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German Pages 461 [380] Year 1980
Hainer Plaul L A N D A R B E I T E R L E B E N IM 19. J A H R H U N D E R T
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR ZENTRALINSTITUT FÜR GESCHICHTE VERÖFFENTLICHUNGEN ZUR VOLKSKUNDE U N D KULTURGESCHICHTE BAND 65
HAINER PLAUL
LANDARBEITERLEBEN IM 19. JAHRHUNDERT Eine volkskundliche Untersuchung über Veränderungen in der Lebensweise der einheimischen Landarbeiterschaft in den Dörfern der Magdeburger Börde unter den Bedingungen der Herausbildung und Konsolidierung des Kapitalismus in der Landwirtschaft. Tendenzen und Triebkräfte Mit 30 Tabellen und 1 Karte
AKADEMIE-VERLAG 1979
BERLIN
Meinen Eltern gewidmet
Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 ^ Akademie-Verlag Berlin 1979 Lizenznummer: 202 • 100/118/79 Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 582 Bad Langensalza Umschlaggestaltung: Annemarie Wagner Bestellnummer: 753 308 2 (2034/65) • LSV 0705 • P. 350/78 Printed in G D R DDR 34— M
Inhalt
Einleitung
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Das Untersuchungsgebiet
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Eingrenzung und Begriffsinhalt Die physisch-geographischen Verhältnisse Die ökonomisch-geographischen Verhältnisse Historisch-politische Entwicklung und zeitgenössische Verwaltungsstruktur Konfessionelle Verhältnisse und zeitgenössische kirchliche Verwaltungsstruktur
17 20 21 26 28
Grundzüge der sozialökonomischen Entwicklung und die Entstehung der einheimischen Landarbeiterschaft
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Die bäuerlichen besitz- und erbrechtlichen Verhältnisse Verlauf u n ^ Inhalt der Agrargesetzgebung Die landwirtschaftliche Gesamtnutzfläche des Untersuchungsgebietes Verteilung des Grundbesitzes und Klassenverhältnisse Verlauf und Ergebnis der Agrarreformen Die Herausbildung agrarkapitalistischer Verhältnisse im Untersuchungsgebiet: eine Variante des „Preußischen Weges" in der Entwicklung der Landwirtschaft Die Erweiterung der agrarischen Produktion Die Verbesserung der Produktionsmethoden Ausdehnung und Konsolidierung der agrarkapitalistischen Verhältnisse im Untersuchungsgebiet Der Beginn des kapitalistischen Differenzierungsprozesses der Bauernschaft Die Entstehung der Landarbeiterschaft als Bestandteil des Prozesses der Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft Die verschiedenen sozialen Gruppen innerhalb der einheimischen Landarbeiterschaft . . Grundtendenzen in der Entwicklung der gesellschaftlichen Beziehungen unter den Bedingungen der Herausbildung und Konsolidierung des Kapitalismus in der Landwirtschaft Die Herausbildung des Klassenantagonismus zwischen Landarbeiterschaft und bäuerlicher Klasse ! . . Die Auflösung des patriarchalischen Gesindeverhältnisses Die Veränderungen im sozialen Status des Deputatlandarbeiters (Auflösung des alten Drescherverhältnisses) Der Beginn des kapitalistischen Unifizierungsprozesses der Landarbeiterschaft Die sozialkommunikativen Folgen der Gemeinheitsteilung und Separation
30 33 37 39 46 65 69 72 78 84 88 90
99 99 105 111 118 118
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Ausweitung und Intensivierung der Fluktuation zwischen der Landarbeiterschaft und nichtagrarischen proletarischen Sozialgruppen (Verdichtung der Lahd-Stadt-Beziehungen) . . . 121 Das Herrschaftsinstrumentarium der großen und mittleren ländlichen Grundbesitzer: Gesinde-Ordnung, Dienstatteste, Gesindebücher, Dienstbotenverbesserungsvereine, Kontrakte, Dienstpflichtverletzungsgesetz . 125 Zur Frage der Beteiligung von Landarbeitern an der staatlichen Verwaltung 136 Über Veränderungen in den Arbeits- und Lebensverhältnissen des einheimischen Landproletariats im Verlauf der Herausbildung und Konsolidierung des Kapitalismus in der Landwirtschaft 147 Die Auswirkungen von Gemeinheitsteilung und Separation auf die Arbeits- und Lebensverhältnisse Die Veränderungen im Bereich der Arbeitstätigkeit unter dem Einfluß des Zuckerrübenanbaus und der beginnenden Mechanisierung in der Landwirtschaft Die Veränderungen im jährlichen Arbeitszyklus Zum Verhältnis Arbeitszeit — Freizeit Zur Frage der Sonntagsarbeit Einführung neuer Lohnsysteme und Übergang zur Anwendung intensiver Mittel der Ausbeutung Existenzminimum und Arbeitsverdienst der einheimischen Landarbeiterschaft im Untersuchungszeitraum Die Belastungen durch restfeudale Abgabe- und Dienstverpflichtungen Familienhilfe und Familienverhältnisse unter Berücksichtigung der Frauen- und Kinderarbeit Über die Wirksamkeit außerfamiliärer Formen ökonomischer und sozialer Hilfeleistung: Kinderbewahranstalten, Unterstützungs-, Kranken- und Altersversorgungskassen, Sparkassen Über Veränderungen in der Wohnweise des einheimischen Agrarproletariats Über Modifikationen in der Ernährungsweise der Landarbeiter im Untersuchungsgebiet Über Veränderungen in der Bekleidungsweise des einheimischen Landproletariats . . . Die Gesundheitsverhältnisse
147 ISO 167 175 177 192 200 214 219
230 243 259 269 274
Über das sittliche, religiöse und politische Verhalten der einheimischen Landarbeiterschaft 279 Zum Problem der Moralität 279 Alkoholkonsum und Temperenzvereine 287 Zur Frage der Kirchlichkeit 298 Der Einfluß der „Freien Gemeinden" 306 Die Formen des Kampfes der Landarbeiter im Untersuchungsgebiet für die unmittelbare Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensverhältnisse 311 Zitierweise und Abkürzungen Quellenverzeichnis Literaturverzeichnis
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325 326 328
Einleitung
„Es würde sehr belehrend sein, die Lage, Sitten und Gewohnheiten der Arbeiterklasse aus frühern Zeiten her kennen zu lernen; diese Aufgabe ist jedoch schwer zu lösen." Diese Bemerkung findet sich in dem Beitrag eines ungenannten Verfassers „Ueber den Zustand der Landarbeiter, mit Vorschlägen über dessen Verbesserung", der zu Anfang des Jahres 1848 in der „Zeitschrift des landwirthschaftlichen Central-Vereins der Provinz Sachsen" erschien.1 Geschrieben zu einer Zeit, in der sich in Deutschland die sozialen und politischen Widersprüche außerordentlich verschärften, am Vorabend der bürgerlich-demokratischen Revolution, in der eben diese Klasse, das Proletariat, zum ersten Mal in der deutschen Geschichte als selbständige politische Kraft, mit eigenen Forderungen und eigenen Organisationen in Erscheinung trat, war die Zielvorstellung, die sich hinter jener Anregung verbarg, nicht aus einem akademischen Erkenntnisdrang heraus erwachsen, sondern politischen Intentionen verpflichtet. Das Signal hatte in Deutschland 1844 der schlesische Weberaufstand gesetzt. Seither war die Lage der arbeitenden Klasse und die Frage des Pauperismus in das allgemeine öffentliche Interesse gerückt. Eine Flut von Literatur über die sogenannte soziale Frage entstand. Der sich entwickelnde Klassengegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat veranlaßte das Bürgertum im Bündnis mit der immer noch herrschenden Adelskaste«. durch beschwichtigende Maßnahmen den Kampf der Arbeiterklasse im allgemeinen und die sozialistische und kommunistische Agitation im besonderen zurückzudrängen und einzudämmen. In Berlin wurde bekanntlich im Jahr des Weberaufstandes unter dem Beifall Friedrich Wilhelms IV. der „Verein zum Wohle der arbeitenden Klasse" gegründet. Und Marx schrieb zur selben Zeit im „Vorwärts": „Alle liberalen deutschen Zeitungen, die Organe der liberalen Bourgeoisie strömen über von Organisation der Arbeit, Reform der Gesellschaft, Kritik der Monopole und der Konkurrenz etc. Alles infolge der Arbeiterbewegungen."2 Wie die Bourgeoisie der Städte, so sahen sich auch die Vertreter der entstehenden ländlichen Bourgeoisie, die Großgrundbesitzer und — in Gebieten, in denen der Differenzierungsprozeß der bäuerlichen Klasse bereits weiter fortgeschritten war — teilweise auch die großen Bauern gezwungen, nach Mitteln und Wegen zu suchen, um den Kampf des Proletariats um bessere Lebensbedingungen aufzufangen und jene Klasse selbst als indulgentes Objekt der Ausbeutung in das sich ausbildende kapitalistische Gesellschaftssystem „harmonisch" einzugliedern. „Seit einigen Jahren hat die Arbeiter1 Ueber den Zustand, 1848: 59. 2 Marx, 1964(1844): 1,403.
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klasse ein viel größeres Gewicht und größern Einfluß auf die menschliche Gesellschaft erlangt, als sie bis daher hatte", heißt es in dem eingangs zitierten Beitrag weiter: „Ihr Einfluß ist mindestens eben so schnell gewachsen, als ihre Zahl; und täglich ist die Wichtigkeit, die verschiedenen Klassen der menschlichen Gesellschaft in ein harmonisches Ganzes zu verschmelzen und zwischen den höhern und niedern Klassen der Gesellschaft eine engere Verbindung und gegenseitiges Mitgefühl herbei zu führen, einleuchtender und dringender geworden. Der erste Schritt, welcher in dieser Richtung geschehen muß, ist der Versuch, die Arbeiterklasse durch Verbesserung ihrer Lage und durch Vermehrung ihrer Lebensannehmlichkeiten glücklicher und zufriedener zu machen. Sie muß einsehen und fühlen lernen, daß ihre Lage wie ihre Nachtheile so auch ihre Vortheile habe, und daß für ihr Leben, obgleich es nothwendig mit Arbeit und Mühen verbunden ist, von welchen der wohlhabendere Theil der menschlichen Gesellschaft größtentheils befreit ist, doch von ihren Vorgesetzten mit Aufmerksamkeit und Liebe gesorgt wird. Die Vorschläge, die Lage der Arbeiter zu verbessern, müssen deshalb dahin zielen, die Sitten und Gewohnheiten des Arbeiters zu verbessern, und ihm manche Annehmlichkeit zu verschaffen, damit er zufriedener mit seiner Lage wird, seine Pflichten bereitwilliger erfüllt, und ein besserer Mensch und besserer Staatsbürger wird." 3 Um dieses Ziel zu erreichen, war es aber unumgänglich, die wirklichen Lebensverhältnisse, die wirklichen Sitten und Gewohnheiten des Arbeiters erst einmal zu kennen. Engels hatte schon 1845 erklärt: „Die wirklichen Lebensumstände des Proletariats sind so wenig gekannt unter uns, daß selbst die wohlmeinenden „Vereine zur Hebung der arbeitenden Klassen", in denen jetzt unsre Bourgeoisie die soziale Frage mißhandelt, fortwährend von den lächerlichsten und abgeschmacktesten Meinungen über die Lage der Arbeiter ausgehen. Uns Deutschen vor allem tut eine Kenntnis der Tatsachen in dieser Frage not." 4 In bezug auf die ländlichen Arbeiter in Preußen sollte dieser Voraussetzung, ohne deren Erfüllung auch Adel und Bourgeoisie ihre reaktionären, volksfeindlichen Ziele nicht erreichen konnten, durch die bekannte „Aufforderung des Königl. Landes-Oekonomie-Collegiums zur Beantwortung einer Reihe von Fragen über die materielle Lage der Landarbeiter" genügt werden: „Die Frage wegen Verbesserung der materiellen Lage der arbeitenden Klassen ist an der Tagesordnung und nach der ganzen Richtung der Zeit eine höchst wichtige. Ihre angemessene Erledigung aber wird zunächst davon abhängen, daß sowohl die Zustände, welche man zu verbessern gedenkt, als auch die Bedürfnisse, die man zu befriedigen wünscht, vollständig und genau gekannt sind." 5 Nicht unwesentlich ist auch der theoretische Aspekt dieser im Sinne der herrschenden Klasse politisch motivierten Aufgabenstellung. Beide Autoren, sowohl der ungenannte Verfasser des eingangs erwähnten Zeitschriftenaufsatzes als auch das preußische Landesökonomiekollegium, nehmen in diesem Zusammenhang eine bemerkenswerte terminologische und damit auch sachliche Unterscheidung vor, nämlich die zwischen der „Lage" der Arbeiterklasse einerseits und ihrer „Lebensweise" andererseits, und zugleich bieten sie für beide Begriffe auch eine inhaltliche Erläuterung an. „Man kann vielleicht behaupten", schreibt der anonyme Verfasser, „daß die Lage des Arbeiters von 3 Ueberden Zustand, 1848: 58—59. 4 Engels, 1962 (1845): II, 233. 5 Aufforderung, 1848: 347—348. — Siehe außerdem Lengerke, 1849: 5.
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der Größe des Einkommens abhängt. Dies ist auch richtig; aber es muß auch die Lebensweise des Arbeiters, die Größe seiner Lebensgenüsse, berücksichtigt werden." 6 Auch für das Landesökonomiekollegium war die „Lage" zunächst maßgeblich durch die Höhe des Einkommens determiniert. Deshalb waren die beiden Hauptfragen, zu deren Beantwortung aufgefordert wurde, auch ausschließlich auf die Ermittlutig des Existenzminimums und auf die Feststellung der Summe des Arbeitsverdienstes ausgerichtet. Aber darüber hinaus wünschte man sich auch hier Angaben über die Lebensweise: „Wenn dann zu der Zusammenstellung aller dieser Notizen noch eine Schilderung der Lebensweise dieser verschiedenen Klassen, d. h. der Art und Weise, wie sie ihre Bedürfnisse mehr oder weniger ausreichend zu befriedigen im Stande sind, und zugleich eine Charakteristik ihrer physischen, geistigen und sittlichen Zustände hinzugefügt wird, so erhalten wir ein Material, welches bei der unfehlbar bevorstehenden Erörterung dieser Verhältnisse als eine sehr erwünschte und beachtungswerthe Grundlage benutzt werden könnte." 7 Nach den Vorstellungen und Absichten der beiden Autoren sollten demzufolge „Lage" und „Lebensweise" praktisch gleichrangig und — diese Schlußfolgerung dürfte zu ziehen sein — möglichst als eine Einheit behandalt werden, wobei man unter der „Lage" vornehmlich das Realeinkommen und unter der „Lebensweise" den Charakter und den Inhalt der Bedürfnisse und die Methoden und den Grad ihrer Befriedigung verstand. Dieser interessante methodische Ansatz, der sich vermutlich vor allem aus der besonderen politischen Situation jener Zeit herleitet, wurde in der Folgezeit — jedenfalls soweit es sich um spezielle Untersuchungen zum Landproletariat handelt, die in ihrer Dimension etwa mit der Unternehmung des preußischen Landesökonomiekollegiums von 1848 vergleichbar sind — von den einschlägigen bürgerlichen Fachdisziplinen nur selten wieder aufgegriffen. Eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen bildet die auf die im Jahre 1893, bezeichnenderweise drei Jahre nach dem Fall des Sozialistengesetzes durchgeführten Erhebungen des „Evangelisch-sozialen Kongresses" gegründete, von Max Weber herausgegebene Publikationsreihe „Die Landarbeiter in den evangelischen Gebieten Norddeutschlands in Einzeldarstellungen." 8 Es mag dies unter anderem darauf zurückzuführen sein, daß der hierzu verwendete, sehr detaillierte Fragebogen, der von den ökonomischen Bedingungen ausgeht und in einem erstaunlich breiten Maße Antworten über die Arbeits-, Einkommens- und Familienverhältnisse, über die Wohn- und Ernährungsweise, über den Einfluß der Maschinenarbeit, über die Wirksamkeit von Kranken- und anderen Unterstützungskassen, über Verhaltensweisen und Moralitätsverhältnisse, über gesellschaftliche Beziehungen, über die Rolle und Bedeutung spezieller Organisationen usw. erfragt, in der Hauptsache von dem später besonders als Herausgeber von Arbeiterautobiographien bekanntgewordenen Pfarrer a. D. Paul Göhre (1864—1928) entworfen worden war. 9 Andere überregionale Enqueten beschränken sich jeweils nur auf bestimmte Einzelkomplexe, wie etwa die im Jahre 1872 vom „Congress deutscher Landwirthe" veranstaltete und namentlich von v.d. Goltz ausgewertete Umfrage über „Die Lage der ländlichen Arbeiter im Deutschen Reich", die vornehmlich Art und Höhe der Einkommen der ländlichen Arbeiter zu ermitteln 6 7 8 9
Ueberden Zustand, 1848: 71. Aufforderung, 1848: 349; bei Lengerke, 1849: 8. Goldschmidt, 1899. Goldschmidt, 1899: 1 - 8 .
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suchte, 10 oder die im Prinzip nur wenig breiter angelegten, in den Jahren 1891/92 vom „Verein für Socialpolitik" betriebenen Erhebungen über „Die Verhältnisse der Landarbeiter in Deutschland"11 oder die 1894 von der „Allgemeinen Konferenz der deutschen Sittlichkeitsvereine" durchgeführte Enquete über „Die geschlechtlich sittlichen Verhältnisse der evangelischen Landbewohner im Deutschen Reiche"12 oder auch die in den Jahren 1895/96 vom „Verein preußischer Medizinalbeamter" initiierte Umfrage über „Die ländlichen Arbeiter-Wohnungen in Preußen." 13 Eine zweite, in mehrfacher Hinsicht sehr bemerkenswerte Ausnahme hiervon stellt die im Jahre 1911, zwei Jahre nach der Gründung des „Verbandes der Land-, Wald- und Weinbergsarbeiter und -arbeiterinnen", vom „Ständigen Ausschuß zur Förderung der Arbeiterinnen-Interessen" unter maßgeblicher Leitung solcher Apologeten imperialistischer Agrarpolitik wie Sohnrey und dem aus dem Untersuchungsgebiet gebürtigen Nationalökonomen Sering14 veranstaltete Umfrage über „Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Frauen in der Landwirthschaft" dar. 15 In sehr differenzierender Weise wird hier versucht, Auskünfte zu erlangen über praktisch alle wesentlichen Bereiche der „Lebensweise" einer sozialen Gruppe: Lebensverhältnisse (Einkommen, Arbeitsgelegenheit, Arbeitszeit, Arbeitstätigkeit, Wohn-, Beklei&ings-, Ernährungsverhältnisse, Unterstützungswesen usw.) und Bedürfnisse, Wünsche, Interessen, Bestrebungen, Denk-, Gefühls-, Verhaltensweisen und deren Motive usw., aber auch familiäre und gesellschaftliche Beziehungen werden im engen, wechselseitigen Zusammenhang, als eine untrennbare Einheit gesehen. Eine ähnlich umfassend konzipierte und methodisch durchdachte Arbeit aus der Feder bürgerlicher Autoren zum Landproletariat hat sich weder für die vorangehende noch für die folgende Zeit ermitteln lassen. Alle genannten Untersuchungen waren praxisbezogen konzipiert und verfolgten unmittelbar politische Zwecke. Sie sollten Voraussetzungen schaffen helfen für Maßnahmen, durch die das Landproletariat von der Arbeiterbewegung ferngehalten und diese selbst geschwächt werden sollte. Ihre Initiatoren waren daher nicht zufallig vornehmlich Nationalökonomen oder Sozial- bzw. Agrarpolitiker. Vertreter der bürgerlichen deutschen Volkskunde haben an Unternehmungen dieser Art weder partizipiert noch selbst solche zur Durchführung gebracht, obwohl sie sich in der Bestimmung der allgemeinen Erkenntnisabsichten ihrer Disziplin stets von ihrem Verhältnis zur Arbeiterklasse haben leiten lassen.16 Dabei liefen ihre Bemühungen objektiv mindestens auf die Verschleierung der herrschenden Klassengegensätze, speziell des Hauptgegensatzes zwischen Bourgeoisie und Proletariat, hinaus. Nicht wenige 10 11 12 13 14 15
Goltz, 1875. Die Verhältnisse der Landarbeiter, 1892. Die geschlechtlich sittlichen Verhältnisse, 1895 (I. Band) und 1896 (II. Band). Ascher, 1897. Über Sering vgl. bei Heitz, 1968: 123-131. Dyhrenfurth, 1916. — Publiziert worden sind die Ergebnisse der Umfragen in Württemberg, Baden, Elsaß-Lothringen, Rheinpfalz, Brandenburg, Mecklenburg und Bayern. 16 Vgl. im Unterschied dazu bei Hofmann, 1973: 22: „Als sich die deutsche Volkskunde nach 1890 im allgemeinen Wissenschaftsgefüge etablierte und es zu einer Welle von Vereins- und Zeitschriftengründungen kam, spielte ihr Verhältnis zum Proletariat in den theoretischen Auseinandersetzungen und in der praktischen Arbeit noch keine Rolle." In seinen folgenden Ausführungen widerspricht der Autor dieser Feststellung allerdings selbst. — Siehe hierzu auch bei Plaul, 1966.
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bürgerliche Volkskundler erhoben sogar gezielt den Anspruch, mit ihrem Fach im Interesse der herrschenden Klasse zur Überwindung und „Harmonisierung" dieser Gegensätze beizutragen.17 Daß sie trotzdem, von Ansätzen abgesehen, dem Beispiel der Nationalökonomen und Sozialpolitiker nicht folgten und selbst Forschungen zum Proletariat einleiteten, ergab sich hauptsächlich aus der vorherrschenden psychologisch bestimmten Definition des Faches, aus der Suche nach der imaginären „Volksseele" bzw. nach einer kollektiven „Geistigkeit" und der damit zwangsläufig einhergehenden Negierung des Klassencharakters der Gesellschaft, die ihnen ja gerade die Basis lieferte für ihre objektiv reaktionäre und schließlich unverhohlen volksfeindliche Zielsetzung: durch Heraufbeschwören und Überbewerten kultureller und geistiger Gemeinsamkeiten zur „Harmonisierung" der sozialen und politischen Widersprüche in der spätbürgerlichen Gesellschaft beizutragen. Auf eine Ausnahme muß allerdings in diesem Zusammenhang hingewiesen werden: auf die Studie von Will-Erich Peuckert (1895 bis 1969) „Volkskunde des Proletariats" (Frankfurt/M. 1931), die sich bei aller bürgerlichen Begrenztheit der Auffassungen ihres Autors von den volkskundlichen Arbeiten jener Zeit unbestritten positiv abhebt. Die systematische volkskundliche Erforschung des deutschen Proletariats ist erst durch die Ethnographie in der DDR in Angriff genommen worden. Als kulturhistorische Disziplin und als integraler Bestandteil der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften18 war es nur folgerichtig, daß sie ihre Aufmerksamkeit auch und gerade dieser Klasse zuwendete. In dialektischer Aufhebung der Konzeption von Wolfgang Steinitz (1905—1967): „Nach marxistischer Auffassung beschäftigt sich die deutsche Volkskunde mit der Erforschung des werktätigen deutschen Volkes in seiner materiellen und geistigen Kultur, wobei die sehr verschiedenartigen Erscheinungsformen dieser Kultur im allseitigen Zusammenhang, in ihrer gegenseitigen Bedingtheit und in ihrer historischen Entwicklung betrachtet werden müssen und insbesondere der Beitrag der Werktätigen zur deutschen Nationalkultur zu erforschen ist",19 die „aus der kritischen Analyse der Geschichte dieses Faches und der Verantwortung des marxistischen Wissenschaftlers für die gesellschaftliche Entwicklung und die gesellschaftlichen Notwendigkeiten jener Jahre" entstanden20 und mit der die theoretisch-methodische Grundlage für den Neubeginn der volkskundlichen Arbeit in der DDR geschaffen worden war, hatte im Jahre 1956 Paul Nedo erklärt: „Eine neue gesellschaftswissenschaftliche Grundlegung der Volkskunde muß ausgehen vom Klassencharakter der bisherigen gesellschaftlichen Entwicklung und sich auf die bekannte Lehre Lenins von den zwei Kulturen stützen. Daraus ergeben sich für unser Fachgebiet wichtige Prinzipien: Wir müssen fordern, daß die Erscheinungen nicht isoliert, sondern eingebettet in die gesellschaftliche Situation und die historische Entwicklung betrachtet und gewertet werden. Wir halten es zweitens für unsere vordringliche Pflicht, die demokratischen und revolutionären Traditionen, die ihren Niederschlag und Ausdruck auch in der Volkskultur gefunden haben und die man in der Vergangenheit so schmählich vernachlässigt hat, in den Mittelpunkt unserer Untersuchungen zu stellen, bilden sie doch den wertvollsten Teil des Erbes aus der 17 18 19 20
Hofmann, 1973, und Plaul, 1966. Jacobeit/Mohrmann, 1973:9. Steinitz, 1955:42. Strobach, 1967: V. 11
Vergangenheit. Nicht der konservative Bauer, wie ihn die frühere Volkskunde hinzustellen suchte, sondern der leidende und kämpfende Bauer, das ist das Thema unserer neuen Arbeit. Aber es wird Zeit, neben dem Bauern den Bauernknecht und den Landarbeiter zu studieren. Vor allem aber ist die Volkskunde, die in der Vergangenheit so oft nur Bauernkunde war, auf die nichtbäuerlichen Gruppen auszudehnen. Wir müssen als Volkskundler das Leben und kulturelle Schaffen der Arbeiter studieren, daneben aber auch die handwerklichen Gruppen, hier besonders die Gesellen, ihr Leben, ihre Organisationen und die kulturellen Dokumente ihres Ideengutes untersuchen." 21 Bei der Erforschung des „kulturellen Schaffens der Arbeiter" ist jedoch davon auszugehen, daß diese Klasse — etwa im Unterschied zum feudal unterdrückten Bauern — keine eigene, spezifische Kultur entwickelt. Die „wirklich proletarische Kultur" — so Lenin — besteht vielmehr in der kritischen Aneignung und„ produktiven Weiterentwicklung dessen, „was in der mehr als zweitausendjährigen Entwicklung des menschlichen Denkens und der menschlichen Kultur wertvoll war." 22 Auch Steinitz hatte darauf hingewiesen, daß es nicht die kulturelle Hauptaufgabe des Proletariats sei, „anstelle oder gleich der bäuerlichen Volkskultur eine Arbeitervolkskultur zu schaffen — Arbeitervolkslieder, Arbeitermärchen, Arbeitervolkstrachten usw.", sondern sich vielmehr „aus tiefster Unwissenheit und Kulturlosigkeit heraus die Kulturwerte ihrer Nation und der Menschheit anzueignen, sie zu verarbeiten und dann der Träger einer neuen Kultur und die führende Kraft der Nation zu werden." 23 Aber die produktive Rezeption und schöpferische Weiterentwicklung der Nationalund Menschheitskultur durch die Arbeiterklasse vollzieht sich nicht im luftleeren Raum, sondern unter bestimmten Prämissen, vor allem in Abhängigkeit von den materiellen gesellschaftlichen Verhältnissen. 24 „Darum ist die Erforschung der Lebensverhältnisse — der Lebensweise — in allen Perioden eine notwendige Voraussetzung für das richtige Erkennen und Einschätzen der Rolle der Werktätigen im Entwicklungsprozeß von Nationalgeschichte und Nationalkultur. Unter Lebensweise verstehen wir dabei keineswegs nur die Untersuchung und Darstellung solcher Erscheinungen wie Wohnverhältnisse, Ernährungsweise, Hygiene usw., also mehr oder weniger die Lebensbereiche der „privaten" Sphäre, sondern wir beziehen — und dies vor allem — den Bereich der Arbeit mit ein . . ." 25 Schon Paul Nedo hatte gefordert, neben dem „kulturellen Schaffen" auch „das Leben . . . der Arbeiter" zu studieren. 26 Das tiefere Eindringen in die Zusammenhänge von kultureller Rezeption, kulturellem Schaffen und Lebensweise führte bald zu der Erkenntnis, daß es sich bei der Untersuchung der Lebensweise nicht nur um eine Art Prämissen-Studie handeln könne, sondern um eine vollwertige und relativ eigenständige Forschung, durch die sich beispielsweise auch wertvolle neue Einsichten in ökonomische und politische Vorgänge gewinnen lassen. Paul Nedo hatte darum im Januar 1966 seine fachwissenschaftstheoretische Konzeption dahingehend erweitert, daß er die „Forderung nach einer konsequenten Etablierung der Volkskunde als einer historischen Wissenschaft" erhob, „deren 21 22 23 24 25 26
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Nedo, 1956: 143. Lenin, 1959 b (1920): XXXI, 308; außerdem bei Lenin, 1959 a (1920): XXXI, 272-278. Steinitz, 1966: 12-13. Mühlberg, 1964: 1042. Jacobeit/Mohrmann, 1968/69: 100—101. Nedo, 1956: 143.
Grundanliegen auf eine Geschichte der Kultur und Lebensweise des werktätigen Volkes zu richten sei."27 Und Wolfgang Jacobeit und Ute Mohrmann präzisierten, „daß es der Volkskunde um die Geschichte der Werktätigen — einer wesentlichen Trägerschicht unserer Nationalgeschichte und Nationalkultur — geht, die für sie weitgehend in den . . . Bedingtheiten zwischen Entwicklung von Lebensweise und kulturellen Leistungen ihren Niederschlag findet. Lebensweise und kulturelle Leistungen sind nicht zwei sich gegenüberstehende Phänomene; sie stehen in enger Wechselbeziehung."28 Und an anderer Stelle: „Die Volkskunde erforscht Wesensmerkmale und Entwicklungsgesetze von Kultur und Lebensweise der werktätigen Klassen und Schichten des deutschen Volkes im Feudalismus, Kapitalismus und Sozialismus. Von den Grunderkenntnissen des historischen Materialismus und der marxistisch-leninistischen Kulturtheorie geleitet, orientiert sie sich auf die Darstellung der progressiven Klassenlinie der Kultur und Lebensweise innerhalb der Geschichte des deutschen Volkes und weist den Anteil der Volksmassen am Kulturfortschritt in den einzelnen Geschichtsperioden nach. Dabei geht sie von Lenins Hinweis aus, daß es in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung (bzw. in allen antagonistischen Klassengesellschaften/H. P.) außer der herrschenden Kultur . . . auch Elemente eiper demokratischen . . . Kultur gibt." 29 Eine Lebensweise-Forschung, die innerhalb einer Fachdisziplin einen solchen zentralen Stellenwert einnimmt, involviert natürlich das Erfordernis, zu einer klaren inhaltlichen Bestimmungen der Kategorie „Lebensweise" zu kommen. In diesem Bemühen wurde und wird von den Volkskundlern in der DDR, die sich im besonderen Maße mit diesem Problemkreis befassen, vor allem bewußt und direkt an die theoretischmethodischen Leistungen der Klassiker des Marxismus-Leninismus angeknüpft, insonderheit an Engels' „Lage der arbeitenden Klasse in England", an Marx' Enquete-Bogen für eine Untersuchung der „Lage der arbeitenden Klasse aller Länder" (1866, 1871) bzw. der französischen Arbeiter (1880), an seine Darlegung zur Lebensweise des englischen Proletariats im „Kapital", an beider Ausführungen zu diesem Themenkreis in der „Deutschen Ideologie" und an Lenin's Studie „Die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland." 30 Der entscheidende Fortschritt in diesem Zusammenhang wurde dadurch erzielt, daß Begriffe wie „Lebensverhältnisse", „Lebens-Lage", „Lebensbedingungen" oder „Lebensumstände" einerseits und „Lebensweise" andererseits nun nicht mehr wie bisher als Synonyma verstanden und angewendet wurden, sondern daß jetzt zwischen den objektiv vorgegebenen und vorgefundenen „Lebensbedingungen"31 und einer durch diese zwar wesentlich mitbestimmten, aber zugleich darauf verändernd einwirkenden, aktiven Komponente — eben der „Lebensweise" — unterschieden wurde. Es wurde klar hervorgehoben, „daß die „Lebensweise" keine passive Widerspiegelung der Produktionsweise darstellt, daß sie nicht, obwohl diese stets die Ausgangsgrundlage bildet, nur auf die Befriedigung der elementaren Lebensbedürfnisse 27 28 29 30
Nach Jacobeit, 1971: 3. Jacóbeit/Mohrmann, 1968/69:101. Jacobeit/Mohrmänn, 1973:9. Eine Zusammenstellung der wichtigsten Faktoren, die Marx Und Engels „in ihren praktischen und theoretischen Untersuchungen der Lage der Arbeiter berücksichtigt haben", findet sich bei Kuczynski, 1968: 57. - Vgl. dazu auch bei Guhr, 1969 : 25. 31 Dazu Mühlberg, 1964: 1042: „Die Lebensbedingungen, die eine Generation vorfindet, sind objektiv. Unter ihnen sind die Produktionsbedingungen zwar die entscheidenden, aber nicht die einzigen."
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. . . wie Nahrung, Kleidung, Wohnung beschränkt ist, sondern in ihrem Forschungsund Erkenntnisbereich über den Begriff der „Lage" hinausgeht."32 Noch deutlicher wurde diese Unterscheidung in einer wenig später erschienenen Arbeit von Jacobeit Mohrmann getroffen: Die „Lebensweise" ist „ein aktives Element. Sie ist nicht die Summe einer Vielzahl von Faktoren, welche die „Lage" der Proletarier und anderer Werktätigen bedingen und der sie als passive, nur leidende Klasse in einem gleichsam permanenten Verelendungsprozeß ausgeliefert wäre. Proletarische Lebensweise gründet sich zwar weitgehend auf die „Lage" und die sie bestimmenden Faktoren, doch liegt eben ihr Wesen — unter dem Kapitalismus — in der Veränderung und Überwindung aufgezwungener Arbeits- und Lebensbedingungen bzw. im Kampf um Lebensbedürfnisse, die dem Proletariat von der herrschenden Klasse vorenthalten werden. Was also der Arbeiter in diesem Sinne aus der „Lage" macht, bestimmt die Formen seiner Lebensweise."33 So richtig und für die weitere theoretische Arbeit fruchtbar diese Differenzierung gegenüber der von ihnen früher dazu vertretenen Auffassung von der Bedeutungsgleichheit von „Lebensverhältnissen" und „Lebensweise" auch ist, so birgt sie in dieser Form aber doch auch die Gefahr einer der praktischen Arbeit nicht förderlichen Schematisierung in sich, einer allzu strengen Unterscheidung zwischen: hier Lebens-„Lage" und da Lebens-„Weise". Aber offenbar wird hier von ihnen jetzt ein Bereich als „Lebensweise" charakterisiert, der im Grunde nur ein Teil, und zwar der aktive Teil, davon ist. Denn wenn „Lebensweise" im Vergleich zur „Lage" als das „aktive Element" betrachtet wird, so werden darunter offensichtlich solche Faktoren verstanden wie: Arbeitstätigkeit (im weiteren Sinne die gesellschaftliche Produktion), Bedürfnisse (materielle und geistigkulturelle, ihre Befriedigung und Höherentwicklung), Gefühls-, Denk-, Anschauungsund Verhaltensweisen (ihre Herausbildung, Entwicklung und Veränderung) sowie gesellschaftliche und zwischenmenschliche Beziehungen. Diese Faktoren haben marxistisch-leninistische Kulturtheoretiker „als verschiedene Seiten der bewußten Lebenstätigkeit der Menschen, deren Ziel die tatsächliche Veränderung der Wirklichkeit ist", aufgefaßt.34 Dieser Begriff der „bewußten Lebenstätigkeit" bietet sich nach Ansicht des Verfs. auch für eine genauere inhaltliche Bestimmung des Terminus „Lebensweise" an, und zwar in dem Sinne, daß damit der auf die Veränderung der herrschenden materiellen und geistig-kulturellen Lebensverhältnisse wirkende Faktor bezeichnet ist. „Bewußte Lebenstätigkeit" ist also das revolutionäre, bewegliche, aktive Element innerhalb der „Lebensweise." Es sei in diesem Zusammenhang beispielsweise nur auf die Rolle und Bedeutung der gesellschaftlichen und individuellen Bedürfnisse, auf das Wirken — wie Lenin formulierte — des „Gesetzes vom Anwachsen der Bedürfnisse"35 als einer Triebkraft der sozialen Entwicklung hingewiesen. Andererseits erschöpft sich „Lebensweise" nicht in Aktivität; denn sie verkörpert nicht nur eine bestimmte Weise der Bewegung, sondern auch eine bestimmte Weise des Seins (im Sinne eines Moments der Bewegung). Es trifft nicht nur zu, daß die bewußte Lebenstätigkeit auf die Lebensumstände, auf die materiellen Bedingungen, einwirkt, sondern es gilt auch umgekehrt, daß sich aus diesen Bedingungen Inhalt und Richtung der Lebenstätigkeit bestimmen, wie diese in Zielvorstellungen, Wünschen, 32 33 34 35
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Zur Geschichte der Kultur und Lebensweise, 1972: 12—13. Jacobeit/Mohrmann, 1973: 13. Mühlberg, 1964: 1045. Lenin, 1961 (1893): I, 98; vgl. ferner hierzu bei Taut, 1964.
Neigungen, Bedürfnissen, Bestrebungen, Interessen, Verhaltensweisen, Aktionen usw. zum Ausdruck kommt. Dabei bedarf es der Unterscheidung zwischen einerseits allgemeinen Lebensverhältnissen, die sich aus der herrschenden Produktionsweise mehr oder weniger unmittelbar herleiten und denen alle Klassen, Schichten und Gruppen innerhalb einer Gesellschaftsformation — wenn auch mit gewissen Modifikationen — in gleichem Maße unterworfen sind, und andererseits konkreten Lebensbedingungen, die zwar ebenfalls in letzter Instanz durch die herrschende Produktionsweise determiniert sind, jedoch auf Grund der unterschiedlichen Stellung der Individuen innerhalb der gesellschaftlichen Produktion klassen-, schichten- und gruppenspezifisch differenziert in Erscheinung treten. 36 Allgemeine Lebensverhältnisse und konkrete Lebensbedingungen auf der einen Seite und bewußte Lebenstätigkeit auf der anderen Seite stellen also zwei Komponenten einer untrennbaren, im wechselseitigen Zusammenhang stehenden Gesamtheit dar. Beide Seiten bedingen einander; in ihrer dialektischen Einheit bilden sie die Lebensweise. Die vorliegende Untersuchung stellt den Versuch dar, Kenntnisse zu erlangen über die Lebensweise von Landarbeitern unter den Bedingungen ihrer Entstehung, also im Übergang vom Spätfeudalismus zum Kapitalismus, und in der Phase der Konsolidierung des Kapitalismus in der Landwirtschaft. In geographischer Hinsicht beschränkt sie sich auf das Gebiet der „Magdeburger Börde" in der damaligen preußischen Provinz Sachsen. Sie ist Teil eines langjährigen Forschungsunternehmens zur „Geschichte von Lebensweise und Kultur der werktätigen Dorfbevölkerung" in jenem Territorium vom Ausgang des Feudalismus bis 1961 (mit Ausblicken bis in die Gegenwart).37 Daß dafür gerade dieses Gebiet ausgewählt worden ist, hat seinen Grund vornehmlich darin, daß hier für deutsche Verhältnisse der Kapitalismus außerordentlich früh und außerordentlich rasch in die Landwirtschaft eindrang und zum Durchbruch gelangte, was vor allem auf die marktorientierte Produktion von Zuckerrüben und Rübenzucker zurückzuführen ist. Es stand daher zu vermuten, daß durch diese Vehemenz der Entwicklung die dadurch bewirkt werdenden Veränderungen in der Lebensweise und Kultur der Werktätigen ganz besonders gut sichtbar zum Ausdruck kommen würden. Auch die vorliegende Studie konzentriert sich deshalb im wesentlichen auf jenen entscheidenden Zeitraum von fünf Dezennien zwischen Mitte der dreißiger Jahre des 19. Jh., als mit dem Anbau der Zuckerrübe und der Produktion von Rübenzucker begonnen wurde, und den achtziger Jahren, dem Zeitpunkt, zu dem die sozialökonomische Sonderentwicklung in diesem Territorium durch die Ausdehnung des Zuckerrübenanbaus auch auf andere Gebiete Preußens und des Deutschen Reiches zum Abschluß gekommen war.38 Im Mittelpunkt steht dabei die Untersuchung des einheimischen dörflichen Agrarproletariats. Die Saisonarbeiter, die wirkliche Bedeutung ohnedies erst 36 Eine Unterscheidung vorzunehmen zwischen allgemeinen Lebensverhältnissen einerseits und konkreten Lebensbedingungen andererseits geht auf ein Ergebnis einer Diskussionsrunde Uber die Kategorie „Lebensweise" zurück, die am 10./11. 8. 1976 vom Wissenschaftsbereich Kulturgeschichte/Volkskunde im Zentralinstitut für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR durchgeführt wurde. 37 Vgl. hierzu bei Jacobeit, 1967 a: 15; bei Jacobeit, 1967 b: 27; bei Jacobeit/Plaul, 1968 : 3—4; bei Jacobeit/Plaul, 1969: 23-30; bei Jacobeit, 1971: 5 - 6 ; bei Plaul, 1971: 23-28. 38 Dazu Bielefeldt, 1910: 112: Die Folge des Fallens der Getreidepreise und des Sinkens der Grundrente „war eine weitere Ausdehnung des Rübenbaus seit dem Jahre 1880, zum Teil auch auf Bodenklassen und in Bezirken, die bisher demselben verschlossen gewesen waren."
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gegen Ende des untersuchten Zeitraums gewinnen, bleiben ebenso weitgehend außerhalb der Betrachtung wie die in der Landwirtschaft tätigen, aber in den Städten wohnhaften Arbeiter. Von den Vertretern der volkskundlichen Wissenschaft in der DDR sind bereits mehrere Untersuchungen zur Lebensweise des Landproletariats vorgelegt worden. Es sei hier nur auf die verdienstvollen Studien von Jacobeit, 39 Bentzien,40 Musiat 41 und Räch 42 hingewiesen. Doch beschränken sich jene Arbeiten entweder auf die Erforschung der Lebensweise einzelner Kategorien der Landarbeiterschaft (Schäfer, Gesinde, Drescher, Tagelöhner) oder auf die Untersuchung einzelner Bereiche der Lebensweise (gesellschaftliche Beziehungen, Verhaltensweisen, Wohnweisen). In Weiterführung dieser Arbeiten wird mit den folgenden Ausführungen angestrebt, Kenntnis über die Lebensweise — in ihren bestimmenden Elementen — aller sozialen Gruppen der einheimischen Landarbeiterschaft des Untersuchungsgebietes zu erlangen. Wichtigstes Anliegen ist neben der Bestimmung von Unterschieden und der Fixierung von Veränderungen in der Lebensweise jener Gruppen die Feststellung von Entwicklungstendenzen und deren Triebkräfte. Fragen geistig-kultureller Aktivitäten werden nicht behandelt. Ausgeklammert bleiben müssen hier auch Erörterungen über das Verhältnis von Kultur und Lebensweise sowie über Probleme der Abgrenzung volkskundlicher Lebensweise-Untersuchungen von Forschungen ähnlicher Art, die in diesen Erkenntnisbereich hineinspielen, aber von Nachbardisziplinen betrieben werden. Über die Gewinnung von Sachaussagen hinaus möchte diese Arbeit durch die Vorlage einer „Lebensweise"-Bestimmung, die in erster Linie im Umgang mit dem konkreten historischen Material gewonnen worden ist, aber auch in der Diskussion über fachspezifische theoretisch-methodische Fragen Stellung beziehen. Im Verlauf der Ausarbeitung der vorliegenden Studie, die — von einer geringfügigen Überarbeitung abgesehen — auf den um das ausführliche Resümee gekürzten Text der Dissertation zurückgeht, 43 ist mir mannigfache Unterstützung zuteil geworden. Besonderen Dank für die Bereitstellung von Quellenmaterial und Literatur schulde ich dem Staatsarchiv Magdeburg sowie der Deutschen Staatsbibliothek und der Universitätsbibliothek Berlin. Für kritische, fördernde Hinweise bin ich insbesondere den Herren Prof. Dr. W. Jacobeit, der die Arbeit auch angeregt hat, und Dr. B. Weißel sowie den Kollegen des Wissenschaftsbereichs Kulturgeschichte/Volkskunde im Zentralinstitut für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR zu herzlichem Dank verpflichtet.
39 40 41 42 43
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Jacobeit, 1961. Bentzien, 1961, und Bentzien, 1964. Musiat, 1964. Räch, 1965; Räch 1969, sowie Räch, 1974. Um eine knappe Darlegung der geistig-kulturellen Aktivitäten der untersuchten Landarbeiterschaft erweitert, erscheint dieses Resümee in dem Sammelband: Bauer und Landarbeiter im Kapitalismus. ( = Untersuchungen zur Lebensweise und Kultur der werktätigen Dorfbevölkerung in der Magdeburger Börde, Teil II). (Im Druck). Siehe Beitrag Plaul „Grundzüge der Entwicklung der Lebensweise und Kultur der einheimischen Landarbeiterschaft in den Dörfern der Magdeburger Börde unter den Bedingungen der Herausbildung und Konsolidierung des Kapitalismus der freien Konkurrenz in der Landwirtschaft."
Das Untersuchungsgebiet*
Eingrenzung und Begriffsinhalt Der Begriff „Magdeburger Börde" bezeichnet einen geographischen Raum, der in seiner Ausdehnung in der vorliegenden Untersuchung folgendermaßen begrenzt wird: im Osten durch den Lauf der Elbe zwischen Hohenwarthe und der Einmündung der Saale; im Süden und Südwesten durch den Lauf der Saale bis zur Einmündung der Bode und durch den Lauf der Bode bis Oschersleben; im Westen durch die Linie Oschersleben — Ostgrenze des „Hohen Holzes" bis Eggenstedt und durch den Lauf der Aller bis Belsdorf, wobei Ummendorf und Wefensleben jedoch mit einbegriffen werden; im Nordwesten und Norden durch die Linie Belsdorf — Erxleben — Emden, durch den Lauf der Bever bis zur Einmündung in die Ohre, durch den Lauf der Ohre bis zu deren Nordbiegung hinter Wolmirstedt und von da in gerader Linie weiter bis zur Elbe bei Hohenwarthe. Damit folgt diese Bestimmung weitestgehend der heute gebräuchlichen Sinngebung des vornehmlich im niederdeutschen Sprachraum üblichen Begriffs „Börde" als eines besonders fruchtbaren Landstrichs; denn das so eingegrenzte Gebiet deckt sich im wesentlichen mit dem größten Teil der nördlichen Zone des überwiegend auf Mitteldeutschland beschränkten fruchtbaren Schwarzerdegebietes.1 In historischer Zeit (Mittelalter) verband sich mit der Bezeichnung „Börde" allerdings vermutlich eine andere Bedeutung, nämlich sehr wahrscheinlich die als eines Synonyms für Distrikt, Bezirk, Verwaltungseinheit schlechthin.2 Für das Gebiet der „Magdeburger Börde" hat neuerdings Nowak entsprechende Belege dafür beigebracht.3 Möglicherweise wurde ursprünglich darunter ein ganz bestimmter, mehr oder minder fest umrissener Distrikt in seiner ganzen Ausdehnung verstanden. Die frühesten Zeug* Eine Karte des Untersuchungsgebietes befindet sich auf S. 348. 1 Vgl. dazu bei Markgraf, 1964: 89: „Die größten deutschen Schwarzerdegebiete liegen in der Magdeburger Börde und im Hallenser Land. Kleinere Vorkommen gibt es im Thüringer Becken, im Raum Braunschweig—Hildesheim sowie im Mainzer Becken und in der Pfalz." — Etwa dieselbe Gebietseingrenzung findet sich auch bei Blume, 1908: 1—2. 2 Dazu Schröder, 1939/40: 34: „Für das Mittelniederdeutsche aber bleibt es dabei: börde, älter gebörde aus giburida ist ein der Stadt oder der Stadtkirche zins- und steuerpflichtiges Landgebiet. Daraus entwickelt sich der juristische und, mehr und mehr verblassend, der neutrale Landschaftsbegriff: „Bezirk, Distrikt"." — Hierzu Nowak, 1970 a: 7: „Diesen Auffassungen ist, soweit ich sehe, bisher nicht widersprochen worden, so daß die von Schröder erschlossene Bedeutungsfolge hier unbedenklich übernommen werden kann." 3 Nowak, 1970 a: 1 — 15; ergänzend dazu Nowak, 1970 b. 2
Plaul, Landarbeiterleben
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nisse, die Nowak hierzu anführen kann — sie stammen aus dem 14. und 15. Jh. —, bezeichnen allerdings schon nicht mehr einen solchen ganzheitlichen Administrationsbezirk, sondern nur noch einen Teil davon, und zwar „einen Teil des ältesten Grundbesitzes des Moritzklosters/Erzbistums Magdeburg." 4 In der Folgezeit — akzeptiert man die These vom juristischen Bedeutungsinhalt — unterliegt der Begriff „Börde", zumindest für das Untersuchungsgebiet, dann zahlreichen semantischen Weiterungen: er „wird relativ frei verwendet und wechselt zuletzt zwischen einer Verwendung im Sinne eines Distrikts oder einer solchen für verschiedene Teile des gesamten Territoriums, bei zunehmender defmitorischer Unsicherheit." 5 Charakteristisch ist für diesen Prozeß, der ursächlich offenbar mit Veränderungen im Herrschafts- und Verwaltungswesen und damit verbundener Modifikationen der Verwaltungsstrukturen zusammenhängt, daß an dem Terminus „Börde" trotz Verlust des ursprünglichen Sinngehalts — die Richtigkeit der Prämisse immer vorausgesetzt — dennoch weiter festgehalten wird. Dabei wandelt sich sein Inhalt von einer Bezeichnung juristischer Tatbestände zu einer Signifizierung geographischer Gegebenheiten; denn was sich als neuer Inhalt dafür anbietet, ist in der Tat etwas sehr Naheliegendes. Vermutlich hat die Nähe jenes neuen Inhalts diese Beibehaltung nicht nur schlechthin ermöglicht, sondern überhaupt initiiert.. Dieses „Nächste" ist die Qualität des Bodens, seine hohe Fruchtbarkeit; ein Merkmal, auf das übrigens gerade von jenem Zeitpunkt an betont hingewiesen wird — nämlich zu Beginn des 18. Jh. —, wo „Börde" als juristischer Begriff „ins Leere" stößt. 6 Eine Folge davon ist, daß sich für die Begrenzung und Bestimmung des Gebietes nun eine ziemliche Interpretationsbreite auftut. Nichtdestoweniger findet diese neue Deutung rasch Eingang in die topographisch-statistische und später auch in die heimat- und volkskundliche Literatur, wobei der gegebene Interpretationsspielraum auch nach Kräften ausgeschöpft wird. 7 Wesentlich zur Verbreitung dieses neuen Begriffsinhaltes dürften auch Lexika und Enzyklopädien beigetragen haben. Bis etwa zur Mitte des 19. Jh. finden sich — mit geringen Ausnahmen —8 dort allerdings noch beide Deutungen nebeneinandergestellt. So bei Ersch/Gruber (1823): „Börde bedeutet überhaupt einen gewissen Distrikt Landes, dessen Einwohner in Civil- und kirchlichen Angelegenheiten mit einander in Verbindung stehen. Im Bremischen ist, besonders auf der Geest, diese Benennung noch sehr gewöhnlich . . . In so fern hier von Geest die Rede ist, (im Gegensatze des fetten Marschlandes) widerspricht diese Erklärung der von Adelung und anderen, nach welcher Börde (von bären, bören, tragen) eine fruchtbare Ebene und insonderheit ein fruchtbares Getreide4 Nowak, 1970 a: 10. 5 Nowak, 1970 a: 10. 6 Nowak, 1970 a: 11: „Endgültig aber büßt der Begriff „Börde" seinen doch noch immer offiziellen (?) Charakter als Distriktbezeichnung ein, als zu Beginn des 18. Jhdts. unter der Verwaltung Preußens der Holzkreis in drei namenlose „Distrikte" (!) gegliedert wird." — Dazu Samuel Waither im V. Teil seiner „Singularia Magdeburgica" (1735, S. 4): „Es machet aber das Holtzland die Gräntzen von der Börde, und mit demselben ändert sich auch die Fruchtbarkeit des Landes. Jenes hat den fruchtbarsten Acker, aber kein Holtz . . . " . Zitiert nach Nowak, 1970 b: 6. 7 Eine sehr sinnfällige Übersicht, die gewiß noch zu ergänzen sein wird, bietet darüber Nowak, 1970 b. 8 Als Beispiele seien genannt Jäger, 1782 : 238: „Börde, ist so viel als ein Gaw, oder Strich Landes." — Krünitz, 1784: 79: „Börde, heißt, auf Niedersächsisch, ein fruchtbares, reiches Kornland, im Gegensatz der Wische, oder eines Weide- oder Wiesen-Landes, wie denn die lange Börde bey Magdeburg, und die hohen, die halberstädtischen Börden, bekannt sind." 18
land bedeutet, wie dies wirklich bei der Magdeburger und Soester Börde der Fall ist ;" 9 ferner in der 1. Aufl. von Pierer (1835): „Börde (Geogr.), 1) ein fruchtbarer Landstrich; 2) überhaupt ein Stück Landes, das in politischer, kirchlicher u. s. w. Beziehung unter einerlei Verfassung steht; 3) insbesondere ein fruchtbarer Landstrich an der Elbe im Regierungsbezirk Magdeburg (Magdeburger Börde).. ."; 10 und in der 1. Aufl. von Meyer (1845): „Börde, 1) überhaupt ein fruchtbarer Landstrich; vgl. magdeburger B. u. warburger B.; 2) ein Stück Landes, das in politischer, kirchlicher etc. Beziehung unter einerlei Verfassung steht."11 Ab der 2. Hälfte des 19. Jh. verengt sich die Erläuterung des Begriffs zugunsten der Gleichung: Börde = fruchtbarer Landstrich. Auch in den späteren Auflagen von Pierer12 und Meyer.13 Brockhaus, der die beiden Termini „Börde" und „Magdeburger Börde" erstmals in seiner 13. Aufl., 1882 bzw. 1885, erläutert, beschränkt sich gleich auf die geographische Variante: „Börde, ein fruchtbarer ebener Landstrich, z. B. die Magdeburger, Soester, Marburger B." und: „Magdeburger Börde, ein durch seine Fruchtbarkeit bekannter Landstrich in der Provinz Sachsen zwischen Magdeburg und der Bode gelegen, reich an Braunkohlen und Salz."14 Ähnlich lautet der Text auch in der 14. Aufl. 1898.15 i n der 15. und 16. Aufl. (1932 und 1955) wird hingegen unter dem Stichwort „Magdeburger Börde" in Klammern hinzugefügt: „nd. börde ,Gerichtsbezirk'",16 bzw.: „niederdt. börde ,Gerichtsbezirk', eigentlich ,Gebührlichkeit'."17 Diese Erweiterung bei Brockhaus stellt aber nur eine Ausnahme dar. Andere heutige Lexika enthalten diesen Hinweis auf die mögliche primäre Bedeutung dieses Begriffs nicht.18 Daß dieses Schwinden und Verdrängen des vermutlich ursprünglichen Sinngehalts und die zunehmend prononcierte Betonung des neuen Inhalts gerade in der 2. Hälfte des 19. Jh. so sichtbar einsetzt, hat seine Ursache einerseits zwar ganz sicher in dem zeitlichen Sich-weiter-entfernen von jenen Verhältnissen, wo die juristische Bestimmung noch realen Hintergrund hatte, aber sicherlich andererseits auch darin, daß die Ausbeutung des Bodens, das gezielte und maßlose Ausnutzen seiner Fruchtbarkeit ab jetzt ganz entschieden vordergründige Bedeutung erlangte, daß die Existenz ganzer Gewerbszweige geradezu mit der Fruchtbarkeit des Bodens verschlungen war. Dieser neuen Sinngebung, die eine Folge realer gesellschaftlicher Veränderungen und Entwicklungen ist, trägt auch die vorliegende Untersuchung Rechnung. Für die Abgrenzung des Gebietes wird als Hauptkriterium ebenfalls die Bodenbeschaffenheit 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
2*
Ersch/Gruber, 1823: 274. Universal-Lexikon, 1835: 39. Das große Conversations-Lexikon, 1845: 1320. Pierers Konversations-Lexikon, 1889: 1459, sowie Pierers Konversations-Lexikon, 1891: 131. Meyers Konversations-Lexikon, 1874 : 440; Meyers Konversations-Lexikon, 1877: 63; Meyers Großes Konversations-Lexikon, 1903: 219, sowie Meyers Großes Konversations-Lexikon, 1906: 62. Brockaus' Conversations-Lexikon, 1882: 331, sowie Brockhaus' Conversations-Lexikon, 1885: 329. Brockhaus' Conversations-Lexikon, 1898 a: 301, sowie Brockhaus' Conversations-Lexikon, 1898 c: 460 (Stichwort „Magdeburger Börde"). Der Große Brockhaus, 1932: 757. Der Große Brockhaus, 1955: 433. Vgl. z. B. Das Große Duden-Lexikon, 1964 : 695; Das Große Duden-Lexikon, 1966 : 300; Meyers Neues Lexikon, 1961: 933; Meyers Neues Lexikon, 1964 : 539; Meyers Neues Lexikon, 1972: 475; . Meyers Neues Lexikon, 1974: 31.
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bzw. die Bodenqualität herangezogen, und zwar unter Berücksichtigung natürlicher, geographischer Grenzen. Daß auch dieser neue Inhalt dazu beitragen kann, jenen Landstrich im Bewußtsein der Bewohner als etwas Geschlossenes, Besonderes, von etwas Anderem sich Abhebendes erscheinen zu lassen, dokumentieren z. B. Gründungen und Benennungen wie — im 19. Jh. — „Missionsverein in der Magdeburger Börde" (gegr. 1846) oder „Enthaltsamkeitsverein für die -Boerde" (gegr. 1846)19 oder — um dies durch ein Beispiel aus der Gegenwart zu erweitern — die Publikationsreihe „Die Magdeburger Börde. Veröffentlichungen zur Geschichte, Natur und Gesellschaft" (1959ff.). 20
Die physisch-geographischen Verhältnisse Ihren orographischen Verhältnissen nach stellt die „Magdeburger Börde" nichts Einheitliches, Gleichförmiges, Homogenes dar. Wie einschlägige landeskundliche Arbeiten ausweisen,21 müssen insgesamt drei naturräumliche Einheiten unterschieden werden: Erstens — im Osten — die Elbniederung; zweitens — westlich davon — die „Niedere Börde" mit „ebenem bis welligem R e l i e f , im Norden und Süden von Höhenzügen flankiert, und schließlich drittens, noch weiter westlich, die „Hohe Börde" mit einer stärkeren Geländegliederung, deren Höhendurchschnitt den der Niederen Börde im Mittel um 50—100 m übersteigt.22 Auch die Beschaffenheit der Böden weist Unterschiede auf. Der eigentliche Bodentyp der „Magdeburger Börde" ist die Schwarzerde, „sie bildete sich in der postglazialen Wärmezeit auf Löß und steht seit der menschlichen Besiedlung unter Ackernutzung. Ihre große Fruchtbarkeit ist sprichwörtlich. So liegen die Ackerwertzahlen meist zwischen 90 und 95 . . . Der 60—70 cm mächtige A-Horizont nimmt wegen seines Humusgehaltes von 2—3% kaffeebraune bis schwarzbraune Farbe an." In den Randgebieten liegen die Bodenwertzahlen „infolge stärkerer Nährstoffverarmung der Schwarzerde unter 90." Von geringerer Qualität sind die Böden auch im Gebiet der Städte Calbe-Barby-Schönebeck. Eine dritte Bodengruppe bilden schließlich die mit einer höheren Feuchtigkeit ausgestatteten Aueböden des Elbtals. 23 Mit der Qualität des Bodens korrespondieren auch die klimatischen Bedingungen. Zwar gehört das Gebiet zu den niederschlagsärmsten Gegenden Deutschlands — „die 19 „Missionsverein" nach Allgemeine Kirchen-Zeitung, 1847: 1232; „Enthaltsamkeitsverein" nach STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 638: 199. 20 Herausgegebenvom Kreisheimatmuseum des Kreises Wanzleben, Ummendorf. 21 Vgl. z. B. bei Rosemann, 1957; außerdem bei Markgraf, 1964 und Blume, 1908 sowie bei Jacob, 1905. — Auf eine neuere Arbeit darf außerdem hingewiesen werden: Lothar Gumpert, Die physisch-geographischen Verhältnisse in der Magdeburger Börde. In: Landwirtschaft und Kapitalismus. Zur Entwicklung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse in der Magdeburger Börde vom Ausgang des 18. Jh. bis zum Ende des ersten Weltkrieges ( = Untersuchungen zur Lebensweise und Kultur der werktätigen Dorfbevölkerung in der Magdeburger Börde, Teil I. 1). Berlin 1978, S. 21—51. 22 Nach Markgraf, 1964: 90; ferner nach: Magdeburg und seine Umgebung, 1972: 1. 23 Magdeburg und seine Umgebung, 1972: 4—5, 152.
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bzw. die Bodenqualität herangezogen, und zwar unter Berücksichtigung natürlicher, geographischer Grenzen. Daß auch dieser neue Inhalt dazu beitragen kann, jenen Landstrich im Bewußtsein der Bewohner als etwas Geschlossenes, Besonderes, von etwas Anderem sich Abhebendes erscheinen zu lassen, dokumentieren z. B. Gründungen und Benennungen wie — im 19. Jh. — „Missionsverein in der Magdeburger Börde" (gegr. 1846) oder „Enthaltsamkeitsverein für die -Boerde" (gegr. 1846)19 oder — um dies durch ein Beispiel aus der Gegenwart zu erweitern — die Publikationsreihe „Die Magdeburger Börde. Veröffentlichungen zur Geschichte, Natur und Gesellschaft" (1959ff.). 20
Die physisch-geographischen Verhältnisse Ihren orographischen Verhältnissen nach stellt die „Magdeburger Börde" nichts Einheitliches, Gleichförmiges, Homogenes dar. Wie einschlägige landeskundliche Arbeiten ausweisen,21 müssen insgesamt drei naturräumliche Einheiten unterschieden werden: Erstens — im Osten — die Elbniederung; zweitens — westlich davon — die „Niedere Börde" mit „ebenem bis welligem R e l i e f , im Norden und Süden von Höhenzügen flankiert, und schließlich drittens, noch weiter westlich, die „Hohe Börde" mit einer stärkeren Geländegliederung, deren Höhendurchschnitt den der Niederen Börde im Mittel um 50—100 m übersteigt.22 Auch die Beschaffenheit der Böden weist Unterschiede auf. Der eigentliche Bodentyp der „Magdeburger Börde" ist die Schwarzerde, „sie bildete sich in der postglazialen Wärmezeit auf Löß und steht seit der menschlichen Besiedlung unter Ackernutzung. Ihre große Fruchtbarkeit ist sprichwörtlich. So liegen die Ackerwertzahlen meist zwischen 90 und 95 . . . Der 60—70 cm mächtige A-Horizont nimmt wegen seines Humusgehaltes von 2—3% kaffeebraune bis schwarzbraune Farbe an." In den Randgebieten liegen die Bodenwertzahlen „infolge stärkerer Nährstoffverarmung der Schwarzerde unter 90." Von geringerer Qualität sind die Böden auch im Gebiet der Städte Calbe-Barby-Schönebeck. Eine dritte Bodengruppe bilden schließlich die mit einer höheren Feuchtigkeit ausgestatteten Aueböden des Elbtals. 23 Mit der Qualität des Bodens korrespondieren auch die klimatischen Bedingungen. Zwar gehört das Gebiet zu den niederschlagsärmsten Gegenden Deutschlands — „die 19 „Missionsverein" nach Allgemeine Kirchen-Zeitung, 1847: 1232; „Enthaltsamkeitsverein" nach STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 638: 199. 20 Herausgegebenvom Kreisheimatmuseum des Kreises Wanzleben, Ummendorf. 21 Vgl. z. B. bei Rosemann, 1957; außerdem bei Markgraf, 1964 und Blume, 1908 sowie bei Jacob, 1905. — Auf eine neuere Arbeit darf außerdem hingewiesen werden: Lothar Gumpert, Die physisch-geographischen Verhältnisse in der Magdeburger Börde. In: Landwirtschaft und Kapitalismus. Zur Entwicklung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse in der Magdeburger Börde vom Ausgang des 18. Jh. bis zum Ende des ersten Weltkrieges ( = Untersuchungen zur Lebensweise und Kultur der werktätigen Dorfbevölkerung in der Magdeburger Börde, Teil I. 1). Berlin 1978, S. 21—51. 22 Nach Markgraf, 1964: 90; ferner nach: Magdeburg und seine Umgebung, 1972: 1. 23 Magdeburg und seine Umgebung, 1972: 4—5, 152.
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jährlichen Niederschlagssummen . . . liegen zwischen 480 und 520 mm" 2 4 —, doch bei der Güte der Böden reicht diese Menge für den auch im Untersuchungszeitraum vorwiegend intensiven Getreide- und Zuckerrübenbau vollständig aus. Starke, wesentliche Temperaturunterschiede sind in der Börde nicht zu verzeichnen; das jährliche Mittel beträgt etwa 8,5 °C.25 Einen gewissen Unterschied in klimatischer Hinsicht weist im Vergleich zum gesamten Börde-Gebiet nur der südliche Teil auf. Hier ist die Anzahl der jährlichen Nebeltage im Durchschnitt etwa um zehn geringer als in der übrigen Börde mit rund 40 Tagen. „Auch die letzten Fröste klingen früher ab und reichen nicht so lange in den März hinein. Das hat den Vorteil, daß im südlichen Bördegebiet bis Calbe schon lange vor dem 21. März mit der Feldarbeit begonnen werden kann", während in der übrigen „Börde" die Feldbestellung durchschnittlich „nicht vor dem 21. bis 25. März" beginnt.2« Den beschriebenen Vorteilen stehen jedoch auch sehr sinnfällige Nachteile gegenüber. Im wesentlichen sind es zwei. Der eine besteht darin, daß sich der Boden, der fast ausnahmslos aus echtem Löß besteht, bei großer Trockenheit rasch verhärtet und verkrustet. 27 Der zweite Nachteil stellt sich bei hohen Niederschlägen ein: der Boden zerweicht und saugt sich voll wie ein Schwamm; eine Bearbeitung ist hiernach nicht möglich. Ein recht anschauliches Beispiel dafür lieferte letzthin das schnee- und regenreiche Frühjahr 1970.28 Aber nicht nur die Fluren, sondern auch die Stabilität der Wege und Dorfstraßen wird dann arg in Mitleidenschaft gezogen. Meyer-Markau (1853—1910), ein gebürtiger Altmärker, der die „Börde" im Jahre 1882 beschrieb, bemerkte hierzu mit leiser Ironie: „Ist gerade ein erfrischender Regenschauer niedergegangen und will ein Fußwanderer mit einem für Ackerbau gar zuwenig empfanglichen Gemüthe etwas übereilig vorbei an dem Segen, den die Natur so reichlich gespendet, so mahnt ihn der fast moorig-schwarze Boden zu ruhigerem Naturgenusse, indem er, ein fettig-weicher Kleister, seine Füße an die Erde festzuheften sucht . . ." 29 Für den Flurbesteller kommt es daher darauf an, genau den Zeitpunkt zwischen dem Zufeucht und dem Zutrocken abzupassen; in diesem Dazwischen liegt die Bestellzeit: „Sie währt einen Augenblick. Wer ihn verpaßt, darf auf den nächsten Regen warten und wieder von vorn beginnen." 30
Die ökonomisch-geographischen Verhältnisse Neben guten Böden und einem deren Fruchtbarkeit begünstigenden Klima zeichnet sich das Gebiet der „Magdeburger Börde" noch durch eine Anzahl weiterer, bedeutsamer Vorzüge aus. Hierzu gehört in erster Linie seine überaus günstige Handelslage. 24 25 26 27 28 29 30
Markgraf, 1964: 90. Markgraf, 1964: 90. Rosemann, 1957: 31. Rosemann, 1957: 16. Bördeboden vollgesogen, 1970: 1, sowie: Schneematsch, 1970: 1, 9. Meyer-Markau, 1882: 680. Schneematsch, 1970: 9.
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jährlichen Niederschlagssummen . . . liegen zwischen 480 und 520 mm" 2 4 —, doch bei der Güte der Böden reicht diese Menge für den auch im Untersuchungszeitraum vorwiegend intensiven Getreide- und Zuckerrübenbau vollständig aus. Starke, wesentliche Temperaturunterschiede sind in der Börde nicht zu verzeichnen; das jährliche Mittel beträgt etwa 8,5 °C.25 Einen gewissen Unterschied in klimatischer Hinsicht weist im Vergleich zum gesamten Börde-Gebiet nur der südliche Teil auf. Hier ist die Anzahl der jährlichen Nebeltage im Durchschnitt etwa um zehn geringer als in der übrigen Börde mit rund 40 Tagen. „Auch die letzten Fröste klingen früher ab und reichen nicht so lange in den März hinein. Das hat den Vorteil, daß im südlichen Bördegebiet bis Calbe schon lange vor dem 21. März mit der Feldarbeit begonnen werden kann", während in der übrigen „Börde" die Feldbestellung durchschnittlich „nicht vor dem 21. bis 25. März" beginnt.2« Den beschriebenen Vorteilen stehen jedoch auch sehr sinnfällige Nachteile gegenüber. Im wesentlichen sind es zwei. Der eine besteht darin, daß sich der Boden, der fast ausnahmslos aus echtem Löß besteht, bei großer Trockenheit rasch verhärtet und verkrustet. 27 Der zweite Nachteil stellt sich bei hohen Niederschlägen ein: der Boden zerweicht und saugt sich voll wie ein Schwamm; eine Bearbeitung ist hiernach nicht möglich. Ein recht anschauliches Beispiel dafür lieferte letzthin das schnee- und regenreiche Frühjahr 1970.28 Aber nicht nur die Fluren, sondern auch die Stabilität der Wege und Dorfstraßen wird dann arg in Mitleidenschaft gezogen. Meyer-Markau (1853—1910), ein gebürtiger Altmärker, der die „Börde" im Jahre 1882 beschrieb, bemerkte hierzu mit leiser Ironie: „Ist gerade ein erfrischender Regenschauer niedergegangen und will ein Fußwanderer mit einem für Ackerbau gar zuwenig empfanglichen Gemüthe etwas übereilig vorbei an dem Segen, den die Natur so reichlich gespendet, so mahnt ihn der fast moorig-schwarze Boden zu ruhigerem Naturgenusse, indem er, ein fettig-weicher Kleister, seine Füße an die Erde festzuheften sucht . . ." 29 Für den Flurbesteller kommt es daher darauf an, genau den Zeitpunkt zwischen dem Zufeucht und dem Zutrocken abzupassen; in diesem Dazwischen liegt die Bestellzeit: „Sie währt einen Augenblick. Wer ihn verpaßt, darf auf den nächsten Regen warten und wieder von vorn beginnen." 30
Die ökonomisch-geographischen Verhältnisse Neben guten Böden und einem deren Fruchtbarkeit begünstigenden Klima zeichnet sich das Gebiet der „Magdeburger Börde" noch durch eine Anzahl weiterer, bedeutsamer Vorzüge aus. Hierzu gehört in erster Linie seine überaus günstige Handelslage. 24 25 26 27 28 29 30
Markgraf, 1964: 90. Markgraf, 1964: 90. Rosemann, 1957: 31. Rosemann, 1957: 16. Bördeboden vollgesogen, 1970: 1, sowie: Schneematsch, 1970: 1, 9. Meyer-Markau, 1882: 680. Schneematsch, 1970: 9.
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Zunächst bietet sich als Abnehmer der hier erzeugten Produkte — auch im Untersuchungszeitraum — die Provinz Sachsen, zu der die „Börde" politisch gehört, und deren angrenzende Gebiete selbst an. Das trifft im besonderen Maße für die Erzeugnisse der hier vor allem dominierenden Landwirtschaft zu. Lengerke (1802—1853) berichtet 1847: „Gleich den natürlichen, sind auch die Consumtionsverhältnisse der Landwirtschaft günstig. Einen großen Verbrauch an deren Producten fördern die zahlreichen Städte (143) der Provinz . . . Magdeburg, Halberstadt, Erfurt, Halle, ganz Leipzig mit 50000 Einwohnern, beziehen größtentheils ihre Bedürfnisse aus der Provinz, und wenn auch die übrigen kleineren Städte größtentheils selbst Ackerbau treiben, so muß doch die Consumtion jener Orte einen großen Einfluß auf die Landwirtschaft der Provinz haben." 31 Eine Statistik des Kreises Wanzleben, des eigentlichen „Börde"-Kreises, bestätigt dies im wesentlichen auch noch für das Jahr 1864. Das gilt vor allem für Weizen-, Roggen- und Gerstenmehl, für Futtermehl, für Kleie und für Graupen. Nur „der kleinere Theil" davon gelangt auch zur Versendung nach außerhalb, insbesondere nach Hannover und Brandenburg, also in die unmittelbaren Nachbargebiete. Bier stellt überhaupt „keinen Artikel der Ausfuhr" dar, während Branntwein in den provinzialsächsischen Städten Magdeburg, Oschersleben und Halberstadt selbst verbleibt. Eine Ausnahme bilden Getreide (zunächst vor allem Gerste, später Weizen) und die Produkte aus dem inzwischen stark angelaufenen Hackfruchtbau, in erster Linie aus dem Anbau und der Verwertung von Zuckerrüben, aber auch von Zichorien. Der in den Zuckerfabriken der Börde selbst gefertigte Rübenzucker gelangt außer nach Magdeburg, Potsdam, Berlin, Stettin, Braunschweig, Leipzig und in die Rheingegend vor allem auch zum Versand nach Frankreich und England. Die Erzeugnisse aus den einheimischen Zichoriendarren, Trockenrüben und mehr noch Trockenzichorie, verbleiben dagegen im Inland; außer nach Orten in der Provinz Sachsen selbst gehen bedeutende Lieferungen nach Berlin, Braunschweig, Minden und Rees bei Wesel.32 Von kaum zu überschätzender Bedeutung als Umschlagplatz für die in der „Börde" gewonnenen Produkte aller Art, gleich, ob sie in der Provinz selbst verbleiben oder nicht, ist die Stadt Magdeburg im rechten Randgebiet der „Börde": „Das reiche Hinterland am linken Elbufer liefert seine Erzeugnisse in die Hände Magdeburgs und besorgt seine Einkäufe in der Provinzialhauptstadt, welche seit 1871 durch das Hinausrücken der Festungswälle ihr Areal um die Hälfte vergrössert und dadurch den Charakter einer modernen Großstadt gewonnen hat", heißt es in einer Skizze über Magdeburg als Handelsstadt aus dem Jahre 1884.33 Ebenfalls als unmittelbare Marktplätze und als Verbraucherzentren für die Produkte der „Börde" nicht unwichtig sind die kleineren Städte — Schönebeck, Groß Salze, Barby, Calbe, Staßfurt, Egeln, Had-
31 Lengerke, 1847: 138-139. 32 Statistik . . . Wanzleben, 1867: 54. 33 Zwicker, 1884 : 68. — Vgl. außerdem bei Jacob, 1905: 60: „Eine Sonderstellung nimmt Magdeburg ein. Die Lage am festen Ufer des schiffbaren Flusses, die Nachbarschaft der stromaufwärts gelegenen, reichen Industriegegend, die Nähe der ohne ein trennendes Zwischengebiet vor seinen Toren anhebenden Börde, die ihm Nahrungsmittel, und der Schlickregion, die ihm Baumaterial liefert, vereinigen sich zu Vorzügen, die Magdeburg als Brücken- und Randstadt, als Industrie- und Verkehrsort zur natürlichen Hauptstadt der Gegend erhebt."
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mersleben, Oschersleben, Seehausen, Neuhaidensieben und Wolmirstedt —, von denen das Untersuchungsgebiet gleichsam umschlossen ist.34 Der Vorteil der Marktnähe wird noch unterstrichen durch ein relativ gut ausgebautes Eisenbahn- und Wegenetz, das die „Börde" durchzieht und worin sich zugleich der relativ hohe Stand der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung dieses Gebietes widerspiegelt. Die erste Eisenbahnlinie wurde bereits 1839 eröffnet, und zwar als Teilstück der Verbindung zwischen Magdeburg und Leipzig über Kothen und Halle.35 Sie verlief am Ostrand der „Börde" und berührte die Ortschaften Buckau bei Magdeburg, Westerhüsen, Schönebeck, Gnadau und das Vorwerk Grizehne bei Calbe. Diese Südroute wurde zehn Jahre später durch die Strecke Magdeburg-Wittenberg über Wolmirstedt im Nordostteil der „Börde" verlängert. Im Jahre 1843 erfolgte die Eröffnung der Linie Magdeburg-Oschersleben-Halberstadt, die das Untersuchungsgebiet in Ost-WestRichtung durchschneidet. Im Untersuchungszeitraum erhielten dabei folgende „Börde"Dörfer Anschlüsse : Dodendorf, Langenweddingen, Blumenberg, Klein Germersleben und Klein Oschersleben mit Bahnhof Hadmersleben. 1857 wurden die Linie Schönebeck-Staßfurt unter Berührung der „Börde"-Orte Eggersdorf, Eikendorf, Förderstedt und die Strecke Staßfurt-Löderburg eröffnet. 1872 wurden in Betrieb genommen: die Verbindung Magdeburg-Neuhaldensleben (heute: Haldensleben) mit den Stationen: Barleben, Meitzendorf und Gr. Ammensieben, sowie die Linie Magdeburg-EilslebenHelmstedt bzw. -Schöningen über Niederndodeleben, Wellen, Ochtmersleben, Dreileben/Drakenstedt, Eilsleben und Wefensleben. 1879 erfolgte die Eröffnung der Teilstrecke Etgersleben-Wolmirsleben über Bleckendorf und zwei Jahre darauf die Verbindungen Egeln-Blumenberg sowie Blumenberg-Eilsleben über Wanzleben, Klein Wanzleben und Seehausen. Außer zahlreichen Kreis-Chausseen, deren Ausbau — wie beispielsweise im Kreis Wanzleben — vornehmlich in der Zeit nach 1850 erfolgte, durchqueren die „Börde" auch eine bedeutende Anzahl von Staats-Chausseen, die häufig auf alte Handelswege zurückgehen. Es seien genannt: Die Magdeburg-Eislebener Chaussee über Klein- und Groß Ottersleben, Langenweddingen, Bleckendorf und Egeln; die sogenannte „erste Leipziger Straße" von Magdeburg über Dodendorf, Atzendorf, Förderstedt und Hohendorf; die sogenannte „zweite Leipziger Straße" von Egeln nach Atzendorf mit Anschluß an die erste „Leipziger Straße" über Bleckendorf und Wolmirsleben. Ferner die Städte-Verbindungen: Hadmersleben-Egeln über Klein Oschersleben, Groß Germersleben, Etgersleben und Bleckendorf; Magdeburg-Schönebeck über Buckau, Fermersleben, Salbke und Westerhüsen; Magdeburg-Wanzleben über Klein- und Groß 34 Dazu Jacob, 1905: 60: „Auf der Börde selbst, wo viele Dörfer ein fast städtisches Gepräge haben, fehlen die Städte, ohne daB dies einen Mangel bedeutet. Die vorhandenen Städte der Ackerbauregionen (Neuhaidensieben und Wolmirstedt im N., Wanzleben und Seehausen im S. der Börde, Kochstadt und Schwanebeck im S. der Bodensenke) sind Marktplätze für ihre engere Umgebung und zu solchen durch ihre Lage gut geeignet. Von allen Seiten her sind sie leicht zu erreichen . . .". 35 Die folgenden Angaben sind entnommen von Kühn, 1883: 14—20, und zwar unter Benutzung der „Karte des Deutschen Reiches. 313 Oschersleben/314 Magdeburg". Hg. v. d. Karthographischen Abt. d. Kgl. Preuss. Landes-Aufnahme 1904/05. Umdruckausgabe. Maßstab 1:100000. Berlin (Standort: Kreisheimatmuseum des Kreises Wanzleben, Ummendorf)- Außerdem wurde hinzugezogen: Handbuch des Grundbesitzes, 1885: 287, 351, 404-405, 417.
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Ottersleben und Schieibnitz; Seehausen-Oschersleben über Schermke und Emmeringen; Magdeburg-Wolmirstedt über Barleben und Elbeu; Magdeburg-Neuhaldensleben über Ebendorf, Groß Ammensieben und Wedringen sowie Magdeburg-Helmstedt über Olvenstedt, Irxleben, Eichenbarleben, Bornstedt, Tundersieben, Brumby und Erxleben. 36 Als weitere wichtige Verkehrsadern treten die Saale im Südrand der „Börde" und ganz besonders die Elbe hinzu. Für die Erweiterung und Intensivierung des Handels im allgemeinen sowie des Getreide- und Zuckerhandels im besonderen, für die Entstehung und den Ausbau eines einheitlichen, nationalen Marktes sind im Untersuchungszeitraum vor allem auch die Gründung des Deutschen Zollvereins (1834), die Konstituierung des Norddeutschen Bundes (1867), die Bildung des Deutschen Zollparlaments (1867) und die Reichsgründung (1871) von Bedeutung. Die vorherrschende Produktionsrichtung in der „Börde" ist die Landwirtschaft. Im Untersuchungszeitraum dominieren der Anbau von Körnerfrüchten, Zuckerrüben (Beta vulgaris subsp. esulenta var. saccarifera) und Zichorien (Wegwarte; Cichorium intybus); letztere zum Zweck der Gewinnung der Wurzeln (Kaffeewurzeln), „die geröstet hauptsächlich wegen des Inulingehalts (etwa 6 bis 7 %) zu Kaffeezusatz (Zichorienkaffee) verarbeitet werden." 37 Außerdem werden — je nach dem Stand der Viehhaltung — natürlich Futterkräuter (Klee, Luzerne, Esparsette, auch Mais) gebaut, ferner Hülsenfrüchte (Erbsen, Bohnen, Linsen, Wicken) und Handelsgewächse, insbesondere Ölfrüchte (Raps, Mohn, Flachs) sowie — vornehmlich im Norden des Untersuchungsgebietes — Tabak. Einen sehr bedeutenden Umfang, vor allem auch als Rohstoffgrundlage für die Brennereien, nimmt daneben der Anbau von Kartoffeln ein. ;;s Das Charakteristikum der „Börde" ist diese ausgedehnte und durch hohe Erträge sich auszeichnende Landwirtschaft allein allerdings nicht, sondern — vom Beginn des Untersuchungszeitraums an - ihre „innige Verschmelzung (mit) technischen Gewerben, namentlich Brennereien und Zuckerfabriken." 39 Hinzu kommen Getreide- und Ölmühlen, Zichoriendanen und — besonders in und um Magdeburg — Zichorienkaffee- und Kartoffelstärke-Fabriken sowie Bierbrauereien. 40 Im untersuchten Zeitraum nimmt mit dem weiteren Eindringen des Kapitalismus diese der Erschließung neuer Profitquellen dienende Entwicklung, den landwirtschaftlichen Betrieben technische Nebengewerbe anzugliedern, ständig zu. So stieg beispielsweise in den Dörfern und Vorwerken des Kreises Wanzleben, des Kern-Kreises der „Börde", also ohne die Städte, die Zahl der Branntweinbrennereien von 11 im Jahre 1842 auf 13 im Jahre 1864; die Zahl der Rübenzuckerfabriken von 6 im Jahre 1842 auf 17 im Jahre 1864; die Zahl 36 Statistik . . . Wanzleben, 1867: 58, unter Verwendung der „Special-Karte des Regierungs-Bezirkes Magdeburg, der Anhaltinischen Herzogthümer und. der angrenzenden Landestheile. Nach den Preußischen Generalstabskarten und anderen amtlichen Materialien entworfen, gezeichnet u. gravirt von Th. Börnsdorf", Bl. 1: Nördl. Theil des Reg.-Bez. Magdeburg etc. Hg. im Jahre 1855. Maßstab 1:200000 (Standort: Deutsche Staatsbibliothek Berlin). Vgl. hierzu außerdem Kahse, 1936. 37 Meyers Neues Lexikon, 1964: 648 (Stichwort „Wegwarte"). 38 Statistik . . . Wanzleben, 1867: 43. 39 Einige Nachrichten, 1850: 5. 40 Einige Nachrichten, 1850: 41—42.
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der Getreidemühlen von 111 im Jahre 1842 auf 130 im Jahre 1864 ; die Zahl der Zichoriendarren von 7 im Jahre 1842 auf 20 im Jahre 1864. Nur die Zahl der Bierbrauereien verringerte sich von 12 im Jahre 1842 auf 5 im Jahre 1864.41 In den folgenden Jahren bis etwa 1880 veränderte sich dann die Situation immer rascher zugunsten des nun profitabelsten landwirtschaftlichen Nebengewerbes, der Zuckerfabriken. Diese Tendenz ist — auf das gesamte Gebiet der „Magdeburger Börde" bezogen — für den Untersuchungszeitraum insgesamt charakteristisch. Bestanden um 1840 in der „Börde" — die Städte, einschließlich Magdeburg, mit eingerechnet — noch 89 Brennereien, 35 Zichoriendarren und nur erst 30 Zuckerfabriken, so um 1880 nur noch 22 Brennereien, 30 Zichoriendarren, aber 48 Zuckerfabriken.42 Parallel dazu fand auch eine Verlagerung der Standorte statt, vor allem hinsichtlich der Zuckerfabriken. Konzentrierten sich diese Produktionsstätten um 1840 noch vornehmlich in und um Magdeburg, so zeigt sich am Ende des Untersuchungszeitraums eine Verbreitung über das ganze Gebiet der „Börde". 43 Ein mit steigenden Realisierungsmöglichkeiten zunehmendes Profitstreben der Produzenten sowie Verbesserungen in der Technologie und im Verkehrswesen waren die hauptsächlichsten Ursachen dafür. Auf diese Zusammenhänge wird später noch ausführlicher einzugehen sein. Eine große Bedeutung kommt im Untersuchungsgebiet auch der Gewinnung von Bodenschätzen zu, in erster Linie von Salz, Braunkohle, Kalk-, Gips- und Sandstein. Salz findet sich — zum kleineren Teile — in der Nähe von Staßfurt, vor allem aber in der Umgebung von Schönebeck. Die Saline in Schönebeck ist die bedeutendste in Preußen überhaupt. Angeschlossen sind ein Gradirwerk und mehrere Siedeanstalten.44 Braunkohle wird im Gebiet der „Börde" vornehmlich bei Altenweddingen, Unseburg, Wolmirsleben, Hohendorf und Welsleben gewonnen: „Das geförderte Quantum ist größtentheils im Kreise selbst, vorzugsweise von den Zuckerfabriken, Brennereien, Brauereien, Ziegeleien und, Kalkhütten consumirt." 45 Kalkstein wird insbesondere in den Feldmarken Wanzleben, Seehausen, Remkersleben, Etgersleben, Bleckendorf, Wolmirsleben, Langenweddingen und Sülldorf gebrochen; Sandstein vor allem bei Ampfurth, Altbrandsleben, Eggenstedt und Seehausen. In der Nähe jener Orte findet zumeist auch die Verwertung dieser Naturstoffe statt. 46 Von einiger Bedeutung ist darüber hinaus auch die Produktion von Ziegelsteinen.47 Die Viehhaltung tendiert beim bäuerlichen Grundbesitz im untersuchten Zeitraum vor allem zur Haltung von Spannvieh, meist von Ochsen und Pferden nebeneinander. Beim Kleinbesitz nimmt als Folge der Gemeinheitsteilungen besonders die Kleinviehhaltung zu. Dagegen hatte die Schafhaltung bereits zu Beginn des Untersuchungszeitraumes an Bedeutung verloren: „Gute natürliche Weide ist nicht vorhanden und längst urbar gemacht, (auch) wagt man wegen zu theurer Bodenrente die Anlegung 41 Angaben für 1842 nach Hermes/Weigelt, 1842; Angaben für 1864 nach Statistik . . . Wanzleben, 1867:51-52. 42 Nowak; 1970 a: 50—51. Erarbeitet auf der Grundlage von Hermes/Weigelt, 1842, Hermes/Weigelt, 1843 und dem Handbuch des Grundbesitzes, 1885. 43 Nowak, 1970 a: 50—51. Erarbeitet auf der Grundlage von Hermes/Weigelt, 1842, Hermes/Weigelt, 1843 und dem Handbuch des Grundbesitzes, 1885. 44 Hermes/Weigelt, 1843: 103-110. 45 Statistik . . . Wanzleben, 1867: 47. 46 Statistik . . . Wanzleben, 1867: 47. 47 Statistik . . . Wanzleben, 1867: 51.
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künstlicher Weideschläge nicht. Brachweide giebt es auch nicht, und so bleibt fast nur die Stoppelweide übrig. Hierauf gründet sich sehr natürlich Hammelhaltung d. h. mageres Merzvieh anderer Gegenden wird nach Beendigung der Erndte gekauft und dann im Winter gemästet," heißt es schon 1850.48 Und auch dreißig Jahre später wird noch berichtet: „Viehzucht fehlt fast ganz. In den reinen Rübenwirthschaften wird gewöhnlich nur Spannvieh gehalten, nur im Herbst werden magere Hammel gekauft, die die Stoppelweide ausnutzen und dann mit Fabrikrückständen, den sogenannten Schnitzeln, unter starker Beigabe von Kraftfutter gemästet und im Frühjahr verkauft werden." 49 Auf derselben Grundlage wird vor allem in den ausgesprochenen Fabrikwirtschaften auch Ochsenmast betrieben. Milchkühe werden in größerer Zahl überwiegend nur in solchen Wirtschaften gehalten, „wo zugleich Brennerei betrieben wird ;" 50 eine Situation, die für den Untersuchungszeitraum insgesamt zutrifft. 51
Historisch-politische Entwicklung und zeitgenössische Verwaltungsstruktur Seit dem 10. Jh. gehörte die „Magdeburger Börde" — zugleich Grenzland zu den rechtselbisch siedelnden Slawen — politisch zum Erzbistum Magdeburg (begr. 968 durch 'Otto I.). Im Westfälischen Frieden (1648) kam das Erzstift an Brandenburg und damit an Preußen, wobei es zu einem weltlichen Herzogtum umgebildet wurde. Der tatsächliche Anschluß wurde jedoch erst 1680, nach dem Tode des letzten Magdeburgischen Administrators, vollzogen. Als Herzogtum Magdeburg blieb das gesamte Gebiet als Verwaltungseinheit bestehen bis 1807. Von diesem Zeitpunkt an — von den östlichen Teilen der preußischen Monarchie abgetrennt — wurde es für die folgenden sieben Jahre als Hauptbestandteil des Departements „Elbe" dem Königreich Westfalen zugeordnet. 1814 wurde das Gebiet erneut preußisch. Die bald daraufhin vorgenommene politisch-administrative Neugliederung (1816) besitzt auch für den gesamten Untersuchungszeitraum Gültigkeit. Danach haben insgesamt fünf Kreise, denen jeweils ein Landrat vorsteht, am Untersuchungsgebiet Anteil. Und zwar: 1. Der Kreis Wanzleben, der fast in seiner ganzen Ausdehnung zur „Börde" gehört, also gleichsam den Kern-Kreis der „Börde", den eigentlichen „Börde"-Kreis darstellt. Ihm zugeordnet sind die Dörfer, Flecken und Vorwerke: Altbrandsleben, Altenweddin48 49 50 51
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Einige Nachrichten, 1850: 17. Nathusius, 1884: 142. Nathusius, 1884: 143. Vgl. für die Zeit um 1850: Einige Nachrichten, 1850: 18: Die Rindviehhaltung „ist zu ihrer jetzigen hochgesteigerten Form erst in neuerer Zeit seit circa 15 Jahren in Verbindung mit den größeren Brennereieinrichtungen entwickelt. In Folge letzterer hat sich die Rindviehhaltung auf Kosten der Schaafhaltung vermehrt, und in vielen Wirtschaften sind ehemalige Schaafställe in Kuhställe verwandelt."
künstlicher Weideschläge nicht. Brachweide giebt es auch nicht, und so bleibt fast nur die Stoppelweide übrig. Hierauf gründet sich sehr natürlich Hammelhaltung d. h. mageres Merzvieh anderer Gegenden wird nach Beendigung der Erndte gekauft und dann im Winter gemästet," heißt es schon 1850.48 Und auch dreißig Jahre später wird noch berichtet: „Viehzucht fehlt fast ganz. In den reinen Rübenwirthschaften wird gewöhnlich nur Spannvieh gehalten, nur im Herbst werden magere Hammel gekauft, die die Stoppelweide ausnutzen und dann mit Fabrikrückständen, den sogenannten Schnitzeln, unter starker Beigabe von Kraftfutter gemästet und im Frühjahr verkauft werden." 49 Auf derselben Grundlage wird vor allem in den ausgesprochenen Fabrikwirtschaften auch Ochsenmast betrieben. Milchkühe werden in größerer Zahl überwiegend nur in solchen Wirtschaften gehalten, „wo zugleich Brennerei betrieben wird ;" 50 eine Situation, die für den Untersuchungszeitraum insgesamt zutrifft. 51
Historisch-politische Entwicklung und zeitgenössische Verwaltungsstruktur Seit dem 10. Jh. gehörte die „Magdeburger Börde" — zugleich Grenzland zu den rechtselbisch siedelnden Slawen — politisch zum Erzbistum Magdeburg (begr. 968 durch 'Otto I.). Im Westfälischen Frieden (1648) kam das Erzstift an Brandenburg und damit an Preußen, wobei es zu einem weltlichen Herzogtum umgebildet wurde. Der tatsächliche Anschluß wurde jedoch erst 1680, nach dem Tode des letzten Magdeburgischen Administrators, vollzogen. Als Herzogtum Magdeburg blieb das gesamte Gebiet als Verwaltungseinheit bestehen bis 1807. Von diesem Zeitpunkt an — von den östlichen Teilen der preußischen Monarchie abgetrennt — wurde es für die folgenden sieben Jahre als Hauptbestandteil des Departements „Elbe" dem Königreich Westfalen zugeordnet. 1814 wurde das Gebiet erneut preußisch. Die bald daraufhin vorgenommene politisch-administrative Neugliederung (1816) besitzt auch für den gesamten Untersuchungszeitraum Gültigkeit. Danach haben insgesamt fünf Kreise, denen jeweils ein Landrat vorsteht, am Untersuchungsgebiet Anteil. Und zwar: 1. Der Kreis Wanzleben, der fast in seiner ganzen Ausdehnung zur „Börde" gehört, also gleichsam den Kern-Kreis der „Börde", den eigentlichen „Börde"-Kreis darstellt. Ihm zugeordnet sind die Dörfer, Flecken und Vorwerke: Altbrandsleben, Altenweddin48 49 50 51
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Einige Nachrichten, 1850: 17. Nathusius, 1884: 142. Nathusius, 1884: 143. Vgl. für die Zeit um 1850: Einige Nachrichten, 1850: 18: Die Rindviehhaltung „ist zu ihrer jetzigen hochgesteigerten Form erst in neuerer Zeit seit circa 15 Jahren in Verbindung mit den größeren Brennereieinrichtungen entwickelt. In Folge letzterer hat sich die Rindviehhaltung auf Kosten der Schaafhaltung vermehrt, und in vielen Wirtschaften sind ehemalige Schaafställe in Kuhställe verwandelt."
gen, Altona, Ampfurth, Bahrendorf, Beiendorf, Benneckenbeck, Bergen, Bleckendorf, Blumenberg, Bottmersdorf, Buch, Buckau (ab 1860 zur Stadt erhoben und Ende 1861 dem Stadtkreis Magdeburg zugeordnet), Diesdorf, Dodendorf, Domersleben, Eggenstedt, Etgersleben, Fermersleben, Groß Germersleben, Groß Ottersleben, Hohendodeleben, Klein Rodensieben, Klein Wanzleben, Langenweddingen, Lemsdorf, Meyendorf, Osterweddingen, Peseckendorf, Remkersleben, Salbke, Schermke, Schieibnitz, Schwaneberg, Sohlen, Stemmern, Sülldorf, Unseburg, Wellen, Welsleben, Westerhüsen und Wolmirsleben. 2. Der Kreis Neuhaidensieben, dessen südliches Drittel in das Untersuchungsgebiet hineinragt. Er umfaßt die ländlichen „Börde"-Siedlungen : Akendorf, Althaldensleben, Alvensleben-Dorf, Alvensleben-Markt, Belsdorf, Bornstedt, Brumby, Dönstedt, Eilsleben, Emden, Erxleben, Groppendorf, Groß Rottmersleben, Groß Santersleben, Hakenstedt, Hillersleben, Hundisburg, Klein Rottmersleben, Klein Santersleben, Nordgermersleben, Ovelgünne, Schakensieben, Siegersleben, Tundersieben, Uhrsleben, Ummendorf, Vahldorf, Wedringen und Wefensleben. 3. Der Kreis Wolmirstedt, dessen Süd- und Südwestzipfel „Börde"-Gebiet umgreift. Zu ihm gehören die Dörfer, Flecken und Vorwerke: Barleben, Dahlenwarsleben, Drakenstedt, Dreileben, Druxberge, Ebendorf, Eichenbarleben, Elbeu, Gersdorf, Groß Ammensieben, Groß Rodensieben, Gutenswegen, Hemsdorf, Hermsdorf, Hohenwarsleben, Irxleben, Jersleben, Klein Ammensieben, Mammendorf, Meitzendorf, Niederndodeleben, Ochtmersleben, Olvenstedt, Rothensee, Schnarsleben und Wellen. 4. Der größere Teil — bis zur Saale und Bode — des Kreises Calbe mit den ländlichen Siedlungen : Alten Salze, Alt-Staßfurth, Athensleben, Atzendorf, Biere, Bisdorf, Borne, Brumby, Eggersdorf, Eickendorf, Felgeleben, Förderstedt, Frohse, Glinde, Glöthe, Gnadau mit dem Vorwerk Döben, Hohendorf, Löbnitz, Löderburg, Neugattersleben, Pömmelte, Tornitz, Uelnitz, Werkleitz, Wespen, Zachmünde und Zens. Nicht diesem Kreis — und der preußischen Regierungsgewalt überhaupt — unterstellt, sind die vom Kreisgebiet Calbe umschlossenen Ortschaften Groß- und Klein-Mühlingen; sie bilden eine Exklave des Herzogtums Anhalt-Bernburg. 5. Der Kreis Oschersleben, der nur mit einem kleinen östlichen Ausläufer, mit dem Vorwerk Andersleben und der Domäne Emmeringen, zur „Börde" gehört. Diese fünf Kreise — und weitere neun sowie die Grafschaft Wernigerode — bilden zusammen den Regierungsbezirk Magdeburg (mit Sitz der Regierung in Magdeburg). Zugleich stellt er den nordwestlichen Teil der preußischen Provinz Sachsen dar, zu der außerdem noch die Regierungsbezirke Merseburg und Erfurt zählen, und die ihrerseits den westlichen Ausläufer des ganzen östlichen Hauptteils der preußischen Monarchie (also der östlichen Provinzen) bildet. Die höchsten Verwaltungsgeschäfte der Provinz führt ein Oberpräsidium (Sitz Magdeburg).52
52 Es wurden herangezogen: Magdeburg und seine Umgebung, 1972; Heine/Rosenburg, 1906; Friedensburg, 1919; ferner Hermes/Weigelt, 1842; Hermes/Weigelt, 1843; Handbuch des Grundbesitzes, 1885:286—311, 350-371, 4 0 2 - 4 1 1 , 4 1 6 - 4 4 1 .
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Konfessionelle Verhältnisse und zeitgenössische kirchliche Verwaltungsstruktur Seit der Reformation, die in Magdeburg und Umgegend schon im Jahre 1524 einsetzte, gehören die Bewohner überwiegend der evangelisch-lutherischen Konfession an. 53 Der relativ geringe katholische Bevölkerungsteil erhält allerdings im Laufe des Untersuchungszeitraumes durch verbleibende Saisonarbeiter, die im Zusammenhang mit dem Beginn und der zunehmenden Ausdehnung des Hackfruchtbaus zunächst aus dem Eichsfeld und später auch aus den östlichen preußischen Provinzen in die „Börde" kommen, einen gewissen Zuwachs. Sowohl die religiösen Bedürfnisse der ansässigen, als auch die der nur vorübergehend — während der „Saison" oder „Campagne" — hier lebenden katholischen Glaubensangehörigen werden von den katholischen Pfarreien in Magdeburg, Althaldensieben, Groß Ammensieben, Hadmersleben, Marienstuhl bei Egeln und Meyendorf wahrgenommen. Sie sind Teil der Diözese des Bischofs von Paderborn. Als gemeinschaftliches Organ der bischöflichen Behörden einerseits und der weltlichen Regierung zu Magdeburg andererseits ist ein bischöfliches Kommissarium bestellt.54 Außer diesen beiden konfessionellen Gruppen sind im Untersuchungszeitraum noch Anhänger jüdischen Glaubens und — fast ausschließlich konzentriert auf die Ortschaft Gnadau im landrätlichen Kreis Calbe — Angehörige der Brüdergemeinde (als Herrnhuterkolonie im Jahre 1767 gegründet) vertreten. Besonders im Vormärz ist in und um Magdeburg außerdem die freireligiöse Bewegung unter dem Prediger Uhlich von Bedeutung. Das evangelische Kirchenwesen, speziell die Diözeseneinteilung, ist, „wo die Verhältnisse es bisher schon gestattet haben, nach der politischen (Kreis-) Eintheilung des Bezirks abgegrenzt worden, und zwar so, daß in der Regel jeder landräthliche Kreis zwei Diözesen bildet. Dies ist namentlich in den Kreisen . . .Kalbe, Neuhaldensleben. . . . Wanzleben und Wolmirstedt der Fall." 55 Im Untersuchungszeitraum gilt seit dem 1.1. 1830 für das Gebiet der Magdeburger Börde im wesentlichen folgende Einteilung: 56 1. Diözese Atzendorf (Kreis Calbe) mit den börde-dörflichen Parochien: Atzendorf, Biere, Borne mit Filia Bisdorf, Eggersdorf, Eickendorf mit Filia Zens, Förderstedt, Frohse, Glöthe mit Filia Uelnitz, Löderburg mit Filia Athensleben, Groß Salze mit Alten Salze und Eimen, Alt-Staßfurth. 2. Diözese Barleben (Kreis Wolmirstedt) mit den börde-dörflichen Parochien: Klein Ammensieben, Barleben, Dahlenwarsleben mit Filia Gersdorf, Drakenstedt, Druxberge, Ebendorf, Eichenbarleben, Gutenswegen, Hermsdorf, Hohenwarsleben, Irxleben, Meitzendorf, Niederndodeleben, Ochtmersleben, Olvenstedt, Groß Rodensieben mit Hemsdorf, Rothensee, Schnarsleben und Wellen. 53 54 55 56
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Magdeburg und seine Umgebung, 1972: 37. Hermes/Weigelt, 1843: 232—233. Hermes/Weigelt, 1843:203. Hermes/Weigelt, 1843: 211—213, 216. In dieser Aufstellung werden jeweils nicht sämtliche Parochien einer Diözese, sondern nur jene, die im Untersuchungsgebiet liegen, berücksichtigt. Vgl. außerdem Amts-Blatt, 1829:315-318.
3. Diözese Erxleben (Kreis Neuhalendsleben) mit den börde-dörflichen Parochien: Bornstedt, Erxleben, Groppendorf mit Brumby, Hakenstedt mit Filia Siegersleben, Nordgermersleben mit Tundersieben und Klein Rottmersleben, Groß Rottmersleben mit Filia Klein Santersleben, Schakensieben, Groß Santersleben mit Filia Mammendorf und Uhrsleben. 4. Diözese Calbe (Kreis Calbe) mit den börde-dörflichen Parochien: Brumby, Glinde, Hohendorf mit Neugattersleben und Filia Löbnitz, Pömmelte mit Zachmünde und Filia Felgeleben, Werkleitz mit Filia Tornitz und Wespen. 5. Diözese Marienborn (Kreis Neuhaidensleben) mit den börde-dörflichen Parochien: Belsdorf mit Filia Wefensleben, Eilsleben mit Ovelgünne sowie Ummendorf. 6. Diözese Neuhaidensleben (Kreis Neuhaidensieben) mit den börde-dörflichen Parochien: Akendorf, Althaldensleben, Alvensleben-Dorf, Alvensleben-Markt, Dönstedt, Emden, Hillersleben, Hundisburg, Vahldorf und Wedringen. 7. Diözese Groß Ottersleben (Kreis Wanzleben) mit den börde-dörflichen Parochien: Altenweddingen, Bahrendorf, Beiendorf mit Filia Sohlen, Buckau mit Filia Fermersleben, Dodendorf, Etgersleben, Langenweddingen, Osterweddingen, Groß Ottersleben mit Benneckenbeck und Filia Lemsdorf, Klein Ottersleben, Salbke, Stemmern, Sülldorf, Unseburg, Welsleben, Westerhüsen und Wolmirsleben mit Altona. 8. Diözese Seehausen (Kreis Wanzleben) mit den börde-dörflichen Parochien: Ampfurth, Bottmersdorf, Diesdorf, Domersleben, Eggenstedt, Groß Germersleben, Klein Germersleben, Hohendodeleben, Klein Oschersleben, Remkersleben mit Meyendorf und Peseckendorf, Klein Rodensieben, Schermke mit Altbrandsleben, Schleinitz, Schwaneberg, Wanzleben mit Buch und Blumenberg sowie Klein Wanzleben. 9. Diözese Wolmirstedt (Kreis Wolmirstedt) mit den börde-dörflichen Parochien: Groß Ammensieben, Elbeu und Jersleben. 10. Diözese Oschersleben (Kreis Oschersleben) mit der börde-dörflichen Parochie Emmeringen; das Vorwerk Andersleben ist eingepfarrt in die Parochie Oschersleben. Die Aufsichtspflichten in den Diözesen werden von Superintendenten wahrgenommen. Je nach dem Sitz des Ephorus können die Diözese-Bezeichnungen allerdings auch wechseln.
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Grundzüge der sozialökonomischen Entwicklung und die Entstehung der einheimischen Landarbeiterschaft1
Die bäuerlichen besitz- und erbrechtlichen Verhältnisse Zu den weiteren Vorzügen, durch die sich das Gebiet der „Magdeburger Börde" schon im Spätfeudalismus, noch vor Inkrafttreten der westfälischen und später der preußischen Agrarreformgesetze auszeichnet, gehören auch die relativ günstigen besitz- und erbrechtlichen Verhältnisse der bäuerlichen Bevölkerung, die hier — etwa im Gegensatz zu den Distrikten nördlich der Ohre und östlich von Elbe und Saale — „von alters her" 2 die größte Gruppe der mit Produktionsmitteln ausgestatteten unmittelbaren Agrarproduzenten repräsentiert. Weder die Institution der Leibeigenschaft im frühfeudalen Sinne noch die der gutsherrlichen Abhängigkeit (Gutsuntertänigkeit, Gutsherrlichkeit) waren hier existent.3 Zwar hatte jener „bäuerliche Rechtsstatus (bzw. der Rechtsstatus der überwiegenden Mehrzahl der Bewohner des platten Landes)", der gewöhnlich als „zweite Leibeigenschaft" bezeichnet wird und worunter mit Engels nicht „die Rechtsform der Leibeigenschaft im engeren (etwa im frühfeudalen) Sinne des Wortes" zu verstehen ist, sondern jene „neuen, weithin durch das Römische Recht geprägten Bindungen, deren Erscheinungsformen von Leibeigenschaft bis Erbuntertänigkeit variierten und . . . eine Vielzahl von Belastungen und Beschränkungen vorsahen, die die ,Freiheit' illusorisch machten", 4 sich auch in unserem Gebiet herausgebildet, aber insgesamt gesehen doch in einer weit aufgelockerten Form. Die Beschränkungen und Belastungen bestanden außer in einer ungenügenden Freizügigkeit in der Mehrzahl nur in der Verpflichtung zu Abgaben und Diensten gegenüber den Grundeigentümern und Gerichtsherren (Landesfürsten, adelige und nichtadelige Rittergutsbesitzer, Städte, Kirchen, Stifte usw.).5 Auch nichtbäuerliche ländliche
1 Der erste Teil dieses Kapitels erscheint unter dem Titel „Grundzüge der Entwicklung der sozialökonomischen Verhältnisse in der Magdeburger Börde unter den Bedingungen der Durchsetzung und vollen Entfaltung des Kapitalismus der freien Konkurrenz in der Landwirtschaft (1830 bis 1880)" in dem Sammelband: Landwirtschaft und Kapitalismus. Zur Entwicklung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse in der Magdeburger Börde vom Ausgang des 18. Jh. bis zum Ende des ersten Weltkrieges ( = Untersuchungen zur Lebensweise und Kultur der werktätigen Dorfbevölkerung in der Magdeburger Börde, Teil I. 1). Berlin 1978, S. 1 7 5 - 2 3 1 . 2 Bielefelds 1910: 3 - 4 . 3 Lütge, 1937: 8—25; außerdem S. 102, 113 und öfter. Im Unterschied dazu spricht Bielefeldt fast ausschließlich von „gutsherrlich-bäuerlichen" 'Verhältnissen. 4 Heitz, 1972: 24 und 25. 5 Lütge, 1957: 103, 113,
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Bevölkerungsteile waren im gewissen Umfang davon betroffen.6 Ausgenommen blieben in der Regel die Besitzer von Freigütern. Unter feudalen Produktionsverhältnissen war hier „das Eigentums- bzw. Besitzrecht des Bauern. . . das denkbar günstigste. Weitgehend ist er freier Eigentümer, besitzt als solcher sein Haus und Land als schlichtes (schlechtes) Zinsgut. Dieses Besitzrecht, das also freies, ungemindertes Eigentum bedeutet, steht an erster Stelle. Daneben finden wir das Erbzinsgut verbreitet."7 Dem Inhaber stand es sonach frei, soweit ihm dies der feudale Flurzwang gestattete, „den Hof ganz nach eigenem Wollen zu bewirtschaften."8 Auch besaß er „das Recht der freien Vererblichkeit und der freien Veräußerlichkeit sowie Verpfändbarkeit" ;9 lediglich der Inhaber eines Erbzinsgutes (Erbzinsmann) hatte hierfür noch die Genehmigung des Erbzinsherrn einzuholen.10 Das herrschende bäuerliche Erbrecht war auf die ungeschmälerte Erhaltung von Hof und Grundbesitz gerichtet; es galt das Prinzip der „Geschlossenheit."11 „In der Regel vollzog sich der Besitzwechsel schon zu Lebzeiten des Altbauern; den Hof erhielt... eines der Kinder, während die anderen Kinder durch sogenannte Erbgelder abgefunden wurden, die oft in Raten über Jahrzehnte hin zu zahlen waren und wofür der Grundbesitz haftete."12 Einem eventuellen Vordringen des Realteilungsprinzips wirkten neben speziellen rechtlichen Bestimmungen13 insbesondere spezifische landes- und grundherrliche Maßnahmen entgegen.14 Diese besitz- und erbrechtlichen Verhältnisse gewährten im Zuge der Herausbildung und Entwicklung der Warenproduktion in Verbindung mit den ausgezeichneten geographischen Gegebenheiten, insbesondere mit der hohen Bodenfruchtbarkeit, und mit 6 Lütge, 1957: 127. 7 Lütge, 1935: 284. — Auch Bielefelds 1910: 4, bemerkt: „Im Anfang des 19. Jahrhunderts war daher beim Bauernstand der Provinz Sachsen der rein zensitische Besitz überall die Regel, der als volles Eigentum des Bauern bei persönlicher Freiheit des Inhabers nur mit Leistungen an die Gutsherrschaft (richtiger: Grundherrschaft/H. P.) belastet war." — Von geringerer Bedeutung waren im Untersuchungsgebiet Erbpacht- und Laßgüter bzw. Bauernlehne (siehe dazu bei Lütge, 1957: 94—99, und Bielefeldt, 1910: 4). 8 Lütge, 1957: 86. 9 Lütge, 1957: 86. 10 Lütge, 1957: 8 9 - 9 4 . 11 Lütge, 1957: 56—77; vgl. außerdem Bielefeldt, 1910: 5. — Schon die Polizeiordnung für das Herzogtum Magdeburg von 1688 bestimmte, „dass, wenn ein Ackergut an mehrere Erben fällt, die Theilung desselben füglich geschehen dürfe, wenn aus einem Gute 2 Halbspänner gemacht werden können, weitere Theilung aber nicht erlaubt sei." Und das Gesetz vom 21. 4. 1825, das in jenen preußischen Landesteilen Gültigkeit besaß, die — wie das Untersuchungsgebiet — vormals zum Königreich Westfalen gehört hatten, besagte: „Fiel bei einer Vererbung das Gut an mehrere Erben, so konnte der Gutsherr verlangen, dass sie einen aus ihrer Mitte bestimmten, welcher das Gut ungetheilt zu übernehmen hatte. Es sollten jedoch diese Beschränkungen der Zerstückelung nur in soweit gelten, als sie schon vor Einführung der fremden ^Gesetzgebung zulässig waren", was für die Magdeburger Gegend bekanntlich zutraf. Zitiert nach Meitzen, 1868: 474 und 487. — Vgl. ferner Goldschmidt, 1899: 19: „In Erbfällen gilt für Rittergüter ausnahmslos, für bäuerliche Wirtschaften in der Regel, Geschlossenheit des Besitzes." 12 Lütge, 1957: 57. 13 Bielefeldt, 1910: 5, verweist hierbei auf das Intestaterbrecht des „Sachsenspiegels", das auch im Untersuchungsgebiet gültig war. — Vgl. ferner bei Lütge, 1957: 26—27. 14 Lütge, 1957: 6 4 - 7 6 .
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der vorteilhaften Handelslage die Möglichkeit zu anhaltender Geldakkumulation. So vermochten bäuerliche Besitzer hier — wie übrigens auch in anderen westelbischen Territorien15 — schon relativ früh Dienste in Dienstgeld umzuwandeln. Bielefeldt vermerkt: „Im Magdeburgischen waren die Dienste schon um das Jahr 1785 häufig abgelöst und wurden nicht mehr in natura, sondern in Geld geleistet."16 Andernorts geschah dies zum Teil noch früher. 17 Im Zusammenhang damit — gleichsam als notwendige Voraussetzung für diese Umwandlung der Arbeits- und Pröduktenrente in Geldrente — war es auch bereits zu genaueren Fixierungen der Abgaben- und Dienstverpflichtungen gekommen: „Mit Geldrente", schreibt Marx, „verwandelt sich notwendig das traditionelle gewohnheitsrechtliche Verhältnis zwischen den, einen Teil des Bodens besitzenden und bearbeitenden, Untersassen und dem Grundeigentümer in ein kontraktliches, nach festen Regeln des positiven Gesetzes bestimmtes, reines Geld Verhältnis."18 Dies aber setzt wiederum „eine schon bedeutendere Entwicklung des Handels, der städtischen Industrie, der Warenproduktion überhaupt und damit der Geldzirkulation voraus. Sie setzt ferner voraus einen Marktpreis der Produkte, und daß selbe mehr oder minder ihrem Wert annähernd verkauft werden" sowie daß ein Teil der vom unmittelbaren Produzenten gewonnenen Erzeugnisse „in Ware verwandelt, als Ware produziert", also von vornherein seiner Bestimmung nach für den Markt hergestellt wird.19 Damit war eine Entwicklung eingeleitet, in derem Verlauf „der Charakter der ganzen Produktionsweise"20 eine Änderung erfuhr, ein Prozeß, an dessem Ende die Beseitigung der bislang herrschenden feudalen Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft überhaupt stand. „Überall", so Engels, „wo ein persönliches Verhältnis durch ein Geldverhältnis, eine Naturalleistung durch eine Geldleistung verdrängt wurde, da trat ein bürgerliches Verhältnis an die Stelle eines feudalen. Zwar blieb die alte brutale Naturwirtschaft auf dem Lande in bei weitem den meisten Fällen bestehn; aber schon gab es ganze Distrikte, wo . . . die Bauern den Herren Geld statt Fronden und Naturalabgaben entrichteten, wo Herren und Untertanen schon den ersten entscheidenden Schritt getan hatten zum Übergang in Grundbesitzer und Pächter, wo also auch auf dem Lande den politischen Einrichtungen des Feudalismus ihre gesellschaftliche Grundlage abhanden kam." 21 Der Übergang von der feudalen zur kapitalistischen Produktionsweise im Agrarbereich vollzog sich also auch im Untersuchungsgebiet nicht erst und schon gar nicht abrupt von dem Zeitpunkt an, wo entsprechende, in diese Richtung wirkende gesetzliche Maßnahmen erlassen worden waren, sondern er war — in Elementen — schon vorbereitet im Schöße der alten Feudalgesellschaft.
15 Lütge, 1957: 114-115; vgl. außerdem Lütge, 1935: 283. 16 Bielefeldt, 1910: 5. 17 Lütge, 1957: 114, erwähnt, daß „bereits im 16. Jahrhundert — ja zum Teil noch früher —" die Umwandlung „von Diensten in Dienstgeld (Frongeld)" eingesetzt habe: „Es gibt schon im 16. Jahrhundert ganze Ämter und Dörfer, in^denen die Umwandlung geschlossen durchgeführt ist und in denen es daher also keine Fronden mehr gibt." Mit Recht weist Lütge, 1935: 283, darauf hin, daß dieser Vorgang nicht mit dem Begriff „Ablösung", sondern besser mit dem Terminus „Umwandlung" bezeichnet werden sollte. Allerdings weicht er später selbst wieder davon ab, z. B. Lütge, 1957: 115. 18 Marx, 1964 (1894): XXV, 806. 19 Marx, 1964 (1894): XXV, 805. 20 Marx, 1964 (1894): XXV, 805. 21 Engels, 1962 (1894): XXI, 394.
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Verlauf und Inhalt der Agrargesetzgebung Die westfälische und später die preußische Agrargesetzgebung haben diese Entwicklung beschleunigt, erweitert und konkretisiert. Da das Untersuchungsgebiet seit 1807 zum neugebildeten Königreich Westfalen gehörte, hatten hier von nun an zunächst die westfälischen Gesetze Gültigkeit. Das traf auch auf alle entsprechenden Maßnahmen im Agrarbereich zu. Sofern diese Gesetze und Dekrete die unentgeltliche Aufhebung der Leibeigenschaft proklamierten (Art. 13 der Konstitution vom 15. 11. 1807 und das Erläuterungsdekret vom 23. 1. 1808), stießen sie hier allerdings praktisch ins Leere oder führten zu — teils folgenschweren — Mißverständnissen. 22 Die eigentlichen positiven Leistungen dieser Gesetzgebung lagen auf anderen Gebieten. Und zwar zunächst und vor allem in jenen Maßnahmen, die gewisse Erleichterungen speziell für die landarmen und landlosen Schichten der Agrarbevölkerung bedeuteten und auf die weiter unten, im Zusammenhang mit der Erörterung des Problems der Herausbildung der Landarbeiterschaft, noch näher Bezug genommen werden soll. Weiterhin gehörten zu diesen Leistungen — um nur die wichtigsten und für das Untersuchungsgebiet zutreffenden zu nennen — die Beseitigung des adligen Steuerprivilegs, die Liquidation der Zünfte, die Aufhebung aller jener Dienste, „die Folge einer Lehnverbindung, der Gerichts- oder Schutzherrschaft waren, ferner Jagddienste" und, soweit solche noch bestanden, 23 aller ungemessenen (unbemessenen) Dienste (Erläuterungsdekret vom 27. 7. 1809), während sämtliche anderen Verpflichtungen (Dienste und Abgaben) „als zu Recht auch weiterhin bestehend anerkannt" wurden. 24 Allerdings wurde gleichzeitig durch Gesetz festgelegt, daß diese noch anerkannten Verpflichtungen sollten abgelöst werden können (Dekret vom 18. 8. 1809). Durchaus janusköpfig dagegen, aus der Sicht einer Besatzungsmacht allerdings verständlich, war die Abschaffung der (einheimischen) Patrimonialgerichtsbarkeit und — an deren Statt — die Einsetzung von (westfalischerseits kontrollierten) Tribunalgerichten. 25 Der Erfolg des Ablösungsgesetzes war allerdings nur gering. Die entscheidende Ursache dafür und für den nur äußerst langsam und schleppend sich vollziehenden Prozeß der Umwandlung der agrarfeudalen in agrarkapitalistische Produktionsverhältnisse überhaupt sieht Heitzer mit Recht darin, „weil sich das westfälische Regime auf eine reaktionäre, nur widerwillig die Verbürgerlichung duldende Klasse" — den Adel 22 Vgl. bei Heitzer, 1959: 91—94; ferner bei Holzapfel, 1895: 74—75. Außerdem Lütge, 1935: 290: Z u den erwähnten „Mißverständnissen" gehört die vielfache Annahme der Bauern, daß dazu auch die „gänzliche Aufhebung aller ihrer Pflichten" zähle: „Auflehnungen und offene Unbotmäßigkeiten waren die Folge". 23 Lütge, 1957: 120—121: „In alledem liegt eine ausgesprochene Tendenz zur Umwandlung der ungemessenen in gemessene Dienste, und in der Tat läßt sich auch feststellen, daß im 18. Jahrhundert nur noch in wenigen Fällen von ungemessenen Diensten die Rede ist, mit Ausnahme von Bau- und Jagddiensten . . . Der weit überwiegende Teil der Dienste ist also bemessen, d. h. qualitativ oder quantitativ oder nach beiden Richtungen hin genau bestimmt." 24 Lütge, 1957: 290—291. — Wenn Bielefelds 1910: 6, außerdem darauf hinweist, daß durch die westfälische Gesetzgebung auch alle „Bauernlehne für freies Eigentum erklärt" worden sei, so wird hierbei fast ausnahmslos auf rechtselbische und ehemals kursächsische Verhältnisse Bezug genommen. Vgl. dazu auch Lütge, 1957: 41—42. 25 Lütge, 1 9 5 7 : 2 9 0 - 2 9 1 . 3
Plaul, Landarbeiterleben
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— „stützte und den raschen, konsequenten Weg der bäuerlich-bürgerlichen Evolution in der Landwirtschaft nicht beschritt." 26 Auch spezielle zusätzliche Maßnahmen, wie beispielsweise — am 1. 6. 1813 — die drastische Senkung des Kapitalisierungsfaktors „für einen Spanndiensttag auf den zehnfachen und für einen Handdienstag auf den achtfachen" im Gegensatz zum ehedem gesetzlich vorgeschriebenen 25fachen Betrag des Wertes, vermochten daran nichts zu ändern. 27 Von Bedeutung waren auch die Säkularisation von Klöstern und Stiften und deren teilweise Veräußerung sowie die Einziehung der Güter des Deutschen Ordens, die unter der westfälischen Herrschaft erfolgten. Auf diese Weise kam im Gebiet der „Magdeburger Börde" zum Beispiel der Grundbesitz des ursprünglich bürgerlichen Fabrikanten Gottlob Nathusius (1760—1835) zustande, der 1810 das Kloster Althaidensleben und später noch die Rittergüter Glüsig und Hundisburg käuflich erwarb. 28 Als nach der Zerschlagung des Königreichs Westfalen im Jahre 1814 Preußen seine vormaligen Landesteile wieder übernahm (Publikationspatent vom 9.9. 1814), erkannte es alle verfassungsmäßig zustandegekommenen Rechtsakte der westfälischen Regierung prinzipiell an. Dies bezog sich auch auf die Gesetzgebung und die auf dieser Grundlage entstandenen Realitäten im agrarischen Bereich. Eine wesentliche Ausnahme bildete lediglich die Rekonstitution der Patrimonialgerichtsbarkeit, „soweit sie mit einem Grundstück verbunden", aufgehoben und durch Tribunalgerichte ersetzt gewesen war. 29 Mit dem 1. 1. 1815 wurden hier auch anstelle des seit 1807 gültigen Code civil des Français (Code Napoléon) das „Allgemeine Preußische Landrecht" und die „Allgemeine Preußische Gerichtsordnung" wieder eingeführt. 30 Speziell auf agrarischem Gebiet, wo Preußen mit seinem Edikt „über den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigenthums" vom 9. 10. 1807 und denen vom 14. 9. 1811 „zur Beförderung der Landeskultur" und „zur Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse" selbst eine Reformgesetzgebung eingeleitet hatte, 31 wurde nun der Versuch unternommen, die durch vormals westfälische Maßnahmen herbeigeführten Verhältnisse den allgemein in Preußen herrschenden anzugleichen und diese einheitlich fortzuentwickeln. Das geschah durch das „Gesetz, die gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse in den vormals zum Königreich Westphalen . . . gehörenden Landestheilen betreffend, vom 25. Sept. 1820, ferner, unter Aufhebung vorstehenden Gesetzes", durch das „Gesetz über die den Grundbesitz betreffenden Rechtsverhältnisse und über die Realberechtigungen in den Landestheilen, welche vormals eine Zeit lang zum Königreich Westphalen gehört haben, vom 21. April 1825" sowie durch die Ablösungsordnung vom 13. Juli 1829.32 26 Heitzer, 1959: 98; außerdem: 95—96 und 1 1 8 - 1 2 1 . — Siehe ferner Holzapfel, 1895: 8 4 - 1 0 1 , 175—176, 184—185, 189—190, der vor allem die einzelnen steuerlichen Belastungen hervorhebt. - Vgl. außerdem Lütge, 1935: 291. 27 Lütge, 1935:291. 28 Brockhaus' C.>nversations-Lexikon, 1898 a : 301 (Stichwort „Börde"), sowie Brockhaus' ConversationsLexikon, 1898 c: 460 (Stichwort „Magdeburger Börde"). 29 Lütge, 1935: 293. 30 Nach Hermes/Weigelt, 1843: 83, ist das „Allgemeine Preußische Landrecht" für die Landgemeinden der ehemals unter westfälischer Herrschaft stehenden Gebiete erst durch Verordnung vom 31.3. 1823 wieder eingeführt worden. 31 Siehe dazu insbesondere bei Meitzen, 1868: 397—400. 32 Lütge, 1935:293.
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Hiernach blieben auch weiterhin entschädigungslos aufgehoben alle persönlichen Dienste und Abgaben, alle Bann- und Zwangsrechte, jedwede gerichtsherrlichen Dienste sowie die Jagddienste. Bäuerliche Besitzer, die sämtliche auf ihren Grundstücken liegenden Lasten abgelöst oder nur eine Geldrente darauf stehen hatten, galten — ungeachtet des bisherigen Besitzrechtes — als volle Eigentümer; es sei denn, es hafteten noch andere als fixe Geldabgaben darauf. In diesem Falle hatten sie das nutzbare Eigentum daran. Eine Ausnahme bildeten die Inhaber der schlichten Zinsgütör, die ja schon immer volle Eigentümer ihrer Grundstücke und Höfe gewesen waren. Alle anderen, nicht entschädigungslos aufgehobenen Dienste und Abgaben wie Zinsen, Erbzinsen, Zehnten, Laudemialgebühren (Abgaben, die der neue Erwerber eines Hofes dem Grundherrn zur Anerkennung von dessen Grundherrlichkeit zu entrichten hatte), bemessene Dienste (z. B. Spann- und Handdienste) usw. wurden auch weiter als zu Recht bestehend anerkannt. Allerdings waren sie sämtlich ablösbar, und zwar zunächst, bis zum Erlaß der Ablösungsordnung vom 13. 7. 1829, auf der Basis freiwilliger Vereinbarungen zwischen den Betroffenen. Oberste Ablösungsbehörde für die Provinz Sachsen, und damit auch für die Ablösungen im Untersuchungsgebiet zuständig, war eine eigens hierfür eingesetzte Generalkommission mit Sitz in Magdeburg (Gesetz vom 25. 9. 1820),33 später in Stendal. Nach der Ablösungsordnung vom 13. 7. 1829 hatten die Entschädigungen in Kapital, in Land oder in Form einer anderen „fortdauernden Last", Geld- oder Roggenrente, zu erfolgen. Allerdings tendierten die Ausführungsbestimmungen dahin, „daß Landabtretung eigentlich nur eintrat, wenn beide Seiten es wollten; auf Wunsch des Verpflichteten" — und dies dürfte ein sehr bemerkenswerter Gesichtspunkt sein — „hatte der Berechtigte in der Regel die angebotene Kapitalzahlung anzunehmen. Und nach oben hin war die Landabtretung sogar dahin beschränkt, daß dem Verpflichteten mindestens 2 / 3 seiner Grundstücke verbleiben mußten, und darüber hinaus sogar mindestens so viel Land, wie zu einer bäuerlichen Nahrung landesüblicher Art gehörten. Also nur von dem, was darüber hinaus ging, konnte der Verpflichtete, wenn er wollte, bis zu einem Drittel abtreten (§ 24). Und überdies kam diese Art der Abfindung von vornherein nur bei Zehnten und festen Getreideabgaben und Diensten in Frage." 34 Bei Kapitalsentschädigungen mußte mit dem 25fachen Betrag des festgestellten Jahreswertes der abzulösenden Last abgefunden werden; ebenfalls bei abzulösenden Renten. Die Entschädigungshöhe bei Dienstablösungen war unterschiedlich; hier bildeten Gutachten von Sachverständigen die Grundlage. 35 Von der Ablösung ausgeschlossen blieben hiernach — wie auch nach dem entsprechenden Gesetz vom 2. 3. 1850 und vordem schon unter der westfälischen Gesetzgebung (Art. 8 d. Dekrets vom 23. 1. 1808) — alle Lasten und Dienste öffentlichen Charakters. 36 Im Unterschied zur Ablösungsgesetzgebung vollzog sich die Gemeinheitsteilung im Untersuchungsgebiet bzw. in den ehemals zum Königreich Westfalen gehörenden, später Preußen zugeschlagenen Territorien im Gegensatz zu den anderen Gebietsteilen der preußischen Monarchie nicht auf der Basis von Sondergesetzen. Auch hier galt — 33 34 35 36 3*
Lütge, Lütge, Lütge, Lütge,
1935: 2 9 4 - 2 9 5 ; Lütge, 1957: 2 4 9 - 2 5 2 ; Meitzen, 1868: 422. 1935: 295. 1935: 296; außerdem Meitzen, 1868: 422. 1957:251,261.
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wie überall in Preußen — die Gemeinheitsteilungsordnung vom 7. 6. 1821. Demnach konnte und sollte jede gemeinsame, auf eine bestimmte Art und Weise vorgenommene Nutzung ländlicher Grundstücke von nun an aufgehoben werden. Die Teilnehmer waren dabei in der Regel durch Land abzufinden; sie mußten „innerhalb vorgedachter Bedingung für einen Ausfall in der Güte einen Zusatz in der Fläche annehmen, auch eine Austauschung von Grundstücken der einen gegen Grundstücke der anderen Gattung sich gefallen lassen." 37 Eine Entschädigung in Rente oder Kapital erfolgte in solchen Fällen, „wenn a) einem Dienstbarkeitsberechtigten eine Entschädigung in Land nicht so vergeben werden kann, dass er es zu dem abgeschätzten Werthe zu nutzen vermag, und b) er dadurch in den Stand gesetzt wird, sich die Nutzung, die dadurch abgelöst wird, sich zu verschaffen." 38 Eng verknüpft mit der Gemeinheitsteilung war eine — meist gleichzeitig erfolgende — Änderung im Flurgefüge, nämlich die Beseitung der bis dahin üblichen Gemengelage durch Um- und Zusammenlegung der beteiligten Grundstücke und damit die Schaffung zusammenhängender, geschlossener, größerer Flächen (Seperation): „Die Provokation auf Ablösung begreift dem Wesen des Gesetzes nach das Einverständnis mit der wirthschaftlichen Um- und Zusammenlegung aller beteiligten Grundstücke in sich und führt auch für die übrigen Betheiligten die Unterwerfung unter dieselbe herbei." 3 9 Den Abschluß der agrarreformerischen Maßnahmen bildete das für Preußen insgesamt gültige „Gesetz betreffend die Ablösung der Reallasten und die Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse" vom 2. März 1850 und das im engen Zusammenhang damit am selben Tage erlassene „Gesetz über die Errichtung von Rentenbanken". Als Ablösungsmittel galt hinfort ausschließlich die Kapitalzahlung. Bei Barabfindung mußte der 18fache, bei Inanspruchnahme der Rentenbank der 20fache Jahreswert erbracht werden. Außerdem gab es ab jetzt nur noch freies Eigentum.40 Im Herzogtum Anhalt-Bernburg, wozu die beiden Ortschaften Groß- und KleinMühlingen gehörten, traten agrarreformerische Gesetzesmaßnahmen erst ab 1839 in Kraft. Und zwar wurden erlassen: das Hütungs-, Ablösungs- und Separationsgesetz samt Landesherrlicher Verordnung über das Verfahren in Hütungs-, Separationsund Ablösungssachen vom 23. 12. 1839 sowie — vom gleichen Tage — das Gesetz über die Ablösung der Natural-, Frucht- und Fleischzehnten. Es folgten das Gesetz über die Ablösung der Zwangsdienste vom 5. 11. 1840 und das „Gesetz a) über die Aufhebung der Zwangs- und Bannrechte, b) über Ablösung der auf Grund und Boden haftenden Abgaben und Leistungen" vom 23. 9. 1849. Inhaltlich lehnten sich alle diese Maßnahmen mehr oder weniger an das preußische Vorbild an. Mit Gesetz vom 6. 10. 1850 wurden dann sämtliche Separations- und Ablösungsangelegenheiten direkt auf die Preußischen Auseinandersetzungsbehörden übertragen (gemäß Preußen-Anhalt-Bernburgischem Staatsvertrag vom 11.9. 1850).41
37 Meitzen, 1868:414. 38 Meitzen, 1868:415. 39 Meitzen, 1868:412. 40 Lütge, 1957: 2 6 0 - 2 6 1 . 41 Lütge, 1 9 5 7 : 2 7 4 - 2 7 6 .
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Die landwirtschaftliche Gesamtnutzfläche des Untersuchungsgebietes Um die Bodenanteile der verschiedenen Grundbesitzer quantitativ erschließen und hierbei mögliche, im Verlauf des Untersuchungszeitraums auftretende Modifikationen nachweisen zu können, ferner um Veränderungen, die sich im Zuge und als Folge der Agrarreformen vollziehen, feststellen, um die Proportionalität der einzelnen landwirtschaftlichen Nutzflächen und etwaige Änderungen darin sichtbar machen zu können usw., ist vor allem eine Voraussetzung zunächst unerläßlich, nämlich die Kenntnis der Größe des landwirtschaftlichen Nutzareals des untersuchten Gebietes insgesamt. Dies stellt sich als ein dringendes Erfordernis auch deshalb dar, weil das entsprechende, in der Literatur meist summarisch aufbereitete Zahlenmaterial in der Regel nur Auskünfte liefert über die Gegebenheiten in einzelnen, geschlossenen Kreisen oder über die Verhältnisse im gesamten Regierungsbezirk, das Untersuchungsgebiet jedoch — wie oben dargelegt — aus Anteilen von fünf landrätlichen Kreisen besteht und vom Regierungsbezirk als Ganzem nur einen relativ kleinen, durch besondere geographische, wirtschaftliche und politische Bedingungen sich auszeichnenden Teil darstellt. Zur Ermittlung der landwirtschaftlichen Gesamtnutzfläche des Untersuchungsgebietes in den oben dargestellten Grenzen dienten die Angaben im „Historischgeographisch-topographischen Handbuch vom Regierungsbezirke Magdeburg" von Hermes/Weigelt. 42 Auch für die Feststellung der Grundbesitzverhältnisse und der Verteilung der Einzelnutzflächen (Acker, Gärten, Wiesen, Weiden) am Beginn des Untersuchungszeitraumes — genauer: für die Zeit um 1840 — bildet dieses Zahlenmaterial die Grundlage. Ausgangswerte sind die lokalen Feldmarkgrößen (die der Städte, Gemeinden, Domänen, Rittergüter, Vorwerke) einschließlich der angegebenen Art und Weise ihrer Nutzung. Ungenauigkeiten, etwa im Vergleich zu späteren Statistiken, sind vor allem durch den dermaligen Stand der Landesvermessung bedingt 43 oder dadurch, daß in einigen wenigen Fällen nur recht unpräzise 42 Hermes/Weigelt, 1842. Die Herausgeber bemerken im Vorwort, S. III, dazu: „Bei der vorliegenden Arbeit, die zunächst auf Veranlassung der K. Regierung unternommen ist, sind die glaubhaftesten Quellen, namentlich die immer genauer und zuverlässiger werdenden Aufnahmen der Kreis- und OrtsBehörden, und die Akten der verschiedenen Landesbehörden, vornämlich der K. Regierung, zum Grunde gelegt. Nur da, wo diese nicht ausreichten, sind ältere und neuere gedruckte Schriften mit Vorsicht benutzt worden." 43 Als Beispiel sei auf die Größenangaben für den Kreis Wanzleben verwiesen. In der Statistik . . . Wanzleben, 1867: 3, wird dazu erklärt: „Die Größe des Kreises beträgt nach den Angaben in den geographischen Handbüchern" — auch bei Hermes/Weigelt, 1842, und Hermes/Weigelt, 1843, — „9,44 Quadratmeilen = 203585,68 Morgen (21566,028 Morgen pro Quadratmeile nach Bessel und Encke)." Es sei nebenher eingefügt, daß auch bereits hier wieder ein Rechen- oder Druckfehler vorliegt: 21566,028 x 9,44 = 203583,30432! „Nach der im Jahre 1858 vorgenommenen statistischen Ermittelung betrug die Gesamtfläche des Kreises 197640 Morgen, also gegen die vorstehende Angabe 5945,68 Morgen weniger (richtig: 5943,30432 Morgen weniger/H. P.). Durch die inzwischen stattgefundene Regulierung der Grundsteuer ist der Flächeninhalt des Kreises genau auf 213013,45 Morgen festgestellt. Die angegebene Größe differirt demnach um 9427,58 Morgen (richtig: um 9430,14568 Morgen/H. P.) mit der wirklichen Größe. Rechnet man nach Bessel und Encke 21566,028 Morgen pro Quadratmeile, so enthält der Kreis Wanzleben bei 213013,45 Morgen Flächeninhalt 9,877 Quadratmeilen, also 0,43 Quadratmeilen mehr als bisher angenommen ist." Genauer: sogar um 0,437, also fast 0,44 Quadratmeilen mehr!
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Angaben zur Verfügung gestellt werden. 44 Diese letzterwähnten Ausnahmen werden jedoch insofern wieder ausgeglichen, als bei solchen Ortschaften, Domänen, Gütern und Vorwerken, die am Rande des Untersuchungsgebietes angesiedelt sind, die gesamte Feldmark in die Berechnung einbezogen wird, also auch jene Teile, die nach der oben dargetanen Eingrenzung genau genommen schon außerhalb desselben liegen. Geringfügige Ungenauigkeiten könnten sich außerdem noch durch einige notwendig gewesene Umrechnungen ergeben haben 4 5
So läßt sich dann zwangsläufig auch eine Differenz hinsichtlich der Größe der landwirtschaftlichen Gesamtnutzfläche dieses Kreises feststellen: Während sich nach Hermes/Weigelt für diesen Kreis ein agrarisches Gesamtnutzareal von 182644,33 Morgen ergibt, so nach der angeführten Statistik . . . Wanzleben, 1867:38, eine landwirtschaftliche Gesamtnutzfläche von 196111,72 Morgen. Das sind 13467,39 Morgen mehr als bei Hermes/Weigelt. Diese Differenz entspricht ungefähr derjenigen, die sich zwischen den Angaben in der Statistik . . . Wanzleben, 1867 und den dort (S. 3) zitierten statistischen Ermittlungen des Jahres 1858 errechnen läßt; denn diese beträgt 15373,45 Morgen. 44 So heißt es beispielsweise in den Feldmark-Angaben nach Hermes/Weigelt, 1842, für Frohse: „. . . und mehrere Gärten" (S. 55); für Gnadau: „. . . und außerdem mehrere Koppelhütungen" (S. 56); für Borne: „. . . Aenger sind sehr wenig vorhanden" (S. 57); für Eggersdorf: „ . . . und mehrere kleine noch in Gemeinschaft befindliche Angerflecke" (S. 59), fast gleichlautend auch für Felgeleben (S. 59); für Magdeburg: die städtische Feldmark hat keine große Ausdehnung" (S. 25); für Uhrsleben: „. . . die Aenger sind nicht vermessen" (S. 125), sinngemäß auch für Wedringen (S. 126); für Benneckenbeck: „ , . . . und für 300 Schafe gemeinschaftliche Aenger" (S. 76) usw. Insgesamt sind siebzehn solcher ungenauen Angaben zu verzeichnen, also nur ein verschwindend geringer Prozentsatz im Verhältnis zur Gesamtzahl der Angaben. 45 So werden die Zehntel und Hundertstel der Flächengrößen meist nicht in Morgen, sondern in Quadratruten angegeben. Bei den Umrechnungen ist hierfür zugrunde gelegt: 1 Morgen = 180 Quadratruten bzw. 1 Quadratrute = 0,0055 Morgen. Vgl. dazu Hermes/Weigelt, 1842: X ; außerdem Voigt, 1899. In acht Fällen werden speziell die Ackerflächen nicht in Morgen angegeben, sondern es ist anstelle des Flächenmaßes die für die Bestellung der betreffenden Areale notwendige Saatgutmenge in Scheffel und Metzen genannt. In weiteren acht Fällen findet sich neben der Angabe der Gesamtackerflächengröße in Morgen noch ihre Spezifizierung nach einzelnen Bodenwertklassen, deren Größe dann ebenfalls nach der Aussaat-Menge in Scheffel und Metzen bemessen sind. Beispiel (Wolmirsleben): Die Feldmark der Gemeinde „enthält 3392 Mrg. Aecker (2232 Schff. 11 Mtz. lter, 1104 Schff. 4 Mtz. 2ter, 81 Schff. 3 Mtz. 3ter und 25 Schff. 4 Mtz. 4ter K l . ) . . . " . Auf der Grundlage dieser acht Fälle erfolgte auch die Umrechnung in Morgen. Es ergibt sich daraus ein Durchschnitt von 0,89 Scheffel = 1 Morgen (wobei 1 Scheffel = 16 Metzen). Nun berichtet allerdings Lengerke, 1846: 134, für Tundersieben, daß auf den Morgen im Durchschnitt etwa 1,71 Scheffel kämen (Getreide und Hülsenfrüchte), setzt jedoch hinzu: „Man säet also, namentlich das Wintergetreide und die Hülsenfrüchte, recht stark." Um diese divergierenden Werte auszugleichen, die ihre Ursache letzlich vor allem in den unterschiedlichen Bodengüten, in der verschiedenartigen Lage der Ackerstücke, in der jeweiligen Art des Saatgutes und seinen unterschiedlichen Qualitäten hat, auch um die Umrechnungen etwas zu vereinfachen, ist für die Berechnung definitiv zugrunde gelegt worden: 1 Morgen = 1 Scheffel Saatgut. Darüber hinaus ist in 13 Fällen anstelle der Wiesenfläche der Heuertrag in Fuder und Zentnern angegeben. Nur in einem Fall (Wolmirsleben) ist daneben noch die Morgenzahl genannt: „698 Mrg. Wiesen (98 Fuder 2 Ctr. lter und 168 Fuder 19 Ctr. 2ter Kl.) . . .". Auf Grund dieser einen Angäbe ist berechnet worden: 1 Morgen = 0,4 Fuder bzw. 1 Fuder Heu ergibt sich aus dem Zweieinhalbfachen an Morgen Wiese, wobei nach mehreren Umrechnungen gilt: 1 Fuder = ca. 15 Zentner. — Über die Schwierigkeiten, hierbei wirklich zuverlässige Feststellungen zu treffen, vgl. Lütge, 1957: 50—56.
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Unter Einschluß der Fluren der Städte Barby, Calbe, Egeln, Groß Salze, Magdeburg (mit Sudenburg und Neustadt), Oschersleben, Schönebeck, Seehausen, Staßfurt, Wanzleben und Wolmirstedt ist für das Gebiet der „Magdeburger Börde" eine landwirtschaftliche Gesamtnutzfläche (Äcker, Wiesen, Gärten, Weiden) von 474710,62 Morgen errechnet worden. Daran haben die fünf Kreise folgenden Anteil: Tabelle 1 Calbe einschließlich des anhalt-bernburgischen Amtes Mühlingen
115794,22 Morgen
= 24,39%
Wolmirstedt
87241,97 Morgen
=18,38%
Neuhaidensleben
86576,84 Morgen
= 18,24%
169995,49 Morgen
= 35,81 %
Wanzleben einschließlich der städtischen Fluren von Magdeburg Oschersleben
15102,10 Morgen
=
3,18%
Die landwirtschaftlichen Einzelnutzflächen verteilen sich im Verhältnis zur agrarischen Gesamtnutzfläche zu Beginn des Untersuchungszeitraumes — genauer: um 1840 — wie folgt: Tabelle 2 Acker Wiesen Gärten Weiden
86,21 % 5,13% 0,74% 7,92%
Unter Berücksichtigung der Forsten, die sich vornehmlich am Nordrand des Untersuchungsgebietes — im Kreis Neuhaidensieben — und teilweise im westlichen Teil des Kreises Wanzleben („Hohes Holz" bei Eggenstedt) finden und wodurch sich die Gesamtnutzfläche auf 507077,99 Morgen erhöht, sind zum genannten Zeitpunkt (1840) folgende Proportionalitäten feststellbar: Tabelle 3 Acker Wiesen Gärten Weiden Forsten
80,71% 4,80% 0,69% 7.41 % 6,39%
Verteilung des Grundbesitzes und Klassenverhältnisse An der genannten landwirtschaftlichen Gesamtnutzfläche (ohne Forsten) von 474710,62 Morgen partizipieren die verschiedenen Grundbesitzerklassen zu Beginn des Untersuchungszeitraums (1840) in folgendem Maße: 39
Unter Einschluß der Fluren der Städte Barby, Calbe, Egeln, Groß Salze, Magdeburg (mit Sudenburg und Neustadt), Oschersleben, Schönebeck, Seehausen, Staßfurt, Wanzleben und Wolmirstedt ist für das Gebiet der „Magdeburger Börde" eine landwirtschaftliche Gesamtnutzfläche (Äcker, Wiesen, Gärten, Weiden) von 474710,62 Morgen errechnet worden. Daran haben die fünf Kreise folgenden Anteil: Tabelle 1 Calbe einschließlich des anhalt-bernburgischen Amtes Mühlingen
115794,22 Morgen
= 24,39%
Wolmirstedt
87241,97 Morgen
=18,38%
Neuhaidensleben
86576,84 Morgen
= 18,24%
169995,49 Morgen
= 35,81 %
Wanzleben einschließlich der städtischen Fluren von Magdeburg Oschersleben
15102,10 Morgen
=
3,18%
Die landwirtschaftlichen Einzelnutzflächen verteilen sich im Verhältnis zur agrarischen Gesamtnutzfläche zu Beginn des Untersuchungszeitraumes — genauer: um 1840 — wie folgt: Tabelle 2 Acker Wiesen Gärten Weiden
86,21 % 5,13% 0,74% 7,92%
Unter Berücksichtigung der Forsten, die sich vornehmlich am Nordrand des Untersuchungsgebietes — im Kreis Neuhaidensieben — und teilweise im westlichen Teil des Kreises Wanzleben („Hohes Holz" bei Eggenstedt) finden und wodurch sich die Gesamtnutzfläche auf 507077,99 Morgen erhöht, sind zum genannten Zeitpunkt (1840) folgende Proportionalitäten feststellbar: Tabelle 3 Acker Wiesen Gärten Weiden Forsten
80,71% 4,80% 0,69% 7.41 % 6,39%
Verteilung des Grundbesitzes und Klassenverhältnisse An der genannten landwirtschaftlichen Gesamtnutzfläche (ohne Forsten) von 474710,62 Morgen partizipieren die verschiedenen Grundbesitzerklassen zu Beginn des Untersuchungszeitraums (1840) in folgendem Maße: 39
Tabelle 4 19 Domänen einschl. Vorwerke 38 Rittergüter 46 2 Klostergüter 6 Güter mit über 400 Morgen 8312 bäuerliche Wirtschaften, einschl. Klein-u. Parzellenbesitzer (meist „Häusler")
53603,02 39269,65 2798,00 7657,81
Morgen Morgen Morgen Morgen
=11,29% = 8,27% = 0,59% = 1,61%
371382,14 Morgen
= 78,24%
Die Flächengrößen bezeichnen hierbei nur die juristischen Besitzgrößen, bei den bäuerlichen Wirtschaften einschließlich des Klein- und Parzellenbesitzes freilich mit allen Vorbehalten; hier ist jeweils auf die dörflichen und städtischen Feldmarken als ganzes zurückgegriffen worden. Pachtungen werden nicht mit ausgewiesen. Der weitaus größere Teil der landwirtschaftlichen Gesamtnutzfläche des Untersuchungsgebietes, über drei Viertel, ja beinahe vier Fünftel, verteilt sich also auf die verschiedenen bäuerlichen Wirtschaften (unter 400 Morgen = unter 100 ha 47 ) und auf den Parzellenbesitz (in der Regel „Häusler"). Aus der Tatsache, daß zu diesem Zeitpunkt der langwierige und komplizierte Prozeß des Übergangs von der feudalen zur kapitalistischen Produktionsweise faktisch in sein „akutes Stadium" getreten ist, ergibt sich in diesem Zusammenhang allerdings die Schwierigkeit einer genauen terminologischen Bestimmung dieser verschiedenen Schichten. Um für den vorliegenden Zweck ein einigermaßen brauchbares begriffliches Instrumentarium zur Verfügung zu haben, ist auf das zu diesem Zeitpunkt noch immer wichtigste Kriterium zurückgegriffen worden: auf ihr Verhältnis zum Hauptproduktionsmittel, also auf die Größe ihres Besitzes an Grund und Boden. Unter Zugrundelegung dieses Merkmals sind nach Hermes/Weigelt 48 für das Untersuchungsgebiet zu Beginn des untersuchten Zeitraums folgende Schichten zu unterscheiden: 1) Ackerleute oder Vollspänner (Besitzer von Ackerhöfen) mit 200—300 Morgen ( = 50—75 ha); 2) Halbspänner oder Halbackerleute mit 100—150 Morgen ( = 25—37,5 ha); 3) Viertelspänner mit 50—75 Morgen ( = 12,5—18,75 ha); 4) GroßKossaten (Kothsassen) mit 20—30 Morgen ( = 5—7,5 ha) und Spannvieh; 5) KleinKossaten unter 20 Morgen ( = unter 5 ha) — wörtlich: „oft nur wenige Morgen" — und ohne Spannvieh, weshalb sie auch nur zu Handdienstleistungen, soweit sie solche nicht schon abgelöst haben, verpflichtet sind; 6) Häusler oder Grundsitzer oder auch Büdner, die „bei ihren Wohnhäusern in der Regel nur etwas Gartenland" besitzen. Hierzu gehören auch die Anbauer oder Neuhäusler. Außerdem existieren 46 Es sei hier nochmals darauf verwiesen, daß für das Rittergut Dreileben keine diesbezüglichen Angaben zur Verfügung stehen und daß das Rittergut Hohenwarsleben zu jener Zeit nur in Geld- und Naturalerhebungen ohne Gebäude und eigenen Grundbesitz bestand. 47 1 Morgen = 25,53 a = 2553 m2 (Magdeburgischer Morgen); 1 ha = 10000 m2; ergo: 2553 : 10000 = 0,2553 ha, d. h.: 1 Morgen = 0,25 = »/4 ha oder: 4 Morgen = 1 ha. Siehe auch Bielefeld!, 1910: 9, Fußnote. 48 Hermes/Weigelt, 1843: 82—83, und Hermes/Weigelt, 1842 (die Ortschaften des Untersuchungsgebietes). — Daneben werden noch genannt: Anspänner, Spitzspänner und Hüfner. Nach Lütge, 1957: 45—50, sind Anspänner gleich Vollbauern, oft aber auch Halbbauern; Spitzspänner gleich Viertelspänner und Hüfner ebenfalls gleich Vollbauern.
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noch die zahlenmäßig sehr geringen Zwischengruppen der Dreispänner und Erbpächter sowie einige wenige Freigüter (insgesamt 549). In Zahlen und Prozentwerten drückt sich die anteilige Stärke dieser verschiedenen Schichten wie folgt aus (die Städte nicht mit einbezogen) : 50 Tabelle 5 Vollspänner Halbspänner Viertelspänner Kossathen Häusler insgesamt
573 680 68 2390 4601 8312
= 6,90% = 8,18% = 0,82% = 28,75% = 55,35% = 100,00%
Im Verhältnis zur Gesamteinwohnerzahl des Untersuchungsgebietes (1840:83911 Einw.) beträgt ihr Anteil danach rund 10%. Doch in dieser „reinen" Form existierte zumindest der „bäuerliche Stand" auch um 1840 schon nicht mehr. Hermes und Weigelt weisen bereits selbst darauf hin, daß „vielfache Veränderungen in den Eigentumsverhältnissen und in dem Besitzstande der Bauerngüter" eingetreten seien, „so daß von den vorstehend angegebenen allgemeinen Normen jetzt viele Abweichungen stattfinden." 51 Es sind die Berichte über die Ergebnisse einer regierungsamtlichen Umfrage aus dem Jahre 1845 überliefert, die eigens zu dem Zweck durchgeführt worden war, über jene Veränderungen Kenntnis zu erlangen und überdies mögliche befürchtete Auswirkungen im kommunalen Bereich festzustellen. Berichterstatter ist der zu dieser Zeit auch als erster Direktor des 1842 gegründeten „Landwirtschaftlichen Central-Vereins der Provinz Sachsen" und als Vorsitzender des seit 1840 bestehenden „Vereins für Aufstellung landwirtschaftlicher Maschinen in Magdeburg" bekannte Regierungsrat v. Holleuffer. Für das Untersuchungsgebiet liegen derartige Berichte aus insgesamt sieben Ortschaften vor, und zwar — auch geographisch und von der Verteilung des Grundbesitzes her günstig ausgewählt — aus den Gemeinden Langenweddingen, Groß Ottersleben, Markt Alvensleben, Dorf Alvensleben, Löderburg, Belsdorf und Erxleben.52 Aus allen diesen Berichten wird deutlich, daß die alte, unter feudalen Bedingungen zur Ausbildung * gekommene und in bezug auf Verwaltungs-, Steuer-, Gerichtssachen usw. funktionstüchtig gewesene Klassifikation der Grundbesitzer jetzt bereits weitgehend durchbrochen ist, daß die Bezeichnungen, die für die verschiedenen bäuerlichen Wirtschaften je nach der Größe ihres Grundbesitzes stehen, 49 Freigüter existieren im Untersuchungsgebiet zu diesem Zeitpunkt in Brumby (Kreis Calbe), Neugattersleben, Tornitz, Althaldensleben und Bleckendorf. 50 In dieser Tabelle sind — gemäß der in Anm. 48 dargetanen Ausführungen — die Anspänner und Hüfner den Vollbauern und die Spitzspänner den Viertelspännern (Viertelbauern) zugerechnet worden. Ebenfalls den Viertelspännern sind auch die Dreispänner und Erbpächter zugeordnet worden. Dies schien umso unbedenklicher, als dieser Gruppe an und für sich schon keine große Bedeutung zukommt, beträgt ihr Anteil doch noch nicht einmal 1 Prozent. 51 Hermes/Weigelt, 1843: 83. 52 Sämtliche Berichte sind enthalten in: STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763.— Über die erwähnten sonstigen Ämter v. Holleuffers vgl. ZLCV, 1845:1, 1—26, insbes. S. 1, 8, 25. 41
zwar noch in Anwendung sind, jedoch nicht mehr in voller Gültigkeit mit den wirklichen Besitzgrößen korrespondieren, damit praktisch also schon mehr oder weniger ins Leere stoßen. So heißt es im Bericht über die Verhältnisse in Erxleben, einem Dorf mit 2 Rittergütern, 11 Großkossaten, 8 Klein- oder Halbkossatenhöfen, 45 Alt- und 46 Neuhäuslerstellen (Anbauer): „Die Kossathen" — gemeint sind die Großkossaten, womit bisher gewöhnlich bäuerliche Wirtschaften zwischen 20 und 30 Morgen bezeichnet wurden — „haben in der Regel 30 bis 25 Morgen, einige haben 50 Morgen, einer 110 Morgen in zwei Kossathenhöfen, wo jedoch auf dem einen Hofe blos eine Scheune steht. Die Halbkossäthen haben 11, 18, 20 und 24 Morgen, einer hat nur 6 Morgen. Viele Althäusler und viele Anbauer haben Acker, so daß nur wenige da sind, die gar keinen Acker haben. Ihr Besitzthum ist meistens 1 und 2 Morgen; einige haben auch 6 Morgen, einzelne noch mehr bis 13 Morgen." 53 Über die Verhältnisse in Belsdorf wird berichtet,54 daß die bestehenden fünf Halbspännerhöfe über einen Grundbesitz „zwischen 2 und 4 Hufen", das sind etwa 60 bis 120 Morgen;55 die sechs Viertelspännerhöfe über einen Besitz „zwischen ll/2 und 3 Hufen", gleich ca. 45 bis 90 Morgen; die elf Kossatenhöfe über ein Areal „zwischen 3 und 30 Morgen"; die zehn alten nachbarberechtigten Häusler über Landstücke in der Größe von „2 bis 6 Morgen" und zehn Neuhäusler, die sich „zwischen 1760 und 1770 auf Gemeindegrund und Boden" angesiedelt hatten, jeder über „20 Quadratruten", also nur über etwas mehr als einen Zehntel Morgen verfügen, während neun erst später zugezogene Neuhäusler überhaupt kein Land besitzen. Außerdem befindet sich hier noch ein ehemaliges Klostergut mit „ohngefahr 18 Hufen Land" (also rund 540 Morgen). Im Bericht über Löderburg, wo sich ein Vorwerk der Domäne Athensleben befindet, die allerdings auf Grund des Gesetzes vom 31. 3. 1833 von der Gemeinde getrennt worden ist, und wo in der Gemeinde selbst — wie übrigens auch schon bei Hermes/Weigelt56 — 6 Vollspänner, 30 Kossäten und 44 Häusler gezählt werden, heißt es: Es haben „2 Vollspänner jeder 2 Kossäthenhöfe und 2 Vollspänner jeder 1 Kossäthenhof an sich gekauft, auch sind zwei Kossäthenhöfe zusammengekauft. — Die Lödderburger besitzen gegen 500 Morgen in Staßfurter Flur. Wenn man diese nicht mit rechnet, so haben in Lödderburger Flur eigentlich nur die Vollspänner Acker. Nur 4 Kossathen haben zusammen etwa 16 Mörgen Acker. Wiesen hat jeder Kossäth drei Morgen. Die Lödderburger Gemeindeflur hat 1110 Morgen Acker. Die Ackerleute haben zwischen 120 und 190 Morgen Acker." 57 Über die Verhältnisse in den beiden eng beieinander liegenden Orten Dorf Alvensleben und Markt Alvensleben — zu letzterem gehört eine Domäne — wird berichtet: „Markt Alvensleben hat 617 Einwohner, 75 Feuerstellen, ohngefahr 50 Miether. Vor der Separation waren 52 Nachbarn, darunter zwei Halbspännerhöfe vorhanden; die übrigen Feuerstellen sind Neuanbauer. Schon vor der Separation sind die beiden Halbspännerhöfe dismembrirt; jeder der übrigen Nachbarn besaß früher 3 / 4 Morgen 53 54 55 56 57
42
STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 100-100 b. STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 9 2 - 9 3 . Der hier vorgenommenen Umrechnung wurde zugrunde gelegt: 1 Hufe = 30 Magdeburgische Morgen. Hermes/Weigelt, 1842: 61. STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 88—88 b.
Land. Die 52 Nachbarn bestehen noch jetzt. Dorf Alvensleben hat 923 Einwohner, 102 Feuerstellen, ohnegefahr 119 Miether. Es sind 37 Nachbarn vorhanden, darunter 1 Halbspänner mit (jetzt nach der Separation) etwa 90 Morgen Ackerbesitz, und 7 Kossathen mit etwa 40 Morgen Land . . . Vor 27 Jahren kauften die Nachbarberechtigten beider Gemeinden das in Alvensleben belegene Tegelsche Gut. Hierdurch hat sich der sonst in beiden Gemeinden nur geringe Ackerbesitz vergrößert, so daß in Markt Alvensleben jetzt 3 bis 8 Morgen bei jedem nachbarberechtigten Hause sind. Der größte Ackerbesitzer hat etwa 20 Morgen. Durch die Separation haben alle Häuser Acker bekommen, auch die neuen Häuser (Neuhäusler), so daß jetzt bei jedem Hause mindestens l l / 2 Morgen Acker sind." 58 Die größten Veränderungen in dieser Beziehung hatten bis dahin in den beiden zum Kreis Wanzleben, dem Kernkreis der „Magdeburger Börde", gehörenden „reinen" Bauerndörfern Langenweddingen und Groß Ottersleben stattgefunden. So heißt es über die Verhältnisse in Langenweddingen: „Nach der alten Eintheilung hat Langenweddingen 15 Ackerleute, 15 Halbspänner, 42 Kossathen; das übrige sind Häusler. 59 Es sind aber von vielen Ackerhöfen, Halbspännerhöfen und Kossathenhöfen Grundstücke verkauft, so daß von einigen der letzteren nur noch die Gebäude vorhanden sind. Die frühere Klasseneintheilung besteht daher in der Wirklichkeit nicht mehr und würde auch wahrscheinlich noch mehr verschwunden sein, wenn die verschiedenen Besitzungen nicht im Hypothekenbuche nach ihren alten Benennungen eingetragen wären. Zwölf der 15 Ackerleute haben einen Besitzstand von 6 Höfen und darüber . . . Bei den im Orte Angesessenen treten zwei Klassen ganz entschieden hervor, nehmlich die Besitzer von Ackergrundstücken und die bloßen Hausbesitzer mit Garten oder ohne denselben. Bei den Ackerbesitzern ist aber die Größe des Besitzthums so verschieden (von einem halben Morgen bis zu über zehn Höfen), daß man die Ackerbesitzer unmöglich alle in eine Klasse werfen kann." Hinsichtlich des Mitspracherechts in Gemeindeangelegenheiten vertritt daher der Ortsvorsteher die Ansicht, daß sich für diese „Klasse" ganz gut „ein doppelter Unterschied" denken ließe: „Einmal nach dem Pferdebesitz, so daß die pferdehaltenden Ackerbesitzer eine Klasse, die nicht pferdehaltenden die andere Klasse bildeten, oder nach der Grösse des Grundbesitzes, so daß z. B. alle Ackerbesitzer mit einem Besitzthum von 6 Hufen und darüber die eine Klasse, alle übrigen Ackerbesitzer die andere Klasse bildeten. Ich würde übrigens dem zweiten Klassenunterschiede den Vorzug geben", heißt es weiter, „weil der Pferdebesitzstand gar zu wechselnd ist und weil dann doch die großen Grundbesitzer der Gemeinde den nötigen Halt geben. Auch liegt schwerlich darin eine Unbilligkeit, daß die erste Klasse der Ackerbesitzer von verhältnismäßig Wenigen (in Langenweddingen sind 12 Ackerbesitzer, die 6 Hufen und mehr besitzen) gebildet wird, denn wollte man nach dem Vermögen die Repräsentation herstellen, so würden diese Meistbegüterten am Ende mehr als ein Drittheil des Vermögens in der Gemeinde haben." 60 Ähnlich lauten auch die schlußfolgernden Empfehlungen des Ortsvorstehers von Groß Ottersleben. Zunächst wird berichtet, daß , jetzt, nachdem 7 Ackerhöfe zer58 ST AM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 59 Bei Hermes/Weigelt, 1842: 81, 15 Halbspänner, 48 Kossäten, 80 60 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763:
24 b - 2 5 . werden für Langenweddingen um 1840 genannt: 15 Ackerhöfe, Häusler und 131 Einlieger. 1 - 1 b sowie 5 - 6 .
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schlagen sind", der Ort aus 17 Ackerhöfen, 3 Halbspännerhöfen und 20 Kossatenhöfen bestehe; „6 Ackerhöfe haben 8 Hufen Land (also etwa 240 Morgen/H. P.) und darüber. 5 Ackerhöfe haben 7 Hufen (ca. 210 Morgen/H. P.), die übrigen haben 6l/2 und 5 Hufen Land (d. h. ungefähr 195 und 150 Morgen/H. P.). Die Halbspännerhöfe haben 3V2 Hufen Land (ergo 105 Morgen/H. P.), die Kossathen 7V2 bis 5 Morgen Land. Die Kossathen zerfallen in Großkossathen und Kleinkossäthen. Die kleinen Kossathen haben niemals Pferde gehalten. Jetzt hält aber auch ein Theil der Großkossathen keine Pferde mehr, sondern bearbeitet seinen Acker mit Kühen." 61 Sodann wird mit Bezug auf das Mitspracherecht in Kommunalangelegenheiten erklärt: „Meines Erachtens müssen die verschiedenen Klassen der Einwohner, mit Ausschluß der Miether, in dem Gemeinderath ihre Vertreter haben. Nur können zwar die alten Besitzerklassen der Ackerleute, Kossathen und Häusler, in Folge der vielen Dismembrationen, welche leider hier statt gefunden haben, wohl nicht mehr streng durchgeführt werden. Auch der Unterschied zwischen Pferdehaltern und Nichtpferdehaltenden, wird keinen wesentlichen Einfluß auf eine Klasseneintheilung haben, da die Kommunaldienste hier nicht mehr in natura geleistet werden und viele Ackerbesitzer jetzt auch ihre Kühe anspannen. Ein Unterschied tritt aber ganz entschieden hervor, nehmlich zwischen solchen, die blos Häuser und vielleicht einen Garten dabei besitzen und solchen, die außerdem auch Ackergrundstücke haben. Unter den Ackerbesitzern ist nun allerdings der Unterschied noch so groß, daß diese füglich nicht wohl in eine Klasse gebracht werden können und es dürften diese wieder in zwei oder drei Klassen zu theilen sein. Vielleicht wäre es thunlich, daß man allen den Ackerleuten, die 8 Hufen und darüber besitzen, eine persönliche Berechtigung zur Mitgliedschaft in dem Gemeinde-Rath gebe. Dies wären dann in Gr. Ottersleben sechs; gäbe man den Häuslern ebenfalls 6 Repräsentanten, welche sie unter sich zu wählen hätten, so könnte man den übrigen Ackerbesitzern auch 6 Repräsentanten geben, von denen vielleicht drei durch diejenigen gewählt würden, welche drei Hufen Acker und mehr besitzen und drei durch diejenigen, welche unter 3 Hufen Acker hätten." 62 Abgesehen vom Problem der Gemeinderepräsentation selbst, auf das weiter unten noch ausführlicher eingegangen werden soll, ist aus diesen Schilderungen und Vorschlägen immerhin doch ersichtlich, daß für die Mitte des 19. Jh. auch im Untersuchungsgebiet, zumindest dort, wo die sozialökonomische Entwicklung schon weiter fortgeschritten war, nun faktisch nicht mehr von insgesamt sechs verschiedenen Grundbesitzerschichten gesprochen werden kann — vom Häusler bis zum Vollspänner —, sondern nur noch von drei, höchstens von vier. Und zwar können jetzt unterschieden werden: 1. Parzellen- und Kleinbesitzer (Lohnarbeiter mit Bodenanteilen) bis zu 20 bzw. 25 Morgen; denn auf Grund der herrschenden extensiven Wirtschaftsweise galt hier und jetzt „als selbständige Ackerwirtschaft erst eine solche von mindestens 25 Morgen" an, 63 d. h. nach Fortfall des kollektiven Weideganges für das 61 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 7. 62 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 9 b - 1 0 . 63 Nach Bielefelds 1910: 14. — Vgl. auch den „Bericht des Bauerngutsbesitzers Bähr in Kleingraupe über eine Reise nach der Provinz Sachsen" Ende März 1847:: „Zwischen Magdeburg und Oschersleben . . . fand er . . . in einem Dorfe, wo er mehrere Bauernhöfe sah, keineswegs einen erfreulichen Anblick. Zwei Kühe, zwei Pferde und ein Schwein waren der Viehstand für 25 Morgen . . .". In: ZLCV, 1849: VI, 333.
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Vieh, also nach erfolgter Gemeinheitsteilung. Hierzu gehören nicht nur die ehemaligen grundbesitzenden Häusler, sondern nun vielfach auch Angehörige der früher als Kossäten, speziell als Kleinkossaten, bezeichneten Grundbesitzer. 2. kleinbäuerliche Wirtschaften mit einem Areal zwischen 20 bzw. 25 und etwa 30—40 Morgen (Familienbetrieb ohne fremde Lohnarbeiter), die in der Regel durch die ehemaligen Großkossathen repräsentiert werden. 3. mittel- und großbäuerliche Wirtschaften (mit fremden Arbeitskräften), bestehend aus den vormaligen Viertel-, Halb- und Vollbauern, mit einem Grundbesitz zwischen 30 bzw. 40 und 600 Morgen. 64 Recht sichtbar ist dabei vor allem die Unterscheidung zwischen den mittel- und großbäuerlichen Grundbesitzern auf der einen und den kleinbäuerlichen und halbproletarischen Wirtschaften auf der anderen Seite. In diesem Zusammenhang ist auch eine Anmerkung interessant, die der Ortsvorsteher von Groß Ottersleben seinen Klassifikationsvorschlägen anfügen ließ: „Ich stelle zwar ganz gehorsamst anheim, inwieweit auf diese meine Bemerkungen Rücksicht zu nehmen sein mag, bemerke aber, daß wenn dieselben angenommen würden, der alte Klassenunterschied zwischen Ackerleuten, zu welchen in weiteren Sinn auch die Halbspänner gerechnet werden, und den übrigen Dorfbewohnern nicht unberücksichtigt bliebe, und dieser Unterschied ist noch heute ganz lebendig in der Gemeinde." 65 Dieselbe Klassifikation wird auch in einer Schilderung über die Religions- und Moralitätsverhältnisse im Untersuchungsgebiet zugrunde gelegt, die zu Anfang des Jahres 1844 in der Darmstädter „Allgemeinen Kirchen-Zeitung" erschien: „Zuvörderst müssen wir bemerken, daß die Bevölkerung unserer Börde in drei verschiedene Classen zerfalle. In die erste Classe gehören die größeren Gutsbesitzer, die Amtleute und Fabrikanten; die zweite besteht aus dem Stande der Ackerleute, d. h. der kleineren Grundbesitzer unter dem Namen Vollbauern, Halbspänner u.s.w.; die dritte Classe endlich bilden Alle, die, ohne eigentlichen Grundbesitz, als Handwerker, meist aber als Tagelöhner in den Fabriken, auf den Aemtern und Gütern und selbst bei den Ackerleuten leben." 66 Zu diesem Zeitpunkt hatten sich sichtbare Unterschiede zwischen mittelbäuerlicher und großbäuerlicher Wirtschaft also offenbar noch nicht klar herausgebildet. Wesentlich — und dies auch im Bewußtsein der Zeitgenossen — war neben der noch selbstverständlichen Existenz des feudalen Großgrundbesitzes insbesondere die Unterscheidung zwischen den Lohnarbeiter ausbeutenden großen und reichen Bauern einerseits und den ärmeren, keine fremden Arbeitskräfte beschäftigenden bäuerlichen und halbproletarischen Wirtschaftern sowie den landlosen, proletarischen Schichten andererseits. Auch Engels gelangt in seiner 1851 unternommenen Analyse „Revolution und Konterrevolution in Deutschland" zu dieser Klassifikation. Es sei dabei insbesondere auf seine Spezifizierung der „wohlhabenderen Landwirte" und auf seine Einschätzung der Lage der Kleinbauern hingewiesen, wobei im letztgenannten Zusam64 Eine Arealgröße von 600 Morgen ( = 1 5 0 ha) in dieser Phase der landwirtschaftlichen Entwicklung (Übergang von der feudalen zur kapitalistischen Produktionsweise bei noch Vorherrschen der extensiven Wirtschaftsweise) als Kriterium für die Unterscheidung zwischen großbäuerlichen Wirtschaften und Großgrundbesitz anzunehmen, geht gleichfalls auf Bielefelds 1910: 78, zurück. — Vgl. außerdem Meitzen, 1869: 490. 65 ST AM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 10 b. 66 Schulze, 1844: 197.
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menhang noch besonders wichtig und bedeutungsvoll ist, daß Engels dabei ausdrücklich die in den westelbischen Gebieten, wozu das Untersuchungsgebiet ja gehört, vorherrschende Form der Geldablösung hervorhebt. Engels schreibt: „Zunächst, welches war der Zustand Deutschlands bei Ausbruch der Revolution? Die Zusammensetzung der verschiedenen Klassen des Volkes, die die Grundlage eines jeden politischen Organismus bilden, war in Deutschland komplizierter als in irgendeinem anderem Lande . . . Schließlich gab es noch die große Klasse der kleinen Landwirte, die Bauernschaft, die mit ihrem Anhang von Landarbeitern die große Mehrheit des ganzen Volkes darstellt. Aber diese Klasse zerfiel selbst wieder in verschiedene Schichten. Da waren, erstens, die wohlhabenderen Landwirte, die in Deutschland als Groß- und Mittelbauern (sie!) bezeichnet werden, die Eigentümer mehr oder weniger umfangreicher Wirtschaften sind und von denen jeder über die Dienste mehrerer Landarbeiter verfügt. Für diese Klasse, die zwischen den steuerfreien feudalen Grundherren einerseits, den Kleinbauern und Landarbeitern andererseits (sie!) stand, war aus leicht begreiflichen Gründen ein Bündnis mit der antifeudalen städtischen Bourgeoisie die natürlichste Politik. Dann gab es, zweitens, die freien Kleinbauern, die im Rheinland vorherrschten, wo der Feudalismus den wuchtigen Schlägen der großen französischen Revolution erlegen war. Ähnliche unabhängige Kleinbauern gab es da und dort in anderen Provinzen, wo es ihnen gelungen war, die feudalen Lasten, die ehedem auf ihren Grundstücken ruhten, mit Geld abzulösen. Diese Klasse war jedoch nur dem Namen nach eine Klasse von freien Bauern, da ihre Wirtschaft gewöhnlich in so hohem Grade und unter so drückenden Bedingungen mit Hypotheken belastet war, daß nicht der Bauer, sondern der Wucherer, der das Geld vorstreckt, der wirkliche Eigentümer des Landes war . . ,". 67
Verlauf und Ergebnis der Agrarreformen Diese Veränderungen in der Klassenstruktur der ländlichen Bevölkerung sind Ergebnis und Ausdruck des Übergangs von der feudalen zur kapitalistischen Produktionsweise in der Landwirtschaft. Sie sind daher vor allem auch eng und ursächlich mit dem Prozeß der Durchführung der Agrarreformen verknüpft, insbesondere mit der Gemeinheitsteilung, einschließlich der Separation, und mit der Ablösung der Feudallasten. In bezug auf die Gemeinheitsteilungen gehen in Preußen unter ausdrücklichem Einschluß des damaligen Herzogtums Magdeburg die ersten gesetzlichen Maßnahmen bereits auf das Jahr 1769 zurück, speziell auf die „Verordnung, wornach zur Beförderung des Ackerbaues, sonderlich auch zu Verbesserung des Wiesenwachses 67 Als dritte Schicht erwähnt Engels — außer den Landarbeitern — dann noch die „feudalen Hintersassen". Er tut dies offensichtlich nicht, weil jene sich etwa durch eine bestimmte Größe an Grundbesitz von den anderen Schichten unterscheiden würden, sondern wegen ihrer spezifischen rechtlichen Stellung; deshalb nämlich, weil sie „eine ewige Pacht zu entrichten oder auf ewig eine gewisse Menge Arbeit für den Gutsherrn zu leisten hatten." Zitat nach Engels, 1960 (1851): 7 und I i .
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menhang noch besonders wichtig und bedeutungsvoll ist, daß Engels dabei ausdrücklich die in den westelbischen Gebieten, wozu das Untersuchungsgebiet ja gehört, vorherrschende Form der Geldablösung hervorhebt. Engels schreibt: „Zunächst, welches war der Zustand Deutschlands bei Ausbruch der Revolution? Die Zusammensetzung der verschiedenen Klassen des Volkes, die die Grundlage eines jeden politischen Organismus bilden, war in Deutschland komplizierter als in irgendeinem anderem Lande . . . Schließlich gab es noch die große Klasse der kleinen Landwirte, die Bauernschaft, die mit ihrem Anhang von Landarbeitern die große Mehrheit des ganzen Volkes darstellt. Aber diese Klasse zerfiel selbst wieder in verschiedene Schichten. Da waren, erstens, die wohlhabenderen Landwirte, die in Deutschland als Groß- und Mittelbauern (sie!) bezeichnet werden, die Eigentümer mehr oder weniger umfangreicher Wirtschaften sind und von denen jeder über die Dienste mehrerer Landarbeiter verfügt. Für diese Klasse, die zwischen den steuerfreien feudalen Grundherren einerseits, den Kleinbauern und Landarbeitern andererseits (sie!) stand, war aus leicht begreiflichen Gründen ein Bündnis mit der antifeudalen städtischen Bourgeoisie die natürlichste Politik. Dann gab es, zweitens, die freien Kleinbauern, die im Rheinland vorherrschten, wo der Feudalismus den wuchtigen Schlägen der großen französischen Revolution erlegen war. Ähnliche unabhängige Kleinbauern gab es da und dort in anderen Provinzen, wo es ihnen gelungen war, die feudalen Lasten, die ehedem auf ihren Grundstücken ruhten, mit Geld abzulösen. Diese Klasse war jedoch nur dem Namen nach eine Klasse von freien Bauern, da ihre Wirtschaft gewöhnlich in so hohem Grade und unter so drückenden Bedingungen mit Hypotheken belastet war, daß nicht der Bauer, sondern der Wucherer, der das Geld vorstreckt, der wirkliche Eigentümer des Landes war . . ,". 67
Verlauf und Ergebnis der Agrarreformen Diese Veränderungen in der Klassenstruktur der ländlichen Bevölkerung sind Ergebnis und Ausdruck des Übergangs von der feudalen zur kapitalistischen Produktionsweise in der Landwirtschaft. Sie sind daher vor allem auch eng und ursächlich mit dem Prozeß der Durchführung der Agrarreformen verknüpft, insbesondere mit der Gemeinheitsteilung, einschließlich der Separation, und mit der Ablösung der Feudallasten. In bezug auf die Gemeinheitsteilungen gehen in Preußen unter ausdrücklichem Einschluß des damaligen Herzogtums Magdeburg die ersten gesetzlichen Maßnahmen bereits auf das Jahr 1769 zurück, speziell auf die „Verordnung, wornach zur Beförderung des Ackerbaues, sonderlich auch zu Verbesserung des Wiesenwachses 67 Als dritte Schicht erwähnt Engels — außer den Landarbeitern — dann noch die „feudalen Hintersassen". Er tut dies offensichtlich nicht, weil jene sich etwa durch eine bestimmte Größe an Grundbesitz von den anderen Schichten unterscheiden würden, sondern wegen ihrer spezifischen rechtlichen Stellung; deshalb nämlich, weil sie „eine ewige Pacht zu entrichten oder auf ewig eine gewisse Menge Arbeit für den Gutsherrn zu leisten hatten." Zitat nach Engels, 1960 (1851): 7 und I i .
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und Verstärkung des Viehstandes der Bauern, in Aufhebung der gemeinschaftlichen und vermengten Hütungen, Vertheilung der dazu liegengebliebenen Brücher, überflüssigen Hütungen, Anger etc. . . . verfahren werden . . . soll" vom 21. Oktober. 68 Zumindest im Magdeburgischen scheinen diese Maßregeln, zu deren Durchführung auch besondere Kommissarien bestellt waren, durchaus schon einen gewissen Widerhall gefunden zu haben. In einer zwischen 1775 und 1780 in vier Teilen herausgegebenen Schrift: „Beyträge zur Aufhebung der Gemeinheiten und Verbesserung der Landwirtschaft, von einer ökonomischen Gesellschaft im Magdeburgischen", die offenbar zur Popularisierung dieser Maßnahmen beitragen sollte, wurde schon 1775 erklärt, daß „im Magdeburgischen . . . dies Geschaffte seit fünf Jahren mit großem Nachdruck von den Theilungscommissarien betrieben worden" sei und einen „schleunigen Fortgang gehabt" habe. 69 Von einem „ungemeinen Fortgange" der Gemeinheitsteilung, die im Untersuchungsgebiet und in seiner weiteren Umgebung zudem vielerorts „aus eigenem Triebe, ohne Commissarien, ohne Feldmesser, ohne Taxatoren" durchgeführt werden würde, berichtet 1786 auch Oesfeld.70 Zahlen werden leider nicht genannt. Allerdings erfuhren diese Bemühungen schon bald wieder eine Einschränkung, und zwar einmal durch das Zirkular vom 31. 3. 1781 „wegen Erweiterung der Brachnutzung", worin erklärt wurde, „daß es durchaus berechtigt sei, ein Drittel des vorhandenen Landes der Viehweide einzuräumen, da die Viehzucht den dritten Teil der gesamten Einnahmen der Landwirtschaft ausmache", und zum anderen durch das speziell für die Kurmark und für die magdeburgischen Gebiete gültige Edikt vom 21. 2. 1791 „wegen Begünstigung des Anbaues der Futterkräuter", das „im Enderfolg" geradezu „einen Gegensatz" zu den Gemeinheitsteilungsmaßnahmen darstellte,71 wie solche drei Jahre später auch ins „Allgemeine Landrecht" übernommen worden sind (Erster Theil, Siebzehnter Titel, Vierter Abschnitt, §§ 311—361). Mögen im Untersuchungsgebiet beachtliche Ansätze dafür auch schon zu Ausgang des 18. Jh. vorhanden gewesen sein: im großen Maße wurde mit der Teilung der Gemeinheiten doch erst nach Inkrafttreten der Spezialverordnüng von 1821 begonnen. Nach Hermes/Weigelt waren um 1840, zwanzig Jahre später, im gesamten Untersuchungsgebiet an Anger, Hütungen und Weiden separiert: 31,66%, also knapp ein Drittel. Die zu diesem Zeitpunkt separierte Gesamtfläche, einschließlich der Forsten, betrug gleichfalls etwa ein Drittel (genauer: sogar 36,09 %). 72 Das entsprach zwar nicht dem Durchschnitt im Regierungsbezirk, der immerhin bei 40,72% lag, 73 aber doch dem Landesdurchschnitt, das heißt dem Durchschnitt in jenem Gebiet, in dem die Gemeinheitsteilungsordnung von 1821 gültig war. 74 Zehn Jahre später,
68 Zitiert nach Beyträge, 1775: 1. — Ein Auszug aus der erwähnten Verordnung findet sich ebenda, S. 1 - 5 . 69 Beyträge, 1775: im „Vorbericht" und in einer Vorbemerkung (beide unpaginiert). 70 Oesfeld, 1786: 62. 71 Dagott, 1934: 14. 72 Diese Zahlen wurden errechnet auf Grund der Angaben, die bei Hermes/Weigelt, 1842, im Zusammenhang mit den einzelnen lokalen Feldmarkgrößen genannt werden, wo es dann heißt: „Die separine Feldmark enthält . . . Morgen Aecker, . . . Morgen Gärten, . . . Morgen Weide" usw. — Vgl. hierzu außerdem die Anm. 43—45. 73 Hermes/Weigelt, 1843: 89. 74 Dagott, 1934: 42.
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Ende 1848, betrug nach Meitzen75 die separierte Gesamtfläche des Regierungsbezirks schon etwas mehr als zwei Drittel (67,25 %). In welch geradezu vehementer Weise Gemeinheitsteilung und Separation im Untersuchungsgebiet vorangetrieben wurden, demonstriert sinnfällig ihr Fortgang im Kreis Wanzleben, dem Repräsentativkreis der „Börde", und zwar repräsentativ deshalb, weil er, erstens, das Untersuchungsgebiet von Ost nach West als ein breites Band vollständig durchzieht, wobei zweitens, was wesentlich ist, die gesamte Kernzone der „Börde" mit einbegriffen wird, und drittens, weil er — wie oben dargelegt — fast 36 % der Gesamtfläche des Untersuchungsgebietes auf sich allein vereint : 7 6 Tabelle 6 Landwirtschaftliche Gesamtnutzfläche des Kreises Wanzleben: 201003,23 Mrg. Jahr
davon separierte Fläche in Morgen
in Prozent
1840
50612,88
25,18
1848
147264,00
73,26
Dieser ungemein rasche Fortschritt in der Durchführung der Gemeinheitsteilung und Separation, wie er sich hier manifestiert — verhalten sich doch, wie die Zahlen belegen, die beiden Größen der separierten Flächen im Vergleich zu den Zeiträumen, in welchen diese Separationen jeweils geschehen sind, zueinander geradezu reziprok proportional! 77 —, läßt sich freilich kaum auf die Einsicht der Grundbesitzer in die Nützlichkeit eines solchen Verfahrens allein zurückführen. Dies wird um so verständlicher, wenn man bedenkt, daß die Regulierungskosten in den westlichen Gebieten der Provinz „wegen der dort zu überwindenden Schwierigkeiten", das heißt „wegen der großen Zerstückelung des Bodens, wegen des coupirten Terrains und des hohen Werths der Grundstücke", „viel höher als in den östlichen" Teilen liegen und im 75 Meitzen, 1 8 6 8 : 4 3 2 - 4 3 3 . 76 Der Berechnung lagen folgende Prämissen zugrunde: Die Größe der landwirtschaftlichen Gesamtnutzfläche des Kreises ergab sich aus der Gesamtfläche des Kreises, die nach einer Statistik aus dem Jahre 1864 (Statistik . . . Wanzleben, 1867: 3) 9,877 Quadratmeilen, nach Meitzen, 1869: 294, jedoch 9,90 Quadratmeilen beträgt, abzüglich der ertraglosen Grundstücke, der Wasserstücke, des Öd- und Unlandes. Vgl. hierzu die Angaben in der genannten Statistik . . . Wanzleben, 1867: 38. — Die Größe der separierten Fläche im Jahre 1840 wurde auf Grund der Angaben bei Hermes/Weigelt, 1842, errechnet. Die schon außerhalb des Untersuchungsgebietes liegenden Teile des Kreises (dies betrifft lediglich die Flächen folgender Ortschaften: Stadt Hadmersleben, D o r f Hadmersleben, Gehringsdorf, Hackeborn, Westeregeln und Tarthun) wurden selbstverständlich in die Berechnung mit einbezogen. — Die Größe der separierten Fläche für das Jahr 1848 wurde der Statistik von Meitzen, 1869: 294—295 entnommen. — Vgl. dazu außerdem Anm. 43. 77 Das heißt: In den rund 20 Jahren von 1821 bis 1840 wurde ein Viertel der LN des Kreises separiert. In den folgenden acht Jahren zwischen 1840 bis 1848, also in weniger als der Hälfte der vorigen Zeit, erhöhte sich der separierte Anteil auf drei Viertel der LN, d . h . : Nach 1840 wurde in weniger als 10 Jahren die doppelte Fläche separiert als innerhalb von 20 Jahren in der Zeit vor 1840.
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Durchschnitt immerhin fast „einen Thaler für den Morgen betragen" ; 78 von Prozessen und Streitigkeiten anderer Art, die nicht selten dabei sind, und die viele Beschwernisse und Kosten verursachen konnten, einmal ganz abgesehen. Die eigentliche Triebkraft für diese beschleunigte Durchführung der Separation, zumindest hier, im Untersuchungsgebiet, liegt vielmehr woanders. Sie ist verbunden mit einer Erscheinung, auf die bereits oben andeutungsweise hingewiesen worden ist, nämlich mit der für dieses Gebiet typischen engen Verflechtung von Landwirtschaft und technischem Gewerbe. Allerdings sind damit weniger die Brennereien und Brauereien gemeint ; solche gab es in genügender Anzahl z. B. auch in Ostelbien, sondern speziell der Anbau und die Verarbeitung einer Kulturart, nämlich der Zuckerrübe, wovon dann auch in dieser Zeit nirgendwo anders im so bedeutsamen Maße Impulse für Veränderungen im agrarischen Bereich — von der Ökonomie bis hin zur Lebensweise der Produzenten — ausgegangen sind wie gerade hier. Und auch kaum in einem anderen Zweig landwirtschaftlicher bzw. landwirtschaftlich-gewerblicher Produktion vermochte sich das Streben nach Profit, nach Verwertung von Kapital, nach Erzielung hoher und höchster Bodenrenten zu diesem Zeitpunkt rascher und unbeschwerlicher zu realisieren als auf diesem Gebiet. Die Prämissen dafür waren günstig: eine hohe Bodenfruchtbarkeit und ein damit korrespondierendes Klima, eine vorteilhafte Handelslage einschließlich guter Verkehrsbedingungen, günstige besitz- und erbrechtliche Verhältnisse, ein — jedenfalls zunächst noch — genügend großes einheimisches Arbeitskräftepotential und die Existenz notwendiger Geldvermögen, in erster Linie aus städtischem, besonders magdeburgischem Kaufmannskapital, Teil der jetzt allgemein beim Großhandel anzutreffenden überschüssigen Geldfonds.79 Eine Voraussetzung war bislang allerdings nur erst teilweise erfüllt, nämlich das Vorhandensein größerer, geschlossener und lastenfreier Bodenareale. Diesem Erfordernis entsprachen zunächst nur die Domänen und Rittergüter, deren Flächen in der Regel schon früher, im Zusammenhang mit den Gemeinheitsteilungen am Ende des 18. Jh., aus den Feldgemeinschaften ausgeschieden worden waren.80 Als besonders aussichtsreich erwiesen sich die Verhältnisse auf den Domänen, speziell was die Existenz von Kapital, Boden und Arbeitskräften anbetrifft. Während sich die Rittergüter gewöhnlich noch auf Brennereien und Brauereien beschränkten, gehören hiesige Domänen mit zu den ersten Gründern von Rübenzuckerfabriken, so die Domänen zu Wolmirstedt (Gründung der Fabrik: 1836; auf der zweiten Wolmirstedter Domäne: vor 1841),81 die Domäne zu Dreileben (Gründung der Fabrik: 1836),82 die Domäne zu Alten Staßfurt (Gründung der Fabrik: 1837),83 die Domäne zu Calbe (Gründung der Fabrik: 1839),84 die Domäne zu Barby (Gründung
78 79 80 81
Einige Nachrichten, 1850: 26—27. Vgl. dazu Mottek, 1964: 122-124. Dagott, 1934: 12. Beispiel: Preußisch-Schlesien nach dem Reglement vom 14. 4. 1771. Gründungsjahr der ersten Zuckerfabrik nach: Einige Nachrichten, 1850: 50; Gründungsjahr des zweiten Unternehmens nach: Hermes/Weigelt, 1842: 92. 82 Einige Nachrichten, 1850: 51. 83 Hermes/Weigelt, 1842: 56. 84 Hermens/Weigelt, 1842:49.
4
Plaul, Landarbeiterleben
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der Fabrik: 1840)85 und die Domäne zu Ummendorf (Gründung der Fabrik: 1840).86 Dabei ist zu bemerken, daß auch in all den genannten Gemeinden und Städten sowie in den meisten Ortschaften ihrer Umgebung die Separation zu diesem Zeitpunkt (bis 1840) bereits abgeschlossen war. Eine Ausnahme bildete lediglich die Stadt Calbe, wo jetzt mit der Zusammenlegung der Grundstücke jedoch begonnen wurde.87 Auch in den meisten Gemeinden im Einzugsbereich des zweiten großen Standortgebietes, in der Umgebung von Magdeburg, wo mit städtischem Handelskapital zwischen 1836 und 1841 insgesamt 16 solcher Fabriken angelegt worden sind,88 war zu dieser Zeit die Separation bereits voll zum Abschluß gekommen, so in den Gemeinden Rothensee, Barleben, Meitzendorf, Dahlenwarsleben, Ebendorf, Olvenstedt, Groß Ottersleben, Klein Ottersleben, Lemsdorf, Salbke, Dodendorf, Osterweddingen und Fermersleben.89 Ebenfalls war dies weitgehend auch dort der Fall, wo sich mehrere bäuerliche Grundbesitzer zur Gründung solcher Unternehmungen vereinigt hatten, wie in Etgersleben, Klein Wanzleben, Ochtmersleben und — hier ein Werk bemittelterer Stadtbürger — in Seehausen,90 wobei die Fluren von Ochtmersleben und Seehausen allerdings bis dahin noch nicht separiert waren. Möglicherweise hat hierfür der Umstand eine nicht ganz unwichtige Rolle gespielt, daß die Fabrik iq Seehausen schon um 1840 „bei den eingetretenen ungünstigen Konjunkturen" — gemeint sind die Folgen des deutsch-holländischen Handelsvertrages, „demzufolge ein der Raffinade ähnliches Product, der Lumpszucker fast zu demselben Zoll wie früher Rohzucker importirt werden durfte" 91 — wieder „ihren Betrieb fast ganz hat einstellen müssen."92 Eine „außerordentliche Mißerndte" bedrohte die Existenz des eben eingeführten Produktionszweiges bald darauf erneut (1842), da „in Folge deren die meisten Fabriken kaum die Hälfte ihres gewöhnlichen Rübenquantums, viele noch weit weniger verarbeiten konnten." 93 Doch diese Mißernte erwies sich als Ausnahme und die negativen Wirkungen der neuen handelspolitischen Maßnahmen konnten ebenfalls rasch überwunden werden. Will man der zeitgenössischen Literatur folgen, so war dies letztere hauptsächlich der Entwicklung einer verbesserten Technologie zu danken, die „wie mit einem Zauberschlage" die „bis jetzt nur Verlust gewährenden Unternehmungen. . .
85 86 87 88
89 90
91 92 93
50
Hermes/Weigelt, 1842: 46. Hermes/Weigelt, 1842: 125. Hermes/Weigelt, 1842:49. Nach Hermes/Weigelt, 1842, wurden während des genannten Zeitraumes Rübenzuckerfabriken gegründet in Magdeburg-Sudenburg 7, in Magdeburg-Neustadt 5, in Buckau 1, in Groß Ottersleben 2 und in Westerhüsen 1. Hermes/Weigelt, 1842: 101, 94, 99, 85, 100, 82, 81, 79. Hermes/Weigelt, 1842: 79, 85, 100, 73. — Die Gründung der Rübenzuckerfabriken in Etgersleben erfolgte im Jahre 1889 durch mehrere „Ackerleute"; in Klein Wanzleben wurde das Unternehmen 1838 „von der Gemeinde" angelegt und in Ochtmersleben waren die Gründer (1839) „mehrere Ackerleute und Halbspänner". Die Seehausener Fabrik wurde im Jahre 1838 eingerichtet. Alle vier Unternehmen waren Aktiengesellschaften. Einige Nachrichten, 1850: 51. Hermes/Weigelt, 1842: 73. Einige Nachrichten, 1850: 53.
in ein gewinnbringendes Geschäft umgestaltete."94 So entstanden in der Folgezeit weitere Etablissements dieser Art :95 Tabelle 7 Anzahl der Rübenzucker-Fabriken Jahr
im Untersuchungsgebiet (außer in MagdeburgStadt), einschl. Magdeburg-Neustadt und -Sudenburg
in der gesamten Provinz Sachsen
1841 1845 1848 1849 1850 1853 1857
27 ? ? ? 40 44 52
9 37 56 69 69 84 121
Anteil der Fabriken im Untersuchungsgebiet im Verhältnis zur Anzahl in der Provinz Sachsen (in Prozent)
58,0 52,4 43,0
Die ermittelten Prozentwerte gewinnen insbesondere dann an Aussagekraft, wenn man weiß, daß das Untersuchungsgebiet nach der Fläche gerade nur etwa 5% des Gesamtareals der Provinz Sachsen ausmacht.96. Mit Recht kann man daher in dieser Zeit die „Magdeburger Börde" als ein Ballungsgebiet für den Rübenbau und die Rübenzuckerindustrie bezeichnen. 94 Einige Nachrichten, 1850: 52: „Dem Techniker Schüzenbach aus Freiburg im Breisgau gebührt das Verdienst, durch Erfindung eines rationellen Verfahrens, die Trennung des Zuckerkristalls von dem Syrup und den Melassen vermittelst siebähnlicher viereckiger Kasten zu bewirken und einer eben so sinnreichen als zweckmäßigen Gebrauchsanweisung derselben, den sinkenden Muth der Rübenzuckerfabrikanten wieder gehoben zu haben . . . Dies hatte ein Wiedererwachen des allgemeinen Zutrauens zu diesem Industriezweig zur Folge und mit der Ueberzeugung von dessen Ertragsfahigkeit stellte sich auch die Lust zu neuen Fabrikanlagen um so kräftiger ein, je mehr die Speculation durch die überstandenen Drangsale zurückgedrängt worden war." — Über den Techniker Sebastian Carl Schützenbach (1793—1869) siehe den Nekrolog in: ZVRI, 1869: XIX, 270—272; in diesem Band befindet sich auch ein Porträt des Genannten. 95 Die Zahlen sind folgenden Quellen entnommen: Für das Jahr 1841 = Hermes/Weigelt, 1842; für das Jahr 1845 = Lengerke, 1848: 389; für das Jahr 1848 = ZVRI, 1851:1,468; für das Jahr 1849 = ZVRI, 1851: I, 469; für das Jahr 1850 = ZVRI, 1851: I, 4 - 6 , 469; für das Jahr 1853 = ZVRI, 1853: III, 618—622, wobei zu bemerken ist, daß die Anzahl der in der gesamten Provinz Sachsen vorhandenen Fabriken (84) nur die Vereins-Mitglieder ausweist; die tatsächliche Zahl der in der Provinz Sachsen gelegenen Unternehmungen lag also etwas höher. Für das Jahr 1857 = ZVRI, 1857: VII, 4 4 2 - 4 4 5 , 4 4 9 - 4 5 0 . 96 Die Berechnung erfolgte auf der Grundlage folgender Werte: Nach Handbuch der Provinz Sachsen, (1877): 62, 215 und 372, betrug die Fläche der Provinz Sachsen = 458,733 Quadratmeilen. Da 1 Quadratmeile = 21566,028 Morgen beträgt (vgl. Anm. 43), ergibt sich als Gesamtreal = 9893048,72252 Morgen. Demgegenüber steht das Untersuchungsgebiet mit einer Fläche von 474710,62 Morgen. Da diese Zahl lediglich die Größe der landwirtschaftlichen Nutzfläche bezeichnet, die Flächenzahl der Provinz Sachsen aber die Größe der Gesamtfläche wiedergibt, ist hier auf 500000 Morgen aufund dort auf 9800000 Morgen abgerundet worden. Als Näherungswert ergibt sich dann 5,1 Prozent. 4*
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Auf die landwirtschaftliche Gesamtnutzfläche des Untersuchungsgebietes bezogen (474710,62 Morgen), drückt sich die Ausweitung des Rübenbaues unter der sehr wahrscheinlichen Voraussetzung, daß die hier verarbeiteten Früchte auch hier angebaut wurden, wie folgt aus: Legt man zugrunde, daß eine Rübenzuckerfabrik während einer „Campagne" im Durchschnitt etwa 68511,2 Zentner Rüben verarbeitet,97 und daß in dieser Zeit (um 1850) auf den Morgen durchschnittlich 140 Zentner Rüben erbracht wurden,98 so ergibt sich für das Untersuchungsgebiet: Tabelle 8 Jahr
Anzahl der Rübenzuckerfabriken
Im Durchschnitt wurden an Rüben verarbeitet (in Zentner)
Die verarbeitete Rübenmenge entspricht einer Anbaufläche (in Morgen)
Im Verhältnis zur landwirtschaftlichen Gesamtnutzfläche beläuft sich der Anteil der Rübenanbaufläche (in Prozent)
1841 1850 1853 1857
27 40 44 52
1849802,4 2740448,0 3014492,8 3562582,4
13212,9 19574,6 21532,1 25447,0
2,78 4,12 4,54 5,36
Die Prozentwerte geben, wie gesagt, Auskunft über den Anteil der mit Rüben bebauten Fläche im Verhältnis zum landwirtschaftlichen Gesamtareal des Untersuchungsgebietes überhaupt. Der größere Teil der Rübenfelder liegt in praxi jedoch in der unmittelbaren Nachbarschaft der Fabriken. In diesen Gebieten erhöht sich dann natürlich der prozentuale Anteil der Rübenflächen. Als Beispiel dafür sei unter Beibehaltung der oben dargetanen Prämissen auf den Kreis Wanzleben, den Kernkreis der „Börde", verwiesen (landwirtschaftliche Nutzfläche = 201003,23 Morgen):99 97 Einige Nachrichten, 1850: 54. Diese Zahl gibt „das Durchschnittsquantum der von e i n e r Fabrik in der Provinz Sachsen verarbeiteten Rüben" während der 9 „Campagnen" von 1840/41 bis 1848/49 an. Die Produktionskapazität dieser einen Durchschnitts-Fabrik ist dort so ermittelt worden, indem die in der gesamten Provinz Sachsen während der jeweiligen „Campagnen" verarbeiteten Rübenmengen in Beziehung gesetzt wurden zur Gesamtzahl der in der Provinz Sachsen in den betreffenden „Campagnen" daran teilhabenden Fabriken. 98 Einige Nachrichten, 1850: 84. — Die ungefähre Richtigkeit dieser Berechnung wird auch dadurch bestätigt, daß für den gesamten Regierungsbezirk Magdeburg, wobei ausdrücklich auf das RübenanbauZentrum „Börde" hingewiesen wird, um 1840 eine Gesamtrüben-Anbaufläche „nach einer sehr mäßigen Berechnung, wenigstens 20000 Morg. Acker" zugrunde gelegt wird. Bei der vorliegenden Berechnung muß zur Einschätzung der Prozentwerte beachtet werden, daß das mit Rüben bebaute Areal nicht mit der reinen Acker-, sondern mit der landwirtschaftlichen Nutzfläche insgesamt (Acker, Wiese, Garten, Weide) ins Verhältnis gesetzt worden ist. Die obige Angabe für das Jahr 1840 nach Hermes/Weigelt, 1843: 92. 99 Quelle der Zahlenangaben wie unter Anm. 95. — Die Berechnung der landwirtschaftlichen Gesamtnutzfläche des Kreises Wanzleben wie unter Anm. 76. Was dort über die Flächen der schon außerhalb des Untersuchungsgebietes liegenden Teile dieses Kreises gesagt ist, gilt nun auch im Hinblick auf die Zahl der Zuckerfabriken. Es kommen deshalb hinzu: für das Jahr 1853 = 1 Fabrik (Hadmersleben); für das Jahr 1857 = 2 Fabriken (Hadmersleben, Hackeborn).
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Tabelle 9 Jahr
Anzahl der
Im Durch-
Rübenzucker-
schnitt wurden Rübenmenge ent-
Die verarbeitete
Im Verhältnis zur landwirtschaftlichen
fabriken
an Rüben
spricht einer
Gesamtnutzfläche
verarbeitet
Anbaufläche
beläuft sich der Anteil
(in Zentner)
(in Morgen)
der Rübenanbaufläche (in Prozent)
1841
19
1301712,8
9297,9
1850
23
1575757,6
11255,4
5,60
1853
25
1712780,0
12234,1
6,09
1857
33
2260869,6
16149,1
8,03
4,63
Die zunehmende Ausdehnung dieses neuen Produktionszweiges hatte vor allem ein rasches und außerordentliches Ansteigen der Boden- und Pachtpreise zur Folge, woraus sich dann auch der offenkundige Zusammenhang mit der gerade jetzt beschleunigt weitergeführten Gemeinheitsteilung und Separation erklärt. Eine bedeutende Rolle spielt dabei auch der Umstand, daß die in den Vororten Magdeburgs angesiedelten Zuckerfabriken, und das ist zunächst die Mehrzahl, zu diesem Zeitpunkt noch fast ausschließlich nur auf den Ankauf des Rohproduktes (Kaufrüben) bzw. auf Jahresacker-Pachtungen angewiesen waren. Daß gewöhnlich eine gewisse Wertsteigerung der Äcker nach erfolgter Separation ohnehin eintritt, ist angesichts der oft nicht unbeträchtlichen Höhe der Regulierungskosten in diesem Zusammenhang weniger von Belang. Im Gegenteil: die vorausschaubaren Kosten sowie die notwendig werdende Veränderung der bisherigen Betriebsweise, die Ungewißheit, welche Art Böden man wo erhalten wird, überhaupt das nun zwangsläufige Abgehenmüssen von der althergebrachten, überlieferten, vertrauten und unter den voraufgegangenen Verhältnissen auch funktionstüchtig gewesenen Wirtschaftsführung u. ä. haben viele der im Grunde ja ökonomisch denkenden, das heißt nach Erhaltung und Sicherung der eigenen Existenz — und der ihrer Nachkommen — strebenden bäuerlichen Grundbesitzer zunächst an der Ausführung von Gemeinheitsteilung und Separation, wie auch die obigen Zahlen aus dem Kreis Wanzleben bis 1840 zeigen, zögern lassen. Als man den magdeburgischen Bauern die erwähnte Verordnung über die Gemeinheitsteilung vom 21. 10.1769 durch ein fingiertes „Schreiben eines Landwirths an die Bauern, wegen Aufhebung der Gemeinheiten", datiert vom 19. 11. 1769, jedoch ohne Angabe des Absender-Ortes, näher bringen wollte, und es ihnen zu diesem Zwecke vorlas, erklärten sie: „Der Mann scheint es mit dem Bauersmann ganz gut zu meinen, und was er sagt, das läßt sich hören. Aber so recht gewiß muß er seiner Sache wohl nicht seyn, sonst hätte er sich und seinen Wohnort nahmenkundig gegeben, und man bey ihm und seinen Bauren erst nähere Nachfrage thun können, ehe man das Ding selbst versuchte." Kommentar der Berichterstatter dazu: „So räsonnirten unsre Bauren. Das ist ihre Weise so. Was sie nicht mit ihren Augen sehen und mit ihren Händen greifen können, das glauben sie nicht." 100 Auch aus der ersten Hälfte des 19. Jh. lassen sich noch Zeugnisse für eine solche Verhaltensweise bei100 Beyträge,
1780: 3—4, Fußnote a. — Das „Schreiben eines Landwirthes an die Bauern, wegen
Aufhebung der Gemeinheiten" war bei Decker in Berlin gedruckt.
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bringen.101 Erst die ökonomischen Erfolge bzw. Erfolgsaussichten führten in diesem Zusammenhang beim bäuerlichen Grundbesitzer zu einem Bewußtseins- und Verhaltenswandel. Mit der Einführung der Rübenzuckerindustrie begannen die Pacht- und Bodenpreise enorm anzusteigen. Um aber hieraus Nutzen ziehen zu können, mußte der Grundbesitzer frei über sein Land verfügen können, was unter den Bedingungen von Flürzwang und Gemengelage im erforderlichen Maße nicht möglich war. Der entscheidende Faktor für den raschen Fortgang der Separation ist im Untersuchungsgebiet demnach unmittelbar in dem Steigen der Pacht- und Bodenpreise infolge der Einführung der Rübenzuckerindustrie zu sehen. So stiegen die Jahrespachten für einen Morgen Rübenacker um 1840 bis zu 16 und 20 Taler,1"2 später bis zu 24 Taler Pr. Cour., 103 ja sogar bis zu einer Höhe von 30 Taler in Gold. 104 Ein wesentliches Sinken der Pachtpreise war jetzt nur während der revolutionären Ereignisse im Jahre 1848 zu bemerken: „in der Nähe von Magdeburg wurde im Frühling 1848 für auf 1 Jahr gepachteten Acker nur 25 Thlr. preuß. Cour, pro Morgen gezahlt; im Jahre 1849 erreichten die Pachtpreise aber wieder ihre frühere Höhe . . ,". 105 Zum Vergleich sei der Jahrespachtpreis (1850) in einem mit schlechteren Böden ausgestatteten Nichtrübenanbaugebiet des Regierungsbezirkes Magdeburg danebengestellt (Altmark bei Stendal): 1 Taler pro Morgen vor, 3 Taler pro Morgen nach der Separation.106 Ein weiterer Vergleich zur Ergänzung aus dem Jahre 1840: „Einen neuen Aufschwung gewinnt . . . die Landwirthschaft durch den Anbau der Zuckerrübe, wozu der Bördeboden ganz vorzüglich geeignet ist, welcher durch diese Kulturart noch verbessert wird. In den Gemeinden Gr. und Kl. Ottersleben, Benneckenbeck, Buckau, Fermersleben, Salbke, Lemsdorf, Dodendorf, Osterweddingen, Schieibnitz, Langenweddingen, Kl. Wanzleben, Beiendorf, Westerhüsen, Etgersleben etc. ist ein großer Theil der Aecker zum Rübenbau an die Fabrikanten zu dem Preise von 16—20 Thlr. pro Mrg. verpachtet, ein Ertrag, der auch im allergünstigsten Falle beim Getreidebau nicht erzielt werden kann." 107 Schließlich ein letzter Beleg für den sichtbaren Zusammenhang von Rübenzuckerproduktion und Separation. Beispiel: der Börde-Ort Barleben nördlich vor Magdeburg: „Die ganze Feldmark enthielt außer der Dorflage, den Wegen, Gräben etc. und dem sogenannten Busche 8003 Morgen. Der Acker (5153 M.) gehört 84 Besitzern in 1707 Stücken. Die 594 Morgen betragenden Wiesen wurden fast durchweg in Revieren gemeinschaftlich besessen. Die räume Weide betrug in dem großen Anger 2288 Morgen. An der Weide hatten übrigens noch ohngefahr 160 Besitzer kleiner 101 Vgl. z. B. Einige Nachrichten, 1850: 26. 102 Hermes/Weigelt, 1842: 67. Eine Pachtpreishöhe von 16 Reichstalern bestätigt im Jahre 1845 auch der „Oekonom" Meissner aus Biere im Kreis Calbe vor der 3. General-Versammlung des „Landwirtschaftlichen Zentralvereins der Provinz Sachsen". In: ZLCV, 1845: I, 454. — In bezug auf die Höhe der Pachtpreise, die um dieselbe Zeit in unmittelbarer Nähe der Standorte zahlreicher Zuckerfabriken, der Vorstädte Magdeburgs, gezahlt würden, nannte Lengerke, 1846: 188, den Betrag „bis zu einigen zwanzig Thalern pro Morgen" (Sudenburger Feldmark). 103 Einige Nachrichten, 1850:71. 104 Entnommen dem Bericht „Die Rübenzucker-Industrie im Zollverein in den Campagnen 1848/49 u. 1849/50". In: ZVRI, 1851: I, 471. 105 ZVRI, 1851:1,471. 106 Einige Nachrichten, 1850:32. 107 Hermes/Weigelt, 1842: 67.
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Etablissements Antheil. Bei der Theilung des ganzen Terrains, welches manchen Hütungsbelastungen unterlag, haben, da einige Theile von Ueberschwemmungen, andere von Drängwasser leiden, jedem Theilnehmer mehrere Pläne gegeben werden müssen, weshalb mit Einschluß der Abfindungen der kleinen Leute 839 Pläne ausgewiesen worden sind. Der jährliche Ertrag des ganzen größtentheils sehr tragbaren Grundbesitzes an Acker, Wiesen und Hütungen war vor der Separation zu ohngefahr 44000 Thaler veranschlagt. Nach der Separation ist der größte Theil des großen Angers, welcher vorher, besonders bei dürren Sommern, nur einen verhältnismäßig geringen Ertrag lieferte, zu Acker, der Rest zu Wiesen cultivirt. Da nun die bedeutenden Ackerbesitzer ihre Grundstücke größtentheils an die Magdeburg'schen Fabriken verpachten, und die Pacht jährlich vom besten Boden
15-20 Thaler
von mittlerem
12-15 Thaler
und von geringerem
8 - 1 0 Thaler
betragen soll, so läßt sich ermessen, daß jetzt der Reinertrag der Flur sich auf mehr als 100000 Thaler beläuft,"108 was immerhin eine Steigerung um das Zweieinviertelfache bedeutet. Von ebenso gewichtigem Einfluß auf die Klassenverhältnisse im Dorf wie die Beseitigung des kollektiven Weidegangs und die Zusammenlegung der Grundstücke war auch der Prozeß der Ablösung der feudalen Dienste und Abgaben. Im Hinblick auf die Durchführung von Gemeinheitsteilung und Separation, und betrachtet im Konnex mit der Rolle, die hierbei die Einführung des neuen Produktionszweiges der Rübenzuckerfabrikation spielte, war der Ablösungsvorgang allerdings schon mehr Ergebnis als Motiv und treibende Kraft. Von besonderer Wichtigkeit war dabei jener Umstand, daß die Ablösungsordnung von 1829 die Entschädigung in Form von Grund und Boden in Grenzen hielt und stattdessen mehr zur Kapitalabfindung bzw. zur Umwandlung der Lasten in Geld- oder Roggenrente tendierte. Die juristische Möglichkeit, zumindest die Dienste in Natural- oder Geldrente umzuwandeln, war in Preußen schon durch die erwähnte Verordnung vom 21. 10. 1769 gegeben: „Die allgemeinste Hinderniß eines freyen Ackerbaues wird zwar durch Aufhebung der vermengten Hütungen gehoben werden. Doch sollen vor die Theilungscommissionen auf Anhalten der Partheyen auch die Fälle gezogen werden, wo wirkliche Dienstbarkeitsrechte dem Landbau hinderlich fallen. Hat in solchen Fällen ein gütliches Einverständniß nicht statt, so haben die Commissarien ihr Augenmerk darauf zu richten, wie dafür eine Entschädigung von gleichem Werth nach den Umständen beyder Güter auszumitteln, ob damit zur Verbesserung des Landbaues wirklich etwas zu gewinnen seyn möchte, und ob die Dienstbarkeit dem einen Theil mehr Schaden, als dem andern Nutzen bringt."109 Für das Untersuchungsgebiet hatte Bielefeldt, wie oben schon dargetan, die „häufige" Umwandlung der Dienste in eine Geldrente bereits für die Zeit um 1785 festgestellt.110 Das „Allgemeine Landrecht" hat später 108 Einige Nachrichten, 1850: 35—36. 109 Beyträge, 1775: 3. — Aber auch schon vor dieser Zeit war es teilweise zur Umwandlung von Natural-Diensten in Dienstgeld gekommen. So ist belegt, daß z. B. in Welsleben „die Bauern" schon im Jahre 1700 diese Umwandlung durchsetzten. Vgl. hierzu Wunderling, 1935: 13. 110 Bielefeldt, 1910: 5; vgl. außerdem unter Anm. 17.
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(1794 und 1803) diese Möglichkeit sanktioniert (Zweiter Theil, Siebenter Titel, Sechster Abschnitt, §§. 421—426). Es waren natürlich — neben den Domänen und Rittergütern — in erster Linie die großen und mittleren Bauern (Voll- und Halbspänner), jene, die unter Exploitation fremder Arbeitskräfte über ihren eigenen Bedarf hinaus für den Markt produzierten, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machten und Gebrauch machen konnten. „Die Verwandlung der Naturairente in Geldrente", schreibt Marx, „wird ferner nicht nur notwendig begleitet, sondern selbst antizipiert durch Bildung einer Klasse besitzloser und für Geld sich verdingender Taglöhner. Während ihrer Entstehungsperiode . . . hat sich daher notwendig bei den besser gestellten rentepflichtigen Bauern die Gewohnheit entwickelt, auf eigne Rechnung ländliche Lohnarbeiter zu exploitieren . . . So entwickelt sich nach und nach bei ihnen die Möglichkeit, ein gewisses Vermögen anzusammeln und sich selbst in zukünftige Kapitalisten zu verwandeln." 111 Vor allem der Anbau der Zichorienwurzel, der sich — insbesondere während der Kontinentalsperre, aber auch später noch — als besonders lukrativ erwies, und der hier schon vor 1800 mit Erfolg eingeführt wurde, 112 hat viel zur Entstehung größerer Geldvermögen auch bei den großen Bauern beigetragen. Er half ihnen ohne weitreichende Schäden auch über die Agrarkrise in den zwanziger Jahren des 19. Jh. hinweg. Als die preußischen Ablösungsgesetze in Kraft traten — in den Jahren 1820, 1825 und 1829, befanden sich die verschiedenen bäuerlichen Grundbesitzer demnach schon in unterschiedlichen Ausgangspositionen: Die großen und teilweise auch die mittleren Bauern verfügten nicht nur über gewisse frei verwendbare Kapitalmengen, sondern hatten zu diesem Zeitpunkt auch ihre Dienste schon weitgehendst in eine Geldrente umgewandelt, die sie angesichts ihrer Vermögensverhältnisse als eine nicht mehr allzu drückende Last empfanden. Ihnen gegenüber standen die kleinen Bauern (Großund teilweise noch Kleinkossaten) und die grundstücks- und in der Regel auch grundbesitzenden Häusler. Sie dürften die Umwandlung der Spann- (Großkossaten) und Handdienste (Kleinkossaten, Häusler) in eine Geldrente, wenn überhaupt, nur in sehr geringem Maße vollzogen oder, wenn doch, sich dabei nicht selten verschuldet und damit nur in eine weitere, zusätzliche Abhängigkeit gebracht haben. Negativ besonders auf diese Schichten der ländlichen Agrarproduzenten wirkten sich auch die Abgabeverpflichtungen aus. Während beispielsweise die Abgabe des Zehnten — eine scheinbar die Lasten relativ gerecht verteilende, weil Proportionalabgabe — den kleinen Bauern mit den verbleibenden 90 % ihrer Ernteerträgnisse in der Regel gerade noch die einfache Reproduktion ermöglichte, dies oft aber auch nur bei vorhandener Berechtigung auf Weide- und Grasnutzungen, verblieb den großen und Teilen der mittleren Bauern nach Leistung dieser Abgabe immer noch genügend Ertrag über den eigenen Bedarf hinaus, was sich für sie vor allem in den Jahren nach Überwindung der Agrarkrise von 1820—1825, in denen die Preise wieder „rascher stiegen als die Löhne", 113 außerordentlich günstig auswirkte und den Differenzierungsprozeß innerhalb der bäuerlichen Klasse vorantrieb.
111 Marx, 1964 (1894): XXV, 807. 112 Bielefelds 1910: 22. - Siehe ferner Meyne, 1928: 4 5 9 - 5 8 8 . 113 Bielefeldt, 1910: 17; vgl. außerdem Mottek, 1964: 1 2 2 - 1 2 4 .
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Hinzu kommt, daß die Möglichkeit der Ablösung zeitlich parallel lief mit der Möglichkeit der ebenfalls kostenaufwendigen Gemeinheitsteilung und Separation. Besonders für die kleinen Bauern und landarmen Häusler bedeutete dies eine doppelte Belastung. Wie sie auch verfahren mochten, in allen Fällen war eine Verschuldung nahezu unvermeidlich. Mißernten, Dezimierung des Viehstandes durch Krankheit, Ausbezahlung der scheidenden Geschwister u. ä. erhöhten nicht selten die Schuldenlast oder lösten sie aus bzw. lösten sie gerade dann aus. Über den Stand der Ablösungen bis 1840 liegen Mitteilungen über die zum Untersuchungsgebiet gehörenden Ortschaften der Kreise Wolmirstedt und Neuhaldensleben vor. 114 Daraus ist ersichtlich, daß im Wolmirstedter Kreis in 7 von allen 26 Gemeinden — das sind 27 % — im Neuhaldenslebener Kreis in 9 von 25 Gemeinden — das sind 36% — bis zu diesem Zeitpunkt die Dienste und Angaben zwar — bis auf zwei Ausnahmen — nicht vollständig, aber — im doppelten Sinne — doch in der Mehrzahl „größtenteils" abgelöst waren. Im zwiefachen Sinne deshalb, weil erstens in diesem Gebiet „das gutsherrlich-bäuerliche Verhältnis in der Regel nicht mit ganzen Ortschaften oder Feldfluren" abschloß, „sondern die einzelnen bäuerlichen Höfe derselben Gemeinde. . . meist je einem anderen Gutsherrn pflichtig" waren, 115 und weil zweitens der einzelne bäuerliche Grundbesitzer oder der mit Bodenanteilen ausgestattete Landarbeiter (Häusler) entweder die Dienste oder die Abgaben oder Teile davon, also schrittweise, abgelöst hatte bzw. noch im Prozeß der Ablösung stand. Aus der Tatsache* daß von den betreffenden 16 Gemeinden 12 bis dahin auch die Separation abgeschlossen hatten — das sind 75 % —, dürfte die Schlußfolgerung zu ziehen sein, daß die bevorzugte Variante bei der Durchführung der Agrarreform im Untersuchungsgebiet die war, daß zunächst die Gemeinheiten geteilt, die Feldmark separiert, hernach größere Teile der Änger, aber auch viele der bislang unentbehrlich gewesenen Grenzraine, Scheidefurchen, Wege, Fußsteige und Übergänge, wie dies auch andernorts der Fall war, zu Ackerflächen umgebrochen, dadurch und durch die nun erhaltene Möglichkeit zu besserer Wirtschaftsführung überhaupt eine Ertragszunahme erreicht und damit ein gewisser, wenn — zumal im Hinblick auf die kleinen Bauern, sofern diese durch die Teilung der Gemeinheiten eine Landentschädigung überhaupt erhielten — auch bescheidener Überschuß erzielt wurde, der dann das Ablösungsgeschäft, zudem es schrittweise vorangebracht wurde, erleichtert hat. Wie bedeutend in der Tat der Zuwachs an Ackerfläche und das Umbrechen von Angerarealen war, zeigen die Verhältnisse im „Börde"-Kernkreis Wanzleben: 116 Tabelle 10 Jahr
Ackerfläche
Prozent
1841 1861
160417 Morg. 179974 Morg.
75,3 84,5
Angerfläche 11971 Morg. 3030 Morg.
Prozent 5,6 1,4
114 Hermes/Weigelt, 1842 (die im Untersuchungsgebiet liegenden Ortschaften der Kreise Wolmirstedt und Neuhaidensieben). 115 Bielefeldt, 1910: 6. — Allerdings wäre es richtiger, hierbei nicht von gutsherrlich-bäuerlichem, sondern von grundherrlich-bäuerlichem Verhältnis zu sprechen (im Unterschied etwa von Ostelbien). 116 Angaben für 1841: Hermes/Weigelt, 1842 (sämtliche Feldmarken des Kreises Wanzleben; vgl. hierzu auch unter Anm. 76); Angaben für 1861: Meitzen, 1869: 74—78, sowie nach Statistik . . . Wanzleben, 1867: 38. — Als Gesamtfläche des Kreises wurde zugrunde gelegt — auch für 1841 (vgl. dazu jedoch unter Anm. 43) — : 213013,45 Morgen (Statistik . . . Wanzleben, 1867: 3).
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Dem durch die Gemeinheitsteilung und Separation möglicherweise gewonnenen Ertragszuwachs stand — insbesondere bei den kleinen Grundbesitzern — allerdings entweder eine Verminderung des Großviehbestandes gegenüber, was letzlich aber wiederum eine Ertragsreduzierung bedeutete, oder, im Falle der Beibehaltung des Bestandes, eine Erweiterung des Futteranbaus durch den jetzt zwangsläufig werdenden Übergang zur Stallfütterung, was andererseits jedoch wieder eine Schmälerung des Körner- oder Hackfruchtertrages usw. zur Folge hatte. Mit der Verminderung des Großviehbestandes war außerdem auch ein gewisser Verlust an tierischen Fäkalien verbunden, der nur durch den Ankauf, später vor allem von künstlichem Dünger, also durch eine Erhöhung der Kosten, ausgeglichen werden konnte. Ohne Zweifel hat der seit etwa 1836 in großem Umfange in das Untersuchungsgebiet Eingang gefundene neue Produktionszweig der Rübenzuckerfabrikation auch auf den Fortgang des Ablösungsgeschäftes eine beschleunigende Wirkung ausgeübt. Die hierbei durch Ackerverpachtungen und Rübenverkäufe erzielten Extragewinne haben aber nicht nur den zeitlichen Verlauf dieses Prozesses beeinflußt, sondern weitgehendst auch die Art des Äquivalentes bestimmt. Die Entschädigungen erfolgten nämlich in der Regel vorrangig in Kapital und als Geldrente und erst an dritter und vierter Stelle in Form von Roggenrente und — obwohl die Ablösungsordnung von 1829 dem Verpflichteten die Abtretung bis zu einem Drittel seines Grundbesitzes gestattete — in Land. In den vier zum Untersuchungsgebiet gehörenden Hauptkreisen Calbe, Neuhaidensleben, Wanzleben und Wolmirstedt wurden bis Ende 1848 an Diensten und Abgaben abgelöst: 117 Tabelle 11 Kreise
in Kapital (Taler)
in Geldrente (Taler)
in Roggenrente (Scheffel)
in Land (Mrg.)
Calbe Neuhalderisleben Wanzleben Wolmirstedt in summa
65346 537263 176839 215818 995266
1736 4333 5347 2824 14240
96 263 243 1249 1851
6 1129 601 112 1848
Noch überzeugender wirkt die direkte Gegenüberstellung: rund einer Million Taler Kapitalentschädigung stehen lediglich 462 ha Landabfindung gegenüber! Die Landentschädigung im „Börde"-Kernkreis Wanzleben beträgt, bezogen auf seine landwirtschaftliche Gesamtfläche ( = 201003,23 Mrg.), gerade 0,3 %.»8 Über den zeitlichen Ablauf des Ablösungsgeschäftes gibt die folgende Gegenüberstellung, die sich allerdings auf den gesamten Regierungsbezirk Magdeburg bezieht, Auskunft: 119
117 Angaben nach Meitzen, 1869: 294—295. 118 Zur Berechnung der landwirtschaftlichen Nutzfläche des Gesamtkreises Wanzleben: vgl. unter Anm. 43. 119 Angaben für den Zeitraum bis Ende 1848 nach Meitzen, 1869: 294—295; für den Zeitraum 1849—1860 nach Meitzen, 1901: (462)—(463). Die Umrechnung von Taler in Mark (für 1848) erfolgte auf der Basis: 1 Taler = 3,00 Mark.
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Tabelle 12 Entschädigungen Zeitraum
in Kapital (Mark)
in Geldrente (Mark)
in Roggenrente (Neuscheffel)
in Land (ha)
bis Ende 1848 1849-1860
11740173 7252884
223275 491067
14371 8842
1759 233
Das gleiche Ergebnis spiegelt sich auch im Verhältnis der Anzahl det jeweils in den genannten Zeiträumen abgelösten Spann- und Handdiensttage wider (Regierungsbezirk Magdeburg): 120 Tabelle 13 Zeitraum
abgelöste Spanndiensttage
abgelöste Handdiensttage
bis Ende 1848 1849-1860
48648 5736
108040 22390
Die Mehrzahl der Ablösungen sind demnach im Zeitraum bis Ende 1848 erfolgt. Daß dies im besonderen Maße gerade auch für das Untersuchungsgebiet zutrifft, bestätigt eine Mitteilung Lengerkes von Mitte 1843. Nach seiner Formulierung zu urteilen — und man beachte dabei die sicherlich nicht zufällig gewählte Reihenfolge der Begriffe „Separation" und „Ablösung" —, dürfte das Ablösungsgeschäft hier gegenüber anderen Teilen des Regierungsbezirks sogar noch wesentlich weiter fortgeschritten gewesen sein: „Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, daß der bezeichnete ganze Landstrich" — und er bezieht sich dabei ganz speziell und ausschließlich nur auf die „Magdeburger Börde" — „. . . ein sehr fruchtbarer, von den größeren Wirthen fast überall musterhaft, aber auch ein von den, allmählich von den Kosten und Störungen der Separation und Ablösungen sich erholenden (sie!) bäuerlichen Wirthen ganz guter cultivirter District ist . . .", 121 Zu dieser „Erholung", womit in erster Linie das Bemühen insbesondere der kleinen Bauern und der mit Bodenanteilen ausgestatteten Landarbeiter (Häusler) gemeint sein dürfte, die durch Gemeinheitsteilung, Separation und Ablösung verursachten Schulden zu tilgen, haben im Untersuchungsgebiet vor allem die aus der Beteiligung an der Rübenzuckerfabrikation erzielten Extragewinne beigetragen. Wie Kleinbauern ihre wirtschaftliche Lage durch eine solche Teilhabe tatsächlich zu ihren Gunsten zu verändern vermochten, schildert die Autobiographie eines Kossäten aus der „Börde"-Gemeinde Löderburg vom Jahre 1850. Es sei hinzugefügt, daß die Separation in dieser Gemeinde bereits mindestens zehn Jahre zuvor (1840) zum Abschluß gekommen war: 122 „Mathias Klinke in Löder120 Angaben für den Zeitraum bis Ende 1848 nach Meitzen, 1869: 294—295; für den Zeitraum 1849—1860 nach Meitzen, 1901: (462)—(463). 121 Lengerke, 1846: 156. 122 Zitat nach: Einige Nachrichten, 1850 : 69—70; Angabe über den Abschluß der Separation nach Hermes/Weigelt, 1842: 61.
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bürg, Besitzer eines sogenannten Kossäthenguts, bewirthschaftet seit einer langen Reihe von Jahren 16 Morgen Gerstenboden von ziemlich gleicher Beschaffenheit und 3 Morgen Wiesenland. Vor Einführung des Rübenbaus wurde das ( cid abgetheilt in drei Felder: Roggen, Gerste, Hafer und Kartoffeln — etwas Flachski u wurde nebenbei betrieben. Die Düngungen fanden jedesmal beim Roggen statt: 2 bis 3 Stück Rindvieh lieferten das Material, das in 5 zweispännigen Fuhren aufgebracht wurde. Geerntet wurde an Roggen 8 Stieg, von Gerste 9 Stieg oder 3 Schock, vom Hafer 7 Stieg. Das Schock Gerste lieferte 5 Scheffel, Roggen 3 Scheffel, Hafer 6 Scheffel vom Schock. Die Wirthschaft erhielt sich dazumal dürftig, denn es ging Ausgabe und Einnahme regelmäßig Null von Null auf. Unglücksfalle am Viehstand und Mißerndten führten ein Deficit herbei, das nur durch Schuldenmachen gedeckt werden konnte. Der Rübenbau hat diese Sachlage zu Gunsten des Besitzers umgestaltet. Es werden nun gebaut: 4 Morgen 3 Morgen 1 Morgen 4 Morgen 2 Morgen 2 Morgen
Roggen gedüngt, Rüben, Gerste, Gerste mit schwacher Düngung, Hafer, Kartoffeln
16 Morgen.
Der Viehstand ist derselbe, wie früher. Die Düngkraft der Wirthschaft wird auf Roggen und Gerste verwendet. Die Erndte wirft jetzt durchschnittlich an Roggen 10 Stieg, an Gerste 11 Stieg, vom Hafer 8 Stieg ab. Der Ausdrusch giebt 6 Scheffel pro Schock von der Gerste, 4 Scheffel vom Roggen, hin und wieder auch 5 Scheffel, vom Hafer 7 Scheffel. Es bringt mit einem Worte die Wirthschaft heute bei ganz gleicher Ausdehnung 70 bis 80 Thlr. Ueberschuß und kommt natürlich mehr und mehr vorwärts. Und doch wird der Rübenbau dort erst seit 8 Jahren betrieben; im ersten Jahre seiner Einführung waren allerdings noch keine Ueberschüsse vorhanden; diese stellten sich jedoch schon beim dritten Jahre ein und konnten seit 4 Jahren zur Tilgung der auf dem Gütchen lastenden Schulden verwendet werden, so daß dies heute schuldenfrei ist." „Die Verschuldung war ein außerordentlich entscheidender Faktor der Differenzierung der Bauernschaft", sagt Solta zu Recht. 123 Zwischen 1830 und 1850, also im bisher untersuchten Zeitraum, dürfte die Wirkung, die von daher auf die Struktur der bäuerlichen Klasse des Untersuchungsgebietes ausging, allerdings nur gering zu veranschlagen sein. Subhastationen von Bauerngütern, um die extremste Folge, die aus Verschuldungen erwachsen konnten, zu nennen, kamen in den Jahren 1852 und 1853 weder im Kreis Wanzleben noch im Kreis Calbe oder im Kreis Neuhaidensieben vor. Lediglich im Kreis Wolmirstedt, der allerdings zu knapp zwei Dritteln nicht zum Untersuchungsgebiet gehört, wurden in jenen beiden Jahren insgesamt vier derartige Zwangsversteigerungen registriert.124 Erst nach 1850, besonders im Zusammenhang mit der Steigerung der Reingewinne und der Bodenpreise infolge der weiteren 123 Solta, 1968: 178-179. 124 Jahrbuch . . . Statistik, 1863: 192.
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Ausdehnung der Zuckerfabriken und des vermehrten Rübenbaus, nahmen — wie noch darzutun sein wird — die Verschuldungen allgemein zu. Die Ablösungen wirkten stattdessen auf die bäuerliche Klasse in der Weise differenzierend, daß die Vermögensunterschiede zunahmen (einfache, bloße Differenzierung), daß die großen und Teile der mittleren Bauern ihre aus dem „Geschäft mit den Rüben" erzielten Extragewinne mit ihren schon vorhandenen überschüssigen Geldfonds verbinden, die Ablösungsummen rascher und schmerzloser entrichten und darüber hinaus teilweise weitere Vermögen ansammeln konnten, während die kleinen Bauern mit ihren vergleichsweise viel geringeren Extragewinnen nach und nach gerade ihre durch Gemeinheitsteilung, Separation und Ablösung verursachte Schuldenlast — ganz oder auch nur zum Teil — abzutragen vermochten. Von sehr erheblicher Bedeutung war dieses Reicherwerden der Reicheren dann, als man zu der mit höheren Produktionskosten verbundenen intensiven Wirtschaftsweise überging. Eine Differenzierung der bäuerlichen Klasse infolge häufiger und größerer Landabfindungen hat ebenfalls nicht stattgefunden. Die Landentschädigung bildete die Ausnahme und konnte auch von den kleinen Bauern vermieden werden. Nicht ganz unwesentlich dagegen sind die Veränderungen innerhalb der bäuerlichen Klasse, die durch Dismembrationen eingetreten sind, die zwar nicht übermäßig häufig, aber auch nicht gerade sehr selten vorkamen und meist erbteilungshalber, insbesondere durch die Notwendigkeit, die Geschwister des Hoferben ausbezahlen zu müssen, oder in spekulativer Absicht vorgenommen wurden. Im Kreis Wanzleben z. B. stellen sich die hierdurch verursachten Veränderungen folgendermaßen dar: 1 2 5 Zwischen 1816 und 1859 wurden insgesamt 103 spannfahige bäuerliche Wirtschaften mit zusammen 13056 Morgen Land dismembriert. Von diesem Areal erwarben: kleine, nicht spannfähige Nahrungen spannfähige bäuerliche Nahrungen Rittergüter, Klostergüter und klösterl. Stiftungen Domänen
= =
5496 Mrg. = 5337 Mrg. =
42,10% 40,88%
= 2223 Mrg. = = — Mrg. =
17,02% 00,00%
13056 Mrg. = 100,00%
Im selben Zeitraum entstanden auf diese Weise 78 spannfahige bäuerliche Wirtschaften neu, und zwar 6 durch Abtrennung von spannfahigen Nahrungen, 7 durch Zusammenkauf, zum Teil aus dismembrierten Höfen, zum Teil aber auch von nicht spannfahigen Wirtschaften, und 65 durch Vergrößerung bisher nicht spannfahig gewesener Besitzungen. Hinzu kommen 6 spannfahige bäuerliche Wirtschaften, die infolge der Separation durch Zuteilung größerer Flächen aus nicht spannfahigen Besitzungen gebildet wurden. Im Jahre 1816 existierten in diesem Kreis 588 spannfahige Wirtschaften mit einer Gesamtfläche von 88286 Morgen; 43 Jahre später bestanden immerhin 19 weniger, also 569, während sich ihr Gesamtareal allerdings um 487 Morgen, das sind 0,55 %, auf 88773 Morgen erweitert hatte. Bemerkenswert dabei ist der beträchtliche anteilige Zuwachs bei ehedem nicht spannfähig gewesenen Wirtschaften (Kleinkossaten und Häusler) und der relativ geringe Erwerbungsanteil des Großgrundbesitzes (Rittergüter, Klostergüter, Domänen und klösterliche Stiftungen). 125 Nach Statistik . . . Wanzleben, 1867: 41—42; die Prozentangaben nach Berechnungen des Verfassers.
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Rechnet man die nur im Zusammenhang mit der Separation spannfahig gewordenen 6 bäuerlichen Wirtschaften ab, so erhöht sich die Zahl der Verminderung von 19 auf 25, das heißt von 3,23% auf 4,25%. Die gleiche Tendenz, allerdings noch verstärkt, zeigt sich auch in den übrigen, am Untersuchungsgebiet maßgeblich teilhabenden Kreisen Calbe, Neuhaidensieben und Wolmirstedt. Insgesamt bietet sich folgendes Bild: 126 Tabelle 14 Kreise _
Calbe Neuhaidensleben Wanzleben Wolmirstedt
Anzahl der spannfähigen bäuerlichen Wirtschaften 1816
1859
499 1171 588 1114
454 1037 563 1053
Zahlenmäßige Differenz
Differenz in Prozent
45 134 25 61
9,02 11,44 4,25 5,48
Eine nicht unwichtige Ursache für diese tendenzielle Reduktion der selbständigen bäuerlichen Wirtschaften besteht — auch zu diesem Zeitpunkt schon — außerdem darin, daß Besitzer von Zuckerfabriken sich bestrebt zeigen, selbst Grund und Boden zu erwerben, um von Zulieferungen anderer Grundbesitzer möglichst wenig abhängig zu sein. Das trifft vor allem auf solche Unternehmen zu, die sich ausschließlich oder doch zum größten Teil auf Rübenkauf oder Jahrespachtungen gründeten, wie etwa die überwiegende Zahl der mit städtischem Kaufmannskapital in der Nähe Magdeburgs errichteten Fabriken. Schon um 1850 fand man es „natürlich", daß die Inhaber solcher Unternehmen „nahe gelegenes Grundeigenthum zu erwerben trachten, so weit dies erforderlich, um ihre Etablissements mit dem nothwendigen Rohmaterial zu versehen", und daß sich „mit einiger Gewißheit voraus sagen" ließe, „daß, wo dies nicht bereits der Fall ist, der Rübenzuckerfabrik-Besitzer früh oder spät den eigentlichen Bauer aus seiner Nähe zu verdrängen und an dessen Stelle zu treten suchen werde." 127 Als entscheidender Faktor der Differenzierung der Bauernschaft erweist sich im Untersuchungsgebiet jedoch die Teilung der Gemeinheiten, wobei die Folgen dieser Maßnahmen nach zwei Richtungen wirken. Erstens bedeutet die damit verbundene Beseitigung des kollektiven Weidegangs für jene kleinen Grundbesitzer, die dafür keine oder nur eine sehr geringe Landentschädigung erhielten, in vielen Fällen einen Verzicht auf die bisher mitausgeübte Großviehhaltung und zweitens für die mit Grund und Boden abgefundenen größeren und großen Bauern einen Zuwachs an frei verfügbaren Grundbesitz, der in der Regel über kurz oder lang zu Acker umgebrochen wird. Der oben für den Kreis Wanzleben belegte Rückgang der Weide bietet ein sinnfälliges Beispiel dafür. So läßt sich überdies auch erklären, daß im Regierungsbezirk Magdeburg zwischen 1837 und 1851 trotz Arealabtretung von rund 34000 Morgen an nicht spannfahige Besitzer und von etwa 18000 Morgen an Rittergüter, 126 Die Angaben für. den Kreis Wanzleben nach Statistik . . . Wanzleben, 1867 : 41—42; für die übrigen Kreise nach Meitzen, 1869: 318—319. 127 Einige Nachrichten, 1850:73—74.
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sämtlich infolge stattgehabter Dismembrationen, sich nicht nur die Anzahl der spannfähigen bäuerlichen Wirtschaften zunächst erhöht hat (von 19107 im Jahre 1837 auf 19244 im Jahre 1851), sondern daß darüber hinaus im selben Zeitraum auch das durchschnittliche Besitzareal einer solchen Wirtschaft von 111 auf 115 Morgen gestiegen ist.128 Diesen offenkundigen Vorzügen, die aus den Teilungen der Gemeinheiten jenen Grundbesitzern erwuchsen, die dafür ausreichend mit Land abgegolten wurden, standen jedoch die ebenso offenkundigen Nachteile derer gegenüber — und darin drückt sich die dialektische Wirkung dieser Maßnahme aus —, die auf Grund ihrer Rechtsstellung oder, wenigstens in den Fällen, wo die Rechtslage nicht völlig klar und eindeutig war, infolge der ökonomischen Konkurrenz ihrer Dorfgenossen keine oder nur eine ganz unzureichende Arealabfindung erhielten. Deren Viehhaltung „war damit in dem bisherigen Umfange sehr in Frage gestellt und hing für die Zukunft davon ab, wieweit ein Recht der Kossäten usw. auf diese Weide- und andere Nutzungen anerkannt und in welcher Weise für den Verlust derselben eine Landentschädigung aus dem Gemeindebesitz gewährt wurde. In den meisten Fällen erhielten nun jedoch bei der Separation die Kleinbesitzer eine Berechtigung auf die bisher ausgeübten Weide-, Holz- und Grasnutzungen nicht zugestanden. Wo aber die Kossäten mit ihren Ansprüchen durchdrangen, fiel die Landentschädigung in der Regel so dürftig aus, daß die wirtschaftliche Selbständigkeit der Kleinwirte vernichtet wurde . . . So wurden im früheren Geltungsbereich des französischen Rechtes (der Altmark, Halberstadt, dem Herzogtum Magdeburg westlich der Elbe usw.)," — wozu auch das Untersuchungsgebiet zählt — „das den Erwerb eines Nutzungsrechtes durch Gewohnheit nicht kannte, alle Kleinbesitzer mit ihren Ansprüchen abgewiesen, wenn sie ihr Nutzungsrecht nicht als ausdrücklich erworben nachweisen konnten." 129 Direkte und vergleichbare Zahlen über das gesamte Ausmaß dieser Benachteiligung liegen nicht vor, wohl aber indirekte Belege. So bestand, wie mehrfach erwähnt, eine wesentliche Folge der Beseitigung des gemeinsamen Weidegangs für die nicht oder nur ungenügend mit Land entschädigten Kleinbesitzer — Klein-Kossaten vor allem — darin, daß sie zur Aufgabe ihrer bisher möglich gewesenen Groß-, speziell Rindviehhaltung gezwungen wurden und daraufhin gewöhnlich zur Haltung von Kleinvieh übergingen: in erster Linie von Ziegen, aber auch von Schweinen.130 So heißt es um 1840 aus dem Kreis Calbe: „Ziegen werden seit einigen Jahren in Folge der stattgehabten Separation von der geringeren Einwohnerklasse gehalten",131 und aus dem Kreis Wanzleben: Die geringe Vermehrung des Rindviehbestandes „ist hauptsächlich in der durch die Separation herbeigeführten Beschränkung der Weide zu suchen; weshalb die kleinere Klasse der Landleute häufig das Rindvieh hat abschaffen müssen, und sich nun mit Ziegen behilft, die leichter im Winter zu erhalten sind."132 128 Jahrbuch . . . Statistik, 1863: 160. 129 Bielefelds 1910: 13. 130 Im Jahre 1850 wird z. B. über das Ausmaß der Schweinehaltung im Magdeburgischen gesagt: „Einzelne Wirtschaften haben schon bis über 100 Zuchtsauen gehalten. Dann giebt besonders der Verkauf der Ferkel und Läufer an die kleinen Leute (sie!) sehr hohe Einnahmen." Zitat nach: Einige Nachrichten, 1850: 21—22. 131 Hermes/Weigelt, 1842: 39. 132 Hermes/Weigelt, 1842: 68.
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In den beiden genannten Kreisen, deren Anteile am Untersuchungsgebiet zusammen rund 60% ausmachen, hat sich die Klein Viehhaltung zwischen 1816 und 1864 wie folgt entwickelt: 133 Tabelle 15 Kreis Calbe
Kreis Wanzleben
Ziegen Schweine
1816
1840
1864
Zunahme 1816-1864 um das
1816
1840
1864
Zunahme 1816-1864 um das
319 4410
1248 5150
6346 15065
20fache 3,4fache
292 3901
1193 5484
4366 11406
15fache 3fache
Diese Zahlen lassen darauf schließen, daß ein Absinken ehemals spannfahiger bäuerlicher Höfe zu nicht spannfahigen Wirtschaften hier in der Tat keine Ausnahme, keine Seltenheit war. Im gesamten Regierungsbezirk Magdeburg traten in dem Verhältnis der spannfahigen zu den nicht spannfahigen Besitzungen zwischen 1837 und 1859 folgende Verschiebungen ein: 134 Tabelle 16 Jahr
Anzahl der spannfähigen Wirtschaften
Anzahl der nicht spannfähigen Wirtschaften
1837 1851 1859
19107 19244 14016
20530 25411 31198
Natürlich war diese beträchtliche stetige Zunahme des Kleinbesitzes (ehemaliger Klein-Kossaten und Häusler) nicht allein und in diesem Umfang auch nicht in erster Linie nur durch den sozialen Abstieg spannfahiger Höfe begründet, obwohl deren zahlenmäßiger Rückgang, insbesondere nach 1850, ebenfalls ziemlich bedeutend war (1859 gegenüber 1851 um rund 27%). Der entscheidende Faktor für diese Entwicklung lag vor allem in der nach 1815 einsetzenden starken Bevölkerungszunahme. Zwar gab es auch Perioden, in denen diese Zunahme geringer war, so zwischen 1821 und 1834 (zweimaliges Auftreten der Cholera, Agrarkrise), doch insgesamt und besonders nach 1834 war sie ganz erheblich. So stieg die Bevölkerung zwischen 1816 und 1840 im Regierungsbezirk Magdeburg um 34,62%, das heißt um „fast 3 Mal so stark, als in den unmittelbar vorhergehenden 30 Jahren von 1786—1816",135 im 133 Die Angaben für beide Kreise für das Jahr 1864 nach Meitzen, 1869: 238—239. — Die Angaben für den Kreis Wanzleben für 1816 und 1840 nach Statistik . . . Wanzleben, 1867:46, sowie nach Hermes/Weigelt, 1842: 68. — Die Angabe für den Kreis Calbe für 1816 und 1840 nach Hermes/Weigelt, 1842: 39. Hierbei ist zu bemerken, daß sich die Ausgangswerte nicht auf das Jahr 1816, sondern auf das Jahr 1817 beziehen. — Für sämtliche Zahlenangaben gilt: Ziegen einschließlich Ziegenböcke, Schweine einschließlich Ferkel. 134 Die Werte für 1837 und 1851 nach Jahrbuch . . . Statistik, 1863: 160—161; die Angaben für 1859 nach Meitzen, 1869: 318-319. 135 Hermes/Weigelt, 1843:60.
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Kreis Neuhalendsleben im selben Zeitraum um 23 %, im Kreis Wolmirstedt um 33 %, im Kreis Wanzleben um 36% und im Kreis Calbe sogar um 42%. 136 Im Untersuchungsgebiet ohne den Städten, nur in den Dörfern, Flecken und Vorwerken, betrug der Bevölkerungszuwachs zwischen 1818 und 1840 = 34,28%. 137 An dieser Steigerung hatten natürlich auch die spannfähigen bäuerlichen Wirtschaften einen gewissen Anteil. Dies aber hatte in der Regel zur Folge, daß neben dem Hoferben jetzt mehr denn je Geschwister vorhanden waren, die entweder am Grundbesitz zu beteiligen waren oder, was bei den herrschenden erbrechtlichen Verhältnissen üblicher war, die es auszuzahlen galt. Dies erklärt dann auch zum großen Teil die insgesamt nicht gerade selten stattgefundenen Dismembrationen. Daß solche im Kernkreis der „Börde", im Kreis Wanzleben, von allen am Untersuchungsgebiet teilhabenden Kreisen noch am wenigsten vorkamen (vgl. Tabelle 14), dürfte vor allem mit den gerade hier, im allgemein fruchtbarsten Teil der „Börde", durch die ständig erzielbaren hohen Erträge im Getreide- und Zichorienanbau und durch die hier besonders ausgedehnte Kultur der Zuckerrübe im besonderen Maße relativ reichlich vorhandenen Geldvermögen zusammenhängen (1857 existierten von den 52 im gesamten Untersuchungsgebiet vorhandenen Zuckerfabriken 31, das sind 60%, im Kreis Wanzleben einschließlich der beiden Magdeburger Vorstädte Sudenburg und Neustadt). 138 Im Regierungsbezirk Magdeburg betrug der zwischen 1837 und 1851 durch Abzweigungen und Zerschlagungen von spannfähigen bäuerlichen Wirtschaften verursachte Arealabgang über 52000 Morgen, wovon fast zwei Drittel (34000 Morgen) an nicht spannfahige Besitzungen kamen, während sich umgekehrt der Zuwachs aus nicht spannfähigen Wirtschaften an spannfähige im selben Zeitraum lediglich auf 1131 Morgen belief; das aus Zerschlagungen nicht spannfahiger Besitzungen freigewordene Areal betrug demgegenüber 1717 Morgen. 139
Die Herausbildung agrarkapitalistischer Verhältnisse im Untersuchungsgebiet: eine Variante des „Preußischen Weges" in der Entwicklung der Landwirtschaft Im Ergebnis der Agrarreformen hatte sich im Untersuchungsgebiet, das heißt in den vier daran teilhabenden Hauptkreisen, folgende Verteilung des Grundbesitzes herausgebildet (1858) ;140 136 Hermes/Weigelt, 1843: 62. 137 Bevölkerungszahlen für das Jahr 1818 nach Seydlitz, 1820; für das Jahr 1840 nach Hermes/Weigelt, 1842. 138 Anzahl der Zuckerfabriken im Jahre 1857 nach „Verzeichniß sämmtlicher Zucker-Fabriken, welche dem Vereine für Rübenzucker-Industrie in den Zollvereinslanden angehören" und „Verzeichnis derjenigen Zucker-Fabriken im Zollverein, welche dem Vereine für Rübenzucker-Industrie nicht angehören". In: ZVRI, 1857: VII, 442-445, 449-450. 139 Jahrbuch . . . Statistik, 1863: 160-161. 140 Angaben nach Meitzen, 1869: 490—491. 5
Piaiii, L a n d a r b e i t e r l e b e n
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Kreis Neuhalendsleben im selben Zeitraum um 23 %, im Kreis Wolmirstedt um 33 %, im Kreis Wanzleben um 36% und im Kreis Calbe sogar um 42%. 136 Im Untersuchungsgebiet ohne den Städten, nur in den Dörfern, Flecken und Vorwerken, betrug der Bevölkerungszuwachs zwischen 1818 und 1840 = 34,28%. 137 An dieser Steigerung hatten natürlich auch die spannfähigen bäuerlichen Wirtschaften einen gewissen Anteil. Dies aber hatte in der Regel zur Folge, daß neben dem Hoferben jetzt mehr denn je Geschwister vorhanden waren, die entweder am Grundbesitz zu beteiligen waren oder, was bei den herrschenden erbrechtlichen Verhältnissen üblicher war, die es auszuzahlen galt. Dies erklärt dann auch zum großen Teil die insgesamt nicht gerade selten stattgefundenen Dismembrationen. Daß solche im Kernkreis der „Börde", im Kreis Wanzleben, von allen am Untersuchungsgebiet teilhabenden Kreisen noch am wenigsten vorkamen (vgl. Tabelle 14), dürfte vor allem mit den gerade hier, im allgemein fruchtbarsten Teil der „Börde", durch die ständig erzielbaren hohen Erträge im Getreide- und Zichorienanbau und durch die hier besonders ausgedehnte Kultur der Zuckerrübe im besonderen Maße relativ reichlich vorhandenen Geldvermögen zusammenhängen (1857 existierten von den 52 im gesamten Untersuchungsgebiet vorhandenen Zuckerfabriken 31, das sind 60%, im Kreis Wanzleben einschließlich der beiden Magdeburger Vorstädte Sudenburg und Neustadt). 138 Im Regierungsbezirk Magdeburg betrug der zwischen 1837 und 1851 durch Abzweigungen und Zerschlagungen von spannfähigen bäuerlichen Wirtschaften verursachte Arealabgang über 52000 Morgen, wovon fast zwei Drittel (34000 Morgen) an nicht spannfahige Besitzungen kamen, während sich umgekehrt der Zuwachs aus nicht spannfähigen Wirtschaften an spannfähige im selben Zeitraum lediglich auf 1131 Morgen belief; das aus Zerschlagungen nicht spannfahiger Besitzungen freigewordene Areal betrug demgegenüber 1717 Morgen. 139
Die Herausbildung agrarkapitalistischer Verhältnisse im Untersuchungsgebiet: eine Variante des „Preußischen Weges" in der Entwicklung der Landwirtschaft Im Ergebnis der Agrarreformen hatte sich im Untersuchungsgebiet, das heißt in den vier daran teilhabenden Hauptkreisen, folgende Verteilung des Grundbesitzes herausgebildet (1858) ;140 136 Hermes/Weigelt, 1843: 62. 137 Bevölkerungszahlen für das Jahr 1818 nach Seydlitz, 1820; für das Jahr 1840 nach Hermes/Weigelt, 1842. 138 Anzahl der Zuckerfabriken im Jahre 1857 nach „Verzeichniß sämmtlicher Zucker-Fabriken, welche dem Vereine für Rübenzucker-Industrie in den Zollvereinslanden angehören" und „Verzeichnis derjenigen Zucker-Fabriken im Zollverein, welche dem Vereine für Rübenzucker-Industrie nicht angehören". In: ZVRI, 1857: VII, 442-445, 449-450. 139 Jahrbuch . . . Statistik, 1863: 160-161. 140 Angaben nach Meitzen, 1869: 490—491. 5
Piaiii, L a n d a r b e i t e r l e b e n
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Tabelle 17 Anzahl der
Kreise
Calbe Neuhaidensleben Wanzleben Wolmirstedt
halbproletarischen Wirtschafter und Kleinbauern unter 5 - 3 0 Mrg. 5 Mrg.
Mittel- und Großbauern
Großgrundbesitzer
30-300 Mrg.
300-600 Mrg.
über 600 Mrg.
3016
1442
675
28
26
1823 2107 1908
1077 1465 1115
969 847 1103
24 61 34
35 27 22
Bei Zugrundelegung der nach Meitzen 141 für den Regierungsbezirk Magdeburg im Jahre 1859 festgestellten durchschnittlichen Besitzgrößen von 8 Morgen für die Besitzungen von 0—30 Morgen und von 139 Morgen für die bäuerlichen Wirtschaften zwischen 30 und 600 Morgen sowie bei einer durchschnittlichen Arealgröße des Großgrundbesitzes von 1978 Morgen, 142 ergibt sich für die genannten vier Kreise eine prozentuale Grundbesitzverteilung wie folgt, wobei zum Vergleich die Grundbesitzverhältnisse in der gesamten Provinz Sachsen danebengestellt sein sollen: 143 Tabelle 18 Umfang der Einzelbesitzungen
0 - 3 0 Morgen 3 0 - 6 0 0 Morgen über 600 Morgen
in den vier Kreisen in der Provinz Sachsen Calbe, Neuhaidensieben, Wanzleben u. Wolmirstedt Anzahl der Besitzungen
Anteil am Gesamtareal
Anzahl der Besitzungen
Anteil am Gesamtareal
78,37% 21,01% 0,62%
13,14% 61,23% 25,63%
79,83% 19,60% 0,57%
14,32% 55,45% 30,23%
Auch für das Untersuchungsgebiet trifft also zu, was für die Provinz Sachsen kurz nach der Durchführung der Agrarreformen insgesamt gilt: Den weitaus größten Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche hatten die Groß- und Mittelbauern inne, dann folgt der Großgrundbesitz, „und nur ein geringer Teil blieb für den Kleinbesitz übrig", 144 für die Kleinbauern und die Parzellenbesitzer. Durch die Agrarreformen sind hier, im Untersuchungsgebiet, am Verteilungsverhältnis des Grundbesitzes grundsätzliche, wesentliche Veränderungen also nicht eingetreten (siehe zum Vergleich Tabelle 4). 141 Meitzen, 1868:516. 142 Jahrbuch . . . Statistik, 1863: 159. Allerdings handelt es sich dabei ausschließlich um das durchschnittliche Besitzareal der zu jenem Zeitpunkt (1858) im Reg.-Bez. Magdeburg vorhandenen Rittergüter. 143 Jahrbuch . . . Statistik, 1863 : 1 5 4 - 1 5 5 . 144 Bielefeldt, 1910: 9.
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Die Feststellung, daß sich der Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus in der Landwirtschaft in Deutschland „trotz aller in den verschiedenen Teilen . . . vorhandenen Unterschiede . . . überall, wenn wir vom Rheinland absehen, qualvoll und langsam vollzog", daß überall, mit dieser einen Ausnahme, „die Feudallasten nicht mit einem Schlage beseitigt" wurden, sondern allmählich, und daß überall „die Ablösung auf dem Wege des Loskaufs, also auf Kosten der Bauern" erfolgte, besitzt in dieser verallgemeinerten Form auch für das Untersuchungsgebiet Gültigkeit.145 Auch hier charakterisiert sich demnach dieser Übergang im Grundsätzlichen als „preußischer Weg" der Entwicklung des Kapitalismus in der Landwirtschaft. Allerdings weisen Verlauf und Ergebnis dieses Prozesses, im Vergleich zu anderen Teilen Deutschlands, etwa den übrigen preußischen Ostprovinzen oder Mecklenburg146 oder zur sächsischen Lausitz,147 hier erhebliche Besonderheiten auf. So kann festgestellt werden, daß die Herausbildung agrarkapitalistischer Verhältnisse im Untersuchungsgebiet im wesentlichen bereits um 1850, also rund zehn Jahre früher als im ostelbischen Deutschland,148 zum Abschluß gekommen war. Dies kommt sowohl im Stand der Durchführung von Gemeinheitsteilung und Separation zum Ausdruck als auch im Stand der bis dahin erfolgten Ablösungen. Entscheidender noch als diese Kriterien ist jedoch die Existenz bereits zu diesem Zeitpunkt voll ausgebildeter kapitalistischer Marktbeziehungen. Mehr noch: das Vorhandensein einer umfänglichen Produktion, die ausschließlich auf den Markt orientiert ist (Zuckerrüben- und Rübenzuckererzeugung, daneben aber auch Getreide- und Zichoriengewinnung) und die dadurch sogar weitgehendst den Verlauf und auch das Ergebnis der Agrarreform mitbestimmt hat. Es trifft hier demzufolge nicht nur zu, was für das übrige Deutschland mit Ausnahme der linksrheinischen Gebiete sonst auch gilt, nämlich daß die Agrarreformen gleichsam den Regler darstellen, durch den der Prozeß der Herausbildung agrarkapitalistischer Verhältnisse gewissermaßen gesteuert, kanalisiert wird, und zwar im Interesse der alten feudalen Großgrundbesitzer und künftigen Junker, sondern hier tritt der Fall ein, daß die in den Grundlagen bereits ziemlich ausgeprägt vorhandene agrarkapitalistische Produktionsweise ihrerseits ebenfalls „regelnd" auf den Verlauf und das Resultat der Reformen Einfluß nimmt, worauf die weitere Ausbildung der neuen Verhältnisse dann beschleunigt und in potenzierter Form erfolgt. Daraus erklärt sich letztendlich auch die fast ungeschmälert gebliebene Dominanz der Bauernwirtschaften. Dieses Überwiegen des bäuerlichen Besitzes gegenüber den feudalen Gutswirtschaften ist auch eine wichtige Ursache dafür, daß sich hier schon so relativ früh kapitalistische Agrarverhältnisse herauszubilden begonnen hatten. Bereits Lenin hat in seiner Analyse der Agrarverhältnisse in den russischen Randgebieten, die in der Tat in vielerlei Beziehung den Gegebenheiten in der „Magdeburger Börde" ähnlich sind, z. B. Vorherrschen der Bauernwirtschaften, Fehlen der Leibeigenschaft, auf diese Zusammenhänge 145 146 147 148
5«
Zitat nach Mottek, 1964: 42. Vgl. bei Moll, 1964: 345-359. Vgl. bei Solta, 1968: 178-179. Solta, 1968: 16, Fußnote 22: „Der Preußische Weg der bürgerlichen Agrarentwicklung kommt im ostelbischen Deutschland, so auch in den Lausitzen, etwa im Jahrzehnt vor der Reichseinigung von oben zum Abschluß. Damit hat sich der Kapitalismus die Landwirtschaft endgültig untergeordnet, wiewohl noch lange Jahrzehnte zahlreiche feudale Restbestände erhalten bleiben."
67
hingewiesen. „Ich glaube umgekehrt", schreibt Lenin: „Je mehr Land die Bauern bei der Befreiung erhalten hätten und je billiger sie es erhalten hätten, desto rascher, umfassender und freier würde sich der Kapitalismus in Rußland entwickeln, desto höher wäre der Lebensstandard der Bevölkerung, desto ausgedehnter der innere Markt, desto rascher ginge es mit der Anwendung von Maschinen in der Produktion voran . . . gerade in unseren Randgebieten, wo die Leibeigenschaft entweder völlig unbekannt oder aber am schwächsten entwickelt war, wo die Bauern weniger unter dem Landmangel, der Abarbeit und der Abgabenlast leiden, hat sich der Kapitalismus in der Landwirtschaft am stärksten entwickelt . . .". 149 Und an anderer Stelle, dort, wo er sich gegen den „Grundfehler der ökonomischen Auffassungen der Volkstümler" abgrenzt, der darin bestand, „daß ihnen die Gutswirtschaft als alleinige Quelle des Agrarkapitalismus galt", heißt es: „Und in denjenigen Gebieten Rußlands, wo es keine Leibeigenschaft gab, wo ausschließlich oder hauptsächlich der freie Bauer die Landwirtschaft in seine Hände nahm . . . , hat die Entwicklung der Produktivkräfte und die Entwicklung des Kapitalismus ein unvergleichlich rascheres Tempo eingeschlagen als in dem von Überresten der Fronherrschaft bedrückten Zentralgebiet." 150 Für Lenin, auf den die Erkenntnis von den zwei objektiv möglichen Wegen der Entwicklung des Kapitalismus in der Landwirtschaft, den reformerischen „preußischen Weg" undxlen revolutionären „amerikanischen Weg", zurückgeht, existierten diese beiden Evolutionstypen nirgendwo in reiner Form. 151 Er konstatierte immer nur ein Vorherrschen des einen oder des anderen Typs. Daneben räumte er noch eine dritte Möglichkeit ein, die er dort sah, wo Gutswirtschaft und bäuerliche Wirtschaft nebeneinander bestanden: „Zeigen uns aber das landwirtschaftliehe Zentralgebiet und die landwirtschaftlichen Randgebiete Rußlands sozusagen die räumliche oder geographische Verteilung der Gegenden, in denen der eine oder der andere Typus der Agrarrevolution vorherrscht, so treten beide Evolutionstypen in ihren Hauptzügen auch in allen Gegenden zutage, wo Gutsherrschaft und bäuerliche Wirtschaft nebeneinander bestehen . . .", 152 Diese Feststellung Lenins trifft in hervorragender Weise auch auf die Agrarentwicklung im Untersuchungsgebiet zu. Der Grundtypus dieser Evolution ist freilich auch hier der „preußische Weg": kein entschädigungsloses Aufheben, sondern Ablösung der feudalen Dienste und Abgaben; qualvoll vor allem für die kleinen Grundbesitzer. Gleichzeitig bestimmen jedoch auch zahlreiche, für diesen Weg untypische Faktoren den Entwicklungsgang: es existiert keine Leibeigenschaft, die aufzuheben wäre, die Ablösungen der feudalen Lasten geschehen kaum in Form von Land und erfolgen insgesamt rascher als in anderen Teilen Deutschlands; es tritt kein verheerender Ruin des bäuerlichen Grundbesitzes ein;
149 Lenin, 1956 (1900): III, 647-648. 150 Lenin, 1970 (1908): XIII, 238. 151 Darauf hat z. B. auch bereits Moll, 1964: 345, hingewiesen: „Selbstverständlich, — das hat Lenin selbst im gleichen Zusammenhang, wenn auch an anderer Stelle, eindeutig ausgesprochen — gibt es keinen .preußischen' oder .amerikanischen' Entwicklungstyp an sich, sondern die Ergebnisse des einen oder anderen Weges können im einzelnen sehr stark voneinander abweichen." Moll warnt auch in diesem Zusammenhang davor, „Lenins Gedanken unleninistisch zu interpretieren, d. h. einen .preußischen Weg' schlechthin zu konstruieren und alle im konkreten historischen Verlauf von diesem abweichenden Varianten unter den Tisch fallenzulassen." 152 Lenin, 1970 (1908): XIII, 238.
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an der sich ständig ausweitenden Marktproduktion nehmen bei gleichzeitigem Übergang zur intensiven Wirtschaftsweise auch die bäuerlichen Besitzer, vor allem die Großund Teile der Mittelbauern, teil.
Die Erweiterung der agrarischen Produktion Für die Expansion des Agrarmarktes, die sich schon in den dreißiger Jahren des 19. Jh-. vorbereitete und nach 1850 allgemein einsetzte und bis zum Beginn der Agrarkrise in den siebziger Jahren im wesentlichen anhielt153 und in deren Folge sich auch die agrarische Produktion im Untersuchungsgebiet ausweitete, waren — unter spezieller Berücksichtigung der Provinz Sachsen — insbesondere drei Faktoren von Belang. Erstens: „die Entwicklung der örtlichen und benachbarten Märkte in fast harmonischer Einheit", 154 wobei im weiteren Sinne auch der Erschließung außerdeutscher Märkte, vor allem des englisch und später des russischen und amerikanischen Marktes, eine große Bedeutung zukommt.155 Im Zusammenhang damit spielt besonders der weitere Ausbau der Verkehrsverbindungen, der nun verstärkt einsetzt, eine wichtige Rolle. Außer innerhalb des Untersuchungsgebietes selbst entstehen auch zahlreiche Verkehrswege, die das Gebiet mit den benachbarten Staaten und Provinzen verbinden. So erweiterte sich das Gesamtstreckennetz der Eisenbahnen in Deutschland zwischen 1850 und 1860 um 93%, also um fast das Doppelte, zwischen 1860 und 1870 um 70% und zwischen 1870 und 1880 nochmals um 71 %.15 Ein zweiter Faktor für die Ausdehnung des Agrarmarktes besteht in der allgemeinen Bevölkerungszunahme; als Beispiel sei auf die Entwicklung in Preußen hingewiesen:157 1816 1825 1840 1852 1861 1867 1871 1875 1880
= = = = = = = = =
10,35 12,26 14,93 16,94 18,49 23,97 24,64 25,74 27,28
Mill. Mill. Mill. Mill. Mill. Mill. Mill. Mill. Mill.
Einwohner Einwohner Einwohner Einwohner Einwohner Einwohner Einwohner Einwohner Einwohner
153 154 155 156
Vgl. dazu Mottek, 1964: 206—207. Ziegenhagen, 1965: 7. Mottek, 1964:206-207. Die Zahl der Streckenkilometer nach Brockhaus' Conversations-Lexikon, 1898 b: 996 (Stichwort „Deutsche Eisenbahnen"); die Prozentwerte auf dieser Grundlage nach Berechnungen des Verfassers. — Über den Ausbau der einzelnen Streckenabschnitte siehe bei Kühn, 1883: 14—20. 157 Brockhaus' Conversations-Lexikon, 1898 e: 306 (Stichwort „Preußen").
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an der sich ständig ausweitenden Marktproduktion nehmen bei gleichzeitigem Übergang zur intensiven Wirtschaftsweise auch die bäuerlichen Besitzer, vor allem die Großund Teile der Mittelbauern, teil.
Die Erweiterung der agrarischen Produktion Für die Expansion des Agrarmarktes, die sich schon in den dreißiger Jahren des 19. Jh-. vorbereitete und nach 1850 allgemein einsetzte und bis zum Beginn der Agrarkrise in den siebziger Jahren im wesentlichen anhielt153 und in deren Folge sich auch die agrarische Produktion im Untersuchungsgebiet ausweitete, waren — unter spezieller Berücksichtigung der Provinz Sachsen — insbesondere drei Faktoren von Belang. Erstens: „die Entwicklung der örtlichen und benachbarten Märkte in fast harmonischer Einheit", 154 wobei im weiteren Sinne auch der Erschließung außerdeutscher Märkte, vor allem des englisch und später des russischen und amerikanischen Marktes, eine große Bedeutung zukommt.155 Im Zusammenhang damit spielt besonders der weitere Ausbau der Verkehrsverbindungen, der nun verstärkt einsetzt, eine wichtige Rolle. Außer innerhalb des Untersuchungsgebietes selbst entstehen auch zahlreiche Verkehrswege, die das Gebiet mit den benachbarten Staaten und Provinzen verbinden. So erweiterte sich das Gesamtstreckennetz der Eisenbahnen in Deutschland zwischen 1850 und 1860 um 93%, also um fast das Doppelte, zwischen 1860 und 1870 um 70% und zwischen 1870 und 1880 nochmals um 71 %.15 Ein zweiter Faktor für die Ausdehnung des Agrarmarktes besteht in der allgemeinen Bevölkerungszunahme; als Beispiel sei auf die Entwicklung in Preußen hingewiesen:157 1816 1825 1840 1852 1861 1867 1871 1875 1880
= = = = = = = = =
10,35 12,26 14,93 16,94 18,49 23,97 24,64 25,74 27,28
Mill. Mill. Mill. Mill. Mill. Mill. Mill. Mill. Mill.
Einwohner Einwohner Einwohner Einwohner Einwohner Einwohner Einwohner Einwohner Einwohner
153 154 155 156
Vgl. dazu Mottek, 1964: 206—207. Ziegenhagen, 1965: 7. Mottek, 1964:206-207. Die Zahl der Streckenkilometer nach Brockhaus' Conversations-Lexikon, 1898 b: 996 (Stichwort „Deutsche Eisenbahnen"); die Prozentwerte auf dieser Grundlage nach Berechnungen des Verfassers. — Über den Ausbau der einzelnen Streckenabschnitte siehe bei Kühn, 1883: 14—20. 157 Brockhaus' Conversations-Lexikon, 1898 e: 306 (Stichwort „Preußen").
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Zwischen 1816 und 1880 hatte sich die Bevölkerung in Preußen — nicht zuletzt auch infolge territorialer Einverleibungen, vor allem in den Jahren 1865/66 — demnach fast verdreifacht. Der dritte Faktor schließlich steht im engsten Zusammenhang mit den Auswirkungen der industriellen Revolution, speziell mit dem hierfür charakteristischen Prozeß des tendenziell rascheren Wachstums der im weiteren Sinne in der Industrie beschäftigten gegenüber der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung. In ausgeprägter Form herrscht diese Tendenz Anfang der siebziger Jahre auch in der Provinz Sachsen vor, was zu diesem Zeitpunkt zum Beispiel „von den übrigen ostelbischen Provinzen Preußens nicht" behauptet werden kann.158 Während „die Gesamtbevölkerung der «ächsichen Provinz von 1858 bis 1871 um ca. 10 Prozent" anstieg und „die Stadtbevölkerung um 32 Prozent", so daß um 1870 „schon 39,8 Prozent der Einwohnerschaft in den Städten" wohnte, „hatte sich die Landbevölkerung bis dahin um die absolute Zahl von ca. 9700 vermindert."159 Von dieser Entwicklung ist in starkem Maße auch das Untersuchungsgebiet erfaßt. Bedeutende Impulse in diese Richtung gingen insbesondere von Magdeburg und seinen Vororten Neustadt, Sudenburg und Buckau aus, die sich nach 1850 immer mehr zu einem Zentrum des deutschen Maschinenund Anlagenbaues entwickelten. Die Bevölkerung stieg in diesen Orten außerordentlich stark an. So hatte sich zwischen 1840 und 1880 die Zahl der Einwohner von Magdeburg einschließlich Sudenburg mehr als verdoppelt (1840:47600; 1880: 97539), von Magdeburg-Neustadt nahezu vervierfacht (1840: 7478; 1880: 27090) und von Buckau sogar mehr als verzehnfacht (1840: 1192; 1880: 12506).i«> Aus diesem Grunde hatte zum Beispiel die Landgemeinde Buckau schon im Jahre 1858 um Verleihung der Städteordnung nachgesucht, u. a. mit der Begründung, daß sich hier bereits „städtisches Leben entwickelt" habe und die Bevölkerung dieser Gemeinde bedeutender sei, „als die vieler Städte des Regierungsbezirks Magdeburg",161 worauf 1859 diesem Antrag auch stattgegeben wurde.162 Ein zweites Ballungszentrum bildete sich nach 1861 als Folge des beginnenden Kalisalzbergbaues im Gebiet um Staßfurt heraus (Staßfurt = 1840: 2019 Einw.; 1858: 3403 Einw.; 1880: 12194 Einw.).1«* Die durch die industrielle Revolution bewirkte tendenziell schnellere Zunahme der nichtagrarischen gegenüber der agrarischen Bevölkerung äußert sich jedoch nicht nur in einem vergleichsweise raschen Bevölkerungswachstum in den entstehenden Industrieorten selbst. Eine derartige Entwicklung, oft noch sinnfälliger, ist in der Regel auch in den ländlichen Nachbarorten solcher Zentren festzustellen. Übrigens ergibt sich in methodologischer Hinsicht daraus die Schlußfolgerung, daß eine bloße Gegenüberstellung des Wachstums der städtischen und der ländlichen Bevölkerung, wie dies nicht selten geschieht, für einen genaueren Nachweis der Zuwachsraten bei den 158 159 160 161 162
Ziegenhagen, 1965: 11. Ziegenhagen, 1965: 11. Angaben für 1840 nach Hermes/Weigelt, 1842; für 1880 nach Todtenhof, 1882. Protocolle, (1858): 20 ( = Dritte Plenar-Sitzung. Merseburg, den 16. December 1858). Magdeburg und seine Umgebung, 1972: 112. — Zur Stadt erhoben mit Beginn des Jahres 1860 und Ende 1861 vom Kreis Wanzleben abgetrennt und dem Stadtkreis Magdeburg zugeordnet. Nach Statistik . . . Wanzleben, 1867: 86. 163 Einwohnerzahlen für 1840 nach Hermes/Weigelt, 1842: 54; für 1858 nach Jahrbuch . . . Statistik, 1863: 63; für 1880 nach Todtenhof, 1882: 122.
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beiden Bevölkerungsteilen — des „industriellen" und des „landwirtschaftlichen" — oft allein noch nicht ausreicht. Im Untersuchungsgebiet tritt diese Erscheinung des raschen und starken „Mitwachsens" der Einwohnerschaft in jenen ländlichen Gemeinden, die entstehenden Industrieorten vorgelagert sind, wie auch das folgende Diagramm dartut, besonders klar zutage. Zum Vergleich wird der Bevölkerungsentwicklung in industrienahen Dörfern (Fermersleben, Bleckendorf, Groß- und Klein-Ottersleben) die Populationsbewegung in solchen Landgemeinden gegenübergestellt, die abseits von Industrieortschaften angesiedelt sind (Groß Ammensieben, Vahldorf, Hohenwarsleben, Schleibnitz). Ebenfalls in das Diagramm einbezogen wird der prozentuale Zuwachs der Bevölkerung im Untersuchungsgebiet:164
Bevölkerungszuwachs in %
Ein schnelleres Wachstum der nichtagrarischen im Verhältnis zur agrarischen Bevölkerung läßt sich für das Untersuchungsgebiet über den gesamten untersuchten Zeitraum hinweg nachweisen. Eine Gegenüberstellung der Bevölkerungszunahme in sämtlichen Landgemeinden der „Börde" außer den industrienahen Dörfern Bleckendorf, Buckau, Diesdorf, Fermersleben, Groß- und Klein Ottersleben sowie Olvenstedt einerseits und den innerhalb oder an der Peripherie der „Börde" gelegenen Städten Barby, Calbe, Egeln, Groß Salze, Magdeburg mit Sudenburg, Neustadt-Magdeburg, Oschersleben, Schönebeck, Seehausen, Staßfurt, Wanzleben und Wolmirstedt sowie den genannten sieben industrienahen Gemeinden andererseits, ergibt folgendes Bild:165 164 Sämtliche Angaben für 1818 nach Seydlitz, 1820; für 1840 nach Hermes/Weigelt, 1842; für 1861 nach Bühling, 1864; für 1880 nach Todtenhof, 1882. 165 Die Prozentwerte sind vom Verfasser auf der Grundlage der bei Seydlitz, 1820, Hermes/Weigelt, 1842, Bühling, 1864 und Todtenhof, 1882 angegebenen absoluten Zahlen errechnet worden.
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Tabelle 19 Zuwachs in den Jahren
in den Landgemeinden außer in sieben industrienahen Dörfern
in den Städten einschl. in sieben industrienahen Dörfern sowie außer in Magdeburg mit Sudenburg
in den Städten einschl. in sieben industrienahen Dörfern sowie in Magdebürg mit Sudenburg
1818-1840 1840-1861 1861-1880
31% 32% 21%
48% 55% 53%
47% 50% 55%
Bei einer Feinanalyse würden sich diese Werte vermutlich noch etwas zugunsten der agrarischen Bevölkerung verschieben, da hierbei unbeachtet geblieben ist, daß auch die Einwohnerschaft der Städte, zumal es sich dabei vorwiegend um Landstädte handelt, zu einem nicht geringen Teil ebenfalls in der Landwirtschaft beschäftigt ist, was jedenfalls noch bis 1840/50 auch für die Einwohner der genannten sieben industrienahen Landgemeinden gilt. 166 Trotz dieser Ungenauigkeiten ändert sich an der Grundtatsache des rascheren Wachstums der im weitesten Sinne industriellen Bevölkerung gegenüber der in der Landwirtschaft tätigen Einwohnerschaft des Untersuchungsgebietes, zumindest für die Zeit nach 1840/50, jedoch nichts.
Die Verbesserung der Produktionsmethoden Dem gesteigerten Bedarf nach Agrarprodukten infolge der Expansion des Marktes konnte auf die Dauer nur durch die Einführung verbesserter bzw. neuer Produktionsmethoden entsprochen werden. Zu den Verbesserungen gehört in erster Linie die Abkehr von der alten, später verbesserten Dreifelderwirtschaft und der Übergang zur Fruchtwechselwirtschaft bei gleichzeitigem Rückgang der Brache. Unter den Neuerungen sind hauptsächlich die beginnende Chemisierung und Mechanisierung hervorzuheben. Im Untersuchungsgebiet erfolgte der Wechsel der Feldersysteme maßgeblich im Zusammenhang mit der Einführung des Zuckerrübenanbaues, also unter dem Einfluß desselben Faktors, der — wie nachgewiesen werden konnte — auch das beschleunigte 166 So ergibt sich ein prozentualer Bevölkerungszuwachs für den ersten Zeitraum 1818—1840: a) in den Landgemeinden einschließlich der sieben industrienahen Dörfer von 34%; b) in den Städten ohne Einschluß der sieben industrienahen Dörfer und Magdeburgs von 45%; c) in den Städten ohne Einschluß der sieben industrienahen Dörfer, jedoch einschließlich Magdeburgs mit Sudenburg von 46%. — Daß Handwerker, Gewerbetreibende und — zumal nach 1850 — Dienstleistungsangestellte auch in den Landgemeinden existieren, bleibt andererseits gleichfalls unberücksichtigt. Dies dürfte allerdings umso eher berechtigt sein, da diese Gruppen in der Regel Landwirtschaft als Nebenerwerb betreiben.
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Tabelle 19 Zuwachs in den Jahren
in den Landgemeinden außer in sieben industrienahen Dörfern
in den Städten einschl. in sieben industrienahen Dörfern sowie außer in Magdeburg mit Sudenburg
in den Städten einschl. in sieben industrienahen Dörfern sowie in Magdebürg mit Sudenburg
1818-1840 1840-1861 1861-1880
31% 32% 21%
48% 55% 53%
47% 50% 55%
Bei einer Feinanalyse würden sich diese Werte vermutlich noch etwas zugunsten der agrarischen Bevölkerung verschieben, da hierbei unbeachtet geblieben ist, daß auch die Einwohnerschaft der Städte, zumal es sich dabei vorwiegend um Landstädte handelt, zu einem nicht geringen Teil ebenfalls in der Landwirtschaft beschäftigt ist, was jedenfalls noch bis 1840/50 auch für die Einwohner der genannten sieben industrienahen Landgemeinden gilt. 166 Trotz dieser Ungenauigkeiten ändert sich an der Grundtatsache des rascheren Wachstums der im weitesten Sinne industriellen Bevölkerung gegenüber der in der Landwirtschaft tätigen Einwohnerschaft des Untersuchungsgebietes, zumindest für die Zeit nach 1840/50, jedoch nichts.
Die Verbesserung der Produktionsmethoden Dem gesteigerten Bedarf nach Agrarprodukten infolge der Expansion des Marktes konnte auf die Dauer nur durch die Einführung verbesserter bzw. neuer Produktionsmethoden entsprochen werden. Zu den Verbesserungen gehört in erster Linie die Abkehr von der alten, später verbesserten Dreifelderwirtschaft und der Übergang zur Fruchtwechselwirtschaft bei gleichzeitigem Rückgang der Brache. Unter den Neuerungen sind hauptsächlich die beginnende Chemisierung und Mechanisierung hervorzuheben. Im Untersuchungsgebiet erfolgte der Wechsel der Feldersysteme maßgeblich im Zusammenhang mit der Einführung des Zuckerrübenanbaues, also unter dem Einfluß desselben Faktors, der — wie nachgewiesen werden konnte — auch das beschleunigte 166 So ergibt sich ein prozentualer Bevölkerungszuwachs für den ersten Zeitraum 1818—1840: a) in den Landgemeinden einschließlich der sieben industrienahen Dörfer von 34%; b) in den Städten ohne Einschluß der sieben industrienahen Dörfer und Magdeburgs von 45%; c) in den Städten ohne Einschluß der sieben industrienahen Dörfer, jedoch einschließlich Magdeburgs mit Sudenburg von 46%. — Daß Handwerker, Gewerbetreibende und — zumal nach 1850 — Dienstleistungsangestellte auch in den Landgemeinden existieren, bleibt andererseits gleichfalls unberücksichtigt. Dies dürfte allerdings umso eher berechtigt sein, da diese Gruppen in der Regel Landwirtschaft als Nebenerwerb betreiben.
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Voranschreiten der Separation und damit der Aufhebung des Flurzwanges als grundlegende ökonomische und rechtliche Voraussetzung für diesen Wechsel bewirkte. Der Übergang zum Fruchtwechselsystem war hier bereits in den vierziger Jahren des 19. Jh. relativ weit fortgeschritten. 167 Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre wurde insbesondere „auf den größeren Gütern" und „namentlich auf solchen, mit denen Fabriken verbunden sind", oftmals sogar „kein Wirthschaftssystem mehr beobachtet", sondern „eine freie Bewirthschaftung ohne bestimmte Fruchtfolge"; vielfach wurde „ein und dieselbe Frucht, z. B. die Zuckerrübe ein Jahr um das andere gebaut . . .". 168 Mit der weiteren Ausdehnung des Rübenbaus wurde diese Praxis immer allgemeiner. So heißt es in einer zeigenössischen Schilderung über die Verhältnisse in den sechziger und siebziger Jahren, daß „wohl kein anderer Landstrich in Deutschland" existiere, „wo der Rübenbau so ausschließlich herrscht, ja wo alle anderen Feldfrüchte eigentlich nicht um ihrer selbst willen gebaut werden, sondern nur als Vorfrucht für die Zuckerrübe, um den Boden für diese in möglichst günstigen Zustand zu versetzen", wie in der Umgegend von Magdeburg: „Eine bestimmte Fruchtfolge wird nicht inne gehalten, es ist aber üblich, V3 der Fläche mit Rüben zu bebauen. So ergiebt sich als gewöhnliche Folge 1) Winterkorn, 2) Rüben, 3) Sommerkorn, doch werden nicht selten auch Rüben ein um das andere Jahr gebaut." 169 Diese Angaben stimmen auch mit dem Bericht eines anderen zeitgenössischen Autors überein, der für jenen Zeitpunkt ebenfalls konstatiert, daß sich hier „die Landwirtschaft unter dem Einflüsse des Rübenbau's . . . von alten Wirtschaftssystemen" emanzipiert habe und zu anderen, freieren Anbauverhältnissen übergegangen sei.170 Auf zahlreichen Gütern wurde es üblich, „die Hälfte des Ackerlandes dem Rübenbau zu widmen". 171 Später, mit dem immer allgemeiner werdenden Auftreten der Rübenmüdigkeit, verringerte man freilich den mit Rüben bebauten Ackeranteil wieder. Um 1893 betrug er im Kreis Wanzleben durchschnittlich nur noch 22,04 %, im Kreis Oschersleben 21,80 %, im Kreis Calbe 15,32 %, im Kreis Neuhaidensieben 10,29 % und im Kreis Wolmirstedt 9,39 %, wobei die beiden letztgenannten Kreise allerdings bereits zu einem erheblichen Teil in die weniger fruchtbare Altmark hineinreichen. 172 Auch ging man später dazu über, nicht mehr aller zwei Jahre oder gar jedes Jahr auf demselben Ackerstück Rüben zu bauen, sondern einen drei- bis vierjährigen Turnus einzuführen. 173 Untersuchungen ergaben, daß diese zunächst beträchtliche Erweiterung des Rübenbaues weniger zu Lasten der Getreideproduktion als „vielmehr hauptsächlich auf Kosten der Brache" erfolgt ist. 174 Der Rückgang der Brache ist für das Untersuchungsgebiet somit nicht nur ein „Ausdruck des Voranschreitens fortschrittlicher Produktionsmethoden in der Bodennutzung", 175 sondern zugleich auch ein Ausweis für die Ausdehnung 167 Einige Nachrichten, 1850: 8—9. Auf S. 8 heißt es: „Sollte indeß eine gewisse Fruchtfolge als vorwiegend bezeichnet werden, so ist es: 1. Klee, Wickfutter, Hülsenfrüchte, Mohn etc.; 2. Winterung; 3. Hackfrucht; 4. Sommerkorn." 168 Nach Statistik . . . Wanzleben, 1867: 42; vgl. außerdem Jahrbuch . . . Statistik, 1863: 238. 169 Nathusius, 1884: 135 und 137. 170 Humbert, 1877: 7. 171 Nach Goldschmidt, 1899: 13. 172 Goldschmidt, 1899: 123. 173 Goldschmidt, 1899: 13. 174 Goldschmidt, 1899: 23. 175 Ziegenhagen, 1965: 12.
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der „Produktion für den Markt". 176 Nach Ziegenhagen war in den drei am Untersuchungsgebiet partizipierenden Kreisen Wanzleben, Neuhaidensleben und Wolmirstedt der Anteil der Brache an der landwirtschaftlichen Nutzfläche bis zum Jahre 1878, also bis zum Ende des untersuchten Zeitraumes, folgendermaßen zurückgegangen, wobei die Brache-Anteile in einigen nichtrübenbauenden Kreisen der Provinz (Salzwedel, Jerichow I, Stendal, Osterburg, Langensalza, Worbis) sowie im gesamten Preußen zum Vergleich dazugestellt sein sollen:177 Tabelle 20 Anteil der Brache an der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Prozent im Jahre 1878 Wanzleben Neuhaidensieben Wolmirstedt Oschersleben Aschersleben Salzwedel Jerichow I Stendal Osterburg Langensalza Worbis Preußen insges.
0,3 0,6 1.3 0,5 0,4 4,5 4,5 5,2 5.4 10,8 14,7 8,8
Der geringste Anteil an Brachland ist im Kreis Wanzleben, dem Kernkreis der „Börde" und Hauptdistrikt des Rübenanbaues, zu verzeichnen. Dann folgen die Kreise Aschersleben und Oschersleben, in denen zu dieser Zeit die Zuckerrübenkultur ebenfalls schon eine weite Verbreitung gefunden hatte.178 Alle Berichte, in denen dieser Zusammenhang angesprochen wird, stimmen übrigens darin überein, daß in den Rübenwirtschaften die Brache keinerlei Bedeutung mehr besitze, ja dort praktisch überhaupt verschwunden sei.179 Das Erfordernis nach Steigerung der Produktion, dem durch einen Wechsel zu freieren Anbauverhältnissen allein allerdings noch nicht genügt werden konnte, daneben aber auch die Notwendigkeit, den NährstofTverlust, dem der Boden infolge des Wegfalls der Brache und des in immer kürzeren Abständen aufeinanderfolgenden Anbaues gleicher Kulturen zunehmend ausgesetzt war, ausgleichen zu müssen, zwangen die Landwirte dazu, auch zu einer intensiveren und verbesserten Düngung überzu176 177 178 179
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Ziegenhagen, 1965: 13. Ziegenhagen, 1965: 12—14 sowie 24—30. Nathusius, 1884: 135. So hat z. B. Humbert, 1877: 23, festgestellt: „Die Ausdehnung der Hackfrüchte geschah vielmehr hauptsächlich auf Kosten der Brache, die hier gänzlich verschwunden ist . . . " , und Nathusius, 1884: 137: „Ueberall müssen die Rübenwirthschaften bestrebt sein, auf der von ihnen bebauten Fläche möglichst viel Rüben alljährlich zu produciren. Brachhaltung und Weide hat in Folge dessen längst aufgehört."
gehen. Das galt für den Rübenbau ebenso, der immer mehr die Züge einer Monokultur annahm, wie auch für die Produktion von Getreide, und zwar ungeachtet der Tatsache, daß durch die im Rübenbau zwangsläufig in Anwendung kommende Tiefkultur auch tieferliegende, nährstoffreiche Bodenschichten nutzbar gemacht wurden, was ebenfalls schon zu einer nicht unbedeutenden Ertragssteigerung bei Getreide führte. 180 Der anfallende natürliche Dünger erwies sich in Menge und Qualität dafür als zu gering, zumal gerade in den Rübenwirtschaften häufig auch die Viehhaltung merklich zurücktrat, allerdings fast ausschließlich die Nutzviehhaltung, denn die Haltung von Spannvieh wurde dagegen kaum eingeschränkt, sondern, wo erforderlich, oft zu Lasten der Nutzviehhaltung sogar noch erweitert.181 Spannvieh aber war nötig, „um die sehr sorgfaltig auszuführende, gründliche Ackerbestellung, dann aber vor allem um die Fuhren zu bewältigen."182 Anfangs wurde vornehmlich der teure Peru-Guano verwendet, später — „zu jeder Fruchtart in jedem Jahre" — sehr bedeutende „Mengen künstlichen Düngers, . . . hauptsächlich Superphosphat und Chilisalpeter",183 und zwar, schon zu Beginn der sechziger Jahre des 19. Jh., auch von den „kleineren Landwirthe (n)."18* Ein drittes und außerordentlich wichtiges Mittel zur Steigerung der Produktion bestand schließlich in der Anwendung von Maschinen: „Unter den Bedingungen des von der Landwirtschaft abfließenden Arbeitskräftestroms wurde eine allseitige Steigerung der agrarischen Produktion ohne die zunehmende Anwendung von Maschinerie nicht möglich. Wir beobachten deshalb seit der zunehmenden industriellen Entwicklung Deutschlands im allgemeinen, der Provinz Sachsen im einzelnen, eine allmähliche Mechanisierung der grundlegendsten und wichtigsten Arbeiten in der Landwirtschaft." 185 Außer durch das aus dem Profitstreben der Unternehmer und der Expansion des Marktes sich herleitende Erfordernis nach gesteigerter Produktion und außer den Folgen, die sich aus der generellen Verminderung des landwirtschaftlichen Arbeitskräftepotentials im Prozeß der industriellen Revolution ergaben, wirkten im Untersuchungsgebiet insbesondere auch Rübenbau und Zuckerfabrikation auf diese Entwicklung stimulierend ein. Dies betraf sowohl den eigentlichen industriellen Sektor, die Fabrikation des Zuckers, als auch den agrarischen Bereich. Hier, im letzteren, ist dabei zunächst vor allem auf die Entwicklung verbesserter und zur Tiefkultur geeigneter Pflüge hinzuweisen, die nach 1850 verstärkt einsetzte und die bis dahin übliche sogenannte Spatenkultur ablöste. Es seien hier nur der von Otto, Mertschütz, konstruierte Pflug und der aus diesem hervorgegangene, später sehr verbreitete „Wanzleber Pflug" genannt.186 Im Jahre 1863 arbeitete bei Wanzleben der erste Dampfpflug. 187 Ferner fanden unter anderem Eingang: Seit den vierziger Jahren des 180 So spricht beispielsweise Humbert, 1877: 55, in diesen Zusammenhang von „um ein Drittel" höheren Produktionserträgen. 181 Dazu Humbert, 1877: 61: „Nichtsdestoweniger lässt sich doch nicht leugnen, dass . . . die Haltung des eigentlichen Nutzvieh's in den Rübenwirthschaften etwas geringer ist, weil eben mehr Spannvieh erfordert wird und dies so einen grösseren Theil des Futters nöthig hat." 182 Humbert, 1877: 61. 183 Nathusius, 1884: 137. 184 Nach Statistik . . . Wanzleben, 1867: 42. 185 Ziegenhagen, 1965: 30—31. 186 Vgl. hierzu Nowak, 1969. 187 ZLCV, 1863: XX, 286.
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19. Jh. die Breitsämaschine; seit Mitte der fünfziger Jahre die Drillmaschine, ferner Hand- und Göpeldreschmaschinen, Klee- und Rapssämaschinen sowie Handsämaschinen für die meisten übrigen Feldfrüchte;188 außerdem Rübenschneider und Rübenkernlegemaschinen für Handbetrieb; ab Ende der fünfziger Jahre breitete sich der Dampfdrusch immer weiter aus; die erste Lokomobile für Dampfdrusch wurde in Magdeburg-Sudenburg schon 1855 erbaut. Seit Beginn der sechziger Jahre fanden Pferdehacke, Rübenheber und Dippelmaschinen Anwendung; seit Ende der sechziger Jahre Mähmaschinen; Drill- und Tiefkulturgeräte waren jetzt bereits generell verbreitet. An dieser Entwicklung partizipierten die verschiedenen Grundbesitzer freilich in unterschiedlicher Weise. Nach der landwirtschaftlichen Betriebsstatistik vom Juni 1882 hatten im gesamten Regierungsbezirk Magdeburg im Jahr 1881/82, das heißt am Ende des untersuchten Zeitraumes, an Maschinen benutzt: 189 Tabelle 21 Dampfpflüge
Von den Parzellenu. Kleinbesitzern 0 - 2 ha Von den Kleinbauern 2 - 5 ha Von den Mittelbauern 5 - 2 0 ha Von den Großbauern 2 0 - 1 0 0 ha Von den Großgrundbesitzern über 100 ha
Sämaschinen Mähmaschi- Dampfnen dreschmasch.
andere Dreschmasch.
0,00%
3,43%
0,00 %
0,10%
0,08%
0,00%
13,33%
0,01 %
0,76%
0,79%
0,01 %
26,51%
0,08%
3,72%
8,89%
0,14%
26,01%
1,49%
7,75%
32,35%
12,10%
73,67%
34,19%
55,82%
40,09%
Diese Zahlenwerte vermögen über den tatsächlichen Umfang und die tatsächlichen Anteile der verschiedenen Grundbesitzer an der Mechanisierung allerdings nur erst einen groben Überblick zu vermitteln. Abgesehen davon, daß gerade über die für das Untersuchungsgebiet wichtige Frage der Benutzung spezieller Rübenpflege- und -erntemaschinen wie Hackmaschinen oder Rübenheber, aber z. B. auch über den Einsatz von Rübenschneidern zur Futterbereitung nichts ausgesagt wird, fehlen insbesondere jegliche Angaben über den Maschinen-Besitz und damit Zahlen über die bei den verschiedenen Grundbesitzern natürlich sehr unterschiedliche Höhe des konstanten Kapitalanteils. Eines aber spiegeln diese Zahlen dennoch wider, die Tatsache nämlich, daß an der beginnenden Technisierung der Landwirtschaft hier auch die kleinen Grundbesitzer, vor allem die Kleinbauern, teilgenommen haben. Freilich ist ihr Anteil daran — schon aus Gründen der Rentabilität — insgesamt weit geringer als etwa 188 Bielefeldt, 1910: 6 3 - 6 4 . 189 Landwirthschaftliche Betriebsstatistik, 1885: 209. — Die Prozentwerte sind auf der Grundlage der hierin angegebenen absoluten Zahlen vom Verfasser errechnet worden.
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der des Großbauern oder des Großgrundbesitzers. Außerdem beschränkt er sich praktisch fast ausschließlich auf den Einsatz von Sämaschinen, und wenn daneben doch schon auch Dampfdreschmaschinen Verwendung finden, so liegen die Gründe dafür hauptsächlich in der Teilnahme dieser Kleinbesitzer an sogenannten Dampfdreschmaschinengenossenschaften, die sich ab 1861 in diesem Gebiet konstituiert hatten.190 Daß dieser Anteil aber trotz der genannten Einschränkungen dennoch relativ bedeutend war, zeigt ein Vergleich mit der entsprechenden Lage des Kleinbesitzes in den beiden anderen Regierungsbezirken der Provinz Sachsen bzw. in anderen Gebieten ostelbischer preußischer Provinzen, z. B. in Ostpreußen (Reg. Bez. Königsberg), Posen (Reg. Bez. Posen) und Schlesien (Reg. Bez. Breslau):191 Tabelle 22 An Maschinen haben im Jahr 1881/82 benutzt in den Regierungsbezirken :
Von den Parzellenu. Kleinbesitzern 0 - 2 ha , Von den Kleinbauern 2 - 5 ha
Magdebürg
Mersebürg
Erfurt
Königsberg
Posen
Breslau
3,46%
0,20%
0,11%
0,00%
0,01%
0,14%
13,67%
3,08%
1,77%
0,02%
0,37%
4,16%
Diese Entwicklung hängt ebenso wie die Tatsache, daß der Kleinbesitz hier auch schon vergleichsweise früh zur Fruchtwechselwirtschaft192 und zur mineralischen Düngung übergegangen war, ohne Zweifel mit der in den fünfziger Jahren des 19. Jh. weiter zunehmenden Ausdehnung des Rübenbaues zusammen. Auch der Einfluß des landwirtschaftlichen Vereinswesens, speziell des bereits 1840 gegründeten „Vereins zur Aufstellung landwirthschaftlicher Maschinen und Instrumente zu Magdeburg", der seine Entstehung ebenfalls unmittelbar aus der Praxis des Rübenbaues herleitete, war hierbei von Bedeutung. „Es ist verständlich", heißt es in einem Rückblick aus dem Jahre 1910, „daß der erste Verein, der die Verbreitung landwirtschaftlicher Maschinen zu seinem Hauptzwecke machte, im Mittelpunkt eines landwirtschaftlich fortgeschrittenen Kreises entstand. Der Rübenbau um Magdeburg trug den Landwirten reichen Lohn ein, verlangte aber auch viel Arbeit und Sorgfalt. Das waren günstige Vorbedingungen für die Anwendung von Maschinen, aber dem einzelnen war es nicht möglich, alle Fortschritte der landwirtschaftlichen Gerätetechnik zu verfolgen und zu prüfen. Deshalb schlössen sich die Landwirte in dem Magdeburger Verein zusammen und erreichten so gute Erfolge, daß das Unternehmen sich ausdehnte und andern zum Vorbild diente."193 Nach 1850 nahm die Zahl der Zuckerfabriken weiter zu. Nur in Krisenzeiten, so in den Campagnen 1866/67 und 1875/76, waren Stillegungen zu verzeichnen, von denen 190 191 192 193
Bielfeldt, 1910: 64, sowie nach ZLCV, 1862: XIX, 221. Landwirtschaftliche Betriebsstatistik, 1885: 204, 207—210. Vgl. hierzu Bielefeldt, 1910: 74. Fischer, 1910: 6.
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unter dem Konkurrenzdruck >der großen Firmen viele der kleinen Unternehmungen betroffen waren.194 Die Tendenz zur Zentralisation, die sich seit längerem auch in diesem Produktionszweig langsam durchzusetzen begonnen hatte,195 erhielt dann einen besonders starken Auftrieb. Im Untersuchungsgebiet veränderte sich die Zahl der Zuckerfabriken zwischen 1850 und 1880 wie folgt: 196 Tabelle 23 Jahr
Anzahl der Rübenzuckerfabriken
1850 1853 1857 1869 1877
40 44 52 70 48
Ausdehnung und Konsolidierung der agrarkapitalistischen Verhältnisse im Untersuchungsgebiet Diese zunehmende Konzentration von Unternehmungen — denen die durch Profitinteressen bestimmte Tendenz zur Expansion und damit zur Zentralisation immanent war — auf einem relativ kleinen Territorium mußte zwangsläufig zu einer Verschärfung des Konkurrenzkampfes führen. Hinzu traten technische Verbesserungen, die es gestatteten, jetzt viel größere Rübenmengen zu verwerten als je zuvor und damit der Profitsucht der Unternehmer außerordentlich entgegenkamen: „Während früher 1000 Morgen Rüben jährlich als genügendes Areal betrachtet wurde, um den Betrieb einer Fabrik zu sichern, werden heute 4—6000 Morgen als Minimum angesehen."197 Das ohnehin schon ausgeprägte Profitstreben der Unternehmer, dadurch weiter angeheizt, war deshalb immer mehr und immer hartnäckiger darauf gerichtet, den „Betrieb möglichst zu vergrössern (und) möglichst viel Rüben in möglichst kurzer Campagne zu verarbeiten."198 Zuckerfabrikinhaber, die ehedem lediglich auf
194 Fischer, 1910:45. 195 Fischer, 1910:41. 196 Zahlenangaben für die Jahre 1850—1857 wie in Anm. 95 (siehe auch Tabelle 7); für 1869 nach Bielefelds 1910: 44, wobei zu berücksichtigen ist, daß diese Zahl die Zuckerfabriken im Gesamtgebiet der Kreise Wanzleben, Wolmirstedt, Calbe und Oschersleben zusammenfaßt, also über die Grenzen des eigentlichen Untersuchungsgebietes hinausgeht, andererseits allerdings die im Kreis Neuhaidensieben bestehenden Fabriken nicht mit einbezieht. Die Zahlenangabe für 1877 ist entnommen: Handbuch der Provinz Sachsen, (1877): 526-528 sowie 9 1 - 9 5 , 144-151, 194-201, 209-213, 155-156. 197 Nathusius, 1884: 136. 198 Nathusius, 1884: 136.
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unter dem Konkurrenzdruck >der großen Firmen viele der kleinen Unternehmungen betroffen waren.194 Die Tendenz zur Zentralisation, die sich seit längerem auch in diesem Produktionszweig langsam durchzusetzen begonnen hatte,195 erhielt dann einen besonders starken Auftrieb. Im Untersuchungsgebiet veränderte sich die Zahl der Zuckerfabriken zwischen 1850 und 1880 wie folgt: 196 Tabelle 23 Jahr
Anzahl der Rübenzuckerfabriken
1850 1853 1857 1869 1877
40 44 52 70 48
Ausdehnung und Konsolidierung der agrarkapitalistischen Verhältnisse im Untersuchungsgebiet Diese zunehmende Konzentration von Unternehmungen — denen die durch Profitinteressen bestimmte Tendenz zur Expansion und damit zur Zentralisation immanent war — auf einem relativ kleinen Territorium mußte zwangsläufig zu einer Verschärfung des Konkurrenzkampfes führen. Hinzu traten technische Verbesserungen, die es gestatteten, jetzt viel größere Rübenmengen zu verwerten als je zuvor und damit der Profitsucht der Unternehmer außerordentlich entgegenkamen: „Während früher 1000 Morgen Rüben jährlich als genügendes Areal betrachtet wurde, um den Betrieb einer Fabrik zu sichern, werden heute 4—6000 Morgen als Minimum angesehen."197 Das ohnehin schon ausgeprägte Profitstreben der Unternehmer, dadurch weiter angeheizt, war deshalb immer mehr und immer hartnäckiger darauf gerichtet, den „Betrieb möglichst zu vergrössern (und) möglichst viel Rüben in möglichst kurzer Campagne zu verarbeiten."198 Zuckerfabrikinhaber, die ehedem lediglich auf
194 Fischer, 1910:45. 195 Fischer, 1910:41. 196 Zahlenangaben für die Jahre 1850—1857 wie in Anm. 95 (siehe auch Tabelle 7); für 1869 nach Bielefelds 1910: 44, wobei zu berücksichtigen ist, daß diese Zahl die Zuckerfabriken im Gesamtgebiet der Kreise Wanzleben, Wolmirstedt, Calbe und Oschersleben zusammenfaßt, also über die Grenzen des eigentlichen Untersuchungsgebietes hinausgeht, andererseits allerdings die im Kreis Neuhaidensieben bestehenden Fabriken nicht mit einbezieht. Die Zahlenangabe für 1877 ist entnommen: Handbuch der Provinz Sachsen, (1877): 526-528 sowie 9 1 - 9 5 , 144-151, 194-201, 209-213, 155-156. 197 Nathusius, 1884: 136. 198 Nathusius, 1884: 136.
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Jahresacker-Pachtungen angewiesen waren oder ihr Rohprodukt von den umliegenden Grundbesitzern ankaufen mußten, waren zur Sicherung ihrer Profite inzwischen dazu übergegangen, selbst Grund und Boden zu erwerben, und zwar entweder eigentümlich oder pachtweise, wobei die Pachtzeit bis auf zwölf, ja teilweise sogar bis auf achtzehn Jahre erweitert wurde.199 So wird beispielsweise aus dem Kreis Wanzleben für das Jahr 1864 berichtet, daß „der Verkehr mit Grundstücken . . . sich hauptsächlich auf den Ankauf ganzer Bauergüter oder einzelner Pläne seitens der Zuckerfabrikbesitzer und auf den Ankauf einzelner Morgen" beschränke.200 Unternehmungen, wie sie in den vierziger Jahren des 19. Jh. existierten, „die die Zuckerfabrikation lediglich als alndwirthschaftliches Nebengewerbe betreiben" oder „denen sie als blosses Fabrikgeschäft gilt", bestanden nach 1870 keine mehr; das Geschäft mit dem Zucker hatte sich jetzt zu einer der ergiebigsten Profitquellen im Agrarbereich entwickelt: „Die Zuckerfabrikation ist heute hier nicht mehr ein landwirthschaftliches Nebengewerbe sondern sie ist der Mittelpunkt der Wirthschaft, um den sich Alles dreht, nach dem sich alles Uebrige richtet."201 In welchem Ausmaß der Großgrundbesitz als Eigentum oder erpachtet in die Hände von Zuckerfabrikbesitzern oder von Teilhabern solcher Unternehmungen gelangt war, zeigt ein Überblick über die Verhältnisse im Kreis Wanzleben um 1880. Von den hier bestehenden 7 Domänen, 17 Rittergütern und 3 Klostergütern, also von insgesamt 27 Großgütern mit einem Areal von über 100 ha, waren: im Besitz von Zuckerfabrikbesitzern in Pacht von Zuckerfabrikbesitzern im Besitz von Zuckerfabrikteilhabern in Pacht von Zuckerfabrikteilhabern
= = = =
8 8 4 4
= 24
Nur bei drei Rittergütern (Eggenstedt, Meyendorf, Salbke) beschränkte sich die Verbindung zu Zuckerfabriken bestenfalls auf Rübenlieferungen.202 Von dieser Entwicklung blieben natürlich auch die bäuerlichen Grundbesitzer nicht unberührt. Zunächst geschah dies hauptsächlich dadurch, daß die Fabriken — schon unter dem Gesichtspunkt verminderter Transportkosten — das Pachtland gewöhnlich von den Bauern der umliegenden Dörfer erwarben: „Diese bäuerlichen Grundbesitzer hörten aber damit auf, als Landwirte produktiv tätig zu sein. Denn während sie den größten Teil ihres Landes an die Fabrik abgaben, behielten sie meist nur ein Restgut von sehr geringem Umfange. Manche gaben auch die Landwirtschaft ganz auf und lebten von ihren Pachtrenten auf dem Lande oder in der Stadt als Privatier." 203 Allein im Kreis Wanzleben werden für 1864 insgesamt 194 männliche „Rentiers und andere aus eigenen Mitteln lebende selbständige Personen" gezählt, wovon 133 auf dem 199 Bielefelds 1910: 82. 200 Nach Statistik . . . Wanzleben, 1867: 42. — Vgl. auch Goldschmidt, 1899: 20: „Ebenso selten wie die Dismembrierung ist der Verkauf ganzer Güter. Im Kreis Wanzleben scheint es früher häufiger vorgekommen zu sein, dass Grundbesitzer ihr Land verkauften, um Rentnerexistenzen zu führen." 201 Nathusius, 1884: 135-136. 202 Handbuch des Grundbesitzes, 1885: 404—411. 203 Bielefeldt, 1910: 43.
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Lande und 61 in den Städten leben (hinzu kommen noch 252 Trivatieren, von denen 188 auf dem Lande und 64 in den Städten leben; mithin also 446 Personen).20* Für den Kreis Neuhaidensieben werden etwa zur selben Zeit (1861) 123 Rentiers genannt, davon 17 in den „ B ö r d e " - D ö r f e r n Althaldensieben, Alvensleben, Eilsleben, Groppendorf, Hakenstedt und Vahldorf.205 „Bisweilen aber erlitt der bäuerliche Besitzstand selbst eine empfindliche Einbuße, nämlich dort, wo die Fabriken und die Inhaber der Güterkomplexe das Areal für ihre Betriebe käuflich erwerben mußten." 206 Ein solcher Fall ist z. B. aus Löderburg, Kreis Calbe, bekannt, wo ein Großbauer, der um 1850 „5 Pferde, 18 Kühe, 100 Schafe, 4 Schweine und weit über 100 Hühner, Enten und Gänse" besaß, im Jahre 1856 seinen Hof für 36000 Taler an die 1837 auf der Erbpachts-Domäne zu Alten-Staßfurt gegründete Zuckerfabrik von Bennecke, Hecker & Co. verkaufte und als Privatier in sein Eigentums-Doppelhaus nach Alt Salze zog.207 „Nachdem aber frühere Jahrzehnte gezeigt haben", heißt es in dem Bericht eines Geistlichen aus dem Kreise Wanzleben im Jahre 1893, „dass Oekonomen, die teuer verkauften und als Rentner leben wollten, bald ins Proletariat herabsanken, hält der Bauer seinen Grundbesitz fest." 208 Viele Pächter, insbesondere solche, die nur kurz- oder mittelfristige Pachtverträge abschlössen, zielten vor allem darauf hin, ein Maximum an Gewinn möglichst ohne größere Kapitalinvestitionen herauszuschlagen. „Das Mittel zur Steigerung der Erträge . . . bestand gewöhnlich in der Vertiefung der Ackerkrume und der völligen Ausbeutung des Nährstoffgehaltes der unteren Bodenschichten durch einen forzierten Hackfruchtbau." 209 So trat infolge dieses Raubbaues beispielsweise schon im Jahre 1868 bei Staßfurt „ein völliges Versagen des Bodens für den Rübenbau" ein; „auch in anderen Bezirken waren die Erträge bereits um '/ 3 bis 2 / 3 zurückgegangen."210 Zwar suchten sich die Verpächter vor solchen existenzbedrohenden Folgen mehr und mehr zu schützen, insbesondere dadurch, daß sie die Bestimmungen in den Pachtverträgen zunehmend verschärften.211 Doch dürften diese Auswirkungen letztlich ebenso entscheidend mit dazu beigetragen haben, daß bald nach 1870 auch die bäuerlichen Grundbesitzer selbst zur Gründung von Zuckerfabriken übergingen, wie etwa das Bestreben nach Erhaltung ihrer wirtschaftlichen Grundlage schlechthin oder wie die Erkenntnis, daß sich durch eine direkte Teilnahme am Zuckergescliäft noch höhere Gewinne erzielen ließen als durch Verkauf von Rüben oder durch Verpachtung von Land. Allerdings errichteten sie diese nicht als Einzelwirtschafter — hierfür ist in der Literatur lediglich ein Beispiel bekanntgeworden, und zwar die 1848 von dem Bauern Wilhelm Bischoff in Oberfarnstädt bei Querfurt (200 Morgen) gegründete 204 205 206 207 208 209 210 211
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Nach Statistik . . . Wanzleben, 1867: 14. Bandoly, 1970:9. Bielefelds 1910:44. Fiedler, 1939: 15. Nach Goldschmidt, 1899: 20. Bielefeldt, 1910:82. Bielefeldt, 1910: 83. Bielefeldt, 1910: 80, nennt z. B. Stellen einer Kaution durch den Pächter, Leistung einer Bürgschaft seitens des Ehegatten oder der Verwandten des Pächters, Verpflichtung des Pächters „zum Ersatz verloren gegangener und beschädigter Teile der Substanz des Gutes, zur Erhaltung des Zustandes der Ländereien, etwaige Kosten und Verluste bei der Übernahme und Rückgabe der Pachtung" usw.
Zuckerfabrik 212 —, sondern sie schlössen sich zu diesem Zweck zu Aktiengesellschaften zusammen. Träger dieser Unternehmungen war vor allem der bäuerliche Mittelbesitz und der Kleinbesitz. „Die Bauern legten also ihre Geldvermögen zu größeren Kapitalbeträgen zusammen und gründeten mit diesen Zuckerfabriken, für welche die Teilhaber selbst das Rohmaterial lieferten. Diese bäuerlichen Fabriken, die vereinzelt als Genossenschaften mit solidarischer Haftung auftraten, wurden in der Regel als Aktiengesellschaften errichtet oder später in solche verwandelt. Das konstante Kapital derselben setzte sich aus einer großen Anzahl von Anteilen zusammen. Der Wert der einzelnen Aktie war auf eine möglichst niedrige Summe festgelegt. Es wurden jedoch die Besitzer dieser Anteile verpflichtet, für jede ihrer Aktie eine bestimmte Menge Rüben an die Fabrik zu liefern. Auf solche Weise erreichte man, daß fast nur Landwirte Aktionäre solcher Unternehmungen wurden . . ,". 213 Die Leitung einer solchen Fabrik lag „in der Hand eines technischen Dirigenten, jeder einzelne Aktionär (baute) seine bestimmte Morgenzahl Rüben, die ihm von der Fabrik zu einem mässigen Preise vergütet" wurden und „der Reinertrag der Fabrik (wurde) als Dividende an die Teilhaber gezahlt." 214 Im Untersuchungsgebiet entstanden zwischen 1870 und 1880 insgesamt vier solcher Fabriken, und zwar in Niederndodeleben (1871), Nordgermersleben (1872), Schackensleben (1879) und Eilsleben (1879). Hinzu kommen die drei Zuckerfabriken in Etgersleben, Klein Wanzleben und Ochtmersleben, die — wie oben bereits dargetan — auf einer solchen Basis schon Ende der vierziger Jahre errichtet worden waren. An dem Unternehmen in Nordgermersleben waren zunächst 12 bäuerliche Grundbesitzer aus 5 Orten und in Eilsleben 56 bäuerliche Grundbesitzer aus 12 Orten beteiligt, während die ersten Teilhaber der Fabrik in Schackensleben aus 7 Gemeinden kamen. 215 Später dürfte sich die Zahl der Aktionäre erweitert haben. Denn auch diese Unternehmungen mußten, wenn sie konkurrenzfähig bleiben wollten, ihr Areal und ihren Betrieb möglichst zu vergrößern trachten. Oft geschah diese Vergrößerung aber auch dadurch, daß die größeren Bauern käuflich oder pachtweise Land hinzuerwarben, „um ein größeres Quantum Rüben für die Fabrik produzieren zu können und nach dem Erwerb einer entsprechenden Anzahl von Aktien möglichst viel Einfluß auf das Unternehmen . . . zu gewinnen." 216 Die Tendenz zur Konzentration der Produktionsmittel begann auch in diesem Bereich wirksam zu werden: „Der Güter-Zerstrümmerung", heißt es auch im Ergebnis einer Umfrage vom Jahre 1893, „steht nach den Berichten in viel stärkerem Masse die Tendenz zur Expandierung derselben gegenüber, namentlich seit Einführung des Zuckerrübenbaues, der den mit den Zuckerfabriken in Verbindung stehenden Grossbetrieb ungemein begünstigt." 217 Der Rübenbau, vor allem wenn er, wie im Untersuchungsgebiet nach 1850, intensiv betrieben wird, bedingt einen größeren Aufwand an Kapital und Arbeit, also höhere Produktionskosten, insbesondere durch ein Mehr an Spann- und Handarbeit und durch vermehrten Dünger- und Kraftfutterbedarf, als der Getreidebau. Gewiß stehen diesen 212 213 214 215 216 217 6
Heine, 1849: 3 9 2 - 3 9 5 . Bielefelds 1910: 45; ebenfalls Humbert, 1877: 1 0 4 - 1 0 5 . Nathusius, 1884: 136. Bandoly, 1970: 2 4 - 2 5 . Bielefeldt, 1910:47. Nach Goldschmidt, 1899: 20.
Plaul, Landarbeiterleben
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höheren Ausgaben auf der anderen Seite gewöhnlich auch vergleichsweise höhere Gewinne gegenüber.218 Nicht jedoch in Krisenzeiten, wie beispielsweise in den Jahren 1866/67 und 1875/76,219 und nicht für alle Grundbesitzer in gleichem Maße und in denselben Proportionalitäten. Verlustreich mußten sich auf die Dauer auch die ab Ende der sechziger Jahre immer mehr expandierende Rübenmüdigkeit des Bodens bzw. die Folgen des Nematodenbefalls auswirken,220 die teilweise zu einer erheblichen Verminderung der Ernteerträge führten. Bei den kleineren Wirtschaften kommt hinzu, daß deren Erntegüter, speziell Rüben, eine vergleichsweise geringere Qualität ausweisen als die entsprechenden Erzeugnisse der großbäuerlichen Betriebe oder des Großgrundbesitzes, was sich besonders in jenen Fällen nachteilig auswirkte, in denen solche Wirtschaften nur auf die Produktion von Kaufrüben angewiesen waren und keine Möglichkeit einer Beteiligung an Zuckerfabriken gefunden hatten.221 Dennoch war im Untersuchungsgebiet, etwa im Vergleich zu anderen Distrikten,222 das Ausmaß der Verschuldung des bäuerlichen Grundbesitzes auch nach 1850 durchaus noch nicht besorgniserregend. Eine höhere Verschuldung wies hier, mit Ausnahme des Kreises Neuhaidensieben, vornehmlich der Großgrundbesitz auf, verursacht insbesondere durch häufigen Besitzwechsel, was bei den bäuerlichen Wirtschaften seltener, gewöhnlich nur in Todesfallen, eintrat, ferner — und das ist allerdings auch bei den bäuerlichen Grundbesitzern eine wesentliche Ursache — durch die infolge des ständigen Steigens der Bodenpreise höher ausfallenden Zahlungsverpflichtungen an die Miterben, wobei es vielfach auch zu Überschätzungen kam, sowie aus spekulativen Gründen. 223 Auch für das Untersuchungsgebiet darf deshalb angenommen werden, was für die deutsche Landwirtschaft allgemein für die Zeit bis 1914 zugrundegelegt wird, nämlich, „daß der überwiegende Teil der Schulden nicht der Verbesserung der Produktion und des Betriebes zukam, sondern Besitzkredite waren"; freilich kommt darin auch zum Ausdruck, „wer sich Kredite überhaupt leisten konnte . . . , ohne sofort über alle Maßen zu verschulden."224 Welchen Umfang die Verschuldung beim Großgrundbesitz (Rittergüter) und beim bäuerlichen Grundbesitz in den vier am Untersuchungsgebiet teilhabenden Kreisen Wanzleben, Neuhaidensieben, Calbe und Wolmirstedt
218 219 220 221
Vgl. hierzu bei Humbert, 1877: 105 und 112. Bielefelds 1910: 45 und 116. Nathusius, 1884: 138-139. Bielefeldt, 1910: 87. — Die Ursachen für die schlechtere Qualität des Erntegutes, speziell der Rüben, dürften darin zu sehen sein, daß die Inhaber dieser Betriebe zur Realisierung ihrer Profitinteressen viel stärker zur Monokultur übergehen mußten und dabei andererseits wegen ihres nur geringen Betriebskapitals vergleichsweise wenig Nährstoffe (Dünger) dem Boden wieder zuzuführen vermochten. 222 So hat z. B. Sotta, 1968: 177, ermittelt, daß um dieselbe Zeit (1860) in den Dörfern der sächsischen Oberlausitz Radibor, Crostwitz und Höflein die „Hypothekenschuld in Prozent der Erwerbspreise" bei den Grundbesitzern in den Größenklassen 0,5 ha und darüber zwischen 40—54% betrug. Bis zum Jahre 1895 war sie insgesamt sogar bis auf fast 60% angestiegen, was Solta wie folgt kommentiert: „Eine Verschuldung der Bauernwirtschaften bis annähernd 60 Prozent ihres Wertes . . . mußte damals als eine schwere Last empfunden werden" (S. 178). 223 Bielefeldt, 1910:94-95. 224 Solta, 1968: 178 und 180.
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sowie im Regierungsbezirk Magdeburg insgesamt um 1860 erreicht hatte, vermittelt die folgende Übersicht : 225 Tabelle 24
Schuldenbetrag vom Gesamtwert sämtlicher Bauerngüter Schuldenbetrag vom Gesamtwert sämtlicher Rittergüter
Kreis Kreis Wanzleben Neuhaidensleben
Kreis Calbe
Kreis Womirstedt
Reg. Bezirk Magdeburg
16,8%
19,1%
14,0%
14,1%
13,0%
26,6%
18,5%
31,2%
33,7%
25,1%
Eine wesentliche Änderung in dieser Beziehung trat im Untersuchungsgebiet auch in den beiden folgenden Jahrzehnten nicht ein. Im Juni 1882 ließ das preußische Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten durch die landwirtschaftlichen Vereine eine Enquete „über die gegenwärtigen bäuerlichen Besitz- und Wohlstands* Verhältnisse" durchführen, in der unter anderem auch erfragt wurde, ob „eine besondere Höhe oder schnelle Zunahme der Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes in den letzten Jahren wahrzunehmen" gewesen sei, und wenn ja, „bis zu welcher Höhe und aus welchen Ursachen (Erbtheilung, schlechte Wirthschaft, zu geringes Betriebskapital, zu theurer Ankauf, schlechte Ernten, Viehsterben u.s.w.)", sowie, ob in diesem Zeitraum „häufige Subhastationen ländlicher Grundstücke stattgefunden" hätten. Die beiden für das Untersuchungsgebiet in Frage kommenden landwirtschaftlichen Vereine zu Magdeburg und zu Calbe verneinten diese Fragen.226
225 Jahrbuch . . . Statistik, 1863: 186 und 190, wobei die Prozentwerte in der Kolumne „Schuldenbetrag vom Gesamtwert sämtlicher Rittergüter" an Hand der hier angegebenen absoluten Zahlen vom Verfasser errechnet worden sind. Vgl. dazu auch unter Anm. 222. 226 Landwirtschaftliche Jahrbücher, 1883: 262—265. Im Bericht des Referenten v. Miaskowski, der am 15. 2. 1883 dem Landes-Ökonomie-Kollegium das Auswertungsergebnis dieser Enquete vorlegte, wurde — gerade speziell für Gegenden wie das Untersuchungsgebiet — ergänzend hierzu erklärt: „Danach scheint trotz der allgemeinen Zunahme der Verschuldung doch nur für einen Theil der Monarchie eine Abnahme des bäuerlichen Wohlstandes angenommen werden zu dürfen. Insbesondere wird eine solche Abnahme bestritten für einen grossen Theil Ostpreussens und Schleswig Holsteins, für Theile der Provinzen Westpreussens, Sachsen und Brandenburg sowie Theile von Nieder- und Mittelschlesien. Hier wie ausnahmsweise auch in einigen Kreisen der anderen Provinzen . . . erfreuen sich hauptsächlich diejenigen grösseren Bauern eines blühenden Wohlstandes, die in den Fluss- oder Seemarschen oder sonst auf fruchtbarem Boden sitzen und vorzugsweise Viehzucht, Rübenbau und landwirtschaftliche Nebengewerbe treiben" (ebenda, S. 611). — Auch Ziegenhagen, 1965: 167, bestätigt, daß „die relativ günstigen Marktverhältnisse eine massenhafte Verschuldung" vor allem der mittel- und großbäuerlichen Wirtschaften „verhindert" haben. 6*
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Der Beginn des kapitalistischen Differenzierungsprozesses der Bauernschaft Der Prozeß der Konsolidierung des Kapitalismus in der Landwirtschaft, der im Untersuchungsgebiet schon bald nach 1850 einsetzte, und in dessen Verlauf die ökonomischen Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise voll wirksam wurden, hatte auch Veränderungen in der Klassenstruktur, wie sie sich hier im Zuge der westfälischen und preußischen Agrarreformen, im Prozeß des Eindringens des Kapitalismus in die Landwirtschaft herausgebildet hatten, zur Folge. Um 1850 standen sich im Untersuchungsgebiet, wie dargelegt, in der Hauptsache drei Gruppen ländlicher Grundbesitzer gegenüber. Erstens: eine zahlenmäßig ziemlich bedeutende Schicht mittlerer und großer Bauern, die sich im Zuge der Durchführung der Agrarreformen immer mehr zu Mittel- und Großbauern „im modernen Sinne" entwickelt und die den größten Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf sich vereinigt hatte. Zweitens: ein nach der Zahl verhältnismäßig geringer Großgrundbesitz, der sich im Verlauf dieses Prozesses mehr oder weniger rasch in kapitalistische Junkerwirtschaften verwandelt und den zweitgrößten Anteil am landwirtschaftlichen Nutzareal, der allerdings insgesamt bedeutend geringer war als der des mittel- und großbäuerlichen Grundbesitzes, innehatte. Drittens: ein zahlenmäßig starker Kleinbesitz, bestehend aus ehemals feudal abhängigen Kossäten und Häuslern, die sich im Ergebnis der Agrarreformen, soweit sie als Kossäten, speziell Großkossaten, ihre ökonomische Grundlage zu erhalten vermocht hatten, in einfache, von feudaler Ausbeutung freie agrarische Warenproduzenten kleinbürgerlichen Typus entwickelt (Kleinbauern), 227 und soweit sie Kleinkossaten und grundbesitzende Häusler gewesen waren, sich in Landarbeiter mit Bodenanteilen verwandelt hatten. Dieser Kleinbesitz verfügte insgesamt über den geringsten Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche (vgl. Tabelle 18). Im Prozeß der Herausbildung entwickelter agrarkapitalistischer Verhältnisse zwischen 1850 und 1880 hatte diese Struktur nunmehr eine erhebliche Veränderung erfahren, und zwar in folgender Weise : 228 Tabelle 25 Umfang der Einzelbesitzungen in Mrg.
0 - 20 20-400 üb. 400
1882 1882 in den vier Kreisen im Kreise Calbe, Neuhaldens- Wanzleben leben, Wanzleben u. Womirstedt Anzahl der Besitzungen
Anteil am Gesamtareal
Anzahl der Besitzungen
Anteil am Gesamtareal
88,51% 11,04 % 0,45 %
14,48% 39,42% 46,10%
92,06% 7,45% 0,49%
13,29% 21,62% 65,09%
Umfang der Einzelbesitzungen in Mrg.
0 - 30 30-600 üb. 600
1858 im Kreise Wanzleben
Anzahl der Besitzungen
Anteil am Gesamtareal
79,25% 20,14 % 0,61%
13,72% 60,62% 25,66%
227 Vgl. hierzu Mottek, 1964: 41. 228 Angaben für 1882 nach Meitzen, 1901: (94)—(95); Angaben für den Kreis Wanzleben 1858: Meitzen, 1869 : 4 9 0 - 4 9 1 ; Meitzen, 1868: 516; Jahrbuch . . . Statistik, 1863: 159.
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Leider liegt den beiden Statistiken keine einheitliche Klassifikation der Betriebsgrößen zugrunde, wodurch eine zuverlässige, genaue Interpretation sehr erschwert wird (für die Verhältnisse in den vier Kreisen Calbe, Neuhaidensieben, Wanzleben und Wolmirstedt im Jahre 1858 siehe Tabelle 18). Dennoch dürfte das Zahlenmaterial hinreichen, um zumindest gewisse Tendenzen transparent zu machen. So kann in bezug auf die Veränderungen, denen der Klein- und Kleinstbesitz in diesem Zeitraum unterworfen ist, zunächst ein erhebliches zahlenmäßiges Anwachsen dieser Schicht festgestellt werden. Während um 1858 in den vier Hauptkreisen, die flächenmäßig über das Untersuchungsgebiet hinausreichen, die Grundbesitzer mit einem Areal von 0—30 Morgen 78,37% ausmachen, beträgt um 1882 die Zahl der Klein- und Parzellenbesitzer mit einer Fläche von nur 0—20 Morgen, also gegenüber dem Jahr 1858 um zehn Morgen weniger, nunmehr 88,51 %. Noch augenfälliger zeigen sich diese Veränderungen im Hauptdistrikt des Rübenbaues, im Kreis Wanzleben. Hier erhöht sich der Prozentsatz sogar von 79,25 auf 92,06. Demgegenüber nimmt der Anteil dieser Gruppe an der landwirtschaftlichen Nutzfläche vergleichsweise nur geringfügig zu; denn es ist zu berücksichtigen, daß in den Werten für 1858 noch die Besitzer zwischen 20 und 30 Morgen einbezogen sind. Im Kreis Wanzleben war die Zunahme des Arealanteils offensichtlich noch geringer. Das läßt darauf schließen, daß diese Entwicklung weniger eine Folge der Seßhaftmachung ländlicher Arbeiter war, wie etwa in den übrigen preußischen ostelbischen Provinzen, als vielmehr das Ergebnis des zunehmend härter werdenden Konkurrenzkampfes, vor allem im Gefolge der Agrarkrise der siebziger Jahre des 19. Jh., das heißt das Resultat des Absinkens kleinbäuerlicher Grundbesitzer ins Proletariat. Für die Zeit nach 1880 bestätigen dies Müller 229 und Ziegenhagen 230 für die gesamte Provinz Sachsen: „In der Provinz Sachsen überwiegt die Tendenz des durch den Konkurrenzkampf und die nahe Industrie verwandelten kleinen und kleinsten Bauern in den Landarbeiter. Wir finden die ganz interessante Erscheinung, daß der kleinbäuerliche Betrieb (2—5 ha) zahlenmäßig abnimmt. Dessen Verminderung ist zusammenhängend mit der Erhöhung der Zahl der Parzellenbetriebe. Das Absinken des kleinbäuerlichen Produzenten zum landbesitzenden Proletarier setzt aber einen harten Konkurrenzkampf voraus. Wir wissen, daß ein solcher Konkurrenzkampf auf den Märkten der Provinz Sachsen mit zunehmender Stärke zwischen den bäuerlichen und kapitalistischen Wirtschaften einerseits und den kapitalistischen und vom Außenmarkt abgedrängten großkapitalistischen Betrieben andererseits geführt wurde. — Und diese Zweiseitigkeit des Widerspruchs war die notwendige Voraussetzung für die Proletarisierung." 231 Im sozialökonomisch fortgeschritteneren Untersuchungsgebiet, wo das Streben nach Maximalprofiten und der Kampf um marktbeherrschende Positionen zur Sicherung dieser Profite besonders hart geführt wurde, wo die Tendenz zur Expansion und damit zur
229 „Andererseits hat in unserer Provinz der Großgrundbesitz auch nicht die Verluste an Fläche aufzuweisen, die er z. B. in den östlichen Provinzen durch die innere Kolonisation erleidet, deren Bestrebungen auf Zerschlagung größerer Besitzungen zwecks Parzellierung und Ansiedlung von Kleinbauern und Arbeitern gerichtet sind und auf diese Weise ein wirksames Gegengewicht gegen eine anormale Vermehrung und Konzentrierung des Grundeigentums abgibt . . . Solche Bestrebungen fehlen hier in Sachsen fast gänzlich." Zitiert nach Müller, 1912: 74. 230 Ziegenhagen, 1965: 149-157. 231 Ziegenhagen, 1965: 151-152.
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Konzentration und Zentralisation der Produktion viel stärker ausgeprägt war, wozu auch die Zusammendrängung zunächst vieler Konkurrenten (Rübenbauer) auf einem relativ kleinen Territorium wesentlich beitrug, hatte der Proletarisierungsprozeß kleinbäuerlicher Grundbesitzer, verstärkt vor allem auch durch die Agrarkrise der siebziger Jahre des 19. Jh., bereits geraume Zeit vor 1880, früher als in der Provinz Sachsen insgesamt, eingesetzt. Bedeutend sind auch die Veränderungen, die im Verlauf jenes Zeitraumes beim Großgrundbesitz und bei den mittel- und großbäuerlichen Grundbesitzern vor sich gegangen waren. Obwohl auf Grund der unterschiedlichen Betriebsgrößen-Klassifikation gerade hier eindeutig vergleichbare Zahlen fehlen — die Differenz beträgt immerhin 50 ha! — so lassen sich zwei grundlegende Tendenzen dennoch ablesen. Erstens: eine zunehmende Konzentrierung des landwirtschaftlichen Nutzareals in den Händen des Großgrundbesitzes, der sich obendrein prozentual noch verringert hat (in den vier Kreisen bei einem Plus von 50 ha: 1882 [schon ab 400 Morgen] gegenüber 1858 [erst ab 600 Morgen] von 0,62 auf 0,45; im Kreis Wanzleben von 0,61 auf 0,49), und zweitens: eine Verminderung des Anteils der mittel- (5—20 ha) und großbäuerlichen (20—100 ha) Grundbesitzer an der landwirtschaftlichen Gesamtnutzfläche. Diese Entwicklung hat im Ergebnis ein solches Ausmaß angenommen, daß sich die vordem bestehenden Areal-Anteil-Verhältnisse fast geradezu in ihr Gegenteil verkehrt haben. Verfügten um 1858 noch die mittel- und großbäuerlichen Wirtschaften über mehr als die Hälfte des landwirtschaftlichen Nutzareals und der Großgrundbesitz erst über etwa ein Drittel (bei Zugrundelegung einer Betriebsgröße von 100 ha = 400 Morgen und darüber), so stellt sich dieses Verhältnis um 1880 beinahe umgekehrt dar. Dieses Ergebnis bestätigt auch Ziegenhagen.232 Die Reduzierung des agrarischen Nutzarealanteils der mittel- und großbäuerlichen Wirtschaften bezieht sich allerdings ausschließlich auf die Eigenfläche, nicht auf die Pachtfläche, die „unter dem allgemeinen Druck des Marktes und der dort herrschenden Konkurrenz" in allen, außer den großkapitalistischen Betrieben mit 100 ha und mehr, zugenommen hat. 233 Auch wurden die mittelbäuerlichen und die großbäuerlichen Grundbesitzer nicht in demselben Maße von dieser Entwicklung erfaßt. Für die mittelbäuerlichen Wirtschaften ist infolge von Pachtungen, teilweise aber auch als Ergebnis von Dismembrationen,- sogar ein zahlenmäßiges Anwachsen festzustellen.234 Dies wird auch durch die Enquete-Antwort des landwirtschaftlichen Vereins zu Magdeburg aus dem Jahre 1882 unterstrichen.235 Diese Entwicklung war aber nur möglich durch eine Verminderung der ökonomischen Potenz anderer Betriebe; „das heißt, eine Gruppe von Betrieben erhielt den Verbleib in der genannten Betriebsgröße durch
232 Ziegenhagen, 1965: 204: „Der Großgrundbesitz verteilt sich nämlich nicht . . . gleichmäßig in den einzelnen Gebieten. In solch intensiv genutzten Kreisen wie Oschersleben, Wanzleben u. a. besitzt er mehr als die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche." 233 Ziegenhagen, 1965: 165—166. 234 Vgl. bei Ziegenhagen, 1965: 164-198. 235 Landwirthschaftliche Jahrbücher, 1883: 264—265. Es heißt da auf die Fragen „4. Sind grössere und mittlere Güter und Bauernhöfe mehrfach von den bisherigen Besitzern parzellirt oder durch gewerbsmässige Unternehmer ausgeschlachtet worden?" und „5. Sind die betreffenden Parzellen mehr zur Arrondirung des grösseren und mittleren Besitzes oder zur Etablirung kleinerer Wirthschaften oder Häuslerstellen benutzt worden?" — „Ja. Wegen Erbteilung. Arrondirung mittleren Besitzes."
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Pachtung, andere mußten diese Gruppe verlassen oder Teile des Landes verkaufen." 236 Vom letzteren waren „infolge des Konkurrenzkampfes und der dadurch erzwungenen Intensivierung der Bodennutzung"237 vor allem großbäuerliche Betriebe betroffen, was offensichtlich ebenfalls zur Erhöhung der Zahl der mittelbäuerlichen Wirtschaften beigetragen hat. Andererseits konnten aber auch mittelbäuerliche Betriebe, zum Beispiel solche, die sich an gewinnbringenden Zuckerfabriken beteiligten, zur Gruppe der großbäuerlichen, kapitalistischen Betriebe aufschließen, so daß der „Rückgang der Zahl der Wirtschaften mit 20—100 ha", der in „Auswertung der Statistik des Deutschen Reiches im letzten Vierteljahrhundert" für die Provinz Sachsen allgemein ablesbar ist, sich dadurch insgesamt geringer darstellt als dies innerhalb dieser Schicht selbst in Wirklichkeit der Fall gewesen sein dürfte. 238 Die größeren, tiefgreifenderen Veränderungen innerhalb der bäuerlichen Klasse haben sich im Untersuchungsgebiet demnach weniger in der Phase der Herausbildung agrarkapitalistischer Verhältnisse vollzogen als vielmehr in der Periode der Konsolidierung dieser Verhältnisse. Eine Ausnahme hiervon bilden lediglich die kleinbäuerlichen Grundbesitzer, speziell die ehemaligen Kleinkossaten, von denen infolge der Teilung der Gemeinheiten auch schon in jenem früheren Stadium der sozial-ökonomischen Entwicklung, im Prozeß der Durchführung der Agrarreformen, viele ins Proletariat hinabgestoßen wurden. Insofern unterscheidet sich die Entwicklung im Untersuchungsgebiet zunächst in nichts von der allgemeinen Entwicklung. Solta hat die Periode „bis zum Abschluß des bürgerlichen Umwälzungsprozesses der Agrarverfassung, das heißt bis zum Ende des Preußischen Weges", deshalb als „die Vorgeschichte der Klassendifferenzierung der Bauernschaft im Kapitalismus" bezeichnet.239 Erst nachdem sich der Kapitalismus in der Landwirtschaft endgültig durchgesetzt hat, beginnt jene „Periode langsamer Veränderungen der Agrarverhältnisse durch die Entwicklung der kapitalistischen Landwirtschaft", 240 an derem Ende — nach einer Formulierung Lenins — die Spaltung, Zersetzung und Polarisierung der bäuerlichen Bevölkerung steht.241 Im Untersuchungsgebiet setzt der Beginn dieser Periode zeitlich früher ein als in anderen Distrikten. Und darin, im temporalen Vorsprung, und nicht im Verlauf an sich, unterscheidet sich die Entwicklung hier von der in anderen Gebieten. Dies war möglich durch eine günstige Marktlage, durch die Einführung eines sich unmittelbar an den Marktverhältnissen orientierenden Produktionszweiges sowie durch die Existenz eines auch aus den Agrarreformen praktisch ungeschmälert hervorgegangenen Mittel- und vor allem Großbauernstandes, der zum Mitträger der kapitalistischen Entwicklung werden konnte und dies auch wurde. Eine enge Marktverflechtung und damit eine außerordentlich starke Marktabhängigkeit und Marktempfindlichkeit der Produzenten, die Zunahme des Konkurrenzdruckes insbesondere von seiten der großen Fabrikwirtschaften und des fast durchweg mit Zuckerfabriken verbundenen Großgrundbesitzes, gesteigert vor allem während der Agrarkrise der siebziger Jahre, und ein im Zusammenhang damit fortlaufender 236 237 238 239 240 241
Ziegenhagen, 1965: 166. Ziegenhagen, 1965: 183. Ziegenhagen, 1965: 183. Soha, 1968: 16und25. Sotta, 1968:25. Soha, 1968:20.
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kapitalistischer Konzentrationsprozeß als die eigentliche Grundlage der Differenzierung der Bauernschaft, waren die unmittelbaren Ursachen und Triebkräfte dieser Entwicklung.
Die Entstehung der Landarbeiterschaft als Bestandteil des Prozesses der Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft 242 Landarbeiter sind ein integraler Bestandteil des Proletariats. Im Unterschied zum Fabrik- bzw. Industriearbeiter sind sie der im agrarischen Bereich der gesellschaftlichen Produktion tätige Teil der Arbeiterschaft. Ihre Existenz ist an Produktionsweisen mit entwickelter Warenproduktion gebunden, in denen die unmittelbaren Produzenten über ihre Arbeitskraft formalrechtlich relativ frei verfügen können. Ihr Charakter wird bestimmt durch die in diesen Produktionsweisen jeweils herrschende Form des Eigentums (kapitalistische Landarbeiter, Landarbeiter im Sozialismus). Ihre Entstehung fällt daher mit der Herausbildung der historisch frühesten Produktionsweise dieses Typs, der kapitalistischen Produktionsweise, zusammen. Ihr geschichtlich erster Repräsentant ist der kapitalistische Landarbeiter. Ebenso wie für den landarmen und landlosen Agrarproduzenten im Spätfeudalismus, woraus er sich historisch hervorentwickelt, besteht auch für den Landarbeiter im Kapitalismus auf Grund seiner Stellung zu den Produktionsmitteln als dem entscheidenden Kriterium jeder sozialökonomischen Charakteristik, der ökonomische Zwang zum Verkauf seiner Arbeitskraft. Darin besteht ihre Gemeinsamkeit und zugleich das Trennende gegenüber den verschiedenen Schichten der bäuerlichen Klasse. Ihr Besitzanteil an Grund und Boden reicht nicht hin, um die eigene Existenz und die ihrer Familie damit auf die Dauer abzusichern. Beide, die feudale Landarmut wie die Landarbeiter im Kapitalismus, sind daher gezwungen, „ihre Arbeitskraft zur Ausbeutung anzubieten." 243 Allerdings ist dieser Zwang, der auf dem spätfeudalen Agrarproduzenten lastet „nicht mit demjenigen identisch, der auf den kapitalistisch ausgebeuteten Landarbeiter einwirkt. Die Freisetzung von Produktionsmitteln war im Spätfeudalismus noch nicht begleitet von einer entsprechenden Freisetzung von der feudalen Abhängigkeit. Die Lohnarbeit war . . . noch keine freie kapitalistische, mehrwertschaffende Lohnarbeit, die nach den Gesetzen der kapita-
242 Teilweise vorauspubliziert unter dem Titel „Struktur und Probleme der Landarbeiter in der Magdeburger Börde im Verlauf der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse" in: Probleme der Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus. Teil VIII. Tagungsmaterial vom September 1976. Wilhelm-Pieck-Universität Rostock, Sektion Geschichte. Hg. v. d. Abt. Wissenschaftspublizistik der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock. Rostock, Wilhelm-Pieck-Universität, 1977, S. 149 bis 163. 243 Peters, 1967:275.
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kapitalistischer Konzentrationsprozeß als die eigentliche Grundlage der Differenzierung der Bauernschaft, waren die unmittelbaren Ursachen und Triebkräfte dieser Entwicklung.
Die Entstehung der Landarbeiterschaft als Bestandteil des Prozesses der Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft 242 Landarbeiter sind ein integraler Bestandteil des Proletariats. Im Unterschied zum Fabrik- bzw. Industriearbeiter sind sie der im agrarischen Bereich der gesellschaftlichen Produktion tätige Teil der Arbeiterschaft. Ihre Existenz ist an Produktionsweisen mit entwickelter Warenproduktion gebunden, in denen die unmittelbaren Produzenten über ihre Arbeitskraft formalrechtlich relativ frei verfügen können. Ihr Charakter wird bestimmt durch die in diesen Produktionsweisen jeweils herrschende Form des Eigentums (kapitalistische Landarbeiter, Landarbeiter im Sozialismus). Ihre Entstehung fällt daher mit der Herausbildung der historisch frühesten Produktionsweise dieses Typs, der kapitalistischen Produktionsweise, zusammen. Ihr geschichtlich erster Repräsentant ist der kapitalistische Landarbeiter. Ebenso wie für den landarmen und landlosen Agrarproduzenten im Spätfeudalismus, woraus er sich historisch hervorentwickelt, besteht auch für den Landarbeiter im Kapitalismus auf Grund seiner Stellung zu den Produktionsmitteln als dem entscheidenden Kriterium jeder sozialökonomischen Charakteristik, der ökonomische Zwang zum Verkauf seiner Arbeitskraft. Darin besteht ihre Gemeinsamkeit und zugleich das Trennende gegenüber den verschiedenen Schichten der bäuerlichen Klasse. Ihr Besitzanteil an Grund und Boden reicht nicht hin, um die eigene Existenz und die ihrer Familie damit auf die Dauer abzusichern. Beide, die feudale Landarmut wie die Landarbeiter im Kapitalismus, sind daher gezwungen, „ihre Arbeitskraft zur Ausbeutung anzubieten." 243 Allerdings ist dieser Zwang, der auf dem spätfeudalen Agrarproduzenten lastet „nicht mit demjenigen identisch, der auf den kapitalistisch ausgebeuteten Landarbeiter einwirkt. Die Freisetzung von Produktionsmitteln war im Spätfeudalismus noch nicht begleitet von einer entsprechenden Freisetzung von der feudalen Abhängigkeit. Die Lohnarbeit war . . . noch keine freie kapitalistische, mehrwertschaffende Lohnarbeit, die nach den Gesetzen der kapita-
242 Teilweise vorauspubliziert unter dem Titel „Struktur und Probleme der Landarbeiter in der Magdeburger Börde im Verlauf der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse" in: Probleme der Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus. Teil VIII. Tagungsmaterial vom September 1976. Wilhelm-Pieck-Universität Rostock, Sektion Geschichte. Hg. v. d. Abt. Wissenschaftspublizistik der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock. Rostock, Wilhelm-Pieck-Universität, 1977, S. 149 bis 163. 243 Peters, 1967:275.
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listischen Ökonomik geregelt wurde. Als „Regler" mußte noch der feudale Machtapparat fungieren." 244 Darin besteht der konstitutive Unterschied: Während für die spätfeudale Landarmut der Verkauf ihrer Arbeitskraft über die ökonomische Notwendigkeit hinaus noch „durch ein Gesamtsystem feudaler Bindungen und Zwangsmaßnahmen außerökonomisch geregelt wurde", 245 war der kapitalistisch ausgebeutete Landarbeiter von dieser Art Zwang frei. Daher und weil er wie die landarmen und landlosen Agrarproduzenten im Spätfeudalismus nicht im Besitz von Produktionsmitteln ist, sprechen wir in seinem Fall vom doppelt freien Landarbeiter. Für das Untersuchungsgebiet war ein solches Gesamtsystem feudaler Zwangsmaßnahmen und Abhängigkeiten in der „Churfürstl. Brandenburgl. Policey-Ordnung des Herzogthums Magdeburg" von 1688 (im folg. abgek.: Pol. O.) niedergelegt (speziell in Cap. XXXIV), deren juristische Verbindlichkeit — durch einige zu Anfang des 18. Jh. ausgegebene Patente, Verordnungen und Edikte nur geringfügig beeinträchtigt — bis zur Einführung der westfälischen Gesetzgebung zu Beginn des 19. Jh. erhalten blieb. Zu den außerökonomischen Mitteln, durch die Kauf und Verkauf der Arbeitskraft des spätfeudalen Landarmen hierdurch geregelt wurden, gehören außer den ohnehin üblichen Fronverpflichtungen (Dienste und Abgaben) insbesondere: Gesindezwangdienst und Vormietrecht (§ 1, §§ 7—12 Pol. O.), Festlegung sehr genauer Lohntaxen als Grundlage für Gesindezwangslöhne (§§ 13, 14 und 20 Pol. O.), Lohnbegrenzungen für Tagelöhner (§ 4 Pol. O.), Verpflichtung für solche Dorfbewohner, die „ihrer Kinder halber, oder sonsten auf ihrer eigenen Hand, oder zur Miethe sitzen müssen, . . . dennoch dem Gerichts-Herrn" ihres Wohnortes „wöchentlich, und wie es an jedem Orte gebräuchlich ist", ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen zu müssen, die aber — offensichtlich eine häufig geübte Widerstandspraxis — „unter dem Schein des Pferde- und Vieh-Handels" dieser Verpflichtung sich zu entziehen trachteten (§ 2 Pol. O.), Verbot der Bettelei und der Vagabondage (Cap. LVII, §§ 1 — 13 Pol. O.), „auslegbar als Arbeitsverpflichtung" für die Gerichtsherrschaft, 246 Ableistung von Diensten „des verliehenen Schutzes wegen", 247 Recht des Gerichtsherrn, „die Unterthanen zur Erfüllung der noch fortdauernden Pflichten durch körperliche oder Geldstrafen anzuhalten", 248 im weiteren Sinne aber auch „die Verpflichtung, den Consens der Herrschaft in Ansehung der Erziehung und Bestimmung der Kinder nachzusuchen" 249 u. a. m. Dieses System von Beschränkungen, Verboten, Verpflichtungen und Zwangsmaßnahmen, das im Untersuchungsgebiet — worauf oben bereits hingewiesen worden ist — „nicht mit dem Status der Leibeigenschaft, sondern mit der Gerichtsherrschaft" zusammenhing, 250 wurde durch die westfälische Gesetzgebung — und später durch die preußische bestätigt — weitgehendst aufgehoben. An die Stelle des feudalen außerökonomisch verordneten und reglementierten Arbeitszwanges trat für die aus 244 245 246 247
Peters, 1967:275. Peters, 1967:279. Peters, 1967:276. Klewitz, 1837:296 (betr. das „Provinzial-Recht des links der Elbe belegenen Theils des . . . Herzogthums Magdeburg"). 248 Klewitz, 1837: 296. 249 Klewitz, 1837: 296. 250 Mottek, 1964:25.
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existentiellen Gründen auf Lohnarbeit angewiesenen landarmen und landlosen Agrarproduzenten nun die durch feudale, das heißt durch von vornherein einen Zwang kollektiv-verbindlicher Art ausübende, außerwirtschaftliche Mittel nicht mehr gezwungene und gesteuerte freie Lohnarbeit. Die Folgen und die Bedeutung der Agrarreformen bestanden für diese Schicht der Landbevölkerung also vornehmlich darin, daß sie die juristische Verfügungsgewalt über ihre eigene Arbeitskraft erhielten. Die hierfür entscheidenden gesetzlichen Grundlagen bildeten die westfälischen Dekrete vom 23. 1. 1808 sowie vom 16. 5. und 27. 7. 1809. Danach wurden entschädigungslos aufgehoben: alle persönlichen Dienste und Abhängigkeiten; der Gesindezwangdienst; die Verbindlichkeit, bei Heirat um die Einwilligung der Gerichtsherrschaft nachsuchen und dafür eine Abgabe entrichten zu müssen; Beschränkungen der Freizügigkeit; sämtliche ungemessenen Dienste; die Verpflichtung, bei Erziehung und beruflicher Bestimmung der eigenen Nachkommen die Genehmigung der Gerichtsherrschaft einzuholen; die Pflicht zum Treue- und Untertänigkeitseid; die Berechtigung der Gerichtsherrschaft, zur Erfüllung noch uneingelöster Pflichten Strafen anwenden zu können (Dekret vom 23. 1. 1808); ferner die Zahlung des von den nichteingesessenen Einwohnern für obrigkeitlichen Schutz zu erlegenden Schutzgeldes (Dekret vom 16. 5. 1809) und schließlich alle Dienste, die aus diesem Schutzuntertanenverhältnis hervorgegangen waren (Dekret vom 27. 7. 1809).251 Das preußische Gesetz vom 21. 4. 1825 (§§ 5—11) bestätigte später diese Maßnahmen. Die spätfeudale Landarmut ist von den feudalen Zwängen also durch dieselbe Reformgesetzgebung zu Beginn des 19. Jh. freigesetzt worden, durch die auch fundamentale Veränderungen in den Eigentumsverhältnissen ermöglicht und bewirkt worden sind. Damit erweist sich der hierdurch verursachte Wandel im Charakter dieser Schicht, das heißt die Entstehung der Landarbeiterschaft in ihrer historisch ersten Erscheinungsform, als Teilprozeß jenes umfassenden gesellschaftlichen Vorgangs, an dessem Ende die Ablösung der feudalen und die Herausbildung kapitalistischer Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft stand.
Die verschiedenen sozialen Gruppen innerhalb der einheimischen Landarbeiterschaft Das kapitalistische Agrarproletariat ging aus diesem Prozeß allerdings nicht als eine fest geschlossene, in sich durchweg vereinheitlichte, homogene Gruppe hervor. Vielmehr spiegelt sich zunächst in ihr noch jene Differenziertheit wider, die schon für die landarmen und landlosen Agrarproduzenten im Spätfeudalismus charakteristisch war. In der Hauptsache können bei einer dem Wesen nach gleichen Stellung zu den Produktionsmitteln zunächst je nach ihren sozialökonomischen Besonderheiten, wobei vor allem die Frage nach Besitz von Gebäuden, aber auch von Bodenanteilen von 251 Klewitz, 1837: 296, sowie Lütge, 1935: 290-292, und Lütge, 1957: 246.
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existentiellen Gründen auf Lohnarbeit angewiesenen landarmen und landlosen Agrarproduzenten nun die durch feudale, das heißt durch von vornherein einen Zwang kollektiv-verbindlicher Art ausübende, außerwirtschaftliche Mittel nicht mehr gezwungene und gesteuerte freie Lohnarbeit. Die Folgen und die Bedeutung der Agrarreformen bestanden für diese Schicht der Landbevölkerung also vornehmlich darin, daß sie die juristische Verfügungsgewalt über ihre eigene Arbeitskraft erhielten. Die hierfür entscheidenden gesetzlichen Grundlagen bildeten die westfälischen Dekrete vom 23. 1. 1808 sowie vom 16. 5. und 27. 7. 1809. Danach wurden entschädigungslos aufgehoben: alle persönlichen Dienste und Abhängigkeiten; der Gesindezwangdienst; die Verbindlichkeit, bei Heirat um die Einwilligung der Gerichtsherrschaft nachsuchen und dafür eine Abgabe entrichten zu müssen; Beschränkungen der Freizügigkeit; sämtliche ungemessenen Dienste; die Verpflichtung, bei Erziehung und beruflicher Bestimmung der eigenen Nachkommen die Genehmigung der Gerichtsherrschaft einzuholen; die Pflicht zum Treue- und Untertänigkeitseid; die Berechtigung der Gerichtsherrschaft, zur Erfüllung noch uneingelöster Pflichten Strafen anwenden zu können (Dekret vom 23. 1. 1808); ferner die Zahlung des von den nichteingesessenen Einwohnern für obrigkeitlichen Schutz zu erlegenden Schutzgeldes (Dekret vom 16. 5. 1809) und schließlich alle Dienste, die aus diesem Schutzuntertanenverhältnis hervorgegangen waren (Dekret vom 27. 7. 1809).251 Das preußische Gesetz vom 21. 4. 1825 (§§ 5—11) bestätigte später diese Maßnahmen. Die spätfeudale Landarmut ist von den feudalen Zwängen also durch dieselbe Reformgesetzgebung zu Beginn des 19. Jh. freigesetzt worden, durch die auch fundamentale Veränderungen in den Eigentumsverhältnissen ermöglicht und bewirkt worden sind. Damit erweist sich der hierdurch verursachte Wandel im Charakter dieser Schicht, das heißt die Entstehung der Landarbeiterschaft in ihrer historisch ersten Erscheinungsform, als Teilprozeß jenes umfassenden gesellschaftlichen Vorgangs, an dessem Ende die Ablösung der feudalen und die Herausbildung kapitalistischer Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft stand.
Die verschiedenen sozialen Gruppen innerhalb der einheimischen Landarbeiterschaft Das kapitalistische Agrarproletariat ging aus diesem Prozeß allerdings nicht als eine fest geschlossene, in sich durchweg vereinheitlichte, homogene Gruppe hervor. Vielmehr spiegelt sich zunächst in ihr noch jene Differenziertheit wider, die schon für die landarmen und landlosen Agrarproduzenten im Spätfeudalismus charakteristisch war. In der Hauptsache können bei einer dem Wesen nach gleichen Stellung zu den Produktionsmitteln zunächst je nach ihren sozialökonomischen Besonderheiten, wobei vor allem die Frage nach Besitz von Gebäuden, aber auch von Bodenanteilen von 251 Klewitz, 1837: 296, sowie Lütge, 1935: 290-292, und Lütge, 1957: 246.
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Bedeutung ist, unterschieden werden erstens: kapitalistische Landarbeiter mit Gebäudebesitz einschließlich Bodenanteilen oder nur mit Gebäudebesitz oder nur mit Bodenanteilen, und zweitens: kapitalistische Landarbeiter ohne Gebäudebesitz und ohne Bodenanteile. Außerdem ist auch jeweils ihre konkrete rechtliche Position zu berücksichtigen, da zwischen den beiden Ebenen, der ökonomischen und der juristischen, bekanntlich direkte Zusammenhänge bestehen. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei insbesondere der Grad der auf der Basis von Arbeitskontrakten zustandegekommenen und erreichten Integration des kapitalistischen Landarbeiters in den Betrieb dessen, an den er seine Arbeitskraft verkauft. Unter Zugrundelegung dieser Klassifikationskriterien und damit im Unterschied zu den in der bürgerlichen, 252 aber auch weitgehendst noch in der marxistischen Literatur 253 üblichen Gliederungsprinzipien und Benennungen, die sich gewöhnlich auf die zeitgenössischen Bezeichnungen stützen, 254 lassen sich im Untersuchungsgebiet innerhalb der einheimischen kapitalistischen Landarbeiterschaft in der Hauptsache folgende vier Sozialgruppen unterscheiden: 1. betriebsintegrierte Landarbeiter ohne Gebäudebesitz und Bodenanteile; 2. betriebsintegrierte Landarbeiter mit Gebäudebesitz und Bodenanteilen oder nur mit Bodenanteilen; 3. freie, das heißt nicht betriebsintegrierte Landarbeiter ohne Gebäudebesitz und Bodenanteile oder nur mit Bodenanteilen; 4. freie, das heißt nicht betriebsintegrierte Landarbeiter mit Gebäudebesitz und Bodenanteilen oder nur mit Gebäudebesitz. 255 Voraussetzung ist natürlich, daß es sich hierbei durchweg „um Produzenten handelt, die innerhalb der Agrarwirtschaft wirklich produktiv tätig sind". 256 Unter betriebsintegrierten kapitalistischen Landarbeitern ohne Gebäudebesitz und Bodenanteile ist das von jeglichen feudalen Zwängen befreite Gesinde zu verstehen. Soziologisch setzte es sich zusammen aus Knechten, Mägden und Jungen (im Untersuchungsgebiet auch als „Enken" bezeichnet), das heißt in der Regel aus unverheirateten männlichen und weiblichen Personen ab 14 Jahren, die kraft eines im juristischen Sinne freiwillig eingegangenen Kontraktes 257 über einen längeren, aber fest bestimmten Zeitraum hinweg ihre volle Arbeitskraft an die „Herrschaft", bei der sie in „Dienst" standen, verkauften. Der Gesindedienst war also gewöhnlich ein vorübergehender, temporal bemessener Dienst. Oft wurde je nach Arbeitsleistung, Verantwortung, Entlohnung und dem Rang, den der Betreffende daraufhin beanspruchte oder beanspruchen konnte, noch unterschieden zwischen Großknechten, Mittelknechten und 252 Vgl. beispielsweise bei Goltz, 1874; bei Bielefeldt, 1910; bei Lütge, 1957. 253 Hier wären zu nennen: Hübner, 1958; Graffunder, 1960; Mottek, 1964: 223—224; Bleiber, 1966. 254 Vgl. hierzu auch bei Peters, 1967: 301—302. 255" Die vorliegende Klassifikation ist in Anlehnung und Weiterführung der von Peters, 1967, für die landarmen und landlosen Agrarproduzenten im Spätfeudalismus vorgenommenen Einteilung erfolgt. Dem von ihm einbezogenen Merkmal „Betriebsintegration" dürfte im Hinblick auf den kapitalistisch ausgebeuteten Landarbeiter noch eine weit größere Bedeutung als Unterscheidungskriterium zukommen als im Falle der Landarmen und Landlosen im Spätfeudalismus, da deren Einbindung in die fremde Wirtschaft noch von den allgemeinen feudalen Zwängen überlagert ist. 256 Peters, 1967: 274. 257 Die „Gesinde-Ordnung für sämmtliche Provinzen der Preußischen Monarchie" vom 8. 11. 1810 bestimmte in § 1 u . a . : „Das Verhältniß zwischen Herrschaft und Gesinde gründet sich auf einen Vertrag . . .". Und in § 5 heißt es: „Wer sich als Gesinde vermiethen will, muß über seine Person frei zu schalten berechtigt sein."
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Kleinknechten, Großmägden usw. Wohnung, jedoch ohne eignen Haushalt, und Kost erhielt das Gesinde von der „Herrschaft" gestellt, beides stand ihm gewöhnlich in deren Wirtschaft selbst zur Verfügung und war Teil des Lohnes, der sowohl aus einem Naturalanteil als auch aus Geld bestand. Oftmals erhielten sie außerdem noch je eine Flachskabel und meist auch eine sogenannte Kartoffelkabel zugeteilt. Im Untersuchungsgebiet war es jedoch keine Seltenheit, insbesondere im letzten Drittel des 19. Jh., daß auch verheiratete Personen, und zwar fast ausschließlich Männer, im Gesindedienst standen, die dann allerdings gewöhnlich einen eigenen Haushalt führten. In der Regel waren sie mit ihren Familien in Wohnungen untergebracht, die ihnen von ihren „Dienstherrschaften" bereitgestellt wurden. 258 Teilweise wohnten sie aber auch zur Miete in den Häusern kleinerer Bauern oder Angehöriger anderer Sozialgruppen der Landarbeiterschaft, weshalb sie in den zeitgenössischen Quellen oftmals mit zu den sogenannten Einliegern (Mietern) gerechnet wurden. 259 Dadurch war ihre Einbindung in den fremden Betrieb aber schon graduell schwächer als die des ledigen Gesindes. Für sie war der Gesindedienst oft kein bloßes Durchgangsstadium mehr. — Ihrer gesellschaftlichen Herkunft nach handelte es sich beim ledigen Gesinde überwiegend um Angehörige aus der Landarbeiterschaft und um Söhne und Töchter von Bauern, zum Teil — vor allem bei den Mägden — aber auch um die Kinder von ländlichen Handwerkern und Gewerbetreibenden. Im Untersuchungsgebiet traten die Töchter und Söhne der großen und mittleren Bauern später, etwa nach 1850, worauf weiter unten noch eingegangen werden soll, jedoch gewöhnlich nicht mehr in den Gesindedienst ein. — Nach Ablauf ihrer Gesindezeit, der meist mit dem Zeitpunkt ihrer Verheiratung zusammenfiel, kehrten sie gewöhnlich wieder in die Sozialgruppe ihrer Eltern zurück oder traten in die des Ehepartners ein oder aber — nicht selten ebenfalls erst als eine Folge ihrer Heirat — sie schieden aus ihrer Tätigkeit im agrarischen Bereich ganz aus, was im Untersuchungsgebiet angesichts der Nähe entstehender Industrien vermutlich häufiger der Fall war als anderswo. Beim männlichen Gesinde wurde die Dienstzeit vor allem durch die Einberufung zum Militär beendet. 260 Während der gesamten Gesindezeit fand in der Regel ein mehrfacher Wechsel der Dienstverhältnisse statt, der häufig auch mit einem Ortswechsel verbunden war. Im Untersuchungsgebiet war seit frühestens 1820 der Umzugstermin nach § 43 der Preußischen Gesindeordnung ebenfalls zunächst auf den 2. April festgelegt, durch die Kabinets-Order vom 20. 2. 1846 jedoch auf den 2. Januar und später
258 Vgl. bei Borchard, 1890: 215, bei Borchard, 1891: 19. Siehe auch bei Räch, 1974: 87. 259 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 5: „Eine Klasse, nehmlich die der Miether, ohne allen Grundbesitz in der Gemeinde, würde ich bei der Gemeindevertretung gar nicht berücksichtigen. Es sind dies großentheils verheiratete Knechte." (Aus dem Bericht des Schulzen zu Langenweddingen im Jahre 1845). 260 Vgl. hierzu: STAM, Rep. C 28 I f, Nr. 1607: 154 b (Bericht des Magistrats der Stadt Groß Salze an die Regierung in Magdeburg, betr. die Bildung von Vereinen zur Verbesserung der Dienstboten, vom 17. 12. 1853). — Siehe dazu auch die Äußerung des Rittergutsbesitzers Anton Ludwig SombartErmsleben (1816—1898) vor der XIX. Generalversammlung des „Landwirtschaftlichen Zentralvereins der Provinz Sachsen" am 29. 5. 1865: „Nach Ableistung ihrer Militairzeit wollten die Leute in der Regel nicht mehr Knechte sein, sie gingen in die Stadt oder in irgend andere Stellungen, in denen sie mehr zu verdienen dächten." Zitiert nach dem Versammlungsprotokoll in: ZLCV, 1865: XXII, 164.
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auf Martini (11. November) verlegt worden. 261 Als Gesindemieter traten im Untersuchungsgebiet der Großgrundbesitz, vor allem aber die Groß- und die Mittelbauern in Erscheinung. Hierbei war es dann auch durchaus gegeben, daß die Söhne und Töchter der Bauern, sofern sie noch Gesindedienst leisteten, im väterlichen Betrieb selbst, also im eigenen Hause als Knechte und Mägde beschäftigt waren. — Der historische Vorfahr des kapitalistisch ausgebeuteten Gesindes ist das in ein Gesamtsystem außerökonomischer Mittel eingebundene Feudalgesinde, das sowohl Zwangsgesinde, das heißt den Reglements des Gesindezwangdienstes unterworfen sein konnte, als auch Gesinde, das aus diesem speziellen Zwangsdienst entlassen war. 2 6 2 „Feudalgesinde" sei deshalb als Oberbegriff für diese beiden Kategorien hier beibehalten, während die kapitalistisch exploitierten Knechte, Mägde und Jungen als „kapitalistisch ausgebeutetes Gesinde" oder als „Gesinde" schlechthin bezeichnet werden sollen. — Die Beziehung zwischen Dienstherrschaft und Gesinde, das heißt Grad, Umfang und Art der Integration der Knechte, Mägde und Jungen in die Wirtschaft ihres Ermieters, ist durch ein besonderes System von Rechtsvorschriften, die „Gesindeordnung", geregelt. Obzwar eine Definition des Begriffes „Gesinde" dort fehlt, ist daraus doch ersichtlich und wird gleichsam vorausgesetzt, daß jenes Verhältnis „außer der Leistung häuslicher und wirtschaftlicher Dienste gegen Entgeld" auch „eine persönliche Verbindung des Gesindes in sich schließt, in welcher das Gesinde der Herrschaft zu Gehorsam, Ehrerbietung und Treue, diese dagegen jenem zu angemessener Behandlung und zu einer gewissen Fürsorge verpflichtet wird. Denzufolge tritt das Gesinde in ein eigenes Verhältnis zur Dienstherrschaft und wird vertragsmäßig in die Familie des Dienstherrn aufgenommen, bestimmt zu Dienstleistungen in derselben — und der hausherrlichen Gewalt des Dienstherrn unterworfen." 263 Dadurch unterscheidet sich das Gesinde wesentlich von allen anderen Sozialgruppen der kapitalistischen Landarbeiterschaft. Für das Untersuchungsgebiet gilt mit der Wiederinbesitznahme der ehemals westfälisch regierten Landesteile durch Preußen seit dem 1. 1. 1815 (Wiedereinführung des „Allgemeinen Lapdrechtes") die „Gesinde-Ordnung für sämtliche Provinzen der Preußischen Monarchie" vom 8. 11. 1810. Als betriebsintegrierte Landarbeiter mit Gebäudebesitz und Bodenanteilen oder nur mit Bodenanteilen, welche eigentümlich oder erpachtet sein können, seien jene kapitalistischen Landarbeiter bezeichnet, die in einem relativ stabilen und in der 261 „Bei dem Landgesinde beruht die Antrittszeit desselben zunächst auf ausdrücklicher Uebereinkunft bei der Vermiethung; wo diese nicht statt findet, vorläufig auf der in der Gegend üblichen Gewohnheit. Wo diese für jetzt nicht bestimmt entscheidet, und nach Verlauf von fünf Jahren allgemein, ist der 2. April mit dem im vorigen Paragraph angenommenen Bestimmungen wegen der Sonn- und Festtage die gesetzliche Anziehzeit" (§43 der Preußischen Gesinde-Ordnung von 1810). Außerdem: „Fällt jedoch die Antrittszeit hiernach auf einen Sonn- oder Festtag, so zieht das Gesinde den nächsten Werkeltag vorher a n " (ebenda, § 42). — Schon im Jahre 1865 hieß es dann, daß „das landwirthschaftliche Gesinde . . . wohl überall in unserer Provinz auf Jahrescontract gemiethet (werde), gewöhnlich von Martini zu Martini." Zitiert nach Blomeyer, 1865: 95. 262 Peters, 1967: 282—283, hat für diese zweite Gruppe — im Unterschied zum Zwangsgesinde — die Bezeichnung „freies Gesinde" vorgeschlagen; ein Begriff, der in Anbetracht des auch ferneren Eingebundenseins dieser Gruppe in das Gesamtsystem feudaler Bindungen und Zwangsmaßnahmen nach Ansicht des Verfassers nicht gerade sehr glücklich gewählt ist. 263 Aus einem Kommentar zu § 1 der Preußischen Gesinde-Ordnung vom 8. 11. 1810. Zitiert nach: GesindeOrdnung, 1900: 7.
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Regel auch längerfristigen arbeitskontraktlichen Verhältnis stehen und aus diesem Verhältnis heraus entweder über einen Anteil am Gesamtertrag der Wirtschaft dessen verfügen können, der aus dem Verkauf ihrer Arbeitskraft Nutzen zieht, oder — wenn dies von jenem als nicht mehr opportun erachtet wird — dafür als Bestandteil ihres Lohnes feste Naturallieferungen beziehen. Es handelt sich also hier um eine Sozialgruppe, die als Teil der Landarmut auch im Spätfeudalismus schon vorhanden war und für die als Sammelname Bezeichnungen wie „Deputatarbeiter", „Deputatisten" usw. üblich geworden sind. 264 Unter Aufnahme dieser Begriffe sei für ihren kapitalistisch ausgebeuteten Nachfahren der Terminus „Deputatlandarbeiter" vorgeschlagen. Dies scheint — etwa entgegen solcher Benennungen wie „Dienstleute" 265 oder „Gutsarbeiter" 266 — umso eher berechtigt, da einmal auch die Gesindepersonen „Dienstleute" sind und zum anderen — wie im Untersuchungsgebiet — nicht nur der Großgrundbesitz, sondern auch der Groß- und teilweise der Mittelbauernstand solche Arbeiter beschäftigt hat. 267 Deputatlandarbeiter waren hier, wie auch in anderen Landschaften, insbesondere die Drescher, 268 jedenfalls bis zur Einführung des Dampfdruschs. Später sind solche Arbeiter vornehmlich unter dem Aspekt des Arbeitskräfteerhalts angesetzt worden. 269 Unter dem Gesichtspunkt der Art des Wohnens, einem bislang besonders wichtigen Kriterium zur Klassifizierung des Landproletariats, waren die Deputatlandarbeiter sowohl Mieter von Wohnungen, die ihnen als Teil des Deputats bzw. des Lohnes vom Grundbesitzer, in dessen Betrieb sie integriert waren, zur Nutzung überlassen wurden, als auch — um den zeitgenössischen Terminus zu gebrauchen, wie er im Untersuchungsgebiet verwendet wird — Häusler bzw. proletarisierte ehemalige Kleinkossaten. Im Untersuchungsgebiet, wo der bäuerliche Besitz, wenigstens zunächst noch, überwog, war der Deputatlandarbeiter, zumindest der Drescher, „gewöhnlich Häusler"; er „besaß etwas Gartenfeld und Acker, worauf er Kartoffeln baute" und „erhielt auch wohl eine Ackerkabel für den Werth eines Fuders Dünger" zur Pacht. 270 Auch Bielefeldt, der hierbei die Verhältnisse in der gesamten Provinz Sachsen berücksichtigt, berichtet, daß die Drescher „oft mit Haus- und Landbesitz angesessen waren", zumal „die Nachkommen der Erbdrescher", und „meist im Dorfe Haus und Hufenteile als Eigentum" besaßen. 271 Und der damalige verantwortliche Redakteur und Selbstverleger der „Zeitschrift des landwirtschaftlichen Central-Vereins der Provinz Sachsen", Heine, zugleich General-Sekretär des Vereins, vermerkte in einer Fußnote zu der im Fragebogen des preußischen Landesökonomiekollegiums vom Jahre 1848 vorgenommenen Klassifizierung des ländlichen Proletariats in bezug auf „Personen, die zwar ein kleines Grundeigentum besitzen, Haus, Garten, etwas Ackerland u.s.w., von dem Ertrage allein aber sich nicht ernähren können und deshalb noch Arbeit für Geld suchen müssen, also Häusler und Colonisten", ausdrücklich: „In 264 265 266 267 268 269 270 271
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Peters, 1967: 288-292. Vgl. bei Goltz, 1874: 11 und 14-16. Vgl. bei Bielefeldt, 1910: 133-135. Einige Nachrichten, 1850: 65—68. Einige Nachrichten, 1850: 65—68, sowie nach Bielefeldt, 1910: 12 und 119—126. Bielefeldt, 1910: 133-135. Einige Nachrichten, 1850: 67. Bielefeldt, 1910:119-120.
hiesiger Gegend nennt man diese Klasse der Arbeiter: Kabelleute oder Erbdrescher." 272 Offenbar handelte es sich hierbei in erster Linie um solche Drescher, die in großoder mittelbäuerliche Betriebe integriert waren: „In Gegenden mit intensivem Zuckerrübenbau, besonders im südlichen Teil des Regierungsbezirks Magdeburg und im mittleren Teile des Regierungsbezirks Magdeburg, haben auch die Bauern Drescherfamilien; man rechnet wohl auf 100 Morgen 1 Drescher. Diese Drescher sind durchaus den Dreschern auf den Gütern gleich gestellt. Allerdings haben sie nicht immer Wohnung." 273 Demgegenüber nutzten die beim Großgrundbesitz kontraktlich verpflichteten Deputatlandarbeiter in der Mehrzahl den ihnen auf dieser Grundlage überlassenen Wohnraum in den Deputat-Arbeiterhäusern. Andererseits gab es aber auch hier Deputatlandarbeiter, die mit einem Haus und etwas Land ansässig gemacht worden waren, und zwar „gegen die Verpflichtung, bestimmte Dienste zu übernehmen (die Dienste waren also gewissermaßen ein Mietzins) . . . Man (nannte) sie auch Rittergutshäusler." 274 Dies war zum Beispiel in Eggenstedt der Fall: „In dem Dorfe wohnen an 30 Cossäthen und Anbauer, welche vom Gute in frühern Zeiten einen Platz zu Haus, Hof und Garten erhielten, wofür sie einen geringen Erbzins gaben und außerdem Dienste leisten mußten. Zu diesem Dienste gehörte auch die Verpflichtung, das Winterkorn des Guts, gegen die 13te Mandel an Korn und Stroh abbringen zu müssen." 275 Daneben stellten auch die Groß- und Mittelbauern und die Aktiengesellschaften der Zuckerfabriken, bis 1848 zunächst noch vereinzelt, nach 1860 — angesichts der seit diesem Zeitpunkt besonders spürbaren Gefahr der Arbeitskräfte-Abwanderung — jedoch weit häufiger, ihren Deputatlandarbeitern Wohnraum zur Verfügung. 276 Die Nutzung eines Ackerstückes ward ihnen in der Regel in allen Fällen zugestanden. Ihrer soziologischen Zusammensetzung nach waren die Deputatlandarbeiter überwiegend verheiratete männliche Personen, die über einen eigenen Haushalt verfügten. Oft legten ihnen die Kontrakte noch die Verpflichtung auf, ein bis zwei Gehilfen zu stellen. Häufig versicherte sich der Grundbesitzer darin außerdem auch der Arbeitskraft ihrer Ehefrauen. Der Wechsel ihres Dienstverhältnisses erfolgte im Untersuchungsgebiet in der Regel am 1. April eines jeden Jahres. 277 Neben den beiden Sozialgruppen der betriebsintegrierten kapitalistisch ausgebeuteten Landarbeiterschaft, dem Gesinde und den Deputatlandarbeitern, existiert im Kapitalismus ferner ein Typus von Agrarproletariern, der von solcherart Bindung frei ist, und der deshalb als „freier Landarbeiter" bezeichnet wird. Der Begriff „Landarbeiter" impliziert außer dem Sachverhalt: „frei von Produktionsmitteln" auch den Tatbestand: „frei von außerökonomischen Zwängen". „Freier Landarbeiter" besagt deshalb: frei von fremdbetrieblicher Einbindung und damit auch: frei von 272 273 274 275 276 277
Aufforderung, 1848: 348. Großmann, 1892: 512. — Siehe außerdem bei Bielefeldt, 1910: 138. Lütge, 1957: 50. - Vgl. auch bei Bielefeldt, 1910: 11. Lengerke, 1846: 225. Räch, 1974: 53 und 85. Großmann, 1892: 499: „Die alten Drescher pflegten früher regelmäßig beim Wechsel am 1. April einzutreten bez. fortzugehen, und konnten zu diesem Termine ein Vierteljahr vorher kündigen. Vielfach hat man dies stillschweigend beibehalten, und rechnet auch jetzt noch den Kontrakt vom 1. April ab auf ein Jahr."
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einem relativ stabilen, verpflichtenden Arbeitskontrakt; denn unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen kann Betriebs-Integration nur auf der Basis von Verträgen zustande kommen. Auch beim „freien Landarbeiter" können wiederum zwei Sozialgruppen abgehoben werden. Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal ist dabei die Abwesenheit oder das Vorhandensein von Gebäude-, vornehmlich von Wohnhausbesitz. Unter feudalen Bedingungen ist in Anbetracht der vielfaltigen Zwänge, Abhängigkeiten und Beschränkungen, auch der Freizügigkeit, dieses Kriterium zweifellos von viel geringerer Bedeutung. Peters faßt deshalb auch die Gruppen der „Einlieger" und „Häusler" zu einer Sozialgruppe, nämlich zu der des spätfeudalen landlosen Tagelöhners, zusammen. 278 Unter kapitalistischen Verhältnissen ist dieser Unterschied allerdings wesentlich. Ländlicher Hauseigentümer zu sein, hat jetzt mehr denn je nicht nur Folgen im ökonomischen Bereich, sondern auch stärkere Auswirkungen auf die Lebensweise.279 Die freien Landarbeiter ohne Gebäudebesitz und Bodenanteile oder nur mit Bodenanteilen, welche wie beim Deputatlandarbeiter eigentümlich oder erpachtet sein können, bilden deshalb die eine Sozialgruppe dieses Typus des kapitalistisch ausgebeuteten Agrarproletariats. Im historischen Sinne handelt es sich hierbei hauptsächlich um die Nachfolger der spätfeudalen Einlieger. Aus der Tatsache, daß diesen „auch alte und gebrechliche Leute und Handwerker auf Grund ihres Mietsverhältnisses" 280 zugerechnet wurden, was auch in den Quellen des 19. Jh. noch der Fall ist, ergibt sich die Unbrauchbarkeit dieses Begriffs zur Bezeichnung auch des im Mietsverhältnis stehenden kapitalistischen Landproletariers. An seiner Statt soll deshalb der Terminus „freier Landarbeiter ohne Hausbesitz" in Anwendung kommen. Der spätfeudale Einlieger war in der Regel mit der Leistung eines Äquivalentes für obrigkeitlichen, meist gerichtsherrlichen Schutz belastet, sei es in Form von Schutzgeld oder von Diensten, weshalb er außer als „Hausgenosse" und „Mieter" auch als „Schutzuntertan" bezeichnet wurde. Im „Allgemeinen Landrecht" ist diese Gruppe überdies rechtlich genau definiert: „Wenn dergleichen freie Personen (gemeint sind Personen des gemeinen Bürger- und Bauernstandes/H. P.) in einem Dorfe sich niederlassen, ohne weder ein unterthäniges Gut zu übernehmen, noch sich zur persönlichen Unterthänigkeit zu verpflichten, so werden sie Schutzunterthanen oder Einlieger genannt" (Zweiter Theil, Siebenter Titel, Dritter Abschnitt, § 113). Die westfälische Gesetzgebung hob dieses Schutzuntertanenverhältnis mit Dekreten vom 16. 5. und 27. 7. 1809 auf. Das ermöglichte den Übergang dieser Gruppe, soweit sie im agrarischen Bereich produktiv tätig war, zur Sozialgruppe des „freien Landarbeiters ohne Hausbesitz". Vereinzelt gelang auch ein Überwechseln in die Gruppe der Deputatlandarbeiter. 281 Die Unterkünfte der freien Landproletarier ohne Hausbesitz befanden sich gewöhnlich in den Wohngebäuden der Kleinbauern sowie — mit zunehmender Tendenz — in denen 278 Peters, 1967: 296-298. 279 Vgl. dazu auch Nichtweiß, 1959: 10—11, der innerhalb dieser Sozialgruppe der „sogenannten freien Landarbeiter" ebenfalls „die grundbesitzenden Tagelöhner mit Häuschen und etwas Land, d. h. Kleinstellenbesitzer oder Kleinpächter" von den „Einliegern, Einmietern oder Geldstubenleuten", also den „Landarbeitern ohne Grundbesitz" abhebt. 280 Peters, 1967: 297. 281 Bielefeldt, 1910: 11-12.
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der freien Landarbeiter mit Hausbesitz. 282 Der Mietbetrag wurde außer in Geld wohl nicht selten auch in der Form von Arbeitsleistungen beglichen. Über etwas Pachtoder Eigentumsland verfügten vielfach bereits die spätfeudalen Einlieger. 283 Grund und Boden zu erwerben, um auf diese Weise ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern, blieb auch das Bestreben ihrer historischen Nachfahren, 284 weshalb der freie Landarbeiter ohne Gebäudebesitz, aber mit Bodenanteilen, wenngleich oft nur mit etwas Gartenland (Parzellenbesitz), durchaus keine Seltenheit war. In soziologischer Hinsicht glich der freie Landarbeiter ohne Hausbesitz dem Deputatlandarbeiter. Die „freien Landarbeiter mit Hausbesitz" stellen die andere Sozialgruppe des kapitalistisch ausgebeuteten freien Agrarproletariats dar. Sie entwickelten sich nicht nur aus der Gruppe der spätfeudalen Häusler, einer Teilgruppe der landlosen Tagelöhner. 285 In starkem Maße waren es auch ehemalige Kleinkossaten, 286 die infolge der durch die Teilung der Gemeinheiten verlorengegangenen Möglichkeit zur Großviehhaltung nunmehr direkt zu Lohnarbeitern herabgedrückt wurden. In der Regel besaßen diese neben einem Stück Gartenland noch etwas Acker und außer einem Wohnhaus noch kleinere Wirtschaftsgebäude, vornehmlich ein oder zwei Stallgebäude (Kleinbesitz). Auch die vormaligen Häusler verfügten außer über ein eigenes Wohnhaus noch über etwas Land, das allerdings meist kaum mehr als ein kleineres Stück Gartenland war (Parzellenbesitz). Und auch dies war oft genug nur ein Privileg der sogenannten vormaligen Althäusler. Ehemalige Neuhäusler bzw. Neuanbauer erhielten — zumindest im Untersuchungsgebiet — vielfach erst im Zusammenhang mit der Separation etwas Land, allerdings war dies nicht generell der Fall. 287 Da im 19. Jh. auch Landarbeiter — im Untersuchungsgebiet besonders häufig noch bis in die sechziger Jahre hinein — mit einem Haus im Dorf ansässig wurden, wäre unter Umständen ferner noch zu unterscheiden zwischen alteingesessenen und neueingesessenen freien Landarbeitern mit Hausbesitz. So fanden sich in der Sozialgruppe der „freien Landarbeiter mit Hausbesitz" in der Tat verschiedene Untergruppen zusammen und ein Überwechseln von der einen zur anderen stellte keine Ausnahme dar. In den zeitgenössischen Quellen des Untersuchungsgebietes werden diese Varianten kaum unterschieden. In der Regel ist dort fast ausschließlich nur von „Häuslern" die Rede. Da diese Bezeichnung aber auch ländliche Handwerker und Gewerbetreibende, insofern sie Hauseigentümer sind, mit einbegreift, ist im Einzelfall eine genaue und eindeutige Zuordnung oft sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Auch deshalb dürfte es geboten erscheinen, den unscharfen „Häusler"-Begriff zur Kennzeichnung dieser Sozialgruppe aufzugeben.. Das soziologische Erscheinungsbild der „freien Landarbeiter mit Hausbesitz" entsprach im wesentlichen dem der Deputatlandarbeiter und der „freien Landarbeiter ohne Hausbesitz". Außer diesen vier Kategorien des einheimischen Agrarproletariats existiert innerhalb der kapitalistisch ausgebeuteten Landarbeiterschaft noch eine weitere, wichtige Sozialgruppe, nämlich die der Saisonarbeiter („Sachsengänger"). Es sind Arbeitskräfte, die 282 283 284 285 286 287 7
Räch, 1974: 62 und 63 sowie 97. Lütge, 1957:49. Bielefeldt, 1910: 8 4 - 9 0 und 127. Peters, 1967: 297. Peters, 1967: 296. STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 25, 92 b und 100 b.
Plaul, Landarbeiterleben
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gezwungen sind, „für Wochen und Monate fern von dem Wohnsitz ihrer Familie" um Lohnarbeit nachzusuchen, „zumeist weil in ihrer Heimat keine oder nur ungenügende Arbeitsmöglichkeit vorhanden ist. Man unterscheidet die Binnenwanderung von Landarbeitern deutscher Staatsangehörigkeit und die Zuwanderung ausländischer Wanderarbeiter." 288 Im Untersuchungsgebiet traten die ersten Saisonarbeiter im Zusammenhang mit dem relativ frühen Wechsel von der extensiven zur intensiven Wirtschaftsweise bereits in den vierziger Jahren des 19. Jh. auf. Dabei handelte es sich vornehmlich um Arbeiter aus dem Harz, dem Eichsfeld und dem Warthebruch, also um Landarbeiter deutscher Nationalität. Wirkliche Bedeutung, insbesondere durch eine jetzt beginnende Massenzuwanderung aus den östlichen Provinzen, erlangten sie jedoch erst seit „der zweiten Hälfte der achtziger Jahre des 19. Jh.", das heißt zu einem Datum, das schon weitgehendst außerhalb des hier untersuchten Zeitraumes liegt.289 Aus diesem Grunde soll ihrer auch nur am Rande gedacht werden, und zwar insoweit, als von ihnen Einflüsse auf die Lebensweise des einheimischen Landproletariats ausgegangen sind. Die hier vorgelegte Klassifikation der kapitalistisch ausgebeuteten Landarbeiterschaft stellt einen Versuch dar. Ein solches Bemühen dürfte umso berechtigter sein, als das hierauf bezügliche terminologische Instrumentarium auch in der einschlägigen marxistischen Literatur noch häufig ungenau und die ihm zugrundeliegenden Kriterien nicht in jedem Falle wesentlich sind. Dabei sei einschränkend hinzugefügt, daß sich dieser Versuch außer am Untersuchungsmaterial in erster Linie an der Begriffsbestimmung der landarmen und landlosen Agrarproduzenten im Spätfeudalismus orientiert; an einer Klasse also, aus der die hier in Rede stehenden Gruppen historisch hervorgegangen sind. Es wäre sicherlich reizvoll und fruchtbar, das Klassifizierungsergebnis aber auch an jenem Typus von Landarbeiter zu überprüfen, der dem kapitalistisch exploitierten Agrarproletarier geschichtlich nachfolgt: am Landarbeiter im Sozialismus. Doch muß eine solche Weiterung, die selbst wieder eine Reihe neuer und sehr spezifischer Fragestellungen impliziert, im Rahmen dieser Untersuchung ausgeklammert bleiben.
288 Nichtweiß, 1959: 11. 289 Nichtweiß, 1959: 33.
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Grundtendenzen in der Entwicklung der gesellschaftlichen Beziehungen unter den Bedingungen der Herausbildung und Konsolidierung des Kapitalismus in der Landwirtschaft
Die Herausbildung des Klassenantagonismus zwischen Landarbeiterschaft und bäuerlicher Klasse Das System außerökonomischer Zwänge, Bindungen und Abhängigkeiten, dem die landarmen und landlosen, aber auch die bäuerlichen Agrarproduzenten im Feudalismus unterworfen waren, regelte nicht nur den gesellschaftlichen Produktionsprozeß, sondern bestimmte weithin auch das Alltagsleben und die Denkweise dieser Schichten. Die Beschränkung der Freizügigkeit und die dadurch bewirkte Bindung an einen festen geographischen Ort, gekoppelt mit dem feudalen Zwang zur Arbeit u. ä., ließ eine „Stabilität der Umgebung, der Beschäftigung und also auch der Ideen" entstehen, wie Engels formulierte, 1 die auch ein ganz bestimmtes Gefüge sozialer Beziehungen in sich einschloß. Ein Ausbrechen aus diesem System, das sich nicht zuletzt auch deshalb von Generation zu Generation reproduzierte, war für die zwangsunterworfenen, unfreien Bauern, Landarmen und Landlosen des Spätfeudalismus so gut wie unmöglich. Auch von der „Gegenseite", etwa vom Handwerk her, waren solchen Versuchen Schranken gesetzt.2 Das Bestimmende in diesem Gefüge sozialer Beziehungen bestand in dem Abhängigkeitsverhältnis der bäuerlichen, landarmen und landlosen Agrarproduzenten vom feudalen Grund- bzw. Gerichtsherrn. Dieser war nicht nur berechtigt, von ihnen Dienste und Abgaben einzufordern, sondern auch befugt, über sie und ihre Angelegenheiten zu Gericht zu sitzen; er konnte bestrafen, genehmigen, erlassen, andererseits aber auch helfen und in kritischer wirtschaftlicher Lage Erleichterung schaffen. Solange dieses patriarchalische Verhältnis bestand, schreibt Engels,3 „trat die Not unter den Arbeitern" — und unter feudalen Bedingungen seien die Bauern hier mit einbezogen — noch „weniger und seltener hervor." Hinzu kommt, daß die relativ unentwickelten feudalen Produktionsverhältnisse, zudem bei einer noch verhältnismäßig geringen Bevölkerungsdichte, auch jede Arbeitslosigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg ausschloß, und zwar auch ohne die Zwangsverpflichtungen zur Arbeit, die bekanntlich aus diesen 1 Engels, 1962(1845): 11,478. 2 So bestimmte die Magdeburgische Polizeiordnung von 1688 in Cap. XXVI, § 7, „Von Gilden, Zünfften und Handwercken und derselben Statuten", ganz eindeutig, daß bei Aufnahme einer Lehre „Bürgers Kinder den Vorzug vor Bauren Kinder" haben sollten. — Das Allgemeine Landrecht enthielt dazu sogar eine noch schärfere Bestimmung: „Wer zum Bauerstande gehört, darf, ohne Erlaubniß des Staats, weder selbst ein bürgerliches Gewerbe treiben, noch seine Kinder dazu widmen" (Zweiter Theil, Siebenter Titel, Erster Abschnitt, § 2). 3 Engels, 1962 (1845): II, 474. 7*
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Gründen eingeführt worden waren. Außerdem bestand die Möglichkeit, jeden Zuzug ins Dorf, soweit dieser unerwünscht war, zu verweigern, also soziale Mobilität einzuschränken. 4 Darüber hinaus war es häufig Usus, daß auch der Grund- bzw. Gerichtsherr gewisse Verpflichtungen den von ihm abhängigen Bauern, Landarmen und Landlosen gegenüber zu erfüllen hatte. Allerdings handelte es sich bei diesen Präbenda (Gegenleistungen, Lieferungen, Rückgebühren u. ä.), von Ausnahmen abgesehen, nicht um generelle und etwa gesetzlich fixierte Leistungen, wenigstens in vielen westelbischen Territorien, sondern „um ganz spezielle Verpflichtungen, die . . . dem Dienstmann nur bei bestehenden Sonderabkommen u n d . . . in ganz genau festgesetzter Höhe und Art" zustanden. 5 Sie konnten sowohl in Natural- wie auch in Geldform realisiert werden. Weit verbreitet war hierbei der Zehntschnitt, das heißt die Abgabe des zehnten Teils6 vom gemähten Winterkorn als Gegenleistung für erbrachte Ernte- und Drescherdienste, zu denen die Dienstverpflichteten zwar gezwungen waren, woran sie andererseits aber auch gern festhielten, weil ihnen diese Leistung gewöhnlich ein relativ stabiles Einkommen sicherte. Vor dem Hintergrund jenes Abhängigkeitsverhältnisses der Bauern, Landarmen und Landlosen von ihrem feudalen Grund- bzw. Gerichtsherrn stellte sich der soziale Unterschied zwischen bäuerlicher Klasse, speziell den großen und mittleren Bauern, also den Voll - und Halbspännern, einerseits und der Landarmut andererseits zunächst noch nicht als ein unüberbrückbarer Gegensatz dar. Ein sozialer Austausch der landarmen und landlosen Agrarproduzenten mit den Angehörigen des Bauernstandes war durchaus keine Seltenheit.7 Für bürgerliche Autoren, wie z. B. Lütge, 8 sind diese Gruppen darum bis zu den Agrarreformen noch Teil eines „einheitlichen Bauernstandes"; eine Auffassung übrigens, die, „zumindest was die bürgerliche Agrargeschichtsschreibung betrifft, noch heute als vorherrschend angesehen werden" darf. 9 Daß unter den Bedingungen des Feudalismus noch kein Klassenantagonismus zwischen Bauernschaft und Landarmut hatte entstehen können, ist zwar auch in der Gemeinsamkeit der feudalen Bindungen begründet, im Eingeflochtensein beider Klassen in demselben System außerökonomischer Zwänge und Abhängigkeiten, 10 ungleich mehr jedoch — und was nicht zuletzt durch die feudale Bedrückung mit bedingt — in den noch unvollkommen entwickelten Marktbeziehungen, wodurch auch größere Vermögensunterschiede sich nicht hatten herausbilden können. Im Untersuchungsgebiet, wo günstige Marktlage, hohe 4 Aus der „Flecken-Dorff und Acker-Ordnung" vom 16. 12. 1702: „Ferner soll unter denen Unterthanen kein Schmied, Hirte noch andere Einwohner ohne Vorwissen des Richters und Schultzen, der es vor die Obrigkeit zu bringen und zu verantworten hat, frembde Leute und Miethlinge bey sich im Hause einnehmen, hausen oder hegen, bey 1 Reichsthaler Straffe, so oft es geschieht, sondern dergleichen Leute sollen sich mit dem Ambte und der Gemeine abfinden oder das Dorff räumen." Zitiert nach Corpus Constitutionum, 1680—1714: P. III, Num. CL, I, 16. 5 Lütge, 1957: 160. 6 Lütge, 1957: 128: „Der Name .Zehntschnitt' sagt nicht unbedingt, daß auch wirklich immer der zehnte Teil an die Handdienstleute fiel, in der Mehrzahl der uns bekanntgewordenen Fälle ist es sogar ein anderer Prozentsatz, der zwölfte oder auch der neunte Teil." 7 Vgl. hierzu bei Peters, 1967: 294. 8 Lütge, 1957:45. 9 Peters, 1967:259. 10 Vgl. dazu bei Marx, 1964 (1894): XXV, 840-841.
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Bodenfruchtbarkeit usw. einer marktorientierten Produktion förderlich waren, hatte hierin allerdings schon in der zweiten Hälfte des 18. Jh. eine gewisse Änderung eingesetzt. Die Tendenz verstärkte sich, als seit etwa 1785 mit dem Anbau der Zichorie begonnen worden war. Mit der damit verbundenen Herausbildung bedeutender Vermögensdifferenzen trat auch ein Wandel in den Beziehungen dieser begüterten Bauern zu den übrigen Sozialgruppen des Dorfes ein. Am sinnfälligsten spiegelt sich dies u. a. in ihrem Kopulationsverhalten wider. Im 17. und 18. Jh. stellte offenbar noch selbst die eheliche Verbindung zwischen Mitgliedern des Adels und Angehörigen des Bauern- und Handwerkerstandes keine Ausnahme dar. Um einer dadurch befürchteten „Verschmälerung des Adels-Standes" entgegenzuwirken, wurde am 30. 11. 1697 für das Gebiet des damaligen Herzogtums Magdeburg ein spezielles „Mandat wegen heyrathen derer von Adel mit Bauers-Töchtern" erlassen11 und am 23. 4. 1709 dasselbe bekräftigt, erweitert und ergänzt durch eine „Declaratio Edicti vom 30. Nov. 1697 wegen Heyrath derer von Adel mit Bauernund anderer gemeinen Leuten Töchter." 12 Darin wurde verfügt, „daß, wann künftig jemand von Adel sich gelüsten lassen sollte, mit Bauern- und anderer Leute, so gar geringen Standes und Herkommen seyn, Töchtern sich zu verehligen, derselbe zwar die Zeit seines Lebens die Lehn-Güter besitzen, auch Helm und Schild behalten, die Söhne aber, die in solchen Ehen erzielet, sich dessen nicht anmassen, noch zur Succession im Lehen verstattet, die Töchter auch aus dem Lehen nicht ausgestattet, sondern beydes, Söhne und Töchter, sich an dem Erbe, so ihr Vater verlässet, es sey viel oder wenig, begnügen lassen, und die Lehen, nach Absterben solchen Besitzers, an die Agnaten und Mittbelehnten verfallen, die Erben aber aus dem Allodio die von dem verstorbenen Besitzer gemachte Schulden, so das Lehen nicht afflciren, bezahlen sollen . . ,". 13 Um wieviel mehr ist angesichts derartiger Zwangsmittel anzunehmen, daß zu dieser Zeit erst recht Heiraten zwischen Bauern und Angehörigen der Landarmut keine Seltenheit bildeten, zumal der Unterschied, wenn auch nicht hinsichtlich der Größe des — allerdings mit Abgaben und Diensten belasteten — Grundbesitzes, so doch in den Vermögen noch relativ unbedeutend war. Dies veränderte sich, als die großen und teilweise auch die mittleren Bauern durch eine erhebliche Produktionssteigerung über den eigenen Bedarf hinaus ihre wirtschaftliche Lage zu ihren Gunsten verändern konnten. Nun wollten sie auch keine unprofitablen verwandtschaftlichen Bindungen mehr mit den ärmeren Schichten der Dorfbevölkerung eingehen. In einer Beschreibung des Königreichs Westfalen aus dem Jahre 1809 heißt es bereits: Sobald der Landmann „eine gewisse Wohlhabenheit erreicht hat, erwacht bei ihm ein unerträglicher Stolz, den man nur zu wahr mit dem Namen Bauernstolz bezeichnet, und der dem Bördebauer eben so gut als dem Haidebauer anklebt... Der reiche Bauer fürchtet eben so sehr Mißheurathen in seiner Familie, als der stiftsfahige Edelmann, und nur gezwungen wird er die Hand seiner Tochter unter seinem Stande und unter seinem Reichthume weggeben; bei ihren Ehen unterschreibt nicht der Gott der Liebe, nur der Gott des Reichthums den Heurathscontract." 14
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Zitat nach: Corpus Constitutionum, 1680—1714: P. III, Num. CV, 471. Corpus Constitutionum, 1680—1714: P. III, Num. CCV, 605—606. Corpus Constitutionum, 1680—1714: P. III, Num. CV, 471. Hassel, 1809: 119-120.
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Dies wird auch durch einen Hinweis aus dem Jahre 1860 bestätigt. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Notwendigkeit der Begründung eines Realkredit-Instituts für die Provinz Sachsen im Sächsischen Provinzial-Landtag wurde einem Befürworter dieser Einrichtung entgegengehalten, „daß der Bauerstand es sehr wohl verstehe, durch Heirath und andere Dispositionen für seine Erhaltung zu sorgen . . .". 15 Auf Grund eigener Ermittlungen gelangte zu einer ähnlichen Feststellung noch reichlich vier Jahrzehnte später auch Gutknecht. 16 Zu welcher Steigerung eine solche Klassenarroganz fähig war, zeigt sich — wohl ihr extremster Ausfluß — am Beharren an der erklommenen sozialen Position noch über den Tod hinaus. Es gab Gemeinden, wo die Grundbesitzer sogar dazu übergegangen waren, für sich und ihresgleichen eigene Friedhöfe anzulegen. Ein solcher Fall wird im Jahre 1835 aus Ummendorf berichtet, zu einem Zeitpunkt, wo mit dem Anbau der Zuckerrübe noch nicht begonnen worden war: „Zwei Kirchhöfe sind da. Beide befriedigen. Der große, bei der Kirche,. . . der kleine liegt hinter dem Pfarrwittwenhause. Auf beiden werden die Todten nach der Reihe beerdigt; und zwar auf dem großen, neben der Kirche, die Grundbesitzer mit ihren Angehörigen, auf dem kleinen die Einlieger, Taglöhner und Armen." 17 Sogar die Wahl der Standorte drückt Bevorzugung und Benachteiligung aus! Klassenstolz und erwachendes Klassenbewußtsein drängten die großen bäuerlichen Grundbesitzer, wie ihr wachsendes Repräsentationsbedürfnis deutlich macht, immer mehr dazu, ihre errungene soziale Stellung im Dorf auch nach außen hin für jedermann sichtbar werden zu lassen, sich also auch in äußeren Dingen als besondere Sozialgruppe innerhalb der Gemeinde wahrnehmbar abzuheben. Dabei tritt das erstaunliche Phänomen zutage, daß der ansonsten recht ökonomisch denkende und handelnde Bauer plötzlich zum Teil ein sehr unökonomisches Verhalten demonstriert, daß er sich Ausgaben leistet, für die er einen wirtschaftlichen Gewinn, jedenfalls unmittelbar, nicht erwarten kann. Zum ökonomischen Denken treten also noch andere Faktoren hinzu, vor allem ideologischer und — zunächst im Rahmen der Gemeinde — machtpolitischer Art. Dieser Verhaltenswandel ist im Untersuchungsgebiet schon zu Anfang des 19. Jh. nachweisbar: Seine Wohlhabenheit zeigt dieser Bauer „in den Gegenden, wo der Kornbau zu Hause gehört, in wohlgemästetern Pferden, in besserem Ackergeschirre, überall aber bei Hochzeiten, Kindtaufen und festlichen Gelagen, wo sie oft in Verschwendung ausartet; in der Gegend von Wolfenbüttel, in der Magdeburger Börde fangt er auch schon an seinen Kittel mit feinen Tuchröcken, jedoch nach altväterischem Schnitte geformt, zu vertauschen, theurere Spitzen und Perlen zum Schmucke für Frau und Töchter zu erstehen, und Haus, Hofgebäude, und Scheuer zu verschönern und zu verzieren." 18
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Protocolle, (1860): 46. Gutknecht, 1907: 33. STAM, Rep. C 81 IV, Nr. 24: 1 b. Hassel, 1809: 120. — Von demselben Bauer wird weiter gesagt: „Den Sitten, den Gebräuchen seiner Vorfahren bleibt er mit unerschütterlicher Anhänglichkeit treu; der Schnitt des Kleides, seine Lebensart ist fast dieselbe, wie sie vor 100 Jahren war, und nur der augenscheinlichste Vortheil kann ihn aus dem Gleise bringen, das sein Vater befuhr; daher denn auch Jahrhunderte vergangen sind, ehe andere Grundsätze in Hinsicht seiner Oekonomie Wurzel schlugen. Dies ist erst die Frucht neuerer Zeiten, indefl giebt es der Beispiele in Menge, daß bei seinem allgemeinen Mißtrauen gegen alles, was Neu ist, die nützlichsten Einrichtungen selbst, in denjenigen Ländern, wo weise Regierungen mit der leisesten Schonung der herrschenden Vorurtheile verfuhren, keinen Eingang fanden."
Durch solche Manifestationen befördert, griff das Wissen um die soziale Sonderstellung dieser Gruppe auch immer mehr im Bewußtsein der übrigen Dorfbevölkerung Platz. Es sei hierbei noch einmal an die Äußerung des Ortsvorstehers von Groß Ottersleben erinnert, der im Jahre 1845 erklärte, daß „der alte Klassenunterschied zwischen Ackerleuten, zu welchen in weiteren Sinn auch die Halbspänner gerechnet werden, und den übrigen Dorfbewohnern . . . noch heute ganz lebendig in der Gemeinde" sei.19 Mit der Einführung des Rübenbaues und dem damit verbundenen Übergang zur intensiven Wirtschaftsweise und dem weiteren Ausbau der Marktbeziehungen sowie infolge beendigter Ablösung, Gemeinheitsteilung und Separation wuchsen sich die bisherigen sozialen Unterschiede zwischen Bauernschaft und Agrarproletariat immer mehr zu einem Klassengegensatz aus. So klagte schon im April 1848, obgleich sicherlich nicht unbeeinflußt von den stattfindenden revolutionären Ereignissen, der Redakteur der „Zeitschrift des landwirtschaftlichen Central-Vereins der Provinz Sachsen", Heine: „Bis jetzt haben die Arbeiter eine rein äußere Stellung zu dem Geschäft, welchem sie ihre Arbeit widmen; es besteht daher eine unendliche Kluft zwischen dem Eigenthümer und dem Arbeiter." 20 Und auch der Großgrundbesitzer v. Wedeil mußte auf der im Herbst desselben Jahres einberufenen „2. außerordentlichen General-Versammlung der Landwirthe aus der Provinz Sachsen und dem Herzogthum Anhalt" einräumen, daß „früherhin . . . ein mehr gemüthliches Verhältniß zwischen den Arbeitern und ihren Herren" bestanden habe. 21 Sogar von den althergebrachten, traditionellen Berufsbezeichnungen rückten die vermögend gewordenen Groß- und Mittelbauern im Laufe der Zeit ab: „Wer in der Magdeburger Börde 100 Morgen Acker . . . besitzt, ist seinem Vermögen nach kaum mehr das, was man anderswo unter einem Bauer versteht. Die Bördebauern wollen aber vielfach auch gar nicht Bauern oder Ackerleute sein; sie nennen sich: Ackergutsbesitzer", 22 „Oeconom" oder auch nur „Gutsbesitzer". 23 Damit einher ging eine weitere Steigerung des Repräsentationsbedürfnisses, das nicht selten schon in eine ausgesprochene Renommiersucht ausartete. Neuere Forschungen haben sichtbar gemacht, welche Veränderungen beispielsweise in der Bau- und Wohnkultur dieser Sozialgruppen vor sich gingen: „Selten aus notwendigen Bedürfnissen heraus, sondern vielmehr vorrangig aus Repräsentationsansprüchen begann eine Bautätigkeit, die aus dem Streben, den Gutsbesitzern und der städtischen Bourgeoisie nachzueifern, erwuchs. Einesteils sollte der Komfort dem der Herrenhäuser nicht nachstehen, andererseits versuchte man, wie der städtische Kapitalist in seiner Villa, durch die Dekoration der Gebäude mit dem Formengut vergangener Epochen den Eindruck historischer Tiefe zu erwecken. Dies entsprach zwar der der Zeit allgemein innewohnenden Tendenz, wurde jedoch von der herrschenden Klasse, also auch den Großbauern, besonders ausgenutzt, da sie einmal dazu finanziell in der Lage war, andererseits mit Hilfe dieser Verkleidung eine historische Rechtfertigung ihrer Herrschaft und deren Aufrechterhaltung auszudrücken suchte . . . Die eindeutige Ausrichtung auf Repräsentation, auf
19 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 10 b. — Siehe auch bei Bielefelds 1910: 130, der jedoch „die Entfremdung zwischen Arbeiter und Arbeitgeber", allerdings dann auf die gesamte Provinz Sachsen bezogen, erst s$it den fünfziger Jahren des 19. Jh. konstatiert. 20 Heine, 1848: 227. 21 ZLCV, 1848: V, 533. 22 Meyer-Markau, 1882: 681. 23 Magdeburger Börde, 1888 a: 10; außerdem bei Räch, 1974 : 61.
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Demonstration des Reichtums, wird auch beim inneren Ausbau der Gebäude sichtbar. Gewältige schmuckvolle Stuckdecken, reiche Bemalung, umfangreiche Verzierungen an Türen, Fenstern, Wandverkleidungen, Treppen und anderem Detail stehen im auffallenden Widerspruch z. B. zu den zumeist primitiven sanitären Verhältnissen. Selten gab es eine Wasserleitung (auch noch nach 1918). Einfache Kastenaborte auf dem Hof in Bretter- oder gemauerten Häuschen (auch im Taubenturm u. a.) mußten genügen. Andererseits waren die großen, hohen, im Winter kalten Wohnräume selbst nicht gesund, da sie — trotz prunkvoller, ja überladener Öfen — sich schwer erwärmen ließen. Die Vielzahl der Räume führte zu einer weiteren Vergrößerung der Gebäude, die dadurch im Volksmund häufig „Palast" (Zuckerrübenpalast) oder „Palais" genannt wurden." 24 „Ich habe mich stets an dem erstaunten Gesichte geweidet", schreibt der schon zitierte Altmärker Wilhelm Meyer-Markau im Jahre 1882, „das Fremde aufsteckten, wenn ich mit ihnen einem Bördebauern einen Besuch abstattete. ,So wohnen hier zu Lande Bauern!?' sprach's da immer aus ihren verwunderten Mienen, und dabei sahen sie dann erstaunt um sich, wie ich es auch that, als ich — selbst Sohn eines Bauern, dessen Hof aber leider nicht in der Börde liegt — zum ersten Mal ein solches Bauernhaus betrat. Paläste, nicht Bauernhäuser sind das. Fehlt doch gar in mehreren nicht einmal ein großer Speisesaal. Es giebt Wohnhäuser auf Bauernhöfen, in denen Decorationsmaler fast ein Jahr lang an der Ausschmückung gearbeitet haben. Für ein Fach Fenster hat man das Paar Vorhänge mitunter mit 300 Mark bezahlt, und manches gräfliche Schloß hat in seinen Gemächern nicht so stattliche Möbel aufzuweisen, wie die Zimmer in diesen Bauernwohnungen, deren Fußböden mit dicken Teppichen belegt sind, über die man dann wohl noch kostspieligere Läufer gebreitet hat." 25 Eine Kommunikation zwischen den vermögenden Groß- und Mittelbauern und den Angehörigen des Landproletariats außerhalb der Arbeitssphäre, etwa im Bereich der Geselligkeit oder des kirchlichen Lebens, bestand jetzt in der Regel nicht mehr. Selbst nicht in relativ abgelegenen Gegenden, wie das Beispiel Vahldorf zeigt: „Die Vahldorfer Gemeinde hat sich mehr, wie die benachbarten Gemeinden, in einer gewissen Abgeschlossenheit gehalten. Sie steht in dem Ruf, in der Bildung etwas zurückgeblieben zu sein . . . Wenn in einigen der reichen Bauernfamilien hier noch die alte bäuerliche Einfachheit und Sitte herrscht, so ist das nur zu loben : aber diese Sitte weicht immer weiter zurück. Auch die strenge Festhaltung der Unterschiede von Bauer, Grundbesitzer, Einliegern und Arbeitern hat ihre guten Seiten, freilich auch ihre üblen", heißt es im Protokoll einer im Jahre 1886 in Vahldorf abgehaltenen Gemeinde-Visitation durch den Generalsuperintendenten der Provinz Sachsen : „manche gemeinsame Einrichtung für Zwecke des Reiches Gottes scheitert daran, daß die Bauern, ihre Söhne und Töchter, nicht mit Leuten aus anderen Ständen zusammenzubringen sind; es trat das recht hervor, als über die Bildung eines kirchlichen Gesangvereins verhandelt wurde." 26 Von einer „Kluft, welche Arbeitgeber und Arbeiter trennt", sprach im Jahre 1890 auch der Ummendorfer Pastor Borchard, und er meinte nicht nur die „Rittergutsbesitzer, Ackerleute und Halbspänner" in seiner Gemeinde, sondern im gesamten Untersuchungsgebiet, als er angesichts des Vorrückens der Sozialdemokratie dazu 24 25 26 27
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Räch, 1974: 92 und 93. Meyer-Markau, 1882:681. STAM, Rep. C 81 IV, Nr. 56: 181. Borchard, 1890: 223; bei Borchard, 1891: 27.
aufrief, „sich nicht zu scheuen, sich mit den Arbeitern auf eine Bank zu setzen."27 Dasselbe hatte er auch sechs Jahre zuvor schon warnend konstatiert: „Die Kluft zwischen den kleinen und grossen Leuten auf dem Lande wird von Jahr zu Jahr eine klaffendere, voll Groll und Bitterkeit, voll Haß und voll Neid." 28 Es kam sogar vor, wie zum Beispiel in den siebziger Jahren in Nordgermersleben, einem Ort mit einer Aktienzuckerfabrik, „an welcher die meisten Bauern betheiligt sind,. . . daß auch begüterte Familien ihre alt und schwach gewordenen Glieder rücksichtslos der communalen Armenklasse verfallen ließen",29 also selbst gegen die eigene Sippe unbarmherzig verfuhr. Mag dies auch eine Ausnahmeerscheinung gewesen sein, und es gibt andere Beispiele, die dagegen stehen,30 so belegen diese Fälle dennoch, bis zu welchem Grade die Demoralisation in diesen Schichten fortgeschritten sein konnte.
Die Auflösung des patriarchalischen Gesindeverhältnisses In diesem Prozeß der Herausbildung des Klassengegensatzes zwischen Groß- und Mittelbauern einerseits und der Landarbeiterschaft andererseits waren grundsätzlich alle Sozialgruppen des Landproletariats einbezogen. Es darf allerdings erwartet werden, daß der konkrete Verlauf dieses Vorganges hinsichtlich der beiden sozialen Gruppen des betriebsintegrierten Agrarproletariats, des Gesindes und der Deputatlandarbeiter, gewisse Besonderheiten aufweist. Das Feudalgesinde, soweit es sich um unverheiratete Mägde und Knechte handelte, war auch im L^ntersuchungsgebiet integraler Bestandteil der größeren bäuerlichen Wirtschafts- und Familiengemeinschaft gewesen.31 Mit der Herausbildung des Klassenantagonismus zwischen Bauernschaft und Agrarproletariat sowie im Verlauf der Durchsetzung der Agrarreformen, insbesondere der Aufhebung des Gesindezwangdienstes, als jetzt „an die Stelle der patriarchalischen Gewalt. . . der Contract" trat, 32 änderte sich jenes Verhältnis von Grund auf. Zu den zwangsläufigen Folgen dieser Entwicklung gehörte auch, daß für die Mägde, Knechte und Enken nun, wo der bisherige, das heißt feudale außerökonomische Zwang beseitigt war, um so mehr die ökonomische Seite ihres Dienstverhältnisses und die Frage der Arbeits- und Lebensbedingungen in den Vordergrund rückten. In diesem Zusammenhang sei eine Beobachtung des Rittergutspächters von Eggenstedt, von dem auch weiter unten noch mehrfach zu sprechen sein wird, aus dem Jahre 1848 mitgeteilt, die diesen Wandel sehr treffend folgendermaßen charakterisiert: „Daß die Lösung der Feudalzustände, daß Ablösungen und andere Beseitigungen der Fesseln, welche früher Eigenthum und persönliche Freiheit genirten, 28 29 30 31 32
(Borchard), 1884:456. STAM, Rep. C 81 IV, Nr. 12: 120 b. Vgl. dazu bei Räch, 1974: 61, 96 und öfter (Altenteil-Häuser). Winter, 1874 a: 422; Winter, 1874 b: 99; Magdeburger Börde, 1888 a: 10; Räch, 1974 : 21. STAM, Rep. C 201 a, Nr. 644: 374 b (aus: „Des W. Franz zu Eggenstedt gehorsamster Bericht die von demselben zu Eggenstedt gegründete Privat-Sparcasse betreffend; nebst Referat über einem vom Herrn Ober-Präsident gefälligst mitgetheilten Aufsatz").
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aufrief, „sich nicht zu scheuen, sich mit den Arbeitern auf eine Bank zu setzen."27 Dasselbe hatte er auch sechs Jahre zuvor schon warnend konstatiert: „Die Kluft zwischen den kleinen und grossen Leuten auf dem Lande wird von Jahr zu Jahr eine klaffendere, voll Groll und Bitterkeit, voll Haß und voll Neid." 28 Es kam sogar vor, wie zum Beispiel in den siebziger Jahren in Nordgermersleben, einem Ort mit einer Aktienzuckerfabrik, „an welcher die meisten Bauern betheiligt sind,. . . daß auch begüterte Familien ihre alt und schwach gewordenen Glieder rücksichtslos der communalen Armenklasse verfallen ließen",29 also selbst gegen die eigene Sippe unbarmherzig verfuhr. Mag dies auch eine Ausnahmeerscheinung gewesen sein, und es gibt andere Beispiele, die dagegen stehen,30 so belegen diese Fälle dennoch, bis zu welchem Grade die Demoralisation in diesen Schichten fortgeschritten sein konnte.
Die Auflösung des patriarchalischen Gesindeverhältnisses In diesem Prozeß der Herausbildung des Klassengegensatzes zwischen Groß- und Mittelbauern einerseits und der Landarbeiterschaft andererseits waren grundsätzlich alle Sozialgruppen des Landproletariats einbezogen. Es darf allerdings erwartet werden, daß der konkrete Verlauf dieses Vorganges hinsichtlich der beiden sozialen Gruppen des betriebsintegrierten Agrarproletariats, des Gesindes und der Deputatlandarbeiter, gewisse Besonderheiten aufweist. Das Feudalgesinde, soweit es sich um unverheiratete Mägde und Knechte handelte, war auch im L^ntersuchungsgebiet integraler Bestandteil der größeren bäuerlichen Wirtschafts- und Familiengemeinschaft gewesen.31 Mit der Herausbildung des Klassenantagonismus zwischen Bauernschaft und Agrarproletariat sowie im Verlauf der Durchsetzung der Agrarreformen, insbesondere der Aufhebung des Gesindezwangdienstes, als jetzt „an die Stelle der patriarchalischen Gewalt. . . der Contract" trat, 32 änderte sich jenes Verhältnis von Grund auf. Zu den zwangsläufigen Folgen dieser Entwicklung gehörte auch, daß für die Mägde, Knechte und Enken nun, wo der bisherige, das heißt feudale außerökonomische Zwang beseitigt war, um so mehr die ökonomische Seite ihres Dienstverhältnisses und die Frage der Arbeits- und Lebensbedingungen in den Vordergrund rückten. In diesem Zusammenhang sei eine Beobachtung des Rittergutspächters von Eggenstedt, von dem auch weiter unten noch mehrfach zu sprechen sein wird, aus dem Jahre 1848 mitgeteilt, die diesen Wandel sehr treffend folgendermaßen charakterisiert: „Daß die Lösung der Feudalzustände, daß Ablösungen und andere Beseitigungen der Fesseln, welche früher Eigenthum und persönliche Freiheit genirten, 28 29 30 31 32
(Borchard), 1884:456. STAM, Rep. C 81 IV, Nr. 12: 120 b. Vgl. dazu bei Räch, 1974: 61, 96 und öfter (Altenteil-Häuser). Winter, 1874 a: 422; Winter, 1874 b: 99; Magdeburger Börde, 1888 a: 10; Räch, 1974 : 21. STAM, Rep. C 201 a, Nr. 644: 374 b (aus: „Des W. Franz zu Eggenstedt gehorsamster Bericht die von demselben zu Eggenstedt gegründete Privat-Sparcasse betreffend; nebst Referat über einem vom Herrn Ober-Präsident gefälligst mitgetheilten Aufsatz").
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auf die arbeitenden Stände vornehmlich einen gewaltigen politischen Eindruck hervorrufen mußten, war nicht zum Verwundern: der Arbeiter, sonst der Scholle anklebend, fühlt seine Füße entfesselt und spricht ,ubi bene ibi patria'." 33 Diese Denk- und Verhaltensweise bestimmte auch zunehmend die Beziehungen zwischen Gesinde und „Herrschaft". Zwar war es auch jetzt zunächst noch „das am meisten gebräuchliche Beginnen der Kinder . . . , daß der Sohn sich beim Bauer oder auf einer größeren Landwirtschaft als Pferde-Enke etc. vermiethet (und) die Tochter . . . zuerst zum Bauer als Magd" ging,34 aber das früher durch feudalen außerökonomischen Zwang geprägte patriarchalische Verhältnis wurde immer seltener reproduziert; bestimmend wurden mehr und mehr die Lohn- und die Dienstbedingungen. Und wo die vorgefundenen Verhältnisse nicht den Erwartungen entsprachen, insbesondere in bezug auf die Arbeitsbedingungen, ging man oft dazu über, sich bessere zu ertrotzen. Daneben war ja vor allem auch stets das Beispiel des viel weniger eingebunden lebenden freien Landarbeiters, aber auch des Fabrik-, Berg-, Eisenbahn- und Chausseebauarbeiters gegenwärtig, das besonders auf die höheren Altersgruppen des Gesindes anziehend wirken mußte. Sie, die Mägde, Knechte und Enken, waren dagegen juristisch durch die Bestimmungen der Gesindeordnung und faktisch durch ihre kontraktlich vereinbarte Betriebsintegrität ungleich weniger frei. Da sie aber aus ökonomischen Gründen vorerst eine andere Wahl nicht hatten und auch weil es noch Brauch, üblich und die Regel war, daß sich die gerade schulentlassenen, vierzehnjährigen, noch unmündigen Mädchen und Knaben zunächst als Gesinde verdingten, mußten ihnen später, mit zunehmenden Alter, die Unterschiede zwischen ihrer Lage und der anderer Sozialgruppen des Proletariats um so eher auffallen und Einfluß auf ihr Denken und Handeln gewinnen. Da Höhe und Art des Gesindelohnes zunächst noch gewöhnlich den ortsüblichen Sätzen entsprachen, hieran also kaum viel zu ändern war, richteten sich ihre Initiativen mehr auf die Verbesserung ihrer Dienstbedingungen. Dabei war es ihnen vor allem um größere Freiheit und Selbständigkeit zu tun. Die Skala ihrer Mittel reichte von Trotz und Widerspenstigkeit bis zu Kontraktbruch und Brandstiftung. Zwar stand den Dienstherrschaften die Gesindeordnung zur Hand, die es ihnen gesetzlich erlaubte, sogar tätlich gegen ihr Gesinde vorzugehen (§ 77), doch waren die Arbeitsverrichtungen der Mägde, Knechte und Enken, vor allem in Haus und Stall, so geartet, daß die Dienstherrschaften im Interesse des eigenen wirtschaftlichen Vorteils besser daran taten, längerwährende Spannungen in ihren Beziehungen zum Gesinde zu vermeiden. „Was schafft uns wohl mehr Aerger, was verbittert einer Hausfrau, in kleinen und in großen Wirtschaften, wohl mehr das Leben, als schlechtes Gesinde? was richtet mehr Schaden am Vermögen durch Verwahrlosung an Vieh und Sachen an, als faule, trotzige, untreue, grobe, malicieuse, rachsüchtige Dienstboten, wie sie . . . namentlich in den größern Bauerwirthschaften angetroffen werden?" fragte schon 1837 der Landrat des provinzialsächsischen Torgauer Kreises, der dann auch als erster in der Provinz Sachsen entsprechende Gegenmaßnahmen organisierte, und dessen Vorschläge wenig später allen „Herrschaften" in der sächsischen Provinz zur Nachahmung empfohlen wurden.35 Denn auseinandersetzen mußten sich die Unternehmer mit dieser Entwicklung, von deren Auswirkungen sie selbst ja am nächsten betroffen waren. Auf diese Weise entstand bis in das erste Dezen33 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 644: 372 b-373. 34 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 644 : 3 8 3 - 383 b. 35 Bose, 1837 b.
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nium des 20. Jh. hinein gleichsam eine ganze Flut von Literatur über die sogenannte Dienstboten-Frage.36 Auf der anderen Seite trat den berechtigten Bestrebungen und Wünschen des Gesindes der Widerstand der „Herrschaften" entgegen, die entweder noch nicht begriffen hatten oder nicht begreifen wollten und sich hartnäckig dagegen sperrten, daß eine neue Entwicklung eingesetzt, daß sich eine neue Qualität in den Beziehungen zwischen ihnen und ihrem Gesinde herauszubilden begonnen hatte und daß dadurch beim Gesinde auch neue Bedürfnisse geweckt worden und entstanden waren. Nur wenige „Einsichtige", wie der schon zitierte Eggenstedter Rittergutspächter Franz, für den die „feudalistischen Verhältnisse . . . nun einmal nicht mehr" bestanden,37 hatten erkannt, daß jetzt eine neue Entwicklung, eine „Übergangsperiode", wie er an anderer Stelle sagte, angebrochen war, die neue Fragen stellte und neue Antworten verlangte. Viele „Herrschaften" waren stattdessen überzeugt, auch weiterhin mit den alten Mitteln des außerökonomischen Zwangs, mit Drohungen, Ausgehverboten, Beleidigungen, Schlägen, miserabler Wohnstätte und Kost usw. die sich entwickelnden neuen Bedürfnisse ihres Gesindes unterdrücken und dessen Bestrebungen Einhalt gebieten zu können, zumal ihnen die Gesindeordnung und andere spezielle Maßnahmen auch die rechtliche und moralische Handhabe dazu boten. Oft erklärten sie sich nicht einmal zu kleinen Zugeständnissen bereit, was selbst Vertreter der herrschenden Klasse, wie der Landrat des provinzialsächsischen Kreises Torgau, öffentlich eingestehen mußten: „So wenig nun auf der einen Seite das Gesinde Liebe, Treue und Anhänglichkeit zur Herrschaft zeigt, so ist man von Seiten der Herrschaften großen Theils aber auch zu wenig aufmerksam und rücksichtsvoll gegen das Gesinde, oft selbst recht hart und herzlos; häufig haben mir Beschwerden vorgelegen, daß die Kost unzureichend, schlecht und unreinlich gewesen, daß die Lagerstätten abscheulich schmutzig,. . . daß man einen Kranken lieblos verstoßen, daß man einen kaum Genesenen, noch Schwachen, die schwerste Arbeit unvernünftig zugemuthet u. dergl. m.". 38 Solange Überfluß an Gesindeleuten bestand und die Dienstherrschaften dadurch auch mit ökonomischem Druck Zugeständnisse verhindern konnten, hatten die Betroffenen kaum eine reale Chance, ihre Situation wesentlich zu verbessern. Im Untersuchungsgebiet begann sich in dieser Hinsicht jedoch bereits seit Mitte der dreißiger Jahre des 19. Jh. ein entscheidender Wandel zu vollziehen, und zwar auf zweifache Weise. Einmal durch den Übergang zur intensiven Wirtschaftsweise im Zusammenhang mit der Einführung des Rübenbaus und zum anderen durch die Begründung zahlreicher Rübenzuckerfabriken. Etwa ab Mitte des Jahrhunderts trat als drittes Moment die Entwicklung Magdeburgs und seiner Vororte zu einem industriellen Zentrum hinzu. Damit hatten sich für die Knechte und Mägde die Bedingungen des Kampfes um eine Verbesserung ihrer Lage wesentlich zu ihren Gunsten verändert. Zunächst bestand für sie nun eine ungleich größere Möglichkeit, den Gesindedienst abzukürzen bzw. überhaupt aufzugeben. Klagen über Gesindemangel sind deshalb im Untersuchungsgebiet bereits ab Ende der dreißiger Jahre des 19. Jh. laut geworden.39 Um 1850 mußten hier 36 An separaten Publikationen seien nur genannt: Über das Gesinde, 1833; Ristelhuber, 1843; Koppe, 1850; Löbe, 1852; Müller, 1852; Füllner: 1868; Goltz, 1873; Foerster, 1898. 37 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 644: 374 b. 38 Bose, 1837 b. 39 Hermes/Weigelt, 1843: 123. Danach ging im Regierungsbezirk Magdeburg die Zahl der Knechte und Enken von 21924 im Jahre 1819 auf 19918 im Jahre 1840 zurück und die Zahl der Mägde „zum
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die Gesinde-Halter teilweise sogar schon dazu übergehen, anstelle von Knechten „Wochenlöhner zur Pferdearbeit, die \ l l 2 —2 Thaler und keine Beköstigung erhalten", einzusetzen.40 Und im Jahre 1853 war aus allen Gegenden des Untersuchungsgebietes, auch aus den Städten, zu vernehmen, daß „der Wechsel des Gesindes sehr stark und die Dienstzeit allgemein . . . kurz ist",41 daß „der Fall, daß Dienstbothen im Dienst ein höheres Alter erreichen,. . . hier zu den allerseltensten" gehört,42 daß „die ländlichen Dienstboten häufig durch den hohen Tagelohn, welcher von den umliegenden Fabriken und größeren Landwirtschaften angeboten wird, verlockt werden, ihr Dienstverhältnis zu verlassen, um sich als Fabrikarbeiter zu verdingen, und daß hierdurch Mangel an Dienstboten entstanden ist", 43 daß „diejenigen Leute aus der untern Volksklasse, welche als Dienstboten eintreten,... in der Regel nur einige Jahre in diesem Verhältnisse" bleiben und bald „zu einem andern Beruf überwechseln,44 daß „ein und dasselbe Dienstverhältniß . . . nur selten . . . länger als ein Jahr" dauert und daß „noch seltener . . . Dienstboten als solche in ihrem 30ten Lebensjahre angetroffen" werden45 usw. Eine wirkliche Verbesserung ihrer Situation, das heißt sowohl ihrer wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Lage (größere persönliche Selbständigkeit), konnten die Knechte und Mägde also nur dann erzielen, wenn sie aus ihrem bisherigen Lebensbereich überhaupt austraten und in andere Sozialgruppen überwechselten, vornehmlich in die der freien Landarbeiter oder des Fabrik-, Berg-, Eisenbahn- oder ChausseebauProletariats. So war es in jener Zeit im Untersuchungsgebiet zu einer allgemeinen Erscheinung geworden, „daß bei dem immer mehr hervortretenden Streben der dienenden und arbeitenden Klasse nach lohnenderen Gewinn und nach Selbständigkeit das Gesinde namentlich auf dem platten Lande und in den kleineren Städten den Dienst sobald als möglich (verließ), um in Fabriken und in den großen Städten bei ungebundener Lebensweise einen höhern Arbeitslohn" zu erlangen.46 Die Mittel, den Austritt aus dem Gesindeverhältnis und damit die Möglichkeit des Wechsels in andere Sozialgruppen zu erreichen, waren verschieden. Es lassen sich etwa fünf Arten unterscheiden. Erstens: Man schloß nur kurzfristige Kontrakte ab, gewöhnlich nur über ein Jahr, und ohne weitere Verlängerung. Diesen Zeitraum noch weiter zu verkürzen, stieß gewöhnlich auf heftigen Widerspruch der „Herrschaft". Zweitens: Ein bewußt häufiges Wechseln der Dienstherrschaft; denn „die Erfahrung hat gelehrt, daß öfterer Dienstwechsel den Dienstboten immer seltener ein anderweites Unterkommen bei einer Herrschaft wieder finden ließ und dieselben nöthigte unter Begünstigung ihrer Angehörigen in den
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Betrieb der Landwirtschaft und anderer Gewerbe", jedoch ohne Einschluß der Köchinnen, Ammen, Kammer- und Stubenmädchen, von 22111 im Jahre 1819 auf 20185 im Jahre 1840. Zur Erläuterung dieses Rückganges wird bemerkt: „Die auffallende Verminderung des landwirtschaftlichen Gesindes kann nur dadurch veranlaßt sein, daß viele größere Ackergüter dismembrirt und parzellirt sind, und die daraus gebildeten kleinen Oekonomien ohne Gesinde mitschaffen. Dagegen hat sich die Zahl der kleinen ländlichen Grundbesitzer bedeutend vermehrt." Einige Nachrichten, 1850: 23. STAM, Rep. C.28 I f, Nr. 1607: 92. STAM, Rep. C 28 I f, Nr. 1607: 124. STAM, Rep. C 28 I f, Nr. 1607: 149. STAM, Rep. C 28 I f, Nr. 1607: 147. STAM, Rep. C 28 I f, Nr. 1607: 154. STAM, Rep. C 28 I f, Nr. 1607: 169 b—170. (Aus einem Bericht der Kgl. Regierung zu Magdeburg an den Oberpräsidenten der Provinz Sachsen vom 20. 5. 1854).
Fabriken . . . Arbeiten als Tagelöhner" aufzunehmen. 47 Drittens, was allerdings nur für das männliche Gesinde zutrifft: Nach Ableistung der Militärpflicht in kein neues Gesindeverhältnis wieder einzutreten. Viertens: Die Dienstherrschaft gezielt zu provozieren, um von ihr „los kommen . . . zu können", 4 « und schließlich fünftens: durch Kontraktbruch. Dieses massenhafte Ausbrechen aus dem Gesindeverhältnis hatte neben einem Mangel an Knechten und Mägden außerdem zur Folge, daß eine wesentliche Verschiebung in der Alterszusammensetzung dieser Sozialgruppe eintrat. War es früher die Regel, daß ländliche Dienstboten noch in ihrem dreißigsten Lebensjahr im Gesindedienst standen, so betrug jetzt ihr durchschnittliches Alter beim Austritt aus diesem Verhältnis etwa zwanzig oder einundzwanzig Jahre. Das war — und dies nicht zufallig — genau jenes Alter, in dem sie auch die Volljährigkeit erreichten. 49 Es bedarf keiner Frage, daß eine derartige „Verjüngung" des Gesindes auch Konsequenzen im politischen Bereich, etwa im Hinblick auf die Mittel und Formen des Kampfes um bessere Arbeitsund Lebensbedingungen, haben mußte. Seit den sechziger Jahren des 19. Jh. herrschte auch in allen anderen Gebieten der Provinz Sachsen Mangel an landwirtschaftlichem Gesinde. Einem Bericht über „Die Verhältnisse der ländlichen Arbeiter in unserer Provinz" aus dem Jahre 1865 ist folgende anschauliche Schilderung der Gesinde-Situation zu entnehmen: „Daß bei den vielfachen Gelegenheiten, die unsere Provinz bietet, als Fabrikarbeiter hohem Lohn zu verdienen, unsere landwirthschaftlichen Dienstboten seltener werden, daß die größere Ungebundenheit der Fabrikarbeit in derselben Richtung wirkt, ist natürlich . . . Die Klagen der meisten Dienstherrn . . . beziehen sich auf den Mangel an Disciplin unter den Dienstboten, auf den Mangel an gesetzlichem Schutze gegen den einseitigen Contraktsbruch derselben. Das landwirtschaftliche Gesinde wird wohl überall in unserer Provinz auf Jahrescontrakt gemiethet, gewöhnlich von Martini zu Martini. Wie auch, und das liegt in der Natur der Sache, das Selbstgefühl der Dienstboten sich gesteigert h a t ; . . . allein sicher sind sie nicht disciplinirter, gefügiger in die nothwendige Ordnung ihres Dienstes geworden . . . Im landwirthschaftlichen Geschäfte giebt es Zeiten, in denen es für die Arbeiter vorteilhaft ist, einen guten Dienst zu haben und wieder Zeiten, in denen die Arbeiten der Tagelöhner einen weit höhern Verdienst momentan bringen. In solchen Zeiten passirt es heutzutage dem größten Gutsbesitzer wie dem kleinsten Bauer zu häufig, daß das Gesinde unbotmäßig und aufsässig wird, unter irgend einem Vorwande den letzten Rest des guthabenden Lohnes zu erhalten sucht, den Dienst geradezu verläßt, oder, einfach die Arbeit versagt und sich so beträgt, daß der Dienstherr das Gesinde zu entlassen gezwungen ist. Er hat dann nicht blos den Schaden, überhaupt den Winter über seine Stellen voll gehabt und in der wichtigsten Arbeitszeit nicht das nöthige Gesinde zu haben; jeder Vorgang der Art lockert auch Ordnung und Disciplin und bringt dem Geschäfte schweren Verlust." 50 Zu dieser Entwicklung lief eine andere parallel. Sie betraf vor allem jene landwirtschaftlichen Großbetriebe, mit denen Zuckerfabriken verbunden waren. Da deren 47 STAM, Rep. C 28 I f, Nr. 1607: 154. 48 STAM, Rep. C 28 I f, Nr. 1607: 135. 49 Für den Torgauer Kreis hatte der dortige Landrat schon im Jahre 1837 festgestellt, daß die Dienstboten „im 20sten, 21sten Jahre gar nicht mehr dienen wollen". Nach Bose, 1837 c. 50 Blomeyer, 1865: 9 4 - 9 5 .
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gesamte Produktion in zunehmendem Maße einzig auf die Erzeugung des Finalprodukts, des Rübenzuckers, ausgerichtet war, alle anderen landwirtschaftlichen Produktionszweige, wie Getreidebau oder Viehhaltung, diesem Ziel mehr oder weniger untergeordnet waren, damit der ganze Betrieb dieser Wirtschaften also immer mehr Saisoncharakter annahm, mußten hier „auch die Arbeiterverhältnisse . . . eine Umgestaltung" erfahren: „Der Fabrikbetrieb", das heißt vor allem der Rübenbau, und der notwendig „größere Viehstand", nämlich an Spannvieh, „erheischen selbstredend einen Zuwachs an Personal, den man" — wenn man ihn braucht und wenn zudem, wie im Untersuchungsgebiet, Mangel an Arbeitskräften herrscht — „durch höher gestellte Löhne und andre ähnliche Lockungen zu erreichen sucht." Man braucht diesen Zuwachs, die große Zahl an Arbeitskräften, indes nicht das ganze Jahr hindurch, mithin: man benötigt vornehmlich eine variable Arbeitskräfte-Masse, „wodurch das frühere Miethsverhältniß fast gänzlich bei Seite tritt. Jegliche Beköstigung oder sonst übliche unmittelbare Beziehung des Dienstboten zum Brodherrn hört auf, an seine Stelle tritt der Taglöhner, dessen Verpflichtungen gegen den Fabrikinhaber nicht über die bedungene Arbeitszeit hinausreichen." 51 Als sich nach 1850, im Zuge der Konsolidierung der agrarkapitalistischen Verhältnisse, dieser Typus des landwirtschaftlichen Betriebs durchzusetzen begann, wurde das Ersetzen des Gesindes durch freie Landarbeiter immer allgemeiner. Es kommt noch hinzu, daß es sich bei diesen Wirtschaftsinhabern fast ausschließlich um solche Unternehmer, meist Pächter, handelte, „welche bisher außerhalb der ländlichen Schranken standen, und welche nun städtisch erworbenes Kapital und die in den Städten bereits entwickelte kapitalistische Betriebsweise, die Herstellung des Produkts als bloßer Ware und als bloßen Mittels zur Aneignung von Mehrwert, auf das Land und die Landwirtschaft" übertrugen (Marx) 52 und auch die menschliche Arbeitskraft nur unter diesem kaufmännischen Gesichtspunkt betrachteten. Aber auch groß- und teilweise mittelbäuerliche Unternehmungen, letztere hauptsächlich, sofern sie ausgesprochene Rübenwirtschaften waren und durch Pachtungen ihr Nutzareal erheblich hatten vergrößern können, gingen dazu über, Gesinde durch freie Landarbeiter zu ersetzen. Statistische Erhebungen aus dem Kreis Wanzleben, dem Kernkreis des Untersuchungsgebietes, haben ergeben, daß hier im Jahre 1864 noch ein prozentuales Verhältnis von Gesinde zu „Tagelöhnern" wie 28,69:71,31 bestand; rund drei Dezennien später, im Jahre 1895, aber bereits ein solches von 12,73:87,27.53 Daß „schon zahlreiche Güter" existierten, die Gesinde „überhaupt nicht mehr beschäftigten, so in den Kreisen Wolmirstedt (und) Wanzleben", bestätigt auch eine Umfrage aus dem Jahre 1893.54 Interessant ist dabei, daß trotz Abwanderungen in die Industrie und trotz allgemeiner Bevölkerungszunahme der Schwund an Gesindepersonal genau dem Zuwachs an freien Landarbeitern in diesem Zeitraum entspricht (15,96%). Die fast durchgängig erfolgte Auflösung des Gesindeverhältnisses, wenigstens in den größeren Rübenwirtschaften, wird für das Untersuchungsgebiet schon um 1880 registriert: „Eigentliches Gesinde ist kaum mehr vorhanden. Auch an Stelle der Pferde- und Ochsenknechte sind meist Tage-
51 Einige Nachrichten, 1850: 65. 52 Marx, 1964(1894): 850. 53 Die Prozentwerte sind vom Verfasser an Hand absoluter Zahlen ermittelt worden, und zwar für 1864: Statistik Wanzleben, 1867: 13; für 1895: Meitzen, 1901: (212)—(213). 54 Nach Goldschmidt, 1899: 25.
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löhner getreten".55 Zu Gespannarbeiten und zur Fütterung und Pflege des Viehs zog man allerdings vielfach spezielle Futterknechte heran,56 die jedoch nicht im bisherigen, alten Gesindeverhältnis standen, sondern in der Regel verheiratet und ihrem Status nach praktisch Deputatlandarbeiter waren.57 Die kapitalistische Entwicklung in der Landwirtschaft, die in ihrem ersten Stadium den Knechten und Mägden im Untersuchungsgebiet zunächst sowohl günstigere Voraussetzungen für ihren Kampf um bessere Lebensbedingungen innerhalb ihres Dienstverhältnisses geschaffen als auch die Möglichkeit zu größeren Freiheiten eröffnet hatte, auch zum Überwechseln in andere Sozialgruppen und damit zu mehr Selbständigkeit, schränkte in ihrer Konsolidierungsphase diese Prämissen und Freiheiten wieder ein, indem sie das herkömmliche Gesindeverhältnis selbst aufhob und ihnen in ihrer Majorität jetzt praktisch nur noch die Alternative: freier Landarbeiter oder Fabrikarbeiter offen ließ, sie also in jene beiden sozialen Gruppen abdrängte, die dem kapitalistischen Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage am stärksten ausgesetzt waren.
Die Veränderungen im sozialen Status des Deputatlandarbeiters (Auflösung des alten Drescherverhältnisses) Veränderungen vollzogen sich im weiteren Verlauf der agrarkapitalistischen Entwicklung im Untersuchungsgebiet auch in den Beziehungen zwischen Unternehmern und den Deputatlandarbeitern, der anderen Sozialgruppe des betriebsintegrierten Agrarproletariats. Wie bereits dargetan, wurde das Hauptkontingent dieser Gruppe hier von den Dreschern gebildet. Historisch hervorgegangen aus den feudal gebundenen Erbdreschern und Zehntschnittern, hatten sie es vermocht, das alte Zehntverhältnis zunächst auch noch weiter beizubehalten: „Wir greifen unser Beispiel aus dem Leben, indem wir zur Anschaulichkeit. . . auf die Verhältnisse des Dreschers Hohmann in Löbnitz", einem Ort im Süden der „Magdeburger Börde", „Bezug nehmen. Derselbe stand zu Anfang des Jahrhunderts auf einem Bauernhofe mit reiner Ackerwirthschaft in dem damals gebräuchlichen Zehntverhältnisse; der gegenseitige Vertrag wurde mündlich, ohne alles Miethgeld, und meist nur von einer Heuerndte zur andern geschlossen . . . Etwa nöthige Beihülfe mußte er selbst beschaffen und lohnen . . . (er) war gewöhnlich Häusler und besaß etwas Gartenfeld und Acker, worauf er Kartoffeln baute, erhielt auch wohl eine Ackerkabel für den Werth eines Fuders Dünger, also etwa pro Morgen 8 Thlr. Pacht." 58 Seine Löhnung bestand aus einem Naturalanteil — „vom Winterkorn das lOte Stieg . . ., auf der Dreschtenne . . . je der 13. Scheffel" — sowie bei „übrigen Arbeiten in der Wirthschaft" und wenn „die Morgenzahl des Sommerkorns die des Winterkorns überstieg" aus der Beköstigung (bei Winterkorn ohne) und aus einem gewissen Betrag in Bargeld.59 In Zeiten wirtschaftlicher Stagnation, so „im zweiten Decen55 56 57 58 59
Nathusius, 1884: 144. Nathusius, 1884: 144. Vgl. hierzu insbesondere bei Bielefelds 1910: 133—135. Einige Nachrichten, 1850: 65—67. Einige Nachrichten, 1850: 66.
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löhner getreten".55 Zu Gespannarbeiten und zur Fütterung und Pflege des Viehs zog man allerdings vielfach spezielle Futterknechte heran,56 die jedoch nicht im bisherigen, alten Gesindeverhältnis standen, sondern in der Regel verheiratet und ihrem Status nach praktisch Deputatlandarbeiter waren.57 Die kapitalistische Entwicklung in der Landwirtschaft, die in ihrem ersten Stadium den Knechten und Mägden im Untersuchungsgebiet zunächst sowohl günstigere Voraussetzungen für ihren Kampf um bessere Lebensbedingungen innerhalb ihres Dienstverhältnisses geschaffen als auch die Möglichkeit zu größeren Freiheiten eröffnet hatte, auch zum Überwechseln in andere Sozialgruppen und damit zu mehr Selbständigkeit, schränkte in ihrer Konsolidierungsphase diese Prämissen und Freiheiten wieder ein, indem sie das herkömmliche Gesindeverhältnis selbst aufhob und ihnen in ihrer Majorität jetzt praktisch nur noch die Alternative: freier Landarbeiter oder Fabrikarbeiter offen ließ, sie also in jene beiden sozialen Gruppen abdrängte, die dem kapitalistischen Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage am stärksten ausgesetzt waren.
Die Veränderungen im sozialen Status des Deputatlandarbeiters (Auflösung des alten Drescherverhältnisses) Veränderungen vollzogen sich im weiteren Verlauf der agrarkapitalistischen Entwicklung im Untersuchungsgebiet auch in den Beziehungen zwischen Unternehmern und den Deputatlandarbeitern, der anderen Sozialgruppe des betriebsintegrierten Agrarproletariats. Wie bereits dargetan, wurde das Hauptkontingent dieser Gruppe hier von den Dreschern gebildet. Historisch hervorgegangen aus den feudal gebundenen Erbdreschern und Zehntschnittern, hatten sie es vermocht, das alte Zehntverhältnis zunächst auch noch weiter beizubehalten: „Wir greifen unser Beispiel aus dem Leben, indem wir zur Anschaulichkeit. . . auf die Verhältnisse des Dreschers Hohmann in Löbnitz", einem Ort im Süden der „Magdeburger Börde", „Bezug nehmen. Derselbe stand zu Anfang des Jahrhunderts auf einem Bauernhofe mit reiner Ackerwirthschaft in dem damals gebräuchlichen Zehntverhältnisse; der gegenseitige Vertrag wurde mündlich, ohne alles Miethgeld, und meist nur von einer Heuerndte zur andern geschlossen . . . Etwa nöthige Beihülfe mußte er selbst beschaffen und lohnen . . . (er) war gewöhnlich Häusler und besaß etwas Gartenfeld und Acker, worauf er Kartoffeln baute, erhielt auch wohl eine Ackerkabel für den Werth eines Fuders Dünger, also etwa pro Morgen 8 Thlr. Pacht." 58 Seine Löhnung bestand aus einem Naturalanteil — „vom Winterkorn das lOte Stieg . . ., auf der Dreschtenne . . . je der 13. Scheffel" — sowie bei „übrigen Arbeiten in der Wirthschaft" und wenn „die Morgenzahl des Sommerkorns die des Winterkorns überstieg" aus der Beköstigung (bei Winterkorn ohne) und aus einem gewissen Betrag in Bargeld.59 In Zeiten wirtschaftlicher Stagnation, so „im zweiten Decen55 56 57 58 59
Nathusius, 1884: 144. Nathusius, 1884: 144. Vgl. hierzu insbesondere bei Bielefelds 1910: 133—135. Einige Nachrichten, 1850: 65—67. Einige Nachrichten, 1850: 66.
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nium des laufenden Jahrhunderts", also während der Agrarkrise, erlitt seine Einnahme freilich „eine beträchtliche Verminderung . . ., sowohl am Zehnt wie an der Löhnung." 60 Am Zehnt deshalb, weil er jenen Teil, den er nicht für den eigenen Bedarf benötigte, jetzt nur sehr verbilligt oder sogar überhaupt nicht mehr in Geld umzusetzen vermochte. Das bedeutete zwar insgesamt eine erhebliche Verschlechterung seiner Lage, die Grundnahrungsmittel, Getreide und Kartoffeln, blieben ihm jedoch erhalten. Unter diesen Bedingungen dachte keiner der beiden Vertragspartner an eine Lösung dieses Zehnt-Kontraktes. Nicht der Bauer oder der Großgrundbesitzer, für den diese Art der Löhnung unter den gegebenen Umständen am vorteilhaftesten war, und auch nicht der Zehnt-Berechtigte, der an dieser Einrichtung außerdem schon darum festhielt, weil sie ihm jahrzehntelang eine gewisse wirtschaftliche Sicherheit garantiert hatte und sich, wie er hoffte, auch künftig wieder bewähren würde. Sehr zu recht, wie sich herausstellte, als die Agrarkrise zu Beginn der dreißiger Jahre des 19. Jh. im wesentlichen überwunden war und die Getreidepreise wieder zu steigen begannen. Darüber hinaus bewirkten, worauf schon hingewiesen worden ist, die Verbesserung der Marktsituation, der generelle Bevölkerungszuwachs und die tendenziell raschere Zunahme der nichtagrarischen gegenüber der agrarischen Bevölkerung eine Ausdehnung des Agrarmarktes, die schließlich auch zu einer allgemeinen Erweiterung und Steigerung der Produktion führte. Unter diesen Bedingungen waren Großgrundbesitz und Großbauern nicht mehr länger bereit, ihren Arbeiter am Ertrag der Produktion, einer ständig steigenden Produktion, teilhaben zu lassen. Sie drängten darauf, das überkommene Zehntverhältnis aufzuheben. Aber die Drescher, da die Vorteile, die sie daraus zogen, die früheren überstiegen, weil sie nun ja auch an der Steigerung proportional partizipierten, hielten nur um so mehr daran fest. Bis zu welchen Zugeständnissen die Zehnt-„Verpflichteten" unter Umständen bereit waren, läßt eine Schilderung Lengerke's aus dem Jahre 1844 über die Verhältnisse auf dem Rittergut des Bördedorfes Eggenstedt erkennen: „In dem Dorfe wohnen an 30 Cossäthen und Anbauer, welche vom Gute in frühern Zeiten einen Platz zu Haus, Hof und Garten erhielten, wofür sie einen geringen Erbzins gaben und außerdem Dienste leisten mußten. Zu diesem Dienste gehörte auch die Verpflichtung, das Winterkorn des Guts, gegen die 13te Mandel an Korn und Stroh abbringen zu müssen. Aus dieser V e r p f l i c h t u n g wurde bald bei steigenden Kornpreisen eine B e r e c h t i g u n g . Das Gut war also lange Jahre hindurch den Cossäthen zehntbar an Korn und Stroh, wodurch der Acker desselben natürlich außerordentlich leiden mußte, um so mehr, als der kalte Boden eine Stroh-Entziehung durchaus nicht vertragen kann. Hr. Franz selbst hat nach Antritt seiner Pacht (i.J. 1836/H.P.) noch 3 Jahre lang an die einzelnen Mäher Zehnten gegeben und das Abbringen seines Winterkorn pro Morgen mindestens mit 2 Thlr. und mehr bezahlt. Was diese frühere Berechtigung des Guts dann dem Areal kostete, als sie durch die Umstände und Conjuncturen z u r L a s t (Sperrung/H. P.) geworden war, lehrte ihn die unter seiner Leitung beschaffte Separation; — die Einwohner des Dorfes erhielten für Aufgabe des Dienstverhältnisses in der eingeschlichenen Weidebefugniß u.s.w. 40 Morgen Acker zu. Um die Sache nur schnell zu beenden, gab der Besitzer, mit anerkennenswerther Bereitwilligkeit, den Leuten fast noch einmal soviel im Vergleich, als durch den Commissair berechnet war." 61 Auch in anderen Teilen des Untersuchungsgebietes war um diese Zeit das Zehntverhältnis auf60 Einige Nachrichten, 1850:67. 61 Lengerke, 1846: 225-226.
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gelöst. So berichtete ebenfalls Lengerke aus Alvensleben mit Tundersieben und Klein Rottmersleben, daß man sich „der Last des Abbringens der Winterung um die 20. Mand e l . . . mittelst Liquidation in Gelde entledigt" habe.62 Diese Regelung war auch in Löbnitz, im Falle des erwähnten Dreschers Hohmann, getroffen worden.63 Zugleich, wie dieses Beispiel zeigt, wurde dabei auch das frühere Verhältnis zwischen dem Drescher und seinen Gehilfen gesprengt. Gehilfen in dem Sinne, daß diese der Drescher selbst zu beschaffen und zu entlohnen hätte, existierten jetzt nicht mehr: „Die beiden Gehülfen von ehemals stehen im Lohnverhältniß",64 also in unmittelbarer Geldbeziehung zum Unternehmer selbst. Da das Exempel des Löbnitzer Dreschers von den Autoren stellvertretend für diese Sozialgruppe in der „Magdeburgischen Gegend" insgesamt herangezogen worden ist, darf unter Berücksichtigung der anderen genannten Belege angenommen werden, daß die Umwandlung des Zehntverhältnisses in ein reines Geldverhältnis im Untersuchungsgebiet im wesentlichen schon um 1845 abgeschlossen war.65 Auf diese Weise war übrigens in jenem Bereich auch zugleich eine unerläßliche Voraussetzung für den Übergang zur intensiven Ausbeutung und in diesem Zusammenhang zur Einführung eines dieser Ausbeutungsmethode gemäßen Lohnsystems erfüllt (vgl. S. 193). Grundsätzlich war damit in den Beziehungen zwischen Deputatlandarbeiter (Drescher) und Unternehmer ein wichtiges Element der überlieferten Bindung beseitigt. Welche Vorteile dies dem Unternehmer brachte und welche Verschlechterung dem Drescher daraus erwuchs, zeigte sich schon wenig später in den Teuerungs- und Notjahren von 1846/47. Dem Drescher blieb allerdings zunächst immer noch der Anteil am Erdrusch erhalten; in Löbnitz zum Beispiel belief dieser sich auf den 13. Scheffel, in Alvensleben auf den 16. Scheffel.66 Natürlich war der Unternehmer unter den Bedingungen der Produktions- und Preissteigerung bestrebt, auch hier zu seinen Gunsten Abhilfe zu schaffen. Doch brachte ihm diese Anteilsberechtigung des Dreschers vorerst immerhin noch den Vorteil, daß der Drusch sorgfaltig ausgeführt wurde und die Ausbeute dementsprechend hoch war. Andererseits stieß ein derartiger Versuch auch auf den heftigen Widerstand der Drescher, die nach dem Verlust des Zehnten wenigstens noch an dieser Leistung festhalten wollten und sogar „bisweilen Miene machten, ihre herkömmlichen Rechte auf prozessualem Wege zu wahren", 67 freilich ohne Aussicht auf Erfolg. Sobald der Unternehmer jedoch die Möglichkeit hatte, den Drusch ebenso sorgfaltig, ja noch weit ergiebiger ausführen zu können als bisher und daraus außerdem sogar eine Reihe weiterer Vorteile zu ziehen vermochte, ging er dazu über, den Erdruschanteil nach und nach einzuschränken und schließlich ganz zu beseitigen. Diese Möglichkeit trat ein mit dem Übergang zum Maschinendrusch, insbesondere mit der Einführung der Dampfdreschmaschine. Welche Vorteile dies im einzelnen waren, lassen die zeitgenössischen Berichte erkennen: „Der Hauptvortheil des Maschinendruschs liegt wohl sicher in dem reineren Ausdrusch. Es ist anzunehmen, daß die Maschine pro Schock mindestens 2 bis 4 Metzen, je nachdem das Getreide trocken oder weniger 62 63 64 65
Lengerke, 1846:141. Einige Nachrichten, 1850: 68. Einige Nachrichten, 1850:68. Auf die gesamte Provinz Sachsen bezogen, meint Bielefeldt, 1910: 121, daß die Abschaffung des „Zehnten" erst „ungefähr seit dem Jahre 1845" datiere. 66 Lengerke, 1846: 141. 67 Bielefeldt, 1910: 123.
S
Plaul, Landarbeiterleben
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trocken eingescheuert ist, (namentlich bei feuchtem Getreide leistet die Maschine vortreffliche Dienste) mehr ausdrischt, als es der Handdrusch vermag. H i e r d u r c h allein schon macht sich die Maschine in 1 bis 2 Jahren bezahlt. Ein weiterer Vortheil liegt in der Kürze der Zeit in welcher die Maschine den Ausdrusch bewirkt, da hierdurch bei momentan günstigen Preisen und indem sich rasch ein ziemlich bedeutendes Quantum zum Verkauf bringen läßt, die Conjunctur benutzt werden kann. Es stellt sich ferner für Wirtschaften mit wenig Scheunenraum durch den Maschinendrusch insofern ein großer Vortheil heraus, als man es vermag, bei günstiger Witterung frühzeitig sämtliche Diemen an Ort und Stelle auszudreschen und hierdurch Verluste zu vermeiden. Endlich ist noch der Vortheil zu erwähnen, daß man beim Maschinendrusch die Arbeiter zu verschiedenen andern nöthigen Arbeiten disponibler hat, als beim Handdrusch, was namentlich den Herbst- und Frühjahrsarbeiten zu Gute kommt. Es ließe sich wohl noch als ein Vortheil das geringe Drescherlohn beim Maschinendreschen bezeichnen, indessen möchte diese Minderausgabe sich wohl durch die Unterhaltungsund sonstigen Betriebskosten der Maschine wieder ausgleichen . . .". 68 Im Untersuchungsgebiet, wo der Dampfdrusch gegen Ende der fünfziger Jahre des 19. Jh. eingeführt wurde,69 war vor allem die transportable Dampfdreschmaschine der englischen Firma R. Garrett & sons, Leiston Works, Suffolk, verbreitet. Ihre Leistung war bedeutend: „Ganz besonders aber hat sich die Maschine bei dem Dreschen des Weizens bewährt; selbst wenn das Kaff am Stroh blieb, so war doch in den Aehren kein Korn mehr. Man ließ 1 Schock Stroh, welches die Drescher nach ihrer Meinung rein gedroschen hatten, noch einmal durch die Maschine dreschen, und erhielt noch 32 Pfd. Weizen; der Weizen war allerdings aus der letzten Lage im Fache; dagegen ließ man ein Schock Stroh, welches durch die Dampf-Dresch-Maschine gedroschen worden war, von den Dreschern nachdreschen, und es wurden nur noch 3 Pfd. ganz schlechter Weizen herausgedroschen, obgleich sich 4 Mann 3 / 4 Tag darauf müde gedroschen hatten." 7 " Im Jahre 1861 errichtete R. Garrett & sons ein Zweigwerk in dem „Börde"-Ort Buckau bei Magdeburg.71 Am rentabelsten gestaltete sich der Einsatz dieser Dreschmaschinen in größeren Wirtschaften, insbesondere in solchen „mit technischen Gewerben . . . , wo die Arbeiter zu allen Zeiten beschäftigt werden können, und wo namentlich bis zum Frühjahr — welches andere dringende Arbeiten bringt — der Ausdrusch des Getreides beendigt sein muß", 72 das heißt genau in jenen Betrieben, in denen auch die Hauptmasse der Deputatlandarbeiter beschäftigt wurde. Solange die Erdruschanteilberechtigung auch unter den Bedingungen der Mechanisierung bestehen blieb, zogen die Drescher selbst dann noch nicht unbedeutende Vorteile daraus, als — wie es beim Maschinendrusch zunächst die Regel ward — dieser Anteil vom 13. oder 16. Scheffel auf den 20. Scheffel herabgesetzt wurde;73 denn infolge der nachweislich größeren Ausbeute erhielten sie, sofern dieser Satz nicht unterboten wurde, „jetzt ein absolut größeres Quantum Brotkorn als vorher" 74 und damit 68 69 70 71 72 73 74
Schmidt, 1862: 118-119. St., 1862: 221. Leistungen, 1861:231. Eröffnung, 1861: 260. Schmidt, 1862: 119. Schmidt, 1862: 118. Bielefeldt, 1910: 124.
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auch wertmäßig ein Plus. Man berechnete um 1862 die Kosten für den Handdrusch bei Abgabe des 16. Scheffels auf 10 Sgr., für das Maschinendreschen bei Abgabe nur des 20. Scheffels aber auf 15 Sgr. pro Mann und Tag.75 Für die Garrettsche Dampfdreschmaschine wurden außer dem Maschinenpersonal gewöhnlich noch 16 Arbeitskräfte benötigt. Erhielten diese Drescher sämtlich den 20. Scheffel als Lohn, so beliefen sich die Kosten insgesamt pro Tag auf 240 Sgr. Doch als man den Erdruschanteil beseitigt hatte, ging man sofort dazu über, die verschiedenen Tätigkeiten je nach Erschwernis auch unterschiedlich zu entlohnen. Welchen Vorteil dies dem Unternehmer einbrachte, wird aus folgender Rechnung deutlich: 8 Arbeiter bekamen jetzt je 10 Sgr., also den Satz für Handdrusch bei Abgabe des 16. Scheffels, ausbezahlt; die restlichen 8 jedoch nur 6*/4 Sgr.76 Damit betrug die Gesamtsumme pro Tag lediglich noch 130 Sgr., und der Unternehmer konnte auf diese Weise fast die Hälfte als Gewinn für sich verbuchen. Vor der völligen Beseitigung des Erdruschanteils gingen die Grundbesitzer jedoch zunächst noch vielfach dazu über, die Quote weiter zu senken, und zwar vom bisher 20. auf den 22., 24., ja bis herab auf den 26. Scheffel, was für die Drescher dann eine erhebliche Einbuße bedeutete.77 Dampfdreschmaschinen kamen im Untersuchungsgebiet nicht nur beim Großgrundbesitz oder in den großbäuerlichen Betrieben zum Einsatz, sondern — wie weiter oben bereits dargetan — auch in den mittleren und teilweise sogar in den kleinbäuerlichen Wirtschaften; hier in der Regel durch die Teilnahme dieser Besitzer an den sogenannten Dampfdreschmaschinengenossenschaften,78 was sowohl auf der Basis direkter Beteiligung als auch in Form zeitweiliger Inanspruchnahme der Maschine geschehen konnte. Denn „außer der Besorgung des Druschs ihrer eigenen Früchte" zielten diese Genossenschaften darkuf ab, „auch vornehmlich in Accord für die Landwirthe der nächsten Umgebung zu dreschen."79 Aber selbst Großgrundbesitz und Großbauer waren sehr oft nicht Eigentümer solcher Maschinen. „Mehr und mehr verbreitet sich der Gebrauch der Dampfdreschmaschinen in der Provinz", heißt es in einer Mitteilung des Landwirtschaftlichen Central-Vereins der Provinz Sachsen im Jahre 1862, „nachdem namentlich in der Magdeburger und Halberstädter Gegend bereits seit einigen Jahren der Anfang damit gemacht worden ist . . . Theils sind sie im Besitz größerer Güter und lediglich für den Besitzer thätig, oder aber sie gehören Unternehmern, welche mit ihnen gegen bestimmte Vergütung den Ausdrusch des Getreides nament-
75 Schmidt, 1862: 118. — Außerdem: Die „Höhe des Lohnsatzes für den Maschinendrusch . . . , wenn er im Verhältnisse zu den Kosten des Handdreschers (der 16. Scheffel = 10 Sgr.) bleiben soll", müßte „ungefähr den 25. Scheffel zu geben" veranschlagt werden. Nach Schmidt, 1862:118. — Mecklenburgische Drescher gaben dagegen etwa zum selben Zeitpunkt — im Jahre 1866 — als Mindestlohnsatz beim Maschinendrusch den 20. Scheffel an: „Deshalb, da wir mit dem 25sten Scheffel kein Brod halten können, dürfte solcher Lohn mindestens bis zum 20. Scheffel beim Maschinendreschen festgestellt werden." Nach Bentzien, 1964: 33. — Wichtig war in diesem Zusammenhang natürlich auch der Gerätetyp bzw. der damit erreichbare Grad der Reinheit des Ausdruschs und die Qualität des Erntegutes. 76 Leistungen, 1861: 231. 77 Bielefeldt, 1910: 124. — Außerdem: Lohnverhältniß, 1862: 123. 78 Bielefeldt, 1910: 64, sowie nach ZLCV, 1862: XIX, 221. 79 St., 1862: 222. 8*
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lieh auf größeren Gütern besorgen."80 Diese bestimmte Ausdrusch-Vergütung stellt in ihrer Art eine bemerkenswerte Besonderheit dar; denn genau sie ist das Mittel, durch das die Wirtschaftsinhaber den Erdruschanteil ihrer Drescher ohne große Schwierigkeit haben beseitigen können. Und zwar geschah dies in der Weise, daß jener Anteil jetzt auf den Eigentümer (Verpächter) der Maschine als Drescherlohn übertragen wurde. Nun erhielt er den 15. oder 16. Scheffel ausbezahlt, während die Drescher dafür ausschließlich in Bargeld entlohnt wurden.81 Ganz wesentlich für die Beziehungen zwischen Deputatlandarbeiter und Unternehmer ist in diesem Zusammenhang eine weitere Besonderheit, die auch zugleich diese für den Maschinendrusch ungewöhnliche Höhe des Entgeldes erklärt. Der Wirtschaftsinhaber hatte zwar auch weiterhin die Arbeitskräfte zu stellen, die für das Binden des Strohs, für das Heranschaffen und Aufbinden der Garben, für das Beseitigen des Kaffs und des Rees und für das Forttragen der gefüllten Säcke nötig waren, doch entlohnt wurden diese Arbeiter jetzt nicht mehr von ihm, sondern vom Eigentümer der Maschine, von dem, der auch den hohen Erdruschanteil erhielt.82 Und wie oben dargetan, lag jetzt dieser Drescherlohn im Vergleich zum Wert des früheren Erdruschanteils fast um die Hälfte niedriger. Der Ansicht von Bielefelds daß nun als Ausgleich für den Verlust des Erdruschanteils „die Drescher durch eine Erhöhung der Tage- und Stücklohnsätze abgefunden" worden seien,83 ist in dieser absoluten Form jedenfalls nicht zuzustimmen. Dagegen ist ihm beizupflichten, wenn er erklärt, daß „durch die Einführung der Dampfdreschmaschine . . . die völlige Auflösung des Drescherstandes" herbeigeführt worden sei.84 Denn durch den Einsatz dieser Maschinen, speziell auf dem Pachtwege, war es möglich, jetzt auch für die Druscharbeiten anstelle der ganzjährlich unter Kontrakt stehenden Deputatlandarbeiter freie Landarbeiter einzustellen. Dies um so eher, da sich bei Verwendung jener Maschinen der Ausdrusch des Getreides verkürzte und damit auch der Getreidebau in zunehmendem Maße den Charakter eines Saisongewerbes annahm. Besonders die ausgesprochenen Fabrikwirtschaften (Rübenwirtschaften), für die der Getreidebau ohnehin nur ein Nebenproduktionszweig war, gingen jetzt — soweit sie bis dahin überhaupt noch ständige Drescher beschäftigt hatten — dazu über, diese durch freie Landarbeiter zu ersetzen.85 Sie waren es auch, die innerhalb der Provinz Sachsen den Dampfdrusch zuerst einführten. Ihr Unternehmen wurde dadurch ganz und gar zum Saisonbetrieb. „Als sicher darf angenommen werden", heißt es daher auch in Auswertung einer Enquete vom Jahre 1893, „dass . . . in den Rübengegenden . . . mit der weiteren Ausdehnung der Dreschmaschine die Kategorie der Drescher immer mehr verschwindet. An ihre Stelle tritt das System der mit baarem Gelde abgelohnten Tagelöhner bezw. Akkordarbeiter." 86 Für einen großen Teil der Drescher, und zwar auch unter Einschluß derjenigen, die — meist im Besitz eines Hauses und eines Stück Landes — bei Groß- oder 80 81 82 83 84 85 86
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St., 1862: 221. Leistungen, 1861: 231, sowie Leistungen, 1860: 289. Leistungen, 1861:231. Bielefeldt, 1910: 124. Bielefeldt, 1910: 124. Bielefeldt, 1910: 124. Goldschmidt, 1899: 95—96.
Mittelbauern beschäftigt gewesen waren, bedeutete diese Entwicklung eine wesentliche Verunsicherung ihrer sozialen Existenz. Soweit sie daraufhin nicht als Pendler in die nahegelegenen Industrien abwanderten, was offenbar sehr häufig der Fall war, oder sich gezwungenermaßen als freie Landarbeiter verdingen konnten, versuchten viele von ihnen in ein anderes, dem bisherigen durchaus ähnliches arbeitskontrakliches Verhältnis einzutreten, und zwar als Pferde- bzw. Futterknechte: „Die heutige Arbeitsverfassung ist besonders durch das Fehlen des unverheirateten Gesindes gekennzeichnet . . . Die Mehrzahl des ländlichen Nachwuchses ist nach den Städten gegangen, um dort bei einem weniger beschwerlichen Leben (?/H. P.) sich größerer Ungebundenheit zu erfreuen. Infolgedessen ist das früher ledige Gesinde heute durch ein verheiratetes ersetzt, das meist jenen Elementen entnommen ist, die sich früher als „Drescher" verdingten."87 Zu der gleichen Feststellung gelangen Bielefeldt88 und, sofern sie von verheirateten Pferdeknechten bzw. von Knechten schlechthin sprechen, auch Borchard89 und Schulze.90 Im Verlauf der agrarkapitalistischen Entwicklung traten im Untersuchungsgebiet ähnlich wie im Verhältnis von Unternehmer und Gesinde auch in den gesellschaftlichen Beziehungen zwischen den Unternehmern und den Deputatlandarbeitern wesentliche Veränderungen ein. Sie bestanden auch hier in einer starken Lockerung der ehemals relativ festen betrieblichen Integration, die sich vor allem darauf gründete, daß der Arbeiter durch seine Anteilberechtigung am Bruttoertrag über das rein kontrakliche, also juristische Verhältnis hinaus noch in ökonomischer Beziehung mit der Wirtschaft eng verbunden war. Der Wandel bestand darin, daß diese ökonomische Bindung gesprengt und weitgehendst durch ein Geldverhältnis ersetzt wurde: in der Phase der Herausbildung agrarkapitalistischer Verhältnisse durch die Abschaffung des „Zehnten", in der Phase der Konsolidierung jener Verhältnisse durch die Beseitigung des Erdruschanteils. Das Deputat blieb zwar auch fernerhin erhalten, doch schloß es jetzt keine Anteilberechtigung mehr ein. Zugleich war durch den Fortfall des „Zehnten" und des Erdruschanteils der Geldanteil am Gesamtlohn gegenüber dem Naturalanteil erweitert worden, worauf übrigens auch Nichtweiß schon hingewiesen hat: „In der Magdeburger Gegend ist die eigene Wirtschaft des Gutstagelöhners kleiner, er erhält ein geringeres Deputat und einen entsprechend höheren Geldlohn" als der Deputatlandarbeiter in den übrigen östlichen Provinzen Preußens mit Ausnahme Schlesiens.91 Sehr zu Recht erklärt deshalb auch Bielefeldt, daß „der Drescher . . . aus einem Anteilsberechtigten am Bruttogewinn für' einen wichtigen Teil seiner Beschäftigung zu einem rein in Geld entlohnten Arbeiter herabgesunken" sei.92 Durch den Wegfall der Anteilberechtigung und durch die Vergrößerung des Geldanteils an der Gesamtlöhnung des Deputatlandarbeiters waren zugleich wesentliche Unterschiede zwischen ihm und dem freien Landarbeiter beseitigt worden.
87 88 89 90 91 92
Gutknecht, 1907:109. Bielefeldt, 1910: 133-135. Borchard, 1890: 215, sowie Borchard, 1891: 19. Schulze, 1914: 115. Nichtweiß, 1959: 10. Bielefeldt, 1910: 122.
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Der Beginn des kapitalistischen Unifizierungsprozesses der Landarbeiterschaft Die unter feudalen Bedingungen entstandene Differenzierung innerhalb der landarmen und landlosen Agrarproduzenten wird im Prozeß der Herausbildung und Durchsetzung agrarkapitalistischer Verhältnisse immer mehr abgebaut. Es entsteht eine Landarbeiterschaft, die sich in der Tendenz mehr und mehr vereinheitlicht. Die Unterschiede zwischen ihren verschiedenen Sozialgruppen werden immer unwesentlicher, die Gemeinsamkeiten dagegen immer bestimmender. Auf diese Weise tritt dem Großgrundbesitz und den Groß- und teilweise Mittelbauern in zunehmenden Maße ein in sich geschlossenes Agarproletariat gegenüber, wodurch die sozialen Gegensätze zwischen den beiden Klassen eine noch stärkere Ausprägung erfahren. Eine Folge davon ist die weitgehende Auflösung aller gesellschaftlichen Beziehungen zwischen ihnen, soweit es sich dabei um die Bereiche außerhalb der Arbeitssphäre handelt. Allerdings ist hierbei zu beachten, daß sich innerhalb der bäuerlichen Klasse unter kapitalistischen Bedingungen — worauf bereits oben näher eingegangen worden ist — gerade der umgekehrte Vorgang, nämlich eine zunehmende Differenzierung vollzieht, wodurch das Verhältnis zwischen dem immer einheitlicher werdenden Agrarproletariat und den verschiedenen Schichten der Bauernschaft (Groß-, Mittel- und Kleinbauern) sich im Konkreten jeweils immer etwas anders — enger oder weiter, schärfer oder weniger scharf — gestalten kann. Andererseits ermöglichte der ständig fortschreitende Unifizierungsprozeß der Landarbeiterschaft sowohl einen leichteren sozialen Austausch innerhalb ihrer verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen als auch zwischen diesen und anderen, nichtagrarischen proletarischen Sozialgruppen. Im Untersuchungsgebiet erfuhr die tendenzielle Unifikation der Landarbeiterschaft und ihre Folgen insofern noch eine Intensivierung, als hier die beiden Sozialgruppen des betriebsintegrierten Agrarproletariats, das Gesinde und die Deputatlandarbeiter, zumindest in den letzten zwei bis drei Dezennien des untersuchten Zeitraums, quantitativ zurückgedrängt, in ausgesprochenen Fabrikwirtschaften (Rübenwirtschaften) bis auf den notwendigen Stamm an ständigen Arbeitskräften sogar fast ganz beseitigt und durch einheimische freie Landarbeiter, zum Teil auch speziell durch Saisonarbeiter, ersetzt worden sind. Als wichtigste Ergebnisse des Prozesses der Herausbildung und Konsolidierung des Kapitalismus in der Landwirtschaft in sozialstruktureller Hinsicht können demnach, zumindest für das Untersuchungsgebiet, konstatiert werden erstens: die Ausprägung und zunehmende Verschärfung des Klassengegensatzes zwischen Bauernschaft und Landarbeiterschaft, zweitens: der Beginn des kapitalistischen Differenzierungsprozesses der Bauernschaft und drittens: der Beginn des kapitalistischen Unifizierungsprozesses der Landarbeiterschaft.
Die sozialkommunikativen Folgen der Gemeinheitsteilung und Separation Gemeinheitsteilung und Separation hatten nicht nur Konsequenzen im ökonomischen Bereich, sondern auch Folgen in gesellschaftlicher und speziell in sozialkommunikativer Hinsicht. Die Zusammenlegung der Grundstücke einer Wirtschaft 118
Der Beginn des kapitalistischen Unifizierungsprozesses der Landarbeiterschaft Die unter feudalen Bedingungen entstandene Differenzierung innerhalb der landarmen und landlosen Agrarproduzenten wird im Prozeß der Herausbildung und Durchsetzung agrarkapitalistischer Verhältnisse immer mehr abgebaut. Es entsteht eine Landarbeiterschaft, die sich in der Tendenz mehr und mehr vereinheitlicht. Die Unterschiede zwischen ihren verschiedenen Sozialgruppen werden immer unwesentlicher, die Gemeinsamkeiten dagegen immer bestimmender. Auf diese Weise tritt dem Großgrundbesitz und den Groß- und teilweise Mittelbauern in zunehmenden Maße ein in sich geschlossenes Agarproletariat gegenüber, wodurch die sozialen Gegensätze zwischen den beiden Klassen eine noch stärkere Ausprägung erfahren. Eine Folge davon ist die weitgehende Auflösung aller gesellschaftlichen Beziehungen zwischen ihnen, soweit es sich dabei um die Bereiche außerhalb der Arbeitssphäre handelt. Allerdings ist hierbei zu beachten, daß sich innerhalb der bäuerlichen Klasse unter kapitalistischen Bedingungen — worauf bereits oben näher eingegangen worden ist — gerade der umgekehrte Vorgang, nämlich eine zunehmende Differenzierung vollzieht, wodurch das Verhältnis zwischen dem immer einheitlicher werdenden Agrarproletariat und den verschiedenen Schichten der Bauernschaft (Groß-, Mittel- und Kleinbauern) sich im Konkreten jeweils immer etwas anders — enger oder weiter, schärfer oder weniger scharf — gestalten kann. Andererseits ermöglichte der ständig fortschreitende Unifizierungsprozeß der Landarbeiterschaft sowohl einen leichteren sozialen Austausch innerhalb ihrer verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen als auch zwischen diesen und anderen, nichtagrarischen proletarischen Sozialgruppen. Im Untersuchungsgebiet erfuhr die tendenzielle Unifikation der Landarbeiterschaft und ihre Folgen insofern noch eine Intensivierung, als hier die beiden Sozialgruppen des betriebsintegrierten Agrarproletariats, das Gesinde und die Deputatlandarbeiter, zumindest in den letzten zwei bis drei Dezennien des untersuchten Zeitraums, quantitativ zurückgedrängt, in ausgesprochenen Fabrikwirtschaften (Rübenwirtschaften) bis auf den notwendigen Stamm an ständigen Arbeitskräften sogar fast ganz beseitigt und durch einheimische freie Landarbeiter, zum Teil auch speziell durch Saisonarbeiter, ersetzt worden sind. Als wichtigste Ergebnisse des Prozesses der Herausbildung und Konsolidierung des Kapitalismus in der Landwirtschaft in sozialstruktureller Hinsicht können demnach, zumindest für das Untersuchungsgebiet, konstatiert werden erstens: die Ausprägung und zunehmende Verschärfung des Klassengegensatzes zwischen Bauernschaft und Landarbeiterschaft, zweitens: der Beginn des kapitalistischen Differenzierungsprozesses der Bauernschaft und drittens: der Beginn des kapitalistischen Unifizierungsprozesses der Landarbeiterschaft.
Die sozialkommunikativen Folgen der Gemeinheitsteilung und Separation Gemeinheitsteilung und Separation hatten nicht nur Konsequenzen im ökonomischen Bereich, sondern auch Folgen in gesellschaftlicher und speziell in sozialkommunikativer Hinsicht. Die Zusammenlegung der Grundstücke einer Wirtschaft 118
zu einem geschlossenen Ganzen bedeutet — wie dies auch der eigens hierfür geprägte Begriff „Separation" zum Ausdruck bringt — andererseits ja zugleich Trennung, Absonderung und Isolierung des einen Flurareals und damit auch des einen Betriebes vom anderen. Die ehemals notwendige Kollektivität vor allem der bäuerlichen Grundbesitzer begann jetzt umzuschlagen in ein Ohneeinander und Gegeneinander, deren unmittelbare Folge, wie Marx schrieb, eine „unendliche Zersplitterung der Produktionsmittel und Vereinzelung der Produzenten selbst" war.93 Es bildete sich ein Zustand, in dem „nicht die gesellschaftliche, sondern die isolierte Arbeit vorherrscht" (Marx).94 Die hinzutretende Teilung der Gemeinheiten und die Ablösung der feudalen Dienste und Abgaben, im weiteren Sinne also die Aufhebung allen Gemeineigentums und die endgültige, allseitige Durchsetzung des Privateigentums, hatten natürlich auch Auswirkungen auf das Denken und Handeln der Betroffenen, auf ihre zwischenmenschlichen und sozialkommunikativen Beziehungen. Der alte Gemeinsinn zumindest unter den ansässigen bäuerlichen Grundbesitzern, den Nachbarberechtigten des Dorfes, zerbrach; Sonderinteressen begannen sich durchzusetzen. Ein Zeitgenosse, der Konrektor Andreas Lewin Meissner (1814 bis 1872), gebürtig aus dem „Börde"-Ort Biere im Landkreis Calbe, schrieb hierzu in einem Rückblick um 1870 sehr treffend: „Ein Theil des Dorfeigenthums war Communalgut, an dem alle participirten . . . Dann kam die atomisirende Separation. Das Communal-Eigenthum ward jedem nach Verhältniß als Sondereigenthum zugetheilt. . . Allgemeine Gänseanger, Schaf- und Kuhweiden verschwanden. Die Gemeinsamkeit des Besitzes hörte auf; der D o r f particularismus bekam eine Bresche und der Particularismus des Besitzers trat an dessen Stelle . . . Unermeßlich waren die Folgen dieser agrarischen Umwälzung für das ganze Volksleben. Die langen, dünnen, bandartigen Ackerfaden, welche jedem Ackerbesitzer in jedem Feldschlage zerstreut zugewiesen waren, wurden in große Pläne zusammen gelegt. Die alte seit Jahrhunderten hergebrachte und durch die Volkssitte geweihte, durch Gemeindebeschlüsse geordnete Art der Bewirthschaftung schwand, damit zugleich freilich auch der alte Schlendrian."95 Und das Ganze auf eine Formel gebracht, meinte er: „die Separation separirte Alles."96 Ähnliches war etwa zur selben Zeit auch in einer Abhandlung des Schönebecker, später Altenweddinger Pastors Franz August Winter (1833—1879) zu lesen: „Gemeinsam war in der alten Dorfgemeinde bis zur Separation hin auch die Arbeit. So lange die Dreifelder-Wirthschaft bestand, so lange jede Gemeinde ein sehr bedeutendes für Weide und Holz bestimmtes Gemeinde-Eigenthum hatte, so lange das Weiden aller Vieharten vom Frühling bis in den späten Herbst gemeinsam geschah, so lange mußte der Einzelne auf die volle Freiheit in der Benutzung seines Eigenthums zu Gunsten des Ganzen verzichten. Die Feldstücke des einzelnen Hofes lagen in der ganzen Feldmark zerstreut; der gesammte Acker der Feldflur war in drei Feldschläge eingetheilt, die ja mit Winter- oder Sommerfrüchten bestellt wurden, oder als Brache und damit als Weide liegen blieben. Die Gemeinde-Versammlung bestimmte die Fruchtfolge, den Anfang der Ernte und der Bestellzeit und der Feldrichter hielt bei Strafe darauf, daß zu bestimmten Terminen bestimmte Feld93 94 95 96
Marx, Marx, Zitiert Zitiert
1964 1964 nach nach
(1894): XXV, 859. (1894): XXV, 865. Winter, 1874 b: 99. Winter, 1874 b: 99.
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Schläge von Früchten frei seien, um als Weide für das Vieh dienen zu können. Die Hirten fingen an einem bestimmten Tage an, das Vieh auf die Weide zu treiben und an einem bestimmten Tage wurde es wieder in den Stall gebracht . . . Die Separation mit ihrer Zusammenlegung der Grundstücke und der unbedingten Verfügungsfreiheit des Einzelnen über seinen Besitz, sind in volkswirtschaftlicher Beziehung ein ungeheuerer Fortschritt und die neuere Entwicklung unseres ländlichen Wohlstandes beruht zum größten Theil auf denselben. Allein für die Zusammengehörigkeit der Gemeinden sind sie ebenfalls Separationen geworden, wirkliche Trennungen und auf die alte Volkssitte haben sie wie Scheidewasser gewirkt."97 Diese Art der Folgen von Gemeinheitsteilung und Separation mag in anderen Landesteilen schwächer gewesen sein als, wie hier beschrieben, im Untersuchungsgebiet, wo infolge der Rübenzuckerfabrikation ein besonders stark ausgeprägter Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Grundbesitzern herrschte und wo sich innerhalb der dörflichen Bevölkerung enorme Vermögensunterschiede herausgebildet hatten und herausbildeten, was unstreitig wesentlich zur Vertiefung und Verschärfung dieser Trennungen beigetragen hat. Diese Verarmung und Verengung der sozialkommunikativen Verbindungen: einerseits zwischen den Angehörigen der bäuerlichen Klasse und der Landarbeiterschaft, andererseits innerhalb der bäuerlichen Grundbesitzerklasse selbst, liegen jedoch nicht auf ein und derselben Ebene. Die Beziehungen zwischen Bauer, vor allem Groß- und Mittelbauer, und Landarbeiter waren, wie schon oben dargestellt, vornehmlich in jenen Bereichen in der Auflösung begriffen, die außerhalb der Arbeitssphäre liegen. Die Beziehungen zwischen den Groß- und Mittelbauern untereinander erfuhren dagegen in der Tendenz gerade auf ökonomischem Gebiet, wo sie sich als Konkurrenten gegenübertraten, eine Einschränkung, nicht jedoch — bedingt durch eine aus ihrer gleichen sozialökonomischen Position entspringenden Interessenidentität — in den Bereichen des politischen, kulturellen, kirchlichen und geselligen Lebens. Die zunehmende Auflösung der gesellschaftlichen Beziehungen zwischen Landarbeitern und Groß- bzw. Mittelbauern beschränkte sich nicht auf die ältere Generation allein. Sie begann mehr und mehr auch unter der Jugend Platz zu greifen. Noch in der ersten Hälfte des 19. Jh. war es durchaus üblich, daß die Töchter und Söhne der großen und mittleren Bauern sich ebenfalls als Gesinde vermieteten. Mit wachsendem Wohlstand und einem sich darum immer stärker ausbildenden Repräsentationsbedürfnis, mit der dadurch ausgelösten und beförderten Aufnahme eines Verhaltens, das bis dahin vornehmlich dem Adel und dem bürgerlichen Großgrundbesitz eigentümlich war, sich nämlich von den weniger wohlhabenden Teilen der dörflichen Bevölkerung sichtbar abzuheben, wuchs in diesen Schichten auch das Bestreben, ihre Nachkommen vom Gesindedienst freizuhalten. Die weitere Verbesserung des staatlichen Schulwesens bot dafür gute „Ersatz"-Möglichkeiten. Seit den fünfziger Jahren des 19. Jh. gingen darum begüterte Groß- und Mittelbauern dazu über, ihre Töchter und Söhne anstatt in den Gesindedienst in die städtischen höheren Bildungsanstalten zu schicken'. Der schon zitierte Konrektor Meissner schrieb hierzu: „Mit dem gesteigerten Wohlstande wandern die Bauernfräulein in die Institute der großen Städte, lernen „mir" sagen, klimpern Pianino und reden nie die Sprache der Großmutter wieder, ebenso wenig, wie sie sich je wieder mit der Tracht des Dorfes befreunden. Die Söhne der 97 Winter, 1874 a: 424-425.
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Bördebauern, der entweder selbst Fabrikant ward oder doch wenigstens einen großen Theil seines Ackers an Fabriken verpachtet, gehen zu Hunderten auf die Real- und Ackerbauschulen. Manche von ihnen gehen dann in einen anderen Beruf über, aber auch manche von ihnen lernen nur soweit genug, um auf immer mit dem Dorfcharakter zu brechen."98 1 856 verkaufte ein Großbauer in Löderburg, wie bereits oben erwähnt, seinen stattlichen Hof für 36000 Taler an die Zuckerfabrik in AltenStaßfurt, um seinen vier Söhnen ein Studium zu gewähren." Und im Jahre 1877 wird aus dem Ort Nordgermersleben berichtet, daß den Stamm dieser Gemeinde, „zu welcher die Ortschaften Tundersieben und Klein Rottmersleben gehören,... ein sehr begüterter und nicht unintelligenter Bauernstand" bilde; „er hat mehrere Mitglieder, die das Abiturientenexamen auf einer Realschule oder auf einem Gymnasium bestanden haben." 100 Auf diese Weise kam bereits bei einem nicht geringen Teil der zweiten Generation der Groß- und Mittelbauern jener enge Kontakt mit dem Agrarproletariat, wie er sich durch die Arbeit als Knecht und Magd geradezu zwangsläufig ergibt, schon von vornherein nicht mehr zustande. Auch dies hat natürlich ganz entscheidend zu dem Aufbrechen des Verhältnisses zwischen diesen Schichten und der Landarbeiterschaft beigetragen.
Ausweitung und Intensivierung der Fluktuation zwischen der Landarbeiterschaft und nichtagrarischen proletarischen Sozialgruppen (Verdichtung der Land-Stadt-Beziehungen) Die Herausbildung und Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse führte freilich nicht nur zu einer Verengung, sondern auch zugleich zu einer Erweiterung der gesellschaftlichen Kommunikationsbeziehungen. Diese Erweiterung betraf im ländlichen Bereich allerdings nicht das Verhältnis zwischen dem Landproletariat und den Groß- und Mittelbauern oder dem Großgrundbesitz, sondern die Beziehungen zwischen den Angehörigen dieser Klassen und Schichten jeweils untereinander. Im Untersuchungsgebiet kam es darüber hinaus auch zu Kontakten und Verbindungen zwischen Landproletariern und ländlichen und städtischen Fabrikarbeitern, und zwar über verschiedene Kanäle. Einmal dadurch, daß Landarbeiter in den Wintermonaten in die Zuckerfabriken eintraten und während dieser Zeit selbst Fabrikarbeiter wurden. Zum anderen — endgültig oder ebenfalls nur saisonweise — durch ihren Eintritt in Maschinen- oder Textilfabriken usw., was vor allem, wie dargetan, unter dem Gesinde weit verbreitet war. So geschah es nicht selten, insbesondere in den industrienahen Gemeinden, daß Freunde, Verwandte und selbst Familienangehörige von Landarbeitern (Frauen und erwachsene Kinder) dem Fabrikproletariat angehörten. In den Ortschaften in der Nähe des entstehenden Industrie98 Zitiert nach Winter, 1874 b: 100. 99 Fiedler, 1939: 15. 100 STAM, Rep. C 81 IV, Nr. 12: 120 b.
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Bördebauern, der entweder selbst Fabrikant ward oder doch wenigstens einen großen Theil seines Ackers an Fabriken verpachtet, gehen zu Hunderten auf die Real- und Ackerbauschulen. Manche von ihnen gehen dann in einen anderen Beruf über, aber auch manche von ihnen lernen nur soweit genug, um auf immer mit dem Dorfcharakter zu brechen."98 1 856 verkaufte ein Großbauer in Löderburg, wie bereits oben erwähnt, seinen stattlichen Hof für 36000 Taler an die Zuckerfabrik in AltenStaßfurt, um seinen vier Söhnen ein Studium zu gewähren." Und im Jahre 1877 wird aus dem Ort Nordgermersleben berichtet, daß den Stamm dieser Gemeinde, „zu welcher die Ortschaften Tundersieben und Klein Rottmersleben gehören,... ein sehr begüterter und nicht unintelligenter Bauernstand" bilde; „er hat mehrere Mitglieder, die das Abiturientenexamen auf einer Realschule oder auf einem Gymnasium bestanden haben." 100 Auf diese Weise kam bereits bei einem nicht geringen Teil der zweiten Generation der Groß- und Mittelbauern jener enge Kontakt mit dem Agrarproletariat, wie er sich durch die Arbeit als Knecht und Magd geradezu zwangsläufig ergibt, schon von vornherein nicht mehr zustande. Auch dies hat natürlich ganz entscheidend zu dem Aufbrechen des Verhältnisses zwischen diesen Schichten und der Landarbeiterschaft beigetragen.
Ausweitung und Intensivierung der Fluktuation zwischen der Landarbeiterschaft und nichtagrarischen proletarischen Sozialgruppen (Verdichtung der Land-Stadt-Beziehungen) Die Herausbildung und Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse führte freilich nicht nur zu einer Verengung, sondern auch zugleich zu einer Erweiterung der gesellschaftlichen Kommunikationsbeziehungen. Diese Erweiterung betraf im ländlichen Bereich allerdings nicht das Verhältnis zwischen dem Landproletariat und den Groß- und Mittelbauern oder dem Großgrundbesitz, sondern die Beziehungen zwischen den Angehörigen dieser Klassen und Schichten jeweils untereinander. Im Untersuchungsgebiet kam es darüber hinaus auch zu Kontakten und Verbindungen zwischen Landproletariern und ländlichen und städtischen Fabrikarbeitern, und zwar über verschiedene Kanäle. Einmal dadurch, daß Landarbeiter in den Wintermonaten in die Zuckerfabriken eintraten und während dieser Zeit selbst Fabrikarbeiter wurden. Zum anderen — endgültig oder ebenfalls nur saisonweise — durch ihren Eintritt in Maschinen- oder Textilfabriken usw., was vor allem, wie dargetan, unter dem Gesinde weit verbreitet war. So geschah es nicht selten, insbesondere in den industrienahen Gemeinden, daß Freunde, Verwandte und selbst Familienangehörige von Landarbeitern (Frauen und erwachsene Kinder) dem Fabrikproletariat angehörten. In den Ortschaften in der Nähe des entstehenden Industrie98 Zitiert nach Winter, 1874 b: 100. 99 Fiedler, 1939: 15. 100 STAM, Rep. C 81 IV, Nr. 12: 120 b.
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Zentrums Magdeburg — als solche waren oben besonders hervorgehoben : Fermersleben, Bleckendorf, Groß Ottersleben und Klein Ottersleben — kam ein Kontakt zwischen Landarbeitern und Fabrikarbeitern ohnehin fast täglich zustande. Konrektor Meissner : „Städter sind es ferner meist, welche die Industrie hervorrufen oder betreiben. Mit ihnen zieht eine Colonie von Städtern ein, welche mit ihrer Stadtsitte ein Stück der alten Dorfsitte nach dem andern begraben helfen . . .". 101 Mehr oder minder stabile Beziehungen bildeten sich auch zwischen Landproletariern und ihren nachbarlichen Berg- und Salinenarbeitern usw. heraus (Braunkohle bei Altenweddingen, Unseburg, Wolmirsleben, Hohendorf und Welsleben; Salze bei Schönebeck und Staßfurt). Eine häufige Verbindung mit dem Fabrikproletariat ergab sich für viele Landarbeiter bereits in den Jahren nach 1836 — während der Erntezeit — durch die vielen, alljährlich wiederkehrenden Rübenfuhren in die Zuckerfabriken von Sudenburg, Magdeburg-Neustadt, Wolmirstedt, Calbe, Barby und Klein Wanzleben. Nach 1850 kamen vielfach Düngerfuhren hinzu.102 Der Kontakt des Landarbeiters mit Angehörigen des Fabrikproletariats war somit in den meisten Fällen zugleich verbunden mit einer Bekanntschaft der Stadt: mit städtischen Gewohnheiten und städtischer Lebensweise. Die vor allem nach der Jahrhundertmitte rasch voranschreitende Verbesserung des Chaussee-, Straßen- und Wegenetzes und der Bau von Eisenbahnen erleichterte und beförderte diese Beziehungen. Das Dorf trat aus seiner bisherigen relativen Isolierung heraus. Die Berührung des Landarbeiters mit der Stadt, aber auch mit anderen Gemeinden, erweiterte sich jetzt über den engeren Bereich der Arbeitssphäre hinaus. „In alter Zeit", so schrieb Meissner um 1870, „gab es keine Eisenbahnen, wenig Landstraßen, schlechte Communicationswege, seltene Abzugsgräben. Daher waren die Dörfler einen großen Theil des Jahres hindurch isolirt. Verheirathungen nach außen waren nicht häufig, wenigstens fanden sie dann nicht weithin statt. Reisen von zehn Meilen galten fast damals, wie jetzt Reisen um die Welt . . . Die Fabriken heischen leichte Communication, Kreischausseen durchschneiden den Bezirk nach allen Richtungen und bringen das Dorf in Verbindung mit dem ganzen Lande. Der Winter trennt nicht mehr und das Leben pulsirt schneller."103 Die Erweiterung der sozialen Kommunikationsbeziehungen unter den Bedingungen des entwickelten Agrarkapitalismus im allgemeinen und der fortgeschrittenen industriellen Revolution im besonderen drückte sich im Untersuchungsgebiet auch darin aus, daß in zunehmendem Maße sowohl innerhalb der Landarbeiterschaft als auch zwischen ihr und anderen sozialen Gruppen des Proletariats ein lebhafter sozialer Austausch 101 Zitiert nach Winter, 1874 b: 100. 102 Aus den Verhandlungen, 1856: 114. 103 Zitiert nach Winter, 1874 b: 98 und 100. — Über die Veränderungen, die infolge der Verbesserungen im Verkehrswesen in den bäuerlichen Betrieben eingetreten waren, berichtete der Oscherslebener Landwirtschaftsverein schon im Jahre 1856: „Es ist sichtlich, wie hier die Intelligenz des Landwirths zugenommen hat, seitdem der regere Verkehr und die Schienenwege ihm Gelegenheit geben, sich mit der Außenwelt in Verbindung zu setzen und durch Gedankenaustausch und Besichtigung zweckmäßiger, die L a n d w i r t s c h a f t betreffender Einrichtungen seine Befangenheit und eingefleischten Vorurtheile zu beseitigen. Mit Einsicht, mit vieler Accuratesse und Pünktlichkeit betreibt er den Ackerbau; Ackerwerkzeuge werden theils verändert, theils durch zweckentsprechendere ergänzt." Nach: Aus den Verhandlungen, 1856: 114.
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stattfand. Am häufigsten kam es dabei zu zeitweiligen Übertritten des Gesindes in die Gruppe der freien Landarbeiter ohne Hausbesitz sowie zur Fluktuation beider Gruppen in die der Fabrikarbeiter. Infolge dieser Mobilität, verursacht durch das Streben nach besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen und erleichtert durch den fortschreitenden Unifizierungsprozeß der Landarbeiterschaft, erfuhren auch die Kontakte des Landproletariats zur Stadt eine Intensivierung, was sich ebenso wie das zeitweise Überwechseln in nichtagrarische proletarische Sozialgruppen zum Teil in Veränderungen ihrer Verhaltensweisen äußerte. In einer Schilderung über die Arbeitsverhältnisse in der gesamten Provinz Sachsen aus dem Jahre 1865 hieß es hierzu: „Im landwirthschaftlichen Geschäfte giebt es Zeiten, in denen es für die Arbeiter vortheilhaft ist, einen guten Dienst zu haben" — also Gesinde oder Deputatlandarbeiter zu sein — „und wieder Zeiten, in denen die Arbeiten der Tagelöhner einen weit höhern Verdienst momentan bringen . . . Unter vielen guten Dienstboten, die sich finden, giebt es auf jedem größern Gute und in jedem Dorfe solche, die in Fabriken und andern Arbeitsstellen Erfahrungen gesammelt haben, welche sie nicht befähigen, gute Dienstboten zu sein . . . (So gilt, daß) in Bezug auf unser landwirtschaftliches Gesinde, das eben häufig nicht dauernd Gesinde, sondern abwechselnd Gesinde und freier Arbeiter ist, . . . die Bestimmungen unserer Gesinde-Ordnung und unsrer Dienstgesetze wirkungslos sind."104 Und Goltz erklärte in diesem Zusammenhang im Jahre 1871: „Bei den mancherlei Verschiedenheiten, welche zwischen den ländlichen und den industriellen Arbeitern bestehen, sind doch auch wieder nahe Beziehungen zwischen diesen beiden Bevölkerungsklassen vorhanden. Namentlich gilt solches für alle diejenigen Gegenden, in welchen die Industrie besonders entwickelt ist . . ., wie z. B. in vielen Theilen des Königreichs und der Provinz Sachsen . . . In diesen und anderen Gegenden Deutschlands giebt es eine nicht geringe Anzahl von Familien, bei welchen man kaum mehr weiß, ob man sie zu der ländlichen oder zu der industriellen Arbeiterbevölkerung rechnen soll. Der Mann ist im landwirthschaftlichen Gewerbe thätig, Frau und Kinder suchen in einer Fabrik ihre Beschäftigung oder auch umgekehrt; es kommt nun gleichfalls nicht selten vor, daß ein und dieselbe Person bald auf dem Felde, bald in einem industriellen Etablissement ihre Kräfte gegen Lohn verwerthet . . . Diese innige Berührung und Vermischung der ländlichen mit der industriellen Arbeiterklasse . . . nimmt voraussichtlich immer mehr zu. Denn die Industrie breitet sich fortwährend aus und siedelt sich an neuen, bisher von ihr unberührten Gegenden an. Hierzu kommt, daß gewisse Fabrikationszweige ihrer Natur nach ihren Sitz vorzugsweise auf dem Lande haben und daß einzelne derselben gfade jetzt in starkem Wachsthum begriffen sind. Dies gilt namentlich für die Runkelrübenzucker-Industrie; ferner, wiewohl in geringerem Maße, für die Stärke- und Syrupfabrikation, sowie für die Verarbeitung von Kartoffeln auf Spiritus . . ., die in ihnen beschäftigten Arbeiter leben auf dem Lande und werden häufig einen großen Theil des Jahres zu landwirthschaftlichen Verrichtungen herangezogen. Besonders trifft dies für die bei der Rübenzucker-Industrie thätigen Personen zu, da jene der Natur der Sache nach bloß in einigen Wintermonaten stattfinden kann, während wiederum der Anbau der Runkelrübe während des Sommers geschehen muß . . . Bei dieser vielfachen und innigen Berührung, welche zwischen den ländlichen
104 Blomeyer, 1865: 95.
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und industriellen Arbeitern stattfindet, ist ein gegenseitiger Einfluß dieser beiden Volksklassen auf einander unvermeidlich." 105 Eine derart intensive Fluktuation innerhalb des Agrarproletariats sowie zwischen Landarbeiterschaft und nichtagrarischen proletarischen Sozialgruppen war freilich überhaupt nur möglich, weil infolge der fortschreitenden Industrialisierung und der weiteren Ausdehnung der intensiven Wirtschaftsweise in der Landwirtschaft sowie einer Reihe anderer Faktoren, auf die später noch einzugehen sein wird, vor allem im Zusammenhang mit dem vermehrten Hackfruchtbau, trotz Bevölkerungszunahme ein fühlbarer Mangel an Arbeitskräften bestand. Besonders augenfällig wurde im Untersuchungsgebiet, aber auch in der Provinz Sachsen insgesamt, der Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitern im Jahre 1864, wo zu den allgemeinen Ursachen und den Kriegsereignissen noch spezifische, witterungsbedingte Gründe hinzutraten. „Im Laufe des vergangenen Jahres haben die Verhältnisse der ländlichen Arbeiter in unserer Provinz zu vielfachen Klagen unter den Arbeitgebern Anlaß gegeben", hieß es 1865 in einem hierauf bezugnehmenden Bericht: „Ueberall im landwirthschaftlichen Gewerbe, wo Hülfsarbeiter gebraucht werden, von den großen Gütern bis zu den kleinsten Betriebsstellen, hat der Mangel an Feldarbeitern vielfach Verlegenheiten und Verluste hervorgerufen, auch die Ernte des Jahres 1864 unverhältnismäßig vertheuert.. . Während im regelrechten Laufe der Dinge eine Erntearbeit gewöhnlich der andern die Hand reicht, sind wir im verflossenen Jahre mit fast jeder Art der Ernte zu spät gekommen, das Ende hat wie immer, die Last getragen, und, obwohl der Winter nicht gerade ausnahmsweise früh eingetreten ist, mußte ihm an vielen Orten ein Theil der Hackfrüchte preisgegeben werden. Dann sind effectiv weniger Arbeiter zur Disposition der Landwirthschaft gewesen, weil die Industrie und namentlich der Eisenbahnbau in unserer Provinz ausnahmsweise viele Leute in Anspruch genommen hat . . ,". 106 Diese besonders schwierige Situation des Jahres 1864 wirkte auf die mit fremden Arbeitskräften produzierenden Grundbesitzer wie ein Signal. Von da an gehörte das Fragen und Suchen nach Mitteln und Wegen zur Überwindung des ländlichen Arbeitskräftemangels auch zu den immer wiederkehrenden Themen der Versammlungen des vornehmlich vom Großgrundbesitz und von Groß- und Mittelbauern geführten und getragenen provinzialsächsischen „Landwirthschaftlichen Central* Vereins". „Es ist wahrscheinlich", heißt es im genannten Bericht weiter, „daß das vorige Jahr ein Ausnahmejahr in dieser Beziehung war; daß bei veränderten Umständen künftig das Verhältniß der landwirthschaftlichen Arbeiter zu vorhandnen Arbeit sich wieder günstiger gestalten, sich dem alten Geleise wieder mehr nähern wird. Ganz aber wird es nicht wieder in das alte Geleise einlenken. Denn um die vorhandenen Arbeitskräfte werben zwei große Concurrenten, die Landwirthschaft und die Industrie, beide in intensivem Betriebe immer fortschreitend, und damit, trotz Maschinen, mehr Menschenkräfte erfordernd. Die Industrie scheint augenblicklich und für die nächste Zukunft immer großartiger sich zu entwickeln und damit die für die Landwirthschaft bisher disponibeln Arbeitskräfte immer mehr zu beschränken."! 0 ?
105 Goltz, 1871:34. 106 Blomeyer, 1865: 93—94. 107 Blomeyer, 1865:94.
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Es traten jedoch bald Ereignisse ein, die das landwirtschaftliche Arbeitskräftepotential unverhältnismäßig rascher und stärker schrumpfen ließen, als es die industrielle Entwicklung je vermocht hätte: die Kriege von 1866 und 1870/71. Zwar wurde unterm 21. 7. 1866 seitens des preußischen Landwirtschaftsministers den Grundbesitzern gestattet, „zur freiwilligen Uebernahme von ländlichen Arbeiten" Kriegsgefangene einzusetzen, doch konnte diese Möglichkeit nur durch einen zusätzlichen Kostenaufwand realisiert werden.108 Nach den vom Kriegsministerium ausgearbeiteten und am 30. 6. 1866 verabschiedeten „Grundsätzen für das Verfahren bei Beschäftigung von Kriegsgefangenen mit ländlichen Arbeiten" hatten die nutznießenden Grundbesitzer die Kosten „für den Transport der Gefangenen . . . von und nach der Festung, aus welcher sie gestellt werden", zu übernehmen, ferner für deren Verpflegung und Unterbringung zu sorgen und schließlich , Jedem Gefangenen incl. den die Aufsicht führenden Chargirten, eine nach Maßgabe der Arbeitszeit, Oertlichkeit etc. von der Bezirks-Regierung zu normirende Zulage bis zu 7 l / 2 Sgr. pro Arbeitstag" zu gewähren (§ 1). Der tägliche Verpflegungssatz mußte dabei „in der Regel bestehen aus: 1. der Brotportion von 1 Pfund 12 Loth und 2. der Victualien-Portion: 9 Loth Fleisch — Gewicht des rohen Fleisches — 5l/2 Loth Reis oder 7 Loth ordinaire Graupen resp. Grützen (Hafer-, Buchweizen-, Haide- oder Gersten-Grütze) oder 14 Loth Hülsenfrüchte (Erbsen, Linsen, Bohnen) oder l / 2 Metze Kartoffeln und n/2 Loth Salz", wobei „eine durch die Oertlichkeit etwa bedingte geringere Fleischportion . . . durch eine größere Gemüsequantität ausgeglichen werden" konnte (§ 9).109 1870 sprachen die Unternehmer darum und in Anbetracht der allgemein gestiegenen Lohnkosten, soweit es sich dabei „um Wirkungen des Krieges handelt", geradezu von einer „Kriegssteuer", die sie zu entrichten hätten. 110 Die Frage disponibler ländlicher Arbeitskräfte wurde schließlich so prekär — 1870 wurde konstatiert: „Der Mangel an Arbeitern und Schwierigkeiten in Haltung derselben sind als Regel anzunehmen, befriedigende Zustände treten nur als Ausnahme auf', 1 1 1 und um 1880 hieß es speziell über die Lage im Magdeburgischen: „Die einheimischen Arbeitskräfte genügen trotz ausgedehnter Anwendung von Maschinen längst dem Bedarf nicht mehr" 112 —, daß die Unternehmer jetzt und künftig im großen Stil dazu übergingen, Saisonarbeiter zu verpflichten.
Das Herrschaftsinstrumentarium der großen und mittleren ländlichen Grundbesitzer: Gesinde-Ordnung, Dienstatteste, Gesindebücher, Dienstbotenverbesserungsvereine, Kontrakte, Dienstpflichtverletzungsgesetz Die Beziehungen zwischen Agrarproletariat und bäuerlicher Klasse, speziell den Groß- und Mittelbauern, sowie dem Großgrundbesitz waren auch unter kapitalistischen Bedingungen noch durch ein Netz außerökonomischer Zwangsmaßnahmen 108 109 110 111 112
Zitiert nach: ZLCV, 1866: XXIII, 187. Zitiert nach: ZLCV, 1866: XXIII, 187. Stadelmann, 1871: 50. Stadelmann, 1871: 50. Nathusius, 1884: 143.
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Es traten jedoch bald Ereignisse ein, die das landwirtschaftliche Arbeitskräftepotential unverhältnismäßig rascher und stärker schrumpfen ließen, als es die industrielle Entwicklung je vermocht hätte: die Kriege von 1866 und 1870/71. Zwar wurde unterm 21. 7. 1866 seitens des preußischen Landwirtschaftsministers den Grundbesitzern gestattet, „zur freiwilligen Uebernahme von ländlichen Arbeiten" Kriegsgefangene einzusetzen, doch konnte diese Möglichkeit nur durch einen zusätzlichen Kostenaufwand realisiert werden.108 Nach den vom Kriegsministerium ausgearbeiteten und am 30. 6. 1866 verabschiedeten „Grundsätzen für das Verfahren bei Beschäftigung von Kriegsgefangenen mit ländlichen Arbeiten" hatten die nutznießenden Grundbesitzer die Kosten „für den Transport der Gefangenen . . . von und nach der Festung, aus welcher sie gestellt werden", zu übernehmen, ferner für deren Verpflegung und Unterbringung zu sorgen und schließlich , Jedem Gefangenen incl. den die Aufsicht führenden Chargirten, eine nach Maßgabe der Arbeitszeit, Oertlichkeit etc. von der Bezirks-Regierung zu normirende Zulage bis zu 7 l / 2 Sgr. pro Arbeitstag" zu gewähren (§ 1). Der tägliche Verpflegungssatz mußte dabei „in der Regel bestehen aus: 1. der Brotportion von 1 Pfund 12 Loth und 2. der Victualien-Portion: 9 Loth Fleisch — Gewicht des rohen Fleisches — 5l/2 Loth Reis oder 7 Loth ordinaire Graupen resp. Grützen (Hafer-, Buchweizen-, Haide- oder Gersten-Grütze) oder 14 Loth Hülsenfrüchte (Erbsen, Linsen, Bohnen) oder l / 2 Metze Kartoffeln und n/2 Loth Salz", wobei „eine durch die Oertlichkeit etwa bedingte geringere Fleischportion . . . durch eine größere Gemüsequantität ausgeglichen werden" konnte (§ 9).109 1870 sprachen die Unternehmer darum und in Anbetracht der allgemein gestiegenen Lohnkosten, soweit es sich dabei „um Wirkungen des Krieges handelt", geradezu von einer „Kriegssteuer", die sie zu entrichten hätten. 110 Die Frage disponibler ländlicher Arbeitskräfte wurde schließlich so prekär — 1870 wurde konstatiert: „Der Mangel an Arbeitern und Schwierigkeiten in Haltung derselben sind als Regel anzunehmen, befriedigende Zustände treten nur als Ausnahme auf', 1 1 1 und um 1880 hieß es speziell über die Lage im Magdeburgischen: „Die einheimischen Arbeitskräfte genügen trotz ausgedehnter Anwendung von Maschinen längst dem Bedarf nicht mehr" 112 —, daß die Unternehmer jetzt und künftig im großen Stil dazu übergingen, Saisonarbeiter zu verpflichten.
Das Herrschaftsinstrumentarium der großen und mittleren ländlichen Grundbesitzer: Gesinde-Ordnung, Dienstatteste, Gesindebücher, Dienstbotenverbesserungsvereine, Kontrakte, Dienstpflichtverletzungsgesetz Die Beziehungen zwischen Agrarproletariat und bäuerlicher Klasse, speziell den Groß- und Mittelbauern, sowie dem Großgrundbesitz waren auch unter kapitalistischen Bedingungen noch durch ein Netz außerökonomischer Zwangsmaßnahmen 108 109 110 111 112
Zitiert nach: ZLCV, 1866: XXIII, 187. Zitiert nach: ZLCV, 1866: XXIII, 187. Stadelmann, 1871: 50. Stadelmann, 1871: 50. Nathusius, 1884: 143.
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charakterisiert. Vom feudalen Zwangssystem unterschied es sich dadurch, daß die ihm Unterworfenen zwar in der Regel aus ökonomischer Notwendigkeit, rechtlich jedoch auf der Grundlage freier Vereinbarung in dieses Verhältnis eintraten. Basis war nicht mehr ein prästabilierter, kollektiwerbindlicher Zwang, sondern die Entscheidung eines juristisch selbständigen Individuums. Am stärksten waren diesen Reglements die beiden Sozialgruppen des betriebsintegrierten Landproletariats ausgesetzt: das Gesinde und die Deputatlandarbeiter. Dies läßt darauf schließen, daß unter kapitalistischen Konditionen die Betriebsintegrität die entscheidende, wesentliche Grundlage der außerökonomischen Reglementierungen bildet. Abgesehen von einer Ausnahme — gemeint ist das Dienstpflichtverletzungsgesetz von 1854, das sich aber auch aus anderen Motiven herleitet und in Verfolg anderer Zwecke erlassen worden ist —, beziehen sich alle diese Mittel und Maßnahmen in der Tat ausschließlich auf das Verhältnis des bäuerlichen und großgrundbesitzenden Unternehmers zum betriebsintegrierten Landproletariat, zudem am häufigsten und stärksten zu jener Sozialgruppe, die am engsten fremdbetrieblich eingebunden war: zum Gesinde. Die Gründe hierfür sind hauptsächlich ökonomischer Natur. Keinem freien Landarbeiter wurden über einen längeren, geschlossenen Zeitraum hinweg solche Werte zu relativ selbständiger Verwaltung und Benutzung anvertraut wie den Deputatlandarbeitern und, mehr noch, den Knechten, Mägden und Enken. Ein provinzialsächsischer „Dienstherr" faßte dies im Jahre 1865 so zusammen: „Man darf nicht vergessen, welch' schweren Schaden ein böswilliger Dienstbote . . . heutzutage, bei der Kostspieligkeit des landwirtschaftlichen Inventars seiner Herrschaft zufügen kann . . ,". 113 Folgerichtig bestimmte deshalb schon die preußische „Gesinde-Ordnung" vom 8. 11. 1810: „Das Gesinde ist schuldig, seine Dienste treu, fleißig und aufmerksam zu verrichten" (§ 64). „Fügt es der Herrschaft vorsätzlich, oder aus grobem oder mäßigem Versehen Schaden zu, so muß es denselben ersetzen" (§ 65). „Wegen geringer Versehen ist ein Dienstbote nur alsdann zum Schadenersatz verpflichtet, wenn er wider den ausdrücklichen Befehl der Herrschaft gehandelt hat" (§ 66). „Desgleichen, wenn er sich zu solchen Arten der Geschäfte hat annehmen lassen, die einen vorzüglichen Grad von Aufmerksamkeit oder Geschicklichkeit voraussetzen" (§67). „Wegen der Entschädigung, zu welcher ein Dienstbote verpflichtet ist, kann die Herrschaft an den Lohn desselben sich halten" (§ 68). „Kann der Schade weder aus rückständigem Lohne, noch aus andern Habseligkeiten desxDienstboten ersetzt werden, so muß er denselben durch unentgeltliche Dienstleistung auf eine verhältnismäßige Zeit vergüten" (§ 69). „Auch außer seinen Diensten ist das Gesinde schuldig, der Herrschaft Bestes zu befördern, Schaden und Nachtheil aber, soviel an ihm ist, abzuwenden" (§ 70). Diese Schuldigkeit begriff selbst die Denunziation ein: „Bemerkte Untreue des Nebengesindes ist es der Herrschaft anzuzeigen verbunden" (§ 71). „Verschweigt es dieselbe, so muß es für allen Schaden, welcher durch die Anzeige hätte verhütet werden können, bei dem Unvermögen des Hauptschuldners selbst haften" (§ 72). Das Verhältnis „Herrschaft" — Gesinde war kein Verhältnis zwischen Gleichberechtigten. Die ökonomische Ungleichheit, seine Grundlage, wurde durch die Gesinde-Oirdnung, dem Hauptregler des Verhältnisses, nicht nur sanktioniert, sondern zugleich erweitert zu einer Ungleichheit in menschlicher und juristischer Hinsicht. Das Gesinde war der „Herrschaft" Untertan: „Allen häuslichen Einrichtungen und 113 Blomeyer, 1865:96.
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Anordnungen der Herrschaft muß das Gesinde sich unterwerfen" (§ 73) und: „Die Befehle der Herrschaft und ihre Verweise muß das Gesinde mit Ehrerbietung und Bescheidenheit annehmen" (§ 76). Zur ökonomischen Ausbeutung trat die Exploitation des Menschlichen: der Würde, der Freiheit, des Rechts: „Reizt das Gesinde die Herrschaft durch ungebührliches Betragen" — und welcher Ermessensspielraum ist hierbei gegeben! — „zum Zorn, und wird in selbigem von ihr mit Scheltworten oder geringen Thätlichkeiten" — wieder eine Ermessenssache! — „behandelt, so kann es dafür keine gerichtliche Genugthuung fordern" (§ 77). Andererseits aber: „Auch solche Ausdrücke oder Handlungen, die zwischen andern Personen als Zeichen der Geringschätzung anerkannt sind, begründen gegen die Herrschaft noch nicht die Vermuthung, daß sie die Ehre des Gesindes dadurch habe kränken wollen" (§ 78). Was konnte eine Anrufung des § 97 dann wohl noch helfen: „ . . . Für solche Beschimpfungen und üble Nachreden, wodurch dem Gesinde sein künftiges Fortkommen erschwert wird, gebührt demselben gerichtliche Genugthuung." Mit Tätlichkeiten antworten durfte das Gesinde nur in den Fällen, wo durch herrschaftliche Gewaltanwendung seine Gesundheit oder sein Leben gefährdet war (§ 79). Lag ein solcher Fall nicht vor, so wurden und mußten „Vergehungen des Gesindes gegen die Herrschaft... durch Gefangniß oder öffentliche Strafarbeit nach den Grundsätzen des Kriminal-Rechts geahndet werden" (§ 80). Umgekehrt jedoch, „ist aber der Dienstbote durch Mißhandlungen der Herrschaft, ohne sein grobes Verschulden (sie!), an seiner Gesundheit beschädigt worden, so hat er von ihr vollständige Schadloshaltung nach den allgemeinen Vorschriften der Gesetze zu fordern" (§ 96). Also hier keine Androhung von Gefängnis oder öffentlicher Strafarbeit. Zweierlei Recht — zweierlei Menschen: der alte, feudale Kastengeist lebte ungebrochen fort. Die Furcht vor wirtschaftlichen Schäden und Verlusten, die ihnen vom Gesinde konnten zugeführt werden, und unter der „selbstverständlichen" Prämisse, es hierbei nicht mit sozial Gleichgestellten, sondern mit ökonomisch Abhängigen und im politischen wie menschlichen Sinne mit Untertanen zu tun zu haben, veranlaßte die „Herrschaften" schon in den dreißiger Jahren des 19. Jh., nach einem Mittel Ausschau zu halten, das ihnen eine noch strengere und wirksamere Aufsicht und Kontrolle über die Mägde, Knechte und Enken gestattete, als dies bisher der Fall war. Man fand es, oder man glaubte es gefunden zu haben, in der Einführung sogenannter Dienstbücher. Im Herzogtum Magdeburg verbot schon ein Patent vom 2. 4. 1708 unter Androhung schwerer Strafen „ohne Testimonio keine Dienstbothen anzunehmen."114 Eine ganz ähnliche Bestimmung enthielt das „Allgemeine Landrecht" (Zweiter Theil. Fünfter Titel, §§ 9 und 10), die wörtlich dann auch Eingang in die Gesinde-Ordnung gefunden hatte (§§ 9 und 10), ergänzt durch einen Paragraphen, der den „Herrschaften" die Ausstellung eines wahrheitsgemäßen Zeugnisses über die geleisteten Dienste ihres Gesindes ausdrücklich zur Pflicht machte (§ 171). Der Gedanke, das Verhalten und die Leistung des Gesindes in schriftlicher Form zu bescheinigen, um dieses selbst dadurch noch willfahriger zu machen, andererseits, um damit sich als „Herrschaft" gegen nicht willkommene Dienstboten noch besser absichern und verwahren zu können, war also nicht neu. Neu war hingegen, daß ein derartiges Führungs- und Leistungsattest nicht mehr, wie bisher, jeweils als separates Zeugnis ausgefertigt werden sollte. Der 114 Corpus Constitutionum, 1680—1714: P. III, Num. CXCVII, 595.
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Vorteil dieser Maßnahme liegt auf der Hand. Auf diese Weise unterliefen die „Herrschaften" zu eigenem Nutz und Frommen den § 9 der Gesinde-Ordnung, der dem Gesinde lediglich vorschrieb, „die rechtmäßige Verlassung" nur „der vorigen Herrschaft" nachzuweisen. Jeder nachfolgende Gesindemieter hatte also darum bisher immer nur Kenntnis erhalten, jedenfalls auf der Grundlage des erforderlichen Zeugnisses, von den Leistungen und der Führung der Magd, des Knechtes oder Enken in derem letzten Dienstverhältnis, das gewöhnlich nur ein Jahr währte. Die Anlage eines regelrechten Zeugnis-Buches, in welches in chronologischer Abfolge die Beurteilungen mehrerer Dienstherrschaften eingetragen waren, erlaubte hingegen einen Überblick über Leistung und Verhalten des Gesindes in mehreren und verschiedenen Dienstverhältnissen und über einen viel längeren Zeitraum hinweg. Vor allem versprachen sich die „Herrschaften" hiervon ein kontinuierlicheres Wohlverhalten ihres Dienstpersonals. Die Initiative, derartige spezielle Gesindebücher einzuführen, ging darum auch nicht in erster Linie von der preußischen Regierung, sondern von den interessierten Dienstherrschaften selbst aus. Den sächsischen Provinziallandtag beschäftigte diese Frage bereits in seineir 4. Versammlung im Februar 1833: „Ebenso ist von mehreren anderen Landtags-Abgeordneten, aus dem gefühlten Bedürfnisse, der Antrag auf gesetzliche Einführung von Gesinde-Büchern in der Provinz, nach dem Vorgange der Herzogthümer Braunschweig und Sachsen-Gotha ausgegangen, welche Bücher den Namen, Geburtsort, das Alter und den momentanen Aufenthaltsort des betreffenden Individuums enthalten möchten, und in welche denn jeder Brodherr einzuschreiben hätte, wenn er den Inhaber gemiethet hat, indem durch eine solche Einrichtung der oft, insbesondere auf dem platten Lande, vorkommende Mißbrauch einer doppelten Vermiethung des Gesindes gehoben, und daneben (sie!) der Zweck erreicht werden könnte, daß, wenn statt der jetzt gewöhnlichen Gesinde-Scheine, der Inhalt derselben in jene Bücher eingetragen würde, die Dienstherren eine fortlaufende Charakteristik (sie!) des sich ihnen anbietenden Gesindes erhielten. Auch dieser Antrag hat, wegen seiner Gemeinnützigkeit (sie!) den allgemeinen Beifall unserer Versammlung gefunden und sie zu dem allerunterthänigsten Antrage: auf Einführung der gedachten Gesindebücher . . . veranlaßt." 115 Dem schlössen sich 1840 und wiederholt im Jahre 1843 die Stände des Saalkreises116 und 1842 — und dies unter ausdrücklichem Hinweis auf gleichgerichtete Vorschläge des 6. schlesischen Provinziallandtages und mit dem Bemerken, daß „die Einführung von Gesindebüchern bereits von mehreren Stellen in Antrag gebracht und höheren Ortes in Erwägung genommen worden" sei — auch die Kgl. Regierung zu Erfurt an. 117 Von den Dienstherrschaften des Untersuchungsgebietes sind explizite derartige Anträge nicht bekanntgeworden. Doch die preußische Regierung zögerte zunächst, diesen Supplikationen stattzugeben. William Löbe (1815—1891), der sich seinerzeit mit dieser Frage eingehend auseinandergesetzt hat, möchte dafür die Einsicht der Regierung in den Umstand 115 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 357: 12 b—13. — Der Hinweis, man wolle durch Einführung von Gesindebüchern dem „insbesondere auf dem platten Lande vorkommenden Mißbrauch einer doppelten Vermiethung des Gesindes" begegnen, erweist sich insofern als nur vorgeschoben, als bereits die Gesinde-Ordnung von 1810 in den §§27—31 hiergegen genaue Verhütungsbestimmungen enthielt. 116 STAM, Rep. C 20 I b, Nr. 3739: 7 1 - 7 2 . 117 STAM, Rep. C 20 I b, Nr. 3739: 6 3 - 6 4 .
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geltend machen, daß durch Eintragung eines negativen Zeugnisses in das Buch eines Dienstboten dessen „ferneres Fortkommen in vielen Fällen unmöglich gemacht" werden könne. 118 Diese Möglichkeit war aber auch bei den bisherigen Einzelscheinen schon gegeben. Mehr als eine Rücksichtsnahme auf die Zukunft benachteiligter Gesindepersonen dürfte als entscheidende Ursache für dieses Zögern wohl eher die Sorge in Betracht kommen, der Vormärz-Opposition durch diese eindeutige Verschärfung des § 9 der Gesinde-Ordnung nicht noch zusätzlich Argumente und Angriffsflächen bieten zu wollen. Daneben spielte vielleicht auch die Überlegung eine Rolle, sofern man je einer preußischen Regierung derartige psychologische Einsichten überhaupt zugute halten darf, daß sich beim Gesinde der dadurch nun zwangsläufig zunehmende Aggressionsstau andere, verstecktere und darum gefährlichere Kompensationsmöglichkeiten suchen könnte, etwa in Form späterer Racheakte wie Brandstiftungen u. dergl. m. Die preußische Regierung entschloß sich jedenfalls erst zu Michaelis 1846 — nachdem sie sich auch vom „Erfolg" ihrer berüchtigten Zensurinstruktion (24. 12. 1841) hatte überzeugen können — dazu, dem ökonomischen Faktor Vorrang einzuräumen und eine entsprechende „Verordnung wegen Einführung von Gesindedienstbüchern" zu erlassen. Danach war jeder Dienstbote verpflichtet, auf eigene Kosten — für 10 Sgr. (§ 2) — ein solches Buch anzuschaffen (§ 1). Vor Antritt seines Dienstes hatte er es zunächst der zuständigen Polizeibehörde seines Aufenthaltsortes vorzulegen (§ 3) und mit Antritt des Dienstes dann seiner neuen „Herrschaft" (§4): „Sollte das Gesinde die Vorlegung des Gesindebuchs verweigern, so steht es bei der Dienstherrschaft, entweder dasselbe seines Dienstes zu entlassen, oder die Weigerung der Polizeibehörde anzuzeigen, welche alsdann gegen das Gesinde eine Ordnungsstrafe bis zu 2 Rthlr. oder verhältnismäßige Gefangnißstrafe festzusetzen hat." Den „Herrschaften" wurde anbefohlen, „bei Entlassung des Gesindes . . . ein vollständiges Zeugniß über die Führung und das Benehmen desselben in das Gesindebuch einzutragen . . . Weigert sich die Dienstherrschaft, dieser Verpflichtung zu genügen, so ist sie dazu von der Polizeibehörde durch eine ihr vorher anzudrohende Geldstrafe von 1 bis 5 Rthlr. anzuhalten" (§ 5). Das Gesindebuch bot Raum für insgesamt sechs Dienstatteste (§ 2); war dieser Platz ausgefüllt, so konnte der Inhaber darauf antragen, „daß das bisherige Gesindebuch dem neuen vorgeheftet werde" (§ 9). Inwieweit bei Einführung dieser Dienstbücher in der Tat auf die oppositionellen Bewegungen des Vormärz Rücksicht genommen wurde, belegt der § 8: „Der Dienstbote, welchem ein ungünstiges Zeugniß ertheilt worden ist, kann auf die Ausfertigung eines neuen Gesindebuches antragen, wenn er nachweist, daß er sich während zweier Jahre nachher tadellos und vorwurfsfrei geführt habe." Natürlich sollte damit auch ein zu frühes Ausscheiden der Betroffenen aus dem Gesindedienst verhindert werden, was einerseits zu einem Mangel an Dienstboten und andererseits, sofern sich dies zu einer Massenerscheinung ausbilden würde, in manchen Gegenden zu einem Ansteigen der Arbeitslosen mit allen Konsequenzen hätte führen können. Obwohl die Verordnung vom 29. 9. 1846 in § 2 bestimmte, daß alle Gesindebücher nach demselben vorgeschriebenen Schema ausgedruckt werden sollten, so versuchten doch auch in der Provinz Sachsen die „Herrschaften", diese Anordnung zu umgehen und nach eigenem Gutdünken ihr noch genehmere Varianten zu entwickeln und in Verkehr zu bringen. So warb z. B. die Redaktion der „Zeitschrift des landwirtschaftlichen Cen118 Löbe, 1852:41. 9
Plaut, Landarbeiterleben
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tral-Vereins der Provinz Sachsen etc." im Jahre 1860 für eine „zweckmäßige Einrichtung . . welche der Rittergutsbesitzer Herr Neubaur auf Krosigk bei Halle seinen Gesindedienstbüchern gegeben hat." 119 Noch verbreiteter war diese Praxis allerdings vordem, da für die Einzelatteste ein ähnlich verbindliches Schema nicht vorgegeben gewesen war. Nach 1871 — das Deutsche Reich war gegründet, der inner- und zwischenstaatliche Verkehr hatte zugenommen, Saisonarbeiter durchzogen in immer größeren Scharen die Lande — erwies sich die Verschiedenartigkeit in der Anlage der Gesindebücher im Hinblick auf die Kontrolle der Dienstboten als immer weniger effektiv. Vom 1. 3. 1872 an, so bestimmte das „Gesetz, betreffend die Aufhebung der Abgaben von Gesindebüchern", vom 21. 2. 1872, sollte deshalb in ganz Preußen, mit Ausnahme von Hohenzollern, nur noch ein Gesindebuch-Typ verbreitet sein: „Die vom 1. März 1872 ab zur amtlichen Ausfertigung gelangenden Gesindedienstbücher müssen nach einem im ganzen Umfange der Monarchie gleichmäßig zur Anwendung kommenden, von dem Minister des Innern vorzuschreibenden Muster gedruckt und eingerichtet sein. Wer die Ausfertigung eines Gesindebuches verlangt, hat das dazu zu verwendende Formular zu beschaffen und der ausfertigenden Behörde vorzulegen" (§ 1). Zugleich verordnete dieses Gesetz auch den Fortfall aller „bestehenden Stempelabgaben von Gesindedienstbüchern und Gesinde-Entlassungsscheinen" (§ 3 und 4); die Dienstboten brauchten ab jetzt für ihre Gesindebücher also nicht mehr jene 10 Sgr. Stempelgebühr aufzubringen. Der Verhaltenswandel des Gesindes nach Wegfall des feudalen außerökonomischen Zwangs- und Abhängigkeitssystems, das nun sehr stark in den Vordergrund tretende Bestreben der Mägde und Knechte nach Verbesserung ihrer Arbeits-, Dienst- und Lebensbedingungen, nach höheren Löhnen und größerer Selbständigkeit, ließ bei einigen Dienstherrschaften schon sehr früh Zweifel darüber aufkommen, ob Gesindeordnung, Dienstatteste, Gesindebücher usw. tatsächlich die geeigneten Mittel seien bzw. als solche allein genügen würden, den sichtbar unter ihren Augen sich vollziehenden Verfall des alten, patriarchalischen Gesindeverhältnisses aufzuhalten. Man suchte daher noch nach anderen, wirkungsvolleren Mitteln, wobei das bisherige Untertanenverhältnis zwischen Gesinde und „Herrschaft" freilich nicht nur unangetastet bleiben, sondern den neuen, veränderten Bedingungen gemäß möglichst stabilisiert werden sollte. Von den eigenen „herrschaftlichen" Privilegien sollte nichts abgegeben, die Dienstboten aber dennoch — wie man formulierte — „gebessert" werden. Um diesen Zweck zu erreichen, griff man auch hier zu einem Mittel, das sich im Interesse der Ausbeuter in der Geschichte schon oft bewährt hat, nämlich zur Verteilung von Sach- und Geldprämien, von Ehrenattesten und öffentlichen Belobigungen. Durch materiellen und ideellen Anreiz hofften die „Herrschaften", die Mägde und Knechte dahin zu bringen, daß diese auf ihre zwar durchaus etwas anspruchsvoller gewordenen, aber darum nicht weniger legitimen Bedürfnisse verzichteten und sich stattdessen in der Rolle willfahriger, unkritischer, gehorsamer und bescheidener Untertanen gefielen. Man zielte also schlicht darauf ab, das Gesinde zu korrumpieren. Damit dieses Vorhaben jedoch Erfolg hatte, bedurfte es mehr als nur der privaten Initiative des Einzelnen. Man hielt auch hierfür den Verein als die geeignetste Organisationsform, zumal auf dieser Basis über die Belohnungen hinaus auch viel leichter Absprachen zwischen den „Herrschaften" arrangiert werden konnten.
119 Dienstbücher, 1860: 294.
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Initiator derartiger Dienstbotenverbesserungsvereine war in der Provinz Sachsen, wahrscheinlich sogar in Preußen überhaupt, 120 der schon erwähnte Landrat des Torgauer Kreises v. Bose. In einer dreiteiligen Artikelserie im „Torgauer Kreis-Blatt" Ende 1837 versuchte er, eine solche Gründung anzuregen. 121 Sein Leitbild waren die nordamerikanischen und englischen Mäßigkeitsvereine. 122 Das wichtigste an seiner Konzeption war Folgendes. 123 Erstens: die Vereinsmitglieder — „und man kann wohl annehmen, daß es immer die bessern Wirthe sein würden" — erklären sich sämtlich verbindlich dazu bereit, „ihr Gesinde so und nicht anders zu halten, bei Annahme und Entlassung jedes Dienstboten besonnen und gewissenhaft zu verfahren; keinerlei Brutalität, Trotz oder Unsittlichkeit zu dulden, vielmehr streng auf Ordnung, Schicklichkeit, religiösen Sinn und Gottesfurcht zu halten, dagegen aber auch sie gut und menschlich zu behandeln . . .". Es war klar, daß Mägde, Knechte und Enken jetzt, wo kein feudaler Zwang sie mehr zum Eintritt in ein gan? bestimmtes Dienstverhältnis verpflichtete, vor allem dorthin gingen, wo die Dienstbedingungen, die sie vorfinden würden, ihren Vorstellungen am nächsten kamen. Durch eine einheitliche, gleichförmige Behandlung des Gesindes seitens der „Herrschaften" und durch eine Gleichartigkeit der Arbeitsund Lebensbedingungen hoffte man, diesen Faktor auszuschalten, der besonders bei brutalen, rücksichtslosen und hartherzigen „Herrschaften" zu einem empfindlichen Mangel an Dienstboten geführt haben dürfte. Deshalb auch sollten — zweitens — die Vereine, vor allem „auf dem platten Lande, districtweise" gebildet und diese Bezirke selbst nicht zu weit ausgedehnt werden. Man solle „sich lieber in einem Kreise" halten, „wo man sich mehr oder weniger kennt"; denn die Erfahrung habe gelehrt, „daß namentlich das Landgesinde beim Dienstwechsel sich doch mehrentheils nur im Umkreise weniger Meilen hält." Und dies erleichterte natürlich vortrefflich gegenseitige Absprachen und Arrangements. Schließlich sollte — drittens — für „gute Dienstboten unseres Vereins eine Belohnung" ausgesetzt werden. Dieser Vorschlag, der das wichtigste Mittel propagierte, mit dem man sich seinen Einfluß auf die Dienstboten zu sichern gedachte, wurde in den Statuten des bald darauf — Ende Dezember 1837 — tatsächlich gegründeten „Vereins zur Besserung der Dienstboten in Torgau und Umgegend" dann auch in gebührender Weise berücksichtigt: „Die von den Mitgliedern eingezahlten Beiträge sollen dazu verwendet werden, solche Dienstboten der Vereinsmitglieder zu belohnen, die entweder mindestens 5 auf einander folgende Jahre hindurch bei einer und derselben Herrschaft tadellos gedient, oder in kürzerer Dienstzeit sich durch Beweise besonderer Hingebung für ihre Herrschaft ausgezeichnet haben. Auch sollen den Umständen nach besondere Belobigungen solcher Dienstboten veranlaßi werden." 124 Der „Dienstboten120 Löbe, 1852: 42, meinte dagegen, daß „der erste (Verein) dieser Art, so viel wir wissen, im Jahre 1838 von dem Rittergutsbesitzer v. Breitenbauch" in Ranis, Reg.-Bez. Erfurt, gegründet worden sei. Abgesehen davon, daß der „Dienstbotenwesen-Verbesserungsverein zu Ranis" auf die Initiative des Könitzer Pfarrers Gotthelf Biel und nicht auf die Anregungen v. Breitenbauchs zustande gekommen ist (Biel war seit der Gründung dieses Vereins auch „Direktor" desselben), so ist der „Verein zur Besserung der Dienstboten in Torgau und Umgegend" doch noch um etwas früher ins Leben getreten. Die Statuten des Torgauer Vereins wurden am 28. 12. 1837, die des Vereins zu Ranis erst am 23. 5. 1838 angenommen. Vgl. hierzu: STAM, Rep. C 20 I b, Nr. 3739: 3 7 - 3 8 und 7 3 - 7 9 b. 121 Bose, 1837 a; Bose, 1837 b; Bose, 1837 c. 122 Bose, 1837 c. 123 Die folgenden Zitate nach Bose, 1837 b und Bose, 1837 c. Außerdem nach Bose, 1837 e. 124 STAM, Rep. C 20 I b, Nr. 3739: 37 b. 9*
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wesen-Verbesserungsverein zu Ranis" im Reg.-Bez. Erfurt, der sich am 23. 5. 1838 als zweiter Verein dieser Art konstituierte, erklärte in § 2 seiner Statuten hierzu: „Um zu diesem Zweck", das heißt zu einer „Verbesserung" des Gesindes „zu gelangen, bedient sich der Verein folgender Mittel: 1) der Ertheilung von Geldpreisen und Büchern (sie!); 2) von Ehrenattesten; 3) von öffentlichen Belobungen für ausgezeichnete Dienstboten", daneben aber auch „4) der öffentlichen Warnung vor schlechten Dienstboten", eine besonders harte und unwürdige Bestimmung, da ja die Einschätzung, wer unter diese Kategorie zu fallen habe, allein den „Herrschaften" vorbehalten blieb, ferner: „5) des gegenseitigen Versprechens streng wahrheitsgemäßer Atteste; 6) der geistigen Beschäftigung und Fortbildung der Dienstboten durch die Herrschaften; 7) der Handhabung einer strengen Sittenpolizei durch die Herrschaften; 8) möglichster Fürsorge für guten Haushalt des Gesindes durch die Herrschaften und durch den Verein durch Hinwirkung auf Errichtung einer Sparkasse; 9) möglichst gleichmäßige Maßregeln wegen Behandlung, Ablohnung usw. des Gesindes von Seiten der Herrschaften"; denn „der Verein findet auch in der herrschenden Verschiedenheit in Behandlung des und in dem Abkommen mit dem Gesinde und in dem Schwanken der getroffenen Einrichtungen einen Grund der öfteren Unzufriedenheit, der immer gesteigerten Ansprüche, und der Verschlechterung der Dienstboten . . .". 125 Ähnliche Vereine bildeten sich im Reg.-Bez. Merseburg bald darauf im Gebiet von Hohndorf-Plossig-Naundorf-Lebien-Axien, in Prettin, in Döbrichau und in der Nähe von Belgern;126 im Reg.-Bez. Erfurt dagegen außer in Ranis nur noch in der Stadt Mühlhausen (18 38).127 Von diesen Gründungen erfuhr auch der Oberpräsident der Provinz Sachsen, der vom Torgauer Landrat daraufhin Bericht einforderte und nach dessen Prüfung zur Bildung derartiger Vereine in der gesamten Provinz aufrief.128 Im Untersuchungsgebiet wie im Reg.-Bez. Magdeburg überhaupt kamen derartige Gründungen nicht zustande.129 Eine Ausnahme hiervon bildete lediglich die Stadt Neuhaldensleben, wo sich nach Torgauer Muster im Sommer 1841 unter Beteiligung von „93 der achtbarsten Familien-Häupter der Stadt" 130 ein solcher Verein konstituierte, der allerdings „bereits im Anfange des Jahres 1848 wegen Mangels an Theilnahme sich wieder aufgelöst" hatte.131 Daß im Reg.-Bez. Magdeburg und im Untersuchungsgebiet im besonderen derartige Vereine nicht ins Leben traten und diese auch sonst, wie im Jahre 1853 zu vernehmen war, „nicht überall den gewünschten Erfolg gehabt" haben,132 hatte verschiedene Ursachen. Die Regierung in Magdeburg wußte hierfür vier Gründe anzugeben, und zwar „weil 1. Die Mehrzahl der Fälle langjährigen Aushaltens in einem Dienste mehr auf das Verdienst der Herrschaft und der günstigen Umstände als des Gesindes zu schreiben, 2. Die Auswahl der zu Belohnenden schwierig ist und die Belohnungen selten an die Achtbarsten, welche in schwierigen Verhältnissen ausharren, gelangen, 3. Die Belohnungen selten gut angewendet werden, und endlich 4. erfahrungsgemäß z. B. in Berlin dergleichen Vereine auch von einer gewissen Klasse von Herr125 126 127 128 129 130 131 132
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STAM, Rep. C 20 I b, Nr. 3739: 76 und 78. Bose, 1837 d sowie Bose, 1837 e. STAM, Rep. C 20 I b, Nr. 3739: 56. STAM, Rep. C 20 I b, Nr. 3739: 1 und 40. STAM, Rep. C 20 I b, Nr. 3739: 60. STAM, Rep. C 20 I b, Nr. 3739: 2 2 - 2 3 . STAM, Rep. C 20 I b, Nr. 3739: 59. STAM, Rep. C 28 I f, Nr. 1607: 6 0 - 6 0 b.
Schäften dazu ausgebeutet werden, um in Anrechnung der doch immer auf ihr Zeugniß auf Vereinskosten verabreichten Belohnungen geringere Löhne zu zahlen." 133 Die Hauptursache dürfte allerdings darin zu suchen sein, daß Art und Höhe der Belohnungen auch nicht annähernd im Verhältnis standen zu den Opfern, die dem Gesinde dafür abverlangt wurden, daß ein wirklicher „Anreiz",also überhaupt nicht vorhanden war. Die Landräte des Erfurter Regierungsbezirkes hatten dies bereits im Jahre 1840 erkannt und gemeint, daß „die nur sehr geringen Prämien, die dem Gesinde als Anerkennung ihrer guten Dienstführung geboten werden könnten, keinerlei Einfluß auf deren moralische Führung üben möchten."134 So gedachte z. B. der Torgauer Muster-Verein lediglich „Belohnungen von 3 bis 5 Thlr. zu ertheilen, jedoch nicht in baarem Gelde sondern in Sparkassenscheinen, um dieses — gerade für die dienende Klasse so wesentlich nützliche Institut unter ihnen bekannter zu machen und zu einer gewissen Sparsamkeit anzuregen : außerdem wollen wir — da die Fonds natürlich nicht weit reichen — Anerkennung durch Ertheilung von Erbauungsbüchern mit passender Aufschrift versehen eintreten lassen . . ,". 135 Diese Grundschwäche der Vereine mußte sich natürlich vor allem dort auswirken, wo, wie im Untersuchungsgebiet, für die Mägde und Knechte angesichts des ständig sich weiter ausbreitenden Hackfruchtbaus, der Zuckerfabriken und der in und um Magdeburg entstehenden Industrie genügend Möglichkeiten bestanden, auch ohne den schmachvollen Verzicht auf größere Selbständigkeit zu Einnahmen zu gelangen, die den Almosen-Prämien der Vereine mindestens ebenbürdig waren. Andererseits übte auch der gerade in diesen Gebieten immer fühlbarer werdende Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften auf die „Herrschaften" einen ökonomischen Druck aus, der ihnen im eigenen Interesse verbot, sich solchen Vereinen anzuschließen. Dies war möglicherweise auch der Grund, warum von den Dienstherrschaften des Untersuchungsgebietes auch keine Anträge zur Einführung der Gesindebücher bekanntgeworden sind. Bildeten Gesinde-Ordnung, Dienstatteste, Gesindebücher und Dienstbotenverbesserungsvereine jenes Herrschaftsinstrumentarium, das Junker, Groß- und Mittelbauern zu ökonomischer Ausbeutung und politischer, rechtlicher und menschlicher Unterdrückung ihres Gesindes einsetzten, so stellte der Kontrakt das wichtigste Mittel zur Ausbeutung und Knechtung ihrer Deputatlandarbeiter dar. Sofern derselbe mündlich abgeschlossen wurde, was im Untersuchungsgebiet wohl etwa bis in die fünfziger Jahre des 19. Jh. hinein die Regel gewesen sein mag, dürfte er inhaltlich allerdings zunächst noch kaum mehr enthalten haben als Übereinkünfte über die allgemeinen Arbeitsbedingungen, über die Art und Höhe des Deputats wie des Lohnes überhaupt, über die Geltungsdauer u. ä. 136 Kontrakte in schriftlicher, das heißt in auch juristisch beweis133 134 135 136
ST AM, Rep. C 28 I f, Nr. 1607: 60 b. STAM, Rep. C 20 I b, Nr. 3739: 56 b. STAM, Rep. C 20 I b, Nr. 3739: 11 b. Über Art und Inhalt eines mündlich geschlossenen Kontraktes gibt eine Fragebogen-Antwort des „Landwirtschaftlichen Vereins zu Merseburg" Auskunft, die — wie ausdrücklich betont wird — jedoch „noch für einen weitern Kreis gelten dürfte, als den Merseburger": „Wenn man einen solchen Arbeiter annimmt, so heißt es nur: ,du erhältst die und die Wohnung und zahlst dafür so und so viel Miethe, Tagelohn gebe ich so viel, in der Aernte so viel, oder pro Morgen so viel; in der Scheune erhältst du den Scheffel; so und so viel Feld zu Kartoffeln und Möhren gegen so und so viel Fuder Mist; willst du dafür arbeiten?' und der Contract ist geschlossen." Nach: Beförderung, 1849 b: 100 und 106.
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kräftiger Form abzufassen, dürfte vor allem seit Erlaß des Dienstpflichtverletzungsgesetzes vom 24. April 1854 üblich geworden sein, da nun, auf dieser Grundlage, wie noch zu zeigen sein wird, kontraktbrüchigen Arbeitern, einschließlich dem Gesinde, 137 strafrechtliche Verfolgung drohte. Im Zusammenhang damit wurde also allein schon die Schriftlichkeit eines Kontraktes, die unter dieser Bedingung hauptsächlich im Interesse des Unternehmers lag, zum Herrschaftsinstrument. Darüber hinaus gingen die Unternehmer verschiedentlich sogar noch einen Schritt weiter, und zwar dergestalt, daß sie bereits in den Kontrakt selbst Strafbestimmungen aufnahmen. Für die Provinz Sachsen ist ein derartiger „Miethscontract mit den Dreschern" aus dem Jahre 1862 überliefert. Mit dem Bemerken, „daß er wohl manche Anhaltspunkte zu dergleichen Uebereinkünften liefern kann", ist er auf ausdrückliches Ersuchen der Redaktion auch in der „Zeitschrift des landwirtschaftlichen Centrai-Vereins der Provinz Sachsen etc." bekanntgemacht worden. 138 Er stammt von dem Domänenpächter Hayner zu Strohwalde bei Gräfenhainichen im Reg.-Bez. Merseburg. Außer zahlreichen Verboten wer-. den die Deputatlandarbeiter darin mit folgenden Strafen bedroht: § 11. 1) Wer bei irgend einer Arbeit betrunken oder angetrunken betroffen wird, oder wegen Trunkenheit nicht zur Arbeit kommen kann, wird außer mit dem Verlust des Lohnes für Versäumniß und mangelhafte Arbeit mit 2 Sgr. für jeden Fall bestraft. 2) Zank und Streitigkeiten unter sich haben die Drescher und deren Frauen zu meiden; wenn solches bei der Arbeit geschieht und der Streit nach erfolgtem Verbot irgend eines Aufsehers oder des Vormähers nicht aufhört, wird jeder der Streitenden mit 1 Sgr. bestraft. 3) Wer den mit der Aufsicht betrauten Personen oder dem Vorarbeiter den Gehorsam verweigert, erhaltene Befehle und Anweisungen nur unter Widersprechen ausführt, sich grober und beleidigender Ausdrücke oder Handlungen bedient, zahlt 1 bis 5 Sgr. Strafe." 139 Außerdem war dem Kontrakt noch ein „besonderes Reglement. . . über das Verhältniß der Drescher unter sich und in Bezug auf den Vormäher" angefügt. Darin hieß es: „1) Beim Mähen muß sich jeder zur verabredeten Zeit einstellen, wer zu spät kommt und der Vormäher hat bereits sein Schwad durchgehauen, zahlt der Mann 1 Sgr. und die Frau 6 Pf. 2) Ist dieselbe Strafe beim Ummandeln des Getreides festgesetzt. 3) Wer das Schwad nicht gut und ordentlich durchhauet, zahlt ebenfalls 1 Sgr. 4) Muß jeder beim Mähen aufs Schwad zwei kleine Schritte nehmen. 5) Wer das ihm zugetheilte Stück nicht gut nachgeharkt hat, zahlt 3 Sgr. Strafe. 6) Wer beim Dreschen zu spät kommt, so daß schon einmal durchgedroschen ist, verliert am Druschlohn l / 4 Metze jeder Getreideart. 7) Wer sich während des Essens unreinlich und unordentlich aufführt oder schlechte Reden führt, zahlt 3 Sgr. 8) Wer Störungen verursacht und auf wiederholte Vermahnung sich nicht beruhigt, zahlt 6 Sgr. Strafe. 9) Wer sich an des Andern Eigenthum vergreift, oder sonstigen Diebstahl begeht, zahlt 6 Sgr. Strafe oder wird dem Gericht angezeigt. 10) Wer während der Arbeit betrunken ist, zahlt 7V2 Sgr. Strafe." 140 Die aus diesen „Vergehen"
137 Bis dahin kam in diesem Fall für Dienstboten lediglich der § 167 der Gesinde-Ordnung in Betracht: „Gesinde, welches vor Ablauf der Dienstzeit ohne gesetzmäßige Ursache den Dienst verläßt, muß durch Zwangsmittel zu dessen Fortsetzung angehalten werden." Eine Strafe außer einer Schadenersatzleistung traf das Gesinde nur dann, wenn die betreffende „Herrschaft" einen solchen entlaufenen Dienstboten nicht wieder annehmen wollte (§ 168). 138 Hayner, 1862: 133-138. 139 Hayner, 1862: 137. 140 Hayner, 1862: 138.
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entspringenden Strafgelder wurden in „eine(r) gemeinschaftliche(n) Kasse gesammelt und in dem gemeinschaftlichen Lohnbuch eingeschrieben. Wie das Geld am Jahresschlüsse für die Drescher verwendet werden" sollte, bestimmte der Unternehmer. 141 Daneben enthielt dieser Kontrakt aber noch Strafbestimmungen, deren daraus vereinnahmte Bußgelder allein dem Unternehmer zugute kamen. Sie betrafen „Vergehen", aus denen für diesen schon ein vergleichsweise größerer wirtschaftlicher Verlust entstehen konnte, für den er sich also unmittelbar schadlos halten wollte: „§11 . . . 4) Wenn die Drescher in Accord arbeiten, so ist für die Ausführung der Arbeit einer für den andern verantwortlich. Das fehlerhafte Mähen des Grases oder Getreides wird nach Verhältniß der Fläche, mit 1 — 12 Sgr. pro Tag Arbeit bezahlt, bestraft; es bleibt hierbei lediglich Sache der Drescher, den zu ermitteln, der schlecht gemähet hat und diesem die Strafe an dem verdienten Lohn abzuziehen. (Also auch hier wieder, wie schon in bezug auf das Gesinde, der Aufruf zur Denunziation/H.P.) Das Urtheil ob gut oder schlecht gemähet, steht lediglich dem p. p. Pächter oder dessen Beauftragten zu und kann auch der Fehler noch nach 3 Tagen gerügt und bestraft werden. 5) Wenn eine gemähete Feldbreite mangelhaft nachgeschleppt ist, so muß dies nicht nur nachgeholt werden, sondern es wird auch den Dreschern p. Morgen der ganzen Fläche 6 Pf. abgezogen, wenn auch nur einzelne Theile schlecht geschleppt sein sollten. 6) Beim Dreschen mit der Hand ist angenommen, daß in 20 Pfd. lang Stroh oder 15 Pfd. krumm Stroh V8 Quart Körner bleiben können. Wird beim Nachdrusch mehr darin gefunden, so werden die Schuldigen das Erstemal im Jahre mit 10 Sgr. Strafe belegt; das Zweitemal steigert sich die Strafe auf 15 Sgr. und bei nochmaliger Wiederholung verliert das Tenne den bis dahin verdienten Lohn. 7) Wenn die Drescher bei der Arbeit faul betroffen werden, mag dies nun bei Tage- oder Accord-Arbeit sein, so ist der p. p. Pächter berechtigt, einen Theil des Lohnes für Versäumniß abzuziehen." 142 Ferner wurde bestimmt: „Wenn außer der gesetzten Zeit Jemand beim Gras- oder Unkrautholen, in den Gräben oder Schlägen, oder abgesondert von den Uebrigen getroffen wird, so wird jeder Fall mit 10 Sgr. bestraft und dies verdoppelt, wenn hierbei ein Felddiebstahl ausgeübt ist." 143 In dieser Gründlichkeit mag der vorgestellte Arbeitsvertrag vielleicht eine Ausnahme gewesen sein. Es ist jedoch damit zu rechnen, zumal nach seiner Publikation in der „Zeitschrift des landwirthschaftlichen Central-Vereins", daß sein Verfasser auch im Untersuchungsgebiet verschiedentlich Nachahmer gefunden hat. Richteten sich die bisher genannten Unterdrückungsmittel ausschließlich gegen das betriebsintegrierte Agrarproletariat, so bezog das „Gesetz, betreffend die Verletzungen der Dienstpflichten des Gesindes und der ländlichen Arbeiter" vom 24. April 1854, ein typisches Produkt der politischen Reaktion in Preußen nach 1848, ausdrücklich auch die Angehörigen der freien Landarbeiterschaft mit ein, sofern sie sich — gleich, ob für Tage- oder Wochenlohn — „zu bestimmten land- oder forstwirthschaftlichen Arbeiten, wie z. B. Erntearbeiten auf Acker und Wiese, Meliorationsarbeiten, Holzschlagen u.s.w. verdungen haben" (§ 2 d). Junker, Groß- und Mittelbauern wollten damit zwei Hauptformen des Kampfes des ländlichen Proletariats um bessere Lebensund Arbeitsbedingungen neutralisieren: den Kontraktbruch und den wirtschaftlichen Streik. Kontraktbruch, aber auch schon hartnäckiger Ungehorsam und Widerspenstig141 Hayner, 1862:137-138. 142 Hayner, 1862: 137. 143 Hayner, 1862: 135.
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keit gegen die Befehle der „Herrschaft", wurden danach mit einer Geldbuße „bis zu fünf Thalern oder Gefangniß bis zu drei Tagen" bestraft (§ 1). Und Landarbeiter, die ihre unmittelbaren Ausbeuter oder ihre mit den Mitteln der Polizei, der Bürokratie und der Gerichte diese Ausbeutung sanktionierende und verteidigende „Obrigkeit zu gewissen Handlungen oder Zugeständnissen dadurch zu bestimmen (suchten), daß sie die Einstellung der Arbeit oder die Verhinderung derselben bei einzelnen oder mehreren Arbeitsgebern (verabredeten), oder zu einer solchen Verabredung Andere" auch nur aufforderten, hatten sogar eine Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr verwirkt (§ 3). Dieses Gesetz, vor allem das darin ausgesprochene Koalitionsverbot, hat natürlich für Jahrzehnte das politische Verhalten des preußischen Agrarproletariats beeinflußt. Es hat sonach andere Formen und Methoden des Kampfes finden müssen, um seinem Ziel — Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen — näherzukommen.
Zur Frage der Beteiligung von Landarbeitern an der staatlichen Verwaltung Im Untersuchungsgebiet wie in allen preußischen Landesteilen, die ehemals zum Königreich Westfalen gehört hatten, waren mit Gesetz vom 31. 3. 1833 auch die alten, sich auf das „Allgemeine Landrecht" gründenden Verhältnisse im Verwaltungsbereich wieder hergestellt worden. Auch die Rittergüter, die unter westfälischer Herrschaft ihre gerichts- und verwaltungsmäßige Sonderstellung eingebüßt hatten und den Gemeinden einverleibt gewesen waren, erhielten nun ihren alten, privilegierten Status zurück. Dies bedeutete außer der Rekonstitution der Patrimonialgerichte auch die Rückgabe der politischen Kontrolle an die Rittergutsbesitzer über sämtliche Gemeindeangelegenheiten; denn der Schulze als der „Vorsteher der Gemeinde" (Allg. Landrecht. Zweiter Theil. Siebenter Titel, § 46), über dessen Person diese Aufsicht vornehmlich erfolgte, wurde ausschließlich „von der Gutsherrschaft ernannt" (Ebenda, § 47). Er mußte „ein angesessenes Mitglied aus der Gemeine" und wenigstens „des Lesens und Schreibens nothdürftig kundig und von untadelhaften Sitten seyn" (Ebenda, § 51). Ihm beigeordnet, und etwa mit denselben Qualitäten ausgestattet (Ebenda, § 74), waren zwei ebenfalls von der Gutsherrschaft als der Gerichtsobrigkeit eingesetzte Schoppen (Ebenda, § 73). Sie zusammen machten „die Dorfgerichte aus" (Ebenda, § 79). Vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 31. 3. 1833 wurden in den ehemals nach westfälischer Gesetzgebung regierten preußischen Gebieten die Schoppen von der Gemeindeversammlung, das heißt von den Gemeindeeingesessenen, gewählt. In diesem Zusammenhang ist ein sehr bemerkenswerter Fall einer Schöppenwahl aus dem „Börde"-Ort Eggenstedt überliefert; interessant deshalb, weil er genau in die Übergangsperiode fallt: das fragliche Gesetz war bereits verkündet, jedoch noch nicht in Kraft gesetzt. Da der bisherige Schöppe verstorben war, wurde die Wahl eines Nachfolgers notwendig. Im Wahlbericht des Eggenstedter Schulzen an den zuständigen Landrat des Kreises Wanzleben vom 12. 5. 1833 hieß es: „Nachdem durch Ew. Hochwohlgeb. 136
keit gegen die Befehle der „Herrschaft", wurden danach mit einer Geldbuße „bis zu fünf Thalern oder Gefangniß bis zu drei Tagen" bestraft (§ 1). Und Landarbeiter, die ihre unmittelbaren Ausbeuter oder ihre mit den Mitteln der Polizei, der Bürokratie und der Gerichte diese Ausbeutung sanktionierende und verteidigende „Obrigkeit zu gewissen Handlungen oder Zugeständnissen dadurch zu bestimmen (suchten), daß sie die Einstellung der Arbeit oder die Verhinderung derselben bei einzelnen oder mehreren Arbeitsgebern (verabredeten), oder zu einer solchen Verabredung Andere" auch nur aufforderten, hatten sogar eine Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr verwirkt (§ 3). Dieses Gesetz, vor allem das darin ausgesprochene Koalitionsverbot, hat natürlich für Jahrzehnte das politische Verhalten des preußischen Agrarproletariats beeinflußt. Es hat sonach andere Formen und Methoden des Kampfes finden müssen, um seinem Ziel — Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen — näherzukommen.
Zur Frage der Beteiligung von Landarbeitern an der staatlichen Verwaltung Im Untersuchungsgebiet wie in allen preußischen Landesteilen, die ehemals zum Königreich Westfalen gehört hatten, waren mit Gesetz vom 31. 3. 1833 auch die alten, sich auf das „Allgemeine Landrecht" gründenden Verhältnisse im Verwaltungsbereich wieder hergestellt worden. Auch die Rittergüter, die unter westfälischer Herrschaft ihre gerichts- und verwaltungsmäßige Sonderstellung eingebüßt hatten und den Gemeinden einverleibt gewesen waren, erhielten nun ihren alten, privilegierten Status zurück. Dies bedeutete außer der Rekonstitution der Patrimonialgerichte auch die Rückgabe der politischen Kontrolle an die Rittergutsbesitzer über sämtliche Gemeindeangelegenheiten; denn der Schulze als der „Vorsteher der Gemeinde" (Allg. Landrecht. Zweiter Theil. Siebenter Titel, § 46), über dessen Person diese Aufsicht vornehmlich erfolgte, wurde ausschließlich „von der Gutsherrschaft ernannt" (Ebenda, § 47). Er mußte „ein angesessenes Mitglied aus der Gemeine" und wenigstens „des Lesens und Schreibens nothdürftig kundig und von untadelhaften Sitten seyn" (Ebenda, § 51). Ihm beigeordnet, und etwa mit denselben Qualitäten ausgestattet (Ebenda, § 74), waren zwei ebenfalls von der Gutsherrschaft als der Gerichtsobrigkeit eingesetzte Schoppen (Ebenda, § 73). Sie zusammen machten „die Dorfgerichte aus" (Ebenda, § 79). Vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 31. 3. 1833 wurden in den ehemals nach westfälischer Gesetzgebung regierten preußischen Gebieten die Schoppen von der Gemeindeversammlung, das heißt von den Gemeindeeingesessenen, gewählt. In diesem Zusammenhang ist ein sehr bemerkenswerter Fall einer Schöppenwahl aus dem „Börde"-Ort Eggenstedt überliefert; interessant deshalb, weil er genau in die Übergangsperiode fallt: das fragliche Gesetz war bereits verkündet, jedoch noch nicht in Kraft gesetzt. Da der bisherige Schöppe verstorben war, wurde die Wahl eines Nachfolgers notwendig. Im Wahlbericht des Eggenstedter Schulzen an den zuständigen Landrat des Kreises Wanzleben vom 12. 5. 1833 hieß es: „Nachdem durch Ew. Hochwohlgeb. 136
hochverehrlichen (Erlaß/H. P.) an Unterzeichneten, einen Schoppen durch die Stimmen-Mehrheit der hiesigen Einwohner wählen zu lassen, waren sämtliche ansessige Einwohner, deren Zahl sich auf 42 beläuft, zu heute, den 12ten d.M. vorgeladen und 35 davon erschienen, welche mit dem Zweck und Eigenschaften eines zur Wahl passenden Subjects bekannt gemacht wurden. Hierauf wurde zur Wahl selbst geschritten, wobei jeder Einzelne seine Stimme abgab; und waren folgende die Stimme gegeben, als 1. 2. 3. 4. 5.
der der der der der
Einwohner Einwohner Einwohner Einwohner Einwohner
Bartels Bock Sturm Helmcke Balcke
23 9 1 1 1
Sa.
35
Stimmen Stimmen Stimme Stimme Stimme
Unterzeichneter bedauert, wie sich auch (!/H.P.) bei dieser Wahl der schlechte Sinn beim größten Theile der hiesigen Einwohner, durch die getroffene Wahl gezeigt hat, da der durch die Stimmen-Mehrheit gewählte p. Bartels ein Mann, bekannt als Aufwiegler gegen Ordnung und gesetzliche Vorschriften, und unwissend und roh ist. Überdem ist derselbe als Drescher und Mäher an Wochen-Tagen nie zu Hause und deshalb schon ganz unpaßend zu einem Schoppen. Die zutreffende Wahl ist aber in polizeilicher Hinsicht nicht unwichtig, da der größte Theil der hiesigen Einwohner Feld- und Holzdiebstähle begehen, und deshalb denjenigen, der nicht gemeinschaftliche Sache mit ihnen macht, für ihren Gegner und Feind halten. Ich kenne hier nur 2 Männer, welche sich dazu qualificiren, Schöppe zu werden, diese sind der Müller Sturm, dem 1 Stimme gegeben und den . . . Schenkwirth Bock, dem 9 Stimmen gegeben sind", obwohl letzterer dazu als „Schenkwirth wohl nicht ganz gut, obgleich seine . . . Eigenschaften passend sind." 144 Pflichtgemäß berichtete der Landrat von diesem Fall weiter an die Königliche Regierung zu Magdeburg, u. a. mit dem Bemerken, daß wohl nicht zu erwarten sei, „daß eine anderweite Wahl ein besseres Resultat gewähren wird. Einer Königl. Hochlöblichen Regierung gebe ich demnach der Entscheidung ganz gehorsamst anheim, welcher Weg in dieser Angelegenheit einzuschlagen ist, und ob nicht unter den vorwaltenden Umständen der Müller Sturm", der nur eine von sämtlichen 35 Stimmen erhalten hatte, „dazu zu erwählen (! interessant, welche Sinnverkehrung der Begriff der „Wahl" hier erhält/H. P.) sein dürfte, welcher am qualificirtesten dazu erscheinen mögte." 145 Der Entscheid der Magdeburger Regierung ging charakteristischerweise dahin, „daß Sie infolge der im Amtsblatt No. 20 ds. Jahres abgedruckten Allerhöchsten Kabinets-Ordre vom 31ten März c. mit der Wahl eines Schoppen in Eggenstedt bis auf Weiteres Anstand zu nehmen haben, da nach Inhalt dieses Gesetzes die Wahl der Schoppen in Zukunft nur der Gutsherrschaft zusteht." 146 An diesem Beispiel wird deutlich, welchen Rückschlag in politischer Hinsicht die Wieder-Verpreußung in den Gebieten, die vordem unter westfälischer Herrschaft gestanden hatten, mit sich brachte. Zugleich demonstriert dieser Fall des Eggenstedter 144 145 146 147
STAM, Rep. C 28 I e II, Nr. 482: 7 - 8 . STAM, Rep. C 28 I e II, Nr. 482: 6 - 6 b. STAM, Rep. C 28 I e II, Nr. 482: 9. Meitzen, 1901: 286.
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Dreschers und Mähers Bartels, des Deputatlandarbeiters mit eigenem Haus und einem kleinen Bodenanteil, daß das Agrarproletariat mit dem Jahr 1833 auch im Untersuchungsgebiet die Möglichkeit für eine, wenn auch noch so bescheidene Einflußnahme, selbst auf lokale Belange, nicht mehr besaß. Diese Tatsache wurde auch den Betroffenen selbst, wie ihr Verhalten erkennen läßt, immer mehr bewußt. Nach der Bestimmung des „Allgemeinen Landrechts" konnten und sollten an den Beratungen über kommunale Angelegenheiten nicht nur die Mitglieder des Ortsvorstandes (Schulze und Schoppen), sondern die ganze Dorfgemeinde teilnehmen (Zweiter Theil. Siebenter Titel, § 20). Die Dorfgemeinde, ausgestattet lediglich mit den Rechten einer öffentlichen Korporation (Ebenda, § 19), mit geringer politischer Selbständigkeit, „im Wesentlichen nur ein wirtschaftlicher Verband", 147 wurde jedoch ausschließlich von den „angesessenen Wirthen" (Ebenda, § 20), den Besitzern „der in einem Dorfe oder in dessen Feldmark gelegenen bäuerlichen Grundstücke(n)" (Ebenda, § 18), gebildet, wobei „unter dem Bauerstande" hier noch „alle Bewohner des platten Landes begriffen" wurden, „welche sich mit dem unmittelbaren Betriebe des Ackerbaus und der Landwirtschaft" beschäftigten, „in so fern sie nicht durch adelige Geburt, Amt, oder besondere Rechte, von diesem Stande ausgenommen sind" (Ebenda, § 1). Und nur sie waren stimmberechtigt (Ebenda, § 22). Dies bedeutet, daß der größte Teil des Agrarproletariats schon von vornherein von jeglicher unmittelbarer Teilnahme an der lokalen Verwaltung ausgeschlossen war. Dies betraf das Gesinde, die Deputatlandarbeiter und die freien Landarbeiter, sofern sie in unternehmereigenen Häusern oder regelrecht zur Miete wohnten. Nur den Landarbeitern mit Hausbesitz, den ehemaligen Häuslern, war ein Mitspracherecht in Kommunalangelegenheiten eingeräumt. Aber selbst da wurde oft noch unterschieden zwischen den „Althäuslern", die mit zu den angesessenen Wirten gerechnet wurden, und den „Neuhäuslern" oder „Anbauern", die — wie z. B. in Groß Ottersleben, 148 in Markt und Dorf Alvensleben149 und, mit Einschränkung, in Belsdorf 150 — an den Beratungen der Gemeindeversammlung nicht teilnehmen durften. Das Wissen um die politische Ohnmacht der „legalen", gesetzlicherseits definierten und begrenzten Dorfgemeinde, die Kenntnis, daß es sich bei der kommunalen Exekutive, dem Ortsvorstand, nur um Vollstrecker guts- und landesherrlicher Entscheide handelte, ließ vor allem bei den wenigen stimmberechtigten Vertretern der Landarbeiterschaft das Interesse an einer von ihnen darum als nutzlos erkannten Einrichtung verblassen. Zwölf Jahre nach Wiederherstellung der alten gutsherrlichen Verwaltungskontrolle auf der Gemeindeebene, im Jahre 1845, war im Untersuchungsgebiet das Desinteresse der berechtigten, angesessenen Landarbeiter an den Beratungen der Gemeindeversammlung, aber vielfach selbst der Bauern, bereits zu einer allgemeinen Erscheinung geworden. Die Aussagen aller daraufhin angesprochenen Ortsvorsteher des Untersuchungsgebietes stimmten darin überein. Langenweddingen: „Zu der Gemeindeversammlung werden alle Hausbesitzer vorgeladen. Obgleich aber die Gemeinde verhältnismäßig selten zusammenberufen wird, so erscheinen in derselben doch fast ausschließlich nur die Ackerleute, Halbspänner und einige Kossathen. Die Häusler finden sich niemals ein." Außerdem wäre es in den Gemeindeversammlungen „geradezu un148 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 8. 149 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 25 und 25 b. 150 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 94 b. 138
möglich, Ordnung zu halten, wenn alle Hausbesitzer erschienen; aber auch jetzt ist es unmöglich, die ruhige Ueberlegung eines Gegenstandes herbeizuführen, wenn auch nur 40 Mitglieder erscheinen. Erfolgen einmal Ruhestörungen in der Versammlung, so hat der Schulze nicht einmal die Mittel in den Händen, ihnen kräftig zu begegnen und versucht er es danach, so artet dies in Persönlichkeiten aus, er verfeindet sich mit Gemeindemitgliedern."151 Alvensleben: „Die Gemeindeversammlungen werden durch öffentlichen Ausruf bekannt gemacht. Den Gegenstand der Berathung erfahren die Gemeindemitglieder stets erst in der Versammlung. Wollte man ihn vorher bekannt machen, so würden sehr häufig keine Mitglieder erscheinen."152 Löderburg: „Gemeindeversammlungen sind nicht häufig, sie nutzen aber auch zu nichts, weil man sich mit den Leuten nicht verständigen und zu einem ordentlichen Beschluß kommen kann." 153 Erxleben: „Bei den Gemeindeversammlungen kommt aber nichts heraus, denn es kommt niemals zu einem ordentlichen Schluß. Deshalb besuche ich (der Schulze/H. P.) die Gemeindeversammlung nur in den Fällen, wo die Versammlung nothwendig gehört werden muß." 154 Groß Ottersleben: „Gemeinde-Versammlungen setzt der Ortsvorstand so selten wie möglich an, weil in denselben nur die Raisonneurs erscheinen. Die Ackerleute kommen gar nicht mehr in die Gemeindeversammlung, weil sie voraus wissen, daß in denselben etwas Vernünftiges nicht zu erreichen ist. Der Ortsvorsteher ist dadurch sehr übel dran, weil er nun ganz verlassen in der Gemeinde dasteht." 155 Es ist klar, daß diese passive und unkonstruktive Haltung der Mehrheit der stimmberechtigten Gemeindemitglieder die Tätigkeit des Ortsvorstandes und speziell des Schulzen, da sämtliche Entscheidungen letztlich ihm allein zufielen, sehr erschweren mußte. Dies um so mehr, als sich die zunehmende Verschärfung der Klassengegensätze im Dorf natürlich auch im Verwaltungsbereich auswirkte. Befragt, welche Mängel ihrer Ansicht nach die jetzige Einrichtung der Gemeineverwaltung aufweise und wie diese am günstigsten zu beheben seien, antworteten sie mit der eindeutigen Forderung nach größerer kommunalpolitischer Selbständigkeit, wobei vor allem den begüterten Großbauern größere Rechte eingeräumt werden sollten. Das Mittel, dies durchzusetzen, sahen sie in der Bildung einer Institution ähnlich dem ehemaligen westfälischen Munzipalrat. So der Schulze von Langenweddingen: „Darf ich nun . . . meine Vorschläge anknüpfen,... so verlange ich vor allen Dingen statt der Gemeindeversammlungen eine Gemeinderepräsentation, ähnlich wie der westphälische Gemeinderath." 156 Die „Wiederherstellung des westphälischen Gemeinderathes" wünschte sich auch der Ortsvorsteher von Groß Ottersleben.157 Ebenso lautete das Ersuchen des Schulzen von Löderburg: „Wenn etwas aus den Gemeindeangelegenheiten werden soll, so muß der Gemeinderath wieder hergestellt werden."158 In Erxleben hatte der Ortsvorsteher die alte Praxis sogar noch weitgehend beibehalten: „In der Regel bemühe ich 10 bis 12 151 152 153 154 155 156 157 158
STAM, STAM, STAM, STAM, STAM, STAM, STAM, STAM,
Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 2 sowie 3 b - 4 . Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 25 b. Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 88 b. Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 102. Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 8. Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 4 b. Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 9 b. Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 89.
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Gemeindemitglieder, bespreche mit diesen die vorliegende Angelegenheit, und handele nach deren Beschluß. So lange der Gemeinderath bestand, war es leichter in dieser Beziehung Ordnung zu halten." 159 Dabei war man sich einig, daß bei einer eventuellen Wiedereinrichtung der Gemeinderäte das Mitspracherecht der Landarbeiter auch weiterhin arg beschnitten bleiben sollte, und zwar nun zu Gunsten des wirtschaftlich stärksten Teils der Bauernschaft. Nicht nur, daß — wie bisher — Landproletarier ohne Hausbesitz, also Gesinde und ehemalige Einlieger bzw. Mieter, auch künftig keine Stimmberechtigung erhalten sollten, strebte man darüber hinaus teilweise sogar auch eine noch weitergehende Schmälerung der Rechte der alteingesessenen hausbesitzenden Landarbeiter, der vormaligen Häusler, an. Am krassesten hat eine dahingehende Forderung der Ortsvorsteher von Groß Ottersleben erhoben: „Meines Erachtens müssen die verschiedenen Klassen der Einwohner, mit Ausschluß der Miether, in dem Gemeinderath ihre Vertreter haben." Aber „soll es in Groß Ottersleben besser werden, so ist es nothwendig, daß dem Ortsvorstande eine größere Autorität beigelegt und ihm gestattet wird, Strafen zu verhängen und daß demselben mehr Unterstützung in der Gemeinde selbst verschafft wird. Zu letzterem würde es wahrscheinlich führen, wenn darauf hingewirkt würde, daß die Ackerleute wieder mehr Interesse an der GemeindeVerwaltung nähmen. Soll dies geschehen, so muß vor allen Dingen die bisherige l.inrichtung, wonach jeder Besitzer eines kleinen Hauses in der Gemeinde eben so viel mit zu sprechen hat, wie der Besitzer eines großen Ackerhofes, wieder aufgehoben werden. Durch Wiederherstellung des westphälischen Gemeinderathes ist dies sofort erreicht und es erwüchse daraus noch der große Gewinn, daß dann wirklich ein Gegenstand ordentlich berathen werden könnte, was in den jetzigen Gemeindeversammlungen geradezu unmöglich ist. Würde den Ackerleuten in diesem Gemeinderathe eine gewisse Bevorzugung hinsichts der Stimmen gegeben, so wird das Gemeindewesen wieder mehr in Ordnung kommen . . . Vielleicht wäre es thunlich, daß man allen den Ackerleuten, die 8 Hufen und darüber besitzen, eine persönliche Berechtigung zur Mitgliedschaft in dem Gemeinde-Rath gebe. Dies wären dann in Gr. Ottersleben sechs; gäbe man den Häuslern ebenfalls sechs Repräsentanten, welche sie unter sich zu wählen hätten, so könnte man den übrigen Ackerbesitzern auch 6 Repräsentanten geben, von denen vielleicht drei durch diejenigen gewählt würden, welche drei Hufen Acker und mehr besitzen und drei durch diejenigen, welche unter 3 Hufen Acker hätten." 160 Danach wären in der Gemeinde Groß-Ottersleben mit damals 2900 Einwohnern vertreten: 161 6 11 3 20 69
Ackerleute von 8 Hufen und darüber Ackerleute zwischen 5 und 7 Hufen, Halbspänner mit 31 / 2 Hufen und Kossäten mit 5 bis 7'/ 2 Morgen Häusler (1840)
= durch 6 Repräsentanten
= durch 6 Repräsentanten
Für die Einführung eines Klassenwahlrechtes bei möglicher Konstituierung eines Gemeinderates, denn genau dies enthielten ja jene Vorschläge, plädierte auch der Schulze von Langenweddingen: „Um der Gemeinde eine Einwirkung auf die Gemeinderaths-Beschlüsse zu lassen, dürften die 12 Mitglieder des Gemeinderaths von der 159 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 102. 160 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 9—10. 161 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 7; Anzahl der Häusler nach Hermes/Weigelt, 1842: 82.
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Gemeinde zu wählen sein. Ich halte es aber für nothwendig, daß die verschiedenen Klassen der Ortseinwohner in dem Gemeinderath vertreten werden. Die alten Klassen der Ackerleute, Halbspänner, Kossathen, Häusler, können freilich nicht beibehalten werden, indessen glaube ich doch, daß sich auch unter jetzigen Verhältnissen bestimmte Klassen bilden lassen. Eine Klasse, nehmlich die der Miether, ohne allen Grundbesitz in der Gemeinde, würde ich bei der Gemeindevertretung gar nicht berücksichtigen. Es sind dies großentheils verheiratete Knechte; sie wechseln häufig ihren Wohnsitz nach andern Orten und haben daher gar kein nachhaltiges Interesse zur Gemeindeverwaltung . . . Bei den im Orte Angesessenen treten zwei Klassen ganz entschieden hervor, nehmlich die Besitzer von Ackergrundstücken und die bloßen Hausbesitzer mit Garten oder ohne denselben. Bei den Ackerbesitzern ist aber die Größe des Besitzthums so verschieden (von einem halben Morgen bis zu über zehn Höfen), daß man die Ackerbesitzer unmöglich alle in eine Klasse werfen kann. Für diese ließe sich ein doppelter Unterschied denken. Einmal nach dem Pferdebesitz. . . oder nach der Größe des Grundbesitzes, so daß z. B. alle Ackerbesitzer mit einem Besitzthum von 6 Hufen und darüber die eine Klasse, alle übrigen Ackerbesitzer die andere Klasse bildeten. Ich würde übrigens dem zweiten Klassenunterschiede den Vorzug geben, weil der Pferdebesitz gar zu wechselnd ist und weil dann doch die großen Grundbesitzer der Gemeinde den nöthigen Halt geben." 162 Die am 11. März 1850 erlassene „Gemeinde-Ordnung für den Preußischen Staat" trug diesen Forderungen weitgehend Rechnung. 163 Erkämpft in der Revolution von 1848/49, stellte sie im ländlichen Bereich vor allem einen Sieg des ökonomisch stärksten Teils der preußischen Bauernschaft dar. Die kommunalpolitische Kontrolle der Rittergutsbesitzer wurde — jedenfalls formalrechtlich — beseitigt (§ 6: „Jeder Gemeinde steht die Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten zu."), und die Aufsicht über die Verwaltung der Gemeinde-Belange bei Ortschaften bis zu 10000 Einwohnern in erster Instanz einem Kreisausschuß und in zweiter Instanz einem Bezirksausschuß unterstellt (§ 138). „Die Rittergüter wurden nicht einmal mehr als besondere kommunale Einheiten anerkannt, sondern sie mussten entweder den Gemeinden einverleibt oder als solche besonders organisiert werden" 164 (§ 146). Ein Ortsvorstand mit Gemeindevorsteher und Schöffen blieb auch weiterhin bestehen, aber anstelle der Dorfgemeinde wurde ihm nunmehr ein Gemeinderat zur Seite gestellt. In Gemeinden mit mehr als 1500 Einwohnern sollte dieser aus 12 Mitgliedern (§ 10), in Ortschaften unter 1500 Einwohner dagegen aus 6 Mitgliedern gebildet werden (§68). Gemeindevorsteher, Schöffen und Gemeinderat wurden jeweils gewählt, und zwar der Ortsvorsteher und die Schöffen durch den Gemeinderat (§ 29 und § 88) und dieser seinerseits durch die Gemeindewähler (§ 11 und § 69). In Gemeinden mit weniger als 1500 Einwohnern bedurfte der gewählte Ortsvorstand der Bestätigung durch den Landrat (§91), in Orten bis zu 10000 Einwohnern der Sanktion durch den Regierungspräsidenten (und in noch größeren Gemeinden bedurfte es sogar des Einverständnisses durch den Monarchen) (§31). Obzwar der Staat sich die Oberaufsicht in jedem Falle gesichert hatte, kam der Zusammensetzung der Gemeindewähler dennoch eine gewisse Bedeutung zu; denn ihnen war es anheim gegeben, die durch keine Institution außerdem noch zu bestätigende Legislative, 162 STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 4 b - 5 b. 163 Gesetz-Sammlung, (1850): 213—251. 164 Meitzen, 1901:290.
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den Gemeinderat, zu wählen, der „über alle Gemeinde-Angelegenheiten zu beschließen" hatte, „soweit dieselben nicht ausschließlich dem Gemeindevorstande überwiesen sind" und dessen Beschlüsse „für die Gemeinde verpflichtend" waren. Er kontrollierte die Verwaltung und war berechtigt, „sich von der Ausführung seiner Beschlüsse und der Verwendung aller Gemeinde-Einnahmen Ueberzeugung zu verschaffen". Er konnte „zu diesem Zwecke die Akten einsehen und Ausschüsse aus seiner Mitte ernennen" (§ 33 und § 93). Gemäß dieser relativ großzügigen Befugnisse war deshalb in dem Gesetz zugleich dafür Sorge getragen worden, daß keine Möglichkeit bestand, mit Hilfe dieses Instrumentes etwa noch weiterreichendere Forderungen durchzusetzen; Forderungen, die den Interessen der großen und mittleren bäuerlichen Grundbesitzer hätten zuwiderlaufen können. Diese Absicherung ihrer errungenen Rechte und Freiheiten „nach unten" erfolgte auf verschiedene Weise. Einmal dadurch, daß bestimmt wurde, die Gemeindewähler je nach Einkommens- bzw. Steuerhöhe in drei Abteilungen aufzugliedern und dadurch, daß „die Hälfte der von jeder Abtheilung zu wählenden Gemeindeverordneten . . . aus Grundbesitzern (Eigenthümern, Nießbrauchern und solchen, die ein erbliches Besitzrecht haben) bestehen" mußte (§14 und § 72). Beschlüsse wurden im Gemeinderat „nach Stimmenmehrheit gefaßt"; bei Stimmgleichheit, und nur bis dahin hätten sich im günstigsten Falle nichtgrundbesitzende Gemeinderatsmitglieder durchsetzen können, entschied „die Stimme des Vorsitzenden" (§ 39 und § 99). Und die Wahl des Vorsitzenden — wie übrigens auch die der Schöffen — geschah nach einem Modus, der in Verbindung mit § 14 bzw. § 72 des Gesetzes nur im Ausnahmefall nicht garantiert hätte, daß dieses Amt ein Interessenvertreter der Grundbesitzer erhielt (§ 30 und § 89), nämlich dann, wenn auch hier Stimmgleichheit vorlag und daraufhin durch Los hätte entschieden werden müssen. 165 Um aber einen derartigen Extremfall wie eine Stimmengleichheit zwischen grundbesitzenden und besitzarmen bzw. besitzlosen Gemeindemitgliedern gar nicht erst aufkommen zu lassen, bestimmte das Gesetz die Wahl der Gemeindeverordneten nach dem Dreiklassenwahlrecht. Die erste Klasse bestand „aus Denjenigen, welche die höchsten Beträge bis zum Belaufe eines Drittels des Gesammtbetrages der Steuern aller Gemeindewähler" entrichteten (§ 11 und § 69) oder — in Ortschaften von mehr als 1500 Einwohnern — „welche das höchste Einkommen bis zum Belaufe eines Drittels des Gesammteinkommens aller Gemeindewähler" besaßen (§11). Die zweite Klasse „reicht(e) bis zur Hälfte der Gesammtsteuer dieser Wähler" (§ 11 und § 69) resp. ihres „Gesammteinkommens" (§ 11), während die dritte und damit höchste Klasse sich aus jenen Wählern zusammensetzte, die mehr als die Hälfte des Gesamtsteuerbetrages aller Gemeindewähler aufbrachten bzw. über mehr als die Hälfte des Gesamteinkommens aller Gemeindewähler verfügten. Jede dieser Klassen wählte nur immer ein Drittel der Gemeinderatsmitglieder (§ 11 und § 69), wobei aber jeweils die Hälfte davon unbedingt der Klasse der
165 Paragraph 30, der in bezug auf Gemeinden mit mehr als 1500 Einwohnern Gültigkeit hatte, und Paragraph 89, der für Ortschaften mit weniger als 1500 Einwohnern galt, bestimmten gleichlautend: „Für jedes zu wählende Mitglied des Gemeindevorstandes wird besonders abgestimmt. Wird die absolute Stimmenmehrheit bei der ersten Abstimmung nicht erreicht, so werden diejenigen vier Personen, auf welche die meisten Stimmen gefallen sind, auf eine engere Wahl gebracht. Wird auch hierdurch die absolute Stimmenmehrheit nicht erreicht, so findet unter denjenigen zwei Personen, welche bei der zweiten Abstimmung die meisten Stimmen erhalten haben, eine engere Wahl statt. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Loos."
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Grundbesitzer angehören mußte (§ 14 und § 72). Ein dörflicher Gemeinderat konnte demnach im günstigsten Falle so strukturiert sein, daß z. B. von 6 Gemeindeverordneten (in Ortschaften mit weniger als 1500 Einwohnern) mindestens 4 die Interessen der großen und mittleren Grundbesitzer repräsentierten und höchstens 2 von ihnen Vertreter des besitzlosen oder besitzarmen Agrarproletariats sein konnten. Denn es ist anzunehmen, daß die Gemeindewähler der dritten und höchsten Klasse, die Großgrundbesitzer und die Großbauern, ausschließlich ihre Kandidaten wählten, womit ein Drittel aller Gemeindeverordneten, in unserem Beispiel also 2 Gemeinderatsmitglieder, bereits ganz sicher Interessenverwalter des größeren Grundbesitzes waren. Dagegen konnte die erste, die niedrigste Klasse der Gemeindewähler, nur der Hälfte der in ihrer Abteilung zur Wahl stehenden Kandidaten, sofern diese der besitzlosen oder besitzarmen Landarbeiterschaft zugehörten, ihre Stimme geben; denn die andere Hälfte der von ihnen zu wählenden Gemeindeverordneten — das heißt in unserem Falle 1 Gemeinderatsmitglied — mußte laut Gesetz Angehöriger der Klasse der Grundbesitzer sein. Dasselbe Verhältnis, aber dies ist natürlich schon äußerst unwahrscheinlich, wäre unter Umständen auch als Wahlentscheidung der zweiten Klasse der Gemeindewähler vorstellbar. Doch wie sehr es sich beim vorgestellten Beispiel in der Tat nur um eine höchst spekulative Variante einer dörflichen Gemeinderatsstruktur handelt, wird aus einer Reihe weiterer Bestimmungen des fraglichen Gesetzes ersichtlich. Danach konnte — erstens — Gemeifodewähler überhaupt nur sein, wer das 25. Lebensjahr vollendet hatte und über einen eigenen Hausstand verfügte (§ 4). Dies betraf vor allem das unverheiratete Gesinde, das damit von Gemeindewahlen grundsätzlich ausgeschlossen blieb. Im Untersuchungsgebiet, wo — wie festgestellt werden konnte — um diese Zeit eine Verschiebung in der altersmäßigen Zusammensetzung, und zwar im Sinne einer „Verjüngung" des Gesindes, vor sich ging, waren von diesem Ausschluß demnach auch viele verheiratete freie Landarbeiter betroffen. Ebenfalls nicht wahlberechtigt waren — zweitens — auch alle jene Personen, die am Tage der Wahl noch nicht ein volles Jahr lang Einwohner des betreffenden Gemeindebezirks waren (§ 2 und § 4). Diese Bestimmung richtete sich gleichermaßen gegen das Gesinde wie gegen die freien Landarbeiter ohne Hausbesitz, den am stärksten mobilen Teilen des Agrarproletariats. Nicht an Gemeindewahlen teilnehmen durften ferner jene Einwohner, die Armen-Unterstützung aus öffentlichen Mitteln empfingen (§ 4), also die Ortsarmen, die Kranken, die Invaliden. Zu den Voraussetzungen eines Gemeindewählers gehörte weiterhin, daß er alle „die ihn betreffenden Gemeinde-Abgaben gezahlt hat" (§ 4). Die wesentlichste und dabei zugleich die diskriminierendste und undemokratischste Bedingung war schließlich jene, daß Gemeindewähler nur der sein konnte, der „mindestens zwei Thaler als Jahresbeitrag an direkten Steuern", das heißt als Klassensteuer entrichtete, oder, in Gemeinden mit weniger als 1500 Einwohnern — im Untersuchungsgebiet waren das rund 86 % aller Ortschaften —, der „ein Grundstück im Werthe von 100 Rthlr. oder ein Haus im Gemeindebezirke" besaß (§4). Nach Maßgabe des Gesetzes vom 30. 5. 1820, nach den verordneten „Klassifikationsmerkmalen und allgemeinen Bestimmungen, nach denen bei der Veranlagung der Klassensteuerpflichtigen, dem §. 3 des Gesetzes vom 30ten Mai d.J. gemäß, zu verfahren ist" vom 25. 8. 1820, nach der Allerhöchsten Kabinettsordre vom 21. 12. 1820 und des „Nachträglichen Gesetzes" vom 5.9. 1821, hatten eine Klassensteuer in Höhe von „mindestens zwei Thaler" pro Jahr für den Haushalt ( = 5 Sgr. monatlich) Steuerpflichtige der Elften Klassensteuerstufe, bei Einzelsteuernden solche der Neunten Klassensteuerstufe zu entrichten. Angehörige der 11. Stufe 143
waren jedoch in der Regel lediglich solche Deputatlandarbeiter oder freie Landarbeiter, die ein eigenes Haus besaßen und einen eigenen Haushalt führten. 166 Ohne selbständigem Hausstand, als Einzelsteuernde, genügten auch sie nicht den Anforderungen eines Gemeindewählers. Es sei denn, sie könnten der 9. Klassensteuerstufe zugeordnet werden ; aber diese war ausschließlich „zur Besteuerung des geringen Bürger- und Bauernstandes bestimmt", das heißt zur Besteuerung der Kleinbauern, der ehemaligen GroßKossaten. 167 Deputatlandarbeiter und freie Landarbeiter ohne Hausbesitz sowie das Gesinde gehörten zur letzten, zur zwölften Steuerstufe. Diese Klassensteuer wurde als Personensteuer erhoben, und zwar in Höhe von V2 Taler jährlich „für jede einzelne steuerpflichtige Person, vom vollendeten 16. bis zum zurückgelegten 60. Lebensjahre, mithin auch für jeden besteuerten Angehörigen einer Haushaltung dieser Stufe, wobei aus einer und derselben Haushaltung niemals mehr, als drei Personen steuern . . ,". 168 Dieses ausgeklügelte Klassensteuersystem zur Grundlage zu nehmen für ein nicht weniger ausgeklügeltes Wahlsystem, hatte für die preußischen Landarbeiter zur Folge, daß ihnen in ihrer Mehrheit auch jetzt noch selbst ein bescheidenes Mitspracherecht auf der untersten politischen Ebene, im Bereich der Lokalverwaltung, versagt blieb. Wie schon vordem, nach den hierauf bezüglichen Bestimmungen des „Allgemeinen Landrechtes", hatten auch jetzt lediglich die Landarbeiter mit Hausbesitz, die ehemaligen Häusler, und die infolge der Gemeinheitsteilung sozial abgestiegenen, vielfach proletarisierten vormaligen Kleinkossaten eine Berechtigung zur Teilnahme an Gemeinderatswahlen, was übrigens — wie schon erwähnt — der § 4 der neuen Gemeinde-Ordnung für Ortschaften mit weniger als 1500 Einwohnern sogar ausdrücklich anwies. Nur die haus- bzw. grundbesitzenden Landproletarier waren als Angehörige der Landarbeiterschaft Gemeindewähler. Das besitzlose Agrarproletariat blieb auch weiterhin politisch völlig rechtlos. In dieser Beziehung hat also auch die bürgerlich-demokratische Revolution keine Änderung herbeigeführt; denn immerhin handelt es sich dabei um eine Gemeinde-Ordnung, die im Feuer der Revolution und auch durch den revo166 Vgl. bei Sinnhold, 1831: 51: „Kutschner (Sogenannte) und Häusler mit Viehnutzung sind in der Regel bei einer Aussaat bis zu 6 Scheffeln, zu 7'/ 2 Sgr. und bei nicht mehr als 2 Scheffeln Aussaat oder nur Garten- und Wiesen-Besize, mit 5 Sgr. monatlich einzuschätzen. Jedoch machen schlechte, sandige oder gebirgige Gegenden hierbei Ausnahmen". — S. 53: „Leerhäusler müssen, wenn sich ihr Grundbesizthum auch lediglich auf Wohnung ohne Akker, Gartenland oder Weideberechtigung beschränkt, und wenn auch dabei ihre Dürftigkeit anerkannt ist und sie auch sonst lediglich auf den gewöhnlichen Tagelohn für ihre Handarbeiten beschränkt sind, zur 11. Steuerstufe und nur ausnahmsweise, bei besonderen Verhältnissen, zur 12. Klassen-Steuerstufe eingeschätzt werden . . .". — S. 74: „Tagelöhner, welche ausser einem lediglich zur Wohnung des Eigenthümers dienenden Hause Grundstücke besitzen, dürfen nur in seltenen Fällen zur letzten Klassensteuerstufe eingeschätzt werden.. .". 167 Sinnhold, 1831: 49: „Kossäten gehören in der Regel zur 9. oder mindestens zur 10. Klassensteuerstufe von 4 und 3 Rthlr. jährlich." — S. 56: „Neunte Klassensteuerstufe von 4 Rthlr. jährlicher Klassensteuer für den Haushalt und 2 Rthlr. für den Einzelnsteuernden, ist zur Besteuerung des geringen Bürger- und Bauern-Standes bestimmt." — S. 81: „Zehnte Klassensteuerstufe von 3 Rthlr. jährlicher Klassensteuer für den Haushalt und l ' / 2 Rthlr. für den Einzelnsteuernden ist zur Besteuerung der geringem Grundbesitzer und Gewerbetreibenden bestimmt." 168 Sinnhold, 1831: 83: „Zwölfte Klassensteuerstufe von 1/2 Rthlr. . . . besteht im Allgemeinen nur für die gewöhnlichen Tagelöhner, Lohnarbeiter und das gemeine Gesinde, so wie für grund- und gewerbslose Handarbeiter."
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lutionären Einsatz vieler preußischer Landarbeiter gegen den Widerstand der Feudalklasse, des großgrundbesitzenden Adels, erzwungen worden war. Auf den höheren politischen Verantwortungsebenen (Kreis, Bezirk, Provinz) war aber selbst den Angehörigen des haus- bzw. grundbesitzenden Agrarproletariats jedes Mitspracherecht verwehrt. So bestimmte die „Kreis-, Bezirks- und Provinzial-Ordnung für den preußischen Staat" vom 11. März 1850, daß als Abgeordnete einer Kreisversammlung, die ihrerseits nicht von den Kreis-Eingesessenen direkt, sondern nur von den Mitgliedern der Gemeinderäte gewählt werden konnten, lediglich solche Gemeindewähler des Kreises gewählt werden durften, die „das 30. Lebensjahr vollendet, seit mindestens drei Jahren dem Kreise durch Grundbesitz oder Wohnsitz angehört (hatten), und einen jährlichen Klassensteuersatz von acht Thalern" entrichteten, wobei „jedoch dieser Klassensteuersatz durch einen vom Könige zu genehmigenden Beschluß der Provinzial-Versammlung bis auf sechs Thaler jährlich ermäßigt, oder bis auf achtzehn Thaler jährlich erhöht werden" konnte (Art. 6). Aber 8 oder selbst nur 6 Taler jährliche Klassensteuer für den Haushalt zahlte kein Landarbeiter, sondern wenigstens ein einigermaßen wohlhabender Mittelbauer (7. bzw. 8 Klassensteuerstufe). Bezirks-Deputierte, die nur von der Provinzial-Versammlung gewählt werden konnten, mußten sogar mindestens „jährlich 18 Rthlr. an Klassensteuer" aufbringen (Art. 33). Für die Abgeordneten zu den Provinzial-Versammlungen war die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klassensteuerstufe nicht Bedingung. Hierzu war jeder Gemeindewähler berufen, „der das 30ste Lebensjahr vollendet und mindestens seit drei Jahren dem Kreise, für welchen er gewählt wird, durch Wohnsitz oder Grundsitz angehört hat" (Art. 40). Daß aber auch in diesem politischen Forum Landarbeiter weder Sitz noch Stimme hatten, dafür sorgten die aus Großgrundbesitzern sowie aus Groß- und Mittelbauern zusammengesetzten Kreis-Versammlungen; denn nur sie waren zur Wahl von Landtagsabgeordneten berechtigt (Art. 40). Zwar stellten diese verwaltungsreformerischen „Ordnungen", indem sie die bisherige, auf diesem Gebiet fast ungebrochen ausgeübte Macht des Adels zurückdrängten, einen Fortschritt und, als Ergebnis der Revolution von 1848/49, einen Sieg dar, aber eben einen Sieg der Bourgeoisie und des mit ihr verbündeten Groß- und Mittelbauernstandes. Nach dem Scheitern der bürgerlich-demokratischen Revolution wurden die meisten der erkämpften politischen Zugeständnisse von der Reaktion wieder zurückgenommen. Dazu gehörte auch die Gemeinde-Ordnung vom 11.3. 1850 sowie die „Kreis-, Bezirksund Provinzial-Ordnung" vom 11. 3. 1850. Ihre Aufhebung geschah mittels Gesetz vom 29. 11. 1853, das zugleich die früheren Gesetze und Verordnungen auf dem Gebiete der Landgemeinde-, Kreis-, Bezirks- und Provinzialverfassung erneut als vollgültig in Kraft setzte. Die politischen Privilegien des Großgrundbesitzes waren damit im wesentlichen wieder hergestellt. Eine Ausnahme bildete lediglich die durch Verordnung vom 2. 1. 1849 beseitigte Patrimonialgerichtsbarkeit. Sie blieb auch für die Zukunft aufgehoben. Dagegen bewirkten die Gesetze vom 14. 4. 1856, die das konterrevolutionäre „Zurück" der Reaktion auf diesen Gebieten vollendeten, die Wiedereinführung der durch Gesetz vom 11. 3. 1850 abgeschafften gutsherrlichen Polizeigewalt (Gesetz, betreffend die Abänderung des Artikels 42 und die Aufhebung des Artikels 114 der Verfassungs-Urkunde vom 31. Januar 1850; außerdem: Gesetz, betreffend die ländlichen Ortsobrigkeiten in den sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie) sowie die Rekonstitution der früheren, auf das „Allgemeine Landrecht" sich stützenden 10
Plaul, Landarbeiterleben
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ländlichen Gemeindeverfassung (Gesetz, betreffend die Landgemeinde-Verfassungen in den sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie), wobei allerdings hier auch Elemente aus der Gemeinde-Ordnung vom 11.3. 1850 einbezogen wurden, und zwar insofern sie bezeichnenderweise Bezug hatten auf das jetzt die Reaktion begünstigende Klassenwahlrecht (§ 2—5 sowie § 8). Auch konnte auf Antrag einer Gemeinde anstelle der nun wieder hergestellten Gemeinde-Versammlungen eine Art Gemeinderat aus gewählten Gemeinde-Verordneten eingeführt werden. Allerdings bedurfte eine solche Einrichtung zunächst der Anhörung des Kreistages, der Begutachtung durch die Bezirksregierung und den Oberpräsidenten und schließlich sogar noch der Bestätigung durch den Innenminister (§ 8). Von den Landarbeitern waren auch nach dieser neuen Landgemeinde-Ordnung wiederum nur jene stimm- und wahlberechtigt, die in der Gemeinde ein eigenes Wohnhaus besaßen (§ 5, Ziff. 1). Alle anderen Sozialgruppen des preußischen Agrarproletariats blieben damit auch weiterhin ohne politischen Rechte. Dies wiegt um so schwerer, als ihnen das erwähnte Dienstpflichtverletzungsgesetz vom 24. 4. 1854 erhebliche zusätzliche Restriktionen auferlegte. „Die Gesetzgebung von 1853 und 1856", schreibt Meitzen, „hat sonach die ländliche Verfassung fast ganz wieder auf denselben Standpunkt gebracht, auf dem sie sich vor 1850 befand. Insbesondere war die öffentlich-rechtliche Abhängigkeit der Landgemeinden von den Gutsherrschaften, sowie das Uebergewicht der Grossgrundbesitzer in den Kreis- und Provinzialversammlungen auf Grund der alten kreisständischen Ordnung wieder hergestellt worden." 169 In den Fällen, wo eine Landgemeinde nicht der polizeiobrigkeitlichen Gewalt einer Gutsherrschaft unterworfen war, wurde diese vom Staat wahrgenommen und ausgeübt (§ 4 des Gesetzes, betr. die ländlichen Ortsobrigkeiten in den sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 14. 4. 1856). Eine neue Landgemeindeordnung wurde für die nunmehr sieben östlichen Provinzen Preußens erst durch das Gesetz vom 3. 7. 1891 eingeführt. Bis zu diesem Zeitpunkt blieb im wesentlichen die des Jahres 1856 gültig.
169 Meitzen, 1901: 292.
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Über Veränderungen in den Arbeits- und Lebensverhältnissen des einheimischen Landproletariats im Verlauf der Herausbildung und Konsolidierung des Kapitalismus in der Landwirtschaft
Die Auswirkungen von Gemeinheitsteilung und Separation auf die Arbeits- und Lebensverhältnisse Die Folgen der Gemeinheitsteilung und Separation waren auch im Bereich der Arbeitsund Lebensverhältnisse der ländlichen Bevölkerung klassenmäßig differenziert. Während dem spannfahigen großen und mittleren Bauernstand (Voll-, Halb- und Viertelspänner), zum Teil aber auch dem spannfahigen kleinbäuerlichen Grundbesitzer (Großkossat), die bereits im 18. Jh. beginnende Teilung der Gemeinheiten, wie oben bereits ausführlich dargetan, in der Regel einen angemessenen Bodenzuwachs einbrachte, wodurch sich, zumal unter den besonderen Bedingungen des Untersuchungsgebietes, deren ökonomische Position weiter verbesserte, büßte der nicht spannfahige Kleinkossatenstand, dessen wirtschaftliche Stellung sich hauptsächlich auf die Nutzung der gemeinschaftlichen Weide und auf die damit mögliche Haltung von Großvieh gründete, seine bisherige ökonomische Selbständigkeit weitgehend ein, da er ein erworbenes Nutzungsrecht an den Gemeinheiten nur selten nachzuweisen vermochte. Die Wohlhabenheit vor allem der großen und mittleren bäuerlichen Grundbesitzer vermehrte sich, die der einstmals selbständigen Kleinbesitzer ging sehr merkbar zurück. In großer Zahl sanken diese „direkt aus dem Kleinbesitzer- in den Lohnarbeiterstand herab". 1 Insofern sie auch künftig im agrarischen Bereich tätig waren, wurden sie nun gewöhnlich Landproletarier mit Hausbesitz (Deputat- oder freie Landarbeiter). Im Untersuchungsgebiet trifft demnach ganz besonders für diese Kategorie zu, was Heitzer im Hinblick auf die gesamte bäuerliche Klasse in allen Territorien des ehemaligen Königreiches Westfalen festgestellt hat: „Hebel der ursprünglichen Akkumulation war . . . in diesen Gebieten nicht das „Bauernlegen", das gewaltsame Verjagen der Bauern von Grund und Boden, wie es in Ostelbien, besonders in Mecklenburg, von den Grundbesitzern praktiziert wurde, sondern die Aufteilung der Gemeinheiten . . . Indes war die Aufteilung der Allmende . . . nur ein schwacher Hebel der ursprünglichen Akkumulation. Weit mehr Bauern wurden „frei" gesetzt, „entbauert", nicht auf gewaltsamem Wege, sondern vielmehr unter unmittelbar ökonomischem Druck, als direkte Folge der entwickelten Warenproduktion, die zur Bereicherung der einen und zur Verarmung, Ruinierung und schließlich Expropriierung der anderen führte." 2 Der soziale Abstieg ins Proletariat wirkte sich für den einstigen wirtschaftlich selbständigen Kleinbesitzer natürlich auch auf seine Arbeits- und Lebensverhältnisse aus: Der Zwang zur Suche nach Lohnarbeit, zumal im Winter, Wechsel des Arbeitsplatzes und eventuell selbst der Arbeitstätigkeit, Unterordnung und zu1 Bielefelds 1910: 13. 2 Heitzer, 1 9 5 9 : 4 9 - 5 0 .
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nehmende soziale Unsicherheit bestimmten von nun an auch seinen Lebensweg. Hinzu trat für ihn oder wenigstens für seine arbeitsfähigen Familienangehörigen die bleibende Notwendigkeit der Bestellung des noch im Eigenbesitz befindlichen Ackerstückes. Durch Übergang zur Ziegen- und Schweinehaltung (vgl. Seite 64) suchte er sich zumindest eine gewisse ökonomische Grundlage zu erhalten. Allerdings zwang ihn dieses Bemühen, oft zu Lasten des Anbaues von Speise-Kartoffeln und, soweit überhaupt möglich, von Getreide und Zuckerrüben, zu ausreichender Produktion geeigneter Futtermittel. Insgesamt bedeutete sein Absinken ins Proletariat unverkennbar eine Verschlechterung seiner Arbeits- und Lebensverhältnisse. In der Regel nicht ungünstig wirkten sich dagegen Gemeinheitsteilung und Separation auf die vormaligen Häusler aus, insbesondere auf einen Teil der sogenannten unangemessenen, bisher landlosen Neuhäusler oder Anbauer. Aus den schon zitierten Berichten von Ortsvorstehern über die Dorfgemeinde-Verhältnisse im Jahre 1845, soweit sie das Untersuchungsgebiet betreffen, geht hervor, daß viele der Landarbeiter mit Hausbesitz, die bis dahin noch nicht über Bodenanteile verfügten, im Zuge der Gemeinheitsteilung und Separation mit einem Stück Land ausgestattet wurden. Zweifellos ist dies einmal als Erfolg der Forderungen und des Kampfes dieser Landarbeiter um einen angemessenen Anteil an Grund und Boden zu werten — Belege hierfür seien später beigebracht (vgl. Seite 317) —, zum anderen aber auch als Resultat von Überlegungen seitens der bäuerlichen Grundbesitzer unter dem Druck des bereits spürbar werdenden ländlichen Arbeitskräftemangels. So wird aus Dorf und Markt Alvensleben berichtet: „Durch die Separation haben alle Häuser Acker bekommen, auch die neuen Häuser (Neuhäusler), so daß jetzt bei jedem Hause mindestens 11 /2 Morgen Acker sind."3 Aus Belsdorf: „Von den . . . 29 Häuslerstellen sind . . . 10 Neuanbauer, die zwischen 1760 und 1770 auf Gemeindegrund und Boden aufgebaut, und bei der Separation jeder 20 Quadratruthen vorweg von den Separationsinteressenten erhalten haben. — 10 alte, nachbarberechtigte Häusler", die zwischen „2 bis 6 Morgen" Acker besitzen. Allerdings gab es daneben noch „7 Neubauer, die zwar bei der Separation vorhanden waren, aber bei derselben gar keine Abfindung erhalten haben."4 Ferner aus Erxleben: „Viele Althäusler und viele Anbauer haben Acker, so daß nur wenige da sind, die gar keinen Acker haben. Ihr Besitzthum ist meistens 1 und 2 Morgen; einige haben auch 6 Morgen, einzelne noch mehr bis 13 Morgen."5 Auf das Beispiel Eggenstedt, wo der Rittergutspächter Franz den „30 Cossäthen und Anbauern" im Zuge der Separation eine ziemlich bedeutende Landentschädigung für das ihm zur Last gewordene Drescher-Zehntverhältnis gewähren mußte, ist bereits oben hingewiesen worden. Auch für Nordgermersleben ist belegt, daß die „Hausbesitzer" im Zusammenhang mit der Separation sämtlich ein gewisses Stück Acker zugestanden erhielten.6 Die Separation und die damit verbundene Aufhebung des Gemenges hatten noch ein weiteres Ergebnis zur Folge. Dort, wo sie beendet worden war, ließen sich auch Land-Verpachtung und -Verkauf wesentlich leichter und einfacher durchführen. Auf den Kausalnexus zwischen dem Steigen der Pacht- und Bodenpreise infolge der 3 4 5 6 148
STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 25. STAM, Rep. C 20 1 a, Nr. 2763: 92 b—93. STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 2763: 100 b. Lengerke, 1846: 135.
angelaufenen Rübenzuckerfabrikation und der beschleunigten Durchführung der Separation wurde bereits hingewiesen. Auch für den Landarbeiter, sofern er wirtschaftlich hierzu in der Lage war, bestand damit jetzt eine ungleich bessere Möglichkeit, etwas Kartoffel- bzw. Flachsland pachtweise oder eigentümlich zu erwerben. Vor allem der ökonomisch stärkste Teil des Agrarproletariats, die Landarbeiter mit Hausbesitz und Bodenanteilen (ehemalige Kleinkossaten und gartenbesitzende Häusler) dürften davon Gebrauch gemacht haben. So gab es im Jahre 1845, wie schon erwähnt wurde, z. B. in Belsdorf „Häusler" mit einem Bodenanteil bis zu 6 Morgen, in Alvensleben bis zu 8 Morgen und in Erxleben sogar teilweise bis zu 13 Morgen; in allen drei Ortschaften war zu jenem Zeitpunkt die Separation bereits zum Abschluß gekommen. Der Zuerwerb von Land bedeutete natürlich zwangsläufig einen Mehraufwand an Arbeit. Verschiedentlich hatte dieses verstärkte Hinwenden zum eigenen Acker einen merkbaren Verzicht auf Lohnarbeit zur Folge. Diese Reduzierung konnte teilweise sogar ein solches Ausmaß erreichen, daß der dadurch bewirkte ArbeitskräfteAusfall den Unternehmer dazu nötigte, den Anbau besonders arbeitsintensiver Kulturen einzuschränken oder überhaupt aufzugeben. Von einem solchen Fall berichtete um 1846 Lengerke aus dem Norden des Untersuchungsgebietes: „Nach der beendigten Separation in Alvensleben und Nordgermersleben mußte der Mohnbau eingeschränkt werden, weil die Handarbeiter fehlten. Die Hausbesitzer erhielten Beschäftigung durch ihre Abfindungen, und wendeten den größten Fleiß an ihre eigenen Aecker. Zum Gelingen des Mohns ist es aber unbedingt erforderlich, das dreimalige Hacken mit der Hand zu rechter Zeit ausführen zu können, und dieses wurde . . . von jener Zeit ab, unmöglich gemacht zu beschaffen. Eben so konnte auch der Mohn nicht mehr zu rechter Zeit geerndtet werden, wodurch sich der Ertrag pro Morgen bedeutend geringer stellte."7 Solche Erfahrungen waren es hauptsächlich, die die Unternehmer veranlaßten, auch das als Teil des Lohnes ihren Landarbeitern gewährte Pachtland möglichst auf ein Minimum zu beschränken. Die Größe jenes Ackerstückes bestimmte sich dabei maßgeblich aus der Funktion, die ihm von Seiten der Verpächter beigemessen wurde, nämlich beizutragen zum Erhalt der von ihnen benötigten Arbeitskräfte. Es sollte gerade so groß sein, daß es die Pächter an den Betrieb festband, jedoch ohne dabei für den Unternehmer einen Arbeitskräfte-Verlust zur Folge zu haben. Derartige Überlegungen spielten besonders von jenem Zeitpunkt an eine hervorragende Rolle, als im großen Stil mit dem arbeitsintensiven Anbau der Zuckerrübe begonnen worden war. Als im Jahre 1848, unter dem Eindruck des Aufbegehrens und der revolutionären Aktivität des werktätigen Volkes, die im „Landwirtschaftlichen Zentralverein der Provinz Sachsen" organisierten Großgrundbesitzer und Großbauern auf ihrer 2. außerordentlichen General-Versammlung im Zusammenhang mit der Erörterung von Abwehrmaßnahmen auch darüber berieten, ob „der Andrang der so genannten kleinen Leute (Besitzloser) nach Ackerbesitz zu begünstigen" sei, stimmten dem einige Redner — schon im eigenen Interesse — zwar zu, wiesen dabei jedoch ausdrücklich darauf hin, daß es für diese Leute „viel vortheilhafter" sei, „wenn sie nur eine Wanderkavel von V4 bis V2 Morgen Größe erhalten, weil eine solche vollkommen genügt, die Mußestunden (sie!) mit Arbeit auszufüllen, als wenn solche Arbeiter eine größere Ackerfläche erpachten, und über dessen Bearbeitung ihren hohen Tagelohn 7 Lengerke, 1846: 135.
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verabsäumen müssen." 8 Auch später, unter dem Druck eines spürbaren Arbeitskräftemangels, gewährte man seinen Landarbeitern, wie noch zu zeigen sein wird, in der Regel nicht mehr als eine Kartoffelkabel in der Größe von 1 / 2 , höchstens von 1 Morgen.
Die Veränderungen im Bereich der Arbeitstätigkeit unter dem Einfluß des Zuckerrübenanbaus und der beginnenden Mechanisierung in der Landwirtschaft Außer einem vermehrten Arbeitskräftebedarf, neben Veränderungen im landwirtschaftlichen Betriebssystem, in der Organisation, in der Technologie usw., hatte die Einführung des Zuckerrübenanbaus auch Auswirkungen auf die Arbeitstätigkeit der unmittelbaren Produzenten. Aussaat, Pflege und Ernte der Zuckerrübe erforderte von den Arbeitskräften Handfertigkeiten, die von den Verrichtungen, die sie etwa beim Getreidebau auszuführen hatten, wesentlich verschieden waren. Dies traf besonders für die Anfangsphase des Anbaues dieser neuen Kultur zu, die etwa bis in die fünfziger Jahre des 19. Jh. hinein währte, in der in technischer Hinsicht noch die reine Handarbeit dominierte. Nach einer Darstellung aus dem Jahre 1850 des Landesökonomierates Weyhe, Pächter der Domäne Wegeleben, „eines Vétérans des sächsischen Rübenbaus", 9 waren von der Vorbereitung des Ackers für die Saat bis zur Einmietung des Erntegutes insgesamt folgende Arbeitsgänge zu vollziehen.10 Nachdem die Vorfrüchte vom Feld abgetragen waren, wurde gewöhnlich noch vor Eintritt des Winters, teilweise aber auch erst im Frühjahr, zunächst der betreffende Acker flach umgepflügt, etwa bis zu einer Tiefe von 3 Zoll, anschließend geeggt und, sofern trockene Witterung vorherrschte, mit einer schweren Walze überzogen, „um das Keimen der Unkräuter zu befördern." Dies geschah in Gespannarbeit. Sobald sich auf dem Feld das erste Grün zeigte, wurde es nochmals umgebrochen, jetzt aber in einer Tiefe von 12 Zoll. Bis zur Entwicklung geeigneter Tiefpflüge, insbesondere des sogenannten „Wanzleber Pfluges", der dann von vier Zugkräften, Pferden, später aber vor allem Zugochsen, gezogen wurde, erfolgte diese Bearbeitung durch Umgraben von Hand. Hierzu fand ein Grabscheit oder Spaten aus Holz Verwendung, der 7—9 Zoll in der Breite und 15 Fuss in der Länge maß und vorn gut verstählt war. Wurde im Herbst gegraben, so blieb der Acker danach „den Winter über in rauher Furche liegen". Im Frühjahr, wenn „der Boden so weit abgetrocknet ist, um sich zu krümeln", wurde der tief umgebrochene Acker klar geeggt, abgeharkt und anschließend gewalzt. Um dabei das Feld nicht von Zugtieren wieder festtreten zu lassen, geschahen alle drei Arbeitsvorgänge per Hand. Dazu wurden leichte, von zwei Arbeitskräften rasch fortzubewegende 8 In : ZLCV, 1848: V, 527. 9 Einige Nachrichten, 1850: 80. 10 Nach Weyhe, 1850: 8 1 - 8 5 , sowie nach Weyhe, 1851: 161 — 167.
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verabsäumen müssen." 8 Auch später, unter dem Druck eines spürbaren Arbeitskräftemangels, gewährte man seinen Landarbeitern, wie noch zu zeigen sein wird, in der Regel nicht mehr als eine Kartoffelkabel in der Größe von 1 / 2 , höchstens von 1 Morgen.
Die Veränderungen im Bereich der Arbeitstätigkeit unter dem Einfluß des Zuckerrübenanbaus und der beginnenden Mechanisierung in der Landwirtschaft Außer einem vermehrten Arbeitskräftebedarf, neben Veränderungen im landwirtschaftlichen Betriebssystem, in der Organisation, in der Technologie usw., hatte die Einführung des Zuckerrübenanbaus auch Auswirkungen auf die Arbeitstätigkeit der unmittelbaren Produzenten. Aussaat, Pflege und Ernte der Zuckerrübe erforderte von den Arbeitskräften Handfertigkeiten, die von den Verrichtungen, die sie etwa beim Getreidebau auszuführen hatten, wesentlich verschieden waren. Dies traf besonders für die Anfangsphase des Anbaues dieser neuen Kultur zu, die etwa bis in die fünfziger Jahre des 19. Jh. hinein währte, in der in technischer Hinsicht noch die reine Handarbeit dominierte. Nach einer Darstellung aus dem Jahre 1850 des Landesökonomierates Weyhe, Pächter der Domäne Wegeleben, „eines Vétérans des sächsischen Rübenbaus", 9 waren von der Vorbereitung des Ackers für die Saat bis zur Einmietung des Erntegutes insgesamt folgende Arbeitsgänge zu vollziehen.10 Nachdem die Vorfrüchte vom Feld abgetragen waren, wurde gewöhnlich noch vor Eintritt des Winters, teilweise aber auch erst im Frühjahr, zunächst der betreffende Acker flach umgepflügt, etwa bis zu einer Tiefe von 3 Zoll, anschließend geeggt und, sofern trockene Witterung vorherrschte, mit einer schweren Walze überzogen, „um das Keimen der Unkräuter zu befördern." Dies geschah in Gespannarbeit. Sobald sich auf dem Feld das erste Grün zeigte, wurde es nochmals umgebrochen, jetzt aber in einer Tiefe von 12 Zoll. Bis zur Entwicklung geeigneter Tiefpflüge, insbesondere des sogenannten „Wanzleber Pfluges", der dann von vier Zugkräften, Pferden, später aber vor allem Zugochsen, gezogen wurde, erfolgte diese Bearbeitung durch Umgraben von Hand. Hierzu fand ein Grabscheit oder Spaten aus Holz Verwendung, der 7—9 Zoll in der Breite und 15 Fuss in der Länge maß und vorn gut verstählt war. Wurde im Herbst gegraben, so blieb der Acker danach „den Winter über in rauher Furche liegen". Im Frühjahr, wenn „der Boden so weit abgetrocknet ist, um sich zu krümeln", wurde der tief umgebrochene Acker klar geeggt, abgeharkt und anschließend gewalzt. Um dabei das Feld nicht von Zugtieren wieder festtreten zu lassen, geschahen alle drei Arbeitsvorgänge per Hand. Dazu wurden leichte, von zwei Arbeitskräften rasch fortzubewegende 8 In : ZLCV, 1848: V, 527. 9 Einige Nachrichten, 1850: 80. 10 Nach Weyhe, 1850: 8 1 - 8 5 , sowie nach Weyhe, 1851: 161 — 167.
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Handeggen und Handwalzen sowie eiserne Rechen oder Harken, die „mit eisernen Zacken versehen" waren, verwendet. Sollte allerdings „der Boden durch die Winterwitterung in der Oberfläche zu hart geworden sein", so wurde noch vor dem Eggen, Harken und Walzen das Feld gewöhnlich in Handarbeit aufgehackt, wozu breite Kartoffelhacken benutzt wurden. Nachdem der Acker aufgelockert, freigeharkt und glattgewalzt worden war, begann die Aussaat. Dazu wurde das Feld zunächst mittels eines von Hand gezogenen Reihen- oder Rechenziehers (Marqueur) in Quadrate zwischen 12 und 18 Zoll aufgeteilt, deren Kreuzungspunkte die Einlegestellen für den Samen markierten. Bei größeren Feldbreiten war oft das Anschlagen einer Schnur nötig, da die Parallelität der Linien „nach einiger Zeit regelmäßig verloren" ging. Die Aussaat selbst geschah in der Weise, daß auf den markierten Fixpunkten Löcher von l l / 2 bis 2 Zoll Tiefe gegraben, die Samenkerne dort hineingelegt und dann mit Erde überdeckt wurden. Dies erfolgte ebenfalls von Hand, jedoch unter Zuhilfenahme kleiner Kellen, ähnlich den Mauerkellen, oder, was gebräuchlicher war, von kleinen, kurzstieligen Hacken oder sogar mit Hilfe von Blechlöffeln. Sobald das Unkraut aufzukeimen begann, was häufig früher als bei den Rübenpflanzen eintrat, mußte mit dem Hacken begonnen werden. Dieser Arbeitsverrichtung wurde überhaupt eine große Aufmerksamkeit zugedacht. Es galt dabei als Regel: „So lange die Rübe sich in dem Acker befindet, wird wiederholtes Hacken ihre Qualität und Quantität verbessern. Man soll hacken, auch wenn kein Unkraut vorhanden ist, lediglich um den Boden aufzuschließen, um ihn fähig zu machen, Feuchtigkeit aus der Luft einzusaugen und die Verwitterung zu begünstigen. Zuckerrüben sollten mindestens 4 Mal behackt werden, aber ein Mehreres kann nur von Vortheil sein." Zu den Qualitätsmerkmalen des Lößbodens gehört, daß er bei länger anhaltender Trockenheit rasch verhärtet und verkrustet. Daher war es wichtig, daß die Hacken nicht nur gut verstählt, sondern vor allem auch immer scharf angeschliffen waren. Um das letztere zu gewährleisten, folgten den Hackern deshalb gewöhnlich zwei Arbeiter mit einem Karren, auf dem ein drehbarer Schleifstein aufgesetzt war. Bei 40—50 Hackern waren diese Schleifer durchaus voll ausgelastet. Sobald die Pflanzen so weit aus dem Boden herausgewachsen waren, daß sie bequem mit der Hand erfaßt werden konnten, erfolgte das sogenannte Verziehen: die stärkste Pflanze, die zu diesem Zweck mit der linken Hand festgehalten wurde, blieb stehen, alle anderen wurden entfernt. Bei besonderer Härte und Festigkeit des Bodens praktizierte man oft auch nur ein Abschneiden der überflüssigen Pflanzen, „da durch diese Operation die stehen bleibende Pflanze nicht so erschüttert, die Wurzel nicht so aus ihrer Verbindung gerissen" ward. Die Ernte, das Herausholen der Rüben aus dem Acker, geschah durch ein Ausheben der Wurzeln mit dem Spaten oder einem sogenannten Gribbel, ein dem Spaten ähnliches Handgerät, das nur schmaler und viel stärker als dieser und, zur Erleichterung des kräftigen und tiefen Eintretens, mit einem linksseitig am oberen Blattrand angebrachten starken Trittsteg versehen war. Nach erfolgtem Ausheben wurden die Rüben zunächst durch Anschlagen von der ihnen noch anhaftenden Erde befreit und dann, durch einfaches Abschneiden, von den Blättern getrennt. Hierauf wurden die Wurzeln in Körbe gepackt und anschließend zu einem Sammelplatz getragen, „woselbst sie in länglichen Haufen von 6' Breite und 3' Höhe dachförmig, den Kopf nach außen, reihenweise aufgeschichtet" wurden. Je nach Ernteertrag legte man auf den Morgen einen bis zwei derartiger Haufen an, und zwar möglichst in Nord-Süd-Richtung, „damit die Sonnenstrahlen die beiden langen Seiten treffen" 151
konnten „und nicht die Nordseite unverhältnißmäßig dem Froste ausgesetzt" war. Auch wurden die Haufen sofort mit Erde bedeckt, um ein Welken, das eine Qualitätsminderung zur Folge gehabt hätte, zu verhindern. Für jene Rüben, die noch vor Eintritt des Winters zur Verarbeitung gelangten, wurde eine 18 Zoll starke Erdschicht für ausreichend erachtet. Zur Winterfestigkeit bedurfte die Rübenmiete einer 3 Fuß starken Erdmasse. Die Rübenblätter, die als Viehfutter Verwendung fanden, wurden zusammengeharkt, verladen und, soweit sie nicht sofort verfüttert werden konnten, ebenfalls eingemietet. Die Verrichtungen und Handfertigkeiten, die den Landarbeitern beim Rübenbau abverlangt wurden, waren für sie freilich nicht allesamt neu und unbekannt. Vor allem zwei der aufwendigsten Tätigkeiten waren vielen von ihnen bereits geläufig, nämlich das Behacken und das tiefe Graben. Das Behacken war vor allem beim Kartoffelbau erforderlich, dort allerdings nur ein- bis zweimal während der Vegetation. Und tiefes Graben, sogar bis zu 16 Zoll, 11 war eine notwendige Vorbedingung für den Anbau der Zichorie, der im Untersuchungsgebiet vornehmlich in der Gegend westlich vor Magdeburg, in einem breiten, sich von Barleben im Norden bis Biere im Süden hinziehenden Landstrich betrieben wurde, was möglicherweise in der Überlegung mit eine Rolle gespielt haben dürfte, die ersten Zuckerfabriken gerade hier, in den Vorstädten Magdeburgs, anzulegen. 12 Viele Landarbeiter, besonders in dieser Region, waren mit dieser schweren Handarbeit also schon recht vertraut. Neu waren hingegen die Dimensionen, in welchen diese Verrichtungen nunmehr auszuführen waren. In Kolonnen, vergleichbar mit denen der Schnitter, bewegten sich jetzt massenweise Landarbeiter grabend über die Rübenfelder. Hierbei dürfte sich dann auch ein gewisser Leistungsdurchschnitt herausgebildet haben, der sich zwar kaum am ungeschicktesten Arbeiter orientiert, wohl aber auch keine übereifrigen, vorschnellenden Graber geduldet haben wird, zumal gerade auf eine gleichmäßig tiefe und sorgfaltig ausgeführte Bodenbearbeitung Wert gelegt wurde. So sah z. B. ein Reisender, der Ende März 1847 in „der fruchtbaren Magdeburger Niederung . . . die großartige Spatenkultur bei dem Anbau der Zuckerrübe" beobachtete, denn auch „lange Reihen" von Arbeitern, 100—150 an der Zahl, die „mit dem Umgraben des Feldes beschäftigt" waren. 13 Ob sich dabei auch zeitweilig gewisse „Grabe-Partnerschaften" zusammengefunden haben, war nicht zu ermitteln. Für eine straffe Arbeitsdisziplin, die wahrscheinlich auch größere Gespräche verhinderte, wenn die schwere, ermüdende Arbeit nicht schon ohnehin einem längeren mündlichen Gedankenaustausch entgegenstand, sorgten spezielle Aufseher. In den meisten publizierten Kostenberechnungen bildet deren Lohnsatz eine stets gesondert ausgewiesene, feste Position. 14 Zum Teil wurden die
11 Nach Angabe des „Oekonomen" Meißner aus Biere vor der 3. General-Versammlung des „Landwirtschaftlichen Zentralvereins der Provinz Sachsen" am 3. Juli 1845. In: ZLCV, 1845: I, 454. 12 Heine, 1849 b: 392: „Je vortheilhafter dies Unternehmen war, desto schneller breitete sich in der unmittelbaren Nähe von Magdeburg der Anbau der Cichorienwurzel auf freiem Felde a u s ; . . . Vielleicht war keine Localität in Deutschland hierzu", d. h. zum Anbau der Zuckerrübe, „geeigneter, als die unmittelbare Nähe von Magdeburg, wo der Boden seiner natürlichen Beschaffenheit nach zur Hervorbringung der Zuckerrübe vollkommen geeignet ist, wo er durch eine vieljährige tiefe und kräftige Kultur zur Production vieler und guter Zuckerrüben in den Stand gesetzt war . . .". 13 Bericht, 1849: 3 3 3 - 3 3 4 . 14 Vgl. zum Beispiel bei Weyhe, 1850: 85, sowie bei Weyhe, 1851: 167.
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Arbeitsverrichtungen aber auch vom Unternehmer persönlich kontrolliert. So brüstete sich z. B. ein Grundbesitzer aus Calbe vor der 3. General-Versammlung des „Landwirtschaftlichen Zentralvereins der Provinz Sachsen" im Jahre 1845 mit der Erklärung: „Ich zahle 4 Rthlr. für das Graben eines Magd-Morg. Dann wird aber auch 12 Zoll tief gegraben; geschieht es irgendwo flacher, was ich durch das Einstecken eines Stockes in das gegrabene Land ermittle, so nehme ich die Arbeiter in eine Strafe von 5 Sgr. Nach solchem Graben ist die nächste Getreideärnte stets sehr gut." 15 Der Hinweis auf die Bestrafung läßt übrigens vermuten, daß dieser Unternehmer seine Graber unter einen ähnlichen und womöglich schriftlich fixierten Kontrakt genommen hatte, der auch spezielle Strafbestimmungen enthielt, wie sie gewöhnlich mit den Dreschern abgeschlossen wurden (vgl. Seite 134—135). Strafandrohung, ständige Aufsicht und natürlich vor allem die Praxis bewirkten, daß die wiederholt beim Rübenbau eingesetzten Landarbeiter sich in den abgeforderten Fertigkeiten immer mehr vervollkommneten. Lengerke, der das Untersuchungsgebiet 1844 durchreiste, konnte damals schon berichten, daß „die Virituosität der Handarbeiter in den Manipulationen des Hackfruchtbaues gewachsen" sei.16 Eine hohe Virtuosität sich anzueignen, wurde für diese Landarbeiter auch sehr bald zu, einem existentiellen Erfordernis, dann nämlich, als die Unternehmer dazu übergingen, die Lohnhöhe von der Arbeitsleistung unmittelbar abhängig zu machen, das heißt mit der Einführung des Stück- bzw. Akkordlohnsystems (vgl. Seite 193—199). Es ist leider nicht überliefert, in welchem Maße die schwere Tätigkeit des Grabens, aber auch die anderen beim Rübenbau auszuführenden Verrichtungen, zumal unter den Bedingungen der Akkordarbeit, sich auf die körperliche Verfassung der Landarbeiter ausgewirkt haben. Es wäre sicherlich nützlich, wenn zumindest im Experiment nachvollzogene arbeitsphysiologische Leistungsdiagramme darüber vorlägen, die auch Aussagen über Kalorienverbrauch, über besondere Muskelbeanspruchung u. dergl. m. enthielten. Denn gewisse Arbeitsvorgänge verlangen beim manuell betriebefien Rübenbau, aber auch beim Kartoffelbau, im Vergleich etwa zu den Tätigkeiten auf dem Futtergewächs- oder Getreidefeld z. B. auch eine andere Arbeitshaltung. So erfordert beispielsweise das Säen, das Verziehen und das Abtrennen der Rübenblätter von den Wurzeln eine ständig tief vornübergebeugte, hockende oder knieende Arbeitsstellung (anstrengende statische Muskelanspannung). Die Ergebnisse derartiger Messungen könnten dann etwa mit der Ernährungsweise dieser Arbeiter in Beziehung gesetzt werden, wodurch wichtige und sicherlich auch klarere Aufschlüsse z. B. über das Verhältnis von Reproduktionserfordernis und Reproduktionswirklichkeit im Falle jener Arbeitskräfte erlangt werden könnten. Die mit der Einführung des Rübenbaus einhergehenden Veränderungen in der Arbeitstätigkeit hatten noch ein anderes Resultat zur Folge. Es bestand darin, daß nun — wie schon beim Kartoffelbau — die Möglichkeit gegeben war, in großem Umfang Frauen- und Kinderarbeit einzusetzen. Überhaupt dürfte im Bereich der landwirtschaftlichen Produktion- kaum ein anderer Zweig zunächst eine derart breite Basis dafür geboten haben, wie gerade der auf kommerziellen Gewinn (Brennereien, Zuckerfabriken) abzielende Hackfruchtbau. Das Wort von Marx, gesprochen im Hin15 Zitiert nach ZLCV, 1845: I, 453. Gemeint ist der Posthalter Schulze. Vgl. dazu auch STAM, Rep. C 20 I a, Nr. 689:92. 16 Lengerke, 1846: 188.
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blick auf die Wirkungen der Maschinerie, daß überall dort, wo die Voraussetzung bestand, „Arbeiter ohne Muskelkraft oder von unreifer Körperentwicklung aber größerer Geschmeidigkeit der Glieder anzuwenden", das Kapital dazu überging, „Weiber- und Kinderarbeit" auszubeuten, gilt auch hier. 17 Beim Rübenbau wurden Frauen vor allem bei der Aussaat (Einlegen der Samenkerne), beim Behacken, beim Verziehen und bei der Ernte der Rüben (Ausheben der Wurzeln mit dem Spaten oder dem Gribbel und Abschneiden der Blätter), einer „überaus angreifenden" Tätigkeit, 18 eingesetzt. Kinder fanden vornehmlich beim Behacken, beim Verziehen und beim Blattabtrennen Beschäftigung.19 In diesem Zusammenhang verweist Marx noch auf eine interessante formalrechtliche Konsequenz, nämlich auf die „Revolutionierung" des Kontraktes, der „Vermittlung des Kapitalverhältnisses", die mit dem Einsatz von Frauen- und Kinderarbeit verbunden war: „Auf Grundlage des Warenaustausches war es erste Voraussetzung, daß sich Kapitalist und Arbeiter als freie Personen, als unabhängige Warenbesitzer, der eine Besitzer von Geld und Produktionsmitteln, der andre Besitzer von Arbeitskraft, gegenübertraten. Aber jetzt kauft das Kapital Unmündige und Halbmündige. Der Arbeiter verkaufte früher seine eigne Arbeitskraft, worüber er als formell freie Person verfügte. Er verkauft jetzt Weib und Kind. "20 Mit Beginn der Mechanisierung ging im Hackfruchtbau — vornehmlich im Rübenbau — der Anteil der Frauen- und Kinderarbeit in einem gewissen Umfang zurück. An ihre Stelle traten, als Bedienungspersonal der Maschinen und in vergleichsweise geringerer Zahl, männliche Arbeitskräfte. So bei den Säe- und teilweise auch bei den Hackarbeiten. Rüben wurden nicht — wie etwa bis zur Einführung spezieller Säemaschinen das Getreide — in breitwürfiger Saat, sondern, von Anfang an, auch bei Handarbeit, in Reihensaat angebaut. Die Drill- und später für kurze Zeit die Dippelkultur fanden deshalb hiSr sehr rasch Eingang. Ihre Vorzüge lagen vor allem in einer merklichen Saatgut-Ersparnis, in der Erleichterung aller Arbeiten, die während der Vegetationsperiode zum Gedeihen der Pflanzen vorgenommen werden müssen, und in einem höheren Ernteertrag. Jedoch war andererseits eine sorgsamere Vorbereitung des Ackers erforderlich. Im Untersuchungsgebiet waren insbesondere die Drillkulturmaschine für den Handgebrauch von Rudolf Sack (1824—1900) in Löben bei Lützen und der gespannbetriebene Drill von Richard Garrett & sons in Leiston Works bei Saxmundham in Suffolk/England sehr verbreitet. Beide Maschinen gelangten hier etwa seit der Mitte der fünfziger Jahre des 19. Jh. zum Einsatz. „Von den Sack'schen Instrumenten für den Zuckerrübenbau ist . . . zu bemerken," hieß es schon 1857, „daß sie sich namentlich in der Nähe von Magdeburg mehr und mehr verbreiten, ja in einigen größeren dortigen Wirthschaften fast ausschließlich in Gebrauch sind." 21 Über die Verwendbarkeit und die Vorzüge der Sack'schen Drillmaschine hatten sich zwei Jahre zuvor, im Mai 1855, auch bereits Vertreter des Rübenzucker-Industrie-Vereins des 17 18 19 20 21
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Marx, 1962 (1867): XXIII, 413. (Borchard), 1884: 447, sowie Borchard, 1890: 216, und Borchard, 1891: 20. Weyhe, 1850: 8 1 - 8 5 ; Weyhe, 1851: 161-167. Marx, 1962(1867): XXIII, 415. Landwirtschaftliche Maschinen, 1857: 248.
Zollverbandes, namentlich der Verwalter der Kgl. Domäne Groß Ammensieben, lobend ausgesprochen.22 Von den Vorzügen des Garrett'schen Drills berichtete 1859 Hermann von Nathusius (1809—1879) auf Hundisburg: „Ich habe . . . jetzt seit fünf Jahren in meiner Wirthschaft, welche 2500 Morgen unter dem Pfluge hat, die Drillkultur in der Art durchgeführt, daß dieselbe bei allen Früchten Regel ist und breitwürfige Saat nur ausnahmsweise vorkommt . . . Ich hatte aber auch noch außerhalb meines eigenen Geschäftskreises Gelegenheit zum Beobachten, indem nicht nur in der benachbarten Wirthschaft meines Bruders seit längerer Zeit viel gedrillt wurde, sondern auch durch uns in dieser Zeit 27 Drills von England für Nachbaren bezogen wurden . . .; alle von mir bezogenen Drills sind von Rieh. Garrett und Söhnen in Leiston Works . . .". 23 Die handbetriebene Drillkulturmaschine von Sack stellte im Grunde eine kombinierte Drill-Hack-Maschine dar. Sie bestand 1. aus einer Handsäemaschine für Rübenkerne, 2. aus einer Behack-Vorrichtung, „um die auf bündigen Boden nach heftigen Regengüssen entstehende Kruste um die Pflanzenreihen vor und nach dem Auflaufen des Samens zu lockern, ohne die Keime zu beschädigen", 3. aus einem Behack-Instrument „zur Vertilgung des Unkrautes und zur Lockerung des Ackers in den ReihenZwischenräumen" und schließlich 4. aus einem Behäufel-Instrument: „es dient beim Zuckerrübenbau zur Vermeidung der sogenannten Grünköpfe und wird statt des dritten und vierten Mal Behackens angewandt."24 Um diese verschiedenen Tätigkeiten ausführen zu können, war allerdings ein jedesmaliges Umrüsten erforderlich: „Es mag kommen, daß der Uneingeweihte für den ersten oberflächlichen Anblick einer solchen Drillkultur-Maschine mit all ihren verschiedenen Vorrichtungen, vermöge deren man im Stande ist, jede bei der Reihensaat und resp. Rübenbau vorkommende Kulturarbeit gartenmäßig auszuführen, als zu complicirt verurtheilt; — ich gebe mich aber mit vollem Vertrauen der Ueberzeugung hin, daß der vorurtheilsfreie Sachverständige nach vorhergegangener gründlicher Prüfung mir seinen Beifall nicht versagen wird. Erwägt man, was und wie die Maschine alles leistet, so ist sie sogar sehr einfach. Ihr Gesamtgewicht beträgt c. 70 Pfund, und sie ist außer den Handhaben ganz von Eisen."25 Was wurde hierfür an Bedienungspersonal benötigt? Für die je nach Mannesgröße verstellbare Rübenkernlegemaschine war nur eine Arbeitskraft erforderlich; für die Behack-Vorrichtung sowie für das Behack-Instrument waren, „indem der eine schiebt und der andere zieht", jeweils zwei Arbeiter nötig und für das Behäufel-Instrument wurde zumindest bei mildem Acker wiederum nur eine Arbeitskraft gebraucht.26 Die Handhabung der Maschine durch den Arbeiter wurde vom Erfinder selbst als einfach bezeichnet.27 Er empfahl sogar, „wenn die Arbeiter damit vertraut" sein würden, alle diese Tätigkeiten „accordweise verrichten zu lassen."28 Dieser Empfehlung vermochten andere Praktiker freilich nicht zu folgen. 22 23 24 25 26 27
Vgl. ZLCV, 1855: XII, 282-283. Nathusius, 1859: 197-198 und 234. Sack, 1855: 279. Sack, 1855: 280. Sack, 1855: 279. Sack, 1855: 279: die „Handsäemaschine für Rübenkerne wird von einem Arbeiter mit Leichtigkeit gehandhabt . . . Diese Behack-Vorrichtung ist höchst einfach . . .". 28 Sack, 1855:281.
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So bemerkte beispielsweise der Verwalter der „ B ö r d e " - D o m ä n e Groß Ammensieben: „Man darf aber nicht zu rasch damit arbeiten; bei 5 Morgen (1 Mann mit 1 Maschine) gehen die Leute zu schnell, bei 3—4 Morgen wird der Stand sehr egal." 29 Die schlichte Handhabung wurde dagegen auch von anderer Seite bestätigt, so etwa von Ferdinand Knauer (1824—1889): „Bei uns werden viele Rüben mit dieser Maschine gepflanzt. Sie ist sehr einfach zu handhaben, was immer eine Hauptsache ist, wenn man sie Arbeitern in die Hände geben muß." 3 0 Auf die unmittelbare Arbeitstätigkeit des Arbeiters wirkte sich der Gebrauch dieser Maschine vornehmlich in zweierlei Hinsicht aus: Es war nun keine tiefvornübergebeugte, hockende oder knieende Arbeitshaltung mehr nötig wie beim Sameneinlegen von Hand; der Arbeiter konnte das Gerät aufrecht vor sich herschiebend bzw. — beim Behacken dessen Partner — aufrecht hinter sich herziehend bedienen, und er wurde jetzt zu einer Aufmerksamkeit angehalten, die jene, die beim immer wiederkehrenden Lochen des Bodens, Einlegen der Samenkerne und deren Behäufelung oder beim Behacken von Hand erforderlich war, übertraf. In ähnlicher Weise wirkte sich auch die Anwendung der Garrett'schen Drillmaschine auf die Arbeitstätigkeit des Arbeiters aus. Hier kam hinzu, daß durch den Gespannbetrieb noch weniger menschliche Muskelkraft beansprucht wurde als beim Sack'schen Handdrill. Allerdings bedurfte dieses Gerät ungleich mehr Bedienungspersonal. Neben dem Geräteführer, einem erwachsenen Arbeiter, wurde zur Lenkung der Zugtiere, gewöhnlicher zweier Pferde, eine zweite, meist jugendliche Arbeitskraft gebraucht; „sind die Pferde nicht ruhig und gut gewöhnt, dann ist noch ein Knabe mehr nöthig." 31 Hatte der Acker „eine frische Düngung mit nicht zersetztem Stroh" erhalten, was sich durchaus als „Hinderniß einer guten Arbeit" herausstellen konnte, war „unter Umständen ein Mann mehr erforderlich . . ., üm die Drillschaar rein zu halten." 32 Auch diese Tätigkeit konnte von einem Knaben verrichtet werden. Im Hinblick auf die Handhabung jener Maschinen bemerkte der schon zitierte H. v. Nathusius: „Sie sind sehr leicht zu behandeln, so daß es keine Schwierigkeit hat gewöhnliche Arbeiter dazu anzulernen, wenn der Dirigent der Wirthschaft erst selbst orientirt ist. Allerdings gehört mehr als durch Branntwein angefeuerte rohe Muskelkraft zu solcher Arbeit; aber der nüchterne, willige Arbeiter hat keine Schwierigkeiten dabei; und nach meiner Erfahrung ist die Rückwirkung des Umgangs mit einem Geräthe, welches weniger rohe Kraft als ruhige Aufmerksamkeit erfordert auf den geistigen Zustand der Arbeiter ein sehr günstiger." 33 Dem erhöhten Arbeitskräfte- und dem Gespannbedarf entsprach im Vergleich zum Sack'schen Drillgerät natürlich auch eine größere Arbeitsleistung. Drei bis vier Morgen gedrillte Fläche pro Tag mit dem Handdrill standen bis zu 25 Morgen gedrillte Fläche mit der Drillmaschine von Garrett gegenüber.34 Während mit dem Handdrill von Rudolf Sack nach Umrüstung des Gerätes aber auch Behack- und Behäufelarbeiten durchgeführt werden konnten, und zwar mit einer täglichen Leistung von 2 l / 2 — 4 Morgen, 35 29 30 31 32 33 34 35
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In: ZLCV, 1857: XIV, 25. In: ZLCV, 1857: XIV, 25. Nathusius, 1859: 235. Nathusius, 1859: 235. Nathusius, 1859: 234. Nathusius, 1859: 235. Landwirthschaftliche Maschinen, 1858: 43.
war dies mit der Garrett'schen Maschine nicht möglich. Hierzu bedurfte es zusätzlicher Geräte. Im Untersuchungsgebiet kamen dafür etwa seit Beginn der sechziger Jahre des 19. Jh. die verbesserten Smith'schen Pferdehacken von Rehmer in Schortewitz bei Radegast im Anhaltischen und von Gustav Bölte in Oschersleben zur Anwendung. Um 1864 waren beide Instrumente „bekanntlich schon in vielen größeren Zuckerfabrikwirthschaften in Gebrauch". 36 Aber auch für manchen Kleinbetrieb lohnte sich ihre Anschaffung noch. Das gilt besonders für die zum Preise von 25 Thlr. erwerbbare Pferdehacke von Rehmer. 37 Auch benötigte man zu ihrem Einsatz bei einer Tagesleistung zwischen 10 und 12 Morgen „zur Anspannung nur ein Pferd oder einen Ochsen, 1 Person zur Bedienung derselben und 1 Person zur Leitung der Arbeit der Hacke", während die Anwendung des Bölte'schen Geräts, namentlich „bei schwerem Boden", zunächst noch zwei Zugtiere erforderte, „und da diese neben einander gespannt werden können, auch noch 1 Mann als Führer des vorderen Zugthieres" dazu. 38 Erst als Bölte wenig später eine Reihe weiterer Verbesserungen vornahm, wodurch auch für seine Konstruktion nur noch „ein Zugthier, 1 Mann und 1 Junge" nötig waren, fand er endgültig die erhoffte Anerkennung. Im Jahre 1867 hatte er sein Gerät „bereits in mehr als 450 Exemplaren geliefert . . . Ein Verzeichniß von 112 Namen von Abnehmern desselben zählt unter diesen eine Reihe von hervorragenden Wirthschaften des Centralvereinsbezirks. Ein Schreiben des Herrn Amtsrathes Kühne zu Wanzleben an Bölte vom 28. Febr. d. J. bemerkt Folgendes: ,Ueber die von Ihnen gelieferten Pferdehacken habe ich stets meine Zufriedenheit ausgesprochen und durch meine fortwährende Entnahme derselben diese meine Ansicht durch die That bewiesen. Nachdem Sie nun die Messer dergestalt verändert haben, daß man damit die Rüben auch bald nach ihrem Aufgange hacken kann, weil die Messer nicht mehr anhäufeln, glaube ich nicht, daß etwas Besseres in dieser Art zu finden ist!" 39 Über die Handhabung des Geräts versicherte Bölte selbst: „es hat einen ruhigen Gang, läßt sich an den Feldenden leicht und kurz wenden, ohne die Pflanzenreihen zu beschädigen und kann ein Jeder ohne vorhergegangene Uebung damit arbeiten." Es sei von einfacher Konstruktion, bestehe in allen seinen Eisenteilen aus Schmiedeeisen und habe ein verhältnismäßig leichtes Gewicht. 40 Trotz ihrer Leistung und ihrer Wirksamkeit vermochten die Pferdehacken die manuelle Tätigkeit nicht völlig zu ersetzen: „Die Leistung einer Hackmaschine übertrifft diejenige einer Arbeiterin der Größe nach ganz bedeutend, kann sie aber in ihrer Wirkung nicht ganz erreichen, denn der Maschine fehlt die Feinheit in der Anpassung ihrer Bewegungen an die rasch wechselnden Bilder des Pflanzenstandes. Die Hand kann die Hacke nahe an die Pflanzen bringen und bei einzeln stehenden Pflanzen auch rings um die Büsche hacken, ohne daß Verletzungen zu befürchten sind. Die Maschine aber muß mit ihren Werkzeugen etwas weiter von den Pflanzen entfernt bleiben und kann nur zwischen den Pflanzenreihen, nicht in ihnen arbeiten. Sie verlangt auch eine sorgfaltigere Bestellung des Ackers und parallel verlaufende Pflanzenreihen, damit nicht in einer Reihe die Pflanzen beschädigt werden, 36 37 38 39 40
Landwirthschaftliche Maschinen, 1864: 51. Landwirthschaftliche Maschinen, 1864: 51. Landwirthschaftliche Maschinen, 1864: 51. Landw. Geräthekunde, 1867: 198—199. Landw. Geräthekunde, 1867: 198.
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obwohl in andern die Messer sorgfaltig geführt werden. Die Maschine kann also bei der Hackarbeit die Hand nur unterstützen, nicht ersetzen . . . Die Bedeutung der Hackmaschine erkennt man am besten daraus, daß der Zuckerrübenbau unter unsern Arbeitsverhältnissen überhaupt nicht ohne sie denkbar wäre; denn die Handarbeit würde nicht nur zu teuer werden, sondern es würde ganz und gar an der nötigen Arbeiterzahl fehlen, um sie auszuführen." 41 Der andere Vorteil gerade dieses Instruments bestand darin, daß es auch im zweiten Bereich des Hackfruchtbaues, im Kartoffelbau, mit Erfolg eingesetzt werden konnte. So beim Kartoffellegen als Furchenzieher, zum Blindhacken, zum Behacken und zum Behäufeln der Kartoffeln. 42 Vordem war „zum Pferdehacken der Kartoffeln" hier „der Turnipscleaner . . . vielfach im Gebrauch"; allerdings wurde „dagegen geltend gemacht, daß eigentlich die alte (Thär'sche) Kartoffelhacke mindestens dasselbe thue und viel leichter gehe." 43 Das Legen selbst wie auch die Ernte der Knollen geschahen allerdings noch lange Zeit manuell. Pflanzlochmaschinen mit „dem sehr wesentlichen Vorteile, daß das Einlegen der Kartoffeln in den Acker hinter der Maschine nur etwa halb so viel Handarbeit kostet, wie das Legen mit dem Spaten", kamen in Deutschland erst ab 1880 auf, die zu ihrer Ergänzung notwendigen Zudeckmaschinen ab 1885 und geeignete Kartoffellegemaschinen, die befriedigt hätten, waren selbst im Jahre 1910 noch nicht vorhanden. 44 Das trifft auch im Hinblick auf brauchbare, d. h. vorteilhafter als Rodepflug oder Spaten arbeitende Kartoffelerntemaschinen zu. 45 Dagegen waren Geräte zur Rübenernte, die, „von Gespannen gezogen, die schwere Arbeit des Aufgrabens verrichten" konnten, was — wie dargetan — in der Hauptsache von Frauen unter Zuhilfenahme von Spaten oder Gribbeln besorgt wurde, schon in den sechziger Jahren des 19. Jh. konstruiert. So hatte der Fabrikant W. Siedersieben in Bernburg bereits 1861 einen speziellen Rübenheber und Rudolf Sack 1869 einen Rübenrodepflug entwickelt. Um 1880 folgte die Firma H. Laaß & Co. in NeustadtMagdeburg mit einem Rübenheber, der auf einem von dem Franzosen Paul Olivier Lecq aus Templeuve angewandtem Prinzip aufbaute, auf das später übrigens auch W. Siedersieben überwechselte. Doch wirklich befriedigende Ergebnisse, die diesen Geräten eine weite Verbreitung gesichert hätten, wurden nicht erzielt. Dies gilt noch mehr für die ungleich schwierigeren Versuche, eine Maschine zu entwickeln, die außer dem Ausroden der Rübenwurzeln auch das Abköpfen der Rübenblätter übernimmt. Erst im Jahre 1909 konnte ein einigermaßen brauchbares Gerät dieser Art vorgestellt werden, und zwar von der Firma W. Siedersieben & Co. in Bernburg. 46 Viel erfolgreicher als die Konstruktion geeigneter Rübenerntemaschinen verlief hingegen die Entwicklung der für den Rübenbau erforderlichen Bodenbearbeitungsgeräte, an erster Stelle die der Pflüge, unter denen der im Untersuchungsgebiet selbst entwickelte und produzierte, schon mehrfach erwähnte „Wanzleber Pflug" ganz besondere Beachtung verdient. 47 Etwa zu Beginn der fünfziger Jahre des 19. Jh. 41 42 43 44 45 46 47
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Fischer, 1910 e : 120-121. Landw. Geräthekunde, 1867: 198—199; außerdem Nathusius, 1884: 142. Einige Nachrichten, 1850: 12. Fischer, 1910 c: 98. Kühne, 1910 b: 168-177. Kühne, 1910 c: 177. Nowak, 1969.
entstanden, stellte er praktisch den ersten Pflugtyp dar, der den Erfordernissen der Tiefkultur tatsächlich entsprach. Gewöhnlich mit vier Ochsen, zum Teil aber auch mit derselben Anzahl Pferden bespannt, war zu seiner Bedienung außer dem Pflüger noch eine Arbeitskraft, meist ein Kind, zur Führung der Zugtiere nötig. Seitdem jedoch eine „Selbstführung" hierzu entwickelt worden war, etwa um 1870, die das manuelle Leiten entbehrlich werden ließ, bedurfte es, wo er in dieser Konstruktion Anwendung fand, sogar nur noch einer Arbeitskraft. Seine Handhabung wurde, wenn nicht allzu schwierige Böden damit umgebrochen werden sollten, als leicht beurteilt. Auf mildem Lehmboden zum Beispiel, der allerdings „mit noch ziemlich langstrohigem Stallmist bedeckt" war, „machte der Pflug . . . eine so brillante Arbeit, daß er die Bewunderung der ihn handhabenden Arbeiter erweckte."48 Er fand rasch Verbreitung weit über das Untersuchungsgebiet hinaus, zumal sein Einsatz auch erheblich geringere Kosten verursachte als die in Zuckerrüben- und Zichorienanbaugebieten bis dahin üblich gewesene arbeitsaufwendige und auch lohnintensive Spatenkultur. So berechnete ein Großgrundbesitzer in Oberröblingen bei Sangerhausen im Jahre 1865 die Kosten für das Graben eines Morgen Ackerlandes, 12 Zoll tief, auf mindestens 8 Tlr., für das ebenso tiefe Pflügen mit dem Wanzleber Pflug bei den „jetzigen hohen Futterpreisen und Gesindelöhnen" jedoch nur auf 1 Tlr. 5 Sgr.49 Außerdem war die Ersparnis an Arbeitskräften sehr bedeutsam: „Es würden nämlich pro Morgen, namentlich wenn es das erstemal ist, daß der Spaten darauf angewendet wird, für einen Tag 20 kräftige Männer erforderlich sein", während mit dem genannten Pflug „im Monat October, also bei nicht ganz kurzen Tagen, 2V3 Morgen mindestens 12 Zoll tief gepflügt" worden waren.50 Bei dem nahezu chronischen Arbeitskräftemangel, der seit Einführung der Intensivkultur und seit Beginn der Industrialisierung im Untersuchungsgebiet herrschte, bedeutete dieser Pflug für die hiesigen landwirtschaftlichen Unternehmer auch unter diesem Gesichtspunkt einen Gewinn, und es war darum sicherlich kein Zufall, daß er gerade hier entwickelt worden war. Der zumal in den sechziger Jahren des 19. Jh. allgemein erhobenen Forderung nach Ersatz menschlicher Arbeitskräfte durch vermehrte Anwendung von Maschinerie51 entsprach der Wanzleber Pflug also in ganz hervorragendem Maße. Während dieser Pflug in den bäuerlichen Wirtschaften auch weiterhin noch viele Jahrzehnte in Gebrauch blieb, wurde er in den Betrieben der Großagrarier jedoch nach und nach durch den Dampfpflug ersetzt. Seine Einführung im Untersuchungsgebiet und in der Provinz Sachsen überhaupt begann mit einem vom „Verein zur Aufstellung landwirthschaftlicher Maschinen in Magdeburg" im Oktober 1863 bei Wanzleben mit Erfolg unternommenen Versuchspflügen,52 das zwischen dem 24. 11. und 2. 12. 1863 in Königsborn — ebenfalls erfolgreich — wiederholt wurde.53 Dennoch setzte sich seine Anwendung im größeren Umfang zunächst nur zögernd durch. Der 48 49 50 51
Braungart, 1881: 136—137. Schmidt, 1866: 198. Schmidt, 1866: 198. Vgl. zum Beispiel: ZLCV, 1865: XXII, 124—125. - Auch auf der XIX. Generalversammlung des „Landwirtschaftlichen Zentralvereins der Provinz Sachsen" im Jahre 1865 spielte diese Frage eine wichtige Rolle. In: ZLCV, 1865: XXII, 161-169, speziell S. 162. 52 In: ZLCV, 1863: XX, 286. 53 Nathusius, 1864: 1 - 8 .
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erste Unternehmer, der hier ein solches Aggregrat erwarb (von Fowler in Leeds/England), was im Jahre 1868 geschah, war der Domänenpächter Freise in Wolmirstedt. Allerdings war er bezeichnenderweise zugleich der erste Unternehmer in Deutschland überhaupt. 54 Im Jahre 1871 waren im Deutschen Reich erst 17 Dampfpflüge in Betrieb, davon freilich allein 10 in der Provinz Sachsen.55 Obwohl die Tiefkultur, namentlich der Zuckerrübenanbau, demnach auch hierbei wieder eine begünstigende Rolle spielte, stand der rascheren Einführung dieser Maschine aber zunächst immer noch eine ungenügende Rentabilität entgegen. Erst als man dazu überging, anstelle der schweren 20—25-PS-Maschinen leichtere, das heißt in der Regel 8—14-PS-Aggregate zu verwenden, und vor allem als es möglich war, die Lokomobilen in größerem Umfang auch zu anderen Arbeiten mit Erfolg einzusetzen, etwa zum Flachpflügen, Grubbern, Eggen, Walzen, Steinroden, Grubenziehen, Dreschen, Mahlen, Schroten, Pumpen u. a., als sich ihr Anwendungsbereich also verbreiterte, begannen sie sich schließlich durchzusetzen. 56 Ein wesentlicher Mangel dieser Maschine bestand allerdings darin, daß sie beim Rübenbau nur zur Bestellung des Ackers und nicht, wenigstens nicht in gleichem Maße, auch zur Ernte angewendet werden konnte, 57 auch wenn im Jahre 1871 der bekannte Zuckerfabrikbesitzer Rabbethge in Klein Wanzleben erklärte, daß er bei Einsatz der Lokomobile in Kombination mit dem Wanzleber Pflug durchaus gute Resultate erzielt hätte. 58 Es dauerte noch bis in die achtziger Jahre des 19. Jh., bis die „grosse Bedeutung" des Dampfpfluges gerade auch für das Untersuchungsgebiet anerkannt war. Von da an ließ man diese Apparate dann auch „in grosser A n z a h l . . . für Lohn" arbeiten. 59 Zur Bedienung des Dampfpfluges bei Anwendung des Einmaschinensystems war an Personal erforderlich: „1 Locomobilführer, 1 Pflugmann, 1 Ankerwärter, 2 Leute, die dem Pfluge folgen, 2 do. zum Kohlen- und Wassertragen, 1 Fuhrmann mit 2 Pferden zum Wasser- und Kohlenrücken. Wenn ein zweckmäßiger einspänniger Wasserkarren disponibel ist, kann ein Pferd und einer von den Kohlen- und Wasserleuten gespart werden . . . Mit „Jungens" ist es nicht abgethan. Es ist s c h w e r e Arbeit, zu der zuverlässige Leute gehören." 60 Man empfahl daher „nur einfache, kräftige und
54 Puchner, 1910 a: 48. — Dem widerspricht allerdings die Angabe von Bentzien, 1965: 66, der als „vorerst" frühesten Beleg einen Dampfpflug bereits im Jahre 1861 auf dem mecklenburgischen Rittergut Schlieffenberg, Kreis Güstrow, nachzuweisen vermocht hat. Vgl. auch bei Bentzien, 1969: 118.
55 Nach einer Mitteilung von Rimpau-Schlanstedt auf der XXIII. General-Versammlung des „Landwirtschaftlichen Zentralvereins der Provinz Sachsen" am 11.9. 1871. In: ZLCV, 1871: XXVIII, 314. 56 Vgl. hierzu die Ausführungen von Heinrich v. Nathusius (1824—1890) zu Althaldensieben auf der XXIII. General-Versammlung des „Landwirtschaftlichen Zentralvereins der Provinz Sachsen" am 11.9. 1871. In: ZLCV, 1871: XXVIII, 313. Außerdem bei Nathusius, 1872: 12-15. Siehe ferner den Bericht des Direktors der Zuckerfabrik von Bahreudorf auf der am 28. 11. 1870 stattgefundenen Hauptversammlung des „Magdeburger Vereins für Landwirtschaft und landwirthschaftliches Maschinenwesen." In: ZLCV, 1871: XXVIII, 2 2 - 2 3 . 57 Mittheilungen über Dampfpflügen, 1871: 243—249. 58 Mittheilungen über Dampfpflügen, 1871: 244. 59 Nathusius, 1884: 141. 60 Nathusius, 1864 : 5.
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verständige Landleute", die hierzu regelrecht ausgebildet sein mußten. 61 Die großen Unternehmen, soweit ihnen eine Zuckerfabrik angeschlossen war, stellten zum Maschinenbetriebe daher oft ihre eigenen Heizer und Maschinisten zur Disposition. 62 Bei Anwendung des Zweimaschinensystems, das sich für die Tiefkultur am besten eignete, war ein entsprechend veränderter Arbeitskräftebesatz notwendig (2 Locomobilführer, 2 Fuhrleute, jedoch kein Ankerwärter). Zur reibungslosen Funktion des Apparates war unbedingt Voraussetzung, daß dabei die Tätigkeiten der beteiligten Arbeiter genau aufeinander abgestimmt waren. Welche Störungen bei einer mangelnden Kooperation und zudem mit noch ungeübten Arbeitskräften auftreten konnten, geht aus den Aufzeichnungen des Landesökonomierates Wilhelm von Nathusius (1821 —1899), seit 1869 Direktor des „Landwirtschaftlichen Zentralvereins der Provinz Sachsen", über das bereits erwähnte, auf seinem Gut Königsborn im Jahre 1863 nach dem Einmaschinensystem veranstaltete Versuchspflügen hervor: „Die Locomobile führt Kastellan Fromme, den Pflug der Arbeiter Germer. Für den Anker haben wir keinen eingeübten Mann. Dieß giebt die erste Schwierigkeit. Der beim Rückgange des Pfluges fortbewegte Anker ist nicht leicht zum Stehen zu bringen für einen Ungeübten, weil dieser leicht verletzt werden kann. . . Um erst den Ankerführer in Uebung kommen zu lassen, machen wir heute beim Rückgang auf Signal jedesmal eine Pause, wenn der Anker zum Stehen gebracht werden soll, um die Operation im Stillstehen vornehmen zu können. Dies macht bei jedem Hin- und Rückgang V4—1/2 Minute Zeitverlust . . . Nachmittags längte sich das Seil durch kleine Versehen 2mal. Dies giebt lange Pausen . . , Solche Versehen scheinen leicht vorzukommen, bis der Pflugführer sich in den complicirten Mechanismus des „selfacting slackgear" eingewöhnt hat . . . Nachmittags begann die Arbeit um 1 U. 15 M. und wurde bis 4 U. 45 M. fortgesetzt, wo ihr die Dunkelheit ein Ziel setzte. (Man muß nämlich die Signale genau sehen können und diese werden mit einer Fahne gegeben. Wäre dies nicht zweckmäßiger durch eine Pfeife zu ersetzen?) Es fand aber eine längere Pause statt. Durch Mißverständnisse beim Signalisieren wurde der Pflug nicht rechtzeitig angehalten und fuhr gegen den Anker. Die dadurch bewirkten Beschädigungen beschränkten sich auf Zersplitterung des Holzkastens, der die Steinbeschwerung des Ankers enthält, und Bruch eines Schaars. Um aber wieder los zu kommen, mußte ein Kolter abgeschraubt werden ect. und gingen hierüber 311/4 Min. Zeit verloren . . ,". 63 Aus dieser Schilderung wird gut ersichtlich, welche neuen und höheren Anforderungen im Unterschied beispielsweise zum Gespannpflügen bei der Dampfbodenkultur an die beteiligten Arbeitskräfte gestellt wurden: Sie mußten in ihrer Mehrzahl schon über bestimmte Spezialkenntnisse verfügen, sie mußten eingeübt sein, sie mußten über genügend Erfahrungen verfügen, ihnen wurde eine ungleich höhere geistige Anspannung abverlangt, mehr Aufmerksamkeit und größere Umsicht, und sie mußten auch ein gewisses Maß an technischem Verständnis aufbringen. Diese Eigenschaften wurden ihnen freilich mehr oder weniger auch bei Benutzung anderen technischen Geräts abgefordert, angefangen vom Handdrill bis zum gespannbetriebenen Rübenheber. Bei Anwendung der Dampfaggregate war dies jedoch in einem qualitativ höheren Maße der Fall. Hierzu wurden bereits regelrechte Spezialisten, 61 Mittheilungen über Dampfpflügen, 1871: 247. 62 Mittheilungen über Dampfpflügen, 1871: 245. 63 Nathusius, 1864: 2—4. 11
Plaul. L a n d a r b e i t e r l e b e n
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z. B. Locomobil- und Pflugführer, benötigt. Die Herausbildung des technikkundigen landwirtschaftlichen Arbeiters nahm hier ihren Anfang. Schließlich hatte der Einsatz von Dampfaggregaten auch eine höhere Stufe der Arbeitskooperation zur Folge, wobei dies selbstredend nicht nur für den Dampfpflug zutraf, sondern auch für die mit Dampf betriebene Dreschmaschine. Im Untersuchungsgebiet, wo der Dampfdrusch gegen Ende der fünfziger Jahre des 19. Jh. Eingang fand, gelangte vor allem die Garrett'sche Dampfdreschmaschine zum Einsatz. Ihre Bedienung konnte im weiteren Sinne bis zu zwanzig und mehr Arbeitskräfte erfordern, und zwar: zwei Personen zur Führung und Beaufsichtigung der Maschine, einen Heizer, einen Garben-Einleger, sechs Arbeitskräfte und darüber, die sich auf dem Getreideschober befanden, zum Heranschaft'en und Aufbinden der Garben, zwei Leute zur Stroh- und Spreu-Beseitigung, sieben und mehr Arbeitskräfte zum Binden des Strohs und eine Person zum Fortnehmen der gefüllten Kornsäcke.64 Zum Binden des Strohs und zu ähnlichen Tätigkeiten, die vor allem flinke, geschickte Hände erforderten, wurden gewöhnlich weibliche Arbeitskräfte herangezogen.65 Entscheidend für die Qualität des Ausdruschs war besonders das Einlegen der Garben. Es verlangte nicht nur Übung und Erfahrung, sondern auch in gewissem Umfang technisches Wissen. Beim Lohndrusch stellte darum der Maschinenbesitzer neben dem eigentlichen Bedienungspersonal — Maschinisten, Heizer — oftmals auch den Garbeneinleger selbst.66 Dies natürlich in erster Linie deshalb, weil sich bei zunehmender Reinheit des Ausdruschs auch die absolute Menge seines Erdruschanteils erhöhte (vgl. Seite 114). Für die beteiligten Arbeitskräfte hatte der Dampfdrusch im Unterschied zum Handdrusch, der bei Roggen wegen des Strohes allerdings selbst in größeren Wirtschaften noch weiterhin in Gebrauch blieb,67 im wesentlichen zwei Umstellungen zur Folge. Zum ersten : das Arbeitstempo bestimmten jetzt nicht mehr sie selbst bzw. ihr Aufseher, sondern die Maschine. „Bei dem Dreschen mit dem Flegel kommt es auf den guten Willen der Arbeiter an, aber die willenlose Maschine arbeitet fortwährend gleichmäßig, in derselben Vollkommenheit und ohne Abnahme der Kräfte, wie dies Menschenhände nicht ermöglichen können." 68 Dadurch kam auch die bisherige, unmittelbar ausgeübte „lästige Controlle der Drescher" in Fortfall ; 69 denn „bei der Maschine, von der man ziemlich genau weiß, wie viel sie täglich Körner bei geregeltem Betriebe liefern muß, ist die Controle außerordentlich erleichtert", so daß bei Benutzung von „Dreschmaschinen alle die Unannehmlichkeiten und Streitigkeiten vermieden werden, welche zwischen Herrn und Drescher so oft vorkommen".70 Zum zweiten: die vordem „sehr saure, geisttödtende Arbeit" mit 64 Leistungen, 1861: 231 ; vgl. außerdem: Ueber die vortheilhafteste Art, 1867: 288. 65 Landwirthschaftliche Maschinen, 1863 a: 77. — Außerdem: Landwirtschaftliche Maschinen, 1863 b: 141, und: Ueber die vortheilhafteste Art, 1867: 288. 66 Leistungen, 1861: 231. — Dies bestätigt auch der Landarbeiter Franz Rehbein: „Von den Einlegern hängt es wesentlich ab, wieviel die Maschine täglich leistet und wie rein sie drischt . . .". Nach Rehbein, 1911: 239—240, sowie nach Rehbein, 1955: 262. 67 Nathusius, 1884: 142. 68 C. Gustav Schwarzlose auf Könnigde in einem Vortrag über Dreschmaschinen in der Vereinssitzung am 5. 11. 1871 in Bismark. In: ZLCV, 1872: XXIX, 41. 69 Landwirthschaftliche Maschinenkunde, 1863: 108. 70 C. Gustav Schwarzlose auf Könnigde in einem Vortrag über Dreschmaschinen in der Vereinssitzung am 5. 11. 1871 in Bismark. In: ZLCV, 1872: XXIX, 41.
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dem Flegel71 verschwand, indem sie sich in mehrere, verschiedene Teil-Tätigkeiten auflöste, die jede für sich insofern eine relativ größere Aufmerksamkeit beanspruchte, als sie im Rhythmus der Maschine genau aufeinander abgestimmt sein mußten. Die Dreschmaschine war nicht das einzige technische Instrument, das in der Getreideproduktion Anwendung fand. Bei der Aussaat war man auch im Untersuchungsgebiet schon früh — etwa in den vierziger Jahren des 19. Jh. — zur Verwendung von Säemaschinen übergegangen, wobei hauptsächlich „mehrere Modificationen" der von dem Mecklenburger Arzt und Maschinenbauingenieur Ernst Alban (1791 — 1856) entwickelten breitwürfigen Säemaschine in Gebrauch kam. 72 Ab Mitte der fünfziger Jahre setzte sich dann aber auch hierfür mehr und mehr die Drillkultur durch, und zwar vorwiegend unter Benutzung der auch beim Zuckerrübenbau verwandten Drillgeräte von Garrett und Sack.73 Da zur Drillkultur ein gut vorbereiteter Acker gehörte, hatte Rudolf Sack gleichsam ein vollständiges Maschinensystem entwickelt, das außer der schon erwähnten Drillkulturmaschine mit Behackund Behäufeleinrichtung noch aus einem zweispännigen Tiefkulturpflug und einem einspännig zu führenden Kultivator bestand, der Walze, Krümmeregge und Stachelwalze in einem war: „Der Kultivator wird mit einem Zugthiere bespannt, welches in den Graben der Furche geht, und unmittelbar nach dem Pfluge angewandt. Mit jedem Zuge werden 2 bis 3 Furchen bearbeitet . . . er ist ein einfaches Geräth . . . Unmittelbar hinter den Kultivator kann die Arbeit mit der . . . Säemaschine beginnen, wenn die drei ersten Furchen gepflügt und mit dem Kultivator bearbeitet sind. Dadurch werden die Unzukömmlichkeiten und Störungen bei der Saatbestellung, die sonst durch trockene Witterung oder unerhofftes Regenwetter herbeigeführt werden, größtentheils vermieden."74 Im Jahre 1861 stellte Sack erstmals eine Dibbel-Maschine oder, wie er sie nannte, eine „Universal-Säe- und Hackmaschine zur Reihenkultur" vor. „Universal" deshalb, weil mit ihr in der Tat sowohl sämtliche Getreidearten als Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, daneben alle Sämereien wie Mohn, Raps, Hirse, Rübsen, Mohrrüben, Mais usw., als auch Rüben gedippelt werden konnten. Zur Lockerung des Bodens, zum Unkrautvertilgen und zum Anhäufeln wurde der Säeapparat durch eine Harkvorrichtung ersetzt: „Alle Manipulationen sind einfach, leicht und sicher von einem eingeübten Manne unfehlbar zu bewirken", erklärte der Erfinder. „Die Maschine wird mit einem Pferde bespannt, und braucht dasselbe der Anstrengung halber den ganzen Tag nicht gewechselt zu werden, weil die Maschine leicht geht. Beide, Maschine und Pferd, erfordern auf gut zugerichtetem reinem Acker nur einen Mann zur Leitung. Im andern Falle wird, um etwaige Verstopfungen durch Wurzelreste, Steine etc. zu entfernen und zur Hilfe beim Sameneinschütten, noch ein Junge oder eine Frau beigegeben. Für büglichtes Terrain, wo die Maschine zuweilen an einem Abhänge entlang gehen muß und alsdann von der Spurlinie weichen würde, ist noch eine besondere Vorrichtung angebracht, um die 71 Landwirthschaftliche Maschinenkunde, 1863: 108. 72 Einige Nachrichten, 1850: 12. - Vgl. außerdem bei Bentzien, 1961: 28—29. — Lengerke, 1846: 133, bestätigt 1843 ihre Verwendung auch auf dem Rittergut Alvensleben mit Rottmersleben und Tundersieben. — Über Ernst Alban vgl. bei Müller, 1974: 15. 73 Nathusius, 1859: 197-198, und Sack, 1855: 279. 74 Sack, 1855:278-279.
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Maschine immer in gerader Richtung zu erhalten; alsdann gehören 2 Mann zur Bedienung." 75 Aus einem Versuchsbericht des Direktoriums des „Vereins für die Ausstellung landwirthschaftlicher Maschinen in Magdeburg" vom 28. 7. 1861 geht hervor, daß auch „bei Arbeitern, die noch nicht so eingeübt sind, . . . wohl zwei Leute zum Handhaben der Maschine und zum Führen des Pferdes nöthig sein" würden. 76 Die Tagesleistung des Geräts wurde sowohl beim Säen wie auch beim Beharken mit 15—16 Morgen beziffert, 77 speziell bei Rüben auf 15 Morgen. 78 Die Vorzüge, die das Dippeln dem Drillen gegenüber bieten würde, 79 glaubte man in einer weiteren Saatguteinsparung und in einer noch größeren Erleichterung der Pflegearbeiten sehen zu können, bei Rüben zumal im Wegfall des arbeitsintensiven Vereinzeln der Pflanzen. Doch „der anfangs erhoffte Nutzen des Dibbeln ist nicht erreicht worden. Wenn es möglich wäre, an jede Dibbelstelle ein einziges Samenkorn zu legen, so würde allerdings eine beträchtliche Saatersparnis dadurch erreicht werden, und, was schwerer ins Gewicht fallt, die Pflanzen brauchen später nicht vereinzelt zu werden. Weil aber nicht aus jedem Korn eine kräftige Pflanze hervorgeht, müssen mehrere zusammen ausgelegt und die Pflanzen verzogen werden." 80 Deshalb ging man von der Dibbelkultur bald wieder ab. In den achtziger Jahren des 19. Jh. wurden Rüben, aber auch Getreide, ausschließlich gedrillt; breitwürfige Säemaschinen waren ebenfalls nirgends mehr in Gebrauch. 81 Etwa gegen Ende der sechziger Jahre des 19. Jh. hatte auch die Verwendung von Mähmaschinen einzusetzen begonnen; „im Bezirke des Centraivereins (war) dies namentlich der Fall in der Magdeburger und der Halberstädter Gegend." 82 Zur Verbreitung gelangten die Samuelson'sche Konstruktion, „namentlich das Original", 83 daneben aber auch Fabrikate deutscher, englischer und amerikanischer Firmen, und zwar schon Anfang der siebziger Jahre in einem solchen Ausmaß, daß „die Fabriken den schnell eintretenden Bedarf nicht" zu decken vermochten. 84 „Den meisten Beifall" erhielt die Samuelson'sche Maschine, doch wurde „in einzelnen Fällen die Beschwerde ausgesprochen, daß sie bei ungünstiger Erntewitterung leicht versagt; was", wie aus Althaldensieben bemerkt wurde, „nach einzelnen Versuchen mit der in Schlesien eingebürgerten, von Gebr. Gülich in Breslau importirten amerikanischen Maschine nicht der Fall war." 85 Jede dieser Konstruktionen wurde gewöhnlich zweispännig geführt und nur von einer Arbeitskraft bedient. Bei der sehr verbreiteten Samuelson'schen Maschine, deren starres, viel Raum beanspruchendes Rechenkreuz dem Fahrer keinen Platz auf dem Gerät selbst gewährte, mußte dieser deshalb „auf einem der 75 76 77 78 79
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Sack, 1861:221-222. Landw. Geräthekunde, 1862: 86. Sack, 1861: 223. Landw. Geräthekunde, 1862: 86. Nathusius, 1859: 199: „Wird eine gleichmäßigere Entfernung der Pflanzen auch in den Reihen selbst verlangt, so findet der Begriff des Drillens nicht mehr Anwendung, sondern es ist damit die Methode erfordert, welche man d i b b e l n nennt." Fischer, 1910 b: 89. Nathusius, 1884: 142; vgl. ferner bei Fischer, 1910 b: 89. Stdln., 1869: 26. Stadelmann, 1871:47. Jahresbericht, 1873: 30. Stadelmann, 1871:47.
Zugtiere" reiten, wodurch er die Arbeit der hinter ihm fahrenden Maschine nur schlecht, nämlich durch Wenden des Kopfes bzw. des Oberkörpers, beobachten konnte.86 Das Binden der Garben besorgte dieses Gerät noch nicht mit. Dies geht erst auf eine Ende der siebziger Jahre des 19. Jh. gelungene Erfindung des Amerikaners John Francis Appleby (1840—1917) zurück, die in Deutschland nach mancherlei adaptierenden Veränderungen einige Jahre darauf in befriedigender Weise wirksam wurde.87 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang jedoch, daß eine Hallenser Firma (Zimmermann & Co.) im Jahre 1910 sogar, als die Selbstbinder sich bereits endgültig durchgesetzt hatten, immer noch „eine der alten Samuelsonschen sehr ähnliche Konstruktion" baute, „da es noch immer Landwirte (gab), die eine einfach zu bedienende Maschine, auch wenn sie eine enger begrenzte Leistungsfähigkeit (besaß), lieber (kauften), als eine solche, die zwar eine größere Stellbarkeit und Anwendungsmöglichkeit (besaß), aber infolgedessen etwas schwieriger zu handhaben" war.88 In der ausgesprochenen Rübenwirtschaft, die den Getreidebau nur mehr als Nebenerwerb betrieb, wurden Mähmaschinen allerdings schon in den achtziger Jahren nur noch „wenig angewandt . .., da derselben in der Erntezeit des Getreides nach Beendigung des Hackens und vor Beginn des Rodens der Rüben genügend menschliche Arbeitskräfte zur Verfügung" standen, und zwar hauptsächlich Saisonarbeiter, die jetzt „in grossen Schaaren . . . aus verschiedenen Gegenden, besonders dem Eichsfelde, Wartebruch und Provinz Posen" in das Untersuchungsgebiet einzogen.89 Und diese waren nicht nur billiger, sondern mußten auch in dieser Zwischenzeit nach dem Hacken und vor dem Roden der Rüben rentabel eingesetzt werden; denn ihre vorher geschlossenen Kontrakte verpflichteten sie zum durchgehenden Verbleib von März/April bis Oktober/November. Etwa ab Mitte des 19. Jh. begannvman auch bei der Futterzubereitung, nach und nach zur Benutzung von Maschinen überzugehen. So wird schon aus dem Jahresbericht des „Landwirtschaftlichen Zentralvereins der Provinz Sachsen" für 1857 ersichtlich, daß im Vereinsbezirk der Rübenschneider zunehmend das Stoßmesser und „die Häckselmaschine . . . mehr und mehr die Häcksellade" ersetze,90 wenngleich die Lade — vor allem in den mittleren und kleineren bäuerlichen Betrieben — noch lange in Gebrauch blieb.91 Eine Arbeit mußte jedoch noch bis in das 20. Jh. hinein manuell verrichtet werden, was übrigens in der Fachliteratur auch immer wieder beklagt wurde, nämlich das Bestreuen des Ackers mit künstlichem Dünger. So wurde noch in den achtziger Jahren aus dem Untersuchungsgebiet berichtet, daß es leider immer noch „an einer guten Düngerstreumaschine" mangele, die aber „bei den grossen Summen, die alljährlich für sogenannten Kunstdünger ausgegeben werden, von grosser Wichtigkeit wäre, um eine gleichmässige Vertheilung desselben zu erzielen."92 Auch 86 87 88 89 90 91 92
Kühne, 1910 a: 141. Kühne, 1910 a: 149. Kühne, 1910 a: 142. Nathusius, 1884: 142 und 143. Stadelmann, 1858: 83. Vgl. hierzu bei Puchner, 1910 b: 208. Nathusius, 1884: 142. — Ähnliches war auch im Jahresbericht 1870 des „Landwirtschaftlichen Zentralvereins der Provinz Sachsen" zu lesen gewesen: „Die bisher vorhandenen Constructionen von Düngerstreumaschinen wurden als ungenügend, ja als die schwächste Seite des landwirthschaftlichen Maschinenwesens erkannt." Nach Stadelmann, 1871: 48.
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war „die Handarbeit . . . wegen der Belästigungen, denen die Augen und Hände der Arbeiter ausgesetzt waren, wenig beliebt, sie mußte höher bezahlt werden und wurde recht oft doch nicht mit der wünschenswerten Sorgfalt ausgeführt. Namentlich bei starkem Winde wurde die Verteilung des Düngers ungünstig beeinflußt."93 Doch trotz aller Versuche und Teilerfolge war man selbst um 1910 mit den vorgestellten Maschinen noch nicht zufrieden.94 Die beginnende Mechanisierung in der Landwirtschaft übte auf die Arbeits- und Lebensverhältnisse des Agrarproletariats einen weitreichenden Einfluß aus. Ihre nächsten Konsequenzen, die den unmittelbaren Arbeitsprozeß modifizierten und wodurch auch jene ferneren Wirkungen mit vermittelt wurden, bestehen dabei wesentlich in folgendem. Erstens: Durch die breitere Anwendung von Maschinerie wurde der zeitliche Aufwand für eine Reihe landwirtschaftlicher Tätigkeiten bedeutend verkürzt. Dies aber hatte eine Verstärkung des Saisoncharakters der Landarbeit insgesamt zur Folge. Zweitens: Die Maschinerie setzte Arbeitsplätze und damit auch Arbeitskräfte frei. Und drittens: Die Maschinerie bewirkte beim sie bedienenden Landarbeiter in gewissem Maße eine Verminderung der körperlichen, muskulären Anspannung und eine Erhöhung der geistigen, intellektuellen Tätigkeit, die sich nicht allein auf eine geforderte größere Aufmerksamkeit oder auf das Erlernen neuer Handgriffe und Fertigkeiten beschränkte, sondern bis hin zur Ausbildung von Spezialisten reichte. Zeugnisse, die etwa darauf schließen lassen, daß die Landmaschinen-Technik im Stadium ihres Eindringens in die Arbeits- und Lebenswelt der Landarbeiterschaft von ihr als „bedrohendes Element" empfunden worden wäre, wie dies beispielsweise Bentzien, wenn auch nur vereinzelt, für Mecklenburg hat nachweisen können,95 ließen sich für das Untersuchungsgebiet nicht beibringen. Man wird dem genannten Verfasser zustimmen müssen, wenn er als Ursache für das weitgehende Fehlen irrationaler Reaktionen auf das Erscheinen landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte — etwa im Unterschied zum Phänomen „Eisenbahn", das in der Landbevölkerung Mecklenburgs und anderswo eine Fülle irrationaler Vorstellungen ausgelöst hatte — erklärt: „Die Landmaschine bestimmte von Anfang an unmittelbar Inhalt und Form der täglichen Arbeit. Sie wurde von der Hand des Landarbeiters gelenkt und bedient. Der . . . Tagelöhner oder Bauer war zwar nicht an der Produktion der Maschine beteiligt: das produktive Verhältnis aber, das ihn in der Arbeit an sie band, ließ reale Fragen auftauchen, die rationale Antworten verlangten, und schloß damit die Entstehung irrationaler Reaktionen weitgehend aus." 96 Wenn sich diese Haltung im Untersuchungsgebiet auch hinsichtlich der dampfbetriebenen landwirtschaftlichen Maschinen, mit deren Einführung in der Agrartechnik bekanntlich eine neue Etappe eingeleitet wurde, zu erkennen gab, so erklärt sich dies wohl vor allem daraus, daß hier der größere Teil der ländlichen Bevölkerung — und wenn auch nur vom Hörensagen — durch die zahlreichen Dampfaggregate in den Zuckerfabriken mit dieser Antriebskraft schon seit Jahrzehnten im gewissen Sinne vertraut gewesen ist. Bereits im Jahre 1851 hieß es, daß „unter denjenigen Gewerben, für welche
93 94 95 96
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Fischer, 1910 d: 104. Fischer, 1910 d: 109. Bentzien, 1961: 122-124. Bentzien, 1961:133.
die Anwendung des Dampfes sich eine gewisse Geltung erworben hat, . . . unstreitig die Rübenzuckerfabrikation eines der ersten" war, „welche ihr einen dauernden Bestand sicher" gestellt habe, und daß „für fast kein anderes Gewerbe . . . sich schon heute mehr Dampfkessel im Gange (finden), als dies bei der Rübenzuckerfabrikation der Fall ist."97 Dagegen fehlt es auch für das Untersuchungsgebiet — ähnlich wie für Mecklenburg — nicht an Belegen, die ein anfangliches Ungenügend in der Beherrschung der agrarischen Technik durch den Landarbeiter bezeugen. Auch Unfälle gehören hierzu (vgl. Seite 277). Allerdings versteigt sich keiner der hiesigen Augenzeugen, die sich in diesem Zusammenhang äußern, zu einer geringschätzigen Beurteilung der Bildung, des Eifers oder der Fähigkeit dieser Arbeitskräfte. In einem Falle, im Jahre 1863 bei einem Versuchspflügen mit dem Dampfpflug, werden die Bereitschaft, die Willigkeit und auch das Geschick des pflugführenden Arbeiters sogar ausdrücklich öffentlich lobend hervorgehoben.98 Die Kritik beschränkte sich hier im wesentlichen lediglich darauf zu erklären, daß bei größerer Vertrautheit der Arbeiter im Umgang mit den Maschinen noch bessere Resultate zu erzielen sein würden.99 Wie der rasche Fortschritt der Mechanisierung in der Landwirtschaft des Untersuchungsgebietes zeigt (vgl. hierzu Tabelle 21 und 22), gehörte hier dieses Anfangsstadium jedoch schon relativ bald der Vergangenheit an.
Die Veränderungen im jährlichen Arbeitszyklus Eine der folgenreichsten Veränderungen, die durch die Technisierung landwirtschaftlicher Arbeitsprozesse ausgelöst worden ist, besteht in der Modifizierung des Ablaufes der Arbeitstätigkeit im Jahreszyklus. Diese Erscheinung ist jedoch nicht nur für die Landwirtschaft allein charakteristisch, sondern mehr oder weniger für alle Produktionszweige, die stark an-natürliche Gegebenheiten und Bedingungen gebunden sind. Sie drückt sich aus in der Verstärkung des Saisoncharakters der betreffenden Produktionsrichtung. Das heißt, daß die bisher gewissermaßen über das ganze Jahr verteilt gewesene Arbeit (Aussaat—Pflege—Ernte—Ausdrusch), obwohl natürlich erhebliche Belastungsunterschiede zwischen Sommer- und Winterarbeit von jeher bestanden, sich jetzt in der Weise zu verschieben begann, daß einer gesteigerten Arbeitsbelastung und damit einem vermehrten Arbeitskräftebedarf vor allem im Sommer geradezu ein Arbeitsmangel in den Wintermonaten gegenüberzustehen kam. Im Untersuchungsgebiet wurde diese Entwicklung jedoch nicht allein durch die beginnende Mechanisierung bewirkt. Als weiterer Faktor trat hier der im breiten Maße erfolgte Übergang zur Intensivkultur hinzu. In welchem Umfang Arbeitskräfte und 97 Cuny, 1851: 156. 98 Nathusius, 1864 : 8: „Zum Schluß ist es mir erfreulich, berichten zu können, daß die vom Verein gestellten Leute (Kastellan Fromme als Locomobilführer und der Arbeiter Germer als Pflugführer) sich der Versuche mit großem Eifer angenommen haben und die Sache verstanden." 99 Vgl. beispielsweise in: ZLCV, 1855: XII, 281 und 283, sowie ZLCV, 1857: XIV, 23.
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die Anwendung des Dampfes sich eine gewisse Geltung erworben hat, . . . unstreitig die Rübenzuckerfabrikation eines der ersten" war, „welche ihr einen dauernden Bestand sicher" gestellt habe, und daß „für fast kein anderes Gewerbe . . . sich schon heute mehr Dampfkessel im Gange (finden), als dies bei der Rübenzuckerfabrikation der Fall ist."97 Dagegen fehlt es auch für das Untersuchungsgebiet — ähnlich wie für Mecklenburg — nicht an Belegen, die ein anfangliches Ungenügend in der Beherrschung der agrarischen Technik durch den Landarbeiter bezeugen. Auch Unfälle gehören hierzu (vgl. Seite 277). Allerdings versteigt sich keiner der hiesigen Augenzeugen, die sich in diesem Zusammenhang äußern, zu einer geringschätzigen Beurteilung der Bildung, des Eifers oder der Fähigkeit dieser Arbeitskräfte. In einem Falle, im Jahre 1863 bei einem Versuchspflügen mit dem Dampfpflug, werden die Bereitschaft, die Willigkeit und auch das Geschick des pflugführenden Arbeiters sogar ausdrücklich öffentlich lobend hervorgehoben.98 Die Kritik beschränkte sich hier im wesentlichen lediglich darauf zu erklären, daß bei größerer Vertrautheit der Arbeiter im Umgang mit den Maschinen noch bessere Resultate zu erzielen sein würden.99 Wie der rasche Fortschritt der Mechanisierung in der Landwirtschaft des Untersuchungsgebietes zeigt (vgl. hierzu Tabelle 21 und 22), gehörte hier dieses Anfangsstadium jedoch schon relativ bald der Vergangenheit an.
Die Veränderungen im jährlichen Arbeitszyklus Eine der folgenreichsten Veränderungen, die durch die Technisierung landwirtschaftlicher Arbeitsprozesse ausgelöst worden ist, besteht in der Modifizierung des Ablaufes der Arbeitstätigkeit im Jahreszyklus. Diese Erscheinung ist jedoch nicht nur für die Landwirtschaft allein charakteristisch, sondern mehr oder weniger für alle Produktionszweige, die stark an-natürliche Gegebenheiten und Bedingungen gebunden sind. Sie drückt sich aus in der Verstärkung des Saisoncharakters der betreffenden Produktionsrichtung. Das heißt, daß die bisher gewissermaßen über das ganze Jahr verteilt gewesene Arbeit (Aussaat—Pflege—Ernte—Ausdrusch), obwohl natürlich erhebliche Belastungsunterschiede zwischen Sommer- und Winterarbeit von jeher bestanden, sich jetzt in der Weise zu verschieben begann, daß einer gesteigerten Arbeitsbelastung und damit einem vermehrten Arbeitskräftebedarf vor allem im Sommer geradezu ein Arbeitsmangel in den Wintermonaten gegenüberzustehen kam. Im Untersuchungsgebiet wurde diese Entwicklung jedoch nicht allein durch die beginnende Mechanisierung bewirkt. Als weiterer Faktor trat hier der im breiten Maße erfolgte Übergang zur Intensivkultur hinzu. In welchem Umfang Arbeitskräfte und 97 Cuny, 1851: 156. 98 Nathusius, 1864 : 8: „Zum Schluß ist es mir erfreulich, berichten zu können, daß die vom Verein gestellten Leute (Kastellan Fromme als Locomobilführer und der Arbeiter Germer als Pflugführer) sich der Versuche mit großem Eifer angenommen haben und die Sache verstanden." 99 Vgl. beispielsweise in: ZLCV, 1855: XII, 281 und 283, sowie ZLCV, 1857: XIV, 23.
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Arbeitszeit in der ersten Etappe des Zuckerrübenanbaues — um 1850 —, bei Überwiegen der manuellen Tätigkeit, zu welchen Jahreszeiten benötigt wurden, veranschaulicht folgender Überblick:100 Tabelle 26 Arbeitstätigkeit
Jahreszeit
Tägliche Arbeitsleistung 1 Person
Graben mit dem Spaten
Anf. Nov. bis Anf. Dez. bzw. Mitte März bis Mitte April Mitte bis Ende April Mitte Mai bis Ende Juli/Anfang August (Während dieses Zeitraumes erfolgte auch das Verziehen der Rüben)
>/20 Morgen
Einlegen der Samenkerne 1. Behacken u. Behäufeln 2. Behacken u. Behäufeln 3. Behacken u. Behäufeln 4. Behacken u. Behäufeln Rübenausnehmen, -zusammentragen u. leicht behäufen
'/ 4 Morgen ' Konversations-Lexikon. 14. vollst, neubearb. Auflage. 4. Band. Leipzig 1898 b Brockhaus' Konversations-Lexikon. 14. vollst, neubearb. Auflage. 11. Band. Leipzig 1898 c Brockhaus' Konversations-Lexikon. 14. vollst, neubearb. Auflage. 12. Band. Leipzig 1898 d Brockhaus' Konversations-Lexikon. 14. vollst, neubearb. Auflage. 13. Band. Leipzig 1898 e Brockhaus' Konversations-Lexikon. 14. vollst, neubearb. Auflage. 15. Band. Leipzig 1898 f Der Große Brockhaus. Handbuch des Wissens in zwanzig Bänden. 15. völlig neubearb. Auflage von Brockhaus' Konversations-Lexikon. 11. Band. Leipzig 1932 Der Große Brockhaus. Völlig neubearb. Auflage in 12 Bänden. 7. Band. Wiesbaden 1955 Buddeus, F.: Welche Verlohnungsweise der landwirtschaftlichen Arbeiter sichert den Landwirtschaftsbetrieb am besten? Vortrag . . . in der Generalversammlung des landwirtschaftlichen Hauptvereins für das Herzogthum Gotha. In: ZLCV, 30. Band, S. 44—49, S. 7 4 - 7 9 1873 Bühling, A.: Geographisch-statistisch-topographisches Handbuch des Regierungsbezirkes Magdeburg. Magdeburg 1864
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Die geschlechtlich sittlichen Verhältnisse der evangelischen Landbewohner im Deutschen Reich dargestellt auf Grund der von der Allgemeinen Konferenz der deutschen Sittlichkeitsvereine veranstalteten Umfrage. I. Band (Ostdeutschland). Leipzig 1895 Gesetze, die preußischen, betreffend die Landgemeinde-Verfassungen und die ländlichen Ortsobrigkeiten in den 6 östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie. Vom 24. April 1856. Mit Erläuterungen aus den Motiven der Gesetze und Hinweisung auf die Ministerial-Verordnungen und die Erkenntnisse des Gerichtshofes zur Entscheidung der Kompetenz-Konflikte. Breslau 1856 Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. 1847. Enthält die Verordnungen vom 5. Januar bis zum 27. November 1847 nebst einigen Verordnungen etc. aus den Jahren 1829, 1832,1837,1838, 1840, 1842, 1844, 1845 und 1846. (Von Nr. 2784 bis Nr. 2913.) Nr. 1 bis incl. 43. Berlin o. J. (1847) Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. 1849. Enthält die Gesetze, Verordnungen etc. vom 2. Januar bis zum 21. November 1849, nebst einigen aus dem Jahre 1848. (Von Nr. 3086 bis Nr. 3200.) Nr. 1 bis incl. 42. Berlin o. J. (1849) Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. 1850. Enthält die Gesetze, Verordnungen etc. vom 4. Januar bis zum 5. Dezember 1850., nebst einigen aus dem Jahre 1849. (Von Nr. 3201 bis Nr. 3340.) Nr. 1 bis incl. 42. Berlin o. J. (1850) Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. 1854. Enthält die Gesetze, Verordnungen etc. vom 6. Januar bis zum 6. Dezember 1854, nebst einigen Verordnungen aus den Jahren 1848, 1852 und 1853. (Von Nr. 3907 bis Nr. 4136.) Nr. 1 bis incl. 50. Berlin o. J. (1854) Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. 1856. Enthält die Gesetze, Verordnungen etc. vom 7. Januar bis zum 22. Dezember 1856, nebst einigen Verordnungen aus dem Jahre 1855. (Von Nr. 4330 bis Nr. 4579.) Nr. 1 bis incl. 65. Berlin o. J. (1856) Gesinde-Ordnung für die Königl. Preuß. Staaten. Auf Grundlage des vom 1. Januar 1900 an geltenden Rechts. Mit den sämmtlichen bezüglichen gesetzlichen Bestimmungen, Verordnungen und den wichtigsten Entscheidungen der höchsten Gerichshöfe. Für den praktischen Gebrauch nach dem amtlichen Material hg. v. R. Höinghaus. 3. Auflage. Bearb. v. Otto Kotze. Berlin 1900 Goldschmidt, S. : Die Landarbeiter in der Provinz Sachsen, sowie den Herzogtümern Braunschweig und Anhalt. Tübingen ( = Die Landarbeiter in den evangelischen Gebieten Norddeutschlands. In Einzeldarstellungen nach den Erhebungen des Evangelisch-Sozialen Kongresses hg. v. Max Weber, 1. Heft) 1899 Goltz, Frhr. Theodor von der: Die ländlichen Arbeiterverhältnisse. In: Concordia. Zeitschrift für die Arbeiterfrage. 1. Jg., Nr. 3, S. 33—34 1871 Goltz, Frhr. Theodor von der: Die sociale Bedeutung des Gesindewesens. Zwei Vorträge. Danzig 1873 Goltz, Frhr. Theodor von der: Die ländliche Arbeiterfrage und ihre Lösung. 2. umgearb. Auflage. Danzig 1874 Goltz, Frhr. Theodor von der: Die Lage der ländlichen Arbeiter im Deutschen Reich. Bericht an die vom Congress deutscher Landwirthe niedergesetzte Commission zur Ermittelung der Lage der ländlichen Arbeiter im Deutschen Reich. Berlin 1875
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