Land unter dem Nordlicht : eine Kulturgeschichte Finnlands 3534259203, 9783534259205


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Table of contents :
Front Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
I. Zur Vorgeschichte Finnlands
II. Kulturelle Varianz in Finnland (ca. 1150–1520)
III. Die schwedische Reichskultur und Finnland 1500–1800
Die Kriege Schwedens
Die schwedischen Königshäuser
Finnen an deutschen Universitäten
Die Gemeinde Telataipale
Zauberei und Hexenverfolgung in Finnland
IV. Zur Kultur im Großherzogtum
Verteidigung Finnlands im Deutschen Reich
Carl Ludwig Engel (1778–1840)
V. Kulturgeschichte des unabhängigen Finnland
Finnland und Deutschland zwischen den Weltkriegen
Der erste finnische Reisebericht aus dem Dritten Reich
Der Sport – eine Erzählung über uns
Das Bildungswesen und die Entwicklung der Nation
VI. Multikulturelles Finnland
Finnland: Zahlen und Fakten
Exporterfolge finnischer Kultur
Küche und Keller
Literatur
Zur Vorgeschichte Finnlands
Kulturelle Varianz in Finnland (ca. 1150–1520)
Die schwedische Reichskultur und Finnland 1500–1800
Zur Kultur im Großherzogtum
Kulturgeschichte des unabhängigen Finnland
Multikulturelles Finnland
Digitale Quellen
Allgemeine Werke
Deutschsprachige Fachliteratur zu Finnland
Deutschsprachige Übersetzungen finnischer Belletristik (Auswahl)
Verzeichnis der Autoren
Personenregister
Abbildungsnachweis
Über den Autor
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Land unter dem Nordlicht : eine Kulturgeschichte Finnlands
 3534259203, 9783534259205

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Die Nikolaikirche, der Dom von Helsinki

Anssi Halmesvirta (Hrsg.)

Land unter dem Nordlicht Eine Kulturgeschichte Finnlands

Aus dem Finnischen von Rolf Klemmt

Übersetzung und Druck mit freundlicher Genehmigung des Finnish Literature Exchange (FILI)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Redaktion: Daphne Schadewaldt, Wiesbaden Herstellung: pp030 – Produktionsbüro Heike Praetor, Berlin Satz: Dörr + Schiller GmbH, Stuttgart Einbandabbildung: Blick auf die evangelische Kathedrale von Helsinki, erbaut nach Entwürfen von Carl-Ludwig Engel. Foto: picture-alliance Einbandgestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-25920-5

Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Primus Verlag, Darmstadt. (Der Primus Verlag ist ein Imprint der WBG.) Einbandabbildung: © Fotolia.com/malajscy Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. ISBN 978-3-86312-359-8 www.primusverlag.de

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73679-9 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978-3-534-73680-5 (für Mitglieder der WBG) eBook (PDF): 978-3-86312-932-3 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-86312-933-0 (Buchhandel)

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

I.

Zur Vorgeschichte Finnlands. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Janne Vilkuna

11

II.

Kulturelle Varianz in Finnland (ca. 1150–1520) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marko Lamberg

26

III. Die schwedische Reichskultur und Finnland 1500–1800 . . . . . . . . . . . . . . . . Kustaa H. J. Vilkuna

55

Die Kriege Schwedens (Kustaa H. J. Vilkuna) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die schwedischen Königshäuser (Kustaa H. J. Vilkuna) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Finnen an deutschen Universitäten (Kustaa H. J. Vilkuna) . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gemeinde Telataipale (Miia Kuha) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zauberei und Hexenverfolgung in Finnland (Jari Eilola) . . . . . . . . . . . . . . . . .

56 63 71 77 88

IV. Zur Kultur im Großherzogtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anssi Halmesvirta

110

Verteidigung Finnlands im Deutschen Reich (Anssi Halmesvirta) . . . . . . . . . . Carl Ludwig Engel (1778–1840) (Anssi Halmesvirta) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125 140

Kulturgeschichte des unabhängigen Finnland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Olli Matikainen

162

Finnland und Deutschland zwischen den Weltkriegen (Olli Matikainen) . . . . Der erste finnische Reisebericht aus dem Dritten Reich (Antero Holmila) . . . Der Sport – eine Erzählung über uns (Esa Sironen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Bildungswesen und die Entwicklung der Nation (Jussi Välimaa) . . . . . . .

171 173 181 201

VI. Multikulturelles Finnland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Outi Fingerroos

225

Finnland: Zahlen und Fakten (Lauri Poropudas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exporterfolge finnischer Kultur (Anssi Halmesvirta & Rolf Klemmt) . . . . . . . . Küche und Keller (Rolf Klemmt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

226 230 233

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Vorgeschichte Finnlands, S. 241; Kulturelle Varianz in Finnland (ca. 1150–1520), S. 242; Die schwedische Reichskultur und Finnland 1500–1800,

241

V.

S. 244; Zur Kultur im Großherzogtum, S. 246; Kulturgeschichte des unabhängigen Finnland, S. 248; Multikulturelles Finnland, S. 250; Digitale Quellen, S. 252; Allgemeine Werke, S. 252; Deutschsprachige Fachliteratur zu Finnland, S. 253; Deutschsprachige Übersetzungen finnischer Belletristik (Auswahl), S. 254 Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

262

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

263

Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

7

Vorwort Das vorliegende Werk ist die erste einbändige, speziell für ausländische Leser konzipierte Kulturgeschichte Finnlands, verfasst von Forschern am Institut für Geschichte und Ethnologie der Universität Jyväskylä. Motivation dafür – und für die Übersetzung ins Deutsche – war das wachsende Interesse an der im deutschsprachigen Raum noch immer als exotisch empfundenen „reinen“ Natur in Finnland und Lappland. Das 1998 erschienene Kulturlexikon Finnland reicht nicht aus, dieses Interesse zu befriedigen, geschweige denn ein umfassendes Bild von der Entwicklung der finnischen Kultur seit der Vorhistorie bis in die Gegenwart zu liefern. Dies zeigt sich unter anderem auch in der fortwährenden Zunahme der Mitgliederzahl der Deutsch-Finnischen Gesellschaft in Deutschland, die inzwischen über 10 000 beträgt und damit den zweitgrößten Freundschaftsverein in Deutschland bildet. In verschiedenen Aspekten ist die finnische Kultur durchaus in Deutschland bekannt geworden. Das bezeugt der bis ins Mittelalter zurückgehende, anhaltende Kulturaustausch, dessen letzte Phasen in dem Buch Finnland und Deutschland im 20. Jahrhundert (1999) beschrieben sind. Und das Bekanntwerden mit Finnland hat sich bei den Deutschen in letzter Zeit nur noch vertieft. „Ich liebe dieses Land“, seufzt der Bachtin-Forscher an der Universität Toronto, der Philosoph Wolfram Eilenberger, und er meint damit nicht nur seine finnische Frau, sondern auch so fundamentale Ausprägungen der finnischen Kultur wie Sauna, hausgebrautes Bier (sahti), Elchfeste nach der Jagd, Wurstgrillerei und Wettkämpfe im Weibertragen. Er steht dem Finnentum nicht so lakonisch gegenüber wie der Schriftsteller Roman Schatz (Suomesta, rakkaudella – From Finland with Love, 2005): „Ich würde nun nicht ganz so weit gehen, Finnland als Paradies zu bezeichnen. Dazu ist es, verdammt nochmal, viel zu teuer und zu kalt.“ Eilenberger bleibt in seinem Buch Finnen von Sinnen. Von einem, der auszog, eine finnische Frau zu heiraten (2010, finn. 2011 als Minun suomalainen vaimoni, „Meine finnische Frau“) den Finnen gegenüber jovial, wenn er mit frotzelndem Humor deren Lebensweise glossiert – genau genommen möchte auch er fünf Monate im Jahr wie ein Muminpapa in einem Sommerhäuschen leben, seine Memoiren schreiben und seine Kinder zu Kosmopoliten erziehen. Er ist wie der zum Tode verurteilte deutsche Gefangene, der auf die Frage nach seinem letzten Wunsch antwortet: „Ich möchte Finnisch lernen.“ Das Gefühl der Nähe war zwischen Deutschland und Finnland immer vorhanden. In finnischen Kulturkreisen gab es stets viele Deutschlandfreunde; in deutschen Landen wiederum haben bestimmte finnische Subkulturerscheinungen sogar eher Verständnis gefunden als im Heimatland. Als der Avantgarde-Musiker M. A. Numminen in Berlin den Tractatus von Wittgenstein auf Deutsch sang, wurde er sofort zum Liebling der intellektuellen Underground-Szene. In Ostdeutschland durfte er freilich nicht auftreten, denn er war ja populär in den linken Klubs Westdeutschlands. Seine bewusst missklingend kreischende Stimme machte ihn zum skurrilen „schrillen Numminen“, seine Lieder haben aber später den Weg auch in „höhere“ Kulturkreise gefunden.

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Vorwort

Dieses Buch entfaltet sich aus zwei Hauptthemen, die auf der Auffassung beruhen, dass Kultur sozial fundiert ist und in der Gesellschaft bewusst oder unbewusst als Wissen, Erfahrung und in Handlungsmodellen verbreitet wird. Es werden zum einen die typischen Züge der Hoch- oder Elitekultur wie der Volkskultur in ihrem Verhältnis zueinander und im Wandel der Kulturströmungen in verschiedenen Epochen behandelt, wobei sich zeitweise eine einseitige Dominanz des gesamten Kulturfeldes durch die Hochkultur abzeichnet, dann wieder in deren Wechselwirkung mit der Volkskultur fast eine Symbiose oder aber die Nachahmung der Elitekultur in den unteren Volksschichten. Dadurch werden die ungleiche Verbreitung und Aufnahme kultureller Produkte in der Gesellschaft offengelegt. Zum anderen werden Situation und Status der in den verschiedenen Zeitabschnitten auftretenden Sub-, Minoritäten- und Gegenkulturen im jeweils vorherrschenden Kulturmilieu beschrieben. Die Verfasser der einzelnen Artikel hatten dabei volle Freiheit, im Rahmen dieser Themenkonstellation ihre eigenen Beobachtungen und Ansichten vorzubringen. Die Periodisierung folgt freilich nicht der Einteilung in Kulturströmungen, sondern richtet sich nach historischen Wendepunkten. Das Mittelalter setzt mit den schwedischen Kreuzzügen nach Finnland ein und endet mit Beginn der Regierungszeit der Herrscher aus dem Wasageschlecht am Anfang des 16. Jahrhunderts. Das Ende der schwedischen Machtperiode 1809 bedeutete die Hinwendung der politischen Kultur nach Osten, zu Russland, was sich auch stark in der Kulturpolitik niederschlug, da zum Beispiel die Hauptstadt des Landes aus dem schwedisch beeinflussten Turku nach Helsinki verlegt wurde. Auf die Unabhängigkeit Finnlands folgte ab 1917 wiederum die Zeit des sogenannten „weißen Finnland“, die zumindest bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges andauerte. Danach begann sich die finnische Kultur zu modernisieren und die Widersprüche zweier Kulturen, der Arbeiterschaft und der „Herrenschicht“, lösten sich mit dem Aufbau des Wohlfahrtsstaates allmählich auf, obwohl die politischen Trennlinien noch bis weit in die 70er Jahre fortbestanden. Eine Thematik durchzieht gleichsam als roter Faden alle Beiträge: der Begriff der politischen Kultur. Politische Kultur unterliegt der Veränderung und schlägt sich gemeinhin in der Kulturpolitik nieder. Diese beinhaltet die geltenden Ideen, Werte, Normen, Institutionen und Praktiken, mit denen die jeweiligen Machthaber die Gesellschaftsordnung aufrechterhalten und die „Staatskultur“ regulieren. Wie deutsche Kalevala-Kenner (etwa schon Jacob Grimm) feststellten, trat in den vorzeitlichen finnisch-ugrischen Kulturen sowohl „urwüchsige“ physische Machtanwendung als auch äußerst starke verbale Gewalt auf, was sich in der Bewaffnung und allgemeinen Verteidigungsbereitschaft im Finnland der vorhistorischen Zeit ebenfalls nachweisen lässt. Zur Analyse von Wortgebrauch und schriftlichen Kulturprodukten gehört hier auch, die Bedeutung von Kultursymbolen in Konkurrenzsituationen zu erläutern, denn es genügt nicht, Kulturgeschichte als Historie verschiedener Kunstbereiche zu betreiben. Es geht vielmehr darum, die verschiedenen, sogar gegensätzlichen Kulturströmungen in ihrer Geschichte mit- und zueinander zu beschreiben. Auf diese Weise stellen wir die Entwicklung der finnischen Kultur mit all ihren zeitweiligen Herausforderungen und Zurückweisungen in ihrer charakteristischen Gestalt einer peripheren Einheitskultur dar und zeigen auf, wie die Finnen Kultur auf unterschiedlichen Niveaus erfahren haben und wie sie ihre Welt sahen. Die Wende von den 80er zu den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts war in Finnland die Zeit eines großen wirtschaftlichen und politischen Umbruchs – und auch kultureller Wandlungen. Die Sowjetunion brach auseinander, der Freundschaftsvertrag verlor seine

Vorwort

Bedeutung, man geriet in eine Wirtschaftskrise und die Verbindung nach Europa festigte sich. Man glaubte fest daran, dass die langdauernde Einhelligkeit der Konsensphase, die politische Kultur der „Finnlandisierung“, sich nach außen hin öffnen und neue Werte nach sich ziehen würde. Man vermutete weiter, Finnland würde von nun an empfänglicher auch für fremde Menschen und von diesen übermittelte Kultureinflüsse. Nichts dergleichen trat ein, denn die Anpassung an die Globalisierung und die stramm liberalistische Marktwirtschaft versteiften die Kultur der öffentlichen Diskussion, weil Meinungsverschiedenheiten Finnlands Beziehungen zur Europäischen Union zu bedrohen schienen. Die Diskussion geriet wieder nur zur einseitigen elitären Bevormundung der Bürger. Heute, zur Zeit der Eurokrise und der Unsicherheit über den Weg der europäischen Integration, hat sich die Situation dahingehend gewandelt, dass die bürgerlichen Meinungslager streng gespalten sind in Befürworter der Union und deren Gegner. Die Anhänger befürchten, dass eine Abkopplung Finnlands von Europa und der führenden Rolle Deutschlands auch zu einer kulturellen Entfremdung führen würde; die Gegner wiederum sind der Meinung, die Finnen sollten auf ihre eigenen Kulturwerte vertrauen (Vertrauen in die Berufserfahrung der Lehrerschaft war der Schlüssel für Finnlands PISAErfolge), sich ihrer Zähigkeit und Solidarität besinnen und wieder, wie im Winterkrieg, aus eigener Kraft vorwärtsstreben. Die Polarisierung der Bürgerdiskussion spiegelt sich auch in der Kultur: Das Zentrum, also die Hauptstadtregion, vertraut einem internationalisierten, elitären Finnland-Markenzeichen – dafür steht das 200-jährige Helsinki als Welt-Designhauptstadt 2012 mit seinem kostspieligen, spekulativen Werben um ein Guggenheim-Museum. Dem steht das übrige Finnland mit seinen vitalen örtlichen Kulturen gegenüber. Bescheidene Annäherung an fremde Kulturen und deren Rezeption geschieht inmitten dieser oberflächlichen Gärung in Ausbildungs- und Kulturprojekten, in kleineren Gemeinschaften, aber auch in der Unternehmerwelt. So versucht man mancherorts, gemeinsam mit der finnlandschwedischen Minorität nachdrücklich zu beweisen, dass Minderheitskulturen durchaus keine Gefahr, sondern im Gegenteil eine Bereicherung für das Finnentum darstellen. In diesem Sinne überlassen wir das von Lauri Poropudas zum Teil mit eigenen Aufnahmen bebilderte Werk dem kritischen Leser. Für Unterstützung und Hilfe sind wir folgenden Personen und Institutionen besonders zu Dank verpflichtet: Prof. Holger Fischer, Universität Hamburg Mag. phil. Ville Häkkinen Alfred-Kordelin-Stiftung Deutsch-Finnische Gesellschaft Institut für Geschichte und Ethnologie an der Universität Jyväskylä

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10

Vorwort

Rovaniemi

Oulu

Schweden

Finnland

Norwegen Tampere Turku Helsinki

Estland

Lettland Dänemark

Deutschland

Litauen

Polen

Weißrussland

Russland

Entdecker und Interpreten der Vorgeschichte

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I. Zur Vorgeschichte Finnlands Janne Vilkuna

Entdecker und Interpreten der Vorgeschichte Finnland wurde nach dem Friedensschluss 1809 von Schweden getrennt und als autonomes Großherzogtum Russland zugeschlagen. Zur gleichen Zeit wurde durch die nationale Erweckung in finnischen Gelehrtenkreisen die Forderung laut, die Vergangenheit des eigenen Landes und Volkes zu ergründen. So profilierten sich die Lehrstühle der in Finnland gegründeten humanistischen Universitätsinstitute zu nationalen Wissenschaftseinrichtungen, die das Ziel verfolgten, dass Finnland dank seiner Vergangenheit und Kultur zu einer zivilisierten Nation unter anderen aufsteigen möge. Johan Reinhold Aspelin wurde 1885 zum ersten Staatsarchäologen Finnlands berufen; 1892 konstatierte er in einem Brief: „Mich beseelt in all meinem Streben der Gedanke, dass die Geringschätzung unseres Volkes und unseres Stammes mit mangelnden Erinnerungen zusammenhängt, mit dem Fehlen dessen, was man achten und lieben kann. Die Liebe zum Vaterland basiert auf Erinnerungen und ich will dem Volk Erinnerungen geben, je faszinierender, desto besser.“ An die Universität Helsinki berief man den ersten Professor für Archäologie 1878, ein Ordinariat wurde 1923 gegründet. An den Universitäten Turku und Oulu lehren die ersten Professoren für Archäologie seit 1972 und 1994. Außer diesen Lehrstühlen waren schon früh zwei wichtige Instanzen etabliert worden. Im Jahr 1870 gründete man die Denkmalvereinigung, deren „Absicht ist, verschwundene und in Vergessenheit geratene Kunst- und Vorzeitrelikte, Gedichte, Lieder und Geschichten des Heimatlandes aufzuzeigen und zu sammeln sowie das finnische Volk dazu zu erwecken, seine Erinnerungen zu pflegen“. Die Vereinigung trug Objekte zusammen, indem sie Forscher oder Stipendiaten zum Sammeln über das ganze Land aussandte. Außerdem konnten Sammler gegen eine Gebühr in ihrer Region gefundene Gegenstände einschicken. Die Sammlungen wuchsen auf diese Weise schnell an, und wenn es in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts etwa 600 bekannte Steinobjekte gab, so waren es vierzig Jahre später bereits 13 000. Als zweite wichtige Forschungseinrichtung entstand 1884 der wissenschaftliche Ausschuss für Vorzeitkunde (seit 1972 Museumsbehörde), der die ein Jahr zuvor erlassenen Denkmalstatuten (zum Gesetz erhoben 1963) und die auf deren Grundlage durch Sammeltätigkeit und Feldarbeit anwachsende Nationalsammlung sowie Listen unter Denkmalschutz stehender Objekte verwaltete. Die Wurzeln des Nationalmuseums reichen auf die Sammlungen dieser beiden Instanzen zurück, denen schließlich 1893 die volkskundlichen Museen der Universität Helsinki und der Studentenvereinigungen angeschlossen wurden. Der so entstandene Komplex erhielt zuerst den Namen Historisches Staatsmuseum, seit 1916, der Zeit also, als die in den gemeinsamen Neubau eingebrachten Sammlungen für das Publikum geöffnet wurden, hieß er Finnisches Nationalmuseum.

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I. Zur Vorgeschichte Finnlands

Zu den zentralen Aufgaben der finnischen Archäologie gehörte mithin schon von Anfang an, Antworten auf national wichtige Fragen zu finden: Wann kamen die Finnen in diese Gegend und wie lange spricht man in Finnland schon Finnisch? Auch die Frage nach dem Ursprung der Samen und ihrer Sprache steht seit langem im Mittelpunkt der Forschung. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte die Archäologie eine auf Sprachforschung basierende Einwanderungstheorie, wonach die Finnen ungefähr zu Beginn unserer Zeitrechnung über das Baltikum nach Finnland gezogen seien. Seit den 60er Jahren gingen die Archäologen jedoch von einer Kontinuitätstheorie aus, und zwar aufgrund von Funden und deren chronologisch lückenloser Datierung. Demnach gab es in Finnland eine ununterbrochene Besiedlung seit Ende der Eiszeit bis auf den heutigen Tag, und die Finnen kamen folglich nirgendwoher, sondern das Volk bildete sich durch Zuwanderung aus den verschiedensten Richtungen in Finnland selbst. Forschungsmeinung war, Finnisch beziehungsweise eine dem Finnischen vorangegangene finnisch-ugrische oder uralische Sprache sei schon seit kammkeramischer Zeit oder sogar noch früher gesprochen worden. Jüngst haben nun einige Sprachforscher mithilfe sprachwissenschaftlicher Methoden nachweisen können, dass sowohl die Samen als auch die Finnen samt ihrer Sprache erst zur späten Bronze- oder frühen Eisenzeit das südliche Finnland erreichten. Damit ist die Antwort der neuen Besiedlungstheorie hinsichtlich der Sprache fast die gleiche wie vor hundert Jahren, wenn auch anzunehmen ist, dass die Dynamik der Besiedlungstätigkeit erheblich komplizierter war als früher vermutet. Die Siedlungskontinuität für den Zeitraum nach der Eiszeit gilt jedoch als sicher. Allerdings kann man mit Mitteln der Archäologie weder durch die aufgefundenen im Boden liegenden Vorzeitreste noch durch lose Fundstücke die Frage beantworten, wer diese angefertigt oder benutzt haben könnte und welche Sprache er sprach. Das liegt schon daran, dass sich im kalkarmen finnischen Erdreich keine Skelette erhalten, also keine DNA-Vergleiche möglich sind. Damit muss man sich abfinden, und deshalb wird in diesem Beitrag auch nicht zu Sprach- oder Nationalitätsfragen Stellung genommen. Die im Folgenden erwähnten vorhistorischen Kulturen sind, anders als solche der historischen Zeit, von Archäologen in einem bestimmten, begrenzten Gebiet aufgefundene und auf einen beschränkten Zeitraum datierte gegenständliche Ganzheiten. Betrachtet man die Vorzeit Finnlands oder eines beliebigen anderen Gebietes, sind zwei Dinge zu beachten. Erstens ist zu berücksichtigen, dass die Vorgeschichte von Forschern aufgrund von Kenntnissen über hauptsächlich in Museen lagernde Gegenstände und in der Landschaft fest verankerte Objekte erarbeitet wurde. Zweitens muss man sich vergegenwärtigen, dass seinerzeit nur ein Teil der menschlichen Tätigkeiten bleibende Spuren hinterlassen hat und auch von diesen Spuren nur ein minimaler Rest gefunden worden ist. Verbreitungskarten zu alten Funden bilden statt der Wirklichkeit vorhistorischer Zeit oft lediglich ab, auf welches Gebiet sich das Interesse der Archäologen richtete. Unsere Kenntnis der Vorgeschichte hängt also stark auch davon ab, wie viele fortschrittliche Sammler es in einem bestimmten Gebiet gab und wie viel Mittel für die archäologische Forschung bereitstanden. Wenn vorhistorische Wirklichkeit auch ein Faktum ist, ändert sich unsere Ansicht und Interpretation dieser Zeit doch ständig durch neue Funde und Untersuchungsmethoden sowie mit den zu verschiedenen Zeiten gefundenen Antworten auf die gestellten Fragen.

Der Wandel der Umwelt

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Der Wandel der Umwelt Die vorhistorische Umwelt unterschied sich erheblich von der heutigen, und zwar sowohl im Verhältnis von Land und Wasser als auch im Klima. Die sich verändernde Umgebung bildete den Rahmen für die Formen menschlichen Gemeinschaftslebens und bestimmte vorher, auf welche Weise die Menschen mit ihrem Wissen und durch ihre Fertigkeiten imstande waren, den Anforderungen der Natur gerecht zu werden und die natürlichen Ressourcen zu nutzen. Während der letzten Eiszeit drückte das Kontinentaleis mit einer etwa drei Kilometer dicken Eisschicht auf die Erdkruste. Als sich das Eis vor ca. 10 000 Jahren aus Finnland zurückzog, begann sich diese Erdkruste auf ihr früheres Niveau anzuheben. Diese Landhebung setzt sich in Finnland noch immer fort und je näher die Gegend einst dem Gletscherzentrum in Nordnorwegen und -schweden lag, desto kräftiger fällt die Hebung aus. Am stärksten war sie unmittelbar nach der Eisschmelze, aber im Norden des Bottnischen Meerbusens erhöht sich das Land noch immer um 80 Zentimeter in hundert Jahren, am Finnischen Meerbusen um 10 bis 20 Zentimeter. Die Landhebung hat das Verhältnis von Land und Wasser erheblich verändert. Sie verschob, und verschiebt noch immer, die finnische Westküste weiter nach Westen. Obwohl der Wasserspiegel der Vorzeitmeere sicherlich auf einheitlichem Niveau lag, hat die Landhebung die ursprünglichen Ufer verformt, sodass sie in der heutigen Landschaft unterschiedliche Höhen aufweisen. Je älter ein Vorzeitufer ist, umso schroffer ist seine Neigung. Vorstufen des heutigen Ostseebeckens waren bis etwa 9750 vor unserer Zeitrechnung der Baltische Eissee, 9750–8600 das Yoldiameer, 8600–6500 der Ancylussee, 6500–6200 das Mastogloiameer und danach das mit der Landhebung an den Ufern ununterbrochen schrumpfende Litorinameer. Diese Phase der Gewässerentwicklung hält immer noch an. Wenn ein großer See, der sich in früher Zeit aus der Ostsee isoliert hat, länglich ist und in gerader Linie in Richtung des Glazialzentrums verläuft, hebt sich sein Nordwestende schneller als die Südostecke und der anfangs nach Norden oder Nordwesten entwässernde See bricht sich eine neue Abflussrichtung nach Süden oder Südosten. Dies geschah bei dem in Mittelfinnland gelegenen Großsee, dem Ur-Päijänne, dem 7000–4200 v. u. Z. die Wasser aus dem Großen Saimaasee im Südosten zuflossen. Die Gewässer des Ur-Päijänne standen gerade vor der Entstehung des südlichen Abflusssystems 4850 v. u. Z. am höchsten, fielen dann aber schnell ab. Bei der heutigen Stadt Jyväskylä beispielsweise betrug der höchste Wasserstand damals etwa 100 Meter und ging dann auf 80 Meter zurück. Finnland war also schon immer ein gewässerreiches Land. Heute verfügt es über etwa 190 000 Seen und 35 über 100 Kilometer lange Flüsse. Deshalb war eine wichtige Voraussetzung für die Besiedlung und Nutzung des Landes die Fähigkeit, sich auf offenem Wasser zu bewegen. Trotzdem stammen die ältesten, durch das Radiokarbonverfahren abgesicherten Datierungen von Bootsfunden erst aus dem Ende der Eisenzeit, die ältesten vorzeitlichen Funde von Paddeln jedoch aus dem Ausgang der Steinzeit. Außerdem finden sich in steinzeitlichen Felsmalereien Abbildungen von Booten. Obwohl die volkskundliche Forschung einer historisch-chronologischen Einordnung der Volksdichtung kritisch gegenübersteht, erkennt sie doch an, dass sich sowohl hinsichtlich der Struktur der Gedichte, als auch mit Blick auf ihre inhaltliche Aussage Elemente herausfiltern lassen, die auf ganz ferne Zeiten verweisen. Ein solches, in den meisten Kulturkreisen bekanntes, uraltes Thema ist die Entstehung der Welt. In Finnland enthalten

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I. Zur Vorgeschichte Finnlands

Yoldiameer und Ancylussee Nach Abzug des eiszeitlichen Glazialeises hob sich die Erdkruste Finnlands auf ihr früheres Niveau, wodurch sich das Verhältnis Wasser : Land wandelte und noch immer ändert, besonders zu sehen an der relativ niedrigen finnischen Küste am Bottnischen Meerbusen, die sich Jahr für Jahr weiter nach Westen vorschiebt. Die Karten zeigen an der Stelle der Ostsee oben das vorzeitliche Yoldiameer mit Verbindung zur Nordsee (9750–8600 v. u. Z.) und unten den Ancylussee (8600– 6500 v. u. Z.), einen Binnensee.

die Gedichte von der Weltentstehung unter anderem Beschreibungen des Urmeeres, des Urvogels und der Geburt der Erde oder von Inseln. Obwohl das Thema weltweite Relevanz hat, war es hier doch ungewöhnlich lange aktuell, denn die ständigen Veränderungen im Verhältnis von Erde und Wasser waren für Menschen, die nach der Eiszeit nach Finnland einwanderten, ein Axiom. Das Gleiche gilt für durch Erdhebungen verursachte Überflutungen und Wassersenkungen der binnenländischen Großgewässer. Änderungen des Wasserspiegels mit dem damit einhergehenden Entstehen oder Verschwinden von Inseln waren für die Menschen also über 3500 Jahre eine Wirklichkeit, mithin für fast zweihundert Generationen! Außer den in steter Wandlung befindlichen Wasserverhältnissen beeinflussten das Klima und damit Flora und Fauna die Lebensmöglichkeiten des Menschen. Nach der Eiszeit war das Klima trocken, die Erdschicht, die unter Eis und Wasser hervorkam, war karge Tundra. Hier begannen sich Birkenwälder auszubreiten, dazwischen aber erschienen

Der Wandel der Umwelt

schon vor 8000 v. u. Z. auch Kiefern. Danach begann sich das Klima zu erwärmen und edlere Laubbäume verbreiteten sich. Die Zeit von 7000 bis 3800 v. u. Z. war klimatisch günstig, feucht und warm, die Jahresdurchschnittswerte entsprachen den Temperaturen des heutigen Mitteleuropa. Um 3800 v. u. Z. wurde das Klima allmählich wieder kontinental, also trocken und kühl. Da verschwanden die Edelhölzer und Fichten übernahmen vom Osten einwandernd als neue Baumart ihren Platz. Finnland war und ist immer noch deutlich ein Land der vier Jahreszeiten, in denen die verfügbare Nahrungsmenge eine je verschiedene ist und die Situation für das Weiterleben auf die ein oder andere Weise beherrscht werden muss. Nach dem Ende der Eiszeit breiteten sich im Norden nur solche Tierarten aus, die sich den äußerst kargen Gegebenheiten anzupassen vermochten. Im späten Frühjahr, Sommer und Frühherbst ist die durch Pflanzen- und Tierreich gebildete Biomasse in verschiedenen Formen relativ reichlich als Nahrung für Mensch und Tier vorhanden. Mit dem Frost aber nimmt ihre Menge zwischen Spätherbst bis hin zum Frühjahrsbeginn dramatisch ab. Die größte Herausforderung war also und ist noch immer die lange Winterzeit, in der außer dem Nahrungsmangel auch die Kälte ein ernstes Problem darstellt. Der Großteil der Vogelwelt löst das Problem durch den Winterzug in wärmere Regionen. Von den Säugetieren sammeln Bär und Dachs rechtzeitig Nahrungsreserven, von denen sie dann in ihren Höhlen während der Zeit des Winterschlafs zehren. Igel und Fledermaus gehen noch weiter, indem sie an einem geschützten Platz durch Unterkühlung erstarrt den Winter überleben.

Der alte Ski von Kinnula In Skandinavien wurden in Sümpfen und Wasserstellen etwa 250 vorzeitliche Skier aufgefunden, über zwei Drittel davon in Finnland. Modellunterschiede äußern sich am deutlichsten bei den Trittstellen: gerade, gekerbt oder erhöht. Sie zeigen grob die Entwicklungsphasen, waren jedoch teilweise in Teilen des nördlichen Eurasien gleichzeitig in Gebrauch. Zur Eisenzeit war das übliche Modell der Fanggesellschaften in Finnland der sogenannte bottnische Ski, an beiden Enden spitz zulaufend, relativ kurz, breit, mit erhöhter Fußstellung. Dieser Ski wurde um 1960 nach dem Pflügen auf einem Feld im mittelfinnischen Kinnula gefunden. Er ist 125 mm breit und 1010 mm lang, an den Rändern mit typisch eisenzeitlichen Zierlinien versehen, die ein in Finnland seltenes, kunstvolles Ringkettenornament im Mittelstück abgrenzen. Der Ski wird auf 1100–1200 v. u. Z. datiert. Auf dem gleichen Feld wurden fünf Skier gefunden, die altersmäßig etwa 600 Jahre auseinander liegen. Weshalb liegen auf einem kleinen Landstück fünf Skipaarteile, ohne Bindung, aus der Zeit 200–1200 v. u. Z.? Waren es Opfergaben? Für wen und warum?

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I. Zur Vorgeschichte Finnlands

Säugetiere, die sich in der winterlichen Natur nicht in den Schlaf begeben, schützen sich vor der Kälte durch Wärmeisolation mit ihrem Pelz oder ihrer Federdecke beziehungsweise mit einem speziellen Winterkleid und versuchen, so gut es geht, Nahrung zu finden. Zu dieser Gruppe gehört der in Finnland zugewanderte Mensch, der sich freilich gegen die Kälte mit Mitteln seiner Kultur, also mit eigens entwickelter Kleidung und entsprechenden Behausungen, behelfen musste. Dasselbe betraf die Fortbewegung, denn Voraussetzung für das Leben im hohen Norden waren Transportmittel für den Winter, also Skier und Schlitten. Die ältesten Schlittenkufen werden auf die Zeit der mesolithischen Suomusjärvi-Kultur datiert, aber die ältesten in Finnland gefundenen Skier stammen erst aus dem Anfang der Eisenzeit. Auch der in Nordschweden aufgefundene Ski, der als ältester der Welt gilt, ist nicht älter als 5200 Jahre.

Jäger und Fischer besiedeln das Land Die ersten Menschen kamen im Mesolithikum, also zur Mittleren Steinzeit, um das Jahr 8600 v. u. Z. aus dem Osten und Südosten beziehungsweise von den Ufern des Eismeers im Norden ins nacheiszeitliche Finnland. Die Ankömmlinge im südlichen und mittleren Finnland vertraten die Kunda-Kultur, benannt nach dem Fundort in Estland. Die Gebiete der Kunda-Kultur lagen westlich im Baltikum, östlich in der Umgebung des Onegasees (Äänisjärvi). Die in Verbindung miteinander stehenden Fanggemeinschaften breiteten sich mit dem Rückgang des Glazialeises in die frei gewordenen Landflächen nach Westen und Südwesten zunächst in Estland und Karelien aus, dann an den allmählich entstehenden Ufern der Ostsee. Sie begründeten um 8000 v. u. Z. die nach dem südfinnischen Fundort Suomusjärvi benannte Kultur, die sich sogar über 3000 Jahre bis 5100 v. u. Z. hielt. Die ältesten aufgefundenen Wohnplätze lagen an der aus dem Osten weit in den Westen zum Ancylussee vorgeschobenen Randmoräne Salpausselkä, etwa in der Gegend der heutigen Ortschaften Lahti und Orimattila. Die Besiedlung verbreitete sich dann relativ schnell über das ganze damalige Land. Die Suomusjärvi-Kultur kannte keine Keramik, sodass sich ihre Wohngebiete hauptsächlich nur mithilfe typischer Steingegenstände ermitteln lassen. Aus der Zeit vor der Entstehung dieser Kultur fand man an den Wohnplätzen vor allem aus Quarz angefertigte Schaber und Schneiden, die zur Bearbeitung von Leder und Horn benutzt und an Holzstücken befestigt wurden, sowie mit Widerhaken versehene Speerspitzen. Für die eigentliche Suomusjärvi-Kultur typische Gegenstände waren primitive Steinäxte und -beitel, gekrümmte oder gerade Meißel, Trichterlochkeulen und blattförmige Schieferspeerspitzen, kleine Pfeilspitzen aus Quarz und Geradmeißel vom sogenannten südfinnischen Typ. In Finnland kommt kein natürlicher Flintstein vor, deshalb war das für Schneidwaffen verwendete Material durch die ganze Steinzeit Chloritschiefer oder Strahlsteinschiefer aus den reichlichen Grundgesteinsvorkommen an den Flussufern des Kemijoki. Die für Äxte und Meißel verwendete Bezeichnung „primitiv“ charakterisiert diese zweckdienlichen Geräte nur unzulänglich. Die Schneiden der Äxte und Beitel wurden nämlich angefertigt, indem das Materialstück kunstvoll von beiden Seiten durch Schlagarbeit behauen wurde. Die Ränder, Flächen und die Rückseite beließ man dann so und nur die Schneide wurde geschliffen. Dass Teile ungeschliffen blieben, hat nichts mit mangelnden Fertigkeiten des Steinhauers zu tun, vielmehr stellten dieselben Leute beispiels-

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weise auch rundum geschliffene Krummrückenmeißel her und arbeiteten manche Gegenstände künstlerisch aus in Form von Tierköpfen. Die Ansicht, die Menschen der Suomusjärvi-Kultur seien primitive Lebewesen gewesen, speist sich letztlich daher, dass von ihrem mannigfaltigen Leben hauptsächlich nur aus Stein gefertigte Zeugnisse oder Fragmente davon sowie einige im Moor erhaltene Holzobjekte erhalten geblieben sind. Auch die wenigen aufgefundenen Gegenstände beweisen jedoch, wie der Mensch jener Zeit in der neuen Umgebung lernte, die passenden Rohstoffe für den jeweiligen Verwendungszweck zu finden. Aus organischen Materialien fabrizierte Gegenstände aus dieser Zeit sind außerordentlich wenige erhalten. Insbesondere aus den Schlittenfunden ist aber ersichtlich, dass die Menschen Binde- und Knotentechniken beherrschten, die eine leichte und elastische Bauweise ermöglichten. Im Moor konservierte eiszeitliche Schlittenkufen beweisen, dass auch große Holzstücke bearbeitet werden konnten. Die Rekonstruktion von Schlitten zeigt ferner, dass deren Erbauer über großes technisches Verständnis für die Rohstoffe der Umgebung verfügt haben müssen. Bei dem ältesten Schlittenmodell, das von der Suomusjärvi-Kultur bis zur Zeit der frühen Kammkeramik, also bis etwa 3300 v. u. Z. benutzt wurde, hatte der große Rumpf sogar bis zu vier, fünf Meter lange Kufen in der Art eines Einbaums. Die Fanggemeinschaft besorgte sich den Unterhalt aus der umgebenden Natur durch Jagen, Fischen und Sammeln. Die bei der Jagd verwendeten aktiven Fangmethoden mit Waffen, also Speeren, Keulen, Pfeilen und Bögen, waren ziemlich uneffektiv. Die Jagd mit ihnen war mühsam, weil man die Beute erst finden, sich sodann ihr annähern und sie schließlich auch noch treffen musste. Mit weniger Aufwand erreichte man ein besseres Ergebnis durch zeitunabhängige passive Methoden mit Fallgruben, Schlingen und Fallstricken, zu denen oft eine Art Gasse führte. Ganz ähnlich war die Situation beim Fischen: Das wirksamste System war Fallenstellen mit Zuführung an schmalen Stellen wie Landengen und Stromschnellen. Festzuhalten ist, dass ein Großteil der Gewässer für die damaligen Angelgeräte und -verfahren über Jahrtausende hinweg viel zu tief war. Die Möglichkeiten, Nahrungsmittel zu lagern, waren lange Zeit sehr gering. Man brauchte zunächst eine geschützte Stelle, an die hungrige große oder kleine Tiere nicht herankamen, und außerdem musste alles Essbare ja irgendwie frisch bleiben. Fleisch und Fisch konnten erst in der Neuzeit gesalzen werden, also kamen nur Trocknen, Räuchern und Säuern oder Gärung in Frage. Im Winter ließ sich die Beute auch vereisen – einfrieren. Wer im Winter auf die Jagd ging, konnte seinen Weg nicht frei wählen, denn er musste ja über ein rechtzeitig angelegtes Netz von Stützpunkten verfügen. Er musste wissen, wo er in der langen Zeit der Dunkelheit einen Unterschlupf für die Nacht hatte, wo dann vorher eingelagerter Proviant bereitstand für den Fall, dass er unterwegs keine Beute fand. Das Vermögen des Menschen, Lasten zu tragen oder zu ziehen, war nämlich relativ gering. Zwar konnten Hunde dabei hilfreich sein, aber die brauchten ja auch ihr Futter. Die im Winterdorf verbliebenen Leute lebten derweil von den zuvor erbeuteten und gelagerten Jagdvorräten. Aufgrund von Knochenfunden an eiszeitlichen Wohnstätten hat man festgestellt, dass sich in der Zeit der Suomusjärvi-Kultur die Nahrung der Bevölkerung an der Küste von der im Binnenland unterschied. In den Küstengebieten war der Robbenfang eine einträgliche Erwerbsquelle, im Inland wiederum Jagd und vor allem Fischfang. Die Analyse von

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Knochenfunden aus dem mittelfinnischen Saarijärvi ergab, dass Hunde als Schlitten-Zugtiere und Jagdhilfe in der Gefolgschaft des Menschen lebten. Jagdobjekte waren in erster Linie Biber, Elche, Bären, Wölfe, Marder und Vögel. Knochen vom Waldren (Rangifer tarandus) konnten für die Zeit der frühen Kultur von Suomusjärvi nicht entdeckt werden, sie finden sich erst später und während der kammkeramischen Kultur, als eine atlantische, also vom Meer beeinflusste Klimaphase herrschte. Mit Blick auf die Nahrungsressourcen ist zu bemerken, dass die Einwohnerzahl Finnlands erst an der Wende zum 19. Jahrhundert auf über eine Million anstieg. Zu der Zeit, für die man erstmals mithilfe von Dokumenten die Bevölkerungszahl schätzen kann, das heißt um 1700, betrug sie 400 000 Personen. Mit dieser Zahl als Ausgangspunkt lässt sich rückschließen, dass es am Ende der Eisenzeit etwa 50 000 Einwohner gab, zur Zeit der Jagdgemeinschaften der Steinzeit dürften es nur etwa 10 000 gewesen sein. Obwohl zu jener Zeit im Winter nur wenig Biomasse verfügbar war, ermöglichten die dünne Besiedlung und die weiten Jagdgebiete ein hinreichendes Leben in den Stammesgebieten. Die Umgebung bildete den Rahmen für die Erwerbstätigkeit der Jagdgemeinschaften, die ihrerseits das Weltbild und den Glauben der Menschen jener Zeit bestimmten. Der Glauben war in dem Sinne naturbezogen, dass es überall „Kräfte“ gab. Die mit den Köpfen von Bären, Elchen und Schwänen verzierten steinzeitlichen Gegenstände lassen vermuten, dass die Geschlechter glaubten, von kraftvollen Vorväter- oder Urmuttertieren abzustammen. Da Jagen und Fischen weniger ein Nehmen denn ein Bekommen bedeuteten, strebte der Mensch danach, sein Glück durch Zaubersprüche, Hexerei und Opfer zu zwingen. Auf diese Riten verweist auch der in kammkeramischer Zeit angenommene Brauch, mit Rotockerfarbe die Steilwände schroffer Uferfelsen mit Felsmalereien zu versehen, die hauptsächlich Elche, Boote und Menschen abbilden. Malereien von Schwänen oder solche, die man als Bären interpretieren kann, gibt es nur selten. Dagegen ist der Schwan das übliche Bildmotiv für geritzte Felszeichnungen an den Seeufern im heute russischen Karelien. Der Bär ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die Wirkung der Natur auf die menschliche Kultur. Er wurde als Gegenkraft des Menschen akzeptiert, als kräftigstes Tier, das gleichwohl wie der Mensch ein Verwerter von Mischnahrung war. Seine größte Bedeutung lag aber ursprünglich ganz woanders. Er war im besten Fall der Retter der Fanggemeinschaft, ihr Befreier aus der Hungersnot! Der Bär half nämlich auf zweierlei Weise, den akuten Nahrungsmangel des Menschen zur Winterzeit zu beheben. Er sammelt erstens zur schneefreien Zeit eine Menge Nahrungsreserven für den Winter und hält zweitens in der kalten Zeit an einem geschützten Platz Winterschlaf, wobei er die Energie zehrenden Lebensfunktionen auf ein Minimum herabschraubt. Der weibliche Bär gebiert auch seine Jungen in der Höhle. Das Auffinden einer winterlichen Bärenhöhle bedeutete für die Jagdgemeinschaft höchstes Glück. Jetzt konnte man in aller Ruhe auf den geeigneten Augenblick warten, denn der von Oktober/November bis März/April schlafende Bär war ja im Prinzip eine Frischfleischkonserve. Erst wenn sich der eigene Nahrungsvorrat dem Ende zuneigte, zugleich aber rechtzeitig vor dem Erwachen des Bären, begab man sich mit vielen Männern zur Höhle und tötete das Tier, das sich dort kaum verteidigen konnte, obwohl es sonst stark und durchaus auch schnell ist. Beim Aufbruch zum Bärenfang begann eine Abfolge von Riten, die im Jagdfest kulminierten und mit dem Schädelpfahl endeten. Während der Riten wurde der Bär sowohl getäuscht als auch besänftigt. Insgesamt war der Bär also zur Zeit der Fanggemeinschaften ein besonders positives Tier. Erst mit dem Wandel in

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den Erwerbsmöglichkeiten und verstärkter Landwirtschaft wurde der Bär (und alle anderen größeren Fleischfresser) zu einer negativen Erscheinung: ein böses Raubtier, Vernichter der Herden.

Die Töpfer Um 5000 v. u. Z. erwarb man die aus dem Osten kommende Fertigkeit, aus Lehm und Ton Gebrauchsgegenstände zu formen und zu dauerhafter Keramik zu brennen. Damit fügte sich Finnland als Teil einem weiten, bis zum Ural reichenden keramischen Kulturgebiet ein. Mit der Neuerung begann für Finnland die jüngere oder neolithische Steinzeit. Als ihre Erkennungsmerkmale gelten im Allgemeinen die Kenntnis der Lehmtechnik, die Verbreitung vollständig geschliffener Steinobjekte und der Beginn von Viehzucht und Landwirtschaft. Die beiden letzteren Erwerbszweige lernte man allerdings erst am Ende der Steinzeit kennen, sie fanden zur Bronze- und Eisenzeit allgemeine Verbreitung. Die Keramik ist deshalb besonders wichtig für die vorhistorische Forschung, weil sie als anorganischer Stoff ebenso erhalten blieb wie Steingegenstände. Zugleich aber änderten sich im Laufe der Zeit die Form, die Herstellungsart und vor allem die Dekoration der Tonobjekte ständig. Während in der Steinbearbeitung ein effektives Modell über mehrere Jahrtausende in Verwendung bleiben konnte, lassen sich bei keramischen Gegenständen Phasen von Hunderten von Jahren unterscheiden. So kristallisieren sich aus den Keramikfunden sowohl zeitlich wie auch gebietsweise Kulturbereiche mit verschiedenen Traditionen heraus. Die frühe Kammkeramik fand im gesamten Gebiet der Suomusjärvi-Kultur Verbreitung, Tongefäße wurden in Wohnbereichen von Südfinnland bis nach Inari in Lappland gefunden. Der Name dieser Kulturphase leitet sich von der Kammspuren ähnlichen Verzierung mit Punkt- und Strichdekor her. Die Neuheit wurde gleichzeitig im südlichen, mittleren wie nördlichen Finnland übernommen. Im Osten mischte man die Tonmasse mit Asbest, was die Herstellung von Gefäßen ermöglichte, die wesentlich dünnwandiger waren. Der frühen Phase folgte die typische Kammkeramik (3900–3400 v. u. Z.) und danach deren Spätzeit (3600–3200). Um 3200 v. u. Z. erreichte eine völlig andere Kultur aus dem Baltikum den Südwesten Finnlands. Es handelt sich um die Hammeraxt- oder Schnurkeramikkultur, in der Viehzucht gepflegt wurde. Mit dem Viehmist wurde das Feld gedüngt, und langsam entwickelte sich so gegen Ende der Steinzeit eine bescheidene Landwirtschaft. Schwendwirtschaft und Feldanbau wurden allmählich zu einem allgemeinen Nebenerwerb. Die Feldkultivierung kam gleichzeitig an der Küste wie im Binnenland in Gebrauch, diese Innovation hielt also sowohl von Süden als auch von Osten her Einzug. Schwerpunkte der spätkammkeramischen Kultur waren die südlichen, südwestlichen und westlichen Küstenstreifen Finnlands, aber im Inland und in Ostfinnland dürfte es auch eine Gruppe von Trägern dieser Kultur gegeben haben. Mit der Verschmelzung von Schnur- und Kammkeramik im Südwesten entstand schließlich um 2300 v. u. Z. die letzte eiszeitliche Kultur im südlichen Finnland, die sogenannte Kultur von Kiukainen, die sich in der Bronzezeit fortsetzte. Die Existenz relativ großer Kulturgebiete mit gleichartiger keramischer Tradition beweist, dass die Fanggemeinschaften trotz ihrer geringen Bevölkerungszahlen unterei-

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nander in regelmäßigem Kontakt gestanden haben müssen. Der biologische Genbestand des Menschen beinhaltet das natürliche Bestreben, Inzest zu vermeiden, woraus sich schon früh kraft der Kultur Vorschriften entwickelten, die das Zusammentreffen von Ehegatten innerhalb der Verwandtschaftsgrade begrenzten. In den primitiven Kleingemeinschaften wurde oft Exogamie geübt, das heißt, als Ehepartner kam nur in Frage, wer außerhalb der eigenen Gemeinschaft stand. Der eine Partner hat die Traditionen der eigenen Familie mit dem Übergang in eine andere Gruppe dann in die neue Umgebung eingebracht. Was aber sagt uns das Auftreten der Keramik in ihren verschiedenen Stilen über die Kultur und ihre Träger? Der aus Lehmmasse in unterschiedlichen Mischungen hergestellte Rohstoff wurde in fernen südlichen Regionen zu Tongefäßen geformt und gebrannt, und zwar zur selben Zeit, als der Mensch begann, das Land zu bearbeiten. Den Ertrag aus dem Getreideanbau bewahrte man zum Schutz vor Schädlingen in Tongefäßen auf. Feldwirtschaft und Keramik breiteten sich im Allgemeinen gemeinsam in neue Kulturräume aus. Die Fertigkeit, technisch anspruchsvolle Keramik herzustellen, bürgerte sich vom Osten aus in Finnland ein. Getreideanbau betrieb man in den Russland nahe gelegenen Gebieten, da hier kontinentales Klima herrschte. Neuere Forschungen aus den Jahren 2010– 2012 haben ergeben, dass zur frühen Kammkeramikzeit Siedler in Südost-Finnland etwa 5300 v. u. Z. schon Buchweizen und um 4200 Gerste angebaut haben müssen. In jener Zeit wurde aber auch das Klima in Finnland günstiger, wodurch die Nahrungsressourcen der Umgebung reichhaltiger wurden und somit kleinere Nutzungsflächen genügten. Vor allem die in kammkeramischer Zeit gefertigten großen Gefäße waren nicht zum Transport geeignet; sie verblieben also offenbar zumeist in denjenigen Siedlungsarealen, wo sie später aufgefunden wurden. Weil die typischen Muster, die die Gegenstände der Suomusjärvi-Kultur verziert hatten, in kammkeramischer Zeit weiter benutzt wurden, kam man zu dem Schluss, die Besiedlungskontinuität sei zu betonen, und betrachtete die Aneignung der Keramik lediglich als eine technische Neuheit. Die im Verhältnis zu früher verbesserten Lebensbedingungen führten zur Zunahme der Bevölkerung und zu erweiterten Verkehrsverbindungen, wodurch unter anderem Importrohstoffe erhältlich wurden: aus dem Süden Bernstein, aus dem Osten Feuerstein und auch der oben erwähnte Stil der Keramikdekoration. Die naturräumliche Umgebung der Jagdgemeinschaften hatte sich nach der Eiszeit ständig weiter erwärmt. Die günstigste Zeit erlebte man um 4900 v. u. Z., als die Durchschnittstemperatur der des heutigen Mitteleuropa entsprach. Damals wuchsen edle Laubbäume bis in die Höhe der heutigen Stadt Oulu. Gegen Ende der Steinzeit begann sich das Klima wieder abzukühlen und die Edelhölzer wichen Fichten, die als neue Baumart aus dem Osten nach Südfinnland einwanderten. 2000 v. u. Z. war die Fichte im Binnenland endemisch und 800 Jahre später hatte sie sich schon in ganz Finnland ausgebreitet, nur nicht auf den Meeresinseln. An den Küstenwohnplätzen errichteten die Menschen entweder vorläufige zeltartige Behausungen mit einem Durchmesser von etwa fünf Metern oder bleibende feste Gebäude, die sogar zwanzig Meter im Durchmesser betragen konnten. An und nahe bei den Küsten bildeten sich Dörfer aus, im Binnenland blieb die Besiedlung verstreut und bescheidener. An den Wohnstätten lassen sich noch immer Erdvertiefungen oder Herdsteine finden. Die Gräber wurden in Arealen neben den Wohnsiedlungen angelegt. Man

Neuerungen der älteren Metallzeit

Steinzeitdorf in Saarijärvi 1980 wurde auf einer Insel mit zahlreichen Altertumsresten im mittelfinnischen Saarijärvi als kulturelles Touristenziel ein Steinzeitdorf gegründet. Am Ufer rekonstruierte man mit dem Wissen der damaligen Zeit eine Reihe kleiner zeltartiger Behausungen. Durch Untersuchungen verbesserten sich die Kenntnisse über steinzeitliche Wohnstätten, entsprechend wurden neue Rekonstruktionen errichtet, die erheblich größer sind, sogar 20 m im Durchmesser und eindeutig für ständige Nutzung gedacht. In unmittelbarer Nähe fand man bei Ausgrabungen 1999–2000 Reste eines rechteckigen Gebäudes (8  12 m) mit behauenem Holzblockfundament.

gab den Verschiedenen Gegenstände für das Jenseits mit ins Grab und sie wurden, wie damals allgemein üblich, mit einer Schicht roter Ockererde bestreut. Die Schnurkeramik und die binnenländischen Asbestkeramiken zeigen, dass Finnland schon zum Ende der Steinzeit in ein westliches und ein östliches Kulturgebiet unterschieden war, bestehend aus den Küstenstreifen einerseits und dem Binnenland andererseits. Im Inland wurden in der Lebensform der Jagdgemeinschaften die Traditionen der kammkeramischen Kultur fortgesetzt, an den Küsten ging man während der auf die Schnurkeramik folgenden Kultur von Kiukainen zur Bewirtschaftung der Felder über. Jedoch besagt die Einteilung in Stein-, Bronze- und Eisenzeit nicht, wie die damaligen Menschen für ihren Unterhalt sorgten, anders gesagt, ob sie sich hauptsächlich durch Einödwirtschaft, also Nutzung der Wildmark, ernährten oder durch bäuerliche Landwirtschaft. Die Grenze zwischen beiden Lebensformen war nicht schroff, denn wer im Binnenland seine Felder bestellte, sah im Jagen, Fischen und Sammeln von Naturgaben bis ins 19. Jahrhundert hinein einen durchaus wertvollen Nebenerwerb.

Neuerungen der älteren Metallzeit Menschen, die von Einödwirtschaft lebten, war es ziemlich gleichgültig, aus welchem Material die Schneide ihrer Waffe war. In der Bronze- und Eisenzeit boten die neu entdeckten Metalle jedoch bedeutsamen Nutzen für die Bauern, die ihren Boden erst roden

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mussten. Jetzt konnten sie bei der Anlage von Brandäckern mit einer eisernen Axt leicht größere Bäume fällen und ein Pflug mit Eisenspitzen war hilfreich, um größere Felder sowie härtere, lehmige Böden zu bearbeiten. Die einsetzende Bronze- und Eisenzeit, also die Epoche von 1500 v. u. Z. bis 300 nach Beginn der Zeitrechnung, die in Finnland später einsetzt als in Mitteleuropa, wird hier auch ältere Metallzeit genannt. Diese Bezeichnung trifft besonders gut auf das finnische Binnenland zu, wo sich das Leben der Gemeinschaften weiterhin auf Fangerwerb gründete und die Bedeutung der Metalle zunächst noch relativ gering blieb. Die Neuerungen der älteren Metallzeit eignete man sich im Inland vom Westen wie vom Osten her an. Es handelte sich unter anderem um neue Keramiktechniken, neue Metalle, die Schwendoder Brandwirtschaft und neue Bestattungsmethoden. In der älteren Metallzeit wurden an der Küste keramische Gegenstände in der Nachfolge der Tradition der Kiukainen-Kultur angefertigt. Im Binnenland stellte man fast zweitausend Jahre lang, von 1200 vor bis 500 nach dem Zeitrechnungsbeginn, Textilkeramik her, deren technische Innovation darauf beruhte, dass Gefäße mithilfe von gerundeten hölzernen Modellformen und Tuch entstanden, wobei der Stoff, der dieser Keramikart den Namen verlieh, Abdrücke auf der Oberfläche der Gegenstände hinterließ. In Mittel- und Nordfinnland entwickelte sich eine neuartige Asbestmischkeramik, die man mit der von der Textilkeramik übernommenen Formtechnik fabrizierte. Im südlichen Finnland wurde solche Keramik von 500 v. u. Z. bis 300 danach oder sogar länger getöpfert. Während der Frühmetallzeit benutzte man noch immer Steingeräte wie die mit Schaftlöchern versehenen Äxte, aber zu den erstaunlichsten Neuheiten im Bereich der Schneidwaffen gehörten doch die ersten Metallobjekte: aus Kupfer gehämmerte oder aus Bronze gegossene Äxte. Obwohl schon in der kammkeramischen Kultur vereinzelt Kupfergegenstände begegnen, wurden Bronzeobjekte erst gegen 1500 v. u. Z. allgemein bekannt, zu welchem Zeitpunkt man den Beginn der Bronzezeit ansetzt. Mit Blick auf die Fundstücke aus Metall ist zu beachten, dass es sich dabei um Objekte aus einem in Finnland eigentlich völlig unbekannten Rohstoff handelt, die man gegen irgendeine im Heimatland produzierte Ware eintauschen musste. Die Metallkultur bestand aber keineswegs nur aus dem Erwerb von Importartikeln, sondern man lernte und beherrschte die Gusstechnik dann auch selbst, wie manche Gussformenfunde und einheimische Modellformen beweisen. Die Fundsituation bestätigt erneut die schon in der Steinzeit sichtbare Auseinanderentwicklung von Küstengebieten und Binnenland, denn die Bronzegegenstände erreichten die finnische Küste von Skandinavien aus, das Landesinnere dagegen von Osten und Südosten. Die Kunst der Herstellung von Eisen aus Erz in den Seen lernte man gegen 5000 v. u. Z. und erst diese Innovation verdrängte Stein als Material für Waffen und Werkzeuge. Brandrodung, Feldbau und Viehzucht führten zur Weiterentwicklung der Gemeinschaft und erneuerten deren Weltbild. Wenn man schon den Wald fällte und zu urbarem Land abbrannte, auf dem dann ausgesäte Samen zu Halmen und Ähren heranreiften, die zur Ernte eingebracht wurden, konnte man sich durchaus auch eine Wiederkehr des Menschen vorstellen, wenn man seine Gebeine nach der Einäscherung entsprechend dem Erdboden übergab. Also begann man, die Toten an den Küstenstreifen zu verbrennen und die Knochen nahe dem Wasser in aus losem Gestein errichteten, kegelförmigen Steinhügelgräbern zu bestatten. Die mächtigsten davon zeugen von der sozialen Differenzierung

Im Einflussbereich der Großmächte

zwischen der Dorfgemeinschaft und ihren Anführern. Die Einäscherung und Steinhügelbestattung fand auch in den Seengebieten des Binnenlandes Anwendung. Die Lebensbedingungen für die Bewohner des Nordens wurden gegen Ende der älteren Metallzeit härter, denn das Klima begann sich um 700 v. u. Z. schnell empfindlich abzukühlen, es wurde maritim und regnerisch.

Im Einflussbereich der Großmächte Die ältere Metallzeit endete etwa 300 u. Z., also nach eisenzeitlicher Datierung zum Zeitpunkt der jüngeren, römischen Eisenzeit (200–400). Die Bezeichnung rührt vom Römischen Reich her, das sich bis über den Rhein ausgedehnt hatte und dessen kultureller Einfluss sogar bis nach Skandinavien reichte. Dank dem Handel Roms und seiner Provinzen herrschte ein großer Bedarf an Pelzen und so kamen im Gegenzug bis heute erhaltene eiserne Waffen und Werkzeuge, bronzene Schmuckstücke und die verschiedensten sonstigen Luxusartikel wie Tuch und Wein nach Finnland. Die eisenzeitliche Besiedlung des Binnenlandes zu skizzieren wird im Vergleich zu früheren Zeitabschnitten dadurch erschwert, dass die Verwendung von Keramik abnahm oder sogar ganz aufhörte. Anstelle von Tongefäßen benutzte man nämlich langlebige, leicht transportable und feuerfeste Kupfertöpfe, die durch den Handel ins Land kamen. Um 400 u. Z. setzte im südlichen Europa die sogenannte Völkerwanderungszeit ein, der die nach einem fränkischen Herrschergeschlecht benannte Merowingerzeit folgte (600– 800). Die Slawen erweiterten zu dieser Zeit ihren Einflussbereich im Osten und der Verkehr auf den Flusswegen von der Ostsee bis nach Byzanz wurde zunehmend lebhafter. Die Verstärkung des Handels förderte auch immer mehr das Städtewesen. Die Merowingerzeit endete 800 mit dem Beginn der Wikingerzeit, die bis 1025 andauerte. Diese Bezeichnung rekurriert auf die Handels- und Beutereisen, die die Skandinavier mit ihren seefesten Schiffen bis weit in den Westen, Süden und Osten führten; die gewaltsamsten dieser Fahrten begründeten den kriegerischen Ruf der Wikinger. Die Schließung der östlichen Schifffahrtswege in unruhigen Zeiten ließ den Handel sich weitgehend in den Westen verlagern. Der letzte Abschnitt der eisenzeitlichen Vorhistorie, die Kreuzzugszeit, beginnt 1025 und währt bis 1300. In diesen Jahrhunderten stieg die Bedeutung des zur Ostkirche gehörenden Novgorod. Ihren Namen hat die Epoche von den drei von Schweden aus nach Finnland geführten Bekehrungs- oder Kreuzzügen erhalten, mittels derer die gemeinsamen Bestrebungen der schwedischen Krone und der römisch-katholischen Kirche verwirklicht werden sollten. Das finnische Binnenland war über Jahrtausende Kreuzungsbereich östlicher und westlicher Kultureinflüsse. Die Kontakte der Jagdgemeinschaften erstreckten sich während der Steinzeit und bis in die frühe Metallzeit hinein hauptsächlich nach Osten, aber zur Wikingerzeit trat hier eine Änderung ein, als sich die Bedeutung Westfinnlands und der Provinz Häme festigte. Die Zahl der eisenzeitlichen Einzelfunde verdreifachte sich und die Gräberfelder wurden in der Wikinger- und Kreuzzugszeit allgemein üblicher. Diese Erscheinung ist vor dem Hintergrund des Übergangs von einer vor allem auf die Sicherung der eigenen Ernährung ausgerichteten zur kommerziellen Nutzung der Wildmark zu sehen, der durch den internationalen Pelzhandel verursacht wurde. Soll man anhand von Altertumsfunden eine Aussage zu der Zeit treffen, wann die für das 16. Jahrhundert dokumen-

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tierten Besitzrechte an Einödbesitz im binnenländischen Häme geschaffen wurden, kommt eben die Wikingerzeit in Frage, als der Handel im Ostseegebiet lebhafter wurde und die ersten Städte in Skandinavien gegründet wurden. Die handelsorientierte Nutzung der Wildmark bedingte ein Ineinandergreifen von Produktbeschaffung und Weitervermittlung. Auch die Produktionsmittel, mithin die Fanggeräte wie auch die Fortbewegungs- und Transportmittel, entwickelten sich und durch den Handel kamen die verschiedensten neuen Waren und Luxusgüter ins Land. Die Jäger brauchten leichte, schmale und flache Fahrtenboote, die eine Beplankung in Klinkerbauweise erhielten und deren Verbindungen ohne Nägel und Nieten durch Wurzelstricke gewährleistet wurden. Die Winterfahrzeuge wurden gleichfalls effektiver, so verwendete man statt der zweikufigen Schlitten nun nach dem Bootsprinzip gefertigte Ackjas, also einrumpfige Rentierschlitten. Als Jagdgeräte dienten verschiedene Fallen und Speere sowie als effektive Neuheit die aus dem Osten übernommenen, aus mehreren Holzstücken verleimten Bogen und Pfeile. Die Jagdbeute tauschte man bei Händlern in Waffen und Schmuck, dessen Bedeutung und Botschaft die Geschäftspartnerschaft besiegelte. Die kommerzielle Fangtätigkeit des Jägervolkes war in erster Linie auf Pelztiere gerichtet. Welche Rolle andere Handelswaren spielten, ist schwer zu beurteilen. Neben dem als Medizin verwendeten Bibergeil werden in alten Volksdichtungen etwa Jagdfalken erwähnt, die ein wertvolles Exportgut gewesen sein könnten. Dafür zahlte man nämlich an der Wende von der Merowinger- zur Wikingerzeit in Europa 12 Solidi, was viel war, weil zum Beispiel eine Kuh 1–3, ein Pferd 7 und ein Schwert mit Scheide ebenfalls 7 Solidi kostete! Die wertvollen Pelze und anderen Jagdprodukte tauschte man in den größeren Dörfern bei Bauernhändlern ein, die sie weiter in ferne Länder brachten. Anfangs trafen sich Produzenten und Kommissionäre nur von ferne, später führte der verstärkte Handel zur Gründung von Handelsplätzen, die von Knechten der Handel treibenden Bauern betreut wurden und sich allmählich zu Dörfern auswuchsen, deren Einwohner wiederum zu neuen Händlern mit eigener Kundschaft wurden. Die zahlreichen Naturwiesen der Einödgegenden und die durch Schwenden entstandenen Weideländer ermöglichten die Haltung relativ großer Viehherden. So verschob sich der Schwerpunkt des Erwerbs mit der Zeit langsam von der Jagd- zur Landwirtschaft. Im nördlichen Finnland fand eine solche Verschiebung der Erwerbsmöglichkeiten stufenweise erst in historischer Zeit statt. Für die Kreuzzugszeit lassen sich in Finnland drei Großräume ausmachen: Westfinnland, Häme und Ostfinnland oder Savo-Karelien. In der Provinz Häme bildeten die Landstriche im Bereich des Sees Päijänne eine Grenzscheide zwischen Ost und West, denn sie wurden sowohl von den Bewohnern von Häme als auch von den Savo-Kareliern genutzt. Die Entstehung der Schwendkultur in Savo beruhte auf der Aneignung einer neuen Brandtechnik aus dem Osten, die auch das Schwenden dichter Nadelwälder ermöglichte. Der weiter verbesserte Feldanbau trug maßgeblich zum Anwachsen der Bevölkerung und zur Neubesiedlung bei. Mit der steigenden wirtschaftlichen Bedeutung ging auch eine Stärkung der politischen Position des Landes einher. Gegen die gewaltsamen Expansionsbestrebungen der Großmächte der Zeit, Schweden, Dänemark und Nowgorod, sowie der Kirchen von Rom und Konstantinopel versuchten sich die Dörfer zu schützen, indem sie an günstigen Stellen auf schroffen Hügeln und Bergen vorzeitliche Befestigungen anlegten. Hier konnten wie bei den Burgen in der Nähe besiedelter Städte auch kaufmännische Aktivitäten ausgeübt werden und die umliegenden Dörfer mit ihren Handel treibenden Bauern hielten hier Märkte

Im Einflussbereich der Großmächte

ab. Obwohl die frühen Festungsanlagen schon am Ende der Eisenzeit errichtet wurden, blieben sie zur Sicherheit der Dörfer und ihrer Bewohner bis lange ins Mittelalter erhalten. Durch Vermittlung des Handels ergab sich schon vor den Kreuzzügen nach Finnland eine Berührung mit dem Christentum, und alte wie neue Gottheiten existierten im Denken der Gläubigen lange Zeit in friedlichem Einvernehmen. Die Kreuzzüge gelten allgemein als das Ende der vorhistorischen Epoche, es beginnt die erste Periode der historischen Zeit, das Mittelalter. Es bleibt aber festzuhalten, dass diese Phase im mittleren, östlichen und nördlichen Finnland keineswegs gleichzeitig eingesetzt hat, obwohl man in den Kerngebieten im Westen und Süden neue heilige Plätze anzulegen begann und neue Festtage hier bald die alten ersetzten, während zugleich die Verwaltung und die Besteuerung erneuert wurden. Mithin muss die Historie der einzelnen Gebiete bis in die Neuzeit hinein mit archäologischen Methoden weiter untersucht werden.

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II. Kulturelle Varianz in Finnland (ca. 1150–1520)

II. Kulturelle Varianz in Finnland (ca. 1150–1520) Marko Lamberg

Der Mittelalterbegriff in der finnischen Geschichte Die als Mittelalter bezeichnete Epoche umfasst in der finnischen Geschichte einen nur halb so langen Zeitraum wie in der westeuropäischen Geschichtsschreibung. In Finnland wird der Beginn des Mittelalters um 1150 angesetzt, als nach mittelalterlicher Überlieferung ein schwedischer Kreuzzug im Südwesten des Landes anlandete, um die heidnischen Finnen zum Christentum zu bekehren und diese Gebiete dem schwedischen Königreich einzuverleiben. Der Kreuzzug soll zwei Anführer gehabt haben: Bischof Henrik und König Erik Jedvardsson. Der Legende nach starb Henrik bald den Märtyrertod, da ein finnischer Bauer ihn erschlug; Erik kehrte nach Schweden zurück, verlor aber sein Leben im Kampf um die Macht im Lande. Beide wurden bald als Heilige verehrt. Die mittelalterliche schwedische Überlieferung berichtet für das 13. Jahrhundert noch von zwei weiteren Kreuzzügen nach Finnland. Der zweite fand in den 1230er oder 1240er Jahren statt, der dritte 1293. Damit erreichte der Zugriff Schwedens bereits die östlichen Landstriche am Finnischen Meerbusen. Der schwedische König und der Fürst von Nowgorod definierten ihre Interessengebiete im Friedensvertrag von 1323, wodurch die finnischen West- und Südgebiete an Schweden fielen, während die nördlichen und östlichen Landstriche – mithin der größte Teil Kareliens sowie das Binnenland und auch das finnische Lappland – zum Einflussbereich Russlands gehörten. Über den genaueren Verlauf der Grenzlinie ergaben sich schon im 15. Jahrhundert Meinungsverschiedenheiten, eine Tatsache, die auch noch die modernen Geschichtsforscher beschäftigt hat. Nach neuesten Interpretationen wurde die Grenze in dem 1323 abgeschlossenen Vertrag gar nicht festgeschrieben, zumindest nicht hinsichtlich des Binnenlandes. Genauere Abmachungen wurden erst später getroffen, als sich die Machtbestrebungen Schwedens und Nowgorods über die Küstengebiete hinaus ins Landesinnere zu erstrecken begannen. Trotz dieser Unsicherheiten hinsichtlich der Grenzziehung betrachtet man den Friedensvertrag als Endpunkt der Kreuzzugsepoche in der Geschichte Finnlands. In der Periodisierung des finnischen Mittelalters haben die Begriffe Früh-, Hoch- und Spätmittelalter nicht die gleiche Bedeutung wie in der gemeineuropäischen Geschichtsschreibung, wenngleich der Zeitraum nach dem Schwarzen Tod auch für Finnland als Spätmittelalter bezeichnet werden kann. Da schriftliche Quellen weithin fehlen, wissen wir jedoch nicht sicher, ob um die Mitte des 14. Jahrhunderts auch in Finnland die Pest gewütet hat. Erst zu späteren Epidemien liegen Erwähnungen vor. Die Zeit zwischen 1397 und 1520 ist auch in Finnland nach der Vereinigung skandinavischer Staaten als Kalmarer Union bekannt. Das Ende des finnischen Mittelalters wird im Allgemeinen um 1520 angesetzt, als die genannte Union zerbrach. Gustav Wasa bestieg den schwedischen Thron und

Das mittelalterliche Finnland als kulturgeografischer Begriff

die Ablösung der katholischen Zeit durch die Reformation nahm auch in Finnland ihren Anfang. Diese Periodisierungen sind freilich nur grob richtungsweisend, wenn wir kulturelle Strukturen berücksichtigen. Die wirkliche Ereignishistorie der Kreuzzugszeit und andere genaue Datierungen sind durch Mythen und verschiedene Interpretationsansätze späterer Zeiten verdeckt; auch war um 1520 keineswegs schon ganz Finnland protestantisch geworden. Die Christianisierung Finnlands und der Anschluss an Schweden waren langwährende und wechselvolle Prozesse, die einerseits sogar schon vor der sogenannten Kreuzzugszeit (1150–1323) einsetzten, andererseits aber vor allem im Inland noch unvollendet waren, als Gustav Wasa sich daranmachte, seine Politik der Stärkung der königlichen Macht auf Kosten der Kirche und der Aristokratie zu verwirklichen. Die traditionelle Geschichtsschreibung richtete ihr Hauptaugenmerk auf die Geschichte der Verhältnisse und Geschehnisse im westlichen und südlichen Finnland. Für die Russland zugefallenen Gebiete Ostfinnlands und Kareliens ist die Anwendung des Mittelalterbegriffs noch problematischer, da die schwedischen Kreuzfahrer Karelien erst im Jahr 1293 erreichten und das 16. Jahrhundert in der karelischen Geschichte keineswegs die gleichen glaubens- und gesellschaftshistorischen Veränderungen bedeutete wie in den Schweden angegliederten Gebieten. Auch in Nordfinnland und Lappland bleibt das Mittelalter ein sehr interpretationsabhängiger Zeitraum. Der als Mittelalter bezeichnete Zeitraum brachte auf alle Fälle bedeutsame Veränderungen mit sich: Zum einen, da hiermit die eigentlich historische Zeit in Finnland beginnt. Die frühfinnische, vorchristliche Kultur scheint demnach fast völlig auf mündlicher Überlieferung und Erinnerungswissen zu basieren. Erst mit der Einflussnahme Schwedens und Russlands wuchs die Bedeutung der schriftlichen Kultur. Zum anderen überzog der Christianisierungsprozess während des Mittelalters zumindest oberflächlich das ganze Finnland. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts gab es in Finnland wohl kein erwachsenes Individuum, das vom christlichen Glauben nicht wenigstens etwas gehört hatte, obgleich die Aneignung und Verinnerlichung des Inhalts und der Formen der christlichen Lehre sicherlich regional und individuell stark variierten. Indem sie Mission betrieben, sich Gebiete aneigneten und Staatsbildungsprozesse vorantrieben, brachten die schwedischen wie die russischen Machthaber im Verlauf des Mittelalters die frühfinnische Gesellschaft der gemeineuropäischen Gesellschaftsform und Kultur näher. Gerade dieser Entwicklung soll hier besonderes Augenmerk gewidmet werden.

Das mittelalterliche Finnland als kulturgeografischer Begriff Nicht nur der Mittelalterbegriff als solcher, sondern auch der Begriff eines mittelalterlichen Finnland ist vielschichtig. In diesem Kapitel, das sich mit kulturellen Strukturen im Mittelalter beschäftigt, meint Finnland hauptsächlich die kulturelle und geografische Ganzheit, die im Wesentlichen den Raum der heutigen Republik Finnland umfasste. Im Mittelalter war das Finnland genannte Gebiet kleiner als das gegenwärtige Staatsgebilde, aber seine Grenzen lassen sich nur schwer genau bestimmen, weil sie sich im Laufe der Zeit veränderten. Das Finnland des Mittelalters ist als synonymer Ausdruck für die finnische Halbinsel zu verstehen, als die man Finnland geografisch gesehen auffassen kann. Wenn hier ohne weitere Erläuterung von mittelalterlichen Finnen die Rede ist, sind die Bewoh-

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ner dieses kulturgeografischen Gebiets gemeint, die Finnisch oder richtiger verschiedene Mundarten des Finnischen sprachen. Als Urfinnen bezeichnen wir Menschen aus einem Zeitraum vor den Kreuzzügen und der historischen Zeit. Wenn wir von Einwohnern oder von der Bevölkerung Finnlands sprechen, schließen wir auch andere Volkgruppen ein, darunter solche, die nicht Finnisch sprachen. Für die Kreuzzugszeit bedeuten Finnland und seine verschiedensprachigen Varianten (Finlandia, Finland, Fennia usw.) ein geografisch gesehen kleineres Gebiet, ungefähr das heutige Südwestfinnland, also die Provinz Varsinais-Suomi („eigentliches Finnland“). Entsprechend waren im damaligen Sprachgebrauch Finnen die Bewohner dieses Landstrichs im Unterschied zu denen der Provinz Häme im Binnenland und den Kareliern, die weiter im Osten die Karelien genannte Provinz bewohnten. Die außerhalb des Festlandes befindlichen Åland-Inseln waren wahrscheinlich schon vor den Kreuzzügen zur Wikingerzeit schwedisiert worden. Die Schweden benutzten für die unter ihre Herrschaft geratenen, östlich des Bottnischen Meerbusens gelegenen Gebiete zunächst den Begriff „Ostländer“ (Österländerna); im 14. Jahrhundert bürgerte sich dafür die singularische Form „Ostland“ (Österland) ein,

Carta Marina 1539 Zur Kreuzzugszeit bezogen sich die Begriffe Suomi und anderssprachige Bezeichnungen (Finlandia, Finland, Fennia usw.) auf ein geographisch kleineres Gebiet, etwa auf die heutige Provinz Varsinais-Suomi. Zu jener Zeit waren die Einwohner hier Finnen (suomalaiset) zur Unterscheidung von den hämälaiset, Bewohnern von Häme im Binnenland, und den Kareliern (karjalaiset) weiter im Osten. Die Karte zeigt die Wohngebiete der verschiedenen Stämme und deren typische Erwerbszweige.

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bis die Bezeichnung „Suomi“ (Finnland) zum Allgemeinbegriff wurde, wie heute zum Beispiel auch Holland auf die Niederlande verweist oder England für Großbritannien steht. Schon im 14. Jahrhundert meinte der Ausdruck „Finne“ alle Bewohner der Schweden eingegliederten finnischen Bereiche. Der Finnland-Begriff ist jedoch noch nicht einmal zum Ende des Mittelalters oder am Beginn der Neuzeit gefestigt zu nennen: In einigen Zusammenhängen reichte das als Finnland bezeichnete Gebiet bis zu irgendeinem Fluss im Norden, manchmal sogar bis zu den nördlichen Teilen des heutigen Schweden, während in anderen Fällen die nördlichen Regionen und außerdem die von schwedischsprachiger Bevölkerung bewohnten Küstengebiete im äußersten Winkel des Bottnischen Meerbusens ausgespart blieben. Ein Staatenwesen bezeichnete das Wort „Finnland“ im Mittelalter überhaupt nicht, denn offiziell handelte es sich um ein dem schwedischen Königreich untergeordnetes administratives und geografisches Gebiet. In der Rechtssprache schloss das Königreich nach schwedischer Auffassung auch die Finnen mit ein. Das mittelalterliche Finnland ist mithin ein wechselhafter Begriff, der in seinem jeweiligen Kontext zu interpretieren ist. Da zur Ausgestaltung der frühfinnischen Gesellschaft kaum Dokumente vorliegen, bleibt unklar, ob die lokalen Gemeinschaften bereits in Provinzen organisiert waren und damals zum Beispiel schon über ein eigenes Rechts- und Verteidigungswesen verfügten. Spätestens im Verlauf der Kreuzzugszeit entstand und festigte sich jedoch in den finnischen Gebieten eine verwaltungstechnische Aufteilung in Provinzen, wie dies auch dem schwedischen System entsprach. Die zur Zeit der Kreuzzüge erkennbaren ursprünglichen Provinzen waren zumindest auf dem Festland der Größe nach wahrscheinlich umfangreicher als die späteren Provinzen. Es besteht jedoch keine genaue Kenntnis darüber, wann sich die Provinz Satakunta von Finnland löste und zu einem eigenen Gebilde wurde, das sich zur Provinz Varsinais-Suomi entwickelte. Häme bezog sich anfangs keineswegs nur auf das Binnenland, sondern umfasste auch Landstriche vom Bottnischen bis zum Finnischen Meerbusen. Im Mittelalter schrumpfte vor allem die Provinz Häme, als sich die Provinzen Ostbottnien an der Westküste, Uusimaa an der Südküste und Savo zwischen Häme und Karelien herausbildeten. 1323 ergab sich durch die Aufteilung der Interessensphären, dass der größte Teil Kareliens in russischen Besitz überging. Trotz aller Unklarheiten bezüglich des genauen Grenzverlaufs ergab sich durch die Grenzziehung auch die Trennung in Einflussbereiche der katholischen und der orthodoxen Kirche.

Sprach- und Volksgruppen Die finnischen Festlandbewohner sprachen untereinander verwandte Mundarten und zwischen den Provinzen entwickelten sich sowohl Gleichheiten als auch Unterschiede in der geistigen wie auch materiellen Kultur. Diese Kulturunterschiede lassen sich freilich erst für die Jahrhunderte nach Beginn der Neuzeit deutlicher wahrnehmen und erforschen. In der älteren Geschichtsschreibung wird von Stämmen gesprochen, ein Begriff, der inzwischen mehr und mehr aufgegeben wird. In der gegenwärtigen Forschung geht man eher von Mundart- und Kulturlandschaften aus. Auch den in der finnischen Geschichtsschreibung auftretenden Einheitskulturbegriff kann man mit der Begründung in Frage stellen, dass dadurch die Werte und die Verhaltenskultur der Kirche oder der Land besitzenden Schichten zu stark betont werden: Zwi-

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schen einzelnen Gebieten und Gesellschaftsgruppen bildeten sich schon in vorhistorischer Zeit Kulturunterschiede heraus. In der Forschung zur Volksüberlieferung wurde nachgewiesen, dass sich Finnland in zwei hauptsächliche Kulturgebiete aufteilt: ein westliches und ein östliches, was schon daraus resultiert, dass wichtige Kultur- und Zuzugsbewegungen aus den beiden genannten Himmelsrichtungen erfolgten. Die Grenze von 1323 erklärt diese Zweiteilung freilich nicht allein, wenn auch in der älteren Forschungsliteratur gerade darauf verwiesen wird. Die orthodoxen, zu Russland gehörenden Karelier und die unter schwedischer Herrschaft stehenden katholischen Finnen hatten durchaus Interesse an regionalem Warenaustausch. Die karelischen Händler reisten auf den Wasserwegen des Binnenlandes bis hin zur ostbottnischen Küste. Gewalttätigkeit ließ sich dabei nicht immer vermeiden und auch die Konkurrenzsituation zwischen Russland und Schweden schürte Feindlichkeiten auf örtlicher Ebene. Die Karelier waren für die Finnen Russen und sie selbst für diese natürlich Schweden – die Ähnlichkeit der Sprachen reichte also nicht aus, gegenseitige Fremdheitsgefühle zu beseitigen. Der Prozess der Herausbildung der Provinzen verursachte Animositäten auch unter den Finnen, zumindest zwischen den Einwohnern von Häme einerseits und Savo andererseits, weil die Gemeinden beider Provinzen im 15. Jahrhundert um die Nutzungsrechte an den Waldgebieten im Binnenland kämpften, teilweise sogar unter Anwendung von Gewalt. Hinsichtlich dieser Zwistigkeiten suchte man Hilfe bei der Obrigkeit in Schweden, der auf diese Weise die Rolle des Beschützers und Richters in finnischen Angelegenheiten zuwuchs. An sich war die Konkurrenz zwischen Gebieten und Gemeinschaften durchaus nichts Ungewöhnliches, da die mittelalterlichen Provinzbildungsprozesse die Konfrontation der Landesteile und örtlichen Gemeinschaften untereinander ja noch keineswegs beseitigt hatten. In der finnischen Volkstradition finden sich allerlei Geschichten, Anekdoten und Spottgedichte, die sich auf die Leute des Nachbardorfes beziehen. Da der Großteil der Menschen damals weit weniger reiste als heute, hatten Ortsansässigkeit und lokales Gemeinwesen große Bedeutung im Alltag. Wer aus seiner eigenen Heimatgegend wegzog, war zumindest anfangs im wahrsten Sinne ein Fremdling in der neuen Umgebung. Zu den frühesten Bewohnern Finnlands gehörten auch die Samen, entfernte Sprachverwandte der Finnen und Karelier. Samen lebten auch in den Südteilen des Landes und nicht nur in Lappland. Die Samen wurden gleichwohl auch als Lappen bezeichnet. Lappland bedeutete ursprünglich ein abseits gelegenes Gebiet und ein Lappe war mithin Einwohner einer entlegenen Gegend. Neben den genannten Gruppen lebten in Finnland auch Vertreter anderer Sprachgruppen. Archäologischen Funden zufolge hatte skandinavische Bevölkerung schon in der Eisenzeit die ostbottnische Küste besiedelt. Unter anderem lässt der Name der Gemeinde Harjavalta in der Provinz Satakunta auf vorhistorische germanische Besiedlung schließen. Die westlich vom Festland gelegenen Inseln bildeten die Provinz Åland, deren Bewohner schon vor der Kreuzzugszeit schwedischen Ursprungs beziehungsweise aus Schweden zugewandert waren. Schwedisch sprechende Siedler erreichten mit den Kreuzzügen die finnischen Küsten, besonders in Ostbottnien und Uusimaa. So entstand unter anderem das Dorf Helsingfors Helsinginkoski („Helsinkistromschnelle“), das sich Jahrhunderte später zur finnischen Hauptstadt Helsinki entwickeln sollte. Besonders an der Südküste und auf den vorliegenden Schären wohnten und bewegten sich in gewissem Umfang auch Esten. Die Handels- und Schiffsverbindungen von und

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Helsinki Das heutige Territorium von Helsinki war seit dem Mittelalter das Gebiet schwedischsprachiger Bevölkerung: Die Stadt erhielt auch ihren Namen nach den Zuzüglern aus Hälsingland. Gustav Wasa gründete den Ort 1550 an der Stelle des mittelalterlichen Dorfes Forsby an der Mündung des Flusses Vantaanjoki, eigentlich in Konkurrenz zu Tallinn. Damals gab man die alte Stadt auf und gründete sie an einem neuen Platz, vor allem um einen besseren Hafen zu erhalten. Die Karte zeigt beide Teile Helsinkis Mitte des 17. Jhs., die Altstadt oben an der innersten Bucht, die neue Stadt auf dem Gelände des heutigen Stadtteils Kruunuhaaka und des Senatsplatzes. Die Chatra öfwer gamble och Nya Helsingfors varande ägor wurde offensichtlich 1645 von Hans Hansson im Maßstab von etwa 1 : 12 000 gezeichnet.

nach Estland führten in einigen Fällen auch zur Übersiedlung über das Meer hinweg und zur Entstehung von Verwandtschaftsbeziehungen. Wie nachfolgend bei der Behandlung der Kreuzzüge noch aufzuzeigen sein wird, lebten auf den Inseln an der finnischen Südküste wenigstens im 12. Jahrhundert offensichtlich auch Dänen; im Osten machten sich in Karelien russische Händler, Beamte und Geistliche ansässig. Nach den Schweden bildeten vom 13. Jahrhundert an deutschsprachige Einwanderer die wahrscheinlich größte Sprachminderheit im mittelalterlichen Finnland. Zu der Zeit begann sich Niederdeutsch sprechende Bevölkerung in verschiedenen Teilen Nordeuropas niederzulassen, auch im schwedischen Reich und in Finnland. Die deutschen Zuwanderer repräsentierten Fernhandel, städtische Erwerbstätigkeit und Stadtentwicklung, aber einige Dokumentenbelege und Ortsnamen wie Saksala beweisen, dass sie auch in der Provinz ansässig waren. Die Bezeichnungen Saksa (Deutschland) und saksalainen (deutsch, Deutscher) deuten an, dass die frühesten Ankömmlinge aus Saksi (Sachsen) einwanderten. Die Quellen erlauben es nicht, die Zahl der Einwohner Finnlands beziehungsweise der verschiedenen Gruppen im Mittelalter sicher einzuschätzen. Man nimmt aber an, dass die Einwohnerzahl zur Zeit der Kreuzzüge unter 50 000 betrug. Die ersten halbwegs verlässlichen Angaben betreffen erst die 1570er Jahre, als in Finnland etwa 300 000 Menschen lebten. Die Bevölkerungszahlen scheinen also angestiegen zu sein, einige der auf ihre Entwicklung einwirkenden Faktoren wie die Anzahl der schwedischen und deutschen Zuwanderer und die durch die Pest möglicherweise verursachten Bevölkerungsdefizite beruhen aber lediglich auf Vermutungen.

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Kaum bekannte altfinnische Kultur Über die urfinnischen Glaubensinhalte erfahren wir aus der Überlieferung nur ausgesprochen wenig; zum Christianisierungsprozess stehen vor allem solche Quellen zur Verfügung, die aus Sicht der Geistlichen berichten. Der Reformator Mikael Agricola veröffentlichte 1551 seine Übersetzung der Psalmen und legte im Vorwort dazu ein gereimtes Verzeichnis der in Häme und Karelien verehrten Götzen vor, in beiden Gruppen je zwölf Stück umfassend. Die Liste der Abgötter in Häme beginnt hinsichtlich der Jäger- und Fischerkultur mit den Zentralfiguren Tapio („aus dem Walde die Fänge schallen“) und Ahti („aus dem Wasser die Fische quallen“). Interessanterweise tauchen die auf Fruchtanbau und Landwirtschaft hindeutenden Gottheiten erst im karelischen Verzeichnis auf und bilden hier die Mehrheit. In tadelndem Ton schildert Agricola auch die heidnischen Bräuche des Volkes wie die Niederlegung von Speisen für die Toten, das Weinen am Grabe und die anlässlich der Aussaat im Frühjahr durchgeführten Zechereien, bei denen „viele beschämende Dinge“ vorfielen. So interessant die von Agricola vorgelegten Mitteilungen sein mögen, sind sie zum Teil sehr unterschiedlich auslegbar schon wegen ihrer sprachlich schwer verständlichen Züge. Freilich kann man seine Beschreibungen mit anderen Nachrichten über die Glaubensvorstellungen und Volksüberlieferungen der finnischen Einwohner vergleichen und verbinden. Die Volkstraditionen der Finnen werden schon seit dem 17. Jahrhundert untersucht, als sich die Gelehrten der Akademie in Turku für die Bräuche und Glaubensvorstellungen der einfachen Leute interessierten. Im 19. Jahrhundert begann man die Volksdichtung dann systematischer zu sammeln. Wenn das finnische Nationalepos Kalevala auch keine authentische Überlieferung darstellt, sondern von Elias Lönnrot (1802–1884) geschaffen wurde, stehen dahinter doch von Sammlern notierte Aufzeichnungen mündlicher Kultur. Diese Texte sind auch wertvolle Quellen für die Geschichtsforschung, obwohl sie natürlich auch Angaben zu Geschehnissen und Umständen späterer Zeiten enthalten. Was genau die Urfinnen über Kräfte oder Verfasstheiten überirdischen Charakters und nach dem Tode geglaubt haben mögen, es hat sicher kein systematisches Lehrsystem gebil-

Schamanentrommler In Ekstase geratener samischer Schamanentrommler aus dem Buch von Johannes Schefferus Joannis Schefferi Argentoratensis Lapponia von 1673. Den Glauben der vorzeitlichen Finnen und Samen kann man als schamanistisch bezeichnen, er wurde durch Riten, Zaubersprüche und mystische Erzählungen von Generation zu Generation vermittelt. Geistliche gab es in eisenzeitlichen Gemeinschaften wahrscheinlich noch nicht, aber einzelne Personen hielt man für kompetenter, mit dem Jenseits Verbindung aufzunehmen. Sie wurden Seher, Magier und Heiler genannt.

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det. Vielmehr kann man ihren Glauben als schamanisch charakterisieren, wie den der in Finnland lebenden Samen. Aus der Auflistung von Agricola lässt sich nicht eindeutig belegen, ob die Frühfinnen tatsächlich personifizierte Gottheiten verehrten oder das Übernatürliche eher als Kraft und Geist auffassten, der auch das Leben der Menschen beeinflussen konnte. Die Glaubensinhalte wurden durch Rituale, Zauberformeln und mythische Geschichten an die nächsten Generationen weitergereicht. Ein eigentliches Priestertum hat es in den eisenzeitlichen Gemeinschaften bestimmt nicht gegeben, aber einzelne Individuen hielt man für besonders befähigt, Verbindung zum Jenseits aufzunehmen; sie wurden Propheten, Magier und Heilkundige genannt. Sowohl die Altfinnen als auch die Samen verehrten Naturelemente wie Himmelskörper und physische Orte ihrer Umgebung, die sich in den Augen der Menschen aus der übrigen Landschaft heraushoben, etwa Felsen, Schluchten oder Fjälle und auch Seen. Ein solcher Ort erschien mit übernatürlichen Kräften gesegnet, also heilig. Er bildete mithin die Grenze zwischen der realen und der jenseitigen Welt. In Finnland sind noch immer mit pyhä (heilig) beginnende Ortsnamen erhalten, so etwa Pyhätunturi (heiliger Fjäll), Pyhäjärvi (heiliger See), Pyhäselkä (heilige offene See) und Pyhäjoki (heiliger Fluss). Die Samen verehrten beispielsweise die aus dem Inarisee aufragende Felseninsel Ukonsaari. An einigen Felswänden sind noch in grauer Vorzeit entstandene symbolhafte Zeichnungen erhalten, deren Interpretation im Sinne ihrer kulturellen Entstehungszeit heute aber kaum mehr gelingen wird. Einige Ortsnamen wie die beiden Torsholma benannten Inseln bei Åland und die Insel Ödensö an der Südküste des Festlandes verweisen darauf, dass Einflüsse des skandinavischen Asa-Glaubens den Osten erreichten. Skandinavische Kultgegenstände wie der Hammer von Thor wurden auch im Binnenland gefunden. Die Verbindungen zu den skandinavischen Völkern im Westen beruhten auf Warenaustausch, schon in vorhistorischer Zeit auf Finnland gerichteter Zuwanderung und auf Wikingerzügen – führte der Ostweg der Wikinger doch über das Åland-Meer die finnische Südküste entlang in den Finnischen Meerbusen. Auf diese Weise gelangte die skandinavische Glaubenstradition auch nach Finnland oder wenigstens in die Insel- und Küstengegenden. Trotz dieser kulturellen Einflüsse scheint die skandinavische Mythologie den meisten Urfinnen aber fremd geblieben zu sein. Als dann die katholische Kirche ihre Lehre verbreitete, ging man in Finnland vor wie in anderen Missionsgebieten und der Papst billigte im Jahre 1229 dem finnischen Bischof das Recht zu, die heidnischen Opferhaine in eigenen Gebrauch zu nehmen. Die Urfinnen hatten also feste Plätze für die Ausübung ihrer Rituale, die freilich in ihren Einzelheiten unbekannt geblieben sind. Diese Opferstätten nannte man hiisi. Noch immer gibt es in Finnland mit hiisi beginnende Ortsnamen. Das Wort bedeutete anfangs „Verwandtschafts-“ oder „Dorffriedhof“. Man begrub hier seine Verstorbenen und suchte diese Stätten auf, um ihrer mit Speiseopfern und Klageliedern zu gedenken. Später scheint sich der Begriff auf alle Plätze ausgeweitet zu haben, wo man Glaubensrituale praktizierte. Die Priester, die den christlichen Glauben propagierten, verachteten diese heiligen Haine als Orte der Teufelsanbetung und hiisi wurde so auch zum Synonym für „Teufel“. In der Auflistung Agricolas wird Hiisi unter die Abgötter gezählt.

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Finnland christianisiert sich Die mittelalterliche katholische Kirche und die adelig geprägte, schwedische Chroniküberlieferung berichten, dass Finnland während dreier Kreuzzüge christianisiert wurde, die zwischen 1150 und 1293 von Schweden aus in verschiedene Teile Finnlands unternommen wurden: an die Südwestküste, nach Häme und nach Karelien. Der Kreuzzugsbegriff wurde der allgemeineuropäischen Rhetorik von der Schwertmission entlehnt. Der geschilderte, wenngleich geringfügige Konnex zwischen der Christianisierung und den Kreuzzügen beherrschte lange Zeit auch die Interpretation in der finnischen und schwedischen Geschichtsschreibung. Seitdem ist die Bedeutung der in Missionsabsicht geführten Kreuzzüge in der Forschung umstritten. Über den Zeitpunkt des zweiten Kreuzzuges besteht noch immer keine einhellige Meinung und auch die historischen Tatsachen des ersten Kreuzzuges wurden angezweifelt. An der Wende zum 13. Jahrhundert hatte das schwedische Reich jedenfalls seinen Zugriff auf Finnland so weit gefestigt, dass vor allem an den Küsten und auf den Inseln schwedische Niederlassungen gegründet werden konnten, die ihrerseits den Christianisierungsprozess stärkten. Nach neueren Auffassungen haben aber keineswegs die Kreuzzüge die Christianisierung der Frühfinnen eingeleitet, sondern diese hat schon in noch früheren Jahrhunderten begonnen. Archäologische Funde zeugen einerseits von sehr frühem christlichem Glauben auf der finnischen Halbinsel, andererseits von langfristig anhaltendem Heidentum. Entscheidend dürfte hier die Einsicht sein, dass unterschiedliche religiöse Ansichten wohl kaum gleichzeitig in gleicher Stärke die Menschen eines bestimmten Zeitraumes durchdringen und dass diese sich auch nur höchst selten ganz plötzlich verändern. Dies gilt nicht nur für die Christianisierung Finnlands, sondern ebenso beispielsweise für die Reformation, deren Realisierung sich auch über die Lebenszeit mehrerer Generationen hinzog. Die frühesten in Finnland aufgefundenen Objekte, die auf das Christentum verweisen oder in diesem Sinne interpretierbar sind, stammen aus dem 4. bis 6. Jahrhundert. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um außerhalb Finnlands gefertigte Kultgegenstände, die auf diese oder jene Weise bis in den fernen Norden gelangten. Es ist allerdings unsicher, was die Träger eines solchen christlichen Gegenstandes, zum Beispiel eines Kruzifixes, selbst darüber gedacht haben. Es konnte wohl auch in übertragenem Sinne als heidnischer Zaubergegenstand oder vielleicht einfach als Schmuckstück gedient haben. Im Ganzen gesehen blieb Finnland lange ein heidnisches Land, zumindest wenn man die dortige Situation mit dem übrigen Europa und den umliegenden Ländern vergleicht, die wenigstens formell schon zu Beginn des 11. Jahrhunderts christianisiert wurden. Wegen weithin fehlender schriftlicher Quellen gab es höchst unterschiedliche Meinungen zur Herkunftsrichtung und Ausbreitung des Christentums. Der Norden war juristisch zunächst Missionsgebiet des Erzbistums Hamburg-Bremen, bis in Lund, Nidaros (Trondheim) und Uppsala im 12. Jahrhundert Erzbischofssitze gegründet wurden. Im nahe gelegenen Osten wurde der Nowgoroder orthodoxe Erzbischofssitz 1165 gegründet. Von den Forschern wurden nun widersprüchliche Ansichten über die Formen und die Bedeutung der westlichen und östlichen Missionsarbeit vorgelegt. Einige Wissenschaftler sahen in den auf finnischem Boden gefundenen christlichen Gegenständen und auf christliche Grundlage zurückgehenden Lehnwörtern etwa Einflüsse keltischer Missionsprediger, die von den Britischen Inseln hergekommen waren. Auch den Bernhardinermönchen wurde

Finnland christianisiert sich

die Rolle frühzeitiger Bekehrer der Finnen zugeschrieben, obgleich bekanntlich auf der finnischen Halbinsel – im Gegensatz zu Schweden – kein einziges Kloster des Zisterzienserordens je errichtet wurde. Schwertmission und Gründung von Niederlassungen versuchten neben den Schweden auch die Dänen, die im Norden Estlands operierten und an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert mindestens einen Kreuzzug in die westlichen Regionen Finnlands unternahmen, vielleicht sogar zwei oder drei. Die Russen waren also nicht die Einzigen, mit denen die schwedischen Könige und Adligen bei der Machtergreifung in den finnischen Gebieten konkurrierten. Ein dänisches Itinerar, ein Reiseführer also, bildet Segelrouten ab, die an der finnischen Südküste entlang nach Tallinn (Reval) führten. Die Inselwelt und die Küste Finnlands weisen noch immer Ortsnamen auf, die auf dänische Kultur und möglicherweise auch Niederlassung hindeuten. Der finnische Name der Stadt Porvoo in der Provinz Uusimaa etwa könnte dänische Aussprache widerspiegeln, weil der schwedische Name Borgå eher die Form Porkoo voraussetzt, denn es ist denkbar, dass die Burg, die der Stadt den Namen verliehen hat, von Dänen erbaut wurde oder sich doch am Übergang vom 12. zum 13. Jahrhundert in dänischem Besitz befand. Einige Untersuchungen wollen auch dänische Einflüsse im Heiligkreuzkult nachweisen, der in Häme vorgefunden wurde, weil die Dänen diesen auch in Estland verbreiteten. Die Kirche des in Häme liegenden Ortes Hattula war das berühmteste dem Heiligen Kreuz geweihte Bauwerk und diente als Wallfahrtsort auch für Dänen. Als Schweden und Dänen im späten Mittelalter gegeneinander um die Herrschaft in Finnland kämpften, führten dänische Piraten Raubzüge an den finnischen Küsten und auch in der Stadt Turku durch, was im Bewusstsein des Volkes Angst und Hass gegen die „Juten“ und „Danen“ hinterließ. Am allermeisten wurde bezüglich des finnischen Christianisierungsprozesses über das Ausmaß der ostkirchlichen Beteiligung an der Missionsarbeit diskutiert. Einige Forscher glauben, dass sich der christliche Glaube in der ersten Phase von Osten her nach Finnland ausbreitete und auch den Südwesten erreichte. Dies bezeugt der Wortschatz christlichen Inhalts in der finnischen Sprache eindrücklich: So sind zum Beispiel die finnischen Wörter pappi (Pfaffe, Priester), risti (Kreuz), Raamattu (Bibel) und kummi (Pate) aus slawi-

Die Burg in Hämeenlinna Die Burg auf einer Postkarte aus dem Anfang des 20. Jhs. (links) und als historisches Denkmal mittelalterlicher Befestigungen restauriert (rechts). Sie diente Ende des 13. Jhs. zunächst als Lager der östlichsten Grenzbefestigung Schwedens, wurde aber mit den Grenzverschiebungen nach Osten zum Wohnschloss des Burgherrn ausgebaut. Im 18. Jh. wurde ein drittes Geschoss hinzugefügt und eine Ringmauer errichtet. 1837–1972 war in dem Gebäude ein Gefängnis untergebracht. Nach fertiggestellter Restaurierung wurde die Burg Besuchern zugänglich gemacht.

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schen Sprachen oder aus dem Griechischen beziehungsweise über das Slawische aus dem Griechischen entlehnt. Dieser christliche Grundwortschatz scheint sich so fest im Finnischen (richtiger in dessen Mundarten) verwurzelt zu haben, dass er keine Veränderung mehr erfuhr, als Skandinavier und aus dem übrigen Europa angekommene Missionare den Christenglauben in seiner katholischen Variante verbreiteten. Die östliche Missionsarbeit kann man vielleicht für das 10. und 11. Jahrhundert ansetzen. Nach der chronikalischen Überlieferung schickte der Großfürst von Kiew, Wladimir, der sich als erster russischer Herrscher 988 zum Christentum bekannte, Priester und Mönche auch nach Finnland und Karelien, um den christlichen Glauben bis an die Grenzen seines Machtbereichs auszudehnen. Außer dem Wortschatz dürften zahlreiche alte slawische Familiennamen an diese früheste orthodoxe Missionierung erinnern, ebenso wie möglicherweise der Ortsname Turku und der Name des vorher am gleichen Ort gelegenen Marktplatzes Koroinen; Ersteren kann man mit dem slawischen Wort für tori (Marktplatz) in Verbindung bringen, Letzteren mit dem slawischen Wort für kaupunki (Stadt). Es ist möglich, dass die Russen nicht die einzigen Slawen waren, mit denen die eisenzeitlichen Finnen auf ihrem Boden zu tun hatten: Slawische Einflüsse könnten auch auf die an den Südküsten der Ostsee wohnenden und mit Segelschiffen Handelsfahrten unternehmenden Venden zurückzuführen sein, die mit dem finnischen Wort venäläinen (Russe, russisch) vielleicht ursprünglich gemeint waren. Es halten allerdings nicht alle Forscher den östlichen und den slawischen Einfluss für so erheblich. Die Etymologie der Ortsnamen Turku und Koroinen lässt sich auch auf viele andere Weisen erklären. Außerdem ist festzuhalten, dass in Südwestfinnland nur sehr wenige auf russischen Ursprung verweisende Fundgegenstände aufgetaucht sind. Des Weiteren ist auffällig, dass Karelien langsamer christianisiert wurde als die westlichen Gegenden Finnlands, was wiederum eine primär katholische Missionierung nahelegt. Auch die etymologische Bedeutung der Lehnwörter als Ausdruck der Herkunft christlicher Einflüsse ist bestritten worden. Infolge der katholischen Missionierung wurden aus dem Westen mehrere zentrale christliche Begriffe ins Finnische übernommen, wie etwa kirkko (Kirche) und alttari (Altar). Hingegen ist bemerkenswert, dass das finnische Wort pappi (Pfaffe, Priester) keine Entsprechung in den skandinavischen Sprachen hat, obgleich das Christentum in seiner katholischen Ausprägung in Finnland letztlich vor allem von Schweden her Verbreitung erfuhr, während einiger Jahrzehnte offensichtlich auch aus Dänemark. Das deutet darauf hin, dass der Pfaffenbegriff und die Gruppe der Priester schon gebildet und im Bewusstsein der Altfinnen verwurzelt waren. Auch die die Christianisierung betreffende mittelalterliche Überlieferung stützt die Auffassung von der frühzeitigen Gegenwart russischer Herrschaft und orthodoxen Glaubens: Bei der Schilderung des Kreuzzuges nach Häme konstatiert die im 14. Jahrhundert abgefasste Erikschronik, dieser schwedische Kriegszug habe zur Folge gehabt, „dass der russische König viel Land verlor“, und als Sebastian Münster in seiner 1544 verfassten Cosmographia Finnland behandelt, berichtet er über den vor langer Zeit erfolgten Kirchenwechsel. Münsters Ausführungen müssen auf dem am Ende des Mittelalters vorherrschenden Kenntnisstand und einer entsprechenden Überlieferung zur orthodoxen Zwischenphase in Finnland beruhen. Wesentlicher als das Problem, auf welchen Wegen sich das Christentum in der finnischen Gesellschaft ausbreitete, ist jedoch die Frage, was die christliche Kultur beinhaltete und wodurch sich eine Person, die sich zu ihr bekannte, von den Heiden unterschied. Diese Frage ist schon deshalb wichtig, weil während des Jahrhunderte andauernden Chris-

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tianisierungsprozesses christianisierte und heidnische Menschen Nachbarn waren. Letztendlich blieben die Heiden in der Minderheit. Immerhin waren sich Christen und Heiden während der langen Übergangszeit der Bräuche und Glaubensvorstellungen der jeweils anderen bewusst. Es ist nicht bekannt, ob sie an den Ritualen der Andersgläubigen teilnahmen oder ob sich Grenzzonen zwischen den Glaubensgemeinschaften bildeten, die eine solche Wechselwirkung verhinderten. Aus den archäologischen Untersuchungen geht weder hervor, ob zwischen heidnischen und christianisierten Finnen Feindlichkeiten bestanden, noch gibt es Anzeichen dafür, dass es zu Unterbrechungen des Warenaustauschs zwischen den Gebieten gekommen ist. Wohl werden in einer Kreuzzugsbulle Papst Gregors IX. aus dem Jahre 1237 die „abtrünnigen“ Hämebewohner erwähnt, die zum Heidentum abgefallen waren und begonnen hatten, Christen zu verfolgen, aber die dramatischen Formulierungen des Papstes scheinen aus anderen, auf die Vernichtung der Heiden abzielenden Schriften übernommen zu sein, sodass man sie nicht wirklich als Beleg für Gewalttätigkeiten werten kann, die unter Finnen im Mittelalter vorgekommen wären. Wegen des Fehlens von auf das Individuum bezogenen schriftlichen Quellen lassen sich über die Glaubensüberzeugung des Einzelnen und sein Verständnis der christlichen Lehre keine Aussagen machen. Es lassen sich jedoch Schlüsse und Annahmen aus mentalitätshistorischen Strukturen ableiten, indem man Kenntnisse zur Verhaltenskultur und materiellen Kultur verschiedener Religionsgruppen analysiert. So konnte entgegen der offiziellen Lehrmeinung, wonach die heidnischen Bräuche als Teufelsverehrung anzusehen waren, der christliche Glaube auch angenommen werden, ohne völlig auf die alten Vorstellungen und Praktiken verzichten zu müssen. In ihrem Missionsgebiet akzeptierte die Kirche praktisch die sogenannte Primsignation, womit die Entscheidung des Einzelnen gemeint ist, Bedeutung und Kraft des Kreuzes anzuerkennen, sich aber nicht unbedingt taufen zu lassen. Nach Ansicht der Kirche löste sich der Bekehrte durch die Primsignation vom Heidentum. Für viele Betroffene dürfte es sich schlicht um eine sinnvolle Vorgehensweise gehandelt haben, um sich die Möglichkeit zu erhalten, in christianisierten Gegenden Handel zu treiben oder nominell in die Dienste des christlichen Herrschers zu treten. Die Bedeutung der Taufe sollte ebenfalls nicht überschätzt werden, auch wenn sie auf persönlicher Ebene sicher eine wichtige Erfahrung gewesen sein mag. Oben wurde bereits die Verärgerung der katholischen Kirche hinsichtlich der wenig ausgeprägten ernsthaften Bekehrungsbereitschaft der Einwohner von Häme angesprochen; entsprechende Hinweise gibt es auch zu früheren Jahrzehnten der Kreuzzugszeit. 1171 oder 1172 beklagt Alexander III. in einer Bulle, dass die Finnen im Moment drohender feindlicher Gefahr bereitwillig als Christen auftreten, sich aber vom christlichen Glauben distanzieren, sobald die Gefahr vorbei ist. In einer Bulle von Papst Innozenz III. wird der Eigensinn der Finnen in gleicher Weise beanstandet. Trotz des negativen päpstlichen Urteils hatte sich das Christentum oder wenigstens die christlich gefärbte religiöse Brauchtumskultur im 12. und 13. Jahrhundert in vielen finnischen Dörfern schon durchgesetzt, obwohl heidnische Gepflogenheiten noch immer geübt wurden. Eine der bedeutendsten mit dem Christenglauben einhergehenden Veränderungen betraf die Bestattungskultur. Man hat deshalb auch versucht, Erkenntnisse über die Ausbreitung der christlichen Religion anhand dessen zu gewinnen, wann und wo die Einäscherung durch das Begräbnis des Leichnams abgelöst wurde. Auch in diesem Zusammenhang sind Zeichen einer Übergangszeit festzustellen: Anfangs wurden nicht eingeäscherte Körper an den Plätzen für die Feuerbestattung beigesetzt, bis dafür eigene

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Friedhöfe angelegt waren. Den Verstorbenen gab man oft auch Gegenstände mit ins Grab, wahrscheinlich damit diese sie im Jenseits nutzen konnten. Auch in Frauengräbern wurden Waffen gefunden, zum Beispiel Schwerter. Manchmal wurden den Toten auch im Ausland geprägte Münzen mitgegeben. Man hat versucht, die Grabstätten je nach Himmelsrichtung, in der sie angelegt sind, als christlich oder heidnisch zu bestimmen. Es sind aber keineswegs alle in Ost-West-Richtung errichteten Gräber christlich gewesen, was daraus hervorgeht, dass zahlreiche Beisetzungen sowohl christliche als auch heidnische Zeichen aufweisen. Gruben, die keine oder nur sehr wenige Gegenstände enthielten, etwa wenn dem Verstorbenen lediglich ein Gürtel und ein Messer oder vielleicht eine Kreuzkette beigelegt waren, sind eindeutiger als christlich zu interpretieren. Die frühesten Gräber dieser Art stammen aus dem sogenannten Vakka-Suomi („Schachtel-Finnland“) an der finnischen Westküste. Etwas weiter südlich, in der Gegend, die das geistliche und weltliche Zentrum des katholischen Finnland darstellte, wurden den Gräbern in vielen Dörfern noch im 12. Jahrhundert gegenständliche Gaben beigefügt. Dennoch kann man das 12. und 13. Jahrhundert als Epoche der Durchsetzung christlicher Begräbnistraditionen bezeichnen. Ein anderer wichtiger Unterschied mit Blick auf die religiösen Rituale betrifft den Platz, wo sie durchgeführt wurden. Im heidnischen Glauben vollzog man die Riten meistens im Freien, Gebäudereste heidnischer Kultstätten gibt es nicht. Wohl konnten religiöse Handlungen in Einzelfällen auch im Hausinneren stattfinden, aber schon ein Ritual, an dem das ganze Dorf teilnahm, setzte mehr Raum voraus, der nur im Freien zur Verfügung stand. Die Situation dürfte in anderen skandinavisch-heidnischen Glaubensgebieten ähnlich gewesen sein. Frühschwedische Glaubensrituale beispielsweise fanden in Hainen und an besonderen Felssteinen statt, wie man den Formulierungen im Gesetz der Provinz Uppland entnehmen kann, die derartige heidnische Handlungen ausdrücklich verbieten. Der christliche Glaube konzentrierte geistliche Rituale in erster Linie in eigens dafür gebauten Räumlichkeiten unter der Anleitung Geistlicher. Das Kircheninterieur war zwar von Menschen errichtet, aber es konnten nach damals schon Jahrtausende alter Tradition überirdisch wirkende Elemente wie Heiligenbilder, Wechsel von Licht und Schatten, Weihrauchduft und Kirchenlieder eingebunden sein. Alle diese Elemente hatte man gelernt effektiver einzusetzen als unter freiem Himmel, und in Innenräumen klangen die durch Echoeffekte verstärkten Kirchenlieder ganz anders als draußen im Freien. Die Kirche wusste also schon als Erlebnisraum durchaus mit dem Heidenglauben um die Gunst der Menschen zu konkurrieren. Außerdem fungierte der kirchliche Bau als sichtbares Symbol des neuen Glaubens und seiner Macht. Früher glaubte man, viele der finnischen Steinkirchen seien schon zur Kreuzzugszeit errichtet worden, aber neuere Untersuchungen haben ergeben, dass die meisten doch jüngeren Alters sind. Kirchen wurden lange Zeit aus Holz gebaut, da der Bau so schneller voranging und preisgünstiger war; die Finnen hatten auch keine Erfahrungen mit Steinbauten. Die ersten finnischen Steinkirchen wurden auf den Ålandinseln errichtet, und auch dort erst in den 70er Jahren des 13. Jahrhunderts. Auf dem Festland entstanden die ersten Steinkirchen an der Südwest- und Südküste ab 1420. Die Heiligkreuzkirche von Hattula in Häme war die erste und einzige Kirche aus Stein, die vor dem Ende des 15. Jahrhunderts im Binnenland gebaut wurde. Die anderen im Landesinneren und im Norden errichteten alten Steinkirchen stammen erst aus der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Die ältesten dürften sicher auf Plänen norddeutscher Fachleute beruhen. Auch die Kult-

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objekte für die Innenausstattung wurden teilweise von ausländischen Künstlern hergestellt und im 15. Jahrhundert wurden die in Mode gekommenen dreiteiligen Altäre mit ihren Malereien und ihrem Schnitzwerk sogar aus Flandern und Norddeutschland bestellt. Aber auch einheimische Handwerker begannen nun, Kirchen auszumalen und Heiligenfiguren anzufertigen. Bei der Gründung und Errichtung von Kirchen lassen sich noch andere Faktoren als Holz- und Steinbau oder verschiedene Stilrichtungen unterscheiden. Am Ort der zur Kreuzzugszeit christianisierten Grabstätten und der in den Besitz der Kirche übernommenen oder erhaltenen Opferhaine, oder zumindest in deren Nähe, gründete man Dorfkirchen und Kapellen, die nicht unbedingt einen eigenen festen Pfarrer hatten. Die Errichtung solcher Gotteshäuser zeugt von der Christianisierung auf lokaler Ebene, ist jedoch nicht unbedingt Ausdruck der religiösen Überzeugung ihrer Erbauer; vielmehr war die Unterhaltung einer „eigenen“ Kirche eher dazu angetan, den Wohlstand lokaler Herren und der Region auszudrücken. An der Westküste des Bottnischen Meerbusens bezeugten angesehene Männer und Frauen ihren Glauben und ihren Rang oft auch in Form von Runensteinen, in die christliche Symbole eingeritzt wurden, aber diese Tradition dürfte den Finnen weithin fremd geblieben sein. Etwa zur gleichen Zeit, als die katholische Kirche ihren Zugriff auf die westlichen Teile Finnlands festigte und sich hier die kirchliche Hierarchie etablierte, organisierte auch die schwedische Obrigkeit die Verhältnisse entsprechend den Verwaltungsgepflogenheiten im Mutterland. Die entstandenen Gemeinden erhielten ihre Mutterkirche, die oft keine alte Dorfkirche oder Kapelle war, sondern an einem ganz neuen Platz gebaut wurde. Die Kirche institutionalisierte sich und begann sich von der Lebenswelt der Laien zu distanzieren, wenn auch der Unterschied zwischen Pfaffen und Bauern nicht übertrieben werden darf, zumindest nicht in abgelegenen Gegenden. Noch gegen Ende des 15. Jahrhunderts hatte die finnische Kirche hinreichend damit zu tun, die Geistlichen an die Einhaltung der Zölibatspflicht zu gemahnen und die unehelichen Kinder der Priester aus den Pfarrhäusern zu vertreiben. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts zählte die finnische Halbinsel 40 katholische Gemeinden, bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts erhöhte sich ihre Zahl auf etwa 100. Das früheste geistliche Zentrum des Katholizismus in Finnland war die Kirche zu Nousiainen, wo die Gebeine des Märtyrerbischofs Henrik aufbewahrt wurden, der am ersten Kreuzzug teilgenommen hatte. Nousiainen war offensichtlich der Stützpunkt des Bischofs Henrik gewesen, während er die kirchlichen Verhältnisse in den südwestlichen Gebieten ordnete. Nousiainen lag freilich im Landesinneren und die Verbindung zur Außenwelt ließ sich besser an den Küsten und Flussmündungen aufrechterhalten. Deshalb wurde der Bischofssitz näher ans Meer nach Koroinen verlegt, das am Fluss Aura lag und wo sich schon ein internationaler Marktplatz mit fester Besiedlung gebildet hatte. Die Verlegung erfolgte wahrscheinlich im Jahre 1229 oder Anfang der 30er Jahre. Manche Forscher haben den Umzug mit der päpstlichen Bulle von 1237 in Verbindung gebracht, in der das Heidentum und die Grausamkeiten der Bewohner von Häme verurteilt werden; sie wollten darin eine Antwort auf die heidnische Reaktion sehen. Nach dieser Interpretation war Koroinen für den Bischof ein sichererer Ort als Nousiainen. Im 13. Jahrhundert begannen auch die Dominikaner und die Franziskaner ihre Predigttätigkeit in Finnland und an dem alten Ostweg entlang der südlichen Inseln. Die Dominikaner gründeten Konvente in Turku und in Wiborg, die Franziskaner in Rauma,

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Henriks Sarkophag in Nousiainen Der erste Kreuzzug nach Finnland ist an der Seite des Sarkophags vom heiligen Henrik in der Kirche zu Nousiainen abgebildet. Der um 1415–1420 angefertigte Sarkophag ist mit wahrscheinlich aus Flandern stammenden Messingplatten versehen. Die Gravierungen der Details von Bekleidung und Waffen folgen dem internationalen Stil vom Anfang des 15. Jhs. Die Deckplatte zeigt Bischof Henrik und unter seinen Füßen eine kleine menschliche Figur, seinen Mörder Lalli aus Köyliö. Vor dem Bischof kniet Bischof Magnus II. Tavast. Das große Bildfeld wird von einem Ausschnitt aus der Liturgie des heiligen Henrik in lateinischer Sprache umrahmt. Die Ecken der Randleiste zieren Symbole der Evangelisten, in der Mitte unterbrechen den Textstreifen die Wappen der Domkirche zu Turku und des Geschlechts der Tawast. Die Seitenplatte des Sarkophags, hier im Bild, schmücken Lebensphasen des heiligen Henrik vom Kreuzzug bis zu seinem Märtyrertod sowie einige Wundertaten des Heiligen.

Wiborg und an der alten Seeroute in Kökar auf den Inseln vor Turku. Das einzige katholische Nonnenkloster erhielt Finnland erst um 1440, als in Naantali ein Birgittenkloster seine Arbeit aufnahm. Es gibt Anzeichen dafür, dass in Turku bereits ein dominikanisches Nonnenkloster in Gründung befindlich war, das in das neue Birgittenkloster integriert wurde. Aus dem Briefwechsel der Nonnen geht hervor, dass das Kloster in Naantali mit den Dominikanerbrüdern um Schenkungen konkurrierte. Der südlich von Koroinen in der Nähe des Handelsplatzes Turku 1249 gegründete Dominikanerkonvent und die stetig zunehmende deutsche Handelsbevölkerung ließen Turku zur Stadt anwachsen, die Koroinen an Bedeutung überflügelte, da sie näher an der Auramündung lag. Im Jahr 1270 begann der Bischof von Finnland, sich selbst Bischof von Turku zu nennen, obwohl die Domkirche sich noch immer in Koroinen befand. Das finnische Missionsbistum bildete sich jedoch zur Diözese Turku aus und die Kirche wurde in das neue Zentrum verlegt. Der Dom zu Turku wurde im Jahre 1300 eingeweiht. Die Bischöfe selbst wohnten freilich noch bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts weiterhin in Koroinen. Die weltliche Obrigkeit errichtete in der Nähe zum Schutze der Stadt eine Burg, deren Existenz allerdings nicht verhindern konnte, dass die Russen 1318 sowohl die Stadt als auch die Domkirche plünderten. Auch später litt Turku unter Raubzügen aus verschiedenen Richtungen. Trotzdem wurden um die Stadt nie Verteidigungsanlagen errichtet. Die einzige finnische Stadt, die im Mittelalter von einer Mauer umgeben wurde, war Wiborg.

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Die Bischöfe von Turku bauten zu ihrer Sicherheit außerhalb der Stadt an der Meeresküste die Burg Kuusisto. Die von der orthodoxen Kirche im mittelalterlichen Karelien aufgebaute kirchliche Organisation ist weit weniger bekannt. Eine eigene Diözese gab es hier für kurze Zeit nur 1589 in Käkisalmi. Die karelischen orthodoxen Gebiete kontrollierte im Mittelalter der Erzbischof von Nowgorod, der allerdings spätestens im 15. Jahrhundert in Korela, also Käkisalmi, einen Stellvertreter einsetzte. Anders als in den katholischen Gegenden der finnischen Halbinsel wurden im orthodoxen Karelien zahlreiche Klöster gegründet, die teilweise allerdings recht klein waren. Zum bekanntesten und wichtigsten stieg das auf der Insel Valamo im Ladogasee gelegene Kloster auf, über dessen Gründungszeit äußerst unterschiedliche Auffassungen bestehen. Zahlreiche seiner Mönche verrichteten Missionsarbeit in Karelien. Selbst aus den Gemeinden im weit entfernten Finnland wurden Problemfälle direkt an den Papst herangetragen. So verfuhr etwa der Gemeindepfarrer von Sääksmäki, Henrik Hartmanninpoika, als sich 25 Bauern weigerten, der Kirche den Zehnten zu zahlen. Er belegte die Aufmüpfigen mit dem Kirchenbann und Geldstrafen, die weiter anwuchsen, wenn die Betreffenden die Zahlung des Zehnten hinauszögerten. Auf Bitte des Pfarrherrn bestätigte Papst Benedikt XII. die Strafen in einer Bulle von 1340 als kirchenrechtlich relevant. Da die Bulle die Namen der widerspenstigen Bauern auflistet, lässt sich ersehen, dass der größte Teil von ihnen heidnische finnische Namen trug, wenn auch vereinzelt Namen christlicher Prägung darunter waren. Höchst interessant ist dabei, dass zweimal der Name Suomalainen (Finne) auftaucht: Wurde den Männern dieser Name von ihren Familien als kulturelle Stellungnahme in einer Situation verliehen, da die neue Macht und Kultur in Häme Einfluss gewann? Obschon auch diese Frage offen bleibt, beleuchtet die Bannbulle doch außer dem Widerstand gegen das kirchliche Besteuerungsrecht auch das starke Vorhandensein frühfinnischer Kultur im Binnenland noch fast um die Mitte des 14. Jahrhunderts. Es ist durchaus möglich, dass noch nicht einmal alle der aufständischen Bauern überhaupt getauft waren. Die Kirche versuchte auf vielerlei Weise, die Finnen für sich zu gewinnen: durch die Verkündigung des Evangeliums, mithilfe der Unterstützung der weltlichen Obrigkeit oder auch durch die ihr selbst zugewachsene Autorität. In der Zeit der Christianisierung nutzte man gerne die Erinnerung an den Märtyrerbischof Henrik. In vielen Dorfkirchen diente dem Kirchenvolk eine Statue zur Anschauung, die Bischof Henrik zeigt, wie er seinen Mörder mit Füßen tritt. Die überweltliche Macht der Kirche wurde so auch denen bildlich vor Augen geführt, die sonst von ihrer Botschaft nichts verstanden oder ihr gleichgültig gegenüberstanden. Der Märtyrertod Henriks und die Bestrafung seines Mörders interessierten das Volk offensichtlich, wie man aus der Fülle der Erzähltradition zu diesem Thema schließen kann. Die Volksdichtung nannte den Heiden, der den Bischof umgebracht hatte, Lalli (auch Lallo oder Lalle). Erzählt wird, wie Lalli letztlich seiner Bestrafung nicht entging: Als er den Bischofshut aufprobierte und wieder abnahm, verlor er dabei seine Haare und die Kopfhaut, danach bedrängten ihn Mäuse, sodass er in einen See flüchtete und ertrank. Wenngleich manche dieser Dichtungen und Geschichten über Lalli erst im 19. Jahrhundert verschriftlicht wurden, lässt sich daraus doch die mittelalterliche Urform ableiten. Es ist anzunehmen, dass die katholische Geistlichkeit die Verbreitung der Geschichten über Lalli förderte, um damit ihr eigenes Ansehen zu stützen.

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Der finnische Synkretismus im Mittelalter Das Endergebnis des Christianisierungsprozesses in Finnland kann als synkretistisch charakterisiert werden, was bedeutet, dass die christlichen und vorchristlichen Kulturelemente teilweise miteinander verschmolzen oder aber nebeneinander weiterlebten. Wie bereits oben beschrieben, konnte der Synkretismus auf persönlicher Ebene oder je nach Region ganz verschiedene Gestalt annehmen. Natürlich ist der Synkretismus keine nur auf die finnische Kultur beschränkte Erscheinung, sondern trat auch sonst überall da auf, wo unterschiedliche Glaubenssysteme und damit verbundene kulturelle Merkmale aufeinandertrafen. Es ist auch zu bedenken, dass das altfinnische Heidentum nicht für eine rein finnische Kultur stand, sondern sich im Kontakt mit anderen Kulturen herausgebildet und verändert hatte. Dafür bietet die einheimische Benennung für den Teufel, Perkele, ein gutes Beispiel, war sie doch ursprünglich eine von den baltischen und slawischen Völkern entlehnte Bezeichnung für den Donnergott. Perkele ist in Finnland noch heute geläufig als Fluchwort. Offensichtlich war der Ausdruck unter den Altfinnen besonders populär oder gefürchtet, weil die Geistlichen namentlich diese Gottheit dämonisierten und nicht beispielsweise den anderen finnischen Donnergott Ukko. Die Tatsache, dass der Perkele und andere von den Finnen angebetete Gottheiten und Naturkräfte als teuflisch abgestempelt wurden, bietet ein Beispiel dafür, wie sowohl die katholische als auch die orthodoxe Kirche die heidnischen Ansichten mit ihren eigenen Glaubenssystemen verbanden, statt sie als bar jeder Grundlage abzustreiten. Der Synkretismus prägte die Ausgestaltung des christlichen Glaubens schon seit der Zeit, da sich das Christentum über Finnland ausbreitete: Dies wird anschaulich im Fest der Geburt Christi, das bei Römern wie Germanen als Wintersonnenwende gefeiert wurde. Auch die Frühfinnen kannten das Mittwinterfest, das sie joulu nannten (vgl. schwed. jul, engl. Yule für „Weihnacht“). Im christianisierten Finnland gewann das Wort neue Bedeutung als Fest der Geburt Christi. Die meisten finnischen Namen von christlichen Feiertagen sind aus der schwedischen Sprache oder über diese entlehnt, zum Beispiel ist helatorstai für Christi Himmelfahrt eine direkte Entlehnung aus helghathorsdagh. Die Bezeichnung pääsiäinen für Ostern geht dagegen nicht auf schwedisch pasker oder paskadagh zurück, da diese Wörter im Finnischen auf Fäkalien (finn. paska, Scheiße) hingewiesen hätten, was das Auferstehungsfest diffamiert hätte. Deshalb schufen die Missionare und frühen finnischsprachigen Geistlichen den Begriff pääsiäinen (zum Verb päästä, erreichen): Zu laskiainen (Fastnacht) setzt die 40 Tage andauernde Fastenzeit ein, deren Ende an Ostern erreicht ist. Auch die Bezeichnung für das Dreikönigsfest loppiainen (zu loppu, Ende) sagt schon als Wort aus, dass die Weihnachtszeit vorüber ist. Manchmal ging man in Finnland „christlicher“ vor als in den bereits christianisierten Ländern: Das Mittsommerfest benannte man nach Johannes dem Täufer juhannus, obwohl die Schweden sich auf midsommar festgelegt hatten, das freilich in Südwestfinnland auch in der Form mittumaari auftritt. Die finnische Zeitrechnung orientierte sich in den christianisierten Teilen des Landes an dem Julianischen Kalender. Trotzdem blieben die Finnen bei ihren ursprünglichen Monatsnamen und verwendeten, anders als die meisten europäischen Völker, nicht dem antiken römischen Kalender entlehnte Bezeichnungen. Andererseits eigneten sie sich doch nach dem Gehör die germanischen Wochentagsnamen als solche an und verehrten beispielsweise weiterhin den Herrn des Donners, Thor, im Namen torstai (Donnerstag, vgl.

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schwed. torsdag, engl. thursday). Die Bezeichnung keskiviikko stellt wiederum eine direkte Lehnübersetzung des deutschen „Mittwoch“ dar, weshalb im Finnischen ein Bezug auf Odin fehlt, wie er im Schwedischen onsdag oder im Englischen wednesday gegeben ist. Das Wort für „heilig“, pyhä, brauchte man nicht zu entlehnen, es wurde aus dem frühfinnischen Wortschatz und den eigenen Glaubenstraditionen übernommen. Als nun christlicher Begriff verwies pyhä in konkreter wie geistiger Hinsicht auf mit göttlicher Kraft und göttlichem Ansehen ausgestattete Dinge, aber auch auf Feiertage (pyhäpäivä) und Heilige (pyhimys). Katholische wie orthodoxe Kirche trugen das Ihre dazu bei, die Heiligenverehrung unter den Finnen zu verwurzeln. Nach Ansicht gelehrter Theologen waren Heilige Fürbitter, aber in volkstümlicher Auffassung ersetzten sie in vorchristlicher Zeit verehrte Gottheiten und Kräfte oder sie verschmolzen mit diesen. Auch in Finnland erwies man zahlreichen anderswo in Ansehen stehenden Heiligen seine Reverenz. Dass Heilige als potentere Vermittler zwischen Dies- und Jenseitigem begriffen wurden als gewöhnliche Menschen, hängt sicher auch damit zusammen, dass die Altfinnen des Glaubens waren, ihre Götter, Propheten, Zauberer und Heilkundigen seien ebenso wie heilige oder gefürchtete Plätze mit übernatürlichen Kräften versehen. Diese Kraft nannten sie väki. Heiligen vertraute man außer in großen Krisen auch im alltäglichen Leben: Der finnische Fischer konnte von den Aposteln Petrus und Andreas Angelglück erbitten, da beide Fischer waren. Auch die Frau konnte väekäs oder väkevä, also voller „Kräfte“, mithin auf übernatürliche Weise stark sein, was wiederum den Kult weiblicher Heiliger in Finnland förderte. Die Verehrung der Jungfrau Maria wie der heiligen Birgitta vermischen sich mit dem vorchristlichen Kult der Herrin des Waldes. Das Leben und die Taten der Heiligen waren den Laien wenigstens teilweise bekannt, denn Priester und Dominikaner behandelten sie in ihren Predigten, und in den Wandmalereien, Skulpturen und Altären der Kirchen waren ebenfalls Heilige mit Ausschnitten ihres Lebensweges abgebildet. Viele Kunstwerke in finnischen Kirchen wurden aus dem Ausland beschafft. So wurde etwa der Sarkophag des heiligen Henrik, dessen Deck- und Seitenplatten mit Kupfergravierungen des ersten Kreuzzuges und seines Märtyrertods geschmückt sind, zu Anfang des 15. Jahrhunderts in Flandern bestellt. Damals wollte der Bischof von Turku, Magnus II. Tavast, dem Märtyrerheiligen seine Hochachtung bezeigen und schenkte den Sarkophag der Kirche von Nousiainen, aller Wahrscheinlichkeit nach, um die Wallfahrten zu dieser Kirche zu unterstützen. In der Diözese Turku wurde zumeist der liturgische Kalender des Dominikanerordens befolgt, aber das Andenken einiger Heiliger beging man durchaus auch zu anderen Zeiten als im übrigen katholischen Europa. Unterschiede zeigen sich ebenfalls im Vergleich mit dem Heiligenkalender, der auf der Westseite des Bottnischen Meerbusens im Gebrauch war. Die jährlich wiederkehrenden Heiligenfeste und anderen kirchlichen Feiertage verschmolzen mit dem Jahresrhythmus der Laiengesellschaft. Aufgrund der kirchlichen Zeiteinteilung wusste man etwa, wann eine Pause in der Alltagsarbeit einzulegen war, wann es Zeit war, den Markt zu besuchen, wann Bedienstete eingestellt werden konnten, wann die Herde auf die Weide gebracht werden musste und wann man mit dem Heumachen anfangen sollte. Auf Basis des an einem Feiertag herrschenden Wetters wurden sogar die Wettervorhersagen auf Wochen und Monate hinaus erstellt. Häufig verstand oder interpretierte das Volk die Symbolik kirchlicher Kunstwerke und Predigttexte ganz anders, als sie von den Pfarrern gemeint war. Die heilige Jungfrau Margarethe war beispielsweise in vie-

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len Kirchen mit einem dreizackigen Speer oder mit einem Kreuzstab in der Hand abgebildet, mit dem sie den Drachen erlegte. Da aber ihr Gedenktag in den heinäkuu („Heumonat“ Juli) fiel, in dem in Finnland die Heuernte einsetzte, worauf der finnische Monatsname noch immer hinweist, sah man im Attribut der Heiligen in der bäuerlichen Kultur schlicht und einfach eine Heugabel. Nicht alle Heiligen erreichten die gleichgroße Gunst oder Bekanntheit, und gleichnamige Heilige konnten leicht miteinander verwechselt werden. Sowohl die katholischen als auch die orthodoxen Priester lehrten die Finnen, die Mutter Johannes’ des Täufers, Elisabeth, zu verehren, aber besonders im katholischen Europa kannte man auch spätere gleichnamige Frauenheilige. Die bekannteste war die jung verstorbene Gattin des ungarischen Königs Andreas II. und des Landgrafen von Thüringen, Ludwigs IV., die heilige Elisabeth (1207–1231), deren Gedenktag sich spätestens im 15. Jahrhundert als Teil des Heiligenkalenders der Diözese Turku festschrieb. Die Popularität der Heiligen ist im Nachhinein schwer zu beurteilen, da anzunehmen ist, dass nicht annähernd alle Schenkungsurkunden erhalten geblieben sind. So wissen wir also nicht, wie häufig Schenkungen für einen bestimmten Heiligen getätigt wurden. Außerdem hat sich die Ausstattung der Kirchen im Laufe der Jahrhunderte stark verändert und die mittelalterlichen Kunstwerke sind nicht mehr alle erhalten. Da auch von der damaligen Literatur nur noch Reste vorhanden sind, weiß man nicht genau, welche Heiligen in Predigttexten und anderen geistlichen Schriften häufiger vorkamen. Wir besitzen also keine exakten Kenntnisse darüber, wie sehr ein bestimmter Heiliger das gemeine Volk im Mittelalter interessierte. Dass die Heiligen für die mittelalterlichen Finnen durchaus Bedeutung hatten, ist zweifellos: In katholischen wie orthodoxen Gegenden begann man, den Kindern gemeineuropäische Namen zu geben, die häufig Heiligennamen oder Ableitungen von diesen waren. Altfinnische Personennamen wurden seltener, verschwanden aber nicht völlig. Mit dem christlichen und europäischen Personennamenfundus wurde die Benennungspraxis in Finnland noch mannigfaltiger: In Dokumenten wurde der Name einer Person in der Regel in schwedischer (im Osten in russischer) Form notiert, aber hin und wieder tauchen in Schriftzeugnissen auch die finnischen Pendants der gleichen Namen auf. So erschien ein Mann mit dem Rufnamen Heikki in schwedischsprachigen Urkunden in der Form Henrik, wurde aber zuweilen auch Heikki geschrieben, eine Praxis, die sich mancherorts bis ins 20. Jahrhundert fortsetzte. Entsprechend nannten die Orthodoxen denselben Mann zum Beispiel abwechselnd Jyrki, Jegor oder Georgij. Der Heiligenkult blieb in gewisser Weise gleichwohl kulturelles Importgut im mittelalterlichen Finnland. Da sowohl im skandinavischen als auch im russischen Sprachraum auch aus der jeweiligen eigenen Sprach- und Kulturgruppe aufgestiegene Heilige verehrt wurden, hatten die Finnen lediglich zwei „eigene“ Heilige, den Märtyrerbischof Henrik und den 1366 verstorbenen Bischof Hemming von Turku. Beide waren hoch geachtete geistige Persönlichkeiten, jedoch keine gebürtigen Finnen: Henrik kam der Legende nach aus England, Hemming wiederum wurde in der Provinz Uppland in Schweden geboren und erreichte offiziell nur den Status eines Seligen (beatus), weil die Reformation den Prozess der Heiligsprechung unterbrach. Die orthodoxen Karelier verehrten mehrere fromme Männer und Frauen aus ihrer Mitte als heilig, zumeist Mönche und Nonnen. Der Erste war hier der Mönch Hermann, der Überlieferung zufolge einer der Gründer des Klosters Valamo.

Der finnische Synkretismus im Mittelalter

Beim Kanonisierungsvorgang traten Finnen nur selten als Zeugen auf, was darauf hinweist, dass ihnen der Heiligenkult teilweise fremd blieb. Heilige begriff man vielleicht eher als vorchristliche, Gott ähnliche Helfer denn als vorbildliche Menschen, denen es nachzueifern galt. Auch die Reise an solche Orte, wo Pfaffen und Mönche Angaben zu den Wundertaten einer heiligzusprechenden Person sammelten, dürfte für viele unüberwindlich lang und beschwerlich gewesen sein. Am deutlichsten aber erklärt das Fehlen einheimischer Heiliger die Tatsache, dass die in Finnland ansässigen Adeligen – nur wenige Adelsgeschlechter aus frühfinnischen Zeiten, ansonsten mit den neuen Herrschern zugezogene fremdsprachige adelige Familien – der Zahl und dem Wohlstand nach eine wesentlich kleinere Gruppe waren als ihre gemeineuropäischen Standesbrüder und -schwestern. Die Kirche ihrerseits kanonisierte sehr oft eben Angehörige des Adels, die wenigstens der Form halber für die Kirche gekämpft hatten oder ihr Schenkungen hatten zukommen lassen. In Finnland blieb der Kreis solcher geeigneter Heiligenkandidaten von vornherein erheblich kleiner. Zudem wissen wir trotz all der Kirchengründungen und der fromme Wendungen enthaltenden Schenkungsurkunden letztlich nicht, inwieweit die Finnen im Mittelalter die christliche Kultur, besonders die offiziellen Lehrmeinungen, wirklich verinnerlichten. Obwohl die Kirche von Inkoo an der Südküste in ihrem Inneren von einem Fresko geschmückt war, das einen Danse macabre zeigte, wie er in der europäischen Kultur nach dem Schwarzen Tod bekannt war, und den lesekundigen Kreisen auch in Finnland die auf jenseitige Gedanken gerichtete Ars moriendi-Literatur zugänglich war, sollte doch auch die Verbreitung einer bloß oberflächlichen Sittenchristlichkeit nicht unterschätzt werden. Diese könnte genau genommen eine wichtige Rolle in einer Gesellschaft gespielt haben, die ihr Sein und Handeln offiziell auf Gottes Fügung gründete. Schenkungen an geistliche Institutionen und an die Armen dienten immer auch als Mittel, den eigenen Status zu betonen – es gehörte mithin zum guten Ton, dass ein wohlhabender Adliger oder Bürger spätestens auf seinem Totenbett der Kirche und der Armen gedachte. Angst vor Hölle und Fegefeuer mag einige vielleicht tatsächlich umgetrieben haben, den meisten aber reichte es wohl, den Zehnten und andere Zahlungen an die Geistlichkeit zu entrichten und die Kirche nur dann aufzusuchen, wenn es unumgänglich war. Von den Dörfern und Einödhöfen im Binnenland konnte der Weg zur Kirche mitunter sehr weit sein, was unter anderem zur Anlegung von Übergangsfriedhöfen führte. Verstorbene wurden etwa im Sommer vorläufig begraben und im Winter dann mit dem Pferdeschlitten zur Kirche gebracht und nach der Einsegnung im eigentlichen Grab beerdigt. Manchmal blieben provisorische Gräber auch dauerhaft erhalten; die Toten erhielten also durchaus nicht immer ein regelgerechtes christliches Begräbnis. Häufig wurden die Übergangsgräber außerhalb der Besiedlung angelegt, am liebsten auf einer Insel, was auf Furcht vor den Toten und dem Jenseits schließen lässt. Um die Rückkehr des Verschiedenen zu verhindern oder auch zu seinem Gedenken entästeten die Finnen in der Nähe einige Bäume: Man glaubte, die Seelen der Verstorbenen kehrten wieder um, wenn sie dieses Zeichen zwischen dem Dorf und der Grabstätte sahen. Die binnenfinnische halbchristliche Leicheninseltradition begann im Spätmittelalter, als sich die Besiedlung auf die Einödsgegenden ausweitete. Ein entsprechendes Phänomen begegnet auch im schwach besiedelten Binnenland Schwedens. Die Obrigkeit war sich dessen bewusst, dass besonders in Savo und Karelien die Bauern zum Teil so weit verstreut lebten, dass sie nur einige Male im Jahr zur Kirche gehen konnten, wenn überhaupt. Der Bischof von Turku, Laurens Suurpää, beklagte diese Situation zu Anfang des 16. Jahrhun-

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derts auf der schwedischen Ratsversammlung und sprach gar von „Unwissenheit hinsichtlich des christlichen Glaubens“ und davon, dass man hier „wie Lappen und Heiden“ lebe. Der Staatsrat stimmte seinem Vorschlag zu, die weiträumigen Gemeinden im Inland in kleinere aufzuspalten, was den Kirchgang verkürzen würde. Der Brauch, Verstorbene auf Inseln zu beerdigen, hielt sich allerdings noch über Jahrhunderte. Die Führung der orthodoxen Kirche bewegte die gleiche Sorge hinsichtlich der karelischen Bevölkerung in den Weiten Russlands. Erzbischof Makarij und sein Nachfolger Feodosij versuchten in den 1530er und 1540er Jahren, den etwa bei einem Fünftel der Bewohner von Vatja noch vorherrschenden Aberglauben auszurotten. Nach den von der Kirche gesammelten Informationen verehrte das Volk in abgelegenen Gegenden weiterhin Wälder, Steine, Flüsse, Moore, Quellen, Berge, Sonne und Mond, Sterne, Seen und vieles andere und brachten Tiere und sogar ihre Kinder als Opfer dar – die Erwähnung von Kinderopfern entsprang freilich wohl lediglich der Absicht der Priester, das Heidentum Kareliens zu betonen. Heidnischen Charakter besaßen in den Augen der Geistlichen auch die eigenen Grabstätten der Dörfer und der Brauch, die Hilfe von Sehern in Anspruch zu nehmen. Noch im 16. Jahrhundert war Karelien also Missionsgebiet. Wenn die Kirchenoberen ihre Vorwürfe vielleicht auch in zugespitzter Form vorbrachten, ist im Lichte solcher Behauptungen und angesichts des Verzeichnisses der Abgötter bei Agricola doch offensichtlich, dass es der katholischen wie auch der orthodoxen Kirche noch am Beginn des 16. Jahrhunderts kaum gelungen war, ihre Lehre mehr als nur sehr oberflächlich zu verwurzeln, zumindest nicht im tiefen Binnenland. Möglicherweise lebten die heidnischen Glaubensvorstellungen und Praktiken sogar in der Nähe kirchlicher Zentren fort. Neuere archäologische Funde haben gezeigt, dass auch Dörfer in dichter besiedelten katholischen Gegenden ihre eigenen Begräbnisplätze beibehielten, zuweilen nur eine Stunde Fußweg entfernt von der Gemeindekirche und dem dortigen gemeinschaftlichen Kirchhof. Man hat das Vorhandensein dieser Dorffriedhöfe noch nicht hinreichend erklären können, aber sie belegen auf alle Fälle, wie die Volkskultur von den offiziellen Werten und Normen auch in angeblich vor Generationen bereits christianisierten Regionen abweichen konnte. Ähnliche Verhältnisse sind auch für die großen Städte des schwedischen Reichs bezeugt: In Stockholm wurden Ende des 15. Jahrhunderts wenigstens zwei Fälle der Verehrung Odins entdeckt. Ebenfalls in Stockholm wurden Ende des 15. Jahrhunderts vor Gericht auch die Verbrechen eines finnischen Mannes namens Lasse aus Huittinen in der Provinz Satakunta verhandelt. Lasse war kreuz und quer durch Schweden gezogen und hatte Wertgegenstände aus vielen Kirchen gestohlen. Darunter befanden sich auch mit Blick auf die Christianisierung Schwedens und das Wallfahrtswesen bedeutende Kirchen. Er wurde als Kirchendieb am obersten Querbalken des Galgens gehängt. Lasse kann somit als Beispiel für einen Finnen am Ausgang des Mittelalters gelten, der, obschon in einem früh christianisierten Gebiet geboren, die heiligen Gegenstände in den Kirchen ganz pragmatisch sah als Mittel zur Verbesserung der eigenen Situation. Natürlich aber gab es neben ihm und anderen Normenbrechern unter den Finnen im Mittelalter auch bei den Laien ebenso gut solche, die die christliche Kultur intensiver verinnerlicht hatten.

Verschriftungskultur

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Verschriftungskultur Während der Kreuzzugszeit ging Finnland zur schriftlichen Kultur über – ein Prozess, der sich selbstredend nur sehr langsam vollzog. Nimmt man eine individuelle Lese- und Schreibfertigkeit, die in gewisser Weise die ganze Gesellschaft erfasst, in den Blick, wurde diese gar erst an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erreicht. Lese- und schreibkundig waren im mittelalterlichen Finnland natürlich die Schreiber, aber man kann annehmen, dass auch Geistliche, Predigtbrüder, Richter, Beamte und Stadtbürger, allen voran Kaufleute, lesen und schreiben konnten. Bei Frauen waren diese Fähigkeiten noch weniger ausgebildet als bei Männern. Immerhin setzte man bei den Nonnen im Kloster von Naantali, das seine Tätigkeit erst in den 1440er Jahren aufnahm, offenbar gewisse schriftliche Fertigkeiten voraus. Anfang des 16. Jahrhunderts schloss sich Kristina Magnusdotter, deren Onkel Paulus Scheel Erzdiakon und früher Dompropst von Turku war, der Klostergemeinschaft an. Ihr mit dem Onkel geführter Briefwechsel ist teilweise erhalten und bezeugt, dass Kristina nicht nur lesen und schreiben konnte, sondern sich auch sehr für Bücher interessierte, die sie vom Stammkloster Vadstena gekauft hatte. Trotz der Überschaubarkeit der Kreise, die des Lesens und Schreibens kundig waren, ist festzuhalten, dass schon im 15. Jahrhundert fast alle Finnen, sogar die Einwohner in entlegenen Gegenden, Teil schriftlicher Kommunikation waren, wenn auch in den breiten Volksschichten alle Angelegenheiten vorwiegend noch mündlich abgewickelt wurden. Aber die Lehren und Regeln, die dem Volk in der Predigt und bei der Beichte vorgeschrieben wurden, gründeten auf gemeineuropäischem schriftlichem Erbe. Die weltliche Obrigkeit ihrerseits organisierte Verwaltung und Gerichtswesen nach ihren eigenen Gesetzen. Auch in Finnland erwartete man von den Bauern, dass sie an den einige Male im Jahr stattfindenden Gerichtsverhandlungen teilnahmen, bei denen ein Richter zusammen mit aus der Bauernschaft ausgewählten Schöffen nach schwedischem Gesetz Recht sprach. So wurde auch dem Volk die Sprache des Gesetzes vermittelt. Auf den Gerichtssitzungen wurden auch die im Namen des Königs oder seiner Staatsmänner verabschiedeten Statuten und Bestimmungen vorgelesen, wodurch schriftliche Texte mündlich Ausdruck fanden. Umgekehrt wurden mündlich vorgetragene gerichtliche Urteile schriftlich notiert, entweder als gesondertes Dokument oder in Urteilsverzeichnissen, sogenannten Gerichtsbüchern. Bei der Besteuerung des Volkes verwalteten die Krone und die Kirche noch im entferntesten Fleckchen des Landes die Bewohner ebenfalls schriftlich. Der interne Schriftwechsel von Vertretern der Obrigkeit konnte sich im Prinzip auf alle Finnen beziehen. Auf diese Weise blieben Analphabeten nicht außerhalb der schriftlichen Kultur und auch nicht bloß Objekt schriftlicher Kommunikation. Wer nicht lesen und schreiben konnte, trug dem Beamten sein Anliegen mündlich vor. Dann bekam die Sache – sei es eine eidesstattliche Erklärung oder die Bitte um einen Sicherheitsbrief – durch die Hand des Staatsvertreters oder dessen Schreibers schriftliche Form. Die schriftliche Kultur ist jedoch als eine mannigfaltige Erscheinung zu verstehen. Das lateinische oder kyrillische Alphabet waren nicht die einzige Möglichkeit, sich im Ostseegebiet schriftlich zu verständigen. Die germanischen Völker gebrauchten seit antiker Zeit Runenzeichen, die wahrscheinlich nach etruskischen oder römischen Schriftzeichen kopiert waren. Runen wurden keineswegs nur in Stein geritzt, obwohl sie in dieser Form besser erhalten blieben als etwa auf Knochen oder Holz. Dank den im norwegischen Bergen aufgefundenen Runenhölzern weiß man, dass mithilfe von Runen noch im nordi-

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schen Mittelalter alltägliche Informationen ausgetauscht wurden. In Schweden nahm die Verwendung von Runenzeichen mit der Stabilisierung der lateinischen Schrift ab, aber in abgeschiedenen Gegenden lebte diese Kunst bis ins 18. Jahrhundert fort. Seit dem Mittelalter vertraten Runen in erster Linie die schriftliche Kultur der Bauern. In welchem Umfang die Finnen Runen verwendeten, ist nur schwer zu klären. Man darf annehmen, dass spätestens die schwedischen Siedler die Runenschrift mitbrachten. Eine umfassende schwedische Besiedlung erfolgte in Finnland aber erst im 13. Jahrhundert, als das lateinische Schriftsystem die Runen schon verdrängte. Es wurden nur einige wenige als Runen interpretierte oder zumindest deutbare Inschriften auf Åland und in Ostbottnien gefunden. Für Finnland ist kein einziger Runenstein bekannt, lediglich ein Bruchstück, das 1997 an der Südküste im Meer aufgefunden wurde und vielleicht als Ballast auf einem Schiff benutzt worden war. Ferner ist in der Nähe von Turku bei Ausgrabungen eine Holzschachtel aus dem Ende des 14. Jahrhunderts aufgetaucht, in deren Boden der Anfang des Ave-Maria-Gebets in Runen eingeritzt ist; aber auch dies lässt sich als Importware erklären. Der bedeutendste Nachweis für die Verwendung von Runen auf finnischem Boden sind die Merkzeichen und Runenstäbe oder -kalender der nicht schreibkundigen Bauern. Merkzeichen ersetzten die Unterschrift bis weit in die Neuzeit hinein. Mit ihren Runenkalendern wiederum verfolgten Bauern wie Pfaffen den Zeitverlauf, indem sie festhielten, wann ein Feiertag war und wann man diese oder jene Feldarbeit zu tun hatte. Auch diese Runenkalender wurden teilweise noch im 19. Jahrhundert benutzt. An manchen Merkzeichen sind Übereinstimmungen mit der Runenschrift zu bemerken. Auch in den Kalendern wurden Runen und runenähnliche Zeichen als Symbole eingeritzt. Es ist daher durchaus möglich, dass Runen in Finnland als Mittel volkstümlicher Kommunikation größere Bedeutung hatten, als man im Lichte der archäologischen Funde direkt erschließen kann. Zum Zentrum der städtischen Hochkultur und der katholischen Kirche entwickelte sich im 13. Jahrhundert Turku, an dessen Stadtrand die Burg der schwedischen Krone erbaut wurde und wohin spätestens Ende des Jahrhunderts der Bischofssitz verlegt wurde. Die Dominikaner gründeten in der Stadt schon 1249 ihren Konvent und ab 1276 existierte eine Kathedralschule, an der Priester für die katholischen Gemeinden ausgebildet wurden. Vom 13. Jahrhundert an bildete Turku das wichtigste Portal, durch das die westeuropäische Schriftkultur Eingang nach Finnland fand. Gefördert wurde die Verbreitung der Kultureinflüsse dadurch, dass die meisten Bischöfe keine gebürtigen Finnen waren. Zahlreiche Geistliche studierten auch im Ausland, und zwar bis zum Großen Schisma (1378– 1417), dem Zerwürfnis der katholischen Welt, vor allem an der Universität Paris. Später zog auch die Universität Prag finnische Studenten an und ab Anfang des 15. Jahrhunderts standen die jungen deutschen Universitäten in der Gunst der künftigen Gelehrten aus Finnland. Der größte Teil der im Mittelalter in Finnland gelesenen und produzierten Literatur wurde durch Feuerbrände, Kriege und die im 16. Jahrhundert einsetzende Reformation vernichtet. In dieser Zeit wurden katholische Schriften bewusst konfisziert und zerstört; die weltliche Obrigkeit führte Teile davon indes einer Zweitverwendung als Buchdeckel für ihre Kontobücher und andere Dokumente zu. Solche Fragmente erwiesen sich als nützlich in dem Bemühen, die schriftliche Kultur des Mittelalters zu rekonstruieren.

Verschriftungskultur

In der finnischen Nationalbibliothek zu Helsinki sind etwa 10 350 Pergamentblätter aufbewahrt, die Schätzungen zufolge von 1700 in Finnland geschriebenen oder nach Finnland verbrachten Handschriftensammlungen stammen. Die meisten Blätter scheinen zu in den Gemeinden benutzten liturgischen Werken gehört zu haben, von denen einige auch im Ganzen erhalten sind. Aus den Fragmenten wissen wir, dass in Finnland im Mittelalter die gleichen Schriften gelesen wurden, die im übrigen Europa bekannt waren, zum Beispiel die Legenda aurea genannte Sammlung von Heiligenviten des Jacobus de Voragine. Auch die Exemplum-Literatur, Sammlungen von moralischen Vorbildgeschichten, die für Predigten genutzt wurden, muss den Finnen bekannt gewesen sein. Die meisten der erhaltenen und rekonstruierten Texte waren zwar in lateinischer Sprache geschrieben, aber wahrscheinlich erreichte manches Werk doch auch Laien, die des Lateinischen nicht mächtig waren, wenn Priester die Texte etwa in ihren volkssprachlichen Predigten verarbeiteten und als Richtschnur für Anweisungen in der Beichte verwendeten. Man kennt die finnische Predigttradition des Mittelalters freilich so wenig, dass inhaltliche Analysen praktisch nicht durchführbar sind. Obwohl der Großteil der aus den Fragmenten erschließbaren Texte verschiedene Arten geistlicher Literatur vertritt, finden sich darunter doch auch juristische Werke. Die meisten Schriften dürften Geistlichen gehört haben, ein Teil davon wurde sicherlich während des Studiums erworben. Das Kloster Naantali kaufte und lieh Bücher zum Kopieren vom Stammkloster Vadstena. Die Klosterregeln verboten prinzipiell Privatbesitz, aber offensichtlich besaßen die Klosterbewohner, auch Nonnen, eigene Bücher. Die wichtigsten Produktionszentren geistlicher Literatur waren in Finnland das Domkapitel zu Turku, der Dominikaner- und der Franziskanerkonvent daselbst, das Kloster Naantali und in Karelien das Kloster Valamo. Auch weltliche Erzählliteratur wurde gelesen, was sich aber wohl vorwiegend auf Adels- und wohlhabendere Bürgerkreise beschränkte und nur vereinzelt in Bauernfamilien vorkam. Dabei handelte es sich größtenteils um Importe aus Schweden, Russland, Deutschland oder auch aus entfernteren Ländern. Offizielle weltliche „Prosa“ stellen die Gesetzestexte dar. Finnland erhielt nie ein eigenes Gesetzbuch, sondern in den von Schweden besetzten Gebieten galt das schwedische Recht: In der ersten Phase richtete man sich nach dem Provinzrecht von Hälsingland, ab Mitte des 14. Jahrhunderts nach dem Landesrecht. In den Städten befolgte man das Stadtrecht Schwedens, das ebenfalls Mitte des 14. Jahrhunderts abgefasst wurde. In ihrer Ganzheit wurden die Gesetze vermutlich nicht vor Mitte des 16. Jahrhunderts ins Finnische übersetzt. Frühere Untersuchungen gingen davon aus, eine mittelalterliche Version des schwedischen Rechts, der sogenannte Codex Aboensis, sei in Turku verfasst worden. Neuerdings konnte man allerdings aufzeigen, dass die Handschrift auf der westlichen Seite des Bottnischen Meerbusens angefertigt wurde. Aus Landsitzen und Burgen sind keine belletristischen Werke erhalten. Wie aus in Schweden bekannten Auszügen zu entnehmen ist, wurden solche Werke aber zumindest in wohlhabenden adeligen Familien gelesen und gehört. Die einheimische Literatur war praktisch mündliche Kultur, die erst in neuerer Zeit schriftliche Form erhielt, als Gelehrte sie zur Bewahrung verschrifteten. Auf diese Weise haben sich die Erzählungen verändert, wenngleich die mittelalterlichen Elemente oft leicht zu erkennen sind. In die finnische Volksdichtung gingen auch Einflüsse aus dem Ausland ein, beispielsweise durch Kulturkontakte mit Personen aus anderen Ländern. In der skandinavischen Balladentradition sieht man die Widerspiegelung adlig-kontinentaler schriftlicher Überlieferung und man-

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che Ballade eignete man sich auch als Teil der volkstümlichen mündlichen Tradition in Finnland an: Entweder hörte man sie auf Festen, bei denen Oberschicht und einfaches Volk zusammentrafen, oder es übermittelten sie die Mägde und Knechte, die auf den Burgen und Landgütern dienten, in ihre Heimatgegend und die eigene Gesellschaftsklasse. Als Beispiele für lebendige Überlieferung mittelalterlicher Volksdichtung bis ins 19. Jahrhundert hinein seien die Lieder Inkerin virsi und Annikaisen virsi genannt. Das Lied von Inkeri ist die Variante einer skandinavischen, adligen Ballade und besingt das Ideal romantischer Liebe. Das Annikainen-Lied erzählt von einem jungen Mädchen aus Turku, das sein Schicksal beklagt: Es hat den ganzen Winter über einen deutschen Kaufmann unterhalten und verpflegt, der sie im Frühjahr gleichwohl verlassen und in seine Heimat zurücksegeln will. Die betrogene Annikainen ruft höhere Kräfte an, die einen Sturm aufkommen lassen, sodass der deutsche Händler mit Mann und Maus im Meer versinkt. Diese Erzählung, die von den Mädchen des Dorfes Ritvala noch im 19. Jahrhundert gesungen wurde, enthält also eine fremdenfeindliche Aussage – vielleicht wollte man damit junge Mädchen davor warnen, den Versprechungen Fremder zu trauen. Von diesen und ähnlichen Liedern gab es jeweils viele Varianten, was für die mündliche Kultur typisch ist. Auch die übrigen in Finnland lebenden Sprachgruppen verfügten über eine reiche mündliche Erzähltradition, die sich aus einer Gegend in die andere und über politische Grenzen hinweg von einer Sprach- und Gesellschaftsgruppe zur anderen übertrug.

„Multikulti“ auf verschiedenen Ebenen Die Angliederung finnischer Gebiete an Schweden und Russland, ebenso wie die Christianisierung und die Verschriftungsbemühungen innerhalb der Gesellschaft, bedeuteten eine Verdichtung der bereits im Gange befindlichen kulturellen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Landesteilen. Die Finnen übernahmen Einflüsse vor allem von den Eroberern, kamen aber direkt oder mittelbar auch mit entfernter wohnenden Völkern und Kulturen in Kontakt. Weil die Kultur ständig im Wandel befindlich und unser Wissen über die frühfinnische Gesellschaft mangelhaft ist, lässt sich schwer sagen, was im Mittelalter letzten Endes ursprünglich finnische Kultur darstellte und was sich daran veränderte. Wie oben bereits geschildert, ist ja nicht einmal eindeutig feststellbar, aus welcher Richtung und zu welcher Zeit neue Einflüsse wie das Christentum angeeignet wurden. In erster Linie lag Finnland im Mittelalter auf alle Fälle im Wirkungsbereich seiner Nachbarvölker, der Schweden und Russen, sowie der übers Meer gesegelten Deutschen. Der dänische Einfluss blieb hingegen kurzzeitig. Forscher haben versucht, Licht in die Schwedisierung des westfinnischen Verwaltungsund Rechtswesens zu bringen, aber der Umfang der erhaltenen Dokumente aus der Zeit vor Mitte des 14. Jahrhunderts ist außerordentlich gering. Für die Epoche danach bezeugen Urkunden etwa die Anwendung schwedischer Rechtsprechung; die verabschiedeten Reichsgesetze kamen schnell auch in Finnland in Gebrauch. Das finnische Gesellschaftssystem beruhte nun im Wesentlichen auf den gleichen Prinzipien wie im Kernherrschaftsgebiet westlich des Bottnischen Meerbusens. Die Besteuerungspraxis machte anfangs noch einen Unterschied zwischen dem sogenannten finnischen und dem schwedischen Recht: Im finnischen Recht zahlte man Steuern in Getreide, im schwedischen mit Butter. Man hat dies dahingehend interpretiert, dass das schwedische Recht die weiter entwickelte

„Multikulti“ auf verschiedenen Ebenen

Viehzuchtgesellschaft und die von den Neusiedlern aus Hälsingland mitgebrachte Praxis widerspiegele. Gegen Ende des Mittelalters beglichen jedenfalls auch die Finnen ihre Steuern durch Butter. Die große Bedeutung der deutschsprachigen Bevölkerung lag in ganz Skandinavien, und so auch im mittelalterlichen Finnland, auf städtischer Ebene. Finnische Städte wurden im Kern nach deutschem Modell angelegt, was sich schon im Wortschatz zum Stadtleben zeigt: Kaufleute und Handwerker waren vollgültige Stadtbewohner, also porvarit (Bürger, vgl. mittelniederdt. borgere), die Stadt wurde von einem raati (Stadtrat) regiert und die hier behandelten Angelegenheiten wurden in einem sogenannten tänkebok protokolliert (vgl. denkebôk; ein finnisches Äquivalent fehlt, was natürlich bedeutet, dass die Aufzeichnungen in anderen Sprachen notiert wurden). Der deutsche Einfluss ist auch an den städtischen Bebauungsplänen abzulesen: Die westfinnischen Städte verwirklichten das bekannte Muster der Hansestädte, mit dem Markt als Zentrum für den Warenaustausch oder zur Manifestation der obrigkeitlichen Macht und den daneben oder in unmittelbarer Nähe dazu angesiedelten Symbolen der weltlichen und geistlichen „Regierung“, dem Rathaus und der Kirche. Ein Teil der deutschen Einflüsse erreichte Finnland jedoch indirekt über eingewanderte Schweden. Es ist auch bemerkenswert, dass die Finnen an dem nordischen Terminus kaupunki (Stadt, vgl. altschwed. kaupunger) festhielten, was belegt, dass es hier schon Städte gab oder wenigstens Marktplätze und Siedlungszentren, deren Fortführung die im Mittelalter gegründeten Städte gewissermaßen bildeten. In den schwedisch beherrschten Gebieten entstanden zwischen 1200 und 1400 sechs offizielle Städte: Turku, Wiborg, Porvoo, Rauma, Ulvila und Naantali. In einigen Fällen lag ein alter Marktort zugrunde, aber die jüngste Stadt, Naantali, war eine Neugründung: Sie entstand als Arbeitskraftreserve und Handelsort mit dem neu errichteten Birgittenkloster. Neben den vom schwedischen Reich anerkannten Städten gab es wichtige stadtähnliche Marktplätze wie Tornio, Hanko und Raasepori, wobei Letzteres oft auch als Stadt bezeichnet wurde. Im orthodoxen Karelien entstand die Stadt Korela neben dem gleichnamigen Kloster und hieß später Käkisalmi. Für die finnischen (und karelischen) Städte war typisch, dass sie an der Meeresküste oder zumindest an einem zum Meer führenden Wasserweg lagen, was sich aus der Art der Verkehrswege und der Möglichkeiten des Warentransports der damaligen Zeit ergab. Alles in allem blieb die Stadtkultur in Finnland wegen der geringen Anzahl der Städte und ihrer geringen Einwohnerzahlen relativ schwach ausgeprägt. Die größte Stadt war wahrscheinlich Turku mit etwa 1500 bis 2000 Einwohnern zu Beginn des 16. Jahrhunderts; die kleinste war Naantali, das höchstens ein paar Hundert Bewohner zählte. Die mittelalterliche Stadt unterschied sich also in der Größe und auch in ihrer Gestalt nicht unbedingt von einem Dorf. Auch in der Stadt wurden Pferde und Vieh gehalten, Schweine konnten sich auf den Straßen sielen, obwohl man das zu regulieren versuchte, und die Städter hatten ihren Gemüsegarten, entweder am Haus oder am Stadtrand. Auch der Lebensstandard wich kaum vom bäuerlichen ab: Nach archäologischen Funden hatten an der Südküste durchaus auch bäuerliche Anwesen die Mittel, sich aus dem Ausland Luxusgüter wie zum Beispiel Trinkgläser zu leisten. Der schwedische Gelehrte Olaus Magnus berichtet in seiner 1555 erschienenen Pohjoisten kansojen historia (Geschichte der nordischen Völker), dass in der entferntesten Ecke des Bottnischen Meerbusens, auf dem Markt von Tornio, Luxusartikel aus Mittel- und Südeuropa feilgeboten wurden. Aller Wahr-

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scheinlichkeit nach war der Lebensstandard erfolgreicher Bürger, wohlhabender Bauern und kleiner Adliger ungefähr auf dem gleichen Niveau. Die Städte bildeten wegen ihrer breiter gefächerten Erwerbsstruktur und hinsichtlich ihrer ethnischen Zusammensetzung eine heterogenere Gemeinschaft als die Dörfer. Besonders in Turku und Wiborg lebten Vertreter verschiedener Sprachgruppen; die deutsche Minderheit war in beiden Städten zahlenmäßig und dank ihrer gesellschaftlichen Stellung bedeutend. Die deutschen Bürgerfamilien bevorzugten Eheschließungen innerhalb der eigenen Sprachgruppe – dies war sicher auch dem Bemühen geschuldet, Ehepartner zu finden, deren Familien ähnlich wohlhabend waren wie die eigene. Das Verwandtschaftsgeflecht deutscher Bürger konnte sich über mehrere Städte ausdehnen, was gute Geschäftsverbindungen für die Kaufleute garantierte. Die Hansestadt, mit der die deutschen Bürger eine besonders enge Zusammenarbeit verband, war das nahe gelegene Tallinn, von den Deutschen als Reval bezeichnet, woraus die Finnen dann Rääveli machten. Direkte Verbindungen bestanden aber auch zu entfernteren Orten wie Danzig, Stralsund und Lübeck. Ein Monopolrecht der Deutschen war dies freilich nicht, es konnten auch andere Kaufleute Fernhandel über die Ostsee treiben. Das wohl ausgebildete Handelsnetz fand etwa das Interesse des schwedischsprachigen Erzdiakons von Turku, Paulus Scheel, der sich über seine deutschen Kontakte deutsche Spirituosen und andere Spezialitäten beschaffte. Das schwedische Stadtrecht erlaubte den deutschen Bürgern, Mitglied des Stadtrates zu werden, und garantierte ihnen dieses Recht sogar bis zur Gesetzesänderung von 1471, als staatspolitische Unruhen und wachsender Ausländerhass sich niederschlugen. Jetzt wurde den Deutschen der Zugang zu allen leitenden Positionen in den Städten verboten. Die Definition hinsichtlich der Zugehörigkeit zu den Nationalitätsgruppen war jedoch fließend: Als Beispiel sei Peter von Aken genannt, der trotz seines deutschsprachigen Hintergrundes in den 1520er Jahren zum Bürgermeister von Turku gewählt wurde. Die Wechselwirkungen zwischen einzelnen Gebieten wurden auch dadurch gefördert, dass Menschen aus verschiedenen Dialekt- und Kulturgegenden in die Städte zogen – wenn nicht dauerhaft, so doch, um dort einige Zeit als Knecht oder Magd zu arbeiten. Eine solche Zuzugsbewegung vermittelte Kultureinflüsse in viele Richtungen. Außerdem waren in den Städten verwaltungstechnische und wirtschaftliche Verfahren wirksam, die über die Grenzen der städtischen Gemeinschaft hinaus bis weit in andere Regionen Wirkkraft entfalteten. Die Städte förderten also kulturelle Interaktion zwischen verschiedenen Gemeinschaften und Gesellschaftsklassen. Bücher und Schriften vervollkommneten die direkten Kontakte. In der schriftlichen Kommunikation wurden andere Sprachen gegenüber dem Finnischen bevorzugt: in den zu Schweden gehörenden Gebieten Schwedisch, Latein und Mittelniederdeutsch und im russischen Karelien Russisch und Kirchenslawisch. Latein und Kirchenslawisch dienten vorwiegend als von der Kirche verwendete Urkundensprachen, in Latein schrieb man aber bis ins 14. Jahrhundert hinein oft auch weltliche Verwaltungs- und Gerichtsdokumente sowie internationale Korrespondenz. Danach musste das Lateinische in urbanen und auf das Ostseegebiet beschränkten Kontakten dem Schwedischen und Mittelniederdeutschen weichen. Aus in Nowgorod gefundenen Birkenrindenbriefen ist zu erschließen, dass Karelisch oder irgendeine andere ostseefinnische Sprache in der Laiengesellschaft bis ins 13. Jahrhundert als Schriftsprache benutzt wurde. Im unter schwedische Herrschaft geratenen

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Turku im Mittelalter Turku war im Mittelalter die größte Stadt Finnlands mit geschätzten 1500–2000 Einwohnern Anfang des 16. Jhs. Hier eine Ansicht des Künstlers Jaakko Karjula, die auf archäologischen Forschungen beruht (Aboa Vetus et Ars Nova 2005). Noch um 1920 lebten die Einwohner von Finnland teilweise wie auf dem Foto.

Finnland hingegen sind entsprechende Quellen nicht aufgefunden worden. Finnisch war in erster Linie Umgangssprache. Insgesamt gesehen wurden im Mittelalter auf der finnischen Halbinsel eine Reihe von Volkssprachen gesprochen, außer Finnisch noch Schwedisch, Deutsch, Russisch, Karelisch, Samisch, Dänisch und Estnisch – oder jedenfalls deren Mundarten. Die höheren Gesellschaftsschichten schwedisierten sich und besonders in Turku und Wiborg waren im wohlhabenderen Bürgertum Schwedisch und Deutsch die üblichen Umgangssprachen. Das Finnische wurde allerdings nicht benachteiligt, es war Umgangssprache auch bei Gerichtssitzungen. Das wissen wir daher, dass in Dokumenten mitunter Namen und Ortsbezeichnungen sowie Grenzbeschreibungen auftauchen, die dem finnischen Kasussystem nachempfunden sind. Im Verwaltungsapparat festigte sich schon im 14. Jahrhundert das Prinzip, dass in erster Linie Beamte und Richter berufen wurden, die in Finnland geboren waren, und dass Schreiber auch die finnische Sprache beherrschen mussten. Deutsche Kaufleute schickten ihre Söhne in finnische Städte, damit sie sich die Ortssprache aneig-

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nen sollten, wiederum ein Beweis für die Wichtigkeit des Finnischen in der mündlichen Kommunikation. Als Umgangssprache erreichte das Finnische auch anliegende Gebiete, vor allem Schweden, wohin sich manch einer in der Hoffnung auf ein besseres Auskommen begab. Die frühen finnischen Auswanderer entstammten meistens niedrigeren Gesellschaftsklassen, weshalb der Status des Finnischen in Schweden unbedeutender war als der des Schwedischen in Finnland. Die finnische Sprache war und blieb für die Schweden fremder und schwieriger als das sprachlich näherstehende Mittelniederdeutsche. Die elementare Bedeutung der Sprache kommt auch darin zum Ausdruck, dass in der wichtigsten Stadt des Reiches, Stockholm, nur selten ein Mann aus Finnland eine Stellung im Stadtrat erreichte und wenn doch, dann war es in der Regel jemand, der aus einer schwedischsprachigen oder zweisprachigen Gegend stammte. Die Zugewanderten brachten aber trotz ihres bescheidenen Status Elemente ihrer eigenen Kultur in die schwedische ein, beispielsweise die Erzähltraditionen. Der berühmteste Kirchenkünstler im spätmittelalterlichen Schweden, Albertus Pictor, verewigte im Deckengewölbe der upländischen Kirche zu Härkeberga den Mörder des heiligen Henrik und seine Frau. Vermutlich kam die Anregung dazu von der örtlichen Gemeinde oder von deren Pfarrer, dem die Überlieferung vom Tode des heiligen Bischofs und von den Folgen bekannt gewesen sein muss. Es ist auch denkbar, dass damals in der Gegend verhältnismäßig viele Finnen und deren Nachkommen lebten. Da die Kirche ihre zentralen Lehren in der Volkssprache und nicht nur auf Latein verkündete und auch die Beamten auf örtlicher Ebene bei Angelegenheiten mit dem gemeinen Volk eine diesem verständliche Sprache benutzten oder wenigstens Dolmetscher einsetzten, hatten die breiten Volksschichten gar kein Interesse an einer finnischen Schriftsprache, sondern sie fügten sich in die sprachlich-kulturelle Vielfalt ein, die für die frühfinnische Gesellschaft charakteristisch geworden war. Schreib- und lesekundige Personen gab es vermutlich ohnehin so wenige, dass es sinnvoll war, bereits vorhandene Schriftsprachen anzuwenden, zumal man diese ohnehin immer dann benötigte, wenn man sich mit anderen als finnischsprachigen Personen schriftlich austauschte. Das Finnland des Mittelalters war multikulturell und damit eine sehr europäische Gesellschaft. Als der deutsche Gelehrte Sebastian Münster 1544 die erste Auflage seiner Cosmographia veröffentlichte, beschrieb er Finnland als Teil des schwedischen Reiches – und als ein idealeres Land als Schweden. Obschon der Großteil der Bevölkerung sich in einer für europäische Ohren merkwürdigen Sprache äußerte, hatte die finnische Gesellschaft, vor allem in den westfinnischen Küstengebieten, einen Akkulturationsprozess vollzogen, in dessen Verlauf und als dessen Ergebnis sie an der europäischen Zivilisation teilhatte und nicht als außenstehendes, fremdes Element zu betrachten war. Zumindest in den am dichtesten besiedelten Gegenden, an den Küsten also und an den Ufern der aus dem Binnenland strömenden Gewässer, organisierten sich die Strukturen der Kultur nach den im übrigen Europa bekannten Prinzipien. Im Verlaufe von Jahrhunderten eigneten sich die Finnen Formen gemeineuropäischen Gemeinschaftslebens, des Rechtswesens, der Verwaltung und des Handels an und mit diesen eine Reihe diesbezüglicher Termini. Ein ausländischer Reisender, sei es ein Händler, ein auf die Ausschmückung von Kirchen spezialisierter Handwerker oder etwa ein Wallfahrer zum Kloster Naantali, konnte allen Unterschieden zum Trotz bekannte Elemente im mittelalterlichen Finnland erkennen.

Staatskultur und Moralsystem

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III. Die schwedische Reichskultur und Finnland 1500–1800 Kustaa H. J. Vilkuna

Staatskultur und Moralsystem Schweden schwoll zwischen 1500 und 1600 zu einem multikulturellen Reich an – durch Kriege. In dieser Zeit staatlicher Größe eröffnete sich eine derartige kulturelle, sprachliche und religiöse Vielfalt, zu der ja auch Finnland gehörte, dass Schweden in der vormodernen Epoche durchaus nicht zu einem Nationalstaat wurde, wenn es so etwas im übrigen Europa damals überhaupt gegeben hat. Als solcher aber wurde es regiert. Untertanen des gleichen Herrschers waren beispielsweise finnische Bauern, Perückenmacher aus Frankreich, italienische Sprachkünstler, Adlige mit schottischem Hintergrund, deutsche und niederländische Händler und aus Schweden zugewanderte Professoren, aber sie alle verbanden keine gemeinsamen kulturellen Merkmale und sie hatten auch kaum etwas miteinander zu tun – trotz der Tatsache, dass sie in der Stadt Turku und deren unmittelbarer Umgebung auf einigen Quadratkilometern zusammen wohnten und wirkten. In einem kleinen geografischen Gebiet wohnte ein bunt zusammengewürfeltes Völkchen, und noch unglaublicher war die multikulturelle Situation des ganzen Reichs, denn bald gehörten eroberte Ländereien und Provinzen in Deutschland, im Baltikum, in Ingermanland, Karelien und Dänemark zu Schweden, bald strömten Handelsleute, Handwerker und Industriearbeiter aus dem westlichen Europa ins Land. Voraussetzungen für verschiedene Staats- und Gegenkulturen gab es zuhauf. Die kulturelle, sprachliche und gesellschaftliche Streuung wie die Unterschiede in Sitten und Gebräuchen waren Faktoren, zu denen man Stellung nehmen, die man akzeptieren oder mit Blick auf die man eigene Entscheidungen treffen musste. Vollständige Harmonie war das Ideal der Zeit, als höchstes Ideal bestimmte Harmonie die Ideologie der Macht. Das Harmonieideal mit heterogenen Auffassungen in Übereinstimmung zu bringen gelang, indem man die Staatskultur schuf. Die Machtbefugnisse wurden in Stockholm konzentriert und ein modernes Verwaltungssystem geschaffen, das auf der untersten Stufe die örtlichen Gegebenheiten berücksichtigte. Die von der Zentralverwaltung akzeptierte Kultur drang auf bürokratischen Wegen vom Zentrum aus in die Peripherie, freilich nur im Prinzip. Und entsprechend wurde die harmoniefeindliche periphere Ortskultur bei der Vermittlung hin zum Zentrum durch die Bürokratie so gefiltert, dass die Ordnung wiederhergestellt war. Am reinsten vertrat die Staatskultur allein der Herrscher, in weiterem Sinne seine unmittelbare Umgebung, der Hof. Hingegen war fast alles andere Gegenkultur zur Staatskultur. Wenngleich die staatliche Bürokratie (Krone und Kirche) diese repräsentierte, bildete sich eine ihr lose verbundene oder von ihr unabhängige Kultur zur Gegenkultur aus, zeitweise sogar zu einer echten Gegenkraft zur Staatskultur.

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Harmonie war das Ideal, aber konkret bedeutete das vor allem Machtausübung und Aufrechterhaltung der Ordnung in einer von der Obrigkeit bestimmten neuartigen Gemeinschaft: Für den multikulturellen Staat schuf man einen auf dem Ideal der Harmonie basierenden, dieses Ideal aber zugleich abwandelnden und strukturierenden schriftlichen Moralkodex und zudem Institutionen, die dessen Realisierung überwachten. Die Kirche war natürlicher Moralwächter und zugleich neben der Krone Obrigkeit. Beide waren eins, gleichsam als weltlicher und geistlicher Aspekt, wenn es darum ging, das Volk zu gehorsamen, guten und sittlichen Untertanen zu erziehen – also zu harmonischen Lebewesen. Um dies zu erreichen, entwickelten die Obrigkeiten ein absolutes Moralsystem, das zum Fundament von Gesetz und Gerechtigkeit wurde und dessen Ansatz im römischen Recht, in jüdisch-christlicher Tradition, Ständelehre und Theokratie sowie in altem volkstümlichem Rechtsbrauch lag. Im Kern wollte man den Staat zu einer unveränderlichen Gesellschaft harmonisieren, in der alle und jeder Einzelne die ihm gemäß der Ständelehre und deren Einteilung der Menschen in durch Stand unterschiedene Gruppen zukommende moralische und kulturelle Position innehatte. Nach dieser Ansicht gab es eine vom Zentrum repräsentierte richtige Moral und Kultur und die in der Peripherie vorherrschende mehr oder weniger falsche. Den Harmoniewillen nährte die Auffassung, dass die Einwohner des Reiches eine einheitliche Herde bildeten, da sie ja einen Herrscher und ein gemeinsames Gesetz hatten. Die Bauern im eigentlichen Finnland (Varsinais-Suomi), die dänischen Bauern in Skone, die karelischen Bauern, die Bauern in Livien und die lappischen Samen besaßen in Wirklichkeit indes kaum verbindende kulturelle, religiöse und sprachliche Züge. Die Herde wurde nie zu einer einheitlichen, aber sie hatte einen einzigen Herrscher und wenigstens formell auch ein einheitliches Gesetz.

Die Kriege Schwedens Schweden führte ständig Krieg. Zwischen 1555 und 1721 waren Kriegsgelüste und Expansionsbestrebungen am intensivsten, weshalb es in dieser Zeit nicht weniger als 112 Kriegsjahre gab; aber auch später ließ der Takt nicht entscheidend nach. Hauptgegner waren die Nachbarn Dänemark und Russland, aber auch deutsche Staaten. Man marschierte zeitweise weit entfernt von der Heimat, im Dreißigjährigen Krieg kreuz und quer durch Deutschland und Polen, im Großen Nordischen Krieg in Polen, Schlesien, in der Ukraine und wer weiß wo noch. Man hatte meistens Erfolg, Schweden wurde zur nordischen Großmacht. Im 18. Jahrhundert wendete sich das Blatt, größere und kleinere Gebiete im Baltikum, in Finnland und Norddeutschland mussten wieder abgetreten werden. Kriegsbegeisterung wie auch Kriegsmüdigkeit schlugen sich deutlich in Staats- und Volkskultur nieder. Kustaa H. J. Vilkuna

Die Existenz des Herrschers und das Gesetz bestimmten die lokale Kultur, eine stärkere Wirkung auf das Leben der Menschen entfaltete aber vielleicht die Tatsache, dass das Ideal einer einheitlichen Herde und die Ideologie der Harmonie durch den Verwaltungsapparat

Staatskultur und Moralsystem

Ausbreitung Schwedens und seine Verluste In einem relativ kleinen geographischen Gebiet wohnten Menschen unterschiedlichsten Ursprungs, da Ländereien und Provinzen in Deutschland, im Baltikum, Ingermanland und Karelien sowie in von Dänemark annektierten Gebieten zu Schweden gehörten und auch Kaufleute, Handwerker und Industriearbeiter aus Westeuropa ins schwedische Reich strömten. Links: Gebietsgewinne nach 1561, rechts: Verluste 1721 bzw. 1809

verkündet und realisiert wurden. Der Adlige Schering Rosenhane, Diplomat und Verwaltungsfachmann, gestand ein, dass in jeder Ecke des Reichs eigene Sitten und Bräuche herrschten, und forderte deshalb, dass für alle Winkel Beamte berufen werden sollten, die mit der örtlichen Kultur, ihren Bräuchen und tief verwurzelten Ansichten vertraut waren. Die Beamtenschaft wiederum bestand nach Auffassung der Zeit aus treuen Dienern der Krone, die berechtigt und verpflichtet waren, Gewalt anzuwenden, falls die Haltung der lokalen Bevölkerung gegenüber dem Staat zu wünschen übrig ließ. Damit die Herde sich vereinheitlichte, zwängte sich die Krone bei den kleinlichsten Angelegenheiten in den Alltag der Menschen, regulierte Werk- und Feiertage, Essen und Trinken, Kleidung und Benehmen. Auf diese Weise, so glaubte man, verbanden sich die die Gesellschaft zusammenhaltenden Faktoren mit den Kategorien der Moral, die da waren: kirchliche Zucht und gesellschaftliche Ordnung, Betonung der Wohlfahrt des Reiches, also Aufrechterhaltung des Hofes, der Verwaltungsmaschinerie und des Militärwesens im Namen des allgemeinen Guten (almänna bästa). Angesichts dessen hatten menschliche Bedürfnisse und alte Gewohnheiten zu weichen.

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III. Die schwedische Reichskultur und Finnland 1500–1800

Ein typischer Prozess der frühmodernen Epoche war die Bürokratisierung der Agrargesellschaft mit ihren lokalen Gemeinschaften. Noch das letzte Bauerndorf wurde in die staatszentrierte Gesellschaft eingebunden und namentlich die Bürokratie, also die Behördenmaschinerie, war das System, das die Bewohner der verschiedenen Landstriche miteinander verband, indem für Informationsvermittlung gesorgt und das Leben der Menschen hier wie dort gleichermaßen gelenkt und überwacht wurde. Vom Zentrum der Staatsobrigkeit (Herz) sprudelten die Beschlüsse durch Vermittlung der Beamtenmaschinerie (Blutkreislauf) auf die lokale Ebene. Das Volk hatte sich den gesellschaftlichen Veränderungen, dem Wandel der Gewohnheiten und den praktischen und ideologischen Pflichten zu beugen. Anpassungsmöglichkeiten gab es viele, die simpelste war Gleichgültigkeit gegenüber den Forderungen der Krone. So gesehen war die Volkskultur eigentlich schon eine Gegenkultur. Die frühmoderne Gesellschaft beruhte auf Macht und deren Ausübung, und alle Macht war identisch mit Zucht und Ordnung, sodass die Kultur alle die menschliche Tätigkeit umfassenden normativen Faktoren enthielt. Das System der unbedingten Moralität verdichtete sich in Gesetzen – oder eigentlich in den Grundgesetzen, Landesgesetzen, Staatsgesetzen und allen möglichen Verordnungen, von denen ein Teil treffend „Ordnung“ genannt wurde. Das Gesetz war für alle Einwohner des Reiches gleich und das Gerichtswesen gemeinverbindlich; beide vertraten und förderten die von der Obrigkeit gewollte Gesellschaftsmoral, die Staatskultur und das Anstandsgefühl in allen ihren Schattierungen. Einheitlichkeit realisierte sich indes nur scheinbar. Die unterschiedlichen bis geradezu widersprüchlichen Auffassungen verschiedener Stände und Institutionen zu Ordnung und Gerechtigkeit sowie vor allem die nicht schriftlich fixierten Normen beeinflussten die Gesetzespraxis. Die Landesbräuche, provinzielle, gesetzähnliche Normen und Traditionen, die auf Stammes- und Verwandtschaftsgemeinsamkeiten zurückgingen, waren in Finnland so tief verwachsen, dass man sie ein für allemal auszumerzen beschloss und ihr Vorhandensein schlicht bestritt. Die Krone hasste diese Landesbräuche, gerade weil sie in Finnland üblicher waren als in anderen Landesteilen. Die gegen diese Bräuche ergriffenen Mittel waren die gleichen wie schon ausgeführt: Die Herde schien vereinheitlicht zu sein, indem man Unterschiedliches als homogen ansah oder es eben nicht anders sehen wollte. Anders gesagt, die Harmonie wurde dadurch verwirklicht, dass Dissonanzen einfach verleugnet wurden. Die Krone verschloss im 17. Jahrhundert die Augen vor Landesgewohnheiten mit der Mitteilung, solche gebe es gar nicht; da diese nicht festgeschrieben waren, existierten sie natürlich tatsächlich nicht – und gerade deshalb blieben sie als Bräuche, Gewohnheiten und kulturelle Eigenheiten bewahrt. Sprachliche Einheit gehörte aus damaliger Sicht nicht zu den charakteristischen Merkmalen der einheitlichen Herde. Im schwedischen Reich sprach man alle zum Kreis der Ostseeländer gehörenden Sprachen und Mundarten, zudem waren hier und da noch Sprachen entfernterer Gebiete zu hören. Außerdem erforderte die internationale Diplomatie die Beherrschung weiterer Sprachen. Andererseits verlangte das zentralisierte Verwaltungssystem eine gemeinsame Beamtensprache, wobei die selbstverständliche Wahl auf Schwedisch fiel, neben dem allerdings in von Deutschen beherrschten Städten und in den baltischen Provinzen zum Teil Deutsch gesprochen wurde. Schwedisch wurde zur Sprache der Bürokratie, die lingua franca des schwedischen Reiches, die im wirklichen Leben nur von den wenigsten gesprochen wurde. Diese lingua franca stellte durchaus

Staatskultur und Moralsystem

keine sprachliche Diskriminierung dar, sondern eine verwaltungsmäßige Notwendigkeit. Deshalb entwickelte sich die finnische Sprache – und eigentlich auch die schwedische – nicht zu einer Gemeinsprache, vielmehr blieben die Mundarten erhalten. Für das Schwedische gilt dies, obwohl der schwedische König Gustav III. 1786 eine Akademie zugunsten der Klarheit, Ausdruckskraft und Wertschätzung des Schwedischen gründete. Selbst da, wo die Sprache der Bürokratie in Gebrauch befindlich war, sprach man eine andere Sprache als die, die schließlich in den Dokumenten geschrieben wurde. Die Sprache der Bürokratie war die Staatskultur, die Sprache des Volkes Gegenkultur. Es gab freilich einen Kulturbereich, in dem zeitweise und in höchst diskriminierender Form die staatliche Einheit durchgesetzt wurde, nämlich den von Kirche und Glauben. Wessen Land, dessen Glauben – dieser Gedanke mochte im deutschsprachigen Raum gelten, aber in besonderer Weise wurde er in Schweden realisiert. Gustav Wasa vernichtete mit seinen Anhängern die katholische Kirche und deren Übermacht, stieg selbst zum Haupt der Kirche auf, schaffte das Klosterwesen ab, zerstörte die Bischofssitze, führte die kirchlichen Reichtümer der Krone zu, vernichtete die Errungenschaften der katholischen Kultur und ließ die schwedische Kirche lutherisch reformieren. Mithin wurde das schwedische Reich, und Finnland als ein Teil davon, lutherisch – und Aufgabe der Kirche war es nicht nur, Gott, sondern auch der Krone zu dienen. Vor allem zu der Zeit, als der schwedische Staat zur Großmacht anwuchs und sein Oberhaupt zum Alleinherrscher, entwickelte sich die Kirche zu derjenigen Kraft, die die Einheitsideologie gestaltete und realisierte. Der evangelisch-lutherische Glaube war der Staatsglaube und die Kirche eine Staatskirche. In Verwirklichung der kirchlichen und religiösen Zucht wurden als heidnisch und katholisch betrachtete Bräuche des Volksglaubens hemmungslos ausgemerzt und die Orthodoxen in Karelien und Ingermanland wurden misshandelt. Man durfte vielleicht orthodox sein, aber nur unter lutherischer Kontrolle. Religiöse Toleranz gab es so gut wie gar nicht; erst später, gegen Ende des 18. Jahrhunderts, schien sie zweckmäßig. In den 1780er Jahren gewährte man den Vertretern anderer Glaubensgemeinschaften nämlich Glaubensfreiheit, weil dies zur Förderung des Handels unumgänglich war. Die Freiheit galt allerdings nur für Zuwanderer ins schwedische Reich und deren Nachkommen. Und sie bedeutete natürlich auch nicht die öffentliche Ausübung des Glaubens. Noch im 17. Jahrhundert mussten sich Juden lutherisch taufen lassen, um in den Genuss der Rechte eines Untertanen des schwedischen Herrschers zu kommen. Zugleich führte die Kirche mit Unterstützung der Krone einen heftigen Kampf gegen religiöse Bewegungen, die das harmonische Gesellschaftssystem gefährdeten. Das Volk hatte zu glauben, was befohlen war, und der Glauben musste so ausgeübt werden, wie es bestimmt war. Trotzdem breiteten sich religiöse Bewegungen aus, man vertraute auf Zauberkunststücke und Heilkundige, die wegen Hexerei verschrien waren, und blieb vielfach bei heidnischen und katholischen Bräuchen. Die Ideologie der Harmonie wurde in Wissenschaft und Kunst besonders effektiv verwirklicht, sogar noch wirksamer als im Glaubensleben. Aufgabe von Wissenschaft und Kunst war es nämlich, der Obrigkeit zu dienen. Diese Aufgabe wurde den Gelehrten und Künstlern entweder vorgeschrieben oder sie sahen sie ohnehin als edle Pflicht an. Demzufolge trat nur selten jemand mit kritischer Stimme auf. Die Freiheit der Wissenschaft und Kunst bestand in der „Freiheit“, die Ideologie zu achten und die Macht des Herrschers und damit des ganzen Staatssystems zu stärken.

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III. Die schwedische Reichskultur und Finnland 1500–1800

Die herausragenden Geistesprodukte der Staatskultur waren offizielle und öffentliche Kunst, und – was am wichtigsten war – Spitzenleistungen der Kunst, wie etwa das Ballett, konzentrierte man im Zentrum der Staatskultur, also am vom König beherrschten Hof; gerade dessen symbolischer und zeremonieller Charakter unterschied den König und seinen Hof vom Volk. Die bedeutendsten Künstler wurden an den Hof gerufen, um die Hofkultur zu beleben. Das waren Hofmaler, Hofarchitekten, Hofmusiker und Hofdichter, von denen die hervorragendsten geadelt wurden. Der Adelstitel war natürlich ein Geschenk, aber mit den Geadelten stärkte man wieder die Staatskultur: Ein hoftauglicher Kunstproduzent war ein stärkender Teil des Systems. Obrigkeitskunst war es vor allem, was die finnischen Untertanen zu sehen und zu hören bekamen, und diese Kunst war in höchstem Maße symbolisch, strotzte von Macht und ideologischen Dimensionen derselben. In Finnland wurde die Kunst der Mächtigen (Kult der Macht) in erster Linie von der Architektur, den in öffentlichen Gebäuden befindlichen Malereien und der bei öffentlichen Veranstaltungen dargebrachten Musik verkörpert. Vom Ballett wusste der gemeine Mann kaum etwas, Kirchen- und Orgelmusik blieb eine kultivierte Besonderheit und von lokaler Orchestermusik träumte man eigentlich nur. Volksmusik und Volkstanz hingegen, die sich natürlich an der Musik der Elite orientierten, blieben erhalten, entwickelten sich zur Kontrastkultur und beliebte Werke wurden auch als Kleindrucke veröffentlicht (Samuel Rinta-Nikkola, Nuotti Kirja, Notenbuch, 1809). Die Kronschlösser waren von Natur aus Symbole für die Mächtigkeit der Reichskultur, daneben gab es einige wenige in Stein gebaute adlige Residenzen. Deren Wohnstätten wurden im Geiste der Renaissance, Spätrenaissance, Barock- oder Rokokozeit beziehungsweise anderer künstlerischer Strömungen errichtet, um den Rang ihrer Besitzer hervorzuheben. Die profanen Gebäude der Staatsarchitektur gingen noch weiter. Architektonischer Ausdruck des Einheitsideals waren Uniformität (Einförmigkeit) und Regularität (Regelmäßigkeit). Die Bebauungspläne der Städte richtete man an einer die Staatszentriertheit symbolisierenden Symmetrie aus, für die Behördengebäude, in denen die Reichsbeamten ihre Tätigkeit verrichteten, fertigte man Typenzeichnungen an und die Menschen versuchte man zu gleichartiger, uniformierter Kleidung zu zwingen. Kulturelle Gleichförmigkeit und die Einheit noch in der Verschiedenheit betonten die zentralisierte Harmonie. Die meisten Kirchen – vor allem die Holzkirchen des 17. und 18. Jahrhunderts – wurden nach dem gleichen Muster, prunkvoll und kolossal-feierlich, erbaut, egal, ob es sich um Längs- oder Zentralbauten handelte. Die Kirchen wurden, wenn überhaupt, zu dem Zweck ausgeschmückt, die gerechte Ordnung der Welt zu repräsentieren, nach der das Schicksal der sündigen Gemeindemitglieder die Verdammnis war; die Orgelmusik stieg zum Himmel auf, Predigten und Gebete verherrlichten die aus ungleichwertigen Mitgliedern bestehende Gesellschaft als gerecht und in den Kirchenliedern besang man die Vergänglichkeit des Irdischen. Die Baupläne der Kirchen mussten in Stockholm genehmigt werden, was auch meistens befolgt wurde, aber hier und da errichteten aufmüpfige Bauern fernab vom Zentrum Kirchen ohne Erlaubnis – sie waren es ja, die für die Arbeit, die Baustoffe und die Instandhaltung verantwortlich waren. Die bildende Kunst war stark auf den Hof beschränkt und existierte in Finnland zunächst nicht; später spiegelte sie die heilige Verbindung von Wissenschaft und Kunst wider. Die volkstüm-

Staatskultur und Moralsystem

liche Kunst adaptierte wiederum auf ihre Art die Kunst der Elite, aber das wurde nicht als Kunst betrachtet. Aufgabe von Wissenschaft und akademischer Ausbildung war die Erziehung zur Rechtgläubigkeit: Die Obrigkeit stand den wissenschaftlichen Institutionen skeptisch gegenüber aus Furcht, die Wissenschaftler könnten ketzerische Lehrgebäude schaffen und zum Widerstand anstacheln. Die Universitäten wurden fest an Krone und Kirche gebunden und gleichzeitig jede unnütze metaphysische Haarspalterei und Scholastik abgelehnt. Die ersten Vorlesungsprogramme der Universitäten folgten dem Modell von Wittenberg, wonach die zentralen Unterrichtsfächer waren: Theologie der Reformation, Altes Testament, Neues Testament und Luthertum, humanistische Wissenschaften, Latein, Griechisch und Hebräisch, Rhetorik, Medizin und Naturheilkunde der Antike, Anatomie und Chemie sowie Kartographie, schwedisches Gesetz und Verwaltungssystem, römisches Recht, Naturrecht und positives Recht. Staatstheorie war im Prinzip Jurisprudenz. Anerkannt waren der Franzose Jean Bodin (1530–1596), Hugo Grotius (1583–1645) aus den Niederlanden und der Deutsche Samuel Pufendorf (1632–1694). Diese alle dienten zusammen mit dem kopernikanischen Weltbild der staatszentrierten Harmonie und der ans Reich gebundenen Staatskultur. Die Erziehung der Beamtenschaft zur Kultur der Obrigkeit spiegelte sich in ihrer rechtmäßigen Verhaltensweise gegenüber den Untertanen. Wissenschaften und Akademien sorgten für die Ausbildung der Schreiber und der Vollstrecker und Wahrer herrschaftlicher Machtausübung. Die Morallehre wurde dabei keineswegs vernachlässigt, denn auch die Studentenkomödien waren meistens lehrhafte Schauspiele, in denen faule, ausschweifende und eingebildete Studenten bescheidenen, rechtschaffenen und fleißigen Kommilitonen gegenüberstanden. Das gleiche Muster wiederholte sich auch anderweitig in der Gesellschaft: Hier stand die aufmerksame und fleißige Königliche Majestät vor faulen, untauglichen und verschwenderischen Untertanen. Die Geschichtsschreibung im schwedischen Reich konzentrierte sich auf die Historie des Königshauses und die Darstellung obrigkeitlichen Handelns in historischen Chroniken. Die Geschichte hatte einen politischen Zweck. Wissenschaftliche Geschichtsschreibung war praktische Philosophie wie auch die Staatslehre, und ihre Aufgabe war es, die Jugend zum Dienst am Staat zu erziehen, anders gesagt zu Beamten der Krone und Kirche. Deshalb betonte sie göttliche Fügung, Glanz der Gesellschaft und Entwicklung auf höchstem Niveau sowie moralische Verpflichtungen. Neue Wissenschaftsbereiche wie die Kartographie wurden als Stütze des Staates vereinnahmt: Im 17. Jahrhundert wurde der Herrscher gewahr, dass das schwedische Reich eigentlich viereckig war und sein Mittelpunkt im südlichen Seegebiet der Åland-Inseln (Ahvenanmaa) lag – also umfasste das Staatsgebilde ja die Ostsee, das Binnenmeer des Reiches. Keine einzige Wissenschaft oder Kunst kritisierte das Herrschaftsgefüge und dazu gab es auch überhaupt keine Möglichkeiten. Majestätsbeleidigung, die Kränkung des Königs und seiner Beamten durch das Wort, war eines der schwersten Verbrechen. Außerdem war der Staat ja der wichtigste Mäzen für Wissenschaft und Kunst: Kaum jemand wagte es, seinen Geldgeber zu beleidigen. Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts brachte man andere und neue Ansichten freier vor, zunächst vorsichtig in Form der Satire oder wissenschaftlichen Allegorie. Dann traf die Kritik die Person, die für alle Bewohner des Reiches bisher die unantastbare Spitze des Gemeinwesens gewesen war: den König, die Königliche Majestät, also die Krone. Die

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III. Die schwedische Reichskultur und Finnland 1500–1800

Folge davon war, dass die Strahlkraft der Königlichen Majestät und die Schutzwirkung der Zensur nachließen, was wiederum – wie nicht anders zu erwarten – zu majestätischem Argwohn und zur Verschärfung der Zensur führte.

Die Untertanen und der Herrscher Der Herrscher war Herrscher über alle Einwohner des schwedischen Reiches – also natürlich auch über die Finnen. Die Finnen waren Einwohner des Königreichs Schweden und damit Untertanen des Herrschers – soweit sie nicht Untertanen Russlands waren, was ja zuweilen der Fall war. Wer innerhalb des schwedischen Reiches wohnte, war generell auch Untertan. In diesem Sinne verhielt es sich mit den Finnen ebenso wie mit den Einwohnern von Schweden, Schonen, Vorpommern, Estland und Livland. Da sich die Zugehörigkeit zum Staat durch das Verhältnis zum Herrscher bestimmte, war diese Beziehung verständlicherweise hierarchisch. So hatte es der liebe Gott geregelt, konstatierte man in staatstheoretischen und religiösen Texten. Es gab höher stehende und bedeutendere Untertanen und natürlich eine große Zahl von gemeinen und weniger wichtigen Untertanen. Und das hing mit nichts Geringerem als der Idee der Weltordnung zusammen. Das System der Welt erläuterte man ganz simpel: Vor langer Zeit hatte Gott aus dem herrschenden Chaos einen gegliederten Kosmos und den Menschen als Bild seiner selbst geschaffen. Der Mensch war als Abbild Gottes das vollkommenste Wesen der Schöpfung, ein Mikrokosmos und vollkommener Herr der Natur. Aber Herren der Natur gab es viele, wie Gott bestimmt hatte. Die geregelten Hierarchien umfassten daher alles menschliche Wirken und Denken, und die Menschen betrachteten die Welt gleichsam, als ob sie in diverse übereinandergeschichtete Schubladen eingeteilt sei. Auf der Welt herrschte immer und überall irgendeine Art von auf Erfahrung beruhender Vollmacht- und Oberhauptkonstellation: Der Mann war in der Ehe der Vorgesetzte seiner Frau, als Vater hatte er Vollmacht über seine Kinder, Hausherr und Hausfrau führten das Regiment über die Bediensteten und der Herrscher eben über seine Untertanen. Die Ständeordnung gestalteten sich so, dass die einfachen Leute, also das Volk, die unterste Stufe bildeten; am höchsten, nahe bei Gott und dem Herrscher, standen der Adel, die hohe Geistlichkeit und die bürgerliche Elite. Für die Stellung und Zukunft des Menschen in der Gesellschaft waren in erster Linie sein Herkommen, die Familie und das Vermögen bedeutsam. Anders gesagt entschied die Geburt das Schicksal des Einzelnen. Er war Herr oder Narr, hochwohlgeboren oder niederen Standes, und die wissenschaftliche Staatslehre, die auf dem Gedanken angeborener Ungleichheit beruhte, holte die Begründung dafür aus Medizin und Naturwissenschaft. Einerseits hielt man die Gesellschaft für ein erweitertes Abbild des Mikrokosmos: Der Herrscher und seinesgleichen bildeten den Kopf, die Stände Rumpf und Gliedmaßen. Andererseits war die Humorallehre nach dem Sachverstand der Antike davon überzeugt, dass die Körpersäfte mit dem Charakter des Menschen korrelieren, und betonte die angeborenen Eigenschaften der Stände. Die Mitglieder des Königshauses und des Adels waren blaublütige Befehlshaber, fanatisch, stolz und streng, die Pfarrer (Bürger) nachdenklich, schwermütig und an Büchern interessiert, aber die Pfaffen neigten zu Scheinheiligkeit, Geiz und Faulheit und die Bürger zur Anhäufung von Vermögen. Die Bauern wiederum

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waren schlapp, fett, versoffen, grob, obszön, gutmütig, dumm und leicht zu lenken. Egal aber, ob hoch oder niedrig, Untertan des Herrschers – des Königs oder der Königin – waren sie alle. An der elitären Kultur teilzuhaben setzte freilich außer bester familiärer Abkunft noch weitere Eigenschaften voraus: Güte, ideale Charakterzüge wie Tugendhaftigkeit, Zuverlässigkeit und Führungsqualitäten. Über diese verfügten der Herrscher und andere Blaublütige ja von Geburt an, aber einer, der sich auf der untersten Stufe der Gesellschaftshierarchie als talentiert erwies, konnte der Krone doch zumindest näherkommen, wenn er seinen Herren willig diente, gleichzeitig ein brauchbares Beziehungsnetz schuf und sich die Macht- und Staatskultur aneignete.

Die schwedischen Königshäuser Zwischen 1521 und 1809 herrschten in Schweden drei größere Dynastien, die Geschlechter Wasa, Pfalz-Zweibrücken und Holstein-Gottorp. Wasa-Herrscher waren Gustav I. Wasa (1496–1560), der 1521–1560 regierte, seine Söhne Erik XIV. (1533–1577), regierte 1560–1568, und Johann III. (1537–1592), der in den Jahren 1568–1592 regierte. Sigismund (1566–1632), der Sohn Johanns III., war schwedischer König 1594–1599 und König von Polen 1589–1632. Sigismund wurde gestürzt und zum Herrscher stieg wieder ein Sohn von Gustav Wasa auf, Karl IX. (1550–1611), danach dessen Sohn Gustav II. Adolf (1594–1632) 1611–1632 und dann wiederum dessen Tochter Christina (1626– 1689) 1644–1654. Mit ihr endete die Wasa-Epoche. Auf Christina folgte 1656–1660 als Herrscher ihr Cousin Karl X. Gustav (1622–1660), womit zugleich das Geschlecht derer von Pfalz-Zweibrücken aufstieg. Als Karl X. Gustav starb, erbte Karl XI. (1655–1697) die Krone und regierte das Land volljährig 1672–1697. Nach ihm folgten sein Sohn, König Karl XII. (1682–1719), und dann seine Tochter Ulrike Eleonore (1688–1741) 1719–1720. Königin Ulrike Eleonore wurde von ihrem Mann Friedrich I. (1676–1751) aus der Familie von Hessen-Kassel abgelöst. Nach Friedrich erlangte das Geschlecht Holstein-Gottorp die schwedische Königswürde. Adolf Friedrich (1710–1771) herrschte 1751–1771, sein Sohn Gustav III. (1746–1792) 1771–1792 und dessen Sohn Gustav IV. Adolf (1778–1837) schließlich in den Jahren 1792–1809. Kustaa H. J. Vilkuna

Die Herrschertugenden waren tief in der Machtpolitik verwurzelt. Die Ideale waren einerseits ganz allgemein, es galt aber andererseits, sie mit der Zeit und veränderten Verhältnissen neu zu bestimmen. Im Prinzip waren es Produkte der jeweiligen Mode. Zu den Tugenden der Aristokratie im schwedischen Reich, besonders des Herrschers, gehörten wesentlich Mannhaftigkeit, Zivilisiertheit, Bildung und kultiviertes Benehmen. Ohne männliche Tugenden kann man nicht herrschen, stellte Königin Kristina Mitte des 17. Jahrhunderts offen fest. Als Herrscherin musste sie ihre weiblichen Tugenden und guten Eigenschaften ablegen. Weibliche Ideale erläuterte sie nicht weiter, mannhafte Tugenden aber lagen in der Heldenhaftigkeit in Kriegszeiten. In solchen Zeiten – und Kriege wurden ja wahrhaftig dauernd geführt – wurden kriegerische Ideale besonders hoch gehandelt und dem König zugeschrieben. Prägende Züge waren dabei Opfer-

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Karl X. Gustav und Karl XII. Ein König konnte mit seinem eigenen Wesen beispielhaft sein für das ideale Aussehen: Extreme bildeten dabei die kriegerischen Könige Karl X. Gustav Mitte der 50er Jahre des 17. Jhs und Karl XII. Anfang des 18. Jhs.

bereitschaft und Enthaltsamkeit sowie körperliche Robustheit. Natürlich konnte der König durch seine Person verdeutlichen, wie der Idealtypus auszusehen hatte: In diesem Sinne standen die Kriegerkönige Karl X. Gustav Mitte des 17. Jahrhunderts und Karl XII. Anfang des 18. Jahrhunderts allerdings für extreme Gegensätze. Ersterer aß und trank gern und ausgiebig, er war deshalb unglaublich fett, weshalb man Fülle und Gesichtsröte für maskuline Ideale hielt, Letzterer hingegen betonte die Selbstzucht und war von der Veranlagung her eher cholerisch, sodass sich das Ideal der Männlichkeit völlig wandelte. Die Ideale solcher Kriegszeiten fanden in die Staatskultur Eingang. Auf die Spitze getrieben bedeutete das unter anderem, dass man die Armeeuniform als ideale Bekleidung ansah. Auf Bildnissen wurde der Herrscher gern in Uniform als Feldherr dargestellt. Armee und Kampfbereitschaft gehörten zu allen Festlichkeiten dazu. Die an Feiertagen abgefeuerten Kanonen- und Gewehrschüsse, die Paraden und Truppenaufmärsche waren ein wesentlicher Teil der Staatskultur, der dem Volk die Mächtigkeit und Bedeutung des schwedischen Reiches demonstrieren sollte. Ein Schwert zu tragen bezeugte und betonte auch den Status des Trägers in der Gesellschaft; Schwert und Mann der Krone waren gewissermaßen eins. Da die Elite an Zahl nur gering war und der verdächtige, rohe und primitive Plebs die Mehrheit der Reichsuntertanen bildete, musste der Herrscher durch das Gesetz geschützt

Die Untertanen und der Herrscher

werden. Als Schweden begann, einen festgefügten und zentralisierten Staat aufzubauen, war die Stellung des Herrschers noch schwach, denn er war abhängig vom Adel. Kern der Staatsbildung war es, dem König gleichgestellte und machtgierige Adlige fest an den König zu binden, die bescheidene Herrschermacht nach dem Vorbild deutscher Fürsten anzuheben und dem König Alleinherrschaft, Sonderrechte und die Integrität seiner Person durch Erlasse zuzuerkennen. Der König durfte natürlich nicht physisch angegriffen werden, wurde aber auch vor verbalen Attacken geschützt. Als Majestätsverbrechen betrachtete man die Beleidigung des Königs oder seiner Familienmitglieder. Und da die Majestät am höchsten stand, war auch die Bestrafung die schlimmste: Wer die Person des Königs verspottete, endete auf dem Schafott. Kulturell war jedoch wesentlich, wie die mit der Majestät verbundene Legitimität auf das ganze Land ausgeweitet wurde. Die staatskulturellen Dimensionen bei Majestätsbeleidigung wuchsen ins Unermessliche an. Da man mitunter davon ausging, dass die königliche Majestät die ganze Krone, also auch die staatliche Bürokratie, einschloss, wurde auch diese vor boshaften Worten und Schriften geschützt. Die Krone, das heißt die Verwaltungsmaschinerie, war untrennbarer Teil des Herrschers, und ihre Aufgabe war es seit dem 16. Jahrhundert, das ökonomisch Bestmögliche für den Herrscher zu erreichen. Der Staat war eine Art persönlicher Haushalt des Herrschers. Man sah ihn deshalb auch als Vater und Hausherr des Reiches, dem alle willig und ohne dies in Frage zu stellen gehorchten und der alles zum Besten seiner Familie tat und die Wünsche seiner Familienmitglieder anhörte. Dies führte zu interessanten kulturellen Entwicklungslinien. Es gab nämlich zwei verschiedene Möglichkeiten, über die Majestät zu sprechen und zu schreiben, eine offizielle öffentliche und eine inoffizielle private. Die offizielle Variante stärkte das Wesen der Staatskultur und die absolute Position der Majestät im Verhältnis zu ihren Untertanen. Diese Art und Weise war natürlich zweckorientiert. Ein Untertan wandte sich gewöhnlich schriftlich an den Herrscher, wenn er sich wegen irgendwelcher Umstände beklagte und Vorteile für sich zu erlangen hoffte oder eine Verbesserung seiner Verhältnisse. Wichtigere an den König gerichtete Dokumente wie gemeinsame Eingaben der Stände nannte man Beschwerden (besvär), die der König, also die Krone, beantwortete (svar). In diesen wie auch in anderen Schriftstücken wurde die Vortrefflichkeit des Herrschers gepriesen. Er war im Reich gleichsam Gott, und deswegen wurde er als „Ihre allergnädigste, -mildeste, -edelste und -höchste Königliche Majestät“ tituliert. Er war natürlich immer gut, gnädig, allwissend, hatte das Beste seiner Untertanen im Sinn – all das, was ein schmeichlerischer Geist zu schreiben erfand. Die dem König Nahestehenden und die höchsten Beamten der Krone waren gnädig und edel, erreichten aber nicht das Niveau des Herrschers. In solchen Briefen und Beschwerden gaben sich die Verfasser selbst untertänig. Es war dies der heilige Brauch der politischen Kultur, der nicht verletzt werden durfte und so der Ideologie der Harmonie diente. In formellen Gesprächen warf sich der Untertan vor dem Thron auf die Knie und der König saß ihm weise zuhörend gegenüber. Hinter dem offiziellen Brauch eröffnet sich die Wirklichkeit mit blühendem Humor und einem vom gemeinen Volk an den Tag gelegten Benehmen, das bar jeder Kriecherei war und kein Blatt vor den Mund nahm. Die Ansichten über den Herrscher und die Krone waren – anders als die offiziellen Texte glauben machten – oft ziemlich negativ und weit weg von Harmonie über die Hierarchieebenen hinweg. Hier war der König der Narr und ein auf Kosten der Bauern vollgefressener Fettwanst, der mit dem Teufel in die Hölle

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gehörte und mit dem man sich hätte prügeln mögen wie mit seinesgleichen, gleichberechtigt, wie denn sonst. Politischen Humor pflegte man häufig in kleiner Runde, sodass es in Reaktion darauf nur selten zu einer öffentlichen Gerichtsverhandlung kam. Der Humor blieb dann freilich nicht folgenlos, wenn ein Vertreter der Majestät (der Krone) zugegen war und der Humorist in seinem Zorn auch diesen verspottete oder von den anderen Anwesenden nicht besänftigt oder durch gutmütigen, milderen Humor beruhigt werden konnte. Bei den ständig von Kriegen und Steuern bedrohten Untertanen lösten sich in ihrer Nervosität die Zungen zu Anstößigkeiten und als schwere Vergehen betrachteten Aussagen, und die Beschimpfungen zielten auf die Gruppe ab, die man als verantwortlich für die Belastungen betrachtete. Lautstark protestierte ein Handwerker aus Turku gegen König und Krone beziehungsweise Bürokratie, indem er, aller Bürden des Krieges überdrüssig, ausrief: „Die Krone verlangt von uns Armen und Schwachen Hilfe, aber ich will gegen den König kämpfen!“ Wie in den offiziösen Schriften stehen sich auch bei ihm die elenden und armseligen Untertanen einerseits und der hohe König und die Krone andererseits gegenüber, aber die Konnotationen entsprechen der volkstümlichen Auffassung. Für diese war es typisch, dem Herrscher und der Aristokratie Attribute zuzuweisen, die auf Nichtskönnen, Unwissenheit, wüste Ausschweifungen und Verbrüderung mit dem Teufel anspielten, und der Untertan selbst trat entsprechend als Elender auf, der sich seinem Schicksal trotzdem nicht unterwarf. Und so kehrten die Anwesenden – da man sich ja der Schwere des Verbrechens bewusst war – ohne Weiteres zur Ordnung zurück. Sie beschwichtigten den Wutentbrannten, erklärten ihm, der König denke doch jedenfalls die ganze Zeit an das Beste aller, komme lediglich nicht immer dazu, die Angelegenheiten jedes einzelnen Menschen zu fördern, da er ja auch anderes zu bedenken und zu erledigen habe. Gelegenheiten und Triebkräfte für den dargestellten Humor gab es in Hülle und Fülle, denn die Bauern hatten ununterbrochen neue, teils ständige und teils gelegentliche Steuern zu zahlen, weil unablässig Kriege geführt wurden – aber auch dann, wenn gerade einmal nicht gekämpft wurde. Eine solche, vom Volk als unzeitgemäß betrachtete Steuer wurde für die Hochzeit des Kronprinzen Gustav III. mit der dänischen Prinzessin Sofia Magdalena erhoben. In Ostfinnland war ein Bauer, der verkrüppelt war und hinkte und für seine Halsstarrigkeit und Bosheit bekannt war, darüber derartig erzürnt, dass er vor der Besteuerung im Herbst 1766 seiner Meinung öffentlich Ausdruck verlieh. Demzufolge hätte den Bauern manche Schufterei wegen solcher Hochzeitssteuern erspart bleiben können, wenn der Prinz eine Braut innerhalb des eigenen Reiches gewählt hätte. An seine schelmische Majestätsverhöhnung erinnerten sich einige der Anwesenden während der Gerichtsverhandlung 1774 noch Wort für Wort. Demnach soll der Mann lautstark verkündet haben: „Als ob der (Kronprinz), verdammt nochmal, in Finnland keine Hure gekriegt hätte. Der musste sogar in Dänemark suchen. Und wenn er keine andere gefunden hätte, war da doch noch die Sofia Holopainen in Mikkeli.“ Und die war zudem auch noch die Namensschwester der Braut des Kronprinzen und wegen ihrer Leichtsinnigkeit weithin als Prostituierte verschrien. Damals hatten sich die Verhältnisse längst geändert. Die Legitimität des Herrschers war schon derart gefestigt, dass man die Bestrafung wegen Majestätsbeleidigung und auch die Zensur milder handhaben konnte. Diese Erleichterungen führten dazu, dass sich der poli-

Die Untertanen und der Herrscher

tische Humor ausweitete, vertiefte, literarisierte und die politisch Beschlussfähigen vom Herrscher bis zu den höheren Beamten und die ganze Staatskultur abdeckte. Unter dem Deckmantel der Satire lachte man über die Regierenden, indem sie hinter irgendeiner Figur versteckt wurden, aber doch immer erkennbar blieben. Ausgangspunkt der schwedischen Satire Die Sage vom Pferd (Sagan om hästen, 1740) war eine allegorische Erzählung des Olof von Dalin, worin die Historie Schwedens von Gustav Wasa bis Karl XII. behandelt wird. In dem ironischen und humoristischen Werk ist das schwedische Reich ein Pferd und der jeweilige König sein Reiter. Die Wurzeln solch beißenden Humors, der sich über die Machthaber lustig machte, liegen tief in der Geschichte, aber im 18. Jahrhundert, zunächst zur Zeit der Ständeregierung (1719–1772) und dann vor allem zur Regierungszeit von Gustav III. (1772–1792), erlebte der politische Humor seine eigentliche Blüte. In den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts fand das Ausdruck durch von Hand kopierte und an die städtischen Hauswände geklebte, für alle sicht- und lesbare witzige Schriften. In diesen erscheinen vier Hauptthemen der Kritik an der Staatskultur. Erstens verspottete man die Statur des Herrschers: Er wurde als unmännlich, ja weibisch beschrieben (unter einem Pseudonym, versteht sich, sein Name blieb ungenannt). Zweitens äußerte man den Verdacht, der Kronprinz sei ein Bastard, und kritisierte damit zugleich den moralischen Verfall am Hofe, wo der italienische Sexualkodex herrschte. Auch die Kirche stand wegen des Niedergangs der Moral unter Beobachtung. Der lutherische Glauben und die damit verbundene pietistische Moral spielten Ende des 18. Jahrhunderts trotz Aufklärungsströmungen und Vernunftreligion eine zentrale Rolle: Die Kirche befand sich und blieb weiterhin im Kern der Reichskultur. Drittens verspottete man Herrscher und Hof wegen ihres theatralischen Gebarens und ihrer Doppelzüngigkeit. Hinter der Theatermaske Gustavs III., der Oper und Schauspielerei liebte, verbarg sich ein Tyrann, Gewaltverbrecher und Landesverräter. Der Herrscher besaß anders gesagt selbst all die Eigenschaften, die er als aufgeklärter Monarch offiziell auszurotten versuchte. Der vierte bemerkenswerte Aspekt war, dass der politische Humor Vergleichsobjekte und Triebkräfte in der Geschichte suchte. Üblicherweise verglichen die Schmähschriften Herrscher verschiedener Epochen, im Falle Schwedens etwa die drei Gustavs – Gustav Wasa, Gustav II. Adolf und Gustav III. –, wobei man im Letztgenannten die allerlächerlichsten Züge entdeckte. Für die Reichs- und Machtkultur und ihre Aufrechterhaltung spielte die Geschichte eine zentrale Rolle. Darauf kommen wir später im Zusammenhang mit der Wissenschaft zurück, an dieser Stelle soll aber darauf eingegangen werden, welchen Gebrauchswert die Historie für den Herrscher in der Entwicklung der Kultur hatte. Ein hoheitszentrierter und typologisierender Geschichtsbegriff stützte nämlich die Staats- und Herrschaftskultur, deren Ideologie und Ziele. Die Gegenwart hielt man ja für das ideale und harmonische Ergebnis der Vergangenheit. Die Bedeutung und Anwendbarkeit der Historie ist leicht zu verstehen. Die praktische Philosophie war das Wissenschaftsgebiet, das sich mit Geschichte und Staatslehre beschäftigte. Deren Aufgabe wiederum war es, der Gesellschaft zu dienen, und sie bediente sich der Historie namentlich als eines Vorrats an Vorbildern. In seiner Zeit war Olof von Dalin eine vielfältig produktive Persönlichkeit des Kulturlebens, Dichter, Schriftsteller, Historiker, Politiker und Gründer der moralisch-satirischen Zeitschrift Der schwedische Argus (Then Swänska Argus, Vorbild war The Spectator). In seiner Satire Sagan om hästen ist das Reich eine dauerhafte, wenn auch alternde Einheit, aber sein Herrscher wechselt, was in eins geht mit der herrschenden Historisierung und Staats-

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III. Die schwedische Reichskultur und Finnland 1500–1800

kultur. Staatskultur und -geschichte gliedern sich nach den jeweiligen Obrigkeiten, sodass die Regierungsperioden Epochen mit charakteristischen Zügen bilden. Gustav Wasa verband man, wie dann auch abwechselnd seine Söhne, mit der Entstehung von Reich und Königtum. Es folgte die Blütezeit schwedischer Macht mit ihren Soldatenkönigen, Frauengebieterinnen und Alleinherrschern. Auf die Alleinherrschaft folgte die Regierungszeit der Stände, die das Land als Majestät leiteten, bis Gustav III. die Macht an sich riss. Er nutzte in seiner Regierungszeit die Geschichte zur Fundamentierung seiner Macht, indem er sich wie Gustav Wasa als „Bauernkönig“ definierte, obwohl er sich seinem Wesen und Verhalten nach wie kein anderer vom einfachen Volk unterschied. Gustav III. kokettierte mit der Erneuerung der Reichskultur und separierte die Hofkultur als Sonderbereich, gab sich aber andererseits gern volksnah. Die Geschichtspolitik Gustavs III. vertrat in vielem etwas Neues, sie war holistisch, ganzheitlich. Er kleidete sich in Uniform, begründete seine Entscheidungen unter Hinweis auf die Geschichte, schuf ein System der Selbstbeweihräucherung und erhob die Staatskultur auf eine neue Stufe. In seinen Reden trat er scheinbar positiv gegenüber allen Ständen auf, führte sie dann aber untereinander in Zwist und band sie an sich selbst. Die öffentliche, staatliche Architektur wie die der Schlösser, Behördengebäude und Kirchen hatte sich der Staatskultur und damit dem Herrscherkult anzupassen. Außerdem erneuerte die Hofkultur Ende des 18. Jahrhunderts geeignete Sitten und Gebräuche früherer Zeiten. So wurden zeremonielle Turniere organisiert, Ritterorden und im Geiste von Bildung und Aufklärung auch obskure Geheimbünde gegründet. Gustav III. lenkte seine Aufmerksamkeit auch auf Finnland und unternahm nach dem Beispiel früherer Herrscher eine Reise durch das Land (eriksgata, Eriksstraße). Da sich die Reisen des Königs in die verschiedensten Winkel des Reiches zum Zwecke der Legitimierung seiner Macht letztlich als unnötig erwiesen hatten, waren sie im Verlauf der Geschichte obsolet geworden. Falls der Herrscher doch einmal in Finnland auftauchte, war der Grund dafür meistens Krieg, weshalb die Bauern wieder einmal zu neuen Opfern bewegt werden mussten. Bei diesen Gelegenheiten wurde diesen ein Treueeid abgefordert, Kulmination der zeremoniellen Formalitäten. Der Schwur wurde auch verlangt, wenn der Herrscher nicht selbst anwesend war. In der Regel geschah die Eidleistung in Verbindung mit einem Gottesdienst in der Kirche und unter Anleitung eines örtlichen Adligen (meist ein Offizier). Auf diese Weise waren die wichtigsten Elemente der Staatskultur, Krone, Kirche und Militärwesen, für jeden Schwörenden präsent. Die seltenen Besuche des Herrschers in den östlichen Gebieten des Reiches gestalteten sich meistens als steife und protzige Veranstaltungen. Dabei ging es um Politik und Geschichtspolitik wie schon beim Königsumritt von Gustav Wasa in den 1540er Jahren; in seinen Reden an die Bauern trat er als höchster Wächter von Gerechtigkeit und Gesetzlichkeit, als Gegner der Vogtsgewalt und ganz besonders als Gegenkraft zu der barbarischen dänischen Macht auf. Was wäre besser beim Volk angekommen als eine Verurteilung der Beamtenschaft? Freilich war die Abnahme des Treueeids nur eine von vielen Gelegenheiten, bei denen die zeremonielle, arrogante und pathetische Reichskultur auf das staunende gewöhnliche Volk niederprasselte. Trotz der zeitweiligen Ausweitung beziehungsweise Schrumpfung des Reiches oder eigentlich gerade deswegen wurde die Staatskultur zentralisiert. In Stockholm und in unmittelbarer Nähe zur Stadt konzentrierte sich das Zentrum der Macht. Die Majestät, der Hof, die Regierung, das Parlament und die wichtigsten Behörden repräsentierten eine Ansammlung von Mächtigen; sie waren die Protagonisten eines unabhängig von den Zeit-

Hofkultur, Staatskultur und Elitismus

läuften durch Zeremonien künstlich aufrechterhaltenen Kults der Macht. Überall im Lande errichtete man untergeordnete Zentren, Befestigungen, Residenzen der Aristokraten, Behörden, durch deren Vermittlung der Machtkult auf das ganze Reich ausgeweitet wurde. Aber die regionalen Zentren wurden von den einfachen Leuten nicht gut aufgenommen, weil der Machtkult hier bürokratisch steif und uneffektiv ausgeübt wurde. Die Tatsache, dass sich die Macht in Stockholm, am Hof und beim Herrscher konzentrierte, führte zur Entstehung ungewöhnlicher, für die politische Kultur in Finnland typischer Praktiken. Die Bauern waren ihrem Stand nach am bedeutungslosesten und die lokalen Nöte und Bedürfnisse versanken zumeist unter wichtigeren Dingen, sodass die Bauern das Parlament mehr oder weniger für eine unnötige Belastung hielten. Da der König sich nicht zum Volk begab und die Bürokratie den Bedürfnissen der einfachen Leute nicht entgegenkam, musste das Volk die Bürokratie eben übergehen und sich direkt an den König wenden. Das System funktionierte so, dass die Bauern eines bestimmten Gebietes, die eine Änderung in ihren Verhältnissen erreichen wollten, einen geeigneten Vertreter aus ihrer Mitte bestimmten, Geld für seine Reise sammelten und ihn zum König schickten, um den schwierigen Auftrag zu erledigen. Dieser Brauch war insofern bedeutend, als man Vertreter und Reise mit finnischen Namen benannte: mieromies und mierontie (von miero, Welt, Gemeinde, Dorf), also Dorfmann und Weltweg. Allerdings waren die Reisen in einem solchen Maße erfolglos, dass die gleichen Begriffe mit der Zeit eine ganz andere Bedeutung erlangten. Sie wurden Synonyme für Vagabunden, Bettler und Abwege. Beim König vorzusprechen wurde in dem Sinne ein bedeutsames kulturelles Phänomen, als man diese Formen auch auf andere Bereiche politischer Kultur übertrug. Für das schwedische Reich war es typisch, dass die bedeutenden Adelsfamilien auch Residenzen in Stockholm unterhielten, obwohl ihre Lehensgebiete weit entfernt lagen. Das führte dazu, dass die auf in Finnland gelegenen Lehen ansässigen Bauern, wenn sie ihre Anliegen befördern wollten, wiederum die Beamtenschaft der eigenen Region umgingen und einen Sprecher nach Stockholm schickten, um sich bei dem entsprechenden Grafen oder Freiherrn zu beschweren. Hierin tritt eine kulturelle Verlagerung zutage: Vertreter des Königs konnten diesen ersetzen, und einen solchen Status hatten die Inhaber größerer Provinzlehen tatsächlich. Der Königsumritt war mithin auch ein wichtiger, um das Volk buhlender Brauch, weshalb Gustav III. daraus eine offizielle Institution machte, die dem Herrscherkult diente. Den Untertanen wurde so die Möglichkeit geboten, den König persönlich zu treffen. In der Praxis lief es dann – wie sich erraten lässt – ganz anders, als der König wünschte, und die ausgewählten Untertanen kamen keineswegs, um den König als heilige Person der Reichskultur zu stützen und zu preisen, sondern beschwerten sich ganz konkret über ihre elenden Verhältnisse. Deshalb wurde dieser Brauch sehr schnell wieder aufgegeben.

Hofkultur, Staatskultur und Elitismus Unabhängig von der Epoche war die Machtausübung zeremoniell, arrogant, protzig und in hohem Grade kulturell diskriminierend. Die Hofkultur war auf Schweden konzentriert, strahlte aber durch Schlösser und über die Vermittlung Adliger auch auf Finnland aus. Die echte Hofkultur erreichte ihren Höhepunkt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als Gustav Wasa das Reich in Herzogtümer aufteilte; in Finnland war damals Turku das Zentrum. Das Johann (Juhana, später König Johann III.) übertragene finnische Herzogtum

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war ein feudales Relikt, in dem eine begrenzte Königsmacht durch den Herzog ausgeübt wurde. Herzog Johanns Ehefrau, die polnische Prinzessin Katarina Jagellonica, brachte ihren eigenen Hofstaat mit Sack und Pack mit nach Turku: Die polnisch-italienische Renaissancekultur umfasste Edelsteine und -metalle, Schmuck, Kirchengerät und Tischgeschirr, Gabeln, Waschkannen, Kerzenständer, Kleider, Möbel, Tapeten, Luxuskutschen, Uhren und Spiegel sowie Lakaien, Narren, Zwerge und Meerkatzen. Diese Phase war an sich kurz, hinterließ aber ihre Spuren. Die Generalgouverneure, Statthalter und Landeshauptleute, die auf Schloss Turku residierten, suchten die Hofkultur in dem Maße zu realisieren, wie es ihnen von den Adligen zugestanden wurde und je nachdem, wie lange sie sich im Lande aufhielten. Sonst gab es in Finnland nur wenige Adlige, die eine steinerne Residenz vorweisen konnten; die baltisch-deutsche Großgrundbesitzerkultur hat sich hier nicht entwickelt. Typisch für die Epoche war, dass der Hochadel, die unmittelbaren Ratgeber des Herrschers, die Vertreter der Obrigkeit und andere zwar große Lehensgebiete in Finnland besaßen (Grafschaften und Freiherrengemeinden zwischen 1630 und 1680), aber nur wenig Zeit dort verbrachten. Es handelte sich vor allem um ergiebige Einnahmequellen, man baute dort entsprechende Verwaltungsstrukturen auf und entwickelte die wirtschaftlichen, bildungsbezogenen und kulturellen Bedingungen nach dem Gusto des Lehensinhabers. Der Adel saß im Kern der Machtausübung und war zum Teil stärker zentral, zum Teil stärker regional orientiert. Auf alle Fälle war er

Die Burg zu Turku und Herzog Juhana (Johann) Gustav Wasa, bei seinem Tode der reichste Mann Schwedens, verteilte die Herzogtümer des Reiches. Das Zentrum Finnlands war Turku mit seiner Burg. Die Ehefrau des Herzogs Johann, die polnische Prinzessin Katarina Jagellonica, brachte ihren Hofstaat und Luxusgüter mit nach Turku.

Hofkultur, Staatskultur und Elitismus

ein wichtiger Faktor für die Verbreitung ausländischer Impulse, Gedanken, Gewohnheiten und Modeinnovationen. Ausländische Kultureinflüsse kamen vor allem auf drei Wegen nach Schweden und Finnland: durch Vermittlung des Adels oder der akademischen Gemeinschaft und durch Kontakte der Kaufleute. Die Rolle der Letztgenannten betrachten wir später und behandeln zunächst die Bedeutung der Adligen und der öffentlichen Machtsphäre.

Finnen an deutschen Universitäten Als sich um die Mitte des 15. Jahrhunderts Paris zu einem unruhigen Platz entwickelte, mussten die Finnen anderswohin gehen, um sich Gelehrsamkeit anzueignen. Weil die nordischen Universitäten uninteressant waren, favorisierte man Leipzig. Hier bildeten die Finnen eine separate Gruppe und schrieben sich gemeinsam für dieselben Vorlesungen ein. Am Ende des Mittelalters trat Rostock das Erbe Leipzigs an, die Verbindung zur Küstenstadt an der Ostsee war ja eine natürliche Alternative. Als eine wahrhaft deutsche Bildungsepoche kann die Zeit zwischen den 1530er Jahren und dem Beginn des 17. Jahrhunderts gelten. Die Unruhen in Deutschland hatten sich gelegt und die jungen finnischen Männer aus dem reformierten Schweden strömten natürlich nach Wittenberg. Der später zum Bischof ernannte Historiker Paulus Juusten (1516–1576) gehörte hier in den 30er und 40er Jahren zu den ersten Studenten und sprach vom „Wittenberger Schwarm“. Dieser Schwarm bestand vor allem aus gestandenen Pfarrern, die dann schnell zu Magistern avancierten. Während früher, im Mittelalter, die Kirche die Studienkosten übernommen hatte, musste jetzt die Krone dafür aufkommen. Gustav Wasa hatte die Bildung der Bevölkerung verbessern wollen, was natürlich kompetente und akademisch gebildete Lehrer voraussetzte: Das Stipendiensystem der Krone brachte dem schwedischen Reich und seinem östlichen Reichsteil Finnland eine Reihe humanistisch und philosophisch geschulter Magister der Theologie. Die Finnen bildeten an den Universitäten weiterhin eigene Gruppen und ließen sich 1544 in Wittenberg und 1574 in Rostock zu Raufereien mit schwedischen Kommilitonen hinreißen. Sprache, Geld und Bier spielten bei diesen Streitigkeiten eine Rolle. Die Gründung neuer Universitäten in Uppsala um 1590, in Dorpat in den 1630er und in Turku in den 1640er Jahren stoppte den Studentenstrom nach Deutschland, wo man auch unter dem Dreißigjährigen Krieg zu leiden hatte. Dennoch kam das Auslandsstudium keineswegs völlig zum Erliegen: Noch 1614–1639 schrieben sich etwa 400 Studenten an deutschen Universitäten ein, danach immer weniger. Im 17. Jahrhundert wandelte sich der Charakter der Auslandsaufenthalte. Entweder studierte man dort tatsächlich oder man genoss eher das Leben und die örtliche Kultur. Für Adlige jedenfalls hatten die Besuche eine andere Bedeutung als für selbstständig auf Reisen gegangene junge Leute oder die erwachsenen Begleiter der Aristokraten. Letztere nämlich schrieben sich wirklich für die Zeit als Studenten ein, in der ihre Herrschaft sich einfach nur vergnügte. Der Staat gewährte freilich auch weiterhin Stipendien an fortgeschrittenere Studenten, und das Reich sollte aus dem Auslandsstudium seiner Untertanen später seinen Nutzen ziehen. Von den Studenten aus Turku besuchte 1682–1687 fünf Jahre lang der aus Tallinn gebürtige, spätere Vizekanzler und Theologieprofessor von Pärnu Nils Bergius (1658–1706) zahlreiche Universitäten. Er hielt sich zeitweilig in Berlin, Wittenberg, Leipzig, Dresden, Prag, Wien, Frankfurt am Main, Gießen und Greifswald auf und bereiste auch Holland, England und Frankreich. Studiert hat er zumindest in Oxford, Cambridge, Leiden und Gießen, wo er den Magistertitel erwarb. In Theologie promovierte er kurz vor seinem Tod in Uppsala. Man kannte ihn als umfassend gelehrten und sprachenkundigen Mann.

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„Dauerbrenner“ waren für die Finnen im 17. und 18. Jahrhundert Jena und Leiden in den Niederlanden; aber auch Gießen, Wittenberg, Greifswald, Rostock, Halle, Göttingen und Leipzig fanden Interesse. In Leiden wurde vor allem Medizin und Theologie studiert, in Wittenberg, Greifswald und Rostock Theologie, in Göttingen und Leipzig Naturwissenschaften und humanistische Fächer. An den letztgenannten Universitäten studierte auch der Rhetorikprofessor Henrik Gabriel Porthan (1739–1804) zusammen mit dem späteren Superintendenten Isak Eneberg (1756–1835). Das Duo hielt sich zudem in Jena, Erfurt, Wittenberg, Greifswald, Kopenhagen, Lund und Uppsala auf. Die Reise hatte großen Einfluss darauf, wie sich die wissenschaftliche Karriere des betriebsamen Professors Porthan gestaltete. Er hinterließ ein ungeheuer umfangreiches Werk an wissenschaftlichen Untersuchungen und beschäftigte sich auch intensiv mit Geschichte und Volkskunde. Unbekannt blieben aber auch Dresden, Helmstedt, Erfurt, Altdorf, Tübingen, Kiel, Königsberg, Lübeck, Wismar, Frankfurt, Ulm, Berlin und Heidelberg nicht. Altdorf ist insofern interessant, als der Sohn des Bischofs von Wiborg, Isak Laurbecchius (1678–1716), hier mit pietistischen Strömungen Bekanntschaft machte. Er studierte mit königlichem Stipendium in Altdorf, wo er flott seinen Magister machte, weilte dann in Gießen und Rostock, wo er seine Dissertation verteidigte, und bekam schließlich 1707 die Doktorwürde in Altdorf verliehen. Danach berief man ihn in Finnland auf ein Pfarramt, das er aber schnell wieder verlor, da er wegen pietistischer Meinungsäußerungen 1708 verurteilt wurde. Kustaa H. J. Vilkuna

Der Adel lernte die jeweils vorherrschenden gemeineuropäischen Modeströmungen kennen und übernahm sie. Dazu wurde die adlige Jugend gewissermaßen angeleitet. Ein erfolgreicher junger Aristokrat, der eine Karriere in Staatsdiensten anstrebte, musste die Kultur verschiedener europäischer Länder und deren Vorzüge kennenlernen: Auf jahrelangen Reisen, den Grands Tours oder Cavalierstouren, machte man sich vertraut mit Handel und Schifffahrt (Niederlande), Bergbauindustrie (Deutschland, Frankreich, Holland), Hofmanieren (Frankreich), Diplomatie (England) und Architektur (Italien); die beliebtesten Universitäten und Adelsakademien befanden sich in Deutschland, England und Frankreich. Am wichtigsten war die Aneignung der höfischen Gepflogenheiten und der verschnörkelten Diplomatie. Auf lehrhafte Bildung legte man weniger Wert, die konnte man sich ja durch Privatunterricht zulegen. Gut war es auch, sich mit nützlichen Büchern zu beschäftigen aus den Bereichen von Staatslehre, Rechtswissenschaft, Kriegswesen (Ende des 16. Jahrhunderts wurde als Lehrbuch das ins Deutsche übersetzte Werk De bellico apparatu empfohlen), Astronomie, Rhetorik, Latein, Theologie, Kirchen- und Bibelhistorie und besonders Geschichte verschiedener Königreiche, der Antike, Schwedens und Englands. Es schadete auch nicht, Fabeln zu lesen und schwedische und deutsche Wörterbücher durchzublättern. So versteht sich von selbst, dass ein schwedischer Adelsmann über die Fertigkeiten und Kenntnisse verfügte und diese weiter veredelte, die von der Reichskultur vorausgesetzt wurden. Anstelle des maskulinen und kriegerischen Idealmannes des 17. Jahrhunderts waren nun durchgehend kultiviertes Verhalten, am französischen Hofleben orientierter Snobismus und natürlich Gesichts- und Perückenpudern gefragt. Dem Volke zeigten sich die Vertreter der Hofkultur mit ihren merkwürdigen und snobistischen Verhaltensweisen eher selten, und wenn dies zum Staunen der Leute doch einmal geschah, ging es um wahrhaftigen Machtkult. Staatliche Veranstaltungen waren protzig und manifestierten die Hierarchie der Ständegesellschaft. Einweihungen, Eröffnungen

Hofkultur, Staatskultur und Elitismus

und Beerdigungen sowie die Ständeversammlungen gingen mit einem bombastischen Gepränge einher, womit man die Macht des Staates bekundete. Die Armee des siegreichen Landes und verschiedene Umzüge waren wichtiger Bestandteil solcher Feierlichkeiten. Ein besonders ungewöhnliches Ereignis war die Eröffnung der Königlichen Akademie zu Turku im Jahr 1640, nach Meinung zeitgenössischer Berichterstatter der bedeutendste Glücksfall seit der Schöpfung der Welt. Die Universität Turku war eine von der Krone begründete und unter ihrem Schutz stehende, durch Schenkungen und Steuermittel unterhaltene Institution. Deshalb war ihre Einweihung vom Staatskult beseelt. Grundpfeiler des schwedischen Reiches waren der Herrscher, die Verwaltungsmaschinerie, Armee, Kirche und die Differenziertheit der Stände. Und all diese stellte man imposant zur Schau. Eine bedeutsame Rolle bei der Eröffnungsfeier spielte die Armee, die mit einer Kriegsgaleere, tausend Reitern und der Stadtgarde präsent war. Es wurde mit Geschützen und Gewehren geschossen, man rührte Kriegstrommeln und schmetterte Kriegshörner. Die Armee marschierte mit Pauken und Trompeten auf und exerzierte auf dem Marktplatz, sodass niemandem verborgen bleiben konnte, was und wer fester Grundstein der Großmacht und Beschützer der Untertanen war. Der Eröffnungstag wurde zum Fest- und Feiertag deklariert, was den Rang der Religion betonte. In der Kultur der Großmacht war Gott allgegenwärtig; die Akademie wurde im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit eingeweiht. In der Domkirche fand ein Gottesdienst statt, der als ständige Einrichtung weiterlebte. Die Professoren waren der Geistlichkeit gleichgestellt und bei der alljährlichen Eröffnung der Universität im Herbst wie auch bei anderen Feierlichkeiten waren Kirchgang, Kirchen- und Orgelmusik sowie Chorgesang zentrale Bestandteile. Die Herrscherin Königin Kristina war nicht anwesend, sondern ließ sich vertreten. Ihre Gnaden, der Generalgouverneur Finnlands, Graf Per Brahe, vertrat die Krone und war Mittelpunkt der Festlichkeiten, deren Ablauf gar nicht geplant war. Er überbrachte die Dokumente der Krone, gab Redeerlaubnis, bildete allein den wichtigsten Teil des Festumzugs und erwartete, dass man ihn wie einen Fürsten behandelte; er wurde auch der erste Kanzler der Universität. Die Marschordnung und Zusammensetzung der Festparade entsprach genauestens der Ideologie der Reichskultur, um von vornherein Widersprüche zu vermeiden. Vorbilder hierfür fand man in den staatlichen Prozessionen früherer Jahrhunderte: Am bedeutendsten und in Bildern festgehalten war das Trauergeleit bei der Bestattung beliebter Könige. Der Festzug, der sich vom Schloss zur königlichen Akademie bewegte, hatte insgesamt neun Abteilungen, womit man auf die Anzahl der antiken Musen anspielte. An der Spitze marschierten die Bläser und Trommler, ihnen folgten die jüngeren und niederen Aristokraten und danach kamen die namhafteren Adligen und Ritter. Dahinter schritt ein adliger Marschall als höchster Befehlshaber der Soldaten. Als Nächstes folgten die Beamten der Akademie mit den offiziellen Erkennungszeichen (Schlüssel, Siegel, Talar, Zepter, Matrikel). Nach ihnen ritt die Spitze der Gesellschaft in Gestalt des Generalgouverneurs, an seiner Seite Wachtposten zu Pferde. Dann kamen der Bischof von Turku (erster Vizekanzler), der erste Rektor und einige Beamte, die die Vollmacht der königlichen Majestät trugen, schließlich die Abteilung der Professoren und Richter des Hofgerichts sowie Beamte der Staatsverwaltung, selbstverständlich in der ihrem Status entsprechenden Reihenfolge. Zur nächsten Sektion gehörten Pröpste, Pfarrherren und Rektoren finnischer

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Schulen, die Bürgermeister und Ratsherren der Stadt Turku. Den Abschluss bildeten die Elite des Bürgertums und Studenten in standesgemäßer Anordnung. Und dann lief schließlich das einfache Volk hinterher. Die offiziellen Festlichkeiten dauerten von sieben Uhr morgens bis vier Uhr am Nachmittag, danach durften die Besten der Gesellschaft die Gastfreundlichkeit der Königlichen Majestät genießen. Als die Glocke endlich vier schlug, begaben sich alle, Ritterschaft und Adel, Professoren, Assessoren, höhere Beamte des Generalgouvernements, Pröpste und Pfarrherren, die Bürgermeister und der Rat, ältere Studenten und die Elite des Bürgertums zum Abendessen ins Schloss hinüber, wo sie alle auf Befehl der Königlichen Majestät üppig mit Speis und Trank bewirtet wurden. Die vornehme Esskultur der Zeit war geprägt von unglaublicher Prasserei, also waren zum Abendessen nach der Eröffnungszeremonie ein Ochse, 30 Lämmer, 50 Hühner, 200 Eier, Rindfleisch sowie Hunderte von Litern Wein und Bier geordert worden. Die Hofkultur lebte in Stockholm, aber die Staatskultur und der Machtkult strahlten über das ganze Land aus. Krönungen, wichtigere Familienereignisse im Herrscherhaus und siegreiche Schlachten feierte man mit Dankgottesdiensten, Kanonenschüssen, festlichen Kundgebungen, öffentlichen Reden und Kirchengesängen, bei denen Staat, Obrigkeit und Reichskultur gepriesen und mit den glänzendsten Errungenschaften der Weltgeschichte verglichen wurden. Im 18. Jahrhundert war es sogar üblich, den Geburtstag des Königs überall im schwedischen Reich zu begehen. Je bedeutender ein Zentrum und je bemerkenswerter eine Gelegenheit war, desto prunkvoller fielen die Festlichkeiten aus; als ob die örtlichen Einwohner damit in direkten Kontakt zum Hof treten würden.

Von Anstandsregeln und dem Umgang mit ihnen Die ganze Gesellschaft stellte eine glückliche, harmonische Ganzheit dar, wenn man die Sache aus dem Blickwinkel der Aristokratie betrachtete. Nach der Staatslehre wurde die Gesellschaft, also das ganze Staatssystem mit dem menschlichen Körper verglichen, wo alle Teile gemeinsam den Willen des Ganzen formen. Im Staatskörper konnten gemäß dieser Metapher Mängel, Verschleiß und Geschwüre auftreten. Wenn man davor die Augen nicht länger verschließen konnte, ließen sie sich als der Harmonie des Ganzen zuträglich erklären. Jede Sache, jede Erscheinung und jedes Wesen hatte eine Antithese. Zu der Gesellschaft, die sich ja so wunderbar harmonisch präsentierte, gehörten durchaus Gegensätzlichkeiten, wie Weise und Dumme, Reiche und Arme, Höhere und Niedere. In einigen Fällen verlangte das Gesellschaftssystem geradezu solche Gegensatzpaare, was dann die ständische Hierarchie zu begründen half; aber es gab auch Dinge, die nicht akzeptiert wurden, wie Lüsternheit, Faulheit usw. Bewusste Speichelleckerei und kollegiale Schmeichelei gehörten untrennbar zu den ungeschriebenen Verhaltensnormen der Ständegesellschaft. In der Praxis sah das so aus, dass man sich anderen schamlos andiente und ihnen sogar unverfroren schmeichelte, wenn man den eigenen Vorteil suchte. Andererseits erwartete man eigentlich auch die Kriecherei anderer vor einem selbst und genoss diese dann. So konnte sich ein hochgestellter Aristokrat für gleichgestellt mit König oder Königin halten, und der höhere Adel pflegte – wenn auch innerhalb der eigenen schmalen Schicht – mit anderen zur selben Elite

Von Anstandsregeln und dem Umgang mit ihnen

Gehörenden schöntuerisch zu korrespondieren. Ausdruck gegenseitiger Schätzung war, wenn man den Empfänger mit „Ihre Hoheit kommt gleich nach Gott“ ansprach. Die Schmeichelei beschränkte sich nicht auf die Umgangssprache, sondern sie wurde auf die Verhaltensnormen übertragen. Anständiges Benehmen verlangte Verbeugungen, Knickse, Getrippel, Marschieren, Angeberei und Koketterie – und all das wurde standesgemäß umgesetzt je nachdem, wie sich eine Gesellschaft jeweils zusammensetzte. Theatralische, beinahe ballettähnliche Begrüßungen, übertriebene Verbeugungen und ausgiebiges Schwenken des Schlapphutes gehörten bei der Elite zum guten Ton, passten aber natürlich nicht im Umgang mit dem niederen Volk, wo schon ein einfacher Händedruck Zeichen der Bekanntschaft und besonderen Vertrauens war. Freilich war das Verhalten eines Vertreters der Elite gegenüber der Menge auch oft erniedrigend und von den einfachen Leuten wurde erwartet, dass sie den Kopf ergeben senkten, den Hut zogen und die höherstehende Person siezten. Man hielt das für respektvolles und richtiges Benehmen und anderes Verhalten für frechen und ungehörigen Hohn. Schon die geringste Abweichung von diesen Anstandsregeln galt als unpassend: „Er benahm sich wie der Herr und ich war der Diener.“ Kriecherisches Verhalten in Wortwahl und Benehmen wurde bis zur Pedanterie erwartet. Wer ein Mann der Krone war und sich gerade mal so über das gemeine Volk erhoben hatte, verlangte jedenfalls unbedingten Gehorsam. Es geschah nicht selten, dass ein Beamter oder eine Person von Stand tief verletzt war, wenn ein Bauer in ihrer Gegenwart nicht den Hut lüpfte. Dann riss man ihm die Mütze vom Kopf, schimpfte und wies ihn zurecht: „Du vermaledeiter Hundsfott, siehst du nicht, dass ein Offizier in der Stube ist, verstehst du nicht den Hut abzunehmen?“ Genauso schlimm war es, wenn ein Bauer wagte, einen Offizier zu duzen: „Mich darfst du nicht duzen!“ Je ehrenwerter jemand war, desto leichter fiel es, sich diesen Forderungen zu fügen, widerwärtig war es aber, vor kleinen Beamten zu katzbuckeln. Diese Sitte wurde denn auch parodiert und man machte sich lustig darüber. Und natürlich widersetzte man sich auch immer wieder trotzig den Regeln. Mitte der 1650er Jahre erschien in Ostbottnien ein Mann in katastrophalem Zustand, sternhagelvoll und mit Mütze auf dem Kopf vor Gericht. Deshalb wurde er in den Fußstock gelegt. Da schrie er und beschimpfte den Richter und den Vogt als Gauner und Diebe. Als man ihn am nächsten Tag wegen seines Verbrechens verhören wollte, war er immer noch betrunken, hatte wieder die Mütze auf dem Kopf und setzte sich so vor das Gericht. Das war schon Verhöhnung genug, der Mann fuhr jedoch lautstark fort: „Ich beuge mich dem Vogt nicht und auch keinem anderen, ich war ja schon mit der Mütze auf dem Kopf vor Fürsten und dem König!“ Eine derartige Schmach traf letztlich die ganze Gesellschaft mit ihren ständischen Idealen. Und wie gewöhnlich richtete sich die Schmähung zunächst gegen konkrete Ordnungshüter und weitete sich dann auf das ganze System aus. Am Ende war die Welt typischerweise auf den Kopf gestellt, sodass der Mann von der Straße die Herren aufforderte, ihm zu dienen. Die die Hierarchie der Ständegesellschaft betonenden kulturellen Benimmregeln beschränkten sich nicht bloß auf sprachliche und Verhaltensgepflogenheiten, sie betrafen fast sämtliche menschlichen Tätigkeiten. So unterschieden sich die verschiedenen sozialen Gruppen, die Stände, bewusst auch in Kleidung und Essgewohnheiten, beim Feiern und Wohnen, ganz zu schweigen von schriftlicher Bildung und Arbeit. Für alle Bereiche regel-

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ten Verordnungen das standesgemäße Verhalten, sodass der Staat das Leben des einzelnen Menschen bis ins Detail vorschrieb. Den Konsum regulierende Gesetze, die sogenannten Luxusgesetze, enthielten Verbote für die Mehrheit (die Steuern zahlende Bevölkerung durfte nicht versuchen, „fein“ zu sein), für die Minderheit aber Erlaubnisse (zum Lebensstil der Steuern einnehmenden Aristokraten gehörte Großtuerei). Luxus passte für Personen höheren Standes, war jedoch ein staatlich sanktioniertes Verbrechen beim gemeinen Volk. Verschwenderischer Luxus bewirkte zudem im Auslandshandel einen Importüberschuss und trieb damit die Krone in den Bankrott und das Reich ins Verderben. In der Kirche verlangte der Anstand, dass die Männer vom Altar aus gesehen rechts und die Frauen und Kinder links saßen, Standespersonen vorn und Minderbemittelte hinten. Die Ärmeleinfassungen der Reichen durften mit breiten, weißen, schmückenden Rüschen versehen sein, bei Armen durften sie höchstens zwei Finger breit sein. Personen von Stand waren prächtige ausländische Stoffe, Samt und Seide vergönnt und die Kleidung der Beamten bestand aus besserem Tuch; das gewöhnliche Volk hatte sich mit groben, mausgrauen Wollstoffen zu begnügen, außer bei Festen, wo farbenfrohe Trachten erlaubt waren, die die Garderobe der Bessergestellten imitierten. Standespersonen tranken und aßen reichlich. Auf ihren Tisch kamen ausländische Weine, Gewürze, Früchte und Öle, Gebäck aus bestem Getreide sowie erstklassige Fleischwaren und Fisch, und immer wurde mehrfach aufgedeckt. Die Jagd war dem Adel vorbehalten. Roggenbrot und Kuchen waren Delikatessen der Herren, Gersten- und Spreubrot bekam das Gesinde. Auf dem Esstisch der einfachen Menschen fehlten Vielfältigkeit, Gewürze und feine Getränke, meistens auch Fleisch. Das Essen schmeckte nach Eingemachtem, Gesalzenem und häufig auch Verdorbenem, aber selbst so reichte es manchmal nicht. Auf dem Tisch der Bauersleute standen Brot, Salz- und Sauerfisch, Kornbrei und Mehlsuppe, die man mit Hausbier, Wasser, Bier und Schnaps runterspülte. An Festtagen gab es Erbsen, Lammfleisch oder Schinken. Die Zahl der Gäste zu Familienfeiern, Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen, die man einladen durfte, war durch Erlasse festgelegt. Einige wenige Gäste – außer den obligatorischen örtlichen Vertretern von Krone und Kirche natürlich – mussten den Bauern reichen, alles andere wäre üble Verschwendung gewesen. Die soziale Regelungswut hatte den bäuerlichen Esstisch aber noch in anderer Beziehung im Visier, da man nämlich in der gehörigen Rangfolge zu sitzen hatte. Der Mann hatte seinen Platz am Tisch, Frauen und Kinder in dem nahe der Feuerstelle gelegenen Teil des Raumes, der Frauenseite genannt wurde. Der zentrale Platz am Tisch gehörte dem Hausherrn: Das war selbstverständlicher Brauch, von dem man nur selten abwich. Er saß entweder am Anfang der Bank auf der Wandseite oder auf einem Stuhl am Kopfende des Tisches. Letzterer war nach alltäglicher Gewohnheit auch dem jüngsten Sohn vorbehalten oder bei besonderen Gelegenheiten für einen bedeutenden Gast reserviert. Im Alltag wurde die Sitzordnung der eigenen Familie in der eingespielten Weise eingehalten, bei besonderen Anlässen wie Einladungen überdachte man die Anordnung sehr genau. Normalerweise scheint es so gewesen zu sein, dass der ehrenwerteste Gast neben dem Gastgeber Platz nahm und alle anderen folgten dann je nach Rang und Würde. Diese Sitte hatte ihren praktischen Wert darin, dass der Ranghöchste wohl reichlicher den Getränken zusprechen konnte als die Nachfolgenden. Das große Trinkgefäß wurde nämlich von einem zum anderen herumgereicht – wie auch bei Trinkgelagen der Bier- oder Weinkrug. Bei kalten Speisen gab es dann kleine, salzige Häppchen, die nach jedem Bissen mit einem kräftigen Schluck run-

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tergespült wurden. Wurde warmes Essen serviert, ging der Krug meistens erst nach der Mahlzeit herum. Trafen sämtliche von der Elite befolgten Sitten und Gebräuche und die entsprechenden vom Volk erwarteten Verhaltensweisen bei einer einzigen Veranstaltung zusammen, ergab sich durch symbolische Handlungen und Riten unweigerlich ein buntes Spektakel, das zuweilen sogar komische Züge annahm – und so wurde es vom einfachen Volk oft auch aufgefasst.Das heißt keineswegs, dass das Volk die Obrigkeit missbilligt hätte, die gemeinen Leute achteten die Autoritäten vielmehr durchaus. Sie befolgten ohne Weiteres die Verhaltensregeln, wenn sie bei Veranstaltungen der Hofkultur zugegen waren, und wussten die Legitimität von Krone und Kirche sogar für sich auszunutzen. Ein junger Mann, der gerade in den Soldatendienst eintrat, konnte fortan Kriecherei von seinesgleichen erwarten und behaupten: „Ich bin ein Mann der Krone.“ Aber die Bedeutung der festlichen Zeremonien mit ihren symbolischen Inhalten blieb dem uneingeweihten Volk weithin unbekannt. Und gerade deshalb entspann sich aus der Machtkultur eine Gegenkultur, wurden die Rituale als ulkig betrachtet und in Parodie umgemünzt; in gewisser Weise waren das Gesetz und die volkstümlichen, ungeschriebenen Normen einander entgegengesetzt. In der westeuropäischen, besonders der katholischen Kultur machte sich die volkstümliche Antikultur im Karneval über deren komische Züge lustig. In der finnischen Volkskultur gab es diese Form von Karneval mit seinen typischen Umzügen nicht, sodass ein anderes Ventil gesucht werden musste. Angesichts der Vielfalt der Rituale und Zeremonien im kirchlichen Bereich wundert es nicht, dass der Gottesdienst zum bevorzugten Gegenstand von Parodien wurde, die per se besonders unverschämt und daher auch besonders lustig waren.

Die Gemeinde Telataipale Im Jahre 1667 beging man den Abend des zweiten Weihnachtsfeiertages in einem ostfinnischen Hause voller feuchtfröhlicher Stimmung; der Stefanstag ist in der finnischen Kultur einer der seltenen Tage, an denen aus katholischer Zeit überlieferte alberne Späße weiterlebten. Zugegen waren hinreichend Leute, auch geladene Gäste. Der Tisch war mit Bier, Schnaps, Brot und Bratfisch gedeckt. Als das Brot zum Abendessen gebrochen wurde, erinnerte einer an den Abendmahlsgottesdienst vom Vortag: „Jetzt essen wir die Krümel dieses Brotes wie eine Hostie.“ Dem Ausspruch folgten Gelächter und eine Abendmahlsparodie, bei der sich einer zum Pfarrer aufschwang, der einen anderen zu seinem Hilfspfarrer machte, und ein Dritter spielte den Küster. Der falsche Pastor lud die abendlichen Gäste – Gottes Volk – nun zur Beichte und so knieten fast alle vor Pfaffe und Hilfspfarrer nieder, um Sündenerlass zu erlangen. Danach wurden „Abendmahlsbrot“ und „Abendmahlswein“ gereicht. Als einer seiner Meinung nach einen zu kleinen Schluck bekommen hatte, verlangte er mehr: „Ich bin ein größerer Sünder als die anderen.“ Zum Abschluss der Gottesdienstparodie warf sich der „Pfarrer“ einen Umhang über, der das Messgewand symbolisieren sollte, und begann aus dem Gedächtnis das Buch Jesaja zu zitieren und Kirchenlieder zu singen. Die anderen sangen mit, bis einer versuchte, profane Lieder anzustimmen. Die Frau des Hauses beaufsichtigte das Geschehen und verhinderte, dass die Parodie zur Gotteslästerung oder zum Götzendienst ausartete. Bald erfuhren die Dorfbewohner von dem Ereignis, amüsierten sich, verspotteten die Teilnehmer und fingen an, das Geschehen nach dem Namen des Dorfes als die Gemeinde Telataipale zu bezeichnen. Den Hausherrn störte die Verhöhnung nicht, im Gegenteil. Es dauerte nicht lange, bis

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auch die Obrigkeit von den wilden Ritualen hörte. Die Feiergäste wurden vor den Bischof gerufen und vor Gericht gestellt. Bei der Urteilsverkündung gerieten die Vertreter der Obrigkeit jedoch in Verwirrung. Richter, Kirchenmänner und Schöffen durchschauten nicht ganz, um was für einen Fall es sich eigentlich handelte. Das Gericht stellte fest, dass die Festteilnehmer kein Abendmahl verabreicht hatten. Man konnte sie aber trotzdem nicht freisprechen, da sie in betrunkenem Zustand das Wort Gottes gelästert und von Hostien gesprochen hatten. In Ostfinnland war der Gang zum Abendmahl ein Ausnahmefall. Gewöhnlich ging man nur ein bis zwei Mal im Jahr zu Beichte und Abendmahl. Gemäß der vereinfachten Auffassung des gemeinen Volkes führte das Abendmahl an sich schon zur göttlichen Segnung und Vergebung der Sünden. Die heiligen Texte lernte man in den Gottesdiensten kennen. In der zeitgenössischen Volkskultur hatte die Kraft des Wortes große Bedeutung: Man dachte, die Texte der Bibel enthielten magische Kraft; so verschmolz die Bibelgläubigkeit mit Zaubertradition. Miia Kuha

Die Ständehierarchie mit ihren festgefahrenen Gewohnheiten und ständigen Anforderungen an das Benehmen war geradezu ein erstklassiger und fruchtbarer Nährboden für Humor. In der humoristischen Volkskultur waren die Karnevalisierung der Welt und die Umkehrung des üblichen Weltbildes, bekannter Strukturen und Werte ins Gegenteil von zentraler Bedeutung. Scherzhaft stellte man die Angehörigen der Elite als Narren dar, die Pfaffen stammten angeblich aus der Hölle und die gewöhnlichen Männer und Frauen erschienen als feine Herren und Damen. Der Schabernack auf Kosten der zeremoniellen politischen Kultur und der steifen hierarchischen Ständegesellschaft hatte auch eine tiefere psychologische Aufgabe. In seiner einfachsten Form stellte der karnevalistische Humor die Weltordnung auf den Kopf, wenn ein Pastor sich etwa um Schweine und Hunde kümmerte oder ein Kirchenräuber war, ein Beamter ein Kronendieb und der König ein Narr. Eigentlich enthüllt gerade dieser Aspekt die wirklichen Verhältnisse in Gesellschaft und politischer Kultur. Nach allgemeiner Auffassung bildete die Gesellschaft eine harmonische oder eben auch unharmonische Ganzheit. Darin waren sich Elite und Volk einig, wenngleich sie die Eiterbeulen der Gesellschaft ganz verschieden verorteten: Für das Volk waren die Aristokraten und die Krone die Wurzel des Übels. Die Hüter der sakrosankten Macht- und Staatskultur wachten über den Anstand des Volkes und waren dadurch selbst dem Spott der Gegenkultur ausgesetzt. Die verkehrte Welt wurde ebenso mit Humor betrachtet wie die Welt der Sexualität und der Ausscheidungen, und daher war es ganz natürlich, dass Anal- und Sexualhumor eben Teil der umgekehrten Welt waren. In dieser verkehrten Welt wurden Pfarrer, Amtleute und ihre Familienmitglieder als Hurenböcke, Nutten und Bastarde beschimpft. Wurde jemand als Dieb und Schwindler beschimpft, deutete dies darauf hin, dass der Betreffende sich tatsächlich eines solchen Vergehens schuldig gemacht hatte. Handelte es sich dabei um einen auf Kosten des kleinen Mannes lebenden Beamten, Vogt, Amtmann, Pfarrer, Küster oder Offizier, verlegte man die Benennung als Gauner oder dergleichen tunlichst in die verdrehte Welt. Zum volkstümlichen Schimpfwortrepertoire gehörten alle möglichen von „Dieb“ abgeleiteten Ausdrücke wie „Kronendieb“ oder „Kirchendieb“, mit denen man zweifelsohne darauf anspielte, dass der so Benannte seine Hand in die Taschen, Geldbeutel und Truhen des Spötters gesteckt hatte. Kurze Ausrufe wie „Gauner“ und

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„Dieb“, mit denen man die Herren gern belegte, ließen zahlreiche Deutungsmöglichkeiten offen, was alles die Herren so trieben. Die Schimpfwörter wurden rasch auf all die Vögte, Pastoren und sonstige Respektspersonen ausgeweitet, vor denen man zu buckeln hatte. Es war ganz normal, Beamte als Diebe und Gauner zu bezeichnen, häufig schimpfte man sie auch Hund oder Hundsfott. Der praktische Nutzen der Spaßkultur war enorm, besonders spürbar in einer Gesellschaft, die auf Regeln beruhte, die die Menschen streng klassifizierte. Das galt auch dann, wenn sich der Humor gar nicht auf eine aktuelle Übertretung oder Beleidigung bezog, die Anlass zur Verachtung oder zum Lästern gab. Lachen bedeutete Macht und lachend stellte man Machthierarchien bloß. Die Lachkultur war an Ort und Zeit gebunden und beinhaltete gleichwohl universale Züge, indem sie gleichermaßen auf Macht und Ohnmacht zielte und die Menschen, ihre Körperfunktionen, Körperteile und Obszönitäten grotesk aufs Korn nahm. Im Grunde handelt es sich um einen Humor, der die Gesellschaftsordnung schmähte, tief in den Hierarchien, Gesetzen und Verordnungen der Ständegesellschaft verwurzelt war und überall daraus hervorspross, gab es doch in diesem System hinreichend Anlässe und Phänomene, über die man sich wundern und über die man lächeln und lästern konnte. Obwohl die verkehrte Welt im Prinzip unmöglich war, konnte sie der wirklichen Welt doch nahekommen: Mit die Beklemmung lindernden Scherzen ließ sich die Tatsache erklären, dass in der realen Welt nicht alles zum Besten stand. Die Sprache war Waffe des Aufstands, Lachen Macht. Der Humor zeigte auf, dass Unordnung und Ungerechtigkeit fester Bestandteil der geordneten Welt waren. Elend und Mangel waren an sich nicht zum Lachen, aber es war erleichternd, sich scheinbar unbekümmert zu geben, wenn es nichts mehr gab, wofür man zu sorgen hatte. Spott als gesellschaftliches, historisches und kulturelles Phänomen fand meistens auch in anderen Bereichen als dem der Sprache Ausdruck, etwa in sprachlosem Verhalten anderen gegenüber wie der Nachahmung von Tieren oder entsprechenden Tätigkeiten. Überhaupt hielt man ausgelacht zu werden in gewissem Sinne für die denkbar schlimmste gemeinschaftlich verhängte Sanktion – im Urteil der Gesellschaft kam es einer normativen Bestrafung gleich. Deshalb versuchte man, sich auf keinen Fall dem Lachen anderer auszusetzen. Dieses ungeschriebene Bestrafungssystem verflocht sich auf interessante Weise mit dem ebenso ungeschriebenen Moral- und Rechtssystem der anachronistischen, sippenbetonten Gesellschaft im 16. und 17. Jahrhundert. Das entehrende Potenzial der Verhöhnung blieb natürlich über allen gesellschaftlichen Wandel hinweg erhalten, nicht mehr als gesellschaftliche Sanktion, sondern in der Erniedrigung durch die Gemeinschaft. In Schimpfwörtern, Gespött und in der Lachkultur im Allgemeinen verbanden sich Macht des Wortes, Ehrverletzung und Verhöhnung. Der Humor war mit der Kultur, den Bräuchen und der Sprache fest verbunden, er entwickelte sich also kulturell. Der volkstümliche Sprachgebrauch wich möglicherweise davon ab, wie man eine Angelegenheit vor Gericht darstellte, und unterschied sich sicher von den Formulierungen, wie sie dann in den Gerichtsakten auftauchten. Das Volk hatte seine eigene Sprache und benutzte humoristische Wendungen, die sich nicht in die korrekte und zivilisierte Gesetzessprache übersetzen ließen. Gerichtssitzungen schützte man per Gesetz vor Unanständigkeiten, weshalb man hier die Verwendung gehobener Sprache voraussetzen kann. Sicher wurden auch in den

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Gerichtsdokumenten derbe Aussagen in möglichst geglätteter Form notiert. Man befolgte sprachlich angemessene Korrektheitsnormen, die sich bei Urteilsbüchern im Gebrauch lateinischer Sprache und in der verbreiteten Wendung „mit Verlaub“ äußerten, Übersetzung des Ausdrucks salva venia. Die Wörter und Wendungen aus Volkes Mund erschienen derart unpassend, ungeschliffen, kräftig und grob, dass sie in der Hochburg geregelter Ordnung und verfeinerten Sprachgebrauchs den Zusatz der entschuldigenden Phrase „mit Verlaub gesagt“ erforderlich machten. Manchmal waren die Grobheiten so furchtbar, dass sie nach Meinung der Richter gar keinen Niederschlag in den Akten finden konnten. In einem solchen Fall wurde dann beschönigend vermerkt: „Sagte zwei unanständige Wörter.“ Meistens bezogen sich die Grobheiten irgendwie auf den sexuellen Bereich, auf Ausscheidungen, Kot und Urin, auf jenes verbotene Gebiet also, worüber die meisten lachten. Das Auftreten frivolen Humors hängt eng mit Verhaltensverboten zusammen. Wenn bestimmte Dinge verboten sind oder nicht sichtbar sein dürfen, spricht man umso mehr darüber. Dies erklärt gut, dass die Themen auch in der Vergangenheit stark an Zeit und Sozialgruppe gebunden waren; der Anekdotenvorrat der Standespersonen unterschied sich vom Volksmund, der Humor des 16. Jahrhunderts von den Scherzen des 18. Jahrhunderts und der der Erwachsenen von den Späßen der Kinder. Jede Schicht und jede Epoche hatte ihr eigenes Normeninventar, und dagegen richteten sich dann die humoristischen Äußerungen. Beispielsweise betrachteten Schweden und Finnen sich selbst als von Natur aus tugendhaft, andere Völker dagegen als potenziell unmoralisch. An der losen Geschlechtsmoral des 17. Jahrhunderts waren die Franzosen schuld, also nannte man die Syphilis französische oder Franzosenkrankheit. Ende des 18. Jahrhunderts, als man Frankreich idealisierte, musste für die Amoralität ein anderes Volk herhalten: die Italiener, und man sprach nun von italienischer Sittlichkeit, womit das Gegenteil gemeint war. Obwohl es je nach Situation durchaus als ungebildet und unpassend empfunden wurde, die Rede auf das Geschlechtsleben zu bringen, war es doch ein wesentliches Element im zwischenmenschlichen Kontakt. Humor über Sexualität traf meistens Frauen, was aber nicht heißt, dass Männer ungeschoren davongekommen wären. Die Sittlichkeit in sexuellen Dingen zu wahren war wichtig für den heranwachsenden Mann, geschweige denn für einen verheirateten. Die Konnotation des Gesagten variierte je nach Kontext. Ein „guter“ Mann (käre man) konnte einerseits eben wirklich „gut“ und „liebenswert“ bedeuten, in anderem Zusammenhang freilich auch ein eher „übles“ Mannsbild bezeichnen, das die Sexualnormen verletzte oder gewalttätig in der Familie war.

Wissenschaft und Kunst im Dienste der Staatskultur In Finnland und für die Finnen gründete man zur Erreichung der staatlich-machtkulturellen Ziele die Akademie zu Turku. Diese erste Universität hatte ihre feste Basis in dem Dreiklang aus Religionslehre, Staatskunde und Jurisprudenz. Im Gründungsbeschluss der Akademie stellte man die Finnen als bekanntermaßen einfaches und bescheidenes Volk den Bedürfnissen der Staatskultur gegenüber: Eine gebildete Bevölkerung stelle sich in den Dienst der Obrigkeit und fördere die wirtschaftlichen Interessen des Staates. Man erkannte den regionalen Bedarf an höherer Ausbildung vor allem auf dem Feld der Theologie (Geistliche) und der Staatskunde (Beamte der weltlichen Verwaltung). Finnland war nach einer Phase des Herzogtums zum Großfürstentum aufge-

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stiegen und bestand als Folge der grundlegenden Neuerungen zu Anfang des 17. Jahrhunderts aus einer Reihe schwedischer Bezirke, die in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung hinter der im Reich zurückgeblieben waren. Finnland war kein selbstständiger Teil Schwedens, dennoch behandelte man die die Finnen betreffenden Angelegenheiten in den Gremien als eine Ganzheit, die von einem höheren Aristokraten als Generalgouverneur angeführt wurde. Ende der 1630er Jahre gelangte man zu der Auffassung, das Großfürstentum könne durchaus zu einem Gebiet ähnlich den kleineren europäischen Königtümern werden, wenn man nur einen Teil der Bevölkerung für die höhere Bildung gewinnen könne und im Übrigen die typisch finnische Sturheit eindämmen und die hier noch immer herrschenden ungeschliffenen Gewohnheiten ausmerzen würde. Das Volk sei fleißig und fruchtbar, wenn auch durch Kriege dezimiert, die Felder seien ertragreich, das Vieh reichlich und die Wälder nützlich – so lobt der Generalgouverneur Brahe bei den Festlichkeiten zur Einweihung der Akademie, erinnert aber gleichzeitig an die Unabdingbarkeit der Universität. Ihre Majestät, die junge Königin, und ihre Ratgeber hatten festgestellt, dass das Land trotz seines reizvollen Zustandes großen Mangel leide: Die adlige Jugend habe, ebenso wie die nicht zum Adel zählenden Jugendlichen, kaum Möglichkeiten, sich in schriftlichem Ausdruck zu üben und solcherlei Fertigkeiten zu erwerben, mit denen man als Beamter dem Staat dienen könne. Es waren wohl Schulen gegründet worden, aber zu deren Besuch konnte man die Adligen nicht zwingen. Außerdem waren sie offenbar nicht in der Lage, nichtadlige Jungen zu hinreichend talentierten Anwärtern für eine Beamtenlaufbahn zu erziehen. So sei es dazu gekommen, mahnt Brahe, dass die Nachkommen mancher besserer Geschlechter (also Aristokraten) heruntergekommen und die geistigen Fähigkeiten edler Familien völlig versiegt seien. Jetzt aber habe man den Schlüssel zum Erfolg in Händen, wenn die Eltern nur einsähen, dass ihre Kinder solch großartige Fertigkeiten erwerben sollten. Per Brahe bewunderte die konservative Adelserziehung und deren Ideale. Er gehörte zu einer Generation, die davon ausging, dass die wichtigsten Tätigkeiten im Staate naturgemäß der Aristokratie vorbehalten sind, also gebürtigen Adligen; je älter das Geschlecht, desto besser. Der erste Dekan der philosophischen Fakultät, der vertraute Diener des Generalgouverneurs, Michael Wexionius (geadelt dann Gyldenstolpe), stimmte dem zu. Wichtigster Förderer der Bildung war die in Schweden gewachsene Aristokratie. Die schwedische Schulpolitik von Beginn des 17. Jahrhunderts bis in die 1630er Jahre hatte das Land aus der Barbarei ins Licht der Erkenntnis geführt, sodass nun sogar Schreiber fehlerlos Lateinisch sprachen, daneben weitere Sprachen beherrschten und der Staatskultur am Hof, in Palästen, auf Rittergütern und in der staatlichen Verwaltung dienen konnten. Die Zahl der Universitäten war inzwischen auf drei angestiegen (Uppsala, Dorpat und Turku), während im vom Krieg gezeichneten Deutschland zur gleichen Zeit Barbarei drohte; die dortigen Universitäten mussten schließen, sie wurden ausgeraubt und vernichtet, und auch mit ihrer Finanzierung war es nicht weit her. Schweden war gerade dabei, Deutschland zu überholen, glaubte man. Dies geschah nicht – jedenfalls nicht in der Welt der Wissenschaften, da die Ausrichtung der Universität in Turku allzu genau festgelegt worden war. Der erste Dekan erklärte der Bevölkerung, was das Wort „Akademie“ bedeute: Es komme von dem griechischen Wort acos, Arznei, und demos, Volk, also bedeute Akademie, dass die Jugend (das Volk) durch die Universität unterrichtet, gebildet (gleichsam als Medizin) und zu gesellschaftlichen Aufgaben erzogen werde.

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Die Universität sollte die Staatskultur unterstützen. Ihr wirkliches und zweckgebundenes Ziel war es, zu einer Beamtenkarriere im Dienste von Kirche und Krone auszubilden. Deshalb wurden der Jugend entsprechende Gedanken, Gewohnheiten, Praktiken und Werte eingeimpft; die Staatskultur durfte nicht in Frage gestellt werden. Den Professoren war untersagt, ohne Erlaubnis des Herrschers und des Universitätssenats irgendetwas zu lehren, was im Widerspruch zu den Statuten stand. Nach großartigen wissenschaftlichen Ergebnissen wurde an der Universität Turku nicht gestrebt; im Gegenteil: Neuerungen und wissenschaftliche Errungenschaften scheute man, sie wurden abgelehnt und ausgemerzt, weil man sie mit Blick auf das Gesellschaftssystem für gefährlich hielt. Besser war es, Untersuchungen zu unbedeutenden Themen anzustellen, und eigentlich war es gar nicht Ziel des Studiums, Prüfungen abzulegen. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden einige brauchbare Dissertationen aus den Bereichen Jura, Moralphilosophie und Geschichte vorgelegt; in theologischen und staatskundlichen Arbeiten stützte man sich auf anerkannte Autoritäten. Naturwissenschaftliche Dissertationen glänzten kaum mit wissenschaftlichen Erkenntnissen; in der Medizin blieb man auf einem sehr bescheidenen Level, Fortschritte fanden eher außerhalb der Universität statt. Die Chirurgie entwickelte sich mithilfe deutscher Lehren und auch Ärzte, die vom Schlachtfeld zurückkamen, die Gebrechen der ansässigen Bevölkerung zu versorgen. So paradox es klingt, acos und demos, also die Heilung des Volkes blühte in der Mitte der Bevölkerung und wurde vor allem im 18. Jahrhundert von Priestern gefördert, die sich für das einfache Leben interessierten. In den 1780er Jahren veröffentlichte der in einer bescheidenen Pfarrei tätige Christfrid Ganander finnischsprachige Arzneibücher zur Heilung von Tier und Mensch. Aus dem Blickwinkel der Universität handelte es sich bei der Volkskultur gar nicht um eine Subkultur, denn sie wurde eigentlich überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Nach akademischer Ansicht waren Bildung und Barbarentum natürlich Gegensätze, aber das finnische Volk lebte keineswegs barbarisch und allein die Gründung der Akademie ließ Überbleibsel der Barbarei verschwinden. An der Universität pflanzte man der Jugend feines Benehmen, zivilisierten Sprachgebrauch sowie Fecht- und Tanzfertigkeiten ein. Barbaren gab es freilich noch, nämlich die Schweden feindlich gesinnten Völker, um wen auch immer es sich gerade handelte, meistens Russen oder Dänen. Eine wirkliche Gegenkultur vertraten hingegen schädliche Einflüsse, Ideen und Lehren aus dem Ausland, wie der Calvinismus, der Katholizismus und sonstige den wahren Christenglauben störende Elemente. Die wurden als echte Bedrohung empfunden und an der Universität strikt bekämpft, obwohl es sich in Wirklichkeit nur um Randerscheinungen handelte. Vorsichtshalber begann man aber, auch die Auslandsstudien Adliger zu beobachten und so zu regeln, dass unerwünschte Lehren die Ideenwelt der aufgeweckten Jugend nicht verschmutzten. Das Hochschulwesen stützte die Staatskultur so effektiv und Professoren wie Studenten vertraten deren Vortrefflichkeit derart engagiert, dass die Universität Turku zu einem der wichtigsten Strahlorte der Reichskultur wurde. Es ergab sich wie natürlich, dass sich hier und in der unmittelbaren Umgebung mit der Zeit geradezu ein akademischer Kult entwickelte. Dieser äußerte sich darin, dass man forma (Zeremonien, Riten, Gründungsfeier, Konstitutionen und Gesetze) und materia der Akademie (Finanzen, Bibliothek, Buchdruckerei, Zepter, Siegel, Matrikeln, Statutenbuch, Instrumente, Archiv, Privilegien, die Montur der Universitätsbüttel und den roten Talar des Rektors) gern zur Schau stellte. Im 18. Jahrhundert diskutierte man im Senat (Konsistorium) über die Geschichte der Akademie, man debattierte über ihre Entstehung, veröffentlichte Studien dazu und auch in

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der Presse wurde darüber berichtet. Den Gipfel des Historienkults dürften die Reliefschnitzereien an dem Anfang des 19. Jahrhunderts eingeweihten neuen Akademiegebäude darstellen, die die Gründung der Akademie abbilden. Zentrale Figuren sind hier der verstorbene König Gustav II. Adolf und Königin Kristina, die ehrwürdig am Tisch sitzend die Gründungsurkunde unterzeichnet. Sie ist volljährig dargestellt, eine klassische Schönheit, und erinnerte nicht mehr im Entferntesten an das Porträt, das sie etwa im Alter von13 Jahren zeigt. Über dem Tisch befindet sich ein kleineres Relief von Gustav II. Adolf. Generalgouverneur Per Brahe legt der Königin unterwürfig geneigten Hauptes hochachtungsvoll die zu unterschreibenden Papiere vor, und der Kanzler Axel Oxenstierna steht hinter der Königin, die Hand auf die Rücklehne des Stuhles gestützt. Mit dieser Geste verwies der Künstler auf die zentrale Rolle der Vormundschaftsregierung beim Gründungsprozess. Der Reliefschnitzer Erik Cainberg (1771–1816) gehörte zu einer in Finnland recht kleinen Gruppe von Berufskünstlern, die das einfache Handwerk hinter sich gelassen hatten und für die Belange der Reichskultur arbeiteten. Mäzene gab es nicht und die Kunst im Auftrag des Reiches ernährte eigentlich nur in der Hauptstadt ihre Künstler. Die anderen bekannten Meister waren vor allem Porträtmaler; Kirchenkunst wurde in der Regel von gewöhnlichen Handwerkern ausgeführt. So erwiesen sich denn auch Planung, Errichtung und Ausstattung der Kirchen als ein Kulturbereich, wo sich Unstimmigkeiten zwischen Reichs- und Gegenkultur offenbarten. Das Interesse an schriftlicher Kultur, die Fertigkeit, Briefe zu schreiben und Reden zu halten, unterschied die Herren vom Volk. In der Korrespondenz wimmelte es von dramatischen Wendungen, die aus der Bibel, religiösen Texten, Predigten oder aus antiker Literatur genommen wurden. So schreibt ein verliebter Mann seiner angebeteten Herzallerliebsten, wie er im Bett dahinwelkt, dass ihm fast das Fleisch von den Knochen fällt; ein belästigter Beamter droht seinem Untergebenen, dass er ihn tanzend übers Meer nach Stockholm schicken wird, wo der König den Lohn zahlt; oder ein Beamter, der mit seiner Entlohnung unzufrieden ist, klagt seinem Vorgesetzten, wie er mit seiner Familie schon am Hungertuch nagt und betteln gehen muss. Briefe und Schriften strukturierte man überhaupt möglichst kunstvoll. Am Anfang pflegte man den Empfänger mit allen erdenkbaren Adjektiven zu preisen und sich selbst herabzusetzen. Die eigentliche Angelegenheit formulierte man kurz und knapp, beschimpfte den Urheber des Problems mit derben Adjektiven – vor allem dann, wenn man das einfache Volk für schuldig hielt. In Briefen verwendete man auch reichlich Allegorien, Metaphern und Sprichwörter wie „Wenn Mann und Frau sich streiten, wackelt das ganze Haus“. Wenn man den Beamten glauben darf, waren die finnischen Bauern unmoralische Gauner (ganz falsch lagen sie wohl nicht, denn die Bauern lamentierten über die Steuern, scharwenzelten nur faul um die Beamten herum und soffen, wenn es nur irgendetwas Trinkbares gab, und waren als betrunkene Horde dann jedweder Einflussnahme entzogen). Sie begriffen nicht, dass Steuern und andere Pflichten letzten Endes auch ihnen zugutekamen. Die Bauern galten schlicht als ein für alle Mal niederträchtige, begriffsstutzige, faule, boshafte, skrupellose, verschwenderische, ihren Besitz vertrinkende Säufer, Halunken und Diebe. Die gelehrten Theologen predigten dem Volk außer den christlichen Glaubensinhalten – von Liebe und Hass Gottes, über Sünden und Tugenden – auch aus Erzählungen und

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Geschichtsdarstellungen der Antike; die Predigt konnte Brutalitäten der Sarazenen, Könige der Antike usw. behandeln. Die Geistlichen machten sich während des Studiums mit der klassischen Literatur bekannt, indem sie Latein, Griechisch und Rhetorik studierten, akademische Würdigungen oder Festreden anhörten, ferner durch Lektüre und Schreiben sowie durch Vermittlung von Schul- und Studentenkomödien. Diese Sachkenntnis gaben einige Pfarrer später an ihre Gemeinde weiter. Ein typischer Vertreter dieser Gattung war ein nach der Mitte des 17. Jahrhunderts in Wiborg wirkender Pfarrherr, Samuel Reuter. Er predigte pathetisch in steifem, feierlichem und höchst gelehrtem Stil, zwischendurch seufzend, die Hände ringend und wehklagend, über den Zorn Gottes, über Türken, Tataren, Russen und andere Barbaren, ketzerische Papisten, über die Pflichten des auserwählten Volkes Israel, die Bestrafung menschlicher Sünden, aber auch über die seltsamsten Ereignisse der römischen Antike oder der mittelalterlichen Historie sowie über die Helden der griechischen Mythologie. Mitunter konnten seine Reden von der Kanzel Caracalla und Priamus betreffen, dann wieder portugiesische Feldherren und maurische Piraten. Im besten Falle gerieten die Gottesdienste zu einer Darbietung von spannenden Geschichten, zu Einmannshows und Monologschauspielen, die noch von Gesangsstücken des begabten Reuter musikalisch untermalt wurden. Das heidnische Leben des Marcus Aurelius Antonius gab für die rechtgläubige Volksbelehrung nicht gerade viel her, wenn man ihn nicht als Beispiel eines Kaisers hinstellte, der obszönen Belustigungen frönte, seinen Bruder, Freunde und Anhänger kaltblütig ermorden ließ und schließlich selbst vom Hauptmann seiner Eskorte umgebracht wurde, oder als Mann, der sein Heer liebte und Blutbäder anrichten ließ. Auch Priamus, nach der griechischen Mythologie König von Troja, lieferte kaum Material für die Unterweisung in kirchlicher Zucht, aber er war ja immerhin bekannt für seine Fruchtbarkeit, hatte er doch fünfzig Söhne und zig Töchter. Im 16. Jahrhundert entstand reichlich finnischsprachige Literatur. Im Geiste der Reformation mussten religiöse Texte in der Volkssprache herausgegeben werden, was auch die Schaffung einer Schriftsprache voraussetzte. Auf schwedischer Seite übernahm diese Aufgabe Olaus Petri, in Finnland Michael Agricola (1510–1557) mit seinen Nachfolgern Paulus Juusten und Jacobus Finno. Die Bedeutung Agricolas als Verfasser des Abc-Buchs, eines Gebetbuches, von Handbüchern für den Gottesdienst und natürlich als Übersetzer des Neuen Testaments erkannten schon seine Zeitgenossen, Juusten versuchte allerdings, diese Begeisterung zu dämpfen. Juusten selbst verfasste in der Volkssprache ein Messbuch und den Katechismus, daneben schrieb er auf Lateinisch eine Bischofschronik, eine Postille und die Beschreibung seiner leidensvollen Missionsreise nach Russland. Von Finno wiederum stammt ein finnischsprachiges Gesangbuch (1589), ein Gebetbuch und ein Katechismus. Die nächsten Gesangbücher erschienen 1605 (Hemmingius Henrici), 1658 (Laurentius Tammelinus) und dann das lange in Gebrauch befindliche, erweiterte Neue finnischsprachige Gesangbuch (Uusi suomenkielinen virsikirja) 1701. In puncto Evangelienpostille ist die gewaltige Arbeit von Ericus Erici zu erwähnen, von der in den 20er Jahren des 17. Jahrhunderts zwei Teile mit über 2500 Seiten vorgelegt wurden. Die Gesangbücher, vor allem die zuletzt erschienenen, waren bedeutsame Werke, die auch in Bauernhaushalten Eingang fanden. Ihre Tragweite ist deshalb hervorzuheben, weil ihnen für die christliche Lehre wichtige Texte beigefügt waren und seit Mitte des Jahrhunderts auch noch Wissenswertes zu Geschichte und Glauben Finnlands und seinen hervorragenden Bischöfen (Ajantieto Suomen maan menosta ja uskosta, erinomaisesti piispoista). Schon die Anschaffung eines

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kleinen Gesangbuches verursachte den Haushalten eine erhebliche Ausgabe; es konnte gut den Jahresverdienst eines Bediensteten kosten. Schriften mit geistlichem Inhalt blieben lange Zeit fast die einzigen finnischsprachigen Werke für das gemeine Volk. Ergänzt wurden sie seit Anfang des 18. Jahrhunderts durch einen finnischsprachigen Almanach (Almanakka), der natürlich den Interessen des Landmannes diente. Neben geistlichen Schriften bestand Bedarf an Texten für die urbane Verwaltung, die dann zweckmäßigerweise in die Volkssprache übersetzt wurden. Martinus Olai, Ljungo Thomae und Abraham Collanius übertrugen des Schwedischen Reiches Landesgesetz und Städterecht ins Finnische; diese wurden aber zunächst nicht gedruckt, sondern standen den Gerichtsinstanzen als Handschriften zur Verfügung. Das Gesetz des schwedischen Reiches erschien 1734 als Druck, in finnischer Version von Georg Florinus übersetzt 1759 (es lag auch schon in einer älteren ungedruckten Version von Samuel Forsen vor). Das Kirchengesetz von 1686 erschien kurz danach 1688 auf Finnisch, von Henrik Florinus übertragen. Geistliche und weltliche Texte der Obrigkeit festigten die Staatskultur. Nun hatte Ljungo Thomae zwar ganz in diesem Sinne die Gesetzesübersetzung angefertigt, kämpfte jedoch mit „subkulturellen“ Mitteln dagegen, indem er auf Schwedisch ein Hohngedicht über die liturgischen Neuerungen Johanns III. und eine Erzählung über den sogenannten Keulenkrieg verfasste, worin die katholischen Bestrebungen scharf angegriffen wurden. Belletristische Literatur als Manifestation der Reichskultur beschränkte sich hingegen auf akademische Festreden, Glückwunsch- und Klagegedichte und Schauspieltexte für die Universität Turku und deren unmittelbare Umgebung; diese erschienen meistens auf Schwedisch, Lateinisch oder Griechisch. Die Bühnenstücke beruhten auf mittelalterlichen Vorbildern und boten in komödiantischer Form moralische Unterweisung. Studentenkomödien rüttelten nur selten am gültigen Weltbild, suchten und fanden ihr Sujet aber oft – wie in Jacobus Chronanders Schauspiel Surge (1647) oder in Eric Johannis Justanders Übersetzung von Der verlorene Sohn (Tuhlaajapoika) – in faulen, eingebildeten und ausschweifenden Studenten und im Gegensatz dazu in den fleißigen und ordentlichen jungen Leuten. Das aufblühende einheimische Theater passte sehr gut in die barocke Zeit, denn man brauchte den Darstellern nicht viel zu bezahlen und die in Turku Hof haltenden Generalgouverneure fühlten sich beim Besuch der Aufführungen mit den europäischen blaublütigen Fürsten eng verbunden. Im 18. Jahrhundert schrumpfte das einheimische Theater wieder, weil fahrende schwedische Theatergruppen und in den Häusern von Standespersonen aufgeführte Stücke alle schauspielerischen Bedürfnisse befriedigten. Die Schaffung finnischsprachiger Literatur drohte unter dem Druck der Großmacht restlos zu scheitern. In schwedischer Sprache erschienen schon im 17. Jahrhundert jährlich 100 bis 200 verschiedene Titel, auf Finnisch dagegen im Ganzen nur einige wenige, und die Situation verbesserte sich auch im folgenden Jahrhundert kaum. In finnischer Sprache gab es bestenfalls Alltagsdichtung; sie vertrat ausgezeichnet die Gegenkultur der Zeit. Produziert wurde sie gleichwohl von Vertretern der Machtkultur, von Pfaffen und Angehörigen der Universität. Anregend wirkte hier die allgemeineuropäische Begeisterung für Kleindrucke. Im 17. Jahrhundert flatterten solche Kleindrucke über ganz Europa und im 18. Jahrhundert gehörten im erweiterten Kreis interessierter Leser allerhand kleine Streitschriften, Zeitungen, Zeitschriften und belletristische Werke zum Repertoire und formten daher auch deren Weltbild. Die Preise sanken ständig, sodass auch weniger Bemittelte die Möglichkeit erhielten, literarische Geistesnahrung aufzunehmen. Die einen

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lasen Bücher in den feinen Cafés des 18. Jahrhunderts, andere mussten sich eben mit schlechteren Bedingungen begnügen. Zur Aufklärungszeit nistete sich die Kaffeehauskultur in einigen finnischen Städten ein. Ein Teil der Druckerzeugnisse waren bebilderte Pamphlete, die über die eigentümlichsten Vorkommnisse aus verschiedenen Gebieten Europas berichteten, ein anderer Teil Satiren, Propaganda- und Schmähschriften, und schließlich gab es da auch Nachrichten. Fürs Volk eigneten sich besonders solche Schriften, die fromme Gesänge abdruckten, zu denen sich im 18. Jahrhundert Texte zur geistlichen Erbauung gesellten, und solche, die mit Naturkatastrophen aufwarteten, aber auch das Gesellschaftssystem und die bestehende Weltanschauung moralisierend verhöhnten. Sogar Trinklieder wurden veröffentlicht: Sind wir auf ’ner Hochzeit hier, trinken reichlich Wein und Bier, essen uns den Magen voll, und schwanken toll, Zelebriern ’ne Messe dann kurios für Krug und Kann’, singend sie zu leeren zu ihren Ehren.

Für echte Subkultur standen die Autoren aus dem Volk in ihren handgeschriebenen Texten. Die häufig radikalreligiösen Schriften, besonders die aus Deutschland stammenden, hatten nicht den Segen der Kirche, waren also Gegenkultur. Die Verbreitung handschriftlicher Texte war ungleich billiger als die von Drucksachen. Die hohen Buchpreise fanden auch anderweitig als in Auflagenhöhe und Verkaufszahlen Ausdruck. Im 16. und 17. Jahrhundert behaupteten die Leute, eine Bibliothek zu besitzen, die sie wie einen Schatz hüteten, wenn sie gerade einmal an die zehn Bücher ihr Eigen nannten. Zur Zeit der Gründung der Universität Turku umfasste die Universitätsbibliothek ganze zwanzig Bände. Die Zahl wuchs auch danach nur bescheiden an, so langsam, dass Professoren noch im 18. Jahrhundert ihre Bibliothek nur ungern einem Gast zeigen mochten, weil diese – wie sie erklärten – keinerlei Wert habe. Und damit lagen sie gar nicht so falsch, denn selbst der König konstatierte bei einem Besuch der Universität: „wenig Bücher“. Studenten, die an ihren Prüfungsarbeiten saßen, mussten in erster Linie auf handgeschriebene Kopien und eigene Vorlesungsmitschriften zurückgreifen oder bekamen vielleicht ein Werk aus dem Besitz des Professors geliehen. In Schweden begann der Staat 1645 Zeitungen herauszugeben, die Informationen der einheimischen Postmeister und im Ausland wohnender Privatpersonen enthielten. Das neue Medium verbreitete sich überall; besonders auf dem Lande und in entlegeneren Städten scheint der Wissensdurst so grenzenlos gewesen zu sein, dass hin und wieder Vorlesegelegenheiten für die Menge der Interessierten organisiert werden mussten. Solche Veranstaltungen waren für die Behörden ebenso befremdlich wie die Verbreitung von Gerüchten. Gewiss konnten Geschichten- und Gerüchteerzähler ebenso gut wie Vorleser am Ende der Darbietung ihre eigene Meinung zur Sache äußern und damit auf das Weltbild der Zuhörer einwirken. Aus diesem Grund war die Zensur zeitweise streng und mithilfe der staatlichen Zeitungen wollten Herrscher und Aristokratie die öffentliche Meinung für die eigenen Zwecke günstig gestalten. Erst 1766 wurde die Zensur gemildert, allerdings auch nur für ein paar Jahre. Je schärfer die Zensur war, desto größer war freilich

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auch der Anreiz, sie irgendwie zu umgehen. Die erste Zeitung in finnischer Sprache, die Finnischsprachigen Nachrichten (Suomenkieliset Tieto-Sanomat), wurde von dem Pfarrer Anders Lizelius herausgegeben, erschien aber nur 1775–76. Im Volk wurde die Kenntnis von Ereignissen an verschiedenen Orten mündlich weitergegeben, und die Obrigkeit verkündete wichtige Beschlüsse, Mitteilungen und Bekanntgaben ebenfalls mündlich. Offizielle Bekanntmachungen wurden auf Sitzungen des Amtsgerichts verlesen oder, noch häufiger, im Rahmen kirchlicher Veranstaltungen öffentlich gemacht. Der Kirchgang war daher nicht nur eine geistliche Maßnahme, sondern eine wichtige Gelegenheit, wenn man über allgemeine oder die Region betreffende Dinge auf dem Laufenden bleiben wollte. Kirchbesuche, Gemeindeversammlungen und Katechismusprüfungen wurden entsprechend eifrig zum Wissensaustausch genutzt. Eine eigene Gruppe von Nachrichtenübermittlern bildeten Landstreicher, Wandergesellen und Bettler, die außer ihrem eigenen Anliegen eben auch anderswo gehörte Gerüchte verbreiteten, wenn sie irgendwo an die Tür klopften. Dafür erhielten sie gewöhnlich Essen und ein Nachtlager. Solche mündliche Kommunikation war einigermaßen zuverlässig und überbrachte Informationen wenigstens ebenso schnell wie schriftliche Mitteilungen; außerdem schätzte man sie mehr als vorgelesene Texte, und viele Beamte waren besorgt, dass die Kenntnis von offiziellen Angelegenheiten womöglich nur über inoffizielle Kanäle das Volk erreichte. Alles in allem galt, dass die Schriftkultur Bildung bewies, mündliche hingegen Ungeschliffenheit; allerdings interessierte die mündliche Dichtung in finnischer Sprache durchaus Universitätsgelehrte und Geistlichkeit. In Glückwunschgedichten des 17. Jahrhunderts adaptierte man das Kalevala-Versmaß für die lateinische Sprache und es konnten auch Strophen auf Finnisch vorkommen. Ende dieses Jahrhunderts und im folgenden fanden die finnische Sprache und die orale Kommunikation großes Interesse. Der Pfarrer Henric Florinus gab 1702 eine Sammlung von Sprichwörtern heraus – Die gewöhnlichen und anmutigen Sprichwörter der alten Finnen (Vanhojen suomalaisten tavalliset ja suloiset sananlaskut) –, die zur moralischen Erziehung geeignet waren. Erziehungsaufgaben waren Teil des als Goldenes Buch (Cullainen kiria) 1670 ins Finnische übersetzten Benimmführers des Erasmus von Rotterdam. Erste Untersuchungen zu Volksdichtung und Glaubensvorstellungen der Finnen (Christfrid Ganander und Henrik Gabriel Porthan) wurden erst ganz am Ende des 18. Jahrhunderts vorgelegt; mit ihnen wurde die volkstümliche Subkultur in die Reichskultur eingebunden. Gleichzeitig aber wurden auch Lehrbücher in der Volkssprache publiziert, wie etwa Johan Frosterus’ naturwissenschaftliches Werk Nützliches Vergnügen mit schöpferischen Arbeiten (Hyödyllinen huvitus luomisen töistä) 1791. Die Übersetzung des erdkundlichen Lehrbuchs des Dorfschneiders Samuel Rinta-Nikkola Geographie für Anfänger (Geografia alkavillen) blieb freilich ungedruckt. Auf das Übernatürliche verweisende Geschichten wurden in allen sozialen Schichten erzählt, vor allem aber in der Volkskultur. In früheren Zeiten erfasste der Mensch seine Umgebung, die Welt der Dinge und Erscheinungen, ohne sie auf konkrete Beobachtungen zu begrenzen, erklärte sie aber auf seine Weise und mit tradierten Begriffen. Die menschlichen Errungenschaften, der Mensch selbst und die übernatürliche Deutung all dessen waren nicht voneinander zu trennen. Der Mensch war Teil von allem und geistige Erfahrungen wurden als soziale Tatsachen interpretiert, das heißt, sie wurden für andere akzeptierbar. Erfahrungen, Träume, Trugbilder, Phantasien usw. dienten dem Menschen der Vergangenheit zur Erklärung verschiedener Dinge. Für ihn waren Träume angenehme und sogar als wirklich erfahrene Geschehnisse, die das Denken beeinflussten und Handlungen

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nach sich zogen. Die geregelte Welt war Teil des Menschen, und hier wurden konkrete Beobachtungen angesiedelt. Außerhalb dessen herrschte das Chaos, von dem nur wenige wussten, zu dem einige aber womöglich Kontakt hatten – wahrscheinlich durch Träume, Halluzinationen, Phantombilder und entsprechende als wahrhaftig empfundene und durch Vermittlung anderer hervorgerufene Visionen, die außerhalb des gewöhnlichen Wahrnehmungshorizonts lagen. Schamanen und Hexen waren es, die ins Jenseits reisten. Halluzinationen hielt man, auch wenn sie im Prinzip ohne jeden äußeren Impuls auftraten, für ganz wirkliche Wahrnehmungserlebnisse, und für diese interessierten sich während der frühen Aufklärungsepoche die wissenschaftliche Psychologie und deren Vertreter.

Zauberei und Hexenverfolgung in Finnland Die Hexenverfolgung in Finnland gehört in eine Zeit, da es in Europa allgemein üblich war, Personen der Hexerei zu beschuldigen. In West- und Mitteleuropa geschah dies am intensivsten von der Mitte des 16. bis ins 17. Jahrhundert, in Osteuropa später, in Ungarn zum Beispiel erst in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. In Finnland fällt die Hochphase in die Jahre1674–1678, gewissermaßen als Fortsetzung der Verfolgungen in Schweden 1668–1676. Im Gebiet des heutigen Finnland wurden zwischen 1500 und 1750 über 2000 Menschen der Hexerei oder Zauberei bezichtigt. Die Zahl erscheint klein im Vergleich zu den mitteleuropäischen Massenverfolgungen, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung sieht das aber schon anders aus. Die üblichste Bestrafung war eine Geld- oder Sachstrafe, Todesurteile sind etwas über hundert bekannt. Im Gegensatz zu den anderen europäischen Ländern waren die meisten der Hexerei Beschuldigten hier Männer. Der Anteil der Frauen war lediglich in den Jahren 1660–1680 in den westlichen Landesteilen etwas größer. Die aufgetretenen Fälle lassen sich in drei Gruppen einteilen: 1) Hexensabbate waren typisch für die Zeit der großen Verfolgungen. Damit verbunden begegnen allgemeineuropäische Vorstellungen von fliegenden Hexen und Versammlungen mit dem Teufel. In Schweden nannte man die Treffpunkte Blåkulla, blauer Berg. In Deutschland hielt man unter anderem den Brocken, als höchsten Berg im Harz, für einen solchen Platz. Eine schwedische Besonderheit war, dass man behauptete, die Hexen hätten Kinder im Alter zwischen 5 und 15 Jahren auf den Berg geschleppt. Dort sollen sie ins Buch des Bösen eingeschrieben und miteinander vermählt worden sein. Aus Predigten, Kirchenmalereien und Gerüchten gefilterte Zeugnisse zu den Rechten der Kinder weisen Bezüge zu allgemeineuropäischen Vorstellungen und örtlichem Hexereiverdacht auf. 2) Hexerei oder schwarze Magie, die im Allgemeinen die Verzauberung von Menschen oder Haustieren zu Krankheit oder Tod betraf. Typisch waren auch solche Fälle, in denen versucht wurde, den Erfolg eines Menschen in irgendeinem Lebensbereich (zum Beispiel in der Viehhaltung) zu verderben oder für sich selbst zu reklamieren. Die in Mitteleuropa häufig begegnenden Fälle, in denen schlechtes Wetter und Gewitterstürme heraufbeschworen wurden, fehlen hingegen in den finnischen Protokollen ganz. Das im 17. Jahrhundert in Schweden geltende Landesgesetz und das städtische Recht kannten diese Form der Magie. Sie verhängten bei verursachtem Tod ihrerseits die Todesstrafe, was aber die Aussagen von mindestens zwei Zeugen voraussetzte. Sach- und Geldstrafen waren nach der Schwere des Vergehens gestaffelt. Solche Hexereivorwürfe wurden in Städten und Dörfern hin und wieder gegen einzelne Personen vorgebracht. 3) Zauberei oder weiße Magie, wobei es im 17. Jahrhundert meistens um die Heilung Kranker, den Schutz wichtiger Arbeiten (zum Beispiel des Butterns), die Sicherung der Herde vor Wildtieren, die Identifikation von Dieben und die Rückführung von gestohlenem Gut ging. Im folgenden

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Jahrhundert wurden verschiedene auf Friedhöfen und mithilfe Verstorbener durchgeführte Rituale üblich. In Ostfinnland ging die Geistlichkeit eifrig gegen alte Opferbäume und -haine vor, wobei leider auch einige im Walde verborgene griechisch-katholische Grabstätten vernichtet wurden. Zauberei wurde schon seit dem 17. Jahrhundert kriminalisiert. Ihre Bestrafung war in den für aufklärerisch gehaltenen staatlichen Gesetzen von 1734 geregelt. Die Ausrottung der Zauberei ist als Teil des von Krone und Kirche realisierten Zivilisationsprozesses zu sehen, durch den man bemüht war, alle unreinen Formen im Leben und Glauben des Volkes auszumerzen. Aus diesem Grunde finden sich Zaubereifälle vergleichsweise zahlreich in Protokollen des 18. Jahrhunderts und noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts lassen sich einzelne Vorfälle belegen. Beschuldigungen wegen Hexerei waren dagegen nach der Verfolgungsphase in den 60er und 70er Jahren des 17. Jahrhunderts relativ selten. Es war ja schwierig, Hexerei nach verbindlichem Recht tatsächlich nachzuweisen. Außerdem begann man die Blåkulla-Geschichten mehr und mehr als Hirngespinste Betrunkener oder Verrückter zu interpretieren. Jari Eilola

Die Obrigkeit versah das dem Volk zu vermittelnde Bild vom Wesen der Welt mit Elementen, die ihren eigenen Status stärkten. Gelehrte, Geistliche und Beamte bis hin zum Herrscher glaubten unumstößlich daran, dass ihre eigene Welterkenntnis von Gott ausging und deshalb richtig war. Ihr Weltbild war das bessere und komplettere – und zu der darin angestrebten Lebensweise sollte auch das Volk geführt werden.

Geschichtsauffassungen Die Vergangenheit war gemeinschaftlich und gesellschaftlich fundiert und in diesem Sinne auch politisch. Man sieht dies ausgezeichnet an dem oben zitierten Alltagsgedicht. Bedeutende gesellschaftliche Ereignisse schrieb man als Lyrik dem sozialen Gedächtnis ein; die wichtigen Reichsgeschehnisse wie Krönungen oder militärische Erfolge waren so relevant, dass in der Alltagsdichtung Freudenlieder und Lobgedichte nach ihnen betitelt wurden. Die Geschichte war fester Bestandteil der auf sozial-ständischer Grundlage errichteten Gesellschaft und ihrer Ideologie. Das herrschende Gesellschaftssystem hielt man für das Ergebnis eines sinnvollen historischen Prozesses, und die Ständegesellschaft begründete man mithilfe der Vergangenheit. Weil die Gesellschaft sich durch die Geschichte entwickelt hatte und von den Ständen regiert wurde, war es nur natürlich, dass ein makelloser gesellschaftlicher Status eine bestimmte Sicht auf Vergangenheit und Gegenwart bedingte. Die Vergangenheit erfuhr und interpretierte man, zur Geschichte verhielt man sich angemessen. Von Rolle und Status des jeweiligen Erzählers hing es im Wesentlichen ab, wie er die Vergangenheit beschrieb und welchen Wert er ihr zugestand. Die einen verstanden die historischen Ereignisse als moralische Geschichten, in denen sich das vom Schicksal begünstigte Lebensglück ständig mit den fest zum menschlichen Leben gehörenden negativen Elementen, also mit der Vergeltung Gottes, auseinandersetzen musste. Schicksal und Vergeltung waren eng mit dem menschlichen Verhalten verknüpft, denn schlimme Taten führten zur Bestrafung durch Gott. Andere wiederum erklärten den Verlauf der Geschichte lieber mit eigenen Leistungen, denen der Standesgenossen, des Standes gene-

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rell oder des Herrschers, indem sie großartige Männer oder Stände in der Historie als bedeutsam und vorbildhaft hinstellten. Der unerbittlich auf den erwarteten Weltuntergang zulaufende Zeitbegriff gab der Vergangenheit und der Geschichte Sinn, Richtung und Bedeutung. In dieser von allen geteilten Auffassung wurden Gott und Fügung als erste und letzte Erklärung begriffen. So hob man in der historischen Beschreibung der Vergangenheit solche Ereignisse, Erscheinungen und längere Zeitläufte hervor, die das Wirken Gottes sichtlich erläutern konnten und verständlich machten. Am häufigsten schien Gott in Katastrophen, Krisen und vor allem in Kriegen zu begegnen. Deshalb nahm die menschliche Vergangenheit unvermeidlich den Charakter einer dauernd anwachsenden Sammlung von Schreckensgeschichten an. Auch dabei spielte die Alltagsdichtung eine wichtige Rolle: Wenn historische Ereignisse die Gesellschaft stärkten, wurden sie in Lobliedern gewürdigt; deren Pendant, die Klagelieder und Trauergedichte, waren ins soziale Gedächtnis eingeschriebene Kommentare zu negativen historischen Erscheinungen. Darin wurde die Geschichte Finnlands und der Finnen mit der Historie vom auserwählten Volk verglichen. Die Heilige Schrift verstand man als wahrheitsgetreue Erzählung über die Vergangenheit und als Beweis für den Anteil der Finnen am Verlauf der Weltgeschichte. Die Finnen waren das neue Volk Israel, dessen Schicksal in der Heiligen Schrift beschrieben ist. Biblische Elemente tauchen in den schriftlichen historischen Darstellungen der Geistlichen wie in den mündlich überlieferten des Volkes auf; da konnte Finnland als verbranntes Gomorrha und finnisches Israel erwähnt sein, Gott nannte man gern den gehässigen Zebaoth, die Finnen die Sklaven Ägyptens oder Israeliten, und die behandelte Epoche galt jedenfalls als die letzte vor dem Ende der Welt. Die Geschichte bildete sich zu einer Menge moralischer Geschichten aus, in denen die vom göttlichen Schicksal begünstigte Glückseligkeit ständig auf die vom rechtschaffenen Richter verhängte Strafe, also die Vergeltung Gottes, traf. Eine solche von der Kirche verkündete und vom Volk übernommene moralbetonte Sicht der Geschichte stimmte vorzüglich mit der Tradition der humanistischen Geschichtsschreibung überein. Der lag nämlich daran zu erklären, welche Faktoren Kriege, Gefallene und andere Katastrophen verursachten und wie man Derartiges in Zukunft möglicherweise vermeiden könnte. Der Sinn der Historie lag darin, dass man die Vergangenheit als Kontinuum des Erinnerungsvermögens begriff und dass man mit historischen Fakten das Wesen der gegenwärtigen Gesellschaft und die darin herrschenden Verhältnisse begründete. Die Bibel war heilig und eine immer noch sich fortschreibende historische Erzählung. Deshalb erzählte die Geistlichkeit die Geschichte Israels da weiter, wo die Bibel aufhörte; es handelte sich in gewisser Weise um die Realisierung der christlichen Missionsaufgabe. Geschrieben waren die verdichteten Chroniken und Annalen einleuchtend, und ihr Wissen wurde dem Volk mit lehrhafter Absicht in religiösen Texten, vor allem in Gesangbüchern nahegebracht. Wie wichtig den Liederbüchern der Zeitbezug war, zeigt sich schon in dem des Laurentius Petri Tammelinus, das ständig vervollständigt wurde, und dies in der Absicht, den Kirchgängern die christliche Vergangenheit der Finnen und ihr Dasein unter den strengen Augen Gottes vor Augen zu führen. Die Eintragungen in den Chroniken bewiesen den Wandel und die Fügung der Geschichte. Volkstümliches Zeitverständnis, die Zeitrechnung oder Geschichte beruhten aber nicht auf Jahreszahlen und Daten, vielmehr waren wichtige Perioden narrative und zeitliche Ganzheiten. Die Geschichtsschreibung verlief in drei Hauptlinien: mit der Person des Herrschers verknüpfte Reichsgeschichten, streng aufgebaute Ortsgeschichten und freier strukturierte

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Gemeindehistorien. Alle waren – wie der volkstümliche Vergangenheitsbegriff – chronikhaft aufgebaut, das heißt, ihr Erzählstil schritt chronologisch voran, wobei man an Krisen Bruchstellen in der Vergangenheit festzumachen suchte. In schriftlich und mündlich übermittelten Erzählungen und Geschichten, die auf die Vergangenheit, große Ereignisse und einzelne Zeiträume Bezug nahmen, gab man dem Vergangenen Sinn und machte es zu Historie; wie man die Vergangenheit selbst in solchen Zusammenhängen beurteilte, war dabei nicht von so großer Bedeutung wie deren Verhältnis zur jeweiligen Gegenwart. Die nahe Vergangenheit wurde zur Geschichte, wenn man darin charakteristische Züge fand, die sich mit früheren ähnlichen Begebenheiten deckten und die man als historisches Kontinuum, wenngleich als dem Charakter nach anderen Zeitraum begreifen konnte. Zeitlicher Abstand und die Entstehung eines ausgewogenen Bildes führten gleichzeitig zur Ausbildung einer epochalen Ganzheit. Die Vergangenheit, also die Geschichte, war voller voneinander verschiedener Zeiträume. Diesen Vergangenheitsbegriff teilten nahezu alle, die Elite, das Volk, die Schweden und die Finnen, aber die Art und Weise, die Geschichte zu behandeln und zu strukturieren, unterschied sich in den verschiedenen Gruppen. Die Vergangenheit war stets standesgemäß. Sie bestimmte den gesellschaftlichen Status von Personen überaus deutlich, sodass das gemeine Volk eine eigene Vergangenheit hatte, ebenso die Geistlichkeit und andere gesellschaftliche Schichten. Zwischen allen gab es jedoch verbindende Faktoren: Die Gegenwart hielt man für das Resultat der Vergangenheit. Die Geschichtsschreibung und deren mündliche Überlieferung hatten erzieherische Aufgaben und mit dem Rekurs auf die Vergangenheit war man bemüht, die gesellschaftliche Stabilität zu bewahren. Im schwedischen Reich war die Geschichtsschreibung, wie in anderen europäischen Ländern auch, vom Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert konzentriert auf Chroniken und Geschichten des Königshauses. Es war wichtig, die Handlungen des Herrschers zu notieren und Kenntnis über den Fortbestand der königlichen Linie zu haben. Hauptziel historischer Bildung war die Erziehung zu einem „richtigen“ Weltbild. Die Historiker suchten daher in alten Texten vor allem Beispiele, die man in diesem Sinne adaptieren konnte. Die Reformatoren schrieben kritisch über die Vergangenheit. In der Schwedenchronik von Olaus Petri, der Bischofschronik des Paulus Juusten (1570–71) und in Michael Agricolas Vorrede zum Neuen Testament wurden Ungerechtigkeiten, Verfolgungen und deren Folgen in der Absicht zur Sprache gebracht, ähnliche Vorkommnisse in Zukunft eventuell vermeiden zu können. Für die Aufrechterhaltung der Staatskultur war entscheidend, dass die Gegenwart als Summe und Gipfelpunkt der Historie definiert wurde: Die Mächtigkeit des Reiches beruhte auf seiner gewichtigen und glänzenden Vergangenheit. Dieser Gedanke ist auch in der sogenannten Gotentheorie und ähnlichen frühneuzeitlichen Geschichtskonstruktionen enthalten, die in Schweden das antike Atlantis fanden sowie Verbindungen zu den vorzeitlichen, fabelhaften Goten, Wenden und Skythen, ja sogar Spuren der Hauptfiguren aus der Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments. So hat man etwa nachgewiesen, dass die Könige Schwedens und Finnlands Nachkommen Noahs waren, und die Finnen zum auserwählten Volk erklärt. Als der Professor der Medizin an der Universität Uppsala Olaus Rudbeckius (Atlantica, 1679) und der Student, später Professor der Universität Turku Daniel Juslenius (Aboa vetus et nova, 1700) der Großmacht Schweden ein derart großartiges Altertum zuschrieben, war es nicht ihre Absicht, das Reich mit einer Vergangenheit auszustatten, deren

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Glanz etwa die Gegenwart überstrahlt hätte. Die Gotentheorie stand im Gegenteil im Dienste der politischen Notwendigkeit, und die damalige Großmacht wurde in historischer Perspektive als folgerichtiges Ergebnis historischer Geschehnisse dargestellt. In dieser Sichtweise galt die Gegenwart mehr als die Vergangenheit. Die letzten Bischöfe der katholischen Zeit, die Brüder Johannes und Olaus Magnus, legten als Historiker eine gewaltige Arbeit vor, indem sie im 16. Jahrhundert die Meinung vertraten, dass die Schweden als Goten die bedeutendsten Menschen der Welt gewesen waren (Historia de gentibus septentrionalibus, 1555). Anders als viele europäische Kollegen schilderten sie die Goten als hervorragende, humane und die Kultur liebende Helden, und Johannes machte über 200 Gotenkönige namhaft, die in Schweden und anderswo gewirkt hatten. Insgesamt dreizehn trugen den Namen Erik, sodass der 1560 zum König gekrönte Erik XIV. Johannes Messenius wurde, der dann nach 1610 an die zwanzig Jahre als Gefangener im Schloss von Kajaani schmorte und durch seine geschichtsforschende und schriftstellerische Tätigkeit in dieser Zeit die Gotentheorie festigte. Als Schweden zur europäischen Großmacht aufstieg, waren der Herrscher und sein Umfeld überzeugt, dass die Größe des Reiches auf seinem Rang im Altertum beruhte. Mit dieser Idee im Sinne begannen sie, noch stärker den Gotizismus und damit das Bewusstsein von der glänzenden Vergangenheit der Schweden zu fördern. Bald wurde im 17. Jahrhundert das Amt eines Reichshistorikers gegründet, das neben anderen Arnold Johan, Sohn von Johannes Messenius, innehatte. Er wurde 1651 hingerichtet, weil er in einem Gedicht den gerade zum Thronfolger berufenen Karl Gustav aufgefordert hatte, Kristina das Zepter zu entreißen – anders gesagt, die Welt in ihrer rechtmäßigen Form zu organisieren. Als ein weiteres Amt wurde das des Reichsantiquars eingeführt, etwas später das Antiquitätenkollegium. Die Beamten des Kollegs sammelten und untersuchten alte Schriften, Provinzgesetze, Wappen und Runensteine und inventarisierten prähistorische Denkmäler. Olof Rudbeckius aus Uppsala, der nahezu alle Wissensgebiete beherrschte, kam in seinen Forschungen über die Antike zu dem Schluss, Schweden sei das sagenumwobene Atlantis gewesen. In der gautischen Historienbeschreibung betrachtete man die große Vergangenheit, die Kontakte der Schweden zu Goten, Wenden und Skythen sowie die glanzvolle Vergangenheit auch der Finnen etwas maßvoller. Hatte doch schon Johannes Magnus nachgewiesen, dass Noahs Sohn Magog der erste König Finnlands gewesen war. Über die stolze Zeit des finnischen Altertums schrieb Daniel Juslenius eine wissenschaftliche Studie, wonach die Einwohner von Turku zur Elite des auserwählten Volkes gehörten und Magog nach der Sintflut in den hohen Norden folgten. Jeslenius bezweifelte allerdings, dass Magog wirklich der erste Herrscher Finnlands gewesen sei. Seiner Meinung nach hatten die Finnen schon vorher eine ganze Reihe von Königen gehabt. Andererseits war Juslenius zurückhaltender als der Wiborger Bischof Petrus, der völlig davon überzeugt war, dass schon Adam sich hier aufgehalten habe und später Noah gekommen sei, um die kirchlichen Verhältnisse in Finnland zu regeln. Im 18. Jahrhundert schärft sich das Bild vom Altertum und wurde durch Vergleiche und quellenkritische Forschungen wissenschaftlicher. Die Entstehung der Welt verschob man weit in die Vergangenheit, die Historie wurde ihres pathetischen Glanzes entkleidet und mittelalterliche Quellen begann man kritischer zu beurteilen. Zum bedeutenden Erneuerer der Geschichtsschreibung und der Volksdichtungsforschung stieg Professor Gabriel Porthan (1739–1804) auf, der die Studenten für diese Materie zu interessieren ver-

Geschichtsauffassungen

stand und sich unermüdlich der wissenschaftlichen Arbeit verschrieb. Er beschäftigte sich intensiv mit der Sammlung und Erforschung der Volksdichtung (De Poesi Fennica, 1766– 1778), was nicht vonstattenging, ohne sein Geld ständig darauf zu verwenden, die Bänkelsänger betrunken zu machen, wie er sich in seinen Schriften beklagte. Gratis seien die ja nicht bereit, ihren Mund zu öffnen. Mündliche Überlieferung galt den einfachen Leuten wie den Studenten der Universität jedenfalls für bare Münze. Das soziale Gedächtnis war auf die mündliche Wissensvermittlung angewiesen. So hielt man von den Großeltern Erzähltes darüber, was diese wiederum als Kinder von ihren eigenen Großeltern erzählt bekommen hatten, für ebenso wirklich wie eigene Erfahrungen oder persönliche Angaben zu einzelnen Ahnen. Auf solcher Grundlage enstand das Weltbild des Volkes, seine Vorstellung von der Vergangenheit des Heimatortes und dem Entwicklungsgang der eigenen Familie und eben mit diesem Wissen fingen auch die Pfarrer im 18. Jahrhundert an, erste Ortshistorien zu verfassen (ökonomische und historische Darstellungen waren populäre Themen für Dissertationen, vor allem weil man nun an der Universität auch auf Schwedisch promovieren konnte). Erst an der Jahrhundertwende begann man, die Aussagekraft von örtlichen Beamten verfasster schriftlicher Quellen höher einzuschätzen und Aufzeichnungen dieser Art für zuverlässiger hinsichtlich ihrer Beweiskraft als mündliche Tradierung zu halten. Und Porthan veröffentlichte sein auf der Methode vernünftigen Zweifels basierendes Hauptwerk, eine kritische Studie zur Bischofschronik des Paulus Justenius, M. Pauli Juusten Chronicon Episcoporum Finlandensium (1784–1800). Schriftliche und mündliche Historie gingen in der Reichs- und Subkultur ebenso weit auseinander wie in der Kultur allgemein. Erst seit Ende des 18. Jahrhunderts interessierte sich die Wissenschaftsgemeinde in akademischem Sinne für die mündliche Kultur, die Volksdichtung, und begann sie als Teil der Geschichte aufzuzeichnen und zu untersuchen – im Lichte deutscher wissenschaftlicher Vorbilder (unter anderem Henrik Gabriel Porthan an der Universität, Chrisfried Ganander außerhalb der Universität). Hierin nahm Finnland eine Sonderstellung ein, denn seine Volkskultur war nicht unter dem Druck bürokratischer Sprachverwendung verdorben worden. Da das Volk kaum an der schriftlichen Kultur teilhatte, war die mündliche lebenskräftig geblieben. Die so tradierten Kenntnisse der frühzeitlichen Gedichte wurden natürlich für historisch falsch befunden, die mündliche Kultur wurde im Prinzip verachtet, weckte aber wie auch die finnische Sprache trotzdem das Interesse. Die finnische Alltagsdichtung benutzte das Kalevala-Versmaß, und wenn ein akademisch Gebildeter mit seinen Künsten brillieren wollte, schrieb er Klage- oder Glückwunschgedichte in Kalevala-Art. Zu mündlich dargebrachter volkstümlicher Vergangenheitsschilderung gehörten außer der Sprache noch verschiedene Modulationen im Tonfall und Gesten, die man geschickt einzusetzen wusste. Weinen, Lachen, Händeklatschen und Füßestampfen wurden als primitiv abgestempelt. Sie galten als Teil der standesgebundenen Vergangenheit des Bauerntums und hatten in offiziellen, guten und trostreichen Darbietungen der Geschichte auf keinen Fall etwas zu suchen. Und genau genommen wirkten sie in den Augen der Elite ebenso theatralisch und komisch wie umgekehrt deren Stutzerhaftigkeit aus dem Blickwinkel des Volkes. Der fürs Volk typische Umgang mit der Vergangenheit setzte sich im Laufe der Jahrhunderte in der als einigermaßen unveränderlich verstandenen gesellschaftlichen Wirklichkeit fest. Das Volk akzeptierte das von der Elite vorgegebene Fundament der Reichs-

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kultur, dass die Ständegesellschaft von Gott geschaffen und historisch erwiesen sei, mithin das beste System darstelle. Der Zustimmungsprozess führte zu einer interessanten Form der politischen Kultur: Wenn aus der Bauernschaft Proteste gegen Missstände laut wurden, bezog man sich darin gern auf die Vergangenheit. Da nach volkstümlicher Auffassung die Zukunft eine Fortführung der Vergangenheit war und die Gesellschaft eine Konstante bleiben sollte, wurde immer dann auf die Vergangenheit verwiesen, wenn staatlicherseits Neuerungen ins Spiel gebracht wurden. Dann verhielten sich die Bauern abweisend und jammerten, dass die Dinge vorher doch gut gewesen seien – in der Rede verwendeten sie den Komparativ: Früher war alles besser. Familiengeschichte und Nachrufe auf Verstorbene sind zwischen den großen, öffentlichen, schriftlichen Geschichtswerken und der internen und inoffiziellen Tradition von Kleingemeinschaften einzuordnen. Zentrale Elemente waren dabei Zeit, Ort, Person und Tätigkeit. Diese waren wahrheitsgemäß in richtiger Beziehung und Reihenfolge darzulegen, damit die beschriebene Vergangenheit die ihr zugemessene moralische oder politische Bedeutung erhielt. Es war dies kein unerheblicher Umstand, denn in der bäuerlichen, auf mündlicher Überlieferung beruhenden Kultur ebenso wie in der halbliterarischen Kultur strukturierte sich die gemeinsame Vergangenheit durch wiederholbare Beobachtungen und Geschichten. Noch bedeutsamer ist, dass die Geschichten und die Geschichte konkrete Belege für die früheren Phasen der Gemeinschaft waren, in denen die zur Erzählzeit herrschenden Verhältnisse begründet lagen. Diese Tatsache brachte die Vergangenheit nahe und machte Fremdes bekannt und politisch nutzbar. Die bei Begräbnissen vorgetragene Vergangenheit, die sich über ein ganzes Leben erstreckte, war soziale Geschichte. Der behandelte Lebenslauf war leicht zu verinnerlichen, moralisch anspruchsvoll und meistens vorbildhaft: Beispielhaft sei der Nachruf auf einen 1752 beerdigten, fast hundertjährigen Soldaten aus Ostbottnien genannt. Nachdem er 25 Jahre in der schwedischen Armee gedient hatte, wurde er schwer verwundet, erhielt seinen Abschied und eine Rente. Die wirtschaftliche Situation war gesichert und in hohem Alter ging der Mann noch eine Ehe ein. Dann aber fiel er erneut den Russen in die Hände, die ihn folterten, wodurch sich seine Gebrechen vervielfältigten. Er gab jedoch nicht auf. Er widerstand sämtlichen Verfolgungen und war ein gewissenhafter Kirchgänger, obwohl der meilenweite Weg (15 Kilometer) zur Kirche zu Fuß zurückgelegt werden musste. Für den über 90-jährigen Alten war dies besonders beschwerlich, weil eines seiner Beine ein Holzbein war. Solche Nekrologe transportierten allerlei Vorstellungen von einer gemeinschaftlichen Vergangenheit, obgleich sie bestimmten Konventionen nachkamen und sich auf nur eine Person bezogen. Der Lebenslauf des Verstorbenen war allgemein verständlich und wies unabhängig vom Schicksal und Stand der Einzelperson chronikalische Züge auf, wodurch er die Zuhörer am Kontext der Vergangenheit teilhaben ließ.

Spielräume der Lokalkultur Finnland war ein ganz anderes Land als Schweden, wie die folgende Episode belegt. Das Domkapitel zu Turku verhandelte 1657 einen Fall, bei dem den Behörden ein Schnitzer unterlaufen war und der Irrtum sich zur Tragikomödie entwickelte. Es war nämlich ein erbärmlicher Stallbursche, der sich als Seemann für die Flotte hatte einschreiben wollen,

Spielräume der Lokalkultur

aus Versehen ins Amt eines Pfarrers berufen worden. Die Domherren lamentierten abwechselnd hämisch lächelnd darüber, was in der Eile so alles passieren könne. Bischof Eskil Petraeus fasste die Tatsachen in dem Eingeständnis zusammen, die Schweden träfen mit ihrer wenig schmeichelhaften Ansicht über die Finnen wohl ins Schwarze. „Wenn etwas Idiotisches passiert, ist es, als ob man in Finnland wäre“, habe er leider sagen hören, erzählte der Bischof. Der Widerspruch zu dem von Olaus Magnus gezeichneten Bild ist offensichtlich. Zurückgebliebenheit war ein stets präsentes Element in einer Welt, in der Städte und Staatskultur das kulturelle Anspruchsniveau vorgaben. Deshalb interessierten sich Ausländer ja gerade für Finnland: Die einen erzählten bezaubernde Geschichten vom Entwicklungsstand am Ende der Welt, während andere den Zustand des Volkes realistischer sahen. Finnland und besonders der hohe Norden und Lappland mit seinen nachtlosen Nächten, seiner nie untergehenden Sonne, den Nordlichtern und natürlich den aus europäischer Sicht eine primitive Kultur repräsentierenden Samen boten dem Wanderer vollkommene Bildvorlagen für Reiseerzählungen. Lappland war ein exotischer Platz lange vor dem Boom exotischer Reisen und romantisch schon vor dem Zeitalter der Romantik. Aussehen, Kleidung, Wohnformen, Forbewegungsweisen, Volksglaube und Bräuche der Bevölkerung Nordfinnlands wichen völlig von allem ab, was der europäischen Elite jemals begegnet war. Reiseschriftsteller beschrieben – um das Interesse der Leser zu erwecken häufig übertrieben und natürlich kaum wahrheitsgetreu – die Kultur des hohen Nordens als primitiver, als sie in Wirklichkeit war. Die Wohnkultur mit ihren Lappenzelten und den verräucherten Hütten und Saunas des übrigen provinziellen Finnland war an sich schon ein merkwürdiges Phänomen; dazu brauchte man keine extravaganten Geschichten zu erfinden. Das Gleiche betraf die Fortbewegung über unwegsame Sümpfe und im tiefen Schnee mittels Skiern, Schlitten oder Lappenschlitten, die intensive Ausübung von Jagd und Fischerei und den Schamanismus. Dagegen fielen die Schilderungen von Sittlichkeit, Alkoholgenuss und Sexualität mehr oder weniger realistisch aus. Die Finnen tranken angeblich wie vor dem Weltuntergang, wenn es etwas Trinkbares gab, und berauschten sich, egal von welchem Stand sie waren, bis sie sternhagelvoll waren. Hierin lagen Samenkörner der Wahrheit, freizügigen Sex aber gab es nie, weder in Lappland noch sonstwo in Finnland. Ein ungehemmtes Sexualverhalten existierte nur in den Phantasien junger Männer und beruhte ansonsten schlicht auf Fehlinterpretationen einer Kultur des Nacktbadens und -saunens und des Vorhandenseins gemeinsamer Lagerstätten. Ähnliche Reisebeschreibungen gab es ja auch von anderen primitiven Völkern. Als besonders frappierend empfand in den 1780er Jahren der französische Bühnenund Reiseschriftsteller Jean-François Regnard auf einer Lapplandfahrt, was ihm bei der Durchreise in Tornio, im letzten Winkel der zivilisierten Welt, einer schäbigen nordfinnischen Stadt, widerfuhr: Nach seinem Reiseplan sollte Regnard den Pfarrherrn der Stadt, Johannes Tornaeus, treffen. Und zwar deshalb, weil dieser ein anerkannter Sprachenkenner und Lappenexperte war und über sechs Jahre lang mit schwedischen Aristokraten durch Europa und den Fernen Osten bis hin nach China gereist war. Der Pfarrherr war freilich gerade vor ein paar Tagen verstorben und im Pfarrhaus herrschte Trauer. Es wurden reichlich Schnaps und französische und spanische Weine in

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antiken Silberbechern angeboten. Davon mussten alle ausgiebig trinken. Regnard interpretierte die dazu abgegebenen Erklärungen dahingehend, dass der Schnaps eine Art Opfertrank für den Verschiedenen war. Als er nach einigen Wochen aus Lappland nach Tornio zurückkehrte, erwartete ihn eine Überraschung. Tornaeus war gerade ausgesegnet worden und jetzt beging man im Pfarrhaus sein Begräbnis, aß und trank. Zuerst erhob man den Becher zu Ehren des Verschiedenen und dann auf die Hinterbliebenen. Am meisten tranken die Pfarrer, die seine engsten Freunde waren. Nachdem auf die Gesundheit der Anwesenden angestoßen worden war, ging man über zu schönen Frauen, Königen und großen Männern. Auf jeden Einzelnen wurden die Gläser geleert und je bedeutender die geehrte Person, desto größer war das Glas. Regnard wurde aufgefordert, einen Toast auf das Wohl des Königs von Frankreich auszubringen. Nach der Mahlzeit reichte man als Nachtisch Tabak, Pfeifen und Alkohol. Die Geistlichen rauchten und tranken, bis sie unter den Tisch rutschten. Als Regnard am Abend das Pfarrhaus verließ, glaubte er, die Zeremonie sei nun vorüber. Weit gefehlt! Am folgenden Morgen wurde er mit seiner Reisegesellschaft zum Resteessen eingeladen. Bei dieser Nachfeier unterhielt sich Regnard mit einem anderen Kenner der Samen und der samischen Sprache, dem Schwiegersohn von Tornaeus, Olaus Graan, bis der wiederum unheimlich betrunken war. Er sprach aber immerhin ein gebildetes Französisch. Die Anbindung Finnlands an die europäische Kultur geschah über die Städte – trotz der Tatsache, dass es hier in frühmoderner Zeit gar keine großen Städte gab: Kleinstädte wie Tornio hatten etwa 200 Einwohner, sogenannte Großstädte (Turku, Wiborg, Helsinki) einige Tausend. Der Grundstock der Bevölkerung war gleichwohl bunt. An die Nordküste des Finnischen und die Ostküste des Bottnischen Meerbusens kamen Händler aus manchen Ländern Westeuropas. In einer Kleinstadt mit wenigen Hundert Einwohnern konnten deutsch- und englischstämmige, aus den Niederlanden kommende sowie mit französischem, schottischem und italienischem Hintergrund behaftete Handelsleute und Handwerker sesshaft werden. In den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts war Wiborg das Verwaltungszentrum der Provinz Wiborg-Karelien, der Großgrundbesitzer um den Kymijokifluss und Savonlinna. Es zählt zu den am stärksten international geprägten Zentren und steht der Einwohnerzahl nach an vierter oder fünfter Stelle. Von dem bekannten Festungsarchitekten Dahlberg erfahren wir, dass in dem Wall genannten, von mittelalterlichen Mauern und neueren Befestigungen umgebenen Stadtteil im Südosten des Zentrums nur einfache Leute ihr Leben fristeten, die ihren Unterhalt durch Gelegenheitsarbeit und Betteln verdienten, und kränkliche und schwache, bedauernswerte Kreaturen hier in allerkleinsten und unendlich verschmutzten Hütten dahinsiechten. In diesem Viertel fand sich auch nicht ein einziges ordentliches Gebäude. Hingegen gab es in der eigentlichen Stadt zahlreiche schöne Steinhäuser, die von Wohlstand und Reichtum zeugten. Und der Vorort Siikaniemi war ein wunderbares, groß angelegtes Gebiet, das hauptsächlich von wohlhabenden Bürgern bewohnt wurde. Von der gesamten Bevölkerung lebte ungefähr ein Drittel derjenigen, die sich durch eigene Arbeit oder als Brotherr für andere ernährten und Steuern zahlten, in der Altstadt, ein Drittel im Wallviertel und fast ein Drittel in Siikaniemi. Die Bewohner des vierten Stadtteils Pantsarlahti erbrachten hingegen kaum Steuereinnahmen. Den Grundstock der Einwohner von Wiborg bildete ein bunt zusammengewürfeltes Bürgertum, bestehend aus einer wohlhabenden deutschen Schicht, die in den größten und prächtigsten Steinhäusern wohnte und den größten Teil der Verwaltungsbeamten stellte,

Spielräume der Lokalkultur

Wiborg (Viipuri) Die Städte verbanden Finnland stark mit der europäischen Staatskultur, obwohl sie in frühmoderner Zeit nicht groß waren: Kleinstädte hatten nur etwa 200, größere (Turku, Wiborg, Helsinki) einige Tausend Einwohner mit sehr bunter Bevölkerungsstruktur. Hier ein Miniaturmodell von Wiborg.

aus einer schwedischen Schicht, die ebenfalls relativ wohlhabend war und Beamtenstellen in der örtlichen Verwaltung bekleidete, und schließlich aus einer untersten finnischen Schicht, die vor allem in den Vorstadtvierteln lebte. Außer diesen und den Soldaten gab es in Wiborg eine bunte Schar französischer, englischer, holländischer und russischer Händler und Handwerker; die Perückenmacher kamen aus Frankreich, die Ärzte aus Deutschland. Zum Stadtbild gehörten ausländische Schiffe ebenso wie karelische Bauern, bettelnde Arme, Krüppel und Alte. In der Nähe der Stadt errichtete man eine Pflegeanstalt für Verrückte. Die reichsten Bürgerfamilien wohnten in der alten, von Mauern geschützten mittelalterlichen Stadt, wo ihre Sonderstellung am deutlichsten zum Ausdruck kam; dort lebten nämlich in ihren kümmerlichen Löchern auch die Ärmsten der Armen, wie in der Wallvorstadt. Im Stadtteil Pantsarlahti wohnten vor allem Finnen, und dort hatte der Pfarrer das Sagen neben dem Henker, der sich selbst boshafterweise Bürgermeister von Pantsarlahti nannte. Die Stadt war ein klar vom Land geschiedener Bereich. Hierin lag eine wichtige kulturelle Maßnahme. Die Städte erhielten ihre eigenen Gesetze (das Städtegesetz war bis 1734 in Kraft) und ihnen wurden Privilegien zuerkannt. Nur in den Städten und auf den von Städten beherrschten Märkten durfte Handel betrieben werden, und auch das Handwerk suchte man in den Städten zu konzentrieren. Die Küstenstädte hatten teilweise das Recht zum Auslandshandel – die übrigen, erst recht die unbedeutenden Binnenstädte, mussten Importwaren aus den Großstädten beziehen und den Verkauf ihrer eigenen Produkte über diese abwickeln. Die Städte wurden vom Umland durch Zäune getrennt, ein Rudiment früherer Stadtmauern. In die Stadt führten ein oder mehrere Wege; am Stadttor befand sich ein Zollhäuschen, wo Zahlungen entrichtet und die Ankömmlinge kontrolliert wurden. Im 17. Jahrhundert realisierte man im Geiste von Staatsmacht und Reichskultur eine Erneuerung der Bebauungspläne, was Gleichförmigkeit garantierte. In der Stadtplanung skizzierte man regelmäßige Wohnblöcke und Straßen, Straßen und Stadtviertel wurden

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nun mit Namen versehen. Die Bürgerlichen standen den Neuerungen negativ gegenüber, weil sich ihre Häuser der Planung einfügen mussten. Der Marktplatz war das Zentrum; um ihn herum und in der Nähe standen das Rathaus und die Wohnhäuser der wichtigsten Beamten und Handelsleute. Die Kirche stand oft etwas abseits und repräsentierte so die Sonderstellung des zweiten Machtfaktors, der Kirche. Als Charakteristika der Stadt kamen möglicherweise noch Garnison und Stadtbefestigung hinzu sowie die Residenz hoher Staatsbeamter, eventuell auch Gefängnis, Armenanstalt und Lazarett. Kirche und Rathaus waren im Prinzip lokale Einrichtungen, standen aber auch in enger Beziehung zur Staatsmacht. Die Kirchengemeinden und ihre Hirten vertraten die Kirche des schwedischen Reiches und verbreiteten den Staatsglauben. Die weltliche Verwaltung hingegen sollte im Sinne der Anforderungen der Reichskultur aktiviert werden, indem die Funktionsträger zu Beamten der Krone erhoben wurden. Es standen sich also Durchsetzung örtlicher Vorteile und Realisierung der staatlichen Einheitlichkeit gegenüber. Die Bevölkerungsmischung der Städte verursachte auch kulturelle Konflikte. Besonders gut war dies zu beobachten bei den Tumulten zwischen einheimischen und ausländischen Händlern; zu Letzteren rechnete man auch die zum Teil schon Jahrzehnte vor Ort lebenden reichen Deutschen und Holländer, die sich mit dem Verfall der Hanse in großer Zahl in den Küstenstädten festgesetzt hatten. Dem Anschein nach versuchte die Krone, den deutschen Einfluss auszuschalten, um den einheimischen Handel zu fördern. Letztlich aber wurde die Tatsache akzeptiert, dass die Deutschen über enorme Handelsbeziehungen verfügten, weshalb man sie gar nicht ausweisen konnte und wollte. Man machte sie einfach zu Untertanen. Am deutlichsten tritt das Wirken der Reichskultur in solchen Städten zutage, wo Behörden und Garnisonen angesiedelt waren. Hier verbanden sich hochgestellte Beamte und Offiziere gern mit wohlhabenden Händlern und gelehrten Pastoren zu einer exklusiven Gruppe, die dann die Staatskultur erneuerte. Man organisierte gegenseitige Besuche, Dinner und schließlich setzte sich im 18. Jahrhundert auch die Kaffeehauskultur mit ihren Bildungsaspekten durch. Die Städte waren wichtige Mittler für die Verbreitung von neuen Sitten. So gelangten von hier aus besonders die kulturellen Genussmittel wie Kaffee, Tabak und Spirituosen sehr schnell auch in die ländlichen Gebiete. Die verwaltungstechnischen und kulturellen Zentren auf dem Land waren die Kirchdörfer. Hier waren Kirche, Pfarrhaus, Friedhof und Kommunalverwaltung, manchmal auch das Zollhäuschen der Krone angesiedelt. Oft wohnten hier nur arme Leute, weshalb häufig auch Armenhäuser und Irrenanstalten am Ort errichtet wurden. Der Amtmann, verantwortlich für die weltliche Verwaltung, wohnte nicht unbedingt im Kirchdorf oder in dessen unmittelbarer Nähe. Sein Gut fungierte als Zentrum der Staatsverwaltung, wo unter anderem zu Gericht gesessen wurde; hier trafen die Bauern ebenso wie in den von Vögten geführten Zollstätten auf die Reichskultur. In den Kirchen wurden die staatlichen Verordnungen verlesen und auf den Kirchhügeln führte man körperliche Züchtigungen und Hinrichtungen durch, wozu die Einwohner als Zuschauer kommen mussten. Da man auf dem Lande in zerstreuten Dörfern wohnte, waren die Begegnungen mit der Reichskultur recht selten. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die Adligen als wichtigste Vermittler der Kultur ihre Landgüter in der Provinz hatten, da diese so abgelegen waren, dass sie von ihren Besitzern kaum aufgesucht wurden. Zum Einflussbereich des Adels gehörten Verwaltung und Kultur vor Ort, damit waren jedoch keine Sonderverpflichtungen oder gar Rechte verbunden. Die Harmonie

Spielräume der Lokalkultur

wiederholte sich darin wie von selbst: Um ein guter Herr zu sein, brauchte ein Aristokrat lediglich Selbstzucht zu üben, die Tugenden zu pflegen und keinen Lastern zu frönen. Der finnische Bauer war also – anders als seine livischen Standesgenossen – nie an seine Scholle gebunden. Das Leben der Bauern war schwierig, da Handwerkserzeugnisse aus der Stadt besorgt werden mussten. Die Probleme, weite Wege und so weiter, führten jedoch dazu, dass auf Bitten der landsässigen Bevölkerung und mit Sondergenehmigung der Behörden auch auf dem Lande bestimmte Handwerke ausgeübt werden durften (Schmied, Schneider, Schuster). Handel und Handwerk außerhalb solcher Gestattung blühten freilich trotzdem. Der Aufstieg Schwedens zu einer europäischen Großmacht beruhte nicht zuletzt auf dem enormen Anstieg der Eisenproduktion im 17. Jahrhundert. In Schweden waren 300 Eisenhütten in Betrieb, in Finnland nur 20. Diese wenigen Werke bildeten gleichwohl Sonderzonen und schufen das Fundament für die Industriekultur. Hier produzierten die Unternehmer nicht nur Eisen, sie trieben auch illegalen Handel, unterhielten Wirtshäuser, gründeten Kirchen. Die wichtigsten hier beschäftigten Experten kamen aus Deutschland und den spanischen Niederlanden. Als Führer in Lappland für den oben erwähnten Regnard fungierte beispielsweise ein Beamter der örtlichen Eisenhütte, der aus Wallonien stammte und natürlich Französisch sprach. Der vielleicht bedeutendste verbindende Faktor der Staatskultur war jedoch das Militärwesen, das seine Fühler überallhin ausstreckte. Die schwedische Armee basierte auf regionaler Einberufung, die Bauern bildeten Rotten, die als rekrutierte Soldaten fungierten. Sie mussten natürlich auch in den Krieg ziehen, und wenn sie aus der Ferne zurückkamen, berichteten sie über ihre Erfahrungen im Ausland und verbreiteten sogar Neuheiten (Kartoffel!). In Friedenszeiten wohnten sie dann wieder in ihren Katen und beteiligten sich wie die anderen freien Männer am Dorfleben. Kriegsübungen wurden nur einige Male im Jahr absolviert. Die Soldaten, besonders die Offiziere und Unteroffiziere, waren selbstbewusst, eingebildet und streitsüchtig, bewahrten aber durchaus ihre Identifikation mit dem bäuerlichen Leben. Die Armee war jedoch eine Institution, die auf Uniformität beruhte. Die einfachen Soldaten waren alle gleichwertig und wurden alle mit den gleichen Waffen und mit der gleichen Ausrüstung und Uniform ausgestattet. So vereinheitlichten sie durch ihre Existenz das Reich und trugen die Staatskultur unbewusst in das örtliche Leben. Das beste Beispiel dafür sind die jährlich in Verbindung mit einem Gottesdienst in den Gemeinden organisierten Paraden (eine große Gemeinde stellte eine Kompanie). Die Offiziere waren Soldaten mit höherer Funktion. Zu jedem Offiziersposten gehörte ein Haus mit dazugehörigen Feldern und Unterkünften für die Untergebenen. Ein Offizier zog im Verlaufe seiner Karriere von einem Haus ins andere um, womit diese Position schon an sich Reichskultur repräsentierte. Die Offiziere hatten im Dorf das Sagen, saßen in der Kirche auf den vorderen Plätzen und konkurrierten mit den Pfaffen um die führende Stellung. Alles in allem kann man sagen, dass die Formen der politischen Kultur in Stockholm geschaffen und gestaltet wurden. Sie strahlten durch Vermittlung von Aristokraten, Beamten und Soldaten auf alle Städte des Reiches aus. Hier bildete die Reichskultur mit der Zeit und unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten einen Teil der regionalen Kultur.

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Volkskultur als Staatskultur Auf örtlichem Niveau bestimmte sich das Verhältnis von Reichskultur und Antikultur auf andere Art und Weise. Hier hatte die Staatskultur eigentlich den Status der Gegenkultur, denn die Volkskultur repräsentierte die Reichskultur. Die drei Machtkomponenten im politisch-kulturellen Gefüge waren hier: die freien Bauern, die geistige Obrigkeit (die Pfarrer) und die weltliche Obrigkeit (Vögte, Amtsleute, Offiziere). In Finnland bildete der freie Bauer von jeher den Kern der örtlichen politischen Kultur. Er verlor weder seine Freiheit noch seine zentrale Rolle, wenn man auch seine persönlichen Rechte einschränken, seinen Bewegungsraum kontrollieren und begrenzen und vor allem seine Verpflichtungen vermehren konnte. Er war nicht an seine Scholle gebunden, wie es seinesgleichen im Baltikum und im an Russland gefallenen Karelien erging. Dem bäuerlichen politischen Verhalten lag als feste kulturelle und historische Basis eine auf Konsens beruhende Rechtsauffassung zugrunde, die auch in die schwedischen Gesetze Eingang fand. Gemeinsame Angelegenheiten wurden in gemeinsamen Sitzungen beraten (Gericht, Thing), man behandelte sie gemeinsam und freie Bauern und Geschlechter fassten gemeinsam die Beschlüsse. Diese Grundfesten wurden weder durch Machtzentralisierung und Vereinheitlichung des Rechtsgebrauchs noch von anderen die Bürokratisierung fördernden Entscheidungen der Reichskultur angetastet. In den Ortsgemeinschaften wurde die Reichskultur von Offizieren, Pfaffen und Beamten der Zivilverwaltung getragen. Diese waren an ihre Beamtenpflichten, die anerzogene Ideologie und überhaupt an das System der Ständegesellschaft, das die Machtverhältnisse betonte, gebunden. Gesetze und staatliche Verordnungen garantierten ihnen eine unangreifbare Stellung. Ebendiese Gesetze und Statuten galten aber im Prinzip nur dort, wo die Lage der Mehrheit des Volkes eine unterdrückte war, und dort, wo Vertreter der Staatsbevölkerung die wirkliche Reichskultur repräsentierten. Die erste Instanz des Gerichts nahm rechtspflegerische und örtliche Verwaltungsfunktionen wahr. Hier führte ein Richter den Vorsitz und die Bauern stellten eine rechtskundige und entscheidungsbefugte Vertretung (Schöffen). Diese Instanz und ihre Zusammensetzung hatte große Bedeutung für die Gestaltung der politischen Kultur und die ganze Volkskultur. Als wichtiges Gremium der örtlichen Verwaltung fungierte weiter die Kirchspielversammlung, an der die Gemeindemitglieder rede- und entscheidungsberechtigt teilnahmen, deren tatsächliche Beschlussfähigkeit aber in der Hand des Pfarrherrn lag. Dies ist bemerkenswert: In frühmoderner Zeit dominierten Kirche und Pfarrherr auch die weltliche Verwaltung und Kultur – besonders auf regionalem Niveau. Vor Ort näherten sich Reichs- und Volkskultur einander an, da die Bauern aus ihrer Mitte Vertreter ins Ortsregiment wählten: Die bäuerlichen Vertrauensleute der weltlichen und geistlichen Obrigkeit lebten selbst nach den volkstümlichen Normen, wurden aber nach dem Normenkodex der Staatskultur tätig und traten häufig für die gemeinsame Sache der Bauern ein. Die höheren Beamten wie Vögte und Richter trafen die Bauern höchst selten, einige Male im Jahr. Bei diesen Zusammentreffen befolgte man hierarchische, der Reichskultur angemessene Verfahren, im Übrigen aber durfte das Volk leben, wie es wollte. Die niederen Beamten, Amtmänner und deren Hilfskräfte wiederum gehörten bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, in abgelegeneren Gebieten bis weit ins 18. Jahrhundert hinein zum Bauernstand. Die Bauern wählten sie, damit sie den gemeinsamen Vorteil gegen die Bemühungen der Staatsmacht durchsetzen sollten, wobei sie es nicht

Volkskultur als Staatskultur

unbedingt für wichtig hielten, ob ihre Vertreter lesen und schreiben konnten. Die Anforderungen der Staatskultur und das ständige Anwachsen der höheren Gesellschaftsschicht ergaben aber, dass nicht für alle eine hohe Beamtenstelle verfügbar war, sodass man im Laufe des 18. Jahrhunderts dazu überging, als Amtsleute nur Personen von Stand zu akzeptieren, die dann wie alle sonstigen ordentlichen Anhänger der Reichskultur vom Volke Gehorsam voraussetzten. Und je stärker die Stellung eines solchen Vertreters der Staatskultur in der Dorfgemeinschaft eine besondere war, desto mehr fühlte er sich natürlich auch zur Verwirklichung der Reichskultur verpflichtet. Die Armee stellte in der Frühmoderne ein außerhalb der übrigen Gesellschaft stehendes, selbstständiges Ganzes dar. Sie bildete sich zu einer Gewaltmaschinerie der Staatskultur aus, die ihren eigenen Moralkodex hatte: ein System, das Herrscher und Hierarchie bewunderte, und eine Ideologie, die die soldatische Ehre über alles stellte. Der Kern der Armee, die Offiziersschicht, verachtete die Bauernschaft und deren Kultur, die nur wenig gemein hatte mit der Soldatenkultur. Auf der anderen Seite sorgten die Bauern für den Unterhalt der Offiziere, verachteten sie aber: Die Militärkultur blieb dem Volk ein für allemal fremd. Deshalb isolierte sich die kleine Offiziersgruppe von ihrem lokalen Umfeld. Die Offiziere verlangten zwar Respekt, Steuern und die pünktliche Ausführung von Tagesarbeiten und versuchten, auf lokaler Ebene die Befehlsgewalt zu übernehmen, bewegten sich aber sonst außerhalb der bäuerlichen Gemeinschaft. Dieses Verhalten wurde von den Geistlichen noch gefördert, die nicht gewillt waren, ihre Führungsposition in der Dorfgemeinde mit selbstbewussten Offizieren, meistens Adligen, zu teilen. Mit der Kraft des Wortes erstickten sie deren Bemühungen und zogen das Volk auf ihre Seite. Verhöhnungen von der Kanzel herab und geschickte Verwendung des Bibeltextes waren dafür geeignete Mittel. In der Schmähung von Institutionen wie der Armee spielten karnevalistische, witzig abwertende und spitzfindige Wortspiele eine zentrale Rolle. Zu anderen leidigen und deshalb zu ironisierenden Themenfeldern gehörten unbestritten die Kriegszeiten mit ihren zusätzlichen Belastungen und vor allem die überschwängliche Verherrlichung gewonnener Feldschlachten, die am Ende stets das Volk zu bezahlen hatte. In den Predigten der Geistlichen wurden so zwei starke Institutionen gegeneinander ausgespielt, Kirche und Armee, von denen die eine den Säbel schwang und die andere mit dem Schwert des Wortes kämpfte. Gemeinsam war ihnen, dass sich beide über den Stand des anderen erheben wollten. Im verbalen Kampf war – wie man aus der Konstellation schließen kann – die Waffe der Sprache im Vorteil, vor allem auch dadurch, dass der stille Rückhalt im Volk garantiert war. Die Bauern konnten im Übrigen wohl die Wahl ihres Pfarrers beeinflussen, nicht aber die der Offiziere. Somit war es naheliegend, in dieser Situation den Pfaffen als die natürliche eigene Vertrauensperson zu betrachten, fast wie einen richtigen Bauern. Auf die gleiche Weise pflegten die Geistlichen auch die Vertreter der weltlichen Verwaltung im Gottesdienst herabzuwürdigen, vor allem die Vögte (die ja von der Krone eingesetzt wurden, ohne das Volk zu befragen). Die Vertreter der Obrigkeit saßen in der Kirche nahe am Altar, das gewöhnliche Volk entfernter; dann wandte sich der Pfarrer seinen Zuhörern zu und die einfachen Leute schmunzelten hinter dem Rücken derer, die gemeint waren: „Dürften wir doch in Frieden leben vor unseren Tyrannen.“ Letztlich wurden Wechselwirkungen, Widersprüche und Zusammenstöße zwischen offizieller Reichskultur und ländlich-bäuerlicher Kultur dort ausgetragen, wo die Dorfgeistlichen und das Volk zusammentrafen.

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III. Die schwedische Reichskultur und Finnland 1500–1800

Die politische Kultur auf örtlicher Ebene gestaltete sich im Geiste der Ständeprivilegien der Geistlichkeit (1650, 1723). Eine Tatsache war ja, dass Pastoren zur Obrigkeit gehörten und diese repräsentierten. Folglich war die politische Kultur hier asymmetrisch und im Extremfall ohne jegliche Möglichkeit einer Wechselwirkung – nur dass man statt der Untertanenstellung eine Demutshaltung einnahm. Die Geistlichen waren Theologen, Lehrer, Hirten, Verwaltungsbeamte und oft Großgrundbesitzer. Deshalb waren sie im Denken der Zeit auch die ersten Bauern ihrer Gemeinde. Dieser Aspekt wurde umso gewichtiger, als mit der Reformation das Zölibat abgeschafft wurde und damit Pfarrergeschlechter entstanden: Oft ging das Amt vom Vater auf den Sohn über. An den Universitäten schulte man Jugendliche zu Theologen; das theologische Wissen der bereits geweihten Pastoren pflegte und verbesserte man in Pfarrerkonferenzen. Da die Pfarrer Theologen waren und die Dinge des Christenglaubens beherrschten, galten sie als offizielle und zuverlässige Propheten – anders als Schamanen und Heiler, auf deren Hilfe das Volk zwar vertraute, dies aber lieber verschwieg. Waren doch solche Wissende mit dunklen Kräften ausgestattet und damit Zauberer, die dem Gesetz nach zu vernichten waren. Andererseits vermochte die Geistlichkeit in Kulturen, in denen Gott und die Heilige Schrift als letzte Wissensinstanzen betrachtet wurden, die Interpretation übernatürlicher Erscheinungen ganz für sich selbst zu monopolisieren. Als Lehrer sorgten die Pfarrer für Kenntnisse der Gemeinde im christlichen Glauben sowie für Lese- und Schreibfertigkeiten. Ersteres war wichtiger, eine christliche Grundbildung war die Voraussetzung für die Teilnahme am heiligen Abendmahl und für die Heiratserlaubnis. Im 17. Jahrhundert schuf man dafür ein Unterrichts- und Kontrollsystem, das den Wissensstand eines jeden Gemeindemitgliedes und die Teilnahme am Abendmahl schriftlich festhielt. In jeder Gemeinde gab es ein solches Kommunionbuch, in das Name, Glaubenskenntnis, Lese- und Schreibfertigkeit und Abendmahlsteilnahme eingetragen wurden. Gefördert und bewertet wurden die Kenntnisse bei den Katechismus- und Leseprüfungen (kinkerit), die von Geistlichen oder Küstern abgehalten wurden; wer gut abschnitt, wurde gelobt, wer versagte, getadelt. In Verbindung mit solchen Prüfungsreisen sammelten die Pfarrer auch gleich die Pfarrsteuer ein. Außerdem wurde ein zur Konfirmation hinführendes Bildungssystem eingerichtet, um die Jugendlichen in den Grundlagen des Glaubens zu unterrichten und für die Teilnahme am Abendmahl vorzubereiten. Mancherorts engagierte man sich im 17. und 18. Jahrhundert auch dafür, das Volk ins Lesen und Schreiben einzuführen. Die fürs Volk gedachten Einrichtungen waren hauptsächlich Wanderschulen für den Anfängerunterricht. Begabte Schüler konnten dann ihre Bildung in richtigen Schulen fortsetzen, meistens auf Geheiß der Pfarrer. Die Bauern schickten ihre Kinder allerdings nicht besonders gern dorthin, sie hielten Schulkenntnisse für unnötige Fertigkeiten der Herrschaften, Schulbesuch für Geldverschwendung, und wer den Weg schulischer Bildung einschlug, galt als ein Herr, der die bäuerliche Lebensweise verschmähte. Im 17. Jahrhundert erlangte das Bild des Pfarrers als Vorsteher der Gemeinde und des Dorfes seine endgültige Ausprägung. Die Idealfigur des Pfarrers, der zugleich erster Bauer seines Sprengels war, wurde von den Pastoren selbst über Jahrhunderte gepflegt, und in ihrer Position waren sie Vorbilder für ihre bäuerliche Umgebung. Als Landwirte führten sie Neuheiten auf ihren eigenen Höfen ein, sie predigten zur Aufklärungszeit von neuen Produktionsgütern und Ackerpflanzen und den durch sie erzielbaren höheren Erträgen,

Volkskultur als Staatskultur

sie waren die Ersten, die Errungenschaften der Medizin verkündeten, und sie standen im Mittelpunkt kultureller Aktivitäten in der Gemeinde. Der Hirte trug die Verantwortung für das normgerechte Verhalten seiner Herde. Gemäß der offiziellen Lesart bestand das Volk aus Untertanen, genauer noch aus gehorsamen Untertanen. Die einfachen Leute mussten sich mit ihrer Stellung begnügen und bestimmte Verhaltensregeln befolgen. Anderswo als im Gottesdienst konnte man dies freilich keiner Kontrolle unterwerfen. Die Kirche versuchte die Volkskultur im 17. Jahrhundert daher mit solcher Vehemenz zu ändern, dass man von Kirchenzucht sprach, die auf alle menschlichen Lebensbereiche ausgeweitet wurde. Die Regeln, die das Volk, sein Benehmen und seine Bräuche durch entsprechende Verbote und Gebote lenkten, wurden durch Kirchenverordnungen (1571, 1687) und das Kirchengesetz (1686) vervollständigt. Ziel war natürlich, dass die Pfarrer durch klare, oft sogar kleinliche Normvorgaben ihre Regulierungsfunktion genauestens erfüllen sollten, die Kirche bürokratisch präzise arbeiten sollte und die Beziehungen zwischen Pfarrer und Gemeindemitgliedern für jedermann klar geordnet sein sollten; die Gottesdienste würden dann zu einem Lobpreis des Herrn geraten, der ohne Fehl wäre. Die Verfasser der Regeln und Gesetze ahnten wohl, dass keines der genannten Ziele leicht zu erreichen sein würde. Deshalb schufen sie in ihrer Weisheit ein Kontroll- und Bestrafungssystem, das die Kirche (die geistliche Obrigkeit) an die Krone (die weltliche Obrigkeit) band und von der obersten Stufe bis hinunter in die verdorbensten Gemeinden vor Ort reichte. Man achtete darauf, dass ein Teil der Sittenwächter selbst wiederum beaufsichtigt wurde – eine Maßnahme, die geeignet war, die angestrebten Zwecke tatsächlich im Volke zu verankern. Befehle und Verbote verinnerlichte das Volk nur langsam, aber es gelang schließlich trotzdem. Die Kirche als solche war im schwedischen Reich eine ebenso heilige Institution wie im übrigen Europa. Wenn überhaupt ein Ort in der Welt geheiligt und vor Gottlosigkeit geschützt war, dann der Kirchenraum. In Kirchengebäuden und auf kirchlichen Veranstaltungen waren Verdorbenheit und schlechtes Benehmen, die man als Gotteslästerung betrachten konnte, verboten. Beim Gottesdienst hatte man auf dem angewiesenen Platz zu sitzen, aufmerksam dem Fortgang der Rituale zu folgen und in der vorgeschriebenen Weise daran teilzunehmen. Feiertage und Gottesdienste durften auf keinen Fall durch unpassendes Verhalten entweiht oder die Andacht gestört werden. Die Bestimmungen waren aber keine große Hilfe, denn die Gottesdienste dauerten stundenlang, die Menschen hatten lange Wege hinter sich und waren deshalb müde, hatten oft auch Alkohol getrunken. Der Konsum von Schnaps und Bier war eigentlich ein Recht des freien Mannes und an Sonntagen fast eine Pflicht, denn da durfte man nicht arbeiten. Einige minderbemittelte Glieder der Gemeinde pflegten während des Gottesdienstes in der Nähe der Kirche Bier und Branntwein zu verkaufen und manch einer stärkte sich vor dem Kirchgang durch einen ordentlichen Schluck (die Schnapspulle war das Wahrzeichen des freien Mannes). Die Folgen daraus wurden später vor Gericht und in Gemeindesitzungen verhandelt. Der eine pennte vor Müdigkeit, der Zweite schlief ein und schnarchte laut, der Dritte brummte und brüllte wie ein Stier, der Vierte kotzte den Nachbarn an und der Fünfte und Sechste hauten einfach ab, um auf dem Kirchhügel zu saufen. Zahlreiche der Geistlichkeit übertragenen dörflichen Verwaltungsaufgaben führten unausweichlich zum Zwiespalt mit den Regierenden. So etwa bei der Durchsetzung von

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Steuerforderungen, die natürlich auf die Gemeindemitglieder zurückfielen. Die Bauern hassten Steuern, zusätzliche Arbeiten und waren übelnehmerisch für alles, was ihnen genommen wurde. Deshalb verabscheuten sie auch die Steuereinnehmer und beschimpften auch die Pfarrer häufig als Laufburschen der Krone. Widersprüche und mehr oder weniger offene Konflikte gehörten zur örtlichen politischen Kultur. Sie konnten weder durch die Privilegien der Geistlichen, ihren Status als Obrigkeit noch durch andere formale Schutzmaßnahmen und autoritätsförderliche Beschlüsse verhindert werden. Im Gegenteil: Die Geistlichkeit bediente sich im ganzen Reich einer interessanten und eigenartigen Möglichkeit, dem Kirchenvolk klarzumachen, welch absolut überragenden Status als Hirten ihrer Herde sie in ihrer Besonderheit, Überlegenheit und Kompetenz habe. Es war nämlich so, dass das kirchliche Regelwerk verlangte, das Wort des Herrn gläubig, ohne Geringschätzung, demütig und gehorsam anzuhören. Wenn dies in der Kirche, im Gottesdienst geschah, bedeutete das, dass man still war, außer natürlich beim gemeinsamen Beten, beim Glaubensbekenntnis und beim Absingen der Kirchenlieder. Alle Aufmerksamkeit hatte sich auf den Pfarrer zu richten, ob er nun am Altar stand oder auf dem Predigtstuhl saß, und jeder hatte jedes seiner Worte genau aufzunehmen. Die Situation war vorteilhaft für die Pfarrer, und mancher Pfaffe interpretierte die Sache so, dass er von der Kanzel herunter verlautbaren konnte, was er wollte, die Leute mussten ihm ja demütig zuhören. Daraus resultierte eine äußerst einseitige politisch-kulturelle Gewohnheit. Schimpfwörter und höhnischer Humor konnten losgelassen, die Kirchgänger oder die Weltordnung geschmäht werden, ohne dass irgendjemand Einwände vorbringen durfte. Im Grunde genommen ging es bei den relativ seltenen religiösen Mahnungen vornehmlich darum, dass die Pfarrer ihre Autoritätsstellung beweisen oder stärken wollten. Das war vor allem notwendig, wenn diese aus diesem oder jenem Grund schwach war oder angezweifelt wurde. Ein neuer Priester, ein ohne Anhörung der Gemeinde eingesetzter Pfarrer oder einer, der aus niederer Position zum beamteten Pfarrherrn aufstieg, waren die typischen Kandidaten, die unter den Gemeindemitgliedern Gegner fanden. Und ebenso typisch waren die Widersprüche, die entstanden, wenn der Herr und seine Bedürfnisse, wie Kirchensteuern oder Errichtung einer Pfarrei, missachtet wurden. Ein frisch eingesetzter Pfarrer verlangte 1722 in seiner Predigt von seinen aufmüpfigen Gemeindemitgliedern, sie sollten ihm ein neues Pfarrhaus bauen. Er protzte damit, vom Bischof selbst berufen zu sein, beschimpfte die Bauern als Gauner und Hundsfotte und rief Gott an, seine Sache günstig zu entscheiden. Ein anderer Pfaffe wiederum scheute sich nicht zu predigen, der Teufel habe seine Zuhörer in seine Netze verstrickt, in der Gemeinde übe man Unsittlichkeit und Zauberei und es werde geflucht. Und zu allem Überfluss hatten seine Schäfchen die ihm zu leistenden Arbeiten verweigert. Also forderte er sie auf, sofort ihr Verhalten zu bessern, denn wer seine Gewohnheiten nicht ändere (mithin die verlangten Arbeiten nicht ausführe), gerate in ewige Verdammung. Junge Pfarrer und Amtsneulinge mussten den Status als Hirte und erster Bauer erst für sich durchsetzen und den Widerstand des Volkes brechen (besonders lästige Gegner waren die Jahrzehnte älteren Hofbesitzer). Dabei stützten sie sich auf die Gebote und Lehren der Bibel: „Darf ich denn nicht die mir von Gott und der Obrigkeit versprochenen Leistungen einfordern?“; „Trotze nicht deinem Seelenhirten, der dich vor der Hölle ins Himmelreich zu retten versucht. Zahle also deine Steuern!“; „Gott strafe das Land mit Verdammung,

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weil mich die Angehörigen der Gemeinde um meine Steuern bringen und mich nicht hinreichend achten“. Zahlungsunfähigkeit und Widerspenstigkeit legten sie gern als direkten Angriff auf das Ansehen der Geistlichkeit aus; so hörte sich der Seufzer eines Bauern, er habe doch kein Geld für die Steuern, in den Ohren des Pfarrers an wie: „Ich achte den Priesterstand nicht.“ Die Geistlichkeit war eine Institution und der Pfarrer damit aufgrund seiner Stellung befugt, seine Zuhörer im Kirchenhaus lächerlich zu machen. Er hatte als Hirte das Vorrecht, seine Herde zu beaufsichtigen, und als Lehrer musste er seine Schafe zur Ordnung rufen: Gegen die Gesetze und Statuten war besonders dort, wo der eigentliche Platz des Pfarrers war, nämlich in der Kirche und im Gottesdienst, schwer anzukommen. Dort war er Alleinherrscher und dort machte er den Leuten auch seine herausragende Stellung immer wieder deutlich. Die kompetentesten, aber auch die scheinheiligsten, gierigsten, von ihrer Macht am meisten überzeugten und schlagfertigsten der Pfaffen hielten sich am längsten im örtlichen sozialen Gedächtnis und in den mündlichen Anekdoten. Die Erinnerungen hatten ihren wahren Kern, obwohl sie mancherlei Blüten trieben und manche Versionen gebaren. Die Grundkonstellation, die ihre Wurzeln in der Vergangenheit hatte, blieb in jeder Geschichte die gleiche: Einem überaus selbstbewussten Herrn steht das in unzumutbarer Bedrückung gehaltene Volk gegenüber. Der Herr ist denn auch die Hauptfigur der Anekdoten, er ist sowohl boshaft und habgierig als auch in gewissem Sinne bewundernswert, nämlich als Wortführer. Das Volk hingegen spielt eine Nebenrolle und ist als gesichtslose Masse der Kontrahent. Die wirklichen Ziele und Verhaltensweisen des Volkes sind der Hauptperson auf die Zunge gelegt. Das Kirchenvolk ist in seiner stillen Art gewissermaßen selbstbewusst-widerspenstig und erniedrigt sich nicht in Unterwürfigkeit. Frans Mikael Algeen, Sohn eines Handwerkers aus Rauma, der in Hailuoto und anderen nordostbottnischen Gemeinden niedrigere Pfarrämter innehatte, bekam schließlich Ende der 1730er Jahre eine Stelle als Kaplan in Hailuoto. Dort wollte er der Gemeinde seine Stellung verdeutlichen. Er war der Herr und die Gemeindeangehörigen seine Schafe oder eigentlich Schafsköpfe. Er stieß von der Kanzel unbarmherzig unverschämte Beleidigungen aus, gegen wen auch immer, manchmal rüffelte er sogar den Pfarrherrn. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere avancierte Algeen dann selbst zum Pfarrherrn und verkündete stolz seinen neuen Rang in einer Predigt über das Jüngste Gericht: „Wenn Gott dann am letzten Tag alle Menschen zu sich ruft und mich sucht: ‚Frans Mikael Algeen, wo bist du?‘, dann ducke ich mich hinter einen Pfeiler und reagiere nicht. Jetzt wird gerufen: ‚Herr Frans Mikael Algeen, wo bist du?‘ Ich hocke nur hinter dem Pfeiler. Aber wenn Gott zum dritten Mal ruft: ‚Pfarrherr Frans Mikael Algeen‘, dann muss ich natürlich vortreten. Nun fragt Gott: ‚Frans Mikael Algeen, wo hast du die Schafe gelassen, die ich dir gab?‘ Da muss ich antworten: ‚Oh, lieber Gott, richtige Schafe hast du mir gar nicht gegeben, sondern eine Herde halsstarriger Böcke.‘“ Die Gemeindemitglieder schluckten – obgleich sie vieles ertragen mussten – keineswegs alles. Wohl verstand jeder die Bedeutung der Predigten, manch einer sogar so, dass er die mahnenden Worte direkt auf sich selbst bezog. Nach Meinung anderer freilich war die Predigt so unnütze und niederträchtige Verleumdung, dass die Zeit bei einem Schoppen Bier in der Kneipe besser genutzt wäre, und wieder ein anderer konnte in aufgekratzter Stimmung in geselliger Runde gar unvorsichtig zischen, man sollte die Perücke des Pfaffen lieber mit der Axt in Stücke schlagen und den ganzen Mann verbrennen.

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Manchmal wählte die Gemeinde den korrekten Weg und beklagte sich über die ungebührlichen Reden des Pfarrers vor Gericht oder bei dessen Vorgesetzten, woraufhin die Angelegenheit gemäß gesetzlicher Ordnung und gerecht so behandelt wurde, dass der Pastor möglichst wenig oder gar nicht darunter zu leiden hatte. Die Beweise gegen den Pfarrer mussten unumstößlich sein. Manchmal nahmen die Gemeindemitglieder das Recht in die eigene Hand, stürzten sich unter Lebensgefahr während des Gottesdienstes oder bei einer anderen Gelegenheit auf den Pfarrer und entsetzten ihn seines Amtes. Diese zweite Variante ist die interessantere Ausprägung politischer Kultur, die sich vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zigmal wiederholte, obgleich die Täter verurteilt und hingerichtet wurden, falls sie nicht aus dem Reich fliehen konnten. Interessant ist diese in Volkserzählungen überlieferte Variante aus zwei Gründen: Erstens deshalb, weil die Gemeinde davon ausging, das Recht zu haben, einen untauglichen Pfarrer abzusetzen, den sie zuvor zum Hirten genommen und unterhalten hatte. Als Ganzheit hielten sie sich für höher gestellt als den ungeeigneten Pastor. Sie beschlossen die Entlassung gemeinsam, sie war eine kollektive Entscheidung. Dabei zeichneten sich gewisse zeremonielle Züge ab, die charakteristisch für ähnliche Vorgänge – wenn etwa Beamte ihrer Ämter enthoben wurden – im Europa dieser Zeit waren. Dem Degradierten nahm man zunächst seine Ehrenzeichen ab (Kragen und Talar des Pfarrers, Mütze, Hut oder Haarband seiner Frau), dann wurde er aus seiner Wirkstätte, also der Kirche, verstoßen. In der Praxis warf man ihn über den Kirchzaun, was bildlich gesprochen dasselbe war wie die Zerschnippelung seiner Perücke. Die Wegnahme der Amtskennzeichen war ein Zeichen für die Entlassung und die Herabstufung des bisherigen Amtsträgers (Soldaten, dem Herrscher und Kirchenmännern nahm man in ganz ähnlicher Weise ihre Statussymbole ab). Das „Überbordwerfen“ war die gegenteilige Maßnahme zur Berufung, die eine Erhöhung bedeutete. In der zeremoniellen politischen Kultur war es Brauch, jemanden in seine neue Stellung zu erhöhen, ihn also in sein Amt zu erheben. Das war als eine durchaus konkrete Maßnahme zu verstehen. Ein entlassener Herrscher dagegen wurde vom Thron gestürzt, ein Geistlicher vom Kirchhof vertrieben. Er war damit ohne Amt und ein unnützer, arbeitsloser Halunke. Das gewöhnliche Volk, die Untertanen, war verschiedenen Gebieten und sozialen Klassen zugehörig, die alle ihren eigenen Gewohnheiten nachgingen. Wenn das Volk auch nach Meinung der herrschenden Schicht eine einheitliche Masse war, bildete es doch in dem Sinne eine heterogene Ganzheit, als soziale Gruppen wie wohlhabende Landwirte, Handwerker, Bedienstete, Vagabunden, Samen, Zigeuner usw. jeweils eigenständige Gruppenkulturen ausbildeten, die Gegenkulturen zur ländlichen Staatskultur darstellten. Die volkstümliche Kultur sah in Ostfinnland anders als in den westlichen Landesteilen aus und war im Norden völlig verschieden vom Süden. Die Bewahrung der Gruppenkulturen über Jahrhunderte wurde dadurch gefördert, dass die Menschen im Zeitalter der zentral ausgerichteten, das Untertanenmodell betonenden Staatskultur leben durften, wie sie wollten, wenn sie nur ihren Pflichten nachkamen. In die Volkskultur fanden die Gewohnheiten der Elite, die Bräuche anderer Kulturgebiete usw. filtriert Eingang. Wenn man das Volksleben von oben her oder von außerhalb betrachtete, traten in den Bräuchen sozialer oder regionaler Gruppen gemeinsame Merkmale zutage. So verband man unmittelbar mit der finnischen Volkskultur den ungewöhnlich ausgeprägten Hang zu Saufereien mit zahlreichen Ritualen, den starken Zusammenhalt der Geschlechter

Volkskultur als Staatskultur

innerhalb der Gesellschaft und die Spottlieder als Ausfluss des Volkshumors. Das waren jedenfalls die Züge, die von den Behörden als finnische Landesgewohnheiten zuvorderst genannt wurden. Die einheimische finnische und schwedische Volkskultur kannte den Karneval, das für die katholische Welt typisches Entlastungsventil, nicht, aber bei geselligen Zusammenkünften, etwa in Zusammenhang mit kirchlichen Feiern, auf Märkten, bei Gericht und anderen Festen, erleichterte sich das Volk seiner angestauten Probleme, trank reichlich, verspottete die Herren mit Taten und Worten und stimmte Hohnlieder an. Vielsagend sind in diesem Kontext die Benennungen bei Feierlichkeiten: Taufe (barnsöl, lapsiolut, Kindsbier), Hochzeit (bröllopsöl, hääoluet, Hochzeitsbier), Beerdigung (gravöl, hautajaisolut, Begräbnisbier), gesellige Abende (ölbänk, olutpenkki, Bierbank). Von den Alltagsgedichten des 18. Jahrhunderts preisen unzählige das Bier, den Schnaps und den herrlichen Rausch, und es wird geklagt, dass man nicht an jedem Tag, wenn er zur Neige geht, aus Freude saufen darf. Bei gemeinsamen Dorfarbeiten (Nachbarschaftshilfe) war der Lohn eine großzügige Bewirtung, ein Arbeitsfest, wie ein Richter einmal seinem Kollegen erklärte. Wenn Finnen ihre Arbeit erledigt haben, sagen sie talkoo (freiwillige Gemeinschaftshilfe) und saufen den ganzen Abend und die Nacht hindurch. Die Dörfer bildeten relativ solidarische Zentren, besonders stark war das Gemeinschaftsgefühl in den Familiengeschlechtern ausgeprägt. Bis weit ins 17. Jahrhundert hinein lebte man in abgelegenen Gebieten in einer altertümlichen, patriarchalischen Sippengesellschaft. Da fühlte sich die Familie für die Sicherheit ihrer Mitglieder verantwortlich und forderte bei Streitigkeiten ihr Recht von einer anderen Familie ein. Das passte natürlich nicht zum Wesen einer zentralisierten Staatskultur, nichtsdestoweniger überdauerte dieser Brauch die neue Rechtsauffassung. Streitereien löste man und Verbrechen strafte man außerhalb des Gerichtswesens (Blutrache, Blutgeld). Verehelichungen waren, auch wenn das junge Paar im Vordergrund stand und die Ehe in der Kirche geschlossen wurde, ein Vertrag zwischen den Geschlechtern. Dies bezeugen die Hochzeitsriten und Geschenke sowie besonders die Tatsache, dass die Frau zwar zu ihrem Mann zog, aber trotzdem weiterhin Teil der Geburtsfamilie blieb. Wenn sie in der neuen Familie schlecht behandelt wurde, konnte sie von ihrem Vater oder den Brüdern ins Geburtshaus zurückgeholt werden; möglicherweise nahm sie dann auch ihre Kinder mit, weswegen es zu Streit zwischen den Geschlechtern kommen konnte. Die bäuerliche Solidarität war vor allem in der Interaktion mit anderen gesellschaftlichen Gruppierungen wirksam, die Solidarität innerhalb der Gruppe war eher gering. Dass die Bauern als Stand oder örtliches soziales Kollektiv entscheidenden Einfluss haben konnten, setzte einen starken Zusammenhalt voraus. Um bei der Regelung von Angelegenheiten mit der weltlichen und geistlichen Obrigkeit die eigenen Interessen mit einzubringen, war Einigkeit unabdingbar, denn die überlegene Position der Herren war in Gesetzen verankert. Der Kampf eines einzelnen Bauern gegen die Herren war von vornherein zum Scheitern verurteilt, wenn er keine umfassende Unterstützung durch die ganze Bauernschaft fand. Die zahlenmäßig größte ländliche Bevölkerungsgruppe bildeten im ganzen schwedischen Reich mehr oder weniger benachteiligte Gesellschaftskreise: Knechte von Landwirten, Frauen und Kinder, Kätner und auf dem Hof lebende Alte, die erwachsenen Kinder und die Familien der Geschwister. Diese wurden von den Bauern auf örtlicher Ebene ohne größeres Mitleid oder soziales Verantwortungsgefühl nach Belieben beherrscht. Sie waren

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für den Bauernhof von Nutzen und zugleich eine Belastung. Trotz ihrer benachteiligten Stellung oder vielleicht gerade deswegen entwickelten diese Gruppen innerhalb der volkstümlichen Reichskultur Teil- und Gegenkulturen, wie etwa die Prahlkultur der jungen Männer, ein frühes Phänomen der späteren Jugendkultur: Etwa zwanzigjährige Jugendliche scharten sich zusammen, tranken, spielten Karten, organisierten unerlaubte Tanzgelegenheiten, ritten aus, fuhren mit Karren rasend schnell durch die Dörfer, drohten älteren Leuten mit ihren Dolchen (puukkojunkkarit, Messerhelden), klauten und prügelten sich und putzten sich fein heraus – sie führten also ein bewusst sittenloses Leben. Die einfachen Leute verhielten sich nur selten solidarisch zueinander – vor allem, wenn sie durch andere ebenfalls Nutzen zogen und wenn die Sache an sich bedeutungslos war. Auf Ortsebene konzentrierte sich die kulturelle Vormacht in den Händen derer, die wirtschaftlich stark waren, also bei den Hofbesitzern. Die bäuerliche Moral war klar an die Ökonomie gekoppelt. Durch wirtschaftliche Zugeständnisse anderen Bessergestellten gegenüber baute sich der Bauer ein Netzwerk auf, von dem er bei Gelegenheit eine Gegenleistung erwarten durfte. Ein Geschenk setzte somit gewissermaßen das Gegengeschenk voraus. Besonders deutlich äußerte sich dies in der frühmodernen Ortsgemeinschaft bei der Gewährung von Darlehen, der Regulierung von Eigentumsschäden und der Behindertenpflege. Besonders über die beiden letzten Themen diskutierte man auf den Zusammenkünften der Dorfbewohner, bei Gerichtssitzungen in erster Instanz und bei Kirchspielversammlungen. Bisher war es üblich gewesen, Unterschiedlichkeit und Abweichung zu verstecken. Anders „tickende“ Verrückte und im Aussehen Abweichende, Entwicklungsgestörte und Infektionskranke entfernte man gern aus dem Gesichtsfeld der normalen Menschen und steckte sie in Anstalten, um die gesunde Luft nicht zu verpesten. Das verlangte natürlich vom Steuerzahler finanzielle Aufwendungen. Im 18. Jahrhundert änderte sich die Situation, man begann sich für Absonderlichkeiten zu interessieren. In Schweden (außer Stockholm) und Finnland tolerierte man sie freilich noch nicht im gleichen Maße in der Öffentlichkeit wie im westlichen Europa. Hier war es weiterhin das Schicksal der Furcht erregenden und abschreckenden Tobsüchtigen und der an ansteckenden und verunstaltenden Krankheiten Leidenden, dass sie in geschlossene Anstalten, Hospitale oder in die „Klapsmühle“ gesteckt wurden. Man empfand sie noch als so ekelhaft, dass man sie im eigenen Umfeld nicht ertragen konnte. Hingegen waren Leute mit geringfügigen Normabweichungen, Dorftrottel, und solche, die ihre Beschwerden einigermaßen im Griff hatten, geduldet und wurden von den Bewohnern unterhalten. Die Zentralgewalt stellte die Fürsorge für Verblödete und Behinderte der gemeinsamen Verantwortung der Dorfgemeinschaft anheim und berief sich dabei auf die christliche Tugend des Mitleids. Hässliche, missgestaltete und von Krankheiten befallene Menschen waren im 18. Jahrhundert Teil des alltäglichen Lebens des gemeinen Volkes, da sie von Haus zu Haus weitergereicht oder in den Armenhäusern der Dörfer untergebracht wurden. Man setzte sie freilich unter Druck, sich möglichst nach den allgemeinen Normen ähnlich wie die anderen Mitglieder der Gemeinschaft zu verhalten. Das Blatt der politischen Historie wendet sich häufig, in der Kulturgeschichte dagegen geschieht Wandel nur allmählich. Ein bedeutsames Merkmal nicht nur der politischen Kultur, sondern von Kultur und Gesellschaft allgemein, lag beim Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit in der Vielfältigkeit, der Varianz. Der Wille der Zentralgewalt, ein einheitlicheres Reich aufzubauen, und die weiter andauernde kulturelle Mannigfaltigkeit

Volkskultur als Staatskultur

führten zur Schaffung einer Staatskultur und zur Anbindung verschiedener kultureller Gruppen an das Reich. Als bestimmender Faktor in der politischen Kultur entpuppte sich zur Zeit der Staatskultur die Untertanenschaft, denn aus ihr resultierten alle Rechte und Pflichten. Und an der Wende zum 19. Jahrhundert blieb davon der eigentliche Kern erhalten, der Gehorsam.

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IV. Zur Kultur im Großherzogtum

IV. Zur Kultur im Großherzogtum Anssi Halmesvirta

Der Charakter der politischen Kultur Im Zeitalter der Autonomie (1809–1917) wurde die politische Kultur Finnlands ebenso wie die Ebene der hohen Politik (high politics) des Staates von den Handlungsprinzipien und -gepflogenheiten in den Machtverhältnissen zwischen dem russischen Zarenreich und dem Großherzogtum Finnland geprägt. Damit verbunden waren symbolische, gegen Ende der Epoche zum Konflikt führende Ausdrucksformen und weiter die vom Standpunkt der inneren Kulturentwicklung im Großherzogtum her entscheidende kulturelle und politische Auseinandersetzung um die Führungsposition zwischen der schwedischsprachigen Elite und der sich fennisierenden Intelligenz und deren Rückgrat, der Finnisch sprechenden Bevölkerung. Ein eigenes Spannungsfeld in dieser Konstellation bildeten verschiedene Bürgerinitiativen, von denen sich einige, wie die Erweckungsbewegung und der Feminismus, mit dem Anwachsen des Proletariats zu einer Protestbewegung entwickelten und dadurch eine vielschichtige, die Hegemoniebestrebungen der die nationale Einheit propagierenden Elite herausfordernde Gegenkultur hervorrufen. Abseits von diesen Schismen gediehen Minoritäts- und Subkulturen, die die dominierende Kultur zu assimilieren und zu eliminieren versuchte oder die sonst nur marginal blieben. Die politische Kultur bestimmte maßgeblich auch die Kulturpolitik. Die im Geiste eines Kulturnationalismus begonnene Schaffung einer eigenen finnischen Kultur – die offiziellen Kultur- und Kunstinstitutionen mussten fast gänzlich erneuert werden – und die Suche nach deren Wurzeln wuchsen sich seit den 1860er Jahren mit dem Beginn des sogenannten Sprachenstreits zu einem politischen Kampf um die Hegemonie aus. Von da an setzte sich die „Finnlandisierung“ Finnlands im Zeichen des Rufes „Finnland, erwache!“ bis über die Zeit der Unabhängigkeit hinaus fort, als die „finnische Sache“ sich der letzten Festungen der schwedischen Übermacht, der Universitäten, bemächtigte. In der Situation des Jahres 1809, als der Krieg noch andauerte, legten die Finnen und die Russen die Grundlage für die kommenden Kontakte, durch die sich eine friedliche politische Kultur und ein entsprechendes Kulturleben entwickeln sollten. Nachdem für die Finnen die Zeit der schwedischen Unterdrückung geendet hatte und sie zu Untertanen Russlands geworden waren, galt die zentrale Bemühung der neuen Machthaber dem Ziel, die Situation in dem besetzten Land möglichst schnell zu beruhigen. Die Finnen – die im Lande verbliebenen Adligen, Priester und Beamten – nahmen die Herausforderung an und waren zur Zusammenarbeit mit den Eroberern bereit. Zu diesem historischen Zeitpunkt begriffen die finnischen Führungsschichten nach dem Vorbild von Jacob Tengström, der erster Erzbischof von Turku und Finnland werden sollte, dass jede andere Politik zu verheerenden Folgen geführt hätte. Die im Jahrhundert zuvor als Verfolger empfundene russische Macht wurde nun als Friedensbringer akzeptiert und Zar Alexan-

Der Charakter der politischen Kultur

der I. als väterlicher Herrscher beschrieben. Die finnische Landbevölkerung befürchtete grundlos die Durchsetzung der Leibeigenschaft. Im Frieden von Hamina wurden im Jahre 1809 die administrativen Grenzen Finnlands festgelegt, die bis zur Unabhängigkeit (1917) in Kraft blieben. Auf dem Landtag von Porvoo wurden im gleichen Jahr Verfügungen für die politische und verwaltungsmäßige Zusammenarbeit beschlossen, durch die die Machtverhältnisse der Beteiligten derart geregelt wurden, dass Finnland eine weitgehende innere Selbstbestimmung erhielt und dem russischen Zaren das letzte Wort hinsichtlich der Gesetzgebung vorbehalten blieb. Im sogenannten Vereinigungsakt schworen die finnischen Stände den Treueeid und Alexander seinerseits garantierte die Gesetze aus der schwedischen Zeit, den protestantischen Glauben und die Ständeprivilegien. Entscheidend war also, wie der Zar und seine Ratgeber sich dem besetzten Gebiet gegenüber verhielten. Obwohl die staatliche Beziehung zu Schweden abgebrochen war, beschloss man, die zentralen Prinzipien der schwedischen Verwaltungskultur und das frühere Rechtssystem aufrechtzuerhalten. Wenn in Finnland auch Zentralbehörden nach russischem Muster eingerichtet wurden, durften die regionalen und örtlichen Instanzen doch weiterhin nach den Prinzipien aus der schwedischen Zeit fungieren. Das Wohlwollen der neuen Machthaber geht daraus hervor, dass der Zar nur in den seltensten Fällen ihm vorgelegten Gesetzesvorschlägen die Anerkennung verweigerte. Ein Wandel in der Behördenkultur zeigt sich freilich in der Verleihung von Orden, Geschenken und Auszeichnungen an loyale finnische Beamte und Soldaten. Damit bezeugte der Zar-Großfürst den unter seiner Herrschaft stehenden Untertanen in leitenden Positionen seine Gunst. Als Schweden und Russland dann 1812 die gegenseitigen Feindseligkeiten beendeten, festigte sich der Status Finnlands und sein eigenständiges Kulturleben konnte sich über einen langen Zeitabschnitt weiterentwickeln, häufig begünstigt durch Schenkungen des Zaren. Ein bedeutendes Zeichen für dessen Freigebigkeit, aber auch für die geistige Trennung Finnlands von Schweden, war das in Helsinki – seit 1813 die neue Hauptstadt – entstehende monumentale Zentrum im Empirestil mit seinen kirchlichen, behördlichen und kulturellen Institutionen. Hinsichtlich des Bildungs- und Kulturwesens war die zaristische Förderung der Universität bedeutsam, wo reichlich neue Lehrstühle und andere Beamtenstellen eingerichtet wurden. Besonders bemerkenswert war, dass der „wohltätige“ Zar anlässlich der 300-JahrFeiern zu Ehren der Reformation Tengström zum Erzbischof beförderte und an 24 verdienstvolle Pfarrer aus den Landgebieten die Doktorwürde der Theologie verlieh. Auf diese Weise war er bestrebt, diejenigen Kreise zufriedenzuhalten, die dem Volke nahestanden, und so die Stabilität Finnlands abzusichern. Auch entsprang diese Gunstbezeigung Alexanders Wunsch, Finnland als Vorbild für die von Russland ausgehenden Erneuerungen darzustellen. Eine Gelegenheit, dem neuen Herrscher Gehorsam und Loyalität zu bezeugen, ergab sich im August 1819, als der zaristische Großfürst eine über dreiwöchige Rundreise durch Finnland unternahm. Es wird behauptet, der Zar habe durch seine Natürlichkeit und Bescheidenheit einen durchweg positiven Eindruck hinterlassen. Man darf annehmen, dass zwischen den Finnen und der russischen Obrigkeit, wesentlich dank der Gunst Alexanders I. und seiner Nachfolger, in politischem Sinne eine Art Kultur des Gehorsams und der Loyalität geboren wurde, die die Entstehung eigener nationaler Institutionen und später die Verbesserung des Status der finnischen Sprache und Kultur möglich machte. Diese Atmosphäre wurde Ende der 1880er Jahre durch Russifizierungspläne gestört, die dann als

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IV. Zur Kultur im Großherzogtum

Integrationspolitik des russischen Imperiums in verschiedenen Stufen realisiert wurden. Dies bedeutete auf der finnischen Seite die Absage an die Loyalität und die Wandlung der politischen Kultur hin zu Protesten, Widerstand und schließlich zu Selbstständigkeitsbestrebungen.

Ausgangspunkte der Kulturentwicklung im Großfürstentum Zur Aufbauphase der neuen staatlichen Verbindungen passten in Finnland weder die durch die Französische Revolution verbreiteten Freiheitsideen noch die nostalgischen Separatistengedanken an eine Rückkehr zur Angliederung an Schweden. Die sogenannte bürgerliche, typisch deutsche Öffentlichkeit duldete man nicht. Wenn man von der Autonomie Finnlands spricht, bleibt zu bedenken, dass sich diese wegen des Fehlens eines Parlaments bis in die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts auf die Autonomie der Behörden beschränkte, da die Ansichten der einzelnen Stände eben nicht in die Öffentlichkeit drangen. In der Presse konnten wegen der Zensur keine kritischen Meinungen erscheinen und die Kirche kontrollierte wirksam die Stimmung bei den Bauern und den niedrigeren Ständen. Einen grundlegenden Stützpunkt, zugleich aber auch eine zentrale Aufsichtsinstanz für die Meinungsbildung in der finnischen Politik und im Geistesleben schuf man 1827 durch die Verlegung der Akademie Turku nach Helsinki. Unter den hauptsächlich noch schwedischsprachigen Standespersonen, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend auch unter den aus niederen, Finnisch sprechenden Volksschichten stammenden Jugendlichen, bei der Beamtenschulung und in der Lehrer- und Priesterausbildung zielte man auf die Schaffung einer zuverlässigen und gelehrten, der russischen Obrigkeit gewogenen Beamtenschaft ab. Eine Karriere garantierte dies freilich nicht, denn die adlige Elite beanspruchte die höheren Posten für sich. Wenngleich sich die Universität und die Studentenschaft in Finnland über lange Zeit hinweg als Motor geistiger Wandlungen darstellten, so führte die strenge Überwachung der Studenten zu Beginn der Autonomiezeit doch dazu, dass sich diese eher religiöser und nationaler Erweckungsarbeit zuwandten, als dass sie sich radikales europäisches Gedankengut angeeignet hätten. Die beim universitären Lehrkörper im vorangegangenen Jahrhundert aufgekommene Auffassung von einem Finnland als Heimatland der Finnen erhielt eine neue, auf die finnische Geschichte und die finnische Nation hin orientierte Bedeutung. Diese von oben kommende kulturnationalistische, bevormundende Herangehensweise blieb für das Volk selbst fremd und widersprüchlich, da sie nicht dessen geistigen Bedürfnissen entsprach. Besonders markant kam die Entfremdung des Volkes von der Amtsgewalt und den bildungspolitischen Bestrebungen der Intelligenz in den von Laienpredigern gegründeten Erweckungsbewegungen zum Ausdruck, die eigentlich gesetzlich verboten waren und zu einem Konfrontationskurs mit der von der Obrigkeit verteidigten Autorität der Staatskirche führten. Während sich der Klerus auf die praktische Seelsorgearbeit konzentrierte, die in verwaltungsmäßiger und beamtenähnlicher Manier ausgeübt wurde, entstanden wie in Deutschland verschiedene pietistische Gebets- und Evangelienkreise, deren Ausdrucksformen bis hin zu religiöser Verzückung reichten. Zur ekstatischen Erweckungsbewegung des Paavo Ruotsalainen aus Nordsavo gehörten die Absage an jede Art künstlicher Frömmigkeit und die Betonung menschlicher Sündhaftigkeit, der Erbärmlichkeit des Lebens und der dadurch bedingten alltäglichen Anstrengungen. Ausdruck der Gegenkultur zu den

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starren kirchlichen Zeremonien waren die zuhause und im Sommer im Freien abgehaltenen Andachten und die Verwendung bescheidener, bäuerlicher Pietistentrachten, die noch in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts bei solchen Zusammenkünften getragen wurden. Die in den 1840er Jahren vom schwedischen Lappland ausgehende Laestadianerbewegung des Lars Levi Laestadius war ekstatisch bis hin zur völligen Ergriffenheit und verzweifelten Ausrufen („Herr, erbarme dich!“), wenn ihre Anhänger öffentlich Sündenbekenntnisse ablegten und die Prediger ihnen im Namen Jesu ihre Sünden vergaben. Das Laestadianertum wurde durch seine außergewöhnlich rege Missionsarbeit zur Hauptströmung in Nordfinnland. Das Auftauchen von Erweckungsbewegungen aus abgelegenen Regionen auch in den Städten im Süden ließ die jungen nationalromantischen Kulturkreise aufhorchen: Die scharfe Grenzziehung der geistlichen Führer zwischen Religion und Kultur sowie zwischen Erweckten und Nichterweckten bedrohte ihr Kulturideal und damit die Grundlage ihrer Volksbildungsarbeit. Schon 1835 hatte Elias Lönnrot, Herausgeber des Kalevala, in einem Zeitungsartikel vermutet, der Fanatismus könnte zur Erschütterung des psychischen Gleichgewichts führen, und zwei Jahre später urteilte der Nationaldichter J. L. Runeberg, die Weltabgewandtheit der Erweckten negiere die gemeinsamen Schönheitswerte. Er beschrieb ein den Erweckungskreisen verfallenes Mädchen aus seiner Verwandtschaft als verdorrte Blume im Garten des Lebens, die der lutherische Gott doch als reiche Frucht tragend gemeint habe. Auch zahlreiche andere Persönlichkeiten sowie Theologen der Universität waren der Meinung, die Erweckungsbewegungen stünden in ihrer Engstirnigkeit und Kulturfeindlichkeit der von ihnen vertretenen Hochkultur im Wege. Bei der Entwicklung der nationalen Einheit gehöre die Religion als ein Teilbereich zur nationalen Kultur und sei nicht als eine Art trennende und isolierte göttliche Insel zu verstehen. Staatsgewalt und Kirche verhielten sich ablehnend gegenüber der Erweckung. In Sankt Petersburg, wo die finnischen Angelegenheiten vorgelegt und verhandelt wurden, forderte man die Geistlichkeit auf, inoffizielle Andachtsversammlungen zu verhindern, damit das normale Gemeindeleben nicht gestört und die Ordnung nicht verletzt werde. In Ostbottnien spitzte sich die Situation in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts zu, als sich etliche Geistliche der Erweckungsbewegung anschlossen. Als zudem noch im Jahre 1836 die Zurechtweisungen von Erzbischof E. G. Melartin keine Wirkung zeigten, begannen die Gerichtsverhandlungen gegen die Erwecker. Letzten Endes wurden die Priester getadelt und für bestimmte Zeit ihrer Ämter enthoben. Das Kirchenrecht entsprach annähernd dem Gerechtigkeitssinn des Volkes, insofern als das Domkapitel die Tätigkeit der Geistlichen verteidigte, denn seiner Ansicht nach konnten die von ihnen abgehaltenen Andachtsversammlungen nicht als ungesetzlich, sondern eher als dankenswerte, aktive Verbreitung der kirchlichen Lehre ausgelegt werden. Die staatliche politische Kultur forderte jedoch, dass die niederen Pfarrer das Verbot der Vorgesetzten befolgten und sich nicht der Erweckungsbewegung anschlossen. Diejenigen, die sich der nationalen Erweckung verschrieben hatten, begaben sich in der Folge zurück in den Schoß der Kirche, weil sie wegen der verschärften Einstellung der kirchlichen Führung wirtschaftliche Einbußen befürchten mussten und die Erweckungsbewegung auch zu zerbröckeln begann. Auf die Kehrtwendung hatte außer der Kritik des 1847 gegründeten Organs der Finnlandbewegung, Suometar, auch die Zensurverordnung von 1850 Einfluss, die die Veröffentlichung religiösen Schrifttums, das von der rechtgläubigen Linie der Kirche abwich, praktisch verhinderte. Den vorgegebenen Bildungsweg und die immer schwieriger zu erreichende Beamtenlauf-

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bahn anzustreben sowie den Schutz der Hauptkultur zu suchen, war schließlich doch der sicherere Weg gegenüber der volkstümlichen, die Gleichheit betonenden – vor Gott sind alle Sünder gleich – Wortverkündung. So ergab es sich, dass das bäuerliche, volkstümliche Glaubensleben außerhalb der Hochkultur blieb. In den wenigen finnischen Bildungszentren war die Berührung mit dem Volksleben gering und die hier vorherrschenden Geistesströmungen blieben dem Volk fremd. Die von der Aufklärung übernommene rationalistische Philosophie und der Neohumanismus deutscher Prägung trennten die Mehrzahl der Gebildeten vom einfachen Volk auch in ihrem Moralkodex: Rechtschaffenheit, ein tugendhaftes Leben und Selbstbeherrschung standen im Einklang mit der Weltanschauung durch staatliche Kultur gepflegter gesellschaftlicher Stabilität. Die von Alexander I. vertretene, die aufgeklärte russische rationalistische Wissenschaft fördernde Autokratie setzte sich von Sankt Petersburg aus dafür ein, die romantischen Ideale und nationalidealistischen Forderungen des erwachenden Bürgertums abzuwehren. Finnland und Polen standen unter besonderer Beobachtung durch den Staat. Die erste quasi von außen unternommene Klärung des autonomen Status Finnlands stammt allerdings von einem deutschen Kenner der skandinavischen Geschichte, Friedrich Rhüs, in seinem Werk Finnland und seine Bewohner (1809). Im 18. Jahrhundert war das Sammeln und Erforschen der Sprache und Überlieferung des finnischen Volkes an der Akademie in Turku eine Art Nebenbeschäftigung gewesen. Die Situation änderte sich radikal mit der Abtrennung Finnlands von Schweden: Aus dem patriotischen, lokal begrenzten Hobby entwickelte sich nationale Forschung verschiedener humanistischer Bereiche. Die mit dem Studium finnisch-ugrischer Sprachen begonnene Ausweitung der Kenntnisse über verwandte Völker fand ihre Krönung in den Untersuchungen von A. J. Sjögren und den Forschungsreisen nach Russland von M. A. Castrén in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts. Mit staatlicher Unterstützung erschien 1826 ein umfassendes Wörterbuch der finnischen Sprache und 1828 wurde auf Forderungen der Studenten hin an der Universität ein Lektorat für finnische Sprache eingerichtet. Es wurde fleißig Volksdichtung gesammelt, was die spätere Kalevala-Begeisterung erklärt. Wenn freilich die Bemühungen der Studenten und Lehrer sich romantisch-idealistisch zu Forderungen politisierten, etwa die Staatsverfassung zu ändern, die Bürgeraktivitäten zu vermehren, oder in öffentlicher Kritik an der Beamtenschaft wegen Amtsmissbrauchs und Trachtens nach eigenen Vorteilen mündeten, geriet man in Widerspruch mit den Behörden. Die Gegenreaktion war schroff: Die Zeitung Åbo Morgonblad des radikalen Vertreters der sogenannten Romantik von Turku, A. I. Arwidsson (1791–1858), wurde 1821 eingestellt und aus Petersburg kam der Befehl, den „revolutionären“ Arvidsson von der Universität zu exmatrikulieren. Er musste nach Schweden fliehen, wo er seine Erwägungen zum autonomen Status Finnlands fortsetzte; seine Argumente nutzte man im von Furcht vor Russland erfassten England in den 1840er Jahren und zur Zeit des Krimkrieges, um Finnland von Russland zu entfremden. Die herrschende politische Kultur mochte solche Einmischungen in die staatlichen und politischen Angelegenheiten überhaupt nicht, geschweige denn Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Erlaubt war einzig und allein, was für den Staat ungefährlich war. Genau diese Prämisse bedeutete eine klare Orientierung und Hinwendung zu der sich deutlich von Schweden und dem Schwedentum abgrenzenden Erforschung und Pflege der finnischen Sonderqualitäten, des eigenen Volkscharakters und seiner kulturellen Gegebenheiten, die dann in den nächsten zwanzig Jahren an der nach Helsinki verlegten Universität ihre Blütezeit erfuhr. Zwar flirtete man

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1840 zum 200. Jahrestag der Gründung der Akademie mit der russischen Kultur, aber das war nur eine vorübergehende Erscheinung. Die Richtung der Kultur sollte Finnland sein, nicht der Westen noch der Osten. Der neuen, im Empirestil errichteten Universität Helsinki bemächtigte sich der herdersche Geist der Suche nach finnischer Volksdichtung und der Geschichte des finnischen Volkes. Man glaubte, in einem so abgelegenen Land wie Finnland lasse es sich dichten wie in den Werken der Ilias und Odyssee oder im Nibelungenlied. 1822 schrieben sich Elias Lönnrot, Johan Vilhelm Snellman und Johan Ludvig Runeberg an der Universität Helsinki ein. Alle drei suchten, jeder auf seine Weise, die finnische Sache zu fördern, die als Idee bald unter dem Namen Fennomanie lief. Lönnrot (1808–1884) begann Volksdichtung rund um die von seinem Lehrer Reinhold von Becker aufgefundene Figur des Väinämöinen zu sammeln. Er begnügte sich jedoch nicht damit, die Lieder nur zu sammeln und zu veröffentlichen, sondern stellte sie thematisch und nach Figuren gruppiert zusammen, ohne dabei auf den Anteil der einzelnen Liedersänger und den örtlichen Ursprung besondere Rücksicht zu nehmen. Die erste, 1835 erschienene Edition umfasste 22 Gedichte, die erweiterte Ausgabe von 1845 enthielt 18 weitere Lieder. Wie damals üblich, betrachtete man Lönnrots Werk als historische, das vormalige Leben des finnischen (Kaleva-)Volkes beschreibende Rekonstruktion eines uralten Epos. Lönnrot verankerte die vom Winde verwehten Finnen damit erstmals historisch in einer als wahrhaft empfundenen Vergangenheit, denn er hielt es für möglich, dass die Gestalten des Kalevala am Ende des ersten Jahrtausends tatsächlich an den Küsten des Viena-Meeres gelebt hätten. Das Kalevala hob das Ansehen des finnischen Volkes in den Augen der Gebildeten, bewies es doch, dass der heidnische Urfinne in der Lage war, eine den klassischen Vorbildern gerechte Kultur zu erschaffen. In diesem Sinne war es geeignet, die Kluft zwischen der dominanten schwedischsprachigen Elitekultur und der Volkskultur zu überbrücken, denn die Vertreter der Volkskultur konnten im Kalevala die Quelle ihres eigenen Ursprungs aufzeigen. Paradox war, dass weite Kulturkreise das Epos erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf Finnisch lesen konnten; es ist sehr wahrscheinlich, dass es lange Zeit mehr in Übersetzungen als in der Ursprache vorlag. Überhaupt handelt es sich um das am meisten übersetzte Werk der finnischen Sprache, die erste Version einer neuen Übersetzung auf Deutsch erschien immerhin schon 1852. Für die Erhöhung des Selbstwertgefühls der finnischen Kultur sollte das Kalevala bedeutsamer sein als die internationalen Erfolge von Jean Sibelius oder Alvar Aalto. Wenn das Kalevala zum Symbol der finnischen Kultur wurde, erhob die Dichtung von Johan Ludvig Runeberg (1804–1877), allen voran seine Fähnrich Stahls Erzählungen (1848–60), den finnischen Bauern-Soldaten auf das erhabene Heldenpodest. Aus Sicht der politischen Kultur vermittelte die Ehrenbezeugung vor dem finnischen Verteidigungskampf im russisch-schwedischen Krieg um Finnland, das „heilige Geburtsland“, als dem Hauptgeschehnis in der jüngeren Geschichte des Landes der akademischen Jugend einen aktuelleren, festeren moralischen Bezugspunkt, als das Kalevala ihn bot, von dem aus man sich auch leichter von den Staatshistorien Schwedens und Russlands abgrenzen konnte. Noch systematischer beschreibt die Rolle des finnischen Volkes während der schwedischen Herrschaftszeit Zacharias Topelius in seinem patriotischen, gleichwohl auf Tatsachen beruhenden historischen Roman Die Erzählungen des Feldschers (1851–66). So wurden aus der Vergangenheit die geistigen Kräfte für das Finnentum gewonnen, mit deren Hilfe

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Johan Vilhelm Snellman (1808–1881) war Philosoph, Schriftsteller, Redakteur und Staatsmann und somit einer der einflussreichsten Fennomaniepolitiker des 19. Jahrhunderts. Aufgrund seiner Bedeutung für die Verbesserung des Status der finnischen Sprache hält man ihn für den Nationalphilosophen Finnlands. Seine Statue steht vor dem Gebäude der Staatsbank, denn sein Verdienst war es, dass 1860 die finnische Mark in Umlauf gesetzt wurde.

eine programmatische Aufbauarbeit rein finnischer Kultur zur Realisierung national-historischer Missionsaufgaben in Angriff genommen werden konnte. Ein zentraler Faktor in der Gestaltung des Kulturprogramms war seit Ende der 1830er Jahre die sogenannte Samstagsgesellschaft, der unter anderem Runeberg, der Ästhetiker Fredrik Cygnaeus, der Hegelianer J. J. Tengström sowie der Staatsphilosoph J. V. Snellman (1806–1881) angehörten. Hier wurde die Idee geboren, die erste wissenschaftliche Vereinigung zu gründen, die sich der Erforschung der finnischen Kultur, Geschichte, Sprache und Literatur widmen und entsprechende Veröffentlichungen hervorbringen sollte; dies wurde dann 1831 in der Gesellschaft für finnische Literatur (Suomalaisen Kirjallisuuden Seura, SKS) verwirklicht. Über die Kraftreserven einer eigentlich finnischen Kultur sagt es etwas aus, dass die Protokolle der Gesellschaft erstmals Ende der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts in finnischer Sprache verfasst wurden, jedoch ohne dass die veröffentlichte Volksdichtung beim einfachen Volk auf nennenswertes Interesse gestoßen wäre. Auf die Ergebnisse der Sammeltätigkeit musste lange gewartet werden: Das Hauptprojekt der Gesellschaft, das schwedisch-finnische Wörterbuch von Lönnrot, erschien erst 1880. Auf die kulturellen Bedürfnisse der schwedischsprachigen Bevölkerung legte man erst ab den 60er Jahren einige Aufmerksamkeit, als der Gedanke ihrer Assimilation aufgegeben wurde zugunsten eines Zweisprachenmodells finnischer und schwedischer Kultur. Die 1885 gegründete Schwedische Literaturgesellschaft in Finnland (Svenska Litteratursällskapet i Finland) fing an, wie das finnische Pendant SKS, Volksdichtung zu sammeln und zu veröffentlichen. Zur gleichen Zeit begann unter der Leitung von Julius und Kaarle Krohn die systematische Untersuchung der finnischen Volksdichtung. Ihre Forschungsarbeit, durch

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die der Ursprung der Themen, ihre Entwicklung und Verbreitung geklärt wurde, fand bald internationale Anerkennung. Zentrales Forschungsobjekt wurde Karelien, wo die Volksdichtung blühte und wohin sich in den 90er Jahren neuromantisch orientierte Künstler und Schriftsteller gezogen fühlten, um hier das Kalevala-Milieu und echte Einödnatur aufzusuchen. Die Gemälde von Akseli Gallen-Kallela und die Musik von Jean Sibelius spiegeln den Karelianismus, die Karelienbewunderung und den Kern der Idealisierung, Sehnsucht nach Harmonie und Suche nach vollkommener ästhetischer Erfahrung, was durch die unhygienischen und unmoralischen Gegebenheiten in den verrauchten Hütten kaum beeinträchtigt wurde. Das finnische Beispiel, Volksdichtung und -überlieferung für den Entwicklungsbedarf des Landes zu nutzen, weicht in dem Sinne von dem europäischen Ansatz ab, dass sich darin die nationale Identitätskrise – „Wir sind keine Schweden mehr, Russen wollen wir nicht werden, seien wir (also) Finnen“ – mit Romantik und Schaffung eines Volksepos verbindet.

Nationalismus, Fennomanie und Liberalismus in Finnland Der finnische Nationalismus weist zahlreiche Analogien mit der osteuropäischen Nationalitätsideologie auf, da er gleichfalls eine von den niederen Ständen getragene Bewegung der akademischen Intelligenz war. Das begann mit dem Kultur- und Sprachennationalismus, mit der Kreierung nationaler Symbole, bis das Ganze sich dank der Erweckungstätigkeit und Volksaufklärung Snellmans langsam politisierte. Snellmans finnischer Staatsgedanke war linkshegelianischer Herkunft und konzentrierte sich auf die Erörterung der Beziehungen zwischen Staat, Volk und Bürgergemeinschaft und der Entwicklungsmöglichkeiten aus der Sicht des Finnentums. Während seiner Deutschlandreise 1840–1841 beobachtete er in Berlin, wie man dort das Ideal einer introvertierten Bildungskultur anstrebte, was sich seiner Meinung nach nicht mit der von ihm bewunderten Bildungsidee Goethes vertrug, die aus athenischem Heidentum und Naturverbundenheit entsprang. Auf diesem Boden traf seine Kritik an der herrschenden politischen Kultur auch die Gleichgültigkeit der schwedischen Intelligenz gegenüber den finnischen Zuständen: Den gebildeten (schwedischsprachigen) Bevölkerungsanteil kümmerte nicht im Geringsten der geistige und materielle Fortschritt der finnischen Bevölkerung. Blicke um dich und siehe, ob das materielle Elend auf dem Lande auch nur irgendeinen der Herrschenden rührt oder ob sich auch nur ein einziger Universitätsgelehrter den Kopf zerbricht wegen des einfachen finnischen Volkes. Ich spreche nicht von den Zahllosen, die überhaupt kein Gewissen haben, wenn zwischen dem Vaterland und Gehältern, Orden usw. zu wählen ist.

Die Bedeutung Snellmans als Fürsprecher der finnischen politischen Kultur lässt sich gar nicht überschätzen, so mannigfaltig war seine Tätigkeit in diesem Zusammenhang. Als er mit der Universitätsführung in Widerstreit geriet, machte er sich in Kuopio sesshaft und begann1844 sowohl finnisch- als auch schwedischsprachige Aufklärungsschriften herauszugeben. Die schwedischsprachige Zeitung Saima war in Finnland beispiellos: Während andere Zeitschriften nur Nachrichten oder religiöse und belletristische Texte veröffentlichten, wurde hier nicht nur gefordert, das Finnische zur Bildungssprache zu erheben, sondern die finnische Literatur und das Schulwesen wurden als Teil der Probleme in der Wirtschaft und der Gesellschaft gesehen wie etwa der Begrenzung der kommerziellen

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Erwerbsmöglichkeiten und der Rückständigkeit der Landwirtschaft, der erbärmlichen Situation der landlosen Bevölkerung und der Armen sowie ganz radikal auch des nicht gleichberechtigten Status der Frauen in der patriarchalischen Gesellschaft. Als die Kritik in der Saima auch auf höhere Beamte zielte, musste die Herausgabe der Zeitung 1846 als revolutionär („jakobinisch“) eingestellt werden. Bedeutsame Impulse hatte sie gleichwohl bereits gegeben, denn besonders die ostfinnischen Finnlandenthusiasten – die Fennomanen – folgten dem Beispiel und gründeten in Wiborg finnlandfreundliche Vereine und Schriften. Auch an der Universität Helsinki erschien nun Aufklärungsliteratur für das Volk; ein Plan zur Errichtung von Dorfbüchereien und die Herausgabe finnischsprachiger Zeitungen wurden in Angriff genommen. Der Student Paavo Tikkanen aus Kiuruvesi besorgte sich 1847 die Erlaubnis zur Gründung eines eigenen politischen Organs namens Suometar für die Verbreitung des Finnentums. Typisch für die Anfangsphase der Fennomanie war, dass solche für die öffentliche Diskussion wichtigen Begriffe wie valtio (Staat), sanomalehdistö (Presse) und mielipide (Meinung, Auffassung) als Übersetzung ins Finnische eingebracht wurden, die allerdings nicht in liberaler oder demokratischer Intention Verwendung fanden. Eine große Rolle für die „Erweckung“ der Bevölkerung spielte all dies nach anfänglicher Begeisterung kaum, denn sowohl das Zensurstatut (1850) als auch die Eingriffe des Parlaments bildeten schwere Hindernisse für die Verbreitung der Inhalte und die politische Diskussion. Die Aufklärungsarbeit trug erst in der Reformzeit der 1860er Jahre Früchte hinsichtlich des Landlebens und der Volkskultur. Zur Zeit der Revolutionen in Europa (1848–1850) zeigten sich in der patriotisch-vaterländischen politischen Kultur radikale Risse, als die Studenten erstmals wagten, öffentlich gegen die für rückständig gehaltenen Begrenzungen der Rede- und Vereinigungsfreiheit zu protestieren. An der Seite der Fennomanie stieg der Liberalismus der neuen Generation auf. Die Beteiligung Russlands an der Niederschlagung des ungarischen Freiheitskampfes interpretierte man als Zeichen despotischer Gewaltanwendung und die Loyalität gegenüber Zar Nikolaus I. war erschüttert. Die älteren Fennomanen um Snellman lehnten jedoch den Liberalismus ebenso wie das Engagement für den aus Schweden kommenden Skandinavismus – der die Trennung Finnlands von Russland forderte und die Ideologie eines Verbunds der nordischen Völker pflegte – ab, denn dies bedrohte die gemeinsame Sache der Förderung finnischer Kultur und Sprache. Die Unterstützung des Zaren musste garantiert bleiben, um das Finnentum allem Schwedischen ebenbürtig an die Seite zu stellen und es in kulturellen Dingen und auch in der Politik zu überflügeln. Die Bewahrung der Front eines einheitlichen Finnentums war umso wichtiger, als finnlandschwedische Kreise in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts nachzuweisen versuchten, dass die Finnen als Rasse unfähig seien, den schwedischen „Germanen“ in der Förderung von Kultur und Bildung nachzueifern. Sie priesen die (Hoch-)Kultur Finnlands als ein Verdienst der Schweden – eine Idee, die später Svekomanie genannt wurde. Es bildeten sich neue kulturell-politische Frontlinien, die bis über die Unabhängigkeit hinaus aktuell blieben: Konfrontation und Kampf um die Kulturhegemonie zwischen Finnen- und Schwedentum sowie ein Tauziehen zwischen verschiedenen Gruppierungen des Liberalismus und der Fennomanen um ein freizügiges, individuelles und kollektives nationalromantisches Kulturideal. Für die Demokratisierung der finnischen wie der europäischen politischen Kultur im Allgemeinen waren die freiwillige Selbstorganisation der Bürger und das Beleben des Vereinswesens im Sinne verschiedener aktueller sowie bildungs- und sozialpolitischer Absichten besonders wichtig. Zuerst bildeten sich in finnischen Städten seit den 40er Jahren (Kok-

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kola und Raahe 1840) Damenzirkel mit dem Ziel, vor allem armen Mädchen eine Grundausbildung zu verschaffen (Lese- und Schreibfertigkeit, Haus- und Handarbeiten) und sie moralisch zu erziehen. Hier wurzelte auch der Gedanke der Bildung für Frauen und ihrer Teilnahme an Aktivitäten außerhalb des Hauses. Auch die Obrigkeit hielt es für eine wichtige Aufgabe zunächst der Kirche, eine Grundausbildung für die ärmeren Bevölkerungsteile zu gewährleisten, nahm aber seit den 50er Jahren den höheren Unterricht unter eigene Aufsicht. Diese Bemühungen blieben vorerst so bescheiden, dass Kreise, die die nationale Erweckung und die Befreiung des Gewerbewesens vom Merkantilismus befürworteten, eine umfassendere Grundbildung für das ganze Volk auch in praktischen und theoretischen Fächern wie Finnisch, Erdkunde und Geschichte forderten. In diesem Zusammenhang entstand die Idee, ständige Volksschulen einzurichten, aber die Verwirklichung erfolgte wegen des Widerstandes konservativer Kreise erst im nachfolgenden Jahrzehnt. Ein bedeutsames Merkmal in der Geschichte des finnischen Bildungswesens war der aktive Einsatz, den Damen von Stand seit den 1840er Jahren in Form von Wohltätigkeitsarbeit für die Gründung von Schulen erbrachten. Hauptsächlich versuchte man damit zunächst das Problem zu lösen, wie unverheiratete und berufslose Frauen in die Gesellschaft eingegliedert werden sollten. Die freiwillige Mitarbeit der Frauen in den Schulen schuf die Voraussetzungen für ihre spätere Laufbahn als Lehrerinnen. Die Frauen in Wiborg waren hier Wegbereiter, indem sie von Lehrerinnen geleitete Schulen für Mädchen von Stand einführten und in der dortigen Finnischen Literaturgesellschaft mitarbeiteten. Es entwickelte sich eine eigene sowohl weltliche als auch religiöse Kulturarbeit der Frauen, als Frauengesellschaften und Diakoniearbeit der Frauen sich in den 40er Jahren in den Städten zu eigenen Sektoren differenzierten. Die Fennomanen Snellman und Topelius standen den Frauen hierin hilfreich zur Seite. Die Ständegesellschaft begann also auch in diesem Sinne langsam zu zerbröckeln und die für sie charakteristische, auf den Wertvorstellungen der Stände beruhende politische Kultur veränderte sich zu einer Kultur der Volksgemeinschaft, in der ein sozialeres Ethos herrschte und aus der erneuernde Kräfte erwuchsen, die für die Lage aller Gesellschaftsschichten Sorge und Verantwortung trugen. Mit dem Aufstieg der Frauen zu Erzieherinnen in der Familie zerbrach auf dem Land die traditionelle väterliche Machtstellung, die mit der Zeit der familienorientierten Moralität der Stadtbürgerschaft weichen musste.

Zeit der Neuerungen und Wandel der liberalen Kultur Die Katastrophe des Krimkrieges zwang Russland zu Reformen und das Erneuerungsprogramm Alexanders II. betraf auch Finnland. Sein Erlass von 1856 an den Senat betraf in erster Linie Stützmaßnahmen für Handel, Industrie und Schifffahrt, Verbesserungen der Verkehrsverbindungen im Binnenland und an der Küste, aber auch die Entwicklung des Schulwesens. Der Senat begann das Reglement der merkantilistischen Wirtschaft aufzulösen und den Handel freizügiger zu gestalten, was der für Finnland extrem wichtigen Holzindustrie und dem Export nach Russland starke Impulse verlieh. Gleichzeitig erfolgte ein Wandel der geistigen Atmosphäre weg von der Hegel’schen staatszentrierten Gedankenwelt hin zu einer stärker gesellschaftlichen und empirischen Betrachtungsweise, die als Bedingung für die Entwicklung der Gesellschaft mehr Freiheiten für das Individuum und mehr Unternehmungsgeist einforderte. Der Darwinismus mit seinem Entwicklungsden-

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ken fand in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts den Weg nach Finnland und war viel eher geeignet, eine dynamischere, radikal-liberale gesellschaftliche und politische Denkweise zu fördern als die bisher vorherrschende christlich-konservativ gefärbte Gesellschaftslehre, da ja auch die jeweilige Entwicklung von Gesellschaft und Kultur nun als Stufe und Ergebnis der Evolution begriffen wurde. Zugleich verlangte die bisher auf behördliche Macht hin orientierte öffentliche Meinung nunmehr die Aktivität und Teilnahme gebildeter Bürger am Gemeinwesen, ein Bestreben, das den Grund legte für eine demokratischere politische Kultur. Der Wandel der politischen Kultur von der Obrigkeitsgläubigkeit in Richtung auf eine Regierungsweise mit grundgesetzlichem Fundament erwuchs im Wesentlichen aus dem Druck der niederen Stände und dem Wohlwollen Alexanders II.: Als er 1863 das aufständische Polen bestrafte, indem er diesem die autonomen Rechte nahm, berief er im Gegensatz dazu in Finnland nach „langer Staatsnacht“ das Parlament wieder ein. Die Absicht war, es nach westlichen Grundsätzen zu entwickeln, aber die Änderungen blieben wegen der Verzögerungen in der Planungsarbeit zunächst bescheiden. Die Vertretungen der niederen Stände, des Bürgertums und der Bauern, wurden 1879 durch Erlass dahingehend erweitert, dass die Vermögenssituation die Grundlage bildete; Schullehrer, fest angestellte Universitätslehrer sowie Beamte wurden dem geistlichen Stand zugerechnet. Obwohl sich der Zar die letzte Entscheidungsgewalt in bedeutenderen Angelegenheiten vorbehielt, konnten auch noch zu Zeiten von Alexander III. und Nikolaus II. weniger wichtige Sachen vom finnischen Senat beschlossen werden. Die Stände versammelten sich regelmäßiger als früher und erhielten auch das Vorlagerecht. Die politische Debatte verlagerte sich nun von der Presse in die Ständeversammlung, und die Diskussionsklubs der einzelnen Stände begannen sich im Parlament als Parteien zu gruppieren, die um das Mitspracherecht und ihre Vorrechte kämpften. Während sie jetzt die künftige Entwicklungsrichtung Finnlands mitbestimmten, prägte zugleich der innerhalb der Stände aufflackernde Kulturwettstreit der Sprachengruppen die politische Kultur. Das Vertrauensverhältnis zwischen den Erneuerern der Fennomanie und der zaristischen Verwaltung führte in dieser Konkurrenzsituation zu Erfolgen: Obwohl sich die Möglichkeiten des Parlaments, auf kulturpolitische Entscheidungen in so brennenden Fragen wie der Stellung der finnischen Sprache und der Reform der Volksunterweisung einzuwirken, auf die Vorlage von Anträgen beschränkten, wurden diese in Petersburg immerhin angehört. Und da die Stände das Recht hatten, die Steuereinkünfte Finnlands für finnische Bedürfnisse zu verwenden, führte man diese mit Zustimmung der Staatsmacht eben kulturellen Zwecken zu. Der slawischen Kultur war ein solches Westlertum völlig fremd und seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde das als bedrohliche Schwächung des russischen Imperiums interpretiert. Die Stärkung der Volksvertretung kann man besonders deutlich an der Verlagerung der Beschlussfassung nach unten in der örtlichen Verwaltung sehen. 1865 erhielten die Dorfgemeinden das Selbstbestimmungsrecht – sie durften nun weltliche Dinge selbst entscheiden und der Kirche verblieben die geistlichen Angelegenheiten. Auch die Aufsicht über die Schulen wurde 1869 von der Kirche an die Schulverwaltung übergeben. Die Beteiligung der steuerzahlenden Dorfbewohner an den Beschlüssen der Kommune bedeutete politische Schulung und Vermehrung gesellschaftlicher Einflussnahme. Ihr Interesse an nationalen Fragen war geeignet, die Kluft zwischen der schmalen, aktiven Gebildetenschicht und den passiven Dörflern auszugleichen. In den Städten ging man 1873 von der korporativ organisierten Machtbeteiligung zum auf Steuerzahlung beruhenden Stimmrecht

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über, aber weil das Stimmrecht von Frauen und Arbeitern dabei sehr begrenzt blieb – noch 1900 verfügte in den Städten ein Viertel der Begüterten über 70 Prozent der Stimmen und nur ein Fünftel der Stadtbevölkerung durfte wählen –, bedeutete das zugleich die Abseitsstellung der Arbeiterkultur gegenüber der bürgerlichen Bildung. Die zum Bürgerkrieg von 1918 führende Konfrontation mit der Bourgeoisie begann sich in der Arbeiterschaft zu entfalten. Eine zentrale Bedingung für das Stimmrecht bildete über einen längeren Zeitraum das für die Nationalität erforderliche Bildungsniveau, wofür eine Grundausbildung und Unterricht notwendig waren. Wenngleich die finnische Sprache in vielen Bereichen, etwa in der Wissenschaft, noch als unterentwickelt empfunden wurde, so verbesserte sich ihre offizielle Position doch ständig. Bis 1842 war Finnisch in den Schulen lediglich ein Lehrfach unter anderen, seit 1856 durfte es auch als Unterrichtssprache gesprochen werden. 1858 wurde die erste finnischsprachige Dissertation erfolgreich verteidigt, ab 1857 schon konnten Versammlungsprotokolle in finnischsprachigen Regionen in der Muttersprache abgefasst werden. Die Kirche hatte dafür gesorgt, dass viele Menschen lesen und schreiben konnten; Volksbüchereien gab es Anfang der 1860er Jahre in Finnland 150, Zeitungen 16, davon die Hälfte auf Finnisch. Die Mehrheit der Suometar-Abonnenten waren Bauern. In den 1850er Jahren gingen verschiedene Wissenschaften zum Gebrauch der finnischen Sprache über. So übersetzte Lönnrot zum Beispiel den Wortschatz der Medizin, des Rechts und der Pflanzenkunde, in den 80er Jahren folgte ihm die Medizingesellschaft Duodecim. An finnischsprachiger Literatur erschien in dem einen Jahrzehnt nach dem Krimkrieg mehr (481 Titel) als in der ganzen vorangegangenen Autonomiezeit (425 Bände). Das thematisch zum Kalevala gehörende Werk über den tragischen Helden Kullervo (1860) von Aleksis Kivi ist die erste finnischsprachige Tragödie. Nun war es schon leichter zu verlangen, den finnischsprachigen Unterricht in den Schulen an die erste Stelle zu setzen. Der aufgehende Stern des Finnentums, Yrjö-Koskinen, hatte sich schon in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts leidenschaftlich für finnischsprachige Volksschulen als Werkzeug der Bildung auf dem Lande eingesetzt, aber die Volksunterweisung und die Volksschulidee konnten erst in den Reformen Alexanders II. umgesetzt werden, als dann auch Wirtschaftskreise den Gedanken kräftig vorantrieben, weil ihrer Meinung nach auch die Entwicklung von Industrie und Gewerbeleben eine Verbesserung des Ausbildungsniveaus verlangte. Davor war Finnland geprägt von der traditionellen Glaubenswelt in den Landgebieten, der kulturellen und geistigen Eigenständigkeit der Bauern, die der Nationalismus noch nicht zerstört hatte, und der seit der schwedischen Herrschaft bewahrten Ständekultur in ihrem gustavianischen Rationalismus und Neohumanismus. Jetzt wehten liberalere Winde: Das geistige Leben sollte aus der Macht der Geistlichen befreit, Schule und Kirche sollten voneinander getrennt werden. Der auf einer nationalen Einheitskultur errichtete Plan des Pädagogen und Landesschulinspektors Uno Cygnaeus sah Schulen vor, die für die sittliche und physische Erziehung sorgten. Ihre Gründung in der Provinz wurde 1858 durch einen Erlass möglich gemacht. Für die Städte wurden Volksschulen im Jahre 1866 verordnet. Um ihren Lehrerbedarf zu befriedigen, gründete man das Lehrerseminar in Jyväskylä (1863), das sich schnell zum Zentrum der finnischen Sache auf dem Lande entwickelte. So wurde der Grundstein gelegt für eine berufliche und theoretische Fortbildung, die auch geeignet war zu bewirken, dass sich das Landvolk mehr und mehr seines eigenen finnischen Wesens bewusst wurde. Die finnische Bauernmentalität neigte zum Leidwesen der Schulenthusiasten dazu, die Gründung von Volksschulen abzulehnen,

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denn man fürchtete, aus den Kindern würden nur „Herren“, die sich nicht mehr mit den Bräuchen und Lebensverhältnissen ihrer Väter identifizierten. Die Mehrheit der Volksschulabsolventen waren Ende des 19. Jahrhunderts denn auch Kinder von Grundbesitzlosen; allerdings muss gesagt werden, dass überhaupt nur jeder zehnte Schüler ein Abgangszeugnis bekam. Der Streit um die Sprache in den Schulen spitzte sich in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts zu, als die finnisch Gesinnten verlangten, die Unterrichtssprache in allen Schulen Finnlands sollte Finnisch sein, um zu gewährleisten, dass sprachkundiger Nachwuchs für die Beamtenschaft und die Gelehrtenlaufbahn zur Verfügung stand. Die Schulordnung von 1872 beruhte dann allerdings auf den Vorschlägen der Kulturaristokratie, einer Minderheit, die die Gesellschaftshierarchie und das Ständewesen bewahren wollte, und richtete sich demnach gegen die kulturdemokratische, die Einheit der Nation betonende Linie der Fennomanen. Der überwiegend in Adelshand befindliche Küstenstreifen von Wiborg bis nach Oulu blieb einzig schwedischsprachigen Schulen vorbehalten und das übrige Finnland hatte sich mit vier finnischsprachigen Oberschulen zu begnügen. Sowohl die Fennomanen als auch die Liberalen waren von dieser Entscheidung schwer enttäuscht, hatte sich doch die russische Obrigkeit entgegen allen Hoffnungen auf die Seite der schwedisch Gesinnten geschlagen. Nun blieb ihnen nichts übrig, als die Bürger über Vereinstätigkeit zu aktivieren. Die Auffassung der Liberalen, kritisches Denken sei die Grundvoraussetzung für allen menschlichen Fortschritt, äußerte sich zuerst als Widerspruch zur christlichen Glaubenslehre, da man für religiöse Toleranz und Glaubensfreiheit eintrat. Eine zweite Forderung betraf die Erweiterung der grundgesetzlichen Freiheit. Die Freidenker gruppierten sich Anfang der 60er Jahre um die moderaten Zeitungen Helsingfors Dagbladet und Hufvudstadsbladet, und aus ihren Reihen stiegen bekannte Politiker auf wie Leo Mechelin, der als Verfechter der Autonomie Finnlands einen internationalen Ruf gewann, und der Theologe F. L. Schauman, der das freizügige Kirchengesetz (1869) verfasste und die Parlamentsreformen vorantrieb. Als die Stellung der Kirche als Staatskirche aufgegeben wurde, erfüllte sich das wichtigste Ziel der Liberalen: Die Mitgliedschaft in der lutherischen Kirche war nicht länger Bedingung für die Erlangung der Bürgerrechte. Die Kirche erhielt nach dem Prinzip der Selbstverwaltung in der Kirchenversammlung eine unabhängige Instanz. Mit ihrer Laienmajorität glaubte man eine entwicklungsfähigere und veränderte „Volkskirche“ zu schaffen. Bemerkenswert ist, dass die für die nationalen Parteien lebenswichtige Sprachenfrage für die Liberalen zweitrangig war, denn ihrer Ansicht nach konnten Finnisch und Schwedisch nebeneinander den Fortschrittsbedürfnissen des Volkes dienen, und an der Freiheit des Einzelnen, seine Sprache zu wählen, sollte nicht gerüttelt werden – Eingriffe würden die natürliche Bildung in der eigenen Sprache nur behindern. Die „natürliche Entwicklung“, der Wettbewerb zwischen Schwedisch und Finnisch, sollte entscheiden, welche der beiden Sprachen die Kulturentwicklung des Landes tragen würde. Die Tatsache, dass die Einstellung der Liberalen derart freizügig war, führte letztlich dazu, dass sie in der finnischen Kulturpolitik aufs Abstellgleis gerieten, als sich der Sprachenkampf zuspitzte. Handeltreibende und in der Industrie Beschäftigte begannen entsprechend, die liberale Wirtschaftspolitik zu befürworten, was im Parlament von Bürgern, die den Unternehmungsgeist stützten, und teilweise auch von Bauernvertretern gutgeheißen wurde. Dem gewöhnlichen Volk freilich blieb der Liberalismus mit seinem Gedankengut fremd. Kultur-

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historisch gesehen war die Parlamentsverordnung von 1869 ein Sieg für die Liberalen: Der Zar bewilligte dem Parlament ein befristetes Versammlungsrecht und garantierte damit die Fortsetzung der Reformgesetzgebung. Die zehn Jahre später erfolgte völlige Befreiung der Erwerbstätigkeit schuf ebenfalls Voraussetzungen für Wohlstand und damit zugleich für eine dem Zeitgeist entsprechende Verbesserung des allgemeinen Kulturniveaus.

Die Fennomanie Unter Fennomanie ist hier das bereits dargestellte Programm von Snellman und dessen praktische Verwirklichung durch seine Nachfolger in dem ideellen Kampf für die Rechte der finnischen Sprache und Kultur zu verstehen, der seit den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts im Gange war, verbunden mit der Absicht, die finnischsprachige Intelligenz – nach einem schnellen Siegeszug des Finnischen – in eine Hegemonieposition zu bringen. Denn nur ein eigensprachlicher Kultureinsatz könne die Bildung der Nation fördern und dem finnischsprachigen Bevölkerungsteil zu einem sozialen Aufstieg verhelfen. Eine besondere Rolle bei der Formulierung und den Begründungen der Reformfragen und -ziele fiel im Zuge ihrer Politisierung der finnischgesinnten Presse zu. Auf diesem Wege konnten die Intellektuellen die Snellman’sche Vorgabe realisieren, sich dem Volk anzunähern und diesem dienstbar zu sein, anstatt nur Befehle der Obrigkeit auszuführen. Das war nicht leicht, denn in den unteren Schichten gab es starke Vorurteile gegen die Absichten der „Herren“, und die gebildeten Vertreter, die das einfache Volk kaum kannten, vermochten nur selten, sich „volkstümlich“ verständlich zu machen. Die Frage des offiziellen Status der finnischen Sprache wurde noch aktueller, als die Landbevölkerung forderte, die Beamten sollten imstande sein, mit ihnen in ihrer eigenen Sprache zu kommunizieren. Da der Senat in dieser Angelegenheit bremste, wandte sich Snellman 1863 während dessen Aufenthalts in Finnland an Alexander II. und brachte ihn – bei gleichzeitiger Zusicherung der finnischen Loyalität – dazu, eine Sprachenverordnung zu erlassen, die das Finnische als gleichberechtigt neben dem Schwedischen anerkannte, was in der Praxis zur Folge hatte, dass die Behörden und Gerichte ab sofort finnischsprachige Eingaben akzeptieren und Dokumente ab 1883 auch in finnischer Sprache vorlegen mussten. Die Beamten hatten also zwanzig Jahre Zeit, Finnisch zu lernen. Im weiteren Verlauf politisierte sich der Bildungskampf und verlagerte sich ins Parlament. Hier stellte sich der junge Historiker Yrjö-Koskinen sowohl gegen die konservativen und gemäßigten Finnlandfreunde als auch gegen die Liberalen, indem er für die vollständige Erfüllung des Snellman’schen Programms eintrat. Er konnte sich dabei auf weite Bauernkreise berufen, und als der Senat nur bescheidene Mittel zur Verbesserung der Stellung des Finnischen bereitstellte, organisierte er umfangreiche Bürgerinitiativen, um so Geld für die Gründung finnischsprachiger Schulen zu sammeln. Als Ergebnis der Bemühungen entstand eine Reihe finnischer Oberschulen (Wiborg, Turku und Pori 1879, Vaasa und Lappeenranta 1880, Tampere 1881). Als Yrjö-Koskinen dann in den Senat gewählt wurde, sorgte er dafür, dass diese zu staatlichen Einrichtungen wurden. Erwähnt sei, dass für das finnische Schulkonzept auch im Ausland geworben wurde, wie etwa durch Antti Jalava 1875 auf seinen Reisen nach Deutschland und Österreich-Ungarn. Die Gründung des finnischsprachigen Schulwesens mithilfe privater Spenden hatte weitreichende zivilisatorische Folgen. Nachdem Oberschulen und Gemeinschaftsschulen

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(für Mädchen und Jungen) sich bis zur Jahrhundertwende auch in die provinziellen Zentren verbreitet hatten und vom Staat gefördert wurden, kann man vom Standpunkt der Kultur aus von einer echt demokratischen, volksnahen Institution innerhalb der Ständegesellschaft sprechen. Der im europäischen Vergleich frühe Schulanfang der Mädchen und die damit verbundenen Chancen auch zu höherer Bildung erweckten auch im Ausland positives Aufsehen. Auch die ehrenamtliche Volksbildungsarbeit erwachte ab Ende der 60er Jahre, als die örtlichen Volksschullehrer und Oberschüler in den Städten und Landgemeinden der näheren Umgebung national gesinnte und leicht verständliche Vorträge und verschiedene Volksfeste organisierten. Um diese Initiativen zu koordinieren, gründete man 1874 eine Volksbildungsgesellschaft, die eine umfassende Publikationstätigkeit betrieb. Auf diese Weise erreichte man das einfache Volk, motivierte es zur Teilnehme an unterschiedlichen Kulturveranstaltungen, weckte sein Interesse an Bildungsfragen, Literatur und Kunstleben. Auf solchem Fundament erhielt die „Vaterlandsliebe“ auch andere als nur sentimentale Inhalte und Bedeutung. Unter den Gebildeten begann sich die finnische Sprache effektiv in den 1870er Jahren vor allem bei den jungen Studierenden durchzusetzen, bei den älteren wollte das nicht mehr gelingen – viele Familien machten eine Phase der Zweisprachigkeit durch. Die Zuspitzung des Sprachenproblems brachte auch mit sich, dass sich die Sprachgruppen voneinander entfernten, was die Trennung in verschiedene Konversationskreise und Klubs zur Folge hatte. Bei Finnlandfreunden kam es zuweilen sogar zum Familiennamenwechsel; aus Stenbäck wurde Kivekäs, aus Europaeus Äyräpää, aus Krohn Suonio usw. – und dessen schämte man sich nicht. Im Vergleich zum massenweisen Wandel der Namen durch die Finnlandbewegung im 20. Jahrhundert war die Zahl der Namenswechsler zunächst bescheiden, aber das Beispiel war vorgegeben. Als ein bedeutsamer Sieg für die Finnlandbewegung kann gelten, dass die finnischgesinnten Studenten in den 80er Jahren zur Mehrheit in der Studentenschaft aufstiegen. Damit war die Gelegenheit gegeben, das Fennomanieprogramm zu realisieren, und die Radikalen unter Führung von Lauri Kivekäs versuchten die Schwedischsprachigen vollständig zu eliminieren. Durch den Widerstand der gemäßigten Finnlandfreunde und der Liberalen gelang dieses Vorhaben freilich nicht, und die schwedische Sprachenpartei, der sich die Liberalen anschlossen, um ihre Muttersprache zu erhalten, wurde dadurch nur gestärkt. Gleichzeitig gruppierten sich die älteren Fennomanen unter E. G. Palmén und J. R. Danielson 1880 um die Zeitung Valvoja und verlangten unabhängig von dem schroffen Programm Snellmans eine gerechte Behandlung der finnischen Sprache. Ihr Ausgangspunkt war in dem Sinne freizügig, dass die finnische Kultur Einflüsse der europäischen Kulturströmungen aufnehmen und sich nicht nur engstirnig auf einheimische Quellen berufen sollte. Der finnisch-livische Schriftsteller Max Bruch erläuterte diesen akuten Sprachenstreit deutschen Lesern in seinem Buch Finnland und seine Nationalitätenfrage (1883); er warnte darin vor Sprachenfanatismus und trat für die Gleichberechtigung von Finnisch und Schwedisch ein. Gegen Ende des Jahrhunderts erhielten die Machtbestrebungen der Fennomanen erheblichen Auftrieb dadurch, dass sich die einfachen Leute dessen bewusst wurden, dass die Bewegung als Vorkämpfer für Wohlstand gelten durfte. Außerdem konnte sie ja in ihren Reihen kompetente Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller und Kulturschaffende vorweisen und somit als schöpferische Kulturkraft ohne den Anflug eines Emporkömmlings auftreten. Besonders sehenswert und repräsentativ waren die Opernabende des fin-

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nischen Theaters und die für finnische Verhältnisse damals ausgesprochen festlichen staatlichen Veranstaltungen, bei denen führende Fennomanen wie Yrjö-Koskinen als mittlerweile Geadelte höheren Standes auftraten. Zur Amtszeit des Generalgouverneurs Heiden (1881–1897) stützte die zaristische Macht noch mehr als bisher die finnische Partei gegen die schwedische und skandinavische Richtung, und zahlreiche höhere Beamtenposten standen deren Mitgliedern offen. Unter anderem wurden Yrjö-Koskinen und Mechelin zu Senatoren ernannt. 1886 erging die Erlaubnis, auch auf höherer Behördenebene die finnische Sprache zu benutzen.

Verteidigung Finnlands im Deutschen Reich 1899 erließ Zar Nikolaus II. das Februarmanifest: Finnland fiel unter die gemeinstaatliche Gesetzgebung Russlands. Damit mussten in Finnland gültige Gesetze von den russischen Behörden erlassen werden. Das finnische Parlament hatte nur noch ein Vorlagerecht. Die Finnen empfanden den einseitigen Akt als Annullierung der von Alexander I. 1809 garantierten Autonomie. In der ersten Unterdrückungsphase 1899–1905 wendeten sich finnische Gelehrte und Juristen an alle liberal Gesinnten in Westeuropa mit dem Anliegen, die grundgesetzlichen Rechte Finnlands mit zu verteidigen. Durch Flugblätter und die verfassungsrechtlichen Schriften von Leo Mechelin wurde die finnisch-russische Kontroverse auch im Deutschen Kaiserreich bekannt. Deutsche Juristen nahmen dazu auch in eigenen Schriften Stellung; sie schlossen sich überwiegend der finnischen, in Deutschland von Hugo Pipping propagierten Position zum Grundgesetz Finnlands an: Finnland als eigener Staat im russischen Imperium. Nur vereinzelt wurden andere Stimmen laut, zum Beispiel diejenige des Pseudonyms Sarmatus, der mit Berufung auf den Rechtsphilosophen Georg Jellinek in seinem Werk Russland und Finnland. Vom Russischen Standpunkte aus betrachtet (Berlin, 1903) Russland für unteilbar hielt und das nationale Selbstbestimmungsrecht Finnlands ablehnte. Eine der zentralen Gestalten der liberalen deutschen Intellektuellenszene und Vertreter eines ethischen Aktivismus, der Philosoph Rudolf Eucken (1846–1926), dem 1908 der Nobelpreis verliehen wurde, wurde in Deutschland zur Galionsfigur der Finnlandverteidigung. Er half den Finnen, in Deutschland Unterschriften für die internationale Adresse Pro Finlandia zu sammeln, die Nikolaus II. in Petersburg überreicht werden sollte. Er konnte nicht glauben, dass der Zar als Friedensstifter sein treues und loyales finnisches Volk unterdrücken wollte, das auf der Pariser Weltausstellung bewiesen hatte, zu den „fortschrittlichsten Nationen Europas“ zu zählen. Eucken leistete seine Unterschrift als Erster von 1063 international bekannten Persönlichkeiten wie Émile Zola, Florence Nightingale, Edvard Grieg, Henrik Ibsen, A. E. Nordenskiöld und anderen. Eine Gesandtschaft Rechtsgelehrter brachte die auch als „Kulturadresse“ bezeichnete Petition 1899 nach Sankt Petersburg in der Hoffnung, vom Zaren angehört zu werden, der daraufhin das Februarmanifest zurücknehmen würde. Die Enttäuschung war groß, als man gar nicht erst vorgelassen wurde; eine bedeutende Kulturinitiative verlief so als politische Demonstration im Sande. Anssi Halmesvirta

Die fennomanische Bewegung war jedoch aufgrund von Differenzen bezüglich ihrer kulturellen Ziele an eine Wegscheide gekommen. Eine der strittigen Fragen war die Befreiung der Frauen, die von den christlich-idealistischen alten Fennomanen abgelehnt wurde, während die radikalen Freidenker, in vorderster Front die Zeitungsredakteure und Schrift-

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steller Eero Erkko, Juhani Aho und Arvid Järnefelt, die Freiheit der Frauen als Voraussetzung für die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung betrachteten. Letztere bekamen kräftige Schützenhilfe unter anderem durch die Schriftstellerin Minna Canth, die wie Ibsen Vorurteile in der Gesellschaft und Missstände im Familienleben aufs Korn nahm. Sie distanzierten sich auch von der Gefügigkeit Koskinens gegenüber Russland und traten gegen die russische Integrationspolitik auf. Diese Konfrontation bestand bis zur Unabhängigkeit fort.

„Die Wikinger“ Die finnlandschwedische Partei „Die Wikinger“ verdankte ihren Namen der in den Jahren 1870–1874 erschienenen Zeitung Vikingen, die die offizielle Politik der SchwedentumBewegung propagierte und für die Bewahrung der führenden Stellung der schwedischen Sprache, der schwedischen Gebildeten und deren Kultur in Finnland eintrat. Ihr Vordenker war Axel Olof Freudenthal, beheimatet in der schwedischen Region von West-Uusimaa, der – frei nach Snellman – die Sprache als nationalitätsbestimmenden Faktor für den Menschen begriff. Logischerweise waren Schwedischsprachige also Schweden. Es konnte nicht richtig oder natürlich sein, sie zum Wechsel der Sprache, mithin zum Finnischen, zu zwingen. Gemäß der herrschenden Rassenlehre hielten die Schwedischgesinnten wegen ihres germanischen Hintergrundes die Finnen für geistig schwächer veranlagt – die Geschichte zeige doch, dass eben die Schweden die Kultur in Finnland verwurzelt hätten und diese sich nur unter ihrem Beistand habe weiterentwickeln können. Der Gedanke, das Schwedentum bilde in Finnland den „Vorposten“ des Westens gegen die „Barbarei“ des Ostens, implizierte, dass die Finnen dazu nicht in der Lage seien. In gleichem Geist war die Verwandtschaft der finnisch-ugrischen Völker, deren Bedeutung man allgemein anzuerkennen begann, für die Wikinger eine bloße Illusion. Obwohl die Politik der Fennomanen positive Erfolge zugunsten der finnischen Sprache zeitigte, behielt die Vorstellung der Wikinger von einer Kulturüberlegenheit starken Anhang bei den Adligen und in der Bürgerschicht, das Finnentum hingegen wurde von der Geistlichkeit und dem Bauernstand getragen. Im heftigen Kampf dieser beiden Richtungen wankte die Position der Liberalen und ihre Partei verschwand 1888 aus dem Parlament. Die Bestrebungen der Schwedischnationalen konzentrierten sich stark auf die Bewahrung ihrer kulturellen Führungsposition. Die philologische Erforschung des Schwedischen an der Universität verfiel währenddessen zusehends und die schwedischsprachige Volksbildungsarbeit blieb deutlich hinter der finnischsprachigen zurück. Gegen Ende des Jahrhunderts kam Kulturpessimismus auf, als die schwedischen Gebildeten an der Zukunftsfähigkeit ihrer kulturellen Position zu zweifeln begannen und zu ihrer Rettung schnellstens die Gründung eigener Kulturinstitutionen für den schwedischsprachigen Bevölkerungsteil in Angriff nahmen. Die politische Vormachtstellung des Schwedischen zerbrach endgültig durch die Parlamentsreformen des Jahres 1905, als das Ständewesen aufgegeben wurde und man zu einem Vertretungssystem mit einer Kammer auf der Grundlage allgemeiner und gleichberechtigter Wahlen überging. Die 1907 gegründete Schwedische Volkspartei musste sich nun an ihre eigene Anhängerschaft wenden, um eigenes Kulturkapital zu sammeln – es entstanden der Schwedische Kulturfonds und weitere Institutionen für die Volksbildungsarbeit.

Der urbanen Kultur entgegen

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Der urbanen Kultur entgegen Die traditionelle christliche Kultur und Wissenschaft lebten im Finnland der Mitte des 19. Jahrhunderts in einer Symbiose: Die Welt und der Mensch waren von Gott geschaffen und die Erscheinungen und Lebewesen der Schöpfung für die Naturforscher wundersame Produkte göttlicher Weisheit. Glaube und Wissen bildeten für die Zivilisation eine weltanschauliche Synthese. Die Entwicklungslehre zerstörte diese Auffassung, die naturgesetzliche Kausalität wurde von der Physik auf die Natur projiziert, die Lehre von der Materie und den darauf wirkenden Kräften verdrängte die Religion. Die deistische, von Gott geplante Daseinskette und die festgelegte Hierarchie der Lebewesen wurden allmählich durch einen Evolutionsstammbaum ersetzt, der auf Anpassung, Veränderung und natürlicher Auswahl durch Überlebensfähigkeit basierte. Diese Betrachtungsweise übertrug man auf verschiedene Weise auf die Gesellschaft und die Geschichte, wodurch deren Entwicklung eine differenzierte Dynamik und Individualität annahm. Die kulturelle Entwicklung begriff man nun als stufenweise Anpassung beim Durchlaufen verschiedener Phasen – Mitte des 19. Jahrhunderts schien der Fortschritt bis hin zur Vollkommenheit dank der kapitalistischen, technisch-industriellen Entwicklung möglich, bis am Ende des Jahrhunderts Zeichen des Niedergangs, der Degeneration und Dekadenz, des Dahinsiechens der Kultur in den Blick gerieten. Das geistige Leben drohte unter dem materialistisch gewordenen Daseinskampf zertreten zu werden. Gleichzeitig spiegelten die von der Industrialisierung verursachten Missstände und sozialen Probleme das Kulturbild als beängstigende Drohung wider. Die Dialektik des Marx’schen Historischen Materialismus ihrerseits stellte eine kämpferische Weltanschauung vor, die das Gleichgewicht der bürgerlichen Kultur und das Streben nach Harmonie radikal ins Wanken brachte. Allerdings fanden die empirischen, materialistischen und naturalistischen Ansichten von der Natur und der Gesellschaft im europäischen Vergleich erst spät, in den 80er Jahren, Anklang bei den finnischen Gelehrten. So wurde zum Beispiel John Stuart Mills den Feminismus stützendes Werk The Subjection of Women (1869) 1910 ins Finnische übersetzt, also erst lange nach dem eigentlichen weltanschaulichen Umbruch. Eine neue Auffassung, wonach die Entwicklung der Kultur unter dem Gesichtspunkt der Realität beurteilt wurde, setzte sich im Realismus der Belletristik durch. Aufgabe des Schriftstellers war nun, Missstände, Vorurteile und doppelte Moral aufzuzeigen und die niederen Schichten der Gesellschaft ins Rampenlicht zu rücken. Deren Leben fernab jeder Kultur wurde als erbärmlicher und teilweise tierischer Kampf ums Dasein geschildert, als Gegensatz zum kultivierten, korrumpierten und extravaganten Leben der Oberschicht. In Finnland begannen diese Strömungen in den 70er und 80er Jahren bei der jüngeren Intelligenz zu wirken, gleichwohl ein religiöses, romantisch-ideales und patriotisches Finnlandbild, besonders in den Erzählungen des Feldschers und in Maamme kirja (Unser Vaterland) von Zacharis Topelius, noch lange Zeit die jüngeren Generationen bestimmte. Die ersten Symptome für den Beginn einer neuen Weltanschauung tauchten bei denjenigen Freidenkern auf, die als Voraussetzung für die Entwicklung des Individuums geistige Aufrichtigkeit ansetzten. An Wunder der Bibel und andere „unglaubliche“ Dinge mochte man nicht mehr glauben, was die Theologie als ethisch unkorrekte Haltung interpretierte. Da zwischen Kirche und freimütig Gesinnten kein Dialog entstand, verlor die Kirche allmählich den Zugriff auf die Gebildeten. Zu Beginn der 80er Jahre mündeten die Gegensätze in einen öffentlichen Überzeugungsdisput, als die gesellschaftlichen Miss-

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stände offen diskutiert wurden. Die neuen Ideen begannen sich auch unter dem einfachen Volk zu verbreiten. Einen extremen Kulturschock für die finnische akademische Jugend verursachte 1880 die Aufführung von Henrik Ibsens Nora (finn. Nukkekoti, Die Puppenstube) im finnischen Theater. Um in der Rolle der Nora die Schauspielerin Ida Aalberg als starke Interpretin des Themas der Befreiung der Frau zu sehen, ging etwa Juhani Aho mehr als zehn Mal in das Stück. Der Protest Ahos und anderer junger Leute richtete sich vor allem gegen die Kirche, die man als Hüter der auf doppelter Moral und Glauben beruhenden patriarchalischen Autorität ansah. Wenn sich schon nicht alles durch Wissen und Verstand erklären lasse, solle man sich doch zumindest von dem blinden Glauben an die Lehren der Bibel und von allen Vorurteilen lösen und individuell eine neue Moral und neue Werte zu finden versuchen. Der Durchbruch des Darwinismus in Finnland förderte zweifellos auch die Ausbreitung des naturalistischen Moralbegriffs auf dem Lande, zum Beispiel in Kuopio in der Provinz Savo, wo sich um die Schriftstellerin Minna Canth die „Junges Finnland“ genannte Gruppe bildete und wo man sich mit den Werken von J. S. Mill, Buckle, Taine, Brandes, Renan und Strindberg bekannt machte. Aus diesen bezog man mannigfaltige Anregungen, um sich mit den gesellschaftlichen Fragen im eigenen Land zu beschäftigen, besonders mit der Lage der Frauen und der Armen. Wiederum wurde der Klerus als scheinheilig und rückständig abgestempelt, das unterdrückte einfache Volk hingegen als einfach, aber edel, freilich außerhalb jeder Bildungsmöglichkeiten geblieben. Als problematisch für die Volksaufklärung im Sinne einer Weltanschauung auf naturwissenschaftlicher Basis erwies sich jedoch Ende der 80er Jahre die aufkommende Integrationspolitik des russischen Imperiums, die Finnland derart aufschreckte, dass sich das Volk nicht traute, die Grundlagen der christlichen Moral anzuzweifeln, da nun die Autonomie gefährdet war. Beispielsweise pflegte die volksnahe Suomen Terveydenhoitolehti (Zeitschrift für Gesundheitspflege), mit der 1889 die Hygieneaufklärung in Finnland einsetzte, ein solches Weltbild, in dem Seelen- und Körperpflege in einem göttlichen, aber rationalen („reinen“) Lebenssystem untrennbar zusammengehören. Damit stand sie der Turnund Sportbewegung, die das Volk zum Sporttreiben anregen wollte, zur Seite, um die Körperkultur des finnischen Volkes zu fördern und die in höheren wie niederen Schichten ausgemachten „Degenerationserscheinungen“ zu eliminieren. Das Modell zu einer solchen Sozialhygiene fand man im Programm des Max von Pettenkofer, in den 70er Jahren Pionier der Gesundheitskunde in Deutschland. Der Bruch in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts hinterließ ein zersplittertes Kulturfeld. Die einen verschrieben sich dem Materialismus, andere hielten sich an den Dualismus von Materie und Geist. Zu den Ersteren gehörten sowohl fortschrittsgläubige Optimisten – Freidenker – als auch Kulturpessimisten, die eine kontinuierliche Entwicklung anzweifelten. Zu der anderen Gruppe wiederum zählten sowohl zutiefst Gläubige, ja sogar Mystiker, als auch ewige Zweifler, denen das Schicksal der niederen Volksschichten, vor allem der Landlosen, und aller Armen aufs Gewissen drückte. Die wichtigste Veränderung lag in den Augen der Intelligenz im Autoritätsverlust der Kirche, die in ihrer jetzigen defensiven Position kritisch erörtern musste, wie den Herausforderungen der Wissenschaft und den Bedürfnissen des zu Selbstbewusstsein erwachenden Volkes zu begegnen sei. Waren doch solche „neuen Kirchen“ (wie etwa die finnische Freikirche und die Heilsarmee) entstanden, die ihr eigenes Arbeitsfeld in der Hilfe für Bedürftige, Kranke und Gefangene sahen.

Das Fundament der Arbeiterkultur und der Durchbruch des Sozialismus

Der Anreiz für die Proteste der jüngeren Intelligenz lag weitgehend darin, die Fenster nach Europa hin zu öffnen. Ideen und Vorbilder aus dem internationalen Kulturraum konkurrierten mit nationalen, traditionellen Auffassungen. Wichtigstes Reiseziel für Schriftsteller wie für Künstler anderer Genres war Paris. Die Kunstmaler Albert Edelfelt, Akseli Gallén und Eero Järnefelt sowie der Bildhauer Ville Vallgren hielten sich hier unterschiedlich lange auf. Der international vielleicht bedeutendste finnische Wissenschaftler Edvard Westermarck war in England ansässig, untersuchte die Kulturentwicklung unter evolutionistisch-soziologischen Gesichtspunkten und verteidigte als Konstitutioneller die Autonomie Finnlands in der englischen Presse. Auch viele Schulreformer holten sich Ideen aus der angelsächsischen Schulwelt und die finnische Frauenbewegung übertrug Handlungsmodelle zu Abstinenzarbeit und Frauenfragen aus England und den Vereinigten Staaten nach Finnland. Die langjährige Vorsitzende der Finnischen Frauengesellschaft, Alexandra Gripenberg, nahm 1888 in Washington an einem Kongress des Internationalen Frauenverbandes teil und erreichte hier später eine bedeutende Position. In den 1890er Jahren folgte in Finnland wie im übrigen Europa die Abwendung von dem einseitigen Wirklichkeitsbegriff des Naturalismus und Realismus, verbunden mit der Hinwendung zu jenen Erkenntnissen, die menschliche Erfahrung und Menschenkenntnis lehrten. Der Positivismus – die Erklärung aller Realitäten mit deduktiven Methoden – wurde bezichtigt, die Wirklichkeit des geistigen Lebens zu vergessen und abzulehnen. In kantscher Manier wurde ernsthaft bezweifelt, ob das hinter den Erscheinungen verborgene ursprüngliche Sein mit wissenschaftlichen Verfahren überhaupt erkennbar sei. Das hatte entscheidende Folgen für die Philosophie der Kunst.

Das Fundament der Arbeiterkultur und der Durchbruch des Sozialismus Die Arbeiterschaft bildete in Finnland seit Ende der 1880er Jahre eine starke neue Gesellschaftsklasse, die sich aus den Nachkommen der aus ländlichen Regionen weggezogenen Besitzlosen, Bediensteten (Mägde, Knechte), Kleinpächtern, Kätnern und Hofbesitzern zusammensetzte. Diese Wanderbewegung war ein tiefgreifender Prozess für die finnische Gesellschaft und Kultur. Das Nachlassen von Schwendwirtschaft und Teerbrennerei zwang viele zur Arbeit in Fabriken, im Bauwesen, als Diener und Gelegenheitsarbeiter. Damit entfernten sie sich zugleich weg von der bisherigen Abhängigkeit von strenger Dienstherrenmacht in der Landwirtschaft und aus der Bibel gelernter christlicher, altlutherischer Wanderschaft – weg von den Anstrengungen im Tal der Sorgen. Dies zerstörte die von Gott bestimmte Lebensform und die auf Standesdenken beruhende Einheitskultur. Die ländlich-konservative, auf Kohäsion zielende Lebensanschauung der Dorfgemeinschaften wurde umso fragwürdiger, als die Missstände des Systems deutlich zutage traten. Die früheren persönlichen Beziehungen zwischen dem Dienstherrn und seinen Arbeitern wurden durch das Bargeldverhältnis (cash nexus) des Arbeitnehmers zu dem entfernten Fabrikpatron ersetzt. Eine neue Form menschlicher Existenz entstand durch das Individuum, das mehr äußere wie innere Bewegungsfreiheit hatte, aber weniger Sicherheit durch die Gemeinschaft. In den dicht besiedelten Arbeitervierteln am Stadtrand entstand freilich eine neue Gemeinschaftlichkeit und eine lokale Arbeiterkultur, da die Schicksalsgenossen zur Zusammenarbeit gezwungen waren und sich politisierten, um ihre Existenz abzusichern – eine Situation, die Yrjö-Koskinen in seinen Analysen zur Arbeiterfrage

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(Työväenseikka, 1874) noch nicht für kritisch hielt, weil die Entwicklung in Finnland der gemeineuropäischen um zwanzig Jahre nachhinkte: Die gesellschaftlichen Missstände sind in unserem Land noch nicht so zwingend geworden, dass wir das Bedürfnis hätten, selbstständig die schwierigen Fragen zu lösen, die die Proletariersache anderswo (in Europa) aufgeworfen hat; wir können (…) in Ruhe auf die Erfahrungen warten, die die Gesetzgebung in anderen Ländern hervorbringt, und dann deren Vorbildern folgen. Die Ideen des Sozialismus, die Änderung der Grundgesetze und andere schwierige Fragen bedrücken uns noch nicht in unmittelbarer Zukunft.

Die große Mehrzahl der werktätigen Bevölkerung war noch immer in der Landwirtschaft beschäftigt; eigentliche Fabrikarbeiter gab es etwa 44 000. Der erste Arbeiterverein wurde 1883 in Helsinki gegründet, war aber sozialliberal, ideologisch gegen den Sozialismus gerichtet. Er sah seine Hauptaufgabe darin, das Bildungsniveau der Arbeiter zu verbessern, damit sie später das kommunale und allgemeine Stimmrecht erhalten konnten. Man errichtete Büchereien und Lesestuben, in denen die Sozialfennomanie verbreitet wurde. In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts wurden die Arbeitervereine und die gleichzeitig gegründeten Gewerkschaften klassenbewusster und sozialistischer, hauptsächlich nach deutschem und skandinavischem Vorbild. Die in Turku 1899 gegründete Arbeiterpartei übernahm das Erfurter Programm von Karl Kautsky und deklarierte sich 1903 als sozialistisch und marxistisch: Das unerträglich anwachsende Elend werde den Klassenkampf und den Prozess der Machtübernahme von der Bourgeoisie durch das Proletariat auslösen. Kulturell bedeutete dies die Niederlage der überlebten bürgerlichen Lebensform. Das Organ der neuen Kultur wurde in Finnland die Arbeiterzeitung Työmies (Der Arbeiter) von Matti Kurikka und Edvard Valpas, deren Agitation sich im Generalstreik 1905 zuspitzte; bedeutende Vermittler der Ideologie waren allerdings auch über das Land ziehende Agitatoren. Das größte Problem bei der Überzeugungsarbeit war, das in der Arbeiterschaft tief verwurzelte Christentum auszumerzen, das sich nicht mit der Aussaat von Klassenhass vertrug. Zentraler Gedanke des Sozialismus war ja gerade, sich gegen christlichen Glauben und Kultur zu wenden, galten sie doch als stümperhafte Verwässerung für das Volk, das damit von den wahren schöpferischen Begabungen entfremdet wurde. Aber für das ungebildete Volk, besonders für die Ohren der Frauen, hörte sich der wissenschaftliche Materialismus zu fremd und schroff an; schließlich war man es gewohnt, sein Teil demütig zu ertragen. Deshalb wurde in der finnischen Version des Sozialismus zum Beispiel auf das offene Verbot christlicher Ethik und christlichen Gewissens verzichtet und dafür die Unterdrückung des Volkes betont. Die Krisensituation der politischen Kultur Finnlands wurde zum Teil noch durch die im Februarmanifest von 1899 kulminierende Integrationspolitik des Zarenreiches verstärkt, wodurch der zum finnischen Grundgesetz erhobene Vertrag von 1809 annulliert wurde. Die Sozialisten konnten während der Musterungsstreiks namentlich den Zaren als Eidbrecher und Verantwortlichen für die Unterdrückung anklagen. Der Generalstreik von 1905 war eine derartige Kraftprobe der Arbeiterschaft mit Demonstrationen, Tumulten und politischen Proklamationen, dass sich die Natur der politischen Kultur dadurch veränderte: Nach der Niederlage des Zaren sahen die Sozialisten in ihrem Sieg, der die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts brachte, einen Beweis für die Effektivität der Ausübung von Druck und aggressiver öffentlicher Politik. Von der oben von Yrjö-Koskinen beschriebenen Situation der 70er Jahre war man einen gewaltigen Schritt

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vorwärtsgekommen: Aus demütigen Untertanen waren ihre Rechte beanspruchende und verteidigende Bürger geworden, und dies auch in den Landgebieten, wo Kätner und Forstarbeiter sich bis hinauf nach Lappland den Streikbewegungen der Gärungsphase in den Jahren 1905–1907 anschlossen. Man geriet auf Gegenkurs zu den Industrieherren und den Großgrundbesitzern im Süden und die Grenzen zwischen Gesetzlichkeit und radikaler Revolutionsidee verwischten sich. Die Kader der Sozialisten organisierten sich in der Roten Garde, die Bourgeoisie formierte sich als Ordnungsgarde – die Frontlinien des Bürgerkriegs von 1918 begannen sich abzuzeichnen. Als dann die Sozialdemokratische Partei 1907 bei den ersten Parlamentswahlen erfolgreich war (80 Sitze von 200) und im Parlament als Vertreter der Arbeiterschaft und Verteidiger der Autonomie Finnlands auftrat, sah sich das Bürgertum enttäuscht gezwungen, die Bedeutung der neuen Massenbewegung für das Vaterland anzuerkennen. Die Volksbildungsidee der Intelligenz hatte zur Verbesserung der Lebensbedingungen bei den Armen und Besitzlosen nicht ausgereicht. Es fanden sich auch akademisch gebildete junge Leute mit fennomanischem Hintergrund, die sich dem Sozialismus zuwandten, so O. W. Kuusinen, Väinö Tanner und Väinö Voionmaa; Letzterer wurde zur Führungsfigur für die Bildungs- und Abstinenzbewegung der Arbeiterschaft. Für sie waren die Klassengegensätze zwischen Bürgertum und Arbeiterklasse eine unumstößliche Tatsache, die zu Problemen führen musste. Auf diese Weise entzweite sich die politische Kultur in Finnland und die Wahrscheinlichkeit gewaltsamer Konflikte wuchs an. Die fast ein Jahrhundert lang herrschende Obrigkeitshörigkeit und die patriarchalische Autorität waren innerhalb kurzer Zeit zerbröckelt.

Vor dem Sturm Obgleich die Entwicklung der finnischen Kultur Ende des 19. Jahrhunderts weitgehend von der Gunst der russischen Herrscher und der Loyalität der Finnen abhing, traten nach der Jahrhundertwende doch finnische Inhalte, die Fortführung der Gesetzgebung aus der schwedischen Zeit in der Verfassung, skandinavische Kulturtraditionen, die von Russland erheblich abweichenden Sprachenverhältnisse sowie Volkskultur, lutherischer Hintergrund und einheimisches Gelehrten- und Kunstleben immer deutlicher als originale, selbstständige Faktoren hervor. In seiner politischen Kultur kehrte Finnland stark seinen autonomen Status heraus. Die kulturelle Unabhängigkeit wurde sichtbar in der Weltausstellung von Paris, wo seit 1889 Finnland eine eigene Abteilung hatte. Die Internationalisierung der Kultur zeigte sich auch in den zunehmenden Kontakten der intellektuellen Elite zu verschiedenen Teilen Europas, besonders zu Hochschulen in Deutschland, wo man sich durch Studienaufenthalte Wissen und Können auf den unterschiedlichsten Gebieten von Wissenschaft und Technik aneignete. Auch die Attraktivität Russlands für Aspiranten auf eine Karriere beim Militär, in technischen Bereichen und in Handel und Verwaltung blieb ungebrochen. Das professionelle finnische Handwerk bildete im Sankt Petersburg der 90er Jahre mit 20 000 Vertretern eine erstaunliche Minderheitskultur. Den Bruch in der politischen Kultur verursachte Ende der 90er Jahre eine von russischen, konservativ-nationalistischen Kreisen angezettelte Pressekampagne, in der die Finnen des Separatismus beschuldigt wurden. Diese Kreise fühlten sich durch den finnischen staatsmachtähnlichen Status und die damit verbundene Einschränkung der Alleinherrschaft des Zaren brüskiert. Das russische Reich hatte verwaltungsmäßig einheitlich zu

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sein; die Eingliederung des finnischen Postwesens unter die Verantwortung des entsprechenden russischen Ministeriums war ein erster integrierender Schritt. In Finnland weckte dies die Furcht, die Grundlagen der ganzen Autonomie seien gefährdet. Alle Kräfte des finnischen Bildungslebens vereinten sich nun, um das Rückgrat der Nation zu stärken. Da größere gesetzgeberische Änderungen zugunsten Finnlands nicht mehr zu erreichen waren, mussten durch ein wachsendes Nationalitätsbewusstsein breite Volksschichten dazu gebracht werden, die inoffiziellen grundgesetzlichen Rechte Finnlands zu verteidigen. Der als Notwehr des Kulturvolks verstandene Kampf spitzte sich in der sogenannten ersten Unterdrückungsperiode 1899–1905 zu, die mit dem Rückzug des Zaren endete. Die Vereinheitlichungsmaßnahmen der Russen, so bedrückend sie für die Finnen auch waren, behinderten trotzdem nicht die Entwicklung der wissenschaftlichen Forschung, der Literatur und des Kunstlebens. Im Gegenteil, gerade als die Unterdrückung einsetzte, begann die Blütezeit der Hochkultur, als ob die drohenden Ereignisse und Erlasse vielen neuen, weitreichenden Kulturprojekten entscheidende Impulse gegeben hätten. Eines der wichtigsten davon war der Karelianismus der 90er Jahre, die Darstellung Kareliens in romantischem Licht als Wiege des Finnentums und einmalige Quelle künstlerischer Inspiration. Die „dunkle Phase“ des Staates führte zum Insichgehen und zur Suche nach Erhellung und Kulturidentität in den Landen des Kalevala. Da zum Geist der Jahrhundertwende die imperialistische Politik nach der Devise „Stärke ist Recht“ (might is right) gehörte, blieb den kleinen Völkern wie Finnland nichts anderes übrig, als auf die Bildungsschiene zu bauen. Die Ausbildung breiter Volksschichten wurde zum Grundziel der finnischen Kultur, denn bei weitem nicht alle Kinder auf dem Lande verfügten über Lese- und Schreibfertigkeiten, geschweige denn über irgendeine berufliche Schulung. Bis 1910 arbeiteten dann über das ganze Land verstreut bereits 40 Volkshochschulen, um die Situation zu verbessern. Neben diesen entstanden als Organe der Volksaktivität und des Kulturlebens auf private Initiativen hin Jugend- und Sportvereine sowie Genossenschaftsunternehmen, die weitere Unterstützung in der durch ihre volksnahen Veröffentlichungen und Vortragszyklen anerkannten Erwachsenenbildungsgesellschaft fanden. Diese veranstaltete ab 1884 im Abstand von einigen Jahre Lieder- und Musikfeste, die als Kultur- und Unterhaltungsveranstaltungen äußerst beliebt waren. Bis in entlegene Gebiete erlebten hier Besucher, die Kulturerfahrungen nicht gewohnt waren, nationale Zusammengehörigkeit auch auf Gefühlsebene. Wichtige Bildungsarbeit verrichtete außerdem das von Hannes Gebhard ins Leben gerufene provinzielle Genossenschaftswesen, das auch in internationalem Maßstab niveauvolle Arbeit leistete, indem es effektiv und kenntnisreich gesellschaftliche Aufklärung betrieb und das einfache Volk zu rationeller Haushaltsführung erzog. Die Kulturaktivitäten des finnischen Bürgertums stellten eine Herausforderung für die Volkshochschulen und Arbeiterhäuser dar, zumal Letztere auch in Gebieten mit bürgerlicher Mehrheit gegründet wurden. Hier versammelten sich lokal die Arbeiter zu eigenen Festlichkeiten und Veranstaltungen der linken Kultur, wie zu den eifrig durchgeführten Theaterabenden. Die Zweiteilung in bürgerliche und Arbeiterkultur blieb dann im selbstständigen Finnland lange erhalten, zumindest bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Während die freien Bildungseinrichtungen auf diese Weise für die Bildungsbedürfnisse der Mitbürger in der Freizeit Sorge trugen, war es Aufgabe der Staatsmacht, die Modernisierung des Schulwesens auf europäisches Niveau voranzutreiben. Im Parlament widersetzte sich der verstärkten Errichtung von Volksschulen zunächst der Bauernstand, bis die

Vor dem Sturm

für den Staat bedrohlichen Vereinigungsbestrebungen Russlands dazu führten, dass die Gründungspflicht für Volksschulen 1897 gesetzlich geregelt wurde. Die allgemeine Schulpflicht hingegen blieb während der Autonomiezeit noch versagt. Eines der zentralen Ziele der Finnlandbewegung wurde gleichwohl gegen Ende der Autonomieepoche erreicht, nämlich die Entwicklung der finnischen Schriftsprache auf das Niveau einer Bildungssprache. Die für den Aufschwung der Kultur erforderlichen Ausdrucksmittel wurden mithilfe von Sprachforschern und Laien ermittelt; so wurden unter anderem solche Termini wie tiede (Wissenschaft), taide (Kunst) und teollisuus (Industrie) erfunden. Aber auch grundlegende Neologismen wie suhde (Verhältnis), rakenne (Struktur), käsite (Begriff) und periaate (Prinzip) sind Produkte jener Zeit ebenso wie Spezialwortschätze zu verschiedenen Wissenschaften. Wichtige Voraussetzungen für das kulturelle Leben waren der seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts steigende Wohlstand und das Anwachsen der wirtschaftlichen Unterstützung durch den Staat. Die Fennomanen sorgten dafür, dass sowohl die Gesellschaft für finnische Literatur, das Finnische Theater als auch die Schriftsteller finnischer Sprache daran ständig Anteil hatten. Später schlossen sich dem Kreis der Begünstigten die Musiklehranstalt, das Sinfonieorchester und die Kunsthandwerksgesellschaft an. Viele finnischgesinnte Führungspersönlichkeiten nahmen hohe Beamtenpositionen im Staat ein und gehörten selbst der ein oder anderen Unterstützung suchenden Bildungsinstitution an; sie konnten so die Bewilligung der Anträge im Senat beeinflussen. Für Wissenschaftler und junge Künstler, die Studienaufenthalte und Forschungsreisen ins Ausland planten, waren solche Stipendien absolut unabdingbar. Sie bildeten auch die Grundlage für den finnisch-deutschen Kulturaustausch und die Aufnahme der wissenschaftlichen Zusammenarbeit. Aus Staatsmitteln finanzierte man ab 1895 den Komponistenpreis, ab 1900 den Schriftstellerpreis. Die russischen Behörden behinderten diese Hilfsmaßnahmen lange Zeit nicht, bis die reichhaltigen Unterstützungen während der zweiten Unterdrückungsphase radikal gekürzt wurden. Das feste Vertrauensverhältnis zwischen dem Staat und den Kulturinstitutionen wurde wohl nur von den Liberalen teilweise kritisiert, die befürchteten, der Staat könnte die Freiheit der Aktivitäten von Vereinen und Institutionen einschränken. Dass der Aufschwung der finnischen Kultur gerade in die erste Periode der Unterdrückung fiel (1899–1905), hatte zur Folge, dass das kulturelle Leben sich originell und aktiv auch nach außen hin präsentierte, weil führende Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur bemüht waren, internationales Mitgefühl für die Bedrängnis der aufstrebenden Nation zu wecken. Nach dem Februarmanifest führte eine von Leo Mechelin zusammengestellte Gruppe in ganz Europa eine Kampagne für eine internationale „Kulturadresse“ durch. Die über tausend Unterschriften umfassende Adresse, in der die Namen zahlreicher führender deutscher Universitätsgelehrter vertreten waren, versuchte man Zar Nikolaus II. vorzulegen, aber dieser empfing die internationale Delegation nicht, weil er die Aktion als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands empfand. Dem gleichen Ziel diente die von jungen Künstlern der Architektur und der bildenden Kunst errichtete Abteilung auf der Pariser Weltausstellung 1900, die die selbstständige Arbeit und die Kraftreserven der finnischen Kultur aufzeigte und viel positive Kritik hervorrief. Das Bedürfnis, die finnische Kultur auf der Landkarte Europas zu platzieren, konnte also einerseits kulturell sublime negative Reaktionen hervorrufen, andererseits aber das Volk im Heimatland vereinen und aufmuntern. Das Werk Katajainen kansani (Mein Wacholdervolk) von Juhani Aho, das Gemälde Porilaisten marssi (Marsch des Pori-Regiments)

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von Edelfelt, das Bild Hyökkäys (Der Angriff) von Eetu Isto, auf dem der zaristische Adler das Gesetzbuch in der Hand der Suomen neito (der finnischen Jungfrau) zerreißt, und die Finlandia von Sibelius sind starker symbolischer Ausdruck für die Gesinnung des Widerstandes und der Vaterlandsliebe.

Der Wandel der Volkskultur Die finnische Dichtung, bildende Kunst, Architektur und Musik bezogen alle starke Einflüsse aus der geliebten Volkskultur. Die auf diesem Boden gewachsene „neue“ Kultur erhob den Bewohner einer verrauchten Hütte, der vom Standpunkt der Volksgesundheit aus als Lebewesen in Dunkelheit und Dreck beschrieben werden kann, in einen übertrieben idealisierten Status. Tatsächlich verschärfte sich aber mit dem schnellen Anwachsen der besitzlosen Bevölkerung auf dem Lande die ökonomische Ungleichheit in den verschiedenen Sozialschichten. Voraussetzungen für die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Landpächter waren der Wechsel von der Schwendwirtschaft zum Wechselanbau und die Inbetriebnahme neuer Landwirtschaftsgeräte und Maschinen wie des eisernen Wendepflugs, von Mäh- und Dreschmaschine Ende des 19. Jahrhunderts. Auch der Übergang von der Feldbebauung zur Vieh- und Milchwirtschaft sowie Einkommen aus der Forstwirtschaft erhöhten bei landbesitzenden Schichten den Lebensstandard. Schon die Anzahl der Viehherden allein verdoppelte sich in den Jahren zwischen 1800 und 1880, was die Schaffung eines umfangreichen Meiereinetzes erforderte. Eine bedeutende Handelsware für Ostfinnland bildete dank der Eisenbahnlinie und dem Saimakanal nach Russland der Butterexport nach Sankt Petersburg; die für die Herstellung von Butter notwendigen Separatoren waren bald allgemein verbreitet – und im Hause des Verfassers dieser Zeilen in Nordsavo noch Ende der 50er Jahres des 20. Jahrhunderts intensiv in Gebrauch. Die Jagdwirtschaft verlor in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an ökonomischer Bedeutung, die Fischerei hingegen blieb dank neuer Fangmethoden und -geräte ein ansehnlicher Nebenerwerb. Lachse, Renken und Maränen brachten zusätzliche Einnahmen. Außer dem Fischfang war besonders für die landlosen Bevölkerungsteile eine wichtige Einkommensquelle das Haushandwerk, obgleich mit der Freigabe des Grundstücksverkaufs (1859) auch für die Landbevölkerung industrielle Produkte von Berufshandwerkern aus der Umgebung in Reichweite gelangten und damit die Nachfrage nach hausgewebten Textilien und Holzgegenständen drastisch abnahm. Die Wandlung der Gewerbestruktur brachte auch erhebliche Änderungen für Wohnkultur und häusliches Milieu mit sich. Die Landteilung verursachte die Aufsplitterung der Gruppendörfer und die Streuung der Besiedlung. Man verzichtete zwar nicht auf Blockhäuser, aber als Fassadenmaterial wurden nun Rumpfstämme und gesägte Bretter verwendet. Die Saunagebäude wurden möglichst nahe am Wasser errichtet, weil hier keine Hausarbeit mehr gemacht, sondern nur gebadet wurde. Schindeldächer und roter Ocker als Hausanstrich setzten sich allgemein durch, gleichzeitig erschienen eiserne Herde in der Küche. Anfang des 20. Jahrhunderts zog man Wasserleitungen vom Brunnen in Haus und Stall, die mit Handpumpen versehen waren. Die Aufgaben der Rauchstube als des bisher einzigen Wohnraums verteilten sich auf mehrere Zimmer, die Ausstattung der Wohnungen wurde vielfältiger. In den Bauernhäusern äußerten sich Gemütlichkeit und Bequemlichkeit durch Schaukelstühle, Standuhren,

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Kommoden, Holzstühle mit Streben, Waschgelegenheiten und Eisenbetten. In den Betten gab es Betttücher und Steppdecken, die Fenster bekamen Vorhänge, die Fußböden wurden mit Farbe versehen und dann mit Teppichen. Nach der Jahrhundertwende kamen Tischdecken hinzu und an den Wänden Reproduktionen mit meist christlichen Themen. Auch das Tapezieren wurde in dieser Zeit Mode. Zur Beleuchtung dienten Talgkerzen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, danach seit den 60er Jahren kleinere und große Petroleumlampen sowie Stearinkerzen. Streichhölzer bekam man seit den 70er Jahren. Da der traditionelle Selbstversorgerhaushalt gut funktionierte, ergaben sich im 19. Jahrhundert kaum größere Veränderungen in der Nahrungswirtschaft. Mit der Verringerung der Hausschlachtungen fiel das Räuchern und Pökeln weg, gebacken wurde aber noch bis in die 40er Jahre des letzten Jahrhunderts. Der Verbrauch diverser Genussmittel, vor allem Kaffee, Tee und Zucker, nahm stetig zu. Mit der Zeit steigerten sich die Finnen in ihre berühmt-berüchtigte Kaffeeabhängigkeit hinein. Statt Buttermilch gab es nun Frischmilch zum Kaffee, und Butter strich man nicht nur reichlich aufs Brot, sondern auch auf Gebäck. Als Besteck wurden Dolch und Holzlöffel von Metallmesser, Gabel und Löffel abgelöst und bald besaß auch jeder seinen eigenen Porzellanteller. Dank aktiver Gesundheits- und Volksaufklärung erschien auch Gemüse wie Rote Beete, Karotten, Gurken und Tomaten auf dem Tisch, Obst hingegen erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Was die Bekleidung anbetrifft, so wurde mehr und mehr auf die alten lokalen und regionalen Trachten verzichtet, seitdem fabrikgefertigte, preisgünstige Woll- und Baumwollprodukte auf den Markt kamen. Wohl blieben bei Frauen Kombinationen von Rock und Bluse werktags in Gebrauch, Ganzkleider dagegen waren Sonntagen und Festen vorbehalten. Diese wurden auch zuhause genäht, da Nähkurse gegeben wurden und schnell auch in jedem Haushalt eine Nähmaschine stand. Frauen kauften nun auch Unterbekleidung, dünne Strümpfe, Mäntel und Halstücher, an den Füßen trugen sie statt Pelzschuhen Schnabelschuhe, Schnürstiefel und festlichere, flache Schuhe. Die internationale Mode beeinflusste auch die Herrenbekleidung, denn die Männer legten ihre Pumphosen ab und zogen lange Hosen und Jacketts an, Stiefel und Schirmmützen ersetzten Pelzschuhe und Filzhut. Der Zerfall der Dorfgemeinschaften bedeutete den Verlust der sozialen Zusammengehörigkeit und förderte die Betonung sozialer Unterschiede. Die Nachbarschaftshilfe ging verloren und Kirchboot- und Mühlengemeinschaften verschwanden. Das Verhältnis zwischen Kleinpächtern und Herren kühlte sich empfindlich ab; die Bediensteten erhielten 1883 völlige Bewegungsfreiheit. Dorfschaukeln und Fensterln mussten freiem Umgang und Tanzbodenkultur weichen. Die Bewegungsfreiheit der Jugend reichte mit der Gründung von Jugendklubs und Arbeitervereinigungen bis außerhalb des Dorfes. Auf dem Lande war es noch üblich, die Kirche zu besuchen, in den Städten nahm die Entwicklung bei gebildeten Personen von Stand und ideologisch bewussten Arbeitern einen negativen Verlauf. Kirchliche Taufe und Eheschließung wurden jedoch Anfang des 20. Jahrhunderts allgemein. Was das Modernisierungstempo der finnischen Kultur angeht, traten Änderungen zunächst in Südwest- und Südfinnland auf und breiteten sich dann nach Norden aus, wo die letzten Ecken innerhalb von etwa zwanzig Jahren erreicht wurden. Im Allgemeinen erprobten wohlhabendere Bauern und Gutsbesitzer bestimmte Erwerbsinnovationen zuerst und fanden dann schnell Nachahmer. Andere Neuheiten kamen mit Ortsfremden,

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wandernden Handwerkern, Eisenbahnern, Händlern und Beamten. Mit dem Beginn der Geldwirtschaft konnten auch ungewöhnliche Waren oder Gegenstände leichter erworben werden. Die Ausbreitung von Neuheiten war in erheblichem Maße auch auf die durch das Volksschulwesen verbesserte Volksbildung zurückzuführen, weil in der Schule auch praktische Fertigkeiten vermittelt und neue Materialien zum Beispiel im Handarbeitsunterricht verwendet wurden. Die Entwicklung des Verkehrs, insbesondere der Ausbau der Eisenbahnlinien, trug ebenfalls zur kulturellen Wechselwirkung bei; die Bahnstationen waren bald Handelszentren, bedeutsame Marktplätze. In der Provinz fungierten Agrarund Landwirtschaftsvereine mit ihrer Beratungs- und Schulungsarbeit als Vermittler. Neuheiten auf dem Gebiet der Haushaltsführung wurden seit Beginn des 20. Jahrhunderts über Martta-Vereinigungen, Haushaltsschulen und verschiedene Kurse publik gemacht. In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden vor allem im südlichen Teil Ostbottniens und in Südkarelien zahlreiche Jugendklubs und in ihrer Nachfolge ein Jahrzehnt später Arbeitervereine, die gegensätzliche Weltanschauungen diskutierten und favorisierten, Ausdruck der kulturellen Kluft zwischen Bourgeoisie und Sozialdemokraten. In der Zeit des Aufschwungs im Pressewesen ab 1870 erreichten mehr und mehr ideologisch fundierte Artikel die Leser. Die neue Situation mit Kanal- und Eisenbahnbau, Forst- und Flößerarbeit und der enormen Vermehrung der Arbeitsplätze in der Papierindustrie verursachte in Finnland eine ungeheure innere Wanderbewegung und schuf auf der Seite der Besitzlosen ein neues Proletariat. Trotzdem fanden bei weitem nicht alle Leute Land oder Arbeit, weshalb um die Jahrhundertwende über 200 000 Menschen aus Finnland über den Atlantik auswanderten. Rückkehrer brachten dann häufig Wunder aus der „Neuen Welt“ mit nach Hause. Das statische, von seinem Grund und Boden lebende Finnland wurde zusehends dynamischer und offener, nicht nur hinsichtlich der Wirtschaft, sondern auch in seiner Kultur. Der Durchbruch der Sägewerksindustrie in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts führte zum Beginn umfassender Holzschlagarbeit und zu einem großen Bedarf an Arbeitskräften für Transport und Flößerei. Es bildete sich die Berufsgruppe der Waldarbeiter; deren Arbeitseinheit bestand aus einem Pferdewagen, in der Regel einem von November bis März von der Feldarbeit freien Bauern oder Pächter, ferner aus ein bis zwei Holzfällern und deren Hilfsarbeitern. In der Waldparzelle schlug man die Bäume anfangs mit der Axt, später mit einer Schrot- oder Bügelsäge. Nach Entfernung der Rinde fuhr man die Stämme mit dem Schlitten ans Wasser, wo sie geflößt wurden. Zunächst gab es keine von den Unternehmen errichteten Waldarbeiterhütten, auch keine Versorgung mit Nahrungsmitteln; diese Probleme wurden erst im 20. Jahrhundert gelöst. Die Forstarbeitsplätze waren für die Bevölkerung auf dem Lande von größter Bedeutung, da sie Minderbemittelten durch verschiedene Tätigkeiten im Flößereiprozess die Möglichkeit zu dringend benötigten zusätzlichen Einnahmen boten. Die seit den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts schnell anwachsende Holzveredlungsindustrie gebar eine altertümliche Eisenhütten- und Glasindustrie sowie neben der schon seit den 30er Jahren bekannten, vor allem mit Frauen arbeitenden Textilindustrie die mit dem „grünen Gold“ gefütterten Sägewerke, Papier- und Zellulosefabriken. Um diese siedelten sich überschüssige Landbewohner an, Gemeinschaften zukünftiger Arbeiter bildeten sich, ebenso ein neues Kulturmilieu. Anfangs benötigte man lediglich ein wenig besser bezahlte, berufskundige Arbeitskräfte. Die Leute vom Lande mussten sich an neue Arbeitszeiten und den stressenden Arbeitstakt in den Fabriken gewöhnen und lernen, mit

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dem in Geld gezahlten Lohn rationell umzugehen. Ende des 19. Jahrhunderts betrug die Arbeitszeit in der Regel 13–14, im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts 10 Stunden, bis das 1917 erlassene Arbeitszeitgesetz nur noch 8 Stunden vorschrieb. Da die Arbeit meistens im Akkord verrichtet wurde, wuchs die gegenseitige Abhängigkeit der Arbeiter, aber auch ihr Zusammengehörigkeitsgefühl, sodass gemeinsame Vorteile durch Gewerkschaften und andere politische Gremien verteidigt wurden. Die Bindung an den Arbeitgeber sicherten nicht unbedeutende Naturalleistungen wie freie Wohnung, Brennholz, später auch Strom und Landparzellen, was aber in den 20er Jahren aufgegeben wurde. Das Wohnproblem der Arbeiter löste man anfangs durch die Errichtung von Baracken und zweistöckigen Wohnkasernen, bis die Arbeiter gegen Ende des Jahrhunderts Wohnungsgesellschaften gründeten und kleine Wohnhäuser bauten. An einigen Fabrikstandorten, wie im mittelfinnischen Mänttä, gab es freilich schon in den 70er Jahren Eigenheime für die Arbeiter. Die Wohnungen waren noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts klein, gewöhnlich eine Wohnküche mit 20–25 Quadratmetern, nur ein Drittel aller Wohnungen hatte zwei Zimmer. Die Enge verstärkte sich durch den Brauch, Untermieter aufzunehmen, sodass nur die allernotwendigsten Möbel gestellt werden konnten: Tisch, Stühle, Geschirrregal, Schranktisch, ausziehbare Betten und eine Wiege. Für die Feuerung im Ziegelkachelofen oder Blechherd gab es eine Holzlade, weiter einen Wassereimer oder Bottich und einen Müllkübel; der Kleiderkasten stand auf dem Dachboden. An der Wand hing seit Mitte des Jahrhunderts eine Uhr, später gesellten sich Kleiderschrank und Kommode mit einem Spiegel hinzu. Schaukelstühle kamen Anfang des 20. Jahrhunderts in Mode. Falls die Wohnung etwas größer war, standen die besseren Möbel in der Kammer, dem Schlafzimmer der Eltern. Der Kälte wegen lagen Flickenteppiche auf dem Fußboden, bescheidene Ästhetik vermittelten halblange Fenstervorhänge, Topfpflanzen (Pelargonien, Fuchsien) auf dem Fensterbrett und gestickte Sprüche („Eigener Herd ist Goldes wert“ oder Ähnliches), Öldruckbilder christlichen Inhalts oder vergrößerte Photographien an den Wänden. In den 70er Jahren ersetzten Tisch- und Deckenleuchten die Öllampen, Elektrizität kam in den 80er Jahren am Arbeitsplatz auf, in den Arbeiterwohnungen 1900–1910. Der Nahrungshaushalt von Arbeiterfamilien gründete sich auf den Wintervorrat, bestehend aus selbst auf dem Fabrikgelände oder einer Pachtparzelle angebauten Kartoffeln, Salzfleisch, gesalzenem Fisch und Mehl; nur Butter und Milch wurden im Laden gekauft. Hausgebackenes Roggenbrot war das wichtigste Nahrungsmittel, man aß es zu Kartoffeln und gesalzenen Strömlingen, Haferbrei und Fleischsuppe oder Schweinefleischsoße. Dazu schlürfte man Buttermilch oder selbst gebrautes Leichtbier, denn Milch war für die Kinder reserviert. Auch Kaffee wurde reichlich getrunken. Bierfabriken gab es in den Städten seit den 90er Jahren, auf dem Lande trank man an Festtagen sahti (starkes Hausbier). Die Essgewohnheiten waren von der Arbeitszeit abhängig: Nach dem Morgenkaffee folgten am Arbeitsplatz die Mittagspause und am Nachmittag Kaffee und der eigene Proviant (belegte Brote, Milch) und erst nach Feierabend gab es die Hauptmahlzeit. Die Wenigsten konnten zur Mittagszeit zu warmem Essen nach Hause gehen. Wegen des strengen Arbeitstaktes lebten vor allem unverheiratete Frauen mehr oder weniger von Kaffee, was häufig Anämie und allgemeine Schwächezustände hervorrief. Das schwere Los der Kinder und Teil ihrer Erziehung war auf dem Land wie in den Fabrikstädten vor allem, arbeiten zu lernen. Als Unterrichtsbehelfe gründete man vor dem Volksschulerlass (1866) Fabrikschulen; Kinderarbeit war vor allem in der Textilindustrie üblich, bis 1890 die Beschäftigung unter Zwölfjähriger verboten wurde.

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Als die Nähmaschine um die Jahrhundertwende den Weg in die Heime der Arbeiterfamilien fand, fertigten die Frauen ihre Unterwäsche und Kleider wie die der Kinder zuhause an. Spinnrad und Webstuhl ermöglichten die Herstellung von Garn und Tuch. Männerkleidung und Mäntel sowie Schuhe wurden beim Schneider und Schuster bestellt oder auf Märkten gekauft. Die Bekleidung war zwar einfach, aber es war doch Ehrensache, separate Kleidung für Werk- und Feiertage zu besitzen. Der Umgang der Arbeiter mit Kollegen und Nachbarn war rege, Nachbarschaftshilfe eine Selbstverständlichkeit. Es wurden Einkaufs- und Bestellgemeinschaften (zum Beispiel für Zeitungen) gegründet, Jahres- und Familienfeste gemeinsam gefeiert und Arbeitshilfen organisiert, zuweilen führte dies bis hin zum Bau von Arbeiterhäusern. Der 1. Mai als eigenes Fest der Arbeiterschaft wurde mit deren Politisierung bedeutsam. Der lange Arbeitstag schränkte die Freizeit natürlich ein, sodass nur wenig Raum für politische oder gesellschaftliche Aktivitäten und Hobbys blieb, aber Chöre und Musikkapellen wurden gegründet, in den 80er Jahren dann Arbeiterbühnen, und zu Beginn des 20. Jahrhunderts schafften Arbeitergewerkschaften den Durchbruch und stieg der Arbeitersport zum Konkurrenten der bürgerlichen Turnbewegung auf. Wer sich nicht für politische Dinge interessierte, pflegte Lesen als Hobby, nahm an verschiedenen Kursen teil und begann sich an der Volkshochschule weiterzubilden. Die aktive Mitwirkung in der kirchlichen Arbeit nahm ständig ab. Aber ganz allgemein waren die Freizeitbeschäftigungen der Arbeiterschaft ein wichtiger Faktor im Modernisierungsprozess von Gesellschaft und Kultur.

Die Urbanisierung der Kultur Finnland war während der ganzen Autonomieepoche und auch noch danach ein Agrarland, denn 1809 bewohnten die 29 Städte nur 5 Prozent der Bevölkerung, etwa 52 000 Personen. 1920 lebten in 38 Städten insgesamt 510 000 Menschen, mithin 16 Prozent aller Einwohner. Daneben existierten im Binnenland einige Ballungszentren der Holzindustrie (zum Beispiel Varkaus, Vaajakoski), die größer waren als Kleinstädte. Da die Wohnungs-

Die Urbanisierung der Kultur

Das Empirezentrum Engels Schöpfung, das Monumentalzentrum in Helsinki mit Regierungspalast, Dom, Universität und Stadthaus, stellte mit seinen prachtvollen Fassaden die übrige flache Holzhausumgebung in den Schatten, die weiterhin anderen Städten ähnelte.

und Bebauungspolitik der Städte die Ausweitung der Stadtgebiete nicht begünstigte, siedelten sich die Arbeiter außerhalb der Stadtgrenzen an. Eine Ausnahme bildete nur die größte Stadt Finnlands, Helsinki, wo nördlich der Pitkäsilta (Lange Brücke) ein Arbeiterviertel entstand, das zum eigentlichen Stadtbezirk gehörte. Helsinki war ein Kapitel für sich, denn hier war die städtische Gesellschaft vielschichtiger und hinsichtlich des sozialen und kulturellen Lebens mannigfaltiger als in anderen Orten. Ohne Bebauungspläne, ordentliche Verwaltung und Dienstleistungen blieben die Zustände in vielen Städten bescheiden, als sich das Arbeitervolk vermehrte und die Zahl der Armen und Schwachen maßlos anwuchs. Die Natur der früher von Bürgern, Handwerkern, Beamten und Schwedisch sprechenden Herrschaften bewohnten Städte – mit Ausnahme der finnischsprachigen Städte Jyväskylä und Oulu – wandelte sich, als einfache Leute in Scharen vom Lande kamen, um hier Arbeit zu finden. Die Grenzen der sozialen Gruppen in der Ständegesellschaft blieben in den Städten deutlich: 1870 lebten in Turku 14 Prozent Personen von Stand (Oberschicht), 20 Prozent Bürgerliche (Mittelschicht) und 66 Prozent Arbeiter, davon 16 Prozent Parias (Lumpenproletariat). Vertreter neuer Berufsgruppen waren kleine Beamte, Angestellte, Lehrer und Eisenbahner. Seit die Machtverteilung in den Städten durch die Erneuerung der Kommunalverwaltung von der Steuerkraft abhing, hatte die Beamtenschaft auf Kosten des mächtigen Bürgertums erheblich mehr Einfluss gewonnen. Da sich die größten Vermögen in der Regel bei den Schwedischsprachigen konzentrierten, wuchs die Spannung zwischen diesen und den minderbemittelten Finnisch sprechenden Einwohnern weiter an. Die Raumplanung der finnischen Städte beruhte auf der geometrisch angelegten Bebauung seit der Barockzeit, die Anfang des 19. Jahrhunderts zum Empirestil des deutsch-finnischen Architekten Carl Ludwig Engel (1778–1840) geöffnet wurde, um horizontale Stadtviertel zu vermeiden und die Grünflächen zu vermehren. Engels größte Schöpfung, das monumentale Zentrum mit Regierungspalast, Dom, Universität und Rathaus, stellte durch seine Fassaden die umgebende, flache Holzhausstadt in den Schatten, die an die übrigen Städte Finnlands erinnerte. Das heutige Präsidentenschloss war ursprünglich ein Bürgerhaus, das von Engel konzipiert war, 1837 an den Staat fiel und zum kaiserlichen Palast umgewandelt wurde.

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Carl Ludwig Engel (1778–1840) Von den Deutschen, die kulturhistorisch wichtige Spuren in Finnland hinterlassen haben, dürfte der aus Berlin stammende Carl Ludwig Engel der bedeutendste sein. Der Architekt wurde 1816 in ein Wiederaufbaukomitee in Helsinki berufen und 1824 dort zum Leiter des Intendentenkontors (der späteren Baubehörde) ernannt. Seine Handschrift zeigen zahlreiche öffentliche Gebäude, städtische Bebauungspläne, an die fünfzig Kirchen, Krankenhäuser, Privatbauten und Landgüter in ganz Finnland. Engels Hauptwerk war die Planung und Realisierung des Senatsplatzes in der neuen Hauptstadt Helsinki. Als Erstes entstand nach antikem Vorbild das Senatsgebäude, danach folgten, einander gegenüberliegend, Universität und Bibliothek, schließlich der Nikolaus, der dem Schutzpatron der Seefahrer sowie Zar Nikolaus I. geweihte Dom, weiter Vereinshaus, Stadthaus, das Krankenhaus Lapinlahti und Gebäude von Universitätsinstituten wie die Sternwarte, die Klinik und der Botanische Garten Kaisaniemi sowie mehrere Kirchen und die Kasernen außerhalb von Helsinki. Engels Stilrichtung war weitgehend neoklassizistisch, wobei sich seine Kirchen und Landsitze dem Empirestil näherten, allesamt aber Perlen aus der Blütezeit finnischer Baukunst. Vor allem der Komplex um den Senatsplatz ist ein nationales Symbol, das weltliche Macht, Kirche und Zivilisation und Bildung gleichermaßen in sich vereint. Hierin spiegelt sich das solide, konservative Wesen der politischen Kultur zur Zeit der Ständehierarchie. Anssi Halmesvirta

Am Rande kleinerer Orte wie Jyväskylä begann man, kleinere Parzellen für die Arbeiterbevölkerung einzuplanen, und schuf so Abwechslung im Stadtbild. Die als „bedauerlich steif und langweilig“ kritisierte Quadratplanung erhielt Ende des Jahrhunderts Gartenstadtteile nach englischem Muster und separate Industriegebiete zur Seite gestellt (Jyväskylä). Bei der Errichtung öffentlicher Gebäude herrschten dann Jugendstil und Nationalromantik vor. Ein besonders sichtbarer Wandel im Stadtbild geschah, als man für die wachsende Arbeiterbevölkerung wegen Platzmangel zweistöckige Mischhäuser und mehrstöckige Steinkasernen zu bauen begann. Diese Entwicklung betraf seit den 80er Jahren Helsinki, dann folgten Turku, Wiborg und Tampere, die anderen Städte blieben lange der üblichen Holzbauweise treu. Im klassizistischen Grundriss von Raahe finden sich noch heute Holzhäuser. Je angenehmer die gartenähnlichen Innenhöfe der Stadthäuser waren, desto

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schlechter stand es um die Straßen. In Turku und Helsinki wurden die Hauptstraßen mit Kopfsteinpflaster versehen, aber nach Regen und Schneeschmelze standen sie unter Dreckwasser. In den Provinzstädten war die Situation noch schlimmer; die Viehherden wurden durch die Stadt getrieben und Schmutz und Abfall verstopften wegen fehlender Kanalisation den Straßengraben. Kam noch schlechte oder nicht vorhandene Straßenbeleuchtung dazu, war es im Dunkeln geradezu gefährlich, sich in der Stadt zu bewegen. Auch die Kanäle in der Stadt verschmutzten leicht, was wiederum das Aufkommen von Epidemien begünstigte. Zuerst wurden die Hygieneprobleme in Helsinki gelöst, da 1877 ein Wasser- und Abwassernetz fertiggestellt wurde. Die meisten Städte folgten dem Beispiel bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. Die Beleuchtungsfrage – das Umhertappen unter Laternen, Öllampen und Gasleuchten – fand ab den 90er Jahren und während des Krieges eine Lösung, als fast alle Städte elektrifiziert wurden. Da Finnland etwa zur gleichen Zeit ein dichtes Telefonnetz erhielt, ergab sich ein unglaubliches Leitungsgewirr, bevor die Kabelführung hoch über der Stadt eingeführt wurde. Die Pferde verschwanden wegen der wenigen Autos keineswegs aus dem Stadtbild, denn zu den Statussymbolen der Städter gehörte die eigene Pferdekutsche und die Beförderung von Personen und Lasten wurde mit Mietpferden erledigt. Auch die erste Straßenbahn wurde von Pferden gezogen, die Elektrifizierung erfolgte in Helsinki erst 1901, in Turku 1908. Eine besondere Neuheit im Verkehr war das Fahrrad, dessen Bedeutung für die Bewältigung von Kurzstrecken größer war, als man annehmen sollte. Mit diesen Innovationen im urbanen Finnland scheint man den Puls der weiten Welt gefühlt und die Signale des kulturellen Wandels vernommen zu haben. Die Städte begannen sich von der umgebenden Provinzlandschaft zu unterscheiden und sich zu Zentren zu entwickeln, wo auch die Landbevölkerung nun alle möglichen Angelegenheiten zu erledigen hatte, da sich hier sämtliche wichtigen neuen Institutionen konzentrierten: Büros der Organisationen, Theater und andere Unterhaltungseinrichtungen, Redaktionen der Zeitungen, höhere Lehranstalten, kirchliche Institute und so weiter. Große Markttage führten die Städter und die Leute vom Lande zusammen. Die Eisenbahn und ein reger Dampfschiffverkehr brachten die Menschen selbst noch aus weit entfernten Dörfern zum Kaufen und Verkaufen in die Stadt. In manchen Fällen wurden allerdings die Märkte schließlich wegen des eng zur finnischen Kultur gehörenden reichlichen Alkoholgenusses wieder aufgegeben. Der Wohlstand der Stadtbewohner wurde weitgehend durch ihre Stellung in der Staatshierarchie und auch symbolisch bestimmt. Das war am deutlichsten an den Wohnverhältnissen zu erkennen: Zur Einrichtung des Salons im Empirestil gehörten bei Standespersonen an die Wände gerückte Möbel, ein länglicher Spiegel zwischen den Fenstern und davor ein Marmortisch mit Kerzenleuchtern. Die Sofas waren mit Seide bespannt, die Stühle standen an den Wänden unter Porträtbildern in Goldrahmen. Blickfang des Salons war ein Kristallleuchter. Gegen Ende des Jahrhunderts war das Biedermeier vorherrschend und die Zimmer begannen sich mit Erinnerungsstücken aus dem In- und Ausland auf sich biegenden Tischchen und Gestellen zu füllen. Dazu kamen Grünpflanzen vom Gummibaum bis zur Palme. Die niederen Stände versuchten diese Eleganz je nach vorhandenen Mitteln nachzuahmen. Kleidung und Aussehen hingegen vereinfachten sich: Die bisher gut gepflegten Gesichter erhielten Voll- oder Schnurrbart, der Frack wurde weniger getragen, das Halstuch bildete sich zu Fliege oder Krawatte um – mit Kleidern zu glänzen überließ man den Frauen. Mit dem Aufkommen von Frauengymnastik und Bewegung im

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Freien ging die Befreiung von der Enge des Korsetts einher und auf die Fülle der Unterbekleidung wurde mehr und mehr verzichtet. Jetzt schockierten nur noch dekadente Künstler oder Schriftsteller mit einem übertrieben modischen Outfit. Die von der Ständegesellschaft vorgeschriebenen Grenzen für gleichgesinnte Kontakte und Verkehr innerhalb der einzelnen Stände waren eng und verblassten nur langsam beim Übergang zu Gleichberechtigung und Klassengesellschaft. Die sogenannten besseren Leute pflegten gegenseitig ritualartige Besuche bei ihresgleichen. Für die Minderbemittelten gehörte es zum Pflichtprogramm, ihre Vorgesetzten, reicheren Verwandten oder wichtigen Geschäftspartner aufzusuchen. Höhepunkte bei allen Schichten waren allgemeine Feiertage und Familienereignisse, besonders die Geburt eines Kindes war für die Frauen willkommene Gelegenheit, Ratschläge zu erteilen. Die teuerste Festveranstaltung waren Hochzeiten, bei denen nach der Eheschließung formidable Abendessen gereicht wurden und bis in die Morgenstunden hinein getanzt wurde. Am nächsten Tag feierte man fröhlich weiter, denn es war noch nicht üblich, auf Hochzeitsreise zu gehen. Dafür gab es in Helsinki unter Studenten den Brauch, übermütig „die Braut zu besichtigen“, oft bis an die Grenzen des guten Geschmacks. Eine ebenso das Portemonnaie belastende Angelegenheit waren Begräbnisse, da nahe und entfernte Verwandte in die Kirche und ins Trauerhaus eingeladen wurden. An der Spitze des Trauerzuges gingen Fackelträger, hinter ihnen Honoratioren, die auf Samtkissen die Auszeichnungen und Orden des Verstorbenen trugen. Den mit schwarzem Samt verkleideten Sarg zogen vier in dunkle Überzüge gehüllte Pferde. Die Düsterheit des Vorgangs im Vergleich zu heutigen Trauerfeiern wurde dadurch noch betont, dass Anfang des 20. Jahrhunderts Blumen und Kränze schlicht und einfach fehlten. Anstelle wohlriechender Düfte schwebte Totengeruch über dem Ganzen. Nach ewig langen Reden an der Grabstätte zog man zu reichlich Speis und Trank ins Heim des Verschiedenen. Vappu (der 1. Mai) war im 19. Jahrhundert noch nicht der Feiertag der Arbeiterschaft und Studenten, sondern ein allgemeines Frühlingsfest, das mit guter Laune und sima (Met, ein alkoholisches Getränk mit Zitronen und Rosinen) begangen wurde. Älter und ausgelassener ist das juhannus-Fest (Johanni) mit dem Abbrennen großer Feuer, unmäßiger Sauferei und Schlägereien. An den Weihnachtsvorbereitungen (joulu) nahmen alle teil und Geschenke gehörten natürlich auch dazu, wenigstens bei denen, die es sich leisten konnten. Unter Erwachsenen gab es die heute vergessene Sitte, kurze Gedichte zu verfassen und unter dem Christbaum zu rezitieren. In Turku war und ist es seit langer Zeit Brauch, am Heiligen Abend den Weihnachtsfrieden einzuläuten. Auch die Genüsse der Festtafel sind seit Ewigkeiten konstant geblieben: Stockfisch, Schinken, Reisbrei und süßes Gebäck. Der mit Kerzen bestückte Tannenbaum wird erstmals in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts erwähnt, und wie man weiß, organisierten manche Gastwirte allgemeine Weihnachtsfeiern mit Christbaum und Weihnachtsmann. Schon in den 60er Jahren, als in den Zeitungen Werbung erschien und in den Schaufenstern Spielzeug ausgestellt wurde, nahm Weihnachten überraschend kommerzielle Züge an. Größere Geschäfte veranstalteten Weihnachtsausstellungen für die Stadtbewohner, wobei die neuesten Kreationen vorgestellt wurden. Zeitgenossen kritisierten schon damals solchen Prunk als Luxus und Verschwendung, der nicht zum Geist des Weihnachtsfestes passt. Finnland feierte auch die Krönungszeremonien und sonstigen großen Ereignisse in der kaiserlichen Familie und deren Jahrestage. Zum Beispiel wurde nach dem Mord an Alexander II. (1881) eine zweiwöchige Trauerzeit angeordnet und alle Vergnügungen waren

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verboten. Später ersetzten dies prachtvolle Feiern, wenn irgendein hoher Beamter in den Ruhestand trat; an Trinksprüchen wurde dabei nicht gegeizt. Unterhaltungslustige Klubs ständischen Ursprungs oder Tanzvereine organisierten auch offene Tanzabende und Maskenbälle, für die fahrende Tanzlehrer engagiert wurden. In Turku gab der um 1810 bekannte Fechtmeister Anders Cedervaller den Studenten Tanzunterricht, in Helsinki die berühmte Alina Frasa. Tanzveranstaltungen waren für die Gesellschaftskreise der damaligen Zeit auch die willkommenste Gelegenheit, dem anderen Geschlecht zu begegnen. Bei den Tanzschritten und im Benehmen war größte Aufmerksamkeit geboten, beim Abschlussball allerdings trank man reichlichst Bier. Die Tanzkultur blühte in Finnland bis in die 80er Jahre des 19. Jahrhunderts, bis modernere Tänze wie two-step und one-step und schließlich der Tango Anfang des 20. Jahrhunderts modern wurden.

Das Finnland der Hochkultur In der Anfangsphase der Autonomie war die Kultur geprägt von der jungen, leidenschaftlichen Romantik in Turku, die zwischen 1830 und 1850 durch die Arbeiten von Lönnrot, Runeberg und Snellman zur Romantik von Helsinki heranreifte, bis gegen Ende des Jahrhunderts die Gegenreaktion eintrat mit dem Durchbruch des Realismus. Nationalromantisch entwickelte sich die finnische Romantik in dem Bemühen, Interesse an Sprache, Volksdichtung und Mythologie zu wecken und die idealisierende Erforschung der nationalen Historie zu fördern. Die finnischsprachige Dichtung der Turkuromantik pflegte Nuancen des Volksliedes und des Kirchengesangs, wie etwa Jaakko Juteini (1781–1855) in seinem Gedicht Lapsen laulu leskelle (Des Kindes Lied an die Witwe). Man befolgte die Anweisungen von Arwidsson, die darauf zielten, Aussagen zur Bodenständigkeit der Heimat zu kreieren – aus der schwedischsprachigen Dichtung Finnlands wurde finnische. Eine Wende brachte die Verlegung der Universität nach Helsinki; hier wurde der Grundstein gelegt für die schöpferische Arbeit der 30er und 40er Jahre des 19. Jahrhunderts. Runeberg veröffentlichte sein zentrales Werk mit Hirvenhiihtäjät (Die Elchjäger) und Vänrikki Stoolin tarinat (Fähnrich Stahls Erzählungen), Lönnrot stellte das Kalevala zusammen, brachte die Kanteletar heraus und Snellman gründete seine Zeitschrift und begann das Werk der nationalen Erweckung. Ihnen eiferten der Historienerzähler Topelius, der Ästhetiker Fredrik Cygnaeus und viele andere nach. Ihre Philosophie war idealistisch: Aus einem hypothetischen Volk sollte ein realer Geschichtsfaktor werden. Wenn die finnische Vergangenheit in klaren Farben zu einem historischen Bild gemalt und zu Erzählungen gestrickt wurde, versah man die Finnen mit ihren typischen Merkmalen und eröffnete Zukunftsvisionen. Später tilgte der Realismus nach Art von Charles Dickens die idealisierende Zuckerschicht von der Schilderung der niederen Volksschichten: Die „Dunkelkammern“ der rauchgeschwärzten Hütten erschienen plötzlich als Hindernisse für den Fortschritt und regten dazu an, auch mit Mitteln der Prosa zu den Missständen in der Gesellschaft Stellung zu nehmen. Für die Zeit von 1870 bis 1917 kann man für die finnische Literatur nicht von einem einheitlichen Stil sprechen, denn die Richtungen hatten eine Bandbreite von Realismus zu überhöhter Romantik und von altertümlichem Traditionalismus bis zu Symptomen des Modernismus. Der Evolutionismus der Naturwissenschaften, der Materialismus und das

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auf deren Grundlage radikalisierte gesellschaftliche Denken drangen in die Literatur ein. Neue Theorien der Psychologie, Nietzsches Gedankenwelt und das „Tolstoitum“ fassten ebenso Fuß. Von den 80er Jahren an wuchs durch immer reger werdende Verlagstätigkeit die Menge der Übersetzungsliteratur rapide an und aktuelle Kunstströmungen fanden schneller den Weg nach Finnland – die Öffnung nach Europa hin nahm tatsächlich ihren Anfang. Als die alten Meister Runeberg, Snellman und Topelius abtraten, nahmen ihre Position solche neuen Größen ein, die die finnische Sprache souverän und individuell beherrschten. Das innerhalb von einem Jahrzehnt geschaffene, unübertreffliche Werk von Aleksis Kivi (1834–1872) umfasst unter anderem die erste finnischsprachige Tragödie (Kullervo, 1864), das Lustspiel in Shakespearemanier Die Heideschuster (Nummisuutarit, 1864), sein Hauptwerk Die sieben Brüder (Seitsemän veljestä, 1870) und die Gedichtsammlung Kanervala (1866). Der von der Kritik zunächst attackierte, aber seit Anfang des 20. Jahrhunderts von literarischen Kreisen zum Nationaldichter erhobene Kivi hatte in Die sieben Brüder die finnische Mentalität (in Häme) nackt und zwiespältig gesehen, nicht idealistisch, homogen und idyllisch: Christlicher Glauben und christliche Vorstellungen vermischen sich zeitweise mit irrsinnigem Fieberwahn. Tragischer und humoristischer Stoff leben hier nebeneinander, bis die Personen an die Grenzen des Gemeinschaftslebens stoßen und ihrer eigenen, wechselhaften Laune folgen. Programmatischen Realismus vertraten 1885 Juhani Aho mit Papin tytär (Die Tochter des Pastors) und Minna Canth in Työmiehen vaimo (Die Frau des Arbeiters), die man beide in ihrer Aussage mit Henrik Ibsen vergleichen kann. Die auf den Realismus folgende individualistische und ästhetisierende Neoromantik wurde Anfang des 20. Jahrhunderts zum Neorealismus, der am eindrucksvollsten durch die Novellen zum Alltagsleben von Maria Jotuni vertreten ist. Ahos Skizzen, seine kurzen Erzählungen wiederum vertieften die Naturbeschreibung, die Schaffung von Stimmungen und das Nebeneinander verschiedener Typen; die Kindernovellen von Teuvo Pakkala (1862–1925) zeigen am besten die Psychologie des Mitleids in dieser Phase. Arvid Järnefelt (1861–1932), Vertreter eines revolutionären Tolstoismus, erweiterte die Perspektive auf die innere, gläubig-sittliche Wandlung des Menschen, die über Nächstenliebe zu Gleichberechtigung und Glückfindung führen sollte. Wie in Skandinavien generell waren Themen des Realismus: der Status der Frau (Minna Canth, Kauppa-Lopo, Die Trödel-Lopo, 1888), die Arbeiterfrage, Armenfürsorge, Entfremdung von Kirche und Geschlechtsmoral – aber immer in Bezug auf örtliche Gegebenheiten und Erfahrungen. Der Realismus diente auch der Einforderung gesellschaftlicher Veränderungen, wenn er nämlich mit unbändigem Zorn auf die nach Verbesserung schreienden Missstände zielte. Der eindringlichste Notruf für die Armen war Minna Canths Schauspiel Kovan onnen lapsia (Unglückskinder, 1888), psychologisch am besten fundiert hingegen ihre Analyse der Motive eines Kindermörders in Anna-Liisa (1895). Die Literatur auf Schwedisch war nicht halb so kritisch, sondern richtete ihr Augenmerk auf die Beschreibung des Volkslebens auf den Inseln und in den schwedischen Gebieten der Provinz Uusimaa. Die schwedische Dichtung der Unterdrückungszeit (Arvid Mörne) war dagegen Kampfdichtung voller Vaterlandsgefühle. Der Realismus zerstreute im finnischen Kulturleben die Zweifel an den Möglichkeiten einer eigenständigen Kunst sogar dermaßen, dass man zu einer Überbetonung der nationalen Stoffe hintrieb, besonders in der nachfolgenden Kalevala-Romantik, als man davon träumte, in der „inneren Wirklichkeit“ des Menschen Schönheit zu entdecken. Getragen

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von der Opposition gegen die Integrationspolitik Russlands, beseelt von passivem Widerstand wohnte der vaterländischen Dichtung ein Subjektivismus inne, der nach Poesie strebte. Die Erzählungen von Volter Kilpi (1874–1939) und Laulu tulipunaisesta kukasta (Die glutrote Blume, 1905) von Johannes Linnankoski (1869–1913) sind typische Beispiele für dekorative, romantische Heldenfiguren. Der Leitstern, Sänger und Seher der finnischen neuromantischen Dichtung war der tief von Nietzsche beeindruckte Eino Leino (1878–1926). Die Hauptthemen seines Frühwerks, Liebe und Natur, vereinte er mit dramatischen menschlichen Schicksalen, zum Beispiel dem Elend des Dichters in Helkavirsiä I (Finnische Balladen: Helgalieder, 1903), Talviyö (Winternacht, 1905) und Halla (Nachtfrost, 1908), bis er schließlich in Lebensmüdigkeit und Pessimismus verfiel (Helkavirsiä II, 1916). In Teil I des Helkavirsiä-Gesangs wandte er ein modernisiertes Kalevala-Versmaß an und verlegte die Balladen und Legenden in eine stammesgeschichtlich vorgestellte finnische Vergangenheit. Hier durften die Helden in ihrer Machtgier der Kirche und Gott trotzen und die Freiheit des Geistes verkünden. Um Leino versammelte sich ein Dichterkreis, der die glühende Kraft der Lieder und den Gedanken der Menschlichkeit verbreitete (unter anderem Larin-Kyösti und L. Onerva). Leinos Freund Otto Manninen (1872–1950), Übersetzer von Ilias und Odyssee ins Finnische, trat in seiner knapperen, geschliffenen und disziplinierten Ästhetik wie eine Gegenkraft zu ihnen auf. Als Vorbote des finnischen Patriotismus errang in der Kriegszeit V. A. Koskenniemi (1885–1962) einen guten Ruf und bedeutendes Ansehen. Er begann seine Produktion 1906 mit der Sammlung Runoja (Gedichte), worin sich ein Pessimismus ausdrückt, der auf der naturphilosophischen Vorstellung von den strengen Gesetzen des Lebens und der Winzigkeit des Menschen im Universum beruht. In Nuori Anssi (Der junge Anssi, 1918) hingegen taucht ein trotzig-kriegerischer Ton des „weißen Finnland“ auf, wenn der Held die gegen die gesetzliche Obrigkeit ankämpfende „rote Gefahr“ abwehrt: Gerade wird der Russe gezüchtigt. Genug des Grausamen schon gehört, war die Zeit der Tat, der Wahrheit gekommen. Genug der Reden und ans Gewehr! Gekommen war die Zeit des Handelns, da auf die Seite der Russen schon Verräter gegangen wie ein roter Schwarm. Angesteckt die Gruppe von der Seuche des Ostens. Verdammt nochmal, noch wird man sehen. Wo sind Männer, wo die Verbrecher, wo!

Die Neoromantik fand ihre Gegenströmung ab 1910, als romantische Gärung und Fragmentarisierung die Prosadichtung zur Suche nach Verbindungen zwischen äußerem und innerem Leben herausforderten. Obwohl erste urbane Themen aufkamen, blieb man zumeist beim Kern des Finnentums, sprich auf dem Lande (zum Beispiel in der warmherzigen Humoreske Tulitikkuja lainaamassa, Streichhölzer, von Maiju Lassila, 1910). Neben den Strömungen von Realismus, Impressionismus und Dekadenz schienen sich die Stilrichtungen zu vermischen, aber die holistische, biologisch-philosophische Grundhaltung blieb erhalten, welche etwa den Gegensatz zwischen schädlicher Wirkung des Stadtlebens auf Zuwanderer vom Lande und gesunder Atmosphäre in den dörflichen Gebieten

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betont. Ernst Haeckels Werk Kunstformen der Natur (1904) hatte starken Einfluss auf diese biologistische Ästhetik. Die sozialistische Weltanschauung mit ihrer Arbeiterliteratur hatte zum Ziel, den bürgerlich-evolutionistischen und christlichen Gesellschaftsbegriff auszuschalten. Eine breite Leserschaft fand nach der Jahrhundertwende die Arbeiterkultur als ein Massenphänomen, das die nationale Einheitskultur in Frage stellte: 1000 Arbeiterbüchereien und Arbeiterhäuser mit Lesestuben, zig Arbeitertheater, an die zwanzig Zeitungen – darunter das Zentralorgan Työmies (Der Arbeiter) – und über zehn Verlage, die in den Jahren 1900–1917 230 Belletristiktitel vorlegten, davon die Hälfte einheimische. Aus der Feder von Arbeiterschriftstellern stachen zunächst auf die aktuelle Situation bezogene Lyriktexte hervor, die angesichts der Ungerechtigkeit in der Gesellschaft von Herrenhass erfüllt waren. Zu den wichtigsten Namen gehört hier Kössi Kaatra, der den eklatantesten Missstand am Anfang des Jahrhunderts aufzeigte, die Vertreibung der Kätner (Autio talo, Das verlassene Haus, 1906): Der Steuern Last nicht zu ertragen, der Herr des Hauses kannte kein Erbarmen. Die Hütte glotzt verlassen am Wegesrand und die Gemeinde nimmt noch die Reste der Armenhäuser, begnügt die Leute mit Almosen, versteigert die Ältesten der Kinder.

Auch in der Prosa stürzte man sich auf Enthüllungsrealismus und Beschreibung des Elends, eine Ausnahme bildete lediglich der Bestseller des Jahres 1917, Ylös helvetistä (Von der Hölle hoch) von Konrad Lehtimäki. Hier wird die Utopie eines von der Revolution entfachten Weltbrandes erzeugt, aus dem eine Gesellschaft der Freiheit und Brüderlichkeit hervorbricht. Eine echte literarische Spitzenleistung sollte freilich erst von Pentti Haanpää vorgelegt werden. Und trotzdem blieb dem Bürgertum und der Intelligenz dies alles fremd und wurde von ihnen abgelehnt. Auch wird hieraus deutlich, dass die finnische Prosa die brennenden Fragen am Ende der Autonomiezeit – Spaltung der Finnlandbewegung, Aufstieg der Arbeiterbewegung und Sprachenzwist – so gut wie gar nicht berührte.

Theater und Musik Theaterwesen und Oper waren lange Zeit von ausländischen Ensembles abhängig und der Zuschauerzuspruch bei den Aufführungen in den Städten blieb relativ gering. Große Kunsterlebnisse wurden nicht erwartet, man bevorzugte eher Unterhaltung, wie sie von Schaustellern mit allerlei Tricks und Kunststücken auf den Märkten interessanter dargeboten wurde als im Theater. Hinter der Geburt des einheimischen Theaters stand der Gedanke, es zum Ausdrucksmittel finnischen Kulturwillens zu machen, zu einem Instrument der moralischen und ästhetischen Erziehung. Die von Laien1852 aufgeführte Topeliusgeschichte Kaarle-kuninkaan metsästys (Die Jagd des Königs Karl) war ein erstes Zeug-

Theater und Musik

Das Nationaltheater und Aleksis Kivi Das 1872 gegründete Finnische Theater ist das älteste finnischsprachige Berufstheater. Als Leiter fungierte Kaarlo Bergbom. 1902 wurde ein neues Gebäude am Bahnhofsplatz fertiggestellt und Nationaltheater Finnlands getauft. Zu Bergboms Zeiten spielte man die Stücke von Aleksis Kivi und Minna Canth sowie die weltberühmten Klassiker Goethe, Molière, Schiller und Shakespeare, von zeitgenössischen Werken u. A. Henrik Ibsens Nukkekoti (Nora). Vor dem Theater steht die Statue von Aleksis Kivi.

nis dieser Idee, und bald wurden mehrere Schauspiele in finnischer Sprache auf die Bühne gebracht, von denen Aleksis Kivis Kullervo 1860 als beste Tragödie ausgezeichnet wurde, im gleichen Jahr also, als in Helsinki das neue Theatergebäude hochgezogen wurde. Und als Kaarlo Bergbom (1843–1906) in der Literarischen Monatsschrift 1872 die Behauptung der Svekophilen widerlegte, die finnische Sprache sei unterentwickelt fürs Theater, rückten die Werke von Kivi (Nummisuutarit, Die Heideschuster, Kihlaus, Die Verlobung, Lea) stärker ins Rampenlicht. Das Finnische Theater wurde flott 1872 gegründet und für Bergbom war es von besonderer Wichtigkeit aufzuzeigen, dass in finnischer Sprache durchaus Kunsterlebnisse auf internationalem Niveau hervorgebracht werden konnten. Die legendäre Ida Aalberg (1857–1915) bewies 1880 ihr herausragendes Talent als Nora in einer Aufführung von Ibsens gleichnamigem, brandneuem Schauspiel (Nukkekoti, Die Puppenstube). In konservativen Kreisen kritisierte man die neuen Ideen und die Kampfbereitschaft der Frauenemanzipation als Gefahr für den Frieden in der Gesellschaft und einige „sozialistische“ Schauspiele von Minna Canth überlebten die Premiere nicht. 1902 wurde das Finnische Nationaltheater mit 1000 Plätzen eingeweiht, dessen Probleme – Planung der Aufführungen, als unfinnisch kritisiertes Repertoire, Fehlen schöpferischer Leitung – nach dem Tode Bergboms allerdings weiter zunahmen, bis 1917 Eino Kalima zum Direktor ernannt wurde, der dann einen neuen Aufschwung schaffte. Inzwischen waren auch andere Theater gegründet worden, so die Arbeitertheater in Vaasa (1906), Kotka (1908), Jyväskylä (1910) und Turku (1916), wo bürgerliche Affektiertheit und Romanzen keinen Einlass fanden. Jetzt konnten sowohl die bürgerlichen (Leino, Järnefelt, Jotuni, Linnankoski, Talvio, Aho) als auch die den Arbeitern nahestehenden

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Schriftsteller (Lehtimäki, Kurikka) ihr dramatisches Talent in finnischer Sprache ausleben. Das Schwedische Theater in Helsinki ging 1916 völlig in die Hände von Finnlandschweden über. Um die Jahrhundertwende wurde das Kino zum Konkurrenten für das Theater, als französische Wanderkinos ins Land kamen. Der erste finnische Theaterfilm stammte aus dem Jahr 1907 und befasste sich, wie sollte es auch anders sein, mit der Schnapsherstellung (Salaviinanpolttajat, Die heimlichen Schwarzbrenner), aber die Verfilmung durch die Finlandia-Filmgesellschaft (gegründet 1915) wurde vor dem Bürgerkrieg abgebrochen, weil die russischen Behörden die Aufnahmen verboten. Der begabteste Komponist des finnischen Musiklebens zu Beginn der Autonomie war der Klarinettenvirtuose Bernhard Crusell (1775–1838), von dessen Chorliedern immerhin Oi, terve pohjola (Oh! Hallo Norden) weiterlebte und der 1824 die erste finnische Oper Pikku orjatar (Die kleine Sklavin) schuf. Von ausländischen Opern kamen Rossinis Der Barbier von Sevilla (1849) und Donizettis Liebestrank (1850) mit Laienkräften aus der Oberschicht zur Aufführung. Im Geist der Zeit begann K. A. Gottlund mit Unterstützung der Finnischen Literaturgesellschaft, melancholische Melodien und Lieder zum Volkscharakter zu sammeln. Herrschaftliche Kreise bevorzugten dagegen zumindest auf Hochzeiten Musikanten fröhlicher Volksmusik. Die Kantele, eine Kastenzither, wurde auch im Ausland schnell zum Symbol der finnischen Kultur. Musikalisch bedeutend war auch die Gesangs- und Spieltradition der Studenten, die mit der Übersiedelung der Universität von Turku nach Helsinki in dem 1834 daselbst zum Musiklehrer berufenen Deutschen Fredrik Pacius (1809–1891) eine Führungsperson erhielt. Wegen seiner Tatkraft und hochromantischen Begeisterung verdiente er sich den Namen „Vater der finnischen Musik“. Aus seiner Produktion schätzten die Zeitgenossen besonders die Oper Kaarle-kuninkaan metsästys (Die Jagd des Königs Karl, 1852), weil sie vaterländischen Enthusiasmus weckte, und natürlich Maamme-laulu (Lied unseres Landes, 1848, heute die finnische Nationalhymne) und Suomen laulu (Lied Finnlands, 1854). Die Fest- und Marschmusik Porilaisten marssi (Marsch des Pori-Regiments) stammt aus der Feder von Konrad Greve, der aus Hessen nach Finnland übergesiedelt war. Von Pacius für Männerchor arrangiert, mit dem Text von Runeberg, erklang das Lied erstmals 1860 von Studenten vorgetragen. Obwohl die einheimischen Komponisten, verglichen mit Pacius und dem viel gesungenen Bellman aus Stockholm, Dilettanten waren, lebten von ihnen doch solche Lieder weiter wie Lähteellä (An der Quelle, F. A. Ehrström), Sylvian joululaulu (Sylvias Weihnachtslied) und Vaasan marssi (Wasa-Marsch, C. Collan). Gegenpol zur militärischen Marschmusik waren, besonders für sensible Damen, salonfähige Melodien voller Liebesträume und sentimentaler Naturschwärmerei. Das finnische Musikleben gelangte an einen Wendepunkt, als Helsinki Anfang der 80er Jahre ein festes Berufsorchester bekam und auch eine Musiklehranstalt gegründet wurde. In vaterländischer Begeisterung für die Musik stellten sich Unterstützer, sponsernde Geldinstitute und von Bürgern gesammelte Mittel ein. Der Sprachenkonflikt feuerte die schöpferischen Aktivitäten weiter an und die Orchesterarbeit breitete sich in ganz Finnland aus. Zur führenden Persönlichkeit in Helsinki wurde Robert Kajanus (1846–1906). Er stellte ein Sinfonieorchester zusammen und etablierte eine Orchesterschule, die 1914 der Musiklehranstalt angegliedert wurde. Er machte die finnische Musik auch im Ausland bekannt, am auffälligsten auf der Pariser Weltausstellung von 1900. Das Opernleben nahm 1873 in Wiborg seinen Anfang (Lucia di Lammermoor), aber die Oper litt wie die Orchester unter ständigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, bis endlich 1911 die Einheimische Oper (spä-

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ter die Nationaloper) gegründet wurde. Die Sängerin Aino Ackté, die bereits international Karriere gemacht hatte, gewann Künstler sogar für die unentgeltliche Mitarbeit am Projekt der finnischen Oper. Die Freundschaft zwischen dem Kapellmeister Kajanus und dem Komponisten Sibelius sicherte der finnischen Musik endgültig ihren Platz auf der Weltkarte. Jean Sibelius (1865– 1957) komponierte hauptsächlich für Orchester, aber auch mit Chor und Solisten (Kullervo, 1892). Neben Kalevala-Themen (Lemminkäis-sarja, Lemminkainen-Serie, Tuonelan joutsen, Der Schwan von Tuonela, Tapiola) vertonte er sowohl antike (Okeanidit, Die Ozeaniden, 1914) als auch altnordisch-skandinavische Themen (En Saga, 1892), weiter fünfzehn Theaterstücke. Die Karelienserie (1893), Finlandia (1899) und Ateenalaisten laulu (Lied der Athener, 1900) sind musikalische Demonstrationen für die Unterdrückten, wodurch Sibelius zum Nationalhelden aufstieg. Die Melancholie der Finlandia schwingt sich gegen Ende zu hymnischer Hoffnung (auf die Selbstständigkeit) auf. Auch die Aufführung seiner beiden ersten Sinfonien bedeutete für Finnland ein einziges Fest. Sein Violinkonzert (1902) ist ein Klassiker der Virtuosen und die eingängige Melodie des Valse triste verzückt die Hörer noch heute. Für Deutsche wäre Sibelius ohne das Kalevala ebenso wenig Sibelius gewesen wie ohne die inspirierende finnische Natur. Auf vielen Auslandsreisen hat er nicht nur seine Kompositionen dirigiert, sondern auch als inoffizieller Kulturgesandter des kaum bekannten Finnland gewirkt. England und die Vereinigten Staaten zählen Sibelius zu den Genies unter den Komponisten. Sibelius beteiligte sich zwar an der Ausbildung finnischer Meisterkomponisten, aber es entstand doch keine Schule um ihn, wenn sie auch alle der gleiche Patriotismus inspirierte. Korsholma (1894) von Armas Järnefelt, zahlreiche volkstümliche Kompositionen von Oskar Merikanto, Erkki Melartins Oper Aino sowie die ostbottnischen Volkslieder von Toivo Kuula und Leevi Madetoja drückten diesen nur auf andere Weise aus. Für den Musikunterricht selbst spielte das Seminar in Jyväskylä die zentrale Rolle, das schon 1884 die ersten Gesangs- und Musikfeste organisierte. Die hier ausgebildeten Lehrer weckten mit dem Inhalt der Lieder das einfache Volk zu nationalem Bewusstsein, und die Volksschullehrer sangen mit ihren Schülern außer geistlichen Liedern patriotisch beseelte und fröhliche Volkslieder. Gesangbuchverse, verschiedenste Volkslieder, Hüterufe der Viehhirten, Joiklieder (monotoner Lapppengesang), Hirtenflöten und Birkenrindenhörner tönten in den Ohren jener, die auf ihren Sommerwanderungen kreuz und quer übers finnische Land zogen, um Volksmusik zu sammeln. Während die von Karelienenthusiasten bewunderten Lieddichtungen, die Kantele und die Rosshaarkantele sich im Osten konzentrierten, blieben das Psalterium und die Tanzmusik der Spielmänner mit ihren Geigen überall aktuell, und auf Ziehharmonikas wurde seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts gespielt. Die Sammlung von Volksliedern erbrachte bis 1917 fast 16 000 Stücke, von denen etwa die Hälfte in dem Werk Suomen kansan säveliä (Lieder des finnischen Volkes, 1893–1932) veröffentlicht wurden. Unter ihnen fanden sich zahlreiche Chorlieder, die ebenfalls eine starke vaterländische Tönung hatten, da man mit entsprechenden schwedischsprachigen Liedern wetteiferte. P. J. Hannikainen vom Seminar in Jyväskylä tat sich auf dem Gebiet studentischen Chorgesangs besonders hervor und trug für die Studenten Walpurgislieder (Kevätsointuja, Frühlingsklänge) zusammen, mit denen die Finnen aus dem Winterschlaf geweckt wurden. In seiner Nachfolge als Leiter der studentischen Chorsänger wurde Heikki Klemetti zur führenden Figur der finnischen Chorkultur und als feuriger Vertreter des Finnentums

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gewann er international einen guten Ruf. Bis zur Unabhängigkeit war die Musikkultur, unabhängig von Gesellschaftsklasse und Bildungsniveau, zum allgemeinen Volkseigentum geworden. Als Besonderheit seien die in allen Volksschichten beliebten satirischen Couplets erwähnt, eine Art stimmlicher Pendants zur politischen Karikatur.

Die bildende Kunst Eine Großtat Alexanders I. zugunsten der bildenden Kunst war, dass er den Hofmaler C. von Kügelgen 1818 nach Finnland schickte, um hier Landschaften zu malen. Seine Lithographiensammlung Vues pittoresques de la Finlande (1823–24) ist das erste Bilderwerk mit der Darstellung Finnlands als romantisches, nordisches Arkadien. Parallel zur Romantik war der Klassizismus die vorherrschende Richtung, vertreten etwa in den Reliefs im Festsaal der Akademie zu Turku (Erik Cainberg, 1813–1816). Der Machtwechsel im Lande ist hier darin zu sehen, dass Alexander I. an den Platz von Gustav III. gerückt wurde. Die im Übrigen bescheidene Stellung der bildenden Kunst im damaligen Finnland geht aus der Tatsache hervor, dass der Porträtmaler J. E. Lindh der einzige Künstler war, der sich mit seinen Arbeiten ernähren konnte. Es dauerte dann immerhin auch bis zum Jahr 1845, bis die erste Kunstausstellung in Finnland stattfand. Die schmalen, aber einflussreichen Kreise von Stand gründeten im Folgejahr die Kunstgesellschaft und eine Kunstschule im Geiste der nationalen Idee und des Aufklärungsidealismus. Wenn Schriftsteller und Forscher Finnland aus der Mitte des Volkes, seiner Sprache und Vergangenheit herauszukristallisieren suchten, so war es Aufgabe der bildenden Kunst, das Land bildlich darzustellen. Es entstand das Werk Finland framstäldt i teckningar (Finnland dargestellt in Zeichnungen, 1845–52), versehen mit Texten von Topelius. Das Landschaftsideal des akademischen Idealismus ist auch deutlich in dem großen Gemälde Näköala Haminanlahdelta (Ausblick von der Bucht in Hamina, 1853) von Ferdinand von Wright zu sehen. Werner Holmberg (1830–1860), der seine Ausbildung als Landschaftsmaler in der Düsseldorfer Schule erhalten hatte, vertrat seinerseits den Übergang von der Romantik zum Realismus. Die Kalevala-Themen begannen aber zu dominieren, und C. E. Sjöstrand entwickelte Väinämöisen soitto (Lied des Väinämöinen, 1866) zu einem langen Relieffries, der in der Universität installiert wurde. Zu diesem Zeitpunkt unterstützte der Staat die Kunst bereits stark mit finanziellen Mitteln, die für Zeichenbedarf an der Schule der Kunstgesellschaft, Reisestipendien für Künstler und die ab 1873 durchgeführten Kunstwettbewerbe verwendet wurden. Zur Zeit des bürgerlichen Liberalismus der 1870er Jahre übernahmen auch in Finnland realistische Richtungen die führende Rolle in der Kunst und Kunstpolitik. Die Kunst sollte allen nahegebracht werden und für jeden erreichbar sein. Kunst und Handwerk fanden zueinander, das Kunsthandwerk war im Vormarsch. Die Finnischgesinnten fürchteten zwar das kommerzielle Wachstum, den Verlust der künstlerischen Freiheit und den Niedergang der ideellen Kunst, gleichwohl gründete man 1878 das Ateneum, das Bildhauerschule und Kunstgesellschaft zusammenführte. Kommerzieller und industrieller Nutzen profitierten dadurch und der Export von Kunstwerken und Künstlern über Paris auf den Weltmarkt nahm seinen Anfang. Idealistische Kunst und Historiendarstellung blieben – vor allem in der teuren Bildhauerei, man denke zum Beispiel an die von Walter Runeberg (1838–1920) geschaffenen Standbilder von seinem Vater und Peter Brahe – in der höheren

Die bildende Kunst

Salon- und Repräsentationskunst lange aktuell. Finnlandfreundliche politische Kunst vertrat hier die Statue Alexanders II. von Johannes Takanen. Der Übergang von der Historienmalerei zum psychologischen Realismus zeigt sich am besten in den Werken Kuningatar Blanka (Königin Blanka, 1877) und Kaarle Herttua herjaa Klaus Flemingin ruumista (Herzog Karl schmäht den Leichnam Klaus Flemings, 1878) von Albert Edelfelt (1854–1905), in denen sich die genaue Rekonstruktion der Vergangenheit mit menschlichen Grundgefühlen wie Freude, Hass, Liebe und Furcht verbindet. Diesen folgten bald bäuerliche Themen mit tugendhaft aufrechten Typen (Lapsen ruumissaatto, Eines Kindes Leichenbegängnis, 1879), womit er in Paris den internationalen Durchbruch schaffte. Naturalismus in der Volksdarstellung findet sich erstmals programmatisch bei Akseli Gallén-Kallela (1865–1931) in dem Gemälde Akka ja kissa (Die Alte und die Katze, 1885), wo karge Lebensumstände den Hintergrund bilden. Mitleid mit den Armen zeigt sich auch bei Eero Järnefelt (1863–1937) etwa in dem Bild Pyykkirannassa (Am Waschufer, 1889). Aber auch diese Künstler verdienten ihr Brot hauptsächlich durch hervorragende Porträts, genauso wie der 1875 aus Norwegen nach Finnland übergesiedelte Daniel Nyblin, Pionier der finnischen Photographie. Anrührende Kinderszenen waren beliebt und dieser Themenkreis beschäftigte in starkem Maße etwa Helene Schjerfbeck in ihrem Frühwerk. Die Tradition der Landschaftsmalerei wurde dann fortgesetzt von Hjalmar Munsterhjelm (1840–1905), der auf stimmungsvolle Mondbilder und Landstriche in Häme spezialisiert war, weiter von Fanny Churberg (1845–1892) und Victor Westerholm (1860– 1919), beide aus der Düsseldorfer Schule. Westerholm war in den 80er Jahren führend mit seinen naturwissenschaftlich realistischen Bildern (Eckerön postilaituri, Poststeg von Eckerö, 1885), wandte sich aber später dem Impressionismus zu (Koivuhaka, Birkenhain, 1888) und damit von der bürgerlichen Kunstauffassung ab. Besser als die Kunstindustrie des Ateneums vertrat das Kunsthandwerk den Geist des Agrarlandes, und das von Studenten zusammengetragene traditionelle Material gewann 1878 auf der Pariser Weltausstellung eine Goldmedaille. Die glühende Finnlandverehrerin Fanny Churberg bewirkte eine Renaissance der Textilornamentik. Am begehrtesten waren karelische geometrische Figurendekors, die man für Kalevala-Kunst und den Grundstein des „finnischen Stils“ hielt, die aber in Wirklichkeit aus Byzanz stammten. 1897 wurde in Porvoo die Iris-Gesellschaft im Sinne der Ideen des Erneuerers des westlichen Kunsthandwerks, William Morris, gegründet. Hier wurden erstklassige Kunsthandwerksprodukte hergestellt: Der aus Belgien stammende Keramiker Alfred Finch (1854–1930) schuf einen neoimpressionistischen Stil und Gallén-Kallela entwarf Möbel und Textilien für die Irishalle auf der Weltausstellung in Paris (1900). Die erste Ausstellung finnischer Künstler 1897 bedeutete die Ankunft der impressionistischen Emanzipation nun auch in Finnland. Zur Zeit von Edelfelts Vorsitz in der Künstlervereinigung 1895–1904 ergaben sich weitgehende Verbindungen nach Frankreich, innerhalb Skandinaviens und nicht zuletzt nach Russland; die finnische Kunst gewann internationales Ansehen. Die Stellung der Künstler verbesserte sich auch im Inland erheblich, da sich viele örtliche Kunstvereine der Unterstützung durch Mäzene aus dem Großbürgertum erfreuten, obwohl die Unabhängigkeit der Künstler vom bürgerlichen Kunstideal – der Suche nach der Wahrheit – wuchs. Die Reaktion auf den Materialismus drückte sich in Individualismus und romantischem Idealismus aus. Man suchte auch nach Synthesen, in denen sich Architektur, bildende Kunst und Kunsthandwerk ver-

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IV. Zur Kultur im Großherzogtum

banden (Pavillons, Salons). Die Neoromantik hatte drei Linien: erstens den nationalen, karelianistischen Zweig, zweitens die nationalistisch-grundgesetzliche Linie, die sich der Autonomie Finnlands verschrieb und bedeutenden Erfolg mit Suomi 19:llä vuosisadalla (Finnland im 19. Jahrhundert, 1893) hatte, in mehreren Sprachen herausgegeben von Leo Michelin, und drittens die individualistische Linie der „Kunst der Kunst wegen“ (l’art pour l’art), esoterischer Symbolismus französischer Natur. Die finnische Kunst war nicht mehr nur Verarbeitung europäischer Einflüsse, sondern stand auch in aktiver Wechselwirkung, wie beispielsweise die Teilnahme Gallén-Kallelas an einer internationalen Ausstellung in Budapest 1906 bezeugt. Die Kalevala-Themen stiegen zu neuer Blüte auf, als Gallén-Kallela sein erotisches AinoTriptychon (1891) und Sammon taonta (Das Schmieden des Sampo, 1893) vorstellte. Mit diesen verglichen stand Paanajärven paimenpoika (Der Hirte am Paanajärvi-See, 1892) als deprimierende Abbildung des wahren Karelien zurück. Bald begann Gallén-Kallela, nationale Symbolgestalten zu schaffen, wie Väinämöinen, der nicht mehr der halbblinde Kantelespieler war, sondern zum Bauernkrieger und historischen Helden gemacht wurde. Aus Kullervo wurde in seiner Bearbeitung der finnische Kriegsgott, und auch in Edelfelts Illustrationen zu Fähnrich Stahls Erzählungen bekamen die Helden neue, trotzige Gesichter. Den kernigen Lönnrot, Sammler und Herausgeber des Kalevala, verewigte Emil Wikström 1903 in einer Plastik. Konstitutionelle und nationalpolitisch zeitgemäße Kunst ist als Kritik am Februarmanifest in Hyökkäys (Der Angriff, 1899) von Eetu Isto zu erkennen. Hiervon wurden Papierreproduktionen zur Verteilung in alle Haushalte angefertigt. Eigene Gesellschaftskritik in tolstoischem Sinne stellt dagegen Järnefelts Raatajat rahanalaiset (Knechte des Geldes, 1893) dar, womit er um Sympathie für Schwerstarbeiter und Besitzlose warb. In einigen Arbeiten von Juho Rissanen (1873–1950), etwa in Sokea (Der Blinde) und Povarissa (Bei der Wahrsagerin, 1899), erscheint das gleiche Motiv in humoristischen Tönen. Der aus bäuerlichen Kreisen stammende Pekka Halonen (1865–1933) bildete hingegen den eigenständigen Bauern als gefestigte Gestalt ab und tauchte die Landarbeit in ein ideales Licht (Ateria, Die Mahlzeit, 1899 und Työstä lähtö, Heimkehr von der Arbeit, 1907). So erhob sich das Finnentum auch in seinem moralischen Wert über seinen Peiniger (das Russentum), rein an Seele, Körper, Habitus und „Rasse“. Patriotismus tritt uns auch in den Landschaftsbildern der Unterdrückungszeit entgegen, etwa in Halonens nationales Selbstbewusstsein ausströmendem Erämaa (Die Wildmark) oder Järnefelts Schlimmes ahnendem Ukkosilma (Das Gewitter), wo sich persönliche Weltanschauung und ästhetische Ansichten zur politischen Aussage verbinden. Der Photograph I. K. Inha (1862–1919) zeichnet in seinen Suomi kuvissa (Finnland in Bildern, 1896) das Gesicht Finnlands weniger politisch als vielmehr mit den künstlerischen Mitteln der Kamera. Magnus Enckell (1870–1925) und Hugo Simberg (1873–1917) gingen als Maler völlig eigene Wege: Enckell in seinen Knabenbildern und antiken Phantasien, Simberg in seiner märchenhaften Welt, wo Naivität und Allegorien zu Verderben und Tod finden (zum Beispiel in Kuoleman puutarha, Garten des Todes, oder Halla, Nachtfrost). Sie erneuerten auch die Kirchenkunst und schmückten den Dom zu Tampere mit unkonventionellen Fresken und farbigen Glasfenstern aus (1907). Der Sozialismus fasste in Finnland mit dem Generalstreik und der demokratischen Erneuerung des Parlaments (1905–1906) schnell Fuß, was im Bereich der Kunst einen Gärungszustand verursachte. Das in der Nationalromantik idealisierte Volk schien sich in den Augen der elitistischen Kunst zu einer gefürchteten Kraft zu wandeln, die vom Künst-

Die bildende Kunst

lerproletariat aus den unbegüterten Handwerker- und Bauernkreisen getragen wurde. Zahlreiche Künstler, die auf die alte, nationale Basis gesetzt hatten, distanzierten sich nun von den radikalen Strömungen. Eine davon war die radikale Gruppe um die Euterpe-Zeitung (1902–1905), die für aristokratischen Idealismus und kosmopolitisches Verhalten eintrat und Nationalromantik, Kirche und bürgerliche Moralbegriffe ablehnte. Sie vermittelte französische Literatur und farbenprächtige Kunstideen. Die der Euterpe nahestehenden Enckell und Finch gründeten 1912 die Ausstellungsgruppe Septem, zu der die jüngeren Künstler Verner Thomé, Mikko Oinonen, Yrjö Ollila und von den älteren Rissanen und Ellen Thesleff gehörten. Eine zweite Gruppe mit bettelarmen Bohemekünstlern fühlte sich zur Arbeiterbewegung hingezogen, wurden hier doch solche Werke wertgeschätzt, die sich thematisch mit dem Arbeitsleben und den Lebensverhältnissen der Arbeiter beschäftigten. Die Klassenbezogenheit des finnischen Sozialismus und der Mangel an finanziellen Mitteln entfremdete jedoch die Künstler und der proletarische Radikalismus trieb in eine aristokratische Richtung. Einige fanden Beschäftigung als Karikaturisten, wie Tyko Sallinen an der Zeitung der Sozialisten Kurikka (1904). Die Demokratisierung äußerte sich bei der Darstellung des Volkes als Wandel hin zur Darstellung von Arbeit und Arbeiterschaft. Besonders tat sich hier der Bauernsohn Rissanen mit seinen monumentalen Arbeiterbildern hervor (Sepät, Die Schmiede, 1906 und Lastin purkaminen, Abladen der Last, 1910), in seiner Nachfolge auch der jüngere Jalmari Ruokokoski. Wer in Arbeiterdarstellungen keine Schönheit sah, suchte sie in Sensualität; so Ville Vallgren in seiner Meerjungfrau Havis Amanda (1908) zur Missbilligung von Sozialisten, Feministen wie Konservativen. Die Landschaftsmalerei wurde gleichfalls sinnlicher, indem nackte Gestalten in sonnenüberflutete Sommerbilder gesetzt wurden.

Die Uspenski-Kathedrale und Havis Amanda Die Kathedrale wurde 1862–1868 auf den Katajanokka-Felsen in Helsinki erbaut. Sie ist als größte orthodoxe Kirche Nord- und Westeuropas beliebtes Touristenziel mit jährlich etwa einer halben Million Besuchern. Die Kathedrale liegt in unmittelbarer Nähe des Marktes vor dem Präsidentenschloss am Meer und der Häfen für die Auslandsschifffahrt. Am Rande des Marktplatzes steht auch die von Ville Vallgren geschaffene Statue der nackten Meerjungfrau Havis Amanda, die seinerzeit einen großen Kulturskandal verursachte und am 1. Mai mit einer Studentenmütze gekrönt wird.

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IV. Zur Kultur im Großherzogtum

Lebensfreude, Vitalität und ein frisches Körperbewusstsein verdrängten die im Kulturleben eingenistete Hoffnungslosigkeit, und diese positiven Eigenschaften wurden umso mehr betont, als der Sport Ausdruck nationalen Heroentums wurde. Sallinen strebte nicht nur Farbenfreude an, sondern suchte Sinnlichkeit aufzudecken in animalischem Grundverhalten (Pyykkärit, Die Wäscherinnen, 1911) oder Verzücken durch Gruppendynamik (Hihhulit, Die Fanatiker, 1911). Enckell wiederum gab sich in seinen neueren Arbeiten hedonistischer Schönheit und der Verehrung der Farbe hin. In seinen Frauenbildern leuchten die feinsinnigen Züge der Modelle. Fauvismus und Kolorismus hatten die finnische Kunst aufgebrochen. Zur Kriegszeit folgten dann Kubismus (Alvar Cawén), pessimistische Truppendarstellung sowie melancholisch getönte Schilderung der urbanen Umgebung. Die Wiederentdeckung der Arbeiten von Helene Schjerfbeck fällt ebenfalls in die Kriegszeit, da 1917 eine Ausstellung ihrer Werke organisiert wurde. Nach diesem Erfolg sah man in ihr eine extreme Vertreterin des Ästhetizismus, und bis heute gilt sie als aristokratische Ikone finnischer Kunst.

Architektur und Kultur Das öffentliche Bauwesen war die offizielle Fassade der Kultur. Als Finnland unter russische Herrschaft geriet, ergaben sich neue, anspruchsvolle Aufgaben. Auf Befehl des Zaren wurde Helsinki zur Landeshauptstadt und aus der 1808 abgebrannten, bescheidenen Handels- und Festungsstadt musste die Residenz des Großfürstentums gemacht werden, die „Perle der Ostsee“. So entstand nach den Bebauungsplänen von J. A. Ehrström und dank der Architektur von Engel eine prachtvolle Schöpfung im Empirestil, die noch heute von unzähligen Touristen bestaunt wird. Die Architekten des von Engel geleiteten Intendentenkontors, der späteren Baubehörde, bewahrten über einen langen Zeitraum diesen einheitlichen Baustil und entwarfen für Helsinki über zwanzig öffentliche Bauten und zahlreiche Privathäuser. Die Komposition des Senatsplatzes – Nikolaikirche, Senatsgebäude, Universität, Universitätsbibliothek und die Wohnviertel am Südrand des Platzes – bildet symbolisch das Herz Finnlands, und dies nicht nur als künstlerisch-architektonisches Monument, sondern auch als Repräsentationsort historischer Traditionen und Hauptschauplatz zahlreicher nationaler Veranstaltungen. Die von Engel geplanten großen steinernen Kasernen und Institutsgebäude, die Grünflächen, das Kurbadgelände und die Esplanade, die bedeutendste zeitgenössische Parkallee, schufen für Helsinki eine völlig neue Atmosphäre, fast im Stile von Sankt Petersburg. Die parkähnlichen Alleen und Grünflächen waren schon aus Gründen der Brandsicherheit erforderlich. Der offene Empirestil fand auch schnell Eingang in die Provinzstädte, Beispiele sind die Rathäuser in Kajaani, Kokkola und Pori. Im ganzen Land wurden Militärgebäude, Gefängnisse, Magazine und Krankenhäuser errichtet. Herrschaftliche Güter (Moisio in Elimäki und Vuojoki in Eura) und Pfarreien (Pyynikkilä in Ruovesi) folgten treu der Engel’schen Linie. Zwischen 1810 und 1840 entwarf das Intendentenkontor weiter eine Reihe von Kreuzkirchen; großartige Beispiele des Holzempire befinden sich in Alajärvi, Lapua, Isojoki und Luumäki. Als von Engel geplante orthodoxe Steinkirchen seien die Kirchen von Turku und Hamina erwähnt. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war die Hauptrichtung im Kirchenbau der Jugendstil, da der lutherische Kirchenraum sich im Charakter der Predigtkirche annäherte, wo Hör- und Sichtbarkeit betont wurden.

Architektur und Kultur

Nach Engels Tod 1840 endete die Empireepoche und neue Stilrichtungen wie Eklektizismus und Neugotik wurden vorherrschend, denn die monumentale Bauweise nahm entscheidend ab. Die Architektur sollte sich den neuen Gegebenheiten anpassen, für die Bedürfnisse der Industrie musste rationell und zweckmäßig gebaut werden, Konstruktion und Technologie waren nun von zentraler Bedeutung. Der Entwurf von Gefängnissen und die Planung von Bahnhofsgebäuden entlang der Bahnstrecke Helsinki – Hämeenlinna (1852–1862 gebaut) waren zeitgemäße Arbeiten. Das Landschaftsbild beherrschten nun aber vor allem die nach ausländischem Vorbild errichteten mehrstöckigen Industriehallen aus Stahl und Glas. Die Architektur der Industrialisierungszeit schuf schon ihrer Größe wegen ein neues kulturelles Umfeld. Neu gegründete Industriestandorte bildeten auf dem Lande einen architektonisch völlig neuartigen Siedlungstyp, einen eigenen kleinen Mikrokosmos. Als ein Musterbeispiel dafür kann das Gelände der Baumwollfabrik in Forssa mit seinen Arbeiterwohnungen gelten. Die Wohnarchitektur erneuerte sich mit den in Mode gekommenen Villen, einer neuen Wohnform in ganz Skandinavien, die von Parkanlagen und Gärten umgeben zum Ideal ländlichen Wohnens wurde. Als Planer solcher Villen machte sich der 1852 aus Schweden nach Finnland zugezogene G. T. Chiewitz (1815–1862) einen Namen. Er entwarf Häuser im italienischen, Schweizer und englischen Cottagestil. Den Schweizer Holzstil mit seiner Laubsägeornamentik sah man bald auch in der Verzierung von städtischen Wohnhäusern und in anderen Details. Zwei- und dreistöckige Steinhäuser wurden Ende der 1840er Jahre üblich, als Beispiel seien die neugotischen Bürgerhäuser in Vaasa genannt. In Pori baute man dagegen die Uferviertel im Stil der Neorenaissance. Im Allgemeinen sind diese Steinhäuser wohlhabender Bürger, die Gemütlichkeit, Bequemlichkeit und praktischen Nutzen vereinten, im Laufe der Zeit verschwunden; an ihrer Stelle wurden profitablere Gebäude errichtet. Seit den 70er Jahren entpuppten sich Industrie und Handel als die wichtigsten Bauherren: In den Stadtzentren erhoben sich vielstöckige Wohnsiedlungen, öffentliche Gebäude und Banken, am Stadtrand Industriegebiete und Wohnviertel. Bis Mitte der 90er Jahre war die Neorenaissance aktuell. Dieser Baustil ermöglichte dem neureichen Bürgertum die Schaffung eines architektonisch befriedigenden Milieus. Bei den palastartigen Fassaden von Mietshäusern wurde an Gipsornamentik und Malereiverzierung nicht gespart. Der Stil wurde selbst in der Holzbauweise nachgeahmt. Beim Übergang zum folgenden Jahrhundert verdrängte der Jugendstil oder l’Art nouveau den Stileklektizismus und verband Romantik mit Rationalismus. Ein schmucker und malerischer Gesamteindruck war Ziel der namhaftesten Vertreter der neuen Architektengeneration, Lars Sonck (1870–1956) und Eliel Saarinen (1873–1950), die, gebunden an Nationalidee und Neuromantik, nach neuen Ideen für ein Gesamtkunstwerk strebten. Die von 1890 bis 1905 gültige finnisch-nationale Jugendromantik holte ihre Inspiration aus der karelischen Holzblockbauweise, von mittelalterlichen Burgen und Kirchen sowie volkstümlichen Schmuckformen. Die Ornamentik bezog ihre Themen aus der finnischen Flora und Fauna. Dies bezeugen schon beispielhaft die Villa Gallén-Kallelas in Ruovesi (1894) und das Sommerhaus von Sonck in Finström (1895). Das Manifest des Ganzen war jedoch der Finnland-Pavillon auf der Pariser Weltausstellung (1900), der seinen Schöpfern Herman Gesellius, Armas Lindgren und Eliel Saarinen zu internationalem Ansehen verhalf. Sie setzten ihre Arbeit mit dem Pohjola-Haus (1900–1901) und dem Nationalmuseum (1905–1910) fort. Das Meisterwerk Soncks aus dieser Zeit ist der Dom von Tampere

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(1907). So konnten sich einige wenige, begabte Architekten in diesen elitistischen wie individualistischen Projekten selbst verwirklichen. Kritisiert wurden ihre Arbeiten von den Rationalisten und Konstruktivisten, die die Romantik und archaische Formen missachteten und die Nationalromantik gegen Ende der Autonomieepoche mieden. Ein dem Rationalismus der Zeit und seinen Gesundheitsvorstellungen entsprechendes Typengebäude ist die von Onni Tarjanne (1864–1946) entworfene Tuberkulose-Heilanstalt in Takaharju (1900–1905), die schon seltene vorfunktionalistische Züge aufweist. Auch bei Sonck und Saarinen tauchen in späteren Arbeiten die für den Rationalismus typische Regelmäßigkeit und Symmetrie, Massivität und Monumentalität auf. Schönstes Beispiel dafür ist Saarinens Bahnhof von Helsinki (1906–1918). Die Einflüsse der Industrialisierung und des Bevölkerungswachstums waren bald im Stadtbild zu erkennen. Der Bau ständig neuer, hoher Mietshäuser hatte zur Folge, dass sich die Stadtzentren deutlich von den niedrigen Holzhausgebieten der Vororte unterschieden. Die Stadtteile der Fabrikarbeiter am Stadtrand waren gleichbedeutend mit sozialer Ausgrenzung sowie verminderter Wohnkultur. Durch Bebauungspläne versuchte man gegen Ende der Autonomiephase, nach englischem Vorbild auch in Helsinki Gartenviertel zu schaffen, während gleichzeitig der Baubedarf von Behörden, Lyzeen und anderen Institutionen weiter anstieg. Besonders bei den sogenannten Schulpalästen achtete man sehr auf Raumaufteilung, Beleuchtung, Heizung, Ventilation und Hygiene. Musterbeispiel dafür ist die von Wivi Lönn (1872–1962) geplante Aleksanteri-Volksschule in Tampere. Mit der Vermehrung der kommunalen Dienstleistungen wurden neue und repräsentative Stadt- und Gemeindehäuser, Krankenhäuser, Feuerwehrbauten und Kaufhallen notwendig. Große staatliche Projekte waren die Bank von Finnland, das Ständehaus im klassischen Stil, das von G. Nyström entworfene Staatsarchiv (Nationalarchiv) und das Kunstmuseum Ateneum. Auch verschiedene Organisationen ließen Prunkpaläste errichten, daraus stachen das Studentenhaus (Altes Studentenhaus, 1870) und das Gebäude der Arbeitervereinigung hervor. Für Erholung und Vergnügungen entstanden eine Reihe von in Parkanlagen gelegenen Sommerrestaurants, Brunnen und Wasserspielen, Freilichttheatern, Badeanstalten, Kegelbahnen und Aussichtstürmen, die als Kulturinnovation für das ganze Volk gedacht waren. Luxushotels für die Elite wie das 1887 fertiggestellte Kämp im Neorenaissance-Stil hatten in ihrer Bequemlichkeit (elektrisches Licht und Fahrstuhl) internationales Niveau. Von den Jugendstil-Hotels für ausländische Touristen wurde besonders das Staatshotel in Imatra bekannt, das 1906 fertiggestellt wurde. Auch die Wohnhäuser der Geschäftsstraßen erhielten ein neues Gesicht, weil im Erdgeschoss Läden mit großen Schaufenstern entstanden. Die repräsentativen Wohnungen des wohlhabenden Bürgertums zeichneten sich durch die Höhe ihrer Zimmer, wertvolle Einbauausstattung, Dekorationsmalerei, Holztäfelungen und Deckenkassetten aus. Im Gegensatz zu den Wohnstätten der Neorenaissance waren die Wohnungen nun hell und luftig. Sie bekamen als erste komfortable Wasserleitungen. In Helsinki verleihen die Wohnhäuser im Jugendstil noch heute ganzen Wohnblöcken ein massives Aussehen. Den Gegenpol zum Glanz der Jugendstilfassaden im Zentrum bildeten die Stadtrandgebiete, in denen Ende des 19. Jahrhunderts Enge und Armseligkeit herrschten. Philanthropen suchten das Problem nach englischen und deutschen Vorbildern zu lösen, zum Ideal wurde das Einfamilienhaus. In der Praxis errichteten gemeinnützige Baufirmen aber Mehrfamilienhäuser, deren Wohnungen aus nur einem Zimmer bestanden. Neben den von einigen Industriefirmen gebauten Arbeiterwohnungen waren sie in ihrer Zeit gleich-

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wohl das Beste, was der Arbeiterschaft angeboten wurde. In Turku und Tampere wurden Arbeiterwohnviertel angelegt, wo einstöckige, mehrere Wohnungen umfassende Holzhäuser in dicht besiedelten Wohnblöcken nebeneinander standen. Diese Wohngebiete waren von sehr einheitlichem Charakter, da sie nur geringe Bauzeiten beanspruchten und die Fassaden überall die gleichen waren. Aber auch in diesen Wohnungen gab es selten mehr als ein Zimmer. Ein Beispiel dieses Typs ist Port Arthur in Turku (1906–1911).

Marginale Minderheiten Aus Sankt Petersburg kamen russische Kulturelemente: Künstler verschiedenster Bereiche, Obst- und Gemüsehändler, Gärtner, Soldaten, Brauereigründer und eine große Zahl von Kosmopoliten, Kurbadtouristen und an die zweihundert Prostituierte. Das Studium der russischen Sprache wurde zwar gefördert, fand aber in Finnland nicht wirklich Anklang. Die Kommunikation der höheren Stände mit Russen lief auf Deutsch oder Französisch, im Übrigen war die Kultursprache lange Zeit Schwedisch. Deutscher Handel und deutsche Kultur hatten schon seit dem Mittelalter Priorität im multikulturellen Wiborg. Aus dem russischen Kaiserreich, aus Litauen, aus dem Nordosten Polens und den Gouvernements Novgorod und Tver wie auch aus dem Gebiet um Pähkinälinna östlich von Petersburg zogen nach Finnland auch jüdische Familien, die von Armeesoldaten aus dem Zarenreich abstammten. Über ihre Bürgerrechte wurde erst 1917 entschieden, denn eigentlich hatte man in Finnland Angst vor einer Masseneinwanderung europäischer Juden und fürchtete wirtschaftliche Konkurrenz. Die Unterbrechungen der Parlamentssitzungen während der Unterdrückungszeit verzögerten die Behandlung der Angelegenheit zusätzlich. Jüdische Erwerbstätigkeit war zur Zeit der Autonomie unter Androhung von Strafe nur erlaubt „für den Verkauf von Handwerksartikeln, Brot, Beeren, Papirossy, gebrauchter Kleidung und anderen billigeren Tuchwaren“. Ihre Umgangssprachen waren anfangs Jiddisch und Russisch, aber nach kurzer Anpassungszeit gingen sie zu Schwedisch, später Finnisch über. Juden gründeten 1906 ein Gemeindezentrum in Helsinki und die Synagoge wurde noch im gleichen Jahr eingeweiht. Eine jüdische Schule gab es in der Stadt schon seit 1893. Eine größere Minderheitsgruppe bildeten die Roma. Sie kamen aus dem Westen, später aber auch aus Russland und dem Baltikum. Während der Autonomie wohnten sie vornehmlich in Ostfinnland, vor allem auf der Karelischen Landenge und in der Gegend von Sortavala, zum Teil freilich auch im Süden Ostbottniens und in Savo. 1895 schätzte man sie auf 1400 Köpfe, aber eine genaue Zahl ließ sich nie ermitteln. Die Berufstätigkeit der Romamänner hing schon damals mit Pferden zusammen: Sie betätigten sich als Hufschmiede und Rosshändler, übernahmen das Kastrieren junger Hengste und verabreichten Tiermedizin. Die Frauen strickten und häkelten oder wirkten als Wahrsagerinnen und bettelten auch. Unter gesetzlichem Schutz standen in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts ein halbes Hundert Roma, die Land besaßen oder gepachtet hatten. Meistens bearbeiteten sie ihre Ländereien allerdings gar nicht selbst, sondern zogen innerhalb eines Landstrichs von Ort zu Ort, so vor allem in Karelien. In der Provinz Savo hingegen trieben sie wohl Landwirtschaft auf eigenem Hof oder in Pacht (zum Beispiel die Grönforssippe in Kiuruvesi). Die Roma selbst hielten sich aber als „echte Zigeuner“ (auf Romani hortto kaalo), mit Pferdeschlitten oder Fuhrwerk stets unterwegs, für ein frei lebendes Volk, das seine

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IV. Zur Kultur im Großherzogtum

Aus dem Leben der Lappen Abbildung aus dem Werk The English Atlas des Briten Moses Pitt (1639–1697).

Bräuche und Traditionen bewahrte – ein Selbstbild, das in seiner Zigeuneridentität das Ideal der Vergangenheit vertrat. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dieses „echte Zigeunertum“ in der finnischen, nach nationaler Einheit strebenden Kultur immer mehr in die Enge getrieben. Am schwierigsten war jedoch die Situation für die Minorität der Samen. Allein die in Lappland durchgeführten Grenzziehungen bildeten ein Hindernis für das Weiden ihrer Rentierherden und die Aufrechterhaltung nachbarschaftlicher Beziehungen zu anderen Samen. Führende Fennomanen schlossen sie als „unterentwickelt“ von Geschichte und Kultur aus, wie Yrjö-Koskinen. Er stritt ihnen das Recht auf ihr lappisches Land ab mit der Begründung, Landbesitz sei nur durch Landbewirtschaftung möglich. Eine wirkliche Kultur besaßen sie seiner Auffassung nach nicht, da sie nicht in der Lage waren, einen eigenen Staat zu bilden, und wegen ihrer geringen Anzahl ohnehin vom Aussterben bedroht seien oder mit den Finnen verschmelzen würden. Koskinen irrte: Dank steigendem Lebensstandard und erhöhter Geburtenzahlen blieb die Kultur der Samen nicht nur erhalten, sondern festigte sich sogar, da die Zahl ihrer Träger im Verlauf des 20. Jahrhunderts von etwa 2000 auf 7000 anwuchs. Obwohl sich zur gleichen Zeit auch der Anteil der Finnen in der Bevölkerung Lapplands vermehrte, bewahrten die Samen ihre Sprache, ethnische Identität und Kultur. Hier war hilfreich, dass die Samen keineswegs bloß Rentierzüchter waren. Vielmehr verteilte sich die samische Bevölkerung seit Anfang des 20. Jahrhunderts auf drei Kategorien: Die Einwohner um Inari waren im vorigen Jahrhundert zur Landwirtschaft übergegangene Fischer, während das Leben der Samen im Tenogebiet auf einer Mischkultur von Rentierzucht und Fischerei beruhte. Die Rentiersamen der Gegenden um Enontekiö und West-Inari entsprechen am besten der allgemeinen Vorstellung: Sie waren ziehende Rentierzüchter, die nur allmählich ihre Lappenzelte (kota) verließen und in Blockhäusern ansässig wurden. Anders als in Norwegen und Schweden, wo die Samengebiete seit Beginn des 20. Jahrhunderts stark als Teil der Nation und des Staates vereinnahmt wurden, konnten die Samen in Finnland länger in Ruhe leben, bis ihre Wald- und Wasservorräte schließlich doch Interesse fanden, das Straßennetz erweitert und die Verwaltung gefestigt wurde.

Die Polarisierung der politischen Kultur

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Die Polarisierung der politischen Kultur Die in den 1860er Jahren begonnene Modernisierung Finnlands, die Entwicklung von Industrie, Handel und allgemein des Erwerbslebens führte im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts dazu, dass man von einer modernen, effektiven und produktiven Gesellschaft sprechen konnte. Dieser Fortschritt war nicht zuletzt der steigenden Nachfrage nach Produkten der Papierindustrie zu verdanken, zunächst in Russland, dann auch im Westen. Der wirtschaftliche Erfolg Finnlands war aufs Ganze gesehen die stärkere Basis für die Zukunft des Landes als der zum Misserfolg verurteilte Kampf um grundgesetzliche Rechte gegen die Integrationspolitik des russischen Imperiums. Das Fehlen von Einkommens- und Vermögenssteuern bedeutete die Anhäufung von Besitz und Kapital bei der schmalen Industrie- und Beamtenelite, während sich gleichzeitig die minderbemittelten Volksschichten radikalisierten, obgleich sich die Stellung der Arbeiterklasse dank neuer Arbeitsplätze und höherer Löhne verbesserte. Die scheinbar isolierte finnische Nation trat im Siegestaumel der Olympischen Spiele von Stockholm (1912) voller Optimismus und Frohsinn auf. Oper, Operette und Theater blühten – die ersten Opernfestspiele in Savonlinna feierte man 1912. Die ökonomische Aufstiegsphase zur Zeit des Ersten Weltkrieges erlaubte eine weitere kurze Blütezeit für die verschwenderische und vergnügungssüchtige bürgerliche Kultur. Die sogenannte öffentliche Meinung kümmerte sich nicht mehr um die bisher diskutierten politischen Fragen, als sich das allgemeine Interesse auf das Kriegsgeschehen und die Weltpolitik verlagerte und die Situation im Heimatland in den Hintergrund geriet. Auch in der Kunst schienen gesellschaftliche und politische Aussagen zu fehlen. Da gesellschaftliche Reformen, unter anderem die Befreiung der Kätner, auf Eis lagen, blieb die Arbeiterschaft vorläufig ruhig, zumal die Kriegszeit reichlich Beschäftigungsmöglichkeiten bei den allenthalben durchgeführten Befestigungsarbeiten bot und die Industrie bis 1917 mit Volldampf arbeitete. Der Beginn der Polarisierung in der finnischen Gesellschaft und Politik kann auf die Jahre 1905–1907 datiert werden, die Zeit der Generalstreiks und des Japanischen Krieges. Da fingen die alten, russlandfeindlichen Aktivisten und die neuen studentischen Aufrührer an, sich nach Deutschland zu wenden, da man glaubte, so die soziale Revolution auch in Finnland am besten verhindern zu können. Besonders in schwedischsprachigen Kreisen

Finnische Turnerinnen Als um die Jahrhundertwende die Olympiabewegung in Finnland Fuß fasste, bewegten Wettkämpfe die finnischen Gemüter. Die Profifrage kam auf und überholte mit den Erfolgen bei den Spielen in Stockholm (1912) den Amateurstatus in den Turn- und Sportverbänden. Auch die Frauen wurden mit der für sie als ästhetisch und physiologisch geeigneter betrachteten Gymnastik in das Geschehen einbezogen.

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IV. Zur Kultur im Großherzogtum

herrschte Furcht vor einem Umsturz, weil die Finnischsprachigen und die Sozialisten immer mehr Anhänger bei den Parlamentswahlen gewannen. In rechtsradikalen Studentenkreisen koppelte man den Gedanken der Befreiung Finnlands aus dem russischen Machtbereich mit der Vision eines Groß-Finnland, das auch Fern-Karelien und Olonetz (Aunus) einschließen sollte. In diesen Spekulationen könnte Finnland in Zukunft mit deutscher Hilfe einen Puffer gegen den Osten, gegen das Slawentum bilden. Der Gedanke einer Union mit Deutschland – die Jägerbewegung als militärische Spitze – lebte bis zum Zusammenbruch Deutschlands im Spätherbst 1918. Die Idee stand in krassem Gegensatz zu den Plänen der Sozialisten, mit revolutionärer Unterstützung durch Russland eine eigene sozialistische, finnische Republik zu schaffen. Als auch die Sozialisten in ihrer politischen Rhetorik aggressive Sprache verwendeten und bei den Parlamentswahlen 1916 die Mehrheit erzielten (103 von 200 Sitzen), stärkte dies die Furcht vor der Ausbreitung der Revolution in Finnland. Das vom Zaren befriedete Finnland war in seiner politischen Kultur äußerst unruhig geworden, umso mehr, als die Politik damals eher auf der Straße als im Parlament gemacht wurde. Die sozialistische Parlamentsmehrheit hatte praktisch gesehen nämlich keine Bedeutung, denn die Regierung, die hinreichend Reformen zu beschließen hatte, war nicht vom Vertrauen des Parlaments abhängig, sondern vom Willen des Zaren. Ungezügelter und unkontrollierter spitzte sich die Situation durch die Märzrevolution des Jahres 1917 in Russland zu, die in Finnland mit Begeisterung aufgenommen wurde. In der bürgerlichen Partei bereitete man die Lösung aus der Abhängigkeit zu Russland vor, indem die Machtbefugnisse formell an das Parlament übergeben und Bewaffnung und politische Unterstützung aus Deutschland arrangiert wurden. Die Revolution in Russland stellte die Finnen vor die empfindliche Frage, wer im Land die Polizeigewalt übernehmen solle, wenn das Zarenreich gestürzt würde. Die russische Armee in Finnland befand sich im Frühjahr 1917 bereits im Freiheitsrausch und der Nahrungsmittelmangel im Sommer sowie vermehrte Arbeitslosigkeit verursachten ständig Störungen der öffentlichen Ordnung und Straßenkrawalle. Die politische Kultur in den Straßen wurde radikaler und polarisierte sich. Mit der Streikwelle sympathisierende Arbeiter verkündeten, „die Revolution fortzusetzen“, und im Parlament sahen die Sozialisten die Gelegenheit gekommen, eine sozialistische Gesellschaftsordnung zu begründen. Die Bürgerlichen vertrauten darauf, dass das von Russland abgetrennte Finnland mit deutscher Unterstützung einen eigenen Staat und Kulturgegebenheiten nach „germanischem“ Muster erhalten würde. Ernst wurde die Situation, als das von den Sozialisten angeführte Parlament im August 1917 auf Befehl der Kommissarischen Regierung Russlands aufgelöst wurde und die Politik der Straße die Grenzen der Rechtmäßigkeit überschritt und die Handlungsrichtung zu bestimmen begann. Als Gegenpol zu den vom Bürgertum etablierten Weißen Garden und Schutztruppen gründeten die radikalen Arbeiter eine eigene Rote Garde, obwohl die Führung der Sozialisten dies zu verhindern suchte in der Befürchtung, die Macht könnte ihren Händen entgleiten. Die radikalen Roten hatten Verbindungen zu den russischen Bolschewiken, die sie in der Benutzung von Waffen und anderen, für die Kriegführung wichtigen Fertigkeiten unterwiesen. Die Weißen ihrerseits erhielten die gleiche Schulung von finnischen Jägern, die aus Deutschland zurückkehrten. Während des im November ausgebrochenen Generalstreiks griffen die Rotgardisten zu Terrorakten, vor allem gegen diejenigen „Herren“, die ihre Arbeiter miserabel behandelt hatten. Im Dezember machte sich bei den Bürgerlichen, den Weißen, intensiv die Ansicht breit, dass sie die Ordnung in der Gesellschaft

Die Polarisierung der politischen Kultur

wiederherzustellen hätten, bevor die russische Revolution tatsächlich Finnland erreichen würde und das Land in die Anarchie triebe. Am 6. Dezember verkündete das Parlament, in dem inzwischen die Bürgerlichen die Mehrheit innehatten, die Unabhängigkeitserklärung, die von den Sozialisten für unrechtmäßig gehalten wurde. Die politische Elite in Finnland war unversöhnlich gespalten: Bürgerkreise machten die Zukunft Finnlands von Deutschland abhängig, die Sozialisten wollten mit dem sozialistischen Russland in Verbindung bleiben.

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V. Kulturgeschichte des unabhängigen Finnland

V. Kulturgeschichte des unabhängigen Finnland Olli Matikainen

Die Billigung der Unabhängigkeitserklärung durch das finnische Parlament am 6. Dezember 1917 war eine schlichte Veranstaltung inmitten von drohendem Chaos. Einen Monat zuvor hatten die Bolschewiken in Russland die Macht an sich gebracht. In Finnland schürten Lebensmittelmangel, Streiks und die Auseinandersetzungen zwischen den bürgerlichen Schutztruppen und der proletarischen Roten Garde Unruhen. Für die Mehrheit der politischen Elite Finnlands war es noch nach dem Sturz des Zaren die erste Option, weiterhin unter der Herrschaft Russlands zu bleiben; erst nach der Oktoberrevolution war es für das rechtsorientierte Parlament ein unmöglicher Gedanke, einen roten Großfürsten als oberste Regierungsgewalt anzuerkennen. Die Trennung Finnlands von Russland wurde letztlich durch den zielbewussten Selbstständigkeitskampf angesichts des Verfalls des Zarenreiches auch wegen des Weltkriegs und innerer Unruhen entschieden. Im Jahr 1917 bestanden für Finnland gute Voraussetzungen für einen selbstständigen Staat. Die Fennomanie hatte ein starkes Bewusstsein der eigenen nationalen Identität und Geschichte geschaffen. Die Volksvertretung, die politischen Parteien und ein reges Vereinsleben hatten die Massen mobilisiert und eine staatsbürgerliche Gesellschaft etabliert. Verwaltung und Rechtswesen hatten sich auf der Basis der schwedischen Herrschaftszeit entwickelt und Finnlands öffentliche Wirtschaft war Russland gegenüber relativ unabhängig. Obwohl Russland für die finnische Wirtschaft wichtig war und die Beendigung der Beziehungen in einigen Bereichen Probleme verursachte, hatte sich die Forstwirtschaft in das westliche Wirtschaftssystem integriert. Freilich fehlten Finnland von den Kennzeichen eines selbstständigen Staates die eigene Armee und Polizei: Das mit der Begründung der eigenen Ordnungsmacht und der Ablösung von Russland entstandene Defizit auszugleichen, war der erste Prüfstein des jungen Staates. Kulturell und ökonomisch lag Finnland an der Peripherie Westeuropas, aber geopolitisch gehörte es zu den politisch labilen Interimsstaaten Osteuropas, die der durch den Weltkrieg verursachte Zerfall der Imperien hervorbrachte. Die Unabhängigkeitserklärung vom Dezember 1917 ist als eine erste Willensäußerung zu charakterisieren, denn die tatsächliche Souveränität erreichte Finnland erst nach dem blutigen Bürgerkrieg von 1918 und der allgemeinen Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft. Die Etappen der Geschichte des unabhängigen Finnland haben sich begrifflich in der Aufteilung in eine erste und eine zweite Republik gefestigt. Der Begriff „erste Republik“ verweist auf die Zeitspanne 1917–1945, die innenpolitisch von dem Druck auf den jungen Staat geprägt war, der sowohl von der Linken als auch von der Rechten ausging, und außenpolitisch durch die Bedrohung seitens der Sowjetunion. Der Status Finnlands als selbstständiger Staat wurde im Zweiten Weltkrieg neuerlich überprüft. Politisch endete die Zeit der ersten Republik mit den Parlamentswahlen im Frühjahr 1945, als sich die innenpolitische Situation durch den Aufstieg der Kommunisten änderte und das Verhältnis zur Sowjetunion als Ergebnis des Krieges neu definiert werden musste.

V. Kulturgeschichte des unabhängigen Finnland

Mit der zweiten Republik der Nachkriegszeit bezieht man sich auf die Zeit der Identifizierung mit der gesellschaftlichen Entwicklung in den anderen nordischen Ländern, des Aufbaus eines Wohlfahrtsstaates, und außenpolitisch auf die Epoche des Kalten Krieges. Die zweite Republik endete spätestens mit dem Zerfall der Sowjetunion zu Beginn der 90er Jahre, der Wirtschaftsrezession und dem Beitritt Finnlands in die Europäische Union 1995. Diese Veränderungen haben Anlass genug geliefert, bereits von einer dritten Republik zu sprechen, denn die politische und wirtschaftliche Stellung Finnlands ist mit der Mitgliedschaft in der EU und dem globalen Wandel der Weltwirtschaft grundlegend anders als in der zweiten Republik. In der Geschichte sind abrupte politische Wendepunkte und der langsame Wandel kultureller Erscheinungen oder ökonomischer Strukturen meistens zu unterschiedlichen Zeiten zu verzeichnen. Die einheimische Geschichtsforschung wurde häufig dafür gescholten, dass sie sich zu intensiv vor allem mit den politischen Knackpunkten wie 1917–1918 und 1939–1945 auseinandersetze, wobei das Fortleben der kulturellen Tiefenstrukturen leicht außer Acht bleibe. Die Auslegungen der Geschichtsforschung spiegeln indes immer die politische Atmosphäre wider, und auch in Finnland verschob sich der Akzent bei historischen Allgemeindarstellungen von der alten nationalen Betrachtungsweise zu einer Betonung des Europabezugs des finnischen Kulturerbes. Unabhängig vom gewählten Gesichtspunkt scheint die Kulturgeschichte des selbstständigen Finnland, gleichgültig ob es um Politik, Wirtschaft oder Kunst geht, allerdings immer wieder auf drei Kernprobleme zurückzukommen. Das erste ist die geopolitische Lage Finnlands zwischen Westeuropa und Russland beziehungsweise der Sowjetunion und die Wirkung dieser Konstellation auf die nationale Identität und die Herausbildung des Nationalismus. Entscheidend für das Verständnis der innenpolitischen Kultur waren ferner der Bürgerkrieg von 1918 und die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, die einerseits die Finnen spalteten, andererseits verbanden. Der dritte große Problemkreis liegt in der schnellen Modernisierung der finnischen Gesellschaft von der Agrarwirtschaft zur Industrie- und weiterhin zur nachindustriellen Gesellschaft nach den Weltkriegen. Neben dem Modell der drei Republiken, das auf Geschehnissen der politischen Geschichte beruht, seien die Überlegungen des Soziologen Pertti Alasuutari erwähnt, der für die Nachkriegsgeschichte Finnlands eine Dreiteilung in Moral-, Plan- und Konkurrenzwirtschaft ansetzt. Vereinfacht begründete man Alasuutari zufolge diverse allgemeine Angelegenheiten und Kulturerscheinungen in der Blütezeit der Moralwirtschaft bis in die 50er Jahre mit betont moralischen und ethischen Argumenten. Eine typische Erscheinung der Zeit war der Kulturkampf oder sogar die moralische Panik, wobei man gesellschaftliche Phänomene oder Kulturprodukte aus moralischen Gründen verurteilte. In der bis in die 80er Jahre anhaltenden Planwirtschaftszeit stand ein auf staatlicher Lenkung und Wirtschaftswachstum beruhender gesellschaftlicher Zielrationalismus im Vordergrund. Charakteristische Merkmale waren hier der Glaube an die Kontrolle von Widersprüchen durch wissenschaftliche Forschungen zu gesellschaftlichen Fragen und demokratischstaatliche Unterstützung der Kultur. In der Konkurrenzwirtschaftsphase des neuen Jahrtausends scheinen dann auch die Frage der Daseinsberechtigung der Kultur und der Erfolg im Wettkampf auf dem freien Markt immer mehr Beachtung zu finden. Die Einteilung von Alasuutari und die Tiefenstruktur der finnischen Kulturhistorie lässt sich durch ein Schema veranschaulichen, das die Charakteristika der Epochen abbildet:

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V. Kulturgeschichte des unabhängigen Finnland Moral

Planung

Konkurrenz

I. Republik 1917–1945

II. Republik 1945–1995

III. Republik seit 1995

Protektionismus

Investitionen

Rentabilität

Kunst

Anständigkeit

Demokratie

Verkauf

Politik

Ideologie

Konsensus

Image

Regierungsperiode Wirtschaft

Das Erbe der ersten Republik und der Kriege Bald nach der Unabhängigkeitserklärung im Dezember 1917 trieb Finnland in den Bürgerkrieg. Das ohne wirkliche Macht gebliebene und zerstrittene Parlament war nicht in der Lage, die angestauten gesellschaftlichen Probleme zu lösen, und die durch den Ersten Weltkrieg verursachte Wirtschaftskrise, Nahrungsmittelmangel und Streiks verschärften die Situation über das ganze Jahr 1917. Der Schriftsteller Juhani Aho verdichtete die Ursache der revolutionären Bewegungen in dem Wort: „Der Hunger ist ein Roter.“ Politisch brachte die Frage der künftigen Machtstrukturen das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen. Das sozialdemokratisch regierte Parlament verkündete im Sommer 1917, die Regierungsgewalt gehöre außer in Fragen der Außenpolitik und des Militärs dem Parlament, aber die Konservativen verhinderten die Inkraftsetzung des Gesetzes mit Unterstützung der provisorischen Regierung Russlands und das Parlament wurde aufgelöst. Die Arbeiterbewegung radikalisierte sich im Laufe des Jahres 1917 schnell: Das selbstständig gewordene Land blieb ohne starke Ordnungsgewalt, sodass sich das Vakuum analog zur Generalprobe des Streiks von 1905 mit bürgerlichen Schutzkorps und der Roten Garde der Arbeiterschaft zu füllen begann. Die Roten Garden waren zu Kriegsbeginn dank der Unterstützung durch die noch immer in Finnland stationierten, jetzt von der Bolschewikenregierung kommandierten russischen Soldaten in der Überzahl. In der Praxis blieb die Bedeutung der russischen Truppen im Krieg jedoch gering, denn ihnen fehlte einfach die Kampfmoral. Außerdem musste sich Russland im März 1918 Deutschland im Frieden zu Brest-Litowsk beugen, was den Abzug der Truppen aus Finnland zur Folge hatte. Im Januar 1918 hatten die Bolschewiken die von den Roten zusammengestellte Volksabordnung als offizielle Regierung Finnlands anerkannt, aber ihre Hilfe war wegen des Bürgerkrieges im eigenen Land sehr beschränkt. Die Roten brachten zu Beginn des Krieges die Hauptstadt Helsinki und die wichtigsten Industriestandorte unter ihre Herrschaft, weshalb die verfassungsgemäße Regierung nach Vaasa in Ostbottnien ausweichen musste. Das Kriegsglück wendete sich aber zugunsten der Weißen dank der disziplinierteren Organisation ihrer Truppen und der erfolgreichen Aushebungen in den von ihnen beherrschten Gebieten. Die Rückkehr der Jäger, die in Deutschland eine Kriegsausbildung genossen hatten, stärkte die Moral der Weißen und verbesserte die Kampffertigkeiten ihrer Truppen. Außenpolitisch stützten sie sich auf das kaiserliche Deutschland, und die deutsche Invasion an der Südküste im Rücken der Roten führte zum Zusammenbruch der roten Stellungen in Südfinnland. Den entscheidenden und bittersten Kampf lieferte man sich um die Herrschaft über die Industriestadt Tampere im April 1918. Der Krieg endete im Mai mit der von General Mannerheim angeführten Siegesparade der Weißen in Helsinki, aber die Aufarbeitung des Bür-

Das Erbe der ersten Republik und der Kriege

gerkrieges dauerte lange. Neben den in im Kampf Gefallenen sind Tausende ziviler Opfer des roten und weißen Terrors sowie nach dem Krieg in Gefangenenlagern Umgekommener zu bedauern. Die Gesamtzahl der Kriegsopfer wird auf 36 000 geschätzt, mithin etwa ein Prozent der damaligen Bevölkerung. Der Bürgerkrieg von 1918 war nach einem oft zitierten Wort des Staatswissenschaftlers Aristide Zollberg ein plötzlicher „Moment des Wahnsinns“ (moment of madness), wodurch die alte Ordnung abrupt zusammenzubrechen schien. An den unruhigen Grenzen des russischen Imperiums war Finnland bisher ein ungewöhnlich problemloser Erdwinkel gewesen und die relativ geruhsame gesellschaftliche Entwicklung schien der Entstehung einer Tradition politischer Gewalt vorzubeugen. Finnland hatte auch die unruhige Zeit der russischen Unterdrückung ohne Blutvergießen überstanden: Attentate von Aktivisten waren nur vereinzelte Taten, und die Gegenmaßnahmen Russlands hatten sich auf die Verbannung finnischer Führungspersonen und die Verschärfung der Zensur beschränkt. Das Erbe des Jahres 1918 mit seiner tiefen Spaltung der Finnen lebt auch noch in der jüngsten Zeit fort. Die Bezeichnung des Bruderkrieges wechselt unter Diskussionspartnern je nach politischer Einstellung und Generation. Bei den Gewinnern auf der weißen Seite hat sich seit den 20er Jahren der Terminus „Freiheitskrieg“ eingebürgert. Der bei Rechtskonservativen populäre Begriff hebt hervor, dass die Unabhängigkeit Finnlands tatsächlich erst mit dem Krieg 1918 erreicht wurde. Es ist offensichtlich, dass Finnland bei einem Sieg der Roten als Sowjetrepublik an die Russen gefallen wäre. Der tiefere Grund für die Tragödie lag in der Aufwiegelung durch die russischen Bolschewiken, von der sich die finnische Arbeiterbewegung verleiten ließ. Die Infragestellung des Kerns der üblichen Freiheitskriegsauslegung führte noch in den 90er Jahren zu einem weitreichenden Historikerstreit, als Professor Heikki Ylikangas seine Untersuchung Tie Tampereelle (Der Weg nach Tampere) veröffentlichte und darin behauptete, die Weißen hätten die Rolle der Russen propagandistisch übertrieben und den Bürgerkrieg eher aus wirtschaftlich-sozialen Gründen erklärt. Nach der politischen Wende des Zweiten Weltkrieges wurde es notwendig und möglich, die Berechtigung des roten Aufstandes zu berücksichtigen. „Bürgerkrieg“ hatte als Begriff eine linksbetonte Schattierung, in den Jahrzehnten nach den Kriegen, in der Zeit des Aufbaus eines Wohlfahrtsstaates, schien er jedoch der Idee des Ausgleichs von Widersprüchen gerecht zu werden. Im Krieg hatte die nationale Tragödie im erzwungenen Kampf des Bruders gegen seinen Bruder gelegen, aber Möglichkeiten der Verständigung hatte es durchaus auch gegeben. In den 60er Jahren war eine hinreichend lange Zeitspanne vergangen, um das Jahr 1918 leidenschaftsloser zu untersuchen, und der Historiker Jaakko Paavolainen konnte seine grundlegende Untersuchung Punainen ja valkoinen terrori (Roter und weißer Terror, 1966–67) in deutlich versöhnlichem und neutralem Geiste veröffentlichen. Der Einfluss der Belletristik auf das Bild der Ereignisse von 1918 war gleichwohl größer als jener der akademischen Forschung insgesamt. Die Trilogie Täällä Pohjantähden alla (Hier unter dem Polarstern, 1959–1962), in der das Leben einer Kätnerfamilie in der Provinz Häme über die Jahrzehnte verfolgt wird, besiegelte die Position von Väinö Linna als Nationalschriftsteller Finnlands. „Die Wahrheit ist weder rot noch weiß. Sie ist menschlich und deshalb eher schmerzlich.“ Es ist bemerkenswert, dass der Krieg von 1918 mit Blick auf ähnliche Konflikte in anderen Ländern allgemein erst relativ spät als Bürgerkrieg bezeichnet wurde. So waren zum

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Beispiel im Spanischen Bürgerkrieg die Kriegsfolgen hinsichtlich der Bevölkerungsverluste bezogen auf die Größe der Länder von gleicher Größenordnung, und von den Grundvoraussetzungen her waren die Auseinandersetzungen in Spanien und Finnland ebenfalls ganz ähnlich. Diese Auffassung, die in neuere Allgemeindarstellungen und Lehrbücher eingeflossen ist, wird vor allem von der jüngeren Generation angenommen, die sich von engen nationalen Betrachtungsweisen und von der farblich definierten Gegenüberstellung von „Freiheitskampf“ und „Bürgerkrieg“ lösen wollte. Für eine seit den 90er Jahren anschwellende dritte Welle der umfangreichen Freiheits- und Bürgerkriegsliteratur zum Jahr 1918 steht die Psychohistorie des Bürgerkriegs (2009) von Juha Siltala, der die finnischen Geschehnisse als allgemeinmenschliche Phänomene betrachtet. Für Bürgerkriege und ethnische Säuberungen ist typisch, dass vormals friedlich nebeneinander lebende Bevölkerungsgruppen schnell in eine Spirale steigender Grausamkeiten stürzen. In Finnland waren die Unterschiede zwischen den Gesellschaftsklassen während des Bürgerkrieges frappant und stellten eine ebenso kritische Konstellation dar wie bei ethnischen Säuberungen. Von einem Klassenkampf haben gewöhnlich nur die dogmatischsten Kommunisten gesprochen, sozialtheoretisch aber hat die Bezeichnung durchaus Berechtigung. 1918 standen sich die von Beamten und der Mittelklasse angeführte Bauernarmee und die von Besitzlosen auf dem Land und von der städtischen Industriearbeiterschaft gebildeten Roten Garden gegenüber. Der Aufbau von Feindbildern und gegenseitige Bezichtigungen der Unmenschlichkeit spitzten die Konstellation zu und machten letztlich Kompromisse unmöglich. Die fehlende Bereitschaft der Konservativen zu gesellschaftlichen Reformen brachte die Arbeiterschaft und die Armen auf dem Land dazu, in Beamten, Geistlichen und reichen Grundbesitzern Ausbeuter zu sehen, die nur durch eine Revolution beseitigt werden konnten. Für die weiße Seite waren die Roten Garden schlicht zu Hass angestacheltes Gesindel. Von der Wirklichkeit einer proletarischen Diktatur gab die Oktoberrevolution Russlands eine deutliche Warnung für die Finnen. Ein bei den Weißen populäres Marschlied nennt die Ziele deutlich: „Die Schutztruppen fordern Ordnung im finnischen Land / Nieder mit den Roten Garden und alle Russen verbannt.“ Die Schicksalsfrage der finnischen Gesellschaft auf den Ruinen des Jahres 1918 war die Konsolidierung des Parlamentarismus und der nationalen Gesellschaft. Der unmittelbare Einfluss des Bürgerkrieges auf die politische und ideelle Atmosphäre war zwiespältig. Die Extreme lagen noch weiter auseinander als bisher, gleichzeitig näherten sich aber die gemäßigten Rechten und Linken einander an. Die Rechtsextremisten der siegreichen weißen Seite setzten kompromisslosen Nationalismus und die Schaffung eines rein weißen Finnland auf ihr Programm. Die finnische Flagge mit dem blauen Kreuz auf weißem Grund spiegelt in ihren Farben die zugespitzte Stimmung nach dem Bürgerkrieg. Vor dem Krieg hatten heftige Debatten über die Farbe der Fahne stattgefunden. Dabei standen sich das Blau-Weiß der altfinnischen Fennomanie in ihrer Loyalität zu Russland und das von den Jungfinnen und Schwedischgesinnten favorisierte, dem Löwenmotiv der finnischen Heraldik verbundene Rot-Gelb gegenüber. Die Waage schlug infolge des Bürgerkrieges zugunsten der ersten Alternative aus, der schließlich auch die Jungfinnen zustimmten. Die Symbolik roter Farbe wäre nach den Ereignissen von 1918 zu stark gewesen. Innere Spaltung wird gern durch die Hervorhebung äußerer Bedrohung überspielt. Die Furcht vor Russland nahm schroffe Formen an und der Rechten diente der Russenhass als bewusst eingesetzte Maßnahme dazu, die Reihen zu glätten. „Von Russen darf man nur mit Zähneknirschen sprechen“, verkündete eines der bekanntesten Pamphlete der Zeit.

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Ideologisch war die Speerspitze der national orientierten Richtung die 1922 gegründete Akademische Karelien-Gesellschaft, die erstaunlichen Einfluss auf die finnischgesinnte Intelligenz und die Studenten erreichte. Finnland schloss mit dem bolschewistischen Russland 1920 den Friedensvertrag zu Dorpat ab, von den enttäuschten Nationalisten wegen der darin festgeschriebenen Grenzen als „Schmachfrieden“ bezeichnet. Zentrale Absicht der Karelien-Gesellschaft war fortan, die von finnischstämmigen Kareliern besiedelten Gebiete Ostkareliens, die in den Machtbereich der Sowjetunion gefallen waren, wieder an Finnland zu binden. Die in gewissen Kreisen der Gesellschaft entwickelte Ideologie eines Groß-Finnland sollte dann während des Zweiten Weltkrieges zwischenzeitlich in die Praxis umgesetzt werden. Um den Volksaufstand gegen die Bolschewiken zu unterstützen, führten die Aktivisten der Rechten aber schon Anfang der 20er Jahre ohne offizielle Zustimmung der finnischen Regierung bewaffnete Überfälle ins Karelien jenseits der Grenze durch. Der Misserfolg dieser „Ausflüge“ nach Ostkarelien führte zum Selbstmord des jungen Studenten Hans Håkan „Bobi“ Sivén, der damit zur Kultfigur wurde. In der Ideologie der Karelien-Gesellschaft wurde der Nationalismus fast zu einer Religion und viele Geistliche der lutherischen Kirche schlossen sich der Organisation an. Die im roten Aufstand von 1918 entbrannte Feindlichkeit gegenüber der Kirche und den Pfarrern hatte die Einstellung der Geistlichkeit verschärft. Der Fahneneid der Bruderschaft vereinigte Glauben und Nationalidee: „So wahr ich an einen großen Gott glaube, so glaube ich an ein großes Finnland und seine große Zukunft.“ In der Innenpolitik sorgte die Arbeit der Gesellschaft für eine erneute Zuspitzung des alten Sprachenstreits mit den Schwedischsprachigen. Die Aufregung konzentrierte sich auf die Universität Helsinki und die Forderung nach finnischsprachigem Unterricht. In ihrem Verhältnis zur schwedischen Sprache war die nationalgesinnte Rechte trotzdem weniger einheitlich als in ihrer antibolschewistischen Haltung, denn die Mehrheit der Schwedischsprachigen war in den Auseinandersetzungen von 1918 eine der am sichersten hinter dem weißen Finnland stehenden Bevölkerungsgruppen gewesen. Die nach Russland geflohene Führung der Roten gründete 1918 in Moskau die Kommunistische Partei Finnlands, die im Heimatland im Untergrund und teilweise unter dem Schutz anderer linker Organisationen und Parteien arbeitete. Im November 1929 fuhren Anhänger der kommunistischen Jugend zu einer Konferenz nach Lapua in Ostbottnien, das zum festen Stützpunkt der Weißen gehörte. Die Provokation führte zu den als „Zerreißen der roten Hemden“ bekannten Handgreiflichkeiten, die ein symbolischer Startschuss für die spontane Entstehung der Lapua-Bewegung der Rechten wurden. Die immer sichtbarer gewordene Tätigkeit der Kommunisten und die Zulassung der Linkssozialisten als eigene Partei im Parlament führten zur Vorstellung, das Erbe von 1918 sei gefährdet. Die Zuspitzung des Klimas wurde durch die weltweite Wirtschaftskrise gefördert, von der auch Finnland erfasst wurde. Sie spiegelte sich in Arbeitslosigkeit, Konkursen und Zwangsversteigerungen wider. Galionsfigur der Lapua-Bewegung war der Landwirt Vihtori Kosola, der während der russischen Herrschaft in Sankt Petersburg im Gefängnis saß, weil er als Werber für die Jägerbewegung fungiert hatte. Das fanatische Auftreten von Kosola hatte typische Züge des kontinentalen Faschismus und seine äußere Erscheinung mochte an Mussolini erinnern, aber außerhalb seiner Anhängerschaft reichte sein Charisma nicht bis zum Volksanführer. Kraftprobe der Lapua-Bewegung war im Juli 1930 ein Bauernmarsch von 12 000 Personen nach Helsinki. Die Teilnehmer wurden von der höchsten Staatsführung empfangen, das waren Präsident L. K. Relander, Premierminister

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P. E. Svinhufvud und General C. G. E. Mannerheim. Der schnelle Erfolg der Lapua-Bewegung erklärte sich durch die Angst vor dem Kommunismus, die auch gemäßigte Rechte in Lapua teilten. Mit ihrem Druck setzten die Lapuaner ihre wichtigste politische Forderung durch, das Verbot politischer Tätigkeit der Kommunisten per Gesetz. Die Lapua-Aktivisten verfolgten ihre Ziele außerparlamentarisch, indem sie Kommunisten, gemäßigtere Linkspolitiker und Gewerkschaftler entführten und zusammenschlugen. Es war üblich, die Geiseln im Auto an die sowjetische Grenze zu bringen. In mehreren Ortschaften wurden von der Arbeiterschaft betriebene Häuser zugenagelt. Die Zunahme politischer Gewalttaten führte schließlich zu sinkender Popularität der Bewegung. Im Oktober 1930 wurden der frühere Präsident K. J. Ståhlberg und dessen Ehefrau gekidnappt; als liberaler Vertreter der Versöhnungspolitik hatte er den Unwillen der Lapuaner hervorgerufen, weil er während seiner Präsidentschaft die Massenbegnadigung Roter abgesegnet hatte. Die Entführung des angesehenen Präsidenten und Veteranen des Rechtmäßigkeitskampfes zur Russenzeit bestürzte das große Publikum, sodass sich die öffentliche Meinung gegen die Lapua-Bewegung richtete. Im Sommer 1932 versammelten sich eine Menge bewaffneter Mitglieder der Bewegung im südfinnischen Mäntsälä, um eine sozialdemokratische Veranstaltung gewaltsam zu verhindern. Die Unruhen waren auf bestem Wege, zum Aufstand auszuarten, aber Präsident Svinhufvud beendete den Versuch durch eine resolute Radioansprache ohne Blutvergießen. Finnland stand kurz vor einem erneuten Bürgerkrieg, denn ein Aufeinandertreffen der regierungstreuen Armee und der von Lapua aus beherrschten Schutztruppen schien möglich. Entscheidend war, dass die Schutzwehr als Organisation vom Versuch einer Machtübernahme absah. Der Mehrheit des weißen Finnland genügte die Unterdrückung der Kommunisten, die diese in den Untergrund zwang, als politisches Ziel. Das Scheitern des Aufstandes von Mäntsälä zeigte, dass es dem finnischen Rechtsextremismus an ausreichendem Rückhalt, Organisation und Führung fehlte. Die Lapua-Bewegung wurde zerschlagen, die Bestrafung der Aufständischen blieb jedoch relativ milde. Der Aufstand von Mäntsälä zersplitterte freilich auch die Akademische Karelien-Gesellschaft und die Sammlungspartei, von der sich die Nationalgesinnten trennten, woraufhin sie in Anlehnung an die faschistische Ideologie die Vaterländische Volksbewegung (Isänmaallinen Kansanliike, IKL) gründeten. Ende der 30er Jahre verdichtete sich die republikanische Front. Ein Gesetz zum Verbot äußerer Kennzeichen an der Kleidung war gegen die Blauhemden der Bewegung gerichtet und man versuchte, die Partei gänzlich aufzulösen, was aber durch den Krieg verhindert wurde. Ende der 30er Jahre suchte das offizielle Finnland auch intensiv die Zusammenarbeit mit den nordischen Ländern und nahm sich das skandinavische und republikanische Gesellschaftsmodell zum Vorbild. Der von den Nationalgesinnten propagierte Antibolschewismus war zwar weithin akzeptiert, stellte aber keine ausreichende Kraft für einen Wandel des ganzen politischen Systems dar. Trotz seiner Schwächen war es dem Parlamentarismus innerhalb von zwanzig Jahren gelungen, seine Wurzeln im finnischen Boden auszustrecken. Seiner sozialen Struktur nach war Finnland ein Land der Bauern und Arbeiter, die Mittelschicht war wegen der geringen Urbanisierung ziemlich schmal. Um erfolgreich zu sein, musste eine politische Bewegung eine ausreichend große Anhängerschaft aus der Bevölkerungsschicht der körperlich arbeitenden Menschen erreichen, aber diese Gesellschaftsgruppen waren politisch bereits gut mobilisiert. Die Agrarpartei und die Sozialdemokraten waren streng republikanisch orientiert und hatten in den Wahlen der 20er und 30er Jahre gute Erfolge zu verzeichnen. Zur

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Lapua-Bewegung gehörten zahlreiche vor allem wohlhabendere Bauern, aber sowohl die Vaterländische Volksbewegung als auch die Akademische Karelien-Gesellschaft waren sozial differenzierter. Ihre typischen Anhänger gehörten der Mittelschicht kleinerer Städte an oder waren in erster Generation Gebildete mit bäuerlichem Hintergrund. Die Umsturzversuche extremer Vereinigungen in der Anfangsphase der Selbstständigkeit sind eine Erklärung dafür, weshalb sich in der politischen Kultur Finnlands später ein starker Hang zum Zentrum hin ergeben hat. Die Arbeiterschaft konnte bald nach dem Bürgerkrieg die wichtigsten ihrer im Krieg gestellten Forderungen durchsetzen: Die Kätnerfreiheit wurde realisiert und das Wahlrecht in den Kommunalwahlen war nicht mehr vom Vermögen abhängig. Mit dem Sieg des Republikanismus war die parallele Entwicklung im Wirtschaftsleben zwischen den Kriegen bedeutsam für die Herausbildung der charakteristischen Züge der finnischen Gesellschaft. Finnland hatte nun eine in den westlichen Markt integrierte und auf Export beruhende offene Wirtschaft, wobei die Rolle des Staates und der Einfluss politischer Entscheidungen von höchster Bedeutung waren. Ökonomisch lag Finnland an der Peripherie und war ein kapitalarmes Land, das allerdings zwei Trümpfe hatte: erhebliche Waldvorräte und billige Arbeitskräfte. Die Forstindustrie fand ihre Märkte im Westen und für den Staat spielten die Aktiengesellschaften in der Holzbranche und in anderen Schlüsselbereichen der Industrie, die mehrheitlich in staatlichem Besitz waren, eine entscheidende Rolle. Nach dem Wirtschaftshistoriker Markku Kuisma konnte Finnland dadurch vermeiden, in die Hände von Großgrundbesitzern und Großaktionären zu fallen, dass sich für weite Bevölkerungskreise dank der republikanischen Politik Einflussmöglichkeiten auf die Wirtschaft ergaben. Das Gesetz zur Begrenzung des Landbesitzes der Forstgesellschaften öffnete den Weg zu privatem Waldeigentum und damit zu einer starken Stellung von Landwirten als Rohstoffproduzenten. Infolge des Resultats des Bürgerkrieges brauchte die Arbeiterschaft eine längere Zeit, bis sie eine ebenso feste Position als Anbieter von Arbeitskraft erlangte, denn Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften fanden eigentlich nicht statt. Streiks waren in den 20er und 30er Jahren wild und wurden hart niedergeschlagen. Das Fundament für die finnische Arbeitsmarktkultur und die späteren Kooperationsmaßnahmen wurde schließlich durch den Zwang der Situation geschaffen, als Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich während des Winterkrieges 1940 bei der „Januarverlobung“ als Verhandlungspartner akzeptierten. Der heldenhafte Kampf im Winterkrieg von November 1939 bis März 1940 gegen den Angriff der Sowjetunion und die übermächtige Kriegsmaschinerie der Roten Armee ist einer der Stützpfeiler der nationalen Identität in Finnland. Die in diesem Zusammenhang erfolgte Vereinigung der Finnen wird stets als Pendant zu der durch den Bürgerkrieg verursachten Spaltung gesehen. Das die Unabhängigkeit bewahrende „Wunder des Winterkrieges“ war militärischer und innenpolitischer Natur. Den Geist des Winterkrieges verewigten in der Literatur am besten Erkki Palolampi, dessen Roman Kollaa kestää (Der Winterfeldzug: Krieg in Finnlands Wäldern 1939–1940) druckfrisch sofort in mehrere Sprachen übersetzt wurde, und Yrjö Jylhä in seiner Gedichtesammlung Kiirastuli (Fegefeuer), zu deren bekanntesten Gedichten Kohtaus metsässä (Begegnung im Wald) zählt: On hällä oikeus tappaa, ja sulla – mut mistä saitte sen oikeuden? Ei voi hän vieraaksi majaas tulla: Hän on vihollinen.

Sie haben das Recht zu töten, und du – wer gab euch das Recht? Darf fremde Hütte nicht besuchen: er ist der Feind.

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Hintergrund des Winterkrieges war der von den diktatorischen Großmächten abgeschlossene deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag, der in einem geheimen Zusatzprotokoll das Baltikum und Finnland der Interessensphäre der Sowjetunion zuschlug. Da der Druck der Sowjetunion hinsichtlich Gebietsabtretungen und Militärstützpunkten im Herbst 1939 nicht zum Erfolg führte, griff Stalin im November zu Kriegsmaßnahmen, wobei der als Schuss von Mainila bekannte inszenierte Grenzzwischenfall als Vorwand diente. Eine Welle der Sympathie und der breite Raum, den der von den Finnen gewonnene Abwehrkampf in der Weltpresse fand, hoben das nationale Selbstbewusstsein. International bekannt wurden die von der finnischen Panzerabwehr benutzten Brandflaschen, die Molotowcocktails, und die finnische Militärtaktik, die darauf beruhte, die feindlichen Divisionen in kleinere Teile aufzusplittern, die dann eingekesselt wurden. Gleichzeitig stärkte die Verzögerung, mit der die Hilfsmaßnahmen der westlichen Länder einsetzten, die Auffassung der Finnen von der Wichtigkeit, selber durchzukommen. Stalins Motive für den Angriff auf Finnland sind vielfach erörtert worden. Er hatte einen „Blitzkrieg“ ähnlich der Polenoperation der Deutschen im Sinn und glaubte fest daran, Finnland werde schnell zusammenbrechen – eine Vermutung, für die er gute Gründe zu haben schien. Stalin war im Herbst 1917 persönlich in Finnland gewesen, um das Arbeitervolk zur Revolution aufzuwiegeln. Nach Informationen von kommunistischen Emigranten hatte er wohl ein zu optimistisches Bild von der Schwäche des Verteidigungswillens und der Zwietracht innerhalb der Gesellschaft. Ausdruck seiner Vorstellung, die Regierung der „Weißfinnen“ schnell stürzen zu können, ist die sofort nach Kriegsbeginn von ihm eingesetzte Marionettenregierung in Terijoki, die von dem wichtigsten Revolutionsführer von 1918, O. W. Kuusinen, angeführt wurde. Das weitgehende Desinteresse der internationalen Gemeinschaft und die Trägheit der Westmächte beurteilte Stalin weit zutreffender als die Zähigkeit der Finnen, denn der Ausschluss aus dem Völkerbund war nach seinen Maßstäben nur eine bescheidene Sanktion und das Mitgefühl für Finnland schlug sich während des Krieges keineswegs in dementsprechender militärischer Hilfe nieder. Stärke war bekanntermaßen das Einzige, woran Stalin glaubte: „Wie viele Divisionen hat der Papst?“ Nach dem Krieg zollte er der Dickköpfigkeit der Finnen Anerkennung: Die im Winterkrieg gemachten Erfahrungen haben vermutlich Stalins Entschluss beeinflusst, von einer Besetzung Finnlands oder einer aktiven Unterstützung der kommunistischen Revolutionsträume abzusehen. Die Haltung zu dem mit Gebietsverlusten verbundenen Fortsetzungskrieg 1941–1944 ist in der finnischen Kultur wesentlich problematischer als hinsichtlich des Winterkrieges, denn nun kämpfte Finnland an der Seite Hitler-Deutschlands gegen die Sowjetunion, überquerte im Verlauf des Krieges die Grenzen von 1939 und wurde so zu einem angreifenden Okkupationsstaat. Das Bündnis mit Deutschland ist neben dem Jahr 1918 eines der brisantesten Themen in der finnischen Geschichtsdebatte. Während zu Charakter und Tiefe des Verbündetenverhältnisses unterschiedliche Beurteilungen abgegeben wurden, sind wichtige Probleme wie das Schicksal der von Finnland an Deutschland ausgelieferten jüdischen Flüchtlinge oder die Geschichte des im Kaukasus eingesetzten freiwilligen SSBataillons gründlichst geklärt worden. Vor dem Krieg hatte Finnland seine Identität als Vorposten des westlichen Europa aufgebaut und wollte jetzt nicht alle Brücken zu den Verbündeten abbrechen und auf die andere Seite der Frontlinie geraten. Militärisch hielt man sich deshalb während des Fortsetzungskrieges zurück bei der Unterbrechung der für die Versorgung der Sowjets lebenswichtigen Muurmann-Linie und beteiligte sich auch nicht

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an der Umzingelung von Leningrad. Auch die Deutschen waren zurückhaltend in der Beurteilung des Verhältnisses zu Finnland, bei dem Bündnis sprach man lieber von „Waffenbrüderschaft“ oder „Mitstreitern“. Ein förmlicher Bündnisvertrag wurde niemals abgeschlossen, sodass Finnland in der Geschichtsforschung als selbstständiger Kämpfer neben Deutschland charakterisiert wird. In Finnland war das Verhältnis zu Deutschland zwiespältig. Trotz der starken Sympathien für Deutschland bei der Rechten blieb die Befürwortung des Nationalsozialismus marginal und das Bild von Hitlers Regierung vorwiegend negativ, denn den gemäßigten Rechtskonservativen missfiel die Kirchenpolitik der Nazis. Gegen Ende der 30er Jahre waren republikanische und skandinavische Strömungen im Aufwind; unter den führenden Politikern Finnlands fanden sich auch Anglophile, die Deutschland offen kritisierten. Andererseits erschien es ganz natürlich, im Fahrwasser der Deutschen zu schwimmen, weil Deutschland und die deutsche Sprache für die Zivilisation Finnlands traditionell die Brücke nach Mitteleuropa waren.

Finnland und Deutschland zwischen den Weltkriegen Der führende finnische Philosoph Eino Kaila soll Finnland und Deutschland als „eins“ bezeichnet haben. Die von Kaila vertretene akademische Intelligenz war ihren Einflüssen nach stark germanophil, auf Deutschland und die deutsche Sprache bezogen. An der Universität zeigte sich diese Ausrichtung in der Auswahl der Kursliteratur und dem Austausch von Forschern, vor allem auf dem Gebiet der Medizin und aus humanistischen Fächern. Eine weitere Festung der Deutschfreundlichkeit bildeten Armee und Schutztruppen, die das Erbe der Jägerbewegung und des Freiheitskrieges von 1918 pflegten. Die von General Rüdiger von der Goltz befehligte Einnahme Helsinkis im Frühjahr 1918 wurde im weißen Finnland als „Kulturtat“ empfunden, und der General konnte sicher sein, in Finnland stets als Held empfangen zu werden. Auf diesem Nährboden arbeitete die 1918 zur Förderung der Beziehungen gegründete Finnisch-Deutsche Gesellschaft. Drittens lebte Finnland kulturell schon seit Jahrhunderten im Einflussbereich des lutherischen Deutschland. Als Bischof Eino Sormunen 1944 ein Werk mit dem Titel Der Einfluss Deutschlands auf die finnische Kultur herausgab, verstanden die Verfasser dies nachdrücklich als Rezeption der lutherischen Tradition in Finnland. Von den führenden Persönlichkeiten des Kulturlebens versammelten sich die Deutschgesinnten um den sogenannten Laaksola-Kreis, dessen inneren Kern der Dichter V. A. Koskenniemi, die Schriftstellerin Maila Talvio und der für seine Nazisympathien bekannte Liedkomponist Yrjö Kilpinen bildeten. Den Nachruhm Koskenniemis beschmutzten seine Schriften besonders aus der Zeit nach der Machtergreifung Hitlers, in denen er eine wohlwollende Haltung den Nazis gegenüber offenbarte. Er begrüßte mit Freude die neuerliche Größe Deutschlands und sah darin eine Garantie im Kampf gegen den Bolschewismus. Als Zögling der Goethetradition sah er sich freilich später enttäuscht, als sich das neue Deutschland in seiner Ideologie als atavistisch, in der Politik als zynisch erwies. Nach dem Besuch eines Lagers der Hitlerjugend betrauerte er das Fehlen jeglicher „Kindheitsidylle“, und das kühle Verhalten Deutschlands im finnischen Winterkrieg war für Koskenniemi eine herbe Enttäuschung. Die Kreise, die der Nazipropaganda uneingeschränkt folgten, waren in Finnland hinsichtlich ihrer Einflussmöglichkeiten marginal und daher als Partner zur Zusammenarbeit ziemlich uninteressant. Obwohl die Rechte dem von Hitler propagierten Kreuzzug des Antibolschewismus leicht zustimmen konnte, blieben der großen Mehrheit des finnischen Rechtskonservativismus das gesellschaftliche

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Programm der Nationalsozialisten und die Rassenideologie durchaus fremd. Das offizielle HitlerDeutschland verwies in der Begründung für das Verhalten im Winterkrieg auf den Misserfolg seiner Kulturpropaganda: Es sei „sentimental“, von Deutschland Hilfe zu erwarten, nachdem die skandinavischen „marxistischen“ Regierungen Deutschland „entehrt“ und den angebotenen rassenpolitischen „nordischen Gedanken“ abgelehnt hatten. Den berühmtesten Skandal verursachte die von dem anglophilen Außenminister Rudolf Holst bei einem Diplomaten-Dinner geäußerte Charakterisierung Hitlers als „blöder Hund“. Ein ausgezeichnetes Bild der Beziehungen zwischen HitlerDeutschland und Finnland vermitteln die Untersuchungen des Historikers Michael Jonas, der die Tätigkeit und das Verbindungsnetz des deutschen Botschafters in Finnland, Wipert von Blücher, beschreibt: Wipert von Blücher und Finnland. Alternativpolitik und Diplomatie im Dritten Reich, 2009. In Deutschland wurden die Kulturpropaganda und die Zusammenarbeit in Richtung Skandinavien von der in Lübeck sitzenden Nordischen Gesellschaft organisiert, die 1934 in Travemünde das deutsch-skandinavische Dichterhaus gründete. Der bedeutendste finnische Gast war dort Olavi Paavolainen, der seine Eindrücke vom nationalsozialistischen Deutschland und dem Nürnberger Parteitag 1936 in seinem Buch Kolmannen valtakunnan vieraana (Als Gast im Dritten Reich) veröffentlichte. Paavolainen war beeindruckt von der Person Hitlers und meinte, im Nazismus „die Geburt des ersten europäischen Glaubens“ zu empfinden, machte aber zugleich schneidend höhnische Bemerkungen über die „quasimystische“ Hohlheit der nationalsozialistischen Ideologie. Der nordische Gedanke war für ihn „eine gewaltige Flucht vor der Wirklichkeit in die Welt der Illusionen“, und er fand es schwierig, die Finnen als Teil eines solchen Gedankengebäudes zu sehen. Paavolainen spottete über die auf den von der Nordischen Gesellschaft in Lübeck organisierten Sommertagen von Maila Talvio inspirierte Schau der finnischen Kultur, zu der das Angebot von landestypischen Speisen und der Auftritt einer Liedersängerin gehörten, von der eine Besucherin feststellte: „Sie war doch ganz mongolisch.“ Für den liberalen Paavolainen lag einer der schlimmsten Fehler der Nazis darin, dass sie die Frauen unterschätzten und in der traditionellen Hausfrauenrolle gefangen halten wollten. Am Ende des Buches schildert Paavolainen in dem Abschnitt Poliittinen kanatarha (Politischer Hühnerstall) die Stellung der Frau im Hitler-Deutschland, die „die schlimmsten Befürchtungen übertraf“. Seiner Meinung nach war die Kehrseite der nazistischen „Kraft durch Freude“ die „für Glaubensfanatiker typische Humorlosigkeit“. Nach der Übersetzung des Buches ins Schwedische musste Paavolainen feststellen, dass er in Deutschland zur persona non grata geworden war. Olli Matikainen

Nach dem Krieg versuchte man die aktive Rolle Finnlands als Mithelfer Deutschlands zu verwischen; die Erinnerung daran passte ja auch nicht gut zu den neuen und freundschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion. Der deutsche Botschafter in Finnland während des Krieges, Wipert von Blücher, charakterisierte das Land in seinen Memoiren als steuerloses „Treibholz“ in den Stürmen des Krieges zwischen den Großmächten. Diese Ansicht basierte auf Untersuchungen zum frühen Fortsetzungskrieg und allgemeinem Sprachgebrauch. Das Treibholz ging freilich in den 80er Jahren endlich unter, als die historische Grundlagenforschung überzeugend aufzeigte, dass die auf Deutschland gestützten Beschlüsse der politischen Führung Finnlands bewusste Entscheidungen waren. Später wurde zur Streitfrage, zu welchem Zeitpunkt Finnland sich Deutschland anschloss. Einer Auffassung zufolge kamen schon in der Endphase des Winterkrieges, als die Verteidigungslinien durchbrochen wurden, Signale aus Deutschland, dass Finnland bei Zustimmung zu strengen Friedensbedingungen die verlorenen Gebiete später mit deutscher

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Unterstützung zurückerhalten könne. Treffend erscheint das Bild von einer Wahl zwischen Pest und Cholera, denn die Expansionsbestrebungen der Großmächte ließen Finnland als unabhängigem Staat nicht sehr viele Überlebenschancen. Während des Winterkrieges verhielt sich Hitler-Deutschland zynisch kühl gegenüber Finnland; Himmler notierte in seinem Tagebuch die überraschenden Schwierigkeiten der Sowjetunion, meinte aber, Stalin werde die Sache schon regeln. In anderem Zusammenhang bezeichnete er Finnland als „Läusestaat“. Hitler versicherte gleichwohl, den finnischen Kampf im Winterkrieg „blutenden Herzens“ verfolgt zu haben. Nach den Erfolgen im Winterkrieg interessierte man sich in Berlin als Teil des Barbarossaplans für Finnland, und Hitler erwies den Finnen im Sommer 1942 die seltene Ehre seines Besuchs zum 75. Geburtstag von Marschall Mannerheim überraschend nahe an der Ostfront. An den Besuch erinnern von den Finnen insgeheim aufgenommene und später im Radio ausgestrahlte Unterredungen in einem Zugwaggon; die Konservierung von Hitlers Alltagsrede ist einmalig. Die Speere der Waffenbrüder wandten sich gegeneinander, als Finnland im September 1944 nach schweren Abwehrschlachten einen Waffenstillstand abschloss. Die Voraussetzung für den Frieden, die Vertreibung der deutschen Truppen aus Finnland, wurde nur zögernd verwirklicht, auf Druck der Sowjetunion mussten dann jedoch Kriegshandlungen eingeleitet werden. In Lappland antworteten die abziehenden deutschen Divisionen mit der Taktik der verbrannten Erde, wonach das Verhältnis zu den Deutschen besonders in Nordfinnland ein zwiespältiges wurde. Die Beziehungen zwischen den deutschen Soldaten und der einheimischen Bevölkerung hatten sich zunächst positiv entwickelt, aber der bis 1945 andauernde Krieg und die Verwüstungen in Lappland führten zu ernster Verbitterung.

Der erste finnische Reisebericht aus dem Dritten Reich Als Hitler 1933 an die Macht kam, stand die finnische Presse Nazi-Deutschland recht negativ gegenüber. Das deutsche Propagandaministerium wollte den Finnen die besten Seiten des „neuen Deutschland“ vorführen und lud deshalb eine finnische Zeitungsdelegation von elf Personen zu einem Besuch ein. Offizieller Gastgeber war der Automobilclub von Deutschland. Ergebnis des Novemberbesuchs (10.–18. November 1933) war ein erster Reisebericht über Nazi-Deutschland, O. J. Brummers Sanomalehtimiehenä diktatuurimaissa (Als Zeitungsredakteur in einem Diktatur-Staat, Helsinki 1934). Die Schrift schildert treffend, welche Haltung das finnische Bürgertum, das durchaus positiv zum traditionellen Deutschland eingestellt war, zum Nationalsozialismus einnahm. Nach außen hin erwies sich Nazi-Deutschland als moderner Staat: Die finnischen Gäste fuhren im „Fliegenden Hamburger“, einem 150 km/h schnellen neuen Triebwagen der Reichsbahn, flogen in tollen Fliegern, besuchten verschiedene Industriezentren wie die Siemenswerke und Stickstofffabriken in der Nähe von Halle. Auf politischer Ebene fanden eigentlich nur die Bemühungen der Nazis Verständnis, sich aus dem Zwangsfrieden von Versailles zu lösen. Wenn es um die Rolle der Individuen in der Gesellschaft ging, war die Auffassung Brummers kritisch. Er berichtet über die geschickte Anwendung der Massenpsychologie, die zur „politischen Kampfwaffe“ des Arbeitsdiensts entwickelt wurde, wo „das hohe Lied im Glauben an die Nazis tönte“, und über das Braune Haus, die Münchener Parteizentrale und heilige Kaaba der „rechtgläubigen Nationalsozialisten“. Wenn die Finnen versuchten, mit ihren Gastgebern über Politik zu diskutieren, nahmen diese Zuflucht zu „oberflächlichen prinzipiellen Erklärungen, wo sie doch (…) sachliche Kenntnisse liefern sollten“. Konzentrationslager standen nicht auf dem Besuchsprogramm der Delegation, und auch Brummer erwähnt die Judenverfolgung nicht. Zwar äußert er sich in seinem Bericht dahingehend,

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die von den Nazis vorgebrachte Rassentheorie sei Humbug, doch brachte er – wie die europäische Rechte – Verständnis für die Rassenansichten der Nazis auf, denn sie hingen zusammen mit „der Einschränkung jüdischer Einflussnahme, ein Problem, mit dem die Völker der Welt seit der Vernichtung Jerusalems zu kämpfen hatten und wozu sie vielfach gute Gründe hatten“. Obwohl Brummer die judenfeindlichen Maßnahmen im Kontext von 1933 zu billigen schien, sah er den Nationalsozialismus im Ganzen als Bedrohung, da er „bei Ausartung zum Fanatismus alles andere als positive Spuren hinterlassen konnte“. Er teilte zugleich deutlich mit, dass Nazi-Deutschland nicht zu den westlichen Rechtsstaaten gezählt werden könne. Für die finnische Lebensweise war der Nationalsozialismus seiner Meinung nach nicht geeignet: „Wir Finnen sind arm, wir haben aber von unseren Vorvätern trotzdem geistige und gesellschaftliche Freiheit geerbt. Und dieses Erbe macht uns reicher als die Ideologien fremder Machthaber.“ Antero Holmila

Insgesamt fielen im Krieg 93 000 Finnen, davon 27 000 im Winterkrieg, 63 000 im Fortsetzungskrieg und 3000 in Lappland. Über die Toten der sowjetischen Seite liegen keine exakten Angaben vor, aber es darf angenommen werden, dass die realistische Zahl der Verluste der Roten Armee in Winter- und Fortsetzungskrieg ein Fünffaches beträgt; ihre Kriegstaktik kannte kein Erbarmen. Im Lapplandkrieg verloren etwa 1000 Deutsche ihr Leben. Das ungeheure Bedürfnis, die Erfahrungen nach dem Krieg aufzuarbeiten, gelang am besten im Roman Tuntematon sotilas (1954, dt. Der unbekannte Soldat, auch: Kreuze in Karelien) von Väinö Linna. Der Schriftsteller wollte nach eigener Aussage „den am Krieg beteiligten Soldaten Anerkennung zollen, aber nicht dem Krieg selbst“. Linnas Schilderung der Geschichte einer Panzerkompanie während des Fortsetzungskrieges stieß nach dem Erscheinen auf Kritik vor allem bei den rechtskonservativen Lesern. Linna beschreibt die gemeinen Soldaten, also „das Volk“, mit ihrem unterschiedlichen sozialen und lokalen Hintergrund als bunt zusammengewürfelte und aufmüpfige Truppe, und das im Roman gezeichnete Bild von den Aktionen der Armee fand nicht bei allen Beifall. Weit entfernt von dem im 19. Jahrhundert kreierten finnischen Soldatenideal des Dichters J. L. Runeberg sind es in Linnas Roman auch die „Herren“, die Offiziere also, die unbegründet übellaunig sind und dauernd saufen. Die Rezeption des Romans war ein Indiz für die Krise der kulturellen Hierarchie, denn das „Volk“ erwies sich gewissermaßen als klüger als die „Herren“. Zu einer der populärsten Gestalten des Romans und einem Archetyp des Finnentums wurde Fähnrich Koskela, der für seine Truppe eintrat, die nötigen Dinge erledigte, sich aber weigerte, ein Paradesoldat zu sein. Die Mehrheit der Frontsoldaten sah in Linnas Roman und dessen Personengalerie die Wirklichkeit des Kriegszuges gespiegelt. Die Wirkung des Romans auf die Ansichten über den Krieg, und weiter reichend auf die eigene Gesellschaft und Identität, ist größer als die jedes anderen belletristischen Werks. Der Regisseur Edwin Laine verfilmte das Thema gleich nach Erscheinen des Buches zu einem Spektakel, das unzählige Male im staatlichen Fernsehen lief. Die Beliebtheit des Unbekannten Soldaten stellte manche andere bedeutende Schilderung in den Schatten, beispielsweise das auch als „Die unbekannten Frauen“ charakterisierte Werk von Irja Virtanen, Kenttäharmaita naisia (Frontgraue Frauen, 1956), worin das Wirken der Frauen der Lotta-Svärd-Organisation an der Front beschrieben wird. Der Roman von Virtanen pries das reine, aufopferungsvolle und vaterländische Frauenideal:

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Alkoholgenuss und Sexualität behandelnde Abschnitte waren in den 50er Jahren für viele Leser noch zu radikal. In den Diskussionen über die Aufnahme des Unbekannten Soldaten durch das Publikum wurde häufig darauf aufmerksam gemacht, dass die wissenschaftliche Parallelveröffentlichung zu Linnas Roman schon in den 40er Jahren erschienen war, als Knut Pipping seine militärsoziologische Dissertation Die Kompanie als Kleinstgesellschaft vorlegte. Seine Beurteilung ist der von Linna sehr ähnlich, sein nur wenig gelesener wissenschaftlicher Text fand freilich kein größeres Interesse. Die militärsoziologisch relevante Fragestellung ist, wie es der von Widersprüchen zerrissenen finnischen Gesellschaft gelang, eine funktionsfähige Volksarmee auf die Beine zu stellen. Eine der Folgen des Krieges liegt denn auch gewiss in der Anerkennung als Retter der Selbstständigkeit, die der eigenen Armee in der finnischen Kultur zuteil wurde. Die wehrpflichtige Armee hat ihre Lebenskraft in Finnland länger bewahrt als in den meisten Ländern des übrigen Westeuropa. Der Wehrdienst wurde als Volkserziehung, Demokratie und Gleichstellung betrachtet, denn in der Armee beginnen alle, ohne Berücksichtigung ihrer Herkunft, an der gleichen Startlinie. Das Militär entwickelte die Idee der Volksarmee gezielt schon seit den 20er Jahren und es gehörte traditionell zum guten Ton des Nationalbewusstseins, die Wehrpflicht zu erfüllen. Die Ideologie der Landesverteidigung durch Armee und Reservisten integrierte sich unbemerkt tief in den Staat. Für die Elite aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft werden noch immer Landesverteidigungskurse organisiert und die Einladung dazu, die keinesfalls ausgeschlagen wird, ist Anerkennung des gesellschaftlichen Status der Betroffenen. In Finnland nennen Reservisten in ihrem Lebenslauf gern ihren militärischen Dienstgrad, was in Ländern, wo die Rolle der Armee als eher gesellschaftsfeindlich gesehen wird, sogar Verdacht erregen kann. Dank der Staatsbürgerarmee ist die finnische Teilnahme an friedenssichernden Operationen der Vereinten Nationen gern gesehen, denn der zivile Status der Soldaten gilt als förderlich bei Missionen, bei denen sie im Ausland in Kontakt zu den örtlichen Einwohnern treten. Kritiker der staatlichen Institution gerieten schon mal in Schwierigkeiten, vor allem in den national gesinnten 20er und 30er Jahren. Der Schriftsteller Pentti Haanpää wurde wegen seines Romans Kenttä ja kasarmi (Front und Kaserne, 1928), der die Schikanen in der Armee beschrieb, von vielen Kollegen verachtet, und Mika Waltari beeilte sich zu einer Gegenreaktion mit dem Roman unter dem Titel Siellä missä miehiä tehdään (Wo Männer gemacht werden). Zur Zeit des Kalten Krieges beruhte die militärische Doktrin auf einem örtlichen Verteidigungssystem mit 600 000 Reservisten im Geiste der Vorpostenstellung des Westens, was zumindest die Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft 1969 überzeugte: „Unter den finnischen Offizieren (…) herrscht nicht im Geringsten eine falsche Vorstellung davon, aus welcher Richtung Finnland bedroht werden könnte.“ In den 60er und 70er Jahren kritisierte man einerseits die Armee und das kriegerische Erbe stark und war andererseits besorgt über den Verfall der Verteidigungsbereitschaft, aber eine ernstere Herausforderung für die Armee als Pazifismus, Generationenkrise und Verbrennung von Soldatenpässen bildeten später der Durchbruch des marktwirtschaftlichen Denkens, der Wandel der sicherheitspolitischen Umgebung nach dem Kalten Krieg und die gesellschaftlichen Veränderungen hin zu einem immer stärkeren Individualismus. Die Berechtigung einer auf Wehrpflicht beruhenden Massenarmee wurde mit Blick auf die im Wandel begriffene Kriegsführung und das aktuelle Sicherheitsrisiko in Frage gestellt, und zugleich bezweifelte man den Anspruch der Armee, als Erzieher der Bürger zu wirken.

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Es wirkt wie eine Ironie, dass das Ideal der Staatsbürgerarmee immer stärker hinterfragt wurde, als in den 90er Jahren eine neue Welle des Neopatriotismus aufkam. Hintergrund dieses Phänomens waren der Zerfall der Sowjetunion und das Bedürfnis, den gealterten Kriegsveteranen nach den gegenüber Krieg und Armee eher kritisch eingestellten Jahrzehnten die „Ehrenrettung“ zu erweisen. Das 50-jährige Gedenken an den Winterkrieg 1989 und das im gleichen Jahr fertiggestellte Filmepos zum Winterkrieg von Pekka Parikka waren einer der Wendepunkte. Seit der Amtszeit des Präsidenten Martti Ahtisaari (1994–2000) marschieren die Vertreter der Kriegsveteranen beim wichtigsten Fest des Jahres, dem Empfang zum Unabhängigkeitstag im Präsidentenpalast, als Erste in den Saal, angeführt von den letzten für höchste Tapferkeit mit dem Orden des Mannerheim-Kreuzes ausgezeichneten noch lebenden Rittern. Der Neopatriotismus personifizierte sich in General Adolf Ehrnrooth, dem hochrangigsten noch lebenden Offizier aus der Kriegszeit, der sich als besonders harter Frontoffizier in den großen Abwehrkämpfen des Jahres 1944 hervorgetan hatte. Der als „Durchmarsch“ verspottete Rückzug über die Karelische Landenge wandelte sich nun zur Erinnerung an einen gewaltigen Verteidigungssieg, etwa bei der Feuerhölle von Tali-Ihantala im Juni/Juli 1944. Andererseits führte der Neopatriotismus zu scharfen Gegenreaktionen, da insbesondere die Historiker der jüngeren Generation die enge Zusammenarbeit von Finnland und Deutschland betonten und die hässlichen Seiten von Krieg und Kriegserfahrungen hervorhoben, wie den Umgang mit der politischen Opposition, das Gefangenenproblem, die Behandlung der Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten zur Zeit des Fortsetzungskrieges sowie die durch den Krieg verursachten persönlichen Traumata, ob an der vordersten Front oder auch in der Heimat. Damit erweiterte sich das Feld der Kriegshistorie von der herkömmlichen, auf Ereignisse konzentrierten Kriegsgeschichte hin zu den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Krieges.

Finnlandisierung und Amerikanisierung Einer der Kernbegriffe der politischen Kultur Finnlands in der Nachkriegszeit ist die Finnlandisierung, die als Kampfbegriff in der von Willy Brandts Ostpolitik ausgelösten innenpolitischen Debatte in West-Deutschland in den 70er Jahren auch in den internationalen Sprachgebrauch Aufnahme fand. In seiner ursprünglichen Bedeutung meint der Begriff eine Situation, in der ein in den Wirkungsbereich der Sowjetunion geratener westlicher Staat Zwecken und Zielen der UdSSR entgegenkommt. Finnlands Enthaltsamkeit in die Sowjetunion betreffenden internationalen Streitfragen und seine innenpolitische Selbstzensur waren dafür offensichtliche Beispiele. Der Gedanke einer allmählichen Sozialisierung des Westlandes anstelle eines bewaffneten Aufstandes fand seinen Platz auch in der Ideologie der Sowjetunion; Leonid Breschnew konnte auf einer Konferenz der Länder des Warschauer Pakts versichern, Finnland stecke „schon in der Tasche“. Den im gleichen Jahr begangenen Festakt zum 25-jährigen Bestehen des Vertrags für Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfeleistung zwischen Finnland und der Sowjetunion hielt man für den Kulminationspunkt des überstrapazierten Finnlandisierungsbegriffs im offiziellen Protokoll. Finnlandisierung ist für die Finnen ein ärgerlicher Begriff gewesen, da er häufig in verletzendem Ton gebraucht wurde und noch immer wird. Das offizielle Finnland versuchte

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die Verbreitung des Schlagwortes einzudämmen und erreichte schon in den 70er Jahren, dass ein Teil der deutschen Presse darauf verzichtete. Der Finnlandisierung blieb trotzdem ihre Schlagkraft für den gesellschaftlichen und politischen Diskurs erhalten, wobei die Bedeutung aus den ursprünglichen Zusammenhängen gerissen wurde. Im neuen Jahrtausend wird mit Finnlandisierung im Allgemeinen auf die diskussionslose und im Schatten des mächtigen östlichen Nachbarn stehende politische Kultur der Elite abgezielt. Im Zeitalter der Europäischen Union haben die Kritiker der Gemeinschaft Moskau mit Brüssel vertauscht und unterstellen den politischen Eliten übertriebenes Wohlwollen gegenüber der neuen Machtballung. Der Zwischenfrieden von 1944 hatte Finnland innenpolitische Bedingungen diktiert, deren Erfüllung den Boden für die Finnlandisierung lieferte. Die Sowjetunion kontrollierte und übte bei Bedarf Druck aus, obwohl die gewissenhafte Erfüllung der Friedensbedingungen eigentlich ja Sache der Finnen war. Der nur einen Kanonenschuss entfernt liegende, von den Sowjets gemietete Militärstützpunkt auf der Insel Porkkala vor Helsinki erinnerte bis zum Jahre 1955 anschaulich an die Bedingtheit der Unabhängigkeit Finnlands. „Faschistisch geartete“ Organisationen wie die Schutztruppen, die Lotta-SvärdOrganisation, die Akademische Karelien-Gesellschaft und die Vaterländische Volksbewegung wurden mit dem Friedensvertrag aufgelöst. Als besonders unerfreulich und ungerecht empfand man den Inhalt des Artikels 13, demzufolge die Politiker, die für den Beginn des Fortsetzungskrieges verantwortlich waren, vor ein Kriegsgericht gestellt werden sollten. Andeutungen der Sowjetunion standen im Raum, sie in der UdSSR abzuurteilen, falls die Finnen nicht selbst dazu in der Lage seien. Der Prozess von 1946 hatte Schaucharakter und die wichtigsten Politiker der Kriegszeit unter Führung von Präsident Risto Ryti wurden zu Haftstrafen verurteilt. Diese nachträglich erfolgten Verurteilungen waren nicht grundgesetzkonform. Die politische Kehrtwendung im Verhalten gegenüber dem östlichen Nachbarn brauchte man jedoch nicht auf nichts aufzubauen, denn es wurde die zwischen den Kriegen verachtete Tradition der altfinnischen Nachgiebigkeitspolitik ausgegraben. Der 1946 zum Präsidenten gewählte J. K. Paasikivi hatte schon zur Zeit der russischen Dominanz zu den führenden altfinnischen Politikern gehört und er setzte seine ganze Autorität nun für die unerlässliche Richtungsänderung aufs Spiel. Das Gefühl der Ungerechtigkeit der Friedensbedingungen und der zu zahlenden großen Kriegsentschädigungen musste geschluckt werden, denn „der Kreml ist kein Amtsgericht“. Nachdem die Kontrollkommission der Alliierten ihr Hotel Torni im Zentrum von Helsinki verlassen hatte und die unmittelbaren Bedingungen des Friedensvertrages in Kraft getreten waren, geschah die Einmischung der Sowjetunion in die inneren Angelegenheiten Finnlands eher indirekt. Der Punkt im 1948 abgeschlossenen Freundschaftsvertrag, der hinsichtlich der Neutralität Finnlands die meisten Zweifel aufwarf, war der Artikel zu den militärischen Konsultationen mit der Sowjetunion, falls eine der beiden Vertragsparteien von einem Angriff bedroht wäre. Die Ablehnung jeglichen militärischen Beistands war die Kernfrage für die Glaubwürdigkeit der in dem Freundschaftsvertrag zugestandenen Neutralität. Die Sowjetunion war ihrerseits bestrebt, die Beziehungen zu vertiefen und die Finnen zu Zugeständnissen zu bewegen. Der Vorschlag von Marschall Dmitri Ustinow im Jahre 1978, gemeinsame Kriegsübungen durchzuführen, war der bekannteste „Versuchsballon“, den die Finnen totzuschweigen vermochten. In der Außenpolitik lernte man die Grenzen allmählich auszuloten, wie ein finnischer Diplomat in den 50er Jahren feststellte: „Wir befinden uns wie in einem Laufställchen, sobald wir rauswollen, gibt es eins auf die

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Finger.“ Die geringe Bewegungsfreiheit in der finnischen Außenpolitik spitzte sich in der Frage der Anerkennung der beiden deutschen Staaten zu, was bis 1973 zu einer Pattsituation führte. Die Anerkennung der Bundesrepublik Deutschland verhinderte die Sowjetunion, die der DDR wiederum die von West-Deutschland vertretene Hallstein-Doktrin, wonach Finnland die Deutsche Demokratische Republik nicht als eigenen Staat anerkennen konnte. Zur Zeit des Tauwetters in der internationalen Politik war 1958 eine als „Nachtfrostkrise“ bekannte politische Krise durchzustehen, während derer die Sowjetunion Finnland drängte, Wirtschaftsbeziehungen wegen zahlreicher ihr nicht genehmer Erscheinungen einzufrieren. Die Kommunisten wurden trotz ihres Wahlsieges nicht an der Regierung beteiligt und zum Außenminister wurde später Väinö Leskinen berufen, ein „Waffenbrudersozialist“ des strikt antisowjetisch eingestellten Lagers der Sozialdemokraten. Gelegentlich seiner Wahl zum Minister, die die bisherige außenpolitische Stabilität in Frage stellte, fauchte der Vorsitzende der Sozialdemokraten, also Leskinens Parteigenosse, Väinö Tanner unfreundlich: „Junger Mann, jetzt bilden wir hier die finnische und nicht die sowjetische Regierung!“ Dem Führer der Marionettenregierung von Terijoki, O. W. Kuusinen, der es in der Sowjetunion bis zum Mitglied des Politbüros gebracht hatte, verweigerte man das Visum für die Teilnahme am 40. Jahresfest der finnischen Kommunisten. Die Adaption von Ilja Repins Fährmänner auf der Wolga durch den Karikaturisten Kari in der Zeitung Helsingin Sanomat erregte international ein weitgehend peinliches Aufsehen. In Karis Zeichnung schirrte Chruschtschow die osteuropäischen Länder vor eine Fähre und beschimpfte die Führer der Weststaaten als Imperialisten. Unter dem Druck der Sowjetunion blieb die neue Regierung sehr kurzlebig. In der Nachtfrostzeit wurden die Bemühungen der Sowjetunion, die Innenpolitik Finnlands zu beeinflussen, deutlich durch eine 1961 vor den Präsidentschaftswahlen überreichte Note, die eine politische Krise auslöste. In den folgenden Jahrzehnten verstand es die Selbstzensur der finnischen Politik gleichwohl, solche Angelegenheiten, die das Verhältnis zur Sowjetunion zu trüben geeignet waren, schon vor deren Reaktion von der Tagesordnung zu löschen. Urho Kekkonen, der Paasikivi 1956 als Präsident folgte, machte eindeutig klar, dass in Finnland lieber die Innenpolitik im Argen liegen dürfe als die Außenpolitik, wenn es überhaupt eine Wahl gebe. Die Schattenseite der alternativlosen, als Paasikivi-Kekkonen-Linie bezeichneten außenpolitischen Ausrichtung war die schonungslose innenpolitische Verwendung der „Moskauer Karte“ als Trumpf für den Sturz politischer Gegner. In den 70er Jahren lernten neben Präsident Kekkonen und den Kommunisten auch die anderen Politiker, diese Trumpfkarte im internen Machtkampf ihrer eigenen Partei auszuspielen. Nach dem Krieg entfernte man als sowjetfeindlich klassifizierte Literatur aus den Bibliotheken. An der Zahl der Bände gemessen war das am häufigsten in den Depots verschwundene Werk Hitlers Mein Kampf. Die Verleger mussten ihre Entscheidungen genauestens überlegen: 1958 verhinderte der Nachtfrost die Veröffentlichung zahlreicher Memoirenwerke, die die Sowjetunion offen kritisierten. In den 70er Jahren erwies sich Alexander Solschenizyns Vankileirien saaristo (Der Archipel Gulag) als heiße Kartoffel, denn die großen finnischen Verlage wagten nicht, das Buch zu veröffentlichen. Die finnische Übersetzung des Werkes erschien schließlich 1974 in Schweden. Die Selbstzensur des Kulturlebens nahm bisweilen sogar humoristische Formen an. Das finnische Fernsehen zeigte 1963 eine Aufführung der dodekaphonischen Oper Kaivos

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(Die Zeche) von Einojuhani Rautavaara. Das ursprüngliche Libretto musste geändert werden, um solche Begriffe auszumerzen, die auf die Sowjetunion zielten. Die Oper erzählt die Geschichte von streikenden Bergarbeitern im Kampf gegen ein totalitäres Regime, was die Zuschauer zu leicht mit dem Volksaufstand in Ungarn hätten in Verbindung bringen können. In der Popularmusik mussten die parodistischen, Punkrock spielenden Sleepy Sleepers ihr 1977 erschienenes Album Karjala takaisin (Karelien zurück), das auf verlorene Gebiete anspielt, in die weniger revanchistische Form Takaisin Karjalaan (Zurück nach Karelien) umtaufen. Die finnische Band machte sich mit dem Titel Kaapataan lentokone Moskovaan (Entführen wir einen Flieger nach Moskau) über einen Zwischenfall auf dem Flughafen Helsinki lustig, wo sowjetische Flugzeugentführer verlangten, nach Stockholm geflogen zu werden. Für die finnische Staatsführung war während des Vorkommnisses guter Rat teuer, denn der sowjetische Botschafter marschierte im Stile eines Hausherrn auf das Rollfeld und forderte mit harten Worten die Beendigung der Situation. Der mögliche Einsatz sowjetischer Sonderkommandos zur Lösung des Problems war ein extrem unangenehmer Gedanke. Zum Glück kapitulierten die Entführer und wurden an die Sowjetunion ausgeliefert. Die Sleepy Sleepers mussten feststellen, dass es im Finnland der 70er Jahre eine ernste Sache war, sich über die Sowjetunion lustig zu machen: Die Türen der Tanzsäle linksorientierter Organisatoren blieben ihnen nach dem Erscheinen der Schallplatte verschlossen. Noch in den 80er Jahren konnte der Stempel der Sowjetfeindlichkeit zu Zensurbeschlüssen führen. Der Regisseur Renny Harlin, in den 90er Jahren in Hollywood erfolgreich aktiv, erntete dank der Zensur mit seinem Erstlingsfilm Born American, der die Leidensgeschichte dreier junger Amerikaner erzählt, die sich an der finnischen Grenze versehentlich auf sowjetischen Boden verirren, international mehr Beifall, als er in den Augen der Kritiker qualitätsmäßig eigentlich verdiente. Mit ihrer karelischen Parodie übernahmen die Sleepy Sleepers die Rolle des Narren, der die Wahrheit an den Tag bringt. Die Frage des verlorenen Karelien war in der Zeit des Kalten Krieges in Finnland außenpolitisch das größte Tabu. In den 60er Jahren kritisierte der sowjetische Botschafter sogar Finnlands beliebteste Biermarke Karjala, nur weil das karelische Wappen das Flaschenetikett zierte. Die Umsiedlung von 450 000 Menschen war eine unglaubliche Herausforderung und wurde in ihrer Realisierung zu einem Vorbild für die Lösung des Flüchtlingsproblems. Ein großer Teil der Umsiedler waren Bauern, denen aufgrund des Besiedlungsgesetzes durch den Staat neue Landparzellen in verschiedenen Teilen Finnlands zugewiesen wurden. Die Sicherung der notwendigsten Lebensbedingungen in den neuen Wohngebieten und die Unterstützung beim Wiederaufbau konnten den Schmerz über den Verlust von Heim und Heimat und die Schwierigkeiten der kulturellen Anpassung freilich nur geringfügig mildern. In den Gedanken der Heimataktivisten lebte die Hoffnung auf Rückerstattung Kareliens weiter. Die Karelienfrage verflocht sich in den 50er und 60er Jahren mit der Person des Präsidenten Kekkonen. Er hatte seine politische Laufbahn als Volksvertreter in der Provinz Wiborg begonnen, hatte also ein persönliches Verhältnis zum abgetretenen Karelien. Es war unmöglich, die Angelegenheit öffentlich zur Sprache zu bringen, aber als Präsident konnte er sich in inoffiziellen Zusammenhängen behutsam an die Sache herantasten. Die Rückgabe Kareliens oder wenigstens von Teilen wie der historischen Stadt Wiborg wäre zugleich der größte politische Sieg der finnischen Politiker gewesen. Zur Zeit Chruschtschows und des politischen Tauwetters schienen Grenzveränderungen noch realisierbar, hatte die Sowjetunion doch viel früher als erwartet auf den Stützpunkt Porkkala verzich-

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tet. Kekkonen schuf persönliche Beziehungen zu dem volkstümlichen Chruschtschow und ein gemeinsamer Saunagang erfuhr große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Chruschtschows Entfernung aus der sowjetischen Führung 1964 war ein entscheidender Schlag auch für die Hoffnungen auf die Rückgabe Kareliens. Die persönliche Enttäuschung Kekkonens fand ihren Höhepunkt in einem Zwischenfall mit Vertretern des Karelierbundes, der die Sache der Neusiedler vertrat. Er hatte den Kongress des Bundes früher mit den Worten begrüßt: „Ich bin einer von euch“, jetzt aber warf er die Bundesvertreter bei einem Treffen kurz und bündig raus und schnauzte sie an: „In der Sache (Rückführung Kareliens) ist nichts mehr zu machen.“ Die Kareliendiskussion brach nach dem Zerfall der Sowjetunion in den 90er Jahren erneut offen aus, aber zum Verdruss der gealterten Aktivisten hatte die Zeit ihre Schuldigkeit getan. Die Karelienfrage ist danach nicht mehr bei einer einzigen Partei oder auch nur bei einem einzelnen Abgeordneten auf die Tagesordnung gekommen. Kurz nach dem Umsturz in der Sowjetunion erschienen die ersten umfassenden Analysen zur Epoche der Finnlandisierung. Einer derjenigen, die die Diskussion eröffneten, war der Historiker Timo Vihavainen mit seinem Buch Kansakunta rähmällään (Eine Nation liegt auf dem Bauch, 1992), in dem er die innenpolitische und kulturelle Selbstzensur der 60er und 70er Jahre kritisch beurteilt. Den Titel des Werkes wollte man oft korrigierend fokussieren: „Auf dem Bauch“ lag nicht die Nation, sondern die politische und kulturelle Elite. Der Film Luottamus (Das Vertrauen, 1976) war als Gemeinschaftsproduktion von finnischen und sowjetischen Künstlern auf diesem Sektor gewissermaßen die Kulmination der offiziellen Politik im Geiste des Freundschaftsvertrags. Der Film schob die Rolle Lenins für die Selbstständigkeit Finnlands in den Vordergrund. Die Filmsequenzen zur Gegenwart und zur 1975 in Helsinki organisierten Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) unterstreichen die historische Kontinuität der finnisch-sowjetischen Beziehungen. Die Geschichtsforschung hat aufgezeigt, dass es sich bei solchen Vorstellungen von Lenins Hilfe – ganz zu schweigen von den mehr oder weniger redlichen Motiven, die mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker in der Lesart der Bolschewiken zusammenhängen – um Mythen handelt, die in den 70er Jahren für die finnische Politik von Vorteil waren. Hinter dem Lenin-Mythos stand die Autorität von Kekkonen, denn wenn Lenin die Unabhängigkeit Finnlands stützte und damit auch die Außenpolitik der Paasikivi-Kekkonen-Linie, dann war das die höchstmögliche Auszeichnung. Die Gegenwart wurde mit der Vergangenheit begründet und umgekehrt. Manche Politiker gingen in ihrer Geschichtsinterpretation noch viel weiter. Ein Parteigenosse Kekkonens schlug 1974 vor, den Unabhängigkeitstag und den Vertragsabschluss zum Zwischenfrieden 1944 als gleichwertige Festtage zu begehen, was weithin Missbilligung auslöste. Die politische Kultur Finnlands stand in den Nachkriegsjahrzehnten im Schatten der Sowjetunion, und von der Basis aus betrachtet war die Wirklichkeit zwiespältig. Gleichzeitig mit der Finnlandisierung der politischen Elite amerikanisierte sich nämlich Finnland, was die allmähliche Befreiung und Internationalisierung des Wirtschaftslebens bedeutete und den Siegeszug der übernationalen Popularkultur. Aus außenpolitischen Gründen schlug Finnland Ende der 40er Jahre die Hilfen des Marshallplans aus, die weltweit expansive amerikanische „kulturelle Marshallhilfe“ sollte dann in Finnland ebenso erfolgreich sein wie überall. Schon gleich nach dem Krieg wurden zum Beispiel mithilfe des Stipendiensystems an der Universität Forscherbesuche aus den USA ermöglicht. Die

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häufig vorgebrachte Behauptung, Finnland sei das aus europäischer Sicht am weitesten amerikanisierte Land, gründet sich hauptsächlich auf die Durchschlagskraft der angloamerikanischen Popularkultur. Wichtige Voraussetzung dafür waren die verbesserten Englischkenntnisse der Nachkriegsgeneration. Englisch verdrängte im Schulunterricht als erste Fremdsprache Deutsch spätestens mit den umfangreichen Reformen in den 70er Jahren. Die Tatsache, dass ausländische Programme im Fernsehen nicht synchronisiert, sondern untertitelt werden, förderte ihrerseits die Beherrschung der englischen Sprache, da der Originalton hörbar bleibt. Die von jenseits des Atlantischen Ozeans übernommene neue Technik und Popularkultur wurden in Finnland schnell angenommen. Amerika weckte nach der Unabhängigkeit größtes Interesse in Finnland; es bedeutete die moderne und vorwärts gerichtete Welt, eine offensichtliche Gegenkraft zum drohenden Bolschewismus aus dem Osten. Im Stadtzentrum von Helsinki erinnern an die Metropolenträume im amerikanischen Stil der 20er Jahre die wolkenkratzerähnlichen Gebäude wie das Hotel Torni, das Warenhaus Stockmann und die Bundesbank, die man seinerzeit als modernsten Bau Europas bewunderte. Die Memoiren von Henry Ford gehörten zum meistverkauften Buch der 20er Jahre in Finnland. Es herrschte eine Art Neusiedler-Mentalität, und die Fähigkeit, sich neue Techniken anzueignen, war gut ausgebildet; die gesellschaftliche Struktur war elastisch und ermöglichte sozialen Aufstieg durch Arbeit und Ausbildung. Regional verwurzelte sich der Amerikanismus vor allem im Privatunternehmertum Ostbottniens, das sozial gesehen bäuerliches Gebiet war und wo dank der religiösen Erweckungsbewegungen ein starkes christliches Ethos der Arbeitsamkeit herrschte. Von Ostbottnien aus ergaben sich auch die meisten direkten Kulturbeziehungen nach Amerika, denn es war zur ersten Blütezeit der Auswanderung an der Jahrhundertwende das wichtigste Herkunftsgebiet gewesen.

Der Sport – eine Erzählung über uns „Wie ich mich für Sport begeistert habe?“, fragt Lauri Pihkala (1888–1981), der bedeutende finnische Sportprofessor, in einer kleinen Erinnerungsschrift. Die Antwort lautet: durch ein Glas Milch. Es ist Ende des 19. Jahrhunderts, da kommt eine Zeitung ins Elternhaus des Jungen. Auf der Vorderseite ist ein Foto, was zu dieser Zeit eine Seltenheit darstellt. Der Text berichtet von den Heldentaten der finnischen Skiläufer bei den Winterspielen in Stockholm. Die Neuigkeit weckt die Phantasie des Jungen, und sogleich steht dem Glas Milch wie von selbst ein Butterbrot gegenüber. Wer trägt den Sieg davon? Der Junge lässt sie gegeneinander kämpfen. Und „weil das Milchglas meistens gewann, wurde ihm die Ehre zuteil, Finnland zu vertreten“. So zündete der Funke, der den Sport zu einem der stärksten Symbole moderner Staaten werden ließ. „Finnlands Skihelden“ stand unter dem Bild. Was die jungen Männer getan hatten, um die Wette Ski laufen, bekam mit dieser Nachricht plötzlich eine ungeheure Bedeutung, die alle Finnen berührte. „Die Namen der besten Skiläufer gehen von Mund zu Mund, nach ihnen wird gefragt, man spricht über sie“, schrieb die Zeitung über die Helden. „Sie müssen auch fotografiert werden.“ Also machte sich der kleine Lauri daran, Skilaufen zu üben. In ganz Finnland setzte eine Entwicklung des Sports ein „vom belächelten Herumtoben der Jungen zum vielleicht sogar zu viel propagierten Kraftfaktor im Leben eines ganzen Landes“, wie Pihkala später konstatierte. Die Herausbildung Finnlands zu einer Nation Ende des 19. Jahrhunderts und die Erlangung der Selbstständigkeit zu Beginn des folgenden Jahrhunderts verliefen parallel zur Verbreitung des modernen Sports. So spiegelte sich das Selbstverständnis der Finnen als Nation schon früh und in

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prägender Weise im Wir-Bild der internationalen Sportbewegung. Der Skilanglauf war für Finnland die erste und angesichts der klimatischen Gegebenheiten besonders naheliegende Erfolgsdisziplin. Dann folgte der leichtathletische Langlauf. Bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris erreichte Finnland in der Gesamtzahl der gewonnenen Medaillen hinter den USA und dem Gastgeber Frankreich den dritten Platz. Star der Spiele war Paavo Nurmi, einer der Vorreiter des modernen wissenschaftlichen Trainings. Seine Lieblingsstrecken, 1500 und 5000 Meter, wurden am selben Tag ausgetragen. Nurmi gewann beide, die zweite mit neuem Weltrekord. „Murakoso fällt zurück“, hörte man während der Olympischen Spiele 1936 in Berlin die Reporterstimme aus dem Radio. Der 10 000-Meter-Lauf ging in die letzte Runde und die Finnen hingen zuhause vor ihren Rundfunkgeräten. Wie zur damaligen Zeit üblich, wurde der Bericht mit Lautsprechern in die städtischen Grünanlagen übertragen, wo sich die Leute auf dem Rasen tummelten und den dreifachen finnischen Triumph feierten. Der Japaner Kohei Murakoso wurde schließlich Vierter. Eine wichtige Aufgabe des Sports in der Gemeinschaft ist es, Erzählungen darüber zu produzieren, wer wir sind. Diese Legenden haben die Finnen mit Skifahren, Laufen, Springen und Werfen zum Sportvolk gemacht. Noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg, bis in die 60er Jahre, wurde von einer Sportgröße in Finnland erwartet, dass sie Körperkraft und Ausdauer erfordernde Disziplinen ausübte. Heute sind die Finnen eher in Bereichen erfolgreich, die schnelle Reaktionen sowie soziale und technische Skills verlangen. Der in der National Hockey League (NHL) glänzende Eishockeyspieler Teemu Selänne, der mit dem Spitznamen ‚Finnish Flash‘ belegt wurde, ist die moderne Variante zu Paavo Nurmi, ein echter Kerl, von dem die Welt einmal im Stile eines Volksmärchens sprechen und in dem die Jugend ihr Vorbild finden wird. Unvergessen bleibt aber auch der Skispringer Matti Nykänen, der in seiner Glanzzeit als Weltmeister und Olympiasieger die Pokale abräumte. Er tritt heute als Entertainer und Sänger in Restaurants und Klubs auf. Während die Rallye-Weltmeister Juha Kankkunen und Tommi Mäkinen ihrem Hintergrund und Beruf nach noch Landwirte waren, konnte der Formel-1-Star Mika Häkkinen, zweimaliger Weltmeister 1998/1999, schon als Held der neuen Vorstadtgenerationen charakterisiert werden; in seine Fußstapfen trat 2007 Kimi Räikkönen. Der sommerliche Tourist wird auf seinen Fahrten durch Finnland übrigens auf ein merkwürdiges Mannschaftsspiel treffen, bei dem mit einem Schläger ein faustgroßer Ball durch die Gegend gepfeffert wird und die Spieler kreuz und quer übers Spielfeld rennen. Das ist das von Lauri Pihkala in den 20er Jahren als Volkssport entwickelte pesäpallo („Nestball“), die finnische Variante des amerikanischen Baseballspiels. Pihkala gelang es, im gerade souverän gewordenen kleinen Staat das volkstümliche Vergnügen mit einer Art Infanterietaktik zu koppeln: Feuer und Bewegung – nach exaktem Handgranatenwurf stürzt man sich schnell und rücksichtslos in den feindlichen Laufgraben. Heute spielt man pesäpallo außer in Finnland übrigens auch in Estland und unter finnischen Auswanderern in Schweden und sogar in Deutschland. Esa Sironen

Coca-Cola, Donald Duck und Reader’s Digest waren schon in den 50er Jahren problemloser Teil der finnischen Kultur. Zugleich stieß das angloamerikanisch-liberale Staatsdenken, das auf die Befreiung vom Staat abzielte, auf schwere Hindernisse, denn in Finnland hatte die Hegel’sche Auffassung staatsphilosophische Tradition. In der Zeit zwischen den Kriegen erschienen die ersten Autos der Marke Ford auf den finnischen Landstraßen, aber die auf Optimierung der Massenproduktion zielenden Fordfabriken und die wissenschaftliche Unternehmensführung, der sogenannten Taylorismus, hatten es schwerer, sich

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durchzusetzen. Teilweise gab es dafür praktische Gründe, die mit der Struktur der finnischen Industrie und der Größe der Unternehmen zusammenhingen; Fordismus und Taylorismus wurden aber auch aus ideellen Gründen auf beiden Flügeln des politischen Feldes abgelehnt. In Finnland sollten die Gesellschaft und die Interessenverbände erheblichen Einfluss bei der Aufstellung von Rahmenbedingungen für Wirtschaftsaktivitäten gewinnen. Die finnische Gesellschaft nahm in den Jahrzehnten nach dem Krieg immer korporativere Züge an, die in den 70er und 80er Jahren im Konsensusdenken gipfelten. Die Erinnerung des Diplomaten Max Jacobson an ein Treffen mit Margaret Thatcher Anfang der 80er Jahre veranschaulicht die Unterschiede zwischen den Denkweisen in Finnland und der angloamerikanischen Welt deutlich. In England hatte Thatcher gerade mit ihrem Privatisierungsprogramm und dem Aufbrechen der Macht der Gewerkschaften begonnen. In Finnland erreichte zum gleichen Zeitpunkt der Konsensus seine Blütezeit. Thatcher fragte verärgert: „Konsensus? Was ist das?“, als Jacobson das finnische Modell vorstellte, in dem Staat, Arbeitgeber und Arbeitnehmerorganisationen zentralisiert über Löhne und Arbeitsbedingungen verhandelten. Die erste einkommenspolitische Gesamtlösung wurde 1968 ratifiziert. Konsensus wurde durch die relativ stabil gebliebene politische und ökonomische Situation in Finnland begünstigt. Das wirtschaftliche Wachstum ermöglichte durch Transferleistungen den Aufbau von Dienstleistungen und sozialer Sicherheit eines Wohlfahrtsstaates. Finnland integrierte sich langsam in das europäische Wirtschaftsgebiet, zuerst als assoziiertes Mitglied in der EFTA (1961), dann durch das Freihandelsabkommen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1973). Als Gegengewicht trieb man günstig bilateralen Handel mit der Sowjetunion. Finnland führte Konsumgüter aus und importierte hauptsächlich Energie, also Öl. Die Wurzeln des bilateralen Handels lagen in den Finnland auferlegten Reparationsleistungen nach dem Krieg, die aus Warenlieferungen bestanden. Diese belasteten den Wiederaufbau der Wirtschaft, zwangen aber andererseits zu Änderungen in der Produktionsstruktur und förderten die Industrialisierung. Im Alltag waren die Handelsbeziehungen kaum spürbar, wenn auch mehr billige Moskwitsch- und LadaPersonenwagen auf finnischen Straßen fuhren als westliche Autos. Hinter der Fassade des Freundschaftsvertrages und der offiziellen Beziehungen blieb ein echter Kulturaustausch gering; seit den 60er Jahren nannte man die Reisen von Finnen in die Sowjetunion, besonders in das nahe gelegene Leningrad, schlicht Wodkatourismus. Die Spannungen zwischen dem staatszentrierten Konsensus und dem angloamerikanischen Liberalismus wurden auf andere Art wieder aktuell, als die Sowjetunion zerfiel und Finnland Anfang der 90er Jahre in eine wirtschaftliche Flaute getrieben wurde. Die Orientierung weg von einer vom Staat und von den Gewerkschaften beherrschten Wirtschaftspolitik hin zu einer steigenden Vormacht der globalen Marktwirtschaft ist eine kulturell tiefgründige Frage. Die Auswirkungen reichen weit über die Wirtschaft hinaus und ihre Dimensionen sind schwer zu beurteilen, da die Entwicklung noch anhält. Der wirtschaftliche Aufschwung und die gleichzeitige Befreiung von der Regulierung des Geldflusses auf den Kapitalmärkten führten zu spekulativen Luftblasen. Der Konjunkturrückgang und der Zusammenbruch des Osthandels verursachten eine schwere Wirtschaftskrise. In dieser Situation schienen Anpassung an die Macht der Märkte und strenge ökonomische Disziplin der einzige Ausweg zu sein. Das liberale Neuerungen fordernde Pamphlet Ultimatum isänmaalle (Ultimatum für das Vaterland) verkündete 1994 das Ende eines Zeitalters: „Jetzt ist Schluss. Der Wohlfahrtsstaat, wie wir ihn kennengelernt haben, ist in sich

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zusammengebrochen. Das von oben angeführte, geschlossene staatszentrierte System, das ihn errichtet hat, funktioniert nicht mehr in der sich wandelnden Welt.“ Für die Unternehmenskultur war bis in die 80er Jahre die Konzentrierung zu nationalen Interessengruppen typisch. Banken und Versicherungen bildeten Blöcke der verschiedensten Kapitalanleger: Es gab blau-weißes finnisch-nationales Kapital, schwedisches Kapital, der Arbeiterbewegung nahestehendes rotes Kapital und an Genossenschaften gebundenes Agrarkapital. Symbolische Bedeutung erhielt die Wirtschaftskrise Anfang der 90er Jahre durch den Zusammenschluss der größten finnischen Banken, der fennomanischen Nationalen Aktienbank (Kansallis-Osakepankki, KOP) und der Finanzbastion der Schwedischsprachigen, der Vereinigungsbank Finnlands (Suomen Yhdyspankki, SYP). Das Ergebnis dieser Verschmelzung fusionierte später wiederum mit einer schwedischen Bank (Nordea). Das Kapital und in vielen Fällen auch die Produktion begannen sich ins Ausland abzusetzen, wodurch der nationale Rahmen des Wirtschaftslebens gesprengt wurde. Die größeren staatlichen Unternehmen wie das Forstindustrieunternehmen Enso-Gutzeit, das Bergwerk Outokumpu und der Ölkonzern Neste waren mit dem politischen System verknüpft. Die Ernennung ihrer Führungskräfte erfolgte zur Zeit Urho Kekkonens nicht ohne Absegnung durch den Präsidenten. Noch in den 70er Jahren war die Ideologie der Staatsunternehmen ungebrochen und besonders stark im Programm der politisch einflussreichen Sozialdemokratischen Partei verankert. Wendepunkt war die Gründung der TV-Bildröhrenfabrik Valco in Zusammenarbeit mit der japanischen Firma Hitachi 1978, die nur zwei Jahre später in Konkurs ging. Seit den 80er Jahren wurde die Privatisierung staatlicher Unternehmen in Angriff genommen und diese Entwicklung erstreckte sich bald auch auf staatliche Institutionen, die in Gesellschaften umgewandelt und teilweise privatisiert wurden. Der Wegfall des Staatsmonopols im Bereich der Telekommunikation machte sich entscheidend in der Geschichte des international bekanntesten finnischen Unternehmens bemerkbar. Nokia war keine staatliche Firma, obwohl der Erfolg oder Misserfolg oft als nationale Schicksalsfrage angesehen wurde. Das 1865 gegründete Unternehmen machte einen langen Entwicklungsbogen durch vom Papier und Gummiprodukte herstellenden Kleinunternehmen unter der Regie eines „Patrons“ zum nationalen Multi und schließlich zu einem internationalen Riesen auf seinem Gebiet. Der schnelle Erfolg in den 90er Jahren auf dem globalen Mobilfunkmarkt basierte auf der Abschaffung der Beschränkungen in der Telekommunikation bei gleichzeitiger Anwendung technologischer Entwicklungen. Den Wandel zu einem internationalen, auf die Optimierung des Eigentumswertes abzielenden Konzern realisierte man sehr schnell, indem Nokia einen großen Teil anderer Tätigkeitsbereiche Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre abstieß. Kari Kairamo, Direktor in den 80er Jahren, erlebte diese Entwicklung nicht mehr. Zu seiner Zeit schuf die Entwicklungsarbeit aber die technologischen Voraussetzungen für den späteren Aufschwung zum führenden Mobiltelefonhersteller der Welt. Kairamo war die maßgebliche Persönlichkeit der Umbruchszeit, in der sich der Patron der alten Zeit mit seiner weitreichenden, auch aktiven politischen Einflussnahme und die internationale, professionelle Führungsfähigkeit der Neuzeit vereinigten. Zu Nokias Schicksal gehörten damals allerdings noch die verlustbringenden Geschäftsbereiche wie die Produktion von Fernsehgeräten; das Leben des legendären Direktors endete 1988 mit Selbstmord. Der neue Aufstieg der Firma vom Rande des Konkurses personifiziert sich in dem 1991 zum Generaldirektor gewählten

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Jorma Ollila, in dessen Person sich die ideellen Strömungen der finnlandisierten Nachkriegsgesellschaft und der Amerikanisierung verflochten. Ollila begann seine Laufbahn, nachdem er 1973 zum Vorsitzenden des Verbandes der Studentenschaft gewählt worden war, in einer Zeit, als Gesellschaft und Studentenleben stark politisiert waren. Globalisierung und Verlagerung des Firmenbesitzes ins Ausland verbannten auch bei Nokia den Wirtschaftsnationalismus endgültig in die Geschichte. Zur Protokollsprache der Direktion wählte man 1995 Englisch und der erste ausländische Generaldirektor nahm 2010 seine Tätigkeit in dem Unternehmen auf.

Der Präsident als staatliches Symbol Kansakuntien kaapin päällä Näätkös päitten riviä! Onnelist‘ on olla täällä Kun ne on vain kiviä.

Auf dem Schrank des Volkes stehn Köpfe! Wer soll das denn sein. Glücklich, das von hier zu sehn, sind doch nur aus Stein.

Zu den beliebtesten finnischen Gedichtsammlungen gehört Jääpeili (Eisspiegel, 1928) von Aaro Hellaakoski, aus der das Sprachspiel „auf dem Schrank“ in der Umgangssprache veranschaulicht, wie man Helden aus Politik, Kunst und Sport auf das Siegerpodest stellte. Diese Erscheinung ist für die finnische Kultur ganz natürlich und verträgt sich mit der Hegel-Snellman’schen Staatsphilosophie, wonach große Männer eine signifikante Rolle bei der Bewusstwerdung nationalen Geistes spielten. Nach der Unabhängigkeit war die Erhebung von Berühmtheiten aufs Podest sprichwörtlich und nahm Kritikern zufolge Züge eines „tragikomischen Fanatismus“ an. Der führende Bildhauer Wäinö Aaltonen, Schwager von Hellaakoski und zum offiziellen Künstler der ersten Republik aufgestiegen, schuf in den 20er und 30er Jahren zahlreiche Arbeiten nach antiken Vorbildern, so die Läuferstatue des Olympiasiegers Paavo Nurmi, die Frauenfiguren im Parlamentsgebäude, die wegen ihrer Nacktheit Entrüstung hervorriefen, und die Standbilder von Aleksis Kivi in Helsinki und Tampere. Nachdem der politische Nationalismus im Krieg verloren gegangen war, kanalisierte sich das Nationalgefühl in pathetischen Massenveranstaltungen; die imposantesten waren die Beisetzungen von Marschall Mannerheim (1951) und des Komponisten Jean Sibelius (1957). Noch das staatliche Begräbnis von Präsident Urho Kekkonen (1986) war von nationalistischem Kult geprägt, aber in der nachindustriellen Gesellschaft erreichte das Nationalgefühl bei den Publikumsmassen eigentlich nur noch das Niveau eines Unterhaltungsspektakels, wie etwa bei den Eishockey-Weltmeisterschaften anlässlich des Siegs über Schweden (1955, 2011) oder beim Eurovision Song Contest (2006). Die Position des Präsidenten in der politischen Kultur Finnlands erstarkte vor allem nach dem Erreichen der Unabhängigkeit. Zur Zeit der Macht Schwedens und Russlands hatte man sich an das Untertanentum gegenüber König und Zaren gewöhnt, und viele Herrscher erwiesen sich als großzügig im Gewähren von Vergünstigungen und belohnten Loyalität. Die Statue Alexanders II., der die liberalen Neuerungen in den 50er und 60er Jahren des 19. Jahrhunderts abgesegnet hatte, durfte ihren Standort auf dem Senatsplatz in Helsinki, dem symbolischen Kern des finnischen Staates, behalten, während andere an die russische Besatzung erinnernde Symbole nach dem Erlangen der Selbstständigkeit

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Beerdigungen und Siegestaumel Nach dem Krieg kanalisierte sich das Nationalgefühl in großen Massenveranstaltungen, so zum Beispiel bei der Beisetzung von Marschall Mannerheim (1951). In der nachindustriellen Gesellschaft setzten hingegen Unterhaltungsevents die Zuschauermassen in Bewegung, so beim Gewinn der Eishockey-Weltmeisterschaft 1995 und 2011 gegen Schweden oder beim Eurovisionssieg 2006.

effektiv beseitigt wurden. Nach dem Bürgerkrieg war die Monarchie als Regierungsform eine echte Alternative, denn die Linke blieb in der Politik noch außen vor und die Macht in Senat und Parlament lag bei den Konservativen. Die Politik der Gewinner legte ihr Vertrauen in die kaiserliche Unterstützung seitens Deutschlands; so war der Schwager des Kaisers, Prinz Friedrich Karl von Hessen, unter dem Namen Väinö I. als König von Finnland erwünscht, aber das Königsabenteuer scheiterte, da Deutschland den Krieg verlor. Die Forderung der Konservativen nach einer starken Herrscherpersönlichkeit als Garantie für gesellschaftliche Ruhe wurde schließlich auf den Präsidenten übertragen, dem dann im Grundgesetz weitreichende Machtbefugnisse zugestanden wurden. Dazu gehört die führende Rolle in der Außenpolitik und als Befehlshaber der Armee. Die staatliche Entscheidungsgewalt und die Regulierung der politischen Beziehungen in der Gesellschaft löst der Präsident durch sog. Amtsberufungen, mithin ohne Wahl ein. Neben der politischen Praxis kommt dem Präsidenten Bedeutung als Symbol und Meinungsführer des Staates zu, womit große Erwartungen verbunden sind. Staatswissenschaftler charakterisierten das politische System Finnlands als halbpräsidential nach französischer Art. In Finnland haben historische Erfahrungen die Vorstellung von der Notwendigkeit eines starken Präsidenten gefestigt, der bei Bedarf in den Verlauf von Geschehnissen eingreifen oder Meinungen beeinflussen kann. Das Volk erinnert sich an die Präsidenten Finnlands gewöhnlich wegen herausragender einzelner Ereignisse oder ihrer Charakterzüge. Der erste Präsident K. J. Ståhlberg (1919–1925) war liberaler Jurist und Veteran des Verfassungskampfes während der russischen Herrschaftszeit. Er setzte sich für nationale Integration ein und zog sich den Unwillen der Rechtsextremisten zu, weil er die gefangen genommenen Roten begnadigte. L. K. Relander (1925–1931) öffnete durch seine Diplomatie Finnland zum Ausland hin; seiner gedenkt man mit dem Spitznamen „Reise-Lassi“. P. E. Svinhufvud (1931–1937) stieg mit der Unterstützung der Rechten zum Präsidenten

Der Präsident als staatliches Symbol

auf, brachte aber durch seine mutige Radiorede 1932 den Umsturzversuch der LapuaBewegung zum Stillstand. Kyösti Kallio (1937–1940) war ein Bauernpräsident, der das Volk während des Winterkrieges vereinte, dann allerdings die schweren Bedingungen des Moskauer Friedensvertrages akzeptieren musste: „Meine Hand soll verdorren, die gezwungen ist, ein solches Papier zu unterschreiben.“ Risto Ryti (1940–1944) schloss im Sommer 1944, als die Rote Armee über die karelische Landenge zu rollen drohte, einen persönlichen Vertrag mit Deutschland über Waffenhilfe ab, wofür er nach dem Krieg einen hohen Preis zu zahlen hatte. Der gealterte und kränkliche Marschall Mannerheim (1944–1945) war bereit, seinen Ruf aufs Spiel zu setzen, um Finnland nach dem Krieg ruhigzuhalten. Der konservative Bankier J. K. Paasikivi (1946–1956) wurde zum Garanten für die neue Außenpolitik, mit der die Interessen der Sowjetunion Anerkennung erfuhren, und hämmerte in seiner bärbeißigen Art die geopolitischen Realitäten in die Köpfe der Finnen: „Feinde der Sowjetunion darf es in Finnland nicht geben, nur Freunde.“ Urho Kekkonen (1956–1981) war ein starker und umstrittener Führer, der mit seinem außenpolitischen Ausgleichsdenken in der Welt des Kalten Krieges Vorteile von Ost und West herauszuschinden verstand und seine Machtbefugnisse innenpolitisch gnadenlos nutzte, um bei Bedarf das Parlament aufzulösen. Der Status von Marschall C. G. E. Mannerheim (1867–1951) als einem nationalen Symbol ist von besonderer Natur. Seine Bedeutung leitet sich nicht von der kurzen Präsidentschaft nach dem Krieg her, sondern von seinem Ansehen als Ikone der ersten Republik und als militärischer Führer während des Krieges. Als Person war Mannerheim, der Finnisch mit starkem mundartlichem Akzent sprach, weit vom normalen Finnentum entfernt. Er war in einer Adelsfamilie geboren und ging schon in jungen Jahren in die russische Armee. In Sankt Petersburg diente er in der Leibgarde des Zaren und nahm am Ersten Weltkrieg als General an der deutschen Front teil. Nach seiner Rückkehr nach Finnland führte er die weißen Truppen im Bürgerkrieg an und war kurze Zeit als Staatsbeamter tätig. Die Präsidentenwahl verlor Mannerheim und geriet danach im staatlichen Leben in den Hintergrund. Als durchaus charismatische Gestalt wäre Mannerheim im Rahmen einer rechten Diktatur die geeignete Führungsperson für die extrem nationalistisch Eingestellten in Finnland gewesen, aber er wich allen entsprechenden Bemühungen, ihn anzuwerben, aus. Sein Verhältnis zu den Rechtsradikalen war wegen seiner aristokratischkosmopolitischen persönlichen Geschichte angespannt, und als ehemaliger Offizier des Zaren hatte er Schwierigkeiten, zwischen den Kriegen den starken Sympathien der Rechten für die Deutschen zu folgen. Hitlers Überraschungsbesuch in Finnland im Sommer 1942 zu seinem 75. Geburtstag blieb aller schönen Worte zum Trotz der Stimmung nach kühl. Mannerheims Aufstieg zum Präsidenten nach dem Krieg und die Tatsache, dass er von einem Kriegsschuldprozess verschont blieb, mag merkwürdig erscheinen, denn man erinnerte sich sehr wohl an seinen „Schwertscheidenbefehl“, Archangelsk (Viena) und Olonetz (Aunus) also mit Waffengewalt zu befreien. Dass die Position Mannerheims unangetastet blieb, hatte aller Wahrscheinlichkeit nach den Segen Stalins, der die Stabilität Finnlands für wichtig hielt. Mannerheims Distanz zum alltäglichen Finnentum erklärt teilweise seine kulturelle Stellung. Die durch Volkssammlungen finanzierte Reiterstatue von Aimo Tukiainen (1960) befindet sich auf einem zentralen Platz in Helsinki an der nach Mannerheim benannten Hauptverbindungsstraße. Die Absicht, das Denkmal zu versetzen, um Platz für das Museum für moderne Kunst, Kiasma, zu schaffen, löste einen Sturm der Entrüstung

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Offizielles Portrait des ‚Marski‘ Mannerheim war dem rechtskonservativen Finnland heilig, und bei vielen Kriegsveteranen hängt sein offizielles Brustbild wie eine Ikone an der Wand.

aus. Mannerheim war für das rechtskonservative Finnland heilig. Bei vielen Kriegsveteranen hängt das Marski-Porträt (Marski = Marschall), ein offizielles Frontfoto, wie eine Ikone an der Wand. Erwartungsgemäß wählte man Mannerheim 2004 bei einer Abstimmung der Fernsehzuschauer zum „größten Finnen aller Zeiten“. Dass er so aufs Podest gestellt wurde, machte ihn andererseits von einer mythischen Figur zu einem leichten Ziel für Leute, die eine gewisse Aufsässigkeit gegenüber konservativen Werten an den Tag legten und diese in Frage stellen wollten. Der kulturradikale Schriftsteller Paavo Rintala spielte mit dem Mannerheim-Mythos schon Anfang der 60er Jahre in seiner Romanreihe Mummoni ja Mannerheim (Meine Oma und Mannerheim): Der Umstand, dass dem großen Meister hier eine volkstümliche Großmutter beigeordnet wurde, verursachte ziemliche Verärgerung. Später im gleichen Jahrzehnt wurde der lästerliche Marski-Marsch (1966), der die anwachsende Kriegskritik verdichtete, auf Schallplatte gepresst; das Lied legt dem Marschall, der 1944 die Rückzugsphase miterlebt hatte, die Anerkenntnis der Niederlage in den Mund: „Ich habe oft gekämpft und immer verloren.“ Auch später noch musste jede Generation für sich ihre kritisch-stichelnde Haltung zu Mannerheim finden. 2008 empörte man sich über eine Puppenanimation aus linksgerichteter Volksüberlieferung, Uralin perhonen (Der Schmetterling aus dem Ural), die Mannerheims Rolle in den Ereignissen von 1918 kritisch überprüfte und auf sein homosexuelles Verhältnis zu einem Diener anspielte. Die Symbolfigur der zweiten Republik ist Urho Kekkonen (1900–1986), dessen lange Präsidentschaftszeit (1956–1981) mit der schnellen Modernisierung Finnlands und einem steigenden Lebensniveau gleichgesetzt wird. Denen zufolge, die der Ära Kekkonen nach-

Der Präsident als staatliches Symbol

trauern, machte die Entwicklung damals Fortschritte, obwohl die Veränderungen für viele zugleich den Verzicht auf die alte agrarische Lebensweise bedeuteten. In der KekkonenZeit gründete sich die Wirtschaftspolitik auf Investitionen und Beschäftigung war von zentraler Bedeutung: Es schien, als ob die Angelegenheiten durch Maßnahmen der Staatsmacht in Ordnung gebracht werden könnten. Als 1975 mit der Ölkrise die Arbeitslosigkeit enorm anstieg, berief Kekkonen eine neue Regierung ein. Kekkonens Charisma beruhte auf seiner populären Persönlichkeit, die besonders bei den Menschen in den ost- und nordfinnischen Landgebieten ankam, wo er sich wie viele Finnen bei Skilauf und Fischerei gern aufhielt. Sein bescheidenes Geburtshaus, eine Kate in Nord-Savo, ist nicht zuletzt deshalb Museum geworden, um die finnische Gesellschaft an den schweren Weg von einem bescheidenen Ausgangspunkt zu Wohlstand zu erinnern. Als Politiker war Kekkonen während seiner ganzen Amtszeit umstritten. Max Jacobsons Aussage, er sei „den Prinzipien nach Demokrat, der Natur nach Autokrat“ gewesen, verdichtet treffend seine Denkweise und Person. In seiner Jugend nahm Kekkonen als Schuljunge in den Reihen der Weißen am Bürgerkrieg teil und nach seiner Studienzeit an der Universität, wo er den Doktortitel der Rechtswissenschaften erwarb, wurde er Mitglied der Akademischen Karelien-Gesellschaft, die er aber nach dem Aufstand von Mäntsälä 1932 wieder verließ und dann seine politische Heimat in der Agrarpartei fand. Als Innenminister setzte sich Kekkonen für die Einschränkung der Rechtsextremisten und die Liquidation der Vaterländischen Volksbewegung ein. Es dürfte der Einfluss der politischen Atmosphäre in seiner Jugend gewesen sein, dass er auch später Interesse an Verwandtschaftsbeziehungen zeigte. Kekkonen war angesehen in Estland, das er zur sowjet-estnischen Zeit 1964 besuchen durfte. Schon ein Jahr früher stattete er Kádár in Ungarn einen inoffiziellen Besuch ab. Er hielt vor allem inoffizielle Kontakte zu diesen beiden den Finnen verwandten Völkern für wichtig, zumal diese den Vorteil hatten, dass politische Probleme übergangen werden konnten. Nach dem Krieg trat Kekkonen entschieden für eine neue Außenpolitik ein und als Justizminister für die Verurteilung der Kriegsschuldigen, wodurch er in rechtskonservativen Kreisen immer mehr in Misskredit geriet. Bei der Präsidentenwahl von 1956 gewann Kekkonen gegen den sozialdemokratischen Gegenkandidaten K. A. Fagerholm mit der kleinstmöglichen Mehrheit einer einzigen Stimme. Als er zum letzten Mal 1978 Präsident wurde, gab es keine ernst zu nehmenden Gegenkandidaten, sondern alle größeren Parteien standen hinter ihm. Wie lässt sich Kekkonens Aufstieg in diese politisch einzigartige Position erklären? Die „Waffenbrüdersozialisten“ der Rechten und der Sozialdemokraten widersetzten sich Kekkonen in den 50er Jahren heftig und beschlossen 1961, seine Wiederwahl für eine zweite Amtszeit zu verhindern. Sie gruppierten sich um den Justizkanzler Olavi Honka. Der Honka-Bund scheiterte indes an der sich entwickelnden außenpolitischen Krise, deren Hintergründe in der finnischen politischen Historie der Nachkriegszeit die polemischsten Fragen aufgeworfen haben. Die Sowjetunion schickte eine Note, in der sie unter Bezug auf die Spannungen in der internationalen Situation von Finnland die im Freundschaftsvertrag vereinbarten militärischen Konsultationen einforderte. Offensichtlicher Zweck der sogenannten Notenkrise war, auf die finnische Innenpolitik und insbesondere auf die bevorstehende Präsidentenwahl Einfluss zu nehmen. Dies gelang auch: Kekkonen löste das Parlament auf und entschärfte die Krise in Unterredungen mit Chruschtschow. In der Öffentlichkeit galt Kekkonen damit als Retter Finnlands. Forscher, die sich kritisch

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mit Kekkonen auseinandergesetzt haben, deuteten allerdings sogar die Möglichkeit einer Inszenierung an, wonach Kekkonen selbst der Initiator der Notenkrise gewesen sein könnte. Jedenfalls zog Honka seine eigenen Schlüsse aus der Sache und zog seine Kandidatur zurück. Eine ähnliche Serie von Ereignissen nahm ihren Anfang im Jahre 1972, als Informationen über Beratungen zwischen Finnland und der Sowjetunion über den Beitritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) an die Öffentlichkeit durchsickerten. Kekkonen drohte zornig, auf die Präsidentschaft zu verzichten, woraufhin das Parlament sich dazu durchrang, ein Ausnahmegesetz zu erlassen, um seine Amtszeit zu verlängern. Auch im Zusammenhang mit der Zavidovo-Indiskretion wurde gemunkelt, es sei eine von Kekkonen selbst in der Sowjetunion „bestellte“ Krise gewesen. Wie dem auch sei: Kekkonen machte sich zum unersetzlichen Führer der Außenpolitik, besonders hinsichtlich der Beziehungen zur Sowjetunion. Er formulierte seine Linie als „finnisches Paradox“: Je besser das Verhältnis zur Sowjetunion, desto besser konnte sich Finnland im Westen integrieren. Letztere Richtung schlug sich im allmählichen Fortschreiten der handelspolitischen Westintegration nieder. Kekkonen gelang es auch, das Vertrauen der USamerikanischen Führung zu gewinnen, die ihn, anders als die einheimische Rechte, als Finnlands Garanten für die westliche Welt betrachtete. Die Funktion, in der Welt des Kalten Krieges Gegensätze auszugleichen, führte Kekkonen 1975 zum Höhepunkt seiner Karriere als Gastgeber der KSZE-Konferenz in Helsinki. Kekkonens Aufstieg in eine souveräne Position wurde auch von der innenpolitischen und kulturellen Entwicklung in den 60er Jahren begünstigt. Nach seiner Trennung von der Akademischen Karelien-Gesellschaft in den 30er Jahren war sein Verhältnis zur rechtskonservativen Kulturelite angespannt. In den 60er Jahren musste sich die alte Elite heftiger Angriffe der jüngeren Generation erwehren. Kekkonen kam der jungen Generation entgegen und organisierte im Präsidentenschloss „Jugendbesuche“, zu denen er deren verheißungsvolle Vertreter zu Gesprächen einlud. Seine positive Einstellung zum Radikalismus der jungen Generation wurde als hemmungsloses Taktieren eines machtgierigen Politikers interpretiert, dahinter stand aber wohl auch eine in seiner persönlichen Geschichte begründete Aufrichtigkeit. Der alternde Präsident notierte 1978 in seinem Tagebuch, dass er bei Kirche und Armee, den Eckpfeilern des Konservativismus, nie recht „auf den Geschmack“ gekommen sei. Kekkonen führte ein staatsgelenktes Programm zur Rationalisierung und Modernisierung der Gesellschaft durch, das sich theoretisch auf die Gesellschaftswissenschaften stützte. Er interessierte sich für die soziologischen Theorien zur Bewältigung gesellschaftlicher Widersprüche von Ralf Dahrendorf, die ihm in Finnland von führenden Soziologen nahegebracht wurden. Kerngedanke war die Demokratisierung der Gesellschaft und die Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen an Entscheidungsprozessen. Einfluss der Theorien oder nicht, Kekkonens Entscheidung, die Kommunisten 1966 in die Regierungsverantwortung zu nehmen, wurde in diesem Licht überprüft. Um die außen- und innenpolitischen Leistungen von Kekkonen entwickelte sich in den 60er Jahren eine parteienübergreifende, auf das politische Zentrum und die Linke gestützte „Kekkonen-Partei“ nach dem gaullistischen Modell Frankreichs – es war bekannt, dass er den französischen Präsidenten bewunderte. In der lautstarken Opposition verblieben die am weitesten rechts stehenden Politiker und eine kleine Protestpartei, angeführt von Kekkonens ehemaligem Parteifreund Veikko Vennamo. Die Kehrseite seiner persönlichen Machtstellung wurde mit dem Altern Kekkonens in den 70er Jahren immer deutlicher sichtbar, symptomatisch waren hinsichtlich des Parlamentarismus das Ausnah-

Der Präsident als staatliches Symbol

megesetz von 1973 und die ohne große Konkurrenz durchgeführte Präsidentenwahl 1978. Seine Gesundheitsprobleme wurden 1979 in Bonn offensichtlich. Sein erster Besuch in West-Deutschland war lange vorbereitet, denn Kekkonens Verhältnis zur BRD schien teilweise überschattet von der Debatte zur Finnlandisierung. Kekkonen sah den vorliegenden Text nicht richtig, aber seine zur Situation passende Replik brachte die Hörer auf andere Gedanken: „Mehr Licht!“ Im Herbst 1981 wurde Kekkonens Präsidentenzeit jäh durch eine schwere Erkrankung abgebrochen; über seine Nachfolge war schon einige Zeit gerätselt worden. Jetzt wurde die „Moskauer Karte“ ausgespielt, denn sein als „hinterherlaufende Skifahrer“ verspotteter Hof und ein Teil der Autoritäten im Wirtschaftsleben hielten es für angebracht, einen Kandidaten als Nachfolger zu finden, der in der Sowjetunion Akzeptanz haben würde. Dem als Erbprinz betrachteten, langzeitigen Minister Ahti Karjalainen war es jedoch noch nicht einmal vergönnt, als Vertreter seiner eigenen Zentrumspartei zu fungieren. Das Volk entschied anders: Klarer Sieger bei den Präsidentenwahlen von 1982 war der Sozialdemokrat Mauno Koivisto (1982–1994). Der Bankdirektor hatte Ende der 60er Jahre als Premierminister gewirkt und in ihm, der zugleich Kriegsveteran und Vertreter der Generation des Wiederaufbaus war, verbanden sich Arbeiterhintergrund und sozialer Aufstieg und Ansehen durch akademische Bildung; Koivisto hatte in den 50er Jahren in Arbeitssoziologie promoviert. Als Person trat Koivisto zurückhaltend, fast schüchtern auf. Außenpolitisch veränderte sich die Linie Finnlands nicht, denn Koivisto hütete sich, die Sowjetunion zu verärgern, deren Einfluss auf die finnische Außen- und Innenpolitik freilich in den 80er Jahren akut abnahm. Koivistos altfinnische Vorsicht spiegelt sich in seiner stillen Zurückhaltung gegenüber der Unabhängigkeit der baltischen Staaten zu Anfang der 90er Jahre. In der Innenpolitik war er wesentlich gemäßigter in der Anwendung seiner Machtbefugnisse als sein Vorgänger, ja er billigte sogar deren Einschränkung: Der Präsident konnte fortan das Parlament nicht mehr eigenmächtig auflösen. Nach Koivisto folgte Martti Ahtisaari (1994–2000), der außerhalb der Politik eine Diplomatenkarriere hinter sich hatte. Sein internationales Ansehen als Friedensvermittler fand in der Verleihung des Friedens-Nobelpreises 2008 den Gipfelpunkt. Die Wahl von Ahtisaari als Präsident spiegelt das Bedürfnis wider, von der zur Zeit Kekkonens und bis zum Zerfall der Sowjetunion von der Finnlandisierung überschatteten Außen- und Innenpolitik wegzukommen, denn er vertrat offen eine Linie der Orientierung zur westlichen Welt. In der Phase der Neutralitätspolitik war der Beitritt zur NATO ein unmöglicher Gedanke, unter Ahtisaari wurde dies ein ernsthaft zu diskutierendes Thema und die verteidigungspolitischen Entscheidungen Anfang der 90er Jahre – etwa die Anschaffung neuer Kampfflugzeuge aus den USA – bestärkten diese Möglichkeit. Ahtisaaris Parteibindung war locker, aber seine Sympathie für den Neopatriotismus und Ehrenbezeugungen für Kriegsveteranen stellten ihn in die Nähe der sozialdemokratischen Tradition der „Waffenbrüdersozialisten“. Kehrseite der Euphorie war, dass er damit die von der alten politischen Kultur geformte Auffassung von der Rolle des Präsidenten unbeachtet ließ. Die Welt nach dem Kalten Krieg betonte dessen Position auf dem Konkurrenzfeld der Wirtschaft und in der Förderung des Exports. Seine positive Einstellung zur Marktwirtschaft äußerte sich bei Ahtisaari nach seiner Amtszeit auch darin, dass er einen Posten als Vorstandsmitglied in einer großen Forstgesellschaft annahm, eine Entscheidung, die weithin Kritik schürte. 1994 wählte man den Präsidenten erstmals in direkter Volksabstimmung, was in gewisser Hinsicht den Unterhaltungswert der Politik förderte. Man konnte den Präsiden-

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ten und seine persönlichen Eigenschaften nun in Unterhaltungsprogrammen in einer Art und Weise verunglimpfen, die früher überhaupt nicht in Frage gekommen wäre. Die Wahl von Tarja Halonen (2000–2012) ins Präsidentenamt war die folgerichtige Widerspiegelung der fortschrittlichen Gleichberechtigungstendenzen in der finnischen Politik. Der Anteil weiblicher Abgeordneter betrug in den 90er Jahren bereits fast 40 Prozent. Die Persönlichkeit der aus einer Arbeiterfamilie stammenden Halonen machte das öffentliche Bild vom Präsidentenamt noch alltäglicher. Politisch wich die Sozialdemokratin von der Linie ihrer Vorgänger ab, denn ihr Vorleben als Juristin in der Gewerkschaftsbewegung und als Zögling der politischen Kultur der 60er und 70er Jahre war darin zu erkennen, dass sie sich für internationale, von der UNO propagierte Solidarität einsetzte, Vorsicht in den Beziehungen zu Russland walten ließ und die Strukturen des Wohlstandsstaates verteidigte. Die Machtbefugnisse des Amtes sollten weiter beschnitten werden, der Präsident eher eine Repräsentationsfigur sein. Halonen aber trat dem resolut entgegen und hob insbesondere die Rolle des Präsidenten bei der Führung der Außenpolitik hervor. Auf internationalen Kongressen, wo Präsident und Premierminister Finnland vertraten, mochte das als eigentümliches „Zweitellermodell“ erscheinen. In den Präsidentschaftsjahren von Ahtisaari und Halonen war die finnische Kultur stärker zersplittert als zuvor. Aus diesem Grund war es schwieriger, die Geburt eines großen Volksführers in der Art von Mannerheim oder Kekkonen zu kreieren, obschon das immer wieder gewünscht wurde.

Die Parteien und die politische Kultur Nach der Erlangung der Selbstständigkeit 1917 verlor das Verhalten gegenüber Russland seine Funktion als zentrales Unterscheidungsmerkmal innerhalb der bürgerlichen Front, die alt- und neufinnischen Parteien wechselten ihren Charakter. Als Erbe der altfinnischen Partei entstand die Nationale Sammlung (Kansallinen Kokoomus), die sich aus der von Mittelschicht und Unternehmern getragenen Rechtspartei um die Werte „Heim, Glaube und Vaterland“ entwickelte. Die populären Karikaturen des langjährigen Karikaturisten der Zeitung Helsingin Sanomat, Kari Suomalainen, zeigen als Kennzeichen der Sammlungspartei einen Pfarrer mit Helm. Nach dem Bürgerkrieg 1918 setzte sich die Partei für eine Monarchie mit starkem Herrscher ein. Um 1930 spalteten rechtsgerichtete Strömungen die Partei und 1932, nach dem Aufstandsversuch der Lapua-Bewegung, trennten sich die extremen Nationalen in einer eigenen Partei ab und gründeten die Vaterländische Volksbewegung. In den Nachkriegsjahrzehnten begrenzte die politische Einflussnahme der Sammlung die starke Stellung der „Volksfront“ (kansanrintama) oder des politischen Zentrums und der Linken, die Innen- und Außenpolitik beherrschten. Unabhängig vom Ausgang der Wahlen blieb die Sammlungspartei während der langen Amtszeit Kekkonens außerhalb der Regierung. Begründet wurde die Abseitsstellung mit „allgemeinen Problemen“, was in der Praxis bedeutete, dass die Rechtspartei außenpolitisch bei der Sowjetunion in Ungnade gefallen war. Innenpolitisch vertrat die große Mehrheit der Sammlung einen gemäßigten „Volkskapitalismus“, der den Aufbau des Wohlstandsstaates unterstützte. Als die Partei dann 1987 in die Regierung genommen wurde, war der sowjetische Schatten schon am Verblassen und die gesellschaftliche Entwicklung – Mittelschichtsbildung, Wohlstandsbestrebungen, endgültiger Abfall von einer sozialistischen Alternative

Die Parteien und die politische Kultur

und Übergang zur internationalen Wettbewerbswirtschaft – begünstigte die Sammlungspartei. Gleichzeitig trennte man sich von dem altkonservativen Bild und machte sich an die Liberalisierung der Partei, was sowohl die Grundwerte als auch die Wirtschaftspolitik betraf. Die Stellung der stärksten Partei Finnlands erreichte die Sammlungspartei in den Wahlen 2011. Nachfolger der Jungfinnen war die Fortschrittspartei (Edistyspuolue), die ihren leuchtenden Politikern – zum Beispiel Präsident K. J. Ståhlberg und Risto Ryti – zum Trotz langsam wegschrumpfte, da ihre Vertreter später erfolglos blieben. Für eine liberale und urbane Rechtspartei gab es in Finnland keine hinreichende Anhängerschaft, denn die Mittelschicht war relativ schmal. Der letzte Versuch, der bis ins Parlament vordrang, kam Mitte der 90er Jahre von der Jungfinnischen Partei, die Namen und Begeisterung aus der Geschichte entlehnte und die Zeit des „Stillstands“ kritisierte. Trotz der Schwäche des Liberalismus wurde 1995 der liberalen Gruppe im Europäischen Parlament eine relativ starke Unterstützung aus Finnland zuteil. Die Schwedische Volkspartei (Ruotsalainen Kansanpuolue, RKP), die schon in der ersten Parlamentszeit 1907 dabei gewesen war, ist schon dem Namen nach eine Sprachenpartei. Sie war ihrem Image nach konservativ und rechtsorientiert, aber als Sammlungspartei der Schwedisch sprechenden Minderheit musste sie die Interessen der verschiedensten Volksgruppen im gesamten schwedischen Sprachgebiet zusammenfassend ausgleichen. Das gab der Partei ideologisch einen liberalen Ton. Ihr Einfluss war im Vergleich zur Größe der Partei erheblich, denn dank ihrer politischen Flexibilität kam sie sozusagen als Hilfspartei häufig mit in die Regierungsverantwortung. Als zweiter Vertreter einer finnischen liberalen Gruppierung sitzt im Europäischen Parlament die Zentrumspartei (Suomen Keskusta), direkter Erbe des schon 1907 im finnischen Parlament vertretenen Agrarverbandes (Maalaisliitto). Ihrem Namen entsprechend setzte sich die Agrarpartei für die Sache der Landwirte und traditionell bäuerliche Werte ein. Sie entwickelte sich in der Zeitspanne zwischen den Kriegen zu einer Großpartei und starken Festung des Republikanismus. Die Tatsache, dass die Erwerbsstruktur in Finnland bis in die 60er Jahre überwiegend agrarbetont war, garantierte der Partei ihre potenzielle Anhängerschaft. In den Jahren der großen Landflucht wollte die Partei die Konfrontation zwischen Land und Stadt überwinden und änderte ihren Namen in Zentrumspartei (Keskustapuolue), denn es wurde notwendig, auch in den Städten Anhänger zu gewinnen. Trotzdem beruhte das Rückgrat des Agrar-Zentrums während der ganzen Unabhängigkeitszeit auf den ländlichen Regionen. In Helsinki hatte die Partei Schwierigkeiten, die Fünfprozentschwelle zu überwinden, aber vor allem in den Kerngebieten der religiösen Erweckungsbewegungen in West- und Nordfinnland erhielt das Zentrum bei Kommunalwahlen in kleineren Orten bis zu 80 Prozent der Stimmen. Ideologisch war das Agrar-Zentrum mit der Unterstützung der Landbevölkerung eher eine wertkonservative als eine liberale Partei. Andererseits fehlte an der Parteifront eine echte Alternative zur Sammlungspartei, was städtische Liberale, die traditionell stark in der Parteiführung vertreten waren, zum Übertritt in das Zentrum verlockte. Die bedeutende Rolle des Zentrums in der Nachkriegspolitik erhöhte die Stellung als Präsidentenpartei zur Zeit Kekkonens noch weiter. Dem Zentrum stand wegen ihrer politischen Haltung die eigentümliche, seit 1970 im Parlament vertretene Kleinpartei der Christdemokraten (Kristillisdemokraatit) nahe, die sich relativ schroff für wertkonservative Christlichkeit einsetzte und besonders in Fragen der gesellschaftlichen Moral in den Vordergrund trat.

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Der verlorene Bürgerkrieg hatte die Arbeiterbewegung bitter entzweit. Die ins Parlament zurückgekehrten gemäßigten Sozialdemokraten sagten allem Revolutionären ab und versuchten sich dem Parlamentarismus zu integrieren. Die republikanische Richtung personifizierte sich in Väinö Tanner (1881–1966), dessen Ernennung zum Ministerpräsidenten in den 20er Jahren Hoffnungen auf nationale Schlichtung weckte. Tanner nahm als Premierminister die Parade beim Marsch der Schutztruppen ab, was für die Kommunisten ein Zeichen des Verrats der Arbeiterklasse war. In der Sowjetunion war Tanner noch weniger beliebt als manche Rechtspolitiker, und nach dem Krieg wurde seine Verurteilung vor dem Kriegsgericht verlangt. In der sowjetischen Geschichtsschreibung war ihm die Rolle des bösen Geistes in den gegenseitigen Beziehungen vorbehalten, dem unter anderem die Schuld dafür zugeschrieben wurde, den Winterkrieg angestiftet zu haben. Am schärfsten war nach dem Krieg der Kampf der Sozialdemokaten und der Kommunisten um die Hegemonie in der Arbeiterbewegung. Dem „Waffenbrüdersozialismus“ der Sozialdemokraten und der großen, wegen deren Machtbestrebungen gegen die Kommunisten geführten Kampagne („Jetzt reicht’s!“) wird allgemein zugute gehalten, Finnland auf dem Weg der westlichen Demokratien gehalten zu haben. In den 60er Jahren bewegte sich die politische Linie der Sozialdemokraten „ein paar Grad nach links“, wodurch die Partei die Vertrauensbasis in ihren Beziehungen zur Sowjetunion steigern konnte. Die Partei war in den 60er und 70er Jahren eine treibende Kraft beim Aufbau des Wohlfahrtsstaates. Noch in den 70er Jahren findet sich im Parteiprogramm sozialistische Rhetorik wie die Verstaatlichung der Banken, danach aber verblich die rote Farbe und die Prinzipien der Marktwirtschaft wurden nicht mehr in Frage gestellt. Nach ihrer Linkswendung erhielt die Partei in ihrer zur sozialdemokratischen Tradition gehörenden Ausrichtung gen Westen neuen Aufschwung. Die Bindung an die Politik des staatlich gelenkten Wohlstands und die Krise dieser Politik in den Nachwirkungen der Wirtschaftsflaute Anfang der 90er Jahre spiegeln sich im Zuspruch, den die sozialdemokratische Partei erfuhr, und drückten sich auch in einer gewissen ideologischen Unsicherheit aus. Nach dem Bürgerkrieg hatten die Kommunisten auf dem politischen Feld Finnlands nichts zu suchen, aber die ihnen nahestehenden Linkssozialisten konnten sich um die Mitte der 20er Jahre als politische Partei formieren und im Parlament mitwirken. Die von den Rechtsextremisten geforderten Kommunistengesetze und das Verbot politischer Tätigkeit drängten die Kommunisten zu Beginn der 30er Jahre noch stärker in den Untergrund. Nach dem Krieg organisierten sich die Linken im Demokratischen Bund des finnischen Volkes (Suomen Kansan Demokraatinen Liitto, SKDL), innerhalb dessen auch die Kommunistische Partei arbeitete. Die Partei erlangte bei den Wahlen 1945 einen beachtlichen Sieg und die Kommunisten besetzten daraufhin die staatliche Polizei, von der sie vorher gejagt worden waren. Diese Entwicklung weckte große Unruhe darüber, dass Finnland auf den „Weg der Tschechoslowakei“ zur Volksdemokratie geraten könnte; die Zeit nach dem Krieg hat man ja auch als „Gefahrenjahre“ charakterisiert. Zur Realistik einer drohenden Revolution sind verschiedene Beurteilungen vorgelegt worden, aber den Kommunisten fehlten auf alle Fälle Kraft und Durchsetzungsvermögen für einen Umsturzversuch. An die finnischen Kommunisten hat wohl nicht einmal Stalin so recht geglaubt, der die Stabilität Finnlands für primär hielt und sich damit begnügte, das Land durch den Freundschaftspakt als Vorposten an die Sowjetunion zu binden. Auch hatte Stalin der Revolution in Finnland selbst einen Bärendienst erwiesen, indem er den Winterkrieg initiierte und die Schattenregierung um O. W. Kuusinen einsetzte. Dies hinterließ unver-

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wischbare Spuren vor allem bei den finnischen Kommunisten, die an der Front gedient hatten. Der Fortsetzungskrieg und die Zusammenarbeit mit Hitler-Deutschland „retteten“ die Kommunisten dann gewissermaßen ideologisch. Die Stellung der Kommunisten in der politischen Kultur Finnlands war merkwürdig. Finnland hatte eine der stärksten kommunistischen Parteien der westlichen Welt. Die Radikalisierung des Bürgerkrieges von 1918 und der soziale Tiefstand durch Armut schufen den Resonanzboden für die Bewegung. Gleichzeitig schränkten mehrere Faktoren die Einflussmöglichkeiten der Kommunisten ein, auch später, als ihre Arbeit nach dem Krieg erlaubt war. Das übrige politische Feld isolierte die Kommunisten in ihrer Ecke und nach der Wahlniederlage 1948 kam die Partei erst 1966 wieder in die Regierungsverantwortung. Zahlreiche sozialpolitische Maßnahmen waren zumindest indirekt gegen die Ausbreitung des Kommunismus gerichtet; in erster Linie war man bestrebt, Privatbesitz in jeder Weise zu stärken. Im Lichte des Bürgerkrieges schien es unabdingbar, das Landpachtgesetz zu lockern. Letztlich dasselbe Ziel verfolgten nach dem Zweiten Weltkrieg das Siedlungsgesetz für Umsiedler aus Karelien und die Zuteilung von Grundstücken an Frontsoldaten, damit diese sich ein neues Heim aufbauen konnten. Nach 1950 verlor die Protestwahl der Kommunisten immer mehr an Bedeutung; das ganze Phänomen des „Hinterwäldlerkommunismus“ von Kleinbauern und Landarbeitern in entlegenen Gebieten verschwand im Prinzip zusammen mit dieser Gesellschaftsschicht. Die starke ideologische und wirtschaftliche Unterstützung seitens der Sowjetunion war für die finnischen Kommunisten ein zweischneidiges Schwert. Ihre Partei litt unter internen Widersprüchen zwischen der national gesinnten Mehrheit und einer Minderheit, die dogmatisch die Linie der kommunistischen Partei der Sowjetunion verfolgte. Der Kulturradikalismus und die linke Studentenbewegung schienen in den 60er und 70er Jahren dem Arbeiterkommunismus, dessen Klinge schon stumpf geworden war, eine gehörige Aufputschspritze zu geben, aber die Initiativen der neolinken Gebildeten verpufften kläglich. Die Partei zersplitterte in den 80er Jahren und der Zusammenbruch des Realsozialismus in Osteuropa war ein schwerer Schlag für die Linke in Finnland. 1990 vereinten sich die Linken neu im Bund der Linken (Vasemmistoliitto), konnten aber bei weitem nicht die Anhängerzahl wie zur Blütezeit der Kommunistischen Partei erreichen. Noch schlimmer erging es den Kommunisten, deren politische Bedeutung auf ein marginales Minimum absank. Die seit Beginn der 80er Jahre an ideologischer Ermüdung leidende Anhängerschar der Linken fand in der neu gegründeten Grünen Partei (Vihreä puolue), die besonders die Jugend der Städte, Gebildete und liberale Wähler anlockte, ein neues Zuhause. Die Grünen, auf dem Boden der Umweltbewegung der 70er Jahre gewachsen, kamen erstmals 1983 ins Parlament und aus der anfangs losen Bewegung entwickelte sich die „realgrüne“ politische Partei, die vor allem in der Hauptstadtregion politischen Einfluss gewann. Der Gegensatz zwischen Stadt und Landgebieten lässt sich an ihrem Anhang ablesen, denn in den vom Agrar-Zentrum beherrschten ländlichen Gegenden blieb der Hang zu Naturschutzideen und den Grünen schwach. Neben dem Umweltschutz wuchsen die Grünen in eine aktive gesellschaftspolitische Rolle hinein und versuchten, alternative Ideen zu den an alten Modellen festhaltenden Interessen der anderen Parteien anzubieten. In gesellschaftlichen Krisenzeiten wie zur Zeit der Rezession an der Wende von den 20er zu den 30er Jahren entstanden kurzlebige Protestparteien mit geringfügigem Anhang. Die bedeutendste war die Partei der Landgebiete Finnlands (Suomen Maaseudun puolue, SMP), gegründet 1959 von dem Abgeordneten Veikko Vennamo, der sich von der

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Agrarpartei trennte. Der als scharfer Gegner von Präsident Kekkonen bekannte Vennamo war ein wortgewandter Politiker, dessen scharfe Parolen gegen die politische Elite und die „Herren“ – wie „Nehmt die Bonzen fest!“ gegen die Korruption – auch nach seiner Lebenszeit lebendig blieben. Die SMP sog ihre Kraft aus der mentalen Krise, die durch die Landflucht in den 60er Jahren verursacht wurde. Vennamos kritische Spitzen wandten sich vor allem gegen die Politik der großen Parteien, die seiner Meinung nach die armen Kleinbauern in der verlassenen Provinz schlicht vergessen hatten. Bei den Wahlen 1970 schreckte die Partei die übrigen, alteingesessenen Parteien auf, als sie über zehn Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigte, aber wie bei Protestparteien üblich, war ihr Schicksal der Zerfall. In den 90ern hatte die Landgebietspartei ihre Schuldigkeit getan und verschwand aus der Parteienlandschaft. Die als Nachfolger gegründete populistische Partei der Basisfinnen (Perussuomalainen puolue) trat im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zielstrebiger auf als ihr Vorgänger und stieg bei den Parlamentswahlen 2011 erstaunlicherweise mit über 19 Prozent der Stimmen von einer Kleinpartei zur drittgrößten Partei des Landes auf. Kulturgeschichtlich vermischen sich in dieser Bewegung historisch finnisch-nationale Züge mit allgemein europäischen populistischen Strömungen. Manche der Ziele der Basisfinnen wie die Forderung nach Einwanderungsbeschränkung sind aus dem europäischen Rechtspopulismus bekannt, aber ideologisch liegt das Fundament der Bewegung eher in dem agrarischen Wertkonservatismus als in dem Rechtsextremismus der Mittelschicht und der Arbeiterklasse. Die als herkömmlich empfundene finnische Lebensweise fand man im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ähnlich bedroht wie zur Zeit des Aufstiegs der Landgebietspartei Vennamos in den 60er Jahren, als sich Finnland in raschem Tempo von der Provinzkultur verabschiedete. Jetzt war das Industrieland mit seinen festen Arbeitsplätzen gefährdet, da die Produktion aus vielen Bereichen ins Ausland verlagert wurde. Die basisfinnische Bewegung zog bei den Wahlen 2011 Wähler sowohl vom schrumpfenden Zentrum als auch, und dies vor allem in den regressiven Industriestandorten, von den Sozialdemokraten ab. Der Erfolg der Basisfinnen kann als Versuch gewertet werden, die nationalen Werte der Arbeiter und Bauern in Finnland wiederzubeleben, die in der liberalen Vielfältigkeit der Kulturen unterzugehen drohten. Die Partei nutzte effektiv in der finnischen Kultur verwurzelte Denkweisen, die dem Erbe des Nationalismus und sozialen Strukturen verpflichtet waren, von denen man vielleicht glaubte, dass sie nur noch Geschichte seien, und die zumindest aus den Programmen anderer Parteien verschwunden waren. Diese Züge waren offener politischer Nationalismus, der in Finnland vor allem wegen des Kriegsergebnisses jahrzehntelang unter der Oberfläche geschmort hatte, sowie die schroffe Gegenüberstellung von „Volk“ und „Herren“. Trotz des Wandels in der Parteienlandschaft blieb der finnische Parlamentarismus während der ganzen Zeit seines Bestehens erstaunlich konstant, wenn man bedenkt, welche schweren Krisen das Land trafen. Nach dem Erringen der Selbstständigkeit schien er auf schwachen Füßen zu stehen, denn ein Teil der Linken war von politischen Aktivitäten ausgeschlossen und die Wahlbeteiligung war gering. Die Regierungszeiten waren häufig nur kurz. Nach dem Scheitern des Umsturzversuchs der Lapua-Bewegung war die Regierungsbildung 1937 von prinzipieller Bedeutung für die politische Grundkonstellation der folgenden Jahrzehnte. Das Zusammengehen von Agrarpartei und Sozialdemokraten schuf einen Verbund von Bauern und Arbeitern nach skandinavischem Modell: Die MitteLinks-Koalition (punamulta, „Rotocker“) war über Jahrzehnte hinweg das üblichste

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Regierungsfundament. Die Kombination Agrar-Zentrum und Sozialdemokratie erwies sich jedoch zeitweise als problematisch, denn die Interessen von Land besitzenden Bauern und Lohnarbeitern waren oft sehr unterschiedlich. Die Bindung an eine Politik, die die Entwicklung eines von oben gelenkten Wohlfahrtsstaates zum Ziel hatte, brachte freilich den Anhängern beider Parteien Vorteile: Verbesserung der Dienstleistungen, Erhöhung des Bildungsstandards und sonstige sozialpolitische Entscheidungen betrafen die Provinzen ebenso wie die Städte. Der Demokratische Bund (SKDL) und die darin wirkenden Kommunisten blieben nach 1948 isoliert. Nach dem Wahlsieg der Linken 1966 band man auch die Kommunisten in die Regierung ein, Hintergedanke von Präsident Kekkonen war dabei aber, dass deren – zusammen mit Zentrum und Sozialdemokraten wahrgenommene – Regierungsverantwortung das politische System der Volksfront in den Hauptstrom integrieren würde und damit auch die letzten Reste kommunistischer Revolutionsgelüste erübrigt wären. Nach der Mitte-Links-Regierung des Jahres 1937 war die nächste historische Scheidelinie die Regierungsbildung von 1987, als die 30 Jahre in der Versenkung wartende Sammlungspartei zur Koalition mit den Sozialdemokraten fand. Dass eine Rechts- mit einer Linkspartei in dieselbe Regierung passte, weist auf das Verschwinden der Widersprüche zwischen Mittelschicht und Arbeiterklasse hin. Beide Parteien konnten allgemein als Arbeitnehmerpartei auftreten und die Sozialdemokraten hatten die Politik der Marktwirtschaft als gesellschaftliche Grundlage akzeptiert. Die Umwandlung von staatlichen Institutionen zu Gesellschaften und die Privatisierung von Staatsunternehmen erfolgten auch unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung. Sammlungspartei und SDP stimmten nach dem Zerfall der Sowjetunion der Westintegration und dem Beitritt zur EU sogar vorbehaltloser zu als die Festung der Tradition Kekkonens, das Zentrum. Die Nationale Sammlungspartei betonte die marktorientierte Politik, wozu die Effektivierung der Dienstleistungen von Staat und Kommunen sowie weitere Privatisierungen und die Förderung des Wirtschaftswachstums durch Steuersenkungen gehörten, während die Sozialdemokraten die Erhaltung der Strukturen des Wohlfahrtsstaates forderten, bei Bedarf auch durch Steuererhöhungen. Die Frontlinien der politischen Kultur in Finnland beurteilte man im neuen Jahrtausend mit dem Aufstieg der Basisfinnen immer deutlicher als Kampf zwischen konservativen und liberalen Werten. Gleichzeitig scheint sich auch der traditionelle Gegensatz zwischen Rechten und Linken fortzuschreiben.

Kulturumbruch nach finnischer Art Der Ausgang des Krieges stürzte die Nationalgesinnten in eine tiefe geistige Krise; Olavi Paavolainen rechnete in seinem Düsteren Selbstgespräch (Synkkä yksinpuhelu, 1946) mit der Kriegszeit ab und beschrieb dabei die bedrückte Stimmung. Paavolainen schrieb die Schuld für die Havarie der mit den Namen „Jesus, Runeberg und Fanni Luukkonen“ (Führerin der Lotta-Svärd-Bewegung) verbundenen Groß-Finnland-Ideologie und der Mentalität der nationalen Kirchdörfer zu, seine Ansichten wurden aber erst in den 60er Jahren allgemein gebilligt. Politik und Politiker mochten wechseln, aber die Grundströmungen der Kultur wandelten sich nur langsam. Die Linksintellektuellen waren auf dem Schlachtfeld der Kultur zu schwach, um vor 1960 die Hegemonie der Nationalgesinnten herauszufordern, obwohl die in den 30er Jahren um die Kiila-Gruppe (kiila, der Keil) ver-

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sammelten Linken nun volle Redefreiheit erhielten. Hella Wuolijoki, im Krieg wegen Landesverrat verurteilte Schriftstellerin und Freundin von Bertolt Brecht, hatte als Generalintendantin des finnischen Rundfunks (Yleisradio) die Möglichkeit, in die von den Kommunisten geforderte neue Richtung zu wirken. Die rechtsradikalen Radiostimmen wie der Unterhaltungspropagandist Reine „Palle“ Palmroth, der schon zu Kriegszeiten mit seinem geschmacklosen Lied Dem Russen zwischen die Augen aufgefallen war, schwiegen auf Mittel- und Kurzwelle. Als Ersatz bot das „Hella-Radio“ Programme, die die Sowjetunion in positivem Ton behandelten. Die Amtszeit der Wuolijoki blieb freilich kurz, denn die Kommunisten gerieten nach der Wahlniederlage 1948 in den Gegenwind. Der Bilderbogendichter des weißen Finnland V. A. Koskenniemi wurde zum Mitglied in die Finnische Akademie berufen, die zur Wiederbelebung finnischer Kultur und Wissenschaften gegründet worden war. Seine Verdienste wurden immer wieder dadurch geschmälert, dass ihm die Linken bei jeder passenden Gelegenheit seine Mitgliedschaft in der von den Nazis 1941 begründeten „Europäischen Schriftstellervereinigung“ vorwarfen. Edwin Linkomies, 1946 im Kriegsschuldprozess verurteilter Minister und Führungspersönlichkeit des akademischen Lebens während des Fortsetzungskrieges, erfuhr Wiedergutmachung, indem er zehn Jahre später zum Rektor der Universität Helsinki berufen wurde. Die Mehrheit der jungen Hoffnungsträger der Nation setzte das Erbe des VorkriegsNationalismus fort. Im Studentenleben von Helsinki war in den 50er Jahren der agrarkonservative Akademische Freiheitsbund (Vapauden Akateeminen liitto, VAL) die einflussreichste Organisation; sie war ihrem Programm nach antikommunistisch und die Bruderschaft erinnerte an die Akademische Karelien-Gesellschaft. Der größte Teil der Studenten gehörte zu diesen Fackelträgern, die ihre Aufgabe darin sahen, das nationale Erbe und die im Krieg gerettete Selbstständigkeit zu bewahren. Ihre Position zu den großen außen- und innenpolitischen Ereignissen machte ihre politische Grundhaltung klar deutlich. Die Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes etwa führte zu studentischen Meinungs- und Solidaritätsäußerungen, weil sich das offizielle Finnland mit eindeutigen Stellungnahmen zurückhielt. Nach Meinung von Außenminister Johannes Virolainen „schlagen unsere Herzen wärmstens für das ungarische Volk“, aber „unsere Sache ist verloren, wenn sowjetische Panzer auf den Straßen von Helsinki fahren“. Im März 1956 brach in Finnland ein Generalstreik aus; die Studenten waren damit jedoch nicht einverstanden und verrichteten freiwillig bestreikte Arbeiten wie das Sandstreuen auf den Straßen. Bei den Wahlen im gleichen Jahr gaben die Studenten Untersuchungen zufolge nur vereinzelt ihre Stimme Urho Kekkonen, dessen Agrarverbund positiv zur Sowjetunion stand; die Unterzeichnung einer umfangreichen Geburtstagsadresse für den Sozialdemokraten Väinö Tanner, einen Kommunismusgegner, war sogar für die Rechten kein Problem. Noch zu Anfang der 60er Jahre beunruhigte alles, was mit Kommunismus zusammenhing, die Mehrheit unter den Studenten enorm: Das Weltfestival der demokratischen Jugend 1962 wurde allgemein gestört. Da ideologischer Fanatismus zur Katastrophe zu führen schien, ging ein Teil der finnischen Intelligenz von politischen Heilsparolen wieder zu ästhetischen Werten über. „Schwinge nicht die Fahne der Ideologie, sie wird um deinen Sarg gewunden“, komprimierte der Dichter Tuomas Anhava die Gefühle seiner Generation 1955. Die vor dem Krieg nur marginalen modernistischen Richtungen wurden in Literatur, Musik und bildender Kunst der 50er Jahre neuerdings tragfähig. Parallelerscheinung zum Modernismus war an der Universität der Aufschwung der analytischen Philosophie zu einer generellen

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Richtung, die die Metaphysik Hegels ablöste. „Wir suchten den Schock, den épater le bourgeois-Effekt“, erinnert sich der führende Komponist neuer Musik, Einojuhani Rautavaara, zur Wirkung seiner dodekaphonischen Versuche in den 50ern. In der Literatur wollten die Prosaisten die konventionellen Erzählweisen brechen, die Dichter die Forderung nach Reimen. Das Nachkriegsjahrzehnt brachte zahlreiche Klassiker hervor, viele Schriftsteller begannen damals ihre langjährige Karriere. Als noch immer populäre Namen seien erwähnt: Veikko Huovinen mit seinen humoristisch-satirischen Romanen wie Havukkaahon ajattelija (Konsta, 1952), der die Figur des Einödsphilosophen Konsta Pylkkänen schuf, Lauri Viita, dessen autobiographischer Roman Moreeni (Ein einzelner Weiser ist immer ein Narr, 1950) zum Kanon finnischer Litertur gehört, und Viitas Frau Aila Meriluoto, deren Erstlingsgedichtsammlung Lasimaalaus (Glasmalerei, 1946) es auf für Poesie ungewöhnliche Auflagenzahlen brachte. Einer der produktivsten und meistübersetzten Modernisten ist Paavo Haavikko; er debütierte Anfang der 50er Jahre als Dichter, verfasste später aber auch Schauspieltexte und Opernlibretti. Die für das Fernsehen produzierte, anspruchsvolle und international ausgezeichnete Kalevala-Verfilmung Rauta-aika (Eisenzeit, 1982) gründet sich auf ein Drehbuch von Haavikko. Der Roman Manillaköysi (Das Manilaseil, 1957) von Veijo Meri gilt als Paradebeispiel des finnischen Modernismus der 50er Jahre und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Meri kommentiert mit seiner Geschichte eines zum Soldaten gemachten Bauernjungen den Krieg, jedoch ohne die Last nationalistischer, heldenhafter oder realistischer Anforderungen. Die Diskussion über die Literatur nahm eine gesellschaftliche Färbung an, die Symptome eines angestauten Änderungsbedarfs zeigte. Im Brennpunkt der Kontroversen stand seit dem Erscheinen von Väinö Linnas Roman Der unbekannte Soldat die Frage nach dem richtigen Bild vom Krieg, wobei hinter dieser Frage diejenige eines allgemeineren Umbruchs des Weltbildes deutlich wurde. Die Modernisten griffen auch zu Übersetzungsliteratur mit der Absicht, das Fenster zur Außenwelt zu öffnen; Mängel bestanden in den 50er Jahren besonders in der Kenntnis über die als moralisch anfechtbar abgestempelte, neuere angloamerikanische Literatur. Am Ende des Jahrzehnts tauchte der junge Dichter Pentti Saarikoski in der Öffentlichkeit auf; er war Zögling eines christlich-vaterländischen Ethos und klassisch-europäischer Bildung und stieg zur Galionsfigur des Kulturradikalismus auf. Sein Erscheinungsbild schillerte vor künstlerischer Boheme und Ärgernis erregender Lebensweise. Saarikoski übersetzte Homer und Aristoteles sowie die Werke Fänger im Roggen (Sieppari ruispellossa) von J. D. Salinger und Ulysses von James Joyce, die eine große Herausforderung für den Übersetzer darstellen. Seine Übersetzung von Henry Millers Wendekreis des Krebses blieb 1962 noch in der Zensur hängen. Vor Gericht landeten sowohl der Verleger als auch der Übersetzer, der zu dem Urteil aus Protest applaudierte. Die Phase des Bücherkrieges kulminierte 1965 in dem Prozess wegen Gotteslästerung im Werk Juhannustanssit (Mitsommertanz) von Hannu Salama. Die Initiative zur Strafverfolgung kam vom Erzbischof der lutherischen Kirche, Martti Simojoki, und außer den kirchlichen Kreisen trat auch eine Reihe von Abgeordneten für eine Verurteilung ein. Mit besonderer Entrüstung beschwerte man sich über eine Szene, in der die betrunkene Romanfigur eine Schmähpredigt vorträgt und Jesus in einem unsachlichen Zusammenhang erwähnt. Die Idee dazu stammt aus der alten Volkskultur. Nach Meinung der Kläger ging es dabei nicht um die Freiheit des Künstlers, mit Bedeutungen zu spielen, sondern hatte man es mit einer Verletzung herkömmlicher gesellschaftlicher Werte zu tun. Die Szene fiel der Zensur zum Opfer, Schriftsteller und Verleger wurden zu Strafen verurteilt.

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Aber der Sieg der rechtskonservativen Front war nur von kurzer Dauer, denn Präsident Urho Kekkonen, der den Kulturradikalen beistand, begnadigte den Schriftsteller. Skandale und Polizeiuntersuchungen zu entfachen war in den 60er Jahren noch recht einfach. Während der Kulturtage „Jyväskylä Sommer“ trug der Pionier des finnischen Underground, M. A. Numminen, zusammen mit dem später als Popkünstler bekannt gewordenen Rauli „Badding“ Somerjoki einen Sexualaufklärungsführer in Liedform vor, woraufhin die Polizei die Darbietung unterbrach. Als der Popkünstler Harro Koskinen 1969 zu einer Strafe verurteilt wurde, weil er in seinem Werk Sikamessias (Der Schweinemessias) eine gekreuzigte Schweinefigur beschrieb, war der finnische Bürger schon hinreichend schockiert. Die Zeit überging relativ schnell die Möglichkeit, Moral und Kulturhierarchie letztlich nur durch Gerichtsbeschlüsse aufrechtzuerhalten. Im spektakulären Prozess gegen Salama spielte die lutherische Kirche zum letzten Mal eine führende Rolle als Moralwächter der Republik. Die Debatte um die Glaubensfreiheit war in Finnland schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts geführt worden und formal hatte die protestantische Kirche ihren Status als Staatskirche schon Jahrzehnte vor dem Erlass über absolute Glaubensfreiheit im Jahre 1923 verloren. Die lutherische Kirche als mitgliederstärkste Kirche hatte gleichwohl eine öffentlich-rechtliche Sonderstellung. Sie verhinderte lange Zeit die Einführung eines Zivilregisters, damit sie in der Vorstellung der Bürger weiterhin als Staatskirche fungieren konnte. Die Stärke der lutherischen Kirche erklärt auch ihren Anschluss an den Hauptstrom der nationalen Bewegung nach dem Bürgerkrieg und die Aktivitäten der Theologen in der bürgerlichen Gesellschaft. Das agrarische Erbe und die Gesellschaftsstruktur garantierten ein Gewohnheitschristentum: Noch in den 50er Jahren besuchte der Großteil der Kinder auf dem Lande die Sonntagsschule. Mit der Verstädterung schritt die Säkularisierung fort und nach dem Krieg nahmen durchschnittlich nur wenige Prozent der Gemeindemitglieder an Gottesdiensten teil. Die Kirche ging in den 70er Jahren zu demokratischen Wahlen für den Gemeinderat über, zu denen sich gewöhnlich jedoch höchstens 10–15 Prozent der Mitglieder bemühten. Die deutliche Billigung der weißen Farbe nach dem Bürgerkrieg 1918 oder ihr Ruf als Bastion eines veralteten Weltbildes wirkten sich trotz scharfer Kritik überraschend wenig auf die Mitgliederzahlen der lutherischen Kirche aus. Sie vermochte mittels ihrer Rituale den Kontakt mit den Bürgern zu erhalten und erreichte mit den beliebten Konfirmandenlagern einen bedeutenden Teil der Jugendlichen. Der Kulturradikalismus der 60er Jahre erwies sich hinsichtlich ihrer kulturellen Stellung und der Mitgliederzahlen weniger schädlich als der scheinbare Individualismus des neuen Jahrtausends, aus dessen Sicht die Kirchenzugehörigkeit nicht mehr selbstverständlich zum gutbürgerlichen Ton gehörte. Der Austritt fiel leicht, wenn die Kirche oder deren Vertreter nicht mehr den eigenen Bedürfnissen oder dem veränderten Weltbild entsprachen. Modernismus und Bücherstreit waren das Präludium eines tieferen Kulturwandels. Der Kulturaufstand der 60er Jahre war ein Generationenproblem, für das die bevorzugte Stellung der Jugendlichen und die Entstehung einer gesonderten Jugendkultur typisch waren. Die gesellschaftliche Grundlage für die Veränderungen war demographischer Natur, und dieses Phänomen betraf die ganze westliche Welt, als die nach dem Krieg geborenen starken Jahrgänge ins Erwachsenenalter kamen. In Finnland stellte das eine doppelte Herausforderung dar, da gleichzeitig der ökonomisch-soziale Strukturwandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft im Gange war. Ein statistisch signifikantes Merkmal genügt, die Tiefe der Transformation zu veranschaulichen: Noch 1950 verdiente die Hälfte

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der Finnen ihren Lebensunterhalt in der Land- und Forstwirtschaft, 1980 nur noch jeder Zehnte. Die politische Elite bemühte sich unter Kekkonen, den Strukturwandel durch staatszentrierte, ganzheitliche Planung und den Aufbau eines auf Wirtschaftswachstum beruhenden Wohlfahrtsstaates aufzufangen. Das Werk des Sozialdemokraten Pekka Kuusi zur Sozialpolitik der 60er Jahre (1961) wurde zum Programmleitfaden der Wohlstandsideologie. Finnlands früher durch Waffen entschiedenes geopolitisches Schicksal schien sich für Kuusi jetzt als Frage des wirtschaftlichen Wettbewerbs zu entpuppen: „Wenn wir zwischen Schweden und der Sowjetunion, zwei wachstumsbewussten und -fähigen Völkern, unser Eigenleben fortsetzen wollen, sind wir zum Wachsen verdammt.“ Die Modernisierung suchte man durch Transferleistungen, Verbesserung der Sozial- und Gesundheitsdienste sowie Unterstützung gesellschaftlicher Teilhabe zu lenken. Die Rationalisierung schritt in den 60er Jahren voran und betraf zahlreiche Lebensbereiche. Das Fundament der nach der Unabhängigkeit vorgeschriebenen Unterrichtspflicht war die sechsjährige Volksschule, wonach Möglichkeiten und Vermögen der Familie über den weiteren Bildungsweg entschieden. Das Bildungssystem wurde erneuert, indem man nach 1968 zur Einheitsschule überging, das heißt, die neunjährige Grundschule wurde für alle Schüler Pflicht. Die Debatte über die Grundschule dauerte ziemlich lange an und die Gegner witterten in dem erneuerten Schulsystem eine Gleichschaltung der Schüler in der Art des Sozialismus. Der staatliche Rundfunk ging gegen Ende der 60er Jahre in der Amtszeit des Kekkonenschützlings Eino S. Repo zu einer informativen Programmpolitik über, was der Wissensvermittlung einen gesellschaftlichen und politischen Anstrich verlieh. Wer sich an das „Hella-Radio“ der späten 40er erinnerte, mochte nun die Stirn in Falten ziehen angesichts der Öffentlichkeit und Vernehmbarkeit, die den linksradikalen Redakteuren im „Repo-Radio“ ermöglicht wurden. Vom Agrar-Finnland verabschiedete man sich schnell mit einer Landwirtschaftspolitik, die Verkleinerung und Stilllegung von Ackerflächen begünstigte, was dann an der Wende von den 60er zu den 70er Jahren zu einer starken Wanderbewegung in die Wachstumszentren und zur Arbeitssuche im wohlhabenderen Schweden führte.

Das Bildungswesen und die Entwicklung der Nation Die finnische Hochschulbildung hat eine lange Tradition und spielte besonders seit dem 19. Jahrhundert eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der Nation. Die Universität Helsinki sorgte für gesellschaftliche Diskussion und gilt als Wiege der Fennomanie; ihr ist auch der soziale Aufstieg der niederen Stände zu verdanken. Daneben waren die acht zwischen 1860 und 1899 gegründeten Volksschullehrerseminare Pflegestätten der nationalen Idee. Hier wurden nicht nur männliche, sondern auch weibliche Lehrkräfte ausgebildet, woraus vor allem die Landgebiete Nutzen zogen. Besonders zu erwähnen ist in dieser Hinsicht das Lehrerseminar in Jyväskylä, das 2013 sein 150jähriges Jubiläum feiert und Grundstein für die Pädagogische Hochschule (später Unversität) war. Im 20. Jahrhundert halfen Schulung und besonders die technische und handelsschulische Hochschulbildung beim Produktionswachstum von Wirtschaft und Industrie und förderten das Bildungsniveau in Finnland. Besondere Bedeutung kam dem Hochschulwesen nach dem Zweiten Weltkrieg zu, denn seit den 50er Jahren wurden in allen Landesteilen neue Universitäten gegründet. Dies gehörte bei der Entwicklung des Wohlfahrtsstaates zu den zentralen politischen Zielen, weil damit sowohl eine Ver-

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besserung der regionalen Strukturen als auch – unabhängig von Geschlecht, Vermögensstand oder geographischer Lage – Ausbildungsmöglichkeiten garantiert wurden. Infolge dieser Regionalpolitik konnten die neuen Universitätsstädte ihren Status als Wachstumszentren bewahren, als die Globalisierung in den 90er Jahren und verstärkt mit Beginn des neuen Jahrtausends auch Finnland erfasste, während andere Gegenden ins Hintertreffen gerieten. Gegenstand der Universitätstätigkeit waren von jeher qualitativ hochwertige wissenschaftliche Forschung und die darauf aufbauende Lehre. In den 90er Jahren wurde parallel zum Hochschulwesen ein System von Fachhochschulen konzipiert. Sie tragen wesentlich zur Entwicklung der jeweiligen Region und vor allem zur Ausbildung fachlich kompetenter Arbeitskräfte bei. In Finnland gibt es zurzeit über das ganze Land verstreut 27 Berufshochschulen in sehr unterschiedlichen Größenordnungen. Die kleinsten, humanistischen Berufshochschulen haben nur etwa 1500 Studenten, bei den großen in der Hauptstadtregion liegt die Zahl bei 14 500 (2009). Außerdem existiert eine Landesverteidigungshochschule, die dem Verteidigungsministerium unterstellt ist. Ausbildungspolitik und Ausweitung des Universitätswesens stärkten auch die führende Rolle der Staatsmacht. Wichtigste Ziele waren dabei Effektivität und gesellschaftspolitische Einflussnahme. In den 70er Jahren schlug sich dies in Reformen bezüglich der Prüfungen und der Struktur der Lehrpläne nieder. Mit dem demokratischen „Dreiermodell“ wurden Neuerungen auch in der Verwaltung eingeführt: Außer Professoren wurden nun auch Studenten und Vertreter des sonstigen Personals an der Beschlussfassung beteiligt. Seit den 80er Jahren waren Bemühungen im Gange, die wirtschaftliche Autonomie der Universitäten zu erhöhen. Das führte nach 2000 dazu, dass sich mit der Modifikation der Rechtsgrundlagen die Macht der Universitätsführung (Dekane, Rektoren) verstärkte und die der demokratischen Organe schwächte. Seit 2010 sind die Universitäten nicht mehr Teil des Staates, sondern entweder von Stiftungen getragene Lehranstalten (wie die Aalto-Universität und die Technische Universität Tampere) oder öffentlich-rechtliche Institutionen (wie die anderen 12 Universitäten); im Senat müssen nun auch Persönlichkeiten von außerhalb (aus Wirtschaft, Politik usw.) vertreten sein (höchstens 40 Prozent). Diese Entwicklung hat es mit sich gebracht, dass die Anzahl der Universitäten durch Zusammenschlüsse wieder verringert wurde. So wurden etwa die Handelshochschule und die Universität Turku zusammengelegt, und die Ostfinnische Universität entstand aus der Zusammenführung der Universitäten Kuopio und Joensuu. Die bekannteste Allianz ist freilich die Aalto-Universität in Helsinki, die aus der Technischen Hochschule, der Handelshochschule und der Hochschule für Kunst und Design besteht. Heute gibt es in Finnland noch 14 Universitäten. Zusammen mit den Fachhochschulen stellen sie für 70 Prozent der Jahrgänge Studienplätze zur Verfügung. Jährlich nehmen etwa 20 000 neue Studenten für die Dauer von bis zu 6,5 Jahren ein Studium an der Universität auf, 33 000 gehen an eine Fachhochschule (mit fünfjähriger Ausbildungsdauer). 2009 betrug ihre Gesamtzahl 304 000. Staatliche finanzielle Unterstützung in Form von Studiengeld wird für fünf Jahre gewährt, viele Studenten arbeiten deshalb zeitweise während des Studiums. Die finnischen Universitäten haben in der Regel mehrere Fakultäten, so die genannte Aalto-Universität sowie die Universitäten Helsinki (mit 35 000 Studenten die größte), Jyväskylä, Oulu, Tampere, Turku, Vaasa (mit 5000 die kleinste), die Ostfinnische Universität und die Universität Lappland. Darüber hinaus gibt es in Finnland auch Lehranstalten mit nur einer Ausbildungsrichtung, aber offiziellem Universitätsstatus. Es sind dies die Kunstuniversität, die Schwedische Handelshochschule sowie die Technischen Universitäten in Tampere und Lappeenranta. Außer Universitäten und Fachhochschulen arbeiten an verschiedenen Orten sechs Universitätszentren, die jeweils unter einer Dachorganisation einzelne Lehrgänge mehrerer Universitäten vereinen. Sie konzentrieren sich auf Schulungstätigkeit und Lehrerfortbildung in bestimmten Einzelfächern. Der wichtigste Unterschied zwischen Universitäten und Fachhochschulen liegt darin, dass nur an Ersteren Grundlagenforschung betrieben wird und der Doktorgrad erworben werden kann. Die tatsächlich angestrebten Universitätsgrade sind gleichwohl meist akademische Magister, also

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Examen der Grundstufe. Als Zwischenprüfung kann auch ein sogenanntes Kandidatenexamen abgelegt werden. Dieses ist der hauptsächliche Abschluss an den Fachhochschulen, obwohl auch hier nach dreijähriger Berufserfahrung eine höhere Prüfung möglich ist. Traditionell wurde in der finnischen Hochschulpolitik die Gleichrangigkeit der Einrichtungen betont. In den letzten Jahren hat sich hier jedoch insofern eine Änderung abgezeichnet, dass auf eine „Universität mit Weltformat“ gesetzt wird, die im globalen Konkurrenzkampf innovativ bestehen kann. Die Aalto-Universität ist das beste Beispiel dieser Politik. Gleichwohl lag die Internationalisierungsrate der finnischen Hochschulen 2008 bei nur etwa 3,1 Prozent, während der Durchschnitt der OECD-Länder 6,7 Prozent ausländischer Studenten betrug. Universitätsabschlüsse haben noch immer einen hohen Status in Finnland, im nationalen Wissenschaftsbarometer stehen Forschung und Lehre sofort nach Verteidigung und Polizei an dritter Stelle. Diese Bewertungsreihenfolge spiegelt das Ideal eines skandinavischen Wohlfahrtsstaates, in dem erwartet wird, dass die Gesellschaft für die Bildung, Unterstützung und Sicherheit ihrer Bürger einsteht. Jussi Välimaa

Die Wucht der Veränderungen überraschte sowohl die auf Rationalisierung setzende Elite als auch die alten Konservativen. Später hat man die Planungsideologie als technokratisch kritisiert, weil sie das durch ideelle und weltanschauliche Probleme entstandene Vakuum unterschätze. Die Landflucht in die Städte ruinierte die auf das Bauerntum gegründete Wertewelt. Sich mit den vor dem Krieg geltenden nationalistischen und christlichen Werten zu identifizieren wurde immer schwieriger, da sich die Informationsübermittlung mehr und mehr mit den weltweiten Problemen und der übernationalen Popularkultur auseinanderzusetzen hatte. Die akademische Jugend war wieder einmal das Barometer für die ideologische Gärung. Die Auffassung von den akademisch Gebildeten als der kommenden schmalen Elite der Nation war unglaubwürdig geworden mit der Erweiterung der Hochschulbildung an den inzwischen gegründeten Provinzuniversitäten. In den 60er Jahren war die Erfahrungskluft zwischen den Kriegsteilnehmern und ihren Kindern relativ groß. Der Historiker Matti Klinge, Vertreter der Studentengeneration der 50er Jahre, stellte fest, dass sich Ende der 60er innerhalb weniger Jahre bei den Jugendlichen ein Wandel vollzogen hat, der sich in der Missachtung Autoritäten gegenüber und in einem ungepflegten Outfit äußerte, wie man es an den Universitäten immer öfter sehen konnte. Nach Klinge war es paradox, dass man ins sozialistische Osteuropa fahren musste, um zu sehen, wie es früher daheim ausgesehen hatte. Die neue Generation musste zum Vatermord greifen und endgültig von den nationalen Traditionen Abstand nehmen, die lange Zeit das finnische Kulturleben beherrscht hatten. Im März 1966 führte das Studententheater in Nachahmung von Bertolt Brecht die LapuaOper auf. Dass die Lapua-Bewegung und ihr Anführer Vihtori Kosola zum Thema eines pazifistischen Bühnenstücks gemacht wurden, unterstrich das Bedürfnis, Abstand vom Nationalismus zwischen den Kriegen zu gewinnen. Kosolas faschistische Drohung „Wir machen, was wir wollen“ konnte der Verfasser des Librettos, der zur Premiere von der Liste der Sozialdemokraten ins Parlament gewählte Arvo Salo, mit der Replik beantworten: „Was wir nicht wollen, machen wir auch nicht.“ Der nächste Meilenstein für den immer stärker nach links ausschlagenden Radikalismus war die Besetzung des Alten Studentenhauses im Zentrum von Helsinki. Dort sollte das 100-jährige Jubiläum der Stu-

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dentenschaft mit traditionellen Zeremonien begangen werden; jetzt aber verkündete eine Banderole an der Fassade des Gebäudes: „Die Revolution an der Universität hat begonnen.“ Über die Besetzung des Alten Studentenhauses hat man später auch gelästert, denn die Studenten hatten ja ihr eigenes Haus besetzt. Im Vergleich zu den Studentenunruhen in Frankreich und Deutschland blieb der studentische Radikalismus in Finnland weithin recht gesetzestreu. Die Dramatik der Hausbesetzung beschränkte sich auf eine zersplitterte Glastür und eine Rauchbombe in Richtung der konservativen Studenten, die gegen das ganze Unternehmen waren. Der Vorsitzende des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, K. D. Wolff, bekam den Kulturunterschied im Frühjahr 1968 bei seinem Besuch in Helsinki zu spüren, als er vergeblich versuchte, die Finnen zu einer gewalttätigen Konfrontation mit der Polizei anzustiften: „Macht doch etwas, stoßt wenigstens diese Statue um! Das ist doch der Lobpreiser des bürgerlichen Gesellschaftssystems, Runeberg, Speichellecker der Macht, Sänger des Krieges!“ In Finnland wurde loyale Untertanenschaft in der Geschichte oft belohnt, und viele der radikalen Studenten der 60er und 70er Jahre standen hinter dieser Tradition. Der Aufruhr richtete sich gegen die Professoren und Bischöfe aus der Zeit der Akademischen Karelien-Gesellschaft und nicht gegen den Staat oder dessen höchste Führung. Bezeichnend war ein Telegramm, das dem „Genossen“ Kekkonen zugestellt wurde und von ihm geschickt dahingehend beantwortet wurde, er verstehe den Aufstand der Jugend und halte diesen für eine „ideologische Bombe“. Viele Radikale fanden sich selbst später im Dienst der Verwaltungs- und Universitäts-Institutionen wieder. Die linksradikalen Pendelausschläge in den 60er und 70er Jahren teilen sich in zwei Phasen. Bis Ende der 60er Jahre war deren Natur antiautoritär und im Kern ging es um den Versuch, die alten Kulturhierarchien aufzubrechen. Wenn der Boheme-Dichter Pentti Saarikoski sich als Kommunist bezeichnete, war das antiautoritärer Aufstand. Der Ideologe der studentischen Jugend, Rauno Setälä, konzipierte in seinem Pamphlet Neostalinistisches Glaubensbekenntnis (1970) bereits ein neues System mit neuen Menschen. Eine wichtige Scheidelinie war der Einmarsch in die Tschechoslowakei im Frühjahr 1968. Damals protestierten vor der Botschaft der Sowjetunion in Helsinki sowohl die Rechten („Nieder mit dem sowjetischen Imperialismus“) als auch die Linken („Sozialismus ja, Panzer nein“). Den finnischen Kommunisten war die Besetzung peinlich und verdarb ihnen ihr 50-jähriges Parteijubiläum. Die Vertreter der Kommunistischen Partei der Sowjetunion wurden ausgeladen: „Wir wollen nicht, dass die bei uns mit faulen Eiern beworfen werden.“ Diejenigen, die den Einmarsch befürworteten, blieben in der finnischen KP in der Minderheit, die dogmatischsten Arbeiterkommunisten bekamen aber Ende der 60er Jahre die am weitesten links stehenden Elemente der jungen radikalen Studenten zu Verbündeten. Das Phänomen ist als Neostalinismus oder Jungkommunismus bezeichnet worden, im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich freilich der unter den Gegnern der Bewegung übliche Terminus taistolaisuus (Kämpfertum) durchgesetzt. Die von Journalisten erfundene Bezeichnung ist ein Wortspiel, das den aggressiv-kämpferischen und Klassenkampf beinhaltenden Charakter der Bewegung mit dem Namen des Führers der Minderheitskommunisten, Taisto Sinisalo, verknüpft. Das Kämpfertum der 70er Jahre hält man für eine verwirrende Erscheinung, die „vor allen soziologischen Phantasien flieht“. Warum identifizierte sich ein Teil der studentischen Jugend und des Kulturlebens mit dem überlieferten Angreifer, wenn doch die Pro-

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bleme des Realsozialismus für alle offen zutage lagen? Eine eindeutige Antwort darauf gibt es wohl nicht, aber verschiedene historische und soziale Fakten erklären die Sonderzüge der finnischen Entwicklung. Der Einfluss der gleichzeitig stattfindenden, umwälzenden Veränderungen in wirtschaftlich-sozialer und kultureller Hinsicht schien geistig gewaltsam, sodass das Bedürfnis bestand, etwas vergleichbar Starkes aufbieten zu können, wie es der national gesinnte Rechtskonservatismus geboten hatte. Eine dem finnischen Kämpfertum vergleichbare Erscheinung war der im religiös-konservativen Norwegen der 70er Jahre aufkommende schroffe Maoismus. Der finnische Jungkommunismus bekam einen ideologisch krassen Anstrich, obwohl der Revolutionsanspruch fiktiv blieb und Gewalttätigkeit sich nur in geistiger Bedrückung durch gläubige Engherzigkeit ausdrückte. Humorlosigkeit bewies der Eklat, als ein zum Neostalinismus übergelaufener finnischer Schriftsteller seinen ungarischen Kollegen bei der Botschaft von Ungarn anzeigte. Der Finne hatte behauptet, der Winterkrieg sei Schuld des Faschismus gewesen, worauf der Ungar die Sache mit geringem Erfolg ins Witzige zu ziehen versuchte, indem er fragte, von welchem Faschismus die Rede sei. Der Schatten des Kämpfertums hat das finnische Kulturleben lange Zeit irritiert, denn der politische Standort bekannter Künstler – wie etwa die Kommentare zur Ausweisung des Ostdeutschen Wolf Biermann zeigen – war auf den Seiten des Tiedonantaja (Der Berichterstatter), des Zentralorgans der Minderheitskommunisten, leicht zu verifizieren. Identifikationsquelle für die Jungkommunisten waren in der Geschichte die Roten, die 1918 den Bürgerkrieg verloren hatten. In der Realität der 70er Jahre wirkten die Identität der Arbeiterschaft des industrialisierten Finnland und die – wegen der offiziellen Befürwortung des Freundschaftsvertrages durch die Jungkommunisten freundlich gesinnte – mächtige Sowjetunion unterstützend. In den Anfangsjahren des Aufstiegs der Jungkommunisten wirkten eine Reihe von Faktoren Hand in Hand wie die Gruppenstärke der jungen Jahrgänge und das Bedürfnis nach einer neuen Identität, die innenpolitischen Konflikte Finnlands sowie die aktive Phase in der sowjetischen Außenpolitik. All dies schien noch einmal den „Geist der Revolution“ in Finnland zu wecken. Treffend ist die Charakterisierung von Kimmo Rentola, der den Gärungszustand der frühen 70er Jahre untersucht hat. Das Gespenst war ein Trugbild, aber trotzdem Furcht erregend: Der Linksradikalismus und die „zweiten Gefahrenjahre“ aktivierten zugleich die Rechte zu immer zielgerichteteren Maßnahmen, Finnland als westliches Land in der Marktwirtschaft zu stärken. Mit der Belebung der Wirtschaft und halbgeheimen Stiftungen versuchte man den linken Wirbel an den Hochschulen und in der Verwaltung einzudämmen. Die Schroffheit der ideologischen Richtungsänderung verdeckte leicht den gemeinsamen Nenner der nationalen Begeisterung aus den 20er und 30er Jahren und des Jungkommunismus der 70er Jahre. Beide Strömungen wurden durch das gleiche fennomanische Erbe gefiltert. In beiden Fällen bestimmte die Intelligenz das Verhältnis zum Volk, wobei als solches in den 30er Jahren die Bauern angesehen wurden, in den 70ern dann die Arbeiterklasse. Gemeinsam war auch, dass weder die Nationalisten noch die Jungkommunisten, die sich selbst zu ihrer Zeit als Vorhut der Entwicklung begriffen, das gedachte Volk zu Sippenutopien beziehungsweise Klassenunterschiedsfiktionen mitreißen konnten. In den 30er Jahren brachte es die Vaterländische Volksbewegung im 200-köpfigen Parlament bestenfalls auf 10–14 Abgeordnete, was haargenau der Anzahl der zum minderheitskommunistischen Flügel gehörenden Kommunisten entspricht. In der späteren Beurteilung und in gesellschaftlichen Untersuchungen wurde die Bedeutung der Extrembewegungen über-

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bewertet, was an deren lautstarken Aktivitäten ebenso lag wie daran, dass sie die Richtung der gesellschaftlichen Diskussion zu bestimmen verstanden. Den Bewegungen gehörten zahlreiche vom Standpunkt des Kampfes um die kulturelle Hegemonie zentrale Berufsgruppen an, Universitätsangehörige, Journalisten, Künstler und Geistliche. In manchen Familien waren die Spannungen dieser Jahre lebendiger Alltag, wenn etwa der Vater in den 30er Jahren zur Bruderschaft der Akademischen Karelien-Gesellschaft gehört hatte und die Kinder sich in den 60er oder 70er Jahren mit der linken Studentenbewegung identifizierten. Im Laufe der 70er Jahre verdorrte der Jungkommunismus fast genauso schnell, wie er entstanden war. Der Kulturanthropologe Matti Kuusi stufte den Marxismus-Leninismus 1974 als eine von vier in Finnland wirksamen Teilkulturen ein. Zehn Jahre später war es schwierig, überhaupt noch von solch einer Teilkultur zu sprechen. Nur bei sehr wenigen der radikalen Studenten hielt sich die Ideologie über den Wandel ihres eigenen Weltbildes und die Veränderungen der Lebenssituation hinweg, und in dem reicher werdenden Land gewann die Konsumgesellschaft klar über den Sozialismus. Wenn die Jugend und die Studentenschaft in den 60er und 70er Jahren noch den Kern des politisierenden gesellschaftlichen Änderungspotenzials bildeten, so distanzierten sich die nachfolgenden, deutlich zahlenschwächeren Jahrgänge davon und lehnten Parteipolitik und besonders linke Zugehörigkeit in den 80er Jahren strikt ab. An die Stelle der Parteien und der Gruppendynamik traten Neotraditionalismus, Umweltschutzbewegung und auf Sonderfragen spezialisierte Bürgerinitiativen, wie etwa zu den Rechten der sexuellen Minderheiten. Ein totalitaristisches Weltbild passt nur schlecht in die nachmoderne Welt, in der man den Menschen immer mehr als Individuum sieht, das seine eigene Wahl trifft. 1974 schrieb Matti Kuusi inmitten des Kulturumbruchs; im nächsten Jahrzehnt wurde es in der finnischen Wirklichkeit allgemein immer schwieriger, auch andere von ihm erwähnte Teilkulturen wie christliche Kultur, globale Popularkultur oder die „allgemeine Kultur der Erwachsenen“ voneinander zu unterscheiden.

„Niederes“ und „hohes“ Finnentum „Da die alten zivilisierten Länder Europas schon im Zeichen des Herbstes wandeln, dürfte Finnland noch den Sommer vor sich haben“, schrieb Bischof Erkki Kaila 1921. Oswald Spenglers Werk Der Untergang des Abendlandes legte sich mit seinen offenen Vorhersagen beklemmend auf die finnische Intelligenz bei ihrer Suche nach einer neuen Ausrichtung. Die Selbstständigkeit brachte Finnland deutlicher als bisher in die Position eines Vorpostens der westlichen Welt gegen den östlichen Bolschewismus. Gleichzeitig drohte vom Westen her die Invasion der Verweltlichung, Dekadenz und der amerikanischen „Negerkultur“. Offiziell ging das Land in die Verteidigungsstellung und wendete sich der Suche nach einem neuen Sommer zu, indem man sich an „gesundes Finnentum“ und traditionelle bäuerliche Kultur hielt, die in Wirklichkeit bereits am Zerbröckeln war. Mit der nationalgesinnten Richtung war der Aufstieg makronationaler Stammesideologie verknüpft, die sich vom Brückenkopf am Finnischen Meerbusen aus über Estland bis nach Ungarn erstreckte. Der ideologische Nutzen von Kulturkongressen in Helsinki, Tallinn und Budapest in den 20er und 30er Jahren war bemerkenswert, politisch blieb der Verwandtschaftsgedanke freilich begrenzt.

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Das Parlamentsgebäude zu errichten war eine der großen Akkordaufgaben der Zeit. Mit seiner Granitfassade symbolisiert es die feste Einigkeit des Volkes und war auch Stützpfeiler des Parlamentarismus.

An den Gründungsversammlungen der Kalevala-Gesellschaft 1919 nahmen außer der höchsten Führung des Staates viele als Vorbilder angesehene Personen der goldenen Kunstepoche teil, von denen einige noch über schöpferische Kraft verfügten, wie der Komponist Jean Sibelius, der in den 20er Jahren an seinem letzten Großwerk, der TapiolaSerie, arbeitete. Die Kalevala-Begeisterung erlebte ihren Höhepunkt im Jubeljahr des Epos 1935, als Premierminister T. M. Kivimäki die Bedeutung der nationalen Kultur vorausschauend in der militärischen Metapher verdichtete: „Eine Sinfonie von Sibelius entspricht einer Division, ‚Die sieben Brüder‘ einer Armee, wer aber vermag den Wert des Kalevala zu messen?“ Außer Kalevala und Sippenutopien war den nationalgesinnten Gebildeten der Klassizismus dienlich. Das am besten sichtbare Denkmal des Klassizismus ist das Parlamentsgebäude in Helsinki (J. S. Sirén, 1931). Die auf den Felsen des Arkadiahügels errichtete Granitfestung reihte sich in die klassische Bildungstradition Europas ein, mit der sich die selbstständige Nation zu identifizieren gedachte. Das „Erwachsenwerden“ des Kulturlebens spiegelt sich darin, dass die symbolischen Grenzen enger als früher gezogen wurden, sodass man die diffusen modernen Strömungen in internen Debatten der Kunstbereiche sensibel auch mit politischen Argumenten ablehnte. Akseli Gallén-Kallela war, frustriert und mit seinem Ansehen unzufrieden, nicht der Einzige, der sich Bolschewismus und Expressionismus zuwandte. Die Absicht des Nationaltheaters, Anfang der 30er Jahre zur Zeit der Lapua-Bewegung das Stück des Amerikaners Marc Connelly Die grünen Wiesen Gottes aufzuführen, erwies sich angesichts der bestehenden kulturellen Kluft als unmöglich. Eine Bibelinterpretation mit den Augen eines schwarzen Kindes wich zu stark vom Gewöhnlichen ab und wurde als Gotteslästerung verurteilt. Neben den Herausforderungen des Modernismus verwirrte den Großteil der nationalgesinnten Intellektuellen der Vormarsch der von der herkömmlichen Volkskultur abweichenden Popularkultur. Im Zeitalter der Fennomanie war man aufgrund der Wechselwirkung zwischen Volks- und Hochkultur an zweispurige Entfaltung gewöhnt. In einer gewissen Verfeinerung war die Volkskultur durchaus als Eckpfeiler der nationalen Identität geeignet, wie das Interesse am Kalevala bewies. Die Hochkultur konnte umgekehrt volkstümlich werden, wodurch sie allerdings zu niederem

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Kulturgut absank. Der Volkskundler Matti Kuusi sprach 1937 von „Waldhahnkultur“, womit er auf den im 19. Jahrhundert angesehenen Kunstmaler Ferdinand von Wright und dessen berühmtes Bild Kämpfende Auerhähne hindeutete. Als billige Reproduktion dürften die Vögel das Kunstwerk sein, das in den meisten finnischen Wohnungen an der Wand hängt. Problem der neuen Popularkultur war deren Charakter als internationale und kommerzielle Importware, mit der einheimische Elemente vermischt wurden. Anders gesagt, in einem Denken, das von einer kulturellen Hierarchie ausging, konnte die Popularkultur beim besten Willen keine hohe Stufe erreichen. Die Anlandung des Jazz in den 20er Jahren und dessen Wirkung auf die Entwicklung der finnischen Popularmusik und den finnischen Musikgeschmack ist ein anschauliches Beispiel für neue Wechselwirkungen. Wie im übrigen Europa vergnügte sich in Helsinki die Mittelschicht mit ursprünglich deutschen Revuen und im Takt des „Lärmjazz“, im gleichen Jahrzehnt bekam man aber auch ersten Kontakt zu amerikanischem Stil und zu amerikanischen Jazzmusikern. Die Freunde ernster, klassischer Musik lehnten die Ankömmlinge entschieden ab, natürlich mit den bekannten politischen Argumenten. In der Beurteilung des Musikprofessors Ilmari Krohn war Jazz „Krach von Klapperkastenmelodien“, den man am besten in einem Sturm wie gegen die Lapua-Bewegung aus dem finnischen Musikleben vertreiben sollte. Das Interesse für Jazz spielte in Finnland nur in der Hauptstadtregion und als Hobby der städtischen Mittelschichten eine gewisse Rolle, aber der Siegeszug spielte sich anderswo ab. Als die Musiktradition der Arbeiterschaft auf Melodien und Takt des Jazz traf, ergab sich eine Verbindung zum russisch gefärbten Schlager und zum volkstümlichen Couplet, woraufhin sich um die Tanzorchester über das ganze Land der „Harmonikajazz“ entwickelte. Die Verbreitung der Popularmusik wurde durch die technische Entwicklung gestützt. An 1929 erinnert man sich nicht nur als das Jahr des wirtschaftlichen Zusammenbruchs, sondern auch als Jahr des Grammophonfiebers. Im folgenden Jahrzehnt erreichte der finnische Tonfilm die Leinwand. Die propagandistische Armeefilmreihe Unser Sohn machte Anfang der 30er Jahre erste Lieder durch das Kino bekannt. Das populärste Tanzorchester war das Dallapé; es reiste eifrig durch das ganze Land. Einer der Gesangssolisten war der als „Moll-Schwätzer“ bekannte Georg Malmstén. Der Spitzname des führenden Komponisten von Unterhaltungsmusik ging auf die Tonart vieler beliebter Lieder zurück. Er selbst mochte den Zunamen nicht und behauptete, der größte Teil seiner Stücke sei doch in Dur komponiert. Die Vorliebe für Moll hält man für ein typisch finnisches Merkmal, womit man sowohl auf russischen Einfluss als auch auf die stereotype Auffassung abzielt, Finnen seien schwermütig. Auch in der finnischen Musik des neuen Jahrtausends scheint Heavy Metal zu dominieren, während im Nachbarland Schweden leichte Popmusik ertönt. Nach Auffassung der Musikethnologen ist das Faible für Mollklänge weniger ein angeborenes Charakteristikum als vielmehr ein Resultat der historischen Entwicklung. Um sich von der schwedischen Musiktradition des 19. Jahrhunderts zu unterscheiden, bevorzugten die Fennomanen bewusst oder unbewusst Molltonarten in der Vertonung der Volksdichtung. Zur Zeit der Autonomie beeinflussten die Kulturbeziehungen zu Russland den Geschmack der Finnen durch russische Romanzen. Die russische Kultur wurde in Finnland aus historischen Gründen vielfach abgelehnt, aber die Klangwelt der Unterhaltungsmusik ist eine hörbare Ausnahme. In Übersetzungen waren russische Volkslieder und Schlager immer beliebt. Der Nationalschlager der Kriegszeit, Das Leben im Schützengraben, war ursprünglich ein Walzer der Armeekapelle des

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Zaren. Die Warnungen der extrem national gesinnten Kritiker, die Komposition verherrliche das Russentum, stießen bei den Frontsoldaten auf taube Ohren. In der Kriegszeit genügte die Popularkultur den Ansprüchen des um sein Dasein kämpfenden staatlichen Finnland. Um die Kampfmoral der Fronttruppen Besorgte stellten schnell fest, dass Unterhaltung das Gemüt wesentlich besser befriedigte als soldatenverachtende politische Propaganda. Die superromantische und von den historischen Realitäten weit entfernte klassische Liebesgeschichte Kulkurin valssi (Vagabundenwalzer, 1941) ist den Besucherzahlen nach Finnlands beliebtester Film nach Edwin Laines Der unbekannte Soldat (1955). Der Hunger nach Unterhaltung setzte sich in den knappen Jahren des Wiederaufbaus fort und die erfolgreichen Kriegsentertainer machten weiter Karriere. Geradezu als eine Personifizierung der Werte dieser Generation kann der arbeitsame und wortkarge Schauspieler und Sänger Tapio Rautavaara gelten, groß gewachsen und mit tiefer Stimme, dessen Charisma sich durch den Gewinn der Goldmedaille im Speerwerfen bei den Olympischen Spielen in London 1948 noch erheblich verstärkte. Die 50er Jahre waren das goldene Jahrzehnt der Filmproduktionen vor dem Aufkommen des Fernsehens, als das „finnische Hollywood“ zahlreiche harmlose Unterhaltungsstreifen und Farcen abdrehte. Das staatliche finnische Fernsehen hat seitdem Jahr für Jahr der Nostalgiesucht nachgegeben und Wiederholungen dieser Filme gezeigt, die vor Naivität triefen und die lang verlorene Welt der Heuernte und der Flößerei wieder zurückholen. Zurück zu dieser Stimmung der 50er Jahre, wie sie sich in den Bildelementen des finnischen Films und den Mollmelodien der Schlager ausdrückt, wurden in moderneren Leinwandstreifen häufig Verbindungen geknüpft, so zum Beispiel in der Produktion des auch international erfolgreichen Regisseurs Aki Kaurismäki in den 80er Jahren. Die Flut der Popularunterhaltung traf auf volksbildnerische Absichten. So erinnerte ein Kritiker Anfang der 50er Jahre an die kulturelle Hierarchie: „Malmstén ist nicht gleichwertig mit Lehár, Lehár nicht mit Schubert, und Schubert kann man nicht mit Mozart vergleichen.“ Die Uraufführung der Komödie Rovaniemen markkinoilla (Auf dem Jahrmarkt in Rovaniemi, 1951) löste einen kleineren Kulturkrieg aus. Nach der eingängigen Erkennungsmelodie des Films – „ruma-rilluma-rilluma-rillumarei …“ – benannte man in den 50er Jahren alle mögliche finnische Unterhaltung. Die Helden der rillumarei-Filme stellten ehrliche Kerle dar, deren Vorbilder die Waldarbeiter waren, die in Lappland und in den nördlichen Regionen umherzogen. Tatsächlich war deren Berufsgruppe in den 50er Jahren wegen der Mechanisierung der Forstwirtschaft und des Strukturwandels in den ländlichen Gebieten schon schnell am Schwinden. Als Held glich ein solcher Kerl dem amerikanischen Cowboy und Lappland entsprach dem Wilden Westen. Ernstere Filmkritiker sahen in rillumarei eine Mischung aus amerikanischem Kommerz und einheimischer Ordinärität und ihr Verriss lautete folglich: „Schund ist Schund.“ Die Filmproduzenten antworteten auf die Kritik, indem sie die Hochkultur wie Oper und abstrakte Kunst in den Fortsetzungsteilen des Rovaniemi-Films verspotteten. Der Jahrmarkt von Rovaniemi hob die Popularität des einstigen Frontkünstlers Esa Pakarinen in seinen volkstümlichen Filmrollen. Pakarinen brachte in den 50er Jahren die beliebte Puupää-Figur („Holzkopf“) des Comic-Zeichners Ola Fogelberg auf die Leinwand, der mit seinem Kumpan Pätkä („Stummel, Stumpf“) allerlei Blödsinn machte. Der Kulturwandel in den 60er Jahren brach alte Hierarchien auf, brachte die Popularkultur auf ein höheres Level, aber die Spannung zwischen hoher und niederer Kultur blieb erhalten. Der Komiker „Spede“ Pasanen und der vielseitige Schauspieler und Sänger Vesa-

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Matti Loiri übertrugen die rillumarei-Filmtradition in die Welt der Städte und des Wohlfahrtsstaates mit der Erfindung der Gestalt des Uuno Turhapuro („Doofkopp, Quatschmacher“). Die Turhapuro-Filme folgten dem gleichen Schema. Der schmutzige Uuno versucht sich bis zum Letzten jeder Arbeit und aller Verantwortung zu entziehen und verursacht mit seinen blödsinnigen Späßen seinem reichen und mittelständischen Schwiegervater allerlei Unannehmlichkeiten. Wieder einmal machte man die wichtigtuerischen „Herren“ lächerlich. Diese Filme sind eher karnevalistisch als spöttisch oder gesellschaftskritisch. Faulheit war die Kehrseite der arbeitswütigen finnischen Gesellschaft und des lutherischen Ethos. Die Lebensweise des unnützen Nichtstuers ist auch als Replik auf die Wirklichkeit der durch Landflucht entstandenen städtischen Randgebiete gedeutet worden, wo den Männern verschiedene Beschäftigungen, wie sie auf dem Lande üblich waren, nicht mehr offenstanden. Uuno versucht, wann nur immer möglich seine Zeit in einer Bar totzuschlagen. Die Filme, in denen erstklassige Schauspieler auftreten, waren wie die rillumarei-Streifen der 50er Jahre Gift für die Kritiker. Höhepunkt der Filmserie war die Soldatenfarce Uuno in der Armee (1984), in der TV-Zeit der meistbesuchte finnische Film. Die Blütezeit solcher Militärpossen war in den 50er Jahren; die gemeinsamen Erfahrungen bei der Ableistung der allgemeinen Wehrpflicht und die köstliche Möglichkeit, Hierarchien auf den Kopf zu stellen, erklären ihre Beliebtheit. Die Armee selbst war durch die Kritik nicht gefährdet. Bezeichnend für den Kulturbruch der 60er Jahre in der Popularmusik ist die Gestalt des Schlagersängers Irwin Goodman. Hinter Künstlernamen und Erfolg stehen Antti Hammarberg und der Texter Veikko „Vexi“ Salmi, die in ihren Melodien die alte Couplet-Tradition mit den fernen Echoklängen internationaler Folk- und Protestlieder verbinden. Irwins Debütalbum erschien 1966 unter dem Titel Irwinismus, im gleichen Jahr also, als die Lapua-Oper vom Studententheater aufgeführt wurde; der Albumtitel beinhaltet politisierenden Spott. Ebenfalls 1966 erschien das Album Lauluja (Lieder) von Kaj Chydenius, der klassische Musik, Schlager, Poesie und Gesellschaftskritik miteinander verflocht. Auf der Vinylscheibe befinden sich Vertonungen von Leino-Gedichten, pathetische Kompositionen gegen den Vietnamkrieg, empfindsame Liebeslieder und der Mannerheim bespöttelnde Marski-Marsch. Bis 1972 filterte der staatliche finnische Rundfunk die zu spielenden Stücke nach ihrem künstlerischen Niveau und hatte ein Auge darauf, ob sonst der Inhalt geeignet war, sodass ein Teil der Irwin-Titel an dieser Hürde scheiterte. Die Verherrlichung des Alkohols wie in Ei tippa tapa (Ein Tropfen tötet nicht) hielt man für unpassend. Neben der fortschreitenden Kommerzialisierung der Unterhaltung ergaben sich als neues Phänomen der 60er Jahre öffentliche Skandale, die den sozialen Bedürfnissen der in die Vorstädte gezogenen Landbevölkerung genügten. Irwins flottes Leben war behaftet mit Strafen wegen Trunkenheit am Steuer und Zwangsversteigerungen. Damit wurde er zu einem interessanten Objekt für Zeitschriften und Leser. Die Pressehistorie der 60er Jahre bezeugt, dass die Wochenschrift Hymy (Das Lächeln) damals die schnellste Anhebung ihrer Auflagenhöhe verbuchen konnte. Das Skandalblatt, das später bewusst nackte Haut präsentierte, unterschied sich von anderen in seinem gesellschaftlichen Bezug, denn es wurden außer dem Tun und Lassen prominenter Persönlichkeiten auch gesellschaftliche Probleme behandelt in der Absicht, vor allem die Sexualität betreffende Tabus zu brechen. Das Prinzip war: „Was das finnische Volk aushält, das verträgt es auch zu lesen.“ Am tiefsten Punkt des Skandaljournalismus trug Hymy schließlich mit zur Verschärfung der öffentlich-rechtlichen Gesetzgebung im Finnland der 70er Jahre bei.

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Der Durchbruch der Rockmusik ist ein anschauliches Beispiel für den Siegeszug der internationalen Popularkultur und die schnelle Differenzierung von Jugend- und Erwachsenenkultur in den westlichen Ländern. Die Aufnahme des frühen Rock der 50er Jahre in der Öffentlichkeit war erwartungsgemäß kühl. Die Zeitung Helsingin Sanomat spottete über die bescheidenen Unruhen nach der Erstaufführung des Films Rock around the Clock im Herbst 1956: „Rock and Roll in Helsinki war anders gesagt der jämmerlich ausgegangene Versuch kleiner Krawallgrüppchen, als hartgesotten trotzige Jugend in einer Großstadt aufzutreten.“ Rockmusik gefiel zunächst vor allem Jugendlichen in den Städten und aus der Arbeiterklasse. Studenten und Jugendliche auf dem Lande waren da zurückhaltender, wenngleich Twist and Shout von den Beatles 1963 auch in Finnland die am meisten verkaufte Schallplatte war. Auf dem Lande trennte sich der Musikgeschmack der Jugend erst später von den musikalischen Vorlieben der älteren Generation. Zahlreiche Rockmusiker, die ihre Karriere in den 60er Jahren begannen, mussten feststellen, dass bei Veranstaltungen in der Provinz eher herkömmliche Tanzmusik wie etwa Tango erwartet wurde. Als selbstständiges Phänomen setzte sich finnischer Rock letztlich erst an der Wende zu den 70er Jahren durch, als die populärsten Bands, Tasavallan presidentti (Präsident der Republik) und Wigwam, ehrgeizig-progressiven Rock in englischer Sprache sangen. Ein Höhepunkt ihrer Auftritte war die donnernd-schrammige Hammond-Version der Finlandia von Jean Sibelius. Die damals vielleicht beliebteste Rockband namens Hurriganes spielte auf Englisch geradlinigen Basisrock. Auf Finnisch gesungener Rock erreichte erst etwas später unter dem Einfluss der Punkszene Ende der 70er Jahre größere Popularität. Die goldene Zeit der „Neuen Welle“ des finnischen Rock zu Anfang der 80er Jahre verfilmten Aki und Mika Kaurismäki in ihrem dokumentarischen Erstlingsfilm Saimaa-ilmiö (Saima-Phänomen, 1981). Der erfolgreichste Rocklyriker, der seine Texte auf Finnisch schrieb, dürfte Juhani „Juice“ Leskinen (1950–2006) gewesen sein. Er war fest in die finnische Popularkultur eingebunden und folgte den Traditionen der Textmeister aus der rillumarei-Zeit der 50er Jahre. Für Juice war Gesellschaftskritik und -satire typisch, obwohl seine beliebtesten Titel in Moll vertonte Liebeslieder waren, wie sein Text für die Fernsehsendung Herbstkompositionen: „Katu täyttyy askelista, elämä on kuolemista“ (Die Straße hallt von Schritten wider, das Leben hält der Tod darnieder). Die Kulturgebundenheit des Finnland-Rock lässt sich nicht besser beschreiben als durch die Tatsache, dass die einzige englischsprachige Platte von Juice, Deep Sea Diver (1983), nicht besonders gut gelaufen ist. Als urbanes Äquivalent zu Juice ist der produktive Rocklyriker Hector (Heikki Harma) zu nennen, der in seiner Laufbahn Folk, die Hippiezeit und das Musical Hair sowie die Epoche der politischen Gesellschaftskritik in den 70er Jahren durchlief. Hectors meistgespieltes Stück Lumi teki enkelin eteiseen (Schnee hat den Engel im Flur gemacht) ist allerdings auch eine melancholische Geschichte echt finnischer Art: „Vater ging nach Schweden, Mutter schwebte in den Himmel.“ Rock wurde spätestens in den 80er Jahren ein Teil der Allgemeinkultur. Der Beschluss des Innenministeriums, 1978 ein Konzert der britischen Punkband Sex Pistols zu verbieten, dürfte der letzte Abglanz der Auffassung gewesen sein, Rock sei vom Standpunkt der Gesellschaft aus moralisch bedenklich oder eine aufrührerische Erscheinung. In einer der bekanntesten Szenen der rillumarei-Filme stellt der früher erwähnte Esa Pakarinen die Gestalt des Severi Suhonen dar, der in die Stadt reist und das Konzert eines Opernsängers besucht, wo er sich lautstark über das „Geheul“ des Sängers wundert. Schon

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zuvor beleidigt ihn in einer Ausstellung moderner Kunst ein mit ihm zerstrittener Kunstkritiker als „Banause“, worauf er antwortet: „Das sind wir doch zum größten Teil alle in unserem Volk.“ Diese Replik stellt nach urfinnischer Art das Volk der Kulturelite entgegen. Die Hochkultur ist Sache der „Herren“ und Snobismus ist erst erlaubt, wenn man es sich leisten kann: „Erst das Brot, dann erst Angeberei.“ Jean Sibelius, der unmittelbar nach dem Bürgerkrieg, zur Blütezeit der Kunst, die Hochachtung der Kulturaristokratie gewohnt war, beschwerte sich darüber, dass der Wert der Kultur im selbstständigen Finnland den Nullpunkt erreicht habe („Oh, armes Finnland!“), und machte die Agrarbündler dafür verantwortlich. Die Agrarpartei handelte sich nämlich in den 20er Jahren einen negativen Ruf ein, weil sie eine Verringerung der Zuschüsse für das Theater verlangte. Dies unter anderem deshalb, weil sittlich nicht annehmbare Stücke wie Maria Jotunis Die Frau eines Pantoffelhelden (1924) aufgeführt wurden, worin die Beziehungen zwischen Mann und Frau in der Ehe in komödienhafter Weise dargestellt wurden. Die Gegenüberstellung von hoher und niederer Kultur in der finnischen Geschmackshierarchie ist in Zusammenhang mit der Klassenstruktur häufig erörtert worden. Die Werke der aufs „Podest der Nation“ gestellten finnischsprachigen Schriftsteller berichten oft über die Lebensrealität von in der Landwirtschaft tätigen Personen und Arbeitern. Der Nobelpreisträger von 1939, F. E. Sillanpää, war selbst Sohn eines Kätners aus der Provinz Nord-Häme und Joel Lehtonen gehörte seinerseits zum Landproletariat von Savo. Beide schildern in ihren Werken das Leben in der Provinz und streifen dabei die Ereignisse von 1918. Pentti Haanpää war der Sohn eines Bauern aus dem Norden Ostbottniens. Den Akademikertitel haben Väinö Linna und Teuvo Pekkanen verliehen bekommen, beide aus Arbeiterfamilien. Der bürgerliche und urbane Akademiker Mika Waltari gehört in dieser Gruppe zur Minderheit, seine Romane aber haben in Übersetzungen sicher den größten Leserkreis im Ausland gefunden. In wissenschaftlichen Untersuchungen ist deren Männerbezogenheit eher als Folge der Milieu- und Stoffwahl als aus der Geringschätzung der Frau erklärt worden. Die männlichen Schriftsteller stehen in ihren Themen auf dem Boden der kulturellen Hauptströmung und spezialisieren sich auf Schicksalsschläge der Nation wie Kriege. Frauen hingegen konzentrieren sich in ihren Werken auf die Beschreibung gebildeter Kreise und verhalten sich kritischer zur allgemein vorherrschenden Kultur. So wurde das Buch von Maria Jotuni, Huojuva talo (Das schwankende Haus), aus den 30er Jahren mit seiner später durchaus gewürdigten Schilderung einer Ehe erst in den 60er Jahren publiziert. Politisch waren die Gegensätze zwischen den Gesellschaftsklassen in Finnland zeitweise gravierend, kulturell fallen sie freilich relativ wenig auf wegen des allgemein dominierenden Bezuges zur Bäuerlichkeit. Das fennomane Prinzip „eine Sprache, ein Sinn“ hinterließ hier seine Spuren. Das Ethos der Volksaufklärung und der Hang zu Volkstümlichkeit prägten auch die finnische Arbeiterkultur, denn sie hatte weitgehend die gleichen Wurzeln wie das Staatsbürgertum der Mittelschicht und die bäuerliche Tradition. Die den Kommunisten nahestehende Chefin des staatlichen finnischen Rundfunks, Hella Wuolijoki, blieb auch wegen eines demonstrativen Akts in Erinnerung, als sie Ende der 40er Jahre eine Schallplatte von Hiski Salomaa zerschlug, weil der beliebte Sänger Couplets mit nasalierender Stimme vortrug. Die linken Ideologen, die hohen Ziele der Arbeiterbewegung fest im Blick, verurteilten in ihren Texten der 50er Jahre die rillumarei-Kultur als verflachte, dem Kapitalismus dienende C-Klassen-Unterhaltung – genauso wie ihre bürgerlichen Kollegen. In der Bewegung der nachfolgenden neuen Linken war noch das Echo des kul-

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turhierarchischen Denkens zu spüren, denn für die rechtgläubigen marxistischen Soziologen war kommerzielles Vergnügen „Opium für das Volk“. Den hochkultivierten Rechten und der linken Volksaufklärung war schlussendlich auch gemeinsam, dass sich der Gegner in den 60er Jahren als übermächtig erwies. Es ist wohl Übertreibung, von Finnland als einer klassenlosen Gesellschaft oder einem Musterland der Gleichberechtigung zu sprechen. Den Soziologen zufolge war jedoch das vom Bauerntum geprägte Klassensystem leichter zu durchschauen und war einfacher strukturiert als in den Ländern, wo die Kultur in Oberschicht, Bürgertum, Bauernschaft und Arbeiterklasse sowohl sprachlich als auch sozial stark differenziert war. Die Klassenfrage wurde häufig zum Gegensatz zwischen „Herren“ und „Volk“ vereinfacht, woraus der finnische Humor grenzenlos geschöpft hat und was sich auch als politisch brauchbar erwies, insofern es Kräfte freigesetzt hat. Zwar waren bürgerliches, bäuerliches und typisches Arbeitermilieu unterscheidbar, aber die Klassengegensätze zu überschreiten war jederzeit möglich, ohne dass damit das peinliche Gefühl der Unechtheit wie in Frankreich oder England verbunden gewesen wäre. Aus einfachsten Verhältnissen an die Spitze des sozialen oder ökonomischen Kapitals aufzusteigen, war in Finnland von jeher eine äußerst interessante Heldengeschichte, wenn der Betroffene nur seinen Hintergrund nicht vergessen oder seine neue Stellung nicht unnötig hervorgehoben hat. Der herkömmliche Weg sozialen Aufstiegs lief über die Bildung. Juurakon Hulda (1937) war ein sehr beliebter Film; der rote Faden der Handlung gründet sich auf das Aufstreben einer Magd bis zur Volksvertreterin dank guter Ausbildung. Der populäre Text von Hella Wuolijoki taugte auch für die amerikanische Kulturumgebung Hollywoods, wo er unter dem Titel Farmer’s Daughter (1947) verfilmt wurde. Auf ihrer Reise zum Erfolg stößt Hulda auf Hindernisse, da sich ihr Konkurrentinnen in den Weg stellen, die ihre Position durch Geburt oder Eheschließung erreicht haben. Akademische Bildung war bis zur gesellschaftlichen Umbruchzeit und der Ausweitung der Bildung in den 60er Jahren das sichere Zeichen eines Herrn. Vor der Gründung der Provinzhochschulen war die Stellung der Universität Helsinki als Bildungsstätte der finnischen Elite unbestritten. Die nach Herkunftsprovinz organisierten Studentenvereinigungen an der Universität sozialisierten in traditionellen Korporationen die Studenten zu nationalem Ethos, wozu die Auffassung gehörte, dass ein akademisch gebildeter Bürger zu einer führenden Position in der Gesellschaft und dem damit verbundenen hochkulturellen Geschmack verpflichtet sei. Die Kehrseite der Bemühungen, die vorherrschende Stellung ländlicher Tradition und die nationale Elite miteinander in Einklang zu bringen, zeigte sich in jener Kritik am finnischen Kulturleben, wonach es nur ein Niveau und eine Wirklichkeit zu kennen schien. Dieser häufig vorgebrachten Behauptung der Soziologen und Kulturwissenschaftler war jedoch leicht zu begegnen. Dass man die finnische Kultur als zu einfach und bedeutungslos darstellte, hing damit zusammen, dass die bürgerliche europäische Kultur der Hochund Mittelschicht als Maßstab angesetzt wurde. Die Befürworter der Popularkultur („Ein guter Schlager ist besser als eine schlechte Sinfonie“) hatten zumindest darin recht, dass die Grenze zwischen hoher Kunst und niederer Unterhaltung immer eine im Wasser gezogene Linie ist. Die Rezeption finnischer Literatur in der Welt veranschaulicht die Kulturgebundenheit künstlerischer Wertschätzung. Seit den 70er Jahren ist einer der meistgelesenen Schriftsteller Finnlands Arto Paasilinna, dessen bekanntestes Werk Jäniksen vuosi (Das Jahr des Hasen) von der Entscheidung eines Mannes erzählt, im Konkurrenzkampf um einen möglichst hohen Lebensstandard in die Natur zu entfliehen. Ein Großteil der

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Produktion von Paasilinna besteht aus galgenhumoristischen Schelmenromanen, die in Finnland schon wegen ihrer Beliebtheit gern in die Kategorie der Trivialliteratur eingeordnet worden sind. Paasilinna wurde in viele Sprachen übersetzt, in Frankreich hat er zum Beispiel als versierter Satiriker Ansehen gefunden. Zu den moderneren Schriftstellern gehört auch Keijo Siekkinen, der mit seinem experimentellen Text Kuusitoistamiehinen pyramidi (Die sechzehnköpfige Pyramide, 1981) in höchst skurrilen Geschichten die historische Entwicklung eines mittelfinnischen Dorfes zu einem bedeutenden Industriestandort erzählt. Im Ausland weniger bekannt ist der Auflagenkönig Kalle Päätalo (1919–2000), der Jahrzehnte an seiner autobiographischen Iijoki-Romanserie (benannt nach einem Fluss in Nordfinnland) schrieb. Seine Popularität beruhte darauf, dass er in seinen akribisch realistischen Romanen die Erfahrungen der Wiederaufbaugeneration nach dem Krieg herauskristallisierte. Päätalo stammte aus armen Verhältnissen in Nordfinnland, war von Beruf Bauunternehmer und verwirklichte mit harter Arbeit und großem Berufsstolz den Traum seiner Generation, dessen Symbol das im finnischen Wohnungsbestand noch immer vorherrschende anderthalbstöckige Einfamilienhaus der Frontsoldaten ist, aus Holz und um einen einzigen Schornstein herum erbaut. Die Einschätzung der Kritiker, die sich mit dem Einödsrealismus dieses Meisters der „Volksschriftsteller“ schwertaten, war durchweg reserviert. Diejenigen, denen es um die Klassifizierung verschiedenwertiger Kulturebenen ging, haben in ihrer Beurteilung Päätalos gefragt, warum der ländlich geprägte und finnische Päätalo schon von vornherein als weniger wertvoll angesehen wird als der bürgerliche und französische Proust. Auch der am meisten übersetzte finnische Schriftsteller Mika Waltari litt in seinem Heimatland während seiner gesamten Laufbahn unter dem Status der Trivialliteratur. In seinem Werk finden sich außer dem weithin bekannten historischen Roman Sinuhe egyptiläinen (Sinuhe der Ägypter), der es sogar zur Hollywood-Verfilmung brachte, alle Stilformen vom Theaterstück bis zu den populären Detektivromanen mit Kommissar Palmu. Obgleich es gewiss übertrieben wäre, der finnischen Kultur eine Art Einbahnstraßencharakter zuzuschreiben, ist in den Diskussionen um eine Neuinterpretation der zu nationalen Denkmälern versteinerten Kulturprodukte doch immer wieder der Ruf nach der einzig richtigen Deutung aufgekommen. So hat die Bühneninszenierung des Unbekannten Soldaten von Väinö Linna durch Kristian Smeds 2007 als Multimediashow im Nationaltheater erwartungsgemäß sehr widersprüchliche Aufnahme erfahren, da dabei auf eine Leinwand projizierte Politiker und andere Symbole des Finnentums, angefangen bei den Muminfiguren, beschossen und alte, als russische Soldaten verkleidete Waschmaschinen zerschlagen wurden. Die Aufführung konnte trotz ihrer modernen Ausdrucksmittel als Ausdruck des pazifistischen Geistes in Linnas Ursprungswerk definiert werden, aber Leuten, die stark an die von Edwin Laine in den 50er Jahren in dessen Monumentalfilm geschaffene Personengalerie gewöhnt waren, oder der Generation der Kriegsveteranen war Smeds Darbietung nicht zu verkaufen. Auf die offene Diskrepanz zwischen hoher und niederer Kultur in den 50er Jahren folgten Bemühungen zu einem Ausgleich der Widersprüche in den folgenden Jahrzehnten. Kulturhierarchien wurden nun über die staatliche Kunstverwaltung und Zuschusssysteme geregelt. Trotz des Wirbels um die Popularkultur behielt die Hochkultur ihre hervorragende Stellung, denn kommerziell weniger einträgliche Künste erachtete man als gesellschaftlich wichtig und unterstützungswürdig. Ein Erbe der staatlichen Kulturpolitik ist

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Die Opernfestspiele in Savonlinna sind die traditionellste und populärste Sommerveranstaltung Finnlands. In den 70er Jahren bekam die Oper dank nationaler und historischer Stoffe, die ein größeres Publikum interessierten, neuen Aufschwung. Genannt seien Ratsumies (Der Reiter) von Aulis Sallinen, Viimeiset kiusaukset (Die letzten Versuchungen) von Joonas Kokkonen und Jaakko Ilkka von Jorma Panula.

das flächendeckende Netz von Sinfonieorchestern und Stadttheatern. Das rege Opernleben um den Sänger und Schauspieler Severi Suhonen hat sich zwar nicht gerade zu einem Volksvergnügen entwickelt, aber es war auf alle Fälle für jeden erschwinglich. Die Opernfestspiele in Savonlinna gehören zu den beliebtesten Traditionsveranstaltungen Finnlands. Neuen Aufschwung bekam die Oper in den 70er Jahren besonders dank nationaler und historischer Themen, für die sich ein breiteres Publikum interessierte, so etwa durch die Opern Ratsumies (Der Reiter) von Aulis Sallinen, Viimeiset kiusaukset (Die letzten Versuchungen) von Joonas Kokkonen oder Jaakko Ilkka von Jorma Panula. Wenn Kunst populär wird, verliert sie oft ihre Wertschätzung. So handelten sich die hoch in der Gunst des Volkes stehenden Erfolgsopern der 70er Jahre auch durch ihre tonale „Leichtigkeit“ bei der musikalischen Avantgarde den Spitznamen „Pelzmützenopern“ ein. Die Pelzmütze verweist natürlich auf Provinzialität, und die Bezeichnung lebte im finnischen Sprachgebrauch noch fort, als Ende des Jahrzehnts eine Delegation von an die nördlichen Wetterverhältnisse gewöhnten Lappen mit Pelzmützen in Helsinki auftauchte, um Ersatzansprüche wegen der Regulierung des Kemijoki-Flusses zu stellen. Spätere Bewertungen kultureller Produkte, ihre zeitgenössische Rezeption und die Popularität beim Volk sind oft unterschiedliche Dinge. Unter Literaturliebhabern gilt als bester finnischer Roman zumeist der den Bewusstseinsstrom nachbildende Text Alastalon salissa (Im Saal von Alastalo, 1933) von Volter Kilpi, der von sechs Stunden erzählt, in denen Bauern das Projekt eines Schiffsbaus planen. Eine Übersetzung des anspruchsvollen Werkes wird als fast unmöglich betrachtet. Das Buch hat einen festen Platz auf der Leseliste eines jeden, der sich für gebildet hält, letztlich wissen wir aber nicht, wie viele Menschen das Buch wirklich durchgelesen haben. Kilpi brauchte für die Beschreibung von sechs Stunden nicht weniger als 800 Seiten. Wesentlich kürzer fasste sich hingegen Elmer Diktonius, der in den 20er Jahren aus Opposition gegen die Nationalgesinnten die Parole

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„Öffnet die Fenster nach Europa“ erfand, in seinem experimentellen Roman Janne Kuutio (1932). Das Buch beschreibt die abenteuerlichen Lebensetappen Jannes als Soldat der Roten Garde, als Händler mit schwarz gebranntem Fusel und schließlich als von Lapualeuten Verschleppter. Das Werk hielt man später für einen der Schlüsseltexte militärischer Atmosphäre in Finnland. Neben der Grenzziehung zwischen hoher und niederer Kultur bildeten Anerkennung oder Ablehnung der Moderne ein zweites Spannungsfeld der Kulturdiskussion während der ganzen Zeit der Selbstständigkeit. Der Architekturprofessor Wilhelm Helander beurteilte 1982 das kulturelle Erscheinungsbild Finnlands brüsk: „Man kann das Land Hunderte von Kilometern durchstreifen und sieht doch nur nichtssagende, chaotische und verstümmelte Umwelt. Die Entwicklung des materiellen Wohlstandes kann man auch an der errichteten Umgebung ablesen und in der realisierten Form hat die Wandlung auch ihre Schattenseite: Gerade das Gewohnte und Typische wurde in der finnischen Landschaft zerstört. Man hat gesagt, in Europa gebe es kaum ein anderes Land, das sein Gesicht derart verloren habe wie Finnland im letzten Jahrzehnt.“ Diese Beschreibung spiegelt aus dem Blickwinkel der Architektur treffend, dass die Moderne in Finnland einerseits abgelehnt wurde, sich aber gleichzeitig stark durchsetzte, indem sie alte Strukturen aufbrach. Das Problem verdichtet sich in einer der beliebtesten touristischen Sehenswürdigkeiten von Helsinki, im 1967 enthüllten Sibelius-Monument von Eila Hiltunen. Das in Schweißtechnik angefertigte Kunstwerk war das erste abstrakte Personendenkmal Finnlands. Weil man sich zweifelsfreier Akzeptanz und Anerkennung der Moderne jedoch zur Zeit der Enthüllung noch nicht sicher sein konnte, wurde dem Monument als Porträt noch ein Gesichtsprofil des Komponisten beigefügt. Die Moderne konnte allgemein nur Anerkennung finden, wenn sie sich als historische Fortführung finnischer Naturästhetik oder rationalen Bauerntums interpretieren ließ. Eine solche Aner-

Das Sibelius-Monument Die Probleme des finnischen Modernismus kristallisieren sich in einer der beliebtesten TouristenSehenswürdigkeiten Helsinkis, im Sibelius-Denkmal. Das durch Schweißarbeiten hergestellte Werk von Eila Hiltunen war das erste abstrakte Persönlichkeitsmonument Finnlands. Da die Moderne zur Zeit der Enthüllung jedoch noch nicht akzeptiert war, wurde dem Monument ein Gesichtsprofil des Meisters beigefügt.

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Kilta-Geschirr Die Moderne wurde schließlich angenommen, wenn sie als historische Fortsetzung finnischer Naturästhetik oder rationaler Bäuerlichkeit interpretiert werden konnte. So befinden sich heute die bekanntesten kunsthandwerklichen Industrieprodukte wie etwa das in den 50er Jahren als Finnish Design international ausgezeichnete, auf Einfachheit reduzierte Kilta-Geschirr von Kaj Frank in fast jedem Haushalt.

kennung erreichten in den finnischen Heimen die bekanntesten Produkte der Kunstindustrie wie in den 50er Jahren das international gefeierte einfache Kilta-Geschirr von Kaj Frank, das das moderne Finnish Design repräsentierte, oder die Textilien von Marimekko. Für ihre Kunst- und Gebrauchsglas-Kreationen wurden Timo Sarpaneva, Nanny Still und Tapio Wirkkala, der unter anderem für die Rosenthal-Porzellanmanufaktur ein KaffeeService entwarf, auch international mit Preisen ausgezeichnet. Weltweit bekannt dürfte auch der Kugelsessel von Eero Aarnio sein. In der Architektur beruhten der Durchbruch des Funktionalismus in den 20er und 30er Jahren und Alvar Aaltos Aufstieg zum Nationalhelden auf der geglückten Kombination von Tradition und Moderne. Am Beginn seiner Laufbahn formulierte der junge Aalto das Prinzip deutlich: „Die Arbeit des Architekten muss auf der Wertschätzung alter Baukunst basieren und auf die Hebung des allgemeinen Geschmacks abzielen.“ Der weiße Funktionalismus mit bedeutenden Bauwerken von Aalto und dessen spätere Rotziegelbauten waren gefeierter Modernismus, denn sie schuldeten bäuerlicher Bautradition ihren Dank und glänzten zugleich als imposantes neues Finnland. Die Probleme des Umbruchs zur typischen schnellen Betonbauweise der 60er Jahre waren die gleichen wie in der Popularkultur: Die Neuerungen konnten mit billiger Kommerzialität, Flachheit und historischer wie kultureller Bindungslosigkeit einhergehen. Tritt ein Reisender aus dem Bahnhof von Helsinki auf die Straße, sieht er zuerst ein Gebäude, das im Volksmund „Wursthaus“ genannt wird, weil ein wurstartig gerundeter Vorsprung das Haus umläuft. Die Betonkolosse der 60er Jahre sind seit ihrer Bauzeit heftig kritisiert worden, der „Wurstbau“ wurde gleichwohl später als architektonisches Wahrzeichen seiner Zeit unter historischen Schutz gestellt.

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Die Kehrseite der nationalen Kultur Unschuldig geboren / verschlug es ihn / in dies kalte Land / und in den Norden / wo schon die Vorväter / besoffen natürlich / ihre Frauen schlugen / ihre Kinder, wenn sie die nur erwischten / solchen Mannes Schicksal / wollte der Junge da meiden / nie kaufe ich eine Axt / nie trinke ich Schnaps /

Die Ballade Tuhansien murheellisten laulujen maa (Land tausender trauriger Lieder, 1982), von Eppu Normaali gesungen, ist einer der in Finnland am häufigsten gespielten Rockschlager. Der Texter Martti Syrjä vermutete zwar, der Text werde bei den Hörern nicht ankommen, denn sein Anliegen war, „all das, was die Finnen seit jeher liebten, eben im Tal der Trauer zu wandern“, zu ironisieren. Wider Erwarten kam es anders, das Lied wurde nämlich ernst genommen. Der Schatten rauschsüchtiger Alkoholkultur und gewalttätigen Finnentums ist ein nach wie vor aktuelles soziales Problem und eine statistische Tatsache, zugleich aber auch ein mit der Identität der Finnen und ihrem Selbstverständnis verbundener kultureller Mythos. Professor Herbert Tingsten hat in der schwedischen Zeitung Dagens Nyheter harsche Kritik an dem Werk seines Kollegen Veli Verkko über den Zusammenhang zwischen Gewalttätigkeit der Finnen und nationalem Charakter geübt. Der Hintergrund der Unstimmigkeiten zwischen den Forschern liegt in dem Problem, dass Natur und Kultur keine eindeutige Erklärung für das Verhalten des Menschen liefern und sich in die Erklärungsansätze stets auch nationalistische Töne mischen. Tingsten stieß sich an der Art und Weise, wie Verkko die Zwiespältigkeit des Finnentums mit dem Volkscharakter zu erläutern suchte: Die Kehrseite der heldenhaften Standhaftigkeit im Winterkrieg und des riesigen Erfolges bei internationalen Sportveranstaltungen äußere sich in Gewalttätigkeit und endloser Trunkenheit. Nach Tingsten erklären sich die hohen Ziffern bei Gewaltakten statt durch einen biologisch bestimmten Volkscharakter eher durch den „halbprimitiven“ Entwicklungsstand des östlichen Nachbarlandes. Die Ambivalenz des finnischen sisu, eines Worts mit zahlreichen Bedeutungen zwischen Heldenhaftigkeit und Bosheit, scheint in gewissen Zeitabständen immer wieder auf. Der Gewinn der Eishockey-Weltmeisterschaft in und gegen Schweden 2011 entfachte eine Diskussion, die entlang der Frontlinie der Debatte zwischen Tingsten und Verkko verlief. Dass Mannschaft und Betreuer bei der Meisterschaftsfeier in betrunkenem Zustand auftraten, wurde in der Öffentlichkeit äußerst widersprüchlich aufgenommen. Viele verurteilten dieses Benehmen und sahen darin einmal mehr ein Zeichen für die dünne Schicht finnischer Zivilisation, andere fanden wiederum, die fidele Feierei gehöre als untrennbarer Teil zur aggressiven Natur des Spiels und sei als nationale Tradition zu billigen. Ideengeschichtlich ist der Blickwinkel auf den Dreiklang von Sport, Alkohol und Gewalt nichts Neues. Es handelt sich dabei um eine stark nationalistische Betrachtungsweise, die im Selbstverständnis der Finnen von erheblicher Bedeutung gewesen ist. Als 1952 in Helsinki die Olympischen Spiele organisiert wurden, hatte dies größten Einfluss auf das Finnlandbild im Ausland. Der Schatten des Krieges war vorbeigezogen und Finnland suchte sich in die internationale Gemeinschaft zu integrieren. Deshalb wurde vor den Spielen eine Säuberungskampagne durchgeführt, mit der man negative Züge des Finnentums wie den Hang zur Trunksucht auszumerzen versuchte. Licht und Schatten der finnischen Gesellschaft sind untrennbar miteinander verbunden. Die als Notwendigkeit empfundene und zugleich schöpferische Krise brachte neue

Die Kehrseite der nationalen Kultur

Verhaltensweisen mit sich und technische Innovationen wurden rasch realisiert, zugleich aber versagte das soziale Sicherheitsnetz zu leicht. In der Filmbranche kristallisierte sich als führender Regisseur des Umbruchs Mikko Niskanen heraus, der mit seinem auf Tatsachen beruhenden Film Kahdeksan surmanluotia (Acht Todesschüsse, 1971) die Beklemmung eines Kleinbauern in der mittelfinnischen Provinz beschreibt, die zu Polizistenmorden führt. Der Regisseur spielte selbst die Hauptrolle und lebte sich derart intensiv in die Rolle des Protagonisten ein, dass er in der Schlüsselszene wirklich betrunken war und echte Patronen in der Jagdflinte hatte. Das Gemeinwesen und die Konsensuskultur waren zu Beginn des dritten Jahrtausends in der Atmosphäre der Marktwirtschaft, die das Durchsetzungsvermögen des Individuums voraussetzte, den Problemen einfach nicht länger gewachsen. In den Jahren 2007 und 2008 ereigneten sich zwei Schulschießereien, die über zwanzig Opfer forderten und international Aufsehen erregten. In beiden Fällen, die an entsprechende Tragödien in den USA erinnern, waren die Schützen jugendliche Einzelgänger, die in einer virtuellen Welt lebten. Die wissenschaftliche Forschung in Finnland interessierte sich stark für den Zusammenhang zwischen Alkohol und Gewalt. In der unsicheren Stimmung der 20er Jahre nach dem Bürgerkrieg stieg die Zahl der Gewaltverbrechen besorgniserregend an, weshalb ein besonderes Komitee eingerichtet wurde, das die Gründe dafür aufdecken sollte. Man fand heraus, dass Alkohol die wichtigste Ursache für Gewalt war, was durchaus zur gesellschaftspolitischen Lage passte. Die sowohl von Seiten der Bürgerlichen als auch von der Arbeiterschaft intensiv betriebene Abstinenzbewegung hatte zum Erlass eines Prohibitionsgesetzes (1919–1932) geführt, das allerdings seine Ziele nicht erreichen konnte. Schmuggel und geheime Kneipen vermehrten das Verbrechertum und die Ausbreitung des Fuselbrennens beeinflusste die Alkoholkultur in Richtung klarer Schnäpse und noch mehr Trunksucht. Die Prohibition wurde aufgehoben, eine bevormundende Politik unter Berufung auf die Schädlichkeit des Alkohols aber gleichwohl fortgesetzt. Bis zum Jahre 1971 wurden Kauf und Verkauf von Spirituosen mithilfe von persönlichen „Schnapskarten“ kontrolliert. Seit 1969 darf normales Bier in Lebensmittelläden verkauft werden, Wein aber auch heute noch nicht. Für Spirituosen ist das Staatsmonopol in den Alko-Läden zuständig. Inzwischen haben sich die Trinkgewohnheiten der Finnen von Milch und Schnaps allmählich zum mitteleuropäischen Standard mit Bier und Wein hin verändert. Veli Verkko entwickelte in seinen vergleichenden Studien eine Theorie des finnischen Volkscharakters, wonach der Finne ein „schwacher Schnapskopf“ sei, also keinen Alkohol vertrage. Diese Vorstellung war lange Zeit recht einflussreich, denn sie bestätigte das Bild, das die Volksaufklärung vom mentalen Sonderstatus der Finnen zeichnete. Indem Verkko die Eigenschaften von Bewohnern der verschiedenen Provinzen miteinander verglich und ihren Zusammenhang mit Straftaten untersuchte, stieß er auf historisch fundierte erklärende Faktoren, etwa die auf das 19. Jahrhundert zurückgehenden nationalromantischen Mythen von den zornigen, zur Gewalt neigenden Ostbottniern oder von den gemütlichen und humorvollen Leuten aus Savo. Auch der finnische Alkoholgenuss selbst wurde auf seinen mythischen Charakter hin überprüft, der für die Propaganda der Abstinenzbewegung von großer Bedeutung war. Mengenmäßig war der Alkoholkonsum in Finnland statistisch gesehen nämlich europäisches Mittelmaß. Verkkos Auffassung beruht einerseits auf seinen Erkenntnissen zum finnischen Volkscharakter, andererseits auf der Annahme biologischer Bedingtheit menschlichen Verhaltens, obwohl es die moderne Genetik zu seiner Zeit noch nicht gab. Seine Theorien sind

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aber im Lichte neuerer medizinischer und biologischer Forschungen wieder aktuell geworden. Die Genetik ist einer der erfolgreichsten Forschungszweige der finnischen Medizin, denn der relativ einheitliche Genbestand der Finnen hat die Untersuchung zahlreicher erblicher Krankheiten begünstigt. Die überaus weite Verbreitung eines mit Alkoholismus und Gewalttätigkeit in Verbindung zu bringenden Gens bei finnischen Gewaltverbrechern wurde rapportiert, eine eventuelle erbliche Anfälligkeit erfordert jedoch zum Ausbruch immer den Einfluss der Umgebung. Die häufig gegeneinander ausgespielten Faktoren Biologie und Kultur sind tatsächlich miteinander verflochten. Es ist nicht möglich, ein einzelnes Gewaltgen oder aber zeitlos-kulturellen Druck, der die Finnen unabdingbar zu gewalttätigen Alkoholikern verurteilte, als allein ursächlich aufzuzeigen. Hingegen fällt es leicht, historische Entwicklungen aufzuzählen, die brutalitätsfördernd waren. Die unsichere politische Atmosphäre nach dem Bürgerkrieg, Prohibition und wirtschaftliche Flaute, die Schwierigkeiten der Kriegsveteranen des Zweiten Weltkriegs, in den Frieden zurückzufinden, die geistige Krise durch den Strukturwandel der 60er Jahre mit seinen ökonomischen und sozialen Veränderungen, sie alle haben ihre je eigenen Spuren in den besonderen, zu Gewalttätigkeit neigenden Zügen der Finnen hinterlassen. Alternative Gesichtspunkte für eine Kulturgeschichte Finnlands lassen sich vielleicht in der Historie der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und zwischen verschiedenen Minderheiten finden. Bestrebungen, die Klassengegensätze aufzuweichen, waren insbesondere während der Entwicklung einer Wohlstandsgesellschaft nach den Kriegen typisch für die Kultur. Die gleichen Bemühungen waren in der Frage der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu erkennen. Die übliche feministische Kritik ließ sich auch auf die Geschichte Finnlands anwenden: Maßstab und Leitbild der finnischen Kultur war meistens der Finnisch sprechende Mann. Seit dem Umbruch in den 60er und 70er Jahren ist das Finnlandbild vielfältiger geworden, da nun auch ethnische und sexuelle Minderheiten die Bühne betraten. Wie die Loslösung von patriarchalischen Gegebenheiten beweist, war Finnland formell einer der Vorreiter der Gleichberechtigung in Europa. Frauen wurde schon 1907 das allgemeine Wahlrecht zugestanden, 1929 befreite man sie von der Vormundschaft ihrer Ehemänner. Eine Zuspitzung der Frauenfrage verhinderte in Finnland die Tatsache, dass die Geburt einer nationalen Gesellschaft und die Vermehrung politischer Rechte Anfang des 20. Jahrhunderts sowohl Männer als auch Frauen betraf. Die Vertretung von Frauen in Bürgerorganisationen und in politischen Parteien realisierte sich somit relativ früh. Ein zweiter wesentlicher Faktor für die Positionsbestimmung der Frau lag in der Stärke der agrarischen Traditionen. Die Rollenverteilung zwischen Bauer und Bäuerin sah man schon von Natur aus als Arbeitsgemeinschaft, in der die Stärke und die Rolle der Frau als Arbeitskraft hervorgehoben wurden. Die Hausfrauenkultur mit dem Mann als alleinigem Ernährer konnte sich in Finnland kaum durchsetzen, weil es nur eine zahlenmäßig schwache Mittelschicht gab, obwohl bis in die 60er Jahre durchaus der Gedanke vorherrschte, die Stellung der Frau über Heim und Familie zu definieren. Agrartradition und Volksaufklärung passten gut zur Haushaltsideologie der Frauenaktivitäten in Bürger- wie Arbeiterbewegung. Sichtbarste Förderung fand die Haushaltsideologie in der Martta-Organisation, die auch in der modernen Gesellschaft noch als Beratungsforum in alltäglichen Haushaltsfragen ihre Rolle behalten hat. Aus feministischer Sicht waren die national gesinnten Jahrzehnte seit dem Erreichen der Unabhängigkeit bis in die 50er Jahre eine Zeitspanne des Rückschlags für die Frauen-

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bewegung in Finnland. Die Metapher von der nationalen Familie beherrschte stark die beispielsweise von der Lotta-Svärd-Organisation für die Frau bestimmte Rolle. Nach Raija Julkunen wollte man die Tatsache, dass Frauen arbeiten gingen, lieber mit Armut und Nachkriegszwängen erklären denn als Folgeerscheinung der Emanzipation. Mit der Anhebung des Wohlstands, so dachte man, würde Finnland sich der mitteleuropäischen Hausfrauenkultur anschließen. Der schnelle gesellschaftliche Wandel der 60er Jahre führte jedoch dazu, dass Frauenarbeit zur Norm wurde und die gesellschaftlichen Dienstleistungen nach den Vorgaben des Arbeitslebens geregelt wurden. 1973 trat das Gesetz über die staatliche Finanzierung kommunaler Tagesbetreuung der Kinder in Kraft. Die Zwangslage der finnischen Mutter, die Erfahrung nämlich, aufgrund der kulturellen Anforderungen an zwei Plätzen gleichzeitig gefordert zu sein – auf der Arbeit und bei der häuslichen Kinderbetreuung –, hatte einen soliden historischen Hintergrund. Gemäß feministischer Kritik wurde die Fortschrittlichkeit der Stellung der Frau vor allem als Teil der nationalistischen und arbeitszentrierten Erfolgsgeschichte hervorgehoben. In einigen Fragen wie bei der Kriminalisierung familiärer Gewalt war Finnland in seiner Gesetzgebung eher ein Nachzügler. Was konservative Institutionen angeht, so erreichten Frauen immerhin ab 1988 Pfarrämter in der lutherischen Kirche und seit 1995 können Frauen freiwillig die Wehrpflicht ableisten. In den 60er und 70er Jahren blieb der Feminismus in Finnland im Vergleich zu Westeuropa freilich eine Randerscheinung. Die Schwäche des Feminismus erklärte man mit dem Trugbild angeblich schon erlangter Gleichberechtigung sowie mit der starken Parteipolitisierung in dieser Zeit. Ein anschauliches Beispiel für die Entwicklung der finnischen Gleichberechtigungsdiskussion ist die zu deren Förderung gegründete „Gesellschaft 9“, in der sich radikale Ansätze zu Staatsfeminismus assimilierten. Die Vereinigung, in der sowohl Männer als auch Frauen mitarbeiteten, wurde bald zu einem beratenden Ausschuss umgewandelt. Die Frage der Stellung der schwedischsprachigen Minderheit spitzte sich nach Unabhängigkeit und Bürgerkrieg zu. Ein Grund dafür war der Streit mit Schweden um die Zugehörigkeit von Ahvenanmaa (Åland). Durch Entscheidung des Völkerbundes fiel die durchweg schwedischsprachige Inselgruppe als einsprachige Provinz an Finnland. Ein neuer Sprachenstreit wurde von der nationalgesinnten Intelligenz hinsichtlich der Universität Helsinki entfacht, wo noch immer ein Großteil der Professoren ihre Vorlesungen nur auf Schwedisch hielt. Das Problem wurde in den 30er Jahren durch neue Statuten gelöst. Die schwedische Sprache behielt ihre Position und der Minderheit wurden gleichzeitg klare gesetzliche Rechte eingeräumt. Diese Entscheidung wurde dadurch gefördert, dass die Nationalgesinnten des weißen Finnland, die mit dem Slogan „eine Sprache, ein Sinn“ die Trommel rührten, keine Einigkeit für ein Monopol erzielten. „Die Felder dieses Landes fragen nicht, welche Sprache ihre Pflüger sprechen“ war die Linie des Anführers der Lapua-Bewegung, Vihtori Kosonen. Für die Arbeiterbewegung war die Sprachenfrage nach Väinö Tanner absolut zweitrangig. Staatskultur und Übermacht der finnischen Sprache spiegelten sich in der starken Gruppenidentität der Finnlandschweden, was sich politisch in der relativ großen Stabilität der Schwedischen Volkspartei (RKP) äußerte. Diese machte ihren Einfluss noch bei der Ausgestaltung des nachkriegszeitlichen Besiedlungsgesetzes geltend: Finnisch sprechende Umsiedler wurden nicht in schwedischsprachigen Gebieten angesiedelt. Ende der 60er Jahre legte man im Zuge der Grundschulreform Schwedisch als Pflichtsprache ab der siebenten Klasse fest. In den Köpfen der Menschen werden Finnlandschweden gern mit

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wohlhabendem Bürgertum gleichgesetzt, obwohl die Unterschiede innerhalb der Sprachenminderheit durchaus groß waren. Die Fischer von den südlichen Inselgruppen und die urbanen, vollständig zweisprachigen Mittelschichtler und Arbeiter in Helsinki waren kulturell ziemlich weit voneinander entfernt. Mittels der schwedischen Sprache war Finnland jedenfalls in die skandinavische Gemeinschaft eingebunden. Das nordische Modell wurde schon in den 30er Jahren zum gesellschaftlichen Vorbild und man versuchte, dem schwedischen Wohlstandsbeispiel zu folgen. Andererseits verursachten die unterschiedliche Geschichte und die geopolitische Position der Länder Spannungen, die eine engere politische Zusammenarbeit verhinderten. In den 30er Jahren konnten Pläne für einen Verteidigungsbund nicht realisiert werden und Ende der 60er Jahre machte der Einfluss der Sowjetunion den Zusammenschluss zu einem einheitlichen Nordek-Wirtschaftsgebiet zunichte. Das Bild Finnlands als eines kulturell ungewöhnlich homogenen Landes hat man als übertrieben kritisiert, weil als ein Grund dafür die national gefärbte Atmosphäre in den Jahrzehnten nach dem Erreichen der Unabhängigkeit vorgebracht wurde. Helsinki und Wiborg waren aber kosmopolitische Städte und ihre Kulturtraditionen sind auch späterhin nicht verschwunden. Kulturell eher unauffällig verhielt sich die russische Minorität, die zum Teil seit der Zeit der Autonomie im Land war, zum Teil als Emigranten nach der Oktoberrevolution kam. Urbane Minderheiten wie etwa in Helsinki wohnende Juden und muslimische Tataren waren so klein und so gut in die finnische Gesellschaft integriert, dass dies nicht zu größeren Problemen führte. In der extremen Rechten Finnlands zeigte sich allerdings wie allgemein in Europa ein gewisser Antisemitismus. Die Teilnahme der finnischen Juden am Krieg und die Zusammenarbeit mit den Deutschen im Fortsetzungskrieg zeitigten freilich skurrile Situationen. Die Deutschen schlugen den jüdischen Kapitän Salomon Klass für das Eiserne Kreuz vor, der aber bat selbst, ihn von der Liste der Auszuzeichnenden zu streichen. Klass hatte in einer Unterhaltung mit einem deutschen Oberst offen sein Judentum eingestanden, der dann überrascht mitteilte, er habe „persönlich nichts gegen die Juden“. Danach verabschiedete er sich mit dem Hitlergruß und verließ mit seinen Untergebenen den Raum. Von den ethnischen Minderheiten hatten die Roma trotz ihrer geringen Anzahl doch größere Bedeutung für die finnische Kultur. Die fahrenden „Zigeuner“ waren auf dem Lande die Einzigen, gegen die sich die Staatskultur wandte. Der Verzicht auf ihre bisherige Lebensweise nach dem grundlegenden Wandel der ländlichen Strukturen in den 50er und 60er Jahren war ein großer Umbruch für die Romakultur. Die Dienstleistungen der Wohlfahrtsgesellschaft brachten der Minorität soziale Vorteile und das Erwachen zu gesellschaftlichem Bewusstsein machte die Roma vom Objekt einer Kontrollpolitik zu einem Faktor aktiver Politik. Zugleich spiegelte sich die Schwierigkeit ihrer Integration in sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit, Mangel an Ausbildung und Kriminalität. Im besten Fall gelang es den Roma, ihre herkömmlichen Erwerbszweige zu modernisieren: Pferdesport, Autohandel und Musik. Charakteristisch für die finnischen Roma war die Kraft ihrer traditionellen Bräuche, wie sie in ihrem Bekleidungskodex und der strengen Befolgung ihrer Verhaltensregeln sichtbar wurden. Die Spannung zur Hauptkultur linderte sich, als auf die noch in der Minderheitspolitik der 50er Jahre rassistische Züge aufweisenden Vereinheitlichungsbemühungen verzichtet wurde. Allerdings bewies die empörte Aufnahme einer „Zigeuner“-Comedyserie im Fernsehen 2007, dass die historische Last trotzdem schwer wiegt. Der Versuch, das Verhältnis zwischen der Grundbevölkerung und

Die Kehrseite der nationalen Kultur

einer Minderheit mit Mitteln des Humors aufzubrechen, misslang, weil das große Publikum das von den Verfassern angepeilte doppelte Niveau der Interpretation nicht fand. Die Roma fühlten sich wieder einmal verspottet; die am meisten mit Vorurteilen belasteten Leute mochten wohl über die alten Zigeunerwitze einfach als solche lachen. Im nördlichen Lappland stieß die finnische Staatskultur auf die Minderheit der Samen, eine typisch kolonialistische Konstellation. Lange Zeit blieben Schmerzpunkte die Rechte der Ursprungsbevölkerung auf ihre Naturschätze, auf die eigene Sprache und ihre kulturelle Identität. Gegeneinander standen die traditionellen Erwerbszweige wie die Rentierzucht und die wirtschaftliche Nutzung von Wäldern und Gewässern. Kriegszeit und Wiederaufbau Lapplands nach der Vernichtung waren Wendepunkte in der samischen Kultur, denn danach fassten die Staatskultur und die damit verbundenen Gewohnheiten hier festen Fuß. Unter den Samen waren ja mit dem finnischen Schulbetrieb nach dem Kriege negative Erinnerungen verbunden, denn im Unterricht versuchte man die Kinder ihrer eigenen Sprache und Kultur zu entfremden. Die in den 60er Jahren einsetzende „Samenrenaissance“ äußerte sich in der Betonung der eigenen Kulturelemente in der Kunst wie in auflebender gesellschaftlicher Aktivität. Anfang der 70er Jahre gründete man eine offizielle Samenabordnung (später Samenversammlung), aus der ein Delegierter als Vertreter für ihre Angelegenheiten gewählt wurde. Die Gründung der Delegation bedeutete gleichzeitig die offizielle Anerkennung der samischen Rechte durch den finnischen Staat. Nach Veli-Pekka Lehtola nahm der Weihnachtsmann aus Sicht der ursprünglichen Bevölkerung erst nach dem Krieg seinen Wohnsitz in Lappland. Die Exotik Lapplands und der Samenkultur hat man, zum Teil fast gewaltsam, für die Förderung des Tourismus genutzt. Zwei finnische Filme, die ein größeres Publikum gefunden haben und auch international prämiert wurden, bezogen ihren Stoff aus Lappland. Valkoinen peura (Das weiße Ren, 1952) von Erik Blomberg rekapituliert in seiner Haupthandlung die Mythologie der lappischen Zauberei. Die literarische Sensation der 60er Jahre war der Roman Maa on syntinen laulu (Das Land ist ein sündiges Lied) von Timo K. Mukka (1944–1973), der viel zu kurz, aber leidenschaftlich lebte. Der dazu gedrehte Film unter der Regie von Rauni Mollberg schockierte die Gemüter mit seiner realistischen Schilderung der nördlichen Natur und Sexualität. Bis zu den 80er Jahren blieb der Zuzug von Ausländern nach Finnland gering, die Wanderung erfolgte eher umgekehrt. Noch bescheiden an Zahl war die Ankunft chilenischer und vietnamesischer Flüchtlinge in den 70er Jahren. Die Bürgerkriege in Somalia und Jugoslawien und die Auflösung der Sowjetunion in den 90ern führten zu vermehrter Einwanderung, sodass sich die Zahl der Menschen mit ausländischem Hintergrund schnell vervielfachte. Der multikulturelle Aufbruch und die Probleme seiner Akzeptanz verdichteten sich 1991 in der Kritik an der Finnlandisierung, und der bekannte Karikaturist Kari, Fürsprecher der Altkonservativen, musste seine jahrzehntelange Karriere auf der Paradeseite der Zeitung Helsingin Sanomat aufgeben. Er hatte in seinen Zeichnungen immer weiter afrikanische Asylanten als „Neger“ verunglimpft, was politisch nicht mehr für tragbar gehalten wurde. Zwei Kulturerscheinungen sind aus der historischen Wirklichkeit Finnlands außerhalb des nationalen Hauptstroms hervorgesprossen und haben von hier aus die weite Welt erobert. Die Schöpferin der beliebten und allgemeinmenschliche Moral repräsentierenden Mumin-Figuren (Muumi), die finnlandschwedische Illustratorin und Schriftstellerin Tove Jansson (1914–2001), ist in ihrer Persönlichkeit als Minderheit in der Minderheit

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V. Kulturgeschichte des unabhängigen Finnland

charakterisiert worden. Ihre Gestalten begannen ihren Siegeszug schon in der Atmosphäre der Nachkriegszeit und spiegeln zugleich den Eskapismus in der Gegenwart ihrer Zeit. Und nur wenige wissen, dass die in Identität und Bildsprache der homosexuellen Gemeinschaft verwurzelten muskulösen, in Leder gekleideten Homos ihr Dasein den Landarbeitern Agrarfinnlands und den Uniformen der Kriegszeit verdanken. Der unter dem Künstlernamen „Tom of Finland“ bekannte Zeichner Touko Laaksonen (1920–1991) war im Zweiten Weltkrieg Frontoffizier.

VI. Multikulturelles Finnland

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VI. Multikulturelles Finnland Outi Fingerroos

Finnland ist zumindest theoretisch multikulturell. Nach Angaben des Statistischen Zentralamtes zur Bevölkerungsstruktur betrug Ende 2011 die Anzahl in Finnland lebender Ausländer gleichwohl nur 183 133 Personen. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist deren Anteil an der Gesamtbevölkerung das ganze 20. Jahrhundert über recht klein gewesen, er lag anfangs nur bei etwa einem Prozent und beträgt noch heute kaum mehr als drei Prozent. Finnland ist also für Zuwanderer nie sonderlich verlockend gewesen. Dass globale Wanderbewegungen zu Veränderungen im Bevölkerungsprofil der einzelnen Länder führen, ist ein normaler Zustand – und keineswegs die nationalistisch gefärbte Auffassung von einem einheitlichen Volk in einem Nationalstaat. Vor diesem Hintergrund ist es höchst interessant festzustellen, dass Zuwanderung nach Finnland ein prägnantes Phänomen der 90er Jahre und somit neu ist. Heute ist Finnland seiner Bevölkerung nach vielfältiger als jemals zuvor und die zur Multikulturalität führende Entwicklung scheint eine unaufhaltsame und dauerhafte zu sein. Zu den traditionellen Minderheiten Finnlands, vertreten durch Samen, Finnlandschweden, Roma, Juden, Tataren und Russen, kamen nun völlig neue Zuwanderergruppen. Derzeit verteilt sich die eingewanderte Bevölkerung grob auf drei Gruppen: erstens Zuzug aus westlichen Ländern, zweitens Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion und aus osteuropäischen Ländern und drittens vor allem aus dem Nahen Osten, Nordafrika, Somalia und einigen asiatischen Ländern gekommene Flüchtlinge, Asylbewerber und durch Familienzusammenführung eingereiste Personen. Nach Paragraph 17 des finnischen Grundgesetzes ist den Samen als Ureinwohnervolk – wie auch den Roma und anderen in Finnland wohnenden Minderheiten wie Finnlandschweden, Juden, Tataren und Russen – das Recht auf eigene Sprache und Kultur garantiert. Samen gibt es in Finnland etwa 7000. Das skandinavische Samengebiet Sápmi ist auf die nördlichen Teile Norwegens, Schwedens, Finnlands und Russlands begrenzt. Auf finnischem Territorium betrifft dies Enontekiö, Inari, Utsjoki und das Gebiet nördlich von Sodankylä. Außerdem gehört noch das Gebiet der Skoltlappen um Inari dazu, wo auch nach dem Zweiten Weltkrieg umgesiedelte Russen/Sowjetbürger leben. Als einziges Ureinwohnervolk Europas bilden die Samen in Finnland und Skandinavien eine bedeutende Gruppe mit Sonderrechten: Der offizielle Status ihrer Sprache wurde in dem 1992 in Kraft getretenen Sprachengesetz festgeschrieben. Die eigene Flagge der Samen übernimmt die traditionellen Farben der samischen Kleidung und zeigt die abstrahierte Form einer Schamanentrommel. Die Samen haben auch andere Kennzeichen eines Ureinwohnervolkes wie einen Nationalfeiertag und das Lied der samischen Sippe Sámi soga lávlla. Weiter steht ihnen ein eigenes Vertreterorgan zu, sámediggi, also das Samengericht. Dessen Aufgaben sind: die eigene Sprache und Kultur der Samen durchzusetzen und sich solcher Angelegenheiten anzunehmen, die ihre Stellung als Ureinwoh-

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nervolk betreffen. Das Samengericht kann den Behörden Initiativen und Vorschläge unterbreiten und Gutachten erstellen. In diesen Dingen macht das Samengericht außerdem von seiner Beschlusskraft Gebrauch, soweit es das entsprechende Gesetz erlaubt oder dies an anderer Stelle der Gesetzgebung geregelt ist. Finnland hat lange historische Bindungen an das westliche Nachbarland Schweden, woraus folgt, dass noch immer eine umfangreiche schwedischsprachige Bevölkerung im Lande lebt. Die Finnlandschweden sind schon seit Jahrhunderten in den westfinnischen Küstengebieten von Uusimaa, Turku, Ahvenanmaa und Ostbottnien konzentriert. Ihr Anteil liegt bei etwa fünf Prozent. Sie sind häufig als Sprachminderheit klassifiziert worden, was auch durch die finnische Gesetzgebung und die politische Diskussion um ihren Status gestützt wird. Im Grundgesetz ist Schwedisch als zweite offizielle Sprache in Finnland festgeschrieben. Das Sprachengesetz garantiert den Schwedisch sprechenden Bürgern das Recht, ihre Sprache gleichberechtigt in Gerichtsverhandlungen und in Angelegenheiten mit anderen Behörden zu gebrauchen. Ihre Stellung als Minderheit ist abgesichert – sogar so sehr, dass man sie stereotyp als bättre folk oder Kulturelite bezeichnet, die ein süßes Strandleben führt.

Finnland: Zahlen und Fakten Die Republik Finnland ist als eines der skandinavischen Länder Mitglied der Europäischen Union (seit 1995) und der Europäischen Währungsunion (seit 1999). In Nordeuropa an der Ostsee gelegen sind Finnlands Nachbarländer Russland im Osten, Norwegen im Norden, Schweden im Westen und im Süden an der gegenüberliegenden Küste Estland. Die Inselgruppe Ahvenanmaa (Åland) ist eine autonome, demilitarisierte finnische Provinz. Bevölkerung: In der EU vertreten die Finnen etwa 1 % der Gesamtbevölkerung von 500 Millionen. Finnland ist ein dünn besiedeltes Land, der Großteil der 5,4 Millionen Einwohner lebt hauptsächlich in Süd- und Mittelfinnland. Zum Vergleich: Bevölkerung in Mio.

Fläche in km2

Einwohner/km2

Finnland

5,4

338 432

15

Schweden

9,0

449 964

20

Dänemark

5,4

43 094

126

Deutschland

82,4

357 021

230

Großbritannien

59,5

244 820

243

Die größten Städte Finnlands sind Helsinki (596 000 Einwohner), Espoo (253 000), Tampere (215 000), Vantaa (203 000), Turku (179 000), Oulu (144 000) und Jyväskylä (132 000). Die Hauptstadtregion stellt mit über einer Million Einwohnern die größte Besiedlungsballung dar. Altersstruktur: bis 14 Jahre 16,9 %, 15–64 Jahre 66,7 %, über 64 Jahre 16,4 %. Die Lebenserwartung beträgt durchschnittlich 78,7 Jahre, bei Frauen 82,3 und bei Männern 75,2 Jahre. Analphabeten gibt es praktisch keine. Die Schulpflicht erfasst 7- bis 16-jährige Kinder. Finnland kann innerhalb der OECD-Länder mit die am besten ausgebildeten jüngeren Jahrgänge vorweisen, denn über 45 % der Altersklasse 25–34 Jahre haben mindestens einen Mittelschulabschluss. Dieses Niveau erreichen lediglich sieben OECD-Länder.

VI. Multikulturelles Finnland

Sprachen: Hinsichtlich der Nationalität verteilte sich Ende 2010 die Bevölkerung in Finnland folgendermaßen: Finnen 96,9 % (5 207 322), Esten 0,54 % (29 080), Russen 0,53 % (28 426) und Schweden 0,16 % (8510). Finnland ist neben Estland und Ungarn einer der selbstständigen Staaten, die zur finnisch-ugrischen Sprachgruppe gehören. Die schwedischsprachige Bevölkerung konzentriert sich auf die Südküste und die Küstengebiete in Ostbottnien sowie auf Ahvenanmaa. Andere traditionell in Finnland gesprochene Minderheitssprachen sind drei samische Dialekte. Das Recht auf eigene Sprache und Kultur ist den Samen, Roma und anderen Gruppen per Grundgesetz garantiert. Seit Anfang der 90er Jahre sind die Somalier praktisch von null auf eine bedeutende Minderheit angewachsen. Als Folge der Einwanderung werden in Finnland heute mindestens 37 Sprachen von wenigstens jeweils 1000 Personen gesprochen: Finnisch 4 863 000 Schwedisch 291 000 Russisch 58 300 Estnisch 33 000 Somalisch 14 000 Englisch 13 800 Arabisch 11 300 Deutsch 3 800 Der Größenordnung nach weiter: Kurdisch, Chinesisch, Albanisch, Thai, Vietnamesisch, Türkisch, Persisch, Spanisch, Französisch, Polnisch sowie Ungarisch mit 2200 und Samisch mit 1870 Sprechern. Der Anteil der Einwanderer nach Finnland ist einer der geringsten in der EU, obwohl er in den letzten zwanzig Jahren stark angestiegen ist. Etwa 2 % der Bevölkerung sind Bürger anderer Staaten. Die meisten von ihnen leben in der Hauptstadtregion und in den anderen größeren Städten. Finnische Auswanderer richten ihren Weg vor allem in die nordischen Länder, ins übrige Europa, in die USA und nach Asien. Religion: Finnlands Grundgesetz verleiht der lutherischen Kirche eine Sonderstellung und auch für die orthodoxe Kirche bestehen Sonderrechte, sodass beiden in gewissem Sinne der Status einer Staatsreligion zukommt. Glaubensfreiheit, mithin das Recht zur Ausübung anderer Glaubensrichtungen, ist jedoch gesetzlich festgeschrieben. In den letzten Jahren hat die Zahl derer, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, erheblich zugenommen. Ende 2011 handelte es sich um 20,1 % der Bevölkerung. Naturbeschaffenheit: Finnlands Fläche beträgt 338 432 km2, hinzu kommt sein Anteil an den Meeresgebieten von 52 471 km2; durch Landhebung vergrößert sich die Festlandfläche jährlich um etwa 7 km2. Von der Landfläche sind 4 % bebaut, 9 % werden landwirtschaftlich genutzt, 77 % sind bewaldet, 10 % anderes. Der Felsengrund Finnlands gehört zur alten Fennoskandischen Platte, von der ein Großteil älter ist als 1800 Millionen Jahre. Der Grundfels ist vielerorts sichtbar. Der älteste Felsgrund in Ost- und Nordfinnland entstand vor 2800 – 2700 Millionen Jahren. Der Süden des Landes und die Küstengebiete am Bottnischen Meerbusen sind flache Tiefebenen, in Mittelfinnland ist es hügelig. Die bewaldeten Anhöhen im Osten und die Fjälls in Lappland sind Überbleibsel des uralten Gebirgszuges der Karelidien. Der höchste Punkt Finnlands ist der Fjäll Haltitunturi (1324 m) auf dem zu den Skanden gehörenden „Arm des Finnlandmädchens“ hoch oben im Norden. Die gewöhnlichste Gesteinsformation sind Moränen. Diese am Ende der letzten Eiszeit durch Schiebekräfte in Richtung des Gletscherrandes entstandenen Gebilde und die in Bewegungsrichtung verlaufenden Kammgebirge sind für Finnland typische Landschaftsformen. Die bedeutendsten davon sind die von Südwesten nach Südosten quer durch Südfinnland verlaufenden Salpausselät und die PyynikkiKämme in Pirkanmaa in der Nähe von Tampere, die die höchste derartige unter dem Gletschereis gebildete Aufschüttung von Kiesen weltweit darstellen, sowie der Punkaharju am See Puruvesi, der zum Saima-Seengebiet gehört.

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VI. Multikulturelles Finnland

In Finnland wurden 187 888 über 500 m2 große Seen gezählt. Der größte See ist der Saima, der tiefste der Päijänne. Die Seen sind zerklüftet, mit einer Durchschnittstiefe von 7 m meistens recht flach und haben zahlreiche Inseln. Die großen Flusssysteme sind die der Flüsse Vuoksi, Kymijoki, Kokemäenjoki, Oulujoki und Kemijoki. Wie die Seen sind auch die Ostseeküsten mit ihren vielen Inseln sehr zerklüftet. Um Ahvenanmaa und in den Schärengebieten um Turku zählt man die zweithöchste Zahl von Inseln in Europa; im Meer und in den Binnengewässern gibt es insgesamt 179 584 davon. Fauna und Flora: Die finnische Fauna ist wesentlich durch die nordische Nadelwaldzone geprägt. Säugetiere gibt es über 60 Arten, am gewöhnlichsten sind Eichhörnchen, Waldhasen und Füchse, größere Bären, Wölfe, Elche und Unterarten der Hirschgattung wie Waldren und Rentiere. Vogelarten wurden 450 beobachtet, zum größten Teil Zugvögel. Fischarten gibt es über 70, Reptilien 5 und Amphibien ebenfalls 5 verschiedene Arten. Hinsichtlich der Flora gehört der größte Teil Finnlands zur nordischen Nadelwaldzone mit weiten Tundrabereichen. Nur in den südlichen Küstengebieten finden sich daneben auch Laubwälder. Klima: In Finnland herrscht ein Zwischenklima, das sowohl Meeres- als auch Kontinentalklima aufweisen kann, je nach der Richtung der Luftströmungen. Die Temperaturen werden durch die Lage des Landes zwischen dem 60. und 70. Breitengrad beeinflusst. Tatsächlich wärmt im Verhältnis zu Gebieten innerhalb der gleichen Breitengrade der Golfstrom Finnland um 6–11 °Celsius. Die jährlichen Durchschnittstemperaturen liegen im südwestlichen Teil bei 5,5 °C, im Nordwesten bei –2 °C. Im Prinzip gibt es vier Jahreszeiten: Im Winter liegt die Durchschnittstemperatur außer in den südwestlichen Schärengebieten unter 0 °C, im Frühjahr zwischen 0 °C und +10 °C, im Sommer steigt sie über +10 °C und im Herbst fällt sie auf 0° bis +10 °C zurück. Der Winter beginnt in Finnland im November, in Lappland schon im Oktober. Vielleicht sind diese statistischen Angaben wenig aussagekräftig, denn im Januar/Februar kann es auch im Süden durchaus mal 25–30 Grad kalt sein, Spitzenwerte in Lappland liegen bei über 40° minus. Im Sommer hingegen warten alle auf die üblichen etwa 6–10 „Hitzetage“ mit über +25 °C. Staatswesen: Der Staatsform nach ist Finnland eine Republik. Alle Gewalt geht vom Volke aus, repräsentiert durch das Parlament. In das Parlament werden aller vier Jahre in allgemeinen, freien und geheimen Wahlen 200 Abgeordnete gewählt. Nach den Wahlen übernimmt der Vorsitzende der stärksten Partei die Aufgabe der Sondierung und Beratung zur Zusammensetzung der künftigen Regierung und zum Regierungsprogramm. Das Parlament wählt dann den Staatsrat, das heißt die Regierung, und überwacht in der laufenden Legislaturperiode dessen Tätigkeit. Die Regierung legt dem Parlament ihre Gesetzesentwürfe und den jährlichen Haushaltsplan zur Begutachtung und Billigung vor. Auch die Abgeordneten haben das Recht, Gesetzesinitiativen einzuleiten. Unabhängige Gerichte kontrollieren die Befolgung der Gesetze. Haupt des Staates ist der Präsident der Republik, der für jeweils sechs Jahre in direkter Volkswahl gewählt wird. Bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2012 erreichte Sauli Niinistö im zweiten Wahldurchgang eine deutliche Mehrheit, seine Amtszeit läuft bis 2018. Der Präsident bestätigt die Gesetze und leitet die Außenpolitik gemeinsam mit der Regierung. Die Europäische Union betreffende Angelegenheiten erledigt gewöhnlich der Ministerpräsident. Die Abgeordneten verteilen sich auf die verschiedenen politischen Parteien, die Parlamentswahlen bestimmen die Sitzverteilung. Nach den Wahlen von 2011 sind acht Parteien im Parlament vertreten: Nationale Sammlungspartei (44 Abgeordnete), Sozialdemokraten (42), Basisfinnen (39), Zentrumspartei (35), Bund der Linken (14), Grüne (10), Schwedische Volkspartei (9) und Christdemokraten (6). Von diesen stehen die Basisfinnen und das Zentrum derzeit nicht in der Regierungsverantwortung. Die Basisfinnen erreichten in der Parlamentswahl 2011 einen erstaunlichen Zuwachs, von ursprünglich nur fünf Sitzen zur drittgrößten Partei. Ihre Themen waren Ablehnung der EU, des Euro, der Einwanderungspolitik und der Entwicklungshilfe und stattdessen die Rückkehr zu einem illusionären einheitlichen Zustand der finnischen Nation.

VI. Multikulturelles Finnland

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Wirtschaft: Das Bruttosozialprodukt per Einwohner betrug im Jahre 2009 33 500 US-Dollar und lag an 22. Stelle in der Weltstatistik. Es ist damit geringfügig niedriger als in Schweden und Dänemark, bleibt aber erheblich hinter dem des weltweit an dritter Stelle liegenden, durch seine Ölvorkommen reich gewordenen Norwegen zurück (52 500). Wichtig für die finnische Wirtschaft sind Holz-, Metall- und Elektronikindustrie sowie die Bereiche Technologie und Telekommunikation. Die großen Industrieunternehmen (z. B. Nokia, holzverarbeitende Firmen) spielen dabei eine wichtige Rolle, was gelegentlich auch als Schwachpunkt angesehen wird. Finnland verfügt an natürlichen Bodenschätzen vor allem über Wald und Mineralien. Den größten Wirtschaftsanteil bildet der Dienstleistungssektor, obschon dieser im Vergleich zu anderen OECD-Ländern noch als mancherorts zu wenig entwickelt betrachtet wird. Eine positivere Entwicklung verhindert das durch Besteuerung und Löhne verursachte hohe Arbeitskostenniveau. Die Wirtschaft des Landes ist stark auf die internationalen Märkte ausgerichtet. Der Anteil des Exports beträgt ein Drittel des gesamten Sozialprodukts. Finnlands wichtigste Handelspartner sind Deutschland (15 % Import und 11 % Export), Russland (14 %/11 %) und Schweden (11 %/11 %). 60 % des Außenhandels spielen sich innerhalb der EU ab. Nach Angaben des Statistischen Zentralamtes gab es in Finnland 2006 ca. 1,2 Millionen Wohnhäuser. Für das Wohnen werden etwa 25 % des Einkommens ausgegeben und ungefähr 60 % der Bevölkerung besitzen Eigentumswohnungen. Für Lebensmittel werden durchschnittlich 11 % des Haushaltseinkommens aufgewendet, für Tabakwaren und Alkohol etwa 5 %, Kultur und Freizeit beanspruchen 10 % des Einkommens, Gesundheitsleistungen kosten 4 % und Ausbildung nur 0,4 %. Tourismus: 2005 wurden in Finnland 5 Millionen ausländische Langzeitbesucher registriert und für 31 Millionen Menschen konnte zumindest eine Übernachtung im Land verzeichnet werden. Die Provinz Uusimaa zog den größten Nutzen aus den Reisenden, denn sie nahm beispielsweise 2002 ca. 3,1 Milliarden Euro oder 37,6 % aller Einkünfte durch Tourismus ein; mit jeweils 400–600 Millionen Euro waren Südostfinnland, Ostbottnien, Ahvenanmaa und auch Lappland als weitere beliebte Reiseziele beteiligt. In Südfinnland erfreuen sich die Kreuzfahrten mit komfortablen modernen Schiffen von Helsinki und Turku aus nach Schweden und Estland großer Beliebtheit. Zwischen Ahvenanmaa und Turku locken die Reize der Schären mit ihren unzähligen Inseln. In Helsinki ankern besonders im Sommer jährlich etwa 260 große Kreuzfahrtschiffe aus aller Welt. Eine eigene Gruppe bilden solche Touristen, die Finnland als Zwischenetappe ansteuern und dann ihre Reise nach Tallinn oder mit der Bahn nach Wiborg und Sankt Petersburg fortsetzen. Trotz allem hat Finnland als touristisches Ziel unter den skandinavischen Ländern das bescheidenste Image. In einer Vergleichsuntersuchung von 50 Ländern landete es auf dem 18. Platz. Lauri Poropudas

Die Emigrantengemeinschaften der finnischen Juden, Tataren und Altrussen bildeten sich im Wesentlichen zur Zeit der russischen Herrschaft 1809–1917 heraus. Juden und Tataren gibt es in Finnland relativ wenige, etwa 2000. Die Zahl der Russen hingegen ist immer wesentlich größer gewesen, zum Beispiel hielten sich zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 1917 etwa 10 000 von ihnen dauerhaft im Land auf. Heute bilden sie die größte Ausländergruppe, denn 2011 lebten in Finnland über 50 000 Russen. Die russische Minderheit ist recht heterogen, denn sie besteht aus Emigranten wie aus in den 90er Jahren Zugezogenen aus Russland und Personen aus Ingermanland mit finnischen Wurzeln. Allerdings verbindet sie alle, dass sie in Finnland stets Objekte der Diskriminierung und des Rassismus waren. „Ein Russe bleibt ein Russe, auch wenn er in Butter gebraten wird“, besagt eine alte finnische Redewendung. Anzumerken ist hierzu, dass

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„Russland“ auf Finnisch Venäjä, „Russe“ venäläinen heißt, sodass „Russe“ (ryssä) etwa dem abschätzigen deutschen „Ruski“ oder „Iwan“ entspricht. So werden beispielsweise Russisch als Muttersprache sprechende Kinder und Jugendliche in der Schule noch immer als ryssä beschimpft und auch im Arbeitsleben werden Russen meist nicht gleichberechtigt behandelt. Die finnischen Medien stellen sie oft sehr stereotyp als „Kofferrussen“, Freudenmädchen oder neureiche Touristen dar. In seiner vielleicht deutlichsten Erscheinungsform äußert sich der Russenhass der Finnen in unserem Jahrtausend gegenüber den über die Ostgrenze gekommenen „Invasoren“ von Einkaufshäusern, Wintersportzentren und Feriengebieten. Als besonders verdächtig gelten russische Grundstückskäufer, von denen man fürchtet, sie könnten ganz Finnland aufkaufen, wie die Landvermessungsbehörde 2008 im Internet titelte: „Finnland wird den Russen verkauft: Russische Grundstückskäufe stark am Wachsen.“

Ewiges Finnentumsdefizit Wie gegenüber den vorhandenen inner-finnländischen Minderheiten war auch in der finnischen Integrationspolitik die Idee der Gleichberechtigung der von Anfang an grundlegende Faktor. Es wird versucht, die Einwanderer durch verschiedene Unterstützungsmaßnahmen in die Gesellschaft einzubinden, ohne deren eigene Sprache und Kultur zu unterdrücken. Anders gesagt, die finnische Gesellschaft billigt Multikulturalität, denn sie akzeptiert ethnische und kulturelle Vielfalt und sucht deren Erhalt zu fördern. Finnland ist in gewissem Sinne eines der multikulturellsten Länder Europas. Andererseits ist Finnland eigentlich keine besonders vielgestaltige Gemeinschaft, denn solche fundamentalen kulturellen Strukturen wie finnische Sprache, evangelisch-lutherische Religion und finnische Wurzeln bestimmen sehr stark unsere nationale Identität. Außerhalb der Hauptstadtregion und größerer Städte ist das Land nur schwach besiedelt und in seiner Bevölkerung homogen. Insofern handelt es sich bei der angestrebten politischen Multikulti-Ideologie um ein theoretisches Phänomen, das von einer echten ethnischen und kulturellen Vielfalt zu unterscheiden ist.

Exporterfolge finnischer Kultur Vorauszuschicken ist ein bescheidener Vergleich: Die Bevölkerungszahl Finnlands beträgt etwa fünfeinhalb Millionen, das entspricht ungefähr der Einwohnerzahl von St. Petersburg! Umso erstaunlicher ist es, dass ein so kleines Land derartig viele Künstler hervorgebracht hat. Es gibt in Finnland zahlreiche Laienspielgruppen, Amateurtheater, auch in kleineren Städten noch Stadttheater und kommunal unterhaltene Orchester und Chöre. Zu Musikevents und Theateraufführungen werden Besucher aus entlegeneren Gegenden mit Bussen in die Kulturzentren gebracht. Es ist daher eigentlich auch kein Wunder, dass die Wettbewerbsfähigkeit der finnischen Kultur auf internationaler Ebene seit den 50er Jahren von den Erfolgen sowohl im Designsektor als auch im Bereich der Musik getragen wird, was teilweise auch einem der dichtesten Netze verschiedener kultureller Vereinigungen zu danken ist. Man kann sagen, dass der Wohlfahrtsstaat Finnland kulturpolitisch aggressiv-liberal ist und verschiedenste Kulturformen nach Kräften unterstützt.

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Finnisches Design ist in der ganzen Welt geschätzt, weil es praktisch, zweckmäßig und in seiner Einfachheit trotzdem stilvoll ist („Funktionalismus“). Grundlage dafür war die Herstellung von traditionellen Bauernmöbeln wie Kommoden oder Schaukelstühlen und Dekorationsgegenständen, die seit den 50er Jahren den Modernismus entscheidend inspirierten. So wurden dann zum Beispiel 1966 auf der Kölner Messe der Kugelstuhl (Ball chair) und dessen aufhängbare Variante (Bubble chair) von Eero Aarnio vorgestellt und prämiert, denen 1970 der Pastillenstuhl aus Glasfaser folgte. Auch finnisches Glas und Keramikobjekte fanden stets Beachtung, besonders auf der Mailänder Triennale, und beeinflussten zum Teil deutsche Glasentwürfe (Gralglas Dürnau). Nachgeahmt wurden auch die berühmten Aalto-Vasen, die in verschiedenen Größen heute in manchem deutschen Haushalt stehen. Preise gewannen in Mailand unter anderem Kaj Franck, Tapio Wirkkala und Timo Sarpaneva. Jüngere Künstler (zum Beispiel Io Design) und Goldschmiede haben den von diesen aufgezeigten Weg einfacher Stilformen erfolgreich fortgesetzt. 2012 war Helsinki die WeltDesignhauptstadt – im Design-Forum stellten unter anderem die bekannten Firmen Artek (Alvar Aalto), Skanno, Isku, Aera und Iittala ihre Produkte vor. Nach dem Vorbild von Jean Sibelius hat die Sibelius-Akademie durch erstklassige Ausbildung seit Kim Borg (1919–2000) und Martti Talvela (1935–1989, ab 1962 an der Deutschen Oper Berlin), die beide durch Interpretationen von Schuberts Winterreise berühmt wurden, zahlreiche hervorragende Sänger, Komponisten und Dirigenten hervorgebracht, für die es eine Ehrensache ist, beim Opernfestival von Savonlinna aufzutreten. Der Komponist Einojuhani Rautavaara (geb. 1928) erlangte mit seiner siebenten Sinfonie (Angel of Light, 1994) Weltruhm. Die Dirigenten Okko Kamu (geb. 1946) und vor allem Esa-Pekka Salonen (geb. 1958) haben weltweit verschiedene Orchester dirigiert. Salonen erhielt darüber hinaus für sein Violinkonzert 2011 eine Grammy-Auszeichnung. Die derzeit bekannteste Komponistin Kaija Saariaho (geb. 1952) bekam im gleichen Jahr einen Grammy für die beste Opernaufnahme. 2010 war ihr beim Rheingau-Musik-Festival das Komponistenporträt gewidmet. Von Sängern und Sängerinnen seien erwähnt: Matti Salminen (Bass, geb. 1945), der in Köln und Zürich zum Ensemble gehörte und von 1976 bis 1988 Stammgast bei den Bayreuther Festspielen war; Jaakko Ryhänen (Bass, geb. 1946) und Jorma Hynninen (Bariton, geb. 1941) haben auf allen bedeutenden Opernbühnen der Welt gestanden. Die Sopranistin Anita Välkki (1926–2011) hat Finnland vor allem mit ihren dramatischen Wagner-Rollen schon in den 60er Jahren auf die Weltbühne gesungen; Soile Isokoski (lyrischer Sopran, geb. 1957) wurde 2008 in Wien als Kammersängerin ausgezeichnet. International bekannt sind weiter Monica Groop (Mezzosopran, geb. 1958) und vor allem die Starsopranistin Karita Mattila (geb. 1960). Sie wurde unter anderem durch die Neuinszenierung der Oper Salome von Richard Strauss berühmt, bei der sie 2008 an der Metropolitan Opera zu New York sekundenlang nackt auf der Bühne stand. Gekrönt wurden ihre Erfolge weiter durch die Tosca-Rolle in Puccinis gleichnamiger Oper bei den Opernfestspielen in München. Die genannten Künstler stehen hier für eine Vielzahl weiterer, die sich international einen Namen gemacht haben. Für den Bereich der Unterhaltungsmusik mag es genügen zu erwähnen, dass etliche finnische Rock- und Popgruppen Konzerte auch in Europa gegeben haben. Beispiele sind etwa die Cello-Rocker von Apocalyptica und die Band Nightwish, die Rock und Oper miteinander kombiniert. Speziell genannt werden soll noch eine Band, die im Frühjahr 2012 eine Tournee durch Deutschland absolviert hat: Die Eläkeläiset („Rentner-Band“, mitbegründet 1993 von einigen Mitgliedern einer Comedy-Truppe aus Tampere) begeisterte die Besucher mit allerhand Gags und ihrem Humppa-Stil (finnische Variante des Foxtrotts), mit dem sie bekannte Schlager und Poptitel verfremdet. Abschließend soll mit einem sensationellen Einzelfall noch auf einen anderen Kulturbereich verwiesen werden, die Literatur: Die junge finnisch-estnische Schriftstellerin Sofi Oksanen (geb. 1977) erregte weltweit Aufsehen mit ihrem 2007 zunächst als Theaterstück konzipierten, dann als Roman veröffentlichten Werk Puhdistus (Reinigung, 2008), das inzwischen in mehreren Ländern die Theaterbühnen erobert hat, verfilmt wurde und auch als Oper aufgeführt wird. Das Buch ist bereits in

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über vierzig Sprachen übersetzt worden und auf Deutsch 2010 erschienen unter dem Titel Fegefeuer. Und inzwischen sorgt auch Oksanens nächster Roman Kun kyyhkyset katosivat (Als die Tauben verschwanden, 2012) international für Furore. Alles in allem: Kulturexport, wie er besser nicht vorstellbar ist! Anssi Halmesvirta & Rolf Klemmt

In der politischen Kultur Finnlands sind die als unkontrollierbar abgestempelten Probleme im Einwanderungs- und Flüchtlingswesen seit den 90er Jahren ständig Gegenstand einer kritischen, oft die Furcht schürenden Diskussion. Die Immigration ist besonders in populistischen Reden ein stigmatisiertes Phänomen und Multikulturalität wird nur als gelegentlicher und zufälliger Teil des Finnentums begriffen. Die neuen Mitglieder der Gesellschaft werden in der Praxis wegen Sprache, Herkunft und Kultur aus dem symbolischen Finnentum ausgegrenzt. Wie die Forscherin Annika Forsander formuliert, leiden Einwanderer und Vertreter ethnischer Minderheiten an ewigen Finnentumsdefiziten. Die Erscheinungsformen dieser Stigmatisierung bezeichnet man neuerdings in der finnischen politischen Kultur als Einwanderungskritik. Said Aden, in den 90ern aus Somalia eingewanderter Sozialarbeiter der Stadt Helsinki, schrieb 2009: Wir haben viel Arbeit geleistet für unsere Einbürgerung, und zwar nicht nur durch Schulung. Unsere Leute kann man auch bei der Nachbarschaftshilfe von Hausgemeinschaften oder als freiwillige Trainer in Sportvereinen beobachten. Bei den letzten Wahlen (2007) wäre ein Mann mit somalischem Hintergrund fast als Volksabgeordneter ins Parlament eingezogen. Es sah so aus, als ob wir endlich Eingang in die finnische Gesellschaft fänden. Im letzten Herbst änderte sich die Situation. Die globale Wirtschaftskrise und die wachsende Zahl der Asylbewerber legten den Grundstein für den Wahlerfolg der Basisfinnen, die die finnische Einwanderungsdiskussion in neue – oder alte? – Bahnen lenkten. Wir wurden in erster Linie wieder zu Flüchtlingen, zu einer Bedrohung und zum Problem.

Ein typischer Zug der finnischen Einwanderungskritik besteht darin, das Problem auf die einseitige Frage zu reduzieren, wen Finnland aufnehmen sollte und in welcher Zahl. Im Gegensatz dazu gehört das Phänomen, dass viele Finnen ins Ausland gegangen sind, um ein besseres Auskommen und Leben zu erreichen, keineswegs zum Kern der Einwanderungskritik. Der finnische Forscher Teppo Sintonen hat karikaturistisch der Vorstellung Ausdruck gegeben, dass man, falls Schweden oder Nordamerika die Einwanderung von Finnen beschränken sollten, dies in Finnland als eine Schande empfinden würde. In Finnland hält man es dagegen für selbstverständlich, dass Quantität und Qualität der Zuzügler unabhängig von verschiedenen Verträgen und ethnischen Fakten kontrolliert werden können.

Finnen als Auswanderer Nach Angaben des Statistischen Zentralamtes betrug Ende 2011 die offizielle Bevölkerungszahl Finnlands 5 401 267 Personen; das Wachstum im Jahr 2011 lag mithin fast bei 26 000. Gleichzeitig geht man davon aus, dass 1,3 Millionen Finnen im Ausland leben – ein keineswegs neues Phänomen. Eine Reihe amerikafinnischer Emigranten siedelte sich

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schon im 17. Jahrhundert in der Kolonie Neuschweden am Fluss Delaware an; viele von ihnen waren aus den Finnwäldern Mittelschwedens über den Atlantik emigriert. Eine umfassendere Auswanderungsbewegung nach Amerika ging in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts von Hanko aus zunächst nach Hull und weiter nach Liverpool und per Schiff nach Ellis Island vor New York, dem Auffanglager für Einwanderer. Die meisten Finnen ließen sich dann in den Bundesstaaten New York, Massachusetts, Michigan, Minnesota und Washington nieder. Auch zu Zeiten der finnischen Unabhängigkeit seit 1917 zog es Menschen zu Tausenden nach Kanada und Amerika; man hat errechnet, dass zwischen 1860 und 1929 etwa 380 000 auswanderten, von denen etliche freilich schnell nach Finnland oder Russland zurückkehrten. Der Trend ließ um 1930 nach, aber sofort nach dem Zweiten Weltkrieg setzte erneut eine Wanderung zunächst Richtung Schweden ein, Australien ersetzte Amerika und vor allem Frauen zogen durch Heirat fort, unter anderem nach Deutschland.

Küche und Keller Die finnische Gastronomie besteht heute weithin aus Ketten und ist im Prinzip international: überall die gleichen Hotels, Restaurants, Speisekarten. Noch im kleinsten Ort findet man eine Pizzeria oder ein Kebab House, sicher auch einen Burger-Schnellimbiss und einen Chinesen. Am Kiosk gibt es dann noch Piroggen, schlaffe Brötchen, aber keine ordentliche Rostbratwurst. Privat ist die finnische Küche reichlich und deftig, Einflüsse hat sie nicht nur aus dem Westen, sondern vor allem auch aus Russland aufgenommen – schließlich hat man ja die lange gemeinsame Grenze. Es ist daher kein Wunder, dass karjalanpaisti, also der Karelische Fleischtopf, in ganz Finnland gegessen wird: klares Gulasch aus mindestens Rind- und Schweinefleisch, zuweilen angereichert mit Kartoffeln und Gemüse. Auch läskisoossi ist zu nennen: möglichst kräftige Specksoße. Ostfinnland hat übrigens die meisten Herzkranken – man isst hier einfach zu gern und zu fett. Karjalanpiirakka sind Karelische Piroggen, aus Roggenmehl gebacken und mit Reis oder Kartoffelmus gefüllt, oben drauf kommt Eierbutter. Von jenseits der Grenze stammen die blini, Plinsen aus Buchweizen, die mit dem Kaviar des kleinen Mannes, rotem Fischrogen, klein gehackten Zwiebeln und smetana, also Sauerrahm, gegessen werden. Smetana gehört auch zu eingelegten Knoblauchgurken mit Honig. Aus der Gegend um Kuopio kommt der kalakukko („Fischhahn“), bestehend aus Fisch (Barsch, Maränen) mit Speckstreifen in einem Brotmantel. Leipäjuusto sind tellergroße, im Ofen gebackene Frischkäsefladen, die gern mit lakka (Mult-, Moltebeeren, sehen aus wie gelbe Brombeeren), die vor allem in den Sümpfen Lapplands wachsen, als Dessert serviert werden. Apropos Beeren: Für den Hausgebrauch werden Preiselbeeren, Moos- und Heidelbeeren gesammelt und zu Marmelade oder Kompott verarbeitet oder entsaftet. Saft war ja früher im Winter fast die einzige Vitaminquelle. Trotz allem bleiben jährlich unglaubliche Mengen von Beeren im Wald liegen. Und das gilt auch für Pilze aller Art. Finnen sammeln vorwiegend Blätterpilze, die eingesalzen werden. Besonders begehrt ist der korvasieni, die an sich giftige Frühjahrs-Lorchel, die durch mehrfaches Abkochen genießbar gemacht werden kann und als Ragout wunderbar vor allem zu Wild passt. Rentier- und Elchfleisch kommt frisch nur im Herbst in die Geschäfte, ist aber jederzeit als Tiefkühlware erhältlich. Hasen dürfen nur für den Privatgebrauch geschossen werden. Aus Lappland stammt poronkäristys, Geschnetzeltes vom Ren, das im Original mit Bier angesetzt wird, denn Wasser war den Tieren vorbehalten. Und ein hirvenpihvi, ein Elchsteak also, ist eine Delikatesse, für die man das übliche Pfeffersteak allemal stehen lässt. Bekannt ist auch lapinrieska, Haferbrotfladen aus Lappland.

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Und Fisch? Lachs von den nordfinnischen Stromschnellen, der forellenähnliche, auch gezüchtete Buntlachs, Zander, Renke, Barsch und so weiter werden in allen möglichen Variationen aufgetragen. Als Besonderheit seien muikku erwähnt, kleine Maränen, die gegrillt besonders gut schmecken. Vor allem die als Suppenfisch verwendete made, eine Aalraupe, und Strömlinge werden zu vielen Gerichten verarbeitet. Bleiben festliche Spezialitäten: Im späten Frühjahr kommen gern neue Kartoffeln mit Hering auf den Tisch. Die Kartoffeln isst man mit der Schale, die Heringe oder auch Strömlinge werden mit Senf-, Zwiebel- oder Dillsoße aus dem Glas gereicht. Zu Ostern ist mämmi eine spezielle Süßspeise, eine weiche, dunkelbraune, eigentlich nicht sehr ansehnliche Masse aus Roggen, Malz und Zucker, die mit Schlagsahne sehr lecker sein soll. Zur Maienzeit wird so etwas Ähnliches wie Met angesetzt, nämlich sima, ein Getränk aus Zuckerwasser, Zitrone, Rosinen und Hefe. Die Quickie-Variante dazu ist ein Glas Wodka mit einer Rosine. Und zu Weihnachten wird, meistens am Heiligen Abend, in fast jedem Haushalt ein riesiger 10-Kilogramm-Schinken nach „geheimem“ Rezept stundenlang im Backofen gebraten; der reicht dann bis ins nächste Jahr hinein. Dazu gibt es alle Arten von Aufläufen (Karotten, Kohlrüben, Kartoffeln usw.), als Nachspeise kiisseli, eine Fruchtkaltschale, oder Reisbrei, in dem eine Mandel versteckt ist. Wer sie findet, darf sich etwas wünschen. Die alte weihnachtliche skandinavische Tradition lipeäkala, getrockneter Dorsch, in einer Lauge aufgeweichter Stockfisch also, wird heute nur noch wenig befolgt. Nun braucht es noch etwas zu trinken. Natürlich sind die Finnen stolz auf ihren ganz eigenen Wodka der Marke Koskenkorva, den man nur in den staatlichen Alko-Geschäften bekommt, wo auch eine große Auswahl preiswerter, guter Weine angeboten wird. Härtere Spirituosen sind dagegen ziemlich teuer. Verboten ist pontikka, also heimlich gebrannter Schnaps. Trotzdem findet die Polizei ab und an in unbegehbaren Wäldern eine Apparatur zum Destillieren von Fusel. Sahti ist eine Art Bier, das man durchaus zu Hause brauen darf, das wesentlich hochprozentigere kilju hingegen nicht. Sonst bekommt man Bier bis zu 4,8 % im Lebensmittelgeschäft, in Pubs und Bistros selbstredend alles. Allerdings wird mancher Besucher eine schöne Blume auf seinem Bier vermissen; der Finne achtet genau darauf, dass das Glas bis zum Maßstrich gefüllt ist. Zum Frühstück, Mittag- und Abendessen gibt es aber selbstverständlich Milch. Und was die wenigsten wissen: Die Finnen sind ein Volk der Kaffeetrinker – zu jeder Tages- und Nachtzeit. Ist ein Finne im Ausland, sehnt er sich garantiert nach ruisleipä, salmiakkipastillit und Fazerin sininen – Roggenbrot (ist ja sooo gesund), Salmiakpastillen und Schokolade der Firma Fazer. Rolf Klemmt

Zu jeder Zeit war das Motiv der Auswanderung die Suche nach besserem Auskommen und gesicherter Zukunft in Form von Arbeitsmöglichkeiten. Während der Autonomiezeit mögen auch die lange Wehrpflicht in der russischen Armee oder Abenteuerlust für junge Männer Grund genug gewesen sein, das Ränzlein zu schnüren. Einer von ihnen war Akseli Leppänen, dessen Geschichte der finnische Regisseur Jouko Aaltonen in dem 2010 fertiggestellten Dokumentarfilm Kongon Akseli erzählt. An der Wende zum 20. Jahrhundert brauchte man zur Aufrechterhaltung der Kolonie Kongo weiße Arbeitskräfte und zu diesen gehörte dann neben 200–300 anderen finnischen Seeleuten der für die Schifffahrt auf dem Kongo angeworbene Akseli. Der Film beschreibt den Kolonialismus, in dessen gewaltiger Maschinerie Akseli Leppänen ein kleines Rädchen war. Der Amerika-Kolonialismus ist in Finnland ein originaler Begriff, um den sich auch stark die finnische und amerikafinnische Musik und Popularkultur ranken, denn zahl-

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reiche finnische Lieder reisten mit in die Neue Welt wie die folgende Ballade von der niedrigen Hütte: An der Glut der niedrigen Hütte wärmte ich mir die Hände. Das hübsche Mädchen der niedrigen Hütte dachte ich mir anzueignen. Die Erde um die niedrige Hütte hab ich festgestampft. Das hübsche Mädchen der niedrigen Hütte hab ich leicht verführt. Dreimal schlug die Bahnhofsuhr und schon fuhr der Zug, verlässt der liebe Schlingel da der niedrigen Hütte Mädchen.

Die großen Plattenfirmen wie Columbia und RCA pressten die Melodien finnischer Komponisten und verkauften die Produkte an die Neusiedler. Der berühmteste amerikafinnische Künstler war Hiski Salomaa, seine Lieder beschreiben das alltägliche Leben und Arbeiten jenseits des Atlantiks. Ein zweites Schlüsselwort zur finnischen Emigration ist die Umsiedlung nach Schweden. Diese Erscheinung ist keineswegs neu, denn nach Stockholm zum Beispiel hat es die Finnen immer gezogen. Vor allem aus den Provinzen Savo und Nord-Häme gingen seit Ende des 16. Jahrhunderts Tausende Neuroder in die Nadelholzzonen Schwedens und Norwegens, woher der Ausdruck „Waldfinnen“ rührt. Diese fand der finnische Student Carl Axel Gottlund (später Schriftsteller und Professor für Finnisch an der Universität Helsinki) im Sommer 1817 bei sprachwissenschaftlichen Untersuchungen im Gebiet von Vermland vor. Gottlund, begeistert vom Savo-Dialekt, der „Blume der finnischen Sprache“, war freilich erschüttert, weil die Bewohner der fernen Vermlandwälder arme Auswanderer ihrer Zeit waren, die ihre Katen in den Weiden- und Birkenwäldern Schwedens errichtet hatten, was ihnen den Groll der Ortsansässigen einbrachte, und deren Leiber vom Rindenbrot angeschwollen waren. Besser bekannt ist die Schwedenmigration aus den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, als der Strukturwandel der finnischen Gesellschaft und die Arbeitsmarktsituation für geburtenstarke Jahrgänge zu einer Auswanderungswelle führten. Über 300 000 Finnen gingen in die großen Industriezentren Schwedens: 1969 und 1970 war die Emigration so lebhaft, dass sich die Einwohnerzahl Finnlands verringerte. Besonders anziehend waren Orte, die über Autoindustrie verfügten. In Finnland lebt ja noch immer die Vorstellung vom finnischen Fabrikarbeiter aus Schweden, der im Sommerurlaub mit dem teuren, auf Pump gekauften Volvo zu Verwandtschaftsbesuchen nach Finnland kommt. Im nordfinnischen Salla sagte man nicht ohne Bitterkeit, die Autostadt Göteborg sei zum größten Dorf von Salla geworden. Reichlicher Alkoholgenuss wurde zum Schicksal so mancher Umzugsfamilie. Der finnische Musiker Hector (Heikki Harma) verarbeitet in seiner Pop-Rock-Lyrik die Schattenseiten der Auswanderung; aus Schnee macht einen Engel im Flur (1973): Die einen fliegen zum Mond, die anderen nach Schweden Und deren Lohn ist kleiner Vater ging vor fünf Jahren nach Schweden

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VI. Multikulturelles Finnland Mutter war schon damals unglücklich Ich habe Pappe vors Fenster geklebt Damit es irgendwo warm war Im Radio sang man: Dank dir Gott Sonntag schläft Mutter ein Und Vater ging nach Schweden Mutter flog in den Himmel Und der Pfarrer kriegt wieder Kaffee Und der Bruder ist betrunken Ich sah ihn weinen und der Schnee machte einen Engel im Flur

In den 70er Jahren ging der Trend ins Ausland allmählich zurück, und seit 1980 gibt es mehr Einwanderer nach Finnland als Auswanderer. Vor allen in den 90er Jahren stieg die Zahl der Ausländer enorm an, denn es kamen sowohl Rücksiedler aus Ingermanland als auch rekordverdächtig viele Asylbewerber nach Finnland.

Finnentum als exklusiver Klub Umgangssprachlich meint Staatsbürgerschaft die Zugehörigkeit zu einem Staat oder Volk. Ein Volk wiederum versteht man als Kollektiv relativ hoch gebildeter Menschen eines gewöhnlich auch selbstständigen Landes. Staatsbürgerschaft ist also eine Selbstverständlichkeit, die weiter eng mit der Auffassung der Mitgliedschaft in einer einheitlichen Kultur und Ethnogruppe verbunden ist. Außerhalb dieser Definition stehende Personen lassen sich hier nur schwer einordnen. Edward Said konstatiert, dass Imperialismus und Kolonialismus zentrale, auf das europäische Nationalitätsdenken wirkende Erscheinungen sind. Zur imperialistischen Geographie gehört die Idee weit entfernt wohnender Anderer, die von den europäischen Völkern für primitive, beherrsch- und lenkbare Arbeitskraft gehalten werden. Fremde Menschen waren anders gesagt mithin unter die Dienstbarkeit zivilisierter Völker und Nationen zu stellen. Die Tradition der kolonialistischen, imperialistischen und nationalistischen Stigmatisierung war und ist auch in der Definition des Finnentums enthalten. Objekte der Stigmatisierung konnten sowohl ferne „Eingeborene“ als auch den Finnen verwandte Völker und ein Teil der eigenen Bevölkerung sein oder solche Menschen, die von einer Einbürgerung träumten. Die Volkskundlerin Satu Apo hat beschrieben, wie diese Tradition der Stigmatisierung schon zu Zeiten der Autonomie den Gedanken enthielt, dass ein Teil von uns ungebildete und unterentwickelte Hinterwäldler sind im Vergleich zu zivilisierten Menschen und europäischen Kulturen. Heldenhaftes und echtes Finnentum wird noch heutzutage in Festreden, im Schulunterricht, bei Sportveranstaltungen und in Zusammenhang mit der Landesverteidigung aktiviert. Attribute negativen Finnentums sind entsprechend fehlende Sprachkenntnisse, Verständnislosigkeit, Entwicklungsdefizite, Faulheit, Ausgeschlossenheit und Unwissenheit. Auf diese Züge wird in der Rhetorik der Medien verwiesen, manchmal sogar in Reports von Behörden. Das Schulwesen war in Finnland von jeher ein wichtiges Instrument, um das Volk darüber aufzuklären, was ein guter Staatsbürger sei und was für ein Land Finnland sein

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solle. Die Lektüre nationalromantischer und patriotischer Literatur war Teil des staatlichen Plans. Das Maamme kirja (Buch unseres Landes, 1875) von Zacharias Topelius war das erste Werk, das zur Unterrichtung der Muttersprache, Geographie und Geschichte für geeignet befunden wurde, und es wurde über Jahrzehnte hinweg auch in den einfachen finnischen Lehranstalten gelesen. Das Buch trug maßgeblich zur Popularisierung der finnischen Nationalidee bei. Es schuf ein festes Fundament für die finnische Identität wie für die Herausbildung der Tradition der Stigmatisierung. Finnischer Patriotismus beinhaltet auch heute noch die Forderung nach Loyalität gegenüber dem eigenen Vaterland. Topelius hämmerte diese Gedanken vor allem im siebenten Kapitel seines Buches Über das Land und sein Volk in die Köpfe ein: Jetzt verstehe ich das ja. Dieses Land ist mein Vaterland. Ob ich es in finnischer Sprache Suomi nenne oder auf Schwedisch Finland, es ist doch immer das gleiche Land. Alle seine Jungen und Töchter sind dasselbe Volk, egal welche Sprache sie sprechen. Gott hat sie in Hunderten von Jahren in dem gleichen Heimatland vereint, unter den gleichen Gesetzen und der Regierung. Was an Gutem oder Schlechtem dem einen geschehen ist, geschah auch dem anderen. Sie wuchsen heran, lebten und starben nebeneinander in demselben hohen Norden, unter demselben Himmel, die gleiche schwere Arbeit zum Lebensunterhalt verrichtend. Sie haben den gleichen Christenglauben, denselben Unterricht, die gleichen Rechte, dieselben Pflichten, den gleichen Vorteil, denselben Schaden, die gleiche Freiheit, die gleiche Liebe und dieselbe Hoffnung. So sind sie Landsleute, Brüder und Schwestern zu allen Zeiten. Sie haben nicht zwei, sondern ein Vaterland. Sie sind nicht zwei Völker, sondern ein Volk. Gebe Gott uns allen versöhnlichen Sinn. Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen.

Patriotismus und Stigmatisierung sind im alltäglichen Denken noch immer präsent, vor allem als Begründung rassistischer Ansichten: Das Modell lenkt die Aufmerksamkeit einzig auf Züge, die Menschen voneinander trennen. Findet man solche, lassen sie das beobachtete Objekt in jeder Hinsicht als abweichend erscheinen. Der Volkskundler Ari Jääskeläinen hat festgestellt, dass zum finnischen Patriotismus untrennbar das Bestreben gehört, sich und andere exakt voneinander zu unterscheiden. Auch in der politischen Kultur ist die Staatsangehörigkeit ein geregeltes und sorgfältig geschütztes nationales Projekt, das in der Regel kaum angezweifelt wird. Finnland gehört traditionell zu den europäischen Ländern, in denen man Multikulturalität skeptisch gegenübersteht. Erst das im Sommer 2003 in Kraft getretene Staatsangehörigkeitsgesetz akzeptiert mehrfache Nationalität als denkbaren Teil des Finnentums. Martin Schein hat ja auch in polemischem Ton konstatiert, dass es bei der finnischen Staatsbürgerschaft weniger um die ethnische Reinheit des Blutes gehe als vielmehr um einen „exklusiven Klub“, dessen Mitglieder a priori anerkannt sind. Dieses Moment des geschlossenen Klubs ist besonders in der von Finnland geübten Einwanderungspolitik zu beobachten, in der begünstigt wird, wer eine ethnische Bindung an Finnland nachweisen kann. Hierfür ist ein einmaliges Beispiel die in den 90er Jahren einsetzende und vorläufig abgeschlossene Rückwanderung aus Ingermanland, die an das Kriterium finnischen „Bluterbes“ gebunden war. Die Bürger aus Ingermanland erhielten das Recht zur Rückkehr, weil sie das Ausländergesetz als Auslandsfinnen definierte. Bis zum Jahr 1996 reichte es dabei aus, wenn ein Großelternteil ursprünglich die finnische Staatsbürgerschaft gehabt hatte. Prinzipiell war in Finnland willkommen, wer der finnischen Wirtschaft von Nutzen sein konnte und in seinem Anderssein die finnische Einheitskultur nicht bedrohte.

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Das Land braucht neufinnischen Flavour Die Entwicklung eines multikulturellen Finnland wurde gewöhnlich aus Angst davor verhindert, dass der Wandel Probleme für die nationale politische Kultur und Sicherheit verursachen könnte. Diese Ansicht spitzte sich mit wirtschaftlicher Flaute, Rezession und steigender Arbeitslosigkeit in den 90er Jahren zu. In besonderer Weise betraf die Diskriminierung hinsichtlich Arbeit und Alltag die in Finnland wohnenden Somalier. Mit der Somaliadiaspora vertraute Forscher stellten Untersuchungen dazu an, wie Somalier in den Augen vieler Finnen kulturelle und religiöse Abweichung, soziale und ökonomische Probleme und vermehrt auch ein globales Sicherheitsrisiko verkörpern. Nach den Ereignissen vom 11. September 2001 begannen sich auch die Behörden für die grenzüberschreitenden Kontakte von muslimischen Einwanderern zu interessieren, und die alten Drohbilder des Islam als Gefahr für die westliche Welt nahmen maßlose Formen an. Das Verhalten gegenüber Einwanderern weicht in Finnland gleichwohl regional erheblich ab. In den größeren Städten wie Helsinki, Turku und Tampere begegnet man ausländischen Flüchtlingen positiver als in den Landgebieten und kleineren Orten. Aber auch innerhalb der Hauptstadtregion lassen sich Unterschiede erkennen, denn in dem ärmeren Vantaa beispielsweise ist das Verhalten gegenüber Asylbewerbern außergewöhnlich negativ. Die Forscherin Magdalena Jaakkola hält es in diesem Zusammenhang für bezeichnend, dass gerade der Vantaaer Stadtteil Hakunila schon um die Jahrtausendwende durch „Rassentumulte“ zwischen Finnen und Somaliern auffiel. In der kostenlosen Zeitung City-lehti, die vor allem von jungen Leuten gelesen wird, wurde der populäre Rapsänger Paleface (Karri Pekka Matias Miettinen) befragt, wie er die finnische Einwanderungskritik und die Positionen der politischen Parteien dazu sehe. Die Antwort war: Rückschrittlich. Bei meiner Mitarbeit in der Jury bei einem Rezitationswettbewerb gab es Teilnehmer aus zwanzig Nationen. Kinder machen keine Unterschiede. Ein Shiia wäscht sich anders als ein Sunni. Das ist alles. Jemand kritisierte, dass meine Platte dem Geschmack von Weltmusik folge. Das ist es nicht. Das ist neufinnisches Flair. So ein Land wie Finnland 1978 gibt es nicht mehr! Ich erinnere mich an die Ankunft der Schiffsflüchtlinge, aber die Somalier kamen schon Anfang der 90er Jahre. Die Generation meines alten Herrn fuhr im Olympiajahr 1952 von Lahti nach Helsinki, nur um mal einen Neger zu sehen.

Zwar gibt es ihn in unserem Land durchaus: den neufinnischen Flavour, der auf echter ethnischer und kultureller Vielfalt basiert. Generell aber ist es noch ein weiter Weg bis dahin, denn die Jugend, in der gemäß dem bekannten Sprichwort unsere Zukunft liegt, verhält sich gegenüber der Multikulturalität zwiegespalten. Stärker als die Frauen verurteilt ein Teil der jungen Männer noch immer ausländische Arbeitsuchende und Flüchtlinge, vor allem Somalier. Auf dem Lande sind sie sogar bereit, die Einwanderer auszuweisen, wenn die Arbeitslosigkeit steigt. Auch Ausbildung und sozialer Hintergrund spielen eine Rolle. Die allereinfachsten und härtesten Stereotype bringen diejenigen vor, die sich in einer schwachen sozio-ökonomischen Position befinden. Zur Multikulturalisierung gibt es in Finnland jedoch keine Alternative und die Ansichten vieler Bürger vor allem gegenüber ausländischen Arbeitnehmern sind in den letzten Jahren wesentlich positiver geworden. Die finnischen Arbeitgeber haben festgestellt, dass Einwanderer durchaus arbeitswillig sind und nicht auf Kosten staatlicher Unterstützung

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leben wollen. Vor allem die Jugendlichen der zweiten Generation der Einwanderer haben das Ziel vor Augen, gute Staatsbürger zu werden: Sie sind fast ebenso erfolgreich in der Schule wie die sogenannte Stammbevölkerung. Viele von ihnen besuchen nach der Grundschule ein Gymnasium und streben danach eine gute berufsbezogene oder universitäre Ausbildung an. Sie sind Kosmopoliten, die ihre Wurzeln in auf viele Länder verstreuten Familienvernetzungen und in der eigenen Zukunft in Finnland finden.

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Literatur

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Literatur

Digitale Quellen Saamelaiskäräjät – Sámediggi: Toiminta [Zur Arbeit des Samengerichts] > online: [Beleg v. 2. 4. 2012.] Suomea myydään venäläisille: Venäläisten kiinteistökaupat kovassa kasvussa [Finnland wird Russen verkauft: starkes Anwachsen der Immobiliengeschäfte durch Russen] > online: Helsinki: Maanmitauslaitos. [Beleg v. 2. 4. 2012.] Suomen virallinen tilasto (SVT): Väestörakenne [Statistisches Zentralamt Finnlands: Bevölkerungsstruktur]. Helsinki: Tilastokeskus. [Beleg v. 2. 4. 2012.] Suomen virallinen tilasto (SVT): Väestörakenne [Statistisches Zentralamt Finnlands: Bevölkerungsstruktur]. > online: Suomen väkiluku kasvoi eniten 20 vuoteen [Stärkstes Anwachsen der finnischen Bevölkerung seit 20 Jahren]. Helsinki: Tilastokeskus. [Beleg v. 2. 4. 2012.] Suomen virallinen tilasto (SVT): Väestönkehitys itsenäisessä Suomessa – kasvun vuosikymmenistä kohti harmaantuvaa Suomea [Statistisches Zentralamt Finnlands: Die Bevölkerungsentwicklung im unabhängigen Finnland – vom Wachstumsjahrzehnt zum ergrauenden Finnland] > online: Helsinki: Tilastokeskus. [Beleg v. 2. 4. 2012.] tanto [Produktion]: Pertti Veijalainen/Illume Oy, 2010. [Beleg v.15. 3. 2012.] YLE.fi/Dokumenttiprojekti: Kongon akseli [Dokumentarprojekt: Die Kongoachsel] > online: Ohjaus ja käsikirjoitus [Buch und Regie]: Jouko Aaltonen. Tuo

Allgemeine Werke Haapala, Pertti & Hoppu, Tuomas (Hrsg.) Sisällissodan pikkujättiläinen [Lexikon zum Bürgerkrieg]. Helsinki: WSOY, 2009. Leskinen, Jari & Juutilainen, Antti (Hrsg.) Talvisodan pikkujättiläinen [Lexikon zum Winterkrieg]. WSOY: Porvoo, Helsinki, 1999. Leskinen, Jari & Juutilainen, Antti (Hrsg.) Jatkosodan pikkujättiläinen [Lexikon zum Fortsetzungskrieg]. WSOY: Helsinki, 2005 Löytönen, Markku & Kolbe, Laura Suomi. Maa, kansa, kulttuuri [Finnland. Land, Volk, Kultur] SKS:n toimituksia 753. Helsinki, 1999. Halonen, Tero & Aro, Laura (Hrsg.) Suomalaisten symbolit [Symbole der Finnen]. Atena: Jyväskylä, 2005. Suomen kirjallisuushistoria [Finnische Literaturgeschichte] 1–3. SKS: Helsinki, 1999. Suolahti, Gunnar et al. (Hrsg.) Suomen kulttuurihistoria [Finnische Kulturgeschichte] 1–4. Gummerus: Jyväskylä, 1933–1936. Päiviö Tommila, Aimo Reitala & Veikko Kallio (Hrsg.) Suomen kulttuurihistoria [Finnische Kulturgeschichte] 1–3. WSOY: Porvoo, Helsinki, Juva, 1979–1982. Suomen kulttuurihistoria [Kulturgeschichte Finnlands] 1–5 -Reihe. Otava: Keuruu, 2002–2004. Suomen musiikin historia [Geschichte der finnischen Musik] 1–8. WSOY: Helsinki, 1995–2006. Tommila, Päiviö (Hrsg.) Suomen tieteen historia [Geschichte der finnischen Wissenschaften] 1–4. WSOY: Helsinki, 2000–2002. Pyykkönen, Teijo (Hrsg.) Suomi uskoi urheiluun: Suomen urheilun ja liikunnan historia [Finnland glaubt an den Sport: Geschichte des Sports und der Leibeserziehung in Finnland]. VAPK-kustannus: Helsinki, 1992. Suomen väestön esihistorialliset juuret. Bidrag till Kännedomen av Finlands Natur och Folk 131 [Die vorhistorischen Wurzeln der finnischen Bevölkerung]. Suomen tiedeseura: Helsinki, 1984. Talve, Ilmar Suomen kansankulttuuri [Die Volkskultur Finnlands]. 3. Aufl. SKS: Helsinki, 1994. Westerholm, John & Raento, Pauliina (Hrsg.) Suomen kartasto [Atlas Finnland]. WSOY: Porvoo, Helsinki, Juva, 1999.

Literatur

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Deutschsprachige Fachliteratur zu Finnland Alho, Olli (Hrsg.) Kulturlexikon Finnland, Helsinki: Finnische Literaturgesellschaft, 1998. Bagh, Peter von Licht und Schatten: ein Führer durch den finnischen Film [Deutsche Übersetzung von Gabriele SchreyVasara], Helsinki: Otava, 2000. Blücher, Wipert von Gesandter zwischen Diktatur und Demokratie: Erinnerungen aus den Jahren 1935–1944, Wiesbaden: Limes, 1951. Hakala, Ilmari (Hrsg.) Lotta Svärd [ü. von Uta Laurén], Helsinki: Lotta-Svärd-Stiftung, 2007. Heininen, Simo; Heikkilä, Markku Suomen kirkkohistoria (1996) / Kirchengeschichte Finnlands [ü. von Matthias Quaschning-Kirsch], Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002. Hentilä, Marjaliisa; Sulkunen, Irma (Hrsg.) Von heute an für alle! Hundert Jahre Frauenwahlrecht, Berlin: BWV, 2006. Hentilä, Seppo Kaksi Saksaa ja Suomi: Saksan-kysymys Suomen puolueettomuuspolitiikan haasteena (2003) / Neutral zwischen den beiden deutschen Staaten: Finnland und Deutschland im Kalten Krieg [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Berlin: BWV, 2006 Hentilä Seppo; Jussila, Osmo; Nevakivi, Jukka Suomen poliittinen historia (1995) / Politische Geschichte Finnlands seit 1809: vom Großfürstentum zur Europäischen Union [ü. von Kaija Menger, Manfred Menger, Dörte Putensen], Berlin: Berlin Verlag Spitz, 1999. Jakobson, Max Finland: Myth and Reality / Finnland: Mythos und Wirklichkeit [ü. von C.-A. v. Willebrand], Helsinki: Otava, 1988. Finland in the new Europe / Finnland im neuen Europa [ü. von Alfred Starkmann], Berlin: Berlin Verlag Spitz, 1999. Jokipii, Mauno Suomi ja Saksa maamme itsenäisyyden aikana (1994) / Finnland und Deutschland im 20. Jahrhundert [ü. von Rolf Klemmt und Rolf Wilfinger], Kuopio: Snellman-Institut, 1994. Karjalan ristiretki ja taistelu Nevan reitistä (2003) / Der Kreuzzug nach Karelien und der Kampf um den Wasserweg auf der Newa [ü. von Rolf Klemmt], Kuopio: Snellman-Institut, 2003. Kaikkonen, Olli; Menger, Manfred (Hrsg.) Deutschland und Finnland 1871–1914: Politik, Wirtschaft, öffentliche Meinung, Joensuu: Universität Joensuu, 1992. Kalela, Jorma; Hösch, Edgar; Beyer-Thoma, Hermann (Hrsg.) Deutschland und Finnland im 20. Jahrhundert, Wiesbaden: Harrassowitz, 1999. Klinge, Matti Katsaus Suomen historiaan (1981) / Geschichte Finnlands im Überblick [ü. von Justa Holz-Mänttäri], Helsinki: Otava, 1995. Eine nordische Universität: die Universität Helsinki 1640–1990 [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Helsinki: Otava, 1992. Suomi Euroopassa (2003) / Finnland in Europa [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Helsinki: Otava, 2004. Klinge, Matti; Kolbe, Laura Helsinki, itämeren tytär: lyhyt historia (1999) / Helsinki: Tochter der Ostsee – ein geschichtlicher Abriss [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Helsinki: Otava, 1999. Kolbe, Laura (Hrsg.) Finnland im Porträt: Fakten und Hintergründe [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Helsinki: Otava, 2006. Kuparinen, Eero (Hrsg.) Am Rande der Ostsee. Aufsätze vom IV. Symposium deutscher und finnischer Historiker in Turku 4.–7. 1996. Universität Turku. Allgemeine Geschichte. Painosalama: Turku, 1998.

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Literatur Meri, Veijo Pohjantähden alla: kirjoituksia Suomen historiasta (1999) / Unter dem Polarstern: Geschichten aus der finnischen Geschichte [ü. von Gisbert Jänicke], Helsinki: Otava, 1999. Paasilinna, Arto Hankien tarinoita: suomalaisen hiihdon monituhatvuotinen historia (1998) / Spuren im Schnee: die vieltausendjährige Geschichte des finnischen Skis [ü. von Gisbert Jänicke], Helsinki: Tietosanoma, 1998. Rahikainen, Marjatta (Hrsg.) Arbeitsam und gefügig: zur Geschichte der Frauenarbeit in Finnland, Berlin: BWV, 2007. Silvennoinen, Oula Salaiset aseveljet (2008) / Geheime Waffenbrüderschaft: die sicherheitspolizeiliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Finnland 1933–1944 [ü. von Klaus und Kaija Reichel], Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2010. Stenros, Anne (Hrsg.) Visioita: moderni suomalainen muotoilu (1999) / Visionen: das moderne finnische Design [ü. von Jürgen Schielke], Helsinki: Otava, 1999. Tarkka, Jukka Ei Stalin eikä Hitler – Suomen turvallisuuspolitiikka toisen maailmansodan aikana (1987) / Weder Stalin noch Hitler – Finnland während des Zweiten Weltkrieges [ü. von C.-A. v. Willebrand], Helsinki: Otava, 1991. Tarkka, Pekka Finnische Literatur der Gegenwart. 50 Autoren-Porträts, Helsinki: Universitätsbibliothek Helsinki, 1983. Tuomioja, Erkki Häivähdys punaista (2006) / Da ich aber eine sehr unverwüstliche Frau bin… Hella Wuolijoki – Stichworte für Brecht [Deutsche Übersetzung von Monika Zemke], Leipzig: Militzke, 2008. Ylikangas, Heikki Tie Tampereelle (1993) / Der Weg nach Tampere: die Niederlage der Roten im finnischen Bürgerkrieg 1918 [Deutsche Übersetzung von Gabriele Schrey-Vasara], Berlin: Berlin Verlag Spitz, 2000. Zetterberg, Seppo Finnland ab 1917 [Deutsche Übersetzung von C.-A. v. Willebrand], Keuruu: Otava, 1991.

Deutschsprachige Übersetzungen finnischer Belletristik (Auswahl) (Im Text vorkommende deutschsprachige Titel nicht übersetzter finnischer Werke sind Angaben des Übersetzers) Aapeli [Puupponen, Simo] Koko kaupungin Vinski (1954) / Das Unsichtbarkeitspulver [Deutsche Übersetzung von Elisabeth Kemlein], Berlin: Dressler, 1962. Vinski ja Vinsentti (1956) / Detektivbüro Winski und Waldemar [ü. von Elisabeth Kemlein], Berlin: Dressler, 1964. Pikku Pietarin piha (1958) / Der Hof des kleinen Petrus [ü. von Rita Öhqvist], Frankfurt am Main: Knecht, 1961. Aho, Juhani Rautatie (1884) / Die Eisenbahn [ü. von Gustav Schmidt], Rostock: Hinstorff, 1986. Juha (1911) / Schweres Blut [ü. von Gustav Schmidt], Leipzig: Dieterich, 1972. Canth, Minna Työmiehen vaimo (1885) / Die Frau des Arbeiters: Drama [ü. von Nadine Erler], Barnstorf: Verlag 28 Eichen, 2008. Köyhää kansaa (1886) / Arme Leute [ü. von Nadine Erler], Barnstorf: Verlag 28 Eichen, 2008. Kovan onnen lapsia (1888) / Unglückskinder: Drama in drei Akten [Hrsg. und ü. von Nadine Erler], Barnstorf: Verlag 28 Eichen, 2008. Kauppa-Lopo (1889) / Die Trödel-Lopo [ü. von Heinz Goldberg], Leipzig: Insel Verlag, 1969.

Literatur Papin perhe (1891) / Die Familie des Pfarrers: Drama in vier Akten [ü. von Nadine Erler], Barnstorf: Verlag 28 Eichen, 2008. Anna Liisa (1895) / Anna Liisa: Drama in drei Akten [ü. von Nadine Erler], Barnstorf: Verlag 28 Eichen, 2008. Carpelan, Bo Anders på ön (1959) / Andreas auf der Sommerinsel und im Winterhaus [Berechtigte Ü. von Dorothea Bjefvenstam; Gerda Neumann], Zürich: Benziger, 1972. Bågen (1968) / Der Junge von der Insel [ü. von Gerda Neumann], Hamburg: Oetinger, 1971. Julius Blom – Ett huvud för sig (1982) / Julius Blom oder Der Bücherwurm ist eigentlich der schönste Vogel [ü. von Brigitta Kicherer], Kevelaer: Anrich, 1984. Axel (1986) / Axel: Roman [ü. von Klaus-Jürgen Liedtke], Münster: Pettersson, 1997. Diktonius, Elmer Janne Kubik: Ett trädsnitt i ord (1932) / Janne Kubik [ü. von Klaus-Jürgen Liedtke], Stuttgart: KlettCotta, 1990. Haanpää, Pentti Noitaympyrä (1931) / Der Teufelskreis: Roman [ü. von Helga Thiele], Stuttgart: Klett-Cotta, 1983. Yhdeksän miehen saappaat (1945) / Die Stiefel der Neun [ü. von Reinhard Bauer], Stuttgart: KlettCotta, 1983. Haavikko, Paavo Anastasia ja minä (1994) / Anastasia und ich [ü. von Gisbert Jänicke], Bonn: Schauspiel Bonn, 1994. Fleurin koulusyksy (1992) / Fleurs mittlere Reife [ü. von Gisbert Jänicke], Salzburg: Residenz-Verlag, 1994. Gedichte [ü. von Manfred Peter Hein], Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1973. Harald Pitkäikäinen (1974) / König Harald: Hörspiele [ü. von Manfred Peter Hein], Stuttgart: KlettCotta, 1982. Herbstland: Gedichte aus den Jahren 1987–1990 in der Auswahl des Autors [ü. von Gisbert Jänicke], Salzburg: Residenz-Verlag, 1991. Nur leicht atmen die Bäume: Gedichte [ü. von Gisbert Jänicke], Berlin: Verlag Volk und Welt, 1991. Runot 1951–1961 (1962) / Poesie [ü. von Manfred Peter Hein], Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1965. Runot! Runot 1984–1992 (1992) / Gedichte! Gedichte [ü. von Gisbert Jänicke], Salzburg: Residenz-Verlag, 1997. Talvipalatsi (1959) & Neljätoista hallitsijaa (1970) / Die Nacht bleibt nicht stehen: zwei Poeme [ü. von Manfred Peter Hein], Stuttgart: Klett-Cotta, 1986. Vuodet (1962) & Lumeton aika (1964) / Zwei Erzählungen [ü. von Manfred Peter Hein], Helsinki: Otava, 1981. Vuodet (1962) / Jahre [ü. von Manfred Peter Hein], Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1965. Hassinen, Pirjo Jouluvaimo (2002) / Die Samstagsfrau [ü. von Meike Frese], München: btb, 2007. Kuninkaanpuisto (2004) / Fremde Frau [ü. von Meike Frese], München: btb, 2007. Hotakainen, Kari Buster Keaton – elämä ja teot (1991) / Buster Keaton – Leben und Werke: Roman / [ü. von Stefan Moster], Wien: Wespennest, 1997. Sydänkohtauksia (1999) / Lieblingsszenen [ü. von Stefan Moster], Frankfurt am Main: S. Fischer, 2001. Juoksuhaudantie (2002) / Aus dem Leben eines unglücklichen Mannes [ü. von Stefan Moster], München: Piper, 2005. Huolimattomat (2006) / Die Leichtsinnigen: Roman [ü. von Stefan Moster], München: Piper, 2007. Huovinen, Veikko Havukka-Ahon ajattelija (1952) / Konsta: Roman [ü. von Joachim A. Frank], Wien: Paul Neff Verlag, 1960. Hyry, Antti Kotona (1960) / Daheim [ü. von Josef Guggenmos], Stuttgart: Klett-Cotta, 1980. Isä ja poika (1971) / Vater und Sohn [ü. von Rudolf Semrau], Rostock: Hinstorff, 1977. Hämeen-Anttila, Virpi Kolmastoista lapsi (2005) / Das dreizehnte Kind [ü. von Meike Frese], München: btb, 2008.

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Literatur Härkönen, Anna-Leena Häräntappoase (1984) / Der traurige Skorpion [ü. von Regine Pirschel], Berlin: Verlag Neues Leben, 1989. Akvaariorakkautta (1990) / Aquariumsliebe [ü. von Anu Pyykönen-Stohner], München: Piper, 1994. Avoimien ovien päivä (1998) / Herzstechen [ü. von Dagmar Mißfeldt], Stuttgart: Klett-Cotta, 2001. Jansson, Tove Småtrollen och den stora översvämningen (1945) / Mumins lange Reise [ü. von Birgitta Kicherer], Würzburg: Arena, 2001. Hur gick det sen? (1952) / Mumin, wie wird’s weiter gehen? [ü. von Samar Lennart], Leipzig: LeiV, 2003. Farlig midsommar (1954) / Sturm im Mumintal [ü. von Birgitta Kicherer], Würzburg: Arena, 2002 Trollkarlens hatt (1956) / Die Mumins, eine drollige Gesellschaft [ü. von Brigitta Kicherer], Würzburg: Arena, 2001. Trollvinter (1957) / Winter im Mumintal [ü. von Brigitta Kicherer], Würzburg: Arena, 2004. Vem skall trösta knyttet? (1960) / Wer tröstet Toffel? [ü. von Oliver Müller], Leipzig: LeiV, 2009. Det osynliga barnet och andra berättelser (1962) / Geschichten aus dem Mumintal [ü. von Birgitta Kicherer], Würzburg: Arena, 2005. Pappan och havet (1965) / Mumins wundersame Inselabenteuer [ü. von Birgitta Kicherer], Würzburg: Arena, 2003. Bildhuggarens dotter (1968) / Die Tochter des Bildhauers [ü. von Birgitta Kicherer], Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1987. Kometen kommer (1968) / Komet im Mumintal [ü. von Brigitta Kicherer], Würzburg: Arena, 2001. Muminpappans memoarer (1968) / Muminvaters wildbewegte Jugend [ü. von Birgitta Kicherer], Würzburg: Arena, 2002. Sent i November (1970) / Herbst im Mumintal [ü. von Birgitta Kicherer], Würzburg: Arena, 2002. Sommarboken (1972) / Sommerbuch [ü. von Birgitta Kicherer], Hamburg: Oetinger, 2002. Den farliga resan (1977) / Die gefährliche Reise [ü. von Elisabeth Frankenburg], Mödling: Verlag St. Gabriel, 1981. Skurken i Muminhuset (1980) / Der Schurke im Muminhaus [ü. von Dorothea Bjelfvenstam], Mödling: Verlag St. Gabriel, 1983. Kalevala (1835) Kalewala, das National-Epos der Finnen [ü. von Anton Schiefer], Berlin: Schneider, 1921; auch: Kalevala, das Nationalepos der Finnen [ü. von Dagmar Welding], Stuttgart: Röhm, 1948; auch: Kalevala: das finnische Epos [ü. von Lore Fromm und Hans Fromm], München: Hanser, 1967; auch: Kalewala: das finnische Epos [ü und mit einem Nachwort von Gisbert Jänicke], Salzburg: Jung und Jung, 2011. Kanteletar (1840) Kanteletar, die Volkslyrik der Finnen [ü. von H. Paul], Helsingfors: Edlund, 1882; auch: Kanteletar, alte finnische Volkslyrik [ü. und Hrsg. von Trudelies Hofmann] München: Diederichs, 1997. Kianto, Ilmari Punainen viiva (1909) / Der rote Strich: Roman [ü. von Gustav Schmidt, neu überarbeitet und mit einer Einleitung von Friedrich Ege], Leipzig: Reclam, 1956. Kilpi, Eeva Tamara (1972) / Tamara [ü. von Angela und Willi Plöger], Frankfurt am Main: Bucher, 1974. Kivi, Aleksis Nummisuutarit (1864) / Die Heideschuster: Bauernkomödie in fünf Akten [ü. von Gustav Schmidt], Dresden: Minden, 1922. Kihlaus (1866) / Die Verlobung [ü. von Friedrich Ege], Nürnberg: Glock und Lutz, 1953. Seitsemän veljestä (1879) / Die Sieben Brüder [ü. von Edzard Schaper], Zürich: Manesse Verlag, 1997. Koskenniemi, Veikko Antero Nuori Anssi (1918) / Der junge Anssi [ü. von Johannes Öhquist], München: Langen Müller, 1937. Kunnas, Mauri [zusammen mit Tarja Kunnas] Joulupukki (1981) / Wo der Wihnachtsmann wohnt [ü. von Anu Pyykönen-Stohner und Friedbert Stohner], Hamburg: Oetinger, 1982. Hui kauhistus! (1985) / Hilfe, es spukt! [ü. von Angelika Kutsch], Hamburg: Oetinger, 1994.

Literatur 12 lahjaa Joulupukille (1987) / 12 Geschenke für den Weihnachtsmann [ü. von Anu Pyykönen-Stohner und Friedbert Stohner], Hamburg: Oetinger, 1988. Kaikkien aikojen avaruuskirja (1989) / Hallo Weltraum, wir kommen! [ü. von Jasna Zagorc], Hamburg: Oetinger, 1991. Etusivun juttu (1990) / Die Zeitungsmacher: wie eine Zeitung entsteht [ü. von Jasna Zagorc], Hamburg: Oetinger, 1992. Vampyyrivaarin tarinoita (1991) / Opa Dragomir und die Sippe der Beisswütigen [ü. von Nina Schindler], Hamburg: Oetinger, 1999. Joulupukki ja noitarumpu (1995) / Zauberspuk beim Weihnachtsmann [ü. von Salah Naoura], Hamburg: Oetinger, 1996. Kuningas Artturin ritarit (1997) / König Artus und die Ritter der Tatzenrunde: ein Kapitel der frühen Katzengeschichte [ü. von Nina Schindler], Hamburg: Oetinger, 2001. Puhveli-Billin lännensirkus (1998) / Im wilden Wilden Westen [ü. von Nina Schindler], Hamburg: Oetinger, 2002. Tassulan tarinoita: Onnin paras joululahja (2003) / Das allerschönste Weihnachtsgeschenk [ü. von Nina Schindler], Hamburg: Oetinger, 2006. Viikingit tulevat! (2006) / Hier kommen die Wikinger! / [ü. von Nina Schindler], Hamburg: Oetinger, 2008. Herra Hakkaraisen seitsemän ihmettä (2008) / Herr Schnorchelmütz und die sieben Weltwunder [ü. von Nina Schindler], Hamburg: Oetinger, 2010. Robin Hood (2009) / Ich bin’s Robin Hood! [ü. von Nina Schindler], Hamburg: Oetinger, 2011. Lassila, Maiju Tulitikkuja lainaamassa (1910) / Streichhölzer [ü. von Anu Pyykönen-Stohner und Friedbert Stohner], Stuttgart: Klett-Cotta, 1982. Lehtolainen, Leena Ensimmäinen murhani (1993) / Alle singen im Chor [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2002. Harmin paikka (1994) / Auf die feine Art [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2003. Kuparisydän (1995) / Kupferglanz [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Hamburg: Argument Verlag, 1999. Luminainen (1996) / Weiß wie die Unschuld [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2003. Kuolemanspiraali (1997) / Die Todesspirale [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch. Verlag, 2004. Tuulen puolella (1998) / Der Wind über den Klippen [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2004. Tappava Säde (1999) / Zeit zu sterben [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Reinbek bei Hamburg, Rowohlt, 2002. Ennen lähtöä (2000) / Wie man sie zum Schweigen bringt [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Reinbek bei Hamburg: Kindler, 2005. Kun luulit unohtaneesi (2002) / Du dachtest, du hättest vergessen [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Berlin: Kindler, 2007. Veren vimma (2003) / Im schwarzen See [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Reinbek bei Hamburg: Kindler, 2006. Rivo satakieli (2005) / Wer sich nicht fügen will [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Berlin: Kindler, 2007. Luonas en ollutkaan (2007) / Ich war nie bei dir [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Berlin: Kindler, 2010. Väärän jäljillä (2008) / Auf der falschen Spur [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Reinbek bei Hamburg: Kindler, 2009. Henkivartija (2009) / Die Leibwächterin [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch. Verlag, 2011. Minne tytöt kadonneet (2010) / Sag mir, wo die Mädchen sind [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Reinbek bei Hamburg: Kindler, 2012. Leino, Eino Helkavirsiä (1903; 1916) / Finnische Balladen (Helkalieder) [ü. von Hans-Erwin von Hausen; Greta Otalampi], Helsinki: Kent, 1943.

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Literatur Liksom, Rosa Unohdettu vartti (1986) / Verlorene Augenblicke [ü. von Anu Pyykönen-Stohner und Friedbert Stohner], Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1992. Tyhjän tien paratiisit (1989) / Schwarze Paradiese [ü. von Anu Pyykönen-Stohner und Friedbert Stohner], Reinbek bei Hamburg: Rowolt, 1991. Kreisland (1996) / Crazeland [ü. von Stefan Moster], Frankfurt am Main: Eichborn, 1999. Linna, Väinö Tuntematon sotilas (1954) / Kreuze in Karelien [ü. von Karl-Heinz Bolay und Rolf Schroers], Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1955; auch: Der unbekannte Soldat: Roman [ü. von A. O. Schwede], Berlin: Verlag Volk und Welt, 1983. Linnankoski, Johannes Laulu tulipunaisesta kukasta (1905) / Die glutrote Blume [ü. von Helene Federn-Schwarz], Berlin: Kiepenheuer, 1936; auch: Don Juan in Suomi: Roman [nach älteren Übertragung neubearbeitet von Heinz Goldberg], Rostock: Hinstorff, 1979. Taistelu Heikkilän talosta (1907) / Der Kampf um den Hof Heikkilä [ü. von Hermann Kolster], Leipzig: Lühe, 1944. Pakolaiset (1908) / Die Flüchtlinge [ü. von Heinz Goldberg], Rostock: Hinstorff, 1987; auch: Die Flüchtlinge [ü. von Gustav Schmidt], Dresden: Minden, 1922. Lönnrot, Elias siehe: Kalevala; Kanteletar Mechelin, Leo (Hrsg.) Finland i 19:de seklet: framstäldt i ord och bild af finska skriftställare och konstnärer (1893) / Finland im 19ten Jahrhundert; in Wort und Bild dargest. v. finländ. Schriftstellern u. Künstlern, Helsingfors: Tilgmann, 1894. Meri, Veijo Manillaköysi (1957) / Das Manilaseil [ü. von Horst Bernhardt], Stuttgart: Klett-Cotta, 1986. Peiliin piirretty nainen (1967) / Die Frau auf dem Spiegel [ü. von Carl-August von Willebrand], München, Hanser, 1967. Oksanen, Sofi Stalinin lehmät (2003) / Stalins Kühe: Roman [ü. von Angela Plöger], Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2012. Puhdistus (2008) / Fegefeuer: Roman [ü. von Angela Plöger], Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2010. Paasilinna, Arto Paratiisisaaren vangit (1974) / Vorstandssitzung im Paradies [ü. von Regine Pirschel], Bergicsh Gladbach: Bastei Lübbe, 2008. Jäniksen vuosi (1975) / Das Jahr des Hasen [ü. von Regine Pirschel], Berlin: Byblos Verlag, 1993. Onnellinen mies (1976) / Die Rache des glücklichen Mannes [ü. von Regine Pirschel], Bergisch Gladbach: Lübbe, 2008. Herranen aika (1980) / Im Jenseits ist die Hölle los: Roman [ü. von Regine Pirschel], Bergisch Gladbach: BLT, 2007. Ulvova mylläri (1981) / Der heulende Müller [ü. von Regine Pirschel], München: Ehrenwirth, 1996. Hirtettyjen kettujen metsä (1983) / Im Wald der gehenkten Füchse [ü. von Regine Pirschel], München: Ehrenwirth, 2000. Ukkosenjumalan poika (1984) / Der Sohn des Donnergottes [ü. von Stefan Moser], München: Ehrenwirth, 1999. Suloinen myrkynkeittäjä (1988) / Die Giftköchin [ü. von Regine Pirschel], München: Ehrenwirth, 1998. Auta armias (1989) / Der liebe Gott macht blau: Roman [ü. von Regine Pirschel], Bergisch Gladbach: Lübbe, 2008. Hurmaava joukkoitsemurha (1990) / Der wunderbare Massenselbstmord [ü. von Regine Pirschel], Bergisch Gladbach: BLT, 2004. Elämä lyhyt, Rytkönen pitkä (1991) / Der Sommer der lachenden Kühe [ü. von Regine Pirschel], Bergisch Gladbach: Ehrenwirt, 2001.

Literatur Rovasti Huuskosen petomainen miespalvelija (1995) / Ein Bär im Betstuhl [ü. von Regine Pirschel], Bergisch Gladbach: Lübbe, 2005. Tuomiopäivän aurinko nousee (1997) / Vom Himmel in die Traufe: Roman [ü. von Regine Pirschel], Köln: Lübbe, 2011. Tohelo suojelusenkeli (2004) / Schutzengel mit ohne Flügel: Roman [ü. von Regine Pirschel], Bergisch Gladbach: Ehrenwirth, 2011. Rietas rukousmylly (2007) / Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle: Roman [ü. von Regine Pirschel], Köln: Ehrenwirth, 2012. Palolampi, Erkki Kollaa kestää (1940) / Der Winterfeldzug: Krieg in Finnlands Wäldern 1939–1940 [ü. von Ingeborg Maltusch. Herausgegeben und bearbeitet von Yrjö von Grönhagen], Berlin: Metzner, 1941. Pekkanen, Toivo Lapsuuteni (1953) / Meine Kindheit [ü. und mit einen Nachbemerkung von Helga Thiele] Leipzig: Reclam, 1986. Raittila, Hannu Ei minulta mitään puutu (1998) / Sintflut: Roman [ü. von Stefan Moster], München: Knaus, 2007. Canal Grande (2001) / Canal Grande [ü. von Stefan Moster], München: Knaus, 2005. Pamisoksen purkaus (2005) / Die Klärung [ü. von Stefan Moster], München: Luchterhand Literaturverlag, 2009. Rane, Irja Kiinan keisarin lentävä hevonen (1985) / Kleiner Mond und fliegendes Pferd [ü. von Anu PyykönenStohner und Friedbert Stohner], München: Hanser, 2002. Rimminen, Mikko Pussikaljaromaani (2004) / Tütenbierroman [ü. von Stefan Moster], Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2007. Remes, Ilkka Ruttokellot (2000) / Blutglocke [ü. von Stefan Moster], München: DTV, 2007. Uhrilento (2001) / Hochzeitsflug [ü. von Stefan Moster], München: DTV, 2009. Ikiyö (2003) / Ewige Nacht: Thriller [ü. von Stefan Moster], München: DTV, 2005. Piraatit (2003) / Operation Ocean Emerald: Thriller [ü. von Stefan Moster], München: DTV, 2008. Hiroshiman portti (2004) / Das Hiroshima-Tor: Thriller [ü. von Stefan Moster], München: DTV, 2006. Musta kobra (2004) / Schwarze Kobra [ü. von Stefan Moster], München: DTV, 2009. Nimessä ja veressä (2005) / Höllensturz [ü. von Stefan Moster], München: DTV, 2006. Pimeän pyöveli (2005) / Heisse Ware über dem Eismeer [ü. von Stefan Moster], München: DTV, 2009. 6/12 (2006) / Die Geiseln: Thriller [ü. von Stefan Moster], München: DTV, 2007. Kirottu koodi (2006) / Der dunkle Code [ü. von Stefan Moster], München: DTV, 2011. Hermes (2007) / Mission Spyflight: Thriller [ü. von Stefan Moster], München: DTV, 2011. Pahan perimä (2007) / Das Erbe des Bösen: Thriller [ü. von Stefan Moster], München: DTV, 2008. Pyörre (2008) / Tödlicher Sog: Thriller [ü. von Stefan Moster], München: DTV, 2010. Isku ytimeen (2009) / Ein Schlag ins Herz [ü. von Stefan Moster], München: DTV, 2011. Runeberg, Johan Ludvig Fänrik Ståls sägner (1848; 1860) / Fähnrich Stahls Erzählungen [ü. von Wolrad Eigenbrodt], Leipzig: Reclam, 1904. Ruuth, Alpo Kotimaa (1974) / Heimatland [ü. von Rudolf Semrau], Rostock: Hinstorff, 1977. Rönkä, Matti Tappajan näköinen mies (2002) / Der Grenzgänger [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Dortmund: Grafit, 2007. Hyvä veli, paha veli (2003) / Bruderland [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Dortmud: Grafit, 2008. Ystävät kaukana (2005) / Russische Freunde [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Köln: Lübbe, 2010. Isä, poika ja paha henki (2007) / Entfernte Verwandte [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Köln: Lübbe, 2010. Tuliaiset Moskovasta (2009) / Zeit des Verrats [ü. von Gabriele Schrey-Vasara], Köln: Lübbe, 2012.

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Literatur Saarikoski, Pentti Tanssiinkutsu (1980) / Aufforderung zum Tanz: Gedichte [ü. von Richard Semrau], Berlin-Friedrichshagen: Corvinus Presse, 2002. Salama, Hannu Juhannustanssit (1965) / Mittsommertanz: Roman [ü. von Dieter Holmblad], Hamburg: Gala Verlag, 1966. Siekkinen, Keijo Kuusitoistamiehinen pyramidi (1981) / Die sechzehnköpfige Pyramide [ü. von Rolf Klemmt], erscheint wahrscheinlich 2013. Sillanpää, Frans Emil Hurskas kurjuus (1919) / Das fromme Elend [ü. von Edzard Schaper], Stuttgart: Klett-Cotta, 1981. Nuorena nukkunut (1931) / Silja, die Magd: Roman [ü. von Rita Öhquist], Wiesbaden: Insel Verlag, 1953. Miehen tie (1932) / Eines Mannes Weg [ü. von Rita Öhquist], Stuttgart: Riederer, 1966. Ihmiset suviyössä (1934) / Menschen in der Sommernacht: Roman [ü. von Rita Öhquist], Stuttgart: Riederer, 1963. Sinisalo, Johanna Ennen päivänlaskua ei voi (2000) / Troll: Eine Liebesgeschichte [ü. von Angela Plöger], Berlin: Tropen, 2005. Lasisilmä (2006) / Glasauge [ü. von Elina Kritzokat], Berlin: Tropen, 2007. Snellman, Anja Ihon aika (1993) / Zeit der Haut [ü. von Angela Plöger], München: Goldmann, 2001. Pelon maantiede (1995) / Geografie der Angst [ü. von Angela Plöger], München: btb, 2001. Paratiisin kartta (1999) / Landkarte des Paradieses [ü. von Angela Plöger], München: btb, 2005. Safari Club (2001) / Safari-Club [ü. von Angela Plöger], München: Goldmann, 2004. Tervo, Jari Minun sukuni tarina (1999) / Die Geschichte meiner Familie [ü. von Stefan Moster], München: List, 2002. Topelius, Zachris Välskärin kertomukset (1853–67) / Die Erzählungen des Feldschers [ü. von Rita Öhquist], Leipzig: Haessel, 1926. Tuuri, Antti Maailman kivisin paikka (1980) / Der steinigste Ort: Erzählungen [ü. von Reinhard Bauer], Stuttgart: Klett-Cotta, 1984. Talvisota (1984) / Winterkrieg: Roman [ü. von Peter Uhlmann], Leipzig: Kiepenheuer, 1992. Viisitoista metriä vasempaan (1985) / Fünfzehn Meter nach links [ü. von Angela Plöger], Kiel: Butt, 1991. Suuri pieni maa (1993) / Grosses kleines Land [ü. von Andreas Ludden], Münster: Pettersson, 1998. Aukko taivaassa (2000) / Loch im Himmel [ü. von Angela Plöger], Bergisch Gladbach: BLT, 2004. Utrio, Kaari Eevan tyttäret (1984) / Evas Töchter. Die weibliche Seite der Geschichte [ü. von Vilma Vaikonpää, bearbeitet von Angela Plöger], Hamburg: Rasch & Röhring, 1987. Vaskilintu (1992) / Bronzevogel [ü. von Angela Plöger], Hamburg: Kabel, 1998. Tuulihaukka (1995) / Sturmfalke: Roman [ü. von Angela Plöger], Hamburg: Kabel, 2002. Waltari, Mika Tanssi yli hautojen (1944) / Zwischenspiel in Borga [ü. unter Benutzung den dänischen Ausgaben von Rosa-Maria Mauthner], Bergisch Gladbach: Lübbe, 1982. Sinuhe egyptiläinen (1945) / Sinuhe der Ägypter [ü. von Charlotte Lilius], Bergisch Gladbach: Lübbe, 1995. Mikael Karvajalka (1948) / Michael der Finne [ü. von Ernst Doblhofer], Bergisch Gladbach: BasteiLübbe, 1999. Mikael Hakim (1949) / Der Renegat des Sultans [ü. von Ernst Doblhofer], Bergisch Gladbach: Lübbe, 1994. Johannes Angelos (1952) / Der Dunkle Engel [ü. von Ernst Doblhofer], Bergisch Gladbach: Lübbe, 1985.

Literatur Turms kuolematon (1955) / Turms der Unsterbliche [ü. von Wini von Werner], Bergisch Gladbach: Bastei Verlag Lübbe, 1997. Feliks onnellinen (1958) / Die weisse Taube [ü. von Josef Tichy], Wien: Neff, 1959. Valtakunnan salaisuus (1959) / In diesem Zeichen [ü. von Josef Tichy], Bergisch Gladbach: Lübbe, 1987. Tähdet kertovat, Komisario Palmu (1962) / Kommissar Palmu: ein Kriminalroman [ü. von Hans Erik Hausner], Wien: Neff, 1975. Ihmiskunnan viholliset (1964) / Minutus der Römer [ü. von Joachim A. Frank], Bergisch Gladbach: Bastei Verlag Lübbe, 1995. Westö, Kjell Vådan av att vara Skrake (2000) / Vom Risiko, ein Skrake zu sein [ü. von Paul Berf], München: btb, 2005. Lang (2002) / Das Trommeln des Regens [ü. von Paul Berf], München, btb, 2008. Där vi en gång gått (2006) / Wo wir einst gingen [ü. von Paul Berf], München: btb, 2008. Viita, Lauri Moreeni (1950) / Ein einzelner Weiser ist immer ein Narr: Roman [ü. von Carl-August von Willebrand], München: Lucas Cranach Verlag, 1964. Wuolijoki, Hella Niskavuoren naiset (1936) / Die Frauen auf Niskavuori: ein Schauspiel in vier Akten [ü. von Vera Prill und Friedrich Ege], Bad Kissingen: Vereinigte Bühnen- und Musikverlag, 1948. Enkä ollut vanki (1944) / Und ich war nicht Gefangene: Memoiren und Skizzen [ü. von Richard Semrau], Rostock: Hinstorff, 1987. Wuolijoki, Hella [zusammen mit Bertolt Brecht] Herra Puntila ja renkinsä Matti (1948) / Herr Puntila und sein Knecht Matti: Volksstück, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1987.

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Verzeichnis der Autoren

Verzeichnis der Autoren Prof. Janne Vilkuna, Institut für Museologie, Universität Jyväskylä Dr. Marko Lamberg, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Tampere Prof. Kustaa H. J. Vilkuna, Institut für Geschichte und Ethnologie, Universität Jyväskylä Prof. Anssi Halmesvirta, Institut für Geschichte und Ethnologie, Universität Jyväskylä Dr. Olli Matikainen, Institut für Geschichte und Ethnologie, Universität Jyväskylä Dr. Outi Fingerroos, Institut für Geschichte und Ethnologie, Universität Jyväskylä Dr. Jari Eilola, Institut für Geschichte und Ethnologie, Universität Jyväskylä Dr. Antero Holmila, Institut für Geschichte und Ethnologie, Universität Jyväskylä Dr. Esa Sironen, freier Journalist, Jyväskylä Prof. Jussi Välimaa, Erziehungswissenschaftliches Forschungsinstitut, Universität Jyväskylä M. A. Lauri Poropudas, freiberuflicher Verlagsmitarbeiter, Hämeenlinna Prof. em. Rolf Klemmt, freischaffender Übersetzer M. A. Miia Kuha, Institut für Geschichte und Ethnologie, Universität Jyväskylä

Personenregister

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Personenregister Aalberg, Ida 128, 147 Aalto, Alvar 115, 217, 231 Aaltonen, Wäinö 185 Aarnio, Eero 217, 231 Aden, Said 232 Adolf Friedrich 63 Ackté, Aino 149 Agricola, Mikael 32 f., 46, 84, 91 Aho, Juhani 126, 128, 133, 144, 147, 164 Ahtisaari, Martti 176, 191 f. Aken, Peter von 52 Alasuutari, Pertti 163 Alexander I. 111, 114, 125, 150 Alexander II. 119 ff., 123, 142, 151 Alexander III. 37, 120 Algeen, Frans Mikael 105 Andreas II. 44 Anhava, Tuomas 198 Apo, Satu 236 Arwidsson, A.I. 114, 143 Aspelin, Johan Reinhold 11 Bahtin, M. 7 von Becker, Reinhold 115 Bellman, C.M. 148 Benedikt XII. 41 Bergbom, Kaarlo 147 Bergius, Nils 71 Biermann, Wolf 205 Birgitta, die Heilige 43 Blomberg, Erik 223 von Blücher, Wipert 172 Bodin, Jean 61 Brahe, Per 73, 81, 83 Brandes, Georg 128 Brandt, Willy 176 Brecht, Berthold 198, 203 Buckle, Thomas 128 Bruch, Max 124

Cainberg, Erik 83, 150 Canth, Minna 126, 128, 144, 147 Caracalla 84 Castren, M.A. 114 Cawén, Alvar 154 Chiewitz, G.T. 155 Chronander, Jacobus 85 Chruschtschow, Nikita 178 ff., 189 Churberg, Fanny 151 Chydenius, Kaj 210 Collan, C. 148 Collanius, Abraham 85 Connelly, Marc 207 Crusell, Bernhard 148 Cygneaus, Fredrik 116, 143 Cygneaus, Uno 121 Dahrendorf, Ralf 190 Dalin, Olof von 67 Danielson, J.R. 124 Dickens, Charles, 143 Diktonius, Elmer 215 Donizetti, G. 148 Edelfelt, Albert 129, 134, 151 f. Ehrnrooth, Adolf 176 Ehrström, J.A. 154 Ehrström, F.A. 148 Eilenberger, Wolfram 7 Elisabeth 44 Enckell, Magnus 152 ff. Engel, Carl Ludvig 139 f., 154 f. Erici, Ericus 84 Erik Jedvardsson 26 Erik XIV. 63, 92 Erkko, Eero 126 Eucken, Rudolf 125

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Personenregister

Fagerholm, K.A. 189 Feodosij, Erzbischof 46 Finch, Alfred 151, 153 Finno, Jacobus 84 Florinus, Georg 85 Florinus, Henrik 85, 87 Fogelberg, Ola 209 Ford, Henry 181 Forsander, Annika 232 Forsen, Samuel 85 Frank, Kaj 217, 231 Freudenthal, Axel Olof 126 Friedrich I. 63 Frosterus, Johannes 87 Gallén-Kallela, Akseli 129, 151 f., 207 Ganander, Christfried 82, 87, 93 Gebhard, Hannes 132 Gesellius, Herman 155 von der Goltz, Rüdiger 171 Gottlund, G.A. 148, 235 Graan, Olaus 96 Gregor IX. 37 von Greve, Konrad 148 Grieg, Edvard 125 Grimm, Jacob 8 Gripenberg, Alexandra 129 Groop, Monica 231 Grotius, Hugo 61 Gustav I. Wasa 26 f., 31, 59, 63, 67–71 Gustav II. Adolf 63, 67, 83 Gustav III. 59, 63, 66–69, 150 Gustav IV. Adolf 63 Haeckel, Ernst 146 Haanpää, Pentti 175, 212 Haavikko, Paavo 199 Halonen, Pekka 152 Halonen, Tarja 192 Hammarberg, Antti (Irwin Goodman) 210 Hannikainen, P.J. 149 Harlin, Renny 179 Harma, Heikki (Hector) 211, 235 Hartmanninpoika, Henrik 41 Hegel, Friedrich 119 Heiden, F.L. 125

Helander, Wilhelm 216 Hellaakoski, Aaro 185 Hemming 44 Henrici, Hemmingius 84 Henrik, Bischof 26, 39 ff., 43 f., 54 von Hessen, Friedrich Karl 186 Hiltunen, Eila 216 Himmler, Heinrich 173 Hitler, Adolf 171, 173, 178, 187 Holmberg, Werner 150 Holopainen, Sofia 66 Holsti, Rudolf 172 Honka, Olavi 189 Huovinen, Veikko 199 Hynninen, Jorma 231 Ibsen, Henrik 125, 127, 144, 147 Inha, I.K. 152 Innozenz III. 37 Isokoski, Soile 231 Isto, Eetu 134, 152 Jaakkola, Magdalena 238 Jacobson, Max 183, 189 Jalava, Antti 123 Jansson, Tove 223 Jellinek, Georg 125 Johan III. 63, 69 f., 85 Jonas, Michael 172 Jotuni, Maria 144, 147, 211 Julkunen, Raija 221 Juslenius, Daniel 91 f. Justander, Eric Johannis 85 Juteini, Jaakko 143 Juusten, Paulus 71, 84, 91, 93 Jylhä, Yrjö 169 Järnefelt, Armas 149 Järnefelt, Arvid 126, 144, 147 Järnefelt, Eero 129, 133 f., 151 f. Jääskeläinen, Ari 237 Kaatra, Kössi 146 Kádár, János 189 Kaila, Eino 171 Kaila, Erkki 206 Kairamo, Kari 184

Personenregister

Kajanus, Robert 148 Kalima, Eino 147 Kallio, Kyösti 187 Kamu, Okko 231 Kant, Immanuel 129 Karjalainen, Ahti 191 Karl IX. 63 Karl X. Gustav 63 f., 92 Karl XI. 63 Karl XII. 63 f., 67 Katarina Jagellonica 70 Kaurismäki, Aki 209, 211 Kaurismäki, Mika 211 Kautsky, Karl 130 Kekkonen, U.K. 178–180, 185, 187–191, 193, 196, 198, 200, 204 Kilpi, Volter 145, 215 Kilpinen, Yrjö 171 Kivi, Aleksis 121, 144, 147, 185 Kivimäki, T.M. 207 Klemetti, Heikki 149 Klinge, Matti 203 Koivisto, Mauno 191 Kokkonen, Joonas 215 Koskenneimi, V.A. 145, 171, 198 Koskinen, Harro 200 Kosola, Vihtori 167, 203 Kristina, Königin von Schweden 27, 63, 73, 83, 92 Krohn, Ilmari 208 Krohn, Kaarle 116 Kuisma, Markku 169 Kurikka, Matti 130, 148 Kuula, Toivo 149 Kuusi, Matti 206, 208 Kuusi, Pekka 201 Kuusinen, O.W. 131, 170, 178, 194 Laaksonen, Touko (Tom of Finland) 224 Laestadius, Lars Levi 113 Laine, Edwin 209 Lalli 40 f. Larin-Kyösti 145 Lasse aus Huittinen 46 Lassila, Maiju 145 Laurbecchius, Isak 72

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Lehtimäki, Konrad 146, 148 Lehtola, Veli-Pekka 223 Lehtonen, Joel 212 Leino, Eino 145, 147 Lenin, V.I. 180 Leppänen, Akseli 234 Leskinen, Juhani (Juice) 211 Leskinen, Väinö 178 Lindgren, Armas 155 Lindh, J.E. 150 Linkomies, Edwin 198 Linna, Väinö 165, 174, 199, 212 f. Linnankoski, Johannes 145, 147 Lizelius, Anders 87 Loiri, Vesa-Matti 209 Ludwig IV. 44 Lönn, Wivi 156 Lönnrot, Elias 32, 113, 115 f., 121, 143, 152 Madetoja, Leevi 149 Magnus, Johannes 92 Magnus, Olaus 51, 92, 95 Magnusdotter, Kristina 47 Makarij, Erzbischof 46 Malmstén, Georg 208 Mannerheim, C.G.E. 164, 168, 173, 185, 187 f. Manninen, Otto 145 Marcus Aurelius 84 Margarethe 43 Marx, Karl 127 Mattila, Karita 231 Mechelin, Leo 122, 125, 133 Melartin, E.G. 113 Melartin, Erkki 149 Meri, Veijo 199 Merikanto, Oskar 149 Meriluoto, Aila 199 Messenius, Arnold Johan 92 Messenius, Johannes 92 Miettinen, Karri (Paleface) 238 Mill, John Stuart 127 Miller, Henry 199 Mollberg, Rauni 223 Morris, William 151

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Personenregister

Mukka, Timo K. 223 Münster, Sebastian 36, 54 Munsterhjelm, Hjalmar 151 Mörne, Arvid 144 Nietzsche, Friedrich 144 f. Nightingale, Florence 125 Niinistö, Sauli 228 Nikolaus I. 140 Nikolaus II. 120, 125 Niskanen, Mikko 219 Nordenskiöld, A.E. 125 Numminen, M.A. 7, 200 Nurmi, Paavo 185 Nyström, G. 156 Oinonen, Mikko 153 Oksanen, Sofi 231 Olai, Martinus 85 Ollila, Jorma 185 Ollila, Yrjö 153 Onerva, L. 145 Oxenstierna, Axel 83 Paasikivi, J.K. 177, 187 Paasilinna, Arto 213 Paavolainen, Jaakko 165 Paavolainen, Olavi 172, 196 Pacius, Fredrik 148 Pakarinen, Esa 209, 211 Pakkala, Teuvo 144 Palmén, E.G. 124 Palmroth, Reino (Palle) 198 Palolampi, Erkki 169 Panula, Jorma 215 Parikka, Pekka 176 Pasanen, Pertti (Spede) 209 Pekkanen, Toivo 212 Petraeus, Eskil 95 Petri, Olaus 84, 91 Petrus 43 von Pettenkofer, Max 128 Pictor, Albertus 54 Pipping, Hugo 125 Pipping, Knut 175 Porthan, Henrik Gabriel 72, 87, 92 f.

Pufendorf, Samuel 61 Päätalo, Kalle 214 Rautavaara, Einojuhani 179, 199, 231 Rautavaara, Tapio 209 Regnard, Jean-François 95 f., 99 Relander, L.K. 167, 186 Renan, Ernst 128 Repo, Eino S. 201 Reuter, Samuel 84 Rhüs, Friedrich 114 Rintala, Paavo 187 Rinta-Nikkola, Samuel 60, 87 Rissanen, Juho 152, 153 Rossini, G. 148 Rotterdam, Erasmus von 87 Rudbeckius, Olaus 91 f. Runeberg, Johan Ludvig 113, 115, 143, 174 Runeberg, Walter 150 Ruokokoski, Jalmari 153 Ruotsalainen, Paavo 112 Ryhänen, Jaakko 231 Ryti, Risto 177, 187, 193 Saariaho, Kaija 231 Saarikoski, Pentti 199, 204 Saarinen, Eliel 155 Said, Edward 236 Salama, Hannu 199 Salinger, J.D. 199 Sallinen, Aulis 215 Sallinen, Tyko 153 f. Salmi, Veikko 210 Salminen, Matti 231 Salo, Arvo 203 Salomaa, Hiski 212, 235 Salonen, Esa-Pekka 231 Sarpaneva, Timo 217, 231 Schauman, F.L. 122 Schatz, Roman 7 Scheel, Paulus 47, 52 Schefferus, Johannes 32 Schein, Martin 237 Schjerfbeck, Helene 151, 154 Setälä, Rauno 204

Personenregister

Sibelius, Jean 134, 149, 185, 212, 231 Sigismund 63 Siekkinen, Keijo 214 Sillanpää, F.E. 212 Simberg, Hugo 152 Simojoki, Martti 199 Sinisalo, Taisto 204 Sintonen, Teppo 232 Sirén, J.S. 207 Sivén, Hans Håkan (Bobi) 167 Sjögren, A.J. 114 Sjöstrand, C.E. 150 Smeds, Kristian 213 Snellman, Johan Vilhelm 115–119, 143 Sofia Magdalena 66 Solschenizyn, Alexander 178 Somerjoki, Rauli 200 Sonck, Lars 155 Sormunen, Eino 171 Spengler, Oswald 206 Stalin, J.V. 170, 194 Still, Nanny 217 Strindberg, August 128 Ståhlberg, K.J. 168, 186, 193 Suomalainen, Kari 178, 192, 223 Suurpää, Laurens 45 Svinhufvud, P.E. 168, 186 Syrjä, Martti 218 Taine, H. 128 Takanen, Johannes 151 Talvela, Martti 231 Talvio, Maila 147, 171 f. Tammelinus, Laurentius 84, 90 Tanner, Väinö 131, 178, 194, 198 Tarjanne, Onni 156 Tavast, Magnus II. 40, 43 Tengström, Jacob 110, 116 Thatcher, Margaret 183 Thesleff, Ellen 153 Thomae, Ljungo 85

267

Thomé, Verner 153 Tikkanen, Paavo 118 Tingsten, Herbert 218 Tolstoi, Lev 144, 152 Topelius, Zacharias 115, 119, 127, 143, 145, 150, 237 Tornaeus, Johannes 95 f. Tukiainen, Aimo 187 Ulrike Eleonore Ustinow, Dmitri

63 177

Vallgren, Ville 129, 153 Valpas, Edvard 130 Vennamo, Veikko 190, 195 Verkko, Veli 218 Vihavainen, Timo 180 Viita, Lauri 199 Virolainen, Johannes 198 Virtanen, Irja 174 Voionmaa, Väinö 131 Voragine, Jacobus de 49 Välkki, Anita 231 Waltari, Mika 175, 212 f. Westerholm, Viktor 151 Wexionius-Gyldenstolpe, Mikael Wikström, Emil 152 Wirkkala, Tapio 217, 231 Wladimir 36 Wolff, K.D. 204 von Wright, Ferdinand 150 Wuolijoki, Hella 198, 212 f.

81

Ylikangas, Heikki 165 Yrjö-Koskinen, Y.S. 121, 123, 125, 129 f., 158 Zola, Émile 125 Zollberg, Aristide 165

268

Abbildungsnachweis

Abbildungsnachweis Akg-images: S. 3, 70 (links); Olavi Lahtela: S. 21; picture-alliance: S. 215, 216. Alle anderen Abbildungen Anssi Halmesvirta / WBG-Archiv.

Über den Autor: Anssi Halmesvirta ist Professor für Geschichte an der University of Jyväskylä, Finnland.