechtlich nicht alleine verwalten durften, der Zugriff bei ihrem kýrios, in der Regel ihrem Ehemann, lag.287 Virginia J. Hunter dagegen plädiert, ähnlich wie John C. Miles, dafür, dass weibliche Verwandte das Erbe an ihre männlichen Nachkommen vermittelten.288 In der Tat ist dies als wahrscheinlicher anzusehen, als von der Annahme auszugehen, das Erbe sei in die Hand eines nur angeheirateten Verwandten gelangt. Die weibliche Verwandte nimmt damit eine der Erbtochter vergleichbare Stellung ein. Ihr Ehemann wäre nur der Verwalter des Vermögens, bis die Söhne das entsprechende Alter erreicht hätten. Das Gesetz schweigt dazu, ob weibliche Verwandte gezwungen waren, einen nahen Verwandten zu ehelichen, wie es bei der Erbtochter der Fall war. Da eine Frau, die bereits verheiratet und Mutter war, keine neue Ehe mit einem Verwandten eingehen musste, wenn sie Erbtochter wurde, ist davon auszugehen, dass es keine solche Vorschrift gab (vgl. IX 2). Hatte eine verheiratete Schwester des Erblassers keine Kinder, ging das Erbe wahrscheinlich an den nächsten Verwandten der im Gesetz genannten Angehörigen. Auch die These Louis Gernets, das Heiratsgebot des Erbtochterrechts diene dem Ausgleich mit den konkurrierenden Erbansprüchen des nächsten männlichen Verwandten, in der Regel des Bruders des Verstorbenen, passt zu dieser Annahme.289 Ähnlich hat Eftychia Stavrianopoulou angesichts der Belege für die Adoption von Frauen im 4. Jh. v. Chr. die These vertreten, dass diese wie Erbtöchter fungierten und ihre männlichen Nachkommen als eigentliche Erben eingesetzt, d. h. posthum adoptiert wurden.290 Angesichts der Tatsache, dass nach der IntestaterbBaruch Halpern, Deborah W. Hobson (Hrsg.), Law, Politics and Society in the Ancient Mediterranean World, Sheffield 1993, 100–121, hier 103; 108–110. 283  Vgl. u. a. Lipsius 1905–15, 558 f.; Molly Broadbent, Studies in Greek Genealogy, Leiden 1968, 233 f.; Sarah C. Humphreys, Kinship Patterns in the Athenian Courts, in: GRBS 27, 1986, 57–91, 58 f.; Just 1989, 83–89; Karabélias 1990, 60 f.; Stavrianopoulou 2006, 128. 284  Lipsius 1905–15, 558 f.; vgl. Harrison 1968, 147 f. mit Anm. 2; Just 1989, 88. 285  Todd 1993, 217. 286  Todd 1993, 219. 287  Just 1989, 88 f. 288  Hunter 1993 (wie Anm. 282), 100–121, hier 103; 108; vgl. Miles 1968 [zuerst 1950], 664. 289  Gernet 1921 (wie Anm. 264), 357, 368–377, insb. 376 f. 290  Stavrianopoulou 2006, 144 f.

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folge bereits die leibliche Tochter des Erblassers beim Fehlen rechtmäßiger Brüder als Erbtochter den Besitz nicht selbst erbte, sondern lediglich an ihre Nachkommen vermittelte, ist die Annahme, dass eine entfernter verwandte Schwester oder Base des Erblassers direkt dessen Besitz erben könnte, zurückzuweisen.291 Da das Gesetz bei Demosth. or 43,50–51 (F 137b) aber explizit auch weibliche Verwandte einschließt, bleibt nur die Möglichkeit, dass diese das Erbe an ihre Nachkommen vermittelten. Dazu passt die These von Winfried Schmitz, dass männliche Verwandte väterlicherseits den oíkos des Erblassers in ihren integrieren und dieses Vermögen zu gleichen Anteilen an ihre Nachkommen vererben konnten. Beide oíkoi waren nämlich in der vorangegangenen Generation ein einziger oíkos gewesen. Deshalb konnten diese Verwandten das Erbe als Eigentum erhalten, worauf die Verwendung von lanchánein im Gesetzestext (F 137b) verweist.292 Verwandte mütterlicherseits hingegen erhielten das Erbe nicht als Eigentum, sondern verwalteten es lediglich, bis ein Sohn in die Reife gekommen war, der durch eine posthume Adoption den oíkos des Erblassers übernahm und damit aus dem oíkos seines Vaters ausschied.293 Im Gesetzestext wird an dieser Stelle die Formulierung τοὺς πρὸς μητρὸς … κυρίους εἶναι („dann haben die über die Mutter [verwandten Angehörigen] Anspruch [auf das Vermögen]“), und nicht λαγχάνειν („erhalten“) gebraucht. Dasselbe gilt auch für die Person, die kýrios über das Erbe wird, wenn von väterlicher und mütterlicher Seite keine Verwandten bis zum Grad von Bruderenkeln vorhanden sind.294 Die Reihenfolge der Personen, die zur anchisteía eines Erblassers zählten und erbberechtigt waren, kann also folgendermaßen bestimmt werden:295 1) die Brüder (und Halbbrüder) vom selben Vater erben zu gleichen Teilen 2) die Brudersöhne erben den Anteil des Vaters 3) die Enkel der Brüder erben den Anteil des Vaters 4) die Söhne der Schwestern (und Halbschwestern) vom selben Vater erben zu gleichen Teilen (nur wenn die Verwandten unter Nr. 1–3 fehlen) 5) die Enkel der Schwestern erben den Anteil des Vaters

291  Schmitz 2004, 205, Anm. 163. 292  Zur Bedeutung von lanchánein im Erbrecht Josine Blok, Retracing Steps. Finding Ways into Archaic Greek Citizenship, in: Alain Duplouy, Roger Brock (Hrsg.), Defining Citizenship in Archaic Greece, Oxford 2018, 79–101, hier 90 f., 95 f. 293  Weitere Söhne erbten dagegen den Besitz ihres Vaters. 294  Vgl. Schmitz 2004, 225 f. 295 Zur anchisteía wurden in klassischer Zeit darüber hinaus auch Onkel und Tanten des Erblassers, seine Vettern und Cousinen und deren Kinder gezählt, also die Verwandtschaft bis zu den Vetters Kindern.

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Literatur Wiliam Wyse, The Speeches of Isaeus, Cambridge 1904 [Ndr. Hildesheim 1967]; Hans Julius Wolff, Marriage Law and Family Organization in Ancient Athens: A Study on the Interrelation of Public and Private Law in the Greek City, in: Traditio 2, 1944, 43–95 [wiederabgedruckt unter dem Titel: Eherecht und Familienverfassung in Athen, in: Ders.: Beiträge zur Rechtsgeschichte Altgriechenlands und des hellenistisch-römischen Ägyptens, Weimar 1961, 155–242]; John C. Miles, Die Intestat-Erbfolge im Attischen Recht (Demosth. XLIII, 51 c. Macart.), in: Ernst Berneker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, Darmstadt 1968, 655–665 [zuerst in: Hermathena 75, 1950, 69–77]; Harrison 1968–1971, Bd. 1, 138–149; Roger Just, Women in Athenian Law and Life, London – New York 1989; Evangélos Karabélias, La succession ‚ab intestat‘ en droit attique, in: JJP 20, 1990, 55–74; Todd 1993, 216–221; Daniel Ogden, Greek Bastardy in the Classical and Hellenistic Periods, Oxford 1996; Schmitz 2004; Eftychia Stavrianopoulou, Gruppenbild mit Dame. Untersuchungen zur rechtlichen und sozialen Stellung der Frau auf den Kykladen im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit, Stuttgart 2006; Edwin Carawan, Pericles the Younger and the Citizenship Law, in: CJ 103, 2008, 383–406; Ruschenbusch 2010, 94–109; Phillips 2013, 243–248; Leão/Rhodes 2015, 78–85.

Intestaterbfolge (F 137) F 137 Erbfolge der Verwandten (F 137a: T 426 Martina, F 50a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 137b: T 427a Martina; F 50b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 137c: T 427b Martina; F 50b adn. Ruschenbusch; F 137e: T 427h adn Martina; F 137f: T 432 Martina; F 120 Ruschenbusch; F 50/c Leão/Rhodes)

F 137a: Aristophanes, Die Vögel (aves) 1660–1666 (414/13 v. Chr.) (= F 124a) ἐρῶ δὲ δὴ καὶ τὸν Σόλωνός σοι νόμον· „νόθῳ δὲ μὴ εἶναι ἀγχιστείαν παίδων ὄντων γνησίων· ἐὰν δὲ παῖδες μὴ ὦσι γνήσιοι, τοῖς ἐγγυτάτω γένους μετεῖναι τῶν χρημάτων“.

1660 1665

Ich will dir also das Gesetz (nómos) Solons zitieren: „Für den Bastard (nóthos) aber besteht keine verwandtschaftliche Beziehung (anchisteía) [zum Vater], wenn es rechtmäßige (eheliche, gnḗsioi) Kinder gibt. Wenn aber keine rechtmäßigen (ehelichen, gnḗsioi) Kinder vorhanden sind, dann haben die nach Familienzugehörigkeit (génos) am nächsten Stehenden (hoi engytátō génous) Anteil am Besitz.“

In der Komödie Die Vögel des Aristophanes bezeichnet Peithetairos das von ihm zitierte Gesetz als solonisch. Die Komödie wurde 414 v. Chr. aufgeführt, gehört also in die Jahre vor der Gesetzesrevision in der letzten Dekade des 5. Jh. In dieser Zeit war der „geltende Gesetzescode“ wahrscheinlich der Solons.296 Für die Authentizität des

296  Ruschenbusch 2010, 105.

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Gesetzestextes spricht zudem die vom übrigen Text abweichende Metrik sowie die Wortwahl (siehe dazu F 124a).297 Außerdem geht die Forschung davon aus, dass Peithetairos keinen fortlaufenden Gesetzestext zitiert, sondern zwei zu trennende Bestimmungen.298 Die erste Bestimmung, ein Kind aus nicht rechtmäßig geschlossener Ehe habe kein Erbrecht, wenn rechtmäßige Kinder vorhanden sind, lässt darauf zurückschließen, dass uneheliche Kinder bis zum Bürgerrechtsgesetz des Perikles und vor dem erneuten Inkrafttreten des Bürgerrechtsgesetzes im Jahr 403/2 dann ein Erbrecht haben konnten, wenn es keine rechtmäßigen Kinder gab.299 Die zweite Bestimmung, die Peithetairos zitiert, wonach beim Fehlen rechtmäßiger Kinder die nächsten Verwandten Anteil am Vermögen des Verstorbenen haben sollen, ist entweder dem (zu dieser Zeit außer Kraft gesetzten) Perikleischen Bürgerrechtsgesetz entnommen oder leitete das (solonische) Intestaterbrecht ein, wäre demnach also dem Gesetz in Demosth. or. 43,50–51 (F 137b) vorausgegangen: Ist ein Erblasser ohne Testament verstorben, erhalten die rechtmäßigen Kinder (oder die zu rechtmäßigen Kindern erklärten nóthoi) das Erbe; sind solche rechtmäßigen Kinder nicht vorhanden, erben die Verwandten väterlicherseits (anteilsmäßig) das Vermögen. F 137b: Demosthenes, Gegen Makartatos (or. 43) 50–51 (um 345–340 v. Chr.) οἷς γὰρ δίδωσιν ὁ νομοθέτης τὴν ἀγχιστείαν καὶ τὴν κληρονομίαν, τούτους ἀναγνώσεται ὑμῖν τοὺς νόμους. ΝΟΜΟΣ

(51) Ὅστις ἂν μὴ διαθέμενος ἀποθάνῃ, ἐὰν μὲν παῖδας καταλίπῃ θηλείας, σὺν ταύτῃσιν, ἐὰν δὲ μή, τούσδε κυρίους εἶναι τῶν χρημάτων. ἐὰν μὲν ἀδελφοὶ ὦσιν ὁμοπάτορες καὶ ἐὰν παῖδες ἐξ ἀδελφῶν γνήσιοι, τὴν τοῦ πατρὸς μοῖραν λαγχάνειν· ἐὰν δὲ μὴ ἀδελφοὶ ὦσιν ἢ ἀδελφῶν παῖδες, ἀνεψιαδοῦς

297  Wolff 1944 [1961], 89; Cynthia B. Patterson, Those Athenian Bastards, in: Classical Antiquity 9.1, 1990, 40–73, hier 51; Ogden 1996, 36; Daniel Ogden, Bastardy and Fatherlessness in Ancient Greece, in: Sabine R. Hübner, David M. Ratzan (Hrsg.), Growing up Fatherless in Antiquity, Cambridge – New York 2009, 105–119, hier 108. 298  Die Zweiteilung des Textes in zwei Gesetze ist Forschungskonsens; Deutung und Datierung werden dagegen kontrovers diskutiert: Wolff 1961, 230–232; Sarah C. Humphreys, The Nothoi of Kynosarges, in: JHS 94, 1974, 88–95, 89 Anm. 5; Ogden 1996, 35–37; Ogden 2009 (wie Anm. 34), 108; Nan Dunbar (ed. with transl.), Aristophanes – Birds, Oxford 1995, 733; Carawan 2008, 397 f. 299  Dazu im Einzelnen IX 1. Auf diesen Zusammenhang könnte der Kontext von F 137a hindeuten. Peithetairos erläutert dem Herakles, dass dieser vom väterlichen Erbteil (1649: τῶν πατρῴων) des Zeus gemäß Gesetz nichts erwarten könne, da er ein uneheliches (nóthos), kein eheliches (gnḗsios) Kind sei (v. 1650), denn er stamme von einer fremden Frau (ξένη γυνή) ab. Da rechtmäßige Brüder (adelphoí gnḗsioi) fehlten, würde Athena zur epíklēros werden, und nach Gesetz könne Zeus ihm auch keine Schenkung (notheía) einräumen, da ihm diese von Zeus’ Bruder, Poseidon, dem nächsten nach Verwandtschaftsrecht, streitig gemacht werden würde (1651–1659). Die folgenden Zeilen könnten aber darauf hindeuten, dass es 414 v. Chr. jenseits des prinzipiellen Ausschlusses von unehelichen Kindern die Möglichkeit gab, ein mit einer fremden Frau gezeugtes, uneheliches Kind unter bestimmten Voraussetzungen in das Erbe einzusetzen; Peithetairos fragt nämlich Herakles, ob Zeus ihn denn in die Phratrie eingeführt habe, was Herakles verneinen muss (v. 1668–1670). Von der Möglichkeit, die die Athener dem Perikles (und vermutlich vielen anderen Athenern) eingeräumt hatten, hatte Zeus also keinen Gebrauch gemacht.

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ἐξ αὐτῶν κατὰ ταὐτὰ λαγχάνειν· κρατεῖν δὲ τοὺς ἄρρενας καὶ τοὺς ἐκ τῶν ἀρρένων, ἐὰν ἐκ τῶν αὐτῶν ὦσι, καὶ ἐὰν γένει ἀπωτέρω. ἐὰν δὲ μὴ ὦσι πρὸς πατρὸς μέχρι ἀνεψιῶν παίδων, τοὺς πρὸς μητρὸς τοῦ ἀνδρὸς κατὰ ταὐτὰ κυρίους εἶναι. ἐὰν δὲ μηδετέρωθεν ᾖ ἐντὸς τούτων, τὸν πρὸς πατρὸς ἐγγυτάτω κύριον εἶναι. νόθῳ δὲ μηδὲ νόθῃ μὴ εἶναι ἀγχιστείαν μήθ’ ἱερῶν μήθ’ ὁσίων ἀπ’ Εὐκλείδου ἄρχοντος. App. crit.: καταλείπῃ A; ταύτῃσιν R, ταύτῃσι A, σὺν ταύτῃσιν von Buermann und Wachholtz in Zweifel gezogen; eine Lücke vor oder nach σὺν ταύτῃσιν nehmen Drerup, Ledl, Lipsius und Thalheim an; siehe aber Isai. 3,68: ἐὰν δὲ θηλείας καταλίπῃ, σὺν ταύταις; μὲν Reiske, δὲ codices del. Dobree; ἐὰν μὲν ἀδελφοὶ ὦσιν ὁμοπάτορες καὶ ἐὰν παῖδες ἐξ ἀδελφῶν γνήσιοι Bekker ohne Interpunktion; ἀνεψιαδῶν cod., ἀνεψιοὺς καὶ παῖδας Bekker, ἀνεψιοὺς πρὸς πατρὸς καὶ παῖδας Ruschenbusch, Leão/Rhodes und Dilts 2005 aufgrund von Isai. 11,2; ebenfalls nach Isai. 11,2 ἀδελφὰς ὁμοπατρίας καὶ παῖδας Meier, Buermann, Drerup, Phillips; ἀδελφὰς ὁμοπατρίας καὶ παῖδας ἐξ αὐτῶν λαγχάνειν· ἐὰν δὲ μὴ ἀδελφαὶ ὦσιν ἢ παῖδες ἐξ αὐτῶν, ἀνεψιοὺς καὶ παῖδας Bunsen; ἀδελφὰς ὁμοπατρίας καὶ παῖδας ἐξ αὐτῶν λαγχάνειν· ἐὰν δὲ μὴ ἀδελφαὶ ὦσιν ἢ παῖδες ἐξ αὐτῶν, ἀδελφοὺς τοῦ πατρὸς καὶ ἀδελφὰς καὶ παῖδας Lipsius, Paoli; ἀνεφιῶν Wesseling, ἀνεψιαδῶν codices [τοὺ ἀνδρὸς] Blass, Paoli; ᾖ Reiske, ἦν codices. Vgl. Wyse 690.

Wem nämlich der Gesetzgeber (nomothétēs) das Recht der Verwandtschaft (anchisteía) und das Recht der Erbschaft (klēronomía) gewährt, um das zu zeigen soll euch [der Schreiber] die Gesetze (nómoi) vorlesen: Gesetz

(51) „Wenn jemand stirbt, ohne ein Testament gemacht zu haben (mḗ diathémenos), dann sollen [folgende Personen] Ansprüche am Vermögen haben (kýrioi eínai), wenn er Töchter (paí­ des thēleía) hinterlässt, mit diesen, wenn nicht, [ohne diese]: Wenn es Brüder vom selben Vater (adelphoí homopátores) gibt oder wenn es rechtmäßige Kinder (paídes gnḗsioi) von den Geschwistern (adelphoí) [gibt], sollen [diese] den [entsprechenden] Anteil des Vaters erhalten (lanchánein). Wenn es aber keine Brüder (adelphoí) oder Kinder der Geschwister (adelphṓn paídes) gibt, dann sollen die Geschwisterenkel (anepsiadoí) von diesen [‹die Vettern [und Basen] der väterlichen Seite (anepsioí) und die Kinder›] in entsprechender Weise [den Anteil] erhalten (lanchánein). Den Vorzug sollen aber die männlichen Verwandten (árrenes) und die [Nachkommen] von diesen männlichen Verwandten haben, wenn sie von denselben [Verwandten] abstammen, auch wenn sie entfernter verwandt sind. Wenn es aber keine [Verwandten] von der Vaterseite (prós patrós) bis zu den Vetterskindern (anepsiṓn paídes) gibt, dann sollen die [Verwandten] der Mutterseite (prós mētrós) des [verstorbenen] Mannes auf dieselbe Weise Ansprüche haben (kýrioi eínai). Wenn es aber von beiden Seiten her niemanden innerhalb dieser [Verwandtschaftsgrade] gibt, dann soll der nächste (engytátō) auf der Vaterseite (prós patrós) kýrios sein [also: Anspruch auf das Erbe haben]. Für einen unehelichen Sohn (nó­ thos) und eine uneheliche Tochter (nóthē) besteht kein Recht der Verwandtschaft (anchisteía), weder in religiöser noch in rechtlicher Hinsicht seit dem Archontat des Eukleides.“

Der in die Rede Gegen Makartatos eingefügte Gesetzestext ist, mit Ausnahme des letzten Satzes, der mit dem Verweis auf das Archontat des Eukleides auf das Jahr 403/2 v. Chr. datiert ist, wahrscheinlich Solon zuzuweisen, so wie es Demosthenes für einen Auszug aus diesem Gesetz (F 137f) behauptet.300 Auch die vielen Ellipsen spre300  Phillips 2013, 230. Zum Ausschluss der nóthoi seit dem Archontat des Eukleides auch Isai. 6,47: Τοὐναντίον τοίνυν συμβέβηκεν ἢ ὡς ὁ νόμος γέγραπται· ἐκεῖ μὲν γὰρ ἔστι νόθῳ μηδὲ νόθῃ ‹μὴ› εἶναι ἀγχιστείαν μήθ’ ἱερῶν μήθ’ ὁσίων ἀπ’ Εὐκλείδου ἄρχοντος, … – „Gerade das Gegenteil ist also gesche-

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chen für das Alter des Gesetzes.301 Nach σὺν ταύτῃσιν fehlt das Prädikat; der Sinn ergibt sich jedoch aus dem folgenden κυρίους εἶναι τῶν χρημάτων, das in dieser Form auch in Isai. 3,68 und 10,3 als Ellipse enthalten ist. Die archaische Dativendung -ῃσι wurde in den 420er Jahren durch -αις verdrängt – die spätere Form findet sich in der Paraphrase bei Isaios or. 3,68. Auch die Formulierung … τούσδε κυρίους εἶναι τῶν χρημάτων. ἐὰν μὲν ἀδελφοὶ ὦσιν ὁμοπάτορες sieht Eberhard Ruschenbusch als ungewöhnlich an, da dem Konditionalsatz ἐὰν μὲν … die Apodosis fehle.302 Man kann indes den Konditionalsatz als nachgestellte Protasis auffassen und in τούσδε κυρίους εἶναι τῶν χρημάτων die vorausgehende Apodosis sehen, also das Satzgefüge in folgendem Sinne verstehen: Wenn jemand ohne Testament verstirbt, sollen, wenn Brüder vom gleichen Vater da sind, diese kýrioi des Vermögens sein, also Ansprüche am Vermögen haben. Bestimmt wird, dass in dem Fall, in dem der Erblasser kein Testament gemacht hat und rechtmäßige Söhne fehlten, die nächsten Verwandten des Verstorbenen nach einer festen Reihenfolge erbten: Dies waren zunächst die vom selben Vater abstammenden Brüder des Verstorbenen. Von bereits verstorbenen Brüdern erbten deren Kinder den Anteil, den der Vater bekommen hätte. Waren keine Brüder und Neffen vorhanden, erbten deren Nachkommen (ἀνεψιαδοῖ ἐξ αὐτῶν). Viele Herausgeber und Gelehrte ersetzen bzw. ergänzen an dieser Stelle die Wendung ‹ἀνεψιοὺς πρὸς πατρὸς καὶ παῖδας›, deuten das Gesetz also in der Weise, dass beim Fehlen von Brüdern und Neffen des Verstorbenen die Vettern und Vetterskinder erben. Doch es spricht nichts dagegen, dass das in der Demosthenesrede eingelegte Gesetz in korrekter Form überliefert ist, es also das Erbrecht der Brüder, der Brudersöhne und deren Kinder regelt. Auch das später im Text folgende und das ἀνεψιαδοῖ ἐξ αὐτῶν wieder aufnehmende μέχρι ἀνεψιῶν παίδων ist als „bis zu den Kindern der Brudersöhne“ zu verstehen. Κατὰ ταὐτὰ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Kinder der Brudersöhne „in entsprechender Weise“ erbten. Hatte also ein hoch betagt Verstorbener einen Neffen vom Bruder und zwei Söhne eines weiteren, bereits verstorbenen Neffen, so erbte der noch lebende Neffe die Hälfte, die beiden Söhne jeweils ein Viertel des Erbes. Söhne von Schwestern und deren Kinder wurden nur dann berücksichtigt, wenn es keine Brüder oder Nachkommen der Brüder gab, und der Enkel eines Bruders stand vor dem Sohn einer Schwester, auch wenn letzterer dem Verstorbenen nach Verwandtschaftsgrad näher stand. Gab es bis zu den Nachkommen der väterlichen Brudersöhne keine Angehörigen, folgten in entsprechender Folge (κατὰ ταὐτὰ) die Verwandten der Mutterhen von dem, was im Gesetz geschrieben steht: da ist nämlich weder dem unehelichen Sohn (nóthos) noch der unehelichen Tochter (nóthē) das Recht der nächsten Verwandtschaft (anchisteía) weder bei religiösen noch bei bürgerlichen Dingen seit dem Archon Eukleides eingeräumt“ (Übersetzung nach K. Münscher). 301  Ruschenbusch 2010, 108: καὶ ἐὰν παῖδες ἐξ ἀδελφῶν γνήσιοι [ὦσιν]; καὶ ἐὰν γένει ἀπωτέρω [ὦσιν]; τὸν πρὸς πατρὸς ἐγγυτάτω [ὄντα]; ἐὰν δὲ μὴ ὦσι πρὸς πατρὸς [μηδένες]; ἐὰν δὲ μηδετέρωθεν ᾖ ἐντὸς τούτων [μηδείς]. 302  Ruschenbusch 2010, 108; zum Letzteren auch Wolff 1944 [1961], 76.

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seite. Fehlten auch solche Verwandten, erbte der nächste Verwandte väterlicherseits, also z. B. ein Vetter oder Vetterssohn des Verstorbenen.303 Der Ausschluss von unehelichen Söhnen und Töchtern galt von 403/2 an strikt, wie möglicherweise auch schon in der Zeitspanne zwischen 451 und 430/29, und auch vor 451 insofern, als der Erblasser einen nóthos (oder eine nóthē als Erbtochter) explizit als rechtmäßiges Kind annehmen und der Phratrie vorstellen musste, was er nur dann konnte, wenn er keine ehelichen Kinder hatte. Der Beleg bei Aristophanes (F 137a) beweist jedoch, dass die mögliche Annahme eines nóthos oder eine nóthē so oder in einer ähnlichen Formulierung vor 403/2 v. Chr. existiert hat. Wahrscheinlich war durch die solonischen Gesetze festgelegt, dass unrechtmäßige Kinder nur in dem Fall, dass rechtmäßige Geschwister fehlten, als Erben ihres Vaters eingesetzt werden konnten.304 F 137c: Isaios, Über das Erbe des Hagnias (or. 11) 1–3 (nach 361/60 v. Chr.) (1) Διὰ ταῦθ’ ὑμῖν ἀνέγνων τοὺς νόμους, ὅτι κατὰ τὸν πρῶτον αὐτῶν ἰσχυρίζεται τῷ παιδὶ τοῦ ἡμικληρίου προσήκειν, οὐκ ἀληθῆ λέγων. Οὐ γὰρ ἦν ἡμῖν Ἁγνίας ἀδελφός, ὁ δὲ νόμος περὶ ἀδελφοῦ χρημάτων πρῶτον ἀδελφοῖς τε καὶ ἀδελφιδοῖς πεποίηκε τὴν κληρονομίαν, ἐὰν ὦσιν ὁμοπάτορες· τοῦτο γὰρ ἐγγυτάτω τοῦ τελευτήσαντος γένος ἐστίν. (2) Ἐὰν δ’ οὗτοι μὴ ὦσι, δεύτερον ἀδελφὰς ὁμοπατρίας καλεῖ καὶ παῖδας τοὺς ἐκ τούτων. Ἐὰν δὲ μὴ ὦσι, τρίτῳ γένει δίδωσι τὴν ἀγχιστείαν, ἀνεψιοῖς πρὸς πατρὸς μέχρι ἀνεψιῶν παίδων. Ἐὰν δὲ καὶ τοῦτ’ ἐκλίπῃ [εἰς] τὸ γένος, πάλιν ἐπανέρχεται καὶ ποιεῖ τοὺς πρὸς μητρὸς τοῦ τελευτήσαντος κυρίους αὐτῶν, κατὰ ταὐτὰ καθάπερ τοῖς πρὸς πατρὸς ἐξ ἀρχῆς ἐδίδου τὴν κληρονομίαν. (3) Ταύτας ποιεῖ τὰς ἀγχιστείας ὁ νομοθέτης μόνας, συντομωτέρως τοῖς ῥήμασιν ἢ ἐγὼ φράζω· τὴν μέντοι διάνοιαν ὧν βούλεται ταύτῃ δείκνυσιν. App. crit.: (1) τὸ γένος Sauppe, γένους Scheibe; (2) μέχρις und ἐκλείποι pr., -οι in ῃ corr. 1, ε altero loco erasum; [εἰς] τὸ γένος, πάλιν Schoemann; ταῦτα Taylor; (3) συντομωτέρως vel -ροις, -ρας Rosenberg; φράζων Rosenberg.

(1) Darum habe ich euch die Gesetze (nómoi) vorlesen lassen, weil er auf das erste von diesen den Anspruch des Kindes auf die Hälfte des Erbes (hēmiklḗrion) stützt, er aber nicht die Wahrheit sagt. Denn Hagnias war nicht unser Bruder; das Gesetz aber hat in Bezug auf den Besitz des Bruders zuerst den Brüdern (adelphoí) und Brudersöhnen (adelphidoí) das Erbrecht (klēronomía) gegeben, wenn sie vom selben Vater sind (homopátores); denn dies ist der nächste Verwandtschaftsgrad (engytátō génos) des Verstorbenen. (2) Wenn es aber niemanden von diesen gibt, nennt [das Gesetz] als zweites die Schwestern vom selben Vater (adelphaí homopátriai) und die Kinder von diesen. Wenn es aber keine [Schwestern] gibt, so gibt [das Gesetz] dem dritten Grad (génos) das Recht der Verwandtschaft (anchisteía), den Vettern der Vaterseite (anepsioí prós patrós) bis zu den Vetterskindern (anepsiṓn paídes). Wenn aber auch dieser Verwandtschaftsgrad (génos) fehlt, kehrt [das Gesetz] wieder zurück und sind die [Verwandten] der Mutterseite (prós mētrós) des Verstorbenen kýrioi von deren [Erbe; = haben Anspruch auf deren Erbe], auf dieselbe Weise wie es zuerst denen der Vaterseite das Erbrecht

303  Dazu Harrison 1968, 146. 304  Siehe dazu IX 1 und den Kommentar zu F 124; Carawan 2008, 383–393; 398; 403; vgl. Wolff 1944 [1961], 87 f.; Ruschenbusch 2010, 108.

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(klēronomía) gab. (3) Allein diesen [Verwandtschaftsgraden] sprach der Gesetzgeber (nomo­ thétēs) das Verwandtschaftsrecht (anchisteía) zu, in knapperen Worten, als ich es dargelegt habe; die Absicht allerdings, die er verfolgte, die machte er [hinreichend] deutlich.

F 137d: Isaios, Über das Erbe des Hagnias (or. 11) 11–12 (nach 361/60 v. Chr.) (11) Τὸ μὲν γὰρ εἶναι τὴν ἀγχιστείαν ἀνεψιοῖς πρὸς πατρὸς μέχρι ἀνεψιῶν παίδων ὁμολογεῖται παρὰ πάντων. … Λαβὲ οὖν αὐτοῖς τὸν νόμον καὶ ἀναγίγνωσκε. ΝΟΜΟΣ Ἐὰν δὲ μηδεὶς ᾖ πρὸς πατρὸς μέχρις ἀνεψιῶν παίδων, τοὺς πρὸς μητρὸς κυρίους εἶναι κατὰ τὰ αὐτὰ. (12) Ἀκούετε, ὦ ἄνδρες, ὅτι ὁ νομοθέτης οὐκ εἶπεν, ἐὰν μηδεὶς ᾖ πρὸς πατρὸς μέχρι ἀνεψιῶν παίδων, τοὺς τῶν ἀνεψιαδῶν εἶναι κυρίους, ἀλλὰ ἀπέδωκε τοῖς πρὸς μητρὸς τοῦ τελευτήσαντος, ἐὰν ἡμεῖς μὴ ὦμεν, τὴν κληρονομίαν ἤδη, ἀδελφοῖς καὶ ἀδελφαῖς καὶ παισὶ τοῖς τούτων καὶ τοῖς ἄλλοις, κατὰ ταὐτὰ καθάπερ καὶ ἐξ ἀρχῆς ἦν ὑπειρημένον· τοὺς δὲ ἡμετέρους παῖδας ἔξω τῆς ἀγχιστείας ἐποίησεν. App. crit.: (12) πρὸς πατρὸς in ras., ταὐτὰ] ταῦτα Rosenberg.

(11) Denn es sind sich alle einig, dass das Recht der Verwandtschaft (anchisteía) den Vettern der Vaterseite (anepsioí prós patrós) bis zu den Vetterskindern (anepsiṓn paídes) zukommt. … Nimm nun aber das Gesetz (nómos) und lies es ihnen vor. Gesetz Wenn es aber keinen [Verwandten] von der Vaterseite (prós patrós) bis zu Vetterskindern (an­ epsiṓn paídes) gibt, dann sollen die [Verwandten] der Mutterseite (prós mētrós) auf entsprechende Weise kýrioi sein [Ansprüche auf das Vermögen haben]. (12) Ihr hört, Männer, dass der Gesetzgeber (nomothétēs) nicht bestimmt, dass, wenn es keinen [Verwandten] von der Vaterseite bis zu Vetterskindern gibt, die Kinder der Vetterskinder (anepsiadoí) kýrioi sein sollen, sondern er weist das Erbrecht (klēronomía) direkt den [Verwandten] der Mutterseite des Verstorbenen zu, wenn es uns [= die Vetterskinder] nicht gibt, den Brüdern und Schwestern und den Kindern von diesen und den anderen auf dieselbe Weise, wie es am Anfang [des Gesetzes] angeordnet war. Unsere Kinder [= die Kinder der Vetterskinder] aber hat er vom Recht der Verwandtschaft (anchisteía) ausgeschlossen.

In Isaios 11,1–3 (F 137c) ist das Gesetz einem nicht namentlich genannten Gesetzgeber (νομοθέτης) zugewiesen. Unzweifelhaft ist das in Demosth. or. 43,50–51 eingelegte Gesetz gemeint, das aber sehr frei und stark interpretierend paraphrasiert wird.305 Nach dieser Paraphrase erbten zuerst die Brüder (adelphoí) und Brudersöhne (adelphidoí) vom selben Vater (homopátores), dann angeblich die Schwestern vom selben Vater und deren Kinder. Dies entspricht dem Originaltext nicht und kann ihm nicht entsprechen, da Frauen – zumindest im frühen 6. Jh. – kein Vermögensrecht hatten. Sie konnten das Erbe nur ihren Kindern als Erbtochter vermitteln. Im ursprünglichen Gesetzestext

305  Wyse 1967 [zuerst 1904], 679 f.

Intestaterbfolge (F 137)

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sind mit adelphoí also nur die Brüder gemeint (nicht die Geschwister), mit adelphidoí die Geschwisterkinder, so dass die Kinder der Schwestern in diesem Begriff bereits mit erfasst waren. Der offenbar frei formulierten Erweiterung des Isaios bedurfte es also nicht. Dass anschließend das Erbe den Vettern der Vaterseite (anepsioí prós pat­ rós) bis zu den Vetterskindern (anepsiṓn paídes) zugesprochen wird, ist unzutreffend, da die „Geschwisterkinder“ (anepsioí) schon durch den Begriff adelphidoí abgedeckt sind. Isaios hat also den im Gesetz enthaltenen Begriff anepsiadoí für „von diesen abstammenden Bruderenkeln“ (ἀνεψιαδοῖ ἐξ αὐτῶν) mit anepsioí prós patrós und anepsiṓn paídes wiedergegeben und in ihnen ganz offensichtlich Vettern und Vetterskinder des Verstorbenen gesehen. In der Isaiosrede ist ausdrücklich gesagt, dass der Gesetzgeber diese Folge des Intestaterbrechts „knapper“ (συντομωτέρως) formuliert hatte, und schon dies sollte davor warnen, vorschnell den überlieferten Wortlaut zu konjizieren und Wendungen aus der Isaiosrede in den Gesetzestext einzufügen. Tatsächlich hatte das Gesetz eine sehr klare Folge: zunächst die Brüder, dann die Kinder der Geschwister, schließlich deren Kinder. Kurze Zeit später kommt der Sprecher der elften Isaiosrede (F 137d) erneut auf das zitierte Gesetz zu sprechen und wiederholt mit denselben Bezeichnungen die Bestimmung des solonischen Gesetzes, dass nämlich das Intestaterbrecht bis zu den anepsi­ oí der väterlichen Seite und den anepsiṓn paídes (ἀνεψιοί πρὸς πατρὸς μέχρι ἀνεψιῶν παίδων) reiche, was im solonischen Gesetz Brudersöhne väterlicherseits und Bruderenkel meint, Isaios aber vermutlich als Vettern und Vetterskinder versteht. Die eingelegte Gesetzesbestimmung selbst, wonach beim Fehlen von Brüdern und Bruderkindern väterlicherseits auf die gleiche Weise die von mütterlicher Seite Ansprüche auf das Vermögen haben, ist mit fast identischem Wortlaut wie der in Demosth. or. 43,51 eingelegte Gesetzestext (F 137b) wiedergegeben. Isaios versteht die Formulierung μέχρι ἀνεψιῶν παίδων so, dass das Erbrecht zunächst nur bis zu den Enkeln der Geschwister reiche, sich nicht aber auch noch auf deren Kindern („die von den Bruderenkeln [Abstammenden]“ (οἱ τῶν ἀνεψιαδῶν) erstrecke. Nach den Bruderenkeln seien die Brüder und Schwestern und alle ihre Kinder „und die weiteren“ erbberechtigt. Wie in F 137c sind die Schwestern mit einbezogen, die im Gesetz nicht explizit genannt waren.306 Auch Isai. 7,22 gibt diese Bestimmung wieder, weicht wörtlich jedoch stärker vom Gesetzestext ab.307

306  Die Formulierung am Ende κατὰ ταὐτὰ καθάπερ καὶ ἐξ ἀρχῆς ἦν ὑπειρημένον greift den Text am Ende von Isai. 11,2 wieder auf: κατὰ ταὐτὰ καθάπερ τοῖς πρὸς πατρὸς ἐξ ἀρχῆς ἐδίδου τὴν κληρονομίαν. 307  Isai. 7,22: ἐὰν μὴ ὦσιν ἀνεψιοὶ μηδὲ ἀνεψιῶν παῖδες, μηδὲ τοῦ πρὸς πατρὸς γένους ᾖ προσήκων μηδείς, τότε ἀπέδωκε τοῖς πρὸς μητρός, διορίσας οὓς δεῖ κρατεῖν. – „Wenn keine Neffen vorhanden sind noch Kinder von Neffen, noch von väterlicher Seite irgend ein Verwandter in Betracht kommt, alsdann (erst) gewährt es den Verwandten mütterlicherseits (Erbberechtigung) und bestimmt, wer den Vorrang haben soll“ (Übersetzung nach K. Münscher). Vgl. Schmitz 2004, 224 f. Anm. 242.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

F 137e: Isaios, Über das Erbe des Apollodoros (or. 7) 19–20 (350er Jahre) (19) Ἔστι δὲ νόμος ‹ὅς›, ἐὰν ἀδελφὸς ὁμοπάτωρ ἄπαις τελευτήσῃ καὶ μὴ διαθέμενος, τήν τε ἀδελφὴν ὁμοίως, κἂν ἐξ ἑτέρας ἀδελφιδοῦς ᾖ γεγονώς, ἰσομοίρους τῶν χρημάτων καθίστησι. Καὶ τοῦτο οὐκ ἀγνοούμενόν ἐστιν οὐδὲ παρ’ αὐτοῖς τούτοις· ἔργῳ γὰρ οὗτοι φανερὸν τοῦτο πεποιήκασι· τοῦ γὰρ Εὐπόλιδος ὑέος ἄπαιδος Ἀπολλοδώρου τελευτήσαντος τὰ ἡμίσεα Θρασύβουλος εἴληφεν οὐσίας καὶ πεντεταλάντου καταλειφθείσης ῥᾳδίως. (20) Πατρῴων μὲν οὖν καὶ ἀδελφοῦ χρημάτων τὸ ἴσον αὐτοῖς ὁ νόμος μετασχεῖν δίδωσιν· ἀνεψιοῦ δέ, καὶ εἴ τις ἔξω ταύτης τῆς συγγενείας ἐστίν, οὐκ ἴσον, ἀλλὰ προτέροις τοῖς ἄρρεσιν τῶν θηλειῶν τὴν ἀγχιστείαν πεποίηκε. Λέγει γάρ „κρατεῖν δὲ τοὺς ἄρρενας καὶ τοὺς ἐκ τῶν ἀρρένων, οἳ ἂν ἐκ τῶν αὐτῶν ὦσι, κἂν γένει ἀπωτέρω τυγχάνωσιν ὄντες“. App. crit.: ὅς add. Ald; ἀδελφιδην A, corr. A1; κἂν corr. A1, καὶ Abr; ‹οὐδενί·›, οὐδὲ γὰρ αὐτοῖς Rosenberg; πενταταλάντου A, corr. A1; (20) οἳ ἂν] ἐὰν Demosth. or. 43,51.

(19) Es besteht aber das Gesetz (nómos), das besagt, wenn ein vom gleichen Vater stammender Bruder (adelphós homopátōr) ohne Kinder und ohne testiert zu haben (mḗ diathémenos) stirbt, so setzt es [das Gesetz] gleichermaßen die Schwester (adelphḗ) und den Schwestersohn (adel­ phidoús), wenn von einer anderen [Schwester] ein solcher vorhanden ist, mit gleichen Teilen (isómoiroi) am Vermögen ein. Und diese Bestimmung ist auch diesen [den Prozessgegnern] natürlich nicht unbekannt. Denn durch ihr eigenes Tun haben sie das klar gezeigt. Als nämlich der Sohn des Eupolis, Apollodoros, kinderlos gestorben war, hat Thrasybulos die Hälfte von dem hinterlassenen Vermögen erhalten, das leicht fünf Talente betragen mochte. (20) Vom väterlichen Vermögen und dem des Bruders also gibt ihnen das Gesetz (nómos) den gleichen Anteil; [von dem Vermögen] des Neffen (anepsiós) aber und wenn jemand außerhalb dieser Verwandtschaft (syngéneia) steht, nicht den gleichen Anteil, sondern es gibt den männlichen Verwandten (árrenes) das Verwandtschaftsrecht (anchisteía) vor den weiblichen Verwandten (thēleíai). Denn es sagt: „den Vorzug sollen aber die männlichen (árrenes) [Verwandten] und die von den männlichen [Verwandten] Abstammenden haben, wenn sie von denselben [Vorfahren] abstammen, auch wenn sie nach Verwandtschaftsgrad (génos) entfernter verwandt sein sollten“.

Der siebten Rede des Isaios Über das Erbe des Apollodoros liegt ein Fall zugrunde, bei dem die Regeln des Intestaterbrechts greifen. Von drei Brüdern war der eine kinderlos verstorben, der andere hinterließ einen unmündigen Sohn, Apollodoros, der mit Erreichen der Volljährigkeit (mit der Unterstützung seines Stiefvaters) gerichtlich von dem dritten Bruder Eupolis die Hälfe des Erbteils des kinderlos verstorbenen Bruders erstritt. Als Apollodoros mit über 60 Jahren seinen einzigen Sohn verlor, beabsichtigte er, den Sohn seiner Stiefschwester zu adoptieren und ließ ihn in das Verzeichnis der Phratrie eintragen. Bevor der Adoptivsohn aber in das Gemeinderegister eingetragen war, starb Apollodoros. Dies nutzte der Ehemann der Tochter des dritten Bruders, Eupolis, aus und machte dem Adoptivsohn das Erbe des Apollodoros streitig. Um dies abzuwehren, verfasste Isaios für den Adoptivsohn die Prozessrede. In diesem Zusammenhang verweist Isaios auf die Intestaterbfolge, also unter der Voraussetzung, dass „ein vom gleichen Vater stammender Bruder ohne Kinder und ohne letztwillige

Intestaterbfolge (F 137)

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Verfügung“ stirbt. Auch diese Belegstelle spricht dafür, dass bei dem in Demosth. or. 43,51 eingelegten Gesetz vorangehend die zusätzliche Bedingung formuliert war, dass der Verstorbene keine Söhne hat. Isaios interpretiert das Gesetz über die Intestaterbfolge dann freier, ähnlich wie in or. 11,1–3 (F 137c), wonach das Gesetz beim Tod des Bruders „gleichermaßen seine Schwester und seinen Schwestersohn … zu gleichen Teilen in das Vermögen einsetzt.“ Die Prozessgegner erkennen dieses Recht an, denn es sei schon einmal – in der Generation davor – danach verfahren worden; als nämlich Eupolis’ Sohn verstarb, hätten die Söhne seiner beiden Schwestern je die Hälfte des Vermögens erhalten. Als Adoptivsohn des Apollodoros hätte der Sprecher der Rede ein höheres Anrecht auf das Erbe, da die Töchter des Eupolis auf der Gegenseite nach Verwandtschaftsgrad dem Erblasser näher stehen mögen, doch die Erblinie über die Töchter liefe, und da gelte nach solonischem Erbrecht der Grundsatz, dass männliche Verwandten und deren Deszendenten Vorrang vor den weiblichen haben, auch wenn diese dem Grade nach näher stünden (F 137e). Ein weiteres Mal ist die Bestimmung – wenn auch verkürzt – in Demosth. or. 43,78 (F 137f) zitiert und als Gesetz Solons bezeichnet.308 F 137f: Demosthenes, Gegen Makartatos (or. 43) 78 (345–340 v. Chr.) ὁ δὲ νόμος κελεύει ὁ τοῦ Σόλωνος κρατεῖν τοὺς ἄρρενας καὶ τοὺς ἐκ τῶν ἀρρένων· Das Gesetz Solons ordnet an, dass die männlichen (árrenes) [Verwandten] und die von den männlichen [Verwandten] Abstammenden den Vorrang haben sollen.

F 137 g: Ps.-Demosthenes, Gegen Leochares (or. 44) 12 (nach 330 v. Chr.) ἓν μὲν οὖν ὁμολογεῖται, τὸ κρατεῖν τῶν κληρονόμων τοὺς ἄρρενας καὶ τοὺς ἐκ τῶν ἀρρένων· ἁπλῶς γὰρ τοῖς ἐγγυτάτω πρὸς ἀνδρῶν, ὅταν μὴ παῖδες ὦσιν, ὁ νόμος τὰς κληρονομίας ἀποδίδωσιν. App. crit.: ὡμολόγηται A; κληρονόμων S F Q D, κληρονομιῶν A; μὴ: μὲν S.

Eines muss allerdings eingeräumt werden, dass von den Erben (klēronómoi) die Männlichen (árrenes) und die von den männlichen [Verwandten] Abstammenden den Vorzug haben (kra­ teín); denn das Gesetz (nómos) gibt schlechthin das Erbrecht (klēronomía) den nächsten (hoi engytátō) [Verwandten] der männlichen Linie, wenn keine Kinder vorhanden sind.

In der Rede Gegen Leochares (F 137 g) ist die Bestimmung, dass männliche Verwandte vor den weiblichen den Vorrang haben, nahezu wörtlich zitiert.309 Die im Gesetz genau 308  Eberhard Ruschenbusch (1966, F 120) führt das Gesetz unter der Kategorie „Falsches, Zweifelhaftes, Unbrauchbares“ auf, Leão/Rhodes (2015, 84 f.) und Dmitriev (Sviatoslav Dmitriev, The Birth of the Athenian Community. From Solon to Cleisthenes, London – New York 2018, 228 f.) ordnen es aber mit gutem Grund unter die solonischen Gesetze ein, da der Text wörtliche Übereinstimmungen mit F 137b aufweist. 309  Vgl. auch Demosth. or. 44,14: ἔπειτα μετὰ ταῦτα τὸν νόμον αὐτὸν ‹τὸν› τοῖς τε γένεσι καὶ τοῖς ἐγγυτάτω πρὸς ἀνδρῶν τὰς κληρονομίας ἀποδιδόντα·

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

ausdifferenzierte Erbfolge der Verwandten väterlicherseits ist stark verkürzt wiedergegeben, aber an die Bedingung geknüpft, dass keine Kinder vorhanden sind, so wie es auch in der zweiten Bestimmung in den Vögeln des Aristophanes (F 137a) formuliert ist und dem in Demosth. or. 43,51 eingefügten Gesetz wahrscheinlich vorausging.310 IX 5 Mitgift und Ausstattung der Braut Abstract: Man wird davon ausgehen können, dass ein Gesetz, das in der demosthenischen Rede Gegen Makartatos eingelegt ist, im Kern auf Solon zurückgeht. Wenn dies zutrifft, erhielten bereits in der Zeit um 600 v. Chr. Töchter – zumindest bei Angehörigen der drei oberen Schatzungsklassen – eine Mitgift mit in die Ehe. Bei mittellosen Erbtöchtern war der nächste Verwandte väterlicherseits zwar prinzipiell verpflichtet, sie zur Frau zu nehmen; er konnte sie aber auch einem anderen Mann in die Ehe geben (ekdidónai), wenn er dem Ehemann einen im Gesetz festgelegten Wert ‚auf die Frau‘ dazugab (epididónai). Darüberhinaus konnten Frauen persönliche Gegenstände als phernaí mit in die Ehe nehmen, die allerdings auf ein bestimmtes Maß beschränkt waren.

Historische Einordnung Bereits in den homerischen Epen ist belegt, dass aus Anlass einer Hochzeit Sachwerte zwischen der Familie des Brautwerbers und der des Brautvaters als Gaben und Gegengaben ausgetauscht wurden. Diese in Ilias und Odyssee mit dem Wort hédna oder éedna bezeichneten Gaben wurden meist vom Brautwerber an den Vater der Braut übergeben. So forderte Hephaistos, nachdem er Ares und Aphrodite beim Ehebruch ergriffen und in Fesseln gebunden hatte, vom Brautvater die Rückgabe der ihm übrgebenen Brautgaben (éedna).311 Aber auch der Tochter gab der Vater „glänzende Gaben“ (dṓra) mit in die Ehe.312 In klassischer Zeit wurde der Begriff éedna nur als Reminiszenz der 310  Aufgrund wörtlicher Übereinstimmungen mit Fragmenten des Testamentsgesetzes (F 132a; 133a, c; 134d, h) und des Verweises auf das Testamentsgesetz in Demosth. or. 43,51 (F 137b): ὅστις ἂν μὴ διαθέμενος ἀποθάνῃ) vermutet Ruschenbusch (2010, 104, 106), dass das Testamentsgesetz dem Intestat­ erbrecht voranstand und deshalb in Letzterem auf einen Verweis auf das Fehlen rechtmäßiger Söhne verzichtet wurde. 311  Hom. Od. 8,317–320. Zu den éedna bzw. hédna in den homerischen Epen siehe Walter K. Lacey, Homeric ἕδνα and Penelope’s κύριος, in: JHS 86, 1966, 55–68; Beate Wagner, Zwischen Mythos und Realität, Frankfurt a. M. 1982, 159–166; Leduc 1993, 273–278; vgl. Ioannes Perysinakes, Penelope’s ‚eedna‘ again, in: CQ 41, 1991, 297–302. Gisela Wickert-Micknat, Die Frau (Archaeologia Homerica R), Göttingen 1982, 90–94, hier 90, sieht die éedna als Pfand betrachtet, das der Brautwerber als Sicherheit für die Frau beim Brautgeber hinterlegt. 312  Hom. Od. 1,277; 2,196; vgl. 2,53. Zur Bedeutung von hédna im Sinne von Brautgaben und Mitgift und den dabei ausgetauschten Sachwerten oder Sklaven siehe Martin Schmidt, Art. ἕδνα, ἔεδνα, in: LfgrE 2,

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epischen Sprache in der attischen Tragödie verwendet, meint nun jedoch die Mitgift, die vom Brautvater der Tochter mit in die Ehe gegeben wurde.313 Im 4. Jh. v. Chr. war es, wie viele Gerichtsreden insbesondere des Isaios zeigen, üblich, dass bei der engýēsis, dem Heiratsversprechen des Brautvaters gegenüber dem Brautwerber, eine Mitgift (proíx) vereinbart wurde, die bei der Hochzeit übergeben wurde.314 Die Mitgift sollte zum Unterhalt der Frau in der Ehe beitragen und die Frau absichern,315 diente aber auch der sozialen Distinktion und trug wesentlich dazu bei, dass in der Oberschicht homogame Ehen geschlossen wurden.316 Vom Erbe war die Tochter ausgeschlossen; die Mitgift kann als eine Art Voraberbe angesehen werden, das aber deutlich geringer war als die Erbteile, die Söhne erhielten.317 Auf diese Weise sollte das strategische Vermögen des Hauses zusammengehalten werden. Die Mitgift bestand aus mobilen Sachwerten wie Geld, Schmuck, Kleidung oder Sklaven, deren Wert in klassischer Zeit in Geld geschätzt wurde, und ging in die Verfügungsgewalt des Ehemannes über.318 Konnte der Brautvater zum Zeitpunkt der Hochzeit die vereinbarte Mitgift in mobilen Werten nicht aufbringen, wurden immobile Werte als Sicherheit übergeben.319 Über die daraus erzielten Einkünfte konnte der Ehemann verfügen. Starb die Ehefrau kinderlos oder wurde die Ehe geschieden, ging die Mitgift an den nächsten Angehörigen der Frau.320 Hatte die Frau Kinder in der Ehe, erbten diese die Mitgift der

1982, 396 f., der die Belege im Einzelnen zusammengetragen hat. Leduc 1993, 174, folgt Claude Mossé in der Annahme, dass es eine Entwicklung von den éedna über phernaí (in der Zeit Solons) zur Mitgift (proíx) gab, die seit dem 5. Jh. nachweisbar ist (ebd. 265 f.). 313  Eur. Andr. 1–5. 314  Isai. 3,35 f.; 8,8; Lys. 19,14 f.; 32,5–6; Demosth. or. 27,4–5; 41,26–28; 45,28; Schultheß 1938, 2042 f. Zu dieser Praxis bereits in den homerischen Epen siehe Schmidt 1982 (wie Anm. 312), 397. Auch im hellenistischen Mykonos wurde die Mitgift anlässlich der engýēsis vereinbart (Stavrianopoulou 2006, 63); es konnte aber auch Ehen ohne Mitgift geben (Isai. 3,28 f.; Ps.-Demosth. 40,19 f.25). Erdmann 1934, 304–308; Schultheß 1938, 2046; Phillips 2013, 157–173 mit einer Auswahl von Quellen. 315  Schaps 1979, 75; Thür 1992, 127; Todd 1993, 215 f. 316  Leduc 1993, 309; Hartmann 2000, 19 f.; Schmitz 2004, 221 f.; Wagner-Hasel 2010, 108–111. 317  Dazu Foxhall 1989, 32 f.; Todd 1993, 215; Leduc 1993, 308; Hartmann 2000, 19; Stavrianopoulou 2006, 60 f. Da die Tochter in Athen kein Erbrecht hatte, ist die proíx in rechtlichem Sinne aber nicht als Erbe anzusehen (Wolff 1961, 187; Thür 1992, 126). 318  Lipsius 1905–1915, 491–493; Schultheß 1938, 2044 f.; Wolff 1957, 147–150; ders. 1961, 173; Schaps 1979, 75; Thür 1992, 126; Stavrianopoulou 2006, 66, 113–120. Während Cheryl A. Cox davon ausging, dass über die Mitgift Land in die Hand einer anderen Familie gelangen konnte (Cox 1998, 34 f., 64–67, 116–120, 137–141; vgl. auch Foxhall 1989, 32 f.), urteilt Beate Wagner-Hasel, dass es sowohl im kretischen als auch im athenischen Recht allein um Einkünfte aus dem Land ging (Wagner-Hasel 2009, 155 mit Anm. 55). Zu den Bestandteilen von Mitgift (proix) und phernaí Wolff 1957, 137 f.; ders. 1961, 174–178; Leduc 1993, 307 f.; Stavrianopoulou 2006, 60, 71–76, 78 f.; Vérilhac/Vial 1998, 177–183; Schmitz 2004, 220. 319  Wolff 1961, 180–183; Stavrianopoulou 2006, 73 mit Anm. 61, 78 f. In hellenistischer Zeit konnten, wie inschriftliche Belege von den Kykladen zeigen, Häuser und Grundstücke Bestandteile der Mitgift sein (Stavrianopoulou ebd. 72–74). 320  Isai. 3,35–37; Ps.-Demosth. or. 27,17; 59,52. Lipsius 1905–1915, 493–496; Schultheß 1938, 2045–2049; Wolff 1957, 150–154; Schaps 1979, 75 f., 81–83; Thür 1992, 126; Hartmann 2000, 19; Stavrianopoulou 2006, 110 f.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

Mutter. Die im Beisein von Zeugen gewährte Mitgift konnte vor Gericht als Beweis für eine rechtmäßig eingegangene Ehe und damit für das Erbrecht der ehelichen Kinder gelten.321 Bei pallakaí und anderen nichtehelichen Gemeinschaften wurde keine Mitgift gegeben, vermutlich auch nicht bei Ehen unter Angehörigen der unterbäuerlichen Schicht, die vielfach eine Mitgift nicht aufbringen konnten. Verpflichtend war die Gewährung einer Mitgift nicht.322 Neben der Mitgift nahm die Frau häufig persönliche Bedarfsgegenstände in das Haus des Ehemannes mit, die in die Wertbemessung der Mitgift eingerechnet werden konnten, aber auch unabhängig davon mitgegeben werden konnten.323 Sie wurden, da die Braut diese Gegenstände ‚mitbrachte‘ (phérein) als phernaí bezeichnet.324 In mythischen Kontexten und bezogen auf nichtgriechische Verhältnisse verwenden antike Autoren das Wort phernḗ im Sinne von ‚Mitgift‘;325 in Inschriften kleinasiatischer Städte und in ägyptischen Eheverträgen ist die Mitgift ebenfalls als phernḗ bezeichnet.326 Wurde die kinderlos gebliebene Ehe (durch Tod oder Scheidung) gelöst, konnte der nächste Angehörige der Frau die Rückgabe der Mitgift durch eine ‚Mitgiftklage‘ (díkē proikós) einfordern; für die Zeit, in der der Ehemann nach einer Trennung der Ehe die Mitgift noch in Händen hielt, konnte er durch eine díkē sítou auf Unterhalt der Frau verklagt werden.327 Es wird davon auszugehen sein, dass es in solonischer Zeit Mitgiften gab. Das in Demosth. or. 43,54 eingefügte Gesetz wird häufig – zumindest in seinem Kern – als so-

321  Schultheß 1938, 2042 f.; Thür 1992, 126; Hartmann 2000, 16–20. 322  Lipsius 1905–15, 489; Wolff 1957, 136, 142; Schaps 1979, 77 f.; Todd 1993, 215; Hartmann 2000, 18. 323  Lys. 32,6; Isai. 2,9; 8,8; Demosth. or. 41,26–28. Wolff 1961, 174–178; Hartmann 2000, 18 f.; Stavrianopoulou 2006, 68, 70. Zur Diskussion, ob persönliche Gegenstände in die Bemessung der proíx eingerechnet wurde oder unabhängig von der Mitgift gewährt wurde, Gerner 1954, 41–46; Schaps 1979, 101–105. 324  Poll. 3,35. 325  Nach Schaps 1979, 100 unterschieden sich proíx und phernaí vor allem dadurch, dass proíx der in Gerichtsreden vorherrschende Begriff, phernaí der in poetischen Kontexten vorkommende sei. Lipsius 1905–15, 496–499; Wagner-Hasel 2009, 152 Anm. 40. In der jüngeren rechtshistorischen Forschung wird phernḗ als persönliche Ausstattung, als trousseau, der Braut gedeutet, die kein Bestandteil der Mitgift war, sondern unabhängig von dieser der Braut mitgegeben wurde, teilweise von ihr selbst angefertigt worden war. Gerhard Thür (1992, 125) geht davon aus, dass die Frau persönliche Gegenstände dieser Art bei einer Auflösung der Ehe hätte wieder mitnehmen können, ohne dass es dafür einer Klage auf Herausgabe bedurft hätte. Vgl. Wagner-Hasel 2009, 153 mit Anm. 41; Wagner-Hasel 2010, 106. Auch Sviatoslav Dmitriev, The Birth of the Athenian Community. From Solon to Cleisthenes, London – New York 2018, 64 versteht das Gesetz als Beschränkung der persönlichen Gegenstände, die die Braut mit in die Ehe nahm. 326  I.Ephesos 11,1,4, 55–64; I.Ilion 3,25, 64; Günther Häge, Ehegüterrechtliche Verhältnisse in den griechischen Papyri Ägyptens bis Diokletian, Köln – Graz 1968, 22 f., 132; Hans-Albert Rupprecht, Einführung in die Papyruskunde, Darmstadt 1994, 108 f.; Wagner-Hasel 2010, 105; Humphreys 2018, 48–50; vgl. Wolff 1957, 167–169. 327  Isai. 3,9.78; Demosth. or. 27,15–17; 29,33. Phot. Lex. σ 242 und Sud. σ 503 s. v. σίτου δίκη. Schultheß 1938, 2049; Wolff 1957, 154–156; Phillips 2013, 169–173.

Historische Einordnung – Mitgift und Ausstattung der Braut (F 138–139)

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lonisch angesehen:328 Es regelt die Ausstattung der mittellosen Erbtochter, wenn ein Angehöriger der drei oberen Schatzungsklassen nicht bereit war, sie zu heiraten. Für ein hohes Alter des Gesetzes spricht die Abstufung in der Höhe der Mitgift nach Schatzungsklassen, wie sie Solon eingerichtet hat, da diese im Laufe des 5. Jh. ihre Bedeutung verloren haben. In dem eingelegten Gesetz ist nicht proíx für die ‚Mitgift‘ verwendet, sondern epidoúnai, also die Verpflichtung ausgesprochen, die mittellose Erbtochter „in die Ehe zu geben“ (ekdidónai) und dem Ehemann den festgelegten Wert „auf [die Frau] dazuzugeben“ (epididónai).329 Das Gesetz trägt dem Umstand Rechnung, dass von Angehörigen der drei oberen Schatzungsklassen nicht erwartet werden konnte, eine mittellose Erbtochter zu heiraten und womöglich die bereits bestehende Ehe zu lösen und die erhaltene Mitgift zurückgeben zu müssen. Zusätzlich zu der im Gesetz festgelegten Mitgift blieb das geringe Vermögen des Vaters der thḗssa bei ihr330 und wurde an ihre Kinder vererbt. Die Höhe der Mitgift richtete sich nach den jeweiligen Jahreseinkünften, war jedoch bei den Zeugiten, denen es am schwersten fallen musste, die Summe aufzubringen, reduziert. Die Strafsumme, die der untätig bleibende Archont zahlen musste, betrug das Doppelte des höchsten Betrags, der als Mitgift festgelegt war. Das Gesetz hat zu der Annahme geführt, dass nur bei der mittellosen Erbtochter der Nächstverwandte die Wahl hatte, ob er die Erbtochter selbst heiratete oder sie mit einer Mitgift ausstattete und einem anderen in die Ehe gab.331 Doch mit Sicherheit lässt sich nicht ausschließen, dass auch in anderen Fällen die Wahl bestand, die Erbtochter zu heiraten oder einem anderen in die Ehe zu geben. Das Gesetz lässt zudem darauf schließen, dass bei Ehen unter Angehörigen der unterbäuerlichen Schicht, der Theten, üblicherweise keine Mitgiften vereinbart wurden. Literatur Lipsius 1905–15, 488–499; Walter Erdmann, Die Ehe im alten Griechenland, München 1934, 212– 224; Otto Schultheß, Art. φερνή, in: RE 19,2, 1938, 2040–2052; Erich Gerner, Beiträge zum Recht der Parapherna, München 1954, 39–46; Hans Julius Wolff, Marriage Law and Family Organization

328  So schon Erdmann 1934, 223 (vgl. ebd. 78) und Adele C. Scafuro, Identifying Solonian Laws, in: Josine H. Blok, André P. M. H. Lardinois (Hrsg.), Solon of Athens. New Historical and Philological Approaches, Leiden 2006, 175–196, der Leão/Rhodes 2015, 90 folgen, auch wenn die Höhe der im Gesetz festgelegten Mitgiften später angepasst worden sei. Lipsius 1905–15, 488 f. und Schultheß 1938, 2043 f. halten es für ein späteres Gesetz. 329  Wolff 1957, 141. Unter dem Begriff proíx ist die Mitgift erst im 4. Jh. in den Quellen belegt und wird dabei von einer persönlichen Ausstattung der Braut getrennt (Wolff 1957, 135 f., 137–139, 167; Wolff 1961, 174–180; Schmitz 2004, 222; Wagner-Hasel 2010, 106). 330  Die Angehörigen der drei oberen Schatzungsklassen hatten den festglegten Betrag „hinzuzugeben … zu ihrem eigenen“ (ἐπιδοὺς … πρὸς οἷς αὐτῆς). 331  Ruschenbusch 2010, 113 geht davon aus, dass die Pflicht zur Heirat vorrangig war und deswegen die Beträge der zu zahlenden Mitgift sehr hoch angesetzt waren.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

in Ancient Athens: A Study on the Interrelation of Public and Private Law in the Greek City, in: Traditio 2, 1944, 43–95 [wiederabgedruckt unter dem Titel: Eherecht und Familienverfassung in Athen, in: ders., Beiträge zur Rechtsgeschichte Altgriechenlands und des hellenistisch-römischen Ägyptens, Weimar 1961, 155–242]; Hans Julius Wolff, Art. proix, in: RE 23,1, 1957, 133–170; Molly Broadbent, Studies in Greek Genealogy, Leiden 1968; Harrison 1968, Bd. 1, 45–60; MacDowell 1978, 87–89; David M. Schaps, Economic Rights of Women in Ancient Greece, Edinburgh 1979, 74–88, 141–149; Jean-Pierre Vernant, Heirat, in: ders., Mythos und Gesellschaft im antiken Griechenland, Frankfurt a. M. 1987, 51–72, hier 57–62 (zuerst: Le mariage, in: ders., Mythe et société en Grèce anciennne, Paris 1981); Lin Foxhall, Household, Gender and Property in Classical Athens, in: CQ 39, 1989, 22–44; Claudine Leduc, Heirat im antiken Griechenland, in: Pauline Schmitt Pantel (Hrsg.), Geschichte der Frauen, Bd. 1. Antike, Frankfurt – New York 1993, 263–320 (franz.: Comment la donner en marriage? La mariée en pays grec (VIe–IVe s. av. J.-C.), in: Pauline Schmitt Pantel [Hrsg.], Histoire de femmes, Bd. 1. L’antiquité, Paris 1991, 259–316); Gerhard Thür, Armut. Gedanken zu Ehegüterrecht und Familienvermögen in der griechischen Polis, in: Dieter Simon (Hrsg.), Eherecht und Familiengut in Antike und Mittelalter, München 1992, 121–132; Todd 1993, 215 f., 227; Claudine Leduc, L’adoption dans la cité des Athéniens, Vie–IVe siècle av. J.-C., in: Pallas 48, 1998, 175–202 [auch in: Pallas 58, 2011, 175–201]; Anne-Marie Vérilhac, Claude Vial, Le mariage grec du VIe siècle av. J.-C. à l’époque d’Auguste, Paris 1998; Elke Hartmann, Heirat und Bürgerstatus in Athen, in: Thomas Späth, Beate Wagner-Hasel (Hrsg.), Frauenwelten in der Antike, Stuttgart 2000, 16–31; Eftychia Stavrianopoulou, „Gruppenbild mit Dame“. Untersuchungen zur rechtlichen und sozialen Stellung der Frau auf den Kykladen im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit, Stuttgart 2006, 60–120; Beate Wagner-Hasel, Brautgut oder Mitgift? Das textile Heiratsgut in den solonischen Aufwandbestimmungen, in: Berit Hildebrandt, Caroline Veit (Hrsg.), Der Wert der Dinge – Güter im Prestigediskurs, München 2009, 143–182; Beate Wagner-Hasel, The Veil and other Textiles at Weddings in Ancient Greece, in: Lena Larsson Lovén, Agneta Strömberg (Hrsg.), Ancient Marriage in Myth and Reality, Newcastle 2010, 102–121; Phillips 2013, 157–173; Sarah C. Humphreys, Kinship in Ancient Athens. An Anthropological Analysis, Oxford 2018.

Mitgift und Ausstattung der Braut (F 138–139) F 138 Mitgift (F 138: T 437 Martina, F 126a–c adn. Ruschenbusch, F 51/1 Leão/Rhodes)

F 138: Gesetz in Demosthenes, Gegen Makartatos (or. 43) 54 (345/40 v. Chr.) (= F 129a) ΝΟΜΟΣ

Τῶν ἐπικλήρων ὅσαι θητικὸν τελοῦσιν, ἐὰν μὴ βούληται ἔχειν ὁ ἐγγύτατα γένους, ἐκδιδότω ἐπιδοὺς ὁ μὲν πεντακοσιομέδιμνος πεντακοσίας δραχμάς, ὁ δ’ ἱππεὺς τριακοσίας, ὁ δὲ ζευγίτης ἑκατὸν πεντήκοντα, πρὸς οἷς αὐτῆς. ἐὰν δὲ {μὴ} πλείους ὦσιν ἐν τῷ αὐτῷ γένει, τῇ ἐπικλήρῳ πρὸς μέρος ἐπιδιδόναι ἕκαστον. ἐὰν δ’ αἱ γυναῖκες πλείους ὦσι, μὴ ἐπάναγκες εἶναι πλέον ἢ μίαν ἐκδοῦναι τῷ γ’ ἑνί, ἀλλὰ τὸν ἐγγύτατα {δεῖ} ἐκδιδόναι ἢ αὐτὸν ἔχειν. ἐὰν δὲ μὴ ἔχῃ ὁ ἐγγυτάτω γένους ἢ μὴ ἐκδῷ, ὁ ἄρχων ἐπαναγκαζέτω ἢ αὐτὸν ἔχειν ἢ ἐκδοῦναι. ἐὰν δὲ μὴ ἐπαναγκάσῃ ὁ ἄρχων, ὀφειλέτω χιλίας δραχμὰς ἱερὰς τῇ Ἥρᾳ. ἀπογραφέτω δὲ τὸν μὴ ποιοῦντα ταῦτα ὁ βουλόμενος πρὸς τὸν ἄρχοντα.

Mitgift und Ausstattung der Braut (F 138–139)

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App. crit.: legem om. S F Q D; ζυγίτης codd., corr. Wolf; οἷς codd., τοἷς Wolf; δὲ Wolf, δὲ μὴ codd.; τῷ γ’ ἑνί Herrmann, τῷ γένει codd., τῷ ἑνί Drerup; δεῖ codd., ἀεὶ Blass, del. Dobree. Gesetz

Die von den Erbtöchtern (epíklēroi), die das thētikón schatzen [zur Schatzungsklasse der Theten gehören], muss, wenn der nächste Verwandte (ho engýtata génous) sie nicht [zur Frau] nehmen will, der Fünfhundertscheffler (pentakosiomédimnos) [einem anderen] in die Ehe geben (ekdidónai) und ihr fünfhundert Drachmen [als Mitgift] dazugeben (epididónai), der Reiter (hippeús) dreihundert und der Zeugite (zeugítēs) einhundertfünfzig, zuzüglich zu ihrem [Besitz]. Wenn es aber mehrere [Verwandte] mit demselben Verwandtschaftsgrad gibt, soll ein jeder der Erbtochter (epíklēros) seinen Anteil [an der Mitgift] dazugeben (epi­ didónai).332 Wenn es aber mehrere Frauen gibt, soll es für einen einzigen [Verwandten] nicht notwendig sein, mehr als eine in die Ehe zu geben (ekdidónai), sondern der nächste [Verwandte] (ho engýtata) soll sie in die Ehe geben (ekdidónai) oder sie selbst [zur Frau] haben. Wenn der nächste Verwandte (ho engytátō génous) sie aber weder [zur Frau] nimmt noch in die Ehe gibt (ekdidónai), soll der árchōn ihn dazu zwingen, dass er sie entweder selbst [zur Frau] nimmt oder sie in die Ehe gibt (ekdidónai). Wenn der árchōn ihn aber nicht dazu gezwungen hat, soll er eintausend Drachmen an das Heiligtum der Hera zahlen. Es soll aber jeder, der will (boulómenos), denjenigen [Verwandten], der seiner Pflicht nicht nachkommt, beim árchōn eintragen (apographeín).

F 139 Ausstattung der Braut (F 139a: F 71a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 139b: T 446 Martina, F 71b Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 139a: Plutarch, Solon 20,6 (um 100 n. Chr.) τῶν δ’ ἄλλων γάμων ἀφεῖλε τὰς φερνάς, ἱμάτια τρία καὶ σκεύη μικροῦ τιμήματος ἄξια κελεύσας, ἕτερον δὲ μηδέν, ἐπιφέρεσθαι τὴν γαμουμένην. οὐ γὰρ ἐβούλετο μισθοφόρον οὐδ’ ὤνιον εἶναι τὸν γάμον, ἀλλ’ ἐπὶ τεκνώσει καὶ χάριτι καὶ φιλότητι γίνεσθαι τὸν ἀνδρὸς καὶ γυναικὸς συνοικισμόν. App. crit.: τιμήματος Sr, νομίσματος Smϒ.

Bei den anderen Eheschließungen beschränkte er die phernaí, indem er vorschrieb, dass die Braut [lediglich] drei Gewänder (himátia) und Hausrat (skeúē) von geringem Wert, aber nichts anderes, mit sich bringen darf (epiphéresthai). Denn er wollte nicht, dass die Hochzeit weder ein Lohndienst noch eine Marktware war, sondern dass das eheliche Zusammenleben von Mann und Frau auf die Kinderzeugung sowie Zuneigung und Liebe ausgerichtet war.

332  Ist ἐὰν δὲ μὴ πλείους ὦσιν ἐν τῷ αὐτῷ γένει … die richtige Lesung, wäre zu übersetzen: „ … fünfhundert Drachmen …, dreihundert und … einhundertfünfzig, zuzüglich zu ihrem [Besitz], wenn es nicht mehrere [Verwandte] mit demselben Verwandtschaftsgrad gibt, wobei dann ein jeder der Erbtochter seinen Anteil [an der Mitgift] dazugeben soll“.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

F 139b: Pollux, Onomastikon 1,246 (2. Jh. n. Chr.) τριπτήρ, ἄρριχος, χοῖνιξ, τριχοίνικον, ἑκτεύς, ἡμίεκτον, μέδιμνος, φρύγετρον, ᾧ τὰς κάχρυς ἔφρυγον, κοδομεία, καὶ κοδομεύτριαι αἱ φρύγουσαι. Σόλων δὲ καὶ τὰς νύμφας ἰούσας ἐπὶ τὸν γάμον ἐκέλευσε φρύγετρον φέρειν σημεῖον ἀλφιτουργίας. App. crit.: ἀλφιτουργίας: αὐτουργίας II.

Reibekeule, Korb, choínix, ein drei choínikes-Maß, ein Sechstel (hektéus), ein halber hekteús, ein médimnos, ein phrýgetron, mit dem sie die Gerstenkörner geröstet haben, kodomeía (Rösten der Gerste), und kodomeútriai sind die Frauen, die [Gerste] rösten. Und Solon ordnete an, dass Bräute (nýmphai), wenn sie in die Ehe gehen, ein phrýgetron tragen sollten (phérein), als Zeichen für die Verarbeitung der Gerste (alitourgía) [oder: für die ihr selbst obliegende Arbeit (autourgía)].

In Solon 20,2–5 war Plutarch darauf eingegangen, dass eine Erbtochter mit einem anderen Verwandten väterlicherseits Geschlechtsverkehr eingehen konnte, wenn der Nächstberechtigte am Erbe, der verpflichtet war, die Erbtochter zu heiraten, keine Kinder zeugen konnte. In Solon 20,6 wendet sich Plutarch „anderen Eheschließungen“ zu, meint also diejenigen Ehen, bei denen die Ehefrau keine Erbtochter war. Denn bei der Erbtochter, die mit dem Erbe an den nächsten Verwandten väterlicherseits fiel, erübrigte sich eine Mitgift. Unklar bleibt, ob Plutarch mit dem Wort phernaí die Mitgift meint – die dann auf wenige Objekte beschränkt gewesen wäre – oder persönliche Gegenstände, die die Braut über die Mitgift hinaus in das Haus des Ehemannes mitnehmen durfte. Es liegt nahe, dass mit „Hausrat von geringem Wert“ Gegenstände wie das phrýgetron gemeint waren, das Pollux nennt.333 Er bezeugt damit zumindest, dass Solons Gesetze Bestimmungen darüber enthielten, und dies legt nahe, dass sich Plutarchs Ausführung eher auf persönliche Gegenstände der Braut bezieht.334 Pollux überliefert, dass die Braut gemäß Hochzeitsbrauch ein Gefäß zum Rösten von Gerste tragen sollte, als Zeichen ihrer zukünftigen häuslichen Pflichten, zu denen die Vorratshaltung von Lebensmitteln und die Zubereitung von Speisen gehörten. Eberhard Ruschenbusch, Delfim Leão und P. J. Rhodes führen diese Bestimmung unter den solonischen Gesetzen auf und verstehen sie als Aufwandsbeschränkung,335 wohingegen Winfried Schmitz das Tragen eines phrýgetron als bäuerlichen Brauch versteht, der die Autoritätsverhältnisse im oíkos bekräftigen und den zukünftigen Aufgabenbereich der Frau symbolisieren sollte. Ähnliches galt für weitere, in der antiken Literatur überlieferte Hochzeitsbräuche, so z. B. einen Mörser vor dem Brautgemach 333  Zur Frage, ob in Poll. 1,246 alitourgía oder autourgía zu lesen ist, siehe auch Poll. 3,37: ὕπερον δὲ ἐξέδουν πρὸ τοῦ θαλάμου, ὥσπερ καὶ κόσκινον ἡ παῖς ἔφερεν, σημεῖα, ὡς εἰκός, αὐτουργίας. – „eine Mörserkeule banden sie vor das Brautgemach und die Braut trug ein Sieb, wie es scheint, als Zeichen der ihr obliegenden Arbeit (autourgía). 334  So auch Thür 1992, 125, Hartmann 2000, 19 und Phillips 2013, 158 Nr. 104. Ruschenbusch 2010, 137 f. und Leão/Rhodes 2015, 115 ordnen das Fragment unter die solonischen Gesetze ein. 335  Ruschenbusch 2010, 138; Leão/Rhodes 2016, 115. Vgl. Martina 1968, 222.

Mitgift und Ausstattung der Braut (F 138–139)

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aufzuhängen oder die Braut ein Sieb tragen zu lassen, wie es Pollux überliefert, ohne dies allerdings mit Solon in Verbindung zu bringen.336 Dass gerade der Gerste ein symbolischer Wert zugesprochen wird, könnte auf das hohe Alter der Bestimmung deuten; denn in klassischer Zeit galt Weizen aufgrund seiner besseren Backeigenschaften als höherwertig und wurde bevorzugt.337 Vor allem in der angelsächsischen Forschung wurde der Begriff phernḗ oft als Synonym zur Mitgift (proíx) gedeutet.338 Als Argument wird angeführt, dass Platon in den Nomoi mit Bezug auf die Mitgift (proíx) eine ähnliche Bestimmung nennt, durch die der Wert der vom Brautvater mitgegebenen bzw. vom Ehemann empfangenen Kleidung je nach Schatzung (tímēma) begrenzt wird.339 Ziel des solonischen Gesetzes sei es gewesen, zu verhindern, dass insbesondere Landbesitz durch die Mitgift in die Hände eines anderen oíkos gelangte. Wenig wahrscheinlich ist die Vermutung von Molly Broadbent, die in Anlehnung an die Ausführungen von Platon davon ausgeht, dass Solon die Mitgift als notwendiges Element einer rechtsgültigen Heirat abgeschafft habe, um auch Theten und Freigelassenen eine solche zu ermöglichen.340 Hans Julius Wolff und Beate Wagner-Hasel haben zu Recht eingewandt, dass sich die Bestimmung zum Wert der Kleidung nicht auf die Mitgift beziehen könne, da diese Platon grundsätzlich unterbinden wollte. Es sei daher Kleidung als persönlicher Ausstattungsgegenstand, als „textiles Brautgut“, gemeint, das einen bestimmten Umfang nicht übersteigen sollte.341 Die Beschränkung bei den persönlichen Gegenständen, die die Frau in die Ehe mitnehmen konnte, hatte zur Folge, dass ihre Stellung, die auch vom Wert der mitgebrachten Textilien abhing, im Haus des Mannes geschwächt wurde.342 Im 4. Jh. hatte die Beschränkung der in das Haus des Ehemannes mitgenommenen Gegenstände offenbar keine Bedeutung mehr.343

336  Poll. 3,37; Erdmann 1934, 257; Schmitz 2004, 217 f. mit Anm. 212 f., 253. Eine weiterführende Diskussion des Röstgefäßes findet sich bei Broadbent 1968, 156 Anm. 1. 337  Schmitz 2004, 218. 338  Schaps 1979, 100. Aber auch schon Lipsius 1905–15, 488 und Schultheß 1938, 2041. 339  Plat. leg. 6, 774c–e. Im Zusammenhang mit einem Verbot von Gold und Silber will Platon auch dem Brautwerber und dem Brautvater grundsätzlich verbieten, eine Mitgift anzunehmen oder zu geben (leg. 5, 742c); Beate Wagner-Hasel, Das Diktum der Philosophen. Der Ausschluss der Frauen aus der Politik und die Furcht vor der Frauenherrschaft, in: Thomas Späth, Beate Wagner-Hasel (Hrsg.), Frauenwelten in der Antike, Stuttgart 2000, 207; vgl. Mario di Manfredini, Luigi Piccirilli, Plutarco. La vita di Solone, Napoli 1977, 130 f.; Wagner-Hasel 2009, 155; Wagner-Hasel 2010, 106; Vérhilac/Vial 1998, 235. 340  Broadbent 1968, 157. Erdmann war dagegen davon ausgegangen, dass Plutarch das Gesetz falsch gedeutet und es sich um ein Gesetz zur Beschränkung von Totengaben gehandelt habe (Erdmann 1934, 223 f.; dagegen zu Recht Wolff 1957, 139; Wolff 1961, 179 Anm. 77). 341  Wolff 1961, 177 f.; Wagner-Hasel 2009, 151. Nach Ansicht von Beate Wagner-Hasel waren die phernaí Bestandteil eines traditionellen Brautgüteraustauschs der Oberschicht, wie er in den homerischen Epen zu fassen ist. Über die selbsthergestellten Textilien habe die Frau ein eigenes Prestige aufgebaut (2009, 147–155). 342  Wagner-Hasel 2009, 151. 343  Schultheß 1938, 2043; Wolff 1957, 137 f.; Harrison 1968, 47; Schmitz 2004, 219–222.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

IX 6 Unterhaltsregelungen Abstract: Im archaischen und klassischen Griechenland war die Hausübergabe zu Lebzeiten üblich: War der Vater etwa sechzig Jahre alt, übergab er dem etwa dreißig Jahre alten Sohn (oder den Söhnen) den Hof und ging auf das Altenteil. Diese Form der Hofübergabe erforderte – anders als in Gesellschaften, in denen der Vater die Hausgewalt nach dem Tod übergab – dringlicher eine Absicherung der alten Eltern. Solon hat daher die Söhne durch Gesetz verpflichtet, die alten Eltern zu ernähren, ihnen Wohnung zu geben und sie nach dem Tod angemessen zu bestatten. Übernahm der Sohn einer Erbtochter nach zwei Jahren in der Reife das Erbe des mütterlichen Großvaters, war er verpflichtet, der Mutter den Unterhalt zu gewähren. Witwen und deren Kindern musste aus dem Vermögen, das der Vormund verwaltete, der Unterhalt gewährt werden. Hatte der Hausvater den Sohn nicht in einer speziellen Tätigkeit, einer téchnē, unterwie­ sen, entfiel für den Sohn die Pflicht, den Vater zu ernähren. Auch der Sohn einer Hetäre musste den Vater nicht ernähren, da er in keiner Rechtsbeziehung zu ihm stand.

Historische Einordnung Demosthenes, Claudius Aelianus und Libanius führen die gesetzliche Pflicht, den alten Vater zu ernähren auf Solon zurück. Bestätigt wird dies durch Aristophanes, der von einem „alten Gesetz“ (palaiós nómos) aus den kýrbeis spricht, den Schriftträgern solonischer Gesetze. Die Verpflichtung resultiert aus der Form der Hausübergabe inter vivos: Im Alter von etwa sechzig Jahren übergab der Vater die Hausgewalt an den etwa dreißig Jahre alten Sohn (oder die Söhne); er unterstand fortan der Hausgewalt des Sohnes, und weil die Rationen in bäuerlichen Haushalten nach der geleisteten körperlichen Arbeit zugemessen wurden, musste sich der auf das Altenteil gegangene Vater mit geringeren Rationen begnügen.344 War der Vater krank oder bereits gestorben, trat der Sohn früher in die hausväterliche Gewalt ein. Da die Unterhaltspflicht unmittelbar aus der Hausübergabe inter vivos folgte, stand die Pflicht, den alten Vater zu ernähren, im Vordergrund.345 Sie ergab sich aus der Übergabe des Erbes; dass auch die alte 344  Diesen Unterschied zwischen griechischer und römischer Gesellschaft in der Ausgestaltung der hausväterlichen Gewalt betont Dionys. Hal. in Ant. 2,26,2–3 (= F 126a; F 141 adn.); vgl. auch Gaius inst. 1,55; dazu Cantarella 2016, 55–57, die allerdings die in griechischen Gesellschaften vorherrschende Hausübergabe zu Lebzeiten zu wenig berücksichtigt. Zur prekären Stellung der alten Eltern in griechischen Gesellschaften Hes. erg. 185–188, 330–334, Schmitz 2004, 94–98; vgl. Andreas Gutsfeld, Winfried Schmitz (Hrsg.), Altersbilder in der Antike. Am schlimmen Rand des Lebens?, Göttingen 22009. Aufgrund der lebenslang bestehenden patria potestas des römischen Hausvaters war eine gesetzliche Verpflichtung, den alten Vater zu ernähren, im römischen Recht lange nicht notwendig. Eine solche wurde erst in der Kaiserzeit gesetzlich verankert (Ulpian in Dig. 25,3,5 pr – 26). 345  Die Formulierung τὸν πατέρα τρέφειν findet sich in Aristoph. Av. 1357 (F 140a) und in Plut. Solon 22,1 (F 143c), im Plural τοὺς πατέρας τρέφειν bei Herakleides Pontikos (F 143a) und Claudius Aelianus (F 140f) und in der Form τοὺς γονέας τρέφειν in Demosth. or. 24,107 und Diog. Laert. 1,55 (F 140d und g).

Historische Einordnung – Unterhaltsregelungen (F 140–143)

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Mutter ernährt werden musste, war – wenn sie nicht im Plural πατέρες oder γονεῖς inbegriffen war – vermutlich ebenso selbstverständlich, wie auch die Hauskinder, das freie Gesinde und später die zum Haus gehörenden Sklaven aus den Ernteerträgen mit ernährt wurden. Dem solonischen Gesetz entspricht ein inschriftlich, allerdings nur fragmentarisch überliefertes Gesetz aus Delphi, das Ende des 4./Anfang des 3. Jh. neu auf Stein publiziert worden war: Wer Vater oder Mutter nicht ernährte und vor den Rat geladen wurde (weil er sich politisch betätigte), den konnte der Rat binden und in Haft nehmen.346 Vorrangig genannt ist die Verpflichtung einer ausreichenden Ernährung, des tréphein. Zumindest in späterer Zeit umfasste das Gesetz aber auch die Pflicht, den alten Eltern ein Dach über dem Kopf zu gewähren, sie nach dem Tod zu bestatten und die Totenehren zu vollziehen.347 Verboten war auch, den Vater oder die Mutter zu schlagen (F 140e). All dies konnte in klassischer Zeit Gegenstand einer graphḗ kakṓseōs gonéōn sein, einer Strafklage wegen Misshandlung der Eltern, die jeder Athener beim árchōn epṓnymos einreichen konnte.348 Der in einer solchen Schriftklage Verurteilte war zusätzlich zu der ihm auferlegten Strafe ‚ehrlos‘ (átimos) (F 140b, g) und konnte fortan keinen Antrag in die Volksversammlung einbringen (F 140d).349 Demosthenes Nach Isaios (F 140c) umfassen die goneís nicht nur Vater und Mutter, sondern auch Groß- und Urgroßeltern; doch Isaios wollte in der Rede bewusst die Verpflichtung möglichst umfangreich erscheinen lassen. Angesichts der Lebenserwartung in der Antike war kaum zu erwarten, dass Urgroßeltern noch lebten. 346  Lucien Lerat, Une loi de Delphes sur les devoirs des enfants envers leurs parents, in: Revue de Philologie 17, 1943, 62–86; Margherita Guarducci, Epigrafia graeca, Bd. 2, Rom 1969, 63–65, Z. 6–12: [ὅστ]ις κα μὴ τρέφηι τὸν πατέρα κα[ὶ τ]ὰν ματέρα, ἐπεὶ κα [π]οτανγέ[λλη]ται πο[ὶ τ]ὰν βουλὰν, ἁ βουλὰ κατ[αδε] ίτω τὸν μὴ τρέφοντα καὶ ἀγ[έτο ἐ]ν τὰν δαμοσίαν οἰκίαν ἔντ[ε κα] … – „Wer Vater und Mutter nicht ernährt, soll, wenn er vor dem Rat mittels potangelía angeklagt wird, der Rat ihn, weil er [die Eltern] nicht ernährt, fesseln und in das öffentliche Gefängnis führen, bis …“. Das potangéllein entspricht vermutlich dem epangéllein im Attischen, also dem Einspruch gegen eine Rede in der Volksversammlung, indem eine Klage angekündigt wird, dass die betreffende Person nicht berechtigt sei, vor das Volk zu treten. So in Aischin. Tim. 32 (F 54e): „[Wer trotzdem als Redner vor dem Volk spricht,] ‚den fordere (epangéllein) ein jeder Athener, der will und es darf, zur Prüfung (dokimasía) auf ‘. Euch aber gebietet er zugleich, darüber vor Gericht (dikastḗrion) zu entscheiden.“ Vgl. dazu auch François Salviat, L’oligarchie à Delphes: Rôle et composition de la boula, in: Hommages à Lucien Lerat, Besançon 1984, 743–749; Maude Lajeunesse, Repenser le rapport entre loi et famille dans la Grèce archaïque et classique : l’exemple de la descendance dans les inscriptions à caractère législatif, in: Cahiers d’histoire 31, 2012, 181–205; Cantarella 2016, 58 f.; Leão 2016, 77. 347  Libanius spricht allgemein von der Verpflichtung, den Eltern „das Angemessene“ (ἃ δεῖ) zu geben (F 140h). 348  Aristot. Ath. pol. 56,6; Harrison 1968–71, Bd. 1, 77 f. Bei diesen Klagen gab es die Strafe, tausend Drachmen zahlen zu müssen, wenn weniger als ein Fünftel der Stimmen der Geschworenen für den Kläger stimmten, nicht, ebensowenig wie eine zeitliche Beschränkung der Redezeit (Strauss 1993, 65; Cantarella 2016, 58). 349  Delfim F. Leão hält die Strafe der Atimie in solonischer Zeit für nicht glaubwürdig, geht fälschlicherweise aber davon aus, dass Atimie um 600 v. Chr. ‚outlawry‘ meine (2016, 69; vgl. Leão/Rhodes 2015, 97; siehe dagegen jedoch S. 345–348). Ebenso Cantarella 2016, 59, die auch aufgrund des Gesetzes aus Delphi (s. o. Anm. 346) für Athen von einer Geldstrafe ausgeht, die später durch die Atimie ersetzt worden sei, als die Atimie lediglich den Ausschluss von einer politischen Tätigkeit meinte. Platon sah

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

schreibt diese Zusatzstrafe Solon zu, und die ungewöhnliche Formulierung (εἰς τὴν ἀγορὰν ἐμβάλλειν) spricht für ein hohes Alter der Bestimmung. Wer ungeachtet einer solchen Verurteilung, bei der ihm verkündet worden war, dass er von den bürgerlichen Rechten ausgeschlossen war, dennoch einen Antrag in die Volksversammlung einzubringen versuchte, konnte von jedem, der es wollte, ergriffen und abgeführt werden. Er wurde den Elfmännern übergeben, die ihn bis zum Prozess vor der (h)ēliaía ‚binden‘, also in Haft nehmen sollten. Die für die Übertretung des Gesetzes festgelegte Strafe konnte eine Geldstrafe oder eine körperliche Strafe sein, so dass auch die Todesstrafe nicht ausgeschlossen war.350 Bei einer Geldstrafe musste der Täter in Haft bleiben, bis die Strafe bezahlt war; eine vorzeitige Freilassung unter Stellung von Bürgen war in diesem Fall nicht möglich (F 140d).351 Unterschieden werden muss aber vom Verfahren und von den Strafen zwischen einer Klage wegen Misshandlung der Eltern und der apagōgḗ desjenigen, der sich trotz einer Verurteilung in einem solchen Prozess und trotz der verhängten Atimie politisch betätigte. Der Ausschluss desjenigen, der die Eltern misshandelt hatte, durch die zusätzliche Strafe der Atimie wurde in Athen dadurch bekräftigt, dass Kandidaten für das Archontat bei der Überprüfung der Voraussetzungen (dokimasía) unter anderem gefragt wurden, ob sie ihre Eltern gut behandelt hatten und wo ihre Familiengräber waren.352 Da die Gesetze keine Definition der Delikte enthielten und damit die Verfahrenswege nicht streng abgegrenzt waren, ist nicht auszuschließen, dass wegen Misshandlung der Eltern ein potenzieller Kläger auch den Weg über eine graphḗ asebeías ging.353 Um zu verhindern, dass unbescholtene Bürger bei der Volksversammlung ergriffen, den Elf-

die Misshandlung der Eltern als ein besonders schweres Vergehen, das den Ausschluss des ‚Gottlosen‘ aus der Gemeinschaft nach sich ziehe; er sei für immer aus der Stadt verbannt und von allen heiligen Stätten ausgeschlossen; niemand solle mit ihm Umgang haben, noch ihn auch nur berühren (Plat. leg. 9, 880e–881e). 350  Nach Lys. 13,91 hätte derjenige, der die Eltern misshandelte, mit dem Tod bestraft werden können: ἐκ παντὸς δὲ τρόπου ἔμοιγε δοκεῖ οὐχ ἑνὸς θανάτου ἄξιος εἶναι, … ὅστις οὖν τόν τε γόνῳ πατέρα τὸν αὑτοῦ ἔτυπτε καὶ οὐδὲν παρεῖχε τῶν ἐπιτηδείων, τόν τε ποιητὸν πατέρα ἀφείλετο ἃ ἦν ὑπάρχοντα ἐκείνῳ ἀγαθά, πῶς οὐ καὶ διὰ τοῦτο κατὰ τὸν τῆς κακώσεως νόμον ἄξιός ἐστι θανάτῳ ζημιωθῆναι; – „Aus alldem scheint er mir nicht nur einmal den Tod verdient zu haben, … Jemand, der seinen leiblichen Vater schlug und ihm das Lebensnotwendige nicht gewährte oder der seinem Adoptivvater sein Gut raubte, wie sollte ein solcher nicht deswegen verdient haben, gemäß dem Gesetz wegen Misshandlung mit dem Tod bestraft zu werden.“ Dieser Abschnitt wird vielfach aber als unecht angesehen. 351  Zur umstrittenen Frage der Echtheit des in den Text eingefügten Gesetzes s. o. S. 422–427. 352  Aristot. Ath. pol. 55,3; Demosth. or. 57,70; Deinarch. 2,17 f.; vgl. Xen. mem. 2,2,13; Isai. 2,36 f. Gemäß der Überprüfung der Redner (dokimasía rhētórōn) war es denen, die Vater oder Mutter schlugen, sie nicht ernährten oder ihnen keine Wohnung gewährten, verboten, vor dem Volk zu reden (Aischin. Tim. 28 [F 54e]: Τίνας δ’ οὐκ ᾤετο δεῖν λέγειν; τοὺς αἰσχρῶς βεβιωκότας· τούτους οὐκ ἐᾷ δημηγορεῖν. Καὶ ποῦ τοῦτο δηλοῖ; „δοκιμασία“, φησί, „ῥητόρων· ἐάν τις λέγῃ ἐν τῷ δήμῳ τὸν πατέρα τύπτων ἢ τὴν μητέρα, ἢ μὴ τρέφων, ἢ μὴ παρέχων οἴκησιν“). 353  In Ps.-Aristoteles, De virtutibus et vitiis 7, 1251a 30–33 (F 74d) ist asébeia ein Vergehen gegen Götter und Dämonen oder auch gegen die Dahingeschiedenen, gegen die Eltern (goneís) und das Vaterland; ebenso Pol. 36,9,15 (F 74e).

Historische Einordnung – Unterhaltsregelungen (F 140–143)

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männern übergeben und in Haft genommen wurden, denen ungerechtfertigterweise vorgeworfen wurde, die Eltern misshandelt zu haben, war durch ein Gesetz Solons oder spätere rechtliche Bestimmungen verboten, bestimmte besonders ehrverletzende Schmähworte zu gebrauchen. Zu diesen ‚unsagbaren‘ Worten, den apórrhēta, gehörte auch, einen anderen als ‚Vaterschläger‘ oder ‚Mutterschläger‘ (patraloías, mētra­ loías) zu beschimpfen (F 116a).354 Ein Adoptivsohn musste (auch wenn er eine Erbtochter geheiratet hatte) den Adoptivvater nach der Übergabe des Hauses im Alter ernähren; deren Kinder waren verpflichtet, ihren vom Großvater mütterlicherseits adoptierten Vater und die Mutter zu ernähren. War die Erbtochter und das Erbe einem entfernteren Verwandten väterlicherseits oder einem Verwandten mütterlicherseits zugesprochen worden, musste der über eine posthume Adoption eingesetzte Sohn der Erbtochter seiner Mutter Unterhalt gewähren, sobald er das Erbe zwei Jahre nach Erreichen der Reife übernommen hatte, vermutlich also mit etwa 20 Jahren. Anders als bei der Unterhaltspflicht gegenüber dem Vater wies das Gesetz statt der Formulierung τὸν πατέρα oder τοὺς πατέρας τρέφειν („den Vater“ bzw. „die Eltern ernähren“) die Worte τὸν σῖτον μετρεῖν („das Getreide zumessen“) auf, vermutlich die ältere Formulierung, die noch auf Naturalleistungen bezogen war (F 141). Analog zur Unterhaltspflicht gegenüber Vater und Mutter war im Gesetz geregelt, dass auch gegenüber Witwen und Waisen eine solche Pflicht bestand. Wer ein Waisenkind oder eine Witwe mit ihrem Kind in sein Haus aufnahm und als deren kýrios die Verwaltung des Vermögens übernahm, war verpflichtet, diese Frau und deren Kinder zu ernähren, vermutlich solange bis die Kinder alt genug waren, das Vermögen des verstorbenen Vaters eigenverantwortlich zu übernehmen. Auch in diesem Fall findet sich das Wort σῖτος als τροφή, die „den Frauen und Waisen“ gegeben werden musste (F 142).355 Wurde Waisen und deren Müttern der Unterhalt verweigert, war – zumindest in klassischer Zeit – eine Privatklage (díkē sítou) möglich.356 Der in bäuerlichen Gesellschaften geltende Generationenvertrag, der auf der Übergabe des ertragfähigen Landes vom Vater auf die Söhne beruhte, wurde von Solon 354  Lys. 10,2.8 (F 116a); Isokr. 20,3; Demosth. or. 18,123; 58,40; Harpokr. α 201 s. v. ἀπόρρητα· τὰ ἀπειρημένα ἐν τοῖς νόμοις. S. o. VIII B 5 (Üble Nachrede – Verbalinjurien). 355  Entsprechend gab es in Analogie zu Klagen wegen Misshandlung der Eltern auch Klagen wegen schlechter Behandlung von Waisen und Erbtöchtern, wegen Schädigung des Vermögens von Waisen, außerdem wegen paranoía gegen denjenigen, welcher sein Erbe verschleudert (Aristot. Ath. pol. 56,6: γραφαὶ δ[ὲ καὶ δ]ίκαι λαγχάνονται πρὸς αὐτόν [den árchōn epṓnymos] … [γο]νέων κακώσεως …, ὀρφανῶν κ[ακώ]σεως (αὗται δ’ εἰσὶ κατὰ τῶν ἐπιτρόπων), ἐπικλήρου κακώσε[ως (αὗτ]αι δ’ εἰσὶ κατὰ [τῶν] ἐπιτρόπων καὶ τῶν συνοικούντων), οἴκου ὀρφανικοῦ κακώσεως (εἰσὶ δὲ καὶ [αὗται κατὰ τῶν] ἐπιτρόπων), παρανοίας, ἐάν τις αἰτιᾶταί τινα παρανοοῦντα τὰ [ὑπάρχοντα ἀ]πολλύν[αι]). 356  Lexeis rhetorikai (Lexica Segueriana p. 238,7 Bekker) s. v. δίκην σίτου: ὄνομα δίκης. συνίσταται δὲ ἡ δίκη κατὰ τῶν ἐπιτρόπων τῶν οὐ τελούντων σῖτον καὶ τροφὰς τοῖς ὀρφανοῖς καὶ ταῖς τούτων μητράσιν. – „díkē sítou: Bezeichnung einer Klage. Die Klage richtet sich gegen die Vormünder, die den Waisen und deren Müttern keine Nahrung (sítos) und Unterhalt (trophaí) gewähren“.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

auf den gewerblichen Bereich übertragen. Da Gewerbetreibende in vielen Fällen kein Land hatten, band Solon die Pflicht, den alten Vater zu ernähren, an die Voraussetzung, dass der Vater den Sohn in einer spezialisierten Tätigkeit (téchnē) ausgebildet hatte (F 143c); dies wird in aller Regel die handwerkliche Tätigkeit gewesen sein, von der auch der Vater gelebt hatte.357 Vitruv und Galen beziehen sich auf diese spezielle Bestimmung des solonischen Gesetzes.358 Ob Solon damit eine gezielte Förderung von Handwerk und Handel beabsichtigte, muss aber angezweifelt werden.359 Ausgenommen von der Verpflichtung, den Vater zu ernähren, waren Kinder von Hetären (F 143a); denn in diesen Fällen bestand keine durch engýe geschlossene Ehe, so dass es rechtlich keine Verbindung zwischen Vater und Sohn gab.360 Kinder, die von ihren Vätern gegen Geld zu päderastischen Beziehungen vermietet worden waren, mussten den Vater im Alter nicht ernähren, jedoch sie bestatten und die Totenehren vollziehen (F 143b).361 Literatur Karl-Wilhelm Weeber, Ein vernachlässigtes solonisches Gesetz, in: Athenaeum 51, 1973, 30–33; David M. Schaps, Economic Rights of Women in Ancient Greece, Edinburgh 1979, 83 f.; Barry S. Strauss, Fathers and Sons in Athens. Ideology and Society in the Era of the Peloponnesian War, London 1993, 65; Adele Scafuro, Parent Abusers, Military Shirkers, and Accused Killers. The Authenticity of the Second Law Inserted at Dem. 24.105, in: Michael Gagarin, Robert Wallace (Hrsg.), Symposion 2001. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Evanston, Illinois, September 5–8, 2001), Wien 2005, 51–70 (David C. Mirhady, Response to A. Scafuro, in: ebd. 71–78); Delfim F. Leão, Paidotrophia and gerotrophia dans les lois de Solon, in: RHD 89, 2011, 457–472; Mirko Canevaro, Thieves, Parent Abusers, Draft Dodgers … and Homicides? The Authenticity of Dem. 24.105, in: Historia 62, 2013a, 25–47 (mit einigen Veränderungen erneut publiziert in: Mirko Canevaro, The Documents in the Attic Orators: Laws and Decrees in the Public Speeches of the Demosthenic Corpus, Oxford 2013b, 157–173); Leão/Rhodes 2015, 92–97; Eva Cantarella, Gerotrophia. A Controversial Law, in: Symposion 2015. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Coimbra, 1.–4. September 2015), hrsg. von Delfim F. Leão, Gerhard Thür, Wien 2016, 55–66; Delfim F. Leão, Gerotrophia. Response to Eva Cantarella, in: ebd. 67–74.

357  Angespielt ist auf diese Ausnahmeregelung in Plat. Kritias 50d. Zum Bedeutungsspektrum von téchnē im Sinne von Bildung, einer handwerklichen und auch einer landwirtschaftlichen Ausbildung Ruschenbusch 2010, 122 f.; Leão/Rhodes 2015, 96; Moritz Hinsch, Ökonomik und Hauswirtschaft im klassischen Griechenland, Stuttgart 2021, 102, 189 f. 358  Weeber 1973, 31; Leão/Rhodes 2015, 96. 359  Davon waren Weeber 1973, 30 und Delfim F. Leão ausgegangen (2011, 466; ebenso in Leão/Rhodes 2015, 96). 360  Dazu Jan B. Meister, ‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und klassischen Griechenland, Stuttgart 2020, 112 mit Anm. 333. Dass die Kinder von den im Krieg gefallenen Athenern aus öffentlichen Mitteln ernährt und erzogen wurden (F 140 g), ist vermutlich erst eine Regelung klassischer Zeit. 361  Dazu Leão 2011, 469, der einen solonischen Ursprung dieser Bestimmung für wahrscheinlich hält.

Unterhaltsregelungen (F 140–143)

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Unterhaltsregelungen (F 140–143) F 140 Unterhaltspflicht gegenüber den alten Eltern (F 140a: T 456f Martina, F 55a Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 140d: T 377 Martina; F 111 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 140e: T 456b Martina, F 152 Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 140f: T 456a Martina, F 55c Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 140 g: T 484b Martina, F 143b Ruschenbusch; F 89/1b, 143b Leão/Rhodes; F 140h: T 456c Martina, F 55b Ruschenbusch und Leão/Rhodes; F 140i: T 456e Martina)

F 140a: Aristophanes, Die Vögel (Aves) 1353–1357 (414 v. Chr.) Πισθέταιρος:

ἀλλ’ ἔστιν ἡμῖν τοῖσιν ὄρνισιν νόμος παλαιὸς ἐν ταῖς τῶν πελαργῶν κύρβεσιν· „ἐπὴν ὁ πατὴρ ὁ πελαργὸς ἐκπετησίμους πάντας ποιήσῃ τοὺς πελαργιδέας τρέφων, δεῖ τοὺς νεοττοὺς τὸν πατέρα πάλιν τρέφειν.“ App. crit.: τοῖσιν: τοῖς AM; νόμος: νόμοις V1; ταῖς RA Schol. RV Ald. Pisthetairos:

Doch wir Vögel haben ein Gesetz (nómos), Uralt, in den kýrbeis der Störche: „Sobald der Storchenvater alle Jungstörche ernährt und damit flügge gemacht hat, sollen die Jungtiere den Vater (patḗr) ihrerseits ernähren (tréphein).“

Die Verpflichtung, den Vater zu ernähren, die gērotrophía, ergab sich also aus der pai­ dotrophía, dem Umstand, dass die Eltern die Kinder ernährt hatten.362 F 140b: Andokides, Über die Mysterien (or. 1) 73–74 (399 v. Chr.) (= F 53a) (73) Ἐπεὶ γὰρ αἱ νῆες διεφθάρησαν καὶ ἡ πολιορκία ἐγένετο, ἐβουλεύσασθε περὶ ὁμονοίας, καὶ ἔδοξεν ὑμῖν τοὺς ἀτίμους ἐπιτίμους ποιῆσαι, καὶ εἶπε τὴν γνώμην Πατροκλείδης. Οἱ δὲ ἄτιμοι τίνες ἦσαν, καὶ τίνα τρόπον ἕκαστοι; ἐγὼ ὑμᾶς διδάξω. Οἱ μὲν … (74) Εἷς μὲν τρόπος οὗτος ἀτιμίας ἦν, ἕτερος δὲ ὧν τὰ μὲν σώματα ἄτιμα ἦν, τὴν δ’ οὐσίαν εἶχον καὶ ἐκέκτηντο· οὗτοι δ’ αὖ ἦσαν ὁπόσοι … ἢ τοὺς γονέας κακῶς ποιοῖεν· οὗτοι πάντες ἄτιμοι ἦσαν τὰ σώματα, τὰ δὲ χρήματα εἶχον. App. crit.: (74) ἔσχον: εἶχον Bekker.

(73) Denn als sie die Schiffe zerstört und mit der Belagerung der Stadt begonnen hatten, habt ihr über die Eintracht [in der Stadt] beraten und beschlossen, die Ehrlosen (átimoi) wieder

362  Zum Prinzip der Reziprozität von paidotrophía und gērotrophía Ruschenbusch 2010, 123; Leão 2011, 464–470; Leão/Rhodes 2015, 96; Leão 2016; vgl. Maria do Céu Fialho, Paidotrophia and gérotrophia: Reciprocity and Disruption in Attic Tragedy, in: Edward M. Harris, Delfim F. Leão, P. J. Rhodes (Hrsg.), Law and Drama in Ancient Greece, London 2010, 108–121.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

zu Ehrbaren (epítimoi) zu machen. Patrokleides hat den Antrag gestellt. Wer aber waren die átimoi und auf welche Weise war jeder einzelne [ehrlos geworden]? Ich werde es euch aufzeigen. Die einen … (74) Dies war eine Form der atimía, eine zweite die, bei denen die Personen (sṓmata) zwar átimoi waren, sie ihr Vermögen aber in Besitz behielten. Dazu gehörten auch diejenigen, welche … oder welche die Eltern misshandelt hatten. Alle diese waren átimoi hinsichtlich der Person (sṓma), behielten aber ihr Vermögen.

F 140c: Isaios, Über das Erbe des Kiron (or. 8) 32 (1. Hälfte 4. Jh. v. Chr.) Οὐ τοίνυν ἐκ τούτου μόνον, ἀλλὰ καὶ ἐκ τοῦ περὶ τῆς κακώσεως νόμου δῆλόν ἐστιν. Εἰ γὰρ ἔζη μὲν ὁ πάππος, ἐνδεὴς δὲ ἦν τῶν ἐπιτηδείων, οὐκ ἂν οὗτος ὑπόδικος ἦν τῆς κακώσεως, ἀλλ’ ἡμεῖς. Κελεύει γὰρ τρέφειν τοὺς γονέας· γονεῖς δ’ εἰσὶ μήτηρ καὶ πατὴρ καὶ πάππος καὶ τήθη καὶ τούτων μήτηρ καὶ πατήρ, ἐὰν ἔτι ζῶσιν· ἐκεῖνοι γὰρ ἀρχὴ τοῦ γένους εἰσὶ καὶ τὰ ἐκείνων παραδίδοται τοῖς ἐγγόνοις· διόπερ ἀνάγκη τρέφειν αὐτούς ἐστι, κἂν μηδὲν καταλίπωσι. App. crit.: περὶ τοῦ A, A1; ἐπίδικος Scal.; ἔτι A1, ἐπι A; ἐκεῖνοι A1, ἐκείνη A; εἰσὶ A2, ἐστι A; παραδίδονται A, ras. corr.; ἐκγόνοις Tur coll. 17.30.

Jedoch nicht nur aus diesem Gesetz (nómos), sondern auch aus dem über die schlechte Behandlung (kákōsis) [der Eltern] ist die Sache klar. Denn wenn unser Großvater noch lebte und des Lebensnotwendigen entbehrte, dann wäre nicht dieser [der Prozessgegner] wegen schlechter Behandlung (kákōsis) rechtlich verantwortlich, sondern wir. Denn es ordnet an, die Eltern (goneís) zu ernähren (tréphein). Eltern (goneís) sind Mutter und Vater, Großvater und Großmutter sowie deren Mutter und Vater, falls sie noch leben. Sind doch jene der Ursprung der Familie (génos) und wird doch deren Besitz an die Nachkommen übergeben. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, diese zu ernähren (tréphein), auch wenn sie nichts hinterlassen haben.

F 140d: Gesetz in Demosthenes, Gegen Timokrates (or. 24) 103, 105, 107 (353/2 v. Chr.) (= F 63a) (103) λεγόντων γὰρ τῶν νόμων οὓς ἔθηκε Σόλων, οὐδὲν ὅμοιος ὢν τούτῳ νομοθέτης, ἄν τις ἁλῷ κλοπῆς καὶ μὴ τιμηθῇ θανάτου, προστιμᾶν αὐτῷ δεσμόν, κἄν τις ἁλοὺς [τῆς] κακώσεως τῶν γονέων εἰς τὴν ἀγορὰν ἐμβάλλῃ, δεδέσθαι, … ΝΟΜΟΙ ΚΛΟΠΗΣ, ΚΑΚΩΣΕΩΣ ΓΟΝΕΩΝ, ΑΣΤΡΑΤΕΙΑΣ

(105) … Ἐὰν δέ τις ἀπαχθῇ, τῶν γονέων κακώσεως ἑαλωκὼς ἢ ἀστρατείας {ἢ} προειρημένον αὐτῷ τῶν νόμων εἴργεσθαι, εἰσιὼν ὅποι μὴ χρή, δησάντων αὐτὸν οἱ ἕνδεκα καὶ εἰσαγόντων εἰς τὴν ἡλιαίαν, κατηγορείτω δὲ ὁ βουλόμενος οἷς ἔξεστιν. ἐὰν δ’ ἁλῷ, τιμάτω ἡ ἡλιαία ὅ τι χρὴ παθεῖν αὐτὸν ἢ ἀποτεῖσαι. ἐὰν δ’ ἀργυρίου τιμηθῇ, δεδέσθω τέως ἂν ἐκτείσῃ. (107) … ἀλλὰ τοὺς τῷ γήρᾳ βοηθοὺς ‹νόμους› λυμαίνει, οἳ καὶ ζῶντας ἀναγκάζουσι [τοὺς παῖδας] τοὺς γονέας τρέφειν, καὶ ἐπειδὰν ἀποθάνωσιν, ὅπως τῶν νομιζομένων τύχωσι παρασκευάζουσιν; ἢ πῶς οὐ κάκιστος ἁπάντων ἀνθρώπων δικαίως ἂν νομίζοιο, ὅστις, ὦ κατάρατε, περὶ πλείονος φαίνει τοὺς κλέπτας καὶ τοὺς κακούργους καὶ τοὺς ἀστρατεύτους τῆς πατρίδος ποιούμενος, καὶ διὰ τούτους καθ’ ἡμῶν νόμον τίθης; App. crit.: (103) ἂν AY, ἐὰν Ruschenbusch; δεσμόν S vulg., δεσμοῦ YP; κἄν A, καὶ ἐάν Ruschenbusch; ἁλλοὺς Y1; ἐμβάλῃ AYP; (105) ἀπαχθῇ Sud.; γενεῶν S; ἀστρατίος Fa; alterum ἢ om. F; προειρημένων SYP; τῶν νόμων εἴργεσθαι codd.: τῶν νομίμων εἴργεσθαι Salmasius; εἴργασθαι Aa; ὅποι χρή (μὴ om.) A; εἰσαγόντων AP: εἰσαγόντων αὐτὸν SFY; ἀποτεῖσαι et ἐκτείσῃ Blass: ἀποτῖσαι et ἐκτίσῃ codd.; τέως vulg. τὲ ἕως A, ἕως S;

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(107) νόμους add. Bodl. apud Taylorum, coni. Iurinus, Dobree; τοὺς παῖδας secl. Cobet; τίθης SA, τιθείς vulg., τιθεῖς Cobet.

(103) Denn die Gesetze (nómoi), die Solon erlassen hat, ein diesem [dem Timokrates] in keiner Weise gleichender Gesetzgeber (nomothétēs), besagen: Wenn jemand wegen Diebstahls (klopḗ) ergriffen und nicht [unmittelbar] mit dem Tod bestraft worden war, kann er zusätzlich mit Fesselung (desmós) bestraft werden (prostimán); und wenn jemand, der der Misshandlung der Eltern (kákōsis gonéōn) für schuldig befunden wurde, einen Antrag in die Volksversammlung einbringt (eis tḗn agorán embállein), kann er gebunden werden, … [Gesetze über Diebstahl, Misshandlung der Eltern und Entziehung vom militärischen Dienst]

(105) … „Wenn aber jemand abgeführt wurde (apachthḗnai), der der Misshandlung der Eltern (kákōsis gonéōn) für schuldig befunden worden war oder der Entziehung vom Kriegsdienst (astrateía) {oder} ‹und› [zu einem Ort] hingegangen war, wohin er nicht gehen darf, weil ihm verkündet war, dass er von den Gesetzen (nómoi) ausgeschlossen sei, sollen die ‚Elfmänner‘ ihn binden und vor die (h)ēliaía bringen. Anklagen soll ihn von denen, die zur Anklage berechtigt sind, jeder, der will. Wenn er aber für schuldig befunden wird, soll die (h)ēliaía bestimmen, was er als Strafe erleiden oder bezahlen muss. Wenn er mit einer Geldstrafe belegt wird, soll er, bis er sie entrichtet hat, gebunden werden.“ (107) … er jedoch die das Alter schützenden ‹Gesetze› zunichte macht, die [die Kinder] dazu verpflichten, sowohl die Eltern (goneís) zu Lebzeiten zu ernähren (tréphein), als auch, wenn sie gestorben sind, ihnen die herkömmlichen Ehren zu erweisen. Oder wie solltest du nicht zu Recht als der niederträchtigste Mensch von allen angesehen werden müssen, da du, Verruchter, offenbar Diebe, Übeltäter (kakoúrgoi) und Leute, die sich dem militärischen Dienst entziehen, höher achtest als dein Vaterland und zu ihrem Vorteil ein Gesetz aufstelltest?

F 140e: Claudius Aelianus, De natura animalium 6,61 (um 200 n. Chr.) πῶς δὲ ὁ γενναῖος ὁ τοῦ Εὐνόμου δύναιτο ἂν τοῖς τῆς φύσεως νόμοις ἁμιλλᾶσθαί τε καὶ ἀντικρίνεσθαι; ἐπαΐουσι γοῦν τὸ τῶν ἐλεφάντων γένος, ὦ Λυκοῦργοί τε καὶ Σόλωνες καὶ Ζάλευκοι καὶ Χαρῶνδαι, ὧνπερ οὖν ὑμεῖς νομοθετεῖτε, οὐδὲ τὴν ἀρχήν, καὶ ὅμως δρῶσι τοιαῦτα, καὶ τροφῆς ἀφίστανται τοῖς πρεσβυτέροις οἱ νέοι, καὶ γήρᾳ παρειμένους θεραπεύουσιν αὐτούς, καὶ κινδύνων ῥύονται, καὶ ἐς ὀρύγματα ἐμπεσόντας οἳ δὲ ἀνάγουσι, φρυγάνων τινὰς ἀγκαλίδας καὶ φακέλους ἐμβαλόντες, οἷσπερ οὖν ὡς ἀναβαθμοῖς χρώμενοι ἐκεῖνοι εἶτα ἀνίασι γήρᾳ βαρεῖς ὄντες. ποῦ δαὶ ἠλόησε πληγαῖς πατέρα ἐλέφας; App. crit.: πῶς Hercher, ποῦ cod.; φακέλους Hercher, φακέλλους cod.; δαὶ: δέ Reiske.

Wie konnte aber der edle Sohn des Eunomos [also: Lykurgos] mit den Gesetzen der Natur wetteifern und sich mit ihnen messen wollen? Die Elephanten, o ihr Gesetzgeber der Art eines Lykurg, Solon, Zaleukos oder Charondas, wissen nicht das Geringste von den Gesetzen, die ihr gebt; und dennoch handeln sie danach. Die Jungen überlassen den Älteren (presbýteroi) das Futter (trophē), die Jungen pflegen die vom Alter Entkräfteten, retten sie aus Gefahren, und wenn sie in eine Grube fallen, helfen sie ihnen heraus, indem sie Reisigbündel und eine Armvoll Äste hineinwerfen, die ihnen als Stufen dienen, auf denen die vom Alter Belasteten aufsteigen können. Wo hat je ein Elephant seinen Vater (patḗr) mit Schlägen traktiert?

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F 140f: Claudius Aelianus, De natura animalium 9,1 (um 200 n. Chr.) Ὁ λέων ἤδη προήκων τὴν ἡλικίαν καὶ γήρᾳ βαρὺς γεγενημένος θηρᾶν μὲν ἥκιστός ἐστιν, ἀσμένως δὲ ἀναπαύεται ἐν ταῖς ὑπάντροις ἢ λοχμώδεσι καταδρομαῖς, καὶ τῶν θηρίων οὐδὲ τοῖς ἀσθενεστάτοις ἐπιθαρρεῖ, τόν τε αὑτοῦ χρόνον ὑφορώμενος καὶ τὸ τοῦ σώματος ἐννοῶν ἀσθενές. οἱ δὲ ἐξ αὐτοῦ γεγενημένοι θαρροῦντες τῇ τῆς ἡλικίας ἀκμῇ καὶ τῇ ῥώμῃ τῇ συμφυεῖ προΐασι μὲν ἐπὶ θήραν, ἐπάγονται δὲ καὶ τὸν ἤδη γέροντα, ὠθοῦντες αὐτόν· εἶτα ἐπὶ μέσης τῆς ὁδοῦ ἧς ἐλθεῖν δεῖ καταλιπόντες, ἔχονται τῆς ἄγρας αὐτοί, καὶ τυχόντες τοσούτων ὅσα ἀποχρήτῆς ἄγρας αὐτοί, καὶ τυχόντες τοσούτων ὅσα ἀποχρήσει καὶ αὐτοῖς καὶ τῷ γεγεννηκότι σφᾶς, βρυχησάμενοι γενναῖόν τε καὶ διάτορον καλοῦσιν ὡς δαιτυμόνα ἑστιάτορες ἐπὶ θοίνην οἱ νέοι τὸν γεγηρακότα, τὸν πατέρα οἱ παῖδες. … καὶ Σόλων μὲν τοῖς λέουσιν οὐ κελεύει ταῦτα, νομοθετῶν τρέφειν τοὺς πατέρας ἐπ­ άναγκες, διδάσκει δὲ ἡ φύσις, ᾗ νόμων ἀνθρωπικῶν μέλει οὐδέν· γίνεται δὲ ἄτρεπτος αὕτη νόμος. App. crit.: γεγεννημένοι Schneider; γεγεννηκότι Schneider, γεγενηκότι codd.; καλοῦσιν Hercher, καλοῦσιν τὸν πατέρα codd.; νομοθετῶν τρέφειν τοὺς πατέρας ἐπάναγκες del. Hercher.

Alt und matt geworden, ist der Löwe nicht mehr imstande, auf die Jagd zu gehen, sondern liegt gern in einer Höhle oder in dichtem Buschwerk. Seines Alters und seiner körperlichen Schwäche schmerzlich bewusst, wagt er sich nicht einmal mehr an die schwächsten Tiere heran. Doch seine Nachkommen gehen voller Vertrauen auf ihre Jugendkraft auf die Jagd. Dabei nehmen sie aber auch ihren alten Vater mit, indem sie ihn voranstoßen. Haben sie dann ihren Weg halb zurückgelegt, lassen sie ihn allein zurück, während sie sich selbst auf die Jagd machen. Wenn sie nun für sich selbst und für den Vater genug erbeutet haben, stoßen sie einen durchdringenden Schrei aus und rufen wie Gastgeber die Jungen den Alten, den Vater die Kinder zum Mahl. … und das befiehlt den Löwen nicht etwa Solon, der gesetzlich bestimmt hat (nomothetṓn), dass man die Väter (patéres) ernähren muss (tréphein), sondern das lehrt sie die Natur, die von menschlichen Gesetzen keine Notiz nimmt. Sie [die Natur] ist ein unveränderbares Gesetz.

F 140 g: Diogenes Laertios, Vitae philosophorum 1,55 (3. Jh. n. Chr.) Σόλων δὲ ὅρον ἀνθρωπίνου βίου φησὶν ἔτη ἑβδομήκοντα. Δοκεῖ δὲ καὶ κάλλιστα νομοθετῆσαι· ἐάν τις μὴ τρέφῃ τοὺς γονέας, ἄτιμος ἔστω· ἀλλὰ καὶ ὁ τὰ πατρῷα κατεδηδοκὼς ὁμοίως. … συνέστειλε δὲ καὶ τὰς τιμὰς τῶν ἐν ἀγῶσιν ἀθλητῶν, Ὀλυμπιονίκῃ μὲν τάξας πεντακοσίας δραχμάς, Ἰσθμιονίκῃ δὲ ἑκατόν, καὶ ἀνὰ λόγον ἐπὶ τῶν ἄλλων· ἀπειρόκαλον γὰρ τὸ ἐξαίρειν τὰς τούτων τιμάς, ἀλλὰ μόνων ἐκείνων τῶν ἐν πολέμοις τελευτησάντων, ὧν καὶ τοὺς υἱοὺς δημοσίᾳ τρέφεσθαι καὶ παιδεύεσθαι. App. crit.: ἀγῶσιν ry, ἀγῶνι a.

Solon bezeichnet als Grenze des menschlichen Lebens das siebzigste Jahr. Er hat, wie es scheint, in der Gesetzgebung aufs Beste gewirkt. Wenn einer die Eltern (goneís) nicht ernährt (tréphein), sei er ehrlos (átimos). Und auch derjenige sei gleichermaßen [ehrlos], der das väterliche Erbe (patrṓa) zugrunde gerichtet hat. … Auch die Auszeichnungen der Athleten in Wettkämpfen beschränkte er [Solon], indem er für den Olympioniken fünfhundert, für den Sieger bei den Isthmien hundert Drachmen festlegte und in gleichem Verhältnis für die anderen. Denn es sei unangemessen, deren Auszeichnungen noch höher anzusetzen als für allein jene, die im Krieg gefallen sind; auch deren Söhne sollen ja auf öffentliche Kosten (dēmosía) unterhalten und erzogen werden.

Unterhaltsregelungen (F 140–143)

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F 140h: Libanios, Declamationes 11,14 (V p. 517,11 Förster) (4. Jh. n. Chr.) μὴ τοίνυν μηδὲ τὴν ἐμὴν ταυτηνὶ λειτουργίαν διαβαλλέτω τις, ἣ μάχεται μὲν οὐδενὶ τῶν γεγραμμένων νόμων, ὁμολογεῖ δὲ πολλοῖς τε καὶ καλῶς ἔχειν δοκοῦσιν, οὓς ὁ Σόλων τοῖς γονεῦσι βοηθοῦν­ τας τέθεικε φόβῳ τῆς τιμωρίας καὶ τοὺς οὐ φύσει χρηστοὺς ἀναγκάζων ἃ δεῖ τοῖς γεγεννηκόσι φέρειν. App. crit.: μη δὲ ViBL; Reiske: τῶν γεγραμμένων serves an τῶν οὐ γεγραμμένων legas, h. c. τῶν ἀγράφων νομίμων iuris naturalis, perinde est. habet utrumque cur probetur; νόμων om. Vi; οἷς Vi; τέθεικε reposuit Förster e libris, ἔθηκε edd.; ἃ δεῖ B sed εῖ in ras m2, L sed ει in η corr m2, ἃ δὴ Lau, ἃ νῦν Vi, ἀεὶ coni Reiske.

Und keiner soll meine Leistung hier herabsetzen. Sie widerspricht nicht nur keinem der geschriebenen Gesetze, sondern stimmt sogar mit vielen für gut befundenen überein, die Solon zum Schutz der Eltern (goneís) erlassen hat, indem er durch die Androhung einer Strafe auch diejenigen, die nicht von Natur aus gut veranlagt sind, zwingt, den Eltern (gegennḗkontes) das Nötige zu geben.

F 140i: Libanios, Epistula 137,3 (X p. 135,17 Förster) (4. Jh. n. Chr.) ἔοικας δέ μοι βεβαιοῦν τὸν λόγον, ὃν πολλάκις ἔφην, ὡς ἐμὸς σὺ παῖς, οὐχὶ μαθητὴς μόνον. τοῦ γοῦν Σόλωνος ἀκούεις καὶ τρέφεις τὸν πατέρα διδασκαλείων ἀπαλλαγείς. Du scheinst mir das Wort zu bestätigen, das er nicht nur als Schüler, wie du mein Kind, oft gesagt hat. Auf das von Solon jedenfalls hörst du und ernährst (tréphein) den Vater (patḗr), sobald du die Schule verlassen hast.

F 141 Unterhaltspflicht bei der epíklēros (F 141: T 438 Martina, F 53 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 141: Apollodoros (Ps.-Demosthenes), Gegen Stephanos II (or. 46) 20 (350–348 v. Chr.) (= F 131d) τῆς τοίνυν ἐπικλήρου σκοπεῖτε τίνας κελεύουσιν οἱ νόμοι κυρίους εἶναι. (20) λέγε τὸν νόμον. ΝΟΜΟΣ

Καὶ ἐὰν ἐξ ἐπικλήρου τις γένηται καὶ ἅμα ἡβήσῃ ἐπὶ δίετες, κρατεῖν τῶν χρημάτων, τὸν δὲ σῖτον μετρεῖν τῇ μητρί. Οὐκοῦν ὁ μὲν νόμος κελεύει τοὺς παῖδας ἡβήσαντας κυρίους τῆς μητρὸς εἶναι, τὸν δὲ σῖτον μετρεῖν τῇ μητρί. App. crit.: post χρημάτων addi καὶ κύριον εἶναι τῆς μητρὸς voluit Blass.

Nun aber seht, wen die Gesetze (nómoi) zu kýrioi über die Erbtochter (epíklēros) bestimmen. (20) Lies das Gesetz (nómos) vor. Gesetz

„Und wenn jemand von der Erbtochter (epíklēros) geboren worden ist und dazu zwei Jahre in der Reife ist (hēbán), soll er über Hab und Gut (chrḗmata) bestimmen (krateín), seiner Mutter aber das Getreide (sítos) zumessen“. Folglich bestimmt das Gesetz (nómos), dass Kinder, nachdem sie in die Reife gekommen sind, kýrioi über ihre Mutter sein und der Mutter das Getreide zumessen sollen.

862

Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

vgl. Dionysios von Halikarnass, Antiquitates Romanae 2,26,2–3 (= F 126a): οἱ μὲν γὰρ τὰς Ἑλληνικὰς καταστησάμενοι πολιτείας βραχύν τινα κομιδῇ χρόνον ἔταξαν ἄρχεσθαι τοὺς παῖδας ὑπὸ τῶν πατέρων, οἱ μὲν ἕως τρίτον ἐκπληρώσωσιν ἀφ’ ἥβης ἔτος, οἱ δὲ ὅσον ἂν χρόνον ἠίθεοι μένωσιν, οἱ δὲ μέχρι τῆς εἰς τὰ ἀρχεῖα τὰ δημόσια ἐγγραφῆς, ὡς ἐκ τῆς Σόλωνος καὶ Πιττακοῦ καὶ Χαρώνδου νομοθεσίας ἔμαθον, οἷς πολλὴ μαρτυρεῖται σοφία. Denn die, welche die griechischen Verfassungen eingerichtet haben, haben festgelegt, dass die Kinder nur eine sehr kurze Zeit unter der Hausgewalt der Väter stehen, die einen bis sie das dritte Jahr von der Reife (hḗbē) an vollendet haben, die anderen solange sie ledig (ēítheos) bleiben, wieder andere bis zu ihrer Einschreibung in die öffentlichen Bürgerlisten (archeía dēmósia), wie man es aus den Gesetzgebungen (nomothesíai) eines Solon, Pittakos oder Charondas weiß, die großer Weisheit gerühmt werden.

F 142 Unterhaltspflicht bei Frauen und Waisen (F 142: T 494 Martina, F 54 Ruschenbusch und Leão/Rhodes)

F 142: Harpokration σ 18 Keaney; Photius, Lexicon σ 248; Suda σ 502 s. v. σῖτος (= T 35b) Σῖτος· Δημοσθένης Κατ’ Ἀφόβου αʹ. σῖτος καλεῖται ἡ διδομένη πρόσοδος εἰς τροφὴν ταῖς γυναιξὶν ἢ τοῖς ὀρφανοῖς, ὡς ἐξ ἄλλων μαθεῖν ἔστι καὶ ἐκ τοῦ Σόλωνος †πρώτου κατὰ τοῦ† ἄξονος καὶ ἐκ τῆς Ἀριστοτέλους Ἀθηναίων πολιτείας. Τιμαχίδας δὲ ἡγεῖται παρὰ τοῖς Ἀττικοῖς σῖτον λέγεσθαι τὸν τόκον, ἀγνοεῖ δὲ ὅτι ἓν ἀνθ’ ἑνὸς οὐδέποτε παρ’ αὐτοῖς ὁ τόκος σῖτος καλεῖται. Photius, Lexicon σ 248 s. v. σῖτος· καλεῖται σῖτος καὶ ἡ διδομένη πρόσοδος εἰς τροφὴν …, ὡς ἔστι μαθεῖν κἀκ τῶν τοῦ Σόλωνος πρώτου ἄξονος (Suda σ 502: καὶ ἐκ τῶν τοῦ Σόλωνος πρώην τοῦ ἄξονος) καὶ ἐκ τῆς Ἀριστοτέλους Ἀθηναίων Πολιτείας· Τιμαχίδας δὲ … τὸν τόκον, οὐκ ὀρθῶς ἡγούμενος. App. crit.: καλεῖται σῖτος Harpokr.D; καὶ ἡ διδομένη Harpokr.D, Sud.; τῶν om. Harpokr.; πρώτου κατὰ τοῦ ἄξονος cod. Harpokr. ap. Gronov. (πρώτου καὶ δεκάτου ci. Valesius), πρωην τοῦ ἄξονος Sud. (ζητεῖ πρωην Sud.M), πρώτου ἄξονος Harpokr. ed. Bekker. Phot.; ἐκ τῶν: ἐν τῷ Sud.G; ἄξονος: ἄξονι Sud.G, ἄξονον Harpokr. AB.

Sítos: Demosthenes in der 1. Rede Gegen Aphobos (or. 27,15). Sítos [Getreide] nennt man die Unterhaltsleistung für Frauen und Waisen, wie unter anderem zu ersehen ist aus dem †ersten ‹und vierten [bzw. neunten oder zehnten]›† áxōn und aus der Athenaion politeia des Aristoteles [56,7].363 Timachidas [aus Lindos] glaubt, bei den Athenern sei der Zins sítos genannt worden; er verkennt aber, dass bei ihnen niemals der Zins sítos genannt wird [Phot., Suda: diese Annahme ist aber nicht zutreffend].

363  Vgl. Ruschenbusch 2010, 118: „Die von Maussacus benutzten Harpokr. Mss. O und N haben τοῦ Σόλωνος πρώτου κατὰ τοῦ ἄξονος. Das unsinnige κατὰ τοῦ hat Valesius zu καὶ δεκάτου verbessert. Zu erwägen wäre auch καὶ ἐνάτου [von Ruschenbusch vorgezogen].“ Vgl. Phillips 2013, 173 Nr. 123. Da Bestimmungen über die Adoptivsöhne auf dem 21. áxon verzeichnet waren (T 35a), wäre auch in Erwägung zu ziehen, ob der Text folgendermaßen gelautet haben könnte: ὡς ἐξ ἄλλων μαθεῖν ἔστι καὶ ἐκ τοῦ Σόλωνος πρώτου καὶ ‹εἰκοσ›τοῦ ἄξονος … Das Gesetz über die Unterhaltspflicht von Witwen (bzw. Frauen nach einer Scheidung) und Waisen wäre dann ebenfalls auf dem einundzwanzigsten áxōn verzeichnet gewesen. Aufgrund der unsicheren Textüberlieferung muss dies aber Spekulation bleiben.

Unterhaltsregelungen (F 140–143)

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F 143 Ausnahmen von der Unterhaltspflicht (F 143a: T 455b Martina; F 57/a Leão/Rhodes; F 143b: F 57/b Leão/Rhodes; 143c: T 455a Martina, F 56 Ruschenbusch, F 56a Leão/Rhodes)

F 143a: Herakleides Pontikos fr. 146 Wehrli (4. Jh. v. Chr.) (Plut. Solon 22,4)

ἐκεῖνο δ’ ἤδη σφοδρότερον, τὸ μηδὲ τοῖς ἐξ ἑταίρας γενομένοις ἐπάναγκες εἶναι τοὺς πατέρας τρέφειν, ὡς Ἡρακλείδης ἱστόρηκεν ὁ Ποντικός. Noch schärfer ist jenes [Gesetz], dass die von einer Hetäre abstammenden Kinder nicht verpflichtet waren, die Väter (patéres) zu ernähren (tréphein), wie Herakleides der Pontiker berichtete.

Eberhard Ruschenbusch hat Zweifel geäußert, dass der solonische Gesetzestext das Wort ‚Hetäre‘ enthielt. Zu denken sei an die pallakḗ, die mit der Gesezgebung Solons nicht mehr als rechtlich anerkannte Ehefrau gelten sollte, weswegen bekräftigt wurde, dass die von der pallakḗ geborenen Kinder dem Vater gegenüber nicht unterhaltspflichtig waren.364 Demgegenüber ist aber davon auszugehen, dass in der Zeit Drakons und Solons und bis zum Bürgerrechtsgesetz des Perikles die Möglichkeit bestand, die freien Kinder einer pallakḗ als rechtmäßige anzuerkennen, wenn die Söhne aus der über eine engýē geschlossenen Ehe verstorben waren. Die als rechtmäßig anerkannten Kinder der pallakḗ waren verpflichtet, die alten Eltern zu ernähren; blieben die Kinder rechtlich nicht anerkannt oder waren es Kinder von einer Hetäre, bestand diese Verpflichtung nicht. F 143b: Aischines, Gegen Timarchos (or. 1) 13 (346/5 v. Chr.) (= F 99d) (6) Σκέψασθε γάρ, ὦ Ἀθηναῖοι, ὅσην πρόνοιαν περὶ σωφροσύνης ἐποιήσατο ὁ Σόλων ἐκεῖνος, ὁ παλαιὸς νομοθέτης, καὶ ὁ Δράκων καὶ οἱ κατὰ τοὺς χρόνους ἐκείνους νομοθέται. … (13) Μετὰ ταῦτα τοίνυν, ὦ Ἀθηναῖοι, νομοθετεῖ περὶ ἀδικημάτων μεγάλων μέν, γιγνομένων δ’ οἶμαι ἐν τῇ πόλει· ἐκ γὰρ τοῦ πράττεσθαί τιν’ ὧν οὐ προσῆκεν, ἐκ τούτου τοὺς νόμους ἔθενθ’ οἱ παλαιοί. Διαρρήδην γοῦν λέγει ὁ νόμος, ἐάν τινα ἐκμισθώσῃ ἑταιρεῖν πατὴρ ἢ ἀδελφὸς ἢ θεῖος ἢ ἐπίτροπος ἢ ὅλως τῶν κυρίων τις, κατ’ αὐτοῦ μὲν τοῦ παιδὸς οὐκ ἐᾷ γραφὴν εἶναι, κατὰ δὲ τοῦ μισθώσαντος καὶ τοῦ μισθωσαμένου, τοῦ μὲν ὅτι ἐξεμίσθωσε, τοῦ δὲ ὅτι, φησίν, ἐμισθώσατο. Καὶ ἴσα τὰ ἐπιτίμια ἑκατέρῳ πεποίηκε, καὶ μὴ ἐπάναγκες εἶναι τῷ παιδὶ ἡβήσαντι τρέφειν τὸν πατέρα μηδὲ οἴκησιν παρέχειν, ὃς ἂν ἐκμισθωθῇ ἑταιρεῖν· ἀποθανόντα δὲ θαπτέτω καὶ τἆλλα ποιείτω τὰ νομιζόμενα. (14) Σκέψασθε δὴ ὡς καλῶς, ὦ Ἀθηναῖοι, ζῶντος μὲν αὐτοῦ ἀφαιρεῖται τὴν ὄνησιν τῆς παιδοποιίας, ὥσπερ ἐκεῖνος ἐκείνου τὴν παρρησίαν, τελευτήσαντα δὲ αὐτόν, ἡνίκα ὁ μὲν εὐεργετούμενος οὐκέτι αἰσθάνεται ὧν εὖ πάσχει, τιμᾶται δὲ ὁ νόμος καὶ τὸ θεῖον, θάπτειν ἤδη κελεύει καὶ τἆλλα ποιεῖν τὰ νομιζόμενα.

364  Ruschenbusch 2010, 121 f.

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Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (Erbrecht)

App. crit.: (6) γάρ: δὲ Sauppe; ὁ om. dBarb.; ὁ παλαιὸς νομοθέτης del. Hamaker, Weidner; Δράκων Harpokr. δ 78 s. v.: Δράκων· οὗτος ἐπιφανέστατος νομοθέτης, ὡς Αἰσχίνης; τοὺς καιροὺς A; del. Weidner; (13) ἔθεντο df Weidner, ἔθηκαν (Frankius); δ᾿οὖν Bekker, οὖν V Sch., γοῦν cett. Frankius; λέγει del. van Herwerden; secl. ὁ νόμος; γραφὴν Am, γραφὰς (Frankius); φησίν ante ὅτι Aq, post ὅτι aV (Frankius), post ἐμισθώσατο m; ἐκμισθώσῃ m; αὐτὸν post δὲ add. aV Frankius; post νομιζόμενα ΝΟΜΟΣ f1 Abb.; (14) δὴ: δὲ q Bekker; post Ἀθηναῖοι plene interpunxit Blass ut § 24; ἐκείνου Aq1, τοῦ παιδὸς (Frankius); οὐκ af (Frankius): οὐκέτι.

(6) Denn erwägt einmal, Athener, welche Vorsorge Solon, euer alter Gesetzgeber (nomo­ thétēs), für die Selbstbeherrschung (sōphrosýnē) getroffen hat, und auch Drakon und die Gesetzgeber in jener Zeit. … (13) Dann, ihr Athener, stellt er [der Gesetzgeber] Gesetze auf hinsichtlich schwerster Vergehen, die aber trotzdem – wie ich denke – in der Polis geschehen. Denn wenn jemand etwas getan hat, was sich nicht geziemte, so erließen die Alten (palaioí) Gesetze (nómoi) darüber. Wenigstens sagt das Gesetz ausdrücklich: Wenn ein Vater oder Bruder oder Onkel oder Vormund oder, wer sonst die hausväterliche Gewalt ausübt, einen zu sexuellen Beziehungen (hetaireín) vermietet, so gestattet er zwar nicht, gegen diesen Knaben eine Klage (graphḗ) einzureichen, wohl aber gegen den Vermietenden und den Mietenden, gegen den einen, weil er vermietete, und gegen den anderen, weil er mietete, wie er sagt. Und er bestimmte für beide gleiche Strafen (epitímia). Und wenn der Knabe, der zu sexuellen Beziehungen (hetaireín) vermietet worden war, herangewachsen ist, so sei er nicht verpflichtet, den Vater zu ernähren, noch ihm Wohnung zu geben, nur bei dessen Tod soll er ihn begraben und die übrigen Gebräuche erfüllen. (14) Seht also, Athener, wie zweckmäßig er ihn zu Lebzeiten des Vorteils der Vaterschaft beraubt, ebenso wie den Sohn des Rechts der öffentlichen Rede (parrhēsía). Für den Fall seines Todes aber, wo der, welcher die Wohltat erhält, sie nicht mehr empfindet, befiehlt er [der Gesetzgeber], dem Gesetz und der Gottheit zu Ehren, ihn zu begraben und die übrigen Gebräuche zu erfüllen.

F 143c: Plutarch, Solon 22,1 (um 100 n. Chr.) Ὁρῶν δὲ τὸ μὲν ἄστυ πιμπλάμενον ἀνθρώπων ἀεὶ συρρεόντων πανταχόθεν ἐπ’ ἀδείας εἰς τὴν Ἀττικήν, τὰ δὲ πλεῖστα τῆς χώρας ἀγεννῆ καὶ φαῦλα, τοὺς δὲ χρωμένους τῇ θαλάττῃ μηδὲν εἰωθότας εἰσάγειν τοῖς μηδὲν ἔχουσιν ἀντιδοῦναι, πρὸς τὰς τέχνας ἔτρεψε τοὺς πολίτας, καὶ νόμον ἔγραψεν, υἱῷ τρέφειν πατέρα μὴ διδαξάμενον τέχνην ἐπάναγκες μὴ εἶναι. App. crit.: εἰς ϒ, ἐς S; πατέρα S, τὸν πατέρα ϒ.

Er sah, dass sich die Stadt mit Menschen anfüllte, die um der Sicherheit willen unaufhörlich von überall her nach Attika strömten. Doch da ein Großteil des Landes nicht ertragreich und von minderer Bodenqualität war und Kauffahrer bei Leuten, die keine Tauschwaren zu bieten haben, in aller Regel nichts einführen, verwies er seine Mitbürger (polítai) auf Handwerkstätigkeiten (téchnai) und erließ ein Gesetz, wonach der Sohn nicht verpflichtet sein sollte, den Vater zu ernähren (tréphein), der ihn keine spezielle Fertigkeit (téchnē) gelehrt hatte. Vgl. Alexis F 305 PCG (Vitruv 6, praef. 3; F 56/b Leão/Rhodes): Athenienes ait oportere ideo laudari quod omnium Graecorum leges cogunt parentes ‹ali› a liberis, Atheniensium non omnes nisi eos qui liberos artibus erudissent. – „Er [der Komödiendichter Alexis] sagt, man müsse die Athener deswegen loben, weil die Gesetze aller Griechen dazu verpflichten, dass die Eltern von den Kindern ernährt werden, die der Athener aber nicht alle [Eltern], sondern nur diejenigen, die die Kinder in speziellen Fertigkeiten (artes) unterwiesen hatten“.

Unterhaltsregelungen (F 140–143)

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Galen, Adhortatio ad artes addiscendas (Protreptikosfragment) 8 (Bd. 1, p. 15 Kühn; F 56/c Leão/Rhodes): ἐπαινέσειε δ’ ἄν τις καὶ τὸν Ἀθήνησι νομοθέτην, ὃς τὸν μὴ διδάξαντα τέχνην ἐκώλυε πρὸς τοῦ παιδὸς τρέφεσθαι. – „Loben soll man den Gesetzgeber in Athen, der verbot, dass jemand, der seinen Sohn nicht eine spezielle Fertigkeit (téchnē) hat lernen lassen, von diesem Unterhalt empfängt“.

X. Appendices X 1 Die zu Unrecht Solon zugeschriebenen Gesetze a) Gesetzgebungsverfahren Der atthidographischen Tradition zufolge habe Solon die Athener schwören lassen, seine Gesetze einzuhalten. Damit er nicht gezwungen werden konnte, auch nur eines von den Gesetzen zu ändern, sei Solon – so berichtet als früheste Quelle Herodot – für zehn Jahre außer Landes gegangen. Die Athener selbst durften keine Gesetze ändern, denn durch „schwere Eide“ (hórkoi megáloi) waren sie gebunden, die erlassenen Gesetze zehn Jahre lang zu beachten.1 Daraufhin habe sich Solon auf Reisen begeben, zunächst zu Amasis nach Ägypten, dann an den Königspalast des Kroisos nach Lydien.2 In ähnlich anekdotenhafter Form hat auch die Athenaion politeia die „Handels- und Bildungsreise“ Solons (κατ’ ἐμπορίαν ἅμα καὶ θεωρίαν) nach Ägypten in ihren historischen Abriss der Entstehung der attischen Demokratie aufgenommen. Solon soll beabsichtigt haben, nicht innerhalb von zehn Jahren zurückzukehren, weil er wollte, dass „jeder die schriftlich niedergelegten Bestimmungen befolge“.3 Dieser Darstellung folgt Plutarch: Solon habe seinen „Seehandel“ zum Vorwand genommen und sei davongesegelt, nachdem er von den Athenern eine zehnjährige Abwesenheit erbeten hätte.

1  Hdt. 1,29,1–2: καὶ δὴ καὶ Σόλων ἀνὴρ Ἀθηναῖος, ὃς Ἀθηναίοισι νόμους κελεύσασι ποιήσας ἀπεδήμησε ἔτεα δέκα, κατὰ θεωρίης πρόφασιν ἐκπλώσας, ἵνα δὴ μή τινα τῶν νόμων ἀναγκασθῇ λῦσαι τῶν ἔθετο. (2) αὐτοὶ γὰρ οὐκ οἷοί τε ἦσαν αὐτὸ ποιῆσαι Ἀθηναῖοι· ὁρκίοισι γὰρ μεγάλοισι κατείχοντο δέκα ἔτεα χρήσεσθαι νόμοισι τοὺς ἄν σφι Σόλων θῆται. Eide, die die gesamte Bürgerschaft leisten soll, sind aus späterer Zeit nach einer überwundenen Stasis belegt (dazu Henning Börm, Mordende Mitbürger. Stasis und Bürgerkrieg in griechischen Poleis im Hellenismus, Stuttgart 2019, 226–240). 2  Hdt. 1,30,1. 3  Aristot. Ath. pol. 11,1: … οὐ γὰρ οἴεσθαι δίκαιον εἶναι τοὺς νόμους ἐξηγεῖσθαι παρών, ἀλλ’ ἕκαστον τὰ γεγραμμένα ποιεῖν. Eine „Handels- und Bildungsreise“ hatte auch der von der Krim nach Athen gekommene Sohn des Sopaios unternommen, der wegen eines angeblichen hohen Deposits den Bankier Pasion angeklagt hat (Isokr. 17,4: ἅμα κατ’ ἐμπορίαν καὶ κατὰ θεωρίαν).

Die zu Unrecht Solon zugeschriebenen Gesetze

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Denn er hoffte, dass sie sich in dieser Zeit an die Gesetze gewöhnen würden.4 Er habe sich nach Ägypten und anschließend zu Kroisos nach Sardeis begeben.5 In Widerspruch zu der Angabe Herodots steht die Äußerung in der Athenaion poli­ teia, Solon habe bestimmt, dass seine Gesetze einhundert Jahre lang unverändert gelten sollten.6 Ähnlich lapidar berichtet Plutarch, Solon habe allen Gesetzen Rechtskraft für einhundert Jahre gegeben, woraus bei Aulus Gellius schließlich eine unbefristete Geltungsdauer wird.7 Auch wenn diese anekdotenhaft ausgestaltete Überlieferung schwer einzuschätzen ist, kann kaum davon ausgegangen werden, dass Solon in Voraussicht auf spätere Zeit ein Gesetz erlassen haben soll, auf welchem Weg Gesetzesänderungen herbeigeführt werden sollten. Hätte es ein solches Gesetz gegeben, wären die Anekdoten, die bereits bei Herodot zu greifen sind, kaum in dieser Weise ausgestaltet worden. In der Mitte des 4. Jh. jedoch führen Demosthenes und Aischines solche Verfahrensregeln auf Solon zurück. In der Rede Gegen Leptines will Demosthenes zeigen, dass der Antrag des Leptines, bereits verliehene Ehrungen der Atelie aufzuheben und auf weitere solche Ehrungen zu verzichten, unrechtmäßig gewesen sei. Da bereits ein Jahr seit der Annahme dieses Antrags vergangen war, war eine graphḗ paranómōn nicht mehr möglich. Die Gegner des Leptines brachten deswegen ein neues Gesetz ein, wonach die Verleihung der Atelie bei sorgfältigerer Prüfung der zu ehrenden Person wieder möglich sein sollte. Dieses neue Gesetz sollte, wie es im Gesetzgebungsverfahren des 4. Jh. üblich war, über den Weg eines Rechtsverfahrens in Kraft gesetzt werden.8 Als Redenschreiber macht Demosthenes geltend, dass Leptines das bestehende Gesetz nicht einfach durch einen Beschluss des Volkes unwirksam machen durfte. Er habe damit gegen das „alte Gesetz“ verstoßen, wie ein Gesetz in Kraft gesetzt werden müsse.9 Wenn nämlich jemand eines der bestehenden Gesetze für unzweckmäßig halte, so soll er als Kläger dagegen auftreten (gráphesthai), selbst aber seinerseits ein anderes vorschlagen, worüber dann entschieden werde.10 Auf diese Weise habe Solon die Gesetz4  Plut. Solon 25,6: πρόσχημα τῆς πλάνης τὴν ναυκληρίαν ποιησάμενος ἐξέπλευσε, δεκαετῆ παρὰ τῶν Ἀθηναίων ἀποδημίαν αἰτησάμενος. ἤλπιζε γὰρ ἐν τῷ χρόνῳ τούτῳ καὶ τοῖς νόμοις αὐτοὺς ἔσεσθαι συνήθεις. Vgl. dazu auch Karl-Joachim Hölkeskamp, Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland, Stuttgart 1999, 50. 5  Plut. Solon 26–28. 6  Aristot. Ath. pol. 7,2. Da unmittelbar angefügt ist, dass Solon die politeía folgendermaßen geordnet habe, könnten die hundert Jahre aus der Rückschau errechnet sein, als die Zeitspanne zwischen Solons Reformen und denen des Kleisthenes. 7  Plut. Solon 25,1; Gell. 2,12,1. Dazu Rhodes 1981, 136, 169 f.; Leão/Rhodes 2010, 150. 8  Demosth. or. 20,88 (355 v. Chr.). 9  Demosth. or. 20,89: ἀλλ’ ὁ παλαιός, ὃν οὗτος παρέβη, νόμος οὕτω κελεύει νομοθετεῖν; auch in or. 24,108 f. wirft Demosthenes dem Timokrates vor, er habe ein neues Gesetz ohne Rücksicht auf das dafür vorgeschriebene Verfahren eingebracht, nämlich bevor er das alte habe aufheben lassen. 10  Demosth. or. 20,89: γράφεσθαι μέν, ἄν τίς τινα τῶν ὑπαρχόντων νόμων μὴ καλῶς ἔχειν ἡγῆται, παρεισφέρειν δ’ αὐτὸν ἄλλον, ὃν ἂν τιθῇ λύων ἐκεῖνον. Vgl. dazu auch Schol. Demosth. or. 20,88 (F 98b Ruschenbusch; Leão/Rhodes).

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Appendices

gebung geregelt. Denn er war der Ansicht, dass nicht nur die Thesmotheten erst nach zweimaliger Prüfung im Rat und vor Gericht ihr Amt antreten sollten, sondern auch die Gesetze selbst nicht nach Beliebigkeit eingebracht und ohne Prüfung Rechtskraft erlangen sollten.11 Demosthenes lässt das Gesetz, das den Erlass von neuen Gesetzen regelt, verlesen und lobt Solon anschließend dafür, dass er verordnet habe, neu beantragte Gesetze zunächst von den Geschworenen, also in einem Nomothesieverfahren, prüfen zu lassen, um sich widersprechende Gesetze zu vermeiden.12 Das neu beantragte Gesetz sollte am Denkmal der Phylenheroen angeschlagen und dem Schreiber übergeben werden, damit dieser es mehrmals in der Volksversammlung verlese und es erst nach reiflicher Überlegung angenommen werde.13 Neben diesem angeblich auf Solon zurückgehenden Verfahren zur Beantragung neuer Gesetze hätte es darüberhinaus eine regelmäßige, nämlich alljährliche Prüfung der bestehenden Gesetze durch die Thesmotheten gegeben, für die „der Gesetzgeber, der die Demokratie eingerichtet hat,“ (ὁ νομοθέτης ὁ τὴν δημοκρατίαν καταστήσας) gesorgt hätte. „Er habe den Thesmotheten eines jeden Jahres ausdrücklich aufgetragen, darauf zu achten, dass mit den Gesetzen im Volk korrekt verfahren würde, außerdem sie sorgfältig zu prüfen und darauf zu achten, ob irgendein Gesetz in Gegensatz zu einem anderen erlassen wurde, ob ein außer Kraft gesetztes unter den gültigen oder ob etwa mehrere Gesetze zu ein und derselben Sache vorliegen“.14 Beanstandete Gesetze sollten sie auf Tafeln vor den Standbildern der Phylenheroen anschlagen. Die dem Rat vorstehenden Prytanen sollten eine Volksversammlung einberufen, um Nomotheten einzusetzen, und der Vorsteher der Volksversammlung soll anschließend das Gesetz im Volk zur Abstimmung stellen, um so die einen Gesetze aufzuheben, die anderen beizubehalten, damit über jeden Gegenstand nur ein Gesetz und nicht mehrere vorhanden wären.15 Das in diesen Reden beschriebene Gesetzgebungs- und Überprüfungsverfahren ist dasjenige, das nach der Wiederherstellung der Demokratie im Jahr 403/2 eingerichtet 11  Demosth. or. 20,90: οὐ γὰρ ᾤετο δεῖν ὁ Σόλων, ὁ τοῦτον τὸν τρόπον προστάξας νομοθετεῖν, τοὺς μὲν θεσμοθέτας τοὺς ἐπὶ τοὺς νόμους κληρουμένους δὶς δοκιμασθέντας ἄρχειν, ἔν τε τῇ βουλῇ καὶ παρ’ ὑμῖν ἐν τῷ δικαστηρίῳ, τοὺς δὲ νόμους αὐτούς, καθ’ οὓς καὶ τούτοις ἄρχειν καὶ πᾶσι τοῖς ἄλλοις πολιτεύεσθαι προσήκει, ἐπὶ καιροῦ τεθέντας, ὅπως ἔτυχον, μὴ δοκιμασθέντας κυρίους εἶναι. Dieses angebliche Gesetz Solons ist von Eberhard Ruschenbusch zu Recht unter die falsa subsumiert worden (F 98a; dem folgen Leão/Rhodes 2010, S. 160 F 98a mit dem Kommentar S. 162). Ablehnend auch Christophe Feyel, Δοκιμασία. La place et le rôle de l’examen préliminaire dans les institutions des cités grecques, Nancy 2009, 22, vgl. 33. 12  Demosth. or. 20,93: ΝΟΜΟΣ. (93) Συνίεθ’ ὃν τρόπον, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, ὁ Σόλων τοὺς νόμους ὡς καλῶς κελεύει τιθέναι, … 13  Demosth. or. 20,94. 14  Aischin. Ktes. (or. 3) 38: … ἀλλὰ διαρρήδην προστέτακται τοῖς θεσμοθέταις καθ’ ἕκαστον ἐνιαυτὸν διορθοῦν ἐν τῷ δήμῳ τοὺς νόμους, ἀκριβῶς ἐξετάσαντας καὶ σκεψαμένους εἴ τις ἀναγέγραπται νόμος ἐναντίος ἑτέρῳ νόμῳ, ἢ ἄκυρος ἐν τοῖς κυρίοις, ἢ εἴ που εἰσὶ νόμοι πλείους ἑνὸς ἀναγεγραμμένοι περὶ ἑκάστης πράξεως. Leão/Rhodes 2010 haben Aischin. or. 3,38 f. als †F 98/c als Parallele zu Demosth. or. 20,89–94 hinzugefügt. 15  Aischin. Ktes. 39, vgl. Ktes. 40.

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worden war. Dieses Verfahren sah vor, dass – im Gegensatz zu den von Rat und Volk angenommenen Anträgen, den psēphísmata, – neue oder abgeänderte Gesetze über den Weg eines Gerichtsverfahrens erlassen werden sollten, nämlich über eine Klage gegen bestehende Gesetze. Dazu wurde von einem athenischen Bürger oder qua Amt von den Thesmotheten ein Antrag auf Gesetzesänderung in die Volksversammlung eingebracht.16 Der Antrag wurde bei den Standbildern der Phylenheroen auf der Agora öffentlich angeschlagen. Nach vorberatenden Sitzungen im Rat der 500 wurde der Antrag in der Volksversammlung verlesen und diskutiert, auf einer weiteren entschied das Volk über die Einsetzung und die Anzahl der Nomotheten. Fünf Personen wurden benannt, die als sýndikoi oder synḗgoroi das bestehende Gesetz verteidigen sollten. An dem für das Verfahren festgelegten Tag wurde die entsprechende Zahl an Nomotheten aus den Athenern gelost, die als Geschworene zugelassen waren und den Heliasteneid geschworen hatten.17 Der Antragsteller trat als Kläger auf, anschließend die fünf benannten Personen als Verteidiger des bestehenden Gesetzes. Die Entscheidung wurde durch Handaufheben, cheirotonía, herbeigeführt.18 Für ein möglicherweise dem vorausgehendes Verfahren, auf welchem Wege neue Gesetze erlassen oder bestehende abgeändert werden konnten, gibt es in den Quellen keinerlei Hinweise.19 Die Tatsache, dass erst nach 404/3 v. Chr. eindeutig zwischen Volksbeschlüssen und Gesetzen unterschieden wurde, macht es zudem sehr unwahrscheinlich, dass es vor dieser Zeit ein spezielles Verfahren für Gesetzesänderungen gab, da solche durch einfachen Volksbeschluss herbeigeführt werden konnten. Als unecht einzustufen sind demzufolge die angeblich auf Solon zurückgehenden Bestimmungen, wie neue Gesetze erlassen oder bestehende abgeändert werden 16  Antrag auf Aufhebung bestehender Gesetze durch einen politisch aktiven Bürger: Demosth. or. 3,10–13; auf Antrag bei der alljährlichen Prüfung der Gesetze: Demosth. or. 24,21.27; auf Antrag der Thesmotheten: Aischin. Ktes. (or. 3) 39. Jochen Bleicken, Die athenische Demokratie, Paderborn etc. 41995, 220 f. 17  Demosth. or. 24,20–23.25.36; vgl. 24,27. Das in der Rede Gegen Leptines (or. 20,89–94) genannte Verfahren deckt sich weitgehend mit dem in der Rede Gegen Timokrates bezeugten. 18  Demosth. 24,33. Zum Gesetzgebungsverfahren in Athen im 4. Jh., auf das hier nicht weiter eingegangen werden soll, Douglas M. MacDowell, Law-Making at Athens in the Fourth Century B. C., in: JHS 95, 1975, 62–74; Mogens Herman Hansen, Athenian Nomothesia in the Fourth Century BC and Demosthenes’ Speech Against Leptines, in: C & M 32, 1980, 87–104; P. J. Rhodes, Nomothesia in Fourth-Century Athens, in: CQ N. S. 35, 1985, 55–60; Mogens Herman Hansen, Athenian Nomothesia, in: GRBS 26, 1985, 345–371; Todd 1993, 57, 294 f.; Bleicken 41995 (wie Anm. 16), 220–224, 593–596; Mogens Herman Hansen, Die Athenische Demokratie im Zeitalter des Demosthenes, Berlin 1995, 172–181; ders., The Authenticity of the Law about ‚Nomothesia‘ Inserted in Demosthenes ‚Against Timokrates‘ 33, in: GRBS 56, 2016, 594–610; Mirko Canevaro, The Authenticity of the Document at Demosth. or. 24.20–3, the Procedures of nomothesia and the So-called ἐπιχειροτονία τῶν νόμων, in: Klio 100, 2018, 70–124. Zu dem in Demosth. or. 24,20–23 eingelegten Dokument Mirko Canevaro, Nomothesia in Classical Athens: What Sources should we Believe, in: CQ 63, 2013, 139–160. 19 Bleicken 41995 (wie Anm. 16), 218 f. nimmt das Revisionsverfahren zwischen 410 und 399 als Beleg dafür, dass es vor dem 4. Jh. keine feste Regelung hinsichtlich der Gesetzesänderungen gab. Vgl. auch ebd. 593.

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konnten. Dem steht die antike Tradition entgegen, die von einem Eid berichtet, der die Athener dazu verpflichtete, die Gesetze Solons unverändert für zehn Jahre anzuwenden. Abzulehnen ist auch die angeblich solonische Bestimmung, dass ein Gesetz (nómos) höhere Geltung beanspruchen könne als ein Volksbeschluss (psḗphisma).20 Auch dies war eine Neuerung, die mit dem neuen Gesetzgebungsverfahren im Jahr 403 eingeführt wurde. Da nur die unverbrüchliche und durch Eid beschworene Einhaltung der Gesetze auf eine frühe Quelle zurückgeht, wird es sich bei den weiteren angeblich auf Solon zurückgehenden Gesetzen um Zuschreibungen handeln, die eine alte Tradition suggerieren sollen, die tatsächlich aber nicht bestand. Dasselbe gilt darüber hinaus für die Bestimmung, dass kein Gesetz beantragt werden darf, dass sich auf eine Einzelperson richtet, wenn es nicht auch für alle anderen Athener Gültigkeit hat. Demosthenes nennt diese Bestimmung in der Rede Gegen Aristokrates, allerdings ohne Bezug zu Solon;21 dieser wird erst in späten Quellen hergestellt, was vermutlich auf einer falschen Ausdeutung der Demosthenesstelle beruht.22 b) Das Gesetz über den Vermögenstausch Reiche Athener waren zu persönlichen und finanziellen Leistungen gegenüber der Polis verpflichtet. Die wichtigsten leitourgíai in klassischer Zeit waren die Ausrüstung eines Kriegsschiffs, über das im Falle eines Seekriegs auch das Kommando übernommen werden musste (triērarchía), die Vorbereitung für eine Choraufführung bei den städtischen Festspielen (chorēgía) und außerordentliche Steuern im Kriegsfall (eispho­ rá).23 Die zu diesen Diensten Pflichtigen wurden in Listen erfasst. Durch Angaben ins20  Hyp. 3 (Ath.), 22 (F 99 Ruschenbusch; Leão/Rhodes): [σὺ δὲ τὸν] νόμον ἀφεὶς περὶ συνθ̣[ηκῶν παραβαιν]ομένων διαλέγῃ. καὶ ὁ [μὲν Σόλων οὐδ’ ὃ̣] δικαίως ἔγραφεν ψήφ[ισμά τις τοῦ νόμου] οἴεται δεῖν κυριώ[τ]ε[ρον εἶναι· σὺ δὲ καὶ τ]ὰς ἀδίκους συνθ[ή̣κας ἀξιοῖς κρατεῖν πάντων] τ̣ῶ̣ ν νόμων. – „Du aber ignorierst das Gesetz und sprichst von nicht eingehaltenen Verträgen. Solon war der Ansicht, dass kein Volksbeschluss, auch wenn er rechtmäßig beantragt worden war, höhere Geltungskraft haben sollte als ein Gesetz. Aber du verlangst, dass sogar unrechtmäßige Verträge mehr gelten sollten als alle Gesetze“. Zu der seit 403 v. Chr. festgeschriebenen höheren Geltungskraft von Gesetzen gegenüber Volksbeschlüssen siehe auch das in And. 1,87 eingelegte Gesetz, And. 1,89 und Demosth. or. 23,87, ohne dass die Regelung auf Solon zurückgeführt wird. 21  Eingelegtes Gesetz in And. 1,87, Demosth. or. 23,86 und 24,59: Μηδὲ νόμον ἐξεῖναι ἐπ’ ἀνδρὶ θεῖναι, ἐὰν μὴ τὸν αὐτὸν ἐπὶ πᾶσιν Ἀθηναίοις. Gedeckt ist das Gesetz durch den jeweils folgenden Text der Rede: καὶ διὰ ταῦτ’ ἔγραψεν „μηδὲ νόμον ἐπ’ ἀνδρὶ ἐξεῖναι θεῖναι, ἐὰν μὴ τὸν αὐτὸν ἐφ’ ἅπασιν Ἀθηναίοις“ (Demosth. or. 23,86) bzw. οὐκ ἐᾷ νόμον ἀλλ’ ἢ τὸν αὐτὸν τιθέναι κατὰ τῶν πολιτῶν πάντων (or. 24,59). Siehe dazu den Kommentar von Leão/Rhodes 2015, 164 f. 22  Aristeid. or. 46 (Πρὸς Πλάτωνα ὑπὲρ τῶν τεττάρων), p. 298 Jebb: καὶ ὁ μὲν τοῦ Σόλωνος νόμος οὐδὲ νόμον ἐπ’ ἀνδρὶ γράφειν ἐᾷ; Aineias von Gaza, Theophrastus 22,19 f.: Εἶθ’ ὁ μὲν τοῦ Σόλωνος νόμος οὐκ ἐᾷ νόμον ἐπ’ ἀνδρὶ τιθέναι, ἀλλ’ ἢ τὸν αὐτὸν ἐπὶ πᾶσιν Ἀθηναίοις. – „Das Gesetz Solon lässt nicht zu, ein auf eine Person ausgerichtetes Gesetz zu erlassen, wenn dasselbe [Gesetz] nicht für alle Athener gilt.“ Auch von Ruschenbusch und von Leão/Rhodes wird das Gesetz Solon abgesprochen (F 100a–b). 23  Hansen 1995 (wie Anm. 18), 112–117.

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besondere in Gerichtsreden lässt sich erschließen, dass im 4. Jh. v. Chr. diejenigen zu Liturgien verpflichtet waren, die über ein Vermögen verfügten, das eine Summe überstieg, die zwischen drei und vier Talenten lag. Um Vermögensveränderungen zu berücksichtigen und Überlastungen zu vermeiden, war ein Verfahren geschaffen worden, die Liste der Liturgiepflichtigen anzupassen, nämlich das Verfahren des ‚Gegentauschs‘ (antídosis). Wer geltend machte, dass eine andere Person über ein größeres Vermögen verfügte, konnte diese Person auffordern, an seiner Stelle die Verpflichtung zu übernehmen oder im Falle einer Verweigerung mit ihm das Vermögen zu tauschen.24 Der jeweils für die einzelnen Liturgien zuständige Archont beraumte in seinem Amtsjahr einen Tag an, an dem derjenige, der meinte, ungerechtfertigterweise zu dieser finanziellen Belastung herangezogen zu werden, eine andere Person auffordern konnte, diese Liturgie zu übernehmen.25 Im Falle einer Weigerung folgte eine wechselseitige Besichtigung und vorläufige Beschlagnahmung der Vermögen; binnen dreier Tage mussten beide ein Inventar des Vermögens vorlegen und dessen Richtigkeit durch einen Eid bekräftigen.26 Kam keine Einigung zustande, folgte ein Verfahren vor Gericht, so wie es der Sprecher der 42. Rede aus dem demosthenischen Corpus Gegen Phainippos (ca. 328 v. Chr.) führte.27 Der Sprecher gehörte den dreihundert reichsten Athenern an, die zur proeisphorá verpflichtet waren, also zur Vorauszahlung dieser kriegsbedingten Sondersteuer, die sie im Laufe des Jahres von den weiteren Eisphorapflichtigen entsprechend deren Vermögensanteil eintreiben mussten. Gleich zu Beginn der Rede nimmt der Sprecher Bezug auf Solon, der „das Gesetz über die antidóseis erlassen hat“.28 Darin habe er festgelegt, was als erstes diejenigen, die einen Tausch der Verpflichtung gefordert haben, die ἀντιδεδωκότες, zu tun hätten, was als zweites und was an weiteren Schritten. Phainippos habe die vom Gesetz geforderten Vorschriften hingegen missachtet und ihm, dem Sprecher, keine Aufstellung des Vermögens innerhalb von drei Tagen nach Ablegen des Eids vorgelegt. Spätestens bis

24  Lys. 24,9. Zum Antidosisverfahren Theodor Thalheim, Antidosis, in: RE 1,2, 1894, 2397 f.; Lipsius 1905–15, 588–599; Robert J. Bonner, The Legal Setting of Isocrates’ Antidosis, in: CPh 15, 1920, 193–197; MacDowell 1978, 161–164; Vincent Gabrielsen, The Antidosis Procedure in Classical Athens, in: C & M 38, 1987, 7–38; Matthew R. Christ, Liturgy Avoidance and antidosis in Classical Athens, in: TAPhA 120, 1990, 147–169; Todd 1993, 120 f.; Hansen 1995 (wie Anm. 18), 114; M. della Libera, Ἀντίδοσις, in: Patavium 10, 1997, 17–47. 25  Zum jährlichen Verfahren Ps.-Demosth. or. 42,4. 26  Ps.-Demosth. or. 42,18. Der junge Demosthenes war der Aufforderung, eine triērarchía zu übernehmen, nachgekommen und wehrte damit ein Antidosisverfahren ab (Demosth. or. 21,80; 28,17). Demosthenes hatte die Hoffnung, später in einer diadikasía gegen die Liturgiepflicht anzugehen. 27  Zu dieser Rede Kostas Apostolakes, Liturgies and the Rhetoric of Law in Fourth-Century Athens: a Case Study on an antidosis ([Dem.] 42), in: Chris Carey, Ifigeneia Giannadaki, Brenda Griffith-Williams (Hrsg.), Use and Abuse of Law in the Athenian Courts, 2019, 218–233. Das Gericht entschied, wer die Liturgie zu leisten hatte (Isokr. 15,5; Ps.-Demosth. or. 42,4). 28  Ps.-Demosth. or. 42,1 (F 107 Ruschenbusch; Leão/Rhodes): Σόλωνι τῷ νομοθετήσαντι τὸν περὶ τῶν ἀντιδόσεων νόμον.

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zum sechsten Tag des Monats Boedromion, den ihm der Kläger gesetzt hatte, hätte er die Auflistung vorlegen müssen, sei dem aber erst einen Monat später nachgekommen. Eine Klage auf antídosis war bei demjenigen Archonten einzureichen, der für die jeweilige Liturgie zuständig war: der árchōn epṓnymos, dem die Sorge und Leitung der Feiern der großen Dionysien und der Thargelien oblag, verhandelte Einsprüche (skḗp­ seis) und Anträge auf antídosis bei einer chorēgía, wenn es um die musischen Agone von Knaben- und Männerchören und um Aufführungen von Komödien und Tragödien bei diesen Festen sowie um die nach Delos entsandten Chöre ging, der árchōn basileús, wenn es um die chorēgía an den Lenäen und um die Gymnasiarchie ging, und die Strategen, wenn es um die triērarchía und die Proeisphora ging.29 Ob es bei den Verfahren lediglich um einen Tausch der Liturgiepflicht ging oder letztlich auch auf einen Vermögenstausch geklagt wurde, ist in der Forschung umstritten.30 Da die triērarchía und die Eisphora als Liturgien erst im 5. Jh. eingeführt wurden, die Proeisphora erst auf das 4. Jh. zurückgeht, ist wenig wahrscheinlich, dass das Verfahren, die Verpflichtung zu einer Liturgie auf einen vermeintlich reicheren Athener übergehen zu lassen, auf Solon zurückgeht. Zwar bezeugt bereits Hesiod in Chalkis auf Euboia abgehaltene musische Agone, bei denen Siegespreise ausgesetzt waren,31 und es sind amphiktyonische Feste und Wettkämpfe in Drakons Gesetz über die Tötung genannt, doch liegt es näher, den Bezug des Sprechers in der Rede Gegen Phai­ nippos auf Solon als ein rein rhetorisches Mittel anzusehen, um Phainippos vorwerfen zu können, er habe gegen altehrwürdige Gesetze Athens verstoßen. Dafür spricht auch, dass der Sprecher in or. 42,18 das Gesetz (nómos) noch einmal aufgreift und daraus den Eid zitiert „Ich werde meinen Besitz wahrheits- und rechtgemäß angeben, mit Ausnahme der Besitztümer in den Silberminen, die die Gesetze von Steuern ausgenommen haben“.32 Die Ausnahmeregelung geht zweifelsohne nicht auf solonische Zeit zurück.33

29  Aristot. Ath. pol. 56,3; 61,1. Zu den Einsprüchen (skḗpseis) Lipsius 1905–15, 588–590. 30  Zur Kontroverse Lipsius 1905–15, 597–599, der sich aufgrund von Äußerungen in Ps.-Demosth. or. 42 für die Möglichkeit eines tatsächlich vollzogenen Vermögenstauschs ausspricht, auch wenn dies in klassischer Zeit in der Praxis kaum noch durchgeführt worden sei. Ebenso MacDowell 1978, 163; Gabrielsen 1987 (wie Anm. 24); Apostolakis 2019 (wie Anm. 27), 218. Dagegen Louis Gernet, Démosthène: Plaidoyers civils Bd. 2, 1957, 71–77; Harrison 1968–71, Bd. 2,236–238. 31  Hes. erg. 650–659. 32  Zur Frage, was direkt und was indirekt wiedergegebenes Zitat ist, Apostolakis 2019 (wie Anm. 27), 225–228. Genannt ist das in § 1 als solonisch ausgegebene Gesetz, das u. a. auch die Möglichkeit einräumt, Besitz des anderen zu versiegeln (or. 42,8), bis zum § 18 bzw. bis zur vollständigen Verlesung in § 23 immer wieder. Das hebt auch Apostolakis ebd. 220 hervor. 33  Lipsius 1905–15, 597 f. Anm. 20 hat das Gesetz hingegen als solonisch wegen „der Altertümlichkeit des Instituts“ akzeptiert. Leão/Rhodes 2015, 172 halten es für zweifelhaft, dass das Antidosisverfahren früher existiert habe als die Einführung der triērarchía zu Beginn des 5. Jh.

Solonische Gesetze in den Reden des Aischines

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X 2 Solonische Gesetze in den Reden des Aischines Im Verlauf des Dritten Heiligen Kriegs (356–346 v. Chr.), der durch einen Überfall der Phoker auf Delphi ausgelöst worden war, hatte der mit den Boiotern verbündete Philipp II. von Makedonien einen Sieg über die Phoker errungen und sich die Herrschaft über Thessalien gesichert. In den Jahren 347 und 346 hatten die Athener, die wie die Spartaner mit den Phokern verbündet waren, Gesandte an den makedonischen Hof geschickt, um den Krieg beizulegen. Auf der Basis des status quo war der ‚Philokratesfrieden‘ ausgehandelt worden, der die makedonische Vorherrschaft festschrieb. Philokrates hatte in der Volksversammlung für die Annahme des Friedens geworben; doch da sich die Athener von den Phokern lösen mussten, nutzten antimakedonische Kräfte die Unzufriedenheit über den ausgehandelten Frieden für Klagen gegen die Beteiligten aus. An der Gesandtschaft hatten neben Philokrates auch Aischines und Demosthenes teilgenommen.34 Noch im Sommer 346 hatten Demosthenes und Timarchos Klage gegen Aischines wegen Verletzung der Gesandtschaftspflichten eine graphḗ parapresbeías eingereicht. Aischines wehrte diese Anschuldigung mit einer Gegenklage ab: Timarchos sei nicht berechtigt, Klage einzureichen, weil als Redner vor dem Volk oder als Kläger vor Gericht nur auftreten dürfe, wer einen untadeligen Lebenswandel vorweisen könne. Aischines gibt offen zu, dass er diese Klage nicht eingebracht hätte, wenn ihm nicht Timarchos eine graphḗ parapresbeías angedroht hätte, um ihn zu verleumden.35 Und tatsächlich war Timarchos – unbeanstandet – bereits im Jahr 361/60 Ratsherr gewesen, hatte in der Folgezeit mehrere Ämter inne und soll zahlreiche Volksbeschlüsse beantragt haben.36 In der von Aischines eingebrachten Klage im Zuge einer dokimasía rhētórōn entschieden die Geschworenen Ende des Jahres 346 v. Chr. gegen Timarchos:37 Er sei zu einer Tätigkeit in Politik und Gerichten nicht befugt gewesen, da er in seiner Jugend ein unsittliches, ausschweifendes und verschwenderisches Leben geführt hätte. Mit dem Sieg des Aischines in diesem Prozess war die politische Karriere des Timarchos beendet.38 Im Jahr 343 v. Chr. kam es dann zu weiteren Pro-

34  Johannes Engels, Studien zur politischen Biographie des Hypereides, München 21993, 73–77; Edward M. Harris, Aeschines and Athenian Politics, New York – Oxford 1995; Nick Fisher, Aeschines. Against Timarchos, Oxford 2001, 2–5; Iris Samotta, Demosthenes, Tübingen 2010, 57–68; Ian Worthington, Demosthenes of Athens and the Fall of Classical Greece, Oxford 2013, 164–176, 188–191. 35  Aischin. Tim. 3: συκοφαντεῖν. Zu Aischines und den erhaltenen Reden: Günter Ramming, Die politischen Ziele und Wege des Aischines, Diss. Erlangen 1965; zur Rede Gegen Timarchos Harris 1995 (wie Anm. 34), 101–106; Fisher 2001 (wie Anm. 34). 36  Hypoth. zu Aischin. Tim.; Fisher 2001 (wie Anm. 34), 20 f. 37  Aischin. Tim. 2: ἐπήγγειλα αὐτῷ τὴν δοκιμασίαν ταυτηνί. Es war dies eine Strafklage (δημόσιος ἀγών). Zur Datierung des Prozesses Hermann Wankel, Die Datierung des Prozesses gegen Timarchos (346/5), in: Hermes 116, 1988, 383–386; Edward M. Harris, The Date of the Trial of Timarchus, in: Hermes 113, 1985, 376–380; ders. 1995 (wie Anm. 34), 202 Anm. 52; Fisher 2001 (wie Anm. 34), 6–8. 38  Zum Vorwurf des δημηγορεῖν παρὰ τοὺς νόμους Tim. 1 und 3. David M. Halperin, One Hundred Years of Homosexuality and Other Essays on Greek Love, London – New York 1990, 88–112, hier 94. Durch

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zessen: Hypereides klagte Philokrates in einer eisangelía-Klage wegen Bestechung und Hochverrats an; Philokrates floh aus Athen und wurde in absentia zum Tode verurteilt, sein Vermögen wurde konfisziert.39 Demosthenes seinerseits erhob Klage gegen Aischines, der nur knapp einer Verurteilung entging.40 Im Jahr 330 schließlich klagte wiederum Aischines den Ktesiphon an, weil dieser den Antrag gestellt hatte, den Demosthenes mit einem Kranz zu ehren.41 Für das Verfahren, mit dem Aischines 345 v. Chr. gegen seinen Widersacher geklagt hat, Hat Aischines seine Rede Gegen Timarchos verfasst. Im ersten Teil der Rede legt er dar, in welcher Weise Timarchos gegen athenische Gesetze verstoßen hat; denn er sei den Gesetzen zuwider als Redner vor das Volk getreten.42 Dabei verweist Aischines zunächst auf bestehende Gesetze (Tim. 6–36), anschließend auf die davon abweichende Lebensweise des Timarchos (Tim. 37 ff.). Den Gesetzen schreibt er ein hohes Alter zu – sie gingen angeblich auf Solon, Drakon und andere Gesetzgeber zurück43 –, doch diese sehr vage gehaltene Behauptung bietet keine ausreichende Grundlage, all die genannten Gesetze als solonische oder gar drakontische anzuerkennen. Es ist vielmehr als eine summarische Angabe zu verstehen für die Gesetze, die in den 340er Jahren Gültigkeit hatten und nur in ihrer rechtshistorischen Genese auf Drakon und Solon zurückgehen. Auf Drakon lässt sich keines der angeführten Gesetze,44 auf Solon keines mit Sicherheit beziehen. In den Editionen der solonischen Gesetze von Eberhard Ruschenbusch sowie von Delfim F. Leão und P. J. Rhodes sind daher die eingelegten und indirekt zitierten Gesetze überwiegend den falsa zugewiesen.45 die Verurteilung wurde Timarchos ehrlos (Fisher 2001 [wie Anm. 34], 5 f., 21–23; zu den Personen, mit denen Timarchos homoerotische Beziehungen gehabt haben soll, Tim. 43–76; Fisher ebd. 20 f.); vgl. Aischin. Tim. 160: wer in der Jugend unsittlich gelebt habe, solle als Erwachsener keinen Anteil an der Gemeinschaft der Bürger haben, sei also átimos (τὸν πράξαντα κελεύει μὴ μετέχειν τῶν τῆς πόλεως κοινῶν … ὅστις γὰρ νέος ὢν ἀπέστη δι’ αἰσχρὰς ἡδονὰς τῆς εἰς τὰ καλὰ φιλοτιμίας, τοῦτον οὐκ ᾠήθη δεῖν πρεσβύτερον γενόμενον ἐπίτιμον εἶναι). 39  Hyp. 3 (Ath.), 29 f.; Demosth. or. 19,116; Aischin. leg. 6 und das Fragment einer pōlētaí-Inschrift (SEG 17,40), die zu IG II2 1582 gehört und auf der Nr. 10 Z. 45–50 und 110–115 Vermögen des Philokrates belegt ist. 40  Die dabei gehaltenen Reden sind Aischin. leg. und Demosth. or. 19. Fisher 2001 (wie Anm. 34), 4 f. 41  Aischin. Ktes.; Demosth. or. 18. 42  Aischin. Tim. 1: ὑπὸ Τιμάρχου τουτουὶ δημηγοροῦντος παρὰ τοὺς νόμους; 3: οἱ μὲν γὰρ νόμοι προεῖπον αὐτῷ αἰσχρῶς βεβιωκότι μὴ δημηγορεῖν. Vgl. 28. 43  Aischin. Tim. 6: Σκέψασθε γάρ, ὦ Ἀθηναῖοι, ὅσην πρόνοιαν περὶ σωφροσύνης ἐποιήσατο ὁ Σόλων ἐκεῖνος, ὁ παλαιὸς νομοθέτης, καὶ ὁ Δράκων καὶ οἱ κατὰ τοὺς χρόνους ἐκείνους νομοθέται. Ruschenbusch und Leão/Rhodes haben diese Behauptung mit der anschließenden Erläuterung zur Anordnung der Gesetze nach Altersgruppen (siehe Anm. 47) als F 102 unter die falsa aufgenommen. 44  Denn Drakons Satzung umfasste allein Tötungsfälle. Allenfalls in der Strafe der Atimie, als Folge einer Untätigkeit im Amt oder der Abänderung oder Aufhebung der Satzung, wäre eine indirekte Bezugnahme möglich, da die Atimie den Ausschluss von aller politischen Partizipation bedeutete, also auch den Ausschluss vom Rednerplatz. 45  F 101–104a Ruschenbusch; F 101 (= 80/1b), 102–104a Leão/Rhodes. Fisher 2001 (wie Anm. 34), 36 f. geht fälschlicherweise davon aus, dass Aischines alle angeführten Gesetze als solche Solons präsentiert habe. „The laws cited are probably rather more of a rag-bag of provisions of different dates than

Solonische Gesetze in den Reden des Aischines

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Geklagt hatte Aischines mittels epangelía im Rahmen der ‚Überprüfung der Redner‘, der dokimasía rhētórōn. Denn es waren – vermutlich bereits durch ein solonisches Gesetz – diejenigen von der Rede ausgeschlossen, die Vater oder Mutter misshandelt oder ihnen keinen Unterhalt und keine Unterkunft gewährt, sich dem Kriegsdienst entzogen oder im Kampf den Schild weggeworfen hatten, sich der Prostitution oder des hetaireín oder der Verschwendung des väterlichen oder eines ererbten Vermögens schuldig gemacht hatten (F 54). Aischines stützt seine Klage weitgehend auf den dritten Aspekt, den des unsittlichen Lebenswandels.46 Er hätte den Timarchos auch direkt mittels einer graphḗ hetairḗseōs anklagen können, verzichtete aber darauf, da es ihm nur darum ging, Timarchos mit der Strafe der Atimie politisch auszuschalten. Weil sich Aischines auf den Aspekt des unsittlichen Lebenswandels konzentriert, nimmt er mehrfach Bezug auf den nómos hetairḗseōs, das Gesetz über unsittliche sexuelle Beziehungen (F 99–101), obwohl er den Timarchos nicht in einer graphḗ hetairḗseōs angeklagt hatte. Aischines beginnt seine Argumentation allerdings nicht mit Timarchos’ Verstoß gegen die von einem Redner vor dem Volk geforderte konforme Lebensweise oder mit dem nómos hetairḗseōs, sondern verweist zunächst auf weitere Gesetze, die unsittliches Handeln unter Strafe stellten, auch wenn sie nicht expressis verbis den Ausschluss als Redner oder das Verbot der Bekleidung eines Amts zur Folge hatten. Eingeleitet werden die ‚Gesetze‘ mit allgemeinen Darlegungen, dass die Gesetzgeber sich zunächst den freien Kindern (paídes), dann den Heranwachsenden (meirákioi) und schließlich den höheren Altersstufen zugewandt hätten, eine Reihenfolge, an die sich auch Aischines in seiner Rede halten werde.47 Und in der Tat zitiert Aischines in den folgenden

the allegedly planned ‚Solonian‘ programme, but some of them at least may well go back to the sixth century“ (37). Konstantinos Kapparis vertritt eine grundsätzlich andere, indes problematische Auffassung, nach der viele der Gesetze solonisch seien, diese allerdings am Ende des 4. Jh. keine Gültigkeit mehr hatten (Prostitution in the Ancient World, Berlin – Boston 2018, 158, 191: „Aeschines is misquoting several obsolete statues as current laws of the Athenian state, although in truth they had not been ob­ served for centuries. … He went to the axones, found provisions suitable for his argument and presented them in court as active and valid laws of the Athenian state in his time, even though some of them, like for example most of the laws on procurement, had not been invoked for hundreds of years, and no one thought that the activities which they prohibited were illegal anymore in 4th century Athens“). 46  Zu homoerotischen und päderastischen Beziehungen und ihrer Wertung in klassischer Zeit siehe Kenneth J. Dover, Greek Homosexuality, London 1978; Carola Reinsberg, Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland, München 21993, 163–215 (mit Einbeziehung bildlicher Darstellungen); John J. Winkler, The Constraints of Desire. The Anthropology of Sex and Gender in Ancient Greece, London 1990; David Cohen, Law, Sexuality, and Society, Cambridge 1991, 171–202; Fisher 2001 (wie Anm. 34), 25–36; Rafał Matuszewski, Eros and Sophrosyne. Morality, Social Behaviour and Paiderastia in 4th-century Athens, Warschau 2011, 97–123 und die in VIII A 3 genannte Literatur. Zur Homosexualität als Übergangsphase zum erwachsenen Bürger auch Mark Golden, Slavery and Homosexuality at Athens, in: Phoenix 38, 1984, 308–324, der in Sachen Sexualität eine stärkere Abgrenzung zwischen Sklaven und freien Kindern sieht, als sie im Alltag ansonsten praktiziert wurde. 47  Aischin. Tim. 7–8 (F 102 Ruschenbusch; Leão/Rhodes). Vgl. 9–10, wo von paídes und neanískoi die Rede ist. Vgl. dazu Stephen C. Todd, Some Notes on the Regulation of Sexuality in Athenian Law, in:

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Abschnitten zunächst Auszüge aus Gesetzen, die sich mit Kindern befassen, anschließend solche zu den Heranwachsenden und den höheren Altern. 1.

Gesetze über den angemessenen Lebenswandel von (freien) Kindern (Tim. 7: περὶ τῆς σωφροσύνης τῶν παίδων) – Bestimmungen hinsichtlich des didakaleíon (Tim. 9–10, 12) – Auszug aus dem nómos hetairḗseōs: Strafen gegen diejenigen, die Gewaltunterworfene zur Unzucht ver- oder gemietet haben (Tim. 13) – Auszug aus dem nómos proagōgeías: Strafen gegen diejenigen, die ein freies Kind oder eine Frau einem anderen zugeführt haben (Tim. 14) – Auszug aus dem nómos hýbreōs, der sich speziell auf Kinder bezieht (Tim. 16) 2. Gesetze über die jungen Männer (Tim. 7: περὶ τῶν μειρακίων) – Auszug aus dem nómos hetairḗseōs: hētairekótes können keine öffentlichen Funktionen ausüben und dürfen nicht vor Rat und Volk reden (Tim. 19) 3. Gesetze über die höheren Altersgruppen, seien es Privatpersonen, seien es Redner vor dem Volk (Tim. 7: περὶ τῶν ἄλλων ἡλικιῶν, οὐ μόνον περὶ τῶν ἰδιωτῶν, ἀλλὰ καὶ περὶ τῶν ῥητόρων); es sind dies νόμοι περὶ εὐκοσμίας – Bestimmung über die Aufgaben der Vorsitzenden (próhedroi) in den Volksversammlungen (Tim. 23) – dokimasía rhētórōn (Tim. 25 f.; 28) Das erste Gesetz bezüglich des angemessenen Lebenswandels von (freien) Kindern lege fest, zu welcher Stunde freigeborene Knaben in die Schule und wann sie nach Hause gehen, wann die Lehrer die Schule und die Sportlehrer die Palästren öffnen und schließen sollten, wer Zutritt zu den Anlagen haben, wer über die paidagogoí und wer bei den Musen- und Hermesfesten sowie den Choraufführungen die Aufsicht führen sollte. Die Chorleiter müssten über vierzig Jahre alt sein.48 Ein solonischer Ursprung einer solchen ‚Schulordnung‘ ist auszuschließen.49

Symposion 2003. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Rauschholzhausen, 30. September – 3. Oktober 2003), hrsg. von Hans-Albert Rupprecht, Wien 2006, 93–111, hier 101–105. 48  Aischin. Tim. 9–10. Das entsprechende ‚Gesetz‘ ist in Tim. 12 eingelegt, das aber übereinstimmend als Fälschung angesehen wird (Fisher 2001 [wie Anm. 1], 135). Jakov Lencman ist geneigt, die Vorschrift noch in archaische Zeit zu setzen, da paidagogoí sich bis tief in das 6. Jh. zurückverfolgen ließen ( Jakov A. Lencman, Raby v zakonach Solona. K voprosu o dostovernosti antičnoj tradicii [= Die Sklaven in Solons Gesetzen. Zur Frage nach der Glaubwürdigkeit der antiken Tradition], in: VDI 63,4, 1958, 51–69). 49  So auch Fisher 2001 (wie Anm. 1), 129: „These specific laws regulating educational establishments are not attested elsewhere for classical Athens: they may be Solonian laws, as Aeschines claims, laws passed later, for example some time in the fifth century, or bold inventions by Aeschines“. Ähnlich ebd. 130. Ebenso Henri W. Pleket, Zur Soziologie des antiken Sports, in: MNIR 36, 1974, 57–87, hier 61 f.; Ingomar Weiler, Einige Bemerkungen zu Solons Olympionikengesetz, in: Paul Händel, Wolfgang Meid (Hrsg.), Festschrift für Robert Muth, Innsbruck 1983, 573–582, hier 573 und 579; Donald G. Kyle, Athletics in Ancient Athens, Leiden 1987, 22 und Christian Mann, Athlet und Polis im archaischen und frühklassischen

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Nach seinen Ausführungen zur ‚Schulordnung‘ wendet sich Aischines dem nómos hetairḗseōs zu: Die ‚Alten‘ (παλαιοί) hätten gegen schwerste Vergehen Gesetze erlassen, dass nämlich, wenn ein Vater, Bruder, Onkel, Vormund, oder wer sonst die Hausgewalt ausübt,50 ein Kind zur Unzucht, zum hetaireín, vermietet, keine Klage gegen das Kind, sondern nur gegen den Vermietenden und den Mietenden zulässig sei, und gegen beide gleiche Strafen (ἴσα τὰ ἐπιτίμια) zu verhängen seien. Sei das Kind herangewachsen, sei es nicht verpflichtet, den Vater zu ernähren oder ihm Wohnung zu gewähren, aber begraben müsse es ihn und die Totenrituale vollziehen (F 143b).51 Der Gesetzgeber habe also den Hausvorstand des Nutzens, Kinder gezeugt zu haben, beraubt – bis auf den der Bestattung –, den Sohn indes des Rechts der parrhēsía, also öffentlich aufzutreten.52 Es waren dies einige der im nómos hetairḗseōs geregelten Bestimmungen, an die sich weitere anschlossen, die aber erst in § 19 f. angeführt werden. Aischines hat in seiner Kommentierung des Gesetzes das Verbot des öffentlichen Auftretens vor dem Volk an dieser Stelle hinzugefügt, wenngleich das Verbot erst später aus dem Gesetz heraus zitiert wird. Anschließend zieht Aischines das Gesetz gegen ‚Kuppelei‘ heran, den nómos pro­ agōgeías, von dem er nur einen Halbsatz nennt, nämlich dass die härtesten Strafen verhängt werden gegen denjenigen, der ein freies Kind oder eine Frau einem anderen ‚zuführt‘ (proagōgeúein).53 Es ist gut möglich, dass es sich dabei um eine Bestimmung aus einem solonischen Gesetz handelt (F 95a). Aischines wendet sich danach dem Hybrisgesetz zu, wobei er wiederum die grundlegende Verfahrensregel der Solon zugeschriebenen Popularklage nur indirekt zitiert und dabei Kinder vor Männern und Frauen nennt (§ 15). Eingelegt ist dann ein Gesetz, das sich allein auf Kinder bezieht (§ 16). Es ist zunächst eine allgemeine Verfahrensregel, die präzisiert, dass es dem Hausvater (kýrios) zukommt, wegen eines seiner

Griechenland, Göttingen 2001, 81 mit dem Hinweis, dass gymnázesthai zum ersten Mal bei Theogn. 1335 f. belegt sei und sich die Institution des Gymnasions erst im Laufe des 6. Jh. entwickelt habe. Ebenso Christian Mann, Krieg, Sport und Adelskultur. Zur Entstehung des griechischen Gymnasions, in: Klio 80, 1998, 7–21, hier 7. 50  Darauf ist in Aischin. Tim. 18 noch einmal Bezug genommen mit der Formulierung τοῖς περὶ τὸν παῖδα, πατρί, ἀδελφῷ, ἐπιτρόπῳ, διδασκάλοις καὶ ὅλως τοῖς κυρίοις; die dadáskaloi sind zusätzlich einbezogen, da sie im ‚Schulgesetz‘ genannt sind, die kýrioi, da sie in der Detailbestimmung der graphḗ hýbreōs genannt sind. 51  Aischin. Tim. 13.72, vgl. 87. Fisher 2001 (wie Anm. 34), 136. Kapparis 2018 (wie Anm. 45), 156 subsumiert dieses Gesetz unter die „laws on procurement“, doch Kuppelei richtet sich allein auf die Vermittlung illegalen geschlechtlichen Verkehrs durch Dritte. Er hält die Bestimmung für ein authentisches solonisches Gesetz (ebd. 157). 52  Aischin. Tim. 14. 53  Aischin. Tim. 14: τὸν [νόμον] τῆς προαγωγείας, τὰ μέγιστα ἐπιτίμια ἐπιγράψας, ἐάν τις ἐλεύθερον παῖδα ἢ γυναῖκα προαγωγεύῃ. Nach Poll. 3,27 war Hypereides’ Rede Gegen Patrokles (Hyp. F 138–145 Blass, F 164–171 Sauppe), vielleicht auch seine Rede Gegen Timandra, in einem Verfahren proagōgeías gehalten worden.

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Hausgewalt unterstehenden Kindes, an dem sich ein Athener vergangen hat,54 bei den Thesmotheten Klage einzureichen und dabei die geforderte Strafe anzugeben. Wenn der Gerichtshof (dikastḗrion) ihn dazu verurteilt, soll er den Elfmännern am gleichen Tag zur Hinrichtung übergeben werden; wenn er aber zu einer Geldstrafe verurteilt wird, innerhalb von elf Tagen nach dem Urteil die Strafe entrichten oder festgehalten werden, wenn er die Summe nicht bis zu diesem Zeitpunkt zahlen kann. Unter diese Anklagen sollen auch diejenigen fallen, die sich eines Vergehens gegen Sklaven (oiketiká sṓmata) schuldig gemacht haben.55 Das in § 16 eingelegte Gesetz gilt in der Regel als unecht, doch ist zu berücksichtigen, dass Aischines in § 18 mit καὶ ὅλως τοῖς κυρίοις auf den im Gesetz genannten κύριος τοῦ παιδὸς Bezug nimmt. Wegen der im eingelegten Gesetz verwendeten Begrifflichkeit wird man dennoch dieses das Hybrisgesetz ‚erweiternde‘ Gesetz nicht als solonisch anerkennen wollen. Aischines erklärt die Einbeziehung der Sklaven (im Hybisgesetz [§ 15] und in der Deatilbestimmung [§ 16]) mit einem erzieherischen Aspekt; wenn schon hýbris gegen Sklaven hohe Strafen verdient, wie dann umso mehr hýbris gegenüber Freien. Aischines verwendet in seiner Kommentierung zweimal doúloi und einmal oikétai statt oiketiká sṓmata, wobei gut möglich ist, dass unter der Voraussetzung, dass das Gesetz auf relativ frühe Zeit zurückgehen würde, mit oiketiká sṓmata freie Knechte und Mägde gemeint waren, die in das Haus eingebunden waren und der hausväterlichen Gewalt unterstanden, also nicht selbst Klage einreichen konnten.56 Dennoch wird es sich in der bei Aischines in § 16 überlieferten Fassung um ein revidiertes Gesetz handeln, wie die Bezeichnungen dikastḗrion für Gerichtshof und kýrios für den Hausherrn zeigen. Aischines geht mit § 19 zu einem neuen Abschnitt über, da sich – so führt er aus – die vorher zitierten Gesetze auf das Kind als Objekt gerichtet hätten, die folgenden aber auf die jungen Männer, die eigenverantwortlich handelten und selbst für Gesetzesübertretungen hafteten. Erneut sind es zunächst Auszüge aus dem nómos hetairḗseōs, jedoch nicht mit einer Detailbestimmung hinsichtlich der paídes, sondern der Heran-

54  Vermutlich hatte man, wenn der Täter ein Fremder war, diesen beim árchōn polémarchos anzuklagen. 55  Aischin. Tim. 16: Νόμος. Ἐάν τις Ἀθηναίων ἐλεύθερον παῖδα ὑβρίσῃ, γραφέσθω ὁ κύριος τοῦ παιδὸς πρὸς τοὺς θεσμοθέτας, τίμημα ἐπιγραψάμενος. Οὗ ‹δ’› ἂν τὸ δικαστήριον καταψηφίσηται, παραδοθεὶς τοῖς ἕνδεκα τεθνάτω αὐθημερόν. Ἐὰν δὲ εἰς ἀργύριον καταψηφισθῇ, ἀποτεισάτω ἐν ἕνδεκα ἡμέραις μετὰ τὴν δίκην, ἐὰν μὴ παραχρῆμα δύνηται ἀποτίνειν· ἕως δὲ τοῦ ἀποτεῖσαι εἱρχθήτω. Ἔνοχοι δὲ ἔστωσαν ταῖσδε ταῖς αἰτίαις καὶ οἱ εἰς τὰ οἰκετικὰ σώματα ἐξαμαρτάνοντες. Eingeleitet wird der eingelegte Text mit einer indirekten Wiedergabe des Hybrisgesetzes (Tim. 15; F 93e; †F 30/1a Leão / P. J. Rhodes). 56  Fisher 2001 (wie Anm. 1), 139 hatte die Echtheit des eingelegten Gesetzes auch deswegen bestritten, weil bei der graphḗ hýbreōs „jeder, der will“ klagen konnte, hier aber der kýrios als Kläger bestimmt ist. Das ist aber kein zwingendes Argument, da es um Personen geht, die der hausväterlichen Gewalt unterstehen; bei ihnen konnten möglicherweise keine Dritten über den Kopf des kýrios hinweg Klage einreichen. Kapparis 2018 (wie Anm. 12), 158–161 führt als Beleg für die Verbindung von Hybrisgesetz und sexuellen Angriffen zwar Aischin. Tim. 15 an, behandelt aber nicht die Frage, in welchem Zusammenhang das in Aischin. Tim. 15 genannte, ‚ergänzende‘ Gesetz mit dem Hybrisgesetz steht.

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gewachsenen.57 Er beginnt mit dem indirekt zitierten Gesetz, dass es einem Athener nicht möglich sei, ein Archontenamt auszuüben, wenn er sich des hetaireín, eines unsittlichen Lebens, schuldig gemacht habe, denn die Amtswürde werde bekränzt ausgeübt. Er solle auch kein Priesteramt wahrnehmen (bzw. keine heiligen Gelder verwalten), da er keinen reinen Körper habe, noch für einen anderen in einem öffentlichen Prozess vor Gericht auftreten, noch irgendein anderes Amt jemals ausüben, weder in Attika, noch auswärts, sei es gelost, sei es gewählt.58 Er fungiere nicht als Herold oder Gesandter und betätige sich auch nicht als Richter gegen Gesandte, lasse sich nicht verdingen, als Sykophant verleumderische Anklagen einzureichen, noch seine Meinung vorbringen, nicht im Rat, nicht vor dem Volk, selbst wenn er der geschickteste Redner wäre. Wenn jemand dem zuwider handle, habe dafür der Gesetzgeber die gra­ phaí hetairḗseōs erlassen und die härtesten Strafen darauf gesetzt.59 Die Tatsache, dass in diesem Gesetz sowohl Ämter in Attika als auch auswärtige Ämter genannt sind, die es in nennenswerter Zahl erst in der Zeit des bestehenden Delisch-Attischen Seebundes gab,60 nicht nur gewählte, sondern auch geloste Amtsträger, schließt aus, dass das Gesetz in der vorliegenden Form auf solonische Zeit zurückgeht. Suspekt ist zudem, dass dem hētairēkṓs untersagt ist, als Sykophant verleumderische Anklagen einzubringen; denn es war grundsätzlich unter Strafe gestellt, sich für eine Anklage kaufen zu lassen.61 Dem Timarchos wirft Aischines vor, er habe sich trotz dieses Verbots politisch betätigt, insbesondere als Redner vor dem Volk geredet und Anträge eingebracht, und unterstellt ihm, dass er über das Knabenalter hinaus ein unsittliches Leben geführt habe.62 Dafür sei nicht sein Vater oder der, der die hausväterliche Gewalt innegehabt hatte, verantwortlich zu machen, sondern er selbst, da sich dieses Gesetz auf die meirá­ kioi beziehe. Mit dem § 22 geht Aischines zu den Gesetzen über, die für einen angemessenen Lebenswandel von Personen höheren Alters gelten, „und zwar sowohl für die Privatpersonen als auch für die Redner“.63 Sie bestimmten, auf welche Weise die Athener zusammenkommen und in den Volksversammlungen über die wichtigsten Angelegenheiten beraten sollten. Und der Gesetzgeber begann dabei mit den νόμοι περὶ εὐκοσμίας, mit 57  Insofern trifft für dieses Gesetz zu, dass es in der Systematik nach Altersgruppen gegliedert ist, von den paídes zu den meirákioi und ándres übergeht. 58  Aischin. Tim. 19 (F 103 Ruschenbusch; Leão/Rhodes). 59  Aischin. Tim. 20. 60  Aristot. Ath. pol. 24,3. 61 Zur graphḗ sykophantías Isokr. 15,313 f.; vgl. Theophr. in Schol. Demosth. or. 23,24. Dazu Lipsius 1905–15, 448–451. Für eine Entstehung des Gesetzes erst in klassischer Zeit treten auch Leão/Rhodes 2015, 166 ein – auch wenn ein solonischer Kern nicht ausgeschlossen werden könne. 62  Aischin. Tim. 20–22. 63  Aischin. Tim. 22; angekündigt in Tim 7: Πρῶτον μὲν γὰρ περὶ τῆς σωφροσύνης τῶν παίδων τῶν ἡμετέρων ἐνομοθέτησαν, … ἔπειτα δεύτερον περὶ τῶν μειρακίων, τρίτον δ’ ἐφεξῆς περὶ τῶν ἄλλων ἡλικιῶν, οὐ μόνον περὶ τῶν ἰδιωτῶν, ἀλλὰ καὶ περὶ τῶν ῥητόρων.

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„Gesetzen über die gute Ordnung“, also mit dem „angemessenen Lebenswandel“ (σωφροσύνη). Aischines zitiert anschließend aus diesen Gesetzen: Sobald das Reinigungsopfer vollzogen worden sei und der Herold die traditionellen Gebete gesprochen habe, sollten die Vorsitzenden (próhedroi) zunächst über die kultischen und profanen, die Herolde und Gesandten betreffenden Angelegenheiten eine Vorabstimmung durchführen lassen, und anschließend sollte der Herold fragen: „Wer von denen über fünfzig Jahren will sprechen?“ Wenn aber diese alle gesprochen hätten, dann erst befehle er, dass von den anderen Athenern derjenige rede, der wolle und das Recht dazu habe.64 Vorschriften περὶ εὐκοσμίας sind in den Quellen klassischer Zeit mehrfach bezeugt: Aristeides aus Keos wird dafür gerühmt, dass er für Kinder und Frauen Vorschriften für angemessene Lebensformen erlassen habe; Knaben und Mädchen sollten bis zur Hochzeit nur Wasser trinken; eine Mutter sollte um ein verstorbenes Kind ein Jahr trauern. Damit habe er für eine „gute Ordnung“ bei den Frauen gesorgt.65 Ob es sich bei Aristeides um einen Gesetzgeber archaischer Zeit handelt, dafür gibt es keinen Anhaltspunkt. Zudem ist eher davon auszugehen, dass erst in der späteren Rezeption früherer Gesetze deren Intention unter den Titel γυναικῶν εὐκοσμία gestellt wurde.66 Platon dringt darauf, dass die Lehrer in der Schule für einen „anständigen Lebenswandel“ (eukosmía) der Kinder Sorge tragen.67 Marktaufseher (agoranómoi) sorgen für den ordnungsgemäßen Ablauf (eukosmía) auf dem Markt;68 Aristoteles stellt dabei die grundsätzliche Frage, ob man die Aufgaben für die Amtsträger nach sachlichen Gesichtspunkten einteilen solle oder nach Personengruppen, also einen einzigen für die gesamte „gute Ordnung“ (eukosmía) oder je einen für die Kinder oder die Frauen.69 In wohlhabenderen Poleis, die Wert legten auf eine „gute Ordnung“ (eukosmía), gäbe es besondere Ämter für die Aufsicht über die Frauen, die Einhaltung der Gesetze, für die Kinder, die Gymnasien oder die Durchführung der athletischen, dionysischen und anderer Festspiele.70 Diese Belege sprechen dafür, dass Vorschriften über einen ange64  Aischin. Tim. 23 (†F 80/1a Leão/Rhodes): Καὶ πῶς κελεύει τοὺς προέδρους χρηματίζειν; ἐπειδὰν τὸ καθάρσιον περιενεχθῇ καὶ ὁ κῆρυξ τὰς πατρίους εὐχὰς εὔξηται, προχειροτονεῖν κελεύει τοὺς προέδρους περὶ ἱερῶν τῶν πατρίων καὶ κήρυξι καὶ πρεσβείαις καὶ ὁσίων, καὶ μετὰ ταῦτα ἐπερωτᾷ ὁ κῆρυξ· „τίς ἀγορεύειν βούλεται τῶν ὑπὲρ πεντήκοντα ἔτη γεγονότων;“ ἐπειδὰν δὲ οὗτοι πάντες εἴπωσι, τότ’ ἤδη κελεύει λέγειν τῶν ἄλλων Ἀθηναίων τὸν βουλόμενον, οἷς ἔξεστιν. Vgl. dazu Aristot. Ath. pol. 43,6 und 30,5. 65  Herakl. Lemb. 28 Dilts (Aristot. fr. 611,28): Ἀριστείδης ἐπεμελεῖτο γυναικῶν εὐκοσμίας. καὶ τὸ παλαιὸν ὕδωρ ἔπινον οἱ παῖδες καὶ αἱ κόραι μέχρι γάμου. ἐπὶ δὲ τοῖς τελευτῶσιν οὐδέν ἐστι πένθος ἐν ἀνδράσι περὶ ἐσθῆτα ἢ κουράν, μητρὶ δὲ νέου τελευτήσαντος ἐνιαυτός. 66  Siehe dazu die Diskussion bei Karl-Joachim Hölkeskamp, Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland, Stuttgart 1999, 144–148. 67  Plat. Prot. 325d: ἐπιμελεῖσθαι εὐκοσμίας τῶν παίδων. Als Adverb schon in Hom. Od. 21,123 und Hes. erg. 628. 68  Aristot. pol. 4,15, 1299b 15–17: ἐπιμελεῖσθαι …, οἷον εὐκοσμίας πότερον ἐν ἀγορᾷ μὲν ἀγορανόμον; 69  Aristot. pol. 4,14, 1299b 18–20: κατὰ τὸ πρᾶγμα δεῖ διαιρεῖν ἢ κατὰ τοὺς ἀνθρώπους, λέγω δ’ οἷον ἕνα τῆς εὐκοσμίας, ἢ παίδων ἄλλον καὶ γυναικῶν. 70  Aristot. pol. 6,8, 1322b 37–1323a 3. Siehe auch Thuk. 1,84,3 und 6,42,1.

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messenen Lebenswandel aus dem in klassischer Zeit gestiegenen Bedürfnis einer geregelten sittlichen Ordnung hervorgegangen sind, die insbesondere von Philosophen entworfen wurden. Doch ist zu bedenken, dass bereits Solon den Athenern in einer seiner Elegien verkündet, dass eine „schlechte Ordnung“ (dysnomía) der Stadt schlimmste Übel bereite, während eine „gute Ordnung“ (eunomía) alles ordentlich und passend (eúkosma kaí ártia) mache.71 Vom Begriff her könnten also Vorschriften perí eukosmías durchaus auf solonische Zeit zurückgehen. Trotzdem erscheint es zweifelhaft, ob genaue Vorschriften über die Aufgaben und Abläufe in der Volksversammlung und im Rat im Sinne einer Geschäftsordnung auf Solon zurückgeführt werden können. Sicherlich ist nicht auszuschließen, dass einzelne Bestandteile späterer Ordnungen im Kern auf frühe Zeit zurückgehen, so diejenige, dass Athener über 50 Jahren in der Volksversammlung zuerst sprechen durften.72 Aischines nimmt in den §§ 25 und 26 erneut unmittelbar Bezug auf den Gesetzgeber Solon, von dem ein Standbild mit verhüllter Hand auf der Agora der Salaminier stehe.73 Und der Gesetzgeber habe durch die – in § 28 folgende – dokimasía der Redner bestimmt, wer als Sprecher auftreten dürfe und wer nicht.74 Und die, die unsittlich gelebt haben, denen solle dieses Recht entzogen sein.75 Aischines beendet seine Ausführungen mit der Bemerkung, dass dies schon lange Gesetz sei76 – und dies trifft in der Tat zu (F 54) –, und fügt dann ein „neues Gesetz“ an, nämlich das über die Losung der Phyle, die jeweils den Vorsitz bei der Volksversammlung führt, und weitere über

71  Solon fr. 4 West (3 Diehl, Gentili-Prato) Z. 30–32: ταῦτα διδάξαι θυμὸς Ἀθηναίους με κελεύει, / ὡς κακὰ πλεῖστα πόλει Δυσνομίη παρέχει· / Εὐνομίη δ’ εὔκοσμα καὶ ἄρτια πάντ’ ἀποφαίνει, … 72  Leão/Rhodes haben Aischin. Tim. 22–23 als †F 80/1a und Ktes. 2–3 als F 80/1b (= F 101 Ruschenbusch) aufgenommen und halten die Opfer und Gebete zu Beginn der Volksversammlung und die Reihenfolge der zu behandelnden Angelegenheiten für alt. Bei der Regelung, dass die über 50-jährigen Athener zuerst sprechen sollen, seien drei Lösungen vorgeschlagen worden (siehe den Kommentar ebd. S. 138 und Fisher 2001 [wie Anm. 1], 148 f.), nämlich dass diese Regelung zwischen 346/5 und 330 außer Gebrauch kam, aber formell noch bestand (vgl. Aischin. Ktes. 4; so Mogens Herman Hansen, The Athenian Assembly in the Age of Demosthenes, Oxford 1987, 171 Anm. 581), dass es eine solonische Einrichtung war, die spätestens von 462/1 an keine Beachtung mehr gefunden habe (Konstantinos Kapparis, The Law on the Age of the Speakers in the Athenian Assembly, in: RhM 141, 1998, 255–259) oder dies eine Erfindung sei (Robin Lane Fox, Aeschines and the Athenian Democracy, in: Ritual, Finance, Politics: Athenian Democratic Accounts Presented to David Lewis, Oxford 1994, 135–155, hier 147–149). Nach Nick Fisher sei es eine solonische Regelung, die seit der Mitte des 5. Jh. unbeachtet blieb. Allerdings stellt sich dann die Frage, welchem Rechtsverfahren eine solche Bestimmung zugeordnet werden kann. Siehe dazu auch Andrew Ford, Reading Homer from the Rostrum Poems and Laws in Aeschines’ Against Timarchos, in: Simon Goldhill, Robin G. Osborne (Hrsg.), Performance Culture and Athenian Democracy, Cambridge 1999, 231–256, hier 245–247. 73  Dazu Fisher 2001 (wie Anm. 34), 151 f. 74  Aischin. Tim. 27: Ἃ συνιδὼν ὁ νομοθέτης διαρρήδην ἀπέδειξεν οὓς χρὴ δημηγορεῖν καὶ οὓς οὐ δεῖ λέγειν ἐν τῷ δήμῳ. 75  Aischin. Tim. 28–32 (F 104a Ruschenbusch; Leão/Rhodes). 76  Aischin. Tim. 33: Ταῦτα μὲν οὖν πάλαι νενομοθέτηται.

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Appendices

die Befugnisse der Vorsitzenden, Redner in Rat und Volksversammlung zurechtzuweisen.77 Die ‚Schulordnung‘ und die zuletzt genannten neuen Gesetze sind sicherlich keine solonischen. Bei den Gesetzen hetairḗseōs und proagōgeías mag es sich um Gesetze handeln, die in ihrem Grundbestand auf Gesetze Solons zurückgehen, im Laufe der Zeit aber detaillierte Ergänzungen erfahren haben (F 99–101). Letztlich muss jedoch unsicher bleiben, ob über die Bestimmung hinaus, die dem hetairēkṓs, der einen unsittlichen Lebenswandel führte, verbot, als Redner vor das Volk zu treten (oder in ein Heiligtum zu gehen), Solon auch ein Gesetz erließ, das einer Person, die ein freies Kind oder eine freie Frau einem anderen zur Unzucht zuführte, harte Strafen androhte. Dasselbe gilt für die graphḗ hýbreōs, die in ihrem Kernbestand – der schriftlich einzureichenden Popularklage bei den Thesmotheten – auf Solon zurückgehen wird, nicht aber vermutlich mit der Detailbestimmung in § 16, die Aischines in den Fokus genommen hat. Zu beachten ist dabei auch, dass Aischines nach der summarischen Nennung der frühen Gesetzgeber in Tim. 6 erst in den §§ 25–26 wieder Solon direkt nennt, ihm die dokimasía rhētórōn zuspricht, nicht aber expressis verbis die anderen Gesetze.78 Allerdings wird aus den νόμοι περὶ εὐκοσμίας die Regelung, dass in der Volksversammlung die über Fünfzigjährigen zuerst sprechen dürfen (Tim. 1,23) in der Rede Gegen Ktesiphon als ein Bestandteil solonischer Gesetze περὶ τῆς τῶν ῥητόρων εὐκοσμίας bezeichnet.79

77  Aischin. Tim. 33–35. Zu diesen neuen Gesetzen auch Aischin. Ktes. 4; Fisher 2001, 163 f. 78  Dazu das Gesetz über die ehebrecherische Frau in Aischin. Tim. 183 f.: περὶ τῆς τῶν γυναικῶν εὐκοσμίας. 79  Aischin. Ktes. 2–3 (F 101 Ruschenbusch; F 80/1b Leão/Rhodes): Ἐβουλόμην μὲν οὖν, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, καὶ τὴν βουλὴν τοὺς πεντακοσίους καὶ τὰς ἐκκλησίας ὑπὸ τῶν ἐφεστηκότων ὀρθῶς διοικεῖσθαι, καὶ τοὺς νόμους οὓς ἐνομοθέτησεν ὁ Σόλων περὶ τῆς τῶν ῥητόρων εὐκοσμίας ἰσχύειν, ἵνα ἐξῆν πρῶτον μὲν τῷ πρεσβυτάτῳ τῶν πολιτῶν, ὥσπερ οἱ νόμοι προστάττουσι, σωφρόνως ἐπὶ τὸ βῆμα παρελθόντι ἄνευ θορύβου καὶ ταραχῆς ἐξ ἐμπειρίας τὰ βέλτιστα τῇ πόλει συμβουλεύειν, δεύτερον δ’ ἤδη καὶ τῶν ἄλλων πολιτῶν τὸν βουλόμενον καθ’ ἡλικίαν χωρὶς καὶ ἐν μέρει περὶ ἑκάστου γνώμην ἀποφαίνεσθαι. – „Ich wünschte wohl, Athener, dass der Rat der Fünfhundert und die Volksversammlungen von ihren Vorsitzenden korrekt geleitet würden und dass die Gesetze, die Solon über das angemessene Verhalten der Redner (eukosmía rhētórōn) erlassen hat, Geltung hätten, so dass zuerst der älteste unter den Bürgern, wie die Gesetze es vorschreiben, in angemessener Art (sōphrónōs) den Rednerplatz betrete, ohne Lärm und Geschrei der Polis aus seiner Erfahrung heraus das Beste rate, und dann erst von den anderen Bürgern derjenige, der will, einzeln nach Alter und der Reihe nach über jede Angelegenheit seine Meinung vortrüge“.

Tafel

Tafel 1 Innenbild einer dem Briseis-Maler zugeschriebenen attisch-rotfigurigen Schale (Kylix) aus der Zeit um 480/70 v. Chr. Ein junger Mann steht vor einem hölzernen Gerät mit horizontal und möglicherweise drehbar gelagerten Balken (The Metropolitan Museum of Arts, New York, 27.74; www.metmuseum.org/collection/the-collection-online/search/252891).

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XII. Register Konkordanz Testimonia LegDrSol

Martina

Ruschenbusch Quellenbeleg (1966)

T1 T2 T3 T4 T5 T6 T7 T8

– – – T 533 T 530 T 529 T 570 T 547

– – – T 26 T 27 T 29 – –

T9 T 10 T 11

T 548 T 535 T 536

– T 19, 28 T 30a

adn. T 11





T 12

T 558

T2

T 13a

T 566b



T 13b

T 558

T2

T 14a T 14b

T 546 T 492

T 14, 20, 25

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904

Register

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch Quellenbeleg (1966)

T 15

T 548

T 15, 18a, 24

T 16

T 545

T 11

adn. T 16





T 17

T 558

T2

adn. T 17 T 18a T 18b

– T 569a T 569b

– – –

T 19a

T 547



adn. T 19a T 19b T 19c

– T 556 T 557

– – –

T 19d

T 557



T 19e

T 566a



adn. T 19e T 19f

– T 531

– T 30c

T 19g

T 565



T 20

T 548



adn. T 20 T 21 T 22 T 23

– T 541 T 551 T 560

– T 13, 22, 23 T 18b –

T 24 adn. T 24

T 559 T 562

T 12 –

T 25 adn. T 25

– –

– –

Euphorion (= Harpokr. ο 14, Suda ο 104, Phot. Lex. ο 173 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος; P. Berol. 5008 B 7 ff. zu lex apud Demosth. or. 23,28) Aristoph. Byz. fr. 76 Nauck; FgrH 339 F *2 (= Suda κ 2745, Epimerismi Homerici κ 122 s. v. κύρβεις) Etym. Gud. s. v. κῦρβες p. 355,38–52 Sturz (Etym. M. p. 547,45 s. v. κύρβεις) Asklepiades FgrH 339 F 1 (= Etym. Gud. p. 355,38–52 Sturz, Etym. M. p. 547,45 s. v. κύρβεις) Suda κ 2745 s. v. κύρβεις Krates in Schol. vet. Hom. Il. 21,282e Krates in Schol. Hom. Il. 21 (= P. Oxy. 2,221 col. 14, Z. 9–13) Apollodoros FgrH 244 F 107a (= Harpokr. κ 97, Phot. Lex. κ 1233 s. v. κύρβεις) Phot. Lex. κ 1233 s. v. κύρβεις Apollodoros in Phot. Lex. κ 1234 s. v. κύρβεις Apollodoros FgrH 244 F 107a; F 26a,1 FHG (= Suda κ 2744 s. v. κύρβεις) Apollodoros FgrH 244 F 107e (= Suda κ 2745 s. v. κύρβεις) Apollodoros FgrH 244 F 107b (= Schol. Apoll. Rhod. 279–281b) Schol. Aristoph. nub. 447, 448 Apollodoros FgrH 244 F 107d (= Schol. Aristoph. Av. 1354a) Apollodoros FgrH 244 F 107c (= Lex. Patm. [Lex. in Demosth. et Aeschin.] p. 160,17 s. v. κύρβεις) Didymos (= P. Berol. 5008 B 7 ff. zu lex apud Demosth. or. 23,28; Harpokr. ο 14, Suda ο 104, Phot. Lex. ο 173 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος) Harpokr. ο 14 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος Plut. Solon 25,1–2 Poll. 8,128 Antiattikistes γ 5 s. v. γενέσια (Lex. Segueriana, Anecd. gr. I p. 86,20 Bekker) Phot. Lex. α 2183, Etym. M. p. 115,45 s. v. ἄξονες Συναγωγὴ λέξεων χρησίμων ἐκ διαφόρων σοφῶν τε καὶ ῥητόρων πολλῶν α 1567 s. v. ἄξονες Cunningham; Etym. Symeonis I p. 92 s. v. ἄξονες Suda α 2833 s. v. ἄξονες Suda κ 2745 s. v. κύρβεις; ν 485 s. v. νόμος

905

Konkordanz

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch Quellenbeleg (1966)

T 26 T 27 T 28 T 29 T 30

– T 534 T 558 T 537 T 555

– T1 T2 T3 T4

T 31 T 32a T 32b

T 540 T 569a T 569b

T5 T 6a T 6b

T 33 T 34 T 35a

T 538 T 539 T 549

T7 T 8, 33 T9

T 35b

T 550

T 10

Schol. Plut. Solon 19,4 Vita Menagiana, Schriftenkatalog Nr. 140 Asklepiades FgrH 339 F 1 (= T 17) Didymos FgrH 340 F 1 (= Plut. Solon 1,1) Seleukos FgrH 341 F 1 (= Phot. Lex. ο 439 s. v. ὀργεῶνες Theodorides; Suda ο 511 s. v. ὀργεῶνες) Plut. Solon 24,2 Krates in Schol. vet. Hom. Il. 21, 282e (= T 18a, F 111a) Krates in Schol. Hom. Il. 21 (= P. Oxy 2,221 col. 14, Z. 9–13) (= T 18b, F 111b) Plut. Solon 19,4 Plut. Solon 23,4 Harpokr. ο 43, Phot. Lex. ο 384 Theodoridis s. v. ὅτι οἱ ποιητοὶ παῖδες (= F 136c) Harpokr. σ 18, Phot. Lex. σ 248, Suda σ 502 s. v. σῖτος (= F 142)

Fragmente LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

F 1a

T 324, 420

F 37a

F 37a

F 1b

T 418b, 538

F 70

F 22/1

Quellenbeleg

I. Frühes Gesetz (F 1) Aristot. Ath. pol. 16,10 (= F 44a, 51a–b) Plut. Solon 19,4 (= F 44a, 51a–b)

II. Die Gesetze Drakons und Solons über die Tötung (F 2–39) F2 F 3a F 3b

T 384 T 359a T 381a

F 3c F 3d F 4a F 4b F 4c F 5a F 5b F 6a

– T 381c vgl. T 418b T 408, 418b T 303 – – T 385

F 6b



F 5a (18a, 19a) F 5a (18a, 19a) IG I3 104 – – And. 1,81 F 1a F 1a Aristot. Ath. pol. 4,1; 7,1 (= F 19b) – – Paus. 6,11,6 (= F 32e) F 1c F 1c Ail. var. 8,10 (= F 19e) – – And. 1,78 F 2, 70 F 2, 22/1 Plut. Solon 19,3–4 (= F 1b, 20e) – – Poll. 8,125 – – Antiph. 6,16 – – And. 1,94 F 5b F5b lex apud Demosth. or. 43,57 (= F 27a) – – Demosth. or. 21,43

906

Register

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 6c F 6d

– –

– –

– –

F 6e F 6f

T 386a T 386b

F 5d F 5c

F 5d F 5c

F7 adn. 7 F 8a

T 399 – T 397

F 18b – F 16

F 18b – F 16/a

F 8b F 8c

– T 392

– F 11

– F 11

F 9a F 9b

T 398 –

F 17 –

F 17 –

F 10a







F 10b F 10c F 11a F 11b F 11c

T 400 T 380 T 401 – –

F 19b F 141 F 20 – –

F 19b F 141 F 20 – –

F 11d F 11e

– T 459

– F 28b

– F 28b

F 11f F 12a

– –

– –

– F 23/1

F 12b F 12c F 12d

– T 382 T 383

– F 140 F 23a

– F 140 F 23a

F 12e







F 13 F 14a







Demosth. or. 37,59 Ps.-Demosth. or. 47,71 f. (= F 14b, 26b, 38b) Poll. 3,28 Synagoge lexeon chresimon s. v. ἀνεψιαδοί, Lex. Segueriana (Anecd. gr. I p. 401,18 Bekker) (= F 26c) lex apud Demosth. or. 23,37 Antiph. 6,4 lex apud Demosth. or. 23,28 (= F 33a, 60, 110b) Paus. 1,28,10 (= F 22d) Phot. Lex. π 1009 Theodoridis s. v. ποινᾶν καὶ ἀποινᾶν (= F 33c) lex apud Demosth. or. 23,44 Theophr. fr. 104 Wimmer (fr. 9 Szegedy-Maszak) (= Harpokr. ο 42; Phot. Lex. ο 583) lex apud Demosth. or. 23,50 (= F 110c) lex apud Demosth. or. 23,60 Xen. oik. 14,4–5 lex apud Demosth. or. 23,53 Lys. 1,30 f. (= F 28a) Xenarchos F 4 PCG (= Athen. 13,24, p. 569 a, c–d) Paus. 9,36,8 Ulpian, Labeo, Pomponius in Dig. 48,5,24 (= F 94e) P. Berol. 5008 s. v. ὁδός Demosth. or. 24,113 (= F 29, 112a) Plut. Solon 17,2 Alkiphr. ep. 2,38,3 Gell. N. A. 11,18,1–3 und 5 (= F 19d) Methodius von Olympus, Symposium sive Convivium decem virginum or. 8 (Thekla), 16 vgl. F 31 Antiph. 5,48

907

Konkordanz

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 14b







F 14c F 15 F 16a F 16b F 17a

– T 387 T 395 – T 424b

– F6 F 14 – F 148c

– F6 F 14 – F 66/1f

F 17b

T 424a

F 148b

F 66/1e

F 17c F 17d F 18a F 18b

T 381b T 424c T 391 T 481b

– F 148d F 10 F 41c

– F 66/1g F 10 F 41c

adn. 18b







F 19a F 19b F 19c F 19d F 19e F 19f

– T 381a T 381b T 381c T 383 T 665

– F 1a F 1b F 1c F 1d F 23a

– F 1a F 1b F 1c F 1d F 23a

F 20a







F 20b

T 358c, 407, 415a F 22

F 22

F 20c F 20d F 20e

– T 433 T 418b, 538

– F 49d F 70

– F 49d F 22/1

F 22a

T 396, 387

F 6, 15a, 21a

F 22b F 22c

– –

– F 21b

F 22d F 22e F 22f

– – –

– F 21c –

F 6, 15a, 21a †F 21/2a – F 4/1b, F21/1, F 21b, F 21/2b – F 21c –

Ps.-Demosth. or. 47,70–72 (= F 6d, 26b, 38b) Lykurg. 65 Demosth. or. 23,72 Demosth. or. 20,158 Demosth. or. 23,80 (= F 61b) Lys. fr. 40b Carey (= Lex. Rhet. Cant. p. 665,19) (= F 59a) Lys. fr. 246 Carey (= Diog. Laert. 1,55) (= F 53b, 54b, 59b) Plut. Solon 17,1–2 (= F 19c, 59h) Poll. 8,42 (= F 59k) Poll. 9,61 Aelius Dionysius, Attika onomata ι 4 s. v. ἰδύους (= F 70b) Eustath. Comm. ad Hom. Il. 18,501 (p. 1158,19; 4 p. 236,4–9 van der Valk) (= F 70d) Antiph. 5,14; 6,2 Aristot. Ath. pol. 7,1 (= F 3b) Plut. Solon 16,5; 17,1–2 Gell. NA 11,18,1–5 (= F 12d) Ail. var. 8,10 (= F 3d) Cedrenus, Historiarum Compendium 94,11 Solon fr. 31 und fr. 36, Z. 18–20 West lex apud Demosth. or. 23,62 (= F 39a) Hdt. 1,59,6 Aristot. Ath. pol. 35,2 Plut. Solon 19,4 (= F 1b, 41b, 44a, 50, 51a–b) Demosth. or. 23,62–63 (vgl. F 20b) Demosth. or. 23,65–80

F 21

Aristot. pol. 4,16, 1300b 13–30 Aristot. Ath. pol. 57,3–4 Paus. 1,28,5–11 Poll. 8,117–120 Harpokr. ε 173 s. v. ἐφέται

908

Register

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 22g







F 22h







F 23a F 23b

– –

– –

†F 4/1a –

F 23c







F 23d







F 23e F 23f F 23g

– – T 396

– – (s. o. F 22a)

– – (s. o. F 22a)

F 23h







F 23i





F 4/1b, F21/1

F 23j F 23k F 23l F 23m F 23n

– – – – –

– – – – F 39

– – – – F 39

F 23o







F 24a F 24b F 25a

– T 388 –

– F7 –

– F 7/153 –

F 25b







F 25c

(s. o. F 22a)

(s. o. F 22a)

(s. o. F 22a)

F 25d







F 25e



(s. o. F 22c)

(s. o. F 22c)

F 25f







Helladios (= Phot. Bibl. cod. 279 [535a 22–34]) Lex. Segueriana (Anecd. gr. I p. 310,28–311,25 Bekker) lex apud Demosth. or. 23,22 Hellanikos FgrHist 323a F 1 (Anecd. gr. I p. 444, 1–11 Bekker) Hellanikos FgrHist 323a F 22a–b (Schol. Eur. Or. 1648 und 1651) lex apud Lys. 1,30 (= F 28a) und 50 Ps.-Lys. 6,15 Demosth. or. 20,157 Demosth. or. 23,65–70 (siehe F 22a) Aristot. pol. 4,16, 1300b 24–26 (siehe F 22b) Aristot. Ath. pol. 57,3 (siehe F 22c) Aristot. Ath. pol. 47,2 Paus. 1,28,5–6 (siehe F 22d) Poll. 8,117–118 (siehe F 22e) Ail. var. 5,15 Lib. or. 19,1,7 (VI p. 269,11 Förster) Lex. Rhet. (Anecd. gr. I, p. 197,22 f. Bekker), Hesych., Steph. Byz. s. v. Ἄρειος πάγος Demosth. or. 21,43 (= F 6b) Schol. Hom. Il. 2,665 Aristoph. fr. 602 PCG (Eustath. Comm. ad Hom. Od.1,321 ff.) Kleidemos FgrHist 323 F 20; Phanodemos FgrHist 325 F 16 Demosth. or. 23,71–73 (siehe F 22a) Isai. fr. 62 S., 22 Blass, XIV Thalheim Aristot. Ath. pol. 57,3 (siehe F 22c) Paus. 1,28,8–9 (siehe F 22d)

909

Konkordanz

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 25g F 25h F 25i

– – –

– – –

– – –

F 25j







F 25k F 26a

– T 385

– F 5b

– F 5b

F 26b







F 26c

T 386b

F 5c

F 5c

F 26d F 27a

T 386a T 385

F 5d F 5b

F 5d F 5b

F 27b







F 28a F 28b

– –

– –

– –

F 28c





F 4/1b

F 28d F 28e F 28f F 28g

– – – –

– – – –

– – – –

F 29

T 378

F 113

F 23/1

F 30 F 31a

T 402, 416 –

F 21 –

F 21 F 21/2a

F 31b







F 31c





F 21/2b

Poll. 8,118–119 (siehe F 22e) Ail. var. 5,15 (siehe F 23m) Lex. Patm. (Lex. in Demosth. et Aeschin.) ad Demosth. or. 23,37 Lex. Patm. (Lex. in Demosth. et Aeschin.), ad Demosth. or. 23,71 Schol. Aischin. 194 (ad or. 2,87) lex apud Demosth. or. 43,57 (vgl. F 6a) Ps.-Demosth. or. 47,71 f. (= F 6d, 14b, 38b) Synagoge lexeon chresimon s. v. ἀνεψιαδοί (Lex. Segueriana, Anecd. gr. I p. 401,18 Bekker) (= F 6f) Poll. 3,28 lex apud Demosth. or. 43,57 (vgl. F 6a) Demosth. or. 21,43 (= F 6b, 24a) lex apud Lys. 1,30 f. Demosth. or. 23,74 (siehe F 22a) Aristot. Ath. pol. 57,3 (siehe F 22c) Paus. 1,28,10 (siehe F 22d) Poll. 8,119 (siehe F 22e) Ail. var. 5,15 (siehe F 23m) Lex. Patm. (Lex. in Demosth. et Aeschin.), ad Demosth. or. 23,74 Demosth. or. 24,113 (= F 12a, 112a) Demosth. or. 9,43 f. Demosth. or. 23,77–78 (siehe F 22a) Aristot. pol. 4,16, 1300b 27–30 (siehe F 22b) Aristot. Ath. pol. 57,3 (siehe F 22c)

910

Register

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 31d







F 31e F 31f F 31g

– – –

– – –

– – –

F 31h







F 31i







F 32a



F 21a

F 21a

F 32b F 32c

– –

– F 21b

– F 21b

F 32d F 32e F 32f F 32g

– – – –

– – F 21c –

– – F 21c –

F 32h



F 21d

F 21d

F 33a

T 397

F 16a

F 16a

F 33b

T 404

F3

F3

F 33c

T 392

F 11

F 11

F 33d

T 393

F 12

F 12

F 34





F 16b

F 35a

T 403

F 4d, 136

F 4/d, 136

Theophr. fr. 17 Hager (= Harpokr. ε 61 s. v. ἐν Φρεάτου; Etym. M. p. 344,25 s. v. ἐν Φρεατοῖ; Suda ε 1080 s. v. Ἐμφρεάτοι) Paus. 1,28,11 (siehe F 22d) Poll 8,120 (siehe F 22e) Harpokr. s. v. ἐφέται (siehe F 22f) Helladios (= Phot. Bibl. cod. 279 [535a 22–34]) (siehe F 22g) Lex. Rhet. s. v. ἐν Ζέᾳ, ἐν Φρεατοῖ (= Anecd. gr. I p. 311,17–22 Bekker) (siehe F 22h) Demosth. or. 23,76 (siehe F 22a) Aischin. 3 (Ctes.), 244–245 Aristot. Ath. pol. 57,4 (siehe F 22c) Paus. 1,28,10–11 (siehe F 22d) Paus. 6,11,6 (= F 3c) Poll. 8,120 (siehe F 22e) Harpokr. ε 110 s. v. ἐπὶ πρυτανείῳ Lex. Patm. (Lex. in Demosth. et Aeschin.), ad Demosth. or. 23,76 lex apud Demosth. or. 23,28 (= F 8a, 60, 110b) Phot. Lex. α 1753 s. v. ἀνδραφόνων (Theodoridis) Phot. Lex. π 1009 s. v. ποινᾶν καὶ ἀποινᾶν (Theodoridis) (= F 8c) Synagoge lexeon chresimon s. v. ἄποινα (Anecd. gr. I p. 428,9 f. Bekker, = Suda α 3716 s. v. ἄποινα) lex apud Demosth. or. 23,51 (= F 61a) Sext. Emp. Adv. math. P. H. 3,211

911

Konkordanz

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 35b

T 499

F 122

F 122

F 36a F 36b F 36c F 37a F 37b

T 406b T 406b T 406c T 394 –

F 4b F 4a F 4c F 13 –

F 4b F 4a F 4c F 13 –

F 38a F 38b

T 304 –

F 15b –

F 95/1 –

F 38c F 38d

T 396 T 389

F 15a F8

F 15a F8

F 38e F 38f F 38g

T 314 T 481f T 481e

F 44b F 44a F 43

F 44b F 44a F 43

F 39a

T 407, 415a

F 22

F 22

F 39b F 39c

T 415b T 415c

F 93a F 93b

F 93a F 93b

Ps.-Galen, An animal sit quod est in utero 5 (Bd. 19, p. 179 f. Kühn) Cic. S. Rosc. 70 Diog. Laert. 1,59 Oros. 5,16,23–24 lex apud Demosth. or. 23,82 Glossae rhetoricae s. v. ἀνδρολήψιον καὶ ἀνδροληψία (Anecd. gr. I p. 213,30–214,2 Bekker) Lys. 10,11.17 Ps.-Demosth. or. 47,71 f. (= F 6d, 14b, 26b) Demosth. or. 23,67–69 Antiattikistes s. v. ἀνυποδήματος (Anecd. gr. I p. 82,17 Bekker) Poll. 8,142 Hesych. τ 1298 s. v. τρεῖς θεοί Hesych. α 907 s. v. ἀγχιστάδην ὀμνύων lex apud Demosth. or. 23,62 (= F 20b) Dion Chrys. or. 80,6 Gell. N. A. 2,12,1 (vgl. F 46g)

III. Verfahren vor dem Areopag (F 40–47) F 40







F 41a F 41b

T 259a T 302a

– F 2, 70

F 42a





– F 2, 22/1 F 74/4b, 5b –

F 42b







F 42c F 42d F 43a F 43b

– T 298a T 419 T 301

– – – –

– – F 74/4a –

Androtion FgrH 324 F 3, Philochoros FgrH 328 F 20a Plut. Solon 12,2–4 Plut. Solon 19,1–5 Androtion FgrH 324 F 4a, Philochoros FgrH 328 F 20b Androtion, FgrH 324 F 4b, Philochoros FgrH 328 F 20b Isokr. 7,37 Aristot. Ath. pol. 3,6 Aristot. Ath. pol. 8,4 Cic. off. 1,22 (75)

912

Register

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 43c







adn. 43c F 44a

– T 324

– F 37a, 70

– F 22/1, 37a

F 44b F 44c F 44d

T 298b T 419 vgl. T 418b

– F 37b F 37c

– F 37b F 37c

F 45 F 46a F 46b F 46c F 46d

T 359b T 350 T 352 T 351a T 351b

F 94 F 38a F 38c F 38d F 38e

F 94 F 38a F 38c F 38d F 38e

F 46e

T 351c

F 38f

F 38f

F 46f

vgl. T 351c



F 38l

F 46g F 46h F 46i

T 353 T 354 T 355

F 38b F 38g F 38h

F 38b F 38g F 38h

F 46j

T 356

F 38i

F 38i

F 46k

T 357

F 38j

F 38j

F 47

T 306a/b

F 96a

F 96a

Synagoge lexeon chresimon s. v. Ἄρειος πάγος (Anecd. gr. I p. 444,1–11) Demosth. or. 20,157 (= F 23f) Plut. Solon 19,4 mit Aristot. Ath. pol. 16,10 (= F 1a–b, 51a–b) Aristot. Ath. pol. 4,4 Aristot. Ath. pol. 8,4 Plut. comp. Solonis et Poplicolae 25(2),4 And. 1,95 Aristot. Ath. pol. 8,4–9,1 Cic. Att. 10,1,2 Plut. Solon 20,1 Plut. De sera numinis vindicta 4 (mor. 550c) Plut. Praecepta gerendae reipublicae 32 (mor. 823f) Plut. De sollertia animalium 8 (mor. 965d) Gell. N. A. 2,12,1 (vgl. F 39c) Diog. Laert. 1,58 Alex. Aphrod. in Aristot. top. 2,2, 109b 13 (Comm. Aristot. gr. II 2 p. 139,33–140,3) Niceph. Gregoras, Hist. Byz. IX 7 (I p. 427,6 Schop.) Ioannis VI. Cantacuzenus, Hist. 4,13 (III p. 87 Schop.) Demosth. or. 24,144–147

IV. Gesetze über die Amtsträger (F 48–59) F 48a adn. 48a F 48b F 48c

T 372a T 372b – –

F 78a F 78b – –

F 66/1a F 78b – –

F 48d F 48e F 48f adn. 48f F 48g

T 344a – T 318 – T 344b

– – F 66 – –

F 74/1a F 74/2, 3a F 149/1 – F 74/1c

Hdt. 2,177,2 Diod. 1,77,5 Isokr. 7,44–46 Phanodemos FgrH 325 F 10, Philochoros FgrH 328 F 196 Aristot. Ath. pol. 7,3–4 Aristot. Ath. pol. 8,1–2 Aristot. pol. 2,7, 1266b 14–21 Aristot. pol. 6,4, 1319a 6–14 Aristot. pol. 2,12, 1274a 15–21

913

Konkordanz

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 48h







F 48i

T 372c, 423

F 77, 78c

F 66/1c, 80/2

F 49

T 182, 343

F 96b

F 96b

F 50 F 51a–b

T 418b T 418b

F 70 F 37a, 70

F 22/1 F 22/1, 37a

F 52a F 52b F 52c F 53a F 53b

T 332 T 480 – – T 424a

F 75 F 117 – – F 104b

F 75 F 117 – – F 104b

F 53c F 54a F 54b

– – T 424a

F 110 – F 104b

F 110/a – F 104b

F 54c F 54d F 54e F 54f F 54g

– T 413 T 375 – –

– F 104c F 104a – –

– F 104c F 104a – –

F 55 F 56a

T 454 T 340 adn.

F 23d, 111–114 F 79 adn.

F 23d, 111–114 Fr. 79/b

F 56b F 56c adn. 56c

T 339a T 341b T 341e

F 79 – –

F 79a – –

F 56d







F 56e







Diphilos F 31 PCG Z. 1–18 (Athen. 6,12, p. 227e–228b) Plut. Solon 22,3; 23,2–3 (= F 59i, 81a) Stob. ecl. 4,50,27 (V p. 1026 Hense; 4,72 Meineke) Plut. Solon 19,4 Plut. Solon 19,4 und Aristot. Ath. pol. 16,10 (F 1a–b) Plut. Solon 24,4 (= F 103d) Demosth. or. 57,30–32 Dionys. Hal. ant. 3,11,3–4 And. 1,73–74 Lys. fr. 246 Carey (100 Thalheim, 48 Blass) (= F 54b, 59b) Aischin. 3 (Ctes), 175 f. Lys. 10,1 Lys. fr. 246 Carey (100 Thalheim, 48 Blass) (= F 53b, 59b) And. 1,100 Demosth. or. 22,29–30 Aischin. 1 (Tim.), 27–32 Isokr. 12,139–141 Schol. Aeschin., argumentum ad orationem in Timarchum 2 lex apud Demosth. or. 24,105 Androtion FgrH324 F 36 (= Schol. Aristoph. Av. 1541) Aristot. Ath. pol. 8,3 Poll. 8,108 Harpokr. δ 27 s. v. δήμαρχος; Hesych. δ 824 und Suda δ 421 s. v. δήμαρχοι; Thomas Magister, Ecloga nominum et verborum Atticorum p. 246,9 s. v. Ναύκληροι ἐπὶ νηῶν Glossae rhetoricae s. v. ναύκραροι (Lex. Segueriana, Anecd. gr. I p. 283,20 f. Bekker) Ps.-Ptolemaios, De differentia vocabulorum 402,18 s. v. ναύκληροι

914

Register

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

adn. 56e

T 341f





F 56f

T 341a

F 80

F 80

F 56g

T 340





F 57a F 57b adn. 57b

T 491 T 493 –

F 87 F 89 –

F 87 F 89 –

F 58a F 58b

T 412 T 317

F 105 –

F 105 F 74/1c

F 59a

T 424b

F 148c

F 66/1f

F 59b

T 424a

F 148b

F 66/1e

F 59c F 59d F 59e F 59f

– – T 419 –

– – – F 148a

– – F 74/4a F 66/1d

F 59g F 59h F 59i F 59j F 59k

– – T 423 – T 424c

– – F 78c, 148e – F 148d

– – F 66/1c – F 66/1g

Ammonius Gramm., De adfinium vocabulorum differentia ν 330 s. v. ναύκληροι; Hesych. ν 118 s. v. ναύκλαροι Phot. Lex. p. 288 s. v. ναύκραροι und ναυκραρία Porson (ν 39 und 40 Theodoridis) Schol. Aristoph. nub. (edit. Aldinae) 37 Plut. Solon 24,5 Athen. 4,14, p. 137e Klearchos in Athen. 6,26 p. 234f; Moeris π 65 p. 208,2 Bekker Ps.-Demosth. or. 26,3 f. Aristot. pol. 2,12, 1274a 15–18; 3,11, 1281b 31–34 Lys. fr. 40a–b Carey (F 17 Thalheim, 47 Blass) (= F 17a) Lys. fr. 246 Carey (F 100 Thalheim, 48 Blass) (= F 53b, 54b) Isokr. 7,46 (= F 48b) Demosth. or. 57,32–34 Aristot. Ath. pol. 8,4 Theophr. fr. 99 Wimmer, fr. 27 Hager, fr. 23 Szegedy-Maszak (= Plut. Solon 31,5) Val. Max. 2,6,3 Plut. Solon 17,1–2 Plut. Solon 22,3 (= F 48i, 81a) Plut. Solon 24,1–2 (= F 76a) Poll. 8,41–43

V. Verfahrensrecht (F 60–73) F 60

T 397

F 16

F 16/a

F 61a





F/16b

F 61b F 62 F 63a

– – T 377

– – F 23d, 111

– – F 23d, 111

F 63b

T 306a, b

vgl. F 96a

vgl. F 96a

lex apud Demosth. or. 23,28 (= F 8a, 33a, 110b) lex apud Demosth. or. 23,51 (= F 34) Demosth. or. 23,80 Lykurg. 121 lex apud Demosth. or. 24,103.105 f. Demosth. or. 24,144–148

915

Konkordanz

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 64a F 64b F 64c F 65a F 65b F 65c

– T 379 T 330 T 322 – –

– F 106 F 40b F 40a F 138a F 138b

– F 106 F 40b F 39/1a, 40a F 39/1b F 39/1c

F 65d F 66a F 66b F 66c F 66d

– – T 306b T 307 T 311

– – F 97a F 97b F 97d

– – F 97a F 97b F 97d

F 66e F 67a F 67b F 67c F 67d F 68a

T 312a T 305 vgl. T 310 – T 309 T 312b

F 97c – – – – –

F 97c – – – – –

F 68b

T 313

F 42

F 42

F 69a

T 342a

F 76a

F 76a

F 69b







F 69c

T 342b

F 76b

F 76b

F 70a

T 481a

F 41a

F 41a

F 70b







F 70c

T 481d

F 41b

F 41b

F 70d

T 481b

F 41c

F 41c

Aristoph. Plut. 906–919 Demosth. or. 22,25–27 Plut. Solon 18,6–7 (siehe F 93h) Aristot. Ath. pol. 3,5; 9,1 Plut. Solon 18,2–3 Plut. comp. Solonis et Publicolae 25(2), 2 (= F 44d) Poll. 8,62 Isokr. 15,21 f. Demosth. or. 24,148–151 Demosth. or. 18,2.6–7 Lukian. Calumniae non temere credendum 8 Lib. decl. 1,9 (V p. 18,10 Förster) Aristot. Ath. pol. 7,1–2 Aristot. Ath. pol. 55,5 Herakleides Lembos 8 Dilts Plut. Solon 25,3 Lib. epist. 103,3 (X p. 104,6 Förster) Lexeis Rhetorikai s. v. δοξασταί (Anecd. gr. I p. 242,19–22 Bekker) Gaius, ad leg. XII tab. (Dig. 47,22,4) (siehe F 117a) Schol. in Basilicorum libros I– XI, 60,32,3,1 (siehe F 117b) Seleukos FgrH 341 F 1 (= Phot. Lex. ο 439 Theodoridis; Suda ο 511 Adler s. v. ὀργεῶνες) (= T 30, siehe F 117c) Aristoph. F 233 PCG (Galen. Gloss. Hippocr. prooem. Bd. 19 p. 66 Kühn) (= F 128a) Aelius Dionysius, Attika onomata ε 12 s. v. εἰδύοι und ι 4 s. v. ἰδύους Phot. Lex. ι 36 s. v. ἰδύους (Theodoridis) Eustath. ad Hom. Il. 18,501 (p. 1158,19; 4 p. 236,5–9 van der Valk)

916

Register

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

adn. 70b







F 71 F 72 F 73

– – T 519

– – F 45

Fr. 44/1 Fr. 44/2 F 45

Eustath. ad Hom. Il. (4, p. 219,6; p. 263, 9); Schol. Hom. Il. (schol. vet.) 22,254c Ps.-Demosth. or. 46,6–8 Ps.-Demosth. or. 46,9–10 Schol. Gen. Hom. Il. 21,260

VI. Gesetze, den árchōn basileús und religiöse Angelegenheiten betreffend (F 74–89) F 74a

T 379

F 106

F 106

F 74b







F 74c F 74d

– –

– –

– –

F 74e F 75a F 75b

– – –

– – –

– – F 90/b

F 75c F 75d F 75e

T 514 – –

F 90 – –

F 90/a – –

F 76a F 76b F 77a

T 487 – –

F 65 – –

F 65 – F 91

F 77b

T 515





F 78a







F 78b







F 78c F 78d adn. 78d F 78e

– – – vgl. T 315b

– – – –

– – – –

adn. 78e







Demosth. or. 22,25–27 (= F 64b) Hyp. 4 (Eux.), 5–6 (fr. Ar col. 21 Jensen) Poll. 8,41–42 Ps.-Aristot. De virtutibus et vitiis 7, 1251a 30–33 Pol. 36,9,15 Aristoph. Equ. 299–301 Philochoros FgrH 328 F 180 (= Harpokr. π 63 s. v. περίστοιχοι; Suda π 1313; Phot. Lex. π 776 Theodoridis) Poll. 5,36 Poll. 8,47 Philomnestos FgrH 527 F 1 (Athen. 3,6, p. 74d–75a) Plut. Solon 24,1–2 Schol. Pind. N. 10,64b Phot. Lex. α 808 s. v. ἀκοῦσαι ὀργῶ Theodoridis Phot. Lex. ο 440 s. v. ὀργάδες Theodoridis Istros von Kyrene FgrH 334 F 12 (Athen. 3,6; p. 74d–f) Plut. De curiositate 16 (mor. 523b) Poll. 8,47 Suda ς 1331 s. v. συκοφάντης Suda ς 3567 s. v. ἀποσυκάζεις Etym. M. p. 733, 38 s. v. συκοφαντία und συκοφαντεῖν Phot. Lex. σ 687 s. v. συκοφαντεῖν Theodoridis (Suda σ 1330 s. v. συκοφαντεῖν)

917

Konkordanz

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 78f

vgl. T 315b





F 78g

T 315b





adn. 78g







F 79a F 79b F 79c

T 471 T 570 T 536

F 86 – F 85a

F 86 – F 85a

adn. 79c

T 556, 531

F 85b

F 85b

F 79d

T 558





F 79e

T 558

T2



T 79f F 79g F 79h

T 541 T 551 T 566a

T 13 T 18b –

– – –

F 79i F 80

T 531 –

vgl. F 85c –

vgl. F 85c –

F 81a F 81b F 81c F 82a F 82b F 83

T 486 T 475 T 524 – – T 560

F 81, 92 F 82 F 61 – – F 84

F 80/2, 81, 92 F 82 F 61 – – F 84

F 84

T 473

F 83

F 83

Schol. Aristoph. Plut. 31 (Schol. vet. et fort. recentiora sub auctore Moschopulo) Tzetz. in Plut. (recensio 2) (Schol. recentiora Tzetzae in Aristophanem) 873 Tzetzes Comm. in Plut. (recen­ sio 2) 31a Lys. 30,17–20 SEG 21, 527 Z. 80–88 Theophr. de pietate fr. 12 Pötscher (Porph. de abstinentia 2,20–21) Phot. Lex. κ 1234 s. v. κύρβεις; Lex. Patm. (= Lex. in Demosth. et Aeschin.) p. 160 (Sakkelion) s. v. Κύρβεις; Schol. Aristoph. aves 1354 Aristoph. Byz. fr. 76 Nauck (Suda κ 2745 und Epimerismi Homerici κ 122 s. v. κύρβεις) (= T 16) Asklepiades FgrH 339 F 1 (Etym. Gud. s. v. κῦρβες p. 355, 38–52 Sturz; Etym. M. p. 547, 45 s. v. κύρβεις (= T 17) Plut. Solon 25,1–2 Poll. 8,128 Schol. Apoll. Rhod. 279–281b, Schol. in Aristoph. Nub. 447 Schol. Aristoph. Av. 1354a IG II2 1357a, LSCG Suppl. 10 A Z. 30–58 Plut. Solon 23,2–4 Poll. 1,29 Hesych. π 3643 s. v. προπτόρθια Plut. Solon 12,8 Plut. Solon 21,5 Antiattikistes γ 5 s. v. γενέσια (Lex. Segueriana, Anecd. gr. I p. 86,20 Bekker) Steph. Byz. s. v. Ἀγνοῦς

918

Register

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 85

T 492

F 88

F 88

F 86 F 87

T 476 T 342b

F 95 F 76b

F 95 F 76b

F 88a F 88b F 88c F 89a F 89b F 89c F 89d F 89e F 89f F 89g F 89h F 89i

T 483 T 484a T 484b T 466, 467 T 468 T 469 – – T 470 – ad T 469 T 462

F 143c F 143a F 143b F 109 F 72b F 72a – – F 72c – F 151 –

F 89/1c F 89/1a F 89/1b F 72/d F 72b F 72a – – F 72c – F 151 –

Polemon FHG fr. 78 (Athen. 6,26, p. 234d, e–f) And. 1,111 Seleukos FgrH 341 F 1 (Phot. Lex. ο 439 s. v. ὀργεῶνες Theodorides; Suda ο 511 s. v. ὀργεῶνες) (= F 69c) Diod. 9,2,5 Plut. Solon 23,3 Diog. Laert. 1,55 Demosth. or. 43,62–67 Cic. leg. 2,23 (59) Cic. leg. 2,25 (63–66) Varro rust. 2,5,3–4 Plut. Solon 12,8 Plut. Solon 21,5–7 Ail. var. 5,14 Ail. nat. 2,42 Gnom. Vat. p. 186, 504 Sternbach (cod. Vat. Gr. 743)

VII. Verfahren vor dem árchōn polémarchos (F 90–92) F 90 F 91a F 91b F 91c F 92

– T 376 – – T 377

– F 110 – – F 111

– F 110/a – – F 111

Lys. 14,5 Aischin. 3 (Ctes.), 175 f. Lykurg. 5 Lykurg. fr. 77 Conomis Demosth. or. 24,103.105 (= F 63a)

VIII. Verfahren vor den Thesmotheten A. Schriftklagen (graphaí) (F 93–101) F 93a F 93b

– –

– –

– –

F 93c

T 379

F 106

F 106

F 93d F 93e F 93f

– – –

– – –

– – –

F 93g F 93h F 94a F 94b

T 322 T 330 – –

F 40a F 40b – –

F 40a F 40b – –

Isokr. 20,2 Aristoph. Plut. 906–919 (= F 64a) Demosth. or. 22,25–28 (= F 64b) Demosth. or. 21,45–47 Aischin. 1 (Tim.), 15–16 Hyp. fr. 120 Jensen (= Lykurg. fr. 12 Conomis) Aristot. Ath. pol. 9,1 Plut. Solon 18,6–7 Lys. 1,26–32 Lys. 13,66

919

Konkordanz

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 94c F 94d F 94e

T 457 T 461 T 459

F 29a F 28a F 28b

F 29a F 28a F 28b

F 94f F 95a F 95b F 96a F 96b F 97a F 97b F 97c

T 458b – T 458a T 458a T 458c – T 457 T 510

F 28c – F 116 F 115 ad F 115/116 – F 29b F 34b neu

F 28c F 30/c F 30/d F 115/a F 115/b – F 29b F 34b

F 97d F 97e F 98a F 98b

T 461 T 448 T 457 ad T 457

F 26 F 27 F 29b F 29a

F 26 F 27 F 29b F 29a

F 98c

T 460a





adn. 98c

T 460b





F 98d F 99a F 99b F 99c F 99d F 99e F 100a F 100b F 100c

T 461 – T 413 – T 449 T 325 T 464c adn. T 464a T 464b

F 30a – F 104c – F 102 F 103 F 74e* F 74b F 74c

F 30a – F 104c – F 102, 30/c F 103 F 74e F 74b F 74c

F 100d F 100e

T 464c T 735

F 74d F 74a

F 74d F 74a

F 100f





F 74/f

F 100g





F 74/g

Ps.-Demosth. or. 59,65–68 Plut. Solon 23,1 Ulpian, Labeo, Pomponius in Dig. 48,5,24 (= F 11e) Lukian., Eunuchos 10 Aischin. 1 (Tim.), 14 Aischin. 1 (Tim.), 184 Aischin. 1 (Tim.), 183 lex apud Ps.-Demosth. or. 59,87 Lys. 1,32 (= F 94a) Lys. 10,19 (= F 98a, 110a) Ammon. De diff. adfin. voc. 345 s. v. οἰκότριψ καὶ οἰκέτης Plut. Solon 23,1 (= F 98d, 110a) Hesych. β 466 s. v. βινεῖν Lys. 10,19 (= F 97b, 110a) Ps.-Demosth. or. 59,66–67 (= F 94c) Philemon fr. 3 PCG; Nikandros FgrH 271/2 F 9 (Athen. 13,25, p. 569d–f) Harpokr. π 10 s. v. Πάνδημος Ἀφροδίτη Plut. Solon 23,1 (= F 94d) Demosth. or. 22,21 Demosth. or. 22,29–30 Ps.-Demosth. or. 45,79 f. Aischin. 1 (Tim.), 6.13–14 Aischin. 1 (Tim.), 19–21 Aischin. 1 (Tim.), 138–139 Plut. Solon 1,6 Plut. Sept. sap. conviv. 7 (mor. 152d) Plut. Amat. 4 (mor. 751b) Hermeias Alex. in Plat. Phaedr. 231e Ioh. Chrys. epist. ad Romanos 5. Homilie Kap. 1 v. 26 und 27 (Migne PG 60, p. 418–419; BKV Bd. 39 p. 55) Ioh. Chrys. epist. ad Kap. 4 (Migne PG 62, p. 693; BKV Bd. 74, p. 478)

920

Register

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 101a

T 500

F 73a

F 73a

F 101b

T 501

F 73b

F 73b

Chrysippos fr. 12 (Athen. 15,34, p. 686f–687a) Athen. 13,94 p. 612a

VIII. Verfahren vor den Thesmotheten B. Privatklagen (díkai) (F 102–120) F 102 adn. 102

T 296 –

F 67 –

F 67 –

F 103a







adn. 103a F 103b adn. 103b

– T 260 –

– – –

– – –

F 103c adn. 103c

– –

F 31b –

F 31b –

F 103d F 104 F 105a adn. 105a

T 332 T 488 T 276 –

F 75 F 35 F 69b –

F 75 F 35 F 69b –

F 105b

T 292





F 105c F 105d adn. 105d

T 286 T 282 –

– F 69c –

– F 69c –

F 105e adn. 105e

T 288 –

– –

– –

F 105f







Poll. 7,151–152 Hesych. ε 4985 s. v. ἐπίμορτος; Eustath. Comm. ad Hom. Od. 19,28 (II p. 189); Anon. Lex. Frag. quattuor ap. Eustath. 3 Solon fr. 36 West (30 Gentili/ Prato), Z. 8–15 Solon fr. 4 West Z. 23–25 Aristot. Ath. pol. 2,2 Poll. 4,165; 3,82; Phot. Lex. π 545 s. v. πελάται; π 546 s. v. πελάτης Plut. Solon 13,4–6 Paus. Att. π 15 s. v. πελάται; Phot. Lex. π 544 s. v. πελάται; Hesych. ε 1716 s. v. ἑκτήμοροι Plut. Solon 24,4 Plut. Solon 24,3 Aristot. Ath. pol. 6,1 Aristot. Ath. pol. 12,4; Heraklid. Lemb. 1,3 Dilts (= Aristot. fr. 611,3 Rose) Philochoros FgrH 328 F 114 (Phot. Lex. σ 126 s. v. σεισάχθεια; Apostolios cent. 15,39; Suda σ 289 s. v. σεισάχθεια) Diod. 1,79,3–5 Plut. Solon 15,2–3.5 Plut. Comp. Sol. et Popl. 26(3),1; mor. 343c–d; 807d; Etym. M. p. 710,32 s. v. σεισάχθεια Diog. Laert. 1,45 Anon. Paradoxogr. De incredibilibus 23 (Festa): Περὶ σεισαχθείας Dion Chrys. or. 31,69

921

Konkordanz

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 105g F 106 F 107a

T 292 adn. T 418b T 276, 322

– F 70 F 69a, b

– F 22/1 F 69a, b

F 107b F 107c F 108 F 109a F 109b

T 286 T 282 – T 477 T 282

– F 69c F 31b F 68 –

– F 69c F 31b F 68 F 64/1b

adn. 109b







F 109c F 110a F 110b

T 525 T 457 T 397

F 46 F 34a F 16

F 46 F 34a F 16/a

F 110c F 110d F 111a

– T 409 T 569a

– F 119 F 36a

– F 34/c F 36a

F 111b

T 569b

F 36b

F 36b

F 112a F 112b F 113a F 113b F 113c F 113d F 113e adn. 113e

T 378 – T 411 T 377 T 383 T 516 T 405, 517 –

F 113 – F 23c, 25 F 23d*, 111 f. F 23a F 23b F 24 –

F 23/1, 113 – F 23c, 25 F 23d, 111 f. F 23a F 23b F 24 –

F 114

T 502a–b

F 64a/b

F 64a/b

F 115 adn. 115

– –

– –

– –

F 116a F 116b F 116c F 116d

T 479 T 465a – –

F 32b F 118a – –

F 32b F 118a – –

Hesych. σ 355 s. v. σεισάχθεια Plut. Solon 19,4 Aristot. Ath. pol. 6,1 und 9,1 (= F 105a) Diod. 1,79,3–5 (= F 105c) Plut. Solon 15,2 (= F 105d) Plut. Solon 13,5 (= F 103c) Lys. 10,18 Androtion FgrH 324 F 34 (Plut. Solon 15,3) Etym. M. p. 710,32 s. v. σεισάχθεια Hesych. τ 1437–1438 s. v. τριτέα Lys. 10,19 lex apud Demosth. or. 23,28 (= F 8a, 33a, 60) Demosth. or. 23,50 (= F 10a) Hyp. 3 (Athen.), 21–22 (col. 10) Krates in Schol. Gen. Hom. Il. 21,282e (= T 18a) Krates in Schol. Hom. Il. 21 (= P.Oxy. 2,221 col. 14, Z. 9–13) (= T 18b) Demosth. or. 24,113 Aristot. Ath. pol. 52,1 Lys. 10,15–17 Demosth. or. 24,103.105 f.114 f. Gell. N. A. 11,18,5 Poll. 8,22–23 Poll. 8,34 Hesych. κ 2930 und Phot. Lex. κ 769 s. v. κλέπος App. proverb. Bodl. Vatic. Coisl. I 58 (Corpus Paroem. gr. App. I p. 388 Leutsch-Schneidewin) s. v. βολίτου δίκην Ps.-Demosth. or. 47,40 Aristoph. Eccl. 662 bis–664; Lys. 3,23 Lys. 10,6–9.12.30 Demosth. or. 20,104 Demosth. or. 23,50 Ps.-Demosth. or. 40,49

922

Register

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 116e F 116f

T 465c T 465e

F 32a, 33a F 33b

F 32a, 33a F 33b

F 116g

T 465d

F 118c

F 118c

F 116h

T 465b

F 118b

F 118b

F 117a

T 342a

F 76a

F 76a

F 117b







F 117c

T 342b

F 76b

F 76b

F 118a F 118b

vgl. T 498b T 498b

vgl. F 60a F 60a

– F 60a

F 118c F 118d

T 498a T 512

F 60b F 60c

F 60b F 60c

F 119 F 120

T 497 T 498a

F 63 F 62

F 63 F 62

Plut. Solon 21,1 Lex. rhet. Cantabr. 671,7 s. v. κακηγορίας δίκη Aristid. or. 46 p. 302 Jebb (II p. 391 Dind.) Schol. Demosth. or. 20,104 (239b Dilts) Gaius, ad leg. XII tab. (Dig. 47,22,4) (= F 69a) Schol. in Basilicorum libros I– XI, 60,32,3,1 (= F 69b) Seleukos FgrH 341 F 1 (= Phot. Lex. ο 439 Theodoridis; Suda ο 511 Adler s. v. ὀργεῶνες) (= F 69c) P. Hal. 1, Z. 84–105 Gaius, ad leg. XII tab. (Dig. 10,1,13) Plut. Solon 23,7–8 Antiattikistes s. v. βόθυνον (Anecd. gr. I p. 85,1 Bekker) Plut. Solon 23,6 Plut. Solon 23,8

IX. Verfahren vor dem árchōn epṓnymos (F 121–143) F 121 F 122a

T 436, 599a T 440 adn.

F 47a F 48b

F 47a F 48b

F 122b F 122c F 122d

– – T 447

– – –

– – –

F 123a F 123b

– T 443

– F 47b

– F 47b

F 123c

T 447





F 123d F 124a

– T 426

– F 50a

– F 50a

F 124b F 124c

T 427a –

F 50b –

F 50b –

Aristot. Ath. pol. 9,2 lex apud Ps.-Demosth. or. 46,18–19 Ps.-Demosth. or. 44,49 Hyp. 5 (Athen.), 16 Theophilus, Ad Autolycum 3,6 (= F 123c) Nep. praefatio 4 u. Cimon 1,2 Phil. De specialibus legibus 3,22 Theophilus, Ad Autolycum 3,6 (= F 122d) Schol. Aristoph. Nub. 1371 Aristoph. Av. 1660–1666 (= F 137a) lex apud Demosth. or. 43,50–51 Isai. 6,47

923

Konkordanz

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 125a F 125b

T 518 T 526

F 59 F 59a

F 59 F 59a

F 125c

T 451





F 126a F 126b F 127

T 450 T 456b T 440

F 142 F 152 F 48a

F 142 F 152 F 48a

F 128a

T 481a

F 52c

F 52c

F 128b

T 444a

F 128c

T 444b

F 51a/52a F 127a F 127b

F 51a/52a F 127a F 127b

Poll. 6,156 Aristoph. Byz. fr.7 Nauck (= Anecd. Oxon. III p. 193,18 und 195,27 Cramer) Prokl. Comm. Plat. Tim. 27a (Bd. 1 p. 203 Diehl) Dion. Hal. ant. 2,26,2–3 Ail. nat. 6,61 (= F 140e) Isai. fr. 26 Thalheim, fr. 91 Tur (Poll. 3,33) Aristoph. F 233 PCG (Galen. Gloss. Hippocr. prooem. Bd. 19 p. 66 Kühn) (= F 70a) Plut. Solon 20,2–5

F 128d F 128e F 128f F 129a F 129b F 129c F 129d

T 444c T 444d T 448 T 437 – T 439 T 442

F 127c F 51b F 27, 52b F 126a–c adn. – F 126b F 126a

F 127c F 51b F 27, 52b F 51/1 – F 51/3 F 51/2

adn. 129d







F 130

T 421, 445

F 139

F 139

adn. 130 F 131a F 131b F 131c

– – – –

– – – –

– – – –

F 131d F 131e F 132a F 132b F 132c adn. 132c F 133a F 133b

T 438 – T 428 T 427e – – T 427d T 427f

F 53 – F 121c – – – F 50b adn. –

F 53 – F 49/g – – – – –

Plut. Coniugalia praecepta 1 (mor. 138d) Plut. qu. R. 65 (mor. 279e–f) Plut. am. 23 (mor. 769a–b) Hesych. β 466 s. v. βινεῖν Demosth. or. 43,53–54 Isai. 1,39 Diod. 12,18,3 Aristoph. Byz. s. v. θῆσσα (fr. 39 Nauck) (= Eustath. ad Hom. Il. 21,450 p. 1246, 13–15) Aristoph. Byz. frag. Parisinum p. 278,11 (Miller) Plut. De amore prolis 2 (mor. 493e) Poll. 3,48; 8,40; Stob. flor. 67,64 Isai. 8,30–31 Isai. 10,12 Isai. fr. XXVI 25 Thalheim (= Suda τ 322 s. v. τέως) Ps.-Demosth. or. 46,19–20 Hyp. fr. 192 Jensen Demosth. or. 20,102–103 Isai. 2,13 Isai. 9,13 Ps.-Demosth. or. 46,24 Isai. 3,67–68 Isai. 3,42

924

Register

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

F 133c F 134a F 134b F 134c F 134d F 134e F 134f F 134g F 134h F 134i F 135a F 135b F 135c

T 427g T 427c – T 427h T 429 T 430 T 429 adn. T 433 T 434 T 435 T 429 T 431 –

– – – F 49a F 121b – F 49d F 49b F 49c F 49a F 121a F 49a adn.

– – – F 49a F 49/f – F 49d F 49b F 49c F 49a F 49/e, 58/c F 49/h

F 136a F 136b F 136c

T 452 adn. – T 452

F 58b – F 58a

F 58b – F 58a

F 137a

T 426

F 50a

F 50a

F 137b F 137c F 137d F 137e F 137f F 137g F 138 F 139a F 139b F 140a F 140b F 140c F 140d

T 427a T 427b – T 427h adn. T 432 – T 437 – T 446 T 456f – – T 377

F 50b F 50b adn. – – F 120 – F 126a–c adn. F 71a F 71b F 55a – – F 111

F 50b – – – F 50/c – F 51/1 F 71a F 71b F 55a – – F 111

F 140e F 140f F 140g F 140h

T 456b T 456a T 484b T 456c

F 152 F 55c F 143b F 55b

F 152 F 55c F 89/1b, 143b F 55b

F 140i

T 456e





Quellenbeleg Isai. 10,13 Isai. 6,9 Isai. 2,19 u. 38 Isai. 4,16 Ps.-Demosth. or. 46,14–16 Ps.-Demosth. or. 48,56 Hyp. 5 (Athen.), 17 Aristot. Ath. pol. 35,2 Plut. Solon 21,3–4 Plut. qu. R. 7 (mor. 265e–f) Ps.-Demosth. or. 46,14–15 Ps.-Demosth. or. 44,67–68 Phot. Lex. s. v. ἀπειπεῖν (2316 Theodoridis) Ps.-Demosth. or. 44,63 f.68 Isai. 6,44 Harpokr. s. v. ὅτι οἱ ποιητοὶ παῖδες (ο 43 Keaney; p. 140,30 Bekker) (= Phot. Lex. ο 384 Theodoridis) Aristoph. Av. 1660–1666 (= F 124a) Demosth. or. 43,50–51 Isai. 11,1–3 Isai. 11,11–12 Isai. 7,19–20 Demosth. or. 43,78 Ps.-Demosth. or. 44,12 lex apud Demosth. or. 43,54 Plut. Solon 20,6 Poll. 1,246 Aristoph. Av. 1353–1357 And. 1,73–74 Isai. 8,32 lex apud Demosth. or. 24,105 (= F 63a) Ail. nat. 6,61 (= F 126b) Ail. nat. 9,1 Diog. Laert. 1,55 Lib. decl. 11,14 (V p. 517,14 Förster) Lib. epist. 137,3 (X p. 135,17 Förster)

925

Konkordanz

LegDrSol

Martina

Ruschenbusch

Leão/Rhodes

Quellenbeleg

F 141 adn. 141

T 438 T 450

F 53 F 142

F 53 F 142

F 142

T 494

F 54

F 54

F 143a

T 455b



F 57/a

F 143b F 143c adn. 143

– T 455a –

– F 56 –

F 57/b F 56/a F 56/b

adn. 143





F 56/c

App. 1a

T 362 T 362 adn. – T 409 T 335a–b

F 98a F 98b – F 99 F 100a–b

F 98a F 98b F 98/c F 99 F 100a–b

App. 1b App. 2

T 478 T 326 T 449 T 325 – T 238 T 375 T 458a

F 107 F 101 F 102 F 103 – – F 104a F 115–116

F 107 F 80/1b F 102 F 103 F 80/1a – F 104a F 115a, 30/d

Ps.-Demosth. or. 46,20 Dion. Hal. ant. 2,26,2–3 (= F 126a) Harpokr. σ 18 Keaney; Phot. Lex σ 248; Suda σ 502 s. v. σῖτος (= T 35b) Heraclid. Pont. fr. 146 Wehrli (Plut. Solon 22,4) Aischin. 1 (Tim.), 13 Plut. Solon 22,1 Alexis F 305 PCG (Vitruv 6, praef. 3) Galen, Adhortatio ad artes addiscendas (Protreptikosfragment) 8 (Bd. 1, p. 15 Kühn) Demosth. or. 20,89–94 Schol. Demosth. or. 20,88 Aischin. Ctes. (or. 3) 38 f. Hyp. 3 (Ath.), 22 Aristid. or. 46, p. 298 Jebb; Aineias von Gaza, Theophrastus 22,19 f. Ps.-Demosth. or. 42,1 Aischin. Ctes. 2–3 Aischin. Tim. 6 Aischin. Tim. 19–20 Aischin. Tim. 22–23 Aischin. Tim. 25–26 Aischin. Tim. 27–33 Aischin. Tim. 183 f.

926

Register

Quellenregister Quellenbeleg LegDrSol

Alexandros von Aphrodisias Comm. in Aristot. top. F 46i 2,2, 109b 13 (II 2 p. 139,33–140,3)

Aelius Dionysius Attika onomata ε 12 s. v. εἰδύοι, ι 4 s. v. ἰδύους

F 18b, 70b F 18b, 70b

Ailianos nat. 2,42 nat. 6,61 nat. 9,1 var. 5,14 var. 5,15 var. 8,10

F 89h F 126b, 140e F 140f F 89g F 23m, 25h, 28f F 3d, 19e

Aineias von Gaza Theophrastus 22,19 f.

App. 1a

Aischines 1 (Tim.), 6 1 (Tim.), 6 und 13–14 1 (Tim.), 13 1 (Tim.), 14 1 (Tim.), 15–16 1 (Tim.), 19–20 1 (Tim.), 19–21 1 (Tim.), 22–23 1 (Tim.), 25–26 1 (Tim.), 27–32 1 (Tim.), 27–33 1 (Tim.), 138–139 1 (Tim.), 183 1 (Tim.), 183 f. 1 (Tim.), 184 3 (Ctes.), 2–3 3 (Ctes.), 38 f. 3 (Ctes.), 175 f. 3 (Ctes.), 244–245 Argumentum ad or. 1,2 Schol. or. 2,87

Anaximenes von Lampsakos FgrH 72 F 13 T 9, F 89c adn.

App. 2 F 99d F 143b F 95a F 93e App. 2 F 99e App. 2 App. 2 F 54e App. 2 F 100a F 96a App. 2 F 95b App. 2 App. 1a F 53c, 91a F 32b F 54g F 25k

Andokides 1,73–74 1,78 (psē΄phisma) 1,81 1,94 1,95 1,100 1,111

F 53a, 140b F 4a F 3a F 5b F 45 F 54c F 86

Androtion (FGrH 324) F 3 F 4a F 4b F 34 F 36

F 40 F 42a F 42b F 109b F 56a

Aischylos fr. 494 Mette

T3

Alexis F 305 PCG

F 143 adn.

Alkiphron ep. 2,38,3

F 12c

Ammonios De diff. adfin. voc. ν 330 s. v. ναύκληροι ο 345 s. v. οἰκότριψ καὶ οἰκέτης

F 56e adn. F 97c

Anecdota graeca I (Bekker) p. 82,17 (Antiattikistes s. v. ἀνυποδήματος) F 38d p. 85,1 (Antiattikistes s. v. βόθυνον) F 118d p. 86,20 (Antiattikistes s. v. γενέσια) T 23, F 83 p. 197,22 f. (Lex. Rhet. s. v. Ἄρειος πάγος) F 23o

927

Quellenregister

p. 213,30–214,2 (Lex. Rhet. s. v. ἀνδρολήψιον καὶ ἀνδροληψία) F 37b p. 242,19–22 (Lex. Rhet. s. v. δοξασταί) F 68b p. 255 (Lex. Rhet. s. v. ἐπὶ Δελφινίῳ) F 28g adn. p. 257,23–25 (Lex. Rhet. s. v. ἐφέται καὶ ἐπὶ Παλλαδίῳ) F 25k adn. p. 283,20 (Lex. Rhet. s. v. ναύκραροι) F 56d p. 310,28–311,25 (Lex. Rhet. s. v. τίνες ποίων δικαστηρίων) F 22h p. 311,13 f. (Lex. Rhet. s. v. ἐν ποίοις δικαστηρίοις) F 28g adn. p. 311,17–22 (Lex. Rhet. s. v. ἐν Ζέᾳ, ἐν Φρεατοῖ) F 31i p. 401,18 (Syn. lex. chres. s. v. ἀνεψιαδοί) F 6f, 26c p. 428,9 f. (Syn. lex. chres. s. v. ἄποινα) F 33d p. 444, 1–11 (Syn. lex. chres. s. v. Ἄρειος πάγος) F 23b, 43c

6,4 6,16

Anecdota graeca e codd. Oxon. (Cramer) III p. 193,18; 195,27 F 125b

Appendix proverb. Bodl. Vatic. Coisl. (Corpus Paroem. gr. App. I p. 388 LeutschSchneidewin) I 58 s. v. βολίτου δίκην F 114

Anonymus Lexicographus Fragmenta quattuor apud Eustathium 3 F 102 adn. Anonymus Paradoxographus (Festa) De incredibilibus 23: Περὶ σεισαχθείας F 105e adn. Antiattikistes (Bekker, Anecd. gr.) s. v. ἀνυποδήματος (I p. 82,17) F 38d s. v. βόθυνον (I p. 85,1) F 118d s. v. γενέσια (I p. 86,20) T 23, F 83 Antiphon 5,14 5,48 6,2

F 19a F 14a F 19a

Apollodoros (FgrH 244) F 107a (= Harpokr. κ 97, Phot. Lex. κ 1233 s. v. κύρβεις) F 107a (= Suda κ 2744 s. v. κύρβεις) F 107b (= Schol. Apoll. Rhod. 279–281b) F 107c (= Lex. Patm. p. 160,17 s. v. κύρβεις) F 107d (= Schol. Aristoph. Av. 1354a) F 107e (= Suda κ 2745 s. v. κύρβεις) Apollodoros in Phot. Lex. κ 1234 s. v. κύρβεις

F 7 adn. F 5a

T 19a T 19c T 19e T 19g T 19f T 19d T 19b

Apollonios Rhodios Schol. 279–281c

T 13a, 19e, F 79h

Apostolios cent. 15,39

F 105b

Aristeides or. 46, p. 298 Jebb or. 46, p. 302 Jebb

App. 1a F 116g

Aristophanes Av. 1353–1357 Av. 1660–1666 Eccl. 662 bis–664 Equ. 299–301 Plut. 906–919 fr. 233 PCG fr. 602 PCG Schol. Av. 1354 Schol. Av. 1541

T 5, F 140a F 124a, 137a F 115 adn. F 75a F 64a, 93b F 70a, 128a F 25a T 11 adn., 19f, F 79c adn., 79i F 56a

928 Schol. Equ. 658 Schol. Nub. (edit. Aldinae) 37 Schol. Nub. 447, 448 Schol. Nub. 1371 Schol. Plut. 31

Register

F 114 F 56g T 19e adn., F 79h F 123d F 78f

Aristophanes von Byzanz (Nauck) fr. 7 F 125b fr. 39 F 129d fr. 76 T 16, F 79d frag. Paris. p. 278,11 (Miller) F 129d adn. Aristoteles Athenaion politeia 2,2 3,5 3,6 4,1 4,4 6,1 7,1 7,1–2 7,3–4 8,1–2 8,3 8,4 8,4–9,1 9,1 9,2 12,4 13,5 16,10 35,2 47,2 52,1 55,5 57,3–4

F 103b F 65a F 42d F 3b F 44b F 105a, 107a T 10, F 3b, 19b F 67a F 48d F 48e F 56b F 43a, 44c, 59e F 46a F 65a, 93g, 107a F 121 F 103a, 105a adn. F 51a–b adn. F 1, 44a, 51a–b F 20d, 134g F 23j F 112b F 67b F 22c, 23i, 25e, 28c, 31c, 32c

Politik 2,7, 1266b 14–21 2,12, 1274a 15–18 2,12, 1274a 15–21 3,11, 1281b 31–34 4,16, 1300b 13–30 6,4, 1319a 6–14

F 48f F 58b F 48g F 58b F 22b, 23h, 31b F 48f adn.

[De virtutibus et vitiis] 7, 1251a 30–33

F 74d

fr. 611,3 Rose

F 105a adn.

Asklepiades (FgrH 339) F 1

T 17, 28, F 79e

Athenaios 3,6, p. 74d–f 3,6, p. 74d–75a 4,14, p. 137e 4,64–65, p. 167e–168b 6,12, p. 227e–228b 6,26, p. 234d, e–f 6,26, p. 234f 6,92, p. 266f–267a 13,24, p. 569 a, c–d 13,25, p. 569 d–f 13,94, p. 612a 15,34, p. 686f–687a

F 78a F 75e F 57b F 48e F 48h F 85 T 14b, F 57b adn. F 93f F 11c F 98c F 101b F 101a

Basilicorum libri Schol. 60,32,3,1

F 69b, 117b

Cedrenus (Tartaglia) Historiarum Compendium 94,11 F 19f Chrysippos fr. 12

F 101a

Cicero Att. 10,1,2 de leg. 2,23 (59) de leg. 2,25 (63–66) de off. 1,22 (75) S. Rosc. 70

F 46b F 89b F 89c F 43b F 36a

Demosthenes orationes 9,43 f. 18,2 und 6–7 20,89–94 20,102–103 20,104 20,157

F 30 F 66c App. 1a F 132a F 116b F 23f, F 43c adn.

929

Quellenregister

20,158 21,43 21,45–47 22,21 22,25–28 22,29–30 23,22 (lex) 23,28 (lex) 23,37 (lex) 23,44 (lex) 23,50 (lex) 23,51 (lex) 23,53 (lex) 23,60 (lex) 23,62 (lex) 23,62–63 23,65–80 23,67–69 23,72 23,80 23,82 (lex) 24,103 (lex) 24,105 (lex) 24,105 f. 24,107 24,113 24,114 f. 24,144–148 24,148–151 37,59 43,50–51 (lex) 43,53–54 (lex) 43,57 (lex) 43,62–67 43,78 57,30–32 57,32–34 Schol. or. 20,88 Schol. or. 20,104

F 16a F 6b, 24a, 27b F 93d F 99a F 64b, 74a, 93c F 54d, 99b F 23a T 1, F 8a, 33a, 60, 110b F7 F 9a F 10a, 110c, 116c F 34, 61a F 11a F 10b F 20b, 39a F 21 F 22a, 23g, 25c, 28b, 31a, 32a F 38c F 15 F 16b, 61b F 37a F 63a, 92, 113b, 140d F 55, 63a, 92 F 63a, 113b, 140d F 140d F 12a, 29, 112a F 113b F 47, 63b F 66b F 6c F 124b, 137b F 129a, 138 F 6a, 26a, 27a F 89a F 137f F 52b F 59d App. 1a F 116h

Ps.-Demosthenes orationes 26,3 f. 40,49

F 58a F 116d

42,1 44,12 44,49 44,63 f. und 68 44,67–68 45,79 f. 46,6–8 46,9–10 46,14–15 46,14–16 46,18–19 (lex) 46,19–20 46,20 46,24 47,40 47,70–72 48,56 59,65–68 59,87 (lex)

App. 1b F 137g F 122b F 136a F 135b F 99c F 71 F 72 F 135a F 134d F 122a F 131d F 141 F 132c adn. F 115 F 6d, 14b, 26b, 38b F 134e F 94c, 98b F 96b

Didymos (FgrH 340) F 1 P. Berol. 5008 B 7 ff.

T 29 T 20

Digesta 10,1,13 47,22,4 48,5,24

F 118b F 69a, 117a F 11e, 94e

Diodor 1,77,5 1,79,3–5 9,2,5 12,18,3 16,88,2

F 48a adn. F 105c, 107b F 88a F 129c F 91c

Diogenes Laertios 1,45 1,55 1,58 1,59

F 105e F 17b, 53b, 54b, 59b, 88c, 140g F 46h F 36b

Dion Chrysostomos or. 31,69 or. 80,6

F 105f F 39b

930

Register

Dionysios von Halikarnass ant. 2,26,2–3 F 126a, 141 adn. ant. 3,11,3–4 F 52c

Commentarii ad Homeri Odysseam 1,321 ff. (I p. 61 f.) F 25a–b 19,28 (II p. 189) F 102 adn.

Diphilos F 31 PCG

F 48h

Epimerismi Homerici κ 122 s. v. κύρβεις

Gaius ad leg. XII tab. (Dig. 10,1,13) F 118b ad leg. XII tab. (Dig. 47,22,4) F 69a, 117a

T 16, 28, F 79d

Eratosthenes (FgrH 241) F 37a F 37b

T 13a T 13b

Etymologicum Genuinum p. 41 Miller s. v. Ἄρειος πάγος F 23b, 43c Etymologicum Gudianum (Sturz) p. 355,38–52 s. v. κῦρβες T 13b, 16 adn., 17, 28, F 79d, e Etymologicum Magnum p. 115,45 s. v. ἄξονες p. 139,8 s. v. Ἄρειος πάγος p. 344,25 s. v. ἐν Φρεατοῖ p. 358,56 s. v. ἐπὶ Δελφινίωι p. 547,45 s. v. κύρβεις p. 710,32 s. v. σεισάχθεια p. 733, 38 s. v. συκοφαντία und συκοφαντεῖν

T 24 F 23b, 43c F 31d F 28g adn. T 13b, 16 adn., 17, 28, F 79d, e F 105d, 109b adn. F 78e

Etymologicum Symeonis I p. 92 s. v. ἄξονες T 24 adn. Euphorion

T 15

Euripides Schol. Or. 1648 Schol. Or. 1651 Schol. Rhes. 282–285

F 23c F 23c F 77b adn.

Eustathios (van der Valk) Commentarii ad Homeri Iliadem 18,501 (IV p. 236) F 18b adn., F 70d 21,450 (IV p. 536) F 129d

Galenos (Kühn) Adhortatio ad artes addiscendas (Protreptikosfragment) 8 F 143 adn. Gloss. Hippocr. prooem. (Bd. 19, p. 66) F 70a, 128a Ps.-Galenos (Kühn) An animal sit quod est in utero 5 (Bd. 19, p. 179 f.) F 35b Aulus Gellius N. A. 2,12,1 N. A. 11,18,1–5 N. A. 11,18,5

F 39c, F 46g F 12d, 19d F 113c

Glossae rhetoricae (Bekker, Anecd. gr. I) s. v. ἀνδρολήψιον καὶ ἀνδροληψία (p. 213,30– 214,2) F 37b s. v. ναύκραροι (p. 283,20 f.) F 56d Gnomologium Vaticanum p. 186,504 Sternbach F 89i Harpokration α 166 s. v. ἄξονι T 14a β 20 s. v. βουλεύσεως F 25d δ 27 s. v. δήμαρχος F 56c adn. ε 61 s. v. ἐν Φρεάτου F 31d ε 91 s. v. ἐπὶ Δελφινίῳ F 28g adn. ε 107 s. v. ἐπὶ Παλλαδίῳ F 25k adn. ε 110 s. v. ἐπὶ πρυτανείῳ F 32g ε 173 s. v. ἐφέται F 22f, 31g κ 97 s. v. κύρβεις T 8, 19a ο 14 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος T 9, 15, T 20 adn. ο 42 s. v. ὅτι οἱ ἁλόντες F 9b ο 43 s. v. ὅτι οἱ ποιητοὶ παῖδες F 35a, 136c π 10 s. v. Πάνδημος Ἀφροδίτη F 98c adn.

931

Quellenregister

π 63 s. v. περίστοιχοι σ 18 s. v. σῖτος

F 75b T 35b, F 142

Hekataios (FgrH 264) F 25

σ 355 s. v. σεισάχθεια τ 1298 s. v. τρεῖς θεοί τ 1437–1438 s. v. τριτέα

F 105g F 38f F 109c

F 105c, 107b

Helladios Chrestomathia in Phot. Bibl. cod. 279, p. 535a 22–34

F 22g, 31h

Homer Schol. Il. 2,665 Schol. Il. 21,282 Schol. Il. 22,254 Schol. Gen. Il. 21,260 Schol. Gen. Il. 21,282e F 111a

F 24b T 18b, 32b,F 111b F 70 adn. F 73 T 18a, 32a,

Hellanikos (FgrHist 323a) F 1 F 23b F 22a–b F 23c Herakleides Lembos 1,3 Dilts 8 Dilts

F 105a adn. F 67c

Herakleides Pontikos fr. 146 Wehrli

F 143a

Hermeias von Alexandria in Plat. Phaedr. 231e F 100e Herodas Mim. 2,41–43 und 46–54

F 115 adn.

Herodot 1,59,6 2,177,2

F 20c F 48a

Hesychios α 907 s. v. ἀγχιστάδην ὀμνύων F 38g α 7113 s. v. Ἄρειος πάγος F 23o β 466 s. v. βινεῖν F 97e, 128f δ 824 s. v. δήμαρχοι F 56c adn. ε 94 s.v ἐπίδιετὲς ἡβῆσαι F 131e ε 1716 s. v. ἑκτήμοροι F 103c adn. ε 4258 s. v. ἐπαίτια F 113d adn. ε 4985 s. v. ἐπίμορτος F 102 adn. ε 5041 s. v. ἐπὶ Παλλαδίῳ F 25k adn. ι 243 s.v ἰδυῖοι F 70b adn. ι 249 s. v. *ἰδυίους F 70b adn. κ 2930 s. v. κλέπος F 113e adn. ν 118 s. v. ναύκλαροι F 56e adn. π 3643 s. v. προπτόρθια F 81c

Hypereides 4 (Eux.), 5–6 (fr. Ar col. 21 Jensen) 5 (Athen.), 16 5 (Athen.), 17 5 (Athen.), 21–22 (col. 10) fr. 120 Jensen fr. 192 Jensen

F 74b F 122c F 134f F 110d, App. 1a F 93f F 131e

Ioannis VI. Cantacuzenus Hist. 4,13 F 46k Iohannes Chrysostomos (Migne PG) epist. ad Romanos 5. Homilie Kap. 1 v. 26 und 27 (60, p. 418–419) F 100f epist. ad Titum 5. Homilie Kap. 4 (62, p. 693) F 100g Isaios 1,39 2,13 2,19 u. 38 3,42 3,67–68 4,16 6,9 6,44 6,47 7,19–20 8,30–31 8,32 9,13 10,12 10,13

F 129b F 132b F 134b F 133b F 133a F 134c F 134a F 136b F 124c F 137e F 131a F 140c F 132c F 131b F 133c

932

Register

11,1–3 F 137c 11,11–12 F 137d fr. XIV Thalheim F 25d fr. XXVI 25 Thalheim F 131c fr. 91 Tur (fr. XXVI Thalheim) F 127 Isokrates 7,37 7,44–46 7,46 12,139–141 15,21 f. 20,2

F 42c F 48b F 59c F 54f F 66a F 93a

Istros von Kyrene (FgrH 334) F 12 F 78a Klearchos Athen. 6,26 p. 234f

F 57b adn.

Kleidemos (FgrHist 323) F 20

F 25b

Krates Schol. Hom. Il. 21,282 T 18b, 32b F 111b Schol. Gen. Hom. Il. 21,282e T 18a, 32a, F 111a Kratinos fr. 300 PCG

T4

Lexeis Rhetorikai (Bekker, Anecd. gr. I) s. v. Ἄρειος πάγος (p. 197,22 f.) F 23o s. v. δοξασταί (p. 242,19–22) F 68b s. v. ἐπὶ Δελφινίῳ (p. 255) F 28g adn. s. v. ἐφέται καὶ ἐπὶ Παλλαδίῳ (p. 257,23–25) F 25k adn. s. v. τίνες ποίων δικαστηρίων (p. 310,28–311,25) F 22h, 32k adn. s. v. ἐν ποίοις δικαστηρίοις (p. 311,13 f.) F 28g adn. s. v. ἐν Ζέᾳ, ἐν Φρεατοῖ (p. 311,17–22) F 31i

Lexicon Patmense (Lex. in Demosth. et Aeschin.) ad Demosthenis orationem 23,37 F 25i 23,71 F 25j 23,74 F 28g 23,76 F 32h p. 160 s. v. κύρβεις (Sakkelion) F 79c adn. Lexicon Rhetoricum Cantabrigiense p. 665,19 s. v. ἀργίας δίκη F 17a, 59a p. 671,7 s. v. κακηγορίας δίκη F 116f Libanios (Förster) decl. 1,9 (V p. 18,10) decl. 11,14 (V p. 517,14) decl. 19,1,7 (VI p. 269,11) epist. 103,3 (X p. 104,6) epist. 137,3 (X p. 135,17)

F 66e F 140h F 23n F 68a F 140i

Lukianos Calumniae non temere credendum 8 Eunuchos 10

F 66d F 94f

Lykurgos 5 65 121 or. 6 fr. 12 Conomis or. 11 fr. 12 Conomis or. 12 fr. 1 Conomis

F 91b F 14c F 62 T8 F 93f F 91c

Lysias 1,26–32 1,30 (lex) 1,30 f. 1,32 1,50 3,23 10,1 10,6–9 und 12 10,11 und 17

F 94a F 23d F 11b, 28a F 97a F 23d F 115 adn. F 54a F 116a F 38a

933

Quellenregister

10,15–17 10,18 10,19 10,30 13,66 14,5 30,17–20 fr. 40a–b Carey fr. 246 Carey

F 113a F 109a F 97b, 98a, 110a F 116a F 94b F 90 T 6, F 79a F 17a, 59a F 17b, 53b, 54b, 59b

Ps.-Lysias 6,15

F 23e

Maximus Confessor Migne PG 4, p. 16

F 42a

Methodius von Olympos Symposium or. 8 (Thekla), 16 F 12e

Pausanias Attic. ι 1 s. v. ἰδύους π 15 s. v. πελάται

F 70b adn. F 103c adn.

Phanias von Eresos fr. 22b Wehrli

T 12

Phanodemos (FgrH 325) F 10 F 16

F 48c F 25b

Philemon fr. 3 PCG

F 98c

Philochoros (FgrH 328) F 20a F 20b F 114 F 180 F 196

F 40 F 42a–b F 105b F 75b F 48c

Michael Synkellos Migne PG 4, p. 620

F 42b

Moeris (Bekker) π 65 p. 208,2

Philomnestos (FgrH 527) F 1 F 75e

F 57b adn.

Nepos praefatio 4 Cimon 1,2

Philon De specialibus legibus 3,22 F 123b

F 123a F 123a

Nicephorus Gregoras Hist. Byz. IX 7

Photios Bibliotheca cod. 279 [535a 22–34]

F 46j

Nikandros (FgrH 271/2) F 9

F 98c

Orosius 5,16,23–24

F 36c

Pausanias 1,28,5–11 1,28,10 6,11,6 9,36,8

F 22d, 23k, 25f, 28d, 31e, 32d F 8b, 22d F 3c, 32e F 11d

Lexicon (Theodoridis) α 808 s. v. ἀκοῦσαι ὀργῶ α 1753 s. v. ἀνδραφόνων α 2183 s. v. ἄξονες α 2316 s. v. ἀπειπεῖν ε 504 s. v. ἑκτήμοροι ι 36 s. v. ἰδύους κ 769 s. v. κλέπος κ 1233 s. v. κύρβεις κ 1234 s. v. κύρβεις ν 39–40 s. v. ναύκραροι und ναυκραρία ο 173 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος ο 384 s. v. ὅτι οἱ ποιητοὶ παῖδες

F 22g, 31h F 77a F 33b T 24 F 135c F 103c adn. F 70c F 113e adn. T 8, 19a adn. T 11 adn., 19b, F 79c adn. F 56f T 9, 15, 20 T 35a, F 136c

934 ο 439 s. v. ὀργεῶνες ο 440 s. v. ὀργάδες ο 583 s. v. ὅτι οἱ ἁλόντες π 544–545 s. v. πελάται π 546 s. v. πελάτης π 776 s. v. περίστοιχοι π 1009 s. v. ποινᾶν καὶ ἀποινᾶν σ 126 s. v. σεισάχθεια σ 248 s. v. σῖτος σ 687 s. v. συκοφαντεῖν

Register

T 30, F 69c, 87, 117c F 77b F 9b F 103c adn. F 103b adn. F 75b F 8c, 33c F 105b T 35b, F 142 F 78e adn.

Pindar Schol. Pind. N. 10,64b

F 76b

Platon Schol. Res publica 340d

F 78e adn.

Plutarch Moralia Coniugalia praecepta 1 (mor. 138d) Sept. sap. conviv. 7 (mor. 152d) qu. R. 7 (mor. 265e–f) qu. R. 65 (mor. 279e–f) De Alexandri magni fortuna aut virtute 13 (mor. 343c–d) De amore prolis 2 (mor. 493e) De curiositate 16 (mor. 523b) De sera numinis vindicta 4 (mor. 550c) am. 4 (mor. 751b) am. 23 (mor. 769a–b) Praecepta gerendae reipublicae 13 (mor. 807d) Praecepta gerendae reipublicae 32 (mor. 823f) De sollertia animalium 8 (mor. 965d)

F 128c F 100c F 134i F 128d F 105d adn. F 130 F 78b F 46d F 100d F 128e F 105d adn. F 46e F 46f

Solon 1,1 1,6 12,2–4 12,8 13,4–6 13,5 15,2 15,2–3 und 5 15,3 15,5–6 16,5 17,1–2 17,2 18,2–3 18,6–7 19,1–5 19,3 19,3–4 19,4 20,1 20,2–5 20,6 21,1 21,3–4 21,5 21,5–7 22,1 22,3 22,4 23,1 23,2–3 23,2–4 23,4 23,6 23,7–8 23,8 24,1–2 24,2 24,3 24,4 24,5 25,1–2 25,2 25,3

T 29 F 100b F 41a F 82a, 89e F 103c F 108 F 107c F 105d F 109b F 103a F 19c F 17c, 19c, 59h F 12b F 65b F 64c, 93h F 41b F 23o adn. F 4b, 20e T 33, F 1a–b, 20e, 44a, 50, 51a–b, 106 F 46c F 128b F 139a F 116e F 134h F 82b F 89f F 143c F 48i, 59i F 143a F 94d, 97d, 98d F 48i, 59i, 81a F 81a, 88b T 34 F 119 F 118c F 120 F 59j, 76a T 31 F 104 F 52a, 103d F 57a T 21, F 79f T4 F 67d

935

Quellenregister

31,5 comp. Sol. et Publ. 25(2), 2 comp. Sol. et Popl. 25(2), 4 comp. Sol. et Popl. 26(3), 1 Schol. Solon 19,4

F 59f F 65c F 44d F 105d adn. T 26

Polemon (FHG) fr. 48 fr. 78

T 14a T 14b, F 85

Pollux 1,29 1,246 3,28 3,33 3,48 3,82 4,165 5,36 6,156 7,151–152 8,22–23 8,34 8,40 8,41–42 8,41–43 8,42 8,47 8,62 8,108 8,117–120 8,125 8,128 8,142 9,61

F 81b F 139b F 6e, 26d F 127 F 130 adn. F 103b adn. F 103b adn. F 75c F 125a F 102 F 113d F 113e F 130 adn. F 74c F 59k F 17d F 75d, 78c F 65d F 56c F 22e, 23l, 25g, 28e, 31f, 32f F 4c T 22, F 79g F 38e F 18a

Polybios 36,9,15

F 74e

Porphyrios De abstinentia 2,20–21

T 11, F 79c

Proklos (Diehl) Comm. Plat. Tim. 27a (Bd. 1 p. 203)

F 125c

Ps.-Ptolemaios De differentia vocabulorum ν 330 s. v. ναύκληροι F 56e Scholia siehe unter der Sigle des jeweils kommentierten Werkes Seleukos (FgrH 341) F 1 F 2

T 30, F 69c, 87, 117c F 79d

Sextus Empiricus Adv. math. P. H. 3,211

F 35a

Solon (West) fr. 4, Z. 23–25 fr. 31 fr. 36, Z. 8–15 fr. 36, Z. 18–20

F 103a adn. F 20a F 103a F 20a

Stephanos von Byzanz α 37 s. v. Ἀγνοῦς α 412 s. v. Ἄρειος πάγος

F 84 F 23o

Stobaios (Hense-Wachsmuth) 4,22a,16 (IV p. 497) F 130 adn. 4,50a,27 (V p. 1026) F 49 Suda α 2833 s. v. ἄξονες α 3716 s. v. ἄποινα α 3838 s. v. Ἄρειος πάγος β 367 s. v. βολίτου δίκην β 429 s. v. βουλεύσεως δ 421 s. v. δήμαρχοι ε 1080 s. v. Ἐμφρεάτοι ε 2287 s. v. ἐπὶ Δελφινίῳ ε 2505 s. v. ἐπὶ Παλλαδίωι ε 2540 s. v. ἐπὶ πρυτανείῳ ε 3878 s. v. ἐφέται η 19 s. v. ἡβήσαντες κ 2744 s. v. κύρβεις κ 2745 s. v. κύρβεις

T 25 F 33d F 23b, 43c F 114 F 25d F 56c adn. F 31d F 28g adn. F 25b F 32h adn. F 22f F 131c T 19c T 16; 17 adn.; 19d, 25 adn., F 79e adn.

936

Register

Ulpian Dig. 48,5,24

F 11e, 94e

Valerius Maximus 2,6,3

F 59g

Varro res rusticae 2,5,3–4

F 89d

Vita Menagiana Schriftenkatalog Nr. 140

T 27

Vitruv 6, praef. 3

F 143 adn.

Xenophon oik. 14,4–5

F 10c

Συναγωγὴ λέξεων χρησίμων (Cunningham) α 1567 s. v. ἄξονες T 24 adn.

Xenarchos F 4 PCG

F 11c

Theophilus Ad Autolycum 3,6

F 122d, 123c

Inschriften

F 31d T 11, F 79c F 59f F 9b

IG I3 104 IG I3 104 Z. 4–10 und 56 IG II2 1357a LSCG Suppl. 10 A Z. 30–58 SEG 21,527 und 47,165/ 1.3 Z. 80–88

ν 485 s. v. νόμος ο 104 s. v. ὁ κάτωθεν νόμος ο 511 s. v. ὀργεῶνες π 1313 s. v. περίστοιχοι σ 289 s. v. σεισάχθεια σ 502 s. v. σῖτος σ 1330 s. v. συκοφαντεῖν σ 1331 s. v. συκοφάντης σ 3567 s. v. ἀποσυκάζεις τ 322 s. v. τέως

T 25 adn. T 9, 15, 20 T 30, F 69c, 87, 117c F 75b F 105b T 35b, F 142 F 78e adn. F 78d F 78d adn. F 131c

Synagoge lexeon chresimon (Bekker, Anecd. gr. I) s. v. ἀνεψιαδοί (p. 401,18) F 6f, 26c s. v. ἄποινα (p. 428,9 f.) F 33d s. v. Ἄρειος πάγος (p. 444,1–11) F 23b, 43c

Theophrastos fr. 17 Hager fr. 12 Pötscher fr. 99 Wimmer fr. 104 Wimmer

Thomas Magister Ecloga nominum et verborum Atticorum p. 246,9 s. v. Ναύκληροι ἐπὶ νηῶν F 56c adn. Johannes Tzetzes Comm. in Aristoph. Plut. 31a Comm. in Aristoph. Plut. 873

F 78g adn. F 78g

F2 T2 F 80 F 80 T 7, F 79b

Papyri P. Berol. 5008 s. v. ὁδός P. Berol. 5008 B, Z. 7 ff. P. Hal. 1, Z. 84–105 P. Oxy. 2, 221 col. 14, Z. 9–13 P. Oxy. 20, 2246 Z. 35–37

F 11f T 9, 20 F 118a T 18b, 32b, F 111b T3

Namen- und Sachregister

937

Namen- und Sachregister Abführen, siehe apagōgē΄ Abrogation  92, 270–272 Ächtertafel  291, 294 Adoption  768, 798, 800–828, 855 Adoptivsöhne, -vater  61 f. aeiphygía, siehe Flucht agō΄gimos  646 f., 655, 657, 667, 676 agorá (Volksversammlung)  22, 37, 43, 53, 55, 97, 99, 101, 151, 160, 171, 174 A. 273, 185, 228, 230, 356 f., 578, 580, 725, 854 agoraí ephóriai  108, 109 A. 73, 158–161 Ägypten 332–335 aikeía, siehe díkē aikeías Aischines 873–882 Aisymneten  320 A. 152, 661 Akamas 207 Akropolis  22, 37, 43, 53, 55, 66 f., 69, 71 f., 75, 78, 107 Altar der anaideía  149 A. 195 Altar der hýbris  149 A. 195 Altersversorgung, siehe gērotrophía Altersvoraussetzung 344 Amasis  335, 866 Amnestie  85, 146, 299 Amnestiegesetz  75 A. 46, 76, 78, 82, 85, 113, 149, 275, 344–348, 350 Amphiktyonie, delphische  160 A. 231 amphiktyonisch, siehe Wettkämpfe Amtsfähigkeit 330–344 anagrapheís (Schreiber)  6, 16, 89, 106, 134 A. 154, 136, 510, 527 anaideía  149 A. 195, 205, 217 anakrínein, anákrisis  333, 342 anchisteús, anchisteía  764–767, 770 f., 779, 787, 789, 807, 809, 811, 827, 829, 832–842 Andania  556 A. 277, 632 A. 148 androphónos  38, 159, 161, 163–165, 185 f., 202, 255, 421 f., 720, 723 Androtion  474 f., 626 f., 634 anepsiadoí  153, 157, 181, 265, 560, 831, 837, 840 f. Angriff, gewalttätiger  167–171 Ankündigung der Blutrache  95–99, 100 A. 34, 103, 108, 117 f., 151–157, 269 Antidosisverfahren  570 A. 2, 870–872 Antiphon aus Rhamnus  294 A. 60, 347 A. 37

Anzeige (éndeixis)  91 f., 257, 329, 359, 361, 364, 380, 415–429 apagōgē΄, apágein  38, 98, 161–165, 177, 186 f., 202, 228, 240 f., 253 f., 329, 355, 359, 364, 379 f., 415–429, 435, 441, 471, 494, 579 f., 599, 609, 690–697, 701, 704, 708, 820, 854, 859 Apfel, kydonischer  782, 784 ápoina, poinē΄ (Wergeld)  38, 53, 91 f., 98, 103, 161 f., 165, 169 A. 257, 190, 253 f., 256, 415, 421 apokē΄ryxis (Lossagung)  773 f., 750 f., 803, 816, 823–826 apórrhēta  720–723, 855 Arbeitsteilung, geschlechtsspezifische  793 A. 155 Archeptolemos  294 A. 60, 347 A. 37 Archestratos  5, 293, 300 Archinos 354 árchōn basileús  203, 227 A. 375, 228, 230, 239, 250, 267, 469–569 árchōn epō΄nymos  584, 745–865 árchōn polémarchos 570–580, 584 A. 12 Ardettos 449 áreios págos  65, 71, 72 A. 32, 76, 78, 86, 100, 102, 148, 252 A. 446 Areopag  8, 17, 22, 37, 53, 72 A. 32, 76, 78, 85, 91 f., 103, 118, 123, 126, 148 f., 160, 172, 198– 220, 273–413, 468, 479 f. Argeier  207, 221, 223 f., 227, 230 Argos  576 A. 22 Aristaichmos  95 A. 23 Aristeides 573 aristíndēn  70, 76, 98, 136, 146, 149 A. 198, 151, 155, 234, 274–280, 285 Aristion  290, 308 Aristokrates 90 Aristophon  356, 408 Arthmios aus Zeleia  242, 295 A. 65 asébeia, siehe graphē΄ asebeías Asebieklage, siehe graphē΄ asebeías astrateía  348, 373, 379, 418, 423–426, 570–580 Athena Areia  205 Atimie (atimía)  73 f., 76, 78–86, 242, 272, 294 A. 60, 298, 321–325, 344–380, 399–402, 406, 413, 573, 608, 721, 854, 858, 874 A. 44, 875

938

Register

átimos  242, 270 f., 291, 297, 306 f., 321, 333 f., 413, 432, 445, 577, 610, 619, 853, 858, 860, 874 A. 38 Aufhebung der Schulden (chreō΄n apokopē΄)  652 A. 197, 656, 670–680 Ausschluss vom Rednerplatz  358–363, 875 Ausschluss von den Gesetzen (nómoi, nómi­ ma)  122, 182, 187, 427, 579, 854, 859 Ausschluss von der Agora  416, 637 f. Ausschluss von heiligen Stätten / Opfern  97 A. 25, 101, 129 A. 137, 185–188, 251 A. 439, 373, 416, 424, 427, 472, 574, 577, 627, 637, 719–721, 854 A. 349 Aussetzung 258 Aussöhnung (aídesis)  17, 76, 87, 95–99, 103, 105, 117, 136, 139 f., 151–157, 166, 184, 201–203, 215 f., 219 f., 223, 228, 232–235, 244, 246, 258, 415 Ausstattung der Braut (phernaí) 844–851 áxōn, áxones 15–62, 92, 95 basileís  111–116, 128, 136, 139, 145–150, 203, 254 Bastard (nóthos) 835 Befleckung (míasma)  69, 100, 102, 112, 115 A. 90, 128–132, 174 A. 273, 184, 188, 241–243, 248, 252, 267 f., 368, 475, 629, 637, 719–721 Beleidigung  474, 719–726 Bestattung  547–569, 801 f., 853, 856, 864, 877 Bestattungsverbot  73, 76, 129 A. 133, 294 A. 63, 298, 302, 347 A. 37 Bienenstöcke  735, 742–744 Binden, in Fesseln legen  326–329, 418 A. 14, 419, 423, 426, 428, 435, 691, 697, 702, 704, 709 bineín  360, 783 f. Blutrache  116–119, 121 A. 108, 126 f., 139 f., 166, 232, 830 boúleusis  150, 195, 203, 224, 225 A. 367 boustrophedon  30, 33, 47, 53 Brautgaben (éedna) 844 Brautraub  604 f., 618–624, 784 Briseis-Maler 20 Brunnen 742–744 Bürgen (engyētaí)  177, 241, 268 A. 494, 326–329, 364, 372, 423, 425, 428, 600, 602, 610, 615, 691, 693, 696, 698, 700, 854 Bürgerrechtsgesetz des Perikles  358, 836, 863 Bürgerrechtsgesetz, solonisches  349–358 Cato 644

Charidemos 90 Charondas  774, 859, 862 Chersones, taurische  242 A. 421, 317 A. 144, 320 A. 152, 363 A. 95, 458, 486 f. Damasias  280 A. 11, 288, 290 Deliasten  514, 517 Delos  536 f. Delphi  531 A. 194, 536 A. 209, 537, 541, 853 Delphinion  102 f., 145, 173 A. 266, 198–209, 235–243 dē΄marchos  383, 389, 392 f., 408 Demetrios von Phaleron  60, 472, 529 f., 542, 557, 564 Demophantos  4, 128 A. 133, 170, 291, 296– 299, 319, 363 A. 95 Demophon  205, 209, 221, 223, 226, 230 desmós (Haft)  364 f., 379 f., 416 A. 4, 419, 423, 425, 428, 573 f., 579 f., 820, 853–855, 859 desmōtē΄rion  186, 417, 419, 422, 425, 696, 700 A. 326 deuterología  216, 268 diadikasía 789 Dieb / Diebstahl (klopē΄)  120, 177–180, 193 f., 240, 419, 423 f., 441 Diebstahl aus Heiligtümern (hierosylía) 432, 475–477 dikázein  86, 96, 103, 111–116, 121, 123 A. 115, 136, 146, 149, 172, 203, 207, 210, 224, 235, 277, 287, 574 f. díkē aikeías  328, 680, 682, 711–718 díkē biaíōn  328, 430 f., 712 díkē blábēs  430, 658, 680–690, 712 dikē exoúlēs  683, 688–690, 701, 722 díkē klopē΄s  178, 690–711 díkē sítou  846, 855 Diomedes  205, 209, 223, 226 diōmosía  113, 201, 207, 239, 266–269, 458 dokimasía  327, 331, 359, 362, 365, 376, 378, 445, 721 A. 400, 854 dokimasía rhētórōn  361 f., 376, 627–632, 873–876, 881 doúlē (Sklavin)  589, 606, 610, 621, 685, 688, 716, 718 doúlos (Sklave)  223, 640, 688 Drakon  15–20, 38 f., 87–195 Ehebruch, Ehebrecher (moichós)  91 f., 101 A. 48, 109, 120, 194, 203, 235, 239 f., 433, 604

Namen- und Sachregister

Ehefrau (dámar)  171–173, 236 A. 401, 239 A. 410, 595–598 ehrbar, siehe epítimos ehrlos, siehe átimos Eid  70, 100, 112 f., 122 A. 109, 171, 197, 200 f., 207, 217, 228–231, 264–269, 325–329, 425 f., 448–463, 693, 698, 700, 866 Eid, der Heliasten  448–458 Eid, der Thesmotheten  448–458 eidýoi, idýoi  464 f. eisangelía  471, 495 Eisangeliegesetz  289–296, 315–318 ékdosis  786 f., 789 A. 142 ekmartyría  466, 467 A. 157 ekphorá  547, 552–561 eleútheros  157, 182, 631, 661, 666, 718 Elf, Elfmänner (héndeka)  177, 241, 329, 331, 338, 343, 364, 379 f., 401 A. 186, 418–420, 423, 428, 495, 579 f., 594, 599, 609, 692–697, 700, 704, 854 f., 859, 878 ēliaía siehe (h)ēliaía éndeixis (Anzeige)  359, 415–429, 471 A. 9, 495, 693 A. 308 engýē, engýēsis  754–760, 766, 776, 783, 789, 845, 856, 863 énktēsis 354 Entziehung vom Kriegsdienst, siehe astrateía epaítia, epaítioi  702 f., 705–709 epangelía, epangéllein  359, 362, 365, 376, 378, 413, 635, 875 epangelía dokimasías 627 ephē΄gēsis  693 A. 308, 701 A. 328 éphesis 441–447 ephétai  78 f., 85–89, 93 A. 18, 95–100, 103–130, 136–139, 145–187, 203, 208 f., 213–217, 221– 248, 275, 278, 285, 443 Ephialtes  5, 37, 43, 53, 218, 284, 292 f., 295, 364, 472 epidikasía, epidikázein  789, 790 A. 144, 795, 803 f., 816, 823 f. Epigamie 354 epiklērítis  779 f. epíkleros  435, 774–800, 804, 812–815, 826 A. 259, 829, 831, 833, 849 f., 855, 861 Epimenides von Phaistos  23, 69–71, 149 A. 195, 515, 533 epímortos  643, 665

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epiorkía  200, 266, 269 epítimos  92, 192, 345, 348–350, 367, 372, 379, 419, 425, 656, 659, 663 Erbtochter, siehe epíklēros Eretria 298 Erinyen  100, 102, 214 A. 338, 217 A. 350, 269, 281 Erythrai  302 A. 97 Eukrates  83, 128, 301 f., 319 A. 150 Eumolpiden  435, 441, 471 f., 494, 536 A. 210 Eupatriden  121 A. 108, 149 A. 198, 250 A. 437, 279, 285 Euthykles  90, 93 Euxitheos  355 f., 408 exēgētaí  152, 154 A. 205 exoúlē  680–683, 688–690 Exportverbot (landwirtschaftlicher Produkte)  485–490, 499–503 Feigen  489–493, 519 Feigenbäume  505–509, 737 f., 741 Feigheit (deilía)  348, 358 f., 364 f., 372 f., 376, 424, 435 f., 570–580 Feldsteinmauer  740 f. Fesselung, siehe desmós Festgesandte (theōroí) 387 Fluch  66–75, 80 A. 54, 84, 101, 187, 207, 217, 229, 270 f., 275, 284, 291, 297, 472, 477 A. 38, 480 A. 59, 482, 486 f., 504, 520 A. 175 Flucht, immerwährende (aeiphygía) 152, 166, 218–220, 350, 370 siehe auch Verbannung, immerwährende Frevel (hýbris)  205, 217, 470, 581–595, 606, 634, 715–717, 877 f. Gefängnis, siehe desmōtē΄rion Geisel, Geiselnahme  92, 262–264 genésia  55 f., 514 f., 528, 534 gērotrophía  852–865, 801 f. Geschworeneneid, siehe hórkos hēliastō΄n Gesetz gegen Diebstahl, siehe nómos klopē΄s Gesetz gegen tätliche Angriffe, siehe díkē aikeías Gesetz über den Zugriff auf Sachen, siehe díkē exoúlēs Gesetz über die Untätigkeit, siehe nómos argías Gesetze über die Ehelosigkeit, siehe nómos agamíou

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Register

Gesetzgebungsverfahren 866–870 Gesinde, freies  157, 410, 589, 642 f., 647, 660, 687, 853 Getreide 486–489 Getreide, heiliges  518 f., 531 Gortyn  400, 459 A. 136, 492, 604 A. 75, 622, 673, 682 A. 274, 714, 761, 794, 803 A. 192, 805 A. 205, 807 graphaí ídiai  324, 436 f., 584, 587 A. 25, 593 graphē΄ asebeías  435 f., 470–475, 494–496, 854 graphē΄ deilías  347, 373, 436, 570–580 graphē΄ hetairē΄seōs  362, 413, 626–641, 875 graphē΄ hýbreōs  429–441, 581–595, 876, 878, 882 graphē΄ kakō΄seōs  436 graphē΄ kakō΄seōs gonéōn  474, 704, 853 graphē΄ moicheías  595–626 graphē΄ paranómōn  90, 347 A. 36, 351, 354, 437 Grenzmarkt, siehe agoraí ephóriai Grenzsteine, siehe hóroi Gymnasion  419 A. 18, 631–633, 641, 709, 880 Haft, siehe Binden, desmós Halbbruder  832, 834 Halbgeschwister  746–752, 761–772, 832 Halbschwestern 834 Halirrhothios  200, 205, 210 f., 217, 277, 281, 283 Harmodios und Aristogeiton  296 A. 72, 385, 541 A. 221, 542, 545 Hausübergabe inter vivos  745, 829, 852 Hauswüstung  291 A. 46 f., 294 A. 60, 300 A. 93, 302, 347 A. 37 hektē΄moroi, hektēmórioi  642–650, 655, 665, 667 f. (h)ēliaía  17, 38, 53, 91, 253–255, 282, 331, 379 f., 419, 421, 423, 428, 431, 436, 438, 444, 448, 450, 468, 579, 585, 589, 593, 693, 697, 700, 702, 705 A. 341, 753, 854, 859 hēliastaí  454 A. 123 Hesiod  397 f. hētairēkō΄s  360, 373–378, 413 Hetäre  622, 628 A. 131, 684, 856, 863 hikesía, hikétēs  66 f., 69, 71 f., 101, 115, 228, 295, 350 Hipparchos von Kollytos  290, 294, 311 Hippias  290, 311 ho kátōthen nómos  38 f., 43, 47, 53–55, 91 A. 14, 161, 253 f.

hómaimos 771 homoerkē΄s  771 f. homogálaktes  771 f. hórkos bouleutikós  326, 329, 429 hórkos hēliastō΄n  325, 429, 448–456 hóroi  504 A. 130, 648, 656 A. 213, 662 Hybrisgesetz, siehe graphē΄ hýbreōs Hyettos 172 Hypereides 355 hypophónia 256 idýoi  464 f. Ilion  302 A. 97 Intestaterbfolge 829–844 Isagoras  66, 291, 311 Isotelie  354, 356, 570 A. 2 Isthmische Spiele  539–546 Iulis  548, 550, 553 A. 262 katharós  174, 178 A. 284, 185, 242 kátōthen, siehe ho kátōthen nómos Keos 548 Kephalos  211, 217 Keryken  514, 516, 536–537 Kimon  747, 762 Kleisthenes  66, 110, 273, 291–296, 309, 311 f., 332, 369, 383–385, 389, 392 f., 438 A. 78, 458, 549 Kleomenes von Sparta  66, 68 kōlakrétai  331, 338, 387–389 kō΄mos  712, 714–717 Konfiskation des Vermögens  171, 216, 219, 290–298, 300 A. 93, 302, 324, 347, 472, 480, 482, 489 Korinth  107 A. 68, 342, 400 A. 183, 410, 618 A. 108 Korybanten  23 f., 29, 44, 50–52, 523 Krankheit, altersbedingte  397 Kuppelei  607, 610, 617 f. Kylon  65–87, 102, 106–108, 139, 174, 180, 215, 247, 251 f., 273, 277, 284 f., 316, 327, 368, 384, 401 kýrbeis  6, 15–62, 510–516, 520–536, 857 Labyaden  513, 515, 517 A. 165, 518 A. 168, 553 A. 262 leitourgíai 870–872 Leptines 867 Lossagung vom Sohn, siehe apokē΄ryxis Lykides 294

Namen- und Sachregister

Lykurg von Sparta  551 A. 258, 748, 762 f., 774, 792, 794, 859 Lyttos  353 A. 53 médimnos  60, 330 f., 343 f., 529–531, 542, 545, 659, 679 f. Megakles  69, 70 A. 24, 75 f., 107, 139, 174, 274, 277, 284 f. Megara, Megarer  504, 552, 662 Meineid, siehe epiorkía métoikoi, Metöken  123, 203, 220 A. 360, 224, 230, 349–358, 369–372, 570 A. 2, 584 A. 12, 668 mētroktónos  261 A. 474 Mettius Fufetius  357, 371 míasma, siehe Befleckung Miltiades 293 Misshandlung der Eltern (kákōsis gonéōn)  348, 358 f., 362 A. 90, 364 f., 372, 379 f., 419, 423–426, 474, 627, 704, 719–722, 853 f., 858 f. Misshandlung des Täters  253–256 Mitgift (proíx)  787, 790 f., 806 A. 210, 814 f., 844–851 Mitgiftklage (díkē proikós) 846 Mutterschläger (mētraloías) 855 Mykonos  845 A. 314 Myron von Phlya  69 f., 76, 78, 274 f., 278, 281, 327 Myrrhine, Tochter des Peisistratos  223 Mysterien, eleusinische  536–538, 685 A. 285 Nachbarrecht 734–744 Naukraren (naúkraroi, naukraríai)  66 f., 381–394 nēphália  523, 526 nēpoineí  85 A. 70, 169, 318, 657 A. 215 Nikomachos  5 f., 134 A. 154, 521, 528 nómos agamíou  784, 792–795 nómos argías 395–413 nómos hetairē΄seōs  626–641, 876–878, 882 nómos proagōgeías  876 f., 882 nóthoi  764–771, 836–839 Noxalhaftung  653 f., 657 f. Ochse  60, 120 A. 106, 190, 206, 522, 529, 542, 545, 566–568, 708 oikē΄os, oikeús  157, 182, 227, 606, 610, 621, 624 A. 122, 684, 687 oikétai (Sklaven)  157, 203, 207, 224, 227 A. 375, 231, 233, 265, 639 f., 685 f.

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Öl-, Olivenbäume, heilige (moríai) 477– 489, 496–498, 737 f., 741 Olivenöl (élaion)  479–489, 499–504, 519, 523 Olympia 539–546 Opfer, Opfertiere (thysíai)  23, 32 A. 60, 41 f., 47 f., 55, 60, 69, 184 f., 188, 509–539, 566, 578, 619, 719 A. 389, 725 Opferkalender  6, 22, 509–539 opýein, opyíein  360, 622, 781–785 Orest  99–103, 141 A. 170, 200, 205, 211, 214 A. 338, 217, 238, 281 orgádes  483, 503 f. orgeō΄nes  500, 519, 538 f., 728 f., 734, 772 f. Ostraka, Ostrakismos  110, 290, 308–313 Pacht (místhōsis), Pächter  643 f., 648, 650 A. 191, 652, 667 Päderastie  631–633, 639 f. paidotrophía 857 Palaistra  631 f. Palladion  78, 102, 183, 198–209, 221–235 pallakē΄  171 f., 175 f., 235 f., 240, 595 f., 598, 766 f., 846, 863 Pallantiden, Pallas  205, 207, 221 f., 226 f., 236, 239 A. 409 Panathenäen  479, 482 A. 68, 502, 512, 519 Parabyston  205, 444 A. 92 parasiteín, parásitos  30, 46, 385 f., 394 f., 514, 517–520, 535–537, 714 Parfümhandel 633 parrhēsía  628, 635 f., 864, 877 parricida, parricidium  261 patraloías 855 Patrokleides  146, 317, 348, 372, 674 A. 254 patroktónos, patrophónos  261 f. Peisistratos  74, 79 f., 110, 218, 290, 308–312, 334, 368, 409 f., 483 A. 69, 549 pelátai  645–647, 667 f. Periandros  188 A. 308, 333 A. 10, 410 Perikles  68 f., 358, 371, 504, 746, 749–752, 766–769, 836, 863 Pfändung  671, 673, 682 f., 689 A. 295, 715 Pflugochse  533, 551, 553–556, 567 f. Phaleron  72, 205, 207, 221–227 Philokrates  873 f. phonikoí nómoi  91 f., 94, 98 A. 31, 118, 124, 145, 152, 158 f., 192–194, 198, 210, 213, 219, 225, 234, 239–243, 246, 248 f., 257, 264, 421

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Register

phráteres, phrátores  97, 136 f., 459, 500, 729 f., 733, 772 f. Phratrie  101, 108, 154 f., 230, 232, 534, 758, 768, 798, 803 f., 826, 828 A. 261, 839 Phreato (‚in Phreato‘)  180, 198–209, 243–248 phrýgetron  850 Phrynichos  300 A. 93 Phylenheroen 868 Phylenkönige, phylobasileís  114, 204, 207, 250, 251 A. 440, 388, 510, 526–528 Pittakos  553, 564 f., 774, 862 Platon  744, 758, 790, 814, 822, 830 f., 851, 853 A. 349, 880 podokákē, podokákkē  693 f., 697–700, 702 Popularklage, siehe Schriftklage Prämien für Sieger  539–546 Privatklage (díkē)  122, 124, 233, 430 f., 435, 441 f., 582 prórrhēsis  129 A. 137, 267, 269, 417 próthesis  547, 552–555, 558, 560 f., 565, 568 Prytaneion  23, 34, 37, 46, 54 f., 65 f., 68 A. 14, 78, 85, 107, 145, 149, 198–209, 248–253, 275, 316, 385 f., 388, 394 f., 541 Prytanen  66, 67 A. 12, 380–395 prytánies tō΄n naukrárōn  106, 107 A. 68, 383–385 Ratseid, siehe hórkos bouleutikós Realteilung unter den Söhnen  829 Rechenschaft, Rechenschaftspflicht  320, 326, 336 f., 346 f., 372, 395–413, 703 rechtlos, siehe átimos Rede, erste (próteros lógos) 266 Rede, zweite (deuterología)  216, 268 Reden vor dem Volk  626–641, 879, 882 rein, siehe katharós rein an den Händen  84, 101 A. 48, 128 f., 131, 174 A. 273, 291, 298, 300, 315, 318 f. Reinigung, rituelle  102, 152, 184, 201 f., 207, 228, 231 Revision der solonischen Gesetze  4–10 Rügebräuche  694, 707 A. 351, 711–716 Salaminioi  42, 510–513, 515 A. 155, 522, 535 Salbenhandel  633, 640 f. Schaden, Schädigung (blábē, blábos)  161, 182, 253, 255, 652–661, 666, 669, 674, 727, 737 Schadenersatz  17, 20, 614, 621, 654, 657, 680–690, 706 A. 343, 714–718

Schadensklage, siehe díkē blábēs Schandstrafen  120, 178, 602–611, 694 Schatzungsklassen, solonische  326, 330–344, 345, 359, 420, 529, 644, 788, 790 f., 847, 849 Schenkung 814 Schiedsrichter (diaitētaí)  441–444, 447, 457, 585, 686, 693 A. 308, 694 A. 315, 715, 720, 723 Schriftklage (graphē΄)  429–441 Schulden, Schuldner  648, 650 f., 655, 667, 671, 675 f. Schuldrecht  650 f., 653, 662, 674 Schutzflehende, siehe hikétai Schwurgötter  454 A. 122 seisáchtheia  649, 651, 652 A. 197, 656–659, 660, 665, 670–674, 680 Selymbria 487 Semnai  65, 68–72, 76, 78, 86, 106, 148, 205, 214 A. 338, 251, 252 A. 446, 316 Sklaven  123, 127, 157, 180–182, 203, 207, 223 f., 227–233, 268 A. 491, 436, 586–589, 592, 594, 618 A. 108, 621–624, 631–633, 638–640, 646, 648, 653, 656–658, 666, 676, 681, 685, 687, 716, 718, 853, 878 Sparta  552, 556, 640, 713, 748 Speisung, öffentliche  385 f., 394 f., 541, 545 Stasisgesetz  303–313, 320–325 Steinigung  74 A. 42, 576 A. 22 Stoa Basileia  5–7, 9, 15, 17, 23, 37, 43, 88, 136 f., 512 stoichádes  483, 497 f. sykophántai (‚Feigen-Anzeiger‘)  434, 489, 506–509, 713 A. 372, 818, 879 syngrapheís  84 A. 67, 298, 318 synoikeín  619, 779, 783, 787, 789, 795 f. Teisamenos 7–10 Tempelland 477–493 Teos  80 A. 54, 320 A. 152, 486 f. Testament  5, 800–828 Testierfreiheit  808–811, 814 tetrachízein  643 f. Thales 793 Themistokles  294 f., 384 Theseus  310 f. thesmós  143–145, 195–197 thesmothétai  581–595, 600, 602, 606, 610, 627, 635, 682, 721, 868 f. Thesmotheteion 446

Namen- und Sachregister

thē΄ssa  779, 788, 790, 847 Theten  331, 339, 643, 646 f., 650, 659 A. 230, 667 f., 674, 786, 790 f., 847–849, 851 thrē΄nos  553, 563 Thurioi 713 Timarchos  873, 875, 879 Timokrates  691, 696 títai 400 Totenehren  853, 856, 859, 864 Tötung, straffreie  296–298, 300, 302, 318– 320, 346, 596–599, 609, 690–697 Trauerklagen 547–569 Trauerkleidung 554 Trigonon  205, 444 A. 92 Tyrannis  65–86, 106 f., 286–325 Tyrtaios 651 Untätigkeit (argía), von Amtsträgern  119, 188–190, 348, 365, 373, 395–413, 458 Unterhaltsleistung, -pflicht  61, 795–800, 852–865 Unzurechnungsfähigkeit 815–822 Verbalinjurien, siehe Beleidigung Verbannung  68 f., 72, 73 A. 39, 75, 101, 472, 480 A. 59 Verbannung, immerwährende  70, 76, 152, 166, 216–219, 350, 352, 369 f. Vergewaltigung  604 f., 620–624 Verjährung (prothesmía) 220

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Vermögenstausch 870–872 Vertragsgesetz, solonisches  383, 459, 461, 463, 727–734 Vorladung  197 f., 336, 347 f., 372, 419, 444 Waisen  36, 61 f., 432–438, 584, 779 A. 113, 797, 799, 855, 862 Wasser, geweihtes (chérnibes)  100 f., 185, 188 Wasserrecht  735 f., 742–744 Wege, schutzgewährende  183–185 Wegerecht 735 Wegwerfen des Schildes  570–580, 627, 719–722, 724 Wettkämpfe  171, 173 A. 268, 539–546 Wettkämpfe, amphiktyonische  21 A. 24, 91, 97, 100, 108, 109 A. 73, 117, 125, 141 A. 170, 157–161, 163, 166 Witwen  62, 435–438, 584, 761, 855, 862 A. 363 xénios kósmos 400 Zaleukos  774, 859 Zaun 740 Zea  209, 245 f. Zeugen  118, 191, 197, 267, 409, 457–467 Zeugnisse vom Hörensagen  465–467 Zins  660 f., 672, 676–680 Zwölftafelrecht  459, 467 A. 157, 556, 562, 657 A. 216 f., 662 A. 240, 727, 733, 735, 738 f.

Die Autoren legen eine neue Ausgabe aller Fragmente der Gesetze Drakons und Solons mit griechischem bzw. lateinischem Originaltext, einer deutschen Übersetzung und einem ausführlichen Kommentar sowie einer historischen Einordnung vor. Durch die Neubearbeitung ergeben sich für viele Gesetzesfragmente neue Deutungen. Dies erlaubt eine grundlegende neue historische Bewertung der Gesetzgeber Drakon und Solon und ihrer Gesetzgebung und eine genauere Erfassung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme in Athen in dieser Zeit. Die Edition ermöglicht eine neue Sicht auf die Phase der Verschriftung des antiken Rechts

im späten 7. und frühen 6. Jahrhundert v. Chr. – als Antwort auf drängende Probleme.

ISBN 978-3-515-13361-6

www.steiner-verlag.de

9 783515 133616

Behandelt werden Gesetze über Tötungsdelikte und die Einrichtung einer Tyrannis, Bestimmungen über die Zulassung zu politischen Ämtern, zum Verfahrensrecht und der erlaubten Eigenmacht, zum Opferkalender und zu religiösen Vergehen, zu Feigheit vor dem Feind, zu sexuellen Delikten, zu Gewalttaten, Diebstahl und Beleidigung, zum Vertragsrecht und zum Familienrecht. Von zentraler Bedeutung sind die Gesetzesfragmente auch für das Schuldrecht in solonischer Zeit.

Franz Steiner Verlag