Lebensort Wels: Alltägliche Aushandlungen von Ort, Größe und Maßstab in der symbolisch schrumpfenden Stadt [1 ed.] 9783205232216, 9783205232193


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German Pages [385] Year 2019

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Lebensort Wels: Alltägliche Aushandlungen von Ort, Größe und Maßstab in der symbolisch schrumpfenden Stadt [1 ed.]
 9783205232216, 9783205232193

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Lebensort Wels Alltägliche Aushandlungen von Ort, Größe und Maßstab in einer symbolisch schrumpfenden Stadt

Georg Wolfmayr

ETHNOGRAPHIE DES ALLTAGS, BAND 5

LEBENSORT WELS ALLTÄGLICHE AUSHANDLUNGEN VON ORT, GRÖSSE UND MASSSTAB IN EINER SYMBOLISCH SCHRUMPFENDEN STADT

Georg Wolfmayr

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Universität Wien, Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät, sowie der Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung, MA 7

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag Gesellschaft m.b.H & Co. KG, Kölblgasse 8–10, A-1030 Wien Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Plakat eines Projektes des MKH Wels, © Angela Lehner, Barbara Wieser Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Wissenschaftlicher Satz: satz&sonders GmbH, Dülmen Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH Göttingen

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-23221-6

INHALT

1. Einleitung

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2. Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Konjunktur der Städte und des Urbanen . . . . . . . . . . . Stadtforschung jenseits metrozentristischer Stadtmodelle . . . Städte in Beziehung und scaling practices . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Stadtethnographie in Wels

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Ethnographie als Zugang . . . . Ethnographie als Repräsentation Städtevergleich . . . . . . . . . . . Forschungsdesign und -verlauf 4. Zugänge

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Wels von Wien und Linz aus und das imaginaire der Stadt Ankommen in Wels, Standort und das Entwickeln von Routinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raumnutzungen zwischen Überschaubarkeit und Anonymität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tiefenbohrung: Place-making und scaling practices in der jungen Alternativ- und Punkszene in Wels . . . . . . . . . . Porträt I: Wels als Arbeitsort – Christian Müller . . . . . . 5. Zeitliche Bezüge Die industriell-moderne Stadt

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65

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Wels, die wachsende Stadt . . . . . . . . . . . . . Wels, die Einkaufsstadt . . . . . . . . . . . . . . . Wels, die Messestadt . . . . . . . . . . . . . . . . . Wels, die große Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . Wels, die verbundene Stadt . . . . . . . . . . . . . Von der Einkaufsstadt zur Stadt »off the map«?

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104 114 121 128 133 136

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149

»Decentralizing Vienna«: Das Gefühl, am Rande zu wohnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Annäherung Die stigmatisierte Stadt

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. . . und der schlechte Ruf: Marginalisierung in Kulturellen Ökonomien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Place-making und scaling practices als Beruf – Das Stadtmarketing Wels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Irishness« und die »Dirty Old Town« . . . . . . . . . . Porträt II: Wels als transitorischer Ort – Robert Prem 7. Vertiefung Die überschaubare Stadt

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183 197 204

211 214 241

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275

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275

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277 312

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329

Abschied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Place-destruction practices: Das Ende des »Irish« . . . . . Rechtsruck und städtische Positionierung . . . . . . . . . Porträt V: Wels als Ort der Freiheit und des häuslichen Niederlassens – Andreas Harg . . . . . . . . . . . . . . . .

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329 329 333

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338

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345

»Pulsierendes Leben« als gegenwärtige Norm der Stadt . . . . Raumwettbewerbe, Spätmoderne und der nichtkulturalisierte Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Stadt und Land: Vorstellungen vom guten Lebensort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

345

10. Schluss Fäden und Verknüpfungen

6

Inhalt

211

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Linz als unübersichtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die bedrohte Stadt: Überschaubarkeit, Fremdheit und (Un)Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wels verbessern – bürgerschaftliches Engagement . . Porträt IV: Wels als Ort des trotzdem Bleibens – Gertraud Windhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Ausblick Die zukünftige Stadt

150

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Erweiterung der Kreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überschaubarkeit und Vorstellungen von Stadt . . Aufwachsen im alternativen Wels . . . . . . . . . . . Porträt III: Wels als Ort der Überschaubarkeit und Praktikabilität – Claudia Wolkinger . . . . . . . . . . 8. Angekommen Die bedrohte Stadt

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347 349

Anhang

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Personenliste . . . . . Interviewliste . . . . . Literatur und Quellen Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis .

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Inhalt

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1. EINLEITUNG Im Sortiment eines deutschen Drogeriekonzerns ließ sich im Jahr 2014 eine aus der Perspektive kulturwissenschaftlicher Stadt- und Raumforschung aufschlussreiche Produktlinie finden: Körperpflegeprodukte mit den Titeln »Stadtgeflüster« und »Landpartie«. Bodylotion, Duschgel und Körperspray der städtischen Variante (zur ländlichen komme ich erst wieder am Schluss dieser Arbeit) versprechen ein sinnliches Stadterlebnis: »Der erfrischend-spritzige Duft mit Bergamotte-Orangenöl entführt Ihre Sinne in die trendigen Lifestyle-Cafés angesagter Metropolen!«, so die kurzen Herstellerangaben auf der Verpackung. Neben einem Cappuccino zeigt das Etikett städtische Bürgerhäuser am Wasser, im Hintergrund verschwindet die Stadt Richtung Horizont in der fotografischen Unschärfe. Gegenwärtige Vorstellungen von Stadt und städtischem Leben, welche für die vorliegende Arbeit zentral sind, verdichten sich hier in Text und Bild: Am auffälligsten ist wohl, dass in der Produktlinie der Geruch der Stadt attraktiv erscheint und der eigene Körper über den Geruch der Stadt eine Aufwertung erfahren soll. War der Geruch der Stadt in der Großstadtkritik seit dem 19. Jahrhundert negativ konnotiert und wurde in erster Linie mit Abwasser, Abort und Müll assoziiert 1, wird das städtische Odeur hier positiv gewendet. Man wäscht sich die Stadt am Ende des Tages nicht vom Körper, sondern trägt sie am Morgen ausdrücklich auf. Die Stadt stinkt nicht (mehr), sie duftet. Die Tatsache, dass es sich hier um Hygieneprodukte handelt, verweist auf die körperliche Dimension gegenwärtigen Stadterlebens. Stadt ist nicht nur kognitiv zu erfassen und textuell zu dechiffrieren, sondern laut Produkttext sinnlich erlebbar – Stadt ist demnach auch eine körperliche Angelegenheit. Jedoch sind nicht Städte generell gemeint, die hier den Körper einhüllen sollen. Es sind die »angesagten Metropolen«, die Attraktivität versprühen und deren Geruch begehrenswert scheint. Und in diesen Metropolen sind es die Cafés, die statt Lärm und Unruhe Entspannung verheißen. Damit wird klar: Es handelt sich um einen bestimmten Ausschnitt von Stadt, um bestimmte Formen städtischen Lebens, welche hier Werbezwecken dienen. Und auf noch etwas verweisen die selektiven Bilder der Stadt: Städte können in Mode sein. Die Produktlinie macht klar, dass von Städten heute eine große Attraktivität ausgeht. Städte boomen, »urban« ist gegenwärtig gleichbedeutet mit hip, modern und up to date sein (siehe Abbildung 1). Was ist aber mit jenen Orten, die keinen metropolitanen Geruch versprühen? Was ist mit jenen Städten, die nicht angesagt sind, die wenig Aufmerksamkeit erfahren, die sprichwörtlaich weg vom Fenster, die – so ein Begriff der Geographin Jennifer Robinson – 1 Vgl. Lindner (2004): Walks, S. 19 ff.

Abb. 1: »Urban Drinks« als Ausdruck gegenwärtiger Mode von Urbanität. Die beiden Getränkemarken ClubMate und Makava werden in der Supermarktkette Billa neben anderen Getränken in einem eigenen Regal als urban beworben.

»off the map« 2 sind? Um die Produktion eines solchen Ortes soll es in dieser Arbeit gehen: die Stadt Wels in Oberösterreich. Dabei interessiert mich der Zusammenhang zweier Aspekte: Wels lässt sich erstens als Stadt »off the map« als stigmatisierte Stadt begreifen, der nach einem Boom als Industriestadt und »Einkaufsstadt« in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren heute ein schlechter Ruf anhaftet. Dieser schlechte Ruf verweist auf die Normen städtischen Lebens, des guten Lebens in der Stadt 3, auf die ungleiche Kapitalverteilung von Städten und Orten und generell auf das Phänomen ungleicher räumlicher Entwicklung, das heute insbesondere mit einer Kulturalisierung der Städte verbunden ist. Städte scheinen durch ihre »Kultur« attraktiv, durch ihre ästhetische, historische und symbolische Dichte, wie der Kultursoziologe Andreas Reckwitz festhält 4. Mit »Kultur« treten auch die BewohnerInnen der Städte in den Prozess der Attraktivierung ein und werden zum städtischen Kapital. Mitunter adressieren und identifizieren Stadtregierungen, StadtplanerInnen und MedienvertreterInnen »Leben« selbst als Attraktionsmoment von Städten. Der Körper wird dann zum Instrument, um die Reize der Stadt zu erfahren, körperliche Erlebnisse werden zu zentralen Attraktionen der Stadt. Was bedeutet diese Kulturalisie-

2 Vgl. Robinson (2002): World cities. 3 Die vorliegende Arbeit ist im Austausch mit einer Vielzahl an StadtforscherInnen entstanden, u. a. der Forschergruppe zu »Urbanen Ethiken« an der LMU München. Deren Begriff des »guten Lebens in der Stadt«, den sie als ethischen Terminus für normative Vorstellungen vom angemessen und richtigen Leben verwendet, hat mich inspiriert zum Begriff des guten Lebensortes, der den jeweils subjektiv als angemessen und richtig empfundenen Wohnort benennt. 4 Vgl. Reckwitz (2012): Kreativität, S. 279 f.

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Einleitung

rung aber für eine Stadt wie Wels, deren ästhetische, historische und symbolische Dichte nicht vergleichbar zu jener der »angesagten Metropolen« ist und vielfach in Frage gestellt wird? Was, wenn sich die gewünschte Erlebnisqualität nicht einstellt? Wels ist zweitens ein Ort, dessen Status als Stadt ungesichert ist, der weder Stadt noch Dorf zu sein scheint – oder beides zugleich. Damit geht es also um die Frage nach der Urbanität der Stadt. Wer kennt nicht die vielen kleinen Unterschiede verschieden großer Städte, etwa dass in der Großstadt auf der Rolltreppe rechts gestanden und links gegangen wird, in der Kleinstadt aber nur gestanden; dass bei roter Ampel über die Straße zu gehen in der Großstadt eine Selbstverständlichkeit sein kann, in der Kleinstadt aber böse Blicke nach sich ziehen mag; dass ins Taxi hinten einzusteigen in der Großstadt üblich ist, in der Kleinstadt aber auch als Arroganz ausgelegt werden kann? Eine Vielzahl an Filmen und Romanen erzählen von diesen Unterschieden, vom kleinstädtischen Landei, das in die große Stadt kommt und dort mit Härte und Abgeklärtheit konfrontiert ist, oder umgekehrt vom eingebildeten Großstädter, der in der und durch die Kleinstadt sein Herz entdeckt – oft auch in dieser Weise vergeschlechtlicht.5 Diese Beispiele knüpfen an ein generelles Konzept der Urbanität an, mit dem eine bestimmte städtische Sozialität als ein bestimmtes soziales Verhalten gefasst wird, welche in erster Linie in Großstädten verortet wird. Welche Rolle aber spielt Urbanität in einer Stadt, deren Status unklar ist, die weder Groß- noch Kleinstadt ist? Welche Sozialitäten treffen hier aufeinander? Was gilt hier als städtisch und urban? Mich interessiert, wie die Stigmatisierung der Stadt mit der Aushandlung von Urbanität zusammenhängt und wie sich die beiden Aspekte in Wels entfalten. Zweck der Arbeit ist es daher, die Aufmerksamkeit auf eine Stadt zu lenken, die üblicherweise nicht beachtet wird, die zwar nicht jenseits des kulturalisierenden Zugriffs liegt, die darin aber lediglich eine untergeordnete Rolle spielt und mitunter als wenig urban und unspektakulär gilt. Welche Bezüge gibt es in Wels zwischen Kulturalisierung, Stigmatisierung und Urbanität? Zudem ist aus der Perspektive kulturwissenschaftlicher und ethnographischer Stadtforschung zu fragen: Wie werden Kulturalisierung, Stigmatisierung und Urbanität von verschiedenen AkteurInnen ausgehandelt? Wie wird den Normen gegenwärtigen städtischen Lebens gefolgt, wie werden sie ignoriert oder gar angefochten? Der üblicherweise normativ verstandene Urbanitätsbegriff soll so durch einen

5 Man denke nur an die vielen Filme, in denen der Wohnortwechsel in eine größere Stadt oder in die Provinz zentrales Handlungsmoment ist. Die »Initialisierungszene« der Ankunft des aus der Provinz stammenden Helden in der Metropole zähle laut der Anglistin Doris Feldmann zu den »klassischen Situationen« in der europäischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts, vgl. Feldmann (2014): London, S. 55. Für die Stadt als »Menschenwerktstatt« des Neulings siehe auch Lindner (2016): Berlin, S. 15 ff.

Einleitung

11

ethnographischen Zugang praxeologisch gewendet werden und eine Dynamisierung erfahren. Im nun folgenden Kapitel zwei Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten entwerfe ich den Rahmen, in dem ich die Stadt Wels untersuche. Dazu beschreibe ich zuerst zentrale städtische Prozesse des 21. Jahrhunderts, insbesondere die Konjunktur des Urbanen im Kontext postfordistischer Produktion sowie eine damit zusammenhängende Kulturalisierung der Städte. Für den Zusammenhang der vorliegenden Arbeit ist relevant, dass diese Konjunktur der Städte und des Urbanen sowie Prozesse der Kulturalisierung nicht alle Städte gleichermaßen betreffen. Vielmehr haben sich gerade durch diese Transformationen die Verhältnisse zwischen den Städten verschoben. Als zentrale Gewinner erscheinen Großstädte und Metropolen der nördlichen Hemisphäre, auf die sich ökonomische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Aufmerksamkeit konzentrieren, kleinere Städte und Städte der südlichen Hemisphäre verschwinden dagegen von der Landkarte. Diese Schief lage lässt sich als Metrozentrismus benennen 6. Folglich erarbeite ich einen Ansatz zur Untersuchung kleinerer und mittlerer Städte, der nicht auf einem Metrozentrismus basiert, sondern kleinere und mittlere Städte »off the map« als »ordinary cities« 7 versteht. Im Zentrum der Arbeit steht ein praxeologischer Begriff von Stadt, der fasst, wie Orte über place-making practices hergestellt werden. Um nun auch Stadtgröße praxeologisch zu untersuchen, verstehe ich diese nicht als starre Kategorie wie es Begriffe wie Klein-, Mittel- oder Großstadt nahelegen. Um die (Größen)Relationalität von Städten zu fassen, orientiere ich mich stattdessen an der Konzeption von ungleicher räumlicher Entwicklung und dabei insbesondere am Begriff scale, welcher Orte als Teil von sozialen Feldern beschreibt. Städte können demnach unterschiedliche »Größen« haben, d. h. unterschiedliche Positionen in unterschiedlichen Feldern einnehmen. Was Größe konkret bedeutet, kann nicht vorab festgelegt und muss je nach Feld untersucht werden. Stadtgröße wird damit zum explanandum. In der Folge unterscheide ich eine symbolische, eine materielle und eine soziale Ebene von scaling practices, über welche sich die Position der Stadt Wels in verschiedenen Feldern konkret untersuchen lässt. Im dritten Kapitel Stadtethnographie in Wels werden konkrete Ansätze und Methoden dargestellt, anhand derer ich place-making und scaling practices in Wels untersuche. Dazu stelle ich den ethnographischen Ansatz vor, welcher sowohl den empirischen Zugang zur Stadt als auch die Repräsentation der Forschungsergebnisse benennt. Die Stärke ethnographischer Forschung für die Frage nach place-making und scaling practices liegt in der Möglichkeit, jenseits hegemonialer Zuschreibungen – etwa administrativer Klassifizierungen oder 6 Vgl. Bunnell u. a. (2010): Metrocentricity. 7 Vgl. Robinson (2006): Ordinary Cities.

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Einleitung

Labels des Stadtmarketing – jene Vielfalt an alltäglichen Deutungspraktiken zu untersuchen, welche diesen Zuschreibungen oftmals widersprechen, sie unterwandern oder sich diese aneignen. Dem folgend leitet sich die Gliederung meiner Dissertation nicht aus analytischen Hauptkategorien ab, sondern bildet eine Collage aus mikroanalytischen Beschreibungen, die grob am Forschungsablauf ausgerichtet ist. Dies umfasst auch fünf Porträts von BewohnerInnen, in welchen ich die Themen der einzelnen Kapitel am Beispiel einzelner Personen verdichte, denen jeweils Raum gegeben wird und in deren Lebensgeschichten die vielfältigen Rollen von Wels deutlich werden. Ein Unterkapitel zum Städtevergleich behandelt danach die Rolle anderer Orte für die Forschung in Wels. Schließlich gehe ich auf das Forschungsdesign und die konkreten Methoden ein, welche ich im Rahmen des ethnographischen Zugangs anwendete. Das vierte Kapitel behandelt Zugänge zur Stadt vor und während der Forschungsaufenthalte in Wels. Zu Beginn skizziere ich Vorstellungen von Wels, auf die ich bereits vor meinem Feldaufenthalt in der Stadt traf. Neben der negativen Färbung dieser Bilder von der Stadt war insbesondere das Fehlen solcher sprechend – viele GesprächspartnerInnen hatten schlicht keine Vorstellung von Wels. In der Stadt angekommen, versuchte ich, mir eigene Routinen im Alltag zu schaffen und die Stadt kennen zu lernen. Als ein zentraler Zugangsort zur Stadt erwies sich eine Kneipe: Das »Irish Pub« war ein besonderer Bezugspunkt der lokalen Alternativszene und stellte einen spezifischen Bezug zu Wels und eine spezifische Raumnutzung dar. Raumnutzungen generell stellten sich als fruchtbare Möglichkeit dar, Aushandlungen von place und scale zu untersuchen. Immer wieder stieß ich in Gesprächen mit BewohnerInnen auf den Begriff der Überschaubarkeit, mit dem sie die besondere räumliche Konfiguration der Stadt beschrieben. In Folge interessierte ich mich dafür, welche städtischen Wahrnehmungsmodi mit dieser Überschaubarkeit in Zusammenhang standen. Am Schluss des Unterkapitels steht ein Porträt des Bewohners Christian Müller, Mitte zwanzig, das Einblick in dessen Lebenswelten und -geschichten gibt. Christian Müller war aus Arbeitsgründen vor wenigen Jahren nach Wels gezogen. Sein Fall steht – parallel zu meinem Ankommen in der Stadt – für ein Einleben in der Stadt und die Inkorporierung städtischer Strukturen. Eine Diskrepanz, die mir bereits zu Beginn meiner Forschung über die Stadt Wels begegnete, ergab sich zwischen den oftmals (wenn auch nicht ausschließlich) negativen Schilderungen das gegenwärtigen Lebens in der Stadt durch BewohnerInnen sowie verschiedene Medien und den im Gegensatz dazu positiven Berichten über die »alte« Einkaufsstadt Wels. Im fünften Kapitel Zeitliche Bezüge: Die industriell-moderne Stadt soll die damit angesprochene Entwicklung von Wels und des städtischen Lebens in den letzten Jahrzehnten, insbesondere die Transformation das imaginaires der Stadt dargestellt werden. Mir geht es dabei nicht primär um die ökonomische Entwicklung der Stadt, sondern um

Einleitung

13

symbolische und atmosphärische Veränderungen. Dazu beschreibe ich zentrale Phasen der Stadt seit der Prägung des Slogans »Wels, die Einkaufsstadt« Mitte der 1960er Jahre bis in die Gegenwart. Der Aufschwung und die Euphorie der industriell-modernen Stadt Wels der 1960er bis 1980er Jahre sind auf die symbolischen Marker einer großstädtischen Moderne gerichtet: Hochhäuser, Autobahn und Handel. Heute hat Wels zwar aus ökonomischer und finanzieller Perspektive kaum Abstriche zu machen 8, symbolisch hat der Ort in den letzten Jahrzehnten aber an Relevanz verloren – Wels ist damit eine symbolisch schrumpfende Stadt. Das sechste Kapitel Annäherung: Die stigmatisierte Stadt beginnt mit einer Reflexion über die räumliche Relation von Peripherie und Zentrum als konstitutives Element von Feldforschung und über mein Gefühl der Isoliertheit zu Beginn der Feldforschung als Konsequenz eigener Habitualisierungen. Im Anschluss thematisiere ich die Stigmatisierung von Wels als Teil einer Marginalisierung der Stadt in kulturellen Ökonomien. Anhand von drei verschiedenen Formen der Repräsentation von Stadt als Formen symbolischer place-making und scaling practices – der Stadtschelte, medialen Stadtporträts sowie Städterankings – gehe ich genauer auf diese Stigmatisierung ein. Danach analysiere ich strategisch eingesetzte, professionelle Formen von place-makingund scaling practices durch die Stadtmarketinggesellschaft von Wels. Dabei ist von zentralem Interesse, wie die Stadtmarketinggesellschaft einer Stadt mit im Vergleich zu Großstädten weniger Ressourcen und in vielen Feldern unteren Positionierungen sowohl mit dem zunehmenden Wettbewerb als auch mit der Stigmatisierung im Rahmen der Kulturalisierung von Städten der letzten Jahrzehnte umgeht. Meine Tiefenbohrung in der Szene rund um das Irish Pub drehte sich in der Folge um den Umgang mit der Stigmatisierung der Stadt. Dieser verdichtete sich in der Vorstellung und dem enactment von »Irishness« und in der Erzählung von Wels als Dirty Old Town. Ein zweites Porträt schließt das Kapitel. Robert Prem, an die zwanzig Jahre alt, ist in Wels aufgewachsen und nutzt die Orte der Alternativszene, wie den Schlachthof oder auch das Irish Pub. Sein Porträt steht für den Wunsch, die Stadt nach der Schule etwa zum Studieren zu verlassen und an einen symbolträchtigeren Ort zu ziehen. Bekam ich zu Beginn des Feldaufenthaltes vermehrt mit jüngeren BewohnerInnen und hier vor allem mit Leuten aus der Szene rund um das Irish Pub Kontakt, erweiterte ich im Laufe der Forschung meine Kreise. Durch den Besuch mir bisher unbekannter Orte und die Teilnahme an neuen Situationen erschloss ich mir neue Milieus, die sich stärker mit der Stadt identifizieren und insbesondere die sozialräumliche Überschaubarkeit schätzen, um die es im siebten Kapitel Erweiterung: Die überschaubare Stadt geht. Dazu gehe ich zuerst 8 Vgl. Steinbock (2014): Schulden.

14

Einleitung

auf körperliches Bewegen im Stadtraum und die Sozialität der Überschaubarkeit ein, danach auf die Rolle, welche Überschaubarkeit in der Materialität und Infrastruktur der Stadt spielt. Dies stelle ich in den Kontext größerer Stadtentwicklungstrends, welche Elemente einer überschaubaren Stadt propagieren. Welche Bedeutung die Alternativszene und alternative räumliche Netzwerke in der überschaubaren Stadt für das Aufwachsen junger Menschen in Wels hatte, spüre ich im darauf folgenden Unterkapitel nach. Insbesondere beschreibe ich, welche place-making und scaling practices mit diesen alternativen Netzwerken verbunden waren und wie die Szene im Ausgehen großstädtische Formen von Stadt performte. Wurde Wels in dieser Szene oft als langweilig, kleinstädtisch oder eng beschrieben, ermöglichte das nächtliche Ausgehen dazu andere Raumnutzungen und andere Subjektivitäten. Zentral sind dafür eine Intensivierung der Nähe fremder Körper, von Dichte und Trubel sowie eine zeitliche Extensivierung der Nacht in eine selbstgemachte 24-Stunden-Stadt. In einem dritten Porträt erzählt Claudia Wolkinger, Ende dreißig, davon, wie stark sie sich mit der Stadt identifiziert, und kritisiert das schlechte Image der Stadt als ein »Schlechtreden«. Das Fallbeispiel fokussiert das Thema Überschaubarkeit und Praktikabilität der Stadt. Kapitel acht Angekommen: Die bedrohte Stadt beginnt mit der Schilderung der Veränderung meiner Wahrnehmung von Wels und auch meines Blickes auf die nahe Landeshauptstadt Linz. Im Laufe des Feldaufenthaltes entwickelte sich durch die Einbindung in unterschiedliche soziale Netzwerke und die Habitualisierung sozioräumlicher Strukturen ein sense of belonging. Auch mir erschien Wels nun überschaubar. Immer wieder thematisierten BewohnerInnen aber auch die Gefährdung dieser Überschaubarkeit, wiederkehrend wurde mir von gefährlichen Orten oder von einem Unwohlsein im Stadtraum erzählt. Diesem Zusammenspiel von Überschaubarkeit, Sicherheitsdiskurs und Angst gehe ich anhand von zwei Beispielen nach. Im ersten Beispiel stelle ich die zwei zentralen Plätze der Innenstadt gegenüber: den Kaiser-Josef-Platz und den Stadtplatz. Gilt Letzterer mit seinen sanierten Fassaden und Arkadenhöfen und dem Wahrzeichen Ledererturm als Vorzeigestück von Wels, wird Ersterer als »verunschönte« Verkehrs- und Drogendrehscheibe wahrgenommen, die es nachts zu meiden gilt. Das zweite Beispiel betrifft die Wohnsiedlung Noitzmühle am westlichen Stadtrand. In den 1970er Jahren ein Zeichen der aufstrebenden Stadt dient die Wohnsiedlung heute im Migrations- und Sicherheitsdiskurs als Symbol für den Niedergang. Ein viertes Porträt, diesmal über Gertraud Windhaber, Ende sechzig, beschließt das Kapitel. Darin erzählt sie von den Transformationsprozessen in Wels der letzten Jahrzehnte sowie von ihrem Leben im Stadtteil Noitzmühle. Das Porträt steht für den Sicherheitsdiskurs und die Rolle von Grünraum in der Stadt als Ausweichmöglichkeit um bedrohlich wahrgenommene Formen städtischen Lebens zu vermeiden.

Einleitung

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In Kapitel neun Ausblicke: Die zukünftige Stadt gehe ich auf verschiedene Entwicklungen in Wels ein, die am Ende meiner Forschung standen und deren Ausgang noch nicht vorhersehbar war. So musste das Irish Pub, das während meines ersten Feldaufenthaltes ein wichtiger Zugang zur Stadt für mich war, am Ende dieses Feldaufenthaltes aus finanziellen Gründen schließen, wodurch für die Szene eine der wenigen Optionen in der Stadt wegfiel und Wels weiter entwertet wurde. Zwei Jahre nach meinem letzten längeren Aufenthalt in der Stadt kam es überdies zu einem politischen Machtwechsel. Die SPÖ (ab 1991 Sozialdemokratische Partei Österreichs, davor Sozialistische Partei Österreichs), die seit 1945 den Bürgermeister gestellt hatte, musste sich 2015 der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) geschlagen geben. Die FPÖ hatte nun in Wels als erster Statutarstadt Österreichs einen Bürgermeisterposten inne. Im Rahmen des Machtwechsels wurde von der neuen Stadtregierung ein Positionierungsprozess in Gang gesetzt, der auf die Stigmatisierung der Stadt reagieren wollte. Stadtpolitik seit dem Machtwechsel tendiert in Richtung der Erzwingung einer überschaubaren Stadt. Schließlich gibt das fünfte und letzte Porträt einen Einblick in das Leben in Wels von Andreas Harg, Mitte dreißig, nachdem dieser für mehrere Jahre in Wien gelebt hatte. Die Rückkehr steht im Kontext einer ausgewogenen work-life-balance und einer Konzentration auf das »Wesentliche« – hier seine Kinder. Sein Porträt ist vom Thema einer hohen Lebensqualität in der Stadt geprägt und zeigt neue Formen als großstädtisch wahrgenommener Lebensweisen in Wels, die eine zukünftige Entwicklungsmöglichkeit der Stadt anzeigen. In Kapitel zehn Schluss: Fäden und Verknüpfungen fasse ich die Ergebnisse der Arbeit unter drei Aspekten zusammen. Zuerst verweise ich auf »pulsierendes Leben« als gegenwärtige Norm in einer Kulturalisierung der Städte und zeige, dass neben der Stadt der Produktion und der Zeichen eine des Erlebens tritt. Danach gehe ich darauf ein, inwiefern die in dieser Arbeit angeführten Beispiele auf diese Norm des Erlebens in Zusammenhang mit der nicht-kulturalisierten und stigmatisierten Stadt Bezug nehmen. Schließlich thematisiere ich die unterschiedlichen Formen der Produktion und Positionierung des Ortes in Bezug auf das scheinbare Gegensatzpaar Stadt und Land und zeige, dass im Zentrum der Aushandlung der Zukunft von Wels die Frage steht, ob Wels eine Stadt sein soll.

16

Einleitung

2. KULTURALISIERUNG, METROZENTRISMUS UND BEZIEHUNGEN ZWISCHEN STÄDTEN Im folgenden Kapitel werde ich den Rahmen darstellen, in dem ich städtisches Leben in Wels untersuche. Ich diskutiere Literatur, welche die Entwicklungen und Prozesse umreißt, die mit den ökonomischen Restrukturierungen hin zu postfordistischer Produktionsweise einhergingen, insbesondere Prozesse der Kulturalisierung von Städten und die Umwandlung derselben in creative cities. Ich will herausarbeiten, wie sich in ökonomischer, sozialer sowie auch wissenschaftlicher Hinsicht ein sogenannter Metrozentrismus entwickelt hat, der gleichermaßen kapitalistische Produktion, soziale Orientierung sowie wissenschaftliche Aufmerksamkeit in den Metropolen und Großstädten konzentriert, in denen damit ökonomisches, soziales, kulturelles und akademisches Kapital akkumuliert wird. Durch diesen Metrozentrismus spielen viele »andere« Städte – kleinere Städte im globalen Norden sowie allgemein Städte der südlichen Hemisphäre – als »off the map« 1 keine Rolle und gelten als defizitär. Will man diesen Metrozentrismus nicht reproduzieren, gilt es ein Stadtmodell zu formulieren, das die Offenheit besitzt, auch Orte, die nicht im Zentrum gegenwärtiger Stadtentwicklung stehen und keine buzz cities – geschäftige Städte – sind, zu untersuchen und deren Defizite als in Praktiken gemacht zu fassen. Stadtgröße als administrative Kategorie hilft kaum, um die »Kleinheit« kleinerer Städte zu untersuchen, sondern muss stattdessen zu einem explanandum werden. Dafür übersetze ich ausgehend von den Arbeiten Nina Glick Schillers und Ayse Ça˘glars 2 Stadtgröße mit dem Begriff scale in ein Beziehungsverhältnis, um auf diese Weise relationierende Praktiken zu fassen.

Die Konjunktur der Städte und des Urbanen Gegenwärtigen Gesellschaften wird vielfach eine Konjunktur des Urbanen attestiert. Städte gelten als große Gewinner der Globalisierungsprozesse der letzten Jahrzehnte, die lokale Ebene hat gegenüber der nationalen einen Bedeutungszuwachs erfahren. Thomas Hengartner spricht von einer zweiten Urbanisierung 3, und die Geographen Tim Hall, Phil Hubbard und John Rennie Short schreiben in ihrer Einleitung zum »SAGE Companion to the City«: »We are in the midst of the Third Urban Revolution.« 4 Sie datieren den Beginn die-

1 2 3 4

Vgl. Robinson (2002): World cities. Vgl. Glick Schiller u. a. (2009): Comparative Theory. Vgl. Hengartner (2014): Urbanität. Hall u. a. (2008): Introduction, S. 1.

ser dritten urbanen Revolution in das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts und machen ihn an einer Neuverteilung ökonomischer Tätigkeit fest. Die ökonomischen Veränderungen charakterisieren die Autoren insbesondere durch die Abwanderung westlicher Industrien und einem damit verbundenen Aufstieg von Dienstleistungsunternehmen, vor allem jener, die im englischsprachigen Raum als advanced producer services bezeichnet werden 5. Dazu zählen sie Dienstleistungsunternehmen aus den Bereichen Buchhaltung, Werbung, Bankwesen und Recht. Hall, Hubbard und Short beschreiben damit den Übergang von der industriellen zur postindustriellen Stadt sowie einen damit verbundenen Aufstieg eines »new urbanism« 6. Diese Transformation von industrieller zu postindustrieller Produktion als conjunctural change 7 steht in Zusammenhang mit einer Restrukturierung von Städten, deren offensichtlicher Ausdruck die Entstehung von global und world cities ist. Als eine zentrale Analytikerin dieser Prozesse konstatiert auch die Soziologin Saskia Sassen in einer Vielzahl von Arbeiten einen Bedeutungszuwachs von Städten 8. Eine nur scheinbar paradoxe Voraussetzung dieser Renaissance des Lokalen sei, so Sassen, die gesteigerte Mobilität – auch von Kapital. Städte hätten sich aus dem nationalen Kontext gelöst und in globale Netzwerke eingeklinkt. Während der Nationalstaat als Folge der damit verbundenen Prozesse der Privatisierung, der Deregulierung, der Öffnung nationaler Ökonomien für ausländische Unternehmen sowie der Teilhabe von nationalen Wirtschaftsakteuren auf globalen Märkten an Bedeutung verliere, würden andere räumliche Einheiten und scales an Gewicht gewinnen: »Cities emerge as one territorial or scalar moment in a trans-urban dynamic« 9. Dabei ist zentral, dass der Übergang zum Postfordismus insbesondere den Wettbewerb auf die subnationale und lokale Ebene verlagert und ihn dort intensiviert hat 10. Städte – und Sassen meint hier in erster Linie global cities – nähmen in dieser neuen räumlich-ökonomischen Konfiguration neben Regionen, grenzübergreifenden Räumen und supra-nationalen Einheiten eine zentrale Rolle ein: Cities regain strategic importance [. . . ]. National and global markets as well as globally integrated organizations require central places where the work of globalization gets done. Finance and advanced corporate services are industries producing the organizational commodities necessary for the implementation and management of global economic systems. Cities are preferred sites for the production of

5 Vgl. Ebd. 6 Vgl. Smith (2002): New Urbanism. Trotz Begriffsgleichheit nicht zu verwechseln mit dem stadtplanerischen Leitbild des new urbanism. 7 Vgl. Rosenberg (2005): Globalization Theory, S. 29. 8 Sassen (1991): Global City; Sassen (2005): Global City; Sassen (2010): The city. 9 Sassen (2010): The city, S. 5. 10 Vgl. Brenner (2004): New State Spaces.

18

Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

these services, particularly the most innovative, speculative, internationalized service sectors.11

In den global cities sind die Schalt- und Kontrollstellen zu finden, von denen aus Unternehmen auf globalen Märkten agieren. Gleichzeitig, so Sassen, würden viele Funktionen dieser Unternehmen an spezialisierte Unternehmen für Buchhaltung, Rechtsfragen, Public Relations, Telekommunikation etc. ausgelagert. Diese advanced producer services würden dabei der Logik von sogenannten agglomeration economics 12 folgen, d. h. sie nutzen die lokale urbane Umwelt als Informationsressource, wodurch die Stadt zum Kapital wird. Sassen reagierte mit dieser Konzeption einer räumlich-ökonomischen Transformation auf Thesen der 1980er Jahre, in denen der Niedergang von Städten aufgrund sich verstärkender Globalisierungsprozesse vorausgesagt wurde. Diese Absage an die Relevanz von Städten sieht Sassen in einem Ansatz begründet, der ein globales Wirtschaftssystem voraussetzt, ohne die Praktiken zu berücksichtigen, die ein solches System produzieren. Im Gegensatz dazu bezieht sich Sassen zentral auf die Kategorie place: [. . . ] many of the resources necessary for global economic activities are not hypermobile and are, indeed, deeply embedded in place, notably places such as global cities, global-city regions, and export processing zones.13

Saskia Sassens Überlegungen, die sie bereits vor über 25 Jahren in ihrem Buch The Global City 14 vorstellte, stehen damit stellvertretend für die Analyse derjenigen Prozesse, durch die Städte und allgemeiner Orte im Rahmen veränderter ökonomischer Bedingungen an ökonomischer Bedeutung gewinnen. Mit diesem Bedeutungsgewinn geht nun auch eine verstärkte gesellschaftliche und wissenschaftliche Orientierung an städtischen Lebensweisen einher. Der Europäische Ethnologe Peter Niedermüller sah in den beschriebenen Transformationen der Städte zugleich einen Grund für die Wiederentdeckung der Stadt durch die »Ethnowissenschaften« 15. Er ist wie Sassen überzeugt, dass sich diese Transformationen vor allem in den Großstädten vollzögen, welche deswegen als »zentrale Orte einschlägiger Wahrnehmung und Forschung anzusehen« 16 seien. Sie würden neben politischen und wirtschaftlichen auch kulturelle Funktionen als global und world cities im Sinne von Ulf Hannerz 17

11 12 13 14 15 16

Sassen (2010): The city, S. 4 f. Vgl. auch Scott (1997): Cultural Economy. Sassen (2005): Global City, S. 31. Vgl. Sassen (1991): Global City. Vgl. Niedermüller (1998): Stadt. Ebd., S. 282.

Die Konjunktur der Städte und des Urbanen

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übernehmen und als »kulturelle Anhaltspunkte auf globaler Ebene« 18 fungieren, in denen sich cultural flows treffen. Mit der ökonomischen Bedeutungssteigerung von Städten laufen also mehrere sozio-kulturelle Prozesse parallel, etwa die Kommodifizierung und Vermarktung von Städten, die Gentrifizierung von Stadträumen, die Transformation des öffentlichen Raumes, die Exklusion verschiedener Gruppen aus dem Stadtraum, aber auch neue Verständnisse städtischer citizenship. Auf beispielhafte Weise arbeitet der Kultursoziologe Andreas Reckwitz den mit postindustrieller Produktion wesentlich verbundenen Prozess der Kulturalisierung der Städte heraus 19. Er begreift Kulturalisierung als Teil einer allgemeinen Ästhetisierung der Gesellschaft: Die räumlichen Strukturen der alten Industrie- und Verwaltungsstädte werden mehr und mehr durch urbane Formen des Wohnens und Arbeitens, der Freizeit und des Tourismus verdrängt, die eine semiotische und ästhetische ›Kulturalisierung‹ der Städte betreiben. Im Zuge dieser Kulturalisierung werden die Städte zu Orten der beständigen Produktion neuer Zeichen und Atmosphären: Sie sind nun creative cities.20

Als eine Folge der Deindustrialisierung von Städten und der Transformation städtischer Ökonomien hin zu postfordistischen Produktionsweisen richte sich Stadtpolitik im globalen Städtewettbewerb 21 zunehmend auf »Kultur«, d. h. auf ästhetische und semiotische Eigenschaften aus, so der Geograph Allen J. Scott 22. Dabei versteht Scott wie Reckwitz Kultur weder im Sinne des breiten kulturwissenschaftlichen Begriffs noch im Sinne einer Hochkultur. Vielmehr meint der Begriff kommodifizierbare Eigenschaften der Stadt wie ästhetische Qualitäten oder atmosphärische Spezifika. Scott geht davon aus, dass Ort, Kultur und Ökonomie sich in einer symbiotischen Beziehung zueinander verhalten. Diese Symbiose kehre im modernen Kapitalismus in neuen Formen wieder: in den kulturellen Ökonomien der Metropolen, »representing the flagships of a new global capitalist cultural economy« 23:

17 18 19 20 21

Vgl. Hannerz (1996): World cities. Niedermüller (1998): Stadt, S. 285. Vgl. dazu auch Zukin (1995): Cultures of Cities. Reckwitz (2012): Kreativität, S. 269 f. Hier sei mit Bernd Belina darauf hingewiesen, dass nicht Städte als territoriale Einheiten konkurrieren – dies würde einen fetischisierenden Fehlschuss bedeuten –, sondern bestimmte AkteurInnengruppen und Institutionen, vgl. Belina (2013): Raum, S. 138. 22 Vgl. Scott (1997): Cultural Economy; siehe auch Lash u. a. (1994): Signs and space; Zukin (1998): Ökonomie der Symbole. 23 Scott (1997): Cultural Economy, S. 324.

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Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

The more the specific cultural identities and economic order of these cities condense out on the landscape the more they come to enjoy monopoly powers of place (expressed in place-specific process and product configurations) that enhance their competitive advantages and provide their cultural-products industries with an edge in wider national and international markets.24

»Kultur« stelle dabei ein zentrales, wenn nicht sogar das dominante Element von Konsum und kapitalistischer Produktion dar, das einen Vorteil im (Städte-)Wettbewerb um Unternehmen und urbane Eliten verspreche. Städte sollen im Rahmen dieses Prozesses gezielt »kreativ« gemacht werden, d. h. sie werden vermehrt als Orte der Innovation begriffen, sie sind nicht ›von Natur aus kreativ‹ – eine natürliche Kreativität, die sich in der Gegenwart endlich entfalten könne –, sie werden seit den 1980er Jahren vielmehr gezielt in eine Form gebracht, so dass sie dazu in der Lage sind, auf Dauer ›urbane Erfahrungen‹ des ästhetisch Neuen hervorzubringen 25.

Wesentlich ist also die Produktion neuer urbaner Qualitäten, die Inszenierung des Erlebnischarakters des Urbanen. Diese wird vor allem durch eine neue Form der Dichte geschaffen, einer ästhetisch-historisch-semiotische Dichte, »die nicht nur eine Dichte der Bewohner und der Artefakte ist, sondern auch eine Intensität, Ballung und Dynamik von Zeichen, Historizität und Atmosphären umfasst« 26 (siehe Abbildung 2). Die Kulturanthropologin Judith Laister spricht von »Urbanitätscodes«, welche einer Stadt »ihren Status als urban sichern, diesen intern reproduzieren und nach außen hin zu vermitteln vermögen« 27. Viele Metropolen mobilisieren dafür Vorstellungen und Zeichen von Kosmopolitismus – und konstruieren damit ein nicht-kosmopolitisches Anderes 28. Auch Allen J. Scott stellt die Bedeutung atmosphärischer Qualitäten von Orten für kulturelle Ökonomien heraus und konstatiert: »[. . . ] atmosphere refers more than anything else to a conglomeration of cultural synergies and semiotic fields rooted in the life, work and institutional infrastructures of particular cities.« 29 Insofern diese atmosphärischen Qualitäten nicht nur zeichen-

24 Ebd., S. 325. 25 Reckwitz (2012): Kreativität, S. 274. 26 Ebd., S. 279 f. Die Ähnlichkeit zum Konzept der anthropologischen Orte bei Marc Augé ist frappierend. Diese seien, so Augé, durch Identität, Relation und Geschichte gekennzeichnet, vgl. Augé (1994): Orte und Nicht-Orte, S. 64 ff. Die Ähnlichkeit lässt sich als Hinweis auf die zentrale Rolle von Orten in Kulturalisierungsprozessen interpretieren. 27 Laister (2004): Schöne neue Stadt, S. 177. 28 Vgl. Young u. a. (2006): Living with Difference?, S. 1689. 29 Scott (1997): Cultural Economy, S. 329.

Die Konjunktur der Städte und des Urbanen

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Abb. 2: Touristische Orientierungskarte der verdichteten Londoner Kulturökonomie. Im Zentrum der Metropole London haben sich kulturökonomische Unternehmen aus Bereichen wie Gastronomie, Mode, Kunst oder Lifestyle angesiedelt, über die ästhetisch-historisch-semiotische Dichte produziert und vermarktet wird.

hafte Eigenschaften der jeweiligen Orte bleiben, sondern auch eine emotionale Dimension annehmen und den Körper betreffen, kann hier von emotionalen ortsbezogenen Praktiken 30 gesprochen werden, etwa wenn TouristInnen spezifische Orte aufsuchen, um Emotionen zu mobilisieren, Orte von Stadtmarketinggesellschaften als besonders erlebnisreich produziert werden oder »urbane Atmosphären«, ein bestimmter »look and feel« 31, eine junge Bevölkerung ansprechen sollen. Städte werden dabei auf neue Weise das Objekt einer Außenperspektive. Fremdbeobachtung zielt nunmehr insbesondere auf eine »urbane Vitalität« ab, das heißt Städte werden zunehmend danach wahrgenommen und beurteilt, inwiefern sie »eine Fülle, Abwechslung und Intensität von Zeichen,

30 Vgl. Scheer (2012): Emotions. 31 Vgl. Helbrecht (2005): Geographisches Kapital, S. 133 f.

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Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

Historizität und sinnlichen Atmosphären bieten« 32. Reckwitz beschreibt als konkrete urbane Kulturalisierung nun mehrere, miteinander verzahnte Prozesse im Stadtraum: [. . . ] die Ausdehnung von ästhetisierten Stadt- und Wohnvierteln, vor allem in den historischen Innenstädten; die Etablierung urbaner Kunstszenen; die räumliche Verdichtung der Kreativökonomie in creative clusters; die Verdichtung von Orten eines Stil- und Erlebniskonsums; eine Renaissance der städtischen Hochkultur in postmodernen Formen, vor allem jenen der Musealisierung und Eventifizierung; und schließlich die staatliche Förderung von spektakulärer Solitärarchitektur.33

Die Stadt Wels scheint aus dieser Perspektive urbaner Kulturalisierung in verschiedener Hinsicht defizitär. Zwar spielen auch dort Kulturalisierungsprozesse eine wichtige Rolle, zeitigen aber nicht den gewünschten Erfolg. Die historische Innenstadt wurde in den letzten Jahrzehnten saniert, Fußgängerzonen eingerichtet und Stadtmöblierung installiert – die hohe Frequenz an PassantInnen blieb jedoch aus. Ein anregendes Konsumerlebnis sowie das Label »Einkaufsstadt« scheinen heute fraglich. Zwar gibt es auch in Wels eine aktive Kunstund Kulturszene, die aber wesentlich kleiner ist als etwa die in der »Kulturhauptstadt« Linz. Die normativen Anforderungen an die Präsenz bestimmter städtischer Milieus werden nicht erfüllt, Kreativökonomie wird überdies in der Stadtpolitik weitgehend vernachlässigt.34 Der Versuch der Musealisierung und des Baus Aufsehen erregender Architektur in Form des im Jahr 2011 eröffneten Welios Science-Centers scheiterte: Die tatsächlichen BesucherInnenzahlen blieben weit unter den erwarteten. Die von Reckwitz angeführten Kulturalisierungsprozesse lassen sich in Wels also nicht im gleichen Ausmaß bzw. mit dem gleichen Erfolg feststellen wie dies für Metropolen und Großstädte gilt. So betont auch Reckwitz, dass »die räumliche Verteilung der Mitglieder dieser Klasse [der creative class; Anmerkung GW ] innerhalb der Nationalstaaten und der Weltgesellschaft [. . . ] nun jedoch nicht zufällig [ist]. Sie ballen sich vielmehr in einem bestimmten Stadttypus, dem der creative city [. . . ]« 35. Als creative cities gelten dabei gerade nicht kleinere Städte, sondern die global und world cities, in denen sich kulturelle Ökonomien entfalten 36. Zu diesem Ergebnis kommen auch Mark Jayne u. a.:

32 Reckwitz (2012): Kreativität, S. 292. 33 Ebd., S. 287 f. 34 Dies umso mehr nach dem Regierungswechsel im Jahr 2015, der eine rechtspopulistische Regierung brachte (siehe dazu das Kapitel »Rechtsruck und städtische Positionierung«). 35 Reckwitz (2012): Kreativität, S. 304. 36 Vgl. Scott (1997): Cultural Economy, S. 328.

Die Konjunktur der Städte und des Urbanen

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More specifically, the kinds of creative work highlighted as emblematic of the ›new‹ urban creative economy – fashion, music, new media and so on – are considered in this research to reflect the spectacular, exciting and global cities in which they are imagined and created. Small cities are ignored because they are not expected to provide the necessary preconditions and environment attractive to ›creatives‹.37

Für den Zusammenhang der vorliegenden Arbeit ist es daher zentral, dass die Konjunktur der Städte und des Urbanen in ihrer postfordistischen und kulturalisierten Form nicht alle Städte gleichermaßen betrifft, obwohl sich kleinere Städte durchaus an creative city-Agenden orientieren 38. Warum jedoch verfügen kleinere Städte wie Wels oder schrumpfende Städte 39 nicht über die nötigen Voraussetzungen? Jayne spezifiziert diverse Gründe: Viele Städte könnten kein globales Kapital anziehen und die dafür nötigen Finanzdienstleistungen anbieten. Mitunter fehle es an institutionalisierter Expertise, um spektakuläre Projekte zu verwirklichen oder aufwendige Infrastrukturen in Kraft zu setzen – Räume und Atmosphären postindustrieller Lebensstile blieben daher vielfach aus und damit auch jene Räume, welche wiederum neue BewohnerInnen oder TouristInnen anlocken könnten. Vielen Städten mangle es überdies an ökonomischer, räumlicher und sozialer Diversität, um materielles und symbolisches Erbe industrieller Prägung neu anzueignen bzw. umzuschreiben 40. In der Konjunktur des Urbanen verschieben sich also die Verhältnisse zwischen den Städten – u. a. auch abhängig vom jeweiligen geographischen Kapital, ein Begriff der Geographin Ilse Helbrecht 41. Nach den Erkenntnissen von Sassen konzentrierten sich die finanziellen Aktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene enorm – zum Vorteil der Finanzzentren wie London und

37 Jayne u. a. (2010): Cultural Economy, S. 1410. 38 Vgl. Waitt u. a. (2009): Creative Small Cities; Jayne u. a. (2010): Cultural Economy. Siehe dazu auch das Projekt »Zukunft Mittelstadt«, das ausgehend von der Stadt Salzburg nach der Zukunftsfähigkeit von Mittelstädten und deren Attraktivität für »junge, kreative ›High-Potentials‹«, Jenny u. a. (2015): Mittelstadt, S. 5., fragt. Innerhalb der creative city-Agenda in kleineren Städten wird »Kultur« aber durchaus unterschiedlich interpretiert. Definieren manche kleineren Städte »Kultur« bewusst in Abgrenzung zu Großstädten und Metropolen, kopieren andere kleinere Städte deren Ansätze, vgl. Waitt u. a. (2009): Creative Small Cities, S. 1230. 39 Aber auch für schrumpfende Städte werden Kreativitätsagenden als mögliche Entwicklungswege diskutiert, vgl. Liebmann u. a. (Hg.): (2003): Städtische Kreativität. 40 Vgl. Jayne (2004): Third-tier cities, S. 72. 41 Unter geographischem Kapital versteht Ilse Helbrecht »Räume (Orte, Landschaften) als potenzielle Ressourcen menschlichen Handelns«, Helbrecht (2005): Geographisches Kapital, S. 146. Neben physischen Eigenschaften sind das auch ortsspezifische soziale und kulturelle Gegebenheiten (Praktiken, Normen, Werte etc.) sowie der Zeichencharakter von Orten.

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Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

Frankfurt sowie dem globalen Norden insgesamt 42. Mit dieser ökonomischen Konzentration auf Großstädte ist eine Orientierung städtischen Lebens an diesen Städten verbunden. Kleinere Städte und Städte der südlichen Hemisphäre werden in dieser metrozentristischen Konstellation dagegen zu Städten »off the map«.43

Stadtforschung jenseits metrozentristischer Stadtmodelle Die Konzentration auf Großstädte und Metropolen zeigt sich nicht nur in ökonomischer Ausrichtung und gesellschaftlicher Orientierung, sondern ebenso in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Städten. Angesichts der beschriebenen zentralen Transformationen von Städten werden in der interdisziplinären Stadtforschung kleinere Städte wie Wels heute immer wieder als Verlierer, als defizitär oder weniger urban wahrgenommen. Auch wenn diese Lesart angesichts der Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten naheliegt, ist sie auch Effekt eines theoretischen Zugangs, der Städte nach teleologischen Gesichtspunkten einteilt. Dieser Zugang folgt einer ökonomischen und sozialen Orientierung an Metropolen und Großstädten, setzt diese als universal für Stadt an sich, misst andere Städte an diesem Ideal und verkennt dabei Unterschiede

42 Vgl. Sassen (2005): Global City, S. 33. 43 Klein- und vor allem Mittelstädte spielen dennoch in den Raumstrukturen Europas eine zentrale Rolle, wie schon Carl Böhret prognostizierte, vgl. Böhret (1991): Die Mittelstadt, S. 1. So wurde in der Raumpolitik Europas durch die Stärkung der europäischen Zentralräume in Form einer Konzentration von Entscheidungszentren, Innovationen und Know-How in den Metropolen und Großstädten ein hohes Risiko einer Zunahme räumlicher Ungleichheit identifiziert, welches zum Nachteil kleinerer und mittelgroßer Städte wäre, vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 107; Europäische Kommission (1994): Europa 2000+, S. 16. Dagegen setzt die Raumpolitik im Sinne einer polyzentralen Raumstruktur und eines ausgeglichenen Siedlungsraumes auf die Förderung kleiner und mittlerer Städte. Gerade auch in der Stärkung der europäischen Regionen kommt Mittelstädten eine besondere Rolle zu, stellen diese doch zentrale Knotenpunkte der meisten Regionen dar und bieten Zugang zu Basisdienstleistungen, vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 72 ff. Dies zeigt sich etwa in der Kulturinitiative »Kulturhauptstadt Europas«, wie Daniel Habit schreibt: »Die Entwicklung des Kulturhauptstadtkonzepts von seinen Anfängen mit renommierten europäischen Metropolen wie Paris, Berlin oder Madrid als Titelinhaber hin zu derzeitigen Ausrichtern wie Linz und Vilnius offenbart einen Wandel in der Kultur- und Strukturpolitik der EU, der sich anhand der Dichotomie Metropole versus Peripherie beziehungsweise First City versus Second beziehungsweise Third City beschreiben lässt und die verstärkten Bemühungen der Union im Bereich der Regionalförderung widerspiegelt.«, Habit (2010): Mittelstädte, S. 144.

Stadtforschung jenseits metrozentristischer Stadtmodelle

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zwischen und innerhalb von Städten 44. Dies ist umso problematischer, wenn Konzepte etwa der Stadtentwicklung und Stadtplanung, die in und anhand von Großstädten konzipiert wurden, auf kleinere Städte übertragen werden, wie dies in Bezug auf das creative cities-Konzept oder in der Gentrifizierungsforschung der Fall ist 45. Um dieser einseitigen Konzentration auf den Grund zu gehen und Möglichkeiten der Erforschung kleinerer Städte vorzustellen, unterscheide ich im Folgenden partikularistische und universalistische Ansätze der Stadtforschung.

Universalistische Ansätze der Stadtforschung . . . Universalistische Ansätze verstehen städtische Entwicklungen in bestimmten Städten als paradigmatisch für Stadtentwicklung insgesamt. Städte werden hier im Sinne von Laboren der Moderne als Vorreiter gesellschaftlicher Entwicklung betrachtet, an denen sich in besonderer Weise Transformationsprozesse untersuchen lassen. Ihr hervorstechendes Merkmal ist demnach das der Aktualität, d. h. sie werden als besonders innovativ und zeitgemäß angesehen. Historisch waren es immer wieder andere Städte, die beispielhaft für gesellschaftliche Entwicklungen standen, etwa Paris als die Stadt des 19. Jahrhunderts oder New York als diejenige des 20. Jahrhunderts bzw. Los Angeles als diejenige des späten 20. Jahrhunderts.46 Als ein zentraler und auch heute noch prägender Ansatz dieser Form universalistischer Stadtforschung, die auf dem Beispiel nur einer Stadt basiert, gilt die Arbeit der Chicagoer School rund um den Soziologen Robert Park, die zum Forschungsobjekt die »City«, nämlich Chicago, hatte 47. Dort entwickelte die Stadtforschungsschule aufbauend auf den Ideen von Georg Simmel 48 eine Konzeption von Urbanität, die heute als klassisch bezeichnet werden kann und unser Verständnis vom städtischen Leben entscheidend prägt. Neben Park gilt vor allem Louis Wirth als zentraler Vertreter der Chicagoer School, welcher

44 Auch die Eigenlogikforschung kritisiert das Ignorieren von Differenzen zwischen Städten in der Stadtforschung, vgl. Löw (2008): Soziologie der Städte, S. 33 ff. Der hier vorgestellte Ansatz teilt mit der Eigenlogikforschung, dass Städte als Gesellschaft konstituierend verstanden werden und damit den Blick für die Unterschiedlichkeit von Städten. 45 Vgl. Lees (2003): Super-gentrification, S. 2506 f. 46 Dies mag so weit gehen, dass paradigmatische Städte solch eine Vorreiterrolle bekommen, dass sie schlussendlich als einzigartig und singulär verstanden werden, etwa in der Aussage, es gebe keine Stadt wie New York – eine Form städtischen Exzeptionalismus. 47 Vgl. Park u. a. (1925): The City. 48 Vgl. Simmel (1903): Großstädte.

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Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

in seinem viel zitierten Aufsatz »Urbanism as a way of life« 49 zentrale Thesen dieser klassischen Urbanität weiter entwickelte. Für Wirth stand das Leben in der Großstadt für das moderne Leben schlechthin, als dessen wichtigstes Merkmal er die Konzentration der Menschen und verschiedenster Institutionen und Einrichtungen auf engstem Raum identifizierte. Für die Suche nach der Urbanität definierte Wirth Stadt »als eine relativ große, dicht besiedelte und dauerhafte Niederlassung gesellschaftlich heterogener Individuen« 50 und nahm sich zum Ziel, jene »Formen gesellschaftlicher Aktion und Organisation« 51 zu destillieren, die für diese Stadtdefinition typisch waren. Die Größe der Bevölkerung erhöhe deren Verschiedenheit und die Wahrscheinlichkeit, dass sich unterschiedliche Bevölkerungsgruppen räumlich absondern. In dieser Verschiedenheit werde Solidarität durch Wettbewerb und formale Lenkungsund Kontrollmechanismen ersetzt, direkte Bekanntschaften, wie etwa Nachbarschaft, würden zurückgehen, sekundäre Kontakte primäre ersetzen. Wirth fasste zusammen, dass während das Individuum einerseits ein gewisses Maß an Emanzipation oder Freiheit von persönlicher und seelischer Kontrolle durch nahestehende Gruppen erlangt, büßt es andererseits die spontane Ausdrucksfähigkeit der eigenen Persönlichkeit, die moralische Haltung und das Zugehörigkeitsgefühl ein, welche das Leben in einer integrierten Gesellschaft vermittelt 52.

Für Wirth bewirkte die erhöhte Bevölkerungsdichte in einem sozialökologisch als natürlich verstandenen Prozess bei wachsender EinwohnerInnenzahl und konstant bleibender Fläche eine Differenzierung der Gesellschaft, was zu einer wachsenden Komplexität führe. Diese Komplexität verändere auch die Formen der Orientierung in der urbanen Gesellschaft, welche sich zunehmend an »visueller Erkenntnis« 53 orientiere. Die Bevölkerung teile sich in ihrer Diversität räumlich auf und lasse ein »Mosaik sozialer Welten« 54 entstehen. Die Konfrontation mit dem Fremden fördere, so Wirth, Toleranz und eine relativistische Betrachtungsweise, welche wiederum zu mehr Rationalität und Säkularisierung des Lebens führe. Uhren und Verkehrszeichen stünden daher symbolisch für die Regelung dieser ohne gefühlsmäßiger Verbundenheit auskommenden Welt. Park und Wirth stehen damit stellvertretend für eine Richtung der Stadtforschung, die auf die Untersuchung von Urbanität als spezifisch moderne Lebensform abzielte.

49 50 51 52 53 54

Vgl. Wirth (1974): Urbanität. Ebd., S. 48. Ebd., S. 49. Ebd., S. 52. Ebd., S. 54. Ebd., S. 55.

Stadtforschung jenseits metrozentristischer Stadtmodelle

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. . . und die Kritik daran Diese universalistischen Konzeptionen von Stadt und Urbanität 55 haben nicht nur eine Fülle an Stadtforschungen befruchtet, sondern gleichzeitig den Fokus auf bestimmte Formen städtischen Lebens gelenkt und damit andere Formen aus dem Blickfeld der Stadtforschung ausgeschlossen. Die verschiedenen Kritiken, die an diesem Konzept geübt wurden, weisen auf die Begrenztheit universalistischer Ansätze hin. Dreh- und Angelpunkt der Kritik ist dabei die Bemängelung einer illegitimen Generalisierung von Forschungsdaten, die in beschränkten urbanen Feldern – nördliche Großstädte sowie eingeschränkte Felder innerhalb der Städte – erhoben wurden und für die Stadt im Allgemeinen stehen sollen, obgleich sie nur einen Bruchteil städtischen Lebens repräsentieren 56. Dahinter steht ein spezifisches Konzept von Moderne, das auf westliche Großstädte beschränkt wird und Städte anderer Länder sowie kleinere Städte als weniger entwickelt betrachtet. So kritisierte der Anthropologe Oscar Lewis bereits 1965 holistische und universalistische Zugänge, welche die Vielfalt des städtischen Lebens ignorieren: »Any generalizations about the nature of social life in the city must be based on careful studies of these smaller universes rather than on a priori statements about the city as a whole.« 57 Der Sozialanthropologe Ulf Hannerz identifizierte in diesen Generalisierungen eine Form des Ethnozentrismus 58 und bemängelte an der Chicago School, dass von Erfahrungen in einer spezifischen Stadt auf das Leben in anderen Städten geschlossen wurde: »But the sort of place Chicago was, and the type of urban communities Wirth was familiar with in general, undoubtedly left their imprint on his conception of urbanism.« 59 Hannerz betonte dagegen die Vielseitigkeit städtischen Lebens: »World urbanism thus exhibits many variations and exceptions, few universals or regularities.« 60 Die Geographen Ash Amin und Stephen Graham formulieren ihre Kritik anhand des Begriffs der Synekdoche: So würden wenige Fälle übergeneralisiert und bestimmte Räume, Zeiten und Repräsentationen in Städten überbetont 61. Sie kritisieren damit vor allem jene Ansätze, die ihre Forschungsfelder

55 Eine ausführliche Begriffsgeschichte und kritische Diskussion von »Urbanität« bietet Thomas Wüst, vgl. Wüst (2004): Urbanität. 56 Vgl. Robinson (2006): Ordinary Cities; Glick Schiller u. a. (2009): Comparative Theory; Bell u. a. (2009): Small Cities? 57 Lewis (1965): Folk-urban continuum, S. 497. 58 Vgl. Hannerz (1980): Exploring, S. 73. 59 Ebd., S. 74. 60 Ebd., S. 98. 61 Vgl. Amin u. a. (1997): Ordinary City, S. 416; siehe auch McCann (2004): Urban Political Economy; Robinson (2005): Urban geography; Bell u. a. (2006): Small ci-

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Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

und -städte als paradigmatisch 62 und damit als Vorreiter und wissenschaftlich aussagekräftiger betrachten 63. Dass bestimmte städtische (Teil)räume als paradigmatisch angenommen werden, an denen sich demnach in besonderer Weise urbanes Leben erforschen lässt, ist auch eine in der europäisch-ethnologischen Stadtforschung vielfach angewandte Möglichkeit der Feldkonstruktion 64. Aber auch hier wurden andere Formen städtischen Lebens von der Forschung ausgeschlossen. Eine Variation städtischen Lebens, die lange von StadttheoretikerInnen ignoriert wurde und erst seit wenigen Jahren systematischer untersucht wird, sind Klein- und Mittelstädte 65 – und das obwohl ein großer Teil der städtischen Bevölkerung in diesen Städten lebt 66. Der beschriebene bias durch universalistische Ansätze in der Stadtforschung hatte zur Folge, so David Bell und Mark

62 63

64 65

66

ties; Robinson (2006): Ordinary Cities; Robinson (2013): Urban now. Diese Kritik trifft auch die Eigenlogikforschung, die oftmals in beschränkten städtischen Feldern forscht, vgl. Möge (2011): Eigenes. Vgl. dazu stellvertretend Nijman (2000): Paradigmatic City. Vgl. Amin u. a. (1997): Ordinary City; McCann (2004): Urban Political Economy; ebd; Robinson (2006): Ordinary Cities; McCann (2008): The Urban; Glick Schiller u. a. (2009): Comparative Theory; Simone (2010): City Life. Vgl. Lindner u. a. (1994): U-Bahn Ethnologie; Hengartner (1999): Wahrnehmung, S. 15 und 23; Hengartner u. a. (2000): Forschungsfeld Stadt, S. 12. Vgl. Dubinsky u. a. (2002): Small Cities, S. 333; Antweiler (2004): Urbanität und Ethnologie, S. 297; Bell u. a. (2006): Small cities; Habit (2010): Mittelstädte, S. 139; Schmidt-Lauber (2010): Urbanes Leben; Baumgart (2011): Herausforderungen, S. 7. Aufgrund der international unterschiedlichen Definitionen von Städten bezüglich ihrer EinwohnerInnenzahl und Funktion variieren die Städtekategorien und ihre jeweiligen Anteile an der Gesamtbevölkerung. Für die EU liegen nach Auskunft des Europabüros des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (25. 6. 2014) lediglich Schätzungen vor. Alle Einschätzungen kommen indes zu dem Ergebnis, dass der Großteil der Bewohnerinnen und Bewohner in mittleren und kleineren Städten lebt. Mark Jayne spricht von der kleineren Stadt als der weltweit typischen städtischen Form, vgl. Jayne (2004): Third-tier cities. Nur etwa 20 Prozent der europäischen Bevölkerung leben in Ballungsgebieten mit mehr als 250.000 EinwohnerInnen. In Städte zwischen 10.000 und 50.000 leben dagegen 40 Prozent, in Städten zwischen 50.000 und 250.000 EinwohnerInnen 20 Prozent, vgl. Europäische Kommission (1999): Nachhaltige Stadtentwicklung, S. 6. Laut einer Studie von ESPON leben 32,4 Prozent der Bevölkerung in Städten zwischen 50.000 und 100.000 EinwohnerInnen und 28,1 Prozent der Bevölkerung in größeren Städten. In Österreich leben in etwa 14 Prozent der Bevölkerung in Städten zwischen 20.001 und 200.000 EinwohnerInnen, in etwa 24 Prozent der Bevölkerung leben in größeren Städten, vgl. Statistik Austria (2014): Gemeindegrößenklassen. Die österreichische Städtelandschaft prägen vor allem Kleinstädte zwischen 10.000 und 20.000 EinwohnerInnen, die aufgrund der geringen Zahl von größeren Städten vor allem in ländlichen und alpinen Räumen zentrale Funktionen übernehmen, vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 5. In Deutschland leben 27 Prozent der Bevölkerung in Mittelstädten zwischen

Stadtforschung jenseits metrozentristischer Stadtmodelle

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Jayne, dass die Verallgemeinerbarkeit von Theorien zur Stadt eingeschränkt war 67. Kleinere Städte würden aus Sicht der Stadtforschung als weniger modern und städtisch betrachtet, das Städtische mit »Größe« assoziiert: So the discourses of cities – the ways they are talked about and thought about by different people, including academics, planners, managers, inhabitants – have tended to follow the logic that cities should be big things, either amazing or terrifying in their bigness, but big nonetheless.68

Kleinstädte würden nicht als richtige Städte betrachtet, da »Stadt« auf eine auf Großstädte zugeschnittene Weise konzipiert würde – auch und vor allem in der global und world city Forschung 69. Die zentralen städtischen Transformationsprozesse würden in kleineren Städten demnach als weniger ausgeprägt und uninteressant, als nur nachhinkend und weniger weit entwickelt angesehen. So würden Klein- und Mittelstädte vielfach nur als kleine Blaupausen der Großstädte betrachtet, die großstädtische Entwicklungen zeitlich versetzt im Sinne einer »nachholenden« Modernisierung umsetzen 70 – eine Wertung, die innerhalb der Ethnowissenschaften und der postcolonial studies nur zu bekannt ist. Wie Jennifer Robinson ausführt, wird damit eine Vielzahl an Städten als wissenschaftlich irrelevant betrachtet: »There are large numbers of cities around the world which do not register in intellectual maps that chart the rise and fall of global and world cities.« 71 Kleinere Städte sind demnach auch wissenschaftlich Städte »off the map« 72. Gleichermaßen wird innerhalb der Europäischen Ethnologie eine einseitige Ausrichtung auf große Städte konstatiert 73, eine Schief lage, die seit den 1980er Jahren mit der Wendung von dörf lichen Feldern hin zur Stadt entstand 74. Thomas Hengartner kritisiert diese Konzentration auf Großstädte und Metropolen auch der Europäischen Ethnologie, die damit die Untersuchung von aktuellen Transformationsprozessen und deren Aushandlung in alltäglichen Praxen unnötig beschränke. Eine Form dieser Beschränkung lasse sich in der Konzentrationen kulturwissenschaftlicher Stadtforschung auf das »Dynamische, sich

67 68 69 70 71 72 73 74

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20.000 und 10.000 EinwohnerInnen, vgl. Baumgart u. a. (2010): Klein- und Mittelstädte, S. 254., fast die Hälfte der Bevölkerung lebt außerhalb von Großstädten, vgl. Gatzweiler (2003): Klein- und Mittelstädte, S. 13. Vgl. Bell u. a. (2006): Small cities; Robinson (2006): Ordinary Cities; Roy (2009): Metropolis. Bell u. a. (2006): Small cities, S. 5. Vgl. Robinson (2005): Urban geography; Robinson (2006): Ordinary Cities. Vgl. auch Rauter (2011): Mittelstadt, S. 3 f. Robinson (2002): World cities, S. 531. Vgl. Ebd. Vgl. Schmidt-Lauber (2010): Urbanes Leben, S. 13 f. Vgl. Ebd., S. 14; Schmidt-Lauber u. a. (2016): Doing City.

Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

Verändernde und Kreative« 75 feststellen, wie Hengartner beschreibt. Allgemeiner kritisiert er die einseitige bürgerliche Ausrichtung des Begriffs Urbanität, »zumindest ist die Perspektive, die darin angelegt ist, vom sozialen Ort her [. . . ] eine zutiefst bürgerliche, vom geografischen Ort her ist sie gewissermaßen fixiert auf städtische Zentren, Brennpunkte bzw. paradigmatische urbane Räume bzw. Orte« 76. Das Wort Urbanität selbst birgt dabei schon einen normativen Anspruch, ist »Urbanitas« doch »von Anfang an ein positiv wertender Begriff für verfeinertes Benehmen, Intellektualität, geistreichen Witz, Weltläufigkeit und damit insgesamt für ›städtisch-verfeinerte‹ Umgangsformen [. . . ]« 77, wie der Literaturwissenschaftler Jens Martin Gurr ausführt. Diese Distinktion formulierte der Soziologe Howard B. Woolston bereits 1912 in seinem programmatischen Artikel »The Urban Habit of Mind«: The words civil, urbane, and politic indicate that men soon realized how good manners and diplomacy were promoted by city life. In contrast, the terms rustic, pagan, and heathen connote a certain backwardness among country folk. The German word kleinstädtisch suggests that between the peasant and the cosmopolitan are many degrees of provincialism. On the other hand großstädtisch distinctly conveys the idea of elegance and fashion.78

Mit dem Begriff der Urbanität seien das Versprechen einer aufgeklärten Zivilgesellschaft und das Konzept der europäischen Stadt verbunden 79. Ein Problem sei nun, dass diese normative Ausrichtung des Begriffs nicht streng vom deskriptiven Begriff unterschieden werde 80. Thomas Hengartner plädiert folglich für einen Urbanitätsbegriff, der von diesem bürgerlichen Zuschnitt befreit ist, um auch anderen städtischen Realitäten Aufmerksamkeit zukommen zu lassen: Soll Urbanität kein exklusives (vom Bürgertum auf Szenen, ›urbane Milieus‹ oder urbane Entrepreneuers überschriebenes) und kein a priori exkludierendes Konzept sein, so sind etwa die sozialen und politischen Perspektiven und Hierarchien, die darin eingehen, mit Bedacht zu reflektieren. Vor allem aber stellt sich die Frage, ob Urbanität wirklich, wie in der Großstadtforschung (nota bene auch von mir) bislang stillschweigend favorisiert, nur als Qualität von ›dichten Orten‹ und Ereignissen gefasst werden kann. Eine größere Offenheit für das Unspektakuläre,

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Hengartner (2014): Urbanität, S. 15. Hengartner (2005): Stadtforschung, S. 69 f. Gurr (2015): Ruhrgebiet, S. 24. Woolston (1912): Urban Habit, S. 608. Vgl. Gurr (2010): Urbanity, S. 242. Vgl. Ebd.

Stadtforschung jenseits metrozentristischer Stadtmodelle

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für das Dazwischen, für Zwischentöne und für Selbstverständlichkeiten würde zumindest dazu beitragen, den – zugegeben etwas überzogenen – Eindruck zu vermindern, Urbanität finde nur im dichten Gedränge, bei angenehmen Temperaturen und bei schönem Wetter statt.81

In Bezug auf die Konzeption von Dichte als Voraussetzung von Urbanität bei der Chicago School, aber auch in Bezug auf die Konzeption ästhetisch-historisch-semiotischer Dichte der creative cities bei Andreas Reckwitz ist begriff lich ausschlaggebend, dass Hengartner Urbanität nicht nur als Qualität von »dichten Orten und Ereignissen« – wie in der auf Großstädte konzentrierten Urbanitätsforschung üblich – verstanden wissen will. David Bell und Mark Jayne sprechen nun in Bezug auf die einseitige Konzentration der Stadtforschung auf Metropolen von einem sizism der Stadtforschung 82, die Geographen Tim Bunnel und Anant Maringanti haben dafür den Begriff metrocentricity gefunden 83. Sie meinen damit insbesondere die wissenschaftliche Privilegierung von »large metropolitan financial centres that shine most brightly« 84 und das Problem der wissenschaftlichen Reproduktion urbaner Hierarchien, wissenschaftliche Modelle »[. . . ] reproducing the hierarchies to which they are suggested as alternatives« 85. Metrozentrismus betreffe aber nicht nur eine bloß scheinbar oberflächliche Ebene der Repräsentation von Städten, sondern sei, wie Tim Bunnell und Anant Maringanti herausstellen, tief in der wissenschaftlichen Praxis verankert, denn »[. . . ] metrocentricity is performatively reproduced and transmitted in the practice of teaching and research [. . . ]« 86. Sie verweisen insbesondere darauf, wie sich Metrozentrismus auf die Auswahl von Forschungsfeldern und wissenschaftlichen Karrieren auswirkt: Based on our own experience, we recognize that a major limiting factor for efforts to extend the scope of urban research concerns anxiety about the limited reach of culturally attentive ›local‹ work. Being removed from global or world cities networks, it seems, implies the absence of any wider consequence or application. Practical considerations of career advancement through academic productivity and accelerated turnover of research deliverables serve to constrain research choices.87

81 82 83 84 85 86 87

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Hengartner (2005): Stadtforschung, S. 70. Vgl. Bell u. a. (2009): Small Cities?, S. 690. Bunnell u. a. (2010): Metrocentricity. Ebd., S. 416. Ebd. Ebd., S. 417. Ebd.

Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

Jennifer Robinson fügt hinzu, wie abhängig die Wissensproduktion über Städte und die Zirkulation von Wissen über Städte von Forschungsressourcen, Forschungsgeldern sowie dem Zeitschriften- und Buchmarkt sei 88. Darüber hinaus sei Stadtforschung an spezifische AkteurInnen gebunden, so Tim Hall, Phil Hubbard und John Rennie Short: »[. . . ] urban studies has tended to be associated with academics working within higher education, the majority of whom are white, middle-class and heterosexual, and consequently locked into specific ways of ›viewing‹ the world.« 89 Durch den Metrozentrismus konzentriert sich damit nicht nur postfordistische Produktion und soziale Orientierung, sondern auch wissenschaftliche (darunter auch stadtplanerische) Aufmerksamkeit in den Metropolen und Großstädten, in denen damit ökonomisches, soziales, kulturelles und akademisches Kapital akkumuliert wird.90

Stadt, Moderne und das Andere des Metrozentrismus Der wissenschaftliche Metrozentrismus schließt andere Formen des Städtischen als das »Andere« einer normativen Urbanität aus, etwa städtisches Leben auf dem Land, vor-moderne Städte, Vorstädte, Städte der südlichen Hemisphäre oder eben auch kleinere Städte. Hinter dieser Engführung von städtischem Leben und des »Städtischen« auf eine normative Urbanität steht ein evolutionistischer bzw. teleologischer Stadtbegriff, der mit einer spezifischen Konzeption von Moderne argumentiert, so Jennifer Robinson 91. Robinson kritisiert aus postkolonialistischer Perspektive mit Bezug auf die »Klassiker« der Stadtforschung Georg Simmel, Robert Park und Louis Wirth, dass deren theoretische Zugänge zu Chicago und Berlin andere Städte und Zeiten als nicht modern und damit als nicht urban entwerfen würden 92. Robinson sieht in dieser Verknüpfung von Moderne und Städten des »Westens«, die im Gegensatz zu einer als statisch empfundenen »Tradition« als dynamisch, individualisierend und rational konzipiert werden, ein Beispiel für Ethnozentrismus 93. Eine chro-

88 Vgl. Robinson (2006): Ordinary Cities, S. 169. 89 Hall u. a. (2008): Introduction, S. 5. 90 Das Zusammenspiel dieser verschiedenen Dimensionen, in denen Metrozentrismus eine Rolle spielt, wäre eine eigene Untersuchung wert. Es lässt sich schwer beurteilen, auf welcher Ebene der einseitige Fokus auf die Großstadt zuerst dominant wurde. In der vorliegenden Arbeit soll die Verwicklung der Ebenen konkret am Beispiel Wels deutlich werden. 91 Vgl. Robinson (2013): Urban now. Für eine Zusammenschau der Kritik an der Verbindung von Stadt und Moderne siehe den Beitrag »Questioning urban modernity« von Pedram Dibazar u. a., vgl. Dibazar u. a. (2013): Urban modernity. 92 Vgl. Robinson (2013): Urban now, S. 659 f. 93 Vgl. Robinson (2006): Ordinary Cities, S. 15.

Stadtforschung jenseits metrozentristischer Stadtmodelle

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nologische Abfolge werde in räumliche Kategorien übersetzt, »figuring some places and people as out of time« 94. Auch in der europäisch-ethnologischen bzw. volkskundlichen Stadtforschung stellt der Bezug zur Moderne einen zentralen Argumentationsrahmen dar, wie Thomas Hengartner festhält: Das Zwillingspaar Stadt und Moderne hat die volkskundliche Kulturanalyse nachhaltig beeinflusst. Das reicht von deren Genese als akademischer Disziplin, die angetreten war, der Moderne den Spiegel vorzuhalten – und damit wesentliche Teile ihrer Legitimität gerade aus den sichtbaren Auswirkungen und Erscheinungen von Urbanisierung und Industrialisierung schöpfte –, bis hin zur allmählichen Etablierung von Stadt bzw. Urbanität als aktuellem Forschungsfeld des Faches in den vergangenen Jahren.95

Gegen Konzepte einer universalen Moderne und damit verbunden einer universalen Form städtischer Lebensweise stellt eine partikularistische Perspektive die Idee einer Vielfalt von Modernen. So verweist etwa die Stadtsoziologin Martina Löw auf das Konzept multipler Modernen und stellt die Unterschiedlichkeit von Städten heraus, die sich erst durch eine Konzeption von städtischem Leben jenseits einseitig modernen – und nivellierenden – Zuschnitts untersuchen lasse: Eine Vielfalt von Modernen gleichzeitig zu konstatieren verweist darauf, dass Städte – wie sehr sich ihre Innenstädte auch ähneln, wie vergleichbar die Legitimationen der Wettbewerbspolitik auch sein mögen und wie austauschbar das Stadtbild auf Postkarten auch schimmern mag – als sich wandelnde kulturelle Formationen zu betrachten sind, deren institutionelle Übereinstimmung mit anderen städtischen Verdichtungen empirisch ermittelt werden muss und nicht als Resultat eines als Globalisierung kategorisierten Prozesses behandelt werden darf.96

Jennifer Robinson bezieht sich für eine alternative Konzeption von Moderne auf Walter Benjamin und stellt dessen Ansatz gegen den Zuschnitt von Stadt und Moderne bei Simmel, Park und Wirth. Moderne lässt sich in Walter Benjamins Ausführung nicht im Sinne eines notwendigen Fortschritts klar von einer zeitlichen Epoche davor abgrenzen. Vielmehr interessieren ihn Konstellationen der Kombination von Gegenwart und Vergangenheit, die Nebenläufigkeit von Moderne und Tradition 97, die in Zusammenhang und Austausch stehen und ohne das jeweils andere nicht zu denken wären – Tradition versteht er damit 94 Ebd., S. 16; für den Zusammenhang von Zeit und Othering siehe Fabian (1983): Time; Munn (1992): Time, S. 114. 95 Hengartner (2005): Stadtforschung, S. 67. 96 Löw (2008): Soziologie der Städte, S. 126. 97 Vgl. dazu auch Fenske (2006): Mikro, Makro, Agency, S. 152 f.

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Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

als Teil von Moderne: »For in doing this, Benjamin places the primitive, not on the side of the non-urban, but on the side of different urbanisms.« 98 Robinson begreift damit verschiedene Modernen als das Resultat von Zirkulation und Entlehnung und damit auch von lokaler Aneignung: If something is presented as new or modern – new here as opposed to there, new now as opposed to then – the critical gaze of the cultural theorist is drawn quickly to tracing the diverse sources of influence, the intertwining of now and then, here and there, which have shaped emergent new phenomena.99

In den Blick kommt damit die Gleichzeitigkeit (contemporaneity) städtischer Realitäten 100, wodurch Robinsons Konzeption dem Begriff der »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« des Philosophen Ernst Bloch nahe steht, welcher durch Hermann Bausinger in die Europäischen Ethnologie eingebracht wurde 101. Dementsprechend lassen sich verschiedenste städtische Realitäten in ihrer jeweiligen Ausformung von Moderne untersuchen, statt sie – wie in metrozentristischen Ansätzen – als weniger modern, defizitär oder schlicht als nicht urban anzusehen. Das Konzept der Vielfalt der Modernen ermöglicht die Untersuchung von städtischem Leben nicht mehr nur in universalistischem Rahmen, sondern mit einer Perspektive auf eine Vielfalt an Urbanitäten. Kleinere Städte und auch Wels gelten dementsprechend nicht mehr als »out of time«, sondern als Orte spezifischer Modernität und Urbanität. Zentrale städtische Transformationsprozesse – etwa Kulturalisierung – können damit in ihren spezifischen Ausformungen untersucht werden und gelten in den kleineren Städten nicht vorab als weniger paradigmatisch. Analog zum Kulturbegriff geht es also darum, die Kontingenz von Urbanität aufzuzeigen, also dass »Stadt« nicht notwendigerweise nur eine bestimmte (moderne) Lebensweise hervorbringt, sondern dass Städte vielmehr Orte verschiedener Lebensweisen sein können. Ähnlich wie der normative Kulturbegriff impliziert der normative Urbanitätsbegriff eine Bewertung bestimmter Lebensweisen als erstrebenswert. Entgegen dieser Konzeptionen ist das Ziel, den Urbanitätsbegriff zu öffnen. Wie beim Kulturbegriff kann aber ein Urbanitätsbegriff im Plural nur ein Zwischenschritt sein. Denn auch wenn der totalitätsorientierte plurale Kulturbegriff das normative Urbanitätskonzept »entuniversalisiert (. . . ), kontextualisiert und historisiert« 102, bleibt dennoch ein normativer Rest, ist es doch nun »die ›unvergleichliche‹ Individualität eines Kollektivs, die prämiert

98 99 100 101 102

Robinson (2006): Ordinary Cities, S. 34. Robinson (2013): Urban now, S. 662. Ebd., S. 660. Vgl. Bausinger (1989): Ungleichzeitigkeiten. Reckwitz (2004): Kontingenzperspektive, S. 5.

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wird und die den jeweiligen normativen Maßstab in sich selbst trägt« 103. Ansätze der Erforschung der Individualität einzelner Städte scheinen dieser Idee zu folgen 104. Die Annahme einer Vielfalt an Urbanitäten meint dagegen aber keineswegs klar abgrenzbare urbane Kulturen, die etwa einzelnen Städten zugeordnet werden könnten, beispielsweise indem neben einer metropolitanen Urbanität auch eine klein- oder mittelstädtische Urbanität zu untersuchen sei. Vielmehr geht es darum, im Sinne eines bedeutungsorientierten Kulturbegriffs »symbolische Ordnungen und Wissensbestände als konstitutive Voraussetzungen sozialer Praktiken« 105 zu begreifen, städtisches Leben also in historischkulturellen Kontexten als kontingent zu untersuchen. Jenseits von auf einer normativen Konzeption von Moderne basierenden, universalistischen Ansätzen versuchen partikularistische Ansätze also die Spezifik verschiedener städtischer Lebenswelten zu fassen.106 Ulf Hannerz bemerkt dazu: »If true to our anthropological heritage we are more concerned with form variations than with averages, it is in this sense they are important as manifestations of urbanism.« 107 Hannerz bindet Urbanität folglich an einen anthropologischen Blick, der nach Besonderheiten sucht, nach dem Spezifischen des jeweiligen Phänomens. Ziel ist es damit weniger, Städte an einem universellen Maßstab zu messen, als vielmehr eine Pluralität des Städtischen zu untersuchen, wofür auch Jennifer Robinson in Bezug auf ihr Konzept der »ordinary cities« plädiert: »[. . . ] what gets to count as ›urban‹ needs to be informed by an engagement with the diversity of cities and the diversity of ways of living in cities.« 108

Die Pluralität des Städtischen, De-zentrierung von Stadt und Stadt als Praxis Kritik an universalistischen Konzeptionen von Stadt als Forschungsgegenstand betrifft aber nicht nur das normative und teleologische Verständnis von Urbanität und Stadtentwicklung, sondern auch das Verständnis von Stadt selbst,

103 Ebd. 104 Vgl. Lindner (2003): Habitus der Stadt; Berking u. a. (Hg.) (2008): Eigenlogik; Löw (2008): Soziologie der Städte. 105 Reckwitz (2004): Kontingenzperspektive, S. 10. 106 Auch jenseits der Stadtforschung werden aus verschiedenen Perspektiven wie Cultural Studies, Kultursoziologie oder Postmarxismus universalistische Ansätze kritisiert und Perspektiven auf die Kontingenz des Kulturellen gefordert, vgl. Ebd; Grossberg (2006): Cultural Studies, S. 2 und 7; Laclau u. a. (1985): Hegemony, S. 191 f. Partikularistische Ansätze haben insbesondere das Potential »for [. . . ] subverting the process of ›othering‹«, Abu-Lughod (1991): Writing Against Culture, S. 149, und können Kritik üben an »the most problematic connotations of culture: homogeneity, coherence, and timelessness«, ebd., S. 154. 107 Hannerz (1980): Exploring, S. 6. 108 Robinson (2006): Ordinary Cities, S. 171.

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Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

das ich hier analog zum Kulturbegriff mit dem Ausdruck starres Stadtmodell zusammenfasse. Gegen dieses starre Stadtmodell wird von verschiedenen AutorInnen Kritik vorgebracht, die ich mit dem Begriff dynamisches Stadtmodell überschreibe. Tab. 1: Die zwei idealtypischen Stadtmodelle. Starres Stadtmodell (universalistisch, normativ, teleologisch)

Dynamisches Stadtmodell

homogene »Stadt als Ganzes«

Heterogenität in der Stadt, Multiplexität

Stadt als abgegrenzte Einheit

grenzüberschreitende flows und Netzwerke

stabil

prozesshaft; Urbanität und Stadt als Praxis

Das dynamische Modell betont erstens die Heterogenität städtischen Lebens und kritisiert die Vorstellung einer homogenen Einheit Stadt 109 bzw. die Konzeption einer »Stadt als Ganzes«. So schreibt der Historiker Thomas Bender über die apriorische Annahme derselben: »We surely err if we start with an assumption that the city is some kind of whole, a totality, represented as a bounded or at least an identifiable territorial space that gives shape to social relations.« 110 Mit der Vorstellung, Stadt als Ganzes fassen zu können, geht oft eine Überbetonung partieller Praktiken, Repräsentationen und Räume in der Stadt einher, gegen welche aus der Perspektive des dynamischen Stadtmodells eine Vielfalt und Ko-Präsenz städtischen Lebens gesetzt wird, »of multiple spaces, multiple times and multiple webs of relations, tying local sites, subjects and fragments into globalizing networks of economic, social and cultural change« 111. Amin und Graham sprechen daher von einer Multiplexität der Stadt mit »concentrations of multiple rationalities, multiple socio-spatial circuits, diverse complexes of cultural hybridity and the interlinkage of complex ranges of subjectivities and time-spaces« 112. Auch das Konzept von multiple place identities der Geographin Dorren Massey betont diese Heterogenität der Aneignungsweisen von Orten 113. Zweitens kommen Praktiken in den Blick, die administrative bzw. territoriale Grenzen der Stadt überschreiten, Netzwerke in der Stadt, aus der Stadt

109 Vgl. Bender (2010): Reassembling, S. 304 ff; auch schon Lewis (1965): Folk-urban continuum, S. 497. 110 Bender (2010): Reassembling, S. 304. 111 Amin u. a. (1997): Ordinary City, S. 417 f. 112 Ebd., S. 419. 113 Vgl. Massey (1991): Sense of place.

Stadtforschung jenseits metrozentristischer Stadtmodelle

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heraus sowie zwischen den Städten 114 bzw. Stadt als Nexus von Relationen 115 oder wie der Ethnologe Christoph Antweiler formuliert: »Städte sind keine Inseln« 116. Damit wird ein territoriales Raummodell von Stadt als abgegrenzte Einheit kritisiert (Kritik eines methodischen Territorialismus) und die Relationalität städtischen Lebens kommt in den Blick. Das Lokale sei in »Beziehung zu anderen Räumlichkeiten« zu verstehen, konstatiert die Geographin Anne Vogelpohl 117, und stehe nach Dorren Massey in Relationen zu globalen Verhältnissen 118. Es ist also nicht eine fixe (etwa an eine bestimmte Stadtgröße gebundene) Bedeutung, die Orten »innewohnt«, sondern ein relationaler Prozess, der Orten Sinn verleiht: »In this interpretation, what gives a place its specificity is not some long internalised history but the fact that it is constructed out of a particular constellation of social relations, meeting and weaving together at a particular locus.« 119 Drittens begreift ein dynamisches Stadtmodell Stadt als Prozess, in welchem Stadt immer wieder performativ produziert wird 120. In vielen Forschungen aber wird Stadt – wie der Stadtforscher Ignacio Farías beschreibt – als stabiles, homogenes Gebilde begriffen, »understood as ›one‹ entity that can be identified, observed and investigated across multiple contexts of representation and practice« 121. Tim Bunnel und Anant Maringanti verweisen auf das Problem, Städte als statische Gebilde aufzufassen und die eigene Rolle in der Wissensproduktion über Städte auszublenden: »However, it seems to us that by and large in urban and regional studies, cities continue to be taken as existing a priori and not as spaces that are continually created through our own practices of connecting, travelling and representing.« 122 Dagegen versteht ein dynamisches Stadtmodell Stadt als »multiplicity of processes of becoming« 123, als fluid 124, als »performative arenas« 125, als »decentred object« 126 und als umkämpft 127. Mit der Kritik an einem starren Stadtverständnis wird ein Essentialismus in der Stadtforschung

114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127

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Vgl. Amin u. a. (2002): Cities. Vgl. Amin u. a. (1997): Ordinary City, S. 418. Antweiler (2004): Urbanität und Ethnologie, S. 295. Vogelpohl (2014): Stadt der Quartiere?, S. 61. Vgl. Massey (1991): Sense of place. Ebd., S. 28. Vgl. Robinson (2006): Ordinary Cities, S. 102 f. Farías (2010): Introduction, S. 9. Bunnell u. a. (2010): Metrocentricity, S. 419. Farías (2010): Introduction, S. 2. Vgl. Ebd., S. 12; Hannerz (1980): Exploring, S. 269 ff. Amin u. a. (1997): Ordinary City, S. 420. Farías (2010): Introduction, S. 2. Vgl. Robinson (2006): Ordinary Cities, S. 114.

Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

hinterfragt 128, etwa in der Vorstellung der Stadt als Containerraum, der unabhängig von seinem Inhalt und ohne Beziehungen nach außen existiert 129. Gleichzeitig löst sich Stadt aber nicht in unzusammenhängende Fragmente auf, Städte sind nicht nur fluid und divers, sondern auch gleichzeitig geordnet, es geht damit um den Zusammenhang von Stadt als Ort und von Stadt als Netzwerkknoten 130. Der Soziologe und Politikwissenschaftler Patrick Le Galès beschreibt diese zwei Seiten der Stadt wie folgt: Any study of cities must steer a course between the Scylla of representing the city as a separate unit, thus risking its reification, and the Charybdis of showing it to be infinitely diverse and complex. Avoiding the first of these risks means taking into account the diversity of actors, groups, and institutions that make up the city. The city is also by its very nature fluid, confused, full of movement, and made up of individuals who love, work, have fun, trade, and participate. [. . . ] The study of local actors, inter-actions, and diversity is not enough on its own: it must be accompanied by research into the mechanisms for integration and the modes of cooperation that help to construct an urban social and political order, fragile and ephemeral though this may be.131

Von Interesse sind also die verschiedenen Ordnungsweisen von Städten, wie auch Ash Amin und Nigel Thrift herausarbeiten: »[. . . ] we are not interested in systems, which so often imply that there is an immanent logic underlying urban life, but in the numerous systematizing networks [. . . ] which give a provisional ordering to urban life.« 132 Ash Amin und Stephen Graham verweisen damit auf die Konzeption von Stadt als in Praktiken produziert: In short, the approach we pursue in this book is one which strives to be close to the phenomenality of practices, without relapsing into a romanticism of the everyday, and of action for itself. Necessarily then, we accept that urban practices are in many ways disciplined, but we also believe that these practices constantly exceed that disciplinary envelope.133

Auch ein europäisch-ethnologischer Ansatz in der Stadtforschung stellt das Handeln von Menschen in den Vordergrund und fragt, wie durch dieses Handeln Stadt auf verschiedenste Weise hergestellt, wahrgenommen und ange-

128 Vgl. Amin u. a. (2002): Cities. 129 Vgl. dazu Löw (2001): Raumsoziologie; Rolshoven (2003): Raumkulturforschung. 130 Vgl. Robinson (2006): Ordinary Cities, S. 121; McCann u. a. (2010): Relationality / territoriality. 131 Le Gales (2002): European Cities, S. 183 und 185. 132 Amin u. a. (2002): Cities, S. 3. 133 Ebd., S. 4.

Stadtforschung jenseits metrozentristischer Stadtmodelle

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eignet wird 134, er »eruiert die Selbstverständlichkeiten, Erfahrungsgehalte und Alltagspraktiken urbanen Lebens speziell aus Sicht der Akteure« 135. Die Europäische Ethnologie hat das Potenzial, Begriffe und allzu generalisierende Konzepte über den Blick auf das Detail und auf die Situiertheit wissenschaftlichen Wissens in machtvollen Strukturen zu relativieren. Vielfach habe aber die interdisziplinäre Urbanitätsforschung gerade von den Menschen weggeführt, wie Thomas Hengartner beschreibt: Dennoch hat die Beschäftigung mit Urbanität (gerade auch unter den wirthschen Prämissen) paradoxerweise den Blick auf den Menschen verstellt. Anders formuliert: Urbanität, einstmals aus dem Erleben und Beobachten heraus konzeptualisiert, hat ihre (An-)Bindung an den Menschen weitgehend verloren, ist geradezu essenzialisiert und zu einem scheinbar statischen Datum urbaner Existenz und Existenzbedingungen geworden.136

Urbanität ist damit nur ein abstrakter Begriff ohne Einbindung in menschliche Zusammenhänge, d. h. ohne auf die konkrete Stadtbevölkerung und die materiellen, kulturellen und sozialen Gegebenheiten von Städten einzugehen: »Lokale Traditions- und Wissensbestände, Symbol- und Deutungshorizonte, lebensund sozialweltliche Konstellationen schienen zunächst zugunsten allgemein städtischer, dann zugunsten globaler Parameter vernachlässigbar zu sein.« 137 Thomas Hengartner stellt gegen diese Urbanitätsforschung eine kulturwissenschaftliche, europäisch-ethnologische Perspektive heraus, die bei den Erfahrungen und Handlungen von Menschen ansetzt: »Was also gängigen Konzepten fehlt, ist die gelebte und erfahrene, kurz: die alltägliche Dimension von Urbanität – ansetzend bei den Erfahrungen, Praxen und der Bedeutungsproduktion der konkreten Bevölkerung konkreter Städte.« 138 Auf ähnliche Weise hat der Kulturanthropologe Heinz Schilling versucht, den Urbanitätsbegriff wieder an den Menschen zu verankern, denn statt um die »Faktizität von Urbanität« geht es ihm um die Funktionalität von Vorstellungsbildern wie städtisch und Städtischkeit, urban und Urbanität. Es geht nicht darum, wie derartige Begriffe gerechtfertigt sind, ob sie richtig oder falsch sind, sondern es geht darum, wie diese Begriffe eingesetzt werden und welche Vorstellungen ihnen zugrunde liegen, wer sie prägt und wer sie glaubt, was sie leisten und wie und warum sie verändert werden.139 134 Vgl. Hengartner u. a. (2000): Forschungsfeld Stadt; Hengartner (2000): Stadt im Kopf; Färber (2010): Greifbarkeit. 135 Schmidt-Lauber (2010): Urbanes Leben, S. 19. 136 Hengartner (2005): Stadtforschung, S. 70. 137 Ebd., S. 71. 138 Ebd. 139 Schilling (1990): Urbanität, S. 11.

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Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

Zentrale Perspektive der vorliegenden Arbeit ist dem folgend, Städte als in Praktiken produziert zu verstehen, was am Beispiel der Stadt Wels ethnographisch erprobt wird. Damit stehen Praktiken der Ortsproduktion – placemaking practices – im Zentrum der Arbeit. Diese untersuche ich insbesondere im Zusammenhang mit Praktiken der Relationierung, d. h. der Bezugsetzung unterschiedlicher Orte, um die es im Folgenden geht.

Städte in Beziehung und scaling practices Wie erläutert, soll mit der Stadt Wels eine Stadt im Zentrum dieser Arbeit stehen, die im globalen Städtewettbewerb der global und world cities keine oder eine nur untergeordnete Rolle spielt. Wie können nun aber solch kleinere Städte untersucht und theoretisiert werden, ohne dabei eine metrozentristische Norm anzulegen und sie schlicht als das »Andere« der Metropolen und Großstädte zu begreifen, als Orte, die also aus metrozentristischer Perspektive gar nicht oder ex negativo nur als defizitär repräsentierbar sind? Um einem solchen normativen Blick auf Größe zu widersprechen, gilt es, Stadtgröße selbst in den Blick zu nehmen, Größe als explanandum zu begreifen. Dazu sollen, ausgehend von Studien und Konzepten zu städtischem Leben in kleineren Städten, gängige Formen der Kategorisierung verschieden großer Städte und der Zuschreibung von strukturellen Merkmalen kritisiert und auf ihr Potenzial für eine kulturwissenschaftliche Konzeption von Größe befragt werden. Mittels des dynamischen Stadtmodells lässt sich darauf aufbauend fragen, wie Stadtgröße relational und praxeologisch untersucht werden kann, wie ich im Folgenden darstellen werde.

Stadtforschung jenseits der Großstädte Stadtgröße wurde in der Stadtforschung bisher kaum als strukturelles Merkmal untersucht 140. Dennoch spielt die Größe von Städten in der Geschichte der Stadtforschung wiederholt eine Rolle. Schon bei Louis Wirth ist Größe eine der drei Hauptkriterien von Städten neben Dichte und Heterogenität 141. Auch der Soziologe Claude S. Fischer fragt mit Bezug auf Wirth nach den Effekten von Größe 142 und der Kulturanthropologe Jack R. Rollwagen thematisierte im Rahmen seines city-as-context-Ansatzes die Größe der Stadt als Kontext der Forschung 143.

140 141 142 143

Vgl. Baumgart (2011): Herausforderungen, S. 7; Rauter (2011): Mittelstadt, S. 1. Vgl. Wirth (1974): Urbanität. Vgl. Fischer (1975): Subcultural Theory. Vgl. Rollwagen (1975): City as Context, S. 58.

Städte in Beziehung und scaling practices

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Mit knapp 60.000 EinwohnerInnen fällt die Stadt Wels in das EinwohnerInnenzahlenspektrum der sogenannten Mittelstädte, der Größenkategorie zwischen Klein- und Großstadt. Viele deutschsprachige Studien stützen sich noch immer auf diese numerische Definition der deutschen Reichsstatistik von 1871, die von der StatistikerInnenkonferenz 1887 festgeschrieben wurde und bis heute der deutschen Verwaltung als Grundlage dient 144. Demnach gelten Städte zwischen 20.000 und 100.000 EinwohnerInnen als Mittelstädte, Städte über 100.000 EinwohnerInnen als Großstädte und solche unter 20.000 EinwohnerInnen als Kleinstädte. In der Raumforschung wird mittlerweile eine andere Einteilung vorgenommen, bei der Städte zwischen 50.000 und 250.000 EinwohnerInnen als Mittelstädte gelten, scheint doch die alte Kennzeichnung aufgrund von Bevölkerungswachstum und Urbanisierung heute kaum mehr angemessen 145. Auch in Österreich werden Gemeinden in amtliche Einwohnergrößenklassen eingeordnet, welche die Basis für den Finanzausgleich zwischen den staatlichen Gebietskörperschaften bilden. Auch wenn die Bezeichnung »Mittelstadt« in Österreich unüblich ist, fällt Wels unter den acht Hauptgrößenklassen in Österreich in eine mittlere Klasse von 50.001 bis 100.000 EinwohnerInnen. Neben diesen numerischen werden oftmals auch andere Kriterien zur Definition von Mittelstädten (und Städten allgemein) herangezogen wie etwa die administrative Stellung und Funktion einer Stadt als Mittel- oder Oberzentrum 146. Auch andere Kriterien zur Typologisierung wie Zentralitätsstatus, Siedlungsdichten, Baustrukturen, wirtschaftliche Entwicklung oder die funktionale Stadt-Umland Beziehung wären denkbar 147. Auch wenn es somit gegenwärtig diverse Definitionen von Stadtgröße gibt, bildet meist ein statistischer Begriff den Ausgangspunkt 148. Die Gleichsetzung von Kleinheit mit einer bestimmten Stadtgröße, die an EinwohnerInnenzahlen festgemacht wird, wird aber auch kritisiert, etwa von Mark Jayne und David Bell 149, sind diese Kategorisierungen doch etwas beliebig und wenig aussagekräftig. Die Autoren gehen davon aus, dass »Größe« keine absolute Einheit ist: »Reluctant to replicate the failings of archetypal generalization, we argue against any minimum or maximum requirements of small urbanity.« 150 So hätten viele kleinere Städte ein spezifisches symbolisches

144 Vgl. Flacke (2004): Definitionen, Merkmale und Typologien, S. 27; Adam (2005): Mittelstädte, S. 496 und 509. 145 Vgl. Adam (2005): Mittelstädte, S. 496. 146 Vgl. Adam (2004): Mittelstädte in stadtregionalen Zusammenhängen. 147 Vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 39. 148 Vgl. Hannemann (2002): Differenzierungen. 149 Vgl. Bell u. a. (2006): Small cities, S. 4 f; Bell u. a. (2009): Small Cities?, S. 689. 150 Bell u. a. (2009): Small Cities?, S. 689.

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Gewicht 151. Städte von unterschiedlicher Größe lassen mitunter gemeinsame Charakteristika erkennen, Orte mit ähnlichen EinwohnerInnenzahlen können wiederum – auch innerhalb Europas – sehr unterschiedliche Bedeutungen und Lebensbedingungen aufweisen 152. Bereits Louis Wirth hat auf die geringe Aussagekraft reiner EinwohnerInnenzahlen hingewiesen: Die Kennzeichnung einer Gemeinde als Stadt allein auf Grund ihrer Größe ist offensichtlich willkürlich. Kaum verteidigen läßt sich die gegenwärtig bei statistischen Erhebungen gültige Definition, die eine Gemeinde von 2500 Einwohnern und darüber als städtisch, und alle anderen als ländlich bezeichnet. Die Situation bliebe die gleiche, wären 4000, 8000, 10 000, 25 000 oder 100 000 Einwohner das Kriterium; zwar könnten wir in letzterem Fall eher als im Falle der kleineren Gemeinden den Eindruck gewinnen, wir hätten es mit einer Ansiedlung urbanen Charakters zu tun, doch kann eine Definition niemals gänzlich zufriedenstellen, solange Größenangaben als ihr einziges Kriterium dienen.153

So zeigen die beiden Titel der für diese Arbeit zentralen Sammelbände die oftmals kontextspezifisch variierende Zuordnung der Städte zu Kategorien. Untersuchen David Bell und Mark Jayne »Small Cities« und fassen damit aber auch eine Stadt wie Stoke-on-Trent mit etwa 250.000 EinwohnerInnen, behandelt der von Brigitta Schmidt-Lauber herausgegebene Band »Mittelstadt« unter anderem die Stadt Göttingen mit etwa 110.000 EinwohnerInnen. Vor allem im internationalen Vergleich wird die Relativität der numerischen Definition von Städten offenbar 154. Vielfach werden deswegen kontextuelle Definitionen, etwa

151 Vgl. Ebd., S. 691. 152 Vgl. Hannemann (2002): Differenzierungen, S. 268 ff. So ist etwa der statistische Schwellenwert für eine Einstufung als Stadt und die damit verbundene funktionale Stellung in den südeuropäischen Ländern deutlich höher als in den skandinavischen Ländern. 153 Wirth (1974): Urbanität, S. 44. 154 Vgl. Brunet (1997): Villes moyennes, S. 13; Lamarre (1997): La ville moyenne, S. 41; Hannemann (2002): Differenzierungen, S. 268 ff; Flacke (2004): Definitionen, Merkmale und Typologien, S. 27; Kunzmann (2004): Typisierung von Kleinund Mittelstädten; Adam (2005): Mittelstädte, S. 495 f; Vgl. Bell u. a. (2006): Small cities, S. 4. Als ein Beispiel für einen sozialwissenschaftlichen Zugang zu Stadt, welcher mit absoluten Zahlen operiert, siehe den Aufsatz von Claude S. Fischer »Toward a Subcultural Theory of Urbanism«, in welchem er Stadtgröße, soziale Differenzierung und kritische Masse als streng proportional konzipiert – und damit ebenfalls einen streng universalistischen Ansatz vertritt, vgl. Fischer (1975): Subcultural Theory, S. 1328 f.

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im regionalen und nationalen Maßstab 155 oder auch historisch 156, gefordert 157. Es sind also weniger administrative Kategorien der Größe, die aussagekräftig in Bezug auf Urbanität von Städten sind. Dass Stadtgröße in der Stadtforschung wenig theoretisiert ist, mag nicht zuletzt daran liegen, dass unklar ist, was Größe jenseits dieser Kategorien bedeutet. Dementsprechend werde ich im Folgenden in den Fällen, in denen eine klare Unterscheidung zwischen Klein- und Mittelstädten nicht möglich ist, allgemein von kleineren Städten sprechen oder beide Kategorien anführen. Auch wenn bisher keine systematische Kleinstadt- und / oder Mittelstadtforschung existiert, sind in den letzten Jahrzehnten einige Studien entstanden, die kleinere Städte zum Gegenstand und spezifische strukturelle Charakteristika dieser Städte herausgearbeitet haben. Im Folgenden will ich die Ergebnisse dieser Studien exemplarisch vorstellen, um im darauf folgenden Unterkapitel einen praxeologischen Zugang zu Stadtgröße zu konkretisieren 158. Ein zentrales Merkmal der Materialität von Mittelstädten sei eine mittlere Einwohnerdichte von 200 bis 800 EinwohnerInnen pro Quadratkilometer, was sich auf die Wohn- und Lebensqualität auswirke 159. Folgt man diesem Ansatz, so weisen Mittelstädte überdies spezifische räumliche und bauliche Merkmale auf. Das Stadtzentrum nehme eine herausragende Stellung ein, da sich hier administrative und kulturelle Einrichtungen, Geschäfte, kulturelles und öffentliches Leben konzentrieren. Mittelstädte besäßen im Gegensatz zu Großstädten dabei in der Regel nur ein Zentrum, das sich dementsprechend alle

155 Vgl. ESPON (2006): Small and Medium-Sized Towns, S. 66; Schmidt-Lauber (2010): Urbanes Leben, S. 29; Rauter (2011): Mittelstadt, S. 36. 156 Vgl. Zimmermann (2003): Kleinstadt, S. 13 f. 157 So zählt der Historiker Horst Matzerath für die vorurbanistische Periode in Preußen von 1816–1840 Städte ab 3.500 Einwohnern zu den Mittelstädten wohingegen er für die frühe Verstädterung 1840–1870 Städte ab 5.000 Einwohnern und für die Hochphase bis 1914 Städte ab 20.000 Einwohnern als Mittelstädte bezeichnet, vgl. Matzerath (1985): Urbanisierung. 158 Für die vorliegende Arbeit möchte ich vor allem drei neuere Publikationen herausstellen. Erstens den Sammelband »Mittelstadt. Urbanes Leben jenseits der Metropole«, vgl. Schmidt-Lauber (Hg.) (2010): Mittelstadt, in dem sich die Herausgeberin, die Europäische Ethnologin Brigitta Schmidt-Lauber, im einleitenden Beitrag Gedanken zum Programm einer Mittelstadtforschung macht. Zweitens den Sammelband »Small Cities. Urban Experience Beyond the Metropolis«, vgl. Bell u. a. (2009): Small Cities?, herausgegeben von den Humangeographen David Bell und Mark Jayne, die kleinere Städte auf die Stadtforschungsagenda setzen wollen. Und drittens die Monographie »Die Mittelstadt«, vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, in welcher der Autor und Stadtplaner Klaus Rauter strukturelle Eigenschaften von Mittelstädten zusammenträgt. Daneben existiert eine Vielzahl an Studien zu Kleinund Mittelstädten. 159 Vgl. Schmidt-Lauber (2010): Urbanes Leben, S. 24.

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StadtbewohnerInnen teilen 160. Hierauf liege – wie auch in Großstädten – der Schwerpunkt der Stadtplanung 161. Trotz der Konzentration auf ein Zentrum gebe es in Mittelstädten einzelne Stadtteile mit Ansätzen eigener Subzentren, die sich hinsichtlich sozialer Strukturen ihrer Einwohnerschaft und der Baustruktur und Architektur unterscheiden lassen und meist über eine basale Infrastruktur wie z. B. Bäckereien, Friseure oder Lebensmittelgeschäfte verfügen würden 162. Die Stadtgestalt in Mittelstädten sei weiters durch Ein- und Zweifamilienhausbebauung geprägt 163. Das Verkehrsnetz sei in Mittelstädten, so der Stadtplaner Klaus Rauter, häufig dreistufig 164. Neben einer zentralen Verkehrsachse durch das Stadtzentrum gebe es sekundäre Umfahrungsstraßen, die über tertiäre Erschließungsstraßen verbunden seien. An den Kreuzungen der Umfahrungsstraßen mit den stadteinwärts führenden Hauptachsen würden sich oftmals Gewerbe- und Geschäftszentren entwickeln, welche das innerstädtische Zentrum schwächen würden. Meist würden Mittelstädte auch über ein öffentliches Verkehrssystem verfügen, das jedoch weniger flächendeckend und auch zeitlich eingeschränkter funktioniere als in Großstädten, wodurch die Stadtbevölkerung zu vielen Gelegenheiten auf private Verkehrsmittel oder Fußläufigkeit angewiesen sei 165. Meist werde das Verkehrssystem auch nicht in der gleichen Breite genutzt wie etwa U-Bahnen in Großstädten, vielmehr fehle nach Rauter »in den Mittelstädten ein wichtiger sozialer Begegnungsort für die verschiedenen städtischen Milieus« 166. Die Wege in der Stadt seien meist kürzer, würden sich im Sinne einer viertelübergreifenden Mobilität häufig über mehrere Stadtteile erstrecken und seien oft fußläufig bewältigbar, wohingegen in Großstädten der Stadtraum vielfach unterbrochen und nicht mehr in seinem Zusammenhang wahrnehmbar sei. Die mittelstädtischen Innenstädte würden dabei oft als Zwischenstation am Weg zwischen Arbeitsplatz und Wohnort fun160 Vgl. Ebd., S. 22; Rauter (2011): Mittelstadt, S. 287 ff. 161 Vgl. Baumgart u. a. (2010): Klein- und Mittelstädte, S. 255. Der Städtebauer Kent Robertson stellt für die Stadtzentren kleinerer Städte in den USA acht Charakteristika heraus: Sie hätten (1) einen menschlichen Maßstab, seien weniger belebt und fußläufig, hätten (2) weniger mit großstädtischen Problemen, etwa Stau oder Kriminalität, zu kämpfen, würden (3) nicht von der Präsenz bestimmter Unternehmen dominiert, seien (4) durch ein Fehlen von groß angelegten Vorzeigeprojekten gekennzeichnet, seien (5) geprägt vom unabhängigen Einzelhandel, (6) nicht in monofunktionale Stadträume unterteilt und (7) eng mit den angrenzenden Wohnvierteln verbunden und würden (8) viele historische Gebäude beherbergen, vgl. Robertson (2001): Downtown. 162 Vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 291 f; Schmidt-Lauber (2010): Urbanes Leben, S. 22. 163 Vgl. Adam (2011): Mittelstädte in Stadtregionen, S. 26. 164 Vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 342. 165 Vgl. Schmidt-Lauber (2010): Urbanes Leben, S. 23. 166 Rauter (2011): Mittelstadt, S. 346.

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gieren 167. Erholungs- und Grünbereiche seien häufig fußläufig erreichbar und könnten kurzfristig aufgesucht werden. Stadtraum und umgebende Landschaft seien weniger abgegrenzt und würden eher ein Kontinuum als in der Großstadt bilden 168. Trotz der Differenzierung in einzelne Stadtteile lasse sich dennoch eine Funktionsvielfalt und Nutzungsmischung auf kleinem Raum feststellen 169. Kleinere Städte werden vielfach als »nachholend« beschrieben. Eine nachholende Stadtentwicklung übernehme Ideen aus großstädtischen Zusammenhängen, wobei die Gefahr bestehe, dass die Nachahmung anderorts erfolgreicher Trends hier zu spät komme 170. So wird – siehe dazu weiter oben – vielfach die Verbreitung von creative city-Konzepten in kleinere Städte beschrieben 171. Mittelstädte präge nach einer numerischen Typisierung ein spezifisches Mittelmaß von Anonymität und Personalität, sie könnten »die in der Kleinstadt vorhandenen Vorteile der sozialen Solidarität und die Vorteile der vielfältigen großstädtischen Interaktionsmuster in sich vereinen« 172. In ihnen sei eine soziale und räumliche Überschaubarkeit vorherrschend, in welcher tägliche Wege kurz seien sowie über die gesamte Stadt reichen könnten und sich soziale Netze häufig überkreuzen würden 173. Personen oder Plätze könnten in der Stadt einen »paradigmatischen Status« erlangen und seien einem großen Teil der Stadtbevölkerung aus eigener Erfahrung bekannt. Andererseits seien Nachbarschaftskontakte, nicht-formalisierte Beziehungen und auf persönliche Bekanntheit gestützte kommunale Entscheidungs- und Handlungsmodi nicht mehr so ausgeprägt wie in noch kleineren Städten 174, wenn auch informelle soziale Netzwerke das Leben prägen würden 175. Oftmals komme es auch schon zur Entstehung von Subkulturen 176, eine geringere Anonymität könne zu verstärktem bürgerschaftlichen Engagement führen 177. Mittelstädte seien vielfach regionale Wohn-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktzentren 178. In Klein- wie in Mittelstädten würden mehr junge Menschen

167 168 169 170 171 172 173

174 175 176 177 178

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Vgl. Ebd., S. 342 ff; Schmidt-Lauber (2010): Urbanes Leben, S. 23. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 349 f. Vgl. Ebd., S. 294 f. Vgl. Baumgart u. a. (2010): Klein- und Mittelstädte, S. 255. Vgl. Jayne u. a. (2010): Cultural Economy, S. 1411. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 327. Vgl. Baumgart u. a. (2010): Klein- und Mittelstädte, S. 255 f; Schmidt-Lauber (2010): Urbanes Leben, S. 20 f; Baumgart (2011): Herausforderungen, S. 7; Kirchhoff u. a. (2011): Migration, S. 65. Vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 323 ff. Vgl. Baumgart (2011): Herausforderungen, S. 7. Vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 323 ff. Vgl. Baumgart u. a. (2010): Klein- und Mittelstädte, S. 256. Vgl. Baumgart (2011): Herausforderungen, S. 9.

Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

ab- als zuwandern. Großstädte seien also die Gewinner der Bevölkerungsbewegungen der 18- bis unter 30-jährigen: Hier stellt sich die Frage, ob es die konkurrenzlosen großstädtischen Bildungsangebote sind, die verhindern, junge Menschen an mittelstädtische Standorte zu binden, oder ob es die Synthese städtischer Merkmale ist, die erst auf der Ebene der Großstädte eine Urbanität erzeugt, die junge Menschen suchen.179

Im Vergleich zu Großstädten sei die Rolle von Mittelstädten im Städtewettbewerb eine ungleich schwierigere. Dennoch müssten sich »gerade Mittelstädte [. . . ] in der globalen Städterivalität gegenüber den großen Städten durchsetzen, voneinander abheben und sich gegenüber aufstrebenden Kleinstädten behaupten« 180, schreibt der Europäische Ethnologe Daniel Habit. Informationen, Wissen und ökonomische Vorteile seien in den einzelnen Machtzentren konzentriert, welche in erster Linie durch global cities verkörpert würden 181. Auch die schlechtere Anbindung an Infrastrukturen und die Ferne zu personellen Ressourcen würden sich negativ auswirken. Daneben seien Mittelstädte oftmals noch stärker im sekundären Sektor verhaftet, finde doch Tertiärisierung vor allem in Großstädten statt. Mittelstädte würden dabei meist auf regionaler oder nationaler Maßstabsebene agieren und ihre wirtschaftliche Bedeutung beschränke sich vorrangig auf die Region, wenn auch zentrale Funktionen über die Versorgung nur der eigenen Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen hinausreichen würden. Die lokalen Ökonomien seien aufgrund ihrer Größe oft anfälliger für Wirtschaftsrückgänge oder Unternehmensschließungen. Vor allem im verschärften Städtewettbewerb würden sich diese Eigenschaften nachteilig für Mittelstädte auswirken 182. In Bezug auf agglomeration economies hätten kleinere Städte einen Wettbewerbsnachteil, da sie weniger soziale und ökonomische Netzwerke und einen kleineren Arbeitsmarkt als größere Städte hätten 183. Oft fehle in Mittelstädten ein »kritische Masse« an Kultur- und Freizeiteinrichtungen, stadttouristischen Funktionen, Erlebniseinkaufsqualitäten, Events und Publikum, weshalb auch von einer Konkurrenz zu Großstädten abgeraten werde, so Klaus Rauter 184. Deswegen wird die Rolle von kleineren Städten auch eher in Nischenmärkten gesehen, die an Lokalität und Regionalität anknüpfen. Oftmals würden sie auch als nach innen und rückwärtsgewandt 185,

179 180 181 182 183 184 185

Adam (2011): Mittelstädte in Stadtregionen, S. 26. Habit (2010): Mittelstädte, S. 145. Vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 278. Vgl. Ebd., S. 330 ff. Vgl. Jayne u. a. (2010): Cultural Economy, S. 1409. Vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 352 ff. Vgl. Jayne u. a. (2010): Cultural Economy, S. 1409.

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als konservativ und traditionalistisch oder als unterentwickelt empfunden, wohingegen Großstädte als Orte der Emanzipation und Freiheit gelten würden 186. Speziell Mittelstädte in Metropolregionen könnten zu alleinigen Wohnstädten werden, womit eine Auf lösung geschlossener Identitätsräume verbunden sein könnte, postuliert der Kulturhistoriker Norbert Fischer. Die Städte würden sich dadurch in ein »Postsuburbia« als neuem städteübergreifenden Raumtypus, der durch soziale und funktionale Ausdifferenzierung gekennzeichnet ist, auf lösen 187. Trotz dieser vielfältigen Nachteile gegenüber Großstädten würden Mittelstädte ein besseres Eigen- als Fremdimage aufweisen 188. In diesem Zusammenhang wird den Klein- und Mittelstädten oftmals eine spezifische Lebensqualität zugesprochen, etwa in der Form eines ruhigeren Lebens, einer besseren work-life-balance, günstigeren Mieten oder eines beeindruckenden Umlandes – ein Potential, das im Städtewettbewerb eine besondere Rolle spiele 189. Besonders für Familien sei das Leben in Mittelstädten attraktiv, da diese trotz pluralem Angebot im Vergleich zu Großstädten überschaubar und sicher erscheinen würden 190. Betont wird auch der »menschliche Maßstab« von Kleinstädten und ein besonderer sense of place 191. Viele kleinere Städte sind deswegen auch Teil der Cittàslow Bewegung, die sich einer Verlangsamung im Alltag verschrieben hat 192. Auch hinsichtlich Stadtplanung gebe es Besonderheiten in Mittelstädten, so Klaus Rauter. Im Gegensatz zu Kleinstädten gebe es eigene Stadtplanungsabteilungen, die aber im Gegensatz zu Großstädten nicht aus mehreren Abteilungen und Ressorts bestünden. Diese seien häufig von einem eher technokratischen Planungsverständnis geprägt. Die Anzahl politischer und fachlicher Entscheidungsträger sei meist gering, wodurch die Art der persönlichen Kontakte die Arbeit bestimme. Die Verwaltungsstrukturen seien häufig weniger hierarchisch, durch personelle Querverbindungen würden sich organisatorische Hürden umgehen lassen. StadtplanerInnen in Mittelstädten müssten oft die Funktion eines »Allrounders« einnehmen. Wenig würden informelle Planungsinstrumente, die etwa auch Bürgerbeteiligung vorsehen, zum Einsatz kommen, obwohl gerade in Mittelstädten ein höheres bürgerschaftliches Engagement vermutet werde. Viele PolitikerInnen in Mittelstädten würden neben ihrer politischen Tätigkeit einen zweiten Beruf ausüben 193. Im Gegensatz zu Großstädten seien kleinere 186 Vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 351. 187 Vgl. Fischer (2011): Bedrohte Identität. 188 Schmidt-Lauber (2010): Urbanes Leben; Hannemann (2002): Differenzierungen, S. 178. 189 Vgl. Jayne u. a. (2010): Cultural Economy, S. 1412. 190 Schmidt-Lauber (2010): Urbanes Leben, S. 25. 191 Vgl. Bell u. a. (2009): Small Cities?, S. 693. 192 Vgl. Pink (2007): Cittàslow, S. 63; Pink (2008): Urban tour. 193 Vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 354 ff.

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Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

Städte eher auf raumbezogene Planung beschränkt. Je größer die Stadt, desto eher komme es auch zu einer gesamtkonzeptuellen Planung 194. Vielfach werde kleineren Städten daher Visionslosigkeit in der Planung vorgeworfen 195, Konzepte aus Großstädten würden in kleinere Kontexte übernommen 196. Dementsprechend fragen David Bell und Mark Jayne: How are small cities to find a place for themselves, find their ›Unique Selling Point‹ (USP), tap into tradable capital, given the emphasis on the bigness of cities as their defining feature? In an urban hierarchy topped by so-called global cities, followed by so-called second-tier cities – places with national importance but moving towards global reach – can small, third-tier cities find a meaningful and valuable use of their third-tierness, their localness, their smallness? 197

Neben den Ansätzen, Gemeinsamkeiten von Mittelstädten zu identifizieren, lassen sich diese auch unterscheiden. Eine zentrale Unterscheidungskategorie für Mittelstadt sei nach Klaus Rauter die Lage der jeweiligen Stadt. Er unterscheidet vier verschiedene »idealisierte Haupttypen topographischer Mittelstadtlagen«. Der erste Typ umfasst Mittelstädte, die in der Nähe von Großstädten liegen. Je dichter das Siedlungsgefüge sei, in dem sich die Mittelstadt befindet, desto mehr verliere sie an regionaler Bedeutung und an zentralen Funktionen, weswegen Mittelstädte in der Nähe von Großstädten kaum ein eigenes Profil entwickeln könnten. Ein zweiter Typ beschreibt Mittelstädte, die in der Nähe von anderen Mittel- oder Kleinstädten liegen. Ein dritter Typ umfasst Mittelstädte in ruralen Lagen. Im Gegensatz zum ersten Typ könnten Mittelstädte in ländlichen Gegenden einen hohen regionalen Stellenwert erhalten. Einen vierten Typ bilden Mittelstädte entlang wichtiger Verkehrsachsen, die zwar einerseits eigene Standortvorteile bringen könnten, aber auch die Gefahr bergen, dass durch das Auspendeln von Arbeitskräften in größere Städte an der Achse die Mittelstadt zu einer Schlafstadt werde 198. Überdies müsse die Lage einer Mittelstadt innerhalb einer Stadtregion differenziert werden, so nehme etwa die Arbeitsmarktzentralität von Mittelstädten mit Zunahme der Entfernung zur Großstadt zu 199. Weitere Differenzierungsmöglichkeiten betreffen den großflächigen Einzelhandel, den Freizeitsektor oder den Fremdenverkehr 194 195 196 197 198 199

Baumgart u. a. (2010): Klein- und Mittelstädte. Vgl. Jayne u. a. (2010): Cultural Economy, S. 1412 f. Vgl. Bell u. a. (2006): Small cities, S. 1 f. Ebd., S. 2. Vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 266 ff. Vgl. Adam (2011): Mittelstädte in Stadtregionen. Auch die Demographietypen der Bertelsmann-Stiftung legen eine Differenzierung von kleineren Städte (in Deutschland) fest, so wird etwa zwischen neun mittelstädtischen Demographietypen mit EinwohnerInnenzahlen zwischen 5.000 und 100.000 unterschieden: Typ 1: Stabile Mittelstädte und regionale Zentren mit geringem Familienanteil, Typ 2: Subur-

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als auch die Funktionen der jeweiligen Stadt etwa als Wirtschaftsstandort, Wohnstandort oder Versorgungszentrum der Region 200. Im Sinne dieser verschiedenen Möglichkeiten zur Typologisierung ließe sich die Stadt Wels als eine Mittelstadt in der Nähe der kleineren Groß- und Landeshauptstadt Linz, gelegen an zentralen Verkehrsachsen – der Autobahn A1 und der Westbahnstrecke – beschreiben. Sie übernimmt Wohn-, Arbeitsmarkt-, Versorgungs- und Bildungsfunktionen innerhalb der Region und stellt eine stabile, konsolidierte Mittelstadt mit gleichbleibender Bevölkerungszahl und ausgewogener Wirtschaftsstruktur dar 201. Nach den Demographietypen der Bertelsmann-Stiftung wäre Wels am ehesten eine wirtschaftlich starke Stadt mit hoher Arbeitsplatzzentralität bzw. eine stabile Mittelstadt und regionales Zentrum (mit geringem Familienanteil).

Stadtgröße als Performanz Durch die Konzentration der oben angeführten Studien und Typologisierungen auf spezifische Stadttypen und der Zuordnung von Eigenschaften zu einzelnen Kategorien ohne dabei auf kontextuelle (räumliche, kulturelle, historische) Unterschiede einzugehen, erscheinen diese Charakteristika und Typen oftmals als ahistorisch, statisch und essenzialisierend – ein Problem, dem sich letztlich jeder typenbildende Ansatz stellen muss. So weist Klaus Rauter darauf hin, dass sich trotz der Möglichkeiten der Typologisierung aufgrund der Vielzahl der unterschiedlichen Typen und räumlichen Situationen die Strukturen, die Verhältnisse und Funktionen der Mittelstädte erheblich unterscheiden. Es gebe demnach keine paradigmatische Mittelstadt, über die sich Generelles aussagen ließe 202, und auch keine allgemeingültige Definition von Klein- oder Mittelstädten 203. Ein Typologisierung mache nur als Ausganspunkt Sinn und müsse durch einzelfallbasierte Analysen ergänzt werden 204.

200 201 202 203 204

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bane Wohnstandorte mit hohen Wachstumserwartungen, Typ 3: Suburbane Wohnorte mit rückläufigen Wachstumserwartungen, Typ 4: Schrumpfende und alternde Städte und Gemeinden mit hoher Abwanderung, Typ 5: Stabile Städte und Gemeinden im ländlichen Raum mit hohem Familienanteil, Typ 6: Gemeinden mit geringer Dynamik im ländlichen Raum, Typ 7: Prosperierende Städte und Gemeinden im ländlichen Raum, Typ 8: Wirtschaftlich starke Städte und Gemeinden mit hoher Arbeitsplatzzentralität, Typ 9: Exklusive Standorte, vgl. Baumgart (2011): Herausforderungen, S. 10. Vgl. Adam (2011): Mittelstädte in Stadtregionen, S. 28 f. Vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 269 ff. Vgl. Ebd., S. 4. Vgl. Baumgart u. a. (2010): Klein- und Mittelstädte, S. 256; Schmidt-Lauber (2010): Urbanes Leben, S. 18 f. Vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 272.

Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

Auch wenn sich im Laufe meiner Forschung zeigte, dass einige der in der Literatur beschriebenen Eigenschaften von Mittelstädten auch auf Wels zutreffen, führt eine strikte Kategorisierung konzeptionell in eine Sackgasse, gehen mit ihr doch die Probleme eines starren Stadtmodells einher. Um die Spezifika von Wels nicht zu vernachlässigen und die Stadt lediglich an einem vorgegebenen Idealtypus zu messen, rücke ich mit dem im letzten Unterkapitel beschriebenen dynamischen Modell von Stadt die Praktiken, durch die Stadt produziert wird, in den Mittelpunkt. Mein Ziel ist also nicht, strukturelle Eigenschaften eines a priori abgegrenzten Stadttypus »Mittelstadt« zu untersuchen. Vielmehr stehen im Sinne europäisch-ethnologischer Forschung die Wahrnehmungen und Handlungen der AkteurInnen und damit Aushandlungen von städtischer Größe selbst im Zentrum. Im Sinne von Jennifer Robinsons nicht-kategorisierendem Zugang soll Wels daher als »ordinary city« 205 untersucht werden, als eine Stadt, die sich konzeptionell nicht vorab in einer anderen Stadtkategorie einordnen lässt als etwa eine Großstadt wie Wien: Rather than categorising and labelling cities as, for example, Western, Third World, developed, developing, world or global, I propose that we think about a world of ordinary cities, which are all dynamic and diverse, if conflicted, arenas for social and economic life. [. . . ] And instead of seeing only some cities as the originators of urbanism, in a world of ordinary cities, ways of being urban and ways of making new kinds of urban futures are diverse and are the product of the inventiveness of people in cities everywhere.206

Trotz dieser Ablehnung von Kategorien für Städte ist sich auch Robinson bestehender Unterschiede zwischen Städten bewusst. Sie sieht diese jedoch über unterschiedlichste Städte vielfältig verteilt statt typologisch in einzelne Kategorien geordnet 207. Als zentral für die Konzeption von Stadtgröße und kleineren Städten sehe ich neben Robinsons Ausführungen die Überlegungen zur Erforschung der »Kleinheit« von Städten von David Bell und Mark Jayne: »Smallness, we would argue, needs to be assessed in other ways which are at least complementary to more standard numerical measures. Smallness is as much about reach and influence as it is about population size, density or growth.« 208 Für Bell und Jayne stellen sich im Anschluss daran folgende Fragen: »At what level in the global urban hierarchy does a small city ›trade‹? To which other cities (and nonurban places) does it link and what forms do those linkages take?« 209 Die Autoren kommen zu dem Schluss:

205 206 207 208 209

Robinson (2006): Ordinary Cities. Ebd., S. 1. Ebd., S. 109. Bell u. a. (2006): Small cities, S. 4 f. Ebd.

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It’s not size, it’s what you do with it. In a global urban order characterized at once by dense networks of interconnection and by intense inter-urban competition, absolute size is less important. So smallness is in the urban habitus; it’s about ways of acting, self-image, the sedimented structures of feeling, sense of place and aspiration. You are only as small as you think you are – or as other cities make you feel.210

Aus diesen Paradigmen ergeben sich für meine Arbeit mehrere konzeptuelle Punkte: Als zentrale Voraussetzung der Erforschung kleinerer Städte müssen der sizism und Metrozentrismus der Stadtforschung überwunden werden, welche dazu führen, dass in erster Linie Großstädte untersucht werden. Gleichzeitig verstehe ich im Sinne des im letzten Unterkapitel beschriebenen dynamischen Stadtmodells »Kleinheit« bzw. einen »mittleren« Status aber nicht als gegeben, sondern als einen Prozess, der in Praktiken performativ produziert wird. Wels ist aus dieser praxeologischen Perspektive konsequenterweise weder per se eine Mittel- noch eine Groß- oder Kleinstadt. Vielmehr wird sie von verschiedenen AkteurInnen jeweils positioniert – und dies auf multiple Weise. Das heißt, dass sich die Positionierungen durchaus widersprechen und konfliktbehaftet sein können, verschiedenen Interessen entsprechen und von Machtstrukturen durchzogen sind. Es geht demnach um unterschiedliche Vorstellungen und enactments, d. h. durch Handeln erzeugte Formen städtischen Lebens 211. Wenn Stadtgröße aber auf vielfältige Weise hergestellt wird, was meint Stadtgröße dann überhaupt und durch welche Merkmale wird sie gefüllt?

Ungleiche räumliche Entwicklung und Städterelationen: scale Grundsätzlich verstehe ich Stadtgrößen als eine Form räumlicher Ungleichheit im Sinne der Konzeption eines uneven development, die in der marxistischen Geographie entwickelt wurde 212. Dieses Konzept scheint mir aus europäischethnologischer Perspektive insofern hilfreich, als damit kulturalisierende Ansätze der Untersuchung von Ortsspezifik ergänzt und relativiert werden können. Dabei werden beim Ansatz des uneven development räumliche Ungleichheiten weder als natürlich noch im Sinne einer kulturellen Vielfalt gefasst, sondern als Konsequenz kapitalistischer Vergesellschaftung und einer damit verbundenen Dialektik von räumlicher Angleichung und Differenz verstanden. So definiert das »Dictionary of Human Geography« uneven development als »systematic pro-

210 Ebd. 211 Vgl. Farías (2010): Introduction. 212 Vgl. Harvey (1982): Limits; Massey (1995): Spatial Divisions; Smith (2008): Uneven Development. Die hier angeführten AutorInnen werden als zentrale Vertreter dieses Ansatzes nur exemplarisch angeführt. Daneben gibt es noch eine Vielzahl an AutorInnen, die sich konzeptionell und empirisch mit dem Konzept beschäftigen.

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cess of economic and social development that is uneven in space and time, and endemic to capitalism« 213.214 Um diesen Ansatz praxeologisch zu wenden, beziehe ich mich auch auf Pierre Bourdieu, welcher sich aus soziologischer Sicht mit der räumlichen Dimension von Ungleichheit und mit »Ortseffekten« auseinandergesetzt hat 215. Er geht ebenfalls von einer in erster Linie nicht auf natürlichen Gründen basierenden räumlichen Ungleichheit aus, wenn er konstatiert, daß die wesentlichen regionalen Unterschiede, die häufig auf geographische Bestimmungsfaktoren zurückgeführt werden [. . . ], ihre historische Konstanz der zirkulären Verstärkung verdanken, die sich im geschichtlichen Verlauf kontinuierlich vollzogen hat: Da die Aspirationen, insbesondere im Bereich des Wohnens und allgemeiner auf kulturellem Gebiet, zum großen Teil Produkt der Struktur der Verteilung der Güter und Dienstleistungen im angeeigneten physischen Raum sind, variieren sie tendenziell je nach Kapazität, sie zu befriedigen, dergestalt, daß die Wirkung der ungleichen Verteilung der Mittel und Chancen der Befriedigung der Aspirationen jeweils durch die Wirkung der ungleichen Verteilung der Aspirationen verstärkt wird.216

Bourdieu weist hier auf die Passung von Habitus und Habitat hin und erklärt damit die nur scheinbare Natürlichkeit räumlicher Ungleichheit. Dieses Zusammenspiel von Raum und Ungleichheit versucht der Geograph Peter Dirksmeier mit Bezug auf Bourdieu mit dem Begriff des residenziellen Kapitals zu fassen, der für die vorliegende Arbeit von großen Nutzen ist. Residenzielles Kapital meint das »Set von Eigenschaften, die sich durch die besondere Bedeutung des Wohn- und Geburtsortes akkumulieren« 217, worunter Dirksmeier etwa mit dem Wohn- und Geburtsortes verbundene soziale Netzwerke oder Sprache versteht, die sich als soziales und sprachliches Kapital auch körperlich niederschlagen können 218. In Bezug auf räumliche Ungleichheit spielt insbesondere der Gedanke der Relationalität von Orten eine Rolle, präziser »how cities are produced in relation to processes operating across wider geographical fields, while recognizing that 213 Gregory u. a. (Hg.) (2009): Human Geography, S. 648. 214 Wurden die räumlichen Disparitäten zur Zeit des fordistischen Produktionsregimes als problematisch angesehen und auf eine internationale Angleichung abgezielt, werden sie im postfordistischen Produktionsregime als konstitutiver Teil kompetitiver Räume betrachtet. In der Folge haben »die Entwicklungsunterschiede zwischen Städten, Regionen und Ländern seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wieder zugenommen«, vgl. Wissen u. a. (2008): Dialektik, S. 378. 215 Vgl. Bourdieu (1991): Raum; Bourdieu (1997): Ortseffekte. 216 Bourdieu (1991): Raum, S. 33. 217 Dirksmeier (2009): Habitus, S. 139. 218 Vgl. Ebd., S. 138 ff.

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urban localities simultaneously provide necessary basing-points for those wider processes« 219. Aus praxeologischer Perspektive sind es in erster Linie die »Praktiken der Abgrenzung und des In-Beziehung-Setzens zu anderen Städten« 220, die »Praktiken der différance und Relationierung« 221, die es zu untersuchen gilt. Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen soll im Folgenden der Begriff scale zur Beschreibung räumlicher Ungleichheit vorgestellt und sein Potenzial für eine ethnographisch-kulturwissenschaftliche Perspektive auf Stadtgröße diskutiert werden. Scale erscheint mir mit Nina Glick Schiller und Ay¸se Ça˘glar als der im Vergleich zu Stadtgröße kulturwissenschaftlich sinnvollere Begriff um Relationen des »Gewichts« und der Relevanz von Orten zu beschreiben. Scale ist ein breit diskutierter Begriffe in der gegenwärtigen geographischen Debatte und beschreibt in der klassischen Konzeption verschiedene räumliche Maßstabsebenen bzw. eine ineinander verschachtelte Hierarchie räumlicher Ebenen sozialen Handelns, welche den Handlungsspielraum von AkteurInnen bestimmt. Eine gängige Einteilung ist etwa jene in lokal, national und global, welche verschiedentlich erweitert wurde, etwa um den Körper oder Nachbarschaft als scales unter der lokalen Ebene. Der Kritik an diesem klassischen Ansatz folge ich in der vorliegenden Arbeit aus praxeologischer Perspektive insbesondere in zweierlei Hinsicht. So verstehe ich erstens scale nicht als statische Kategorie, sondern – im Anschluss an das dynamische Stadtmodell – als prozessual. Ich folge damit einer grundsätzlichen Kritik an der Statik in der klassischen Konzeption von scale. So formuliert Ignacio Farías: [. . . ] space is not an underlying structure produced by capital relations or state strategies or whatsoever. Thinking space and scale as a product which somehow becomes independent from the set of practices that produced it [. . . ] would involve falling into the trap of fetishism, in the Marxian sense of taking for real and ontologically autonomous what is rather an attribute of particular actor-networks and urban sites. Space, scale and time are rather multiply enacted and assembled at concrete local sites, where concrete actors shape time-space dynamics in various ways, producing thereby different geographies of associations.222

219 McCann u. a. (2010): Relationality / territoriality, S. 176. 220 Löw (2008): Soziologie der Städte, S. 96 f. 221 Wietschorke (2012): Beziehungswissenschaft, S. 357 f. Der Blick für Verbindungen ist, so Jens Wietschorke, ein generelles Interesse kulturwissenschaftlicher Forschung, die das Soziale relational begreift: »Denn was den Forschungsgegenstand Gesellschaft angeht, so bilden Beziehungen geradezu den alles dominierenden Fokus dieser Wissenschaft. Nicht nur, dass sich das Soziale generell über Beziehungen und Assoziationen definiert, auch der Kulturbegriff erweist sich bei näherer Betrachtung als Instrument, Relationen und Differenzen zu denken.«, vgl. Ebd. 222 Farías (2010): Introduction, S. 6.

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Entgegen einer reifizierenden Perspektive und eines räumlichen Determinismus – etwa im ökologischen Zugang der Chicago School – werden scales aus einer kritischen Perspektive als soziale Konstruktionen betrachtet 223. Scales sind dabei nicht verschiedene räumliche, klar trennbare Ebenen sozialen Handelns, sondern »outcomes of those activities and processes, to which they in turn contribute through a spatially uneven and temporally unfolding dynamic« 224. Neil Brenner stellt die Vielfalt verschiedener, sich nicht notwendigerweise deckender Hierarchien heraus, »the scalar architecture of capitalism as a whole is composed of a mosaic of superimposed, tangled, crosscutting, and unevenly overlapping interscalar hierarchies whose units are rarely coextensive or isomorphic« 225. Scales sind also das Produkt sozialen Handelns und beeinflussen vice versa dieses Handeln. Ins Zentrum treten damit Transformationen von scales, Prozesse des scaling und rescaling: »Scales, in this framework, are no more than the temporarily stabilized effects of diverse sociospatial processes, which must be theorized and investigated on their own terms.« 226 Scaling und rescaling meint dabei »the repositioning of the status and significance of cities, both in relationship to states and within global hierarchies of urban-based institutional power« 227. Aus praxeologischer Perspektive ist entscheidend, welche Rolle scales in Praktiken spielen und welche Relevanz verschiedener AkteurInnen in der Produktion von scale »as active agents making the world cityness of cities« 228 haben. Wie der Geograph Eugene McCann ausführt, geht es also nicht darum, konzeptionell global cities von non-global cities oder lokalen Städten zu unterscheiden und damit eine duale Kategorisierung einzuführen. Vielmehr geht es ihm darum, zu untersuchen, wie globalness und localness durch Praktiken hergestellt wird 229. [. . . ] what people do with scale categories, how they utilize them to construct space and social relations for specific political aims. This entails taking seriously – but not unreflexively incorporating into our analysis – the reifying, spatially bounding and vertically ordering, scalar discourses and practices of social actors [. . . ].230

Damit verweist der Geograph Adam Moore darauf, dass die Typologien und Einteilungen, die Kontexte und Rahmen dennoch als normative Definitionen

223 Vgl. Wissen u. a. (2008): Dialektik; Gregory u. a. (Hg.) (2009): Human Geography, S. 665; Brenner (2011): Urban Question; Belina (2013): Raum, S. 98 f. 224 Gregory u. a. (Hg.) (2009): Human Geography, S. 665. 225 Brenner (2011): Urban Question, S. 33. 226 Ebd., S. 31. 227 Glick Schiller u. a. (2009): Comparative Theory, S. 179. 228 Robinson (2006): Ordinary Cities, S. 112 f. 229 McCann (2004): Urban Political Economy. 230 Moore (2008): Rethinking scale, S. 217.

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existieren und auch eine alltagskulturelle Wirksamkeit entfalten. Scales sind infolge ihrer Produktion in sozialer Praxis auch stets politisch, von Interessen motiviert, umkämpft und werden angefochten, wie Neil Smith mit dem Begriff politics of scale beschreibt 231. Zweitens verstehe ich scales nicht als räumliche Ebenen im Sinne einer klar in unterschiedliche Niveaus trennbaren, vertikalen Ordnung. Diese klare Trennung in unterschiedliche räumliche Ebenen wurde in der scale-Debatte aus verschiedenen Richtungen kritisiert und ebenfalls als reifizierende Perspektive hinterfragt 232. Dagegen setzen die Geographen Alan Latham und Derek P. MacCormack mit Bezug auf die Akteur-Netzwerk-Theorie eine »flache« Topographie, bei welcher die »Produktion von Ort, Umfang und Maßstab« 233, so die Worte des Soziologen Bruno Latour, zum Untersuchungsgegenstand wird. Scales werden damit nicht als unterschiedliche vertikale Ebenen verstanden, sondern als horizontale Netzwerke. Städte sind nicht als global oder lokal oder Orte der Vermischung von beiden zu denken, sondern lediglich als stärker oder schwächer, weiter oder kürzer vernetzt, oder wie der Geograph Richard G. Smith formuliert: States, cities and city-states are not sites where ›scales‹ intersect, interact, interface or overlap; they are all actor-networks, continuums [. . . ], scattered lines of humans and non-humans, that are not by nature local, national or global, but are more or less long and more or less connected.234

Scales als horizontale Netzwerke gedacht, führen in die Nähe der Begriffe Zentrum und Peripherie, die oft unabhängig von der scale-Debatte diskutiert werden. Zentren sind demnach stark vernetzte Knotenpunkte mit weiten Verbindungen zu anderen Knotenpunkten, wogegen Peripherien wenig vernetzte Orte mit Verbindungen zu naheliegenden Punkten darstellen. Analog zum Begriff scale versuchen aber neuere Ansätze Peripherien weniger als räumlichen Zustand und stattdessen Peripherisierung als sozial-räumlichen Vorgang, als »relationalen, in ständigen Verschiebungen begriffenen, dynamischen Prozess« zu begreifen 235. Diese Ansätze diskutieren Peripherisierung in Bezug zum Prozess der Zentralisierung und schließen an die oben beschriebene Diskussion über uneven development an 236.

231 Vgl. Smith (1992): Spatialized Politics; Smith (1996): Vulnerability. 232 Vgl. Massey (1991): Sense of place; Massey (1993): Power-geometry; Marston (2000): Scale; Marston u. a. (2005): Human geography; Farías (2010): Introduction; Latham u. a. (2010): Globalizations, S. 59. 233 Latour (2007): Neue Soziologie, S. 297. 234 Smith (2010): Urban studies, S. 75. 235 Vgl. Kühn u. a. (2013): Peripherisierung, S. 26. 236 Vgl. Ebd., S. 25.

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Eine für die vorliegende Arbeit besonders fruchtbare, weil die Kritikpunkte vereinende Konzeption von scale haben Nina Glick Schiller und Ay¸se Ça˘glar vorgeschlagen. Glick Schiller schreibt in Bezug auf Städte: »The term scale has emerged as a summary assessment that reflects the differential positioning of cities within hierarchies determined by the flow and control of capital and structures of power as they are constituted within regions, states, and the globe.« 237 Scale meint damit keine bestimmte räumliche Maßstabsebene, sondern eine Position in verschiedenen, sich überkreuzenden fields of power: This approach produces a concept of city rescaling that projects a continuum in which various cities are relatively positioned as a result of neoliberal restructuring measures. In this sense, some cities operate on a smaller scale than others and we can speak of up-scale and down-scale cities as different ends of a continuum of positioning of urban places. These different positionings reflect and shape the relationship of urban places to regions, states, supra-regions and the globe. From this perspective, city scale is a relative measure operating on a field of power, rather than a measure of the density of population or of new-economy connections such as that posited by world cities researchers.238

Grundsätzlich gehe ich mit Nina Glick Schiller und Ay¸se Ça˘glar davon aus, dass Städte und Orte – mit Bezug auf Pierre Bourdieu – in verschiedenen sozialen Feldern verortet sind 239. Gleichzeitig sind diese sich überkreuzenden Felder von Machtasymmetrien gekennzeichnet 240. Mit dieser Konzeption kann die strikte Trennung in lokal, national, global etc. und damit auch in global city und nonglobal city hinterfragt werden: In one sense, all are local in that near and distant connections penetrate the daily lives of individuals lived within a locale. But within this locale, a person may participate in personal networks or receive ideas and information that connect them to others in a nation-state, across the borders of a nation-state, or globally, without ever having migrated.241

Peggy Levitt und Nina Glick Schiller unterscheiden zwischen den konkreten Netzwerken, in denen sich AkteurInnen bewegen, und den davon möglicherweise unterschiedenen Zugehörigkeiten: »Ways of being refers to the actual 237 Glick Schiller (2005): Transnational Urbanism, S. 58. 238 Glick Schiller u. a. (2009): Comparative Theory, S. 188. 239 Vgl. Ebd. Peggy Levitt und Nina Glick Schiller beschreiben diese – in Bezug auf scale ursprünglich in den Transnational Studies thematisierten – sozialen Felder als »set of multiple interlocking networks of social relationships through which ideas, practices, and resources are unequally exchanged, organized, and transformed«, Levitt u. a. (2004): Simultaneity, S. 1009. 240 Vgl. Glick Schiller u. a. (2009): Comparative Theory, S. 180. 241 Levitt u. a. (2004): Simultaneity, S. 1010.

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social relations and practices that individuals engage in rather than to the identities associated with their actions.« 242 Mit dem Begriff scale fasse ich also die Positionen von Orten in unterschiedlichen sozialen Feldern. Städte können demnach unterschiedliche scales, genauer: unterschiedliche Positionen in unterschiedlichen Feldern einnehmen. Übersetzt in das administrative Vokabular können Orte in einem Feld eine großstädtische Position einnehmen, wohingegen sie in einem anderen Feld kleinstädtisch sind. Was eine hohe Position beinhaltet und konkret bedeutet, kann nicht vorab festgelegt und muss je nach Feld untersucht werden. Zentral ist dabei die Produktion dieser Positionen in sozialen Praktiken. Im folgenden Unterkapitel soll genauer auf diese Praktiken der Relationierung eingegangen werden. Offen ist an dieser Stelle die Frage, welche Rolle die Größe einer Stadt in der ungleichen räumlichen Entwicklung spielt und welche Verbindungen zwischen Stadtgröße und scale bestehen.243 Auch wenn mir scale als der analytisch sinnvollere Begriff erscheint, zeigen nicht nur die Beispiele der vorliegenden Arbeit, dass die Größe einer Stadt eine besondere Rolle in den Positionen dieser einnimmt. So sind es nicht selten die einwohnerstärksten Städte (Stadtgröße), die auch Hauptstädte sind (scale im Feld der Verwaltung) – aber eben nicht immer. Physische Größe oder eine hohe EinwohnerInnenzahl bedeutet nicht notwendigerweise eine hohe Position in den fields of power, wie Nina Glick Schiller und Ay¸se Ça˘glar betonen. EinwohnerInnenzahlen oder die Fläche einer Stadt können zwar die Positionen einer Stadt widerspiegeln. Genauso können aber große Städte mit hoher EinwohnerInnenzahl in den fields of power unbedeutender sein als kleinere Städte mit niedriger EinwohnerInnenzahlen, die ökonomische, politische oder kulturelle Zentren darstellen 244. Ich schlage daher vor, Stadtgröße als eine Dimension des materiellen Settings einer Stadt zu fassen und analog zu scale als in Praktiken produziert zu verstehen. Beschreibt scale die Positionierungen einer Stadt in verschiedenen sozialen Feldern, fasse ich Stadtgröße in Bezug darauf als eine Ressource, die in diesen Positionierungen eingesetzt wird, oder wie schon weiter oben angeführt: »It’s not size, it’s what you do with it.« 245 So werden etwa in administrativen Kategorisierungen von Städten verschiedene Dimensionen von Größe eines administrativen Raumes wie neben EinwohnerInnenzahlen auch Fläche, Dichte, Wirtschaftsbevölkerung oder funktionale Bedeutung im Raum 246 eingesetzt, um bestimmte Status

242 Ebd. 243 Für eine Diskussion des Verhältnisses von size und scale siehe auch den Beitrag von Günther Schlee, vgl. Schlee (2011): Afterword. 244 Vgl. Glick Schiller u. a. (2009): Comparative Theory, S. 188. 245 Bell u. a. (2006): Small cities, S. 5. 246 Baumgart u. a. (2010): Klein- und Mittelstädte, S. 254.

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zu vergeben bzw. zu erlangen. Ähnliches gilt für die Größe der Gebäude einer Stadt, wenn etwa eine Skyline oder prestigeträchtige Museumsbauten über ihre materielle Größe besondere Positionen im touristischen oder im künstlerischen Feld versprechen. Stadtgröße wird demnach diskursiv ausgehandelt und hat eine symbolische Dimension im Sinne der Bedeutung einer Stadt.

Doing place und scale Don Slater und Tomas Ariztía bezeichnen Praktiken der Relationierung sowie des Groß- und Kleinmachens in Bezug auf Räume und scales als scaling practices. Sie führen mehrere Fragen an, die in Bezug darauf untersuchenswert sind: How people make and stabilize connections (including their aesthetic form – networks? groups? alliances?). The ways in which connections at different distances are represented – what do the various ›maps‹ look like? And how do these maps re-enter the making of connections at different distances? The use of a range of scaling ›devices‹ – objects which might objectify different scales (as embodiment, as material culture) and might be instrumentally useful in performing different scales. [. . . ] The ways in which different scales and scaling practices connect to diverse projects and strategies. [. . . ] The different ways in which people construct narratives involving scale [. . . ].247

Zur Systematisierung dieser place-making und scaling practices im Sinne eines doing place und scale beziehe ich mich auf das place-Konzept der Geographin Anne Vogelpohl 248 sowie auf die Raumtriade der Europäischen Ethnologin Johanna Rolshoven 249, die analytisch Repräsentationsraum, gebauten Raum und gelebten Raum unterscheidet 250. Vogelpohl unterscheidet eine symbolische, eine materielle und eine soziale Ebene von place, die ich hier auch auf scaling practices anwenden möchte. Zentral für Praktiken der Relationierung sind auf symbolischer Ebene (1) diskursive – d. h. auf gesellschaftlich etablierten Rede- und Repräsentationsweise basierende – Praktiken der Einordnung von Orten und Städten, »gesellschaftliche und historische Zuschreibungen von Räumen« 251 bzw. »sowohl auf individuellen Erlebnissen basierende Bedeutungen als auch gezielt artikulierte Repräsentationen« 252. Dazu zähle ich auch spezifische Selbstverständnisse und

247 248 249 250

Slater u. a. (2010): Assembling Asturias, S. 100. Vgl. Vogelpohl (2014): Stadt der Quartiere? Vgl. Rolshoven (2003): Raumkulturforschung; Rolshoven (2012): Raum. Beide Ansätze beruhen auf den Arbeiten von Henri Lefebvre und dessen Triade der Produktion des Raums, vgl. Lefebvre (1991): Space. 251 Rolshoven (2012): Raum, S. 165. 252 Vogelpohl (2014): Stadt der Quartiere?, S. 63.

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ein städtisches imaginaire 253. Adam Moore etwa fragt danach, »how people, places, events, actions and social relationships get classified in these terms? What makes it more or less likely for particular scalar categorizations and frameworks to take hold in practice?« 254 Als epistemologische Ebene von scales beschreibt er die »ways in which scalar narratives, classifications and cognitive schemas constrain or enable certain ways of seeing, thinking and acting« 255. Administrative Einteilungen von Räumen und Orten stellen etwa tiefgreifende symbolische Klassifizierungspraktiken (die auch starke Auswirkungen auf materieller und sozialer Ebene haben) dar. Die staatliche Einteilung räumlicher Ebenen stellt bestimmte scales erst her, wie Moore festhält: »Additionally states strive to establish hierarchical scalar order within their borders through the introduction of spatio-legal jurisdictions such as the ›municipality‹, ›province‹ and ›region‹.« 256 Administrative Einteilungen ordnen nach numerischen und funktionalen Kriterien wie EinwohnerInnenzahl, infrastruktureller und / oder ökonomischer Funktion Städte in die Kategorien Groß-, Mittel- oder Kleinstadt bzw. Mittel- oder Oberzentrum und weisen ihnen unterschiedliche Ressourcen und Aufgaben zu – sie stellen damit hierarchische Positionen her. Im Rahmen neoliberaler Restrukturierungen sind staatliche Räume auf allen Ebenen dazu aufgerufen, sich am Wettbewerb zu beteiligen, sich zu vermarkten und zu branden. So spielt der Staat vor dem Hintergrund ungleicher räumlicher Entwicklung eine zentrale Rolle in diesem Wettbewerb etwa in Form räumlich selektiver Interventionen, um bestimmte Städte oder Zonen zu fördern, wie auch Glick Schiller und Ça˘glar betonen: Through the provision of state subsidies or contracts, and support for key infrastructural facilities and public services – such as airports or research facilities – in particular zones, states remain important actors in shaping the new patterns of uneven spatial development. In this context, the competition among cities to attract global capital is also entangled with their competition to attract multiple forms of state support.257

Es sind spezifisch wettbewerbsförmige, symbolische scaling practices im Rahmen von neoliberalen Restrukturierungsprozessen, die eine kompetitive Einstellung zu Räumen fördern. Für das scaling von Orten sind überdies Rankings zentral. Diese nahmen in den letzten Jahren enorm zu, wie Eugene McCann, Ananya Roy und Kevin Ward beschreiben. Sie fragen: »How are we to understand the current urban

253 254 255 256 257

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Vgl. Lindner (2008): Textur, imaginaire, Habitus. Moore (2008): Rethinking scale, S. 214 f. Ebd., S. 214. Ebd., S. 215. Glick Schiller u. a. (2009): Comparative Theory, S. 187.

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juncture in which cities are regularly being compared and referenced against each other on a global scale?« 258 Heute gebe es eine Vielfalt an Bewertungen, Rankings und Evaluierungen durch staatliche und nicht-staatliche Einrichtungen, Medien, Beratungsunternehmen, aber auch aktivistische Gruppen: All seek to position cities within a global frame. In some cases, the coordinates used to put cities in their (global) place are ›aspirational,‹ highlighting certain characteristics or features that cities should exhibit: the tallest building, the most creative ›types,‹ the most sustainable industries, the highest growth rates, or the most progressive social policies. In other cases, these metrics can be ›disciplining,‹ highlighting absences that are defined as problematic: high crime rates, prevalent disease, large informal economies, ›corruption,‹ failing infrastructure, etc.259

An den angeführten normativen Kriterien werden Städte gemessen und bewertet, so McCann, Roy und Ward. Sie stellen damit machtvolle Repräsentationen von Städten dar und beeinflussen politische Entscheidungen. Der Städtevergleich als Teil von »Evaluationskulturen« ist gegenwärtig auch jenseits von Rankings weit verbreitet 260, etwa in Form von mappings von Räumen und Orten, über die Hierarchien zwischen diesen sichtbar gemacht und festgeschrieben werden. Der Städtevergleich steht dabei in Zusammenhang mit imaginären Geographien, die ex- und inkludierend wirken können, wie Martina Löw schreibt: »Welche imaginären Geografien, die vielfältige ökonomische, politische und soziale Konsequenzen nach sich ziehen, werden zwischen Städten aufgespannt? Welche Städte werden aus welchen Gründen aus den Vergleichen und Bezugssystemen ausgeschlossen?« 261 Diese imaginären Geographien als symbolische Seite ungleicher räumlicher Entwicklung sind auch durch scales geprägt: »Dabei scheint es ein eingeführtes Vergleichssystem zu geben. New York wird zu Paris, Berlin und London ins Verhältnis gesetzt, nicht zu Bombay und auch nicht zu Nürnberg.« 262 Gleichzeitig würden diese scales exkludierend wirken, denn »die Anforderungen an Mitspieler sind je nach ›Städteliga‹ unterschiedlich definiert« 263. Wie Andreas Reckwitz stellt Löw in Bezug auf diese Anforderungen fest, dass sie »für Großstädte [. . . ] auffällig über Kulturelemente bestimmt« 264 sind. Wenn New York, London und auch Berlin oder Wien in Weiterführung des Bildes von Löw in der Champions League der Städte spielen, in welcher Liga

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McCann u. a. (2013): Assembling / Worlding Cities, S. 581. Ebd. Vgl. Tauschek (2012): Wettbewerbskulturen, S. 196 f. Löw (2008): Soziologie der Städte, S. 39. Ebd., S. 9. Ebd., S. 13. Ebd.

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spielen dann Städte wie Wels? Typologien wie Klein-, Mittel- oder Großstadt müssen dementsprechend als diskursive Praktiken untersucht werden, welche etwa durch Übersetzungsprozesse im Verwaltungskontext und auf stadtplanerischer Ebene ihre Wirkung entfalten und Positionen produzieren. Die verschiedenen Kriterien, die kontextabhängig scale definieren, gilt es dementsprechend zu differenzieren und in den Blick zu nehmen. Neben diesen Klassifizierungen von institutioneller Seite sind aus europäisch-ethnologischer Perspektive aber auch die alltäglichen Narrative von BewohnerInnen von Interesse. Die Aushandlungen der Positionen der Stadt in verschiedenen Feldern sind aus alltagskultureller Perspektive nicht nur eine Angelegenheit von Verwaltung, Stadtplanungseinrichtungen oder Stadtmarketinggesellschaften. Vielmehr spielen diese Positionen auch eine zentrale Rolle in den verschiedenen Wahrnehmungen der Stadt durch ihre BewohnerInnen, in den Denkkategorien und schließlich auch im Handeln der Menschen, die dort ihren Alltag verbringen. Adam Moore arbeitet diese zentrale Funktion von Klassifikationen als eine Form von Narrativen heraus: While state classificatory practices are important, ›lay‹ actors also play a significant role in sociospatial categorization, frequently subverting or altering official classifications for their own purposes. They utilize narratives to ›interiorize‹ and ›exteriorize‹ sociospatial relations and emplot themselves in particular scalar configurations.265

BewohnerInnen eignen sich also Klassifizierungen an, verwenden diese in ihren Handlungen und verorten sich dabei narrativ in verschiedenen sozialräumlichen Relationen. Folglich kommt Narrativen Handlungsrelevanz zu: »Narratives, then, are not merely representational forms. They ›place‹ people and occurrences in space and time, thereby giving spatial and temporal meaning to events and relationships.« 266 Hinter diesen Narrativierungen steckt das Zusammenspiel von Raum und Selbst, der Umstand, dass Raum und Subjekt zuordenbar sind und »zusammenpassen« können – dass sich Menschen also über Städte und Stadträume fragen können, wer sie sind und ihre soziale Position durch Wohn-, Arbeits- und Urlaubsorte definieren können 267. So stellt die Literaturwissenschaftlerin Julia Watson in Bezug auf autobiographische Narrative fest: »Shifts in the concept of the person may be directly tied to particulars of location and position [. . . ].« 268 Dahinter steht der grundlegende Zusammenhang von Raum und sozialer – und auch biographischer – Existenz, der seit der Ausrufung des

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Moore (2008): Rethinking scale, S. 215. Ebd. Vgl. Michael u. a. (2005): Belonging, S. 207. Watson (2007): Autobiographical Narrative, S. 17.

Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

spatial turns vielfach herausgestellt wurde und heute als Ausgangspunkt vieler Raumtheorien fungiert. Wie bereits an diesen Beispielen ersichtlich wird, ist mit der symbolischen Ebene der Relationierung immer auch eine materielle Ebene (2) verbunden. Anne Vogelpohl versteht darunter die »physische Dimension« der Stadt und damit »nicht nur Gebäude, Straßen oder Natur [. . . ], sondern auch deren infrastrukturelle Eigenschaften sowie die Besonderheit spezifischer Stätten wie Kirchen, Cafés oder Shopping Malls« 269. Dieser »gebaute Raum« ist vermessbar 270 und umfasst im städtischen Kontext das gesamte physische Setting einer Stadt, zum Beispiel prestigeträchtige Bauten, Baustrukturen, Institutionen und Infrastrukturen wie das örtliche Nahverkehrssystem oder Verbindungen in andere Orte. Auch hier geht es darum, wie AkteurInnen sich auf diese Materialitäten beziehen, wie sie sie verwenden und einsetzen. Don Slater und Tomas Ariztía benennen diese Objekte, in denen sich scales objektivieren, insofern als scaling devices 271. Zentral aus kulturwissenschaftlicher Perspektive ist neben der Narrativierung von Ortsrelationen als symbolische Ebene und des physischen Settings eines Ortes als materielle Ebene schließlich die soziale Ebene (3), worunter ich den »gelebten« sowie »verhandelten« 272, »in den Alltagshandlungen verwirklichten Raum« 273 verstehe. Adam Moore bezeichnet die soziale Ebene als scalar projects sowie practices und fragt »what people do with scale categories, how they utilize them to construct space and social relations for specific political aims.« 274 »Reifying, spatially bounding and vertically ordering, scalar discourses and practices of social actors« 275 müssten in der Forschung Ernst genommen werden. Mit diesem Fokus auf Praktiken geht die Berücksichtigung des Körpers einher. Pierre Bourdieu etwa zeigt, wie Relationen durch Sozialisierungs- und Habitualisierungsprozesse inkorporiert und so Teil der menschlichen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata werden: Genauer gesagt, vollzieht sich die unmerkliche Einverleibung der Strukturen der Gesellschaftsordnung zweifellos zu einem guten Teil vermittelt durch andauernde und unzählige Male wiederholte Erfahrungen räumlicher Distanzen, in denen sich soziale Erfahrungen behaupten, aber auch – konkreter gesprochen – vermittels der Bewegungen und Ortswechsel des Körpers zu räumlichen Strukturen

269 270 271 272 273 274 275

Vogelpohl (2014): Stadt der Quartiere?, S. 64. Vgl. Rolshoven (2012): Raum, S. 165. Vgl. Slater u. a. (2010): Assembling Asturias, S. 100. Vogelpohl (2014): Stadt der Quartiere?, S. 63. Rolshoven (2012): Raum, S. 165. Moore (2008): Rethinking scale, S. 217. Ebd.

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konvertieren und solcherart naturalisierte soziale Strukturen gesellschaftlich organisieren und qualifizieren, was dann als Aufstieg oder Abstieg (›nach Paris hochfahren‹), Eintritt (Einschluss, Kooptation, Adoption) oder Austritt (Ausschluss, Ausweisung, Exkommunikation), Annäherung oder Entfernung betreffs eines zentralen und wertbesetzten Ortes sprachlich zum Ausdruck gebracht wird.276

Bourdieu sensibilisiert für die Erfahrung von Distanzen, Ortswechseln, Aufsteige und Abstiege, Eintritte und Austritte, Annäherung und Entfernung. Ins Zentrum rücken die Relationen in der Praxis, die Einverleibung, Sozialisierung bzw. Habitualisierung und Subjektivierung dieser Relationen, aber auch wie Relationen verkörpert und performt werden. Schließlich werden Relationen nicht nur aufgeführt im Sinne einer Wiederholung, sondern in Praktiken konstituiert, verstärkt oder angefochten. Auf sozialer Ebene sind damit die enactments von Relationen für die kulturwissenschaftliche Stadtforschung von Interesse, etwa die Reichweite und Form sozialer Netzwerke, Raumnutzungen wie Aktionsradien, Rhythmen sowie alltägliche Routinen der Versorgung, der Arbeit und Freizeit, räumliche Zugehörigkeiten und Abgrenzungen und deren Handlungsinhalte sowie ein sense of place und generell die räumlichen Bezüge und Kontexte des Handelns. Mit Hilfe dieser drei analytischen Ebenen können im Sinne praxeologischer Forschung die für die Position der Stadt Wels in verschiedenen sozialen Feldern konstitutiven scaling practices und deren Zusammenhang mit place-making practices untersucht werden. In Anschluss an Bob Jessop, Neil Brenner und Martin Jones geht es in dieser Arbeit also um das Zusammenspiel verschiedener Dimensionen sozioräumlicher Beziehungen – hier place und scale – in einem konkreten Fall 277. Mit welchen konkreten Ansätzen und Methoden ethnographischer Forschung ich doing place und doing scale auf den drei analytischen Ebenen in Wels untersucht habe, wird im folgenden Kapitel dargestellt.

276 Bourdieu (1997): Ortseffekte, S. 21. 277 Vgl. Jessop u. a. (2008): Sociospatial Relations, S. 392.

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Kulturalisierung, Metrozentrismus und Beziehungen zwischen Städten

3. STADTETHNOGRAPHIE IN WELS Das folgende Kapitel umfasst diverse methodische Fragen, welche für die vorliegende Arbeit von Bedeutung waren, und gibt Einblick in Forschungsdesign und -verlauf. Insbesondere thematisiere ich den Städtevergleich sowie die ethnographische Methodologie – Ethnographie verstanden als Methode sowie als Repräsentationsmodus 1.

Ethnographie als Zugang Um zu verstehen, welche Rolle die Positionen der Stadt Wels in verschiedenen Feldern in alltäglichen Praktiken spielen und wie die Positionen über diese Praktiken konstituiert werden, habe ich mich an einer ethnographischen Methodologie orientiert. Im Zentrum stehen dabei alltägliche Sinngebungen und -konstruktionen. Die Absicht ist ein »Eintauchen und Vertrautwerden mit alltäglichen Lebenswelten der Untersuchten, die ein (nachvollziehendes) Verstehen sowie emische Beschreibungen, aus der Perspektive ihrer Bewohnerinnen und Bewohner, ermöglichen« 2. Der Soziologe Stefan Hirschauer unterscheidet in seinem Konzept der Befremdung des Eigenen zwischen Teilnahme- und Distanzierungsanforderungen: Zu den Teilnahmeanforderungen gehört es, sich den Methodenzwängen des Gegenstandes auszusetzen, Sozialität in ihrer öffentlichen Situiertheit aufzusuchen, sich von situativen Teilnehmerrelevanzen steuern zu lassen und Sinnbildungsprozesse synchron zu begleiten. Zu den Distanzierungsanforderungen gehört es, in disziplinärer Sozialisation Beobachtungskompetenzen zu erwerben, sich im Feld durch das Aushandeln von Beobachtungslizenzen zu Aufzeichnungen zu entlasten, sich durch Rückzüge vom Feld analytisch zu disziplinieren und durch Vertextung Erfahrungen laufend in Daten zu transformieren.3

Im konkreten Fall geht es also darum, welche Bedeutung und welchen Sinn Wels als place für die BewohnerInnen hat. Erforscht werden dabei nicht nur explizit benannte, sondern auch inkorporierte und in Praktiken eingelagerte Bedeutungen, welche Rolle also Wels in den alltäglichen Handlungen, im konkreten Lebensvollzug ihrer BewohnerInnen einnimmt. Es stehen damit nicht

1 Vgl. Schmidt-Lauber (2009): Orte, S. 237. 2 Ebd., S. 251. 3 Hirschauer (2010): Exotisierung, S. 222.

nur sprachliche Bedeutungskonstruktionen im Zentrum, sondern die Multisensualität von Erfahrung 4. Zugleich finden diese Bedeutungskonstruktionen und Praktiken nicht im luftleeren Raum statt, sondern werden von Kontexten gerahmt. So schreiben Robert M. Emerson, Rachel I. Fretz und Linda L. Shaw: »Ethnographers can effectively understand and represent members’ meanings by being sensitive to the ways in which members invoke relevant contexts for particular actions and relevant contrasts for some feature or quality of their setting.« 5 Kontext verstehe ich dabei nicht als statische Kategorie, die aus dem Hintergrund konkrete Situationen beeinflusst, sondern als Verbindungen der untersuchten Praktiken mit AkteurInnen, Materialitäten, Diskursen und anderen Praktiken.6 Zentral dabei ist, wie AkteurInnen diesen Kontext selbst ins Spiel bringen und benutzen 7. Folglich ist Kontext ein »lokales, situatives Produkt« 8. »Das bedeutet [. . . ] nicht«, so schreibt die Europäische Ethnologin Maria Schwertl mit Bezug auf Adele Clarke, »gesellschaftliche, soziale oder strukturelle Tendenzen als erklärendes Moment der Situation anzuführen, sondern diese verfestigt in Text, Architektur oder anderen Objekten und Akteuren als Teil der Situation wahrzunehmen« 9. Die Möglichkeiten ethnographischer Forschung bestehen demnach darin, jenseits hegemonialer Bedeutungskonstruktionen – etwa in Form klischeehafter Stadtmarketinglabels oder administrativer Kategorien – jene alltäglichen Bedeutungen zu untersuchen, welche diesen Labels auch oftmals widersprechen, sie unterwandern oder sich aneignen. Im Vergleich zu Städte typologisierenden Forschungen, welche Eigenschaften und Spezifika bestimmter Stadttypen herausarbeiten und diese mittels idealtypischer Verdichtungen zu bestimmen versuchen, zielt Ethnographie damit auf die Multiperspektivität und Multivokalität sozialer Welten 10 und kann damit vorschnelle Kategorisierungen – wie im hier behandelten Fall Stadtmarketinglabels oder Einordnungen wie Klein-, Mittel- und Großstadt – auf ihre Alltagsrelevanz und ihren Alltagsgebrauch überprüfen und gegebenenfalls relativieren. In besonderer Weise ist diese Relativierung von holistischen Zuschreibungen bei der stadtethnographischen Erforschung einer kleineren Stadt notwen4 Vgl. Pink (2009): Sensory Ethnography. 5 Emerson u. a. (2011): Fieldnotes, S. 144. 6 Dieses Verständnis von Kontext fassen auf ähnliche Weise Begriffe wie »Netzwerk«, vgl. Latour (2007): Neue Soziologie, »Assemblage«, vgl. Ong u. a. (Hg.) (2005): Global Assemblages; Farías u. a. (Hg.) (2010): Urban Assemblages, oder »sites« und »Zusammenhang« vgl. Schatzki (2003): Social Ontology. 7 Vgl. Holstein u. a. (2004): Context, S. 269. 8 Schwertl (2013): Netzwerk, S. 111. 9 Ebd., S. 112. 10 Vgl. Schmidt-Lauber (2009): Orte, S. 252.

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dig, denn Überschaubarkeit und scheinbar leichte Greifbarkeit des Forschungsfeldes begünstigen eine einseitige Klassifizierung bzw. Schubladisierung. Mittelstädte seien greifbarer als Großstädte, stellt etwa Daniel Habit fest: [. . . ] aus der Perspektive eines volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Forschungsdesigns mit dem dazugehörigen Methodeninstrumentarium erscheint die Mittelstadt als greifbarer und im Sinne der Fallstudienvielfalt (entgegen aller wissenschaftlicher Moden) für die Erforschung spezifischer Symbollogiken untersuchenswerter als die von verschiedensten Disziplinen untersuchte Großstadt.11

Dies lässt außer Acht, dass nicht die Größe des Forschungsfeldes die Greifbarkeit desselben bestimmt – ein Trugschluss, der mir während meiner Forschungsaufenthalte immer wieder bewusst wurde. Ich hatte vielfach den Eindruck, bereits alles über Wels zu wissen und die Stadt überblicken und in ihren Strukturen begreifen zu können, nur um wieder auf Ecken der Stadt zu stoßen, die ich bisher nicht kannte. Eine Eigenschaft der Forschung in Großstädten scheint damit auch auf »kleinere« Felder zuzutreffen – die Unabschließbarkeit der Forschung und damit verbunden auch das Problem der Selektion und der Standortgebundenheit der Wissensgenerierung. Damit ist auch eine Relativierung der Betonung des Lokalen in europäisch-ethnologischer Forschung in Form einer »Ortsfixierung der Feldforschung und die geradezu mythische Bedeutung des Lokalen« 12 verbunden, geht es doch nicht darum, das Lokale als Einheit, als abgeschlossenes Feld zu untersuchen, sondern wie weiter oben beschrieben als bedeutungsoffenen und vielfach überlokal verknüpften place. Die Konzeption ethnographischer Forschung ist damit durch ihren starken Bezug auf Orte zentral mit der jeweiligen raumtheoretischen Konzeption von Ort verbunden. So geht es auch um die Frage nach den Grenzen des Feldes, die, so Pierre Bourdieu, von den ganz unerschrockenen Positivisten – wenn sie sie nicht schlicht und einfach unter den Tisch fallen lassen, indem sie fertige Listen unverändert übernehmen – durch eine ›operationale Definition‹ gelöst wird (›Schriftsteller nenne ich. . . ‹), ohne zu merken, daß die Frage der Definition (›Soundso ist kein richtiger Schriftsteller‹) im Objekt selber auf dem Spiel steht.13

Place bzw. Stadt als Forschungsfeld ist damit nicht etwas Gegebenes, das sich als definiertes Gegenüber empirisch erforschen ließe und man betreten und verlassen könne, sondern muss als Gegenstand laufend wissenschaftlich kon-

11 Habit (2010): Mittelstädte, S. 151. 12 Wietschorke (2012): Beziehungswissenschaft, S. 341. 13 Bourdieu u. a. (1996): Reflexive Anthropologie, S. 277.

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struiert werden. In Bezug auf Wels bedeutete dies, immer wieder der – insbesondere auch durch holistische Imageproduktion geförderten – Versuchung zu widerstehen, generelle Aussagen über die gesamte Stadt zu treffen bzw. die vorgefertigten Gegenstandskonstruktionen im Feld mit dem Gegenstand selbst zu verwechseln. Die Gegenstandskonstruktion ist deswegen Teil der Forschung selbst, wie der Sozialanthropologe Matei Candea schreibt: »Paradoxically, therefore, the ›research design‹ must be a result of ›the ethnographic enquiry‹. The research – beyond the broadest initial orientations – is thus ›designed‹ a posteriori.« 14 Im Sinne ethnographischer Forschung ist daher auch hier der spezifische Zugang zum und der Weg im Forschungsfeld zentral für die Analyse. Wissenschaftliches Wissen wird dabei durch spezifische Interaktion mit dem Feld generiert, wodurch das Verhältnis des / der EthnographIn zum Feld eine zentrale Interpretationsfolie wird. Im Sinne (auto)ethnographischer Methodologie 15 ist es also die Relation zu meinem Forschungsgegenstand, die als Werkzeug dient, um Daten zu generieren 16. Der Soziologe Lois Wacquant geht gar davon aus, dass der Körper des Forschers / der Forscherin das vornehmliche Instrument ethnographischer Untersuchung ist, nicht um die eigene Subjektivität zu erkunden, sondern um Wissen über das untersuchte Feld zu erlangen 17. Zentral ist dabei auch, dass die Praxis der Ethnographie das Feld selbst mitproduziert, wie Brigitta Schmidt-Lauber betont: »Das Feld konstituiert und verändert sich fortwährend über den Forschungsprozess [. . . ]. Der Frage der Feldkonstitution, des ›place making‹, gebührt deshalb ganz besondere Beachtung im Forschungs-, Analyse- und Schreibprozess.« 18 Insofern ist es wenig erstaunlich, dass sich meine eigene Erfahrung als gewichtige Quelle der Forschung herausstellte. Demgemäß bilden in dieser Arbeit meine eigenen Bilder von Wels, ihre Veränderungen im Laufe der Forschung, meine Routinen und Praktiken, mein Interagieren mit der Stadt, schlicht: meine Beziehung zur Stadt eine zentrale Erkenntnisquelle. Wichtig war für mich etwa, welche Rolle ich selbst in den Städterelationen spiele. Wo ordne ich mich zu? Sehe ich mich selbst als Großstädter, als kosmopolitisch? Oder erscheint mir dies als abgehoben? Und wie werde ich von anderen zugeordnet? Werde ich als Wiener oder Linzer wahrgenommen? Ist es für mich möglich, diesen Zuordnungen zu entgehen? Und in welchen Situationen spielen diese Zuordnungen eine entscheidende und wann keine Rolle?

14 Candea (2007): Arbitrary locations, S. 171. 15 Für einen umfangreichen Überblick über Autoethnographie und die Kritik daran vgl. Ploder u. a. (2013): Autoethnographie. 16 Vgl. Wietschorke (2012): Beziehungswissenschaft. 17 Vgl. Wacquant (2004): Body & soul; Wacquant (2009): The Body, S. 120. 18 Schmidt-Lauber (2009): Orte, S. 250.

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Ein weiterer, für den mit langen Feldforschungsaufenthalten verbundenen Ansatz einer ethnographischen Sozialisierung am Ort wesentlicher Aspekt, war die geographische Nähe zu meinem sonstigen Lebensmittelpunkt sowie zu dem Ort, an dem ich aufgewachsen war. Zielt Ethnographie grundsätzlich auf ein Ein- und Abtauchen in andere soziale Welten ab und versucht dies u. a. über ein Loslösen von den eigenen Welten zu erreichen, war das Eintauchen in die Alltage der Stadt bei meiner Forschung in Wels nicht mit einer gleichzeitigen Distanzierung von meinem vertrauten Umfeld verbunden. Denn Wien, wo ich während meiner Feldaufenthalte weiter eine Wohnung mietete und wo sich mein Arbeitsort, das Institut für Europäische Ethnologie, befand, sowie Linz, wo meine Familie und viele meiner FreundInnen wohnten, waren in Reichweite – und ich damit auch während der Feldaufenthalte in meine gewohnten sozialen Netze eingebunden. Wie die Ethnologin Bettina Beer beobachtet, kann diese Nähe dazu führen, »dass man die Rollen in seinem vertrauten Umfeld (Angestellter der Universität, Familienmitglied, Freundin) auch weiterhin ausfüllen muss, was zu erheblichen Doppel- (und Dreifach)belastungen führen kann« 19. Im Gegensatz zu Forschungen an einem vom eigenen Alltag weit entfernten Orten, an denen es wahrscheinlicher ist, »sich sehr viel intensiver in neue soziale Netzwerke und Lebenszusammenhänge zu integrieren« 20, blieb ich bei meiner Forschung in Wels trotz eines neuen Lebensmittelpunktes in meine Netzwerke eingespannt. Dies empfand ich aber nicht notwendigerweise als Nachteil. So hatte die Konfrontation meines bisherigen Umfeldes mit dem Forschungsfeld wissensgenerierende Funktion, wenn mich etwa FreundInnen oder ArbeitskollegInnen im Feld besuchten. Viele dieser Begegnungen provozierten Reflexionen, da Relationen zum Feld explizit benannt wurden, etwa wenn InterviewpartnerInnen ArbeitskollegInnen kennenlernten oder nach ihnen fragten.

Ethnographie als Repräsentation Ethnographie ist zum einen ein methodisches Konzept, meint zum anderen aber auch einen Ansatz der Repräsentation – ethnographisch zu arbeiten bedeutet immer auch, sich mit Schreiben und Darstellungsformen zu beschäftigen 21. Deswegen sei nachfolgend kurz auf die ethnographische Darstellung eingegangen. Die Vielfalt der Formen und Ebenen, in und auf denen Stadt hergestellt wird, die Multiplexität der Stadt als Praxis, widerspricht einem linearen, nur 19 Beer (2008): Forschungsmethoden, S. 32. 20 Ebd. 21 Vgl. Schmidt-Lauber (2009): Orte, S. 237.

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einer Gliederungslogik folgenden Aufbau des Textes. Vielmehr erfordern die Komplexität des Forschungsfeldes und die Wissenschaftslogik ethnographischer Forschung eine sich daran orientierende Repräsentationsweise des Forschungsmaterials und der Forschungsergebnisse. Dies ist auch der Stadt als Thema geschuldet, die sich oft im Flüchtigen zeigt und über die sich schwer übergreifende Narrative bilden lassen. Die Struktur der Arbeit ist dem folgend am Konzept einer site ontology angelehnt, wie es Theodor Schatzki im Rahmen seiner Theorie sozialer Praktiken entwickelt hat 22. Das Soziale der Stadt wird demnach nicht über die vergesellschaftende Funktion eines Ganzen der Stadt produziert, sondern über eine Vielzahl von sites. Einem ähnlichen Ansatz der Darstellung folgen Bruno Latour und Emilie Hermant in ihrem ursprünglich als Hypertext veröffentlichten Werk »Paris: Invisible City« 23. Darin versuchen sie, Stadt nicht als Einheit, sondern als ein multiples Netzwerk vereinheitlichender Elemente darzustellen. Diese aus praxistheoretischen Hintergründen kommenden Ansätze ähneln ethnographischen Forschungs- und Darstellungslogiken 24. Diesen Überlegungen folgend, orientiert sich die Gliederung der vorliegenden Arbeit zwar an analytischen Hauptkategorien, zugleich bildet sie aber ein collagenhaftes Netz aus mikroanalytischen Beschreibungen, die sich grob chronologisch am Forschungsablauf ausrichten. Die Unterkapitel variieren in Umfang und Tiefe und können auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sein, von kurzen Beschreibungen von Situationen im Stadtraum bis hin zu ausführlicheren Diskussionen analytischer Punkte. Die Arbeit reiht sich damit in »›performative‹ oder auf die Erfahrbarkeit der Komplexität zielende Formen der Repräsentation« 25 ein, so die Formulierung des Literatur- und Kulturwissenschaftlers Jens Martin Gurr. Im Gegensatz zur einfachen Darstellung einer Vielzahl an sites, d. h. in Bezug auf Wels einer Vielzahl an »Orten«, an denen Stadt von verschiedenen AkteurInnen »gemacht« wird, sollen hier auch die durchaus machtvollen Ungleichheiten thematisiert werden, die sich durch die sites ziehen und diese verbinden. Der Geograph Bernd Belina etwa kritisiert, dass eine rein auf das Aufzeigen von Diversität konzentrierte, kulturalisierte Zugangsweise, die machtgeladenen Zusammenhänge aus dem Blick verliert: Das Problem liegt vielmehr in der Entpolitisierung des jeweiligen Gegenstandes, d. h. darin, dass kulturalistisch betrachtet alle Gegenstände bestenfalls als unter-

22 Vgl. Schatzki (1996): Social practices; Schatzki (2002): Site of the Social; Schatzki (2003): Social Ontology. 23 Vgl. Latour u. a. (2006): Paris. 24 Vgl. Wietschorke (2012): Beziehungswissenschaft, S. 343; Schwertl (2013): Netzwerk, S. 116; Färber (2014): Potenziale. 25 Gurr (2014): Komplexität, S. 109.

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schiedlich, nie aber als selbst politisch, d. h. durch konkrete Interessengegensätze und Machtverhältnisse bestimmt erscheinen.26

Dementsprechend sollen – auch im Sinne relationaler Feldforschung – trotz der collagenhaften Darstellung die machtvollen Verbindungen zwischen den einzelnen Elementen eine zentrale Rolle spielen.

Städtevergleich Mit einer relationalen Perspektive auf Städte rückt auch der Vergleich von Städten ins Blickfeld, so folgt für David Bell und Mark Jayne aus der Forderung der Erforschung kleinerer Städte die Forderung nach mehr vergleichender Stadtforschung. Als zentrale Problematik benennen sie die Entwicklung von Ansätzen und Methoden zur Verallgemeinerung, die gleichzeitig Einzigartigkeit und Differenz berücksichtigen. Eine Schwierigkeit stellt dabei die gegenseitige Durchdringung verschiedener Praktiken über urbane Hierarchien hinweg dar, also die gegenseitige Vermischung verschiedener Städte 27. Eine Gefahr, die sich aus der Konzentration auf kleinere Städte ergebe, sei, dass diese nun im Sinne einer »kompensierenden« Forschung gleichermaßen wie Großstädte als abgegrenzte Einheiten untersucht würden. Deswegen sei es umso dringender, Verbindungen zu anderen Stadtgrößen und scales in der Städtehierarchie nicht zu vernachlässigen 28. So müssten kleinere Städte etwa häufig als Teil einer Stadtregion begriffen werden 29. Diese Herausforderung, die Spezifik kleinerer Städte zu erforschen, ohne dabei Stadtgrößen übergreifende und relationale Prozesse zu vernachlässigen, stelle sich, so Jayne und Bell, für die vergleichende Stadtforschung im Allgemeinen 30. Der Humangeograph Kevin Ward hat insbesondere auf die Problematik des Vergleichs in statischen Städtekonzeptionen hingewiesen. Er identifiziert dabei eine zentrale Problematik gegenwärtiger vergleichender Stadtforschung: In particular, it has to overcome a central problematic. Much of the contemporary nongeographical comparative literature on cities retains understandings of place, scale, and space that are rooted in the past. If there is to be a movement away from understanding cities as bounded and discrete units, and geographical scales as fixed and pre-given, is it still possible to perform comparative studies of cities? 31

26 27 28 29 30 31

Belina (2008): Slum, S. 17. Vgl. Bell u. a. (2009): Small Cities?, S. 692. Vgl. Ebd., S. 695. Vgl. Ebd., S. 691. Vgl. Ebd., S. 692. Ward (2008): Editorial, S. 406.

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Ward kritisiert an der gegenwärtigen Stadtforschung also die Konzeption von Ort, scale und Raum als fixe Einheiten und fragt, wie vergleichende Stadtforschung möglich ist, ohne Städte als begrenzte Container zu definieren. Als eine Voraussetzung zukünftiger vergleichender Stadtforschung fordert er, dass scales als sozial konstruiert konzeptualisiert werden. Analog sollen Städte nicht als separate und in sich abgeschlossene Objekte untersucht, sondern als offen, eingebettet und relational verstanden werden 32. Mit Bezug auf Jan Nijman, Ananya Roy und die Transnational Studies sieht Ward eine Möglichkeit für vergleichende Stadtforschung weniger im Vergleich zweier sich gegenseitig ausschließender Objekte, sondern vielmehr in der Aufmerksamkeit für die Verbindungen und Relationen zwischen diesen. Auch für Jennifer Robinson ergeben nur in wenigen Fällen das städtische Territorium oder auch der nationale Maßstab als Einheiten des Vergleichs Sinn. Vielfach sind es Prozesse – flows und Zirkulationen –, die städtische Grenzen durchdringen, bzw. kleinere Einheiten »unterhalb« des städtischen Maßstabs, die verglichen werden müssen. Auch die Verbindungen zwischen Städten selbst können sinnvolle Einheiten des Vergleichs bilden 33: »Within a topological imagination, making one’s way in a city commonly entrains a wide diversity of other places.« 34 Ward fordert daher einen relational comparative approach, der territoriale und relationale Aspekte von Städten gleichermaßen berücksichtigt, was für das Beispiel der Stadt Wels einen Fokus auch auf die Beziehungen zu anderen Städten bedeutet: Stressing interconnected trajectories – how different cities are implicated in each other’s past, present and future – moves us away from searching for similarities and differences between two mutually exclusive contexts and instead towards relational comparisons that uses different cities to pose questions of one another.35

Jennifer Robinson hat mit Bezug auf Arbeiten über wissenschaftlichen (Städte)Vergleich des Soziologen Charles Tilly 36, des Geographen Neil Brenner 37, des Politikwissenschaftlers Arend Lijphart 38 und des Soziologen Chris Pickvance 39 eine Typologie des Städtevergleichs zusammengestellt 40. Sie unterscheidet zwischen universalizing, variation-f inding, encompassing und individualizing comparison. Universalizing comparison sucht nach universalen 32 Vgl. Ebd., S. 407. 33 Vgl. Robinson (2011): World of Cities, S. 13 ff. Vgl. hierzu auch das Konzept der mobile urbanisms, McCann u. a. (2011): Mobile Urbanism. 34 Robinson (2011): World of Cities, S. 16. 35 Ward (2010): Relational comparative approach, S. 480. 36 Vgl. Tilly (1984): Big structures. 37 Vgl. Brenner (2001): World city theory. 38 Vgl. Lijphart (1971): Comparative politics. 39 Vgl. Pickvance (1986): Comparative urban analysis. 40 Vgl. Robinson (2011): World of Cities.

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Gesetzen, die sich auf möglichst viele Fälle anwenden lassen, und basiert in der Regel auf quantitativen Untersuchungen. Die Strategie der variation-f inding comparison setzt auf die Untersuchung weniger Fälle mithilfe von qualitativen und historischen Methoden. Die Entscheidung, welche Fälle und Variablen untersucht werden, stützt sich dabei meist auf bestehende Theorie, über welche abhängige und unabhängige Variablen definiert werden. In der Strategie der encompassing comparison werden verschiedene Fälle als Teil eines umfassenden, systemischen Prozesses (z. B. Kapitalismus, Globalisierung, Weltsystem etc.) gesehen, in welchem systematisch unterschiedene Beispiele oder Einheiten untersucht werden. Ein Nachteil für eine vergleichende Stadtforschung sei, so Robinson, dass die Fälle nach systemischen Kategorien unterschieden werden, die im Rahmen des jeweiligen »umfassenden« Systems gebildet würden. Daher würden a priori bestimmte Teilungen und Hierarchien eingeschrieben. Ein weiterer Nachteil sei die Vernachlässigung historischer Dimensionen. Würden die drei zuvor genannten Strategien des Vergleichs in erster Linie auf die Entdeckung universaler Kausalitäten bzw. deren Variationen abzielen, würden bei der individualizing comparison Relationen stets als historisch und spezifisch gedacht. Dabei sollten die spezifischen Ergebnisse der Fallstudie in einer Stadt durch expliziten oder impliziten Vergleich mit anderen Fallstudien erhellt werden. Damit könne auch gleichzeitig die spezifische Überlagerung verschiedener städtischer Prozesse herausgearbeitet werden: And in so far as cities are routinely sites of assemblage, and hence multiplicity, urban outcomes are often best characterized as emergent from multiple overlapping and intersecting processes and events. Contextual explanations, which speak to outcomes that are the result of the specific assemblage of diverse processes and actions, form an important part of understanding the causal processes at work in cities. On this basis we can identify many processes and phenomena that are common to different cities, albeit variously configured, or processes that stretch across more than one city leading us to attend to the connections and circulations through which cities already inhabit one other.41

In dieser Arbeit verfolge ich eine Kombination aus individualizing comparison und einem relational comparative approach: Zwar steht ein Einzelfall, die kleinere Stadt Wels, im Zentrum der Arbeit, dieser wird aber über die Erforschung von Relationen – Beziehungen der Stadt Wels mit anderen (größeren und kleineren) Städten – mit weiteren Fällen verknüpft. Die Stadt Wels soll daher nicht als separate und in sich abgeschlossene Einheit untersucht und mit anderen ebenfalls als separate Einheiten konzipierte Städte wie Wien oder Linz verglichen werden. Vielmehr werde ich die vielfältigen Relationen herausarbeiten, in denen Wels zu anderen Städten und Orten steht. 41 Ebd., S. 7.

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Forschungsdesign und -verlauf Das Forschungsdesign meiner Forschung in Wels als Teil des Forschungsprojektes zu »mittelstädtischen Urbanitäten« 42 sah dem eben beschriebenen Ansatz ethnographischer Forschung folgend einen breiten Zugang zu place-making und scaling practices vor. Die bereits diskutierten drei Dimensionen von doing place und doing scale lassen sich nach Johanna Rolshoven durch verschiedene Methoden erschließen. Die Dimension des symbolischen bzw. Repräsentationsraums werde insbesondere durch statistische Erhebungen sowie diskursanalytische Verfahren des Gedachten, Gesprochenen und Geschriebenen eröffnet, die materielle Dimension bzw. gebauter Raum durch Vermessung, die soziale Dimension bzw. gelebter Raum über empirische, ethnographische und soziographische Erhebungen 43. Um breiten Zugang zu diesen drei Dimensionen von Raum bzw. von place-making und scaling practices zu gewinnen, umfasste die Forschung einen ausgedehnten Feldforschungsaufenthalt vor Ort und ein breites Spektrum an Methoden bestehend aus teilnehmender Beobachtung, informellen Gesprächen, verschiedenen qualitativen Interviewformen mit BewohnerInnen und institutionalisierten AkteurInnen sowie weiteren Verfahren (wie Stadtgänge, mental maps, die Analyse schriftlicher, bildlicher und dinglicher Quellen). Dabei ließen sich Methoden aber nicht in der sauberen Weise wie in der oben angeführten Konzeption von Johanna Rolshoven den einzelnen Dimensionen von place-making und scaling practices zuordnen, vielmehr konnten über die meisten Methoden mehrere Dimensionen gleichzeitig untersucht wer-

42 Das vom FWF geförderte Forschungsprojekt »Mittelstädtische Urbanitäten. Ethnographische Stadtforschung in Wels und Hildesheim« lief von 2011 bis 2016 am Institut für Europäische Ethnologie an der Uni Wien und wurde von Brigitta Schmidt-Lauber geleitet. Die vorliegende Arbeit ist in engem Austausch mit einem sich immer wieder ändernden Projektteam entstanden, dem neben der Projektleiterin Katrin Ecker, Anna Eckert, Laura Gozzer, Wiebke Reinert und Lisa Welzel angehörten. Die Zusammenarbeit umfasste gemeinsame Besuche der Forschungsorte und Reflexionen über Forschungsverlauf und -erfahrungen, Interpretationen und Analysen von Forschungsmaterial und generelle Überlegungen zur Konzeption und Begriffsarbeit. Das Forschungsprojektteam stellte während der Feldforschung überdies erstrangig die antizipierte LeserInnenschaft meiner Feldnotizen dar und war dementsprechend auch ohne tatsächliche physische Anwesenheit während meiner Feldaufenthalte präsent. Die Monographie zu den Ergebnissen des Projektes erscheint parallel zur vorliegenden Arbeit, siehe Eckert u. a. (2019): Aushandlungen städtischer Größe. Für weitere Publikationen aus dem Projektkontext siehe SchmidtLauber (Hg.) (2018): Andere Urbanitäten; Wolfmayr (2018): Maßstab; SchmidtLauber u. a. (2016): Doing City; Schmidt-Lauber u. a. (2016): Städtische Befindlichkeiten; Wolfmayr (2016): Über Größe und Kleinheit; Eckert u. a. (2014): Mittelstadtmarketing. 43 Vgl. Rolshoven (2012): Raum, S. 164 f.

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den (siehe weiter unten bei den Methodenbeschreibungen). Zugleich konnte ich nicht auf alle von Johanna Rolshoven angeführten Aspekte gleichermaßen eingehen – eine quantitative Erhebung war im Rahmen der Forschung etwa nicht vorgesehen. Das Feldforschungsdesign sah konkret drei Phasen der Forschung vor. In einem ersten, einführenden Schritt widmete ich mich statistischen Daten 44, ausgewählten historischen Quellen wie Chroniken und Jahrbüchern und lokalen Zeitungen sowie Werbematerialen der Stadt, um hegemoniale Diskurse, Zuschreibungen und Images bzw. das imaginaire und die Spezifik der Stadt zu fassen. Dies diente als Hintergrundwissen für den darauf folgenden Feldforschungsaufenthalt vor Ort. Dieser stellte den zweiten Schritt dar und umfasste einen siebenmonatigen Aufenthalt in Wels, von März bis September 2012, für den ich eine Wohnung in der Innenstadt von Wels mietete, in der ich durchgängig lebte. Ziel des zweiten Schrittes war es, place-making und scaling practices in ihrer Einbettung in Alltage zu ethnographieren. Im Zentrum standen insbesondere alltägliche Begegnungen, (teilnehmende) Beobachtungen sowie vielfältige Gespräche und Interviews mit BewohnerInnen wie auch institutionalisierten AkteurInnen. In einem dritten Schritt vertiefte ich das erhobene Material durch einen erneuten Feldaufenthalt, wofür ich wieder eine Wohnung, diesmal am Stadtrand, von September bis Dezember 2013 anmietete. Zwischen den Phasen widmete ich mich der Analyse des Materials und holte Rückmeldungen über Vorträge oder Workshops ein. Die vorliegende Arbeit bezieht sich überwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, auf die ersten beiden Phasen der Forschung. Im Folgenden sollen die einzelnen Methoden und die Ansätze, denen ich dabei folgte, kurz dargestellt werden.

Teilnehmende Beobachtung Auch wenn der ethnographische Zugang die gesamte Forschung bestimmte, gilt er insbesondere für die Methode der teilnehmenden Beobachtung, wobei ich mich für das konkrete methodische Vorgehen in erster Linie an Robert M. Emerson, Rachel I. Fretz und Linda L. Shaw und deren Leitfaden zum Schreiben ethnographischer Feldnotizen orientierte 45. Teilnehmende Beobachtung mit dem Vorsatz, das Erlebte aufzuschreiben, sensibilisierte mich für die Umgebung. Ich nahm diese »schriftlich« wahr und überlegte, in welche Worte

44 Bezeichnend ist, dass für Wels wenig statistisches Material (z. B. auf der Ebene von Stadtteilen) und generell wenige Studien verfügbar sind, wohingegen zu Wien und wohl generell zu Großstädten und Metropolen jährlich eine Fülle von wissenschaftlichen Arbeiten erscheint und Statistiken zu einzelnen Bezirken und Stadtteilen leicht zugänglich sind. 45 Vgl. Emerson u. a. (2011): Fieldnotes.

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ich sie fassen konnte – eine »Konversion des Blickes« 46 als »Art und Weise zu schauen« 47, welche Pierre Bourdieu auch als Funktion der Fotografie identifizierte. Ich versuchte an möglichst unterschiedlichen Situationen teilzunehmen, um einen breiten Zugang zur Stadt zu erhalten und Schneeballeffekte zu vermeiden. Obwohl insbesondere zu Beginn des Feldaufenthaltes eine große Multiperspektivität das Ziel war, kam es bald und wiederholt zu Schließungen. Im Laufe der Forschungen kristallisierten sich also systematische Selektionen heraus, die teilweise, jedoch nicht immer umgangen werden konnten und einer Reflexion sowie einer Integration in die Analyse bedurften. Der Weg durch das Feld stellte also eine zentrale Kontextualisierungsquelle für mein Material dar. Insbesondere versuchte ich durch teilnehmende Beobachtung Zugang zu place-making und scaling practices zu erhalten, indem ich mich für verschiedene soziale Felder und die Rolle der Stadt in diesen interessierte. Im Mittelpunkt standen Nutzungen des Stadtraums, Interaktionen und Netzwerke, Rhythmen, Tagesabläufe, alltägliche Wege und räumliche Differenzierungen in der Stadt. Teilnehmende Beobachtung stellte eine besonders wichtige Methode dar, da sie Zugang zum Zusammenhang von gebauter Umwelt, symbolischer Aushandlung und alltäglicher Praxis und zur Frage, welche Rolle in diesen drei Dimensionen die Position der Stadt spielt, ermöglichte.

Interviews Neben teilnehmender Beobachtung versuchte ich insbesondere durch verschiedene qualitative Interviewformen place-making und scaling practices zu erschließen. Dabei war auf verschiedene Art und Weise das Verhältnis von erzählter und gelebter Stadt von Interesse. Auch wenn die Interviews keinen direkten Zugang zur gelebten Stadt lieferten, ließen sie trotzdem Verweise auf diese zu. Die Relevanz von Interviews auch für praxisbezogene Ansätze streicht Andreas Reckwitz heraus: Interviews ›über‹ die Praktiken und ihr Wissen sind eben nicht die Praktiken selbst. Aber die geäußerte Rede im Rahmen von Interviews kann ein Mittel liefern, um indirekt jene Wissensschemata zu erschließen, welche die Praktiken konstituieren (vor allem im Falle von Praktiken, die selber wenig natürliche Rede enthalten). Der Lackmustest für die auf diese Weise vermuteten impliziten Wissensschemata besteht darin, daß sie zu dem materialen, beobachteten Anteil der Praktiken ›passen‹ müssen.48

46 Bourdieu (2003): Algerien, S. 48. 47 Ebd., S. 25. 48 Reckwitz (2008): Praktiken, S. 196 f.

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Als einen methodischen Schwerpunkt der Feldforschung versuchte ich über sogenannte wohnortbiographische Interviews place-making und scaling practices auch eine zeitliche, nämlich biographische Dimension abzugewinnen. Dazu forderte ich BewohnerInnen von Wels auf, mir ihre Lebensgeschichte in Bezug auf ihre verschiedenen Wohnorte, an denen sie bisher gewohnt hatten (innerhalb und außerhalb von Wels), zu erzählen. Damit orientierte ich mich einerseits an der Offenheit der Interviewform des biographischen Interviews 49, andererseits gab es aber eine inhaltliche Setzung meinerseits 50. Fragen in Bezug auf die Interviews waren etwa, wie BewohnerInnen einzelne Abschnitte und Brüche in Bezug auf die »ganze« Biographie erzählten. Welche Rollen schrieben sie einzelnen Momenten und eben auch einzelnen Räumen und Städten zu? An welcher Normbiographie, an welcher normative trajectory 51 orientierten sich BewohnerInnen? Was erschien als Ziel in den Lebensgeschichten? War Wels das Ziel, der Endpunkt der Biographien oder ein Übergangsort, ein temporärer Verweilort, ein hybrider Raum, in dem das eigene Leben nicht vollständig aufging? Oder war Wels der Startpunkt, von dem aus sich die Welt eröffnete, das eigene Leben entwickelte, den man aber hinter sich ließ, um ein anderer zu werden? Inwiefern blieben die erzählenden und erzählten Personen in den verschiedenen Räumen konstant? Welche eigenen Veränderungen schilderten die InterviewpartnerInnen in Bezug auf bestimmte Räume? Von welcher Position aus wurden die Narrative erzählt? In den biographischen Erzählungen meiner InterviewpartnerInnen ließ sich darüber die Verwicklung von Raum und Lebensgeschichte erkennen, welche Rolle also verschiedenen Räumen in bestimmten Lebensabschnitten zugewiesen wurde und wie über diese Räume Lebensgeschichten erzählbar wurden. Biographien betrachtete ich also nicht unabhängig, sondern in Relation zur Stadt. Die Erzählungen zeugten davon, wie sich die BewohnerInnen an ihren Wohnorten einrichteten, wie sie Subjektivitäten an gewisse Orte banden und auch immer wieder zur Disposition stellten, vor allem zu Zeitpunkten, die von ihnen aus gegenwärtiger Perspektive als Abschluss oder Anfänge von Lebensabschnitten gesehen wurden 52. Dabei rekurrierten BewohnerInnen in ihren Erzählungen auf verschiedene Positionen der Stadt Wels und ordneten so ihre 49 Vgl. Rosenthal (1995): Lebensgeschichte; Rosenthal (2010): Lebensgeschichte. 50 D. h. auch, dass ich die verschiedenen Ebenen der Interviews zu unterscheiden, analysieren und in Bezug zueinander zu setzen versuchte. Dazu zählte neben der manifesten Erzählung auch die Gegenwartsperspektive und das Darstellungsinteresse der InterviewpartnerInnen, die Beziehung zwischen mir als Forscher und den InterviewpartnerInnen als Beforschten, die Interviewsituation selbst, aber auch die Form der Selbstdarstellung, d. h. die Nähe zum »offiziellen Modell der offiziellen SelbstPräsentation«, Bourdieu (1990): Die biographische Illusion, S. 79. 51 Vgl. Benson (2014): Trajectories, S. 3104. 52 Vgl. in Bezug auf den Topos das »damals« Schröder (2005): Topoi.

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vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Lebensräume. In ihren Erzählungen kommen damit die Vielfältigkeit der Relationierungen von Wels zum Ausdruck, aber auch Gemeinsamkeiten in der Art der Bezugnahme auf die Stadt. An Städte werden bestimmte Selbstverständnisse gebunden bzw. über diese stabilisiert, wie auch die Soziologin Michaela Benson schreibt: »[. . . ] residential mobilities are telling of the processes by which identities are created spatially, shedding light on how individuals negotiate, context and position themselves at the intersections of geographical and social space« 53. Oftmals stellten die InterviewpartnerInnen dabei Unterschiede zwischen Städten heraus 54, um klar zu machen, welcher Wohnort zu ihnen »passt« und beschrieben damit eine Art Ort-Habitus-Homologie 55, einen sense of one’s place 56. So definierten sich manche BewohnerInnen etwa als »Stadtmensch« 57 und artikulierten damit ein bestimmtes Verhältnis von Raum, Habitus und Subjektivierung. Manche BewohnerInnen grenzten sich von ihrem Wohnort ab, betonten, dass dieser gerade nicht zu ihnen passt, und artikulierten damit das Fehlen eines sense of belonging 58. Vorstellungen vom guten Lebensort waren dabei entscheidend. Während sich BewohnerInnen dabei auf verschiedene Marker bezogen, die Städte überhaupt erst unterscheidbar machen, und auf gängige Narrative über spezifische Städte (etwa Wien als überheblich) oder bestimmte Stadtkategorien (etwa Großstadt als laut) zurückgriffen, performten sie auch selbst diese Relationen, indem sie mir ihre Perspektiven verständlich machten 59. Zentral waren dabei die vielfältigen Bezugnahmen auf Städterankings sowie die negative Evaluierung von Wels in diesen. Oft bezogen die Interviewten Stellung zu einem »Schlechtreden« der Stadt, was Aufschluss darüber gab, was sie der Rechtfertigung für nötig befanden 60. Solche wohnortbiographischen Erzählungen spielten auch in Alltagssituation jenseits speziell dafür durchgeführter Interviews immer wieder eine Rolle, etwa wenn sich Studierende der örtlichen Fachhochschule über ihre Pläne nach dem Studium unterhielten. Ähnlich den wohnortbiographischen Interviews ermöglichten Stadtinterviews Zugang zu den Narrativen über Wels. Diese Interviews waren noch-

53 Benson (2014): Trajectories, S. 3101. 54 Vgl. in Bezug auf vergleichendes Erzählen Schröder (2005): Topoi, S. 33; Lehmann (2007): Erfahrung, S. 180 ff. 55 Vgl. Bourdieu (1991): Raum; Bourdieu (1997): Ortseffekte. 56 Vgl. Bourdieu (1985): Social Space, S. 728. 57 Vgl. dazu auch Benson (2014): Trajectories, S. 3103. 58 Vgl. Ebd., S. 3109. 59 Für einen Überblick über das Forschungsfeld biographisches Sprechen und Erzählen als biographisches Handeln am Beispiel des Erzählens über Prekarität siehe Sutter (2013): Prekarität, S. 82 ff. 60 Vgl. dazu auch Schmidt-Lauber u. a. (2016): Städtische Befindlichkeiten.

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mals stärker themen- bzw. problemzentriert 61, etwa wenn Interviews bestimmte Stadtteile oder Themen wie Freizeit, Wohnen, soziale Netze oder Versorgung zum Inhalt hatten. Über einen Leitfaden fand in diesen Interviews eine klare Relevanzsetzung von meiner Seite statt. Neben erzählgenerierenden Fragen zu den einzelnen Themen kam es zudem wiederholt zu Nachfragen meinerseits. Über die Erzählungen verschiedener BewohnerInnen in den wohnortbiographischen sowie den Stadtinterviews wurde klar, was es heißen kann, in Wels zu wohnen und in welche Relationen die Stadt zu anderen Städten und Orten gesetzt wurde, was aus der Sicht der BewohnerInnen also Unterschiede zwischen verschiedenen Städten und Stadtkategorien ausmachte. Welche Kriterien und Begriffe sie zur Unterscheidung verwendeten, wies auf die situative Gebundenheit der Typologisierungen hin, die oft gängige Begriffe wie Klein-, Mittel- und Großstadt unterliefen, indem sie differenzierter oder auch pauschaler waren und eine grundsätzlich prozessuale Offenheit sowie teilweise auch Widersprüchlichkeiten enthielten. So konnte die Stadt Wels für ihre BewohnerInnen unterschiedliche Dinge bedeuten. Trotz dieser grundsätzlichen Offenheit räumlichen Bedeutens kristallisierten sich in der Forschung zu Wels spezifische, dominante Narrative heraus, die an die verschiedenen Positionen der Stadt gebunden sind und oftmals auch in Zusammenhang mit allgemeineren Erzählungen, etwa vom Gang in die Großstadt oder des Hängenbleibens in der Kleinstadt, stehen. Zielten wohnortbiographische Interviews sowie Stadtinterviews mehr auf Narrative, mit denen über Stadt gesprochen wurde, d. h. die symbolische Dimension von Raum ab, versuchte ich mit Rhythmeninterviews und dazugehörigen mental maps sowie mit Stadtgängen einen direkteren Zugang zur gelebten Stadt zu bekommen. In den Rhythmeninterviews ließ ich mir von BewohnerInnen, ausgehend von mental maps, ihre alltäglichen Wege und Orte erklären. Für die Karten hatten die InterviewpartnerInnen zu Beginn des Interviews Zeit, um auf leeren A3-Bögen mental maps ihrer alltäglichen Wege und Orte anzufertigen, ohne sich dabei auf die Stadt beschränken zu müssen. Im Anschluss führte ich ein Rhythmeninterview, bei welchem mir die InterviewpartnerInnen die gezeichneten Karten als auch Tagesabläufe und damit die räumliche Dimension ihrer Alltage beschrieben. Oftmals führte ich mit derselben Person ein wohnortbiographisches und ein Rhythmeninterview, um zeitliche und räumliche Ebenen zu verbinden. Obwohl ich dadurch auch auf die gelebte Stadt schließen konnte, spielte bei den Rhythmeninterviews die Narrativierung des räumlichen Alltags eine zentrale Rolle, das Verfahren nahm insofern eine Zwischenposition ein.

61 Vgl. Schorn (2000): Das »themenzentrierte Interview«; Witzel (2000): Das problemzentrierte Interview.

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Stadtgänge ermöglichten mir einen intensiveren Zugang zu gelebter Stadt. Ich führte sie in zwei Ausprägungen durch, beide beinhalteten meine Ko-Präsenz im physischen Raum der Stadt und stellten eine mobile Interviewform dar 62. In der ersten Form forderte ich BewohnerInnen dazu auf, mir ihre Stadt zu zeigen, d. h. die für sie wichtigsten Orte und Wege. Hier bekam ich insbesondere Zugang zur Verwicklung individueller mit institutioneller bzw. offizieller Repräsentationen der Stadt und deren Zusammenhang mit der physischen Stadt. So wurde etwa immer wieder klar, wie an konkrete, physische Orte gleichzeitig individuelle Geschichten und Images gebunden waren. In der zweiten Form begleitete ich InterviewpartnerInnen auf ihren alltäglichen Wegen und zu ihren alltäglichen Orten, d. h. hier stellten mir die BewohnerInnen weniger ihre Stadt und mehr ihren Alltag vor, womit der Stadtgang der Methode der go-alongs nahe kommt 63. Für beide Ausprägungen galt, dass der physische Raum als evokatives Element Narrative hervorrief. Stadtgänge verstehe ich durch das Teilen einer gemeinsamen Praktik, nämlich Bewegen im Stadtraum 64, als zwischen Interview und Teilnehmender Beobachtung angesiedelt und als eigene Form einer place-making practice 65. Schließlich führte ich für Fragen nach place-making und scaling practices von Institutionen sowie für Hintergrundinformationen Interviews mit institutionalisierten AkteurInnen durch, etwa mit der lokalen Stadtmarketinggesellschaft, mit Vereinen und lokalen GeschäftsinhaberInnen. Hier hatten die Interviews zum Teil rekonstruierenden Charakter – wenn es etwa um strukturelle Daten über die Stadt ging –, zum Teil konstruierenden Charakter, etwa wenn Formen institutionalisierten Sprechens über den Ort im Fokus standen 66.

Analyse schriftlicher, bildlicher, multimedialer und dinglicher Quellen Neben Teilnehmender Beobachtung und Interviews stellte die Analyse von schriftlichen, bildlichen, multimedialen und dinglichen Quellen einen dritten methodischen Zugang dar. Zur Formalisierung orientierte ich mich an der Diskursforschung des Soziologen Reiner Keller 67, welcher Diskurse als Versuche versteht, »Bedeutungszuschreibungen und Sinn-Ordnungen zumindest auf Zeit zu stabilisieren und dadurch eine kollektiv verbindliche Wissensordnung

62 Vgl. Kusenbach (2003): Street Phenomenology; Evans u. a. (2011): Walking interview. 63 Vgl. Kusenbach (2003): Street Phenomenology. 64 Vgl. Lee u. a. (2006): Fieldwork. 65 Vgl. Pink (2008): Urban tour. 66 Vgl. Gläser u. a. (2010): Experteninterviews, S. 11 ff. 67 Vgl. Keller (2004): Diskursforschung.

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in einem sozialen Ensemble zu institutionalisieren« 68. Sprechen und Schreiben werden dabei als soziale Praktiken gefasst, wobei in erster Linie der Gebrauch der Sprache von Interesse ist 69 und die Situiertheit und Materialität von Aussagen Berücksichtigung findet, d. h. die Positionen und Relationen von Aussageproduzenten und – rezipienten; die institutionellen Settings und deren Regeln; inszenierte und ›naturwüchsige‹ Ereignisse, die zu Anlässen für die Aussagenproduktion werden [. . . ]; mediale Kontexte ihres Erscheinens [. . . ]; allgemeinere gesellschaftliche Kontexte [. . . ]; schließlich auch bestehende Machtkonstellationen eines diskursiven Feldes 70.

Dabei werden unterschiedliche Datenformate wie textförmige Daten (Bücher, Gesetzestexte, Anweisungen, Zeitungsartikel, Interview- und Diskussionsprotokolle u. a.), audiovisuelle Daten (Bilder, Filme, Musik), Vergegenständlichungen in Objekten (z. B. Kirchengebäude, Kelch, Talar usw.) sowie beobachtbare soziale Praktiken (etwa Demonstrationen, symbolische Gesten) 71

in Betracht gezogen. Schriftliche, bildliche, multimediale und auch dingliche Quellen verstehe ich dem folgend als in soziale Praktiken eingelagert und als Elemente in place-making und scaling practices – Stadt und deren Positionen werden also sowohl medial als auch über Dinge ausgehandelt. Für die Analyse von Architektur und Stadtgestalt habe ich mich insbesondere an der Architektursoziologie der Soziologin Silke Steets orientiert. Diese unterscheidet als Analyseebenen Externalisierung als das Entwerfen und Bauen von Gebäuden, Objektivationen als die Gebäude selbst und Internalisierung als Aneignung derselben 72. Insbesondere interessierte ich mich für die Stadtgestalt und Gebäude als entworfene, objektivierte und angeeignete scaling devices.

Feldmaterial Das generierte Feldmaterial, das von mir umfassend kodiert wurde, bestand schließlich zu einem großen Teil aus von mir angefertigten Feldnotizen, die teilnehmende Beobachtungen an Plätzen, bei Veranstaltungen, in Stadtteilen, Lokalen, von Situationen etc. sowie Reflexionen enthielten. Dazu kamen 79 Interviews mit 68 Personen (d. h. ich führte mit bestimmten Personen mehrere, zum Teil auch unterschiedliche Interviewformen durch),

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Ebd., S. 8. Vgl. Ebd., S. 9. Ebd., S. 99 f. Ebd., S. 86 f. Vgl. Steets (2015): Architektursoziologie.

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die digital aufgezeichnet wurden und mehrheitlich von mir sowie von projektexternen Personen transkribiert wurden. Darunter sind 35 Interviews mit 35 institutionalisierten AkteurInnen und 44 Interviews mit 33 BewohnerInnen (18 männlich, 15 weiblich). Alle Namen – außer von institutionalisierten AkteurInnen, in wenigen Fällen auch von diesen – wurden anonymisiert. Alle Altersangaben wurden in Mitte / Ende / Anfang / rund-Angaben verallgemeinert. Wo für die Anonymisierung nötig, wurden überdies weitere Kennzeichen der Personen vergröbert. Kontextinformationen zu den sprechenden Personen wie Alter, Beruf und Bezug zu Wels werden nur bei der jeweilig ersten Anführung der Person genannt, außer sie haben direkten Bezug zur jeweiligen Passage. Im Anhang befindet sich zur Orientierung und zum Nachschlagen eine Liste der in der vorliegenden Arbeit angeführten Personen, in welcher die zentralen thematischen Punkte in Bezug auf die jeweilige Person angeführt sind. Diese Personenliste unterscheidet sich von der Interviewliste, die sich ebenfalls im Anhang befindet und welcher alle interviewten Personen aufgelistet sind. Einen dritten umfassenden Teil des Feldmaterials stellte das gesammelte Quellenmaterial dar, das aus Stadtentwicklungsplänen, Flyern, Medienbeiträgen, Parteiprogramme etc. aus Gegenwart und Vergangenheit bestand.

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4. ZUGÄNGE Als erstes Kapitel, das auf ethnographisches Feldforschungsmaterial zurückgreift, soll das vierte Kapitel einen Überblick über die zentralen Forschungsstränge während meines Feldaufenthaltes in Wels geben. Anknüpfend an die in Kapitel zwei ausgearbeitete Konzeption einer Stadt als Praxis und der Herstellung von Städterelationen über place-making und scaling practices werden nun meine konkreten Zugänge zu Wels dargestellt. Zuerst soll es um mein eigenes Ankommen und Einleben in der Stadt sowie um Bilder von der Stadt gehen, auf die ich bereits vor meinem Feldaufenthalt stieß. Den Abschluss des Kapitels bildet das erste von mehreren Porträts verschiedener BewohnerInnen der Stadt.

Wels von Wien und Linz aus und das imaginaire der Stadt Lange bevor ich im Rahmen der Forschung meinen Lebensmittelpunkt nach Wels verlagerte, wurde ich in Gesprächen mit KollegInnen und FreundInnen in Wien und Linz mit Wels als Ort meiner Forschung konfrontiert. Dabei waren Narrative zu Wels oftmals entweder stark negativ gefärbt oder schlicht nicht vorhanden – die Stadt war vielen kein Begriff. Diese (fehlenden) Einschätzungen zu Wels sagen gleichermaßen etwas über die Stadt wie über die Personen aus, welches diese Vorbehalte der Stadt gegenüber artikulierten. Zentral waren daher auch die strukturellen, etwa habituellen oder in die Interview- bzw. Gesprächssituation eingelagerte Gründe für die spezifischen Bezüge zur Stadt. Im Folgenden sollen die angeführten Beispiele im Sinne eines reflexiven Gewahrwerdens einen Eindruck davon vermitteln, mit welchen Bildern von der Stadt im Gepäck ich in Wels mit der Feldforschung begann. Viele dieser Schilderungen von Wels, auf die ich vorab stieß, standen – so bemerkte ich erst später im Forschungsprozess – in Zusammenhang mit Bildern und Erzählungen, die vor Ort kursierten.

Wels als »Proletenstadt« und Stadt der Auslassung Wenn ich davon erzählte, dass ich in einem Forschungsprojekt über Mittelstädte arbeitete und bald über die Stadt Wels eine Forschung durchführen und überdies über mehrere Monate dort leben würde, blickten mich meist verwunderte Gesichter an. Viele fragten mich, was mich denn an dieser Stadt interessiere und ob ich tatsächlich in Wels wohnen wolle, wo die Stadt doch langweilig und wenig bedeutsam sei. Auch in wissenschaftlichen Zusammenhängen kam es immer wieder zu Abgrenzungen – und einer Art von »Provinzstadtwitz«: So schien der Vorschlag, im Rahmen einer Konferenz mit einer Exkursions-

gruppe selbst nach Wels zu fahren, für eine Mitorganisatorin absurd und gab für Gelächter Anlass. Die Beteuerung, dass die KonferenzteilnehmerInnen sicher interessiert sein und mitfahren würden, wurde mit dem Scherz beantwortet, dass diese aber auch noch nie dort gewesen seien – und deswegen nicht wissen könnten, wie wenig sie dort zu erwarten hätten. Die Zuschreibungen waren mitunter sozial geprägt. Katrin Punz, Mitte zwanzig und eine Freundin aus Linz, fragte mich etwa, was ich denn in Wels wolle, die Stadt sei doch nur eine »Proletenstadt« 1, und auch ein anderer Freund glaubte später, die BewohnerInnen von Wels als »ein bisschen proletoider« 2 einschätzen zu können. In diesem Narrativ von Wels als Stadt der Arbeit, Industrie und Unkultiviertheit verdichtete sich mit Bezug auf die industrielle Prägung von Wels und einer damit verbundenen Milieuzuschreibung bereits jene Abgrenzung zur Stadt, auf die ich später während der Forschung immer wieder treffen sollte. Die Vergleiche und die Abgrenzungen zwischen Wels und Linz, letzteres wird heute als Kulturstadt beworben 3, und die damit häufig verbundene Frage, welche Stadt die »bessere« sei, spielten während meiner Feldaufenthalte immer wieder eine Rolle – wohl auch, weil beide Städte eine industrielle Vergangenheit teilen. Analytisch lassen sich die Bilder und Vorstellungen von einem Ort mit dem Begriff imaginaire fassen. Damit ist mit Rolf Lindner das Gesamt »historisch gesättigter Vorstellungen« 4 gemeint, die Stadt als von »Geschichte und Geschichten durchtränkter, kulturell kodierter Raum« 5 ausmachen, ein Vorstellungsraum, der sich über die physische Stadt legt, und damit Teil der symbolischen Dimension von place-making und scaling practices ist. Die negative Prägung dieses imaginaires von Wels verweist darauf, dass an Städte und generell an Orte oftmals unmittelbar Narrative der Bewertung gebunden sind, die diese verallgemeinernd unter bestimmte Labels fassen. Dies mag neben einer generellen Tendenz hin zu Wettbewerbs- und damit Evaluationskulturen 6 nicht zuletzt daran liegen, dass diese Narrative auch eine Möglichkeit darstellen, sich selbst in Gesprächssituationen räumlich und damit auch sozial zu positionieren. Die milieubezogene Abwertung von Wels in der Formel der »Proletenstadt« stellt aber nicht nur eine individuelle Positionierung dar, sondern steht in Zusammenhang mit einer postindustriellen Stigmatisierung. In dem Ausmaß, dass

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Feldnotiz, 12. 02. 2012. Feldnotiz, 24. 09. 2013. Vgl. Laister (2004): Schöne neue Stadt. Lindner (2008): Textur, imaginaire, Habitus, S. 86. Ebd. Vgl. Tauschek (2012): Wettbewerbskulturen.

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»die Formen industrieller Arbeit an symbolischer Wertschätzung« 7 verlieren, erfahren auch die Orte industrieller Prägung eine Abwertung 8. Parallel zu solchen negativen Narrativen zur Stadt war vor allem auch die Abwesenheit von Narrativen auffällig. In vielen Gesprächen stellte sich heraus, dass Personen in Wien und Linz oftmals keine eigene Erfahrung von Wels oder – im Extremfall – gar kein Wissen über die Stadt hatten. Viele kannten Wels überhaupt nicht, nur »vom Durchfahren« oder vom Konzert der Rockgruppe AC/DC auf dem Welser Flugfeld, das zwei Jahre vor meinem ersten Feldaufenthalt stattgefunden hatte und von vielen Fans aus der Umgebung besucht wurde – auch von vielen, die sonst nicht nach Wels gefahren wären. Bezeichnenderweise stieß ich dann vor Ort in Wels auf ein Onlinevideo auf der Internetplattform YouTube aus dem Jahr 2012, welches von der monatlich erscheinenden, teils liberal, teils rechtspopulistisch auftretenden und die Stadtentwicklung thematisierenden Welser Gratiszeitung Monatliche produziert worden war und sich unter dem Titel »wel(t)sreise« mit dieser Leerstelle beschäftigt 9. Im Video werden am Stephansplatz in Wien PassantInnen nach ihrem Wissen über Wels befragt. Die meisten der im Video zu Wort kommenden PassantInnen wissen zwar, dass Wels ein Ort in Österreich ist, können diesen aber nicht weiter oder nur negativ beschreiben, auch das extra abgefragte Welios Science-Center – ein Aushängeschild der Stadt, das kurz zuvor eröffnet hatte – kennt niemand. Das Video zeigt insbesondere, dass die Leerstelle auch in Wels wahrgenommen und thematisiert wird. Dieses Fehlen an Aufmerksamkeit für die Stadt verweist auf den in Kapitel zwei genannten Begriff der Stadt »off the map«, mit dem Jennifer Robinson jene Städte bezeichnet, die keine (wissenschaftliche) Beachtung erfahren 10. Während von Städten wie New York, London, Berlin und auch Wien Bilder in globalen flows zirkulieren, die auch jene Menschen erreichen, die nie in diesen Städten waren – und die mitunter gar nicht wissen, dass der Aufdruck auf ihrem Shirt einen realen Ort, Stadtteil oder Strand bezeichnet (z. B. Venice Beach LA) –, und symbolische Verdichtungen das imaginaire diese Städte prägen, ist Wels selbst für viele BewohnerInnen der benachbarten Landeshauptstadt ein unbekannter Ort – ein Hinweis auf die geringe Reichweite des städtischen imaginaires von Wels und die Ungleichheit symbolischen Kapitals verschiedener Orte. In dieser Hinsicht kann die Abwesenheit von Narrativen als eine symbolische scaling practice gefasst werden, als performative Praxis der Auslassung, die über den Blick auf Lücken und auf die Stellen, über welche geschwiegen wird, aufgedeckt werden kann – eine Strategie, welche die Literaturwissenschaftlerin

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Wietschorke (2010): Industriekultur, S. 43. Vgl. Reckwitz (2009): Selbstkulturalisierung; Reckwitz (2012): Kreativität, S. 269 ff. Vgl. Monatliche (2012): Wels Reise. Vgl. Robinson (2002): World cities; Robinson (2006): Ordinary Cities.

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und Mitbegründerin der postkolonialen Theorie Gayatri Spivak in ihrer Arbeit zu Subalternen mit Bezug zum Ansatz des measuring silences verfolgt 11. Dieser wurde vom Philosophen Pierre Macherey geprägt und meint eine bewusste Hinwendung zu den Auslassungen in Texten als Spuren der Exklusion.

Wels als unglamouröser Forschungsgegenstand Trotzdem ich in Linz aufgewachsen war, von wo aus Wels in etwa einer halben Stunde erreichbar ist, hatte auch ich vor meiner ersten bewussten Forschungsreise wenig klare Bilder von der Stadt im Kopf. Zwar war ich regelmäßig, wenn auch selten, in Wels. Aber weder bei den Besuchen meiner Verwandten, noch bei den Einkäufen beim Großhändler führte mich der Weg in die Innenstadt. Vielmehr waren es gezielte Stippvisiten, die keine Bilder und Vorstellungen von der Stadt als Ort bei mir hinterließen. Außerdem hatten sich meine Besuche in der Stadt merklich reduziert, seit ich für mein Studium Linz verlassen hatte und nach Graz umgezogen war. Meine letzte Anwesenheit in Wels lag mehrere Jahre zurück als ich wieder, diesmal für die Forschung, in die Stadt kam. Meine Eindrücke von der Stadt waren trotz meiner regelmäßigen Anwesenheit in jüngeren Jahren nebulös und profillos – Wels war auch für mich eine Stadt »off the map«. Dass ich alles in allem die Orte, die in der wissenschaftlichen Literatur zu kleineren Städten angeführt werden, kaum kannte und beinahe nie selbst besucht hatte, verweist auf einen Punkt, den vermutlich viele ForscherInnen in kleineren Städte teilen: Im Gegensatz zu den großen Städten und Metropolen (etwa Paris, Berlin, London oder New York), in die mich verschiedene – insbesondere touristische – Reisen geführt hatten und von denen ich somit neben Eindrücken aus Filmen, Artikeln und Büchern auch Erfahrungen aus erster Hand hatte, war mein Wissen zu kleineren Städten (etwa zum von David Bell und Mark Jayne beforschten Stoke-on-Trent – einer Stadt, von der ich zuvor nie gehört hatte) bis auf die selbst beforschten Städte beinahe ausschließlich vermittelt. Angesichts meiner eigenen scheinbaren Unvoreingenommenheit war es überraschend für mich, wie schnell ich mich in Gesprächen vor meinen Feldaufenthalten in einer Rechtfertigungsposition wiederfand und begann, die Stadt zu verteidigen, Vorzüge aufzuzählen oder meine Freude darüber auszubreiten, endlich mal aus Wien raus zu kommen. Mir wurde bewusst, wie ich mich manchmal selbst über die Langeweile von Wels lustig machte oder gerade den schlechten Ruf und die soziale Brisanz als herausstehendes und damit besonders untersuchenswertes Merkmal betonte, und führte mir meine eigenen Normativitäten und Habitualisierungen vor Augen.

11 Vgl. Spivak (1988): Subaltern, S. 286.

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Meine Reaktionen spiegelten nicht zuletzt die eigene Inkorporierung urbaner Normierung sowie die Zwänge des akademischen Feldes, das eigene Forschungsfeld groß und relevant zu machen – und es schließlich im »Raum der Werke« ansehnlich zu platzieren 12. Unterschiedliche Forschungsorte versprechen ungleich viel »wissenschaftliches Prestige«, das Pierre Bourdieu als eine spezifische Machtform und Reputationskapital im akademischen Feld fasst 13. Auch in wissenschaftliche Praktiken sind also – vielfach unterschätzte – symbolische und materielle scaling practices eingelagert. Es blieben mir zwei Möglichkeiten, meinem Forschungsfeld Wichtigkeit zu verleihen: Entweder konnte ich die große Bedeutung von Wels herausstellen und die Relevanz der eigenen Forschung über das Gewicht der Stadt begründen. Oder ich konnte mich selbst von der Stadt distanzieren und die schlechten Eigenschaften in ihrer Negativität groß machen. Ich befand mich damit bereits selbst mitten im Spiel der Relationen zwischen den Städten und deren Bewertungen. Schon im Versuch, im Sinne wissenschaftlicher Argumentation die Wahl des Gegenstandes zu rechtfertigen und Begründungen zurechtzulegen, um das Thema in verschiedenen – wissenschaftlichen oder freundschaftlichen – Gesprächszusammenhängen zu plausibilisieren, hatte, ohne dass ich mir dessen bewusst war, die Datengenerierung begonnen. Ich war bereits damit beschäftigt, im Sinne eines doing scale die Stadt, mein Forschungsfeld und damit meine Forschung narrativ zu positionieren. In der Folge wurden die symbolischen Aushandlungen der negativen Position von Wels ein zentraler Forschungsstrang meiner Arbeit. Dabei interessierte mich, wie verschiedene AkteurInnen mit der Stigmatisierung der Stadt umgingen und welche diese in verschiedenen Feldern spielte. Stigmatisierung und Aushandlung von Zuschreibung als symbolische place-making und scaling practices ziehen sich dementsprechend durch verschiedene Teile der vorliegenden Arbeit. Das folgende, fünfte Kapitel beschreibt die Prägung des imaginaires des industriell-modernen Wels und des Labels der Einkaufsstadt in den 1960er und 1970er Jahre sowie die zunehmende Stigmatisierung und Entstehung des Niedergangsnarrativ von Wels im Rahmen von Kulturalisierungsprozessen ab den 1980er Jahren. Im sechsten Kapitel analysiere ich gegenwärtige Formen der Stigmatisierung der Stadt sowie professionelle Formen der Produktion von Image sowie den Umgang mit der Stigmatisierung von Wels in der Alternativszene der Stadt. In Kapitel acht analysiere ich zwei Orte in der Stadt, die als Symbol der Stigmatisierung gelten, sowie die Tätigkeit von »Verbesserungsvereinen«. Einen

12 Vgl. dazu Bourdieu (1988): Homo Academicus. 13 Eine systematische Untersuchung der Verteilung der in der interdisziplinären Stadtforschung untersuchten Städte könnte demnach Aufschluss über Leerstellen und besonders prestigeträchtige Forschungsorte geben.

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Ausblick auf Vermarktungsbestrebungen der neuen Regierung nach dem politischen Rechtsruck der Stadt im Jahr 2015 bietet das Kapitel neun.

Ankommen in Wels, Standort und das Entwickeln von Routinen Die Unterkunft für meinen ersten, siebenmonatigen Feldaufenthalt in Wels hatte mir meine Cousine, die in Wels aufgewachsen war, vermittelt. Anfang März 2012 bezog ich das Zimmer in einer Wohngemeinschaft, die überwiegend aus Studierenden der Fachhochschule bestand. Im Gegensatz zu meinem zweiten Feldaufenthalt, bei dem ich dann am Rande der Stadt wohnte (und der in der vorliegenden Arbeit eine nebensächliche Rolle spielt), befand sich das Zimmer beim ersten Aufenthalt im Zentrum, was bedeutete, dass ich alle für mich wichtigen Orte in der Innenstadt zu Fuß erreichen konnte und nicht auf das öffentliche Nahverkehrssystem angewiesen war. Da mein innerstädtischer Wohnort meine alltäglichen Routinen prägte, stand die Innenstadt im Mittelpunkt meines ersten Feldaufenthaltes. Ich versuchte zwar, möglichst viele Räume der Stadt kennen zu lernen und immer wieder die mir bekannten Wege zu verlassen. Doch wenn ich auch für Interviews und Beobachtungen andere Räume und Orte aufsuchte, kehrte ich allabendlich wieder in die Innenstadt zurück. Die Innenstadt beschreibt dabei einen durch Straßen abgegrenzten Stadtraum, der sich klar von den umliegenden Stadtteilen Pernau, Neustadt und Lichtenegg abhebt und auch als solcher erkannt wird. Sie umfasst im Gegensatz zu vielen kleineren Städten und Dörfern nicht nur eine Durchfahrtsstraße, an der Geschäfte aufgereiht sind, sondern ein durch zwei Plätze bzw. Straßen umrissenes Quadrat, in dem sich zentrale Institutionen, wie etwa die Busumsteigeinsel, die Fußgängerzone und der Stadtplatz, das Rathaus und das Magistrat, Lokale und Cafés befinden (siehe Karte von Wels im Einband). Die Innenstadt ist damit das Zentrum der Stadt, auf das die BewohnerInnen – etwa bei Amtsgängen – angewiesen sind. Zu Beginn hieß es für mich, mir meinen Alltag in der Stadt einzurichten, eigene Rhythmen und Wege zu finden und mich allgemein in der Stadt zurechtzufinden. Oft war ich dabei auf Ratschläge und Hinweise – etwa: Wo ist der nächste Supermarkt? Wie lange fährt der Bus? Wo bekomme ich nachts noch etwas zu essen? – von den wenigen Leuten, die ich kannte, angewiesen. Immer wieder wurden mir Hinweise auf Orte mit der Anmerkung gegeben, dass ich – sollte ich den Ort nicht finden – PassantInnen fragen könne, da alle Auskünfte geben könnten. »Den Merkur kennt eh jeder«, versicherte mir etwa meine Vermieterin an meinem ersten Abend in Wels für den Fall, dass ich die Supermarktfiliale nicht entdecken würde. Und tatsächlich war »der Merkur« – die Filiale wurde inzwischen geschlossen –, wie sich in späteren Gesprächen herausstellte, eine zentrale Institution für viele BewohnerInnen der Innenstadt

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bzw. der angrenzenden Stadtteile. Dieses Wissen über die Innenstadt mag nicht zuletzt an ihrer Funktion als klares Zentrum und ihrer geringen räumlichen Ausdehnung liegen. In einem Stadtgang beschrieb beispielsweise Stefan Fischer, der um die vierzig Jahre alt ist, in Wien studiert hat und seit mehreren Jahren wieder in Wels wohnt, nicht ohne Ironie die Überschaubarkeit der Innenstadt und resümierte, als wir gerade am Kaiser-Josef-Platz standen: Die Innenstadt, die ist untergliedert [lacht] in den KJ, Kaiser-Josef-Platz, wo wir jetzt gehen. Parallel dazu dann durch die Fußgängerzone unten ist der Ring und dann parallel dazu ist dann der Stadtplatz. Das ist die Innenstadt.14

Überschaubarkeit bedeutet dabei nicht nur eine geringe räumliche Ausdehnung und strukturelle Ausdifferenzierung, sondern auch Fußläufigkeit und ein gewisses Verhältnis aus Anonymität und Vertrautheit, wie die Bewohnerin Claudia Wolkinger, Ende dreißig und rege Nutzerin der Innenstadt, in einem Rhythmeninterview erzählte: Nein, ich find die Innenstadt einfach voll schnuckelig. Und die zum Beispiel fällt für mich in die Kategorie, du hast alles zu Fuß jetzt einmal erreichbar, auch wenn du von dem anderen Eck ins andere Eck musst. Es ist aber trotzdem überschaubar [. . . ]. Grundsätzlich bin ich eine, die in die Innenstadt fährt, weil ich mag das Schlendern, das Dahinmarschieren und dann triffst wieder irgendwen und dann ratscht wieder und so.15

Die Innenstadt, in die man »hinein« gehen kann, stellt einen Raum dar, an den eigene Subjektivitäten und Praktiken gebunden werden. Neben dem Zufußgehen, dem Schlendern und dem Smalltalk mit bekannten Personen im Stadtraum wird dies explizit in der Schilderung der Bewohnerin Birgit Wagner, Mitte sechzig und Pensionistin, mit Bezug auf den Stadtrand: Ich bin ein ausgesprochener Innenstadtmensch. Die Peripherie interessiert mich überhaupt nicht. Aber gut, ich hab dort auch nichts zu tun. Ich kann meine Bedürfnisse da [in der Innenstadt] sehr gut befriedigen.16

In diesen Beispielen zeigt sich eine räumliche Differenzierung der Stadt, die ich auch an meinen eigenen Rhythmen bemerkte: Während für mich alle wichtigen Orte der Innenstadt fußläufig erreichbar waren und sich durch meine oftmalige Frequentierung ein Gefühl der Überschaubarkeit der Stadt einstellte, waren die um die Innenstadt liegenden Stadtteile wie Pernau, Neustadt oder Lichtenegg kaum Teil meiner alltäglichen Wege, außer wenn ich sie bewusst aufsuchte.

14 Interview Stefan Fischer. 15 Interview Claudia Wolkinger. 16 Stadtgang Birgit Wagner.

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Als schwierig erwies sich für mich zu Beginn die Entscheidung, welche Personen ich kennenlernen, an welchen Orten ich mich aufhalten und an welchen Veranstaltungen ich teilnehmen sollte – also die Auswahl meiner Fälle bzw. die Begrenzung meines Feldes. Obwohl Wels in Vergleich zu den Städten, in denen ich bisher gelebt hatte, nämlich Linz, Graz und Wien, kleiner war und damit die Möglichkeiten des Zugangs begrenzter waren als in den genannten Städten, war es doch unmöglich, einen umfassenden Eindruck zu bekommen. Schon in kleinen Forschungssettings wie einer Schulklasse, einem Labor oder einem Stadtplatz ist es schwierig, im Auge zu behalten, was alles gleichzeitig passiert, und umso schwieriger ist es in einer Stadt. Die Gefahr war aufgrund der kleineren Größe der Stadt der Illusion zu erliegen, ich könne die Stadt als Ganzes fassen, als gäbe es einen privilegierten Zugang, über den sich die gesamte Stadt erschließen lasse (siehe dazu auch das Kapitel »Ethnographie als Zugang«). Wenn in der Stadt schon »nichts los« sei, es »um nichts« gehe und »kaum etwas passiert« (siehe dazu das Kapitel ». . . und der schlechte Ruf: Marginalisierung in Kulturellen Ökonomien«), dann müsste es doch möglich sein, dieses Wenige umfassend zu erkennen und generelle Aussagen darüber treffen zu können, so die Idee. Bald wurde jedoch klar, dass es auch in einer im Vergleich kleineren Stadt wie Wels keineswegs möglich ist, allseitig Zugang zu bekommen oder über privilegierte Zugänge die Stadt insgesamt zu fassen. Numerische Größe als Gradmesser für die Erfassbarkeit eines Feldes hat sich in diesem Zusammenhang als wenig zielführend erwiesen. Meine anfängliche Zeit in Wels stand in starkem Kontrast zu meinen kindlichen und jugendlichen Welser Erfahrungen im Rahmen der Verwandtenbesuche oder der Einkäufe bei einem der Großhändler am Stadtrand, bei denen ich kaum ein Bild von Wels gewinnen konnte. Nun hatte ich das Gefühl wirklich in der Stadt zu sein und Stadtleben in Wels zu erleben und nicht wie bei meinen vergangenen Erfahrungen zwar im Stadtraum zu sein, aber dennoch in Bezug auf Wels indifferente Orte zu besuchen. Dieses Gefühl, in der Stadt zu sein und die Stadt zu erleben, stellte sich im Laufe der Forschung als zentral nicht nur für mich, sondern auch in den Schilderungen verschiedener BewohnerInnen heraus. Erstens war daran die Frage geknüpft, inwiefern und für welche BewohnerInnen die Stadt im Sinne eines sense of place als Ort wahrnehmbar ist, und zweitens, welche Möglichkeiten der Teilhabe im Sinne eines sense of belonging die Stadt schafft. Angesichts eines Bedeutungsverlustes der Innenstadt und des damit verbundenen imaginaires und symbolischen Ortes der Einkaufsstadt Wels waren Aushandlungen über die zukünftige Füllung dieser Lücke und damit verbundene neue Exklusionen von großer Bedeutung während meiner Feldaufenthalte. Diese Suche nach dem guten Ort ist angesichts der Imperative der Produktion, Nutzung und Inwertsetzung von Orten im Kulturalisierungsprozess besonders aufgeladen.

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Raumnutzungen zwischen Überschaubarkeit und Anonymität Die im vorangegangenen Unterkapitel angeführte Überschaubarkeit der Stadt stellte sich im Laufe des Feldaufenthaltes bald als eine zentrale sozialräumliche Kategorie dar, über welche mir BewohnerInnen die Stadt erklärten. Überschaubarkeit soll im Folgenden im Kontext der weiter oben konzipierten Stadtforschung jenseits der Großstädte als ein Bündel von place-making und scaling practices greifbar werden.

Wege durch die Stadt und der urbane Blick Wenn von Überschaubarkeit die Rede war, bezogen sich viele BewohnerInnen der Stadt auf eine für sie zentrale Erfahrung: das Treffen auf vertraute Gesichter beim Bewegen durch die Stadt. Damit betrifft Überschaubarkeit eine der zentralen Forschungsperspektiven der kulturwissenschaftlichen Stadtforschung wie sie Thomas Hengartner, Waltraud Kokot und Kathrin Wildner als Bewegung im Stadtraum benannt haben. Bezeichnenderweise meinen sie aber gerade nicht die Bewegung in einer als vertraut empfundenen Umgebung, sondern stellen den flow als Charakteristikum städtischer Räume heraus, der Zugänge zur Wahrnehmung städtischer Umwelten schafft. Diesen flow bringen sie in Zusammenhang mit paradigmatischen urbanen Orten, worunter sie insbesondere Verkehrslinien durch die Stadt wie U-Bahn oder Busse verstehen, die sie wiederrum »als Medium, das eine besonders städtische Art und Weise des Verhaltens und des (Nicht-) Kommunizierens verlangt« 17, fassen. In diesem Kontext entwickle sich einer »urbaner Blick«, ein »gewollter oder ungewollter Verlust des angeregten und anregenden Sehens in Anbetracht urbaner Überkomplexität« 18. Dieser »urbane Blick« ließe sich auf die generelle sinnliche Wahrnehmung der Stadt erweitern, wie auch Thomas Hengartner anmerkt 19. Gemeint sind »urbane Lebensweisen« wie sie Hengartner als volkskundliches Stadtforschungsfeld identifiziert 20. Hengartner bezieht sich dabei auf den Begriff der »inneren Urbanisierung«, den der Empirische Kulturwissenschaftler Gottfried Korff zur Beschreibung einer historischen, habituellen Eingewöhnung in städtische Umwelten vorschlug 21. Eine aktuelle Konzeption in diese Richtung städtischer Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen stellt das Konzept eines urbanen Habitus dar, wie es Peter Dirksmeier entwirft. Urbanität versteht

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Hengartner u. a. (2000): Forschungsfeld Stadt, S. 13. Hengartner (2005): Stadtforschung, S. 72. Vgl. Hengartner (1999): Wahrnehmung, S. 20. Vgl. Ebd., S. 15. vgl. Korff (1985): Großstadt.

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Dirksmeier »als eine in den Habitus der Akteure verankerte Kapitalform« 22 und macht sie an den Begriffen Fremdheit, Individualisierung und Kontingenz als strukturelle Merkmale der Stadtgesellschaft fest 23: »Urbanität lässt sich somit definieren als Kontingenz der Stadtgesellschaft auf der Grundlage von Individualisierung und omnipräsentem Fremdkontakt.« 24 Urbanität sieht Dirksmeier nun auch als in bestimmten Teilen des ländlichen Raumes vorherrschend und spricht demnach von einer ubiquitären Urbanität. Diesem Ansatz folgend wird die Defizitperspektive auf städtisches Leben in Wels schnell klar – Wels erscheint weniger als urban, sondern als überschaubar. Die Ausprägungen städtischen Lebens in Wels kommen damit aber nicht in den Blick. Die Konzeptionen des urbanen Blicks und des urbanen Habitus sind insofern metrozentristisch, als sie in großstädtischen Feldern entwickelt wurden, den jeweils spezifischen Zusammenhang von städtischer Materialität, symbolischen Zuschreibungen und sozialen Praktiken vernachlässigen sowie die Prozessualität, Umkämpftheit und den Aushandlungscharakter von städtischem Leben außer Acht lassen.

Der überschauende Blick In meinen ersten sozialen Interaktionen vor Ort zeigte sich die zentrale Rolle des alltagspraktischen Konzeptes der Überschaubarkeit in verschiedenen Dimensionen der Stadt wie dem Bewegen durch den Stadtraum, dem Umfang verschiedener Konsumangebote, dem Wissen über die Stadt oder einer als soziale Kontrolle wahrgenommenen Enge. Diese Überschaubarkeit wurde oft explizit benannt, etwa wenn mir die Stadt erklärt wurde und generell Charakteristika der Stadt artikuliert wurden. Dabei steht Überschaubarkeit in einem Spannungsverhältnis mit dem oben angeführten urbanen Blick. Wie das Beispiel der Stadt Wels (und wohl vieler anderer kleinerer oder größerer Städte) zeigt, ist städtisches Leben (auch am Land) weit weniger homogen als eine ubiquitäre Urbanität vermuten ließe. Wenn die Wahrnehmung von Fremdheit heute normalisiert wäre, warum betonen dann so viele der BewohnerInnen von Wels Überschaubarkeit als eine zentrale Erfahrungskategorie in der Stadt? Gleichzeitig lässt sich diese aber auch schwer als (ausschließlich) nicht-urban interpretieren. Hier zeigt sich eine Ambivalenz von Überschaubarkeit: Das Treffen auf bekannte Gesichter im Stadtraum ist zwar von einer der klassischen Konzeption von Urbanität entgegenstehenden Vertrautheit geprägt, diese wird aber

22 Dirksmeier (2006): Urbanität, S. 221. 23 Dieser Forschungsstrang schließt auch an die Konzeption von Georg Simmel und Louis Wirth an (siehe dazu auch das Kapitel »Stadtforschung jenseits metrozentristischer Stadtmodelle«). 24 Dirksmeier (2006): Urbanität, S. 224.

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im Kontext eines als öffentlich und anonym empfundenen Raumes erlebt 25. Überschaubarkeit beschreibt im Falle von Wels keine totale Aufhebung von Anonymität, keine vollkommene Einbettung in eine als vertraut empfundene Umgebung, wie es idealisierten Vorstellungen vom dörf lichen Leben entspricht, sondern ein Verhältnis von Nähe und Distanz, das laufend ausgehandelt wird, wie im Folgenden gezeigt. Im Anschluss an die weiter oben ausgeführte Kritik an normativen und universalistischen Urbanitätskonzeptionen kann im Kontext meiner Forschungsergebnisse in Bezug auf Wels also keinesfalls von einer homogenen weil einheitlich ubiquitären Urbanität der Stadtbevölkerung gesprochen werden. Zu unterschiedlich waren – auch gerade in Bezug auf die drei von Dirksmeier angeführten Kriterien Fremdheit, Individualisierung und Kontingenz – die verschiedenen Lebens- und Wahrnehmungsweisen vor Ort. Vielmehr stehen sich verschiedene Vorstellungen von Stadt, Wahrnehmungsweisen im städtischen Raum und damit verbundene Praktiken im Stadtraum gegenüber und beanspruchen verschiedene Bevölkerungsgruppen im Rahmen unterschiedlicher Praktiken das Label, urban zu sein.

Überschaubarkeit, place-making und scaling practices Im Sinne der in Kapitel zwei beschriebenen Offenheit und einer Pluralisierung von Urbanität, soll im Sinne von Stadt als Praxis also nicht vorab ein bestimmter Blick oder ein bestimmter Wahrnehmungs- oder Lebensmodus als urban festgelegt werden. Vielmehr will ich untersuchen, welche Wahrnehmungsmodi mit welchen städtischen Materialitäten und symbolischen Zuschreibungen in Wels in Zusammenhang stehen und wie sich diese unterschiedlichen Formen der Wahrnehmung durchaus widersprechen und unterschiedlich als (nicht) urban verstehen. Es geht also um konfligierende Zusammenhänge von Stadtraum, Körper und Vorstellungen von Stadt und Ort in place-making und scaling practices. Der Topos Überschaubarkeit war nicht an eine bestimmte BewohnerInnengruppe oder an einen bestimmten Ort und auch nicht an eine bestimmte Erhebungsmethode gebunden, vielmehr tauchten Aspekte von Überschaubarkeit in verschiedensten Zusammenhängen auf. Folglich spielt der Bezug auf Überschaubarkeit in diversen Teilen der Arbeit eine Rolle. Zuerst hat das Kapitel sechs das als »leer« empfundenen Zentrum der Stadt zum Inhalt, dann

25 Welcher dieser Pole – Anonymität oder Vertrautheit – der maßgeblichere ist, lässt sich nicht entscheiden. Eine solche Gewichtung wäre aus Perspektive der Raumforschung auch wenig gewinnbringend, müsste doch einer der beiden als grundsätzlicherer Containerraum konzipiert werden, der jeweils vom anderen Pol beeinflusst bzw. »gestört« wird.

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das Kapitel sieben die verschiedenen Dimensionen von Überschaubarkeit und die damit verbundenen Vorstellungen von Stadt, schließlich das Kapitel acht die Diskurse um (Un)Sicherheit im Stadtraum und die Wahrnehmung einer Bedrohung der Stadt als auch der Überschaubarkeit von sich abgrenzenden, zunehmend die Innenstadt meidenden Bevölkerungsteilen.

Tiefenbohrung: Place-making und scaling practices in der jungen Alternativ- und Punkszene in Wels Auf einen ersten Zugangsort zur Stadt machte mich mein Vermieter aufmerksam. Nach dem Kennenlernen fragte ich ihn, was man denn hier in der Stadt machen könne, woraufhin er scherzhaft auf die »linken Zecken« im »Irish«, einem Irish Pub um die Ecke, verwies und dann lachend seine Aussage relativierte und festhielt, er sei selber »links-liberal« 26. Seine Beschreibung der Gäste des Pubs und seine Abgrenzung von der Gruppe zeugten von einer sozial-räumlichen Zuordnung und verwiesen auf soziale Differenzierungen in der Stadt – auch hier gibt es einzelne bekannte Gruppen bzw. Szenen, welche im Stadtraum identifizierbar sind. Wenige Tage nach dem Gespräch mit meinem Vermieter besuchte ich das »Irish« zum ersten Mal. Die Kneipe stellte sich in der Folge als strategischer Ort der Forschung heraus, der mir Zugang zur Stadt bot und über den ich BewohnerInnen kennenlernte und mir Kontakte vermittelt wurden. Insbesondere war 27 das Pub Treffpunkt einer Gruppe vorrangig junger Erwachsener, die sich als alternativ und antifaschistisch verstanden und in deren alltägliche Leben und Möglichkeiten in der Stadt sowie ihre Perspektiven auf ihren Wohnort ich Einblick bekam. Im Irish Pub traf sich speziell eine Altersgruppe, die in Wels im Vergleich zu vielen größeren Städten einen geringeren Anteil an der Bevölkerung ausmacht, da viele junge BewohnerInnen Anfang zwanzig der Stadt den Rücken zukehren und Möglichkeiten in anderen Städten – etwa in Wien zu studieren – wahrnehmen 28. 26 Feldnotiz, 06. 03. 2012. 27 Ich schreibe hier in der Vergangenheitsform, da die Szene heute in der damaligen Form nicht mehr existiert (siehe dazu das Kapitel »Place-destruction practices: Das Ende des ›Irish‹«). 28 So hat in Österreich Wels (13,89 %) in Vergleich zu den Universitätsstädten Wien (15,81 %), Graz (19,63 %), Linz (15,63 %), Salzburg (13,90 %) und Innsbruck (20,66 %) einen niedrigeren Anteil der Bevölkerung im Alter von 20 bis 29 Jahren, vgl. Statistik Austria (2016): Bevölkerung. Das Jugendfilmfestival YOUKI, das Filme von Jugendlichen im Alter von 10 bis 26 Jahren prämiert, zielt unter anderem auf diese Altersgruppe – was auch Auswirkung auf die städtische Atmosphäre hat: Wenn er Jugendliche über den Stadtplatz gehen sehe, wisse er, dass YOUKI ist, meinte ein

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Um die Ecke des Endes der Welser »Fortgehmeile« Hafergasse und gegenüber des antifaschistischen Infoladens gelegen, befand sich das Irish Pub etwas abseits vom sonstigen Trubel des Welser Nachtlebens (siehe Karte von Wels im Einband). Der Bereich vor dem Lokal wurde im Sommer Teil des Lokals, wenn Gastgartentische aufgebaut wurden und Leute aus dem Infoladen nach ihren Plena und Veranstaltungen das Lokal besuchten oder den Bereich zwischen Irish Pub und Infoladen bevölkerten, indem sie etwa die Couch aus dem Infoladen ins Freie stellten. Der kleine, letzte, südlichste Teil der Fußgängerzone war damit ein Refugium für all jene, die mit dem sonstigen Angebot an Lokalen in Wels, welche sich entweder in der Hafergasse oder an anderen Orten der Innenstadt befanden, wenig anfangen konnten. Gemeinsam mit dem Infoladen lag das Irish Pub also zwar im Zentrum der Stadt, hier aber dennoch am Rande und damit an einer jener »fringe locations«, an denen sich auch in anderen Städten viele Lokale des alternative nightlifes befinden 29. Für mich war das Irish Pub dementsprechend ein Zugang zu einer Gruppe in Wels, die sich selbst nicht als Zentrum der Stadt, sondern als ihr Rand empfand. In meiner Tiefenbohrung innerhalb der Pub-Szene konnte ich untersuchen, wie von den BesucherInnen und Betreibern des Lokals auf verschiedene Weise verhandelt wurde, was Wels und »Stadt« sein soll – in Gesprächen, aber auch im Handeln und im materiellen Setting des Ortes. Die Gruppe rund um das Irish Pub ließ sich als »Szene« insofern begreifen, als sie keine strikt von der dominanten Gesellschaft abgegrenzte Subkultur darstellte, welche von durchgängig eigenen kulturellen Formen geprägt war. Sie umfasste vielmehr »thematisch fokussierte kulturelle Netzwerke von Personen, die bestimmte materiale und / oder mentale Formen der kollektiven Selbststilisierung teilen und Gemeinsamkeiten an typischen Orten zu typischen Zeiten interaktiv stabilisieren und weiterentwickeln« 30, so eine Definition der Soziologen Ronald Hitzler, Thomas Bucher und Arne Niederbacher, an der ich mich im Folgenden orientiere. Auch die untersuchte Szene in Wels war thematisch fokussiert und teilte »typische Einstellungen und entsprechende Handlungsund Umgangsweisen« 31, Symbole und Rituale als auch Szenetreffpunkte wie das Irish Pub, über die Zugehörigkeit inszeniert und Handlungen Sinn verliehen werden konnten. Über das Pub und dessen Kundschaft wussten die SzenegängerInnen Bescheid und konnten einschätzen, wann welche Personen anwesend sein würden. Diese Funktion als Gesinnungsgemeinschaft ist

Mitarbeiter der Kultureinrichtung Medienkulturhaus. Und auch mir fiel eine höhere Anzahl an Jugendlichen und jungen Erwachsenen – sowie eine stärkere Präsenz englischer Sprache – in der Zeit des Festivals im Stadtraum auf. 29 Vgl. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 197 f. 30 Hitzler u. a. (2005): Szenen, S. 20. 31 Hitzler u. a. (2010): Szenen, S. 17.

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ein maßgeblicher Grund, die Gruppe als Szene zu begreifen, da sie dadurch über einen Freundeskreis hinausgehoben wurde. Bezeichnend ist jedoch für die Gruppe, dass die Funktion als Freundeskreis bzw. Clique die Funktion als Szene immer wieder zu überlagern schien. So waren persönliche Kontakte aufgrund der geringen Größe der Gruppe zu einem Großteil der Szene üblich, überdies gab es kaum spezifische Szeneevents oder eigene Szenemedien, die Ronald Hitzler und Arne Niederbacher als kennzeichnend für Szenen betrachten 32. Wie von Anja Schwanhäuser für die Berliner Szene des Techno-Underground beschrieben, ist auch die Alternativ- und Punkszene in Wels eine Gruppe, »die in ihren Normen und Werten, in ihrer Stadtraumnutzung und ihren Vergemeinschaftungsformen die heutige Stadt als Erlebniszusammenhang herstellt« 33. Eine besondere Dynamik bekommt die Konstitution der Szene jedoch angesichts der Aushandlung der überschaubaren Stadt. Ist für Anja Schwanhäuser die Szene des Berliner Techno-Underground in der Tradition Georg Simmels und Siegfried Kracauers der Inbegriff der Großstadt und wird gerade durch die Szene »das fluide Gebilde Stadt zur Stadt« und »Berlin zu Berlin in seiner heutigen symbolischen Form« 34, begreife ich die Alternativ- und Punkszene in Wels als Ort des Versuchs der Überwindung einer als kleinstädtisch wahrgenommenen Überschaubarkeit. Wie auch in Bezug auf Überschaubarkeit war hier forschungsleitend, die Szene nicht schlicht als defizitär und weniger urban im Vergleich zu großstädtischen Szenen – etwa dem Berliner Techno-Underground – zu begreifen, sondern gerade die Aushandlungen von Stadt und städtischem Leben ins Zentrum der Untersuchung zu rücken. Mein Interesse war, wie in den Praktiken der Alternativszene rund um das Irish Pub place-making und scaling practices eingeschrieben waren. In den einzelnen Kapiteln zur Szene rund um das Irish Pub wird dem mit verschiedenen Schwerpunkten und mit Bezug auf einzelne Hauptthemen der Arbeit nachgegangen. In Kapitel sechs spüre ich der »Irishness« als emotionalen Rahmen und thematischen Fokus der Szene nach, der als eine Antwort auf die stigmatisierte Stadt verstanden werden kann. Das Aufwachsen in einer alternativen Topographie der Stadt ist in Kapitel sieben Thema. Dabei interessieren mich Formen des enactments von Stadt in der Szene als Aushandlung von Überschaubarkeit, insbesondere Ausgehen als Raumpraxis. Schließlich stehen in Kapitel neun die Schließung des Irish Pub und eine Destabilisierung der Szene im Zentrum.

32 Vgl. Ebd., S. 18 ff. 33 Schwanhäußer (2010): Underground, S. 16. 34 Ebd.

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Porträt I: Wels als Arbeitsort – Christian Müller Ähnlich wie ich lebten auch viele andere BewohnerInnen von Wels nur temporär in der Stadt, etwa um in einem der örtlichen Unternehmen zu arbeiten oder an der Fachhochschule zu studieren. Oftmals waren die Erzählungen dieser BewohnerInnen – was das Angebot, aber auch die Stigmatisierung der Stadt betraf – von einer Indifferenz gegenüber der Stadt geprägt. Die Stadt wurde in erster Linie genutzt und nicht erzählt. In den Schilderungen dieser BewohnerInnen über das Einleben in der Stadt oder über Kontaktmöglichkeiten spiegelten sich nicht zuletzt meine eigenen Erfahrungen zu Beginn der Feldforschung. Christian Müller, Mitte zwanzig, lebte zum Zeitpunkt des Interviews seit eineinhalb Jahren in Thalheim bei Wels, einer benachbarten Marktgemeinde, die von Wels nur durch den Fluss Traun getrennt ist. Christian Müller war im ländlichen Raum in Süddeutschland aufgewachsen und hatte in Stuttgart eine Tischlerausbildung absolviert. Auch sein Vater ist gelernter Tischler und plant Gaststätten, seine Mutter besitzt einen Schreibwarenladen. Über ein Unternehmen war er schließlich nach Wels gekommen. Mit Christian Müller führte ich einen Stadtgang durch, bei dem er mir »sein« Wels zeigte. Ich hatte ihn bei einer Theateraufführung des Jugendwerks kennengelernt, einer Jugendorganisation der evangelischen Kirche der Stadt, für die er sich engagiert. Wir kamen nach der Aufführung ins Gespräch und gingen dann noch in größerer Gruppe in eine Bar. Die Veranstaltung stellte für ihn wie für mich eine Möglichkeit dar, neue Leute kennen zu lernen. Er war schnell bereit, den Stadtgang mit mir zu machen und schien generell aufgeschlossen für neue Kontakte – was nicht zuletzt an seinem temporären Aufenthalt in der Stadt lag, wie im Folgenden deutlich wird. Für den Stadtgang trafen wir uns in seiner Wohnung in Thalheim. Er zeigte mir die selbst gebaute Einrichtung, die er – in Voraussicht auf viele Umzüge – bewusst leicht transportfähig geplant hatte. Im Laufe des Stadtganges präsentierte mir Christian Müller die für ihn wichtigsten Orte in der Stadt. Seine Erzählungen währenddessen thematisierten seinen Umzug nach Wels, die Situation neu in der Stadt zu sein und die Möglichkeiten, die sich ihm boten. Seine biographische Perspektive auf Wels konzentrierte sich also auf die Fragen: Wie lernt man neue Leute kennen? Welche Infrastruktur zum Kennenlernen bietet eine Stadt wie Wels? In seinen Erzählungen zeigten sich Möglichkeiten der Annäherung an Wels und Habitualisierungen städtischer Rhythmen und Strukturen. Bevor wir uns auf den Weg machten, zeigte er mir von einem Aussichtspunkt, einem kleinen Türmchen des Hauses in Thalheim, in dem sich seine Wohnung befand, die Stadt Wels. Mit Blick auf seinen Arbeitsort auf der anderen Seite des Flusses Traun kam er auf den Grund für seinen Aufenthalt zu

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sprechen: »Wie man da hinten sieht, das ist der Grund, warum ich hier bin. Ich meine, Wels sehe ich nach wie vor so. Es ist eine Industriemessestadt, viel Wirtschaft. Das ist ja auch der Grund, dass ich nach Wels gezogen bin, wegen der Arbeit.« 35 Christian Müller ist in einem Dorf in Baden-Württemberg aufgewachsen. Nach der Schule zog er für ein Jahr nach Augsburg und besuchte danach die Gewerbliche Schule für Holztechnik in Stuttgart. Dort schloss er die Fachrichtung Möbel- und Innenraumgestaltung nach zwei Jahren ab. Nach der Ausbildung wollte Christian Müller nicht mehr handwerklich arbeiten und entschied sich für ein Planungsbüro. Über dieses kam er schließlich nach Wels, wo er heute Verkaufsflächen für Geschäfte plant. In seinem Lebensweg nach Wels spiegelte sich nicht zuletzt die ökonomische Ausrichtung der Stadt, sind in Wels doch »viele Firmen ansässig, die für uns als Kunden in Frage kommen«, erklärte Christian Müller. Generell betonte er für die Region eine Konzentration von Unternehmen im »wirtschaftlichen Produktionsbereich« und stellte die gute Lage von Wels an der Autobahn und die schnelle Erreichbarkeit vieler anderer Städte von Wels aus heraus. Sein Arbeitsort in Wels liegt im WDZ, dem Welser Dienstleistungszentrum, mit dessen Bau 1996 begonnen wurde. Das WDZ nimmt als größere Ansammlung von Bürokomplexen Raum nahe der Innenstadt ein und zeigt als Ort für »vorwiegend die freien Berufe, Ziviltechniker, Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater, Handelsunternehmen sowie Körperschaften und viele andere« 36 die jüngere ökonomische Entwicklung der Stadt an. Im Interview resümierte Christian Müller in einer längeren Passage seinen Umzug nach Wels und seine Nutzung der Stadt: Christian Müller: »Und die hat eine Stelle in Wels ausgeschrieben. Ich hab mir dann halt überlegt: Wieso eigentlich nicht? Österreich wär doch auch ganz cool!« GW: »Aber du wärst nicht von selbst sozusagen auf Wels gekommen oder was?« Christian Müller: »Nein. Ich kannte Wels ja vorher nicht mal. Bevor ich hierhergezogen bin, also ich mein, sind ja 70.000 Einwohnerstadt und über die Grenzen Österreichs nur sehr gering bekannt. Und von daher, es war dann schon so am Anfang: Wels, ja okay, Linz ist nicht weit weg [lacht]. Aber in der Zwischenzeit denke ich, Wels ist keine Weltmetropole, es ist nicht endlos, aber man kann sich damit arrangieren und es ist ganz okay. Also seinen Alltag verbringen kann man hier auf jeden Fall und ich sag immer für mich, ich hab eine Kletterhalle, ich hab ein Jugendwerk, mit denen ich hin und wieder was machen kann, und meine Arbeit ist auch hier. Das reicht mal für das meiste. Und wenn ich mal zum Wochenende irgendwie weggehen will, dann gibt es halt keine Alternativen. Weiß nicht, wie du deine Wochenenden, wenn du hier bist. Da geht man halt mal zum was trinken 35 Interview Christian Müller. 36 Wohnbau-West Immobilienverwaltung GmbH (o. J.): Dienstleistungszentren.

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in das Estilo, wegen mir manchmal Kreuzbeisl, wo mal ein bisschen Party ist, aber das ist auch immer so – wenn du mit ein paar coolen Leuten dort bist, ist es ganz lustig. Und sonst eigentlich auch nicht [lacht]. Ja, ich sag einfach, es gibt wenig Alternativen zu dem, was man machen will, weggehtechnisch. Aber man kann mal weggehn. Es ist nicht so, dass man erstmal 20 Kilometer fahren muss oder so.« 37

Aus den Schilderungen wird deutlich, dass Wels als Ort für Christian Müller eine weniger große Rolle spielt als für andere BewohnerInnen, die schon länger in der Stadt wohnen (siehe dazu auch die anderen Porträts). Wels ist für ihn in erster Linie Arbeitsort, die Stadt zugespitzt eine Begleiterscheinung seines Arbeitsplatzes, in der er nur temporär lebt und die er insofern auch aus pragmatischen Gesichtspunkten betrachtet. Interessanterweise betonte Christian Müller, dass ihm Wels vor allem als Ort des Alltags zusagt. Wels ist in dieser Perspektive eine Stadt, in der die unspektakulären Regelmäßigkeiten des täglichen Lebens gut gelebt werden können und die Bedürfnisse des täglichen Lebens gedeckt sind. Jenseits seiner Vorstellung von Alltag habe Wels aber wenig zu bieten – es gebe wenig Wahlmöglichkeit, betonte Christian Müller. Wels ist in seiner Erzählung kein Ort, der eine besondere Ausstrahlung hat, ja nicht einmal Wissen über die Existenz des Ortes erreichte ihn in Baden-Württemberg. Nach Wels ging er eher trotz, als wegen des Ortes, wie sein Hinweis auf die nahe Stadt Linz andeutet. Seine Perspektive auf die Stadt ähnelt damit auch den vielen Stimmen jener Personen, auf die ich bereits vor meinen Feldaufenthalten traf und die von Wels keine Vorstellungen hatten. Aufgrund seiner Distanz zur Stadt spielte für Christian Müller auch die Stigmatisierung derselben keine Rolle. Zur Zeit des Interviews hatte sich Christian Müller vor allem zwei Zugänge zur Stadt eröffnet: das Jugendwerk und die Kletterhalle bzw. generell Sport. Insbesondere stellte er seine sportliche Nutzung der Stadt heraus, so gehe er oftmals an der Traun Laufen oder Radfahren. Insbesondere Klettern in der Halle und auf Brückenpfeilern in der Traun stellt für ihn eine wichtige Betätigung innerhalb der Stadt dar. Christian hatte vor seinem Umzug selbst eine Begehung der Stadt durchgeführt und diese als zukünftigen Wohnort beurteilt. GW: »Hast du dich da vorher informiert, ob es eine Kletterhalle gibt?« Christian Müller: »Ja, war schon ein entscheidendes Kriterium. Also ich find das eigentlich sehr cool, meine Firma hat mir die Möglichkeit gegeben, sie haben mir die Fahrt hierher bezahlt und 24 Stunden, also eine Übernachtung. ›Guck dir Wels an, wir machen ein Bewerbungsgespräch hier und dann können wir darüber sprechen, ob du hier arbeiten oder ob es von beiden Seiten noch in Ordnung ist.‹ Und von daher war das schon ganz cool. Also, ich hab wie gesagt, ich war dann

37 Interview Christian Müller.

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einen Tag lang hier in Wels unterwegs, hab mir das Ganze angeguckt, was gibt es hier?« GW: »Und was hast du dir da angeguckt?« Christian Müller: »Äh, ich bin einmal die Fußgängerzonen komplett abgelaufen. Hab, ja was sieht man da? Da sieht man die ganzen Geschäfte so ein bisschen, den Mühlbach, der Bereich Burghof, das Messegelände. Hab dann die Kletterhalle noch gefunden [lacht].« GW: »Und das hat dann sozusagen?« Christian Müller: »Das hat mir dann mehr oder weniger gereicht, von dem, sag ich mal, das, was ich brauche. Ich wusste, es gibt eine Kletterhalle, in die ich gehen kann. Ich denke, das ist immer ein wichtiger Punkt, wenn ich in eine fremde Stadt gehe: Wo lerne ich Leute kennen? Das war für mich einfach: Na, ich kann in die Kletterhalle gehen, da kann ich Leute kennenlernen und ich kann in das Jugendwerk gehen, da kann ich Leute kennenlernen. Und das sind dann die zwei Punkte, da lernt man ein paar Leute kennen, um sich ein soziales Leben aufzubauen.« 38

Neben dem pragmatischen Grund der Arbeitsstelle führte Christian Müller also u. a. die lokale Kletterhalle als Kriterium für den Umzug nach Wels an und damit eine spezifische Infrastruktur, die jenseits vom Image der Stadt angesiedelt ist. Er kann ein Hobby weiter verfolgen und darüber einen Freundeskreis finden. Ein Thema, das angesichts seines Status als neuer Bewohner in der Stadt zentral ist: Wir haben, das war für mich, denk ich, klar, ich hatte ein Thema. Wenn man in eine Stadt kommt, wo man niemanden kennt. Wie lerne ich Leute kennen? Ich mein, es gibt einmal die Variante, die meisten Leute, die so eine Situation haben, machen es von der Uni aus. In der Uni, sag ich mal, da hast du zwanzig Leute, denen es genauso geht. Die sitzen mit dir im gleichen Zimmer, denen geht es allen genauso. [. . . ] Wenn man in ein Büro reinkommt, einen Beruf, da hat jeder seinen eigenen Freundeskreis von meinen Kollegen. Das ist es ja nicht so, dass die Freitagabend allein daheim sitzen und Däumchen drehen [lacht]. Und deshalb musste ich da schon bisschen einen anderen Ansatz nochmal gehen und gucken, wie funktioniert sowas? Wie nur das Unidingens, wo es, in dem es auch Arbeit kostet, aber ein bisschen einfacher oder ein bisschen anders funktioniert einfach.39

Die Stadt nutzt Christian Müller somit pragmatisch und gezielt. Er frequentiert strategisch jene Orte, an denen er seine Hobbies ausleben und Gleichgesinnten begegnen kann. Andere Stadtteile kannte er zur Zeit des Interviews nicht, wie er betonte: »Es ist wirklich so. Ich kenne eigentlich von Wels, von meiner Woh-

38 Ebd. 39 Ebd.

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nung im Endeffekt bis zu den Bahngleisen und bis zum Büro [lacht]. Das ist so der Bereich, den ich kenne.« 40 Bereits zu Beginn des Interviews machte Christian Müller deutlich, dass für ihn insbesondere auch Orte außerhalb von Wels eine wichtige Rolle spielen, was er damit erklärte, dass er selbst nicht in Wels aufgewachsen war. Er betonte, dass er seine Wochenenden – als jene Zeit, die für ihn nicht Alltag bedeutet – oft außerhalb der Stadt verbringt, etwa alle zwei Wochen in Linz. Sein Leben teilt sich also auf verschiedene Städte auf, denen er unterschiedliche Nutzungsarten zuweist. Christian Müller: »Naja gut, ich meine, das ist jetzt eh, würde eh komplizierter werden zu zeigen, aber Sachen außerhalb von Wels oder so interessieren dich eigentlich nicht groß oder?« GW: »Ja doch, eigentlich schon auch.« Christian Müller: »Ich meine, da kommen wir wahrscheinlich eigentlich gleich zu dem Punkt, dass ich ja nicht von hier komme. Und daher eigentlich mein Leben, würd ich sagen, zumindest relativ zerstreut ist. So ziemlich die Punkte, [. . . ] in denen ich mich aufhalte und was ich so täglich, wöchentlich immer mache. Ja, dass ich zum Beispiel am Wochenende, ich glaub, ich bin maximal die Hälfte aller Wochenenden hier in Wels.« 41

In den Schilderungen von Christian Müller werden Charakteristika seiner Perspektive auf die Stadt deutlich, die sich von den Perspektiven länger ansässiger Personen unterscheiden. Weder sind besondere Geschichten an die verschiedenen Orte in Wels geknüpft noch involviert sich Christian Müller in die Debatte rund um die Stigmatisierung der Stadt. Er hat einen pragmatischen Zugang zu Wels als Arbeitsort, nutzt die städtischen Infrastrukturen für seine Zwecke, misst aber der Stadt keine besondere symbolische Bedeutung bei. Sein Porträt steht also beispielhaft für ein Leben in einer Stadt, die durch klassische Produktion gekennzeichnet ist, nicht durch kulturelle Ökonomien, welche die Stadt als symbolisch aufgeladenen Ort produzieren. Auch nimmt Christian Müller an, die Stadt in wenigen Jahren wieder zu verlassen. Im Vergleich mit den anderen Porträts ist seine Biographie am wenigsten mit der des Ortes verbunden. Wels ist weder sein Geburtsort bzw. Ort des Aufwachsens, der eine intensive Abgrenzung oder Distinktion erforderlich machen könnte, noch ist Wels aus seiner Perspektive ein Ort zum Niederlassen und erfordert insofern auch keine Identifikation.

40 Ebd. 41 Ebd.

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5. ZEITLICHE BEZÜGE DIE INDUSTRIELL-MODERNE STADT Schon zu Beginn der Forschung wurde ein enormer Kontrast zwischen negativen und positiven Bezügen zur Stadt deutlich. Die oftmals – wenn auch nicht ausschließlich – negativen Schilderungen des gegenwärtigen Lebens in der Stadt durch BewohnerInnen und in Medienberichten kontrastierten Idealisierungen der »alten« Einkaufs- und Industriestadt Wels, was ich im Folgenden als Niedergangsnarrativ bezeichne. Durch hohes Wachstum während einer industriell-modernen Phase in den 1960er und 1970er Jahren geprägt, wurde dieses imaginaire der Einkaufs- und Industriestadt seit den 1980er Jahren zunehmend entwertet. An der Entwicklung von Wels lassen sich die in Kapitel zwei beschriebenen kulturalisierenden Transformationen städtischen Lebens in den letzten Jahrzehnten erkennen. Wie angedeutet betreffen diese Prozesse verschiedene Städte aber nicht auf gleiche Weise, sondern lassen sich Unterschiede darin erkennen, welche ökonomischen Transformationen, städtischen Restrukturierungen und Kulturalisierungen des Urbanen in der jeweiligen Stadt zu beobachten sind. Eine mit postindustrieller Produktionsweise verbundene, für viele Metropolen typische Entwicklung hin zu Zentren kultureller und symbolischer Ökonomien 1 spielt in Wels nur eine untergeordnete Rolle. Was mir vielfach in Interviews mit BewohnerInnen und institutionalisierten AkteurInnen als ein Defizit der Stadt beschrieben wurde, lässt sich aus dieser Lesart als Ausbleiben bzw. Misserfolg von Kulturalisierungsprozessen verstehen – die städtischen Zeichen einer Ökonomie der Symbole fehlen. Um diesen Wandel nachzuvollziehen, beschreibe ich zentrale Entwicklungen der Stadt seit der Prägung des Slogans »Wels, die Einkaufsstadt« von der Mitte der 1960er Jahre bis in die Gegenwart. Dazu analysiere ich die ökonomische Entwicklung sowie die symbolische und atmosphärische Veränderung der Stadt in Zusammenhang mit place-making und scaling practices auf materieller, symbolischer und sozialer Ebene. Ziel ist also, eine historical scalar perspective 2 auf das gegenwärtige Wels zu erhalten. Ich verwende dazu zum einen schriftliche Quellen, wie geschichtswissenschaftliche Literatur zu einzelnen Aspekten der Stadt, Festschriften (etwa zum 100-jährigen Jubiläum der Messe im Jahr 1978), Porträts und Bildbände der Stadt sowie die wöchentliche erschienene, katholische Welser Zeitung, die in Wels eine weite Verbreitung hatte

1 Vgl. Reckwitz (2009): Selbstkulturalisierung; Vgl. Reckwitz (2012): Kreativität. 2 Vgl. Ça˘glar u. a. (2011): Introduction, S. 13.

und bis 1989 erschien. Zum anderen verweise ich auf Aussagen in Interviews und Gesprächen zum »alten« Wels. Eine wichtige Quelle insbesondere für die Veränderungen des sense of place und des sozialen Lebens in der Stadt ist der Band »Wels. Porträt der Stadt und des Bezirks« 3 von Sepp Käfer, der im Jahr 1975 erschienen ist und in dem der Autor auf stadtethnologischen Ansätzen ähnliche Weise ein collagenhaftes Porträt der Stadt malt – ein Band, der einem »interessierten Publikum durchaus bekannt« ist und von diesem »geschätzt« wird, so die Auskunft des Stadtarchivs Wels 4. Sepp Käfer war Mitarbeiter der Salzburger Nachrichten und des Amtsblattes Wels, freier Mitarbeiter beim ORF und Gründungsmitglied und Präsident des Welser Presseclubs. Er stand der ÖVP nahe und tendierte zur rechtskonservativen Seite 5, habe aber »quer durch alle politischen Parteien« 6 Anerkennung genossen, so ein Nachruf in der Welser Zeitung im Jahr 1993. Für die vorliegende Arbeit sind insbesondere seine ausführlichen Schilderungen über den Welser Stadtalltag von Wert. Im Nachruf wird betont, dass Sepp Käfer auf eine Weise schrieb, dass »es ›unter die Haut‹ ging« – davon zeugen auch die in dieser Arbeit angeführten Textstellen aus dem Band. Aus diesem spricht eine Euphorie in der Stadt: Wels hatte bereits einige Jahre den Status einer Statutarstadt inne; der Slogan und ein damit verbundenes imaginaire der Stadt als »Einkaufsstadt«, Mitte der 1960er Jahre erfunden, wurde zu dieser Zeit geprägt; die Messe Wels stand kurz vor ihrem 100-jährigen Jubiläum und war erfolgreicher denn je; Hochhäuser als Zeichen des Wachstums, der Moderne und der Urbanität wurden an vielen Stellen, besonderes in den Stadterweiterungsvierteln am Stadtrand, aber auch in der Innenstadt gebaut; der Anschluss an die Westautobahn erfolgte und viele zentrale Einrichtungen, Unternehmen und bauliche Veränderungen, die heute das Stadtbild dominieren, stammen aus dieser Zeit. Im Folgenden zeige ich, wie noch Mitte der 1970er Jahre große Hoffnungen in Bezug auf Wels gehegt wurden, an welchen Markern für urbanes Leben diese Hoffnungen im Vergleich zu heute festgemacht wurden und welche Formen eines sense of place damit verbunden waren.

Wels, die wachsende Stadt Wels erlebte von den 1950er bis zu den 1980er Jahren auf verschiedenen Ebenen ein großes Wachstum, insbesondere stiegen Bevölkerung und Industrie stark an, parallel kam es zu einer Bedeutungszunahme durch einen neuen Ver-

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Vgl. Käfer (1975): Wels. Vgl. Stadtarchiv Wels (2017): Schriftliche Auskunft. Vgl. Ebd. O.A. (1993): Nachruf, S. 10.

Zeitliche Bezüge

waltungsstatus. Dies schlug sich nicht zuletzt auch in den Narrativen und im imaginaire der Stadt nieder.

Bevölkerungswachstum Die Bevölkerung von Wels wuchs in den drei Jahrzehnten von 1951 bis 1981 enorm.7 Mit einer Zunahme von 15,75 Prozent von 1961 bis 1971 lag Wels weit über dem oberösterreichischen Durchschnitt von 8,1 Prozent Wachstum 8. Dies schlug sich nicht zuletzt in euphorischen Narrativen über die Entwicklung der Stadt nieder, die damit eine symbolische Aufwertung erfuhr. Tab. 2: Bevölkerungsentwicklung Wels seit 1951. EinwohnerInnen Wels seit 1951 Jahr

EinwohnerInnen

Veränderung absolut

Veränderung relativ

1951

38.120

1961

41.060

+2.940

+7,71 %

1971

47.527

+6.467

+15,75 %

1981

51.060

+3.533

+7,43 %

1991

52.594

+1.534

+3,00 %

2001

56.478

+3.884

+7,38 %

2011

58.591

+2.113

+3,74 %

Einen Eindruck von der Hochstimmung der Zeit erhält man durch die Zukunftsperspektive der Stadt, wie man sie sich im Jahr 1975 laut Sepp Käfer vorstellte: »Eine Stadt denkt auch an ihre Zukunft: Statistiker und Datenverwerter meinen, daß Wels bis zur Jahrtausendwende auf 80.000 Einwohner angewachsen sein könnte. Alle Einrichtungen, die heute trotz Budget-Enge geschaffen werden, sind daher mit diesem Sichtpunkt ausgerichtet.« 9 Diese aus heutiger 7 Das im Jahr 1994 von der Europäischen Kommission herausgegebene europäische Raumentwicklungskonzept »Europa 2000+/Europäische Zusammenarbeit bei der Raumentwicklung« stellte fest, dass in der Europäischen Union in den 1970er Jahren kleinere Städte (unter 500.000 EinwohnerInnen) schneller gewachsen sind, wohingegen größere Städte seit den 1990er schneller wachsen, vgl. Europäische Kommission (1994): Europa 2000+, S. 99. Gründe für den Boom der kleineren Städte in den 1970er Jahren seien der Rückgang der traditionellen Industrien (z. B. Textilien, Eisen, Stahl und Schiffbau) in den Großstädten und das Wachstum neuer Industrien und Dienstleistungen in kleineren Städten gewesen, so Klaus Rauter, vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 151. 8 Vgl. Schuller (1988): Industrie und Messewesen. 9 Käfer (1975): Wels, S. 6.

Wels, die wachsende Stadt

105

Sicht weit überschätzte Prognose der Bevölkerungsentwicklung der Stadt (im Jahr 2000 hatte die Stadt um die 55.000 EinwohnerInnen) steht symptomatisch für den Glauben an Wachstum. Bezeichnend sind die in die Zukunft und nach oben hin gerichtete Perspektive sowie die Überzeugung, städtische Entwicklung planen zu können. Der Boom der Stadt reichte bis in die 1980er Jahre. Noch Mitte der 1980er Jahre betonte Kurt Holter, Stadt- und Kunstgeschichtsforscher sowie Leiter des Welser und des Oberösterreichischen Musealvereins, in der zweiten Auf lage des Bandes »Wels. Von der Urzeit bis zur Gegenwart« 10 den starken Bevölkerungsanstieg der letzten Jahrzehnte und stellte die singuläre Position von Wels als wachsende Stadt heraus: Am erkennbarsten läßt sich die Entwicklung eines Ballungsraumes an der Zuoder Abnahme seiner Bevölkerungszahlen ablesen. Diese Zahlen sind auch unbestechliche Indikatoren für die wirtschaftliche Attraktivität eines Ballungsraumes. [. . . ] Bei der Volkszählung 1981 war Wels die einzige Statutarstadt Oberösterreichs mit einem Bevölkerungszuwachs.11

Ein weiteres Zitat aus dem Band von Sepp Käfer vermittelt eine Stimmung innerhalb der Stadt, die von Konkurrenz und ungebremstem Fortschrittsglauben sprüht. Anlass ist das Überholen der »lange Zeit ebenbürtigen, in gewissem Sinne dominierenden, nunmehr jedoch klar überflügelten« 12 Stadt Steyr als zweitgrößter Stadt Oberösterreichs (siehe Abbildung 3): Das Wettrennen mit Steyr hat Wels gewonnen. [. . . ] Das Steyr davon strebende Wels wird dennoch in manchen Kalendern erst nach Steyr genannt. Manche Welser ärgert das. Da viele aber historisch gesinnt sind, kränken sie sich darüber nicht. Das Gefühl, Zentralräumler zu sein, erhebt: Die Welser leben in den 70er Jahren, planen für die 80er Jahre und denken ans 21. Jahrhundert. Der Sog der oberösterreichischen Zentrallandschaft hebt sie empor: Der städtische Benzinduft verleiht das Odeur einer sich ›unaufhörlich in die Zukunft entwickelnden Zukunft‹.13

In diesen Zeilen verdichtet sich das imaginaire der Stadt Wels zur Zeit der Industriemoderne. Ein wichtiger Topos ist Zentralität: Wels liegt im Zentralraum bzw. in der Zentrallandschaft in der Mitte Oberösterreichs, im Zentrum

10 Gilbert Tratthnig, zweiter Autor des Buches und Archäologe, Direktor des Stadtmuseums und Leiter des Stadtarchivs – als auch Mitglied der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe der SS und Verbreiter nationalsozialistischen Gedankengutes, vgl. Kater (1974): Ahnenerbe, S. 108 –, war zum Zeitpunkt der zweiten Auf lage schon verstorben. 11 Holter u. a. (1986): Wels, S. 248. 12 Lackinger (1967): Wirtschaftliche Struktur, S. 84. 13 Käfer (1975): Wels, S. 16.

106

Zeitliche Bezüge

Abb. 3: Bevölkerungsentwicklung Wels und Steyr 1869–2014. Nach 1945 entwickeln sich die beiden Städte stark auseinander, was in Wels Anlass zur Euphorie gab.

Abb. 4: Städte in Österreich über 20.000 EinwohnerInnen und ihre Bevölkerungsveränderung 1961–1981 (Wels an 7. Stelle, davor vor allem kleinere Städte sowie Gemeinden im Umland von größeren Städten).

Wels, die wachsende Stadt

107

des Geschehens. Ein weiteres Narrativ ist der Blick in die Zukunft und auch der Glaube an die Planbarkeit der städtischen Entwicklung taucht hier wieder auf – sogar an das nächste Jahrhundert wurde gedacht. Käfer imaginierte die Stadt als nach oben strebend und interpretierte den städtischen Benzingeruch als Zeichen der Zukunft. Verkehr stellte (noch) kein Problem dar, sondern wirtschaftliche Stärke, und die Konkurrenz wurde abgehängt. Der Statuswechsel von Wels schlägt sich auch in anderen Quellen nieder. Der Journalist und Mitarbeiter bei der Welser Zeitung sowie spätere Hauptschuldirektor Helmut Grassner betonte Mitte der 1970er Jahre in seinem Stadtführer »Die Messestadt Wels und ihre Umgebung« den neuen Status als second city in Oberösterreich: »Wels schickte sich an, in friedlicher Konkurrenz Steyr zu überflügeln. Eine bis heute rastlose Bautätigkeit schuf ein ›neues Wels‹, die ›Vorstädte‹ wurden zu ausgedehnten modernen Siedlungsgebieten. Betriebe wurden gegründet und die Stadt schuf beispielhaft Einrichtungen zum Wohle der Bürger.« 14 Das Porträt, das Grassner von Wels zeichnete, ist gekennzeichnet durch Industrialität, unermüdliche Bautätigkeit sowie wachsendes Gemeinwohl – die Stadt wächst und erneuert sich wirtschaftlich, baulich, sozial und damit maßgeblich auch symbolisch.

Industriewachstum In den 1960er und 1970er Jahren wurde städtisches Leben eng mit industrieller Produktion verbunden. Otto Lackinger schrieb bereits im Jahr 1967, dass kein Zweifel bestehe, daß in wenigen Jahren Wels die alte Eisenstadt und Industriestadt Steyr hinsichtlich der Zahl der Industriebeschäftigen überrundet haben wird und als Industriestadt den zweiten Rang in Oberösterreich einnehmen wird. Es sei auch erwähnt, daß die Entwicklung der Industrie-Beschäftigtenzahl in Wels auch rascher verlaufen ist als in Linz. [. . . ] Wels liegt mit seiner Beschäftigten-Zunahme weit über dem oberösterreichischen Durchschnitt.

Als Indikator für den wirtschaftlichen Aufschwung dienten Lackinger der Erfolg der lokalen Industrie, Beschäftigungszahlen und Wachstumsraten. Und erneut wurde in einem Bereich eine Konkurrentin überflügelt, diesmal sogar die Landeshauptstadt Linz. Diese wirtschaftliche Wachstumsgeschichte der Stadt wurde von Sepp Käfer am Höhepunkt der Entwicklung Mitte der 1970er Jahre als eindeutige Erfolgsstory erzählt: Der Boom wurde zur Wirtschaftsexplosion. Neue Fabriken entstanden (aus oft recht kleinen Anfängen). In Wels wurde jetzt Wäsche erzeugt und Waschma-

14 Grassner (1976): Messestadt Wels, S. 20.

108

Zeitliche Bezüge

schinen wurden produziert. Pumpen und Kessel, Füllfeder und Stahlwaren, Kühleinrichtungen und Stempel, vor allem aber wieder die Grundpfeiler der Welser Wirtschaft (Landmaschinen und Lebensmittel, Textil und Papier, neuerdings auch Plastikwaren) erwiesen sich als Tragsäulen. Gegenüber seinem Konkurrenten Steyr genießt Wels noch heute den Vorteil, auf vielen Wirtschaftsbeinen zu stehen. 1951 zählte die Stadt 33.078 Einwohner. Heute wächst sie über ihre 53.333 hinaus. Auf daß sich die Wirtschaft vermehre, blühe und gedeihe, richtete sich Wels ein Industriegelände ein. Wer es um sich blickend durchschreitet, merkt die bunte Palette, die hier recht lebendig neue Farben zusteuert.15

Das Wirtschaftswachstum beschrieb Sepp Käfer mit dem Bild der Explosion als einem unvorhersehbaren Aufschwung, der inzwischen Diversität und Stabilität bot. Das Industriegelände stellte Käfer als eigenen Teil der Stadt dar, der mit Lebendigkeit und Vielseitigkeit in Verbindung gebracht wurde. Auch ein Jahrzehnt später betont Kurt Holter noch die wirtschaftlich günstige Entwicklung von Wels und die Festigung der Lage als Zentrum: Wels hat sich auch im Bereich der Wirtschaft den Ruf eines dynamischen Zentrums im oberösterreichischen Zentralraum erworben. Begünstigt durch die optimale Lage in einem landwirtschaftlich fruchtbaren Gebiet und durch hervorragende Verkehrsverbindungen, besonders auf Schiene und Straße, sowie durch eine betont wirtschaftsfreundliche Haltung der Stadtverwaltung bei neuen Betriebsansiedlungen ist es in den letzten 20 Jahren gelungen, nicht nur die Anzahl der Arbeitsplätze zu erhalten, sondern sie wesentlich auszubauen.16

Die euphorische Narrativierung des Wirtschaftswachstums und insbesondere der Topos der Überholung der Stadt Steyr stehen für die mit dem sekundären Sektor verbundene Entwicklung der Stadt Wels Mitte des 20. Jahrhunderts. Wuchs Steyr zwar auch bis in die 1970er Jahre, übertraf Wels dieses Wachstum noch einmal. Generell löste der Großraum Enns-Linz-Wels die Industrieregion Steyr zu dieser Zeit als Wirtschaftsregion ab 17. Das Bevölkerungswachstum der Stadt Wels war folglich eng mit dem Wachstum des Industriesektors der lokalen Wirtschaft verknüpft. Nicht zuletzt wurde die Euphorie deswegen an der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt festgemacht, die ab der Nachkriegszeit, insbesondere ab dem Jahr 1950 – »ungefähr der Zeitpunkt, bis zu dem sich die Wirtschaft konsolidiert hatte und von welchem an der eigentliche Aufschwung einsetzte« 18 – nach oben zeigte und stark mit industrieller Produktion verbunden war.

15 16 17 18

Käfer (1975): Wels, S. 42. Holter u. a. (1986): Wels, S. 248. Vgl. Sandgruber (1995): Ökonomie, S. 462. Lackinger (1967): Wirtschaftliche Struktur, S. 89.

Wels, die wachsende Stadt

109

Die Entwicklung der Stadt Wels war in den allgemeinen Aufschwung Österreichs eingebettet. Das Land entwickelte sich nach 1945 im »Österreichischen Wirtschaftswunder« – verbunden mit Prozessen der Industrialisierung und Urbanisierung und eines Bevölkerungszuwachses – zu einem der reichsten Länder der Welt 19. Österreich wies auch unter den westlichen Industriestaaten ein stark überdurchschnittliches Wachstum auf 20, was als Aufholprozess interpretiert wird 21. Die Historiker Reinhard Sieder, Heinz Steinert und Emmerich Tálos beschreiben diese Zeit als die Fortführung und die erfolgreiche Durchsetzung einer Form von Kapitalismus, wie sie sich seit der Jahrhundertwende in allen Industrieländern der Welt angebahnt hatte: eine Wirtschaftsweise mit immer wiederkehrenden Schüben der Rationalisierung durch technische und logistische Innovation, mit steigender Produktivität und immer kostengünstiger hergestellten Massengütern und Dienstleistungen – und den lohnabhängig Erwerbstätigen als der breiten Masse der Konsumenten.22

Die westlichen Industriestaaten erlebten in diesem »Goldenen Zeitalter« hohe Wachstumsraten 23, zwei Jahrzehnte lang erfuhren die Volkswirtschaften Europas ein Wachstum, wie nie zuvor oder danach 24. Das nach dem Zweiten Weltkrieg installierte System von Bretton Woods förderte über eine stärkere internationale Arbeitsteilung insbesondere die Exportwirtschaft 25. Ausländische Wirtschaftshilfe und wirtschaftspolitische Maßnahmen führten in Österreich zu einem starken Wirtschaftswachstum, vor allem in den Bereichen Industrie, Bauwirtschaft und Energie 26. Ab der Zeit des Nationalsozialismus wandelt sich Österreich in einen Industriestaat 27, nachdem sich nach dem Ersten Welt19 Vgl. Butschek (1981): Vollbeschäftigung, S. 11; Sandgruber (1995): Ökonomie, S. 471 ff; Eigner u. a. (Hg.) (1999): Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 191; Vocelka (2002): Geschichte Österreichs, S. 330 ff. 20 Vgl. Butschek (1985): Die österreichische Wirtschaft, S. 119; Eigner u. a. (Hg.) (1999): Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 240. Das österreichische Nationalprodukt stieg zwischen 1952 und 1962 jährlich mit einer Durchschnittsrate von 6,1 Prozent, von 1962 bis 1967 um 4,2 Prozent und von 1967 bis 1975 um 4,7 Prozent, vgl. Butschek (1981): Vollbeschäftigung, S. 13. 21 Vgl. Butschek (1985): Die österreichische Wirtschaft, S. 206. 22 Sieder u. a. (1995): Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, S. 9 f. 23 Butschek (1985): Die österreichische Wirtschaft, S. 119. 24 Vgl. Butschek (2011): Wirtschaftsgeschichte, S. 346. 25 Vgl. Ebd., S. 302. 26 Vgl. Eigner u. a. (Hg.) (1999): Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 198 f. 27 Waren im Jahr 1937 noch 40,7 Prozent der Wertschöpfung im Dienstleistungsbereich angesiedelt und 37,5 Prozent im industriell-gewerblichen Sektor, hatte sich dieses Verhältnis im Jahr 1952 mit 47,1 Prozent im sekundären und 36,6 Prozent im tertiären Sektor umgedreht, vgl. Ebd., S. 199.

110

Zeitliche Bezüge

krieg die Wirtschaftsstruktur Richtung Dienstleistung verschoben hatte 28. Ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre setzte ein starkes Wirtschaftswachstum ein mit Wachstumsraten von sieben bis acht Prozent, in der OECD nur von Deutschland übertroffen 29. Von 1953 bis 1962 stieg das Bruttoinlandsprodukt real um 73 Prozent 30. Das verfügbare persönliche Einkommen verdoppelte sich in der Zeit von 1955 bis 1968 31, was sich wiederum im Privatkonsum, insbesondere im Massenkonsum niederschlug 32. Verbunden mit der Produktionsweise des Fordismus, der in Österreich in den 1970er Jahren florierte 33, entstanden neue Konsummuster und Lebensstile 34, Fortschrittsgläubigkeit ging mit diesem Aufschwung einher 35, parallel zu einer starken sozialen Mobilität, die für viele sozialen »Aufstieg« bedeutete 36. Der Historiker Friedrich Lenger grenzt diese Zeit – von 1945 bis zur sogenannten Ölkrise der 1970er Jahre – generell als dritte Phase (nach der Phase von 1880 bis zum Ersten Weltkrieg und jener der beiden Weltkriege) einer europäischen Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts ab 37. Der Zeitraum von 1945 bis 1956 gilt als bedeutendste Entwicklungsphase der Welser Industrie, in der sich die prägende Industriestruktur herausbildete 38 und die Zahl der Industriebeschäftigten um 68 Prozent stieg 39. Diese Zunahme der Beschäftigten in der Industrie (siehe Abbildung 5 und Abbildung 6) war höher als in Linz, wofür die Gründe von Klaus Schuller in den günstigen Standortbedingungen und der ausgeglichenen Wirtschaftsstruktur gesehen werden, wie er in seiner Dissertation zum »Welser Industrie und Messewesen seit dem Ende des zweiten Weltkrieges« schreibt 40. Ein weiterer Grund für den Aufschwung sieht Klaus Schuller in der »Absperrung des Ostens« nach 1945, wodurch eine Seite des Handels abgeschnitten war. Die damit verbundene Umorientierung nach Westen begünstigte Oberösterreich und Wels, das nach dem Zweiten Weltkrieg in der US-amerikanischen Besatzungszone lag,

28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Vgl. Butschek (1985): Die österreichische Wirtschaft, S. 93. Vgl. Butschek (2011): Wirtschaftsgeschichte, S. 299. Vgl. Ebd. Vgl. Eigner u. a. (Hg.) (1999): Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 201. Vgl. Mathis (1997): Österreichische Wirtschaft, S. 440; Lenger (2006): Einleitung, S. 14. Vgl. Karazman-Morawetz (1995): Arbeit, S. 417 ff. Vgl. Ebd; Sandgruber (1995): Ökonomie, S. 474 ff; Butschek (2011): Wirtschaftsgeschichte, S. 344 f. Vgl. Vocelka (2002): Geschichte Österreichs, S. 323. Vgl. Bruckmüller (2001): Sozialgeschichte Österreichs, S. 432 f. Vgl. Lenger (2006): Einleitung, S. 13 f. Vgl. Schuller (1988): Industrie und Messewesen, S. 105 ff. Ebd., S. 113. Ebd., S. 110.

Wels, die wachsende Stadt

111

Abb. 5: Industrielle Moderne in Wels (Anzahl der Industriebeschäftigten 1934–1986). Von den 1950er Jahren bis zu den 1980er Jahren blieben die Industriebeschäftigtenzahlen auf hohem Niveau.

Abb. 6: Industriebetriebe in Wels 1944–1988. Auch die Anzahl der Industriebetriebe stieg nach 1945 stark an und erreichte seinen Höchstwert in den 1970er Jahren.

was viele Wiener Betriebe zum Umzug nach Wels bewog. Auch US-amerikanische Hilfsgüter und finanzielle Hilfe blieben in erster Linie westlich der Enns, wodurch Industrien aufgebaut werden konnten 41.

41 Ebd., S. 90 f.

112

Zeitliche Bezüge

Die zweite zentrale Entwicklungsphase in Wels fand von 1957 bis 1969 statt 42. Von 1950 bis 1964 verdoppelte sich die Zahl der Industriebeschäftigten fast noch einmal. Zwei Drittel der Beschäftigten waren Mitte dieser Phase im industriellen Sektor tätig, ein Drittel im Dienstleistungssektor 43. Mit dem Wachstum der Industriebeschäftigten war neben dem Bevölkerungsanstieg auch die Zunahme an Einpendlern verbunden (von 1951 bis 1981 um nahezu 300 Prozent), vor allem aus den Bezirken Wels-Land, Grieskirchen und Eferding, was die zentrale Funktion der Stadt stärkte 44. Bezeichnend ist neben der Zunahme von Bevölkerung und PendlerInnen auch die Einrichtung des Industriegebietes in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Es war bereits »Ende der sechziger Jahre restlos ausverkauft« 45, sodass weitere Gebiete angekauft werden mussten und das Industriegebiet im Laufe der Jahrzehnte immer wieder vergrößert wurde. Die Konsequenz daraus war die räumliche Konzentration der Betriebe in extra dafür vorgesehene Räume der Stadt, die bis heute das Stadtbild prägen.

Bedeutungswachstum Als ein zentrales Symbol für den Aufschwung und das Wachstum wurde der Stadt Wels im Jahr 1964 ein eigenes Statut verliehen, wodurch die Stadt zu einem eigenen Bezirk wurde und – ein sprechendes Detail – der Bürgermeister nun keinem Nebenerwerb mehr nachgehen durfte. Dies bedeutete eine »Rangerhöhung und Machtvergrößerung, wodurch die Eigenständigkeit der Stadt stärker« 46 wurde. Der oberösterreichische Landtag beschloss nach Bemühungen, die konkret bis in das Jahr 1950, insgesamt aber über hundert Jahre zurück reichten, am 11. Dezember 1962 die Erhebung zur Stadt mit eigenem Statut 47. Die Verleihung am 18. Januar 1964 fand »in Anwesenheit von Bundespräsident Dr. Adolf SCHÄRF, zahlreicher Bundes- und Landespolitiker und anderer Ehrengäste« 48 statt. Wels zählt damit heute zu den 15 Statutarstädten in Österreich und ist die bisher letzte Stadt in Österreich, der ein solches Statut verliehen wurde. Diese symbolische Aufwertung bildete im Jahr 2014 bezeichnenderweise den Anlass, die Stadtgeschichte mit dem Band »Wels 1964–2014. 50 Jahre Stadt mit eigenem Statut« zusammenzufassen 49.

42 43 44 45 46 47 48 49

Ebd., S. 114. Ebd., S. 118. Vgl. Ebd., S. 41. Ebd., S. 88. Ebd., S. 29. Vgl. Holter u. a. (1986): Wels, S. 247. Ebd. Vgl. Bachschweller u. a. (2014): Wels.

Wels, die wachsende Stadt

113

Sepp Käfer resümierte die Entwicklung von Wels Mitte der 1970er Jahre und beschrieb die Relevanz der Stadt im Verwaltungs- und Ortssystem auf folgende Weise: Die Stadt der Bauern, später zur Stadt mit dem Industriekranz geworden, ist heute wesentlich auch Handelsstadt. Sie hat, zählt man alle Funktionen zusammen, damit den Charakter einer ›Viertelvorstadt‹ erhalten. Dies entspricht etwa dem, was die Kreisstädte (oder Vor-Orte) früher bedeuteten, nämlich Leitgemeinde für einen Kreis (jetzt mehrere politische Bezirke zusammengenommen) zu sein.50

Der neue administrative Status brachte eine Bedeutungssteigerung und führte zu Versuchen des Labelings der Stadt, hier als wichtigste Stadt des Hausruckviertels in Oberösterreich. Und nicht nur die materielle, sondern auch die diskursivierte Stadt wuchs: Nicht wenig wird über Wels geschrieben. Heute mehr denn je. In den Tageszeitungen vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über Wels berichtet wird. Im Hörfunk wird dieser Durchschnitt sogar noch überboten. Die ›Welser Zeitung‹ widmet Wels allein im Lokalteil wöchentlich acht bis zehn Seiten. Also rührt sich etwas in Wels. . . Auch Bücher über Wels sind entstanden und werden weiter entstehen. Neben den Jahrbüchern des Musealvereines, die laufend über die Stadt von Anno dazumal Auskunft geben, kamen manche Bücher auf die Welt.51

Sepp Käfer erkannte die Relevanz der Dichte städtischer Textur, wie sie in »Bildern, Typifizierungen und kollektiven Repräsentationen materieller wie immaterieller Art, von Wahrzeichen, Denkmälern und Straßenschildern bis zu Anekdoten, Liedern und Citylore zum Ausdruck kommt« 52 – Zeitungen, Bücher, Radio und generell die Zunahme von Repräsentationen der Stadt galten ihm als Zeichen des Aufschwungs. Als scaling devices vermochten diese, Wels als auch symbolisch wachsende Stadt »on the map« zu bringen.

Wels, die Einkaufsstadt Mit der Etablierung als wachsende und wirtschaftlich starke Stadt ging in Wels eine Stärkung des städtischen Konsums einher. Im Jahr 1965, ein Jahr nach der Verleihung des Statuts, erfand der neu gegründete Werbeverein der Welser Wirtschaftstreibenden den Slogan »Wels, die Einkaufsstadt«, der bis heute immer wieder in der Vermarktung der Stadt Verwendung findet. Der Slogan bezog sich auf die damals vielen Fachgeschäfte in der Stadt und knüpfte an

50 Käfer (1975): Wels, S. 46 f. 51 Ebd., S. 50. 52 Lindner (2008): Textur, imaginaire, Habitus, S. 84 f.

114

Zeitliche Bezüge

die Funktion von Wels als Handels- und Geschäftszentrum um 1900 an 53. Die Stärkung des städtischen Konsums hing mit einem allgemeinen Wachstum des Privatkonsums in Österreich zusammen, so stiegen etwa die Konsumausgaben für Wohnungseinrichtung und Haushaltsgeräte zwischen 1954 und 1960 um das Doppelte 54 – eine Phase, die als Zeit der Freß-, Bekleidungs-, Einrichtungs- und Reisewellen verankert [ist], als Zeit des sich entwickelnden Massenkonsums. Die Technisierung des Haushalts spielte dabei eine wichtige Rolle, die Anschaffung von Kühlschrank und Waschmaschine markierte den Übergang zu besseren Zeiten.55

Von diesem Boom profitierten die Städte 56. Der Konsumanstieg schlug sich auch in den Narrativen über Wels nieder. Die Welser Zeitung vom 28. April 1966 schrieb: »Was empfiehlt Wels besonders für Einkäufe? Seine zentrale Lage, die guten Geschäfte und vor allem das geschmackvolle Sortiment in allen Branchen.« 57 Im Sinne eines imagineering wurde damit Mitte der 1960er Jahre schon ein Label für die Stadt entworfen, wobei Wels damals Vorreiter dieser Entwicklung war, wie Sepp Käfer betonte: »Die Handelsstadt Wels, die sich als ›Einkaufsstadt‹ offeriert, darf überdies den Vorzug für sich beanspruchen, in Oberösterreich erstmals dieses Schlagwort geprägt zu haben. Andere Städte folgten rasch, aber doch später mit ähnlichen publicity-wirksamen Slogans.« 58 Als Einkaufsstadt konnte sich Wels auch mit der Landeshauptstadt Linz messen, wie Ulrike Prummer in ihrer Diplomarbeit aus dem Jahre 1973, die an der Hochschule für Welthandel in Wien – dem Vorgänger der heutigen Wirtschaftsuniversität – eingereicht wurde, bezüglich der »Konkurrenz-Funktionsteilung« der beiden Städte schrieb 59. Auch in Sepp Käfers Band lassen sich viele Hinweise auf das Label Einkaufsstadt finden, das er im Text in eine atmosphärische Qualität der »Geschäftigkeit« übersetzte, welche als symbolischer Marker des Städtischen fungierte (siehe Abbildung 7): »In einer ›Einkaufsstadt‹, die nicht nur am Samstag, sondern auch des Morgens, des Mittags und des Abends besonders in der ›City‹ Verkehrsballungen hervorruft, und in der, zunächst noch (alles hofft auf die Entlastung durch die Osttangente) der Durchgangsverkehr geradlinig oder über Eck durch das Weichbild der Stadt führt, herrscht immer Aufregung.« 60

53 54 55 56 57 58 59 60

Vgl. Sandgruber u. a. (Hg.) (2002): Handel in Oberösterreich, S. 185. Vgl. Eigner u. a. (Hg.) (1999): Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 204 und 209. Ebd., S. 209. Vgl. Sandgruber u. a. (Hg.) (2002): Handel in Oberösterreich, S. 259. O.A. (1966a): Gemeinschaftswerbung. Käfer (1975): Wels, S. 47. Vgl. Prummer (1973): Welser Messe, S. 22. Käfer (1975): Wels, S. 25.

Wels, die Einkaufsstadt

115

Abb. 7: Die »Einkaufsstadt« Wels als Ort des Konsums. Einkaufen als soziale Praktik wird zum städtischen Zeichen in Wels und im Buch von Sepp Käfer sogar dreisprachig beworben.

Käfer beschrieb damit die Einkaufsstadt in der atmosphärischen Dimension des Trubels und der Hektik. Die Betriebsamkeit der Innenstadt wurde überdies vergeschlechtlicht dargestellt, als von Frauen hervorgebracht: Daß der Stadtplatz auch Kaufplatz ist, merkt der Gast von selbst an den vielen trippelnden Schritten der WeIser Frauen und dieser Frauen Töchter, die mit Körbchen (oder auch amerikanisch: mit kaum zählbaren Nylonsackeln) beladen von Geschäft zu Geschäft eilen (oder lustwandeln, wenn sie überzeugte Käuferinnen sind).61

61 Ebd., S. 40.

116

Zeitliche Bezüge

Auch Helmut Grassner betonte das Treiben in der Stadt und verwies auf den Eindruck, den man selbst bekomme, wenn man die Stadt besuche: »Der Zweifler möge sich davon vorzugsweise an Freitagnachmittagen, Samstagvormittagen und an den Tagen nach dem ›Ultimo‹, dem Auszahlungstag der Löhne und Gehälter, hievon überzeugen – von der hier gar nicht so besinnlichen Vorweihnachtszeit zu schweigen!« 62 Von diesem Narrativ des Trubels und der Geschäftigkeit waren einzelne Bereiche ausgenommen. Helmut Grassner etwa beschrieb Wels als »Freizeitzentrum« 63 und stellte die Vielfalt des Angebots heraus – bis auf das Nachtleben: Nur böse Zungen mögen behaupten, daß in Wels ›nichts los‹ sei: zugegeben, in puncto Nachtleben ist unsere Messestadt natürlich keine Weltstadt – warum auch? Aber jedermann, Einheimischer oder Gast, Kunstbeflissener oder Fitneß-Jünger, wird hier Zerstreuung, Entspannung und Erholung zu finden vermögen.64

Ausnahme davon sei die Zeit der Messe und des Volksfestes, wenn Wels im übertragenen Sinne temporär zu »Hamburg« und »Wien« und zu einer 24-Stunden-Stadt mutiere: Freilich ist Wels weder eine Spielhölle noch eine Amüsierstätte für nächtliche Belange. So belebt der ›KaJe‹ (der Kaiser-Josef-Platz) bei Tag auch ist; so müde und schläfrig wird er am Abend. In Wels gibt es keine Reeperbahn und auch kein Tivoli; ausgenommen zu Volksfestzeiten; dann aber endet der Tag just erst, wenn der nächste schon ›zu beginnen beginnt‹.65

Ähnlich kritisierte Ulrike Prummer das Nachtleben und überdies das gastronomische Angebot der Stadt. Die Bezüge des Vergleichs sind in diesem Zusammenhang andere – Wels wurde in puncto Nachtleben von Prummer namentlich nicht weiter spezifizierten Orten der Umgebung gegenübergestellt und nicht Städten wie Wien oder Linz: Der Welser Bürger selbst fährt am Sonntag aus Wels hinaus, da in Wels ein Mangel an Möglichkeiten herrscht, gut zu essen. Es gibt auch nur wenige Tanzlokale oder Diskotheken, und diese erreichen kaum den Standard von Tanzlokalen kleinerer umliegender Orte.66

Der verkleinerte Vergleichshorizont verweist auf die unterschiedlichen Rollen von Wels in verschiedenen Feldern. Konkurrierte das Konsumangebot der Ein62 63 64 65 66

Grassner (1976): Messestadt Wels, S. 51. Ebd., S. 63. Ebd. Käfer (1975): Wels, S. 28. Prummer (1973): Welser Messe, S. 91.

Wels, die Einkaufsstadt

117

kaufsstadt mit dem größerer Städte, war das nächtliche Ausgehangebot in der Darstellung von Ulrike Prummer auf einer Ebene mit dem der Umlandgemeinden. Prummer weitete ihre Kritik in der Folge auf ein Fehlen von Veranstaltungen, Unterhaltung und kulturellen Einrichtungen aus und zielte damit auf jene kulturellen Ökonomien, die ab den späten 1980er Jahren in Kulturalisierungsprozessen eine zentrale Rolle spielen werden. Das Defizit sei umso problematischer gewesen, als es in Kontrast zum Ansehen der Messe gestanden habe. Prummer benannte damit einen Unterschied zwischen Messe und Stadt, der dann in den Kulturalisierungsprozessen gewichtig werden wird, denn in der kulturalisierten Stadt sind es nicht mehr die klassischen Ökonomien Handel und Industrie, sondern ist es die Stadt selbst, die Menschen anziehen soll: Sehr viel nachzuholen hat Wels auf dem Unterhaltungssektor und dem gastronomischen Sektor. Für die große Zahl von Messebesuchern sollte es nicht nur eine sehenswerte Veranstaltung geben, die sie nach Wels zieht, sondern auch Wels als gastfreundliche Stadt. Eine Landwirtschaftsmesse, verbunden mit dem Volksfest, das auf eine alte Tradition zurückblicken kann, sollte die Möglichkeiten ausschöpfen, einem so großen Publikum kulturelle Einrichtungen und Veranstaltungen näher zu bringen.67

Als ein Beispiel für die Relevanz der Stadt als Einkaufsstadt ab den 1960er Jahren sei das im Jahr 1966 eröffnete Fachgeschäft Olympia angeführt, das »größte Spezialgeschäft für Kinderbekleidung und Babyausstattung in Österreich«, so ein Artikel in der Welser Zeitung vom 8. Dezember 1966 (siehe Abbildung 8). Als ein im heutigen Sinne Flagshipstore ein »glanzvoller Anziehungspunkt« im »Europa-Format« boten »die fünf Geschosse des attraktiven Großstadthauses [. . . ] auf einer Gesamtverkaufsfläche von rund 1200 Quadratmetern in allen Abteilungen eine Warenfülle sondergleichen« 68, wird im Zeitungsartikel geschwärmt. Die Größe und Fülle des Angebots, die mit Bezug auf die Großstadt in den Mittelpunkt gestellt wurden, standen so als Symbol für den allgemeinen Aufschwung und die symbolische Bedeutung der Stadt. Eine weitere Dimension dieser Bedeutung zeigt auch, »dass man von Saison zu Saison auf den internationalen Märkten und in den großen europäischen Modezentren die eben aktuellen und attraktiven Modelle aussucht, um selbst dem verwöhntesten Kundengeschmack etwas bieten zu können« 69. Die Betonung des internationalen Geschmacks – als symbolische scaling practice – verweist auf städtische Distinktionsoptionen und erinnert in der Haltung an Metropolen des »guten Geschmacks« wie Paris oder Mailand (Milano).

67 Ebd., S. 100. 68 O.A. (1966b): Märchenwelt, S. 7. 69 Ebd.

118

Zeitliche Bezüge

Abb. 8: Foto im Zeitungsbericht über das Fachgeschäft Olympia. Das Geschäft im »Europa-Format« galt als das »größte Spezialgeschäft für Kinderbekleidung und Babyausstattung in Österreich«.

Wels, die Einkaufsstadt

119

Die Ausrichtung als Einkaufsstadt schlug sich im Laufe der Jahrzehnte auch in der Stadtgestalt, also in der Materialität als Manifestation der städtischen Selbstrepräsentation nieder. So führte die Stadt im Jahr 1977 eine Fußgängerzone in der Schmidtgasse, einer zentralen Straße durch die Innenstadt, ein und verlängerte dieses zwei Jahre später um eine weitere Gasse. Von 1983 bis 1985 wurde als weiterer Schritt der Inszenierung der Innenstadt die »Neugestaltung des Stadtplatzes mit seiner Bummelzone« 70 durchgeführt, eine neue Ausgestaltung und Möblierung mit Kandelabern, Blumentrögen, Brunnen, Sitzbänken etc.71. Kurz darauf setzten die ersten Sanierungsmaßnahmen der Innenstadt ein: »Dem Wunsch bestimmter Bevölkerungskreise nach Rückkehr in die entvölkerte Altstadt kommen seit neuerem private Bauträger und auch Wohnbaugesellschaften durch Sanierungsmaßnahmen nach.« 72 Diese Entwicklung der Innenstadt verlief parallel zu einer generellen Wandlung denkmalpflegerischer Grundsätze in den europäischen Städten. Altstädte wurden dabei zunehmend als erhaltens- und restaurierungswert angesehen 73. Diese Transformationen verstehe ich als Teil von Bemühungen um eine Ästhetisierung der Innenstadt von Wels und damit als Element einer Kulturalisierung der Stadt, die in Wels etwa zeitgleich mit dem industriellen Abschwung einsetzte. Die Schilderungen vom Einkaufstrubel erinnern an die Darstellungen der städtischen Moderne, in der die Städte als Orte des Konsums (verdichtet im Symbol des Kaufhauses und dem Schaufenster als Bühnenraum der Sensation) mit Hektik und Betriebsamkeit und Konsumpraktiken wie den Schaufensterbummel verbunden wurden 74. Die Darstellung steht in starkem Gegensatz zu den Erzählungen in den Interviews, die ich mit BewohnerInnen während meiner Feldaufenthalte in den Jahren 2012 und 2013 durchführte und in denen vielfach von den leeren Straßen und einer »ausgestorbenen« Atmosphäre der Innenstadt die Rede ist (siehe dazu das Kapitel ». . . und der schlechte Ruf: Marginalisierung in Kulturellen Ökonomien«). Noch Mitte der 1980er Jahre schrieb Kurt Holter über das Label »Einkaufsstadt Wels«, dass sich die »Wirkung dieses Werbespruches [. . . ] trotz allgemein gesunkener Kaufkraft bis heute erhalten« 75 habe. Heute dagegen wird die Angemessenheit des Labels vielfach in Zweifel gezogen.

70 71 72 73 74 75

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Holter u. a. (1986): Wels, S. 252. Aspernig u. a. (2002): Welser Stadtplatz, S. 18. Holter u. a. (1986): Wels, S. 252. Vgl. Benevolo (1993): Die Stadt, S. 242 f. Vgl. Lindner (2016): Berlin, S. 65 ff. Holter u. a. (1986): Wels, S. 250.

Zeitliche Bezüge

Wels, die Messestadt Parallel zum Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum sowie zur Steigerung des Konsums und dem Labeling als Einkaufsstadt Wels nahm auch der Handel eine zunehmend wichtige Rolle in der Stadt ein. Dieser war unabdingbar mit der Welser Messe verbunden, denn »gerade in seiner Messe manifestiert sich die Funktion der Stadt [Wels] als Umschlagplatz für landwirtschaftliche und industrielle Güter« 76. Es ergaben sich enge Bindungen zwischen der Welser Industrie und der Messe, da viele Industriebetriebe der Stadt bei der Messe ausstellten und einige Betriebe firmeneigene Pavillons auf der Messe mieteten 77. Wenig verwunderlich war deswegen auch die Messe auf das Engste mit dem Aufstiegsnarrativ und der Euphorie in der Stadt verflochten, wie folgendes Zitat – auch von Sepp Käfer – nicht ohne Humor eindrücklich darstellt: [. . . ] Ich mag die WELSER MESSE, weil sie die sonst friedliche Stadt, die nicht einmal Wahlkämpfe in Aufregung versetzen (höchstens intern und unbemerkt in den sesselhaltenden Sekretariaten) – weil sie die sonst friedfertige Stadt in Aufruhr versetzt, alle Welser stolz macht, ihre Brüste bläht, ihre Nacken stärkt – während sie versuchen, ob sie nicht doch noch eine Badewanne zu mäßigen Preisen (mit Seife und Frühstück S 100.-) als Übernachtungsgelegenheit frei haben. Und ich mag sie, weil die Schalterbeamten von Bahn und Bus in der derzeitigen Landeshauptstadt Linz (Wels war in Römerzeiten Hauptstadt natürlich einer viel größeren Provinz als dieses Bundesland) – weil die Schalterbeamten in Linz, Salzburg, Innsbruck, Frankfurt, New York, Peking und Sydney gar nicht erst fragen, wohin einer die Karte löst – nach Wels natürlich. Was sich auch noch in jenem ungenannten Örtchen [damit ist Wien gemeint] herumsprechen wird, das zwischen Hütteldorf und Schwechat liegt.78

Das Zitat stammt aus dem im Jahr 1978 zum 100-jährigen Bestehen der Welser Messe erschienenen Jubiläumsband »1878–1978 Hundert Jahre Welser Messe. Welser Volksfest«, in welchem unter dem Titel »Vom Volksfest zur Millionenmesse« die Entwicklung der Messe als Erfolgsgeschichte erzählt wurde. Die mitunter ironischen Formulierungen von Sepp Käfer betten Wels in größere Bezugsnetze ein und lassen die Stadt über den globalen Vergleichsmaßstab relevanter wirken – Käfer spielt mit den Bezügen und erweitert den Horizont bis an das andere Ende der Welt. Die Messe wurde aber auch jenseits dieser Übertreibungen für die Stadt zu einem zentralen scaling device, wie im Folgenden vertieft wird. 76 Ebd. 77 Vgl. Schuller (1988): Industrie und Messewesen, S. 282. 78 Magistrat der Stadt Wels (Hg.) (1978): Welser Messe, S. 143.

Wels, die Messestadt

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Die Messe entwickelte sich aus dem Welser Volksfest, gegründet im Jahr 1878. Das Volksfest war ein »Zeichen des wirtschaftlichen Aufschwunges der Stadt, der mit der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn und der Abzweigung nach Passau in Wels nicht mehr aufzuhalten war« 79, resümierte Helmut Grassner die aus seiner Perspektive unumgängliche Entwicklung der Stadt. Im Jahr 1952 wurde das Volksfest offiziell zur Messe und trug zum ersten Mal das Wort »Messe« im Titel 80. Bald wurde die Messe auch international ausgerichtet und es fanden ab 1952 Sonderschauen zur Deutschen Bundesrepublik, zu Ägypten, Holland, die Deutsche Demokratische Republik, Ungarn und die Schweiz statt 81. Bei der nächsten Ausgabe im Jahr 1954 wurde »die Traumgrenze der Million erreicht, die von den bis heute folgenden Veranstaltungen gehalten werden konnte« 82, wird im Jubiläumsband erklärt. »Die Welser Messe nennt sich gern auch die ›Millionenmesse‹, da tatsächlich mehr als eine Million Besucher bei jeder Messe kommt und zwar aus allen Bundesländern.« 83 Im Jahr 1956 wurde die Messe erstmals »Österreichische Zentral-Landwirtschaftsmesse« genannt 84. Im Jahr 1964 war die Welser Messe dann »die größte einschlägige Messeveranstaltung im EFTA-Raum und die drittgrößte Messe im EWG 85-Bereich« 86 mit einem neuen Besucherrekord von 1,4 Millionen BesucherInnen, »die Auslandsbeteiligung war größer als je zuvor« 87 (siehe Abbildung 9). Dementsprechend wurde die Messe in »Internationale Welser Messe« umbenannt. Als Ausdruck dieser Ausdehnung werden im Jubiläumsband die Meldungen der Polizei über im Stadtgebiet parkende Autos angeführt, wenn etwa »nicht weniger als 20.000 Autos [. . . ] abgestellt« 88 waren oder die Polizei »35.000 parkende Fahrzeuge [. . . ] am ersten Messesonntag bereits in Wels und auf den Stadtrandparkplätzen« 89 zählte. Sepp Käfer berichtete bezüglich der Aussagen des Stadtrates und Leiters des Stadtmuseums Ferdinand Wiesinger über den Erfolg der Messe, dieser hatte gefragt:

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Grassner (1976): Messestadt Wels, S. 19. Vgl. Magistrat der Stadt Wels (Hg.) (1978): Welser Messe, S. 69. Vgl. Holter u. a. (1986): Wels, S. 247. Magistrat der Stadt Wels (Hg.) (1978): Welser Messe, S. 70. Prummer (1973): Welser Messe, S. 36. Magistrat der Stadt Wels (Hg.) (1978): Welser Messe, S. 73. Mitgliedstaaten der EFTA waren im Jahr 1964 die Länder Dänemark, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, die Schweiz sowie das Vereinigte Königreich, Mitglieder der EWG waren Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande und Luxemburg. Magistrat der Stadt Wels (Hg.) (1978): Welser Messe, S. 86. Ebd., S. 89. Ebd., S. 93. Ebd., S. 104.

Zeitliche Bezüge

Abb. 9: Die Welser Messe wird im Jubiläumsband als Ort der Verdichtung städtischer Größe und Relevanz beworben.

›Wo ist eine Stadt im ganzen Bundesgebiet, die bei einem gleichen Anlaß nahezu das Zwanzigfache ihrer Bewohnerzahl bei sich als Gast empfängt.‹ Wo? Wieder nur in Wels: Mit 1,300.000 Besuchern erreicht Wels jetzt das ungefähr Fünfundzwanzigfache.90

Die Messe verdichtete aber nicht nur Quantität und Größe zu einer temporären Veranstaltung – die überdies als frühe Form von Festivalisierung verstanden werden kann –, sondern gewann Relevanz durch nationale und internationale Bezüge, wenn etwa im Jahr 1970 eine Delphinschau Teil der Messe wurde 91, Menschen aus verschiedenen Ländern in der Stadt ausstellten sowie der Bundespräsident regelmäßig die Messe eröffnete. Wels war Knotenpunkt und zumindest für die Zeitspanne der Messe erweiterte sich die Reichweite der Stadt exorbitant.92

90 Käfer (1975): Wels, S. 51. 91 Magistrat der Stadt Wels (Hg.) (1978): Welser Messe, S. 95. 92 Vergleiche dazu auch das Prinzip der »Ausstellung« als Verdichtung städtischer Schau- und Sensationslust, vgl. Lindner (2016): Berlin, S. 106.

Wels, die Messestadt

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Mit der Messe waren insbesondere auch Materialisierungen ihrer Bedeutung sowie des Wachstums der Stadt in Form baulicher Maßnahmen verbunden – ein Messegelände entstand, eine »unbewohnte Stadt« 93 in der Stadt. Die Stadt Wels war in diesem Narrativ so angewachsen, dass sie im übertragenen Sinne sogar eine eigene Stadt in der Stadt umfassen konnte. Der Erfolg der Messe wurde vor allem am Wachstum dieses Messegeländes festgemacht. Der Landesrat Ernst Neuhauser formulierte in einem Interview: »[. . . ] allein im letzten Dezenium wurde mehr gebaut, als in den letzten 90 Jahren vorher. Die Errichtung von 13 neuen Messehallen in diesem Zeitraum gibt beredtes Zeugnis von der Leistungskraft der WELSER MESSE« 94. An den Vergleichen, die Sepp Käfer in seinem Porträt von Wels herstellte, lassen sich die räumlichen Bezüge erkennen, in welche die Stadt von politischer und medialer Seite gestellt wurde. Die Messe erschien als Alleinstellungsmerkmal in der Gegenüberstellung zur Landeshauptstadt Linz. Musste sich Wels in vielen Bereichen mit dem Status der second city in Oberösterreich abfinden, bot die Messe eine Gelegenheit, über Linz zu triumphieren: Die Linzer haben eine Landstraße, die Welser einen Ring; die Linzer haben eine Tramway, die Welser viele Radfahrer; die Linzer haben einen Dom, die Welser eine ehrwürdige Stadtpfarrkirche; die Linzer haben einen Volksgarten, die Welser einen Kleintierpark. Was die Linzer nicht und die Welser haben, ist die Messe.95

Einen Grund zu Konkurrenz und Aufwertung bot nicht nur Linz. Die Messe schuf auch die Möglichkeit, die Stadt Wels mit der Bundeshauptstadt Wien auf eine Stufe zu stellen und sogar diese zu überflügeln, wie Käfer schrieb: Daß die lieben Wiener ihren lieben Welsern eine Zeitlang einreden wollten, so ein Volksfest passe halt doch nicht zu einer seriösen Messe, war nicht zu verwundern. Denn das Volksfest (die Bauern fahren noch immer aufs Volksfest, nicht zur Messe) bringt die Massen heran. Jene Massen, die die lieben Wiener gern auf ihrem Messegelände sehen würden.96

In der Konkurrenz zu Wien wurde vermutet, dass die »Welser Besuchermillion [. . . ] offenbar den Wiener Messeveranstaltern ein Dorn im Auge [war]« 97. Durch die Vergleichsebene mit Wien stieg Wels in eine andere Liga auf. Der Jubiläumsband hielt fest: »Der Erfolg der Messestadt, worin ist er begründet? Ein Journalist brachte die Antwort als kurze Formel: ›Wels=München + Wien!‹.« 98

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Grassner (1976): Messestadt Wels, S. 54. Magistrat der Stadt Wels (Hg.) (1978): Welser Messe, S. 83. Käfer (1975): Wels, S. 18. Ebd. Magistrat der Stadt Wels (Hg.) (1978): Welser Messe, S. 85. Ebd., S. 100.

Zeitliche Bezüge

Auch Ulrike Prummer unterstrich die Bedeutung der Messe Wels für die Stadt und darüber hinaus: Wels, mit seinen vielfältigen Funktionen, hat sich zu einem echten zentralen Ort Österreichs entwickelt. Der tatsächliche Einflußbereich der Stadt geht weit über den angestammten Einzugsbereich hinaus, und gerade die Messe und andere Ausstellungen sind ein Beispiel dafür, daß Wels sogar gegenüber einer Stadt wie Wien eine Präferenzstellung erlangen kann.99

Die Messe habe sich »von der relativ bescheidenen Veranstaltung des Welser Volksfestes von 1878 [. . . ] zur besucherstärksten Messe Österreichs [. . . ]« 100 entwickelt – ein Beispiel für den Bezug auf die hohe Anzahl an BesucherInnen als symbolische scaling practice. Die absoluten Zahlen an BesucherInnen, die Größe des Messegeländes und die internationale Ausrichtung versprachen eine Erweiterung der Vergleichs- und Maßstabsebenen. Die Welser Messe wurde damit nicht nur auf gleicher Ebene mit der Wiener Messe gestellt, sondern auch als repräsentativ für Österreich verstanden. In der Einleitung zum Jubiläumsband kam der damalige österreichische Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie Josef Staribacher (SPÖ) zu Wort und stellte diese Bedeutung für Österreich heraus: Die WELSER MESSE hat durch hundert Jahre bewiesen, daß sie sich wie ein klassisches Modell von einer Volksfestveranstaltung zu einer wirklich internationalen Messe entwickelt hat. Sie kann und wird, davon bin ich überzeugt, nicht nur für den Welser Raum, sondern für ganz Österreich noch einiges leisten [. . . ].101

Neben der nationalen wurde in der Folge auch die internationale Bedeutung der Messe herausgestellt. Der Landeshauptmann von Oberösterreich Josef Ratzenböck (ÖVP) betonte die große Bedeutung der Messe sogar für Europa. Habe sich diese doch »im Laufe eines Jahrhunderts zu einer der wichtigsten Fachmessen auf dem Sektor der Landwirtschaft entwickelt« 102. Und der Bürgermeister der Stadt Wels, Leopold Spitzer (SPÖ), unterstrich die Messe als eine »wirtschaftliche Veranstaltung, nicht nur von österreichischer, sondern von internationaler Bedeutung« 103. Diese internationale Bedeutung wurde mittels Vernetzung im Interessenverband der weltweit größten Veranstalter von Messen und Eigentümer von Messegeländen gefestigt und im Jahr 1978, hundert

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Prummer (1973): Welser Messe, S. 103. Ebd., S. 29. Magistrat der Stadt Wels (Hg.) (1978): Welser Messe, S. 5. Ebd., S. 7. Ebd., S. 9.

Wels, die Messestadt

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Jahre nach der Entstehung des Volksfestes, wurde Wels in die ›Union des Foires Internationales‹ aufgenommen 104. Die Bedeutung der Messe in den 1960er und 1970er Jahren für das Stadtleben in Wels und als atmosphärische Verdichtung temporärer Größe, Relevanz und Aufschwung der Stadt lässt sich durch die Worte und Narrative von Sepp Käfer nachspüren (siehe auch Abbildung 10). Im Jubiläumsband zur Messe schilderte er unter dem Titel »Wels verbal« seine Eindrücke von der Messe. Bei der Messe »haben alle Welserinnen und Welser das unbedingte Gefühl, ein weltgeschichtliches Ereignis zu versäumen, wenn sie nicht von der Probebefeuchtung bis zum Kehraus um Mitternacht am letzten Sonntag dabei sind« 105, sie »haben alle das Gefühl, ihre Brust könnte vor Stolz zerspringen« 106. »Beim Massenauftrieb von Menschen« 107 habe die Stadt Wels »die Chance, einmal Schlagzeilen in den Zeitungen zu machen« 108. Dann könne »eine Zeitung statt ›Wels‹ ›Welt‹ drucken, ohne einen Druckfehler zu begehen« 109. Theresa Gruber, Anfang sechzig und Pensionistin, wurde in Wels geboren und hat die meiste Zeit ihres Lebens in der Stadt verbracht und als Fotografin gearbeitet. Sie erzählte mir bei einem Stadtgang von der Bedeutung, welche die Messe in ihrer Kindheit hatte und vermittelte deren prägende Kraft als Spektakel für die Stadt: Theresa Gruber: »Da war auch früher bei der Welser Messe war beim Eingang immer das Feuerwerk. War immer auch ein Highlight. Wir sind meistens entweder hinter der Rennbahn gewesen, dass man es von der anderen Seite gesehen hat oder am Reinberg drüben. Da hast schön runtergeschaut.« GW: »Gibt es das noch, das Feuerwerk?« Theresa Gruber: »Es ist schon immer eines, ja. [. . . ] Aber es war früher eine Sensation, ein Feuerwerk. Jetzt sieht man es ja bei jedem Dings. Was weiß ich, jedes Festl hat schon ein Feuerwerk [lacht].« 110

Zusammenfassend war die Messe im industriell-modernen Wels ein zentraler Ort, an dem die Konkurrenz zu umliegenden Gemeinden, aber auch zu bedeutsameren Städten performt wurde, an dem sich zunehmende Relevanz materialisierte und der Möglichkeiten positiver stadtbezogener Subjektivierung bot.

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Holter u. a. (1986): Wels, S. 250. Magistrat der Stadt Wels (Hg.) (1978): Welser Messe, S. 12. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Interview Theresa Gruber.

Zeitliche Bezüge

Abb. 10: »Größer von Messe zu Messe«. Im Jubiläumsband abgedruckte Diagramme zeigen durchgängig nach oben und geben einen Eindruck von der imaginierten Entwicklungsrichtung von Messe und Stadt.

Aus heutiger Perspektive hat neben dem Konsum vor allem die Welser Messe an symbolischer Bedeutung für die Stadt verloren. In Interviews wird zwar Bezug auf die Messe genommen, sie fungiert also weiter als besonderes Merkmal der Stadt, vielfach wird jedoch an das Niedergangsnarrativ der Stadt angeknüpft, wie im Falle Theresa Grubers. Auch wenn heute eine Vielzahl an Fachmessen in Wels veranstaltet wird, hat die für die Stadt prägende Publikumsmesse an Relevanz und gesellschaftlicher Bedeutung verloren.

Wels, die Messestadt

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Wels, die große Stadt Wie die Beispiele des Industriegebietes, der innerstädtischen Konsumzonen und des Messegeländes gezeigt haben, hat sich der Aufschwung von Wels in der Stadtgestalt niedergeschlagen und sich in Form räumlicher Materialisierungen in die Stadt eingeschrieben. Dieser wirtschaftliche Aufschwung in den Jahrzehnten nach 1945 prägte auch die räumliche Größe der Stadt: »Bevölkerungszuwachs, Betriebsansiedlungen und der Ausbau der Verkehrsflächen bedingten gerade in den letzten beiden Jahrzehnten eine überaus stürmische Ausdehnung bebauter Gemeindeflächen« 111, so Kurt Holter Mitte der 1980er Jahre. Es setzte – wie allgemein in Österreich 112 – ein Boom im Wohnungsbau ein, um den durch das hohe Bevölkerungswachstum ausgelösten Bedarf an Wohnraum zu befriedigen. Infolgedessen wurden neue Stadtteile am Stadtrand sowie Hochhäuser auch in der Innenstadt errichtet. So wurde etwa auf dem Gelände des ehemaligen Barackenlagers 1001 der Stadtteil Lichtenegg-Süd mit 1300 Wohnungen, ab 1972 der Stadtteil Noitzmühle mit 1800 Wohnungen und zwischen 1969 und 1983 der Stadtteil Gartenstadt mit 2500 Wohnungen errichtet 113. Diese Bautätigkeiten führten zu einer weiteren Form der Geschäftigkeit in den Schilderungen von Sepp Käfer: Kein Monat verging, ohne daß es eine Dachgleiche oder einen Aushub oder sonst ein bauliches Ereignis gab. Plötzlich entstand hier eine neue Stadt: Wohnblöcke reihten sich wohlgeordnet aneinander, das Sternhochhaus wuchs aus dem Boden und zeigt heute wie ein Finger hinauf. Als ob das aber alles wäre: Schon greifen die Bagger wieder in die Erde, schon ziehen die Kräne wieder Lasten hoch. An einem an sich unscheinbaren Ort, im Volksmund ›die Noiz-Mühle‹ genannt, entsteht wieder ein neues Wels-Lichtenegg. Für gut 3000 Familien wird hier Platz geschaffen. Architekten und Bauleute schwärmen: Nach neuen Erkenntnissen der Gestaltung und Architektur, mit viel Kinder-Grün zwischen den Lang- und Hochbauten, mit Garagen ›unten drunten‹, mit Hobby-Räumen für die Freizeit, mit Platz für Kirche, Schule, Kindergarten, Einkaufszentrum. Da sich ein Buch rascher druckt als eine neue Stadt entsteht, kann darüber mehr nicht ausgesagt werden.114

111 Holter u. a. (1986): Wels, S. 250. 112 Vgl. Eigner u. a. (Hg.) (1999): Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 232. Insbesondere die zwei Wohnbauförderungsgesetze von 1954 und 1968 führten in Österreich zu einem starken Aufschwung im Wohnbau bis zur Rezession der Bauwirtschaft von 1975 bis 1984, vgl. Sandgruber (1995): Ökonomie, S. 514 f. 113 Vgl. Seckauer (1989): Verwaltete Armut, S. 65. 114 Käfer (1975): Wels, S. 32.

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Zeitliche Bezüge

Abb. 11: Das Maria-Theresia-Hochhaus als Symbol des modernen Wels im Buch von Sepp Käfer. Funktionalität und Monotonie werden hier noch als Zeichen von Fortschritt in Szene gesetzt.

Im Band von Sepp Käfer lassen sich viele Abbildungen dieser neuen Bauprojekte in der Stadt finden. Zwei Abbildungen zeigen das 25-stöckige MariaTheresia-Hochhaus in der gleichnamigen Straße (siehe Abbildung 11). Heute ist das Hochhaus umstritten, doch zur Zeit des Bandes von Sepp Käfer galt es als Symbol für das moderne Wels.115 Im Jahr 1968 errichtet, hatte es in der

115 Ähnlich galt in Linz der von 1973 bis 1977 errichtete Wohn-, Einkaufs-, Büro- und Freizeitkomplex Lentia 2000 »als Nonplusultra modernen Lebensgefühls als architektonischer und städtebaulicher Ausdruck des neuen wirtschaftlichen und großstädtischen Selbstbewusstseins der (einstigen) ›Provinzstadt‹ Linz«, Laister (2004): Schöne neue Stadt, S. 135.

Wels, die große Stadt

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damaligen Zeit den Ruf als eines der höchsten Wohngebäude Österreichs und galt als »Vorzeigeprojekt einer prosperierenden Handelsstadt« 116 – sogar eine Postkarte mit dem Motiv des »Höchsthauses« wurde im Jahr 1967 produziert (siehe Abbildung 12). »Das war damals schon eine Sensation. [. . . ] Das war eine Attraktion, also ein großes Haus in Wels, das war ein Wolkenkratzer damals eigentlich« 117, rief sich eine ältere Interviewpartnerin im Gespräch Erinnerungen wach. Wie der Begriff »Höchsthaus« expliziert, war für die Bautätigkeit im Rahmen des Aufschwungs vor allem die vertikale Dimension markantes Kriterium: Die Stärke des Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums und der Zuwachs an Bedeutung bildete sich in den baulichen Materialisierungen von Größe ab. Sepp Käfer schrieb über den Blick auf Wels von AutofahrerInnnen beim Einfahren in die Stadt: »Wenn sie über den Waldschänkenberg bei Puchberg zufahren, sehen sie vor sich die Skyline von Wels und stoßen ein verwundertes ›Oooh‹ aus: Die Stadt ist nach fast allen Seiten hin explodiert (. . . ) und läßt fingrig ihre Hochhäuser in den Himmel ragen.« 118 Ästhetisch entsprachen diese Neubauten einer funktionalen Moderne, genauer der Regel der »›Serie‹, das heißt die Reproduktion eines Prototyps, sei es im Wohnblock, sei es im Einfamilienhaus, und ihr ästhetisches Prinzip das eines antiornamentalen Purismus, der sich bis in die Gestaltung der Innenarchitektur von ›Wohnmaschine‹ fortsetzt« 119. Diese Form des Städtebaus war an einem Ideal der Urbanität durch Dichte orientiert und gilt als »kontinentaleuropäische Gemeinsamkeit« 120 der dritten Phase der europäischen Stadt im 20. Jahrhundert. Verbunden war die funktionale Moderne mit einer Orientierung am Auto als Mobilitätsmodus 121. Die räumlichen Qualitäten des Autos beschrieb Sepp Käfer für Wels in seinem Porträt der Stadt: Unentwegt wird weitergebaut, neue Architektur entwickelt, bald ein Breitband von Fenstern gezogen, bald die Ordnung der Balkone so oder so gerichtet. Die großen Wohnblocks haben auch ihre Schluchtlandschaften: Plötzlich verschwindet ein Automobilist zwischen einer Häuserzeile im Grund; die (eine Tiefgarage) hat ein Auto verschlungen.122

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Famler (2012): Wahrzeichen. Interview Theresa Gruber. Käfer (1975): Wels, S. 17. Reckwitz (2012): Kreativität, S. 277 f. Lenger (2006): Einleitung, S. 14. Vgl. Sandgruber (2003): 20. Jahrhundert, S. 150 f; Hanisch (2005): Schatten, S. 429; Butschek (2011): Wirtschaftsgeschichte, S. 345. 122 Käfer (1975): Wels, S. 31.

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Zeitliche Bezüge

Abb. 12: Ansichtskarte aus dem Jahr 1967. Wels wird über moderne Großarchitektur beworben.

Wels, die große Stadt

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Abb. 13: »Wels – die Stadt des zwanzigsten Jahrhunderts«. Wels wird über moderne Architektur und als fortschrittliche Stadt beworben.

Helmut Grassner schrieb im Kapitel »Die Stadt in ihrer Landschaft« seines Stadtführers über weitere bauliche Zeichen einer modernen Stadt Wels, die sich sichtbar in die Stadtgestalt einschrieben (siehe Abbildung 13), hier insbesondere die städtischen Infrastrukturen: Moderne Bauten bestimmten das moderne Wels! Damit sind aber nicht nur die ›Hochhäuser‹ der Stadt gemeint. Durchaus nicht! Eine fortschrittliche Stadtverwaltung versorgte (und versorgt) die Stadt gut: Fernheizwerk, Müllverbrennungs-

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Zeitliche Bezüge

anlage etc. stellen neue Wahrzeichen der Stadt dar – und welche Stadt kann schon ein eigenes Kraftwerk ihr eigen nennen? Darüber hinaus aber ist das ›alte Wels‹ wohl ›einen Ausflug wert‹. Es will jedoch keineswegs als Museum betrachtet werden: geschäftiges Treiben erfüllt den alten Stadtkern gleichermaßen wie die jungen Stadtteile.123

Der Topos der großen und modernen Stadt – in Form von Hochhäusern und Großwohnsiedlungen, Messe- und Industriegelände und einer physischen Ausdehnung der bebauten Fläche – war also bestimmendes Element im imaginaire des industriell-modernen Wels und zeigt den Bezug auf die physische Größe der Stadt als scaling practice. Rege Bautätigkeit, Infrastrukturen und Mobilität durch das Auto galten als Zeichen einer Geschäftigkeit und fanden Eingang in die Symbolsprache des Städtischen.

Wels, die verbundene Stadt Als Begründungszusammenhang für den Aufschwung der Stadt war vielfach die zentrale räumliche Lage 124 Teil des Aufstiegsnarrativs – auch als wichtiger Standortfaktor 125. Helmut Grassner schrieb über die Zentralität von Wels Mitte der 1970er: Vielleicht ist es kühn, Wels als geographischen Mittelpunkt des Bundeslandes zu bezeichnen. Aber dieser Aspekt verlockt erwähnt zu werden! So ist die Messestadt zumindest verkehrsmäßig so zentral gelegen, daß auch hierin das Geheimnis des Aufschwunges gesehen werden muß.126

Im Topos der Zentralität und der besonderen Lage der Stadt wurde vielfach auf die Römerzeit Bezug genommen 127. AutorInnen aktivierten die römische Geschichte, um an die Lage und die Relevanz der Stadt der damaligen Zeit anzuschließen und Wels ins Zentrum Europas zu stellen. So schrieb Helmut Grassner: Waren es damals die beiden wichtigen Straßen von Ovilava über den Phyrnpaß nach dem Süden und von Lauriacum über Ovilava nach Juvavum, die einer

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Grassner (1976): Messestadt Wels, S. 8. Vgl. Lackinger (1967): Wirtschaftliche Struktur, S. 90. Vgl. Fath (1997): Stadtmarketing, S. 73. Grassner (1976): Messestadt Wels, S. 9. Der Umgang mit der römischen Geschichte der Stadt ist aktuell ein kontroverses Feld. Nach jahrzehntelanger Vernachlässigung wird die Römerzeit nun auch in der Vermarktung der Stadt adressiert (siehe dazu das Kapitel »Place-making und scaling practices als Beruf – Das Stadtmarketing Wels«).

Wels, die verbundene Stadt

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Stadt ohne Garnison überragende Bedeutung verliehen, machen heute die wichtige Nord-Süd- und West-Ost-Verbindung (Passau-Wels-Phyrnpaß usw. sowie Wien-Linz-Wels-Salzburg-Innsbruck) die Messestadt zum europäischen Straßenkreuz.128

An den genannten Knotenpunkt docken heute in erster Linie Autobahn und Bahnstrecken an. Ein Vorläufer der heutigen Bahnverbindungen war die 1835 an Wels angeschlossene Pferdeeisenbahn und im Jahr 1860 wurde Wels über die Westbahn mit Wien und Salzburg verbunden. Die Abzweigung nach Passau, 1861 eröffnet, habe »endgültig die Weichen für eine künftige wirtschaftliche Bedeutung« 129 gestellt und »die Stadt Wels durch die Anbindung an den süddeutschen Raum zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt« 130 gemacht. Mitte der 1970er Jahre war es nicht mehr nur die Bahn, sondern vor allem auch die Autobahn, über die Wels als Verkehrskotenpunkt konstituiert wurde (siehe auch Abbildung 14): In Zukunft werden in Wels Phyrnbahn- und Innkreisautobahn verbunden sein, und von Linz her wird sich kein Autofahrer mehr über die Bundesstraße quälen müssen – außer er will dann gemächlich nach Wels kommen. Auch auf dem Bahnsektor steht die Messestadt ›gut‹ da: kein (noch so schneller) Zug fährt mehr durch, längstens alle zwei Stunden hat der Reisende eine Zugverbindung nach Wien oder Salzburg.131

Daneben gewann in den 1970er Jahren auch der Flughafen, heute Flugplatz genannt, an Relevanz: »Zunehmende Bedeutung nicht nur für den Flugsport erlangte der Welser Flughafen, der im Jahr 1972 das Öffentlichkeitrecht erhielt.« 132 Auch mit den Verbindungen wandelten sich die atmosphärischen Qualitäten der Stadt. Sepp Käfer bewertet die sinnlichen Eindrücke, die mit der Lage der Stadt als Verkehrszentrum verbunden waren, als symbolische Aufwertung: Wels ist nicht nur ein Dreistationen-Platz (der als Hauptbahnhof bezeichnete Bahnhof, der Lokalbahnhof für die Grünaufahrer und der Verschiebebahnhof ), sondern auch eine Leitstation der Bundesbahnen. Fünf Zacken hat der Stern: Salzburg, Linz, Passau, Aschach und Grünau. Der Bahnhof (mit seinem dachlosen zugigen Bahnsteigen und dem fast noch neuen, aber ebenso dachlosen und ebenso zugigen Autobahnhof ) stellt das pulsierende Herz der Pendler, der Schüler

128 129 130 131 132

134

Grassner (1976): Messestadt Wels, S. 59. Ebd., S. 60. Schuller (1988): Industrie und Messewesen, S. 78. Grassner (1976): Messestadt Wels, S. 61. Holter u. a. (1986): Wels, S. 255.

Zeitliche Bezüge

Abb. 14: »Der Plan dieses Autobahndreiecks unterstreicht neuerlich die Bedeutung des Welser Raumes als Verkehrsdrehscheibe«. Wels wird als Zentrum verschiedener Verbindungen in Szene gesetzt.

und der Privatpassagiere dar. Wenn am Morgen Züge und Busse aus allen Richtungen fast zugleich eintreffen, herrscht kurzfristig das Chaos am Vorplatz. Das ist so übel nicht: Der Welser fühlt bei dieser Volksbeschau seine zentrale Bedeutung, die, fast jeder zweite Festredner weiß das zu beleuchten, schon auf die kluge Platzfindung der Römer zurückgeht. Unvergessen in diesem Zusammenhang, daß Wels vor Linz einmal Hauptstadt einer Region war. War! 133

In der verbundenen Stadt zeigen sich die scaling practices am direktesten. Wege in die Welt setzten die Stadt mit anderen Orten in Verbindung und machten aus Wels einen Knotenpunkt und zum Zentrum. In der Mitte eines Autobahndreiecks und das Ziel von PendlerInnen zu sein, war im imaginaire der Stadt

133 Käfer (1975): Wels, S. 26.

Wels, die verbundene Stadt

135

der 1960er und 1970er Jahre unverkennbares Zeichen des Wachstums und der Ausweitung städtischer Bedeutung – der Bahnhofsvorplatz wurde zum Symbol von Dichte und pulsierendem Stadtleben.

Von der Einkaufsstadt zur Stadt »off the map«? Der Aufschwung von Wels und die Euphorie in der Stadt waren an die symbolischen Marker einer großstädtischen Moderne gebunden: Industriegelände und Messegelände, Konsumzonen in der Innenstadt, Hochhäuser und Autobahn. Im Folgenden werde ich diese Kennzeichen der starken Wachstumsjahrzehnte – Industrie, Konsum, gebaute Moderne und Messe – in ihrem Wandel der Bewertung verfolgen. Dabei schließe ich an das zweite Kapitel und die dort vorgestellte Theorie der Kulturalisierung an, um die Brücke zur gegenwärtigen Situation in Wels zu schlagen. Am Ende seines »Porträts der Stadt« von 1975 stellte sich Sepp Käfer die Idealentwicklung von Wels bis zum Jahr 2000 vor. Diese Vorstellungen, entworfen auf dem Höhepunkt städtischen Wachstums, stellen eine interessante Kontrastfolie zu den tatsächlichen Entwicklungen der Stadt dar. So wünschte sich Sepp Käfer ein anhaltendes Wachstum auf 100.000 EinwohnerInnen 134. Die Stadtgestalt hätte sich seinem Wunsch nach ausdifferenziert, zur Hälfte bewohnt von Zugezogenen: Die Stadt ist organisatorisch bereits in neun Bezirke geteilt. Sie alle sind stark zentriert und entwickeln ihr Eigenleben. Jeweils im Zentrum der Neustädte stehen Schulen, eine Kirche, etliche Kindergärten, Einkaufsmärkte und Service-Einrichtungen für Menschen, von denen nur die Hälfte von Welsern abstammt.135

Auch die Welser Messe hätte sich in seiner Vorhersage weiterentwickelt: Angebot und Nachfrage sind in den neunziger Jahren gestiegen. Die Besucherzahl hat sich wesentlich nicht mehr erhöht, wohl aber nahm der Prozentsatz des fachkundigen Publikums zu. Damit ist die Messe zum bedeutenden Wirtschaftsereignis des Jahres für Westösterreich geworden.136

Interessant ist, dass Sepp Käfer zu diesem Zeitpunkt besonders kulturalisierende Aspekte der Stadtentwicklung – im Sinne der von Andreas Reckwitz angeführten ästhetisch-historisch-semiotischen Dichte – als Idealziel der Stadt herausstellte:

134 Ebd., S. 53. 135 Ebd., S. 52. 136 Ebd., S. 53.

136

Zeitliche Bezüge

Besonderes Gewicht hat die Wahrung der Vergangenheit. Daß Wels heute ein vielbesuchter Ort für Gäste aus fünf Kontinenten ist, hat seine Ursache in wesentlichen Epochen. Das von Bürgermeister Schauer entwickelte Wels im Grünen wurde trotz in den siebziger Jahren vorhaltenden Assanierungsbestrebungen erhalten; und die 1984 beschlossene (auf 1968 zurückgehende) Maßnahme zur totalen Erhaltung des Stadtkernes (damals noch ›Altstadt‹ genannt) gibt dem Kern des auf das Mittelalter zurückgehenden Wels historisches Gepräge. Die Wiederbelebung der Altstadt ist völlig gelungen; hier geben zahlreiche ansprechende Lokale, die schönen Fassaden des 17. und 18. Jahrhunderts, die bezaubernden Arkadenhöfe, die verträumten kleinen Stadtwinkel, die lockenden Boutiquen und die anheimelnden Beleuchtungskörper der Stadt ihr eigenes Flair.137

Im Zitat zeigt sich ein Bruch des imaginaires der industriell-modernen Stadt. Käfer beschrieb mit seinen Wünschen an die Entwicklung von Wels mit überraschender Treffsicherheit die Änderungen städtischer Ideale in Kulturalisierungsprozessen: historische »Authentizität«, eine belebte Altstadt, distinktiver Konsum, atmosphärische Qualitäten. Diese Vorstellungen einer idealen Stadtentwicklung von Wels aus der Perspektive der 1970er Jahre stehen in Kontrast zu tatsächlichen Entwicklungen der Stadt, was auf Diskontinuitäten verweist. Sahen etwa – wie weiter oben beschrieben – die Prognosen der Bevölkerungsentwicklung für die Stadt Wels im Jahr 2000 80.000 EinwohnerInnen vorher und erträumte Sepp Käfer sogar 100.000 EinwohnerInnen, hatte die Stadt im Jahr 2000 de facto um die 55.000 EinwohnerInnen. In der Bevölkerungsprognose des Magistrats der Stadt Wels aus dem Jahr 1985 wurde sogar von einem Rückgang der BevölkeAbb. 15: Bevölkerungsprognose Mitte der 1980er Jahre. Nun zeigen die Prognosen nach unten.

137 Ebd.

Von der Einkaufsstadt zur Stadt »off the map«?

137

Abb. 16: Städte in Österreich über 20.000 EinwohnerInnen und ihre Bevölkerungsveränderung 2001–2014 (Wels an 16. Stelle, davor vor allem größere Städte oder Gemeinden im Umland von Großstädten). Weder wuchs Wels stark noch schrumpfte die Bevölkerung wie in Steyr oder Kapfenberg, sondern pendelte sich auf einem geringen Wachstum ein.

rung ausgegangen 138 (siehe Abbildung 15), was aber ebenso wenig zutraf (siehe Abbildung 16).

Deindustrialisierung Mit dem langsameren Bevölkerungswachstum der Stadt hingen Restrukturierungen der lokalen Ökonomie zusammen. Der Industrieboom seit den 1950er Jahren neigte sich ab Mitte der 1970er Jahre seinem Ende zu (siehe Abbildung 17). Ab 1970 nahmen die Neugründungen dann stark ab, was am allge-

138 Vgl. Magistrat der Stadt Wels (1985): Bevölkerungsprognose, S. 56.

138

Zeitliche Bezüge

Abb. 17: Entwicklung des sekundären und tertiären Wirtschaftssektors in Wels von 1964 bis 2012. Wie in Gesamtösterreich expandierte der Dienstleistungsbereich während der Anteil der Industrie zurückging.

mein langsameren Wirtschaftswachstum lag. Der Anteil des produzierenden Wirtschaftssektors belief sich 1971 nur mehr auf 50 Prozent 139. Ab 1973 sank auch die Anzahl der Beschäftigten in der Industrie – gleichzeitig das Jahr, das allgemein das Ende der Hochkonjunktur in Österreich markierte 140 und unter dem Schlagwort der »Erdölkrise« auch international eine Wirtschaftskrise in den Industriestaaten einläutete 141. Vor allem seit dem Jahr 1976 setzten bereits Abwanderungsbewegungen in die umliegenden Gemeinden ein, wofür Klaus Schuller als Grund den Platzmangel und damit verbundene hohe Grundstückspreise anführt sowie eine höhere Standortauswahl in den umliegenden Gemeinden. Es kam zu einer Krise der Bauwirtschaft und rund um das Jahr 1980 zu einer steigenden Zahl von Konkursen, was sich auch in einer steigenden Zahl von Erwerbslosen ausdrückte 142. Seit Anfang der 1970er Jahre entwickelten sich in Österreich die Beschäftigungszahlen der einzelnen Wirtschaftssektoren unterschiedlich. Der Dienstleistungsbereich expandierte, während der Anteil des sekundären Sektors zurückging 143: »Die Ära der für das Nachkriegs-Österreich charakteristischen

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Schuller (1988): Industrie und Messewesen, S. 121 ff. Vgl. Eigner u. a. (Hg.) (1999): Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 217. Vgl. Butschek (1985): Die österreichische Wirtschaft, S. 152. Vgl. Seckauer (1989): Verwaltete Armut, S. 60. Vgl. Butschek (1981): Vollbeschäftigung, S. 46; Mathis (1997): Österreichische Wirtschaft, S. 436; Eigner u. a. (Hg.) (1999): Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 221.

Von der Einkaufsstadt zur Stadt »off the map«?

139

stabilen industriellen Beschäftigungsverhältnisse war an ihr Ende gelangt.« 144 Im Jahr 1981 ging zeitgleich mit der Wirtschaftskrise in Folge des zweiten »Erdölschocks« auch die Ära der Vollbeschäftigung zu Ende 145. Wirtschaftspolitisch zog dies einen Wechsel in Richtung Budgetkonsolidierung nach sich mit Forderungen nach Privatisierung, Deregulierung und Flexibilität 146. Erst mit der Wende ab dem Jahr 1989 setzte dann ein neuer Wirtschaftsaufschwung ein und Österreich rückte stärker ins internationale Zentrum 147. Friedrich Lenger bezeichnet die Phase ab den 1970er Jahren generell als mögliche vierte Phase der europäischen Stadt im 20. Jahrhundert, die von sozialer, sich auch räumlich niederschlagender Polarisierung, Globalisierungsprozessen und neoliberalem Abbau sozial- und wohlfahrtsstaatlicher Stadt- und Wohnungspolitik gekennzeichnet ist 148. Im Gegensatz zu vielen anderen Städten blieben jedoch durch die ökonomische Diversität in Wels starke wirtschaftliche Einschnitte aus. Weder gab es hier ein dominierendes Unternehmen (wie etwa der Stahlkonzern VÖEST in Linz) noch eine Monoindustrie (wie etwa Bergbau im Ruhrgebiet), von welcher die Stadt abhängig gewesen wäre.

Dezentralisierung des Konsums und die Innenstadt als Marke Ab den 1980er Jahren wandert der Konsum in Wels – wie in vielen Städten Österreichs 149 – zunehmend an die Peripherie. Am Stadtrand von Linz am Weg nach Wels wurden rund um das Jahr 1990 die beiden Einkaufszentren Plus City in der Gemeinde Pasching (1989) und UNO-Shopping in der Gemeinde Leonding (1990) eröffnet. In Wels waren bereits im Jahr 1982 die zwei innerstädtischen Einkaufszentren Traunpark Wels und Volksgartencenter Wels eröffnet worden. In den 2000er Jahren folgten am Stadtrand von Wels die Shopping City Wels (2005) sowie das max.center (2006). Damit bildete sich in Wels eine allgemeine Tendenz ab, gab es doch im Jahr 1993 bereits 71 Einkaufszentren in Österreich, im Jahr 1999 waren es schon 115, siebzehn alleine in Oberösterreich 150.

144 Eigner u. a. (Hg.) (1999): Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 221. 145 Vgl. Ebd., S. 222; Butschek (1985): Die österreichische Wirtschaft, S. 169. 146 Vgl. Sandgruber (1995): Ökonomie, S. 492; Eigner u. a. (Hg.) (1999): Wirtschaftsund Sozialgeschichte, S. 224. 147 Vgl. Eigner u. a. (Hg.) (1999): Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 224; Vgl. Butschek (2011): Wirtschaftsgeschichte, S. 404 f. 148 Vgl. Lenger (2006): Einleitung, S. 15 f. 149 Vgl. Eigner u. a. (Hg.) (1999): Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 237. 150 Vgl. Sandgruber u. a. (Hg.) (2002): Handel in Oberösterreich, S. 46 ff. Die Gefahr, in Folge der Verlagerung von Konsum- und Freizeitzonen an die Peripherie zu ausschließlichen Wohnstädten zu werden, bedroht viele kleinere Städte im Umkreis

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Zeitliche Bezüge

Ein sprechendes Beispiel für diese Transformationen des städtischen Konsums und ein damit verbundenes Umdenken bzw. für eine neue Wissensproduktion im Rahmen von Vermarktungsbestrebungen der Innenstadt stellen Mitte der 1990er Jahre erschienene Studien, häufig Diplomarbeiten, dar. Diese setzen sich aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive, oft auch im Auftrag der Stadt und in Kooperation mit der Wirtschaftskammer, mit der Stadt Wels und insbesondere mit Image- und Marketingkonzepten auseinander – ein Zeichen für das gewandelte Verständnis von urban governance hin zum Konzept der unternehmerischen Stadt, das dem Humangeographen David Harvey nach insbesondere durch eine zunehmende Ausrichtung auf den Standortwettbewerb und eine stärkere Städtekonkurrenz gekennzeichnet ist 151. Bezugspunkt aller Studien zu Wels waren zu dieser Zeit die Einkaufszentren, welche für den Abzug von Kaufkraft aus der Stadt verantwortlich gemacht wurden. So stellte beispielsweise die Autorin Ursula Kastner in ihrer Diplomarbeit mit dem Titel »Das Problem der Einkaufszentren und die Stadt Wels« fest, dass sich durch die Einkaufszentren »für Wels die Wettbewerbssituation drastisch verschärft« 152 habe. »In der Zukunft muß mit weiteren Zentralitätsverlusten in Bezug auf den Einzelhandel der beiden Städte Wels und Linz und einem härteren Konkurrenzkampf um die Funktionsteilung gerechnet werden.« 153 Mehrere Gegenmaßnahmen seien in Wels beschlossen worden, wie etwa die »Schaffung eines Einkaufszentrumscharakters« und ein »Fuzo-Konzept« 154. Die Positionierung von Wels als Messestadt und als Einkaufsstadt müsse heute aufgegeben werden 155. Die Autorin einer weiteren Diplomarbeit mit dem Titel »Stadtmarketing und Stadtplanung – Das Beispiel Wels« von 1997 stellte in Bezug auf Wels fest, dass Städte »sich zunehmend in einem Spannungsfeld [befinden], das durch Attraktivitätskonkurrenz in den Bereichen Leben und Wohnen, Wirtschaft und Freizeit sowie durch ökonomische Interessen und traditionelle Strukturen beeinflußt wird« 156. Dabei sei es erforderlich, »alle Kräfte einer Stadt an der Stadtentwicklung zu beteiligen, um am ›Unternehmen Stadt‹ mitzuarbeiten« 157. Die Autorin plädierte im Gegensatz zu Ursula Kastner dafür, »Wels als Markt- und

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von Metropolen, vgl. Fischer (2011): Bedrohte Identität, S. 76. Einkaufszentren scheinen in kleineren Städte generell eine größere Wirkung auf die Innenstadt zu haben als in größeren Städten, wo Einkaufszentren die Handelsstrukturen nicht wesentlich beeinträchtigen, so Klaus Rauter, vgl. Rauter (2011): Mittelstadt, S. 304. Vgl. Harvey (1989): Managerialism. Kastner (1996): Einkaufszentren, S. 144. Ebd., S. 143. Ebd., S. 197. Vgl. Ebd., S. 97. Fath (1997): Stadtmarketing, S. 4. Ebd.

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141

Handelsstandort – definiert als ›Die Messestadt‹ und ›Die Einkaufsstadt‹« 158 – beizubehalten mit dem Ziel, die »Stadtattraktivität« 159 zu erhöhen, was auf die schon damalige Kontroverse rund um den Umgang mit dem imaginaire der Stadt verweist. Ein weiteres Beispiel für die Wissensproduktion im Bereich der Stadtvermarktung stellt eine zweiteilige, von der Wirtschaftskammer Wels beauftragte Studie aus dem Jahr 1997 mit dem Titeln »Stärken und Schwächen von Wels als Einkaufsstadt. Eine empirische Studie« und »Wels – die Stadt – auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Ein City-Konzept mit neuen Dimensionen« dar. Der Autor Ferdinand Friedl schrieb darin von »massiven Kaufkraftabflüssen aus der Welser City« 160 und untersuchte die Gründe für »die triste Lage der Welser Innenstadt« 161. Die Studie schlug als Gegenmaßnahme ein neues »City-Konzept« vor. Zentrale Punkte dabei waren »Attraktivitätssteigerung«, indem die Stadt zum »Erlebniscenter« werde, so solle sich etwa der lokale Handel vom »reinen Bedarfsdecker zum Entertainer und Servicecenter« 162 entwickeln. Parallel zu dieser neuen Wissensproduktion über Städte – und der zur diesen Zeit großen wissenschaftlichen Aufmerksamkeit für Wels – verstärkte die Welser Stadtregierung Vermarktungsbestrebungen. Im Jahr 1995 wurde schließlich die Stadtmarketing Wels GmbH als hundertprozentige Tochter der Stadt Wels gegründet, die damit den Vorgänger WEMA (Welser Marketingvereinigung), der ausschließlich auf den Handel konzentriert war, ablöste (sieh dazu auch das Kapitel »Place-making und scaling practices als Beruf – Das Stadtmarketing Wels«). Dieser neue Ansatz der urban governance und der damit verbundene Umbau der Innenstädte ist Teil der beschriebenen Kulturalisierung der Städte. Andreas Reckwitz präzisiert die Wende zum sinnlichen Erleben folgendermaßen: Die Semiotisierung und reflexive Historisierung der Innenstadtviertel verschränken sich so mit einer Ästhetisierung im engeren Sinne, das heißt einer Transformation bisher sinnlich-affektiv neutraler oder sogar abstoßender Räume in solche sinnlichen und affektiven Genusses. Für diesen Prozess ist entscheidend [. . . ] dass sich gemeinsam mit der Alltagssemiotik des Ortes das alltägliche sensing cities, das sinnliche Verhältnis zur Stadt auf visueller, auditiver, olfaktorischer und taktiler Ebene transformiert.163

158 159 160 161 162 163

142

Ebd., S. 12. Ebd., S. 14. Friedl (1997): Wels als Einkaufsstadt, S. 0. Ebd. Leitner (1997): Wels, S. 131. Reckwitz (2012): Kreativität, S. 291 f.

Zeitliche Bezüge

Dieser Wandel städtischer Normbilder und Vorstellungen vom guten Lebensort, die an sinnliche Qualitäten gebunden sind, war in Wels umso einschneidender, als hier ein großer Teil des Stadtraums und die baulichen Zeichen städtischen Erfolgs aus der Zeit des industriell-modernen Wels stammten und diese Stadtgestalt eine zunehmende Entwertung erfuhr.

Entwertung der gebauten Moderne Neben der Transformation der ökonomischen Strukturen und der Dezentralisierung des Konsums wandelte sich auch das Verständnis der baulichen Zeichen der industriell-modernen Stadt Wels. Waren Mitte der 1960er nur vereinzelte kritische Stimmen zu den neuen Hochhausbauten und deren »Gigantonomie« 164 zu hören, schrieb Mitte der 1980er Jahre Kurt Holter: In langfristiger Übersicht ist ein erfreulicher Wandel der Planungs- und Baugesinnung feststellbar. Nicht mehr der Ehrgeiz, Österreichs höchstes Wohngebäude in seinen Mauern zu haben (Maria-Theresia-Hochhaus, errichtet 1962–1967), bestimmt die Baugesinnung, sondern die Schaffung ausreichenden, humanen Wohnraumes in niedrigerer Verbauungshöhe.165

Damit wiesen die Autoren auf den »humanen« Maßstab hin, in dem gebaut werden solle (siehe dazu auch das Kapitel »Überschaubarkeit und Vorstellungen von Stadt«). Diese Abkehr von einer vertikalen Ausdehnung der Stadt ist Teil einer allgemeineren Entwicklung, in deren Folge die symbolischen Marker der industriell-modernen Größe, nämlich die funktionalen Großbauten wie das Maria-Theresia-Hochhaus und die Hochhaussiedlungen am Stadtrand, nicht mehr funktionierten und entwertet wurden. Beim Stadtgang schimpfte eine Interviewpartnerin über das ehemalige »Höchsthaus«: »Ich mein, das gehörte ja auch gesprengt eigentlich. [. . . ] Aber wenn zweitausend Leute drin sind, da wohnen. Das war halt 1970 diese Sucht nach oben. [. . . ] Nein, nein! Entsetzlich! Entsetzlich!« 166 Schon im Jahr 1997 schrieb Brigitt Fath in der oben vorgestellten Diplomarbeit, dass versucht werde, »Ghettobildungen [. . . ] zu vermeiden« 167. Dem Stadtteil Lichtenegg, in dem sich auch die Wohnsiedlung Noitzmühle befindet, fehle »jegliche Attraktivität bezüglich der Wohnformen« 168, »in Wels 164 So verfasste der Leser der Welser Zeitung Alois Brandstetter einen Leserbrief, welcher in der Ausgabe vom 14. Oktober 1965 abgedruckt wurde: »Die Lust am Hohen, die naive Freude an baulichen Superlativen hat etwas geradezu Lächerliches an sich, schon gar, wenn sie sich in einer mittleren Kleinstadt wie Wels zeigen.«, Brandstetter (1966): Leserbrief »Gigantonomie«, S. 7. 165 Holter u. a. (1986): Wels, S. 252. 166 Interview Birgit Wagner. 167 Fath (1997): Stadtmarketing, S. 112. 168 Ebd., S. 122.

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143

ordnet man die Noitzmühle in die Rubrik irreparabler Planungssünden ein« 169. Fath machte ihre Kritik insbesondere an der Dichte der Verbauung fest: »Einzelne Wohnhausanlagen z. B. Noitzmühle besitzen Dichtewerte, die nicht mehr vertreten werden können.« 170 Die Autorin fragte abschließend: »Wen wundert es, wenn die Abwanderung steigt und der Zuzug von Menschen sich nicht erhöht?« 171 Heute stellt die Noitzmühle ein zentrales Symbol im Niedergangsnarrativ dar (siehe dazu auch das Kapitel »Die bedrohte Stadt: Überschaubarkeit, Fremdheit und (Un)Sicherheit«). Auch die Messe erfuhr eine neue Bewertung. Die Messe erlebte zwischen 1964 und 1978 ihren Besucherhöhepunkt. Obwohl sie laut Berichten auch gegenwärtig Umsatzrekorde erreicht und »die Nummer eins unter den Messeveranstaltern in Österreich« 172 ist, hat sie ihre symbolische Bedeutung für die Stadt eingebüßt.

Vom industriellen Zentrum an die kulturökonomische Peripherie Vielfach betonten AutorInnen, dass Wels auch nach der Industriekrise eine zentrale Rolle in Oberösterreich einnehme, etwa weiterhin »Viertelhauptstadt« 173 sei und wichtige Funktionen als Industriezentrum, Messe-, Schul- sowie Wirtschaftsstandort und Einkaufsstadt übernehme 174. Und auch heute, beinahe 20 Jahre später, lässt sich kein wirtschaftlicher oder funktionaler Abschwung feststellen. Vielmehr ist Wels Teil der NUTS 3-Region Linz-Wels mit dem im Jahr 2014 österreichweit höchsten Bruttoregionalprodukt pro EinwohnerIn 175. Weder ist Wels eine schrumpfende Stadt noch finden starke Peripherisierungsprozesse statt. Wels hat aus ökonomischer und finanzieller Perspektive damit kaum Abstriche zu verzeichnen 176. Auch Michaela Petz von der Arbeiterkammer stellte im Interview die gute wirtschaftliche Lage der Stadt heraus und betonte, dass selbst die Wirtschaftskrise ab 2008 dies nicht groß geändert habe 177. Trotz dieser wirtschaftlichen und funktionalen Konstanz kommt es in den Jahrzehnten ab den späten 1980er Jahren zu einer symbolischen Entwertung. Der Ort verliert an Relevanz, weil das Level des symbolischen Wettbewerbs

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144

Ebd. Ebd. Ebd., S. 123. O.A. (2016): Welser Messe. Kastner (1996): Einkaufszentren, S. 98. Vgl. Ebd. Vgl. Statistik Austria (2016): Bruttoregionalprodukt. Vgl. Steinbock (2014): Schulden. Interview Michaela Petz.

Zeitliche Bezüge

im Kontext einer Kulturalisierung der Städte zunimmt und Wels damit immer weniger einer jener Orte ist, die »in der öffentlichen Aufmerksamkeit als ›pulsierende Städte‹ (buzz cities) wahrgenommen [werden], die places to be sind – ob als Lebensort oder zumindest für einen touristischen Besuch« 178. Ilse Helbrecht formuliert: »Wir sind Zeitzeugen einer neuen Sicht des Städtischen, die es zwar immer schon in der Menschheitsgeschichte gab, die jedoch bisher sozial und wirtschaftlich als unbedeutend galt.« 179 Aushandlungen darüber, was »Stadt« sein soll, welche Vorstellungen vom guten Leben in der Stadt fluktuieren und welche Sehnsüchte und Träume Städte erfüllen sollen, sind nicht mehr an die »klassische« Ökonomie gebunden, sondern an die kulturelle Ökonomie. Städte, so schreibt Judith Laister im Anschluss an Jean Baudrillard, seien nicht mehr Orte industrieller Konzentration und Warenproduktion, sondern Orte der Produktion von Zeichen, Modellen und Bildern 180. Wie das oben angeführte Zitat von Sepp Käfer zeigt, wurde die Kulturalisierung in Wels zwar vorausgesehen und wie oben beschrieben fand eine Ästhetisierung und Historisierung der Stadt auch teilweise statt. Diese warfen aber nicht das gewünschte symbolische Kapital ab 181. Heute ist die Produktion einer neuen Form kultureller Urbanität die städtische Norm, nicht also »eine bloße ›Kulturpolitik‹, wie sie etwa in den 1970er Jahren im Umkreis der Förderung von sogenannter Sozio-Kultur zur Debatte stand, sondern [. . . ] eine totalisierende strategische Kulturalisierung des Urbanen« 182. Die Symbole der Größe, die zuvor noch Aufschwung in Wels markieren konnten, greifen im Rahmen dieser Kulturalisierung der Städte nicht mehr in gleichem Maße. Sie sind heute verschwunden, wie die leerstehenden Geschäftslokale in der Innenstadt anzeigen, oder gelten als entwertet, wie sich

178 179 180 181

Reckwitz (2012): Kreativität, S. 293. Helbrecht (2005): Geographisches Kapital, S. 150. Vgl. Laister (2004): Schöne neue Stadt, S. 18. In Linz dagegen brachte der Übergang von einer Industriestadt zu einer Dienstleistungs-, Technologie- und Kulturstadt, ausgelöst durch die Krise der lokalen Monoökonomie, internationale Anerkennung. Diese war insbesondere an die Inszenierung eines neuen städtischen Images gebunden, das Linz als dynamisch, zukunftsorientiert und offen präsentierte. Dazu wurden im Jahr 2000 ein Kulturentwicklungsplan in Kraft gesetzt und die alten Bilder von Linz als Arbeiter- und Stahlstadt durch neue, saubere Bilder von neuen Repräsentationsbauten, Cybertechnologien und einer »Kulturmeile« an der Donau überblendet. Linz sollte als innovativer und lebendiger Ort für Kultur, Konsum und High-Tech in das Bewusstsein der Bevölkerung treten, vgl. Ebd., S. 95 f und 119. Aber auch Linz hatte lange mit ambivalenten Selbst- und Fremdbildern – genannt »Linz-Syndrom« – zu kämpfen, wie mangelnde Identifikation mit dem Wohnort, Imageverlust durch den Niedergang der Industrie und ein generell schlechtes Fremdimage, vgl. Ebd., S. 189. 182 Reckwitz (2012): Kreativität, S. 305 f.

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an den negativen Diskursen rund um die Hochhaussiedlungen der 1960er bis 1980er Jahre erkennen lässt – und wurden nicht durch neue ersetzt. Diese symbolische Leerstelle ist insbesondere in einer Ökonomie der Symbole gravierend und gerade in vormaligen Industriestädten, welche mit einer Identitätskrise konfrontiert sind, ist die Produktion eines neues imaginaires von strategischer Bedeutung 183. Auch wenn diese Entwicklungen nicht nur Wels und auch nicht einmal nur Österreich spezifisch betreffen, sondern gesamt eine Transformation des Umgangs mit den städtischen Markern der Moderne andeuten, zeigt sich aber im Vergleich zu vielen prosperierenden Großstädten und Metropolen in Wels eine eigene Dynamik. Können diese auf eine größere ästhetischhistorisch-semiotische Dichte 184 zurückgreifen, findet die Übersetzung und Neuaneignung funktional-industrieller Vergangenheit und Räume im Sinne einer Kulturalisierung in Wels kaum statt 185. Die Stadt Wels ist damit angesichts einer gesellschaftlichen »Totalisierung des Kulturellen« zunehmend ein »unerwünschtes Außen, [. . . ] nämlich das Nichtkulturelle beziehungsweise das Nichtkreative« 186. Diese Totalisierung präjudiziert nach Reckwitz, dass jede Stadt eine kreative ist und zu sein hat. Ihr ›Anderes‹ sind dann jene Städte oder Stadtviertel – und schließlich auch deren Bewohner –, die nicht zu einer gelungenen Semiotisierung, Historisierung und Ästhetisierung in der Lage sind, etwa weil sie keine creative industries anziehen oder ihre historische Bausubstanz sich nicht für eine attraktive Atmosphärenbildung eignet. Solche Städte sind nicht imstande, den Ansprüchen kultureller Dynamik zu genügen, und sie liefern die notwendige Hintergrundfolie, vor der sich die kreativen Städte als solche positionieren.187

Wels stellt demnach eine Stadt dar, welche in den Kulturalisierungsprozessen außen vor bleibt, eine nicht-kulturalisierte, eine symbolisch schrumpfende Stadt. Sie liefert in Rankings die Kontrastfolie für jene anderen Städte, die sich an den Spitzenplätzen positionieren und sich als kreativ und schillernd bewerben können. Der Niedergang fordistischer Produktionsweise und des damit verbundenen lokalen Selbstverständnisses in Wels hat Zeichen einer Industriemoderne hinterlassen, die heute noch das Stadtbild prägen und in den Alltagswelten der

183 Vgl. Laister (2004): Schöne neue Stadt, S. 214. 184 Vgl. Reckwitz (2012): Kreativität, S. 279 f. 185 Wohingegen in Linz – nachdem die Industrie lange gemieden wurde – sowohl die industrielle Vergangenheit als auch konkret die Orte industrieller Produktion kulturökonomisch in Wert gesetzt und ästhetisch angeeignet wurden, vgl. Laister (2004): Schöne neue Stadt, S. 139 ff, etwa im Rahmen des Ars Elctronica Festivals oder in Form des Erlebnismuseums voestalpine Stahlwelt. 186 Reckwitz (2012): Kreativität, S. 311. 187 Ebd., S. 310 f.

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Zeitliche Bezüge

BewohnerInnen relevant sind. Wie aber gehen BewohnerInnen heute mit der industriell-modernen Vergangenheit der Stadt um und wie verhandeln sie neu, was städtisches Leben in Wels im kulturökonomischen Modus der Produktion auch von Stadt bedeutet?

Von der Einkaufsstadt zur Stadt »off the map«?

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6. ANNÄHERUNG DIE STIGMATISIERTE STADT »Decentralizing Vienna«: Das Gefühl, am Rande zu wohnen . . . Der Beginn meines ersten Feldaufenthaltes in Wels war – neben dem Einrichten meines eigenen Alltags in der Stadt sowie der Suche nach Zugängen zu verschiedenen Netzwerken – vom Empfinden geprägt, an einem marginalisierten Ort zu leben, an dem nicht viel los war. So freute ich mich, wenn ich Stimmen vor meinem Fenster hörte, und ich blickte schnell nach draußen, um zu beobachten, was vor sich ging. Ständig beschlich mich das Gefühl, etwas zu verpassen, das nicht hier in Wels, sondern an anderen Orten und in anderen Städten stattfand. Ich hatte den Eindruck, »weniger« um mich zu haben, in einer kleineren Welt und isoliert zu sein – ich fühlte mich am »Rand«, an der Peripherie. In meinem Weg nach Wels war eine gefühlte Städterelation zwischen Zentrum und Peripherie eingebettet, die nicht zuletzt mit meinen eigenen Habitualisierungen und Vorstellungen vom guten Lebensort zusammenhing. Eine Folge meines Gefühls der Isolation war meine Neigung zum Konsum – dauernd ging ich einkaufen, jeden Tag war ich beim Merkur und fast jeden Tag bei Thalia oder Libro. Zwar hatte ich immer einen Vorwand, dorthin zu gehen, nämlich Büromaterial zu kaufen, um wiederum meinen Arbeitsplatz in meinem Zimmer zu routinisieren, jedoch merkte ich, wie gerne ich in die Geschäfte und generell an Orte ging, an denen Menschen waren, an denen es lauter war, an denen sich etwas bewegte und etwas passierte. Und das waren in der ersten Zeit in Wels für mich vor allem die öffentlich zugänglichen Konsumorte, an denen ich mich mehr im Zentrum fühlte. In meinem Gefühl der Isoliertheit spiegelten sich aber nicht nur bestimmte Städterelationen, sondern auch die räumlichen Machtverhältnisse klassischer Feldforschung, die einen Bogen vom Zentrum des Empire in die peripheren Kolonien zeichnete. In meinem Fall beschrieb die Bewegung von Wien als Zentrum akademischen Wissens in Österreich nach Wels einen räumlichen Abstieg. Jedenfalls für das Fach der Europäischen Ethnologie lässt sich eine Konzentration der deutschsprachigen Institute, die sich als Stadtforschungsinstitute profilieren wollen, in Großstädten feststellen. So befinden sich die Stadtforschungszentren insbesondere in Berlin, Hamburg, München, Zürich, Wien und Graz (wenngleich Stadtforschung auch in den Instituten in kleineren Städten wie etwa Marburg, Tübingen, Jena oder Würzburg betrieben

wird) 1. Auch in dieser räumlichen Struktur akademischer Wissensproduktion über Städte wird also der oben beschriebene Metrozentrismus reproduziert. Das Gefühl der Isoliertheit schien auch teilweise ein Effekt der Feldforschungssituation zu sein, ein Resultat der Routinelosigkeit, da es mir zu Beginn nicht gelang, Teilnahmemöglichkeiten wahrzunehmen. So versuchte ich, mir zu Beginn des Feldaufenthaltes verschiedene Routinen einzurichten (wie etwa Sport zu treiben, Notizen anzufertigen, in meiner Unterkunft Texte zu lesen, Einzukaufen etc.), was jedoch ohne feste Bezüge zur Stadt und ohne zeitliche Anker in der flexiblen Feldforschungssituation nicht umgehend glückte. Die Isoliertheit in Bezug auf die Stadt ging also parallel mit einer Isoliertheit als Effekt der Feldforschung. Im Laufe des Feldaufenthaltes wurde klar, dass meine Perspektive auf Wels als »Stadt am Rande« die Perspektive des Zentrums war, die in Wels keineswegs alle teilten: Für viele war Wels das Zentrum ihrer Welt. Dennoch war das dominante Gefälle zwischen Wien und Wels auch in vielen Aussagen von BewohnerInnen der Stadt erkennbar. Mein Eindruck der Isoliertheit war also nicht ausschließlich eine Wirkung der »einsamen« Feldforschungssituation, sondern wurde auch von BewohnerInnen immer wieder thematisiert – insbesondere als Form der Stigmatisierung. Auch in der Szene rund um das Irish Pub spielte die Stigmatisierung eine Rolle. So prägte die Szene zwar eine Abgrenzung von der Stadt, gleichzeitig konnte ich auch Formen der Aneignung der Stadt und des aktiven Umgangs mit der Stigmatisierung ausmachen. Dies verdichtete sich in der Vorstellung von »Irishness« und in der Erzählung von der »Dirty Old Town« Wels.

. . . und der schlechte Ruf: Marginalisierung in Kulturellen Ökonomien Wie in Kapitel fünf beschrieben, erfuhr das imaginaire des industriell-modernen Wels seit den 1980er Jahren eine Entwertung. Im Laufe der Forschung stieß ich auf unterschiedliche Formen des Umgangs mit dieser Entwertung. Als dominante Form stellte sich eine Stigmatisierung der Stadt heraus, verstanden als »diskursive Dimension von Peripherisierung« und »symbolische Bewertung« 2, wie der Geograph Thomas Bürk und die Geographin Sabine Beißwenger den Begriff bestimmen. Wels wurde auf vielfältige Weise zum Ziel von negativen Bewertungen, die normativ an einer (metrozentristischen) Kulturalisierung orientiert waren. Die Reaktionen auf unsere Forschung in Wels schon vor meinem Feldaufenthalt, die Schilderungen vieler jüngerer BewohnerInnen aus der Szene rund um das »Irish Pub« (siehe dazu das Kapitel »›Irishness‹ und 1 Vgl. dazu auch Hengartner (2005): Stadtforschung, S. 69. 2 Bürk u. a. (2013): Stigmatisierung, S. 125.

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die ›Dirty Old Town‹«) und mein eigenes Gefühl am »Rand« zu wohnen verwiesen auf die Präsenz einer räumlichen Ungleichheit und deren Ausdruck in Narrativen über Wels. Nachfolgend gehe ich anhand drei verschiedener Arten der Repräsentation von Stadt als Formen symbolischer place-making und scaling practices auf diese Stigmatisierung von Wels ein: der Stadtschelte, medialer Stadtporträts sowie Städterankings. Im Zentrum steht ein genereller Eindruck der dominanten und hegemonialen Narrative über die Stadt Wels. Die feinen Unterschiede im Umgang mit diesen Narrativen, das heißt verschiedene Rezeptionsweisen, Aneignungen und Aushandlungen der Stigmatisierung stelle ich in weiteren Unterkapiteln der Arbeit dar.

Stadtschelte in Alltagsgesprächen und Interviews Während meines Feldaufenthaltes in Wels äußerten unterschiedliche GesprächspartnerInnen ihre bewertenden Blicke auf die Stadt – oftmals im Modus einer »Stadtschelte«, einer Form einer resümierenden Beschwerde. Diese Klage über Defizite der eigenen Stadt verstehe ich als eingebettet in soziale Situationen, in welchen AkteurInnen ihre (Subjekt)Positionen aushandeln. Wie bei den wohnortbiographischen Interviews ist auch hier der Zusammenhang von Ort und Subjekt entscheidend, wie also im Erzählen vom Wohnort auch das Selbst erzählt werden kann. Durch das Sprechen über den eigenen Wohnort kann einem Gegenüber die eigene Position zu diesem Ort vermittelt werden, etwa durch Nähe- und Distanzverhältnisse. Häufig nehmen BewohnerInnen in diesen diskursiven Aushandlungen auf die Materialität der Stadt Bezug, um die Rolle der Stadt und die eigene Verortung zu vermitteln. Wie Defizite der Stadt auch erzählt wurden – kokett oder beschämt –, meist schien es geteiltes Wissen zu sein, dass Wels weniger attraktiv sei bzw. als weniger attraktiv gelte als andere Städte. So zeigte sich ein jüngerer Welser erstaunt, dass man überhaupt eine Forschungsarbeit über Wels schreiben wolle: »Dass sich wer für unseren Wahnsinn interessiert!« 3. Zweifelsohne wirkte sich hier auch meine Herkunft aus Wien auf Gespräche aus, wenn etwa die eigene Stadt mit Bezug auf Großstädte respektive Wien abgewertet wurde, sich die / der jeweilige InterviewpartnerIn als GroßstädterIn präsentierte und damit Ebenbürtigkeit bzw. Solidarisierung mit mir artikulierte. Verschiedentlich wurden ich bzw. die Interviewsituation auch als Beschwerdestelle genutzt. Oder die Stadt wurde gegen Beschwerden anderer verteidigt – eine Position, in der sich wohl viele WelserInnen wiederfinden, die sich mit der Stadt identifizieren, wie etwa Martin Reiter, ein Bewohner Ende zwanzig, welcher nach beruf lichen Wohnaufenthalten in Großstädten Europas erst seit kurzer Zeit wieder in Wels wohnte: 3 Feldnotiz, 18. 04. 2012.

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Ich war immer in der Verteidigerposition. Mich hat das immer ein bisschen gestört, wenn andere Leute über Wels geschimpft haben, weil es ist halt meine Heimatstadt und ich habe immer die Vorteile hervorgekehrt. Aber wenn ich jetzt selber da lebe, tun sich natürlich auch Nachteile auf.4

Vor allem drei Topoi waren im Erzählen des Defizits der eigenen Stadt erkennbar – Leere, Lokalismus und Kleinheit / Größe. Alle drei stehen in Kontrast zu einer metrozentristischen Vorstellung von Urbanität kulturökonomischer Ausprägung in Form ästhetisch-historisch-semiotischer Dichte.

Leere Wiewohl ein offizielles Schild an einer Einfallstraße die Stadt Wels als »ein Schmuckstück Oberösterreichs« beschreibt und die Stadt es laut Stadtmarketing »in sich hat« und »voller Impulse« sei, wurde von BewohnerInnen vielfach die schon geschilderte Perspektive vorgebracht, in Wels sei »nichts los« 5, die Stadt sei »leer« und »tot«. Waren »früher sogar Linzer in Wels einkaufen«, sei die Stadt »heute nichts mehr wert«, so ein vielfach vorgebrachter Allgemeinplatz des Niedergangsnarrativs. Vielfach wurde mir berichtet, wie »wenig los« in der Stadt sei – ein Straßenmusiker etwa zeigte mir Fotos der leeren Fußgängerzone 6. Bei einem gemeinsamen Besuch der CineWorld, dem damals größten Kino der Stadt, erklärte mir ein Bewohner, dass es schon lange her sei, seit er den Kinosaal so voll gesehen habe. Dass so wenige Leute im Kino seien, das mache Wels aus 7. Ein ähnliches Niedergangssymbol, das vielfach Thema war, stellt die Schließung einer Filiale von McDonalds am Stadtplatz dar. Diese Schilderungen des leeren Zentrums beziehen sich u. a. auf eine hohe Zahl an innerstädtischen Leerständen. So stellte eine Studie von »Standort und Markt« 8 für das Jahr 2015 fest, dass die Stadt Wels unter den untersuchten 22 Standorten mit 10,4 Prozent die höchste Leerstandsrate hatte (die sich im Vergleich zu den Jahren davor überdies erhöht hatte) 9. Für die nahe Landeshaupt-

4 Interview Martin Reiter. 5 Siehe dazu auch im Kontrast das »es geht etwas vor« als Alfred Döblins Beschreibung von Berlin als dynamische Stadt in Rolf Lindners kleiner Anthropologie von Berlin als »absoluter Stadt«, vgl. Lindner (2016): Berlin, S. 9. 6 Feldnotiz, 14. 05. 2012. 7 Feldnotiz, 25. 07. 2012. 8 Ziel der Studie war ein »lückenloses und objektives Standort- und Markt-Monitoring über sämtliche Arten von agglomerierten Einkaufszielen, nämlich Cities, Shopping Malls, Retail Parks und Big Box Agglomerationen«, Standort + Markt Beratungsgesellschaft m.b.H (2016): CITY RETAIL, S. 1. 9 Dieser Befund wurde in den kommenden Jahren jedoch stark relativiert. Im Update der Studie im Jahr 2017 wurde besonders die »sehr positive Entwicklung« der Welser Innenstadt unterstrichen, die bei einem gestiegenen Durchschnitt der untersuchten

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stadt Linz wurde dagegen eine Leerstandsrate von 1,4 Prozent berechnet 10. Der Durchschnitt der untersuchten Städte lag bei 4,7 Prozent, der Durchschnitt in den Einkaufszentren Österreichs bei 3,4 Prozent 11. Überdies war Wels auch beim »City-Anteil im Agglomerations-Mix nach Verkaufsflächenkapazität« bei den unteren Städten angesiedelt, d. h. der Anteil der Innenstadt am Einzelhandel war vergleichsweise gering. Diese Entwicklungen lassen sich als Effekt der oben beschriebenen hohen Anzahl an Einkaufszentren rund um die Stadt und am Stadtrand interpretieren. Im Kontrast dazu florieren in Großstädten teure Einkaufsstraßen, wie in Wien die Kärntner Straße oder der Kohlmarkt (im Jahr 2016 die zehntteuerste Einkaufsstraße der Welt 12), und baut ein Unternehmen wie Peek & Cloppenburg »Weltstadthäuser« von weltbekannten ArchitektInnen als Vorzeigeläden 13. Vielfach nehmen BewohnerInnen die Innenstadt als leer wahr. Magdalena Baumgartner, Mitte vierzig, wohnt seit mehreren Jahrzehnten in Wels und beschrieb beim Stadtgang die Fußgängerzone: Wir haben in Wels die eine Gasse, die Fußgängerzone, bis jetzt habe ich sie bewusst ausgespart, da ist ein entweder Brillengeschäft oder Elektronikgeschäft oder Kebapstand nach dem anderen [lacht]. Das ist so, da gibt es sonst nichts. Also in Wels im Zentrum, was zum Beispiel fehlt, die haben keinen Würstelstand.14

Hier lässt sich vielfach angeführter Gegensatz zwischen Kebab- und Würstelstand ausmachen, der oftmals als Erklärung für die Entwicklung der Innenstadt herangezogen wird. Eine solche Ethnisierung der Gastronomie wird verschiedentlich in eine Ethnisierung des Niedergangs der Innenstadt generell übersetzt (siehe hierzu das Kapitel »Die bedrohte Stadt: Überschaubarkeit, Fremdheit und (Un)Sicherheit«). Die Kebapstände werden nicht als eine Form kosmopolitischer Gastronomie und zukunftsträchtiger Kulturökonomie imaginiert, sondern als Zeichen für den Abstieg wahrgenommen. In der Rede von der Leere der Innenstadt wird oft die ehemalige Rolle von Wels als Einkaufsstadt mit der Niedergangsgeschichte der Stadt kontrastiert, wie im folgenden Zitat von Roland Weber, Mitte fünfzig und Inhaber eines Geschäftes in einem kaum mehr frequentierten Bereich am Rande der Innenstadt:

10 11 12 13 14

Städten von 4,8 Prozent nur mehr einen Leerstand von 3,6 Prozent vorzuweisen hatte, vgl. Standort + Markt Beratungsgesellschaft m.b.H (2017): CITY RETAIL, S. 7. Vgl. Ebd., S. 2. Vgl. Ebd., S. 4. Vgl. o. A. (2016): Einkaufsstrassen. Vgl. Czaja (2011): Weltstadthaus. Interview Magdalena Baumgartner.

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Wels war die Einkaufsstadt. [. . . ] 60er, 70er, 80er Jahre, da sind die Linzer doch zu uns gekommen. Die Linzer sind nach Wels gefahren einkaufen. So war es. Das hat sich alles aufgehört, du kannst in Wels nicht mehr einkaufen. Das ist einfach, weder Ambiente noch ist es noch schön, wenn sie irgendwas bauen, wird es weggerissen, wird ein so ein Kobel reingestellt mitten in die, in die Stadt, wo du sagst, das passt überhaupt nicht rein, nicht. [. . . ] Wah, es ist furchtbar, da wird auch nichts mehr zum reißen sein, das ist, genauso auch bei den Messen und so. Wels hat bis heute keine Stadthalle. Ich meine, sie hat schon eine Stadthalle, aber da hast du ja schon Angst beim Hüpfen, dass sie zusammenfällt. Da wird kein Geld investiert. Eine Stadt Wels, die nicht einmal eine große Stadthalle hat für Veranstaltungen.15

In dem Interviewausschnitt verdichten sich viele der gängigen negativen Bewertungen der Stadt. Die Formulierung, dass früher sogar Linzer nach Wels gekommen seien, taucht hier auf – die Stadt sei heute aber keine Einkaufsstadt mehr. Die vielfach beschworene Atmosphäre der früheren Einkaufsstadt sei heute nicht mehr vorhanden. Messe und Stadthalle als scaling devices erfüllen ihre Aufgabe nicht mehr. Roland Weber schloss an: Es wird viel geredet und es geschieht nichts. Und wenn ich heute als Stadt Wels nicht im Stande bin, dass ich heute durch die Fußgängerzone gehe und die vielen leeren Geschäfte auf den Hauptplätzen der Fußgängerzone, das heißt, Bäckergasse, Schmiedgasse, der Platz und da leerstehende Geschäfte sind, die seit fünf, sechs Jahren mindestens leer stehen und von den Tauben zugeschissen sind und von den Werbepickerl runtergerissen, rauf, runter. Wie eine Litfasssäule, eine alte und die Stadt Wels ist nicht im Stande, die Fassaden in Ordnung zu bringen von der Auslage. Dass sie sagt, okay, wenn es schon der Eigentümer nicht macht, muss ich doch von der Optik her schon dafür sorgen, dass das sauber ist, dass ich sage okay, ich schicke einen Putztrupp hin, der putzt die Auslage, macht das sauber, das Portal, dass das zumindest optisch – nein. Da musst du einmal reingehen, Bäckergasse, trifft dich der Schlag. Da haben wir, das Geschäft, das heißt Blue Diamond, das ist, jetzt haben wir ja einen 1-Euro-Shop in der Fußgängerzone.16

Die Zeichen der Großstadtkritik tauchen auf: Tauben, Müll, Kot. Roland Weber formuliert den Niedergang als Qualitätsverlust – wo früher Fachgeschäfte waren, befinde sich heute ein Billigladen. Er adressierte die Stadtregierung und macht diese für den wahrgenommenen Niedergang verantwortlich – die Empörung über die Stadt spricht aus den Sätzen. Die Leere wurde in vielen Gesprächen zudem an den wenigen Nahversorgern festgemacht. Während meines Feldaufenthaltes gab es in der Innenstadt eine Billa-Filiale sowie am Rande der Innenstadt eine Merkur-Filiale, die Ende 15 Interview Roland Weber. 16 Ebd.

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des Jahres 2013 schloss. Besonders die fehlenden Fachgeschäfte wurden als Evidenz der Leere thematisiert. Bernhard Schmid, Mitte fünfzig, der die meiste Zeit seines Lebens in Wels gelebt hat und als Rechtsanwalt tätig ist, erzählte den Wandel im Interview wie folgt: Wenn Sie schauen, wenn Sie Spielwaren kaufen wollen, ich glaube, es gibt ein einziges Spielwarengeschäft nur in der Innenstadt. Früher hat es einmal acht oder neun Spielwarengeschäfte gegeben in der Innenstadt. Also das verschwindet alles. Da gibt es nur mehr Großmärkte außerhalb und da in der Stadt herinnen nicht mehr. [. . . ] Es hat in Wels eine Reihe von Lebensmittelgeschäften, auch Delikatessengeschäfte gegeben. [. . . ] Heute haben sie in der Innenstadt einen Billamarkt und einen Merkurmarkt und damit hat es sich schon weitgehend mit den Lebensmittelgeschäften. Früher haben wir den Feininger gehabt, früher haben wir einen Karupski gehabt, der hat Delikatessen gehabt am Kaiser-Josef-Platz. Es hat den Meinl gegeben, der eine Delikatessenabteilung geführt hat. Es hat die Firma Stadlbauer am Stadtplatz gegeben, den Schmatz in der Bäckergasse. Also da hat es eine Reihe von Geschäften gegeben, die sind alle weg. Das ist auch nicht ideal, wenn man in der Stadt, sagen wir, direkt herinnen lebt, dass man kaum mehr eine entsprechende Auswahl an Lebensmittelprodukten hat.17

Schmidt schilderte im Zitat den Niedergang der Innenstadt als ein Zurückgehen von Delikatessengeschäften, die er alle beim Namen kennt. Stattdessen seien Supermärkte in die Stadt eingezogen. Auch im Bereich der Bekleidungsgeschäfte interpretierte Schmid den Wandel als eine Abnahme: Weil Kleidergeschäfte in Wels ist dasselbe. Textil, es gibt Boutiquen, es gibt, unter Anführungszeichen, sag ich halt, Fetzengeschäfte, wo Sie billig, für die Jugend billig Produkte kriegen. Aber klassische Bekleidungsgeschäfte, wie es früher Mühlberger war, wie es die Firma Derflinger war, [. . . ] das gibt es alles nicht mehr. Weissengruber gibt es nicht mehr. [. . . ] Ein Bekleidungsgeschäft, zwei Bekleidungsgeschäfte haben wir noch vielleicht in der Innenstadt. Das ist aber auch nicht viel, gell. Und das ist alles, alles weniger geworden.18

Der Qualitätsverlust der Innenstadt wird hier nochmal besonders hervorgehoben. Nicht nur bauliche und atmosphärische Qualität wie bei den bereits angeführten Zitaten sind hier dominant, sondern die Qualität des Konsums. Auch hier taucht im Niedergangsnarrativ eine »Verbilligung« auf, die sich als Angst vor einem damit assoziierten Milieu interpretieren lässt. Zu den Fachgeschäften gehörte etwa auch das bereits erwähnte Geschäft Olympia für Kinderbekleidung, an das sich eine ältere Bewohnerin der Stadt wehmütig erinnerte:

17 Interview Bernhard Schmid. 18 Ebd.

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Ja, wissen Sie, das war auch immer zu jeder Jahreszeit so gemütlich. Sie haben auch manchmal Standerl heraußen gehabt, oder auch zum Beispiel in der unteren Fußgeherzone, wenn man Richtung Stadtplatz geht, da war das Olympia-Kindergeschäft, das war ganz ein großes Spielwarengeschäft, man hat auch andere Sachen gekriegt. Und mit schönen Auslagen und [. . . ] da ist auch der kleine Stefan [ihr Sohn] mit dem Papa und mit der Mama oft dort gestanden, weil in der Vorweihnachtszeit ein riesenlanger, kleiner Zug, so in der Größe gefahren ist. Und dann war gegenüber von diesem Geschäft war ein ganz ein gemütliches Gasthaus. Wo man auch einmal eine Jause hat essen können, so auch mit einem Kind einkehren. Sehr lieb und gemütlich. Ja, und dann ein Trachtengeschäftl war dort, das ist auch nicht mehr und es hat so, so viele Sachen sind halt verschwunden und das ist irgendwie traurig. Es gibt so viele Handyshops und ich habe auch nichts gegen so Kebapstandeln, aber wenn es zuviele sind, sind sie mir auch zuviel.19

Gertraud Windhaber, Ende sechzig, lebt seit mehreren Jahrzehnten in Wels und bedauert das Verschwinden von Geschäften und einer mit der Einkaufsstadt verbundenen Atmosphäre. In ihren Schilderungen wird die soziale Symbolund Formkraft der Konsumorte der Einkaufsstadt greifbar 20. Diese grenzt sie abrupt und nicht weiter spezifiziert von migrantisch geprägten Einzelhandel sowie Gastronomie ab. Hier wendet sich die Rede vom Verschwinden. Das Zuviel verweist auf zu hohe Dichte vom Falschen, also weg von dem Bedauern der »Leere« hin zur Kritik an der Überfülle von »Anderem«. Auch der schon angeführte Geschäftsinhaber Roland Weber bezog sich auf Einkaufen als soziale Aktivität und identifizierte eine fehlende Möglichkeit zum Bummeln, da es an Auslagen fehlen würde. Er fasste damit Bummeln als die Praktik der ehemaligen Einkaufsstadt: Das war ja auch früher, das hat dich ja in die Stadt reingebracht, du bist ins Kino gegangen, warst eine Stunde früher dran, dann bist du ein wenig durch die Stadt gegangen. Heute gehst du ja nicht mehr durch die Stadt, weil es niemanden mehr interessiert, weil eh nichts zum Sehen ist in der Stadt, weil viele Geschäfte, wie früher die alteingesessenen Geschäfte, Teppich Ortner, Vorhangstoff und so, auf einmal ist die Versicherung drinnen. Auf einmal ist eine Personalleasingfirma drinnen. Das sind doch keine Auslagen mehr. Da gehst du ja doch nicht mehr Auslagen schauen, wenn keine da ist. [. . . ] Wo ich sage, ich gehe bummeln. Gibt ja keine Auslagen mehr. Da ist die Leasingfirma, da ist die Wüstenrot, das ist die

19 Interview Gertraud Windhaber. 20 Siehe dazu auch die Schilderungen über das Erbsen-Fenster als Schaufensterinszenierung und städtische Sensation in Rolf Lindners »Berlin, absolute Stadt«, vgl. Lindner (2016): Berlin, S. 69 f.

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Bank, da ist ein Immobilienheini mit den Häusern. Es ist ja keine Auslage mehr gestaltet, wo du sagst, schon noch, aber nicht mehr so wie früher.21

Nicht verwunderlich scheint, dass die erfahrene Leere bestehende Bilder und Vorstellungen vom Trubel städtischen Lebens in Wels gehörig ins Wanken bringt, wie Bernhard Schmidt plastisch erzählte: Auch wieder in den achtziger Jahren, die Fußgängerampel da in der Ringstraße, da war zwischen Schmidtgasse und Bäckergasse, das ist die älteste so im Bereich der Welser Fußgängerzone und wenn da die Ampel rot war an einem Freitagnachmittag oder Samstagvormittag, weil in der roten Phase sind da dreißig, vierzig Leute auf jeder Seite gestanden, die bei grün wieder wechseln wollten. Heute können Sie an einem Samstagvormittag an, na sag ich, an zwei Händen, können Sie das abzählen, die da stehen.22

Neben der Innenstadt wurde auch am Beispiel der Messe Leere thematisiert. Bernhard Schmid erzählte im Interview von der gesellschaftlichen Bedeutung der Messe und ihrer Abnahme über die Jahrzehnte: Und diese Publikumsmesse [. . . ] in der Zeit 50er, 60-Jahre [. . . ] wo es halt dann die Leute noch Fernseher gekauft haben oder was draußen. Wo es ein Messeprogramm gegeben hat zur Volksfestzeit, weil damit die Fernseher in Betrieb sind. [. . . ] Aber früher waren ganze zum Teil halbe Hallen voll mit Elektrogeräten, die da verkauft worden sind. Ob das Kühlschränke waren, ob das Fernseher waren, Waschmaschinen, Geschirrspüler. Aber seitdem es die ganzen Märkte gibt, ob Saturn, Mediamarkt oder was, fahren die Leute dann nicht mehr raus. Da haben sie kein Interesse dann, vielleicht für den Messerabatt, um dort halt was einzukaufen. [. . . ] In den 70er Jahren, Anfang der 70er, waren noch alle zufrieden. Da hat man, wenn man in Wels auf der Welser Messe einen Standplatz haben wollte, hat man den gar nicht gekriegt zum Volksfest. Weil da war alles ausgebucht. Da hat es Wartelisten gegeben. [. . . ] Und dann hat das einmal aufgehört, dass die Leute die auch genommen haben und jetzt weiß ich nicht. Es ist ja auch viel Ramsch draußen schon, nicht? Wenn Sie da durchschauen, die letzten Hallen raus gehen, das ist ja. Da muss ich nicht aufs Volksfest gehen. [. . . ] Auch das Bierzelt da, die Bierhalle [. . . ] – jetzt kann man sagen, es war das bessere Wetter, aber von 19 bis 21 Uhr da war das Bierzelt vielleicht war es zu vierzig Prozent voll. Aber das ist ja nichts. Wenn Sie sich die große Halle anschauen und dann hat man den Eindruck, es sind so große Löcher drin, dass es leer ausschaut. Früher hat man rein geschaut, ob man wo einen Platz findet, ob man sich wo dazu setzen kann.23

21 Interview Roland Weber. 22 Interview Bernhard Schmid. 23 Interview Walter Breitwieser.

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War die Messe der 1970er Jahre in der Erinnerung von hohem Andrang geprägt, hat sie in der Schilderung von Bernhard Schmid an gesellschaftlicher Relevanz eingebüßt. Aus gegenwärtiger Perspektive erscheint die Entwicklung als Abnahme von Messeständen und BesucherInnen. Auch hier geht es wieder um einen wahrgenommenen Verlust an Qualität, in diesem Fall der AusstellerInnen und Waren. Die Wahrnehmung von Leere wurde in den Beispielen mittels fehlender Frequenz, fehlenden Menschen, fehlender Dichte und fehlenden ästhetischen und atmosphärischen Qualitäten erklärt. In den Schilderungen des Niederganges und im Umgang mit dem Stigma nahmen BewohnerInnen verschiedene emotionale Haltungen ein. Resigniert, empört, ironisierend versuchten sie mir den Niedergang und ihre Perspektive darauf verständlich zu machen. Nicht allen erscheint das Konsumangebot in Wels als unzureichend. Immer wieder meinten GesprächspartnerInnen, »man kriegt wirklich alles in Wels« 24. Und viele nutzen die Innenstadt zum Einkaufen, wie etwa Claudia Wolkinger: Aber es gehört für mich einfach auch dazu, wenn ich jetzt zum Beispiel einkaufen geh oder ich hab halt Besorgungen in der Stadt, ich fahr eigentlich selten heim, ohne dass ich jetzt wirklich noch auf einen Kaffee gehe. Das gehört irgendwo für mich einfach dazu und speziell auch im Sommer. Ich mein, ich finde die Innenstadt einfach irrsinnig lieb. Grad auch mit den ganzen Gastgärten. [. . . ] Ich fühl mich einfach wohl. Und sicher kann man meckern, ja, es gibt leere Geschäftslokale. Aber die gibt es wo anders auch und nur weil ich jetzt die ganze Zeit suder deswegen erstens ändert sich nicht und zweitens, schöner werden sie auch nicht dadurch. [. . . ] Nein, ich find die Innenstadt einfach voll schnuckelig.25

Im Interviewausschnitt verdichten sich viele Themen, die in Wels für das Verhältnis von Zentrum bzw. Innenstadt vs. Peripherie bzw. Einkaufszentren sowie generell für das städtische Leben relevant sind. Claudia Wolkinger strich die Attraktivität und soziale Bedeutung der Innenstadt heraus, die sie vor allem mit Begriffen anpries, die auf Kleinteiligkeit verweisen. Überdies wird die Rolle von Praktikabilität beim Einkaufen deutlich: Für Claudia Wolkinger ist es keine prinzipielle Frage, wo sie einkaufen geht. Schließlich verweist ihr Hinweis auf »Sudern« auf die Stigmatisierung der Stadt und ihre Abgrenzung davon auf die Rolle der Innenstadt und des Einkaufens als umkämpftes Terrain städtischer Entwicklung. Die Frage, wo man einkauft – in der Innenstadt oder im Einkaufszentrum –, wird mitunter zur Gretchenfrage. Dies umso mehr, als die Einkaufszentren nicht nur ökonomisch, sondern auch in ihrer Instrumentalisierung von Urbanität 26, ihrer Orientierung am Maßstab des Kunden und an 24 Interview Theresa Gruber. 25 Interview Claudia Wolkinger. 26 Vgl. Wüst (2004): Urbanität, S. 63.

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Überschaubarkeit 27 in Konkurrenz zur innerstädtischen Überschaubarkeit und zum Stadtleben des Zentrums stehen. Dementsprechend unterschiedliche Auffassungen von und Bezüge zu den Einkaufszentren gibt es: Man kann Einkaufszentren boykottieren oder sie beschämt oder pragmatisch nutzen. Eine stark abneigende Position nimmt etwa die Pensionistin Birgit Wagner ein, die sich selbst als »ausgesprochener Innenstadtmensch« 28 beschrieb und beim Stadtgang ablehnend äußerte: Ich war zum Beispiel noch nie in der Shopping City Süd, ich war noch nie in der SCW draußen. Das interessiert mich nicht. Und das finde ich Krebsgeschwüre und mit ein Grund, warum die Innenstädte also so ausschauen, wie sie ausschauen.29

Birgit Wagner verwendete eindringliche Worte, um ihre Perspektive auf die Einkaufszentren zu verdeutlichen, die sie als die Städte zerstörende Krankheit versteht. Barbara Brunner, Ende vierzig, die Inhaberin eines Geschäftes in der Innenstadt ist, beschrieb in Bezug auf das max.center die für sie unerträgliche Atmosphäre von Einkaufszentren: Ich gehe auch prinzipiell in kein Einkaufszentrum, wenn ich nicht muss. Aber das hat einfach damit zu tun, dass einfach Einkaufszentrum für mich ein Horror ist. Nein, erstens auch wieder: Es stinkt. Da sind so viele Leute, und die Gerüche. Und wenn dann noch vielleicht noch so Standeln irgendwie dazu kommen, also das, das macht mich fertig. Diese Gerüche. Dann der wahnsinnige Lärm, die vielen Leute. Und ich war einmal vor Jahren, weiß ich noch mit meinen Kindern, unbedingt, der eine hat in das Spielzeuggeschäft wollen und der nächste in den Media Markt und dann habe ich mich halt breitschlagen lassen und bin mit ihnen in das max.center gefahren, weil ich gesagt habe ›SCW [Shopping City Wels] auf keinen Fall, da habt ihr ein Pech gehabt‹. Max.center von mir aus, aber ohne Schmäh, ich habe dann wirklich einen Kreislaufkollaps gekriegt. Weil, weiß du eh, beim Durchgehen schaue ich dann in die Läden rein und sehe diese Berge von Fetzen. Habe ich mir gedacht um Gottes Willen, das ist alles produziert worden, das ist alles Klumpert. Das, die müssen das alles verkaufen. Mir ist echt schlecht geworden. Mir ist schlecht geworden, ich meine ich habe da ja auch diese Berge von Textilien. Aber wenn du dann dort so diese wertlosen Berge siehst. Mir ist ganz anders geworden, wirklich wahr.30

Das Einkaufszentrum erscheint hier als sinnlich – in Bezug auf Gerüche, Geräusche und körperliche Nähe – unerträglich. Auch hier – wie im obigen Zitat 27 28 29 30

Vgl. Gehl (2010): Cities, S. 57. Interview Birgit Wagner. Ebd. Interview Barbara Brunner.

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in Bezug auf die Innenstadt – taucht der Topos des Ramsches, der minderwertigen Qualität auf. Das Angebotene wird als wertlos empfunden. Als Abgrenzung davon versteht sich Barbara Brunner nicht als bewusste Nutzerin, sondern sie werde durch ihre Kinder »gezwungen«. In ihren weiteren Schilderungen zeigt sich überdies der Zusammenhang von Einkaufszentren als umstrittene Orte und der Überschaubarkeit der Stadt, die zu vielen zufälligen Begegnungen im Stadtraum führt: »Weil das ist ja auch das zum Beispiel, wie ich zuerst erzählt habe vom Einkaufszentrum, wie wir da dort wegen dem Telefon hinfahren haben müssen. Wir gehen rein in das Einkaufszentrum und schon schreien die Leute entgegen ›ah die Familie Brunner geht auch ins Einkaufszentrum‹« 31. Somit wird der Einkaufsort zum Politikum, wie auch folgendes Zitat in Bezug auf E-Commerce zeigt: Weil, das ist, weißt du eh. Der Lehner, weißt du eh, der Vizebürgermeister, hat einmal gesagt, dass er eben sein Gewand am liebsten online kauft. Ja was glaubst, der Aufschrei durch die Kaufmannschaft. Kannst du als Vizebürgermeister nicht sagen, du kaufst dein Gewand online, du musst sagen, du kaufst es in der Innenstadt.32

Hier wird deutlich, dass in den Diskursen die ethische Norm des guten Kaufens der lokale Einzelhandel ist. Der Besuch von Einkaufszentren und erst recht der Onlinehandel von Repräsentanten der Politik oder des Einzelhandels gelten als Verrat an der Innenstadt. Das Einkaufen in den Einkaufszentren muss mitunter – auch vor sich selbst – gerechtfertigt werden, wie etwa eine kurze Aussage der Pensionistin Gertraud Windhaber zeigt, die früher die Geschäfte der Innenstadt viel nutzte, heute aber – auch wegen einem zunehmende Unwohlsein im Stadtraum (siehe dazu auch »Porträt IV: Wels als Ort des trotzdem Bleibens – Gertraud Windhaber«) – selten ins Zentrum fährt: »Es ist halt leider Gottes, ich bin auch nicht gerade ein Fan von so Einkaufszentren, aber was sollst du denn tun? Da hast du alles unter einem Dach und so musst du herumrennen und dann findest du erst recht nichts, gell? Und das ist einen Sprung weg von uns.« 33 Der Ort des Einkaufens stellt dahingehend im Kontext des Niedergangsnarrativs und der Rede von der Leere einen Punkt sozialer Positionierung dar. Die Leere der Innenstadt ist also ein zentrales Moment im Reden über Wels. Gerade in der ehemaligen Einkaufsstadt stellen Geschäftsleerstand sowie die wahrgenommene Leere lokale Selbstverständnisse und Relevanzen in Frage. Der Literatur- und Kulturwissenschaftler Martin Peschken schreibt diese Atmosphäre der Leere vor allem kleineren Städten zu, in denen sich oftmals 31 Ebd. 32 Ebd. 33 Interview Gertraud Windhaber.

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kein »positives Gefühl urbaner Komplexität« 34 einstelle. Von den von Andreas Reckwitz angeführten, für Kulturalisierungsprozesse idealtypischen zwei Formen von Konsumräumen, nämlich die Shopping Mall sowie das »semiotische Viertel« als ästhetisierten Stadtteil mit unabhängigen Läden aus den Bereichen Mode, Design, Kunst etc.35, kann für Wels nur die erste Form als prägend angesehen werden. Der Innenstadt fehlen dagegen jene »sinnlich-affektiven Atmosphären« 36, die »systematische Hervorbringung einer Urbanität« 37 findet nicht statt. Nicht verwunderlich ist daher, dass sich heute zentrale Diskurse zu Wels um die Begriffe Langeweile und Kriminalität anlagern (siehe dazu auch das Kapitel »Die bedrohte Stadt: Überschaubarkeit, Fremdheit und (Un)Sicherheit«), funktioniert doch die Ästhetisierung als Abgrenzung von »der Langeweile und Leere der funktionalen Stadt sowie der Unsicherheit und Unkontrolliertheit, wie man sie in den sozial prekären Stadtvierteln fürchtet« 38. Die Leere lässt sich aus raumtheoretischer Perspektive als das Ergebnis missglückter Versuche des place-makings beschreiben, geknüpft an das Fehlen eines positiven Inhalts des imaginaires der Stadt 39. Dieser horror vacui einer atmosphärischen Leere und die Versprechungen großstädtischer Geschäftigkeit scheinen vor allem die jüngere Bevölkerung von Wels zu betreffen. Schon in Andreas Grubers Film »Ab morgen wird sich alles ändern« aus dem Jahr 1980 über das Aufwachsen einer Jugendclique in der »Kleinstadt Wels«, so der Text zum Film, fragen sich die jungen ProtagonistInnen, ob sie in Wels bleiben oder der Stadt den Rücken kehren sollen, um in die Großstadt Wien zu ziehen. Und auch in vielen gegenwärtigen Schilderungen von jüngeren Personen tauchen Bilder der Leere der Stadt auf (siehe dazu »Porträt II: Wels als transitorischer Ort – Robert Prem«).

Lokalismus Als zweiter markanter atmosphärischer Topos der Stadtschelte wurde in den Gesprächen vor Ort die spezifische und begrenzte räumliche Dimension der Stadt beschrieben. Normative Vorstellungen von Internationalität und Kosmopolitismus bildeten dabei vielfach den Bewertungshorizont, vor dem Wels beurteilt wurde. Wels stellt in den Erzählungen vom Lokalismus keine be-

34 35 36 37 38 39

Peschken (2009): Atmosphären, S. 246. Reckwitz (2012): Kreativität, S. 299. Ebd., S. 306. Ebd. Ebd., S. 308. Mitunter wird in schrumpfenden Städten eine offensive »Kultivierung der Leere« versucht, vgl. Peschken (2009): Atmosphären, S. 247 ff.

. . . und der schlechte Ruf: Marginalisierung in Kulturellen Ökonomien

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sondere Stadt mit charmantem Lokalkolorit dar, vielmehr wird das Lokale als beschränkt und deshalb defizitär gesehen. So erzählte Christina Vlach, Mitte zwanzig, aufgewachsen in Linz und Studentin an der Fachhochschule in Wels, dass sie in den englischen Sprachzweig eines Gymnasiums in Linz zur Schule gegangen und früher viel herumgereist sei – etwa über das Jugendparlament, über das sie zuletzt in Istanbul war. Seit sie in Wels lebe, habe sie ihre Reisen vernachlässigt, was sie auch an der räumlichen Lage und Beschränktheit der Stadt festmachte. Etwas wehmütig und leicht verärgert ob ihrer Entscheidung für Wels, erzählte sie, dass ihr Bruder öfters beklage, dass sie in Wels ihre Internationalität verloren habe: Sie sage schon »Wös« statt »Wels«. Neben dem Vorwurf des Verlustes einer Verbindung zur Welt, der Beschränkt- und Begrenztheit rekurriert der Bruder auch auf Christina Vlachs Sprache, die bereits lokal gefärbt sei. Christina Vlach hat in den Augen ihres Bruders durch die Gewöhnung an Wels residenzielles Kapital verloren. Hier zeigen sich die Bewertungen, die mit bestimmten scales einhergehen, sowie die Hierarchisierungen, in welche Menschen räumliche Maßstabsebenen einordnen. Das Lokale wird als provinziell betrachtet, wohingegen das Internationale als erstrebenswert gilt. Aus raumtheoretischer Perspektive, die nicht a priori zwischen lokal und global unterscheidet, sondern die Gemachtheit dieser Kategorien in den Blick nimmt, ist bezeichnend, dass der kleineren Stadt das Lokale zugeordnet wird. Solche Zuordnungen zeigen die machtvollen Ortseffekte, die mit der (Wahrnehmung der) Position von Städten in verschiedenen Feldern verbunden sind und Distinktionen von scheinbar »beschränkteren« Orten und einer damit assoziierten Sprache hervorrufen.

Kleinheit /Größe Manche negativen Äußerungen bezogen sich direkt auf die Größe der Stadt 40. Diese Bezüge zur Größe verdichteten sich in der Darstellung eines jüngeren Gesprächspartners: Ich möchte aus Wels hinaus, weil, wie ich gesagt habe, weil Wels ist ein Mittelding aus Kleinstadt und Kaff. Also es ist nicht Linz und es ist auch nicht Marchtrenk. Es ist irgendwas dazwischen. Man kann nicht sagen, es ist ein, es ist eine große, große Stadt. Und man kann nicht sagen, es ist eine kleine, es ist irgendein kleines Dorf. Es ist so ein Zwischending, so ein ganz ein grausiges. Es ist irgendso ein grausiger Kompromiss, der mir nicht eingeht.41

40 Vgl. Wolfmayr (2018): Der falsche Maßstab. 41 Interview Marcel Mayr.

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Annäherung

Marcel Mayr, jugendlich, Schüler und aufgewachsen in Wels, fehlt die Eindeutigkeit der Größe. Ihm scheinen das Dorf und die große Stadt leichter einordbar und er kann zu der Größe, in die er Wels einordnet, kein positives Verhältnis herstellen. Die Größe wurde von ihm nicht nur an der physischen Ausbreitung und dem Label der Klein- bzw. Großstadt festgemacht, sondern auch an die historische Bedeutung der Stadt geknüpft. Er verwies damit auf die symbolische Dimension von scale: Und geschichtlich gesehen, also was ich von Wels weiß, geschichtlich ist das auch nicht so, das Wahre. [. . . ] Also, ich glaube. Und wie gesagt, das Highlight ist, dass der Kaiser Maximilian da in Wels gestorben ist. Das ist unser geschichtliches Highlight.42

Historisch sprach Marcel Mayr der Stadt Wels geringes symbolisches Kapital zu und entwertete das vorhandene indem er es ironisierte. In der Schilderung seiner zukünftigen Pläne, in eine größere Stadt zu ziehen, lassen sich jene Charakteristika einer Stadt erkennen, die für ihn erstrebenswert sind: Von einer größeren Stadt erwarte ich mir erstens einmal mehr Kultur. Das heißt, mehr kulturelle Möglichkeiten wie ein Museum, eine Universität. Ich meine, wir haben eine Fachhochschule, aber da kann man glaube ich Lebensmitteltechnologie studieren und das war´s schon. Oder irgendwas. Und der Nahverkehr ist Kacke [. . . ]. [Seufzen] Ja, es gibt von Museum oder so gibt es nichts. Zum Fortgehen ist es auch wirklich Scheiße, das heißt, ich bin jetzt seit mehreren Monaten schon nicht mehr fortgegangen. Weil es mich ganz einfach nicht mehr zaht. Sind immer die gleichen Lokale. Es ist immer dasselbe.43

Die ständige Wiederholung wird in dieser Sequenz auch als Dimension von Kleinheit erlebt. Die als mitunter Größe verheißenden Einrichtungen zählen – wie etwa die Fachhochschule – für ihn nicht oder wurden – wie die Museen der Stadt – verleugnet. An diesen Interviewzitaten lassen sich die verschiedenen Bezüge zu und Dimensionen von Größe erkennen. So wird Größe mit verschiedenen Eigenschaften des materiellen Settings (etwa numerische Größe an Ausbildungsstätten) der Stadt gefüllt. Größe als auch historische Bedeutung dienen als Ressource, um die Relevanz bzw. scale der Stadt zu verhandeln. Dabei wird hier – wie in anderen Interviews und Gesprächen auch – deutlich, dass die Bezüge zur Stadt und Vorstellungen vom guten Lebensort selektiv und an bestimmte Felder gebunden sind sowie in Zusammenhang mit Alter, Geschlecht, Milieu etc. stehen.

42 Ebd. 43 Ebd.

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Zuschreibungen in medialen Stadtporträts Die alltäglichen Narrative der Stadtschelte und Schilderungen aus den Interviews hängen mit medialen symbolischen Aushandlungen der Stadt zusammen, die den schlechten Ruf von Wels transportieren. So erschienen ab Ende der 1980er Jahre zunehmend negative Artikel über die Stadt, die in einer Art Stadtrezension ein kritisches Resümee von Wels ziehen. Ein Bogen exemplarischer Artikel zur Stigmatisierung der Stadt und seiner industriellen Prägung soll konkretisieren, wie sich im Zeitraum von etwa 25 Jahren das Bild von Wels änderte und bestimmte Negativthemen bestimmend wurden. Im Zentrum stehen solche Artikel, die die Stadt als Ganzes in den Blick zu nehmen versuchen, also das journalistische Genre des Stadtporträts bedienen. Unter dem Titel »Little New York« veröffentlichte Angele Zobl den »Versuch eines kulturellen Stadtporträts« von Wels. Erschienen war der Artikel am 13. Mai 1988 in der Wochenpresse, einer Wochenzeitung, die aus der Wochenausgabe der österreichweit erscheinenden, bürgerlich-wirtschaftsliberalen Tageszeitung Die Presse hervorgegangen war. »Viel Industrie, viele Hochhäuser, viele Bausünden, wenig Flair« 44 schrieb die Verfasserin darin über Wels. In diesen wenigen Worten lässt sich der Wandel der Symbole städtischer Relevanz erkennen. War die Industrie wenige Jahrzehnte zuvor ein Marker des städtischen Gewichts gewesen, stellte Zobl vor allem das fehlende Ambiente – als Manko im Rahmen der Kulturalisierung – heraus. Einer Fülle an materiellen Merkmalen der Industriemoderne steht ein Mangel an Atmosphäre gegenüber. Zobl betonte das fehlende Flair vor allem für den Kaiser-Josef-Platz, so könne der »in den 50er Jahren stilistisch zerstörte Franz-Josefs-Platz [. . . ] trotz zahlreicher Bemühungen wegen mangelnden Flairs nicht belebt werden« 45. Zwar setze die Stadt seit der Landesausstellung 1982 »auch auf Historie und Tradition« 46, doch könne dies »am Bild der aufragenden Hochhäuser [. . . ] wenig ändern« 47. Die BewohnerInnen der Stadt seien wenig an Kultur interessiert: »Die Einheimischen selbst scheinen mit der wenigen gebotenen Avantgarde obendrein nicht recht mitzuziehen: Die beiden Ausstellungsräume verzeichneten in einem Jahr magere 19.000 Besucher.« 48 Die Autorin stellte damit genau jene zwei Idealvorstellungen städtischen Lebens gegenüber, die sich zu dieser Zeit abzulösen begannen. Das Leitbild einer auf Kulturalisierung setzenden Stadt tritt an die Stelle der Stadt als Produktionsort. Die Autorin resümierte: »Noch leidet Wels an diesem Gegensatz seiner beiden Kulturen. Es würde am

44 45 46 47 48

164

Zobl (1988): Little New York, S. 58. Ebd., S. 59. Ebd., S. 58. Ebd. Ebd.

Annäherung

Abb. 18: Wels als »Little New York« als Stadt der Hochhäuser in Angele Zobls Artikel in der Wochenpresse aus dem Jahr 1988.

liebsten überall mithalten. Gezwungenermaßen muß dadurch vieles den schalen Geschmack eines Kompromisses annehmen: Little New York. Aber mit Provinzmentalität.« 49 Sprechend für die negative Bewertung sind auch die gewählten Abbildungen (siehe Abbildungen 18 und 19) von und damit auch Blicke auf Wels. An prominenter Stelle im Artikel ist die »berüchtigte« 50 Wohnsiedlung Noitzmühle als »trostlose Trabantenstadt« 51 abgebildet, die als Bausünde beschrieben wurde. Und fand das Maria-Theresia-Hochhaus noch bis in die 1980er Jahre als Postkartenmotiv Verwendung, schrieb Zobl im Text zum abgebildeten MariaTheresia-Hochhaus von den Hochhäusern, welche »renovierte Fassaden erdrücken« 52. In den Oberösterreichischen Nachrichten, eine überregionale Tageszeitung mit Sitz in Linz und eher konservativer Ausrichtung, erschien am 19. Mai 1988 eine

49 50 51 52

Ebd., S. 59. Ebd., S. 58. Ebd., S. 59. Ebd.

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Abb. 19: Das Maria-Theresia-Hochhaus als Bedrohung für die renovierten Fassaden in Angele Zobls Artikel in der Wochenpresse aus dem Jahr 1988.

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Annäherung

Antwort auf den kritischen Artikel in der Wochenpresse. Der Beitrag verwehrte sich gegen die vorgebrachte Kritik an Wels und lässt sich als Verteidigung der Stadt, als Korrektur des Stigmas im Sinne von Erving Goffman lesen 53. Darin wurde der Kulturstadtrat von Wels zitiert, der in dem Artikel eine »äußerst oberflächliche Angelegenheit« 54 sah. Unter der Überschrift »Die Kulturstadt Wels hat mehr zu bieten als Industrie, Hochhäuser und Bordelle« wurde das hochkulturelle Leben in Wels hervorgehoben. Der Beitrag in der Wochenpresse hätte »große Empörung unter der kulturbeflissenen Bevölkerung der Messestadt hervorgerufen«, da er »viele Fakten unberücksichtigt« gelassen und dadurch ein »verzerrtes Bild von der Kulturstadt Wels« gezeichnet habe 55. So werde etwa die Ausstellung über Friedensreich Hundertwasser, die in der Welser Burg gezeigt wurde, sonst nur in den »Metropolen Europas« 56 ausgestellt. In Wien gebe es »auch nicht sehr viel mehr anzuschauen« wird der Galerist Erich Glück mit Bezug zur Vielzahl der Ausstellungen in Wels anführt. Unter der Überschrift »Die Noitzmühle macht nicht das Welser Flair« wurde auch auf die Abbildung der Wohnsiedlung in Zobls Artikel eingegangen. So seien die Häuser der Noitzmühle »so trickreich aus der Froschperspektive fotografiert«, dass »sie wie Hochhäuser wirken« 57. Tatsächlich sei die Abbildung für Wels aber »ebensowenig typisch wie die Großfeldsiedlung für Wien« 58. Sprechend für die verteidigende Haltung und die Verletzung des Selbstbildes ist eine Passage, in der auf den Namen der Verfasserin des Artikels in der Wochenpresse, Angele Zobl, eingegangen wurde und in der eine Abgrenzung gegenüber einer imaginierten Distinguiertheit mitschwingt: »In der Vorstellung von Angele Zobl mit dem aparten ›e‹ am Schluß ihres Vornamens, der mit ›a‹ geschrieben natürlich viel häufiger vorkommt und deshalb wohl weniger attraktiv erscheint, ist Wels im Bereich der bildenden Kunst im Grunde eine Wüste.« 59 Aufschlussreich ist für die vorliegende Arbeit insbesondere, wie der Beitrag in zweierlei Hinsicht eine Korrektur der Kritik an der Stadt vornehmen wollte. Die Verteidigung verfolgte dabei der Strategie, die Behauptungen des Artikels zu leugnen. So wurde zum einen die Bedeutung von Wels als Kulturstadt herausgestellt – auch Wels habe die Ansprüche Kulturbeflissener erfüllt, nahm der Autor die Stadt in Schutz. Zum anderen wurden die Rolle der Hochhäuser sowie die damit verbundene Zeit als Industriestadt abgeschwächt und nicht wie in den Jahrzehnten davor die industriellen Marker als Zeichen der Größe

53 54 55 56 57 58 59

Vgl. Goffman (1971): Imagepflege, S. 24. O.A. (1988): Kulturstadt Wels, S. o. S. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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interpretiert. Die beiden Beiträge zeigen damit den Einzug des neuen Imperativs der Kulturstadt, das hier noch stark an einer hochkulturellen Konzeption der Symbolproduktion und noch nicht an alltäglicher Urbanität ausgerichtet ist, sowie die Übernahme diese Normierungen auch in der Verteidigung der Stadt. Die dritte Verteidigungsstrategie deutet auf soziale Zuschreibungen hin: Der Wiener Blick von Angele Zobel könne in Wels durch seine vermeintliche Distinguiertheit nur eine »Wüste« erkennen, so die Defensivhaltung. Die Abgrenzung von einer als Distinktion beschriebenen Namensvariante verweist auf die Zuschreibungen von Klasse im Moment der Ablösung zweier Idealvorstellungen von Stadt. Die kulturalisierte Stadt erscheint in der Verteidigung von Wels als überzogene Vorstellung einer sich exklusiv gebenden großstädtischen Perspektive, wohingegen die industrielle Stadt in der Stadtschelte als kulturlose Provinz einer lokalistischen Geisteshaltung in Szene gesetzt wurde. In ähnlicher Weise wie Zobls Artikel in der Wochenpresse porträtierte Paul Yvon in einem im März 2003 – also 15 Jahre später – erschienenen Beitrag im österreichischen, liberal geltenden Wirtschaftsmagazin trend die Stadt Wels als unzivilisierten Provinzort, der im Niedergang begriffen ist – nur diesmal nachdrücklicher und stärker alltagskulturell gewendet 60. Unter dem Titel »Wels an der Messe« wurde die Stadt vor allem über die verblassende Bedeutung der Messe, »einem Riesengelände mitten in der Stadt, wo sich stinkende Autoschlangen wie ein bunter Teppichläufer bis ins Zentrum ausrollen« 61, in den Blick genommen: »Wels wird in der Welt als blasses Wirtstier einer gleichnamigen Messe (1875 gegründet) registriert, die alle zwei Jahre eine besorgte Eröffnungsrede des Bundespräsidenten, Mähdrescher und Raufhändel zwischen Most- und Innviertlern präsentiert.« 62 Der Autoverkehr wurde nicht mehr als Zeichen städtischen Erfolgs interpretiert, sondern als Verursacher von Schmutz – das »Odeur des Benzindufts« bei Sepp Käfer wird hier zum bis ins Zentrum vordringenden Gestank. Den BewohnerInnen der Stadt warf Paul Yvon geistige Schlichtheit vor, die sich neben den hier angeführten Bordellen in der Ernährung, einem mangelndem Interesse am kulturellen Angebot und einem überzogenen Selbstbewusstsein äußere – hier schwingen wieder die Abgrenzung von der industriellen, nicht-kulturalisierten Stadt und dazugehörige Milieuzuschreibungen mit. Zudem berichtete Yvon von falschen Zugehörigkeitsgefühlen, die an die Nähe zu Linz geknüpft sind:

60 Dasselbe Magazin hatte dagegen sieben Jahre zuvor die Stadt Linz als »Stadt des 21. Jahrhunderts« bezeichnet: »Eine Stadt schafft den Turnaround: Linz war 40 Jahre lang das Herz der österreichischen Stahlindustrie. Heute ist Linz der High-TechStandort Österreichs – und damit zukunftsweisend.«, o. A. (1996): Stadt des 21. Jahrhunderts, S. 62. Siehe dazu auch Laister (2004): Schöne neue Stadt, S. 171. 61 Yvon (2003): Wels an der Messe, S. 146. 62 Ebd.

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Annäherung

Man geht lieber ins Séparée als Kabarett – schließlich gibt es hier zwölf erotische Etablissements, aber kein kabarettistisches. Der Wölser fragt nicht nach Existenziellem; er ist einfach. Und er isst gern einfach. Er ist und er hat. Man ist selbstbewusst. Man hat wenig Selbstironie. Die Wölser leben nahe Linz und fühlen sich daher als wahre Hauptstädter. Darin sind sie eine Art oberösterreichische St. Pöltner 63.64

Hier scheint wieder – durch die Verwendung des Dialektes – der Vorwurf der Provinzialität und des Lokalismus auf. Yvon beschäftigte sich darauf folgend vor allem mit der Entwicklung der Innenstadt und kam auf die schon angeführten Topoi der Leere sowie des Niedergangs zu sprechen: Kaufkraft fließt ab. In Wels braucht man nur die Augen offen zu halten, um zu sehen, was vorgeht: In der jahrhundertealten Handelsstadt sind die Verkehrswege ein verwirrendes, sich selbst verstopfendes Einbahnsystem. Oben fehlen Parkplätze, unten stehen Garagen halb leer. Die Kaufkraft fließt hinaus: Am Stadtrand und zwanzig Kilometer weiter wuchern Einkaufszentren, drinnen an der Ringstraße, am Kaiser-Josef-Platz und im Traunpark ist etwa jedes vierte Geschäft verwaist, jedes vierte bis fünfte gefährdet.65

Die Stadt wurde als hässlicher Ort vorgestellt. Der Kaiser-Josef-Platz präsentiere ein »Lagunen-Elend am Schwarzen Meer, allerdings ohne Lagune« 66. Generell gebe es »viel für belanglose Zwecke Hingebautes« 67. Nur die Fassaden am Stadtplatz seien schön, dort würden jedoch Menschen wohnen, »wie man sie sonst nur in den ebenso preiswerten wie potthässlichen DDR-Trabantenbauten von Noitzmühle [. . . ] findet« 68. Dort würden »einander Skins, Junkies und Streetworker die Türklinke in die Hand geben« 69. Als mögliche Lösung der städtischen Krise – jenseits des als »krampfig« 70 eingeschätzten Schwerpunktes »Energie« der Stadtregierung – wurde eine private Initiative von »Welser Familien, die übers Geldverdienen hinaus etwas bewegen wollen« 71 vorgestellt. Von Interesse ist dabei, dass die Marker des industriellen Wels, der Handels- und Messestadt, im Artikel durchgehend entwertet scheinen. Weder das Stadtbild, geprägt durch Messegelände und die damit verbundenen Autos,

63 Die Landeshauptstadt von Niederösterreich ist die größte Stadt im Umkreis der Bundeshauptstadt Wien. 64 Yvon (2003): Wels an der Messe, S. 144. 65 Ebd., S. 146. 66 Ebd. 67 Ebd. 68 Ebd. 69 Ebd. 70 Ebd., S. 148. 71 Ebd.

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Großwohnsiedlungen und Stadtgestalt noch die vormals bedeutenden Konsummöglichkeiten stellte Yvon als attraktiv dar. Der Artikel schrieb damit die schon Ende der 1980er Jahre beginnende Stigmatisierung der Stadt fort. Beinahe zehn Jahre nach Yvons Artikel fassten die Journalisten Friedrich Müller und Christoph Zöpfl in einer Serie über die Städte Oberösterreichs in den Oberösterreichischen Nachrichten die Lage der Stadt Wels zusammen. Wels wurde in dem Beitrag »Was machen wir mit unserem Wels?« vom 28. Oktober 2011 von den Städten Oberösterreichs als einzige Stadt negativ beschrieben. Bereits die Überschrift legt eine besorgte Perspektive auf Wels nahe und lässt es damit als enfant terrible der österreichischen Städte erscheinen. Der Beitrag reproduzierte die zentralen Topoi des medialen und alltäglichen Diskurses, der das Bild der Stadt prägt: Wels, das ist eine große Stadt und ein kleines Nest. Das ist eine Sehenswürdigkeit und eine Bausünde. Das ist weltoffener Multi-Kulti und Stammtisch-Faschismus. Das ist Wagner-Klassik und Music-unlimited-Avantgarde. Das ist ApparatschikPolitik und lässige freie Szene. Wels ist Volksfest-Gaudi und Drogen-Tristesse. Wels, das sind braune Flecken und bunte Hunde. Wels ist zum Gernhaben und zum Davonlaufen. Diese Stadt leidet unter einem Borderline-Syndrom. Sie muss auf die Couch, und die Welser könnten ihr helfen. Werden sie es tun? 72

Im Artikel hat sich im Gegensatz zu den vorhergehenden Beiträgen Resignation breit gemacht. Im Vokabular der Pathologisierung wurde die Mittigkeit der Stadt nicht als Balance, sondern als krankhaft dargestellt – die Stadt als Subjekt müsse geheilt werden. Gleichzeitig sei das dazu nötige Milieu nicht mehr vorhanden. Die nötigen »Querdenker« hätten längst die Stadt verlassen und »es sich im Speckgürtel der Stadt bequem gemacht« 73 – ein downscaling als Resultat eines braindrains. Wels sei eine Stadt der »Statisten«, »einzelne bewundernswerte Idealisten« seien »eher Ausnahme als Regel« 74. Vor allem die Entwicklung der Innenstadt als Ort der »Wettbüros, HandyShops oder Kebab-Standln« führten die Autoren als Beispiel für die »enormen Probleme« der Stadt an 75. Daneben seien Teile der Stadt von »Ghettobildung« 76 betroffen. Das im April 2011 eröffnete Welios Science-Center skizzierten sie als gescheitertes Projekt: Das Versuchslabor für junge und alte Kinder steht unweit des Ledererturms als Wahrzeichen typischer Welser Verhältnisse neben der Stadthalle. Hier wurde in

72 73 74 75 76

170

Zöpfl u. a. (2011): Wels. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

Annäherung

der falschen Dimension gedacht. Provinziell statt visionär, kleinmütig statt konsequent, ›a bisserl was geht immer‹ statt ›entweder oder‹.77

Am Beispiel des erhofften Prestigebaus zeigt der Artikel die Stadt in der Aushandlung von scale in besonders brisanter Weise – Wels erscheint als provinzielle, mutlose Stadt. Das zum upscaling gedachte Science-Center wird zum Ausdruck von Kleinheit, die erhoffte Ausstrahlung blieb aus. Hier taucht auch der Topos der »falschen Dimension«, der nicht passenden scale auf, welcher im Jargon der Stigmatisierung eine zentrale Rolle einnimmt. Trotz des resignativen Tons wurde in einem versöhnlichen Abschluss das »enorme Potenzial« der Stadt herausgestellt. Die Verfasser des Artikels schlugen verschiedene Möglichkeiten zur Positionierung der Stadt vor, etwa als Filmstadt, als »Basketball-Metropole« oder als »wirtschaftlicher Hotspot« 78. Der Artikel schließt mit einer Reihe an »Tipps aus unserer Lokalredaktion«, Wels habe »Bewohnern und Gästen viel zu bieten«, insbesondere die Innenstadt als ein »besonderes Juwel« 79. Die Leerstände der Innenstadt würden weniger werden und generell »wird Wels seinem Namen als Einkaufsstadt weiterhin gerecht« 80. Mitunter scheint also Hoffnung auf, Wels könne weiterhin vom Label Einkaufsstadt zehren. Daneben gebe es »typisch für eine Stadt dieser Größe« eine »breite gastronomische Palette« und Hotels, die »den Ansprüchen eines Großstadtquartiers mehr als gerecht« werden 81. Wels erscheint damit als ambivalenter Ort, dessen Zukunft offen scheint. Wie die Stadtporträts, welche in einem Zeitraum von 24 Jahren erschienen sind, zeigen, hat sich das mediale Bild der Stadt weit vom imaginaire des industriell-modernen Wels entfernt. Dabei bilden die Beiträge nicht nur eine generelle Veränderung städtischer Leitbilder ab, sondern schreiben diese selbst mit, wie der Medienwissenschaftler André Jansson anmerkt: »[. . . ] the media hold an important function in the hegemonic process through their power to define the centers (the urban) and the margins (the rural) of society.« 82

Städterankings In Bezug auf Stigmatisierung waren neben journalistischen Städteporträts während des Untersuchungszeitraumes insbesondere Städterankings in den diskursiven Aushandlungen von Wels ein zentrales Thema. Städte werden heute zunehmend in Form von Rankings und Benchmarks durch staatliche, nichtstaatliche, mediale und wissenschaftliche Institution verglichen und kategori-

77 78 79 80 81 82

Ebd. Ebd. Ebd., S. 3. Ebd. Ebd. Jansson (2013): Urban / Rural Divide, S. 89.

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siert 83. Stadtregierungen werten diese Städterankings McCann, Roy und Ward zufolge als Indikatoren und Belege für den »Erfolg« einer Stadt: »All seek to position cities within a global frame. In some cases, the coordinates used to put cities in their (global) place are ›aspirational‹, highlighting certain characteristics or features that cities should exhibit.« 84 Diese begehrten und zugleich disziplinierenden Eigenschaften, so McCann, Roy und Ward weiter, könnten so unterschiedlich sein wie das größte Gebäude, die kreativsten BewohnerInnen, die nachhaltigste Industrie, die höchsten Zuwachsraten oder die progressivsten Sozialmaßnahmen. In anderen Fällen können die Einstufungen auf problematische Charakteristika hinweisen wie hohe Kriminalitätsraten, die Verbreitung von Krankheiten, große informelle Ökonomien, Korruption oder schlechte Infrastrukturen. »These criteria are all evaluative and normative; they form the benchmarks against which cities are compared and judged. They construct powerful mental maps of the world of cities that, themselves, influence policymaking and city-making.« 85 Rankings haben jenseits des Anspruchs, Eigenschaften von Städten abzubilden, auch eine performative Dimension. Sie normieren und standardisieren, unterscheiden Gewinner und Verlierer, schreiben Eigenschaften von räumlichen Einheiten fest, statt nach strukturellen Verteilungen zu fragen. Rankings bringen als diskursive Praktiken Reihungen von Städten also auch erst hervor. Rankings spielen auch eine zentrale Rolle in der Stigmatisierung von Wels. So belegte die Stadt in den letzten Jahren in zwei Rankings den letzten Platz, was mediale Berichterstattungen zum negativen Ruf der Stadt anstieß. Abgesehen von diesen beiden auf nationaler Ebene verfahrenden Rankings kam Wels in der weitaus größeren Anzahl an internationalen Rankings überhaupt nicht vor, weil die Stadt als zu unbedeutend gilt – eine systematische Vernachlässigung kleinerer Städte 86. Das Magazin News erstellte im August 2013 unter dem Titel »Der beste Ort zum Leben« eine Rangliste der 117 österreichischen Bezirke mit der höchsten Lebensqualität des Landes. Die Methodik des Rankings wurde nicht präsentiert, sondern lediglich der Ansatz grob vorgestellt: Für alle 117 Bezirke des Landes wurden [. . . ] in 16 Kategorien objektive, weil statistische Jahreswerte erhoben und gewichtet. Rudolf Taschner, Österreichs wohl

83 Vgl. Löw (2008): Soziologie der Städte, S. 231 ff; Ward (2010): Relational comparative approach, S. 472; Habit (2013): Regieren; McCann u. a. (2013): Assembling / Worlding Cities. 84 McCann u. a. (2013): Assembling / Worlding Cities, S. 581. 85 Ebd. 86 Vgl. dazu Haindlmaier (2011): Städterankings, S. 293.

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Annäherung

bekanntester Mathematiker von der TU-Wien, hat diese Werte dann in Beziehung zu Einwohnerzahl und Fläche gesetzt und eine Gesamtnote errechnet [. . . ].87

Weder wird im Ranking transparent, welche 16 Kategorien bewertet noch in welcher Weise sie gewichtet wurden. Nur exemplarisch wurden »die Wohnund Umweltsituation, die Zahl der Ärzte und Schulen, das Einkommen pro Kopf« sowie »Infrastruktur« und »Kaufkraft« angeführt 88. Das Ranking lässt sich damit als Ranking ohne Auftraggeber und mit fehlender Transparenz einordnen 89. Gewinner der Rangliste war die Stadt Dornbirn in Vorarlberg, Wels dagegen befand sich auf dem letzten Platz und konnte »nur in den Schulkategorien im oberen Drittel« 90 Plätze belegen. Dieses schlechte Ergebnis führte zu zahlreichen Reaktionen in Medien, Onlineforen und vor Ort. Der Obmann der Welser Kauf leute Christoph Hippmann kommentierte das Ranking auf der Seite der Gruppe »Stadt Wels« auf Facebook: WELS: So kann es nicht weitergehen!!! LETZTER PLATZ im News-Ranking über die Lebensqualität von allen 117 österr. Bezirken. Statt dem Feiertag morgen sollten am besten alle Welser Verantwortlichen zu einem Krisenstab zusammenkommen!!! [. . . ] vielleicht ist jetzt jedenfalls mal Schluss mit Behauptungen wie ›es ist eh alles schön, alles super, alles in Ordnung – wir tun eh alles!‹ Nicht genug!! 91

Die österreichweit erscheinende, eher konservative Tageszeitung Kurier veröffentliche unter dem Titel »Welser Politstreit nach schlechten Noten in BezirksVergleich« vom 19. August 2013 einen Artikel zu den politischen Reaktionen auf die »miserable Einstufung« 92, in dem Vertreter verschiedener Parteien zu Wort kamen. Wenige Tage später erschien ein weiterer Beitrag. Unter dem Titel »Linz traut sich was, Wels nicht« wurde im Kurier vom 24. August 2013 nochmals über den schlechten Ranglistenplatz der Stadt geschrieben. Eingeleitet wurde der Beitrag mit der Feststellung, dass »in Wels eigentlich kein Mensch freiwillig wohnen wollen« dürfte, »ginge man von blanken Zahlen aus« 93. Wels werde »bei diesen Kriterien sogar von Wien-Favoriten« 94 übertrumpft. Ein »Lokalaugenschein« solle Klarheit bringen. Darauf folgend werden vor allem die Entwicklung der Innenstadt, der hohe MigrantInnenanteil und private Initiativen angeführt.

87 Bacher (2013): Beste Ort, S. 19. 88 Ebd., S. 25. 89 Vgl. zu Möglichkeiten der Klassifizierung von Städterankings Haindlmaier (2011): Städterankings. 90 Bacher (2013): Beste Ort, S. 25. 91 Hippmann (2013): Post. 92 Pachner (2013): Politstreit. 93 Lindorfer (2013): Linz. 94 Ebd.

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Auch das konservative lokale Monatsmagazin Wels im Bild vom September 2013 geht auf das Ranking ein. Unter dem Titel »Wels. Der beste Ort zum Leben« wird der rein quantitative Ansatz des Rankings in Frage gestellt, denn eine »Statistik sollte [. . . ] kein Ersatz für das eigene Urteil sein«. Zwar gebe es »objektiv betrachtet ›zahlreiche Baustellen‹«, dennoch seien die BewohnerInnen »sehr mit ihrer Stadt verbandelt«. Wels »kann und muss auch subjektiv betrachtet werden«. Im Artikel werden Vorzüge angeführt, wie Veranstaltungen, Gasthäuser und Restaurants oder die Möglichkeit, »wunderbar shoppen« gehen zu können. Der Text endet mit einem Zitat des ehemaligen britischen Premierministers James Callagham, mit welchem das schlechte Bild der Stadt durch das Hinterfragen der Ranking-Methode korrigiert werden soll: »Mit Statistiken kann man alles beweisen, auch das Gegenteil davon.« 95 Im Mai 2015 erschien dann – beauftragt durch die Stadt Salzburg – ein weiteres Ranking österreichischer Städte, der »Stadtmarkenmonitor« des Markenberatungsunternehmens Brandmeyer, in dem die Markenstärke verschiedener österreichischer Städte gemessen werden sollte. Es stellt laut eigenen Angaben das »erste, auf einer repräsentativen Befragung von Privatpersonen basierende, Stadtmarken-Ranking in Österreich« 96 dar. Verglichen wurden die 20 größten Städte Österreichs plus Eisenstadt, Kufstein und Hallein. Zur Untersuchung der »Stärke« der jeweiligen Stadtmarke wurden 2.031 Personen befragt, die für die Städte Bewertungen in verschiedenen Kategorien wie Sympathie, guter Ruf, Zuzugsbereitschaft etc. auf einer Skala von 1 bis 10 vornahmen. Daneben wurden mit dem gleichen Vorgehen verschiedene »Facetten der Attraktivität« 97 wie Lebensqualität oder eine ansprechende Innenstadt abgefragt. Das Ranking lässt sich damit als beauftragtes Ranking mit guter Transparenz einordnen 98. Wels nimmt indes auch hier insgesamt sowie in neun der 18 Unterkategorien die letzte Position ein. Das Ranking löste erneut Reaktionen der lokalen Medien aus. So erschien wenige Tage nach der Veröffentlichung der Ergebnisse in der Tageszeitung Oberösterreichische Nachrichten am 16. Juni 2015 ein Artikel mit dem Titel »Wels im Städtevergleich wieder als Schlusslicht«. Der letzte Ranglistenplatz sei »vernichtend« und gebe »Anlass zu Diskussionen« 99. Neben einem Funktionär der FPÖ – dem späteren Bürgermeister – Andreas Rabl, der die Welser Stadtmarketinggesellschaft kritisiert und eine klarere Positionierung fordert, kommen auch der Obmann der ÖVP Peter Csar sowie der Geschäftsführer des Stadtmarketing Peter Jungreithmair zu Wort. Letzterer stellt den Städtevergleich

95 96 97 98 99

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Milassin (2013): Wels, S. 25. Brandmeyer Markenberatung (2015): Stadtmarken-Monitor, S. 4. Ebd. Vgl. Haindlmaier (2011): Städterankings. Famler (2015): Städtevergleich.

Annäherung

»generell in Frage« und wird zitiert: »Schon wieder eine Krawall-Studie, deren Seriosität überschaubar ist.« 100 Die Abwertung der symbolischen Position der Stadt durch die Rankings wirkte sich mitunter auf die Wahrnehmung des Wohnortes durch die lokale Bevölkerung aus und bildete den Ausgangspunkt für Diskussionen. BewohnerInnen meldeten über lokale Medien Handlungsbedarf an, richteten sich an die Politik vor Ort, die Stadtverwaltung und das Stadtmarketing oder erklärten die Zuordnung für irrelevant. Eine Interviewpartnerin grenzte sich von den schlechten Platzierungen ab: Naja, ich mein, es nervt mich logischerweise oder es zipft mich an, wenn wir jetzt irgendwo ganz am Schluss dabei sind, logischerweise. An meiner persönlichen Meinung oder an meinem persönlichen Eindruck ändert sich jetzt einmal sowieso nichts. Weil ich mein, ich bin eine waschechte Welserin, ja, ich hab wirklich alle Stufen durchlebt da. Und ich weiß einfach, wie es für mich jetzt ist oder wie ich es empfinde und wie ich mich wohlfühle oder nicht wohl fühle oder auch, ich mein, ich kenne irrsinnig viele Leute und auch vom Eindruck von anderen.101

Claudia Wolkinger ist sich der schlechten Einstufungen der Stadt bewusst. In ihrer Schilderung wird die Diskrepanz zwischen Fremdbild und Selbstbild deutlich. Sie behauptete, ihre Eindrücke und die Erfahrungen anderer blieben von den Rankings unberührt. In weiterer Folge verwies sie aber auf den Imageschaden des Wohnortes und den damit verbundenen Verlust residenziellen Kapitals: Dass es nicht klass ausschaut nach außen hin, ist außer Frage, aber das ist genauso, wenn du jetzt, weiß ich nicht, wie gesagt, eben wir haben viel Bekannte im Mühlviertel auch. Wennst da angeredet wirst, weil wieder irgendeine Schlagzeile in der Krone [gemeint ist die österreichische Boulevardtageszeitung Kronen Zeitung] drinnen ist. Was weiß ich, Messerstecherei in der Messestadt zum Beispiel. Wie es ja auch oft war, dass es nachher heißt: ›He wo wohnt’s denn ihr gar da. Mah, das war ja schon wieder bei euch.‹ [. . . ] Und wo ich mir dann denke, sicher brauchen wir das nicht. Es braucht keiner. Aber es ist einfach auch durch diese Schlagzeilen, du kriegst soviel negatives Image. Und es geht immer wieder in dieselbe Schiene, es geht immer wieder in dieselbe Kerbe rein. Und logischerweise hast dann den Ruf. Als Stadt jetzt auch. Aber es ist halt einfach auch verdammt schwer, dass das dann wieder raus bringst.102

100 Ebd., S. o. S. 101 Interview Claudia Wolkinger. 102 Ebd.

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Wie an den Beispielen erkennbar, werden Städterankings lokal angeeignet und finden »Eingang in die in Städten geführten politischen Diskurse« 103, wie die Raumplanerin Gudrun Haindlmaier diagnostiziert. Städterankings können ihr zufolge als Teil einer symbolischen Politik verstanden werden und fördern »die zunehmend bedeutendere Theatralität und Inszenierung der (massenmedialen) Politik, wobei dies nicht nur durch Medien geschieht, sondern auch durch die Selbstinszenierung von Städten und die Politikdarstellung durch die Politik selbst« 104. Haindlmaier kritisiert dabei wesentliche Limitierungen, etwa die oftmalige Verkürzung von Städterankings auf den Gesamtrang bei gleichzeitiger Vernachlässigung der »Komplexität räumlicher, politischer, sozialer und wirtschaftlicher Zusammenhänge« 105. Die Wettbewerbsorientierung vertrage sich dabei zunehmend weniger mit einer sozialverträglichen Stadtentwicklung. Städte stehen in dieser Wettbewerbskonstellation zunehmend unter Handlungsdruck. Dies trifft insbesondere auf die Stadt Wels zu, in der die schlechten Rankingplatzierungen die Stadtregierung in Zugzwang versetzen. Nicht zuletzt deswegen hat die neue, im Oktober 2015 angelobte Stadtregierung unter der Führung der FPÖ als eine der ersten Maßnahmen einen Positionierungsprozess der Stadt initiiert (siehe dazu Kapitel »Rechtsruck und städtische Positionierung«). Dabei sei darauf hingewiesen, dass Wettbewerbslogiken keineswegs einen notwendigen Beziehungsmodus zwischen Städten darstellen, sondern Ausdruck einer aktiven Neoliberalisierung von Stadtpolitik sind. Generell haben Wettbewerbslogiken auf unterschiedlichen räumlichen Maßstabsebenen zugenommen. Insbesondere die Stadtmarketinggesellschaften sind daher heute zentrale Akteure in dieser neoliberalen conjuncture (siehe dazu das nächste Kapitel »Place-making und scaling practices als Beruf – Das Stadtmarketing Wels«).

Stigmatisierung und das gute Leben in der Stadt Alle drei angeführten Formen der Repräsentation von Stadt – die Stadtschelte, das journalistische Stadtporträt sowie Städterankings – können als symbolische Formen von place-making und scaling practices verstanden werden. Der Vergleich mit den symbolischen Zuschreibungen zu Wels der Zeit der 1960er und 1970er Jahre öffnet eine historische Perspektive, eine historical scalar perspective, auf die Inhalte, aber auch die Form der Repräsentation von Stadt, etwa die neuen Stadtrankings. Die angeführten Beispiele zeigen die generell zunehmende Stigmatisierung der Stadt Wels. Neben diesen negativen Narrativen über Wels in der alltäglichen Stadtschelte, im Stadtporträt und in Städterankings als Teil eines Stigmatisierungs103 Haindlmaier (2011): Städterankings, S. 279. 104 Ebd., S. 292. 105 Ebd., S. 293.

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prozesses ist auch in darüber hinaus gehenden Praktiken der Repräsentation von Städten die im Vergleich mit anderen Städten marginale Rolle von Wels markant. Insbesondere in den Repräsentationsmodi kultureller Ökonomien gleicht die Stadt Wels einer Stadt »off the map«: Sucht man in Wien oder Linz einen Buchladen auf und konsultiert dort das Regal für Städtetourismus, so findet man im Gegensatz zu Büchern über New York, Berlin, Wien und meist sogar Linz und Graz – beides Städte, zu denen u. a. im Rahmen ihres früheren Kulturhauptstadtstatus mittlerweile eine Vielzahl von Texten veröffentlicht wurden 106 – kein Buch zu Wels. Ein eigener Stadtführer für Wels wurde erst im Jahr 2012 produziert – es handelte sich dabei aber um ein Projekt einer lokalen Handelsschule. Im Jahr 2016 erschienen schließlich – nach Finanzierungsschwierigkeiten – ein erster Architekturführer sowie ein Fotobuch über die Hochhäuser in Wels, in dem u. a. das Maria-Theresia-Hochhaus, die Wohnsiedlung Noitzmühle und das Semperit-Hochhaus in Szene gesetzt wurden 107. Generell lassen sich in Bezug auf Wels kaum touristische Praktiken der Repräsentation finden. Diese Regel bestätigte als Ausnahme eine für Wels untypische Praktik im Stadtraum, nämlich das öffentliche Malen von Sehenswürdigkeiten. Ich war irritiert, als ich neben der Pfarrkirche in Wels auf eine Malerin traf, die das Haus der Salome Alt – eine der wenigen als touristische Sehenswürdigkeit geltenden Orte der Stadt – malte und neben sich einige Bilder als wie zum Verkauf stehen hatte – ein ungewöhnlicher Anblick, den ich nur von Tourismusorten kannte. Weder davor noch danach konnte ich je wieder jemanden eine Sehenswürdigkeit von Wels malen sehen, was auf die generell niedrige symbolische Dichte des Stadtraums als auch auf fehlende AbnehmerInnen verweist. Das Zusammenspiel von symbolisch aufgeladenen Räumen in der Stadt mit Formen der Repräsentation verweist auf die in Stigmatisierungsprozessen zentralen »Raumbilder – wie etwa eine Abraumhalde, leerstehende Geschäfte und Industriebrachen – als ikonographische Markierungen oder Signifikanten des städtischen Niederganges« 108. So lassen sich in den Erzählungen über das Defizit der eigenen Stadt Befindlichkeiten ausmachen, die mit wahrgenommenen Atmosphären des Stadtraums, mit der »sinnlichen Geographie der Stadt« 109 106 In Linz wurde etwa schon seit Ende der 1980er Jahre eine Vielzahl an geschichtswissenschaftlichen Publikationen in Auftrag gegeben, welche die mediale Präsenz der Stadtgeschichte, d. h. die Dichte historischer Zeichen erhöhten, vgl. Laister (2004): Schöne neue Stadt, S. 37. Die vorliegende Arbeit ist selbst Teil dieser Produktion einer Textur der Stadt – generell nahm die Forschung in ihren Praktiken (Fotografieren, Dokumentieren, Stadtgänge etc.) Formen einer kulturalisierenden Inwertsetzung an. 107 Vgl. Famler (2016): Hochhäusern. 108 Bürk u. a. (2013): Stigmatisierung, S. 126. 109 Lindner (2004): Offenheit, S. 393.

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verbunden scheinen und sich auf die Materialität der Stadt beziehen. Dies zeigt sich in Wels in den schon angeführten Schilderungen von leeren Straßen und Leerständen sowie in den Fotos, die BewohnerInnen hierzu wie zur Bekräftigung zeigten; in den Beschreibungen der Innenstadt, die in kurzer Zeit durchschritten ist und keine Überraschungen zu bieten scheint; in den Berichten über den schlechten Zustand der Großwohnsiedlungen am Stadtrand, des Maria-Theresia-Hochhauses oder des Kaiser-Josef-Platzes; in den Vorwürfen der Fehlplanung des Museums-Neubaus, dem die Besucher ausbleiben; im Durchfahren der schnellen Bahnverbindungen der ÖBB (Österreichische Bundesbahnen) seit dem Jahr 2009, was Wels auf das »Abstellgleis« 110 gestellt habe und angesichts des imaginaires der verbundenen Stadt umso schwerer wiegt 111. Wie an dieser exemplarischen Aufzählung erkennbar, prägen zum einen ein Fehlen an Geschäftigkeit, Betriebsamkeit, städtischer Hektik, Ereignisdichte, zum anderen die Entwertung der baulichen Marker der industriell-modernen Entwicklungszeit die erzählten Raumbilder in Wels 112. Die Charakterisierungen von Wels lassen in ihrem Kontrast zu einem geschäftigen, hektischen und überraschenden »urbanen« Treiben im- oder explizit eine normative Orientierung an der Großstadt bzw. an einem stereotypisierten Bild von »Stadt« – verstanden als Großstadt – erkennen. Derartige Erzählungen über Defizite sind auch als Reaktionen auf die geänderten Stadttopographien und -normen, auf die Verschiebungen der räumlichen symbolischen Ordnungen zu verstehen, in denen Städte ein neues Gewicht bekommen, sich gleichzeitig damit aber auch die Ungleichheiten zwischen ihnen verstärkt haben. Diese Differenzen zwischen Städten und die damit verbundenen normativen Orientierungen, die sich auch räumlich niederschlagen, materialisieren und stabilisieren, verweisen auf gesellschaftlich ausgehandelte Vorstellungen vom guten und richtigen Lebensort. Das »Scheitern« bestimmter Städte im räumlichen Wettbewerb wird aber selten auf diese überlokalen Zusammenhänge bezogen, sondern als lokale Schwäche gedeutet: Die medialen Kommentare zielen im Modus der Skandalisierung vor allem auf die lokale Nicht-Bewältigung dieser Transformationsszenarien ab und verweisen damit die Verantwortung für diese Missstände vor allem auf die lokale, städtische Ebene. Dies könnte [. . . ] als die strategische Funktion solcher Stigmatisierungsdiskurse betrachtet werden. In dieser Zuweisung der stigmatisierten Phänomene

110 O.A. (2010): Abstellgleis, S. o. S. 111 Vgl. Thaler (2009): Lokalbahnhof. 112 Die Raumbilder der entwerteten Industrie stehen in Kontrast zu den Raumbildern in Linz, wo schon in den 1970er Jahren eine »Aussöhnung« zwischen »altem Linz« und Industrie – eben auch auf bildlicher Ebene in Medien – stattfand, vgl. Laister (2004): Schöne neue Stadt, S. 74 f.

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als lokalstädtische Problemlagen werden nicht alleine die überregionalen Rahmenbedingungen neutralisiert, es werden gleichzeitig Verantwortliche für das Scheitern städtischer Transformationsprozesse ausgemacht.113

Die Stigmatisierung kann damit als Effekt der Wettbewerbslogik verstanden werden, der die Schuld an das Lokale verteilt und auf die »Aktivierung von ›endogenen‹ Potentialen« 114 abzielt. Nicht überraschend wurden daher auch in kleineren Städten Stadtmarketinggesellschaften gegründet, um symbolische place-making und scaling-Prozesse strategisch zu initiieren. Trotz dieser allgemeinen Tendenz zur Stigmatisierung gibt es zwischen den einzelnen Formen der Repräsentation Unterschiede bezüglich der Produktionslogiken, Rezeptionsweisen sowie Akteurskonstellationen. Ein Alltagsgespräch etwa ist mit anderen Interessen verknüpft als die Produktion eines journalistischen Artikels. Und auch die Rezeptionsweisen sind unterschiedlich, denn Stigmatisierung wird »von unterschiedlichen städtischen Akteuren verschieden wahrgenommen, interpretiert, skandalisiert oder ignoriert« 115. Thomas Bürk und Sabine Beißwenger zählen in Anlehnung an Ervin Goffman verschiedene Modi dieses Umganges auf. Von der Anpassung an die Norm und einer damit verbundenen Selbststigmatisierung über die Abkehr von der Norm, etwa wenn die Stadt verteidigt wird, oder eine Abwehr der stigmatisierenden Zuschreibungen, wenn Städterankings die Relevanz oder die Gültigkeit abgesprochen wird, reicht dabei die Bandbreite. Auch in Wels gibt es durchaus unterschiedliche Formen des Umgangs mit der Stigmatisierung der Stadt. Eine zentrale Unterscheidung betrifft die Frage, ob die negativen Eigenschaften der Stadt nur symbolische Zuschreibungen seien – Wels also »nur« ein Imageproblem habe (Abkehr von der Norm) – oder tatsächlich materielle Grundlage hätten (Anpassung an die Norm). Eine weitere Form des Umgangs mit der Stigmatisierung ist Ironisierung. Ein Gesprächspartner etwa fasste seine reservierte Haltung der Stadt gegenüber in der pointierten Aussage zusammen, man müsse, um in Wels zu »überstehen«, die »maximal mögliche ironische Distanz« zur Stadt behalten 116. Auch ließen sich in der Stadt immer wieder Sticker mit der Aufschrift »Von allen Löchern ist mir Wels das Liebste« finden. Die Plakatkampagne »Wels ist nett« der Kultureinrichtung MKH (Medienkulturhaus) zielte als Teil des Jugendmedienprojektes »Stadtansicht« auf den schlechten Ruf der Stadt und versuchte diesen mit Ironie und Humor zu ent-

113 114 115 116

Bürk u. a. (2013): Stigmatisierung, S. 144. Ebd. Ebd., S. 128. Feldnotiz, 23. 09. 2012.

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kräften (siehe Abbildung 20).117 Dafür wurde die Werbeagentur »sektionm« erfunden, die sich die Herstellung alternativer Bilder von Wels zur Aufgabe machte. So steht im Einführungstext zur Kampagne: WELS IS NETT. . . es hätte schlimmer kommen können. Wels ist keine Metropole, Wels ist kein Kaff, Wels ist nicht der Hotspot, aber Wels ist doch ganz nett. Also nicht ›nett‹ als ›kleine Schwester von Scheiße‹ und nicht als Einstellung der Menschen – obwohl, das schon irgendwie. Vor allem finden wir, dass Wels nicht irgendwelche überzeichneten Bilder braucht, mit denen es dann als super moderne und attraktive Stadt beworben wird. Genauso wenig wie die negativen Bilder, die die Medien so gerne zeichnen. Wels ist eine sehr lebenswerte Stadt, und das ist es doch, was zählt.118

Die Plakate zeigten verschiedene unspektakuläre Orte der Stadt, die mit Überschriften versehen waren wie: »Wels. Ich kanns nicht mehr hören.«, »Wels. Eine Frage des Anspruchs.« oder eben auch »Wels. Es hätte schlimmer kommen können.« Ein anderer Teil des MKH-Projektes befasste sich mit spannenden Orten in Wels, welche jeweils als »Ort der Woche« mittels eines kleinen Porträts vorgestellt und in eine Onlinekarte eingetragen wurden. Die Karte stellte schließlich die Visualisierung einer alternativen Stadt dar, die sich nicht an der Stigmatisierung orientierte, sondern eine eigenständige Perspektive der Jugendlichen zeigen sollte. Viele der Orte tauchten dann auch in einem YouTube-Film mit dem Titel »60 Orte – Wels ist nett« auf. Ein unbekannt gebliebenes »Komitee für Unkultur« bezog sich kurze Zeit später auf die Plakate des Medienprojektes und fertigte düsterere sowie punkigere Versionen derselben an. Ein Sticker mit der Aufschrift »scheiß auf WÖZ.« verwies auf einen Blog, in dem die Plakate online präsentiert wurden (siehe Abbildung 21). Diesmal gab es Überschriften wie: »Wöz. Ich kotz mich an.«, »Wöz. Dem Bestehenden blind verpflichtet.« oder »Wöz. Wo die Kultur an Gröszenwahn erstickt«.

117 Vergleiche dazu auch Ironie als Strategie im Umgang mit dem Stigma in anderen Städten, etwa in der Gemeinde Sangerhausen in Deutschland, welche den Slogan »Sangerhausen am A. . . der Welt« über Postkarten und Plakate verbreitete, vgl. Bürk u. a. (2013): Stigmatisierung, S. 133, oder in der Gemeinde Reinach in der Schweiz, die von 1997 bis 2002 Jahre den Slogan »Kaff mit Pfiff« verwendete, vgl. Wieland (2015): Slogan. 118 O.A. (2012): Warum?

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Abb. 20: Plakat eines Projektes der Kultureinrichtung MKH. In einem fiktiven Marketingunternehmen erarbeiteten Jugendliche Werbeplakate für Wels, die mit Humor und Ironie mit der Stigmatisierung der Stadt spielen.

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Abb. 21: Plakat der »Antwortkampagne«. Unter dem Serientitel »scheiß auf WÖZ.« wurden von einem unbekannten »Komitee für Unkultur« die Plakate des Wels ist nett-Projektes adaptiert und ihnen ein düsteres Aussehen verliehen.

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Place-making und scaling practices als Beruf – Das Stadtmarketing Wels In Bezuf auf den Umgang mit der Stigmatisierung von Wels hat ein institutionalisierter Akteur eine besondere Rolle – die Stadtmarketinggesellschaft. Denn place-making und scaling practices in Städten sind keineswegs nur unreflektierte, selbstverständlich gelebte Praktiken, sondern werden von beauftragten Institutionen strategisch eingesetzt. Dabei ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit von besonderem Interesse, wie die Marketinggesellschaft einer Stadt mit im Vergleich zu Großstädten weniger Ressourcen und in vielen Feldern unteren Positionierungen sowohl mit dem zunehmenden Wettbewerb als auch mit der Stigmatisierung umgeht. Im Folgenden geht es darum, mit welchen Methoden und Inhalten die Stadtmarketinggesellschaft Wels als Ort innerhalb eines internationalen Städtewettbewerbs positioniert und die Stadt symbolisch und materiell herstellt, vermarktet und bewirbt.

Stigmatisierung in der kulturellen Ökonomie und unternehmerische Stadt Eine zentrale Rolle in dieser Produktion der Stadt als Ware spielen heute – wie oben beschrieben – sogenannte kulturelle Ökonomien und die bewusste Initiierung von place-making-Prozessen zur Produktion einer Stadt als Ort. Trotz oder gerade aufgrund ihrer Relevanz im Alltag von und für Menschen können Orte auch strategisch mobilisiert werden 119. Eine zentrale Leitlinie dafür ist, dass die kulturökonomisch verstandene »Kultur« einer Stadt inszeniert und als Mittel eingesetzt wird, um ein kohärentes Image der Stadt zu produzieren 120. Dafür stellen Stadtmarketinggesellschaften durch die gleichzeitige Verdichtung und Verkürzung von Eigenschaften und Qualitäten der jeweiligen Stadt einen Wahrnehmungsrahmen her, der die jeweilige Stadt spezifisch erscheinen lässt. Dieses vermarktete Bild setzt sich dabei keineswegs ausschließlich aus für wichtig empfundenen Eigenschaften der jeweiligen Stadt zusammen, sondern muss als Reaktion auf den Wettbewerb auf Basis einer imaginierten Marktlogik verstanden werden. Diese Selektion von marktgerechten Repräsentationen – wie die »Kulturstadt«, die »Partystadt«, die »Kreativstadt« etc. – verweist auf normative Vorstellungen von Stadt, auf gewollte Räume und Gruppen sowie implizit auf das unerwünschte oder gar verdrängte »Andere«. AkteurInnen des Stadtmarketing nehmen in dieser Generierung von Ortsspezifika, der Verortung von räumlichen Qualitäten und der Homogenisierung städtischer Bilder eine zentrale Rolle ein und nutzen dafür verschiedene Methoden. Diese können symbolischen Charakter haben, wie etwa die Entwicklung und Verbreitung eines eingängigen Slogans für eine Stadt (wie zum 119 Vgl. Belina (2013): Raum, S. 114. 120 Vgl. Zukin (1995): Cultures of Cities.

Place-making und scaling practices als Beruf – Das Stadtmarketing Wels

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Beispiel: »Hamburg – Tor zur Welt«, »München mag Dich«, »Wien – Jetzt oder nie«), die Durchführung von Werbekampagnen und die Produktion von Hochglanzbroschüren sowie Onlineauftritten. Sie können aber auch materiellen Charakter haben und direkt in den Stadtraum eingreifen, wie Aktivitäten zur Möblierung der Stadt, die Organisation von Veranstaltungen im Stadtraum oder die Inszenierung architektonischer Prestigebauten. Vermarktungsstrategien greifen heutzutage nicht allein in Großstädten und Metropolen, sondern auch Regierungen kleinerer Städte versuchen die jeweilige Stadt im Wettbewerb zu positionieren 121. Entsprechend begreifen und inszenieren auch Stadtregierungen in kleineren Städten diese als kulturelle Phänomene. Wie Daniel Habit betont, können sie allerdings meist weniger Ressourcen mobilisieren: Während Großstädte auf ein gewachsenes Repertoire an Images und Leitmotiven zurückgreifen können, über eine kulturelle Infrastruktur mit den dazugehörigen Netzwerken verfügen und in einen reflexiven urbanen Diskurs zwischen Medienmachern und -rezipienten eingebunden sind, um den Herausforderungen der Stadt im 21. Jahrhundert zu begegnen, sehen sich Klein- und Mittelstädte zwar mit denselben Aufgaben konfrontiert, besitzen aber nur in den seltensten Fällen die notwendigen finanziellen, sozialen und kulturellen Ressourcen zu deren Bewältigung.122

Erschwerend ist für die Vermarktung, dass sich die Stadtmarketinggesellschaften kleinerer Städte nicht auf die gleiche ästhetisch-historisch-semiotische Dichte der Textur an Bildern, an kommodifizierbarer Geschichte und auf ein schon bestehendes, anerkanntes und bekanntes Profil der Stadt beziehen können, wie dies meist in Großstädten und insbesondere Metropolen möglich ist. Im Kontext der Stigmatisierung von Wels muss die Stadtmarketinggesellschaft Strategien entwickeln, um mit den (externen) Positionierungen, Rankings und Kategorisierungen umzugehen und auf die Entwertung der Symbole aus der Zeit des industriell-funktionalen Wels zu reagieren.

Professionelle place-making und scaling practices im stigmatisierten Wels Bereits im Jahr 1988 wurde die WEMA (Welser Marketingvereinigung) von der Stadt Wels, der Wirtschaftskammer, dem Werbeverein der Welser Wirtschaftstreibenden und dem Tourismusverband gegründet und die Stadt unter dem Slogan »Wels, die Einkaufsstadt« vermarktet. Auf eigene Beine wurden Marketingbestrebungen aber erst im Jahr 1995 gestellt, als die erste Stadtmarketinggesellschaft Österreichs, die Stadtmarketing Wels GmbH, ins Leben 121 Vgl. Habit (2010): Mittelstädte. 122 Ebd., S. 139.

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gerufen wurde. 2000 folgte die Zusammenlegung des Tourismusverbandes und der Stadtmarketing Wels GmbH zur Wels Marketing & Tourismus GmbH mit einer gemeinsamen Geschäftsführung. Diese Stadtmarketinggesellschaft vermarktet seitdem als Tochterunternehmen des Magistrats die Stadt Wels und wird seit 2002 vom Geschäftsführer Peter Jungreithmair geleitet. Ihre Aufgabe ist laut Webseite definiert als die fortlaufende Erarbeitung und konsequente Umsetzung marketingstrategischer Zielsetzungen zur Erhöhung der Attraktivität des Standortes Wels – sowohl für die derzeit rund 60.000 Einwohner, die Bewohner der Umlandgemeinden, Unternehmer, als auch für Besucher, Gäste oder Kunden im überregionalen Bereich in Kooperation mit dem Tourismusverband 123.

Das Stadtmarketing Wels konzentriert sich insbesondere auf die Themen Konsum, Handel und Energie. Seit wenigen Jahren wird auch die römische Geschichte der Stadt inszeniert. Wie bereits beschrieben, beabsichtigt das Stadtmarketing in Wels – wie Vermarktungsgesellschaften in Großstädten – eine Bewerbung der Stadt als Einheit. Ziel sei es, »mit dem Marketing die Gesamtstadt nach außen zu vermarkten« 124. Exemplarisch lässt sich dies etwa am Beispiel der Neugestaltung des Weihnachtsmarktes seit dem Jahr 2008 erkennen, mit dem sich die Stadt laut Stadtmarketing »klar profilieren konnte« 125. Das Stadtmarketing miete für den Weihnachtsmarkt »als Organisation so quasi die gesamte Innenstadt« 126, erklärte der Projektleiter beim Stadtmarketing Herwig Röck, wodurch sich eine »einheitliche Optik, ein einheitliches Ziel« 127 durchsetzen lassen habe. Auf diese Weise nimmt das Stadtmarketing eine ästhetische Homogenisierung des Raumes vor: »Jetzt geht das alles in eine Richtung, dass der Weihnachtsmarkt über die gesamte Stadt ein einheitliches Bild kriegt und auch in der Vermarktung natürlich nach außen kriegt.« 128 Doch die Gestaltungsmöglichkeiten des Stadtmarketing sind begrenzt. Auch in Bezug auf den städtischen Einkaufsrhythmus sieht Herwig Röck Vereinheitlichung prinzipiell als zielführendes Mittel, das aber auf Hindernisse stößt: »Was man ja wirklich leidet, [. . . ] es ist nicht zu schaffen, in der Innenstadt einheitliche Öffnungszeiten zu organisieren. [. . . ] Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ich arbeite jetzt seit sieben Jahren dran. Geht nicht!« 129 Eine

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Wels Marketing & Touristik GmbH (2013): Über uns. Interview Herwig Röck. Wels Marketing & Touristik GmbH (2014): Schriftliche Auskunft. Interview Herwig Röck. Ebd. Ebd. Ebd.

Place-making und scaling practices als Beruf – Das Stadtmarketing Wels

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Institution wie das Stadtmarketing ist in diesem Fall mit lokal spezifischen Logiken, Dynamiken und Widerständen konfrontiert und stößt an die Grenzen von place-making-Prozessen und der Kommodifizierung städtischen Raumes und Rhythmus, da sich GeschäftsinhaberInnen einheitlichen Öffnungszeiten verweigern.

Wels als Konsumerlebnis und Handelszentrum Eine besondere Rolle spielt in der Vermarktung das Verständnis der Stadt als kommerzieller Anziehungspunkt, was sich im Slogan »Wels, die Einkaufsstadt« spiegelt. Schon ein Blick auf die Webseite der Stadtmarketinggesellschaft genügt, um die Schwerpunktsetzung auf Handel und Wirtschaft zu erkennen, so stellen »Shopping / Events«, »Business Touristik« und »Wirtschaft« drei der fünf zentralen Kategorien (neben »Tourismus« und »Veranstaltungen«) dar. Exemplarisch möchte ich hier auf zwei thematische Linien dieser Schwerpunkte eingehen. Zum einen die Herstellung einer »Erlebniszone Innenstadt« über place-making practices, zum anderen die Inszenierung der Stadt als geographisches Zentrum über symbolische scaling practices. In der Publikation »Trendbook 2013« des Vereins Stadtmarketing Austria stellt sich die Stadt wie folgt vor: Erklärtes Ziel ist das Profil und die Positionierung der Kernzone Wels – Innenstadt und Stadtteilzentren – für die KonsumentInnen zu schärfen. Unter dem gemeinsamen Marketingdach ist es möglich, die Vorteile der Kernzone Wels zu kommunizieren und die Welser Innenstadt als gewachsene Erlebniszone zu positionieren.130

Ziel ist es also, den innerstädtischen Raum über die Produktion eines Profils für die KonsumentInnen erlebbar zu machen. Dies versucht das Stadtmarketing mit verschiedenen Aktivitäten zu erreichen. So wurde im Jahr 2005 die »Agenda Kernzone« geschaffen, ein »Maßnahmenpaket zur Weiterentwicklung und Unterstützung der Kernzone der Stadt Wels« 131. Diese sah eine öffentliche Förderung für Einzelhandelsunternehmen vor, etwa Mietförderungen. Daneben sollte die »Gestaltung der öffentlichen Räume vorangetrieben« 132 werden, was sich u. a. in einer neuen Straßenbeleuchtung, WLAN-Hotspots oder der Möblierung des Stadtraums im Form von Sitzmöbeln niederschlug. So wurden sogenannte Info-Inseln »im städtischen Design« 133 installiert, bei denen über Monitore Informationsmaterial zur Stadt abrufbar ist. Etwas früher, im 130 131 132 133

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Verein Stadtmarketing Austria (2013): Trendbook, S. 35. Jungreithmair (2006): Stadtmarketing, S. o. S. Ebd. Ebd.

Annäherung

Jahr 2003, wurden die Veranstaltungen »Welser Shopping Night« und »FilmfestiWels«, die heute weiterhin Marketingschwerpunkte darstellen, als Teil der Festivalisierung und Eventisierung der Innenstadt zum ersten Mal organisiert. 2008 folgte der Weihnachtsmarkt »Welser Weihnachtswelt«, der 2015 den Anspruch hatte, in der »Hauptstadt des Christkinds« 134 das »größte Christkind der Welt« 135 auszustellen und dazu einen Guiness-Rekordversuch initiierte. Stadtrat Peter Lehner stellt die wirtschaftliche Bedeutung dieser Strategien für die Stadt heraus: »Die Adventzeit zeigt die Energie, die wir sehr konzentriert in die Belebung, Attraktivierung und Entwicklung der Innenstadt stecken. Letztlich sollen alle diese Anstrengungen darauf abzielen, Wels lebenswerter zu machen und neue BewohnerInnen mit Fokus auf Familien in der Innenstadt anzusiedeln.« 136 Die Aussage des Geschäftsführers des Welser Stadtmarketing Peter Jungreithmair wiederum verweist auf die emotionale Dimension der Vermarktungsarbeit: »Die Welser Weihnachtswelt ist eine Erfolgsgeschichte, weil das Land, die Stadt, die Bürger und viele Menschen glaubwürdig das Thema Weihnachten und Christkind spürbar leben und mit ehrlichem Engagement für die Welser Weihnachtswelt arbeiten.« 137 2008 wurde im Rahmen der »Agenda 012« die Marke »Shoppen mitten in Wels« entwickelt. Ziel war es, dass »die Marke von den Kunden ›erlebt‹ werden kann« 138. Dazu gründeten 130 Geschäfte und Gastronomiebetriebe eine Kooperation, die »Qualitätsallianz«. Ähnlich der growth coalitions im englischsprachigen Raum sollte auch hier die Partnerschaft zwischen Stadt, Stadtmarketing und Unternehmen die Innenstadt stärker positionieren. Unter dem Motto »Shoppen mitten in Wels« wurde eine Vielzahl an Tätigkeiten zusammengefasst, wie etwa das System »Handyparken«, das bei Einkauf die kostenlose Verlängerung des Parkscheins über ein Handysystem ermöglichte. Gemeinsame Gutscheine in der Innenstadt und ein eigener »Shopping Guide« für die Geschäfte sollten der Profilschärfung und Vereinheitlichung der Innenstadt dienen. Und auch praktikable – als Reaktion auf die überdachten Einkaufszentren zu verstehende – Maßnahmen, wie ein »Regenschirmservice«, wurden eingeführt. Eine eigene Form der Evaluierung, ein zweimal im Jahr durchgeführtes »Mystery Shopping«, sollte eine »Weiterentwicklung in puncto Qualität« 139 garantieren. Zudem wurden mehrere Straßen in der Innenstadt mit dem Logo »Shoppen mitten in Wels« markiert (siehe Abbildung 22).

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Wels Marketing & Touristik GmbH (2015): Hauptstadt des Christkinds. Wels Marketing & Touristik GmbH (2015): Welser Weihnachtswelt. Wels Marketing & Touristik GmbH (2015): Hauptstadt des Christkinds. Ebd. Jungreithmair (2009): Innenstadt, S. o. S. Ebd.

Place-making und scaling practices als Beruf – Das Stadtmarketing Wels

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Abb. 22: Einschreibung der »Qualitätsallianz« in den Stadtraum. An verschiedenen Straßen wurde im Rahmen der »Agenda 012« das Logo »Shoppen mitten in Wels« angebracht.

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Annäherung

In der Broschüre »Wels erleben« von 2013 verdichten sich viele dieser Tätigkeiten des Stadtmarketing in einer Publikation. Darin beschreibt das Stadtmarketing Wels als »eine pulsierende Einkaufsstadt mit attraktiven Geschäften und hochwertiger Gastronomie, internationale Kongress- und Messestadt« 140. Im Kontrast zu vielen Darstellungen der Stadt in Interviews und Gesprächen mit BewohnerInnen zeichnet die offizielle Selbstdarstellung Wels gerne als »geschäftige« Stadt – etwa mit dem seit 2004 verwendeten Slogan »Wels hat’s in sich« (welcher »Wels. Die Stadt« ablöste), der als Teil einer »Neubesetzung des Corporate Designs der Stadt« 141 die Marke Wels »emotionalisiert« habe, wie der Geschäftsführer Jungreithmair formulierte. Wels wird dabei als spannende und lebhafte Stadt mit städtischem Flair dargestellt: Zwischen Bürgerhäusern und moderner Architektur, romantischen Arkadenhöfen und In-Beisln, urigen Heurigenlokalen und Restaurants pulsiert das Leben. Egal ob Kultur, Naturwissenschaften, Veranstaltungen oder andere Freizeitaktivitäten – in Wels ist immer was los.142

Geschäftigkeit wird in der Broschüre vor allem als sinnliches Charakteristikum beschrieben. Die Narrative der Broschüre versuchen, die Sinnlichkeit des städtischen Erlebens in Wels zu evozieren. So hält auch das Cover den Anspruch fest, dass Wels »immer ein Erlebnis« sei (siehe Abbildung 23). In der Broschüre werden »Events« vorgestellt, durch welche das Stadtmarketing den Stadtraum bespielt, und deren sinnlicher Charakter betont wird: »Diese City hat immer was zu bieten. Ob Shopping-Event, Open-Air-Kino, Live-Musik oder kulinarische Schmankerl: Wels ist Genuss pur für alle Sinne!« In den Rubriken »Familienausflug«, »Shopping« und »Jugendtreffpunkt« werden dann in fiktiven Tagesabläufen mögliche Aktivitäten in der Stadt präsentiert. Unter »Shopping Spaß« wird etwa der Tagesablauf zweier junger Frauen vom »Breakfast« bis zum »Nightlife« in Szene gesetzt (siehe Abbildung 24). Einkaufen wird hier in einen narrativen Kontext gestellt und in einen sozialen Zusammenhang gebracht – hier die Beziehung zur besten Freundin. Die Innenstadt ist damit nicht nur funktionaler Raum der Selbstversorgung, sondern wird sozial aufgeladen und zu einem Ort emotionaler Bindung gemacht. Neben der Produktion der Welser Innenstadt als Erlebniszone ist die Inszenierung der Stadt als geographisches Zentrum eine wesentliche Strategie im Schwerpunkt Handel und Konsum. Dabei werden die großen Vorteile des »Standorts« Wels in seiner guten Lage gesehen: »Heute präsentiert sich die charmante Kleinstadt im Herzen Oberösterreichs, direkt an der Romantikstraße zwischen Salzburg und Wien gelegen, als dynamische Messe- und 140 Wels Marketing & Touristik GmbH (2013b): Wels erleben, S. 2. 141 Jungreithmair (2006): Stadtmarketing, S. o. S. 142 Wels Marketing & Touristik GmbH (2013b): Wels erleben, S. 2.

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Abb. 23: Wels als Einkaufserlebnis. Die Broschüre »Wels erleben« inszeniert Wels als pulsierende Stadt, die ein umfangreiches Einkaufserlebnis bietet.

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Abb. 24: Die Innenstadt wird in der Broschüre »Wels erleben« als Ort in Szene gesetzt, der rund um die Uhr etwas zu bieten hat – insbesondere für Freundinnen, die gemeinsam einkaufen wollen.

Einkaufsstadt mit exzellenter Infrastruktur. Bequem per Auto, Bahn oder Flugzeug erreichbar.« 143 Auch in der vom Stadtmarketing herausgegebenen Broschüre »Business Touristik Wels. Der One-Stop-Shop für Hotels, Locations und Events«, in der insbesondere UnternehmerInnen angesprochen werden sollen, wird diese Perspektive herausgestellt und wie folgt illustriert: Ideales Zentrum für Ihre Ziele. Von Wels aus können Sie alles erreichen! Schon ein Blick auf die Landkarte zeigt es: Wels liegt im Schnittpunkt der wichtigsten Verkehrswege Europas. Leistungsfähige Straßen, gut ausgebaute Schienenwege und der Anschluss an einen internationalen Flughafen bieten Ihnen die besten Perspektiven für Ihre erfolgreiche Veranstaltung. Gerade für Geschäftsreisende ergeben sich durch die hervorragenden Verkehrsanbindungen der Stadt enorme Zeit- und Kostenvorteile. Wählen auch Sie Wels als hervorragenden ›Standort‹ für Ihren Erfolg! 144

Wels wird als Verkehrsknotenpunkt und Zentrum beschrieben und damit als Ausgangspunkt für geschäftliche Unternehmungen und als räumlicher Garant für geschäftlichen Erfolg. Auf der abgebildeten Karte als einer Form von

143 Wels Marketing & Touristik GmbH (2011b): Wels hat’s in sich, S. 3. 144 Wels Marketing & Touristik GmbH (2011a): Business Touristik Wels, S. 29.

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Abb. 25: Positionierung von Wels im internationalen Zentrum, in das viele Verbindungen führen, in der Broschüre »Business Touristik Wels« des Stadtmarketingunternehmens. Die nahe Landeshauptstadt Linz scheint nicht auf.

scaling practices (siehe Abbildung 25) stellt Wels das Zentrum infrastruktureller Verbindungen zu den nächsten größeren Städten im In- und Ausland dar und wird symbolisch als wichtiger Ort, zu dem verschiedene Wege hinführen, positioniert. Die nahe liegende Landeshauptstadt Linz ist auf der Karte bezeichnenderweise gar nicht abgebildet. Primär wird hier also nicht etwa ökonomisierbare »Kultur« herausgestellt, sondern die Praktikabilität und Effizienz schneller Verkehrsverbindungen, über die Wels zum Zentrum wird.

Wels als Energiestadt Neben diesem Schwerpunkt auf Konsum und Handel definiert das Stadtmarketing in Wels vor allem regenerative Energie als zentrales Thema und stellt diese als »Alleinstellungsmerkmal« der Stadt heraus: »Erneuerbare Energie ist in Wels seit Jahren ein wichtiges Thema, Österreichs größte Energiesparmesse findet jährlich in Wels statt, das erste Science Center Österreichs, das Welios, gilt als der Vermittlungsort für erneuerbare Energien für Jung und Alt.« 145 Anhand des Baus des Science-Center Welios, einem markanten Museum zu erneuerbarer Energie, wird das intendierte Alleinstellungsmerkmal als landmark building 146 im Stadtzentrum materialisiert und als scaling device verfestigt. Ähnlich wie das Guggenheim-Museum in Bilbao oder auch die Museen AEC oder

145 Wels Marketing & Touristik GmbH (2014): Schriftliche Auskunft. 146 Vgl. Jones (2006): Sociology of Architecture.

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Lentos im nahen Linz sollte über einen spektakulären Museumsbau Relevanz des Ortes geschaffen und erhöht werden. Das Welios selbst ist in Wels umstritten und wird im öffentlichen Diskurs bezeichnenderweise zugleich als »überdimensional«, als »zu groß« als auch als »zu klein« und daher als »unpassend« für die Stadt – also auf eine »falsche« scale abzielend, kritisiert – wie etwa in einem Leserbrief in den Oberösterreichischen Nachrichten: »Wels ist keine ›Science-Stadt‹, die Platzhirsch-Rolle hat längst Linz (mit internationaler Bedeutung) inne.« 147 Neben diesem Prestigebau gibt es eine Vielzahl an kleinen Maßnahmen, über welche die Stadt als Energiestadt inszeniert wird. So sind etwa die oben angeführten Info-Inseln in der Innenstadt mit Solarzellen ausgestattet, wodurch »die fortschrittliche Haltung der Stadt hinsichtlich erneuerbarer Energien und eines verantwortlichen Umganges mit unserer Umwelt« 148 herausgestellt werden soll. Auch die 2008 erneuerte Weihnachtsbeleuchtung setzte auf energiesparende Technik.

Wels als römische Großstadt Die Produktion von Relevanz und scale der Stadt lässt sich aktuell in Wels zudem an der Entdeckung der römischen Geschichte als Motiv der Vermarktung erkennen. Nachdem die römische Vergangenheit vom Stadtmarketing jahrelang nicht thematisiert wurde und auch kaum Niederschlag im Stadtraum fand 149 und generell das imaginaire der Stadt (Messe, Einkaufen, Industrie) wenig geschichtliche Bezüge aufwies, steht seit November 2013 die »Produktentwicklung Römer« auf der Agenda des Stadtmarketing, womit ein gesellschaftlich zentrales städtisches Entwicklungsfeld, nämlich die Kulturalisierung von Geschichte und Alter der Stadt, bedient wird: »Priorität hat hier die Kommunikation – generell das Bewusstsein schaffen – und erlebbar machen der bedeutenden Römergeschichte der Stadt.« 150 Aktivitäten sind geplant, die neben einer medialen Thematisierung auch die Einschreibung der römischen Geschichte in den Stadtraum – etwa durch ein Römerfest – zum Ziel haben. Über diese Produktion von Geschichte wird eine Verbindung in eine Vergangenheit stabilisiert, in der Wels als »der städtische Mittelpunkt südlich der Donau« 151 erscheint und an der sich die »Erhebung der Stadt zur Großstadt« 152 zeigen

147 O.A. (2011): Welios-Pleite. 148 Jungreithmair (2006): Stadtmarketing. 149 Die Absenz der römischen Geschichte im Stadtmarketing rief durchaus Kritik in der Stadt hervor, etwa formuliert durch den Verein Römerweg OVILAVA, vgl. Interview Renate Miglbauer, Albert Neugebauer, Claudia Neugebauer. 150 Wels Marketing & Touristik GmbH (2014): Schriftliche Auskunft. 151 Ebd. 152 Ebd.

Place-making und scaling practices als Beruf – Das Stadtmarketing Wels

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lässt. Hier soll also über die historische Bedeutung der Stadt, die gegenwärtige Stadt an Ausstrahlung gewinnen. Ähnlich wie die physische Größe der Stadt werden historische Bezüge als Ressource in scaling practices genutzt.

Jenseits repräsentativer Bilder Mit einer Fokussierung der Wahrnehmung und Repräsentation auf bestimmte urbane Aspekte und Orte zieht das Stadtmarketing die Aufmerksamkeit von Merkmalen ab, die als weniger »wert« bzw. vermarktbar betrachtet werden. Somit stellt sich die Frage, wer oder was durch das Stadtmarketing nicht beworben wird oder präziser: Welche sozialen Gruppen und Stadträume werden vernachlässigt und welche kulturellen Normierungen zeigen sich darin? Ein sprechendes Beispiel hierfür – insbesondere in Bezug auf scale – ist, dass die Stadtmarketinggesellschaft in Wels nicht auf MigrantInnen als Potenzial zur Kennzeichnung der Stadt zurückgreift. MigrantInnen werden von Seiten des Stadtmarketing weder explizit adressiert noch als RepräsentantInnen der Stadt inszeniert. Auf meine Nachfrage hieß es, dass »für das Programm des Stadtmarketing Wels [. . . ] eine getrennte Betrachtung von Migranten und nicht-Migranten unerheblich« 153 sei. Diese Auslassung steht in deutlichem Gegensatz zu Großstädten wie Wien, Berlin oder Frankfurt am Main, die sich – neben einer weiterhin bestehenden Stigmatisierung – über migrantische MitbürgerInnen bzw. diversity allgemein inszenieren und auf diese Weise Pluralität und Urbanität suggerieren – sei es durch Veranstaltungen oder in visuellen Repräsentationen. Erst jüngst bestätigten der Geograph Nils Grube und die Kulturanthropologin Gisela Welz am Beispiel von Frankfurt am Main, dass »ethnisch-kulturelle Vielfalt als Standortfaktor zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Stadt eingesetzt wird« 154. MigrantInnen werden in diesen Fällen als »Ressource des Regierens« 155 sowie als »Potential für die Städte« 156 begriffen und instrumentalisiert, konstatiert der Geograph und Politikwissenschaftler Mathias Rodatz. Während also in vielen Großstädten über MigrantInnen Kosmopolitismus inszeniert wird, sind diese in Wels in der Bewerbung der Stadt unsichtbar – Kosmopolitismus ist hier kein Thema und kein Teil von scaling practices, obwohl gerade MigrantInnen zentrale cityscalers 157 sind. Damit bestätigt sich die Feststellung der Europäischen Eth-

153 154 155 156 157

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Ebd. Grube u. a. (2014): Vielfalt, S. 67; siehe dazu auch Färber (2005): Vom Kommen. Rodatz (2012): Parallelgesellschaften, S. 72. Ebd., S. 79. Siehe dazu auch das Forschungsprojekt CITYSCALERS am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien, das den Zusammenhang von MigrantInnen und Neupositionierungen von Städten im Städtewettbewerb

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nologin Sabine Hess und des Stadt- und Regionalsoziologen Henrik Lebuhn, dass ein »Paradigmenwechsel von Integrations- zu Vielfaltspolitiken lange noch nicht überall angekommen ist« 158.

Standort und Kulturalisierung – zwei Richtungen der Vermarktung Dass sich die Stadt Wels mit dem Ziel eines upscaling positionieren muss, ist schon in die Logiken der Stadtmarketinggesellschaft angelegt. Der Imperativ des Wettbewerbs scheint heute quer über die Städtehierarchie hinweg alternativlos zu sein. Städte mit verschiedensten – auch unteren – Positionen vermarkten sich und begreifen sich als Ware. In der Vermarktung von Wels durch die Stadtmarketinggesellschaft lassen sich zusammenfassend zwei Schienen erkennen: Erstens versucht das Stadtmarketing – den gegenwärtigen internationalen Entwicklungen entsprechend – Kulturalisierungsprozesse zu initiieren. Als Maßnahmen diesbezüglich sind die Ästhetisierung in Form der Verschönerung des Stadtraums und der Betonung sinnlicher Qualitäten des Raums im »Erleben« der Innenstadt sowie Festivalisierung und Eventisierung zu nennen. Aktuell findet Kulturalisierung ebenso in Form der Inwertsetzung der städtischen Vergangenheit, der Geschichte des römischen Wels’, statt. Diese Kulturalisierungsprozesse werden insbesondere über place-making practices in symbolischer und materieller Form vorangetrieben und haben die Produktion einer ästhetisch-historisch-semiotischen Dichte zum Ziel 159. Die Welser Innenstadt wird so über eine Vielzahl von Eingriffen in den Stadtraum als Konsumort produziert. Auch wenn eine Orientierung an großstädtischer Geschäftigkeit im Zentrum der Vermarktungsbestrebungen in Wels steht, unterscheiden sie sich zu Vermarktungsstrategien in Großstädten. So findet Kulturalisierung nicht über kulturelle Diversität statt, was etwa das weitgehende Fehlen der gezielten Repräsentation und Adressierung migrantischer Bevölkerung anzeigt. Zweitens stellt die Stadtmarketinggesellschaft Wels als Wirtschaftsstandort heraus. Sie betont vor allem die Zentralität der Stadt und die gute Infrastruktur. Entspricht die eben beschriebene Kulturalisierung einer ökonomischen Logik postfordistischer Prägung, folgt die Vermarktung von Wels als Wirtschaftsstandort jener Logik, die im industriellen-modernen Wels geprägt wurde. Mit zum Forschungsinhalt hatte, vgl. https://cityscalers .wordpress .com / (abgerufen am 04. 10. 2017). 158 Hess u. a. (2014): Bürgerschaft, S. 25. 159 Dazu zählt auch die Schaffung der Position eines Stadtschreibers im Jahr 2014, welcher jährlich drei Monate in Wels wohnen und die Stadt beschreiben soll. Das im Rahmen der Innenstadt-Agenda 21 entstandene Projekt lässt sich in Bezug auf place-making practices als strategische Produktion textueller Dichte des Ortes interpretieren.

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diesen zwei Richtungen sind auch verschiedene AdressatInnen und Formen der Vermarktung verbunden. Eine Schwierigkeit für die Vermarktung stellt die Stigmatisierung der letzten Jahrzehnte dar, in deren Rahmen die Embleme des industriell-modernen Wels – Messe und Einkaufsstadt – und viele Orte der Stadt entwertet wurden, etwa der früher wichtige Kaiser-Josef-Platz. Die in Wels präsenten Räume und Bauten der Industriemoderne bleiben von einer Kulturalisierung – wie in vielen anderen Städten – weiterhin exkludiert. Zudem lässt sich nicht immer ein einheitliches Profil herstellen, denn nicht alle von den Stadtmarketinggesellschaften angestrebten visuellen, akustischen und rhythmischen Veränderungen im städtischen Raum lassen sich durchsetzen oder kommen wie gewünscht bei den Adressatinnen und Adressaten an, wie etwa die Vermarktung des Welios zeigt. Im Gegensatz zu anderen Städten ähnlicher Größe wird Wels nicht als lohnenswerte Alternative zur Großstadt positioniert. Zwar postuliert das Stadtmarketing »Wir sind Kleinstadt« 160 und es könne nicht Ziel sein, Wels als Metropole zu vermarkten. Wiewohl Initiativen wie die ursprünglich aus Italien stammende Slow Cities-Bewegung 161, die sich der Verbesserung der Lebensqualität in Städten durch Entschleunigung verschrieben hat, oder städtische Leitbilder wie im new urbanism, einer US-amerikanischen Stadtplanungsbewegung, die auf kurze Wege und intensive Nachbarschaften setzt, Gegenentwürfe zur Großstadt vorstellen (siehe dazu auch das Kapitel »Überschaubarkeit und Vorstellungen von Stadt«), orientiert sich die Stadtmarketinggesellschaft in Wels weiter an großstädtischer Geschäftigkeit. Angesichts dieser Schwierigkeiten in der Vermarktung von Wels sind insbesondere aktuellere Bestrebungen der Neupositionierung der Stadt von Interesse, die nach dem Regierungswechsel und der Machtübernahme der FPÖ in der Gemeinde initiiert wurden und auf eine überschaubare Stadt abzielen (siehe dazu das Kapitel »Rechtsruck und städtische Positionierung«).

160 Wels Marketing & Touristik GmbH (2014): Schriftliche Auskunft. 161 Vgl. Pink (2007): Cittàslow; Pink (2008): Urban tour.

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»Irishness« und die »Dirty Old Town« Über das Irish Pub fand ich wie beschrieben Zugang zur jungen Alternativszene in Wels und durch meine stetige Präsenz und mein Interesse an den BesucherInnen des Lokals wurde ich langsam Teil der Gruppe. Als Teil alternativer räumlicher Netzwerke der Stadt wurde das Pub als Gegenentwurf zu dominanten Bildern der Stadt entworfen und wahrgenommen. Ein zentrales Element waren dabei Vorstellungen von »Irishness«, die auf vielfältige Weise in das räumlich-symbolische Arrangement des Lokals eingeschrieben waren. Im Folgenden frage ich nach der Bedeutung von »Irishness« als place-making und scaling practice in der Szene sowie als Antwort auf die Stigmatisierung der Stadt. So konstatierte Michael Klaus, Anfang zwanzig, der in der Szene rund um den Schlachthof und das Irish Pub aufgewachsen und einer der Kellner im Pub war, angesichts des schlechten Rufs der Stadt, dass Wels auch »einen Charme« habe. Auf meine Nachfrage, ob er das ernst oder ironisch meinte, antwortete er »etwa hier im Irish« 162. Das Pub erlebte in meiner Forschungszeit die letzte Phase seines Bestehens. Davor wurde es in verschiedenen Konstellationen als Irish Pub bespielt und war neben dem Welser Schlachthof, dem Burggarten und zeitweise dem Lokal Fred Sega Anlaufstelle für die Punk- und Alternativszene in Wels. Das Pub wurde im Jahr 1997 eröffnet und damit in einer Zeit, in der es einen Boom an Irish-Pub-Gründungen in Europa gab 163. Es durchlebte mehrere BetreiberInnenwechsel und wurde im September 2005 unter dem Namen Cruiscin Lan in Essen (Deutschland) von Guinness mit dem »Arthur Award« als »bestes Irish Pub in Österreich« ausgezeichnet. Im Herbst 2011 übernahmen dann Max Aigner und Paul Renner das Pub. Die Monate von Beginn meines ersten Feldaufenthaltes im März 2012 bis zur Schließung des Lokals im September 2012, in denen ich die Szene rund um das Pub mitverfolgen konnte, waren demnach der letzte Zeitraum, in dem das Lokal genutzt wurde. Meist konnte ich bei meinen Besuchen des Lokals schon von der Straße Musik nach draußen dringen hören und jedenfalls bei wärmeren Wetter wurde ich von Lokalgästen im Gastgarten begrüßt, der mit dem Lokal am frühen Abend geöffnet wurde. Oft saßen auch der Pächter und Kellner Max Aigner und die Kellnerin Valerie Ebner, beide Mitte zwanzig, auf einem der Tische, spielten Backgammon und warteten auf Kundschaft. Meist waren zuerst – oftmals auch den ganzen Abend lang – nur wenige Leute da. Wurde es kalt, gingen wir rein in den Schankraum, dessen Lampen leicht durch den bunt verglasten Eingangsbereich nach draußen leuchteten, und spielten etwa Darts. Zu späterer Stunde kamen dann oft mehr Gäste in das Pub und es wurde gemeinsam 162 Interview Michael Klaus. 163 Eby (o. J.): Irish Pub.

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gepokert. Obwohl durchaus verschiedene Personen das Lokal besuchten, gab es eine klare Stammkundschaft. Diese Gruppe der Stammgäste umfasste neben den Betreibern Paul Renner und Max Aigner sowie den KellnerInnen Michael Klaus und Valerie Ebner, die auch selbst gerne das Lokal besuchten, einen sich in viele Richtungen erweiternden Kreis von etwa 25 Personen, die hauptsächlich im Alter von Anfang bis Mitte zwanzig waren. Einige von ihnen arbeiteten als SozialarbeiterInnen oder im Bereich der Pflege, andere hatten ArbeiterInnenberufe etwa in der Energiebranche oder waren selbst KellnerInnen, wiederum andere studierten in Linz, gingen in Wels zur Schule oder leisteten ihren Zivildienst. Neben dem alternativen Kern gab es auch immer wieder Aussteigerfiguren, die das Lokal besuchten, weniger politisch motiviert waren, aber dennoch die alternative Atmosphäre schätzten. Diese »Buntheit« ließ sich nicht zuletzt auch an der Erscheinung der BesucherInnen ablesen. Während der eine gerne im Unterhemd, Baggypants und einen die langen Locken verdeckenden Hut am Tresen saß, schlurfte der andere aus Prinzip nur im schon in die Jahre gekommenen Anzug ins Pub – manchmal auch mit einem irischen Tweed Cap, ein wiederum anderer hatte kurz geschorene Haare, Hosenträger über das karierte Hemd und machte generell einen punkigeren sowie drahtigeren Eindruck. Frauen – die im Pub in der großen Unterzahl waren – hatten oft gefärbte Haare und Piercings, einige trugen weite T-Shirts mit Bandaufdrucken. Was viele teilten, waren die als ökologisch und sozial produziert geltenden Schuhe der Marke Waldviertler, wohl gekauft bei Hermanns, einem Schuhgeschäft in der Stadt, das in Wels als alternativ gilt. Viele der Gäste ließen ihre Getränke ›aufschreiben‹ und zahlten ein andermal, oft wurde die Rechnung nicht genau genommen, eher grob überschlagen. Über Geld und wer sich was leisten konnte wurde selten gesprochen – immer wieder waren aber einzelne Personen knapp bei Kasse. Das Irish Pub selbst war in zwei dunkel gehaltene Räume geteilt, die mit einem Gang verbunden waren. Wenn nur wenige Leute im Lokal waren, wie wochentags meistens, wurde ausschließlich der vordere Teil des Lokals genutzt, wo dann der Tresen oder einer der Tische das Zentrum der Gespräche waren. Wie in vielen anderen Irish Pubs, waren auch hier die grün bestrichenen Wände mit allerlei Schildern und Spiegeln mit Getränkemarken (Strongbow, Kilkenny, Guiness oder »pog mo thoin«), Fahnen (Jameson Irish Whiskey), Postkarten etc. behangen, die sich im Laufe der Zeit angesammelt hatten, dazwischen befanden sich Holzvertäfelungen und der Holzboden, der schon in die Jahre gekommen war. Die Bar selbst war mit allerlei Stickern beklebt, meist antifaschistischen, aber auch welche der Linzer Fußballmannschaft FC Blau Weiß Linz, dem Nachfolgeverein des ArbeiterInnenvereins FC Linz. Der Raum kam vor allem auch durch den Dartsautomaten in Bewegung, auf dem immer wieder BesucherInnen spielten. Am Weg zu den Toiletten im Keller kam man auf der Treppe an einer Sammlung der Gedichte von einem der beiden Betreiber des Lokals

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Paul Renner vorbei, welche dieser an die Wandfliesen geschrieben hatte. Der hintere Raum wurde mangels Kundschaft meist nur an Wochenenden genutzt, wenn genug BesucherInnen das Lokal frequentierten. Zur Zeit der FußballWeltmeisterschaft, die während meines Feldaufenthaltes stattfand, wurden hier Spiele auf einem Fernseher übertragen oder auf der Konsole Playstation nachgespielt. Oftmals liefen Lieder von Flogging Molly, etwa »Devil’s Dance Floor«, »Irish Pub Song« oder »Drunken Lullabies«, oder von den Dropkick Murphys »I’m Shipping Up to Boston« über die Boxen und damit jener Irish-Folk-PunkRock, der in Irish Pubs weltweit gespielt wird. Oftmals wurde auch Musik von Tom Waits oder des lokalen Blues-Duos Cubik gespielt, das selbst gerne oft ins Pub kam, hier ein Musikvideo gedreht hatte und am St. Patrick’s Day häufig live auftrat. Dazu wurden die Tische und Stühle von einem erhöhten Teils des Holzbodens weggeräumt, um eine Bühne zu improvisieren. Mir erschien das Pub wegen seiner meist jüngeren Besucher wie ein selbstbestimmtes Jugendzentrum für schon etwas Ältere, als Ort des Aufwachsens und der Adoleszenz im alternativen Wels.

»Irishness« als emotionaler Rahmen und symbolische Arbeit Trotz der alternativen Ausrichtung des Irish Pubs wurden hier keine Getränke lokaler Brauereien angeboten oder anderweitig alternativer Konsum befördert. Obwohl das klassische »Pub« als Teil einer Arbeiterkultur ein Zeichen der Nachtökonomien industrieller Städte war 164, sind die heute unter dem Begriff der »Irish Pubs« zusammengefassten Lokale vielmehr charakteristisch für postindustrielle, kulturalisierte städtische Nachtwelten. So ist das Konzept »Irish Pub« ein von der Irish Pub Company, einem Zusammenschluss von Guinness und der McNally Design Group, erfundenes Konzept zur weltweiten Verbreitung »authentischer« 165 Irish Pubs 166. Die Irish Pub Company wurde 1991 gegründet und damit in einer Zeit, als das traditionelle britische Pub seine Attraktivität eingebüßt hatte 167. Die Irish Pub Company stellt kein Franchisesystem dar, sondern spezialisierte sich auf die Ausstattung von Irish Pubs und die Beratung von deren InhaberInnen. Dabei bietet das Unternehmen unterschiedliche Irish Pub-Stile, wie etwa Victorian, Brewery oder Country, nach denen sich die Lokale einrichten lassen, an und stellt die innenarchitektonische Einrichtung, die an die verschiedenen Pubs gesendet wird, her 168. Ästhetisch orientieren sich die

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Vgl. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 171 ff. The Irish Pub Concept (o. J.): Critical Success. Vgl. Brown u. a. (2000): Pub, S. 652. Vgl. Ebd., S. 653. Vgl. Grantham (2009): Irish pub, S. 261.

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Pubs am Celtic Revival des späten 19. Jahrhundert 169. Das »Irish Pub Concept« definiert zentrale Faktoren für den finanziellen Erfolg des Lokals und basiert auf einer als authentisch angesehenen Idee von »Irishness«. Neben »authentic irish décor«, »authentic irish food«, »authentic irish beverages« und »authentic irish music« empfiehlt das Konzept die Anstellung irischer MitarbeiterInnen, denn: »Having employees understand the warmth, informality and conviviality of Irish Pubs is critically important« 170. Damit lässt sich das Konzept »Irish Pub« in Zusammenhang mit der Idee der Themenbars und allgemein mit dem Phänomen des theming fassen. Neben Themenbars zu so unterschiedlichen Themen wie Sport, Musik, TV-Themen, Retrothemen etc., stellt das »Irish Pub« den Typ der nationalen Themenbar dar. Theming kann dabei als Teil von Vermarktungsbestrebungen verstanden werden, die nicht mehr nur auf Alleinstellungsmerkmale oder ein besonderes Produkt abzielen, sondern eine Marke symbolisch auf laden sollen 171. Kulturwissenschaftlich lassen sich theming und das »Irish Pub Concept« im Sinne von Monique Scheers Konzeption emotionaler Praktiken als Manipulation von Objekten zur Mobilisierung von Emotionen verstehen 172, als Verkauf bestimmter Erfahrungen 173. Es stellt als consumption constellation 174 ein umfassendes Set eines sinnlichen Arrangements zur Verfügung, das sich über die Standardisierung durch eine Dachorganisation in die gesamte Welt exportieren lässt. Neben »Irishness« als räumlich-emotionales Arrangement begreife ich »Irishness« auch als Form der Aneignung der Stadt. Michael Klaus schilderte im Interview, wie sich die Szene das Lokal in der Zeit, als es von den früheren Besitzern geführt wurde und ein »typischeres« Irish Pub war, zu eigen und zu einem anderen Lokal machte: Michael Klaus: »Aber damals war das Irish auch keine Jugendbar. Das Irish war damals so wie das Black Horse [ein anderes Irish Pub in Wels] jetzt, nur halt besser besucht. Also, es war wirklich voll. Weil das Irish war wirklich eine Kultbar damals, wie gesagt, wir haben da den Award von Guinness jährlich gewonnen als bestes Irish Pub von Österreich« G.W.: »Ok? Na, das habe ich nicht gewusst.« Michael Klaus: »Da ist es auch gut gerannt. Aber es war halt, damals waren wir halt eher so weiß ich nicht, so die ungebetenen Gäste damals drüben. Ja gut, wir waren

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Vgl. Brown u. a. (2000): Pub, S. 657. The Irish Pub Concept (o. J.): Critical Success. Vgl. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 9. Vgl. Scheer (2012): Emotions. Vgl. Muñoz u. a. (2006): Irish pubs, S. 231. Vgl. Englis u. a. (1996): Consumption.

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jung, wir haben uns aufgeführt und so, aber teilweise war ich, es war halt trotzdem eher ein, eigentlich ein anderes Beisl, weißt, wie ich mein. Plötzlich kommen halt die, das Fred Sega [der »Vorgänger« des Irish Pubs in der Szene] hat zu, die ganzen Punks kommen da rein. Ich mein, ich will nicht sagen, dass wir unschuldig daran sind, dass das Beisl mit den Jahren zugrunde gegangen ist [lachend]. Weil ich glaube, wenn wir damals nicht gekommen wären, ja gut, dann wäre wahrscheinlich wer anderes gekommen und hätte es kaputt gemacht. Aber trotzdem, wir haben halt damit, glaub ich, irgendwie angefangen, dass wir das Beisl irgendwie zu quasi einem Jugendbeisl gemacht haben.« 175

Auch wenn das »Irish« in Wels in seinen letzten Monaten, in denen Max Aigner und Paul Renner das Lokal führten und ich es ethnographierte, keineswegs mehr den vom »Irish Pub Concept« festgelegten Kriterien entsprach, also weder irische MitarbeiterInnen beschäftigte noch irisches Essen anbot, und mitunter von ehemaligen Gästen als »versandelt« 176 wahrgenommen wurde, stellten Versatzstücke von »Irishness« – wie in der Beschreibung des materiellen Settings des Lokals oben erkennbar – weiterhin zentrale Charakteristika dar. Diese »Irishness« und das Konzept »Irish Pub« fungierten in der Szene, ähnlich zu Erving Goffmans Begriff »Rahmen« 177, als ein räumliches, symbolisches und emotionales Arrangement, in das sich die BesucherInnen einbetten konnten. Viele der Gespräche mit den PubbesucherInnen und -kellnerInnen bezogen sich auf das Leben in der Dirty Old Town, wie einige von ihnen Wels gerne mit Bezug auf das gleichnamige Lied bezeichneten. Der Text des Liedes, das vom Folksänger Ewan MacColl im Jahr 1949 geschrieben wurde, handelt vom Leben im industriellen Norden Englands und vom Untergang von MacColls Heimatstadt Salford: Die Stadt wird schließlich vom Sänger und seinen Freunden mit einer Axt wie ein alter, toter Baum »umgehackt« 178. In der Bezeichnung von Wels als Dirty Old Town verdichtete sich jene Hassliebe zur Stadt, die viele Menschen in der Szene zu teilen schienen und in der auch die Haltung zum industriellen Wels eine zentrale Rolle spielte – die »Proletenstadt«, die mir schon vor Beginn meiner Forschung in Zuschreibungen begegnete, tauchte hier wieder auf. Nicht zufällig traf sich die Alternativszene in Wels in einer Kneipe, ein für Industriestädte typischer sozialer Ort. Dieser Bezug zu »Irishness« lässt sich mit Paul Willis als »symbolic work« verstehen, durch welche junge Menschen ihren täglichen Welten Sinn verlei-

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Interview Michael Klaus. Interview Martin Reiter. Vgl. Goffman (1977): Rahmenanalyse. Das Lied wurde insbesondere durch Interpretationen der irischen Folk-Punk-Band The Pogues und der irischen Folk-Band The Dubliners bekannt, was zur verbreiteten Annahme führte, es handle sich um ein irisches Lied und die besungene Stadt sei Dublin.

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hen 179. Mit einem Begriff von Stuart Hall lässt sich die Umdeutung der Stigmatisierung der Stadt über die Bezeichnung der Dirty Old Town als Transkodierung bezeichnen, d. h. als Aneignung ursprünglich negativer Eigenschaften 180. Als emotionaler Rahmen ermöglichte »Irishness« damit ein positives Verhältnis zur industriellen Vergangenheit der Stadt, die entwertet war 181.

»Irishness« als Verhältnis zur Stadt Das Irish-Pub fungierte zum einen als scaling device, an welches lokale Lebenswelten andocken und sich »globalisieren« konnten. So ermöglichte das räumliche Arrangement ein Einklinken in globale flows. Die BesucherInnen des Pubs verorteten sich mittels scaling practices nicht »nur« in Wels, sondern konnten sich gleichzeitig über die Performanz von »Irishness« – etwa in Form des Trinkens von bestimmten Getränken, des Spielens von Darts und Backgammon, des Hörens »irischer« Musik, des Einschreibens von Symbolen auf den Körper mittels Tätowierungen der Harfe aus dem Wappen der Republik Irland (zugleich das Logo des Unternehmens Guinness) und des Einnehmens bestimmter Haltungen zur Stadt – die Reichweite ihrer Bezüge ändern und (auch milieu- und geschlechtsspezifische) Zugehörigkeiten artikulieren 182. Sie verhandelten damit die Position der Stadt und stellten die städtische Hierarchie selbst in Frage. Der Ruhm des Pubs zehrte nicht zuletzt von der Auszeichnung als »bestes Irish Pub« in Österreich, die Kontrast zum schlechten Ruf der Stadt bot. Michael Klaus, der mir von der Auszeichnung des Lokals erzählte, veranschaulichte mir dessen weitreichende Bekanntheit, wobei auch Linz eine Rolle spielte: Und wenn Lord of the Dance in Österreich aufgetreten ist, also da ist einfach diese ganze Crew mit 30 Tänzern und, weiß nicht, zwanzig Technikern und so, sind dann zu fünfzigst einfach ins Irish gegangen, lauter Iren und Engländer und haben dort dann drin gesoffen. Also, auch wenn die in Linz gespielt haben, sind die einfach nach Wels gefahren in das Irish Pub.183

Auch meine Arbeit bot die Möglichkeit zur Artikulation und wurde selbst als scaling device betrachtet, wenn etwa die Kellner Michael Klaus und Klemens 179 Vgl. Willis (1990): Common culture, S. 10. 180 Vgl. Hall (1997): Representation, S. 270. 181 Dies stellte eine Ähnlichkeit zur Aneignung der industriellen Vergangenheit in Linz dar, wo diese von den »Stahlstadtkindern« (ein Lied der lokalen Band Willi Warma aus dem Jahr 1981) der lokalen Punkszene positiv gewendet wurde. Der Begriff wird heute in verschiedensten Zusammenhäng positiv auf Linz bezogen und ist im Gegensatz zur Dirty Old Town auch Teil kulturökonomischer Imagebildung. 182 Vgl. Caroline u. a. (2002): Irish pubs. 183 Interview Michael Klaus.

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Hofer vorschlugen, dass ich den Text von Dirty Old Town in meine Arbeit geben und dieser voranstellen solle 184. Zum anderen ließen sich im Irish Pub auf zweifache Weise place-making practices untersuchen, die miteinander in Beziehung standen. Erstens wurde das Pub selbst als ein Ort materiell und symbolisch produziert. Die ursprüngliche Themenbar der postindustriellen Nachtökonomie erfuhr eine Aneignung, die eher der Funktion des Pubs in industriellen Städten als Ort der community und Politisierung entsprach 185. Ich selbst wurde mit dem Spitznamen »Ratte« (als »Spion«) in die Zeichenwelten zwischen Punk und »Irishness« aufgenommen – eine zwiespältige Anerkennung. Die in den kommerzialisierten Rahmen des Irish Pubs eingelagerten Bedeutungen von »Irishness« wurden von der Szene rund um das Lokal ernst genommen und symbolisch angeeignet. Das Pub fungierte so als Treffpunkt, über den sich die Szene stabilisieren konnte. Zweitens konnten die BesucherInnen und MitarbeiterInnen über das Pub eine Beziehung zur Stadt zum Ausdruck bringen und damit auch die Stadt selbst als Ort (neu) formen – sie artikulierten Bezüge zur Stadt und deren Stigmatisierung. Die Aneignung des Rahmens »Irish Pub« als place-making device ermöglichte eine lokale Verortung in den Welser nightscapes. Das Trinken von und das Wissen über Whiskey als Szenepraktiken fungierten etwa als Möglichkeit der Anhäufung kulturellen Kapitals und der Habitualisierung eines bestimmten Geschmackes, der sich an »Irishness« orientierte. Das enactment eines bestimmten Verhältnisses zur Stadt fand damit auch über die Zunge statt. Mit der Idee von »Irishness« waren Vorstellungen von Authentizität verbunden, die sich in Praktiken der Abgrenzung einsetzen ließen, etwa gegenüber einer als aufgesetzt empfundenen »Welser Schickeria«, wie mir ein Besucher schilderte. Er verabscheue die Welser High Society, etwa Empfänge im Altenheim oder im Greif oder Leute, die in Thalheim wohnen würden (siehe zum Umzug von bestimmten Milieus in die Umlandgemeinden das Kapitel »Die bedrohte Stadt: Überschaubarkeit, Fremdheit und (Un)Sicherheit«), bekräftigte er. Dagegen seien das Irish Pub und das Black Horse, das Soundtheatre oder auch die U-Bar anders – Snobs oder Proleten, man müsse sich entscheiden 186. Im Ausgehen im Irish Pub als Praktik wurde die Stadt auf bestimmte Weise enacted: »Irishness« ermöglichte ein Verhältnis zur industriellen Vergangenheit der Stadt, eine Neu-Aneignung der entwerteten Symbole einer vergangenen Größe. Das Irish Pub war damit ein Ort, an dem eine bestimmte Szene ihre Position in der Welt verhandelte und Selbstverständnisse in der Stadt und der Welt herstellte. Die Szene trifft sich zwar teilweise auch heute noch im »neuen« Irish Pub Black Horse, einige haben die Stadt aber verlassen und sind nach Linz oder 184 Feldnotiz, 21. 09. 2012. 185 Vgl. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 175. 186 Feldnotiz, 23. 05. 2012.

»Irishness« und die »Dirty Old Town«

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Wien gezogen. Viele der Stammgäste erlebten die Erfahrung des Zurückbleibens, oft verbunden mit Abwägungen, ob man von Wels weg gehen oder bleiben sollte.

Porträt II: Wels als transitorischer Ort – Robert Prem Viele Jugendliche und junge Erwachsene, mit denen ich gesprochen habe, teilen eine Skepsis bezüglich der Möglichkeiten, die ihnen in Wels offen stehen. Sie erleben, wie ältere Freunde bzw. diejenigen, die die Reifeprüfung abgelegt haben, wegziehen, und schildern, dass in der Stadt »nichts los sei« 187. Eine ähnliche Perspektive auf Wels nimmt Robert Prem ein, der selbst regelmäßiger Besucher des Irish Pubs war. Er ist zur Zeit des Interviews an die zwanzig Jahre alt und war in der sogenannten »Stefansiedlung« im Stadtteil WelsLichtenegg aufgewachsen, in dem er auch heute in der elterlichen Wohnung wohnt. Sein Vater war ebenso in Wels aufgewachsen und ist heute Geschäftsführer eines mittelständischen, technischen Unternehmens, seine Mutter war in ihren Jugendjahren aus dem Waldviertel in Niederösterreich nach Wels gezogen und hat später einen Geschäft in der Stadt eröffnet. Robert Prem wechselte nach der vierten Klasse vom Brucknergymnasium auf die HTL, eine technische, berufsbildende höhere Schule, in Leonding bei Linz, die er abbrach. Heute besucht er in Linz die Abendschule und pendelt zwischen den Städten. Ich führte mit ihm einen Stadtgang durch, bei dem er mir als Experte die Stadt zeigte. Der Kontakt wurde durch eine Freundin von mir hergestellt, die mit Robert Prem in die Abendschule geht. Er sagte schnell zu, beim ersten Telefonat wirkte er zugänglich und versicherte, »das machen wir schon« 188. Auch dass ich den Stadtrundgang zweimal aus verschiedenen Gründen verschieben muss, war anscheinend kein Problem für ihn. Im Telefongespräch eröffnete er, dass er nicht verstehe, wie man über Wels schreiben könne, die Stadt sei nur eine langweilige Kleinstadt. Meine Rollen im Interview waren vielfältig, ich wurde als Linzer, historisch Interessierter und als Fremder adressiert. Robert Prem hat umfangreiches (historisches) Wissen über Wels, vermutlich durch Gespräche mit seinem Vater, auf die er immer wieder verwies. Er schien sich auf das Treffen »vorbereitet« zu haben und fragte mich, ob ich auch Historisches wissen möchte. Er hatte sogar dementsprechende Bücher zu Wels mitgebracht – was im Gegensatz zu seiner Abwertung der gegenwärtigen Stadt stand. Wir begannen den Rundgang in der Innenstadt, für die zweite Hälfte fuhr Robert mich mit seinem Auto durch die Stadt. Seit er dieses hat, fahre er nicht mehr mit dem Bus: 187 Vgl. Schmidt-Lauber u. a. (2016): Städtische Befindlichkeiten. 188 Interview Robert Prem.

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Annäherung

Also es ist nicht wirklich sinnvoll, dass, wenn man kein Schüler ist und halt Moped fahren oder Auto fahren kann, ist es eigentlich nicht wirklich sinnvoll, dass man mit dem Bus in Wels fährt. Pensionisten fahren viel und Schüler. Sonst eigentlich eh niemand.189

Die Autofahrt war von Notbremsungen und einer schnellen Fahrweise geprägt. Manchmal mussten wir Umwege fahren, da wir Abbiegungen zu Orten, die Robert mir zeigen will, verpasst hatten. Wiederholt waren biographische Narrative Teil seiner Erzählungen über Wels. Sie wurden häufig durch die städtische Umgebung, durch die wir uns bewegen, evoziert. Lebensgeschichten waren an die verschiedenen Orte und Wege in der Stadt geknüpft und Erinnerungen tauchten immer wieder auf unserer Route auf. In seinen Aussagen lassen sich viele Formen der Relationierung der Stadt in Bezug auf andere Orte erkennen. So stellte er Wels – wohl auch weil er wusste, dass ich Linz gut kenne – öfters in Bezug zu Linz, und auch Wien taucht in seinen Erzählungen auf – in erster Linie als Ort, wohin seine Freunde aus Wels verschwunden sind. Er machte während des gesamten Interviews klar, dass ihn grundsätzlich kaum etwas in Wels hält, dass es »wenig gebe« und dass er schnellstmöglich weg wolle. Für den Interviewtermin habe er extra ein Datum suchen müssen, an dem er in Wels sei. Schon zu Beginn des Interviews antwortete Robert Prem auf meine Aufforderung, mir für ihn wichtige Orte in der Stadt zu zeigen etwas abwinkend: »Ja, [. . . ] schauen wir halt einmal eine Runde. Werden wir schon was finden. So viel gibt es eh nicht, wo ich gern bin.« 190 In Folge besuchten wir Orte, an denen er aufgewachsen war und die er gegenwärtig nutzte, Orte des Niedergangs der Stadt und imaginierte Orte seiner Zukunft. »So ziemlich die schönste Stelle von Wels« 191 ist in Robert Prems Augen der Burggarten. Er verglich den kleinen Park mit der Donaulände in Linz, einem vielfach von jüngeren Menschen genützten und als »urban« geltenden Ort, den – wie den Burggarten auch – viele Leute zum »Vorglühen« aufsuchen: Ja, im Burggarten. Das ist ein relativ schöner Garten, das ist neben der alten Burg. Das ist so mit einem Blumenbeet und so. Und ist in der Stadt so ein gutes Fleckerl. Ist vergleichbar in Linz mit der Lende ungefähr von den Leuten, die hingehen und von der Location mehr oder weniger. Nur dass wir keine Donau daneben haben. Und sonst eigentlich wenn ich in Wels irgendwo hin gehe, eigentlich im Sommer, dann eigentlich nur zur Traun. Weil es einfach echt wunderschön ist. Also eigent-

189 Ebd. 190 Ebd. 191 Ebd.

Porträt II: Wels als transitorischer Ort – Robert Prem

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lich echt ein super Naherholungsgebiet. Auch wenn es nicht so genutzt wird, wie man es nutzen könnte. Weil es ja eigentlich genau neben der Stadt ist.192

Mit dem Wissen, dass ich selbst in Linz aufgewachsen bin, machte Robert Prem mir über einen Vergleich klar, wie ich den Burggarten einzuschätzen hatte. Gleichzeitig konnte er mit dem Vergleich seinen Lieblingsort in den Kontext von Linz stellen, von Wels abgrenzen und mir vermitteln, dass er sich auch jenseits von Wels auskennt und sich bestimmten Orten zuordnen kann: Neben dem Burggarten, dem Schlachthof und dem Irish Pub – zentrale Orte der Welser Alternativszene und eines coming-of-age – sowie der Traun ist der Basketballverein WBC ein wichtiger Ort für ihn. Als Nachwuchstrainer ist er dort mit Spielern aus den USA in Kontakt. Gleichzeitig bemängelte er, dass die örtliche Infrastruktur für den Verein zu klein dimensioniert sei – die »falsche« scale ist in seinen Augen ein Symbol für den Stillstand der Stadtpolitik: Wir haben Basketball erste Bundesliga und dann spielen wir halt auch in einer Schulhalle. Und die ist halt eigentlich, also [. . . ] für einen Österreicher ist es eh normal, dass er Basketball in einer Schulhalle spielt. Aber wenn du halt irgendeinen Ami holst oder irgend so was und der ist gewohnt, dass er am College auf zwanzig Tausend Leute spielt. Dann spielt er auf einmal in Wels in einer Turnhalle. Das ist dann immer recht schwer, dass man die hält. Es ist halt einfach irrsinnig unprofessionell. Wir sollten halt eigentlich irgendeine Halle haben.193

Das Narrativ der Unprofessionalität bettete Robert Prem in eine Beschreibung der generellen Situation der Stadt ein. Am Beispiel der Schließung des traditionellen Welser Kaffeehauses Urbann, das er früher mit seinem Vater öfters besuchte hatte, machte er die von ihm als Niedergang erzählte Entwicklung der Innenstadt fest. Er kritisierte, es gebe »eigentlich immer mehr leer stehende Geschäfte. Eins, zwei, drei. . . tausend. Es stehen eigentlich immer mehr leer. Keine Ahnung. Aber so geht es eh nicht weiter. Weil ist halt gerade ein wenig auf dem Tiefpunkt.« 194 Dabei fußen viele von seinen Einschätzungen nicht auf seinen eigenen Erfahrungen, sondern auf den Erzählungen seines Vaters. Robert Prem: »Einkaufsstadt Wels trifft ja eigentlich seit zwanzig Jahren nicht mehr zu. Also der Stadtslogan.« G.W.: »Inwiefern meinst du das?« Robert Prem: »Ja, keine Ahnung. Was mein Vater erzählt hat von früher, hat das schon einen Sinn gehabt, dass Wels die Einkaufsstadt geheißen hat. Also er hat auch gemeint, viel Linzer waren, wenn sie einmal wirklich was kaufen wollten

192 Ebd. 193 Ebd. 194 Ebd.

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halt, sind sie. Also, das waren noch die Zeiten, wo es keinen Spar und keine so wirklichen Geschäftsketten gegeben hat halt, sondern halt einfach einen Tischler und ein das und ein das. Und mein Vater hat gemeint, dass da oft auch Leute von Linz, wenn sie wirklich gescheit einkaufen wollten, sind echt nach Wels gefahren. Und das hat sich dann so aufgehört, dass sie erstens in Linz einen Haufen Geld rein gesteckt haben. In die ganzen Filterungen, in die Industrie und so, dass Linz immer schöner geworden ist. Und auch kulturell halt. Weil, ich mein, Linz ist jetzt eine super Stadt, was halt vor zwanzig Jahren eigentlich nicht. Oder vor dreißig zumindest. Ja, dann haben sie die Pluscity gebaut. Ist ganz Linz Land nicht mehr nach Wels gekommen.« 195

Für die Wahrnehmung der städtischen Entwicklungsbewegung ist in diesem Fall eine intergenerationelle Dimension zentral – die Einkaufsstadt ist die Stadt der Eltern. Als einen zentralen Grund für die von ihm als Niedergang wahrgenommene Entwicklung der Innenstadt führte Robert Prem die Einkaufszentren an, die er bewusst nicht frequentiere. »Ja, in der Fußgängerzone, mitten in der Fußgängerzone ist jetzt irgend so ein Schuhzentrallagerhandel oder irgend so was. Was eigentlich immer eine Bücherei war oder ein Buchgeschäft war. Ist alles ein wenig am Aussterben eigentlich.« 196 Zur Untermauerung seine Perspektive zeigte er mir das erwähnte Schuhgeschäft. »Also ziemlich die beste Lage, die du in Wels haben kannst da. Da haben wir ein Verkaufslager. Bis zu minus siebzig Prozent billiger und irgendwas. Also das sagt eh schon einiges, glaub ich [lacht]« 197, bekrittelte er etwas sarkastisch. Robert Prems negativ gefärbte Sicht auf Wels zeigt sich insbesondere in seinen vielen Vergleichen mit Linz. Das Narrativ von den LinzerInnen, die zum Einkaufen sogar nach Wels gekommen waren, taucht im Forschungsmaterial wiederholt auf, wenn es um Erzählungen über den Niedergang von Wels und den Aufstieg von Linz geht. Robert Prem beschrieb damit eine Verschiebung in der Relation zwischen den beiden Städten Linz und Wels und erlebte Wels als Verlierer dieser Verschiebung. [Wels] ist halt einfach eine Industriestadt, ist halt geworden. [. . . ] so diese Rollen von Wels und Linz, glaube ich, haben sich ein bisschen vertauscht. Dass früher Linz eher mehr, also mein Vater hat gesagt, also das soll jetzt keine Beleidigung sein oder so [lachend]. Aber mein Vater hat gesagt, früher wie er noch jung war, wenn du im Bus gesessen bist, da hast gerochen, wenn neben dir ein Linzer war. Ja, der hat einfach gestunken. Er hat nach Chemie gestunken und er hat nach Voest gestunken. Vor allem das Gewand, das hat einfach gestunken. Also man hat gemerkt, das ist ein Linzer. Und jetzt ist es wahrscheinlich genau umgekehrt

195 Ebd. 196 Ebd. 197 Ebd.

Porträt II: Wels als transitorischer Ort – Robert Prem

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[lacht]. [. . . ] Ich mein, ich weiß auch noch, wie ich klein war, war Linz auch nicht so schön, wie es jetzt ist. Da haben sie die ganz, keine Ahnung, ist einfach sauber, gute Geschäfte dort, es tut sich was. Ist schon eine schöne Stadt geworden, Linz.198

Auch hier tritt zentral das Thema der industriellen Vergangenheit und Gegenwart auf, hier – auf den Körper und Sauberkeit bzw. Schmutz bezogen – insbesondere im zur Zeit der Hochblüte der Linzer Industrie weit verbreiteten Narrativ des stinkenden Linzers bzw. der Linzerin 199. Robert Prem beschrieb, wie die Stadt Linz in seiner Wahrnehmung zu einer schönen und sauberen Stadt geworden ist und die industrielle Vergangenheit hinter sich gelassen hat. Die industrielle Hochzeit von Linz und damit die vormals »bessere« Rolle von Wels hat er aber selbst gar nicht mehr miterlebt, sondern wurde ihm auch hier über das Wissen seines Vaters vermittelt. So erscheint Wels in den Erzählungen seines Vaters heute einen schlechteren Status als früher zu haben. In diesen Vergleichen verwies Robert Prem auch immer wieder auf den empfundenen Mangel an für ihn relevanten Räumen in der Stadt und entwarf sich selbst als Person jenseits von Wels. Er erklärte mir, dass nur mehr wenige seiner Freunde in Wels wohnen würden und dass auch er selbst nicht mehr viel in der Stadt unternehme, obwohl er noch hier wohne. Viele hätten die Stadt in Richtung Wien verlassen, um dort zu studieren. Er reagierte auf meine Frage, inwiefern er die von ihm angeführten kulturellen Einrichtungen der Stadt – wie etwa das Soundtheatre – selbst auch nützt, mit einem Verweis auf seine oftmaligen Aufenthalte in Wien: Robert Prem: »Und jetzt bin ich nicht mehr so wirklich viel in Wels. [. . . ] Ich gehe in die Abendschule. Also ich brauche eh schon länger als was ich eigentlich [wollte]. Und eigentlich sind die meisten von meinen Freunden sind eigentlich alle in Wien. Ja, eigentlich wirklich ganz alle. Außer zwei oder so. [. . . ]« G.W.: »Und was heißt freie Zeit? Wie oft ist das dann so?« Robert Prem: »Ja, eigentlich wochenends bin ich so ziemlich jedes zweite bin ich entweder halt oben oder halt die Welser oder die Wiener sind halt alle in Wels bei ihren Eltern und bei mir [lacht].« 200

Er selbst würde in Hinblick auf den »Umweg« über die Abendschule seinen Plänen hinterher hinken und möchte Wels längst verlassen haben. Insbesondere die Anonymität in Wien als Großstadt und die soziale Enge in Wels, die er als Kontrolle interpretiert, hob er als Unterschied zwischen den beiden Städ-

198 Ebd. 199 So wurde der im Jahr 1973 eingeführte Slogan »In Linz beginnt’s« bald auf »In Linz stinkt’s« umgedichtet, vgl. Laister (2004): Schöne neue Stadt, S. 84 f. 200 Interview Robert Prem.

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ten hervor. Daneben setzte Robert Prem seine geplante Abkehr von Wels auch in Verbindung zur Abnabelung von seinen Eltern und dem Ende bzw. Beginn einer neuen Lebensphase: G.W.: »Und wie ist das bei dir? Möchtest du das dann auch machen oder?« Robert Prem: »Ja, ich weiß nicht genau. Aber ich denke, es wird auch Wien werden. Also eh, zum Studieren halt. Weil in Wels kannst nicht studieren. In Linz, weiß ich nicht, ist auch immer irgendwie noch zu nahe. Ich möchte halt eher einmal weg. Da kommst halt auch von den Eltern einmal ein bisschen weg, sag ich einmal. Nicht so unbedingt nur von Wels. Mehr von halt auch von den Eltern. [. . . ] Keine Ahnung. Wien ist halt einfach was anderes. Weißt eh, Großstadt.« G.W.: »Inwiefern jetzt anders, findest?« Robert Prem: »Naja, keine Ahnung. Es ist schon in Wels echt. . . dort bist halt echt die Anonymität ist überhaupt nicht gegeben. Es ist halt einfach ein großes Dorf. Das ist einfach zu klein. In Linz geht es schon einigermaßen. Du kannst dich schon einigermaßen anonym bewegen. Wenn du ein Pech hast, triffst auch noch irgendwen, den du kennst. Oder wenn du Pech hast, halt mehr oder weniger. Aber in Wels kannst das, eigentlich weiß immer jeder, was du gerade tust. Meistens. Weil irgendwie sich alle kennen.« 201

Seine Abgrenzung von Wels hat damit auch mit einer Abnabelung von seinen Eltern zu tun. Der Umzug in die Großstadt erscheint als rite-de-passage des Erwachsenwerdens. Hier zeigt sich wiederum, wie biographische Perspektiven und deren räumliche Verwicklungen an spezifische Situationen im Lebensverlauf gebunden sind, der gute Lebensort und die darin relevanten Felder schließlich eine Frage der spezifischen sozialen Einbettung sind. In der Gesamtschau erscheint Wels in Robert Prems Schilderung als eine Stadt, in der er aufgewachsen ist und von der er sich zugleich abgrenzt. Er bemängelte eine soziale Enge und die wenigen Angebote, die ihm die Stadt bietet, und bettete diese Schelte in ein Niedergangsnarrativ ein, das er vor allem mit Bezug zu den Schilderungen seines Vaters aktivierte. Wels erscheint damit als transitorische Stadt, »die man in regelmäßigen Abständen oder im Laufe des Lebens bereitwillig verlässt oder gerne verlassen würde« 202. Robert Prems Zukunftspläne sind klar: die Abendschule absolvieren und dann zum Studieren von Wels als Stadt der Eltern wegziehen. Seine Pläne entsprechen damit der Normbiographie junger Erwachsener, welche rund um ihren zwanzigsten Geburtstag die kleinere Stadt verlassen, um in der größeren (Universitäts-)Stadt eine Ausbildung zu absolvieren oder einen Arbeitsplatz zu suchen.

201 Ebd. 202 Schmidt-Lauber (2010): Urbanes Leben, S. 25.

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7. VERTIEFUNG DIE ÜBERSCHAUBARE STADT Erweiterung der Kreise Nachdem ich zu Beginn der Feldforschung vermehrt mit jungen BewohnerInnen von Wels und insbesondere mit der Szene rund um das Irish Pub in Kontakt stand, versuchte ich im Laufe der Forschung, Orte und Personen jenseits der mir bekannt gewordenen Felder kennen zu lernen. In meinem Material hatte sich eine bestimmte Perspektive auf die Stadt verdichtet: distanzierend und stigmatisierend. Viele meiner GesprächspartnerInnen in der Alternativszene sahen ihre Form des städtischen Lebens als Gegenwelt zur »Kleinstadt« Wels sowie die Szene als Möglichkeit, mit Großstadt assoziierte Formen städtischen Lebens nach Wels zu bringen – einer Stadt, die als konservativ und wenig geschäftig wahrgenommen wurde. Wer waren nun aber jene BewohnerInnen, für welche Wels nicht vorwiegend negativ besetzt war, die gerne in Wels lebten und mir von den Vorzügen der Stadt berichten konnten? Wo konnte ich auf jene BewohnerInnen treffen, die sich mehr als Zentrum der Stadt verstanden und deren Orte nicht als Gegenwelten konzipiert waren? So versuchte ich durch Besuche von mir unbekannten Orten, wie etwa Volkshochschulkurse, Basketballspiele des lokalen Basketballvereins und Welser Aushängeschilds WBC, das Puppentheaterfestival, kirchliche Einrichtungen oder Veranstaltungen in verschiedenen kulturellen Institutionen Kontakt zu BewohnerInnen zu finden, welche sich stärker mit der Stadt identifizierten. Dieses Interesse führte auch dazu, dass ich – im Gegensatz zum Beginn meiner Feldforschung – weniger mit jüngeren BewohnerInnen zu tun hatte, sondern nun vermehrt mit BewohnerInnen im mittleren Alter, d. h. zwischen dreißig und 55 Jahren in Kontakt kam. Die meisten meiner GesprächspartnerInnen können als Angehörige der Mittelschicht gefasst werden und sind in Berufsfeldern wie Marketing, im Sozialbereich, in kulturellen Einrichtungen, im Medienbereich oder im Bildungssektor tätig. Mein Gefühl zu Beginn des Feldaufenthaltes, an der Peripherie zu wohnen, verflüchtigte sich nach dieser Änderung meiner Forschungsfelder zunehmend. Einen Eindruck davon kann die kurze Schilderung meines Besuches eines Basketballspiels des WBC geben: An einem Samstagnachmittag Mitte März besuchte ich ein Basketballspiel des WBC. Schon vor dem Eingang – und dann auch an einem Stand drinnen – erzählten Werbungen der Raiffeisenbank von der Relevanz des Basketballsports in der Stadt. MitarbeiterInnen in Raiffeisen Club-Jacken schlängelten sich an mir vorbei, Aufschrift am Rücken: ›Da ist was los.‹

Werbung war generell ein guter Anhaltspunkt für die engen Bezüge des Vereins zu Unternehmen der Stadt und die Relevanz des Vereins als Werbeträger, so waren an vielen Wänden des Eingangsbereichs, aber dann auch in der Halle auf der Bande und an den Wänden Transparente mit einer Fülle an Aufschriften von lokalen und überlokalen, städtischen wie privaten Unternehmen angebracht. Bevor ich in die Halle gelangte, kam ich am WBC-Fanshop vorbei, in dem Basketballtrikots, Fahnen und ähnliche Fanartikel zu erwerben waren. Auch ein eigenes VIP-Service war beim Eingang links eingerichtet, im oberen Bereich der Tribüne in der Halle befand sich eine eigene Club-Lounge. Schon vor der Halle hörte ich das laute Gedröhne von den Fans und der Hip-Hop-, Rock- und Pop-Musik im Hintergrund. Ein Mitarbeiter der Raiffeisenbank verteilte im Ganzkörper-Sumsi (d. h. Bienen)-Kostüm – ein Markenzeichen der Bank – vor dem Eingang und später in der Halle Bonbons. Ich kaufte mir ein Getränk, betrat die Halle und nahm auf der Tribüne im unteren Bereich Platz. Auf jedem Sitzplatz lagen eine Gewinnspielkarte, mit der man ein Sparbuch im Wert von 150 e bei der Raiffeisenbank gewinnen konnte, sowie aufblasbare Riesenhände zum Anfeuern der Heimmannschaft. An der Rückseite der Halle waren zwei Videoscreens angebracht, die Punktestand und Zeit mitteilten. ›Sumsi‹ sammelte dann in der Halbzeitpause die Gewinnspielkarten ein, während Hinterland – eine oberösterreichische Hip-Hop-Gruppe – am Spielfeld performte. Auf der Tribüne nahm zwar ein Publikum von Jung bis Alt Platz. Mich überraschte dennoch, dass tendenziell sehr viele Menschen im mittleren Alter, wohl zwischen dreißig und 55 Jahren, da waren und eigentlich wenig Jugendliche. Nicht lange und der Einlauf der Spieler begann, dessen Theatralität ich nur aus der Übertragung US-amerikanischen Sports kannte. Schlagartig wurde die Beleuchtung der Halle ausgeschaltet und wurden mit LEDs an den Banden, die sonst Werbung zeigten, Flammen dargestellt. Scheinwerferspots zogen Kreise über den Hallenboden, dazu setzte laute Musik ein – ein Zeichen, dass der Einlauf der Spieler begann. Die ZuseherInnen standen nun alle auf. Jeder Spieler wurde nun einzeln vom Sprecher lautstark vorgestellt und von den ZuseherInnen schallend bejubelt und beklatscht. Diese Stimmung hielt sich das gesamte Spiel über. Ich war überwältigt von der für meine Ohren lauten Soundkulisse, die überdies in so krassem Gegensatz zum Sound der Straßen der Innenstadt stand, von wo ich gerade hergekommen war: Pauken- und Trötentöne der Fanklubs füllten die Halle. In Spielpausen wurde Musik eingespielt, dazwischen klangen Durchsagen des Sprechers über die Lautsprecher. Immer wieder wurden auch die Namen der Spieler durchgesagt. »Defense«-Rufe der ZuseherInnen sollten die Ver-

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Vertiefung

teidigung motivieren. Immer wieder dazwischen waren auch »WBC«-Chöre zu hören. Bei Fouls von WBC regten sich einige Fans lautstark über vermeintliche Fehlentscheidungen auf. Gegen Ende wurde die Anfeuerung der Fans nochmals lauter. Als ein Spieler der gegnerischen Mannschaft Kapfenberg schon die Arme in die Luft hielt, um seinen Sieg zu feiern, und dann etwas provokant in Richtung WBC-Fans ging, wurde er von vielen als Arschloch beschimpft und einige der ZuseherInnen streckten ihm den Mittelfinger entgegen. Wels verlor schließlich, obwohl es auch anders hätte ausgehen können. Die Spannung hatte das Publikum offensichtlich angesteckt. Am Schluss wurden alle Spieler vom Publikum abgeklatscht. In zwei Ecken der Halle waren Sky-Übertragungsstudios aufgebaut, in denen Spieler und Trainer in Pausen und nach dem Spiel interviewt wurden. Bilder vom Spiel in Wels wurden über Sky live in die Welt übertragen und damit auch die Werbung für das Welios, die auf der Werbewand hinter den Spielern angebracht war.1 Der Ausschnitt aus meinen Feldnotizen zeigt, wie stark ich den Gegensatz zwischen der Leere und Ereignislosigkeit der Innenstadt sowie den vielen Schilderungen darüber auf der einen Seite und der Intensität und Dichte beim Basketballspiel auf der anderen Seite empfand. Dies verwies nicht zuletzt auf die große Bedeutung des Basketballsports in Wels: Der WBC war 2009 österreichischer Meister geworden, was etwa im Fußballsport weit außerhalb der Möglichkeiten der in Wels ansässigen Fußballvereine lag. Eine Bekannte wies mich darauf hin, dass Wels »die Basketballstadt« sei 2. Auch erfuhr ich von einem früheren Handballspieler, dass in Wels in der Halle die Handballlinien immer schwer erkennbar waren, weil die Basketballlinien so dominant waren 3 – ein deutliches Zeichen für die Vorrangstellung des Basketballsports in der Stadt. Das Basketballspiel war ein site des place-making par excellence, an dem eine Vielzahl an place-making practices aufeinander trafen. Beim Spiel selbst wurde Wels auf verschiedene Weisen als Ort hergestellt, nicht zuletzt durch direkte Verbindungen, die zwischen Basketballsport und Stadt geknüpft wurden: etwa durch die große Zahl lokaler SponsorInnen; durch ZuschauerInnen, die auch zum Probetraining des Teams kamen; durch Medien, die vom Spiel berichteten – der Hallensprecher war überdies ein lokaler Journalist; durch lokale PolitikerInnen, die Spiele besuchten, Spielergebnisse auf Facebook posteten oder einen Sitz im Vorstand des Vereins hatten. Zudem zeigt die Feldnotiz die verschiedenen scaling practices und devices, welche in den Ort eingebettet waren, etwa die TV-Verbindungen in die Welt, welche einen Ankerpunkt konkret in

1 Feldnotiz, 17. 03. 2012. 2 Feldnotiz, 24. 03. 2012. 3 Feldnotiz, 05. 04. 2012.

Erweiterung der Kreise

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der Halle hatten und damit die Welt für den Moment des Spiels potentiell in die Halle holten, ebenso das Bestehen in der obersten nationalen Basketballliga, wobei Ligen generell als eigene scales im Feld des Sportes verstanden werden können. Glamour und Verbindungen verschafften auch die vielen US-Amerikaner, die im Team spielten und das Team trainierten. Erkennbar wird überdies, wie die Position in einem bestimmten sozialen Feld – hier Basketballsport – auf die Position der Stadt wirkte und die höhere Position des Basketballvereins symbolisches Kapital für die Stadt abwarf. Sport kann generell als scaling device im gegenwärtigen Städtewettbewerb betrachtet werden, man denke nur an die Vielzahl sportlicher Großveranstaltungen wie Marathons, Olympische Spiele, Fußballgroßveranstaltungen oder an berühmte Stadien als Wahrzeichen sowie berühmte SportlerInnen als Söhne bzw. Töchter einer Stadt, an die Branche des Sporttourismus und die mediale Präsenz, die für Städte durch lokale Sportvereine möglich wird. Über diesen und ähnliche Orte fand ich Zugang zu BewohnerInnen, die sich mit der Stadt – etwa über den Basketballsport – identifizieren, sich als »WelserInnen« verstehen, gerne in der Stadt leben und mitunter die Stadt verbessern wollen (siehe dazu auch das Kapitel »Wels verbessern – bürgerschaftliches Engagement«). Ich bekam im Unterschied zur alternativen Szene weniger Zugang zu einer Gruppe, sondern vielmehr zu einzelnen Personen, die mir ihre Stadt vermittelten. Bei diesem für mich neuen, der Stadt nahe stehenden Personenkreis stellten sich die Wahrnehmung und die Performanz von Überschaubarkeit als zentral heraus, der ich mich im Folgenden widme. Neben dieser Erweiterung vertiefte ich meine Forschung in der Alternativszene und fragte danach, welche Bedeutung die Alternativszene und alternative räumliche Netzwerke in der überschaubaren Stadt für das Aufwachsen junger Menschen hatten. Insbesondere beschreibe ich, welche place-making und scaling practices mit diesen alternativen Netzwerken verbunden waren und wie die Szene im Ausgehen großstädtische Formen von Stadt performte, die an die Grenzen der überschaubaren Stadt stießen.

Überschaubarkeit und Vorstellungen von Stadt Wie in Kapitel vier eingeführt, spielt Überschaubarkeit in Wels auf verschiedenen Ebenen eine Rolle. Zunächst widme ich mich im Folgenden dem Bewegen im Stadtraum und der Sozialität der Überschaubarkeit, um im Anschluss die Rolle, die Überschaubarkeit in der Materialität und Infrastruktur der Stadt spielt, zu zeigen. Schließlich beziehe ich Überschaubarkeit in Wels auf vielerorts beobachtbare Trends der Stadtentwicklung.

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Vertiefung

Bewegen im Stadtraum und Sozialität der Überschaubarkeit Eine Praktik, in der Überschaubarkeit eine zentrale Rolle spielt, ist Bewegen im Stadtraum. BewohnerInnen in Wels schilderten in Gesprächen wiederholt, welche Rolle Überschaubarkeit für ihr Befinden spielt, während sie sich im Stadtraum bewegen. Die Bedeutung von Überschaubarkeit verdichtet sich in einem längeren Ausschnitt aus einem Interview mit Georg Hübner, rund vierzig Jahre alt, der an der Fachhochschule in Wels arbeitet und wenige Minuten zu Fuß davon entfernt in der Innenstadt wohnt. Während des Interviews erklärte Georg Hübner das besondere Wohlgefühl, das er im Stadtraum in Wels hat: Georg Hübner: »[. . . ] vom allgemeinen Leben her ist, finde ich, dass direkt dieser Innenstadtbereich so mit Ringstraße, Kaiser-Josef-Platz, Stadtplatz, hat für mich was wahnsinnig Uriges irgendwie und Angenehmes. Ich meine, das ist natürlich ein persönliches Empfinden, aber wenn ich da durchgehe, fühle ich mich da einfach wohl, also wenn ich die Schmidtgasse runtergehe oder sowas. Ich fühle mich da wohl, mir gefällt das auch und ich kann mir da gut vorstellen, dass ich da noch fünfundzwanzig, dreißig Jahre bin.« G.W.: »Und von was kommt das?« Georg Hübner: »Weiß nicht, einfach der Flair irgendwie. Wie der Stadtplatz trotz allem erhalten ist, mit den alten Fassaden, mit der Geschichte auch, dass ich, wenn ich durch Wels gehe, es kaum schaffe von meinem Haus bis zum Stadtplatz runter, ohne dass ich nicht jemanden treffe, den ich kenne. Auch wenn das jetzt nicht die besten Freunde sind, aber man hat einmal ein kurzes Gespräch oder was weiß ich. Das finde ich einfach angenehm, das ist für mich wahnsinnig wichtig. Auch für meine Frau, das hat auch mit Lebensqualität was zu tun. [. . . ]« G.W.: »Weil irgendwie mehr Vertrauen da ist oder irgendwie? Oder mehr persönliche Kontakte?« Georg Hübner: »Einfach der persönliche Kontakt, ich meine, ob das jetzt Vertrauen ist, weiß ich nicht einmal. Ich muss die Leute auch nicht einmal gut kennen. Also das ist jetzt nicht so, dass ich denen ihr bester Freund bin und weiß, wie viel Kinder die haben oder sonstwas, sondern einfach dass man sich von irgendwoher kennt, von einer Veranstaltung, dass man durchaus kurz, drei, vier, fünf Minuten so ein kurzes Gespräch hat und dann weitergeht. Ich finde das einfach sehr angenehm, wenn das noch möglich ist in einer Stadt. Also, da meine ich jetzt schon die Größe. Das wird in Linz dann schon noch weniger und ich meine, ich weiß natürlich, in Chicago passiert es einmal im Jahr, dass man jemandem über den Weg läuft, den man kennt. Weil halt einfach viele andere auch noch da sind. Und ich finde, das hat was sehr Angenehmes.« 4

4 Interview Georg Hübner.

Überschaubarkeit und Vorstellungen von Stadt

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In der Interviewpassage wird der Zusammenhang von Stadtmaterialität und Enge sozialer Kontakte sichtbar. Eingebettet in die gebaute Umwelt einer bodenständig wahrgenommenen Stadt werden Anonymität und Vertrautheit ausgehandelt, was sich in einem bestimmten Distanz / Nähe-Verhältnis ausdrückt. Einerseits meinte Georg Hübner kein Aufgehen in eine vollkommene Vertrautheit, eine Auslöschung der Fremdheit in Nähe, andererseits aber auch keine vollkommene Anonymität. Im weiteren Interviewverlauf zeigte sich die Schwierigkeit, das Empfinden im Stadtraum in Wort zu fassen: G.W.: »Ja, aber was ist dieses Angenehme genau, das frage ich mich. Können Sie das noch irgendwie beschreiben?« Georg Hübner: »[. . . ] Das ist ja gar nicht so einfach, weil so wird man selten gefragt. Ich glaube, es gibt mir ein inneres Gefühl der Sicherheit, dass man wie gesagt, nicht in einer so großen Stadt wohnt, wo die Gefahr besteht, dass irgendwann einmal, dass man mal in die Anonymität abgleiten könnte. Sondern dass diese Tatsache, dass man durch die Stadt läuft und Menschen grüßen einen oder man grüßt Menschen und hat ein kurzes Gespräch zeigt einen, dass man selber irgendwie wahrgenommen wird und dass man andere Leute wahrnimmt. Und dass das in einer Stadt in der Größe von Wels tatsächlich auch noch möglich ist, dass solche Begegnungen stattfinden. Und ich glaube schon oder bin mir sogar sicher, dass das für mich schon ein Gefühl der inneren Sicherheit einfach gibt. [. . . ] Man weiß, dass es Menschen gibt, die einen wahrnehmen. Und ich glaube, dass das dann schon irgendwie so im Hinterkopf die Rolle spielt, die würden sich vielleicht auch wundern, wenn sie einen einmal ein halbes Jahr nicht mehr sehen. Muss jetzt nicht bedeuten, dass die dann irgendwie anfangen, nachzufragen, was irgendwie mit dem ist oder, würden die meisten wahrscheinlich eh nicht, weil da muss man ja schon enger mit jemandem in Kontakt stehen, dass man jetzt da fragt. Ich würde jetzt bei jemandem, den ich so beiläufig mal in der Fußgängerzone sehe oder den einmal ein halbes Jahr nicht sehe, würde ich mich wahrscheinlich nicht fragen ›Ja was ist denn da passiert?‹ und würde dann Nachforschungen anstellen, aber trotzdem irgendwie ist das so, hat ein bisschen was mit Sicherheit zu tun.« 5

Georg Hübner stellte die Überschaubarkeit in Kontrast zu den Städten Linz und Chicago, in denen er davor gelebt hatte. Das Wohlbefinden im Stadtraum übersetzte er in ein Wahrgenommenwerden und ein damit verbundenes Sicherheitsgefühl. Das Erkanntwerden dient als Stabilisierung der eigenen Existenz und schützt vor einem Verlorengehen – er wird im Stadtraum als Person sozial anerkannt. Auf solche Schilderungen des Gehens durch die Innenstadt stieß ich während meines Feldaufenthaltes und in Interviews immer wieder. So unterstrich

5 Ebd.

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Vertiefung

etwa der lokale Journalist Markus Pichler, Mitte vierzig, »dieses Sich-Kennen. [. . . ] Wenn ich nicht in der Anonymität versinke« 6. Auch er betonte »ein angenehmes Gefühl, wenn du über den Stadtplatz gehst und es grüßen dich die Leute. Da glaubst du nicht, dass du in einer 60.000 Einwohner-Stadt bist« 7. Mehrere InterviewpartnerInnen beschrieben in diesem Zusammenhang die Rolle von Szenecafés in der Stadt, in denen man auf bekannte Gesichter treffen könne, wie etwa Andreas Harg, Mitte dreißig und tätig in den Bereichen Marketing und Unternehmensberatung, bekräftigte: »Wo es mir auch passiert, dass ich einfach vorbeifahre und dann sehe ich‚ he, da sitzt der, der, der drin’ und dann gehe ich schnell rein.« 8 Ähnliche Begegnungen sind auch aus der Stadtforschung zu kleineren Städten bekannt, wie etwa Brigitta Schmidt-Lauber für die Stadt Göttingen beim Arztbesuch, im Schwimmbad oder am Bahnhof beschreibt 9. Zufällige Treffen im Stadtraum fanden dementsprechend häufig bei den Stadtgängen, die ich mit BewohnerInnen durchführte, statt. Meine InterviewpartnerInnen stießen dabei häufig auf ihnen bekannte Gesichter – was auf den Audioaufnahmen der Interviews an vielen Stellen durch Grußworte hörbar ist. Und auch ich erlebte Momente des Wiedererkennens im Stadtraum während meines Feldaufenthaltes. So grüßten mich schon kurz nach meiner Ankunft in Wels verschiedene GeschäftsinhaberInnen in der Innenstadt. Unzählige Male traf ich auf Bekannte, woraus sich gelegentlich kurze Gespräche, etwa über Pläne für den Tag, ergaben. Auch wenn ich am Fenster meines WG-Zimmers stand und über die Hafergasse blickte, kam es vor, dass ich von unten gegrüßt wurde, etwa an einem Abend, als mich Friedrich Reiter, Anfang fünfzig, Grafikdesigner und regelmäßig Gast im Irish Pub, und der Kellner Michael Klaus am Fenster entdeckten und mich drängten, nicht zu arbeiten und zu ihnen nach unten zu kommen 10. Das Verhältnis von Nähe und Distanz rief mitunter Aufsehen erregende Ideen hervor. So wurde bei einer Ideenfindung für die Stadt im Rahmen eines Innenstadtagendaprojektes 11 der Stadtregierung, bei welcher auch BewohnerInnen von der Stadt aufgefordert wurden, mitzumachen, die Idee einer »DuZone« eingebracht, »um das Einkaufen in Wels zu einem ›menschlichen‹ Er6 7 8 9 10 11

Interview Markus Pichler. Ebd. Interview Andreas Harg. Vgl. Schmidt-Lauber (2010): Urbanes Leben, S. 21. Feldnotiz, 23. 08. 2012. Die Innenstadtagenda hatte als ein Agenda 21-Projekt das Ziel der BürgerInnenbeteiligung und wurde im Oktober 2009 gestartet. Ziel war es, »mit der Bevölkerung der Innenstadt konkrete Ideen für eine zukunftsfähige Entwicklung des Stadtteils zu finden«, Magistrat der Stadt Wels (o. J.): WIA 21. Das Projekt lief in zwei Phasen und endete im Jahr 2014.

Überschaubarkeit und Vorstellungen von Stadt

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Abb. 26: »Du-Zone« am Welser Wochenmarkt. Im markierten Bereich sollten alle Personen per Du sein. Persönliche Interaktion wurde damit im Stadtraum temporär festgeschrieben.

lebnis zu machen« 12. Die Idee sah vor, dass in einem Teil der Welser Innenstadt über eine bestimmte Zeitdauer alle Personen per »Du« sind. »›Das Einkaufserlebnis soll [. . . ] die Kunden näher bringen und die langjährigen Freundschaft [sic] bestätigen sowie die Treue symbolisieren‹, sagt Köberl [der Initiator].« 13 Die Initiative versuchte also eine persönliche Sozialität in der Stadt zu institutionalisieren. Die »Du-Zone« wurde dann auch tatsächlich zu verschiedenen Zeitpunkten in der Innenstadt, am Welser Wochenmarkt (siehe Abbildung 26) und auch im benachbarten Thalheim verwirklicht und schließlich am Vorplatz des Science-Centers Welios längerfristig eingerichtet: »Dort sagt sowohl das Kind zum Bürgermeister als auch der Angestellte zum Chef Du«, so ein Artikel in den Oberösterreichischen Nachrichten 14. In Vergleich zu meinen bisherigen Lebensorten waren öffentlich bekannte Personen der Stadt auffällig oft im Stadtraum zu sehen. So konnte ich immer wieder prominente Personen wie PolitikerInnen oder UnternehmerInnen im Stadtraum identifizieren, etwa wenn der Vizebürgermeister über den Stadtplatz ging oder der Geschäftsführer der Raiffeisenbank Wels an mir vorbeiradelte. Bei einem Spaziergang durch ein Villenviertel erkannte ich mehrere bekannte Per-

12 Forster (2014): Welser »Du-Zone«. 13 Ebd. 14 O.A. (2015): Welios-Platz.

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Vertiefung

sonen der Stadt, die wohl eine private Feier besuchten 15. Im Fitnesscenter traf ich regelmäßig auf einen lokalen Politiker. Erkennbar waren auch die Basketballspieler des WBC, die öfters tagsüber durch die Hafergasse spazierten und die ich sofort an ihrer Größe und daran, dass sie nicht deutsch sprachen, erkannte 16. Diese Treffen konnten auch unerwünscht sein. So wollte ich eigentlich vermeiden, auf einen bestimmten Bekannten zu treffen, da ich auf seine letzte SMS nicht geantwortet hatte, stieß aber just vor einem der wenigen Supermärkte der Innenstadt auf ihn 17. Damit ist eine weitere Dimension der Überschaubarkeit angesprochen: eine spezif ische Sichtbarkeit (im Stadtraum), die verschiedene soziale Effekte hat und nicht immer gewünscht ist, wie verschiedene Interview- und GesprächspartnerInnen beschrieben. Das Gefühl des Wahrnehmens und Wahrgenommenwerdens wird zwar oftmals als ein Sicherheitsgefühl interpretiert, wie etwa im Zitat von Georg Hübner. Andere BewohnerInnen können dies dagegen als soziale Kontrolle empfinden (siehe dazu auch das »Porträt II: Wels als transitorischer Ort – Robert Prem«). Diese Sichtbarkeit betraf in besonderem Maße Personen, die beruf lich im Stadtraum zu tun hatten. So erzählte mir der Sozialarbeiter Simon Astner, Mitte dreißig, von der Trennung seines Wohn- und seines Arbeitsortes: Ich bin Linzer. Und das ist auch, würde ich sagen, wenn es sich machen lässt, sollte man das auch so machen als Streetworker. Dass man nicht in der Stadt wohnt, wo man arbeitet. Außer vielleicht Wien, weil das halt so riesig ist und sich verteilt, aber du kannst nicht in die Stadt gehen, ohne dass du Leute triffst. Du kannst nicht fortgehen und und und. Ich meine, ich treffe sogar in Linz manchmal Leute. [. . . ] Weil sie halt fortgehen, oder was auch immer. Und deswegen, also ich finde es total wichtig, dass man da Arbeitsort und Wohnort trennt. Das macht es doch ein bisschen entspannter in der Freizeit. Weil ich meine, die Innenstadt ist nicht groß und wenn du da einkaufen gehst und du lebst in Wels und gehst, weiß ich nicht, um elf Uhr Vormittag über den KJ [Kaiser-Josef-Platz], dann wirst du bombardiert mit Leuten, die das dann auch oft, teilweise schon unterscheiden können, aber manchmal auch nicht, ob du jetzt in der Freizeit bist.18

Diese Entgrenztheit im Stadtraum verweist auf die schwierige Trennung von Arbeit und Freizeit. Simon Astner wird in Wels auch in seiner Freizeit als Sozialarbeiter adressiert und kann sich selbst in Linz nur schwer von dieser Rolle frei machen. Die verschiedenen Bereiche des täglichen Lebens und die damit je-

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Feldnotiz, 20. 08. 2012. Feldnotiz, 07. 09. 2012. Feldnotiz, 16. 07. 2012. Interview Simon Astner.

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weils verbundenen Rollen, welche Ulf Hannerz mit dem Begriff domains fasst 19, lassen sich nur schwer auseinanderhalten. Die Rollen sind dadurch mitunter weniger klar ausgeprägt, die Grenzen dazwischen durchlässiger. Martin Reiter, Ende zwanzig und Arzt im örtlichen Krankenhauses, beschrieb im Interview ähnliche Erfahrungen, wenn auch weniger negativ gewendet: »Ich mein, dem Krankenhaus in Wels auszukommen [zu entfliehen], wenn man einmal drin arbeitet, das ist eh schwer. Weil da sind so viele Mitarbeiter, dass man auf Schritt und Tritt entweder Patienten oder Mitarbeiter trifft.« 20 Ähnlich verhält es sich in der Schilderung des bereits genannten lokalen Journalisten Markus Pichler, der das Fehlen von Privatsphäre kritisierte. Beim Fortgehen würden ihn Leute »anreden«. Mittlerweile könne er sich gut abgrenzen, »wobei der Journalist eigentlich nie frei hat, weil man kann immer Geschichten erfahren. [. . . ] Aber irgendwann will man vielleicht privat sein« 21. Ein weiteres Beispiel brachte Barbara Brunner, die Inhaberin eines lokalen Geschäftes, welche in ihrer Freizeit nicht beruf lich adressiert werden will: Und vor allem, [. . . ] wenn ich so in meiner Freizeit bin, dann will ich meine Ruhe haben. Ich bin dann nicht die Frau Brunner, die ich da herinnen [im Geschäft] spielen muss, sondern ich bin dann privat und ich will auch privat bleiben, möglichst. Das heißt, wenn ich da im Fitnessstudio sitze und meine Gewichter gehoben habe, dann will ich nicht von links und rechts angequatscht werden ›nanananana‹. Ich denke mir ›lass mich in Ruhe jetzt‹. Und das ist mir dann einfach oft wirklich zuviel geworden, dass ich mir dann gedacht habe, so nein ok jetzt freut es mich nicht mehr.22

Ein Interviewpartner beschrieb die Fahrt ins Umland oder nach Linz als Möglichkeit zur Flucht vor bekannten Gesichtern. Andreas Harg berichtete von einer Gaststätte außerhalb von Wels, zu der man fahren könne, wenn man »vielleicht nicht so viele Leute kennen« 23 wolle. Auf meine Nachfrage erklärte er: »Wenn man jetzt einfach irgendwo sitzen will, unter Leuten und einfach seine Ruhe haben will, dann fährt man halt raus. Für das ist Wels nicht groß genug, glaube ich.« 24 Ruhe wird hier mit Anonymität verknüpft. Dazu fährt Andreas Harg auch in die größere Nachbarstadt Linz. Sichtbarkeit betrifft auch das Wahrgenommenwerden durch kontrollierende Instanzen. Während meines Feldaufenthaltes in Wels überquerten mein Interviewpartner und ich bei einem Stadtgang am Kaiser-Josef-Platz eine kleine

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Hannerz (1980): Exploring, S. 102 ff. Interview Martin Reiter. Interview Markus Pichler. Interview Barbara Brunner. Interview Andreas Harg. Ebd.

Vertiefung

Straße trotz roter Ampel – und wurden dabei von zwei Polizisten beobachtet, die uns umgehend ermahnten. Mein Interviewpartner entschuldigte sich bei den beiden demutsvoll und raunte mir, nachdem wir um die Ecke gebogen waren, zu, dass man in Wels aufpassen müsse. Wie die Beispiele zeigen, ist der Blick im Stadtraum keinem vollkommenen »Verlust des angeregten Sehens« 25 unterworfen, der Habitus keiner, der ausschließlich von Fremdheit und Kontingenz geprägt ist. Vielmehr zeigt das längere, zu Beginn des Unterkapitels angeführte Zitat von Georg Hübner einen Wahrnehmungs- und Handlungsmodus, eine Sozialität, die durch eine spezifische Quantität sozialer Kontakte und eine spezifische Qualität derselben geprägt ist: regelmäßige, d. h. tägliche Situationen distanzierter, aber persönlicher (d. h. nicht primär funktionaler) Interaktion. Soziale Überschaubarkeit meint also in den wenigsten Fällen eine tatsächliche vollkommene Sichtbarkeit, eine tatsächliche Übersicht über den gesamten Stadtraum, sondern vielmehr eine regelmäßige, d. h. habitualisierte, aber dennoch selektive Form distanzierter Vertrautheit. Wie in Nachbarschaften ist die unausweichliche Konfrontation auch in der überschaubaren Stadt prägend. Damit steht die Sozialität der Überschaubarkeit auch in Kontrast zur großstädtischen Figur des Flaneurs, der die Stadt im Modus der emotionalen Distanziertheit durchwandert 26. Die Interaktionsform im Stadtraum, wie sie u. a. Georg Hübner beschreibt, entspricht also nicht einer eingeübten Distanziertheit, wie dies wie weiter oben angeführt etwa für die großstädtische U-Bahn beschrieben wurde, und auch nicht einer rein funktionalen Geschäftsbeziehung. Der beschriebene Wahrnehmungs- und Handlungsmodus hat damit eine frappierende Ähnlichkeit mit der Interaktionsform des Smalltalks. Für Smalltalk wird generell die phatische Funktion von Kommunikation betont, seine Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt, für das Aufrechterhalten sozialer Beziehungen und die Vermeidung von Gefahren 27. Zugleich stellt Smalltalk als sozialer Aspekt der überschaubaren Stadt eine scaling practice dar, wird hier doch Zugehörigkeit zum Lokalen performt – nicht etwa zu überlokalen flows, wie dies in der Performanz von »Irishness« der Fall ist. Mitunter wird von BewohnerInnen versucht, trotz der Dominanz von Überschaubarkeit Anonymität zu leben, wodurch der Aushandlungscharakter des spezifischen Verhältnisses von Überschaubarkeit und Anonymität deutlich wird. Die angeführten Beispiele weisen auf die unterschiedlichen Interpretationsweisen von Überschaubarkeit hin, die als angenehm oder unangenehm empfunden, angefochten und verschieden in Stellung gebracht, mitunter auch ignoriert oder verweigert wird. Überschaubarkeit als Sozialität führt über25 Hengartner (2005): Stadtforschung, S. 72. 26 Vgl. Neumeyer (1999): Der Flaneur. 27 Vgl. Coupland (2003): Small Talk.

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dies nicht zwangsläufig zu einem bruchlosen sozialen Leben, einem harmonischen Zusammenleben in der Stadt. So zeigen sich auch in der Innenstadt in Wels verschiedene Formen sozialräumlicher Differenzierung und der Exklusion (siehe dazu das Kapitel »Die bedrohte Stadt: Überschaubarkeit, Fremdheit und (Un)Sicherheit«). Gerade der Smalltalk birgt Möglichkeiten des Ausschlusses und damit der Herstellung von Fremdheitserfahrungen, ist man doch als FremdeR schneller sichtbar.

Überschaubare Netzwerke Zufälliges Treffen von bekannten Gesichtern im Stadtraum verweist überdies auf einen spezifischen Modus sozialer Netzwerkbildung in der Stadt, oder wie der Lokaljournalist Markus Pichler im Interview formulierte: »[. . . ] es ist ein Dorf und jeder kennt jeden. Und es ist trotzdem ein bisschen anonym.« 28 Die Form der sozialen Netzwerke betrifft also das Wissen über die Stadt und ihre BewohnerInnen. So erklärte Markus Pichler: Es gibt familiäre Konflikte, die in der ganzen Stadt ausgetragen werden. Also wo jeder Bescheid weiß, dass sich der jetzt mit der eingelassen hat, oder dass sich die getrennt haben oder dass da eine Scheidung rennt oder ein Scheidungskrieg oder Ehekrieg und also es bleibt nichts geheim. Was ja zutiefst menschlich ist [. . . ] und das hat irgendwie so einen Reiz, wir sind ja doch eine Stadt, aber eigentlich weiß ja jeder über jeden alles.29

Der Fachhochschulmitarbeiter Georg Hübner erzählte im Interview davon, wie schnell er verschiedene Leute in Wels über seinen Kollegen kennengelernt hatte: Eigentlich alles über meinen Arbeitskollegen, über den Lechner. Der Lechner, der eben ein Welser ist, durch ihn haben wir dann Kontakt gekriegt, also das ist so eine Gruppe. Weiß nicht, ob man das jetzt Stammtisch nennen möchte, aber da ist zum Beispiel auch der Christian Liedl dabei, von dem Geschäft da draußen. Sein Bruder ist der Simon, der mit dem Herbert Waser zusammen eine Künstlergruppe ist. Das sind dann noch andere Leute dabei, der Martin Reinprecht, der ja auch so ein bisschen ein Künstler ist, der freischaffend sich durch die Stadt Wels bewegt. Und durch diese Gruppe hat sich das dann eigentlich, das ganze andere Umfeld ergeben, wo wir dann den Mario Radhuber kennengelernt haben, die Maria Dorfer auch und noch andere Leute.30

28 Interview Markus Pichler. 29 Ebd. 30 Interview Georg Hübner.

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Vertiefung

Auch Praktiken rund ums Einkaufen spielen im Forschungsmaterial als Beispiele für überschaubare Netzwerke eine Rolle, wie im Gespräch mit Georg Hübner, der vom Kleidungskauf in der Stadt berichtete: »Und Klamotten auch alles eigentlich in Wels, also der Robert Renner ist auch ein persönlicher Freund von uns, das heißt, also wenn es irgendwie an Jeans geht, gehen alle da hin.« 31 Ein anderer Bewohner betonte persönliche Kontakte als Grund für den oftmaligen Besuch eines Restaurants in der Stadt: »Und ich bin dort schon immer gerne hingegangen, weil ich einfach die Sarah kenne und weil ich alle Leute kenne, die dort sind und weil ich auch miterlebt habe, was das jetzt für sie für Entwicklung war, was das für ein Sprung war.« 32 Generell werden viele Geschäfte und Gastronomiebetriebe mit Familiennamen benannt, etwa Neugebauer, Neumayer, Stockinger, Sonnleitner oder Friedhuber, mitunter auch mit Vornamen, wie etwa Hermanns, das bereits angeführte Schuhgeschäft in der Stadt. Auch bei Erzählungen von Kontakten mit institutionalisierten AkteurInnen wurde vielfach der persönliche Charakter betont. So hob etwa der Sprecher einer lokalen Initiative zur Verbesserung der Stadt hervor, dass er grundsätzlich einen persönlichen Ton im Gespräch über Stadtpolitik anschlage, Politik also in erster Linie auf persönlicher Ebene verhandelt (siehe dazu auch das Kapitel »Wels verbessern – bürgerschaftliches Engagement«). Andreas Harg beschrieb das spannungsreiche Verhältnis persönlicher und geschäftlicher Rollen in Geschäftsbeziehungen und seine Wahrnehmung der Unterschiede zur Stadt Wien, in der er länger gelebt hatte: Ich würde fast sagen, so wie ich es jetzt da erlebe, ist, dass die Leute ihre Persönlichkeit fast ein bisschen näher noch an der Oberfläche tragen als ich das in Wien erlebt habe. Also in Wien kannst du ewig lange mit Leuten zu tun haben und weißt nicht, worum es in seinem Leben geht. Also habe ich so erlebt. Dass du eigentlich nicht wirklich weißt, funktioniert alles, kannst gut zusammenarbeiten, kannst auch deinen Spaß haben und alles, aber heißt jetzt nicht, dass du irgendwie, da jetzt was unbedingt was von der Person und irgendwas erkennen, oder was sehen wirst. [. . . ] Und das ist da glaube ich, da kommt die Person schneller durch, finde ich.33

Überschaubare Netzwerke bedeuten also mehr als nur ein Sicherkennen im Stadtraum beim Smalltalk, sondern auch ein Voneinanderwissen. Immer wieder stoße ich während des Feldaufenthaltes auf überraschende Verbindungen zwischen BewohnerInnen. Bei der Eröffnung des Jugendfilmfestivals YOUKI etwa

31 Ebd. 32 Interview Andreas Harg. 33 Ebd.

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erwähnte der Stadtparteiobmann der ÖVP Wels, dass er der Firmhelfer des Intendanten gewesen sei und damals nicht gewusst habe, welche Karriere dieser vor sich habe 34. Friedrich Reiter formulierte, dass Leben in Wels wie in einem Dorf sei, nur das es etwas länger dauere bis sich Gerüchte und Wissen über die Stadt verbreitet würden 35. Dieses Wissen über die Stadt und ihre BewohnerInnen habe auch Einfluss auf professionelle Beziehungen, erklärte Andreas Harg: Der persönlichere Kontakt verbindet ein bisschen mehr. Und verpflichtet jetzt nicht zu irgendwas. Aber sagen wir einmal so, wenn ich da jetzt das Gefühl habe, das passt mit jemandem, auch jetzt auf der persönlichen Ebene und die Zusammenarbeit oder sei es jetzt der Kunde oder der Partner, mit dem man was macht, dann macht man einfach weiter. Dann wird das jetzt nicht sofort beim nächsten Mal irgendwie in Frage gestellt, sondern dann ist das einfach klar, das ist der, mit dem ich das mache.36

Die Stabilität geschäftlicher Beziehungen in überschaubaren Netzwerken führt mitunter dazu, dass die Präsentation der eigenen Persönlichkeit zur Norm in Geschäftsbeziehungen wird, Persönlichkeit also als Kapital fungiert: Es ist noch nicht so eine Freunderlwirtschaft. Nein, so weit seh ich das noch nicht. [. . . ] Also, ich erlebe mehr Leute, die auch genau jetzt auch im professionellen Kontext, die auch genau sowas suchen. Die halt auch klar wen suchen, dem sie vertrauen können. Was natürlich auch heißt, dass man eine gewisse Persönlichkeit, oder persönlich halt einfach präsenter sein muss. Also du musst irgendwie da sein, kannst jetzt nicht einfach dein Businesszeug machen, sondern musst dich halt auch persönlich ein bisschen zeigen.37

Markus Pichler erzählte mir von seiner täglichen Arbeit in der Stadt und von der sozialen Enge, die er als dörf lich interpretiert: Was wir als Lokaljournalisten sehr wohl transportieren ist, also es ist alles so banal: Wenn ein Rad umfällt, dann schreiben wir drüber. Als Lokaljournalisten. [. . . ] Ich als gestandener Lokaljournalist für meinen Vertrieb ist genau das Radl, was umfällt, aber die Leute in Wels interessiert. Warum ist das Radl umgefallen, wem hat das Radl gehört. Gerade weil Wels ein Dorf ist und jeder jeden kennt und das Radl wem gehört hat, den die kennen, dann ist das interessant. Weil dann kann man sofort mutmaßen: Ah, das hat ihm irgendwer zu Fleiß umgehaut. [. . . ] Und das ist halt jetzt das Interessante an einem Lokaljournalisten, dass du da halt über

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Feldnotiz, 23. 11. 2013. Feldnotiz, 05. 09. 2013. Interview Andreas Harg. Ebd.

Vertiefung

Dinge schreibst, die halt die Leute berühren. [. . . ] Als Journalist lernst du viele Leute kennen, aber es war dann so, da habe ich alleine gewohnt und wenn mir die Decke am Schädel gefallen ist, habe ich ein Buch geschnappt, bin ins Lokal gegangen. Hafergasse. Revue. Und habe gewusst, nach einer halben Stunde treffe ich irgendwen, den ich kenne. [. . . ] Und darum funktioniert da auch ein Lokaljournalismus sehr gut. Weil sich einfach die Welser untereinander gut kennen. Das macht es zwar schwer für Journalisten, weil du in Abhängigkeiten gerätst, oder es machts schwer für den Journalisten, wenn er am Abend fortgeht, weil er gerne mal angesudert wird.38

Sprechend für diese Form sozialer Netzwerke ist, dass mein Interviewpartner während dieses Interviews in einem Café begrüßt wurde und daraufhin auf soziale Kontrolle zu sprechen kam: [Pause, begrüßt andere Personen] Zum Thema öffentlicher Verkehr. Das ist der Chef von der Linie Wels. Also zum Thema, öffentlicher Verkehr in Wels. [. . . ] Also so gesehen, man begegnet sich ständig. [. . . ] Drum sollte man einen halbwegs soliden Lebenswandel haben in der Stadt. Wenn man im öffentlichen Leben ist. [. . . ] Jeder Politiker, als auch Journalist. [. . . ] 39

Hier zeigt sich die einschränkende Seite von Persönlichkeit als Kapital. Kann und muss Persönlichkeit in Geschäftsbeziehungen präsentiert werden, muss diese auch den Normen der Herzeigbarkeit entsprechen. Nicht zuletzt spielen in Zusammenhang mit überschaubaren Netzwerken Service- und Wohltätigkeitsclub wie Lions Club, Soroptimisten Club oder Kiwanis Club eine große Rolle, was mitunter für den Journalismus zu Interessenswidersprüchen führt, wie Markus Pichler weiter erklärte: Ich habe es zum Beispiel vermieden, bei Serviceclubs dabei zu sein, obwohl ich einige Einladungen gehabt hätte. Dann bist du irgendwie bei einem Serviceclub dabei und hast halt dann Freundschaften und wenn du irgendwann einmal gegen einen Clubkollegen schreiben musst, weil er irgendeine Linke gedreht hat, dann hast du ein Problem.40

Soziale Netzwerke können unter Umständen auch so weit gehen, dass Politik beeinflusst wird. Nicht selten wurden in Interviews Hinweise auf Seilschaften und Absprachen und eine damit verbundene Verbitterung und Resignation der Politik gegenüber artikuliert. Zur Beschreibung wurden Begriffe wie »Druck«, »Freunderlwirtschaft« und »Umstimmbarkeit« genannt, wie etwa von Robert Binder, Mitte dreißig und Geschäftsführer eines lokalen Unternehmens:

38 Interview Markus Pichler. 39 Ebd. 40 Ebd.

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In größeren Stadt ist der freie Wettbewerb. [. . . ] Aber in kleineren Städten halt ist der Politiker doch leichter umstimmbar von einer kleineren Gruppe. Als wahrscheinlich von einer kleineren Gruppe als in einer größeren Stadt. Wo er sagt, liebe Freunde, es hilft nichts. Der Baugrund ist so gewidmet. Was soll man machen? Oder das ist einfach ein Teil vom Gesamtkonzept.41

Selbst in einem Porträt der Stadt in den Oberösterreichischen Nachrichten tauchte der implizite Vorwurf des politischen Filzes auf: Der gelernte Welser hat gelernt, viele Dinge achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen. Das Spielfeld der Kommunalpolitik betritt er nicht. Hier waren viel zu lange nicht Ideenbringer aus dem wirklichen Leben gefragt, sondern pragmatisierte Parteibuchwirtschafter und Stammtischbruderschaften. Jemand, der visionär denken kann, klinkt sich eher nicht in solche Seilschaften ein.42

Überschaubare Materialität und Infrastruktur der Stadt Eine weitere Dimension von Überschaubarkeit stellen die städtische Materialität und Infrastruktur der Stadt dar, welche mit der sozialen Dimension von Überschaubarkeit auf verschiedene Weisen verbunden sind. An die physische Struktur der Stadt als gebaute Umwelt und Infrastruktur sind unterschiedliche Nutzungs- und damit Aneignungsweisen der Überschaubarkeit verknüpft. Vielfach wurde etwa von BewohnerInnen betont, wie nahe alle wichtigen Orte in der Stadt beieinander liegen, es gebe »keine große Hin-und-Her-Fahrerei« 43. Viele BewohnerInnen stellten neben der sozialen Dimension von Überschaubarkeit die Praktikabilität kurzer Wege in der Stadt heraus: Ja, man geht auch in Wels, sagen wir, schnell mal eine kleine Runde. Man kann viel erledigen schnell. Wenn man es sich ein wenig einteilt. Bank und Post und schnell Lebensmittel. Gibt es halt nur die zwei Großen in Wels. Der Billa und der Merkur herinnen in der Stadt.44

Die Pensionistin Theresa Gruber sprach hier zwei Punkte infrastruktureller Überschaubarkeit an: die Nähe und die kleine Anzahl wichtiger Einrichtungen in der Stadt. Claudia Wolkinger – Mutter zweier Kinder – strich die damit verbundene »Einfachheit« alltäglicher Wege und Besorgungen heraus: Wenn ich jetzt meinen Kleinen zum Beispiel hole vom Kindergarten, dann fahr ich halt gach [kurzfristig] eine halbe Stunde früher weg und ich kann die nächste

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Interview Robert Binder. Zöpfl u. a. (2011): Wels. Interview Stefan Fischer. Interview Theresa Gruber.

Vertiefung

Aktion in der Schule vorbereiten, weil die Schule einfach in unmittelbarer Nähe vom Kindergarten ist. Oder eben, der Unimarkt unten z. B. ist unser Hauptsponsor für die gesunde Jause, die haben wir alle zwei Wochen. Das heißt, ich kann das verbinden, dass ich die Lebensmittel abhole vom Unimarkt und dann den Kleinen abhole und kann es dann aber trotzdem gleich noch bei der Schule vorbei bringen. Und das kostet mich von der Zeit her nicht mehr als eine halbe Stunde. Ich mein, mach das einmal in Linz. Ich mein, vielleicht noch mit den Lebensmitteln dann ohne Auto. Also vom Aufwand her, einfach. Oder ich mein, gerade wenn du Kinder hast und irgendwie noch nebenbei aktiv bist und einen Job hast. Ich mein, du musst einfach wirklich schauen vom täglichen Handling her, dass es so einfach wie möglich ist. Das heißt, wenn es alleine vom Zeitlichen her schon schwierig ist oder von der räumlichen Entfernung her.45

Auch Georg Hübner betonte die Einfachheit alltäglicher Tätigkeiten aufgrund der Verteilung seiner alltäglichen Orte in Wels. Er stellte im Interview die Praktikabilität des Lebens in Wels heraus, und begründete damit, dass er sich für Wels anstatt Linz als Wohnort entschieden hatte: Der Hauptgrund waren nicht die sozialen Netzwerke sondern einfach die Einfachheit des Lebens, wenn man also quasi in der Stadt wohnt. Martin abgeben im Kindergarten mit dem Fahrrad, die Kinderkrippen sind direkt da, einkaufen kann man zu Fuß gehen. Ich habe zwar ein Auto, aber ich kann das Auto eine Woche lang stehen lassen und ich brauche es nicht. Das war wirklich der Hauptgrund, warum wir in Wels gesucht haben.46

Bei vielen Stadtgängen zeigten mir BewohnerInnen ihre Spazierwege durch die Innenstadt, häufig beschrieben als »eine kleine Runde« 47, die auch an den nahen Fluss Traun, durch die Messe oder den Tierpark führen kann, »zum Runterkommen, zum Ausreden, was auch immer« 48. So erläuterte Theresa Gruber beim Stadtgang: »Wir können aber eh da jetzt gerade durchgehen. Am Zwinger eventuell. Das ist auch so ein Spaziergang. So eine Runde, wenn man einmal am Abend schnell eine Runde gehen will, dass man da so geht.« 49 Theresa Gruber verwies in dem Ausschnitt auf »eingetretene Pfade«, auf kollektiv routinierte Wege in der Stadt. Für BewohnerInnen wichtige Orte ließen sich gut zu Fuß erreichen, was auch methodisch deutlich wurde: Der Stadtgang als Methode

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Interview Claudia Wolkinger. Interview Georg Hübner. Interview Theresa Gruber, Interview Valentin Holzer. Interview Valentin Holzer. Interview Theresa Gruber.

Überschaubarkeit und Vorstellungen von Stadt

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stellt eine für Wels »typische« Bewegung dar und entsprach der überschaubaren Materialität der Stadt 50. Die verschiedenen Mobilitätsmodi scheinen generell eine andere Gewichtung zu bekommen als in manch größerer Stadt oder auch im ländlichen Raum. Von vielen BewohnerInnen von Wels wurden etwa in Bezug auf die Innenstadt Radfahren und Zufußgehen hervorgestrichen, etwa von Valentin Holzer, Ende dreißig, der in einem Einfamilienhaus zwischen Innenstadt und Stadtrand wohnt und täglich beruf lich nach Linz pendelt: Wo du überall zu Fuß gehen kannst oder mit dem Rad fahren, zum Bahnhof fahren wir meistens, wenn wir zu zweit sind, mit dem Auto. Wenn das Wetter passt, ab dem Frühjahr, fahre ich auch relativ oft und wenn wir unterschiedliche Zeiten haben, fahre ich mit dem Rad. Also man kann viel mit dem Rad oder zu Fuß machen. [. . . ] Und man braucht nicht immer ein Auto. Weil in Wien, wenn du irgendwo rausfährst, brauchst du entweder irgendeinen Öffentlichen oder ein Auto. Und das Auto brauchst du aber unter der Woche in Wien nicht.51

Ist die Innenstadt ein schnell durchschrittener Raum, bleibt die Erreichbarkeit des Stadtrands dagegen stark an die Verfügbarkeit eines Autos gebunden, was Theresa Gruber als Grund dafür anführte, in der Innenstadt zu wohnen: Und du brauchst ja wirklich, wenn du da draußen wo wohnst, Stadtrand, brauchst du fast ein Auto. Öffi hast du am Wochenende nicht. Samstag geht es noch ein wenig, aber Sonntag ist kein öffentlicher Verkehr, kein Bus und nichts. Also da ist man schon ein wenig aufgeschmissen, nicht? 52

Kürzere physische Distanzen führen damit nicht notwendigerweise zu kürzeren und schnelleren Wegen. Auch in der kleineren Stadt können Distanzen mitunter weit oder gar nicht bewältigbar sein. Dies trifft insbesondere jüngere und ältere BewohnerInnen, die für ihre Mobilität nicht auf ein Auto zurückgreifen können, sondern auf den öffentlichen Verkehr angewiesen sind. Dieser wird aber nur selektiv – von der jüngeren und der älteren Bevölkerung – wahrgenommen und bietet lediglich für einen Teil der zurück zu legenden Wege Zeitersparnis. Viele InterviewpartnerInnen erzählten, dass sie überhaupt noch nie das öffentliche Verkehrssystem benutzt hatten oder es nur selten benutzten, 50 Wie im Ansatz der sensory ethnography ausgearbeitet, stellte der Stadtgang als eigene Form des place-makings die Überschaubarkeit zugleich selbst her: »I suggest that by theorizing collaborative ethnographic methods as placemaking practices we can generate understandings of both how people constitute urban environments through embodied and imaginative practices and how researchers become attuned to and constitute ethnographic places.«, Pink (2008): Urban tour, S. 176. 51 Interview Valentin Holzer. 52 Interview Theresa Gruber.

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Vertiefung

wie etwa Bernhard Schmid, Mitte fünfzig, der die meiste Zeit seines Lebens in Wels gewohnt hat: »Also ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal mit einem öffentlichen Verkehrsmittel gefahren bin in Wels [lachend]. Ich bin, ich glaube, die letzten zwanzig Jahre sicher nicht gefahren mit einem Verkehrsmittel.« 53 Das mag nicht zuletzt an einer als kompliziert wahrgenommenen Streckenführung liegen, erklärte Magdalena Baumgartner, die seit mehreren Jahrzehnten in einem Einfamilienhaus am Stadtrand wohnt, im Interview: Erschlossen ist eigentlich alles von West nach Ost und von Nord nach Süd. Nur wenn ich jetzt zum Beispiel von unserem Stadtteil in den Stadtteil will, der noch weiter südlich liegt, dann ist man arm. Weil wir sind schon im Westen, die Peripherie und das andere ist Südwesten. Da gibt es keine direkte Verbindung, das heißt, da muss man zuerst da am KJ [Kaiser-Josef-Platz] fahren, umsteigen, dann weiterfahren und dann ist eine dreiviertel Stunde weg. Und das ist eigentlich, wenn man bedenkt, wie, wie kurz eigentlich die Entfernungen sind. Wenn ich mir anschaue, wie weit ich in Wien komme in einer dreiviertel Stunde, dann ist das schon ein Wahnsinn. Also für ältere Leute, die kein Auto haben, ist das nicht so klasse.54

Mitunter wurde die seltene Nutzung des öffentlichen Verkehrs als Bequemlichkeit ausgelegt, die sich durch die Gewöhnung an einen bestimmten Mobilitätsmodus erklären lässt: Das ist mir zu mühsam. Ich mein, vielleicht bin ich da einfach auch bequem, aber wenn ich fahren will, dann will ich ins Auto einsteigen und dann will ich fahren. Ich will da nicht irgendwo zu einer Bushaltestelle gehen müssen oder dann warten müssen. Ich mein, die Intervalle sind eine Viertelstunde, das ist nicht lang. Aber es ist trotzdem, ich mag das dann nicht. Dann steh ich mitten von so vielen Leuten, dann hab ich vielleicht noch zehn Sackerln in den Händen oder muss dann wieder irgendwo anders hin. Es dauert einfach alles so lange. [. . . ] Also da kommt Bequemlichkeit kommt mit der Zeit eigentlich zusammen.55

Der Besitz eines Autos wird bisweilen als große Erweiterung des Bewegungsspielraums beschrieben. Die Schilderungen von Martin Reiter machen den Zusammenhang von infrastruktureller Materialität der Stadt, biographischer Erzählung und der Anschaffung eines ersten Autos deutlich. Nach mehrjährigem Studium in einer anderen Stadt und Auslandsaufenthalt kehrte Martin Reiter nach Wels zurück, um dort am Krankenhaus zu arbeiten. Damit wurde auch ein Auto Thema:

53 Interview Bernhard Schmid. 54 Interview Magdalena Baumgartner. 55 Interview Claudia Wolkinger.

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Martin Reiter: »Das Auto habe ich noch nicht so lange. Das habe ich jetzt seit Donnerstag, also das ist ein Fortschritt in meiner Mobilität, weil bisher habe ich alles per Rad, mit dem Zug bzw. mir ein Auto ausgeborgt, wenn ich wirklich eines gebraucht habe. Aber jetzt tu ich mir schon viel leichter mit dem Alltagsleben in Wels.« G.W.: »Ja, war es bisher nicht so, dass du ein Auto gebraucht hast oder wie?« Martin Reiter: »Also während dem Studium habe ich nie eines gebraucht. Ich habe in Innsbruck studiert und da habe ich kein Auto gebraucht. Dann war ich lange im Ausland. Da habe ich auch kein Auto gebraucht, ein Jahr. Und dann, wie ich zurückgekommen bin, habe ich gedacht, [. . . ] hab ich es mir zuerst nicht leisten können und dann habe ich mir gedacht, jetzt komm ich eh gut aus und jetzt habe ich eineinhalb Jahre in Wels ohne Auto verbracht. Bin aber immer drauf gekommen, dass es eigentlich bitter notwendig ist, gerade wenn das Wochenendprogramm ansteht, weil wenn man an einen See fahren will oder irgendwohin Beachvolleyball spielen gehen will oder Kleinigkeiten wie ins Fitnessstudio, wenn es regnet, überlegt man sich das per Rad öfter als wenn man ein Auto hat.« 56

Die Charakteristika der Mobilität in Wels – wenig wahrgenommener öffentlicher Verkehr und Angewiesensein auf ein Auto – haben mitunter Effekte auf soziale Geschlechterrollen, wie eine Interviewpartnerin erklärte. Barbara Brunner, die seit mehreren Jahrzehnten mit Familie in einem Einfamilienhaus in der Nähe der Innenstadt wohnt, erklärte welche Bedeutung die städtische Infrastruktur bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat: Dass das Angebot erstens nicht da ist und dann das nächste, was halt auch sicher reinspielt, also wenn du kein eigenes Auto hast, so, mit diesen ständigen Müttertaxifahrten, weil der Linienverkehr in Wels ist ja nach wie vor katastrophal, nicht. [. . . ] Ich nenne das immer Müttertaxi, weil ich meine, am Fußballplatz, wir wohnen vis a vis vom Fußballplatz. Aber wie viele Mütter da die Kinder zum Fußball hin führen müssen und wieder abholen.57

Ein weiterer materieller Aspekt von Überschaubarkeit ist die Wahrnehmung einer physischen Grenze der Stadt und deren Überschreitung.58 Man sei »da sofort heraußen« 59 schwärmte Magdalena Baumgartner von der Nähe des Umlandes, während wir ihre Radstrecke durch den Grünraum mit dem Auto abfuhren. Sie

56 Interview Martin Reiter. 57 Interview Barbara Brunner. 58 Dies steht auch in Kontrast zu Schilderungen vom Leben in Megastädten, in denen man das Ende der Stadt nicht mehr wahrnehmen könne, vgl. Wildner (2003): Zócalo, S. 17; siehe auch Vorstellungen im 18. Jahrhundert über Paris als unendliches Gebilde, vgl. Roche (1987): People of Paris, S. 10. 59 Interview Magdalena Baumgartner.

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erzählte von alten Bauernhöfen, in die sich heute verschiedene Unternehmen eingemietet haben, und davon, dass man noch vor wenigen Jahren Milch und Eier vom nahen Bauernhof holen konnte. Viele GesprächspartnerInnen nannten das Gebiet der Traun und der Traunauen als Erholungsgebiet im Stadtraum. Dort scheinen sich soziale Überschaubarkeit und Grünraum zu verdichten, wie eine Bewohnerin schilderte: Aber wenn es recht laut ist [in der Wohnsiedlung], dann müssen wir mit dem Auto fahren, weil dann streikt der kleine Hund. Dann fahren wir da Richtung, ein Stückerl raus und gehen dann in die Traunauen. Und das ist recht schön, weil da trifft man auch wieder Bekannte, die auch irgendein Tier mithaben, ein Hunderl halt. Und eigentlich geht es da ganz friedlich zu.60

Die Nähe zum ländlichen Raum wurde auch durch Tiere deutlich. So berichtete Valentin Holzer von der Begegnung mit verschiedenen Tieren, um mir die Gegenwart von »Natur« in Wels zu vermitteln. Die Nähe von Grünraum war nicht zuletzt ein Grund für den Umzug in die kleinere Stadt gewesen, nachdem er zuvor in Wien gewohnt hatte: »Wir versuchen irgendwie einen Spagat zu finden zwischen einer Stadt, wo sich etwas tut, wo was los ist, und aber auch gleich im Grünen zu sein.« 61 In Wels sieht er diese Balance gegeben. Obwohl er nicht am Stadtrand wohnt, ist Grünraum nahe: Also wir sind einerseits sehr zentral am Stadtkern, auf der einen Seite wohnen wir quasi direkt im Grünen. Also es haben sich auch schon Rehböcke her verirrt. Im Nachbargarten, wo ich hinausgeschaut habe in der Früh und mir gedacht habe ›was ist, steht der in unserem Garten?‹ [. . . ] Oder die reifen Birnen vom anderen Nachbarn, die haben sie dann in der Früh gefressen. Und Feldhasen sowieso, Fasane fliegen mal rein, also sind wir fast im Wald.62

Auch ich kam im Rahmen des Feldaufenthaltes mit Tieren in Berührung. Gegen Sommer war ich bald genervt von den vielen Stechmücken, die ich aus Wien nur von der Donau kannte, hier in Wels aber auch oft mein Zimmer im Zentrum der Stadt frequentierten. Meine Vermieterin fertigte überdies zu Beginn meines Aufenthaltes in Wels im Frühjahr Nistplätze für Schwalben an, die sie im Stiegenhaus aufhängte und in denen tatsächlich schon bald Schwalben brüteten. Die Schwalben begleiteten meinen Aufenthalt in der Stadt und ich traf täglich im Stiegenhaus auf sie, wenn sie von draußen in weiten Bögen in das Haus zu ihren Nestern flogen. Deutlich wurden die Grenze zwischen Stadt und Land und die große Ausdehnung ländlicher Gebiete auch in die Stadt in ganz anderen Zusammen60 Interview Gertraud Windhaber. 61 Interview Valentin Holzer. 62 Ebd.

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hängen. Beim Besuch eines Kollegen aus Wien schwärmte dieser von der starken Sichtbarkeit und Helligkeit der Sterne am Himmelszelt aufgrund der im Vergleich zu Wien geringeren Lichtverschmutzung und hielt fest, dass er an meiner Stelle die Arbeit über Wels damit beginnen würde. Ein anderes sprechendes Beispiel stellt eine politische Demonstration vom 1. Mai 2012 dar. Die Demo hatte als Ausgangspunkt den Kaiser-Josef-Platz und führte durch die Innenstadt in den Westen der Stadt nach Lichtenegg in die Noitzmühle. Wie Transparente und Parolen als Kommunikationsform verdichtet zeigen, performte der Demonstrationszug weniger Überschaubarkeit, sondern öffentliche Distanz und adressierte in Kontrast zum Smalltalk der überschaubaren Stadt, in welcher sich BewohnerInnen als Vertraute entgegentreten, ein anonymes Publikum der Straße. Von der Dragonerstraße bog der Demozug in die Grüne Zeile und führte ab da aber durch Felder und Einfamilienhaussiedlungen. Sprüche wie »Anticapitalista, antifascista«, »Streik«, »Bildung krepiert, weil Dummheit regiert« oder das Lied »Bella Ciao« trafen dann nicht länger auf ein städtisches Publikum am politischen Aushandlungsort Straße, sondern verhallten an den Wänden der Einfamilienhäuser oder über die Felder (siehe Abbildung 27). Die Demonstrierenden beschäftigten sich bei diesem Abschnitt der Route mehr mit sich selbst, scherzten gemeinsam und unterhielten sich. Erst in der Wohnsiedlung Noitzmühle richtete sich die Aufmerksamkeit der Demonstrierenden wieder mehr nach außen. Die Rolle als DemonstrantIn, der / die einer anonymen Stadtbevölkerung gegenübertritt, ließ sich also nicht durchgehend aufrechterhalten. Auch wenn der Demozug selbst Öffentlichkeit produzierte, der Protestmarsch also als enactment städtischer Öffentlichkeit und Erweiterung deren scale an die Peripherie des Ortes verstanden werden kann, konnten sich die Demonstrierenden nicht für die gesamte Route auf das materielle Setting der Stadt und die Öffentlichkeit der Straße verlassen. Zur Wahrnehmung der Stadtgrenzen bzw. des Endes der Stadt trägt nicht zuletzt bei, dass viele BewohnerInnen Wels regelmäßig verlassen, etwa um nach Linz zur Arbeit zu pendeln oder das Wochenende an einem anderen Ort zu verbringen. Die Grenze der Stadt zu überschreiten, gehört mithin zu einer regelmäßigen Erfahrung. Andreas Harg beschrieb das häufige Fahren ins Umland im Vergleich zu seinen Gewohnheiten in Wien, wo er früher gelebt hatte: Ich will jetzt nicht in Wien leben, auf keinen Fall, weil ich wer bin, der eigentlich ganz viel Platz braucht. Für sich allein. Und das halt in Wels sehr gut habe, weil ich schnell draußen bin. Also jetzt so an der Alm zum Beispiel oder eben am Almsee oder überhaupt in den Bergen. Also, ich bin sehr viel in den Bergen, im toten Gebirge oder Dachsteinregion.63

63 Interview Andreas Harg.

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Vertiefung

Abb. 27: Demozug in der Innenstadt und am Stadtrand. Nutzte der Demozug am zentralen Kaiser-JosefPlatz die Öffentlichkeit der städtischen Straße als Adressat, verhallten die Demoparolen am Stadtrand über die Felder und die DemonstrantInnen beschäftigten sich mehr mit sich selbst.

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Abb. 28: Linz als Teil täglicher Wege. Auf der mental map zu alltäglichen Wegen von Valentin Holzer bekommt die Landeshauptstadt Linz eine zentrale Position – als Ort der Arbeit, des Einkaufens jenseits des täglichen Bedarfs, des Freundetreffens und des Ausgehens. Für Valentin Holzer gestaltet sich das tägliche Leben multilokal in zwei Städten.

Auf mental maps zu alltäglichen Wegen taucht besonders die nahe Landeshauptstadt Linz auf (siehe Abbildung 28). Ein täglich pendelnder Bewohner beschreibt seine Wege wie folgt: Täglicher Weg ist der Weg zum Bahnhof, wochentags, ist Richtung Linz, wo wir einerseits arbeiten, aber nicht nur. Weil wir haben da auch einen großen Bekannten- und Freundeskreis. Und, das heißt, wir treffen uns auch da hin und wieder oder gehen zu zweit dann, gemeinsam, weil meine Frau arbeitet auch in Linz, dass wir gemeinsam uns dann nach der Arbeit noch treffen und in Linz irgendwo auf ein Glaserl gehen oder auf einen Kaffee oder sonst was.64

Die täglich frequentierten Orte nehmen verschiedene Funktionen für Valentin Holzer ein. Stellt Linz für ihn den Ort der Arbeit und auch den Schwerpunkt gesellschaftlichen Lebens dar, beschreibt er Wels als Ruheort: »Wels ist für uns [. . . ] Rückzug, also [. . . ] da kommt man heim, da entspannt man sich, da entschleunigt man.« 65 Als weiterer materieller Aspekt von Überschaubarkeit taucht im Forschungsmaterial immer wieder das städtische Angebot bzw. die Auswahl an Möglichkeiten auf. Stefan Ecker, der Geschäftsinhaber eines lokalen, »hippen« Modegeschäftes, erklärte mir etwa, welche Rolle besondere Mode und deren Sichtbarkeit im Kontext von Überschaubarkeit spielt:

64 Interview Valentin Holzer. 65 Ebd.

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Vertiefung

Dann bin ich auch wieder zum Beispiel der Einzige, der es halt hat im Umkreis von irgendwo. Sie [die KundInnen] wissen halt, dass ich höchstens vier Teile da habe von dem und dass es dann nichts mehr gibt. Also sie sind sehr darauf aus, dass es halt nicht alle haben, wenn sie dann fortgehen. Und das ist halt das auch, wenn jetzt bei uns die großen Marken, wenn ich jetzt vier habe, die was dieselben großen Marken haben wie ich, kann ich von dem T-Shirt sechs bestellen und der auch sechs, dann habe ich schon mal 24, die was in Wels ein gleiches Leiberl haben, wenn wir alle vier dasselbe bestellt haben. Und von dem möchte ich eigentlich weg und nehme dann von London auch zeitweise oder bin öfters am Markt unterwegs auch, wo die Koreaner oder sonst irgendwas, so junge Leute irgendwas Freakiges machen oder T-Shirt drucken oder sonst irgendwas, und nehme halt dann die T-Shirts von dort mit. Und da halt einfach nur ein paar Teile. [. . . ] Dass man sich abhebt von den andern. Also das wird eigentlich schon ganz gut angenommen, weil da wissen sie, da haben sie nur das eine Leiberl oder gibt halt einmal nur ein Leiberl davon und das hat halt derjenige dann.66

Begrenzte Konsum- bedeuten begrenzte Distinktionsmöglichkeiten. Durch den Kauf von besondere Waren ist auch im Rahmen der Überschaubarkeit Unterscheidbarkeit möglich. Ein jüngerer ehemaliger Bewohner der Stadt, der vor kurzem nach Linz gezogen war, erzählte von den eingeschränkten Ausgehmöglichkeiten in Wels und betonte Zufallsbegegnungen und Überschaubarkeit beim Ausgehen im Vergleich zu Linz: [. . . ] wenn du [in Linz] in eine Bar reingehst, da kann es dir auch mal passieren, dass du keinen kennst. [. . . ] Und das ist irgendwie schon anders als wie in Wels, weil da hast du halt relativ schnell deine Lokale, deine üblichen Lokale, wo du halt hingehst, hast du halt relativ schnell durch und dann kennst du halt auch relativ schnell die Leute, die halt dort auch regelmäßig hingehen.67

Das überschaubare Angebot betrifft auch spezifische Produkte, die in Wels nicht erhältlich sind. So erzählte mir eine Gesprächspartnerin, dass ihr Sohn keine Schuhe in seiner Schuhgröße in Wels bekomme. Für den Schuhkauf fahren sie deshalb extra nach Linz, wo es ein Spezialgeschäft für große Größen gibt. Diese Begrenzung des Angebots in Bezug auf spezifische Produkte betonte auch Barbara Brunner, die Inhaberin eines Geschäftes in der Innenstadt: Es ist die Einkaufsstadt, aber wenn du jetzt spezielle Sachen willst, so wie halt ich mit den Wollen und mit den Garnen eher auf spezielle Sachen stehe, das kriegst

66 Interview Stefan Ecker. 67 Interview Benjamin Haas.

Überschaubarkeit und Vorstellungen von Stadt

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du nicht in Wels. Also, das gibt es dann maximal in Wien oder ich kaufe es halt dann in Online-Shops auf der ganzen Welt.68

Oft verlassen BewohnerInnen aufgrund des geringen Angebots regelmäßig die Stadt und pendeln am Abend oder am Wochenende etwa nach Linz oder Wien, um dort ihre Freizeit zu verbringen. So etwa der schon vorgestellte, junge Arzt Martin Reiter, der sich nach seiner Rückkehr nach Wels wünscht, dass die Stadt »jung« und »frisch«, aber auch nicht so »schülerlastig« sei, mehr wie eine »Studentenstadt«: Und deswegen bin ich am Wochenende eigentlich selten in Wels. Zumeist bin ich, wenn ich nicht Dienst habe, da bin ich sowieso da, was ein, zwei Mal im Monat ist, dann bin ich in Wels. Aber sonst bin ich meistens irgendwo unterwegs. Auf Kongressen oder Freunde besuchen in Wien, in Innsbruck, Studienkollegen besuchen oder jetzt am Wochenende fahre ich nach Brüssel einen alten Freund besuchen. Also, da schaue ich, dass ich ein bisschen raus komme, weil sonst, ich bin eh immer da.69

Auch in Andreas Hargs Schilderungen vom »Ausfliegen nach Linz« verdichten sich verschiedene Erfahrungsmomente von Überschaubarkeit und erscheinen die Topoi der kleinen Auswahl in Wels sowie der Abwechslung in der größeren Stadt, hier aber mit einer zusätzlichen Bedeutung. Die größere Stadt ist der Ort des Neuen und der Überraschung: »Das hat sowas Größeres, also auch andere Einflüsse kriegen, also irgendwie ein bisschen so die eigene Suppe verlassen.« 70 Für ihn ist der Wechsel in die größere Stadt eine Möglichkeit, »Vorhersehbarem« zu entgehen, »weil ich es einfach brauche, so als Frischluft, auch dass was weitergeht« 71. Wels genügt in dieser Formulierung nicht seinen Ansprüchen an Stadtleben und einem guten Lebensort. Durch die regelmäßigen Besuche von Linz und die Verstetigung dieser multilokalen Praxis kann Andreas Harg seine Anforderungen an ein gutes Leben dennoch erfüllen.

Überschaubarkeit als Stadtentwicklungstrend Die Suche nach dem guten Lebensort und die Bewertung von Überschaubarkeit stehen in Zusammenhang mit gegenwärtigen Stadtentwicklungstrends und städtebaulichen bzw. planerischen Leitbildern. Auch die Stadtplanung in Wels verfolgt mitunter Leitbilder, die an Überschaubarkeit und Kleinteiligkeit orientiert sind. So sollen den Planungsgrundsätzen aus der Leitlinie der Stadt Wels für qualitätsvolles, flächen-, kosten- und energiesparendes Bauen nach »klein-

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Interview Barbara Brunner. Interview Martin Reiter. Interview Andreas Harg. Ebd.

Vertiefung

teilige« und »überschaubare städtebauliche Strukturen« 72 geschaffen werden. Dies meint konkret: Eine Beschränkung auf vier (ideal drei) Geschosse in den Siedlungserweiterungsbereichen wird empfohlen. Diese Gebäudehöhen werden von den Bewohnerinnen und Bewohnern bevorzugt, da unter anderem noch eine direkte Kontaktaufnahme von den Wohnungen zum Freiraum möglich ist.73

Der Trend zur Kleinteiligkeit und zu einem »menschlichen Maßstab« ist jedoch schon lange kein Alleinstellungsmerkmal kleinerer Städte mehr. Die überschaubare Stadt – wie sie sich in Wels in einem bestimmten Nähe / DistanzVerhältnis und in der Sichtbarkeit im Stadtraum, in verflochtenen sozialen Netzen, in einem bestimmten Wissen über die Stadt und ihre BewohnerInnen, in der Rolle von Persönlichkeit als Teil professioneller Beziehungen, in kurzen Wegen und einer Praktikabilität bei gleichzeitiger Angewiesensein auf ein Auto, in der regelmäßigen Überschreitung der Grenze der Stadt und in der Nähe zum Grünraum sowie im städtischen Angebot und der Auswahl an Möglichkeiten, also in einem Zusammenspiel sozialer und materieller Aspekte zeigt – ist nicht nur in Wels Thema in Aushandlungen des Städtischen, sondern Aspekte von Überschaubarkeit sind in verschiedenen Stadtentwicklungstrends und planerischen Leitbildern als Hauptziele formuliert. Vor allem zwei Leitbilder zeigen einen stadtplanerischen und gesellschaftlichen Wandel und besetzen Überschaubarkeit positiv: die »menschengerechte« Stadt und die slow city. Das Konzept einer »menschengerechten« Stadt geht vor allem auf die Anstrengungen des dänischen Architekten und Stadtplaners Jan Gehl zurück. Dieser spricht sich in seinen Arbeiten 74 im Anschluss an Jane Jacobs gegen einen Modernismus im Städtebau aus und stellt diesem das Konzept der human scale, also des menschlichen Maßstabs, als zentrale Kategorie der Planung gegenüber. Gehl resümiert: »On the whole city planning over the past 50 years has been problematic.« 75 Als Abgrenzungsfolie dienen ihm der funktionale, moderne Städtebau der 1960er und 1970er Jahre und dessen autogerechte Planung, durch die Menschen aus dem Stadtraum verdrängt wurden: »The traditional function of city space as a meeting place and social forum for city dwellers has been reduced, threatened or phased out.« 76 Gegen eine anonyme Stadt, in der man die NachbarInnen nicht kennt, wird in diesem Konzept eine Stadt gestellt, in der sich FußgängerInnen und RadfahrerInnen begegnen, in der öffentliches

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Damyanovic u. a. (2011): Leitlinie, S. 7 f. Ebd., S. 15. Vgl. hier stellvertretend Gehl (2010): Cities. Ebd., S. X. Ebd., S. 3.

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Leben in Fußgängerzonen mit Sitzmöglichkeiten in kleinteiligen Stadtteilen und kleinen Gebäuden die Begegnung von Fremden und Partizipation ermöglicht: Die Straße soll zum Wohnzimmer werden 77. Insbesondere streicht Gehl Smalltalk als Interaktionsform heraus, die durch spezifische Raumgestaltungen ermöglicht werden soll: »There are chance meetings and small talk at market booths, on benches and wherever people wait.« 78 Im Zentrum der menschengerechten Stadt steht der »menschliche Maßstab«, also der menschliche Körper als wichtigste Bezugsgröße und damit – unter naturalistischer Perspektive – Gehen als wichtigster Bewegungsmodus: »Man was created to walk.« 79 Insbesondere wird auch eine sinnliche Komponente des »menschlichen Maßstabs« hervorgestrichen, die Möglichkeit, aus der Perspektive des gehenden Menschen die Sinnlichkeit der Stadt wahrzunehmen, was als eigentliche Natur des Menschen jenseits eines modernistischen Zuschnitts verstanden wird. Davon leitet Gehl Grundzüge für eine sinnvolle Planung ab, die sich an Gebäuden mit wenigen Stockwerken, kurzen Distanzen und kleinen Räumen, die mit vielen Details intensive und persönliche Erfahrungen ermöglichen, orientiert: »small in scale means exciting, intense and ›warm‹ cities« 80. Dabei kommen Begriffe wie Intimität, Persönlichkeit und Interaktion in den Blick. Ziel ist die Verwirklichung einer lebendigen, sicheren, nachhaltigen und gesunden Stadt, die mit »Leben« erfüllt ist. Durchgängig betont Gehl »the importance of life and activity as an urban attraction« 81. Öffentlicher Raum, so Gehl, solle durch unterschiedliche Menschen und Gruppen belebt sein, um freundliche, einladende und willkommende Aufforderungen zur Interaktion zu senden und das Gegenteil zu vermeiden: »Nothing makes a more poignant statement about the functional and emotional qualities of life and activity in the common space of the city than its opposite: the lifeless city.« 82 Aus der Perspektive der Europäischen Ethnologie lässt sich hinterfragen, welche Vorstellungen von Natur hinter solchen Definitionen des Menschen liegen, etwa wenn im Konzept der menschengerechten Stadt danach gefragt wird, wie Menschen früher gelebt haben und darüber eine bestimmte Form des Zusammenlebens als natürliches Merkmal des Menschen definiert wird. Das Konzept der menschengerechten Stadt weist in diesem Bezug auf eine als heil verstandene, gemeinschaftliche Vergangenheit Ähnlichkeiten zur Großstadtkritik des 19. Jahrhunderts auf. Mit Elisabeth Katschnig-Fasch lässt sich

77 78 79 80 81 82

238

Ebd., S. 19 ff. Ebd., S. 22. Ebd., S. 19. Ebd., S. 53. Ebd., S. 25. Ebd., S. 63.

Vertiefung

festhalten, dass hier »die Geschichte einer anderen Sozietät, einer Vorstadt, [. . . ] in die Gegenwart des eigenen urbanen Lebens komponiert« wird, um ihr »die Schärfe der Modernität« zu nehmen 83. Das zweite, hier in den Blick genommene Leitbild in Bezug auf Überschaubarkeit, die slow city-Bewegung, wurde im Jahr 1999 von den Bürgermeistern vierer italienischer Städte in enger Verknüpfung mit der slow food-Initiative gegründet. Letztere hatte es sich seit 1986 zum Ziel erklärt, gegen den Verlust lokaler Unterschiede in Bezug auf Ernährung, Geselligkeit, sense of place und Gastfreundlichkeit zu agieren. Auf ähnlichen Ansätzen basiert die slow city-Bewegung, die heute 225 Städte in 30 Ländern umfasst. Ziel der Bewegung ist die Verbreitung und Bewerbung der »culture of good living« 84. Dazu zählt insbesondere lokale Spezifik des städtischen Gepräges und der Kulinarik, welche gegen eine als nivellierend wahrgenommene Globalisierung in Stellung gebracht wird. Wichtig sei daher die Eigenschaft von Städten »to share and recognise their intrinsic specific traits, of regaining their own identity, visible from outside and deeply lived within« 85. Insbesondere »Kultur« und »Tradition« rücken damit ins Zentrum der inhaltlichen Ausrichtung der Bewegung, so gilt als eine zentrale Aufgabe: »the authoctonal production rooted in the culture and traditions is safeguarded« 86. Dies wird auch räumlich gewendet, indem »landscape, farm land, natural places, inside and around towns« 87 positiv bewertet sowie lokale Identitäten und ein sense of belonging gefördert werden 88. Die offizielle Charta führt eine Liste von Anforderungen an die teilnehmenden Städte an und unterscheidet dabei insbesondere die Bereiche Energie und Umwelt, Infrastruktur, Lebensqualität, Landwirtschaft und Tourismus, Gastfreundlichkeit und Bewusstsein sowie sozialer Zusammenhalt. Darunter fallen Themen wie die lokale Luft- und Wasserqualität oder die Reduktion von Lichtverschmutzung, Radwege, Fußwege und öffentlicher Verkehr sowie traditionelles Handwerk, lokale Produkte und lokaler Konsum. Die Charta sieht überdies vor, dass – mit Ausnahmen – nur Städte bis zu 50.000 EinwohnerInnen und solche, die keine Landeshauptstädte oder ähnliches sind, Mitglieder werden können. Die kleineren Städte werden damit als Bastionen gegen Globalisierung verstanden. Die slow city-Bewegung verstehe ich als eine Form der Kulturalisierung der Städte, die nicht die semiotisch-ästhetisch-historische Dichte von Großstädten nutzt, sondern auf kleinere Städte abzielt. Letztere werden als weniger globa-

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Katschnig-Fasch (1998): Möblierter Sinn, S. 123. Cittaslow (2014): Charter, S. 5. Ebd., S. 21. Ebd. Cittaslow (2012): Manifest, S. 1. Vgl. Mayer u. a. (2006): Slow Cities, S. 330.

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lisiert, als lokal distinkt und damit als Träger von »Kultur« und »Tradition« formuliert. »Kultur« findet demnach nicht in der globalen Metropole, sondern in der lokalen Stadt statt: Sometimes they do not have the economic advantages of creativity and productivity associated with agglomeration, but today they serve important functions as local and regional service centres, as places that can absorb metropolitan overspill, as specialized fishing, mining, and agricultural processing centres, as centres for tourism and – in traditional market towns – as centres and symbols of tradition, regional culture, and identity.89

Die als slow cities geltenden Städte können in Folge mit diesem Label werben 90. Hier zeigt sich ein Paradox, wenn für die Vermarktung des Lokalen auf globale Werbestrategien und -techniken zurückgegriffen wird. Wie an diesen gegenwärtigen Entwicklungstrends sichtbar wird, ist Überschaubarkeit heute expliziter Teil von stadtplanerischen Leitbildern auch für größere Städte, die häufig mit einer stärker ausgeprägten Baustruktur funktionaler Städteplanung umgehen müssen. Dass Eigenschaften kleinerer Städte zum Ideal vom guten Leben in der Stadt an sich werden, verweist auf Brüche metrozentristischer Stadtentwicklung. Deutlich wird auch der Zusammenhang von Überschaubarkeit und scaling practices bzw. die Rolle des »menschlichen Maßstabs« in gegenwärtiger Stadtplanung. Gleichzeitig zeigen aber Städte wie Wels, dass moderner, funktionaler Städtebau nicht nur in größeren Städten durchgeführt wurde und damit verbundene Charakteristika wie eine Konzentration auf das Auto gerade in kleineren Städten stark ausgeprägt und aufgrund eines weniger ausgebauten öffentlichen Nahverkehrssystems schwierig zu verändern sind. Die stadtplanerische Suche nach dem sinnlichen Menschen und der sinnlichen Stadt, wie sie in den Konzepten der menschengerechten Stadt und der slow city verfolgt wird, verweist auf eine Kulturalisierung der Städte und eine neue Spezifik spätmoderner Städte, die über eine symbolische Ökonomie hinausgehen und einer sinnlichen Ökonomie folgen. Vor diesem Hintergrund verweisen in Wels die Leere der Innenstadt und die beschriebene Ereignis- und Leblosigkeit, aber auch die gleichzeitige Attraktivität einer Überschaubarkeit der Stadt auf ein spätmodernes Ringen um einen Ort, der vor allem auch sinnlich bestimmt sein soll.

89 Cittaslow (o. J.): Cittaslow, S. 3. 90 Vgl. Mayer u. a. (2006): Slow Cities, S. 331.

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Vertiefung

Überschaubarkeit und konfligierende Vorstellungen von Stadt Überschaubarkeit setzt sich, wie die Vielfalt an Beispielen zeigt, aus der Kombination unterschiedlicher Aspekte zusammen – der Performanz einer bestimmten Sozialität, der materiellen Infrastrukturen und symbolischen Zuschreibungen. Diese Vielschichtigkeit von Überschaubarkeit zeigt, dass städtische Eigenschaften im Gegensatz zu vielen Darstellungen von »genuin« klein- oder mittelstädtischen Eigenschaften nicht einfache »Tatsachen« sind. Der materielle Raum determiniert keine überschaubaren Nutzungsweisen, sondern Überschaubarkeit wird laufend von verschiedenen AkteurInnen produziert und aufgeführt, angefochten, ignoriert und mitunter gar nicht gelebt. Überschaubarkeit wird also ausgehandelt und an verschiedene Vorstellungen vom richtigen städtischen Zusammenleben und dem guten Lebensort geknüpft. So wird die innerstädtische Überschaubarkeit gegen die Raumbilder des Niedergangs in Stellung gebracht. Die Überschaubarkeit der schmucken, sanierten Innenstadt wird gegen die »Betonwüsten« des Stadtrandes und deren Assoziation mit Anonymität gestellt, der Stadtplatz und die zufälligen Treffen dort gegen die als fremd wahrgenommenen Gesichter der Drogenabhängigen und anderer randständigen Personen. In diesem Kontext bekommt die Infragestellung des imaginaires der Einkaufsstadt eine zusätzliche Brisanz: Das leere Zentrum stellt auch Überschaubarkeit in Frage (siehe dazu das Kapitel »Die bedrohte Stadt: Überschaubarkeit, Fremdheit und (Un)Sicherheit«). Eine andere Perspektive auf Überschaubarkeit lässt sich bei der Gruppe rund um den Austria Tabak Pavillon – ein Veranstaltungsort in der Stadt – finden. Vorstellungen vom städtischen Leben dieser größtenteils in Kulturökonomien Arbeitenden schließen an Formen des »menschlichen Maßstabs« an (siehe dazu das »Porträt V: Wels als Ort der Freiheit und des häuslichen Niederlassens«). Hier wird Überschaubarkeit gerade als urban und modern gefeiert. Während Überschaubarkeit für viele positiv besetzt ist, bedeutet sie für andere Enge, welche als kleinstädtisch und provinziell wahrgenommen und mitunter zu umgehen versucht wird.

Aufwachsen im alternativen Wels Für viele BesucherInnen des beschriebenen Irish Pubs stellte dieses eine der wenigen alternativen Möglichkeiten des Ausgehens in Wels dar. Das folgende Kapitel soll einen Eindruck davon geben, welche Bedeutung die Alternativszene für das Aufwachsen junger Menschen in Wels hat, welche Rolle dabei alternative räumliche Netzwerke in der überschaubaren Stadt spielen und welche placemaking und scaling practices damit verbunden sind.

Aufwachsen im alternativen Wels

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Jung sein in den alternativen räumlichen Netzwerken der Stadt An einem Dienstagabend Ende März, etwa einen Monat nach meiner Ankunft in der Stadt, besuchte ich wieder einmal das Pub. Als ich in das Lokal kam, wurde gerade musiziert. Zwei junge Männer Anfang zwanzig, die ich noch nicht kannte, spielten Gitarre und auch Michael Klaus, den ich schon kennen gelernt hatte, musizierte. Sie hatten ihre Gitarrenverstärker gegenüber dem Tresen aufgebaut und spielten verschiedene BluesLicks. Anwesend waren außerdem noch die beiden Pächter Max Aigner und Paul Renner sowie Nicke Erickson, Ende zwanzig, aus Schweden, der in der Stadt Arbeit suchte. Ich freut mich über die improvisierte Jam-Session, spielte ich doch selbst Gitarre, hatte aber seit dem Beginn meines Feldaufenthaltes keine mehr in Reichweite. Ich setzte mich zur Bar und Max Aigner fragte mich, ob ich eine ›Halbe‹ wolle, was mittlerweile selbstverständlich war – das letzte Mal hatte er mich gar nicht mehr gefragt, sondern einfach festgestellt, dass ich wohl »eh eine Halbe« wolle. Paul Renner begrüßte mich per Handschlag. Mittlerweile schien ich auf gewisse Art und Weise auf- und angenommen zu werden. Die Musik der drei Gitarristen übertönte jedes Gespräch und schien – so war an den Blicken von Max Aigner, Paul Renner und Nicke Erickson abzulesen – nicht nur mich etwas zu stören. Vor allem Michael Klaus spielte sehr laut und wurde von Nicke Erickson auf die Schaufel genommen – er könne nicht Gitarre spielen, meinte dieser, was Michael Klaus etwas zu kränken schien und ihm zu einer Verteidigung seiner Gitarrenkünste Anlass gab. Überhaupt war Können auf der Gitarre und musikalisches Wissen im Laufe des Abends immer wieder Thema, etwa in Bezug darauf, was Free Jazz oder was der Unterschied zwischen Funk und Blues ist, oder indem Michael Klaus zeigen musste, dass er das Bluesschema kannte. Gespräche waren wegen der Lautstärke der Gitarrenverstärker kaum möglich. Der Pächter Max Aigner überreichte mir den Aschenbecher, den ich das letzte Mal von ihm als Ersatz für meine Teelichtaluschalen, in die ich am Fenster in meinem Zimmer aschte, geschenkt bekommen hatte. Später setzte ich mich selbst zum Verstärker und spielte mit, woraufhin mich Paul Renner aufforderte, auf der Gitarre zu unterschreiben: Alle, die bisher auf der Gitarre gespielt hatten, hatten auch darauf unterschrieben. Michael Klaus fragte mich, ob ich »Gregor« heiße und versicherte dann, dass er sich einen Namen nach einmal Hören fast immer merke. Einer der beiden Gitarristen, Tobias Moser, Anfang zwanzig und vom Beruf Schlosser, spielte dann »House of Rising Sun« und erzählte danach eine Geschichte, die er in Irland erlebt hatte und die er nun – einen Geschichtenerzähler mimend – zum Besten gab. Michael Klaus war überrascht, dass Tobias Moser in Irland gewesen war, woraufhin dieser Michael Klaus »Einen Monat!« und

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Vertiefung

eine Beleidigung entgegen rief. Die Geschichte handelte dann davon, dass sie bei »irgendeinem Typen« für drei Tage geschlafen und dort Gitarre gespielt hatten, unter anderem das Lied »House of Rising Sun«. Als sie dann von der Unterkunft wegfuhren, war das erste Lied, das im Radio gespielt wurde überraschenderweise auch »House of Rising Sun«. Als Tobias Moser mit der Geschichte fertig war, machten Paul Renner und Michael Klaus deutlich, dass sie die Erzählung nicht als eine außergewöhnliche Geschichte empfanden. Michael Klaus stellte fest, dass man so eine Geschichte erzählen müsse bevor man das Lied spielt, nicht danach. Danach saßen wir noch an der Bar. Ich fragte die Runde, die nur noch aus Paul Renner, Michael Klaus und Tobias Moser bestand (Max Aigner war schon weg und der andere Gitarrist auch), wie sie auf die Idee gekommen waren heute hier im Irish zu spielen. Michael Klaus erklärte, dass sie das Konzert von Marc Ribot im Schlachthof besucht hatten, dem Gitarristen von Tom Waits. Sie hätten dann Lust bekommen noch zu jammen und ihre Verstärker in das Pub geschleppt. Wir hörten dann Tom Waits und die drei sangen immer wieder mit. Später wollte Michael Klaus dann, dass Paul Renner »Sachen von uns« auflegt. Damit meinte er Musik, die er gemeinsam mit Paul Renner geschrieben hatte. Sie seien damals ›ziemlich angesoffen‹ gewesen und hätten dann Gedichte von Paul vertont. Paul Renner erzählte, dass er in den letzten drei Jahren zwei Romane, 800 Gedichte und 50 Kurzgeschichten geschrieben habe. Die vorgespielte Musik bestand dann meistens aus einer musikalischen Basis, wie Gitarre, Klavier oder Panflöte über die Paul Renner seine Gedichte sprach. Dieser erklärte dazwischen, dass er erst lernen müsse, mit den neuen Zahnimplantaten zu sprechen, bevor sie wieder neue Musik machen könnten. Ein paar Monate davor hatte er bei einer Schlägerei die Zähne eingeschlagen bekommen und lispelte seitdem ein bisschen. Zum Schluss lud mich Michael Klaus noch auf eine Flasche Bulmers ein, einen irischen Cider, und fragte mich, ob ich Tom Waits möge. Wir redeten dann kurz darüber, er war aber schon ziemlich betrunken und musste am nächsten Tag im Pub arbeiten. Wir packten unsere Sachen zusammen und gingen nach draußen. Für mich war es das erste Mal, dass ich bis zum Schluss im Pub war.91 Nachtleben ist ein zentrales Element in den Konsumgewohnheiten junger Menschen 92. Als Teil dieser Konsumgewohnheiten spielt Ausgehen eine große

91 Feldnotiz, 27. 03. 2012. 92 Vgl. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 69.

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Rolle in Subjektivierungsweisen – Identitäten sind vielfach an den Konsum von Produkten, Erfahrungen und Lebensstilen auch der nächtlichen Stadt gebunden 93. In the urban night, this means that cultural activities and related identities and infrastructures take on greater importance. Rather than simply constitute spaces of hedonism and escape, the urban night becomes a site of identity transformation, proving significant for young people in phases of life transition.94

Der Geograph Ben Gallan stellt damit die – oftmals im Stadtdiskurs unbeachtete – besondere Bedeutung dieser Orte als kulturelle Infrastruktur für bestimmte Lebensphasen heraus und betont deren heterotopische Qualitäten 95. Am Beispiel des »Oxfords« – einem Pub im australischen Wollongong, einer ähnlich wie Wels positionierten Stadt – beschreibt Gallan die Bedeutung des Pubs für seine BesucherInnen als eine kulturelle Ressource, aus der sie Vergnügen aus der Teilhabe an einer alternativen Szene zogen: »The Oxford represented fringe culture, radical political views and confronting music and fashion, against a ›mainstream‹ defined by love of local sporting teams, ›straight‹ fashion and commercial pop music.« 96

Der Alte Schl8hof Wels als wie »die Spex kommt in meine Stadt« Das Irish Pub in Wels stellte ähnlich wie das »Oxford« das Zentrum einer Alternativszene, die sich in der Stadt gebildet hatte, dar. Es war Teil eines größeren, alternativen räumlichen Netzwerkes von Wels, das mehrere Orte umfasst und in dem insbesondere das Kulturzentrum Alter Schl8hof Wels 97 eine zentrale Rolle spielt. Dieses war 1985 auf dem Gelände und in den Räumlichkeiten des alten Schlachthofes der Stadt gegründet worden, der im Jahr 1978 seinen Betrieb eingestellt hatte. 1981 fingen erste Initiativen an, den Schlachthof zu bespielen 98 und schließlich wurde das Kulturzentrum gegründet, »um einen Freiraum für Kunst, Kultur und Gesellschaft abseits vom kommerzialisierten und profitorientierten Alltagsleben zu schaffen« 99. »Ihre [der Gründer] Intention war die direkte Umsetzung ihrer soziopolitischen Konzepte an einer gemeinsamen Örtlichkeit« 100, so der Jubiläumsband zum 25-jährigen Bestehen des Kulturzentrums. Heute sind auf dem Gelände verschiedene Einrichtungen 93 94 95 96 97 98 99 100

244

Vgl. Ebd., S. 71. Gallan (2015): Night lives, S. 557. Vgl. Ebd., S. 567 f. Ebd., S. 564. In weiterer Folge schlicht »Schlachthof« genannt. Vgl. Imlinger u. a. (Hg.) (2010): Alter Schl8hof, S. 16. Ebd., S. 36. Ebd.

Vertiefung

wie eine Konzerthalle, Proberäume, ein Jugendzentrum, ein Skatepark, ein Trödelladen und das Streetwork vereint.101 Das Kulturzentrum im Schlachthof hat sich im Laufe der Zeit zum Mittelpunkt verschiedener Jugendkulturen herausgebildet, in dem junge Menschen auch jenseits des Veranstaltungsbetriebes ihre Freizeit verbrachten und verbringen 102. Stefan Fischer, rund vierzig Jahre alt und Besucher des Schlachthofs, resümierte im Interview sein Aufwachsen am Schlachthof und die gegenwärtige Situation auf dem Areal: Na ja, und im Sommer ist´s halt so, dass die ganzen Leute eigentlich da hinten, daneben abhängen und ihre eigene Musik mitnehmen. Das ist für die Kids dann irgendwie einfach cool da abzuhängen. Der Skaterpark ist nicht sehr groß. Aber irgendwie ist halt die Atmosphäre da das, die ist cool und da trifft man sich da. Und dort sind die Geleise und da hinten ist dann die Sitzfläche, da wird dann mit 16 das erste Mal gekifft und so. So ungefähr. Es ist fast jeden Tag.103

Der Schlachthof gilt für viele als wichtiger Bezugsort in Wels, so erklärte Stefan Fischer beim Stadtgang in Bezug auf den Schlachthof: [. . . ] das wäre eigentlich die erste Station wo wir hingehen, das ist halt auch der Ort, der für mich wichtig war und ist, und der für viele Welser eigentlich schon eine Bedeutung hat. [. . . ] Es gibt ein paar Generationen von Leuten, die in meinem Alter sind, die dort das Fortgehen angefangen haben.104

Ein anderer Interviewpartner, Ende dreißig, konstatierte, er habe im Schlachthof seine »Sozialisierung« 105 erfahren. Der Besuch des Schlachthofs ist seit Jahrzehnten fester Teil der alternativen Freizeit- und Ausgehwelten der Stadt, so schilderte der Zivildiener Moritz Strasser, etwa zwanzig Jahre alt: »Das war nämlich früher halt [. . . ] so, ja was tun wir? Ferien. Gehen wir auf den Schlachthof. Da sind wir immer, und da schauen wir, was wir tun. Manchmal hat sich was ergeben.« 106 Vielfach wurde auch von »großen« Konzerten im Schlachthof berichtet, etwa davon, dass die heute weltbekannte Band Rammstein schon einmal dort gespielt hatte und dass die dunklen Flecken an der Decke Brandflecken der damaligen Feuershow seien 107. Die gewichtige Bedeutung des Schlachthofs

101 Die Jugendherberge der Stadt, die sich auch auf dem Gelände des Schlachthofes befunden hatte, wurde im Jahr 2017 auf Betreiben der neuen Stadtregierung unter der Führung der FPÖ geschlossen. 102 Vgl. Imlinger u. a. (Hg.) (2010): Alter Schl8hof, S. 29. 103 Interview Stefan Fischer. 104 Ebd. 105 Interview Andreas Harg. 106 Interview Moritz Strasser. 107 Interview Raphael Schaller, vgl. Agostini (2016): Konzertszene.

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lässt sich auch am »Weihnachtscorner« ablesen, einer Veranstaltung, die jährlich am 23. Dezember stattfindet und zu deren Anlass sich viele, die in Wels aufgewachsen sind und am Schlachthof ihre Jugend verbracht haben, heute aber mitunter in anderen Städten leben, am Schlachthof treffen. Der Schlachthof erfuhr zudem mediale Aufmerksamkeit über Wels hinaus. In einem Artikel für Noisey, einem zu Vice gehörendem Musikmagazin, schreibt etwa Peter Schernhuber – der selbst in Wels aufgewachsen und heute Leiter des Filmfestivals Diagonale in Graz ist – anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Schlachthofs über dessen Rolle in der Stadt: Der Alte Schlachthof ist der schlimmste Ort der Welt. Seinen Langzeit-Ruf als Jugendschreck verdankt das Bollwerk jugendkultureller Sozialisation seinem Standort: Wels ist die durchschnittlichste Stadt Österreichs. Das sagen die Meinungsforscher, schenkt man wiederum einer Urban Legend Glauben. Urban ist in der oberösterreichischen Durchschnittstadt kaum etwas. Kein guter und gerade deshalb der beste Standort für eine Konzert-Enklave, die mir immer wieder die Illusion gönnte, doch in einer richtigen Stadt aufzuwachsen. Umgekehrt genügte in einem solchen Setting lange Zeit die Zusammenkunft von Kapuzenpullis, langen Haaren, exzessiven Partys und dissidenten Musiken, um auch in den Nullerjahren noch den guten Ton der Kleinstadtidylle zu verfehlen. Und das, obwohl sich die Geschichte der Konzerthalle, die auf ihrem Gelände noch vielen weiteren Initiativen, Vereinen und Bands Raum bietet, so gar nicht mit jener der soziokulturellen Zentren in den großen Städten parallelisieren lässt. Keine Besetzung, kein Häuserkampf, mitunter mühsam, mitunter hart erkämpft, nicht unumstritten, aber tendenziell stets im Commitment mit der Stadt verbrachte der Alte Schlachthof die letzten 30 Jahre und schrieb sich vielen Coming-Of-Ages in Wels ein.108

In dem Absatz verdichten sich die Bedeutungen des Schlachthofes für die Szene und der Zusammenhang mit dominanten Vorstellungen von »Stadt«: der Schlachthof als richtige Stadt jenseits der braven Kleinstadt als zentraler Ort des Aufwachsens. Im Jubiläumsband wird der Schlachthof auf ähnliche Weise als Gegenentwurf zum Bild der langweiligen und leeren Stadt wahrgenommen, der Wels für viele »städtischer« gemacht habe. So schreibt etwa der Falter-Redakteur Sebastian Fasthuber über die Konzerte im Schlachthof: »Für mich als jungen Burschen hatte das was von ›die Spex kommt in meine Stadt‹ und war dementsprechend aufregend.« 109 Oder Huckey, ein Linzer Musiker der HipHop-Gruppe Texta, formulierte: »Jetzt mal ehrlich: Wels ist scheiße. Wels ist schiach. Zuletzt auch braune Gülle mit fast blauem Bürgermeister. Schlimm. Es gibt keinen Grund diese Stadt zu besuchen. Außer, jaja, außer diese Bastion

108 Schernhuber (2015): Schl8hof. 109 Imlinger u. a. (Hg.) (2010): Alter Schl8hof, S. 127.

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Vertiefung

der Kultur. Diesen Lichtblick, dieses gallische Dorf in der Stadt.« 110 Die im Jubiläumsband unter »NutzerInnen« zu Wort kommende Anastasia bedankte sich für den Schlachthof: danke für meine schöne jugend, die vom schl8hof sicher sehr geprägt wurde und wird, danke dafür, dass wir ernst gnommen, unsere ideen gefördert werden, danke für die möglichkeit, uns frei zu entfalten, fernab der welser kleinstadt-spießbürgerlichkeit – auch wenn die schon hinter einer angesprühten, angepissten mauer anfängt.111

Der Schlachthof wurde damit als Gegenwelt zur restlichen Stadt positioniert, die als langweilig und spießig gesehen wurde – den Schlachthof aber dennoch fördert. Dass die Stadt außerhalb des Schlachthofs diesen durchaus meidet, erzählte mir die Pensionistin Birgit Wagner, die aktiv die Innenstadt nützt, beim Stadtgang. Viele aus ihrem Freundeskreis würden den Schlachthof wegen des »Schmutzes« und der »Ungepflegtheit« nicht besuchen. Man müsse eine Schwelle überwinden, auch wenn sie selbst diese Schwelle nicht spüre, wie sie betont 112. Ein jüngerer Interviewpartner erklärte, dass er sich zeitweise »entschieden [. . . ] distanziert« habe, da »oft harte Sachen« 113 abgelaufen seien. Am Schlachthof war auch die Punkszene verortet, in der viele der BesucherInnen des Irish Pubs aufgewachsen waren. Der Kellner Michael Klaus erzählte mir in einem Interview während wir im Irish Pub saßen vom Aufwachsen in der Szene am Schlachthof und schließlich vom Irish Pub als zentralen Ort für diese. Auch er traf hier zum ersten Mal auf eine größere Szene: Dadurch, dass der Schlachthof eben einen Skaterpark gehabt hat. Und ich damals so ein Skater war. Das war damals ja in Mode, dass man irgendwie Skaten geht und so ja. Und bin dann halt einfach mit einem alten Schulkollegen von mir von der Hauptschule bin ich dort halt öfter zum Skaten hingegangen. [. . . ] Aber es hat halt dort einfach eine riesen Szene gegeben.114

Der Schlachthof wurde in der Folge zum zentralen Ort für ihn. Die Bedeutung des Sozialraums Schlachthof für die Szene war enorm: Ich muss dazu sagen, wir haben damals eigentlich wirklich in unserer eigenen kleinen Welt gelebt. Für uns hat es einfach außerhalb von den Mauern vom Schlachthof wenig gegeben. Warum auch, wir haben dort alles gehabt, was wir gebraucht haben.115 110 111 112 113 114 115

Ebd., S. 150. Ebd., S. 63. Interview Birgit Wagner. Interview Moritz Strasser. Interview Michael Klaus. Ebd.

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Geteilte Geschichten und Bedeutungen wurden in der Szene an die Orte einer alternativen Geographie der Stadt geknüpft. Michael Klaus beschrieb etwa als einen besonderen Ort im Schlachthof das »Scherbenplatzl«, das auch im Jubiläumsband des Kulturzentrums auftaucht 116: Der Schlachthof war ja wirklich mal ein Schlachthof, bevor er Kulturzentrum geworden ist. Und es führen Gleise direkt daran vorbei. Also da ist der Lokalfrachtbahnhof und dann ist da so auf der äußeren Seite vom Schlachthof ist so ein, ich weiß nicht, so eine Art Rampe. Und da sind wir halt immer gesessen, weil da hast’ einfach die meiste Sonne gehabt tagsüber. Also da hat die Sonne richtig runter gebrannt. Und es hat deswegen Scherbenplatzerl geheißen, weil einfach der Boden, da hast den Boden nicht mehr gesehen vor lauter Scherben. Jeder hat immer Glaserl drauf zerschmissen. Außerdem war es für uns auch angenehm. Weil am Scherbenplatzerl, das war außerhalb vom Zuständigkeitsbereich von den Streetworkern.117

Atmosphärische Erzählungen von legendären Orten kursierten immer wieder in der Szene und ermöglichten Artikulation von Zugehörigkeit. Michael Klaus schilderte die Szene am Schlachthof als ambivalent zwischen Hedonismus und politischem Anspruch, zerbrochenen Bierflaschen und politischer Parole. So sei auf der einen Seite das Trinken von Alkohol zentral gewesen: Die Stimmung war eigentlich immer ziemlich ausgelassen. Also wir waren der Inbegriff des Hedonismus, echt. Ohne Scheiß. Bei uns ist eigentlich um nichts gegangen. Ich mein, wir haben schon alle irgendwie so unsere Schule versucht, dass wir unter Dach und Fach bringen oder so. Aber eigentlich ist’s bei uns wirklich nur ums Saufen gegangen, um das, dass wir Party haben und Weiber aufreißen.118

Auf der anderen Seite grenzte sich die Gruppe, so Michael Klaus, gerade vom reinen Alkoholtrinken ab und erhob den Anspruch auf politisches Engagement: Wir waren auch, wie gesagt, unsere Szene. Für uns waren die Leute, die damals immer jedes Mal am Bahnhof gesessen sind und geschnorrt haben, die waren für uns Suffpunks. Und von den Leuten wollten wir uns absichtlich auch distanzieren. Wir wollten politische Punks sein. Wir wollten Demos machen. Wir wollten weißt, wir wollten damals, wie kennst diesen jugendlichen Weltverbesserungsscheiß. Wir wollten damals echt die Welt verändern einfach. Und deswegen, wir haben einfach besseres zu tun gehabt, als dass wir uns vor den Bahnhof setzen und saufen. Wir haben uns lieber auf den Schlachthof gesetzt und gesoffen, weißt, was

116 Vgl. Imlinger u. a. (Hg.) (2010): Alter Schl8hof, S. 39. 117 Interview Michael Klaus. 118 Ebd.

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Vertiefung

ich mein. Weil da haben wir unsere Ruhe gehabt, da haben wir keinen Stress gehabt. Da sind keine Bullen rein gekommen. Doch hin und wieder wegen Razzien und so.119

Schließlich spielten auch Drogen eine zentrale Rolle in der Struktur und der Entwicklung der Szene. Michael Klaus schilderte, wie die Gruppe durch den Drogenkonsum langsam zerfiel: Das hat ja deswegen aufgehört, [. . . ] die ganze Szene, die damals da war. Wie gesagt, wir waren eine riesen Gruppe von Leuten. Und es hat einfach dann damals alles angefangen [. . . ], dass Leute Drogen nehmen. [. . . ] Weil einfach, du musst dir denken, das war eine Szene. Du hast da immer wieder Leute, die kommen und gehen. Die es grad cool finden, bei denen es eine Phase ist, weißt, wie ich mein. Und dann gehen die wieder und es kommen dann wieder Leute dazu. Aber so vom harten Kern her, die Leute, die übrig geblieben sind, die haben sich dann in zwei Lager aufgespalten. Und das waren halt die Leute, die nicht Drogen nehmen und irgendwie Drogen total verurteilt haben und die Leute, die Drogen nehmen, aber dafür exzessiv halt.120

Daneben gab es noch einen weiteren Grund für den Zerfall der Szene: Viele, die in Wels und in der Szene aufgewachsen waren, gingen bald in andere Städte, wie Michael Klaus schilderte. Vom alten Freundeskreis vom Schlachthof seien heute nur noch drei Personen übrig, der Rest sei in andere Städte gezogen – es sei froh, wenn es andere Leute in seinem Alter in der Stadt gebe, eröffnete Michael Klaus abschließend, in Wels gebe es kaum jemanden zwischen zwanzig und dreißig Jahren. Auch im Band über den Schlachthof wird dies moniert, junge BewohnerInnen würden etwa nach Wien ziehen, um »in richtigen Städten zu studieren« 121. So schrieb der Schriftsteller Robert Foltin im Jubiläumsband über die Schwierigkeit der Kontinuität in der Szene in Wels, denn »die immer wieder neu entstehende Szene, oft Mittelschüler_innen, litt an der Abwanderung in die Städte [. . . ]« 122.

Das Irish Pub als Ort der Szenezugehörigkeit Im Laufe der Jahre hatte sich der Rest der Szene vom Gelände des Schlachthofs auf andere Orte in der Stadt verlagert, wie etwa das Lokal Fred Sega, der Burggarten, in dem sich organisiert vom Kulturverein Infoladen seit dem Jahr 1999 eine regelmäßige Burggartenbesetzung gegen ein Sitzverbot auf dem Rasen stark machte, und schließlich das Irish Pub.

119 120 121 122

Ebd. Ebd. Imlinger u. a. (Hg.) (2010): Alter Schl8hof, S. 23. Ebd., S. 32.

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Das Pub erfüllte längst nicht mehr die Anforderungen an eine Themenbar, wie sie wie oben geschildert in Nachtökonomien üblich sind. Es entsprach keineswegs hochstilisiertem Design, vielmehr erzählte das Interieur von vergangenen Glanzzeiten, über die sich eine Schicht der Abnutzung gelegt hatte. Das Irish Pub in Wels ließ sich schwer in die drei von den Geographen Paul Chatterton und Robert Hollands unterschiedenen Formen der urban nightscapes – mainstream, residual und alternative – einordnen 123. Entspricht der Typ »Irish Pub« mit seiner Strategie des theming eher einem mainstream nightlife, so war dies beim Irish Pub in Wels – jedenfalls in den wenigen Monaten vor der Schließung – nicht der Fall. Die Bar wurde auch keineswegs aus rein kommerziellen Gründen geführt und war nicht im Besitz eines großen Unternehmens, wie dies im mainstream nightlife meist der Fall ist. Das Lokal hatte in den letzten Monaten vor der Schließung bereits seinen ökonomischen Zenit überschritten und war in dieser Hinsicht veraltet. Gleichzeitig stellte es aber auch nicht eines jener alten Wirtshäuser und »Beisln« niedergehender industrieller Stadtzentren des residual nightlifes dar, die es noch in der Stadt gibt. Das Pub wurde erst im Jahr 1997 eröffnet und das Publikum bildete eher einer jungen Szene, die sich als alternativ verstand. Am ehesten kann das Pub daher als Teil eines alternative nightlifes beschrieben werden und es wurde von den BesucherInnen auch so wahrgenommen. Chatterton und Hollands definieren alternative Orte des Nachtlebens u. a. durch Subkulturen, Randlagen sowie weniger Formalität. Sie seien mit bestimmten Jugendgruppen verbunden, die sich stilistisch oftmals an bestimmten Musikgenres, Tanzkulturen, Kleidungsformen, politischen oder sexuellen Einstellungen orientieren und mit dem körperlichen Auftreten spielen. Vielfach seien sie an den günstigeren Rändern der Zentren zu finden und gegen eine Konsumkultur gerichtet 124. Das Irish Pub in Wels zeigte eine große Ähnlichkeit zu dem vom Geographen Ben Gallan vorgestellten »Oxford«. Auch das Irish Pub wurde als einer der wenigen alternativen Möglichkeiten des städtischen Nachtlebens in der Stadt wahrgenommen 125, wie etwa zwei junge Besucher des Pubs, um die zwanzig Jahre alt, beschrieben: »Also wenn ich in Wels fortgehe, dann ist es eigentlich da« 126, kommentierte Robert Prem seine Ausgehoptionen. Auch Marcel Mayr beschrieb das Pub als einzige Möglichkeit in einer für ihn uninteressanten städtischen Ausgehlandschaft: »Ich meine, wir haben einen Irish Pub, das stimmt schon. Das ist auch das einzige, was mich wirklich zahn [(an)ziehen] würde.« 127 Der Kern der Szene im Irish Pub verbrachte viel Zeit in der Kneipe, viele – abgesehen von den KellnerInnen –

123 124 125 126 127

250

Vgl. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes. Vgl. Ebd., S. 89. Vgl. Gallan (2015): Night lives. Interview Robert Prem. Interview Marcel Mayr.

Vertiefung

besuchten sie mehrmals die Woche und gaben dementsprechende Summen an Geld für Getränke aus. Für die BesucherInnen war das Nachtleben im Pub ein zentraler Ort, an dem sie ihre zeitlichen und finanziellen Ressourcen investierten und Zugehörigkeiten artikulieren konnten 128. Chatterton und Hollands stellen diese Funktion als zentral für Räume des alternative nightlifes heraus: While alternative places are often ›melting pots‹ for a range of marginal groups, they are also characterised by a desire, however fleeting, for affectual solidarity and togetherness. Many groups on the margins have come together through disillusionment and frustration with mainstream culture, and represent attempts to recreate a sense of belonging, sociation [. . . ] and ›authenticity‹.129

Die politische Haltung der Szene lässt sich insbesondere am Verhältnis zu rechtsextremen Personen und Gruppen der Stadt ablesen. Schon bei einem ersten Besuch des Irish Pubs erzählte mir der Pächter und Kellner Max Aigner von den Konfrontationen, die es im Pub mit rechtsextremen Personen gab: »Mit denen ist nicht zu spaßen.« Er erzählte mir von einer Schlägerei, die wenige Monate zuvor stattgefunden hatte und bei der einem Freund von ihm die Schulter gebrochen und einem anderen das Gesicht eingeschlagen worden sei. In Folge berichteten verschiedene Leute aus der Szene wiederholt von Schlägereien mit »Faschos«, etwa davon, dass »Faschos« »zusammengewartet« und das Pub »niedergerannt« hätten. Sein Kollege Michael Klaus hätte am nächsten Tag Fotos von der Straße vor dem Pub gemacht, auf der »alles voller Blutlatschen« gewesen sei, schilderte Max Aigner 130. Eine andere Geschichte betraf das Lokal Fred Sega, in dem sich die Szene verbarrikadiert hatte, um die »Faschos«, die mit Eisenketten gedroht hätten, draußen zu halten 131. Angesichts eines Treffens der rechtsextremen NVP (Nationale Volkspartei) in Wels, überlegte Max Aigner, ob er das Lokal offen lassen oder lieber schließen solle, da das Lokal beliebtes Prügelziel bei den »Nazis« sei, da sie hier rausgeschmissen würden und am Wochenende immer viele »Linke« hier seien 132. Auch ein Zeuge bei der Gerichtsverhandlung rund um eine Schlägerei, die ich besuchte, bezog sich auf das Pub als Ziel rechtsextremer Attacken und erklärte bei der Verhandlung, »dass im Irish Pub viele Links-Alternative herumrennen ist eh bekannt« 133. Nicht zuletzt besuchten auch viele aus dem Kreis des Infoladens gegenüber immer wieder das Lokal.

128 129 130 131 132 133

Vgl. dazu auch Gallan (2015): Night lives, S. 557. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 202. Feldnotiz, 16. 04. 2012. Ebd. Feldnotiz, 09. 03. 2012. Feldnotiz, 18. 04. 2012.

Aufwachsen im alternativen Wels

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Die Schlägereien und Erzählungen davon erschienen als essenzieller Teil der Szene und hatten sich in das Selbstverständnis vieler Beteiligter eingeschrieben. Als ich etwa ankündigte, dass ich den Gerichtsprozess zur Schlägerei vor wenigen Monaten verfolgen wolle und deswegen schon gespannt sei, da ich noch nie in einem Gericht war, lachten mich Michael Klaus und ein Freund aus. Michael Klaus scherzte, dass ich »offensichtlich noch nie in Wels« gewesen sei 134. Überdies spielten Schilderungen von freundschaftlichen Bare-Knuckle Kämpfen, d. h. Boxkämpfen ohne Handschuhen, zwischen verschiedenen Szenemitgliedern eine Rolle. Mehrmalig berichteten Personen aus der Szene, dass die Stadtpolitik die Existenz einer rechtsextremen Szene in Wels abstreiten würde. Hingegen ahnde die Polizei andere Verstöße streng. Michael Klaus erzählte, er habe eine Strafe wegen Lärmbelästigung in der »Fuzo« bekommen, weil er zu laut Musik mit Kopfhörern gehört hatte. Und das Pub würde sofort Strafen bekommen, wenn es »eins nach vier [die Uhrzeit der Sperrstunde]« noch offen sei 135. Neben dieser Abgrenzung von einer als rechts bzw. konservativ wahrgenommenen Stadt stand vor allem Musik im Zentrum der Szene, wie sich an den eingangs angeführten Notizen zu einem Abend im Pub erkennen lässt. Viele der BesucherInnen des Pubs waren selbst MusikerInnen und Wissen über Musik war zentral – was mir als Musiker den Zugang zum Pub vereinfachte. Welche place-making-Funktion Musik haben kann, zeigte in verdichteter Form die oben angeführte Aufforderung an mich, auf dem Korpus einer Gitarre, mit der ich zuvor gespielt hatte, zu unterschreiben. Die Gitarre, die im Anschluss auf ihren Platz über der Bar zurückgehängt wurde, fungierte als ein place-making device als Konnex zwischen Szene und Ort, als Speicher eines sozialen Netzwerks. Aussagekräftig für die Bedeutung von Musik für die Szene waren auch die Verbindungen mit den Proberäumen in Wels, etwa im Schlachthof oder im Keller eines nahe beim Pub gelegenen Wohnhauses. Die enge Verflechtung mit der lokalen Musikszene machen Schilderungen Michael Klaus’ über die Bedeutung der Band Krautschädl, der wohl erfolgreichsten Band aus Wels der letzten Jahre, deutlich: Naja, es hat einfach, was hat es gegeben, die Krautschädl haben damals angefangen, dass sie bekannt werden. Also das war so, wirklich so bevor sie das erste Album raus gebracht haben. Die sind ja am Schlachthof quasi groß geworden. Und wir sind mit den Krautschädl groß geworden. Also wir haben die schon, Krautschädl schon ewig vorher gekannt. Für uns waren die Krautschädl, ›Krautschädl sind da und proben wieder mal‹ und so. Und auf einmal waren sie so voll

134 Feldnotiz, 16. 04. 2012. 135 Feldnotiz, 16. 04. 2012.

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Vertiefung

groß. Und das war einfach, natürlich hat sich jeder gefreut einfach, weil jeder gesagt hat so, ›jawohl, einer vom Schlachthof hat es geschafft‹ quasi.136

Wie in den Zitaten und Aussagen der meist männlichen Gesprächspartner anklingt, spielte in der Szene rund um das Irish Pub auch die Performanz einer bestimmten Form von Männlichkeit eine Rolle. So war diese insbesondere mit Praktiken der »Härte« verbunden, die sich etwa im Trinken hochprozentigen Alkohols, in den Schilderungen von Schlägereien oder in Bezug auf körperliche Arbeit als Fähigkeiten ausdrückten. Mehrmals erlebte ich, wie sich ein Großteil der männlichen Gäste im Irish Pub die Oberkleidung vom Leib riss und ihre Oberkörper präsentierte – was wiederum als »out of place«-Performanz an Orten des alternative nightlife interpretiert werden kann 137. Ich traf im Laufe der Feldforschung auch auf Personen, die sich aus der Szene verabschiedet hatten, da ihnen diese zu »hart« gewesen sei und sie sich nicht wohl gefühlt hätten 138. Generell waren in der Szene rund um das Pub überwiegend männliche Gäste präsent. Der Bezug auf »Irishness«, Industrie und Arbeiterklasse in den Gesprächen im Pub hatte überdies männliche Konnotationen. Nicht zuletzt das symbolische Lied Dirty Old Town (siehe das Kapitel »›Irishness‹ und die ›Dirty Old Town‹«) – wie auch viele andere im Irish Pub beliebte Lieder – sind überdies aus einer männlichen Perspektive geschrieben. Die Neuaufwertung des industriell-modernen imaginaires der Stadt über das enactment von »Irishness« war also in erster Linie männlich konnotiert. Wie diese Beispiele zeigen, gab es auch im Irish Pub Anerkennungsordnungen und Exklusionen. Chatterton und Hollands stellen diese alternativen Formen sozialer Ordnung heraus: »[. . . ] rather than a place of absolute freedom or disorder, marginal spaces and practices have their own modes of social ordering, rules and relations of power.« 139 Die Ethnographin und Kultursoziologin Sarah Thornton greift diese alternativen Ordnungen mit dem Begriff des subcultural capital 140, das im Fall der Szene rund um das Iris Pub überdies vergeschlechtlicht war. Michael Klaus beschrieb, inwiefern diese Hierarchien auch im Irish Pub eine Rolle gespielt und sich über die Zeit verändert hatten: Wir haben im Irish unsere Stammkundschaft gehabt. [. . . ] also gerade von den jungen Leuten waren wir die Coolen. [. . . ] Eher so wir halt. Und weißt, wir waren da auch wieder der enge Kern und die Gäste die reingekommen sind, da war das dann schon was, wenn du mit dem was gehabt hast. [. . . ] Genauso, wie es bei uns damals war, wie wir auf den Schlachthof gekommen sind. Und ich habe dir

136 137 138 139 140

Interview Michael Klaus. Vgl. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 199. Feldnotiz, 08. 12. 2013. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 205. Vgl. Thornton (2005): Subcultural Capital.

Aufwachsen im alternativen Wels

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erzählt, da war noch die vorige Gruppe da und der [Klemens] Hofer also quasi unser Alpha. Damals war er der enge Kern. Und wir waren die, die draußen waren. Das hat sich halt dann geändert. Dann waren wir drin und die anderen waren draußen, die nachgekommen sind.141

Für die vorliegende Arbeit ist insbesondere relevant, wie AkteurInnen ihr subkulturelles Kapital in Bezug zur überschaubaren Stadt und deren Stigmatisierung setzten. So kann das subkulturelle Kapital des Pubs als alternative Anerkennungsform innerhalb der städtischen Entwertung, als ein Gegenentwurf zu dominanten Bildern der Stadt gelesen werden. Die place-making practices der Szene können folglich als Performanz einer alternativen Stadt verstanden werden. Wie Chatterton und Hollands schreiben, sei es nicht nur die aktive politische Positionierung, die das alternative nightlife ausmacht, sondern auch die Suche nach alternativen Bedeutungen und Visionen der Stadt: »Alternative nightlife is very much part of a desire to make an ›other‹ city, a free city, a wild city [. . . ].« 142 Wie in Kapitel sechs beschrieben, lässt sich diese alternative Vision von Wels lässt nicht zuletzt in den Vorstellungen der »Irishness« finden.

Ausgehen als Raumpraxis in der überschaubaren Stadt Urban nightscapes und kulturelle Ökonomien Das »Irish Pub« als zentraler Ort des Nachtlebens der Alternativszene kann – wie weiter oben beschrieben – als Teil dessen begriffen werden, was in der interdisziplinären Stadtforschung in den letzten Jahren unter dem Begriff der urban nightscapes gefasst wird. Ausgangspunkt für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit urban nightscapes ist nach Paul Chatterton und Robert Hollands die gewichtige Rolle, die nächtliche Ökonomien seit den 1980er Jahren in Unterhaltungsindustrien und insbesondere in Stadtentwicklungsprozessen in europäischen, nordamerikanischen und asiatisch-pazifischen Städten spielen 143. Für Neupositionierungen von Städten in Kulturalisierungsprozessen ist das Fördern und Bewerben von nächtlichen Ökonomien heute ein zentraler Fokus von Stadtregierungen, so Chatterton und Hollands: »Indeed, the nighttime economy in many cities has now become an accepted part of wider urban renewal strategies and is seen as a significant source of income, employment and civic ›image-building‹.« 144 Unterhaltungs- und Nachtökonomien bilden einen zentralen Bestandteil der Transformation von fordistischen Städten der Produktion hin zu postfordistischen Städten des Konsums 145. Sie können generell

141 142 143 144 145

254

Interview Michael Klaus. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 201. Vgl. Ebd., S. 19. Ebd., S. 2. Vgl. Ebd., S. 8.

Vertiefung

als Teil kultureller Ökonomien und deren Strategien des place-makings und rescalings gefasst werden. Dieser Fokus auf nightscapes geht mit einer Erneuerung innenstädtischer Quartiere einher, in deren Rahmen ganze Stadtteile restrukturiert werden 146. Ziel der neuen Nachtökonomien ist es, Menschen vermehrt in die Innenstädte zu ziehen 147. Analog zu Verdrängungsprozessen auf dem Wohnungsmarkt kann es zu Gentrifizierungs- und damit verbundenen Exklusionsprozessen auch im Nachtleben kommen: What is evident, then, is that older / historic and independent / alternative modes of nightlife are being quickly displaced by a post-industrial mode of corporately driven nightlife production in the consumption-led city. In the shadows exists the ›residue‹ of near-forgotten groups, community spaces and traditional drinking establishments marginalised by new city brandscapes.148

Wie an diesen Linien der Transformation städtischen Nachtlebens erkennbar ist, lässt sich die Nacht als Produkt menschlichen Handelns und in Zusammenhang mit sozialen Praktiken begreifen, wie auch der Politikwissenschaftler Robert Williams herausstellt: »Although night is a natural phenomenon, night spaces are not.« 149 Orte der Nacht seien nicht homogen, sondern sozial umkämpft und Aushandlungsort darüber, was in ihnen geschehen soll und was nicht. Für die hier verfolgte Fragestellung ist in Bezug auf das Nachtleben interessant, welche Rolle es im städtischen Leben und in Vorstellungen vom guten Lebensort spielt und welche Form von Stadt im Nachtleben geschaffen wird, aber auch inwiefern die Stadt über die Kritik am Nachtleben selbst Ziel der Schelte wird. Das Nachtleben gilt nicht zuletzt als Marker der Stadt schlechthin und wird von NutzerInnen als »Erlebnisangebot an lebendiger Urbanität« 150 wahrgenommen. Der Stadtforscher Christoph Laimer beschreibt die Aushandlungen von Nachtleben, Stadtkritik und Lebensgefühl folgenderweise: Interessant im Zusammenhang mit der Diskussion um das Nachtleben ist der Umstand, dass die schärfsten Kritikerlnnen der nächtlichen Vergnügungen zumeist diejenigen waren, die sich generell kritisch über das Stadtleben bzw. die Großstädte äußerten. Umgekehrt sahen die NachtschwärmerInnen das nächtliche Unterhaltungsangebot als essentiellen Teil ihres urbanen Lebensgefühls: Das Nachtleben entwickelte sich zu einem typischen Ausdruck des Stadtlebens an sich.151

146 147 148 149 150 151

Vgl. Ebd., S. 26. Vgl. Hubbard (2005): Going out, S. 117. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 42. Williams (2008): Night Spaces, S. 514. Vogelpohl (2011): Lebendig, laut, lukrativ?, S. 15. Laimer (2011): Urban Nightscapes, S. 5.

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Das Nachtleben gilt gegenwärtig nicht zuletzt in Stadtplanung und -marketing sowie in deren Bildpolitiken als ein zentrales Element städtischer Inwertsetzung. Die InitiatorInnen des stadtplanerischen Projektes stadtnachacht in Hamburg konstatieren: Das Nachtleben gilt als ein wesentlicher Indikator für die Urbanität und – je nach individueller Teilnahme und Interessenslage – für die Lebensqualität einer Stadt. Ein attraktives und vielfältiges Nachtleben gehört zum Bildversprechen der Großstadt.152

Urbane Nachtökonomien stehen also im Zentrum stadtplanerischer Diskussionen darüber, in welche Richtung sich Städte entwickeln und was sie ihren BewohnerInnen bieten sollen. Ein Ort wie das Irish Pub erzählt als Teil der Welser Nachtökonomien davon, welche Rolle diese gegenwärtigen Stadtentwicklungsprozesse in Wels spielen und wie darüber verhandelt wird, was städtisches Leben in Wels sein soll. Der Ort kann damit auch Auskunft darüber geben, welche Position die Stadt in Städterelationen und Städtehierarchien im Feld urbaner Nachtökonomien einnimmt.

Wels im Feld nächtlicher Ökonomien Auch wenn die von Paul Chatterton und Robert Hollands beschriebenen Entwicklungen der städtischen Nachtökonomien zunehmend als global verstanden werden, betonen die Autoren, dass es Unterschiede im Nachtleben verschiedener Städte gibt – so seien etwa Differenzen zwischen global cities, metropolitanen Zentren und Kleinstädten zu erkennen 153. Städte wie Barcelona, Berlin (»Arm, aber sexy«) oder Manchester (»Madchester«) gelten innerhalb des Städtetourismus als Partystädte Europas und nehmen im Feld städtischer Nachtökonomien obere Positionen ein. Während in diesen Städten ganze Quartiere als Zonen der urban nightscapes entwickelt wurden, nimmt Wels in Konkurrenz mit diesen Städten untere Positionen ein. Folglich vermarkten die Welser Stadtregierung, die Stadtmarketinggesellschaft und die Stadtplanung Nachtleben nicht im Besonderen und es stellt auch kein großes Thema innerhalb der Stadtentwicklung dar. Zwar bewirbt die Stadt die Innenstadt, die das Ziel vieler Maßnahmen darstellt, um Leerständen zu begegnen, das Nachtleben adressiert sie jedoch überraschend wenig. Gleichzeitig werden auch in Wels wie an vielen anderen Orten große Freizeit- und Unterhaltungseinrichtungen am Stadtrand gebaut, wie etwa der im Jahr 2013 eröffnete Kino- und Gastronomiekomplex

152 Krüger u. a. (2015): stadtnachacht. 153 Vgl. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 4.

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Vertiefung

Star Movie Kino. Zugleich sind Schilderungen von der vormals hohen Anzahl an Wirtshäusern Teil des Niedergangsnarrativs von der Einkaufsstadt Wels 154. Die Stadt Wels entspricht damit eher denjenigen Städten, die in den gegenwärtigen Entwicklungsprozessen in städtischen Nachtökonomien eine marginale Rolle spielen. Chatterton und Hollands beschreiben industrielle Städte jenseits der prestigeträchtigen Zentren der Nachtökonomien in Bezug auf England wie folgt: Many peripheral industrial cities, struggling to reinvent themselves into postindustrial consumption destinations, have a remaining legacy of strong local nightlife cultures based around local companies and brewers, often run by individual, family and self-made business entrepreneurs. They also have stronger and tightknit regional identities, masculine working cultures and a kind of hedonism in hard times through a desire for escapism for many young locals in the face of continuing economic constraints.155

Viele Städte könnten weder auf eine mit Metropolen vergleichbare nächtliche Infrastruktur zurückgreifen noch das nötige Klientel vorweisen, um überhaupt eine 24-Stunden-Stadt 156 zu füllen und ein damit verbundenes kosmopolitisches Image zu kreieren 157. Sie sind zugespitzt gesprochen keine Orte für jene »highly mobile, ›cash-rich, time-poor‹ groups of young people who can access a variety of entertainment choices« 158 – also jene Gruppen, die sich lieber in Barcelona, London oder im Easyjetset von Berlin aufhalten 159. Im Vergleich mit anderen Städten beschreiben BewohnerInnen das Nachtleben in Wels häufig als defizitär, insbesondere wenn es um die Rolle der Stadt in einer als global imaginierten Clubkultur geht. So erläuterte der Modegeschäftsinhaber Stefan Ecker im Gespräch über Zielgruppen für die angebotene Kleidung: Durch das, dass du in Wels, du kannst nicht fortgehen, du hast eigentlich nichts. Es gibt keinen Club außer das Fifty-Fifty. Es gibt jetzt schon das eine wieder, wo das Le Freak unten war, wo sie halt jetzt Drum and Bass haben, wo die Jungen, was ganz nett ist. Oder das Wildwechsel, das sind halt die zwei, aber es sind auch

154 Interview Monika Huber. 155 Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 42 f. 156 Die Aufmerksamkeit viele Stadtregierungen für urban nightscapes geht mit einer zeitlichen Ausweitung des Planungsfokus einher, welche die Stadt rund um die Uhr zum Ort kulturökonomischer Aktivität und darüber für BesucherInnen attraktiv machen will. Bekannte Beispiele sind New York und Las Vegas. 157 Vgl. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 61. 158 Ebd., S. 84. 159 Siehe dazu Tobias Rapps Schilderung von Berlin als Hotspot einer europäischen Partyszene, vgl. Rapp (2012): Lost.

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nicht richtige Clubs sage ich einmal, wo man irgendwie etwas Außergewöhnliches hören würde. Da ist halt der Houseclub und der andere ist halt der Drum and Bass Club und dann hat es sich aber so zum Fortgehen. Wenn du jetzt ein bisschen älter wirst tust du dir schon schwer in Wels, dass du jetzt sagst, wo gehe ich hin. Außer dass ich mich halt in eine Bar reinsetze und da horche ich halt nicht die Musik und trinke halt Eines. Und gehe wieder. Aber also musikalisch sind wir weit weg auch in Wels von irgendwo einmal fortgehen. Was ich in Linz vielleicht doch mehr habe, dass ich mal ins Solaris [ein Lokal in Linz] oder sonst irgendwo einmal reinschaue oder dort oder da oder irgendso in die Stadtwerkstatt [ein Lokal in Linz]. Das ist halt, ja freilich, den Schlachthof gibt es auch noch, aber ist jetzt auch nicht, ab und zu halt wieder einmal irgendwas. Aber da tust du dir halt in Wels glaube ich durch das, dass es keine Szenen gibt, ist es ziemlich eine schwierige Stadt.160

Stefan Ecker beschrieb eine geringe Differenzierung der Ausgehangebote insbesondere für BesucherInnen, die nicht die jugendlichen Ausgehorte frequentieren wollen. Zwar zählte er einige Lokale als Optionen auf, resümierte aber, dass Ausgehen in Wels schwierig sei. Der Geschäftsinhaber machte das Defizit der Stadt in den nächtlichen Ökonomien insbesondere am Fehlen einer »Szene« fest. Diese gilt ihm als Garant für ein lebendiges Nachtleben und für die Qualität nächtlicher Ausgehwelten. In Vergleich zu vielen numerisch größeren Städten sind in Wels das Nachtleben und die dazugehörigen Szenen weniger ausdifferenziert. So gibt es etwa – jedenfalls während meiner Forschungszeit – keine eigenen Orte einer gay culture, die in den Nachtökonomien größerer Städte eine vielfach treibende Kraft in Kosmopolitisierungsprozessen ist 161. Und auch studentisches Nachtleben findet in Wels nur marginal über die Studierenden der Fachhochschule statt, wohingegen StudentInnen in vielen Universitätsstädten eine wichtige Zielgruppe der Nachtökonomie darstellen. In Bezug auf diese Städte wird bereits von einer »Studentification« des Nachtlebens gesprochen 162. Im Unterschied dazu formulierte ein Student der Welser Fachhochschule mir gegenüber: »Das macht Wels aus, dass du keine Wahl hast.« 163 Gleichwohl oder gerade wegen dieser wahrgenommenen unteren Positionierung im Feld der Nachtökonomien stellt das Nachtleben wie in anderen, größeren Städten auch in Wels einen besonderen Aushandlungsort städtischer Zukunft dar. Erkennbar ist dies auf der Ebene der Regulierung von urban nightscapes etwa anhand der Debatte über die Verlängerung der Sperrstunde

160 161 162 163

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Interview Stefan Ecker. Vgl. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 86. Vgl. Hubbard (2008): Studentification; van Liempt u. a. (2014): Introduction, S. 414. Feldnotiz, 29. 03. 2012.

Vertiefung

für Lokale in der Stadt – ein typisches Konfliktthema zwischen verschiedenen städtischen Nutzergruppen, hier BewohnerInnen und BesucherInnen der Nachtökonomien 164. Mit der Ausweitung der Sperrstunde sind Vorstellungen von der Stadt Wels verknüpft, wie diese sein soll und was nicht und vor allem wie »städtisch« sie sein soll. So wurde in der regionalen, christlich-konservativen Gratiswochenzeitung Welser Rundschau in einem »Zitat der Woche« der Stadtobmann der Jungen ÖVP Wels Stefan Haböck zitiert, welcher explizit Vorstellungen von Wels als Ort zwischen Dorf und Stadt adressierte: ›Wels wird sich irgendwann entscheiden müssen, ob es eine Stadt oder ein größeres Dorf sein will.‹ Stefan Haböck, JVP-Obmann über die mögliche Ausweitung der Sperrstunde für Welser Innenstadt-Lokale 165

Imaginationen der städtischen Nacht in Wels waren insbesondere mit Themen verbunden, die paradigmatisch mit Großstadt assoziiert werden: Lautstärke, Schmutz und Gewalt. So wiesen lokale Medien sowie die Polizei auf Tumulte und eine erhöhte Lautstärke bei den überfüllten Taxiständen der Innenstadt nach der in Oberösterreich üblichen Sperrstunde um 4 Uhr hin. Eine verlängerte Sperrstunde hätte Lärmbelästigung, Vandalismus und Schlägereien überdies noch verstärkt, wird der Stadtpolizeikommandant in einem Zeitungsartikel zitiert 166. Sichtbar wird die Assoziation von Nachtleben mit Gewalt und Unruhe, auch Chatterton und Hollands schreiben über diese Haltung zur Nacht: »[. . . ] nightlife has been subject to much legal, political and indeed moral regulation, fuelled by a longstanding anti-urbanism and a fear of crime and disorder, especially at night.« 167 Neben diesen negativen Assoziationen zur Nacht, wurde die Stadtnacht in Wels aber auch mit Belebung verknüpft. So rief das Monatszeitung Monatliche unter dem Titel »Sperrstunde und Ruhe gefährden die Stadt« zur Verlängerung der Sperrstunde auf und initiierte eine Petition (siehe Abbildung 29). Die Petition war gegen die »Spießbürger« gerichtet, denn »besonders in der Nacht gilt Wels toter als das Vordorf von Hintertupfing« 168. Die Petition hatte Erfolg: Die Sperrstunde wurde 2014 von 4.00 auf 5.30 verlängert. Schließlich wurde im Jahr 2015 ein Gastronomieleitbild erarbeitet, das in der Präambel festlegte: »Wohnqualität und Ausgehqualität mit gediegener Gastronomie und abwechslungsreicher Lokalszene sind, neben anderen Faktoren, wichtige Bausteine für den Lebenswert in einer Stadt. Wels stellt sich

164 Vgl. Hubbard (2005): Going out, S. 118; Vogelpohl (2011): Lebendig, laut, lukrativ? 165 O.A. (2012): Zitat, S. 2. 166 Vgl. Zeko (2012): Sperrstund’; siehe dazu auch Maßnahmen zur »Befriedung« in Großbrittanien, vgl. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 54. 167 Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 47. 168 Brückl (2012): Editorial, S. 2.

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Abb. 29: Petition zur Verlängerung der Sperrstunde durch die Monatszeitung Monatliche. Die Innenstadt solle ein lebendiger Ort des Nachtlebens und der Kulturbetriebe sein, so die Forderung der Petition.

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Vertiefung

dieser Herausforderung.« 169 Ziel war es, die Interessen verschiedener Nutzergruppen der Stadt auszubalancieren. Gegenwärtige Diskussionen drehen sich nun wieder vermehrt um Sicherheit im Nachtleben 170 (siehe dazu das Kapitel »Rechtsruck und städtische Positionierung«).

»A big night out« in der eigenen 24-Stunden-Stadt Im Gegensatz zur singulären Dorfkneipe existiert in Wels ein segmentiertes Nachtleben, das sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher Konsumentengruppen und deren jeweiligen Ausgehwelten und -geschmäckern zusammensetzt 171. Das von mir untersuchte Irish Pub stellte somit einen Zugang zu einem spezifischen Ausschnitt des Welser Nachtlebens dar. Zentraler Teil der Szene rund um das Irish Pub und insbesondere auch mit dem Pub als Ort des Aufwachsens im alternativen Wels verbunden, war Ausgehen. Ausgehen verstehe ich dabei im Sinne der Stadtforscherin Marion Roberts als soziale Praktik, die verschiedene Aktivitäten umfasst kann und die vor allem mit einem Gefühl der Verflüssigung und der Aufregung verbunden ist 172. Im Folgenden sollen einige dieser Elemente des Ausgehens im Irish Pub in Wels geschildert und als Formen von place-making und scaling practices befragt werden. Ich gehe also der Frage nach, wie im Ausgehen verschiedene Konzepte von Stadt enacted werden. An einem Mittwochabend Ende Mai kam ich gegen 21.00 Uhr ins Pub, überraschend viele Leute waren da: Paul Renner, Michael Klaus, Valerie Ebner, Tobias Moser, Markus Heindl, Katharina Graf, ein jüngerer Besucher, der sich mit Michael Klaus unterhielt und seine Freundin, ein etwas älteres Pärchen, Nicke Erickson, später noch Freunde von Nicke sowie auch Friedrich Reiter. Damit waren fast alle Stammgäste vereint, die ich im Irish Pub im Laufe meiner Feldforschung kennen gelernt hatte. An der Bar war noch ein Platz frei. Ich setze mich zu Tobias Moser und er fragt mich, was es Neues bei mir gebe. Ich erzählte ihm davon, dass ich heute am Stadtrand in den Einkaufszentren Shoppingcity Wels und max.center unterwegs war, und schnell entwickelte sich das Gespräch zu einer gemeinsamen Belustigung über die Einkaufswelten an der Peripherie. Etwas rechtfertigend für meinen Besuch der Einkaufszentren erklärte ich, dass ich wegen der Forschung dort gewesen war und dass ich mich auch für Konsum interessierte. Wir unterhielten uns über ein neues Musikalbum, auf dem der Gitarrist Marc Ribot mitspielte und das ich sehr gut fand.

169 170 171 172

Stadt Wels (2015): Gastronomieleitbild, S. 1. Vgl. FPÖ-Wels (2016): Welser Jugendrat. Vgl. dazu auch Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 84. Vgl. Roberts (2013): Big Night Out, S. 579.

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Paul Renner und Markus Heindl hatten sich zur Aufgabe gemacht, eine Saison der Champions League auf der Konsole Playstation durchzuspielen. Sie arbeiteten schon seit Februar daran, heute spielten sie die noch übrigen Spiele und saßen dafür tatsächlich den gesamten Abend im hinteren Raum vor dem Fernseher, auf dem wir wenige Monate später im Sommer dann die Fußball-Europameisterschaft verfolgen würden. Dazwischen gingen zwei Gäste in einen separaten Raum und ich fragte Katharina, was sie dort machten, und sie antwortete, dass sie Speed nehmen würden. Ich war verwundert: Bisher hatte ich noch nie jemanden im Lokal Drogen nehmen sehen und auch sonst hatte bisher keine / r darüber gesprochen – jedenfalls nicht über eigene Drogenerfahrungen. Wir spielten dann zuerst zu zweit mit Nicke Erickson und dann zu dritt mit Tobias Koller Darts. Nicke Erickson gewann fast alle Partien. Zeitweise spielten alle Gäste. Vier spielten Backgammon, wir spielten Darts und hinten spielten Paul Renner und Markus Heindl auf der Konsole. Immer wieder wechselten die Personen, ständig kam ich mit neuen ins Gespräch, immer wieder lernten sich Leute kennen. So redete ich zum ersten Mal länger mit Nicke Erickson. Er hatte längere Zeit in Amsterdam gelebt und erzählte mir von der Zeit damals. In Wels war er auf Arbeitssuche und überlegte in einem Lokal in Linz als Kellner anzufangen. Dann setzte er sich zu seinen Freunden, die während des Dartspielens gekommen waren und er lud mich ein, mich mit an den Tisch zu setzen. Ich ging aber nach hinten, wo Paul Renner und Markus Heindl weiter auf der Konsole spielten. Später redete ich mit Katharina Graf über die Gerichtsverhandlung wegen der Schlägerei vorm Pub. Sie meinte, dass die Angreifer bewusst zu einem ›linken‹ Lokal gekommen seien. Katharina Graf wollte weg aus Wels und sprach geringschätzig über die Stadt. Sie schlug vor, mir Leute aus dem Infoladen zu vermitteln und wir verabredeten, dass ich sie nächste Woche deswegen anrufe. Nachdem das Pub Sperrstunde hatte, wollten alle noch weiter ziehen – die Lokale der Stadt hatten aber bereits alle geschlossen. Wir fuhren also gemeinsam mit dem Taxi zu Paul Renner. Am Tisch standen alte Bierflaschen und -dosen, Schüsseln mit Zigarettenstummeln sowie eine große Wasserpfeife. Die Couch war mit Kleidung bedeckt und überall lagen Sachen herum. In den Regalen stapelten sich DVDs von Tarkowski und viele Bücher, etwa von Wallraff, aber auch von Jack Kerouac, über den wir uns schon oft unterhalten hatten. Wir setzten uns in Paul Renners Zimmer, wo eigentlich weniger Platz war als im Wohnzimmer. Valerie Ebner und Katharina Graf saßen am Bett, Markus Heindl und Paul Renner auf Stühlen, ich auf einem mit Kleidung vollgeräumten Lehnsessel. Ich war von dem langen Abend schon betrunken und musste mich konzentrieren, um den Gesprächen zu folgen. Die aus dem Pub mitgenommene Weinflasche

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Vertiefung

wurde geöffnet und ging im Kreis, ich trank mein Bier aus dem Pub, das mir dann mitten in Paul Renners Zimmer aus der Hand zu Boden fiel und dort einen großen Fleck hinterließ. Paul Renner sagte lapidar, das sei egal, und ich wischte kurz mit zwei Lappen das Gröbste weg. Er gab mir dann den Brief seines Anwalts zu lesen, der ihn informierte, wieviel Schmerzensgeld er wegen der Verletzung, die er bei der Schlägerei davongetragen hatte, bekommen würde. Wir hörten Musik. Ich fragte, ob der Hund schon immer nur drei Beine hatte und Paul erklärte, dass er sich in einen Zaun verfangen hätte. Ich fühlte mich zunehmend betrunkener und dachte ans Nachhausegehen bis Paul mir anbot, hier zu schlafen. Ich jubelte und die anderen lachten darüber, dass ich mich so freute. Trotzdem es nicht weit war und ich wohl in fünfzehn Minuten zuhause gewesen wäre, kam mir der Weg vom Stadtteil in die Innenstadt wie eine Weltreise vor und ich freute mich, einfach einschlafen zu können. Ich räumte noch etwas Kleidung von der Couch im Wohnzimmer, legte mich hin und schlief sofort ein und tief bis zum späten Vormittag am nächsten Tag. Die anderen waren auch über Nacht geblieben und schliefen noch, als ich hinter mir die Wohnungstür zuzog und mich auf den Weg nach Hause machte.173 Die Feldnotiz zeigt verdichtet die Inhalte der Szene als Gesinnungsgemeinschaft wie auch meine Möglichkeiten des Zugangs zur Szene und wie ich in meiner Forschung im Pub mitunter feldforscherische und männlich konnotierte Klischees vom Abenteuer im Feld performte. Die Nacht barg nicht nur für die SzenegängerInnen, sondern auch für mich Versprechungen der Stadt und stellte die Möglichkeit dar, dem überschaubaren Ort zu entfliehen. Formen von place-making und scaling practices beim Ausgehen im Irish Pub in Wels lassen sich dem folgend als Aushandlungen der überschaubaren Stadt im Kontext der urban nightscapes begreifen. Dabei unterscheide ich Intensivierung und Extensivierung städtischer Erfahrung als zwei Strategien des Umgangs mit Überschaubarkeit einer großstädtisch orientierten Alternativszene. Ausgehen als Strategie der Intensivierung nutzt sozialräumliche Kennzeichen der Nacht zur Produktion großstädtisch verstandener Erlebniswelten, in welchen der überschaubaren Stadt ausgewichen werden kann. Die städtische Nacht scheint verschieden vom Leben am Tag und birgt in sich die Träume und Albträume des städtischen Lebens 174. »Compared to the daytime, the night offers a time for trying to be someone the daytime may not let you be [. . . ]« 175, schreiben die GeographInnen Ilse van Liempt, Irina van Aalst und Tim Schwanen. Die Nacht und die Dunkelheit ermöglichen Praktiken der Überschreitung,

173 Feldnotiz, 29. 05. 2012. 174 Vgl. Schlör (1991): Nachts, S. 12. 175 Van Liempt u. a. (2014): Introduction.

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die tagsüber nicht gegeben sind 176, sowie das Umgehen eines disziplinierenden Blicks 177, was im Kontext der wahrgenommenen Sichtbarkeit in einer überschaubaren Stadt eine besondere Relevanz bekommt. Die städtische Nacht verspricht in ihren liminalen und spielerischen Qualitäten emotionale Intensitäten, so Phil Hubbard: »This combination of the ludic and liminal hints at the emotional extremes that might be experienced by those participating in the evening economy, where anger, elation, sorrow, fear and desire may be routinely experienced (and perhaps all in the space of one evening out).« 178 Als ein zentrales Element der Praktiken des Ausgehens – neben anderen wie etwa Flirten – wird von Phil Hubbard die Wahrscheinlichkeit von nicht-vertrauten Zufallsbegegnungen und generell die emotionale Qualität der Improvisiertheit in der Nacht herausgestellt. Unerwartete Begegnungen können daher als Teil einer »big night out« gefasst werden 179. Im Zentrum des Ausgehens stehen daher insbesondere auch das Treffen auf Differenz, die Auseinandersetzung mit der Komplexität der Stadt und der Kontakt zu Fremden 180 – Elemente, die stark an die Konzeption eines urbanen Habitus’ erinnern. Die Intensivierung gelang insbesondere durch drei Elemente: das räumliche Setting des Pubs, den Konsum von Alkohol und das Spiel als Form der Interaktion. Als zwar randständiger Teil der Fortgehmeile kamen dennoch oft Leute von den umliegenden Lokalen ins Pub. In den Welser Ausgehwelten sind die Lokale fußläufig erreichbar – bis auf wenige Ausnahmen wie die Großraumdisko, Orte des residual nightlife in den einzelnen Stadtteilen oder die Orte des alternative nightlifes wie der Schlachthof außerhalb der Innenstadt. Daher gab es generell auch viel Laufkundschaft. Trotz der eingeschränkten Größe des Welser Nachtlebens kam es daher immer wieder zu neuen, unerwarteten Bekanntschaften, wozu nicht zuletzt auch das räumliche Arrangement der Bar und bei wärmeren Temperaturen die Aufenthalte draußen in dem Raum zwischen Pub und Infoladen beitrugen. Generell ist das materielle Setting, in dem Ausgehen und Trinken stattfinden ein zentrales Element derselben 181. So beschreibt Quentin Stevens, wie das Design und räumliche Arrangement von Bars die Interaktion von Fremden vereinfacht 182. Während der Tresenbereich im Irish Pub der »öffentlichste« Bereich war, konnte man sich für intimere Interaktionen auf einen der Tische zurückziehen, war aber weiterhin Teil des Hauptraums und des Geschehens. Die Bar – und hier unterscheidet sich das Design im Irish Pub nicht

176 177 178 179 180 181 182

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Vgl. Williams (2008): Night Spaces, S. 518. Vgl. Ebd., S. 519. Hubbard (2005): Going out, S. 120. Vgl. Roberts (2013): Big Night Out, S. 577 f. Vgl. Hubbard (2005): Going out, S. 129 f. Vgl. Jayne u. a. (2014): Violence, S. 68. Vgl. Stevens (2007): Ludic City, S. 54 ff.

Vertiefung

von anderen Bars – ließ somit verschiedene Grade der Öffentlichkeit und Involviertheit zu. Das räumliche Setting ermöglichte es also, bestimmte Haltungen zueinander einzunehmen, sich anderen anzunähern und zu interagieren. Wie aus den bisherigen Schilderungen zur Alternativszene in Wels deutlich wird, hatten Alkohol und manchmal andere Drogen einen besonderen Stellenwert im Irish Pub, sei es als Performanz von Irishness und sozialer Zugehörigkeit, von Männlichkeit und Härte oder als Intensivierung städtischer Erfahrung. Der Geograph Mark Jayne und die Geographin Gill Valentine fassen Alkohol mit Michel Foucault als eine Technik des Selbst, die spielerische Aktivitäten und Emotionen ermöglicht 183. Das Trinken von Alkohol lässt sich damit auch als emotionalisierende Praktik fassen, als Mobilisierung von Emotionen 184. Jayne und Valentine sehen den Zufall als eine der zentralen Charakteristika der Praktiken des Trinkens: »While alcohol consumption is often underpinned by habitual mobilities through commercial venues / public spaces, engagement with friends and strangers, etc., research highlights drinking alcohol enhances openness to experiences and performativities of chance.« 185 Im Ausgehen nimmt damit das Ineinandergreifen von Alkohol mit einer städtischen Umwelt eine zentrale Rolle ein 186. Chatterton und Hollands betonen die spielerischen Dimension der Nacht generell und bringen diese mit dem Konzept der Liminalität in Verbindung: »In this sense, the city can be seen to offer abundant resources for experimentation and play, and opens up liminal and carnivalesque social spaces.« 187 Sich selbst in der Stadt zu verlieren scheint ein zentrales Element des Ausgehens zu sein, so Phil Hubbard 188. Auch Jayne und Valentine betonen diese Eigenschaften: »Through playful negotiation of social rules and cultural representations and practices, people tread a line between control over their personal world and abandoning themselves to circumstantiality of the personal / social.« 189 Im Irish Pub wurde diese spielerische Dimension des Ausgehens ausgelebt. Nicht nur hatten die Interaktionen generell spielerischen Charakter, sondern es wurde tatsächlich andauernd gespielt – egal ob Darts, Wuzzeln, Poker, auf der Spielekonsole Playstation oder das sehr beliebte Backgammon. Oft spielten die TeilnehmerInnen um Getränke oder kleine Geldbeträge. Über das Spielen wurde nicht zuletzt auch Kollektivität hergestellt und die Szene aktualisiert. Gleichzeitig war aber die Art der Spiele nicht zufällig, sondern entsprach den für

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Vgl. Jayne u. a. (2014): Violence, S. 73. Vgl. Scheer (2012): Emotions. Jayne u. a. (2014): Violence, S. 73. Vgl. Jayne u. a. (2010): Geographies of alcohol, S. 547. Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 11. Vgl. Hubbard (2005): Going out, S. 130. Jayne u. a. (2014): Violence, S. 73.

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Pubs typischen Spiele (im Gegensatz etwa zum »hippen« Tischtennisspielen, das zur Zeit der Feldforschung vielerorts, etwa in den Studierendenbezirken Wiens, wieder angesagt war). Die Spiele hatten unterschiedliche Raumlogiken: So kann man etwa Backgammon nur zu zweit spielen, wodurch das Spiel abschottendes Potenzial trägt und im Irish Pub häufig am Rande der Szenerie gespielt wurde. Darts dagegen fand im Zentrum des Irish Pubs statt, wo jeder zusehen konnte – etwa indem man sich auf dem Hocker umdrehte und mit dem Rücken zum Tresen zusah –, und schuf damit eine Art Pub-Öffentlichkeit. Ein Einstieg in das Spiel war möglich und über das Spielen lernten sich BesucherInnen häufig neu kennen. Die Spiele unterstrichen also das generelle räumliche Setting der Bar mit Räumen der Interaktion, die verschiedene Grade der Öffentlichkeit und Fremdheit formten. Im Irish Pub führte diese grundsätzliche Offenheit zu einer Vielzahl an Begegnungen. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass auch das Irish Pub durch Distinktion und Exklusion geprägt war. So zeigten wie weiter oben beschrieben die Formen der Exklusion die unausgesprochenen Hierarchien in der Szene. Die gute Zugänglichkeit zum Pub stellte für mich dementsprechend keinen Zufall dar, sondern hatte auch mit meinem forschenden Körper zu tun. Das Pub ermöglichte damit – vor allem an den Wochenenden, wenn die Bar auch tatsächlich voll war – die Erfahrung körperlicher Nähe zu Fremdheit und die Erfahrung von Dichte, von Geschäftigkeit und Trubel, und damit Erfahrungen, die sonst in Wels oft als fehlend beschrieben wurden. Das Irish Pub konnte über seine intensivierenden Effekte für die BesucherInnen – vor allem am Wochenende – zum Zentrum der Welt werden. Eine zweite Strategie des Umgangs mit der überschaubaren Stadt war die Extensivierung, also die zeitliche Ausdehnung der nächtlichen Stadt. So war nach der Sperrstunde oft die Frage, was man denn noch machen könne – an die Traun, in den Proberaum oder, wie in der Feldnotiz, nach Hause fahren, um dort weiter zu feiern. So kam es mehrmals dazu, dass sich eine Gruppe aus den »übrig gebliebenen« Gästen des Pubs zu Fuß auf den Weg in den nahen Proberaum einer der Stammgäste machte. Die Kellner schlossen dazu das Pub zur Sperrstunde ab und nahmen Getränke von dort mit in den Proberaum, in dem dann weiter getrunken, musiziert und gefeiert wurde. Diese Gruppe umfasste nicht notwendigerweise nur den engsten Kreis der Stammgäste, sondern konnte auch Personen beinhalten, die – wie mich – nicht alle gut kannten. Die Zeit des Nachtlebens wurde mit dieser Strategie über die Sperrstunde hinaus ausgedehnt und die AkteurInnen schufen jenseits regulativer Vorgaben eine eigene 24-Stunden-Stadt. Kennzeichnend war, dass die städtische Infrastruktur eine solche Extensivierung eigentlich nicht zuließ, das städtische Ausgehen also in den privaten bzw. semi-privaten Bereich verlegt werden musste – während Geschichten von Möglichkeiten zum tagelangen Durchfeiern in der Partystadt Berlin auch im Pub zirkulierten. Wird für viele Großstädte die »big night out«

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Vertiefung

in der Form eines Herumziehens in Welten der urban nightscapes als eine zentrale Praktik des Ausgehens beschrieben, lässt sich für Wels festhalten, dass die städtische nächtliche Infrastruktur hier an ihre Grenzen stößt. Der Wechsel ins (Semi-)Private aufgrund der Begrenztheit des Ausgehangebots kann also als eine Konsequenz der überschaubaren Stadt und als ein Versuch einer Szene, die sich großstädtisch orientiert, verstanden werden, Charakteristika der städtischen Nacht auch im (semi-)privaten Raum zu enacten. Zu Beginn meiner Forschung suchte ich die genannte Intensivierung des Irish Pubs vermehrt auf. Jenseits forschungsstrategischer Vorteile erfüllte das Lokal meine Sehnsucht nach neuen Kontakten, nach Überraschung und gleichzeitiger Geschäftigkeit, die sich tagsüber nur schwer einlösen ließ. Dies spielte schließlich auch der Beziehung zwischen Forscher und Beforschten in die Hände. Das materiell-symbolische Arrangement der Nacht ermöglichte mir, Kontakte zu knüpfen und mir im städtischen Wahrnehmungsmodus Vorgänge zu befremden. Nicht zufällig bildeten Nachtökonomien in der Ethnologie immer wieder Orte, um mögliche InformantInnen kennen zu lernen: »[. . . ] public drinking sites are relatively acceptable places for professional strangers to relax and make friends, and to listen and to learn.« 190 Die Logik des Nachtlebens in Wels eröffnete Momente der Überraschung und des Zufalls. In der Nacht nahm die Stadt damit temporär andere Qualitäten an, sie wurde unvorhersehbar und geheimnisvoll. Ihre Ecken schienen nicht mehr altbekannt – mehr schien möglich. Die Überschaubarkeit und Vertrautheit, die tagsüber die Wahrnehmung der Stadt und ihrer Räume beherrschten, wich in der Nacht einem Gefühl der Befremdung. Gleichzeitig barg die Nacht das Versprechen einer anderen Stadt jenseits des Tages. In der Nacht kann die Stadt auf eine solche Weise enacted werden, dass Überschaubarkeit und übliche Normen von Nähe und Distanz in Interaktionen zeitweise außer Kraft gesetzt werden können – als großstädtisches Leben im Kleinen, das sich junge Erwachsene extra suchen oder sich extra herstellen müssen und sich ihnen nur temporär eröffnet. Dem folgend konnten von jungen Erwachsenen im Irish Pub als Teil des Nachtlebens verschiedene Konzepte von Stadt, Öffentlichkeit und Anonymität performt werden.

190 Wilson (2004): Drinking cultures.

Aufwachsen im alternativen Wels

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Porträt III: Wels als Ort der Überschaubarkeit und Praktikabilität – Claudia Wolkinger Obwohl mir viele BewohnerInnen von Wels von ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der Stadt und deren schlechten Ruf erzählten, stieß ich gleichermaßen auf eine gegenteilige Perspektive auf die Stadt. So lernte ich im Laufe der Feldforschung vermehrt BewohnerInnen kennen, die sich mit der Stadt identifizieren, etwa die Überschaubarkeit anpreisen, und das schlechte Image der Stadt als ein »Schlechtreden« kritisieren. Dazu zählt auch Claudia Wolkinger, Ende dreißig, welche in Wels aufwuchs und nur einmal eine längere Zeit außerhalb der Stadt lebte, als sie zwei Jahre in einer kleineren Stadtgemeinde in Oberösterreich für ihre Ausbildung wohnte. Danach kehrte sie nach Wels zurück und zog gemeinsam mit ihrem Mann in ein Einfamilienhaus. Dort, am westlichen Stadtrand von Wels, wohnt sie bis heute mit ihrem Mann und ihren Kindern. Claudia Wolkinger lernte ich über das Schneeballprinzip kennen. Ein Interviewpartner, zu dem ich über eine von mir aufgegebene Onlineanzeige, die ich auf Facebook in verschiedenen Gruppen zu Wels schaltete, kam, vermittelte mir ihren Kontakt. Ich führte mit ihr sowohl ein Interview zu ihren Raumnutzungen als auch ein wohnortbiographisches Interview. Ihre Bereitschaft für das Interview – sowie auch die ursprüngliche Vermittlung – führe ich nicht zuletzt auf ihr Engagement in der Stadt zurück. Die beiden Interviews fanden in ihrem Einfamilienhaus statt. Claudia Wolkingers Schilderungen handelten vielfach von ihrer Verbundenheit mit Wels und davon, wie wohl sie sich in der Stadt fühlt. Sie erklärte mir die Stadt in Bezug auf das städtische Angebot in Differenz zur kleineren Stadt ihrer Ausbildung und den Städten Linz und Wien und versuchte mir klar zu machen, inwiefern sie selbst zu Wels »passt« bzw. Wels zu ihr. Sie führte diese Passung als »waschechte Welserin« auf ihre »Wurzeln« zurück, die sie in ihrer Familie, langen Freundschaften seit Kindesalter, NachbarInnen und allgemein in ihrem sozialen Kapital begründet sieht. Claudia Wolkinger stellte damit enge, lange und kontinuierliche soziale Kontakte als Marker ihrer Verbundenheit mit der Stadt heraus und bekräftigte ihre lange Sesshaftigkeit in Wels. Während FreundInnen in jungen Jahren die Stadt verließen, entschied sie sich für das Familienleben. Wels sieht sie aber durchaus auch differenziert und je nach Gesprächszusammenhang wies sie der Stadt verschiedene Positionen zu. So versteht sie sich selbst als »Stadtmenschen«, betonte aber wiederholt den dörf lichen Charakter von Wels. Claudia Wolkinger verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Wels und zog nach der Matura in eine kleine Stadtgemeinde in Oberösterreich. Dort bemerkte sie eine räumliche Differenz zu Wels:

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Vertiefung

Es ist ein Ort mit viertausend Einwohnern, das war für mich am Anfang der Wahnsinn. Weil ich mein, von sechzigtausend auf viertausend. Und ich war das einfach so gewohnt. Was weiß ich, wenn ich jetzt Hausnummer ins Kino gehen wollt, dann hab ich mich ins Auto gesetzt und bin ins Kino gefahren, weil irgendeinen Film haben sie immer gespielt. Ich mein, wenn du dort ins Kino gegangen bist, erstens einmal Montag war das Kino zu, da hat es definitiv keinen Film gegeben. Und die anderen Tage, ich mein, sie haben zwar vielleicht ein, zwei Vorstellungen gehabt, aber das waren meistens Filme, die ich daheim schon gesehen gehabt hab. Weil das war einfach eine zeitliche Verzögerung so von circa einem halben Jahr. [. . . ] Auf der anderen Seite war es halt recht klasse, weil wenn ich dann einen Film daheim versäumt hab, dann hab ich ihn mir halt einfach dort angeschaut [lachend]. Nein, aber es war definitiv eine Veränderung von den Gewohnheiten her. Weil auch von den Geschäften her. In Wels ist es so: Wenn du jetzt irgendwie was brauchst, dann fährst zu dem Geschäft hin. Ich mein, dort musst wirklich schauen, aus damaliger Sicht wieder gesehen, was gibt’s denn in dem Geschäft. Krieg ich das überhaupt, was ich brauch. Ich mein, da waren halt dann trotzdem auch viele Sachen, wo wir dann einfach uns ins Auto gesetzt haben und nach Linz gefahren sind und das dort besorgt haben. Also weil einfach, es hat einen Papierwarenhändler gegeben. Lebensmittel waren schon zwei, ich glaub, es hat sogar damals den Hofer schon gegeben. Aber es war halt trotzdem einfach nur eingeschränkt von dem, was man halt gekriegt hat.191

Den neuen Wohnort empfand Claudia Wolkinger zunächst als nicht zu ihr »passend«, was sie an der EinwohnerInnenzahl und dem Unterschied im Konsumangebot zwischen Wels und der kleinen Stadtgemeinde und damit verbundenen städtischen Habitualisierungen festmachte. Wels wurde von ihr als Stadt beschrieben, in der es ein umfangreicheres Angebot gibt, das man häufiger und in längerem Ausmaß nutzen kann als in der kleinen Stadtgemeinde, die sie zudem als zeitlich nachhinkend schilderte. Dies führte dazu, dass Claudia Wolkinger den Ort oft verließ und in das nächste städtische Zentrum fuhr. Sind halt dann nach Linz gefahren. Und vor allen Dingen ist mir trotzdem Linz näher gewesen, weil ich mich dort einfach auch ausgekannt hab. Wir waren auch in unserer Gymnasienzeit oft in Linz. Also sei es von der Schule aus jetzt oder halt auch so zum Fortgehen einfach. Und ich mein, von daher hab ich mich ausgekannt. Wenn ich jetzt vorher noch nie in Linz gewesen wär, wär es vielleicht auch was anderes gewesen. Weil dann hätte ich auch zuerst einmal gefragt ›ma kann man’s bestellen?‹ oder ich fahr nach Freistadt oder sonst wohin, aber so haben wir das irgendwie auch immer so ein wenig als Flucht genommen. Dass wieder in die Metropole kommst [wir beide lachen]. Nein, aber es, es ist einfach eine

191 Interview Claudia Wolkinger.

Porträt III: Wels als Ort der Überschaubarkeit und Praktikabilität – Claudia Wolkinger

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Umstellung. Man gewöhnt sich dann einfach um. Das Leben ist dann trotzdem anders.192

Auch andere Habitualisierungen von Raum und Zeit machen für Claudia Wolkinger den Unterschied zwischen Wels und der kleinen Stadtgemeinde aus. Damit verbunden ist ihr Selbstverständnis als »Stadtmensch«: Ich weiß noch, wie ich das erste Mal an einem Freitagnachmittag ein Begräbnis gesehen hab in dem Ort [in der kleinen Stadtgemeinde]. Da ist einfach die Hauptstraße gesperrt gewesen. Das heißt, da hat sich vorn ein Polizist hingestellt mit einer Absperrung. Da war zu. Dann ist die Musikkapelle gegangen. Dann ist der ganze Zug gekommen. Und erst, wie die dann alle wieder vorbei waren, ist der Ort wieder für den Verkehr geöffnet worden. Ich mein, ich bin ein Stadtmensch. Ich hab das vorher noch nie gesehen gehabt und das war für mich: Oh Gott, was machen die da. Die können doch nicht, weiß ich nicht, eineinhalb Stunden lang den ganzen Ort sperren! [. . . ] Also man gewöhnt sich einfach dran, dass halt Sachen anders rennen oder dass halt zum Teil auch die Uhren anders ticken.193

In den Schilderungen davon, was in der kleinen Stadtgemeinde den Unterschied zu Wels ausmacht, lässt sich als Negativfolie erkennen, wie Claudia Wolkinger im Vergleich dazu Wels selbst charakterisierte, dem sie das Urbane zuordnete. Sie konnte sich im Vergleich zur Stadtgemeinde städtisch geben – als »Stadtmensch« passe sie gut zu ihrem jetzigen Wohnort. Nach der Ausbildung in der Stadtgemeinde überlegte Claudia Wolkinger, ins Ausland zu gehen. Gleichzeitig begann die Beziehung mit ihrem heutigen Mann, was den Radius des »passenden« Wohnraums einschränkte: Ich war dann natürlich im Zwiespalt, weil auf der einen Seite wollte ich immer ins Ausland. Auf der anderen Seite hab ich dann da diese Beziehung gehabt, die mir halt einfach trotzdem so gut gefallen hat, dass ich mir gedacht hab, wenn ich jetzt wieder auf null steh’, dann schau ich zuerst einmal, ob ich in der Umgebung irgendwas finde. Jobmäßig jetzt. [. . . ] Genau, also mein Mann ist schuld, auf gut Deutsch [lacht]. [. . . ] Nein, ich habe halt dann einfach geschaut, weil ich mir gedacht hab, okay, wenn ich jetzt da nichts finde, dann kann ich den Radius immer noch erweitern bzw. wenn es aus irgendeinem Grund in die Brüche geht oder was auch immer, dann hält mich ja nichts mehr. Also ich mein, er war definitiv nachher der Grund, warum ich wirklich jetzt in der Nähe geschaut hab.194

Erzählte Claudia Wolkinger im Interview davon, dass sie sich heute als »waschechte Welserin« versteht und enge soziale Netze in der Stadt hat, zeigte sich in

192 Ebd. 193 Ebd. 194 Ebd.

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Vertiefung

ihrer Schilderung der Entscheidung für den Verbleib in Wels, dass sie zu früheren Zeiten nicht im gleichen Ausmaß mit der Stadt verbunden war, was auf die biographische Kontextualität der eigenen Verortung verweist. Resümierend betonte Claudia Wolkinger, dass sie weiterhin gerne in Wels wohnt und kritisiert das »Schlechtreden« der Stadt. Claudia Wolkinger: »Die Entscheidung passt aber nach wie vor für mich. Ich bin auch verwurzelt in Wels. Also, es passt sowohl vom Freundeskreis her und auch von dem, wie Sachen sind oder wo was ist. Jetzt vom Einkaufen oder puncto allgemein Infrastruktur, Nahversorger, sonstiges. Ich mein, sicher könnten tausend Sachen besser sein. Aber es könnten auch tausend Sachen schlechter sein. Es ist viel Arbeit, man kann viel tun, man kann viel verändern zum Positiven hin, aber ich wehr mich absolut dagegen, dass ich jetzt sage, es ist alles schlecht, oder es ist alles verkehrt oder es ist alles so, dass ich jetzt wegziehen muss.« GW: »Also es passt einfach, sozusagen für dich einfach als dein Wohn- und Lebensmittelpunkt?« Claudia Wolkinger: »Richtig. Es gibt viele Arbeitsplätze, es gibt viele Dienstleistungen. Ich mein, vom Kulturellen her, von irgendwelchen sonstigen Events her, du kannst wirklich viel tun, du kannst viel machen. Ich mein, du musst halt die Angebote auch annehmen. Von A bis Z. Du, ich denk mir, es ist wurscht, ob das jetzt irgendein Marktcenter oder SCW ist, das irgendwas veranstaltet. Oder ob das in der Innenstadt drinnen ist. Ich mein, du kannst, wenn du wirklich jetzt gezielt nach irgendwelchen Veranstaltungen schaust. Du kannst jedes Wochenende an fünf teilnehmen, wenn es dir lustig ist. Also von dem her, wenn nachher irgendwer sagt, es tut sich nichts in Wels. Der schaut einfach nicht.« 195

Claudia Wolkinger grenzte sich von denen ab, die »jammern« und beschrieb sich ihnen gegenüber selbst als vielfältig interessiert und kulturell aktiv. Wenige ihrer SchulfreundInnen waren in Wels geblieben bzw. sind zurückgekehrt. Wie bei Claudia Wolkinger selbst sind es meist familiäre Gründe, die den Ausschlag für eine Rückkehr nach Wels gaben. Im Kontrast zu Wien führte Claudia Wolkinger auch ökonomische Überlegungen rund um eine leistbare Lebensqualität an, die für ein Bleiben bzw. eine Rückkehr nach Wels sprechen: Ich mein, bei den meisten war nachher einfach die Frage mit Family, mit Kind, will ich in Wien wohnen bleiben. Einfach auch die Frage von wegen Verkehr, Leute, Grünflächen. Auch die wohnliche Situation, weil, ich mein, okay, irgendwo Innenstadt, ja gut, Wohnung. Wenn du aber jetzt wirklich ein Haus haben willst, ich mein, der Gürtel von Wien ist auch nicht mehr wirklich billig. Du fährst Ewigkeiten, bis du einmal in einer Arbeit bist oder bis du wieder retour bist. Wenn du

195 Ebd.

Porträt III: Wels als Ort der Überschaubarkeit und Praktikabilität – Claudia Wolkinger

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dann sowieso einen Job hast, in dem du viel eingebunden bist, und du bist noch eineinhalb Stunden am Tag auf der Strecke und willst vielleicht auf Nacht dein Kind noch sehen als Mann. Ich mein, geschweige denn teilzeitmäßig als Frau, des spielt’s irgendwie nicht wirklich. Und das war eigentlich bei diesen vier Familien ausschlaggebend, dass sie wieder zurückgekommen sind nach Oberösterreich.196

Leben in Wels wurde von Claudia Wolkinger mit einem bestimmten Beziehungskonzept verknüpft. Wohnen in einem Haus, eine Vollzeitbeschäftigung des Mannes und eine Teilzeitstelle der Frau erscheinen ihr als Normalität in Verbindung mit Kindern in Wien schwer möglich. In Wels bleibe im Vergleich zu Wien noch Zeit für die Familie. Sie betonte, dass sie selbst aus diesem Grund nie nach Linz oder Wien gezogen wäre: Claudia Wolkinger: »Linz zum Beispiel, wär für mich nie in Frage gekommen. Ich mein, ich mag Linz total gern, jetzt einmal für den Abend zum Fortgehen oder einmal irgendwie, dass einen Ausflug machst oder was. Aber jetzt wirklich wohnen in Linz, möchte ich nicht. [. . . ] Es ist mir zu groß. Ich mein, es hört sich jetzt blöd an. Weil, ich mein, ich mag Leute total gern. Und ich fühl mich in jeder Großstadt wohl, aber halt nicht auf Dauer. Ich bin fünf, sechs Mal sicher am Wochenende in Wien im Jahr, aber dass ich jetzt wirklich sag, ich zieh jetzt für ein Jahr nach Wien, also das wäre für mich eine Katastrophe.« GW: »[. . . ] Was meinst du mit zu groß?« Claudia Wolkinger: »Ich brauch überall so lange hin. Mich freut das nicht. [. . . ] Ich mein, ich bin zwar grundsätzlich ein geduldiger Mensch. Aber wenn ich das jeden Tag habe, und dann vielleicht ein paar Mal am Tag, dass ich irgendwo vielleicht im Stau steh’, dass ich jetzt drauf, weiß ich nicht, warten muss, dass jetzt die Bim fährt oder dass ich jetzt einfach nur vom Zentrum in meinem Stadtteil bin oder umgekehrt. Weil allein so, wenn mich jetzt wer anruft und sagt: ›Ma kannst mir in der Stadt schnell das vorbei bringen oder ich brauch das gach [schnell]‹. Dann setz ich mich ins Auto und in Maximum einer Viertelstunde bin ich am komplett andern Ende der Stadt. Das heißt, wenn ich jetzt nicht so weit fahre, bin ich in fünf bis zehn Minuten da, ganz wurscht, wo ich hin will. [. . . ] Mich freut das nicht, wenn ich jetzt eine halbe Stunde durch die ganze Stadt fahren muss.« 197

In diesen Ausführungen und auch in den Zitaten weiter oben wird deutlich, dass Praktikabilität für Claudia Wolkinger für ihre Alltagsorganisation zentral ist und ihr Familie als Beziehungsform in Wels am realisierbarsten erscheint. Sie ergänzte diese funktionalen Vorteile der Stadt mit atmosphärischen Qualitäten: »Einmal von dem abgesehen, dass ich den Welser Stadtkern einfach

196 Ebd. 197 Ebd.

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Vertiefung

wirklich lieb finde. Also, ich fühl mich da total wohl, er ist schnuckelig. Ganz speziell im Sommer logisch, weil es hat auch wirklich Flair.« 198 Die Atmosphäre der Innenstadt beschrieb sie mit Begriffen, welche Kleinteiligkeit und »Harmlosigkeit« betonen und eigentlich menschliche Züge benennen. Die Innenstadt erscheint als überschaubar, ungefährlich und persönlich: Aber das ist einfach das, was ich in Wels so schätze. Und was mir schon auch taugt, ich mein, ich kenne einfach trotzdem viele Leute und wenn ich jetzt in der Innenstadt spazieren renn, ich mein, dort triffst immer irgendwen, den du kennst. Oder, mah, gehen wir einmal schnell auf einen Kaffee oder. Ich mein, das ist dann trotzdem irgendwie wieder – da wird mich jetzt wahrscheinlich jeder Politiker schimpfen – aber der Dorfcharakter von Wels. Ich mein, es hat zwar 60.000 Einwohner, aber im Endeffekt treffen sich trotzdem wieder, meistens zumindest, dieselben Leute am selben Ort. [. . . ] Ich mein, wenn ich jetzt in Wien irgendwo durchrenn, weißt eh, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich da wen treffe, der mit mir auf einen Kaffee geht.199

Erschien Wels in Vergleich zur kleinen Stadtgemeinde noch als große Stadt, strich Claudia gegenüber Linz und Wien den dörf lichen Charakter von Wels heraus. Dieser besteht für sie in einer Vertrautheit und in dem in vielen Interviews angeführten sozialräumlichen Charakteristikum einer Vielzahl von Zufallsbegegnungen im Stadtraum sowie einer Unkompliziertheit bei Verabredungen und Besorgungen, insbesondere – wie sie mehrfach betonte – in Bezug auf Kinder, hat sie doch die Doppelaufgabe von Familie und Teilzeitstelle. Sichtbar werden auch politisch »gewollte« Bilder von Wels als (Groß)Stadt, die sie in ihrer Schilderung relativierte. Sie will jedenfalls auch in Zukunft in Wels bleiben: Ich mein, grundsätzlich ich weiß, dass ich in Wels bleiben werde. Also, ich werde jetzt sicher nicht mein Haus verkaufen und nach Salzburg ziehen. Da müsste schon weiß ich nicht was passieren, dass ich auf so eine Idee käme. Also grundsätzlich weiß ich schon, dass ich da meinen Lebensmittelpunkt haben werde.200

Je nach Kontext kann Wels für Claudia Wolkinger beides sein – Stadt und Dorf. In der Abgrenzung zu Linz und Wien als zu »groß«, entwarf sie im Interview Wels als Dorf im positiven Sinne von Überschaubarkeit. Wels erscheint wie im Falle Andreas Hargs als Ort der Familie jenseits von Arbeitszwängen (siehe dazu das »Porträt V: Wels als Ort der Freiheit des häuslichen Niederlassens – Andreas Harg«). Im Vergleich zur kleinen Stadtgemeinde bekommt Wels den

198 Ebd. 199 Ebd. 200 Ebd.

Porträt III: Wels als Ort der Überschaubarkeit und Praktikabilität – Claudia Wolkinger

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Status einer Stadt, insbesondere was das Angebot betrifft. Je nach den Städten, die sie als Vergleiche heranzieht, entwarf sie sich anders. Mehrmals betonte Claudia im Interview, dass ihr in Wels nichts fehle. Ein Anliegen ist für Claudia Wolkinger auch die Verteidigung der Stadt. Sie kennt den Stigmatisierungsdiskurs und stellte diesem die Überschaubarkeit als positive Eigenschaft der Stadt gegenüber, an der sie die Praktikabilität der Alltagsorganisation, aber auch die Sozialität der Innenstadt und deren atmosphärische Qualitäten herausstrich.

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Vertiefung

8. ANGEKOMMEN DIE BEDROHTE STADT Linz als unübersichtlich Im Laufe des Feldaufenthaltes veränderten sich meine Wahrnehmung von Wels und meine Position in der Stadt. Empfand ich zu Beginn eine Isoliertheit, konnte ich mich nun zunehmend in verschiedene Zusammenhänge und Netzwerke einbinden, die mir jeweils Zugänge zur Stadt eröffneten. Ich bekam das Gefühl eines sense of belonging. So war ich etwa Teil einer wöchentlichen Fußballrunde mit Studierenden der Fachhochschule, auf die mich meine NachbarInnen aufmerksam machten: Ich klingelte bei meinem Nachbarn David Schweiger, Mitte zwanzig und Student an der Fachhochschule, und fragte ihn, ob er wie üblich am Montag zur Fußballrunde ging. Er wirkt, wie wenn er gerade geschlafen hätte. Er sagte zu und wollte sich darum kümmern, wie wir zum Fußballplatz kommen, da der Platz nicht in der Innenstadt, sondern ein paar wenige Kilometer entfernt liegt. Leider fuhr aber niemand mit dem Auto hin und so blieben uns zwei Möglichkeiten: Entweder wir gingen gleich direkt zu Fuß zum Platz oder wir liefen bei der Fachhochschule vorbei und fragten, ob wer von dort wegfährt, was üblich war. Auf meinen Vorschlag, dass wir mit dem Bus fahren könnten, erwiderte er, dass sich das nicht auszahlt, und ich hatte den Eindruck, dass er sowieso nicht oft Bus fährt. Viele wären wohl mit dem Fahrrad hingefahren, erklärte er. Ich holte ihn dann um halb sechs ab und wir entschieden uns, direkt zu Fuß zu gehen. Am Weg zum Platz hatten wir das erste Mal die Möglichkeit, uns zu zweit und nicht beim Fortgehen in großer Gruppe zu unterhalten. Dann beim Fußballspielen mit den Studierenden von der Fachhochschule hatte ich das Gefühl, in Wels angekommen zu sein. Während des Spiels sah ich einen Zug der Weststrecke mit aufgeladenen Autos in weniger Entfernung vorbeifahren und dahinter die untergehende Frühsommersonne und darüber der strahlend blaue, weite Himmel, den hier kein Haus, kein Baum und – in Wels sowieso der Fall – kein Hügel oder Berg verdeckt. Zum ersten Mal kam mir Wels vertraut vor. Ich merkte so richtig, dass ich jetzt da war.1 Ein ähnliches Gefühl des Angekommenseins hatte ich ein wenig später, als ich nach längerer Abwesenheit wieder nach Wels zurückkehrte und mich an

1 Feldnotiz, 23. 04. 2012.

eine vergangene Stimmung einer kälteren Jahreszeit in Wels erinnerte: ein bestimmtes Gefühl in der damaligen Anfangszeit, ein bestimmter Geruch beim Eintreten in mein Zimmer. Jetzt hatte auch ich ein vergangenes Wels, ich hatte eine Geschichte hier 2. Mit dem Wechsel der Perspektive auf Wels als Ort und meinem sense of belonging änderte sich auch meine Wahrnehmung anderer Städte. Als ich nach längerem Aufenthalt ohne Unterbrechung in Wels nach Linz fuhr, um meine Familie zu besuchen, erschien mir die Stadt, in der ich aufgewachsen war, nun ganz fremd. Mehrere Monate war mein Lebensmittelpunkt in der Nähe, nur wenige Kilometer entfernt von Linz gelegen. Wohl gerade deswegen – und auch wegen der vielen Vergleiche der beiden Städte im Feld – hatte ich eine andere Perspektive auf Linz entwickelt. In Linz angekommen nahm ich die Straßenbahn vom Hauptbahnhof Richtung Urfahr über die zentrale Einkaufsstraße Landstraße – an beiden Seiten der Straßenbahn zogen die weiten Flächen der Stadt an den Fenstern vorbei: Schilder von Geschäften, von Lokalen und Restaurants und Bars; PassantInnen auf der Landstraße; die Querstraßen, die sich von der Landstraße weg in die Tiefen der Stadt verloren. Im Vergleich zu Wels kam mir Linz nun fast großstädtisch vor, labyrinthartig und auch geheimnisvoller: Hinter jeder Ecke schien sich etwas Überraschendes zu verbergen. Die weißen Flecken auf meiner mentalen Karte der Stadt schienen größer zu sein. Das städtische Leben auf der Landstraße wirkte unaufgeräumter. War mir Linz im Vergleich zu Wien früher selbst überschaubar vorgekommen, hatte sich nun meine Perspektive verschoben. Nun erschien mir Wels – nach Monaten der Habitualisierung der sozioräumlichen Strukturen der Stadt – als überschaubare Stadt, Linz dagegen als geheimnisvoll und nicht greifbar. Wieder bestätigte sich, dass Überschaubarkeit kein festes Kennzeichen von bestimmten städtischen Strukturen ist, sondern ein relationaler Zusammenhang von symbolischer Zuschreibung, sozialer Interaktion und materieller Umgebung, der je nach wohnortbiographischen Horizont anderen Bewertungen unterliegen kann. Überschaubarkeit in Wels stellt aber keinen bruchlosen Wahrnehmungsund Handlungsmodus dar, sondern wurde vielfach in Frage gestellt. So spielte die Wahrnehmung von Unsicherheit und Kriminalität durch BewohnerInnen während meiner Feldaufenthalte eine große Rolle – wie sich schon zu Beginn der Forschung angekündigt hatte. Die Überschaubarkeit der Stadt stand also im Gegensatz zu Schilderungen von einer als durch Leere, Fremdheit und Unsicherheit bedroht wahrgenommenen Stadt. Diese Bedrohung sowie Bemühungen von Initiativen und Vereinen, die Stadt zu »verbessern«, sind im Folgenden Thema.

2 Feldnotiz, 16. 07. 2012.

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Angekommen

Die bedrohte Stadt: Überschaubarkeit, Fremdheit und (Un)Sicherheit In meinem Material aus den Feldaufenthalten war in den Schilderungen insbesondere der mittelschichtigen BewohnerInnen mittleren Alters, welche ich im Rahmen der Erweiterung meines Bekanntenkreises kennenlernte, eine Perspektive auf Wels als bedrohte Stadt auffällig. In dieser Perspektive treffen drei Themen aufeinander: der Stadtraum erscheint als unsicher und mitunter als gefährlich; dies wird insbesondere vor dem Hintergrund des in Kapitel sechs beschriebenen Niedergangsnarrativs und der Schilderungen von der Leere erzählt; schließlich werden diese beiden Themen an die Konfrontation mit randständigen Menschen bzw. an die Wahrnehmung von Fremdheit geknüpft und stehen damit in Zusammenhang mit der in Kapitel sieben beschriebenen Überschaubarkeit. In den Schilderungen meiner GesprächspartnerInnen tauchen mehrere Figuren auf, welche scheinbar die Stadt in Frage stellen – Erwerbslose, BettlerInnen, Drogenabhängige und insbesondere die Figur des / der Migranten / Migrantin, verstanden als »ethnisch Anderer« 3. Im folgenden Unterkapitel beschäftige ich mich mit diesem Zusammenhang zwischen Diskursen über (Un)Sicherheit, der Stigmatisierung der Stadt und der Wahrnehmung von Fremdheit und Migration und damit auch des enactments von Überschaubarkeit / Anonymität. Bei einem ersten Spaziergang durch den Stadtteil Vogelweide bekam ich die Präsenz der Unsicherheit in der Wahrnehmung der Stadt zu spüren, wie folgende Feldnotiz zeigt. Ich schlenderte mit dem Fotoapparat durch die Straßen und schoss Fotos von Straßenzügen, Wiesen und Geschäften am Weg: Während ich durch die Straßen ging und in Hinterhöfe blickte, kam ich mir beobachtet vor. Immer wieder passierten mich AnwohnerInnen, sahen aus dem Fenster etc., während ich Fotos machte, und viele sahen mich auch deswegen an. Als ich zwei abgestellte Anhänger fotografieren wollte, fuhr ein Angestellter der Heimstätte [die größte Wohngenossenschaft der Stadt] im Kastenwagen vorbei und beobachtete mich aus dem Auto. Er stieg aus und ging in die Zentrale der Heimstätte, die gleich neben den Anhängern liegt. Ich schlenderte weiter und nach kurzer Zeit, ein paar Straßen weiter, fuhr derselbe Kastenwagen an mir vorbei und blieb neben mir stehen. Der Fahrer rief mir zu und deutete mir per Handzeichen, dass ich zum Auto kommen sollte. Ich folgte seiner Geste und beim Auto angekommen stellte er fest, dass ich ja vorher dort bei den Anhängern fotografiert hatte, und fragte mich, warum ich das gemacht hätte. Etwas überrumpelt antwortete ich, dass ich das schön fand. Er schien mir nicht zu glauben und drohte, er wolle

3 Yildiz (2014): Weltoffene Stadt, S. 78.

Die bedrohte Stadt: Überschaubarkeit, Fremdheit und (Un)Sicherheit

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sich jetzt meinen Namen aufschreiben, schließlich würden immer wieder Leute im Auftrag fotografieren und dann ›die Sachen wegkommen‹. Ich verstand nicht ganz, was er damit sagen wollte und meinte versöhnlich, dass er sich gerne meinen Namen aufschreiben könne, ich aber damit nichts zu tun hatte, und fragte nach, was er damit meinte, dass Leute im Auftrag Sachen fotografieren. In diesem Moment bog sein Chef mit dem Auto um die Ecke: ›Da ist eh schon mein Chef.‹ Das Auto des Chefs blieb stehen, dieser kurbelt das Fenster runter und sah zu uns rüber. ›Das ist er. Er sagt er hat das fotografiert, weil es schön ist‹, meinte der Angestellte im Kastenwagen zum Chef. Der schwieg, schüttelte nur den Kopf, kurbelt das Fenster wieder hoch und fuhr weiter. Der Angestellte wollte sich weiter meinen Namen aufschreiben. Ich erwiderte aber nun, dass ich eigentlich kein Verständnis dafür hatte, meinen Namen an irgendjemanden Fremden zu geben, und frage ihn nochmal, was er damit meinte, dass Leute im Auftrag fotografieren – ob da jemand den Auftrag erteilt, Sachen zu fotografieren, um diese dann zu stehlen? Er entgegnete, dass so viel weg komme und dass sie aufpassen müssten. Er nahm Zettel und Stift zur Hand und fordert mich auf: ›Und?‹ Ich sah keinen anderen Ausweg und ›wies mich aus‹: Ich erzählte, dass ich von der Uni Wien bin und dass ich hier forschte, und bestand darauf, meinen Namen nicht weiterzugeben. Er schimpfte, dass ich nicht zu fotografieren brauche und dass das ein Privatgrundstück sei und dass ich ja eh sehe, dass er in einem Heimstätten-Bus sitze. Ich erwiderte, dass ich dort kein Schild für Privatgrundstück gesehen hatte und dass er sich meinen Namen nicht aufzuschreiben brauchte. Mittlerweile schien er seine Meinung geändert zu haben. Er wiederholte skeptisch, dass ich das fotografiere, weil es ich es schön finde. . . das finde er nicht schön, machte er klar, und dass er das nicht nachvollziehen könne und etwas komisch finde und deswegen misstrauisch sei. Im Motoranlassen meinte er, dass überhaupt in Wels so viel gestohlen werde und von dem man nichts weiß noch viel mehr. ›In ganz Wels?‹, fragte ich. Er antwortete, ›ja, in ganz Wels‹.4 In dieser Episode wurde ich beim Spaziergang durch die Stadt überraschend einer geplanten Straftat verdächtigt. Die Praktiken der Feldforschung – Herumstreifen und Festhalten – wurden als verdächtiges Verhalten wahrgenommen. Kriminelles schien in der Perspektive der Mitarbeiter wahrscheinlicher als dass ich den Stadtteil aus ästhetischen oder touristischen Gründen fotografierte. Fotografisches Interesse an der Stadt, die Alltäglichkeit der Stadt ästhetisch abbilden zu wollen, schien verdächtig und kam dem Mitarbeiter gar nicht in den Sinn. Meine Handlung blieb ihm vielmehr unerschließbar. Ich erschien als

4 Feldnotiz, 28. 03. 2012.

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Angekommen

Eindringling, als potentielle Gefahr, was ich als starke Präsenz von Unsicherheit und Misstrauen interpretiere. Beispielhaft werde ich im Folgenden insbesondere auf zwei kontroverse Orte in Wels eingehen und an ihnen eine wahrgenommene Bedrohung der Stadt als das Resultat des Zusammenspiels von Sicherheitsdiskursen, Stigmatisierung und Niedergangsnarrativ der Stadt sowie der Wahrnehmung von Fremdheit und Überschaubarkeit diskutieren. Es handelt sich dabei zum einen um den Kaiser-Josef-Platz der schon in Kapitel sechs einen wichtigen Schauplatz darstellte, zum anderen um den Stadtteil Noitzmühle.

Der Kaiser-Josef-Platz Der Kaiser-Josef-Platz und der Niedergang der Einkaufsstadt Der Kaiser-Josef-Platz ist wohl neben dem Stadtplatz der bekannteste Platz von Wels. Er gilt für viele WelserInnen als unsicherer Ort in der Stadt und ist medial vielfach präsent. »Ein Ort, der reichlich Gesprächsstoff liefert« 5, so der Titel eines längeren Zeitungsartikels über den Platz in den Oberösterreichischen Nachrichten. Als Busdrehscheibe halten am Kaiser-Josef-Platz tagsüber alle fünfzehn Minuten sämtliche Stadtbusse gleichzeitig, wodurch Umstiege in andere Linien möglich sind. Verteilen sich also auf der Busdrehscheibe am Bahnhofsvorplatz die Fahrgäste in die umliegenden Ortschaften, zerstreuen sie sich hier in die einzelnen Stadtteile. »Zentrale Umstiegsstelle in alle Stadtteile«, verkündet die Sprecherstimme im Bus. Der Kaiser-Josef-Platz ist damit das kleinere Pendant zu vielen Verkehrsknotenpunkten in größeren Städten, etwa dem Schwedenplatz in Wien oder dem Jakominiplatz in Graz. Wie dort erfüllt der Platz als Treffpunkt der Verkehrsmittel in erster Linie eine funktionale Aufgabe und hat Eigenschaften eines Nicht-Ortes 6. Immer wieder ist der Platz auch Ziel von Umbauarbeiten. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass viele BewohnerInnen den Platz als hässlichen und unsicheren Ort beschreiben, dieser sei »zu Tode renoviert und modernisiert« 7 worden und seit dem Umbau im Jahr 1995 ein »Betonpflaster« 8, an dem sich »zwielichtige Gestalten« 9 aufhalten. Statt aus dem versprochenen Katzenpflaster, das wegen der Belastung der Busse nachgegeben habe, bestehe der Boden des Platzes heute aus Beton, so eine Interviewpartnerin 10. Der ehemals am Platz stehende Wachturm »Semmelturm« taucht in den

5 6 7 8 9 10

Müller u. a. (2015): Ein Ort. Vgl. Augé (1994): Orte und Nicht-Orte. Interview Frederike Riegler. Interview Theresa Gruber. Interview Moritz Strasser. Interview Theresa Gruber.

Die bedrohte Stadt: Überschaubarkeit, Fremdheit und (Un)Sicherheit

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Erzählungen immer wieder auf. Dieser wurde im Jahr 1959 am Kopf des Platzes abgerissen und an seiner Stelle ein mehrstöckiges Wohnhochhaus errichtet. Turm, Abriss, Hochhaus und Wiederaufbau werden mitunter kontrovers diskutiert. So erzählte mir eine Bewohnerin vom ehemaligen Wachturm, an dessen Platz dann »das schirche Hochhaus hin gebaut« 11 wurde. Die FPÖ forderte im Jahr 2014, eine Wiedererrichtung des Turmes zu überprüfen 12, und auch die Initiative I mog Wels hatte die Idee der Rekonstruktion der Stadttürme und des Semmelturmes. Eine Bewohnerin forderte im Interview, das Hochhaus gehöre »gesprengt« 13. Eine andere Bewohnerin, Magdalena Baumgartner, meinte beim Stadtgang: Also KJ ist die Abkürzung für Kaiser-Josef-Platz. Es ist ein hässlicher Platz jetzt, weil da ist die Busdrehscheibe und es ist nicht wirklich optimal zu lösen. Während zum Beispiel die Gassen rundherum schon ansprechend sind. [. . . ] Naja, erstens ist es so, dass die Busse alle gleichzeitig ankommen und wieder abfahren alle Viertelstunden, die meisten. Dadurch ist der Platz nicht wirklich attraktiv [. . . ]. Und dann ist er relativ groß und die Geschäfte, die früher waren, die wirklich was gebracht haben, die zugkräftig waren, die sind alle weg. Die sind schon seit etlichen Jahren alle abgesiedelt oder überhaupt ersatzlos weg. [. . . ] Der hat kein richtiges Leben. [. . . ] Da ist der Kaiser-Josef-Platz leider auch gefürchtet in der Nacht, weil relativ viele Umtriebe sind, die nicht so schön sind. So viele Jugendliche herum, die viel Radau machen.14

Der Kaiser-Josef-Platz stellt in dieser Perspektive einen Fremdkörper in einer sonst ästhetisch ansprechenden Umgebung dar, er steht für Verkehr, Überdimensioniertheit und Leerstand der Geschäfte – und potentiell für Angst. Symbolisch für den Niedergang des Kaiser-Josef-Platzes ist die verringerte Bedeutung des Hotels und Theaters Greif, welches früher eine renommierte Einrichtung war, heute aber nur mehr von externen Ensembles bespielt wird. Hier gibt es keine sanierten historischen Fassaden, das ehemalige Traditionscafé Urbann hat seit geraumer Zeit geschlossen und unter dem Platz verwaist die Tiefgarage. Der Kaiser-Josef-Platz ist in vielen Schilderungen das abgründige und postbürgerliche Pendant zum Stadtplatz, der als schmuck beschrieben wird, und bildet mit diesem die räumlich-symbolischen Pole unterschiedlicher Vorstellungen von Stadt. So zeigte sich eine andere Interviewpartnerin beim Stadtgang vom Stadtplatz und dessen verschiedenen Häusern, seinen Arkadenhöfen und Sehenswürdigkeiten angetan: »Den Stadtplatz, auf dem wir da sind, ich glaube, 11 12 13 14

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Interview Frederike Riegler. Vgl. Trajceski (2014): Ausbau der historischen Innenstadt Interview Birgit Wagner. Interview Magdalena Baumgartner.

Angekommen

der ist unbestritten durch seine Architektur und seine Anlage etwas Schönes.« 15 Am Stadtplatz stehen renovierte Bürgerhäuser, eröffnet im Winter der Weihnachtsmarkt und werden im Sommer die Arkadenhöfe bespielt, wohingegen im Diskurs über den Kaiser-Josef-Platz Verkehr, Drogenhandel und Gewalt dominieren. Die Innenstadt wird häufig in dieser Dichotomie – schmucke, überschaubare Idylle auf der einen Seite, anonyme, gefährliche Räume auf der anderen – wahrgenommen, wie folgender Interviewausschnitt klar macht. Birgit Wagner zeigte mir beim Stadtgang die Sehenswürdigkeiten des Stadtplatzes, die Stadtpfarrkirche, das Haus der Salome Alt, die nahe Burg und meinte dann mit Bezug auf den Stadtplatz: Das ist eigentlich sehr schön, Wels. Ja, es muss gepflegt werden. Das ist ein Juwel [lacht]. Ich empfinde es schon so. Und also besonders der [Stadtplatz]. Was mir dann nicht mehr so gefällt, sind die Verbindungswege von den einzelnen Plätzen. Die verkommen. Mit Kebapstuben, mit Handyshops und weißt eh, dieses ganze. [Während wir vor einem der Arkadenhöfe stehen] Aber gut, bitte, schau rein. Es ist jeder Hof schön [lacht].16

Vielfach wird in Gesprächen die Vermutung geäußert, dass der Kaiser-JosefPlatz BewohnerInnen von der Innenstadt abschrecken würde. Was Geschäfte betrifft, würden sich am Kaiser-Josef-Platz in erster Linie »billige Anbieter« befinden, erzählte mir Thomas Hofer, der Inhaber eines Geschäftes am Stadtplatz. Diese würden überdies »weiter in die Stadt hereinkommen«, so dass ein »Billigfashionstore« »in der Fußgängerzone direkt [. . . ] aufsperrt« 17. Die Läden werden als Bedrohung der Fußgängerzone wahrgenommen und seien mit einer anderen Kundschaft als der bisherigen verbunden, so Thomas Hofer weiter: »Und die müssen anscheinend ganz gut gehen, dass sie sich das leisten können, dass man in die Stadt hereinkommt und das ist halt auch wieder ein eigenes Klientel, sage ich mal.« 18 Der Kaiser-Josef-Platz ist auch Thema des Vereins Lebensraum Wels, habe er sich doch »seitdem diese Busdrehscheibe gemacht worden ist, einfach [. . . ] bei den Geschäftsleuten ins Negative entwickelt« 19. Überdies ziehe der Platz bestimmte Personen an: Da reden wir jetzt gar noch nicht eben von diesen Problemen, dass natürlich auch über diese Busdrehscheibe natürlich auch nicht nur positive Leute hereinkommen zum Shoppen, sondern eben auch genauso Leute, die halt einfach arbeitslos sind. Die aber einen Aufenthaltsort suchen. Einen öffentlichen Raum. Einfach. Ja? Der

15 16 17 18 19

Interview Birgit Wagner. Ebd. Interview Thomas Hofer. Ebd. Interview Christoph Hippmann.

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will einfach einmal von zuhause weg, in die Stadt. Bringt halt die bekannten Problematiken dann auch mit sich, von Drogen bis Alkohol an öffentlichen Plätzen und so weiter, Kriminalität.20

In den wenigen Sätzen werden die gängigen Zuschreibungen zum Platz angeführt – der öffentliche Raum als Ort der Kriminalität, des Drogenmissbrauchs und erwerbsloser Menschen. Der Anwesenheit von randständigen Menschen am Kaiser-Josef-Platz stellt aus dieser Perspektive ein Problem dar.

Randständige Menschen im Niedergangsnarrativ Wie u. a. am letzten Zitat sichtbar, wird Unsicherheit im Stadtraum, die Störung der Überschaubarkeit und die Leere der Innenstadt – also die Gefährdung des imaginaires der Einkaufsstadt – aus dieser Perspektive vor allem an randständigen Personen festgemacht: Erwerbslose, BettlerInnen, MigrantInnen und Drogenabhängige. Eine Interviewpartnerin bezog sich beim Stadtgang auf die Angst von BewohnerInnen vor dem Kaiser-Josef-Platz. Zwar sei es tagsüber nicht »so schlimm, aber ab sechs lungern sie halt da herum. Wir haben da auch mal einen Laden gehabt auf der Straße, ein Stückerl weiter unten. Die hat sich nur ein dreiviertel Jahr halten können, weil es ist am Abend keiner hergekommen, weil jeder meidet das.« 21 Magdalena Baumgartner hat hier eine Erzählung herausgebildet, die das Herumlungern ab achtzehn Uhr mit dem Misserfolg einer Bar kausal verknüpft und damit die innerstädtische Leere mit randständigen Personen verbindet. Die Pensionistin Gertraud Windhaber, die früher die Innenstadt oft frequentierte, bedauerte die starke Präsenz von BettlerInnen im Zentrum: Und was man sagen muss, es ist sehr traurig, es sitzen sehr viele Bettler herum. Und ich weiß ja ganz genau, dass das arme Würschteln sind, weil die werden wieder von so Organisationen mit den Bussen dahergebracht, dann werden sie rausgejagt und die sitzen vor den Geschäften, nicht? Jetzt habe ich mir früher, wie ich noch öfters in der Stadt war, die letzten Jahre halt, habe ich auch hin und wieder einen Schokolade oder irgendein Stückerl Kuchen gekauft und habe es dem geschenkt. Weil ich mir gedacht habe ›das Geld muss du eh wieder abgeben‹. Gell? Und da hast du wenigstens ein bisschen was zum Essen. Aber jetzt, das ist halt dasjenige, was einem fehlt. Dass, so irgendwie persönlicher ist alles gewesen, kommt mir vor.22

Die BettlerInnen erscheinen in der Schilderung als externe, organisierte und mobile Menschen, zu denen keine persönliche Beziehung herstellbar ist, welche 20 Ebd. 21 Interview Magdalena Baumgartner. 22 Interview Gertraud Windhaber.

282

Angekommen

früher die Innenstadt charakterisierte. Als fremd wahrgenommene Menschen werden zum Symbol des Verlustes an Überschaubarkeit der Einkaufsstadt, in welcher auch der Bezug zu randständigen Menschen früher persönlicher schien. Neben BettlerInnen und Erwerbslosen sind es vor allem als ethnisch fremd wahrgenommene Menschen, die mit einem Verfall der Innenstadt und insbesondere des Kaiser-Josef-Platzes in Verbindung gebracht werden. Ein Student der Fachhochschule erzählte im Gespräch, oft höre er in der Innenstadt türkische Radios aus vorbeifahrenden Autos schallen und türkische Gesichter auf der Straße. Manchmal komme er sich vor »wie in der Türkei« 23. Das Reden über ethnisch fremd wahrgenommene Menschen geht dabei oft mit Themen wie Unsicherheit im Stadtraum und Drogenkonsum einher. Dies zeigt sich auch in folgendem Auszug aus dem Interview mit der Pensionistin Theresa Gruber über die an den Kaiser-Josef-Platz angrenzenden Straßen: Teilweise am Abend, sagen wir, in der Bahnhofstraße ist es schon sehr laut oft, das eine Lokal von den Ausländern. Ich meine, ich bin jetzt nicht gegen die Ausländer, aber da geht es halt schon oft recht zu. Haben sie auch schon ein paar Mal zugesperrt. Wegen Rauschgift und so. Aber weiß nicht, wie es momentan ist. Freilich müssen sie auch wo hin. Ist eh klar.24

»Ausländer« stehen hier für eine negative Form von Trubel, hier ist nicht »viel los«, sondern hier »geht es zu«. Der Trubel ist kein Erlebnis, sondern wird als Bedrohung wahrgenommen, gegen die auch bereits polizeilich vorgegangen wurde. Ein Topos der Schilderungen über die Innenstadt ist, dass »Ausländer« die alten, eingesessenen Geschäfte übernommen hätten. Als wir gemeinsam im Café Greif am Kaiser-Josef-Platz sitzen, zählte Monika Huber – Anfang siebzig, Pensionistin und die meiste Zeit ihres Lebens in Wels wohnend – im Interview ein altes Geschäft nach dem anderen auf, das es in der Innenstadt bzw. am Kaiser-Josef-Platz nicht mehr gäbe. Dann resümierte sie: Drum sage ich ja. Das hat sich ja alles so verändert! Wenn wir so durchgehen. Ich sehe es ja bei meinen Enkelkindern, ich habe einen Enkel mit dreißig Jahren, der sagt immer, es ist ein Wahnsinn, was sich da getan hat. Nicht? Das ist ja nicht mehr das alte Wels. Nicht? Aber das neue Wels ist gar nichts. Das sind ja nur lauter, da braucht man nur am Kaiser-Josef-Platz anfangen, das sind ja lauter Ausländergeschäfte. Nicht? Und in der Bäckergasse das gleiche. Nicht? Weil das waren halt diese Geschäfte, was heute nichts ist.25

23 Feldnotiz, 25. 04. 2012. 24 Interview Theresa Gruber. 25 Interview Monika Huber.

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Das Niedergangsnarrativ über die Innenstadt wird in solchen Fällen direkt mit dem Migrationsdiskurs verknüpft. Die zeitliche Abfolge der GeschäftsinhaberInnen unterstreicht als ein im Stadtraum wahrnehmbares »Faktum« diese Perspektive auf den Stadtraum. Schließlich sind es Drogenabhängige, welche in Bezug auf die Wahrnehmung des Kaiser-Josef-Platzes und dessen Gefährdung eine zentrale Rolle spielen. Tatsächlich findet am Kaiser-Josef-Platz offener Drogenhandel statt, wie mir ein Streetworker beim Stadtgang erzählte und ich selbst auch im Laufe des Feldaufenthaltes öfters beobachtete. Die öffentlichen Toiletten wurden deswegen mit UV-Licht ausgestattet, um Drogenkonsum zu verhindern 26. Immer wieder erzählten mir BewohnerInnen von der Drogenszene in der Stadt, von den blauen Lippen der Drogenabhängigen, die sich vor allem zwischen Fachhochschule und Kaiser-Josef-Platz aufhalten würden, und auch von bekannten und befreundeten Menschen, die an einer Überdosis gestorben waren – Drogenabhängige sind hier besonders sichtbar. Damit ist der Kaiser-Josef-Platz ein Symbol für den schlechten Ruf der Stadt als »Drogenstadt Nummer eins« 27, wie der Schüler Marcel Mayr formulierte, bzw. für das »Image der Drogenhauptstadt« 28, so der Streetworker Simon Astner. Eine jüngere Bewohnerin aus dem Irish Pub empfahl mir als Titel meiner Forschung scherzhaft »Sin City« 29. Die mit Kriminalität und Sünde verbundenen Bilder schienen mitunter großstädtisches Flair zu versprechen, eine Möglichkeit der Umdeutung und des Aufbaus eines alternativen Stadtbildes. Der Ruf der Stadt scheint durch die Drogenabhängigen bedroht, wie die Pensionistin Gertraud Windhaber befürchtet, so sei »der Stadtruf [. . . ] oft gleich dahin, der gute Ruf, nicht. Weil wenn überall solche Leute [Drogenabhängige] herumhängen« 30. Gertraud Windhaber beklagte weiter: In der Altstadt auch, in der Bahnhofstraße [eine Straße, die zum Kaiser-JosefPlatz führt] ist eines zum Beispiel gewesen [ein Café], da hat man früher ganz gerne einmal einen Kaffee getrunken oder eine Kleinigkeit gegessen, das ist dann übernommen worden von irgendeinem weiß ich nicht mehr, aber jedenfalls sind dann auch nur solche Leute [Drogenabhängige] verkehrt drinnen.31

Das Stigma der Stadt und die Entwertung des eigenen Wohnortes ruft mitunter Verärgerung hervor, wie der schon angeführte Fachhochschulmitarbeiter Georg Hübner erzählte, der nahe des Kaiser-Josef-Platzes wohnt:

26 27 28 29 30 31

284

O.A. (2010): Drogenmissbrauch, S. o. S. Interview Marcel Mayr. Interview Simon Astner. Feldnotiz, 18. 04. 2012. Interview Gertraud Windhaber. Ebd.

Angekommen

Also, gerade das find ich ja immer ein bisschen schade, wenn man von Leuten, also mit Leuten außerhalb von ja oftmals schon im Bezirk Wels, Wels Land oder speziell außerhalb von Oberösterreich über Wels redet. Die glauben ja, dass hier jede Nacht zwei Morde geschehen und dreißig Leute ausgeraubt werden und so weiter. Das hat ja eigentlich einen sehr schlechten Ruf.32

Hier am Kaiser-Josef-Platz sei aufgrund der Drogenszene auch einer ihrer Haupteinsatzorte in der Stadt, erklärte der Streetworker Simon Astner, hier passiere »ganz viel« – »wenn man sich da einmal in ein Café setzt und einmal länger zuschaut, dann kriegt man viel mit« 33. Dies sei nicht zuletzt auch ein Resultat der späteren, auf sechzehn Uhr verlegten Öffnungszeit der auch als »Drogenlokale« verrufenen Bars in einer der angrenzenden Straßen – was im Zuge der Eröffnung des Welios Science-Center und des Energieweges vom Bahnhof durch die Innenstadt durchgesetzt worden sei, so Simon Astner. Die Lokale seien vielen WelserInnen als bedrohliche Orte ein Begriff, wie Robert Prem, an die zwanzig Jahre alt und Schüler, erklärte: Also, es weiß jeder Welser, dass da drinnen Drogen verkauft werden. Unmengen. Und es sind auch immer wieder Schlägereien und Messerstechereien und keine Ahnung. Was weiß ich was. Aber irgendwie haben sie es noch nicht zusammengebracht, dass sie es abdrehen.34

Robert Prem imaginierte die Lokale als einen Ort umfangreichen ilegalen Drogenhandels und gewaltsamer Auseinandersetzungen. Beide Praktiken sollten seiner Meinung nach unterbunden werden, ein Versäumnis der Zuständigen. Generell seien Drogenabhängige aufgrund der Kleinheit der Stadt vielen Menschen auch persönlich bekannt, so Robert Prem weiter: »Weißt eh, es ist halt doch eine Kleinstadt. Also irgendwie kennst immer wen, der halt wen kennt, der wen kennt, der halt irgendwie ein Junkie ist.« 35 Randständige Menschen – Erwerbslose, BettlerInnen, MigrantInnen und Drogenabhängige – werden also in dieser Perspektive der mittelschichtigen BewohnerInnenschaft mit dem wahrgenommenen Niedergang der Innenstadt in Verbindung gebracht. Sie hätten den Raum der einstigen Einkaufsstadt eingenommen und würden nun das Stadtleben gefährden.

32 33 34 35

Interview Georg Hübner. Interview Simon Astner. Interview Robert Prem. Ebd.

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Zwischen Niedergangsnarrativ und Kritik am Schlechtreden Auch hier gibt es eine Diskrepanz zwischen der Diagnose einer als brisant und gefährlich einzustufenden Situation und der Unterstellung des Schlechtredens bzw. der Instrumentalisierung der Situation. Der schon vorgestellte Fachhochschulmitarbeiter Georg Hübner, der Anrainer des Platzes ist, zeigte sich im Interview empört über die schlechte Darstellung desselben und versuchte vom Gegenteil zu überzeugen: Man wird konfrontiert, natürlich, weil es in der Presse kommt, weil man drauf angesprochen wird. Also zum Beispiel wird man drauf angesprochen ›Was? Ihr wohnt in der Nähe vom Kaiser-Josef-Platz? Ich meine, das ist ja der Drogenumschlagplatz schlechthin in Wels!‹ Ahm, da kann ich dann eigentlich nur sagen: Ja, aber es hat mein persönliches Leben, noch das Leben meiner Frau, noch das Leben meiner Kinder in irgendeiner Weise bisher beeinträchtigt.36

Georg Hübner bestätigte zwar den stigmatisierten Drogenhandel, grenzte sich aber von einem Alarmismus und der damit verbundenen Abwertung seiner Wohngegend ab und verwies darauf, dass er keine negativen Erfahrungen gemacht habe. Eine andere Bewohnerin machte deutlich, sie fürchte sich in Wels »überhaupt nicht«, kritisierte aber gleichzeitig, dass Vorfälle »nicht öffentlich gemacht« würden: »Ich halte von diesem Totschweigen überhaupt nichts.« 37 Mitunter wird auch die Instrumentalisierung randständiger Menschen thematisiert. Ein Journalist kritisierte im Interview einen populistischen Umgang mit der Drogenszene, es werde »mit Allgemeinplätzen gearbeitet«: »Weil das sind die brennenden Themen: Drogenmissbrauch und Ausländer. Das beherrscht einfach den Stammtisch in Wels.« 38 Die Monatszeitung Monatliche startete einen Selbstversuch und veröffentlichte auf der Onlineplattform YouTube ein Video, in dem der Herausgeber in einer Freitagnacht in ironischem Ton kommentierend über den Platz schlendert, um auf die geringe Gefahr hinzuweisen 39. Im Kontrast zur Intention des Videos trifft er dort auf zwei ihm bekannte Personen, die zwar zustimmen, dass es am Kaiser-Josef-Platz nicht gefährlich sei. Auf die Frage hin, ob sie selbst schon jemanden abgestochen hätten, meinen die beiden, sie würden nur ihre Fäuste verwenden, auch wenn das heute nicht mehr »so ihr Ding« sei. Die beiden berichten in der Folge von einer Schlägerei in der Fußgängerzone vor zwei Wochen und weisen trotz der suggestiven Fragen des Herausgebers immer wieder auf gewalttätige Vorfälle in der Innenstadt wie auch in den Wohnsiedlungen

36 37 38 39

286

Interview Georg Hübner. Interview Andrea Bäumel. Interview Markus Pichler. Vgl. Monatliche (2013): KJ-Wels.

Angekommen

Noitzmühle und Otto-Löwi-Straße hin. Sie verabschieden sich und einer der beiden grüßt zum Abschied seinen Bruder, der im Gefängnis sitzt. Das Video zeigt, wie virulent der Diskurs über die Unsicherheit des Kaiser-Josef-Platzes ist, und reproduziert – entgegen der deklarierten Intention – diese Perspektive. Dabei scheint es schwierig, eine Zunahme von Unsicherheit am Kaiser-Josef-Platz festzustellen. Dies liegt vor allem an der schlechten Verfügbarkeit von Daten und der überdies schwierigen Interpretation derselben. Kriminalstatistiken werden nur auf nationaler Ebene veröffentlicht, für andere Daten – etwa auf Bezirksebene – ist eine Genehmigung durch das Innenministerium erforderlich. Auskünfte zur Entwicklung der Kriminalität an einzelnen Plätzen oder in bestimmten Stadtteilen wurden mir überdies nur vage mitgeteilt, Statistiken dazu gebe es keine, hielt der Welser Polizeidirektor Johann Rudlstorfer im Interview fest 40. Darüber hinaus stellt die Interpretation von Kriminalstatistiken einen problematischen Vorgang dar, sind die Daten doch oft wenig aussagekräftig. So spiegelt ein Anstieg von angezeigten Delikten nicht notwendigerweise einen Anstieg der Delikte selbst wider, sondern kann genauso auf eine größere polizeiliche Präsenz oder auf eine niedrigere Schwelle, Anzeige zu erstatten, hinweisen 41. Darauf wies auch der Polizeidirektor im Interview insbesondere in Bezug auf Suchtmittelkriminalität hin. Diese sei »für die Polizei immer zweischneidig. [. . . ] Sobald wir viel machen, scheint das alles in der Statistik auf und die Anzahl steigt der Delikte. Sobald wir weniger machen, ist in der Statistik wenig, obwohl es natürlich vorhanden ist.« 42 Trotz dieser grundsätzlichen Schwierigkeit, Kriminalität zu messen, und Dementi von Seiten der Polizei und der Ordnungswache – ein städtischer Sicherheitsdienst –, dass es in Wels gefährlich sei 43, sprach der Welser Polizeidirektor im Interview davon, dass Wels »immer einen relativ hohen Kriminalitätsbelastungsfaktor gehabt« habe: »Also, wenn man hunderttausend Bewohner rechnet wie hoch ist da die Belastung. Da ist Wels immer relativ hoch oder im Spitzenfeld dabei. Aber das schon über Jahre und wir kriegen das auch nicht recht in den Griff, dass sich da recht viel ändern würde.« Dies sei »schon mindestens 15 Jahre so«. Er vermutete, dass ein Grund dafür in der »Bevölkerungsstruktur« liege, hätte Wels doch »relativ viele Ausländer [. . . ], Migranten, Besucher« 44 – wiederum wird also ein Zusammenhang zwischen Niedergang bzw. Bedrohung der Stadt und MigrantInnen hergestellt. Insbesondere verwies der Polizeidirektor auf den Drogenhandel in der Stadt:

40 41 42 43 44

Interview Johann Rudlstorfer. Vgl. dazu auch Glasauer (2005): Unsicherheit, S. 209. Interview Johann Rudlstorfer. Ebd., Interview Harald Löschenkohl. Interview Johann Rudlstorfer.

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Was natürlich immer auch trotzdem auch ein großer Schwachpunkt bei uns ist, ist doch, dass die Suchtmittelkriminalität oder viele Suchtkonsumenten, Suchtmittelkonsumenten da einpendeln noch und sich da niederlassen. Weil es irgendwie doch Verkehrsknotenpunkt ist. Und ja, wie gesagt, Schulzentrum, Arbeitszentrum, viele reinkommen und da natürlich auch, das dann angeboten wird. Nicht? Das ist sicher, werden Sie wahrscheinlich auch schon gehört haben, dass Wels einen Ruf hat als Suchtmittelhochburg.45

Dies betreffe insbesondere auch den Kaiser-Josef-Platz, denn »gerade KJ, wo die Busse weggehen und wo es eben auch ein Verkehrsknotenpunkt ist, da werden auch wieder immer Konsumenten auch anlaufen« 46. Ein Kollege von der Öffentlichkeitsarbeit schilderte im Interview überdies, dass die Gewaltbereitschaft in den letzten Jahren zugenommen habe: Es ist ja so, dass die Gewalt leider zunimmt, erfahrungsgemäß bzw. in den letzten Jahren. Früher haben sich die Leute genauso geschlagen und am Körper verletzt, nur hat da [. . . ] kaum wer ein Messer eingesteckt gehabt und hat mit dem zugestochen.47

Dies sei aber kein spezifisches Welser Problem, sondern sei eine österreichweite bzw. europaweite Entwicklung. Gleichzeitig werde der Eindruck einer gewaltvollen Stadt aber auch medial konstruiert, so sei ein Spezifikum in Wels, dass es Medienvertreter gebe, die insbesondere über Kriminalität berichten: Und der ist immer relativ schnell am Tatgeschehen und berichtet aus der ersten Reihe, hat natürlich viele Fotos. [. . . ] Das verkauft er an die Medien bzw. stellt sie ins Internet. Und das ist auch so ein Punkt, das gibt es zum Beispiel in Braunau oder in Ried [zwei kleinere Städte] nicht. Also da habe ich keinen, der was das gleich sofort online stellt für jedermann sichtbar. [. . . ] Es erweckt dann natürlich schnell den Eindruck bei der Bevölkerung, bei den Leuten, es ist besonders gefährlich und schlimm da. Weil berichtet wird ja nicht, weiß ich nicht, dass das Wetter heute schön ist oder dass die Straße jetzt super ausgebaut worden ist oder sonst irgendwas, sondern hauptsächlich eben Sachen, die was aufsehenerregend sind, wie eben Kriminalität.48

Diese Nachrichten würden überdies auf Onlineplattformen vervielfacht, insbesondere von Gruppen »vom rechteren Rand« 49.

45 46 47 48 49

288

Ebd. Ebd. Interview Bernd Innendorfer. Ebd. Ebd.

Angekommen

Ob der Kaiser-Josef-Platz nun tatsächlich unsicherer ist oder es sich nur um ein Gefühl der Unsicherheit handelt, lässt sich daher schwer beantworten.50 Die Auseinandersetzung darüber, inwiefern es nun tatsächlich zu einer Verschlechterung der Situation am Kaiser-Josef-Platz gekommen und der Platz gefährlich sei, ist Teil des Feldes – die Debatte um Sicherheit und Bedrohung der Stadt verstehe ich als gesellschaftliches Phänomen 51. Die angeführten Beispiele einer mittelschichtigen Perspektive auf die Stadt zeigen insofern, wie virulent Sicherheitsthemen und deren Verknüpfung mit dem Niedergangsnarrativ und randständigen Gruppen sind. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch in sicherheitspolitischen Maßnahmen.

Sicherheitspolitische Maßnahmen: Überschaubarkeit erzwingen Sicherheitspolitische Maßnahmen durch die Welser Stadtregierung tendierten in den letzten Jahren zwischen einer Adressierung des subjektiven Sicherheitsempfindens und der Durchsetzung von Sicherheitsvorkehrungen. Dabei zielen viele der Maßnahmen auf die Produktion von Überschaubarkeit. Wie mir der Leiter der Magistrats-Dienststelle Bürgercenter und damit Zuständige für die im Jahr 2009 eingeführte Ordnungswache im Interview erzählte, sei eine Vorgehensweise gegen das Herumlungern am Kaiser-JosefPlatz gewesen, Jugendliche, die nicht mit dem Bus fahren, von der Businsel zu verweisen: »Und wenn er beim dritten Bus nicht mitfährt, dann kriegt er die Information: Jetzt gehst du! Weil der hätte Zeit genug gehabt, nach Hause zu kommen.« 52 Die Wegweisung sei durch ein Hausrecht des Busunternehmens Sabtours gedeckt. Auf diese Wiese sei es wieder zu »einigermaßen überschaubaren Verhältnissen« 53 gekommen. Generell versuche die Ordnungswache »Ordnung, Ruhe und Sauberkeit« 54 aufrecht zu erhalten und etwa auch das Bettelverbot durchzusetzen, das »aufdringliches oder aggressives Betteln« und »alle Formen des organisierten Bettelns« 55 verbietet. Als einen Grund für die Einführung der Ordnungswache führte der Leiter Verschmutzung an:

50 Verwiesen sei hier auf jene Ansätze, die einen Anstieg von Gefahr im öffentlichen Raum, der durch die Geschichte als heute am sichersten angesehen wird, ausschließen und die Debatte rund um Sicherheit als zunehmende Zivilisierung und gleichzeitige ökonomische Verunsicherung begreifen, vgl. Glasauer (2005): Unsicherheit, S. 203 ff. 51 Vgl. Ebd., S. 206. 52 Interview Harald Löschenkohl. 53 Ebd. 54 Ebd. 55 Oberösterreichischer Landtag (2011): Polizeistrafgesetz-Novelle, S. 1.

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Es gab massive Beschwerden jener Personen in Wels, die Stadtführungen geleitet haben. Wenn die mit ihren interessierten Touristen durch die Stadt gegangen sind und unseren Burggarten besucht haben, ist es oft vorgekommen, dass dort fürchterliche Müllzustand geherrscht hat. Von der Nacht vorher. Und der Burggarten ist so ein Herzstück von Wels.56

Auch der Polizeidirektor der Stadt erzählte von Maßnahmen zur Befriedung des Kaiser-Josef-Platzes, etwa durch die Kontrolle der »Drogenlokale«, stellte aber zugleich die Sinnhaftigkeit davon in Frage: Wir haben schon auch die Strategie gehabt. Einmal eine Zeit, weil gerade auf dem Schulweg, da Stelzhammerstraße, das Gebiet, wo da einige Lokale sind, die wir dann einfach fast täglich kontrolliert haben. Nicht? Dann hat man das vertrieben, aber es verlagert sich nur.57

Neben dieser höheren Präsenz von Kontrollorganen wurden auch verstärkt materielle Überwachungs- und Disziplinierungsmaßnahmen gesetzt. Im Jahr 2013 wurde von der Stadtregierung beschlossen, die Beleuchtung der Businsel auf die ganze Nacht auszuweiten, ein Videoüberwachungssystem einzurichten, die Businsel mit unterschiedlicher Musik zu bespielen und zwei zusätzliche Drogenstreetworker aufzunehmen 58. Im Jahr 2013 wurde gemeinsam mit dem Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie Wien ein DESSI-Prozess (Decision Support on Security Investment) initiiert, bei dem u. a. der Kaiser-Josef-Platz ein Schwerpunkt war. Hier wurde »nach Analyse der Kriminalitätsbelastung die für die Stadt durch den KJP entsteht, vor allem die subjektive Komponente dieses Sicherheitsproblems« 59 betont. Die dabei entwickelten Empfehlungen waren mehr Polizeipräsenz, eine Vermeidung der Verlagerung der Drogenszene an andere Orte, Informations- und Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung für ein Verständnis der Drogenproblematik als Gesundheitsproblem und nicht als Sicherheitsproblem, Investitionen in Suchtprävention, erweiterte Zusammenarbeit mit Gastronomen und keine Videoüberwachung. Überdies wurde die besondere Rolle des Kaiser-Josef-Platzes in der Stadt anerkannt: Der Kaiser-Josef-Platz gilt, so der Eindruck der TeilnehmerInnen [der DESSI Workshops], als Gradmesser dafür, was in Wels ›falsch‹ läuft. Er ist ein symbolischer Gradmesser für die Verunsicherung und den Unmut in der Bevölkerung. Eine Attraktivierung des Platzes durch gezielte Aktionen (Sommerfest, Straßen-

56 57 58 59

290

Interview Harald Löschenkohl. Interview Johann Rudlstorfer. Vgl. Zeko (2013): Maßnahmenpaket. IRKS (2014): DESSI, S. 6.

Angekommen

fest, etc.) könnte zum Imagegewinn beitragen, den Platz wieder in die ›positiven Schlagzeilen‹ rücken.60

Weitere Maßnahmen hatten stärker die Wahrnehmung von Kriminalität und Unsicherheit durch BewohnerInnen als Ansatzpunkt. So wurde auf Kommunikation mit der Bevölkerung gesetzt, etwa durch das Projekt »Cop4wels«, und eine Bürgerbefragung durchgeführt, die das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung messen sollte. Mit der App TOPOS können BewohnerInnen anhand der Frage »Fühlen Sie sich an diesem Ort sicher?« auf einem Schieberegler Angaben über ihr subjektives Sicherheitsgefühl zwischen null und hundert Prozent machen. Detailangaben zum Sicherheitsempfinden können überdies zu den fünf Bereichen Beleuchtung, Übersicht(lichkeit), Sauberkeit, Verhalten der Mitmenschen und Image des Ortes gemacht werden. Daraus soll eine Karte entstehen, die das subjektive Sicherheitsgefühl an verschiedenen Orten in der Stadt abbildet, die Aufmerksamkeit für den öffentlichen Raum erhöht und als Basis für die polizeiliche Arbeit dient. Im Jahr 2015 wurden Kameras zur Videoüberwachung in der Innenstadt, u. a. am Kaiser-Josef-Platz, installiert und weitere Sicherheitsmaßnahmen angekündigt. Diese tendieren vor allem seit dem Regierungswechsel zur FPÖ mehr in Richtung Kontroll- und Disziplinierungspolitik (siehe dazu auch das Kapitel »Rechtsruck und städtische Positionierung«). Im Jahr 2015 sei die Drogenszene dann durch verstärkte Eingriffe der Polizei vom Platz vertrieben worden, so ein Zeitungsartikel in den Oberösterreichischen Nachrichten 61. Wie die angeführten Maßnahmen zeigen, bewegt sich die Stadtpolitik der letzten Jahre in Bezug auf den Kaiser-Josef-Platz zwischen Kontroll- und Disziplinierungsmaßnahmen, einer Verbesserung des Rufes des Platzes sowie der Stadt und einem Einwirken auf das Sicherheitsempfinden der BewohnerInnen. Die Maßnahmen lassen sich im Kontext des Städtewettbewerbs und des Niedergangsnarrativs auch als place-making und scaling practices begreifen, über welche die Innenstadt als sauberer, geordneter und gesicherter Ort des Konsums wiederhergestellt und die Stadt ihre Stigmatisierung durchbrechen soll.

Die bedrohte Innenstadt: Überschaubarkeit und Fremdheit in der Innenstadt Die angeführten Beispiele zeigen, dass die Angst vor dem Niedergang des eigenen Wohnortes, der als Verlust des residenziellen Kapitals wahrgenommen wird, und damit in Zusammenhang stehender Rassismus und Klassismus sich in der Wahrnehmung einer unübersichtlich werdenden Innenstadt manifestieren. Das als fremd Wahrgenommene wird dabei als Bedrohung der Stadt verstanden.

60 IRKS (2014): DESSI, S. 3. 61 Vgl. Müller u. a. (2015): Ein Ort.

Die bedrohte Stadt: Überschaubarkeit, Fremdheit und (Un)Sicherheit

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Der Soziologe Erol Yildiz stellt fest, dass das Aufeinandertreffen als Fremde im Stadtraum Teil unserer Alltagsnormalität ist 62. Mit Bezug auf Erving Goffman erläutert Yildiz, dass die »höf liche Nichtbeachtung« typisch für urbane Situationen sei 63. In der Großstadt treffe man selten auf vertraute Gesichter 64. Der Soziologe Armin Nassehi schreibt nicht von »dichter, sondern loser Soziabilität« 65, Alois Hahn von »intersubjektiver Ignoranz« 66 und auch die bereits angeführten Bezeichnungen eines urbanen Blickes, eines urbanen Habitus, dessen Bestandteil der irritationsfreie Umgang mit Differenz und Kontingenz ist, oder einer Blasiertheit versuchen mit je unterschiedlicher Gewichtung Ähnliches zu fassen. Die Erfahrung von Fremdheit und alltägliche Umgangsweisen werden dabei als Kennzeichen von Urbanität gedacht. In den angeführten Beispielen äußert sich aber die Wahrnehmung von Fremdheit in einem Stadtraum, der vielfach als überschaubar beschrieben wird, anders. Die angeführten Beispiele zeigen, dass Interaktion in der Innenstadt prozessual ausgehandelt wird und zur Disposition steht, inwiefern in Wels von Fremdheit als Alltagsnormalität ausgegangen werden kann. Es geht also um das Aufeinandertreffen verschiedener Sozialitäten, verschiedener enactments von Städtischkeit und verschiedener Wahrnehmungsweisen des Stadtraums, die sich unterschiedlich an Überschaubarkeit und Anonymität orientieren. Placemaking practices der Überschaubarkeit, wie das Grüßen Bekannter und der Smalltalk, treffen im Extremfall auf place-making practices der Anonymität, etwa auf den offenen Drogenhandel, der sich der Blickweisen und Sichtbarkeitsvorgaben der Überschaubarkeit entziehen will. Eine oft im Versteckten, in Wels aber offen agierende Drogenszene trifft auf Interaktionen der Überschaubarkeit und auf deren Sichtbarkeit. In der Wahrnehmung des Drogenhandels werden eingelernte Formen des Blickens irritiert, so wird in Bezug auf die Drogenabhängigen habitualisiert, gerade nicht hinzusehen. Eine Diskrepanz besteht zwischen dem Wiedererkennen von vertrauten Gesichtern und der Distanz zum beobachteten Drogenhandel – unterschiedliche Formen der Raumnutzung geraten in Konflikt. Gleichzeitig zeigt sich, dass Überschaubarkeit exkludierend wirken kann – nicht alle und alles haben darin Platz. Überschaubarkeit wird nur zu bestimmten Personen enacted, zu anderen wird Anonymität performt, Anonymität aber nicht im Sinne »intersubjektiver Ignoranz«, sondern Anonymität als Ärgernis, als das Auftauchen eines störenden Fremden.

62 63 64 65 66

292

Vgl. Yildiz (2014): Weltoffene Stadt, S. 77. Vgl. Ebd., S. 80. Ebd., S. 82. Nassehi (1999): Fremde, S. 236. Hahn (2000): Partizipative Identitäten, S. 35.

Angekommen

Das Streetwork enacted demgegenüber in seiner Form der Stadtbegehung Überschaubarkeit und vermeidet das Wegsehen. Beim gemeinsamen Stadtgang erklärte mir der Streetworker Simon Astner eine »klassische Runde«: »So mal am KJ schauen, schauen, wer ist da. Oft trifft man Leute. Dann entwickelt sich eh schnell was, manchmal braucht auch wer was. Dann ist man eh gleich beschäftigt sozusagen.« Oft werde dann »auch nur Smalltalk [geführt], das ist das Hallo, Griaß di, Pfiat di, ein bissl [. . . ], dann kommen sie meistens her und grüßen und geben mir die Hand [. . . ]« 67. Das Streetwork entzieht sich dem selektiven enactment von Nähe und Distanz und »holt« die Drogenszene zurück in den Rahmen der Überschaubarkeit. Wie die angeführte Kritik am »Schlechtreden« zeigt, wird Fremdheit aber auch vielfach als Normalität von Wels angesehen, die nicht stört. In diesem Fall wird Stadt als ein genereller Raum des Fremden vorgestellt und enacted. Damit werden also im Stadtraum der Welser Innenstadt verschiedene Formen von Städtischkeit performt, die Antworten auf das Niedergangsnarrativ darstellen und sich unterschiedlich an Überschaubarkeit und Anonymität orientieren. Richten sich BewohnerInnen bei der einen Form städtischer Sozialität an Überschaubarkeit aus und nehmen dabei randständige Menschen mitunter als Bedrohung wahr, orientieren sie sich bei der anderen Form an Anonymität. Mitunter ist die gleichzeitige Performanz beider Varianten möglich, etwa wenn der Fachhochschulmitarbeiter Georg Hübner zwar die Überschaubarkeit der Innenstadt schätzt, gleichzeitig aber seine großstädtisch eingelernten Blicke das Treffen auf randständige Gruppen als »normal« erscheinen lassen. Im Feldmaterial lassen sich damit zwei Zugänge zur Fremdheit in der Stadt unterscheiden, die sich mit Yildiz als reflexiver Fundamentalismus bzw. reflexiver Pluralismus bezeichnen lassen (siehe dazu auch das erweiterte Raster von Jansson im Schlusskapitel »Stadt und Land«). Reflexive FundamentalistInnen stehen städtischen Transformationsprozessen skeptisch gegenüber, sehen diese als Desintegration und als Bedrohungen für den sozialen Zusammenhalt. Als Antwort dient dabei die Forderung nach mehr Disziplin. Reflexive PluralistInnen sehen dagegen Städte als Orte der Emanzipation, der Entfaltung von Individualität sowie der politischen Öffentlichkeit und betonen die Vielfalt des modernen städtischen Lebens. Die Transformation erscheint dabei nicht als Moment der Desintegration, sondern als Chance und genuiner Teil städtischen Lebens 68. Im Zusammenhang mit dem Niedergangsnarrativ über die Innenstadt und dem Verlust der Bedeutungskraft des Labels Einkaufsstadt bekommt diese Diskrepanz eine besondere Dynamik. Schienen im imaginaire der Einkaufsstadt städtische Überschaubarkeit (Smalltalk, familiäre Fachgeschäfte) und Anony67 Interview Simon Astner. 68 Vgl. Yildiz (2014): Weltoffene Stadt, S. 79.

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mität (Geschäftigkeit, Hochhäuser) verbunden und galten beiderseits als Ausdruck städtischer Größe, werden sie in der Leere der Post-Einkaufsstadt vielfach ausschließend gedacht.

Die Wohnsiedlung Noitzmühle Die Wohnsiedlung Noitzmühle am westlichen Rand der Stadt ist das zweite Beispiel, an dem die Verzahnung des Sicherheitsdiskurses mit dem enactment von Überschaubarkeit und der Wahrnehmung von Fremdheit deutlich wird. Die Wohnsiedlung Noitzmühle stellt eine unter mehreren Siedlungen in der Stadt dar, die eine ähnliche Geschichte aufweisen und in der prägenden Zeit des industriell-modernen Wels gebaut wurden, heute aber einen schlechten Ruf haben, wohingegen sie damals als zukunftsweisende Bauten wahrgenommen wurden. Wie auch beim Beispiel Kaiser-Josef-Platz zeigt sich hier eine spezifische Wahrnehmung der Wohnsiedlung aus den Augen mittelschichtiger BewohnerInnen, welche zunehmend den Ort meiden. Wird also einerseits von einer überschaubaren Stadt gesprochen, in der persönlicher Kontakt in der Innenstadt dominiert, zeigt sich andererseits in der räumlichen Struktur der Stadtteile eine sozialräumlich differenzierte Stadt, in der BewohnerInnen vom Geschehen in anderen Stadtteilen mitunter nur medial erfahren.

Die Utopie der Stadt der 1970er Jahre Die Noitzmühle wurde in den Jahren 1973 bis 1997 in mehreren Abschnitten erbaut. Schon im Jahr 1965 wurden der Teilbebauungsplan im Gemeinderat genehmigt und die ersten Pläne für die Bebauung präsentiert, welche in Österreich ein starkes mediales Echo hervorriefen 69. Die Rede war von »fast utopischen Plänen« 70, so ein Zeitungsartikel zur geplanten Siedlung im Linzer Volksblatt. Und ein Artikel in der Welser Zeitung formulierte, das Wohnbauvorhaben reihe sich in die »Großprojekte im österreichischen Städtebau« 71 ein. Die Pläne umfassten in dieser ersten Version noch keine Hochhäuser, aber viele infrastrukturelle Einrichtungen 72. Nicht zuletzt der prognostizierte Bevölkerungszuwachs ließ die Dimensionen des Projektes mit über 1.000 geplanten Wohnungen notwendig erscheinen 73. Im Jahr 1973 kam es zu einer neuen Planung, die Wohntürme in der Höhe von 13 Stockwerken vorsah (siehe Abbildung 30). Der Stadtteil sollte Platz für 69 70 71 72 73

294

Vgl. Müller (2014): Interkulturelles Wohnen, S. 24. O.A. (1965): Welser Wohnungsbau, S. 4. Vgl. o. A. (1965): 350 Millionen, S. 1. Vgl. Müller (2014): Interkulturelles Wohnen, S. 24. Vgl. Ebd., S. 25.

Angekommen

Abb. 30: Die Noitzmühle und ihre Hochhäuser als Teil politischer Inszenierung im Amtsblatt. Ähnlich wie beim Maria-Theresia-Hochhaus werden Funktionalität und Größe als Zeichen des Erfolgs und der Aktivität in Szene gesetzt.

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über 10.000 Menschen bieten und über Serviceeinrichtungen verfügen 74. Im Jahr 1976 wurden die ersten Wohnungen übergeben, im Jahr 1977 war die Bebauung des Bereichs »Noitzmühle alt« abgeschlossen 75. »Jegliche Uniformität der Architektur« 76 sei in der Planung vermieden worden, so ein Artikel in der österreichweit erscheinenden, als christlich-liberal geltenden Zeitung Salzburger Nachrichten. Die Wohnsiedlung wurde in Folge als Parkstadt im Grünen am Rande der Stadt vermarktet, insbesondere wurde die Grünflächenplanung hervorgehoben (siehe Abbildung 31) – ein Bild, das sich heute noch teilweise bei der BewohnerInnenschaft finden lässt. Dies bestätigten auch Mitarbeiter der Welser Heimstätte im Interview: Die alte Noitzmühle ist ja als Prominentenwohngegend in den 80er Jahren verkauft worden. Das hat geheißen ›Wohnen um Mühlbach‹. Es hat da sogar einen eigenen Entwurf gegeben, dass man da eine Badeinsel entwickelt hat rund um das Gewässer. Man hat diese Wohnbebauung an sich für Wohnen im Grünraum mit viel Grünraum, darum ist es ja so beworben und das war wirklich eine Zeit lang eine sehr gefragte Wohngegend in Wels. Dann haben die ersten die Wohnungen verlassen, haben Häuser gebaut, eh wahrscheinlich da im Umfeld, die meisten.

Abb. 31: Werbung für die Wohnsiedlung nach der Erbauung des Bereichs »Noitzmühle alt«. Hier zeigen sich schon Brüche in der Vermarktung von Größe. Im Grundriss verschwinden die Hochhäuser nahezu, stattdessen wird Grünraum betont.

74 Vgl. Ebd., S. 27. 75 Vgl. Ebd., S. 29. 76 O.A. (1975): Welser Westen, S. 4.

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Angekommen

Und Angebot und Nachfrage. Und dann hat das halt begonnen, diese Neubesiedelung der Wohnanlagen, wenn man es so nennen will, bis heute.77

Für den Bereich »Noitzmühle neu« wurden im Jahr 1975 weitere Pläne entwickelt. Die Bebauungsdichte wurde erneut erhöht und der Stadtteil sollte Restaurants, ein Café, ein Postamt, eine Bank, eine Parfümerie, mehrere Einzelgeschäfte, einen Supermarkt, eine Zweigstelle der Stadtbücherei und eine Mutterberatung umfassen. Im Jahr 1979 wurden die letzten Wohnungen im Bereich »Noitzmühle neu« übergeben. Das Stadtteilzentrum umfasste einen Supermarkt, ein Fotogeschäft, eine Kleiderreinigung, eine Tabaktrafik und eine Sparkassenfiliale. Geplant waren überdies zusätzliche Verkaufsflächen, ein Saal für 250 Personen, eine Tagesheimstätte und ein Jugendzentrum 78. Ab dem Jahr 1983 bis Mitte der 1990er Jahre wurden immer wieder weitere Wohnungen gebaut und übergeben, vermehrt nun auch in niedrigerer Bauweise mit maximal vier Geschossen und mit einer verstärkten Betonung von Natur und einer »den menschlichen Bedürfnissen gemäßen Naturlandschaft« 79. Von der Genossenschaft Heimstätte wurden in der Noitzmühle insgesamt 1198 Mietwohnungen, 249 Eigentumswohnungen, 11 Geschäftslokale und eine Zweigstelle der VHS übergeben 80.

Von der Utopie zur stigmatisierten Wohnsiedlung Ab Mitte der 1980er Jahre geriet die Wohnsiedlung Noitzmühle zunehmend negativ in die Schlagzeilen. Im Jahr 1983 erschien ein Artikel in der Welser Zeitung zu den »Problemen der Bewohner des Stadtteils Noitzmühle« 81. Der öffentliche Verkehr sei unzureichend, gefordert wurden längere Betriebszeiten und kürzere Intervalle sowie Einrichtungen für Jugendliche. »Würde die Satellitenstadt Noitzmühle nochmals gebaut?« fragte gar ein Artikel in der Welser Zeitung vom 20. Februar 1986 im Titel. Kritisiert wurde neben der Isoliertheit von Frauen, die zuhause in den Wohnungen blieben, wohingegen ihre Männer zur Arbeit gingen, und die Angewiesenheit auf den öffentlichen Verkehr das grundlegende Konzept von »Trabantenstädten« – an sich ein Begriff, der den Stadtteil diskursiv von der Kernstadt räumlich abhebt. Stattdessen sei heute die Wiederbelebung von Innenstädten zentrale Aufgabe, so der Text mit Bezug auf einen Kongress von ArchitektInnen und StadtplanerInnen in Deutschland: »Es fehlt die Kommunikation mit der Stadt, das Gefühl, nur um die Ecke gehen

77 78 79 80 81

Interview Markus Haider und Konrad Stummer. Vgl. Müller (2014): Interkulturelles Wohnen, S. 30. O.A. (1988): Parkstadt Noitzmühle, S. o. S. Vgl. Müller (2014): Interkulturelles Wohnen, S. 34. O.A. (1983): Noitzmühle, S. 5.

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zu müssen, um im nächsten Lebensmittelgeschäft einkaufen zu können.« 82 Im Jahr 1986 wurden Stimmen laut, welche die »scheußlichen Auswüchse der ›modernen‹ Architektur« 83 kritisierten, so die Worte des Vizebürgermeisters von Wels in der Zeitung Volksblatt. Fehlende Wettbewerbe und daraus resultierende geringe gestalterische Vielfalt wurde von Seiten der Welser ArchitektInnen bemängelt – Wels hätte großen Nachholbedarf 84. In den Oberösterreichischen Nachrichten vom 21. September 1994 schrieb der Autor unter dem Titel »Sündenregister des sozialen Wohnbaus« über Schlägereien unter Jugendlichen in dem »Gebirge von Schlafburgen« und über den Ruf des Stadtteils, ein »Hort von Neonazi-Jugendbanden« zu sein, was im Text dann wieder relativiert wird 85. In den »Schlafsilos« in »seelenlosem Baustil« habe sich Entfremdung unter den BewohnerInnen breit gemacht – was an den fehlenden Kommunikationsräumen liege, vermutete der Autor 86. Für Jugendliche fehle es an Infrastruktur, Kinder würden von den oberen Stockwerken nur »als kleine Ameisen« 87 wahrnehmbar sein. Das Zentrum des Stadtteils sei künstlich geschaffen worden. Themen der Kritik sind damit Gewalt und eine fehlende Belebung als Resultat der Künstlichkeit und einer unangemessenen Höhe und Dichte der Siedlung 88. Im Jahr 1999 gab es gar politische Vorschläge, die »Wohnsilos« abzureißen und die BewohnerInnen in leerstehende Wohnungen der Heimstätte umzusiedeln. Auch der Leerstand in der Wohnsiedlung wurde immer wieder Thema. So wird der Leerstand für das Jahr 2000 auf etwa 100 Wohnungen geschätzt 89. Als Maßnahme gegen die negative Entwicklung wurde im Jahr 1995 ein Streetworker für die Noitzmühle abgestellt. Ein Teil der VHS wurde als Jugendtreff genutzt, der aber nach wenigen Monaten wieder eingestellt wurde 90. Zehn Jahre später beschloss die Stadt eine weitere, diesmal sicherheitspolitische Maßnahme: Sicherheitspersonal, das im Wohngebiet patrouillieren sollte, wurde eingesetzt. Dieses sei insbesondere aufgrund einer Studie eingeführt worden, die herausgefunden hätte, dass sich in der Wohnsiedlung »85 Prozent der Frauen ab 19 Uhr unsicher fühlen«, so ein Mitarbeiter der Welser Heimstätte im Interview. Ab 2011 wurde Videoüberwachung eingeführt und zwei Jahre später das Konzept »Sicheres Wohnen Noitzmühle« vorgestellt, das befristete Mietverträge,

82 83 84 85 86 87 88 89 90

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Vgl. o. A. (1986): Satellitenstadt Noitzmühle, S. 11. Vgl. o. A. (1986): Welser Architekten, S. 6. Vgl. Ebd. Vgl. Wimmer (1994): Sündenregister, S. 18. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd. Vgl. Müller (2014): Interkulturelles Wohnen, S. 35. Vgl. Ebd., S. 34.

Angekommen

Integrationsschulungen für Objektverwalter, flächendeckende Einführung von Hausverwaltern, flächendeckende Videoüberwachung und tägliche Wachgänge von Sicherheitsunternehmen vorsah. Auch sozialpolitische Maßnahmen folgten: Im Jahr 2007 wurde von der Stadt Wels gemeinsam mit dem Land Oberösterreich und den Genossenschaften das Projekt Miteinander wohnen der Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung ins Leben gerufen, das insbesondere auf MigrantInnen abzielte, wurde der Sozialbau in Österreich doch im Jahr 2006 auch für Nicht-EU-BürgerInnen ohne österreichische Staatsbürgerschaft geöffnet 91. Die Volkshilfe betreibt seit dem Jahr 2012 auch ein eigenes Büro im Stadtteil als Anlaufstelle und Empowerment für BewohnerInnen. Ziel sei es, eine »bessere Nachbarschaft herzustellen«, erklärte Simone Klammer, Sozialarbeiterin und Mitarbeiterin der Volkshilfe, im Interview: In Wels ist der Schwerpunkt in der Gemeinwesenarbeit, das heißt, wir sind Anlaufstelle für Konflikte, wir machen, wir planen Einzugsbegleitung für neu Zugezogene und wir machen im Sommer zum Beispiel Spielplatzbetreuung, Siedlungsfeste. Also wir gehen auf die Leute zu mit dem Auftrag irgendwie, Konflikte zu entschärfen oder Probleme aufzugreifen und an die zugeordneten Stellen zu verweisen.92

Simone Klammer beschrieb weiter als Grund für Schwierigkeiten, »dass viele Menschen auf engem Raum zusammenwohnen und das ist einfach Lärm. Das ist die Hauptschwierigkeit. Und wie dann damit umgegangen wird einfach.« 93 Insbesondere würden kinderreiche jüngere Familien auf ältere Personen treffen: Das ist das Standardproblem. Die alte Noitzmühle gibt es seit 1970 ungefähr. Die Bewohner wohnen seither da, viele. Kinder sind ausgezogen, da wohnen oft ältere Ehepaare oder alleinstehende Personen und zuziehen tun viele junge Familien mit Migrationshintergrund und das ist der Klassiker.94

Dabei gehe insbesondere auch darum, »Schuldzuschreibungen oder Stereotype abzubauen« und zu zeigen, »dass Probleme nicht unbedingt mit Migrationshintergrund zu tun haben, sondern andere Ursachen haben« 95. Im Jahr 2009 wurde das AktivTeam Noitzmühle als Teil der Organisationseinheit des Magistrats Büro für Frauen, Gleichbehandlung und Integration gegründet – ein Ergebnis des 2008 in Gang gesetzten Stadtteilentwicklungsprozesses. Das als offene Gruppe für BewohnerInnen des Stadtteils konzipierte

91 92 93 94 95

Vgl. o. A. (2006): EU-Richtlinie. Interview Simone Klammer. Ebd. Ebd. Ebd.

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AktivTeam Noitzmühle setzte sich aus BewohnerInnen der Mietwohnungen, der Eigentumswohnungen und der umliegenden Eigentumshäuser zusammen 96. Die Gruppe sei »einfach bunt zusammengesetzt« 97, wie die Leiterin des Büros für Frauen, Gleichbehandlung und Integration der Stadt Wels und Zuständige für das AktivTeam Noitzmühle Claudia Glössl formulierte. Der gegenwärtige mediale Diskurs über den Stadtteil ist weiterhin negativ geprägt. Vielfach wird die Noitzmühle als »Ghetto« bezeichnet, etwa in einer Fotoserie der Zeitung Die Presse mit dem Titel »Noitzmühle: Das Welser ›Wohn-Ghetto‹« 98, die begleitend zum Artikel »Deutschtest für Sozialwohnung? ›Das ist doch das mindeste‹« 99 erschien. Aus der Distanz abgebildete Hochhäuser prägen die Darstellung. Menschenleere, schnee- und matschbedeckte Flächen vor den Häusern sowie in Szene gesetzte Monotonie suggerieren Anonymität und Unwirtlichkeit der Siedlung. Es handelt sich beim Siedlungsgebiet Noitzmühle im stadtsoziologischen Sinn aber keineswegs um ein Ghetto. Auch wenn es zu infrastruktureller Vernachlässigung kam und der Anteil von Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft vergleichsweise hoch ist, erfüllt das Siedlungsgebiet kaum die für Ghettos definierten Kriterien (wie etwa eigenständige Infrastrukturen, ethnische Homogenisierung, kollektive Identität und gezielter Einschluss 100). Räumliche Ungleichheit in Wels lässt sich daher besser mit dem Begriff der Segregation fassen. Der Ghettobegriff muss dagegen selbst als Form territorialer Stigmatisierung verstanden werden, welche durch räumliche Abwertung und Differenz soziale Abwertung und eine Homogenisierung der Wahrnehmung des Ortes produziert 101. Diese Repräsentationsweise lässt sich auch in den Schilderungen von BewohnerInnen der Stadt finden. Dabei wird die Noitzmühle oft als zu groß dimensionierte Siedlung mit schlechter Atmosphäre wahrgenommen. Größe stellt hier unzweideutig etwas Negatives dar. Der junge Zivildiener Moritz

96 97 98 99

Vgl. Müller (2014): Interkulturelles Wohnen, S. 35 f. Interview Claudia Glössl. Vgl. Meinhart (2010): Noitzmühle. Der FPÖ-Wohnbaustadtrat und spätere Bürgermeister Andreas Rabl plante im Jahr 2011 Deutschtests als Voraussetzung für die Vergabe von Sozialwohnungen. Wegen rechtlicher Bedenken wurden diese ausgesetzt und dann im Jahr 2014 eingeführt, vgl. Scheller (2014): Sozialwohnung. 100 Vgl. Wacquant (2015): Ghetto. 101 Vgl. Bourdieu (1998): Ortseffekte, S. 17; Wellgraf (2014): Ghettodiskurs; Wacquant (2012): Ethnoracial Closure; Wacquant (2015) Ghetto. Großwohnsiedlungen sind nicht nur in Wels Symbol für soziale Brennpunkte, wie Beispiele aus Frankreich und Deutschland zeigen, siehe Brailich u. a. (2008): Diskursive Konstitution; Glasze u. a. (2014): Stigmatisierung von Stadtvierteln.

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Angekommen

Strasser, der in der Nähe der Siedlung aufgewachsen ist, beschrieb die Noitzmühle beim Stadtgang wie folgt: Ich habe einmal eine Zeit lang einen Freund gehabt dort. Und da merkst sofort, es ist ganz was anderes. Es ist einfach so eine Gemeindebauatmosphäre. Und du siehst keine Natur mehr oder gar nichts. Habe ich schon recht krass gefunden, weil du hast da ein riesen Feld einfach nette, kleine Häuser und eine tolle Atmosphäre. Und ein paar Straßen weiter schaut es so anders aus.102

Hier wird die Siedlung als räumlich different beschrieben, die Atmosphäre als anders als im Rest der Stadt. In diesen der Wohnsiedlung als Sozialbau zugeschriebenen Bildern spielt vor allem der Aspekt der Dichte eine zentrale Rolle: Und da geht es halt jetzt los mit Hochhäusern. Siehst eh, nicht unbedingt schön. Sind halt einfach billige, kleine Wohnungen. [. . . ] Nur wenn man da einmal eine Zeit lang herumschaut, merkst du halt, was sich da alles abspielen kann. Ich glaube, dass da Drogen schon ein Thema sind. Und es ist halt alles voller Wohnblöcke.103

Der Mitarbeiter der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit Bernd Innendorfer relativierte im Interview den Ruf des Stadtteils. Probleme gebe es »hauptsächlich dort, wo viele Menschen auf relativ geringem Raum sind. Und das ist eben dort, wo es Mehrparteienhäuser gibt, wo es eben Plattenbauten gibt, aber die Noitzmühle ist jetzt da nicht ein besonders schlechter oder gefährdeter Bereich« 104. Die Probleme begründete Bernd Innendorfer also mit der Dimension der Siedlung, Schwierigkeiten würden von »der Einwohnerzahl und der Dichte« abhängen 105.

Randständige Menschen und der Wandel städtischer Leitbilder Ähnlich wie im Falle des Kaiser-Josef-Platzes sind die Schilderungen über die Noitzmühle von einem Bedrohungsszenario durch randständige Menschen geprägt. Ein Topos in der sich abgrenzenden Rede über die Wohnsiedlung ist die Veränderung der BewohnerInnenschaft und der Infrastruktur, erzählt als Niedergang und festgemacht an Geschäften, Drogenhandel und Leerstand. So wird vor allem die Infrastruktur des Stadtteils als defizitär wahrgenommen, etwa attestierte Andrea Bäumel, Ende dreißig und Bewohnerin eines Einfamilienhauses in unmittelbarer Nähe zur Wohnsiedlung, einen Niedergang des dort installierten Stadtteilzentrums und war richtiggehend belustigt aufgrund mei-

102 103 104 105

Interview Moritz Strasser. Ebd. Interview Bernd Innendorfer. Interview Bernd Innendorfer.

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ner Frage nach Möglichkeiten für Aktivitäten im Stadtteil. Mit Blick durch die Fenster des Wintergartens über den Supermarkt des Stadtteils hinweg auf die Hochhäuser der Wohnsiedlung antwortete sie: Na, du bist gut. Recht viel haben wir ja nicht mehr [lacht]. Nein, es war ja früher da, ich mein das wirst eh wissen, dieses kleine Einkaufszentrum. Ich mein, da war wirklich alles drin. Da war von Friseur über Bäcker über also wirklich. Ich mein, die Trafik gibt es eh noch, die Apotheke auch. Aber da hast einfach mehr Möglichkeiten gehabt, ja. Da war ein Kaffee und nachher war beim Bäcker zumindest die Möglichkeit, dass dich einmal gach [kurz] hinsetzt und einen Kaffee trinkst. Aber im Endeffekt ist ja nachher alles sukzessive weniger geworden.106

Auch ein Mitarbeiter der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit wies im Interview auf die Entwicklung des Zentrums hin: Es sind dort relativ viele Geschäfte abgewandert und sind Lokalitäten wie Wettbüros dort angesiedelt worden bzw. haben sich angesiedelt. Und da Wettbüros im Vergleich zu anderen Geschäften eine relativ hohe Raubquote haben, durch das kommt es auch immer wieder mal zu einem Überfall von so einem Wettbüro dort.107

Das alte Stadtteilzentrum wurde schließlich im Jahr 2012 abgerissen. Vier Jahre später wurde ein neues Zentrum eröffnet. Der infrastrukturelle Niedergang wurde mir von BewohnerInnen insbesondere sozial über einen Wechsel der BewohnerInnenschaft erklärt, so exemplifizierte Andrea Bäumel am Beispiel einer ehemaligen, gegen Ende wenig frequentierten Bäckerei im Stadtteil: »Nein, aber es sind viele Leute mit niedrigem Budget. Die jetzt nicht beim Bäcker einkaufen, sondern die sich halt die Zehnersemmel vom Hofer mitnehmen oder vom Norma oder vom weiß ich nicht. Wo es halt günstig ist. Also, das ist ein anderes Kaufverhalten einfach.« 108 Andrea Bäumel begründete die Schließung der Bäckerei hier mit einem anderen Kaufverhalten einer ärmeren Schicht – die Infrastruktur schien sozial nicht mehr zu passen. Den Diskurs über die Wohnsiedlung dominiert aber vor allem das Sprechen über eine »ausländische« BewohnerInnenschaft, etwa in der Aussage von Andrea Bäumel zu einer im Gegensatz zu »früher« anderen Kundschaft des ehemaligen Cafés im Stadtteilzentrum: Andrea Bäumel: »Es war ein Café, also ein Lokal, also du hast auch essen können. Ich mein, es war vom Publikum her, ja, grenzwertig, sag ich jetzt einmal. Insofern früher waren dann viele jeden Tag Gäste drinnen, ja. Also so Stammkunden, ja,

106 Interview Andrea Bäumel. 107 Interview Bernd Innendorfer. 108 Interview Andrea Bäumel.

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Angekommen

die von zehn, elf Vormittag gesessen sind bis irgendwann. Das heißt, die haben halt dann auch einen entsprechenden Pegel gehabt schon. Ist halt dann irgendwie nicht so klass, speziell, wenn du, ich mein, ich war damals noch ich war fast Kind. Ist übertrieben, aber so in meiner weiß ich nicht, so zwischen zehn und 15. Es sind die Lokale ein paar Mal übernommen worden. Es waren dann, logischerweise auch viele Migranten drinnen. Es ist dann auch immer, weißt eh, so ein bisschen gepöbelt worden. Und, ich mein, da fühlst dich dann sowieso schon nicht mehr wohl. Ich mein, du magst ja dann auch nicht mehr wirklich rein gehen. Und ich mein, gut, da haben sie dann vor drei Jahren, vier Jahren ist eh zugemacht worden.« GW: »Und dieses eine gibt es auch noch bei der Bushaltestelle, oder?« Andrea Bäumel: »Ja. Entschuldigung, das ist [lacht] das existiert nicht in meinem Unterbewusstsein. Nein, ja. Es ist so ein so ein Beisl halt. Aber es ist auch zwielichtige Leute zum Teil. [. . . ] Es ist nicht immer, so wie jetzt momentan ist es auch ruhig. Aber da sind immer so Wellenbewegungen, wo sie einmal wieder mehr schlägern und wo sie wieder weniger schlägern.« 109

Die Anwesenheit von AlkoholikerInnen kann sie bis in ihre Jugend zurückverfolgen, bereits zu dieser Zeit erschienen ihr der Ort und die Kunden als kein adäquater Ort für sie. Der Ort wird in ihrer Perspektive jedoch erst mit den MigrantInnen zum Unort. Wie in Bezug auf den Kaiser-Josef-Platz ist in den Schilderungen der mittelschichtigen, sich als exkludierend österreichisch verstehenden BewohnerInnenschaft über die Noitzmühle ein Gefühl des Unwohlseins dominant. Alle Erzählungen waren von großer Distanz zwischen der / dem Ich-ErzählerIn und den ethnisch fremd Wahrgenommenen gekennzeichnet. Die Pensionistin Gertraud Windhaber führte die Zunahme von Einbrüchen und Diebstählen an, weswegen sie jetzt immer ihre Wohnungstüre abschließe. Generell erscheint ihr das Leben im Stadtteil und im Haus heute »irgendwie nicht mehr so persönlich« 110. Vor allem auch in der Stadtpolitik ist der Migrationsdiskurs ein zentrales Thema. In der Ausgabe 2/2015 der Wahlwerbezeitschrift »Wels aktuell« der FPÖ ist der Spitzenkandidat Andreas Rabl vor den Hochhäusern der Noitzmühle abgebildet. »Integration ist Pflicht!« steht über dem Slogan »Unsere Stadt. Unsere Werte. Unsere Regeln.« 111. Die Wohnsiedlung wird damit zum Angelpunkt sozioräumlicher Differenzproduktion.

109 Ebd. 110 Interview Gertraud Windhaber. 111 Wels (2015): Wels aktuell, S. Cover.

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Soziale Differenzierung in der überschaubaren Stadt Trotzdem Überschaubarkeit eine zentrale Form des städtischen Lebens in Wels darstellt, werden an den angeführten Beispielen sozialräumliche Differenzen in der Stadt klar. Dabei lässt sich eine externe Form der Herstellung sozialräumlicher Differenz in Bezug auf die Noitzmühle von einer internen unterscheiden. Die Differenzen stellen wahrgenommene Grenzen dar und sagen wenig über tatsächliche Segregation und Unterschiede aus. Mit externer Differenz meine ich die räumliche Differenz zwischen Stadtteil und Stadt, wie sie sich im Ghettodiskurs manifestiert. Aus dieser Perspektive scheint der Alltag in der Noitzmühle anderen Regeln und Praktiken zu folgen als im Rest der Stadt. Medial als auch in den Aussagen meiner InterviewpartnerInnen wird hier eine Differenz zum Stadtteil gezogen und dieser mitunter vermieden. Dies mag sogar bis zum Wegzug der sich als exkludierend österreichisch verstehenden BewohnerInnen aus dem Stadtteil führen. Immer wieder erzählen mir InterviewpartnerInnen, hier würden gar keine »Österreicher« mehr leben, diese seien schon längst weggezogen, so zeigte sich etwa der zuständige Mitarbeiter vom E-Werk ob meines Einzugs in die Siedlung verwundert. Besserverdienende wären überdies schon in den letzten Jahrzehnten aus der Stadt selbst gezogen, etwa in die Umlandgemeinden Thalheim, Buchkirchen, Gunskirchen, Schleißheim, Krenglbach oder Weißkirchen (siehe Abbildung 32). Wels würde sie aufgrund dieses Auszugs bestimmter Milieus deswegen heute mehr als Arbeiterstadt wahrnehmen, erklärte eine Sozialarbeiterin im Gespräch. Dabei spielen insbesondere die Schulen eine wichtige Rolle, so dass viele BewohnerInnen von Wels ihre Kinder in Schulen geben, in denen wenige als fremd wahrgenommene Kinder seien. Bestimmte Schulen hätten einen schlechten Ruf, wie mir die Mutter von zwei Kindern im jugendlichen Alter im Interview berichtet 112. Ähnliches erfahre ich in Bezug auf die Kindergärten, etwa von einer Bewohnerin, die ihr Kind in einen anderen als den zugewiesenen Kindergarten geben wollte: Ich mein, wir wohnen in der Noitzmühle und wir haben halt einfach einmal viele Migranten. Es war damals so, wie bei uns die Entscheidung angestanden ist, dass es zu zwei Drittel ein Drittel war. Zwei Drittel Migrantenkinder, ein Drittel also jetzt nicht nur gebürtige, sondern auch österreichstämmige Kinder. Das Problem war ich mein, das ist jetzt zum Teil besser geworden, dass die Kinder damals noch nicht so gut Deutsch können haben, als wie die Kinder zum Teil heute können. [. . . ] Jetzt haben wir halt dann geschaut, welche Alternative gibt es. Ich mein, im Endeffekt, die anderen Sprengelkindergärten, also die anderen Magistratskinder-

112 Interview Barbara Brunner.

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Angekommen

Abb. 32: Abwanderung in die Umlandgemeinden des Bezirkes Wels-Land in den Jahren 2002 bis 2015. Der gesamte Wanderungssaldo in die Umlandgemeinden in dieser Zeit beträgt für Wels –2606 Personen. Die Gemeinden der vorderen Plätze schließen direkt an das Gebiet der Stadt Wels an.

gärten, da hat es nicht wirklich recht viel anders ausgeschaut. Ich mein, es gibt schon noch welche, aber da, der Herminenhof zum Beispiel hat einen irrsinnig guten Ruf, aber da musst halt dann auch schon wieder ein Stückchen weiter fahren. Und für uns ist dann halt einfach trotzdem noch als nächstes gewesen, der Pfarrkindergarten.113

Das Zusammensein mit mehr weißen, »österreichischen« Kindern kann sich nur leisten, wer Zeit und Geld für Fahrtwege hat. Die Entscheidung für oder gegen den Kindergarten ist schließlich auch eine Frage der Praktikabilität. Diese soziale Differenz im Bildungssystem spiegelt sich in der Entscheidung für bzw. gegen eine bestimmte Schule, wie Andrea Bäumel ausführte: 113 Interview Andrea Bäumel.

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Bei der Schulfrage war es im Endeffekt dieselbe Geschichte. Ich habe durch die Exkindergarteneltern dann ja einige schon gekannt, die in die Schule gegangen sind. Wo ich einfach schon nachgefragt habe, ›na wie ist, wie taugt es euch‹. Ich habe einfach auch aus dem Grund wieder überlegt, weil ich mein, du kriegst ja dieselben Kinder, die zuerst im Kindergarten waren, die kriegst ja dann in der Schule zusammen. Das heißt, wie gut die das im Kindergarten geschafft haben, dass ihnen die Sprache oder auch so allgemeine Verhaltensmuster halt lernen oder erklären. So gut sind sie dann in der Volksschule im Endeffekt. Das war halt für mich irgendwie so die Befürchtung, weil ich gesagt hab, ›naja, wer weiß, wie viel man da schafft bei so vielen Kindern. Und ich mein, drei Jahre ist halt auch nicht so wirklich viel, weiß ich nicht, auf welchem Level die dann einfach auch sind‹. Und mir geht es jetzt nicht darum, dass ich irgendwen andern ausgrenzen will, sondern mir ist es um das gegangen oder geht es auch immer noch um das, dass ich möchte, dass mein Kind trotzdem viel lernt, sag ich jetzt einmal. Also ich möchte jetzt nicht, dass er irgendwie, weiß ich nicht, hinten angestellt wird oder zurückgestellt wird, weil andere die Förderung mehr brauchen als wie er. [. . . ] ich habe mir eben dann, wie gesagt, unsere Sprengelschule angeschaut, ich hab mir auch andere Schulen angeschaut. Ich habe mir auch die Privatschule angeschaut. Ich mein, ich habe mich dann trotz allem für die Sprengelschule entschieden, weil es einfach vom täglichen Handling her, anders so gut wie nicht machbar ist. [. . . ] Also du bist ja nur mehr noch als Taxi auf der Straße. Und da war für mich eigentlich der Hauptgrund, warum ich gesagt hab, ›ok, er bleibt da‹.114

Andrea Bäumel sprach aus eigener Erfahrung als Mutter eines Schulkindes. Angesichts eines drohendenden Statusverlusts wird die Schule zum Dreh- und Angelpunkt. Das Kind soll es schaffen, den Status zu verbessern oder zu halten. Die Gefahr einer Verschlechterung wird an ein potenziell schlechteres Lernen aufgrund von als fremd wahrgenommenen SchülerInnen gekoppelt, welche aus dieser Perspektive ein Hindernis für die Leistung der eigenen Kinder darstellen. Wegzug ist schließlich die Antwort einer BewohnerInnenschaft, die sich wünscht, dass die eigenen Kinder nicht absteigen. Neben einer externen gibt es auch eine soziale Differenzproduktion innerhalb des Stadtteils. Diese betrifft die Grenze zwischen der Wohnsiedlung einerseits und den umliegenden Einfamilienhaus- und kleinteiligeren Wohnsiedlungen andererseits sowie soziale Differenzproduktion innerhalb der Wohnsiedlung selbst. So ist etwa eines der Hochhäuser mitten im Teil »Noitzmühle neu« von einem Zaun umgeben, mehrere Verbotsschilder verweigern den Zutritt. »Von den Häusern hat man auch immer ein wenig gesagt, dass das so ein wenig die obere Schicht ist« 115, erinnerte sich ein ehemaliger Bewohner

114 Ebd. 115 Interview Marcel Mayr.

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Angekommen

Abb. 33: Die Rolle der Traunauen für das Wohnen einer sich abwendenden BewohnerInnenschaft. Auf der mental map zu alltäglichen Wegen von Gertraud Windhaber taucht nur das eigene Wohnhaus als Teil der Wohnsiedlung auf, statt dieser werden die Traunauen, der Mühlbach, »Wiesen und Felder« und die Aussicht aus dem Fenster ihrer Wohnung im obersten Stockwerk betont.

beim Gang durch die Siedlung. Einige BewohnerInnen, mit denen ich gesprochen habe, orientieren sich von der Noitzmühle weg, obwohl sie weiterhin dort wohnen bleiben (siehe dazu auch das »Porträt IV: Wels als Ort des trotzdem Bleibens – Gertraud Windhaber«). Eine Interviewpartnerin, Mitte sechzig und Pensionistin, kam bezüglich ihrer räumlichen Nutzungen erst gar nicht auf die Noitzmühle zu sprechen, da sie kaum Zeit im Stadtteil verbringe und hier eigentlich nur schlafe. Weder kaufe sie im nahen Supermarkt im Zentrum des Stadtteils ein noch interessiere sie sich sonst für den Stadtteil 116. Eine andere Bewohnerin wiederum betonte vor allem die nahen Traunauen als besonders lebenswert, ein Versuch der Umdeutung und der Umgehung des Stigmas. Dort gehe sie täglich spazieren und treffe auf bekannte Gesichter, »Ausländer« würden das Erholungsgebiet nicht nützen (siehe Abbildung 33). Die Traunauen stehen damit in Abgrenzung zu den Bildern der Fremdheit und Anonymität der Hochhäuser 117.

116 Interview Ingeborg Achitz. 117 Interview Gertraud Windhaber.

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Zwischen Niedergangsnarrativ und der Kritik am Schlechtreden Ähnlich wie beim Kaiser-Josef-Platz und generell in Bezug auf das Niedergangsnarrativ über die Stadt, wird der negative Status der Wohnsiedlung durchaus auch in Frage gestellt. Frederike Riegler, Mitte sechzig und Bewohnerin einer an die Wohnsiedlung angrenzenden kleinteiligeren Wohnsiedlung stellte im Interview eine mögliche Unsicherheit in Abrede: Also, es ist gerade da an der Noitzmühle, die Noitzmühle wird meiner Meinung nach schlechter geredet, als was sie ist. Da bin ich sicher der Meinung. Weil ich gehe oft am Abend im Finsteren und gerade im Sommer, wissen Sie, wenn es recht ein heißer Tag ist. Da gehe ich erst mit dem Hund, wenn es dunkel wird oder irgendwas, gehe ich nochmal eine gescheite Runde mit ihm, weil es erst angenehm ist draußen. Und gehe oft alleine. Und ich habe noch nie ein Problem gehabt, angepöbelt zu werden oder sonst irgendwas.118

Nicht zuletzt auch die im Stadtteil arbeitenden Einrichtungen wie die Volkshilfe, das AktivTeam Noitzmühle oder die Wohnungsgenossenschaft Heimstätte beziehen gegen die Stigmatisierung des Stadtteils Stellung. So sprach sich eine MitarbeiterIn der Volkshilfe gegen den schlechten Ruf aus und bescheinigte dem Stadtteil eine hohe Lebensqualität: Es ist sicher viel lebenswerter, als der Ruf ist. Also [. . . ] ich habe mich nie bedroht gefühlt da und das Image macht es auch viel schlechter als es ist. Weil es gibt einfach auch eine Partei in der Stadt, die das auch noch schürt, dieses Image, und nichts zur Beruhigung beiträgt. Es ist an sich eine wunderschöne Wohngegend, weil die Natur so in der Nähe, gleich die Traun in der Nähe, wo man spazieren gehen kann.119

Auch die Leiterin des AktivTeams Noitzmühle Claudia Glössl verwehrte sich gegen eine schlechte Darstellung des Stadtteils bzw. mediale Konstruktion eines »Ghettos«: »Es ist die Darstellung des Stadtteils ein Problem. Weil wir permanent als Ghetto, als Problemstandort bezeichnet werden, das es so in dieser Form aber nicht ist, das ist die mediale Wahrnehmung.« 120 Schließlich betonten auch Mitarbeiter der Welser Heimstätte die Überzogenheit des schlechten Rufes der Wohnsiedlung und machten dafür die mediale Berichterstattung verantwortlich. Am Beispiel eines Mordfalls in der Wohnsiedlung kritisierten sie eine einseitige Aufmerksamkeit:

118 Interview Frederike Riegler. 119 Interview Simone Klammer. 120 Interview Claudia Glössl.

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Angekommen

Mitarbeiter 1: »Wobei am selben Tag ist in Freistadt [eine kleinere Stadt in Oberösterreich] auch ein Mord passiert und der ist halt eineinhalb Seiten in der Zeitung gestanden und der in Freistadt, der war so groß. Das, das ist halt meine Feststellung dann, weil ich das sehr neutral beobachte. Natürlich und da denk ich schon an die Unfairness eigentlich der Medien, äh, warum berichtet man den Mord in Freistadt als bedeutungslos, wo es bei beiden um ein Menschenleben gegangen ist. Und der in der Noitzmühle ist, glaube ich, in einer Seite, Zeitung sogar am Titelblatt erschienen. Das ist ja halt das, warum macht man das?« Mitarbeiter 2: »Das ist schon die, die einseitige Berichterstattung über die Noitzmühle, das muss man schon so sagen.« 121

Um mit der Stigmatisierung umzugehen, sei »ein eigenes Marketing oder eine eigene Medienstelle im Haus« nötig, die »sich halt auch fast nur um diese Themen kümmert« 122, erklärten die MitarbeiterInnen weiter. Dass der Stadtteil ein Politikum ist, wird auch durch das Misstrauen deutlich, das mir immer wieder während der Forschung über den Stadtteil entgegenschlug. Zu Beginn des Interviews mit MitarbeiterInenn der Welser Heimstätte wurden meine Intentionen wie in keinem anderen Interview hinterfragt: »Darum wollen wir das anfänglich ein bisschen hinterfragen. Was ist Ihre Intention? Wo kommen Sie her? Wer finanziert es?« 123 Auch bestanden die Interviewten wie in keinem anderen Interview auf Anonymisierung, die ich klarerweise zusicherte. Nicht nur im Interview mit den MitarbeiterInnen der Heimstätte, sondern auch in anderen Interviews zeigte sich die Verunsicherung im Sprechen über den stigmatisierten Stadtteil und hatte ich den Eindruck, als wollten GesprächspartnerInnen gar nicht auf Entwicklungen im Stadtteil eingehen. Vielfach wurde mir mitgeteilt, dass man »aufpassen« müsse, was man sage, und immer wieder änderten InterviewpartnerInnen ihre Sprache vor und während des Interviews, etwa was Bezeichnungen wie »Ausländer« oder »Personen mit Migrationshintergrund« anbelangt, wurden leiser beim Sprechen oder stotterten. Auf Strategien der De-Thematisierung traf ich dabei immer wieder, etwa wenn Claudia Glössl vom AktivTeam Noitzmühle mit dem Hinweis auf die leicht höhere Kriminalitätsrate im Stadtteil Pernau die Aufmerksamkeit von der Wohnsiedlung abzuziehen versuchte und darauf beharrte, dass es in der Noitzmühle »nichts Interessantes« gäbe. Mitunter schien die wissenschaftliche Aufmerksamkeit für die Wohnsiedlung schon selbst problematisch, wie Claudia Glössl festhielt: Und ich glaube, dass wissenschaftliche Studien manchmal diese Negativwahrnehmung noch unterstützt. Weil was liest man dann in Heute, was ist die Schlagzeile, 121 Interview Markus Haider und Konrad Stummer. 122 Ebd. 123 Interview Markus Haider und Konrad Stummer.

Die bedrohte Stadt: Überschaubarkeit, Fremdheit und (Un)Sicherheit

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ich glaube, das können Sie sich ungefähr vorstellen. Und dann gibt’s einen Dreisatz, eine Dreisatzaussage dazu. In knappen, kurzen Sätzen. Weil auf das baut zum Beispiel das Konzept von Heute [eine Gratiszeitung] auf. Auf einer großen Schlagzeile und auf drei Sätze in einer sehr einfachen Sprache, mit kurzen Sätzen und Botschaften. Und da wird dann nicht erklärt, warum, wieso, weshalb und was letztendlich in der Studie wirklich herausgekommen ist.124

Sie kritisierte auch die Bezeichnung als Stadtteil, handle es sich bei der Noitzmühle doch um ein Siedlungsgebiet. Hier werden die symbolischen Kämpfe rund um die Definition von Räumen sichtbar. Zählt die Leiterin zu diesem Gebiet auch die angrenzenden Einfamilienhaussiedlungen, kommen diese in der medialen Berichterstattung kaum vor, als Noitzmühle wird darin meist nur die Wohnsiedlung selbst verstanden. In der Bezeichnung und Territorialisierung des Stadtteils lassen sich schon verschiedene Formen der Positionierung erkennen: einerseits Solidarisierung, andererseits Abgrenzung. Dies wird auch in der Beschreibung des Stadtteils durch die Leiterin des AktivTeams im Interview deutlich: »Ja, der Stadtteil ist ein lebenswerter Stadtteil, er hat irre viel Grün, er hat die Traun daneben, er hat das Augebiet daneben, es gibt keinen Durchzugsverkehr, es gibt keinen Schwerverkehr vor allen Dingen.« 125 Die Stigmatisierung der Noitzmühle wird mitunter bewusst durchbrochen, etwa wenn sich BewohnerInnen der angrenzenden Einfamilienhäuser demonstrativ als »NoitzmühlerInnen« bezeichneten und damit das Label positiv zu besetzen versuchten. Wie auch beim Beispiel Kaiser-Josef-Platz ist es auch hier schwierig, eine tatsächliche Verschlechterung der Sicherheit nachzuzeichnen. Von polizeilicher Seite wird jedenfalls keine stärkere Unsicherheit oder Gefährdung festgestellt, wie der städtische Polizeidirektor im Interview festhielt. Obwohl der Stadtteil »eigentlich sehr verrufen« sei, gebe es »von polizeilicher Seite [. . . ] dort nicht mehr Kriminalität. Es ist halt eine relative Konzentration von verschiedensten Ausländern. Wo es halt dann ja, eher im Bereich von weiß ich nicht, Hausordnung, den Park benützen und so Geschichten, wo es da Streitpunkte gibt.« 126 Wiederum wird damit die Begründung für den schlechten Ruf und Probleme im Stadtteil an der migrantischen Bevölkerung festgemacht.

124 Interview Claudia Glössl. 125 Ebd. 126 Interview Johann Rudlstorfer.

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Angekommen

Die Großwohnsiedlung als Symbol der unwirtlichen Stadt Wie aus den Beispielen klar wird, ist die Wohnsiedlung Noitzmühle einer der zentralen Orte in der Stadt, über die das Niedergangsnarrativ verhandelt wird. Die Entwicklung des Stadtteils verläuft aus dieser Perspektive parallel zur Stadt. Wurde das geplante Wohnprojekt in den 1960er und 1970er Jahren noch als zukunftsweisend wahrgenommen, gilt es heute als nicht mehr zeitgemäß und als Problemfall. Die Entwertung des Stadtteils erzählt dabei auch vom Wandel städteplanerischer Leitbilder. War in den 1970er Jahren der Bau von Hochhäusern das Zeichen einer aufstrebenden Stadt, wird heute Überschaubarkeit und Kleinteiligkeit als Ziel verfolgt. Die Wohnsiedlung steht aus der beschriebenen Perspektive für einen Bruch mit Charakteristika der Überschaubarkeit und für Anonymität und Fremdheit. Dies wird in den Bildern zur Beschreibung der Siedlung klar, etwa in der Rede vom zu dichten Baustil – eine Dichte, die im Kontrast zur von Reckwitz gefassten ästhetisch-historisch-semiotischen Dichte steht. Ähnlich wie am KaiserJosef-Platz ist das Niedergangsnarrativ mit dem Migrationsdiskurs verbunden. An beiden Orten werden marginalisierte Menschen für einen wahrgenommenen Niedergang verantwortlich gemacht, deren eigene Logiken der Nutzung – etwa die Suche nach günstigen Wohnraum, die Teilhabe an einem städtischen Zentrum und städtischer Öffentlichkeit – kaum zur Sprache kommen. Auch in Bezug auf die Wohnsiedlung Noitzmühle scheinen die vermeintlichen Kausalitäten scheinbar sehr augenfällig: Wie am Kaiser-Josef-Platz nimmt eine ethnisch fremd wahrgenommene Bevölkerung einen Raum ein, der zuvor leer war. Sich als exkludierend österreichisch verstehende BewohnerInnen meiden den Ort und verstärken dadurch die Wahrnehmung des Niedergangs. Die innerstädtische Differenzierung in Kaiser-Josef-Platz und Stadtplatz findet ihre Entsprechung in den unterschiedlichen Formen der Differenzproduktion im Stadtteil. Der Migrationsdiskurs funktioniert in der Verbindung mit der Wohnsiedlung in der Aushandlung der generellen Entwicklung der Stadt analog zur Großstadtkritik. Die Folge ist eine Abgrenzung von einer mit Hochhäusern assoziierten Sozialität, die mit niedrigem Einkommen und ausländischer Herkunft assoziiert wird. Die räumliche Differenz transportiert damit Vieles gleichzeitig: Klasse, Rasse, städtische Leitbilder und falsche Entwicklungen. Dagegen setzen mittelschichtige, sich als exklurdierend österreichisch verstehende BewohnerInnen eine hohe »Lebensqualität«, Ruhe und Grünraum, die sie in den nahen Traunauen finden. Sowohl in Bezug auf den Kaiser-Josef-Platz als auch auf die Noitzmühle kann die Widerrede gegen das als medial dominant wahrgenommene Niedergangsnarrativ als Form des Umgangs mit der Stigmatisierung verstanden werden. Durch die »Abwehr der Zuschreibung« und versuchte »Erbringung von

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Gegenbeweisen« 127 soll die räumliche Entwertung und der damit verbundene Verlust von residenziellem Kapital bewältigt werden. Angeführt werden eigene Erfahrungen, welche von BewohnerInnen und NutzerInnen den als realitätsfremd angesehenen Zuschreibungen entgegengestellt werden. Solidarisierungsbekundungen mit stigmatisierten Räumen sollen diese sozial aufwerten und die territoriale Stigmatisierung sowie die Homogenisierung der Wahrnehmung der Orte unterlaufen. Die Kritik am Schlechtreden stellt dabei nicht nur ein Infragestellen hegemonialer Diskurse dar, sondern kann auch als Versuch verstanden werden, andere Vorstellungen vom städtischen Leben zu normalisieren und das beschriebene othering zu durchbrechen.

Wels verbessern – bürgerschaftliches Engagement Neben der örtlichen Stadtmarketinggesellschaft agieren als weitere institutionalisierte AkteurInnen private Gruppen, die sich aktiv an place-making und scaling practices in Wels im Kontext der Stigmatisierung der Stadt – und einem damit verbundenen Sicherheitsdiskurs – beteiligen. Insbesondere zwei Vereinigungen haben sich während meiner Forschungszeit der »Verbesserung« der Stadt verschrieben: der Verein Lebensraum Wels und die Initiative I mog Wels. Beide Gruppen nehmen eine Position jenseits der offiziellen Verwaltungsstrukturen ein und gründen auf der Basis privaten Engagements. Sie verfolgen das Konzept der Partizipation und sehen sich grundsätzlich für die Welser Bevölkerung offen. Sie sind damit Beispiele für private Bürgerbeteiligungsprozesse, wie sie in vielen Städten üblich geworden sind. Die beiden Gruppen verfolgen für ihre Ziele unterschiedliche Strategien, die auch mit unterschiedlichen Formen und Inhalten von place-making practices einhergehen und Wels als Ort und Stadt produzieren – mit verschiedenen Vorstellungen vom guten Leben in der Stadt und vom guten Lebensort. Von beiden Gruppen erfuhr ich über ihre starke Präsenz in Onlinemedien, insbesondere auf der Plattform Facebook, auf der sie eigene Seiten pflegen und sich auf offiziellen Seiten der Stadt einbringen.

Lebensraum Wels Der Verein Lebensraum Wels – gegründet Anfang 2011 – basiert zum einen auf dem privaten Engagement von Christoph Hippmann, dem Besitzer der örtlichen Tanzschule und späteren Obmanns der Kaufmannschaft, der sich für die Entwicklung der Stadt interessierte und einen Katalog an Vorschlägen für die Stadt erarbeitete; zum anderen auf der Initiative von Anton Kammerstätter, 127 Bürk u. a. (2013): Stigmatisierung, S. 128.

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Angekommen

dem Geschäftsführer eines lokalen Immobilienunternehmens, das im Rahmen einer Umplanung der Messe auf den frei werdenden Flächen Wohnraum entwickeln wollte. Das Ziel sei gewesen, so Christoph Hippmann im Interview, durch die Beteiligung am Masterplan zur Messegestaltung Gründe zur Bebauung zur Verfügung gestellt zu bekommen. Der Verein sollte das bürgerschaftliche Pendant zum Konsortium darstellen, welches die Flächen entwickeln sollte, so Christoph Hippmann: »Und so ist also in Grundzügen der Verein entstanden. Mit dem Auftrag sozusagen, Ideen, Vorschläge, Wünsche der Bürger für diese Neugestaltung Messegelände zu entwickeln.« 128 Obwohl dieser Plan nicht realisiert werden konnte und Anton Kammerstätter aus dem Verein ausstieg, wurde der Verein am Leben erhalten – andere InteressentInnen rückten in den Vereinsvorstand nach, wie etwa der Sohn Florian Kammerstätter. Der Verein wollte in der Folge »Konzepte für den urbanen Raum« 129 entwickeln. Bei einem der Stammtische des Vereins bezog sich Christoph Hippmann in der Einführung implizit auf den schlechten Ruf und die im Vergleich zu vergangenen Zeiten schlechte Position der Stadt. »Wir wünschen uns, dass Wels langfristig schön bleibt und attraktiv bleibt oder dass wir wieder da hinkommen, wo wir schon waren. Innenstadt Wels war die Einkaufsstadt schlechthin.« 130 Als einen Hauptgrund für das Engagement des Vereins führte Christoph Hippmann die Untätigkeit der Stadtpolitik an, Ziel sei es daher »aktiv in die Stadtplanung hinein zu arbeiten« und die Politik »voranzutreiben« 131. Christoph Hippmann machte die aus der Perspektive des Vereins fehlende aktive Stadtplanung auch an der Größe der Stadt fest: Die Problematik ist einfach, der insgesamte Grund für unseren Verein ist, weil wir halt glauben, dass eben in so einer kleineren Stadt auch eine proaktive Stadtgestaltung funktionieren muss oder passieren muss. Und das ist aber nicht passiert oder passiert derzeit nicht aus unserer Sicht. Also, es passiert nicht beziehungsweise lässt sich sozusagen die Politik einfach zu lange Zeit mit Entscheidungen. Also einfach der Entscheidungszeitraum für Stadtgestaltung ist einfach zu lange. [. . . ] Sozusagen sie reagieren, die Stadt reagiert nur auf irgendwelche sozusagen Einflüsse von außen, aber agiert nicht. Und unserer Meinung nach sind da einfach Konzepte gefordert, die die Stadt wegbringen ein bisschen von diesem Verwalten [. . . ] zu halt einem Gestalten.132

128 129 130 131 132

Interview Christoph Hippmann. Ebd. Feldnotiz, 23. 05. 2012. Interview Christoph Hippmann. Interview Christoph Hippmann.

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Der Verein kritisiert, dass die Stadtplanung eher als »Puzzle« 133 funktioniere, was dazu führe, dass Industrieanlagen neben Wohnungen stehen würden. Die »Satellitenstädte« am Stadtrand würde »man nicht mehr so hoch bauen, auf engstem Raum«, da gehe »es natürlich auch um Migration, Ghettoisierung« 134. Auch kein Nahverkehrskonzept gebe es. Insgesamt fehle es an einem Gesamtkonzept für die Stadt, was auch an dem schmalen Budget der Stadt liegen könnte, vermutete Christoph Hippmann. In der Großstadt vermutete er durch eine größere Distanz zwischen Politik und Bürger mehr »freien Wettbewerb«: »Aber in kleineren Städten halt ist der Politiker doch leichter umstimmbar von einer kleineren Gruppe als wahrscheinlich von einer kleineren Gruppe in einer größeren Stadt.« 135 Dazu komme, dass Politik in kleineren Städten oft neben einem zweiten Beruf ausgeübt werde: Und dann bin ich noch der grundsätzlichen Meinung, dass prinzipiell wahrscheinlich in dieser Zwickmühle einer kleineren Stadt der Politiker eigentlich das Problem hat, dass er teilweise eben nicht Vollzeitpolitiker ist. [. . . ] Und somit im politischen Alltag durchaus das Problem hat, dass es zu viele Sachen sind, zu viele Termine, aber keine Zeit zum Aufarbeiten bleibt. Oder selber um, weißt eh, so wie der Unternehmer schauen muss, wo habe ich irgendwo meinen visionären Part. Dass vielleicht im beruf lichen Alltag oder aus meiner Ansicht definitiv zu wenig Zeit ist, um sich effektiv mit Neuem zu beschäftigen. Als irgendwie an Termine gebunden zu sein und etwas abarbeiten zu müssen. Also ähnlich wie ein Unternehmer, der, weißt eh, Tagesgeschäft. Blind.136

Als Reaktion auf diese wahrgenommene Untätigkeit der Politik verfolgt der Verein insbesondere drei Themenfelder: Die »Erlebniszone Traun« 137 solle von den alten Messehallen befreit und neu gestaltet werden. Das Messegelände solle generell neu geplant werden. Und der Kaiser-Josef-Platz (an dem sich auch die Tanzschule Hippmann befindet) habe sich für die »Geschäftsleute ins Negative« entwickelt, auch aufgrund der Busdrehscheibe, die den Platz einnimmt. Die Politik gestehe sich den Fehler aber nicht ein. Neben diesen drei inhaltlichen Schwerpunkten war während meines Feldforschungsaufenthaltes auch die schlechte Bahnanbindung von Wels Thema. So wurde vom Verein kritisiert, dass der Railjet nicht mehr in Wels halte – eine Form der Peripherisierung der vormals zentralen Lage –, und sogar mit einer Blockade der Gleise am Bahnhof Wels als eine Form von Aktionismus gedroht. »Wels ist die siebtgrößte Stadt Österreichs und der Railjet fährt immer

133 134 135 136 137

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Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

Angekommen

durch« 138, beklagte der Vereinsobmann Martin Stieger bei einem der Stammtische. Auch der Vereinskassier Günther Stadlberger betonte die wirtschaftliche Bedeutung der Strecke Linz-Wels: »Wir sind die wichtigste Wirtschaftsregion Österreichs.« 139 Neben dieser inhaltlichen Ausrichtung ist ein Ziel des Vereins die Beteiligung der Welser Bevölkerung an der Stadtentwicklung, wie Christoph Hippmann im Interview erklärte: Einen Verein gründen, der sozusagen – klingt jetzt recht geschwollen – die Meinung des Volkes haben sollte [. . . ]. Wenn ein Messegelände neu entwickelt wird, Welser Messegelände hat einen sehr großen Anteil in der Stadt, dann sozusagen war oder einfach ist die Frage, wie kann sich sozusagen die Bevölkerung einbringen.140

Als ein Instrument der Beteiligung wurden »Sommergespräche« 141 ins Leben gerufen, über die der Verein »Politiker, Bürger und auch Wirtschaftstreibende zueinander bringen« 142 und »Medienaufmerksamkeit« 143 generieren wollte. Auch die monatlichen Stammtische sollten Möglichkeiten des Dialogs mit den städtischen Verantwortungsträgern eröffnen. Beteiligt haben sich daran aber vor allem Vereinsmitglieder: Und wir wollen einfach die beiden zueinander bringen. Das klingt jetzt sehr schlimm, aber die sozusagen einfachen Bürger, der sich auch Gedanken macht und auch ein Anliegen hat. Und einfach den Unternehmer, der sagt: Okay, gut, wie können wir das vielleicht angehen? Gemeinsam. Und jetzt haben wir im Moment unter Anführungszeichen halt eher so die Berufssuderanten [eine Person, die alles beklagt und im Niedergang sieht]. Teilweise, die halt mit uns Themen besprechen wollen, wo wir sagen, das ist eigentlich was, wo ich sage Bürgeranwalt. [. . . ] Und das ist sozusagen halt jetzt eine Situation, die Vereinszweck nicht beabsichtigt war. Was aber soviel heißt wie, dass sozusagen offensichtlich auch, wenn kein Angebot ist oder dass einfach kein Vertrauen irgendwo ist, dann auch die Menschen halt sich auch an so Stadtgestaltungsvereine mit ihren kleineren Problemen wenden. Obwohl es uns eigentlich um die Spur größer ginge.144

An der Entstehungsgeschichte und Programmatik ist erkennbar, dass die Ausrichtung von Lebensraum Wels schwer von den ökonomische Interessen der 138 139 140 141 142 143 144

Feldnotiz, 23. 05. 2012. Ebd. Interview Christoph Hippmann. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Vereinsmitglieder trennbar ist. So ist trotz der grundsätzlichen Offenheit und einer betont »unpolitischen« Ausrichtung des Vereins eine politische Ausrichtung erkennbar. Unter anderem bilden ein früherer ÖVP-Vizebürgermeister, der Geschäftsführer der Welser Raiffeisenbank, der Geschäftsführer des Immobilienunternehmens Consulting Company und der Obmann der Welser Kaufleute den Vorstand des Vereins, der dadurch besonders wirtschaftsnahe besetzt ist. Der Verein reagiert auf eine als untätig wahrgenommene Stadtpolitik, die als zu wenig professionell angesehen wird. Die Stadt reagiere nur, Politik wird als wenig initiatives und langsames Gebilde gesehen. Politik erfülle – auch aufgrund finanzieller Strukturen – nur »Basissachen« 145, für den Rest sei die Stadt zu unprofessionell. Der Verein möchte nun über diese »Basis« hinauskommen und versteht sich dabei selbst als Agent der Professionalisierung, welcher über Druck Entwicklungen vorantreiben will. Dieser Druck soll über die Produktion von Öffentlichkeit im Rahmen von medienwirksamen Treffen entstehen. Der Verein bezieht sich dabei auf Themen, die generell eine zentrale Rolle in der Stadt spielen. So sind etwa die Hochhäuser am Stadtrand genauso Thema wie der umstrittene Kaiser-Josef-Platz oder das Messegelände. Damit bezieht sich der Verein insbesondere auf Orte, die im Fokus der Stigmatisierung stehen. Diese werden weniger selbst »bearbeitet« im Sinne von materiellen place-making practices vor Ort als vielmehr symbolisch zum öffentlichen Interesse gemacht.

I mog Wels Die Initiative I mog Wels verfolgt für das gleiche Bestreben einer »Verbesserung« der Stadt andere Strategien. Ein grundsätzlicher – und auch im Interview mit dem Gründer Werner Klement extra betonter – Unterschied ist, dass I mog Wels eine Initiative und keinen Verein darstellt – es gibt weder vorgegebene Strukturen noch einen Vorstand. Vielmehr wird die Gruppe in erster Linie von drei »Stammleuten« 146 organisiert. Dazu kommen um die 25 Personen im weiteren Kreis. Diese lose Struktur ermögliche eine »unkomplizierte, unbürokratische Arbeitsweise« 147, wie man in einer Kurzbeschreibung der Initiative erfährt. Ausgangspunkt für die Gründung im Jahr 2008 war, dass dem Initiator Werner Klement »das ›Gesudere und Gejammere‹ von den Leuten auf den Geist ging« 148, erklärt die Kurzbeschreibung weiter.

145 146 147 148

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Ebd. Interview Werner Klement. Klement (o. J.): Kurzbeschreibung. Ebd.

Angekommen

Und hab irgendwann mit dem Franz sind wir da gesessen und da haben wir so geredet ein bisschen einfach über Wels. [. . . ] Und da haben wir gesagt, dass irgendwie kann es das nicht sein, weil Wels so schön ist. Als Fotograf siehst du das noch anders. [. . . ] Verstehe ja das nicht, überall wo du hinkommst, überall wird gesudert. Sind wir so beieinander gesessen und haben [. . . ] miteinander fotografiert und dann haben wir gesagt, setzen wir uns noch zusammen, da müssen wir jetzt einmal was machen. Weißt du was? Mach einfach eine Homepage, weil das kann ich selber machen. Mach ich eine Homepage und dann schauen, tun wir einfach die schönen Sachen hinauf, dann kannst du eh nicht mehr sudern. Das gibt´s ja nicht. Da haben wir uns aber gewaltig getäuscht, weil sogar über das sudern sie. Weil auch wenn du zehn schöne Sachen hineintust, sagen sie auch: Und warum hast du die Stadtpfarrkirche nicht genommen, die ist auch schön! Oder egal was. Es gibt einfach immer was zum Sudern. Und die Suderanten, die sind sehr in der Überzahl, weil es ja leichter ist zu sudern als was zu tun. So ist einfach, weißt was, wir machen einfach, wir zeigen ihnen, wie es geht. [. . . ] Und das hat uns auch bis heute begleitet, dass wir sehr viele Leute unter Anführungszeichen einfach gezeigt haben, dass es ein bisschen anders auch geht. Das heißt ja nicht, dass wir nicht sagen, dass was nicht schlecht ist. Wir sagen nicht, dass alles gut ist, obwohl wir oft auch so hingestellt werden. Wir wissen genauso, was nicht funktioniert oder was nicht passt in Wels. Wir denken uns halt einfach, wenn ich mich auf ein Thema festlege und da nur drauf schlechte Sachen schreibe, das macht mir ja selber eine schlechte Stimmung. Das zieht mich ja runter. Irgendwann zieht dich das einfach runter. [. . . ] Da haben die Leute natürlich nur mehr geschaut von A bis Z. Weil sie das noch überhaupt noch nie gesehen haben. Und ohne Übertreibung, ich brauche für so was eine Woche. Ist das erledigt. [. . . ] Das haben sie in der Form in Wels überhaupt noch nie gesehen.149

Die kritische Haltung gegenüber der Stadtschelte wird auch per Flyer verbreitet (siehe Abbildung 34). Gegen ein »Schlechtreden der Stadt« setzt Klement, der sich selbst als »in jeder Hinsicht ein positiver Mensch« beschrieb 150, eine aktive Gestaltung der Stadt. Ähnlich wie die AkteurInnen von Lebensraum Wels stellte Werner Klement im Interview die eigene Professionalität heraus und betonte die Schnelligkeit der Arbeit innerhalb der Initiative: »Es funktioniert einfach. So handeln wir jedes Projekt ab und dadurch bringen wir auch so viel weiter. Weil bei uns [. . . ] ist erst ein Projekt in vier Jahren, das nichts geworden ist. Und das war auch nicht wirklich unsere Schuld.« 151

149 Interview Werner Klement. 150 Ebd. 151 Ebd.

Wels verbessern – bürgerschaftliches Engagement

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Abb. 34: Flyer der Initiative »I mog Wels«. Das Wahrzeichen Ledererturm, der Burggarten und die Messe werden in Szene gesetzt. Die Initiative grenzt sich von der Stadtschelte scharf ab und bewirbt die Änderung einer negativen Einstellung zur Stadt.

Dabei nimmt sich die Initiative ähnlich wie der Verein Lebensraum Wels als bewusst unpolitisch wahr: »Ich würde mich zum Beispiel nie politisch wo einmischen. Weil wir unpolitisch sind und auch bleiben wollen.« 152 In Abgrenzung zu Lebensraum Wels betonte Klement, dass die Initiative nicht daran interessiert sei, Druck auf die Politik auszuüben bzw. sich in die Politik »reinzumischen«: »Wie es halt in der Politik ist mit der ganzen Bürokratie. Das heißt, da wird man sich immer, der Lebensraum wird sich immer mit kleinen Sachen zufrieden geben müssen. Dann ist die Frage, wie lange motiviert die sind, wenn du immer gegen eine Mauer rennst.« 153 Aber auch für I mog Wels gibt es zu »kleine« Probleme, die nicht als Aufgabenbereich der Initiative wahrgenommen werden: Weil sie wissen, wir bringen jetzt was weiter. Das ist auch unser Ruf in ganz Wels. Sagt sie, ob ich das nicht verhindern kann, dass auf der Oberfeldstraße auf den Feldern Werbetafeln hingemacht werden [lacht]. Sage ich zu ihr, wissen Sie, wem das dort gehört? Ja, dem Huber-Bauern. Sage ich, ja zu dem gehen Sie einfach hin. Weil der kriegt ein Geld dafür. Nicht? Aber unglaublich! Der eine ruft mich an, weil ihn der Nachbar einen Schutt vor den Zaun gehaut hat. [. . . ] Das ist halt

152 Ebd. 153 Ebd.

318

Angekommen

dann die zweite Seite, weil einfach die Leute möchten, dass etwas passiert bei ihnen, dass alles erledigt wird.154

Dass sich bei der Initiative auch Personen mit persönlichen Problemlagen melden, verweist auf den Bezug zu den Behörden der Stadt, die nicht als mögliche Lösung wahrgenommen werden. Werner Klements Vorstellung von Stadtarbeit zeigt exemplarisch die Lösung des Problems: Sage ich eh gleich, tut mir Leid, da kann ich nichts machen. Oder ich komme schnell vorbei. Weil das mit dem Nachbarn war ganz einfach. Habe ich alle zwei hergeholt. Habe ich gesagt, so, trinkt ein Bier miteinander. Tut den Scheiß weg. Ihr seid ja keine Kinder nicht [. . . ]. Mit einem Bier ist das ausgeredet. [. . . ] Aber man ist ja selber auch oft ein so ein Sturschädel. Da braucht man einfach einen Dritten dazu, der was das dann neutral sieht und dann geht das auch einfach relativ einfach.155

Das Betonen von face-to-face-Kontakten zieht sich durch das Konzept der Initiative. So stellte Klement trotz der »unpolitischen« Ausrichtung die Nähe zu allen politischen Parteien und verantwortlichen Personen heraus. Generell sind direkte Verbindungen zu EntscheidungsträgerInnen in der Stadt essenziell für die Initiative – sie fördert damit auch die Überschaubarkeit der Stadt und macht sich diese zunutze: Ich kriege wirklich von allen total klasse Unterstützung. Weil wenn man zum Beispiel jetzt die FPÖ hernimmt, der Wieser, ein sehr gescheiter Mann, einige Bücher schon geschrieben, kennt sich mit allem sehr gut aus. Wenn ich sage, Bernhard, wir, ist jetzt wurscht, was ist mit dem Haus? Da möchten wir was machen. Sagt er, Denkmalamt! Pass auf das auf, schau, dass das nicht passiert, dort ist der Besitzer, der ist heikel, weißt? Und das ist einfach klass, da weiß ich, das ist unparteiisch, was er mir da für einen Tipp gibt. Oder wenn ich sage, geh, Bernhard, ihr habt eh so viel Geld, kauf uns ein paar Leiberl. Blau gefällt dir eh gut. Ist einfach mit ein bisschen einem Charme kriege ich wieder 15, zwanzig Leiberl. Oder ich brauche Druckerpatronen, wenn wir wieder größere Sachen machen oder ist wurscht was. Kriege ich eigentlich von jedem immer was. Und das habe ich auch absichtlich so gemacht und bewusst so gemacht und das funktioniert einfach klass.156

Inhaltlich verfolgt die Initiative im Gegensatz zu Lebensraum Wels eine Vielzahl konkreter Projekte vor Ort, die weniger auf mediale Aufmerksamkeit und die Produktion von Öffentlichkeit abzielen als vielmehr direkt durch das eigene, persönliche Handeln Wels »verbessern« sollen. Die Projekte decken dabei

154 Ebd. 155 Ebd. 156 Ebd.

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319

eine große Spannbreite an Aktivitäten ab und reichen etwa von einer für PensionistInnen organisierten Exkursion in ein Museum über das Übermalen von Graffitis bis zur Reparatur eines Fitnessparcours. Aber auch die Leerstände in der Innenstadt wurden von der Initiative bespielt, indem die Auslagen neu gestaltet wurden. Viele Tätigkeiten zielen auf die Säuberung bestimmter Orte wie etwa das Entfernen von Stickern von Laternenmasten oder das Wegräumen von Müll aus dem Burggarten: Dass ja eigentlich alles, was wir machen, ein Beitrag dazu ist, dass es schöner wird. Und lebenswerter wird, weil ich finde Wels ist unser Wohnzimmer. Ich wohne ja da. Zwar in einer Wohnung, aber ich wohne in Wels. Mich stört es einfach, wenn ich in der Stadt bin und es liegt was ein Dreck herum. Ich schnappe ihn einfach und haue ihn in den Mistkübel. Weil ich einfach denke, ob das jetzt Erziehungssache von der Jugend oder was weiß ich ist, das kann ich nicht mehr ändern. Ich kann schauen, dass ich das weg tue. Oder wenn ich sehe, dass das wer anderer auch macht, dann freue ich mich. Dass es nicht jedem egal ist, wie unser Wohnzimmer ausschaut. Und das sind einfach Sachen, wenn ich sowas machen kann und es steht dann in allen Zeitungen oder wird im Fernsehen gebracht. Mah, in Wels haben sie einen schönen Kreisverkehr. Wels! Weißt? Schön! Das muss suggeriert werden, sonst eigentlich nichts. Weil ich kann schon sagen, mah, wir haben eine so schiachen Spielplatz dort. Aber wir haben zwölf schöne. Weißt, was ich meine? Ist einfach immer so. Und somit denke ich einfach, wenn ich so durch die Stadt gehe oder wenn ich irgendwas schaue oder wenn mich wer wieder auf eine Idee bringt. Dann schauen wir, dass wir einfach was Positives machen. Wie auch immer das ist. Wenn es wirklich ist, dann mähe ich halt wo auch eine Wiese [lacht]. Bin mir nicht zu gut, dass das wenn das dem Zweck dient.157

Inhaltlich lässt sich bei beiden Gruppen eine Nähe zu Sauberkeit-OrdnungSicherheit-Diskursen 158 feststellen. Sauberkeit wird als Verbesserung der Stadt wahrgenommen, welche die Schönheit der Stadt herausstreicht. Das Thema Sauberkeit nimmt Bezug auf die Perspektive auf Wels als dreckige Stadt, wie sie etwa in der beschriebenen Alternativszene in der Vorstellung von Wels als Dirty Old Town auftaucht. Wird in der Alternativszene die Stadt durch ihren Dreck (oder auch durch Sticker an Laternenmasten) symbolisch an die Großstadt angeknüpft, wird Dreck in der Initiative dagegen als Makel und gerade nicht als zur Stadt Wels gehörig, sondern als deren Schönheit und Erfolg beeinträchtigend begriffen. Andere Projekte haben eine sozialen Charakter wie die vielen Tätigkeiten mit PensionistInnen oder das Projekt »Welser helfen Welsern«, bei dem armen

157 Ebd. 158 Vgl. Rolshoven (2010): SOS.

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Angekommen

Welser Familien geholfen werden soll. Daneben erfüllt die Initiative auch archivalische Aufgaben, so hat die Initiative eine eigene Literatursammlung mit über 70 Büchern zu Wels aufgebaut und damit selbst einen Ort symbolischer Verdichtung hergestellt. Trotz des gemeinsamen Ziels, Wels zu »verbessern« unterscheiden sich die beiden Gruppen in ihrer Ausrichtung und ihren Methoden. Die Initiative will im Gegensatz zu Lebensraum Wels weniger die Stadtpolitik unter Druck setzen. Vielmehr übernimmt sie selbst originär staatliche Aufgaben, wie etwa die Reinigung des Stadtraums oder sozialpolitische Funktionen jenseits der Verwaltungsstrukturen. Das Stigma der Stadt, das sich in den Schilderungen von Werner Klement vor allem in der kritisierten »Suderei« wiederfindet, wird hier weniger als öffentliches Problem denn als Frage persönlicher Einstellung beschrieben. Dementsprechend unterschiedlich sind auch die Methoden. Während Lebensraum Wels Öffentlichkeit produzieren will, verlässt sich I mog Wels in erster Linie auf private Kontakte, die als Ressource und als mögliche Lösung von Problemen eingesetzt werden.

Bürgerschaftliches Engagement als Antwort auf die stigmatisierte Stadt Analytisch können die beiden Gruppen als Plattformen für upscaling practices verstanden werden, die ihren Mitgliedern und Interessenten ermöglichen, sich gemeinsam mit als »Macher« geltenden Bewohnern – Christoph Hippmann und Werner Klement – selbst gestaltend in die Stadt einzubringen und darüber die Stadt aufzuwerten. Dieser Bezug zur Stadt bringt die beiden Gruppen trotz der Wahrnehmung einer Verbesserungswürdigkeit im Falle von I mog Wels oder einer offenen Kritik wie im Falle von Lebensraum Wels in die Position eines zentralen (weil gestaltenden) Teils der Stadt. Die Gruppen sind damit nicht nur Plattformen zur Verbesserung, sondern auch der Produktion von Zugehörigkeit zu Wels. Damit sind unterschiedliche Vorstellungen von Stadt, unterschiedliche Vorstellungen und enactments von städtischem Leben verbunden. Hat der Verein Lebensraum Wels eine Professionalisierung der Stadtplanung und -entwicklung über Druck auf Politik zum Ziel und adressiert eine städtische Öffentlichkeit, hat sich die Initiative I mog Wels der Schönheit der Stadt verschrieben und wird selbst über verschiedene Aktionen im Stadtraum aktiv. I mog Wels produziert und enacted dabei ein Bild von Wels als schmucke, saubere, herzeigbare und überschaubare Stadt, in der sich die Menschen umeinander kümmern. Lebensraum Wels setzt dagegen auf Lebensqualität und auf Stadt als Wirtschaftsraum. Beide Gruppen verfolgen einen Zugang zur Stadtgestaltung, der sich von der Stadtregierung und generell (Partei)Politik abgrenzt, wenn auch auf unter-

Wels verbessern – bürgerschaftliches Engagement

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schiedliche Weise. So betonen beide Gruppen, unpolitisch zu sein, und wollen sich damit von einer als untätig wahrgenommenen Politik abgrenzen und Wels aus privater Initiative heraus »verbessern«. Die Initiative I mog Wels umgeht Stadtpolitik durch direkte face-to-face-Kontakte und private Netzwerke in der Stadt, versteht also Stadtgestaltung als privaten Bereich, ähnlich den Ideen bürgerschaftlichen Engagements und des eher an Kleinstädten orientierten new urbanism in den USA. Stadtgestaltung ist für die Initiative eher eine Frage der positiven Einstellung als der politischen Agenda. Dies zeigt sich etwa im Appell an die Selbstverantwortung und in der Haltung, Probleme »selber anzupacken«. Der Verein Lebensraum Wels wiederum stellt eine fehlende Professionalität der Stadtpolitik fest, die – wie etwa bei der Gestaltung des Messegeländes – durch »ExpertInnen« garantiert werden solle 159. Diese Forderung steht in engem Bezug zur Orientierung an einer städtischen Wettbewerbslogik, die sich etwa in dem Bestreben ausdrückt, Wels solle attraktiv für »Top-Führungskräfte« sein, die sich auch anhand von »soft facts« für eine Stadt entscheiden 160. Für beide Gruppen lässt sich damit eine Subjektivierung von räumlichen Wettbewerb im Sinne einer Übernahme von Wettbewerbslogiken, einem Denken in einer abgeschlossenen räumlichen Einheit Stadt und einer ständigen Arbeit an der Verbesserung der eigenen Stadt feststellen. Wie weiter oben beschrieben, wird auch hier die Stigmatisierung nicht als Teil räumlichen Wettbewerbs betrachtet, der notwendigerweise Gewinner und Verlierer produziert, sondern als intrinsisches Scheitern der eigenen Stadt. Schuld ist die Stadt selbst – entweder ihre BewohnerInnen (I mog Wels) oder ihre PolitikerInnen (Lebensraum Wels). Eine Konsequenz neuer städtischer Idealvorstellungen und Leitbilder im Rahmen der Kulturalisierung der Städte ist im stigmatisierten Wels also die Aktivierung von privaten Gruppen, welche über place-making und scaling practices selbst die Stadt verbessern wollen.

Porträt IV: Wels als Ort des trotzdem Bleibens – Gertraud Windhaber Viele ältere Personen, mit denen ich im Laufe meiner Feldforschung gesprochen habe, bezogen sich auf die »Einkaufsstadt Wels«, die es heute, so die dominante Meinung, in dieser Weise nicht mehr gebe. Der Diskurs rund um die Einkaufsstadt dient häufig als Kritik an Veränderungen der Innenstadt in den letzten Jahrzehnten. Die Entwicklungen werden in Kontrast zum Konzept einer Überschaubarkeit der Stadt gestellt. Die Schuld im Niedergangsnarrativ für die »Brüche« in der Überschaubarkeit, für die Gefährdung eines als ver-

159 Feldnotiz, 23. 05. 2012. 160 Ebd.

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traut imaginierten Raums wird dabei oftmals MigrantInnen und randständigen Menschen zugewiesen. Auch Gertraud Windhaber, Ende sechzig und Pensionistin, bezieht sich auf das imaginaire der Einkaufsstadt. Sie wuchs in Linz auf, lebte an verschiedenen Orten in Öberösterreich, bis sie mit ihrem Mann nach Wels zog, wo die beiden zur Zeit des Interviews seit über dreißig Jahren wohnen. Der Kontakt zu Gertraud Windhaber entstand über die Volkshilfe, die mir Kontakte in der Wohnsiedlung Noitzmühle vermittelte. Ich führte mit Gertraud Windhaber ein wohnortbiographisches Interview und eines zu Raumnutzungen. Dazu besuchte ich sie in ihrer Wohnung in der Noitzmühle, wo sie mich herzlich begrüßte – schnell herrschte Vertrautheit. Gleich zu Beginn zeigte sie mir den Ausblick von ihrer Wohnung in einem der obersten Stockwerke des Wohnturms und erklärte, der Grund, warum sie noch hier in Wels seien, sei die tolle Stimmung. Mit der Stadt Wels im Rücken blickte ich über den Fluss Traun und Felder hinweg und konnte am Horizont die Umrisse der Alpen erkennen. Dazu reichte mir Gertraud Windhaber Fotografien, die sie zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten von dieser Aussicht gemacht hatte. In der Folge erzählte sie mir ausführlich von ihrem Leben in der Stadt. In den beiden Interviews sprach Gertraud Windhaber viel über die Entwicklung von Wels, die sie mit ihrer eigenen Geschichte verbindet. Sie schilderte die letzten Jahrzehnte der Stadt, die Gefühle eines zunehmenden Unwohlseins im Stadtraum mit sich brachten. Der Grund für den Umzug nach Wels war neben der beruf lichen Tätigkeit ihres Mannes auch die für Gertraud Windhaber große Attraktivität des Ortes gewesen, der »ein bisschen kleiner« und »gemütlicher« als Linz war, »weil in Linz sind auch die Leute auf der Landstraße [große Linzer Einkaufsstraße] dahingerannt und keiner hat links und rechts geschaut« 161. Wels war »eine liebe Stadt, schön gepflegt, es war einfach wunderschön. War schön, hat mir so gefallen und jetzt ist halt ein bisschen alles anders, vielleicht schaffen sie es wieder«.162 Die Veränderung der Stadt machte sie in erster Linie an der Entwicklung der Wohnsiedlung Noitzmühle, in der sie wohnt, fest. Die Noitzmühle gilt in Wels als verrufene Wohnsiedlung – Ghetto- wie Migrationsdiskurse bestimmen die Repräsentation des Ortes. Die Stigmatisierung der Stadt schlägt sich nicht zuletzt in einer Stigmatisierung der Wohnsiedlung nieder. Gertraud Windhaber berichtete von einer zunehmenden Feindseligkeit, die sie in der Siedlung wahrnimmt:

161 Interview Gertraud Windhaber. 162 Ebd.

Porträt IV: Wels als Ort des trotzdem Bleibens – Gertraud Windhaber

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Jetzt ist mein Mann zur Heimstätte gegangen und hat gesagt, er möchte irgendwo ein bisschen am Stadtrand, wo es halt grün ist noch. Und dann haben wir das gekriegt und haben auch das genommen und muss sagen, es war eine schöne Zeit. Wirklich, es hat nichts gegeben, die Kinder waren auch laut, sie haben geschrien, gebrüllt, gejodelt und die Leute haben sich nicht aufgeregt. Und jetzt ist es leider so, seit halt die vielen ausländischen Familien da wohnen, sind da so böse, haben sich zum Teil die Österreicher so bösartig entwickelt, sind eben herumgerannt mit den Handys und mit den Fotoapparaten, haben Kinder fotografiert, die unten Ball gespielt haben und so furchtbar, und beschimpft halt.163

Gertraud Windhaber zeigte sich betroffen von den Veränderungen, die sie in der Wohnsiedlung wahrnimmt, und von den Ungerechtigkeiten, die sie in Bezug auf den Umgang mit in der Wohnsiedlung spielenden Kindern empfindet. Sie erzählte von rechtsradikalen Jugendlichen, die unbehelligt in der Siedlung gewohnt hatten, während den Kindern mit Migrationshintergrund von Sicherheitskräften die Bälle zum Spielen weggenommen wurden. Sie berichtete von einschüchterndem Sicherheitspersonal, von abmontierten Sitzmöglichkeiten und von dem Moment, als »die Österreicher abgerissen sind« 164, also aus der Wohnsiedlung ausgezogen sind. Zu vielen Familien im Haus pflegt sie Kontakte und erzählte von ihren Bemühungen, eine gute Stimmung zu verbreiten und zu helfen. Erfreut schilderte sie, dass ein »türkischer Familienvater« zu ihrem Mann gemeint habe: »Herr Windhaber, Sie haben die beste Frau der Noitzmühle.« 165 Gertraud Windhaber sprach im wohnortbiographischen Interview umfänglich über ihre Wohnsiedlung und thematisierte darüber die Entwicklung der Stadt – was nicht zuletzt an dem dominanten Diskurs rund um die Noitzmühle liegen mag. Dies zeigt auch die biographische Perspektive, aus der sie sprach: Sie resümierte die Entwicklung von Wels bzw. der Noitzmühle als Niedergang. Auch die Innenstadt, die sie weniger oft besucht als früher, habe das einstige »Flair« verloren – auch da viele für sie wichtige Geschäfte geschlossen haben. In Gertraud Windhabers Schilderung lassen sich die Topoi der Großstadtkritik finden – Anonymität, Unsicherheit und Kriminalität. Sind andere vom »Wohlgefühl« beim Gehen durch die »überschaubare« Innenstadt angetan, spricht sie von einem »unguten Gefühl«: als »Frau braucht man gar nicht raus gehen« 166. Gertraud Windhaber nimmt die Entwicklungen in der Innenstadt als Einschränkung ihres Bewegungsraums wahr: »Weißt du, aber traust dich ja nicht wie du früher gegangen bist, mit zwei, drei jungen Frauen zum Griechen,

163 164 165 166

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Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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dann durch die Stadt marschieren und heimfahren und so. Das ist irgendwie nicht mehr das Wahre.« 167 In einer längeren Interviewpassage verdichtete die Gesprächspartnerin ihre Perspektive auf Wels und stellte verschiedene Bilder vom städtischen Leben gegeneinander: Gertraud Windhaber: »Also Wels im Großen und Ganzen ist ja recht eine liebe Stadt. Sie bemühen sich schon immer wieder, etwas schön zu machen und so, und die Umgebung ist auch schön und der Ledererturm und so, weißt du. Also, ich war voll begeistert von der Stadt, wie wir nach Wels gekommen sind. Und auch die Jahre bis es halt dann komisch geworden ist. Weißt du, wie dann immer die Drogensüchtigen herumgehängt sind in den Parks und so. Und auch in den lieben, kleinen Kaffeehäusern, das hat dann soviel irgendwie zerstört, aber Wels alleine wäre es ja voll eine liebe, schöne, gemütliche Stadt. Weißt du? Gefällt mir auch noch immer, muss ich sagen, aber es ist halt leider Gottes viel kaputt gegangen. [. . . ] Auch zum Beispiel diese ›zur Grube‹ sagen sie immer, das ist da in Wimpassing [ein Naherholungsgebiet] draußen. Das war ja auch so traumhaft. Weißt du? Da ist ein Teich gewesen, da sind die Enterl geschwommen, dann haben sie für die Kinder verschiedene schöne Spielgeräte aufgestellt und da waren wir auch sehr gerne dort. Ja und es ist halt dann, muss man sagen, aus dieser lieben Grube, wieder ein richtiges Grilleldorado geworden, wieder für die Türken halt. Weil die haben dann dort allerweil, weil sie ja dort nirgends dürfen haben, da sind sie ja verjagt worden, jetzt sind sie dort hingegangen. Und dann natürlich ist es nicht mehr schön, dass du mit deine Kinder dort spielen gehst, oder so, weil die, das brandelt und stinkt und gell? Es ist halt nicht mehr schön geworden. Aber es war recht lieb dort. Und auch so, die Lokale draußen in Wimpassing, da ist ja auch so ein gutes Wirtshaus, da sind wir auch sehr gerne hingegangen, muss ich sagen[. . . ] Auch Geschäfte, geschäftsmäßig, es waren so schöne Geschäfte, ich meine [. . . ] das Schuhgeschäft am Ring [. . . ]. Nein, da habe ich mir immer so gerne Schuhe gekauft, wie ich eben noch gearbeitet habe und so. Weißt du, man hat auch für schöne Sachen gefunden, auch gewandmäßig und so, und es ist halt durch das, dass jetzt auch eben es sind sehr viele Bettler unterwegs in der Stadt, es ist nicht mehr so, durch die Stadt gehen kannst, so wie du es halt früher gemacht hast, weißt du, so einfach gerne. Das fehlt jetzt, jetzt musst du immer ein bisschen aufpassen, weil da wirst du schon wieder angeredet und so, eine hat mich angeredet ›du, ich brauche Geld‹ – hat ein kleines Kinderl am Arm gehabt – ›ich brauch Geld, ich brauch Geld, hast du Geld‹. Und ich hätte ihr, da hat es noch, das war vor dem Euro gerade, hat es noch Schilling geben, ich hätte ihr fünf Schilling geschenkt, habe ich gesagt: ›Kaufe dem Kinderl eine Schokolade oder was‹ und sie hat gesehen, dass in meinem Geldtascherl noch ein Zwanziger dringesteckt ist, greift einfach rein und nimmt den Zwanziger aus meinem Geldtascherl raus.

167 Ebd.

Porträt IV: Wels als Ort des trotzdem Bleibens – Gertraud Windhaber

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Weißt du und solche Geschichten und dann wirst du eben vorsichtig. Da willst du dann nicht mehr so, so gerne mehr in der Stadt sein. Ja, und dann habe ich ihr den Zwanziger aber wieder genommen und dann hat sie geschrien ›Ich wünsche dir alles schlechte, dass du sehr krank wirst und bald stirbst‹. Gell? Bin ich auch geschockt gewesen, muss ich sagen. Weißt du, und dann, dann wirst du so, dass du nicht mehr so gerne unterwegs bist. Früher sind wir schon am Abend gerne umeinandergelatscht, schon ein wenig Auslagen anschauen, aber die Gebäude sind ja auch so zum Teil die alten noch so schön in der Altstadt, nicht. Aber es ist einfach schade, dass das Flair verschwunden ist.« G.W.: »Und was war das Flair?« Gertraud Windhaber: »Weißt du, das hat ein, wie soll ich dir denn sagen, einfach eine Gemütlichkeit ausgestrahlt alles. Man hat sich wohlgefühlt. Es war, ich habe damals gesagt, wie wir halt da ein paar Jahre schon da waren, ich habe gesagt‚ mah, ich möchte nicht mehr nach Linz gehen, Wels gefällt mir so, das hat, ist so gemütlich. Und freundliche Menschen hat es gegeben und es hat sich soviel geändert eben glaube ich auch, durch das, dass eben das Wels so überhäuft worden ist mit Ausländern, ein bisschen weniger hätte es auch getan, nicht.« 168

Wels beschrieb Gertraud Windhaber als eigentlich lebenswerte Kleinstadt, die mit großstädtischen Problemen konfrontiert sei – Drogen, Armut, Migration. Sie stellt »Gemütlichkeit« – die als Aspekt von Überschaubarkeit begriffen werden kann – und ein damit verbundenes »Wohlgefühl« in Kontrast zu einer Feindseligkeit im Stadtraum. Auch hier spielt also eine habitualisierte Überschaubarkeit und die Wahrnehmung von Fremdheit und städtischen Randgruppen eine zentrale Rolle in der Erzählung. Im weiteren Verlauf relativierte die Interviewpartnerin ihre Schuldzuweisung an MigrantInnen und benennt eine generelle »Stänkerei« in der Stadt als Grund für ihr Missbehagen im Stadtraum. Gertraud Windhaber scheint unsicher zu sein, welche Schuldzuweisungen sie selbst als legitim erachtet und schwankte immer wieder zwischen einer eigenen Abgrenzung von »Ausländern« und Schilderungen von ihrem nachbarschaftlichen Netzwerken mit »Türken« und wie sie sich für diese einsetzt. Die Dominanz des Migrationsdiskurses und die eigene Positionierung als liberal und offen wird in dieser Unentschiedenheit deutlich. Die von Gertraud Windhaber als Niedergang wahrgenommene Entwicklung von Wels und insbesondere der Noitzmühle führte sie als Grund an, warum sie überlegt, nach Jahrzehnten in Wels wieder zurück nach Linz zu ziehen. In einer kurzen Passage wägte sie ihr Leben in Wels ab: Weißt du und wir sind halt jetzt da und ich habe halt schon zu meinem Mann gesagt, ihm gefällt es halt da so, gell, er ist so gerne da, weißt du eh, die Umge-

168 Ebd.

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Angekommen

bung ist schön und alles. Und ich habe schon ein paarmal gesagt, mah, ich möchte am liebsten wieder nach Linz gehen. Aber er sagt immer geh, schau, so lange wir unser Hunderl haben und solange der Andreas [ihr Sohn] in Wels lebt [lacht]. Ja eh, es ist eh verständlich. Weißt du und irgendwo anders weiter weg, täte ich nicht ziehen, sag ich dir.169

Insbesondere stellte Gertraud Windhaber neben dem Kompromiss mit ihrem Mann eine Naturnähe als zentrales Kriterium für ihr Verbleiben in Wels heraus. So wies sie mich im Interview mehrmals auf die nahen, »wunderschönen« Traunauen hin, wo sie mit ihrem Mann und ihrem Hund täglich spazieren geht und sie andere HundebesitzerInnen treffen, und lud mich ein, mitzukommen: »Müssen Sie unbedingt machen, weil das ist wirklich so ein Gebiet, er sagt auch [weist auf ihren Mann], das Schönste von Wels.« 170 Eigentlich müsste die Wohnsiedlung als Nobelviertel neu aufgebaut werden, formulierte Gertraud Windhaber. Ihr Mann ergänzte: »Als das schönste Wohngebiet von ganz Wels. Da kannst du Pernau, Neustadt, alles vergessen.« 171 Insbesondere betonte die Interviewpartnerin die schöne Aussicht aus den Fenstern ihrer Wohnung, von wo ich bei schönem Wetter »die ganzen Gebirge wieder« 172 würde sehen können. Der Blick von Gertraud Windhaber wanderte dann weg von Wels hin zu einer als schön empfundenen Natur: »Weil man hat da soviel, doch so eine schöne Zeit verbracht in dem Wels. Und mir gefällt ja das so, wenn ich da raus schaue und ich den Himmel anschaue, die schönen Lichter und so. Ich weiß es auch nicht, weißt du das sind immer so Gedanken.« 173 In der Zusammenschau erscheint die wohnortbiographische Perspektive als eine des trotzdem Bleibens. Trotz der Unbehaglichkeit, die Gertraud Windhaber in der Stadt spürt, sei der Aufwand zu groß, um im Alter noch umzuziehen. Sie bezog sich vor allem auf die Naturnähe von Wels und insbesondere ihres Wohnortes in der Stadt, wenn sie ihren Verbleib in der Stadt vor sich selbst rechtfertigte. Damit zeigt sie Ähnlichkeiten zu einem für schrumpfende Städte beschriebenen gesellschaftlichen Rückzug: »[. . . ] collective fatalism, a resignation to the city’s fate and a turning away from civic culture« 174.

169 170 171 172 173 174

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Bell u. a. (2006): Small cities, S. 7.

Porträt IV: Wels als Ort des trotzdem Bleibens – Gertraud Windhaber

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9. AUSBLICK DIE ZUKÜNFTIGE STADT Abschied Mitte September neigte sich mein erster Feldaufenthalt in Wels dem Ende zu. Der Kellner Michael Klaus aus dem Irish Pub wies mich darauf hin, dass es nicht mehr so sein würde wie jetzt, wenn ich für meinen zweiten Aufenthalt in der Stadt zurück käme, viele aus der Szene würden dann schon weg sein 1. Das Irish Pub stand kurz vor seiner Schließung und viele der BesucherInnen überlegten, im Herbst in andere Städte zu gehen. Das Pub schloss tatsächlich Ende September, mein Abschied von der Stadt lief also parallel zum Abschied vom Pub. Erst nach dem Ende meines zweiten Feldaufenthaltes in Wels – der in dieser Arbeit eine untergeordnete Rolle spielt – kam es zum politischen Paukenschlag in der Stadt: die SPÖ hatte den Bürgermeistersessel an die FPÖ verloren. Auch wenn dieser politische Machtwechsel erst drei Jahre nach dem Ende meines ersten Aufenthaltes in Wels passierte, sollen die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen in Wels im Jahr 2015 dennoch hier kurz Thema sein, da Entwicklungen unter der neuen Stadtregierung schon damals angelegt waren und sich Themen, etwa die Stigmatisierung der Stadt oder der Sicherheitsdiskurs, auch heute weiter fortsetzen.

Place-destruction practices: Das Ende des »Irish« Wie weiter oben beschrieben, erlebte ich die letzten Monate des Irish Pubs. Welche besondere Bedeutung das Pub in seiner Materialität hatte, konnte ich dann bei der Schließung beobachten, als das Mobiliar und die Schilder, Fahnen etc. versteigert wurden. In einer Art umgekehrtem place-making-Prozess wurde der Ort aufgelöst: Schon länger waren Gerüchte herumgegangen, das Irish Pub würde wohl bald schließen. Paul Renner und Max Aigner hatten öfters schon über potenzielle KäuferInnen gesprochen, die finanzielle Lage schien für die beiden nicht mehr tragbar. In letzter Zeit war es aber wieder ruhiger rund um den Verkauf geworden. An einem Sonntag Mitte September, also etwa zwei Wochen vor meiner eigenen Abreise aus Wels, erfuhr ich, als ich gerade zu Besuch in Linz war über Facebook, dass das Pub heute für immer schlie1 Feldnotiz, 26. 09. 2012.

ßen würde. Ich rief Michael Klaus an, der mir die Schließung bestätigte und festhielt, dass er sich dann morgen ›eine neue Wohnung, einen neuen Job und ein neues Stammbeisl‹ suche. Ich machte mich also auf den Weg nach Wels, um die Schließung zu verfolgen. Als ich ankam, standen wie bei einem Todesfall Teelichter vor dem Lokal, später auch drinnen. Viele der Stammgäste saßen draußen vor dem Lokal im Kreis und unterhielten sich, darunter konnte ich neben Michael Klaus, Max Aigner und Paul Renner auch Valerie Ebner, Friedrich Reiter, Tobias Koller und viele andere Stammgäste erkennen. Erinnerungen wurden erzählt. Michael Klaus hatte hier vor dem Pub seine erste Freundin geküsst und einige erinnerten sich an ihre erste Schlägerei, die hier stattgefunden hatte. Ich schlug vor, sie könnten ein Backpapier aufhängen und alle Erinnerungen darauf schreiben, die sie mit dem »Irish« verbanden, woraufhin Michael Klaus erwiderte, dass ich wohl Kindergärtner sei und dass das keinen interessiere. Seine ausgedruckte Rechnung, auf der 153 Mal Flying Hirsch – eine Mischung aus Jägermeister und Energydrink – verzeichnet war, verstaute er sicher in der Geldbörse, um sie dort aufzuheben. Raimund Kern, Anfang zwanzig, Kochlehrling und ein Stammgast des Lokals, saß stockbetrunken auf einem Hocker vor dem Eingang, hatte aber am nächsten Tag einen Kurs in Linz. Mehrmals bezeugte er, dass er gleich gehen würde, blieb dann aber doch noch und trank ein weiteres Bier. Später sah ich ihn mit Tränen in den Augen im Pub sitzen. Die Frage wurde besprochen, wer Joseph Camden, Ende vierzig und ehemaliger Pächter des Lokals noch vor Paul Renner und Max Aigner, sagen würde, dass das Pub nun für immer geschlossen werde. Er war noch im Krankenhaus und die Gefahr bestand, dass er es schnurstracks verlassen und ins Pub kommen würde, sobald er von der Schließung erfuhr. Michael Klaus meinte dann, er werde es ihm erst am Montag sagen, wenn Joseph Camden aus dem Krankenhaus rauskommen sollte. Später gingen wir alle in das Lokal hinein, wo es wie auf einer Baustelle aussah. Eine Leiter stand herum, ein Hocker nach dem anderen wurde vom Boden losgeschraubt, das Surren des Akkubohrers überdeckte immer wieder die Musik. Unmengen an leeren Flaschen und dreckigen Gläsern waren über das Lokal verteilt, die Theke bis zum letzten Quadratzentimeter vollgeräumt. Die komplette Einrichtung wurde versteigert und viele der Stammgäste hatten sich angestellt, um ein Teil aus dem Pub zu ergattern und es mit nach Hause zu nehmen. Die Schilder und Tafeln an den Wänden waren bereits verkauft – Friedrich Reiter ergatterte das Schild ›Irish Pub‹ (siehe Abbildung 35), Laura Schadauer den Shaker. Jemand fragte, ob das eine Urne sei. Ein anderer warf ein, man könne die Asche vom Irish Pub reingeben und einen Drink daraus machen – ›Irish Pub Memorial‹.

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Ausblick

Abb. 35: Das Schild des Irish Pubs als Eingangsschild eines Proberaums. Die Dinge des Irish Pubs wurden bei dessen Schließung durch eine improvisierte Auktion in die Stadt zerstreut. Die Szene verlor mit ihrem Treffpunkt ihre räumliche Konzentration.

Place-destruction practices: Das Ende des »Irish«

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Aufgelegt wurde mit dem MacBook von Friedrich Reiter. Weil sich niemand der BesucherInnen mit dem Computer auskannte, lief immer nur eine Nummer, dann war wieder Pause, bis sich jemand aufraffte und eine weitere Nummer auf legte. Die musikalische Beschallung konnte also bereits nicht mehr aufrechterhalten werden – bis schließlich wer eine Playlist erstellte. Der Pächter Max Aigner fragte mich, ob ich ›You never walk alone‹ von den Toten Hosen auf legen konnte. Nach langem Suchen fanden wir das Lied und es schallte ein letztes Mal durch die Räume des Pubs. Ein Gast zahlte eine Lokalrunde, alle stießen an. Max streckte seinen Arm mit dem Getränk in der Hand in die Höhe und sang lautstark mit – wurde dabei aber kaum unterstützt. Viele konstatierten ernüchtert, dass man jetzt nur mehr ins Black Horse – das zweite Irish Pub in Wels – gehen könne. Markus Heindl merkte an, dass das Black Horse ›wirtshausiger‹ sei, dass es keine Bar gebe und viele ältere Leute dort verkehrten. Ins alte Irish Pub hätte man immer alleine gehen können und sicher jemanden gekannt – im Black Horse sei es nicht dasselbe. Und Michael Klaus alberte, dass sich der Pächter des Black Horse freuen werde, ›wenn jetzt alle ins Black Horse kommen‹. Ein paar Tage später wird Michael Klaus im Black Horse sitzend sagen, dass mit dem Irish Pub ›eine Ära zu Ende gegangen‹ sei.2 Am Ablauf der Schließung lässt sich erkennen, welche Bedeutung das Pub in seiner Materialität für die Szene hatte. Im Laufe des Abends wurde das Pub als physischer Ort aufgelöst und mit ihm ein zentraler Identifikationsort der Alternativszene der Stadt. Über das Pub hatte die Szene eine materielle Stabilisierung gefunden und geriet nun durch die Schließung ins Wanken. Ein materielles Framing wurde im wahrsten Sinne des Wortes dekonstruiert. So war die Situation des Abbaus der Elemente des materiellen Settings bezeichnend: halb Ort, halb Baustelle vermochte das Pub nicht mehr die Stimmung zu transportieren, die es sonst ausgezeichnet hatte. Die Kontinuität der Ausgeherfahrung konnte nicht mehr gesichert werden – wie etwa die wiederkehrende Stille zwischen den abgespielten Liedern zeigte. Die Abläufe schienen nicht mehr zu funktionieren. Trotz dieser konkreten Auf lösung wurde der Ort materiell weitergetragen, etwa in Form von Hockern in Wohnungen und Schildern in einem Proberaum. Zudem wurde bei der Schließung ersichtlich, wie stark der materielle Ort Pub mit Geschichten und Narrativen verbunden war. Zeitgleich zur Auf lösung des materiellen Settings des Pubs wurden Erlebnisse erzählt, die Rede war von »legendären« Abenden oder »ersten Malen«. In diesen Narrativen wurde die Bedeutung des Ortes als Raum des Aufwachsens und der Zugehörigkeit betont.

2 Feldnotiz, 10. 09. 2012.

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Ausblick

Diese besondere Bedeutung, die dem Lokal zugemessen wurde, ist typisch für Orte des alternative nightlifes, denen, wie Chatterton und Hollands schreiben, mitunter ein »mythical status« 3 zugeschrieben werde. Die besondere Bedeutung des Pubs machen nicht zuletzt auch die starken emotionalen Reaktionen deutlich. Auf der Seite des Lokals auf Facebook postete wenige Tage nach der Schließung einer der Pächter einen virtuellen Rundgang durch das Pub und zeigte damit dessen Bedeutung als sinnlicher Ort. So konnte man sich vor dem Computer nochmal die Räumlichkeiten des Pubs in seiner Glanzzeit ansehen. Der Rundgang zog einige Kommentare nach sich. Am 12. September 2012 um 13:01 schrieb Klemens Hofer: »Schade, der virtuelle spaziergang unterscheidet sich doch erheblich vom wirklichen Leben«. Daraufhin schrieb einer der Betreiber am 12. September 2012 um 21:09: »stimmt, es sollt 4D sein, damit ma sich a an des einzigartige aroma vom pub erinnern kann«. Schließlich antwortete Raimund Kern am 13. September 2012 um 16:30 gefolgt von einem Smiley: »i werd nocher den spaziergang machen und a bier in am glasl von eich trinken dazua und horchen werd i robbie williams oder flogging molly das was anders amoi gspüt wordn is kunnt i mi net erinnern. . . . . . .und ma söba a blaues aug haun« 4. Der Grund für die Schließung lag nicht an einem Niedergang der Nachtwelten in Wels. Dem Pub waren aber die Gäste ausgeblieben, um die wenig genau genommene Kalkulation der Betreiber zu erfüllen. Die Schließung des Lokals und die Auf lösung des Ortes bedeutete eine ungewisse Zukunft für diejenigen, die dabei ihren Arbeitsplatz verloren. Zudem schien die Schließung für viele mit einem generellen Verlust der Relevanz von Wels einherzugehen. Einige deuteten auf den besonderen Zusammenhang des Ortes mit einem bestimmten Lebensabschnitt und einer bestimmten Szene hin – das Pub schien eine spezifische Konstellation von Ort, AkteurInnen und Zeit zu verkörpern. Einige der Stammgäste zogen nach der Schließung des Lokals tatsächlich in andere Städte, etwa wie Raimund Kern oder Valerie Ebner nach Linz – ein Grund dürfte auch die Schließung des Lokals gewesen sein.

Rechtsruck und städtische Positionierung Im Oktober 2015, beinahe zwei Jahre nach meinem letzten und drei Jahre nach meinem ersten Feldaufenthalt, gewann die Partei FPÖ die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen in Wels. Dieser politische Machtwechsel war insbesondere von Bedeutung, als damit die SPÖ zum ersten Mal seit 1945

3 Chatterton u. a. (2003): Urban Nightscapes, S. 199. 4 Feldnotiz, 13. 09. 2012.

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nicht den Bürgermeister stellte.5 Für die vorliegende Arbeit ist dieser Moment von besonderem Interesse, da damit eine Intensivierung und Neuausrichtung städtischer Positionierungsbemühungen einhergingen, die auf die Stigmatisierungsprozesse der letzten Jahre reagierten. Schon im Positionspapier der neuen Stadtkoalition zwischen FPÖ und ÖVP vom Oktober 2015 war von neuen Positionierungsversuchen die Rede, so sei die Koalition »getragen vom Geist, Wels als urbane lebendige Stadt zu positionieren, in der sich Wohnen und Arbeiten, Wirtschaften und Genießen gleichermaßen zu einer Einheit verbindet. Ziel ist es, Wels in das Spitzenfeld der österreichischen Städte zurückzuführen« 6. Kurz nach der Angelobung der Stadtregierung wurde ein »Positionierungsprozess« initiiert, welcher der »Stadt nach innen und außen hin ein einheitliches Gesicht« 7 geben solle, so wird der neue Bürgermeister Andreas Rabl in der Presseaussendung der Stadt Wels vom 14. November 2015 zitiert. Begleitet wird der Positionierungsprozess von Malik, einem Schweizer Management-Beratungsunternehmen. BewohnerInnen der Stadt wurden eingeladen, um ihre Meinungen »zur aktuellen und zur gewünschten Positionierung der Stadt« 8 an das Rathaus zu schicken (siehe Abbildung 36). Der Wirtschaftsreferent der Stadt und Stadtparteiobmann Stellvertreter der ÖVP Wels Peter Lehner wurde in der Presseaussendung wie folgt zitiert: Wels braucht dringend eine klare Positionierung für die Zukunft, um im Städte- bzw. Regionenwettbewerb wieder nach vorne zu kommen. Daraus lassen sich Strategie, Ziele und Maßnahmen für die Zukunft ableiten. Wels hat enorme Wirtschaftskraft und liegt im regionalen Vergleich im Spitzenfeld. Es muss uns auch in anderen Bereichen gelingen, das Potenzial zu nutzen. Beim Positionierungsprozess geht es darum, gemeinsam konstruktiv daran zu arbeiten, Wels zu einer modernen und zukunftsfitten Stadt zu machen, in der man gerne lebt, arbeitet und seine Freizeit verbringt.9

5 Das Welser Volksfest wurde dadurch im Jahr 2016 zu einem symbolischen Zentrum im Bundespräsidentenwahlkampf, das von mehreren KanditatInnen besucht wurde, und die Stadt Anfang 2017 zum paradigmatischen Ort in der in Wels abgehaltenen Grundsatzrede des SPÖ-Bundeskanzlers Christian Kern, als dieser formulierte: »Wels steht stellvertretende für viele andere Gemeinden in Österreich«. Die Rede des Kanzlers, welche Aufmerksamkeit auf Wels zog – viele Medien veröffentlichen vorab Berichte über die Entwicklung der Stadt –, fungierte als scaling device, wodurch Wels zum nationalen Aushandlungsort der Sozialdemokratie wurde. 6 FPÖ-Wels (2015): Aufbruch. 7 Stadt Wels (2015): Positionierungsprozess. 8 Ebd. 9 Ebd.

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Ausblick

Abb. 36: Aufruf zur Mitgestaltung beim Positionierungsprozess im Amtsblatt. BewohnerInnen sollten sich beim neuen Positionierungsprozess beteiligen und sich Gedanken darüber machen, wofür Wels in Zukunft stehen soll.

Andreas Rabl spezifizierte im Amtsblatt, dem auch eine ausfüllbare Antwortkarte beilag, unter der Überschrift »Aufbruch für Wels« die Ausrichtung der Koalition: »Mein besonderes Bemühen gilt dabei [bei der Positionierung] einer verbesserten Integration und der Erhöhung der Sicherheit in Wels.« 10 Der neue Bürgermeister bezieht sich damit auf Themen, die schon im Wahlkampf der FPÖ und in lokalen Diskursen zentral waren. Zentraler Akteur in diesem Positionierungsprozess ist nicht zuletzt die Monatszeitung Monatliche, welche den Prozess offensiv unterstützt, etwa durch unveränderte Übernahme von Presseaussendungen auf die eigene Webseite.11 Im Heft 9/2013 hatte das Magazin große Teile der Ausgabe möglichen Positionierungen der Stadt gewidmet: Eine Jahrzehnte andauernde Diskussion ist wieder entfacht: Was ist Wels? Energiestadt? Oder doch Messestadt? Einkaufsstadt? Aber es geht viel weiter. Denn Wels hat vor 20 Jahren einen Schritt gesetzt: ›Wir sind mehr als Einkaufen & Messe‹ Dieser Gedanke wurde aber nie fertig gedacht, denn ab da waren wir nur eines: ›Die Stadt‹. Vor lauter Verzweif lung wurde Wels zur Logofabrik. Mittlerweile haben sich einige Kräfte darauf geeignet, die ›Vielfalt‹ zu betonen. Aber

10 Stadt Wels (2015): Amtsblatt, S. 3. 11 Das Magazin übernahm schon vor dem Regierungswechsel, danach expliziter eine generell unterstützende Position gegenüber der FPÖ.

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welche? Und wie wird diese kommuniziert? Und noch wichtiger: Kommt diese auch bei den Menschen an? Und wie stellt sich Wels außerhalb der Stadtgrenzen dar? Mit einem Welios alleine bekommt man keinen Kremser oder Salzburger nach Wels. Ist nicht wie in Linz oder Krems die Kultur die Visitenkarte einer Stadt? Und haben wir eigentlich eine? 12

Zum aktuellen Positionierungsprozess gründete der Herausgeber des Magazins Christoph Brückl auf Facebook eine eigene Gruppe mit dem Namen »Welser Identität«. Im Zentrum stehen dabei einerseits Möglichkeiten der visuellen Repräsentation der Stadt als Teil einer Corporate Identity, wie Logos, Typographie oder Imagefilme, zum anderen mögliche Inhalte wie die Welser Messe, Nachtleben, historische Bausubstanz und Bauvorschriften usw. Die verwendeten Narrative in den bisher veröffentlichten Statements der neuen Stadtregierung verweisen auf die einstige Größe von Wels als Anknüpfungspunkt. Ziel ist es, im Städtewettbewerb wieder eine gewichtige Rolle zu spielen.13 Der aktuelle Positionierungsprozess lässt sich als weitere Runde der Vermarktung der Stadt Wels im Rahmen des räumlichen Wettbewerbs und als Antwort auf die zunehmende Stigmatisierung der Stadt in den letzten Jahrzehnten verstehen. Dies kann nicht zuletzt als Neoliberalisierungsruck der Welser Stadtregierung in Folge des politischen Machtwechsels gedeutet werden.14

12 Brückl (2013): Wels, S. 6. 13 Als eine Heilsbotschaft wurde in diesem Zusammenhang etwa verkündet, dass der Railjet in Zukunft wieder in Wels halten werde. Dadurch sei eine »langjährige Forderung der Stadt Wels an die ÖBB [. . . ] in Erfüllung« gegangen, Stadt Wels (2016): ÖBB-Railjets. Wie sich aber herausstellte, hielten die Railjets auch weiterhin nicht in Wels, vielmehr wurden nur die Bezeichnung der langsameren Intercity-Züge auf »Railjet« geändert und die Garnituren ersetzt. Dadurch kamen ab nun auch Einsteigende in Wels in den Genuss von Railjet-Garnituren, das Angebot wurde aber nicht ausgeweitet, d. h. weder gab es mehr oder schnellere Verbindungen noch wurde Wels auf der Westbahnstrecke als Anfahrtsort wieder höher gereiht. 14 Neben diesen Bestrebungen zur Neupositionierung der Stadt erregte nach dem Regierungswechsel vor allem auch die Kürzung von Förderungen der Stadt vor allem im sozialen Bereich, die Schließung der städtischen Jugendherberge und die Abschaffung der Position des Stadtschreibers Aufsehen. Dies wurde mit einem »Millionendefizit« gerechtfertigt, welches ein Kassasturz der Welser Finanzen ergeben habe, so die Presseaussendung der FPÖ Wels, vgl. FPÖ-Wels (2016): Kassasturz. Auch der Rechnungshof hatte die Stadt für die starke Zunahme der Schulden seit dem Jahr 2008 kritisiert. Dennoch hat Wels im Vergleich mit anderen Städten in Österreich wenig Schulden, wie auch der Rechnungshofbericht festhält. Der Anstieg der Schulden seit dem Jahr 2008 lässt sich für den Durchschnitt der Gemeinden feststellen und liegt wohl an der seitdem anhaltenden Wirtschaftskrise. Die Erhöhung der Schulden seit 2008 und schließlich die Kürzungen und Aufhebungen von Förderungen als Austeritätsmaßnahmen können damit als Ausdruck der aus der Krise resultierenden Finanzschwäche verstanden werden.

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Ausblick

Dabei bricht der initiierte Prozess nicht mit üblichen Vorgehensweisen, sondern orientiert sich – wie auch bisherige Vermarktungsstrategien in Wels – am Konzept einer unternehmerischen Stadt, welches Stadt als Marke versteht. Der vorgeschlagene Umgang mit der Stigmatisierung ist eine effektivere Vermarktung der eigenen Potenziale, wofür es wichtig sei, »die Stärken und Schwächen sowie die Chancen und Risiken der Stadt zu definieren« 15. Wie auch schon in den bisherigen Bemühungen steht damit im Zentrum des Positionierungsprozesses ein Ansatz der Selbstbefragung, bei dem auch BewohnerInnen aufgefordert werden, an der Marke des eigenen Wohnortes mitzuarbeiten. Der Versuch einer Neupositionierung betrifft damit nicht die Methoden, sondern in erster Linie den Anspruch einer höheren Effektivität der Inwertsetzung. Dieser hat etwa die Reduktion und Konzentration visueller Repräsentationsweisen der Stadt zum Gegenstand, zum Beispiel durch die geplante Vereinheitlichung der Logos der Stadt. Im Juni 2016 wurden die vorläufigen Ergebnisse der Neupositionierung präsentiert. Die Stadtsenatsfraktionen haben »dabei mit magistratsinternen und externen Experten und unter Einbeziehung von mehr als 200 Bürgervorschlägen sowohl eine neue Markenstrategie als auch Maßnahmen zur künftigen inhaltlichen Positionierung der Stadt erarbeitet« 16. Dabei habe sich als »Markenkern«, d. h. als »künftiges Selbstverständnis der Stadt« die Phrase »Wels ermöglicht« herauskristallisiert 17. Eine neue Markenstrategie wurde dazu erarbeitet, die folgende drei Statements propagieren soll: »Wels liegt zentral im Herzen Österreichs, ist regional verwurzelt, herzlich und persönlich«, »Wels ist der Top-Wirtschaftsstandort für tatkräftige Unternehmer und ihrer Mitarbeiter«, »Wels ist eine Stadt am Puls der Zeit« 18. Auch hier wird – wie auch bei den Bemühungen der Stadtmarketinggesellschaft davor – die Unentschiedenheit in der Vermarktung sichtbar. Zwar gibt es nun mehr Zug in Richtung kleinstädtische und regionalistische Symbolik 19, dennoch verharrt das propagierte Image weiterhin zwischen überschaubarer (Klein)Stadt und lebendiger, pulsierender (Groß)Stadt. Auch ein neues Logo wurde für die neue Markenstrategie in Auftrag gegeben. Die BewohnerInnen von Wels konnten unter den zehn Einreichungen zwischen zwei Vorschlägen abstimmen. Für die 15 16 17 18 19

Stadt Wels (2015): Positionierungsprozess. Stadt Wels (2016): Wels positioniert sich. Ebd. Ebd. So wurde medial der Vorwurf laut, alles »Großstädtische« würde zurückgedrängt und dagegen Folkloristisches gefördert – so wurde etwa die Gründung einer Volkstanzgruppe finanziell unterstützt und verfügt, dass in amtlichen Schriftstücken keine gendersensible Sprache verwendet wird, vgl. Rössler (2017): Hingehen, wohingegen dem Schlachthof verschiedene Förderungen gekürzt wurden, vgl. Fasthuber (2017): Kulturkrampf.

Rechtsruck und städtische Positionierung

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Herbstmesse 2016 war schließlich eine große Präsentation geplant. Von den konkret geplanten Maßnahmen, die in den nächsten Jahren umgesetzt werden sollen, wurden sechs vorgestellt, darunter die »Bedarfsdeckung Krabbelstuben privat und städtisch (Umfassendes Bildungsangebot)«, »Sprachgruppen in Kindergärten (Umfassendes Bildungsangebot)«, »Attraktivierung des Kaiser-JosefPlatzes (Attraktivierung Innenstadt)«, »Attraktivierung Traunufer (Naherholungsgebiet Traun)« 20. Die stärkere Orientierung an einer Marke Stadt zeigt sich hier in der inhaltlichen Ausrichtung der Politik an den Markeninhalten. Seit dem Regierungswechsel wird neben diesem unternehmerischen Aspekt neoliberaler Stadtpolitik auch die disziplinierende und kontrollierende Seite in einer bedroht wahrgenommen Stadt verstärkt betont. Ein intensivierter Sicherheitsdiskurs wird dabei mit dem Integrationsdiskurs verknüpft, im neuen Stadtsenat wurden beide Bereiche dem gleichen Referat zugeordnet. Im Oktober 2015 wurden die – bereits im Juni 2015 auf Betreiben der FPÖ beschlossenen – Kameras zur Videoüberwachung in der Innenstadt installiert 21. Im August 2016 wurde als Folge der Gespräche des »Sicherheitsbeirates«, bestehend aus Vertretern der Stadt Wels sowie der Welser Einsatzorganisationen, entschieden, die Videoüberwachung im Dezember desselben Jahres auszuweiten, mehr Polizeipräsenz zu zeigen und Drogenkriminalität vor allem im öffentlichen Raum zu bekämpfen 22. Damit tritt das Konzept der sicheren Stadt 23 transportiert über Sauberkeit, Ordnung, Sicherheit 24 ins Zentrum der aktuellen Stadtpolitik – Überschaubarkeit soll verstärkt erzwungen werden.

Porträt V: Wels als Ort der Freiheit und des häuslichen Niederlassens – Andreas Harg Wohnten verschiedene meiner GesprächspartnerInnen nur temporär in Wels oder wollten von Wels wegziehen, kam ich im Laufe meiner Feldforschung immer öfter mit BewohnerInnen in Kontakt, die ihren Lebensmittelpunkt in die Stadt verlegt und sich in der Stadt langfristig häuslich eingerichtet hatten. Nicht selten waren sie in jungen Jahren aus Wels weg gezogen und kehrten Ende zwanzig mit Familie in die Stadt zurück. Mitunter brachten sie von ihren vorherigen Wohnorten Vorstellungen vom guten Leben in der Stadt mit, die sie gern in einem zukünftigen Wels verwirklicht sehen wollten.

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Vgl. Stadt Wels (2016): Wels positioniert sich. Vgl. Famler (2015): Kameras. Vgl. Stadt Wels (2016): Stadtpolizeikommando Wels. Vergleiche dazu als Gegenpol das Konzept der offenen Stadt, für einen Überblick vgl. Rolshoven (2014): Sicherheiten. 24 Vgl. Rolshoven (2010): SOS.

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Andreas Harg, Mitte dreißig, wurde in Wels geboren und wuchs in mehreren kleineren Markt- und Dorfgemeinden rund um Wels auf. Während seiner Schulzeit pendelte er täglich zwanzig Minuten ins Gymnasium nach Wels. Nach der Matura zog er zum Studieren nach Wien, kehrte aber nach einem Jahr wieder zurück, um ein halbes Jahr später doch für längere Zeit nach Wien zu ziehen. Nach mehreren Jahren, die er dort arbeitete, beschloss Andreas Harg, im außereuropäischen Raum zu reisen. Nach seiner Rückkehr begann er erneut, in Wien zu studieren. Nach der Geburt seines Sohnes kehrte er nach Wels zurück, wo er bis heute wohnt und als selbstständiger Unternehmensberater arbeitet. In Wels, so Andreas Harg, könne er seine Vorstellungen vom guten Leben in der Stadt verwirklichen, die Stadt biete heute auch Möglichkeiten städtischen Lebens, die es früher nur in Wien gegeben habe. Mit Andreas Harg führte ich ein wohnortbiographisches Interview sowie eines zu seinen Raumnutzungen. Wir traten über eine Anzeige, die ich auf Facebook in verschiedenen Gruppen zu Wels schaltete, in Kontakt. Er schrieb mir und war an meiner Arbeit über Wels interessiert, was nicht zuletzt zu seinem Engagement in der Stadt, insbesondere im Verein OH YEAH, der sich für nachhaltigen Konsum einsetzt, passt. Für die beiden Interviews empfing er mich an seinem Arbeitsort am Rande der Innenstadt. In den minimalistisch eingerichteten, angemieteten Räumen des Gemeinschaftsbüros tranken wir während des Interviews neben MacBook und Longboard Kaffee. Andreas Harg erzählte ausführlich und rief Erinnerungen wach. Seine Erzählungen pendelten – bis auf jene über eine längere Reisezeit – zwischen Wels und Wien und er blickte aus gegenwärtiger Perspektive in Wels auf seine Studien- und Arbeitszeit als eigenem »wilderen« Lebensabschnitt in der Bundeshauptstadt zurück. Seine Rückkehr nach Wels erzählte er einerseits als eine Art beruf liches Zurückstecken, gleichzeitig aber auch als eine Eröffnung von Freiräumen, sei es beruf lich oder auch in Bezug auf seine zwei Kinder, die er nicht in der »Dichte« Wiens aufwachsen sehen wollte. Im Interview kamen dementsprechend viele Vergleiche der beiden Städte vor. Daran sind altersbedingt variierende Vorstellungen vom guten Leben und guten Lebensort geknüpft. Im Interview beschrieb Andreas Harg eine Erfahrung, die häufig in wohnbiographischen Interviews zu Wels vorkommt, nämlich, dass es in der Rückschau gar keine besonderen Gründe für seinen seinerzeitigen Umzug nach Wien gab: Andreas Harg: »Okay, schlecht überlegt [lacht]. Gar nicht überlegt. Das war einfach, die gehen dorthin, da kann ich mich anhängen, passt. Habe keinen Plan, was ich eigentlich machen will.« GW: »Und dass du dann nach Wels wieder gekommen bist, nachdem das mit der Aufnahmeprüfung nicht funktioniert hat, wieso bist du dann wieder nach Wels?«

Porträt V: Wels als Ort der Freiheit und des häuslichen Niederlassens – Andreas Harg

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Andreas Harg: »Weil ich gewusst habe, Wirtschaftsinformatik ist nichts für mich. Sie sind da weiter gezogen. Und ich habe mir halt dann in Wien auch nichts mehr gesehen. Es war kein Grund in Wien zu bleiben. Und daheim war daheim, also da habe ich immer noch mein Zimmer gehabt. Also, das war so die Vollback-Lösung eigentlich.« 25

Der Umstand, dass Andreas Harg eigentlich nicht richtig erklären konnte, warum er damals nach Wien umzog, weist darauf hin, wie selbstverständlich dieser Weg war. Keinen »Plan« zu haben, hieß den Freunden nach Wien zu folgen, was also der übliche Weg war, der keine besonderen Überlegungen erforderte. Der Weg von Wels nach Wien stellte damit ein Verhältnis zwischen den beiden Städten her, in dem klar ist, welche Stadt üblicherweise verlassen wird und welche das Ziel ist. Genauso war es Andreas Harg klar, dass er jederzeit zurückkehren konnte und in Wels einen »sicheren« Ort hatte. Über ein Unternehmen in der IT-Branche, bei dem er in Wels zu arbeiten begann, zog er nach einem halben Jahr wieder nach Wien. Der Interviewpartner erklärte, dass »der große Kunde auch in Wien war. Insofern war Wien einfach klar. Hat man in Wels jetzt nichts mehr verloren.« 26 Der Umzug war beruf lich unumgänglich. Die Zeit in Wien beschrieb Andreas Harg als »extrem gute Zeit«, die einerseits durch viele Aktivitäten seiner Wohnungsgemeinschaft geprägt war, anderseits stark von Arbeit, denn sonst war halt alles nur Arbeit, Arbeit, Arbeit. Weil ich bin in dem Unternehmen quasi ja richtig hingewachsen. Also, ich war der erste Mitarbeiter quasi. Und dann als die Aufträge mehr wurden, wurde jemand eingestellt, der das machte, was ich gemacht habe. Und ich habe was anderes gemacht. Dann ist wieder wer dazu gekommen und hat das gemacht, was ich gemacht habe. Und ich habe wieder was anderes gemacht. Bis ich dann halt, naja, Etatdirektor klingt so dämlich, aber halt, komplette Kunden betreut habe. Und halt auch richtig große, wichtige Kunden halt einfach beraten und betreut habe. Und das war alles voll spannend immer. Ja und halt viel Geld.27

Nach mehreren Jahren der Erwerbsarbeit in Wien und einem damit verbundenen beruf lichen Aufstieg im Unternehmen kam es bei einer ersten längeren Reise zu einer für Andreas Harg aus heutiger Sicht bedeutsamen Begegnung. In Bangkok habe ihm ein Mann im Gespräch gezeigt, »dass man auch anders leben kann« 28 und man sich auf das Notwendigste beschränken könne – Karriere sei nur nebensächlich: »Ja, das war ein bisschen wow. Und dann hat es eh ein biss-

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Interview Andreas Harg. Ebd. Ebd. Ebd.

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chen noch weiter gearbeitet, weiter gearbeitet und dann habe ich aufgehört zum Arbeiten ein halbes Jahr. [. . . ] Ich war schon ziemlich ausgebrannt, muss ich sagen.« 29 Andreas wies der Begegnung in seiner Erzählung eine Schlüsselrolle zu, die ihn dazu veranlasst habe, über sein Leben und seine Arbeit zu reflektieren und sie schließlich zu beenden. Wien erschien als Ort der Arbeit, der Karriere und des Erfolgs, gleichzeitig aber auch der Belastungen. Mit der Relativierung der beruf lichen Karriere kam auch Wels als relevanter Wohnort wieder in sein Blickfeld: Andreas Harg: »Immer wenn ich in Wien war, war ich in Wels quasi auf Urlaub. Und das waren halt schon immer so ein bisschen Erinnerungen an die Kindheit, an die Schulzeit und es war halt, da habe ich mich ausgekannt, das war alles sehr leicht, das war alles sehr überschaubar. Und niemals das ganze Angebot, das ich eigentlich damals beansprucht hätte, weil ich mir gesagt habe, das brauche ich jetzt. Weil ich mir gesagt habe, mah, da tut sich nichts und da geht nichts weiter und gibt es nicht so ein Angebot und nicht so viele Leute und alle Freunde in Wien und so. Aber es war immer sehr erholsam und sehr lustig. Also immer sehr warm, heimkommen.« GW: »Was ist überschaubar, was heißt das genau?« Andreas Harg: »Ich weiß, wo ich einen guten Kaffee kriege, ich weiß, wo ich was Gutes zum Essen kriege, ich habe keine zu große Auswahl, sondern ich habe meine zwei, drei Punkte und die reichen mir und da kriege ich alles. Und wenn ich dort hingehe, treffe ich vielleicht sogar wen, den ich kenne. Es ist einfach Dorf. Ich bin am Land aufgewachsen, ich bin gerne in einem Dorf.« 30

In Wels sieht Andreas Harg also jene Reduktion, jene Beschränkung auf das Notwendige, die ihn in Bangkok zum Nachdenken darüber gebracht hat, was für ihn das gute Leben ist. Wels, wo er seine meisten Wege mit dem Rad zurücklegt und das in der Erzählung gar als Dorf aufscheint, verbindet er mit Ruhe und Erholung, mit einer ausgewogenen work-life-balance und einer Konzentration auf das Wesentliche. Die Stadt stellt für ihn eine Möglichkeit des guten Lebens dar jenseits seines in erster Linie auf Arbeit fokussierten Lebens in Wien. Andreas Harg bezieht sein Wohlbefinden in der Überschaubarkeit auch auf seine Habitualisierungen im Umland von Wels – ein Narrativ der eigenen Zuordnung, das vielfach in den wohnbiographischen Interviews auftaucht. Entscheidend für Hargs Umzug nach Wels im Alter von 26 Jahren war schließlich, dass sein Sohn Florian geboren wurde: Und als der Florian auf die Welt gekommen ist, bin ich nach Wels wieder zurück, weil wir gesagt haben, die Familieninfrastruktur im ersten Jahr wollen wir ein29 Ebd. 30 Ebd.

Porträt V: Wels als Ort der Freiheit und des häuslichen Niederlassens – Andreas Harg

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fach in Wels nutzen. [. . . ] wir wollten einfach nicht, dass er in Wien auf die Welt kommt. Und ich habe dann wieder gependelt eben, zwischen Wels und Wien zum Studieren. [. . . ] Weil kein Platz ist. Also weil kein Raum da ist, weil keiner dort ist, weil es zu dicht ist für mich. [. . . ] Und habe mir gedacht, ja, es ist schon angenehmer halt, wenn die Omas und Opas halt irgendwie in der Nähe sind. Einfach, es war hauptsächlich wegen der Familie. Wegen dem familiären Netz. Wennst das Kind kriegst, haben wir uns gedacht, ist das ganz praktisch.31

Zum einen war für Andreas Harg die Idee von Familie mit Wels verbunden. So konnte er dort auf die Hilfe der Großeltern zählen. Zudem wollte er vermeiden, dass Florian in Wien aufwächst: »Zeit hätte ich genauso gehabt [für die Kinder] und hätte ich mir auch genommen. Ich meine, außer es wäre irgendwie jobmäßig das und das und das und das. Die Gefahr besteht in Wien schon schneller, dass sich halt [beruf lich] Sachen ergeben, entwickeln.« 32 Zum anderen vermutete Andreas Harg in Wels eine geringere »Dichte« als in Wien. Der zur Verfügung stehende Raum erscheint ihm an Wels attraktiv, wie er an folgender Stelle deutlich machte: Also ich habe ja viel Zeit im Zug verbracht [lacht]. Zwischen Wels und Wien und da gibt es immer so für mich, hat es immer so dieses Bild gegeben, wenn ich von Wien weggefahren bin vom Westbahnhof. Dann so diese Hochhäuser, wo die Leute, nicht alle, aber wo Leute irgendwie so am Fenster stehen und Zigaretten rauchen oder einfach nur raus schauen. Und ich habe dann immer so dieses Bild gehabt vom Schuhkarton, der halt, wo halt die Maus drin sitzt. Und das ist für mich eine Horrorvorstellung. [. . . ] Aber ich habe hier schon mehr Platz und es ist auch so, dass mehr Raum zur Verfügung steht. Das ist eine einfache Rechenaufgabe. Einwohnerdichte, heißt glaub ich sogar. Wieviele auf einem Quadratkilometer und das ist halt so der Raum, den jeder halt hat. Zur Entfaltung und zum Sein. Und da bin ich schon ein wenig, und die Sandra [seine ehemalige Frau] nämlich auch, die relativ viel Raum brauchen, wo niemand anderer ist. [. . . ] Wenn ich da jetzt zehn Minuten geradeaus geh, bin ich an einem Ort, wo ich weiß oder wo ich einfach bin ich an der Au. An der Traun, in der Au. Wo in dem Quadratkilometer, in dem ich mich bewege, vielleicht fünf andere Leute sind. Und das ist für mich unmittelbare, spürbare Qualität an Raum, an Platz, an Freiheit, an Luft. [. . . ] Ich habe das dann auch oft, immer nicht, aber habe das dann oft irgendwie auch so an dem Hin- und Herfahren auch immer gemerkt. Wien war immer super. Es ist voll viel los gewesen. [. . . ] Und dann immer wenn ich dann nach Wels zurückgekommen bin, habe ich gemerkt [atmet aus], jetzt der äußere, nicht Druck, aber die äußere Dichte wird jetzt weniger. Und das führe ich jetzt schon auf Einwoh-

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nerdichte zurück. Weil ich schon glaube, dass jeder Mensch, oder dass ich weiß, dass ich viel Raum rund um mich brauche, dass ich mich wohlfühle.33

In dieser Beschreibung seiner Vorstellungen vom Leben in Wien lassen sich nicht zuletzt auch jene großstadtkritischen Bilder finden, die Andere gerade auch für Wels aktivieren (siehe dazu das Kapitel »Die bedrohte Stadt: Überschaubarkeit, Fremdheit und (Un)Sicherheit«). Wien erscheint als die enge, monotone und ungesunde Stadt der Hochhäuser, in der man sich für Aktivitäten »extra darauf vorbereiten und dann extra dorthin fahren« 34 müsse. Für Andreas Harg ist es also gerade nicht die Stadtluft, die frei macht, sondern der offene Raum von Wels, die Nähe zum »Grünraum«, wo man sich »entfalten« und »sein« kann, insbesondere in Bezug auf Kinder, die, so Andreas Harg, »ganz viel Raum zum frei bewegen und ausprobieren können, ungestört« 35 benötigen. Die Großstadt erscheint im Vergleich dazu als zu dicht 36. Andreas Harg machte das Leben in Wels damit zentral an einer psychischen Wirkung, an der Möglichkeit zur Selbstentfaltung fest – Wels erscheint als Ort des Selbst jenseits der Arbeit. Mit der geringeren Dichte rückte er schließlich auch das eigene physische Wohlbefinden, den Körper ins Zentrum. Damit relativierte er das große Angebot und den Trubel in Wien, die er zwar schätzt, aber in seinen Schilderungen auch als Druck beschrieb. Das Angebot in Wien relativierte Andreas in seinen Erzählungen auch im Vergleich zu Wels. So habe sich Wels in den letzten Jahren weiterentwickelt und es gebe nun auch Möglichkeiten, die es vorher nur in Wien gab, insbesondere denke er dabei an den Austria Tabak Pavillon und die darum organisierten Vereine Volksgarten, der die Belebung des Volksgartens zum Ziel hat, und OH YEAH, der nachhaltige Konsumgelegenheiten in der Stadt fördert. »Die Inseln werden immer mehr« fasste Andreas Harg bei einem Treffen des Vereins OH YEAH die Bedeutung der beiden Vereine in Wels für ihn zusammen 37. Diese Möglichkeiten brachte Andreas in Zusammenhang mit einer leichteren Machbarkeit und Umsetzbarkeit, die er in Wels gegeben sieht: Andreas Harg: »Und irgendwie merkst du schon, dass ein bisschen ein, vielleicht ist das auch eine Altersgeschichte, aber man kann wirklich auch was bewegen. Vor allem auch dann mit dem Volksgarten. Da bei dem letzten Markt, da habe ich sogar ein Video jetzt, kann ich dir nachher zeigen. Das ist ein Hammer, was da

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Ebd. Ebd. Ebd. Manche kleineren Städte werben heute damit, kinderfreundlich zu sein, etwa Pula, das das Label »child friendly town« durch die Child Friendly City Initiative verliehen bekommen hat. 37 Feldnotiz, 26. 11. 2013.

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geht. Mit ein bisschen Begeisterung und Engagement kann man da genug aufstellen. Und klasse Sachen. Also es war jetzt im Sommer auch wirklich so, dass ich an einem Sonntag, wenn es schön war, gesagt habe, ›so, Pavillon [der Austria Tabak Pavillon] ist offen, wer kommt, mag kommen‹. Wird via Facebook publiziert und dann waren wir halt dort und im Endeffekt habe ich mit den Kids, haben wir im Park gespielt und der Pavillon war halt offen. Und da haben wir Musik aufgedreht und am Abend ein Lagerfeuer gemacht. Also der Volksgarten ist absolut ein Highlight. [. . . ] Da war dann noch eine andere Geburtstagsfeier von einem, der war so ein DJ, der seinen Geburtstag gefeiert hat. Da brauch ich nicht nach Wien [lacht]. Also, da muss ich nicht mehr nach Wien, um sowas zu erleben.« GW: »Was meinst du mit sowas? Einfach so Auf legerei?« Andreas Harg: »Ja, einfach gute Musik, nette Leute, viel zum Sehen und super Location unter einem riesengroßen Baum mit Freunden einen schönen Tag und Abend und Nacht verbringen. Flohmarkt, die Kinder sitzen dort und verkaufen ihr Spielzeug. Komplett allein, selbständig. Haben ihren Spaß, probieren, fahren ein bisschen mit den Longboards herum.« GW: »Und vorher war das jetzt eher in Wien quasi da oder wie meinst du, dass das nicht mehr so ist?« Andreas Harg: »Sowas habe ich von Wels nicht gekannt. Das ist eigentlich neu für Wels. Auch vom Klientel her. [. . . ] Aber so diese grundlegenden Dinge, über die ist man sich einfach unausgesprochen einig. Es ist einfach klar. Was jetzt eben zum Beispiel freilaufende Kinder betrifft oder was einfach vielleicht auch das betrifft, was man so vom Leben erwartet. [. . . ] Ich habe das vorher nicht gewusst, dass es sowas gibt, nein. Ich habe das nicht gekannt. Am ehesten war es noch im Schlachthof vielleicht ein bisschen, aber nein, war es eigentlich nicht. Das ist auch schon, ist auch was anderes. Und so ist das halt mit dem Verein Volksgarten, da im Parkpavillon, das es jetzt halt seit zwei Jahren gibt, ist das so passiert. Oder gibt es halt diesen Ort jetzt für Leute die mir taugen [lacht].« 38

Zusammenfassend stellte Andreas Harg die Stadt Wels als Ort des Niederlassens dar. Er machte seinen Bezug zur Stadt an einer neuen Lebensphase fest, die für ihn eine Verschiebung von der Arbeit hin zur Familie bedeutete. Damit änderten sich für ihn auch die Vorstellungen vom guten Lebensort. In seinen Schilderungen bot ihm Wels als überschaubare Stadt Raum zur Selbstentfaltung und um »zu sich« zu kommen. Zugleich eröffnet die Stadt für ihn die Möglichkeit, neue, ihm aus großstädtischen Kontexte bekannte Formen städtischen Lebens auch in einer kleineren Stadt zu verwirklichen, deren Nutzer und Agent Andreas Harg gleichermaßen ist.

38 Interview Andreas Harg.

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10. SCHLUSS FÄDEN UND VERKNÜPFUNGEN Im nun folgenden Schlusskapitel fasse ich die Beispiele und Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zu place-making und scaling practices und zu Vorstellungen und enactments vom guten Lebensort in Wels unter drei Aspekten zusammen: Zuerst verweise ich auf »pulsierendes Leben« als gegenwärtige Norm in einer Kulturalisierung der Städte und zeige, dass neben der Stadt der Produktion und der Zeichen eine des Erlebens tritt. Danach gehe ich darauf ein, inwiefern die in dieser Arbeit angeführten Beispiele aus der nicht-kulturalisierten, stigmatisierten und symbolisch schrumpfenden Stadt auf diese Norm des Erlebens Bezug nehmen. Schließlich thematisiere ich die unterschiedlichen Formen der Produktion und Positionierung des Ortes in Bezug auf das scheinbare Gegensatzpaar Stadt und Land und zeige, dass im Zentrum der Aushandlung der Zukunft von Wels die Frage steht, ob Wels eine Stadt sein soll.

»Pulsierendes Leben« als gegenwärtige Norm der Stadt Wie an den beschriebenen Feldern in Wels deutlich wird, stellt heute (Er)Leben eine zentrale Norm städtischen Lebens und in Vorstellungen vom guten Lebensort dar. Dies meint mit unterschiedlichem Schwerpunkt die körperliche Erfahrung von Aktivität und Bewegung, Sinnlichkeit und Dichte, von Intensität und Emotion, von »urbaner Vitalität« – sei es in den Anstrengungen des Stadtmarketing Wels eine pulsierende Stadt des Erlebens zu produzieren; sei es in den Aussagen der BewohnerInnen, die in der Rede von der »Leere« als horror vacui ex negativo Bezug auf die Dichte eines imaginierten guten Lebens nehmen; sei es in den Klagen darüber, dass Wels heute kein Flair und kein Ambiente mehr habe und Unwohlsein im Stadtraum vorherrscht; sei es in den Einkaufszentren am Stadtrand, in welchen Flair über Konsum- und Erlebniswelten hergestellt wird; sei es im enactment einer eigenen 24-Stunden-Stadt durch großstädtisch orientierte jüngere BewohnerInnen – verschiedene AkteurInnen rekurrieren auf Aktivität, Dichte und Erleben als Teil eines Imperativs der Kulturalisierung von Städten. Auch im bereits diskutierten Leitbild der menschengerechten Stadt nach Jan Gehl werden »Leben« und »Aktivität« selbst zur städtischen Attraktion: »Faced with the choice walking down a deserted or a lively street, most people would choose the street with life and activity.« 1 Der Soziologe Jeremy Rifkin 1 Gehl (2010): Cities, S. 25.

konstatiert, dass in der gegenwärtigen Form eines kulturellen Kapitalismus Erfahrung kommodifiziert werde 2. Die Inwertsetzung urbaner Vitalität deutet in diese Richtung. Reckwitz spricht in diesem Zusammenhang von einer »Erlebnisökonomie« 3. In die Kulturalisierung der Stadt sind mithin zwei unterschiedliche Aspekte eingelagert. Zum einen die Inwertsetzung städtischer Zeichen und Symbole – ein typisches Beispiel dafür ist das städtische Image –, zum anderen aber auch die Inwertsetzung städtischer Erfahrung. Statt von einer symbolischen ließe sich hier von einer sinnlichen, experientiellen Ökonomie sprechen, keine die bestimmte Zeichen, sondern die bestimmte körperliche Erfahrungen bereitstellt. Die Kulturalisierung der Städte betrifft also nicht mehr nur die Zeichenhaftigkeit städtischer Räume – bei Reckwitz die semiotisch-ästhetisch-historische Dichte –, sondern auch ihre körperliche Dimension. Im Anschluss an Jochen Bonz’ Konzept des Kulturellen, welches dieser an den Psychoanalytiker Jacques Lacan anknüpft, ließe sich behaupten, dass Städte heute vor allem über das »Reale«, nicht mehr nur in erster Linie über das »Symbolische« wahrgenommen, vermarktet und konzipiert werden. Die Spätmoderne sei durch das »Nachlassen der Wirkmächtigkeit der kulturellen Dimension der symbolischen Ordnung gekennzeichnet« 4, so Bonz. Erlebnisse stellen demnach eine zentrale Kategorie ortsbezogener Subjektivierung dar 5. Dies betrifft auch das Leben in Städten. Die guten Städte versprechen demnach nicht nur Arbeit (Stadt der Produktion) und ein attraktives Image (Stadt der Symbole), sondern lassen sich überdies körperlich erleben (Stadt des Erlebens). Nicht alle BewohnerInnen und BesucherInnen können diese Stadt des Erlebens im Kulturalisierungsprozess für sich erschließen. Um urbane Vitalität, Dichte und »Leben« selbst genießen zu können, ist kulturelles Kapital notwendig. So weist auch die Stadt des Erlebens spezifische Formen der Distinktion auf. Dies zeigt sich etwa in der slow city-Bewegung an der bewussten Herausbildung eines neuen Geschmacks und der lokalen Wissensgenerierung, etwa in Form von Geschmacksbildungskursen 6.

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Vgl. Rifkin (2000): Access. Reckwitz (2012): Kreativität, S. 298. Bonz (2014): Acid House, S. 247. Vgl. Bonz (2015): Alltagsklänge, S. 167. Vgl. Mayer u. a. (2006): Slow Cities, S. 326.

Schluss

Raumwettbewerbe, Spätmoderne und der nicht-kulturalisierte Ort Mitunter sind aber auch ganze Städte vom Kulturalisierungsprozess ausgeschlossen und bilden als nicht-kulturalisierte Städte das »Nichtkulturelle« 7, um zum Begriff von Andreas Reckwitz vom Anfang der Arbeit zurückzukehren. In diesem Imperativ der Kulturalisierung und der Norm städtischen Lebens, die an »Aktivität« orientiert ist, haben viele Städte einen Nachteil. Sie haben weniger »endogenes Potential«, nicht nur weniger ästhetisch-historisch-semiotische Dichte, sondern auch weniger Möglichkeit, Erlebnisse hervorzurufen, sich selbst zum Erlebnis zu machen. Das Ziel einer Ausweitung der scale ist heute gängiges Vorgehen in Stadtpolitik und -marketing. Die scale betrifft aber nicht nur die Rolle von Orten als Zentren von wichtigen Unternehmen oder als Zeichenproduzenten, sondern auch die Reichweite vermittelbarer Erlebnisangebote. Diese Produktion von scale, d. h. von Reichweite, die möglichst groß sein soll, wird mit dem menschlichen Körper und dessen Erleben kurzgeschlossen. Die lokale Spezifik des Erlebens soll möglichst weit reichen und anlocken. Im schlimmsten Fall für Stadtmarketinggesellschaften ruft die Nennung eines Ortes überhaupt kein Gefühl hervor, ist der Ort ein unbeschriebenes Blatt – wie etwa das oben angeführte Video auf der Plattform YouTube, in dem WienerInnen in Bezug auf Wels befragt werden, thematisiert. Dass Wels vielfach eine Stadt »off the map« ist, haben verschiedene Beispiele deutlich gemacht. Die Produktion von scale und place stehen damit in einer engen Beziehung zueinander, wie auch die Beispiele dieser Arbeit verdeutlichen. Wenn Erleben und Atmosphären heute als zentrale Subjektivierungsinstanzen jenseits fixer, hegemonialer symbolischer Ordnungen (wie Messe und Einkaufsstadt) fungieren, welche Möglichkeiten gibt es dann für eine Stadt, die nicht zum Erlebnis wird, die zu keiner Atmosphäre gerinnt? Die Imperative der Vermarktung und des Raumwettbewerbs lassen lokale Selbstverständnisse nicht unberührt. Die Subjektivierung des Gebots des upscaling in den Tätigkeiten von Verbesserungsvereinen, in den Aspirationen und Träumen und den eigenen Zuordnungen von BewohnerInnen zeigt, wie sich AkteurInnen in diese Ungleichheiten des Erlebens einbetten. Dies wird durch die historical scalar perspective auf Wels deutlich. Mit dem Wandel gesellschaftlicher Vorstellungen vom guten Leben geht auch der Wandel städtischer Ideale und planerischer Leitbilder einher. Am Beispiel Wels wird deutlich, wie ab den 1980er Jahren das imaginaire der industriell-modernen Stadt entwertet wurde und eine Lücke zurückließ, deren Füllung bis heute umkämpft ist. Die Symbole der Größe, die in der »Einkaufsstadt« noch Aufschwung markieren konnten, greifen im Rahmen dieser Kulturalisierung der Städte nicht mehr in gleichem Maße. Die Übersetzung und Neuaneignung 7 Reckwitz (2012): Kreativität, S. 311.

Raumwettbewerbe, Spätmoderne und der nicht-kulturalisierte Ort

347

funktional-industrieller Vergangenheit und Räume im Sinne einer Kulturalisierung finden in Wels kaum statt. In der Post-Einkaufsstadt hat der Einzelhandel seine stadt- und stadtidentitätsprägende Funktion eingebüßt und kann im Kulturalisierungsprozess keine Erlebnisse mehr evozieren. Die Kommodifizierbarkeit städtischen Erlebens steht in Frage – Wels wird zur stigmatisierten Stadt. Die alten Narrative (Messe, Einkaufsstadt) von Wels funktionieren nicht mehr, gleichzeitig hat die Stadt wenig Erlebniskapital. Nicht mehr die »klassische« Ökonomie bestimmt heute, was »Stadt« sein soll, welche Vorstellungen vom guten Leben in der Stadt fluktuieren und welche Sehnsüchte und Träume Städte erfüllen sollen, sondern die kulturelle Ökonomie und die damit verbundenen Milieus. So zeigt sich an Wels, dass auch ein Ort, die (etwa im Gegensatz zu schrumpfenden Orten in Ostdeutschland oder Eisenerz in Österreich) sich keineswegs finanziell oder wirtschaftlich schlecht entwickelt, dennoch eine Entwertung erfahren kann – als symbolisch schrumpfende Stadt. Hier bieten Stadtschelte, Kritik am »Schlechtreden«, Verteidigung und Ironie Umgangsweisen mit dem Stigma. Die Stigmatisierung zitieren insbesondere ältere und schon lange in Wels lebende BewohnerInnen, deren biographische Lage die Entwicklung von Wels als Niedergang zeigt und für welche die Innenstadt an Flair verloren hat, wie etwa die Schilderungen von Gertraud Windhaber deutlich machen. Zur relativierten gesamtgesellschaftlichen Zukunftsperspektive seit den 1980er Jahren kommt im Falle von Wels die lokale Fortschrittskurve, die schon lange nicht mehr so steil nach oben zeigt wie in den 1960er und 1970er Jahren. BewohnerInnen im mittleren Alter kennen das imaginaire der alten Einkaufsstadt dagegen kaum aus eigener Erfahrung. Aus dieser biographischen Lage erscheint die Entwicklung von Wels als Stagnation. Aus der Familienperspektive liegen die Prioritäten überdies weniger auf dem Erleben der Stadt als Ort als auf Praktikabilität. Die Stadt als Erlebnis spielt in diesen Schilderungen – etwa von Claudia Wolkinger, Andreas Harg oder Georg Hübner – in Bezug auf Überschaubarkeit eine Rolle. Die schnuckelige, liebe, gemütliche Stadt kann für diese BewohnerInnen ein Wohlgefühl im Stadtraum herstellen. Gerade der nichtkulturalisierte Ort wird zum »Wohlfühl«-Ort. Wenn die ganze Welt schon zu komplex ist, soll der Wohnort Routine, Sicherheit, Langeweile, Raum zum Verschnaufen und Zusichkommen parat halten. Wien, London, Paris erscheinen dagegen als anstrengend und teuer. Die Vorstellungen vom guten Lebensort entfliehen mitunter den Imperativen der Kulturalisierung. Jüngere BewohnerInnen wie Robert Prem oder die Gruppe rund um das Irish Pub wiederum gehen zur Ausbildung in eine andere Stadt oder sehen sich damit konfrontiert, dass FreundInnen die Stadt verlassen und sie selbst zurückbleiben. Wie in den Schilderungen deutlich wird, sind insbesondere jüngere Menschen Adressaten im Kulturalisierungsprozess – für sie ist städtisches Erleben besonders zentral.

348

Schluss

Wie die Unterschiedlichkeit der Zugänge zu Wels zeigt, lassen sich Atmosphären und Erlebbarkeit schwerlich gesamten Städten zuschreiben oder absprechen. Tatsächlich wird auch nur ein kleiner Ausschnitt städtischen Erlebens kulturalisiert und vermarktet. MigrantInnen werden von der Stadtmarketinggesellschaft und einer sich abgrenzenden und als exkludierend österreichisch verstehenden Bevölkerung etwa nicht als kosmopolitischer Aspekt von Wels betrachtet, sondern als Störung.

Zwischen Stadt und Land: Vorstellungen vom guten Lebensort Die Beispiele der Arbeit verdeutlichen, wie über place-making und scaling practices unterschiedliche Vorstellungen vom guten Lebensort ausgehandelt werden. Diese unterschiedlichen Formen der Produktion und Positionierung des Ortes sind aufschlussreich für das scheinbare Gegensatzpaar Stadt und Land. Trotz vielfacher Diagnosen einer Nivellierung der Unterschiede zwischen Stadt und Land sehe ich in beiden Begriffen weiterhin eine Erklärungskraft für gegenwärtige Stadtentwicklungen. Wie an verschiedenen jüngsten Abstimmungen und Wahlen in Europa erkennbar (EU-Mitgliedschaftsreferendum im Vereinigten Königreich 2016, Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten 2016, Bundespräsidentenwahl in Österreich 2016, Präsidentschaftswahl in Frankreich 2017), gibt es eine Diskrepanz zwischen ländlichen und städtischen Lebenswelten, die weiterführende Untersuchungen wert wäre. Ich erinnere an die in der Einleitung dieser Arbeit genannte Körperpflegeproduktlinie. Bezeichnenderweise wird diese nicht nur als metropolitan beworben, sondern sie umfasst eine zweite Werbereihe, die als ländlich präsentiert wird: Neben Körperpflegeprodukten mit dem Titel »Stadtgeflüster« stehen andere mit dem Titel »Landpartie«. Die Herstellerangabe fasst den Duft in Worte: Die Sonne scheint auf die Steinmauer am alten Bauerngarten. Düfte von aromatischen Kräutern, Früchten und Blumen mischen sich mit der Wärme des hellen Sommertags. [. . . ] Die verführerische Duftkomposition mit Lavendel- und Orangenöl lässt Sie von einem Tag auf dem Land träumen.

Stadt und Land: Die Räume sind – folgt man der Sprache der Werbelinien – heute körperlich erlebbar, sollen den Körper einhüllen, diesem ein Wohlgefühl geben. Was ist aber mit den Räumen dazwischen, die weder Stadt noch Land zu sein scheinen? Welche Körperlichkeit, welches räumliche Wohlbefinden kann eine Stadt wie Wels vermitteln? Eine hilfreiche Perspektive auf das Verhältnis von Stadt und Land bietet der Medienwissenschaftler André Jansson 8. Im dominanten Stadtdiskurs er8 Vgl. Jansson (2013): Urban / Rural Divide.

Zwischen Stadt und Land: Vorstellungen vom guten Lebensort

349

scheint der ländliche Raum als das »Andere« der Stadt, so Jansson. Trotzdem der ländliche Raum und seine Imaginationen also als anti-urban gelten, seien sie doch zentraler Bestandteil des Modernisierungsdiskurses. Stadt und Land stehen demnach in einem engen Wechselverhältnis. Hinter der Opposition von Stadt und Land sieht Jansson mit Bezug auf den Geographen Tim Cresswell zwei grundlegende moral geographies of modern society, also zwei dominante Einstellungen im westlichen Modernisierungsprozess, am Werk – f ixity und flow 9. Die folgende Tabelle zeigt diese beiden unterschiedlichen Perspektiven bzw. unterschiedlichen Interpretationen von Stadt und Land: Tab. 3: Perspektiven auf Stadt und Land nach Jansson (2013) mit Bezug auf Cresswell. The urban

The rural

The metaphysics of fixity

stress, anonymity, fragmentation

continuity, community, wholeness

The metaphysics of flow

dynamism, diversity, openness

rigidity, single-mindedness, closure

In Wels treffen viele Formen von Stadt und Land aufeinander. Idealtypisch lassen sich unter den untersuchten Bevölkerungsgruppen in Wels zwei Vorstellungen vom und enactments des guten Lebensort unterscheiden, die sich unterschiedlich an Stadt und Land ausrichten. Der erste Zugang – orientiert an den metaphysics of flow – sieht Wels als Großstadt, in der Öffentlichkeit über die Geschicke entscheidet, in der Professionalität gefordert ist, in der im Ausgehen städtische Kontingenz performt werden kann und in der sich Fremde im Stadtraum begegnen. Die Stadt wird durch soziale Enge, Lokalismus, Langsamkeit und Unprofessionalität bedroht. Paradigmatischer Ort in der Stadt ist der Kaiser-Josef-Platz: Hier trifft die Vielfalt der Stadtteile in der Innenstadt aufeinander, hier rahmen das Semperit-Hochhaus und in nächster Nähe das Maria-Theresia-Hochhaus den Transit über den Platz, hier ist der Beginn politischer Demonstrationen. Der zweite Zugang – orientiert an den metaphysics of f ixity – sieht Wels als Kleinstadt, in der Konflikte persönlich und »unpolitisch« geregelt werden können, in der Überschaubarkeit und Kleinteiligkeit den Umgang im Stadtraum prägen, Sicherheit ein wichtiges Thema darstellt und Fremdheit als Bedrohung wahrgenommen wird. Müll (oder auch durch Sticker an Laternenmasten) und Anonymität stellen den Ort in Frage. Paradigmatischer Ort sind die Traunauen: Hier kann man gleichermaßen zur Ruhe kommen und bekannte Gesichter treffen. Hier sind keine Hochhäuser im Blick und es gibt weder BettlerInnen noch Drogenabhängige. Für beide Zugänge zur Stadt stellt das Niedergangsnarrativ eine Herausforderung dar. In der Krise des

9 Vgl. Cresswell (2006): Mobility.

350

Schluss

städtischen Selbstbildes treffen die beiden Zugänge und damit auch die je zwei unterschiedlichen Perspektiven auf Stadt und Land aufeinander. Die Stigmatisierung vereint die beiden negativen Seiten: Wels sei sozial fragmentiert und gleichzeitig engstirnig und wenig offen. Immer wieder hörte ich von BewohnerInnen die Formulierung, Wels würde das Negative der Großstadt und das Negative der Kleinstadt vereinen. Es seien gerade diese Orte, welche weder als städtisch noch als ländlich gelten, die keine mediale Repräsentation erfahren, so André Jansson. Sie sind die eigentlichen »anderen Orte« 10. Landschaften und Lebensformen, die nicht einer der beiden Pole von städtischer Kosmopolitismus und ländlicher Romantik – welche sich gegenseitig als landscapes of desire verstärken – zuordenbar sind, werden in dieser Konstellation stigmatisiert 11. Wels gilt im Kontext der Kulturalisierung nicht als eigene erlebbare und inwertsetzbare Kultur. Jenseits der Zuordnungen nach Jansson werden heute aber die Annäherung von Stadt und Land und Zwischenformen davon nicht mehr nur stigmatisiert, sondern auch beworben. Hier wird deutlich, dass klassische Konzeptionen von Urbanität zwar weiterhin bestimmte Formen städtischer Sozialität bezeichnen, viele neue prägende (Hybrid)Formen aber nicht mehr darunter gefasst werden können, etwa die Räume »neuer« Urbanität in den kulturalisierten Großstädten – wie Gemeinschaftsgärten, ästhetisierte Stadtteile oder Designmärkte. An diesen Orten wird städtisches Erleben vermehrt in der Kleinteiligkeit gefunden als »Abkehr vom fortschrittsorientierten Modernismus und als trotzige Etablierung eines neu definierten Eigenwertes im symbolischen Kampf von Lebensstilverortungen« 12. Städte zwischen Stadt und Land scheinen dabei durchaus Vorreiter sein zu können, denn »für viele Menschen – besonders für Familien – ist das Leben in einer Mittelstadt gerade deshalb attraktiv, weil sie ähnlich der Großstadt ein durchaus plurales Angebot offeriert, dabei aber vergleichsweise überschaubar ist und ihnen genauso ›sicher‹ wie die Kleinstadt erscheint« 13, so Brigitta Schmidt-Lauber über das Potenzial von Mittelstädten. Und Städte zwischen Stadt und Land können – wie das Porträt von Andreas Harg zeigt – auch zum Erlebnis werden. Der stigmatisierende Diskurs über Städte wie Wels wird im Gegensatz dazu über die beiden »negativen« Pole von Stadt und Land geführt: Stress und in Starre; anonym und gleichzeitig engstirnig; fragmentiert und gleichzeitig geschlossen. Es sind die Orte, an denen der Wandel städtischer Leitbilder nicht zu einem neuen positiv besetzten imaginaire führt. Um eine positiv besetze Verbindung der beiden Pole bemüht sich die Gruppe rund um den Austria Tabak

10 11 12 13

Vgl. Jansson (2013): Urban / Rural Divide, S. 89. Vgl. Ebd., S. 96 f. Katschnig-Fasch (1998): Möblierter Sinn, S. 107. Schmidt-Lauber (2010): Urbanes Leben, S. 25.

Zwischen Stadt und Land: Vorstellungen vom guten Lebensort

351

Pavillon: Hier werden Überschaubarkeit und »neue Urbanität« zusammengeführt. Der Imperativ für die Positionierung von Städten ist heute: Sei du selbst! Am Beispiel von Wels wird jedoch deutlich, dass durchaus unklar sein kann, welche Art Stadt ein Ort eigentlich ist. Zwischen den Aufforderungen »sei klein!«, nämlich eine nette Kleinstadt zu sein, die Lebensqualität und Grünraum für Kinder bietet, und »sei groß!«, nämlich sich an der Großstadt zu orientieren und landmarkbuildings und kulturelle Dichte zu bieten, stehen einer Stadt wie Wels mehrere Optionen offen, die beiden Pole – Großstädtischkeit und Kleinstädtischkeit – verbinden sich aber nicht auf eine Weise wie an den Orten »neuer Urbanität«, sondern scheinen unverbunden und sich ausschließend, worauf die vielen Schilderungen einer »falschen« scale 14 verweisen. Gegenwärtige Entwicklungen legen nahe, dass Wels von politischer Seite in Zukunft über die Erzwingung von Überschaubarkeit in erster Linie als Kleinstadt konzipiert wird – mit den damit verbundenen Ausschlüssen anderer Formen städtischen Lebens. Nichts scheint heute für eine Stadt nachteiliger als nicht zu wissen, was sie ist. Politisch zeigt sich aber seit dem Rechtsruck die Tendenz, Klarheit zwischen den Polen schaffen und das horror vacui des entwerteten und entleerten imaginaires neu befüllen zu wollen – Wels soll überschaubar sein. Der Imperativ der Introspektion und dessen Formen der Subjektivierung sind aber letztlich ein Effekt territorialisierter Raumwettbewerbe, welche Orte gegeneinander ausspielen und die Schuld für das Scheitern an das Lokale verteilen und damit räumliche Ungleichheiten naturalisieren. Dazu, diese als in Praktiken gemacht zu begreifen, will die vorliegende Arbeit beitragen.

14 Vgl. Wolfmayr (2018): Der falsche Maßstab.

352

Schluss

ANHANG Personenliste Achitz, Ingeborg

Mitte sechzig, wohnt in einer Wohnsiedlung im Stadtteil Lichtenegg, Pensionistin Aigner, Max Mitte zwanzig, Betreiber des Irish Pubs Astner, Simon Mitte dreißig, Sozialarbeiter Baumgartner, Magdalena Mitte vierzig, lebt seit mehreren Jahrzehnten in Wels in einem Einfamilienhaus am Stadtrand, bei einer Krankenversicherung tätig Bäumel, Andrea Ende dreißig, in Wels aufgewachsen und wohnt mit ihrer Familie in einem Einfamilienhaus am Stadtrand Binder, Robert Mitte dreißig, lokaler Unternehmer Brunner, Barbara Ende vierzig, wohnt in einem Einfamilienhaus nahe der Innenstadt, Inhaberin eines Geschäftes in der Innenstadt Brückl, Christoph Herausgeber des Magazins Monatliche Camden, Joseph Ende vierzig, ehemaliger Pächter des Irish Pubs David Schweiger Mitte zwanzig, Student an der Fachhochschule in Wels Ebner, Valerie Mitte zwanzig, Kellnerin im Irish Pub Ecker, Stefan Anfang vierzig, Inhaber eines Kleidungsgeschäftes in der Innenstadt Erickson, Nicke Ende zwanzig, Gast im Irish Pub, in Wels auf der Suche nach Arbeit Fischer, Stefan Rund vierzig, in Wels aufgewachsen, Studium in Wien, lebt seit mehreren Jahren wieder in Wels Glössl, Claudia Büro für Frauen, Gleichbehandlung und Integration; Leiterin Aktivteam Noitzmühle Graf, Katharina Rund zwanzig, Gast im Irish Pub, Lehre in Wels Klammer, Simone Sozialarbeiterin und Mitarbeiterin der Volkshilfe Gruber, Theresa Anfang sechzig, in Wels aufgewachsen und hat in der Stadt die meiste Zeit ihres Lebens verbracht, wohnt in einem Wohnhaus am Rande der Innenstadt, Pensionistin, davor Fotografin Haas, Benjamin Mitte zwanzig, in Wels aufgewachsen, wohnt seit wenigen Jahren in Linz und ist dort in einer gewerkschaftlichen Organisation tätig Haider, Markus Mitarbeiter Heimstätte Harg, Andreas Mitte dreißig, aufgewachsen in der Nähe von Wels,

Heindl, Markus Hippmann, Christoph Hofer, Klemens

Hofer, Thomas Holzer, Valentin

Huber, Monika

Hübner, Georg

Innendorfer, Bernd Kern, Raimund Klaus, Michael

Klement, Werner Koller, Tobias Lehner, Peter Löschenkohl, Harald Mayr, Marcel

354

Anhang

Studium und Arbeit in Wien, Rückkehr nach Wels zur Familiengründung vor mehreren Jahren, aktiv im Verein Volksgarten, wohnt in einem Wohnhaus in der Innenstadt, tätig im Bereich Marketing und Unternehmensberatung (»Porträt V: Wels als Ort der Freiheit und des häuslichen Niederlassens – Andreas Harg«) Anfang zwanzig, in Wels aufgewachsen, Gast im Irish Pub, studiert in Linz Verein Lebensraum Wels, Obmann der Welser Kaufleute Rund dreißig, in Wels aufgewachsen, Teil der Alternativ- und Punkszene, lebt und studiert die meiste Zeit in Wien, sporadisch Kellner in Wels Anfang vierzig, Inhaber eines Geschäftes in der Innenstadt Ende dreißig, in Wels aufgewachsen, Studium in Linz, danach auch Umzug nach Linz, wohnt seit mehreren Jahren wieder in Wels in einem Einfamilienhaus zwischen Innenstadt und Stadtrand, pendelt täglich beruf lich nach Linz Anfang siebzig, hat die meiste Zeit ihres Lebens in Wels gelebt, beklagt das Verschwinden alteingesessener Geschäfte in der Innenstadt, wohnt in einer Wohnsiedlung im Stadtteil Pernau, Pensionistin Rund vierzig, lebt seit wenigen Jahren in Wels, davor in verschiedenen Großstädten in Europa und den USA, wohnt in einem Wohnhaus in der Innenstadt, Mitarbeiter an der örtlichen Fachhochschule Polizeisprecher Anfang zwanzig, in Wels aufgewachsen, Gast im Irish Pub, Kochlehrling Anfang zwanzig, in Wels aufgewachsen und eng mit der Alternativszene verbunden, wohnt in einem Wohnhaus in der Innenstadt, Kellner im Irish Pub Initiator der Initiative I mog Wels Anfang zwanzig, in Wels aufgewachsen, Gast im Irish Pub Stadtrat für Wirtschaft und Stadtentwicklung) Leiter der Magistrats-Dienststelle Bürgercenter, zuständig für die Ordnungswache Jugendlich, in Wels aufgewachsen, Schüler

Moser, Tobias

Müller, Christian

Astner, Simon Pichler, Markus Prem, Robert

Punz, Katrin Reiter, Friedrich Reiter, Martin

Renner, Paul Riegler, Frederike Röck, Herwig Rudlstorfer, Johann Schadauer, Laura Schmid, Bernhard

Strasser, Moritz Stummer, Konrad Vlach, Christina Wagner, Birgit Weber, Roland Windhaber, Gertraud

Anfang zwanzig, in Wels aufgewachsen, Gast im Irish Pub, Lehrling in einem Energieunternehmen in Wels Ende zwanzig, im ländlichen Raum in Deutschland aufgewachsen, wohnt seit drei Jahren aus beruf lichen Gründen in Thalheim bei Wels, in einem Planungsbüro für Ladenbau tätig (»Porträt I: Wels als Arbeitsort – Christian Müller«) Streetworker Mitte vierzig, lokaler Journalist An die zwanzig Jahre alt, in Wels aufgewachsen, möchte nach Linz oder Wien ziehen, besucht in Linz die Abendschule (»Porträt II: Wels als transitorischer Ort – Robert Prem«) Mitte zwanzig, Freundin aus Linz Anfang fünzig, Gast im Irish Pub, Mediendesigner Ende zwanzig, aufgewachsen in Wels, lebt nach Studium und beruf lichen Auslandsaufenthalten seit wenigen Jahren wieder in der Stadt, Arzt im örtlichen Krankenhaus Mitte zwanzig, wohnt in einem Wohnhaus im Stadtteil Neustadt, Betreiber des Irish Pub Mitte sechzig, wohnt in einer Wohnsiedlung in Lichtenegg, Pensionistin Projektleitung Standortmarketing Polizeidirektor Anfang zwanzig, in Wels aufgewachsen, Gast im Irish Pub, Kellnerin in Wels Mitte fünfzig, in Wels aufgewachsen und in der Stadt die meiste Zeit seines Lebens verbracht, Rechtsanwalt An die zwanzig Jahre alt, aufgewachsen in Wels, Zivildiener Mitarbeiter Heimstätte Mitte zwanzig, in Linz aufgewachsen, Studentin an der Fachhochschule in Wels Mitte sechzig, Pensionistin Ende fünfzig, Inhaber eines Geschäftes in einem wenig frequentierten Bereich am Rande der Innenstadt Ende sechzig, lebt seit mehreren Jahrzehnten in Wels, spaziert gerne durch die Traunauen, wohnt in einer Wohnsiedlung im Stadtteil Lichtenegg, Pensio-

Personenliste

355

Wolkinger, Claudia

nistin (»Porträt IV: Wels als Ort des trotzdem Bleibens – Gertraud Windhaber«) Ende dreißig, in Wels aufgewachsen und in der Stadt die meiste Zeit ihres Lebens verbracht, versteht sich als »waschechte Welserin«, wohnt in einem Einfamilienhaus am Rande der Stadt (»Porträt III: Wels als Ort der Überschaubarkeit und Praktikabilität – Claudia Wolkinger«)

Interviewliste Insgesamt 77 Interviews, darunter 35 Interviews mit 40 institutionalisierten AkteurInnen, 8 Stadtinterviews mit 8 Personen, 14 Stadtgänge mit 14 Personen, 10 Wohnortbiographische Interviews & 10 Rhythmeninterviews mit 10 Personen. II=Interview mit institutionalisierter / n AkteurIn, RI=Rhythmeninterview, SI=Stadtinterview, SG=Stadtgang, WI=Wohnortbiographisches Interview Alle Namen – außer von institutionalisierten AkteurInnen, in wenigen Fällen auch von diesen – wurden anonymisiert. Nr.

356

Form

Person

Datum

Dauer

1

II

Bernd Innendorfer (Polizeisprecher)

24. 09. 2013

01:03:21

2

II

Boris Schuld (MKH)

06. 09. 2012

00:24:51

3

II

Christoph Brückl (Herausgeber des Magazins Monatliche)

24. 09. 2012

02:26:08

4

II

Christoph Hippmann (Verein Lebensraum Wels; Obmann der Welser Kauf leute)

25. 09. 2012

01:00:46

5

II

Claudia Glössl (Büro für Frauen, Gleichbehandlung und Integration; Aktivteam Noitzmühle)

13. 04. 2013

00:41:11

6

II

Eva Berghofer (Baudirektion)

02. 10. 2013

01:03:55

7

II

Hanna Meyer-Votzi (Leiterin des Programmkinos)

09. 08. 2012

01:29:41

8

II

Harald Löschenkohl (Leiter der Ordnungswache)

23. 08. 2012

01:27:12

9

II

Herwig Röck (Projektleitung Standortmarketing)

23. 08. 2012

01:03:45

10

II

Johann Rudlstorfer (Polizeidirektor)

07. 08. 2012

00:31:12

11

II

Markus Haider, Konrad Stummer (MitarbeiterInnen Heimstätte)

24. 09. 2012

01:21:31

Anhang

Nr.

Form

Person

Datum

Dauer

12

II

Markus Pichler ( Journalist)

13. 09. 2012

00:47:51

13

II

Michael Holl, Alexander Kopecky (Lions Club)

31. 08. 2012

00:30:20

14

II

Michael Kurz (Leiter des Soundtheatres)

14. 09. 2012

01:37:33

15

II

Michael Reiter ( Journalist)

06. 09. 2012

00:52:18

16

II

Michaela Petz (Arbeiterkammer Wels)

04. 09. 2012

00:50:41

17

II

Monika Geck (Verwaltung Seniorenbetreuung)

22. 05. 2012

01:39:58

18

II

Pete Miller (Trainer WBC)

26. 09. 2012

00:47:24

19

II

Peter Kowatsch (WAKS – Welser Arkadenhof Kultursommer)

12. 09. 2012

00:58:17

20

II

Peter Lehner (Stadtrat für Wirtschaft und Stadtentwicklung)

05. 09. 2012

00:44:49

21

II

Peter Schernhuber (YOUKI)

29. 06. 2012

01:32:15

22

II

Philip Müller (Architekt)

19. 09. 2013

01:31:47

23

II

Ralph Drack, Thomas Rammerstorfer (Verein Infoladen)

24. 07. 2012

02:14:42

24

II

Renate Miglbauer, Albert Neugebauer, Claudia Neugebauer (Verein Römerweg OVILAVA)

24. 08. 2012

00:53:39

25

II

Roland Weber (Inhaber Geschäft)

20. 09. 2012

00:50:57

26

II

Rupert Doblhammer (Baudirektion)

07. 09. 2012

01:26:38

27

II

Simon Astner (Sozialarbeit – Streetworker)

14. 06. 2012

00:58:34

28

II

Simon Neugasser (Inhaber Bubble Tea-Store)

September 2012

schriftlich

29

II

Simone Klammer (Volkshilfe)

30. 09. 2013

00:55:03

30

II

Stefan Mayr (Immobilienmakler)

30. 08. 2012

01:17:42

31

II

Tamara Steiner (Lehrerin HAK)

11. 09. 2012

00:30:14

32

II

Tarik Dinler (Alevitischer Kulturverein)

31. 08. 2012

01:05:35

33

II

Thomas Hofer (Inhaber Kleidungsgeschäft)

10. 08. 2012

01:10:30

34

II

Werner Klement (Initiator der Initiative I mog Wels)

04. 07. 2012

00:49:07

35

II

Wolfgang Wasserbauer (Geschäftsführung Alter Schl8hof Wels)

07. 08. 2012

00:28:15

36

RI

Andreas Harg

29. 10. 2013

01:25:40

Interviewliste

357

Nr.

358

Form

Person

Datum

Dauer

37

RI

Barbara Brunner

16. 10. 2013

01:10:30

38

RI

Claudia Wolkinger

05. 12. 2013

01:21:51

39

RI

Frederike Riegler

04. 12. 2013

01:12:14

40

RI

Gertraud Windhaber

28. 11. 2013

01:33:53

41

RI

Ingeborg Achitz

15. 10. 2013

01:42:22

42

RI

Manfred Kurz

17. 10. 2013

02:44:15

43

RI

Patrick Klein

28. 10. 2013

01:01:09

44

RI

Ursula Jäger

05. 12. 2013

00:36:40

45

RI

Valentin Holzer

12. 12. 2013

00:51:08

46

SG

Birgit Wagner

25. 05. 2012

01:41:11

47

SG

Christian Müller

20. 06. 2012

01:29:17

48

SG

Doris Vlach

04. 05. 2012

00:57:42

49

SG

Magdalena Baumgartner

19. 07. 2011

02:05:50

50

SG

Marcel Mayr

01. 05. 2012

01:46:41

51

SG

Martin Reiter

18. 07. 2012

01:00:22

52

SG

Moritz Strasser

19. 06. 2012

00:50:45

53

SG

Robert Prem

20. 07. 2011

01:47:46

54

SG

Samira Merizadi

05. 01. 2012

01:58:02

55

SG

Stefan Fischer

05. 01. 2012

00:40:19

56

SG

Susanne Richter

19. 07. 2011

01:29:53

57

SG

Theresa Gruber

06. 06. 2012

02:51:38

58

SG

Theresa Lorenz

18. 07. 2012

01:26:40

59

SG

Ulrich Schwarz

19. 04. 2012

01:46:20

60

SI

Anong Müller

20. 09. 2012

00:34:22

61

SI

Benjamin Haas

27. 07. 2012

00:45:24

62

SI

Bernhard Schmid

18. 09. 2012

01:05:32

63

SI

Friedrich Reiter

19. 09. 2012

01:53:06

64

SI

Georg Hübner

22. 08. 2012

01:34:55

65

SI

Michael Klaus

13. 09. 2012

01:17:28

66

SI

Monika Huber

05. 06. 2012

01:11:16

67

SI

Sebastian Singer

26. 09. 2012

01:40:58

68

WI

Andreas Harg

26. 11. 2013

01:34:01

69

WI

Barbara Brunner

23. 10. 2013

00:56:15

70

WI

Claudia Wolkinger

12. 12. 2013

01:48:07

71

WI

Frederike Riegler

11. 12. 2013

01:07:27

Anhang

Nr.

Form

Person

Datum

Dauer

72

WI

Gertraud Windhaber

09. 12. 2013

01:00:46

73

WI

Ingeborg Achitz

03. 12. 2013

01:35:41

74

WI

Manfred Kurz

22. 10. 2013

02:42:48

75

WI

Patrick Klein

20. 11. 2013

00:57:34

76

WI

Ursula Jäger

18. 12. 2013

00:52:52

77

WI

Valentin Holzer

17. 12. 2013

00:50:11

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Anhang

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Abbildungsverzeichnis Trotz aller Bemühungen ist es nicht in allen Fällen gelungen, die Bildrechte zu klären. Bitte wenden Sie sich für Rückfragen an den Verlag. Vorsatz: Karte von Wels. Quelle: Georg Wolfmayr Abbildung 1: »Urban Drinks« als Ausdruck gegenwärtiger Mode von Urbanität. Quelle: Foto Georg Wolfmayr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 2: Touristische Orientierungskarte der verdichteten Londoner Kulturökonomie. Quelle: Foto Georg Wolfmayr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 3: Bevölkerungsentwicklung Wels und Steyr 1869–2014. Quelle: eigene Grafik; Datenmaterial von Statistik Austria, https://www .statistik .at Abbildung 4: Städte in Österreich über 20.000 EinwohnerInnen und ihre Bevölkerungsveränderung 1961–1981. Quelle: eigene Grafik; Datenmaterial von Statistik Austria, https://www .statistik .at . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 5: Industrielle Moderne in Wels (Anzahl der Industriebeschäftigten 1934–1986). Quelle: eigene Grafik; Datenmaterial aus Schuller (1988): Industrie und Messewesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 6: Industriebetriebe in Wels 1944–1988. Quelle: eigene Grafik; Datenmaterial aus Schuller (1988): Industrie und Messewesen. . . . . . . . . . . . . Abbildung 7: Die »Einkaufsstadt« Wels als Ort des Konsums. Quelle: Abbildung aus Käfer (1975): Wels, Abbildung 15. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 8: Zeitungsbericht über das Fachgeschäft »Olympia«. Quelle: o. A. (1966b): Märchenwelt, S. 7. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang

10 22 107

107

112 112 116 119

Abbildung 9: Die Welser Messe wird im Jubiläumsband als Ort der Verdichtung städtischer Größe und Relevanz beworben. Quelle: Magistrat der Stadt Wels (Hg.) (1978): Welser Messe, S. 105. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 10: »Größer von Messe zu Messe«. Quelle: Magistrat der Stadt Wels (Hg.) (1978): Welser Messe, S. 138–141. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 11: Das Maria-Theresia-Hochhaus als Symbol des modernen Wels im Buch von Sepp Käfer. Quelle: Käfer (1975): Wels, Abbildung 13. . . . . . . . Abbildung 12: Ansichtskarte aus dem Jahr 1967. Quelle: Stadtarchiv Wels . . . Abbildung 13: »Wels – die Stadt des zwanzigsten Jahrhunderts«. Quelle: Grassner (1976): Messestadt Wels, Abbildung 7. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 14: »Der Plan dieses Autobahndreiecks unterstreicht neuerlich die Bedeutung des Welser Raumes als Verkehrsdrehscheibe«. Quelle: o. A. (1966c): Mitte eines Autobahndreicks, S. 1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 15: Bevölkerungsprognose Mitte der 1980er Jahre. Quelle: Magistrat der Stadt Wels (1985): Bevölkerungsprognose, S. 4. . . . . . . . . . . . . . Abbildung 16: Städte in Österreich über 20.000 EinwohnerInnen und ihre Bevölkerungsveränderung 2001–2014. Quelle: eigene Grafik; Datenmaterial von Statistik Austria, https://www .statistik .at . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 17: Entwicklung des sekundären und tertiären Wirtschaftssektors in Wels von 1964 bis 2012. Quelle: eigene Grafik; Datenmaterial aus Schuller (1988): Industrie und Messewesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 18: Wels als »Little New York« als Stadt der Hochhäuser in Angele Zobls Artikel in der Wochenpresse aus dem Jahr 1988. Quelle: Zobl (1988): Little New York, S. 58. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 19: Das Maria-Theresia-Hochhaus als Bedrohung für die renovierten Fassaden in Angele Zobls Artikel in der Wochenpresse aus dem Jahr 1988. Quelle: Zobl (1988): Little New York, S. 59. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 20: Plakat eines Projektes der Kultureinrichtung MKH. Quelle: Online unter: http://welsist .net / wp - content / uploads / 2012 / 11 / Plakate _ A231 .jpg, zuletzt abgerufen am 10. 03. 2017. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 21: Plakat der »Antwortkampagne«. Quelle: Online unter: http:// welz .tumblr .com / , zuletzt abgerufen am 10. 03. 2017. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 22: Einschreibung der »Qualitätsallianz« in den Stadtraum. Quelle: Foto Georg Wolfmayr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 23: Wels als Einkaufserlebnis Quelle: Wels Marketing & Touristik GmbH (2013b): Wels erleben, S. 1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 24: Die Innenstadt wird in der Broschüre »Wels erleben« als Ort in Szene gesetzt, der rund um die Uhr etwas zu bieten hat – insbesondere für Freundinnen, die gemeinsam einkaufen wollen. Quelle: Wels Marketing & Touristik GmbH (2013b): Wels erleben, S. 14–15. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 25: Positionierung von Wels im internationalen Zentrum, in das viele Verbindungen führen, in der Broschüre »Business Touristik Wels« des

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Abbildungsverzeichnis

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Stadtmarketingunternehmens. Quelle: Wels Marketing & Touristik GmbH (2011a): Business Touristik Wels, S. 29. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 26: »Du-Zone« am Welser Wochenmarkt. Quelle: Online unter: https://www .meinbezirk .at / linz - land / lokales / welser - wochenmarkt - wird zur - du - zone - erklaert - m7191337,1089796 .html, zuletzt abgerufen am 10. 03. 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 27: Demozug in der Innenstadt und am Stadtrand. Quelle: Foto Sozialistische Jugend Wels & Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 28: Linz als Teil täglicher Wege. Quelle: Mental Map Valentin Holzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 29: Petition zur Verlängerung der Sperrstunde durch die Monatszeitung »Monatliche«. Quelle: Monatliche (2012): Sommeredition, S. 8. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 30: Die Noitzmühle und ihre Hochhäuser als Teil politischer Inszenierung im Amtsblatt. Quelle: Stadt Wels (1975): Amtsblatt, S. 1. . . . . Abbildung 31: Werbung für die Wohnsiedlung nach der Erbauung des Bereichs »Noitzmühle alt«. Quelle: Welser Heimstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 32: Abwanderung in die Umlandgemeinden des Bezirkes WelsLand in den Jahren 2002 bis 2015. Der gesamte Wanderungssaldo in die Umlandgemeinden in dieser Zeit beträgt für Wels –2606 Personen. Die Gemeinden der vorderen Plätze schließen direkt an das Gebiet der Stadt Wels an. Quelle: eigene Grafik; Datenmaterial von Statistik Austria, https:// www .statistik .at . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 33: Die Rolle der Traunauen für das Wohnen einer sich abwendenden BewohnerInnenschaft. Quelle: Mental Map Gertraud Windhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 34: Flyer der Initiative »I mog Wels«. Quelle: Initiative »I mog Wels« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 35: Das Schild des Irish Pubs als Eingangsschild eines Proberaums. Quelle: Foto Uli Zarembach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 36: Aufruf zur Mitgestaltung beim Positionierungsprozess im Amtsblatt. Quelle: Stadt Wels (2015): Amtsblatt, S. 9. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Die zwei idealtypischen Stadtmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Tabelle 2: Bevölkerungsentwicklung Wels seit 1951, Datenmaterial von Statistik Austria, https://www .statistik .at . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Tabelle 3: Perspektiven auf Stadt und Land nach Jansson (2013) mit Bezug auf Cresswell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350

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