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German Pages [272] Year 2004
Bauwelt Fundamente 133
Herausgegeben von Ulrich Conrads und Peter Neitzke Beirat: Gerd Albers Hildegard Barz-Malfatti Elisabeth Blum Werner Durth Eduard Führ Werner Sewing Thomas Sieverts Jörn Walter
Michael Müller Franz Dröge Die ausgestellte Stadt Zur Differenz von Ort und Raum
Bauverlag Gütersloh · Berlin
Birkhäuser - Verlag für Architektur Basel - Boston - Berlin
Herausgeber und Verlag danken der Universität Bremen und der Sparkasse Bremen für die Förderung dieser Publikation. Umschlagvorderseite: The Venetian, Las Vegas. Aus: Las Vegas, A N e w Dimension ... A N e w Destiny, Vol. 7, Las Vegas Umschlagrückseite: Quaglino's 1993, Bildarchiv der Verfasser
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bau
verlag
Eine Kooperation im Rahmen der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. T C F °° Printed in Germany ISBN 3-7643-7151-X 98765432 1
http://www.birkhauser.ch
Inhalt
Stadt und Kultur Einleitung Stadt und Kultur
7 7 18
Die Erzählung vom „Guten Regiment"
29
Die Differenz von Ort und Raum
64
Das Subjekt der Kultur
79
Ästhetisierung Musealisierung und Mediatisierung Vermittlungen und Verwischungen
94 116 125
Museum und Stadt Das urbane Museum Die Globalisierung des „Guten Regiments"
133 133 145
Die ausgestellte Stadt
157
Medien-Räume Öffentlich und Privat im medialen Raum Idealisierungen Cyberspace als Raum
200 200 208 218
Perspektiven
236
Anmerkungen Literatur Personenregister Autoren Bildnachweis
241 257 268 271 272
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Dieses Buch ist dem Andenken des Freundes und Kollegen Franz Dröge gewidmet, mit dem ich mehr als zwanzig Jahre an der Universität Bremen in vielen Lehr- und Forschungsprojekten zusammengearbeitet habe. Beide haben wir noch gemeinsam an diesem Buch schreiben können, bevor eine unheilbare Krankheit ihm mehr und mehr die Kraft und die Fähigkeit zur Konzentration genommen hat. Franz Dröge ist im September 2002 gestorben. Von allen, die bei der Arbeit an diesem Buch geholfen haben, möchte ich Viktor Kittlausz hervorheben. Peter Neitzke gilt mein Dank für seine anregende Durchsicht des Manuskripts. Bremen, im Juli 2004
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Michael Müller
Stadt und Kultur
Einleitung Wir teilen die Auffassung Alain Touraines (1996, 68), daß eine Gesellschaft oder eine Politik heute daran gemessen wird, wie sie die Probleme der Stadt lösen will. Sie bilden die Hauptprobleme unserer Gesellschaft, und damit auch die der Kultur. Es ist die Stadt, die uns in ihrer Verfaßtheit Auskunft über den gegenwärtigen und zukünftigen Zustand der Kultur, ihre Möglichkeiten und Einschränkungen geben kann. Was aber wissen wir von der Stadt, dieser großartigen Form sozialer Organisation des Raums, deren Bedeutung weit über ihre physischen Grenzen hinausreicht? Zu sehr ist uns die Stadt, zumal die eigene, voraussetzungslos selbstverständlich, nicht selten auch gleichgültig und dabei immer nur in Ausschnitten gegenwärtig, um ihr doch wenigstens die Aufmerksamkeit zu schenken, zu der wir, bestenfalls als Touristen, den kunsthistorisch bedeutenden Monumenten und den pittoresken Quartieren fremder Städte gegenüber bereit sind. Wobei wir mit dem Wort Stadt etwas bezeichnen, das sich entwicklungsgeschichtlich diesem Begriff längst entzogen hat. Stadt: ein „überholter Begriff" von einer nicht mehr überschaubaren, architektonisch gestalteten, sinnlich repräsentierten Lebenswelt (Habermas 1985, 25). Ein Großteil der Bilder, die wir mit ihr und unseren stadtbürgerlichen Identitätsvorstellungen verbinden, ist darum auch alles andere als zeitgemäß. Denn was bedeutet es, wenn Bremer und Bremerinnen im Rahmen einer 1997 von uns durchgeführten Untersuchung die Frage, ob für sie Stadt gleichbedeutend sei mit der zentralen Lage von Markt, Kirche und Rathaus, nahezu ausnahmslos mit Ja beantworten? Ein von Nostalgie stark gefärbtes Raumbild als ein kollektiv geteiltes großes MißVerständnis? Ganz anders das Bild von der neuen, kommunikativen Stadt. Hier handele es sich um „Ansammlungen von Behausungen ohne erkennbare Strukturen. Netzgleich eingebettet in Bezüge optimierter Kapitalorganisation, Medienjobs, Erziehung und Ausbildung, Forschungs- und Unter7
haltungsindustrie, Multimedia und Telekommunikation, konzentriert ohne besondere Art von Gestaltung, die ohne Zeichen auskommt, ohne Gestalt." (Helmut Bott, 20 f.) Sowohl die Marktplatzidylle als auch das Bild von der Stadt als einem „Electronic Space" (ebd.) bestätigen Frederic Jamesons (1994/1, 81 f.) Beobachtung, daß wir unsere Welterfahrung nach wie vor an alten Raummodellen bilden (und neue uns bislang keine anbieten), um das „große, globale, multinationale und dezentrale Kommunikationsgeflecht" zu begreifen. Tatsächlich habe eine Veränderung in den Objekten stattgefunden, mit der die Subjekte nicht Schritt halten können. Der neue, der Hyperraum, in den wir hineingestellt sind, sei uns noch fremd. Die Welterfahrung, von der Jameson spricht, ist in der von ihm bezeichneten Verfassung eindeutig die Erfahrung einer außerordentlich weitreichenden Differenz, auf die bereits Georg Simmel mit der von ihm in der Metropole Berlin zu Beginn des 20. Jahrhunderts beobachteten virulenten Dominanz anwachsender objektiver Kultur gegenüber den subjektiven kulturellen Ansprüchen hingewiesen hatte. Die Persönlichkeit, so Simmel (1957, 241), könne sich gegen die „überwältigende Fülle kristallisierten, unpersönlich gewordenen Geistes" nicht halten, wie sie in der „raumüberwindenden Technik", den „Bauten und Lehranstalten" oder den „sichtbaren Institutionen des Staates" Gestalt annehmen. Es ist die Erfahrung der Differenz, die in den Städten zwei Lebensweisen kennzeichnet, die wir immer weniger weder körperlich noch kognitiv zusammenführen können, obwohl wir uns in beiden bewegen. Es ist eine Existenz in Ungleichzeitigkeit mit erheblichen Auswirkungen auf die Kultur, in der wir zwei Raum- und Zeitdimensionen als sich unvermittelt gegenüberstehende erfahren. Daß die Stadt von ihren Bewohnern primär als Differenz und insbesondere als Differenz von Ort und Raum wahrgenommen wird, ist die leitende These unserer Argumentation. Dabei ist völlig offen, wie unsere Reaktionen auf die Erfahrungen der Differenz ausfallen. Sollten wir sie -Jameson folgend - zugunsten von Hyperräumen auflösen? Oder wären Formen und Praktiken zu entwickeln, die zwischen den durch ihre Differenz bezeichneten Dimensionen vermitteln? Und zwar so, daß die Differenzen nicht verschwinden sondern nach wie vor sichtbar bleiben, ja womöglich überhaupt erst durch ihre Bearbeitung bewußt werden. Deshalb interessiert uns, wie Differenzen vermittelt werden. Immerhin ist das, was wir Urbanität nennen, nichts Geringeres als die große kulturelle Leistung eben dieser Differenzvermittlung. 8
Das Differenzkriterium als paradigmatisches Wahrnehmungskriterium anzunehmen, folgt in unserer Argumentation zunächst pragmatisch der nicht zu übersehenden Evidenz solcher Differenzbestimmungen, wie sie in Begriffen wie Segregation, Zwischenstadt, Mall, Edge City, Orte-NichtOrte, Gentrification, Fragmentierung, Auflösung und Tod der Stadt (Simmel, Jacobs, Auge, Sennett u.a.) enthalten sind. Wir wollen versuchen, all diese Erklärungsmodi zusammenzufassen und auf den begrifflichen Punkt zu bringen. Im Hinblick auf eine theoretische Begründung sind wir davon überzeugt, daß alle anderen Differenzphänomene auf die Differenz von Ort und Raum zurückgeführt werden können.1 Davon unberührt bleibt die von uns nicht weiter thematisierte Sicht des psychoanalytisch (Melanie Klein2) und kulturanthropologisch (Helmuth Plessner3) begründeten Menschen als Differenzwesen. Ausgehend von der These, daß der Mensch die Differenz, die er selbst ist, radikal erfahren muß - als lebensnotwendige Differenzerfahrung von außen - , begreifen wir die Stadt als eine Organisationsform der gemeinsamen Entlastung von der Gewalt der Differenz im Sinne der Naturbeherrschung. Die Stadt entlastet aber nicht nur, sondern vermittelt als Kultur die Notwendigkeit der Differenzerfahrung und bildet immer wieder neue Differenzen aus. Versäumnisse Kunst- und Kulturwissenschaft haben sich bisher nur sporadisch an der Bearbeitung des wechselseitig konstituierenden Verhältnisses von Stadt und Kultur beteiligt. Für die deutschsprachige Literatur gilt das in weitaus größerem Maße als für die angelsächsische. Deshalb dürfen wir uns nicht darüber beklagen, daß sich die vorherrschende Diskussion zur Situation in unseren Städten im wissenschaftlichen Feld vielfach um das Erfassen sozialer und ökonomischer Daten und deren Problematisierungen bewegt. Solche Betrachtungen sind oft die einer Außenperspektive. Sharon Zukin (1998,33) spricht denn auch bedauernd von einem „recht materialistischen Blickwinkel" dieser Diskussion. Man habe bisher übersehen, daß die „Interdependenz materieller und symbolischer Prozesse in der Urbanen Ökonomie der Symbole [...] nicht nur auf dem (derzeit kapitalistischen) Produktionsmodus, sondern auch auf ästhetischen Modi der Imagination, Visualisierung und Darstellung" basiere. Damit rücken die subjektiven Seiten der Konsumtion und Aneignung und der Mehrdeutigkeit ästhetischer Kommunikation stärker ins Blickfeld. 9
Mit unserer Untersuchung wollen wir dem Rechnung tragen und eine Perspektive der Innensicht versuchen, indem wir fragen, wie die Stadt als Lebenswelt wahrgenommen wird und wie die Subjekte konstituiert sind.
Vermittlung und Ästbetisierung Die Differenz von Ort und Raum legt den Begriff der Vermittlung nahe. Dieser wiederum führt in unserer Argumentation zur Ästbetisierung. Enorm gewachsen sind die Möglichkeiten zur Asthetisierung, die dem Liberalismus heute durch die Medien gebotenen werden und die für die Gleichgültigkeit gegenüber Gegenständen und Inhalten verantwortlich sind. Die Art und Weise, in der ein Gegenstand dargestellt wird, das heißt in erster Linie seine zeichenhafte Oberfläche, erzeugt einen Stil, der den Verlust des Werts kompensiert. Das Resultat ist eine pluralistische Asthetisierung, die dazu tendiert, unsere Kultur zu einem Museum zu machen. Musealisierung und Mediatisierung sind denn auch in unserer Argumentation die zwei wesentlichen Ausformungen der Asthetisierung. Beide Begriffe kommen in der Kulturkritik häufig als Ausdruck affirmativer Verhübschung vor. Dem könnten auch wir uneingeschränkt folgen, wenn wir nicht die Notwendigkeit der Vermittlung sähen. Wobei deren Realisierungen immer kontingent sind, so daß vom Grundsatz her alles möglich ist, und so auch die Verhübschung. Das Medium der Asthetisierung ist formal nun einmal unbestimmt, ein Umstand, der ganz ohne Zweifel auch seine Vorzüge hat. Für die Vermittlungsqualität der Asthetisierung spricht weiter, daß sie hochgradig kommunikativ ist, da Aneignung selbstverständlich immer auch Kommunikation bedeutet.
Konstitution der Subjekte Unter den möglichen Perspektiven, die Konstitution der Subjekte zu erörtern, haben wir die des Sammeins gewählt, die wir wiederum an den Zusammenhang von Besitzindividualismus und Identitätsbildung binden. Anfangs noch eine privilegierte Aneignungs- und Vermittlungsform - in Gestalt der Kunst- und Wunderkammern, der Kuriositätenkabinette und der ersten Gemäldegalerien - verallgemeinert sich das Sammeln zunehmend seit Beginn der Industrialisierung über die Möglichkeiten, die die Warenproduktion bietet. Das Sammeln bleibt dabei wesentlich gebunden 10
an Gegenstände und deren Symbolisierungen. Wobei die Sammlungsperspektive immer ortsgebunden und ohne eine räumliche Zuordnung nicht vorstellbar ist. Nach außen gewendet führt die Sammlungsperspektive schließlich zur Thematik der ausgestellten Stadt. So kann die Tatsache, daß das Museum die Metapher unserer Zeit geworden ist (Grasskamp 1994), rückblickend alles andere als überraschen. Berücksichtigt man in Europa die frühen, zeitlich analog verlaufenden Prozesse der Modernisierung, der Identitätsbildung und der Museumsgründungen, dann läuft im Grunde alles auf eine Musealisierung hinaus. Wachstum und Sammeln, revolutionäre Erneuerung und die Fähigkeit, das kulturelle Erbe zu bewahren (wie im Falle des Louvre), sind jeweils zwei Seiten einer Medaille, auch wenn die destruktive Gewalt des Kapitalismus eine ganz andere Geschichte erzählt.
Ökonomie der Symbole Es erscheint daher schlüssig, daß der Effekt der Musealisierung so sehr übereinstimmt mit den neueren Tendenzen der Kommerzialisierung des Kulturkonsums und der damit verbundenen neuartigen kapitalistischen Ökonomie der Symbole. Die Verknüpfung von Kapital, Raum und Kultur verdichtet sich in je verschiedenen Ausformungen der Ausstellung urbaner Situationen und Atmosphären. Museumsgründungen spielen in den Begründungen dieser Transformation eine besondere Rolle. So ist es für Sharon Zukin (1998, 33) alles andere als bloßer Zufall, daß sowohl die Documenta als auch Disneyland im gleichen Jahr eröffnet wurden. Die Steigerung der Attraktivität der Städte im Wettbewerb untereinander verstärkt eine Tendenz, die in der Vergangenheit immer schon das Städtische kennzeichnete: ihren Ausstellungscharakter. Nur daß jetzt im Unterschied sowohl zur vormusealen als auch zur hochkulturell musealen Phase die Differenz zwischen Museum und Stadt in der Ökonomie der Symbole aufgehoben erscheint.4
Das Problem der Stadt Als sich permanent entwickelnde kulturelle Superstrukturen dürften sich die Städte heute insbesondere dadurch auszeichnen, daß sie zwischen Ort und Raum oszillieren. In ihrer avanciertesten Erscheinung, der Global 11
City 5 , haben wir es mit einer Weltstadt neuen Zuschnitts zu tun, in der die neuesten Mechanismen der globalisierten Ökonomie, die Finanz- und Service-Industrie zentralisiert sind, und die ohne ihr Umland nicht denkbar ist. Umland signalisiert dabei aber nicht, wie zur Zeit der früheren Industriestadt, den Versorgungsgürtel aus Ackerbau und Viehzucht. Der reicht heute im Zeitalter des aeroplanen Globalverkehrs bis ins Herz Afrikas und nach Feuerland, ist dafür aber im städtischen Nahbereich inzwischen eher verschwunden. Umland steht in diesem Fall für einen Gürtel kleinund mittelständischer Industrie von Versorgungs- und Entsorgungsunternehmen, Zulieferern, konsumorientierten Dienstleistungen, Back-Offices von Finanzindustrien, die ihre Front-Offices im Westend haben, und Suburbs. Die Stadt transzendiert ihren Ort in den Raum, der zugleich in den Ort eindringt. Doch muß in dieser Entgrenzung des Ortes zugleich seine Identität als soziale und emotionale Qualität aufrecht erhalten werden, wenn die lokalen ökonomischen Eliten - man nennt sie auch treffend „Wachstumsmaschine" - einen minimalen populistischen Konsens für die Globalisierungspolitik der Stadt aufrechterhalten wollen. Was die Raumordnung angeht, können wir den Schluß ziehen, daß die moderne Stadt wirtschaftlich im Prinzip seit langem über sich als Ort hinausgewachsen und eine Raumgröße geworden ist. Das sagt allerdings über ihre interne Struktur noch gar nichts. Sozial und kulturell jedoch scheint sie aufgrund der in diesen beiden Dimensionen enthaltenen Beharrungskräfte nach wie vor eine Ortsgröße zu sein, die sich ihrer tatsächlichen oder potentiellen und vielleicht notwendigen Raumorientierung trotz entsprechender Bekundungen noch weitgehend sperrt. Mit der Erosion des Stadtbürgertums in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und dessen Transformation vornehmlich in eine Klientel von Grundeigentümern mit ausgeprägten Bodenspekulationsinteressen ist für viele Stadtbewohner die Identifikation mit ihrer Stadt als Ort in die Brüche gegangen. Die, so könnte man sagen, Identitätsführerschaft der bürgerlichen Klasse versinkt mit ihr in der Asche ihres historischen, kulturellen und politischen Bankrotts. Seitdem zerlegen sich die Städte kulturell und politisch auf der Grundlage einer wachsenden sozialen Dissoziierung, auch wenn diese in Deutschland noch nicht solche dramatischen Segregationen produziert wie in den Städten der Vereinigten Staaten. Trotz der inneren Strukturprobleme praktisch aller Großstädte sind sie nach wie vor Orte kultureller Sedimentierung. Das liegt vor allem am Konservativismus der Urbanität, der auf die nachhaltigen Zerstörungen urbaner Strukturen nur sehr begrenzt reagiert und sich wenig flexibel zeigt. Freilich 12
sehen wir an dieser Stelle noch eine andere Ebene neben der Diskursebene der Planer und Architekten, Gentrifizierer, Investoren und an der Stadtentwicklung interessierter Intellektueller wie Künstler oder Stadtsoziologen, denen Walter Prigge (1987) eine die städtischen Lebenszusammenhänge fragmentierende und zonierende Wirkung zuschreibt. Wir denken dabei an den lebensweltlichen Aneignungsdiskurs von Wohnbevölkerungen, der in seiner Ortsverhaftetheit traditionell homogenisierende Effekte hat.6 Wie auch immer: Urbanität wird hier als Kategorie subjektiver Zuschreibungen auf unterschiedlichen Bedeutungs- und Funktionsebenen verstanden, nicht als eine - nostalgisch simulierte - Stadteigenschaft. Dieser Konservativismus ist nun vor allem auf seine materielle Verankerung in zwei kulturellen Komplexen zurückzuführen. Der eine ist zweifellos die vergleichsweise lange Lebensdauer von Gebäuden. Zwar sinken die Abschreibungsfristen vor allem für kommerzielle Gebäude, die ja als Büroraum und Geschäftshäuser das Gros innerstädtischer Bebauung ausmachen. Trotzdem haben sie noch immer den bei weitem längsten Lebenszyklus aller modernen Warenobjekte. Außerdem gibt es praktisch keine zeithomogenen Gebäudeensembles mehr. Sie besitzen in den meisten Städten zeitliche Schichtungen, die über mehrere Generationen ins 19. Jahrhundert und oft noch weiter zurückreichen. Touristisch inspirierte Restauratoren oder Dekorateure und Denkmalschützer sind am Werk, diese intergenerativen Gebäudeensembles zu erhalten. Die evolutionäre Zeit der Stadt ist in der Langlebigkeit ihrer Gebäude geronnen und hat in ihnen die Jahresringe ihrer vergangenen Kulturen abgesetzt. Diese dürften den heutigen Stadtbewohnern im einzelen mehrheitlich nicht mehr zugänglich sein; aber sie leben fort in Marktsegmenten, für welches das Stichwort Nostalgie stehen mag. Die evolutionäre Zeit der Stadt ist architektonisch nicht ohne weiteres aufzubrechen oder gar durch eine instantane Zeit zu ersetzen, in der Gebäude hochgradig flexibilisiert würden. Gerade darin sehen wir eine Voraussetzung der Musealisierung von Innenstadtbereichen. Daraus ergibt sich für die konservative Bindung von Urbanität ein zweiter Zusammenhang. Städtische Weiterentwicklungen knüpfen immer an Erfahrungen im Umgang mit und Kritik an den jeweils existierenden Modellen und den diesen zugrunde liegenden Raumbildern an. Man kann dies als Macht der Einbildung betrachten, die existierende Raumbilder selbst noch auf die über ihre im Modernisierungszug am weitesten gegangenen Kritiker ausüben. Vor allem hat sie bisher sichergestellt, daß die kontinuierlichen Wandlungsprozesse städtischer Kultur sich nicht allzu bruchhaft in radikalen Entfremdungserfahrungen zeigen. 13
Die Macht der Einbildung ist also mit der Stärke ihres Raumbildes im Rücken die Macht der alten Erzählung, die ja immer auch lebenspraktische Erzählung ist. Denn was passiert, wenn nach den bürokratischen Exerzitien eines Sanierungsplans die Bagger kommen und ein Wohnquartier abgerissen wird, weil die Geschichte des Quartiers, seine kollektive Lebenspraxis und sein kultureller Lebenszusammenhang vernichtet worden sind? Es ist der Schmerz der Erlebniswirkung des Teils der alten Erzählung, der für das soziale Raumempfinden der Bewohner maßgeblich und der ihre nach wie vor aktuelle Erzählung war. Mit gutem Gewissen und Gründen sich auf einleuchtend Praktisches (Hygiene, Licht, Gesundheit) zu berufen und dies den Menschen zuzumuten, ist ein Charakteristikum der Moderne seit dem Abriß Pariser Altbauquartiere durch Baron Haussmann. Man sieht hier die Morgendämmerung eines neuen Zeitmodus, der sich quer zu dem überlieferten Zeiterleben der Tradition, des Werdens und Wachsens, kurz: der Natur mit ihren evolutionären Linearitäten in zyklischen Taktungen stellt. Fortan werden zwei Zeitmodi zu Parametern auch der kulturellen Entwicklungen der Stadt, deren ursprüngliche und zunächst, im 19. Jahrhundert, noch schwer wahrnehmbare Abzweigung sich in unserer Gegenwart zu einem echten Gegensatz entwickelt hat. 7 Es sind diese beiden Zeitformen, die evolutionäre und die instantane Zeit, die aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit die Modi des Zeitigens in der postfordistischen Gesellschaft prägen und zu enormen Spannungen führen. In der zeitgenössischen Stadt prallen sie unvermittelt aufeinander. Dies ereignet sich in der Stadt, die in ihrer materiellen baulichen Gestalt den evolutionären Modus verkörpert und ihn narrativ artikuliert. Die Stadt steht aber unter ökonomischem Modernisierungsdruck und muß zugleich mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, vor allem mit der digitalen Vernetzung, das heißt deren Auf- und Abfahrten auf den weltweiten Informationshighways, die instantane Zeit implantieren. Der Schnittpunkt dieser Zeitwelten ist ja nicht abstrakt. Er hat in der Stadt seine Orte, wo die Terminals stehen, an denen die neuen Informationsarbeiter sitzen, Designer neue Modelle entwerfen und mit den Fabriken in Tschechien oder Indien interagieren, „Kreative" Werbekampagnen in und für drei Weltgegenden gleichzeitig entwerfen. Dieser Schnittpunkt produziert mit seiner „Echtzeit" Flexibilität. Denn jeder bewegt sich als körperliches Wesen ja zwangsläufig in beiden Zeitmodi und produziert besondere Mentalitäten. 14
Bilder der
Differenz
Daß das Leben in den Städten in zwei Raum- und Zeitmodi zerfällt, die man immer weniger alltagspraktisch zu verbinden weiß, fordert Bilder und deren erwünschte Verwirklichung geradezu heraus, in denen man die Differenz - meist zugunsten einer der beiden Modi - bewältigt glaubt. Dazu zählen neben den technikfrohen Propagierungen medial aufgelöster Raummodelle vom Typ „Cybercity" oder „Telepolis" - wo Kommunikation keinen städtischen Ort mehr benötigt, da er durch ständige Zeitentgrenzung entfällt - , die populären Thematisierungen konventioneller, tradierter Raumbilder. Gegenbilder, die sich der Differenz verdanken, aber sich nicht zwangsläufig zu deren Bearbeitung eignen. Das gilt gewiß auch für den Bild- und Strukturtypus der historischen europäischen Stadt. Für Skeptiker wie Thomas Sieverts (2000,194) verkörpert sie ein unzeitgemäßes Raummodell, von dem wir Abschied nehmen sollten. Bei aller Trauer um den Verlust des geliebten Bildes müßten wir illusionslos zur Kenntnis nehmen, daß hier Perspektiven für die Zukunft unserer Städte nicht gefunden werden könnten. Gleichwohl bleibt abzuwarten, ob die überfällige Entzauberung des Mythos der auf die Mitte konzentrierten Stadt und die verstärkte Konzentration unserer kreativen Bildprojektionen auf die „Zwischenstadt" den Ausschlag für eine Neubelebung des Städtischen geben können. Bislang zumindest charakterisiert die Zentren, was für Wohn-, Einkaufs- und sogenannte Erlebniswelten an den Rändern der Stadt in gleicher oder abgeschwächter Weise zutrifft: daß die Heterogenität der Stadt und deren daran geknüpfte kulturelle Vermittlungs- und soziale Integrationsleistung zwar abwechselungsreichen, ästhetisch gleichwohl eindeutigen Räumen gewichen sind. Insbesondere in den Zentren repräsentieren der Raum der Stadt und die Form der Architektur mittlerweile eine ästhetisch inszenierte, die Warenzirkulation stützende Umwelt. So wie der Stadtraum heutzutage im Sinne einer Angebotsökonomie produziert wird, ist in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten auch in Deutschland eine auffällige Analogie zwischen der universellen Ästhetik der Waren und der Ästhetik des Raums entstanden. Seine gestalterische Qualität besitzt dieser Raum als homogener, der die .alten Bilder' des Städtischen - soweit vorhanden - musealisiert und sie mit denen des Konsums zusammenführt. Hartmut Häußermann (1999) sieht darin die „Amerikanisierung" der europäischen Stadt erfüllt. Durch die weitgehende Privatisierung der öffentlichen Ausgaben, eine Beschneidung des öffentlichen Einflusses und eine Strukturierung der Stadt nach
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ökonomischen Zweckmäßigkeiten und Bewertungen drohe die Kultur der europäischen Stadt „zur Beute unregulierbarer ökonomischer Interessen" zu werden. So zeigt sich Häußermann im Gegensatz zu Sieverts auch von der Qualität der europäischen Stadt überzeugt. Sie interessiert ihn allerdings weniger als Bild, sondern als Ort, an dem im Laufe der Geschichte ein bestimmter urbaner Verhaltenstypus Form angenommen hat. Historisch bleibe dieser an die europäische Stadt rückgebunden, die damit auch weiterhin die Bezugsgröße für jedwede Bestimmung von Urbanität sei. Asthetisierung und der Rückgang staatlicher und kommunaler Eingriffe und Investitionen im Stadtraum sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Staat und Kommunen fügen sich bereitwillig den Imperativen privater Produktionen, so daß eine affirmative, weil unentwegt an kurzfristige Erfolge gebundene Ästhetik eine neue und große Rolle in der Veränderung unserer Urbanen und privaten Welten spielt. Sharon Zukin (1991, 1998) hat überzeugend dargelegt, in welchem Maße Architektur und Design in ihrer Marktabhängigkeit heute den Gesetzen der räumlichen und zeitlichen Zwänge der Marktkultur unterworfen sind. Soweit Architektur und urbane Formen Entwürfe des multinational operierenden Kapitals sind, werden sie wie Waren produziert und folgen den gleichen Mustern von Standardisierung und Marktdifferenzierung.
Formgebung Stadtverschönerung im Sinne einer ästhetischen Stadtgestaltung und einer erlebniskulturellen Aufbereitung ihrer zentralen und zunehmend auch ihrer peripheren Räume durch die neuen Koalitionen von Stadtregime und Investoren ist ein unübersehbares Faktum universeller Asthetisierung. Warum aber ergreift diese Ästhetik der postfordistischen Massenkultur in so ausgezeichneter Weise den städtischen Raum in einer zugleich zentrifugalen und zentripetalen Bewegung, das heißt vom Zentrum in die Peripherie und umgekehrt von den Malis und Erlebnisparks an der Peripherie oder auf dem platten Umland konkurrenzvermittelt nach innen? Ein absolut zutreffendes und in die Platzhalterschaft für nahezu alle neuen städtischen Phänomene eintretendes Argument ist die Konkurrenz um wirtschaftliche Entwicklung, in der die Städte nicht mehr nur im nationalen Rahmen stehen. Rein kaufmännisch betrachtet handelt es sich dabei lediglich um Kundenbindung und touristisches Interesse. Auch gibt die Beobachtung, daß die Innenstädte politisch und sozial funktionslos geworden sind und 16
sich „nur noch" als Einkaufszonen eignen, ebenfalls einen richtigen Hinweis. Doch auch das bezieht sich nicht direkt auf die Formgebung. Der Punkt ist vielmehr, daß Einkaufen etwas anderes geworden ist als schlichte Daseinsvorsorge, es eine deutlich überschießende symbolische Wertzuschreibung erhalten hat. Die neue Urban political economy (Logan, Molotch 1987; Harvey 1991; Zukin 1991, 1995) geht von einem den Tauschwert steigernden oder mindernden Zusammenhang von städtischen Orten und Kultur aus. Kultur wird so nahezu ausschließlich instrumenteil als ökonomische Maßnahme der Bodenwertsteigerung begriffen. In bestimmten Arealen zeitgenössischer Städte ist das ein sicherlich nicht zu vernachlässigender Gesichtspunkt, wobei die sich daraus ergebenden sozialen Konsequenzen durchaus mitbedacht werden. In dieser Zielsetzung ist Asthetisierung ein zentrales, strategisches Mittel, das in seiner instrumenteilen Deutung ab ovo eingeführt wird. (Harvey 1991) Dabei bleibt die Frage ungestellt, warum es überhaupt als strategisches Mittel funktionieren kann. Daß es das tut, dafür sprechen ja bekanntlich sehr gute Gründe, wie etwa die Tatsache, daß das Projekt nach den USA nun auch schon eine Weile in Europa, vor allem in England und Deutschland mit großem Aufwand betrieben wird. Aber die „Effektivität" solcher Strategien bemißt sich nicht allein an den Bilanzen ihrer Projektoren, auch wenn diese das zweifellos so sehen. Auch in strategischen Zusammenhängen ginge es um die Herstellung eines städtischen Kulturzusammenhanges, und dessen „Erfolg" bemißt sich nach anderen Kriterien. (Noller 1999, 10) Mit unserer Untersuchung werden wir zeigen, daß dieser Kulturzusammenhang für die Stadt ebenso konstitutiv ist wie der soziale und ökonomische. 7 'Wir haben dazu gleichermaßen kultur-, kunst-, sozial- und medienwissenschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt und uns bemüht, sie methodisch zu verknüpfen. Historisch spannt sich ein Bogen von der ersten großen ästhetischen Vermittlungsleistung der Neuzeit, von Ambrogio Lorenzettis Darstellung des „Guten Regiments" und des „Schlechten Regiments" hin zu solch inszenierten Urbanen Räumen, wie der VW-Stadt in Wolfsburg und dem „neuen" Las Vegas. Ein weiterer zentraler Raum der Differenzvermittlung ist das Museum. Von hier führt der Weg zur „ausgestellten Stadt". Im abschließenden Kapitel wenden wir uns der Frage zu, welche neue Dimension der Ort-RaumDifferenz sich in den Medienräumen von Cyber und Internet aufspannt und wie darin die Strategien ihrer Vermittlung aussehen. 17
Stadt und Kultur Städtische
Dominanz
Moderne Kultur ist städtische Kultur. Zwar gibt es noch immer nichtstädtische, ländliche, native Kulturen. Doch die sind per definitionem nicht modern, da sie in nicht modernisierten Weltgegenden existieren. Daß sich auch diese Kulturen auf dem (erzwungenen) Rückzug befinden, mag allein schon die Not der Ethnologen verdeutlichen, denen ihre Gegenstände - archaische Stammeskulturen - abhanden kommen. Diese werden von der Industriekultur und der ausbeuterischen Landschaftszerstörung aufgerieben. Ethnologen wenden sich deshalb eben der Kultur der Industriegesellschaften zu, denen sie selbst entstammen. Seit Kultur selbstreflexiv wird, seit sie sich selbst zum Gegenstand wird und man sie als Entwicklungsprojekt menschlicher Zivilisierung begreift, wird sie an die Formen städtischen Zusammenlebens rückgebunden. Kultur ist danach ein kollektiver Zusammenhang. Und das Individuum, das im Zentrum des Zivilisierungsprozesses steht, ist ein kollektives Produkt. Wir haben in einer früheren Untersuchung (Dröge/Müller 1995, 92 ff.) diesen Punkt als den Beginn des sozialen Kulturmodells in den italienischen Stadtstaaten der Renaissance markiert. Der genetisch-erzieherische Aspekt dieses Modells bringt Kultur von vornherein als ein unausgesetztes Modernisierungsprogramm ans Licht der Welt. Diese Dynamik hat Kultur in europäischen und europäisch beherrschten Gesellschaften bei allen Retardierungen und Modellwechseln bis in die Gegenwart beibehalten. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert hat sich das mit der normativen Abwertung des Tradierten gegenüber dem unbedingt Neuen sogar noch erheblich beschleunigt. Nun tritt Kultur nicht mit ihrem Begriff, also mit ihrem Reflexivwerden ins Leben. Aber aus der Retrospektive einer durchgesetzten, dominanten Gemeinkultur handelt es sich vor diesem Zeitraum um lokal gebundene, um für sich je besondere Kulturen. Kultur wird in dem Moment hegemonial und expansiv, in dem man ihre Produkte nicht mehr begriffslos als natürliche Formen lokalen Zusammenlebens mit all ihren Artefakten, Festen und Riten versteht. Als Projekt zu sich selber kommend, findet Kultur eine soziale Basis in dem im nachantiken Niedergang wieder erstarkten Städtesystem, das in Europa in dieser Form bis heute nahezu unverändert fortbesteht. Hegemonial und expansiv wird Kultur natürlich um so leichter, als sich in ihr auch materielle Interessen ihrer Träger, in den 18
aufstrebenden Territorialstaaten solche der Fürsten und Könige artikulieren, nicht zu vergessen die große Vereinheitlicherin Römische Kirche. Ländlich-dörflichen Sonderkulturen mit ihren teils derben, teils auch aus obrigkeitlicher oder theologischer Perspektive suspekten Bräuchen geht es verschärft ans Leder. Die karnevaleske Kultur Rabelais', die Bachtin (1985) so eindrucksvoll analysiert hat, ist bereits kein Zeitgemälde mehr, sondern eine Reminiszenz. Die mittelalterlichen ländlichen Kulturen sind ausschließlich ortsfixiert. Sie beruhen auf einer Grundstruktur von Verwandtschaftsbeziehungen und auf durchgängiger Bekanntschaft. Gegen den umgebenden Raum als den Bereich des Fremden und Gefährlichen schließen sie sich ab. Auch in den wieder erblühenden Städten war die Ortsfixierung hoch. Zum Teil kann man das heute noch an Straßen- und Platznamen erkennen, die an die Separierung der Gewerke und damit an soziale Inklusionszonen erinnern. Kultivierung im neuen, sich selbst bewußten Sinne aber heißt auch, sich die Vermittlung mit dem Anderen und Fremden zuzutrauen. Selbstverständlich geht es dabei auch um das Aufbrechen lokaler Abkapselungen und um die Neufestsetzung der Inklusionsregeln, die neben Statusstandards auch solche der Kultur umfassen. Mithin darum, die Orte im Raum miteinander zu verbinden. Es beginnt die große Zeit der Bildungsreise. Sie nimmt die mittelalterliche Tradition der Peregrinatio Studiorum auf, ergänzt und erweitert sie und ersetzt sie schließlich.
Kulturzusammenhang Kultur ist deshalb städtische Kultur, weil Stadt nur als Kulturzusammenhang lebbar, ja überhaupt denkbar ist, das heißt mit disziplinierter und Regeln unterworfener Trieb- und Handlungskontrolle der Einwohner, ohne dauernden Mord und Totschlag. Stadtentwicklung ist - noch vor der Eliasschen höfischen Gesellschaft - historisch der primäre „Prozeß der Zivilisation". Der Umgang mit den Dingen reicht vom Kunsthandwerk bis zur Veredelung der Speisen, wie der Erfindung raffinierter Saucen durch die Köche der Katharina von Medici in dem diesbezüglich damals wohl noch etwas trostlosen Frankreich. Der hochkulturell besetzte Raum ist - trotz höfischer Hegemonie - immer ein städtischer gewesen. Deshalb ist nicht erst seit der Renaissance sondern bereits in den städtischen Gesellschaften der Antike - etwa in Hellas oder den phönikischen Städten - die Stadt der Raum, in dem das Ideal 19
einer humanen, gleichwohl stark exkludierenden Gesellschaft seinen Ort findet. Die städtische Kultur ist aber auch ein Feld sozialer Bewährung, in diesem Sinne gefährdet und gefährlich, auf jeden Fall ein riskantes Handlungsfeld. Sie ist damit auch anstrengend, nicht erst heute, da sie laut und penetrant geworden ist.8 Kultur ist so etwas wie eine Dichtefunktion der Stadt. Als Ort der Arbeitsteilung, das heißt der Heterogenität der Gewerke und Dienste und ihrer Angebote, verkörpert die Stadt schlechthin Fülle auf begrenztem Raum. Die darin versammelten Kompetenzen und Subjektivitäten, die sich in Haltungen und Konsumformen offenbaren, sind außerordentlich heterogen. Auch kennt die Stadt stets die Anwesenheit von Fremden in Gestalt von Händlern, Reisenden, Studenten, Diplomaten, Migranten. Es ist interessant nachzulesen, wie Pausanias in der ältesten überlieferten Reisebeschreibung, der Periegesis, aus dem zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung auf seiner Griechenlandreise den Umgang schildert, den der Fremde in den einzelnen griechischen Städten erfährt, und wie er danach das zivilisatorische Niveau der Städte beurteilt. Die Geschichte der Stadt ist die Geschichte des menschlichen Kulturprojekts, um dessen Gelingen und um dessen Definition freilich unausgesetzt gerungen wird. Sie ist deshalb auch die Geschichte ihrer Revolten und des Mißlingens des so anspruchsvollen Projekts, das sehr verschiedene Formen annehmen kann. Sie reichen vom Pogrom, dem Blutrausch und der Zerstörungswut über rabiate Geheimdienste und engmaschige Sozialkontrollen wie im Venedig der frühen Neuzeit. Auch kennen wir sie als Brot und Spiele, wie im Mediceer-Florenz oder als harsche Kommunaldiktaturen, wie zeitweilig im Mailand der Visconti oder in anderen italienischen Signorien. Schließlich begegnen wir ihnen in der zeitgenössischen Zitadellenformation (Friedmann 1986) der global cities vom Format New Yorks oder Los Angeles mit ihrer internen Peripherisierung (Sassen 1995). Aus den Widersprüchen des Projekts und seiner Geschichte folgt: Die Kultur der Stadt ist eine Aufgabe, kein Zustand. Diese Aufgabe erfüllt sich in einem kontrovers strukturierten Feld von Mächten und Interessen.
Ortsfixierung Es gibt ganz offensichtlich eine Präferenz für Ortsfixierungen. Wir wollen sie nicht anthropologisch begründen oder phylogenetisch aus archaischen Kulturzuständen herleiten. Vermutlich ist beides gar nicht zwang20
los möglich, auf jeden Fall nicht sinnvoll. Für uns ist das methodisch eine empirische Vorgegebenheit, die wir im Unterschied zum Wissen einfach als Folge der Körpergebundenheit aller Erfahrung betrachten. Die feministische Forschung hat deshalb zu Recht darauf hingewiesen, daß Körperwahrnehmung und Sinnesaktivitäten Differenzkriterien sind: Männer und Frauen - und natürlich jedes Individuum - haben unterschiedliche Ortswahrnehmungen. Sie erfahren Orte und deren interne Dingstrukturen deshalb nicht nur anders, sie ziehen auch die Ortsgrenzen nach außen von diesem Erfahrungs-Innen her anders. Orte können wir in erster Annäherung als Zonen oder Bereiche der Alltäglichkeit des Lebens betrachten. Sie sind durch Erfahrung gesättigt; man spricht auch von vertraut. Der Raum, in dem sich eine individuelle Biographie in der Zeit abspielt, ist sehr unterschiedlich dimensioniert. Er kann - auch heute noch - eine kleine Stadt ausfüllen oder, wie beim Jet Set der globalen Management-Elite, die ganze Welt umfassen. Er ist aber für jeden Menschen durch eine Ortsgliederung strukturiert. Dies trifft auch zu, wenn diese durch abstrakte Arrangements einer global culture mit sehr simplen Strukturen von hohem Wiedererkennungswert in Flughafenhallen, Hotellobbys, Hochhausentrees oder Edelrestaurants hergerichtet werden müssen. Also in den Räumlichkeiten, von denen Marc Auge (1994) als von „Nicht-Orten" redet. Doch gerade die Abstraktheit und die Repetition einfacher (wenngleich luxuriöser) Formen sichern hier Vertrautheit und damit hinterrücks wieder jenen Ortscharakter, den Auge gerade in Abrede stellt.
Kultur und Vermittlung Außerhalb der Stadt gibt es historisch nur Orte. Erst seit der Landflucht im Früh- und Hochkapitalismus kennt der Dörfler auch den Raum. Auch in der Stadt ist die Differenz zwischen Ort und Raum gering. Die Renaissance-Utopien (wie schon die auf eine bestimmte Anzahl von Personen beschränkte Politeia von Piaton) konzipieren die utopische Stadt in völliger Identität von Ort und Raum. Sie sind als Kritiken an der Realität, und zwar an der sozialen Realität zu lesen. Aber das in unserem Zusammenhang Interessante an den Utopien ist ja gerade, daß sie die Mängel der sozialen Wirklichkeit auch in deren räumlicher Organisation sehen. Weil die Stadt Ort kultureller Produktion ist, diese sich aber über Heterogenität herstellt - Dichte, Arbeitsteilung, Geldverkehr, die Anwesenheit Fremder
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- , ist sie auch Produzent einer Differenz von Ort und Raum. Utopische Entwürfe formulieren in ihrer Planungseuphorie zusätzlich die Hypothese, daß die Stadt diese Produktion genau beobachten und kontrollieren muß. Insoweit ist die Stadt eine paradoxe Voraussetzung der Evolution: Sie produziert Differenzen, die sie zwecks Uberlebens immer wieder vermitteln muß. Wobei die Stadt diese Paradoxie hervorbringt, solange sie existiert. Die Vermittlungen nennen wir Kultur. Andererseits ist die Bewegungsform dieses Paradoxons ein dauerhafter Modernisierungsmotor der Stadt und spätestens seit der Industriemoderne der Gesellschaft, der sie zugehört, auch deutlich als solcher erkennbar. Ständig müssen neue Mechanismen, Handlungsweisen und Symbolisierungen gefunden werden, um die Differenzen zu vermitteln. Das ist selten eine Creatio ex nihilo. Insofern ist die Rückseite der modernisierenden Innovation immer auch die Bildung von Tradition. Das gilt auch noch dann, wenn sich eine Zeit oder ihre kulturellen Repräsentanten als Traditionsbrecher begreifen, wie es die historischen Avantgarden (Futuristen, Dada) getan haben. Und es ist auch der Fall, wenn Traditionen nostalgisch simuliert werden, wie wir es gegenwärtig am Urbanitätsdiskurs beobachten können. Das ist nicht ungewöhnlich. Kulturelle Innovationen laufen im Zeitstrom vom Gegenwartspunkt aus rückwärts in die Vergangenheit. Zur kulturellen Erfahrung werden sie aber erst in der Re-Konstruktion. Nichts veranschaulicht das deutlicher als das Schicksal der avantgardistischen Kunst als Deutung einer Kulturepoche und Vorläufer der Jetztzeit. Unsere Schlußfolgerung lautet: Kulturelles Leben ist auch in der Moderne nicht zureichend bestimmbar ohne Berücksichtigung und Analyse der je spezifischen Formen der Differenzierung von Ort und Raum. Diese verweist uns auf die Stadt als den immer noch zentralen Ort von deren Produktion. Wenn wir dabei von Vermittlung sprechen, so meinen wir damit nicht: zur Deckung bringen. Wir verfolgen kein Konsensmodell, das nicht die Spur einer realen Verankerung besäße. Ort-Raum-Differenzen sind keine Ortskonstanten sondern Subjektkonstruktionen und insofern individuell hoch different. Kulturelle Vermittlungen sind generalisierte Symbolisierungen und Artefakte von hoher symbolischer Bedeutung, die diesen Konstruktionen entsprechend angeeignet oder im Handeln aktualisiert werden. Solche Prozesse produzieren individuelle Differenzen im kulturellen Habitus. Anders als manche Richtungen der Lebensstilforschung unterstellen (Hradil 1992; Schulze 1992), erfolgt die Ausbildung dieser Differenzen aber nicht durch freie Optionswahl in einem völlig undeterminiert gedachten Aneignungsprozeß. Sie ist vielmehr mitbedingt 22
durch Lebenslagen, materielle Ressourcen, Bildungsniveaus und zunehmend auch durch die Zugehörigkeit zu Altersgruppen. Auch soll hier kein doppelter Ursprungsmythos einer „ehemals" gegebenen Ort-Raum-Identität und eines „ehemals" gegebenen kulturell homogenen Zusammenhangs von Symbolisierungen entworfen werden. Soweit menschliche Erinnerung in Form von Schriftquellen zurückreicht, war - um uns dem zweiten Mythos zuerst zuzuwenden - kulturelle Teilhabe durch differentielle Formen der Aneignung der symbolischen Güter bestimmt. Sie war damit das zentrale Merkmal der jeweiligen Form des Systems der gesellschaftlichen Ungleichheit. Ebenso lange sind Ort-Raum-Differenzen nachgewiesen. Aber es ist ein Charakteristikum der sozialen Evolution, daß diese Differenz in markanten und Stadt- und kulturgeschichtlich benennbaren Schüben immer größer wird. Von einem bestimmten Punkt an wird sie als urbanes und soziales Großproblem wahrgenommen. Das geschieht zu Beginn und während der industriellen Urbanisierung. Für Marx ist Ortsfixierung noch Borniertheit. Doch bereits für Engels und die bald darauf einsetzende stadtkritische Literatur wird die wachsende Schwierigkeit, in den wuchernden Häusermeeren Lebensorte zu fixieren, bereits zum Fundamentalmangel städtischer Lebensweise.
Kulturmodelle Wenn die Stadt ein materialisierter, gebauter sozialer Raum differentieller kultureller Produktion ist, so ist das kein einsinnig kausaler Zusammenhang mit der Stadt als unabhängige und der Kultur als abhängige Variable. Kultur als Produktionsprozeß ist vielmehr ein resonanter, zirkulärer Prozeß. Das Resultat wirkt auf seine Ausgangsbedingungen zurück. Diese Zirkularität verstärkt sich solange, bis der Prozeß leer gelaufen ist oder ein extern verursachter Bruch auftritt. Ein Beispiel für das Leerlaufen ist der Historismus, dessen Erschöpfung Adolf Loos baulich, architekturtheoretisch und kulturkritisch markiert hat. Ein Beispiel für einen extern herbeigeführten Bruch ist das Ende des fordistischen Stadtplanungsparadigmas der autogerechten Stadt im Kreuzfeuer der sozialen, ökologischen und ästhetischen Kritik, überhaupt die Aufgabe des Gedankens rationaler Stadtplanung in den siebziger und achtziger Jahren. Die Kulturmodelle haben sich stets auf alle Zusammenhänge menschlichen Lebens bezogen. Als Produktionszentren der Formen des Zusammenlebens und seiner materialen Ausgestaltung haben Architektur und 23
Stadt zwangsläufig integral dazugehört. In Perikles Worten ist die athenische Demokratie die politisch-kulturelle Form, die von den Existenzbedingungen der Stadt hervorgebracht worden ist. Diese Form schafft ihre eigene ästhetische Repräsentanz in dem grandiosen städtebaulichen Komplex architektonischer Orte: Parthenon und Agora. Die Zirkularität des kulturellen Prozesses ergreift notwendigerweise auch die Stadt. Die Kultur, die in der Stadt produziert wird, reproduziert sich auch in der Form der Stadt selbst. Der Zusammenhang von Kultur und Stadt stellt sich für uns in diesen Kulturmodellen9 wie folgt dar: Das europäische soziale Kulturmodell, das sich im 14. und 15. Jahrhundert, ausgehend von Italien, herausgebildet hat, spannt einen großen Bogen bis in den Beginn des 20. Jahrhunderts hinein. Das Modell ist auf die innere und äußere Kultivierung eines Ich-starken Individuums zentriert. Wenn man die Geschichte zusammen mit Elias' Zivilisationstheorie liest, kann das kaum ohne schwerste Einschränkungen erfolgt sein. Dieser Kulturtyp, und darum handelt es sich bei dem in der Renaissance konzipierten Individuum, gilt als Zivilisationsmodell der ganzen westlichen Gesellschaft. Der Cortigiano10 ist eben nicht der Höfling von Versailles, auch wenn er ihm als Vorbild gedient haben mag. Denn dieser war von vornherein ein sozial isolierter und machtloser Elitetyp, ein versorgter Rentier und eine in ritualisierter Stereotypie erstarrte Marionette - das genaue Gegenteil des selbstbewußten, aktiven KulturtyPsIm sozialen Kulturmodell repräsentiert die Architektur die spezifische frühe Individualitätskonzeption und die ins Rauminnere gekehrten sozialen Beziehungen in übrigens keineswegs immer gelungenen Formen, wenn man etwa an die „brutalistische" Quaderfugung des Palazzo Pitti denkt. Im Gegensatz zur heutigen nostalgischen Verklärung der italienischen Renaissancestadt spricht deren Form keineswegs von einer gelungenen, im Sinne des Kulturmodells oder des Freskos von Ambrogio Lorenzetti kulturell vermittelten Sozialität. Das gilt erst recht für die politische und Sozialgeschichte. Ferner werden aus dem Kulturmodell nicht zuletzt aus diesem Grunde kontrafaktisch die zeittypischen städteplanerischen Utopien geschöpft. Von ihnen wurden in Tuscien drei oder vier begonnen, im Herzogtum Ferrara mit Sabbioneta ist wenigsten eine in Teilen fertig geworden. Im politischen Kulturmodell symbolisiert, genauer: allegorisiert sich die gleichsam ins Unendliche naturalisierte Macht („Tausendjähriges Reich" in Deutschland; die Erneuerung des Imperium Romanum in Italien) in 24
monumentalem Gestus. Das faschistische Kulturprojekt, das die avantgardistische Kritik an Elitismus und Solipsismus der bürgerlichen Kultur teilt, substituiert den Politisierungsgedanken durch ein reales, nach der Machtergreifung auch herrschaftsapparatives Primat der Politik. Kultur wird vollständig in staatliche Direktive genommen und von staatlichen Lizenznehmern - in den Mitgliederlisten der Einzelkammern der Reichskulturkammer - produziert, distribuiert und verwaltet. Es ist hinlänglich bekannt, daß dieses Kulturmodell in mehreren europäischen Ländern starke Tendenzen hatte, aber vollständig nur in Italien und Deutschland, wenn dort auch in jeweils unterschiedlichen Modi, durchgesetzt wurde. In diesem Modell, vornehmlich in Deutschland, findet die massenkulturelle Transformation der bürgerlichen Hochkultur statt. Die Nazis bedienen sich vor allem des ästhetischen Zentrums der Hohen Kunst und verallgemeinern dies. Ästhetik verliert damit ihre erkenntniskritische Funktion und ihre außeralltägliche Formbesonderung und wird Verschönerung. Man kann auch sagen: Mimesis wird zur Mimikry. Die Verallgemeinerung des Ästhetischen wird vor allem durch speziell produzierte unmittelbare und durch technische Formen der Mediatisierung getragen. Mit dieser Spezifizierung des Ästhetischen und dessen Mediatisierung „gelingt" den Nazis eine massenkulturelle Modernisierung, die in der nachfaschistischen Ära anschlußfähig und, jetzt unter anderen Bedingungen, bruchlos weiter entwickelt wird. (Dröge/Müller 1995, 229-298) Es ist übrigens bemerkenswert und für die materielle Grundierung des Modells nicht zufällig, daß sich der vorfordistische Kapitalismus, etwa in Paris oder im N e w Yorker Wolkenkratzerbau und dem des Stalinismus zur selben Zeit im selben klassizistischen Monumentalismus symbolisiert. In beiden Fällen geht es um planvoll gesetzte, um intendierte Ausdrucksqualitäten der Städte und ihrer Baulichkeiten. Darum geht es nicht mehr im ökonomischen Kulturmodell, das den seit der Rekonstruktionsphase der kapitalistischen Industriegesellschaften in der Nachkriegszeit vor allem in Deutschland immer stärker Kontur gewinnenden, dritten kulturellen Modellbildungsprozeß kennzeichnet. Dieser besagt in erster Annäherung ganz grob, daß das kulturelle System sektoral ausdifferenziert wird, wobei die historischen Träger der Differenzierung oft - j edoch nicht ausschließlich - avantgardistische oder revoltische Gruppierungen sind, die man heutzutage unter dem Sammelnamen Subkulturen vermarktet. Und die Sektoren werden Schritt für Schritt von außen nach innen, von den Subkulturrändern bis ins Zentrum der traditionellen Hochkultur kommerzialisiert. Unter Kommerzialisierung verstehen 25
wir hier das angebotsökonomische Finishing der Kulturwaren für einen zwar diversifizierten, aber potentiell unbegrenzten Konsumentenmarkt zahlungsfähiger Nachfrage. Ökonomisches und kulturelles System interpenetrieren wechselseitig. Damit deckt sich dieser Prozeß weitgehend und zunehmend mit dem, was heute Globalisierung heißt. Der Fordismus schafft in der ersten Phase des ökonomischen Kulturmodells mit dem Automobilismus als wirtschaftlichem Kernstück dieser Formation ein ganz neues, auf Mobilität gegründetes Lebensmodell. Die Stadterneuerung, die auf einer geplanten Zerstörung der alten Substanzen beruht, ist Teil der ökonomischen Strategie des gesellschaftlichen Regulationsmodells selber. Es führt zu den später viel kritisierten Trabantenstädten. Vor allem aber zu der polaren Entwicklung von Kernstadt und Suburbanisierung für den neuen Mittelstand in radialer Anordnung ohne tangentiale Verbindung. Das zieht eine gründliche Veränderung der Alltagskultur nach sich. Vermutlich wäre es ohne die enorme Expansion der industrialisierten Musikproduktion der Schallplattenindustrie, vor allem aber ohne Fernsehen als familiäres Lagerfeuer sozial gar nicht zu bewältigen gewesen: Insulierung von Lebenswelten, Änderung der Konsum- und Eßgewohnheiten - der Kühlschrank wird zum Massenkonsumartikel; Einkaufzentren entstehen für die verstreuten Großwohnanlagen und Mittelstandssiedlungen, was Tiefkühllagerhaltung mit geänderter Speisezubereitung (zunehmend auch unter anderen Rezepturen) nach sich zieht. Entwicklung der Stadtstruktur und der Lebenspraxis greifen hier wie bimetallische Getrieberäder des Modells ineinander. Die weiteren Transformationen der kulturellen Form dieser Lebenspraxis stützen sich auf diese Voraussetzungen. Die Kernstücke des fordistischen Lebensentwurfs - Mobilität, Dezentralisierung der Städte und deren immer dichtere Verkehrsvernetzung zu Land und in der Luft - verschwinden nicht einfach sondern bleiben massenattraktiv und Voraussetzung der weiteren Entwicklungen, die hier zur Debatte stehen. Sie differenzieren sich allerdings immer weiter aus im neuen agglomerativen Urbanismus. Durch die Veränderung der nachfordistischen Lebensgrundlagen, ζ. B. Veränderungen in der Sozialstruktur, in der gesellschaftlichen Produktionsbasis, in der Mediatisierung und in den Lebensstilen, wird die Ästhetisierung - Grundlage aller laufenden Formdifferenzierungen - eine entscheidende Stufe über die als monoton empfundene Formenwelt des Fordismus hinausgetrieben. Sie treibt damit einen Asthetisierungsprozeß, der vor über hundert Jahren mit der industriellen Vervielfältigung von Produkten der bürgerlichen Hochkultur zu Massenprodukten begann, 26
einem alles Hervorgebrachte umfassenden Höhepunkt zu. Das läßt uns und andere von ihrer Universalisierung sprechen. Diese beiden strukturellen Bedingungen des Kulturprozesses - OrtRaum-Differenzierung, zu der in der gegenwärtigen Moderne auch noch neue Modi des Zeitigens treten, und die Zirkularität des Prozesses - rechtfertigen es nicht nur sondern machen es zwingend erforderlich, sich kulturanalytisch mit den städtischen Veränderungen zu befassen, wenn man den Bedingungszusammenhang kultureller Konstitution unter der Ägide des ökonomischen Kulturmodells begreifen will.
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Ambrogio Lorenzetti, Buon Governo (Palazzo Pubblico, Siena 1337-1339)
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Die Erzählung vom „Guten Regiment"
Differenz ist keine postmoderne Errungenschaft sondern ein sozialer und kultureller Sachverhalt, der in wechselnden Erscheinungsformen die gesamte gesellschaftliche Evolution mit prägt und diese nicht zuletzt mit einer gewissen, zuweilen erheblichen Dynamik versorgt. Vor allem ist sie keineswegs nur eine Quelle reiner Freude, sondern auch ein Kristallisationskern menschlichen Leidens, das deshalb immer wieder Gegenbilder produziert, die die Differenzen mindern helfen. Beseitigung von Differenz oder mindestens ihre Verminderung ist ebenso ein aktuelles ideologisches Traktandum wie deren Verherrlichung; aber auch ebenso absurd oder gar gefährlich, wenn man an besonders regressive Formen, wie den Faschismus, denkt. Davor schützt das Gegenteil, die soziale Kälte des postmodernen und neoliberalen Differenz- und Individualisierungskults, keineswegs. In unserer Argumentation ist Differenz eine räumliche und raumzeitliche Dimension. Asthetisierung hat die Potenz, sie durch Vermittlung zu reduzieren. Asthetisierung ist in dem hier vorgeschlagenen Sinne, der nichts mit Verhübschung der Investorenarchitektur und der Uberzuckerung innerstädtischer Fußgängerzonen zutun hat, das mediale Rückgradt städtischer Kultur. Auf die komplexe Bedeutung der Asthetisierung gehen wir weiter unten ausführlich ein. (S. 94ff.) Statt dessen wollen wir an einem verhältnismäßig frühen Beispiel deutlich machen, was es mit der Differenz und ihrer Vermittlung eigentlich auf sich hat. Wir haben dazu jenen großartigen Freskenzyklus der allegorischen Darstellung des Buon Governo, des Guten Regiments, ausgewählt, den Ambrogio Lorenzetti zwischen 1337 und 1339 im Auftrag der Sieneser Stadtregierung, der Nove, auf drei Wände im Palazzo Pubblico verteilt hat. Insbesondere die Erzählung von den Vorzügen eines guten Stadtregiments geriet ihm derart eindrucksvoll, daß sie bis in unsere Zeit hinein ihre Ausstrahlungskraft beibehalten konnte. Dabei scheint das im Fresko thematisierte politische Programm der Utopie einer gelungenen städtischen Lebensweise ungebrochen. Zweifellos erzeugen Lorenzettis Freskenzyklus und unser subjektives Erleben von solchen Städten wie Siena, Florenz, San Gimignano oder Lucca eines der nachhaltigsten stereotypen Raumbilder europäischer Stadtkultur. Das Fresko ist in nuce der Prototyp 29
einer Projektionsfläche für die Sehnsucht nach einer ursprünglich intakten Stadtkultur. Als solche ist es aus den gegenwärtigen Urbanitätsdiskursen als künstlerisch formuliertes, im und als Bild gleichwohl eingelöstes Versprechen auf ein besseres Leben nicht wegzudenken. Es sind solche Erinnerungen - wie weit sie auch immer von jedweder Wirklichkeit entfernt sein mögen die in Zeiten des Zweifels Hoffnung auf all das nähren, was gegenwärtiges Stadtleben nicht bereithält. Dazu zählen eine harmonische Beziehung zwischen Innen und Außen, die Anwesenheit des Vielen in Gestalt unterschiedlicher Tätigkeiten und eine auf den öffentlichen Raum bezogene Privatheit, überhaupt die sichtbare Bedeutung des öffentlichen Stadtraums zur Vergegenwärtigung der Sinnhaftigkeit Urbanen Lebens. Somit sind also gleich drei Stereotype dessen, was die europäische Stadt aus heutiger Sicht noch bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts charakterisierte, in der Bilderzählung des Freskos vereint. Erstens ihre - dazu noch vom Ursprungsmythos beschienene - traditionelle Gestalt; zweitens der Dominanzanspruch urbaner Lebensweise (im Ausgleich mit einer zur Landschaft urbanisierten Natur); und drittens die Stadt in der Perspektive von Freiheit und Emanzipation. Eine vierte Dimension kommt hinzu, die heutzutage noch wichtiger geworden zu sein scheint angesichts der Tatsache, daß es die Gesellschaft, die diese Stadt hervorgebracht hat, ohnehin nicht mehr gibt: Es ist die immer perfektere Fähigkeit, all diese Stereotypen in differenten, gleichwohl homogenen Raumbildern ästhetisch zu vergegenwärtigen.11 Die Neigung, die Stadt nach Maßgabe ästhetisch hervorragender Gebäude zu kartographieren, damit ein von Zivilisations- und Modernisierungsschäden gereinigtes Raumbild einer neuen/alten Stadtkultur entstehen kann, trägt unverkennbar Züge einer musealisierenden Haltung dem Erleben von Stadt gegenüber. Sie verträgt sich bestens mit dem gar nicht elitär-kulturellen touristischen Blick, weil auch dieser am Häßlichen, Unangenehmen und sozial Depravierten kein Interesse hat, um so erwartungsvoller zur Monumentalisierung der hervorragenden Gebäude und Orte zu schreiten. (Groys 2000) Auf den damit verbundenen Ausstellungscharakter von Stadt werden wir an anderer Stelle ausführlicher eingehen. So sehr sich auch das Sieneser Fresko zur Rechtfertigung nostalgischer Leitbilder der europäischen Stadt eignet, bei näherem Hinsehen spricht es doch eine Sprache, die von einer derartigen Vereinnahmung erheblich abweicht - was sich nicht nur im Einsatz ästhetischer Mittel zeigt, wobei uns gerade dieser besonders interessieren muß. Es ist vor allem das hochgradig differenzierte Problem der Vergesellschaftung, die als Stadt und durch Stadt voranschreitet, von dem hier erstmals (und auf lange Zeit 30
einmalig) in der europäischen Stadt- und Kulturgeschichte außerordentlich gebildet und anschaulich erzählt wird. Das Fresko stellt den damaligen Stadtbürgern wie uns heute die Frage, woran sich dieser Prozeß der Vergesellschaftung eigentlich messen läßt, woran und als was er sichtbar wird, wie er also gegenständliche Form annimmt. Welches ist das große, gemeinsame Thema der Vergesellschaftung? Die Botschaft des Bildes ist eindeutig: Es ist die von Menschen mit Leben erfüllte Stadt als Ort einer von allen geteilten und gelebten Identität. Die Stadt: ein hier zu sich selbst kommendes Projekt, dessen vornehmstes Medium die Baukunst ist. Das Thema des Freskos ist darin aktuell. Wo wir spätestens seit Georg Simmel von der anhaltenden £nt-Ortung des Stadtraums sprechen, handelt das Fresko von der Ver-Ortung des Stadtraums, allerdings in einem Raum, der über den rein geographischen, durch Mauer und Stadttore markierten Ort der Stadt hinausgreift. Die Ver-Ortung des Stadtraums in der bildlichen Darstellung bleibt bei Lorenzetti erstmals nicht mehr auf die Stadt beschränkt. Damit versucht der Künstler, Ort und Raum, die zunehmend als unterschiedliche Erfahrungsräume koordiniert werden müssen, in einem künstlichen Bildraum neu aufeinander zu beziehen. Man könnte einen Schritt weitergehen und sagen, daß dieses Bild die bereits seit einigen Jahrzehnten für einen Teil der Gesellschaft (vornehmlich die reichen Zünfte) zur lebenspraktischen Erfahrung herangewachsene Differenz zwischen Ort und Raum aufzulösen versucht. Dazu aber bedarf es ihrer Veröffentlichung im Bild, um als Differenz erkannt zu werden, die bei aller weit gespannter historischer Distanz zur Blütezeit frühbürgerlicher europäischer Stadtkultur heute zu den zentralen Problemlagen urbaner Existenz zählt.
Vom Bild der Stadt Die europäische Stadt ist in der christlichen Glaubenswelt ein Ort, der immer auch über sich hinaus auf einen im Glauben der Menschen vorgestellten imaginären Raum verweist, dessen Anwesenheit im subjektiven Erleben des realen Stadtraums wir heute kaum mehr ermessen können. Vieles spricht dafür, daß die Differenz zwischen realer und virtueller Raumerfahrung in einem durch Liminalität charakterisierten Stadtraum weitgehend aufgehoben war. Die Stadt ist ein Konzept: das himmlische Jerusalem, dessen Stellvertreterin auf Erden Rom ist. Als real vorgestellter Raum erscheint die Stadt im 31
Mittelalter meist als Kreis. Seine Form umschließt einen aus vielen Orten zusammengesetzten Ort und symbolisiert so einen kollektiven Raum. Die Stadt ist im Grunde ein großer Haushalt. In den Etymologiarium libri (9.4.3.) heißt es bei Isidore von Sevilla: „Ein Haus ist der Ort der Familie, wie die Stadt der einer Bevölkerung und die Erde der Wohnort der ganzen Menschheit." Leon Battista Alberti vergleicht die Stadt mit dem Haus, und die verschiedenen Teile dieses Hauses seien wie kleine Häuser. Die Stadt ist in solch neuzeitlicher Sicht eine Akkumulation von Orten. Der Raum, der die Stadt umschließt, ist eine von Dämonen bewohnte und von Menschen weitgehend unberührte Natur. Ein abgewehrter Raum, wobei der Gegensatz von Ort und Raum hier noch als Gegensatz von Innen und Außen, als Positiv und Negativ erfahren wird. Dem entspricht, daß alles Schlechte, so auch Hinrichtungen, noch lange vor den Toren der Städte stattfindet. Eine Tafel in den Uffizien zeigt Ambrogio Lorenzettis wunderbare Darstellung des „Nikolauswunders" (1332), auf der das bedrohliche Außen in Gestalt eines hinzukommenden Fremden, genauer: des Teufels erscheint. Als Reisender verkleidet, verkörpert er die Gegenwelt zum Haus. Andere uns überlieferte Darstellungen, wie etwa jene Szene an der 1015 entstandenen Bronzetür des Doms in Hildesheim, zeigen die Vertreibung aus dem Paradies als Vertreibung aus der Stadt. Selbst als Ort der Reise erscheint die Stadt noch lange als ortsfixierte Größe, in der auf das Reisen in ortsabhängigen Hinweisen, wie Verlust oder Freude des Ankommens, Bezug genommen wird. Das gilt auch für solche Darstellungen der Stadt, die der Findung geographischer Referenzpunkte (etwa für Pilger) dienen. Der Raum wird darin durch Orte markiert, die nicht in einem Raum liegen sondern diesen überhaupt erst konstituieren. Raumdefinition und Raumwahrnehmung sind darum noch eindeutig ortsabhängig. Die Orte selber werden von wichtigen Bauten des Glaubens verkörpert. Wo diese über die von ihnen markierten Orte hinausweisen, geschieht dies hinsichtlich des von ihnen gemeinsam symbolisierten, spirituellen, imaginären Raums. Es ist die irdische, die vergängliche Welt, die die unsichtbare, himmlische und ewige Welt enthält. Generell können wir sagen, daß in den bekannten Stadtdarstellungen, so auch in Lorenzettis Fresko vom Buon Governo, gemäß der kulturellen, religiösen, ökonomischen und sozialen Bedeutung der Stadt Kohärenz vorherrscht. Inkohärenz ist als Eigenschaft immer dem Bild von der schlechten Stadt (Mal Governo) vorbehalten. Inkohärenz zeigt den Verlust des Ortes, der Ortsbezogenheit an: Der Blick zerfällt hier. Die Stadt aber dient der Verortung und führt zu der Gewißheit, daß an diesem Ort 32
A m b r o g i o Lorenzetti, Der hl. Nikolaus erweckt ein Kind zum Leben (1332, Uffizien, Florenz)
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das Gemeinsame Gestalt annimmt. Jan Assmann (1999, 130) nennt es das Wir und er spricht weiter davon, daß der Städter seine Individualität in der bewußt wahrgenommenen Differenz zum Draußen erfährt, so wie das Ich von außen nach innen wachse. Ein aus sich verstetigender Erfahrung in ökonomisch und politisch dominierenden Stadtrepubliken hervorgehendes Wissen von der Bedeutung dieses Vorgangs führt in Italien seit Beginn des 14. Jahrhunderts zu einer verstärkten Wahrnehmung der Schauplätze der Verortung und Bildung stadtbürgerlicher Identität. Nicht mehr nur der je einzelne Ort interessiert die Menschen, sondern das, was die Bauten, Plätze, Straßen, Begrenzungen und Umgebungen verbindet und was diese Verbindungen erzeugt, aber auch verhindert. Als Medium konzentrierter Vermittlung eignet sich die Malerei; und das tut sie noch einmal für uns, da sie neben zahlreichen schriftlichen Quellen 12 Zeugnis ablegt von der damals neuen Aufmerksamkeit dem städtischen Raum gegenüber. Tatsächlich setzt in dieser Zeit in der italienischen Malerei eine Veränderung in der Bedeutung räumlicher Situationen für und durch Bilderzählungen ein. (Kemp 1996, 9) Noch in den Bildern Giottos dominieren Orte, die ohne räumliche Verknüpfung auskommen und wo dessen Figuren kaum mit ihrem architektonischen Hintergrund interagieren. Die Bauten wirken wie entfernt vom Leben, so auch der uniforme blaue Himmel. Solange der Kontext von Kunst religiös ist, bleiben Räumlichkeit und Geschichte im Bild abwesend. Wenn wir in diesem Zusammenhang von Raumerfüllung sprechen, dann setzt dies das Entstehen von Orten voraus, die von Menschen besetzt werden. Das Dazwischen ist unerfüllter Raum. Erst die Wechselwirkung zwischen Orten sorgt für Erfüllung: Die Wechselwirkung aber ist medial bestimmt. Wobei das alles zwischen Räumen, die durch Substanz und Tätigkeit erfüllt sind, eine räumliche Konstruktion jedweder Art sein kann; genauer: jedweder Medialität und deren Vergegenständlichung. Nachfolgend geht es um eben diese Bedeutung als Emanzipation einer raumfüllenden Tätigkeit gegenüber einer Ortsfixiertheit, in deren auf die Virtualität eines jenseitigen Raums bislang beschränktem (man könnte auch sagen: grenzenlosem) Horizont die Geld- und Handelsgeschäfte der städtischen Bourgeoisie als höchst konkrete raumgreifende Erfahrung nicht mehr vermittelt werden können. Die in der Ort-Raum-Differenz gelagerte Komplexität wächst und führt zur Entwicklung und Erprobung neuer medialer Vermittlungsformen. Als solche dienen das Bild und insbesondere der von Lorenzetti geschaffene Freskenzyklus. 13
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Siena Halten wir uns eine seit knapp 200 Jahren freie italienische Stadtrepublik vor Augen, die sich in den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts auf dem Höhepunkt ihrer bisherigen politischen, ökonomischen und kulturellen Entwicklung befindet. Flankiert von einem differenzierten Netz verschiedener, für damalige Verhältnisse demokratisch gewählter Institutionen und Gremien hatte seit gut 50 Jahren (1287) eine durch den Rat der Nove gebildete Regierung erfolgreich für innere Stabilität gesorgt. Diese neun Herren wurden alle zwei (!) Monate neu aus dem Kreis des Popolo Grasso, der Schicht der Bankiers und Kaufleute, gewählt. Nach außen hin hatte man machtpolitisch einen Ausgleich mit Florenz gefunden und sich sogar mit der Hafenstadt Talamone 1305 einen freien Zugang zum Mittelmeer erobert. In dem von Siena beherrschten Territorium lebten um 1340 etwa 100.000 Menschen. Handel- und Bankgeschäfte und ein produktives lokales Kleingewerbe trugen zu einem wirtschaftlichen Wohlstand bei, der einem Vergleich mit demjenigen von Florenz durchaus standhalten konnte. Infolge hoher Steuereinnahmen erlebte Siena eine nicht minder bemerkenswerte kulturelle Blüte, was sich in der Malerei (mit Duccio, Simone Martini und den Gebrüdern Lorenzetti) ebenso niederschlägt wie in der vorbildlich beherrschten Kunst, die Stadt nach Maßgabe der Schönheit zu formen. So übertreiben wir nicht, wenn auch wir die Auffassung teilen, daß man in Italien keinen schöneren Platz findet als den Campo Sienas samt Rathaus, seinem von Lippo Memmi entworfenen Torre del Mangia und den Stadtpalästen der großen Magnatenfamilien, deren auf den Campo ausgerichteten Fassaden sich in ihrer Einheitlichkeit einem gemeinsamen Gestaltungswillen unterordnen. In diesen Jahrzehnten hatte sich bei den Einwohnern Sienas, wie auch bei denen anderer italienischer Stadtrepubliken, mehr und mehr die Uberzeugung durchgesetzt, daß ihre Stadt nicht nur der Ort ihres Gemeinwohls sondern dessen entschiedener Konstitutionsfaktor ist. Man begriff, daß die Organisation des städtischen Lebens unmittelbar mit der Gestalt der Stadt zu tun hat, von deren maßvoller Schönheit man sich einen Einfluß auf das Verhalten der Menschen versprach. Die Stadt wird dabei zu einem Medium, in dem man lernt, das Gemeinsame ebenso wie das Unterschiedliche zu vermitteln. Es wird für die Identität, die ja keineswegs als konstant und gesichert gelten kann, wichtig, sich gegenseitig der Bedeutung des Ortes und seiner Symbolisierungen zu vergewissern. Der Ort ist kulturelle Bedingung, Ausdruck und Ziel des gesellschaftlichen Reichtums
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in einem. Von ihm aus erobert man den Raum und überzieht ihn mit den Segnungen städtischer Ordnung. Als Folge entsteht ein Modell der italienischen Stadtrepublik der frühen Neuzeit, das sich dadurch auszeichnet, daß in Städten wie Siena, Florenz, Lucca oder Pisa das Bild einer Urbanen Idealität (verglichen mit späteren utopischen Stadtkonzepten) durch die lebendige Vielheit des Vorhandenen erzeugt wird. Dies wirkt sich auf die Stadtgestaltung aus und findet in dieser seine ästhetisch räumliche Entsprechung. In unvergleichlicher Gleichzeitigkeit entstehen soziale und räumliche Verhältnisse, in denen Stadtkultur als Konstituens erstmals bewußt wahrgenommen und in einem neuzeitlichen Sinne artikuliert wird. Der produktive Faktor dieser Entdeckung ist die von weitgehend allen Stadtbürgern geteilte Aktivität des Lebens. Im Augenblick ihrer bewußten Wahrnehmung führen ihre Begeisterung und Uberzeugungen, aber auch das Erschrecken angesichts des Wissens um die Gefahren eines Scheiterns zu jenem utopischen Überschuß (als Vermittlung), der Urbanität seitdem in vielfältigsten Ausformungen begleitet. Wobei wir uns in der Blütezeit der italienischen Stadtrepubliken im 14. und frühen 15. Jahrhundert noch ganz in der Phase des statischen Raummodells bewegen, in dem die Dynamik des Wachstums noch nicht als Grund der Expansion der Stadt zu erkennen ist. 14
Das Fresko Bernardino von Siena erinnert 1427 in einer Predigt auf dem Campo die Einwohner Sienas an Lorenzettis Fresko mit folgenden Worten: „Als ich außerhalb von Siena war und über Krieg und Frieden predigte, dachte ich an das Bild, das ihr malen ließet und das gewiß eine sehr schöne Erfindung ist. Wenn ich mich dem Frieden zukehre, sehe ich da die Handelsleute umhergehen, ich sehe Tänze, sehe wie die Häuser geflickt werden, sehe in den Rebbergen arbeiten und wie auf den Feldern gesät wird, wie andere zu Pferd zum Bade reiten; ich sehe auch Mädchen zur Hochzeit gehen, sehe die Schafherden und vieles andere mehr. Außerdem erblicke ich da einen Mann am Galgen, der aufgehängt wurde, um die Gerechtigkeit zu wahren. Und um all dieser Dinge willen lebt jeder in heiligem Frieden und in Eintracht.Wenn ich mich dagegen zur anderen Seite wende, sehe ich keinen Handel, keine Tänze, aber ich sehe wie einer den anderen umbringt; man flickt keine Häuser, sondern zerstört und verbrennt sie; man bearbeitet nicht die Felder, schneidet nicht die Reben, man sät nicht, 36
man geht nicht zum Bade, noch pflegt man irgend etwas von den andern wonnevollen Dingen. Ich sehe außerhalb des Tores weder Frauen noch Männer, aber den Erschlagenen, die Vergewaltigte; da gibt es keine Herden, es sei denn als Beute. Männer töten sich aus Verrat gegenseitig; die Gerechtigkeit liegt am Boden; ihre Waage ist zerbrochen und sie selbst an Händen und Füßen gefesselt. Und alles, was einer tut, tut er in Angst." 15 Bei dieser „schönen Erfindung", bei deren Erwähnung auch neunzig Jahre nach ihrer Entstehung ein Prediger wie Bernardino sicher sein konnte, daß seine auf dem Campo versammelte Zuhörerschaft wußte, wovon er sprach, war Lorenzetti in der Wiedergabe der Stadt mit außerordentlicher Originalität vorgegangen. Chiara Frugoni (1991, 142) bemüht den Vergleich mit einer Darstellung zu Anfang des Jahrhunderts in Assisi, wo Giotto die Antithese zur Stadt noch im selben Bildraum erscheinen läßt. Lorenzetti hingegen bildet beide getrennt auf zwei Wände des Sitzungsund Empfangssaals der neun Regierungsmitglieder ab. Beim Eintritt in den Saal der Nove ist man zunächst der schrecklichen Allegorie der Tyrannei und ihrer verheerenden Auswirkung auf Stadt und Land konfrontiert. Die Wand rechts davon nimmt die Allegorie der guten Regierung ein, deren Auswirkungen auf einer weiteren Wandfläche ereignisreich erzählt wird. Dabei wird der Darstellung des die Stadt umgebenden Naturraums, des Contado, ebensoviel Platz eingeräumt wie dem Leben in der Stadt, die unschwer als Siena zu erkennen ist. Körper und Raum Die weitere und vorrangige Beschäftigung mit diesem Fresko läßt leicht eine Transkriptionsleistung übersehen, die für das hier thematisierte neuartige Raumverständnis nicht minder wichtig ist. Denn vergessen wir nicht, daß der bildnerischen Darstellung des Guten Regiments als Einheitsraum von Stadt und Land die allegorische Interpretation des Bon Governo vorausgeht. Lorenzetti hat dazu auf der mittleren der drei großen Wandflächen annähernd achtzig Körper versammelt, die er in einen bühnenartig aufgebauten Raum hineinstellt, der als Raum allerdings sehr unbestimmt bleibt. Bei der Vielzahl der Körper handelt es sich um in Gruppen unterteilte Repräsentanten des Stadtbürgertums, begleitet von Soldaten, Adeligen, Sträflingen sowie Darstellungen der Tugenden und Engel. An ihnen fällt auf, daß sie durch eine Kordel, die sie in ihren Händen halten, miteinander verbunden sind. Es ist das doppelte Band der Gerechtigkeit, das den 37
Ambrogio Lorenzetti, Buon Governo (Palazzo Pubblico, Siena 1337-1339)
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Ambrogio Lorenzetti, Buon Governo (Palazzo Pubblico, Siena 1337-1339)
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Ambrogio Lorenzetti, Buon Governo, Detail: Concordia (Palazzo Pubblico, Siena 1337-1339)
Bürgern von der Concordia zu einer Kordel gedreht in die Hand gegeben wird. Dieses Band legen sie wiederum in die Hand eines „Gran Vecchio", eine sie überragende imposante Erscheinung am mittleren rechten Bildrand des Freskos. Es ist die Verkörperung der Civitas, die alle Körper und Attributierungen symbolisch vereint. Alois Riklin (1996, 9 f.) beschreibt diese Figur als einen würdevollen alten Mann auf einem Thron, „offensichtlich ein Regent, ausgestattet mit einem goldenen Zepter und einem goldenen Schild. Er ist vornehm gekleidet in den weiß-schwarzen Farben der Republik Siena. Um sein Haupt lesen wir die Initialen C.S.C.C.V., wahrscheinlich die Abkürzung für Commune Senatum Civitatis, Civitatis Virginis [Kommune der Stadt der Sienesen, Stadt der Jungfrau]. Auf dem goldenen Schild, dem Stadtsiegel von Siena, erkennen wir Maria mit dem Jesuskind und zwei vor ihr knienden Schutzheilige". In der Darstellung der Folgen des Guten Regiments gelingt es Lorenzetti, die allegorische Summe aller in einem menschlichen Körper vereinten Stadtbürger in einen realen Bildraum zu übertragen. Eine Körpergröße wird dabei zu einer Raumgröße. Der Körper der Civitas kann als Einheit von urbanem und landschaftlichem Raum gesehen werden, wie umgekehrt die Konfiguration des Raums ihre Entsprechung in diesem einen menschlichen Körper findet. Doch ist das alles noch sehr weit entfernt vom Zweifel eines Thomas Hobbes an der Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln der in ihrem Egoismus gefangenen Menschen. Hier hindert die Kontingenz in der Vielfalt die Menschen daran, das Gesamte gegen äußere Feinde zu schützen. Alle Kräfte respektive Körper sind in einer Person vereint: dem Leviathan (1651), der die Körper dominiert. In seiner anthropomorphen Gestalt ist Civitas hier, ausgestattet mit Bischosstab und Schwert, ein Körper, der Stadt und Land bedroht.
Stadt und Land Die Schnittstelle zwischen der Stadt (Ort) und dem Contado (Raum) bildet die prächtige Stadtmauer mit einem geöffneten Stadttor. Es symbolisiert den regen Austausch, der zwischen Ort und Raum stattfindet. Der Weg vom Ort in den Raum führt sanft hinaus. Was der hoch zu Roß ausreitende Herr überblickt, ist eine von Menschen bearbeitete Naturlandschaft, ein Einheitsraum, in dem die gewellte, die gerundete Form gegenüber der Horizontalen und Vertikalen der Stadt vorherrscht. Die Weite des Raums ist die bis an den Horizont reichende Wiederholung jener Bewegung, die 43
Ambrogio Lorenzetti, Buon Governo, Detail: Vor der Stadt (Palazzo. Pubblico, Siena 1337-1339)
das Verlassen des Ortes sofort charakterisiert. Auch der Straßenverlauf erscheint angenehm: die Straße, die zur Stadt führt, ist gepflastert. Das alte Oppositionsschema Innen und Außen wird zugunsten der Beschreibung eines Austauschprozesses aufgegeben; was um so bemerkenswerter ist, weil hier nicht nur Siena als Stadt die Gute Regierung verkörpert sondern auch das Außen als die wirkliche Umgebung Sienas wiedergegeben wird. Im Mal Governo läßt Lorenzetti Timor (Furcht) im Volgare sagen: ,,P[er] volere elbenproprio i[n] questa terra - som[m]esse la giustitia atyrannia - unde p[er] questa via - no[n] passa alcun se[n]ca dubbio dimorte - che fuor sirobba e dentro daleporte - " . [„Weil in diesem Land jeder das eigene Wohl verfolgt, ist die Justitia der Tyrannei unterworfen. Deshalb kann auf dieser Straße niemand mehr gehen, ohne für sein Leben fürchten zu müssen".] Demgegenüber garantiert das Buon Governo den sicheren Aufenthalt in Stadt und Land. Davon kündet der Schriftzug, den die der über dem Stadttor schwebende Securitas in ihren Händen hält: „Senca paura ognuom franco camini - elavorando semini ciascuno." [„Ohne Angst gehe jedermann frei seines Weges und jeder säe dank seiner Arbeit."] Davon erzählen befestigte Straßen, die zwischen den Orten verlaufen und so das Netz eines freien, sicheren Raums formen. Das alles ist sichtbar festgehalten. Das Bild bringt, so ließe sich sagen, in umfangreicher Erzählung etwas Substantielles auf den Punkt. Es faßt zusammen, greift voraus, konstruiert und konstituiert neu in der Vermittlung. Es ist nicht nur Bote - von A nach Β - , das Nach ist sowohl Α als auch Β und darin das antizipierte Resultat des in der Vermittlung enthaltenen Gelingens. Das Netzwerk der Kommunikation (Straßen) ist Ausdruck des Hegemoniebestrebens Sienas über den Contado. Das architektonische und landwirtschaftliche Muster der Landschaft war zu dieser Zeit vom Willen und dem Kapital der Stadtbewohner beherrscht. Die Häuser stehen frei, Mauern müssen sie nicht mehr schützen. Das alles muß für damalige Augen außerordentlich neu gewesen sein. So wird man den didaktischen und politischen Hintergrund in Lorenzettis Erzählung nicht übersehen können, die aber in die natürliche, vertraute Umgebung des Betrachters eingetaucht ist. Alles erscheint dem Betrachter als Realität, die doch künstlich ist und selbstverständlich auch als Propaganda des Rates der Neun gelesen werden muß.
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Arbeit und Genuß Die große Bedeutung, die im Fresko der Landschaft und ihren Arbeiten zuteil wird, ermißt sich an der Transformation des Ortes. Ohne Landwirtschaft als Motor dieser Entwicklung wäre an eine Zunahme der Stadtbevölkerung und deren Versorgung mit Nahrungsmitteln nicht zu denken gewesen. So ist Landarbeit keine Verdammnis mehr, nicht länger die Folge des Sündenfalls. Im harmonischen Zusammenwirken aller .Künste' und Gewerbe darf die Agrikultur nicht fehlen. Einmal mehr zeigt Lorenzetti, daß der Contado zur Idee der Civitas gehört. Denn sie besagt, daß Arbeit keine Sünde ist, sondern von Menschen ausgeübt wird, um Gott zu gefallen. Die sehr konkrete und lange umkämpfte Auflösung der feudal bestimmten Differenz der Stadt zum Land wird als Gewißheit im Sinne lebenspraktischer Erfahrung und Möglichkeit durch die Konstruktion eines Einheitsraums als Bildraum verstärkt. Das setzt voraus, daß die Stadt als Ort den Raum integriert und dieser so zu einer ortsbezogenen Größe heranwächst. Von diesem Perspektivwechsel des Raums bleibt der Ort nicht unbeeindruckt, da in ihm - neben der bisher vertrauten Ortsfixierung - nun auch vermehrt raumgreifende Erfahrungen zur Geltung kommen; was wiederum die Voraussetzung dafür ist, den Ort als eine ganzheitliche Struktur von Objekten zu begreifen. Auch wird man nicht erst dann von Landschaft sprechen können, wenn „sie selbst ein in sich geschlossenes Ganzes, eine in sich ruhende und sich genügende Welt darstellt". (Eberle 1980,99) Zeigt doch gerade das Fresko, daß mit dem Eintritt des Städtischen als ein letztlich infinit zu verallgemeinerndes Prinzip menschlichen Daseins der Naturraum nur deshalb zur Landschaft wird, weil eine alte Differenz aufgelöst wurde und über den Weg der Homogenisierung der Primat der Stadt als Ort Jahrhunderte später vom Primat des Raums abgelöst wird. Im Verlauf von gut 500 Jahren findet somit eine Differenz-Umkehr statt. Und: Landschaft ist immer nur in Bezug auf ein ortsfixiertes Subjekt denkbar. Es ist die urbane Erfahrungswelt, die Landschaft - als ästhetisches Raumbild - produziert, sie gleichsam in die Natur hineinsieht. Sie ist - auch schon im Falle des Lorenzetti-Freskos - in der Weise das Theater' subjektiv verarbeiteter, gemeinschaftlich gedachter Wunschprojektionen, wie sie, so Uta FeldgesHenning (1972), .theatre for some mechanical arts' ist. (Eberle 1980, 104) Es bleibt daher paradox, daß in einem historischen Augenblick, da Stadt und Land beginnen einander gegenüberzutreten, die jetzt sichtbare, stu46
dierbare, zu beobachtende Differenz von Beginn an einhergeht mit dem Bemühen um Einheit, wofür es wirtschaftlich, sozial und kulturell genügend Anhaltspunkte gibt. Das im Bildraum dargestellte Einheitliche ist der Raumbezug, den beide teilen, wenn auch ungleichgewichtig. Lorenzettis Fresko ist der erste medial vermittelte Beweis für die anhaltende Urbanisierung des Landes. Das aber heißt auch, daß sich Gesellschaft und Natur annähern. Es ist diese Annäherung, ob als Illusion, Wunsch, Zwang, Propaganda, die Raum für ästhetisch mediale Vermittlungsleistungen frei gibt. Das Einheitliche ist gleichwohl noch nicht in nur eine Blickperspektive gezwungen. Eine Differenz zwischen Stadt und Land bleibt gewahrt. Die Aufhebung der bisherigen Differenz erfolgt empirisch. Stadt und Land haben noch keinen einheitlichen Fluchtpunkt (den sie mit Beginn des 20. Jahrhunderts dann auch wieder verlieren werden). Das Bild ermöglicht aber erst dadurch eine Sicht, „die den Betrachter zwischen zwei Möglichkeiten des In-der-Welt-Seins" setzt (ebd., 111): die gleichzeitige Anwesenheit des Gegensätzlichen wird so zur Erfahrung, die zugleich eine sehr lebensnahe, sehr realistische Erfahrung und Gefahr zu jener Zeit war. Der Betrachter steht dieser Welt gegenüber, er ist in dieser Welt. Aber es wäre irreführend zu sagen, er tue dies ganz ohne „ästhetisches Genießen" (Eberle). Abgesehen von der sprachlichen Irreführung (geht es doch um ästhetischen Genuß) verdeckt die Ubertreibung, daß die Wahrnehmung des Freskos von der in der Lebenspraxis verschieden ist: durch die simple Tatsache des eingeschalteten ästhetischen Mediums und der vorausgesetzten Fähigkeit des Betrachters zur ästhetischen Abstraktion bei aller Dominanz im Narrativen. Man muß nicht vom ästhetischen Genießen sprechen um festzuhalten, daß der ästhetisch sinnliche Reiz des Freskos gerade in der gleichzeitigen Veranschaulichung der bildräumlichen Anwesenheit des Jetzt, des Noch-nicht und des Nicht (Mal Governo) liegt. Genuß setzt sicherlich dort ein, wo Form und Inhalt aufgrund der hohen formalen Qualitäten des Freskos im Wiedererkennen, im Staunen oder Erschrekken, in der Umsetzung eines Mediums in ein anderes wahrgenommen werden. Lorenzettis Fresko ist keine Bibelstunde, sondern ein Spektakel, ein Augenreiz erster Güte, überwältigend und belehrend, beides in der Schönheit des Dargestellten vereint. Und diese Schönheit, vor allem die der Stadt, wird auch genossen.
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Differenzwahrnehmung Wir haben gesehen, daß Stadt und Land ein räumliches Ganzes formen: die Stadtrepublik Siena. Der Raum, das Außen, steht dabei ganz und gar unter den Maßstab setzenden Handlungen, Symbolisierungen und Attributen der Stadt. Der O r t vereinnahmt den Raum. Das heißt aber auch: Der O r t dehnt sich in den bis dahin abgewehrten Raum aus und weist so über sich hinaus. Ansprüche und Verantwortung wachsen, die Strukturen werden komplexer, sie verschränken sich miteinander, und gewohnte Differenzen verwischen. Dadurch wächst die Notwendigkeit, Veränderungen, die durch die Verschiebung der Differenzen entstehen, neu zu vermitteln. Dieser Prozeß ist ganz offensichtlich weder rein kognitiv noch im alltäglichen Erfahrungsablauf hinreichend präsent und nachzuvollziehen. Ihn zu vermitteln ist von anderem Rang als die Veranschaulichung der Bibel für leseunkundige Laien, wie es Bernard von Clairvaux dachte. Vermittlung geht über die traditionellen Grenzen des Bildhaften hinaus, weil sie den Bildraum neu formt. Das Medium besetzt einen weiteren Raum, indem es diesen teilweise erst herstellt. U m das zu erreichen, durchbricht Lorenzetti den „ungleichmäßigen und kontraktiven" mittelalterlichen Raum der Orte und erschließt einen „homogenen und extensiven R a u m " des Raumes. 1 6 Erst die Stadt macht die Differenzwahrnehmung möglich. Das Außen ist nicht mehr die bloße Natur, Aufenthalt des Schlechten; sondern jetzt ein Raum, wie er sich analog in der Florentiner Domkuppel zu einem architektonischen Raum verdichtet, eine Projektion, die den Natur- und Landschaftsraum in der klaren Gestalt der Domkuppel anschaulich macht. Es ist die Anwesenheit des Außen - hier: des realen Außenraums - im Inneren der Stadt. O r t und Raum erscheinen zugleich an einem Ort, die Stadt greift in den Raum hinaus und zieht ihn symbolisch in sich hinein. Erst die Wahrnehmung der Natur als Raum macht aus ihr eine Landschaft. Es ist die Erfahrung des Orts, die zur Raum-Wahrnehmung befähigt. Die Konstitution des Orts geht derjenigen des Raums voraus; beide gehören jedoch zusammen. Raumwahrnehmung hat also die Konstitution des Orts zur Voraussetzung. Damit ist die Wahrnehmung von Differenz konstitutiv und führt gleich zu Beginn zu einer grandiosen Vermittlungsleistung: Lorenzettis Fresko als Eroberung des Bildraums in der Malerei. Die Vermittlung, so ließe sich auch sagen, gelingt bildnerisch nur über den innovativen Schritt der Analogie von erobertem Natur- und Bildraum. Anders ausgedrückt: Die 48
Notwendigkeit der Differenzvermittlung führt zu einer neuen medialen Ausdrucksleistung. Das einheitliche Element ist in beiden Fällen der Raum, der als übergeordneter Faktor die verschiedensten Naturelemente zusammenfasst. (Feldges-Henning 1972) Lorenzetti erobert das Bild als Raum, er stellt eine Analogie her zwischen dem Wahrgenommenen und dem Medium, das das Wahrgenommene in eine Bildrealität umformt. Die Malerei selber vollzieht den Schritt von der Orts- zur Raumqualität. Lorenzetti ist es gelungen, die neue Raumdimension in den Bildraum zu übertragen. Er verwendet dies als Ausdrucksmittel dort, wo er in der Komposition des Mal Governo bildräumliche Dissonanzen einsetzt gegenüber einer harmonischen Bildraumgestaltung beim Buon Governo.
Grenzziehung
und
Grenzüberwindung
Auf Lorenzettis Fresko ist die ganze Stadt das Symbol, denn hohe symbolische Einzelaufladungen sind nicht zu erkennen. So wirkt der Dom - an dessen den Ort sprengender, raumgreifender Erweiterung man in Konkurrenz zu Florenz bereits arbeitete - am oberen linken Bildrand wie gerade noch hinzugesetzt. Auch wird man den Ort des Freskos, den Palazzo Pubblico, vergeblich suchen. Anders verhält es sich mit der Stadtmauer als der bis dahin gebräuchlichsten Grenzziehung von Ort- und Raumerfahrung. Wir vermuteten bereits, daß diese Grenze in ihrer symbolischen Aufladung doppelt konnotiert sei. Sie ist einmal das, was sie als Mauer ist: eine wehrhafte, zinnenbekrönte Anhäufung von schwerem Steinmaterial. Zugleich erscheint sie aber auch in dem, was sie überwindet und in den außerstädtischen Raum transzendiert, der juristisch, politisch, ökonomisch und sozial (die Villen der Städter im Contado) auf den Stadtraum als Ort der Vergesellschaftung somit bezogen bleibt. In ihrer Symbolik ist die Mauer höchst ambivalent; sie zu begreifen, setzt beim Einzelnen ein gewisses Abstraktionsvermögen voraus, besser, ein Vorstellungsvermögen, das wiederum Kenntnis voraussetzt. So gesehen ist die Mauer in Lorenzettis Fresko Ausdruck einer intellektuellen Leistung: sich nämlich innerhalb ihrer Grenzmarkierung der durch sie symbolisierten Notwendigkeit der Grenzüberschreitung bewußt zu werden. Die Mauer hätte somit eine körperliche und eine kognitive Dimension. Sie trennt nicht nur, sie vermittelt auch, und das nicht von ungefähr mithilfe des Mediums ihrer so
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Ambrogio Lorenzetti, Buon Governo, Detail: Stadtmauer (Palazzo Pubblico, Siena 1337-1339)
oft gerühmten Schönheit, für deren Begründung ihre fortifikatorische Funktion allein nicht ausreicht. Als ein mit Bedeutungen besetzter und zu besetzender Raum zwischen zwei Orten, hier dem der Stadt und dem des Landes als den jeweiligen Bezugshorizonten vieler Orte, ist die Mauer nach unserer Definition ein Dazwischen. Als eine relativ stabile Raumkonstitution wird sie als Dazwischen zwischen Ort und Ferne in der alltäglichen Lebenspraxis von der Körperlichkeit der Subjekte erschlossen. Die Mauer erfüllt aber auch eine weitere Bedeutung, für die wir uns von der Körperzentriertheit der Orts- und Raumerfahrung lösen müssen. Als Dazwischen besitzt sie ihre zweite Bedeutung in ihrer kognitiven Dimension. Sie ist damit das geradezu klassische Sinnbild einer modernen und ununterbrochenen Erfahrung von Grenzverwischung und Grenzauflösung in Wahrnehmung und Praxis des Grenzüberschreitens, der Verwischung von Innen (Ort) und Außen (Raum). Da die Mauer in ihrer zweifachen Bedeutung nicht eindeutig ist, weder nur Objekt körperzentrierter Erfahrung im Verweis auf den geschlossenen Stadtraum noch nur Grenzauflösung im Verweis auf den urbanisierten Einheitsraum von Stadt und Land, ist sie bereits hier zu solch differenzierter Vermittlung fähig. Die Mauer verkörpert nicht nur den Gegensatz sondern auch das Verhältnis von Innen und Außen, das somit in das Innere der Stadt hineingenommen ist. Aber nur symbolisch als Grenze zwischen Innen und Außen. Denn in ihrem Innern ist die Stadt des Buon Governo als Ort wiedergegeben, der unverkennbar einen Ordnungszusammenhang bildet. Lorenzetti vermeidet es, soziale Differenzen als Raumdifferenzen abzubilden; was insoweit verständlich ist, hatte man doch seit einigen Jahrzehnten erfolgreich jene destruktiven Territorialauseinandersetzungen der in Geschlechtertürmen gruppierten Familienverbände überwunden.
Vergesellschaftung Vergesellschaftungsprozesse sind raumstrukturierende Vorgänge, das zeigt das Fresko. Und weiter, daß bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts ein Wissen von diesen Zusammenhängen vorhanden war. Dabei ist auch dieser Raum eine Projektion der sozialen Gestaltungen und Energien, die sich in ihm ereignen. Es sind die Tätigkeiten der Menschen, durch die er als Handlungsraum gewonnen wird. So ist der Aktionsraum hier bereits Darstellungsraum, in dem das örtlich Getrennte in einen simultanen 51
Ambrogio Lorenzetti, Buon Governo, Detail: In der Stadt (Palazzo Pubblico, Siena 1337-1339)
Zusammenhang und ein räumliches Bezugssystem gebracht wird. Für die Menschen ist die Stadt ein Ort körpergebundener Erfahrung, die durch Handlungen verschiedenster Art - man redet, trifft sich, treibt Handel konstituiert wird. Und es sind Objekte, wie Häuser, Plätze, Buden, die am Ort in Kommunikationen thematisch werden. Der Ort wird belebt, subjektiv erzeugt und dadurch bedeutend. Allgemein können wir sagen, daß der O r t das ist, was man im Raum als ganzheitliche Struktur von Objekten konstruiert und alltagsweltlich belebt. Dabei wäre eine raumgreifende Belebung urbanistisch, eine raumkonzentrierende Belebung privat. Allerdings findet Vergesellschaftung nicht mehr allein am Ort statt. Lorenzettis Fresko ist der subjektive Entwurf, in dem Ort und Raum als soziale und geographische Größen miteinander verbunden werden. Doch ist schon hier die Mauer nicht mehr nur eine Konstruktion, die die Erfahrung des Orts sichern hilft. Diese Erfahrung ist aber auch noch nicht ausschließlich im Subjekt verankert. Die Ort-Raum-Erfahrung hat ihren Adressaten in einer von der Stadt-Gemeinschaft getragenen sozialen Erfahrung. Es ist das Bild, das den Raum in etwas Bekanntes, Vertrautes verwandelt, das die Eigenschaften eines sozial strukturierten und subjektiv belebten Ortes teilt. Raum ist nicht mehr die Negation des Ortes sondern dessen Verlängerung und Erweiterung. Daß der Raum dem Ort ähnlich wird und man das auch sehen soll, mögen die vielen in der Landschaft eingeschriebenen Orte unterstreichen, die den Raum beleben. Das Fresko ist nach unserer Begriffsbestimmung ein klassisches Medium, da es zweifelsfrei die Konstruktion von Ort und Raum zusammenbringt. Dabei geht es nicht nur um Identität und das Verwischen der Grenzen, sondern vielmehr um das Bewußtsein davon, daß beide Konstruktionen als aufeinander bezogene gesehen und gedacht werden. Nochmals: Alle Dinge besitzen im Raum ihren Ort. Der Raum erscheint noch ganz als Erweiterung des Ortes in den Raum. Zugleich werden aber Unterschiede be(ob)achtet und in den Bildraum gesetzt, nicht aber als Gegensätze, sondern als Ausdruck von Vermögen und gesellschaftlichem Reichtum angesichts von Vielfalt: Es ist das sich in Gestalt eines Einheitsraums zu einem Ganzen zusammenfügende Verschiedene.
Ästhetisierung als Vermittlung Was hier als Welt im Bild erscheint, ist ein vom Ort aus gedachtes, erfahrungszugängliches Weltmodell. Das unterstreicht die Tatsache, daß das 53
Buon Governo mit Cittä und Contado im Bild die Perspektive wiedergibt, die man hat, wenn man aus dem Nordfenster des Sitzungs- und Empfangsraums der Regierung blickt. Gleichwohl geht unsere These dahin zu sagen, daß dieses Fresko ein Beleg für die Vermittlungsarbeit ist, die dieser historische, ortsübergreifende Schritt der frühbürgerlichen Stadtgesellschaft vor gut 660 Jahren erforderlich machte. Beide Dimensionen notwendiger Ort-Raum-Vermittlung sind bereits hier erfüllt und klar erkennbar: die alltagsweltliche, die dem Betrachter in reichlich lebendigem Erzählstoff dargeboten wird; und die politische, die hier tatsächlich auf die Vermittlung von lokaler Gesellschaft und überlokalem, nicht auf die Raumerfahrung der Stadt beschränktem politischen und ökonomischen System bezogen ist. Die Vermittlung dient der Beherrschung aller Lagen, der nach außen gerichteten sowie der innerweltlichen Sicht. Möglich wird das, weil es gelingt, Ort und Raum bewußtseinsmäßig (durch Raumanalogien) mit dem Medium des Ästhetischen zusammenzuhalten, das damit virtuell eine identitätsstiftende Funktion übernimmt. In dieser Funktion besetzt das Ästhetische eine Leerstelle zwischen Ort und Raum, die es ausfüllt und beiden Dimensionen körperlicher und kognitiver Raumerfahrung eine weitere hinzufügt. Es steht nicht nur im Dienste einer Vermittlung, ginge also ganz darin auf; statt dessen konstituiert die kulturelle Form des Bildraums ihrerseits eine Ort- und Raumerfahrung, die über ihre praktische Notwendigkeit hinausreicht. Dabei kommt es in der konzentrierten Form der bildlichen Darstellung der Stadt Siena, ihres Contado und in der ästhetischen Vergegenwärtigung der Tyrannis unter der Hand zu einer Ästhetisierung aller Erscheinungen des praktischen Lebens: Gebäude, Kleidung, Körperhaltungen, Tätigkeiten, distinktives Verhalten, ja auch Geländeformationen sind in einem ästhetischen Ausdruck zusammengeführt. Durch ihn macht sich der Betrachter ein Bild vom städtischen Leben. Als ästhetisierte erscheint Lebenspraxis im Bild als gelungene, womit sie in dieser kulturellen Ausdrucksvariante zwangsläufig Vorbildcharakter annimmt. Wir können deshalb vermuten, daß die Rückwirkung des Bildes auf das Verhalten der Stadtbürger nicht auf die Übersetzung komplizierter Gesetzestexte beschränkt bleibt. Das Bild verändert den Blick auf Ort und Raum im Medium einer Ästhetisierung, die die Differenz zwischen beiden vermittelt. Auf einem der Bildtexte ist zu lesen, daß das Leben in jener Stadt „süß und ruhig" sei [„ecome e dolce vita eriposata quella dela citta".] In solch wunderbarer Verwandlung unzulänglicher Lebenswirklichkeit in eine Idealität durch die Wirkungs- und Uberzeugungsmacht des ästhetisch Kon54
struierten ist ein Versprechen enthalten, dessen ambivalenter Kraft sich das moderne Bewußtsein bis zum heutigen Tage nicht mehr hat entziehen können. Es ist die Kunst - als höchste Potenz kultureller Leistung, damit der Stadt gleichgestellt und wie sie Ausdruck einer kulturellen Identität - , die maßgeblichen Anteil an der Transformation von Ort und Raum hat. Der von ihr hervorgebrachte Blick wird zu einem raumkonstituierenden Faktor. 17
Adressaten der Vermittlung Aber für wen wird er das überhaupt? Wer von den Einwohnern Sienas kam in den Ratssaal und hatte so die Gelegenheit, diesen durch die Kunst der bildhaften Raumerzeugung hervorgerufenen neuartigen Blick auf sich einwirken zu lassen? Keine Frage, daß wir es hier mit dem Ergebnis einer Elite-Kultur zu tun haben, die Repräsentativität in bezug auf das Ganze beansprucht. Diese Kultur ist in ihrem vornehmsten Resultat, der Stadt, allerdings keine exklusive sondern eine repräsentative Kultur, an der - so ist der Raum nun einmal konnotiert - alle Menschen der Stadtrepublik Siena teilhaben. Lorenzetti und seine Auftraggeber laden uns in einen von allen Ständen belebten Raum ein, der durch die verschiedensten Tätigkeiten hergestellt wird und in dem und durch den alle, die daran beteiligt sind, in die Idealität der hier repräsentierten kulturellen Identität eingebunden sind. Darauf verweisen die unter der Allegorie versammelten, in Rangordnung aufgereihten vierundzwanzig Stadtbürger. Der Ratssaal war verhältnismäßig vielen Bürgern zugänglich, neben den Ratsherren weiteren Amtsträgern, Gesandten, Bittstellern. Wie überhaupt das Fresko die damalige Sozialstruktur Sienas wiedergibt. Es treten auf die Casati (ehemalige Feudalherrn, der Adel), der Popolo Grasso (Bankiers, Kaufleute), der Popolo Minuto (Gewerbe) und mit den Mägden, Knechten und Bauern die politisch Rechtlosen. Stadt und Land, Ort und Raum erscheinen aus ökonomischer Sicht verbunden im Bild des Bauern, der Wolle bringt, die von Frauen und Männern in der Stadt bearbeitet wird. Sozial verbunden sind sie mit einem am Wegesrand um Almosen bittenden Bettler. Auch er gehört zu einer sozialen Hierarchie, die erst in der Vollständigkeit der Aufzählung und Wahrnehmung all ihrer Teile die Kultur städtischer Lebensweise zu repräsentieren vermag. Die Stadt erscheint daher als Bild und als im Bild vorgestellte wie ein konkreter Raum der Gleichzeitigkeit allen Geschehens, nicht als ein Ort, 55
dessen Komplexität sich im alltäglichen Leben normalerweise der subjektiven Erfahrung entzieht. Die von Lorenzetti und seinen Auftraggebern zweifelsfrei erkannten Probleme, die bei der Durchdringung der Gesetzgebung auf seiten der Repräsentanten der Comune entstehen - bezeichnenderweise übersetzte man für die häufig wechselnden Amtsträger, die „Diener der Gerechtigkeit", den Text ins Volgare und sorgte dafür, daß der Podestä und der Capitano del Popolo jeden Monat den neun Ratsherren, den N o v e , den Abschnitt der Verfassung vorlasen, der sich mit deren Pflichten befaßt werden von der Erzählung des Bildes aufgefangen, gemildert und insoweit bewältigt, als die Einhaltung der Gesetze durch das Bild nicht nur gefordert sondern ausdrücklich als gute Tat gewürdigt wird. Tatsächlich erscheint 1337-1339 eine neue Gesetzessammlung, so daß das Fresko mit der Verschriftlichung des Sieneser Stadtrechts in Verbindung steht. In diesem komplizierten Gesetzestext kommt eine neue Qualität gegenseitiger Abhängigkeit zum Ausdruck, ein schriftlich verfaßter Vergesellschaftungsprozeß und -vertrag, den das Bild vermittelt, indem es diesen Prozeß - und das ist das eigentlich Revolutionäre - als eine kollektive Raumproduktion und Raumerfahrung darstellt. Dabei ist das Fresko zugleich eine gemalte Enzyklopädie, zeitgleich mit den Tafeln am Campanile des Florentiner Doms. Akkumuliertes Wissen wird in einen Kontext integriert. Dieser Kontext ist die Stadt, die durch das Bild als Medium dieses Wissens erscheint. Andererseits: Die im Bild thematisierte neue Sicht auf den Natur- und Außenraum als Landschaft - und das trifft in gewisser Weise auch auf den Stadtraum zu - vermittelt nicht nur eine Differenz sondern erzeugt auch neue Differenzen. Allein daß die bildhafte Wirklichkeit überhaupt nur aufgrund ihrer Differenz zur lebenspraktischen existiert, um als solche wahrgenommen werden zu können, führt zu einer neuen Differenz. Sie ist die Voraussetzung dafür, daß das Bild vielschichtig argumentieren und sozial und kulturell verschiedene Anspruchniveaus bedienen kann. Dazu zählt eine veränderte Sicht des Raums, die bei aller kulturellen Vermittlung zugleich die sozialen und kulturellen Ungleichheiten innerhalb der Sieneser Gesellschaft verstärkt haben dürfte. Diese Sicht kommt in erster Linie denen zugute und bestärkt sie in ihrer distinktiven Praxis, die aufgrund ihres Standes und ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit über einen Blick verfügen, der das Territorium in einen Prospekt verwandelt. Er ist Ausdruck des kollektiv beherrschten und privat in Besitz genommenen Raums. Dieser Außen-Raum erscheint auch deshalb als Teil eines kontrollierten Einheitsraums, weil Lorenzetti nicht nur den Contado als Landschaft ver56
mittelt, sondern erstmals auch die die Stadt symbolisierende Einheit von Architektur, sozialen und kulturellen Praktiken, Arbeit und sozialem Status. Wir folgen dabei einem Verständnis von Landschaft, wie es die amerikanische Kulturwissenschaftlerin Sharon Zukin in der Verwendung des Begriffs Landscape in ihrer Studie Landscapes of Power (1991) entwickelt hat, um heutige Veränderungen in der Ort-Raum-Differenz zu charakterisieren. Danach bezeichnet Landscape nicht nur in der gemeinhin üblichen geographischen Bedeutung des Wortes eine physische Umgebung, sondern bezieht sich auch auf ein Ensemble von materialen und sozialen Praktiken und deren symbolische Repräsentation. Zukin spricht von einer „architecture of social class, gender, and race relations imposed by powerful institutions". Darin unterscheidet sie „landscape of the powerful - cathedrals, factories and skyscrapers - and the subordinate, resistant, or expressive vernacular of the powerless - village chapels, shantytowns and tenements."(Ebd., 16) Darüber hinaus umfasse Landscape immer eine bestimmte Sichtweise, wobei Institutionen der Macht es bestens verstünden, der (selektiv vorgehenden) Sicht auf die Landschaft ihren Stempel aufzubürden. Hier verweist Zukin zur Unterfütterung ihrer Begriffserweiterung auf die Landschaftsmalerei, in der sich über Jahrhunderte das Land nur zu oft in einen beherrschten Raum habe verwandeln lassen, vermittelt durch die Bedeutung der Form als Ausdruck der kulturell angeeigneten Landschaft. Voraussetzung für die Wahrnehmung des Raums als Landscape sei in der frühbürgerlichen Periode die Mobilität der Kaufleute, der Händler und des Adels. Sie haben auf ihren Reisen viele Landschaften kennengelernt, die im Laufe der Zeit als Bilder ihre Vorstellungswelt anreichern. Daraus entsteht ein aussuchender und interpretierender Blick, der an der Realität des Ländlichen auch durchaus vorbeigehen kann. So liegt die Vermutung nahe, daß die in Lorenzettis Darstellung des Außen-Raums verarbeitete neue Sichtweise auch den Blick auf den Urbanen Raum verändert hat. Der uns hier dargebotene Stadtprospekt trägt eindeutig Züge einer Stadt-Landschaft. Der Blick wechselt demnach zwischen den Repräsentationsformen des Innen- und des Außenraums, die als Bildraum eine Landscape bilden.
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Bild und Identität Folgen wir der Begrifflichkeit Jan Assmanns, so haben wir es in unserem Fall mit einem Bild zu tun, das für die „Wir-Identität" der die Stadt regierenden männlichen Mitglieder der großen Familien gemacht wurde. Im Auftrag liegt das Bekenntnis zu einer von jedem zu teilenden Identifikation mit dem Gemeinwesen. Daß sie sich ein Bild machen, ist sowohl Ausdruck des Entwicklungsgrades und der Stärke dieser Identifikation als auch des Wissens um deren notwendige Verstärkung durch eine künstlerische Synthetisierung an symbolisch bedeutsamem Ort. Denn der Ratssaal ist die nach innen gewendete Lokalisierung eines Ortes der Identität. Er ist der Raum, in dem sich diese Identität in den Entscheidungen des Rats de facto ereignet und im Fresko Gestalt annimmt als ein von allen geteiltes Bekenntnis zur Urbanen Kultur. Diese Kultur ist in der Darstellung der Landschaft zur ästhetischen Vergegenwärtigung des Naturraums fähig, worin wir ein gesteigertes Distanzvermögen erkennen. Es ist die mit der Anpassung an die Kultur verbundene Distanz von der Natur. Gibt es dazu räumliche Korrespondenzen, die den Vorgang als notwendig und zugleich auch als abgeschwächt und versöhnt thematisieren? Wie verläuft die Anpassung an die hier aufgereihte symbolische Sinnwelt des Buon Governo mit ihren Verheissungen, Regeln, Gesetzen, Geometrien und Ordnungsmaßen? Aus der Positionierung des Freskos an dieser prominenten Stelle können wir folgern, daß der Körper der Stadt alle Institutionen der Kultur in sich vereint. Die Stadt erscheint als die Summe aller Kultur, sie ist größtmöglicher Ausdruck der zur Kultur fähigen Stadtbürger. Minutiös führt die Allegorie vor Augen, daß erst die Beherrschung der ungezügelten Triebe den Raum für jene hier eindringlich vor Augen geführte Stufe kulturellen Kollektiwermögens erzeugt. Assmann (1999, 137) nennt ihn einen Besinnungsraum, „in dem Handeln aus freier Entscheidung und damit Identität erst möglich wird". Ein von Willkür freier, Freiheit bietender „Frei-Raum". (Ebd.) Was das Fresko weiter vorführt, ist die Bedeutung eines gemeinsamen Symbolsystems und der Teilhabe an der darin ausgedrückten Sprache. Sinnbild und realer Ort dieses Systems ist der Raum der Stadt (und nicht, wie wir bereits erwähnten, ein einzelner, hervorragender Bau), der das örtlich Getrennte in ein räumliches Bezugssystem bringt, damit homogenisiert und so erst in eine Zeichenwelt transformiert, die idealiter von allen geteilt werden könnte. Das schlechte Regiment führt vor Augen, wie schnell diese kollektive Symbolwelt zerbricht, der babylonischen Sprach58
Verwirrung nicht unähnlich, wenn Tyrannei, Haß, Mißgunst und Willkür das Regiment erst einmal übernommen haben. Wie die einzelnen örtlichen Verweise, so zerfällt auch der gesamte Raum in eine Schrecken und Gewalt verbreitende Inkohärenz. Weiter hilft das Bild, daß der Betrachter sich vorstellen kann, was ihm in der Lebenswirklichkeit leicht abhanden kommt: ein von Bewegung und Zeitverbrauch unabhängiges Raumerlebnis der im Raum verteilten lebensweltlichen Orte. Nicht die Ungleichzeitigkeit der Ortsperspektiven reduziert hier die Komplexität des städtischen Raums; denn auch das Bild kommt an einer Reduktion zugunsten seines betont utopischen Gehalts nicht vorbei. Armut, Elend und ein über das Land fahrendes Volk kennt der Buon Governo nicht. Erst beim Zusammenlesen mit dem Mal Governo treten all die im Buon Governo vermeintlich bewältigten Negativ-Erscheinungen des Städtischen um so wirkungsvoller in Erscheinung.
Objektraum und Lebensraum Lorenzetti und seine Zeitgenossen besaßen offenkundig eine Vorstellung davon, daß der Raum eine kulturelle Konfiguration sozialer Beziehungen und die räumliche Organisation der Gesellschaft integraler Bestandteil der Herstellung sozialer Verhältnisse ist. Stadt ist in Lorenzettis Fresko einmal ein Objekt-Raum, der für seine Bewohner weitgehend konstant zu sein scheint, sieht man einmal von den Bauarbeiten an einigen Stadthäusern ab. Stadt ist aber auch als Lebensraum dargestellt, und zwar als eine Konstruktion deutlich in Bewegung. Und auch die Landschaft ist kein leerer sondern ein gefüllter, von Menschen und Tieren belebter Raum. Die Bewegungen verändern den Raum und erzeugen, was wir als Vermittlungsstrecke zwischen den Orten, als das Dazwischen bezeichnen. Unser Blick wandert von einer Bewegung zur anderen, so daß wir Stadt hier als etwas Festes und zugleich „Fluides" erleben. Immer handelt es sich um Resultate einer kulturellen und sozialen Produktion, die die Stadt zum Bezugshorizont allen Geschehens machen. Und es bedarf erstmals der großen bildlichen Darstellung, um den Zusammenhang zwischen Objektraum und Lebensraum plausibel zu halten und die permanente Bewegung im Lebensraum als eine den Raum erzeugende, zusammenhängende, von Allen geteilte Leistung zu begreifen. Raumerfahrung gewinnt somit, neben ihrer körperlichen Seite, durch die neuartige Rolle des Bildes eine kognitive Dimension. Durch die Inhalte 59
der Erzählung ohnehin auf das historische Wissen bezogen, erfordern Herstellung und Wahrnehmung des Bildes ein von der Körpererfahrung partiell emanzipiertes Vorstellungsvermögen, wie es sich insbesondere in der erstmaligen ästhetischen Vergegenwärtigung der Natur als urbanisierten Landschaftsraum zeigt. Eine Epoche machende zivilisatorische und nicht minder intellektuelle Leistung.
Bild-Leistung Unter der Hand entwirft Lorenzettis Fresko ein Bild von den Bürgern Sienas, das sie im Zentrum ihrer Erfahrung sieht, einer Erfahrung, die im Zentrum einer einheitlichen, von dieser Erfahrung her räumlich gesättigten und beherrschten Lebenswelt steht. Das Fresko beschwört die Identität von Ort und Raum, die es - wenn überhaupt - in der von ihm beschriebenen pastoralen Stimmung immer nur vorübergehend gegeben haben dürfte. Das Innen-Außen-Verhältnis, dessen zeitgenössische Beschreibungen wir als ein Verhältnis zwischen befriedetem Ort und gefährlichem Außenraum kennen, ist ein harmonisches. So wird man auch nicht erwarten können, daß Lorenzetti den Eindruck erweckt, als charakterisiere dieses prekäre Innen-Außen die Stadt selbst. Der Friede zwischen Innen und Außen, verkörpert als Einheitsraum, zeigt den Innenraum als eine sich vom Außenraum unterscheidende ästhetische Erfahrung: Stadt und Land sind unterschiedlich gestaltet. Und wieder übernimmt die Schattenseite des städtischen Lebens die im Mal Governo verschiedene Erfahrung der Katastrophe der Tyrannei als das Andere der Lebenswelt. So gesehen bietet der Ratssaal an zwei räumlich verbundenen Orten die problematische Erfahrung des Innen-Außen. Als Erfahrungsraum einer ästhetisch gebannten Vision vermittelt er dabei jene Wirklichkeitserfahrung, die sich in den beiden Darstellung aufspaltet: die Verstärkung des Wunschbildes als Zielhorizont eines gelungenen städtischen Lebens dort, und hier die grausame Szenerie eines falschen Lebens, der man beim Eintritt in den Saal als erstes konfrontiert wird. Die Ort-Raum-Differenz als eine von Innen und Außen hat Lorenzetti als für seine Zeitgenossen realitätsmächtige subjektive Erfahrung verarbeitet. Sie zu überwinden, bedürfte es nicht bloßer Gesetze, sondern einer externen Vermittlung in Gestalt des Bildes. Überwindung meint hier noch die reflektierte Anwesenheit des Widersprüchlichen, keineswegs die Illusion eines widerspruchfreien Lebens, das auf Vermittlung verzichten zu kön-
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nen glaubt, weil im ästhetisch grundierten Prozeß des Vermitteins dessen ursächliche Erfordernis sich der Aufmerksamkeit des Betrachters entzieht. Allerdings sollten wir nicht daran vorbeisehen, daß in der Bearbeitung von realen Differenzen in der Stadt durch die im Medium des Bildes ästhetisch geleistete Vermittlung zugleich eine neue Differenz entsteht: die zwischen der Realität des Lebens und seiner vorgestellten Idealität in Form eines utopischen Stadtbildes. Es ist schon verblüffend, auf welche Weise es Lorenzetti gelungen ist, uns gleich zwei Erfahrungen zugänglich zu machen. Im Augenblick der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassenden Vorführung nicht bewältigter Ort-Raum-Differenz und derjenigen zwischen Innen und Außen sind wir Augenzeugen der gelungenen Bewältigung dieser Differenz, die sich jedoch nicht auf das Verwischen dieser Grunderfahrung einläßt. Raum als im Unterschied zum Ort tendenziell fremde, angstbesetzte Größe ist von der Stadt aus in einen beherrschten, angstfreien Raum zu verwandeln, weshalb die Differenz zwischen Ort und Raum zur marginalisierten Größe schrumpfen kann. Zu dieser Mehrdeutigkeit und gleichzeitigen Anwesenheit des Verschiedenen ist zu jener Zeit wohl nur die Sprache der Kunst fähig. N u r ihr gelingt es, den Betrachtern vor Augen zu führen, was sie zu kennen glaubten und so doch nicht wissen konnten. Der Freskenzyklus erzählt nicht nur, er ist selber Schauplatz der verschiedensten Energien, die zu seinem Entstehen beigetragen und in ihn Eingang gefunden haben. Will man sich darauf verstehen, daß dieses Fresko nicht nur eine im Verhältnis 1:1 ins Bild übersetzte Enzyklopädie, ein pädagogisches und politisches oder philosophisch-religiöses Programm ist, dann wird man dem Bild jenen Eigensinn attestieren müssen, den es als eigenständiges Vermittlungs- und Erfahrungsmedium besitzt. Daß es mithin Kenntnisse, Vorstellungen, Wünsche und Ängste artikuliert, die in ihrer Aussagekraft und ihrer Wirkung partiell über das ihm zugrunde liegende Wissen hinausgehen. Der nächste entscheidende Schritt der Ort-Raum-Vermittlung wird die im Studiolo und in den Wunderkammern inkorporierte außerweltliche Sicht sein; ein weiterer Schritt der Abstraktion des Sinngehalts der in den angesammelten Gegenständen verkörperten Welt, zugleich deren Konkretisierung im Bezugsfeld einer sich darin ausbildenden neuzeitlichen Ich-Identität. Die Grenzverwischung zwischen Innen und Außen übersteigt den Ort, der sich in rein gedanklicher Konstruktion, dabei aber in Anwesenheit objekthafter Verweise, zum universellen Raum ausdehnt. Durch das Sammeln all der wundersamen Dinge erobert sich das Indi61
viduum eine gewisse räumliche Autonomie: Es ist die Anwesenheit eines virtuellen (Geschichts)-Raums mit utopischen Zügen, die über den Ort hinausweisen. Es findet eine räumliche Integration statt, nicht der Gesellschaft sondern eines in der Anwesenheit der versammelten Objekte sich vergesellschaftenden Individuums.
Resümee Die große Leistung Lorenzettis und seiner Auftraggeber war es, erstmals in der neuzeitlich europäischen Stadtgeschichte für uns sichtbar Problemlagen thematisiert zu haben, die es tatsächlich angeraten erscheinen lassen, dem Bild und seiner kulturellen Vermittlungsleistung als Raumbild eine an unsere Gegenwart heranreichende Leitbildfunktion zuzuschreiben. Das Bild formuliert, wofür es zu seiner Zeit - trotz der Statuten - noch kein analoges sprachlich-textliches Ausdrucksvermögen gibt. Es antizipiert folglich, wofür es erst viel später ein begrifflich adäquates Instrumentarium geben wird. Dabei stellt sich abschließend noch einmal die Frage, inwieweit diese neue Lesart des Städtischen, der Stadt als Stadtlandschaft und der Natur als Landschaft bereits das Ergebnis eines nicht nur auf eine Elite beschränkten, sondern eines transdiskursiven Prozesses ist. Das Fresko bezeichnet ja durchaus eine Stelle des „Sprechens" und „Schreibens" über die Stadt als das „Gute Regiment". Und es führt vor aller Augen vor, wie die Stadt als Metapher, als Text und Imagination entsteht. So ist das Fresko Ausdruck eines kulturellen Systems der Repräsentation von Stadt. Deshalb dürfte hier zutreffen, was Martin Warnke (1976, 20 ff.) am Beispiel der mittelalterlichen Architektur als überregionales und repräsentatives „Anspruchsniveau" bezeichnet hat. Das Fresko selber, insbesondere aber die Stadt, auf die es verweist, wäre demnach eine künstlerische und bauliche Leistung, die in ihrem Umfang als kunstgeschichtliches Anspruchsniveau „in einer geschichtlichen Epoche Individuen oder Gruppen ermöglicht, ihre soziale Stellung und Funktion sichtbar zu bestimmen oder zu erfahren". (Ebd., 13) Es ist das Fresko, das uns die Stadt als ein Projekt der „Demonstration der Fähigkeit" des Stadtbürgertums vorstellt, „erhebliche Kräfte und Ressourcen" (ebd., 24) zu konzentrieren. Dies geschah aus einer Notwendigkeit heraus: nicht zu überwältigen sondern sich gegenseitig zu vergewissern. Differenz nicht kriegerisch zu vernichten, sondern sie auszuhalten auf der Grundlage des Kompromisses. So folgt die Repräsentation des Urbanen hier der Artikulation des alltäglichen Verstehens all
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dessen, was sich wirklich in der Stadt und auf dem Lande ereignete. Wenngleich in einem Einheitsraum vereint, sind beide unterschiedlich geformte Räume, in denen auch unterschiedliche Formen der sozialen Repräsentation des Städtischen sichtbar werden. Lorenzetti hat der Kunst eine Tür zur Vermittlung von Differenz geöffnet und dabei - geradezu bahnbrechend - ein von der Realität partiell abweichendes neues Raumbild geschaffen. Dies geschieht an prominenter Stelle dort, wo sich politische und ökonomische Macht konzentrieren. Was die Stadt betrifft, so kennzeichnen ihren hier bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts erkennbaren Transformationsprozeß Parameter, wie sie auch alle weiteren und insbesondere die heutigen dominanten Strukturierungsmerkmale urbaner Existenz bezeichnen: das Verhältnis von Stadt und Kultur und die Fähigkeit, Stadt als kulturelle und Kultur als städtische Leistung zu begreifen; das Beziehungsgeflecht von Ort und Raum; die Differenz zwischen Ort und Raum und die Vermittlung dieser Differenz; und schließlich die Kunst, oder allgemeiner, Asthetisierung als ausgezeichnetes Medium dieser Vermittlung. Deren zentrales Ziel ist es, die Stadt als Summe einer Vielfalt von Fähigkeiten ins Bild zu setzen. Darin erfüllt sich die Kultur der Stadt in all dem in ihr versammelten handwerklich-technischen Können, dem theoretischen Wissen und der künstlerischen Ausdruckskraft. Deren Anwesenheit und Verteilung im städtischen Raum werden erst durch das Bild zu einer neuartigen Erfahrung: gleichzeitig in der Stadt zu sein und in Distanz auf sie blicken zu können. Sich ein Bild von ihr als einem Ort zu machen, der die versammelte Vielheit unter einem Begriff (Bild) faßt, der (das) die Stadt vorstellt. Auch zeigt sich, daß die von uns rückblickend so bereitwillig unterstellte „universelle Normativität" früherer Stadtkultur schon sehr früh auf die Vermittlungsleistung von Bildern angewiesen war. Entscheidend ist offensichtlich nicht die Existenz der Bilder allein, sondern das, worauf diese die Utopie in der Stadtkultur reduzieren: die Selbstkultivierung des Menschen.
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Die Differenz von Ort und Raum
Kulturelle Dynamik
der Stadt
Lorenzetti hat uns Siena als ein zu seiner Zeit fragiles und hochverdichtetes Sozialgebilde vorgestellt. In dieser frühbürgerlichen Stadtgesellschaft treten - wie zur gleichen Zeit in Florenz und anderen Städten auch - ununterbrochen Differenzen auf: soziale, ökonomische, räumliche, kulturelle, geschlechtsspezifische und machtbesetze Differenzen und Fremdheiten. Dabei geht es um die Vermittlung, um die Einebnung und den Neuaufbau dieser Differenzen. Gewiß ist die uns bekannte Geschichte der Stadt voller gewalttätiger Eruptionen, die immer wieder zu Umbauten der sie grundierenden Strukturen geführt haben. Dennoch zielt der Prozeß immer und unausgesprochen auf die Erhaltung der Stadt, auf die Sicherung und Gewährleistung einer städtischen Lebensgemeinschaft, sei sie auch noch so zerrissen und different. Die bewußte Teilhabe an diesem Prozeß begründet sowohl für den Stadtbürger als auch dessen Beobachtung durch Ortsfremde das, was Jacques Le Goff (1998) „die Liebe zur Stadt" nennt. Wenigstens in einem wesentlichen Aspekt ist Kultur die Methode, mit Differenzen umzugehen, zugleich Bedingung dafür, daß sie entstehen. Humanismus und Aufklärung sind beides bedeutende geistig-kulturelle Strömungen in der abendländischen Geschichte, die bis heute nachwirken, selbst wenn sie im Feuer kapitalistischer Zertrümmerungen ihr ursprüngliches Ethos eingebüßt haben. Im Urbanen Kontext ihrer spät- und nachmittelalterlichen Genesis sind beide kulturelle Vermittlungsstrategien vor allem von Kultur- und Machtdifferenzen. Vor dem Hintergrund von Gruppeninteressen werden diese innerstädtisch immer auch als Territorialkämpfe ausgefochten. Und darin kann es durchaus rauh zugehen, man denke nur an die zahllosen mittelalterlichen Stadtaufstände oder an die Riots der letzten Jahrzehnte in einigen us-amerikanischen Städten. In diesen Auseinandersetzungen geht es um die Verräumlichung von Lebensweisen und Lebensinteressen, auch um die machtgestützte Verdrängung und Ausschliessung Unerwünschter aus bestimmten Räumen und um die 64
Behauptung ihrer Autonomie. Meist geschieht das gegen andere, im ständig mitlaufenden Idealbild der Stadt, jedoch auch mit ihnen und im und für den Gesamtzusammenhang der Stadt. Dabei verdoppeln sich die realen Differenzen in der Stadt noch einmal, und zwar zwischen der Realität städtischen Lebens und dessen in utopischen Stadtbildern vorgestellter Idealität. Ihre Referenzpunkte besaßen diese in Jerusalem und Rom, während die Realität oft auf das Gegenbild, das sündige Babylon bezogen blieb. Gerade diese Verdoppelung trug aber enorm zur kulturellen Dynamik der Städte bei, indem sie Vermittlungsmechanismen, vor allem aber Artikulationsmöglichkeiten für Differenzen erzeugte. Auch dieser Mechanismus ist unverändert wirksam, wenn auch seiner religiösen Kontexte entkleidet. Ortsbildung Anders als in der in den Kultur- und Sozialwissenschaften üblichen Strukturorientierung erscheint die Stadt in der Binnenperspektive nur als der äußerste Bezugshorizont aller sozialen Beziehungen. Das gilt sowohl für ortsgebundene als auch für inter- und supraurbane Beziehungen. Die Stadt erscheint als abstrakter Raum der Gleichzeitigkeit alles Geschehens. Sie ist damit überkomplex und bei allen Stereotypen über die eigene Stadt für die meisten im Prinzip undurchdringlich. Das führt dazu, daß viele Raumzonen in der Stadt emotional mehr oder minder stark negativ besetzt sind, was bis zur unterstellten Unbewohnbarkeit reichen kann, wobei für die inhaltliche Art der Besetzung die Medien eine zentrale Rolle spielen. In einer modernen Gesellschaft steuern sie mit ihrer Berichterstattung den Themenkanon, in dem die emotionale Einordnung von Stadtbereichen oder ganzen Städten kommuniziert wird, heute bevorzugt Kriminalität. Die lebensweltlichen Orte in diesem abstrakten Raum gleichzeitigen Geschehens sind jedoch ungleichzeitig. Die Ungleichzeitigkeit von Ortsperspektiven reduziert subjektiv die Komplexität des städtischen Raums durch deren Aufgliederung in eine von Präferenzen bestimmte Ordnung. So werden Orte für die Gewohnheiten der Individuen gesichert und in ein „subkulturelles" System von Erfahrungswissen eingebaut, wie es für einen Nahbereich typisch ist. Der abstrakte Raum ist demnach zweifach strukturiert: sowohl durch verschiedene Lebens weiten als auch für jedes Individuum in verschiedenen Lebenswelten, die nur selten auf den Bezugshorizont der ganzen Stadt treffen. Somit hat die Stadt für alle Bewohner 65
unterschiedliche Grenzen. Der Raum besitzt für sie eine unterschiedliche Ausdehnung, je nach der räumlichen Anordnung und Gliederung ihrer lebensweltlichen Orte. Und dies bewirkt, daß die Stadtwahrnehmung zugleich immer auch eine Zeitstruktur der Raumüberwindung und der Ortserreichung enthält. Ortsbildung setzt also bei jedem einzelnen interaktive Bezüge voraus. Zugleich ist sie im kommunikativen Vollzug aber auch eine gemeinsam gewußte Distanzierung vom Raum, Identifikation und Vermittlung von Ort-Raum-Beziehungen. Darüber hinaus eröffnet sie individuelle Möglichkeiten der Distanzierung von Distanzierungen, beispielsweise in einem flaneurhaften, städtischen „Universalismus". Wie fremd das Außen innerhalb einer Stadt sein kann, zeigt Vasco Pratolini in seinem 1944 erschienen Roman Ii Quartiere (98), wenn der Protagonist enttäuscht feststellt, daß sich seine Welt und die seiner Freunde in Florenz „immer mehr auf das Gebiet zwischen dem Arco di San Piero und der Porta alla Croce" beschränke. Aller anderer Stadtraum ist „die Welt jenseits der Porta alla Croce". Das ursprüngliche Innen-Außen-Verhältnis ist in das Innen der Stadt hinein genommen, wo es jetzt zweifach existiert.
Dazwischen und
Darüberhinaus
Abstrakt ist der Raum nur in bezug auf die Komplexität des Geschehens innerhalb des städtischen Bezugshorizonts. Tatsächlich definiert die biographisch konstituierte Vernetzung von Orten mindestens zwei klar unterscheidbare Raumqualitäten in der Stadt: ein Dazwischen und ein bis zum Horizont reichendes Darüberhinaus. In den verschiedenen Bereichen des Dazwischen schatten sich Lebensnähe und Lebensfülle der Orte ab. Im Darüberhinaus schattet die Raumvorstellung selber ab, bis zur Undurchsichtigkeit. Im Raum drohen grundsätzlich Gefahren; je länger die Schatten werden, desto mehr wachsen sie. Das System der Orte ist zwar historisch und vom Grundsatz her durch die funktionale Raumwirkung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung für jedes Individuum vorgegeben. Allerdings fallen in der postfordistischen Ökonomie immer mehr Menschen aus dieser Arbeitsteilung dauerhaft heraus und müssen ihr Leben mit schrumpfenden Transferleistungen bestreiten. Auch machen sich weiterhin für einen Großteil der Noch-Beschäftigten die Raumwirkungen einer flexibilisierten Arbeitsteilung in pulsierenden Ortsverschiebungen bemerkbar. Und schließlich wird für die Neuen Mittel66
schichten der überdurchschnittlich gut verdienenden Symbolproduzenten die lebensstil- und milieuorientierte freie Ortswahl möglich. Durch all das beginnt in unseren Städten das durch die ganze Industrieperiode hindurch tradierte, biographisch sedimentierte System der Orte zu bröckeln. Es wird auch im Stadtraum, teilweise sogar zwischen Städten flexibel. Entsprechend betätigen sich staatliche Wohnungsbaupolitik und -förderung, die als wichtige Elemente des jeweiligen wirtschaftlich-sozialen Regulationsregimes einer Gesellschaft stets in der Tendenz dominanter Gesellschaftsbilder liegen, beinahe zwangsläufig als Erfüllungsgehilfen neoliberaler Ortsauflösung der arbeitenden und arbeitslosen Unterschichten (Radikalrückgang des sozialen Wohnungsbaus). Das gilt auch für die partielle Neuverortung bestimmter Gruppen der Mittelschichten, vor allem solcher mit familialer Lebensorientierung (private Wohnungsbauförderung) mit den bekannten Folgen: flächenfressende Suburbanisierung, negative Energiebilanzen und hohe, verkehrsbedingte Schadstoffemissionen. Die interessantesten Bezirke birgt das Dazwischen. Es ist zwar nicht mehr so gut gesichert wie der Ort selbst, ist aber die Vermittlungsstrecke zwischen diesem und anderen Orten. Fast alles, was passiert, passiert hier: am Ort. Er ist individuelle und soziale Reproduktionseinheit, aus deren Routine er für uns seine Sicherheit bezieht. Demgegenüber ist alles, was sich als Vermittlung im Dazwischen ereignet, soziale und kulturelle Produktion und damit in gewisser Hinsicht auch individuelle Formbildung. Dies ist wohl der Grund dafür, daß sich Michel de Certeau (1988, 218) bevorzugt mit diesem Raum beschäftigt hat. Er ist für ihn nicht einfach die Negation des Ortes. Genau betrachtet ist er gerade das nicht, weil die Negation sich erst im Darüberhinaus findet. Vielmehr begreift de Certeau ihn als eine Konstruktion in Bewegung, in der Richtungsvektoren und Zeit verbunden sind. In diese Bewegung, die den Raum des Dazwischen subjektiv nicht konstant zu halten vermag, sondern ständig verändert, ist die Vermittlung von Orten aber auch von Differenzen eingeschrieben. Im Darüberhinaus dagegen wird die Differenz zurückgewiesen. Bewegung ist hier doppelt zu verstehen: Der Raum bewegt sich in einer Veränderung, die dadurch bewirkt wird, daß die physische Bewegung der Menschen im Raum diesen erst konstituiert. Verlassen wir dieses von uns mit hervorgebrachte System der Orte (beispielsweise das eines Quartiers), und bewegen wir uns im Darüberhinaus, so nehmen unsere Konstitutionsleistungen zwangsläufig rapide ab und tendieren gegen Null: Der Raum dehnt sich ins Fremde und ins Große und Ganze der Stadt als Bezugshorizont allen möglichen Geschehens. 67
In räumlicher Betrachtung haben wir es mit zwei Erscheinungsweisen von Differenzen zu tun. Zum einen sind es die produktiven Differenzen im Dazwischen. Ohne sie existentiell anzutasten, ist die Vermittlung dieser Differenzen die große kulturelle Leistung der Stadt. Sie produziert den distanzierten, eben städtischen Sozialcharakter der Moderne. Diese kulturelle Leistung der Differenzvermittlung kann man auch Urbanität nennen, deren Gelingen allerdings angesichts der wachsenden Kluft zwischen sozialer und gebauter Stadt in der Gegenwart immer prekärer wird. Zum anderen haben wir es mit den Differenzen im Darüberhinaus zu tun. Sie können zwar kognitiv präsent sein, doch sind sie lebenspraktisch nur zu bearbeiten, sprich, zu vermitteln, soweit sie ins Dazwischen eindringen oder hereingeholt werden. Art und Ort der Differenzen sind entscheidend. Ein urbanes, in defensiver Toleranz dem Fremden und Differenten gegenüber beharrendes Leben ist in der Stadt nur bei unvollständiger Integration der Städter möglich. Völlige Integration ist ebenso ein repressiver Traum von Stadt, wie die Pluralität unvermittelter Differenzen gewalttätig werden kann und dann ebenfalls in Repression umschlägt. Der Marcusesche Begriff der „repressiven Toleranz", bekanntlich in anderen sozialdiagnostischen Zusammenhängen gewonnen, könnte diesem Differenzdiskurs analytisch ein wenig auf die Beine helfen. Im Zuge der historischen Entwicklung hin zur kapitalistischen Weltgesellschaft dehnt sich das Dazwischen, ohne indes den äußeren Bezugshorizont allen Geschehens, das Darüberhinaus, völlig zu überwuchern und aufzusaugen. Zivilisierung im Kapitalismus ist in dieser räumlichen Perspektive die ständige Uberführung von Elementen des Darüberhinaus in Bereiche des Dazwischen, ohne es, soweit absehbar, global ausschöpfen, das heißt völlig transformieren zu können. Diese Transformation des Darüberhinaus ins Dazwischen führt also zu räumlichen Verdichtungen. Da sie sich mit dem politisch forcierten, privatwirtschaftlichen Interesse an der profitablen Verwertung von Raum verbinden, zeitigen sie nicht eben sinnvolle, vor allem stadtökologisch (Flächenfraß, Energieverschwendung, Emissionen, Infrastrukturkosten) eher sinnlose Folgen. Deshalb bleibt das Dazwischen dennoch der Raum der Vermittlungen und der kulturellen Konstitution, nur daß die Formen einander ergänzen und teilweise transformieren. Dabei verlieren sie ihre Bindungen an unmittelbar interaktives Geschehen und ergänzen und ersetzen sie durch technische Mediatisierungen. Die unmittelbare Folge davon ist, daß sich die Raumkonstitution von der körperlichen Erfahrung stärker ablöst. Dieser Vorgang treibt mit Autos, Hochgeschwindigkeitsbahnen, dem Flugver68
kehr und den elektronischen Kommunikationsmedien zu einem vorläufigen Höhepunkt. Raumbilder 1 Sowohl Orte als auch Raumqualitäten konfigurieren sich in Raumbildern, die mindestens für Einheimische meistens einen relativ hohen Ubereinstimmungsgrad besitzen. In Raumbildern ist das Erfahrungswissen gestalthaft kondensiert. Es beruht demnach keineswegs durchweg auf eigenem Erleben. Vielmehr enthält es mediale Bausteine und ist bis zu den Randbildern hin zunehmend virtualisiert. Aufgrund ihrer Anschaulichkeit können Bilder einheitsstiftende Orientierungskraft besitzen und somit auch das emotionale Raumerleben steuern. Raumbilder verleihen der Dingstruktur des Orts und des Dazwischen eine Bedeutung, die sich freilich auch symbolisch verselbständigen kann, wenn sich materielle Gegebenheiten im Raum oder Funktionen von Raumstellen ändern. Gute Beispiele sind Rathaus- und Domplatz, alte Märkte, (auf denen es heute dasselbe zu kaufen gibt wie im Supermarkt) und ehemals „verrufene" Viertel, die es eben bleiben, auch wenn von ihnen nichts mehr da ist, sowie gentrifizierte Altbauquartiere, in deren Bild die ehemalige „Lebendigkeit" erhalten bleibt. Das geographische Raumkontinuum, in dem ein Ort zwangsläufig liegt, ist für ortsgebundene Interaktionssysteme, für Menschen im direkten Verkehr, in erster Linie uninteressant, wenn nicht gar opak, eben ein Bezirk der Unsicherheit. Es wird innerhalb des städtischen Bezugshorizonts zumeist als Passageraum von Ort zu Ort, im engeren Bereich der Orte als das Dazwischen, wahrgenommen. In Kategorien des Verkehrssystems - von der Fußläufigkeit über den öffentlichen Personennahverkehr bis zum Auto - wird es bewußtseinsmäßig oder kommunikativ thematisiert. Und es zerfließt zu den Rändern hin. Im Ort sind auch Objektlagen spezifiziert, die ihn gegenständlich strukturieren und Referenzen für Kommunikation und Interaktion darstellen: Häuser, Straßen, Gaststätten, andere Menschen, Ausstattungen von Wohnungen und Betrieben oder Tische und Theken in Vereins- oder Parteilokalen. Aus der Sichtweise interagierender Menschen wird der Ort deshalb nicht nur durch die Grenzen des Interaktions- oder Organisationssystems markiert. Seine Ausdehnung, d.h. sein tatsächlicher, für die sinnliche Wahrnehmung eingenommener Raum und seine Raumstruktur werden auch durch die läge- und standortbedingte Ordnungsstruktur der körperlichen Objekte mitbestimmt. Ein Ort hat 69
also immer eine Dingstruktur, und deren lebenspraktische Aneignung und Deutung verleiht ihm „Atmosphäre". Ort ist dann in einer so wahrgenommenen räumlichen Struktur der Ausschnitt eines Objektgefüges, das symbolisch in Interaktionen „belebt" wird und so Bedeutung im Erfahrungswissen erlangt. Simmel (1908, 689) spricht in dem Zusammenhang von „Erfüllung" des Raums. Eine räumkonzentrierende „Belebung" soll privatistisch heissen, sofern es sich nicht um erzwungene Exklusion handelt. Ihr räumlicher Grenzwert ist die eigene Wohnung. Eine räumgreifende „Belebung" gilt uns als öffentlich, wobei das nicht mit der Öffentlichkeitsfiktion der Aufklärung oder des Art. 5 G G zur Fundierung einer simulierten politischen Anthropologie des mündigen Staatsbürgers gleichgesetzt ist. Gemessen daran ist der hier angesprochene öffentliche Charakter immer borniert, da er nur die subjektiven Raumdimensionen als einen Erfahrungsbereich spiegelt. Entscheidend daran ist in unserem Zusammenhang, daß die Stadtwahrnehmung des Individuums und seine Lebenswelt von der Ortsweite mitbestimmt werden: erstens von der Dimensionierung des einen oder der unterschiedlichen Orte, über die das Individuum im städtischen Raum verfügt; und zweitens von der sinnhaften Kohärenz der Orte. Belebung heißt hier Integration in ein konsistentes, biographisch bestimmtes Erfahrungswissen - wobei Erfahrung eine Differenzbestimmung des Wissens ist. Dieses Wissen kann in Raumbildern eine gestalthafte Konfiguration bilden. Simmel (ebd., 688 f.) schreibt, daß der Ort „überhaupt nur eine Tätigkeit der Seele ist, nur die menschliche Art, an sich unverbundene Sinnesaffektationen zu einheitlicher Anschauung zu verbinden". Uberlesen wir die wundervoll „altfränkische" Ausdrucksweise - eine Seele als synthetisierende Produktivkraft des Bewußtseins kennt die zeitgenössische Soziologie nicht mehr - , die „einheitliche Anschauung" ist genau jenes konsistente Erfahrungswissen. Wobei dem heutzutage eine doppelte Synthese zugrunde liegt: Die biographische Dimension wird zunehmend aus fragmentierten Lebenszusammenhängen und entkoppelten Rhythmen der zeitlichen Lebensphasen synthetisiert. Denn im postfordistischen Kapitalismus ist die planbare Normalbiographie zerfallen. In ihr hatten die selektiven Filter Ausbildung, Normalarbeitsverhältnis und Altersphase die soziale Schicht- und Statuszuweisung in allerdings variablen Grenzen einigermaßen stabil geregelt. (Osterland 1990) Hierin werden Raumdimensionen konsistent synthetisiert. Die Konsistenzbehauptung impliziert indessen keineswegs zeitliche Stabilität. Auch Raumerfahrungen - und 70
eine solche ist ja „Ort" - werden lebenspraktisch reproduziert und damit täglich neu strukturiert. Das impliziert situative und lebensweltliche Anpassungen, und diese unterliegen selbstverständlich biographischen Sprüngen, mit all ihren Neujustierungen von Identitäten.
Ort und Orte Ort ist also der Bezirk der Fraglosigkeit lebensweltlicher Vollzüge. Aufgrund der Körpergebundenheit aller Erfahrung steht der Mensch im Zentrum des Ortes. Ausgehend von dieser Zentralität des Erfahrungsraumes hatte Alfred Schütz (1975) deshalb eine Phänomenologie sich sinnlich und sozial ausdünnender Raumdimensionen entwickelt. Nun ist in der Moderne die vorindustrielle Raumeinheit der Lebenswelt als Ort aufgebrochen worden - was man zum ersten Mal als soziales und kulturelles Problem, geradezu als Desaster, bewußt in den sich konzentrisch entlang der radialen Versorgungsinfrastrukturen (Wasser, Kanalisation, Straßen, später Gas, Strom, ÖPNV) entwickelnden Industrie- und ehemaligen Residenzstädten wahrgenommen hatte. Wir sehen uns zwar immer noch im Zentrum unserer Erfahrungen, diese aber nicht mehr im Zentrum einer einheitlichen, von diesen Erfahrungen her räumlich gesättigten und beherrschten Lebenswelt. Die industrielle Arbeitsteilung hat gerade diese in räumlich zerstreute Orte zerlegt. Diese werden immer kleiner, ihr Zuordnungssystem vervielfältigt und zunehmend monofunktional bestimmt, die Zwischenräume werden größer. Zugleich definiert die Arbeitsteilung für die meisten Menschen zeitliche Allokationen von Ortsanwesenheiten und Raumnutzungen. Diese fallen insbesondere in den Verteilungszonen des Verkehrsraums, etwa zur Rush hour, enorm auf. Sie schlagen sich ebenso in der strikten zeitlichen Gliederung der Anwesenheit an Lebensorten nieder - Wohnung, Kneipe, Einkauf, geselliges Beisammensein. Auch diese zeitliche Gliederung ist Ortsreduktion, wird aber durch die zwei Jahrhunderte lang sozialisierte kapitalistische Arbeitsdisziplin und darüber hinaus durch die defensive städtische Verhaltensaskese subjektiv aufgefangen. Die Entwicklung beginnt in der Trennung von Arbeiten und Reproduktion des Lebens (zu Hause) mit der Industrialisierung, in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und erreicht im Fordismus ihren vorläufigen Höhepunkt, als für immer mehr Menschen, etwa in Großsiedlungsbauten (Trabantenstädten) am Stadtrand, aber auch in innerstädtischen Apartmenthäusern der zentrale Ort des Lebens buchstäblich auf
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die „eigenen" vier Wände zusammenschnurrt. Die Zunahme von Einpersonenhaushalten und unvollständiger Familien weitet diese Entwicklung sozial aus. Soziale Isolierung in nahezu vollständiger Ortsreduktion und die funktionale Verunmöglichung einer raumgreifenden subjektiven Ortskonstruktion sind häufig die Rückseite der neoliberal ideologisierten Individualisierung.18
Nivellierungen Die Ort-Raum-Differenz wird in der modernen Stadt - dasselbe gilt auch für Berufspendler aus dem Umland, für die Angehörigen der zunehmenden Zahl mobiler Berufe - als existenzielle Bedingung des zeitgenössischen Lebens „ertragen". Die Differenz ist zwar ungemütlich, aber in der modernen Stadt unhintergehbar. Dennoch wird immer wieder (mindestens gedanklich oder ideologisch) der Versuch gemacht, sie einzuebnen. Die Vorstellungen hierfür umfassen eine ganze Skala von Möglichkeiten. Den einen Pol bildet der Plan Voisin von Le Corbusier. Dieser Plan sieht bekanntlich auf dem zuvor planierten Gelände im Zentrum der großen Stadt Paris eine endlose Reihung identischer Großwohnblocks entlang schnurgerader, nach Betriebsarten aufgesplitteter Verkehrsadern vor. Dabei löst er alle Orte in einer grenzenlos gewordenen Raumgeometrie auf und subsumiert das Einzelne der Lebenswelten unter das Allgemeine einer abstrakten, räumlich aufgespannten, differenzlosen Gesellschaftlichkeit. Sennett (1991, 64) bezeichnet das als „zwanghafte Neutralisierung der Umwelt", deren Ursache er in einem „uralten unglücklichen Bewußtsein", in einer Angst vor dem Vergnügen" sieht. Das Ergebnis sei eine „protestantische Raum-Ethik". Das finden wir auch in den Stadtplanungen der Nationalsozialisten, etwa für Berlin oder Linz. In dem gesellschaftlichen Projekt der „Volksgemeinschaft" sollten alle intermediären Bereiche (Organisationen, Verbände, Gewerkschaften) zwischen Individuum und Staat zerschlagen und durch herrschaftsunmittelbare Bezüge ersetzt werden (und was sie auch tatsächlich weitgehend sind). Seinen räumlichen Ausdruck hätte dieses Projekt in neoklassischem Stil in den abstrakten, axialen Großraumgliederungen gefunden. Davon weichen die funktionalistischen Raumplanungen mit ihrem geschlossenen finish ab. Gleichwohl haben wir hier zwei Extremformen einer (macht)bestimmten Definition der Differenz vor uns, die sich an ihrer Beseitigung ausarbeiten. Die andere Extremform wird von ver72
schiedenen Varianten von Heimatideologien gebildet. Besonders bekannt geworden ist die präfaschistische Heimatbewegung, deren ideologischer Exponent nicht zufällig ein Architekt war, der als NS-Baumeister, Rasseund Kulturideologe bekannt gewordene Schultze-Naumburg. Hier wird der Raum im meist dörflich konzipierten Ort konstruiert: das Allgemeine, die Gesellschaftlichkeit moderner Lebenszusammenhänge wird hier unter das Einzelne einer total vergemeinschafteten Lebenswelt konkretistisch subsumiert. Beide entgegengesetzten Extremformen markieren in jeweils sehr stark konturierten Vorstellungsbildern die Differenz von Ort und Raum. Das geschieht aber nicht, um ihre Grenzen vermittelnd zu überqueren, sondern um sie ohne den Rest eines Dazwischen, den für Vermittlungen notwendigen Bereich, zu beseitigen. In beiden Fällen wird der Freiheitsgewinn der Moderne für das Individuum umstandslos kassiert: im ersten Fall für eine abstrakte Gesellschaftlichkeit standardisierter und maschinisierter Bezüge, gewissermaßen die Ankopplung der Wohnzelle an das fordistische Fließband; im zweiten für eine vormoderne Lebensgemeinschaft im Medium perfekter sozialer Kontrolle. In beiden Fällen wird Kultur als symbolischer Vermittlungszusammenhang in der Polarität von Ort und Raum schlicht überflüssig. Im ersten Fall der Totalisierung einer abstrakten Räumlichkeit gibt es nichts mehr zu vermitteln, im zweiten Fall herrscht idealiter völlige Identität. Kultur muß in beiden Fällen auf institutionalisierte Freizeitbeschäftigung abspecken oder - je nach Perspektive - aufgerüstet werden.
Entstehen von
Ort-Raum-Differenzen
Ort und Raum sind in der Geschichte der Menschheit nie identisch gewesen. Immer hat es mindestens den Ort des Lebens, den Zwischenraum des Jagens und Sammeins und das Unbekannte, den umgebenden, weiten, nie betretenen, von Göttern und Dämonen bewohnten Raum gegeben. Mit der Entwicklung städtischer Gesellschaften wird bei zunehmender Größe dieses Innen-/Außenverhältnis von Ort und Raum in das Innen der Stadt selbst hineingenommen, es existiert also fortan doppelt. Sennett (1995,239 ff.) beschreibt das sehr anschaulich am Paris des 14. Jahrhunderts und der Raumorientierung von dessen Bewohnern. Die mittelalterlichen Stadtaufstände, vor allem der .Ciompi'-Aufstand in Florenz, belegen das: Hier werden in der Auseinandersetzung um und zwischen den im Stadtspren73
gel zonierten Zünften innerstädtische Territorien umkämpft, Räume von zonierten Lebensorten aus erobert, wieder aufgegeben und schließlich neu eingerichtet. Die Ahnung, daß die Innen- und Außengrenze inzwischen im Innern der Stadt und zwar vielfältig verläuft, wird hier blutig ausgefochten. In Santa Croce oder in San Frediano erfolgt die Neueinrichtung in einer Weise, die heute noch sichtbar ist. Ort ist hier im allgemeinen durch Zunft-, Rats- und andere Ordnungen auch eine rechtlich gesicherte soziale Konstruktion, eine teilweise autonome Rechtskörperschaft von bisweilen beträchtlicher Größe und immer hoher sozialer Dichte. Das Gesamtarrangement der Stadt besteht aus verhältnismäßig wenigen solcher Ortszonen. Sie bilden zudem in ihrem rechtlichen Reglement einen (hierarchischen) Ordnungszusammenhang, der die faktischen Ort-Raum-Differenzen für den Einzelnen virtualisiert. Nur in Krisenzeiten, durch Rechtsusurpationen von Oligarchengruppen, Hungersnöte, offene Ungerechtigkeiten von Ratsregimen werden die sozialen Differenzen zwischen „uns" und „denen" auch als Raumdifferenzen wahrgenommen und oft genug mit scharfer Klinge und Mistgabel ausgefochten. Dabei bildet sich innergesellschaftlich im Ordnungsmodus ein relativ statisches Gesellschaftsmodell ab. Gleichwohl ist der soziale Prozeß der Ortskonstruktion im städtischen Raum dauerhaft im Fluß, auch wenn dieses Fließen nur in Krisenlagen als eine sozialräumliche Differenzbestimmung ins Bewußtsein tritt. Darüber hinaus gibt es eine große, nicht ortsfixierte Dynamik. Im Mittelalter herrscht eine hohe räumliche, heute wohl unbestrittene Mobilität. Die Schätzungen bewegen sich zwischen 20 und 30 Prozent der Bevölkerung, die zeitweilig oder dauerhaft unterwegs sind. Etwa ebenso hoch ist der Anteil der Nicht-Integrierten in den Städten, die von Bettelei, Prostitution, Armenspeisung in Hospizen oder von niedersten Gewerken extra muros leben. Die wenigen Straßen und Wege sind überfüllt von „fahrendem Volk". Nur gehört dessen Personal überwiegend gar nicht zur Gesellschaft, fällt aus dem ständischen oder städtischen Ordo und seiner wirtschaftlichen und kulturellen („Standesehre") Reproduktion heraus. Sie sind ausschließlich raumorientiert, entwurzelt und können keine „Wurzeln" schlagen, wie die deutsche Metapher für Lebensort lautet. Ihnen bleibt nur die Wahl der Raumorientierung. Gewiß macht Stadtluft frei von den feudalen Fesseln, wenn man es erst einmal geschafft hat, sie ein Jahr lang zu atmen. Doch ist sie oft genug noch zu dünn, um einen Menschen dauerhaft an einem Ort in einer Stadt zu umfächeln. Wie es heute die skrupellose Ausbeutung illegal eingewanderter Ausländer gibt, so gab 74
es damals immer wieder die Versuchung, mit nicht-zünftiger, also illegaler Arbeit die Produktionsquotierungen der Zunftauflagen zu unterlaufen - was das Zunftwesen schließlich auch von den Rändern her auflöste. N o c h bei einem anderen Teil der Stadtgesellschaft, den Händlern, ist der gesellschaftliche Status prekär. Einerseits gehören sie, wie in den Hanseund den italienischen Küstenstädten Venedig, Genua und Pisa, aber auch in anderen Städten zur Ratsoligarchie, wo sie ein sich selbst nobilitierendes Bürgertum bilden. Andererseits sind sie durch Handelsprofit, Zins und Wucher religiös verdächtig und müssen sich ihr Seelenheil mit fetten Stiftungen an die unersättliche Kirche in R o m und deren örtliche Niederlassungen erkaufen. Diese Händler sind zugleich ortsfixiert und raumorientiert. Aus der internen sozialen Dynamik - Transformation der rechtlichen Regelungen, wirtschaftliche Entwicklung im Niedergang des Zunftwesens, Prozesse von Ortskonstruktion - und der externen, verklammernden sozialen Dynamik (Handel) entwickelt sich im Frühkapitalismus und Frühindustrialismus eine umfassende Dynamik der Ausdifferenzierung eines neuen geschichteten Ungleichheitssystems (Klassen) mit differenten Kulturtypen einschließlich der hegemonialen bürgerlichen Kultur. Diese versorgen zwar die Städte neben der sozialen Segregation auch noch mit kulturellen Spaltungen und Polarisierungen, die in sich aber teils äußerst vital sind und ortsbildend funktionieren. Diese Ausdifferenzierung konstituiert zugleich das „kapitalistische Weltsystem" (Wallerstein 1974) als nationalstaatlich gestütztes Welthandelssystem. Vergesellschaftung findet nicht mehr ausschließlich am Ort statt, sie reicht über das System der Märkte und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung tief in den Raum hinein und weitet sich in ihm immer mehr aus. In der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt waren Ort und Raum noch als Identität eines abgegrenzten Innen virtualisiert. Deren Konstruktion konnte für alle sogar noch durch die Mauer als Erfahrung gesichert werden. Doch jetzt treten beide endgültig als soziale und geographische Größen auseinander und können von niemandem mehr in einem subjektiven Entwurf verbunden werden. Seinen vorläufigen Abschluß und Höhepunkt vor dem Ersten Weltkrieg findet diese Entwicklung in der stürmisch wachsenden Industriestadt. Betrachtet man ein regionales Städtekonglomerat wie das Ruhrgebiet, so kann man teilweise schon damals vom „Wuchern" sprechen. Bereits Simmel beobachtet, daß eine Stadt wie Berlin nicht mehr als Einheit zu begreifen ist, die von innen heraus in sozialer Hinsicht ihre Grenze definieren 75
könnte. Sie weise vielmehr über ihre Fläche und ihre internen sozialen Verknüpfungen hinweg über sich hinaus. Uber die modernen Kommunikationsmittel - Straßen, Eisenbahnen, Kanäle, Telegraphen - und nicht zuletzt über das Geld sei sie sozial und wirtschaftlich mit allen anderen Städten des Landes verbunden. Betrachtet man heute die Austauschverhältnisse der nationalen Ökonomien in ihren städtischen Basen, so kann man diese effektiv seit den siebziger/achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als lokale Handlungsfelder in einem Weltzusammenhang ansehen. Denn erst Ende der siebziger Jahre werden in den westlichen Industrieländern wieder jene Außenhandelsvolumina erreicht und schließlich überschritten, die bereits Ende der ersten Industrialisierungsphase 1913 erreicht waren. (Bairoch 1993) Rückbezogen auf die Städte als Zentren der Produktion und Distribution kann man Simmeis Argument verlängern: Die Städte weisen nicht einfach über sich hinaus in den nationalen Raum. Diese Verweisungen verknüpfen sich bereits zu einem weltweiten Städtesystem, das sich nach Ansicht der Global-City-Forscher erst heutzutage herausbilden soll. Allerdings wird man zugeben müssen, daß die Verknüpfungen der Städte in der ersten Industrialisierungsphase andere sind als in der heutigen dritten. Und die Auswirkungen auf die Städte selbst sind andere als heutzutage. So wird die rapide Urbanisierung im 19. Jahrhundert zwar als dramatisch empfunden und nicht selten genug auch als soziale Katastrophe erlebt. Aber das - nach der Idealisierung der Chicago School 19 - konzentrische Wachstum stellt die Gültigkeit der Vorstellung einer städtischen Struktur noch nicht in Frage. Rückblickend wird es in Teilen, wie den Vorstadtringen, geradezu als Ortsideal beschworen. (Hoffmann-Axthelm 1996) Demgegenüber gilt heute in den städtischen Großgebilden der Begriff Stadt nicht als rechtlich verfaßte Körperschaft, sondern als sozialräumliche Einheit als fraglich. Rein lebenspraktisch, also von den Individuen und nicht von den Strukturen her gesehen, ist in diesen Verhältnissen eine Ort-Raum-Beziehung überhaupt nicht mehr denkbar. Und doch wird sie für die Mitglieder einer neuen internationalen Klasse, die im Flugzeug und im Netz in eben diesen Verhältnissen lebt, ziemlich erfolgreich simuliert. Aber auch heruntergeschaltet auf lokale Gegebenheiten sind Ort-Raum-Differenzen für die Individuen als realitätsmächtige subjektive Eigenkonstruktionen nicht mehr ohne weiteres, das heißt ohne externe Vermittlungen zu überbrücken. Das Auseinandertreten von Ort und Raum im Ort der Stadt und dann darüber hinaus und dessen bewußte Wahrnehmung sind ein Konstituens der Moderne. Es fällt - in gewissen Zeitintervallen von Vor- und Nachläu76
fen - mit anderen Differenzierungen und Errungenschaften zusammen. So etwa gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit der Entstehung der neuen philosophischen Disziplin der Ästhetik und der Durchsetzung der seit der italienischen Renaissance thematisierten Kunstautonomie. Wenn Konstitution und Wahrnehmung der Differenz ein zentrales Konstituens der Moderne und fürderhin die Condition moderne des menschlichen Lebens sind, dann hat das für diese Condition eine höchst widersprüchliche Konsequenz. Einerseits ergibt sich aus der Ortsbezogenheit der leiblichen Erfahrungsstruktur die subjektiv begründete Notwendigkeit, die Differenz extern zu vermitteln. Das kann bis zur Verwischung und Auflösung ihrer Grenzen reichen. Denn Raum ist im Unterschied zu Ort tendenziell fremd und deshalb eine potentiell von Angst besetzte Größe. Diese kumuliert in der modernen, durch Konkurrenz vermittelten - und in dieser, und nur in dieser Perspektive individualisierten - Gesellschaft mit anderen Angstquellen zu einer Angst, deren gesellschaftliche Wirksamkeit gedämpft werden muß. Andererseits verlangt die vom Ort unabhängige, nicht leibliche sondern kognitive Erfahrungsstruktur zur Ausbildung eines realitätsmächtigen Erfahrungs- und Orientierungswissens die Aufrechterhaltung, sogar die bewußte Markierung der Differenz. Das ergibt eine ambivalente Gesamtstruktur, einen unaufhebbaren Widerspruch im Leben des modernen Menschen, dem nicht zu entkommen ist. Der Unwille, mehr noch die strukturell genährte Unfähigkeit vieler Menschen, diese Ambivalenz bewußt auf sich zu nehmen und kreativ zu wenden, bleibt Einfallstor rechtspopulistischer, nationalistischer und gemeinschaftsideologischer Instrumentalisierungen. Die dem Bewußtsein abverlangte Differenzbetonung droht ständig zugunsten übersteigerter Vermittlungsleistungen oder gar Grenzverwischungen einzubrechen. Denn diese sind durch die kapitalistische Warenproduktion leichter zu bedienen als jene, auch werden sie aus wirtschaftlichen und politischen Interessen bedient. Mag die Stadt auch noch so groß sein, so manifestieren sich hier in der Ort-Raum-Differenz auf engstem Raum alle anderen Differenzen und erschliessen so ein subversives Erfahrungspotential. Eine Rolle spielen dabei neben sozialen Differenzen von Ungleichheit und Polarisierungen kulturelle und Geschlechterdifferenzen sowie intergenerative Norm- und Lebensstildifferenzen. Und schließlich piazieren sich hier auch die verschiedenen autonomen Funktionssysteme der Gesellschaft und nehmen sogar bauliche Formen an. Alle diese Differenzen sind sowohl je für sich als auch darüber hinaus auch gebündelt in der Differenz von Ort und Raum wahrnehmbar, weil sie 77
mit dieser in einem wechselseitigen Konstitutionszusammenhang stehen. Ihre Vermittlung (oder Grenzverwischung) ist also nicht nur für einzelne Funktionssysteme wie lokale Politik, Kultur oder Recht ein funktionaler Imperativ. In sie werden vielmehr zwangsläufig auch fundamentale Interessen insbesondere wirtschaftlicher und politischer Natur investiert, um den Druck gesellschaftlicher Widersprüche möglichst niedrig zu halten.
Das Subjekt der Kultur
Gerade in seiner europäischen Spätphase, in der seine soziale Basis auch ihm selbst äußerst schmerzlich spürbar erodiert, reklamiert der klassische Bildungsbürger unverdrossen und kontrafaktisch zusammen mit dem humanistischen Bildungsanspruch den Status des selbsttransparenten Subjekts für sich. Die zeitgenössische textualistisch (Derrida) oder systemtheoretisch (Luhmann, Habermas) begründete Subjektkritik ist sinnvoll lesbar nicht in erster Linie als philosophische, wenngleich sie sich - wohl aus Traditionsgründen - auch so aufführt. Lesbar ist sie als soziologische an dem sich immer weiter öffnenden Graben zwischen der sozialen Grundlage, auf der Fichtes radikalisiertes Ich oder Hegels allgemeines Subjekt einst errichtet wurde. Und weiter als Kritik an dem in der Spätmoderne noch aufrecht erhaltenen Anspruch auf diesen Subjektbegriff als Selbstdeutung einer kleinen Gesellschaftsschicht; ein Anspruch, der sozial aber durch nichts mehr gedeckt ist. Denn die von Kant für diese Position in der Metaphysik der Sitten noch realistisch anvisierte Utopie einer Gesellschaft kleiner, autonomer Warenproduzenten war nicht eingetreten. Vielmehr hat sich der hoch monopolisierte Kapitalismus und Imperialismus aus den Schlußpartien von Hegels Rechtsphilosophie durchgesetzt, was Marx dann weiter ausgearbeitet hat. Wahrlich kein guter Nährboden für Subjekte. Noch keineswegs ist damit aber der rationelle, irreduzible Kern der Subjektphilosophie erledigt, den Manfred Frank vielmehr im Rückbezug auf Kierkegaard und Sartre auf das empirische Individuum zentriert.20 Dieses sei ein Subjekt in dem begründenden Sinne, den es von Descartes bis Husserl behauptet hat, daß es nämlich ohne Rationalität nicht gedacht werden könne. Es stellen sich mithin drei Fragen, ohne deren Beantwortung die zeitgenössischen kulturellen Erscheinungen und Wandlungsprozesse nicht zureichend begriffen werden können: Wie sind die Trägerschichten dieser Kultur beschaffen? Welchen Typus von Handlungsrationalität realisieren sie in ihrem alltäglichen Leben? Wie ist die Subjektivitätsform zu charakterisieren, die dieser Rationalität entspricht?203 79
Die Trägerschichten der zeitgenössischen
Stadtkultur
In den Sozialwissenschaften herrscht heute wohl einhellig die Ansicht vor, daß in der modernen Gesellschaft eine sachliche Differenzierung nach Gesichtspunkten monopolisierter Leistungserbringung für die Gesamtgesellschaft dominant geworden sei, eine, wie man so sagt, funktionale Differenzierung. Aber was heißt dominant und was wäre subdominant oder dominiert? Subdominant sind die verschiedenen Formen residualer sozialer Differenzierung, von denen als bekannteste die Familie übrig geblieben sein dürfte. Dies gilt ebenso für Differenzierung nach Schichtkriterien. Werden diese fundierten Formen heutzutage auch unbestritten von den Formen funktionaler Differenzierung überlagert und modifiziert, so kann eine empirische Kulturforschung dennoch nicht davon absehen. Denn sie ziehen nach wie vor langlebige Ungleichheitsbeziehungen in das gesellschaftliche Gefüge ein, an die sich neue Formen anschließen oder die sich aus ihnen ausdifferenzieren. Und über Kultur zu reden, dabei aber von Ungleichheit zu schweigen, käme einer eklatant verfälschenden Darstellung der Wirklichkeit gleich. Kultur ist ja nicht nur die Verkörperung der Ideale einer Gesellschaft, sie ist gleichermaßen intensiv an der Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Ungleichheit beteiligt, und das in all ihren Formen. Deshalb müssen wir bei aller Sachdifferenzierung nach Funktionszuweisungen von der evidenten Tatsache ausgehen, daß auch die Gesellschaft des postfordistischen Kapitalismus Schichtungscharakteristika besitzt, die bis hin zu Resten alter und der Wiedererrichtung neuer Klassenstrukturen reichen. (Dangschat 1998; Kreckel 1992,165-211; Geißler 1996) Im Verlauf der Moderne, die ja aus immer neuen Schüben und Umwälzungen ihrer materiellen Grundlagen und ihres funktionellen Apparates resultiert, bilden sich die Binnendifferenzierungen immer weiter aus, vor allem an ihrem wirtschafts- und sozialstatistischen „Mittelstandsbauch". Uns geht es hier allerdings nicht um eine Analyse der Sozialstruktur, sondern um deren kulturelle Repräsentanzen. Dabei ist daran zu erinnern, daß für die Zeit des Hochkapitalismus bis zum Faschismus die Zwei-Kulturen-Theorie gemeinhin als adäquate kulturelle Abbildung der Klassenstruktur gilt. Ihr zufolge stehen einander eine proletarische Kultur und die bürgerliche Hochkultur ebenso gegenüber wie die Klassen, denen sie zugerechnet werden. (Häußermann, Siebel 1997) Allerdings trügt dieser Schein eines eindeutigen Abbildverhältnisses. Denn erstens fallen in dieser Idealisierung alle internen Schichtungen des Klassenverhältnisses aus der 80
kulturtheoretischen Optik. Und zweitens sind die proletarischen Kulturen sehr stark von lokalen Lebens- und Arbeitsbedingungen geprägt. Deshalb sind sie wesentlich stärker ortsfixiert als die universalistische bürgerliche Hochkultur. Von der Vorstellung einer einheitlichen proletarischen Kultur könnte daher ohnehin keine Rede sein. Drittens stellt sich die Frage, wen die bürgerliche Hochkultur abbildet. Strukturanalytisch befindet man sich da bereits auf ziemlich glattem Parkett. Das Großbürgertum des Hochkapitalismus der Zeit nach 1871 ist es mit Sicherheit nicht, denn das kümmert sich um Aktien und Profit und verwechselt Repräsentation mit Kultur. Das Bildungsbürgertum, eine bereits in vorindustrielle und protobürgerliche Zeiten zurückreichende Schicht, käme da noch am ehesten in Frage, obgleich auch diese Gruppe soziostrukturell und in ihrer Ressourcenverfügung weit streut. Und schließlich sind viertens die sozialen Determinanten des kulturellen Habitus jedenfalls nicht in allen Territorialgesellschaften so eng, wie es nach Bourdieus Analyse der „feinen Unterschiede" für das Frankreich Ende der siebziger Jahre nahe zu liegen scheint.21 Hiervon legt bereits Kracauers qualitativ gehaltene Soziologie der Angestellten für die zwanziger Jahre beredtes Zeugnis ab. Sie zeigt, wie die alten und neuen (Angestellten) Mittelschichten (damals zunehmend nach unten) ausfransen und diese kulturell diffundieren. Ohne Zweifel gibt es dennoch Zusammenhänge zwischen der sozialen Lage der Menschen im gesellschaftlichen Ungleichheitssystem und ihren kulturellen Praktiken. Das Sozialgefüge ist auch heute noch immer vertikal geschichtet. Der Gegensatz von Kapital und Arbeit wird durch Faktoren wie Gender, Alter oder Ethnizität überlagert, die im Prinzip immer schon wirksam waren, heute aber durch massenwirksame Symbolisierungsprozesse stärker in den Vordergrund treten. Den Gegensatz überwölbende Strukturierungsmuster von Ungleichheiten werden schließlich noch durch politische Regulationen der Konfliktlinien hervorgerufen. Die Grundannahme von Dangschat (1998, 54), „daß die gegenwärtige Klassengesellschaft gleichzeitig über mehrere Reproduktions- und daher: Erscheinungsformen verfügt", hat deshalb einiges für sich. Bei Pierre Bourdieu ist es der strategische, distinktive Einsatz kultureller Kapitalien in der Ausbildung von Geschmack, Lebensstilen, konsumptiven Aneignungsformen oder der Verfügung über Diskurspraktiken und distinktiven Diskursthemen. Für deren Ausarbeitung können dann auch Ergebnisse der empirischen Milieu- (Schulze 1992) und Lebensstilforschung (Η. P. Müller 1992; Noller, Ronneburger 1995; Hradil 1990; Hradil 1992, 15-55) herangezogen werden. Unsere Ausgangsfrage im Sinne 81
der Formulierung Mike Featherstones (1990, 218), „wer die Produzenten und Träger postmoderner symbolischer Güter" seien, löst sich bei näherer Betrachtung des Reproduktionsarguments von Bourdieu also nicht einfach in ein Zurechnungsproblem von sozialer Praxis zu sozialer Position auf.22 So kann man sich beispielsweise die bei Robert Reich geschichtet dargestellten Gruppen nicht je für sich oder eine für alle als Kulturträger in dem Sinne vorstellen, wie wir vom „Bildungsbürgertum" zu sprechen gewohnt sind, das schon ziemlich heterogen zusammengesetzt war und es in seinen fortbestehenden Rudimenten noch immer ist. Denn auch in ihnen konzentrieren sich tradierte oder neue Gruppenbildungen, die auch für Lebensstile oder kulturelle Milieus ihre Bedeutung haben. So ist Berufsgruppenzugehörigkeit noch immer - trotz Enthierarchisierung, Dezentralisierung und Vernetzung der Arbeitsbeziehungen - eine bedeutsame Größe für die Bestimmung eines kulturellen Habitus. So konnten Noller und Ronneberger (1995) in ihrer Dienstleistungsstudie der Stadt Frankfurt zeigen, daß Banker, Werbetreibende und Angehörige von EDVBerufen sich in Wohnpräferenzen, Lebensstilen und kulturellen Praktiken grundlegend voneinander unterscheiden.
Typen von
Handlungsrationalität
Die Funktionssysteme zerlegen die Individuen in eine Vielzahl von Publikumsrollen, mit denen sie in jeweils exklusive kommunikative Beziehungen treten. Mit dem Rechtssystem verkehrt man nur als Rechtsunterworfener, mit dem politischen System in der Regel nur als Wähler, mit dem Wirtschaftssystem nur, indem man zahlt oder nicht zahlt. Religiöse Uberzeugung, Liebesleid oder Identitätsstörungen sind in diesen Beziehungen kein Berufungsgrund, sie sind schlicht uninteressant.23 Peter Fuchs (1992, 199 ff.) spricht deshalb im Hinblick auf die Beziehungen zwischen funktionalen Bereichen der Gesellschaft und der Person mit einiger Berechtigung vom „Dividuum".24 Also alle .persönlichen Dinge', aber auch die Beziehungen zu anderen funktionalen Bereichen sind aus der inkludierenden Beziehung zu jedem einzelnen Bereich oder System exkludiert. Man kann sich in seinem Umgang mit dem Wirtschaftssystem beispielsweise nicht auf eine erlittene Schmach oder einen grandiosen Sieg im Rechtssystem berufen; das macht den Braten nicht billiger. Aber gerade diese Exklusionen sind es, die eine historisch neue Ausbildung von Individualität ermöglichen, da diese von allen funktionalen Bezügen freigesetzt ist. 82
Ihr Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Differenzierungsform der Funktionalität ist deshalb zwar gegeben, aber negativ bestimmt. Uwe Sander (1998, 119) spricht von „Exklusionsindividualität". Sie wäre, da ohne Bezug zu den primären Strukturierungsmerkmalen der Gesellschaft, im Prinzip eine außerordentlich flüchtige, temporäre und instabile, rein persönliche Entwurfshandlung. Infolgedessen muß sie bearbeitet und in kollektive Beziehungen gesetzt werden, um in der Zeitdimension wenigstens relative Stabilität zu gewinnen. Die Geburtsnötigung, Produkt von Exklusionen zu sein, schreibt dem Bewußtsein dauerhaft die Vorstellung ein, die Referenzen seien freie, autonom gewählte Optionen. Anders ist die auch in den Sozialwissenschaften beschworene Individualisierungsmanie angesichts der unübersehbaren kulturellen, lebensstilbezogenen, konsumptiven und noch vieler anderer Homogenitäten und Massenphänomene kaum zu erklären. Die Möglichkeit, diese Individualitätsform zu bearbeiten, werden in der Sozialdimension ein- und ausgespielt und berühren weder die funktionale Differenzierung der Gesellschaft allgemein noch deren Teilsysteme, soweit sie nicht mit spezifischen Bearbeitungsaufträgen betraut sind. (Ebd., 121 f.) Aber das sind sie eben nie für die ganze Person. Emotionen, Moral, Identitäten, Kritik - zum Beispiel „an der Gesellschaft" - , Selbst- und Fremdeinschätzungen sowie alle individuellen Problemlagen bleiben exkludiert. Sie erreichen die Gesellschaft etwa im Sinne der Einklagbarkeit von Ansprüchen oder der Anmeldung von Beschwerden nicht mehr, sie sind Privatangelegenheit und machen die individuelle Verfaßtheit einer Person aus. Ja, sie werden gesellschaftlich-funktional irrelevant und zusammen mit ihrer Kondition in der Sozialdimension wie Berufsstatus, Armut oder Diskriminierung biographisiert. Daß all dies sachlich aus der Gesellschaft ausgeschlossen ist, bringt einerseits einen zusätzlichen Individualisierungsschub in die oben dargelegten sozialen Schichtungen. Es löst die in ihren historischen Restbeständen tradierten Besonderheiten noch etwas weiter auf und kulturalisiert andererseits die Individualitätsoption sehr stark. Denn das Individuum erscheint sich selbst nicht mehr als gesellschaftliche Form. Vielmehr meint es, sich als Selbstschöpfung, gewissermaßen als kulturelle Leistung aus sich heraus zu erfahren. Der Eindruck verfestigt sich, daß diese Leistung jetzt nur noch relativ dünn mit gesellschaftlichen Strukturelementen und einer diese überwölbenden integrativen Normativität in Beziehung steht. Daß eine solche Exklusionsindividualität mit Unsicherheiten, auch Ängstlichkeiten befrachtet sein muß, steht unter der Perspektive eines solchen Selbstanspruchs außer Frage. Das gilt auch für die sozialen Beziehungen. Mögen 83
KENWOOD
Muß man haben
„Schon lange war ich auf der Suche nach einer Küchenmaschine. Aber entweder waren meine Ansprüche zu hoch oder die der anderen zu niedrig, jedenfalls fand ich nichts, was meinen Vorstellungen auch nur nahe kam. Bis ich sie sah, die Kenwood Chef: kühl und glänzend stand sie da, souverän, elegant und gleichzeitig eine ruhige Kraft ausstrahlend. Da wußte ich: ich mußte sie einfach haben. Sie oder keine. Und als sie dann endlich zu Hause vor mir stand und ich sie ganz für mich betrachten konnte, spürte ich - ich war einfach stolz. Können Sie das verstehen?"
,Ich mußte sie einfach haben" (Kenwood-Werbung)
84
diese auch noch so wichtig sein, so werden sie womöglich locker gehalten, um bei immer häufiger vorkommenden Neukonfigurationen mögliche Identitätsschäden und psychische Leiden zu vermeiden.
Handlungsrationalitäten
kultureller
Trägerschichten
Von der Gruppe der Symbolproduzenten können wir sagen, daß sie keinen einheitlichen Block bildet. Sie ist außerordentlich stark geschichtet und zersplittert, sowohl beruflich als auch funktionell. Aber gemeinsam ist ihnen, daß sie sich kulturell über ihre - intern sich gleichwohl unterscheidenden - Fähigkeiten zur Asthetisierung des Alltagslebens und über die Produktion und Konsumtion symbolischer Güter reproduzieren. Diese sind dabei weit weniger das Sahnehäubchen ihres Lebens, die zur Schau getragene Zuckerseite, sondern in erster Linie ihre Lebensmittel. In ihrer Arbeit leben sie davon, solche Güter herzustellen und zu verwenden, und sie tun das auch im Alltag. Dadurch gewinnen sie, unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke und Verteilung in der Gesellschaft, kulturelle Hegemonie. Mike Featherstone (1990) hat gezeigt, wie diese Gruppe seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich zugenommen hat und seit der Bildungsexplosion in den sechziger Jahren fulminante Zuwachsraten aufweist. Der von ihr getragene mediale, literarische, ästhetische, kulturtheoretische, sozialwissenschaftliche oder urbanistische Diskurs, zugleich materielle Grundlage ihrer Lebensfristung, produziert Formen und Legitimationen ästhetischer Lebensmodelle, die sie gleicherweise medial verallgemeinern und lebenspraktisch realisieren. Diese Figur des Symbolproduzenten war zu Beginn ihrer historischen Ausbildung als großstädtischer Literat oder literarischer Intellektueller im Berlin, München, Wien oder Paris der zwanziger Jahre noch eher ein romantisches und außenseiterisches Ideal. Heute ist sie in alle Poren des gesellschaftlichen Lebens eingedrungen und steuert und distribuiert intellektuelle Verwertungsprozesse in Produktion, Dienstleistung und Kulturindustrie. In dieser Doppelfunktion als Propagandist der eigenen Lebenspraxis ist sie zum stilbildenden Vorbild für den größten Teil der Gesellschaft geworden, der noch nicht in städtische Armenreservate abgeschoben ist. Hierzu ist die Gruppe der Symbolproduzenten nicht etwa durch ihren großen proportionalen Anteil an der Gesamtbevölkerung befähigt. Im Gegenteil: der ist trotz der mit Featherstone angesprochenen Wachstumsrate cum grano salis relativ gering. Vielmehr ist es die Verfü85
gung über oder mindestens der Zugang zu den symbolischen Produktionsmitteln, was ihnen ihre kulturelle Definitionsmacht gibt. Gleichzeitig haben sie die existenzielle Entscheidungsmöglichkeit, ihre Bindungen an die traditionelle Hochkultur zu lockern und sich stärker den kommerziellen Mächten der Populärkultur zu verbünden. Das berührt vor allem Massenmedien, Werbung, Architektur oder Softwareentwicklung. Es hat also keinen plötzlichen, postmodernen Bruch gegeben. Eher handelt es sich um einen langfristigen Trend der Produktion kultureller Intelligenz, der mit sozialen Transformationen des fordistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells zusammenfällt und zu einem Anstieg im Produktions- und Konsumniveau kultureller und symbolischer Güter geführt hat. Dies spielt sich vor allem in der ersten, aber auch in der zweiten, von Robert Reich charakterisierten Gruppe ab - einmal unter den Management- und (meist akademischen) Dienstleistungsbeschäftigten, die dem Produktions- und Finanzsektor zuarbeiten; zum anderen unter den Kulturvermittlern im Sinne Bourdieus, den Beschäftigten in Werbung, Design, Kulturmanagement, Architektur, Tourismus, Software-Entwicklung, Internet. Entscheidend für die Dynamisierung der Ästhetisierungsprozesse, darin ist Featherstone zuzustimmen, waren gerade die sozialen Bewegungen im Gefolge des Jugendaufbruchs des Rock' n'Roll und der Achtundsechziger. Sie wollten die Phantasie an die Macht bringen und haben damit der Asthetisierung des Alltagslebens und des öffentlichen Raums einen starken Anfangsimpuls gegeben. Die sub- und oppositionell jugendkulturelle Prägung dieser Bewegungen haben die Entdifferenzierung und Durchdringung von Hoch- und Popularkultur in Gang gesetzt, die ganz unabhängig von etwaigen inhaltlichen Banalitäten - teils mit einem hohen ästhetischen Standard, teils in unglaublicher Vulgarität - die gegenwärtige Kultur der kapitalistischen Gesellschaft prägt. Und diese kann aufgrund ihrer allgemeinen Zugänglichkeit das Bild entstrukturierter Klassenverhältnisse und der freien, individuellen Wahl distinktiver Konstrukte zeichnen. Die Formation der Symbolproduzenten ist bereits in Robert Reichs Typologie kein einheitlicher sozialer Block, erst recht nicht, wenn man die kulturellen Reproduktionspraktiken ihrer sozialen Positionen betrachtet. Scott Lash (1990) unterscheidet in seiner „Soziologie der Postmoderne" nach Symbolpraktiken - in unserer Ausdrucksweise: nach kulturellen Reproduktionsstrategien - zwei Hauptgruppen, die nach den Kategorien von Lebensstil- und Milieubildung in sich noch einmal differenziert in Erscheinung treten. Zum einen sind es die hegemonialen oder Main86
stream-Postmodernen. Sie repräsentieren die Dominanz der neuen Mittelklassen mit ihren Werten eines konkurrenzvermittelten Individualismus. Diese Dominanz drückt sich zudem im Stil des distinguierenden, hochästhetischen Konsumismus des gegenwärtigen Kapitalismus aus. Dazu gehört, wenngleich in inzwischen abgeschwächter Form, nach wie vor der demonstrative Gebrauch kultureller Objekte, deren Diversität schichtintern und -extern Distinktionsgrenzen markiert. Auf der anderen Seite stehen die „ oppositionellen " Postmodernen, die sich weitgehend aus den sozialen Bewegungen der Vergangenheit rekrutieren. Entsprechend ist diese Fraktion normativ offener. Sie vertritt heterodoxe Wertvorstellungen, an denen primär der Pluralismus-Diskurs anknüpft. Die Transformationen der kapitalistischen Produktionsweise im Niedergang des fordistischen Regulationsmodells, die gewöhnlich mit Begriffen wie Dienstleistungs- oder Informationsgesellschaft belegt werden , hat zu tiefgreifenden funktionellen und demografischen Wandlungen geführt. Als deren Resultat sehen wir nicht nur soziale Polarisierungsprozesse, die heute zunehmend die Geographie des städtischen Raums segregativ bestimmen. Vielmehr hat darüber hinaus auf der einen Seite der Polarisierung eine kulturell kompetente, in Lebensstilen und Milieus zersplitterte Mittelschicht die Bühne der neuen Urbanen Zentren betreten. Sie hat sich diese Bühne mit der Ausbildung und Durchsetzung kommunaler Regulationsregimes mehr oder weniger selbst geschaffen. Zweifelsfrei haben wir es hier mit einer hegemonialen Strategie zu tun, weil sich die Angehörigen der Mittelschicht in ihrer sozialen Existenz ganz wesentlich über ihre Fähigkeit reproduzieren, den Alltag und seine Orte zu ästhetisieren. Das hier angehäufte und zugleich ausgespielte kulturelle Kapital sowie das kognitive und ästhetische Vermögen in Produktion und Konsum befähigen sie in entscheidender Weise, die globalen, aber auch die lokalen Ströme der Zeichen - seien es Informationen, Geldzeichen, Entwürfe oder Bilder - zu kontrollieren und zu manipulieren, zu füttern und zu steuern. Alle diese Vermögen bündeln sich in der Ausbildung autonomer, ästhetisch imprägnierter Lebensformen sowie in der Unabhängigkeit zur expliziten Abgrenzung gegen andere soziale Gruppierungen. Beides wird in extenso ausagiert. Denn das Projekt der Ästhetisierung der Lebenswelten, das in konsumptiver und affirmativer Wendung den künstlerischen Avantgarden des ersten Drittels des Jahrhunderts entlehnt ist, behält ja nur so lange seine distinktive Kraft, wie es unvollendet bleibt und seinen insularen Charakter in einer ansonsten depravierten Welt, auch städtischen Umwelt behält. Nur dann kann es seine Träger in den oberen 87
Segmenten der Mittelschicht halten und ihren städtischen Lebens- und Selbstdarstellungsraum als besonderen Ort auszeichnen. Betrachtet man die ganze Gesellschaft, so hat sich das ästhetische Vermögen erheblich ausgeweitet. Doch nicht anders als im 19. Jahrhundert bleibt es aber auch jetzt noch wesentlich Schichtattribut, vor allem in produktiver Hinsicht - auch in konsumptiver Hinsicht insoweit, als unter den heutigen Bedingungen und Möglichkeiten auch eine kleinteilige Produktion bei konsumptiver Stilexpansion immer wieder neue, exklusive Standards setzen lassen kann.26 Entfalten kann sie sich freilich weiterhin nur auf einem breiten Sockel standardisierter Massenproduktion, von der die Sicherung ihrer Exklusivität als Stil stark abhängt. Man muß dabei aber sehen, daß konsumptive Stilbildungsprozesse einen Wettlauf gegen die Zeit unter hohem Konkurrenzdruck sind. Denn nicht zuletzt handelt es sich hier um eine Ungleichheitssemantik (Neckel 1991), die in Deutungskämpfen um den „richtigen" Stil und den „richtigen" Ort eingesetzt wird und damit Zugehörigkeitsbeziehungsweise Ausschlußregeln formuliert. Sehen kann man das etwa an den kurzen Halbwertzeiten von In-Kneipen mit verkürzten Abschreibungsfristen. (Dröge, Krämer-Badoni 1987) Für die hohen Investitionen der Innenstadtgestaltung verspricht das nichts Gutes. Die Handlungsrationalität, die diese kulturell bestimmende Schicht in ihren vielfältigen Erscheinungsformen realisiert, ist kaum noch der innerweltliche Asketismus, der die Akkumulationsphase des industriellen Kapitalismus nach Ansicht Max Webers geprägt hat. Insofern ist die traditionelle Hochkultur auch weniger ihr kulturelles Verwirklichungsplateau, da deren Aneignung nahezu eine solche Disziplinierung des Antriebspotentials voraussetzt wie die kapitalistische Akkumulation selber. Es gibt in der derzeitigen Gesellschaft aber offensichtlich keinen sozialen Kernbereich mehr, der eine solche Haltung zu verallgemeinern in der Lage wäre. Ebenso wenig ist aber ein konsumistischer Hedonismus als primärer Handlungsantrieb zu unterstellen, auch wenn sich diese Interpretation kulturkritisch oft anbietet. Vielmehr ist eine ästhetische Handlungsrationalität anzunehmen, die das reflexive Ausdrucks- und Aneignungsverhalten steuert. Das hedonistische Moment darin verdankt sich allein der Tatsache, daß sich dieses Verhalten in Anbetracht seiner populärkulturellen Orientierung überwiegend auf kommerzielle, also warenförmige Angebote bezieht. Das ist jedoch nicht primär auf die Uberflußproduktion der westlichen Gesellschaften zurückzuführen, wie dies in konsumkritischen Argumentationen seit der Warenästhetik von Wolfgang Fritz Haug (1971) vorgetragen wird 88
und wie sie auch implizit kulturellen Milieutheorien (G. Schulze 1992) zugrunde liegen, wofür dem Augenschein nach ja auch das Uberhandnehmen von Werbung und Design zu sprechen scheint. Aber dieses Argument erklärt nicht Phänomene wie die architektonische Postmoderne oder die gelegentlich absurd anmutenden Investitionen in Stadtraumgestaltungen oder die Ausgaben für kulturelle Events in den Großstädten. Von Max Weber stammt das Theorem von der Ausdifferenzierung der Wertsphären, das historischer und logischer Ausgangspunkt zeitgenössischer Differenzierungstheorien geworden ist. Eine dieser Wertsphären ist die Ästhetik. Für Max Weber hieß das noch: die Kunst. Diese Ausdifferenzierung führt zur Autonomisierung und zur Selbstbezüglichkeit aller Operationen innerhalb der Wertsphäre. Diese Unabhängigkeit einer weitgehend intern gesteuerten Entwicklung der Sphären, die für den weiteren historischen Verlauf einen expliziten Verzicht auf und eine Absage an eine integrierte Einheit gesellschaftlicher Prozesse impliziert, bringt der ästhetischen Wertsphäre einen enormen, ja ausufernden und verallgemeinernden Bedeutungsschub in der innergesellschaftlichen Systemkonkurrenz.27 Es ist dieser Bedeutungszuwachs, der die funktionalistische Zurechnungslogik (Kultur folgt Ökonomie) aufsprengt. Asthetisierung ist daher kein primäres funktionales Erfordernis für ein Drittes. Vielmehr richtet sich dieses in ihr ein aufgrund der überragenden gesamtgesellschaftlichen Bedeutung, die Asthetisierung durch ihre autonome Sphärenentwicklung seit Ende des 18. Jahrhunderts genommen hat. Bei diesem Dritten kann es sich ebenso um eine distinktive Statusausstattung durch den Konsum ästhetischer Objekte handeln wie um eine sozial differenzierte stadträumliche Ordnung durch ortsbezogene Gestaltungsmassnahmen, die dann eben andernorts unterbleiben. Doch zurück zu Scott Lashs zwei Weisen des Postmodernismus, die als oppositionelle und als mainstream sozial unterschiedlich konstituiert sind. Sie können von daher unterschiedliche Orientierungen aufweisen, doch gehen beide in derselben sozialen Formation auf. Wenn wir bei den Gruppierungen der Mittelschicht eine ästhetische Handlungsrationalität in Produktion und Konsum unterstellen, so dürfen wir nicht übersehen, daß diese, etwa im Unterschied zu einer instrumenteilen (ökonomischen) Rationalität, bezeichnenderweise nicht eindeutig ist. Dazu tritt Asthetisierung als Medium aufgrund ihrer historischen Genese in einem viel zu großen Formenreichtum in Erscheinung. Ganz offenkundig verfügt sie über das Potential, ständig neue Formen zu generieren oder „auszuflocken", wie Peter Fuchs (1994, 23) mit dem schönen Bild des bei zu großer Hitze 89
klumpenden (Form) Griesbreis (Medium) formuliert. Für die Wahrnehmung ästhetischer Optionen bedeutet das in jedem Fall, daß eine Auswahl getroffen werden muß. Wobei das Ineinanderfließen der beiden postmodernen Tendenzen zur Simulation von Identität Binnendifferenzierungen, also Selektionsmuster, erforderlich macht. Dazu werden dieselben symbolischen Mittel verwendet, die das Unterfutter der Kompetenz bilden, die ästhetische Mediatisierung der öffentlich inszenierten, sozialen Identität. Das erklärt einerseits die Dominanz von Lebensstilmustern, in denen sich die Binnendifferenzierung der Schicht horizontal artikuliert. Andererseits ergibt sich aus dieser Betrachtung relativ zwanglos die Erkenntnis, daß die anfänglich erscheinende Diffusität der ästhetischen Handlungsrationalität insofern doch eine instrumentelle Komponente besitzt, als sie in Wirklichkeit eine Rationalität des ästhetischen Experimentierens ist. Dieses Experimentieren bedeutet einen sehr raschen Formwandel des ästhetischen Mediums, ein dauerndes Aufleuchten und Verlöschen ästhetischer Formen und Objekte, das als Mode wahrgenommen wird. Die wirtschaftsdeterministische Interpretation dieses Zusammenhanges ergibt sich aus der offenkundigen Tatsache, daß die Befriedigung der expressiven Bedürfnisse in dieser Gesellschaft zwangsläufig marktförmig erfolgen muß. Das propagandistische Trommelfeuer neoliberaler Angebotsökonomie hat dabei die wissenschaftliche Wahrnehmung offenbar so weit eingeengt, dass einer flexiblen Marktplanung zugeschrieben wird, was realiter den distinktiven Differenzierungsbedürfnissen einer nach Berufsstatus und funktionellen Bezügen kulturell kompetenten Mittelschicht geschuldet ist. Durch die Bedeutung des Konsums für die kulturelle Reproduktion ihres Sozialstatus und darin ihrer Milieuzugehörigkeit und Lebensstilpraxis induziert sie eine Nachfrage, die erst einmal produktiv aufgenommen werden muß. Und das ist angesichts der Zersplitterung der Schicht und der damit einhergehenden kleinteiligen, außerdem oft stark lokal bestimmten Marktsegmentierung nicht leicht. Wie sehr, das zeigen die Probleme der Konsumforschung und der darauf basierenden, an Zielgruppen orientierten Werbeansprache in den Medien, da eine normale Standardmarktforschung für Güter des gehobenen Bedarfs schon lange nicht mehr reicht. Sehen kann man dies auch im Raum der Stadt. Die klassische Distinktionsstrategie der Mittelschichten der fordistischen Ära ist der Umzug ins stadtnahe Umland, was bekanntlich zu Suburbanisierung, Zersiedlung und monotonem Siedlungsbrei geführt hat. Das ist heute nicht mehr die idealtypische Verräumlichung des - seinerzeit sehr homogenen - Lebensstils der Mittelschichten. Dieser ist nur noch eine Option unter mehreren. 90
Andere richten sich wieder stärker auf das Kerngebiet der Städte, vor allem auf innenstadtnahe Altbauquartiere. Dort stricken sie am Lieblingsthema der Stadtsoziologie, der Segregation durch Gentrifizierung. Untersuchungen zeigen, daß es in der Stadt keine einheitlichen Muster der Raumnutzung für Wohnen, Freizeitbeschäftigungen mehr gibt. Daß auch in den Mittelschichten der Symbolproduzenten Lebensstile verhältnismäßig eng mit Berufsgruppen verbunden sind, nur eben stärker aufgesplittert als früher. (Noller, Ronneberger 1995; Noller 1999)
Raumbilder 2 Die stilbildenden Elemente fließen auch hier wieder in Raumbildern zusammen. Raumbilder, daran sei an dieser Stelle noch einmal erinnert, strukturieren die Dingwahrnehmung und sind insoweit Grundlage der spontan wahrgenommenen Raumästhetik. Diese Bilder sind teils Sedimente und Ubersetzungen kollektiver Erinnerungen. So hat der Geograph Georg Hard an einer Hermeneutik des Rasens Ausbildung und Wanderung von Vorstellungsbildern in der Zeit aufzuzeigen versucht. Wiesen und Weiden, die als Landschaftsformen unter den Druck der Ökonomisierung der Landwirtschaft geraten, werden im 18. Jahrhundert zu Bestandteilen des Landschaftsgartens um das Gutshaus als Bild Arkadiens angelegt. Uber deren Umformung zum bürgerlichen Landsitz schrumpft der Rasen schließlich als Miniaturisierung des Parks vor allem seit den fünfziger Jahren zum Bild des bürgerlichen Wohnens in vorstädtischen Siedlungsgebieten. (Hard, zit. nach Ipsen 1997, 95 f.) Dieses Raumbild bindet noch immer einen eher traditionellen, an der Familie orientierten Mittelklasse-Lebensstil, wie er etwa bei gehobenen Angestellten und Beamten oder bei Bankern vorherrscht. Aber auch das ist nicht ohne weiteres zu verallgemeinern. Denn neben Berufsgruppenzugehörigkeit spielt heute die Zugehörigkeit zu bestimmten Alterskohorten für Präferenzsysteme der Lebensgestaltung eine dominierende Rolle. Das Raumbild ist jedenfalls keineswegs erloschen, auch wenn es weithin - in Gruppierungen und Kohorten mit anderen Präferenzen - als etwas mediokre und „altfränkisch" gilt, zumal die Vorstellung einer „stadtgemäßen Natur" (ebd.), in der zwischen Kraut und Unkraut klar zu unterscheiden ist, in der Flächen fressenden Aufreihung des Immergleichen, der optischen Unterkomplexität der Monotonie nicht nur funktional sondern auch ästhetisch zerfällt.
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Andererseits entstehen in anderen Mittelschichtsegmenten mit neuen Lebensstilen und Milieubildungen neue Raumbilder, die, wie Detlev Ipsen überzeugend gezeigt hat (1997,16), aufs engste mit Lebensstilen assoziiert sind. 28 Die Ausgriffe auf Erinnerungsbestände sind hier besonders vielfältig. Kann man vielleicht ein einheitliches Raumbild der modernen, hier: fordistischen Stadt als räumliche Totalität unterstellen, so impliziert das eine Vorstellung vom guten Leben als eines in einer Innen- und Umwelt von funktioneller Modernität. Das gilt sicher nicht nur für die Planer jener Ära, sondern auch für große Teile der Bevölkerung. Anders ist es unvorstellbar, daß man über zwanzig Jahre, bis in die Siebziger, die Modernisierung so widerspruchslos hingenommen hat. Tatsächlich hat man sie sogar bereitwillig akzeptiert, denn auf der Gewinnseite stand lange Zeit eine unbestreitbare Zunahme des Wohlstands. Dessen ästhetische, städtebauliche oder ökologische Kosten werden erst nach Jahrzehnten auch als individuelle Einbuße an Lebensqualität wahrgenommen. Dieses Modernitätsbild zerfließt wenigstens in seiner ästhetischen Struktur und löst sich in verschiedene, teils vormoderne Bilder auf, die freilich auf die funktionellen Bedingungen zeitgenössischen Lebens aufgeschwemmt werden, wie Versorgungseinrichtungen, Verkehrsanbindungen, Haushaltsmechanisierung. Diese Modernisierung der individuellen Lebensgestaltung wird aber anders kontextualisiert. Bildmächtig sind hier vor allem zwei Diskurse, die unter den Angehörigen der neuen Mittelschichten geführt werden und den oben mit Scott Lash angesprochenen beiden Postmoderne-Traditionen entstammen: der Naturdiskurs und der Urbanitätsdiskurs. Hier bilden sich die bildnerischen Elemente und Farben für neu-alte Raumbilder aus. Ihre beiden Extremformen sind der Rückzug in die dörfliche Idylle mit einer technisch, vor allem kommunikationsund verkehrstechnisch hochgerüsteten Wohninnenwelt. Varianten dieses Raumbildes der Moderne in der Natur sind vor allem bei Freiberuflern häufig anzutreffen. 29 Überdies wird der ländlich-aktive Lebensstil als Kontrastfolie zum Wohnen in verkommenen und vermeintlich kriminalisierten Städten von Cyberfreaks ideologisch hoch aufgeladen (bei Rötzer 1995), so daß der Diskurs so noch einen High-tech-Kick erhält. Das andere - ebenfalls örtlich variable - Extrem bildet das gentrifizierte Wohnumfeld innenstadtnaher Altbauquartiere im historischen Outfit der Jahrhundertwende oder renovierte Industriebauten, Lofts. Es ist sicher nicht verfehlt, aus all den Befunden die gut begründete Vermutung abzuleiten, daß auch Raumbilder, wie es schon für die Lebensstile festgestellt wurde, sich nicht nur wandeln, überlagern oder untergehen. 92
Ihre Neubildung sind gerade für die beruflichen Eliten der heutigen Mittelklassen ästhetische Experimentierfelder, die in milieubildenden urbanistischen Diskursen rückgekoppelt sind. Gerade der systemstabilisierende Rückkopplungseffekt spricht dafür, daß sich in diesem Experimentierfeld mittelfristig einige wenige dominante Lebensstil- und Raumbildkombinationen selektiv durchsetzen werden, die die Gestalt der Kernstädte, aber auch Teile der ländlichen Regionen prägen werden.
Ästhetisierung
Funktion der Kultur Daß Kultur und Ästhetisierung mehr sind als nur strategische Instrumente ökonomischer Maßnahmen 30 , belegt hinreichend die im vorausgegangenen Abschnitt erörterte Besonderheit der Konstitution des Subjekts der Kultur heute. Als Angehöriger der Mittelschicht reproduziert es seine soziale Existenz durch Ästhetisierung des Alltags und seiner Orte. Dabei formt sich eine neuartige Handlungsrationalität aus, von der wir sagten, daß sie ästhetisch bestimmt ist. Sie steuert das reflexive Ausdrucks- und Aneignungsverhalten und ist - im Gegensatz zur instrumentellen, ökonomischen Rationalität - als Rationalität des Experimentierens nicht eindeutig. Distinktive Differenzierungsbedürfnisse sind zwar marktabhängig, da sie über den Konsum von Gütern befriedigt werden. Es wäre allerdings irreführend anzunehmen, sie würden vom Markt aus in Gang gesetzt. Die folgenden Überlegungen zielen auf die Bedingungen der Möglichkeit des Funktionierens der Kultur im oben angesprochenen Sinn, um auf dieser Grundlage zu zeigen, wie das Funktionieren funktioniert. Allerdings betrachten wir das nicht unter strategischen, sondern unter medialen Gesichtspunkten. Strategie begreifen wir in diesem Zusammenhang als externe Formgebung des Mediums - im Unterschied zu Formen, die sich gewissermaßen „von selbst" aus dem Medium ergeben. Selbstverständlich kann beides zusammentreffen. Wenn wir vom ökonomischen Kulturmodell sprechen, heißt das aber nicht, daß die wirtschaftliche Zielsetzung die Ästhetisierung determiniert. Auch sie muß sich zu guten Teilen der Erscheinungsweise ihrer medialen Formen unterwerfen; sie kann sie allerdings nachgängig besetzen und mit Bedeutung belegen. Unser wichtigstes Argument lautet, daß die zeitgenössische Ästhetisierung auf einer älteren Bewegung aufruht, die bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts hineinreicht. 31 Darin ist Ästhetisierung in verschiedenen Formen institutionalisiert und zunehmend in den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß eingebunden worden. Von dieser Bewegung aus verallgemeinert sie sich heute. Die einzelnen Schübe der Institutionalisierung laufen teilweise mit produktionstechnischen und konsumptiven Innovationen 94
parallel und sind vor allem mit der typologischen Ausdifferenzierung der Medienindustrien und dem zunehmenden Formenreichtum ihrer Produkte eng verkoppelt. Viele, ausgesprochen strategische Asthetisierungsprojekte in der Vergangenheit - etwa die der historischen Avantgarden oder die der Nazionalsozialisten - zielen geradezu darauf, die technischen Medien durch Formvorgaben zu erneuern. Dies geschieht, indem kulturelle Formen mit der Absicht entwickelt werden, sie medial, vor allem in Bildmedien, zu adaptieren. Besonders die Nazionalsozialisten sind in ihren bildorientierten Masseninszenierungen für die Ausbildung von televisionären Wahrnehmungsformen der Nachkriegszeit richtungsweisend. (Großklaus 1995,127 f.) Mittlerweile ist die Asthetisierung in ihrer universellen Ausformung die dominante Tendenz der kulturellen Entwicklung in der Gegenwart. Wie unsere früheren Untersuchungen gezeigt haben, geht diese in Deutschland konstitutionell auf die Verallgemeinerung des ästhetischen Zentrums der bürgerlichen Hochkultur zurück. Angelegt bereits im wilhelminischen Kulturstaatsverständnis ist sie unterm politischen Primat „totaler" kultureller Hegemonie von den Nazionalsozialisten durchgesetzt worden. Der Anschluß nach 1945 erfolgte hier bruchlos. Die Nazionalsozialisten hatten freilich ein massenkulturelles Kontinuum von H o c h bis Tief etabliert, das vollständig mit dem ästhetischen Schein einer künstlerischen Mitte bedient wurde, die auf alle kulturellen Erscheinungsformen - und sei es auch nur im Interpretationsbogen der Macht - übertragen wurde. Dieses Kontinuum wurde nach 1945 noch einmal von einer übriggebliebenen kulturkonservativen Elite aufgebrochen und in die Polarität eines hochkulturellen Traditionsbestandes, in den jetzt auch die ihrer politischen Intentionen entkleideten Avantgarden aufgenommen wurden, und einer stark „tümelnden", spezifisch deutschen Variante von Massenkultur gebracht. Beides lebt ungleichzeitig in Restbeständen weiter. Hinsichtlich der weiteren Entwicklung ist diese Rückbildung eigentlich ein Intermezzo, das sich nicht der Logik der massenkulturellen Entwicklung fügt, dennoch aber weiterwirkende Spuren hinterlassen hat. Die Gegenwartskultur ist zugleich die Vollendung des Massenkulturprojekts als universelle Asthetisierung und seine formale Ausdifferenzierung. Die Krise der fordistischen Massenkultur hat gezeigt, daß diese nur ausdifferenziert, aber mit demselben allgemeinen Zugangsversprechen wie die „einfache" Massenkultur ihren Höhepunkt erreichen kann. Hierin sehen wir die unverminderte Wirksamkeit der Idee des kultivierten Individuums am Werk, wie es seit der Renaissance im sozialen Kulturmodell 95
verstanden wurde und offenbar durch die Säkularisierung des christlichmittelalterlichen ordo als einzig verbleibende sinnhaltige Weltdeutung vom Subjekt aus unhintergehbar geworden ist. Selbst ein sozialer Kompromiß wie der fordistische mit seinen gravierenden und massenhaften Folgen einer Verbesserung der materiellen Lebenssituation kann dieses historisch gewachsene Potential offensichtlich nur zeitweilig ausblenden und ruhigstellen. Das haben rhetorisch selbst die Nazionalsozialisten versucht. Gerade das in seiner diesseitigen Sinnkonstruktion selbstüberhöhte Individuum konnte sich in den standardisierten Kulturwaren der fordistischen Ära nicht erkennen und revoltierte. Als in Einkommensklassen soziologisch nivellierter Konsument - und nur als dieser Kulturträger - war es bestenfalls eine nach außen gekehrte Leibnitzsche Monade, bei allen äußeren Unterschieden immer nur Einkapselung desselben soziokulturellen Substrats. Ein kultureller Habitus ist nicht nur in den materiellen Lebensverhältnissen „verankert", spiegelt diese nicht nur wider. Er ist vielmehr deren symbolische Form, also integriertes und steuerndes Moment dieser Verhältnisse. Die Kulturablehnung ist also auch Ablehnung der sozialen Strukturierung dieser, das Individuum ausblendenden Lebensverhältnisse. Eine Transformation der kulturellen Formen muß also mit einer Transformation der Sozialstruktur verbunden sein. Diese ist in den letzten beiden Jahrzehnten massiv erfolgt und noch keineswegs zum Abschluß gekommen. Erinnert sei hier nur an die neuen globalen Management- und Dienstleisterklassen, an die grassierende Verarmung, an die weltweite Migration als rückseitiges Globalisierungsphänomen. In einer ausdifferenzierten Angebotspalette kann sich das Individuum nunmehr in freier Optionswahl, also streng liberalistisch gedacht, verwirklichen - wenn es denn die Geldmittel dafür hat. In dieser Verdunstungsform wird es zugleich als Kauf- und Rezeptionsangebot wie auch als Nachfrageparameter werbestrategisch konzipiert und vermarktet. Vielleicht eine Blasphemie (das Kapital kennt eine solche Kategorie nicht) gegenüber den heroischen Kämpfen zur Selbstgewinnung dieses Menschentyps, sogar noch auf seine Kämpfe Ende 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Aber freilich ist das kein Grund zum Zynismus. Auch wenn wir wenig über die Zukunft des Kulturmodells sagen können, halten wir es auf jeden Fall für eine gerechtfertigte Annahme, daß auch in diesem Fall die Substanz (das sich zu entwerfen suchende Individuum) gegen die Form (die Entwurfsvorgaben in den schönen Dingen) rebellieren wird. Die Gegenwartskultur setzt die Durchsetzung der fordistischen, relativ monolithisch erscheinenden Massenkultur voraus. Dies geschieht - wie 96
schon im Fordismus selbst - in den verschiedenen Weltgegenden der kapitalistischen Weltgesellschaft in unterschiedlichen Zeitrhythmen. Während sich in der fordistischen Phase noch die nationalen Kulturen gegenseitig abzuschotten suchten, macht die zeitgenössische Kultur einen Globalisierungsschub nach dem nächsten durch, ohne deshalb Welteinheitskultur zu werden. Aber in besonderer Weise gilt heute: Von Amerika lernen heißt ästhetisieren lernen. Nicht vorausgesetzt ist die Einebnung der (affirmativen) Hochkultur, der bürgerlich-kulturellen Traditionsbestände. Deren dezentrierte Einordnung in ein kulturelles Gesamtsystem unter ökonomischer Bestimmung ist eine besondere Leistung des gegenwärtigen Kulturprozesses. Nun sind Asthetisierung und erst recht deren Universalisierung sehr allgemeine Bestimmungen. Sie erfolgen immer historisch in konkreten Formen, die bis ins Detail eines modischen Accessoires, einer Schaufensterdekoration oder eines Interieurs in der Fernsehserie kleingearbeitet werden, die gerade en vogue ist. Und diese Formen hängen von Bedingungen ab und sind keineswegs immer autonome ästhetische Setzungen. Im Rahmen des Kulturmodells sind diese Bedingtheiten generalisiert. So griffen die Nazionalsozialisten sehr direkt auf traditionelle künstlerische Formen zurück, die sie in verschiedenen medialen Präsentationsweisen und Formtransformationen verallgemeinerten und zugleich reauratisierten, um so dem massenkulturellen Objekt gegenüber dieselbe Haltung zu evozieren, die auch politisch gewollt war. Die Avantgarden in ihrem vielfach vorausgehenden Gegenentwurf zu einem ganz anders intendierten politischen Modell massenkultureller Prägung setzten auf den Bruch mit dem traditionellen künstlerischen Autonomiemodell und favorisierten unter der bekannten Maxime die sehr konkrete Perspektive einer Armlichkeits- und Alltagsästhetik. Diese aber befindet sich auf der Höhe der industriellen Produktivkräfte und sollte so den Menschen ermöglichen, sich ihrer Lebensumstände bewußt zu bemächtigen und sie zu gestalten. Oder vielleicht etwas schwächer formuliert: Ästhetik gilt ihnen als Mittel einer bewußten Auffassung von der Wirklichkeit der eigenen Lebensverhältnisse. Das konnte auch das Einrichten auf verbessertem Niveau bedeuten. Der Massenwohnungsbau des Neuen Frankfurt32, die Werbegrafik eines Kurt Schwitters oder der experimentelle Werbefilm Hans Richters sind hierfür sicher einschlägige Beispiele. Es gibt auch die Gegenbeispiele einer modernitätskritischen, in ihrer ästhetischen Form aber hypermodernistischen apolitischen Avantgarde, wie etwa die Zweite Wiener Schule, Kafka oder Joyce, die sich einer Interpretation im Rahmen des politischen Kulturmodells entziehen. 97
Ästhetisierungsprozesse Für die gegenwärtige Phase der nachfordistischen Kulturentwicklung soll die These vertreten und in ihren Differenzierungen materialiter entwickelt werden, daß Musealisierung und Mediatisierung die dominanten Bewegungsformen des oben behandelten Asthetisierungsprozesses sind. Wir machen hierfür drei Gruppen von Verursachungszusammenhängen geltend: 1. den sozialen Strukturwandel innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft. Wir meinen damit in erster Linie die Entwicklung von einer Produktionsin eine Konsumgesellschaft oder den Wandel von Nachfrage- zu Angebotsmärkten. In Deutschland erfolgt der Umschlag zur fordistischen Gesellschaft trotz aller industriepolitischen Rationalisierungsanstrengungen der Nazis erst in den frühen fünfziger Jahren. Für die USA hat Siegfried Kracauer in einer Inhaltsanalyse von Geschichten in der populären Unterhaltungspresse gezeigt, wie Unternehmer und Industriekapitäne als Heroen solcher Stories schon in den zwanziger Jahren aussterben und sich statt dessen ausgesprochene Konsumentenhelden - Filmstars und populäre Entertainer - ans Ruder schwingen und die publizistische Trivialpresse beherrschen. Von diesen Zeitverschiebungen in den nationalen Ökonomien und ihren kulturellen Objektivationen abgesehen, ist das Phänomen evident und für den Kapitalismus nach Überwindung der Weltwirtschaftskrise charakteristisch. Für den Typ wirtschaftlicher Artefakte mit ihrem Wertversprechen übersteigt der Begriff „Warenästhetik" die traditionellen Kategorien Gebrauchs- und Tauschwert um eine neue Sinndimension möglichen Nutzens. Durch Rückkopplungsprozesse, die im Marktverhalten realisiert werden, steigen in der Angebots-NutzungsSpirale die Formansprüche, wobei ebenfalls im differenzierten Anspruchsniveau ein Sprung im Ubergang zur nachfordistischen, zunehmend oligopolistischen Marktorganisation erfolgt, verstärkt dadurch, daß jetzt ihrer sozialen Position nach ganz neue Nachfragegruppen auftreten. 2. Wir müssen weiterhin zur Kenntnis nehmen, daß unter dem Primat der Ökonomie sich der Kreis der potentiellen Kulturproduzenten in ungeahntem Maße ausdehnt. Leslie Skiairs (1991), der sich vor allem mit der sozialen Basis der Trägerschaft des globalen Kapitalismus befaßt hat und eine transnationale Kapitalistenklasse im Entstehen begriffen sieht, erblickt „in der kulturellen und ideologischen Sphäre" vor allem „die Institutionen der Kultur-Ideologie des Konsumismus, die sich in den transnationalen Massenmedien [und man muß hinzufügen: immer stärker auch im Publi98
kumssegment des Internet - d.Verf.] vermittelt, als wichtigste Akteure". (Ebd.,53) Hier haben wir es mit einem großen Segment der neuen, produktionsorientierten Dienstleistungsindustrie zu tun. Darunter sind nicht nur Industriedesign, Werbeindustrie oder PR-Spezialisten zu verstehen, also die Zuständigen für Produktgestaltung, Vertriebsästhetik und deren Nähe zum so genannten Zeitgeist. Es sind auch solche profanen Figuren wie Property Developers, an die alle großen Städte in immer größerem Umfang ihre Planungshoheit meist noch im Verbund mit kaum finanzierbaren öffentlichen Zuschüssen abtreten. Von ihnen erwartet man, daß sie von der Grundstücksbeschaffung, über Finanzierung, Bebauungspläne, Architektenauswahl und damit die ästhetische Gestalt bis zur Vermietung alles regeln. Als Beispiele seien nur genannt die Docklands in London, das CentrO in Oberhausen, der Spacepark in Bremen, die ,neue' Berliner Mitte oder Disneyland in Marne la Vallee. Die neuen Kulturproduzenten gehören Kreisen an, die man früher ausschließlich der Wirtschaft zugerechnet und nie mit Kultur in Zusammenhang gebracht hätte. Seinen systematischen Ursachenzusammenhang hat dies darin, daß sie, indem sie Waren herstellen - worunter an dieser Stelle auch marktgängige Dienstleistungen in bezug auf Produktion und Finanztransaktionen verstanden werden sollen - und verkaufen, unter nach-fordistischen Bedingungen flexibler Produktion und differenzierter Märkte als Produzenten und Konsumenten einer universalisierten Ästhetik aktives Element eben dieser Asthetisierung sind. Sie sind die umfassendsten und wohl auch unersättlichsten Produzenten und zählen dabei mit Sicherheit zu den feinfühligeren Konsumenten dieser Ästhetik. Schließlich hängt ihre wirtschaftliche Existenz nicht zuletzt davon ab. Deshalb können sie tendenziell keinen Bereich und keine Phase des Ästhetisierungsprozesses auslassen. Die neue Deutung der Kultur im ökonomischen Kulturmodell gewinnt also neben den traditionellen Auguren im Journalismus, in Institutionen und Universitäten, die den Ausstoß von Kulturinterpreten - und damit von einem kompetenten Innovationspersonal, dessen „Darsteller" gegeneinander hart konkurrieren müssen - ebenfalls im Takt der Studentengenerationen erhöhen, eine neue subjektive Basis, eine nicht-traditionale soziale Trägerschaft. Durch diese Ausweitung des Deutungspersonals in neue soziale Kategorien weitet sich zwangsläufig der Bereich des Gedeuteten, das kulturelle Feld, in die Handlungsfelder des neuen Deutungspersonals aus. 3. Wie zu Beginn der Industrialisierung mit der Etablierung der neuen Fernverkehrssysteme Eisenbahn, später Auto und Flugzeug wird am Ende des fordistischen Zeitalters mit der Globalisierung die Ort-Raum99
Differenz erneut zum zentralen Problem. Es zeigt sich in Ortsverlust und Raumverlorenheit, vor allem aber im ortlosen Raum der Netze, in dem man Orte in interaktiver Ubereinkunft anonym nach gusto kreieren und wieder aufgeben kann - eine neue Art von Verkehr, der die Körper vor Ort läßt, dafür freilich seinen Ortscharakter für die Individuen immer mehr verliert. Zusammenfassend kann man festhalten, daß in der Hochzeit des Fordismus mit seiner planvollen Stadterneuerung einschließlich seiner harmonischen Suburbanisierung und mit der Durchsetzung des Massenbildmediums Fernsehen eine über hundertjährige Entwicklung zum Abschluß gekommen ist. Diese Entwicklung zeichnet sich dadurch aus, daß sie eine ästhetisierte Wahrnehmungs- und Aneignungsweise der Wirklichkeit als kulturelles Beziehungsmuster für die Menschen der Moderne habitualisiert hat.33 Dieses Muster, einmal als dominantes etabliert, ist generalisierbar und universell plazierbar. So hat es die gesamte Ding- und Menschenwelt zum Rohstoff, in der das Medium Formen bilden kann, vom menschlichen Körper über die Warenwelt bis zur Stadtgestaltung.34 Die Potenz der Universalisierung ist jedoch in dieser Phase als Ergebnis der standardisierten Produktionsweise zugleich mit einer erheblichen Reduktion der ästhetischen Formen erkauft. Ein Quantensprung in der Asthetisierung wird dann mit der nach-fordistischen Produktionsweise erreicht. Zur Erinnerung mag ein kurzer Blick auf die Differenz zwischen dem fordistischen und nach-fordistischen Stadttypus diesen Wandel veranschaulichen.
Funktionen
des
Ästhetischen
Mit der fordistischen Stadt verbinden wir eindimensionale städtische MegaKonstruktionen, wie das Barbican Centre und Southbank in London oder La Defense in Paris. In solchen betonverarbeitenden Großanlagen spielt der Straßenraum - ohnehin das Stiefkind der Moderne seit den Avantgarden - nun überhaupt keine Rolle mehr. Die Straßen sind entweder unendlich weit oder einfach zu nah, um noch als öffentliche Räume wahrgenommen zu werden. Der vorherrschende Eindruck hier ist die absolute Leere. Außen- und Innenräume sind einer strengen rationalen Ordnung unterworfen. Unflexibilität und die Unmöglichkeit, irgendetwas zu verändern, kennzeichnen diese Ordnung, die nur Räume des Verbots zu kennen scheint, in denen man noch nicht einmal ein Fenster öffnen kann. Die verwendeten Materialien (Beton, Stahl) sind hart und abweisend, die Tex-
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turen der Oberflächen dadurch stark reduziert und ohne nennenswerte Variationsmöglichkeiten. Das Fehlen von Details fällt auf. Auch gibt es erstaunlich viele Stahltüren und so gut wie nichts Handgearbeitetes, dafür Massenproduktion. Man gewinnt den Eindruck, sich in Räumen der Kontrolle zu bewegen. Trotz der hier vorherrschende Serialität und Standardisierung sind die Blicke und Bewegungen in der fordistischen Stadt diskontinuierlich und hektisch. Man macht die Erfahrung der Zusammenhanglosigkeit, des Ausfransens und des Verlorenseins. Das in der nach-fordistischen Stadt eingesetzte Formenmaterial gewinnt das Medium der Asthetisierung aus dem Zeichenüberschuß, der in allen medialen, vor allem in allen bildmedialen Zusammenhängen (Illustrierte Zeitschriften, Werbegrafik, Fernsehen, Multimedia) wachsend produziert wird - ein selbstreferentieller Prozeß mit hoher Resonanz: Die Formen des Mediums Asthetisierung statten sich mit den Zeichen anderer Formen des Mediums und anderer, technischer Medien und mit anderen Medien als Formen aus. Die Resonanzen resultieren in ästhetischer Steigerung, die ihrerseits wieder nur durch Formdifferenzierung und selbstreferentielle Rückgriffe möglich ist, wobei diese Formbewegung in der empirischen Wirklichkeit freilich nicht grenzenlos ist. Sie bleibt rückgebunden an zwei Sachvoraussetzungen: an die Materialität des jeweils in der Asthetisierung fungierenden Einzelmediums und an die materiellen Ressourcen, die dafür einsetzbar sind. Weil die Urban political economy nur den letztgenannten Gesichtspunkt berücksichtigt und ihn zur einzigen unabhängigen Variablen macht, kommt sie zu der instrumenteilen Deutung der Kultur in der Stadt mit der Asthetisierung als Strategie. Sie käme zu anderen, mindestens ergänzenden Schlußfolgerungen, würde sie den medialen Charakter der Asthetisierung und deren automultiplikative Formbewegung berücksichtigen. Asthetisierung tritt in die Ort-Raum-Leerstelle, das Ästhetische versucht Ort und Raum bewußtseinsmäßig zusammenzuhalten oder zu vermitteln. Asthetisierung übernimmt also virtuell eine Identität stiftende Funktion. Damit reduziert sie die Kontingenz des Raums als Verweisungshorizont alles Möglichen und Unmöglichen auf den Aktualitätskern des gerade Erlebten. Sie wandelt Raumstellen in belebte Orte um und stellt so für den Erlebnisaugenblick die Auffächerung der Kontingenz still. Asthetisierung ist also ein temporärer Kontingenzunterbrecher. Der Kairos des Erlebens ist in sich bündig, sein Ort auch. Aus diesem Grund muß die Vermittlung subjektiv virtualisierender Ästhetik widerspruchsfrei in ihren Formen sein. Der Anspruch an solche Formen ist mithin der nach Har101
monie und Übersichtlichkeit. Es fügt sich hier, daß wir in einer empirischen Untersuchung zum kulturellen Leben der Stadt Bremen ermitteln konnten, das Sicherheits- und Unsicherheitsgefühle im öffentlichen Raum der Stadt weniger von realen Gefährdungserwartungen abhängen als von Ordnungsstrukturen, und daß diesbezüglich die Innenstadt - trotz ihrer sozialen Heterogenität - als „sicher" gilt. Ganz offensichtlich erzeugt Asthetisierung eine symbolische Ordnung, indem sie Raumstellen aufeinander bezieht, das „Dazwischen" also seines Charakters als Passageraum entkleidet und die Gesamtkomplexe in Orte umwandelt. Die Grenze zwischen besetzten Raumstellen und deren Umwelt wird sehr weit nach außen verschoben, so daß auch außerhalb der Raumstellen ein für die Wahrnehmung geordnetes und subjektiv zu belebendes Innen entsteht. Zweifellos geht damit aber auch immer etwas an Belebtem und Bedrängendem, an möglicherweise ungewöhnlichen Wahrnehmungen und Erfahrungen verloren. Daher gibt es hier von der Raumstruktur, aber auch von dem Drang nach Sehen und Erleben, nach Unbekanntem und Ungewöhnlichem auch einen Ansatz für das, was seit Michel Foucault (1991), Marc Auge (1994), Henri Lefebvre (1991) „andere Räume" heißt, die sowohl gleißend fremd als auch unordentlich und chaotisch sein können 35 .
Ein
Hypermedium
Asthetisierung ist also ein Kommunikationsmedium, das insbesondere die Raum- und Zeitdimensionen des Sinns kommuniziert. Was nicht heißt, daß es Sach- und Sozialdimension ausschließt. Das gilt auch für die historisch bis heute wichtigste seiner Formbildungen, die Kunst. Walter Benjamin (1974a) hat in seinem Kunstwerk-Aufsatz ihr Spezifikum, das er Aura genannt hat, als ein Zugleich von Nähe und Ferne beschrieben, als Kommunikation einer widersprüchlich strukturierten Raumdimension bestimmt. Dabei liegt gerade in dieser Widersprüchlichkeit, vielleicht könnte man auch sagen: in dieser konstitutionellen Inkohärenz, der ästhetische Reiz der Form. Formen des Kommunikationsmediums Asthetisierung sind also historisch selbstverständlich die Künste. Im städtischen Raum ist es besonders die Architektur, doch gilt das grundsätzlich für die gesamte Symbolwelt der Bilder, Kleidungen, Körperzurichtungen. Asthetisierung kann man mithin als ein Hypermedium betrachten, das andere Medien (wie Kunstwerke) als seine Formen verwendet, die sich
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wiederum in ästhetischen Formen vergegenständlichen können. Insofern ist das Museum als ein komplexer Medium-Form-Verbund hochrangig und prominent in der Asthetisierung der Stadt angesiedelt. Das muß allerdings mit seiner tatsächlichen Bedeutung in der Gesellschaft, mit seiner Akzeptanz, nicht unbedingt etwas zu tun haben. Daß im zeitgenössischen philosophischen Diskurs vielfach Ethik durch Ästhetik ersetzt und fundamentalästhetisch begründet wird (so etwa bei Welsch, Lyotard, teilweise auch bei Foucault), ist genau im medialen Charakter der Asthetisierung zu sehen. In der modernen Gesellschaft zerschellt die Ethik als normativer, erst recht als ontologisch begründeter Zusammenhang der Gesellschaft einerseits daran, daß sie keine Referenz und Letztbegründung mehr besitzt (Gott, die gute Gesellschaft, Solidarität, Gerechtigkeit). Man mag keine erklärungsbedürftigen ontischen Substanzen hinter den akzidentellen Erscheinungen mehr vermuten, die von den Funktionssystemen im Sinne der LaPlaceschen Zurückweisung der „Gotteshypothese" zerrieben worden sind. Andererseits scheitert sie daran, daß das autonome Subjekt als „Ethikpraktiker" - und sei es in der kleingearbeiteten moralischen Form - verschwindet. Ästhetik hingegen erfüllt in diesem Zusammenhang fundamentale Vermittlungsleistungen und übernimmt damit gesellschaftliche und kulturelle Stabilisierungsfunktionen, die man früher der Ethik zugeschrieben hätte. Das ist ein neuzeitlicher, evolutionärer Prozeß, der theoretisch den realen Prozeß der Asthetisierung artikuliert. Schiller hat in seinen Ästhetischen Briefen implizit - und historisch wohl zum ersten Mal - etwas formuliert, das man als dynamische Grundverfaßtheit der bürgerlichen Gesellschaft betrachten kann. Die „ästhetische Erziehung" des Menschen ist für ihn ja nicht der ewig gültige Königsweg der Emanzipation der Gattung, sondern eine zeitbedingte Kompensationsstrategie in Zeiten politischer Entmündigung. Man könnte diese Einsicht verallgemeinern: Ästhetik gewinnt in der bürgerlichen Gesellschaft in dem Maße an Bedeutung für die Menschen, in dem Politik für sie in den Hintergrund tritt - aus welchen Gründen auch immer. Und wer wollte bezweifeln, daß die gesellschaftliche Großwetterlage sich in der Nachkriegszeit bis heute in genau diese Richtung entwickelt hat? Prägnant bringen das Popliteraten wie Benjamin von Stuckrad-Barre oder Christian Kracht zum Ausdruck. Für beide ist die Wahl zwischen zwei expressiven Kleidungsstücken von existenzieller Bedeutung und die Teilnahme an einem öffentlichen Protest eine Frage des Kleidungsstils, doch die Wahl zwischen zwei Parteien bestenfalls ein peripherer Gag. Die „Generation Golf" des Berliner Journalisten Florian 103
lilies macht das epochal Verbindende der jungen Aufsteigergeneration an einer Automarke, dem Einsteigermodell, fest, nicht etwa an den Veränderungen der weltpolitischen Lage nach 1989. Trotzdem ist das kein Auf und Ab von Ästhetisierung und Politik, die ewige Wiederkehr des Gleichen. Die Ästhetisierung ist ein evolutionärer Prozeß, der auf der Entwicklung des Reichtums der Mittelschichten und der neuen Eliten seit etwa 1950, der „Generation Golf" als ihren Erben, ruht, die erst distinktiven Konsum ermöglicht. Das scheinbare Auf und Ab sind Oszillationen, durch die sich dieser Prozeß in der Moderne gewissermaßen konjunkturell durchsetzt und weiter entwickelt. Nun kann man darüber streiten, ob es ein gesellschaftliches Funktionssystem gibt, das Kunst in irgendeiner Weise zum Elementarinhalt hat. Luhmann hat die Kunst selbst zum Funktionssystem erklärt. Die Schwierigkeiten, die er damit hat, erkennt man leicht daran, daß er den systemspezifischen Code mit schön/häßlich extrem konventionell ansetzt. Vielleicht sollte man Ästhetik lieber selbst als gesellschaftliches Funktionssystem betrachten, das seine kommunizierten Phänomene mit dem Code belebt/ unbelebt unterscheidet.36 Die Kunst oder genauer: Kunstwerke sind Formen, in denen das Medium der Ästhetisierung sichtbar wird, sodaß der Begriff „Kunst" dann eine spezifisch kommunizierte Formenklasse des Mediums umfaßt. Schön/häßlich kann in dieser Kommunikation zeitweilig ein Zweitcode sein, der bestimmten Formepochen angehört, aber mit Sicherheit nicht der gegenwärtigen. Kunstwerke sind aber beileibe nicht die einzigen Formen der Ästhetisierung. Auch Mode, Design, Industriegestaltung, Stadtverschönerung, Softwaredesign, Werbung gehören dazu. Heutzutage im Zeitalter der Fitneß-Wellen, der plastischen Chirurgie, tendenziell auch der Genmanipulation wird selbst der menschliche Körper zur ästhetischen Form und hat seine Schönheit nicht mehr in der Ebenbildlichkeit Gottes. Was wir seit wenigen hundert Jahren Kunst nennen, ist eine aus dem Ritual hervorgegangene kulturelle Form der Ästhetik. Ihre Autonomisierung, die erst in der Frühmoderne letztgültig zu sich kommt, ändert an diesem Sachverhalt nichts. Sie löst sie nur endgültig aus den letzten Bezügen ihres Entstehungszusammenhanges und läßt im weiteren Verlauf erkennen, daß sie ein zwar überragender, aber eben nur ein Formenbereich des Mediums Ästhetisierung ist. Dieses tritt ebenfalls seit der Antike auch in anderen Formen in Erscheinung und kernt in der Moderne durch verschiedene Ausdifferenzierungsprozesse immer mehr Formen aus. 104
Hoch- und Massenkultur In der Kultur der Moderne findet diese Ausdifferenzierung von Anfang an in zwei großen Feldern statt: in der Massenkultur, deren Legitimation im kommerziellen Erfolg liegt; und in der Hochkultur, die ihre Rechtfertigung in einem exklusiven, theoretischen Diskurs findet. (Dröge, Müller 1995, 111 ff.) Die eine stimuliert also den Kulturwarenkonsum und ist hierbei heutzutage sehr erfolgreich, die andere pflegt den ästhetisch-theoretischen Diskurs. Beides konditioniert Lebensformen höchst unterschiedlichen Zuschnitts, die sich gleichwohl in einer Person vereinen können. Demnach sind die Erfolgskriterien in beiden Feldern unvergleichbar. Boris Groys (1999) sieht den Niedergang der Hochkultur heute darin begründet, daß die Theorie sich auf die Seite der Massenkultur geschlagen habe: „Nur das, was sich verbreitet, was überall frei fließt, was verbindet, öffnet, einschließt, integriert, das Andere und Fremde einbezieht, findet Gnade in den Augen des heute vorherrschenden theoretischen Diskurses. Und es steht außer Zweifel, daß sich die Massenkultur besser verbreitet als die Hochkultur". Sie ist geradezu die Matrize des neuen Mythos Kommunikation. Zweifellos zu bedenken, wenn auch vielleicht überpointiert. Es scheint uns nämlich, daß man die beiden ästhetischen Großareale nicht mehr solchermaßen in Opposition stellen kann. Das Formpotential der Ausdifferenzierung des Ästhetischen vergrößert sich etwa seit der Mitte des 20. Jahrhunderts in Europa ja gerade dadurch so ungemein, weil sich beide Bereiche zunehmend überschneiden, ohne allerdings vollständig ineinander aufzugehen. Im Gegenteil: das Gefälle zwischen den beiden Restgrößen hoch- und massenkultureller Produktion mag heute größer sein denn je. Die Kunstwissenschaft als Beobachterin der Formenklasse Kunst ist deshalb seit einigen Jahren dabei, die Kriterien ihrer Beobachtungen auf das gesamte Feld ästhetischer Formen umzustellen. (R.S.Nelson/R.Shiff, 1996; M. Cheetham/M.Ann Holly/K.Moxey, 1998) Disziplinimmanent wird das durchaus als Krise erlebt, weil sie sich damit im Umwandlungsprozeß zu einer umfassenden Kulturwissenschaft befindet, etwas, das aus einer zweiten Beobachtung, nämlich ihrem eigenen Beobachten folgt. Dieser „Gegenstandsausweitung" genannte Prozeß ist darum nicht, wie konservative Kritiker einwenden (und hoffen), eine Modeerscheinung, die man nur abzuwarten braucht, um dann weiterhin das „eigentliche" Geschäft der Kunstinterpretation betreiben zu können. Die durch die Umstellung der Beobachtungskriterien bewirkte Einsicht in das Medium-Form-Ver105
hältnis der Kunstwerke, in dem das Medium nur in seinen Formen in Erscheinung tritt, zwingt dazu, die anderen Formgebungen des Mediums in die Beobachtung einzubeziehen. Im übrigen folgt die Kunstwissenschaft hier nur der Praxis der Künstler, wie sie sie seit den historischen Avantgarden eingeschlagen haben. Diese hatten schließlich, wenn auch in anderen, stark vitalistisch gefärbten Begriffen, die Erkenntnis des Medium-FormVerhältnisses zum ersten Mal artikuliert und daraus die heute massenkulturell womöglich eingelöste Forderung abgeleitet, alle Lebensverhältnisse im Medium der Ästhetisierung zu formen. Ökonomisches
Kulturmodell
Gegen die weberianisch-systemtheoretische Perspektive der Autono misierung des Ästhetischen sprechen freilich auf den ersten Blick Beobachtungen diverser Vereinnahmungsstrategien, die das Ästhetische wirtschaftlich grundiert und instrumentalisiert in möglichst alle Lebenszusammenhänge implantieren wollen. Die systemische Grenzauflösung des Ästhetischen etwa in der „Erlebnisgesellschaft" (Schulze 1992), die von Philosophen wie Wolfgang Welsch oder Richard Rorty zu einer ästhetischen Lebenspraxis in einer „ästhetischen Kultur" (Rorty) verallgemeinert wird, kennzeichnet einen Habitus, in dem Individualisierung mit ästhetischen Orientierungen und hedonistischen Wohlstandshaltungen verführerisch zusammenfließen. Abgesehen davon, daß solche, auf die gesamte westliche Gesellschaft bezogenen Verallgemeinerungen empirisch kaum haltbar sind, charakterisieren sie doch eine Facette dessen, was wir eine experimentell-selektive ästhetische Handlungsrationalität neuer, symbolproduzierender Trägergruppen genannt haben. Wie sind nun der Zusammenhang und der Gegensatz von Ausdifferenzierung der ästhetischen Wertsphäre in der Moderne und deren neue Grenzauflösung zu beschreiben? Dafür müssen wir kurz die Handlungsebene verlassen und uns wieder einer systemischen Betrachtungsweise zuwenden. In der Macht der Schönheit (1995) waren wir für die Neuzeit seit der Renaissance in Italien von einem epochalen Wandel dreier Kulturmodelle ausgegangen, die den geschichtlichen Prozeß der Ausdifferenzierung immer wieder mit partiellen Entdifferenzierungen gekoppelt haben (siehe dazu auch S. 27 ff.). Nach dem sozialen und politischen Kulturmodell, das nach 1871 in Deutschland mit dem Niedergang und der „Selbstnazifizierung" (Bollenbeck 1999) des Bildungsbürgertums dominant wurde, sprechen wir 106
dort für die Gegenwart vom ökonomischen Kulturmodell. (Dröge, Müller 1995, 96 ff.) Ging es im politischen Modell um eine Grenzauflösung im Sinne einer Fusion der Ästhetik mit der Politik, so hier um die Verschränkung mit der Ökonomie. Das gilt es kurz zu konkretisieren. Was wir damit nicht meinen, ist der Versuch der ökonomischen Instrumentalisierung von Kunst und Kultur etwa durch Sponsoring oder durch kommunale und regionale Entwicklung einer Kulturwirtschaft. Solche Projekte sind mitunter sogar sinnvoll. Auf jeden Fall bilden sie kein zentrales Problem für die Eigenlogik ästhetischer Systementwicklung vor allem im Bereich der Künste dar.38 Wir unterstellen in dem Modell keine vollständige Entdifferenzierung, sondern lediglich zwei Ebenen der Grenzauflösung zwischen Ästhetik und Ökonomie, und zwar in der Distribution und in der Produktion von Waren und Symbolen. Historisch setzt das Modell die Transformation der affirmativen Kultur in die mediatisierte Massenkultur voraus, so wie sie in Deutschland beispielsweise im Nationalsozialismus unter dem Primat der Politik durchgesetzt wurde und sich auf ganz andere Weise, etwa in den USA, mit der Pop Art vollzogen hat. Distribution Die Universalisierung des Ästhetischen bedeutet aus dieser Perspektive die Hereinnahme des Ästhetischen in den wirtschaftlichen Distributionszusammenhang der Gesellschaft, also in den Warentausch, der zugleich als reale Synthesis der Gesellschaft erscheint und ihre weltliche Sinnstiftung ist. Dadurch bekommt die Gesellschaft einen überströmenden Schein luxurierender Üppigkeit. Sie ist selbst von dem ästhetischen Uberschuß ihrer zirkulierenden Warenobjekte bestrahlt. Wird nun die Ästhetik zu einer differenzierenden Komponente des Zirkulationskapitals - etwa in Werbung, Design, Mode, Warenausstellung in Schaufenstern nach Art von Museumsvitrinen, Softwaregestaltung - , dann wird aus der vormaligen Auseinandersetzung mit der Welt jetzt deren Aneignung im genußfähigen Konsum. Nichts ist mehr allein oder auch nur in erster Linie ein nützliches Ding, weil alles vor allem Botschaft ist: Coca Cola ist kein Getränk und Nike und Adidas sind keine Sportschuhe, Gucci ist keine Oberbekleidung und kein Koffer. Die Firmen verkaufen vielmehr symbolische Güter: Lebensstile, Inklusionen, Anschlußfähigkeit und Zugehörigkeit. Allerdings ist es inzwischen sinnlos, dies allein mit Manipulationsverdacht zu 107
bearbeiten. Die Konsumenten dieser Waren sind weitgehend aufgeklärt, sind Mitspieler, Komplizen, die ihrer Distinktionsbedürfnisse wegen mitspielen und sich am Markt die Ressourcen für ihre symbolischen Showkämpfe holen39. Die Botschaften sind also nicht nur kulturelle Realitäten. Sie produzieren mit ihren Komplizen weitere kulturelle Realitäten als Orientierungs- und Handlungszusammenhänge. Dies ist die Ebene der Grenzauflösung, die Kritiker wie Karl Heinz Bohrer (1993) als Einziehung der Kunstautonomie und Vereinnahmung des ästhetischen Eigensinns, die ihr die Kraft zur Subversion raube, mit einem kantianischen Programm ästhetischer Reinheit bekämpfen. Für Walter Grasskamp (2001) geht es bei der Kunstreferenz der Wirtschaft „nicht um den bestimmten Künstler, sondern darum, wie die Kunst zu arbeiten. Das bedeutet in der Moderne, den Konnotationsreichtum zu erhöhen, also vielen vieles zu sagen, anstatt, wie in der Werbung, allen nur eines zu sagen." Also nicht wirtschaftliche Instrumentalisierung der Kunst, sondern Aneignung nicht der Kunst, sondern der Besonderheit der Kunst: das sind ihre semantischen Ambivalenzen. Sicherlich hat auch das einen starken Aspekt von In-Gebrauch-Nehmen. Aber in den Zusammenhängen, in denen sie so verfährt, liefert sich die Ökonomie ihrerseits auch der künstlerischen Autonomie aus, weshalb sie die aktuell geeigneten Formen des Mediums auch verfehlen kann. Aus der Sicht einer in der Institution (der Weberschen Wertsphäre) gegründeten Kunstautonomie muß dieser aus der Grenzverwischung zwangsläufig eine Gefahr erwachsen. Nun beziehen wir uns hier auf ästhetisch Gestaltetes schlechthin, nicht allein auf Kunst als eine seiner Formbildungen. Der universelle Bedeutungszuwachs des Ästhetischen, der durch die Selbstreferenz im ausdifferenzierten System entsteht, stellt universell verwendbare Formen bereit. Eines ihrer Spezifika besteht in ihrer Fähigkeit, Differenzen von Formbedeutungen zu produzieren, die ökonomisch als distinktive Differenzen für die warenförmige Ausgestaltung von Lebensstilen als Grenzbildungen soziokultureller Milieus auftreten, eben Botschaften sein können und dies auch tun. Unser Modell unterstellt auf dieser Ebene der Distribution eine Entdifferenzierung von ästhetischem und ökonomischem System, die in einer Fusion von Formen des ästhetischen Mediums in beiden Spären besteht. Diese läßt mindestens für den Formenkanon der Kunst das Problem der Autonomie weitgehend unberührt, soweit sie nicht kunstseitig aus Verkaufsgründen selbst geopfert wird. Aber auch das berührt das System selbst nicht, da es sich um einen Einzelfall handelt, der traditionsgemäß im Moral-Diskurs abgehandelt wird. 108
Produktion Als zweite Ebene der Grenzauflösung betrachten wir die Produktion. Nicht nur die erscheinende Oberfläche der Warenwelt partizipiert sinnstiftend am Formenkanon des Ästhetischen. Schon Wolfgang Welsch (1990) hatte beobachtet, daß Ästhetik in der jüngsten Phase der Moderne eine zusätzliche Tiefendimension gewinnt, die ins Material der Warenkörper selbst hineinreicht. Die große Untersuchung von Lash und U r r y (1994) zur postmodernen Gesellschaft und zu ihrer Kultur geht ebenfalls dieser Frage nach. Die beiden englischen Soziologen folgen der von Jean Baudrillard entwickelten Begrifflichkeit, die dem Gebrauchs- und Tauschwert einer Ware bei postmodernen Gütern noch einen Zeichenwert hinzufügt. Dieser erst abstrahiert völlig vom Gebrauchswert, kann aber in einer linearen Beziehung zum Tauschwert stehen. Den Grund für die Zunahme der ästhetischen Komponente des Zeichenwerts in allen Gütern sehen Lash und Urry (ebd., 15) in der Abnahme des Arbeitsprozesses durch informationstechnische Rationalisierungen. Dies führe zur Zunahme des „Designprozesses" im Produkt (ebd., 5 f.) und damit zur Erhöhung des Zeichenwerts. Die ästhetische Tiefendimension im Produkt reicht bis in die Materialstrukturen vor allem der neuen, künstlichen Materialien, die an den Oberflächen der Objekte sichtbar werden. Der Zeichenwert steigt durch die wachsende Wissensbasierung der Produktion. (Ebd., 18) Hinzu kommt, daß ein stetig wachsender Anteil an der Warenwelt ohnehin aus Informationsgütern besteht, in denen Form und Material zusammenfallen und deren informationsästhetische Gestaltung noch durch die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit potentieller Konsumenten erzwungen wird. Die Autoren halten es für empirisch gehaltvoller, den Ubergang von der fordistischen zur postfordistischen Wirtschaftsregulation der Gegenwart mit der „Entgegensetzung von materiell basierter vs. kulturell basierter Produktion" (ebd., 60) zu kennzeichnen als beispielsweise durch rigide vs. flexible Organisation des Arbeitsprozesses. Wegen der wechselseitigen Abstimmung der Ästhetisierungsprozesse in Produktion, Distribution und Konsum halten sie in den westlichen kapitalistischen Gesellschaften eine völlige Entdifferenzierung von kulturellem und ökonomischem System inzwischen für realisiert. Sie glauben in ihren beeindruckenden Analysen festgestellt zu haben, „daß und wie wirtschaftliche und symbolische Prozesse mehr sind als nur verwoben und interdependent; d.h. daß die Ökonomie zunehmend kulturell und die Kultur mehr und mehr ökonomisch bestimmt sind. Auf diese Art und Weise werden die Grenzen 109
zwischen beiden mehr und mehr verwischt und Ökonomie und Kultur verhalten sich zueinander nicht länger als System und Umwelt." (Ebd., 64) Mit anderen Worten: Wertschöpfung ist insoweit nicht nur ein ökonomisches Diktat im Kapitalismus, sondern in seiner zeitgenössischen Ausprägung auch eine kulturelle Realisierung.
Gleichzeitigkeit Verschiedenen künstlerischen Avantgarden ging es im frühen 20. Jahrhundert um „Gleichzeitigkeit" im Sinne einer Niveaugleicheit von kulturellem und ökonomischem System. Beider kritischen Intentionen dürften verfehlt worden sein. Aber fest steht, daß beide heute auf mehreren Ebenen einen Gleichlauf haben. Dieser ist zentraler Gegenstand der Kritik an der Kommerzialisierung der Kultur, einer scheinbar aus rein wirtschaftlichen Gewinninteressen betriebenen Massenkultur als Freizeit- und Unterhaltungsindustrie. Dennoch können wir Lashs und Urrys Beobachtung von der Abstimmung der Asthetisierungsprozesse in den ökonomischen Sphären und der Totalisierung des Ästhetischen im ökonomischen Systemzusammenhang nicht ganz teilen. Ihr Blick scheint uns sektoral zu eingeschränkt, weil sie sich intensiv mit den Veränderungen in der Automobil- und Filmindustrie beschäftigen. Selbst in einer solchen massenkulturellen Spitzenindustrien, wie der Tourismusbranche - mindestens bis zum 11. September 2001 die größte Wachstumsindustrie aller kapitalistischen Länder - und der Medienindustrie halten sich ästhetischer Schund und elaborierte Produkte nicht die Waage und werden es aus leicht einsehbaren Gründen auch nie tun. Dafür spricht, daß die distinktionsfähige „kulturbasierte" Warenproduktion und Massenkonsumwaren auf allen beiden angesprochenen Ebenen immer weiter auseinanderklaffen. Das naheliegendste Beispiel sind die Nahrungsmittel. BSE- und MKS-Krise (2001) sind nur eklatante Beispiele für die zerfallende Materialbasis billiger Serienproduktionen. Und auch das kann mit symbolischer Aufladung der Oberflächen einhergehen: Die EU-Qualitätsnormen für Gemüse und Früchte prämieren bekanntlich das Aussehen, nicht aber den Geschmack oder gar den Nährstoffgehalt von Feldfrüchten. Es sind die kulturell prägenden, auch distinktionsfähigen Produkte, die ihre Prägekraft durch die kulturellen Trägergruppen einer Symbole produzierenden Mittel- und Oberschicht mit explizit ästhetischer Handlungsorientierung gewinnen, die sie sich aneignen und die in Produktion und 110
Distribution immer stärker ästhetisch aufgeladen werden. Zugleich wird die ästhetische Produktion immer stärker ökonomisiert. Das gilt nicht nur für die medialen Massenkünste, wie Popmusik, Fernsehen, Werbung, Design oder Architektur. Adorno hatte bereits darauf hingewiesen, daß das bis zur Wiener Schule reichende klassische Musikerbe durch Usancen der Tonträgerindustrie und die durch Aufführungspraxis der Festivalisierung und des Starwesens immer stärker zum integralen Bestandteil der Massenkultur wird. Damit wird indessen die durch Ausdifferenzierung entstandene Bedeutung des Ästhetischen in der modernen Kultur offenkundig nicht zurückgenommen, sondern durch Universalisierung noch um eine weiter Stufe gesteigert. Wobei die Fusion dadurch möglich wird, daß die Logiken beider Systeme (Ästhetik/Kunst und Ökonomie) aufgrund des distributiven Charakters ihrer Produkte und des Zwangs zum Neuen in beiden Bereichen aufeinander abbildbar sind. Dieses Abbildungsverhältnis schneidet indessen die autonome Entwicklung des kulturellen Systems des Ästhetischen nicht ab. Wenn auch bereits in einer früheren Phase kultureller Entwicklung hochkulturelle Hervorbringungen massenkulturell transformiert worden sind, so bleiben sie doch als ästhetisches Innovationszentrum erhalten. 40 Die Autonomie der Kunst bleibt wenigstens institutionell gesichert. Anders könnte sie die Avantgardefunktion für die Wirtschaft auch gar nicht erfüllen. Denn sie ist auch wiederum der Kernbereich für die Ausbildung der experimentellästhetischen Handlungsorientierung. Eine völlige Autonomie der gesellschaftlichen Funktionssysteme von- und gegeneinander, ihre ausschließliche Beschäftigung mit sich selbst, führte dazu, daß sie die Fähigkeit verlören, wechselseitig aufeinander einzuwirken. Die Ausschließlichkeit und den Purismus der Hochkultur zu fordern, verkennt die Funktionsbedingungen der Systeme. Sie müssen wenigstens einige gemeinsame Elemente haben, um sich über diese gegenseitig „subversiv" verhalten zu können. Und das heißt, daß sie sich wechselseitig beeinflussen.
Quaglino's In welchem Maße die Repräsentanz neuer dominanter Lebensstile im städtischen Raum mit dem ästhetischen Experiment neuer Raumbilder aufs engste verknüpft ist, läßt sich mühelos an Quaglino's, einem 1993 in London unterhalb der Jermyn Street neu eröffneten Restaurant zeigen.
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Quaglino's, London (1993)
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Es ist eines von sich inzwischen häufenden Beispielen für eine hier klar definierte, weil räumlich begrenzte Transformation eines Ortes, die jedoch in den Urbanen Raum ausstrahlt und in ihm veränderte Wahrnehmungen, Definitionen und Aneignungen ermöglicht. Quaglino's ist mit 338 Sitzplätzen - die Bar umfaßt weitere 90 - ein großes Restaurant. Täglich können hier annähernd tausend Menschen bewirtet werden. Die Transformation, für die Quaglino's beispielhaft ist, berührt die Veränderung konventioneller Stadträume durch neue Formen einer globalisierter Kultur des Konsums. Quaglino's ist der exklusiv-gestylte Ausdruck eines Trends, durch Einrichtungen des Konsums in großen Räumen Massenkultur mittels Design als privilegiertes, exklusives Gemeinschaftserlebnis zu inszenieren. So etwas kennen wir von Warenhäusern, die vielfach die „Erzählungen" von Boutiquen übernommen haben. Hier weichen die Grenzen zwischen Kultur und Kommerz, zwischen privater Kundschaft und Massenkonsum auf: Das Warenhaus als grenzverwischender städtischer Raum, in dem Design den Konsum optisch organisiert und dabei vormals trennende Distinktionen aufhebt. Und so auch im Quaglino's. Dieses Mega-Restaurant ist ein Kind von Terence Conran, dem Mann, der schon sehr früh seinen Landsleuten mit der Gründung des Einrichtungshauses Habitat Geschmack zu vernünftigen Preisen nahe gebracht hat. In einer Pressemitteilung dient der Hinweis auf die Rolle, die das Restaurant in den dreißiger Jahren gespielt hat, dazu, die in der Anfang der neunziger Jahre erfolgten Transformation dieses Ortes aufscheinende Nähe von Differenz und Gemeinsamkeit in der sozialgeschichtlichen und kulturellen Bedeutung zu unterstreichen: „Quaglino's was a very dazzling restaurant in the 1930' and had a particular place in the social history of those times. The new Quaglino's has been designed by Conran as an entirely modern restaurant of glamour and entertainment, where the food and service should reflect the achievement of London, which in the last few years has become the gastronomic center of the world." (Conran 1996) Wie man unschwer erkennen kann, ist der hier zum Ausdruck kommende Anspruch immens: die in die achtziger Jahre zurückreichende neue ökonomische Rolle Londons als Global City im Konsum der Totalität des produzierten Raums und der darin produzierten Waren kulturell zu repräsentieren. Kein Wunder, daß angesichts dieser ehrgeizigen Aufgabe die Grenzen zwischen Geschichte und Jetztzeit, zwischen Ökonomie und Kultur ebenso verwischen wie die zwischen der privaten und der öffentlichen Seite des Raums. 113
Folglich schien es auch nur konsequent, mit Hilfe eines raffiniert ausgeklügelten Beleuchtungssystems eine weitere Grenzauflösung zu inszenieren - die zwischen Drinnen und Draussen: „Conran wanted something that would emulate the sky during the daylight hours and into the night. This has been achieved with a computerised artificial skylight which runs the whole length of the restaurant. The computer has been programmed to match the seasonal changes of light throughout the year. With the dimming system imitating the daylight hours, customers are not blinded by light when they walk into the restaurant, and quickly forget they are in fact underground." Daß hier täglich tausend Gerichte hergestellt und serviert werden, sieht man diesem Ort erst einmal nicht an. Bewußt wird so etwas wie Schwellenangst produziert. Die hier noch verborgene Massenkultur inszeniert sich als exklusives Ereignis. Der Empfangsraum dahinter könnte zu einer Boutique, auch zu einer Galerie gehören: ein Verkaufsraum mit leicht musealisiert ausgestellten Designobjekten und - in der Modefarbe - schwarz gekleidetem Personal. Die Atmosphäre ist eher geschäftsmäßig. Danach geht es eine Treppe hinab, wieder Empfang, Garderobe, Warten in der Bar auf die Tischzuweisung. Vom Barraum aus hat man den Blick in das, was einen erwartet: eine laute, an Börsenschluß erinnernde Atmosphäre, viel Bewegung in einem in der Tat eindrucksvollen Großraum. Man spürt die hier konsequent gestaltete Welt, eine elegante Totalität des Geschmacks und der Homogenität. Die große Bar ist ganz amerikanisches Kino der vierziger und fünfziger Jahre, Manhattan müßte so sein - und war auch die Orientierung für diese Atmosphäre. Eine lang geschwungene Treppe mit einer Eisenbalustrade und bronzenen „Q's" führt den Gast hinab in das Hauptrestaurant. Die Treppe wird zum großen Auftrittsereignis. Für Momente kann man sich der Illusion hingeben, über sie die Show zu betreten: „Glamour and entertainment, a sense of theatre and occasion" wollte Conran mit diesem Restaurant seinen Gästen bieten. Quaglino's ist aufgrund seiner Ästhetik, die j edes Detail sorgfältigst berücksichtigt, ein homogener Wunschraum. Als Ort, der den großen sozialen Raum der Stadt mittels ästhetisiertem Konsum simuliert und neu organisiert, hat Quaglino's auch etwas von einer virtuellen Realität: ästhetisch aufgeladene Oberflächen mit auratisierender Wirkung auf der Grundlage raffiniert entwickelter Computer-Technologie. Dabei ist Quaglino's keineswegs nur ein nostalgischer Raum. Indem es viele und ungleichzeitige Erzählungen homogen zusammenführt, scheint zu gelingen, woran der 114
reale Raum der Stadt allzu oft bislang scheitert: Die Vermittlung der alten Erzählung des Ortes, seiner kulturellen Erinnerungen und Bedeutungen, mit der neuen Dynamik eines nicht-differenzierten, dezentralisierten Raums. So gesehen ist Quaglino's eine urbane Hyperrealität, die die materielle Realität und die ideologische Vorstellungswelt des städtischen Lebens beeinflußt. Ein Spiegelbild unserer technischen und organisatorischen Macht und unserer planmäßigen Regulierungen und gestalterischen Kontrollen, durch die wir die materiale Gestalt der Stadt in so effektvolle Illusionen verwandeln können. Von Jane Jacobs stammt das Diktum: „Designing a dream city is easy, rebuilding a living one takes imagination." Die bunte Vielfalt der Erzählungen heute läßt leicht übersehen, daß der Wunsch nach einer dream city sich bestens verträgt mit dem Zwang zu Reinigung und Kontrolle. In ihrer Erscheinung erweisen sie sich heute tatsächlich flexibler und dabei doch im Resultat perfider, weil mit hoher Akzeptanz ausgestattet, gleichwohl gebunden an die Kaufkraft ihrer Konsumenten und Konsumentinnen. So ist auch Quaglino's mehr als nur ein Restaurant herkömmlicher Art. In seiner Verwirklichung als ein nicht-differenzierter Raum konnte dieses Restaurant Anfang der neunziger Jahre als Matrix für eine neue Urbanität gelesen werden. Zugleich wird deutlich, wie sehr in der Ästhetisierung die Strategien der Musealisierung und Mediatisierung ineinander übergehen und sich in der Virtualisierung der Lebenswelt auf eindrucksvolle Weise ergänzen können. Dem aber ging in der Architektur voraus, daß der Wunsch nach Repräsentation in ihrem Fall zu einer Favorisierung der Oberflächen geführt hat. Blickt man auf die achtziger Jahre zurück, so wird erschreckend deutlich, wie sehr die Repräsentation der Architektur in der Photographie in einschlägigen Zeitschriften und Bildbänden die Interpretation der Architektur als Text41 gefördert hat; dazu als ein Text, der sich - aufgrund seines universellen Charakters relativistisch behandelt - sozialer Kritik gegenüber gleichgültig gibt. Die Kategorien einer tradierten, aber als konventionell verachteten Metasprache werden zurückgewiesen zugunsten von Erzählungen, die es erlauben zu dominieren, ohne irgendeine Differenz zwischen Wahrheit, Rhetorik und der falschen Autorität der Tradition benennen zu müssen. Der Raum der Architektur verwandelt sich in dieser Strategie in den zweidimensionalen Raum eines Textes. Darin anderen Künsten, wie Malerei oder Literatur, verwandt, fällt es leichter, die Architektur zu mediatisieren und sie virtuell in Zeichen und Muster aufzulösen, die mit dem großen Rest der universellen Zeichen global frei flottieren. Als Teil eines solchen Medienverbunds erzeugt Archi115
tektur auf diese Weise ein an seine Oberflächen gebundenes Raumbild. Praktisch läuft es auf die Verneinung des historisch-städtischen Realraums als eines definierten Ortes hinaus, in dem neue, zerfliessende Raumstrukturen produziert werden. Im Resultat, so Castells (70), entsteht „entlang der Linien des Raumes der Ströme ein [relativ] geschlossener, die ganze Welt überziehender Raum", dessen Ausstattung „überall auf der Welt ähnlich ist".
Musealisierung und Mediatisierung Musealisierung Musealisierung betrachten wir als eine von zwei dominanten Formgruppen des Mediums Asthetisierung in der gegenwärtigen städtischen Kultur. Ihre Dominanz hat historische und systematische Gründe. Die historischen liegen auf der Hand. Nicht nur haben Architektur und geplante Raumnutzung geschichtlich in verschiedenen Epochen das ästhetische Spiel der Raumdehnung und -konzentration gespielt. Der funktionale Sinn der weiteren Auffächerung des ohnehin früher kontingenten Verhältnisses von Herrschaft und Beherrschten durch Schaffung einer ästhetischen Raumtiefe ist zusammen mit der Herrschaft längst erloschen. Übrig bleiben ästhetisch besetzte Raumstellen, die im Verhältnis zum Gesamtraum der Stadt historische Erinnerungen oder zumindest Assoziationen speichern. Sie haben sich von ästhetischen Informationsmedien, die den Untertanen etwa Aktuelles über sich selbst und ihre Herrschaft sagten, zu Speichermedien eines, vom sachlichen Gehalt her vielleicht heute abstrakten, aber in der Anschauung lebendigen Gedenkens verwandelt, an dem sich Identifikationen mit dem Ort festmachen können. Die alten Städte Europas sind immer noch voll solcher Baulichkeiten, auch wenn Bombenkrieg und Wiederaufbau vieles zerstört haben. Das Ende des fordistischen Abrißunternehmens und der Beginn neuer städtischer Restrukturierungskonzepte, die sich der Formmöglichkeiten der Asthetisierung bedienen, sind keineswegs nur ökonomisch-rationalem Kalkül geschuldet. Sie entstehen als eine umkämpfte Kompromißlinie zwischen wirtschaftlichem Verwertungsinteresse am städtischen Raum und den in Protesten, Demonstrationen und Hausbesetzungen artikulierten Lebensinteressen der Wohnbevölkerungen (Startbahn West; WestendHäuserkampf; Hafenstraße Hamburg; Roter Punkt und Straßenbahn-
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blockaden in Hannover und Bremen; „Instandbesetzung"42 in Berlin). Flankiert von Journalisten, Intellektuellen und Akademikern, vor allem von Soziologen, Kunst- und Kulturwissenschaftlern, entsteht in den achtziger Jahren in diesen Kreisen der städtische Diskurs des Urbanismus als neues diskursives Leitbild. (Prigge 1987) In dessen Hintergrund spuken explizit oder implizit noch immer vorwiegend tradierte, vorindustrielle Stadtbilder. Wobei diese Gebäude und ihre Umgebungen materielle Fixpunkte sind, auf die sich die Nostalgien beziehen, die sie speisen können. Das ist durchaus verständlich, soweit sich darin der Verlustschmerz der Ortsfixierung über die Zerstörung der Lokalitäten in der Stadt und vielleicht sogar noch der Stadt als Lokalität äußert. Dieser Diskurs transformiert sich inhaltlich seit einigen Jahren, seitdem sich herausgestellt hat, daß die lokalen Koalitionen von Wachstumsmaschine und Immobilienkapital gerade unter diesem Leitbild realisieren, was als Strategie der Asthetisierung mit einschneidenden Folgen für soziale Spaltungen und Exklusionen in der Stadt zunehmend kritisiert wird. In kritischer Absicht geführt kreuzt dieser Urbanitätsdiskurs zeitlich nicht einfach neue städtische Restrukturierungskonzepte, die für manchen Beobachter heute geradezu als historischer Konkurs der sozialen Idee Stadt erscheinen. Er konstituiert sie mit, er beschafft ihnen die Stichworte und zumindest in der Anfangsphase auch die entsprechende politische Legitimität. Es paßt sehr gut in diese Entwicklung, daß - parallel zu neuen Architektur- und Stadtgestaltungskonzepten - die Denkmalpflege mit dem Ubergang vom Gebäude- zum Ensembleschutz ab Mitte der siebziger Jahre eine programmatische Neupositionierung vornahm. Bestandserhaltung, teilweise verbunden mit denkmalpflegerischer Rückbildung, und Sanierung sind nicht nur Rückgriffe auf ausgereizte ästhetische Spiele. Auch wenn sie mit Änderung und Agglomerierung von Nutzungsfunktionen verbunden sind, handelt es sich um musealisierende Rückgriffe, die in reaktivierte alte Stadtbilder eingebunden sind, aus denen sie ihre gesamtstädtische Ausstrahlung und gestalterische Geltung beziehen sollen. Auch dieser Mechanismus der Musealisierung ist selbstverständlich nicht auf Bestandswahrung beschränkt. Hier gewinnt er nur Vorbildfunktion und wird generalisierbar. Das Ergebnis ist eine neue Variante von Historismus, der jedoch kein im Sinne Hugo von Hofmannsthal epigonales Epochenbewußtsein repräsentiert, sondern (Bau)-Historie einfach als ornamentalen Zitatensteinbruch benutzt. Dessen Formenfülle mit Zitaten vom Alten Ägypten (Las Vegas) bis zur Italienischen Renaissance (die Piazza d'Italia von Charles Moore oder die Coca-Cola-Oase im CentrO in Oberhausen) 117
und sogar bis zur klassischen Moderne gilt bekanntlich als pluralistische Uberwindung des monotonen Raster-Funktionalismus des fordistischen Städtebaus 43 . Vom Gebäude oder Gebäudeensemble greift die musealisierende Asthetisierung mit „alten" Materialien wie Blaubasalt, Marmor- oder Granitplattierungen auf die Umgebung über 4 4 . So entstehen, unter Einschluß neuer und neuester Gebäude, geschlossene musealisierte Stadtareale. Aber die Architektur ist nur eine Transferschiene der Musealisierung, die außerdem nur einen, im Weichbild der Stadt allerdings besonders sinnfälligen Ausschnitt potentieller und aktueller Musealisierungstendenzen umfaßt. In der Regel sind es die Innenstadt und die sie umschließenden alten, gentrifizierbaren Wohnquartiere, eventuell noch einschließlich der inneren, also ursprünglich ältesten Vorortteile. Den Ausgang nimmt Musealisierung aber immer von der Innenstadt her.
Museum und
Bewußtseinsbildung
Die systematischen Gründe sind historisch-institutioneller Art und bilden eine ziemlich universelle Haltung aus. Diese ist geknüpft an die Konstitution und die Rolle des Museums selbst. Bei aller Formverwandlung und trotz des tiefreichenden Bruchs des geschichtlichen Bewußtseins, das mit der erforderlichen Ablösung für die Auflösung verbunden ist, war es bisher nicht möglich, den Bezug auf die transformierten Bestände ganz zu kappen. Das wird funktional darin deutlich, daß die Form der Verallgemeinerung eine ästhetische bleibt, wie ihr Ausgangsmaterial, das museale Bewußtsein. Stofflich bedeutet es, daß ihm stets ein Moment von Historismus anhaftet. Musealisierung stellt sich uns also dar als ein historisch konstituierter Formenkanon des Mediums der Ästhetisierung, eng verkoppelt mit einer Form des Bewußtseins, die strukturell auf des 19. Jahrhundert zurückgeht. Beides stützt sich gegenseitig insofern, als das kulturelle System durch sein Medium das verallgemeinerte Bewußtsein „ausbeutet". Dieses seinerseits wird dabei nicht als transzendentales Bewußtsein eines allem zugrunde liegenden Subjekts sondern in seinen individuellen Konkretionen von den ästhetischen Formen des Mediums rekursiv bestätigt und in seiner Struktur ausgebaut. Das Museum ist eine grundlegende Institutionalisierung bürgerlichen Bewußtseins. Sie ist beileibe nicht seine einzige Institutionalisierung, denn
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dieses Bewußtsein ist nichts Monolithisches, sondern eine reich facettierte Angelegenheit. Es manifestiert sich beispielsweise auch in einer Subjektkonstitution, die etwa Schumpeter (1950, 213 ff.) als Unternehmer oder Sombart (1913) als Bourgeois beschrieben und verallgemeinernd Max Weber (1922,17 ff. bes. 163 ff.) mit der protestantischen Ethik in Beziehung gesetzt haben. Im Zentrum dieses Bewußtseinaspekts stehen die nüchterne „Kalkulation" (Sombart), Rechenhaftigkeit und „Berechenbarkeit" aller Handlungsvollzüge (Weber, ebd. 10), die geldbezogene Bilanzierung der Aktivitäten. Diese Seite des bürgerlichen Bewußtseins institutionalisiert sich in der modernen „betriebskapitalistischen" (Weber) Wirtschaft, die sich ihrerseits im Zuge ihrer Globalisierung institutionell wieder transformiert. Deutlich sehen wir die Korrespondenzen zwischen der ökonomischen und der musealen Institutionalisierung von Facetten bürgerlichen Bewußtseins. Sie liegen in der Subjektformierung: hier die wirtschaftliche Autonomie und Selbstbestimmung im ökonomischen Bereich, dort Innerlichkeit und Reflexivität als spezifische Subjektqualitäten im Museum (wie auch im Theater oder im bürgerlichen Musikwesen). 45 Wir betrachten nun nicht nur das Kunstmuseum, sondern das Museum generell in all seinen ausdifferenzierten Erscheinungsweisen als institutionalisierte Form des Bewußtseins. Neben den klassischen Typen des Kunst-, Naturkunde-, Gewerbe- und Historischen Museums, die alle im 19. Jahrhundert entstanden sind, hat in Deutschland heutzutage nahezu jedes Produkt in einigen tausend Museen seine Präsentationsform gefunden. Jedes größere Dorf hat sein Brot-, Korken-, Spielzeug-, Häkel- oder Biermuseum, sein Museum für Gipsabdrücke oder Blumengebinde. Jedes dokumentiert nicht nur seinen Gegenstand systematisch und historisch sondern stimmt auch stets eine Siegeshymne darauf an. Der Chor dieser Jubellieder fügt sich zu einer allgemeinen Fortschrittserzählung der menschlichen, vor allem der abendländischen Kultur. Das ist aber nur möglich, weil hier das Gedächtnis für die Vor- und Entwicklungsstufen gespeichert, gewissermaßen die Generalkarte für den Weg zurück und nach vorn, in die aufbewahrte Vergangenheit und die offene und kontingente Zukunft aufbewahrt wird. Vor allem in diesen neuesten Museumstypen ist die grundierende Figur die Historisierung der Objekte. Das ist von nicht zu unterschätzender Sinnhaftigkeit in einer Epoche, in der das Bewußtsein ihres Gewordenseins durch die temporale Verdichtung und die räumliche Entgrenzung all dessen, was in ihr geschieht und darüber hinaus durch die tendenziell ausschließliche Geldfixiertheit zunehmend aller menschlichen Lebensvollzüge, immer schneller schwindet. Anderer119
seits birgt es auch merkwürdige Paradoxien. Nehmen wir den verhältnismäßig neuen Typus von Museen für spezielle Technologien - etwa Bergbau (Dortmund), Flußschiffahrt, (Schiffshebewerk Henrichenburg) - und die zugehörigen sozialen Lebensformen - Stahl- und Bergarbeitersiedlungen im Ruhrgebiet so werden diese Museen zumeist erst eingerichtet, wenn die Technologie am Ende, die Sozialform ausgestorben ist. Sie sind geronnene, eingeglaste Erinnerung. Damit artikulieren sie aber zugleich - sofern diese Erinnerung nicht überhaupt tot ist, was vom Modus der Musealisierung abhängt - ein Uber-sich-hinaus, ein technisches Jenseits-ihrer-selbst. Indem sie Erinnerungsstücke geworden sind, verweisen sie auf das technische Fortschreiten in der Gesellschaft. Hier gibt es aber keine Kontinuitäten. Man sieht die Brüche der Technikentwicklung leibhaftig, Brüche ohne Anknüpfungen - zumeist handelt es sich ja um Technologien im primären Sektor: Landwirtschaft, Bergbau, Rohstoffförderung (extraktive Technologien) und in der Verkehrstechnik. Indem diese Techniken in ihren Museen über sich hinausweisen, werden sie zu Welten in einer eigenen, abgeschlossenen Vergangenheit. Man kann sagen: Technikmuseen sind in ihrer Doppelfunktion als Gedächtnis und Verweisung auf Zukunftskontingenz paradoxe Institute. Das ist kein Plädoyer gegen solche Einrichtungen, im Gegenteil: Alle Länder unterhalten aus gutem Grund und bei hohen Kosten auch Archive zur Gesellschaftsgeschichte. Aber gerade die spezifische Art, in der hier Fortschritt durch seine Abwesenheit thematisiert wird, vermag den oben besprochenen Zusammenhang von Museum und Gesellschaft zu lösen. Das sollte man bei der Einrichtung solcher Museen berücksichtigen, um dieser Bewegung entgegenzuwirken.
Formverwandlung
und Medialität
Das Museum selbst ist konstituiert als Institut der Grenzquerung von Ort und Raum, und zwar in beiden Richtungen. Wie wir im Hinblick auf das Konstituens der Zeitkompression im musealen Raum schon angedeutet haben, verarbeitet das Museum hier auch einen „konstitutionellen Uberschuß" aus seinen gesammelten und ausgestellten Artefakten mit; wobei wir dies stets am Kunstmuseum erläutern. Aber das alles gilt analog auch für die anderen klassisch-bürgerlichen Institute. Beispielsweise für das Naturkundemuseum: Das Saurierskelett im Frankfurter SenckenbergMuseum ist ganz im Sinne der Schillerschen Ästhetik nicht einfach ein
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paläontologisches Knochengebilde, sondern ein Blick durch das Kunstschöne hindurch auf die (untergegangene) Natur. Diese Formverwandlung bewirkt niemand anders als das Museum selbst. Das Skelett verweist wie alle Ausstellungsstücke in tiefe Zeiträume. Besonders evident wird die Grenzquerung im Gewerbe- oder Technikmuseum. Es vermittelt von Anfang an, was das Kunstmuseum erst mühsam und teilweise gezwungenermassen lernen mußte, nämlich den gesellschaftlichen Raum des Warenuniversums (oder der Produktion) mit dem Ort der Präsentation zu verbinden. Es schafft damit zugleich eine Transferschiene für Vorstellungen von Asthetisierung und für ästhetische Formen. Die ohnehin weit gezogene Innen-Außen-Grenze verschiebt sich hier noch einmal, und dies laufend. Das Kunstwerk war von Wedgwood bis zu den Nazionalsozialisten das Zentrum, referentieller Kernbereich aller ästhetisierenden Verallgemeinerungen. Seit den Avantgarden sprengt es - wie der Raum seiner Aufbewahrung - die aristotelische Einheit von Zeit und Ort der Erzählung. Es explodiert, sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht. Selbst in der pittura metafisica wird die (etwa von de Chirico bisweilen bewußt „falsch" eingesetzte) Zentralperspektive nicht mehr zur Konstruktion einer Ortseinheit, sondern für eine zerfließende, den konkreten Raum überströmende Befindlichkeit entsubjektivierter Figuren genutzt. Diese sind ebenso ortlose Schatten im Irgendwo wie Boccionis „Lärm der Straße" sich auf irgendeinem x-beliebigen Balkon in Mailand oder Berlin abspielen kann. Insofern steht diese Malerei nicht in einem dem äußeren Anschein nach zu vermutenden Gegensatz zu raumsprengenden Bildern Boccionis oder zur zeit- und raumpulverisierenden Explosivität des Futurismus eines Marinetti oder auch der von DaDa. Weit eher ist es eine andere Variante der Ortsauflösung, desselben Verschwimmens von Ort und Raum in derselben Grenzenlosigkeit der Lebensreproduktion im (seinerzeit) modernen Industriekapitalismus, in der sich die Figuren auch nicht mehr als orientierungsfähige Menschen finden, teilweise nicht einmal mehr denken können. Seit den Avantgarden wird die bis dahin zwar konstitutionelle, aber durch die auratische Objektgebundenheit auch zugleich verschleierte Medialität des Museums programmatisch. Sie ist Teil des modernen Bewußtseins geworden. Darum wird das Museum, dieser im bürgerlichen Zeitalter durch den schönen Schein konzentrierte Ort stiller Versenkung, zum Anknüpfungspunkt oder zum Ort des Geschehens eines „fein gemachten" massenkulturellen Events in den großen Publikumsschauen in Hamburg, im Haag, in Venedig, London oder New York 121
und anderswo, deren kommunikative Auseinandersetzung im Sinne der Rezeptionsästhetik teilweise höchste Kennerschaft und Fachkompetenz erfordern würde.46 Was sich hier ereignet, hat von sich aus keinen Ort mehr sondern eine beliebige Raumstelle - möglichst nahe an einer Hochgeschwindigkeitstraße oder einem Flughafen. Konstitutionell und von seiner Sammlung her steht die Medialität des Museums außer Frage. Wir haben plausibel zu machen versucht, daß durch diese Medialität die ästhetischen Formen und das angedockte Formbewußtsein - zweifellos beides aus dem 19. Jahrhundert überständig, aber in der Asthetisierung ebenso zweifellos höchst vital-räumlich - verallgemeinerbar und verallgemeinert worden sind. Und zwar in einer Weise, daß sie mühelos in massenkulturelle Zusammenhänge integrierbar sind. Als bedeutende Transferschiene der Musealisierung ist dabei die historisch größte Formengruppe der Asthetisierung zu identifizieren, die Kunst selber, die seit den Avantgarden programmatisch die Grenzquerung zum Prinzip erhoben hat. Das widerspricht nicht der überhöhten Autonomie der avantgardistischen Kunst, handelt es sich dabei doch um eine sekundäre, zeitlich verschobene Rückwirkung des „Definitionsamtes" Museum, das nicht nur immer nach außen gibt, sondern auch ständig das Formenuniversum seines Mediums abgrast und sich einverleibt.
Mediatisierung Aus der räumlichen und zeitlichen Problematik der Differenz entstehen im selben Konstitutionszusammenhang zwei Dimensionen notwendiger Ort-Raum-Vermittlungen: eine alltagsweltliche, die auf eine subjektive Synthesis bezogen ist, und eine politische Dimension, die auf die Vermittlung von lokaler Gesellschaft und überlokalem politischen System bezogen ist. Beide gehen im Laufe der historischen Entwicklung in einem allerdings hochdifferenzierten Mediensystem teilweise ineinander auf und werden so zum Backbone system der zeitgenössischen Kultur. Um diesen Prozeß in seinen Erscheinungsformen nachzeichnen zu können, müssen wir uns - nachholend - eines praktikablen Medienbegriffs vergewissern. Wir tun dies in Form dreier thetischer Überlegungen. Erstens fassen wir den Medienbegriff nicht ontologisch oder formal, prinzipiell nicht als Distributionsmittel von Nachrichten. Das Medium kann diese Form annehmen, wobei diese aber nur eine unter vielen ist. Ausgehend von einem ausschließlichen Bezug auf unser Thema wollen wir den 122
Medienbegriff statt dessen funktional fassen. Es ist Aufgabe des Mediums, in Wahrnehmung und Bewußtsein die subjektiven Konstruktionen von Ort und Raum „zusammenzubringen". Das bedeutet nicht, beide zur Deckung oder gar Identität zu bringen, wenngleich das in Einzelfällen simuliert werden kann. Zusammenbringen heißt vielmehr, Vergleichbarkeitsverhältnisse herstellen, Aufeinander-Beziehbarkeiten, so daß die in den diversen Medien mitgeteilten Informationen in solchen Vergleichbarkeitsrelationen verstanden werden können. An dieser Stelle unserer Überlegungen spielt also die Materialität der Medien noch keine Rolle. Gleichwohl hängt es von der Materialität ab, welche Form die Ort-RaumVermittlung letztlich annimmt und wie sie infolgedessen gelingt. Auch kommt es darauf an, durch welchen Typus von Kommunikation die Kontingenz, welche die Differenz für die Menschen subjektiv sichtbar macht, durch Herstellung der Vergleichbarkeitsverhältnisse gemindert wird. Die Materialität des Mediums bestimmt also die konkrete kulturelle Form der Kontingenzreduktion. Auch ist es unmittelbar einleuchtend und bedarf keiner weiteren Begründung, daß nicht jede Form in jedem Medium vermittelt werden kann. Die Funktionalität ergibt sich zweitens aus der empirischen Notwendigkeit der Ort-Raum-Vermittlung. Sie ist selbst nicht begründbar. Auch wenn wir die Körpergebundenheit der sinnlichen Erfahrung hinnehmen, wäre es nur eine - allerdings unhaltbare - Begründung, wenn man diese Notwendigkeit als anthropologische Konstante betrachtete. Der Körper ist demgegenüber plastisch hochgradig modellierbar und historisch ununterbrochen modelliert. Ein Telos der Modellierbarkeit ist dabei nicht erkennbar. Diese könnte allerdings mit den kreativen Potentialen der zukünftigen Gentechnik bei weiter fortschreitender Kommerzialisierung der Wissenschaften möglicherweise in so etwas wie eine totale Formbarkeit übergehen. Zur Plausibilisierung kann man hierfür auch Plessners phänomenologische Anthropologie heranziehen. Die von ihm entwickelte „exzentrische Positionalität" des Menschen eröffnet ein großes Relationierungspotential des Menschen zu sich selbst und seiner Umwelt, deren Realisierungen alle unter dem Rubrum Erfahrung gesammelt werden können. Dadurch kann drittens alles Medium werden, dem sich Formen einprägen lassen oder genauer: das in seinen Formen - und nur in ihnen - in Erscheinung tritt und die Vermittlung in diesen Formen vor allem „trägt", in der Lage ist, Vergleichbarkeitsrelationen herzustellen und zu vermitteln. Da mediale Formen - der hier in Frage stehenden Medien - aus Zeichen 123
und aus Zeichenkonfigurationen bestehen, ist damit zugleich die tendenzielle Universalisierung der Zeichenhaftigkeit von allem und empirisch die Uberproduktion von Zeichen in der Moderne in die Welt gesetzt. Im medialen Zusammenhang müssen sie zu Formen konfigurieren, wenn im Medium der Beziehungssinn übermittelt werden soll: Ein immanenter Zwang zur ästhetischen Steigerung, je mehr und je tiefer gestaffelt zu vermittelnde Differenzen im gesellschaftlich-räumlichen Prozeß der Ausdifferenzierung entstehen. Wir können damit noch nicht auf ein autonomes Mediensystem im Sinne der gesellschaftlichen Funktionssysteme schließen. Die hier angesprochenen Medien können in verschiedenen gesellschaftlichen Systemen funktionieren - vor allem in der Wirtschaft und in der Kultur - und tun dies auch. Darum sprechen wir vom ökonomischen Kulturmodell. Aber einige von ihnen können wir als Formen unter dem Begriff Asthetisierung zusammenfassen, die wir ebenfalls als Medium betrachten. Was die Mediatisierung selber betrifft, so haben wir mindestens drei Dimensionen zu berücksichtigen. Erstens stellen sich die neuen städtischen Transformationen, vor allem solche des Innenstadtbereichs, als ästhetisierende Mediatisierungen zeitgenössischer Gegenstandsauffassungen dar. Denen korrespondiert zweitens eine diesen unterlegte unsichtbare Struktur von Mediatisierung, die das ehedem öffentliche Geschehen privatisiert und der öffentlichen und demokratischen Kontrolle zunehmend entzieht. Hier kommt der Doppelcharakter der modernen elektronischen Medien zum Zuge: Dadurch, daß in den entstehenden einheitlichen (digitalisierten) Netzen Massenkommunikation und Individualkommunikation zusammenwachsen, werden in ihnen die kommerziellen wie politischen, vor allem auch die kommunalen politischen, Entscheidungsprozesse unsichtbar. Nur ist das kein Prozeß der Machtauflösung, nicht einmal einer ihrer Dezentralisierung. Vielmehr handelt es sich um ihre Verschiebung mit zum Teil neuen, vorwiegend ökonomischen Machtkonzentrationen. Darüber täuscht der scheinbar fluide Charakter der Netzkommunikation leicht hinweg. Das vollzieht sich drittens analog zu der Art und Weise, in der bereits seit dem 19. Jahrhundert, seit der Industrialisierung der Massenpresse, seit der Entstehung von Kino und elektronischen Medien, die politische Öffentlichkeit der städtischen Räume immer mehr von den Massenmedien substituiert und in ihren tradierten, ortsgebundenen Formen sehr stark eingeschränkt wird. Antworten, Mutmaßungen, Euphorien und Endzeitszenarien hinsichtlich der Bedeutung der sich vehement beschleunigenden 124
Mediatisierung für die körperliche Seite des Städtischen, überschlagen sich gegenwärtig.47 Im abschliessenden Kapitel „Medien-Räume" werden wir darlegen, daß erstens all jene euphorischen Utopien und Idealisierungen, wie die Medien- und speziell die Netzspekulationen oder die immer wieder aufs Neue variierten Szenarien virtueller Stadtbilder im Kern äußerst naiv und nicht zu halten sind, da sie in ihrem technologischen „Extremismus" einen der beiden Zeitmodi (den der evolutionären und der instantanen Zeit) ontologisieren. Zweitens besteht eine wesentliche kulturelle Leistung der Stadt darin, die Synthesis der Zeitmodi in den individuellen Lebensvollzügen der Menschen sicherzustellen. Ein gegenwärtig dominanter Weg hierfür ist die Virtualisierung der Stadt als Ort durch Musealisierung. Der dadurch in Gang gesetzte Erlebnismodus der Ortserfahrung kompensiert gewissermaßen die Virtualisierung mediatisierter Raumerfahrung und balanciert deren Zeitrhythmen aus. Es ist unverkennbar, daß beide Mechanismen einen ökonomischen Determinationsrahmen besitzen, der ja auch Gegenstand intensiver Forschung geworden ist. Ebenso unverkennbar ist aber, daß die angesprochene Kompensation und Balancierung explizite kulturelle Leistungen und Funktionen der zeitgenössischen Stadt sind - vielleicht die einzigen Funktionen, die der Stadt verbleiben, wenn sich nach der Produktion und der politischen Macht auch der Konsum langsam aus den Innenstädten in die Zentren und Shopping mails am Stadtrand ausquartieren sollte.
Vermittlungen und Verwischungen Als das weithin mediale Rückgrad städtischer Kultur ist Ästhetisierung in der Lage, Differenz in ihrer räumlichen und zeitlichen Dimension durch Vermittlung zu reduzieren. Es fragt sich allerdings, wieweit diese Leistung reicht. Kann Kultur Differenz überhaupt vollständig vermitteln? Die geordnete, ordentliche, „gegliederte" und lesbare Stadt ist die heroische Utopie des Planungsrationalismus der Moderne, den Le Corbusier mit seinen Grundaxiomen von Funktionalität und Linearität autoritär durchdekliniert hat. Elizabeth Wilson (1993,29) sieht in dem Versuch, mit Planung das Chaos und die Fragmentierung moderner Großstädte in einen kohärenten, ganzheitlichen Zusammenhang zu bringen, einen „kolonialen Imperativ". Er solle alle Differenzen fest verfugen und das Gewimmel, den Fluß der Körper, die Unordnung, die Fragmentierung des Stadtbildes und das Patchwork seiner bis zum Kollaps reichenden Verdichtungen und 125
entleerten Räume durch Nutzungsvorgaben und Verkehrskanalisierungen steuerbar und Kontingenzen und Ambivalenzen auf diese Weise zentral beherrschbar machen. Ort-Raum-Differenzen werden dabei extrem markiert, so aber verkehrstechnisch operationalisierbar gemacht. Grenzverwischungen formulieren unter produktions- und verkehrstechnischen Bedingungen der Moderne den absoluten Limes-Wert sozialer Ordnungsvorstellungen, wie sie das Stadtplanungsdenken seit den Utopien der Renaissance und des Humanismus beherrschen. Sie wälzen mit der Industriestadt vielleicht am ausgeprägtesten, mit der fordistischen Stadt aber auf jeden Fall völlig ungehemmt alle überkommenen Formen städtischen Lebens, auch Widersprüchlichkeit und Disproportionalität von räumlicher Privilegierung und Benachteiligung um. Insofern sind sie den beharrenden Tendenzen identitätsstiftender Lebenspraktiken in ihren räumlichen Bezügen gegenüber enorme psychische Zumutungen. Wie aber gehen Menschen mit diesen Zumutungen im städtischen Raum um? Welche kulturellen Praktiken entwickeln sie für „Umgangsweisen mit dem Raum"? (de Certeau 1988, 187) Individuen müssen die erlebt wahrgenommene Stadt mit der geplanten und planvoll fragmentierten Stadt zu der „eigenen" Stadt, derjenigen der raumquerend vernetzten Orte ihrer Lebensproduktion und ihrer Beziehungen synthetisieren. Sie fügen hier Orte und grenzverwischte Räume zu gangbaren Raumgestalten vor dem Hintergrund oder auf der Folie der ästhetisierten Vermittlungen zusammen. Diese Gestalten sind Teil der dunklen, opaken Totalität Stadt und stehen ihr zugleich als diaphaner Lebensraum gegenüber. Die Synthese ist ein Bewegungsprozeß. Ist sie auch ein mentaler Akt, so erfolgt sie doch im Gehen - auch im Fahren - in der Stadt. Die narrative Raumanalyse de Certeaus, die eine „Rhetorik des Gehens" (ebd., 192 ff.) als Raumkonstituens intendiert, hebt zwei dominante Stilfiguren der Bewegung im städtischen Raum hervor: Die Synekdoche, mit der ein Ganzes durch ein Teil, das ihm zugehört, bezeichnet wird („Kopf" für einen Wissenschaftler, „Grün" für einen Park), und das Asyndeton, das Weglassen von Konjunktionen, Adverbien. Es handelt sich also um raumkondensierende und -selektierende Synthetisierungspraktiken. Der „so behandelte Raum verwandelt sich in vergrößerte Singularitäten und voneinander getrennte Inseln". (Ebd. 195) Das im Detail kondensierte Ganze ist das Schaufenster, das für eine ganze Straße stehen kann. Die unterbrochene, im Gang bestrittene Kontinuität ist der ostentative Umweg, der das Konjunktive und Konsekutive eines geometrisch und hinsichtlich des eigenen Wegziels prinzipiell auch vektoriell geordneten Stadtraums geflissentlich übersieht. Beide, das 126
Ganze und das Unterbrechende, bilden vernetzte Räume im Stadtraum, die keine Orte im dargestellten Sinn sind. Sie liegen aber auch weit unterhalb des äußersten Bezugshorizonts Stadt des existentiellen Darin-Seins und werden in einer vielschichtigen Zwischenlage, oft in diffuser Wahrnehmung des Selbst in einer Umwelt belebt. „Das Gehen [...] macht aus der Umgebung etwas Organisch-Bewegliches, eine Abfolge von pathischen topoi." (Ebd., 191) Die Bewegung in der städtischen Totalität ist also raumkonstituierend. „Die Spiele der Schritte sind Gestaltungen von Räumen [...], sie können nicht lokalisiert werden, denn sie schaffen erst den Raum" (ebd., 188) als Raum „für mich, Dich, für alle Referenten von Personalpronomina". Raumkonstitution heißt hier: Segmente der Totalität gegen ihren (Plan)Schematismus beleben und ihrer ordnenden, disziplinierenden Perspektive zu entkommen, ohne sie real-körperlich zu verlassen. Der so konstituierte Raum ist - in verschiedenen Stufen subjektiven Verfügens - angeeigneter Raum im Sinne des Habens.48 Denn „die Erzeugung eines Raums scheint immer durch eine Bewegung bedingt zu sein, die ihn mit einer Geschichte verbindet" (ebd., 219), nämlich mit der Geschichte, die mich oder Dich dort umtreibt und die ich als meine habe. In diesem belebenden und Bedeutung generierenden Akt der Raumkonstitution ist der angeeignete Raum immer ein „Dazwischen", von etwas zwischen Ort und Ferne oder genauer: Horizont äußerster Referenz räumlicher Identität. Bewegung in der Straße ist ein Dazwischen in dem Sinne, daß man von einem Ort kommt und noch nicht woanders ist. „Es ist der unendliche Prozeß, abwesend zu sein und nach dem Eigenen zu suchen. Das Herumirren, das die Stadt vervielfacht und verstärkt, macht daraus eine ungeheure gesellschaftliche Erfahrung des Fehlens eines Ortes." (Ebd., 197) Aber das ist zugleich auch die ununterbrochene Erfahrung von Grenzverwischung und Grenzauflösung in der Wahrnehmung und Praxis des Grenzübertritts, der Verwischung von Innen (Ort) und Außen (Raum), auch von Hoch- und Popularkultur. Auch dieses Verwischte und Vermischte wird von den Subjekten synthetisiert. Es wird immer Neues hergestellt - die subjektive Gefährdung, aber auch Qualität des Dazwischen. Es handelt sich also um eine benennbare, räumlich definierte und dem subjektiv belebenden Zugriff zugängliche Leerstelle zwischen den Lebensorten und der Opazität des referentiellen städtischen Raums. Sie wird durch Ästhetisierung „aufgefüllt". Die Auffüllung ist ein medialer Prozeß stadträumlicher Gestaltung. Dieser gelingt aber nur dann, wenn er in die Syn127
thetisierungen der Subjekte eingeht, d.h. wenn sich das Medium in subjektzugänglichen, tradierten Räumen konkretisiert. In dieser Perspektive gewinnt auch das Museum eine spezifische Qualität: Es ist weder Ort noch Raum sondern (ähnlich wie Innenstädte, Flaniermeilen) ein Dazwischen. Seine Bearbeitung produziert stets etwas Neues in der Gegenstands- und in der Raumwahrnehmung, aber auch in der Raumbelebung. Vermittlung kann also nur gelingen, wenn das Dazwischen nicht Ort oder Raum wird, nicht unmittelbare körperzentrierte Lebenswelt und nicht Grenzverwischung oder Auflösung im Raum. Es kann weder dem einen noch dem anderen zugeschlagen werden. Dann nämlich wäre es in beiden Fällen nicht mehr ein subjektiv in den Vermittlungsprozessen bearbeitbares Raummaterial, nicht mehr der Bereich der mit de Certeau angesprochenen Raumkonstitution, sondern wird banales oder langweiliges, auf jeden Fall subjektiv beliebiges Segment. Das Dazwischen hat in unserer Argumentation eine doppelte Bedeutung: Einmal ist es der mit Bedeutungen zu besetzende Raum zwischen zwei Orten und - in begrenztem Maße bis zum Undefinierten Ubergang ins Darüberhinaus - zwischen einem Ort und seinem Bezugshorizont, also der städtischen Totalität.49 Es ist der Bereich einer relativ stabilen Raumkonstitution, der von der Körperlichkeit der Subjekte erschlossen wird. Für die zweite Bedeutung müssen wir uns von der Körperzentriertheit der Ort- und Raumerfahrung lösen. Das Dazwischen hat auch eine kognitive Dimension, etwas, das im Kopf stattfindet. Als solche ist das Dazwischen ein zwar fluider, gleichwohl aber bevorzugter Bereich der Raumbildkonstruktion. Und das bedeutet genau wie beim Raumbild des Ortes, daß in dieser Konstruktion mindestens zeitweilig die Konstitutionsleistung einer grösseren Anzahl von Menschen annähernd kongruent sein muß. Die Ort-Raum-Vermittlung wird hier als Synthesis-Leistung betrachtet. Ihr Bewegungsprozeß ist als mehr oder weniger kontinuierliche, bisweilen auch schockartig platzende Raumbildtransformation zu begreifen. Als mental-räumliche Kategorie wird das Dazwischen auf jeden Fall subjektiv konstruiert. Der Ursprung der Vermittlungsnotwendigkeit muß stets mitthematisiert werden. Das geschieht etwa in der Exposition des Wandermotivs des klassischen Bildungsromans, in welchem das gerade entdeckte bürgerliche Subjekt dem Geburtsmangel konfrontiert wird, daß es sich nicht als „welthabendes" unmittelbar konstituieren kann, sondern diese Eigenschaft erwandern, in einem langen und raumgreifenden Vermittlungsprozeß erlernen muß, der dann Bildung heißt. Libeskinds Jüdisches Museum 128
in Berlin macht aus dem Dazwischen einen selbständigen ästhetischen Ort und läßt nicht nur erkennen, was es vermitteln will, sondern thematisiert vor allem die Tatsache und die Notwendigkeit der Vermittlung selber - und verselbständigt sie. Das ist eine spezifische ästhetische Qualität, irritiert aber zugleich auch grundlegend. Kann man sie als Gewinn der Verselbständigung begreifen? Auch das Lorenzetti-Beispiel ist hier noch einmal in seiner doppelten Vermittlung anzuführen. Zum einen in der Darstellung selber. Hier brauchen wir aus der dargestellten Vielzahl nur die Stadt-Land-Vermittlung in ihrer homologen ästhetischen Strukturierung herauszugreifen. Das Dazwischen wird dabei überwiegend in der ersten Bedeutung thematisiert. Zum zweiten vermittelt die Darstellung zwischen Realität und Idealität der Stadt, also mental zwischen Realität und Wunschvorstellung. Es formt damit ein konsistentes und langlebiges Raumbild, das heute noch rudimentär existiert. Analog läßt sich die sozialwissenschaftliche Konstruktion der Global city als Bild interpretieren. Auf der ersten Bedeutungsebene zeigt sich, daß dieses Raumgebilde aufgrund des ökonomischen Determinismus seiner Konstruktionsprinzipien ganz ohne Vermittlungen auskommen muß: Kulturelle Elemente sind nur Kulisse des Funktionsgefüges oder nehmen Funktionsstellen (meist der Konsumtion) im ökonomischen, nicht einmal im sozialen Feld ein. Auf der zweiten, kognitiven Bedeutungsebene wird die Realität der fragmentierten Stadt, die in sozialer Hinsicht vor allem durch ihre internen Peripherisierungen gekennzeichnet ist, mit der Idealität einer abstrakten Verräumlichung unternehmerischer Steuerungsfunktionen und ihrer ebenfalls funktional begründeten Dienstleistungssateliten der globalen Ökonomie vermittelt. Bei einer solchen Konstruktion ergibt sich eben ein abstraktes Bild von Global city, das zwar die Lokalisierung des Globalen betont, diese aber aus ihrem rein funktionalistischen Blickwinkel nicht in die tradierten lokalen Vermittlungszusammenhänge einfügen kann. Die Autostadt in Wolfsburg ist dafür ein Beispiel. (Vgl. S. 15 Iff.) Kehren wir an den Ausgangspunkt unserer Überlegungen dieses Kapitels zurück: Kultur vermittelt Differenzen, räumliche, raum-zeitliche und soziale. Den medialen Kernprozeß dieser Vermittlung nennen wir Ästhetisierung, der sich historisch in wechselnden Formen manifestiert. Dabei bleibt zu vermuten, daß sich die mediale Formausprägung der Ästhetisierung immer stärker zu massenkulturellen Praktiken entwickelt, ohne sich allerdings in ihnen vollständig zu erschöpfen. Wir sehen freilich auch, daß kulturelle Vermittlung in den Städten nicht ohne Rest aufgeht: Sie bildet 129
eine Gemengelage von Differenzauflösung und Neudifferenzierung, in der das Dazwischen immer noch erkennbar und thematisierbar bleibt. Das trifft auch auf die Fremdheit des Raums zu, der seinen archaischen Schrekken dadurch nie ganz verliert, auch wenn er sukzessive - aber eben immer nur partiell - in das Dazwischen eingearbeitet wird. Vielmehr scheint er sich im gleichen Maße, wie strategische Asthetisierungen im kommerziellen Interesse zwanghaft die Innenstädte okkupieren, als immer stärker nach innen verlegte Grenzerfahrung eher stärker aufzubauen. Kultur vermittelt Differenzen und produziert selbst Differenzen, die vermittelt werden müssen, deren Vermittlung oder Nicht-Vermittlung aufgrund ihrer antiegalitären Effekte teilweise auch umkämpftes Terrain ist. Denn auch bei differenzvermittelten Asthetisierungen handelt es sich ja nicht nur um mediale Formobjektivierungen, Institutionen und Präsentationen. Auf der Subjektseite geht es immerhin auch um das Haben und das Verfügen, um interpretationsgeleitete Aneignungsweisen und deren (selbst)verwirklichende Praxisformen. Uberflüssig zu betonen, daß kulturelle Vermittlung nicht neutral für alle Individuen in derselben Weise erfolgt. Sie reflektiert zugleich, und teilweise verstärkt sie auch die sozialen und kulturellen Ungleichheitsstrukturen der Gesellschaft, die heute stärker denn je in den Städten produziert werden. Kultur ist in ihrer Doppelfunktion selbst differenziert, was Bourdieu für die Seite des Verfügens und der daraus resultierenden distinktiven Praxis mit den verschiedenen Erscheinungsformen des kulturellen Kapitals analysiert hat. Uber kulturelle Formen mit dem jeweils zugeschriebenen ästhetischen Blick zu verfügen, ist eine erworbene und insofern auch sozial differenzierte Kompetenz, in der sozialen Zuschreibung zwischen den Fraktionsmitgliedern des kulturellen Kapitals auch Inkompetenz.
Grenzauflösung und
Grenzverwischung
Hinsichtlich der möglichen Vermittlungsprozesse von Differenzen müssen wir unterscheiden zwischen Grenzauflösung und Grenzverwischung. Grenzauflösung ist immer eine lokale Entdifferenzierung, die unter Umständen als mediale Form - etwa Stadtfeste, Passagen, Innenstadtmöblierungen - auch universalisierbar ist. Wir verstehen darunter den Grenzübergang zwischen Vermittlung und Neuproduktion von Differenzen. Dieser bildet - und dies nicht erst heute, wo er zunehmend massenkulturellen Charakter gewinnt - den dynamischen Aspekt im Gegensatz 130
zum konservativen Charakter der Stadt. Grenzauflösung ist die kulturelle und soziale Dynamik der Stadt, ihre keineswegs konfliktfreie Lebendigkeit. Ein klassisches Beispiel ist die Gentrifizierung. Im vorgeschlagenen definitorischen Sinne handelt es sich dabei insofern um Grenzauflösung, als im 19. Jahrhundert festgelegte bauliche, topographische und soziale Grenzen durch soziale Umstrukturierung aufgelöst und neu konfiguriert und kulturelle Zusammenhänge umgewälzt werden. In diesem Prozeß wird aber zugleich auch eine neue Differenz produziert: soziale Segregation. Genauer müßte man sagen: Eine neue Segregation, denn die gentrifizierbaren, innenstadtnahen Wohnquartiere und Stadtteile sind ihrerseits Resultat der Klassenspaltungen und der räumlichen Segregation im späten 19. Jahrhundert. Vermittlung und Neuproduktion von Differenzen etabliert immer aufs Neue wieder ein Dazwischen. Grenzverwischung kann man indessen geradezu als Beseitigung des Dazwischen definieren. Bekannte Fälle sind Zerstörungen von Nachbarschaften etwa durch Kahlschlagsanierung, Anonymisierung des Wohnens in Großblockwohnanlagen, Planungsrationalität und Geometrisierung. Die Vermittlung durch Ästhetisierung muß immer auch das Dazwischen kognitiv aufrecht oder rekonstruierbar erhalten. Denn hier findet sie statt; sie bezeichnet - wie das Museum - die Differenz im Dazwischen. Ist sie, wie im Sinne Adornos die Gesellschaft Kunst nötig hat, auch „gezeichnet" von der Notwendigkeit der Vermittlung? Das würde freilich - im Gegensatz zu Adornos Annahmen zur Ästhetik - ihre kommerzielle Instrumentalisierung, als universelle Verschönerung der Welt und der Subjekte, die Entdifferenzierung von Kultur und Ökonomie im ökonomischen Kulturmodell begünstigen. Aus diesen Beobachtungen und Schlußfolgerungen ergibt sich die Einsicht, daß Ästhetisierung als Vermittlung nur solange funktioniert, wie sie nicht alles erfaßt, sonst wird sie zur Grenzverwischung. Das heißt aber auch, daß die Vermittlung von Ort-Raum-Differenzen nicht restlos möglich ist, daß die darin konstituierten Unsicherheiten nie verschwinden. Diese Tatsache öffnet aber zugleich eine Tür für elaborierte Bearbeitungen - nicht Beseitigungen - der Differenz, für die Kunst zum Beispiel. Solche Bearbeitungen können neue Raumbilder schaffen. Mithin verbleibt auch im grenzüberschreitenden Kulturverständnis ein Ort für hochkulturelle Hervorbringungen. Aber diese Position ist im Gesamtvermittlungszusammenhang der Kultur festgelegt für soziale Trägergruppen, die ein spezifisches, ausgebildetes Interesse an einem kognitiven Typ der Differenzbearbeitung haben, der zugleich ihr kulturelles Kapital bildet. Sie ist 131
damit selbst Moment im ausdifferenzierten Kultursystem. Erloschen ist ihr universalistischer Veredelungsanspruch, der im sozialen Kulturmodell zugleich dem impliziten Egalitarismuspostulat der bürgerlichen Gesellschaft entsprach.
Museum und Stadt
Das urbane Museum Museum zwischen Gewinn und Verlust Seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts haben Architekten damit begonnen, unter Zuhilfenahme städtischer Metaphern das Museum selber in eine urbane Raumgröße zu verwandeln.50 Im Zuge urbanistischer Restrukturierungsmaßnahmen mit dem Ziel der Asthetisierung einzelner Stadträume haben dabei - im Einvernehmen mit den Kommunen - erstaunlich viele Museen (früh Holleins Abteiberg in Mönchengladbach, Ungers' Architekturmuseum und Meiers Museum für Kunsthandwerk in Frankfurt am Main, dann das Museum in Groningen oder das Regionalmuseum in Korbach, schließlich Richard Meiers „Stadtkrone", die Getty-MuseumFoundation in Los Angeles) den Anspruch der Maßstäblichkeit städtischer Idealität einzulösen vermocht. Die Anordnung der Räume und die Wahl der formalen Anspielungen organisieren eine Erfahrung, wie sie die Städte in dieser Dichte wohl nicht mehr bieten können. Unter der Hand wird so der Bedeutungszuwachs des Museums auch zu dem der Stadt. Denn das Museum als Stadt imaginiert mittels einer durchweg vorindustrielle, mittelalterliche und antike Bilder beschwörenden Ikonographie die Stadt als einen vormals identischen Ort. Damit holt es sich auf einer neuen Ebene der Bedeutung zurück, was es als Museum durch seine Affirmation an die Stadtmetapher verliert: die Eindeutigkeit durch die räumliche Verwechselung von Innen und Außen als ein bewußtes Spiel und den Anspruch, auf den realen Urbanen Raum verändernd einzuwirken. Dem kommt zweifellos entgegen, daß Museen schon seit längerem keine fest konturierten, mit der Exklusivität ästhetischer Erfahrung ausgestattete Orte mehr sind. Diese keineswegs nur beklagte, ja immer häufiger mit Nachdruck begrüßte, von Politikern geradezu penetrant geforderte Tatsache beherrscht seit nahezu drei Jahrzehnten alle Diskussion über neue Museumsarchitektur, die kommunalpolitische Inanspruchnahme 133
des Museums zugunsten des Standortes einer Stadt, die Ausweitung der Verkaufsaktivitäten (Museumsartikel, Cafes, Restaurants, Buchläden, Einspeisung ins Internet) und die Bedeutung des Medienverbundes für gelungene Ausstellungsstrategien. Die auch auf den Urbanen Raum ausstrahlende Trennschärfe zwischen Kommerz und Kultur hat das Museum ebenso verloren wie die Gewißheit einer zur Festlegung seiner Aufgaben unverzichtbaren, definierten Öffentlichkeit.51 Gefragt, für wen man Museums- und Ausstellungsarbeit leistet, zieht man sich auf den nichtssagenden Verallgemeinerungsterminus des Besuchers zurück, der in den Marketingkonzepten der die Museen beratenden Agenturen auch gerne als Kunde geführt wird, der Dienstleistungen erwartet. Tatsächlich ist dem Museum sein sozialer Träger, das Bürgertum, ebenso abhanden gekommen, wie es seine Rolle als ästhetische Kirche, Ort nationaler Bindung oder Aufklärungs- und Bildungsinstitution eingebüßt hat. Dieser Verlust von Verbindlichkeiten, die Konstitution und Geschichte des Museums mehr als ein Jahrhundert wechselhaft begleitet haben, hat zu einer Transformation geführt, die mit zwei spektakulären Neugründungen vor einigen Jahren einen weiteren Höhepunkt erreicht: dem architektonisch spektakulären Guggenheim-Museum in Bilbao und der bescheidenen Filiale .Deutsche Guggenheim in Berlin/Unter den Linden/Deutsche Bank. Marketingdenken in globalem Maßstab ist hier der treibende Motor einer Erfolge versprechenden Ausstellungsstrategie. An die Stelle eines Museums als Ortsgröße ist das Unternehmen Guggenheim getreten. Sein erster Angestellter, Thomas Krens, der seine Expansionsstrategie gerne „mit den Airline-Allianzen oder der NATO vergleicht", erklärt dazu: „Es gibt zwei Museen in New York, die Peggy-Guggenheim-Sammlung in Venedig, und seit neuestem auch ein Guggenheim in Bilbao und in Berlin. Wenn man all diese Einrichtungen addiert und als ein einziges Museum betrachtet, dann kommt dabei ein Kunstinstitut heraus, das zufällig fünf verschiedene Ortlichkeiten besitzt."52 Dabei dürfte die Gründung in Berlin ganz dem Benetton-Effekt geschuldet sein: Die Plazierung des Produkts vor allem im Sinne einer symbolischen Anwesenheit mit gerade mal 400qm Ausstellungsfläche an zentraler Stelle. Berlin ist denn auch für Krens „ein kulturelles, politisches, ökonomisches und finanzielles Metropolis des 21. Jahrhunderts. Das ist der Platz, an dem man sein muß". (Ebd.) Im Gegensatz zu den erwähnten Museumsbauten einer ortsbezogenen, Maßstäbe setzenden urbanistischen Prägung ist Gehrys Museumsarchitektur für die baskische Stadt Bilbao wohl nur in den Maßstäben einer 134
Globalkultur zu verstehen. Als Ortsgröße sprengt es die Dimensionen der Stadt, weil es räumlich über sie hinausweist - wie umgekehrt das Prestigedenken im Falle Berlins einen - bei Licht besehen - absolut unspektakulären Ort geschaffen hat, der seine Bedeutung nur dadurch erhält, weil er sich als bescheidene Ortsgröße seines Platzes im Raum globaler Vernetzung gewiß sein kann. Daß Hugo Boss, Lufthansa, Deutsche Telekom und Deutsche Bank Guggenheim mit Millionenbeträgen unterstützen, liegt, so Krens, an „unserer globalen Haltung". Diese garantiere „große mediale Aufmerksamkeit, ein gutes Profil und Anerkennung auf einem Markt, der für sie interessant ist, z.B. New York City".
Museum als Medium Im Bild vom Museum als Stadt oder Dependance eines global operierenden Unternehmens lesen wir die Transformation eines Ortes, die sich auf dessen Verhältnis zu seinen Gegenständen und die Menschen, die sie wahrnehmen, gleichermaßen auswirkt. Was nun den urbanistischen Charakter der Museen und deren Hineinreichen in den Diskurs der Globalisierung der Kultur angeht, so ist die Belebung dieser Orte eindeutig ^.umgreifend. Das aber hält auch Neugründungen überhaupt nicht davon ab, für die Sammlungsbestände konventionelle Räume einer räumkonzentrierenden Belebung vorzusehen, die in ihrer Wirkung gegenüber jener urbanistisch raumgreifenden Belebung Züge des Privaten annehmen. Darin zeigt sich aber nicht nur die Inkonsequenz der politischen und kulturellen Entscheidungsträger oder das mangelnde Entwurfsvermögen der Architekten, sondern auch etwas, das wir als Leistung des Museums interpretieren können. Trägt es doch einerseits einer Entwicklung zur ortsauflösenden Expansion im Sinne einer in den Raum ausgreifenden Belebung Rechnung, ohne dabei seine ortsidentischen Eigenschaften im Sinne der räumlichen Konzentration gleich aufzugeben. Es wird somit an ein und demselben Ort ein zentraler Widerspruch zur Erfahrung, nämlich der zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, den zu artikulieren und zu balancieren dem Museum aber nicht erst heute als Aufgabe zugewachsen ist. Diese Erfahrungspotentialität wächst dem Museum auch durch eine Eigentümlichkeit zu, die außer ihm nur noch dem Archiv zukommt - und unter der Perspektive des Speichermediums ist das Museum ja auch eine besondere Art Archiv. Diese Eigentümlichkeit besteht in seiner RaumZeit-Axialität, indem in einem begrenzten Raum Zeit konzentriert ist, 135
Zeit geronnen in der temporalen Entstehungsabfolge der gesammelten Artefakte. Es verhält sich damit auf den ersten Blick entgegengesetzt zu allen modernen Mediatisierungsbewegungen von der Eisenbahn bis zum Internet, die Raum wie in einem Säurebad auflösen. Und Museen konzentrieren die Zeit nicht nur im Raum sondern die historische Zeit in der Gegenwart, im Jetzt des Besuchers. Großklaus (1995, 240) nennt Museen daher zu recht „zeit- und raumraffende Einrichtungen". Aber die Sache hat noch eine andere Seite: Die aufgestaute Zeit bricht aus. Gerade die zeitliche Ordnung der Bestände weist den Besucher eines Museums auch immer über den Raum der Bestände hinaus. Gerade dies freilich ermöglicht dem kenntnisreichen Betrachter Zeitreisen in die unterschiedlichen Zeit- und Raumtiefen der versammelten Objekte. Die Welt der Kunstgeschichte, der Natur- und Technikgeschichte kann zu einer virtuellen Welt und ihrer Zeiten werden, durch die sich das Bewußtsein unter der Führung der Objekte - aber sonst völlig frei - bewegen kann. Der Kunstwissenschaftler Max Raphael hat genau diesen, den Raum sprengenden Charakter der in den Sammlungen vergegenständlichten Zeit erkannt und dessen Bewußtmachung zum Thema seiner Museumskonzeption gemacht, indem die Kunstwerke in einen Kontext anderer Artefakte gestellt werden sollten, um Betrachtern, ausgehend vom Kunstwerk, eine Reflexion auf dessen historische, soziale und kulturelle Produktionsbedingungen zu ermöglichen. Das meditative Flanieren in Zeit- und Kulturräumen vor Kunstwerken sollte in einem reflexiven Akt zum bewußten Kreuzen von Zeit- und Raumgrenzen führen. Das Museum ist konstitutionell und prinzipiell ein Ort-Raum-Vermittler, indem es durch den Zeitstau am Erlebnisort dessen Grenzen zum Raum hin aufsprengt. Das bedeutet nicht, daß sich der Ort des Museums vollständig in sein Außen auflösen könnte. Aber die Grenze ist nicht fest: Sie ist generell zum Raum hin verschiebbar, wie hier an Beispielen der medialen Aufladung und der Anreicherung mit Waren dargestellt wurde. Jeder Betrachter bringt die Grenze noch einmal für sich in ein anderes Ort-Raum-Verhältnis.
Das Museum Ohne dies hier näher erläutern zu können, gehen wir davon aus, daß sich die annähernde Übereinstimmung von Ort und Raum Ende des 18. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung und Kapitalisierung in den Städten in einem sich stetig verschärfenden Prozeß der Ausdifferenzierung 136
von Ort und Raum aufzulösen beginnt. Zwischen beiden entsteht das, was wir als Leerstelle bezeichnen: ein leerer Raum, der darauf wartet, besetzt zu werden. Unsere These lautet, daß Asthetisierung in diese Leerstelle eindringt und zunächst im vornehmen Raum- und Ortsbild des Museums gegenständliche Form annimmt. Das Museum in seiner behaupteten Idealität wird somit bereits in seiner Entstehungsphase und spätestens mit Schinkels Altem Museum in Berlin sowohl eine Raum- als auch eine Ortsgröße. Auch fällt auf, daß Aura in Benjamins bekannter Formulierung vom Zugleich von Nähe und Ferne eine /?d«mproduktion ist. Dabei wäre für das Museum nun folgender Weg nachzuzeichnen: der Weg vom auratischen und entfremdeten Raum der bürgerlichen Kunstautonomie über den Asthetizismus bis hin zur versuchten Aufsprengung des kollektiven Gedächtnisraums Museum durch die historischen Avantgardebewegungen. Verstärkend kommt hinzu, daß die Kunst selber im Laufe dieses Prozesses den Charakter einer Ortsgröße einbüßt (etwa durch den Verlust der Zentralperspektive) und zunehmend Züge einer Raumdimension annimmt. Weiter führt der Gedanke zum Phänomen der frei im Raum zirkulierenden Zeichen, Raum für Mediatisierung. Fazit: Wo die Raum-Ort-Beziehung aufgegeben wird, können beide neu besetzt werden. Zugleich müssen sie aber auch neu vermittelt werden, wobei es nur noch subjektive Einsichtsmöglichkeiten gibt. Das Gesamte ist nicht mehr darstellbar. Die Vermittlungsleistung bestünde darin, sich zwischen der lokalen Ortsgebundenheit und ihrer Auflösung zu bewegen, zu warnen, etwas zu tun. Eine solche bewußtmachende Vermittlung findet heute tatsächlich im Museum statt, insofern es sowohl konkreter Ort als auch imaginärer Raum ist. Wir gehen davon aus, daß mit dem Zerfall der Einheit von Raum und Ort historisch die Notwendigkeit ihrer Vermittlung nachwächst. Dabei wird alles, was diese Vermittlung trägt, zu einem Medium, somit auch das Museum, das wir hier rein funktional betrachten. Hier gilt zu berücksichtigen, daß Vermittlung nicht erst mit dem Zerfall sondern bereits mit der Notwendigkeit einsetzt, Raum und Ort in einem neuen Beziehungskontext zu imaginieren. Asthetisierung hat hier die Aufgabe, eine neue Erfahrung zu pointieren, sichtbar zu machen, ja zu verstärken, weil sie körperlich und kognitiv zusammenführt, was in der alltäglichen Lebenspraxis als ein Zugleich von Durchdringung und Nebeneinander erfahren wird: Asthetisierung als Vermittlung einer objektiv für möglich gehaltenen Beziehung im Sinne eines einheitlichen Erfah137
rungsraums und Ästhetisierung als Vermittlung einer nicht mehr möglichen Beziehung. Im bürgerlichen Bildungs- und Geschichtsverständnis ist das Museum der Ort des kollektiven Gedächtnisses, einer in Artefakten vergegenwärtigten Erinnerung, der gleichzeitig dadurch, daß die Stadt sich als Ortsgröße zunehmend auflöst, die Gegenstände gestohlen werden. Das Museum wird zu einem verdichteten Ort der Erinnerung, die sich hier in derselben Weise konzentriert, wie sie sich im städtischen Raum dissoziiert. Es ist sowohl ein Speicher-Medium, indem es die Artefakte des kollektiven Gedächtnisses aufbewahrt, als auch ein Vermittlungs-Medium, weil es in den Artefakten das bürgerlich-kulturelle Selbstbewußtsein mit einem Anspruch auf Verallgemeinerung vermittelt. Indem es das tut, lassen sich kompensatorische Funktionen an das Museum adressieren. Der Ort und die Gegenstände definieren sich im Museum wechselseitig. Das ändert sich erst durch die Avantgarden. Zwar bleibt das Museum ein Medium der Vermittlung, doch definieren sich Ort und Gegenstände darin nicht mehr gegenseitig. Das liegt daran, daß die Gegenstände nicht mehr allein als Ortsgrößen definiert werden, sondern sich in ihnen jetzt eine neue Raumdimension repräsentiert. Diese hängt von der Mediatisierung ab, die nicht mehr ausschließlich im Kunstwerk, das im klassisch-bürgerlichen Museum noch eine Orts- und Raumgröße war, selber begründet ist. So vermittelt Duchamps Urinoir oder sein Flaschentrockner nach wie vor eine Ortsgröße im Museum, doch verweist zugleich auf die abstrakte Raumgröße des Warenuniversums. Im Grunde verkörpert sich im Museum als Ortsgröße jene Seite der Modernität, die Baudelaire im Kunstwerk als das „Ewige und Unabänderliche" faßte. Dagegen ist durch die Raumgröße, die die Dimension des Warenuniversums repräsentiert, nun endgültig auch in das Museum jene andere Hälfte der ästhetischen Produktion eingedrungen, in der „das Vorübergehende, das Entschwindende, das Zufällige" (Baudelaire) zum Ausdruck kommen. Der Raum dringt in den Ort des Museums ein; es wird jetzt Ort und Raum, bleibt aber aufgrund seiner Konkretheit vermittelnd. Es beteiligt sich weiterhin, wird Ort der Mediatisierung und muß jetzt die tradierte Funktion der Vermittlung erst richtig leisten (etwa durch neue technische Medien). Der Raum des Museums wird durch die Gesamtheit der Warenproduktion abstrakter. Durch die damit verbundene Profanierung wird er aber auch konkreter. Konkret war das Museum zuvor in Gestalt der darin versammelten Kunstwerke; abstrakt hingegen aufgrund seiner Pseudoreligiosität, der metaphysischen Seite 138
des ins Museum verlegten Verweises auf eine Idealität und eine andere Wirklichkeit. Durch die grenzauflösenden Operationen der Avantgarden wird sich das Museum in einen Medienverbund verwandeln, in dem sich weitere und viele Mediatisierungen ereignen. Zuvor war das Museum als .SuperMedium eine feste Ortsgröße; diese Exklusivität hat es jetzt verloren, da alles zum Medium werden kann. Als Ort kann das Museum seitdem seine bislang klassische Medialität nunmehr nur noch simulieren, ironisieren. Museum und Aura Walter Benjamin hat den Aura-Begriff kunsttheoretisch rezipiert und ihn in eine Zentralstelle der zeitgenössischen Ästhetikdiskussion eingerückt. Er charakterisiert sowohl Naturobjekte als auch Kunstwerke. In beiden Fällen sind die auszeichnenden Merkmale die Originalität des Gegenstandes und eine nicht näher gekennzeichnete Haltung dem Objekt gegenüber, die er als ein Zugleich von Ferne und Nähe in der Wahrnehmungsebene bezeichnet und die man aufgrund dieser widersprüchlichen Wahrnehmung vielleicht am ehesten als eine fraglose Objekthingabe auffassen könnte. Die Aura des Kunstwerks ist nach dieser Bestimmung in ihrer Wirkung auf das kunstbetrachtende Individuum in einer zentralen Komponente als eine fiktive Raumproduktion zu begreifen. Diese Komponente kann man entfernen und in andere kulturelle Modelle transferieren. Alte Kunst ist - trotz der Autonomisierung der Künste seit der Renaissance - von der Antike bis zum Spätbarock für ihre jeweilige zeitgenössische Wahrnehmung nicht-auratisch. Sie ist es deshalb nicht, weil der Sinnzusammenhang ihrer Rezeption kontextuell hergestellt wird, in Tempeln, Kirchen, Gebäudeensembles, Palästen. Jedes Kunstwerk steht im Verweisungskontext und damit im Sinnzusammenhang anderer Kunstwerke. Dieser Sinnzusammenhang ruht in einer Werkvernetzung durch Ensemblierung, eben in Kontexten. Im Nebeneinander von Werken an einer Museumswand existiert dieser Kontext zwischen den Werken nicht. Sie stören einander allenfalls gegenseitig. Um dies zu vermeiden, werden stil- und epochengeschichtliche Reihen und sujethafte Typisierungen gebildet. Autonomisierung ist zwar eine Voraussetzung der Auratisierung. Der Zusammenhang greift aber ganz offensichtlich erst in der nachhandwerklichen Phase der Kunstautonomie, also im Zusammenwirken mit ihrer Genialisierung. Das Zusammenwirken ist zweifellos am engsten im 139
19.Jahrhundert, in der Ära der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Kultur. Der Aurabegriff kennzeichnet also am ehesten eine historische, eine im weitesten Sinne bürgerliche Kunstauffassung. Aber wie kommt sie in dieser spezifischen Weise zustande? Zwei historische Entwicklungen fließen zusammen und konstituieren diese Kunstauffassung. Da ist zum einen der lange Prozeß der Reduktion der aistbesis, der panästhetisch gedachten sinnlichen Erkenntnis, auf Ästhetik, auf die visuelle Wahrnehmung des Kunstschönen, die mit der Entwicklung der Ästhetik als philosophische Disziplin in der frühbürgerlichen Epoche abgeschlossen ist. Dieser Ästhetik einer hoch entwickelten Sinnlichkeit entspricht die Kunstentwicklung zur Autonomie, die konsequenterweise in der hochbürgerlichen Epoche der Jahrhundertwende zum l'art pour l'art führt. Autonomie und moderne Ästhetik in ihrer Konzentration auf das Auge schließen andererseits den historischen Prozeß der Dekontextualisierung der Kunst ab und machen diese damit für die zweite angesprochene Entwicklung geeignet: für das Museum. Das isolierte, autonom bedeutungsvolle Kunstwerk als ästhetisches Objekt kann gesammelt und schließlich ins Museum gestellt oder gehängt werden. Und sobald der Prozeß der Ästhetisierung der Kunst im Museum zu sich selbst gekommen ist, kann er zurückprojiziert werden auf die Alten Meister. Aus dieser Perspektive kann das Museum dann als Institution künstlerischer Traditionsbildung, der Kunstgeschichte schlechthin, ja sogar als Institution der Kunstinstitutionalisierung betrachtet werden. Und das geschieht auch in diversen Museumsgeschichten. In der hier vorgeschlagenen Sichtweise auf die Konstitutionsbedingungen der Aura sind indessen weniger die fürstlichen, mäzenatischen Sammlungen oder die Kuriositätenkabinette Vorläufer des modernen Museums als vielmehr akademische Kunstsalons gemeint. Der Salon ist die erste Institution autonomer Kunstbedeutung. Sie ist das aurabildende Element. Das Museum - als finish der Ästhetikentwicklung - produziert also maßgeblich die Aura des Kunstobjekts mit. „Kunst", so Werner Hofmann lapidar, „ist, was ins Museum kommt". Diese Leistung vollbringt es nicht nur im engeren Bereich der Kunst. Abgestuft überträgt das Museum Aura auf alles, was in ihm ausgestellt wird. Auch historische- und Gewerbemuseen, klassische hochbürgerliche Museumstypen, entalltäglichen die Objekte und stellen sie mit einem ihre Funktionalität, sogar ihre Existenz (beispielweise im Naturkundemuseum) transzendierenden Sinn aus. Die subjektive Haltung dem auratischen Kunstwerk gegenüber reicht von der Versenkung bis zur verehrenden Ohnmacht. Es kann hier nicht die 140
Frage sein, ob diese Haltung vernünftig ist und dem Aufklärungsanspruch der bürgerlichen Gesellschaft entspricht. Da es uns um die problematische Reaktualisierung der Aura - im Faschismus - und um die Beobachtung ihres zwar formverwandelten, aber dennoch ungebrochenen Fortwirkens geht, kann sich die Frage nur auf ihre historische Konstitution richten. Hier nun ist auf der Objektseite die dargelegte Entwicklung des Zusammenhangs von musealer Institutionalisierung und Auratisierung anzuführen.
Museum, und
Entfremdung
Auf der subjektiven Seite fügt sich Auratisierung in die Bewegung dessen ein, was der philosophischen Selbstreflexion der bürgerlichen Gesellschaft am problematischsten erschien: in die Entfremdung. Dies zu akzeptieren, fällt nicht leicht, da ja gerade die Annahme, Kunst respektive ästhetische Erfahrung ereigne sich in einem dem Prozeß anhaltender Entfremdung gegenüber autonomen Raum, eben dies widerlegen möchte. Der Doppelcharakter der Kunstautonomie kann gleichwohl nicht verdecken, daß er sich der Entfremdung verdankt und nicht aufhört, deren Spuren zu tragen. Von der Entfremdungsformel Fichtes vom Verlust der Freiheit, „von der Entfremdung und anscheinenden, täuschenden Selbständigkeit und Ubermacht des von uns Erzeugten" (in der Formulierung Arnold Gehlens) über den jungen Marx bis noch zu Simmeis Überwältigung des subjektiven durch den objektiven Geist wird Produktion als Projektion der subjektiven Potenzen begriffen, die den Subjekten in ihren Produkten als objektive Macht entgegentritt. In der Aura des Kunstwerks sind es die verselbständigten geistigen Potenzen, die dem Betrachter als genialisierte Übermacht des Geistes entgegentreten.53 Er kann darum nicht den künstlerischen Prozeß im Rezeptionsakt kommunikativ vollenden, wie es die moderne Rezeptionsästhetik annimmt. Er wird sich dieser Übermacht letztlich nicht entziehen können und sie akzeptieren. Aura selbst ist also eine Form kultureller Entfremdung.54 Damit ist sie aber als subjektive Potenz auch noch mehr. Entkontextualisierte, autonome Kunst wird - in einem doppelten Sinne - wertvoll: in einem weitgehend durch Zuschreibung erfolgten kunstimmanenten und in einem ökonomischen Sinne. Die Koinzidenz beider Sinndimensionen des Kunstwerks ist abhängig von der Originalität, einem Definitionsmerkmal von Kunstautonomie, das 141
zugleich die Aura ausformt. Auch hieran ist das Museum konstitutiv beteiligt, denn der Zusammenhang zwischen Museum und Geld springt ins Auge: Das Museum ist am Wertschöpfungsprozeß der Kunst - in beiden Sinndimensionen - maßgeblich und unmittelbar beteiligt. Zum einen sortiert es durch Sammelentscheidungen das Universum der Kunstobjekte in eine Werthierarchie und macht sie damit pekuniär einschätzbar. Zum anderen: Je neuer die Kunst ist, desto stärker fungiert das Museum als Definitionsamt dessen, was als Kunst zu gelten und damit Wert zu gewinnen hat. Die Kategorie der Ästhetik wird jetzt nicht mehr ex post wirksam wie in der Vergangenheit. Das wäre auch kaum noch möglich, weil das Universum dessen, was aus dem Vergangenheitsfundus als Kunst attributiert werden kann, bis auf Exotika und seltene Zufallsfunde weitgehend abgegrast und eingelagert ist. Ästhetik funktioniert fürderhin als Zuschreibungskriterium typischerweise ex ante. Im Wertschöpfungsprozeß wird Kunst - wie das Geld auch - eine Form der allgemeinen Äquivalenz. Sie ist geeignet zum Werttausch und zur Schatzbildung. Das geschieht im Museum, in privaten Sammlungen und im Ansammeln als gutverzinsliche Wertanlage. Die Aura wird im Museum geboren und vom Kunstwert, dem sie sich neben Museum und Entfremdung als drittem Konstitutionsfaktor verdankt, wieder herausgetragen. Dieser macht sie lauffähig, woraufhin sie sich vor den Bummlern und Gaffern zumeist in Sammlungen, Tresore und Klimakeller von Banken und Versicherungen flüchtet. Heutzutage nimmt sie freilich auch andere Wege, worauf wir noch zurückkommen.
Museum und die Verallgemeinerung
des
Bewußtseins
Museen in ihrer Gesamtheit inkorporieren kulturell die bürgerliche Fortschrittserzählung und würzen sie zugleich mit auratischer Erhabenheit. Die Erzählung selbst wird jedoch materiell gehalten, und hier noch einmal ideologisch, von Politik- und Systembegründungen flankiert. Und zwar von der Ökonomie, der Sozialstruktur - vor allem in der sie herausbildenden, polar verteilten gesamtgesellschaftlichen Reichtumsentwicklung - und, vielleicht am mächtigsten, von der Technik. Die historische Entwicklung dieser Faktorenfelder differenziert also zwangsläufig die Museumstypologie weiter aus und zieht endlos neue Museumsgründungen nach sich.
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Man kann diese objektspezifische Ausdifferenzierung des Museums auch als Form seiner Auflösung betrachten. Dafür könnte auch ein häufiges Motiv des gegenwärtigen Museumsbooms sprechen, der die Gründungsleidenschaft bei weitem übertrifft: die lokale Tourismuswerbung, keineswegs mehr der Geist bürgerlicher Bildung und bürgerlichen Stolzes, der das 19. Jahrhundert umtrieb. Vor allem aber reduzieren die klassischen Museumstypen ihre Gegenstände nicht auf eine einzige Objektklasse: auf Korken, Kartoffeln oder Häkeleien. Zwar isolieren sie ihre Gegenstände und autonomisieren sie dadurch in ihrem künstlerischen oder allgemein gegenständlichen Sinn. Sie versuchen aber, ihre Ausstellungsstücke als Repräsentanten einer Allgemeinheit - der Kunst, der Natur, der Naturbearbeitung oder der Vielfalt des Gewerbefleißes - einzurichten, nicht der Zerstreutheit, der Diffusion, der Betonung des Besonderen, der Abwesenheit jeder Allgemeinheit. Spräche man in diesem Zusammenhang tatsächlich von Auflösung, dann meinte man die Trivialisierung einer immer nur idealisiert gedachten Museumskonzeption durch ihre Vervielfältigung an banalen Alltagsobjekten. In der Tat fließen in dieser Entwicklung zwei Bewegungen zusammen: Der Legitimitätsschwund der bürgerlichen Hochkultur führt zu einer neuen Wertschätzung des Banalen der Dinge des alltäglichen Lebens, in denen noch die Nostalgie untergegangener Volkskulturen nachzittert, und der Tourismus sich weltweit zu einer der expansivsten Serviceindustrien entwickelt. Beide Bewegungen verschränken sich bedingt in einer wachsenden Heritage industry, deren Teil die neuen Museumstypen sind und in der sie eine stilbildende, normative Rolle übernehmen. Sie schaffen außerdem dem Historismus dieser Industrie ein wirkliches historisches Unterfutter. Man kann sie in dieser Rolle in einer direkten Parallele zu den neu entstehenden Design-Museen-Sammlungen und -Ausstellungen in den etablierten Instituten sehen, die ebenfalls einen normativen Konnex zur steigenden gesellschaftlichen Wertschätzung des Designs von Gegenständen des täglichen Bedarfs bilden. Das mag peripher sogar komisch erscheinen, ist aber derzeit ein fundamentaler Vorgang. Das Bewußtsein, dessen ästhetische Institutionalisierung einmal das Museum war, löst sich auf. Es geschieht, weil die sozialen Strukturveränderungen in der Folge wirtschaftlicher Dynamiken, die heute unter dem Begriff Globalisierung zusammengefaßt werden, seine Trägerschaft, das in der oben beschriebenen Weise qualifizierte Bürgertum, tendenziell beseitigt und die Qualifizierungen diffundiert und transformiert hat.
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Auflösung bedeutet indessen nicht Untergang. So mag es konservativer Kulturkritik zwar bisweilen erscheinen. Es bedeutet vielmehr Transformation, in unserem Zusammenhang: Verallgemeinerung, was indessen Formverwandlung nicht nur nicht ausschließt, sondern durch sie nur möglich wird. Grundlage dieser Verallgemeinerung ist zum einen die schon angesprochene Veränderung in den wirtschaftlichen und in den sozialen Zusammenhängen der Gesellschaft. Die traditionellen Strukturmerkmale der hochbürgerlichen Ära und ihrer fordistischen Nachfolger - Stand, Klasse, Schicht - greifen in den strukturellen Dauerumwälzungen seit den siebziger Jahren nicht mehr voll. Neue Bestimmungsversuche wie „Erlebnisgesellschaft" oder „Milieu" greifen noch nicht. Offenkundig überlagern sich ältere und neue Strukturierungsprinzipien noch sehr stark und differenzieren ein ganzes Feld sozialer und kultureller Zwischen- und Gemengelagen aus. Dies ist das weitgesteckte Feld sozialer und kultureller Distinktionen, aber auch künstlerischer oder allgemeiner: kultureller Formen und Lebenszusammenhänge. Ebenso maßgeblich sind aber auch Veränderungen und Entwicklungen in den gesellschaftlich angewendeten Technologien, denen sich im 19. Jahrhundert einmal die Absentierung der musealen Bewußtseinsform verdankt hatte. Deren Weiterentwicklung - vor allem in den Medientechnologien und ihren informations- und fernmeldetechnischen Basiselementen - nimmt jedoch seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts und heute mit verschärftem Tempo diesen selbstidentischen Solipsismus einer ausgehaltenen Mußeschicht als Stoff in sich selbst auf, transformiert und verallgemeinert ihn. Wir bezeichnen diese Verallgemeinerung als Musealisierung. Musealisierung ist mithin der Prozeß der Verallgemeinerung der ästhetischen Formbestimmung des bürgerlichen Bewußtseins. Als solche ist sie zugleich aber auch eine Strategie, in der die Interessen von (kommunaler) Politik und Ökonomie zusammenfließen und insbesondere Strukturierung und Ausgestaltung der Urbanen Räume regulieren. Vielleicht am avanciertesten tritt Musealisierung an der Shopping Mall in Erscheinung. Diese ist nämlich nicht nur ein, je nach Größe und Konzeption, mehr oder weniger stark gegliederter Konsum- und Freizeitraum, sondern immer auch ein in Glas, Beton und Begrünung aufgezogenes Museum einer idealen Stadt, die allerdings funktional auf Konsum und Freizeit reduziert worden ist. Bei aller Formverwandlung und trotz des tief reichenden Bruchs des geschichtlichen Bewußtseins, das mit der erforderlichen Ablösung für 144
die Auflösung verbunden ist, kann der Bezug auf die transformierten Bestände nicht ganz gekappt werden. Das wird funktional darin deutlich, daß die Form der Verallgemeinerung, wie ihr Ausgangsmaterial, das museale Bewußtsein, eine ästhetische bleibt. Stofflich bedeutet es, daß ihm stets ein Moment von Historismus anhaftet. So kann die heute vielfach beschworene Urbanität nur in diversen Vergangenheitsmodellen simuliert werden, sowohl literarisch als auch in verschiedenen Projekten der Stadtverschönerung oder der Stadtsimulation im „Netz der Netze". Wenn Historismus aus einer bestimmten Perspektive eine wichtige Komponente postmoderner Architektur ist, dann sehen wir auch in ihr ein Element dieser Verallgemeinerung. Kehren wir abschließend zur Musealisierung als formativer Verallgemeinerung einer Bewußtseinsform zurück. In der Wahrnehmung, die eine solche Bestimmung nahelegt, wird man sagen können: das Subjekt, diese Errungenschaft der bürgerlichen (idealistischen) Subjektphilosophie, dessen ästhetisches Selbstbewußtsein im Museum inkorporiert war und partiell noch immer ist, stirbt nicht sondern durchläuft einen analogen Prozeß zur Musealisierung. Es löst sich in seinen Phänomenen auf, man könnte auch sagen: es verallgemeinert sich in ihnen. Beide Prozesse sind aufeinander abgebildet, denn diese Auflösung ist die subjektive Bewegung, die die Musealisierung als ästhetische Strategie sozial trägt. Danach ist Simmeis Problem des Verhältnisses von objektiver und subjektiver Kultur heutzutage dahingehend zu reformulieren, als daß sich das Subjekt aufgrund seiner im Museum ausgebildeten Form des Bewußtseins zur Objektwelt nur sehr begrenzt im Simmel'schen (normativen) Verständnis einer aufgipfelnden Aneignung verhält. Es geht vielmehr in der Phänomenwelt der objektiven Kultur auf. Es geht aber keineswegs darin unter: die Gegenstände, als Singularitäten wie auch als Objektklassen, fungieren als Projektionsflächen eines kulturell Allgemeinen.
Die Globalisierung des „ G u t e n Regiments" Es war Lorenzetti, der der Kunst entschieden die Tür zur Vermittlung von Differenz geöffnet und dabei ein von der Realität partiell abweichendes neues Raumbild entworfen hatte. Dies geschieht an prominenter Stelle dort, wo sich politische und ökonomische Macht konzentrieren. Uns interessiert nun, ob es heutzutage im Zeichen des stärkeren Zusammenwachsens der Volkswirtschaften eine nach wie vor am Insgesamt des jetzt 145
global Städtischen orientierte Vermittlung der Ort-Raum-Differenz geben könnte und wie sie im Maßstab globalisierter Wirtschaft und Kultur aussähe. Ist noch etwas übrig geblieben vom „Guten Regiment" als Leitvorstellung gelungener städtischer Lebenspraxis? Und kennen wir von ihm eine oder mehrere, in zeitgenössische Bilder übertragene Erzählungen? Folgten wir den Beobachtungen von Saskia Sassen (1994, 71), so dürften wir nicht allzu viel erwarten: „Sämtliche gängigen Schlüsselbegriffe - Globalisierung, Informationsökonomie und Datenfernverarbeitung - legen die Ansicht nahe, daß der Raum keine Rolle mehr spielt. Es wird so getan, als sei die Art von Raum, wie ihn die größeren Städte darstellen, aus dem Blickwinkel der Wirtschaft hinfällig geworden." Verstärkt wird dadurch die Tatsache, daß wir weitaus fähiger sind, „die globale Uberbrückung des Raumes zu denken und entsprechende technische, ökonomische, politische und kulturelle Institutionen und Strukturen zu schaffen, als den Raum zu erfahren". (Noller, 1999,137f. - Herv. d. Verf.) Raumdehnungen in beliebigem Sinne sind erfahrungsgemäß nicht zu bewältigen. Bilder und Szenarien einer idealen Urbanität reichen gegenwärtig von der herbeigeredeten Verlagerung städtischen Lebens in die Netze von Cyber bis zurück zu den neotraditionellen Siedlungen des New Urbanism. Oder sie beschränken sich auf inszenierte urbane Welten in den inzwischen auch in Europa vertrauten Mails und Entertainment Centers. All das steht in Gegensatz zu den Aufforderungen vieler Experten, diese Idealität gerade dadurch zu imaginieren, daß man sie vermeidet, damit der Freiheitsspielraum gewahrt bleibt, den nur urbanes Leben als entfremdetes, fragmentiertes, sprich: als Zumutung gewährt. (Siehe Prigge 1987; Häußermann/Siebel 1997) Nur: Menschen, zumindest die meisten von ihnen 55 , sehnen sich nicht nach entfremdeten und fragmentierten Lebenssituationen. Darum kommt in Stadtvisionen, die im Rahmen einer Angebotsökonomie entwickelt und realisiert werden, Urbanität als (zumindest nicht beabsichtigte) Zumutung auch nicht vor. Diese Einschränkung sollte man bedenken, wenn wir die Frage zu beantworten versuchen, ob es zwischen Verdrängung und vorurteilsloser Bejahung dieser Zumutung Bilder gibt, die das Thema der Globalisierung aufgreifen. Konkrete Raumbilder also, die womöglich die Frage beantworten, wie „wir eine neue Erzählung der ökonomischen Globalisierung konstruieren (könnten), die sämtliche räumlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Bestandteile der globalen, städtisch verfaßten Ökonomie berücksichtigt, anstatt sie auszugrenzen". (Sassen, 1994, 72) Es geht dabei nicht um die kritische Thematisierung der Globalisierung, schon gar nicht um alternative Raumkonfigurationen und 146
-thematisierungen, Gegenbilder also, wie wir sie etwa aus der Kunst kennen. Auch handelt es sich nicht um sukzessiv entstandene urbane Landschaften und Raumbilder, die uns - wie im Falle der Skyline von Frankfurt, einem Raumbild, das eine Global City, wie London, lange nicht aufwies - architektonisch als dominanteste Verkörperung des Globalen vorkommen mögen. Beides sind vielmehr sehr reale Raumwunschbilder miteinander verschränkter globaler Kultur und globaler Ökonomie: Las Vegas und die AutoStadt Wolfsburg. Beides verräumlichte Sinnbilder einer Kultur der gegenwärtig wohl dominantesten globalen Ökonomien: der Unterhaltungs-, Tourismus- und Automobilindustrie.
Learning from Las Vegas 2004 1972 forderten Robert Venturi, Denise Scott-Brown und Steven Izenour dazu auf, den Highbrow-Stil der klassischen Architekturmoderne zu verlassen und den allgemeinverständlichen, weil von der klassischen Moderne absolut unberührten Inszenierungen von Mainstreet zu studieren 56 . Damit meinten sie den Strip von Las Vegas als Vorbild für zukünftiges Entwerfen von Architektur. Für die an mehrfach kodierten Symbolen und Zeichen programmatisch arme Moderne war das eine harsche Absage. Statt dessen favorisierten sie eine Architektur, die sich einer vielfältigen Zeichensprache bedient, die - sowohl vulgär und einfach als auch intellektuell anspruchsvoll und historisch weit ausholend - ganz einfach das Ergebnis purer Phantasie sein sollte. Eine entscheidende Rolle spielten in Las Vegas Bauaufgaben wie Restaurants, Casinos, Flughäfen, Mails und die Gestaltung des Strip als breit angelegter Autostraße. Was auch immer man davon zu halten hatte, so wird man heute in einem nicht widersprechen können: der tatsächlichen Bedeutung von Las Vegas als einem bis dahin weitgehend ignorierten Antikörper jedweder Stadt- und Baukultur für weitere Entwicklungen seit Mitte der siebziger Jahre. Inzwischen ist es wieder soweit: von Las Vegas lernen. Das Neue an Las Vegas ist diesmal - genauer gesagt: seit 1989 mit der Eröffnung des Mirage-Hotels - bei Weitem nicht so verstörend wie die damals irritierende Abwesenheit elaborierter Baukunst. Statt dessen sind wir Zeugen einer finanziell kaum Grenzen kennenden Verstärkung des Trends, der als Simulationsästhetik seit der ersten ,Learning-Phase' die Transformation der Städte wesentlich vereinnahmt. Das allerdings geschieht in Las Vegas mit einer Konsequenz, die ihres gleichen sucht. 147
N e w York-New York-Hotel, Las Vegas (1997)
N e w York-New York-Hotel, Las Vegas (1997)
Tatsächlich verkörpert Las Vegas einen neuartigen Stadttypus: eine Gegenwelt, in der die Erfahrung entfernter Räume und imaginärer Welten nicht mehr subjektiv vorgestellt und phantasiert werden muß, sondern analog produziert wird. So hat sich Las Vegas in den vergangenen fünfzehn Jahren zu einer Urbanen Wunderkammer entwickelt, in der Highlights eines universellen Städte-Tourismus - Rom, Paris, Corner See, New York, Luxor, Venedig - versammelt sind. Eine ausgestellte Stadt, die mit milliardenschweren Hotelgroßbauten attraktive Symbole und historisierende Architekturen bereithält. Mit Kopien bekannter Orte und Märchen bieten die Hotellandschaften am Strip eine in dieser Form einmalige Reise durch die Geschichte. 57 Diese weitgehend privat finanzierte und verantwortete Strategie der Asthetisierung lenkt den Blick auf den Rückgang staatlicher und kommunaler Eingriffe und Investitionen in unseren Stadträumen. In der Weise, wie sich die Kommunen den Imperativen einer privaten Produktion unterordnen, hat - seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts - eine neue Variante affirmativer Ästhetik die Veränderung unserer Urbanen und privaten Welten in Angriff genommen. Die ästhetische Sphäre ist in diesem Sinn das bedeutendste Sprachspiel, Kunst-, Architektur- und europäische Stadtgeschichte zu manipulieren und marktgerecht auf Formen zu reduzieren, die leicht reproduziert und wahrgenommen werden können. Hier liegt der Grund dafür, warum diese Ästhetik für sich in Anspruch nimmt, eine Sprache der Kommunikation mit der Öffentlichkeit erobert zu haben, eine Sprache, die einfache Kombinationen und Muster organisiert, die Teil unseres kollektiven Gedächtnisses sind. Deshalb gibt es hier auch keinen Widerspruch zwischen den symbolischen Versatzstücken einheimischer Traditionen und lokaler Geschichten und den aufwendigen Inszenierungen realer und fiktiver Geschichten in erdumspannender Dimension. Immerhin geht es doch darum, das kollektive Gedächtnis tendenziell aller Menschen anzuregen. Zeitliche und räumliche Trennungen sind in diesen Phantasie- und Wunderwelten ebenso aufgehoben wie auch die Trennlinien zwischen ihnen als einzelnen Orten am Strip. Alles, was zu einem Freizeiterlebnis im Familienkreis gehört, ist in Las Vegas gleichzeitig in einem Raum anwesend, in dem zwischen Realität und fiktiver Künstlichkeit im Augenblick des Erlebnisses nicht mehr unterschieden werden kann und auch nicht soll. Auch Lorenzetti schuf in seiner bildlich fixierten Versammlung aller menschlichen Gewerke, Tugenden und Untugenden einen Einheitsraum. 149
Alles, was zu einem guten Regiment gehört, ist in diesem Bildraum vereint, räumliche und zeitliche Distanzen sind überwunden in der Gleichzeitigkeit ungleichzeitiger Tätigkeiten und in der Anwesenheit des Herbeigedachten: Talamone, Sienas Verbindung zum Meer. Ein Bildraum als Wunschraum auch das, Realität und Vision in einer Raum-Zeit-Kompression verbindend. Dadurch nimmt die ästhetische Fiktion Einfluß auf die weitere Konstitution und Kontinuität des ideellen und praktischen Lebens der Menschen. Gleichwohl bleibt die Vermittlung des Divergenten bei Lorenzetti noch ganz Instrument, bezogen auf den realen Ort und seine Bewohner. Diese Vermittlung findet in Las Vegas aber nicht mehr statt, da Vermittlung die Grenze zur Differenz völlig auflöst. Vermittlung zwischen Realität und Fiktion hat sich hier zu einem ästhetischen Programm verselbständigt, ist zu einer eigenen Wirklichkeit geworden. Dem kommt entgegen, dass Las Vegas ein Ort ist, dessen Räume und architektonische Formen die Warenzirkulation nicht nur stützen sondern eins mit ihr sind. Die Notwendigkeit, den Wettbewerb zwischen Waren, die in ihrem Angebot weitgehend identisch sind - hier: das Glücksspiel in den Casinos, ausschließlich von der symbolischen Produktion von Zeichen und Themen abhängig zu machen, ist in Las Vegas der alles beherrschende Maßstab. So wird die Produktion des Stadtraums zu einer schier unbegrenzten Kreation von Analogien zur Universalität der Waren und deren Ästhetik. Im Ergebnis entsteht ein Ort, der aufgrund der hier versammelten symbolischen Bedeutungen, die ihn konstituieren, immer schon über sich hinausweist. Ein Ort also, zu dessen vornehmster Eigenschaft es zählt, nie bei sich sein zu müssen. Von europäischen Städten kennen wir es anders und nehmen dann auch als Konflikt wahr, wenn der Ort seine lokale Besonderheit an das Darüberhinaus abgetreten hat. 58 Deshalb fällt es schwer, im Falle von Las Vegas vom Scheitern der hier wirksamen Machbarkeitsphantasien zu sprechen. Es sind zweifellos nostalgische Installationen Urbanen Lebens, die in Szene gesetzt werden. Aber es sind mehr als bloße Zitate, die in der Erinnerung an die ehemals Urbanen Wirklichkeiten europäischer Städte nur verblassen und nichts als Leere und Künstlichkeit zurücklassen können. Wollte man in den Inszenierungen nur die Kopien von Originalen sehen, so hätte man nicht wirklich begriffen. Vielmehr bilden sie als Ensemble alle zusammen etwas qualitativ Neues, das sie vor der sie minimierenden Macht der Erinnerung, an der sie gleichzeitig prächtig partizipieren, schützt. Anläßlich der Eröffnung der Guggenheimfiliale im Hotel Venitian erklärte Thomas 150
Krens (2001): „Das Authentische in Las Vegas ist seine Nicht-Authentizität." Autostadt
Wolfsburg
Als Venturi und Scott-Brown mit ihren Studenten nach Las Vegas pilgerten, um dort zu lernen, woran Architektur zukünftig zu messen sei, war für die Stadt der einzig gültige Bewegungs- und Wahrnehmungsmaßstab das Auto, seine Renn- und Repräsentationsstrecke hier der Strip. Heute ist Las Vegas ein Ort, in dem man sich besser zu Fuß eine Erlebniswelt nach der anderen erschließt. Die Fahrt im Auto ist nur noch beschleunigte Bewegung, von der aus die Räume, die das Auto erschließen soll, die Hotels also, nicht mehr begriffen werden können. Daraus wird eine unspektakuläre Fahrt, die an großartig gestalteten Räumen vorbeiführt, vor und in denen sich Passanten vergnügen. Eine Abkehr von der autogerechten Stadt, wie sie spektakulärer - weil programmatischer und dabei gleichzeitig auf andere Weise widersprüchlich - nur noch von einer neuen „Stadtgründung" übertroffen wird: von der ganz im Zeichen des Autos stehenden, aber .autofreien Autostadt des VW-Konzerns in Wolfsburg. (Siehe u.a. Elser 2000, Henn 2000, Rauterberg 2000, Scheer 2001, Gut 2001) Die Autostadt ist als realisiertes Wunschbild ein in jeder Hinsicht authentischer Ort. Allererst ist sie das Abbild der Globalisierung der Automobilindustrie, in der sich die Anzahl der Produzenten weltweit von 52 in 1964 auf heute gerade noch 19 verringert hat. Gleichwohl nehmen die Automobilmarken ständig zu, was aufgrund der Ähnlichkeiten in der technischen Ausführung zu einer Philosophie (wenn nicht Religion) der unterschiedlichen Marken weiten geführt hat. (Elser 2000, 122) Diese Philosophie repräsentiert VW mit der Autostadt: VW: das sind unterschiedliche Marken in einem global operierenden Konzern. Den Masterplan dieser Autostadt haben Günter Henn und dessen Büro entworfen. Berater für das Gesamtkonzept, Projektmanagement, Ausstellungsdesign und mediale Umsetzung war von Beginn an das auf die Einrichtung von Entertainment Centers spezialisierte us-amerikanische Unternehmen Jack Rouse Associates (JRA). Die ästhetische und räumliche Verwandschaft mit anderen globalen Raumbildern wie Themeparks, Urban Entertainment Center und Mails ist denn auch alles andere als rein zufällig, sie ist gewollt. 151
Die Stadt erschließt sich dem Besucher über das KonzernForum. Man betritt eine monumentale Eingangshalle, die sich mit ihren gewaltig aufragenden Pfeilern wie die Propyläen als weihevolle Eingangshalle zur Akropolis ausnimmt. Es ist ein weiter, von einer gewaltigen Weltkugel eingenommener „öffentlicher" Raum, der zu eingestellten farbigen Kuben (Restaurants, Kino) führt. Es ist die Welt als KonzernWelt, zugleich das Identitätskorsett des Konzerns mit den immer wieder propagierten Werten Qualität, Sicherheit, soziale Kompetenz und Umweltbewußtsein. Diese urban aufgefaßte Piazza öffnet sich in eine Parklandschaft mit Konzernforum/ServiceHaus, KundenCenter, AutoTürmen, das Ritz Carlton Wolfsburg, das ZeitHaus und die verschiedenen Pavillons, in denen die unterschiedlichen Automarken untergebracht sind. Die die Landschaft durchziehenden Wasserläufe kommen vom Mittellandkanal, der hier - wie zum Spiel - seine Funktion in der Kurvatur geschwungenen Linien auflöst. Die Pavillons verkörpern Vielfalt in einer ansonsten einheitlichen Wertewelt. Bezeichnend die Formsymbolik im VW-Pavillon: eine Kugel, als Zeichen von Globalität, wird umhüllt von einem Quader als Zeichen für Stabilität, Klarheit und Präzision, so die Aussage des Architekten. Die Pavillons thematisieren als Signalgeber Lokalität: Skoda und Böhmen, Seat und die Ramblas in Barcelona. Sie sind Ausdruck je unterschiedlicher Lebensstile. So ist es nur konsequent, daß man sich mit der Autostadt bewußt vom autoritären Gestus des Städtebaus der klassischen Moderne distanziert. Gegen die Großform setzt man „das Gegenmotiv des Singulären und Individuellen, dessen Daseins- und Darstellungsrecht gegenüber den Makrostrukturen gesichert wird". (Uhlig) Die Autostadt ist als Ort und Raumbild entworfen, um neben Käufer - man kann hier seinen Wagen abholen, ein Vorgang, zelebriert wie ein Initiationsritual (Assheuer 2000) - vor allem Besucher/Touristen und Bewohner der Stadt Wolfsburg anzuziehen. Dabei verdankt sich die Konzeption der Autostadt aber noch einem anderen Anspruch, der sich den Motiven annähert, die vormals die Ratsherren von Siena bewegt hatten, bei Lorenzetti die Fresken des Guten und des Schlechten Regiments in Auftrag zu geben. Da ist zunächst die thematisierte Verbindung zur Arbeit, die den Blick auf eine andere Wahrnehmung als die des Kunden und Autostadtbesuchers lenkt. Es ist die Anwesenheit des Produkts und der Produzenten/ Arbeiter. Die Autostadt wendet sich nicht nur nach außen, sondern wirkt nach innen. Wenn daher die FAZ in ihrem Wirtschaftsteil zur Eröffnung der Autostadt von einem ökonomisch sinnlosen Projekt sprach, das an 152
den Interessen der Kunden vorbeigehe, so hat sie nicht gesehen, daß hier ein Raumbild entstanden ist, daß nicht weniger erfolgreich das Vorstellungsvermögen derer stützt, die es haben gestalten lassen. Als fürchte man, die Ubersicht über den globalen „Spielplatz" zu verlieren, greift man zur Anschaulichkeit, die nicht widerspiegelt sondern interpretiert und ästhetischen Uberschuß zur Idealisierung (Beruhigung) einsetzt. Piech selber war es, der zur wichtigsten Aufgabe seines Nachfolgers Pischetsrieders die „Konsolidierung des Sammelsuriums der Automarken im Konzern von Skoda bis Bugatti" 59 rechnet. Deutlich war von Identitätsproblemen die Rede als Folge der Ausweitung der Produktpalette über alle Marken. VW, so der Betriebsratschef Volkert, müsse die Lebensspenderin bleiben. Corporate Architecture bedeutet hier in den Worten ihres Architekten, „einen Ort und Raum zu schaffen", der zunächst einmal „die Authentizität des Unternehmens sichtbar und erlebbar macht", an der der Bürger ungezwungen teilhaben kann. Und diese Authentizität findet ihre Entsprechung im „freien und offenen Charakter eines Forums, eines Marktplatzes". In jedem Fall geht es um die Erweiterung des öffentlichen Raums und die Veränderung des Unternehmens durch die darin positionierte Corporate Architecture. Ein Industriekomplex (industrielle Fertigung individualisierter Serienprodukte) sucht eine Vergegenständlichung, also eine Ästhetik im Sinne der Konstituierung des eigenen Handelns. Die Autostadt ist eine Objektfiguration, die als Vergegenständlichung von Aussagen hergestellt wurde, die sich gegenüber der Produktion als abstrakt erweisen, darin nicht sichtbar werden. Erst im Resultat entsteht eine Anschaulichkeit der globalen Tendenz des Unternehmens in Gestalt der verschiedenen Automarken. Diese kommen aber ohne die Ästhetik eines Gesamtzusammenhangs, den sie je einzeln repräsentieren, nicht aus. Diese Ästhetik bedient sich unterschiedlicher Bilder. Eines davon ist das des (vorindustriellen) englischen Landschaftsgartens. Kaum nachhaltiger ließe sich die Abkehr der Global City von der alten europäischen Industriestadt zur Anschauung bringen. Deren Bild ist die historische mächtige Kulisse des Fordismus pur: Monument der Industrietechnik in Gestalt der mächtig aufragenden Schornsteine und das endlose Band der Fabrikgebäude. Stadt ist hier ganz im Sinne der Moderne die Fabrik, so wie die Siedlung Dammerstock (Karlsruhe) oder Westhausen (Frankfurt am Main) in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts den Charakter der industriellen Produktion verkörperten. Demgegenüber ist die Autostadt reines urbanes Erlebnis. Global City erscheint hier als Versöhnung 153
von Stadt und Natur. Die Grenzen zwischen Gebäuden und Natur sind fließend. Piazza und Forum signalisieren die verlorenen Gütesiegel intakten öffentlichen Raums. Das Raumbild ist eine Ziel- und Wunschprojektion, wie zuvor Lorenzettis Fresko. Es macht anschaulich, was ist und was sein soll. Es verkörpert Gegenwart und Zukunft. Die Werte des Städtischen, so die Botschaft der AutoStadt, sind nur in einem autofreien Raum zu gewinnen. So unternimmt man auch erst gar nicht den Versuch, Analogien zwischen dem Raum der Stadt und den vor allem auch technologischen Bedingungen der Globalisierung zu bezeichnen. Es kommt allein darauf an, Orte in einem homogenen Raum zu schaffen, die mit der symbolischen Anwesenheit der globalen Ökonomie des Unternehmens übereinstimmen. Auch trägt die AutoStadt unverkennbar die Spuren der Erinnerung an die Raumstadt der fünfziger und sechziger Jahre, wie wir sie von der Nordweststadt (Frankfurt am Main) kennen. Auch hier sind wir Zeugen einer lockeren Verteilung der Bauten in einer parkähnlichen Landschaft mit geschwungener Wegführung und einer noch nicht allgegenwärtigen Anwesenheit des Autos. Immerhin zählte man damals gerade 10% der heute zugelassenen PKW. Bemerkenswert an der Autostadt ist auch der Umstand, daß sie als Unternehmensraum, in dem Sachverstand, Präzision, Autorität und Vertrauen die beherrschenden Inhalte sind, nichts von jener protestantischen Ethik verkörpert, die sich nach Sennett (1991, 74) so auffallend oft im Raster rationaler Stadtplanung niederschlägt. Selbstverständlich in der Fabrikstadt, aber nicht mehr in der Autostadt wird die „protestantische Sprache des Selbst und des Raums" zu einer modernen Ausprägung von Macht. Die Neutralität des materiellen Raums im Fordismus ist der Differenz thematisierenden Harmonie des Raums im Postfordismus gewichen. Die „Selbsteinschreibung der Unternehmenskultur als einer neutralen Angelegenheit, als Erfordernis von Technologie, Leistungsfähigkeit und Rationalität" (Sassen 1994, 82) wird dabei keineswegs verleugnet. Ganz im Gegenteil: sie ist allgegenwärtig, aber nur in den Produkten, und auch da noch dezent eingefangen von der Dominanz einer Kultur des Städtischen, die in ihrem Resultat Selbständigkeit verkörpert gegenüber ihrem Erzeuger, dem Auto, das in der räumlichen Konnotation der Autostadt ja paradoxerweise nicht mehr vorkommt 60 . Es entsteht so der Eindruck, als habe das Unternehmen VW bei der Suche nach einer adäquaten Vergegenständlichung ihrer neuen, raumübergreifenden Ökonomie eine urbane Repräsentationsform gefunden, die die Autorität des Unternehmens weich in 154
ein Gemeinschaftserlebnis einbettet. Die globale Ökonomie begegnet uns in der Autostadt als eine differenzierte und - bei aller Einschränkung - auch „gelebte" Stadt, in der es verschiedene Identitäten (Marken) und ortsgebundene Kulturen (Produktionsorte und Image der Marken) gibt. Überflüssig zu betonen, daß dies ein geschöntes Bild der Gleichzeitigkeit von Wirtschaft und Kultur ist - im Gegensatz zu dem Bild, das Sassen von Städten wie New York oder Los Angeles entwirft als Stadträume, in denen es eine von den Unternehmen geprägte dominante Kultur und eine Kultur des „Anders-Seins" gibt. (Ebd., 75) Dieses „Anders-Sein" ist aus der Perspektive der Autostadt die alte KdFStadt Wolfsburg, also die gesamte Stadt und keineswegs nur separierte Räume der Unterklasse. Weder in der fordistischen Fabrikstadt noch in der faschistisch-kleinbürgerlichen und vom Charme des Urbanen Planungsfunktionalismus der fünfziger und sechziger Jahre gezeichneten Stadt Wolfsburg erkennt sich VW als Global Player wieder (A.G, 82). Mit der Auto Vision will VW daher auch die Stadt umkrempeln. Das Ziel der Wolfsburg AG ist der „Umbau einer ganzen Stadt für die Bedürfnisse eines global agierenden Konzerns". (A.Gut, 2002,94) Dabei steht an erster Stelle die Transformation des Stadtraums in verschiedene Erlebniswelten. Eine neue Kartographie entsteht, nach der die Stadt neu gelesen werden soll. Die nicht mehr zeitgemäße rationale Lesart nach Funktionen (Wohnen, Infrastruktur) weicht einer erlebnisorientierten Lesart, die den repräsentativen Bedürfnissen des VW-Konzerns gerecht wird. In der schönen Maxime von der „Hardware zur Heartware" (Henn) sprich: vom Auto als purer Technik zum Auto als Ausgangspunkt für die Positionierung von Lifestyle-Produkten - klingt Schillers Klage vom ach so weiten Weg der Ideale nach, den sie vom Kopf zum Herzen zurücklegen müssen, und für den Schiller einen Vermittler - das Kunstschöne oder auch das Spiel - begründet. VW als Unternehmen ist sich der „neuen verantwortungsvollen Rolle" als wertevermittelnder Wegbereiter und Wegbegleiter bewußt, eine Aufgabe, die, so der Architekt, „nur im öffentlichen Raum stattfinden" kann. Werfen wir noch einen Blick auf das Kulturkonzept, das die Manufaktur in Dresden umrankt, dann unterscheidet sich der darin gedachte öffentliche Raum in nichts von einem touristisch monumentalisierten Stadtraum, wie ihn Groys (2000) beschreibt. Das außerordentliche, ästhetisch überhöhte Technikerlebnis des zukünftigen Autobesitzers wird kulturell unterfüttert durch ein kulturelles Rahmenprogramm, das die wichtigsten kulturhistorischen Sehenswürdigkeiten der Elbestadt umfaßt: eine Besichtigung 155
des Zwingers, ein Besuch der Gemäldegalerie samt Grünem Gewölbe und einen Nachmittag im Schloßpark Pillnitz. Der Kauf des Automobils wird so auf die Ebene eines Kulturereignisses gehoben und partizipiert an der Monumentalisierung, wie sie die touristisch isolierende Rezeption kulturellen Highlights charakterisiert. Auch betonen die Ghostwriter den gewollten Ausstellungscharakter der Manufaktur, indem sie auf die „Kultur des Zuschaustellens" verweisen, die an diesem Ort eine über hundertjährige Tradition besitzt. Das architektonische Konzept der Gläsernen Manufaktur, die internen Produktionsprozesse der Automontage nach außen sichtbar zu machen, lasse die Grenzen zwischen Innen und Außen verschwinden. Die ausgestellte Stadt kommt hier gewissermaßen zu sich selbst. Die Gläserne Manufaktur: ein Inkarnationsbauwerk und mögliche Matrix einer zukünftigen Urbanen Lebensrealität? Richtig und neu daran ist nicht die Verbindung von Stadt und Ausstellen, sondern einzig die Tatsache, daß nun alles Ausstellungscharakter annehmen kann und deshalb jetzt auch das noch Unfertige, im Prozeß des Entstehens begriffene. Es antizipiert im frühsten möglichen Stadium seiner Entwicklung den Lauf aller Dinge in der kapitalistischen Warenproduktion als deren unvermeidliche Bestimmung: ihre Musealisierung. Fassen wir zusammen: Las Vegas und Autostadt erscheinen im Medium der Ästhetisierung als globalisierte Stadt-Räume, in denen die Grenzen zwischen dem Städtischen und dem Musealen aufgehoben sind. Dabei ist das zweifellos interessantere Projekt die Wissenschafts- und Industriestadt, die VW als dauerhafte Ausstellung der Welt inszeniert. Durchaus vergleichbar mit La Villette in Paris sind es universelle Werte, die in der Autostadt ausgestellt werden und dabei die Zukunft der Stadt als Anschauungsraum gewährleisten. Berücksichtigen wir die Tatsache, daß VW die Matrix der Autostadt auf die Transformation der (alten) Stadt Wolfsburg übertragen wird, dann werden wir dem Verhältnis von Stadt und Museum eine neue Aufmerksamkeit schenken müssen.
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Die ausgestellte Stadt
Die Rede von der „ausgestellten Stadt" will nicht konkurrieren mit der Zwischenstadt, der Vorstadt, der dritten Stadt, der Edge city oder gar dem Tod der Stadt und all den ihnen unterlegten, teilweise hoch interessanten Zuschreibungen. Dazu sind die Gesichtspunkte, von denen wir uns bei den nachfolgenden Überlegungen habe leiten lassen, viel zu inkohärent. Gleichwohl ist allen gemeinsam eine besondere Form der Konstitution und der Vergegenwärtigung städtischer Lebenswirklichkeit, die sich in der neuzeitlichen und modernen Stadt durch nichts Geringeres auszeichnet als das Sammeln. Dessen Resultat ist die ausgestellte Stadt. Wobei man sich gewiß fragen wird, wie es in Verbindung mit der Stadt zu dieser Annahme kommen kann, da in der Regel das Sammeln doch eine private Tätigkeit ist, der nicht selten auch sonderbare Züge anhaften. Als erstes gibt uns Orientierung und Gewißheit die historisch sehr weit zurückreichende Tatsache, daß die Stadt ein „Lagerhaus" ist, in den Worten Lewis Mumfords (1979, 114 ff.) ein „Ort des Bewahrens und Sammeins". Diese Stadt hat sich zweitens über Jahrhunderte zu einem hoch verdichteten Gebilde entwickelt, in dem ununterbrochen soziale, ökonomische, räumliche, geschlechtsspezifische und kulturelle Differenzen entstehen. Kultur und insbesondere Ästhetisierungen sind eine Methode, mit diesen Differenzen umzugehen, sie zu vermitteln. Als Ergebnis der in der Ansammlung des Verschiedenen gelagerten Entwicklungsdynamik der Stadt ist drittens eine dieser Differenzen der sich unentwegt verschärfende Widerspruch zwischen Unordnung, Fremdem und Chaos und dem Wunsch nach Ordnung und Vertrautem. Diesen Prozeß vergegenständlichen, symbolisieren und regeln viertens Straßenverläufe, Quartierszuordnungen oder Planungs- und Ordnungsparameter. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Bauten, die aufgrund ihres repräsentativen Charakters den Ausstellungsgrad einer Stadt unterstreichen. In der Summe aller Bauten erscheint sie uns als Produkt einer Geschichte, ihrer Entwicklung und Verwandlung in der Zeit. C. G. Argan, dem wir eine „Kunstgeschichte als Stadtgeschichte" (1989) verdanken, spricht deshalb auch von der Identität von Kunst und Stadt. Als Kunst157
historiker und Bürgermeister von Rom (1976-1979) hat er diese Identität lebenspraktisch ausfüllen können. Für Argan ist der urbane Raum ein Raum der Objekte, wobei das Kunstwerk in der hierarchischen Differenzierung aller Objekte die Stelle des Besonderen einnimmt. Für die Bezeichnung der individuellen Interpretation des Urbanen Raums greift er auf Bilder zurück, Malereien von Pollock und Tobey, oder auf die Prosa von Joyce: „Wie der Raum der Pollockschen Malerei hat der Raum der inneren Stadt einen konstanten Grundrhythmus und ist doch unendlich verschiedenartig." (Ebd., 284) Es ist die Heterogenität des Sammeins als Mapping des individuell jeweils verschieden Erlebten. In Anlehnung an die Untersuchungen von Kevin Lynch nennt es Argan ein „Wirrwarr von Zeichen, worin aber gewisse wiederkehrende Rhythmen, gewisse Linien und gewisse Konvergenzpunkte, die sicher einer Wertzuweisung entsprechen, erkennbar seien". (Ebd., 285 f.) Die Art der Verteilung der Objekte im Raum folgt unterschiedlichen Auffassungen darüber, wie Sammlungen angelegt sein sollten. Ausschlaggebend für die von uns unterstellte konstitutive Bedeutung des Sammeins ist fünftens die Entstehung des Besitzindividualismus in der westlichen Kultur. Wir gehen folglich sechstens vom Einfluß des Sammeins und Ausstellens auf den Prozeß der westlichen Identitätsbildung aus, vom Sammeln als Matrix einer der Objektwelt gegenüber eingenommenen Haltung. Sammler finden wir siebtens auch unter den zeitgenössischen Architekten, wie MVRDV, die ihre Bauten aus sorgfältig zusammengestellten indexalischen Sammlungen entwickeln. Dies wird achtens gestützt durch die Urbanisierung des Museums heute; wir denken dabei an die Veränderung des Museums durch dessen Grenzauflösung. Dafür spricht neuntens der gegenwärtige und unübersehbare Ausstellungscharakter von Stadtzentren, Mails, neotraditionellen Siedlungsprojekten und der zuvor thematisierten Stadtphantasien von Las Vegas und der VW-Autostadt. Der Selbstdarstellungs- und Bühnencharakter der Architektur hat in den letzten drei Jahrzehnten ganz erheblich an Bedeutung gewonnen. (Hannemann/Sewing 1998, 55 ff.) Zehntens ist es der Tourismus, der unseren Städten den Charakter ausgestellter Städte verleiht und dabei die Frage nach dem Authentischen und Nicht-Authentischen neu stellt. Ein weiteres Feld verkörpert sich in der historisch weiter zurückreichenden Vergegenwärtigung von Kosmos und Welt als zugleich schöpferi158
sehe und spielerische Leistung des einzelnen in dafür gesondert vorgesehenen Räumen: den „Kunst- und Wunderkammern". (Wunderkammer des Abendlandes 1994; Bredekamp 1997) Darin wird seit Mitte des 16. Jahrhunderts die Welt in der Versammlung unterschiedlichster Objekte aus Antike, Natur und künstlicher Gegenwart zusammengestellt. Eine im Raum aufbewahrte Ordnung der Dinge, in denen diese gleichzeitig dem Auge und dem Wissen dargeboten werden. Es ist der Beginn einer ersten Individualisierung und der Beschäftigung mit der überwältigenden Fülle einer sich mehr und mehr differenzierenden, einen vom Menschen als künstliche erzeugten Objektwelt. Ausgestellt Die ausgestellte Stadt war und ist sicherlich auch die Stadt als Gegenstand von Ausstellungen. So 1939 auf der New Yorker Weltausstellung, wo eine „Town of Tomorrow" Visionen des Wohnens vorstellte, spektakulär noch übertroffen von Norman Bei Geddes „Futurama"-Modell eines ganz dem Auto verpflichteten Stadtprojekts für die sechzigerer Jahre. Mit Ausstellungen wie der Weissenhofsiedlung in Stuttgart (1927) und solchen in Wien und Breslau hatte sich zuvor schon der Deutsche Werkbund um die Durchsetzung neuer Architektur- und Wohnauffassungen bemüht. Ausstellungscharakter besitzen auch die Projekte der „Festival market places", wie Faneuil Hall in Boston oder Covent Garden in London. Dazu zählen in den USA auch die von Walt Disney's Main Street eingenommenen neotraditionellen Siedlungen wie Celebration oder Kentlands in Maryland. Hierher gehören auch die Planungen der Krier-Brüder für Poundsbury (Leon K.) und Potsdam-Kirchsteigfeld (Rob Κ.). Das trifft gleichfalls zu für die deprimierend kunstgewerblich ausgefallenen, ja offen reaktionären Versuche Kollhoffs, jungen Architekten/innen den Entwurf eines an .bessere Zeiten' anknüpfenden großbürgerlichen Wohnens beizubringen.61 Es ist die hier aufscheinende Allianz von Karriereplanung (Stichwort: „Architekten von morgen"), Bedeutungskitsch und Ästhetisierungsstrategien, die in den zurückliegenden drei Jahrzehnten unter starker Betonung fotogener Gesichtspunkte sehr zur Ausstellungsqualität der Architektur beigetragen hat. Für das gesamte 19. Jahrhundert können wir sogar sagen, daß es - neben der chaotischen, ungeordneten Seite der Entstehung und aggressiven Ausdehnung und Zerstörungskraft der Industriestadt - das Jahrhundert der 159
Museen und Weltausstellungen, der anthropologischen Sammlungen und Ausstellungen, der Enzyklopädien und Messen, sowie der Inventare und Vorlagebücher für Architekten und Bauunternehmer war. Denken wir dabei nur an die Wiener Ringstraße mit ihrer Aus- und Zur-Schau-Stellung eines .beherrschten' historischen Stilpluralismus. Folgt man den Überlegungen von Beatriz Colomina (1998), so haben wir es hier mit einem Phänomen zu tun, das für das gesamte 20. Jahrhundert bemerkenswert ist. Jetzt allerdings nicht länger für repräsentative, stadtöffentliche Gebäude, wie Theater, Museen oder Börsen, sondern auch für das Privathaus. In ihrem Beitrag The Exhibitionist House greift Colomina eine Aussage von Peter Smithson aus dem Jahre 1981 auf. In einem Artikel für das ILAUD Yearbook (The Masque and the Exhibition: Stages toward the Real) hatte er den Beginn der Ausstellungsarchitektur in die Renaissance verlegt und von der modernen Architektur gesagt, sie folge dieser alten Tradition. Colomina sieht diese These durch zwei Umstände bestätigt: „One ist the media, the way in which the architecture of this century [gemeint ist das 20. Jahrhundert - d. Verf.] is produced in the space of photographs, publications, international competitions, advertising, computers etc. The other is the house, understood not simply as one type among others, but as the most important vehicle for the investigation of architectural ideas in this century." (Ebd., 127 f.) Colomina führt eine Reihe von Beispielen moderner Architektur an, die sich uns in besonderer Weise eingeprägt haben, stellt aber fest, daß es sich bei ihnen vielfach um Bauten handelt, die selber nur durch Ausstellungen und Veröffentlichungen bekannt geworden sind. Wir sind Zeugen einer zweifachen Mediatisierung des Hauses und damit seiner Veröffentlichung als exponierten Objekts: Als zentrale Bauaufgabe des 20. Jahrhunderts und somit als prominenteste Visitenkarte der Architekten wird das Haus durch die Massenmedien mediatisiert. Entscheidender aber für die Verwischung der Grenzen zwischen dem Haus als dem vormaligen Ort des Privaten und dem öffentlichen Raum ist die technischtechnologische Mediatisierung des Hauses selber. „From the telephone to radio, television, computers, fax machines, and e-mail, the house has been continuously assaulted, with what is public and what is private endlessly renegotiated."62
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Identitätsbildung
und Ausstellen
Der uns interessierende Ausstellungscharakter der Stadt umfaßt mehr als die tradierten Formen des Propagierens und Exponierens. Die ausgestellte Stadt gründet auf Verhaltens- und Entwicklungsmodalitäten, die über die je einzelnen Aspekte des Ausstellungscharakters von Stadt und Architektur hinausweisen. Wir könnten es auch eine der Objektwelt gegenüber eingenommene Haltung nennen, aus der heraus die europäische Stadt der Neuzeit gedacht, geplant, wahrgenommen und zu Teilen auch gelebt wird. Was Wahrnehmung und Strukturierung des Raums angeht, so können wir ohnehin davon sprechen, daß im Sammeln eine Tendenz zur Raumkonzentrierung liegt. Bei all dem handelt sich um einen schon etwas länger anhaltenden Vorgang, als es gegenwärtige Asthetisierungs- und Simulationspraktiken vermuten lassen. Denn folgt man den Ergebnissen der Forschungen solcher Autoren und Autorinnen wie C.B. Macpherson (1969), Susan Stewart (1984), Colin Campbell (1987), Grant McCracken (1988) oder James Clifford (1996), so haben das Sammeln und das Ausstellen den Prozeß westlicher Identitätsbildung bis zum heutigen Tage ganz entscheidend geprägt. Bemerkenswert daran ist, daß durch das Sammeln eine auf den Menschen bezogene, durch ihn organisierte, in sich sinnvolle Welt entsteht, deren Gegenstände, die gesammelten Objekte, eine strukturierte Umwelt mit einer eigenen Zeitlichkeit erzeugen. Daher stellt sich die Frage, inwieweit durch das Sammeln gemachte Erfahrungen und verinnerlichte Ordnungsparameter bisher in die Planungsprozesse, Bauten, Wahrnehmungen und Handlungen im Urbanen Raum eingedrungen sind. Ein Indiz für die Berechtigung dieser Frage ist die Tatsache, daß die Geschichte der Stadt seit Beginn der Moderne von dem Bemühen gekennzeichnet ist, „angesichts drohender Unordnung und drohenden Chaos Ordnung und Kohärenz durchzusetzen" (Kevin Robins, 1998, 171); im Sinne Foucaults (1976,397) eine Strategie zur Durchsetzung dessen, was er das „Disziplinarindividuum" nennt. Die Stadt verkäme damit zur Summe aller denkbaren Projektionen, Gesellschaft in eine Disziplinargeseilschaft zu transformieren. Auf welche Weise sich das auf die Individuen überträgt und welch zwanghafte, ja manische Formen das Bemühen um Kohärenz dabei annehmen kann, zeigt - durchaus repräsentativ und an prominenter Stelle - Le Corbusiers Ekel vor ungeordneten Bewegungen und Berührungen in den Straßen, denen er mit der Klarheit geometrischer Ordnung und systematischer
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Gruppierung entgegentritt. (1987, 183) Und man wird verstehen können, daß nicht bloß aus feministischer Sicht dies für die Kultur der Stadt eine Katastrophe ist, da hier im männlichen Wunsch nach Ordnung (ja nicht nur) der weibliche Körper abgewehrt und der Autorität des Rationalismus unterworfen wird. (Elizabeth Wilson 1993,15 ff.) Macpherson hat in seiner Analyse des Besitzindividualismus in der westlichen Kultur das Auftreten eines idealen Ich als Eigentümer im 17. Jahrhundert untersucht. Das vom Individuum angehäufte Eigentum sei das Abbild der Warenwelt. James Clifford (1996,28) bemerkt dazu: „Eine Art des ,Versammelns' um sich selbst und die Gruppe - die Anhäufung einer materiellen Welt, die Abgrenzung eines subjektiven Bereichs, der kein anderer ist - dürfte universal sein. Alle solche Sammlungen verkörpern Werthierarchien, Ausgrenzungen, von Regeln beherrschte Territorien des Ich. Aber die Vorstellung, zu diesem Sammeln gehöre die Akkumulation von Besitztümern, der Gedanke, Identität sei eine Art Reichtum (an Objekten, Wissen, Erinnerungen, Erfahrung) - das ist mit Sicherheit nicht universal." Foucault beobachtet in dieser Zeit neue Formen der Gesetzwidrigkeit, die sich nicht mehr primär gegen die Rechte des Adels oder des Königs richten, sondern gegen Güter; ein Wandel, mit dem die Bevölkerung auf neue Formen der Kapitalakkumulation, der Produktionsverhältnisse, der Aneignungsstrukturen reagiert.63 Im Katalog zur Ausstellung Wunderkammer des Abendlandes (1994, 17) ist von einem Akkumulationstrieb die Rede, durch den bereits seit der Renaissance die Zentren des europäischen Wachstums sich durch den seltsamen Drang auszeichneten, „die materiellen Ausdrucksformen fremder Kulturen zu sammeln, aufzubewahren, zu registrieren und zu analysieren". Colin Campbell (1987, 193) verstärkt diese Beobachtung und verfolgt für die Zeit der Romantik einen konstitutiven Zusammenhang zwischen der Bestimmung des Subjekts (seif) und den neu entstehenden Mustern der Konsumtion. Im Gegensatz zu Aufklärung und Idealismus fasse die Romantik das Subjekt als Individuum auf. Aus seiner transzendentalen Bestimmung werde eine empirische. Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung würden jetzt wichtiger gegenüber den früheren Formen der Selbsterhaltung und Selbstbestimmung. (Klinger 1995, 110) Einmaligkeit und Autonomie des Subjekts gingen einher mit dem Insistieren auf Verwirklichung durch Erfahrung und Kreativität. Beides treibe die Consumer-Revolution an. Die Individuen, so Campbell, seien bereit zu akzeptieren, daß das Ich durch Konsumtion hergestellt wird und diese das Ich ausdrücke. So sind die Waren mit kultureller Bedeutung besetzt, 162
die von den Konsumenten zu kulturellen Zwecken benutzt werden, um kulturelle Grundsätze auszudrücken und Ideale zu kultivieren und um Lebensstile und Vorstellungen von sich selbst zu bilden. Das System, das die Waren produziert und gestaltet, wird dabei im Laufe der Zeit selber zu einem kulturellen Unternehmen, dem auf Seiten der Subjekte das korrespondiert, was wir zuvor als „ästhetische Handlungsrationalität" bezeichnet haben (S. 85ff.). Für die Kultur aber gilt, daß sie in westlichen Kulturräumen durchweg von der Konsumtion abhängig ist. Ohne Verbrauchsgüter würde unsere Gesellschaft die Schlüsselinstrumente (Reproduktion, Repräsentation, Manipulation) ihrer Kultur verlieren. Die Welt des Design, der Produktentwicklung, der Werbung und der Mode, die diese Güter kreieren, sind selber wichtige Agenten des kulturellen Universums. Ständig sind sie damit beschäftigt, dieses Universum zu konturieren, zu transformieren und zu beleben. Ohne Gebrauchsgüter wären Selbstverwirklichung und kollektive Bestimmungen unmöglich. Jene bilden die materielle Seite des expressivist turn, ein Begriff, mit dem Charles Taylor die Konstituierung des modernen Individuums bezeichnet. Die besondere Eigentümlichkeit des menschlichen Lebens bestünde seit Ende des 18. Jahrhunderts darin, „durch Ausdruck zu Selbstbewußtsein zu gelangen". (Taylor 1978, 33) Es ist dieser „expressive Individualismus" (Taylor 1989,375 f.), dem in seinem Drang, dem inneren Reichtum durch Ausdruck Realität zu verschaffen, die universelle Ausdehnung der Warenproduktion als Projektionsfläche entspricht und dient. Die Kehrseite dieser Allianz hatte Marx früh in der Verdinglichung erkannt, der alle Ausdrucksbemühungen der Menschen unterworfen seien.
Crystal Palace Kein Ereignis hat dies früher und besser unter Beweis stellen können als die Weltausstellung 1851 in London. Donald Preziosi (2002) hat dargelegt, auf welch kongeniale Weise hier das Verhältnis von ausgestellten Waren und Identitätsbildung in der „Great Exhibition of the Arts and Manufactures of All Nations" mit der phantastischen Architektur des Crystal Palace zu einem überwältigenden Erlebnis werden konnte. In Preziosis Worten wird dieses Gebäude zum Weltgehäuse schlechthin, zur Summe aller bisherigen Bauten und aller Städte, dazu eine Konstruktion, mit der man ganz London hätte überwölben können: „It was the lucent embodi163
ment and semilogical summa of the principle of modern order itself. This was a building that was infinitely more than a building - infinitely expandable, scaleless, anonymous; transparently and stylelessly abstract. Arguably the largest building in the world at that time, there were also in fact no structurally compelling reasons why it could not have been extended to cover the entire city of London." (Ebd., 9) Der Crystal Palace war die Verkörperung eines wunderbar geordneten Systems von zugleich moderner Museologie, Konsumismus, Kunst- und Stilgeschichte. Er war darin ein geradezu perfekter Ort einer Distinktion, die alle Kulturen, Rassen, Länder und Erdteile thematisiert: "[...] the laboratory table upon which all things and peoples could be clearly, crisply and objectively compared and contrasted in a uniform light, and phylogenetically and ontogenetically ranked, on the basis of the style and quality of their products." (Ebd., 11) Dieses Ereignis ist der erste und fulminante Höhepunkt einer Allianz von Kunst und Kapital, die in der Universalisierung des Ästhetischen gipfelt. (Dröge, Müller 1995, 37ff.) Folgerichtig sieht Preziosi (ebd., 12) einen Zusammenhang zwischen dem Unternehmen Kunstgeschichte als moderner Disziplin und jener ästhetisch sinnbildlichen Konfiguration modernster Technologie, die in der Weltausstellung 1851 erstmals die Bilder, Symbole und Zeichen aller europäischen und außereuropäischen Kulturen visuell zusammenführte. Differenzen wurden hier auf das Maß stilistischer Unterschiede reduziert, so daß dem Ausstellungsbesucher das Fremdartige der kolonialisierten außereuropäischen, aber auch der historisch zurückliegenden Kulturen eindrucksvoll diszipliniert und beherrscht vorkommen mußte. Aus dem bisher Gesagten lassen sich zwei Schlüsse ziehen. Erstens: Die europäische Stadt ist der Ort der Strategie der Entfaltung eines possessiven Selbst, von Kultur und Authentizität. Von der orientalischen Stadt unterscheidet sie sich als .revolutionärer' Ort, weil hier das Sammeln ein beständiges Transformieren der Bestände ist, das von der Destruktion und Konstruktion angehäufter Objekte lebt. Zur Sammlung gehört der Tod der Objekte. So wird das revolutionäre Potential zur Voraussetzung für die stete Musealisierung der angehäuften materiellen Welt. Zweitens·. Warenproduktion, Warenkonsumtion und Sammeln sind als mystifizierende Überhöhung der Ware für die Subjektkonstitution des 19. Jahrhunderts nicht voneinander zu trennen. (Lipp 1991) Wobei die Weltausstellung erstmals als ein großes Gemeinschaftserlebnis hat zeigen können, daß der Körper der Ware - als deren Oberfläche - im Kontext uni164
versaler Ästhetisierung auch der Beherrschung des von ihr repräsentierten Fremden diente. Die Ordnungsparameter, die festlegen, wie wir auf die Dinge blicken und wie diese von uns gesehen werden sollen, haben ihre ästhetisch überhöhte Uberzeugungskraft immer aus solchen spektakulären, kollektiv erlebten Großereignissen gezogen. D e r Kunstgeschichte fällt dabei die Rolle der Disziplinierung des differenzierenden Blicks als einer Technik zu, Bedeutungszuschreibungen, Eigenschaften, Ethnien, Glaube, Mentalitäten durch das Medium des Stils und der Autorenschaft vorzunehmen. Es war schließlich der Fordismus, der für einige Jahrzehnte immer weniger Gebrauch machte von einer zu solcher Differenzwahrnehmung befähigenden Disziplin, da in dieser Phase das bloße Resultat des disziplinierenden Blicks genügte: die Strategie der Verteilung der Objekte und Subjekte in einem geordneten Raum. Die Städte dieser Jahre erinnern deshalb auch an phantasielos aneinander gereihte Museums- und Kaufhausvitrinen. Symbolisierung und Repräsentation schienen der Vergessenheit anheimgegeben. Heute sind - neben den Einkaufsparadiesen - vor allem Museen die Orte, an denen der Blick auf die Gegenstände eingeübt, ästhetische Wertigkeiten geprüft und Bewegungen und Begegnungen im Raum erfahren werden. Sie beeinflussen so die an das Erleben des realen Stadtraums gestellten Ansprüche.
Sammeln „Ein Museum ist wie die Lunge einer
Großstadt."
Georges Bataille Der eigentliche Sammler, so der Trierer Soziologe Alois Hahn (2000,441), „ist nur derjenige, der die Niederungen des Praktischen weit hinter sich gelassen hat und in den höheren Sphären der Bildung und der Erkenntnis weilt." Die praktische Seite des Sammeins meint so etwas wie das Anlegen von Vorräten. Nicht nur darin ist die Stadt von Beginn an als „Lagerhaus, als O r t des Bewahrens und Sammeins" (Mumford 1979) das große Vorbild. Aufgrund ihres Charakters als Aufbewahrungsort ist die Stadt ein einzigartiges Speichermedium, aber auch ein Medium, das in der Vielfalt des Aufbewahrten die Überlegenheit der städtischen Lebenspraxis vermittelt. Denn die Stadt hält „nicht nur eine größere Schar von Menschen und Institutio165
nen zusammen als irgendeine andere Art von Gemeinwesen, sondern sie bewahrt und überliefert einen größeren Teil von deren Leben, als irgendein einzelner Mensch aus dem Gedächtnis mündlich weitergeben" kann. (Ebd., 115f.) Was hier aufscheint, ist das schon lang anhaltende Wissen um die Abhängigkeit der Erinnerungs- und Gedächtniskunst von der Möglichkeit der Erfahrung des Ortes. So wußte man bereits zu Zeiten Ciceros, daß räumliche Ordnung und Reihenfolge sich bestens als Gedächtnisstütze eigneten. Es sind die Orte und die Bilder, die die Artificiosa memoria, das künstliche Gedächtnis, hervorbringen. Und Mnemosyne ist nicht nur die antike Göttin des Gedächtnisses und der Erinnerung, sie ist auch die Göttin der Musen und des Museums. Mumford folgend müßten wir wohl sagen: auch und vor allem der Stadt. Im Bild, das sich Lorenzetti von ihr gemacht hat, ist die Stadt das wunderbare Beispiel einer Zukunft, die erst durch die (Ver-)Sammlung des Verschiedenen zu einer räumlichen Einheit gesichert ist. So zumindest wollte es der Große Rat der Neun: ein Bild von jener Gestalt vermitteln, die symbolisch das Fortbestehen, die Zukunft der städtischen Gesellschaft zeigt. Im Bild erscheint die ästhetische Synthese als Ubereinstimmung aller Teile mit dem Ganzen, des Stoffs mit der Form, der sinnlichen Bilder mit einer vernünftigen Ordnung. Viel später, in der Gedanken- und Ideenwelt der Aufklärung, wird sich der im Kunstwerk zum Vorschein kommende „Consensus" auf das Verhalten des Publikums übertragen: als glückliche Ubereinstimmung zwischen Individuen. (Grimminger 1990, 134) Und so repräsentiert der in Lorenzettis bildlicher Vorstellung vom städtischen Leben enthaltene Ausstellungscharakter aller im Bild versammelten Tugenden der menschlichen Existenz denn auch eine der klassischen Idealvorstellungen von einem verdichteten Leben in der europäischen Stadt: die gewaltfreie Begegnung mit dem Fremden. Dem Bon Governo können wir vertrauen, während im Mal Governo blanke Gewalt vorherrscht. Durch die als Resultat bewußten Handelns erkannte Anwesenheit und Verteilung der Menschen und Sachen am Ort und im Raum erfolgt Sinnstiftung; genau dies ist auch das Merkmal jeder späteren musealen Präsentation. Das Sammeln als sinnvoll geordnete, in Beziehung gesetzte Versammlung des Verschiedenen zu einem homogenen Kontext bedeutet zumindest hier noch nicht die Herauslösung der je einzelnen Segmente städtischen Lebens und Arbeitens aus ihren ursprünglichen Kontexten. Stadt ist hier noch der allen gemeinsame, sie mit Sinn erfüllende Kontext. Wovon aber spätetsens mit der Industrialisierung nicht mehr ernsthaft - auch als Illusion - die Rede sein kann. 166
Für das Museum gilt das nicht. Hier ist es das Schema der Einteilung, wodurch sich die Realität der Sammlung über die spezifischen Produktions- und Aneignungsgeschichten der Objekte hinwegsetzt. Schwerer aber wiegt der Umstand, daß das Museum die Illusion einer Beziehung zwischen den Dingen anstelle einer Sozialbeziehung vermittelt. Infolgedessen sind Museen Orte der Einübung in eine ganz bestimmte Vorstellung von Welt: sie akkumulieren Besitz und repräsentieren somit eine an Reichtum gebundene Identität. Museen tragen damit eine große Verantwortung, weil sie ein Beispiel geben. Sie sind beispielhaft in der Art und Weise, wie sie das Sammeln und Ausstellen thematisieren, Festlegungen vornehmen und damit die Beherrschung der Dinge suggerieren. Das aber scheint die Voraussetzung dafür zu sein, daß Museen in den Worten Lewis Mumfords (ebd., 656 f.) die Möglichkeit bieten, „Zugang zu einer Welt zu erlangen, deren gewaltige Größe und Mannigfaltigkeit sonst menschliches Verständnis weit überstiegen. In dieser vernünftigen Form ist das Museum als Instrument der Auswahl ein unentbehrlicher Beitrag zur städtischen Kultur." Welche Stadtkultur ist aber gemeint? Mumford schreibt dies in einer Zeit, in der die Fortschrittserzählung schon länger nicht mehr mit dem Museum in Verbindung gebracht wird. Bestenfalls dient sie ihr als historische Folie, als zur Geschichte eingefrorene Leistung, vor der die eigene um so heller erstrahlt. Fortschritt ist etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts ganz und gar von den rigorosen Transformationen eingenommen, die die Städte den Imperativen des industriellen Sektors unterwerfen und sie in Räume verwandeln, die über ihre jeweils physischen Grenzen hinausweisen. Bis in die Spätphase des Fordismus hinein bleibt die Stadt die Metapher für Zukunft schlechthin. Mit der Krise der modernen Stadt (der Einsicht in die Planungsidiotie ihrer verkehrsgerechten Zurichtung) verschwindet auch die in ihr symbolisch repräsentierte Fortschrittserzählung. Soweit sie an die Monumente der Industrialisierung gekoppelt war, verflüchtigt sie sich tatsächlich. Deren Dysfunktionalität sorgt anfangs für ihren Abriß, bis man sie für kulturelle Zwecke umzunutzen verstand. Zugleich gewinnt das Museum an Bedeutung. Stadt und Museum begegnen sich seitdem wieder auf gleicher Augenhöhe. Die Geschichte vom doch noch möglichen Fortschritt der Stadt erzählen beide, nicht gegen- sondern miteinander, mitunter sogar mit vertauschten Rollen. Das muß um so mehr überraschen, wenn man sich die moderne Medienkonkurrenz vergegenwärtigt, dem sich das Museum gerade in den zurückliegenden Jahrzehnten seines Triumphes gegenüber sieht. (Grasskamp 1994) 167
Kindliches
Sammeln
Es sind die Ausführungen Benjamins zum „unordentlichen Kind", die uns die im Sammeln zum Ausdruck kommende Beherrschung der Dinge vor Augen führen: „Jeder Stein, den es [das „unordentliche Kind", d. Verf.] findet, jede gepflückte Blume und jeder gefangene Schmetterling ist ihm schon Anfang einer Sammlung. [...] An ihm zeigt diese Leidenschaft ihr wahres Gesicht, den strengen indianischen Blick, der in den Antiquaren, Forschern, Büchernarren nur noch getrübt und manisch weiter brennt [Marx spricht von „individueller Manie", d. Verf.]. Seine Schubladen müßten Zeughaus und Zoo, Kriminalmuseum und Krypta werden. A u f räumen' hieß einen Bau vernichten voll stachliger Kastanien, die Morgensterne, Stanniolpapiere, die ein Silberhort, Bauklötze, die Särge, Kakteen, die Totembäume und Kupferpfennige, die Schilde sind." (Benjamin 1972b, 115, 286) Kindliches Sammeln und Unordnung gehören zusammen; und wollte man aufräumen, würde man solche Sammlungen unweigerlich zerstören. Anders argumentiert James Clifford. Für ihn sind das kindliche Sammeln von Steinen und Muscheln oder das „eifersüchtig gehütete Schüsselchen mit den glänzenden Anspitzabfällen von Buntstiften" kleine Rituale, in denen er die „Kanalisierung der Besessenheit" beobachtet, „eine Übung, wie man sich die Welt zu eigen machen kann, Dinge angemessen um sich herum zu sammeln". (Clifford, ebd., 28) Clifford ist überzeugt, daß ein Kind, gleich ob es „Dinosauriermodelle sammelt oder Puppen: früher oder später" dazu ermutigt wird, „die Besitztümer auf einem Regal aufzureihen oder in einer besonderen Kiste zu verwahren oder ein Puppenhaus einzurichten. Persönliche Schätze werden öffentlich". (Ebd.) Benjamin will die Leidenschaft im kindlichen Sammeln gegen ihre Kanalisierung im Sinne allgemeiner kultureller Regeln - bei Clifford sind das rationale Systematik, Geschlecht und Ästhetik - retten. Kanalisierung aber meint für Clifford die Umwandlung eines räuberischen Bedürfnisses nach Besitz in einen von Regeln beherrschten, sinnvollen Wunsch - aus der Sicht des Kulturanthropologen die Voraussetzung dafür, daß das Ich, „das besitzen muß, aber nicht alles besitzen kann", lernt „auszuwählen, zu ordnen, in Hierarchien einzuteilen - ,gute' Sammlungen anzulegen". (Ebd.)
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De Certeaus Rhetorik des Gehens Letzteres berührt die Praxis der Bewegung im städtischen Raum, wie sie Michel de Certeau (1988) in der von uns angesprochenen Rhetorik des Gehens beschrieben hat. (Siehe zuvor S. 126f.) Die Kartographie dieser Rhetorik hat nur wenig gemein mit den großen Inventaren und Ordnungen der Städte. Dafür nähert sie sich in ihrem Verhalten eher dem kindlichen Sammeln. So konterkariert das Individuum bei de Certeau insoweit die geplante Stadt, indem es für sich in Anspruch nimmt, die Räume durch die „Spiele [seiner] Schritte" zu gestalten. Das Interessante an diesen Schritten ist, daß man sie zuvor nicht lokalisieren kann, da ihr Raum ja erst in ihrem Spiel erzeugt wird. Wollte man jetzt die dabei angesammelten Eindrücke, Wahrnehmungen, Gerüche nachträglich „aufräumen", indem man ihnen in ihrem Resultat, der den Raum konstituierenden Bewegung, eine Rationalität unterlegte, die es erlaubte, die Rhetorik respektive das Spiel der Schritte zu wiederholen, so stünde dies in nichts der verfehlten Absicht nach, der kindlichen Sammlung eine Ordnung geben zu wollen. Durch die von der Rhetorik des Gehens abhängige Raumkonstitution werden Teile der städtischen Totalität belebt. Das Spiel der Schritte ereignet sich nicht in Selbstvergessenheit, weshalb das Individuum in der Bewegung des Gehens immer auch eine Auswahl trifft, allerdings ohne gleich den ordnenden, in Hierarchien einteilenden, ,gute' Sammlungen anlegenden Charakter anzunehmen. (Clifford, ebd., 28) Die Umwandlung eines „räuberischen Bedürfnisses nach Besitz" in einen „sinnvollen Wunsch" vollzieht sich in der Aneignung eines von Regeln beherrschten Raums über den (subversiven) Weg der Hervorbringung eigener Regeln. Was dabei einmal mehr zum Vorschein kommt, ist die soziale Konstruktion, die der Unterscheidung zwischen guter und schlechter Sammlung zugrunde liegt. So könnte man sagen, daß die Erfahrungen, die das kindliche Sammeln auszeichnen, in der Rhetorik des Gehens ihre Probe aufs Erwachsensein machen. Als kindliche noch eingenommen von Unordnung und Besessenheit, wird diese Erfahrung jetzt zu einem tragenden Element urbaner Handlungsweisen. Das geschieht, obwohl körperlich dem Plan der Stadt verhaftet, außerhalb der darin enthaltenen gesellschaftlichen Anpassungsleistungen, die den Individuen abverlangt werden. Eine geglückte, von Abwehrhaltungen freie Verarbeitung des kindlichen Umgangs mit dem Sammeln - dadurch, daß wir uns erinnern, wie es war - wäre demzufolge Voraussetzung einer mit den Ängsten und Zwängen, 169
wie sie den Stadtdiskurs als Ordnungsdiskurs seit den frühen Utopien blockieren, offensiv umgehenden Praxis. Dringend geboten ist das allemal, weil der Rationalismus keine angemessene Antwort ist, mit der Unordnung der Städte umzugehen, und er unsere emotionalen und unbewußten Reaktionen auf jedweden Aspekt städtischen Lebens ignoriert. (Robins 1998, 168 ff.) Demgegenüber wäre zu lernen, die im städtischen Leben in der andauernden Interaktion zwischen Rational und Irrational, Ordnung und Unordnung, Harmonie und Zerrissenheit zum Ausdruck kommenden Differenzen als Konstituentien eben dieses Lebens anzuerkennen und sie mit den ihnen angemessenen Vermittlungsformen zu thematisieren und zu bearbeiten. Die hier skizzierte Möglichkeit individueller Raumaneignung liefert dem unbewußten Leben der Stadt, das gegen die administrative Rationalität opponiert, den lebenspraktischen Grund. Mit dem Bild des Blicks von oben ist ein Gehen in der Straße unvereinbar, das Interessen und Wünsche hervorbringt, die weder determiniert noch gefangen sind durch das System der Bedeutungen, das diese bezeichnet. Kevin Lynch (1968) nennt Imageability, was für de Certeau durch das Gehen in einer Straße an subtilen, eigensinnigen und widerständigen Bedeutungen mobilisiert wird. So gesehen wird die Straße, wird die Stadt zu einer Geisterstadt von Erinnerungen, die keine konkrete Symbolbildung im Raum besitzen (müssen), weil das Gehen eine transitorische und verschwindende Praxis ist. Was hier erzeugt wird, können wir mit Jonathan Rabans Soft City (1974) verbinden: Das Gehen produziert eine reale, imaginierte und symbolische Räumlichkeit. Diese reale Stadt aber ist verdeckt, weil das Gehen immer auch auf die Abwesenheit vom Ort (man ist irgendwo) verweist. Diese durchaus determinierte Wirklichkeit kann also nicht .gelesen werden und ist in diesem Sinne unbewußt. De Certeau konstruiert mit den gegensätzlichen Positionen (Blick von oben vs. Blick von unten, Voyeur vs. Praktiker) einen Raum, in dem Macht sich in seiner Strukturierung artikuliert. Von ihr aus wird immerzu Ordnung auf das Alltagsleben und seine räumlichen Praktiken übertragen, was aber aufgrund deren Besonderung auch immer wieder an Grenzen stößt. Man könnte dies die unbewußten (kindlichen?) Seiten des Lebens der Stadt nennen. Wie man überhaupt den Eindruck gewinnt, daß bei de Certeau die Stadt und ganz besonders die Straße das Unbewußte bezeichnen, das Es, das sich außerhalb der Kontrolle des bewußten Ichs befindet. Dies ist allerdings nur die eine Seite des Umgangs mit dem städtischen Raum, eine Umgangsform, die einer von offizieller Regelhaftigkeit abwei170
chenden Praxis der Ansammlung subjektiv erzeugter und verarbeiteter Eindrücke folgt. In der Akkumulation aller hier gemachten Erfahrungen wäre wohl am angemessensten der Vergleich mit Kuriositätenkabinett und Wunderkammer: der Raum der Stadt als Ort einer sich mehr und mehr ausdifferenzierenden Fülle an sozial und kulturell Verschiedenem, sei es fremd oder vertraut. Aus der hier versammelten Vielfalt ließe sich ein antiperspektivisches Raumbild herauslesen, das einer Vorstellung von Urbanität sehr nahe kommt, wie sie bereits 1753 Laugier in seiner Theorie zur Stadtgestaltung formuliert hat. Eine Stadt brauche Bizarres und „Zufälligkeiten, die Abwechselung ins Bild bringen". (Laugier 1765, 312f; Tafuri 1977,13) Das kann aber nur dann funktionieren, wenn es auch Regelmäßiges gibt, nicht nur Gegensätze sondern auch Entsprechungen. Wo im „Ganzen Verwirrung, Durcheinander, Tumult" herrschen, bedarf es der großen „Ordnung in den Einzelheiten", die - auch symbolische - Orientierungen gewährt, das Kohärente als das willkürlich Erfahrene vermittelt und die Idee einer von allen gelebten Vergesellschaftung sichtbar werden läßt. Und das bietet nun einmal der absichtsvoll gestaltete Raum, sei er nun aus Absprachen oder Widerständen und Differenzen hervorgegangen. Die Stadt kann auch aus diesem Grund als Ort niemals eindeutig sein, da es hier immer sowohl gute als auch schlechte Sammlungen gibt, die gleichermaßen an der Konstituierung und Kontinuität städtischer Kultur beteiligt sind. Auch sie müssen unentwegt vermittelt werden. Weshalb die gerade gegenwärtig vielfach beschworene Angst vor Auflösung 64 , dem Verlust der Stadt als Quelle unserer Identität, alles andere als eingebildet ist. Robins (1998, 168) geht in Anlehnung an Lewis Mumford sogar soweit zu sagen, daß Furcht und Aggression überhaupt „für jedes Verständnis von städtischer Kultur zentral" seien. Wobei wir das Problem verharmlosten, wollten wir uns diese Angst angesichts zunehmender „Fortress architecture" kurzerhand als Paranoia des mittelständischen Besitzbürgertums zu erklären versuchen. Nachweislich sind diejenigen von Kriminalität in den Städten erheblich stärker betroffen, die sich aufgrund mangelnden Einkommens nicht in bewachte und befestigte Wohngebiete zurückziehen können. (Gottdiener 1997,138)
Stadt und Sammlung Indem die Städte ihre Mauerringe verlieren, als Sammlungen sich also öffnen, ziehen sie neue Mauern um die jetzt kostbaren Seiten ihrer Sammlun171
Sarah Bernard in ihrem Interieur
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gen, deren Augen sie vor dem eigenen ungehemmten Wachstum verschließen. Die Stadt ist ein Ort der An- und Versammlung einer materiellen Welt, die nach einer Werthierarchie strukturiert ist. Für die Identifikation mit diesem Ort hängt viel davon ab, wie sich darin eine Ordnung der Objekte manifestiert, wie die Ansammlung also sortiert und klassifiziert ist und inwieweit diese Ordnung den Ort transzendiert. Erst im Ordnungszusammenhang der Stadt erweist sich der Prozeß der Vergesellschaftung als sinnhaft und geglückt. Ortsidentität ist immer abhängig vom Grad der Vergegenständlichung, und Vergegenständlichung als Objektproduktion ist die Voraussetzung für Verräumlichungen, das heißt die Verteilung der Objekte im Raum. Daß diese Anordnung sichtbar ist, versteht sich von Selbst. Die Stadt besitzt Ausstellungscharakter, soweit den Objekten Eigenschaften attestiert werden, die über ihren reinen Gebrauchswert hinausweisen. Uberhaupt ist die Raumbildung ohne die Fähigkeit zur additiven Sicht der im Raum verteilten Objekte (Orte) gar nicht möglich, so daß für die Konstruktion des Raums ein dem durch Sammlung erzeugten Raum durchaus vergleichbares Abstraktionsvermögen zur imaginierten Ausdehnung dieses Raums in jedweder Dimension vorhanden sein muß. Dem kommt entgegen, daß der Drang, Dinge zusammenzustellen, um eine Ganzheit zu verstehen und Tradition und Erneuerung miteinander zu verbinden, ein „einzigartiges europäisches Phänomen" ist. (Wunderkammer des Abendlandes 1994,16) Man wird demnach die europäische Stadt, ihre Kultur, Gestaltung und die Gliederung des Raums nur begreifen können, wenn man die Bedeutung des Sammeins in dessen Einfluß auf die Stadt angemessen berücksichtigt. Zu entscheiden, wer hier ursprünglich wen beeinflußt hat, ist dabei uninteressant. Historisch gesehen geht die städtische der musealen Erfahrung voraus. Doch spätestens im Anbrach der Moderne wird die museale Erfahrung für die städtische konstitutiv. Dabei spielen die Rück- und Wechselwirkungen für die Konstitutionspraktiken beider Räume (und in beiden Räumen) eine große Rolle. Noch mehr gilt das für das Wohnen und das Interieur. Für den Bürger des 19. Jahrhunderts ist Wohnen in Räumen und das Versammeln von Gegenständen, die dadurch dem Warenverkehr entzogen werden, ein und dasselbe. Das trifft auch auf solche Analogien, wie Schaufenster und Museumsvitrine, zu.65 Insgesamt: kommen im Blick auf den Stadtraum und die darin stattfindenden Bewegung Ordnungsvorstellungen zur Wirkung, die von der Eigentümlichkeit des Sammeins eingenommen sind.66 173
Es fällt auf, wie sehr sich das Verhältnis der Stadt zum Museum in ihrer fordistischen Phase abkühlt. Die Ausweitung des Ästhetischen auf jedes x-beliebige Objekt hatte in der avantgardistischen Vorstellung vom städtischen Raum als sozialem Raum keine Chance. Schwerlich wird man die These vom Ausstellungscharakter der Stadt hier noch halten können. Die bald auch verkehrsgerechte Stadt verhält sich den tradierten „Sammlungsbeständen" gegenüber ignorant. Wo die Abrißbirne den Ton angibt, ist die Bedeutung von Stadt gänzlich, wie Brecht es einmal ausdrückte, in die Funktionale gerutscht. Die Kritik an dieser Praxis geht zeitlich einher mit neuen und dynamischen Formen vielfältiger Ästhetisierungen, die einer postmodernen Vorstellung vom städtischen Raum als ästhetischem Raum entsprechen. Jetzt bieten sich dem Museum nicht mehr für möglich gehaltene Chancen, über die Strategie seiner Annäherung an den Urbanen Charakter der Stadt diesen vom Ort des Museums aus neu zu interpretieren und auf diesem Wege Vorbild für eine neue Urbanität zu werden - zumindest, was ihre ästhetische Seite angeht. Das trifft seit den späten siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu, insbesondere für die Situation in vielen westeuropäischen und us-amerikanischen Städten, wo Museen zu „Parametern" wieder gewonnener urbaner Räume geworden sind. Andererseits: Dort, wo Museen erst seit wenigen Jahren dazu übergehen, ihre Magazinbestände in neu errichteten Anbauten auszustellen, holen sie - verblüffend genug - ein Stück Fordismus nach. Nicht das Einzelstück, sondern die Menge macht es hier. Nicht ein vergifteter Speer der enthnologischen Sammlung, sondern gleich achtzig solcher Waffen werden gezeigt. Das Museum: ein Ort des Besonderen (der Sensation) und ein Ort des Allgemeinen. Eine weitere Grenzverwischung hin zum Warenhaus. Die Stadt ist - als Buon Governo - Ausdruck einer Beherrschung, die in einer Ordnung gipfelt, die als schön und harmonisch wahrgenommen wird. Seit Beginn des 15. Jahrhunderts entwickelt sich der Stifter zu einem Sammler, der der Stadt in Kultur umgewandelten Besitz schenkt. Lange vor der systematischen Sammlung, wie wir sie seit Mitte des 16. Jahrhunderts kennen, ist die Stadt Schauplatz solcher Systematisierungs- und Ordnungsversuche. Man schaue nur auf die Anstrengungen der Medici, den Stadtraum um San Lorenzo durch Stiftung (S. Lorenzo, S. Marco), Besitz (Palazzo Medici) und Besitz/Stiftung (wieder San Lorenzo, die Grabeskapellen) für sich zu ordnen. Die Stadt als Haus und das Haus als kleine Stadt sind in dieser Zeit die polaren Beziehungssysteme der Akkumulation, der privaten und der öffentlichen, die aber in dieser metapho-
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rischen Verschränkung mehr gemeinsam haben als es die Trennung von Privat und Öffentlich vermuten läßt. Die Wiedergabe der Welt als Stadt ist noch ganz einem Kontext verhaftet. Den Weg der Kontextualisierung gehen erst Sammlungen. Doch schon in den Segregationsprozessen wird sichtbar, daß auch das städtische Leben von der Stadt als Kontext in sozial und kulturell exklusiven und exkludierenden Räumen nur noch wenig übrig läßt - was schließlich seit Simmeis Beobachtung ein Problem des Urbanen ist: Die Großstadt kann sich als Kontext nicht mehr erfahrungsgewiß behaupten. Ihr realer Kontext tritt hinter die Bilder zurück, die man sich von ihr macht. Das aber hieße, daß gerade die Dynamik des Urbanisierungsprozesses eine dekontextualisierte Wahrnehmung herausfordert. Komplexitität und Ungleichzeitigkeit der unendlich vielen Einzelkomplexe des städtischen Lebens - ganz abgesehen von den darüber hinausweisenden Ereignissen - lassen anderes gar nicht mehr zu. Die Stadt ist heute im insularen Innenstadtbereich als eine objektiv gegebene Welt gegenwärtig. In der Rekonstruktion völlig zerstörter Teile wird die historische Zeit stillgestellt und als ausgestellte zur entmaterialisierten und spurenlosen Zeit. Auch beobachten wir Werteverschiebungen: kulturelle Objekte geraten auf den Prüfstand ästhetischer Gültigkeit, eine Prüfung, der nicht alle standhalten, die aber oft genug zur Aufwertung führt. Ein ehemaliger Hafenkran als Teil eines Space-Parks wird kaum noch die Vermittlung zu seinem ehemaligen Kontext leisten; eher schafft die durch Integration erreichte Umwertung eine Vermittlung zum neuen Kontext. Auch in den veränderten Haltungen der Wissenschaften der Stadt gegenüber zeichnet sich ein neuer Blick auf sie ab: Sie wird Objekt, das durch Kategorisierung, Katalogisierung, Inventarisierung und Regulierung den Charakter eines unheimlichen und exotischen Schauplatzes verliert und als Informationsquelle für soziales Verhalten, stadtplanerische Erfordernisse interessant wird. Der Blick auf die Stadt und von ihr aus zurück in ihre eigene Geschichte taugt dabei nie so überzeugend zum nachhaltigen Beleg der Überlegenheit der Gegenwart über der Vergangenheit. Da der Ordnungsgrad in der Stadt, ihre fiktive Realität, sich abreibt an der Inhomogenität ihres Raums, sind die Stadt und die Auseinandersetzung mit ihr denkbar ambivalent. Durch den kategorisierenden Blick werden andererseits Eigenschaften sichtbar; die als Besonderungen hervortreten. Deren Gehalte werden als je verschiedene Bezugssysteme erkennbar. Man könnte sagen, daß es - ähnlich der Konsolidierung der Anthropologie des 20. Jahrhunderts und der Wertschätzung ethnographisch kontextualisierter Artefakte - es im Feld 175
von Architektur und Denkmalpflege einen vergleichbaren Vorgang gab. So wurde in den siebziger Jahren den Arbeitersiedlungen im Ruhrgebiet eine besondere Wertschätzung gerade wegen ihres sozial-kulturellen Kontextes zuteil. Diese strahlt noch einmal und neu auf in Prozessen der Gentrifizierung68, wo diese Wertschätzung (als Verbindung von Objekt und Kontext) zur Bildung einer eigenen, hier erworbenen neuen und vermeintlich wahrhaftigeren Lebenssituation wird. Diese Entwicklung führt in der Stadt zu neuen Ambiguitäten und Möglichkeiten in einer wechselhaften Systematik. Die Konstitution des Museums fällt historisch zusammen mit der Einleitung stadträumlicher Veränderungen, in denen beständig Grenzen überschritten werden: Ein Austausch der Wertverschiebung, des Zerfalls und des Zuwachses findet statt. Die Stadt als Ort gegenseitiger Durchdringungen befördert Erfahrungen, die ins Museum, in die Haltung dem Sammeln und Ausstellen gegenüber eindringen. Lewis Mumford (1979) hat diese Wechselbeziehung von Museum und Stadt wohl als einer der ersten wahrgenommen. Ihm ist das Museum nicht nur „eine notwendige Folge des übermäßigen Wachstums der Großstadt" sondern die „typischste Einrichtung der Metropole" überhaupt - ebenso bezeichnend für deren Lebensideal, wie es das Gymnasium für die griechische Stadt oder das Krankenhaus für die mittelalterliche Stadt war (656), wie umgekehrt die Großstadt „selber auf wesentliche Weise als Museum" dient. (657) Denn dank „ihrer inneren Weite und ihrer langen Geschichte verfügt die historisch gewachsene Stadt über eine größere und reichere Sammlung von kulturellen Beispielen, als sich anderswo finden läßt." (Ebd.) Wo in ihr, hervorgerufen durch die Zerstörungen anhaltender Modernisierungen, diese Sammlung beständig an „Ausstellungsstücken" verliert, wächst dem Museum um so mehr die Aufgabe zu, Spiegel für die Vergangenheit zu sein. Warum sollte es nicht dann auch ein Zauberspiegel für die Gegenwart sein? (Wunderkammer des Abendlandes 1994, 182) Nehme man das in seinem Wortsinn tatsächlich ernst, dann böte sich insbesondere ethnographischen wie Stadt- und kulturhistorischen Museen die Möglichkeit, diese Gegenwart (auch und gerade im Verweis auf ihre Geschichte) immer wieder aufs Neue als eine Welt zu thematisieren, die sich dem ordnenden Zugriff entzöge, wie man ihn gerade hier erwartet. Es lohnte sicherlich, erneut den ethnografischen Blick der Surrealisten zu studieren. An der Tradition der Wunderkammern, alles zu sammeln, knüpfen sie bewußt an, um die Frage Was ist ein Ding? neu beantworten zu können. Ihre Thematisierung der an den stumm gewordenen Gegenständen wahrgenommenen
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Fremdheit gäbe Anlaß für einen Übertragungsversuch auf die Wahrnehmung des Urbanen Raums. Wo das Bekannte unbekannt und das Unbekannte bekannt gemacht werden sollen, wären wir im Zentrum dessen, was Urbanität meint und was ihre Zumutung an uns bedeutet: mit dem Fremden in der Gewißheit zu leben, selber den Fremden anzugehören.
Prometheischer
Sammler und
Kunstkammer
Es ist ganz gewiß ein eigenartiger und keineswegs geradliniger Weg, der vom höfischen Typus des Sammlers, der sich die Zeit in Gestalt der Naturgeschichte im geordneten Raum der „Kunst- und Wunderkammern" vergegenwärtigt, zum Humboldtschen Idealtypus eines durch den Besuch des Alten Museums humanisierten preußischen Beamten führt. Ihm korrespondiert jene nach-höfische Protestfigur, der durch provozierenden Müßiggang auffallende Dandy, dem bald der Flaneur folgt, der die Nähe des großstädtischen Massenpublikums sucht und eintaucht in die Welt der Passagen und Auslagen der Warenhäuser. In der Kette, die von Prometheus zum Sammler und zur Naturbeherrschung durch Mechanik reicht, spiegelt sich die Entwurfs- und Planungsgeschichte der europäischen Stadt. Sie setzt in dem Augenblick ein, da der hervorragende Einzelne sich mit der Kunstkammer einen Sammlungsort schafft, an dem er den „kunstvollen Gebilden der Natur [...] seine kostbaren Artificialia" gegenüberstellt und „die Gegenstände und Kräfte der Welt" analysiert. (Bredekamp 1993, 45) Diese promethische Figur gibt es zur Zeit Lorenzettis noch nicht, wie auch das der virtuellen Atmosphäre der Kunstkammer gemäße Konzept der Stadt als Idealstadt (als Utopie wie bei Thomas Morus, oder als Wirklichkeit in Palmanova oder Sabbioneta) auf sich warten läßt. Auch wird die Stadt noch nicht im Ablauf ihrer Funktionen mit einer Maschine verglichen, die neben Natur, Antike und Kunst die weltschaffende Sicht der Kunstkammer stützt. Und doch ist die Stadt in dem Bild, das Lorenzetti von ihr anfertigt, bereits all das: Künstlichkeit und Naturbeherrschung, die Anwesenheit nützlicher Tätigkeiten verteilt in der Kohärenz eines Raums, der über die Stadt als Ort hinausweist. Als Himmelstadt ist die Stadt auch imaginärer Raum und im Verweis auf ihren antiken Ursprung auch Geschichtsraum. In allem erscheint die Stadt im Bild als ein vom Ort aus gedachtes, der Erfahrung zugängliches Weltmodell. Dabei wird der von der Kunst inaugurierte Blick zu einem wesentlichen Faktor der Raumbildung. Die von ihm begleitete Raumerweiterung 177
führt schließlich zu einer Wissens- und Objekterweiterung, die kaum zweihundert Jahre später vom gelebten Raum der Stadt aus nicht mehr eingeholt werden kann. Paradox genug geschieht die Vergegenwärtigung von Kosmos und Welt nun, gegen Ende der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als zugleich schöpferische und spielerische Leistung des Einzelnen (nicht mehr als die einer Stadtgesellschaft) in dafür gesondert vorgesehenen Räumen, in denen die Welt in der Versammlung unterschiedlichster Objekte aus Antike, Natur und künstlicher Gegenwart zusammengestellt wird: im Studiolo und in den „Kunst- und Wunderkammern". Die Kunstkammer ist der Beginn einer Individualisierung und der Beschäftigung mit der überwältigenden Fülle einer sich mehr und mehr differenzierenden, vom Menschen als künstliche erzeugten Objektwelt. Zeitlich korrespondiert die Kunstkammer in ihrer konjunkturellen Hochphase im Laufe des 17. Jahrhunderts dem von Macpherson analysierten Auftreten des idealen Ichs als Eigentümer mit jener durch Reichtum an Objekten, Wissen, Erinnerungen, Erfahrungen begründeten Identität69. In Horst Bredekamps Studie Antikensehnsucht und Maschinenglauben (1993) ist es der Sammler antiker Skulpturen, der in sich sowohl die formgebende Kraft der Natur als auch die des menschlichen Gestaltungsvermögens vereinigt. (Ebd., 19) Auf einem Bildnis von Parmigianino (ca. 1523, London) beherrscht die Halbfigur des Sammlers den Vordergrund mit auf dem Tisch ausgebreiteten antiken Münzen und einer Venusstatuette. Der Sammler erscheint hier als Nutznießer und Beherrscher einer ursprünglich von der Natur selbst ausgehenden Formkraft. Dabei bildeten die Antiken die Vermittlung zwischen der Welt des Betrachters und der Unendlichkeit der Natur und geben so der Welt der Materie ein menschliches Antlitz. (Ebd., 23) Das Beispiel einer Illustration in Jacques Bessons Theater der Instrumente und Maschinen (1571-1572) zeigt nicht nur das Freilegen antiker Architekturstücke (Kapitell und Säule) aus der rohen Natur, sondern auch die dazu benutzten Instrumente und angewandte Technik. In der Gleichrangigkeit antiker Kunst und moderner Technik sieht Bredekamp ein neues Selbstbewußtsein wachsen. Diese Beobachtung verstärkt die Tatsache, daß die Leidenschaft des Sammlers sich mit dessen prometheischer Schöpferkraft vereinen läßt, seit Plinius Prometheus die Fähigkeit zugesprochen hatte, mit Metall und Edelstein härteste, kostbarste Naturstoffe verarbeitet und die Menschen gelehrt zu haben, Fingerringe als erste Sammelobjekte zu tragen. So konnte sich durch die Verbindung und Sammelleidenschaft mit dem Feuer des Begründers der Technik, Prometheus, „der aktive, gestal178
terische Charakter der Sammlung" verstärken und auch Züge der politischen Metaphorik annehmen. (Ebd., 31) Die typisch für die Zeit 1540-1740 enzyklopädisch angelegten Kunstkammern waren nicht, wie später das Interieur des Privatmanns, ein Ort der Verklärung der Dinge und des sozialen Rückzugs, obwohl auch in ihnen der Traum einer besseren Welt als Utopie geträumt wurde. Aber es sind Fürsten, Kardinäle, Königshäuser, die, wie die Habsburger, mit der Prager Kunstkammer ihren weltumspannenden Besitzanspruch auch dadurch zum Ausdruck bringen, daß sie exotisches Material mit in ihre Sammlungen aufnehmen und fremde Kulturen dokumentieren. (Ebd., 39) Hier erweitert sich der Ort der Sammlung in den Raum, wobei man sich der Stadtmetapher bedient. Der Weltentwurf der Kunstkammer mit ihren systematisch aufgenommenen Gegenständen und den Bestandskatalogen formt sich als ideale Stadt ,en miniature zur idealen Ordnung. Das beginnt bereits mit der 1589 fertiggestellten Tribuna der Uffizien, die in ihrer achteckigen Form und mit ihrem Ausstattungsprogramm dem spätantiken Kosmosmodell und Vitruvs Beschreibung des Athener,Turms der Winde folgt. Daß der Weg auch umgekehrt, von der Kunstkammer zur Stadtutopie, verlaufen kann, belegt die 1602 von Campanella verfaßte Civitas Solis, die Züge einer gigantischen Kunstkammer trägt. Der Grund dafür liegt in der Kunstkammer selber, weil, so Bredekamp (ebd., 56), ihre „prachtvolle und idealiter unendliche, auf die gesamte Welt und die gesamte Geschichte zielende Versammlung unterschiedlichster Gebilde einen per se utopischen Charakter besaß". So entwirft Campanella einen von ringförmigen Stadtmauern gegliederten Raum. An dessen Innen- und Außenwänden erscheinen „Bilder der Mathematik, der Geographie und Ethnologie, der Mineralogie, der Wasserkunde und Meteorologie, der Pflanzenkunde, der Zoologie, der Mechanik und schließlich der großen Erfinder und historischen Persönlichkeiten". (Ebd., 57) Noch stärker ineinander verschränkt sind Stadt und Kunstkammer in der Inselutopie Christianopolis von Andreae. (Straßburg, 1613) Beschrieben wird eine Stadt, die wie ein aufgeschlagenes Buch der Natur- und Geisteswissenschaften in Räume gegliedert ist, die in so gut wie jeder Hinsicht zur Vervollkommnung des Menschen dienen. (Ebd., 68 f.) Dabei ist allerdings nicht alles einem strengen Ordnungsdenken unterworfen. Gerade an diesem Beispiel zeigt sich, daß auch dem spielerischen Umgang mit den in der Kunstkammer aufbewahrten Objekten große Bedeutung beigemessen wurde. (Ebd., 70) Wie in einem anderen Fall, der Sammlung des 179
Museo Cospiano in Bologna, werden die Gegenstände keineswegs durch ein Ordnungssystem voneinander getrennt. Es ist sogar von einer „vorsätzlichen Unordnung" die Rede, die der Wirkung der Sammlung dienen sollte. (Ebd., 71)
Unzeitgemäß Der Typus der enzyklopädisch angelegten Kunstkammer wird seit Mitte des 18. Jahrhunderts als symbolische Repräsentation des Kosmos und als Vision des irdischen Paradieses überflüssig und löst sich auf. (Ebd., 32) Bis dahin hatte die Kunstkammer „ein Plateau bereitgestellt, auf dem das Chaos der Welt komplex erfaßt und sowohl in einer räumlichen wie zeitlichen Schichtung dargestellt werden konnte. Indem diese Plattform zerbrach, traten Spezialsammlungen der Naturobjekte, der Antiken, der Kunstwerke und der Maschinen an ihre Stelle". (Ebd., 80) Aus Kuriositäten und Wunderbarem werden Antiquitäten. Es hat den Anschein, als habe jetzt jene zuvor noch spielerische Vermittlung zwischen dem Ort des Subjekts und dem kosmischen, weltumspannenden Raum an Erklärungskraft verloren. Die den gesammelten Gegenständen anhaftende kulturelle und zeitliche Differenz ist durch ein Auge, das im Erkennen von Ähnlichkeiten geschult war, nicht mehr zusammenzuhalten. Die nachfolgenden Stufen der Vermittlung bleiben dem Blick zwar treu. Allerdings trennen sich die Wege und Bedeutungen werden in einem Feld rigoroser Ausdifferenzierung und Historisierung neu festgelegt. Durch die Sprengung der Klammer zwischen Kunst und Technik (ebd., 87) kommt es zu einseitigen Zuschreibungen, bei denen die in die „Freiheit der Zwecklosigkeit" entlassene Kunst höhere Weihen zugesprochen erhält. Der universelle Kenntnis- und Erfahrungsanspruch der Kunstkammer geht auf das Kunstmuseum und die dort versammelten Kunstwerk über. Der im Raum des Museums seinen eigentlichen entzeitlichten Kontext findende transformierte Universalismus ist rein metaphysisch und transzendent. Erst in Verbindung mit der Warenproduktion wird Asthetisierung zu einer sich auch räumlich ausdehnenden universellen Kategorie. „Es gibt Beziehungen zwischen Warenhaus und Museum, zwischen denen der Bazar ein vermittelndes Glied schafft. Die Massierung der Kunstwerke nähert sie den Waren an, die, wo sie sich dem Passanten in Maßen darbieten, die Vorstellung in ihm wecken, auch auf ihn müsse ein Anteil davon entfallen." (Benjamin 1982, 522)
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Dazu dient eine Erfahrung, die wir als ganz andere Fortsetzung der Welterfahrung der Kunstkammer in, wenn man so will, profanierter Gestalt bezeichnen können: Es ist die Erfahrung erst des Dandys und bald des Flaneurs in den Passagen und Straßen der großen Städte, allen voran Paris. Es ist gewissermaßen die alltägliche, gewöhnliche Seite der kulturellen Moderne, die im Kunstmuseum ihr Pantheon hat. Doch ist jene wohl auch die angemessenere, da sich das Chaos der Welt in den entstehenden Industriestädten und Metropolen wie London oder Paris konkret ereignet und wahrgenommen werden kann. Schon Sebastian Mercier wußte, daß alle Geschichte von der Stadt ausgehen und sie das Zentrum allen Geschehens sein wird. Die „Gegenstände und Kräfte der Welt" werden seitdem hier studiert und analysiert. In Bredekamps abschließender Piranesi-Interpretation (1993, 90 ff.) entsteht das Bild eines von römischer Technik besessenen Künstlers, in dessen Visionen von Ketten, Schwungrädern, Flaschenzügen, Hebeln und ärchäologischen Versatzstücken bereits die von Simmel Ende des 19. Jahrhunderts diagnostizierte Diskrepanz zwischen der subjektiven und der objektiven Seite der Kultur zum Vorschein kommt. Auch diese Differenz ist aus der räumlich geschützten Perspektive der Kunstkammer nicht mehr zu vermitteln. Die Wirklichkeit des Einsatzes von Maschinen und der ihnen anhängenden Menschen - bei Piranesi treten sie als „insektenhafte Attribute riesiger Architekturen und mechanischer Geräte" (ebd., 92) in Erscheinung - reduziert die Antikensehnsucht (der noch so viele andere Sehnsüchte folgen sollten) zu einem Bezugspunkt unterlegener Subjektivität. In der Kunstkammer ist die Welt noch in einem vom Individuum kontrollierten Ort repräsentiert, was im bürgerlichen Interieur bis zur psychischen Deformation und Karikatur fortwest. Die Vorstellung, die Welt an einem Ort zu haben, überträgt sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts vom Ort auf das Subjekt. Und noch etwas gibt den Ausschlag: In der „Querelle des Anciens et des Modernes" bahnte sich bereits die Relativierung bis dahin gültiger Naturgesetze, absoluter Schönheit und Proportion an. Mit dem Bewußtsein der geschichtlichen Eigenart verschiedener Epochen und der Geschichtlichkeit des Schönen verliert die Weltgeschichte ihre normative Kraft und wird „zum Museum der vergangenen Kulturen". (Schwarz 2002, 21) Asthetisierung ist jetzt das Medium, durch das die Vermittlung der Geschichte läuft. Wie wir sahen, geht das aber nur dort, wo das Subjekt den Ort verläßt, um im Raum Erfahrungen zu machen, mit denen es an den Ort zurückkehrt. 181
Anders noch die Ausgangssituation in der Kunstkammer, wo Erfahrung als Wissen, gebunden an Objekte, als Sammlung am Ort gegenwärtig ist. Das Ganze der Welt ist hier noch erfahrungszugänglich. Danach wird sich das Ganze in reale und virtuelle Orte und Räume zugänglicher Erfahrung aufteilen: Dazu zählen neben dem stadtöffentlichen Raum und den temporären Räumen der Weltausstellungen die verführerischen Räume der Warenhäuser und Museen und der private Raum des Interieurs. Museum als
Universalraum
Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist das Museum ein Universalraum, der für sich in Anspruch nehmen kann, ausgezeichneter Ort der universellen Sprache aller Kunst zu sein. (Duncan 1995, 44) Es ist auch deshalb ein Universalraum, weil es die Gesamtheit des menschlichen Wissens und der praktischen Fertigkeiten (ver)sammelt. Das Museum im emphatischen Sinn der Aufklärung vereint Gemälde und Zeichnungen, Bücher und Natur-Geschichte. So etwa das 1836 gegründete Museum in Calais. (Georgel 1994, 116) Das Museum vollendet die Ziele der Aufklärung, nicht nur als Institution sondern als auch als Symbol des Gelingens dieser Ziele. Wie wenig dieser Ort im Bewußtsein der Zeitgenossen im 19. Jahrhundert nur der reinen Kontemplation vorbehalten ist, belegt allein die Tatsache, daß zwischen 1806 und 1914 allein in Frankreich über siebzig Zeitungen, Journale und Alben in ihrem Titel den Begriff Museum führen. Man spricht daher auch vom „gedruckten Museum", eine enzyklopädische Institution, bestimmt für die Erziehung aller. Mit dem Museums-Journal vergleichbar sind die zwischen 1800 und 1914 periodisch veröffentlichten 75 magasins, die die Gesamtheit des Angebots der Warenhäuser zum Thema haben. Darin finden sich immer wieder Verweise auf die Verbindung des Museums zu Kommerz und Geld. Analog sind die neu einzuübenden Wahrnehmungen und Bewegungen durch Warenhäuser und Museen. In der Gestaltung ihrer Innenräume übernehmen viele Museen das Modell der boutique. (Ebd., 117) Auch das theoretische und konzeptionelle Vokabular des Museums ist der Welt des Kommerzes entlehnt. So meint Vitrine (franz.: montres) sowohl Sehen als auch Zeigen. Und es werden Touren durch die Grands Magasins angeboten, die sich kaum von solchen in den Museen unterscheiden - und umgekehrt: „There is little doubt that to the eyes of most visitors, untrained in the history of art, the masterpieces, art objects, and 'curiosities' exhibited in 182
the museum appeared first of all as expensive objects - 'commodities' that were exceptionelly expensive, to be sure, but commodities all the same." (Ebd., 118) Presse, Museum und Warenhaus spielen im 19. Jahrhundert komplementäre Rollen innerhalb eines einzigen ideologischen Systems. Jeweils Resultate der Industrialisierung, waren sie - jede für sich - Maschinen des Kapitalismus: Das Warenhaus bot dem Konsumenten das Vergnügen, Produkte der privaten Akkumulation zu konsumieren; die Presse verkaufte an ihre Leser das Vergnügen akkumulierter Informationen; und das Museum erlaubte seinen Besuchern den symbolischen Besitz unzugänglicher Objekte - unveräußerlicher Objekte, die man nicht kaufen und auch nicht ganz verstehen kann, mit Ausnahme einer Elite von amateurs - und so mit dem Prestige der Hochkultur versehen. 70
Flaneur Im Flaneur erhält die in die Moderne transformierte prometheische Gestalt ihr Alter ego: Haussmann und Baudelaire. Beider Aktionsfeld ist das sich verändernde Paris, sind die Boulevards. Doch verläßt der alte Prometheus mit Haussmann endgültig die Bühne des Sammlers (besser: er betritt eine andere), die er für die Flanerien eines Baudelaire freimacht. In den Straßen, Passagen und sehr bald in den großen Warenhäusern von Paris bietet sich den Blicken des Flaneurs, was die großen Museen abgelegt haben: die in den Auslagen der Schaufenster versammelte Vielfalt des Warenuniversums, welche die Tradition des Kuriositätenkabinett vergangener Jahrhunderte fortsetzen. Aber auch der Blick des „neugierigen Beobachters" (curiosus naturae spectator) der Wunderkammern, „der sich durch alles hindurchgräbt und schnuppert und meint, alles gehöre ihm" (Junius 1637), erlebt im Blick des Flaneurs seine Wiedergeburt. Bredekamp (1993) berichtet von einer „kunstcamer", die Erzherzog Ferdinand von Tirol in Ambras 1573 in einem gesonderten Gebäudekomplex einrichten ließ. In den zwanzig Schränken seien „Massen von disparaten Gegenständen" (ebd., 35) deponiert gewesen. In transformierter, moderner Gestalt lebt diese Disparität in Kaufhäusern und Einkaufsstraßen weiter. Auch sie sind, wie zuvor die Kunstkammern, „Zeitraffer und Mikrokosmos zugleich". (Ebd., 39) D a s zeitlich und räumlich weit voneinander Entfernte, Lokales und Exotisches, Kurioses und Nützliches vereint diese Sammlung von in Vitrinen und Schaufenstern ausgestellten Waren und 183
deren symbolische Verweise. Darin eingeschrieben ist nichts Geringeres als die Textur der gesamten Stadt. Wohl deshalb, so Italo Calvino (1997), können wir „eine Stadt, eine Straße, ein Stück Bürgersteig [lesen], indem wir der Reihe der Läden folgen". Auch hier hat der Flaneur zumindest den Eindruck, sich nicht nur im Raum zu bewegen, „sondern oft genug seine Grenzen" zu überschreiten und in die Zeit einzudringen. (Kracauer 1987) Flanieren ist, was schon zuvor für die Kunstkammer galt, Ahnlichkeitswahrnehmung, und das nicht selten in einem Zustand, den Kracauer als Straßenrausch und Besessenheit beschreibt, der er „nicht zu widerstehen mochte". In der Flanerie und mehr noch im kindlichen Sammeln findet das Spielerische in der sammelnden Aneignung von Welt statt. In beiden rettet sich auf profane, vorwissenschaftliche Weise etwas vom spielerischen Charakter der Kunstkammer, deren Reflexe, so Bredekamp (1993), überall dort lebendig blieben, „wo die Erkenntnis, daß der Geist, wenn er schöpferisch sein will, spielen muß und daß der Kern seiner Anstrengung oder einer Person nicht im Zentrum oder dem geradlinigen Weg dorthin, sondern in den freien, von vordergründigen Zwecken fernen Begleiterscheinungen zu erfassen ist, bewahrt bleibt". (Ebd., 99) So ist für Kracauer das Flanieren nicht etwa ziellos - mag es den anderen auch so erscheinen - , sondern von einem Ziel begleitet, das er allerdings zu „(s)einem Unglück vergessen" hatte. Die Metapher des Lesens in einem aufgeschlagenen Buch verbindet den Stadtraum mit dem Interieur: Dem Flaneur wird die Straße zum Studierzimmer, wie überhaupt zur Wohnung. (Benjamin 1974a, 539) Und was wären in der Folgezeit die in den Interieurs angehäuften Gegenstände anderes als aus der Warenzirkulation herausgenommene Objekte, denen der ursprüngliche Gebrauchswert abhanden gekommen ist? Ein besserer „Kehricht", den das (klein)-bürgerliche Subjekt um sich herum versammelt und das sich diese Leidenschaft mit der gleichwohl poetisch heroischen des „Lumpensammlers" teilt, jenes Mannes bei Baudelaire, „der die Abfälle des vergangenen Tages in der Hauptstadt aufzusammeln" hat: „Alles, was die große Stadt fortwarf, alles, was sie verlor, alles, was sie verachtete, alles, was sie zertrat - er legt davon das Register an und er sammelt es." (Ebd., 582) Zweifellos thematisiert sich im Typus des Flaneurs eine weitreichende Veränderung in der Einstellung gegenüber dem Straßenraum, seinen Objekten und Symbolbildungen: Es ist die Abstraktion (s)einer Erfahrung durch das Auge, die zu einer weiteren Dynamisierung der Asthetisierung beiträgt. 184
Wer sieht und wer wird gesehen? Im 19. Jahrhundert erzeugt die Verbindung von bürgerlichen und männlichen Werten und Macht die Trennung von öffentlichen und privaten Räumen. Frauen repräsentieren die private Intimität im öffentlichen Raum. Der Flaneur unterstreicht diese soziale und räumliche Trennung, die Prostituierte überschreitet sie. Der Flaneur wäre daher auch die Figur, an der die Transformation des Straßenraums vom Boulevard über Le Corbusiers „Unite d'habitation" mit ihrer Rue interieure (Le Corbusier als Anti-Flaneur) und Victor Gruens Suburban Shopping Center zur Mall beschrieben werden könnte. (Baird 1995, 305347) Wobei die Mall die Ambivalenz dieser Figur zerstört: Sie verharmlost die Begeisterung über die Bewegung und die Ereignishaftigkeit der Urbanen Moderne, und sie vernichtet die Angst vor der unkontrollierten Masse, der Angst, in ihr unterzugehen. Zugleich verschwindet aus der Straße als Interieur der bourgeoisen Welt die Dominanz des Maskulinen. In seiner ambivalenten Rolle, in der Straße, aber nicht von ihr zu sein, dieser Welt ästhetisch Bedeutung zu verleihen, den Dingen eine Ordnung zu geben, die Szene zu kontrollieren, weil er wie jedermann aussehen kann, ihm nichts verboten ist, hat der Flaneur heute in der Figur des Intellektuellen überlebt, dem die Stadt Thema ist. Dieser ist so etwas wie ein selbstreflexiv gewordener Flaneur. Ist es beim Flaneur das Auge, das ihm die Distanz zur Masse und zur Bewegung in der Straße verschafft, so ist es jetzt - neben dem Auge - die Distanz schaffende Intellektualität. Museum und Stadt Vom Standpunkt gegenwärtiger Entwicklungen aus betrachtet spielt im Urbanitätsdiskurs der Raum des Museums eine zentrale Rolle. Seine Anverwandlung als privilegiertester Ort des Sammeins und Ausstellens an das Städtische, überzeugt wohl auch deshalb, weil uns derartige Analogien vertraut sind. „Das Haus", heißt es bei Alberti (1966,1, 9; V, 2; V, 14), „sei eine kleine Stadt. Man wird daher bei dessen Erbauung in gleicher Weise fast alles das in Betracht ziehen müssen, was sich auf die Anlage einer Stadt bezieht." Bezogen auf das Museum sind wir Zeugen davon, wie es sich zur Stadt hin öffnet, indem es seine originär musealen Aufgaben mit Urbanen Funktionen sowohl inhaltlich als auch räumlich verbindet, sich dabei den Stadtraum aneignet und neu interpretiert. Museen sind in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten zur Matrix eines veränderten Blicks und Umgangs mit Stadt geworden. Dabei muß es erst gar nicht zu 185
jener bewußt gestalteten Kongruenz von Haus und Stadt kommen, damit das Museum eine weitere und ganz hervorragende Vermittlungsfunktion übernehmen kann: die ohnehin erodierende Kluft zwischen privatem und öffentlichem Raum zu überbrücken. Trotz aller Modernisierungen ist das Museum nach wie vor aber auch ein Ort ästhetischer Stabilität: Hier dominiert Qualität, die als einziger Maßstab den alle Werke betreffenden Kontext gewährleistet. Zugleich ist das Museum aber auch ein Ort der Entwurzelung der Werke. Deshalb besitzt das Museum noch eine andere und grundlegende urbane Eigenschaft, die gleichsam in ihre Konstitutionsgeschichte eingeschrieben ist: Sie berührt das großstädtische Leben dort, wo wir uns nicht nur blasiert verhalten, sondern Simmel zufolge auch alle Fremde sind. So verhindert allein die Gleichgültigkeit der Werke zueinander, daß dieser Ort als das erfahren wird, was er nun einmal ist: eine Ver- und Ansammlung von Fremden an einem Ort. Die Institution macht ganz, was zerrissen wurde. Was wir dabei lernen, ist die Distinktion erzeugende Fähigkeit, selber passiv auf die zur Passivität verurteilten Werke zu schauen. Verstärkt wird die vermittelnde Rolle des Museums durch die Beobachtung, daß wir gemeinhin in der Wahrnehmung zwischen den Menschen, den sozialen Gütern und den Orten, an denen wir sie wahrnehmen, nicht trennen. Das gilt auch für das Erinnern. Das Gedächtnis, so wußte bereits Cicero, braucht Orte. (Assmann 1999, 39) Musealisierung, die mit dem Gedächtnis operiert, ist ortsbezogen. Man unterscheidet in der Erinnerung nicht zwischen dem Ort, an dem das Haus steht, und dem Haus als sozialem Gut. So auch in einem Museum, wo es zur Ubereinstimmung zwischen Kunstwerk und Museum/Ort kommt. Ort, Gedächtnis und Museum werden zu untrennbaren Größen. Zudem zählt es zur vornehmsten Eigenschaft der Architektur, dem Prozeß der Destruktion das Bild und die Gewißheit der Konstruktion entgegensetzen zu können. Als sicherer Ort macht sie die Ungewißheit des Gegenwärtigen vergessen. Architektur ist monumentale Beständigkeit, dazu noch in einem Verständnis von Baukunst entworfen, das ohnehin die Vergänglichkeit des je Zweckmäßigen ignoriert. Ästhetisch signalisiert sie aufgrund dieses allgemeinen Konservativismus, sie sei aus dem Tauschwert- bzw. Modernisierungsprozeß herausgelöst. Dessen rigoroser Zerstörung gegenüber gibt sich Architektur immun. Deshalb gewinnt das Museum in Verbindung mit der Stadt-Metapher noch einmal an Bedeutung: als „widerständiger" Ort gegen das schnelle Vergessen - ein Wunschort der nostalgischen Variante des Urbanen schlechthin. Monu186
mentalisierung muß nicht erst an diesen Ort herangetragen werden - sie ist ihm gleichsam eingeschrieben.
Musealisierung Tatsache ist allerdings, daß analog zur Aufwertung des Museums sich seit mehr als zwanzig Jahren beharrlich der Wunsch hält, alte Dinge nicht verschwinden zu lassen. Daß mittlerweile alles, auch Abfall, in die symbolische Ordnung des Historischen überführt werden kann, ist von der Dominanz des musealen Blicks nicht zu trennen. So gesehen ist Musealisierung vor allem der Versuch, dem Verschwinden der „symbolischen Orte eines vergangenen Lebens", wie etwa dem einer Fabrik, etwas entgegenzusetzen. Dabei entsteht ein neues symbolisches Ordnungssystem, das dem Verlust eines symbolischen Systemzusammenhangs antwortet. Zu Ende gedacht liefe das auf den Aufbau eines musealen Universums hinaus, in dem alles vorkommen und sakralisiert werden kann. Historisch gesehen ist das als bewußte Entscheidung - wie man was einem Objekt ansieht - bereits seit Duchamp möglich geworden. Konsumtion von Vergangenheit und Erbe an musealisierten Orten sind die Folge einer Verdinglichung der Kultur, zu der wir keine ideellen Verbindungen mehr besitzen und die uns nur als materielle erhalten bleibt. Dazu trägt das Museum insofern bei, als es schon immer die Zeichen verschiedener Kulturen, wie auch Bilder unterschiedlichster Herkunft, kulturell entstrukturierte: die ausgestellten Werke werden gleichgültig. Die wissenschaftlichen und ästhetischen Normen, denen sie sich unterordnen müssen, sind ihren ursprünglichen Symbolzusammenhängen gegenüber fremd. Als musealisierte gehorchen die Objekte aufgrund von Klassifizierungen, Aneinanderreihung und Systematisierungen einer anderen Ordnung. Folgte man Paul Valery, der die Museen mit ihren „eingefrorenen Geschöpfen" nicht mochte, dann bleibt ihnen und uns auch gar nichts anderes übrig. Gezwungen, sich in ihrer beanspruchten Einzigartigkeit als Kunstwerke in einem Sammelsurium in Konkurrenz zueinander behaupten zu müssen, biete allein die „Gelehrsamkeit" die Garantie der Beherrschung durch Neutralisierung. Oder die Oberflächlichkeit, wenn wir davon ausgehen, daß der Wunsch, alles sammeln und auch ausstellen zu müssen, das vertiefte Interesse am Einzelwerk ausschließt. In diesem Sinne wäre die ausgestellte Stadt heute ein ganz und gar in der Gegenwart verhafteter Ort. Asthetisierung meint hier de facto Stillstand, 187
auch wenn aufgrund der Vergleichgültigung der Zeichen diese an unterschiedlichen Orten gleichzeitig vorhanden sein können, immer rascher ausgetauscht werden und so den Eindruck permanenter Bewegung suggerieren. Mit fatalen Folgen, da man schließlich nie genau wissen kann, was mit den Zeichen jeweils wirklich gemeint ist. Wer nach Eindeutigkeit sucht, ist rettungslos verloren. In welch schöner Gestalt die ,Texte' auch immer präsentiert werden mögen - wie sie tatsächlich gelesen werden wollen, bleibt unbestimmt. Das gilt inzwischen für alle mediatisierten Felder, auch für das politische Feld. Das zwanghafte Festhalten an vermeintlich nationalen Symbolbauten, wie dem Berliner Stadtschloß, das „rekonstruiert" werden soll oder dem Brandenburger Tor, das reingehalten werden soll, mag darin begründet sein. Dabei handelt es sich um einen Widerspruch, den die Forderung nach Buntheit und Vielfalt in allen Gestaltungsbereichen von Beginn an begleitet hat. Im mitunter sogar ernstgemeinten Bemühen um eine identitätsstiftende Annäherung an ortsbezogene Formen löst sich genau deren kulturelle Bedeutung im Nichts ästhetisch langweiliger Oberflächen auf. Die gegenüber vom Frankfurter Römer wieder aufgebaute Fachwerkzeile ist das in dieser Hinsicht wohl gelungenste Beispiel leerer Symbolbildung. In solchem Zusammenhang stellt sich denn auch nicht mehr die Frage „nach Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben". Nietzsches Warnung vor einem Zuviel an „historischem Sinn", „bei dem das Lebendige zu Schaden kommt", verhallt ungehört im realen und virtuellen Universum der Waren und des Internets. Wie auch könnten wir noch im Sinne Goethes vom „unnützen Erinnern" sprechen, wo dies doch die Gleichgültigkeit der Zeichen gegenüber ihrem historischen Sinnzusammenhang nicht mehr zuläßt.
Museo-citta Die Analogien zwischen Stadtschöpfung und prometheischer Schöpferkraft, zwischen Museum, Warenhaus und Interieur und schließlich der neuerlichen Bedeutung des Museums und der Musealisierung für die Reaktivierung urbaner Räume muß auf seiten der Stadt nicht zwangsläufig dazu führen, daß ein Verlust an Funktion und Kontext eintritt. Wir sprechen hier von Wahrnehmungs- und Aneignungsübertragungen, analogen Ordnungsparametern und noch nicht davon, daß urbane Räume den Charakter musealer Objekte annehmen. Wo es zu Monumentalisierungen,x kommt, ist das allerdings der Fall. Hier dominieren museale Praktiken, 188
wie etwa die der Entzeitlichung. Für den Touristen verwandelt die Kartographie monumentalisierter Bauten den Stadtraum in eine fiktive Zeitinsel, in der sich die Jahrhunderte vermischen und Monumentalisierung ja gerade deshalb möglich wird, weil die Bauten weder Vergangenheit, Gegenwart noch Zukunft besitzen: Sie sind zeitlos. So ist zum Beispiel das Schnoor-Viertel in Bremen ein hochgradig entzeitlichter Raum, auf dessen Vergangenheit wir nur mehr als ein abgeschlossenes System blicken können. Dadurch entsteht eine eigenartige Doppeldeutigkeit im Sinne einer eingefrorenen Lebendigkeit. Generell gilt das für alle historischen Stadtkerne, die man als aufgeschlagene Bücher einer Stadt-Geschichte konserviert, die aber gerade an diesem der Musealisierung preisgegebenen Ort nicht weitergeschrieben werden kann. Erstaunlich genug, daß Carlo Crespi (1998) als Herausgeber der Zeitschrift Architettura & Arte gegen die spröde Musealisierung des Stadtraums nichts Geringeres als die Urbanisierung des Museums - Museo-citta - setzt. Tatsächlich läßt bereits die sprachliche Semantik erwarten, daß Urbanisierung zur Aktualisierung des Musealen führen wird, während wir es im anderen Fall mit einer Musealisierung gleichsam vor ihrer Verlebendigung zu tun haben. Dabei geht es Crespi beileibe nicht um den Verzicht auf genuin museale Qualitäten. Ganz im Gegenteil sucht er nach Wegen, wie der museale Blick und das historische Gedächtnis im Raum der Stadt sinnvoll zur Wirkung kommen können, und das auf andere Weise, als es die sterile Konservierung den Centri Storici bisher angetan hat. Aus der Einsicht in die notwendige Transformation des Museums wird Urbanisierung daher zum Maßstab einer zeitgemäßen Musealisierung, auch und gerade des Urbanen Raums. Denn diese geht letztlich auch von einem urbanisierten Museum aus. Dies ist kein Widerspruch, vor allem dann nicht, wenn wir mit Crespi weiter berücksichtigen, daß - nicht nur auf italienische Verhältnisse beschränkt - Urbanität ohne das Theatralische und Spektakuläre nicht vorstellbar ist. Berühmt sind jene zwei Prospekte, auf denen Sebastiano Serlio 1545 - Vitruv72 folgend - die Stadt einmal mit Versatzstücken, wie Säulen, Frontispizen und Statuen, zur Bühne der Tragödie und im anderen Fall mit Markt und einer gewöhnlichen Straße zur Bühne des Komischen wird. Diese (historische, karnevaleske) Theatralität als Ferment des meist gewöhnlichen Urbanen Lebens sollte sich das Museum zueigen machen, um sich als Ort zu überschreiten und den Urbanen Raum zu verändern. (Ebd., 8) Zu denken ist hier auch an Holleins „Bildfenster" in Mönchengladbach, das den Urbanen Außenraum auf einen Bildausschnitt reduziert. Ein Wechselverhältnis: Das Museum ist 189
Sebastiano Serlio, Tragische Szene (1546)
190
der Ort als Matrix für den Blick auf die Stadt, und der Stadtraum wird als musealer Bildraum ins Museum hineingezogen.73 Der touristische
Blick
Wir können einen neuen Blick auf die Vermittlungsleistungen werfen und zugleich eine heute dominante massenkulturelle Bearbeitung des Dazwischen mit dem Tourist gaze (Urry 1990) bereits in sehr konkreten Umrissen entstehen sehen. Boris Groys (2000) hat den Einfluß des touristischen Blicks auf unsere Sicht der Städte zum Gegenstand anregender Überlegungen gemacht, von denen wir einen Aspekt herausgreifen möchten: Er betrifft die Beobachtung, dass wir als Touristen - wie der Städtetourismus überhaupt - in den Städten selektiv vorgehen, indem wir bestimmte Objekte favorisieren. Groys nennt das Monumentalisierung. Nun ist die Stadt in Groys' Verständnis ein Projekt, das - gegen den natürlichen Verfall - auf Dauer angelegt ist: „Eine Stadt zu bauen bedeutet vor allem zu versuchen, der Zerstörung gewisser Dinge oder gewisser Lebensweisen oder gewisser kultureller Traditionen, die für die Menschen als besonders wertvoll gelten, entgegenzuwirken - der Zerstörung durch die Zeit, der alle Dinge in der Natur ausgesetzt sind. Man baut eine Stadt für die Dauer, für die Zukunft - vielleicht auch für die Ewigkeit". (Ebd., 60) Die Stadt wolle sich jenseits der natürlichen Ordnung der permanenten Zerstörung situieren und strebe eine widernatürliche Dauerhaftigkeit an, für die es in der Natur keinen Ort gebe. Allerdings verhielten wir uns der Stadt gegenüber widersprüchlich: Einerseits suchten wir ständig danach, was in unserer Stadt den Traum von der Ewigkeit am meisten verkörpert; und zugleich wollten wir all das umbauen, verbessern oder sogar abreißen. 74 Aus dieser gespaltenen Haltung erwachse nun die Unfähigkeit, hier, in der wohlgemerkt eigenen Stadt, Dauer als konfliktfreie Beziehung zu ihr und ihren Bauten zu erfahren. Zumal Dauer etwas sei, was bereits vor unserer Zeit entstanden sein müsse. Eine dauerhafte, eine utopische, eine ewige Stadt, so Groys, dürfe niemals die unsere, sondern immer nur eine fremde Stadt sein. Woraus er den Schluß zieht, daß wir überhaupt nur im Moment unserer Durchreise die Ewigkeit einer Stadt erleben könnten. Der Tourismus versetze uns nicht nur an andere Orte sondern diese Orte zugleich in eine andere Zeitordnung. Dadurch werde der Tourismus 191
- salopp formuliert - zu einer Maschine, die das Vorläufige ins Monumentale verwandelt. „Das Monumentale in der Stadt ist also für uns das Andere, das Unzugängliche, das Fremde in der Zeit - und deswegen auch das Unveränderliche im Raum." (Ebd., 65) Monumente stehen nicht einfach in der Stadt der Durchreise und warten darauf, gesehen zu werden; vielmehr schafft erst der Tourismus die Monumente, durch ihn wird die Stadt monumentalisiert, da im Blick des Touristen das Gebäude aus seinen ihm, dem Touristen, unbekannten Entstehungszusammenhängen gelöst und es so entzeitlicht wird. Genau das geschieht in Las Vegas: hier wird - auf Teufel komm raus - monumentalisiert und damit genau das getan, womit wir als Touristen ja auch unentwegt beschäftigt sind. Las Vegas kommt uns entgegen, es bestätigt uns! Dabei beschleunigt sich mit der Zunahme des Tourismus auch die Monumentalisierung. Die Beschleunigung dieses Prozesses und dessen Vermassung demonumentalisieren aber auch immer wieder. Das treibt den Tourismus indessen immer weiter an, da neue Authentizitäten gesucht werden, zu denen sie aber erst die Monumentalisierung im touristischen Blick macht. Das treibt in die Ferne 75 , und in der Tat ist Städtetourismus, obgleich ein ausgesprochener Hochpreistourismus, ein besonders intensiver Wachstumssektor der Tourismusindustrie.
Zurück aus Moskau! Was passiert nun, wenn der Tourist zurückkehrt? Walter Benjamin (1972b, 316) beginnt in seinen Denkbildern den Bericht über Moskau 1927 mit dem Satz: „Schneller als Moskau selber lernt man Berlin von Moskau aus sehen [...] Es ist mit dem Bilde der Stadt und der Menschen nicht anders als mit dem der geistigen Zustände: die neue Optik, die man auf sie gewinnt, ist der unzweifelhafteste Ertrag eines russischen Aufenthaltes." Walter Benjamin meint hier den Blick für politische Gegebenheiten, der sich im Stadtbild fixiert. Aber der Autor des Passagenwerks ist ein viel zu detailbesessener Beobachter, um die „neue Optik" nicht auch auf die Morphologie der Stadt selbst zu richten. Es treten ganz neue Vermittlungen auf, die die routinisierten Alltagswahrnehmungen aufsprengen. Der (eigene) touristische Blick aufs Fremde mit seiner bedeutungskonstitutiven Kraft kann durch die räumliche Differenz, die man durchreist hat, zum fremden Blick aufs Eigene gewendet werden. Er setzt sich in eine differente Position, die Selbstreflexion ermöglicht. Das „Haben" des Raums erhält neuen 192
Inhalt und Sinn. In ihm werden Teilen der eigenen Stadt, historischen Gebäuden oder Plätzen, neue Bedeutungen zugeschrieben - sei es auch nur dadurch, daß sie, dem eingeübten beiläufigen Passageblick entrissen, überhaupt Bedeutung erlangen; sei es die valorisierte oder devalorisierte eines wahrgenommenen Mangels gegenüber den Vergleichsobjekten der Reiseerfahrung. Ort-Raum-Differenzen werden gewissermaßen aus einer Außenposition neu in den Blick genommen und bewertet, und zwar auf der massenkulturellen Grundlage des Tourismus. Wenn der Reisende - zurückgekehrt - im reflexiven Blick auf bestimmte Raumgestalten der eigenen Stadt diese monumentalisiert, so wird sich sein touristischer Blick mit den Intentionen der heimischen Fremdenverkehrswirtschaft treffen. So wäre Innenstadtgestaltung, vor allem mit und an historischen Beständen, nicht nur etwas für die Fremden, die angelockt werden sollen. Sie ist ebenso für die Einwohner, die auch für zu Hause einen „fremden" Blick gewonnen haben, die - wenn die Mobilität im globalen Raum die paradigmatische Existenz des Zeitgenossen sein soll - zu Hause lediglich parken oder zwischenlanden. Auch wenn dies nicht der Realität entspricht, so ist es doch eine wirksame (und sehr alte) Imagination, welche Orte in der Stadt in neue Verhältnisse zueinander zu setzen vermag. Auch das ist eine, und zwar eine in Massendimensionen vermutlich an Bedeutung noch zunehmende Möglichkeit, das „Dazwischen" zu bearbeiten und neue Vermittlungsebenen in die Ort-Raum-Differenzen einzuziehen: der touristischen Blick. Als Resultat raumgreifender physischer Kommunikation leistet dieser Blick aber noch etwas anderes: Er macht den Tourismus zu einer gewaltigen, große Mehrheiten ganzer Gesellschaften einsaugenden Transformationsmaschine des Darüberhinaus in ein Dazwischen, das jenes dann wie dieses bearbeitbar und vermittelbar macht. Es ist sicherlich nicht verfehlt, in dieser Transformation einen der Basisprozesse der kulturellen Globalisierung zu sehen. Hieran läßt sich hinsichtlich der städtischen Reorganisation der letzten zwanzig Jahre eine gut begründete Spekulation anschließen: Die ästhetisch und lebensweltlich artikulierte Kritik am fordistischen Städtebau seit den siebziger Jahren koinzidiert mit Tourismuserfahrungen, die sich dem historisch auf die Mitte zentrierten und insofern in seiner Monumentalisierung immer auch (ästhetisch) abstrahierenden touristischen Blick verdanken. Die Annahme dürfte nicht leicht von der Hand zu weisen sein, daß sich in dieser Koinzidenz, vor allem hinsichtlich der ästhetischen Kritik, der Resonanzboden für die Popularität des urbanistischen Diskurses in den Mittelschichten 193
aufspannt, der sich - kaum überraschend - fast durchweg auf die Innenstadt, auf die Mitte bezieht. Zu den gewiß spektakulärsten unterhaltungs- und tourismusorientierten Stadterneuerungen zählt das unter maßgeblicher Beteiligung der Walt Disney Company lancierte Times Square Redevelopment-Projekt in New York. Neben den Touristen aus aller Welt ist der von Drogen und Sex befreite Square neuerlich ein Anziehungspunkt für suburbane Touristen, die in den vergangenen Jahrzehnten das immer weiter entfernte Zentrum sich selbst überlassen hatten, die verlorene Broadway-Unterhaltung weitgehend mit dem T V kompensierend. Für die Akzeptanz des Times Square sorgte Robert A.M.Stern als Disney-Chefarchitekt mit einem „42nd Street Now!-Plan", der die glorreiche Kino-, Neon- und Theaterzeit der zwanziger Jahre wieder belebt, somit diesen Aspekt der Geschichte des Quartiers monumentalisiert und andere gezielt ausblendet.
Authentisch -
Nicht-Authentisch
Liegt in der massenkulturellen Verallgemeinerung durch den Tourismus, die mit spezifischen Symbolisierungen und Bedeutungszuweisungen früher unbekannte Ort-Raum-Vermittlungen trägt, nicht eine funktionale Entsprechung zu den beiden Vermittlungsebenen von Stadtbildkonstruktionen, wie wir sie mit Lorenzettis Fresko exemplarisch angesprochen haben? Man kann hier hinsichtlich der Monumentalisierung als symbolischem Vermittlungsprozeß weiterfragen und begibt sich dabei auf das gefährliche Gebiet zwischen Kulturkritik und Investorenlogik. Wenn beispielsweise ein Ensemble wie der Dogenpalast mit Campanile, Piazzetta und dem Bacino del Molo als Venitian-Hotel in Las Vegas maßstäblich und unter sachkundiger Beratung kunsthistorisch geschulter Spezialisten - nachgebaut wird (schließlich kommen erheblich weniger Amerikaner nach Venedig als nach Las Vegas), so erfolgt zweifelsfrei eine Umwandlung von hoch- in massenkulturelle Erfahrung, die freilich eine durchaus andere Qualität besitzt als etwa die medialen Inszenierungen Disneylands. Das Objekt - hier Versatzstücke venezianischer Baukunst - wird aus seinem Raum-Zeit-Kontext herausgelöst und in einen neuen Erlebniskontext als Kopie gestellt. Ist damit diese touristisch inspirierte Monumentalisierung mit der des hochkulturellen Typus des Originalgebäudes identisch? Auch der Akt der Monumentalisierung ist keine authentische Erfahrung am Original mit Ewigkeitswert, sondern eine im Wahrnehmungsakt erfolgende 194
VENETIAN ImmHmi-f
ΈΜΒ
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The Venetian, Las Vegas (1998)
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Venedig, Dogenpalast
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Zuschreibung auf der Grundlage barer Unkenntnis.76 Diese Unkenntnis wird trotz (oder wegen) kaum je gelesener Reiseführer von der Touristikindustrie systematisch erzeugt und von Touristen konsumiert, um das Erlebnis des Authentischen möglichst lange lebendig zu erhalten. Denn dieses Erlebnis ist es, das Touristen suchen und die Industrie ihnen anbietet, nicht das Gebäude selbst; das ist nur Objekt an dem sich das Erlebnis festmachen kann. Steckt so viel an Authentizitätserlebnis dann nicht auch im Schein des Duplikats? Man vergegenwärtige sich doch nur einmal die Situation des Ferienreisenden, der auf einem Tagesabstecher in einer Touristengruppe auf der Piazza San Marco steht oder vom Reiseführer durch die leeren Säle im Dogenpalastes gehetzt wird, der hier ein Riesentafelbild von Paolo Veronese, dort eines Tintoretto in Sekunden betrachten soll und nebenbei noch Geschichten über die Sitzordnungen des Rates der 40, der 10 oder des Großen Rates und die tausendjährige Geschichte des Machtverfalls der Dogen bis zum letzen heldenhaften Manin hört, der Venedig vor der Zerstörungsdrohung Napoleons gerettet hat. Kann demgegenüber das reale Duplikat nicht eine virtuelle Funktion annehmen, die Gedankenspiele ermöglicht, in denen sich Betrachter, Gäste des Hotels, in alteuropäische Städte versetzen, imaginäre Reisen antreten und Objektbeziehungen knüpfen können mit eben den Originalen, deren Nachbilder sie in so kommoder Weise bewohnen? Erschöpft sich das Duplikat wirklich so vollständig im Schein, das es ohne Zweifel primär ist? Oder ist dieser nicht auch in Las Vegas, Anknüpfungspunkt für einen analogen, möglicherweise in langen Wellen durch den Raum getragenen Erfahrungswert? Man müßte überlegen, ob der Wert dieser Erfahrung aufgrund der anderen Raumkonstellationen des Ensembles derselbe ist wie in Venedig, oder ob nicht doch ein anderer Typus von Authentizitätserfahrung vorliegt. Eine Antwort auf diese Frage haben bereits der Mass-Customization-Pionier Joe Pine und sein Partner James Gilmore gefunden. Pine beschreibt, wie sie im New York-New York-Hotel in Las Vegas vom Terrorangriff auf die Twin-Towers am 11. September 2001 hörten und CNN anschalteten: "In the instant each of us turned on the television, we found ourselves in two places: our individual physical locations, and the collective electronic scene. When New York was struck, the two of us were staying at the New YorkNew York Hotel & Casino in Las Vegas, with its skyline facade overlooking the strip. There the events of the day became double surreal."77 Die Realität des Terrors in New York erleben beide im virtuellen Raum des Fernsehens. Dabei befinden sie (ihre individual physical location) sich 197
inmitten des Simulacrums Las Vegas und haben die Imitation der Skyline New Yorks mit der Statue of Liberty vor Augen. Trotz dieser Verdoppelung der virtuellen Szenerie machen beide gleichwohl die neue Erfahrung, daß es so etwas wie „artificial experience" nicht gibt. Denn: "Because experiences happen inside of us, they're necessarily real." (Ebd.) Wie sieht es aber aus, wenn man Authentizität nicht am subjektiven Erlebnisakt festmacht, sondern am Objekt selbst? In diesem Fall gehen wir davon aus, dass etwas nicht einfach Authentizität hat, denn das hieße, Authentizität mit Originalität zu verwechseln. Demgegenüber bezeichnet Authentizität immer eine Beziehung, im besten Fall eine Erfahrung. Heißt das aber nicht, daß sie nur wenigen zugänglich ist, denn sie ereignet sich - wiederum am Beispiel des Dogenpalastes - in der Aktualisierung und Bewährung eines hochspezialisierten Wissens im Wahrnehmungsprozeß am Objekt. Schließlich ist neben dem an der schieren Prominenz des Objekts entzündeten Erlebnis und der wissensfundierten Objektwahrnehmung noch eine dritte Weise der Authentizitätsbeziehung vorstellbar, auf die es vermutlich letztlich ankommt, wenn man die subjektive Zugänglichkeit eines Ortes in Venedig und Las Vegas miteinander vergleichen will: die Würde des Ortes. Sie liegt in einer historischen Sättigung, die man im einzelnen gar nicht zu kennen braucht, die aber trotzdem, selbst bei letzter Detailtreue, im Duplikat nicht zu fingieren ist. Die Würde des Ortes schließt die Aura des Originals ein, die freilich nur im Benjaminschen Sinne durch die Raumdimension der Nähe/Ferne-Beziehung konstituiert zu denken ist. Darüber hinaus ist sie im städtischen Raum auch und vor allem an die Sinne der konkreten Körperlichkeit gebunden: ans Schmecken, Riechen, Sehen, Hören. Der Palazzo Ducale schmeckt und riecht auch, allein schon durch den nach Jahreszeit und Temperatur unterschiedlichen Geruch des Wassers im Bacino. Wie verhält es sich nun mit dieser auratischen Dimension in der Kopie? Besitzt die Kopie etwas von dieser auratischen Dimension? Wir denken, dass dies nicht der Fall ist. Aber reicht das schon aus, der Kopie das Authentizitätserlebnis abzusprechen? Sicherlich nicht, weshalb wir vorschlagen, von Authentizitätserlebnissen ersten und zweiten Grades zu sprechen. Zumal das Erlebnis zweiten Grades dann, wenn wir von der vertikalen zur horizontalen Sicht wechseln, wir also in die Hotels hineingehen, uns in der Kopie des Originals nicht weitere Kopien sondern Originale geboten werden. Wir denken dabei nicht so sehr an die Kunstwerke in der Galerie des Bellagio oder der von Rem Koolhaas entworfenen Gug198
genheim-Dependence im Venetian-Hotel, sondern an solche Filialen, wie die Gallagers, eines der besten und traditionsreichen Steak-Restaurants Manhattans im New York-New York-Hotel. Spätestens dann, wenn man feststellt, dass die Steaks hier so gut sind wie die in New York, verwischen sich ohnehin die Grenzen zwischen den Authentizitätserlebnissen ersten und zweiten Grades. Wobei ja auch das etwas mit Riechen und Schmecken zu tun hat.
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Medien-Räume
Öffentlich und Privat im medialen Raum Wir verlassen die Ebene der realen Orte und Räume und wenden uns im abschließenden Kapitel den Räumen zu, wie sie in und durch die neuen Medien entstehen. Bietet der Zugang zur virtuellen Räumlichkeit die Möglichkeit einer neuartigen Differenzvermittlung, die bisherige Sprachformen der realräumlichen Ästhetisierung womöglich suspendiert? Beginnen wir mit der Frage, ob und wie sich die Differenz zwischen Öffentlich und Privat im medialen Raum verändert. Das Thema ist seit der Aufklärung als Zusammenhang von individueller Entfaltungsmöglichkeit und öffentlicher Kontrolle politischer Macht prominent. Vor allem das Medium der Kontrolle, die Öffentlichkeit, steht als Grundvoraussetzung für die Funktionstüchtigkeit demokratischer Prozesse lange im Vordergrund politischer und medienkritischer Auseinandersetzungen. Der Öffentlichkeit korrespondiert als Gegenpol der Rückzug des Bürgertums aufs Interieur als Kernbereich des Lebens. Es ist die erste und noch selbstbewußte Form des Privatismus und zugleich freiwillige desozialisierende Ortspreisgabe und raumreduzierende Ortsfixierung. Man wird wohl mit der Vermutung nicht fehlgehen, daß diese - retrospektiv - selbstgenügsame, aber eben eine von Interessen geleitete Ortsfixierung mit der subjektphilosophischen Selbstdeutung des Bürgertums (mit deren populären, medial kommunizierten Vulgärformen) zu tun hatte. Hier wird aber freiwillig und mit Extase vorexerziert, was cum grano salis vielleicht von den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts an immer stärker vom gesellschaftlichen Prozeß selbst erzwungen wird: die Ortsreduktion auf den Reproduktionskern der Wohnung. Das geschieht heute unter dem Label Individualisierung, wobei das Ausstattungsdesign den begüterten Bevölkerungsteilen auch kräftig hilft, das so zu sehen. Doch wie bereits beim Interieur und deren Subjekten unterhöhlt der materielle Reproduktionsprozeß der Individualisierung immer wieder deren Realisierungschancen, so wie sie im kulturellen Anspruch der 200
Ausstattungsware formuliert sind. Sonst gäbe es sie vermutlich, aber es bedürfte keiner Mode. Diese Ortsreduktion einer unerfüllten Individualisierung erfährt gegenwärtig eine einschneidende Veränderung. Seit den Exaltationen privatwirtschaftlich organisierter elektronischer Medien mit ihren täglichen Talkshows, Real-Soaps und Container-Sendungen und den Chat-Möglichkeiten im Usenet rückt Privatheit nunmehr als gefährdeter Lebensort verstärkt ins Zentrum des Interesses. (F. Weber 2001; Imhof, Schulz 1998) Dabei hatte Jürgen Habermas bereits 1961 in seiner Habilitationsschrift über den Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962), zu einer Zeit also, als die regulativen Defizite der bürgerlichen Öffentlichkeit durch die zunehmende Kommerzialisierung der Medien immer deutlicher wurden, darauf hingewiesen, daß diese Entwicklung auch die Sphäre des Privaten nicht unberührt läßt; ja, daß auch sie durch das mediale Konglomerat von Werbung und Veröffentlichtem publizistisch ausgehöhlt werde. Die Substanz des Privaten schwemmt langsam ab: Die zum öffentlichen Gebrauch ihres Verstandes erzogene Bildungsschicht verliert Resonanz und Stimme. Seit damals ist die Entwicklung weitergegangen. Mit der Entsubstantialisierung und der medialen Durchdringung aller privaten Räume und Regungen gilt die Privatsphäre als hochgradig vom Verfall bedroht. Sie bietet keine Limitierung mehr für den direkten, steuernden und kontrollierenden Durchgriff öffentlicher und öffentlich wirkender Mächte. Immer mehr zerfällt eine intellektuell stabile und im intimen Verkehr disziplinierte bürgerliche Subjektivität. So fallen die Schamgrenzen und die Individuen veröffentlichen sogar noch freiwillig ihre privaten Probleme, Bedrängnisse und Verklemmungen einem breiten Medienpublikum. Doch selbstverständlich existiert die Privatsphäre als mobiler und immobiler körperkonstituierter Lebensraum nach wie vor und ist keineswegs eine „nur noch ideologische Figur". (Ross 1998, 151) Es ist ebenso klar, daß sie bei aller gesetzlichen Regelung noch nie unberührbar war und sie das auch heute nicht ist. Sie war und ist nicht nur von außen sondern immer auch von innen heraus gefährdet: Durch ihre rechtliche Einhegung war sie nicht nur der Raum unkontrollierter Herrschaftsausübung im organisierten kapitalistischen Industriebetrieb. Dieser gehört schließlich auch zur Privatsphäre, wurde aber und wird in allen gegenwärtigen Diskussionen ausgeblendet. Es war auch der Raum der Unterdrückung der Frau und der Abrichtung der Kinder. In der Tat ist nicht nur die Erwerbsarbeit sondern auch der öffentliche Raum der Stadt Emanzipationsmedium der Frauen. 201
Von außen gefährdet ist die Privatsphäre heute vor allem durch zunehmend invasive Kontrolltechniken. (Whitaker 1999) Daß die Medien im Raum des Privaten intervenieren, ist hingegen nicht neu: So werden Zeitungen während ihrer ganzen Geschichte auch zu Hause gelesen. Es ist eine bereits bei Habermas angelegte idealistische Überhöhung des Lesens und des privaten Diskurses, wenn das Lesen und Diskutieren von Zeitungen im privaten Lebenszusammenhang theoretisch geadelt, Fernsehen und Chatten hingegen grundsätzlich als Kulturverfall und Verwilderung des Privaten charakterisiert werden. Trotzdem stimmt natürlich die Beobachtung, daß immer mehr private Dinge in der Öffentlichkeit der Medien präsentiert werden. Denn nicht nur die semantische Vielfalt ihrer Erscheinungsformen, auch die geschichtlichen Beispiele zeigen hinreichend klar, daß es keinen universell oder auch nur eindeutig definierbaren Sinn der beiden Begriffe geben kann. Der Zusammenhang von Öffentlich und Privat bezeichnet eine Differenz, die Machtfelder trennt. Sie ist also stets umkämpft. Unter unterschiedlichen historischen Bedingungen zeigt sie unterschiedliche Verlaufsformen an. Wie aber ist der Widerspruch im Verhältnis zwischen Öffentlich und Privat aufzulösen? Wir schlagen vor, ihn abgestuft abzuhandeln, indem man den Raum des Privaten grundsätzlich von dem unterscheidet, was darin passiert. Öffentlichkeit und Privatheit sind letztlich nur als Raumbegriffe Gegensätze. Etymologisch steht das Staatsamt in Opposition zum Privaten, das gerade davon „befreit" ist.78 Privat bezeichnet ein Aneignungsverhältnis von Raum, von Dingen und Beziehungen, die den Raum als Ort konstituieren. Diese Konstituentien sind aber zum großen Teil selbst mediale Konstruktionen, die vor allem während der Aufklärung etwa durch die sogenannte Intelligenzpresse (Böning 1987) und die moralischen Wochenblätter (Martens 1971) zur Institutionalisierung eines bürgerlichen Familienlebens in privato in Umlauf gebracht werden. Das ist nun schon so lange her, daß uns heutzutage die Einheit von Konstitution und Konstituiertem als „natürlich" erscheinen mag. Nun ist der Konstitutionsprozeß des Privaten in erster Linie das jeweils historisch konkrete Beziehungsgefüge der Intimität. Für Habermas - und nicht nur für ihn - ist es der Kernbereich bürgerlicher Privatheit, durchaus transformierbar und seit seiner frühbürgerlichen Ausbildung tatsächlich dauernder Veränderung unterworfen gewesen. Diese Problematik wollen wir nur hinsichtlich der Rolle und Möglichkeiten der Medien erörtern. Betrachten wir unter dieser Perspektive das bereits auf den ersten Blick obszöne Szenario geradezu manisch erscheinender Selbstentblößungen vor 202
der Kamera im Fernsehen oder von Haßtiraden, privatem Exhibitionismus mit der Web-Cam und anderer Veröffentlichungsformen privater Lebenselemente im Netz. 7 9 Die Phänomenologie dürfte hinreichend bekannt sein: Man braucht nur einen Blick in die täglichen Talkshows zu werfen, sich etwas im Usenet umzutun und kann sich dabei die teilweise härteren und bis ins kriminelle Milieu reichenden Sachen im WWW sogar noch ersparen. Interessanter sind in unserem Zusammenhang die dominanten Interpretationslinien. 80 Der entscheidend anstössige Punkt ist die wuchernde Zunahme des „Privaten" im strukturellen öffentlichen Raum der Medien, das Meyrowitz (1987) in politischer Hinsicht noch als Abbau von Politikerautoritäten und damit als Demokratisierungspotential der elektronischen Medien betrachtet hatte. „Das Private ist politisch!" war einmal die Parole der revoltierenden Studentenschaft, und Teile der feministischen Bewegung haben sie übernommen und verteidigen sie noch heute selbst im Zusammenhang der hier angesprochenen Mediendebatte. (Keppler 1998) Ihnen wie auch seinerzeit der Aufklärung ist klar, daß Emanzipationsansprüche den herrschenden Verhältnissen nur im Medium der Öffentlichkeit abzutrotzen sind. Ganz allgemein scheinen heute alle möglichen Bedürfnisse im privaten Alltag zunehmend als unterdrückt oder in einer Warteschleife als leer gelaufen angesehen zu werden. Sie suchen deshalb nach Ventilen, sich zu artikulieren. Die meisten Beobachter jedoch verbinden die Parole mit dem berühmten, für andere berüchtigten Diktum von Andy Warhol: „Jeder kann in seinem Leben für fünfzehn Minuten ein Star sein." Doch wie das? Durch obszönen Exhibitionismus 8 1 , indem Menschen ihr Intimstes vor Gaffern und speichelndem Publikum ausbreiten und so das ursprünglich sozial Verbindende, „das Geheimnis ihrer Unbestimmtheit" füreinander (Jung, Müller-Doohm 1998,146) zerstören? Das kann man natürlich auch anders beobachten. Denn was wir da sehen, ist nicht so eindeutig, wie es den meisten Medienkritikern erscheint. Zygmunt Bauman (1999) beschreibt dasselbe Phänomen folgendermaßen: „ N u n drängt das Private nicht auf die Szene, um mit dem Öffentlichen in Wechselwirkung einzutreten. Während es vor allen Augen breitgetreten wird, erlangt das Private keine neue Qualität. Wenn überhaupt wird das Private in seiner Privatheit noch verstärkt", gerade indem es in einen kollektiven Raum gestellt werde. Ist es nicht so, daß ungeachtet aller Anschlußzwänge und Virtualitäten die mediale Wahrnehmung dieses Typs zunächst einmal als räumliche Ausdehnung des eigenen privaten Rahmens erscheint, der damit selbst aber noch keineswegs fraglich wird? Wenn dem so ist, dann wird man Bauman zustimmen müssen. 203
Das Vexierbild bietet die politische Öffentlichkeit, soweit sie medial strukturiert ist, und das ist sie ganz überwiegend. Sie ist vom Privaten durchdrungen. Die „Affektmedien" nötigen auch die Politiker, sich als fehlbar (Clinton), Dandy (Schröder), Gefühlsathleten (Scharping) oder einfach als Menschen wie Du und Ich darzustellen. Wobei sie sich gelegentlich im Ton vergreifen können, auch das wie Du und Ich. Schon Habermas sah die politische Öffentlichkeit unter dem Kommerzialisierungsdruck sich strukturell zur „akklamativen" wandeln. Inzwischen endet nahezu jedes Medienformat auf ,,-tainment". Das heißt die politische Öffentlichkeit, die aus den oben geschilderten Gründen ja auch kaum noch eine Verankerung in der lokalen, städtischen Kommunikation findet, gilt weitgehend als konsumptiv überformte, angebotsökonomisch strukturierte Unterhaltungsofferte. Der Zerstörung oder vielleicht besser, der verschwimmenden Auflösung der Privatheit korrespondiert also ein Zerfall der Öffentlichkeit. Hier tut sich freilich für manchen im angeblich postutopischen Zeitalter ein Horizont der Öffnung auf: Das Netz. Der kalifornische Traum direkter demokratischer Einflußnahme, der bis in die Anfänge der amerikanischen Community-network- und der Hacker-Bewegung in den sechziger Jahren am MIT und in Kalifornien (Stanford) zurückgeht, erträumt sich vom Netz, was es in der Lebenswirklichkeit der Gemeinden und Staaten offenbar nicht mehr geben kann: perfekte Demokratie, Selbstbestimmung und ungehinderten Austausch aller mit allen. Die knapp zweihundert Jahre der bürgerlichen Gesellschaft gültige, wenn auch kaum je realisierte Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit ist nach diesen Beobachtungen heute in ihrem Konstitutionsbereich in (mindestens) drei Ebenen ihrer Trägermedien gefährdet: erstens durch die Privatisierung ehemals öffentlicher (Stadt)-Räume; zweitens durch die entgrenzende Kommunikation des Privaten in den elektronischen und den Netzmedien; und drittens durch die zunehmende Ökonomisierung, auch die werbliche Durchstrukturierung des gesamten Mediensystems, die auf der Grundlage der Eigenlogik des Wirtschaftssystems, dem ja die Medien - auch nach den Regelungsmaßnahmen der EU-Kommission - subsumiert sind, die politische Kommunikation zunehmend marginalisiert. (Jarren, Imhof, Blum 2000, 11) Jung und Müller-Doohm (1998, 136) benennen als Effekt dieser zu beobachtenden Entwicklung eine „Vermengung des Privaten mit dem Öffentlichen" - eine von der stofflichen Seite des Vermittelten, dessen also, was wir oben Konstituentien genannt haben, her zweifellos eine zutreffende Beobachtung. Nur in welchem Ausmaß sie 204
zutrifft, bleibt fraglich. Gehen in die neue Legierung beide Elemente vollständig auf oder bleiben Reste übrig? Ist der noch unabgeschlossene Prozeß dieser Vermengung totalisierend, wächst er sich also endlich zu jenem von Adorno behaupteten Verblendungszusammenhang aus? Oder klaffen doch weiterhin Ritzen und Spalten, durch die die Realität wahrnehmen kann, wer sich in seinem Fernsehsessel oder vor der Computertastatur umdreht?
Ein dritter
Raum
Hierzu sind zwei Relativierungen angebracht, die eine evidente Schlußfolgerung sehr nahelegen. Erstens·. Die Räume des Öffentlichen und Privaten bleiben auch unter den angesprochenen Gefährdungen weitgehend intakt. Daß sie umkämpft sind, daß ihre Grenzen laufend verschoben werden, ist nicht neu und nicht überraschend. In Medien ist schließlich Macht inkorporiert, wenn sie im Einzelfall auch nicht immer recht greifbar erscheint. Umkämpft sind die Räume heute von mehr oder weniger machtvollen wirtschaftlichen, politischen oder kulturellen Interessen. Diesen gegenüber haben die Individuen als private und abhängige die geringsten Chancen, Grenzziehungen zu verteidigen oder gar zu ihren Gunsten zu verschieben. Zweitens: Konstituentien sind die Kommunikationen, die die Räume erst ausbilden. Dabei gehen wir von einem weiteren Differenzierungsschub aus. Dafür geben insbesondere das Internet, aber auch einschlägige Unterhaltungsformate des Fernsehens, zu denen wir auch die Nachrichtensendungen der Privatsender zählen, starke empirische Hinweise. Was dabei entsteht, ist nichts Geringeres als ein dritter Raum, der sich über Intimkommunikation ausdifferenziert. Slavoj Zizek (2001) nennt ihn zutreffend in einer paradoxen Formulierung „Raum einer kollektiven Privatsphäre": „Wenn wir unsere intimsten Phantasien im Web teilen, hat das nichts mehr mit altmodischem Exhibitionismus zu tun." Dabei verortet sich dieser Raum auch in der Stadt und auf dem Land, in Swinger-Clubs, ErlebnisUrlaub, auf großen Events und in kleinen Nischen. Den überragenden Eindruck macht dieser dritte Raum gleichwohl in den Medien. Dieser neue Raum ist ein neuer medialer Raum. Einerseits entsteht er in der derzeit offenbar pausenlos anschlußfähigen Kommunikation „kollektiver Privatheit", die zugleich aber auch gesellschaftliche Selbstthematisierung individuell wahrgenommener allgemeiner Problemlagen ist. Deshalb müssen die Artikulationen nicht unbedingt auch verallgemeinerbar sein 205
- ein Irrtumsvorbehalt, der auf Wünschen beruht und der in diesem Raum grundsätzlich herrscht. Wir werden ihn bei etwas näherer Betrachtung dessen, was man heute „virtuellen Raum" oder „Cyberspace" nennt und der ebenfalls zu großen Teilen diesen Raum mitbildet, weiter aufschlüsseln können. Andererseits ist dies der Raum, in dem besonders kulturelle und wirtschaftliche Interessen und Vorstellungen aufeinander stoßen, sich amalgamieren. Sie setzen Transformationen etwa im normativen Bereich in Gang, die in der Privatsphäre keineswegs immer eingeholt werden und in der öffentlichen Sphäre nach wie vor kritisiert werden müssen - und das alles in denselben Medien. Da in allen drei Räumen aufeinander Bezug genommen wird, trägt die Ausdifferenzierung des hier besprochenen dritten Raums zu der von der Systemtheorie hervorgerufenen Selbstreferenz des Mediensystems erheblich bei. (Marcinkowski 1993) Dieses kommunikative Amalgam, in dem medienökonomisch tradierte kulturelle Standards durch Diskursfreigabe (und durch sonst nichts) okkupiert werden, markiert die Raumgrenzen gegenüber den anderen Räumen, die es zudem höchst variabel markiert. Die Kommunikation in diesem Raum ist symbiotisch geprägt von der Präsentation des Banalen, des differenzlos Alltäglichen, auch des alltäglich Intimen und dessen trivialen Bearbeitungen, Mangels an nuancierten Zwischentönen, Varianzarmut und Distanzlosigkeit. (Westerbarkey 1997, 307) Sie vermögen diesen dritten, medialen Raum auszudehnen, solange die Themen und Stoffe außerhalb der eigenen vier Wände geäußert neu und ungewohnt sind. Aufgrund ihrer Stereotypie und nur vorgegaukelten Authentizität kontrahiert dieser Raum aber auch wieder, wenn alle vorgeblichen Lebenshilfen und Tabus brechenden Formate durchgespielt, oft genug kopiert sind und nur noch Langeweile verbreiten. So sahen wir im Sommer 2002 den allmählichen Niedergang der bisher boomenden Daily talks, aus deren Asche das neue Format der Gerichtsshows sich erhob. Gewandelt hat sich dabei aber nur die Präsentationsform, die kommunizierten Inhalte bleiben weitgehend konstant, die Raumkonfigurationen identisch. In einer Epoche so grundlegender kultureller, sozialer und wirtschaftlicher Transformationen wie der unseren schiene es uns verwegen, daran eine Medienkritik im hoch gestimmten Ton des „Untergangs des Abendlandes" zu knüpfen. Allerdings möchten wir auch nicht der Analyse Westerbarkeys (ebd., 310) zustimmen, derzufolge man „eines Tages zur bewährten Rationalität von Diskretion und Takt zurückkehren" werde. Daß die traditionelle bürgerliche Opposition von Privatheit und Offent206
lichkeit wieder konkurrenzlos inthronisiert werde. Das war sie historisch nie oder bestenfalls als temporär gültiger Machtentscheid in Grenzfehden. Auch gibt es keine hierarchisch strukturierte bürgerliche Gesellschaft mehr, die dieses Modell zur Voraussetzung hatte. Und selbst da war in dem Boom der Leihbibliotheken und der „Flucht in den Roman" im späten 19. Jahrhundert (Wehler 1995, 1234 ff.) ein verstärktes, offenbar schon damals nur medial adressierbares Bedürfnis nach Intimität zu beobachten. Weshalb man aus all dem doch nur den einen Schluß ziehen kann: daß dieses Bedürfnis durch die Organisationsformen und Regelungsweisen der Kultur der Moderne nicht befriedigt werden kann; und daß es sich im Zuge der Medienevolution immer neue expressive Räume sucht. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde das Phänomen in kulturkonservativen Kreisen in der Temperaturmetaphorik als „Kälte" der Moderne diskutiert, gegen die eine neu-alte „Wärme" eingeklagt wurde. (Lethen 1987) Schließlich: Der einmal ausdifferenzierte Raum kollektiver Privatheit wird nicht einfach wieder evolutionär kassiert. Dafür hat er sich als Raum kommunikativer Vereinfachung einer überkomplexen Realitätswahrnehmung viel zu gut bewährt. Vor dem Hintergrund unserer Überlegungen zur Ort-Raum-Differenz ist die Ausbildung eines dritten Raums kollektiver Privatheit dann womöglich die lebensweltliche Konstruktion, in der die in der Ort-Raum-Differenz aufgespannte Komplexität der eigenen Lebensführung für die Subjekte verarbeitbar bleibt. Große Teile des öffentlichen Raums werden dann im Medium imaginär oder virtuell zum Ort einer kollektiv konsentierten Medium-Empfänger-Beziehung transformiert. Nach dem Schema Para-social interaction (Horton, Wohl 1956; Levy 1979) ereignen sie sich als imaginierte persönliche (bis intime) Beziehungen zwischen den Akteuren vor dem Bildschirm oder im virtuellen Raum des Internet. Gerade der Cyberspace wird hier künftig noch verstärkt an Bedeutung gewinnen, wenn wir Marshall McLuhans Satz ernst nehmen, daß der Inhalt des neuen Mediums das alte ist. Diese unfertige Verallgemeinerung besitzt einen rationellen Kern: Ein Medium mendelt im Laufe der Zeit die Formen aus, die seine Grenzen markieren und diese schließlich sprengen. Dies ist mit der „kollektiven Privatheit" der Fall. Sie findet ihre vorläufig endgültige Repräsentanz in dem thematisch fragmentierten Cyberspace, in dem sie die spezifische und zugleich maßgeschneidert eingeschränkte Kollektivität gewinnt, die jede Aussage als „besondere Allgemeinheit" erkennen läßt und sie doch auf thematisch jeweils sehr enge Interessen festlegt. 207
Idealisierungen Seit der ersten industriellen Revolution im 18. Jahrhundert werden neue großtechnische Systeme in ihrer Start- und Implementationsphase noch stets mit utopischen Hoffnungen und nicht gedeckten Glücksversprechen begrüßt. Einerseits speisen sie eine positive Stimmung, eine freudige Erwartungshaltung. Andererseits frischen sie die Fortschrittsideologie, das gemeinsame Kind von Kapitalismus und abendländischer Wissenschaft, immer wieder auf und bewahren ihr somit das Leben, das sie angesichts der vielen Enttäuschungen, die der Euphorie vor allem im 20. Jahrhundert folgten, anders womöglich längst verloren hätte.82 Wie sollte es sich mit dem Cyberspace, dem in seiner nahezu globalen Netzinfrastruktur bisher umfassendsten technischen System überhaupt, anders verhalten? Wir wollen diese Utopismen, die sich der Kontingenz zukünftiger Entwicklungsmöglichkeiten der Technologie bemächtigen und sie mit positiven Bildern besetzen, hier Idealisierungen nennen. Die erste Geschichte, die die medialen Formen uns erzählen, sind sie selbst, sind die Referenzen auf die ungeahnten Möglichkeiten, die sie uns künftig bieten werden. Das ist nicht neu: Wir beobachten diesen Zusammenhang von Medienformen und heilsbringenden Selbstthematisierungen bereits während der ganzen Geschichte der Publikationsmedien, seit Erfindung der Zeitung im 17. Jahrhundert. Im Falle des Cyberspace können wir wenigstens zwei Idealisierungen analytisch unterscheiden, auch wenn sie in den Argumenten ihrer Verfechter meistens zusammenspielen: der Cyberspace als Problemloser und Heilsbringer und der Cyberspace als Gemeinschaftsbildner.
Der Cyberspace als Problemloser
und
Heilsbringer
Hierbei handelt es sich um die Standardversion technikorientierter Idealisierungen nach dem Schema: die Welt ist zutiefst verderbt und steckt voller Probleme. Mit der neuen Technologie haben wir ein Mittel an der Hand, sie alle auf einen Streich zu lösen. Dieses posttheologische Schema, das ja die christliche Erlösungsgeschichte im Laufe der jahrhundertelangen Säkularisierung seit dem Hochmittelalter besetzt hatte, ist altbekannt. Im 19. Jahrhundert war es die Eisenbahn, die aufgrund ihrer die Völker verbindenden Grenzüberschreitungen einer friedlosen, in territorialen Auseinandersetzungen zerfallenen Welt den endgültigen und dauerhaften 208
Frieden bringen sollte. In einer Grußadresse an die Weltausstellung von 1867, auf der die neuen Kommunikationstechniken Eisenbahn, Dampfschiff und Telegraph groß exponiert wurden, forderte Victor Hugo Frankreich sogar auf, sich als Nation aufzulösen und mit der ganzen Menschheit eins zu werden. (Schivelbusch 1977, 171) Und Theophile Gautier hat bekanntlich die Bahnhöfe als „Kathedralen der neuen Humanität" gefeiert, in denen sich die ganze Welt friedlich begegnen würde. Allerdings unterscheiden sich die Idealisierungen der Virtual Reality gründlich von ihren historischen Vorgängern. Lösten jene jeweils ein Grundproblem der Menschheit, so ist diese geeignet, uns von allen Begrenzungen und Frustrationen dieser unvollkommenen Welt auf einen Schlag zu befreien. Die Outopia wird zur Eutopia, Virtual Reality zur Hoffnung des 21. Jahrhunderts, die uns „Blicke in den Himmel gewährt". (Sherman, Judkins 1992,134) Genau besehen jedoch zeigen die hoffnungsvollen Projektionen in virtuelle Räume nur, welche Probleme die westlichen Gesellschaften mit sich selbst und ihren realen Umwelten haben. Wir wollen nur drei der am häufigsten diskutierten Beispiele herausgreifen. Den utopischen Vorstellungen des Cyberspace mit der in ihm ausgebildeten virtuellen Realität liegt ein relativ einfaches, jedoch gerade deswegen die Phantasie entzündendes Argument zugrunde: die mediale Revolution schaffe tatsächlich eine neue und andere, alternative Realität. Mit ihr soll es möglich werden, unsere präsente Welt mit ihren Widrigkeiten zu verlassen und in diese bessere Region zu emigrieren. Das anschaulichste Beispiel seien die Städte mit ihren schier unlösbaren Problemen von Dreck, Kriminalität, Bettlern und Obdachlosen, Verkehrslärm, Verstopfung und Gestank, urbaner Fragmentierung, ethnischen Konflikten und neu sich erhebendem Nationalismus, Neofaschismus, Rassismus. Insbesondere bei einigen Architekturtheoretikern schlägt beim Thema Stadt eine Stimmung durch, die von tiefem Haß geprägt erscheint (Pawley 1996) und sie in den Cyberspace geradezu flüchten läßt. Insofern ist es schlüssig, wenn Florian Rötzer vor einigen Jahren die Elemente seiner (und anderer) Utopie von „Telepolis" in einem noch immer viel zitierten Buch zusammengetragen hat. Gegen das Elend helfe nur eines: „Mit einer bis zum Letzten gehenden Entschlossenheit wird die Vernetzung gegenwärtig in jeder Spielart vorangetrieben. Dabei sein ist alles. Wer nicht angeschlossen ist, ist schon verloren, vergessen, abgehängt, versinkt in die ausgegrenzten Bereiche der Informationsgesellschaft, die bestenfalls noch den Charakter von Reservaten besitzen, während sich das Leben auf den Autobahnen, Plätzen und Städten des allmählich kolonialisierten virtuellen Raums abspielt." (Röt209
zer 1995, 43) Die Alternative ist frei gewählt, die Menschheit ist zu ihr verurteilt. Nun ist Rötzer zwar ein Apologet, aber einer, der den Blick für die Realität nicht verloren hat. Und die liegen bei der Immersion in die virtuelle Alternative zunächst immer noch in der prekären Doppelexistenz von präsentem Körper und telepräsentem Geist. Deshalb muß die Utopie aufgesteckt werden: „Der künftige Bewohner von Telepolis ist ein Cyborg." (Ebd., 45) Bekannte Robotik-Experten wie Luc Steels und Hans Moravec, die an Evolutionsmodellen arbeiten, die zum Verdampfen der elenden meatware des Körpers führen sollen, stehen Pate für den Gedanken, daß auch dieses Problem noch gelöst werden könne. Der in der Virtualitätsdiskussion zentrale Begriff der Immersion wird dann irgendwann zur umfassenden Kategorie menschlicher absentia in der realen Welt. Nur die postkreatürlichen Extropisten gehen in ihren Visionen weiter. (More 2001) Die digitalen Städte entpuppen sich als MUD-Varianten. Räumlich und sozial sind sie äußerst konservativ, nahezu wie Kleinstädte des amerikanischen Mittelwestens aufgebaut, in denen man spazieren gehen, im Kaffeehaus plaudern und auf dem Postamt Briefe abgeben kann - eine nette, überschaubare Gemeinschaft, in der jeder jeden kennt. Doch auf den Hype der späten neunziger Jahre folgte die Enttäuschung. Die meisten digitalen Städte schließen. (Castells 2001,43) Nur die Community-networks in den USA scheinen sich zu halten. Aber das liegt daran, daß sie auf einer ohnehin in den USA traditionell starken community-Bewegung als Grundlage der lokalen Demokratie aufruhen. Mindestens diese Idealisierung wird also zunehmend ausgenüchtert. Aber die stadtförmig angelegten MUDs thematisieren auch einen anderen, vor allem in Soziologie und Kommunikationswissenschaft viel diskutierten idealisierenden Aspekt: Identität und Gemeinschaftsbildung. Die Identität einer Person hat in der jüngsten Phase der Moderne einen problematischen Status gewonnen. Nach der Dekonstruktion der cartesianischen Anthropologie und des kantischen transzendentalen Subjekts gilt sie als fragmentarisch, fluide, optional, als zeitweilige Eigenschaftszuschreibung oder systemtheoretisch einfach als Adresse. (Fuchs 1997) Sie wird allmählich aufgelöst und den Individuen als Bastelaufgabe dauerhafter Neukonfiguration selbst gewählter Elemente zurücküberwiesen. Denn Identität ist eine Konstruktion und kann und muß je nach wechselnden Bedingungen stets neu konstruiert werden. Aber der ontologische Zweifel am Status der eigenen Person ist manchem auch ungemütlich. Denn der Verlust von Kohärenz und Stabilität in der Identität ist zwangsläufig mit 210
einem subjektiven Verlust an Realitätskontrolle verbunden, weil die wechselnden Realitäten die Vorgaben für neue Konfigurationen von Identität bereitstellten. An dieser Stelle kommt der Cyberspace ins Spiel. In ihm gibt es nämlich keine Personen, sondern nur Personae im lateinischen Wortsinn der Theatermaske. Weil man von seinem Körper befreit ist, weil einen im schlichten, alltäglichen Sinn niemand „sehen" kann, lassen sich die Dekompositionszwänge der Identität, die die Realität den Körperwesen angeblich aufherrscht, in einem dialektischen Salto mortale überspringen, indem man sie jetzt in lustvollem Experiment mit unterschiedlichen Identitäten freiwillig durchspielt. (Sherry Turkle 1998) Man kann zwar nicht die Realität kontrollieren, wohl aber selbst eingesetzte Identitäten. Es ist in der Tat nach der Forschungslage nicht so, daß die diversen experimentellen Identitäten im Chat, im M N D und in Digital City als Ich-Fragmente und als plurales Ich erlebt werden, sondern als jeweils handlungsfähige, kohärente Ich-Identitäten, da sie in jeweils spezifischen Kommunikationssituationen konstituiert werden. Da es sich dabei zugleich um öffentliche Selbstpräsentationen handelt, stützten die für die Individuen ja durchaus im Cyberspace realen Identitätsentwürfe weniger eine traditionell-moralische als eher eine ästhetische Handlungsrationalität, die sie weiter ausformen. Das schafft Befriedigung und möglicherweise im Einzelfall sogar Omnipotenzgefühle. Das Identitätsspiel ist also eine große Verführung und insofern bevorzugter Gegenstand von Cyberidealisierungen. Ich-Identität hat auch eine soziale Seite. Wir hören allenthalben, daß es um sie fast noch schlechter bestellt sei als um die individuelle Identität selber. Die sozialen Beziehungen brechen zusammen, werden zumindest immer instabiler und kurzfristiger, anonymer, die gesellschaftliche Integration ist gefährdet. Das Heil wird auch hier vom virtuellen Raum erwartet. Er gilt nicht nur als Raum grenzenloser Freiheit der Identitätsbildungen, sondern auf eben dieser Grundlage auch als Raum unbegrenzter Gemeinschaftsbildung. Das ist zunächst von schlagender Evidenz, denn informatisch gesehen ist die virtuelle Realität dieses Raums nur Software, Realität in einem anderen semiotischen Zustand. (Nake 1999) Der Raum als solcher ist abstrakt und referenzlos. Als Raum wird er erst konstituiert durch Kommunikation. Und schon im Leben in der materiellen Welt gilt Kommunikation im Zusammenwirken mit anderen Faktoren als gemeinschaftsbildend. Wie viel mehr dann im Cyberspace, in dem es außer den schriftlichen oder ikonischen Zeichenspuren der Kommunikation teleprä211
senter Interaktionspartner nichts gibt. Den virtuellen Raum gibt es nicht ohne Kommunikation, er besteht aus nichts als miteinander vernetzten, toten Räumen. Und ohne Kommunikation gibt es keine Gemeinschaft. Daraus wird bei hinreichendem idealistischen Uberschwang oder technopropagandistischer Uberzeugungskraft leicht, wenn auch logisch defekt, eine transitive Beziehung zwischen virtuellem Raum und Gemeinschaft.
Der Cyberspace als
Heilsbringer
Michael Benedikt hat 1991 mit „Cyberspace: First Steps" eine sehr erfolgreiche, vor allem ideologiebildnerisch sehr erfolgreiche Essaysammlung herausgegeben, die sich mit diesem Thema beschäftigt. Darin schlägt er einen sehr hochgestimmten, utopischen Ton an, wenn er den Cyberspace als Verwirklichung des himmlischen Jerusalem (Heavenly City) bezeichnet. Es steht „für eine Welt aufgeklärter menschlicher Interaktion, Form und Information" (ebd., 15) und ist eine „religiöse Vision des Cyberspace". (Ebd., 16) Dieser utopische Ton verstummt bis heute nicht. Margaret Wertheim (2000, 12 f.) erklärt ihn mit stark ausgeprägten transzendenten, in Teilen chiliastischen Dispositionen in der amerikanischen Gesellschaft. In dieser heilsbringenden Idealisierung steckt mehr als nur die Negation der Negation der Welt. Sie ist der ideologische Kernbereich aller CyberIdeologie: „Die Verheißung der utopischen Gemeinschaft ist tatsächlich einer der Hauptreize des Cyberspace." (Ebd., 313) Religiös unterfütterter Utopismus verbindet sich mit dem Leiden an Isolation, Einsamkeit und Entfremdung infolge gesellschaftlicher Transformationen und familiärer Zusammenbrüche. Virtuelle Realität und Cyberspace sind denn auch nach Ansicht des Fachjournalisten Avital Ronell Ausdruck „eines Wunsches, dessen Hauptcharakteristikum man als Mangel an Gemeinschaft sehen kann". (Zit. nach Wertheim, ebd.) Am deutlichsten hat das Howard Rheingold in seinem einflußreichen, in viele Sprachen übersetzten Buch The Virtual Community formuliert. Die Entwicklung von CMC werde vorangetrieben zu einem „Hunger nach Gemeinschaft" (Rheingold 1994, 6) in einer entfremdeten Welt zerstörten demokratischen und Gemeinschaftslebens. Der Hunger steige in dem Maße, in dem mehr und mehr informelle öffentliche Räume des Austausche und der Konvivialität verloren gehen. Rheingolds Hoffnung und sein tiefes Vertrauen beruhen darauf, daß die virtuellen Technologien diese Entwicklungen stoppen, sogar insofern 212
umdrehen können, als der Cyberspace zu dem informellen öffentlichen Platz wird, auf dem die Menschen ihre Gemeinschaft wiedererrichten können. (Ebd., 25 f.) Diese soziale Revitalisierung überbietet das altherkömmliche öffentlich-kommunikative Stadtleben sogar noch insofern, als sich Gemeinschaften nach Interesse und thematischer Affinität und nicht nach der Zufälligkeit der Örtlichkeit bilden. So wird durch Konvivialität und verbessertes gegenseitiges Verständnis die öffentliche Sphäre erneuert und überdies durch die „elektronische Agora" die „bürgerbasische Demokratie" revitalisiert werden. (Ebd., 14) Nun verhält es sich allerdings überwiegend so, daß die Kommunikation der elektronischen Agora nur nach thematischen Interessen und Affinitäten aufgesplittert ist. Und deshalb kann sich auch kein allgemeiner demokratischer Diskurs bilden, in dem die Legitimitätsgeltung heterogener und disparater Interessen ermittelt wird. Da gilt uneingeschränkt die von Politik- und Kommunikationswissenschaft gegenüber den traditionellen Medien geäußerte Kritik, daß sie in Zielgruppensegmente zerfielen und eine allgemeine politische Öffentlichkeit nicht herstellen könnten. Verstärkt trifft das sogar auf die Netzkommunikation zu. Uberhaupt kann der Cyberspace nur eine Menge von überdies noch intern ausdifferenzierten Teilöffentlichkeiten neben denen der anderen Medien sein. Denn er bleibt über seine materielle Basis aus Kabeln, Satelliten und Computern an die Welt rückgebunden, die ihn stets übergreift. Werden alle Computer abgeschafft, dann bleibt die Welt bestehen: Das Fernsehen läuft weiter, das Radio tönt und die Druckerpressen laufen und laufen. Auch wenn Claus Leggewie meint, die Demokratie befinde sich „auf der Kriechspur der Datenautobahn" (Hanfeld 1997), wird man sagen können, daß die politische Kommunikation im Cyberspace nicht anders, vielmehr mit denselben Problemen belastet sein wird wie in der realen Welt. Sie ist der Spiegel und nicht das ganz Andere der Welt. Der Grundirrtum der Cyberspace-Idealisierungen liegt in der Annahme, Gemeinschaft, demokratische Politik und ihre Öffentlichkeit seien ein technisches Problem, das infolgedessen durch Technik lösbar sei: Es sind aber kulturelle und gesellschaftliche Probleme und nur in dem Zusammenhang lösbar - oder auch nicht, dann ist Durchwursteln immer noch eine ehrenwerte Alternative, auf die sich die Menschheit seit Jahrtausenden versteht.
213
Der Cyberspace als
Gemeinschaftsbildner
Trotz der aus der totalen Opposition zur Realität scheinbaren Radikalität ist das vorgestellte ganz Andere der Cyber-Community, die „Familie unsichtbarer Freunde", die „Gemeinsamkeit der Interessen", das „geteilte Bewußtsein", die Erfahrung eines „Gruppendenkens" (groupmind), überraschenderweise zutiefst konservativ, antiliberal und nostalgisch. Wobei selbst der offensichtliche Rückgriff auf vormoderne Lebensformen im Gemeinschaftsbegriff irreal zudem und historisch falsch ist. Denn in den dichotomisch angelegten Typologien der soziologischen Klassiker - sei es Tönnies' Gemeinschaft vs. Gesellschaft oder Dürkheims „mechanische Solidarität" vs. „organische Solidarität" - war immer eine auf einem bestimmten Arbeitsteilungs- und Ressourcenniveau erzwungene Vergemeinschaftung mit einem hohen Maß an sozialer Kontrolle verbunden. Ganz offensichtlich kollidiert der Gemeinschaftsbegriff mit der Komplexität moderner Gesellschaften. Deren räumliche und zeitliche Transformationen hat Anthony Giddens mit der Raummetaphorik von „Entbettung" und „Rückbettung" zu beschreiben versucht. Was Kevin Robins (1996, 149) deshalb sehr treffend mit einem Begriff von Iris Young als „Rousseauschen Traum" einer völlig transparenten Gesellschaft bezeichnet hat, in der das Gemeinschaftsideal die Sehnsucht nach Harmonie, Konsens und gegenseitigem Verstehen ausdrückt. Die Gemeinschaftsutopie des Cyberspace liegt demnach nicht vor uns, sondern hinter unserem Rücken in den Träumen der Vergangenheit, wie sie schon die Französische Revolution vergeblich motiviert hatten. Ganzheit der Gemeinschaft war und ist nicht ästhetisch und auch nicht elektronisch zu implantieren, wenn diese Gemeinschaft real zerrissen ist durch die Auswirkungen des global agierenden Kapitalismus, die Veränderungen der Arbeitswelt, die Folgen des modernen Individualismus und nicht zuletzt durch die neuen Technologien selbst, die vielen der Veränderungsprozesse zugrunde liegen. Sie war in der Moderne noch nie zu implantieren, wie nicht zuletzt der „Erfolg" der Faschismen gezeigt hat. Denn genau gegen diese Enge, diese „Borniertheit" hat sich die Moderne durchgesetzt. Wie auch immer wir im einzelnen die Ergebnisse dieser Durchsetzungen beurteilen und bewerten mögen: Der konfliktreiche Realprozeß gesellschaftlicher und kultureller Transformationen ist am besten in den großen Städten zu beobachten. Hier erleben wir schubweise unter den Schlägen der Investorenlogik, der Entkommunalisierung, das städtische Leben traditionell mitbestimmender Dienstleistungen, der öffentlichen 214
Wohnungsbaumisere, der Deindustrialisierung die lokale Entbettung tradierter Solidaritäten und gemeinschaftlicher Lebensformen. Gleichzeitig erleben wir aber auch die Rückbettungsversuche von Zusammengehörigkeitsgefühl und Bürgerbewußtsein. Ein Kampf, solange die moderne Stadt seit dem 19. Jahrhundert existiert, über den nie das letzte Wort gesprochen sein wird. Gerade kulturelle Zusammenschlüsse und Konfrontationen kennzeichnen städtische Erfahrungen in der Gegenwart, und vor ihrer wachsenden Bedeutung kann man nicht in den Cyberspace fliehen. Das geht schon darum nicht, weil sich hier empirisch auf den ersten Blick ein teilweise nicht unähnliches Bild bietet; wobei man den Fehler vermeiden sollte, Beziehungen im Cyberspace mit realweltlichen face-to-face Beziehungen direkt zu vergleichen. Der Cyberspace ist ein Raum, in dem ein Wechsel von direkten, personalen und ortsgebundenen Kontakten zu mittelbaren und künstlichen Kontakten erfolgt, die üblicherweise - aber keineswegs treffend - virtuell heißen. Die Qualitäten ändern sich, sie sind unvergleichbar.
Gemeinschaft Gemeinschaft wird traditionell als ein lokal begrenztes soziales Gefüge enger, normativ strukturierter persönlicher Beziehungen mit hohem Vergesellschaftungsgrad verstanden. Genau das übt in einer Gesellschaft mit hohen funktional spezifizierten Verhaltensanmutungen und entsprechend ausgedünnten Gefühlslagen große Attraktivität aus. Craig Calhoun 83 unterscheidet zwischen direkten und indirekten Beziehungen und verweist damit auch auf die Raumdimension für Sozialorganisation. Die Moderne ist durch die Expansion indirekter Beziehungen gekennzeichnet, was komplexe technische Infrastrukturen für Verkehr und Kommunikation voraussetzt, um räumliche und soziale Distanzen überwinden zu können. Anders sind indirekte Beziehungen nicht aufrechtzuerhalten. Soziale Ordnung ist also einerseits technikabhängig. Andererseits ersetzen die technisch vermittelten indirekten Beziehungen nicht die direkten, sie transformieren sie vielmehr in Rang und Reichweite. Gemeinschaft ist dann in Begriffen sozialer Beziehungen zu beschreiben. Das positive Gefühl der Zusammengehörigkeit, das mit dem Gemeinschaftsbegriff in so attraktiver Weise assoziiert wird, hat eine strukturelle Basis von Beziehungen, auf die sich ein operabler Gemeinschaftsbegriff beziehen muß. 215
Bettina Heintz (2000, 189, 199) begreift auf der Grundlage dieser Überlegungen „Gemeinschaft als ein Kontinuum, das von lockeren Netzwerken bis zu gruppenförmig organisierten Beziehungen reicht". Gefühlsmäßige Konnotationen sind dann die Interpretationen der Teilnehmer von Beziehungswerken, mit denen sie ihre eigenen Beziehungen bewerten und deuten. Der Begriff ist auf realweltliche wie virtuelle Beziehungsgefüge anzuwenden. Demgegenüber fällt der emphatische Gemeinschaftsbegriff der Paradoxie anheim, für nahe persönliche Bezüge formuliert zu sein, die es im Netz unter Unbekannten gar nicht geben kann, wo sie ideologisch aber gerade als Rettung für die realweltlichen Beziehungen verankert sein sollen. Betrachtet man die empirischen Ergebnisse von Heintz, so zeigt sich, daß das N e t z eine erstklassige Option ist, Beziehungsfelder über den unmittelbaren geographischen Einzugsbereich hinaus zu erweitern. Allerdings sind die Beziehungen seltener multiple, sondern bilateral und von schwacher Bindungskraft. Sie können aber auch starke Bindungen aufgrund persönlicher Beziehungen sehr wohl fortsetzen und sogar vertiefen. Vielleicht kann man so weit gehen zu sagen, daß sich realweltliche und virtuelle Interaktionen und Beziehungen wechselseitig bedingen und verstärken. Es zeigt sich allerdings, daß sehr viel häufiger als reine Online- vs. OfflineBeziehungen bei starken Netznutzern beides gleich verteilt stattfindet (etwa 25:75 Prozent). Bettina Heintz zieht daraus zwei nachvollziehbare Schlüsse: Online-Beziehungen ersetzen realweltliche Beziehungen nicht sondern ergänzen sie. Und: Sie sind mit realweltlichen Gruppen, deren Kohärenz sie nicht haben, nicht zu vergleichen. Sie begründen möglicherweise gerade in ihrer Innen-Außen-Verwobenheit von Real- und Cyberwelt „eine eigene Sozialform". (Ebd., 212) Dieser Unterschied zwischen Exklusions- und Inklusionsbereich der Kommunikations-Beziehungen ist gravierend. Er deckt sich mit den Beobachtungen zur Effektivität und Globalisierung netzgestützter Arbeitsbeziehungen. Vor diesem Hintergrund nehmen sich die Beziehungsnetzwerke, „die die Individuen in ihrer Freizeit knüpfen [...] geradezu idyllisch aus" (ebd, 213), ohne indessen Gemeinschaft im klassischen Sinne zu sein. Allerdings enthält die Idylle auch viel Realweltliches. In einer Untersuchung von zwölf deutschsprachigen Chat-Channels berichten Nicola Döring und Alexander Schestag (2000) von einem Teilnehmer, der sich in einen Channel eingeloggt hatte und aus undurchsichtigen Gründen .gekickt' worden war. Auf seine hilflose Anfrage erhielt er vom Operator die Antwort: „Zu jeder Regel gibt es die Ausnahme. I R C ist kein Recht. 216
IRC ist eine Ansammlung von Nettigkeiten, die man zur Verfügung stellt und die man dir auch kommentarlos wieder wegnehmen kann." Realweltlich könnte ein solcher Zynismus in einer „Gemeinschaft", nicht einmal in einer lockeren Gesprächsrunde, ohne lange Legitimationsversuche vorkommen. So zieht denn auch Elisabeth Reich (1999), die eine ganze Reihe Internet-Beziehungen durchgeführt hat, aus einer Arbeit zweier Vergleiche von Spiel-MUDs und Sozial-MUDs die provokante Schlußfolgerung, daß die Betonung von öffentlicher Bestrafung, Demütigung (humiliation) und Ostrazismus (Scherbengericht) eine Rückkehr zum Mittelalter in Begriffen einer Technologie des Strafens markiert: der Körper der User - schon die Terminologie spricht den Gemeinschaftsidealisierungen Hohn - , sei er auch virtuell, ist Gegenstand (Ort) des Strafens, vor allem in Adventure-MUDs. Mag diese Interpretation auch etwas überpointieren: Es finden sich jede Menge altbekannter Muster des Machtkampfes und des Wegbeißens. Das Internet ist das bisher weltweit umfassendste, soziotechnische System. Der logische Fehler der Gemeinschaftsidealisierung liegt darin, daß mit ihr das Netz als rein technisches System begriffen wird. Soziotechnische Systeme realisieren sich jedoch nicht auf der Grundlage von technischen Erfindervorgaben (Dröge, Kopper 1991), das zeigen schon klassische Medien wie Hörfunk oder Telefon. Sie definieren sich erst allmählich im Prozeß ihrer Nutzung. So kann Castells (2001,42) schreiben, daß das Internet ein Werkzeug sei, „das die Verhaltensweisen weiterentwickelt, jedoch nicht verändert. Die Verhaltensweisen eignen sich vielmehr das Internet an; ausgehend von dem, was sie sind, verstärken und potenzieren sie sich". Aber der Interaktionskult und das face-to-face-Ideal der Gemeinschaftsidealisierung ist nicht allein eine Reaktion auf die Erfahrung der zerstörerischen Auswirkungen der kapitalistischen Modernisierung mit ihren Entfremdungseffekten. Es handelt sich auch um eine autoreferentielle Erscheinung im Mediensystem selber, um systeminterne Irritationen auf die eigenen Operationen. Lange bevor C M C ein Thema wurde, hat Michael Schudson beobachtet, daß das face-to-face-Ideal mindestens teilweise eine Folge der Massenmedien ist. Zunächst hätten die Massenmedien dazu beigetragen, ein „egalitäres" Kriterium für die ideale Kommunikation prominent zu machen. Ein zweiter Effekt der Massenmedien habe darin bestanden, „das Ideal der Konversation häufiger in den Vordergrund zu stellen". (Schudson 1978, 326) Im Mediensystem bilden sich immer wieder Reaktionsformen auf dessen eigene Effekte. Seit der Kritik der Zeitungsleser im siebzehnten und acht217
zehnten Jahrhundert ist das zu beobachten, es wird vor dem Cyberspace nicht Halt machen. Noch in den zwanziger Jahren gab es in der deutschen Presse eine sehr starke Pressekritik, die eine durchaus zivilisierende Wirkung hatte und journalistische Standards im Gespräch hielt. Solche Reaktionsbildungen kennen wir auch von anderen Systemen. Das Gesprächsideal externalisiert allerdings mediale Systemprobleme. Dabei wird übersehen, daß die Massenmedien in der Moderne mit der Einrichtung des Pressewesens - in Deutschland etwa 1609, Nachweis der ersten Wochenzeitungen in Straßburg und Wolfenbüttel - auch eine evolutionäre Errungenschaft mindestens für einige Lektoren sind. Die zeitliche und räumliche Trennung von Aussageproduktion und -rezeption bringt ja auch eine Entlastung von unmittelbaren Reaktionszwängen. Nicht wenige wollen den Tag entlastet von Kommunikationszwängen beginnen und dennoch kommunizieren. Auch diese ziemlich verallgemeinerbare Haltung dürfte einer der Gründe dafür sein, weshalb Chatgruppen zeitlich relativ instabil sind und teilweise hohe Fluktuationsraten aufweisen. Realzeitliche Interaktion ist eben Freude und Zwang gleichzeitig, im wirklichen Leben wie im Cyberspace.
Cyberspace als Raum „Die meisten Schwierigkeiten", notiert der französisch-amerikanische Wissenschafts- und Techniksoziologe Bruno Latour (1987, 228), „die wir dabei haben, Wissenschaft und Technologie zu verstehen, rühren von unserem Glauben, daß Raum und Zeit unabhängig und als ein unerschütterlicher Bezugsrahmen [frame of reference] existieren, innerhalb dessen Ereignisse passieren und Orte sich bilden. Dieser Glaube macht es unmöglich zu verstehen, wie verschiedene Räume und verschiedene Zeiten innerhalb der Netzwerke produziert werden, die gebildet werden, um die Welt zu mobilisieren, zu kumulieren und immer wieder neu zu kombinieren." Hier finden wir das von Jameson (1994, 8 f.) beklagte Problem begründet, daß wir neue Raummodelle nicht oder nur sehr langsam begreifen können. Die Vorstellung des euklidischen Raums und einer linearen, chronometrisch meßbaren Zeit - beide liegen dem Weltverständnis des modernen Menschen zugrunde - machen es uns schwer, technologische Entwicklungen und deren Wirkungen auf unser Leben adäquat zu begreifen. Dies zumal dann, wenn sie, wie die Infrastrukturen der angeblich ortlose Räume erschaffenden Telekommunikation, funktional unerklärlich als enigmati218
sehe Diekrüßler ihre Antennen in den Himmel recken oder unsichtbar als endloses Gewimmel im Boden, still unerkannt vergessen ruhen. (Graham, Marvin 1996, 50) Das Kernproblem der neuesten Medienentwicklungen, das mit dem Schlagwort Cyberspace immer wieder angesprochen wird, ist das Verhältnis von realem und virtuellem Raum, von dem euklidischen Gewißheitscontainer unserer Alltagswelt und dem unbekannten, ungemessenen und anscheinend unermeßlichen Irgendwie- und Irgendwo-Raum der unsichtbaren Netze. Uralte Kategorien des Identifizierens und des Verweisens werden fragwürdig: Wenn man sich dem Cyberspace anvertraut und eine Telepräsenz für sich annimmt, ist man zugleich hier und dort. Hier ist man präsent, dort telepräsent repräsentiert - etwa durch einen virtueller Doppelgänger im Cyberspace, den Avatar. Nur kann man mit Philipp Queau fragen, was genau ist wo? „Indem das Virtuelle die traditionelle Trennung zwischen Repräsentation und Präsenz aufhebt, verwischt es die Grenzen zwischen verschiedenen Arten von Orten'. Welches ist der wirkliche Ort unserer Präsenz in der Welt, wenn man sich in einer solchen Situation der Telepräsenz befindet? Ist er dort, wo man handelt? Dort, wo man denkt? [...] Die Repräsentation wird traditionell Gegensatz der Präsenz. Aber was soll man von Repräsentationen sagen, die verkleinerte und folglich perfekt wirksame Formen der Präsenz sind?" (Queau 1996,293) Meyrowitz Joshua Meyrowitz (1987) ist unseres Wissens der erste (von überhaupt sehr wenigen) Kommunikationswissenschaftlern, die den Raum {place) zu einem Kernbegriff gemacht haben. Was aus unserer Perspektive ziemlich merkwürdig anmutet, weil jedes Kommunikationsmedium, ganz unabhängig von seinen Inhalten, raumkonstituierende Defekte hat. Meyrowitz' gründliches und einflußreiches Buch trägt im Original den bezeichnenden Titel No Sense of Place. Wie kommt der Autor aber dazu, die Raum-Dimension des Mediums (und nicht etwa die Inhalte), die in der Kommunikationswissenschaft bis dahin keine Rolle gespielt hat, ins Zentrum seiner Betrachtung zu stellen? Er hat den Interaktionismus von Erving Goffman und, wie er es nennt, die „Medium-Theorie" von Herbert Marshall McLuhan über den Raumbegriff als ihren größten gemeinsamen Nenner miteinander in Beziehung gesetzt. Es ist gewiß nicht ganz einfach, beide zusammenzubringen, han219
delt es sich doch einmal um das relativ starre, auf situative und strukturelle Anpassungen zielende System interaktiver Selbstinszenierungen im Alltagsleben, das Goffman immer wieder beschrieben hat (1961, 1967), und zum andern um das „sensorische Gleichgewicht". McLuhan (1968) zufolge stellt es sich durch Technik allgemein als Organ- und durch elektronische Medientechniken speziell als Nervenverlängerungen der Menschen ein und gewinnt eine hohe Dynamik dadurch, daß es mit jedem neuen Medium neu justiert werden muß. Meyrowitz (ebd., 15) sieht beider gemeinsamen Nenner in der Struktur sozialer Situationen. Die elektronischen Medien für Meyrowitz das Fernsehen, mehr aber noch die modernen Netzmedien - bewirken danach als Medien und nicht einfach als Inhaltstransporteure „eine klare Umstrukturierung der sozialen Bühnen, auf denen wir unsere Rollen spielen". Den Wirkungsprozeß der elektronischen Medien - man kann sagen, vom Telegraphen und Telefon über Radio und Fernsehen bis zum Internet - führt Meyrowitz auf laufende Veränderungen von Raumstrukturierungen zurück. Sein Grundgedanke, und hier folgt er im Prinzip Goffman, ist der, daß viele traditionelle Unterschiede zwischen Menschen, wie auch soziale Zuschreibungen, etwa Geschlechterrollen, Autoritäten oder Altersspezifika, aufrecht erhalten werden, indem sie sich in unterschiedlichen, identitätsstiftenden Erfahrungswelten, die an verschiedenen Orten existieren, aktualisieren. (Ebd., 59 ff.) Von den vorelektronischen Medien, Buch und Zeitschrift, die spezielle Kompetenzen erfordern, sind diese Unterschiede immer wieder als kulturelle Muster reproduziert und verallgemeinert worden. 8 4 Meyrowitz handelt das in Goffmanns Bühnenmetaphorik ab. Die elektronischen Medien ordnen danach die Verhältnisse zwischen Bühnenvordergrund und -hintergrund und zu den jeweiligen Zuschauern sozialer Inszenierungen von Individuen und Gruppen auf der Bühne neu. Solche Neuarrangements von Personenordnungen und Wahrnehmungsperspektiven in sozialen Räumen (seien diese auch medial konstituiert) ändern nach Goffman und Meyrowitz das Sozialverhalten der Menschen. Für Goffman, der nur Präsenzsituationen untersucht, erzwingen sie Neuanpassungen zur Wiederherstellung stabiler Beziehungsmuster, die dadurch allerdings etwas statisch und starr wirken. Für Meyrowitz, der in diese Raumkonstellation Repräsentationen aus medialen Räumen einführt, ändern sich in diesem Zusammenprall heterogener Räume die situationalen Bezugshorizonte menschlichen Wahrnehmens und Handelns auf diese Weise fundamental. Und zwar so, daß die bisherigen normativen und Handlungen ermöglichenden Anpassungskapazitäten deutlich überfor-
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dert sind. Grundlegende Umstellungen der Individuen in den Dimensionen von Beziehung und Handeln werden unabdingbar nötig. Der Cyberspace bezieht insofern eine völlig neue Stufe in die Raumzusammenhänge und in das kommunikative Geschehen ein, als er einen Bühnenhintergrund überhaupt nicht mehr besitzt. Für sich betrachtet, ist er der mit völlig homogenem Licht ausgeleuchtete Vordergrund, die absolute Oberfläche, hinter der nichts liegt, hinter der nicht einmal etwas zu vermuten ist. Die elektronischen Medien sind also in der Lage, gleichzeitig viele, traditionell sehr verschiedene Menschen durch einheitliche Informationsumwelten am selben „Ort" zu versammeln. Auf diese Weise können sie soziale Rollen ineinander spiegeln und deren Grenzdefinitionen verschwimmen lassen. Elektronische Medien beeinflussen Menschen also nicht nur durch ihre Inhalte - dies die traditionelle Position der Medienwirkungsforschung - noch durch sich selbst als Erweiterung des Zentralnervensystems, so die sehr anfechtbare anthropomorphe Medienintuition McLuhans. Sie tun es vielmehr, indem sie in beiden Komponenten die „Situations-Geographie" (ebd., 16) des Lebens gründlich umkrempeln. „Ort" hat hier übrigens nicht, noch nicht dieselbe Bedeutung, wie wir sie bisher entwickelt haben. Er bezeichnet eine „Informationsumwelt", einen medialen Raum. Gebildet wird er von den vielen Menschen, die an verschiedenen Orten vor ihren Fernsehgeräten oder anderen Kommunikationsmaschinen sitzen, und dem einen „Ort", der mit der semiotischen Maschine zur Darstellung gelangt. Beide stehen in Beziehung zueinander, und diese Beziehung wird laufend geändert. Das Neue und das entscheidende Wirkquantum am Fernsehen, aber eben auch schon an Telefon und Radio, ist die Verschränkung von realem und virtuellem Raum. Sie, so Meyrowitz' Hauptthese, hat „die traditionelle Beziehung zwischen physischen und sozialen Umgebungen zerstört". (Ebd., 17) Aber das Soziale geht weiter. Es baut sich, um bei Meyrowitz' gewaltsamem Bild zu bleiben, auf seinen eigenen Trümmern immer wieder auf. Die Zerstörung alter Situationen ist nur die Rückseite des Aufbaus neuer Situationen. Meyrowitz' Quintessenz, daß in der Verschränkung von Medien-, Kultur- und Sozialwandel die Richtung zur Demokratisierung, zu zunehmendem Egalitarismus eingeschlagen wird, mag man bezweifeln. Aber daß die Entwicklung nicht nur durch die zunehmende Elektronisierung der Kommunikation gekennzeichnet ist, sondern vor allem - für die Wahrnehmung und die kommunikative Praxis der Menschen - durch eine steigende Konfigurationsvielfalt realer und virtueller Räume, dürfte nicht zu 221
bezweifeln sein. Sieht man vom seinem Optimismus ab, so hat Meyrowitz sehr nüchtern das Thema angeschlagen, das mit der diffusen Magie des Wortes virtueller Raum seit der Ankunft der digitalen Medien von einem Hype zum nächsten durch die öffentliche Mediendiskussion gejagt wird.
Wechselnde
Raumbedeutungen
Als Begriff, den erst 1984, als sich das Internet als Zusammenfügung von Vorläufernetzen85 entwickelte, der Cyberpunkautor William Gibson in seinem Roman Newromancer geprägt hat, enthält Cyberspace „Raum" bereits im Namen. Was bedeutet das? Ist es nur eine Metapher? Oder macht es Sinn, die allgemein als virtuell bezeichnete Sphäre des Datennetzes als Raum zu begreifen, der in seinen Charakteristika bestimmbar ist wie andere Räume auch? Man muß sich klar machen, daß Raum - ebenso wie alle anderen Kategorien unseres Weltverständnisses - keine fixe Bedeutung besitzt. Schon in der griechischen Antike ist der pythagoreische Raum einer musikalisch fundierten Weltharmonie ein anderer als derjenige der euklidischen Geometrie, so wie wir ihn heute interpretieren. Aus dem Mittelalter kennen wir eine literarische Tradition von Jenseitsvisionen, in denen zeitgleiche und vergangene Begebenheiten im konsistenten Weltaufbau der Bibel gedeutet wurden. Diese Tradition beginnt im 9. Jahrhundert mit der Visio Wettini des Gelehrten und Dichters Walafried Strabo (etwa 808-849) aus dem Kloster Reichenau. Ihren bekannten Höhepunkt erreicht sie mit der Divina Commedia des Florentiners Dante Alighieri (1265-1321). In diesen visionären Dichtungen existiert der Antike gegenüber insofern eine ganz neue Raumauffassung, als hier erstmals der lebensweltlich reale Raum mit virtuellen Räumen (Himmel und Hölle) ins Verhältnis gebracht werden mußte.86 Klingt das Problem bei Walafried erst an, so ist es bei Dante für das Hoch -und Spätmittelalter ausformuliert. Zusammen mit Vergil steigt der Autor die Leiter hinauf und gelangt so, Stufe um Stufe, in die einzelnen Himmelssphären.87 Die Leiter herunter geht es durch das Fegefeuer stufenweise in die Hölle, bis nach ganz unten, wo überraschenderweise die Seelen nicht im Feuer schmoren sondern in klirrender Kälte zittern. Die virtuellen Räume der theologischen Konstruktion, in denen sich die Seelen aufhalten, sind hier vom Realraum der Welt der Lebenden getrennt. Sie verweisen aber aufeinander und sind sogar bedingt durchlässig. Der physische Körperraum und der immaterielle Seelenraum bilden eine Ganzheit 222
getrennter Entitäten, die in einem Weltmeer existieren. Deshalb wurden in der Volkskultur Feste auch oft auf Friedhöfen abgehalten; die Toten nahmen daran teil, tanzten und tranken mit. Das mechanische Weltbild dehnt den physikalischen Raum ins Unendliche, andere Räume sind nicht mehr unterzubringen. Entsprechend wandelt sich auch das Menschenbild in einen monistischen Materialismus bis hin zu La Mettries' L'homme machine. Die nach-newtonsche Physik entwickelt eine Reihe weiterer Raumbilder, von der vierdimensionalen Raumzeit Einsteins bis zur gegenwärtigen Hyperraumphysik etwa von Stephen Hawking oder dem Nobelpreisträger Leon Lederman.88 Das Menschenbild ist historisch also wesentlich mitbestimmt vom Raumbild. Alltagspraktisch gesehen ist das allerdings pure Esoterik. Alltäglich agieren und sehen wir nach wie vor im gut abgeschlossenen euklidisch dreidimensionalen Raum, in dem die Gesetze der klassischen Mechanik herrschen und funktionieren. Und genau das ist das Problem. Das Containerdenken und -wahrnehmen aber kann den Cyberspace in dualistischer Weise außer sich - nur als eigene Entität mit eigenem ontologischem Status, Virtualität genannt - begreifen. Es gibt keine räumliche Kontinuität wie im Mittelalter. Diese ist durch den unendlichen Raum Newtons und den resultierenden Materialismus zerstört. Es gibt nur das ganz Andere, ein totaliter aliter, das die „Immersion" in das noch Unbekannte, „Emergente" erfordert. Diese kurze Genealogie macht schon den Angelpunkt der zuvor erörterten Idealisierungen transparent: Der ganz andere, der tatsächlich transzendente Raum soll ein ganz anderes Leben als das begrenzte hiesige bieten. Um das voll auszuschöpfen, muß sich allerdings auch der Mensch ändern. Er muß den Ekel seiner Körperlichkeit, „die blutige Schweinerei organischer Materie", wie der KI-Forscher Marvin Minski (zitiert nach Wertheim 2000, 6) seinen Körper empfindet, abstrahieren und ein Geist werden.89
Der äußere Raum des
Cyberspace
Soweit die ontologische und die anthropologische Konstruktion des Cyberspace, die der unversöhnlichen Opposition Welt = Materialismus und Cyberspace = Idealismus folgt. Diese Opposition ist eine merkwürdige, keineswegs aber versponnene, sondern ernstzunehmende Reduktion aus der abendländischen Geistes- und Physikgeschichte. Ernstzunehmen 223
ist sie vor allem, wenn man sie - wie in den Vereinigten Staaten - im Nährboden puritanischen Denkens gedeihen sieht. Wir wollen die Blüten, die das Denken in neognostischen und monistischen Formen hervorgetrieben hat, nicht weiterverfolgen. Festzuhalten gilt es, daß hier in der Geschichte der Raumbilder eine neue, strikt kontradiktorische Konzeption entstanden ist, die auch geistesgeschichtlich kaum anders möglich war. Wir sehen zwei Ebenen, den Cyberspace als Raum zu betrachten, wenn wir nicht einfach der vorgegebenen Dichotomie folgen wollen. Das ist nun mal die materielle Grundstruktur des Cyberspace: seine äußere Geographie und seine innere Topologie. Die hochfliegenden Idealisierungen sind Betrachtungen der im Nowhere angesiedelten Innenseite des Cyberspace. Die hoffnungsvolle Semantik ist verortet im Inneren der Matrix und gewinnt hier ihre Uberzeugungskraft.
Materialität Die materielle Außenseite der Netze, ihre reale, keineswegs virtuelle Räumlichkeit, ihr damit unmittelbar verknüpfter logistischer Charakter bleibt abgeblendet. N u r die Ignoranz dieser materiellen Außenseite gegenüber macht es überhaupt möglich, die im Wortsinn utopischen, ortlosen Phantasien über den Cyberspace zu entwickeln. Tatsächlich hat das „Netz" durchaus seinen O r t in Raum und Zeit (Werber 2000,1033). Es besteht aus Kabeln, Satelliten, Servern und Endgeräten, den Computern, vor allem aber aus georteten Kabeln. U m Telekommunikationsleistungen anzubieten und die Distanz zu neutralisieren, benötigen die großen Telekommunikationsunternehmen „einen Zugang zu echtem, materiellem Land". (Sassen 1997, Anm. 11) Schon allein im Hinblick auf diese „Materialität der Kommunikation" kann man feststellen, daß es im N e t z keineswegs, wie es die Innenperspektive aus der Matrix eines Teils des Netzes heraus unterstellt, eine gleichmäßige Machtverteilung gibt. Durch die infrastrukturelle Festlegung durch Grund- und Installationsbesitz herrscht in der ersten Welt und hier speziell in den U S A mit der dichtesten materiellen Netzstruktur eine asymmetrische Machtkonzentration, einschließlich der Macht, den Cyberspace abzuschalten. Und so stellt denn auch der ehemalige Sicherheitsberater des US-Präsidenten, Zbigniew Brzezinski 9 0 , ganz unverblümt fest, daß Massenmedien und Internet Strukturelemente einer „Hegemonie neuen Typs" der U S A seien.
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Darüber hinaus darf man nicht übersehen, daß das Internet, das „Netz der Netze", auf das sich alle Mutmaßungen über den Cyberspace beziehen, in Wirklichkeit nur ein Teilnetz integrierter Netze ist - und vermutlich sogar immer noch der kleinere Teil aller Telekommunikationsnetze. Das Internet als globales Computernetzwerk mit seinen technischen Kompatibilitäten und Anschlußmöglichkeiten beruht auf dem Transmission control Protcol/Internet Protcol (TCP/IP) als einheitlicher Steuerungssoftware. Wie eine Infrastrukturmessung von Linda Garcia (1995) ergeben hat, existierten damals etwa 40,000 Internetprotcol-kompatible Netze, von denen aber nur 12,000 das eigentliche Internet bildeten. Der Rest sind Privatnetze, vor allem solche der globalen Finanzwirtschaft. Kompatible kommerzielle, allerdings auch öffentliche Netze, wie etwa das schnelle Wissenschaftsnetz, entstehen laufend in den USA und in Europa. Hinzu kommen Mitte der neunziger Jahre die Intrawebs, durch „firewalls" geschützte, privat genutzte Inseln im Internet. Berücksichtigen wir darüber hinaus das WWW als ebenfalls zunehmend kommerziell überformtes Publikumsmedium, so bleiben für die wirklich symmetrisch und asymmetrisch interaktiven Bereiche des Internet (Inserate, D R C und Mailbox-Dienste) nur Teilbereiche übrig. Mit den Usern verhält es sich ebenso: sie bilden im interaktiven Bereich des Mediums eine absolute, wenn auch hochaktive und stark ideologiebereite Minderheit.
Der innere Raum des
Cyberspace
Aber auch die Innenseite ist nicht so uferlos, wie sie erscheint. Die bisher noch rudimentäre, nur in den USA existierende Disziplin, die räumlichen Verhältnisse des Cyberspace zu vermessen und zu kartographieren, heißt Cybergeographie. Ihr vollständiges Fehlen in Europa hält der Wissenschaftsjournalist Gero von Randow (2000) für einen großen Fehler, da sich möglicherweise bald Firmen darauf kaprizieren würden, die weniger kritisch mit Raumbegriffen umgehen als die klassische Geographie. Die Erforschung des inneren Raumes setzt bei den Nutzergruppen und ihrer globalen Verteilung an. Davon gibt es zwei: Inhalte-Anbieter (Content Provider) und User. Der User-Bereich wird über die Anschlußdichte erschlossen und ist erwartungsgemäß in den entwicklungsstärksten Ländern konzentriert.91 Er wird sich aber durch das weltweite Wachstum der Anschlußdichte auch in Kernzonen der unterentwickelt gehaltenen Weltbereiche - mit Ausnahme des subsaharischen Schwarzafrika - in den näch225
sten Jahren verbessern. Die Anbieterseite liefert eine Überraschung: Gängige Annahmen unterstellten noch vor wenigen Jahren, daß die weltweiten dezentralen Netze es ermöglichen würden, daß jeder von jedem Ort aus die ganze Welt mit seinen „Inhalten" versorgen könnte. Tatsächlich aber weist der Contentbereich der Internetindustrie einen höheren räumlichen Konzentrationsgrad auf als jede andere Industrie; und er konzentriert sich in den Großstadtbezirken der ökonomisch wichtigsten Länder der Welt. 92 Matthew A. Zook, ein Doktorand von Manuel Castells (2000, 39), hat die Zusammenhänge kartographiert. Sie ballen sich in den kulturellen Zentren, nicht etwa an Standorten der Internettechnik und Computerindustrie zusammen. Zook führt dies darauf zurück, daß die Grundlage der Internet-Inhaltsversorgung im Synergieeffekt von Wissen und Kenntnissen und der direkten Kommunikation der kulturellen Trägerschichten der Gesellschaft liegt. Diese siedeln nach wie vor nicht auf dem Land, sondern in den Großstädten. Nur sie bieten die Ressourcen, die auch das Internet braucht. 93 Der Raum verschwindet angesichts des Cyberspace keineswegs. Aber die uns geläufigen Raumbegriffe Ort, Nachbarschaft, Entfernung, Hier und Da, bekommen einen völlig anderen, erst noch zu bestimmenden Sinn. Wie weit sind zwei Web-Seiten voneinander entfernt, fragt Gero von Randow. Er berichtet von einer Forschergruppe der Universität Notre Dame in Indiana/USA, die einen WEB-Robot durchs W W W geschickt hat, der die Zahl der Klicks errechnet hat, die Web-Dokumente typischerweise voneinander entfernt sind. Der so ermittelte „Durchmesser" des W W W beträgt 19 Klicks - angesichts des gewaltigen Umfangs des riesigen Textund Bildteppichs, des „Docuverse", enorm wenig. Wenn man die Klicks als Maß nimmt, dann ähnelt das Internet in seiner hoch vernetzten Dichte sehr realweltlichen Sozialsystemen oder auch Städten.
Die Raumidee des Cyberspace Im interaktiven Chat, im M U D oder in Digital City ist man mit den Interaktionspartnern im selben „Raum", sogar am selben „Ort". Die Frage, die sich daran knüpft und die bereits zu den gewagtesten Spekulationen geführt hat, lautet: Wie ist der „Raum" beschaffen? Und vor allem: Wo ist er? Real liegt er auf irgendeinem lokalisierbaren, allerdings im allgemeinen nicht für die Interagierenden lokalisierbaren Server. Doch für die Raumwahrnehmung des Cyberspace ist das absolut irrelevant. In der Literatur 226
wird die vorherrschende Wahrnehmung als „Ortlosigkeit" beschrieben. (Rötzer, 1992, 232 ff.) Es gibt die Metaphorik des „Sich Verlierens", des „Verschwindens" des Raumes, aber auch im Raum. Obwohl sich alle materiellen, infrastrukturellen Elemente dieses neuen digitalen Raumes der Festkörperphysik verdanken, „liegt" er selbst als Wahrnehmungsgebilde und Operationsfeld außerhalb physikalischer Bestimmungen. Ein nicht in physikalischen Konstruktionen vorstellbarer Raum ist prima facie nur schwer zu bestimmen. Wir wollen ihn nicht in Allgemeinbegriffen, sondern nur hinsichtlich der kulturellen Relevanz neuer Möglichkeiten der Verschiebungen von Ort-Raum-Differenzen untersuchen. Man wird ihn in der Begrifflichkeit von der englischen Emergenzphilosophie bis zur modernen Komplexitätstheorie ohne Zweifel als „emergentes" Phänomen bezeichnen können, also als eines, das in seinen Teilen allein nicht definierbar ist. Ein emergenter Raum entsteht durch das interaktive Zusammenwirken der kaum abzählbaren Menge seiner materiellen Elemente, durch seine Nutzer und die im Datennetz nahezu mit Lichtgeschwindigkeit hin- und herflitzenden Datenpakete. Nach einer längeren Epoche eines ganz und gar monistischen Materialismus, der die neuzeitliche Wissenschaft - und wohl auch das säkularisierte Weltverständnis - fundiert, ist es schwierig, sich dieses emergente Raumgebilde, das nicht in physikalischen Begriffen beschreibbar und doch in den Netzen der Physik gefangen ist, vorzustellen. Da hilft auch nicht, sich die Ausdrucksaktivität im Netz nach der Modellvorstellung unmittelbarer Kommunikation zu verdeutlichen. Denn die Nutzer interagieren im Netz nicht mit Personen, sondern mit Texten, und sie interagieren nicht als Personen, sondern als Platzhalter angewählter Namen oder Avatare, als Personae. Gleichwohl scheinen wir darauf angewiesen zu sein, den Cyberspace als eigene Entität mit eigenem ontologischem Status außerhalb der realen Welt und als alternativ zu dieser konzipiert zu denken. Dennoch sind wir der Ansicht, daß der Cyberspace ein legitimer Kandidat für den Begriff Raum ist. Die Konstituentien des Raums sind ersichtlich immateriell, aber deshalb nicht weniger real als eine (ebenfalls immaterielle) Liebe. Andernfalls müßten wir für den Gegensatz Realität-Virtualität den alten, auf die parmenideische Ontologie zurückgehenden Gegensatz von Sein und Schein mit allen platonischen Folgeimplikationen des Scheins reanimieren.94 Wir machen drei Argumente geltend, wohl wissend, daß sie keine zureichenden Begründungen liefern, aber eine sinnvolle Überlappung andeuten; mehr scheint uns beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Cyberspace 227
und seiner Wissenschaften ohnehin nicht möglich. Die erste Dimension haben wir bereits mit einem Argument des Informatikers Frieder Nake in einem anderen Zusammenhang angesprochen. Die immaterielle Realität des Cyberspace ist Software - eine semiotische Realität, sie besteht aus Zeichen, die Dinge durch Verweise relationieren. Das setzt eine Dekontextualisierung des Bezeichneten voraus, damit es im Computer bearbeitet werden kann. Dekontextualität ist Nake (1999,2) zufolge „Voraussetzung der Medialität in der Digitale", was zu erhöhtem Interpretationsbedarf führt. Auf einer untergeordneten Ebene kann man aber sagen, daß genau dieser Zusammenhang von Dekontextualisierung und Interpretationsbedürftigkeit viele Schwierigkeiten der Cyberkommunikation ausmacht. Zweitens: Raum ist nicht einfach etwas statisch Gegebenes, in skeptisch und dynamisch gedachter Zeit. Raum ist eine Konzeption mit vielen Ausgestaltungsmöglichkeiten und Resonanzen, man denke nur an den Phasenraum der Chaostheoretiker oder der Quantenphysik - transklassische, nichteuklidische und nicht relativistische Räume, aber Räume von bestimmter, erfüllter Gestalt. Der Cyberspace, und das stimmt mit Nakes semiotischer Realitätsbearbeitung überein, ist ein Datenraum. Unabhängig davon, was auf den Bildschirmen als Text und Bild erscheint, ist Kommunikation im Cyberspace vermittelter Datentransfer. Durch die Software wird er in Zeichenrepräsentationen umgesetzt und von den Kommunizierenden in Aneignungsprozessen interpretiert. Erst in diesem Arbeitsschritt werden aus den digitalisierten Daten Informationen. Wenn sie verstanden wurden, ist die Kommunikation realisiert. Drittens·. Der Cyberspace ist ein Raum der Interaktion und Kommunikation, worunter wir auch Online-Unterhaltung und die kollektive Konstruktion von Fantasy-Welten in MUDs and MODs verstehen - Unterschiede auf der inhaltlichen, nicht auf der operativen Ebene der Kommunikation. Es ist der Raum kollektiven Phantasierens, in dem man im Rollenspiel mit simulierten Identitäten außer sich bei sich sein kann. Sherry Turkle (1998) liefert in ihrem letzten Buch eindrucksvolle Beispiele für das, was sie postmodern „multiples" selbst nennt. Entfernt erinnert das an Richard Sennetts (1983, 84 ff.) Schilderungen von maskeradesken Inszenierungen, mit denen sich die Bürger im 17. und 18. Jahrhundert auf den Straßen der großen Städte als öffentliche personae begegneten, um dahinter ihre private Person zu verbergen - anders im „psychologischen" Zeitalter des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Nicht nur im Sinne dieser Analogie ist Jeff Malpas (2000, 225) zuzustimmen, wenn er schreibt, daß „die Räume und Plätze der Stadt oder des Internet nicht in Begriffen dessen, was sie sind, 228
erfahren werden, sondern in Begriffen dessen, was sie repräsentieren, in Begriffen dessen, was sie versprechen". Versprechen, die sie keineswegs halten müssen. Wenn wir diese drei Raumcharakteristika betrachten, können wir festhalten: Der Cyberspace ist ein realer Raum, der wie jeder andere Raum aus Objekten samt Infrastrukturen und Nutzern und deren Reaktionen gebildet wird, mit denen er aber nicht identisch ist. Wie der soziale Raum wird er durch Objektbeziehungen gebildet, also durch Kommunikatoren und Anschlußkommunikationen. Wie dieser ist er nicht stetig, nicht homogen und nicht euklidisch. Entfallen Kommunikationen, indem sie abreißen, so hört der Raum auf zu existieren, obwohl seine Infrastrukturen weiter bestehen. Allerdings ist nach allen bisherigen Erfahrungen der Raum niemals „leer", da immer kommuniziert wird. Die Kommunikationsfrequenz nimmt sogar so rigide zu, daß es zu bestimmten Zeiten, in bestimmten Netzbereichen zu Staus und Zeitverzögerungen, gelegentlich sogar zu Nerverzusammenbrüchen kommt, vor allem, wenn sie mit konfliktträchtigen Kommunikationen (Viren) überflutet werden. Durch seine kommunikative Konstitution ist der Raum ständig in Bewegung. Er unterliegt „Verschiebungen" (Philippe Queau) und ist demzufolge dauernd in Produktion. Wie wir in bezug auf Identitäts- und Gemeinschaftsidealisierungen gesehen haben, gibt es durchaus analoge, aber auch divergente Strukturierungen gegenüber realweltlichen Sozialräumen. Sie sind allerdings bestimmt durch den Realitätscharakter des Cyberspace: Dieser ist eine semiotische Realität. Objektrelationen werden durch Zeichen hergestellt (Software und Texte), die personae der Natur interagieren als frei gewählte Zeilen mit Texten. Einen virtuellen Raum - allgemeiner: eine virtuelle Realität - außerhalb des realen Raumes gibt es also nicht. Der Cyberspace ist eine Realität in der Realität, ein Teil von ihr. Er kann allerdings aufgrund seiner Entwicklungspotentiale großen Einfluß auf den Ort und Raum ausüben, was er in Teilbereichen, wie etwa in der Wirtschaft oder der sozialen und geographischen Raumverringerung bereits tut. Seine laufende Generierung folgt nur anderen, symbolischen Konstitutionsbedingungen, im Unterschied etwa zur Erzeugung sozialer Räume in Städten, Betrieben oder Organisationen. Man hat im „im Netz" bei keiner Operation ein unmittelbares Raumgefühl, gleich ob man per URL von „Ort" zu „Ort" springt, über Links sich durch das Textlabyrinth bewegt oder chattet. (Anders verhält es sich bei 229
den 3D-Spielen.) Das Internet erscheint endlos, es enthält keinen Welthorizont als Referenzgröße. Auch die gegenwärtige (Tele)-Präsenz hat keinen Ortscharakter. Die tatsächliche kommunikative Raumkonditionierung hat in der Wahrnehmung keine subjektive Entsprechung. Allerdings kann sich das bei zunehmender Routinisierung begrenzt ändern. So scheint sich in der oft detailliert ausgeschmückten Phantasiewelt der MUDs die Vorstellung eines Ortscharakters auszubilden. Im Unterschied zum städtischen Leben wird dieser aber nicht zum Raum hin relationiert. Daraus ließe sich schließen, daß es die Ort-Raum-Differenz im Medienraum des Cyberspace offenbar nicht mehr gibt. Zumindest ist das Problem, das an die Körperlichkeit des Menschen gebunden ist, jedenfalls von ihr seinen Ausgang nimmt, hier beseitigt.95 Nun sind Netze „Organisationsformen von Zwischenräumen". (Krämer 1997,99) Dieser Tatsache verdankt das „Inter"net immerhin seinen Namen, woraus Sybille Krämer ihre Idee der Intertextualität entwickelt. Unsere Fragestellung ist anders. Von der Außenseite des Netzes aus gesehen werden tatsächlich geophysikalische Distanzen teilweise großer Entfernung verknüpft. Auf der Innenseite hingegen sind die vernetzten Zwischenräume nicht wahrnehmbar. Noch einmal: Wie groß ist der Zwischenraum zwischen zwei Websites und zwischen zwei MUDs? Das „Dazwischen", das ja in unseren Überlegungen zu städtischen Kulturen als Vermittlungsstrecke eine prominente Rolle spielt, ist demnach im interaktiven Vollzug, gleichgültig, ob man ihn zwischen personalen Kommunikanten oder zwischen Texten konzeptualisiert, im Cyberspace räumlich ebenfalls nicht darstellbar. Es gibt allerdings in diesem Zusammenhang ein merkwürdiges, ausgesprochen nostalgisches Phänomen. Begründet ist es in der Tatsache, daß jede Menge MUDs als digitale Städte eingerichtet wird96. Städte mit Plätzen, Straßen, Cafes, Immobilienhändlern und allem, was dazu gehört, in denen man sich als Avatar in einer gewählten Personalität bewegen, kaufen und mit Spielgeld bezahlen kann.97 Abgerechnet wird mit dem Portalinhaber natürlich in realer Währung. Auch Rötzers Telepolis (1995) bezieht sich sowohl auf solche Spielstädte, vor allem aber auf das Internet, das er in stadträumlichen Begriffen als Ganzes beschreibt. Analytische Raumkategorien, auch die Differenz von Ort und Raum, werden hier metaphorisch, in Spielumgebungen aber auch als erlebbare Größen wieder in den Cyberspace eingezogen. Offenbar vermuten die SoftwareEntwickler, daß lebensweltliche Erfahrungssubstrate für User des Cyberspace notwendig, wenigstens von ihnen erwünscht seien. Diese Städte sind 230
natürlich absolut clean, geordnete Gegenentwürfe zu den realen Städten, in denen die einzelnen Spieler leben. Das halten wir aus zwei Gründen für eine absurde Fehlentwicklung. Erstens: Gerade die Metaphorik und die real-analoge Ikonographie mit scheinbar alternativen Entwürfen in altgewohnten Vorstellungsbildern und die Anthropomorphisierung des Sozialverhaltens in diesen Umgebungen betreiben die Mythologisierung des Cyberspace als ganz Anderes, des Guten gegenüber dem Schlechten der realen Welt. Zweitens: Wie immer man sich zum Cyberspace verhält, er ist eine Realität, deren Bedeutung für das kulturelle und berufliche Leben in mehreren Bereichen Folgen für diejenigen hat, die keinen Zugang zum Cyberspace finden. Nach 1995 Geborenene wachsen in der westlichen Welt ebenso selbstverständlich mit dem Cyberspace auf wie die nach 1950 Geborenen mit dem Fernsehen. Nostalgische Erlebnissimulationen aber blockieren die Phantasie und die Experimentierlust für das, was man mit diesem Raum und in ihm wirklich alles anfangen könnte. Dies trifft vor allem dann zu, wenn man ihn, wie Stefan Münker (1997), als ästhischen Raum auffaßt. Welche ganz anders gearteten, in alten Vorstellungswelten und Raumbildern befangenen und deswegen nicht vorstellbaren Erfahrungs- und Realitätskonstruktionen sind da möglich! Wer weiß es? Die Telepathie-Metaphorlogen haben hier keinen Rat.
Räumliche
Interdepenzenen
Sybille Krämer (1998,36) macht den Versuch, in Absetzung von den Rationalitäten von Arbeit und Kommunikation das „Spiel" im Sinne Gregory Batesons (1985, 241 ff.) als spezifische Handlungsrationalität des Cyberspace zu begründen. Sie nimmt an, daß die Simulationstechnik virtueller Realitäten, daß der faktische Ort des Leibes und der virtuelle Ort der Interaktion divergieren. „Cyberspace" setzt also die Differenz von virtueller Realität und leibsituierter Außenwelt voraus. Damit aber kann an einem Modell sinnlich erfahren werden, was Kant als begriffliche Einsicht formulierte: Die Fragmentarisierung unserer Bezugnahme auf die Welt, insofern wir - und zwar irreduzibel - externe Beobachter und „intrinsische Akteure" seien. Im Hintergrund steht hier die Kantsche Unterscheidung der gegenseitig irreduziblen theoretischen und praktischen Vernunft der „Kritiken", auf die sie sich an anderer Stelle auch direkt bezieht. Wenn wir die beiden Sätze richtig verstehen, sind wir in unserem Weltbezug entweder „externe Beobachter" oder „intrinsische Akteure", nicht aber 231
beides gleichzeitig. In der „leibsituierten Außenwelt" sind wir Beobachter, in der virtuellen Realität des Cyberspace „intrinsische Akteure". Das markiert die Differenz zwischen beiden Räumen. Nun gibt es aber einige ernstzunehmende empirische Hinweise darauf, daß zwar tatsächlich eine Differenz zwischen beiden Räumen oder Realitätsprinzipien besteht, daß diese aber nicht so absolut gesetzt werden kann, da ja auch Interdependenzen und Vermittlungsschienen existieren. Mit anderen Worten, daß die kantische Unterscheidung im Verhältnis zum Cyberspace nicht in dieser Schärfe aufrechtzuerhalten ist, davon aber auch nicht ein derartig rigider Dualismus von Realitätssphären abzuleiten ist. Wir sind gewohnt, beim Computer Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine anzunehmen: Tastatur, Monitor. Sie zu gestalten, ist eine Aufgabe des ergonomischen, vor allem des informatischen Arbeitsgebiets Interface Design. Beim Cyberspace bietet sich eine andere Perspektive an. Man könnte sagen, hier gehe es um eine Schnittstelle zwischen leibsituiertem Außenraum und symbolisch strukturiertem Innenraum. Indem sich dieser seinerseits auf dem Computerbildschirm materialisiert, tritt er gegenständlich in jenen Außenraum ein. Diese Schnittstelle zwischen Außenund Innenwelt ist indessen keine Technik, sondern der Mensch mit seinem Körper selber. Er ist gleichzeitig in beiden Räumen anwesend. Das wird in der wissenschaftlichen Cyberspace-Literatur neuerdings unter den Stichworten Verkörperung (embodiment) und Entkörperlichung (desembodiment) relativ breit diskutiert und erfreulicherweise auch erkannt. Margaret Wertheimer (2000, 250) erwähnt eine Arbeit von Katherine Hayles 98 , die festgestellt hat, daß man den Cyberspace gar nicht anders als durch die Sinnesorgane erfahren könne: durch die Augen, die über den Monitor wandern, die stereoskopischen Projektionen der VR-Headsets, durch die Hände auf der Tastatur und die Ohren, die die Tondateien hören. Das ist die Evidenz des Schnittstellenarguments, daß aber die Akteursperspektive innen und außen ins Auge faßt. Bemerkenswert in unserem Zusammenhang sind auch empirische Forschungen von Nicola Döring. (2000b, 198 ff.) Sie geht von der üblichen Idealisierung der Entkörperlichung im Cyberspace aus. Die Möglichkeit dieser Betrachtung ist angeblich dadurch gesichert, daß unsere fünf Sinne die im virtuellen Raum Versammelten nicht wahrnehmen können. Das stimmt ohne Zweifel, ist aber keine Sicherung für die vollständige Körpernegation. Es ist eines der strategischen Ziele des Cyberfeminimismus, der angeblichen Entsinnlichung im Cyberspace entgegenzuwirken: 232
„Die vielzitierte Entkörperlichung im Netz erweist sich jedoch mit ihrer Metaphorik als Mythos." (Ebd., 199) Döring rekurriert auf Phänomene, die wir schon mit der Arbeit von Katherine Hayles angesprochen haben. Wenn wir tippen, kriegen wir Rückenschmerzen oder aber erschrecken über etwas im Zimmer oder auf dem Bildschirm. Wir stehen auf, trinken Kaffee, setzen uns wieder hin und machen weiter. Hier sind wir nicht nur Beobachter, sondern gleichzeitig realweltliche und virtuelle Akteure. Dabei ist unser realweltliches Erleben das Material der Imagination im Cyberspace und wirkt von dort auf unser aktuelles Erleben machtvoll zurück. Diese am und mit dem Körper vollzogenen aktual-virtuellen Rückkopplungsschleifen, die in ihrer Präsentation hochdifferenziert ausfallen können, laufen unter embodiment. Selbstverständlich ist der Vorgang selektiv ( d i s e m b o d i m e n t ) . Das unterscheidet ihn aber nur graduell, nicht essentiell von mittelbaren Kommunikationen unter den Anwesenden. Auch hier wählt man in gestischer Mimik, in der formalen Körperpräsentation Ausschnitte, die kommunikativ herausgeputzt werden. Die Rückwirkung ist nicht unbedeutend: „Erfahrungen mit virtuellen Verkörperungen machen auf das dialektische Verhältnis von sinnlicher Präsenz und physischer Distanz aufmerksam." (Ebd.) Eine Vermittlung zwischen zwei differenten Räumen über die Schnittstelle Nutzer findet demnach statt. Döring präsentiert interessantes empirisches Material, von dem wir hier einen Bericht in Ubersetzung wiedergeben wollen: „Vor einigen Jahren hatte Ava einen Autounfall und verlor dabei das Bewußtsein. Während der Genesung begann sie mit MUD. Sie räumte dem keine Chance ein. Sie bildete im MUD eine Figur aus, mit einem abnehmbaren, prothetischen Körperglied. Die Versehrtheit der Figur (Charakter) wirkte in ihrer Beschreibung sehr offen, und die Freunde, die sie in dem MUD gewonnen hatte, fanden einen Weg, mit ihrem Handicap umzugehen. Als Avas Figur (als Verkörperung) sich amourös involvierte, erkannte sie wie ihr Liebhaber die physischen wie die emotionalen Aspekte der virtuellen Amputation und Prothese. Es war ihnen angenehm, virtuelle Liebe zu machen, und Ava fand (dadurch) eine Möglichkeit, ihren virtuellen Körper zu lieben. Ava erzählt der Gruppe während eines [realweltlichen, d. Verf.] Stadttreffens, daß diese Erfahrung sie befähigt habe, einen weiteren Schritt auf dem Weg, ihren wirklichen Körper zu akzeptieren, zu tun. .Nach dem Unfall machte ich Liebe im MUD, bevor ich wieder Liebe im realen Leben gemacht habe'." (Ebd.) Hier läuft die Effektlinie im Unterschied zu den zuvor diskutierten Argumenten von Döring, die einen eher homöostatischen Eindruck der Ver233
mittlungsprozesse abgegeben haben, über die Behinderungsprojektion in den Cyberspace vor allem zurück in eine realweltliche Lebensumgebung. Damit kommen wir zu einer zweiten empirischen Fallgruppe, in der die Verbindung der beiden Räume hinfällig wird. Zwei kurze Anmerkungen sollen hier genügen. Es handelt sich um virtuelle „Gemeinschaften". Die eben zitierten Untersuchungen geben zwei eindeutige Hinweise. Die in der Regel von der dichten Wahrnehmung von Exit-Optionen gekennzeichneten relativ fluiden, grenzoffenen „Gemeinschafts"-Beziehungen im Netz können große zeitliche Stabilität annehmen und bis zur Integrationssprache von Gruppen reichen, wenn sie entweder zielorientiert konstruiert sind, beispielsweise als Arbeitsgruppen, in deren kommunikativen Operationen kontinuierlich anfallende Produkte stehen: Produkte, Modelle, Design, Fertigungsprogrammierungen, Demonstrationen, wenn sie im Netz nicht nur „spielen", sondern reale Verantwortungsbezüge und die nicht zu verortenden Aspekte alltäglich-persönlicher Kommunikation auch im virtuellen Raum realisieren. Oder wenn sie sich als virtuelle „Gemeinschaft" in Teilen oder - soweit überhaupt bestimmbar - auch als Ganze realweltlich fortsetzten und so zu einer problemorientierten Gruppe werden. Auch hier gewinnen die performativen Regeln alltäglicher Kommunikation für die Interaktion in beiden Räumen Gültigkeit. Und hier liegt auf kollektiver Ebene das vor, was wir bei Ava individuell beobachten konnten. Auch hier ist die Handlungsrationalität nicht spielerisch. Vielleicht kann man sagen, daß die virtuelle Kommunikation im Sinne von Krämer (1998, 35 f.) und Bateson (1985, 244) nur dann als Spielzeug zu begreifen ist und die sozialen Geltungsansprüche an Kommunikation nur dann außer Kraft gesetzt sind (Krämer 1997, 97 f.), wenn man den Cyberspace streng dualistisch als autonomen Raum konzipiert. Zieht man aber die empirischen Interdependenzen einschließlich ihrer offenkundigen verstärkenden Resonanzen in Betracht, dann wird man auch die Geltung traditioneller Handlungsrationalitäten von Arbeit und Kommunikation in beiden Räumen als wechselseitig aufeinander bezogen ansehen müssen. Die gesamte gängige Raummetaphorik - „Portal", „Datenautobahn", „global village", „Cyberspace" - indiziert jenseits ihres Bedeutungsgehalts, daß die Netze als Raum wahrgenommen werden. Die Metaphorik will das Gewohnte alltäglicher Raumerfahrung auf das Ungewohnte anwenden, um es verstehbar, zugänglich, erfahrbar zu machen. „Die Welt ist das, was wir wahrnehmen", lautet der bekannte Satz aus Merleau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung. (1966, 13) Wir nehmen den Cyberspace wahr, 234
wir nehmen uns wahr, den Anderen, mit dem wir interagieren, wenn auch nicht als Zeichenspur in einem eventuell wahrgenommenen Raum oder deren Abbildung auf dem Monitor. Mit dem Phänomenologen Bernhard Waldenfels (1998, 228) können wir ergänzen, daß es Erfahrungsarbeit ist, die allem den Stempel der Wirklichkeit aufprägt. Zwar lassen sich widersprüchliche Erfahrungen in VR-Spielen mit einem einheitlichen Raum in Verbindung bringen, aber die Wirklichkeit heterogener, gleichartiger und menschlicher Räume ist als Erfahrungssubstrat unzweifelhaft. Und wenn wir noch einmal auf die Vorstellung des Körpers als Schnittstelle zurückkommen, so ist sie phänomenologisch unabdingbar, da die Erfahrung des erdschweren Realraums und des diaphanen Cyberspace in einem einheitlichen Handlungszusammenhang gegeben ist. Je nach umweltlichen Bedingungen kann die subjektive Raumwahrnehmung des Cyberspace individuell von Kommunikationssituation zu Kommunikationssituation schwanken. Auf jeden Fall weist sie bei verschiedenen, eher instrumentell oder spielerisch geprägten Kommunikationsmodi gravierende Unterschiede auf. Die überhaupt möglichen Ortkonstruktionen sind jedoch nicht frei verfügbar. Sie sind, wie wir im letzten Abschnitt dargelegt haben, in einzelnen Systemmythen kulturell vorgeformt, an die individuelle Varianzen im Normalfall nur anschließen können. Alles andere wäre eine, freilich nie ganz auszuschließende Mythenrevolution, eine Neukalibrierung auch der Cyberraumbilder. In der Verknüpfung zielorientierter realer und virtueller Gruppen, wie etwa dem weltweit aktiven Netz der Globalisierungskritiker Attac, oder in netzvermittelten, weltweiten Arbeitsbeziehungen bilden sich in dem Mythos effektiver Globalkommunikation geopolitische und weltwirtschaftliche Raumstrukturen mit Ortsfixierungen ab. Konstituiert werden sie durch Institutionen und deren Operationsfelder, durch politische und wirtschaftliche Macht. Im spielerischen Machen etwa der MUDs bezieht man sich auf den idealisierenden Mythos von der utopischen Grenzenlosigkeit von interaktiven Beziehungen und kollektiven Phantasien. Diese grenzenlose Kommunikation manifestiert sich aber überraschenderweise in einem in vielen oft phantastischen und märchenhaften Details beschriebenen Ort. Wird im ersten Fall in seinem Vorstellungsbild die Ort-RaumDifferenz zwar nicht als Erfahrungskomplex, aber doch mindestens als cognitive map repräsentiert, so handelt es sich im zweiten Fall um das eigentümliche, ohne Zweifel erfahrungsrelevante Gebilde einer nicht im Raumhorizont lokalisierbaren Ortsfixiertheit.
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Perspektiven
Die Frage der Vermittlung der Ort-Raum-Differenz stellt sich im MedienRaum neu. So ist zu überlegen, ob die Raumbestimmungen des Cyberspace im Verhältnis zu denjenigen des konservativen (städtischen) Raums überhaupt als Fortsetzung der bisherigen Raumdiskussion anzusehen sind. Oder ob sie nicht einen qualitativ anderen, neuen, ergänzenden Umgang mit Raum bezeichnen, und zwar dergestalt, daß die Ort-Raum-Differenz noch einmal in einer neuen Differenz erscheint: derjenigen zwischen städtischem Raum und Medienraum. Damit würde die reale Differenzbearbeitung auch unabhängiger von der Differenz zum und im Medienraum, was methodisch nur dann Sinn machte, wenn wir Medienraum und städtischen Raum als Räume in gegenseitigen Durchdringungs- und Beziehungsverhältnissen, in wechselseitigen Beeinflussungs- und Veränderungskoordinaten begreifen. Wir haben oben das bekannte Bild von der cognitive map verwendet, jenem eigenwillig verzerrten Stadtplan, den man von seiner Stadt im Kopf hat. Es entstammt der klassischen Stadtsoziologie. Man kann die Verzerrungen mit etwas gutem Willen als Erfahrungssubstrate von O r t und Raum-Differenzen interpretieren. O b das Kartenbild soziologisch je angemessen war, ist auch für einige Stadtsoziologen inzwischen fraglich. Gerade weil Ort-Raum-Differenzen in unterschiedlichen Erfahrungszusammenhängen verschieden konstruiert sind, müßten solche Karten mindestens mehrdimensional angelegt sein. Dann wären sie aber nicht nur wie Karten zu handhaben. Wenn wir aber Medien- und Stadtraum in Durchdringungs- und Veränderungsbeziehungen untersuchen, ist das Bild auf jeden Fall unbefriedigend. Dann läge es näher, von einem cognitive hologram zu sprechen, in dessen verschiedene Schichten die sich auftuenden Dimensionen eingeschrieben werden könnten. Unabhängig von der künftigen Bedeutung virtueller Räume und deren Einfluß auf Wahrnehmung und Gebrauch der Realräume bleibt zu klären, was der öffentliche Raum der Stadt eigentlich wäre. Wie unverzichtbar sind Strategien seiner ästhetisierender Musealisierung und Mediatisierung? Stehen sie nicht eher dem Wunsch David Harveys (1994, 73) ent236
gegen, sich Raum als den sozialen Hintergrund eines begrenzten „Identitätsgefühls inmitten einer Collage aus implodierenden Räumlichkeiten" vorstellen zu können? In seiner Zeichen- und Symbolhaftigkeit ist der städtische Raum zweifellos massenkulturell getaktet. Auch werden seine Straßen und Plätze auf nicht absehbare Zeit nicht aufhören, Orte für zuweilen auch radikale Demonstrationen zu sein. (Eco 2002,15) Aber sie sind schon länger - in programmatischer Opposition zum bürgerlichen Interieur - nicht mehr das, worin Walter Benjamin (1972a, 196) Ende der zwanziger Jahre den angemessenen Raum für das kulturelle Leben und die politischen Interessen der (proletarischen) Massen vermutete: der Raum der Straße als Symbol für die Transformation der bürgerlichen Kultur; Straßen und Plätze als Feinde des Privaten, in deren Öffentlichkeit sich die Massen organisieren sollten. Andererseits: Diese Transformation hat natürlich stattgefunden. (Dröge/ Müller 1995) Aber nur insoweit, als die kulturelle Symbolik, die den Raum der Straßen dominiert, das Ende der bürgerlichen Gesellschaft und das ihrer Kultur verkörpert. Musealisierung und Mediatisierung unterlaufen den in der bürgerlichen Gesellschaft virulenten Widerspruch von Öffentlichkeit und Privatheit, indem sie Grenzauflösung betreiben. So gesehen ist der Raum der Straße - als vormals öffentlicher Raum - nicht länger der Feind des Privaten, wie umgekehrt die tradierten Werte des Privaten weitgehend verschwunden sind. Auch wäre Frederic Jameson darin zuzustimmen, daß wir uns nun nicht mehr der Masse mit dem Schrecken des vormals innengeleiteten bürgerlichen Individuums näherten." Aber die Ängste sind nicht verschwunden, auch sie durchlaufen eine Transformation. Weshalb in der alltäglichen Praxis das keineswegs so mühelos zu haben ist. Nach wie vor sind die Strategien der Musealisierung und Mediatisierung darauf angewiesen, von Sicherungsmaßnahmen flankiert zu werden. (Blum 2003) Mitunter genügt es, neue Distinktionen in den luxurierenden Einkaufsparadiesen, den Bürozentren und Kultureinrichtungen auf dem Wege der Gestaltung so zu artikulieren, daß all diejenigen, die man hier nicht haben will, schon von sich aus gar nicht erst den Versuch unternehmen, durch ihr bloßes Erscheinen die Grenzauflösung in Frage zu stellen. Tatsächlich können wir in den Städten gegenwärtig eine doppelte Strategie der Planung beobachten: Die Entproblematisierung des öffentlichen Raums durch ästhetisch erzeugte Atmosphären des Privaten und dessen Intensivierung durch Ausgrenzung und Überwachung der Obdachlosen und Verelendeten. (Davis 1994) In beiden Fällen verschwindet der öffentliche Raum in der Wahrnehmung. 237
Beide Strategien bedingen einander. Denn die Ästhetisierung als bildliche Simulationstechnik hat in der Stadt nicht nur einen bebauten und insofern immer bereits gestalterisch präformierten Raum zum Objekt anschließender weiterer Gestaltungen. Sie trifft in ihr zugleich auf einen sozialen Raum, der durch Machtverhältnisse in zunehmenden Ungleichheitsbeziehungen strukturiert ist. Diese Beziehungen werden im städtischen Raum in unterschiedlichen Verteilungsmustern ortsfest und bilden in eben diesen Verteilungsmustern unterschiedlich virulente und instrumentierte Resistenzen aus. Diese beschränken einerseits die durchgehende Wirksamkeit von Asthetisierungsstrategien; andererseits rufen sie, um ihrerseits im Interesse der Wachstumsmaschine in Schranken gehalten und unterdrückt werden zu können, soziale Abwehrstrategien als flankierende Maßnahmen der Ästhetisierung hervor. Vor allem in Verbindung mit Konfliktethnisierung100 sind Inklusion und Exklusion dafür besonders wirksame und ubiquitäre Instrumente. Für die gegenwärtige und absehbar zukünftige Stadtentwicklung scheint dabei charakteristisch zu sein, daß die Folgen dieser Politik nicht unbedingt in quartiersartiger Segregation bestehen müssen, wie etwa im 19.Jahrhundert mit dem Entstehen des Typus der Industriestadt. Exklusionen können - wie auch ihr Gegenteil - sehr viel kleinräumiger und durchmischter wirksam werden, wie insbesondere die amerikanischen Global Cities demonstrieren. Städtische Territorialkonflikte, die in aller Regel den Widerspruch von Ort und Raum aktualisieren und erfahrbar machen, haben wegen dieser im Interesse der Growth Machine verklammernden und konstituierten Strategien immer auch eine kulturkämpferische Seite. Gleichwohl trifft zu, daß Privatheit und Öffentlichkeit nicht mehr so als Gegensatz erlebt werden, wie es einst die bürgerliche Gesellschaft charakterisierte. Bereits die Mediengeschichte hat den für die Vergesellschaftung und den politischen Status des bürgerlichen Individuums vormals konstitutiven Gegensatz von Öffentlich und Privat schon im Vorfeld des Funktions- und Zustandswandels städtischer Räume eingeebnet. Die Medien haben damit, erst zögerlich, heute jedoch auf breiter Front, an eine dominante Kommunikationsweise der Kunst angeschlossen, die diesen Gegensatz in Sujetwahl und Präsentationsform mindestens seit ihrer Autonomiegewinnung Ende des achtzehnten Jahrhunderts im Grundsatz nie anerkannt hat und das heute weniger denn je tut. Das liegt an ihrem Ausstellungsort, der zugleich ihre Autonomie konstituiert: dem Museum, das selber ein öffentlicher Ort des Privaten ist. Walter Benjamin (1982, 512, 521) hat auf diese Verbindung, auf die Entdifferenzierung von 238
Museum und Interieur, aufmerksam gemacht. Museen seien „Traumhäuser des Kollektivs", deren Inneres „als ein ins Gewaltige gesteigertes Interieur" erscheint. Vom starken Bedürfnis der Menschen nach einem Wohnen im Interieur, das sich im Museum einen öffentlichen Raum schafft, erzählen ebenso die nach innen gestülpten Straßenräumen, die Passagenbauten des 19. Jahrhunderts; und gegenwärtig sicherlich die boomenden Einkaufspassagen, wo das Darüberhinaus, als Ferne, in Bildern ebenso präsent ist wie die Räume ortsgebundener Nähe, ohne daß ein Dazwischen noch vonnöten wäre. Zumindest reduziert es sich auf eine reine Wegstrecke ohne eigensinnige Erfahrungsqualität. Genau das geschieht auch in Las Vegas, wenn am Strip Touristen von einer Hotellandschaft zur anderen wandern, vom New York-New York zum Paris-Hotel und weiter zum Venetian. Was nun die zuletzt behandelten virtuellen Räume angeht, so bleibt festzuhalten, daß hier im Dazwischen die Kommunikation ähnlich flach ist, von geringem Sättigungsgrad bei immer schon festgelegtem Kontext. Stadtsimulationen werden darin als ein Nacheinander und überschaubar erlebt, während sich uns im realen Urbanen Raum eine ungeordnete Fülle, ein Nebeneinander des Verschiedenen in Gleichzeitkeit bietet. Wobei die Erfahrung wesentlich mehr emotionale Qualität besitzt als die doch stark kognitive Zugangsweise zu den virtuellen Räumen. Die Aktivitäten sind hier weitgehend entsinnlichte, da es doch ganz wesentlich auf das Auge, das die Symbole erkennt und interpretiert, ankommt. Auch spielen im Netz die in unserer Argumentation wichtigen Erfahrungen der Differenz und damit zugleich die Notwendigkeiten der Differenzvermittlung keine nennenswerte Rolle. Denn Vermittlungen sind abhängig von dem, was ihnen als Differenz zugrunde liegt, also von deren Bedeutung, die wiederum von der Handlungsaktivität und deren Vielfalt abhängt. Im Gegensatz zu virtuellen Räumen verhalten wir uns im realen Dazwischen zerstreuter, wir sind sehr viel weniger aufmerksam. Auch gibt es hier nur dann eindimensionale Sender-Empfänger-Situationen, wenn sie bewusst herbeigeführt werden. Aber selbst diese sind nie ganz eindeutig. Im Differenz erzeugenden und vermittelnden Raum des Dazwischen ist es möglich, gleichzeitig Empfänger und Sender zu sein. Wir könnten daher von einer an der eigenen Positionierung im Dazwischen erlebten Liminalität im Sinne einer Grenzverwischung sprechen, da man im Grunde immer beides ist: Sender und Empfänger, Aktion und Passivität. Nur so ist 239
möglich und kann sowohl zur erschütternden, irritierenden als auch provozierenden und zugleich befreienden Erfahrung werden, was Baudelaire in einem seiner Spleen de Paris beschrieben hat. Im dichten Gedränge der Großstadt verliert der Dichter als Flaneur bei dem „lebensgefährlichen" Versuch, einen der neuen Boulevards zu überqueren, seine Aureole. Die Differenz zwischen dem Status eines der Autonomie seines hochkulturellen Schaffens verpflichteten Künstlers und der Dynamik einer Modernisierungen ausgesetzten Stadt scheint im Augenblick der Gefahr blitzartig auf. Diese Differenz war mit dem Mittel geschlossener Erzählung nicht mehr zu thematisieren. Erst der Verlust der Aureole, die dem Künstler durch die schnelle, der Hektik der Großstadt folgenden Bewegung vom Kopf in den Straßenmorast fällt, lässt ihn begreifen, was sich zuvor außerhalb seines ästhetischen Verständnisses befand. Er kann sich nun gemein mit dem Gemeinsten machen, Banalität und Trivialität akzeptierend. Im Dazwischen ereignet sich das Unerwartete, was zu einer Uberwindung ästhetischer Haltung führt, aus der heraus Differenz nicht mehr vermittelt werden kann. Das künstlerische Verfahren, mit dem Baudelaire in den Spleen de Paris auf diese neue Wirklichkeit angemessen reagiert, thematisiert das Unzusammenhängende, die Fragmentierung von Wahrnehmung und Erzählung. Sie macht Differenz überhaupt erst zu einer bewussten Erfahrung und stellt die Frage nach den Bedingungen ihrer Vermittlung.
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Anmerkungen
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Niels Werber (2002) hat darauf hingewiesen, daß Differenz und deren Vermittlung, trotz der Auflösung des Ost-West-Konflikts und der Entdeckung der Vernetzungen, Vielheiten und Verflechtungen, nichts an ihrer Notwendigkeit eingebüßt haben. Angesichts der Anschläge vom 11. September 2001 sei es vorbei mit der Illusion vom Wechsel von der Differenz zum Rhizom und dem „Glauben an eine deleuze-guattarische Welt der Plateaus". In den Attacken vom 11. September 2001 werde eine Differenz sichtbar, die alles supercodiert: die Differenz von Zentrum und Peripherie. „ O b nun Globalisierungsgegner, Anhänger der Tobin-Steuer oder Terroristen gegen die von den USA geführte westliche Dominanz vorgehen: der Kampf findet in den Städten statt. Soweit die Stadt, die Global City, als Knotenpunkt des globalen Netzwerks ökonomischer Transaktionen zu betrachten ist, insoweit werde sie auch zum Ziel und Schauplatz jenes antihegemonialen Kampfes, der sich gegen diese .globale Totalität' richtet. Hier kommen nun beide Diskurse: Welt als Netzwerk und Welt als Differenz von Stadt ist offenbar beides: Knoten eines Netzwerks und Zentrum." (Ebd.). Siehe u.a. Melanie Klein, Contributions to Psychoanalysis 1912-1945. London 1948 Helmut Plessner, Gesammelte Schriften in 10 Bänden. Hg. von G.Dux, O . Marquard et. alt., Frankfurt am Main 1980-1985 Zukin beschreibt die Verkörperung erwünschter oder unerwünschter gesellschaftlicher Aspekte durch Städte und deren Quartiere als Folge der Verdichtung kultureller Werte zu einem visuellen Image, als Sammlung kulturell verschieden gewichteter Ausstellungsstücke: „In diesem diskursiven Sinn ist Manhattan riesige Wolkenkratzer, Neonreklamen und Gemälde von unschätzbarem Wert im Metropolitan Museum, und Paris ist Straßencafes, kleine bunte Läden mit großen Schaufenstern und Gemälde von unschätzbarem Wert im Louvre." (1998, 29) In der Übertragung des SoHo-Effekts auf die Hackeschen Höfe in Berlin spricht sie von der Absicht, Synergie zu erzeugen (ebd., 30). Ubertragen aufs Museum ist es die Synergie zwischen den materiellen Gegebenheiten (die Werke = Gewerbehöfe), kulturellen Bedeutungen (Zuschreibungen, die Institution Museum und deren Transformation zur Stätte des Kulturkonsums mit risikolos widerständigem Potential) und der kommerziellen Vermarktung städtischen Raums (als Folge der Musealisierung). Dieser Stadttypus, dessen Konzeption auf die Forschungen von Manuel Castells (The Informational City. London 1989) und Saskia Sassen (The Global City New York, London, Tokyo. Princeton 1991) zurückgeht, der nach Mike Davis (1994) deutlich auch strukturelle Züge von Megalopolen der Dritten Welt annimmt, ist in seiner ursprünglichen Fassung ein Idealtyp im Weberschen Sinne. Allerdings muß man empirisch konstatieren, daß - angesichts der spekulativen Umwälzungen in den Städten mit ihren Mieteffekten und der arbeitsplatzbedingten steigenden Mobilität, die beide zu einer Auflösung traditioneller Wohnbevölkerungen führen - die angesprochene lebensweltlich-lokale Homogenisierung zunehmend auch demarkative Folgewirkungen hat, die auch exkludierende Ressentiments und eine Vergleichgültigung dem Schicksal der Gesamtstadt gegenüber hervorrufen.
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Es verdankt sich ganz gewiß keinem Zufall, daß Charles Baudelaire (1981,286) in seiner Beschreibung des Malers des modernen Lebens (1863) diese beiden Zeitmodi gebraucht, um die Modernität als „das Vorübergehende, das Entschwindende, das Zufällige", als die Hälfte der Kunst zu charakterisieren, „deren andere Hälfte das Ewige und Unabänderliche ist". 7a Noch zu Beginn der 1990er Jahre konnte man beklagen, daß Kultur in stadthistorischen und -soziologischen Untersuchungen kaum eine Rolle spielte. (Barth 1980; Olsen 1993) Soweit kulturelle Aspekte und Institutionen vorkamen, fanden sie nicht als genuin städtische Phänomene Erwähnung. Dabei ist, so Robert Fishman (1993), die Metropole der adäquateste Ort für die Produktion und den Konsum von Kultur. Nirgendwo sonst gibt es diesen Reichtum an Theatern, Konzerthallen, Bibliotheken, Kinos, Museen, Zeitungen, Magazinen. Über die Vernachlässigung der Kultur als konstitutiven Zusammenhang für die Stadt kann man spekulieren. Die Enge fachimmanenter Sichtweisen spielt natürlich eine erhebliche Rolle. Doch liefert die Entwicklung der Stadt im Laufe des 20. Jahrhunderts selber hinreichend Gründe dafür, diesen Gesichtspunkt mehr und mehr aus dem Auge zu verlieren. Die Stadt büßt aus mehreren Gründen ihre Option ein, ausgezeichneter Ort der Kultur zu sein und tritt in Konkurrenz mit anderen Räumen kultureller Produktion, Distribution und Rezeption. So ist beispielsweise die Populäre Kultur eine durch die Medientechnologien (Radio, Film, TV) dezentralisierte und daher ortsunabhängige Kultur, was in den USA zur Verdrängung der Vaudeville-Häuser und der Music Halls geführt hat. Auch für die Produktion der Hochkultur wird die Stadt zu einem „problematischen" Ort. Verantwortlich dafür ist das, was Patrick Geddes die „Regionalisierung der Kultur" nennt, ihren Zerfall in Sprawls. Noch bis in die frühen fünfziger Jahre war die Zentralität der Kultur von den Verkehrsmöglichkeiten begünstigt worden. Die Face-to-face-Kulturproduktionen waren sehr innovativ und anregend, da ein rascher Austausch von Informationen und Ideen möglich war. Kultur war im städtischen Raum ähnlich konzentriert - in New York etwa die Theater am Times Square - wie der Financial District in der Wall Street. 1925 lebten in New York von den damals 8 Millionen Einwohnern etwa 30 Prozent in Manhattan, wo es nicht weniger als 95,000 Theaterplätze gab, davon 44,000 allein um den Times Square. Hervorgerufen durch Kommunikationstechnologien und durch sie ermöglichte neue urbane Formen löst Dezentralisierung diese Strukturen der vornehmlich zwanziger bis fünfziger Jahre allmählich auf. Bereits Andre Malrauxs Museum ohne Wände (1949) antizipierte das dezentralisierte Museum, das einen festen Ort nicht mehr benötigt, weil es überall sein kann. Nichts anderes meint Robert Fishman (1993), wenn er angesichts der elektronisch dezentralisierten Kultur von der „city without walls" spricht. Die fordistische Stadt verliert ihr Monopol der Kulturproduktion und -konsumtion. 8
Deshalb wird das Land, bislang nur Ort ökonomischer Ausbeutung und des Nahhandels, wie in spätrömischer Zeit zum Refugium verklärt, zum Ort ungezwungenen, von kulturell normentlasteten Beisammenseins (in der Landvilla) stilisiert; wobei realiter nur ein weiteres, abgeleitetes Normgefüge für einen speziellen Typ von Geselligkeit etabliert wird. Schon Lorenzettis Fresko in Siena zeigt, daß das Land eine Konstruktion ist, ein Produkt der kulturellen Selbstdeutung des Stadtbürgers; das Bild heißt deshalb zutreffend „Das Gute Regiment" und meint auch da die Stadt, wo es das Land vorzeigt. Noch in der zeitgenössischen Öko-Debatte, die doch eigentlich hinreichend über ihre eigenen Grundlagen aufgeklärt sein müßte, ist das Land („Natur" heißt die heute weitergehende Abstraktion) eine normativ-ästhetische Konstruktion und weist sich damit gerade als
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Resultat städtischer Kultur aus, das jetzt aber nicht mehr als quietistisches Refugium und als wohlgeordneter Herrschaftsbereich erscheint, sondern als Gegenentwurf, von dem aus sein Konstruktionshintergrund, die zerrüttete städtische Kultur selbst, reformiert werden soll. Siehe dazu näher Dröge, Müller, Die Macht der Schönheit. Hamburg 1995, 93-107 Vgl. Baldesar Castiglione, Das Buch vom Hofmann. München 1986 Das Wunschbild Stadt solcherart über Strategien der Asthetisierung zu imaginieren und zu simulieren, um daraus einschlägige Orientierungen für die praktische Ausgestaltung ausgezeichneter Orte zu gewinnen, ist seit wenigen Jahrzehnten der (einäugige) Königsweg einer Stadt- und Kulturpolitik, Identität ganz der Wirkungsmacht vermeintlich einheitsstiftender Bedeutung großer Architekturwerke europäischer Kulturgeschichte anzuvertrauen. So bleibt zu befürchten, daß die Entscheidung für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses nur die Spitze eines Eisbergs ist, an dessen Modellierung bereits Ende der siebziger Jahre Walter Wallmann mit seiner Entscheidung, die im Krieg komplett zerstörte Fachwerkhauszeile gegenüber vom Frankfurter Römer wiederherzustellen, kräftig gearbeitet hatte. - Ganz in diesem Geiste einer in Schönheit zu neuer Höhe findenden Stadtkultur versteht sich die von Antje Vollmer und dem mit ihr zum Hohepriester einer „neuen geistigen Elite" konvertierenden Dieter Hoffmann-Axthelm vor einigen Jahren losgetretene Debatte um einen neuen Denkmalbegriff, der als leicht zu habende Konsensformel auf einer Hierarchie der Schönheit und nicht mehr auf der historischen Aussage eines Gebäudes gründet (siehe D I E Z E I T vom 19. April 2000). So auch die Ausstellung „Wiedergeburt der Stadt", die 1999 die Berliner Diskussion um eine symbolisch-identitätsstiftende „Berliner Republik" zu beleben versuchte. Auch hier das larmoyante Spiel tradierter Stadt- und Architekturbilder vs. moderne Gegenbilder, wenn die Kuratorin dieser Ausstellung, Gabriele Tagliaventi, Position bezieht gegen das „Eindringen der Barbarei in unsere Stadtbilder und Landschaften, gegen diese fürchterliche Pest, die in der Gestaltung der Vorstädte um sich greift und die ihren Höhepunkt in den modernen Peripheriestädten erreicht" (Herv. d. Verf.). Siehe näher Wolfgang Braunfels (1957) Es ist nicht unsere Absicht, den verschiedenen Deutungen des Freskos noch eine weitere hinzuzufügen, auch nicht, für eine von ihnen Partei zu ergreifen. Unter all den Möglichkeiten, das Fresko zu interpretieren, dürfte diejenige, die sich an den lateinischen und italienischen Inschriften des Freskenzyklus orientiert, noch die verläßlichere sein. Gleichwohl ist Alois Riklin (1996, 118) in seiner Kompilation der verschiedenen Interpretationsansätze zuzustimmen, wenn er die Faszination des Werks von Lorenzetti an dessen „Ambivalenz, Mehrdeutigkeit, ja Vieldeutigkeit" festmacht. Zu den wichtigsten Deutungsversuchen rechnen wir Nicolai Rubinstein, Political Ideas in Sienese Art: The Frescoes by Ambrogio Lorenzetti and Taddeo di Bartolo in the Palazzo Pubblico, in: The Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, X X I , 1958,179-207; G.Rowley, Ambrogio Lorenzetti, 2.Bde. Princeton 1958; Uta Feldges-Henning, The Pictorial Programme of the Sala della Pace: A New Interpretation, in: The Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, X X X V , 1972, 145-162; Q.Skinner, Ambrogio Lorenzetti: The Artist as Political Philosopher, in: Proceedings of the British Academy, L X X I I , 1986, 1-56; R.Starn, The Republican Regime of the 'Room of Peace' in Siena, 1338-40, in: Representations, University of California, 18, Spring 1987, 1-32. Doch schon wenig später, bereits in den Idealstadtutopien des 15. und 16. Jahrhunderts und erst recht in den Sozialentwürfen des späten 18. und 19. Jahrhunderts (Ledouxs Salinenstadt Chaux, Comte, Saint-Simon), kehren sich die Wege um: Das als Ideal erkannte
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soziale und ökonomische Gesetz soll nun in Architektur und Plan umgesetzt werden. Es ist die Lebenswirklichkeit der Orte, die jetzt zur Disposition steht. Im weiteren Ablauf ist davon auszugehen, daß die Komplexität des Urbanen Lebens wächst, je mehr diese beiden Bilder sich ausdifferenzieren und wir den Markt nicht länger als den örtlichen Vergesellschaftungsmodus bezeichnen können. Alte Raumbilder sind daher in der Rückschau immer unterkomplex. Gleichwohl stellt sich die Frage, welche erklärende Funktion sie beim Versuch hätten, jene Uberkomplexität auf das ihr anhaftende Wesentliche zu reduzieren. Was für die reduzierte Komplexität alter Raumbilder gilt, trifft selbstverständlich auch auf neu entworfene Raumbilder zu, wie etwa Le Corbusiers „cite contemporaine" und Hilberseimers „Hochhausstadt" und Plan für die Umgestaltung der Friedrichstadt (Berlin 1928). Zitiert nach: Titus Burckhardt, Siena, Stadt der Jungfrau. Olten/Lausanne 1961, 48 Siehe Kemp (1996,23). Man könnte Giottos neue Bildästhetik der eingeräumten Distanzen zwischen Figuren und Bildfeld als eine Vorstufe der Verarbeitung dieser veränderten Raumwahrnehmung und Raumerfahrung lesen: Im Raum lassen sich aufgrund einer Raumordnung „Verhältnisse der Abhängigkeit und Unabhängigkeit." (Ebd., 22) artikulieren. Es ist zugleich Voraussetzung für die einsetzende Wahrnehmung einer Differenz zwischen den Orten und den Räumen, eine Voraussetzung für die spätere Differenz-Verarbeitung. Giotto arbeitet mit der Differenz von Innen- und Außenraum. Es ist bereits die Anerkennung durch die Einrichtung eines Zwischenraums als Sphäre der Vermittlung - als Beispiele seien die .Verkündigung der Anna' (1302-12) und die,Geburt der Maria' (1305/6) genannt. Auf die große Bedeutung des Erzählens als Vermittlungsnotwendigkeit in der höfischen Welt der Herzöge von Burgund im 15. Jahrhundert weist Robert Muchembled in seiner Untersuchung Die Erfindung des modernen Menschen (Reinbek bei Hamburg 1990, 78 ff.) hin. Die Erweiterung des beherrschten Territoriums mit den verstädterten nördlichen Provinzen, wie etwa Flandern, läßt den Hof sich von Stadt zu Stadt, von Schloß zu Schloß bewegen. Muchembled spricht von der „Blüte einer neuen Zivilisation", die, komplex und voller Widersprüche, „überholte ritterliche Ideale und treibende Kräfte einer Zukunft in den Städten, ein Ubermaß an Morbidität und ein starkes Verlangen nach Leben unvermittelt nebeneinander" stellt (79). Es ist der Erzähler, der den ihm zuhörenden Höflingen am Hofe vom Leben auf der Straße berichtet und ihnen dadurch die Möglichkeit bietet, die Differenz einer Erfahrung am Ort (der Hof) und der des Raums (die miteinander verbundenen Städte und deren Lebensweise) zu mildern. Diese für ein gebildetes Publikum bestimmte Literatur ist, so Muchembled, „auch ein integraler Bestandteil komplexerer Anpassungsmechanismen" (88). Dabei hilft zweifellos, daß in den Erzählungen Verhaltensweisen und bestimmte Uberzeugungen - wie die der Bauern - anfänglich „unter einem belustigten, gelegentlich von spöttischer Verachtung geprägten Blick" zur Darstellung gelangen (81). Bald trägt diese Literatur Züge des Trostes, indem sie von einem vergangenen goldenen Zeitalter träumen läßt. Vermittlung modifiziert das, was sie vermittelt.Unverkennbar ist dieser Erzähltypus von Italien und von Boccaccios Decamerone (1353) beeinflußt worden. Und schon sind weitere Dimensionierungen dieser Entwicklung zu erkennen. Sie gründen in der strukturell bedingten Minderung der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsvolumina, in der durch die kapitalistische Konkurrenz radikal vorangetriebenen Flexibilisierung der Arbeit und in den beschleunigten Qualifikationsumwälzungen der Arbeit mit andauernden, teilweise von der gesellschaftlichen Realität nicht honorierten Weiterbildungsanforderungen. Dies gilt auch für die Ausdifferenzierung der Arbeitsformen
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durch das allmähliche Eindringen neuer, medialer Arbeitsweisen (Stichworte: Telearbeit; innerorganisatorische, globale Arbeitsvernetzung; virtuelles Unternehmen). Allerdings ist auch dieser Reduktion historisch vorgearbeitet worden. Und das freiwillig, wenn auch in völlig anderen kulturellen Programmierungen und mit anderen Folgen für die Betroffenen: Im bürgerlichen Interieur. Vgl. u.a. Louis Wirth, Urbanität als Lebensform, in: U.Herlyn (Hg.), Stadt- und Sozialstruktur. München 1974, 42-66; Robert E. Park, The City: Suggestions for the Investigation of Human Behaviour, in: AJS vol 20,1915, 577-612 Frank legt überzeugend dar, daß die von Luhmann in die Welt gesetzte und von Habermas übernommene Systemrationalität kein geeigneter Kandidat für die Übernahme der Subjektfunktionen sein kann. Vielmehr lebten sie hier im Untergrund unbegriffen weiter. Er könne nicht „sehen, wie die Rede von .selbstreferentiell geschlossenen Systemen' ohne expliziten oder impliziten Rekurs aufs Modell selbstreflexiver Subjektivität auskommen kann. Tatsächlich ist die Wiederkehr des Reflexivpronomens (.selbst") ein untrügliches Indiz für die Aufsässigkeit des verdrängten Modells" (Frank 1986, 12). Die Redeweise der Selbstbezüglichkeit anonymer Systeme sei eine Metonymie, die das systemtheoretische Denken in die Nähe „von Positionen verschobener Ursprungsphilosophie ä la Heidegger oder Derrida" (ebd., 13) versetze. Diese Fragen lassen sich hier selbstredend nicht erschöpfend behandeln. Es gilt nur, soziale und individuelle Eigenschaften herauszustellen, die das Funktionieren und mögliche Entwicklungen der Gegenwartskultur in den Städten plausibel machen. Weder können wir hier eine Sozialstrukturanalyse vorlegen, was angesichts der Heterogenität des theoretischen Diskurses zu diesem Thema in der Soziologie auch kaum möglich erscheint, noch können wir unsere Subjektivitätsüberlegungen vollständig an die Philosophie des In-der-Welt-Seins von Merleau-Ponty (1966) anschließen, auf die wir uns in unseren Überlegungen zum Ortsbegriff implizit beziehen. Auch wären wir kaum in der Lage, unsere Vorstellungen mit den sehr aussichtsreichen Überlegungen Franks in seiner rettenden Subjektivitätskritik, die zur Exposition seiner Individualitätsphilosophie führen, zu vermitteln. Die dort nachgewiesenen engen Beziehungen zwischen sozialer Lage und kultureller Praxis ist mindestens teilweise auch auf den Konzentrationseffekt der von Bourdieu - und in seinem Gefolge heutzutage auch in der deutschen Lebensstilforschung - verwendeten Methode der Korrespondenzanalyse zurückzuführen. Auch wenn das in Bourdieus eigener Untersuchung für das Frankreich der siebziger Jahre faktisch so scheinen mag. Dies ist zum einen ein methodisches Grundproblem aller soziologischen Querschnittsanalysen, die nicht die historische Konstitution der untersuchten Variablen berücksichtigen. Zum anderen mag es tatsächlich ein relativ stabiles Reproduktionsmuster der französischen Gesellschaft gewesen sein, deren Ungleichheitsstrukturen erst viel später unter Dynamisierungsdruck geraten sind als in vergleichbaren westlichen Gesellschaften. Wir schließen uns hier systemtheoretischen Gedankengängen an, reduzieren aber die hochartistische Kunstsprache auf einen minimalen Kern und sprechen auch weiterhin von Menschen und Personen in ihren Systembeziehungen, ohne jeden Inklusionsausschnitt penibel zu benennen. „Die menschliche Existenz in ihrer Totalität (was immer das heißen mag) kommt in der Gesellschaft nicht vor. Sie wird kommunikativ vielfach gebrochen, gleichsam faktoriell zerlegt in Konditionalitäten, die von Funktionssystemen aus verschieden bearbeitet werden. Der Name für die Einheit des Zerlegten mag das Mythologem .Individuum' sein,
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aber gleichgültig, was man darunter verstehen könnte, besser oder genauer spräche man vom Dividuum." (ebd., 203 f.) Das ist natürlich die Perspektive aus dem System heraus auf die Personenausschnitte, auf die sich die Systeme beziehen. Für den außerhalb der Systeme Stehenden ist das Individuum die Einheit des (exklusiv) Individuierten und der (inklusiv) Dividuierten. Ihnen stehen wir äußerst skeptisch gegenüber, weil sich an den grundlegenden Strukturen der gesellschaftlichen Reproduktion so wenig geändert hat, daß man mit neuen Strukturbegriffen äußerst vorsichtig sein sollte. Unterhalb dieser Produktebene, die allein von der Monetarisierbarkeit distinktiver Bedürfnisse bestimmt wird, werden sich Distinktionswünsche mit der fordistischen Massenproduktion schwer tun, die schließlich nicht deshalb, weil ihre Herstellerindustrien dezentralisierter sind als früher, bereits ihren Geist aufgegeben hat. Einen ähnlichen Bedeutungsschub in gleicher Begründungslage beobachten wir in anderen Wertsphären: in der ausufernden, oft beklagten Verrechtlichung aller sozialen Beziehungen; in der Rolle wissenschaftlicher Expertisen, die inzwischen selbst für die unbedeutendsten Maßnahmen eingeholt werden müssen und dann für Entscheidungen meist doch keine Rolle spielen. Dies nicht im Sinne einer kausalen Zurechnung, sondern der Kovarianz oder gar der Implikation: Es ist vorstellbar - und diese Vorstellung ist Grundlage unserer Argumentation - , daß Raumbilder Elemente von Lebensstilen sind. Das bedeutet, daß sie neu gebildet werden mit der Ausbildung neuer Lebensstile, und auch, daß ihre Halbwertzeit angesichts des Wandels und der freien Assoziierbarkeit von Lebensstilen - natürlich nur im Rahmen der Stufungen des Ungleichheitssystems - zunehmend geringer wird, sich ihre Zahl indessen erhöht, selbst wenn wir auch hier Standardisierungen erwarten dürfen und auch tatsächlich beobachten können. Als Modell beispielsweise dargestellt in den autobiographischen Schriften des ehemaligen Verlegers des März-Verlages und der Olympia Press, Jörg Schröder (1982), der sich in den Vogelsberg zurückgezogen hat und erzählt, wie dieses Leben die Aktivitäten keineswegs einschränkt, eher noch erweitert. Eine solche rein ökonomische Argumentation mündet leicht in einen erklärungsschwachen Funktionalismus, dem alles, was ist, notwendig so ist, weil es die Ökonomie so will. Wenn sie es denn so wollte, was nicht auszuschliessen ist, müßte indessen wenigstens gesagt werden, wie sie es anstellt, so erfolgreich zu sein, warum sich Konsumenten und Stadtbenutzer diesem Angebotsdiktat widerspruchslos beugen. Merkwürdigerweise herrscht eine solche funktionale Betrachtung gerade in der Stadtsoziologie überall dort vor, wo der Zusammenhang von Stadtentwicklung und Kultur thematisiert wird. Etwa bei David Harvey, Edward Soja, Mario Castells, der ganzen Gruppe der New Urban Political Economy; wobei sich Sharon Zukin (1998, 23) in ihren jüngsten Publikationen davon löst. Auch bei Sassen, Keil oder Noller finden wir eine differenziertere Sicht dieses Sachverhalts. Interessanterweise folgen hier Marxisten und Nicht-Marxisten demselben Erklärungsmuster. Selbstverständlich sehen auch wir Korrespondenzen und Koinzidenzen, die man gelegentlich der Einfachheit halber funktionalistisch beschreiben kann. Aber eine funktionalistische Verknüpfung zweier Variablenfelder bleibt als Erklärungsmuster wissenschaftlich unbefriedigend, die argumentative Eleganz stellt die mangelhafte Logik nicht auf sicherere Füße. Das Ästhetisierungsspiel ist erheblich älter. Man kann es mit ersten tastenden Formprägungsversuchen, gewissermaßen im Testlauf auf Ergiebigkeit, bis ins Spätmittelalter zurückverfolgen. Bewußt gehandhabt in großem Stil, und zwar im Außenraum örtlicher
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Stellenbesetzungen wird es in der Barockarchitektur, vor allem in der Gestaltung von Residenzen und den sie umgebenden Räumen (Parks) und ganzer Ensembles in Residenzstädten (Dresden, Karlsruhe, Potsdam). Hier dient die Mediatisierung der Macht aber gerade der Distanzvergrößerung: Die Pracht der Herrschaft soll zur Repräsentation gelangen. Sie ist schön aber höchst ungemütlich für den Unterworfenen, für den sie kein Lebensort ist. Das ist sie wegen der Öffentlichkeit der Lebensvollzüge oft genug auch nicht für den Regenten. Man denke nur an das öffentliche Ankleideritual des französischen Königs in Versailles, von weiteren Beobachtungen seiner Intimitäten ganz zu schweigen. Siehe auch Dröge/Müller 1995, 37-65. Siehe Christoph Mohr und Michael Müller, Funktionalität und Moderne. Das Neue Frankfurt und seine Bauten 1925-1933. Köln 1984 Für die Ausbildung von Habitualisierungen ist praktisches Handeln in seiner Wirksamkeit unbestritten. Nun sind Wahrnehmung und Aneignung sinnliche Praxis. Die Rezeptionsästhetik spricht diesen Tätigkeiten ja sogar wesentliche Anteile bei der Konstitution von Bildern und Texten zu. Doch ist hier auch auf Tun selbst zu verweisen. Eine große Rolle für die Ausbildung eines „ästhetischen Blicks" spielen die stark frequentierten Gestaltungskurse in den Volkshochschulen der sechziger und siebziger Jahre (Batik, Töpfern etc.) und vor allem die Durchsetzung der Kleinbildkamera (später ansatzweise der Videokamera) zum Massenkonsumgut und Massenwahrnehmungsmedium. Es ist für die Intention der Wahrnehmungsveränderung kennzeichnend, daß bereits die Nazionalsozialisten eine breite Bewegung für Volksphotographie in Gang gesetzt hatten und jeden Deutschen zum Knipser machen wollten (Dröge, Müller 1995). Man sollte vielleicht daran erinnern, daß die hier angesprochene Medium-Form-Problematik der Ästhetisierung, wenn auch in anderem Kontext, in Schillers Ästhetik thematisiert ist, indem für ihn das Naturschöne das Kunstschöne spiegelt. Während in Goethes Ästhetik durch die künstlerische poiesis zwischen beiden ein Niveauunterschied besteht - die überragende Rolle der Künstlerschaft Gottes spielt hier schon keine Rolle mehr führt bei Schiller eben diese poiesis dazu, daß wir aufgrund der Prägekraft der medialen Kunstformen die Natur durch diese hindurch wahrnehmen. Damit ist zwar das „Erhabene" (Kant) nachhaltig entschärft, aber der Gedanke der universellen Ästhetisierung ist zur Wucherung in der Welt freigesetzt, den nach Goethes Urteil (1797 in Kunst und Handwerk) bereits Wedgewood in die Praxis umsetzte. Siehe auch die Studie von Edward W. Soja, Thirdspace. Oxford 1996 Man kann in der nachantiken Malerei vielleicht den Freskenzyklus von Giotto in der Capeila degli Scrovegni in Padua, in der der Code zum ersten Mal, gewissermaßen experimentell, vermittelt wird, als Schnittpunkt und Genesis des Mediums betrachten. In der bei aller internen Flexibilität von der orthodoxen thomistischen Theologie bestimmten Erzählung des Lebens Jesu und der Konzeption des Weltaufbaus an der der Apsis gegenüberliegenden Stirnwand wird hier der Gegensatz von unbelebter Strenge der Dogmatik (die bekanntlich im Bildprogramm bis zu Umdeutungen von Bibelstellen geht) und belebter Darstellung einzelner Figuren, Naturelemente und Tiere auf dem damals möglichen Niveau spielerisch durchgeformt. Selbstverständlich gibt es frühere Fälle in der römischen Stelenkunst und vor allem im Hellenismus. Das bekannteste frühe Beispiel ist vielleicht die Trunkene Alte in der Glyptothek in München, die die archäologische Orthodoxie noch immer dem Hellenismus zuschreibt, die Dieter Metzler (1969) jedoch schon vor Jahrzehnten mit überzeugenden Argumenten ins 5.Jahrhundert datiert hat, in dem sie die Belebtheit selbst oder gerade der menschlichen Verkommenheit gegenüber der entindividualisierten Typizität der klassischen skulpturalen Kunst markiert. Metzler
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sieht diese binäre Codierung übrigens bereits in der klassischen Portraitkunst im Ansatz durchbuchstabiert. Die Entwicklung reißt aber in der Spätantike mit dem Zerfall der städtischen Kultur ab, und setzt in dem spätmittelalterlichen reetablierten Städtesystem, und naheliegend: zuerst in Italien, wieder ein. Das zeigt einerseits, daß die Systemevolution nicht linear verläuft, und andererseits, daß sie an die Entfaltetheit städtischer Kultur eng gekoppelt ist. Diese Deutungsmöglichkeit für die Ästhetisierungsforderung der Avantgarden zieht Boris Groys nicht in Betracht. Für ihn ist diese Programmatik vorweggenommener Stalinismus. Vgl. unsere diesbezügliche Argumentation in Dröge, Müller, 1995, 98f, 385. „Die Sozialforschung [...] kennt den neuen Typ des .reflexiven Mitspielers'. Er verhält sich taktisch in allen Lebenslagen und scheint über alles aufgeklärt. Konformismus und Kritik greifen bruchlos ineinander. Mit bekennender Rücksichtslosigkeit verfolgt er seine Interessen und macht sich selbst zur Marke, doch die Angst vor Abweichung und Versagen verfolgt ihn Tag und Nacht. Der .reflexive Mitspieler' ist Ich-AG und Selbstverwerter in einer Person. Er verkörpert die Kampfstimmung, von der unsere Gesellschaft durchdrungen sei". (Thomas Assheuer, Das Beste kommt noch. Adorno als Kapitalismuskritiker - eine Konferenz in Frankfurt, in D I E Z E I T 41/2003) Wobei sogar das klassische Erbe seinen Transformationen gegenüber eine gewisse Sperrigkeit behält. Das zeigen beispielsweise die gegenwärtigen gravierenden Probleme der Tonträgerindustrie gerade im Marktsegment der „Klassik". Mit der Praxis immer neuer (und immer teurerer) Stareinspielungen der immergleichen Werke, hat sie über einen längeren Zeitraum die Nachfrage nach ihren Produkten kontinuierlich gedämpft. Das hat jeweils zu einer weiteren Drehung der Neueinspielungsschraube geführt, bis der Markt von der Angebotsseite her nahezu völlig in die Knie gezwungen wurde. Es scheint möglich, für den architektonischen Entwurf wissenschaftliche Methoden zu übernehmen, die ursprünglich für Erzählungen (Novellen), Bilder, Filme oder Installationen entwickelt wurden. Das Objekt, aufgefaßt als Text, wird in Text transfiguriert, so daß der Text selber zu einem Bestandteil der jeweiligen künstlerischen Ikone wird. Allerdings drückt sich darin eher die Macht der interpretatorischen Rede aus als die Verpflichtung zu verstehen. Siehe auch M.Bandini in: Bird/Curtis et.alt (Ed.), "mapping the futures". London/New York 1993, 237f. Dieser Kampftyp um die Sanierung von zum geplanten Ruin für den späteren Abriß freigegebenen Altbauten in Berlin, aber auch anderswo ist wegen der Folgewirkungen sehr interessant. Aus den Besetzerkreisen sind mehrere klein- und mittelständische Unternehmen zur Altbausanierung hervorgegangen. Gerade die ökonomisch orientierten Gentrifizierer sollten diesen Protestanten gegen ihre ursprüngliche Erneuerungspolitik ein Denkmal setzen: Ohne sie gäbe es heute viel weniger bauliche Substanz zum Gentrifizieren. Und vermutlich auch weniger qualifizierte Sanierer, vom Arbeitsmarkteffekt zu schweigen. Inzwischen ist die ideologische Debatte um den Postmodernismus, den es ästhetisch ohnehin praktisch nur im Medium der Architektur gegeben hat, erfreulicherweise abgeflaut. Man hat wohl auch eingesehen, wie billig in ästhetischer und materialer Hinsicht vieles davon ist. Aber vielleicht nicht mehr so sehr in spektakulären Großbauten, die ohnehin als architektonische Singularitäten im Stadtbild oft problematisch sind, dafür aber in kleiner Münze im Weichbild der Städte und vor allem am Stadtrand wird mit Erkerchen und Rundbögen das weitergebaut, was von der Postmoderne zu moderaten Preisen zu verwursten ist.
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44 Manche Städte, wie Bremen auf einem zentralen städtischen Platz, der Domsheide, lassen sich die passenden Materialkombinationen und Flächenanordnungen sogar von Künstlern zusammenstellen. 45 Es überrascht kaum mehr, daß sich in Hegels Beschreibung des neuen, des modernen Verhältnisses des Künstlers zur Kunst verblüffende Ähnlichkeiten zu dem Verhältnis aufdrängen, die der kapitalistische Warenproduzent den Waren gegenüber einnimmt: Verlust des „Gebundenseins an einen besonderen Gehalt", „freies Instrument [...], das er „gleichmäßig handhaben kann." Der Künstler bewegt sich frei und „unabhängig von dem Gehalt und der Anschauungsweise"; und „jeder Stoff darf ihm gleichgültig sein." Es gibt keinen Stoff, der über dieser Relativität stünde. Der Künstler gebraucht seinen „Vorrat an Bildern, Gestaltungsweisen, früheren Kunstformen, die ihm, für sich genommen, gleichgültig sind und nur wichtig werden, wenn sie ihm gerade" passend erscheinen. (Hegel, Werke, Bd.14, Vorlesungen über die Ästhetik. Frankfun 1970,235 f.). 46 Wer kann in den Besucherströmen schon kompetent verstehend umgehen mit der Kunst der Mayas oder Phönizier (Venedig), der Ikonographie Vermeers (Den Haag und anderswo) oder den stilistischen Vergleichsreihen des Caspar-David-Friedrich-Zeitalters (Hamburg), von den Miniaturen Leonardos im Codex Atlantis (Hamburg und anderswo) ganz zu schweigen, vor denen sich lange Menschenschlangen für einen kurzen Augen-Blick in völliger Dunkelheit bildeten. 47 Dazu hat sich in seiner fulminanten Dissertations- und Habilitationsschrift Viktor Kittlausz außerordentlich kompetent und kritisch geäußert. Sie lag zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches als Manuskript vor unter dem Titel „Hybride Architekturen im mediatisierten Raum - Analysen zum Verhältnis von .digitaler Architektur', Transformation des Raums und städtischer Alltagserfahrung" (Universität Bremen, FB 9 / Architop - Bremer Institut für Architektur, Kunst und städtische Kultur) 48 Wir beziehen uns auf diesen Begriff, wie ihn Gabriel Marcel (1954, 165 ff.) in seinem Entwurf einer Phänomenologie des Habens entwickelt hat. 49 Dabei weiß man heute nicht unbedingt, was das genau ist: Frankfurt oder das Siedlungsgebilde Rhein-Main? Gelsenkirchen oder das Ruhrgebiet? Darin gibt es aber beispielsweise wieder Dortmund und Schalke, also räumliche Identitäten die durch - in diesem Fall sportliche - Symbolisierungen und Identifikationen gebildet werden. 50 Vgl. Naredi-Rainer, Paul, Zur Ikonologie moderner Museumsarchitektur, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Bd. XLIV, Wien/Köln/Weimar 1991, 191-204 und 291302. 51 Siehe dazu die Beiträge in Museumskunde 62 (1), 1997 52 Zit. nach Frankfurter Rundschau, 7. November 1997 53 In der Kunstgeschichtsschreibung fällt auf, daß die Autonomie des Kunstwerks auf die Künstlerpersönlichkeit bezogen wird. Die Künstlermonographie ist hierfür der wissenschaftliche Prototyp. Das bedeutet zugleich auch, daß die Aura an das Genie des Künstlers gebunden wird, die so zum eigentlichen Original des Werkoriginals wird. 54 Entfremdung ist hier ein changierender Begriff. Er hat einerseits die kritische - und damit im empirischen Sinne auch die kulturkritische - Dimension, wie sie bei Fichte, Hegel oder Marx zu finden ist. Andererseits folgen wir Simmel (1957), für den in der Moderne Freiheit nicht ohne Entfremdung zu denken ist. Die solipsistische Versunkenheit der auratischen Haltung markiert demnach die Freiheit des gebildeten bürgerlichen Individuums von den weltlichen Externalitäten des ästhetischen Erlebens. Es markiert diese Freiheit damit aber zugleich auch als eine a-soziale Haltung all den Verpflichtun-
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gen und normativen Ansprüchen gegenüber, die in diesen Externalitäten aufgehoben sind und dem gemeinen Manne vorbehalten bleiben. Siehe dazu den vorzüglichen Aufsatz von Mary McLeod, Everyday and „Other" Spaces, in: D.Coleman, E.Danze, C.Henderson (Ed.), Architecture and Feminism. Princeton Architectural Press 1996,10 Robert Venturi, Denise Scott Brown, Steven Izenour, Learning from Las Vegas, The MIT Press 1972 (deutsch: Lernen von Las Vegas, Braunschweig 1979 - Bauwelt Fundamente, Band 53) Sie führt von Ägypten mit Pyramide und Sphinx (Luxor 1993) den Strip hinauf zum Schloß von König Arthur (Excalibur 1993) und hinüber zur Freiheitsstatue, dem EmpireState-Building und dem Coney-Island-Rollercoaster (New York, 1997). Weiter führt der Weg zu dem mit 5000 Betten größten Hotel der Welt (MGM) und zum .Corner See', einer auf 100 Millionen Dollar geschätzten Sammlung von Impressionisten und einem Restaurant, indem elf (!) echte Picassos an den Wänden hängen (Bellagio 1998). Vis-ä-vis steht eine etwas verkleinerte Kopie des Eiffelturms mit Opernhaus und Triumphbogen (Paris 1999). Von hieraus ist es ein Katzensprung zur authentischen „Nachschöpfung der Romantik des italienischen Venedigs"(Sheldon Adelson, Besitzer des Venetian), wo man im Palazzo Ducale wohnen und auf der Piazzetta frühstückend den Canzoni italienischer Gondolieri lauschen kann (Venetian 1999). Nicht zu vergessen das erweiterte Caesars Palace Forum mit beeindruckender römischer Piazza (1992/98), die Raumstation Deep Space Nine (Star-Trek-Hilton 1998) sowie die Seeschlacht in der Bucht eines Piratennestes (Treasure Island 1993). Mit einem jährlichen Zuwanderungsgewinn an Einwohnern von 8,7%, der unglaublich hohen Besucherzahl, die jährlich 90% der 110.000 Hotelzimmer belegen, und vielen anderen zahlenmäßigen Superlativen hat diese inszenierte Universalität allerdings auch eine höchst konkrete Seite. Siehe den Bericht in der Süddeutschen Zeitung, 3. September 2002, 25 Die Erinnerung an die Unter- und Oberstadt in Fritz Langs Film „Metropolis" drängt sich auf: hier die Welt der roboterhaften Autoproduktion, die man mit der Bahn durchfährt, und dort die unterhaltsame Welt der Autostadt. Nur repräsentiert sie nicht mehr jene Kälte und protestantische Neutralisierung des Raums wie in Langs utopisch anmutender Oberstadt-Vision. Auch erscheinen beide in ihrer Gegensätzlichkeit im Konzept der Autostadt versöhnt. Auch deshalb ist deren utopischer Überschuß nicht weniger virulent als der der Langschen Metropolis. Siehe die beiden Veröffentlichungen „Wohnen" und „Häuser", beide ΕΤΗ Zürich, 1999. Ebd., 130. An Le Corbusier hat Colomina (1992) gezeigt, wie Haus und Wohnung als mediatisierte Orte den Blick verändern. Es geht um den Blick aus dem Fenster von einem Ort aus, der aufgrund seiner zur Verfügung stehenden Medien den Raum dominiert. Das Hochhaus, so Le Corbusier, beinhaltet alles: Maschinen wie Telephon, Kabel und Radio, die Zeit und Raum abschaffen. Colomina greift die Tatsache auf, daß das Fenster bei Le Corbusier horizontal ist. Es sei so der adäquate Rahmen für den photographischen Blick im Gegensatz zum hohen Fenster, das eine perspektivische Konstruktion des Außenraums nahe lege. So werden das Haus zu einem Photoapparat und das Fenster zu einer auf die Natur gerichteten Kamera-Linse. Als Blicke generierender Apparat ist das Haus mobil. Es ist in der Luft, es kann - losgelöst von der Natur - überall sein. „Mit den neuen Formen der Kapitalakkumulation, der Produktionsverhältnisse und des rechtlichen Status des Eigentums sind alle volkstümlichen Praktiken, die unauffällig oder
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geduldet oder gewaltsam die Gesetzwidrigkeit gegenüber Rechten verkörperten, in die Gesetzwidrigkeit gegen Güter umgeschlagen." (M.Foucault, Uberwachen und Strafen. Frankfurt am Main 1976, 110) Daß es sich dabei um eine Angst handelt, die wesentlich das Produkt männlicher Phantasie und damit geschlechtsspezifischer Natur ist, ist aus feministischer Sicht vielfach und einleuchtend dargelegt worden, u.a. von Barbara Ehrenreich im Vorwort zu Klaus Theweleit, Male Fantasies, Vol.1, Cambridge 1887, S. XHIf. Insbesondere von Elizabeth Wilson (1993, S. 15 ff.), die allerdings auch einräumt: „Feminist writing about cities has also sometimes unintentionally produced rationalistic solutions in this partly negative sense to the perceived problems for women of urban living". (Elizabeth Wilson, Looking Backward. Nostalgia and the City, in: S.Westwood/ J.Williams (Ed.), Imaging Cities. London/New York 1997,135) Edwin Redslob, Künstlerische Fragen im Arbeitsbereich des Warenhauses, in: Probleme des Warenhauses. Beiträge zur Geschichte und Erkenntnis der Entwicklung des Warenhauses in Deutschland, Berlin 1928, 121 „Es besagt viel über die damaligen Mittelschichten", so Peter Gay in seiner vorzüglichen Studie Bürger und Boheme" (München 1999, 194 f.), „über das Verständnis ihres eigenen Werts und über ihre Suche nach einem Platz in der Welt, wenn man konstatiert, daß bei ihnen die Sammelleidenschaft regelrecht aufblühte. Möglicherweise läßt sich das Faktum, daß die Bürger im 19. Jahrhundert ein Volk von Sammlern waren, dahingehend interpretieren, daß man das Sammeln als ein Emblem des triumphierenden Individualismus begreift." Das Sammeln „vermittelt Kontrolle, will sagen Macht über ein ausgewähltes Gebiet. Es bündelt undeutliche Erinnerungen und Fantasien." Bertolt Brecht, Der Dreigroschenprozeß, in Brecht, Ges. Werke 18. Frankfurt am Main 1973, 161 f. Ein Verstärker des Ausstellungscharakters der Stadt ist zweifellos die Gentrifizierung. In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts fing sie meist mit dem an, was man in England ,walking tours' nennt. Dabei findet man entweder Gefallen oder ist entsetzt über den Zustand eines Quartiers. Danach beginnt die kulturelle Aneignung, die immer von einem Dilemma begleitet wird: Täte man nichts, ginge die Aura des alten Orts unweigerlich zugrunde, weil kein Geld mehr vorhanden ist; andererseits wird sie durch den Kapitalzufluß, durch neue Bauten zerstört. Eines der unzähligen Beispiele der achtziger Jahre ist der Stadtteil Clerkenwell. Auch hier gab es zuerst verschiedene walking tours, dann wurde der Stadtteil zu einem Ensemble mit entsprechend kultureller Aufwertung, an der hauptsächlich Kulturvermittler aus dem Ausstellungssektor beteiligt waren, also Museumsleute, Berater für Sammler, Leute von Galerien. Was folgt, kennen wir auch aus Deutschland: Irgendwann beginnt jemand, besondere Käse in einem neu eingerichteten örtlichen Gourmetladen zu verkaufen, es bilden sich Restaurants, die von bestimmten Kritikern in bestimmten Zeitschriften und Zeitungen vorgestellt und besprochen werden. Das alles konstituiert ein kulturelles Bild, das wesentlich die Bildung der (postmodernen) Stadt auch heute noch stützt und mitproduziert. Tourismus, Essen, Medien und Kunst; die daran gebundenen Konsumgewohnheiten werden zu einem Anhängsel von Besitzentwicklung. Sie produzieren eine .Liminal scene' zwischen Marktökonomie und Ort, und ihr Erfolg fungiert als Faktor der ökonomischen Aufwertung. Der Sinn des Orts ist der, dessen materiale Seite höheren Mieten oder Marktkräften erliegt. Die Infrastruktur bringt einen neuen Kulturtypus hervor, der in seinen heterogenen Geschmackswünschen durchaus an den Kunst- und Wunderkammern Geschmack gefunden hätte. Denn er schätzt die Einzigartigkeit alter
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Handarbeit und brandneuen Designs; er liebt das Wohnen in Industriebrachen (Wohnen am Fluß) und kauft in Läden ein, die alle Olivenöle der Welt anbieten und selber Brot backen (Butler Wharf). Und eines ist sicher: In all diesen Gewohnheiten teilt der Gentrifizierer mit den Touristen, die sein Quartier aufsuchen, wesentlich mehr Gemeinsamkeiten als mit all denen, die hier vormals lebten und arbeiteten. - In der „alten Stadt" ist Gentrifizierung immer auch eine Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe, wo es zur Umwandlung von Hafenanlagen (.Docklands') kommt und Fabriken zu Lofts umgebaut werden. Hier wird aus dem privaten und machtlosen Raum ein machtvoller Raum im Sinne einer .cultural power'. 69 Die Fülle der im holländischen Stilleben des 17. Jahrhunderts versammelten Gegenstände repräsentiert für den Betrachter die ferne Welt des Handels und die Ökonomie des Marktes, die im Bild als Ort im Raum des Interieurs so gegenwärtig werden. „A given painting by Jan Davidsz de Heem or Willem Kalf may include not only metalware from Nürnberg and glass from Venice but also a porcelain from China, tobacco from America, shells from the Far East, rugs from the Near East, exotic spices from the Indian archipelago, and on and on - so many synecdoches, if not of the Dutch empire, then at least of the Dutch market. "(Hal Foster, The Art of Fetishism: Notes on Dutch Still Life, in: Fetishism as cultural discourse. Cornell University Press 1993, 251-265, hier 256. Siehe auch den Aufsatz von Elizabeth Honig, Making Sense of Things, in: RES 34, 1998, 167-183). - Erstmals verzeichen wir hier in Holland im Verlauf des 17. Jahrhunderts die für unser modernes Objektverständnis so folgenreiche Grenzverwischung zwischen Warenfetisch und Fetischisierung des gesammelten Objekts. An die Stelle des an Ruhm und Macht fürstlicher oder monarchischer Sammler gebundenen Typus der enzyklopädischen Sammlung (Kunstkammer) tritt hier das Privathaus des Händlers und Kaufmanns. Gleichzeitig verstärkt sich das Bild von der Stadt als großem Speicher für alle angesammelten Gegenstände, wenn etwa Diderot von den Holländer später (1772) berichtet, daß sie alles sammeln, „was selten ist oder praktisch oder kostbar, und es zurück in ihr Lagerhaus (schaffen)." Denis Diderot, Voyage en Hollande, in: Supplement aux Oeuvres de Diderot. Paris 1818, 68, zitiert nach, Svetlana Alpers, Kunst als Beschreibung. Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts. Köln 1985, 202. 70 Man wird sich dem Gedanken Adornos (1969) nicht verschließen können, das Museum als Metapher für die anarchische Produktion der Waren in der voll entwickelten bürgerlichen Gesellschaft zu begreifen. Zunächst: Museen entziehen die Objekte ihrem Kontext und werden so zum „Erbbegräbnis" (ebd.) der Kunstwerke. Damit neutralisieren sie die Kultur. Zugleich monopolisieren sie bestimmte Felder des Sehens und konstituieren so eine gewisse Macht, verbunden mit der Hegemonie des Kapitalismus. Hier wird eindeutig das Objekt privilegiert und die optische Wahrnehmung als universelle ausgegeben. Die hier zur Wirkung kommende kulturelle Hegemonie drückt sich darin aus, daß der überwiegende Teil der Museumsbesucher sich vom Mysterium der Werke ausgeschlossen fühlt. Die metaphorische Verbindung von Museum und kapitalistischer Ökonomie stützt Adorno auf Valerys Essay Le Problem des Musees. Darin erstaunt ihn, daß im Zusammenhang mit dem Museum bei Valery Begriffe der politischen Ökonomie auftauchen. - Daniel J. Sherman (1994, 123 ff.) führt den aus der Kritik an den Verbindungen zwischen Museen und Geld hervorgehenden kritischen Diskurs gegen das Museum auf Quatremere de Quincy zurück und dessen 1791 veröffentlichte Schrift Considerations sur les arts du dessin; ebenso Considerations morales sur la destination des ouvrages de l'art (1815). Angelehnt an Adornos Museumskritik und Habermas' Öffentlichkeitsbegriff zeichnet Sherman eine interessante Genealogie dieses Diskur-
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ses nach. Dabei bemüht er Jamesons Begriff des politischen Unbewußten, um so die Anwesenheit politisch-ökonomischer Begrifflichkeit bei Quatremere de Quincy - also noch vor Marx - zu erklären. Dessen Argumentation ist kontextorientiert: Fehlt den Werken der ursprüngliche Zusammenhang, so verliert sich jede erzieherische Möglichkeit. So sind Italien und insbesondere Rom für ihn das natürliche Museum - gegenüber der künstlich konstruierten Institution. Quatremere diskutiert das Verhältnis zwischen dem Gebrauchswert eines Kunstwerks (seine moralische Aufgabe in der Gesellschaft) und demTauschwert (als reines Wertobjekt). Dabei hat er keinen Zweifel, daß die in den Museen produzierte Fetischisierung der Kunst, obwohl deren Werke dem Zirkulationsprozeß entzogen sind, den gleichen Effekt hat wie die Warenproduktion. In der touristischen Variante der Monumentalisierung (Groys 1997) einzelner Objekte und Stadträume erfährt die Musealisierung des Urbanen Raums eine erhebliche Steigerung. Kevin Lynch hatte bereits beobachtet, daß die Transformation der Stadt in einen Text uns im tagtäglichen Umgang mit ihr Erleichterung verschafft. Das geschieht in gleicher Weise durch Monumentalisierung einzelner hervorragender Bauten, da durch sie Stadt in eine Sprache der Substantive und Adjektive verwandelt wird. Diese Sprache ist einfach zu erlernen, sie muß nicht erfunden werden. Ihre Grenzen können nicht überschritten, Fragen nicht gestellt werden. Die Stadt, so Boris Groys, spaltet sich in eine monumentale, unvergängliche Komponente [...] und eine Komponente des Vergänglichen und Vorläufigen". Und: „Wenn man als Tourist in eine andere Stadt fährt, hat man zum Ziel, die Monumente in dieser Stadt anzuschauen". Monumentalisierung, so ließe sich sagen, ist eine Strategie der mühelosen Beherrschung des Stadtraums. Vitruv, Zehn Bücher über Architektur. Darmstadt 1964, 233 ff. Hier wäre weiter zu diskutieren der Zusammenhang von Theatralisierung und Musealisierung heute (Las Vegas, Malls, Celebration City). Institutionen wie Shopping mails, Warenhäuser und Museen fördern die Grenzauflösung zwischen kaufmännischer Schaustellung und öffentlicher Ausstellung. Die Umgebung - die Stadt, die Vorstadt und das Phantasiezentrum - unterstützt eine Auflösung zwischen Natur und Kultur, Markt und Vergnügen, Arbeit und Freizeit, die die Schlüsselrolle zentralisierter ökonomischer Macht verdeckt. Menschen lieben es zu konsumieren; hier suchen sie ihre soziale Identität, vergleichen die Waren und sprechen darüber. Drama, Geschichte und Buntheit finden sie in den Räumen des Konsums. Das Leben entfernt sich immer mehr von der materiellen Produktion; deshalb auch schwindet das Interesse an Werten des Industriezeitalters: Ökonomie, Arbeitsorganisation, soziale Gerechtigkeit - ein Verlust der Werte, zweifellos. (Jean Baudrillards Amerika-, Umberto Ecos Travels in Hyperreality). Landscape, so ließe sich vorläufig sagen, ist eine weitere Verstärkung des zum Medienverbund transformierten Stadtraums. Die naheliegende Kritik dieses Gedankens, daß die Dauer nicht in der Beständigkeit des Gebauten, sondern in seiner Veränderbarkeit liegt, wollen wir hier nicht näher ausarbeiten, weil trotz der zweifelhaften Prämissen die Schlußfolgerungen hinsichtlich des touristischen Blicks stichhaltig sind. Gegen Groys' Ausgangsthese spricht nicht nur das Schicksal der großen Stifterdome in Deutschland mit ihren ständigen Umbauten und Ergänzungen. Le Goff (1998) nimmt an, daß die mittelalterlichen Städte, deren erhaltene Rudimente, vor allem aber deren Pläne uns heute als Musterexemplare von Beständigkeit erscheinen, während ihrer Blüte nicht nur etwa alle zwei Generationen in ihrer Sozialstruktur, sondern auch in ihrer baulichen Substanz umgewälzt wurden. Groys 1997, 98 f. Selbstverständlich wirken auch hier die Ort-Raum-Differenzen und die unsichtbaren innerstädtischen Mauern, denn wer nach Paris, Rom, Neapel oder Flo-
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renz fährt, muß ebenso die scheußlichen Trabantengürtel passieren wie in Köln oder Dortmund. Allerdings werden sie hier durch die Zeitachse vom Unvergänglichen und Authentischen zum Gegenwärtigen noch zusätzlich, und das ganz bewußt, dimensioniert. Nur der monumentalisierte Raum gewinnt Ortscharakter durch die Zuschreibung des Authentischen, des Lebendigen, dessen Geschichtlichkeit man den monumentalisierten Gebäuden anzusehen wähnt. Siehe auch die in dieser Sache sehr offenen Worte des Kunsthistorikers und Assessore della Cultura der Stadt Florenz, Antonio Paolucci, Cittä d'arte: autentica ο clonata?, in: Architettura & Arte, N.l, Gennaio - Marzo 1998, 9-11 A Tale of Two Economies: Viva Las Vegas and God Bless America, http://www.masscustomization.de/news Westerbarkey (1998,312f.) liegt in seinem sonst sehr instruktiven Artikel falsch, wenn er „privat" von lat. privare = Raum, von etwas befreien, ableitet, als Gegensatz zu Privatheit, also Besitzlosigkeit, Schutzlosigkeit annimmt. Es stammt von privatus ab, das sich als Rechtsbegriff in der späten Republik in der Bedeutung von „abgesondert vom Staat, vom öffentlichen Amt befreit" etc. herausgebildet hat. Es bezieht sich auf die Autonomie privater Haushaltung, Eigentumsverfügung; so auch in dem Kontextwort privatem, das ebenso (wie in privato) auch einfach zu Hause bedeutet (vgl. Livius 23, 7, 10). Hier ist interessant, das der Gegensatz von privatem se tenere nicht etwa publicus oder comunes ist, sondern obviam ire bzw. egredi, der Raumbezug damit bereits in der frühen Ausformung der Begrifflichkeit evident wird. - Bei Kant (1783) ist die Trennung noch präsent, wenn er den Experten für Theologie oder Militärtechnik in freier Rede coram publico eines bürgerlichen Publikums von dem Amtsinhaber, ζ. B. Priester oder Offizier, unterscheidet, die vor ihrer versammelten Gemeinde in der Kirche oder auf dem Kasernenhof - wo sie eben nicht im Sinne Ciceros vom Amt „befreit" sind, nicht das sagen können, was sie als Privatleute auch in ihrer beruflich erworbenen Fachkompetenz vorbringen dürfen. Zum Beispiel die Entwicklung romantischer und sexueller Beziehungen (Döring 2000a, 39-70); die Veröffentlichung von Gästebüchern (Klemm, Grane 2000); elektronische Grabstätten im Internet (Geser 1998), überhaupt die sich häufenden Untersuchungen und Sammelbände über soziale Beziehungen im Internet. Der Einfachheit halber stützen wir uns aus dem unübersehbaren Wust der kritischen Literatur zu diesem Thema auf zwei jüngst erschienene Sammelbände (Imhof, Schulz 1998; Jarren, Imhof, Blum 2000) des sogenannten Mediensymposiums Luzern, das als Einladungskonferenz mittlerweile einen relativ prominenten Status in der deutschsprachigen Medienforschung genießt. Vgl. die sehr profilierte und gut entwickelte Darstellung dieser kritischen Position bei Jung, Müller-Doohm (1998). Sie verdoppeln Adornos allgemeinen „Verblendungszusammenhang", in den die massenkulturellen Subjekte im Spätkapitalismus ausweglos eingesponnen seien, indem sie nun auch noch zu „massenkommunikativer Anschlußfähigkeit gezwungen" sind (ebd., 137), da es den „sozialen Exitus" bedeute, sich dem zu entziehen. Das gehe nur über „kommunikativ prämierte Sich-Selbst-Offenbarung", weil man nur so als „massenrhetorisches Subjekt Gehör und Stimme" habe. Neben vielem anderen fragt man sich, was mit den vielen Millionen Menschen passiert, die nicht bei Hans Meiser in Tutti quanti auftreten oder ständig freiwillig in Containern leben (Weber 2001), mit einer Web-Cam herumlaufen und ihr Privatleben ins Netz stellen. Sind unsere Städte soziale Friedhöfe, weil ihre Bewohner dem kommunikativen Anschlußzwang
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nicht nachgeben wollen, dem - bleiben wir nur in Deutschland - lediglich einige Tausend von 80 Millionen nicht ausweichen zu können glauben? Siehe dazu den in jeder Hinsicht erhellenden und zugleich ernüchternden Beitrag Aleida Assmanns, „Druckerpresse und Internet", in der Frankfurter Rundschau vom 18. Januar 2003 In den folgenden Ausführungen zum Gemeinschaftsbegriff stützen wir uns auf die theoretischen Voriiberlegungen von Bettina Heintz (2000). Auf Einzelzitierungen wird deshalb verzichtet, auch wenn Heintz sich ihrerseits auf andere Autoren wie etwa auf Calhoun stützt. Das bekannteste Beispiel, das Raumverhältnis zwischen Kinderzimmer und elterlichem Schlafzimmer, einschließlich der Rolle der Lesefähigkeit hat Neil Postman mit dem „Verschwinden der Kindheit" zu einer umfassenden Dekadenztheorie des Fernsehens und des kindlichen Sozialverhaltens aufgeblasen, weil die Kinder nun nicht mehr lesen können müßten und über den Fernseher trotzdem erfahren, was im Schlafzimmer der Eltern und in der Erwachsenenwelt allgemein vor sich geht. Zur Geschichte des Internet, vgl. Hafner, 1997 Der antike Hades besaß keine Raumkonzeption, weil er irgendwo im Erdinneren lag, ebensowenig wie der Olymp, der bekanntlich auf Kreta steht. Auch dies häufig ein Motiv in mittelalterlichen Fresken und Tafelbildern als Jüngstes Gericht bis zu Giotto. Für die Entwicklung naturwissenschaftlicher Raumkonzeptionen vgl. Jammer (1980) und Gosztonyi (1976) Entsprechende Versprechungen etwa bei Jaron Lanier u.a.; am bekanntesten sicherlich in Deutschland die Auslassungen des Robotikers Hans Moravec (1990, pass.) Brzezinski, Zbigniew, Die einzige Weltmacht, Frankfurt 1999, zitiert nach Werber (ebd.,1035) In den USA, Finnland und Schweden liegt er bei etwa 50 Prozent, in Deutschland und Frankreich bei 20-25 Prozent, im durchschnitt der OECD-Länder insgesamt bei 25-30 Prozent. Im größten Teil der Welt beträgt er maximal Prozent 3, in Afrika liegt er unter 1 Prozent (Castells, 2001, 39) Ahnliches ereignet sich in Deutschland. Als in den Mittneunzigern der deutsche Investment Trust (DIT) die Depotverwaltung von Frankfurt am Main nach Hof verlegte, die Citibank ihr (zwischenzeitlich fehlgeschlagenes) Visa-Bahncard-Geschäft in Nordhorn und die Comdirekt, Telefon- und Briefbanktochter der Commerzbank, in Quickborn an den Start gingen (Frankfurter Rundschau 23. Februar 1995), hielt man das für den Beginn der medienbedingten Dezentralisierung. Dabei handelte es sich, rückblickend betrachtet, nur um eine auch innerhalb von Großstadtkonglomerationen zu beobachtende Verlagerungen der Back-Offices in Gegenden mit günstigen Immobilienpreisen. Hingegen zeigt sich inzwischen, daß sich die Internetfirmen in Deutschland in München, Berlin und Hamburg, gefolgt von Köln, Frankfurt am Main und Stuttgart konzentrieren (Süddeutsche Zeitung 19. April 2001) Ähnliches ist für die Nutzer-Elite zu sagen. Telearbeit sollte überall möglich sein. Auf McLuhans Utopie vom „global village" ging sogar eine jahrzehntelang unbezweifelte Annahme zurück, daß sich die klassischen Großstädte auflösen würden, weil man überall Leben und Arbeiten könne. Noch in den neunzigerer Jahren ging man in Deutschland von Millionen Telearbeitsplätzen aus. Tatsächlich sind diese Erwartungen nicht einmal ansatzweise in Erfüllung gegangen. Inzwischen sind einige Ortschaften dazu übergegangen, ihre Teleinfrastrukturen zu revitalisieren. In Großbritannien soll es bereits 150
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solcher Televillages mit Weltanschluß geben. Die bekanntesten sind das ligurische Dorf Coletta di Castelbianco (Schwertfeger 1999) und Telluride in den USA, die telekommunikationsbasierte Lebens- und Arbeitsweisen erproben. Wenn man irgendwo „ist", ist das Irgendwo real, auch wenn man im Fall des Cyberspace nicht genau weiß, was diese Aussage letztlich bedeutet. Allerdings kann es als residuale Möglichkeit bestehen bleiben. Theoretisch ist es nämlich möglich, daß man in einer Anzahl verschiedener virtueller Räume, den Channels im Chat, gleichzeitig chattet. Deren Anzahl ist nur durch die kognitiven und technischen Fähigkeiten des Nutzers (Lesen, Tippen) begrenzt. Außerdem ist es eine Frage der intellektuellen Beweglichkeit, wie viele Chats man gleichzeitig und eventuell zu unterschiedlichen Themen fuhren kann. Aber man kann natürlich auch positiv in verschiedenen Channels anwesend sein. Wie weit hier auch räumlich artikulierbare Differenzerfahrungen zum Zuge kommen, ist leider bisher nicht erforscht., wie überhaupt die Raummetapher in nahezu allen Veröffentlichungen zum Cyberspace reichlich verwendet, aber - außer von Margret Wertheimer (2000) - nirgends einer näheren Analyse oder gar empirischen Forschung unterzogen wird. Diese sind nicht zu verwechseln mit Informations- und Spielumgebungen, wie die Digitale Stadt Amsterdam. Dabei handelt es sich um ein offenes, multifunktionales Community-Netz. Bei dem hier erörterten Phänomen hingegen geht es um reine Spielumgebungen· Hier sei nur auf die in Deutschland seinerzeit (Ende der neunziger Jahre) sehr bekannten und vielbesuchten Orte Worlds-Away und Kymmeria verwiesen, beides ehemalige Online-Welten, die von Compuserve eingerichtet waren. N. Katherine Hayles, The Seduction of Cyberspace, in: Rethinking Technologies. Hg. Verena Andermatt Conley. Minneapolis 1993 „The traditional values of privacy have disappeared, nor do we any longer approach this collective mass with the stark terror of the earlier inner-directed bourgeois individuals, for whom the multitude threatened a fall, as in naturalism, where collective space seemed radically unclean in the anthrological sense." (Jameson 1994/2, 158) Vgl. hierzu Marco D'Eramo, Das Schwein und der Wolkenkratzer. Chicago. Eine Geschichte unserer Zukunft. München 1996
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Personenregister
Adorno, Th.W.: 110, 131, 204 Alberti, L. B.: 32, 185 Argan, C.G.: 157 Assmann, Jan: 34, 58 Auge, Marc: 9,21,102
Duccio: 35 Duchamp, Marcel: 187 Dürkheim, fimile: 214
Bachtin, Michail: 19 Bataille, Georges: 165 Bateson, Gregory: 231, 234 Baudelaire, Charles: 138, 183f, 240 Bauman, Zygmunt: 203 Benedikt, Michael: 212 Benjamin, Walter: 102, 137, 139, 168f, 192, 237f Bernard von Clairvaux: 48 Bernardino von Siena: 36 Bessons, Jacques: 178 Boccioni, Umberto: 121 Bohrer, Κ. H.: 108 Bourdieu, Pierre: 81f, 86 Bredekamp, Horst: 178f, 181, 183f Brzezinski, Zbigniew: 224
Featherstone, Mike: 82, 85f Feldges-Henning, Uta: 46 Fichte, J.G.: 79 Foucault, Michel: 102f, 161f Frank, Manfred: 79 Frugoni, Chiara: 37 Fuchs, Peter: 82, 90
Calhoun, Craig: 215 Calvino, Italo: 184 Campanella: 179 Campbell, Colin: 161f Castells, Manuel: 116, 217, 226 Certeau, Michel de : 67, 126, 128, 169f Chirico, Giorgio de: 121 Clifford, James : 116f, 168 Colomina, Beatriz :160f Conran, Terence: 113f Crespi, Carlo : 189 Dangschat, Jens: 81 Dante Alighieri: 222 Derrida, Jacques: 79 Descartes, Rene: 79 Döring, Nicola: 216, 232f
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Einstein, Albert: 223
Garcia, Linda: 225 Gautier, Theophil: 209 Geddes, Bei: 159 Gehlen, Arnold: 141 Gehry, Frank: 134 Gibson, William: 222 Giddens, Anthony: 214 Gilmore, James: 197 Giotto: 34, 37 Goethe, J.W. v.: 188 Goffman, Erving: 219f Grasskamp, Walter: 108 Großklaus, Götz: 136 Groys, Boris: 105, 155, 191 Gruen, Victor: 185 Habermas, Jürgen: 79, 201f Hahn, Alois: 165 Hard, Georg: 91 Harvey, David: 236 Haug, W. F.: 89 Häußermann, Hartmut: 15f Haussmann, Baron de: 14, 183 Hawking, Stephan: 223 Hayles, Katherine: 232f Hegel, G.F.: 79
Heintz, Bettina: 216 Henn, Günter: 151,155 Hobbes, Thomas: 43 Hof mann, Werner: 140 Hollein, Hans: 133 Hugo, Victor: 209 Husserl, Edmund: 79 lilies, Florian: 104 Ipsen, Detlev: 92 Isidor von Sevilla: 32 Izenour, Steven: 147 Jacobs, Jane: 9, 115 Jameson, Frederic: 8, 218, 237 Joyce, James: 97, 158 Jung, Thomas: 204 Kafka, Franz: 97 Kant, Imanuel: 231 Kiergegaard, Seren: 79 Klein, Melanine: 9 Kollhoff, Hans: 159 Koolhaas, Rem: 198 Kracauer, Siegfried: 81, 184 Kracht, Christian: 103 Krämer, Sybille: 230f, 234 Krens, Thomas: 135, 151 Krier, Leon: 159 Krier, Rob: 159 Lash, Scott: 86, 89, 109f Latour, Bruno: 218 Laugier, M . A . : 171 LeCorbusier : 72, 125, 161, 185 Lederman, Leon : 223 Lefebvre, H e n r i : 102 LeGoff, Jacques: 64 Libeskind, Daniel: 128 Loos, A d o l f : 23 Lorenzetti, Ambrogio: 17, 24, 29-63, 129, 145, 150, 152, 154, 166,177, 194 Luhmann, Niklas: 79, 104 Lynch, Kevin : 158, 170 Lyotard, Jean-Fran9ois: 103 Macpherson, C.B.: 161
McCracken, G r a n t : 161 McLuhan, Marshall: 207, 219ff Malpas, Jeff: 228 Manin (Doge): 197 Martini, Simone: 35 Marx, Karl: 23, 79,141,168 Meier, Richard : 133 Memmi, L i p p o : 35 Mercier, Sebastian: 181 Merleau-Ponty, J.: 234 Meyrowitz, Joshua: 203, 219ff Minski, Marvin: 223 Moravec, Hans: 210 Morus, Thomas: 177 Müller-Doohm, Stefan: 204 Mumford, Lewis: 157, 167, 171,176 Münker, Stefan: 231 Nake, Frieder: 228 Napoleon: 197 Newton, Isaac: 223 Nietzsche, Friedrich: 188 Noller, Peter: 82 Parmigianino: 178 Piech, Ferdinand: 153 Pine, Joe: 197 Piranesi, Giovanni: 181 Pischetsrieder: 153 Piaton: 21 Plessner, Helmuth: 9 Plinius: 178 Pollock, Jackson: 158 Pratolino, Vasco: 66 Prezioso, Donald: 163f Prigge, Walter: 13 Queau, Philipp: 219 Raban, Jonathan: 170 Rabelais, Francois: 19 Randow, Gero v.: 225f Raphael, Max: 136 Reich, Elisabeth: 217 Reich, Robert: 82, 86 Rheingold, Howard: 212 Richter, Hans: 97
269
Riklin, Alois: 43 Robins, Kevin: 171,214 Ronell, Avital: 212 Ronneburger, Klaus: 82 Rorty, Richard: 105 Rötzer, Florian: 210, 230
Taylor, Charles: 163 Tintoretto, Jacopo: 197 Tobey, Marc: 158 Tönnies, Fritz: 214 Touraine, Alain: 7 Turkle, Sherry: 228
Sander, Uwe: 83 Sartre, Paul: 79 Sassen, Saskia: 146, 155 Schestag, Alexander: 216 Schiller, Friedrich: 155 Schinkel, Κ. F.: 137 Schudson, Michael: 217 Schultze-Naumburg: 73 Schumpeter, J. Α.: 119 Schütz, Alfred: 71 Schwitters, Kurt: 97 Scott-Brown, Denise: 147, 151 Sennett, Richard: 9, 72f, 154, 228 Serlio, Sebastiano: 189 Sieverts, Thomas: 15f Simmel, Georg: 8f, 31, 70, 75f, 141, 181 Skiairs, Leslie: 98 Smithon, Peter: 160 Sombart, Fritz: 119 Steels, Luc: 210 Stern, Robert: 194 Stewart, Susan: 161 Strabo, Walafried: 222 Stuckrad-Barre, Benjamin v.: 103
Ungers, O.M.: 133 Urry, John: 109f
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Valery, Paul: 187 Venturi, Robert: 147, 151 Veronese, Paolo: 197 Vitruv: 178, 189 Waidenfels, Bernhard: 235 Warhol, Andy: 203 Warnke, Martin: 62 Weber, Max: 88f, 119 Wedgwood: 121 Welsch, Wolfgang: 103,105,109 Wertheim, Margaret: 212, 232 Westerbarkey, Joachim: 206 Wilson, Elizabeth: 125 Young, Iris: 214 Zizek, Slavoj: 205 Zook, Matthew: 226 Zukin, Sharon: 9, 11, 16, 57
Autoren
Franz Dröge lehrte bis 2002 Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Universität Bremen. Michael Müller lehrt Kunstwissenschaft und Kulturwissenschaft an der Universität Bremen. Von beiden Autoren erschien u.a. Die Macht der Schönheit. Avantgarde und Faschismus oder Die Geburt der Massenkultur (Hamburg 1995).
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Bildnachweis
S. 33, 38f., 40f., 4 2 , 4 4 , 50, 52, 84,148 unten, 1 7 2 , 1 9 0 , 1 9 6 Bildarchiv der Verfasser S. 28 Wolfgang Kemp, Die Räume der Maler. Zur Bilderzählung seit Giotto, München 1996, S.61 S. 112 Richard Whittington, Quaglino's. The Cookbook, London 1995 S. 148 oben, 195 Las Vegas A New Dimension... A New Destiny, volume 7, Las Vegas 1998
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